ÜBER DIE I'RINCIPIEN
DER
ARISTOTELISCHEN PHILOSOPHIE
UND DIE
BEDEUTUNG DER PHANTASIE IN DERSELBEN
VON
J. FROHSCHAMMER
PROFESSOR DER I'HILOSOPHIE IN MÜNCHEN.
MÜNCHE^N^ 1881.
ADOLF ACKERMANN.
HOFBUCHHANDLUNG, MAXIÄHLIANSSTRASSE 2.
Kgl. Hof- und iTniversitfitK-Hnchdruckerei von Dr. C. Wolf & Sohn in München.
Vorrede.
Auch diese Schrift steht mit des Verfassers Werk : ,,D ie
Phantasie als Grundprincip des Weltprocesses"
in Beziehung, wie die beiden vorhergehenden : „Monaden
und Weltphantasie" und: „lieber die Bedeutung
der Einbildungskraft in der Philosophie Kant's
und Spinozas." Indem die Principienlehre des Aristo-
teles und insbesondere die Bedeutung der Phantasie in der
Philosophie desselben zur Darstellung kommt, kann zu-
gleich zum Verständniss gebracht werden, in welchem
Verhältniss die in dem genannten Werke versuchte Welt-
auffassung zu der des Aristoteles steht. Gerade mit dieser
sich auseinanderzusetzen, muss für jeden neuen Versuch
philosophischer Welterklärung aus vielen Gründen von
hoher Bedeutung sein. Zunächst schon, weil die Aristote-
lische Philosophie trotz so vieler Unklarheiten und selbst
Widersprüche, die in ihr ungelöst blieben, doch die gross-
artigste und reifste Leistung des philosophischen Strebens
des griechischen Alterthums ist, ja, wenigstens in theo-
retischer Beziehung, die Summe philosophischer Errungen-
schaft desselben überhaupt enthalt, da Aristoteles die
Leistungen der früheren Philosophen, mehr oder minder
modificirt oder berichtigt, in sein eigenes Werk aufgenommen
hat. Dann aber auch um des unvergleichlichen, geradezu
beherrschenden Einflusses willen , den Aristoteles so viele '
Jahrhunderte hindurch auf das geistige Streben der moham-
IV
medanisclien wie cliristlicheii Völker ausgeübt hat, so zwar,
class er als der Eepräseiitant der Philosophie überhaupt
und als der eigentliche Lehrer der Völker, als ,, Meister
derer, die da wissen", erschien und seine wissenschaftlichen
Leistungen das höchste intellectuelle Gut derselben bildeten.
Endlich auch, weil in der neueren Zeit und in der Gegen-
wart diese Philosophie noch immer ihre Bedeutung b(i-
hauptet und ihren Einfiuss übt, und zwar sowohl bei
den freien philosophischen Forschern, als auch bei den
kirchlichen Neuscholastikern. Soll doch unter Leitung der
hierarchisch-kirchlichen Auctorität in Rom die Aristotelische
Philosophie, in der Deutung und durch Vermittlung des
Thomas von Aquin, geradezu wieder zur herrschenden ge-
macht und (vorläufig wenigstens in der katholischen Kirche)
die ganze neuere Philosophie durch sie verdrängi werden.
Unsere Darstellung hat es nur mit der Princiinenlehi
des Aristoteles zu thun und mit dem, was unmittelbar
damit in Verbindung steht. Warum der Zweck (tsXoc)
nicht besonders behandelt wird, da doch das Teleologische
eine so grosse, principielle, entscheidende Rolle spielt in der
Aristotelischen AVeltauffassung , Avird aus der Darstellung
selbst klar werden. Ist ja doch alleiithalben vom Zwck
die Rede, da alle Principien wesentlich auf /fweckrt^alisii-
ung abzielen, und eben darum auch allenthalben von der
Phantasie (im objectiven und subjectiven Sinne), da sie
der Grund, die causa efficiens des Zweckes ist. Aus
gleichem Grunde ist auch der Gott der Aristotelischen
Philosophie nicht als besonderes Princip in Betracht
gezogen worden ; denn so weit die Gottheit nach' Aristo-
teles überhaupt in der Welt eine Wirkung ausübt, ge-
schieht diess durch die erörterten realen Principien ; ohne
sie aber und unmittelbar übt dieselbe keine AVirkung aus,
sondern hat es einzig mit sich selbst zu thun und ist also in
dieser Beziehung oder an sich kein Princip des Weltpro-
cesses und der Welterkläruug.
Was (las Verliältiiiss betrifft, in welchem die Aristo-
telischen Principien zur ,, Phantasie als Grundprincip des
AVeltprocesses" stehen , so möge gleich hier bemerkt
werden, dass es sich nicht darum handelt, nachzuweisen,
dass die Phantasie schon bei Aristoteles als das eigent-
liclie Pi'incip des Seins, AVerdens und Denkens, oder des
Weltprocesses in objectiver und subjectiver Beziehung
geltend gemacht sei. Aber es kann gezeigt werden, dass
jedes iVristotelische Princip ein Moment enthält, das sein
Wesen oder seine Wirksamkeit dem AVesen und Wirken
der Phantasie (im weiteren Sinn genommen) ähnlich macht ;
und ebenso dass eine gewisse Einheit in die Principien-
lelire des Aristoteles dadurch gebracht werden kann, dass
diese der Phantasiethätigkeit ähnlichen Momente hervor
gehoben uud dadurch das verwandte, ja einheitliche Wesen
uud Wirken von allen zur Geltung kommt. Es will insbeson-
dere gezeigt werden, wie die ganze Welt-Erklärungsweise
des Aristoteles zu dieser Hervorhebung und Auflassung
berechtigt und auffordert.
München, im Mai 1881.
Der Terfasser.
Inhalt.
Seite
Vorrede jj, y
I. Die Principien der Philosophie des Aristoteles 2—95
1. Die Form (elSot;) g ^r
2. Der Stoff (uXt]) . . 15—23
3. Die Substanz (Einzelwesen ouaiv.) 23—32
4. Die Seele ((j.ox'n) 32-46
5. Die Phantasie (^avtaatot) 46_5g
6. Die Erkenntnisskraft (voöc) 58—59
a) Vom voö?: überhaupt 59—76
b) Die Unterscheidung von voü^ ttoivjtcxoc und voü^
^"^•^^'^°^ .' 76-95
IL Das einheitliche Princip in der Aristotelischen
Weltauffassung 96—143
1. Die Kunst als allgemeine Analogie in der Ari-
stotelischen Welterklärung 98—106
2. Das Form- und Zweckprincip oder die Phantasie als
einheitliches Princip der Aristotelischen Welterklärung 106—125
3. Die Objectivität der Aristotelischen Philosophie . "^ 125—143
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Philosophiren.
69
105 „ 1'
122
131
NB. Es ist anstatt zt'/yri zu accentuiren rkyvr^ überall wo d
Wort vorkommt.
:is
Die uns gestellte Aufgabe erfordert zunächst eine
Darstellung und Würdigung der Principien der Aristoteli-
schen Philosophie im Einzelnen, die Avir im ersten Theil
oder Abschnitt des Folgenden zu geben versuchen. Daran
aber muss sich eine nähere Untersuchung schliessen über
das, was als eigentlich einheitliches Moment diesen Prin-
cipien selbst zu Grunde liegt, ihr Verhältniss zu einander
bestimmt, ihren Zusammenhang und ihr Zusammengreifen
zu einem einheitlichen Ganzen des Seins und Erkennens.
Zu diesem Eehufe wird die charakteristische Grund-
richtung der Aristotelischen Weltbetrachtung in's Auge
gefasst und die dabei vorherrschende Grundpotenz des
Wirkens wie Erkennens aufgesucht und zur Geltung ge-
bracht werden müssen. Wir glauben zeigen zu können,
dass diese die Phantasie sei und dass Einheit und Zu-
sammenhang in die Aristotelische Philosophie hauptsächlich
dadurch gebracht werden könne, dass dieselbe in den Mit
telpunkt des Systems gestellt werde, da allenthalben nach
Analogie des künstlerischen Schatfens, dessen eigentliches
Princip die Phantasie ist, das Naturgeschehen wie die
psychische Thätigkeit, ja selbst das höchste geistige Er-
kennen erklärt wird. Diess näher darzustellen und zu
begründen wird Aufgabe des zweiten Theiles sein.
Frohschammer. Aristotelische Principienlehre .
I.
Die Principien der Pliilosopliie des
Aristoteles.
Aristoteles unterscheidet bekanntlich vier (meta-
physische) Grundprincipien : Form, Stoff, bewegende Ur-
sache und Endursache oder Zweck. ^) Indess in der Form
als Grundprincip sind zwei von den genannten : bewegende
Ursache und Endzweck so unmittelbar enthalten, '^) dass die-
selbe ohne letztere gar nicht als wirksam und insofern
kaum als seiend gedacht werden kann, und demnach alle
drei zusammen zu untersuchen und zu bestimmen sind.
Daher kann man die Vierheit auf eine Zweiheit reduciren
und Form und Stoff als die beiden Fundamental-Ursachen
der Erscheinungswelt und ihrer Gestaltungen geltend machen.
Andererseits aber existiren diese beiden Principien so un-
mittelbar im Einzelwesen (ooo'la) als constituirende Momente,
dass eine nähere Betrachtung dieses Einzelwesens oder der
Substanz in einer Principienlehre des Aristoteles nicht
umgangen werden kann. Das Formprincip ist ferner in
den beseelten Wesen, in den pflanzlichen und thierischen
Organismen in so eigenthümlicher Weise vorhanden und
wirksam, dass ihm um dieser Eigenartigkeit willen wohl
die Bedeutung eines Princips im Weltdasein zugestanden
werden kann, oder wenigstens eine besondere Berücksich-
^) Met. I 3. V 2. VIII 4. Phys. II 3.
2) Phys. aiisc. II 7,3. de anim. II 4.
1. Die Form. 3
tigiing der Seele in einer Aristotelischen Principienlehre
wohl gerechtfertigt erscheint. ^) Als höchste Potenz oder
Bethätigung des Seelen- Wesens ((^o-/'^) erscheint dann bei
Aristoteles die Phantasie ('favuacsia), welche die höchste
geistige Thätigkeit, das Denken vorbereitet und ermöglicht,
und auf deren Thätigkeit überhaupt alle psychische und
geistige Bethätigung beruht — wenigstens als conditio sine
qua non. Ihr muss daher schon dess wegen auch eine be-
sondere Untersuchung gewidmet werden ^ wenn sie bei
Aristoteles auch nicht schon offen und unmittelbar als eines
der Principien oder geradezu als Grundprincip erscheint.
Endlich führt Aristoteles selbst die höchste Denkkraft
(vobQ) als besonderes höheres Princip in der Menschennatur
auf, das nicht gleichartig ist mit der Seele und nicht aus
ihr hervorgeht, sondern zu ihr erst hinzukommt. Ihr kann
daher der Charakter eines wirklichen Princips nicht ab-
gesprochen werden und sie muss daher in der Aristoteli-
schen Principienlehre eine ganz besondere Berücksichtigung
finden.
1. Die Form (sl^oc).
1. Pia ton fasste in seiner Ideenlehre die durch Dia-
lektik gewonnenen Begriffe der Dinge und Verhältnisse
als an sicli seiende, von den Dingen selbst verschiedene,
getrennte Wesenheiten auf, erhaben über dem Strom des
Werdens, unberührt von den Veränderungen des Irdischen
in ewiger Sichselbstgleichheit beharrend. Das wahre Wesen
liinter den schwankenden, flüchtigen Erscheinungen erschien
so in den Ideen „befestigt in dauernden Gedanken". Diess
war kein beliebiger Einfall, nicht leeres Phantasiespiel,
sondern das rationale Denken selbst drängte dazu in Folge
der subjectivistischen Wendung, welche die Weltauffassung
') De au. III 2,14.
1*
4 I. Die Principien der Philosophie des Aristoteles.
durch das Auftreten der Sophisten genommen hatte. Sollte
sowohl der subjectiven Willkür der Sophistik, als auch
dem ruhelosen, unfassbaren Wechsel der Erscheinungen
gegenüber ein wirkliches Wissen, eine wirkliche Erkennt-
niss der Wahi'heit behauptet oder gerettet werden, so
musste ein wahrhaft Seiendes, Beharrendes angenommen
werden als Inhalt des Denkens, da nur ein solches vom
subjectiven Denken wirklich erfasst und als allgemein und
objectiv giltig betrachtet werden konnte. Schon Sokrates
hatte daher dem zersetzenden Subjectivismus der Sophisten
gegenüber das Gebiet des Sittlichen dadurch zu sichern gestrebt,
dass er für das sittlich Gute und für die Tugend die rich-
tigen, allgemein giltigen, von blosser Meinung und Willkür
unabhängige Begriffe dialektisch zu gewinnen und festzu-
stellen suchte, PI a 1 n erweiterte diess Verfahren über das
Gebiet des Sittlichen hinaus, um dem Wissen überhaupt in
den Begriffen AVesenheit, Wahrheit und Gewissheit und
damit Allgemeinheit zu sichern. Auch dem Heraklit'schen
Strom des Werdens gegenüber sollte aber diese Wahi-heit
und Allgemeinheit des Inhalts des Wissens, also die Gültig-
keit fester Begriffe gesichert werden. Und da schien in
der That, weil auch die stoffliche, beharrende Substanz
der Naturphilosophen und Atomisten nicht annehmbar er-
schien, zunächst nichts anderes übrig zu bleiben, als zu
behaupten, dass dieser Inhalt der Begriffe überhaupt deui
Strome des AVerdens entrückt sei, über demselben erhaben
als an sich seiende Wesenheit existire. Denn diese Be-
griffe blos im subjectiven denkenden Geiste, im Wissen
selbst existiren zu lassen, wie diess noch bei Sokrates der
Fall ist, konnte nicht als genügende Sicherung der Wahr-
heit und des Wissens erscheinen, da ja doch der Erfahrung
gemäss der subjective menschliche Geist selbst, wenigstens
mit seiner Thätigkeit, in den Strom des Werdens ver-
flochten erscheint.
So sind also die Platonischen Ideen verselbstständigtc.
1. Die Form. 5
hypostasirte Begriffe, sind das über der sinnlichen Erschein-
ung existirende wahrhaft Seiende, wahrnehmbar nicht für
die Sinne, sondern nur geistig zu schauen als Intelligibles
und Substanzielles. Und zwar wird von Piaton eine un-
bestimmte, aber zu einer idealen Welt geordnete Anzahl
von Ideen angenommen, eine Vielheit von Substanzen oder
Einheiten (hd^Bc oder [lovdSsc;), nicht blos die Eine, in
sich gleichförmige, qualitätlose Substanz, wie das reine
Sein der Eleaten war. Die Platonischen Ideen sind dem-
nach das begriffliche Wesen oder das Was der Dinge,
aber getrennt von diesen, an sich seiend gedacht ; sind das
Allgemeine im Einzelnen, aus dem Einzelnen oder für das
Einzelne, das Eine des Vielen (sv sttI jtoXXwv), das Iden-
tische des Mannigfaltigen (raoiö). Die Ideen sind sub-
stantiell insoferne sie an und für sich bestehen, nicht an
einem Andern oder durch ein Anderes; sie sind objectiv-
reale, an und für sich seiende, einfache, vollkommene, un-
körperliche, unräumliche, stets sich gleichbleibende Wesen
oder Wesenheiten. Sie sind das allein Wirkliche, wahr-
haft Seiende (ovrcoc ov) oder wesenhaft Existirende. Zur
Erscheinungswelt verhalten sich die Ideen als Musterbilder
(TrapaSsLYixata) der sinnlichen Einzeldinge (und Verhältnisse),
die sich demnach zu den Ideen als Nachahmungen, Abbilder
oder Abschattungen (srSwXa) verhalten. Die Einzeldinge
sind das, was sie sind, nur durch ihre Theilnahme ({is^e^ic,
zoivwvia) an den gleichnamigen Ideen. Wo immer ein
Vieles mit einem gemeinsamen Namen (ovojxa) bezeichnet
wird, da ist nach Piaton eine gleichnamige Idee als ge-
meinsames Urbild vorauszusetzen; daher nicht blos Ideen
vom Schönen und Guten, sondern von allen auch den ge-
wöhnlichsten Dingen angenommen werden, Ideen der Kugel,
des Tisches, der Stimme, der Farbe, Bewegung, Ruhe,
Aehnlichkeit, Kleinheit u. s. w. Ja selbst Ideen des Ge-
meinen und Schlechten werden nicht geradezu in Abrede
gestellt. Das Reich der Ideen ist also nach Piaton das
f) I. Die Priiicipicn der Pliilosophie des Aristoteles.
geistige, iiitelligible, beharrende, ewige Vor- oder Urbild
der sinnlichen Welt der veränderlichen Erscheinungen, die
nur in veränderlichen Formen nachahmt, was jene an und
für sich ist in ewiger Gleichheit und ünveränderlichkeit.
2. Aristoteles nun war mit Piaton darin einvei-
standen, dass nur vom Allgemeinen, vom beharrenden,
unveränderlichen AVesen, das in festen Begriffen erfasst
werden kann, ein wahres Wissen möglich sei, dass nur
dieses Gegenstand wirklicher Wissenschaft sein könne,
nicht aber das Veränderliche, Wechselnde der Erschein-
ungswelt. ^) Und da auch er wirkliche Wissenschaft, ein
allgemein giltiges Wissen anerkannte und erstrebte, so
musste er demgemäss auch für die Begriffe ein allgemeines,
objectiv seiendes Wesen annehmen, also auch den Begriffen
eine Realität zuschreiben, nicht dieselben für blos subjec-
tive Gebilde des menschlichen Geistes erklären. — Gleich-
wohl nahm Aristoteles die Ideenlehre Piaton 's nicht an
und wird nicht müde, die Gelegenheiten zu ergreifen, um
Kritik an derselben zu üben. ^) Was ihm vor Allem zum
Anstoss gereicht, ist die Platon'sche Trennung der Ideen
von den Dingen und deren behauptetes Ansichsein als in-
telligibles, vorbildliches Daseinsgebiet. Die so gedachten
Ideen erschienen ihm als nutzlose Verdopplung der Dinge,
die zum Erkennen derselben nichts beizutragen vermöge,
da zu dem gewonnenen Begriff' der Dinge nur ein An-sich
hinzugefügt werde, das doch keine weitere Einsicht ge-
währen könne. Ausserdem erscheinen ihm die so von den
Dingen getrennten, für sich seienden Ideen ohne bewegende
Kraft und also ohne Macht des Wirkens zu sein, so dass
sie auch für das Sein und Werden der Dinge gar nichts
zu leisten vermögen.
^) Met. III 4, 1; 6,10. XIII 9,30.
') Met. I 9. III 2. VII 8. 11. 13. U. 16. XIII 4,
1. Die Form. 7
Demgemäss hielt Aristoteles zwar daran fest, dass im
begrifflichen Wissen , in den allgemeinen Begriffen das
wahrhaft Seiende, das beharrende Wesen der Dinge erfasst
werde, nnd nur dieses Unveränderliche, Beharrende als
Gegenstand wirklichen AVissens betrachtet werden könne
(das £v xaia ttoXXwv), aber er verlegte dieses begriffliche
Wesen (die Platonische Idee) in die Dinge selbst als
immanentes Wesen und als Form-gebendes Princip der-
selben, wodurch die Dinge sind, was sie sind.^) Diess ist
das BidoQ, das nicht als Vorbild ausser oder über den
Dingen schwebt (als sv ;rapa rd :roXXd) zur Nachahmung,
sondern das selbst die wirkende, bewegende, zweckstrebende
Kraft und Norm der Dinge, also Ursache derselben, oder
Formprincip ist, (oder im Gegensatz zu den kritisirten
Platonischen Ideen wenigstens zu sein scheint). Im Uebrigen
aber hat das Aristotelische eldoc, die Haupteigenschaften
mit der Platonischen Idee gemein; dasselbe ist das Allge-
meine und W^esentliche der Dinge, ist unentstanden und
an sich unvei'änderlich , ist einheitlich, obwohl in Vielem
realisirt, ist das Höhere, der Natur nach Frühere in Ver-
gleich mit den Dingen, deren Form und Wesen es bildet.
Ueberhaupt lässt sich unschwer erkennen, dass Aristoteles
von der Platon'schen Ideenlehre weit mehr festhält, als
man nach der wiederholten Kritik derselben vermuthen
sollte; so zwar, dass er selbst dem Ansichsein des sldoQ
nicht ganz entgeht, insoferne er nur den Einzeldingen
Entstehen und Vergehen zuerkennt, dem das Wesen der-
selben bildenden sldoQ aber nicht ; z. B. nur der concreten,
stofflich-realen Kugel, nicht aber der Kugelform an sich.^)
Wenn nun die Kugel an sich, das begriffliche Wesen (sISo?)
unentstanden und unvergänglich ist trotz des Entstehens
und Vergehens der realen Kugeln, so muss immerhin für
das begriffliche Wesen der Kugel selbst ein gewisses, von
^) Met. m 4. 6. Anal. post. I, 11. De an. III 8.
2) Met. VII 9.
8 I. Die Principien der Philosophie des Aristoteles.
den Dingen unabhängiges Sein anerkannt werden, wie immer
diess auch näher zu denken sein mag. Und damit ist
doch wiederum dem Begriffe an sich ein gewisses Unab-
hängig- oder Erhabensein über die einzelnen Dinge zuge-
standen, wenn auch Aristoteles selbst diess nicht Wort
haben wilP); denn sonst müsste derselbe mit den Dingen
selbst entstehen und zu Grunde gehen und könnte nur
etwa im subjectiven Denken für sich, ohne reale Einzel-
dinge, sein oder fortbestehen — wo aber immerhin auch
wieder ein Entstehen und Vergehen stattfände.
Aristoteles erörtert indess diese Schwierigkeit, die in
der That als Aporie gelten kann, nicht näher, sondern
verwirft nur mit Entschiedenheit die Platonische Trennung
von Idee und Einzelding, indem er das üBoq^ obwohl es
ein Allgemeines (xa^öXou) ausdrückt, doch nur im stoiflichen
Einzelwesen, in der Verbindung von Stoff und Form
(oXy] und elSo?) zu einem Ganzen (oovoXov) wirklich bestehen,
dasein und wirken lässt. Durch diese Verbindung con-
stituirt sich nach ihm das, was allein Substanz, Wesenheit,
oooia im eigentlichen Sinn ist, d. h. ein Seiendes, das nur
Subject sein, das nie als Prädicat von andern Dingen
ausgesagt werden kann, sondern dem vielmehr Eigen-
schaften als Prädicate zukommen. Das indess, was bei
den Einzelwesen das Substantielle (ohaia) begründet, ist
immerhin das sl^oc, während der Stoff (dXtj) nur die (reale)
Möglichkeit zur Constituirung der Substanz durch die
Form gewährt, — im Gegensatz zu früheren Philosophen,
z. B. den Atomisten, bei welchen der Stoff das Wesent-
liche, Substantielle ist, während die Form ' nur als ein
Zufälliges (aojißsßYjxöc) erscheint.
Anstatt sISoc gebraucht Aristoteles wohl auch den
Ausdruck (lofyfYj, der sich wohl mehr auf die äussere
Gestaltung und Erscheinung bezieht, in der sich allerdings
Met. VII 8.
1. Die Form. 9
auch das Wesen kund gibt. Da Aristoteles von der
Anschauung der künstlerischen , technischen Werke und
ihrer Schaffung zur Naturerklärung kam und allenthalben
die Naturwirksamkeit anologisch mit der Kunst auffasste
und erklärte, so lag es nahe, die äussere Form — die ja
von der Kunst im Grunde genommen allein geschaffen
werden kann — zur Bezeichnung des den Dingen die
Form gebenden Wesens oder Priucips anzuwenden.
Das £t§oc ist ferner als ivspYeia und IvtsXs/sta be-
zeichnet, insoferne es sich im Stoffe bethätigt und im
Einzelwesen (ooaia) Verwirklichung gibt. Soll ein beson-
derer Unterschied zwischen beiden gemacht werden, so
kann sldoc; als svspYsta aufgefasst werden, weil es als
Form zugleich die wirkende Ursache (ap'/vj ttj? zivYJaswc
oder das o^sv t^ zlvtjgic) in sich hat, als IvteXe/sia aber,
insoferne zugleich die Norm d. h. das Ziel (xiXoc) des
Wirkens in ihm enthalten ist und zur Ausführung kommt.
Aristoteles selbst deutet es an, dass unter svusXsxsta die
Zweckrealisirung zu verstehen sei, wodurch ein in sich
vollendetes, abgeschlossenes Ganzes oder Einzelding erzielt
wird. Der lebendige Organismus oder die denselben
schaffende, bildende Seele wird geradezu als ivceXs/sia
bezeichnet. ^)
In abstracter Weise gedacht oder als begriffliches
Wesen und entsinnlicht (ohne oXr^), als reine Form in dem
denkenden Geiste gesetzt, wird eldoc, von Aristoteles als
tö TL fjv elvai bezeichnet; auch als Xb^ioc: avso öXyj? oder
ti xatdc Tov XöYov ooa'la.-) Der dunkle Ausdruck ti fjv slvai
drückt also das begriffliche, stofflose Wesen eines Dinges
aus. Der Name des Dinges selbst pflegt im Dativ beige-
fügt zu werden : t6 zl -^v slvai av^pwTutj) oder auch tö
avi^ptoTTw sLvat ist das begriffliche Wesen des Menschen,
') Met. IX 8. vgl. IX 3. XI 9. Phys. III 1. VIII 1. De an. II 5.
^) Metoph. VII 4 — 6 VII 7. • X£Y"> o' ooaiav avBO 5Xy|c: xö tI -rjv
elvai, oder, elSog 8e Xeyw xö xi yjv stvat exdaxoo.
10 I- I)ie Priucipien der Philosophie des Aristoteles.
das dem Menschen znkommende Wesen, oder das was dem
Menschen das Sein gibt oder gegeben hat. Das Imper-
fectum fjv kann verschieden gedeutet werden. ^) Es kann
damit ausgedrückt sein , dass das begriffliche Wesen
(fcI5o?, Idee) vor dem Einzekiing als dessen schaffender,
bewirkender Begriff zu denken sei; oder dass dieser ge-
dachte Begriff im Einzelding war, dessen Wesen con-
stituirend; oder endlich, das f^v soll nur überhaupt den
Begriff der Dauer, des beharrlichen, wesentlichen Seins
ausdrücken. Trendelenburg und Schwegler geben
der ersten Deutung den Vorzug ; und in der That spricht
auch Vieles für dieselbe, insbesondere die Annahme des
Aristoteles, dass die Form als solche (siSoc ohne oXy]) ohne
Entstehen und Vergehen, also gewissermassen als zeitlos
existirend zu denken sei und jenes nur den Einzeldingen
(dem GDVoXov oder arjv^sTov s^ eiScj? zdc oXtjc) zukomme.
Allein die scharfe Opposition gegen die Platonische Ideen-
lehre gerade wegen ihrer Behauptung eines Getrenntseins
und einer Unabhängigkeit des begrilflichen Wesens oder
der Ideen gegenüber den Einzeldingen, dürfte doch zur
Annahme berechtigen, dass die zweite Deutung mehr dem
Sinne des Aritoteles entspreche. Wäre unter zl -r^^ slvat
das begriffliche, an sich (ohne oXr^) seiende Wesen der
Dinge gemeint , so müsste man -Kiem Aristoteles strengen
Kealismus, die Annahme der Universalia ante rem zu-
schreiben, was mit seiner Bestreitung des Platonischen
Kealismus kaum vereinbar ist. Bei der zweiten Deutung
dagegen Avird zwar auch noch die Realität der Begriffe beibe-
halten, aber nur in re, woraus dann der gedachte, durch
Abstraction gewonnene Begriff, eben das tI fjv etvat seine
reale Bedeutung schöpft.
Durch das Setzen des begrifflichen Wesens, des z'i
^) Vgl, Alb. Schwegler: Die Metaphj^sik des Aristoteles. Tüb
1847 Bd. IV S. 43 ff. S. 369 ff.
1. Die Form, 1 1
fjv sLvai im Denken, erhalten nun die sß-q auch subjective
Existenz und zwar als reine, stotflose Formen der Dinge,
welche das wahre Wesen, die Wahrheit derselben aus-
drücken und das menschliche Wissen, die Wissenschaft
ermöglichen und constituiren. Denn nicht in der Wahr-
nehmung der sinnlichen Erscheinungen, nicht in der Kennt-
nissnahme der veränderlichen Dinge der Natur besteht das
wahre Wissen, sondern in dem Erfassen des allgemeinen,
beharrlichen Wesens oder des wesenhaften Seins. Dies ist
aber allerdings nicht eine gleichförmige Einheit oder Vielheit,
sondern stellt trotz der Beharrlichkeit und Weseuhaftigkeit
eine Stufenfolge dar in Gattungen und Arten, so dass
das eldoc; selbst wieder modificirt ist als ysvoc (höherer
Begriff) und sldoc in engerem Sinne als Art (niederer Be-
griff). ^) Insoferne die erkennende Seele in der Erkennt-
niss diese sI'§tj nach ihrem AVesen und ihrer Ordnung in
sich aufnimmt, kann sie ihrem noetischen Momente nach
als Ort (töttoc) der Ideen und woJil auch als eldor sl^wv
bezeichnet werden. ^) Sie selbst muss ja auch als bI^oq be-
trachtet werden und in Verbindung mit dem Stofflichen
des Organismus als oo^'la, so dass sich schon darin eine
Steigerung des Formprincips kund gibt, sowie ein Selbst-
ständig- und Subjectivwerden desselben, dem dann die ob-
jectiven sXdri der Dinge gegenüber stehen und in das sub-
jective eldoc aufgenommen werden können.
Das bI^oc an und für sich ist von Aristoteles wohl
nicht als erzeugende, schöpferische Ursache, als principium
individuationis gedacht, sondern nur in Verbindung mit
dem Stoffe. Daher: avd-rjiOTzoQ av9-pco~ov 7=vv(y., die ganze
Menschen-Natur erzeugt den Menschen. ^) Da Form und
Stoff' als ewig betrachtet werden, so fällt allerdings die
^) Met. I 9. V 28. vgl. Scliwegler: die Metaphysik des Aristo-
teles Bd. la S. 90 f. S. 239.
'^) De all. III 4. 8.
2) Met. VII 7. IX 8.
12 I- Die Principien der Philosophie des Aristoteles.
Frage nach ihrem Ursprung weg ; aber da ihre Verbindung
doch als eine zeitliche, wechselnde, dem Entstehen und
Vergehen unterworfene aufgefasst wird, so besteht immerhin
das Problem, wie die Form an sich bestehen könne, trotz
des Vergehens der sinnlichen, zeitlichen Erscheinung, in
welcher sie sich verwirklicht hat. Und ebenso bleibt un-
erklärt, wie überhaupt Form und Stoff zu ihrer Verbindung
kommen, durch welche sie die Einzeldinge als die wahren
Wesenheiten bilden, obwohl für das Erkennen nur die als ab-
stracter Begriff' aufgefasste Form die Wahrheit sein soll.
Manche selbst unter den neueren Erklärern des Aristo-
teles z. B. Brandis^) suchen die Schwierigkeit dadurch
zu lösen, dass sie annehmen, die siSt] seien ursprünglich
Gedanken in Gott, die sich in die Materie eingesenkt und
in ihr fortwirken. ,,Die den Art- und Gattungsbegriffen,
jedoch ihnen keineswegs ausschliesslich zu Grunde liegen-
den ursprünglichen Energien sind dem Reiche des Werdens
und der Veränderungen eingesenkte göttliche Gedanken,
die sich in den Einzelwesen oder durch sie fortpflanzen
und nach Massgabe des Stoffes , in welchem und der
Verhältnisse unter denen sie sich jedesmal verwirk-
lichen, mehr oder weniger vollkommen sich entwickeln.
Die Einzelwesen sind die Träger der in ihnen fortwir-
kenden ursprünglichen Energien und in ihrer Entwick-
lung in sofern von der göttlichen Endursache geleitet,
in wie fern sie den Trieb haben den der Art und Gattung
zu Grunde liegenden göttlichen Gedanken so rein darzu-
stellen, wie der Stoff es verstattet, vermittelst dessen sie
sich verwirklichen." Ohne Zweifel lassen sich für diese
Auffassung manche Stellen aus den Schriften des Aristoteles
beibringen oder deuten ; allein mit seiner ausdrücklichen
Lehre von der Gottheit als reine Form und unbewegten
^) Geschichte der griechisch-römischen Philosophie II 2. S. 1317.
Berl. Reimer 1857.
1. Die Form. 13
Beweger lässt sicli dieselbe kaum vereinbaren. Gott wirkt
da durch keinerlei Mittheiluug oder Entwicklung und Aus-
sendung von wirkenden oder bewegenden Kräften auf die
Welt und ilire Bildungen ein, denn er hat es nur mit sich
selbst zu thun, mit der Betrachtung seiner selbst als des
vollkommensten, allein entsprechenden Gregenstandes seines
Denkens. Ist er Ursache oder Veranlassung der Bewegung
und der Bildungen oder Formen der Welt im Grossen und
Kleinen, so ist er diess nicht durch eigene Thätigkeit nach
aussen, sondern nur so, wie ein Gegenstand der Liebe
oder Sehnsucht Bewegung und Streben im Liebenden her-
vorruft als Gut und begehrenswerthes Ziel. ^) Aristoteles
verlegt also die Quelle der Thätigkeit und Kraftentfaltung
eigentlich in den Stoff, der noch Vollkommenheit, Gestaltung,
Form verlangt. -) Ist diese Annahme auch schwer mit
der Aristotelischen Ansicht vom Wesen der Materie ver-
einbar, wie wir sehen werden, so scheint dadurch doch
jedenfalls diess ausgeschlossen zu sein, dass Gott aus sich
die Ideen als Kräfte in die Materie versenkt habe und
durch sie in denselben fortwirke. Es müsste nur allenfalls
angenommen werden, dass dem Aristoteles schon die Vor-
stellung vorgeschwebt habe, die später die Gnostiker so
bizarr ausbildeten, dass nämlich die Materie, nach den
Ideen oder Formen in der Gottheit verlangend, diese ergriffen
und sich durch göttliche Kraft Gestaltung gegeben habe ; so
dass demgemäss die Materie als Weibliches die Möglichkeit
böte zur Gestaltung für die göttlichen Ideen als das Männliche,
das nach Aristotelischer Auffassung allenthalben Form und
Geist gibt. Indess auch diese Vorstellung dürfen wir dem
Aristoteles kaum ausdrücklich zuschreiben, da er jede Be-
Avegung nur durch Berührung entstehen lässt, ^) also auch
wieder die erste Bewegung nur durch eine Art Berührung
^) Met. XII 7.
'^) Phys. I 9.
'') Phys. III 2. VII 1. De gen. au. II 1.
14 !• 1^16 Principieu der Philosophie des Aristoteles.
von der Gottheit ausgehen und der obersten Himmels-
sphäre zu Theil werden kann. Eine Bewegung, welche
dann in der vollkommensten Art, nämlich in der in sich
selbst zurückkehrenden Kreisbewegung vielmehr eine schon
äusserliche, mit StolF behaftete Nachahmung des göttlichen
Seins und Lebens darzustellen scheint, das ja ebenfalls
nur in der allerdings geistigen Richtung auf sich selbst,
im Selbstdenken sich vollzieht.
Wie dem auch sei, für die Welt ist sldoQ in realer
Beziehung Princip (svspYsic^, ap'/vj) ^) aller Gestaltungen,
aller Einzelwesen (ooalaL), die aus Form und Stoff con-
stituirt sind und dadurch in ihrem Dasein einen Zweck
realisiren, organisch sind^ und die sich selbst erhalten und
fortpflanzen, in sofern das gestaltende Princip ihnen selbst
immanent ist. In subjectiver Beziehung aber (ideal oder
formal) ist si^oc, insoferne es Seele geworden ist, Subject
des Erkennens; insoferne es aber als reine Form ohne
Stoff (av£i) oXtjc als Ti fjv slvai), als begriffliches Wesen
aufgefasst wird, ist es Gegenstand des höchsten, des
wahren Erkennens oder Wissens und bildet den Inhalt
der wirklichen Wissenschaft. Die erkennende Kraft dabei
ist bei Aristoteles freilich nicht mehr der aus dem sldoc
stammenden Seele {^'r/ri) zuerkannt , sondern soll nur
einem eigenen, noch höheren Princip, dem voOc zukommen,
von dem später die Eede sein wird. Jedenfalls aber
muss das reine bI^oq dem voöc nahe verwandt sein, da
beide im Erkenntnissact sich zu vereinigen haben. Wenn
übrigens slSog als begiiffliches Wesen (ti yjv civai), als
reine, stofflose Form bezeichnet wird, als welche allein
sie Gegenstand des Wissens sein könne, so ist doch dieses
reine bI^oc nicht mit Gott identisch, der auch als reines,
stoffloses slöo? aufgefasst wird; denn die Gottheit wird
doch , obwohl stofflos , als substantielles Einzelwesen
Met. XII 6.
2. Der Stoff. 15
(o'jc5La) aufgefasst, während das begrilfliclie sldoc, nicht
als substantiell im eigentlichen Sinne, sondern nur als
abstractes Allgemeines betrachtet wird, Einzelwesen
(oucjia) aber erst durch Vermählung mit dem Stofte ist.
Darin dürfte übrigens die Andeutung liegen , dass das
begriifliche Erkennen seinem Inhalte nach (tl fjv slvai)
doch nicht rein geistig zu denken sei, sondern stets einen
Anflug von Sinnlichkeit beibehalten müsse und sicli dadurch
von der Gottheit unterscheide. Wir werden sehen, wie
diesem durch die (pavTdcjixaTa und durch den vobQ Tra^YjTiT.ö«;
von Aristoteles einigermassen Kechnung getragen wird.
2. Der Stoff (pX-q).
Unter den Philosophen vor Sokrates hatten die von
naturphilosophischer Richtung das stoffliche Sein nicht
blos als wirkliche Realität gelten lassen, sondern die
Materie in der Form von Elementen oder Atomen geradezu
als gestaltendes Princip der Weltordnung im Grossen
und Kleinen behauptet. Die Eleatischen Philosophen da-
gegen, die nur das Eine und unveränderlich Beharrende
als wahrhaftes Sein erklärten, betrachteten das sich be-
ständig ändernde Sinnliche, Stoffliche und damit die ganze
Erscheinungswelt der wandelbaren Dinge als Nichtseiendes,
Nichtiges, als blossen Schein und Sinnentrug.
Piaton, der sich schon in seiner Ideenlehre haupt-
sächlich der Eleatischen Lehre vom wahrhaft Seienden
angeschlossen hatte, that dasselbe auch bezüglich der
Auffassung des Materiellen, obwohl auch hier, wie dort,
nicht ohne grosse Modification. Ihm ist die Materie und
die daraus gebildete Erscheinungswelt zwar nicht geradezu
und unbedingt ein Nichtseiendes, nicht blos ein subjectiver
Sinnentrug, aber doch auch nicht ein wahrhaft Seiendes,
sondern ein beziehungsweise Nichtseiendes, \Lfi ov, etwas,
1(5 1. Die Principien der Philosophie des Aristoteles.
das keinen eigentlich positiven Werth, sondern nur eine
negative Bedeutung hat und durch Veränderlichkeit immer
zwischen Sein und Nichtsein schwankt. Sie ist ihm der
Gegensatz zur Ideenwelt als dem wahrhaft Seienden, und
ist die Ursache davon, dass die Ideen trotz ihrer Einheit
in sich und ihrer Harmonie unter einander in einer Vielheit
von gleichnamigen Einzeldingen und in vielfacher Dis-
harmonie unter einander in der Erscheinungswelt sich
zeigen. Sie ist auch der Grund, dass die Ideen nur
unvollkommen, verkümmert, verzerrt, in ihren reinen
Wesen getrübt und nur vorübergehend zur Darstellung
kommen können. Eine Auffassung der Materie , aus
welcher dann auch die Annahme hervorgeht, dass der
Leib ein Hemmniss, ja ein Kerker füi^ die menschliche
Seele sei. Auch für die Wissenschaft erscheint dieses
Stoffliche, Formlose, Unbestimmte als unfassbar, als dem
Denken unzugänglich und insoferne als irrational. Trotz
all' dem fehlt es der Materie nach Piaton nicht ganz an
einem positiven Wesen und an einer Art Kraftbethätigung.
Schon dass die Ideen nur durch sie, der an sich formlosen,
aber bildsamen, der Form empfänglichen Masse (die Sub-
strat oder vielmehr Quelle der Elemente ist) zur Dar-
stellung und Erscheinung kommen können, deutet diess an ;
ausserdem aber setzt doch der Widerstand, den die Materie
der Form-Realisirung leisten und dadurch Unvollkommen-
heit veranlassen soll, eine gewisse Kraftbethätigung eigenen
Wesens im Gegensatz zu blosser Passivität voraus. Dei-
Materie ist also damit immerhin auch bei Piaton einiger-
massen die Bedeutung eines zweiten Princips neben der
Ideenwelt gewahrt und damit ein eigentlicher Dualismus
in die Weltauffassung eingeführt, wie er den früheren Philo-
sophen nicht eigen war.
Eine ganz ähnliche Bedeutung hat nun die Materie
auch bei Aristoteles und spielt eine ähnliche Rolle als
W.Y] ov, wie bei Piaton. Sie ist ihm ebenso eine an sich unbe-
2. Der Stoff. 17
stimmte, an sich nicht wahrhaft seiende Masse, ungestaltet,
unendlich, unbegränzt, daher auch für sich unerkennbar
(aYvtoaxov) und gewissermassen irrational, Vielheit und Zu-
fälligkeit , aber auch Nothvvendigkeit und Leiden be-
gründend. Aber sie ist auch bildsam und bietet dadurch die
Möglichkeit zur Darstellung oder Kealisirung des wahrhaft
Seienden, der Form (siSo?) oder des begrifflichen Wesens
(ii fjv slvai) und ist dadurch ein Princip des Werdens.
Doch fasst Aristoteles das Wesen der Materie (bei ihm
als oX'/j bezeichnet) als noch positiver und bedeutsame!
auf als Piaton. Bei ihm ist der ,, Stoff" neben der ,,Form"
ein wesentlich constitutives Moment des Einzelwesens (ooaia),
leistet also etAvas Positives für dieses zur Eealisirung und
zum Dasein.^) Allerdings kann die Form durch zufällige
Umstände bei der Verwirklichung in dem Stoffe eine
Hemmung, Verkümmerung und Verschlechterung erfahren,
aber diess ist nicht als durchaus nothwendig anzusehen
wie bei Piaton, und immerhin erhält die Form nur durch
den Stoff' wirkliche Realität, sachliches Sein und Fähigkeit
des Wirkens. Es erscheint also bei Aristoteles der Stoff
für die Form (sISoc) durchaus zum realen Sein und Wirken
als nothw^endig, bietet derselben eine Ergänzung, weil
die Möglichkeit der Verwirklichung; der Stoff ist §ova[i£t
ov für das, was durch bI^oq ivspY^^Q^ ov wird. Bei Piaton
dagegen existiren die Ideen an sich, auch ohne Stoff, als
ein real Seiendes, und zwar reiner und vollkommener; sie
können also durch Verbindung mit der Materie nicht
gewinnen, sondern sie erleiden vielmehr Verlust. — Be-
sonders bedeutsam aber wird der Stoff für die Aristotelische
AVeltauffassung dadurch , dass Aristoteles annimmt , in
dem Stoffe sei naturgemäss ein Verlangen und Streben
(hfiBqd-oii, opsYsaö-ai) nach der Form und sie bewege sich
dieser von selbst entgegen.^) Dadurch ist bei Aristoteles
^) Met. Vn 7. VIII 1 XI, 4. Pliys. II 8 u. 9. I 6—10.
2) Phys. I 9. Met. XII 7.
F r o h s c h a m m e r . Aristotelische Principienlehre.
X8 I. Die Principieii der Philosophie des Aristoteles.
der Stoff der Form sehr angenähert, erhält die Bedeutung
eines eigentlichen positiven Princips, und der Dualismus
erscheint viel weniger schroff als bei Piaton, ja scheint
fast ganz tiberwunden zu sein. Doch ist freilich nicht
näher untersucht oder erklärt, wie dieses Verlangen im
Stoffe entstehen könne und wie dasselbe vereinbar sei mit
der sonstigen Beschaffenheit des Stoffes und der ganzen
Aufgabe, die ihm zugetheilt wird. Es ist diess einer der
dunkelsten Punkte der Aristotelischen Philosophie und
wohl geeignet Dunkelheit auch selbst über seine Lehre
von der Gottheit und von der Form zu verbreiten;
obwohl diese Annahme auch wiederum die Möglichkeit in
besonderem Masse bietet, ein einheitliches Grundprincip
für diese Philosophie aufzustellen und dessen Durchführung
zu versuchen. Denn forscht man näher darnach, worin
denn eigentlich diese Sehnsucht und das ihr entsprechende
Streben des Stoffes bestehe, welches Ziel erreicht werden
solle, so ist es das Verlangen nach dem Vollkommenen,
Guten, zuhöchst nach der göttlichen Vollkommenheit, das
als Ziel erscheint^) und wodurch das ganze Welt -Sein und
-Geschehen als eine teleologisch bestimmte Organisation
erscheint. So dass der Zweck als die höchste bestimmende
Ursache im Weltganzen sich erweist — und zwar Gott
als Ziel (tsXoc) des ganzen Weltstrebens. Näher lässt
sich dies wohl so bestimmen, dass dem Stoff' eine Tendenz
und ein Streben innewohne, das Vollkommene (Göttliche)
als Ziel (Form) sich einzubilden oder sich nach dem Voll-
kommenen zu gestalten durch Bewegung (xivT^aic). Dies
setzt aber als ursprüngliches Vermögen des Stoffes eine
Bildungs- oder Gestaltungspotenz voraus, das eigene
Sein (als immanenter Künstler) zu einer bestimmten Form
auszuwirken nach göttlichem Urbild — soweit specielle
Kraft und Verhältnisse es gestatten. In sofern kann wohl
Met. xn 7.
2. Der Stoif. 19
nicht mit Unrecht behauptet werden, dass nach Aristoteles
Gott als erster Beweger der Welt gewissermassen inne-
wohne, insofern er als Ziel alles Strebens alle Beweg-
ungen und Bildungen veranlasst ; wenn da auch allerdings
die bewegende, die Form auswirkende Kraft, als Gestalt-
ungsmacht im Stoffe selbst sein muss. Der ganze Welt-
process besteht dann darin, dass die Gottheit als Ziel und
durch ihre Vollkommenheit erregende Macht in den Formen
der Welt eingebildet wird in unendlichen Variationen der
Gestaltung und Stufen der Vollkommenheit.
Da nach Aristoteles Stoff wie Form unentstanden
und unvergänglich und insofern ewig sind, so kann dem-
zufolge der Stoff' nie ganz ohne Form gedacht werden,
da eine Trennung von beiden nicht wohl angenommen
werden kann, wenn doch die Formen nicht wie die
Platonischen Ideen an sich sollen existiren können, sondern
nur in Verbindung mit dem Stoffe oder in Verwirklichung
durch diesen. Während also an der Spitze aller Wesen,
die aus Form und Stoff' sich constituiren , zwar Gott als
reine, stofflose Form (sl^oc) steht, entspricht ihm am
andern Ende der Wesenreihe nicht ein Stoff ohne alle
Form, sondern diesem wohnt immer eine Form, wenigstens
in dem Verlangen und Streben nach Form und in der
Bildungsmacht zur Realisirung derselben inne, so dass der
Stoff* gleichsam den Keim oder Samen, d. h. die Gestalt-
ungsmacht der Form in sich birgt; oder — was der
sonstigen Auffassungsweise des Aristoteles entsprechender
sein mag — der Stoff ist das weibliche Element, i) das
durch die göttliche Vollkommenheit als Urbild wie durch
männlichen Samen zur Entwicklung und Formgestaltung
angeregt wird — ursprünglich, und so, dass der Impuls
durch alle Zeiten und Generationen tortwirkt. Und in
sofern könnte man wohl den Aristotelischen Gedanken
^) Phys. I 9.
2*
20 I- Die Principien der Philosophie des Aristoteles.
SO deuten, dass ihm die Materie gleichsam das ,,ewig
Weibliche" sei gegenüber der ewigen Form. AVenn gleich-
wohl der Stoff auch wiederum als Ursache der Unvoll-
kommenheit, der Verkümmerung, der Vergänglichkeit, des
Leidens der Formen der Einzelwesen betrachtet wird, so
kann diess nicht vom Stoffe gelten, insofern er nach dem
Vollkommenen als Ziel und Form verlangt, sondern nur
von den Verhältnissen, die durch das stoffliche Sein und
durch die Vielheit, Verschiedenheit und Gegensätzlichkeit
des geformten Stofflichen veranlasst werden. Freilich, wie
die Vielheit der Formen (si^tj) der Einzelwesen und die
specifischen Unterschiede der Gattungen und Arten, beson-
ders der organischen oder beseelten Wesen in der Natur
entstehen, ist damit nicht erklärt. Noch weniger, wie die
Stufen-Reihe derselben sich gebildet habe, oder wodurch
sie bestehe, wenn sie überhaupt nicht als entstanden zu
denken ist. Hat eine Entstehung niemals stattgefunden,
so kann nur angenommen werden, dass die Formen als
ursprünglich- und ewig- verschiedene Typen nach einem
Gesetz der Specifikation da seien und sich Verwirklichung
im Stoffe geben, oder durch eine dieser immanenten Gestalt-
ungsmacht verwirklicht werden — also ein Reich von Formen
mit verschiedener Gliederung in der AVeit bilden, wie die
reinen Platon'schen Ideen über der Welt. Ein eigentlicher
Natur- oder Weltprocess könnte dann allerdings nach Ari-
stoteles nicht angenommen werden, sondern nur eine be-
ständige Wiederholung derselben eiörj und T3^pen nach
ihren verschiedenen Stufen und beharrendeji Eigenarten.
Uebrigens sind bei Aristoteles die Begriffe oXyj und sldoQ
nicht in fester, unabänderlicher Bedeutung gebraucht, sondern
beide werden in relativem Sinne angewendet d. h. oXtj ist
nie ohne £i§oc, hinwiederum aber kann in der Stufenfolge
der Dinge und Bildungen bI^oq auch die Bedeutung von
oXy] erhalten. Insofern oXyj etwas Bestimmtes ist, kann
diess nicht ohne Form (slSo?) sein; insofern aber ein (ge-
2. Der Stoff. 21
formtes) Ding etwas Anderes oder Höheres entweder aus
sich selbst werden, oder von aussen umgewandelt werden
kann, ist dieses siSo? oder diese ooa^a wiederum als oXy]
zu betrachten. Insofern etwas gestaltet werden kann zu
einem Andern ist es S6va{xic oder Sovafisi ov ^) dessen wozu
es gestaltet werden kann, während das daraus Gewordene
oder Geformte ivspY^ic^ ov oder hzsXsx^ia. ist. Der Knabe
ist die Möglichkeit (oX-rj, Sova^ist ov) des Mannes, dieser ist
es als Wirklichkeit {h^j^sio^ ov); das Erz ist Stoif oder
Möglichkeit der Statue, welche die Wirklichkeit ({xofyfYj,
ivspYia ov) ist.-) — In der Stufenreihe der Dinge oder der
Einzelwesen, die aus Stoff und Form bestehen, ist jegliches
auch mit Beraubung, aispyjai? behaftet, insofern es Stoff
ist, der zu etwas Andern gestaltet werden kann, das er eben
desshalb noch nicht ist. Nicht allerdings insofern etwas Stoff
ist, erscheint es als mit Beraubung behaftet, denn der Stoff
selbst als solcher ist nicht blosse Negation, sondern reale
Möglichkeit für Verwirklichung durch ein sldoc ; aber insofern
der Stoff, das Sova|j.sL ov, das noch nicht ist, was aus ihm
werden kann, kommt ihm auch aispirjcjic zu. ^) Aristoteles
zeigt sich daher sogar nicht ganz abgeneigt, drei Principien
für die Gestaltungen anzunehmen, oXyj oder o7rox£i[j.£vov,
axsprp'.c und [xopcpYj oder sISoc;. Doch zieht er vor, bei der
Zweiheit zu bleiben: dXyj und slöoc. ^) Der ungebildete
Mensch z. B. ist Stoff, aus dem der gebildete Mensch als
Form werden kann; insofern aber Mensch und ungebildet
zwei verschiedene Begriffe sind, w^ovon der Begriff Unge-
bildetsein eine Negation, einen Mangel oder aTspyjaic aus-
drückt, könnte die oXyj allenfalls in zwei Principien, Stoff
und Beraubung gespalten werden. Indess ist ein Mangel,
der durch die Form nicht fortgebildet oder umgewandelt,
1) Met. VIII 1 und 2.
2) Met. IX 6 und 8.
3) Met. V 22. IV 14. XII 4 und 5.
*) Phys. I 7.
22 I« Die Principien der Philosophie des Aristoteles.
sondern beseitigt wird, doch nicht als eigentliches Princi])
anzuerkennen.
Diese Aristotelische Lehre vom Stoff und seinem Ver-
hältniss zur Form ist allerdings, Avie man sieht, klai* und
einfach, wo es sich um technische oder eigentlich künst
lerische Thätigkeit des Menschen handelt. Hier ist die
Form als Gedanke oder Vorstellung im Geiste des bilden-
den oder schaffenden Menschen schon da vor der Ausführ-
ung in der Wirklichkeit und wird dann im entsprechenden
Stoffe verwirklicht. Die Form (zunächst in der Phantasie
des Künstlers) ist gebildet und wird als Ziel oder zu rea-
lisirender Zweck das Bestimmende, Leitende der ganzen
Thätigkeit desselben, bis die Verwirklichung vollendet und
das Werk als Ganzes aus Stoff und Form (Idee) als
öb^oXo^ oder aov§£Tov geschaffen ist. Einen ähnlichen Vor-
gang nimmt nun Aristoteles auch in der Natur an, indem
er sie analogisch deutet. Und auch hier ist die Sache
noch klar zu denken, so weit die Deutung sich auf die
schon vorhandenen Keime, deren Entwicklungen zu Orga-
nismen und deren Fortpflanzung bezieht. Der Künstler
mit seiner Vorstellung oder Idee ist hier den Dingen selbst
unmittelbar als substantielle, lebendig wirkende Form
(elSoc) immanent, sowohl in den Keimen, als auch in den
vollkommen entwickelten Organismen und in der Fort-
pflanzung derselben. Allenthalben sind Form und Stoff'
zwar beslimmt verschieden, aber doch innig verbunden oder
vermählt, um das Ganze zu constituiren, und das frühere
Stadium der Entwicklung erscheint stets als das Substrat
und als Möglichkeit (oTroxeifisvov und §ovd{j.£i' ov) der nächst-
folgenden Entwicklungsstufe; wobei sich stets die Form
als wirkendes Princip oder vielmehr Ziel (tsXoc) der Thätig-
keit oder Entwicklung erweist. — Die Dunkelheit und
Schwierigkeit tritt aber da hervor, wo es sich um den
Stoff als solchen handelt. Dieser soll in sich ein Verlangen
und Streben nach dem Guten, Vollkommenen haben trotz
3. Die Substanz. 23
seiner sonstigen Eigenschaften, die von bloss passiver Art
sind. Und zwar soll er im Grossen nnd Einzelnen (nn-
mittelbar oder mittelbar) von der Gottheit, nicht als wir-
kender Ursache (cansa efficiens), sondern als Ziel oder
Zwecknrsache (cansa finalis) Bewegung nnd Bildung er
fahren. Dass hier Aristoteles dem Stoffe unvereinbare
Eigenschaften zuschreibt, scheint ausser Zweifel zu sein
und ist auch schon entschieden genug hervorgehoben wor-
den.^) Wir werden später zu untersuchen haben, ob sich
diese Schwierigkeit überwinden lässt, und ob, und in welcher
Weise allenfalls auch diese Bethätigung des Stoffes unter
ein einheitliches Princip gebracht und mit allen andern
Hauptbestimmungen des Systems in Harmonie gesetzt
werden kann.
3. Die Substanz (Einzelwesen, ouaLa).
Wie bei Aristoteles überhaupt selbst die wichtigsten
Bezeichnungen nicht stets in gleichem Sinne gebraucht
werden, sondern neben dem Gebrauche für die specifischen
Hauptbegriffe des Systems noch in anderen Bedeutungen
verwendet werden, so geschieht es auch mit ouaia. Zu-
nächst erscheint der Ausdruck als Kategorie, aber aller-
dings als Haupt- oder Grundkategorie, durch welche alle
andern Kategorien erst eine Grundlage haben und Reali-
sirung erlangen können. ^^) Obwohl daher als Kategorie
oDota Einzehvesen d. h. Vermählung von Form und Stoff
(elSoc und öXy]) zu einem bestimmten Ganzen (aovoXov)
bedeutet, so kann doch um des fundamentalen Charakters
willen, oocjia schon in diesem Sinne auch als Princip (ap/Tj)
bezeichnet werden ; wie denn Aristoteles auch ausdrücklich
1) S. E. Zell er: PMosophie der Griechen. 112. S. 257 ff. 2. Aufl.
2) Metaph. Vn 1.
24 !• I^ic Principien der Philosophie des Aristoteles.
die Substanz als Princip und als Ursache bezeichnet.^)
Insofern dann ooaia auch in der Bedeutung von Substrat
(o;roz£i[JLsvov) und wiederum vom begritflichen Wesen
(tö Tt "^v eivai) gebraucht wird,''^) ist der princii)ielle Cha-
rakter ohnehin olfenbar.
Die Hauptbedeutung von oo'^ia'') ist indess bei Aristo-
teles doch die von „Einzelsubstanz" oder Verbindung von
Stoff und Form zu einem bestimmten, selbstständigen
Wesen. Diese Substanz ist wesentlich Subject, ist ein
selbstständiges Einzelwesen, das sein Sein in sich selbst,
nicht in einem Andern hat, das nie Prädicat sein, nie als
Bestimmung oder Eigenschaft von Anderem ausgesagt
werden kann, von dem aber Eigenschaften, Thätigkeiten,
überhaupt die übrigen Kategorien prädicirt werden können. ^)
Es sind also omlan Dinge, die in sich fix und fertig und
abgeschlossen sind, also eine Individualität bilden und im
AVesentlichen kein Mehr oder Weniger vertragen. Gleich-
wohl aber sind gerade diese oocjiai, die Einzeldinge, ver-
änderlich, dem Entstehen und Vergehen unterworfen, weil
sie die oXyj neben sldoc als constitutives Moment in
sich haben ; denn was oXy] an sich hat, ist zwar Substanz,
(nicht blos abstracter Begriff, eldoQ, zi f^v slvai) aber es ist
auch der Veränderlichkeit fähig, der Vergänglichkeit ver-
fallen. Es gibt nur Eine oocsia, die unveränderlich, unver-
gänglich, ewig ist, nämlich die Gottheit, die aber ohne
oXy] (slSoc av£o oXtj?) ist. Dagegen die wesentlichen
Factoren der (endlichen) ooöia, nämlich oX-rj und sl^oc sind
beide dem Werden, der Veränderung nicht unterworfen.
Insbesondere von der Form betont Aristoteles auf das
Bestimmteste, dass sie dem Werden, dem Entstehen und
Vergehen nicht unterliege , da nur z. B. die concrete
^) Metaph. VII 17.
'^) Met. VII 13.
3) MaXtax' ouaia. Met. XII 3. VII 1.
•*) Metaph. V 8. VII 1—3. VIII 1 und 3, XII 3.
3. Die Substanz. 25
eherne Kugel entsteht und vergeht, nicht aber die Kugelan
sich, die Form. Da.ss das Einzelwesen trotz dieser Veränder-
lichkeit von Aristoteles als höherer Grad von oocsia be-
zeichnet wird, hat seinen Grund wohl darin, dass er in
demselben allein bedeutungsvolle Eealität erblickte, während
oXy] als solche zwar Realität, wenigstens der (realen)
Möglichkeit nach besitzt, aber ohne Form keine weitere
Bedeutung (Vollkommenheit) hat, b^/joc dagegen zwar Be-
deutung, Sinn besitzt (Begriff), aber keine wirkliche Reali-
tät hat ohne Verbindung mit oXyj.') Beide erhalten ihre
eigentliche Verwirklichung erst durch ihre Verbindung,
durch welche das Einzelwesen besteht. Aristoteles be-
zeichnet daher dieses auch als da« zuerst Seiende (Trpw-
Twc öv) und als die erste Ursache [npöizov aiiLov); denn
das Ganze ist, wenn nicht der Zeit, doch dem Begriffe
oder der Natur nach früher als die einzelnen Momente,
Theile und Eigenschaften desselben (tt^wtov oder Tupörspov
Xö7t|), Yvw^^^ (pocjsi.^) In diesem Sinne ist der Mensch
(als Ganzes, als Individuum) früher als seine Theile und
Eigenschaften. Für das Erkennen aber ist gleichwohl
nicht das Einzehvesen das Höchste und eigentlicher Gegen-
stand des Wissens und des Wahrseins, sondern nur das
begriffliche Wesen (sISoc, zb v. yjv slvai) das Allgemeine,
das im Begriffe gedacht wird (TÖmO-öXou); und also bilden
nicht die Vorstellungen (jpavTdc5[j.aTa) der wirklichen, indi-
viduellen Ganzheiten oder Einzeldinge den Gegenstand
des AVissens oder der Verstandeserkenntniss, sondern nur
das Allgemeine, das sich in den Einzeldingen Verwirk-
1) Metaph. Vn 7—9. VIII 5.
'^) In der neueren Philosophie haben besonders Cartesius und Spinoza
den Begriff Substanz umgestaltet und eigentlich nur das uuoy.cifxcvov
als solche gelten lassen, wodurch sie nur noch reales Sein, Existenz
ausdrückte, aber sonst keine Bedeutung mehr hatte. Leibniz hat durch
die Monaden der Substanz Avieder höhere Bedeutung zu geben gesucht,
insofern er auch Kraft und Form in sie verlegte.
'^) Metaph. VII 1 und 17.
26 I- r>ie Principien der Philosophie des Aristoteles.
lichung gegeben, in ihnen immanent ist und durch die
Erkenntnisskraft (voöc) aus ihnen gewonnen oder abstrahirt
d. h. eben als das Allgemeine (t6 xa{>' oXoo) erkannt Avird.
Die Einzel Substanzen, oder Wesen (o»jaLaO sind nun
theils natürliche, theils künstliche, entstehen aber beide
durch ähnliche Factoren und in ähnlicher Weise. Die
natürlichen bilden die Dinge der Natur mit ihi-er reichen
Mannigfaltigkeit, gliedern sich also in Gattungen (ysvt])
und Arten (siöyj) von grösserer oder geringerer Yollkom-
menheit. Die Natur stellt in sofern mit ihren Producten
allerdings eine Stufen-Reihe und eine Art von Entwick-
lung dar, aber die Ordnung derselben und ihre Klassifi-
cation ist nur eine logische, nicht zugleich eine genetische,
nicht eine Entwicklungsreihe der Abstammung oder des
Hervorgangs der Einen aus den Andern zu immer höherer
Vollkommenheit — wie diese die moderne Descendenzlehre
behauptet und begründet. Eine Art Einheit in der Ur-
sächlichkeit behauptet allerdings auch Aristoteles für die
Natur- (und Kunst-) Produkte, aber diese principielle Einheit
besteht nach ihm nur in einer formalen, nämlich in der
Uebereinstimmung darin, i) dass alle in gleicher Weise
als Einzelwesen (aovoXov, cjov^stov, ouata) gebildet sind aus
Stoff und Form. Dagegen erscheinen im Besonderen bei
den Dingen diese constitutiven Momente oder Wesenstheile
(ap-/al Twv oo^'lwv) als verschieden, können also nicht be-
trachtet werden als Erscheinungen oder Produkte eines
einheitlichen Grundprincips (apy'/j), das sich in mannich-
faltiger Weise besonderte und in einem grossen Entwick-
lungsprozesse der Natur ausgestaltete. AVenigstens wird
solches von Aristoteles nicht ausdrücklich behauptet und
dargestellt, wenn auch der Gedanke selbst seinem System
nicht ganz fremd und nicht disharmonisch mit demselben
ist, ja latent wohl da zu sein scheint. Zu bemerken ist
^) Metaphys. Xu 4 und 5.
3. Die Substanz. 27
dabei noch, dass die Yerbinduno- von Stoff und Form zur
Bildung' der o'jaia nicht eine blos mechanische, äusserliche
Zusammenfügung ist, sondern dass dadurch ein drittes,
eine eigenartige (dynamisch gewordene) Einheit gebildet
ist. Insofern ist ooaia eines Dinges als tt^wtov aiTwv seines
Seins dasjenige, was seine eigenthümliche Bestimmtheit
oder Washeit ausmacht. Das Fleisch z. B. besteht aus
Feuer und Erde,^) aber es ist doch nicht dasselbe, was
Feuer und Erde ist, sondern eine eigenartige Einheit,
eben das Fleisch, und löst man diese auf, so besteht
wieder nur Feuer und Erde. So ist auch die Sylbe etwas
Anderes als die einzelnen Buchstaben, aus denen sie be-
steht (d. h. sie hat eine eigenartige Bedeutung, die den
Buchstaben an sich nicht zukommt). Eben dieses, von
den Elementen selbst verschiedene Etwas, wodurch Feuer
und Erde Fleisch sind, diese Ursache, das dia zi des
Fleisches, ist seine oo-^ia. Somit ist ooaia eigentlich das
innere Warum oder Sid xi für das Dieses-sein eines Dinges,
für die eigenartige Individualität mit ihren Eigenschaften.
Damit ist doch eigentlich von Aristoteles selbst angedeutet,
dass ein eigenartiges organisches Princip wirksam sei,
das den Stoffen die bestimmte Form zu geben vermag,
und dass diese nicht als ein todtes, leeres Abstractum auf-
gefasst werden dürfe (demnach im Denken selbst nicht
in seiner eigentlichen, vollen Wahrheit existiren und er-
fasst werden könne, was freilich mit anderen Behauptungen
des Aristoteles nicht durchaus in Uebereinstimmung steht).
Wie die concreten Dinge, die Einzelsubstanzen (ooaiaL)
ursprünglich entstanden sind nach Aristoteles, ist nicht
bestimmt dargestellt, und da Form und Stoff, aus denen
sie bestehen, ewig d. h. unentstanden und unvergänglich sind,
so wird wohl auch ihre Verbindung im Allgemeinen als
ewig angenommen werden müssen, wenn auch im Einzelnen
^) Metaphys. VII 17.
28 I- Die Principien der Plülosopliie des Aristoteles.
beständiger AVechsel stattfindet, — da Form an sich nicht
bestehen kann nnd Stoff an sich niemals ohne alle Form
bestanden hat nach Aristotelischer Anschaunng. Insofern
dürfte nach einem ersten Anfang oder Ursprung der o'jaLai
oder Einzelwesen der Natur eigentlich gar nicht gefragt
Averden. Da indess doch Aristoteles selbst das Wesen des
Stoffes an sich und der Form an sich betrachtet mit ihren
Eigenschaften, gesondert von der Verbindung und von der
ooaia als Produkt derselben, so kann immerhin die Frage
entstehen nach dem Verhalten der beiden Momente bei
der principiellen Constituirung der Eiuzelsubstanzen. Da
nun wird bei Aristoteles, wie wir schon sahen, die Initia-
tive eigentlich dem Stoffe, oXr^ zugetheilt, wenn er nicht
gar als Quelle der erscheinenden Materie (Elementarstoft)
und der Form zu betrachten ist. Es wird nämlich schon
jede Bewegung überhaupt als eine Art Lebensthätigkeit,
als Zielstreben und Bewegtwerden durch ein Ziel (Form),
Uebergang von Möglichkeit (Sovd[X£i ov) in Wirklichkeit
(svspYsic^ öv) aufgefasst; und somit wäre eine allgemeine
Beseelung des Stoffes angenommen. ^) Jedenfalls aber die
(reale) Möglichkeit dazu wird dem Stoffe dadurch zuge-
sprochen, dass ein Verlangen und Streben nach Form, also
nach Vollkommenheit oder nach dem Besten angenommen
wird. Denn dieses Verlangen selbst niuss, wenn es ein
wirkliches, reales sein soll, schon als eine Art Form, d. h.
als verlangte Form, als ein Sich-gestalten, oder nach einer
Idee bilden- Wollen, aufgefasst werden, die ihre Realisirung
dann durch siSoq, die wirkliche Form erhält, wie ja auch
der weibliche Keim schon als eine Art Form (reale Mög-
lichkeit) aufzufassen ist, die durch den männlichen Samen
ihre Verwirklichung erftihrt. Aristoteles selbst sucht ja
seine Anschauung dadurch klar zu machen, dass er sagt:
der Stoff verlange nach Form wie das Weibliche nach
Männlichem, das Hässliche nach Schönem. ^)
M Phys. III 4. Metaph. IX 1—5.
2) Metaph. XH 7.
3. Die Substanz. 29
In diesem allgemeinen Verlangen und Streben nach
Form oder Vollkommenheit, das zugleich ein Streben nach
dem höchsten Ziel, also allgemein teleologisches Streben
ist, dürfte das einheitliche Princip aller Naturdinge, be-
sonders der organischen oder beseelten, bei Aristoteles zu
suchen sein — obwohl die Auffassung immerhin an Dunkel
heit leidet. Wie aber diese Vielheit und Verschiedenheit
der Wesen aus diesem Streben hervorgehen könne, ist da-
raus nicht klar zu ersehen, da Aristoteles doch ein eigentlich
actives, allgemeines Bildungsprincip mit der Tendenz der
Differenzirung und Vervollkommnung nirgends ausdrücklich
annimmt, und andererseits der doch eigentlich passiv ge-
dachte Stoff nicht wohl Ursache der Verschiedenheit und
Stufenfolge sein kann, ebenso wenig wie die unbeweglich
und unveränderlich gedachten, also bestimmt in sich abge-
schlossenen Formen. Solcher Formen scheinen also als
Ziele oder Zwecke der Naturbildung unendlich viele an
sich zu sein, die beständig der Materie eingebildet oder
in ihr zur Verwirklichung gebracht werden — fast wie
Platon'sche Ideen. Sie sind dabei zwar die eigentlichen
letzten Ursachen als Endzwecke der Bildung, aber doch
nicht das eigentlich Ausführende dabei; sie, die eiSv],
können mehr nur als die normgebenden , bestimmenden
Gesetze, denn als die schaffenden Kräfte betrachtet werden.
In ähnlicher Weise, wie nach Aristoteles zwar die Kunst
die Ursache des Kunstwerks ist, das aber doch nicht
ohne Künstler zu Stande kommen kann, oder die Gresund-
heit die Ursache der Gesundheit d. h. der Beseitigung der
Kränkelt ist, aber doch nur als Idee durch die Thätigkeit
des Arztes sich zu verwirklichen vermag. So scheint also
auch hienach ein über oXtj und BidoQ stehendes wirksames
Princip angenommen werden zu müssen, das der Beraubung
(arspYj^L?) entgegensteht und sie allmählich überwindet,
mehr oder minder, den Verhältnissen gemäss und nach
Massgabe des sISoc, das Verwirklichung durch oder als
80 I- Die Principien der Philosophie des Aristoteles.
svepYst« finden soll. Und diess scheint angedeutet zu sein
in dem schon oben erwähnten n^jibzov aXzioy, das als arj/y]
des Einzeldinges die eigentliche ooaia, das Einzelwesen
als Subject mit seiner Eigenart begründet.
In weiterem Sinne wird ooaia von Aristoteles auch
von dem gebraucht, was überhaupt ein reales Sein hat
(nicht blos gedacht ist als Abstractes oder Allgemeines).
Daher ist ihm auch oXtj (ottoxsljxsvov) und bI^oc; (tö tl r^v
slvat, Xo^oc aveo oXr^c, -q -KOLia töv Xö^ov ooaia) eine oocsia.
Von uXtt] versteht sich diess eigentlich schon in sofern von
selbst, als sie niemals rein als solche, sondern stets mit einer
Form behaftet gedacht werden soll und also in AVirklichkeit
(abgesehen vom abstracten Begriff) stets als ein a6voXov,
ein i^ Afi^oiv betrachtet werden muss — obwohl Aristo-
teles allerdings auch so spricht, als ob oXtj rein als solche
ooaia sei und tö cjovoXov oder tö ei «[jl^olv nur mehr ofjaia
sei als oXyj allein. Man kann sie aber als solche gelten
lassen, insoferne sie allerdings ein wesentliches, constitu-
tives Moment der oöata im höchsten Sinne ist, die reale
Möglichkeit, das 5ova{i£t ov für die Wirklichkeit. — Auch
ddoc, wird als ooaia bezeichnet und zwar als xpLiT] oDofa.^)
Als solche kann cI§oc oder zl tjv sivai insofern betrachtet
werden, als die Form, oder das begriffliche Wesen, doch
auch als ein an sich Seiendes aufgefasst wird, wenn auch
nicht als ein jenseitig bestehendes wie bie Platonischen
Ideen. Also als Etwas betrachtet wird, das nicht erst
durch ein Anderes sein Sein oder Wesen erhält, da dieses
eben nicht entsteht und nicht vergeht, sondern nur
concrete Erscheinung, Verwirklichung findet in den Ein-
zeldingen, aber seine Wesenheit behauptet, auch wenn
diese vergehen.^)
Tö xa^öXoü endlich, das Allgemeine, das als Prädikat
von Vielem ausgesagt wird, ist zwar auch unter den Ee-
') Metaph. VII 3—4.
') Metaph. VII 7—9.
3. Die Substanz. 31
deutungen (ipoTuoi) der oocjia aufgeführt/) da aber hierauf
die wesentliche Bestimmung der ooaia, dass sie an sich
und Subject sei, und also von keinem Andern als blosses
Prädikat ausgesagt werden könne, nicht Avohl anwendbar
ist, wenigstens noch weniger als auf nX-q und zi r^v elvat,
so dürfte schon desshalb trotz dieser Aufzählung demselben
der Charakter der ooaia abgesprochen werden. Ausserdem
aber führt Aristoteles ausdrücklich näher aus,-) dass das
xa^öXoo nicht als für sich seiendes AVesen (wie es in der
Platon'schen Ideenlehre geschehe) angenommen werden
könne, weil ihm eben die wesentlichsten Erfordernisse der
Substantialität abgehen — wie Aristoteles eben sie bestimmt
hat. Indess ganz unbedingt und allgemein las st sich wohl
doch kaum behaupten , dass vtaO-öXoo und oocjia niemals
identisch seien. Das zar>öXoo ist allerdings begrifflich
abstract und allgemein, allein das li r^v slvat ist auch
begriffliches Wesen , abstract und allgemein , ist eben
dadurch auch Gegenstand des Wissens, da nur xö %cf,^okovt
ein solcher sein kann. Insofern stimmt beides überein
und des Aristoteles Aufzählung des y-aO-oXoo unter den
Arten der oocsla (Met. VII 3) wäre in sofern nicht unbe-
rechtigt. Der Unterschied von beiden dürfte nur haupt-
sächlich darin bestehen, dass das zi fjv slvat das Allge-
meine (to VwaO-öXoD AVissensobject) der Einzeldinge und Arten
(iüpwTaL oüaiai und Ss'kspat ooaiai, also dessen was auch Subject
ist), deren es ja auch viele gleiche gibt, bezeichnet, -jta^öXoo
dagegen eben dieses Allgemeine ausdrückt, aber zugleich
noch für vieles Andere gebraucht wird, was nicht Subject
sein kann, nicht für sich besteht, sondern nur als Eigen-
schaft an Anderem, als Verhältniss durch Anderes ist
und nur als Prädikat behauptet werden kann. Also: das
TL f^v slvai kann auch als xa^öXoo bezeichnet werden und
^) Metaph. VII 3.
'^) Metaph. VII 13. vgl. III 6. X 2.
32 I- I^iG Principien der Philosophie des Aristoteles.
dieses zai^öXoo ist auch ooa'la, allerdings nicht im Sinne
vom Einzelwesen selbst, sondern eben von zl t^v slvai;
dagegen nicht jedes xa^dXoa ist auch als zi rjv sivai zu
betrachten und ein solches zaOöXoo ist nicht ooaia. Es
dürften sich demnach die beiden genannten Stellen im
siebenten Buche der Metaphysik immerhin vereinbaren
lassen.
So viel ist demnach jedenfalls klar, trotz mancher
Dunkelheit im Einzelnen, dass eine oocjfa, ein wirklich
Wesenhaftes, ein selbstständiges Sein oder Subject nur
durch eiSoc, durch Form (Gestaltung) entsteht und besteht.
Und zwar ist diess anzunehmen, mag man diesem sISoc
selbst schaffende, wirksame Kraft zuschreiben und es nicht
blos als ruhendes oder die Thätigkeit normirendes Ziel
betrachten, oder mag man aus der oXtj eine nach Form
verlangende, zielstrebende Potenz sich als Gestaltungsmacht
erheben lassen, um sl^oc und oXtj zu einem einheitlichen
geformten, wesenhaften Ganzen zu verbinden. Das Ge-
stalt- oder Form-verleihende Moment ist jedenfalls das, was
die Wesenheit oder Substantialität begründet. Und inso-
fern kann man mit einigem Recht die Behauptung eines
allgemeinen Entwicklungs- oder Gestaltungsprincips in der
Natur dem Aristoteles zuschreiben.
4. Die Seele {^^yri).
Aristoteles prüft im ersten Buche der Schrift ,,von
der Seele" die Ansichten der früheren Philosophen von der
Natur oder dem Wesen der Seele und weist dieselben
sammt und sonders als unrichtig oder ungenügend zurück.
— Da es zwei Mei-kmale hauptsächlich sind, wodurch sicli
das Belebte und Unbelebte, von einander unterscheiden,
nämlich Bewegung und sinnliche Wahrnehmung, so suchten
diese Philosophen in der Seele das Princip füi^ die Be-
4. Die Seele. 33
wegung, oder für die sinnliche Wahrnehmung, oder für
Beides zugleich und statteten demgemäss die Seele auch
mit dem aus, was sie daraus erklären wollten. Soll also
die Seele als Ursache der Bewegung oder als Bewegendes
gelten können, so muss sie auch selbst bewegt sein, da
ihnen schien, ein Unbewegtes könne nicht Ursache der
Bewegung sein. Wie daher auch sonst das Wesen der Seele
gedacht wurde, ob als Stoffliches oder mehr als Geistiges,
die Eigenschaft der Selbstbewegung ward ihr stets beige-
legt. So ward die Seele betrachtet als stets bewegliches
Feuer oder als Vereinigung feinster, rundester, stets be-
weglicher Atome; und selbst Piaton fasst die Seele noch
auf als Etwas, das Selbstbewegung hat, oder wesentlich
selbstbeweglich ist. — Insofern die Seele als Princip der
sinnlichen Wahrnehmung betrachtet wurde, hielt man zur
Bestimmung ihres Wesens den Grundsatz für massgebend,
dass nur Gleiches von Gleichem erkannt werden könne.
Demgemäss dachte man sich das Wesen der Seele als eine
Mischung der Stoffe, weil sie nur so im Stande zu sein
schien, das Sinnliche zu erkennen. Nur Anoxagoras
machte hierin eine Ausnahme, da er im Gegentheil annahm,
nur von Entgegengesetztem könnten die Dinge erkannt
werden, und daher ein Geistiges als Erkenntnissprincip auch
für Wahrnehmung des , Sinnlichen geltend machte. Um
endlich die Seele für Beides zugleich, für Bewegung und
sinnliche AVahrnehmung geeignet zu denken, fasste man
sie auf als Harmonie, oder als sich bewegende Zahl. Ari-
stoteles bestreitet die Richtigkeit all dieser Annahmen und
sucht dieselben mit mehr oder minder wichtigen Gründen
zu widerlegen. Die Seele kann nicht selbst als ein Körper-
liches aufgefasst werden, obwohl sie nicht ohne Körper
sein kann; sie ist daher weder ein bestimmter Stoff, wie
Demokrit annimmt, noch eine Mischung von Stoffen,
wie Empedokles meint. Wäre sie ein Körperliches, so
könnte sie nicht im Körper verbreitet sein, da nicht zwei
F r o h s c h a m m e r. Aristotelische Principienlehre 3
34 I- I^ie Principien der Philosopliie des Aristoteles.
Körper zugleich in demselben Eaume sein können. Auch
als ein sich selbst Bewegendes kann die Seele nicht be-
trachtet werden, da alle Bewegung zuletzt doch örtliche
Bewegung ist und also die Seele stofflich, körperlich sein
müsste, wenn sie eine Zweiheit (örtlich) in sich schlösse,
ein Bewegendes und ein Bewegtes. Nur nebensächlich
kann die Seele allenfalls an der Bewegung Theil haben.
Gleichwohl freilich geht von der Seele, insofern sie Form
des Leibes ist, alle Bewegung in demselben, das körper-
liche Leben von ihr aus. Auch als Harmonie lässt Ari-
stoteles das Wesen der Seele nicht gelten, denn diese
würde Theile voraussetzen, Verbindungs- oder Mischungs-
verhältniss von Stoffen sein, und kann also nur auf die
leibliche Organisation Anwendung finden. Endlich auch
eine sich selbst bewegende Zahl ist die Seele nicht, denn
die Seele bewegt sich nicht, wie schon bemerkt, und wenn
sie eine Zahl wäre, so könnte sie sich schon desshalb nicht
bewegen.
Aristoteles versucht nun, vom zweiten Buche an, seiner-
seits das Wesen und die Bethätigungsweise der Seele
überhaupt und dann der menschlichen insbesondere zu be-
stimmen. Die Seele überhaupt ist ihm Princip (ap/Tj) ^)
der lebendigen Wesen, ist Form und Wesen des Beseelten
d. h. alles dessen, was fähig ist, eine Bewegung durch
sich selbst in sich selbst hervorzubringen. Die Seele als
Form des Leibes ist zwar nicht mit diesem identisch, aber
doch nicht ohne ihn, da sie sich eben wie. alle Form nur
im Stofflichen verwirklichen kann. Sie ist also Verwirk-
lichung in einem Leibe, der mit Organen begabt ist; oder
ist die erste (ursprüngliche d. h. die Grundlage für alle
übrigen Bethätiguiigen bildende) Verwirklichung des phy-
sischen Leibes, welcher der Möglichkeit nach das Leben
in sich hat. Sie schliesst also Form, Kraft der Bew^egung
') De an. I 1.
4. Die Seele. 35
und Zweck (isXoc) in sicli. Seele und Leib sind dalier
Eins, sowie das "Wachs und seine Form Eins sind. Sie
sind ihrem Begriffe nach verschieden, ihrem Dasein nach
sind sie untrennbar. Das Leben ist nicht eine mechanische
Verbindung von Seele und Leib, das lebende AVesen nicht
ein aus beiden Zusammengesetztes, sondern die Seele ist
es eben, die im Leibe wirkt, oder vielmehr diesen selbst
wirkt. Daher ist die Thätigkeit der Seele durchaus eine
auf einen Zweck gehende, sie hat den Leib mit seinen
Organen und zugleich damit sich selbst zum Zweck ihrer
Wirksamkeit. Aristoteles bezeichnet daher die Seele als
erste Verwirklichung eines physischen Leibes, welcher der
Möglichkeit nach Leben hat, (^o/tj Icjtiv svceXs/sia i^ TupioTT]
awixaToc ^DCJLxoö C^TjV s/ovuoc Suvd{i£L). ^) Die Seele ist dem-
nach oDCJLa als sldoQ eines physischen Körpers, welcher
der Möglichkeit oder Fähigkeit nach lebendig ist (avaY7waLov
apa TTjV ^ü'/tjV ODGiav elvai wc elSoc oo^'^azoc <:poaL7,0!j öuvapisL
Cwtjv syovToc). ^0 Sie ist svspY*^^-? insofern sie für ihre orga-
nische Verwirklichung thätig ist, also als Thätigkeit, und
ist IvTsXs'/sta, insofern die Verwirklichung erreicht, vollendet
ist im beseelten organischen Leibe, also insofern sie That
geworden ist. ^) Es ist damit z. B. die menschliche ^o/tj,
die an sich auch nur sISoc oder xi i^v slvai ist, zum wirk-
lichen Menschen geworden, hat ihr Ziel damit erreicht,
die Verwirklichung der Menschennatur, Avenn auch zunächst
nur die erste (ttpwty] hxsXt/siy,), die sich dann in den be-
sonderen Acten des physisch-psychischen Lebens bethätigen
kann (wie die Itülgttjjxtj als geistiger Zustand sich in ^swpslv,
in den einzelnen geistigen Acten bethätigt, aber vorhanden
ist, auch wenn dieses gerade nicht geschieht).
Diess ist nun die erste, allgemeinste Bestimmung der
Seele (^^XH)^ ^i^ ^ü^' ^^^^ Arten der lebendigen (organischen)
1) De an. II 1.
''') De an. II. 1.
^) Metaph. IX 8, 20.
3() I. Die Principien der Philosophie des Aristoteles.
oder beseelten Wesen gilt, für die niedersten, wie für die
höchsten, bei denen nur noch weitere besondere Kräfte
hinzukommen, und die speziell im Menschen durch etwas
nicht blos Höheres, sondern geradezu Andersartiges, die
denkende Kraft, den vo^k, Ergänzung oder Potenzirung er-
hält. Besseres und Vornehmeres als die Seele kann es
nun nicht geben, am wenigsten Besseres als die Vernunft;
denn mit gutem Grunde muss diese in der Natur über-
haupt als das Vornehmste und Erste gelten, während die
Elemente nur das Erste der einzelnen Dinge sind.^)
Die erste, unterste Stufe oder Art der Bethätigung der
Seele besteht in der Ernährung und Erzeugung der be-
seelten Wesen. Diess geschieht bei den Pflanzen, die
Aristoteles auch schon als beseelte Wesen annimmt. Die
Seele hat in ihnen nur ernährende Kraft (t6 xJ-psTUTixöv),
die sich in der Aufnahme der zur Erhaltung erforderlichen
Nahrung äussert und in der Verwendung derselben für
alle Theile des Organismus. Erhaltung und Wachsthum
ist dadurch bedingt, aber auch die Fortpflanzung, die Ari-
stoteles mit dem vegetativen Leben in unmittelbare Be-
ziehung setzt, oder als identischen Vorgang mit dem AVachs-
thum aufl'asst. IJebrigens bethätigt sich die ernährende
Seele in den bekannten Momenten: Sie ist Ursache der
Bewegung [yJ.vrpio), erstrebt das Ganze als Ziel (r^Xoc
durch ivEfvYsia) und realisirt das Wesen als vollendetes
Ganzes (oo'^'la durch IvusXsysca). Die Natur verfährt nach
Aristoteles, indem sie das Ganze als Ziel .erstrebt, in glei-
cher Weise, wie der nach Vernunft handelnde, durch eine
Vorstellung in seiner Thätigkeit geleitete Mensch; aber
freilich nicht mit Bewusstsein und Ileberlegung und daher
auch nicht alle Hindernisse der Zielerreichung überwindend.
Wenn indess auch die Erzeugung der ernährenden Seele
zugeschrieben wird, so geschieht diess keineswegs mit
') De an. I 5.
4. Die Seele. 37
voller Berechtigung, obgleich freilich die Ernährung die
Grundbedingung und gewisserniassen die Quelle der Er-
zeugung ist. Bei der Ernährung handelt es sich nur um
Erhaltung und Ausbildung des schon daseienden Individuums,
bei der Erzeugung dagegen um Neusetzung eines solchen,
die in der Eegel nicht durch Ein Individuum geschehen
kann, sondern nur durch zwei derselben Art, die also
nicht eine Bethätigung des Individuums ist wie die Er-
nährung, sondern ein Act der Gattung.
Ob und wie die ernährende Seele d. h. das Pflanzen-
reich entstanden sei, ist bei Aristoteles nicht näher unter-
sucht. Da Form und Stoff, sowie auch die Bewegung
unentstanden sein sollen und doch keines der Beiden ganz
ohne das andere wirklich ist, so scheint bei ihm von
einem Entstehen der Pflanzen, als der untersten Stufe der
Verwirklichung und Funktion der Seele, keine Rede sein
zu können. Es könnte höchstens eine Entstehung durch
Fortbildung oder Entwicklung angenommen werden, wenn
schon der Stott' überhaupt als beseelt angenommen ist,
w^ofür sich allerdings Andeutungen bei Aristoteles finden,
während es auch an solchen für das Gegentheil nicht
fehlt. ^) Abgesehen von den Produkten der menschlichen
Thätigkeit, die Zweckrealisirungen durch verständige
Bethätigung sind, (also sISoc und ziXoc verwii'klicht an sich
tragen), scheinen die ei'Srj nach Aristoteles nur als ^uya.i in
der Natur sich zu realisiren und scheinen also die Pflanzen
die unterste Stufe derselben zu sein. Sie sind demnach
auch die erste Kundgebung des allgemeinen Strebens der
Natur nach dem Vollkommenen, oder nach Darstellung des
Göttlichen, oder nach Verähnlichung des Endlichen mit
dem Guten und der höchsten Glückseligkeit Theilhaftigen
durch Nachbildung desselben im Stofflichen. Aus diesem
^) Z. B, de an. I 5. und überhaupt die gauze Aristotelische Polemik
gegen die Annahme einer Identität von Stoff und Seele.
38 I. Die Principieu der Philosophie des Aristoteles.
Streben muss (sollte !)demnacli auch die höhere Stufe des Beseel-
ten hervorgehen, die Wesen nämlich, bei welchen die Seelen
ausser der Kraft der Ernährung und Erzeugung auch noch
das Vermögen der Empfindung, der sinnlichen Wahrnehm-
ung und eines höheren Grades der Selbsbewegung haben
— die Thiere. Aristoteles spricht sich allerdings auch
darüber nicht bestimmt aus, woher nach ihm die Thiere
eigentlich kommen: ob sie ihm überhaupt als entstanden
und nicht vielmehr als ewig seiende, nicht entstandene
und nicht vergehende Typen gelten; ob sie aus der
Pflanzenwelt durch Fortbildung hervorgehen, oder denselben
als neue Stufe des Beseelten irgendwie hinzugefügt worden,
und wenn diess der Fall ist, wie und wodurch? Seinen
allgemeinen Principien gemäss sind wir wohl berechtigt,
anzunehmen, dass die höhere Seele und die complicirtere
Verwirklichung derselben im thierischen Organismus mit
seinen Organen der Empfindung, seinen Sinnen und Be-
wegungsmitteln aus jenem allgemeinen Verlangen des
Stoffes nach Form hervorgeht, sei es zeitlich oder ewig,
von dem oben schon die Rede war. Handelt es sich in
der Natur allgemein um Erreichung der Form als Zweck
des Strebens, und ist das höchste Ziel dieses Strebens die
in sich vollkommene und seelige Gottheit, von der ein
Nachbild gestaltet werden soll, so ist anzunehmen, dass
wie die Formgebung überhaupt, so auch die vollkommene
Form und deren körperliche Verwirklichung ('J^o/tJ und
svTsXe/sta) Resultat jenes zuerst nur allgemeinen und un-
vollkommenen gelingenden Strebens war. Ist die Gottheit
das allgemeine Ziel und dadurch die bewegende Ursache
alles Strebens, so muss dieses auch auf Organe gehen, die
im Nachbilde eine Nachahmung der göttlichen Vollkom-
menheit, der reinen Form also, des Denkens und der
Glückseligkeit ermöglichen. Organe der Empfindung, des
sinnlichen Wahrnehmens und des höheren Denkens mussten
entstehen, durch welche Genuss, Einsicht und Glückselig-
4. Die Seele. 39
keit für die endlichen Wesen möglich wurden — zur
Nachbildung göttlicher Glückseligkeit.
Die sinnliche Wahrnehmung, durch welche die Thiere
hauptsächlich von den Pflanzen sich unterscheiden, also
auch die Thierseelen von den Pflanzen seelen , wird durch
die Sinne vermittelt. Die Sinnesempfindung aber, durch
w^elche die Wahrnehmung vermittelt wird, ist eine Beweg-
ung oder Veränderung, welche in dem Wahrnehmenden
durch das Wahrgenommene hervorgebracht wird. Zuerst
wird der betreifende Sinn erregt und dadurch wird dann
auch in der Seele die entsprechende Bewegung oder Ver-
änderung hervorgebracht.^) Wiederum wird von Aristoteles
hier zur Erklärung das Verhältniss von Möglichkeit und
Wirklichkeit verwendet. In den Sinnen ist die Wahr-
nehmung zunächst der Möglichkeit nach und diese wird
durch die Bewegung, die der einwirkende Gegenstand
hervorbringt, zur Wirklichkeit gebracht (indem mittelst
des Körpers die Seele in Bewegung gesetzt wdrd) , so
wie das Brennbare erst durch wirkliches Feuer aus dem
Zustande der Möglichkeit zur Wirklichkeit, zum wirk-
lichen Brennen gebracht wird. Die Sinne sind demnach
hier als Empfänglichkeit, Möglichkeit oder als (empfäng-
licher) Stoff aufgefasst, die wahrgenommenen Gegenstände
aber als Wirkliches, als Form, die dem Wahrnehmenden
aufgeprägt wird. Die Sinne sind also dem Vermögen nach
das, was die Dinge in Wirklichkeit sind, wie der Verstand
(vo'jc) alles Denkbare (vorjia) dem Vermögen nach, und
daher die Seele gewissermassen alles Seiende ist.^) Was
auf die Sinne wirkt, ist nicht der Stoff der Dinge, sondern
die Form und zwar diejenigen Formen oder Eigenschaften
derselben auf jeden Sinn, für die er seiner Natur nach
die Empfänglichkeit hat. Die Sinnesempfindung ist daher
^) De anim. II 5. de Somno 1.
2) De an. III 2.
40 I- I^iß Principien der Philosophie des Aristoteles.
eine Aufnahme der sinnlichen Form ohne den Stoff, also
eine Nachbildung der Form des Wahrgenommenen in der
bildungsfähigen Seele mittelst der Sinne. Bedingt ist
diese Fähigkeit bei den Thieren im Allgemeinen dadurch,
dass sie einen Mittelpunkt ihres Seelenlebens haben, in
welchem die sinnlichen Eindrücke sich zu Formen ge-
stalten, zu seelischen Abbildungen des Wahrgenommenen,
während die Pflanzen nur stofflich etwas erleiden.^) Durch
das Wahrnehmungsvermögen der Thiere ist übrigens die
ernährende- oder Pflanzenseele nicht aufgehoben, sondern nur
zu einem Theil der ganzen Seele (des Thiers) geworden
und in dieser enthalten, so etwa wie das Dreieck im Vier-
eck enthalten ist.
Auf die Erörterung des Aristoteles über die ein-
zelnen Sinne haben wir hier nicht näher einzugehen und
ebenso nicht auf seinen Versuch, die Fünfzahl der Sinne
zu begründen und sie mit den Elementen in Beziehung
zu setzen. Wichtiger ist seine Annahme eines gemein-
samen Sinnes für die allgemeinen Eigenschaften der
Dinge, für die keine speciellen Sinne da sind, wie: Be-
wegung, Ruhe, Zahl, Grösse, und durch den es zugleich
möglich wird , die Wahrnehmungen der verschiedenen
Sinne von einander zu unterscheiden und doch auch wieder
zur Einheit eines Gegenstandes zusammenzufassen. So-
nach wäre durch diesen Gemeinsinn die seelische Einheit
bei den verschiedenen Sinneswahrnehmungen gew^ahrt und
zugleich die Wahrnehmung einheitlicher Gegenstände er-
möglicht trotz der Vielheit ihrer Eigenschaften, die durch
die verschiedenen Sinne wahrgenommen werden. Er ist
also wohl als eine unmittelbare Bethätigung der Einheit
der wahrnehmenden Seele aufzufassen, als Gemeinsinn,
der zwar nicht als ein besonderer sechster Sinn betrachtet
werden darf, wohl aber gleichsam als die Basis oder ge-
-) De an. II 12.
4. Die Seele. 41
meinsame Wurzel der fünf Sinne angesehen werden muss
und insofern auch als erster Sinn bezeichnet werden
kann. Als körperliches Organ oder als Sitz dieses Sinnes
gilt dem Atistoteies das Herz. Auch das Bewusstsein
scheint von demselben diesem Sinne zugetheilt zu sein;
zunächst wenigstens das physisch-psychische Bewusstsein,
wenn auch nicht unmittelbar das höhere Bewusstsein,
das Selbstbewusstsein oder das Denken des eigenen Den-
kens. Allerdings widmet Aristoteles dem Bewusstsein
keine besondere Untersuchung, wie diess in der modernen
Psychologie üblich ist, aber aus gelegentlichen Bemerkungen
scheint diess hervorzugehen. Die einzelnen Sinne haben
ihre specifischen Functionen : Sehen, Hören u. s. w. Wenn
aber wahrgenommen werden soll, dass das Sehen, Hören
u. s. w. stattfinde,^) so ist diess eine (allen Sinnen) ge-
meinsame Wahrnehmung und gehört also dem Gemeinsinn
an, d. h. der gemeinsamen Wurzel der Sinnesfunctionen
in der Seele selbst, die sich ja doch, trotz aller Nothwen-
digkeit der Einwirkung der Gregenstände, von innen her
mitbethätigen muss. Und wenn Schlaf als Gebundensein
des den Sinnen zu Grunde liegenden Gemeinsinnes be-
zeichnet wird,'^) so geht daraus ebenfalls hervor, dass dieser
Gemeinsinn zugleich Grund des Bewusstseins ist, denn
der Gegensatz von Schlaf, das Wachen, ist wesentlich vom
(physisch-psychischen) Bewusstsein nicht unterschieden.
Mit dem Gemeinsinn und Bewusstsein steht das Ge-
dächtniss und die Wiedererinnerung in unmittelbarem Zu-
sammenhang. Besteht ja die Erinnerung gerade darin,
dass frühere Wahrnehmungen und Vorstellungen wieder
in das Bewusstsein eintreten. Damit in Verbindung steht
der Sinn für zeitliche Verhältnisse, für das Jetzt und für
das Früher und Später.-^) Uebrigens unterscheidet Ari-
^) De an. III 1—2.
^) De sonino. 2 . ( . , y.owh'^ jjLopiov tcüv alsQ-qx'rjjoicov drcavTcov).
^) De memoria 1.
42 I- I^ie Principien der Philosophie des Aristoteles.
stoteles zwischen Gedäclitiiiss ([iv7j[xrj) und AViedererinnerung
(avdpYjaLc). Jenes wird auch den Thieren zuerkannt und
bethätigt sich unwillkürlich, diese dagegen besteht in
willkürlicher Thätigkeit, in einem Besinnen, oder einer
Art Schlussfolgerung, deren nur das eigentlich denkende
Wesen, der Mensch, fähig ist. — Zu all' diesem aber ist
die Phantasie nothwendig; selbst schon zur Sinneswahr-
nehmung, insofern sie doch ohne inneres Bild nicht möglich
ist, ja eben darin besteht , dass der Gegenstand sich der
Seele einprägt und Spuren hinterlässt wie ein Siegel im Wachs.
Dieses Wahrnehmungsbild wird dann eben durch Phantasie
oder als Phantasie zur Vorstellung, zum innerlich in das Be-
wusstsein gebrachten Bild ('favTacjia aic5v>Y]Tr/wT]). Daher wird
die Phantasie oder das Phantasiebild auch geradezu als
abgeschwächte Sinnesempfindung bezeichnet {aX'^d-rpiq zic.
aa^cVTJc). Von der Phantasie wird indess im Folgenden
ausführlicher die Rede sein, daher wir hier nur noch dar-
auf hinzuweisen haben, dass der Seele (^o/;/]) auch noch
Begehren zukomme in Folge des Vorstellungsvermögens,
und dass diesem Seelenvermögen auch eine Art Denken
bei Aristoteles nicht ganz abgesprochen ist , wenn auch
die AVorte öfter nicht dahin zu lauten scheinen. Das
Erstere ist bei Aristoteles sehr einfach begründet: Mit
sinnlicher Wahrnehmung und Vorstellung (ai^O-r^ai? und
'faviaaia) sei Lust und Schmerz verbunden, denn sinnliche
Wahrnehmung könne nicht ohne Lust- und Tlnlustempfind-
ung sein. Diese aber finde nicht ohne Begehrung statt. ^)
Der Mittelpunkt und eigentliche Quell des Begehrens ist
ebenfalls das Herz. — Weniger klar und sicher ist es,
welches die eigentliche Ansicht des Aristoteles war be-
züglich des Denkens bei den Thieren d. h. bei jenen
Wesen, denen zwar Seele und mit ihr Sinneswahrnehmung,
^) De somiio 1 . . . oU ^'al'aO-Yj-f: u-ap/ci xal xö IokzI-^o.', v.rj.:
X^aipfcv alz ot xaüxc/. v.al £;r'.i)-u|Ata. Ebenso de an. II 2.
4. Die Seele. 43
Gedäclitniss, Phantasie und Begehren zukommt, aber noch
nicht das höhere Denkvermögen (voög). Da Aristoteles
auch innerhalb des Thierreiches eine Stufenfolge oder
Gradunterschiede der Vollkommenheit annimmt, so ist
schon hieraus offenbar, dass auch die Thierseelen selbst
grösserer oder geringerer Vollkommenheit in ihren Functi-
onen theilhaftig seien — wie denn Gedäclitniss und Phan-
tasie nicht allen Thieren zugesprochen werden. Es
werden also die höheren Thiere auch bei vollkommnerer
sinnlicher Wahrnehmung eines vollkommneren psychischen
Lebens fähig sein, ein höheres Vorstellungsleben haben
und also dem eigentlichen Denken näher kommen als die
niederen. Ausserdem ist der Gemeinsinn, der die Grund-
lage des psychischen Lebens bildet, also auch den Thieren
eigen sein muss, als Fälligkeit der Unterscheidung, der
Trennung der einzelnen, verschiedenen Sinneswahrnehm-
ungen und der Verbindung derselben zu Gesammtbildern
aufgefasst. Diese Thätigkeit ist aber schon eine Art
Urtheilen und kann demnach wohl schon ein Denken,
wenn auch noch unvollkommener Art genannt werden.
Und wesentliche Momente des Denkens sind schon da in
den nothwendigen Bildern oder Schematen, ohne welche
kein Denken stattfinden kann ( . . vosiv 00% laitv avsa «pavidcj-
[i^aioc). In diesen Bildern ist das wahre Wesen der Dinge,
der eigentliche Gegenstand des Denkens schon enthalten
und ihre Verbindung und Trennung (richtig oder unrichtig)
darf immerhin als dem Denken sehr nahe verwandt oder
als eine Art von Denken bezeichnet werden. Wenn also
Aristoteles gelegentlich behauptet, dass den Thieren nur
sinnliche Wahrnehmung, nicht aber Denken zukomme, so
ist diess, wie so manches Andere, nicht im strengsten
Sinne zu nehmen. Ein ganz wesentlicher Unterschied
kann schon auch desswegen nicht angenommen werden,
weil sowohl das Vorstellen ('faviacjia) als das Denken^
(voöc) es mit der Form (ddo^) zu thun hat, nicht mit dem
44 I- Die Principien der Philosophie des Aristoteles.
Real-stofflichen; also mit dem, was das Wesen begründet,
wenn auch allerdings das Denken in absti-acter Weise
und über das Vorstellen ('^avTacjixara) sich erhebend. Ist
es doch sogar nngewiss, auf welche Seelenkräfte das ver-
mittelte Erkennen (5'.dvo'.a, SLavoitcj^ai) zu beziehen sei
und ist doch von einer SiavorjTixfj ^^r/Ji^) und XoYiaTixTj
'favTaaia die Rede; Combinationen , welche zeigen, dass
doch keine scharfe Gränze hier gezogen werden solle oder
könne !
Fassen wir zum Schluss des Aristoteles Lehre von
der Seele kurz zusammen : Die Seele ist Form {zl^oc) eines
stofflichen Wesens (Organismus), aber nicht blos äusser-
liche Form, wie etwa die Rundung die Form einer
(stottlichen) Kugel ist, sondern sie ist als Form ein inner-
liches, von innen her wirkendes Princip («ot)'^), das un-
mittelbar am Stoffe sich selbst bethätigt und demselben
eine bestimmte Form gibt. Bei dieser Formgebung und
Gliederung des stofflichen Organismus ist die Seele
wirkend und zugleich Zweck, Ziel (tsXoc) ihi'er eigenen
Wirksamkeit,^) denn sie will sich als Form Verwirklichung
geben (als ivs^Ysia), und demnach ist sie im organischen
Ganzen swsXsysia, insofern sie im belebungsfähigen Stoffe
sich verwirklicht. In den Pflanzen hat diese (j^o/TJ es
nur mit dem Stoffe selbst zu thun, den sie aufnimmt und
^) De an. III 8 und 9. . . zkzI oe yj '|oyf] xata oöo wp'.sxa'. ouva-
[itiZ *h "^wv C^'^wv, TU) TS xp'.T'.y.üJ, Stavoiat; spy^v satl xal alo^rpsoi'].
III 3, wird vol'.'^, v.pivs'.v und aloO-avsoO-ai der y.ivY|3tc xaxa zökov ent-
gegengesetzt und bemerkt: Zov.tl 5s v.al xo votl'> xal xo '^povslv wottso
ry.bSdvstjO-ai X' thai- iv ajxcpoxepo'.c Yap xooxo'.r xplvs'. xi 4] '^»y/ri v.a\
YVüjp'lCst xojv ovxcov. III 10 wird ebenfalls Phantasie, also Vorstellen,
zum Denken im weiteren Sinn gerechnet, dagegen Denken, Schliessoii
im engeren Sinne den Thieren abgesprochen.
2) De an. II 4.
^) Eigentlich also zugleich xo öOsv r| xivYjaic und xö ob svsv.a, als
Ziel unbewegt bewegend, um dem Wesen (Form slooc) Verwirklichung
zu geben.
4. Die Seele. 45
als Nahrung zur individuellen Erhaltung oder zur Fort-
pflanzung, Setzung neuer Individuen in realer, stofflicher
Form verwendet. In den Thieren kommt zu dieser
Fähigkeit und Function der Seele die Fähigkeit der
Empfindung, der Wahrnehmung durch die Sinne und der
Innern Vorstellung des Wahrgenommenen in Gedächtniss
und Phantasiethätigkeit — womit sich dann auch ein ent-
sprechendes Begehren und Streben verbindet. Diese thierische,
wahrnehmende und vorstellende Seele hat es nicht mehr
mit dem Stoffe als solchem zu thun, nimmt nicht mehr
diesen in den Umkreis ihrer Bethätigung auf, wie die er-
nährende und zeugende Seele, sondern erfasst die Dinge
nur ihrer Form nach, wenn auch die Wahrnehmung noch
durch die materiellen Sinnesorgane vermittelt ist. Die
Gestaltung geschieht nicht mehr am Stoffllichen, sondern
eigentlich in der Seele selbst, insofern sie Formen in sich
aufnimmt oder sich zu Formen des Wahrgenommenen bildet,
so dass insofern die Seele die Form der Formen ^) ist, die
sie aufnimmt, in sich wieder hervorrufen und in Phantasie
auch zu selbstthätigem Spiel verwenden kann. Die Fähig-
keit hiezu erblickt Aristoteles darin, dass die lebendigen
Wesen eine Mitte (psychisch und physisch) haben, also
mehr in sich concentrirt sind als die Pflanzen und auch
noch die niedersten Thiere. In diesem Centrum ist also
der Ort der aufgenommenen Formen zu erblicken, in dem
sie beharren oder sich wieder erneuern können, so dass
auch die Zeit, die Fähigkeit des Zeitbewusstseins oder des
Messens der Succession hier ihren Sitz hat. Die Stufen-
folge der lebendigen Wesen führt also zu immer höherer
innerer Selbstständigkeit und Vergeistigung und die Grund-
macht in der Aristotelischen Welterklärung, das si^oc, ist
^) Und zwar ^u/yj insofern sie Gemeinsinn und Phantasie in sich
schliesst, nicht blos ihrem vernünftigen Theile nach (jxspoc vo7]i:tx6v)
ist elSoc: s'.ocuv und xb-oc, elocüv, insofern darunter die cpavxdajxata, nicht
die eigentlichen Begriffe verstanden werden.
46 !• I^iß Principien der Philosophie des Aristoteles.
innerlich und in sich central und individuell geworden, so
dass sie fähig ist, das Wesen der Dinge, die Form schon
ohne Stoif, wenn auch noch nicht ohne Gestalt, wie die
reine Denkkraft (vo5c) in 's Bewusstsein zu bringen. Aus
dem ursprünglich real und objectiv wirkenden Formwesen
(ciSo?) ist die innerliche Form, die Seele geworden und aus
dieser Seele erhebt sich subjectiv ein Vermögen reiner
Formgestaltung, die Phantasie, durch deren Thätigkeit
dann erst das reine Denken durch die höchste Erkenntniss-
kraft, den voöc möglich wird.
5. Die Phantasie ((pavxacjia).
Aristoteles widmet der Phantasie in der Schrift ,,über
die Seele" eine besondere, wenn auch nur kurze Unter-
suchung ^) und auch sonst öfter ist davon die Rede. ^) Es
kann indess nicht behauptet werden, dass die Auffassung
und Darstellung des Gegenstandes zu vollkommener Klar-
heit und Bestimmtheit gekommen sei, obwohl derselbe wie
es Aristotelische Art ist, in verschiedener Beziehung be-
trachtet wird und dadurch weitere Untersuchung mannich-
fache Anregung finden konnte.
Zunächst wird behauptet, dass ,, Phantasie" etwas
Anderes sei als sinnliche Empfindung (Wahrnehmung) und
Denken, dass sie aber nicht entstehe (Yr/vsTai) ohne sinn-
liche Wahrnehmung und ohne sie keinß weitere Forschung
(o7röXY](|;Lc) möglich sei, dass aber auch Phantasie und
denkende Untersuchung nicht Ein und Dasselbe sei, leuchte
ebenfalls ein. Die Phantasie, wird weiterliin bemerkt,
scheine (Soxsl) eine Art Bewegung zu sein und nicht ohne
^) De an. III 3.
^) S. über den Gegenstand die eingehende Untersuchung von Dr.
J. Freudenthal, „lieber den Begrifl" des Wortes cpavtaoia bei Ari-
stoteles. Göttinnen 18G3.
5. Die Phantasie. 47
sinnliche Wahrnehmung zu entstehen, sondern nur durch
das Wahrgenommene, das die Empfindungen sind; die
Bewegung entstehe durch die Energie der Empfindung
und müsse dieser Empfindung (sinnlichen Wahrnehmung)
gleichen. Darnach wäre also Phantasie ('faviaaia) in
passivem Sinne zu verstehen als ein durch die Bewegung
der Sinesthätigkeit in den Sinnesorganen oder im Central-
organ derselben (Herz, Gemeinsinn) hervorgebrachtes Bild
(Vorstellung), welches das Wahrnehmungsbild festhält oder
wiederholt ; oder Phantasie wäre eine durch Sinnesfunction
geformte Bewegung der körperlichen Organe (und Seele),
welche fortdauern oder sich wieder erneuern kann. Phan-
tasie wäre also vom Gedächtniss und Erinnerung nicht
wesentlich verschieden, sondern nur durch die ausdrück-
liche Beziehung, die bei letzteren auf einen bestimmten
Gegenstand und eine bestimmte Zeit stattfindet, während
das Phantasiebild als solches nur für sich, also beziehungs-
los ist. In diesem Sinn nennt Aristoteles die Phantasie
auch eine Art abgeschwächter Sinneswahrnehmung. ^) Indess
wird Phantasie ((pavTaaia) doch auch sogleich wieder in
activem Sinne genommen als Ursache der Phantasiebilder
((pavid^jtiaTa), wodurch sie als eigentliches Seelenvermögen
und Organ der Erkenntniss erscheint, nicht blos als nach-
bleibendes und nachwirkendes Produkt der Sinneswahr-
nehmung. '^) Das Phantasiebild ist demnach zwar in
körperlichen Organen begründet und durch sie bedingt
wie die Sinneswahrnehmung, ist aber auch ein psychischer
Act — wie ja bei Aristoteles auch die Sinnesempfindung
nicht blos eine eigenartige körperliche Function, sondern
auch eine seelische Bethätigung ist.^)
Was die Unterscheidung der Sinneswahrnehmung
(al'cs^'^cjLc) von den Phantasiebildern (^aviaaia, Vorstellungen)
^) Rhet. I 11. Tj o£ cpavxao'.a loxiv ruz^'rioic, iic, aa^EVY]?:.
2) De au. III 3. III 9.
^) De geu. anim. II 1. de part. aniin. I 5.
48 1- I)ie Principien der Philosophie des Aristoteles.
betriift/) so wird sie von Aristoteles hauptsächlicli da-
durch begründet, dass die Sinneswahrnehmnng bei allen
den bestimmten Gegenständen entsprechenden Sinnen immer
wahr, oder doch, wie später ermässigeiid beigefügt wird,
dem Irrthum am wenigsten ausgesetzt sei, dagegen die
Phantasiebilder wahr oder falsch sein können, oder, wie
einmal geradezu behauptet wird, meistens falsch seien. —
Anderwärts indess sind die Phantasiebilder an sich wiederum
auch ausser Beziehung gesetzt zu Wahrheit und Irrthum,
da diese nur bei dem Verbinden und Trennen (Urtheilen)
stattfinden. Sinneswahrnehmung ferner ist allen Thieren
eigen , Phantasie aber nur einigen. Wiederum aber be-
thätigt sich Sinneswahrnehmung (aicj^rjCJic) im Schlafe
nicht, während die Phantasie gerade in den Träumen
sich hauptsächlich geltend macht, ja ausschliesslich herrscht.
Endlich bringt die Phantasie ihre Gebilde. (Vorstellungen,
<pavT;d^[j.aTa) hervor ohne Gegenwart der Gegenstände,
deren Bilder sie sind, d. h. ohne Einwirkung derselben
auf die Sinne, während die Sinnesempfindung nur durch
diese Einwirkung stattfindet. Dadurch nähert sich die
Phantasie-Bethätigung schon einigermassen der Denkthätig-
keit, die auch durch Sinneswahrnehmungen zwar bedingt
oder ermöglicht wird, aber nicht die sinnlichen Gegen-
stände selbst zum Inhalte hat und unabhängig von diesen
stattfinden kann. Aristoteles nennt daher auch sowohl
das Denken eine Art Vorstellung,^) als auch Vorstellung
eine Art Denken,'^) so zwar, dass das Denken wohl auch
geradezu in zwei Arten unterschieden wird: in Vorstell-
ung als Grundlage des Denkens und in näheres Eiforsclien
*) Auch Pia ton stellt cpavTaoia als blosse Vorstellung der Sinnes-
empfindung gegenüber, (Theätet 151 E) und 'favtacfxa gebraucht er im
Sinne von „Schein" (Sophist. 235).
2) De an. I 1.
''-} De an. III 7 — 10. de niem. I 1.
5. Die Phantasie. 49
(üttöXyjc^ic) oder Untersuchen und Beurtlieilen.^) Indess ist
die Sprache hierüber allerdings schwankend.
Mit aller Bestimmtheit behauptet Aristoteles den
Unterschied der Vorstellung oder des Phantasiebildes vom
eigentlichen (abstracten) Denken und AVissen (vooc und
sTTLatTjfJLTj) und dann von der Meinung (Sö^a). Von voOc und
s:rLaTr]{iY] sagt er nur kurz, sie seien immer wahr, während
die Vorstellung ((pavia^ia) allenfalls auch falsch sei. Etwas
eingehender spricht er sich über den Unterschied von
ooia und (paviaaia aus. Die Meinung (Sö^a) kann sowohl
7/ahr als falsch sein; aber auf sie gründet sich das Für-
wahrhalten (tti'jt'.c) ; Meinen und Fürwahrhalten verbindet
sich miteinander. Nun kommt aber keinem Thiere Für-
wahrhalten (ttigtic) zu, wohl aber vielen Phantasie. Ferner:
Mit der Meinung verbindet sich das Fürwahrhalten, mit
diesem die Ueberzeugung (TUETrsiaO-ai) mit dieser der Begriff
(XöY&c); nun kommt einigen Thieren zwar Phantasie zu,
keinem aber Begriff' oder Vernunft (Xöyoc). Daraus ist klar,
dass die Phantasie weder ein Meinen mit sinnlicher Wahr-
nehmung oder auf Grund der sinnlichen Wahrnehmung,
noch eine Verbindung von Meinen und Wahrnehmen sei.
Dass die Phantasie nicht eine solche Verbindung von §ö^a
und alaO-Tjaic; sei, gehe daraus klar hervor, dass wir zugleich
eine Vorstellung ('^aviaaia) und eine ihr ganz entgegenge-
setzte Meinung haben können. Für die '^avraata hat die
Sonne die Grösse eines Fusses, der Meinung aber ist sie
grösser als der bewohnte Erdkreis.
Trotz air dem aber wird (pavTaaia doch au<*h wieder
mit dem Denken in die engste Beziehung gebracht und
wohl auch, wie schon bemerkt, als eine x\rt von voelv auf-
gefasst, als eine Art Denken, da wir dadurch eine Art
Kenntniss erhalten.^) Selbst mit dem höchsten Denken
') De an. III 3, 6.
2) De an. Ill 8. 8. 10.
F r o h s c h a m m e r . Aristotelische Principienlelire .
50 I. Die Principien der Philosophie des Aristoteles.
{vobc) ist die Phantasiethätigkeit innig verbunden und noth-
wendige Bedingung schon dadurch, dass sie demselben die
Vorstellungen (cpavtacj[iaTa) bietet, aus denen das wahre
Wesen, der Begriff der Dinge durch den vobc, erkannt
werden soll. Aber auch das begriffliche Erkennen selbst
oder das Produkt desselben, der abstracte Gedanke oder
Begriff; bedarf wiederum der Phantasie, da dieser Begriff
dem Yerständniss nicht nahe gebracht, nicht erfasst wer-
den könnte ohne alle bildliche Vorstellung. Daher muss
die Phantasie ein allgemeines Bild oder Schema gestalten,
um das begriffliche oder wahre Wesen der Dinge dem
sinnlich-vernünftigen Menschen nahe zu bringen und ver-
ständlich zu machen. Aristoteles unterscheidet i) daher
auch eine (pavra'iia alaO-rjTixfj und eine '^aviaaia XoY^cjriXT] und
schreibt erstem auch den Thieren zu, während er letztere
nur dem Menschen zuerkennt. Die Allgemeinbilder sollen
dadurch entstehen, dass mehrere '^avTaa^xaia in Eines zu-
sammengefasst werden — ein Vorgang, der dann offenbar
mit der das Wesen erfassenden Thätigkeit des voög in un-
mittelbarer Verbindung stehen muss. 2) Kein Wunder
demnach, wenn Theophrast, der Schüler und nächste Nach-
folger des Aris'ioteles, in Zweifel war, ob er die (pavTaoia
zum Vernünftigen oder Vernunftlosen rechnen solle. ^)
Insofern Aristoteles das Phantasiebild auffasst als
Nachwirkung oder Produkt der Sinneswahrnehmung, stimmt
dasselbe mit dem Gegenstande selbst überein und ist, wenn
die Beziehung auf diesen ausdrücklich mitgedacht wird, vom
Gedächtniss oder Erinnerungsbild ({iv7][xöv£0{xa) nicht ver-
schieden. Das blosse Phantasiebild aber, ohne Beziehung
auf einen Gegenstand, verhält sich wie ein Gemälde im
Unterschiede von wirklichen Dingen und Verhältnissen.
Diese Phantasiebilder sind wahre d. h. mit den Gegen-
1) De an. III 10.
^) De mem. 1 und 2. de sensu 1. Anal. post. II 19.
^) Simplicius de an. 80.
5. Die Phantasie. 51
ständen übereinstimmende Vorstellungen und unterscheiden
sich von den sinnlichen Wahrnelmiungen nur durch
Schwäche oder geringere Lebhaftigkeit. Man kann daher
in Bezug auf sie die Phantasie als reproductive Einbild-
ungskraft bezeichnen. Nicht alle Gebilde der Phantasie
stimmen aber mit der Wirklichkeit überein, sondern
weichen vielfach von ihnen ab und erscheinen als freie,
willkürliche Gebilde derselben. Indess fasst diese Aristoteles
nicht ohne weiteres auf als Werk einer schöpferischen,
productiven Einbildungskraft, sondern sie erscheinen ihm
zunächst nur als Wirkung von Störungen der in den
Sinnesorganen oder im Centralorgan gleichsam niederge-
legten Sinneswahrnehmungen, welche eine Umwandlung,
eine Verunstaltung und Mischung erfahren. Diess ge-
schieht besonders im Schlafe in den Träumen, bei Krank-
heiten und auch bei heftigen Begehrungen und Leiden-
schaften.^) Aristoteles nimmt dabei allenthalben auch eine
körperliche Veranlassung an , insbesondere grössere Wärme
und Zuströmen des Blutes. Dass die Affectionen und die
dadurch erzeugte Störung und willkürliche Gruppirung
der Wahrnehmungsbilder besonders im Schlafe, in den
Träumen eintreten, hat nach ihm darin seinen Grund, dass
im Schlafe nicht mehr, wie es am Tage geschieht, die
Affectionen durch die stärkere Thätigkeit der Sinne und
des Denkens zurückgedrängt werden, sondern nun zur
Quelle der Empfindung, zum Herzen dringend, sich geltend
machen. Aehnliches geschieht auch bei Melancholikern,
Fieberkranken und Trunkenen. Alle diese Zustände be-
wirken, weil bei ihnen viel Dunst in den Organen vor-
handen ist, starke Bewegungen und Erschütterungen. Die
Affectionen (in die Wahrnehmungs-Organe aufgenommenen
Bilder) verhalten sich, wenn die Hemmungen des AVachens
^) De somno 3. Die Träume sind x'.VYjGe'.c «f-avtaat'.xal Iv toIc
aloO-YjTTjplo'.c. De somniis 3.
4*
52 1. Die Priiicipieii der Philosophie des Aristoteles.
nicht verliandeii sind, gleich den Wolkenbildnngen , die
bald Menschen bald Centauren ähnlich und in fort-
währender Umbildung begriffen sind.^) Die Melancholie
hat auf Erzeugung solcher Einbildungen (denen die "Wirk-
lichkeit nicht entspricht) grossen Einfluss. Sie erzeugt
oft eine Wärme, die der Stätte des Denkens nahe kommen
kann; dann entstehen Krankheiten des AVahnsinns und
der Ekstase (wie bei Sybillen und allen Gottbegeisterten),
wobei die Gebilde der Phantasie für Abbilder der Wirk-
lichkeit gehalten werden und das richtige Urtheil gehemmt
ist. 2) Und allenthalben auch bei Sinnestäuschungen be-
thätigt sich diese Art der Phantasie, insofern unrichtige
Vorstellungen gebildet und für wahre Abbilder der Wirk-
lichkeit, also für Erinnerungs- oder auch Wahrnehmungs-
bilder gehalten werden.
Solche Phantasiebilder können, obwohl sie nicht wirk-
lichen Gegenständen entsprechen und also nicht durch
Einwirkung dieser auf die Sinne erzeugt werden, doch
nicht als Gebilde einer selbstthätigen, producirenden Ein-
bildungskraft betrachtet werden, denn sie entstehen mehr
durch Leiden als durch Thätigkeit der entsprechenden
physisch - psychischen Organe. Indess wird doch auch bei
Aristoteles der Phantasie eine productive Bethätigung,
ein actives Verhalten zuerkannt. Abgesehen von dem
activen Momente, das schon in der SinnesAvahrnehmung
selbst liegt, können ja die Bilder derselben absichtlich,
willkürlich hervorgerufen werden, wie diess zum Behufe
der genaueren Betrachtung für das Denken (voö<;) geschieht,
welches der (paviaaiiaia bedarf.^ Wenn dann für das
Produkt des Denkens, die Begriffe, die das Wesen aus-
drücken, Allgemeinbilder zum Behufe des Verständnisses
geschaffen werden, so können wenigstens diese Bilder nicht
*) Probl. XXX 14. Nach neueren Nach Weisungen kann indess
diese Schrift nicht Anspruch auf \o]]e Aechtheit machen.
=*) Probl. XXX 1. de men». I.
5. Die Phantasie. 53
blos in passiver Weise entstehen durch Störungen 'oder
unwillkürliche Umwandlungen der Wahrnehmungsbilder
(Sinnesaffectionen) , da sie gar nicht durch blosse Sinnes-
wahrnehmung entstehen, nicht Abbilder einzelner sinnlicher
Gegenstände sind. Sie also kann man als Gebilde einer
productiven Einbildungskraft, einer selbstthätigen Phantasie
oder eines Momentes der Selbststhätigkeit derselben auf-
fassen, und hier dann eine Verwandtschaft von fpaviaata
und voög erblicken. Ausserdem aber ist dann auch noch
die Bethätigung der Phantasie in der Kunst ^) in Betracht
zu ziehen, die nicht ohne ein Moment der Activität, des
selbstständigen Producirens gedacht werden kann auch bei
Aristoteles. Der Verlauf der Schaffung des Kunstwerkes
zeigt diess klar genug. Man kann sagen, in der Kunst,
wie auch bei dem praktischen, insbesondere dem ethischen
Handeln ist die Phantasie die eigentlich leitende, principiell
wirkende Macht. Und zwar dadurch, dass dieselbe das
Ziel (den Zweck) zeigt, vorstellt, der durch Thätigkeit er-
reicht werden soll und dem gemäss diese allenthalben
sich gestalten muss. Das zu schaffende Kunstwerk wird
vorgestellt, und diese Vorstellung ist Norm und Princip
der ganzen Thätigkeit und der wirklichen Erreichung des
Zieles, — für den Künstler im ästhetischen Sinn, wie für
den Techniker, den Arzt u. s. w. Die Vorstellung hiebei
ist aber Produkt der Einbildungskraft, nicht blos Wahr-
nehmungs- oder Erinnerungsbild. Denn wenn Aristoteles
auch die Kunst als Nachahmung der Natur auffasst, so
meint er damit doch keine bloss sklavische Nachahmung,
sondern auch Umbildung, Vervollkommnung, Idealisirung
derselben — und diess setzt ein Moment der Selbstthätig-
keit der dabei leitenden Phantasie voraus. Bei der dich-
terischen Begeisterung und bei denen, die sich durch Wohl-
begabung (als sücposlc) auszeichnen, tritt dieses Moment in be-
^) Poet. XVII de mem. 1. (Probl. XXX 1) Eth. N. VI 4.
54 I- I^ie Principieu der Philosophie des Aristoteles.
sonderen! Masse hervor. — Nach all' dem Bemerkten wird
man also kaum in Abrede stellen können, dass der Phan-
tasie auch bei Aristoteles eine gCAvisse Selbstthätigkeit
zugeschrieben wird, wenn er auch noch nicht die ,, produk-
tive Einbildungskraft", oder die geniale schöpferische Po-
tenz der neueren Psychologie und Erkenntnisslehre kennt.
Man könnte wohl mit einigem Reclite, der Analogie der
sonstigen Betrachtungsweise des Aristoteles folgend, auch
bei der Phantasie Stoff und Form, einen passiven und
einen activen Theil derselben unterscheiden. So dass man
also nach Aristoteles' Weise auch die ^avraaia schiede in
<pavTac5ia TraO-TjTiTtTJ und 'favraaia jroLTjtLXT], jene fähig Alles
zu werden d. h. die Formen von Allem in sich aufzunehmen,
diese fähig Alles zu bilden d. h. in selbstständiger Thätig-
keit Formen in sich hervorzubringen, — wie er den voo? in
voiic jra^YjT'.xöc und vob<; r^rjvf^v.y/jc, unterscheidet, wovon
später die Rede sein wird. Und da selbst in der üXtj doch
auch ein actives Moment sich geltend macht, so ist es im
Grunde selbstverständlich, dass auch die (paviaoia (als
psychische Thätigkeit und Fähigkeit) nicht ohne ein solches
zu denken sein werde.
Bemerkenswerth ist nocli besonders auch die Ableitung
der 'favraaia von cpwc bei Aristoteles; eine Ableitung, die
später auch von den Stoikern insbesondere von Chrysippos
geltend gemacht wurde und die sich auch noch bei Späteren
z. B. bei Galenus findet. Aristoteles sagt : da das Gesicht
der höchste Sinn ist, so hat die Phantasie den Namen
davon erhalten, da ohne Licht nicht gesehen werden kann. ^)
Diese Annahme, die Aristoteles allerdings nicht näher be-
^) De an. III 3,13. errsl Ss y] 0'}t»: (laXi^ixa atoO-Tjoi;: iaxt, xal xö
ovojjia hrJo toü cpaooc srAYjcp sv (?pry.vtaoia), ox'. avsu cpwxöc oüx eaxiv lOctv.
Trendelenburg bemerkt liiezu : wenn cpavxao'la auch nicht vom Worte
'faoc selbst abgeleitet sei, so könne sie doch zugleich mit 'fao^ von
derselben Wurzel abstammen, aus welcher auch cpaivw kommt, das der
<f»avxc/.oia nahe steht.
5. Die Pluiiitasie. 55
gründet und nicht weiter ausführt, dürfte insofern ganz
richtig sein, als ^avraaia ursprünglich eine äusserliche Be-
deutung hatte und damit eine AVirkung des physischen
Lichtes bezeichnet wurde, dann erst eine innerliche, psycho-
logische Anwendung und Bedeutung erhielt. Die Bezeich-
nungen für das Geistige hatten ja überhaupt zuerst und
ursprünglich ganz äusserliche Bedeutungen ; sie bedeuteten
physische Dinge oder Vorgänge und erhielten dann erst ver-
geistigte Bedeutungen. Ein auffallendes Beispiel dieser
Art ist sogar 7rv£0[xa, das ursprünglich Wind, Hauch be-
deutete und das später zur Bezeichnung des höchsten Ge-
gensatzes des Physischen, des rein Geistigen gebraucht
wurde. Aehnliches wird auch für ^aviaoia angenommen
werden dürfen. Es- stammt offenbar von (pavidCsiv oder
'^avidCs'^^ai ,, erscheinen, sich zeigen" ab und bedeutet
,, Aussehen, Erscheinung" für die Sinne, insbesondere für
das Auge und erweist sich so als Wirkung des physischen
Lichtes. Auch Aristoteles bedient sich des Wortes in
dieser Bedeutung. ^) Und da es Erscheinungen gibt, denen
kein Wesen, keine Wirklichkeit entspricht, die also blos
,,Schein^' oder Trugbilder sind, so lag es nahe, das Wort
cpaviaaia ('^aivsaö-ai) auch in dieser Bedeutung zu gebrauchen.
Sie findet sich ebenfalls bei Aristoteles. 2) Lidem nun die
Bedeutung sich verinnerlichte, wurden beide Bedeutungen
auf innere, psychische Bethätigungen übertragen, die äussere
Erscheinung wurde zur inneren, oder zur Vorstellung, und
der äussere Schein zum inneren, zum blossen, gegenstand-
losen Phantasiebild; endlich das äussere Licht, welches
die Grundbedingung der äusseren Erscheinung und des
Scheines ist, ward zum Innern, psychischen Licht, dem Licht
des Bewusstseins in moderner Ausdrucksweise. Da aber
in alter Zeit Bewusstsein und Vorstellung nicht bestimmt
^) De sensu 3. Meteor. I 3.
2) Soph. elench. 5. 6. Eth. N. III 7.
56 I. Die Principien der Philosophie des Aristoteles.
von einander unterschieden oder getrennt wurden, so konnte
man mit ^pavracjia zugleicli das Bewusstsein und die innere Er-
sclieinung oder den inneren Schein (Täuschung), zugleich
das Licht für diese innere Erscheinung und die Vorstell-
ungsfähigkeit selbst bezeichnen. Wie das äussere Licht
Ursache des Erscheinens, der Erscheinung, 'faviacjia im
objectiven Sinn ist, so muss ein Licht auch der inneren,
der 'favracjia im subjectiven Sinne zukommen; denu Bild,
oder Erscheinung und Licht müssen auch innerlich zugleich
da sein, wenn psychisch die Welt sich wiederspiegeln soll in
einem lebendigen, bewussten Wesen.
So können wir schliesslich sagen, dass die Phantasie
nach Aristoteles als ein Mittleres erscheint zwischen sinn-
licher AVahrnehmung (cflcid-ri^ic) und Denken (voslv), an beiden
gewissermassen theilnimmt und demnach auch die Ver-
bindung beider vermittelt. Sie geht aus sinnlicher Wahr-
nehmung hervor als Produkt oder Nachwirkung derselben,
aber sie liegt mit ihrer Function in der That derselben
auch zu Grunde ; denn w^enn sie als abgeschwächte Sinnes-
empfindung bezeichnet werden kann (aloO-Tjaic Tic aaö-svTjc),
so muss auch die sinnliche Wahrnehmung als der Phantasie-
function gewissermassen gleichartig aufgefasst werden können,
insofern durch dieselbe innere Bilder der Dinge entstehen
in Folge der Sinnesempfindung. Auf der andern Seite er-
möglicht die Phantasie durch die Vorstellungen (^avra^'xaTa)
erst das Denken, insofern sie diesem gleic^hsam das Material
dazu bietet; zugleich aber nimmt sie wiederum die Pro-
dukte des Denkens auf, ihnen Gestaltung in Allgemein-
bildern gebend und dadurch das Verständniss derselben
ermöglichend. Damit bekundet die Phantasie schon eine
gewisse selbstständige oder schaffende Thätigkeit, da in
der Wirklichkeit solche Allgemeinbilder nicht existiren
und also auch nicht blos durch die Sinne aufgenommen
werden können. Lidem ferner Worte ^) für die besonderen
') De an. II 8,14.
5. Die Phantasie. 57
und allgemeinen yorstelluiigen und Begriffe und iliren Zu-
sammenhang zum klaren Yerständniss und zur Mittheilung
gebildet werden und damit die Sprache entsteht, zeigt sich
diese Seelenfähigkeit noch auffallender, entschiedener als
selbstständig wirkende Seelenkraft. Dasselbe ist der Fall bei
der Hervorbringung der Kunstwerke (und Symbole), wie schon
oben angedeutet wurde. Endlich aber selbst auch insofern
die Phantasie Quelle oder Urheberin von inneren Bildern
oder Vorstellungen ist, denen keine reale Wirklichkeit
entspricht, die also nur Täuschungen, Illusionen, Irrthümer
sind, zeigt sie eine Art selbstständiger Produktionskraft.
Denn diese Bilder müssen doch von ihr selbst, auf welche
Veranlassung hin es sein mag, hervorgebracht w^erden,
weil sie ebenfalls nicht von aussen kommen könneu,
da das Nichtseiende (das eigentliche Wesen des Irrthums)
keine Wirkung hervorbringen kann — worauf Aristoteles
selbst ausdrücklich aufmerksam macht. ^) Da so mannich-
fach sich die Phantasie bethätigt, ist es nicht zu verwun-
dern, wenn Aristoteles sie bald der Einen bald der Andern
der Seelenkräfte oder -Functionen nahe bringt und, in
Verlegenheit, welchem Theile der Seele er sie eigentlich
zuschreiben soll, zuletzt geneigt ist, sie als etwas von
allen andern Seelenkräften Verschiedenes aufzufassen. 2)
Sie kann in der That als solches betrachtet werden und
zwar als Gemeinsames, allen andern Seelenfunctionen zu
Grunde Liegendes, nicht als blos Eigenartiges neben den
andern; denn in diesem Falle wäre die Unterscheidung
von diesen nicht mit so grossen Schwierigkeiten verbunden.
— Blicken wir endlich noch auf die objective, reale Be-
deutung, welche ^avTaoia ursprüglich hatte, so können wir
behaupten, dass in ihr die Hauptaction- und Function des
Daseins angedeutet ist. In objectiver, realer Beziehung ist
De an. III 3,2.
De an. III 9,2.
58 I- Die Principien der Philosophie des Aristoteles.
es ja eben die Gestaltung und das Liclit, wodurch das
Dasein erst sich offenbart, zur Erscheinung kommt, ja
eigentlich erst ist, oder sich verwirklicht, da doch weder
Stoif an sich, noch Form an sich AVirklichkeit hat und
sich offenbaren kann. Und Beides, Gestaltung und Licht,
ist durch ^pavxa^ia ausgedrückt. Nicht minder aber ist
?pavTac5ia das eigentliche Offenbarungsorgan in subjectiver
Beziehung, insoferne eben dieselbe als ps3T.hische Fähigkeit
innerlich gestaltet und zum Bewusstsein bringt, und also
ganz anolog wirkt mit der Action oder Function, wodurch
die AVeit als äussere Erscheinung sich gestaltet und
offenbart.
6. Die Erkeiiiitiiisskraft (voOc).
Einer der wichtigsten und Jahrhunderte hindurch
einffussreichsten Theile der Aristotelischen Philosophie ist
seine Lehre von der Erkenntnisskraft und der Erkenntniss-
AVeise, die Lehre vom voö<;. Aber sie hat auch stets
einen der dunkelsten und streitigsten Punkte dieser Philo-
sophie gebildet und ist auch jetzt noch keineswegs zur
vollen Klarheit gebracht. Schon was dieser vou<; eigentlich
sei, worin sein Wesen und seine Fähigkeit des Erkennens
bestehe, Avoher er stamme und in welchem Verhältniss
er zu sLooc, «J^oy'/j und (pavra^fa stehe, ist keineswegs voll-
ständig festgestellt. Ebensowenig aber, Avorin seine Er-
kenntnissfunktion bestehe und was der eigentliche Gegen-
stand derselben sei. Vollends dann die Unterscheidung
von voöc 7:a^riv.Y.6r und voö«; TrotTjitxöc hat die Unsicherheit
noch vermehrt und die Lösung dieses Problems noch
schwieriger gemacht. Indem wir im Folgenden diese
Lehre des Aristoteles darzustellen und zur Klarheit zu
bringen versuchen, wollen wir zuerst den vo'k einfach als
solchen nach AVesen und Function betrachten und dann
6. Die Erkenutnisskraft. 59
noch besonders die Unterscheidung desselben in vo5c :rotYj-
nxöc nnd Tuaö-rjTczöc einer näheren Erörterung unterziehen.
a) Vom voöc überhaupt.
Unter voo^ versteht Aristoteles im Allgemeinen das,
wodurch die Seele denkt und sich durch Ueberlegung An-
sichten bildet. 1) Der voö? ist also hier als Denkkraft im
Allgemeinen aufgefasst, als Organ des Denkens; als
eigentliches Subject des Denkens aber erscheint die Seele
((^o/Tj). Indess stimmen die verschiedenen Aeusserungen
des Aristoteles hiemit nicht vollkommen überein, sondern
es herrscht grosse Unbestimmtheit im Ausdrucke. Und
zwar sind es zwei Punkte, die nicht zur Klarheit kommen :
Für's Erste, ob der voöc ein ganz selbstständiges Wesen
von eigenem Substrat und Bewusstsein sei, oder nur ein
Theil, eine besondere Kraft der Seele; dann worin die
eigentliche (specifische) Fuuction des voOc bestehe, ob nur
in Erkenntniss oder Bewusstsein der Principien des Er-
kennens , oder auch in deren Anwendung auf gegebenes,
durch die Sinne aufgenommenes Material. — In ersterer
Beziehung finden sich manche Stellen, welche den voö?
nur als Theil der Seele,^) also als Kraft derselben für
eine bestimmte Erkenntnissthätigkeit bezeichnen, wozu die
eben genannte im Grunde auch gehört. Sowohl in der
Schrift von der Seele,^) als auch in der Metaphysik*) und
Physik^) finden sich Stellen dieser Art. Andererseits aber
wird mit aller Entschiedenheit der voö? als gänzlich von
der 4^0'/;/) verschieden, und zwar seinem Wesen, seiner
^) De an. III 4. 'Kh(M ot yo~y^, u) ^'.avoslxai v.al u-o/.afj.ßdvci y|
2) Met. XII 3,10. p-T] tzrx^rj, ('i;oxYj), bXV h vobz- De an. II 2. zwar
als ixspov Y^voc '^^o/yjc bezeichnet, aber doch anch wieder den Xolixa
[j.6pia TTjC '|ü/Y|C gegenüber gestellt. Vgl. de an. III 4.
3) De an. III 4.
^) Metaph. XII 3.
^) Phys. VII. 3. otavor|Xiv.öv [iepoc tyjc ^«X"^^-
QQ I. Die Principien der Philosophie des Aristoteles.
Function, seinem Ursprung und seiner Dauer nach, auf-
gefasst ; — wenn auch allerdings wiederum bemerkt
wird, dass der voö? der Wirklichkeit nach nicht sei ehe
er denkt, so dass man doch annehmen möchte, dass er
als Möglichkeit sein Substrat an der Seele haben müsse.
So wird der voöc der Seele gegenüber als getrennt oder
trennbar, und als eine andere Art von Seele aufgefasst. ^)
Und er ist vom physisch-psychischen Wesen des Menschen
dadurch verschieden, dass er leidenlos, unvermischt, in
seiner Thätigkeit nicht an körperliche Organe gebunden,
unvergänglich^) und das Göttlichste von Allem sei oder
das allein Göttliche,^) das ,,von aussen" in den Menschen
kommt. '^) Auch ist er das sich selbst Denkende, und zwar
so, dass er Denkendes und Gedachtes zugleich ist, denn
bei dem was ohne Stoff (oXy]), ist das Denkende und Ge-
dachte dasselbe,^) — was aber freilich schon das Denken
eines andern voraussetzt, da er an sich blos Potenz des
Denkens und vor dem Denken nichts Wirkliches sein soll.
Auch in Bezug auf Art und Gegenstand der Erkennt-
niss des voöc stimmen die verschiedenen Stellen bei Ari-
stoteles nicht vollständig überein. Bald scheint d^ie Er-
kenntniss desselben nur auf die Principien des Erkennens*')
und auf das allgemeine (übersinnliche oder un sinnliche)
Wesen der Dinge beschränkt und rein geistig nur im
Denken zu bestehen, bald scheint sich dieselbe auf Alles,
auch das Sinnliche zu erstrecken und nie ohne sinnliche
Form zu sein. Obwohl Aristoteles ausdrücklich sagt:
Xs^w §s voöv, (1) ^tavoäitai zal o;roXa{xßav£i f| 'J^o*/'/], so wird von
^) De an. II 2. voöc yoi^jizxör und '^^'/JiZ '{i^oz sispov.
2) De an. III 5. Met. XII 5.
^) De an. I 4. Eth. N. X 7.
^) De gener. an. II 3.
^) De an. III 4.
^) Eth. N. VI 6. /.£L-sxai voö': zlvo.i xcöv äp/wv. Anal. post. II 1
voöc av £17] twv apy((I>v. De an. II 5. III 4. Met. IV 3.
6. Die Erkenutuisskraft. Gl
ihm doch anderwärts das ÖLavosiaö-aL dem vooc abgesprochen
nnd demselben mir das vostv und {^swpsLV zuerkannt,^) während
wiederum anderwärts auch die Phantasiethätigkeit als eine
Art vosLv bezeichnet ist. Und wenn wir in Betracht
ziehen, dass nach Aristoteles der Mensch gerade durch
den vo'jc sich wesentlich von den Thieren unterscheidet,
so müssen wir jede menschliche Thätigkeit, deren die
Thiere nicht fähig sind, aufdenvooc zurückführen. Daher
muss demselben ausser dem vos^v und ^soopsiv, d. i. der
Erkeuntniss der Principien, des Allgemeinen, der Grund-
Axiome, der unmittelbar gewissen obersten Sätze (Tupord-
as'.c a'xsaot) und der Selbsterkenntniss (Selbstbewusstsein) —
auch Siavoia, ottö^^ic und selbst auch Sö^a (tticjtic) zuge-
schrieben werden , da auch dieser die Thiere für unfähig
erklärt sind. Selbst auf die eigentlich sinnlich-psychischen
Functionen kann da die Thätigkeit des vooc sich erstrecken
und wenigstens durch sie sich mit ihnen gleichsam mischen,
daher allenftxlls selbst alaö-rpLc^) und (paviaata mit dem
vobc in Verbindung gebracht werden. Sogar ala9-/]TLx6v
und sTricjiTjjiovtxöv (Sinnlichkeit und Verstand) bringt Ari-
stoteles in Zusammenhang,*) oder erklärt Beides für das-
selbe der Möglichkeit nach. Und allerdings, der Sinn
nimmt ja auch mit dem Einzelnen schon Allgemeines wahr,
das im Einzelnen verwirklicht ist und das eigentliche
Wesen desselben bildet; daher ja schon im Gedächtniss
das Allgemeine sich insoferne geltend macht, als das Gleich-
artige zu Einer Vorstellung sich gestaltet. (Anal. post. II 19.)
Um hier den Widerspruch in der Aus drucks weise zu
beseitigen, wird wohl anzunehmen sein, dass Aristoteles
das Einemal den voöc an sich mit seinem Wesen und
1) De au. I 4.
2) Eth. N. VI 12.
3) De an. III 10. vgl. III 3.
^) Metaph. XIII 10,10. De an. III 8. x-rjc ^o/jiz rb oXod-fixr/.bv, v.al
-'.OT-rifj-GV'.x&v ooväjj-st, tauxo loTi, xö [isv s-iox'qxöv x6 oh aiGÖ-rjxöv.
(52 I. Die Principien der Philosophie des Aristoteles.
seiner unmittelbaren Betliätigung bezeichnen wollte, das
Anderemal aber denselben, insofern seine Thätigkeit,
seine Gesetze und Formen auf das durch die Sinne und
die Phantasie gebotene Mateiial zum Behufe der Unter-
suchung und Erkenntniss Anwendung findet — womit
zugleich schon die Unterscheidung in thätigen und leiden-
den vo'jc angedeutet ist.
Der vo'jg also gleichsam als reiner (reine Vernunft)
wird von Aristoteles aufgefasst als Vermögen oder als
Inbegriff der (Denk- oder Erkenntniss-) Principien, i) die er
unmittelbar wahrnimmt oder erkennt, indem er sich selbst
denkt. Sie bilden also den unmittelbaren Inhalt seines
Bewusstseins ; indem er sie erkennt, erfasst er damit
sein eigenes Wesen als ein rationales, als Inbegriff ratio-
naler Bestimmungen, und damit sich selbst als Norm oder
Massstab für die Erkenntniss der Dinge. Indem ei-
also sich, sein Wesen denkt, denkt er eben zugleich
das denkbare Rationale der Dinge. Die rationalen
Normen oder Principien sind unmittelbar gegeben und
gewiss und bedürfen keines weiteren Beweises d. h. sie
tragen die Evidenz an sich selbst, leuchten mit eigenem
Lichte ihrer Rationalität und erhellen sich und das Be-
wusstsein zugleich. Daher wird der voöc von Aristoteles
auch mit dem Lichte (^wc) verglichen. Indess ist nicht
ganz klar, was Alles Aristoteles unter diesen Principien
verstanden habe, ob nur formale oder logische Erkenntniss-
principien, oder auch sachliche, so diiss der voöc eine be-
stimmte apriorische Erkenntniss schon in sich hätte. Dass
er die Erkenntnissprincipieu, zunächst die formalen Denk-
gesetze in sich habe als constitutive Momente seines
Wesens, ist wohl sicher Aristotelische Lehre — wie diess
insbesondere vom Gesetze des Widerspruchs gilt. 2) Ausser-
dem noch allgemein und unmittelbar giltige Axiome, die
^) Metaph. IV 3. Anal. post. II 19. Eth. N. VI G.
^) Met. IV 3.
6. Die Erkenntnisskraft. 63
als erste unbeweisbare Sätze die Grundlage aller Beweis-
führung und Ableitung {aizodeiiic) bilden. Diese Gesetze
und Sätze müssen der Anlage nacli jedenfalls da sein,
wenn es überhaupt zu einer sichern Erkenntniss kommen
soll. Und sie können als das Licht der Vernunft be-
zeichnet werden, wodurch das rationale Erkennen ermög-
licht und das unmittelbare Einleuchten und GcAviss-
sein derselben bedingt ist. Es ist aber die Frage, ob
auch das Allgemeine (t6 xaO-öXoo) und die begrifflichen
Wesenheiten (sr^Tj, rl y^v slvai) die Natur des voöc consti-
tuiren, so zu sagen den apriorischen Besitz desselben bilden.
Diess kann kaum behauptet w^erden als Aristotelische
Ansicht, wenn es auch zuweilen den Anschein hat, als
sollte dergleichen angenommen werden. Das Allgemeine
(xat>öXoo), was gar nicht als bestimmtes Einzelwesen exi-
stiren kann, sondern nur als Eigenschaft oder Verhältniss
der Dinge erscheint und durch Anwendung der Kategorien
erfasst oder erkannt zu werden vermag, wird als solches
erst im denkenden Geiste selbst gebildet und hat so nur
unsinnliche Existenz, ist übersinnlicher Gegenstand des
Denkens und als solcher erst Schöpfung des Geistes selbst.
Dazu kann im Geiste nur die allgemeine Fähigkeit ge-
geben sein. Aber auch die Formen als Wesenheiten der
Einzeldinge und Arten (siStj) können nicht wohl als
apriorisch im Geiste vorhanden gedacht sein, so dass etwa
dieser die Ideen aller Dinge oder w^enigstens der Arten
derselben in sich trüge und sie in dem Erkenntnissprocesse
nur aus sich zu entwickeln brauchte, um ein entsprechendes
Abbild (durch apriorische Construction) zu gewinnen.
Der vouc ist bei Aristoteles nicht als solcher schon ein
Spiegel des Universums, wie die Leibniz'schen Monaden.
Diess anzunehmen verbietet schon das Dringen des Ari-
stoteles auf empirische Forschung und die behauptete Noth-
wendigkeit, dass dem voö<;, damit er seine Erkenntniss-
fähigkeit verwirkliche, die Dinge selbst durch die Sinne
ß4 I. Die Principien der Philosophie des Aristoteles.
und clurcli die (pavTaa[j.aTa der Einbildungskraft vorgeführt
werden, in denen das allgemeine und wahre Wesen ent-
halten ist und dem Geiste zur Oifeiibarung kommt. Zwar
wird die Seele ihrem noetischen Theile nach als Ort
(zoTzocY) der Ideen (cl^tj) und der voög als eldoQ slSwv be-
zeichnet. Aber Aristoteles fügt der ei'sten Stelle gleich
bei, dass nur der Möglichkeit (Süvd[j.£t) nicht der AVirklicli-
keit nach (svisXs/sicj) die denkende Seele {^^^y/fq oo oXyj
aXX' 7} voTjTixfj) Ort der Formen (el'Srj) sei. Und selbst
wenn diese Einschränkung nicht beigefügt wäre, brauchte
man nicht anzunehmen, dass die Seele die Formen (species)
als apriorischen Besitz in sich schliesse, sondern sie könnte
in Bezug auf die empirisch und wissenschaftlich errungenen
slSy] als Ort derselben bezeichnet werden, insofern sie im
Gedächtniss festgehalten und wieder in's Bewusstsein ge-
rufen werden können. Den gleichen Sinn, wie obige Stelle,
hat es auch, wenn bemerkt wird, der voöc sei dem Vermögen
nach (oovdjisi) gewissermassen das Denkbare (td voY]Td), in
der AVirklichkeit aber sei er nicht, ehe er denke ;^) so
dass sich die Seele wie ein Buch verhalte, in welches noch
nichts wirklich geschrieben ist (svTsXs/sict Y£Ya{j.{j.svov).
Dasselbe gilt von dem Ausspruche, der voöc sei b'/jo-
slSwv.^) Aristoteles bemerkt, dass nicht die Dinge selbst,
sondern nur die Formen derselben in die Seele kommen,
nicht der Stein, sondern die Form (i6 b'/joc) desselben,
und er fügt hinzu, die Seele sei wie die Hand; wie die
Hand das AVerkzeug der Werkzeuge , sei, so der voöc die
Form der Formen, und die Sinneswahrnehmung die Form
des Wahrgenommenen (ri alGd-rpiz elcioq aloi^r^Twv). Die
Sache ist allerdings trotz der gebrauchten Gleichnisse nicht
ganz klar gemacht, denn diese Gleichnisse deuten nicht
*) De an. III 4,G.
'') De an. III 4,14.
3) De an. III 8,2.
6. Die Erkenntnisskraft. 65
das Gleiche an. Der vobc ist ,,Form derFormeu" kann sagen
wollen: er bietet die Möglichkeit, die Formen der Dinge
in sich nachzubilden und in's Bewusstsein zu bringen,
z. B. die Form des Steines — als Einzelding und als
Begriff, denn die Seele ist als empfindende (ala^Yjaic) die
Form (zuerst die mögliche dann die wirkliche) des sinnlich
Wahrnehmbaren. Damit wäre mehr ein passives Verhalten
der Seele und des vouc in Bezug auf die Formen angedeutet.
Der Vergleich mit der Hand als dem Werkzeug der Werk-
zeuge deutet aber dagegen mehr auf ein actives Verhalten
desselben hin. Die Hand ist ,, Werkzeug der Werkzeuge''
kann sagen wollen : sie ist das höchste, wichtigste der
Werkzeuge des Menschen, oder : durch sie kann der Mensch
sich erst Werkzeuge machen und dieselben gebrauchen.
Ist diess Letztere die Meinung des Aristoteles, so wäre
damit mehr ein thätiges Verhalten des voöc in Bezug auf
die si^Y] angedeutet, also die Eigenart des vgög, den er
als 7ro'.7]'ür/.öc bezeichnet, w^ährend der andere Theil der
Stelle mehr auf ein leidendes Verhalten des vaöc, den sog.
voDc Tua^yjTivtöc zu deuten ist. Immerhin aber hätte auch
so der voöc die slStj nur der Möglichkeit, nicht schon der
Wirklichkeit nach in sich, und diese Möglichkeit bestünde
in dem Vermögen, sie hervorzubringen für das Denken,
nicht blos sie aufzunehmen. — Das Wesen des vou? als
Denk- und Erkenntnisskraft kann also nach Aristoteles
wohl so bestimmt werden: Er enthält formale Principien
des Denkens und Erkennens und die obersten, an sich
klaren, unbeweisbaren Grundsätze oder Axiome (als
TiporaasK; ajxsaoi) in sich, die mit seinem Selbstbewusstsein
und Selbsterkennen zugleich gegeben sind, nicht erst in
dasselbe hineingebracht zu werden brauchen; so dass ihre
Erkenntniss mit dem Denken seiner selbst als rationalen
Wesens zusammenfällt. Sie bilden die active Natur des
erkennenden Geistes, den voög TioiTjrixöc, von dem später
die Rede sein wird. Wenn dagegen der voöc die
Frohschammer. Aristotelische Principieulehre, 5
QQ I. Die Principien der Philosophie des Aristoteles.
Formen, sT§7] in sich enthalten soll, kann dies nur in
passivem Sinn gemeint sein, insofern er die Fähigkeit in
sich hat, dass diese Formen in ihm gebildet werden und
dadurch sein potentielles Wesen zur Actualität sich ent-
faltet. Beides zusammen constituirt den voöc an sich, oder
die reine Vernunft, die als solche es nur mit Begriffen
als solchen, ohne weitere Verbindung und Ableitung zu
thun hat. Daran schliesst sich dann die Anwendung dieser
activen und passiven Vernunftfähigkeit auf die objectiven
Gegenstände der Erkenntniss, die durch Sinne und Phantasie
dem voö? sich darbieten — woraus die verschiedenen Arten
des Erkennens oder Wissens: Stavosla^ai, uizoXri^iQ 86ia
entstehen, die dem voö<; etwas Accidentelles sind und ihm
daher wieder entschwinden können. — Insofern indess
der voöc sich selber denkt (Selbstbewusstsein hat), kann
er doch nicht wohl einzig von formalen Erkenn tnissprincipien,
allgemeinen Axiomen und allenfalls noch von der Möglich-
keit, das Wesen und die Arten der Dinge zu erkennen,
constituirt sein, kann nicht blos als denkendes, wissendes
Denk- und Wissens-Gesetz und -Organ sich wissen. Denn
Inhalt und Fähigkeit des Geistes ist doch reicher und
kann nicht ohne Organ sachlicher, inhaltlicher Gestaltung
gedacht werden. Diess zeigt sich schon im ethischen
Gebiete, das allenthalben durch Zweck und Idee bedingt
ist und Gestaltung oder Vorstellung eines Endzieles vor-
aussetzt, demnach nicht ohne '^avTaata möglich ist, die
sich hier innig mit dem voöc verbindet. Ethische Ziele
oder Vorstellungen können ja wohl ebenso Gegenstand des
voüc sein als die sYStj der Natur ; daher in der That Ari-
stoteles hier wohl auch aia^TjOK; geradezu für Bethätigung
des voöc gebraucht, wie auch sonst dieser Ausdruck ein-
fach „Bewusstsein" bedeutet.^)
Von besonderer Wichtigkeit ist es, das Verhältniss
^) Eth. N. IX 9,29. Polit. I 2.
6. Die Erkenntnisskraft. 67
näher zu untersuchen, in welchem in der Aristotelischen
Philosophie sI5oc und voöc zu einander stehen, sei es, dass
Aristoteles selbst sich ausdrücklich darüber ausgesprochen
hat, oder dasselbe aus seinen Grundlehren bestimmt werden
kann. — Wir haben gesehen, wie er den voöc ausdrücklich
als sI^joc £i§öjv oder als töttoc siSwv bezeichnet und seine
Grundlehre ist es, dass der voöc das Allgemeine, das
wahrhaft Seiende, das Wesen der Dinge erkenne
(^a{)-öXou, ovTwc ov, sI5oc (Xöyoc), tl -^v slvai), die Form der
Dinge, die allein Avahrhaft erkennbar sei, da der Stoff
nicht vollkommen erkannt werden kann, — • wegen des
irrationalen Momentes, das in ihm vorhanden ist und
durch das sldoQ nicht ganz überwunden werden kann.
Und zwar ist Gegenstand der Erkenntniss die Form
dem innern AVesen nicht blos der äussern Erscheinung
nach, w^elche die '^aviaaia in den ?pavTdc5[X7.Ta aus Sinnes-
wahrnehmungen gestaltet und dem Bewusstsein vorstellt.
Es ist also sLÖoc als Formprincip und Wesen der Dinge
der Hauptgegenstand der Erkenntniss des voö?. Jenes ist
das Erkennbare, Intelligible, dieser das Erkennende (in-
tellectus), und sie correspondiren sich also gegenseitig;
das objective, reale sISo? entspricht dem subjectiven er-
kennenden voöc. Während die elStj als Formprincipien in
den Dingen wirksam, aber gleichsam in sie versenkt, vom
Stoff umhüllt sind und in ihrem reinen Wesen nicht zur
Wirksamkeit und Erscheinung kommen, ist der voöc als
Inbegriff der Erkenntnissprincipien und als sISo? slSwv
gleich den Platonischen Ideen über den Stoff erhaben, von
ihm ganz unabhängig in seinem Wesen und seiner in-
tellectuellen Function. Dadurch vermag er die sidri eben-
falls des Stofflichen zu entkleiden und sie in ihrem wahren
Wesen im Denken oder begrifflich zu erfassen und zu
gestalten; so dass sie nun wenigstens im menschlichen
Denken als an sich Seiendes, Stoffloses bestehen, gleich
den Piaton' sehen Ideen, die freilich objectiv und an sich
5*
68 I- I^ie Principien der Philosophie des Aristoteles.
seiend, wie in einem Jenseits existirend gedacht werden.
Ein Gedanke, der übrigens auch bei Aristoteles nicht
ganz überwunden erscheint, da die slöy] als unentstanden
und unvergänglich gedacht werden und nur die Einzel-
dinge, die Realisirungen der siStj, als dem Entstehen und
Vergehen unterworfen erscheinen.
Verhält sich diess nun so, correspondiren sich sISoc
und voöc und kann das Wesen der Dinge von diesem als
Form erfasst werden, während ihm oXt] als solche uner-
kennbar ist, so muss oifenbar eine Wesensverwandschaft
oder -Gleichheit zwischen voöc und sISoc, dem Intelligiblen
und dem Intellect als Thatsache angenommen werden, und
demnach kann das Rationale (elöoc) und voöc (intellectus
und ratio) nicht fremd einander gegenüber stehen. Die
objectiven (realen) Principien des Weltgeschehens (srSyj und
was darin enthalten ist) und das subjective Princip des
Welterkennens , voöc sind gleichen Wesens. Sie bilden
zusammen den voöc des Anaxagoras , der zugleich als ob-
jectives und subjectiver Weltprincip (apyj^) aufzufassen ist,
als real wirkend und ideal oder formal erkennend; des
Anaxagoras, den Aristoteles unter den vorsokratischen
Philosophen am höchsten stellt, der aber allerdings sein
Princip nicht consequent und klar durchführte. Indess
ist auch bei Aristoteles die Einheit oder wenigstens Ver
bindung und Wechselwirkung zwischen! eiSoc, als realem
voöc, und dem voöc, als idealem, subjectiven elSoc wieder
hergestellt im Subjecte durch die «pavcaata, welche durch
die (pavudaiiata die slSy] in das bewusste Subject bringt
und dem voöc zugänglich und erfassbar macht.
Ist nun elSoc und voög als gleichartig und gleich-
wesentlich aufzufassen, sich correspondirend als Intelligibles
und als Intellect, als rationabile und als ratio, so kann
auch <[)üx^5 welcher die ^avxaaia eignet, nicht geradezu
als Vernunftloses, aXoyov dem Wesen nach aufgefasst
werden, sondern diese Bezeichnung kann sich nur auf das
6. Die Erkenntnisskraft. 69
Entwicklungsstadium oder den Bewusstseinszustand be-
ziehen. Ist sldoc, das Vernünftige, der Vernunft Ent-
sprechende, Denk- oder Erennkbare in der Natur und
geht r|>D7Y] aus diesem üdo<; hervor, oder steht als höherer
Grad gleichen Wesens (als sISoc und ap/Yj des psychischen
Lebens) über ihm, so kann diese (j^o/Yj nicht als alogischer,
als unvernünftiger betrachtet werden als sISoc selbst, und
kann demnach auch nicht als dem Wesen nach verschieden
vom voöc aufgefasst werden — wenn man des Aristoteles
Grundlehre consequent geltend machen will. Ist aber
diess der Fall, ist ^D^q als höhere Stufe von elöoc dem
voöc dem Wesen nach gleich, oder demselben wenigstens
durchaus verwandt, dann ist auch kein Grund vorhanden
für Aristoteles, den voöc als etwas ganz Verschiedenes,
Andersartiges von ,, aussen" in den Menschen bei dessen
Erzeugung oder im Verlaufe der embryonalen Entwicklung
hineinkommen zu lassen.^) Das sldoq kann nicht als
aXoYov bezeichnet werden gegenüber dem voöc als Xoyi^öv,
es ist ein unbewusst Vernünftiges gegenüber dem voög, als
dem bewusst Vernünftigen; daher kann auch die (fox^^
nicht, — selbst nicht auf der niedersten Stufe, als aXo^ov
aufgefasst und nicht der voö? als etwas ihr ganz Fremdartiges
angenommen werden. Kann nun die ^v^yri aus dem elSoc
hervorgegangen sein, zeitlich oder dem Begriife nach (ratione),
so ist kein entscheidender Grund vorhanden gegen die
Annahme, dass seinerseits der voöc wiederum aus der
^D'/ri hervorgegangen, oder eine höhere, aber gleich wesent-
liche Stufe desselben Grundwesens sei, — nur der Voll-
kommenheit oder Entwicklungstufe nach verschieden. So
dass demnach zwischen sISot; und voöc die (^oxt^ in realer
Beziehung in ähnlicher Weise vermittle, wie die (pavtaata
zwischen sISoc und voöc im Erkenntnissprocesse. — Wenn
^) Generat. an. II 3. XtiKzxrxi xöv voöv [i.6vov ■8'upaö'sv sTcsiotevat
70 I- Die Principien der Philosophie des Aristoteles.
Aristoteles den voöc als ^slov bezeichnet oder sogar als
(jLÖvov d-Blov , so kann auch damit kein grundwesentlicher,
sondern nur ein Grad-Unterschied behauptet sein, und es
ist daraus kein Grund zu schöpfen, demselben Einheit
der Weltauffassung abzusprechen, oder ihm Recht zu
geben, wenn er im Widerspruch mit seinen sonstigen
Grundanschauungen hier wirklich dualistisch denkt. Es
kommen bei Aristoteles die Ausdrücke ^siov, '0-£iöT£f>ov,
-O-siöTaTov vor, und zwar nicht blos auf den voöc ange-
wendet,^) sondern auch auf Anderes, insbesondere auf die
tjjoXTfj von Menschen und Thieren. Schon daraus geht klar
hervor, dass er mit dem -ö-slov bei dem voöq des Menschen
nicht etwas durchaus von der ([^o/vj dem Wesen, sondern
nur etwas dem Grade nach Verschiedenes bezeichnen
wollte. Auch das (jlövov kann uns an dieser Erklärung
nicht hindern; es steht mit seiner sonstigen Anwendung
des d-Blov in Widerspruch und muss daher gedeutet werden
im Sinne von wahrhaft oder hauptsächlich göttlich, inso-
fern der voöc das in bewusster, concentrirter Weise in
sich schliesst, was sonst die ganze Natur in unbewusster,
unvollkommener Weise in den Arten und Individuen der
etSrj und (|>o)(7i realisirt. Aristoteles bezeichnet auch die
Generationspotenz als etwas Göttliches, als •O-eiov, weil
dadurch die Arten und Gattungen der lebendigen Wesen
sich erhalten, da die Individuen es nicht vermögen, und
weil sie dadurch nach ihrer Weise am Ewigen , Unver-
änderlichen Theil nehmen'^) im Gegensatz zu den veränder-
lichen, vergänglichen Erscheinungen. Wie denn Aristoteles
auch den Saamen mit dem Höchsten, der Gottheit Nächsten
in Verbindung oder Vergleichung bringt, mit dem Aether
des Fixsternhimmels nämlich , welcher der Gottheit am
meisten ähnlich ist und die kosmisch höchste Vollkommen-
*) Auf den voö^ ist z. P>. ^e'.oxepov im Unterschied vom Vergäng-
lichen der Seele (wie Erinnern, Lieben) angewendet de an. I 4.
'^) De an. II 4.
6. Die Erkenntnisskraft. 71
heit besitzt.^) Auch in den Kunsttrieben, Instincten der
Tliiere erblickt Aristoteles etwas Göttliches (^stov);^) wohl
desswegen, weil hier Zweckmässiges sich zeigt, Zwecke
erstrebt und erreicht werden — wenn auch in unbewusster
AVeise. Die Welt ist demnach für Aristoteles voll von
Göttlichem^) und sie kann daher dem voög des Menschen
nicht als etwas Fremdartiges, Wesensverschiedenes gegen-
über stehen. Eben darum ist aber auch kein Grund vor-
handen, den Hervorgang des voöc aus der (|>o/7j in Folge
der Generation für unmöglich, die Annahme davon als un-
statthaft zu erklären. Das ^stov bildet in der Welt eine
Stufenfolge: das sldoQ ist ^stöTcpov als oXt]^) und der voöc
ist das ^stÖTatov.^)
Wer aber nach all' dem noch zweifeln wollte, ob
Aristoteles mit sldoc und voö? das gleiche Wesen aus-
drücken wollte, nur in verschiedenem Stadium des Daseins
und AVirkens , den muss ein Blick auf die Aristotelische
Gotteslehre überzeugen, dass mit beiden Begriffen wirklich
das gleiche Wesen, nur in verschiedener Seins- und Be-
thätigungsweise ausgedrückt werde. Gott ist nach Ari-
stoteles die reine Form ohne allen Stoff (elSoc, reines ü
"^v sLvai, reine ivspy^^a, ganz Actualität ohne alle Potenti-
alität) ; daher ewig, leidenlos, unveränderlich, unbeweglich.
Er ist Inbegriff aller Vollkommenheit und als solcher
Gegenstand, Ziel des Verlangens und Strebens des End-
lichen, aus Stoff und Form Constituirten ; daher, obwohl
selbst unbewegt, die erste Ursache aller Bewegung, Trpwrov
xLvoöv.^) Gott ist also slSoc im höchsten, reinsten Sinn.
Er ist aber auch voöc in vollkommenster Weise, ist reines
^) De an. II 4 Gener. an. 11 1.
'^) Gener. an. III 10.
^) Eth. N. VII 14 wird die ganze Natur als d-tlov bezeichnet.
*) Gener. an. II 1.
^) Eth. N. X 7.
^) Met. IX 8, XII 6. 7. 8. 10.
72 I- Die Principien der Philosophie des Aristoteles.
Denkeil als (bewusstes) Subject, ist sich aber auch zugleich
höchstes und unmittelbar einziges Object des eigenen
Denkens , und sein Wesen und Leben besteht daher in
reinem Denken oder Schauen (^scopia^) des eigenen (den-
kenden) Wesens; er ist daher vöyjcjic votigömq^); und darin
besteht sein ewiges bestes Wesen (^wov atSiov apLotov).
Gott ist also bei Aristoteles zugleich höchste, reinste Form
und höchste Vernunft, zugleich ddoc, und voöc. Und zwar
beides in unmittelbarster, höchster Einheit; denn Gott
kommt, wie Immaterialität, Unveränderlichkeit und höchste
Vollkommenheit, so auch Einheit zu. Demnach kann Ari-
stoteles unter sldoc, und voöc nicht wesentlich Verschiedenes
verstehen, das sich fremdartig, dualistisch gegen einander
verhielte. Auch im Irdischen nicht, da beide Begriffe
gerade aus dem Gebiete des Endlichen genommen und auf
die Gottheit in höchster Potenz übertragen sind. Und
auch wenn sldoc und voöc im Endlichen als Nachbilder
der Gottheit betrachtet werden, können sie nicht wesent-
lich verschieden oder entgegengesetzt sein. Nur ihre
Seins- und Wirkensweise ist verschieden, veranlasst durch
den Stoff, dXt], als Moment der Endlichkeit, — nicht aber
das Wesen. Das reale Formprincip, sldoQ, wirkt im
Stofflichen und strebt nach immer höherer Gestaltung, um
das eigene Wesen immer vollkommener zu verwirklichen;
der voöc wirkt geistig und sucht sein eigenes Wesen hin-
wiederum durch Aufnahme und Erkenntniss der Bidri
(ohne Stoff) immer mehr zu actüalisiren. Beide stellen
also in ihrem Wesen und in ihrem Streben nur eine
Stufenfolge dar von gleichem Wesen und gleichem Ziele
des Strebens. Was also in Gott unmittelbar vereinigt
und in lauterer Actualität und Vollendung gedacht ist,
das erscheint in der Welt dem zeitlichen Verlaufe und
^) Eth. N. X 8.
^) Met. XII 7. 9.
6. Die Erkenntnisskraft. 73
der Entwicklung unterworfen und in einer gewissen Trenn-
ung der realen und idealen Momente, insofern sISoc das-
selbe objectiv und real ist und wirkt, was voöc subjectiv
und formal zur Erkenntniss bringt und sich damit selbst
verwirklicht. Unterschiede Averden im Grunde genommen
von Aristoteles auch in Gott gemacht, insofern er einmal
als sldoc, das anderemal als vooc aufgefasst wird, trotz
der reinen Immaterialität und Einheit desselben; so dass
man slSo«; als das reale Wesen Gottes, als das Intelligible
betrachten könnte, das dem voöc (intellectus) Gegenstand
der Erkenntniss wäre, sonach also üdoQ als Object und
voöc hIs Subject des göttlichen Erkennens und Lebens
aufgefasst würde. Dabei müsste freilich dem eldoc, als
reiner Form wiederum auch schon das Denken zukommen,
als sein Wesen, seine Substanz (ooaia als reines tl fjv
slvai) bildend, da sonst das Denken des voöc nicht gerade-
zu als vöTjai«; voTjaswc aufgefasst werden könnte.
Von dem Yerhältniss, in welchem voöc und «paviaata
zu einander stehen, ist schon mehrfach kurz die Rede ge-
wesen und wir haben hier nur die Andeutungen hierüber
zusammenzufassen, die gegeben wurden. Die ^avra^ia ist
nach Aristoteles, wie das eigentliche Gedächtniss im Ge-
meinsinn begründet, oder dieser bethätigt sich vielmehr
hauptsächlich durch die gestaltende, synthetische Macht der
Phantasie , w^elche also die eigentliche Kraft und Thätig-
keitsweise desselben ausdrückt. Kann auch der voö<;, wie
die sonstigen Aristotelischen Principien es anzunehmen
gebieten, aus der fj^o/ig durch Steigerung der Verinnerlich-
ung und Concentration hervorgehen, oder wenigstens als
gesteigerte Potenz derselben angesehen werden, wie die
empfindende Seele höher ist als die ernährende, diese aber
in sich aufgenommen enthält — so muss der Hervorgang
des voö? oder die Potenzirung der f^^^x^ ^^^^^ ^°^^ i^^ diesem
Gebiete des Gemeinsinns und der Phantasie gedacht werden.
Und selbst wenn es wirklich des Aristoteles ernsthafte
74 I- I^ie Piiucipien der Philosophie des Aristoteles.
Meinimg sein sollte, dass der wbc „von aussen" kommt,
nicht aus der Generation stammt, wie die ^o/tj, so niuss
dieser voöc so zu sagen an dieser Stelle in die f^uy-q ein-
gefugt und mit der lebendigen Natur des Menschen ver-
bunden gedacht werden. Die Phantasie muss schon für
das Sein wie für das Thätigsein der leiblichen Natur
einerseits, und des vooc andererseits die Basis und das
Yermittlungsglied bilden; denn der Leib kann ohne ihre
Thätigkeit sich nicht bilden und erhalten, noch die Seele
in Sinneswahrnehmung und Vorstellung sich bethätigen.
Und der voöc vermag ebenfalls, trotz seiner höheren Natur
nicht thätig zu sein und nichts zu erkennen ohne Phantasie-
thätigkeit. Sie bietet, wie wir sahen, dem voöc die rpav-
Tacj^iata, die Vorstellungsbilder der Einzeldinge, aus denen
er das begriffliche Wesen erfasst und Erkenntniss gewinnt.
Wiederum dann bildet die Phantasie für das gedachte
allgemeine AVesen, den Begriff, Allgemeinbilder, um das
Verständniss desselben zu vermitteln. AVie die sIoy] nicht
real verwirklicht sind ohne Stoff, so können sie auch
intellectuell nicht verwirklicht werden ohne psychische
Form, ohne Phautasiebilder. Beide also, voöc und (pavTa^la,
müssen unmittelbar zusammenwirken im Erkenntnissacte.
Für beide ist der Gegenstand der Thätigkeit die Eorm
der Dinge, nicht der Stoff'; nur freilich für die rpavra^jia
zunächst die äussere, sinnlich erscheinende Form der Ein-
zelwesen, für den voöq aber das allgemeine, innere sub-
stantielle Formprincip, das als solches nicht in die Er-
scheinung tritt, sondern als Intelligibles, Uebersinnliches
nur gedacht, vom voöc erfasst werden kann. In dieser
AVeit der Eiullichkeit und der Erscheinung ist aber Beides
durchaus verbunden, und ohne Offenbarung des Wesens
in der sinnlichen Erscheinungsform und ohne deren Nach-
bildung in der Vorstellung durch die Pliantasie, existirt
das allgemeine AVesen oder das Rationale nicht für den
voör. Ja der voö? selbst existirt noch nicht eigentlich in
i). Die ErkeDiitnisskiaft. 75
der Wirklichkeit oder in Verwirklichung, da er nach
Aristoteles nicht eigentlich existirt, ehe er wirklich denkt
oder erkennt. Die Verwirklichung des voö<; ist also durch-
aus an die (pavxyMa und ihre Thätigkeit gebunden; und
wenn derselbe auch in seiner Existenz und seiner Wesen-
heit als unabhängig gedacht wird , in seiner Bethätigung
ist er jedenfalls von der 'f aviaaia abhängig und mittelbar
damit auch vom leiblichen Leben und von der sinnlichen
Wahrnehmung.
Es ist bemerkenswerth, dass Aristoteles, der ^paviaola
von rp7.oc herleitet , auch den voöc seiner Natur und
Wirkensweise nach mit (pwc vergleicht, also als beleucht-
ende, lichtbringende Seelenkraft auffasst, und demnach auch
in dieser Beziehung beiden, (pavia^ia und voöc, eine gewisse
Gleichartigkeit der Natur und der Thätigkeit zuerkennt.
Die Phantasie ist die Macht, Erscheinungen, Produkte des
äusseren, objectiven Lichtes wahrzunehmen und zu subjec-
tiven inneren Erscheinungen zu gestalten, also gleichsam
die Gegenstände und das objective Licht, das sie beleuchtet,
zugleich in der Seele zu gestalten oder in dieselbe aufzu-
nehmen und in ihr zu reproduciren für das Bew^usstsein.
Sie macht die erscheinende, vom Licht beleuchtete sinn-
liche Welt zur inneren psychischen Welt des Bewusstseins.
Der voöc aber, der erst Verständniss , Einsicht für diese
sinnliche AVeit ermöglicht, und die Gew^ähr für die Richtig-
keit der Erkenntniss in sich selber hat, macht diese sinn-
liche Welt zur intelligiblen, indem er das rationale Wesen
erfasst und mit seiner unmittelbar gegebenen Kmft und
Evidenz zur Klarheit und Gewissheit bringt. — Indem
nun Beide, 'favracjia und voö<;, sich in dem Erkenntniss-
processe verbinden, kann wirkliche Erkenntniss des
AVesens, der omia. mit innerer und äusserer Form , mit
concreter Gestalt und allgemeinem AVesen erzielt werden.
Der voöc allein würde nur das Allgemeine (zb y.ad-6'kov>
erkennen, nur abstracte Gedanken bilden, die wirkliche,
7G I. Die Priiicipien der Philosophie des Aristoteles.
reale A\^elt aber Avürde ihm verborg-eii bleiben; er würde
nichts von ihr wissen oder wenigstens sie nicht verstehen.
Die Phantasie gibt den Verstandesbegriffen Fülle, Realität,
Bedeutnng, Znsammenhang, so dass statt isolirter Begriffe
ein System von Erkenntnissen dnrch Induction nnd De-
dnction hergestellt werden kann, das der Wirklichkeit
einerseits correspondirt als Abbild, nnd doch nnr das
Wesentliche erfasst, nicht an dem Zufälligen, Veränder-
lichen, Vergänglichen haftend nur bei illusorischem Schein-
wissen stehen bleibt. Diess scheint der leitende Grund-
gedanke des Aristoteles liiebei zu sein , wenn er auch
nicht allenthalben festgehalten und klar durchgeführt
worden ist.
b) Die Unterscheidung von voöc tcoiyjti^öc
und VOÖC TZCf.d'-qZl'AÖQ.
Wir haben schon im Vorigen Gelegenheit gefunden,
darauf hinzuweisen, dass die Aristotelischen Bestimmungen
über den voöc im Allgemeinen auf eine Unterscheidung
eines activen und passiven Momentes in der Bethätigung
desselben zu führen geeignet sind. In der That stellt auch
Aristoteles selbst in der Schrift von der Seele diese Unter-
scheidung in bestimmter Weise auf, indem er seinem
allgemeinen Verfahren gemäss auch bei dem voö? wiederum
Stoff und Form, Potentialität und Actualität, Leidendes
und Thätiges unterscheidet. ^) Das Eine ist ihm voö?
TiotYjTtxöc, der dazu bestimmt ist, Alles zu machen (erkennbar,
wie das Licht sichtbar macht), das Andere voöc 7rat>7]Tt%öc,
^) De an. III 5 hntl coairsp ev a:iacT(; z-q cpuosi la-ct n zb fib üXyj
ev.aaxü) -pvc'., . . etspov 0£ t6 altiov xal Trotvjxixov, . . avdY^*n ^^^-^ ^"^
z-fj 4'^X"Ö ü-'ap~/_£iv zaüzoLQ zäc^ S'.acpopac ' '>tal eoxiv 6 jJ.£V zoiobzoz vobz
TU) Tzävza -^'.^('^t'zd-oii, 6 8e xu) Tiavxa tzoizIv, ü>c e^^C "C'-C oiov zb cpd)?:*
z^OTzov Y«p '^'"•'^^ >^«'t tö '^(hz Tzoizl xa ouvajj,Ei ovxa )^pu)}xaxa ivtp^ticf.
Xpu)p,axa. Nach den Bestimmungen dieser Stelle sind die beiden
Bezeichnungen voüc -izoir^ziy.öz und vo5c TCaO-vjxtv.oc gebildet.
f). Die Erkenntnisskraft. 77
fähig und bestimmt Alles zu werden. Aber diese Unter-
scheidung- und die wenigen Bemerkungen, die Aristoteles
jedem der beiden 'jodc zur Charakterisiruug beifügt,
haben keineswegs dazu beigetragen, ein klares Verständniss
seiner Lehre in der Folgezeit zu gewähren, sondern haben
für die Ausleger die Sache vielmehr verdunkelt und Un-
sicherheit in die Auffassung gebracht. Sehr verschiedene
Deutungen wurden daher versucht und noch in der
Gegenwart sind die Erklärer des Aristoteles zu keiner
Uebereinstimmung gekommen ; und zwar die scholastisch
gebundenen so wenig, als die auf freiem Standpunkt
stehenden unter denselben.
T h e p h r a s t u s , der Schüler und nächste Nachfolger
des Aristoteles, von dem schon früher bemerkt wurde,
dass er im Zweifel war, ob nicht «pavi^caid dem voöq zu-
zutheilen sei, hatte auch bezüglich der Unterscheidung des
voöc in Tua^rjTLxö? und Tzovqzi^oc; manche Bedenken. Bezüg-
lich des voög Tra^TjTr/cör befürchtete er, dass derselbe zu
etwas Stofflichem gemacht werde, wenn er als etwas blos
der Möglichkeit nach Seiendes aufgefasst werde. Dagegen
in Betreff' des ^obc :zoiriziy.6Q erregte es ihm Bedenken,
dass dieser '^ouc, wenn er nicht blos SuvdfjLsi, sondern
ivspYSLc^ und uns angeboren sei, nicht immer und von An-
fang an sich als wirklich thätig erweise. Diesen Bedenk-
lichkeiten zufolge lag es für Theophrast nahe, einerseits
dem vobc Tua^J-Tj'C'.y.öc: die Geistigkeit zu sichern und anderer-
seits den voöc TLovqxrAoc. dem ^raO-YjTixöc näher zu stellen,
um ihn einigermassen an dem Leiden theilnehmen zu
lassen und als menschlichen, entwicklungsbedürftigen zu
behaupten. Zugleich aber musste er beide der (J;d-/7j nähern,
da er die ^avxaaia dem vooc zuzutheilen Geneigtheit zeigt.
So erhält der voöc iza^rizi^oQ eine hervorragende mittlere
Stellung; er ist von zwei Seiten der Einwirkung, dem
Leiden ausgesetzt, von Seiten der Sinnlichkeit durch die
Phantasie und von Seite des Geistes durch den voöc
78 I- Die Principien der Philosophie des Aristoteles.
TTotYjTtxöc ; aber gerade darum ist er das eigentlicli Erkennende,
das Subject der Erkenntniss, jener Theil der Seele, durch
den sie denkt und erkennt (t^ Stavosirai xal f37üoXa{xßdv£i
'h l'^X^)- ^^1' ^°^^ TTor^TiTtö? insbesondere ist als ein be-
stimmendes Moment der Seele selbst, als das activ die
Erkenntniss bestimmende und bewirkende aufgefasst.
Ganz anders dagegen fasst den voöc noir^i%6c: Alex-
ander von Aphrodisias auf, der Haupterklärer der
Aristotelischen Philosophie im Alterthum, der aber aller-
dings erst ein halbes Jahrtausend nach Aristoteles auf-
trat. Während Aristoteles trotz aller sonstigen Unklar-
heit doch den '^obc im Allgemeinen ganz bestimmt von
der Seele, oder den übrigen Kräften der Seele unter-
scheidet oder trennt nach Wesen und Ursprung, nähert
Alexander den vodq Tzad-riziy.oQ weit mehr der Seele. Er
fasst ihn auf als Anlage zum Denken oder als potentielles
Denken und nennt ihn voöc oXixöc xal tpoaixöc. Durch
Entwicklung dieser Anlage in der Denkthätigkeit bildet
sich der wirksame vobc, den er als voöc stüi'/.itj'coc; oder "jobc
Tta^' sitv bezeichnet (intellectus acquisitus). ^) Davon gänz-
lich verschieden ist ihm der voöc TroLr^iLTtöc. Dieser ist es
zwar, der die Entwicklung des potentiellen voö? bewirkt,
denselben zur Wirklichkeit bringt, wie das Licht die
Farben, aber er ist kein Theil der menschlichen Seele,
sondern nur das auf sie einwirkende und von ihr dann
gedachte göttliche Wesen selbst. Damit ist zwar die
Einheit der menschlichen, endlichen Seele strenger gewahrt
als bei Aristoteles, aber auch ihre Vergänglichkeit ent-
schieden angenommen und ihre selbstständige Thätigkeit
vollständig preisgegeben, da sie die Entwicklung ihrer
höchsten Kraft nicht erlangen kann ohne Einwirkung
des ihrem Wesen sonst fremden o^öttlichen Geistes.
') De au. 138 a. 143 b. 139 b.
6. Die Erkenntnisskraft. 79
Die arabischen Philosophen des Mittelalters erweisen
sich in ihrer Aulfassung der Aristotelischen Lehre vom
voöc hauptsächlich von Alexander von Aphrodisias beein-
flusst, wenn sie auch nicht in allen Punkten mit ihm
übereinstimmten. So besonders die beiden bekanntesten
und einflussreichsten derselben: Avicenna (Ibn Sina) zu
Anfang des elften Jahrhunderts in Persien und Averroes
(Ibn Roschd) im zwölften Jahrhundert in Spanien. —
Avicenna nimmt nur den voöc Trat^vjTtxöc oder voöc Sovdfisi
als ein zum menschlichen Erkenntniss-Subject selbst ge-
höriges Vermögen an , geeignet und bestimmt , die intelli-
giblen Formen aufzunehmen. Doch ist diese intellectuelle
Fähigkeit nicht an ein körperliches Organ geknüpft, nicht
mit dem Leibe vermischt, sondern hat nur die Seele zum
Organ oder Substrat. Damit aber dieser \)ouc oder Intel-
lectus , der an sich nur Möglichkeit oder Fähigkeit des
Erkennens ist, zu wirklicher Erkenntniss komme, muss
ein höheres geistiges Wesen, das vom Wesen des Menschen
ganz getrennt ist, die Ideen oder intelligiblen Formen
mittheilen, die der menschliche Intellect nur aufzunehmen
hat. Diese intelligiblen Formen existiren ursprünglich
im höchsten, reinsten Geiste, theilen sich von ihm den
nächsten Geistern oder Intelligenzen durch alle Himmels-
sphären hindurch mit, bis sie zuletzt als wirkende Intelli-
genz (Intelligentia agens) auf die Menschenseele wirken,
welcher von derselben die intelligiblen Formen zukommen,
während zugleich von ihr der Materie die substantiellen
Formen mitgetheilt werden. Die Thätigkeit des möglichen
(blos aufnehmenden) Verstandes des Menschen ist allent-
halben nur eine vorbereitende. Der Erkenntnissact besteht
darin, dass der leidende (materielle) Verstand auf die von
der Einbildungskraft gebildeten Vorstellungen hinblickt,
und von dem Lichte der wirkenden Intelligenz erleuchtet
und befähigt wird zur Aufnahme der intelligiblen Formen.
Und dieser Process der Erkenntniss dauert beständig
gQ I. Die Principien der Philosophie des Aristoteles.
fort oder erneuert sich immer wieder, so oft diese Ideen
in's Bewusstsein kommen sollen. — Mehrfach abweichend
von dieser Auffassung* ist die des Averroes, der von dem
Bestreben geleitet war, mögiichst genau die ächte Lehre
des Aristoteles selbst zur Geltung zu bringen. Darin
indess stimmte auch er mit Alexander von Aphrodisias
überein, dass er den voöc :roLrjTtxöc (intellectus agens) ganz
von dem menschlichen voö^(als bloss aufnehmender Disposition)
trennte und als eine rein geistige und einheitliche Substanz
auffasste, die für alle Menschen die gleiche und gemein-
same ist bei ihrer Wirksamkeit zur Hervorbringung der
Erkenntniss. Auch nach ihm hat der Mensch ursprünglich
nur die Fähigkeit, die geistige Einwirkung des activen
Verstandes oder des allgemeinen Intellectus in sich aufzu-
nehmen und dadurch zur Erkenntniss zu gelangen (intel-
lectus possibilis), obwohl er allerdings auch schon ohne
diese durch eine natürliche sinnliche IJrtheilskraft die
Thiere überragt. Die Mitwirkung der menschlichen Seele
bei der Bildung der Erkenntniss besteht hiebei ebenfalls
in der Hervorbringung der phantasmata durch die Ein-
bildungskraft, in welchen dann durch das Licht des activen
Verstandes die intelligiblen Formen erkannt, d. h. von
dem aufnehmenden, passiven Verstände aufgenommen werden.
Nicht vollkommen klar ist hiebei allerdings (wie bei Avicenna),
woher denn die intelligiblen Formen, die den Inhalt der
Erkenntniss bilden, eigentlich stammen, ob sie in den
einzelnen Phantasmen sind und da nur als das allgemeine
Wesen, als die Wesensbegriffe entdeckt werden durch das
Licht des activen Intellectus, oder ob dieser active Intellect
sie mitbringt und dem passiven Verstände zum Aufnehmen
übermittelt, oder ob beides zugleich gewissermassen der
Fall ist, wie das Sehen durch den Gegenstand, das Licht
und das Auge zugleich bedingt wird. Vom passiven Ver-
stände muss dabei zugleich das Phantasma und das Licht
des activen Verstandes aufgenommen werden, durch welches
6. Die Erkeuntnisskraft. 81
die species iiitelligibilis erkannt werden kann. Durch den
activen Verstand entsteht eigentlich auch erst der passive
oder materielle in den einzelnen Menschen, der daher
ebenfalls allgemein ist oder gemeinsam, aber in den ein-
zelnen Individuen sich besondert nach der eigenthümlichen
Disposition, wie das allgemeine Licht sich an den Gegen-
ständen in Farben zerlegt und besondert. Mit der Gott-
heit übrigens identificirt Averroes den allgemeinen Verstand
nicht, wie Alexander von Aphrodisias es gethan, sondern
fasst ihn, wie im Grunde auch Avicenna, auf als Ausfluss
aus der Gottheit, als Beweger des untersten der himm-
lischen Kreise, also der Mondsphäre. Dem individuellen
Geiste des Menschen kommt also keine Unsterblichkeit
zu, sondern die Individualität dauert nur bis zum Tode;
nur der allgemeine vooq ttoitjtixoc ist ewig.
Die christlichen Scholastiker des Mittelalters, insbe-
sondere Thomas von Aquin, wandten sich vor Allem
polemisirend gegen die Lehre der arabischen Philosophen
von der Einheit und Gemeinsamkeit des intellectus agens
für alle Menschen und der vollkommenen Verschiedenheit
und Getrenntheit desselben von der individuellen mensch-
lichen Seele. Sie unterschieden zwar nach Aristoteles den
Intellectus in passiven und activen, intellectus possibilis
und intellectus agens, aber sie erblickten darin nur zwei
Seiten oder Bethätigungsweisen der Einen geistigen Sub-
stanz, des Einen individuellen, persönlichen Menschengeistes.
Diesen Geist machten sie zugleich als Lebensprincip des
Leibes bei dem Menschen geltend, indem sie die Tricho-
tomie, die Annahme einer besonderen Leibseele (neben dem
Geiste), zurückwiesen. Auch das Aristotelische ,,'9'{)pai>£v,"
das Kommen des Geistes von aussen bei der Erzeugung
oder embryonalen Entwicklung des Menschen, eigneten
sie sich an, indem sie dasselbe dahin deuteten, dass die
Menschenseele (Geist) unmittelbar von Gott geschaffen und
in den neu entstehenden menschlichen Organismus hinein-
Frohschammer. Aristotelische Principienlehre. 6
82 !• I^iß Principien der Philosophie des Aristoteles.
versetzt werde — mit Beseitigung der anfänglich functioniren-
den blossen Naturseele. Trotzdem aber, dass sie den
Geist auch Lebensprincip des Leibes sein Messen, hielten
sie doch auch wieder an der Aristotelischen Lehre fest,
dass derselbe in seiner höheren, abstracten Erkenntniss-
thätigkeit unabhängig sei von jedem leiblichen Organ,
und insofern dabei auf sich selbst, sein eigenes Wesen
sich stelle. Die Annahme der Unsterblichkeit des indivi-
duellen Geistes hatte darnach keine Schwierigkeit mehr.
Was den Erkenntnissprocess selbst betrifft, so dachten sie
sich die Thätigkeit der beiden Intellecte, des intellectus
possibilis und intellectus agens und deren Zusammenwirken
unter sich und mit der Phantasie im Allgemeinen wie die
Arabischen Philosophen ; nur .wurde bei ihnen der ganze
Process als ein dem individuellen Geiste immanenter gedacht,
da beide intellectus demselben zugeschrieben wurden. Der
intellectus possibilis ist Anlage, Möglichkeit der Erkennt-
niss, ist passiv oder receptiv, aber er erscheint doch zuletzt
als das eigentliche Subject, als Träger derselben. Durch
die Einbildungskraft werden phantasmata, Vorstellungen
hervorgerufen, durch den intellectus agens, als geistiges
Licht (lumen naturale), werden diese phantasmata beleuchtet,
so dass das wahre, allgemeine AVesen, die species intelligi-
biles in ihnen erscheinen und vom intellectus possibilis
aufgenommen werden als die wirkliche, richtige Erkenntniss.
Die species intelligibiles erscheinen da wie etwas ein für
allemal Fix und Fertiges, das aber in den phantasmata, den
Repräsentanten der Einzeldinge, versteckt ist und erst
durch das Licht des intellectus agens sichtbar wird.
Freilich eine Vorstellung, die mit dem wirklichen Vorgang
bei der Erforschung der Dinge keineswegs in IJeberein-
stimmung steht! Uebrigens haben die folgenden Schola-
stiker keineswegs alle dieser Lehre von dem intellectus
possibilis und agens beigestimmt, nicht einmal alle Thomisten,
sondern manche hielten diese Annahme einer Zweiheit des
6. Die Erkenntnisskraft. 83
intellectus für überflüssig*. Dasselbe geschieht auch noch
gegenwärtig; denn manche von den Neuscholastikern, die
sonst auf Thomas von Aquin schwören, lassen nur Einen
intellectus gelten, indem sie den intellectus possibilis als
unnöthig- und störend abweisen. Andere freilich halten
mit allem Eifer an den beiden intellectus fest, wie Thomas
sie nach Aristoteles angenommen und sie in ihrem Yer-
hältniss zu einander und in ihren Functionen näher be-
stimmt hat.
Auch unter den neueren, nicht scholastisch gebundenen,
sondern frei forschenden Auslegern des Aristoteles findet
sich keineswegs Uebereinstimmung in Bezug auf diese
Lehre vom doppelten voöc ; die Verschiedenheit der Deutung
ist vielmehr sehr gross, geht fast bis zum Gegensatz.
Trendelenburg z. B. in seinem Commentar zu den
Aristotelischen Büchern über die Seele, nimmt an, dass
unter voö? Tra^TjTixöc die sämmtlichen niederen Kräfte der
Seele, gleichsam in eine Einheit zusammengedacht oder
verflochten, zu verstehen seien: Quae a sensu, inde ad
imaginationem meutern antecesserunt, ad res percipieudas
menti necessaria, sed ad intelligendas non sufficiunt. Omnes
illas, quae praecedunt, facultates in unum quasi nodum
collectas, quatenus ad res cogitandas postulantur, voöv
7ra^r^Tr/.6v dictas esse judicamus. Hiernach würden die
Eigenschaften, die Aristoteles dem voöc überhaupt zu-
schreibt, nur dem voö? Troir^Tr/wöc; zuerkannt werden dürfen.
Trendelenburg hat indess für diese Annahme wenig Bei-
stimmung gefunden, obwohl dadurch der voöc tuo'.tjtlxöc als
eigentliches persönliches Subject des höheren geistigen
Lebens für das menschliche Individuum gerettet wäre.
Zeller^) fasst dagegen den voüc ^zad-r^ziv.oc mehr als das
individuelle geistige Subject für die Erkenntniss, ist da-
gegen geneigt, im voöc Trorr^iLzög einen allgemeinen oder
^) Philosophie der Griechen 2. Aufl. III. B. 8. 440 f.
0^^
84 I- I^ie Principien der Philosophie des Aristoteles.
geradezu den göttlichen Geist zu erblicken. Brandis^)
betrachtet voö? überhaupt als Geist, insofern er Denk- und
Erkenntnisskraft ist, in welchem ebenfalls, wie in der
ganzen Natur, Aristoteles eine Zweiheit des Vermögens
und der Kraftthätigkeit findet. Der Geist ist als Denk-
vermögen der Wirklichkeit nach nichts des Seienden,
bevor er es denkt; aber ohne der Einwirkung äusserer
Gegenstände zu bedürfen, oder nur seiner den Sinnen
zugewendeten Seite nach ist er ihrer und der davon ab-
hängigen Bilder bedürftig, soweit auch gleichwie das
Sinnen wesen vergänglich und in seinen Verknüpfungen und
Trennungen dem Irrthume ausgesetzt ; als reine Kraftthätig-
keit dagegen ist er in unmittelbarer Berührung eines
Wissens theilhaft, welches mit seinen Gegenständen zu-
sammenfällt und in seiner Unabhängigkeit unvergänglich
und ewig ist. So unterscheidet denn Aristoteles eine
zweifache Seite des Geistes, die er als leidenden und kraft-
thätigen Geist bezeichnet — eine Unterscheidung, auf die
man im Wesentlichen die der empirischen und reinen Er-
kenntniss zurückführen kann und die ebenso schwer völlig
zu entbehren, wie völlig zu begreifen ist." Brandis stimmt
demgemäss der Ansicht nicht bei, dass unter kraftthätigem
Geist (voöc TTocTjTixöc) Aristoteles den göttlichen (allgemeinen)
Geist verstanden habe und meint, dass die Stellen, die
man dahin deuten möchte, nur die Unabhängigkeit des
Geistes vom Leibe, von den körperlichen Organen aus-
drücken. Als göttlich sei dieser thätige Geist (voö?) be-
zeichnet wegen der wahren und gewissen Principien, die
er enthält und durch welche er den Geist erleuchtet und
für Wissenschaft, vernünftiges Wollen u. s. w. befähigt.
In Bezug auf den leidenden Geist (voö? Tua^yjTLXöc) bemerkt
Brandis, dass seine Sphäre sich gegen den thätigen nicht
bestimmt abgegränzt finde, dass sie aber augenscheinlich
*) Aristoteles und seine akademischen Zeitgenossen II 2 S. 1175 f.
6. Die Erkenntnisskraft. 85
SO weit reiche, als das Denken der von der Sinnlichkeit
abhängigen Bilder bedarf, daher das ganze vermittelte
Denken in sich begreife.
Diese Auffassung von Braudis scheint uns die rich-
tigere zu sein und dem Sinne der Aristotelischen Unter-
scheidung mehr zu entsprechen als die von Trendelenburg
und Zeller. Denn wie unbestimmt auch sonst der Sprach-
gebrauch bei Aristoteles sein mag, in so ganz verschiedenem
Sinne wird er doch voöc, einen seiner Hauptbegriffe, nicht
gebraucht haben, den er doch sonst in Bezug auf Wesen,
Ursprung , Thätigkeit und Bedeutung allenthalben als
einen einheitlichen behandelt. Zu deutlich und bestimmt
bezeichnet er auch den voö<; überhaupt als Theil der Seele
und als zum menschlichen Subject gehörig, als sxspov ysvoc
^^X^ic. Und andererseits der göttliche Geist (voöc) erscheint
bei Aristoteles zu sehr in sich geschlossen , zu sehr mit
sich selbst so zu sagen beschäftigt, als vöyjolc vo'/jcsewc nur
sein eigenes Wesen denkend, als dass er als voö^ Tror^TLxdc
in den Individuen sich zu einem Ganzen einigend, wirk-
sam sein sollte. Ausserdem aber stimmte eine solche Be-
thätigung des göttlichen voöc mit dem nicht überein, was
von der Gottheit als sISo?, das unbewegt Bewegung wirkt
(veranlasst), von Aristoteles behauptet ist. Die Analyse
des Erkenntnissprocesses führt in der That, wie wir sahen,
auf zwei Momente der Erkenntniss-Kraft- und Thätigkeit,
und da Aristoteles auch sonst allenthalben Stoff und Form,
S6va»xig und svspY^'-^t, leidendes und thätiges Moment bei
aller Thätigkeit und Producirung unterscheidet, so lag es
nahe, diesen Unterschied auch auf den endlichen Geist in
Bezug auf seine Thätigkeit zu übertragen. Dass jedem
der beiden voög auch wesentlich, verschiedene, ja entgegen-
gesetzte Eigenschaften zugeschrieben werden, dem Einen
Leiden und Vergänglichkeit, dem Andern Wirken und
Unveränderlichkeit, Unvergänglichkeit ist kein Hinder-
niss für Annahme ihrer Einheit, wenn man beachtet,
86 I- I^ie Principien der Philosophie des Aristoteles.
dass es sich bei der Vergänglichkeit des leidenden voöc
nnr um Yernichtang des Aufgenommenen, in ihm Gebihleten,
Erworbenen, also um Verlust von etwas Zufälligem, Acci-
dentellem handelt, — wobei das, was Verlust erleidet, ja
immerhin fortdauern kann, nur aber die Eigenschaft ver-
liert, die ihm durch Aufnehmen und Bewahren zuge-
kommen. Wie der Stoff derselbe ist vor der bestimmten
Formung und in derselben und als solcher fortdauert,
wenn die accidentelle Formung wieder aufhört, so kann
der yoü<; derselbe sein bei der Bildung, Producirung von
Kenntnissen in sich, wodurch er auch als voöc 7ra{)-/jTLxö(:
sich bethätigt und in sich selbst einen Unterschied setzt,
und kann derselbe bleiben, wenn diese errungenen Erkennt-
nissformen mit ihrem Inhalt wieder entschwunden sind.
Das Verhältniss ist hier nur das umgekehrte: dort bleibt
das blos Stoffliche (oder nur relativ Geformte), hier das
reine Formprincip übrig, nachdem die durch Verl)indung
von Beiden erzielte Bildung wieder aufgehoben ist. Die
Bildung war für beide Principien, Stoff' und Form, nur
etwas Accidentelles , wurde aber etwas Wesenhaftes als
Actualisirung durch das bestimmte Princip.
Wenn nun überwiegende Gründe dafür sprechen,
dass die beiden )/obc bei Aristoteles selbst ein einlieitliches
erkennendes Subject bilden, dass die Unterscheidung in
voöc' JuoiTjrixö? und ^aö-YjTtxöc eine rein innere Angelegen-
heit des Intellectus, ja der Seele (sv x-^j ^oy^-^) sei, so ist
es dagegen schwierig zu bestimmen, was jeder von beiden
nach Aristotelischer Auffassung sei, was beide bei dem
Erkenntnissact zu leisten haben und wie und wodurch sie
zu ihrer Leistung befähigt sind. Es sind wenige Andeut-
ungen, die Aristoteles über das Eigenthümliche und Wesent-
liche eines jeden von beiden voöc gibt, und ihr Verhältniss
zu einander oder die Leistung von beiden bei dem Er-
kenntnissact ist nur durch Gleichniss und Analogie ver-
deutlicht. Sie verhalten sich zu einander und wirken zu-
6. Die Erkenntnisskraft. 87
sammen im Erkennen Avie Stoif (voöc Tiad-rizi%6c) und Form
(voöc TTOLTjTLxör) , SO class hienach der Erkenntnissact nach
Analogie eines Kunstwerkes zu Stande kommt. Sie ver-
halten sich demgemäss auch zu einander wie Weibliches und
Männliches, da letzteres die Form gibt bei der Generation,
ersteres den Stoff zur Bildung eines neuen Organismus,
— so dass der Erkenntnissact analog ist dem Generations-
act. Sie verhalten sich endlich, wie Erscheinendes und
wie Licht, durch welches die Erscheinung möglich ist;
denn die Wirksamkeit des voöq TrorrjTixög wird mit dem
Wirken des Lichtes i'fwc) verglichen. Der voac Tro'.rjrr/töc
erscheint als das Actuelle, Allgemeine und Beharrende,
der voöc Tra^r^Tixöc als das Potentielle, Specielle oder Indi-
viduelle und Vergängliche. So im Allgemeinen. Wir
haben indess noch jeden von Beiden im Einzelnen näher
zu betrachten.
Vom vo'jc 7:at>7jTt7töc bemerkt Aristoteles, dass er dazu
bestimmt sei, Alles zu werden.^) Er ist daher der Mög-
lichkeit nach (§ovd;x£'.) Alles, was Gegenstand der Erkennt-
niss sein mag, verhält sich also wie der Stoff, dem durch
Form eine bestimmte Wirklichkeit gegeben werden kann,
und verhält sich also receptiv, leidend. In Bezug hierauf
wird er wohl von Aristoteles verglichen mit einem Buche,
in das noch nichts wirklich geschrieben ist;-) und kann
dann als Ort der Ideen^) bezeichnet werden, nachdem er
mit Kenntnissen gefüllt ist durch den voöc ttoit^tixöc unter
Erfüllung der übrigen Bedingungen. In der That, wenn
der menschliche Geist sich mit Kenntnissen füllen soll, so
muss neben dem activen, die Erkenntniss erringenden
Momente desselben auch eine leidende, aufnehmende Seite in
demselben angenommen werden , damit sie in das Bewusst-
sein aufgenommen und gleichsam als ein Theil oder Besitz
1) De an. III 5.
2) De an. III 4.
3) De an. III 4.
88 1- Die Principien der Philosophie des Aristoteles.
des Geistes bewahrt werden können, da diese Erkenntnisse
inhaltlich oder sachlich nicht apriorisch in ihm sind und
nicht aus ihm selbst in reiner Actualität entwickelt werden
können. Diese leidende Seite des Erkenntnissvermögens ist
schon im Leben beständigem Wechsel unterworfen, daher es
kaum sehr zu verwundern ist, wenn Aristoteles sie als
vergänglich (tp^apiö?) bezeichnet. Mit der Seele selbst
(4^0X7]), d. h. den niederen auf Kenntniss gerichteten
Seelenvermögen ist gleichwohl der vouc ;ua^r|Tixö? nicht
identisch, denn die fx/ji als solche (wie sie auch den
Thieren zukommt) hat kein Vermögen eigentlicher oder
höherer Erkenntniss, ist nicht der SidvoLa, §ö^a, rdruig,
nicht einmal des absichtlichen (complicirteren) Erinnerns
(avd[j.v7]aLc) fähig, sondern all' diess ist bedingt durch ihre
Verbindung mit dem voöc. Und zwar ist es, wie früher
schon angedeutet ward, nicht der voöc in seiner reinen
Thätigkeit, sondern in seiner auf den bestimmten Stoff
angewandten, wobei er sich hauptsächlich als voö? tzol^zitloc
d. h. zugleich aufnehmend, sachliche Erkenntniss gewinnend,
bethätigt. — Auch nicht mit 'favracjia (im gewöhnlichen
Sinne als subjectives Seelenvermögen) ist der vorjc Tua^r^TLTtöc
identisch — wie man auch schon angenommen hat.^) Denn
'faviaaia gibt nur das Stoffliche, das Material für den
voöc; durch die «pavTda[jLaTa, aber sie bildet diese nicht zur
Erkenntniss um, wie der voöc Tucr^Tr/tdc und nimmt auch
das Erkannte, das Allgemeine oder Intelligible nicht in
sich auf. Diess geschieht vom voöc TcaQ-r^Tixoc , der eben
dadurch zum eigentlichen Erkenntniss-Subject wird, wenn
er auch immerhin für die errungene Erkenntniss der
Beihülfe der '^avicjoia bedarf, die, selbsthätig nicht bloss
leidend, ihm Allgemeinbilder oder Schemata für das Begriff-
') Fr. Brentano: Die Psychologie des Aristoteles, ins])esondere
seine Lehre vom voöc Koir^ziv-or. Mainz. 1867. Inwiefern l*hantasie
in allgemeinem Sinn, als allgemeines Princip sich im voöc Ko.d-r^zi'A6(;
bethätigt, wird später erörtert werden.
6. Die Erkenntnisskraft. 89
liehe gestaltet ; aber diese beziehen sich doch nur auf das
Wie, dagegen das Was, der eigentliche Inhalt der Er-
kenntniss wird nur vom voöc erfasst.
Was aber der voöc T:ad-qziY.6Q dem Wesen nach eigent-
lich sei nach Aristoteles, ist schwer zu sagen , wenn er
doch von Gedächtniss und Einbildungskraft verschieden
und auch an kein leibliches Organ in seiner Thätigkeit ge-
bunden sein soll. Er soll den Erkenntnissinhalt, die intelli-
giblen Formen, welcher durch das Zusammenwirken der
(pavcdafxaTa und des voöc xoitjtixöc errungen wird, in sich
aufnehmen, muss sich also an sich als Möglichkeit erweisen,
wie ein Stoffliches, dem etwas eingebildet werden kann.
Irgend ein Sachliches, Substantielles (Stoff an sich oder
Form an sich) kann diess nicht sein ; man muss also wohl
an das Bewusstsein denken, das bildsam, mit Inhalt erfüll-
bar und erkennend, ja Bedingung aller Erkenntniss
ist. Das Bewusstsein kann die errungenen Erkennt-
nisse in sich aufnehmen und festhalten, obwohl nicht selbst
erringen, da sie ihm einerseits durch die Sinne und die
Phantasie (dem Stoffe nach) geboten werden , andererseits
(der begrifflichen Erfassung, der Form nach) durch den
voöc TToiYjTixGc. Dlcses Bewusstsein schliesst sich zwar
an das seelische Bewusstsein (Empfindung), das auch den
Thieren eigen ist, an, ist aber eigentlich bedingt von dem
voöc, der ja thätig ist durch Anwendung der Principien,
die seinen Inhalt bilden und deren Erkenntniss zugleich
mit Bewusstsein verbunden ist, — da die Principien nicht
ohne Bewusstsein angewendet werden. Nicht ohne Be-
wusstsein (nicht unbewusst), wenn auch ohne Gewusst-
sein, d. h. ohne klares, reflectirtes Wissen um dieselben.
Dieses (subjective) Bewusstsein des voöc (wohl zu unter-
scheiden von der Evidenz des Erkannten (Objectiven), die
durch die Principien des Erkennens bedingt ist) nimmt
also das auf, was an Erkenntniss durch die Anwendung
oder Bethätigung der Principien errungen wird, und es
90 I- DiP Priiicipien der Philosophie des Aristoteles.
ist zugleich das Bewegliche, Veränderliche, ja auch Ver-
gängliche sammt seinem Inhalt, während die (objective,
sachliche Evidenz gewährenden) Principien (und Formen)
unveränderlich, unvergänglich sind und also auch der voö?
diess ist, insofern er als Inbegriff davon aufgefasst wird.
So können wir behaupten, dass der vodc 7:a^^r^xly.6c, das
eigentliche Subject der Erkenntniss ist, der \fobc nach der
Seite des Bewusstseins, das vom vodc Ttovqziv.oc mit Inhalt
gefüllt wird, dem durch die Principien Evidenz, Einleuchten,
Einsicht verliehen wird.
Vom voöc Tro'.TjTr/töc wird behauptet, dass er bestimmt
sei, Alles zu machen [izoisiv)^) d. h. die Fälligkeit des Er-
kennens, die dem voO? eigen ist, in sich zur Wirklichkeit
zu bringen, dadurch aber den vobc TraO-yjTixöc (sich als voöc
'Kcf.d-riziy.öc) verwirklichend. Er ist, wie schon früher bemerkt
wurde, das subjectiv gewordene Intelligible (Intellect),
wodurch das objective Intelligible, das Vernünftige in den
Dingen erkannt wird. Man kann in dieser Beziehung
sagen : durch den voöc TuaO-rjTr/cöc werde das (subjective)
Bewusstsein bei der Erkenntniss begründet, durch den
voöc Tzoi'qv.y.rjr dagegen die (subjective) Einsicht und
(objective) Evidenz. Auch bezüglich der Sinneswahr-
nehmung wird von Aristoteles ein ttoltjtixöv angenommen,
um die xlnlage zur Actualität zu bringen; es ist dies die
sensible Qualität für die sinnlichen Erkenntnissorgane oder
Sinne. '^) Der voöc wird ainov zai jto'.t^t'.xöv'^) genannt und
wiederum 7üal>r|Tixöc ; so auch bezeichnet der Sinn einmal
Wirklichkeit, dann wieder das blosse Vermögen.-*) Und
wie Sinnliches auf die Sinne einwirken muss, so Geistiges
auf den Geist oder die Erkenntnisskraft, dass sie sich aus
^) De an. III 5.
^) De seus. et sensib. 6 TrcitTjtixöv y^-p '^'^'^'-'^ 'iv.ry.zxrry aötojv (sc. zur.
;:aO-rj|j.axu)v xwv alor^YjTwv) x-qr al-jd-'f^-tiuc^. De an. II 6.
3) De an. III 5.
*) De an. II 5.
6. Die Erkenntnisskraft. 91
der Potenz zur Actiialität verwirkliche. — Der voöc;
:roL7]T'.xö? wird auch bezeichnet als Wirklichkeit, Energie,
welche die Form giebt für die Entstehung der wirklichen
Erkenntniss. Es ist allerdings nicht ganz klar, was dabei
das Stoffliche ist, ob die '^ avTda[j.aTa der Phantasie oder der
vo'jc als iVnlage, Möglichkeit. Ist Letzteres der Fall, wie
wohl anzunehmen ist, dann verhalten sich nach Aristoteles
die beiden vobc, wie Männliches und Weibliches zu ein-
ander und der Erkenntnisspj-ocess, wie schon erwähnt, bietet
dann eine sehr entschiedene Analogie zum Process der
Erzeugung ; denn bei diesem giebt das männliche Geschlecht
nach Aristotelischer Auffassung nur die Form, die Seele
(das Princip des Lebens), das weibliche dagegen das Stoff-
liche, den Leib. Bei der Bethätigung des vobc; würde
also subjectiv, im Erkenntnisssubjecte etwas ganz Aehn-
liches stattfinden, wie bei der Bethätigung des slSoc inso-
fern es YEvoc ist, — objectiv, real in der Natur geschieht.
Wie hier das ddoc, um als Ysvoq zu wirken, in zwei
Geschlechter sich differenzirt, in männliches und weibliches,
um productiv zu werden, so scheidet sich der voOc; in
activen, ttoitj-cxöc, Form gebenden oder männlich wirkenden
und in passiven, Trat^ritizö^ ; der erste die p]rkenntniss er-
zeugend, der andere dieselbe zur Ausführung oder Geburt
(zum subjectiven Bewusstsein) bringend.
Da erhebt sich nun aber die Frage, wodurch und in
welcher Weise der voO^ -oit^'c.zgc formgebend und zeugend
bei der Erkenntniss wirken könne. Es wird anzunehmen
sein, dass dies durch die Erkenntnissprincipien geschehe,
deren Inbegriff oder Wirkenskraft der voüc zoir^ziv.oQ eben
ist, und die er in sich, im unmittelbaren Bewusstsein als
seinen eigenen Inhalt, als sein eigenes Wesen mit Evidenz
und Denknothwendigkeit erfasst und dann zum Begreifen
des Erkenntnissstoffes anwendet. Bei dieser Thätigkeit
wird seine Wirkung mit der des Lichtes verglichen, durch
welches auch das der Möglichkeit nach Seiende zum Wirk-
92 I- I^ie Principien der Philosophie des Aristoteles.
liehen wird, die Farben z. B. aus der Möglichkeit zur
Wirklichkeit kommen. Der ^ov>c :ronrjTi>cöc soll also, seiner
intelligiblen (rationalen) Natur gemäss, das in den Phan-
tasmen vorhandene Intelligible, Allgemeine oder das Wesen
der srSTj (species intelligibiles) sichtbar, erkennbar machen
für den voö? ^zoL^■r^zly.6<;. Hienach könnte es immerhin
scheinen, als ob der voO<; ^toitjitixöc; eigentlich unbewusst
wirke, bloss als Gesetz (Princip) oder Evidenz oder Noth-
wendigkeit. Allein das „;ro'//jTixöc" deutet doch darauf
hin, dass er als lebendige Kraft oder lebendiger Inbegriff
von Principien gedacht sei. Um so mehr, da er ja vom
voög TraO-TiTi/tdc gar nicht getrennt, wenn auch verschieden
gedacht wird und das Verbindende zwischen beiden kaum
als etwas Anderes, denn als das Bewusstsein gedacht
werden kann — wenn diess auch freilich von x^ristoteles
nicht speciell hervorgehoben wird, da das Licht des sub-
jectiven Bewusstseins und das objective Licht der ratio-
nalen Evidenz oder Nothwendigkeit des Denkens noch
nicht deutlich von ihm unterschieden wird.
Der vobc Tuo'.TjXtzdc als Actualität bringt also demge-
mäss den voöc Tra^r^Tixöc als Möglichkeit oder Potenz des
Erkennens zur wirklichen Erkenntniss. Demnach scheint
nun angenommen werden zu müssen, dass der voöc ttoit^tixöc;,
selbst niemals Potenz, sondern immer Actualität sei, da
er sonst selbst wieder einer neuen Actualität bedürfte,
um aus dem Zustand der Potenzialität zu kommen —
nach Aristotelischen Grundsätzen. Er scheint also doch
der göttliche Geist selbst zu sein oder stets unmittelbar
vom göttlichen Geist beeinflusst und zur Actualität ge-
führt zu werden — und so müsste er wieder vom voö?
Tra^TjTixö? wesentlich verschieden seiu. Indess ist von
Aristoteles nicht geradezu behauptet, dass der voöc in der
menschlichen Natur immer volle Actualität habe — was
ja der Erfahrung widerspräche, da in der Jugend, im
Schlafe, in Krankheit diese Actualität wenigstens nicht
6. Die Erkenntnisskraft. 93
erscheint, sondern durch den körperlichen Zustand ge-
hemmt, verdunkelt ist, sowie auch im Alter, wo nach
Aristoteles' Behauptung der Geist zwar noch der gleiche
ist, aber durch Schwäche des Körpers beeinträchtigt ist
in der Bethätigung. Auch ohne dass der voöc TroLTjnxög
vom göttlichen Geiste direct zur Actualität gebracht ist
können wir annehmen, dass er stets — allerdings mehr
oder weniger, x^ctualität besitze — schon durch seine
eigene Natur, da Gesetze, Principien als solche stets
actuell, nie blos potentiell sein können; dann durch die
Anregung, w^elche er von der Natur und ihrem Wirken
erhält, die ja in den zX^ ebenfalls Intelligibles, Rationales
enthält, und beständig auf den Mensch engeist einwirkt
und ihn erregt, actualisirt. Nur die Bethätigung, die An-
wendung der rationalen Natur des Geistes in sachlicher
Erkenntniss ist verschieden, ist mehr oder weniger vor-
handen, kann auch ganz eingestellt sein, je nach dem Zu-
stand der körperlichen Organe, der psychischen Kräfte
und insbesondere des Bewusstseins.
Daraus ist endlich auch wohl begreiflich, dass Ari-
stoteles den voöc ttoiyjtixöc als unvergänglich, unzerstörbar,
unsterblich geltend macht, während er den voöc Tra^rjTixöc
für sterblich erklärt. Jener bedarf eben zu seinem Sein
und Wirken des Körpers nicht, wohl aber dieser, der mit
der Seele und durch diese auch mit körperlichen Organen
oder Functionen in Beziehung steht. Aber eigentlich zu
erkennen vermag für sich auch der voöc Troir^Ttzöc nicht,
da er der ^avidaiiaia und des voöc; :ra^rjTaöc dazu bedarf.
Nur sich selbst soll er als reiner voöc zu denken vermögen,
ohne (pavTaGpia, da im reinen Denken das Denkende und
das Gedachte Eines seien. Als Sich- selbst Denkendes soll
er demnach unvergänglich fortdauern können oder unsterb-
lich sein. In einer Beziehung ist diess w^ohl klar und
selbstverständlich, denn Principien und unmittelbar gewisse,
nothwendige Wahrheiten sind unvergänglich, haben wie
94 I- I^ie Principien der Philosophie des Aristoteles.
die Formen {el8r^) kein Entstehen und Vergehen. AVie
aber ein Inbegriff von Principien sich selbst soll denken
können, ist kaum begreiflich, zumal das ,,7rorAjTixöc" sich
auf die cpavidaiiara, resp. das Intelligible in diesen , und
den voöc Tra^vjTizöc bezieht, nicht auf das eigene "Wesen;
also mit dem Vergehen dieses ^^obc Tra^TjTLxöc und der
(pavTda[iaxa selbst auch seine Bethätigung beendigen zu
müssen scheint. Geben wir aber auch zu, dass der voö?
ohne (pavTda[iaTa und ohne das leidende Moment sich
selber denke, so ist die Frage, als was er sich denn eigent-
lich denkt, als Allgemeines oder als Besonderes ? Aber wie
soll ein allgemeines Gesetz oder ein Axiom , oder ein
Complex von solchen sich selber denken, da es doch keinen
speciellen Inhalt haben soll und als Gesetz oder Axiom
nur formales Sein hat! Wenn aber angenommen wird,
als Besonderes , so muss diess ebenfalls als unmöglich
erscheinen , da ein Besonderes ohne bestimmten Inhalt
nicht wohl möglich ist. Wenn wir aber dem voöc :ronrjTt-
xöc an sich zum Behufe einer bestimmten (persönlichen,
bewussten) Fortdauer einen Inhalt zuschreiben , ausser
Denkgesetzen und Axiomen, dann muss dieser Inhalt aus
Wesensbegriften , Ideen (eiSrj) bestehen und insofern dem
ideal entsprechen, was die Erscheinungswelt für die Erkennt-
niss real in sich enthält und durch cpavTdaixara darbietet.
Der reine voö? tuoct^tlxöc würde dann als concretes Wesen
zugleich einen bestimmten (idealen) Vorstellungs- oder
geistigen Schauungs-Inhalt in sich haben , demgemäss eine
Art Leibniz'sche Monade sein und jenen Inhalt aus sich
selbst in einem Bewusstseinsprocess entwickeln können.
Und allerdings muss der voöc 7rotr|Tixöc auch eine Bezieh-
ung auf Ideen (eloT]) haben, auf Ziele, Zwecke der Voll-
kommenheit für Erkennen, Handeln und künstlerisches
Schaffen, da die ganze Bedeutung des Daseins nach Ari-
stoteles eben in der Zweck- oder Ideerealisirung besteht,
in Erkenntniss von Ideen und in Ausführung derselben
6. Die Erkeimtnisskraft, 95
im ethischen Wirken und künstlerischen Schaffen. Aber
diese Auffassung; des voöc T.ovqir/.6c stimmt freilich, wie
wir früher sahen, mit anderen Aussagen des Aristoteles
über den voö? überhaupt nicht ganz überein und es bleibt
eine nicht ganz aufzuhellende Dunkelheit über die wahre
Ansicht des Aristoteles übrig.
II.
Das einheitliche Princip
in der Aristotelischen Weltauffassung.
Die philosophische Weiterklärimg des Aristoteles
macht wohl im Allgemeinen den Eindruck eines zusammen-
hängenden und übereinstimmenden Ganzen, aber bei der
Betrachtung im Einzelnen zeigt sich manche Disharmonie
und Lückenhaftigkeit. Nicht blos sind die Grundprincipien
in ihrem Wesen, Wirken und Verhältniss zu einander
nicht klar und genau bestimmt, sondemi es sind selbst die
Aussagen über ein und denselben Hauptbegriff' nicht immer
klar und übereinstimmend, und Verschiedenheit der Be-
deutungen desselben und Unentschiedenheit in Fixirung
des Sprachgebrauches erschweren die Feststellung der
eigentlichen Meinung des Philosophen.
Schon bei der Bestimmung der Gottheit sind die zwei
Hauptbegriff'e, durch welche diess geschieht, ohne klare
Vermittlung unter sich angewendet : Gott ist sISoc an sich
ohne alle oXyj, und er ist voüc an sich, reiner voöc ttolyjtizöc:
ohne Potentialität (ohne voöc Traö-rjiiTtög) und natürlich mehr
noch ohne ^aviaaia und (pavTa^j^ara, die doch im Irdischen
aus der Seele stammen, welche selbst wiederum aus zlBoc;
abzuleiten oder als höherer Grad von sISoc zu betrachten
ist, — wovon als der höchste Grad die Gottheit selbst,
insofern sie sldoQ ist, erscheint. Aber eben das Verhältniss
der Gottheit als siooc zu den irdischen sIotj ist nicht
I. Das einlieitliclie Princip in der Aristoteli scheu Weltauffassung. 97
erörtert und unbestimmt gelassen; ebenso aber auch das
Verhältniss des göttlichen, sich selbst denkenden voöc zum
geschöpflichen voö?, der wiederum als Potenz und Actua-
lität aufgefasst ist, in ähnlicher Weise, wie bWoq und uXtj
zusammengehören. Auch die Lehre vom bI^oq oder den
zXdri ist keineswegs ganz durchsichtig und fest bestimmt.
Die iid-q sind an sich ewig, nicht dem Entstehen und
Vergehen unterworfen, während ihre ßealisirungen in den
Einzeldingen beständig wechseln, entstehen und vergehen.
Nun sollen gleichwohl die siStj nicht an sich existiren, wie
die Platon'schen Ideen, sondern nur in den Dingen. Da
ist die Frage, was und wo sind diese sidri, wenn die
Dinge, welche sie realisirten, vergehen, — wenn sie nicht an
sich existiren können und doch im Wechsel der Dinge
ewig existiren sollen? An grosser Unbestimmtheit, wenn
nicht geradezu an Widerspruch leidet auch die Lehre vom
Stoffe (oXtj). Der Stoff, die erste Materie (im Unterschied
von den erscheinenden Elementen), wird als das blos Mög-
liche, an sich ganz Unbestimmte, rein Passive bezeichnet
und andererseits wird doch aus ihm eigentlich alle Be-
wegung und Bildung, des natürlichen Daseins abgeleitet,
da Gott nicht auf sie activ, durch Thätigkeit wirken soll
zum Behufe der Bildung wie etwa bei Piaton der Demiurg,
sondern für das Stoffliche nur als Gegenstand des Ver-
langens und Strebens betrachtet wird. Nicht minder ist
auch die Lehre von ooGia voll Schwanken, ohne ent-
schiedene Fixirung der Bedeutung und ohne feste Ab-
gränzung gegen andere Begriffe. Dass ferner auch das
Verhältniss von bIBoq und rfü/Tj keine nähere Bestimmung
erfahren hat, dass insbesondere nicht zu erklären versucht
wird, wie die verschiedenen Theile der ^t)/'/], wie die er-
nährende, empfindende und wollende oder strebende Seele,
sich gebildet haben und sich zu einander verhalten, wurde
schon früher bemerkt. AVie endlich auch die Lehre
vom voöc an sich, dann in seinem Verhältniss zum höchsten,
Frohschammer. Aristotelische Priucipienlehre. 7
98 II- ^^^ einheitliclie Princip in der Aristotelischen "Weltauffassung.
göttlichen voö?, ferner in seinem Verhältniss zur (J^d/tj und
endlich die Unterscheidung in voö? 7rotrjrizö<; und TiaO-Yjraöc
im Unklaren gelassen ist, wurde gleichfalls schon oben
verschiedentlich hervorgehoben.
Um all' diese Unbestimmtheit zu heben und allenfalls
Klarheit und Einheitlichkeit der Aristotelischen Weltauf-
fassung zu gewinnen, genügt es nicht, an einzelnen Worten
zu deuten, um Uebereinstimmung zu gewinnen; diess
dürfte ein vergebliches Bemühen sein. Vielmehr wird es
sich darum handeln, den Grundcharakter der Aristotelischen
Welterklärung zu beachten, die allgemeine Erklärungs-
weise zu bestimmen, um dadurch trotz einzelner Dunkel-
heit oder Schwierigkeit, die übrig bleiben mag, doch für
das Ganze dieser Philosophie das allgemeine, wenn nicht
deutlich ausgesprochene und ausgeführte, doch zu Grunde
liegende einheitliche Princip zu finden und dessen durch-
greifenden Einfluss nachzuweisen. Diess soll im Folgenden
versucht werden.
1. Die Kunst als allgemeine Analogie in der
Aristotelischen Welterklärung.
Die allgemeinste und durchgreifendste Eigenthümlich-
keit der philosophischen Welterklärung des Aristoteles be-
steht darin, dass er allenthalben die Kunst, das Verfahren
bei Schaffung eines Kunstwerkes, die nothwendigenFactoren
und deren Bethätigung dabei ins Auge fasst und als
Analogie für die Erklärung der Natur und ihrer Wirkungen
verwendet.^) Ja das Verfahren der Natur und der Kunst
bei Schaffung ihrer Werke wird geradezu als ganz gleich-
artig bezezeichnet : „Wenn ein Haus oder die anderen
*) S. Gust. Teich müller: Aristotelische Forschungen IL Bd.
1869. „Aristoteles, Philosophie der Kunst".
1. Die Kunst als allgemeine Analogie in der Aristol. Welterklärung. 99
Kunstwerke nicht blos durch Kunst, sondern auch durch
Natur entstehen könnten, so würden sie in derselben
Weise hervorwachsen, und wenn die Naturproducte auch
durch die Kunst gemacht werden könnten, so würde man
ganz so verfahren, wie sie sich von Natur biklen.''^) Die
vier Principien, welche Aristoteles in der Welterklärung
anwendet: „Zweck, bewegende Ursache, Form und Stoff"
sind im Grunde durch Betrachtung der Entstehung der
Kunstwerke gewonnen und auf das Naturwirken über-
tragen. Auch die beiden Hauptgegensätze oder Factoren
im Naturgeschehen, das Mögliche und Wirkliche, Potenzi-
alität und Actualität (ßovdixzi ov und kvsp^üo^ ov) sind dem
Gebiete der Kunstthätigkeit abgewonnen. So konnte es
kommen, dass die wichtigsten Begriffe der Aristotelischen
Philosophie eben der Kunst und ihren Schöpfungen ent-
nommen sind. Das Wesen der Dinge, das begriffliche
ZI fjv slvai wird als Form oder Formprincip, sISoc bezeichnet
und dafür wohl auch [lopfri gebraucht; und wiederum ist
die Form auch das eigentlich wirkende Princip in der
Kunst, da der Künstler nur die Zwischenursache, nicht
die wirkende Ursache selbst ist. 2) Daher wird auch ts/vy)
geradezu als [w^jf-q bezeichnet, da die Form die wirkende
Ursache und das Wesen davon ist^) und der eigentliche
Geist (XöYoc).^) Und diess geht so weit, dass das Wesen
selbst des Unsinnlichen oder Uebersinnlichen als Form
oder reine Form bezeichnet wird und dieser Ausdruck
auch auf das reine, an sich seiende Wesen der Gottheit
und überhaupt für das ovtw? ov Anwendung findet. Auch
^) Nut. ausc. II 7. Oiov et otxia twv cpuasc Y^YVoji-lvcov yjv, oox-oiz
(^v h(i'(\itxo u)c vüv öcitö T£x_VYjC' £'. oh xa cpuGE'. |JL7] fxovov cpuae'. ul'kä
xal 'zijyfi Y^Y^otTO, (waauxtuc av Y^YVocto ^ Tcscpuv.ev . .
2) Gen. et corr. I 7 Met. XII 4.
^) Gen. an. II 4 -fj os ts/vt] jxopcp-rj xwv ^i^^^oiiBvmv Iv aXXw.
*) Part, an, I 1 4] U x^/vyj Xoyoc xoö t^-^oo, o avsu X7]c öXrjf:
eoxtv.
7*
100 II- ^^^ einheilliclie Princip in der Aristotelisclieii Weltauffassung.
der Begriff des Stoffes (oXy], dttoxsi'j.svov) ist der Schaffung
eines Kunstwerkes entnommen, (zu dessen Ausführung ja
Material gehört) und auf die Natur übertragen. Daher
erscheint neben bIBoq als zweites Hauptprincip oX-^, obwohl
in der Natur der Stoff nie blos als solcher, ohne Form,
vorhanden ist und die klare Unterscheidung, ja Trennung
von Beiden eigentlich nur im Kunstgebiete vorkommt.
Besonders aber das Princip des Zweckes oder Zieles spielt
bei der Schaffung der Kunstwerke (im weiteren, nicht
blos ästhetischen Sinn) eine grosse Rolle und ist daher
auch für die ganze Aristotelische Weltauffassuug von der
entscheidendsten Bedeutung geworden. Am Zweck, an
der Erreichung eines höchsten Zieles durch Natur und
Menschheit hängt die ganze Yernünftigkeit des Daseins.
Dieses Ziel ist in der Kunst das Gute und Schöne, das
Beglückende, und ebenso in der Natur und Geschichte
überhaupt, denn die Glückseligkeit ist höchstes Ziel, be-
dingt eben durch das Gute und Schöne und zunächst
durch die Gottheit.
Allenthalben also, wo in Natur- und Geistesleben
Wesen und Wirksamkeit erklärt oder begriffen werden
sollen, werden zu diesem Behufe Principien und Begriffe
aus dem Gebiete der Kunst entnommen. Man kann diess
als eine noch nahezu anthropomorphische Erklärungsweise
bezeichnen, obwohl sie schon einen wissenschaftlichen
oder näher: philosophischen Charakter angenommen hat.
Aristoteles befolgt dabei den allgemeinen Grundsatz, dass
zum Behufe der Erklärung des noch Unbekannten von
dem schon Bekannten, uns Zugänglichen, Begreiflichen
ausgegangen werden müsse. Die wirkenden Factoren und
Vorgänge bei Schaffung der Werke der Kunst sind uns
bekannt, sonach können wir angemessen von ihnen aus-
gehen, um die noch dunklen Factoren und^ unbegriffenen
Vorgänge in der Natur darnach uns zu erklären. Ari-
stoteles hat dabei nicht blos die Kunst im eigentlichen,
1. Die Kunst als allgemeine Analogie in der Aristot. Welterklärung. 101
ästhetischen Sinne im Auge, sondern fasst den Begriif
TS/VT] allgemein, ■ — wie er denn mit Vorliebe die Heil-
kimst als Beispiel und Analogie verwendet, die doch nichts
mit der Aesthetik gemein hat. Doch aber macht sich das
Aesthetische in besonderem Maasse geltend, wie es bei
einem Philosophen, der einmal diese Richtung einschlug
und dem griechischen Volke angehörte, wohl zu er-
warten ist.
Mit der anthropomorphischen Erklärungsweise hat die
Welterklärung überhaupt begonnen. Die ungebildeten
Völker machten sich die Naturereignisse und Naturkräfte
durch das begreiflich, was sie unmittelbar kannten, —
durch ihre eigenen Kräfte und Thätigkeiten. Diese trugen
sie auf die belebte und selbst die leblose Natur über, und
fassten also diese ganz nach Analogie mit der menschlichen
Natur auf, ihr deren Wünsche, Begehrungen, Streben und
Kraftbethätigung zuschreibend. Diess ist der noch ganz
rohe, extreme Anthropomorphismus , der die Natur nicht
durch Erkenntnisskraft und Forschung, sondern nur nach
Vorstellungen und Einbildungen deutet. Er hat seinen
Gegensatz oder sein anderes Extrem an jenem Naturalis-
mus alter und neuer Zeit, der umgekehrt den Menschen
nach der Natur erklären, denselben blos mit äusserlichem
Naturmass messen will, so dass dabei der Mensch natura-
lisirt wird, wie früher die Natur anthropomorphisirt ward.
Bei den Griechen fand sich ursprünglich die gleiche anthro-
pomorphistische AulFassungsweise der Natur und der Götter.
Und zwar war es rohe menschliche Natur und Strebung,
die auf die Natur und die Uebernatur oder die Götterwelt
übertragen wurde. Aber dem hellenischen Geiste ging bald
das Bewusstsein des Idealen auf, und zwar offenbarte sich
ihm diess zuerst oder hauptsächlich als ästhetisches Ideal, als
das Schöne, in welches dann das Göttliche wie das Ethische
eingeschlossen ward. Die Welt oder Natur ward nicht mehr
blos als rohe Wirklichkeit oder wilder Streit von Kräften
102 II- Das einheitliche Princip in der Aristotelischen WeltaufFassung.
oder auch von menschenälinlichen Mächten aii'^efasst,
sondern als Wohlordnung, y.öajxoc. Und das Sittliche be-
stund nicht in sklavischem Gehorsam in blosser Unter-
werfung unter gegebene Gebote, sondern ward als zaXo-
zc^VaO-ia betrachtet, so dass das Schöne und Gute zur Einheit
verbunden erscheint und die Sittlichkeit, das sittliche Ver-
halten zugleich einen ästhetischen Charakter erhält. Dass bei
einem solchen Volke, bei solcher nationaler Grundrichtung der
geistigen Bethätigung auch die theoretische Thätigkeit, die
philosophische AV eltauffassung in ähnlicher Richtung sich
entwickeln, einen verwandten Grundzug zeigen werde, ist
unschwer zu begreifen. Schon die ersten Philosophen
forschten nach dem Grundprincip der Wohlordnung des
Daseins oder des Kosmos, und den Pythagoreern war die
Harmonie, in Zahlenverhältnissen ausgedrückt, der wichtigste
Gegenstand der philosophischen Erkenntniss. Und wenn
nun diese ästhetisch-ethische Richtung bei Piaton und
Aristoteles in besonderem Masse hervortritt, so ist diess
nicht blos aus dem allgemeinen Volkscharakter und der
individuellen Eigenart Beider erklärbar, sondern insbeson-
dere auch aus der Zeit und den Verhältnissen, in welche
ihr Leben und ihre geistige Entwicklung und productive
philosophische Thätigkeit fällt. Beide wirkten im vierten
vorchristlichen Jahrhundert, also in einer Zeit, in welcher
die Errungenschaften des fünften Jahrhunderts, der poli-
tischen Glanzzeit des griechischen Volkes, und die Werke
der höchsten Blüthe der griechischen Kunst, auf die Geister
errregend und bestimmend einwirkten. Die hohen klassi-
schen Werke, insbesondere der Architektur und Skulptur,
waren geschaffen und verklärten das Dasein und Wirken
des hellenischen Volkes — wie denn gerade sie uns noch
jetzt dasselbe in idealem Lichte erscheinen lassen. Es war
nur ganz naturgemäss, dass Geister von so idealer Anlage
wie Piaton und Aristoteles^) mächtig davon ergriifen und
^) Wie sehr Aristoteles an Kunst und Kunstwerken Antheil nahm,
1. Die Kunst als allgemeine Analogie in der Aristot, Welterklärung. 103
vielfach in der Richtung ihrer Thätigkeit und in der Auf-
fassung des Daseins bestimmt wurden. Uebrigens nicht beide
ganz in der gleichen Weise, sondern ihrer Eigenart gemäss,
so dass in Piaton mehr der Künstler, in Aristoteles vor-
herrschend der Kunsttheoretiker angeregt wurde und sich
entwickelte — wenn auch allerdings das rein Aesthetische
noch nicht klar vom Uebrigen z. B. Mathematischen aus-
geschieden ward , das ja auch noch als Beispiel des
Schönen angeführt wird ; und wenn wohl auch selbst der
Zweck die Stelle des Schönen einnimmt.^)
So ist es also wohl erklärlich, dass Aristoteles das
Schaffen der Kunst als Vorbild nahm für alles Wirken
und Schaffen in der Natur und im Geistesleben und dar-
nach Alles zu erklären suchte, indem er die Factoren und
Momente bei der Kunst-Uebung oder Herstellung eines Wer-
kes der Kunst auch auf jene übertrug. Schon für Piaton
war die ganze Wirklichkeit eine Nachahmung, Nachbildung
eines höheren Urbildes (Idee), und also alles Geschehen
oder Hervorbringen eine Nachbildung oder Realisirung
einer Form in einem Stoffe, demnach ein künstlerisches
Schaffen. Und so auch erscheint dem Aristoteles schon
die Erzeugung (und das Wachsen) als analog der Her-
stellung eines Kunstwerkes, und er unterscheidet dabei
also vor Allem Stoff und Form und die Verbindung von
beiden. Da bei dem Kunstwerk dem Stoffe eine bestimmte
Form gegeben wird und vom Künstler (Kunst) nur die Form
stammt, so wird Aehnliches auch von der Erzeugung be-
hauptet: das Weibliche gibt den Stoff, das Männliche da-
gegen gibt nichts Stoffliches, sondern nur die Form, die
Seele. Auch die Sinnesempfindung oder Wahrnehmung
wird, soweit es nur angehen mag, nach gleicher Analogie
verräth selbst sein bei Diogenes Laertins dem ungefähren Inhalte nach
mitgetheiltes Testament. Es ist darin fertiger und bestellter Bilder mit
besonderer Sorgfalt gedacht.
^) De part. an. I 5.
X04 II- I^^^s einheitliche Princii) in der Aristotelischen Weltaiiffassung.
erklärt. Die Sinne sind das Empfang-ende, Aufnehmende,
die Gegenstände der AValirnelimung das Active, Scliaffejide
(ttoltjtixöv). Nicht minder wird diese Erklärungsweise auf
die höhere, erkennende Thätigkeit, auf den voö<; angewendet,
der ebenfalls, wie wir sahen, in ein passives und actives
Moment, ein zu bildendes (empftmgendes) und in ein
bildendes (voöc; ttol'/jiizöc) unterschieden ward, so dass der
Erkenntnissact zunächst mit dem Generationsprocess ver-
gleichbar wird. Da dieser selbst aber der Schaffung eines
Kunstwerkes analog ist, so wird das Schaffen der Erkennt-
niss wie das Schaffen eines Kunstwerkes betrachtet und
der voöc ^ToiYjTiTtöc mit seiner Thätigkeit der Tsyv'/j tüoiy^tiz-/]
nahe gerückt. Endlich selbst das ethische Leben und die
Tugend wird von Aristoteles gewissermassen als künst-
lerisches Schaffen und als Kunstwerk aufgefasst. Auch
bei dem ethischen Leben ist Stoff' und Form zu unter-
scheiden und findet ein Zusammenwirken von beiden statt.
Die natürlichen Neigungen und selbstischen Begelirungen
sind nämlich der Stoff, der nach Verimnfteinsicht als
seiner Form bearbeitet und gebildet werden soll, so dass
jede Tugend als eine Kunstübung und der ethisch gebildete
Mensch als das Kunstwerk seiner eigenen Vernunft oder
Einsicht erscheint. Aber auch noch in anderer Beziehung
wird die Tugend selbst von Aristoteles wie ein Kunstwerk
aufgefasst, nämlich als richtige Mitte zwischen zwei
Extremen; so dass sie mit derselben Grundeigenschaft er-
scheint, wie das wahre Kunstwerk, von dem er sagt, dass
es so sein müsse, dass man weder etwas hinzuzuthun
noch hinwegzunehmen wünsche.^)
Wollen wir demgemäss des Aristoteles AVelterkläriing
kurz zusammenfassend charakterisiren , so können wir
sagen : Der ganzen Welt (Natur) wohnt ein allwalteuder
^) Vgl. z. B. Eth. N. II 6. -q o' äpsx-rj -doY]- xiyvfiz h.y.^\%zr>xi^rj.
1. Die Kunst als allgemeine Analogie in der Aristot. Welterklärnng. 105
Künstler iiiiie, der nach Analogie der bewussteu Künstler
wirkt und schafft, indem er das wahrhaft Seiende, die
Einzelwesen oder Substanzen (ooaiai) hervorbringt, beständig
Stoff und Form verbindend in den unendlichen Abstufungen
der Arten des Daseienden. Die Hauptbethätigung, die
eigentliche natürliche Vermählung von Stoff und Form
findet in der Generation statt, die nichts Anderes ist als
eine Formgebung für einen Stoff und insofern wahrhaft
dem künstlerischen Schaffen gleicht. Dass dieses künst-
lerische Schaffen in der Natur ohne ßew^usstsein geschieht,
also ohne bestimmte Ueberlegung und Absicht, ist für
Aristoteles kein Grund gegen diese Auffassung, denn auch
die menschliche Kunst überlegt nicht, wie er ausdrücklich
bemerkt. ^) Wie der Künstler oder seine Kunst ein Ziel
haben muss, das Schöne und Gute, so muss der im Natur-
geschehen verborgene Künstler, oder, wie man wohl sagen
kann, die objective Kunst der Natur oder der Welt-Ziele
haben für das unendliche, beständig aus Potentialität in
Actualität überführende Streben. Dieses Ziel ist zunächst
das Vollkommenere überhaupt, zuhöchst aber die Gottheit
selbst, welche Ziel und Object des Verlangens und Strebens
ist, aber nur dadurch erstrebt und erreicht werden kann,
dass ihr Urbild der Natur als Form eingebildet, oder dass
ihre Vollkommenheit, so weit möglich, in der Natur nach-
gebildet wird — wie v/ir schon früher bemerkten. Vom
liöchsten Ziele geht alle Bewegung aus, welcher die Ord-
nimg des Ganzen, der zoajj.oc, sowie die Gestaltung und
Art des Einzelnen entstammt. Alles Potentielle wird
dadurch zur Actualität gebracht und alle Kräfte, alle blos
mechanische Bewegung einem höheren Zwecke untergeordnet
und davon geleitet, so dass sie im Grossen wie im Kleinen
einem Zwecke dient und also teleologische Bedeutung er-
hält. Ohne zu erstrebendes Ziel, ohne künstlerische
^) Xat. ausc. II 8.
106 II- ^^^ einheitliche Princip in der Aristotelischen Weltauffassung.
Gestaltung des Stoffes durcli die Form d. li. durch die
dem Ganzen als Actualität innewohnende Kunst würde es
kein Werden, kein Bilden, keine Entwicklung geben,
sondern nur entweder lauter Actualität (Gottheit) oder
Bewegungslosigkeit, bedeutungslose Potentialität.
2. Das Form- und Zweckprincip oder die Phantasie
als einheitliches Princip
in der Aristotelischen Weltauffassung.
Es entsteht nun die Frage: Was ist dieser in der
Natur verborgene und sich beständig offenbarende, ohne
Bewusstsein wirkende Künstler eigentlich, oder was bildet
das eigentliche Wesen dieser lebendigen, objectiv in der
Natur wirkenden Kunst? Dies ist wohl ohne zu grosse
Schwierigkeit zu bestimmen. Das Wichtigste in der
Thätigkeit des Künstlers ist die Phantasiethätigkeit ; sie
zeigt ja das Ziel (Bild, Form) für die formgebende Wirk-
samkeit desselben, wonach all' seine Thätigkeit sich richtet,
also selbst gewissermassen Form erhält und zweckmässig
wird. Das Bild der Phantasie beseelt, leitet als Ziel sein
Thun, macht ihn zum Künstler, ist das Leben der Kunst
in ihm. Denken wir nun die Person des bewussten
Künstlers hinweg und doch noch eine künstlerische Wirk-
samkeit, ein Schaffen von Werken gleich denen der Kunst,
so muss jedenfalls das Wesen aller Kunstwirksamkeit : das
zu erstrebende Ziel und demnach auch die schaffende
Macht des Ziels, die Phantasie, noch da und wirksam
sein, Avenn auch ohne subjectiven Träger, nur objectiv,
real und unbewusst wirkend. Wenn also die Natur nach
Art der Künstler oder der Kunst wirkt, so muss diese
Kunst selbst als lebendige wirksam ihr inne wohnen,
objectiv und real, wie sie im Künstler als subjective Eigen-
schaft sich bethätigt. Und sie ist nichts Anderes, als die
2. Das Form- und Zweckprincip oder die Phantasie etc. 107
objective Gestaltungsmaclit oder Phantasie, welche objectiv,
real durch teleologisch-plastische Bethätigung^ d. h. durch
Verbindung von Stoff und Form in ähnlicher Weise wirkt,
wie die subjective Phantasie innere Bilder oder Erschei-
nungen schafft. Wir haben früher gesehen, dass «pavraaia
zunächst äussere Erscheinung und wohl auch Schein be-
deutet, also etwas, das sich offenbart, in's Licht stellt und
dadurch zur Erscheinung kommt; dann aber auch und
noch mehr die Bedeutung der inneren (psychischen) Er-
scheinung oder Vorstellung erhält. Diese mehr passive
Bedeutung ging aber auch in active über, und so bedeutet
(pavraaia das Vermögen, Vorstellungen (Erscheinungen)
in der Seele hervorzubringen ; objectiv dann die Macht,
äussere Erscheinungen zu bilden und dadurch AVesen
(ooGioLi) ZU gestalten und zu offenbaren. Indem also der ganze
AVeltprocess ein künstlerisches, obzwar unbewusstes Wirken
darstellt, ist er eine Kealisirung der Kunst, und diese
selbst ist nichts anderes als Bethätigung lebendiger Ge-
staltungskraft oder Phantasie. Und so erklärt und recht-
fertigt es sich, dass alle Hauptbegriffe der Aristotelischen
Philosophie für die Welterklärung aus dem Gebiete der
Kunst, dem Schaffen der Kunstwerke und deren Momenten
und Eigenschaften genommen sind, wie wir gesehen.
Indem wir nun näher auf die Bethätigung der Phantasie,
im objectiven und subjectiven Sinne, als einheitlichen Welt-
princips der Aristotelischen Weltauffassung eingehen, sei
noch ausdrücklich bemerkt, dass es sich nicht blos darum
handelt, anzuführen, was Aristoteles selbst ausdrücklich
behauptet und näher ausführt, sondern auch um das, was
unausgeführt in seinen Aufstellungen liegt, was als
Consequenz sich daraus ergiebt oder als Voraussetzung
irgendwie zu Grunde liegt.
Es ist berechtigt, zu behaupten, dass nach Aristote-
lischer Weltauffassung Ein gleiches, wesentlich einheitliches
Princip in allen Sphären des sinnlichen und geistigen
108 II- D'ts einheitlk'lie, Princip in der Aristotelischen Weltauffassnng.
Daseins wirksam sei, da selbst Erkenntniss und Tugend
als künstlerische Tliätigkeit oder Gestaltung aufgefasst
werden. Und dieses Grundprincip ist als sISoc, als Form-
princip geltend gemacht. Dieses siSoc ist objectiv das,
was subjectiv (pavracsia und das tto'.yjtizöv überhaupt ist,
und die Grundthätigkeit oder Wirksamkeit des sISo? ist
die künstlerische, formgebende Gestaltung des Stoffes, oXyj,
wodurch individuelles Sein, Einzelwesen (o'jcsiai) entstehen,
deren Complex die ganze objective Erscheinungswelt bildet.
Das siooc ist also der unmittelbare Ausdruck des der
Natur immanenten, ohne Bewusstsein wirkenden Künstlers
oder der immanenten lebendigen Kunst, deren Wesen wir
als objective Phantasie bezeichnen können, da Ziel und
Bild (Idee) des zu Gestaltenden objectiv der Natur in
ähnlicher Weise innewohnen und das Wirken bestimmen
müssen, wie subjectiv im Künstler bei Schaffung eines
Kunstwerkes.
Wir haben schon früher gesehen, dass der Stoff selbst
(dXtj) nie ohne diese verborgene Kunst und deren Er-
scheinung, die Form (welche Zweck und bewegende Ursache
zugleich in sich schliesst) gedacht wird in der Auffassung
des Aristoteles; obwohl er freilich öfter auch so spricht,
als Ol) auch in der Natur beides getrennt vorkomme, —
was doch nur im Gebiete der subjectiv schaffenden,
menschlichen Kunst der Fall ist. Wie sich aber Ari-
stoteles ursprünglich die. Form dem Stoffe immanent und
in demselben wirksam denkt, ist schwer zu bestimmen.
Er schreibt der Natur oder wohl geradezu dem Stoffe,
wie schon früher erörtert wurde, eine Sehnsucht, ein Ver-
langen und Streben nach einem Gut, nach Vollkommenheit
zu (wie diess auch in der Kunst das Bewegende ist) oder
nach dem Göttlichen, wodurch eben die Gottheit, obwohl
selbst unbewegt, doch Ursache aller Bewegung und dem-
nach wohl aucli aller Ge'staltungen , Formen sein kann.
Dieses Streben kann sich nur darin äussern und befriedigen.
2. Das Form- und Zweckpriucip oder die Pliautasie etc. 109
dass es das Vollkommene, Göttliclie zu erreichen oder
sich anzueignen sucht durch Nachbildung dieses Vollkom-
menen an sich selber, also durch Form- Annahme oder
Formgebung, so weit dieses möglich ist oder gelingt. —
Die Form würde da immerhin vom Göttlichen , als dem
höchsten, reinen, stofflosen elSoc stammen, und insofern
würde dann dieses Göttliche selbst wie Männliches gegen-
über dem sich nach Form sehnenden Stoffe als dem Weib-
lichen sich bewähren. So dass der Stoff hienach, wie früher
bemerkt wurde, als das gleich ewige Weibliche sich erwiese.
Andererseits aber ist dieser Gedanke doch auch nicht
klar durchzuführen, denn das Verlangen im Stoffe setzt
doch selbst schon eine gewisse Selbstthätigkeit und damit
ein gewisses Geformtsein voraus, insofern die Empfäng-
lichkeit für die Form und das Verlangen darnach selbst
nicht blos potentielle, sondern schon gewissermassen wirksame
Form verlangt, oder wenigstens die potentielle Form doch auch
schon als einigermassen Avirksam voraussetzt. Man kann also
wohl annehmen, dass zuerst die Form nur als Ziel da ist, vor
der Actualität, und diess setzte ein Vorhandensein derselben
im Stoffe in ähnlicher Weise, wie in der Phantasie des Künst-
lers vor Schaffung seines Kunstwerkes voraus. Ursprüngliche
Phantasie demnach, wenn auch unbewusste und real sich
bethätigende, die aber das Vollkommene oder Göttliche als
Ziel gleichsam hinstellt, und der zugleich Kraft und Streben
zur Einbildung desselben in den Stoff innewohnt. Das
Göttliche wäre dadurch als Idee wirksam, ehe es noch zur
(unvollkommenen) Realisirung im Stoffe käme. Sonach
wäre bei Aristoteles die Gottheit selbst als Idee die eigent-
liche Ursache der Bildungen, der Einzelwesen (ooaiai) als
der Verbindungen von Stoff' und Formen (srS'/j), ohne dass
allerdings die Art und Weise, wie der Philosoph sich diess
ewige Geschehen oder Bilden denkt, bestimmt angegeben
wäre. Man könnte allenfalls denken, die Form entstehe
durch Spieglung des absoluten oder reinen elSoc; da würde
110 n. Das einheitliche Princip in der Aristotelischen Westanffassung.
dann das so gebildete als (paviaaia in ursprüngiicher Be-
deutung, als Erscheinung oder Erscheinendes sich gebildet
haben, als sich Offenbarendes in unendlicher Mannigfaltig-
keit und Stufenfolge der Wesen. In der Entwicklung
oder Setzung der Stufenfolge würde dann die äussere Er-
scheinung auch innnerlich geworden sein , d. h. Wahr-
nehmungsvermögen (durch Empfindung und Bewusstsein)
und Vorstellungsfähigkeit oder ^aviaaia als psychische
Erscheinung und als Vermögen psychische Erscheinungen
hervorzubringen. Ein Gedanke, der allerdings nicht in
dieser Weise bei Aristoteles vorkommt, der aber doch
nicht als seiner Auffassung wesentlich fremd bezeichnet
werden kann.
Ausser dem Verlangen nach Form (das wohl nur dem
allgemeinen Weltstoff, nicht dem Material in der Kunst
zuzuschreiben sein mag) kommt bei Aristoteles der Materie
oder oXyj keine weitere Activität zu — wenn Sehnsucht,
Verlangen überhaupt eigentliche Activität genannt werden
kann. Allerdings scheint der Stoff auch noch als der
eigentliche Grund der Vielheit und Verschiedenheit der
Dinge geltend gemacht zu werden, während das bewegende
Princip Eines, die Gottheit ist.^) Die Form ist überhaupt
Princip der Einheit. Wenn es blos auf die Form, den
Begriff ankäme, so wären alle Menschen eins, oder es
existirte nur Ein Mensch als Form. Da es nun aber doch
eine Vielheit von Menschen gibt, so kann nur die Materie
Grund dieser Unterschiede sein. Sokrates und Kallias
unterscheiden sich nicht der Form, sondern dem Stoffe
nach. Diese Behauptungen sind wenig begründet. Würde
man die Gottheit als das Eine bewegende Princip ent-
schieden geltend machen, so könnte es überhaupt zu gar
keiner Vielheit kommen ; denn in der allgemeinen (passiven)
Materie läge kein wirkender Grund für eine solche, son-
') Met. XII 3, 8. Met. VII 8. De coelo. 278, a.
2. Das Form- und Zwcckpriiicip oder die Phantasie etc. Hl
dem allenfalls nur die Möglichkeit dazu, und es ist nicht
abzusehen, warum nicht die Materie dem Princip gemäss
in Eine unendliche Einheit (ohne Verschiedenheit) gebildet
sein sollte. Der Grund der Verschiedenheit muss also
wohl anderswo gesucht werden; in dem nämlich, was
zwischen Gottheit und Stoff gleichsam die Mitte hält oder
vermittelt. Und das sind die Formen, eiSy] , in welche
sich das allgemeine zielstrebende Verlangen, die immanente
künstlerische Phantasie (welche als objective zugleich
wirkender Künstler ist), differenzirt hat, und die nun fort-
wirken oder sich weiter bilden auf Grundlage des stoff-
lichen Daseins. Es kann ja, wie die Thatsachen zeigen,
verschiedener Stoff in gleiche Form und gleicher Stoff in
verschiedene Form gebracht werden, von der Kunst nicht
blos, sondern auch von den organischen Kräften. Hier
indess begegnen wir wohl einem der grössten Mängel
der Aristotelischen Philosophie. Die Formen (sYStj) näm-
lich erweisen sich, näher betrachtet, nicht als eigentliche,
lebendige Formprincipien, die bewegen und gestalten können,
sondern nur als starre, unlebendige Formen, gleichsam
selbst unbewegt, so dass die Bewegung, Bildung von einem
andern Factor kommen muss. Es sind die nämlichen starren,
abstract gefassten Begriffe, aus denen Piaton seine Ideen
gebildet hat, die von Aristoteles zwar in die wirklichen,
realen Dinge versetzt wurden , aber im Grunde ohne
eigentliche Wirksamkeit in ihnen stecken — wie wir diess
früher auch bei den (pavidajj.a'ca im Psychischen wahr-
nahmen, in welchen auch die Wesenheiten, (das Begriftliche,
TL fjv £ivaL oder siSr^) sein sollen wie fix und fertig, um durch
das Licht des voöc :ronrj'CL%ö<; erschaut oder ausfindig ge-
macht zu werden für den voö? itad-qzi'/.oc;. Insofern trifft
eigentlich die Aristotelischen Formen oder siSv], obwohl
sie den Dingen immanent gedacht werden, derselbe Vor-
wurf, den Aristoteles so entschieden den Platon'schen
Ideen macht, dass es ihnen nämlich an Wirkenskraft
112 II- I^^s einheitliche Princip in der Aristotelischen Weltauöassung.
mangele, dass sie keine Principien der Bewegung und der
Ursächlichkeit seien, da mit der Phrase, dass die Dinge
durch Theilnahme an den Ideen seien, eben nichts erklärt
werde. Das sldoQ ist zwar als ewig, als dem Entstehen
und Vergehen nicht unterworfen bezeichnet, als unver-
änderlich, wie ein Atom,^) aber es erscheint nicht als
lebendige, schöpferische oder auch nur bildende Kraft,
sondern auch nur als Form, nach der gebildet wird,
gleich den Platonischen Ideen. Es bleibt demnach bei
Aristoteles darüber grosse Dunkelheit bestehen, was das
eigentlich Wirkende sei bei der Einbildung der Form in
den Stoff oder des Stoffes in die Form und wie diess ge-
schehe. Es scheint immerhin, dass von Urbeginn oder
ewig ein lebendiges, wirkendes Band zwischen Beiden
oder eine schaffende Macht für Beide angenommen werden
muss, das wir als lebendige Kunst (als immanenten, zu-
nächst unbewusst wirkenden AVeit - Künstler) bezeichnet
haben oder auch als objective Phantasie, ^^) deren lebendige,
freie Thätigkeit freilich bei Aristoteles nicht zur Geltung
kommt, wenn er doch der Grund der Vielheit und Mannig-
faltigkeit nicht blos, sondern auch der Mangelhaftigkeit
oder Abnormität und des Leidens in der Materie sucht.
Klarer tritt eine wirkliche, lebendige Bethätigung
des ol^oQ bei Aristoteles schon hervor, wenn es als er-
nährende Seele ((^o'/fj ^stzzi^ti) und als Saame erscheint,
also sich als ernährendes und zeugendes Princip kund
gibt und geltend macht. ^Auch hier findet eine der Kunst
analoge Bethätigung statt, wobei die Form als Zweck
wirksam oder leitend erscheint und zugleich Ursache und
Produkt der bildenden Bewegung ist. Es zeigt sich also
dabei ein ähnlicher Vorgang, Avie bei bewusster Kunst-
übung, wo ein Ziel durch Phantasie gebildet und vorge-
*) Met. VII 8 atofxov -(ap xb siooz.
^) Das Nähere: Die Phi.ntnsie als G riiiHlprincii) etc. II. Buch
2. Das Form- und Zweckprincip oder die Phantasie etc. 113
stellt wird, das dann als Form im Stoffe zur Darstellung
kommt. Wenn der objective, reale Vorgang in der Natur
als analog dieser Kunstthätigkeit aufzufassen ist, so kann
man demnacli auch wohl von einer objectiven Phantasie
reden, die als Moment der immanenten Kunst im Saamen
oder im Organismus da ist und als zielgebend oder nor-
mirend für die Bewegung sich geltend macht. Dass die
ernährende Seele ganz analog der bewussten Kunstthätig-
keit wirkt, ist unschwer einzusehen, insofern sie ja den
Stoff zu einer bestimmten Form, innerlich und äusserlich,
im Organismus verarbeitet und gestaltet und damit Wachs-
thum und Erhaltung desselben wirkt. — Aehnliches geschieht
aber auch schon bei der Generation, bei der Neusetzung
eines Organismus oder lebendigen Wesens. Gerade auf
dem Erzeugungsprocess hat Aristoteles in entschiedener
AVeise die Analogie mit der Schaffung eines Kunstwerkes
angewendet, iii: dem Streben, das noch Dunkle durch das
schon Gekannte^ Klare zu begreifen. Bei dem Kunstwerk
gibt der Künstler (oder vielmehr die Kunst selbst) nur
die Form, nicht aber Stoffliches; daher nimmt Aristoteles
auch für die Zeugung eines neuen Organismus an, dass
vom Männlichen nur die Form kommt oder die Seele,
nicht aber Stoff, der vielmehr ausschliesslich vom Weib-
lichen stammt. Dabei ist selbstverständlich, das Weibliche
nicht rein nur als Stoff aufgefasst, da es ja doch selbst
ein Produkt des Formprincips ist und insofern auch selbst
als Individuum Form ist. Als Stoffliches kann daher das
Weibliche auch nur in Bezug auf das Gattungswesen und
für die Erzeugung betrachtet werden. Und ausserdem ist
Stoff selbst hiebei nur in relativem Sinne zu verstehen.
Es ist eine Entzweiung des schaffenden, erzeugenden sldoQ
selbst (als ysvoc) in ein passives und actives Moment, die
zusammengehören, wie auch selbst der voöc in diese zwei
Momente sich differenzirt — wie wir früher sahen. Das
neue organische Gebilde ist daher seiner Form oder Seele
Frohschammer. Aristotelische Priiicipienlelirc. 8
114 II- Das einheitliche Princip in der Aristotelischen Weltauffassung.
nach durchaus nicht ein Produkt oder Edukt der Materie
oder aus der Materie, sondern nach den beiden zeugenden
Factoren ein Produkt des Formprincips, das nur in die
Geschlechter sich differenzirt hat zum Behufe der schaffen-
den oder zeugenden Wirksamkeit. ^) Wenn Aristoteles das
Wesen des Samens mit dem Aether, dem höchsten und
der Gottheit nächsten Theil des Kosmos in Beziehung oder
als gleichwesentlich damit setzt, so erscheint dabei der
^) Von den Scholastikern, insbesondere von Thomas von Aquin
wurde angenommen, dass die Seele der Thiere (und der Menschen in
der ersten Zeit nach der Empfängniss) aus der Materie stamme, aus
ihr entwickelt werde (anima educitur e materia). Die neueren Scho-
lastiker halten an derselben Ansicht fest. Das educere ex materia
soll durch die Naturgesetze geschehen. Diess ist nun in der That eine
Ansicht, wie sie auch der Materialismus gelten lassen kann, der im
Grunde dasselbe behauptet. Eine wissenschaftliche Ueberwindung
des Materialismus ist darin nicht zu erblicken; und die Anhänger des
Thomas von Aquin hätten alle Ursache in dieser Beziehung der mo-
dernen Philosophie und insbesondere auch Kant gegenüber bescheidener
und gerechter zu sein als es geschieht, da sie im Grunde den Mate-
rialismus wissenschaftlich weit mehr überwunden hat, als Thomas von
Aquin. Insbesondere könnte die Phantasie als Grundprincip der Scho-
lastik in dieser Beziehung aus der Noth helfen. Uebrigens ist kaum
sicher zu bestimmen, welches die eigentliche Ansicht des Aristoteles
bezüglich des Verhältnisses von Seele und Materie gewesen sei. So
liegt de an. I 5. bei dem Raesonnement gegen frühere Erkenntnisstheorien
die Ansicht zu Grunde, dass nicht alle Dinge Seele haben; nach an-
dern Stellen dagegen scheint xVlle& belebt zu sein. So wird Phys. VIII 1
die ewige Bewegung gewissermassen als Leben (otov C">*^) alles Natur-
seins bezeichnet; de gener. anim. III 11 wird die Wärme als seelisch
aufgefasst und behauptet, dass Alles gewissermassen beseelt sei (xpÖTiov
Tiva Ttdvxa ^^X^*^ thoLi 7iXT|pY)). Wenn ferner der Aether mit der Kraft
des Samens in Beziehung gebracht wird, so scheint damit auch eine
allgemein verbreitete organische oder beseelende Macht angenommen
zu sein. Endlich setzt auch das dem Stofle zugeschriebene Verlangen
und Streben nach Form selbst schon eine Art (potentieller) allgemeiner
Beseelung des Stoffes voraus. Wenn gleichwohl bei Aristoteles vom
Unbeseelten die Rede ist, so ist das wohl nur in relativem Sinne zu
verstehen, nicht von absoluter Unbeseeltheit.
2. Das Form- und Zweckprincip oder die Phantasie etc. 115
Aether wie eine Art Weltseele oder als allgemeine Ge-
staltungs- oder Bildungs-Macbt, als allgemeine Produktions-
oder Generationskraft. Also als das, was wir als allgemeine
nnd objective Phantasie bezeichnet haben, die sich in
Gattungen und Arten gliedert und durch die Ditferenzirung
der Geschlechter fruchtbar wird und neue Individuen her-
vorbringt. Um so weniger ist dann Grund vorhanden, bei
dem Menschen den Geist, vouc ,,von Aussen" kommen zu
lassen, anstatt ihn gleich der Seele (^0-/7]) aus der Gene-
ration von den Eltern selbst herzuleiten. Wir haben
schon oben dargethan, dass nach Aristotelischer Auffassung
£i§oc und voöc als gleichwesentlich betrachtet werden
müssen, und dass ^ny^q doch nur ein höherer Grad von
sISoc, die innerlich und lebendig gewordene und als Form-
princip wirklich thätige Erscheinung desselben sei. Dem-
nach ist kein Grund da, zu leugnen, dass auch der voöc
durch Zeugung aus dem physisch-psychischen Wesen der
Eltern hervorgehen könne. Doch kann man allerdings
sagen, dass der erkennende Geist (voöc) nach seiner allge-
meinen, rationalen Seite nicht eigentlich gezeugt werde,
sondern nur das Moment der subjectiven concreten Leben-
digkeit und Thätigkeit desselben. Also das, wodurch er
eben mit der Seele selbst identisch ist, während die ratio-
nalen oder formalen Erkenntnissprincipien in ihm allgemein,
nicht individuell, und daher auch in allen Menschen gleich
sind und eine übereinstimmende, allgemeine und nothwen-
dige Erkenntniss ermöglichen unter den Menschen — nicht
blos subjective Ansichten. Wie diess geschieht, wie das
allgemeine rationale Wesen des Geistes zugleich mit sub-
jectiver Lebendigkeit sich verbindet bei den einzelnen
Menschen und wie dieses Verhältniss im grossen schweren
Ringen des Weltprocesses und der Menschwerdung er-
rungen wurde, kurz, die Genesis des menschlichen Ver-
standes selbst hat allerdings Aristoteles nicht näher unter-
sucht. Es lag ihm diess noch fern, und ist ja überhaupt
11 ß II. Das einheitliche Princip in der Aristotelischen Weltauffassung.
das Forschen nach der Genesis der Erde, der organischen
Bildnngen und des Menschengeistes selbst erst der neueren
Zeit und der modernen Wissenschaft eigen thümlich, — die
eben auch der Philosophie neue Probleme gestellt hat. ^)
Das Zeugende und was gezeugt wird bei dem Menschen, ist
nicht das allgemeine Wesen, d. h. die Gesetze und Principien
seines Geistes, — diese sind ja objectiv und allgemein
da auch ohne dieses Individuum — sondern beides kann nur
einerseits das Gattungswesen, andererseits das Individuum
mit seiner subjectiven Eigenthümlichkeit sein. In ihnen ist
das allgemeine AVesen (die rationalen Gesetze) in das indivi-
duelle Wesen und dann in das Bewusstsein aufgenommen,
wodurch eben das 'Individuum intellectuell thätig sein
kann. Diese Gesetze und Principien beharren, auch wenn
das Individuum, das sie in sich hatte oder in dem sie
lebendig geworden, nicht mehr ist — wie das Wesen des
sISo? weder entsteht noch vergeht und nur die concreten
Eealisirungen und Erscheinungen davon dem Entstehen
und Vergehen unterworfen sind. Eben darin zeigt sich
wieder, dass voö? gleichartig mit sldoc. ist, da sie beide
Allgemeines in sich schliessen, das vom Einzelnen, Ver-
gänglichen unabhängig ist, das aber in dem Einen nur
unbewusst, in dem Andern aber auch mit Bewusstsein sich
bethätigen kann. Bei Aristoteles kann demnach auch nicht
mehr, wie bei Piaton, die Bealisirung des elSoc, der leben-
dige Leib, als ein Kerker der Seele oder des Geistes be-
trachtet werden, da beide dem Wesen nach gleichartig
sind, wie sie auch beide zugleich und vereinigt die höchste,
vollkommenste Wesenheit Gottes bilden.
Wie die Seele als vegetative in Ernährung, Leibge-
staltung und Erzeugung sich als künstlerisch thätig er-
weist und also wesentlich eine Function real wirkender
^) 8. die Phantasie als Grund princip des Weltpro-
cesses S. 484 ff. und Monaden und Weltphantasie S. 57 li.
2. Das Form- und Zweckprincip oder die Phantasie etc. 117
Gestaltimgsmacht oder objectiver Phantasie verrichtet, so
wirkt sie in ähnlicher Weise auch als empfindende, sinn-
lich und durch Sinne wahrnehmende. Aristoteles bestimmt
die Seele, wie wir sahen, als vollendete AVirklichheit eines
physischen, mit Organen versehenen Leibes, als IvisXs/sLa
d. h. als individuelles Ganzes, das in sich als Selbstzweck
sich realisirt durch ineinander greifende, harmonisch zu-
sammenwirkende Organe. Es ist bemerkenswerth, dass
auch bei Ai'istoteles schon die Empfindung wesentlich als
Eigenschaft eines lebendigen Selbstzweckes, eines teleolo-
gischen Ganzen erscheint, als Eigenschaft einer svicXs/sLa
(eines verwirklichten Selbstzweckes) als dem Eesultat eines
nach Zweck oder Ziel wirkende« Princips, das aber dem
Werke selbst immanent ist, nicht ausser demselben, wie
bei der menschlichen Kunst. — Als besondere Künstlerin,
welche in einer nicht bloss reproductiven, sondern auch
schon productiven Phantasiethätigkeit sich geltend macht,
erscheint aber die Seele im Gemeinsinn, durch welchen die
Empfindungen der einzelnen Sinnesorgane nicht blos in
ihrem Unterschiede erfasst, sondern auch in Beziehung ge-
bracht und entsprechend den einwirkenden, allenfalls mit
verschiedenen Eigenschaften ausgestatteten Gegenständen,
zu Gesammtbildern gestaltet werden. Schon die Wahr-
nehmung durch die Sinne selbst ist, wie schon früher her-
vorgehoben wurde, auch bei Aristoteles kein blosses Auf-
nehmen, nicht etwas rein Passives (Tiaa/siv), sondern es
findet dabei auch schon eine Selbstthätigkeit (::otsLv) statt, ^)
macht sich ein Tro'.r^Tixöv geltend in einer der Phantasie-
thätigkeit ähnlicher Wirksamkeit. Wenn Aristoteles die
Phantasie eine abgeschwächte Empfindung (alc^Yjaic Tic
aid-B^Q) nennt, so kann diess nur geschehen, wenn auch
hinwiederum die Sinnesempfindung der Phantasie-Bethätigung
gleicht. Mehr noch aber und selbstständiger als bei den
De an. II 5. III 5. 7.
HS n. Das einheitliche Princip in der Aristotelischen Weltauflfassung.
einzelnen Sinnen bewährt sich die Phantasie bei der Thätig-
keit des Gemeinsinnes. Dieser erscheint als Mittelpunkt
der physisch-psychischen Organe und deren Wirksamkeit,
wodurch es ermöglicht wird, die objective Welt innerlich
der Form nach (ohne die Materie) nachzubilden. Diess
ist nur möglich, nach Aristoteles, bei solchen lebendigen
Wesen, die einen psychischen Mittelpunkt haben, bei denen
also die Seele schon zu einer gewissen, in sich geschlos-
senen Selbstständigkeit gekommen und damit eigentliches
Subject der Empfindung geworden ist. Und da trotz dieses
einheitlichen Mittelpunktes doch auch noch eine Verschie-
denheit psychischer Kräfte (analog den verschiedenen kör-
perlichen Organen) sich thätig erweist, so ist damit auch
schon die Andeutung einer höheren, ps3^chischen svrsXr/sia,
eines psychischen Organismus ^) gegeben. Es ist damit die
Seele nicht bloss als eine einförmige oder in sich indifferente
Kraft, sondern selbst auch als ein in sich geschlossenes
System von eigenartigen Kräften aufgefasst, mit grösserer
Unabhängigkeit vom Körper, als es bei niederen Wesen
der Fall ist. Im Menschen insbesondere verbindet sich
damit der voöc, der daher nur mit dem psychischen Orga-
nismus, nicht mit dem physischen in directer Verbindung
gedacht ist. Oder vielmehr, im selbstständigen psychischen
Organismus wird das objectiv oder real wirkende rationale
Wesen des Daseins (Vernunft in der Natur) nun subjectiv
und in der Anwendung selbstständig, so dass es nun als
Verstand oder Vernunft erscheint und als Macht der All-
^) lieber den psychischen Organismus: „Die Phantasie als
Grundprincip etc." S. 404 flf. „Monaden und W^ eltph an-
las ie." S. 43 flt". — W^ie selbstständig auf Grund des psychischen Or-
ganismus die allerdings auch in ihm und für seine Thätigkeit gelten-
den Gesetze verwendet werden können , zeigt insbesondere die Anwend-
ung des Causal -Gesetzes, durch welche es der Erkenntnisskraft möglich
ist (inductiv) aus den Wirkungen die Ursachen zu folgern oder abzu-
leiten, während in der realen Natur doch immer nur die Wirkung aus
der Ursache hervorgehen kann.
2. Das Form- und Zweckprincip oder die Phantasie etc. 119
gemeinheit und der rationalen Erkenntniss sich kund gibt.
Die Gesetze und Axiome, die allgemein und nothwendig
gelten, sind dadurch psychisch und psychologisch geworden,
obwohl sie auch noch den an sich seienden rationalen und,
wenn man es so nennen will, transscendentalen Charakter
bewahren. Darum ist insofern des Aristoteles Scheidung
von (pü/TJ und voög nicht ganz unberechtigt, obwohl er auch
mit Recht die ^vt^f] als das eigentliche Subject andeutet,
das durch den voöc thätig ist.
Bemerkenswerth endlich ist auch noch besonders, dass
Aristoteles dem vooc gerade jene zwei Grrundfunctionen
zuschreibt, die das Eigenthümliche der Phantasiethätigkeit
bilden. Die Phantasie gestaltet auf Grrund des Gemein-
sinns oder als das eigentlich thätige Princip von diesem
und also vom Centrum der Seele, die Formen der Dinge;
und sie bethätigt sich dabei zugleich activ und passiv,
also ganz ähnlich dem voö? TroiTjtiTtöc und Tra^irjT'.xöc. Indem
sie nämlich Bilder formt, ist sie wesentlich activ, gestaltend,
schaffend, aber indem sie diese Bilder in sich gestaltet,
muss sie die Form dazu aus sich selbst nehmen und sich
selbst in diese Form gleichsam umwandeln ; sie macht also
formal Alles, aber da sie dazu keinen äusseren Stoff hat,
wie der Künstler, so muss sie sich selbst zu Allem machen,
muss also Alles werden — wie Aristoteles von den beiden
voDc sagt, dass der Eine Alles macht, der Andere Alles
wird. Beide, ^aviaaia und wüc, sind auch in der eigent-
lichen Thätigkeit untrennbar verbunden, da die Phantasie
schon durch die 'favcdaiiaia die Gegenstände der Erkennt-
niss dem vobQ darzubieten hat als conditio sine qua non
der Erkenntniss des Wesens der Dinge und dann wiederum
die Resultate dieser Erkenntniss in allgemeine Bilder kleiden
muss, um sie deutlich und dem Verständniss zugänglich
zu machen. So ist der voöc als Inbegriff der Principien
in der Anwendung derselben, in seinen beiden Haupt-
functionen, dem Thun und Leiden durchaus zwar nicht
120 II- D'^*^ einheitliche Priucip in der Aristotelischen Weltauffassung.
ganz identiscli mit ^avracjia, aber docli in der Lebendigkeit
und Thätigkeit, also in seinem subjectiven Sein und AVirken
von ihr bedingt und durchdrungen. Und insofern er Ver-
mögen der Erkenntniss und Organ zur Eealisirung der
Wahrheit ist, erscheint er selbst als eine Art Künstler,
der ein Ziel verfolgt, von einer Idee geleitet wird. Alle
Kunst ist nach Aristoteles Nachahmung, wenn auch nicht
blos reine oder platte Nachbildung, sondern allenfalls mit
Idealisirung verbunden. Aber auch die Wissenschaft ist
eine Art Nachahmung, insofern sie die Dinge ihrem Wesen
nach innerlich, denkend nachbildet und dadurch Wahrheit
schafft oder die Idee der Wahrheit realisirt. Und zwar
Wahrheit nicht blos im Sinne von Wirklichkeit, sondern
auch im Sinne von Vollkommenheit oder Ideegemässheit —
eine Unterscheidung und bestimmtere Auffiissung, durch
die sich in der That Aristoteles vor Piaton auszeichnet.
Er unterscheidet nicht blos die einzelnen Erscheinungen
von dem wahrhaft Seienden oder begrifflichen (abstracten)
Wesen, wie Piaton, sondern auch das Vollkommene, Idee-
gemässe von dem zwar Allgemeinen aber Unvollkommenen.
Während nämlich Piaton es nicht abweist, Ideen auch vom
Gewöhnlichen, Gemeinen, Schlechten anzunehmen, unter-
scheidet Aristoteles zwischen dem blos Allgemeinen und dem
wirklich Seienden, Vollkommenen — so dass bei ihm die
Wissenschaft resp. die Philosophie nicht blos das Allgemeine
nachbildet oder gewissermassen producirend schaffet, sondern
insbesondere eine Erforschung und Darstellung der Ideen
(Ziele alles Strebens) und der Realisirung derselben im
Denken ist — auch so ähnlich der Kunst, wenn sie die
Wirklichkeit verbessert oder ideegemäss gestaltet zeigt.
Auch im ethischen Gebiete ist die Phantasie durchaus
das eigentlich Bestimmende. Schon alles Begehren über-
haupt ist nach Aristoteles nicht möglich ohne Phantasie,
die ihm entweder eine denkende oder eine wahrnehmende
ist, und als erstere eine wollende im eigentlichen Sinne
2. Das Form- iiud Zweckpuincip oder die Pluiutasie etc. 121
wird. ^) Jedenfalls ist also auch das Wollen, die psychische
Function bei dem ethischen Verhalten, durchaus von der
Phantasie bedingt, da ohne Ziel und Zweck einmal kein
vernünftiges und also auch kein sittliches Thun möglich
ist, das Ziel aber durch Phantasiethätigkeit, durch Vor-
stellung dem Handelnden sich zeigt und seine Thätigkeit
bestimmt. Ausserdem bringt Aristoteles, der griechischen
Anschauungsweise gemäss, das Gute und das Schöne in
enge Beziehung, die ethische Bethätigung ist daher der
ästhetischen nahe verwandt oder theilweise damit identisch
und die Phantasie, die im Gebiete des iVesthetischen (und
Technischen überhaupt) die Hauptrolle spielt, ist darum
auch im Ethischen von entscheidender Bedeutung. Die
Sittlichkeit und Tugend wird von Aristoteles durchaus
wie eine Art Kunstübung und Kunstwerk aufgefasst, wie
schon früher bemerkt wurde, insofern das Sittliche das
nach Vernunfteinsicht geformte natürliche Begehren und
Streben ist, das also sich wie der Stoff verhält gegenüber
der Form, die ihm nach idealen Grsichtspunkten gegeben
wird. Die Tugenden haben demnach auch die Eigenschaft
von ächten Kunstwerken, insofern sie die richtige Mitte
halten zwischen dem zu Wenig und zu Viel, daher keines
Hinwegnehmens und keines Hinzuthuns bedürfen. — Blicken
wir endlich auf den höchsten Zweck alles menschlichen,
sittlich-vernünftigen Strebens, so erblicken wir auch bei
der Erstrebung und Erreichung von diesem die Phantasie
als den Hauptfactor. Das höchste Ziel des Menschen ist
auch bei Aristoteles (wie bei den andern Philosophen) die
Glückseligkeit. Diese besteht ihm aber weder in der Ent-
behrung oder Bedürfnisslosigkeit und Gleichgültigkeit gegen
die Güter und Genüsse des Lebens, noch in dem möglich-
^) De an. III 10: . oposv.T'.v.civ oh o>r/. avso cpavtaair/.':' cpavxaaia hk
rJj.zrj. Y] XoY'.axixTj, Yj a'.G\)'Y]T'.x'q. Der letzteren sind auch die Thiere theil-
haftig, aber sie begründet kein eigentlicbes Wollen, ist nicht auch ßou-
XsuxixYj (cpavta-'.a) die vielmehr nur den denkenden Wesen eigen ist.
1 22 II- ß'is einheitliche Princip in der Aristotelischen Weltauffassnng.
höchsten, gesichertsten Erringen und Geniessenderseiben —
sondern in der möglichst erfolgreichen, der menschlichen
Natur gemässen, also vernünftigen Thätigkeit. Es ist also
der der menschlichen Natur immanente Schaffenstrieb,
dessen Bethätigung und Befriedigung nach Aristoteles die
höchste Glückseligkeit gewährt. Dieser Schaffenstrieb und
die mit der Bethätigung desselben verbundene Schaffens-
lust, die durch Erreichung des Zieles noch erhöht, zur
dauernden Beglückung gesteigert wird, ist aber durchaus
von der Phantasie bedingt, ermöglicht und verwirklicht.
Objectiv bethätigt sich bekanntlich der Schaffenstrieb
hauptsächlich in der Bealisirung oder Actualisirung der
Generationspotenz zur Hervorbringung neuer lebendiger
Wesen — die also eine Bethätigung dessen ist, was wir
als objective Phantasie bezeichnet haben. ^) Subjectiv
zeigt sich dann der Schaffenstrieb und die durch seine
Befriedigung erzielte Lust schon in den Spielen der Jugend
und in der Befriedigung, welche auch die gewöhnliche
Thätigkeit schon dadurch gewährt, dass durch sie das
gesteckte Ziel, der Zweck erreicht wird — sowie negativ
in der Verödung des inneren Lebens und in der Pein der
Langeweile derer, die keine bestimmte Lebensthätfgkeit
mit festen Zielen und Zwecken üben und daher auch der
Befriedigung der Zielerreichung nicht theilhaftig werden
können. Die Glückseligkeit wird sich steigern, concentriren
nach der Grösse und Schwierigkeit des erstrebten und
erreichten Zieles in praktischer Thätigkeit, sowie in Kunst
und Wissenschaft. Am vollendetsten aber wird sie sein,
insofern durch die vernünftige Lebensthätigkeit das eigene
Wesen gebildet und erhöht und in sittlicher und intellec-
tuellei- Beziehung zu einem Kunstwerk gestaltet wird; wo-
durch also der natürlich gegebene Stoff die höchste vernünftige
Form erreicht, und der geistigen Schauung Genuss bietet.
^) Die Phantasie als Grundprincip etc. S. 168 ff, 250 ff.
2. Das Form- und Zweckprincip oder die Phantasie etc. 123
Fassen wir die Grundgedanken der Aristotelischen
Weltauffassung zusammen, so ist zu sagen: In demselben
Maasse , in welchem Aristoteles die Kunst als Analogie
geltend macht für das Naturwirken, muss er auch die
Phantasie des subjectiven Geistes als Analogon der in der
Natur wirksamen, objectiven Gestaltungsmacht anerkennen.
Und ist anzunehmen, dass die Seele mit der ihr eigenen
subjectiven Gestaltungsfähigkeit oder Phantasie ein Pro-
dukt oder eine höhere Stufe der in der Natur wirksamen
(objectiven) Formprincipien ist, so ist nicht blos Analogie
vorhanden zwischen dem Wesen und AVirken der objectiven,
realen Formbildung in der Natur und der subjectiven
Bildung der ^avxdcjtxaTa, sondern eine Wesens- wie Wirkens-
gleichheit von beiden. Die Phantasie und ihre Gebilde
sind subjectiv , psychisch das , was objectiv , real die
siSt], die Formprincipien sind, die allerdings des Stoffes
bedürfen, um sich zu verwirklichen und als Einzelwesen,
ov)(5iai zu erscheinen. — Zur Schaffung eines Kunstwerkes
ist vor allem nöthig das Bild (Idee) desselben in der Seele
oder dem Bewusstsein des Künstlers, das er durch Phan-
tasiethätigkeit hervorbringt. Dieses Bild ist das Ziel
seines Strebens und dessen objective Bealisirung durch
einen Stoff ist der Zweck seiner Thätigkeit. Durch dasselbe,
also durch das Phantasie-Produkt wird all' seine Thätig-
keit hervorgerufen und geleitet oder teleologisch, zweck-
entsprechend bestimmt bis zur Verwirklichung des Zweckes
d. h. realer Gestaltung des zuerst nur psychischen (formalen)
Bildes. Aehnlich verlaufend, mit denselben Factoren oder
Momenten denkt sich nun offenbar Aristoteles auch die
V^erwirklichimg der sidri i^ ihren verschiedenen Arten und
Stufen in der Natur oder im Naturprocesse. Das eigent-
lich Bestimmende oder Entscheidende muss eine Form
sein, welche zugleich als Ziel des Wirkens das teleologisch
den ganzen Naturprocess Bestimmende ist, also die zweck-
entsprechende Selbstrealisirung erwirkt. Nur ist hier der
124 n. Das einheitliclie Princip in der Aristotelischen Weltauffkssuni^.
ganze Verlauf imbewusst; Form und executive Macht
(Künstler) sind der Natur selbst immanent, sind real ge-
geben und von wirkendem Gesetz (causa efficiens) wie
vom Zweck (causa linalis) zugleich beherrscht. Demnach
kann man wohl sagen, dass auch nach Aristoteles das
objectiv wirkende Formprincip nach Art der subjectiven
Phantasie des Künslers sich bethätige, und dass also von ihm
eine unbewusst aber real wirkende, also objective Phantasie an-
genommen sei — der Sache nach, wenn auch nicht mit aus-
drücklichen Worten. Ob diese objective Phantasie dabei
als einheitliches , aber in Vielheit sich besonderndes , die
Individuen und Arten oder Typen der Wesen produciren-
des Princip sich bethätige oder die Vielheit und Mannich-
faltigkeit der Formen nur ideell (nicht der Genesis nach)
eine Einheit bilde , wie das Platonsche Eeich der Ideen,
— mag dahingestellt bleiben.
Als unterste Stufe der Bethätigung dieser objectiven,
real wirkenden Phantasie können wir das von Aristoteles
angenommene Verlangen und Streben des Stoffes nach
Form überhaupt, als nach dem Guten, Vollkommenen, an-
nehmen. Dieses zunächst wohl als noch unbestimmt ge-
dachte Streben nimmt dann in der Stufenreihe der Wesen
immer mehr Bestimmtheit, individuelle Vollkommenheit und
Klarheit an als objectives und hierauf physisch-psychisches
Princip in den lebendigen Wesen. In dieser Erhöhung
und strengeren Individualisirung des objectiven Form-
princips tritt dann eine Stufe ein, bei welcher die objective
Phantasie nicht mehr bios als Seele (Lebensprincip) wirkt,
(die auch noch objectiv und real Charakter hat als siSoc)
sondern durch diese oder aus dieser ein subjectives, indi-
viduelles Nachbild ihrer selbst hervorgeht, die subjective
Phantasie als besondere Fähigkeit der (subjectiven) Seele.
Auch diese subjective Phantasie tritt, wie Aristoteles selbst
anzunehmen geneigt ist,^) zuerst, nämlich in den niederen
') De an. ni 11.
3. Die Objectivität der Aristotelischen Philosophie. 125
Thieren, nur in unbestimmter Weise auf und erlangt erst
bei den höheren Formen grössere Bestimmtheit. Im
Menschen selbst vermittelt sie, wie wir sahen, sowohl das
niedere Erkennen und Begehren, als auch die höchste
intellectuelle Thätigkeit und das ethische wie künstlerische
Wirken. Sie erscheint wirksam schon in der Sinnes-
wahrnehmung und ermöglicht durch Vorstellungen das
Begehren, Streben und selbst schon eine Art Wollen. Sie
verbindet dann bei dem Menschen das niedere Seelenleben
mit der eigentlich geistigen Thätigkeit durch die ^pavcda-
{iara, ja ermöglicht das höhere Erkennen selbst erst, in-
dem sie der höchsten Erkenntnisskraft (voöc) den Stoff
des Erkennen s, die Wahrheit in noch sinnliche Formen
eingehüllt bietet, zugleich aber auch die Offenbarungsform
für die rein erkannte Wahrheit wieder zu schaffen vermag
in Allgemeinbildern. Endlich schafft sie wie dem künst-
lerischen , so dem ethischen Wirken Vorbilder und Ideale,
die in jenem eine objective, reale Darstellung finden, in
diesem aber an dem eigenen Wesen des Menschen und der
menschlichen Gesellschaft Verwirklichung erlangen sollen.
3. Die Objectivität der Aristotelischen Philosophie.
Der Aristotelischen Philosophie pflegt in Erkenntniss-
theoretischer Beziehung vielfach, besonders von Seite der
Anhänger der mittelalterlichen Scholastik als besonderer
Vorzug eine gesicherte Objectivität zugeschrieben zu
werden im Gegensatz zur modernen Philosophie, die man
als dem Subjectivismus verfallen bezeichnet. Wir ver-
suchen auf Grund unserer bisherigen Untersuchungen
diese Behauptung bezüglich ihrer Wahrheit und Falschheit
zu würdigen.
Der objective Charakter der Erkenntnisslehre des
Aristoteles soll hauptsächlich darin begründet sein, dass
126 n. Das einheitliche Princip in der Aristotelischen Weltanffassung.
er einen durclig-ängig-en Parallelismus zwischen Denken
und Sein annimmt und eine Correspondenz von Beiden
geltend macht, i) Insbesondere aber soll derselbe darin
sich zeigen, dass er allenthalben die Erkenntniss, sowohl
die sinnliche als die intellectuelle durch die Objecte selbst
begründet sein lässt, nicht durch das Subject, da er eine
evidentia objectiva geltend macht, die bei der Sinneswahr-
nehmung durch die species sensibiles, bei der Yerstandeser-
kenntniss durch species intelligibiles bewirkt werde. —
Eichtig ist nun allerdings, dass Aristoteles die Objectivität der
Sinneswahrnehmungen ohne weiters annimmt oder gelten
lässt, wie sie das unmittelbare empirische Bewusstsein der
Menschen anerkennt und bei aller theoretischen Meinung
und praktischen Thätigkeit voraussetzt. Den Sinneswahr-
nehmungen entsprechen also bei Aristoteles Avirkliche, reale
Gegenstände und Verhältnisse, und es werden diese ihrer
Form, wenn freilich nicht ihrer Materie nach, in die
Seele, in das Bewusstsein aufgenommen. Indess dieses
durch die Sinne Wahrgenommene, diese dem Entstehen
und Vergehen unterworfenen sinnlichen Dinge sind doch
als solche auch dem Aristoteles nicht das wirklich Seiende
und Wahre, nicht das oviox; ov, sondern sind als sinnliche
eben auch nur flüchtige Erscheinungen, wenn sie auch das
Wahre, wahrhaft Seiende in sich enthalten. Dieses wird
aber nicht durch die Sinne, sondern nur durch den Ver-
stand, durch das Denken ^ erkannt und als Allgemeines,
Wesenhaftes in Begriffen erfasst.
Wirkliches Erkennen des wahrhaft Seienden und
Wesenhaften ist also nach Aristoteles nur durch das
Denken, den voöc zu erreichen, liicht durch die Sinnes-
wahrnehmung, obwohl das Wesen (si^yj) nur in den Ein-
zeldingen real existirt. Und es ist nun die Frage, ob
^) Vgl. hierüber: Dr. Kiid. Eucken: Die Methode der Aristote-
lischen Forschung in ihrem Zusammenhange mit den philosopliischen
Grundprincipien des Aristoteles. Berlin 1872.
3. Die Objectivität der Aristotelischen Philosopliie. 127
diese Erkenn tniss in ihrer Gewisslieit und Objectivität
durch die Erkenntnissobjecte oder durch den erkennenden
Geist, voöc, die letzte und eigentliche Begründung linde.
Der vobc (intellectus und ratio) enthält , wie wir sahen,
nach Aristoteles die Principien des Erkennens in sich,
die unmittelbar durch sich selbst gewiss sind durch ihre
Klarheit, ihr unmittelbares Einleuchten, und die daher eines
Beweises nicht bedürfen, vielmehr die Grundlage und Be-
dingung der Möglichkeit aller Beweisführung und aller
logischen Operationen (durch ratio) sind. Diese Principien
der Erkenntniss erfasst und erkennt der voöc, indem er
sich selber denkt und erkennt (Selbstbewusstsein). Der
voö? fasst insofern zugleich Denkendes und Gedachtes in
sich (voTjTöv) und Denkendes und Gedachtes erweist sich
so als dasselbe (xaDzov)^) Also auch: indem der voöc
das Vernünftige, Intelligible denkt , geschieht es , dass er
sich damit selbst denkt, sein eigenes Wesen erkennt, da
dieses subjectiv dasselbe ist, was jenes objectiv; denn voö?
und sISoc correspondiren sich gegenseitig, wenn auch das
Objective nicht ganz erkannt, nicht ganz in Wissen ver-
wandelt werden kann, sondern ein unerklärter, irrationaler
Rest zurückbleibt wegen de^ materiellen Form oder Um-
hüllung, in welcher das objective Rationale sich zeigt. —
Wenn nun nach Aristoteles die Seele gewissermassen Alles
ist, was sie erkennt und der voö^ mit dem Gedachten
Eines ist, so kann wohl nicht behauptet werden, dass bei
Aristoteles das Fundament aller Gewissheit, die Begründ-
ung der Objectivität der Erkenntniss in das Erkenntniss-
object gelegt sei. Vielmehr ist auch bei ihm das Subject
der Erkenntniss, vobc, nicht das Object (vor^röv) der wahre
Grund, wie der Erkenntnissthätigkeit, so auch der Gewiss-
heit der Erkenntniss und selbst auch der Objectivität des
Erkenntnissgegenstandes; denn auf ihm und seiner un-
mittelbaren Rechtheit, Gewissheit, Zuverlässigkeit ruht
1) Met. XII
1 28 n. Das einheitliclie Princip in der Aristotelischen "Weltauffassung.
der ganze Bau menschlicher Erkenntniss. Wenn es eine
Grundf orderung der Wahrheit des Erkennen s ist, dass das
Denken mit dem gedachten Gegenstand übereinstimme, so
sind es doch wieder die Denkbestimmungen, auf welchen
diese Uebereinstimmung und ihre Gewissheit und Zuver-
lässigkeit selbst beruht. Und wir sahen , dass die Be-
stimmungen des menschlichen Subjects bis an den Anthro-
pomorphismus hin von Aristoteles zur Erklärung der
objectiven, realen AVeit angewendet werden. Allerdings
wird der erkennende Geist auch bestimmt durch das
Object und muss sich derselbe in der Auffassung nach
dessen Beschaffenheit richten; aber diese Beschaffenheit
selbst kann er nur nach der ihm innewohnenden Norm
erfassen. Wenn daher bemerkt wird,^) die Wissenschaft
werde nicht ganz mit Recht das Maass der Dinge genannt,
da nicht sie das Maass der objectiven Welt sei, sondern
die objective Welt das Maass der Wissenschaft und unserer
Erkenntnisskraft, — so kann damit nicht gemeint sein,
dass der erkennende Geist nur etwas Leidendes, Passives
sei, das von den Dingen bestimmt und gemessen wird,
sondern es soll nur das Objective, Inhaltliche der Erkennt-
nissthätigkeit als Grundbedingung der Wahrheit betont
werden — und zwar speciell der subjectivistischen (willkür-
lichen, nicht rational begründeten) Ansicht der Sophisten
gegenüber. Die fundamentale Bedeutung der im Erkennt-
nisssubject gegebenen Pripcipien des Erkennens wird durch
diese Forderung des empirischen Erkennens nicht aufge-
hoben. 2)
') Met. X 1,G.
^) Wenn auch nach Aristoteles die höchsten Principien seihst durch
Induction gewonnen werden und insofern ihre Erkenntniss von der
Erfiihrung bedingt erscheint, so handelt es sich dabei doch nur um
das Bewusstsein, das Verständniss, nicht aber um die Gewissheit und
Kationalität derselben. Diese kann nicht von der Erfahrung, von den
Objecten der Erkenntniss kommen, sondern nur aus der Natur des
3. Die Objectivität der Aristotelischen PMlosophie. 129
Durch die species iiitelligibles (sr^rj) aber soll das
Erkennen des voöc bestimmt werden und nach Aristoteles
einen objectiven Charakter erhalten. Allein die Erkennt-
niss des Wesens und der unveränderlichen Wahrheit der
Dinge wird nach Aristoteles keineswegs durch die Dinge
selbst, insofern sie etwa durch die Sinne auf den erkennen-
den Geist wirken, hervorgebracht. Allerdings muss zum
Behufe der Erkenntniss das objective, reale Sein zunächst
durch die Wahrnehmung in den Geist gebracht und durch
die Phantasie als ^avcaai^a dem voöc psychisch, innerlich
vorgestellt werden. Allein dieses innerliche Vorgestellt-
werden des Objectes genügt keineswegs zur Hervorbringung
klarer, gewisser, wahrer (objectiver) Erkenntniss, sondern
diese wird nur durch eine Thätigkeit des voöc selbst erreicht,
durch dessen eigenes, dem Lichte ähnliches Wesen und Wirken,
wodurch erst Evidenz und Gewissheit in den Erkenntnissact
gebracht wird. Die Aristotelische Lehre vom voöc Tra^Yjiaöc
und voöc TToir^Tixöc zeigt dies mit voller Klarheit. Würden
die Erkenntnissobjecte genügen zur Hervorbringung sicherer,
objectiv gültiger Erkenntniss, dann bedürfte es weiter
nichts als der (pavTäajxara, durch welche sich dieselben der
Erkenntnisskraft innerlich darbieten. Allein Aristoteles
hält die Mitwirkung einer besonderen Kraft, des voöc, für
nothwendig, um das wahre Wesen der Dinge, das in den
^avida^xaia vorhanden ist, zu entdecken, ins Licht zu bringen
und der geistigen Erfassung zugänglich zu machen. Zu
diesem Behufe nimmt er, wie wir sahen, den voöc ^toltjtixö?
an, der ein Moment des subjectiven Geistes selbst ist und
erleuchtend, Einsicht gewährend wirkt. So dass also die
evidentia der Erkenntniss nicht von aussen oder von den
Objecten, sondern von innen, von der Yerstandeskraft
subjectiven Geistes selbst, sobald er hinreichend entwickelt ist. Diese
Gewissheit und Richtigkeit macht sich in der Form der Evidenz und
Denknothwendigkeit geltend und erhält dadurch den Charakter der
Allgemeingültigkeit und Objectivität.
Frohschammer. Aristotelische Principienlehre.
130 II- ^^^ einheitliche Princip in der Aristotelischen Weltauffassung.
selber kommt — im Zusammenwirken allerdings mit
gegebenem Erkenntnissmaterial. Allerdings ist der voöc
TTocYjir/Cöc ein objectives, allgemeines, mit notliwendiger
Evidenz durch seine Principien wirkendes Moment des
subjectiven Geistes oder der Seele, allein immerhin ein
constitutives Moment des menschlichen Geistes selbst —
so dass von diesem der letzte entscheidende Grund der
Gewissheit und Wahrheit oder der Objectivität der Er-
kenntniss stammt — nicht von den Objecten oder der
sog. evidentia objectiva. Man könnte dieser Annahme nur
dadurch entgehen, dass man der Ansicht huldigte, der
voög :roi7]TLZöc sei überhaupt kein integrirendes, constitutives
Moment des subjectiven menschlichen Geistes, sondern
von ihm dem Wesen nach verschieden und nur auf ihn
Einwirkung übend; — sei es, dass man darunter einen
allgemeinen, wirksamen Weltgeist, oder geradezu den gött-
lichen Geist verstände. Aber diese Annahme findet in
der Aristotelischen Ausführung keine genügende Begrün-
dung, wie schon früher gezeigt wurde. Ausserdem aber
würde, wenn der voöc ttolt^tixöc vom voö? Tra^YjTixöc getrennt
zu denken wäre, die Objectivität der Erkenntniss doch
nicht von den Objecten kommen, sondern von einer ganz
eignen, mystisch wirkenden (höheren) Kraft, die mit der
Phantasie (den (pavidafiaia) zusammenwirkte. Dabei würde
dann der voöc ri'xd-qxiy.oQ vollends alle eigentliche Bedeutung
verlieren und erschiene nur noch als rein passiv, recht
eigentlich wie eine Tafel, die beschrieben, oder ein Gefäss,
das gefüllt würde — nicht aber als lebendiges, doch auch
geistiges, denkendes Subject des Erkennens der sinnlich-gei-
stigen Menschennatur. An diesem aber muss schon deswegen
festgehalten werden, weil sonst kaum mehr Irrthum mög-
lich und Wahrheit davon zu unterscheiden wäre. Die
Sinneswahrnehmung und die Phantasie geben zunächst nur
Vorstellungen von einzelnen Dingen, der voöc Tuonrjxixöc
nur Principien und die allgemeinsten Begriffe für sich,
3. Die Objectivität der Aristotelischen Philosophie. 131
dagegen die Anwendung dieser Principien und allgemeinsten
Begriffe zur Erörterung und Erkenntniss des gegebenen
Erkenntnissniaterials in Urtheilen und Schlüssen, wird
wohl als Sache des voöc im Allgemeinen oder Ganzen,
wenn nicht gradezu des voö? :ra^7jTLxöc als des eigentlichen
Erkenntnisssubjectes betrachtet werden müssen. Bei ihm,
in seiner Thätigkeit ist dann auch Irrthum möglich und
seine Erkenntnisse ändern sich, kommen und gehen, oder
erlöschen wieder vollständig.
Werfen wir nun einen Blick auf die moderne Philo-
sophie, der man im Gegensatz zur Aristotelischen Objec-
tivität den Vorwurf des Subjectivismus macht, so lässt
sich unschwer zeigen, wie unbegründet dieser Vorwurf ist
und dass die Aristotelische und die moderne Philosophie
gerade in der in Frage stehenden Beziehung einander viel
verwandter sind, als angenommen zu werden pflegt. Da
hiebei Cartesius und Kant hauptsächlich angeführt
werden, so mögen hier auch nur diese beiden Berücksich-
tigung finden. Allerdings nun geht Cartesius vom Zweifel
aus bei seinen Philosophieen ; vom Zweifel nicht blos an
der Wahrheit der üblichen Traditionen und Feststellungen,
sondern auch an der Wahrheit, Zuverlässigkeit der Sinnes-
wahrnehmungen. Aber der Zweifel ist nur ein methodo-
logischer ; es wird gezweifelt, um desto mehr alle Ungewiss-
heit zu überwinden, um ein vollkommen festes Fundament
für alle Erkenntniss zu gewinnen und alle Möglichkeit
ernsten Zweifels um so gründlicher auszuschliessen. Dieses
gesuchte, feste Fundament für alle Gewissheit des Er-
kennens fand bekanntlich Cartesius in der Selbstgewissheit,
und als Kriterium der Wahrheit stellte er die Klarheit,
also das unmittelbare Einleuchten auf. Unterscheidet sich
nun durch all diess Cartesius so ganz wesentlich von
Aristoteles und steht er, insoweit er sich von demselben
unterscheidet, tief unter ihm? Mit nichten. Allerdings
geht Aristoteles nicht vom Zweifel aus, er schreibt, wie
9*
132 II- D^s einheitliche Princip in der Aristotelischen "Weltauflfassung.
das gewölinliclie Mensclienbewusstsein der Sinneswahr-
nehmung Objectivität zu und geht von der Ueberzeugung
der unmittelbaren, über allen Zweifel und Beweis erhabenen
Gewissheit der ersten Yernunftprincipien aus. Allein diess
ist keine besondere Vollkommenheit seiner Philosophie,
wenn er das Bedürfniss einer näheren Begründung in
dieser Beziehung nicht gefühlt und keinen Versuch dazu
gemacht hat ; und wiederum ist es keine Un Vollkommenheit
der Cartesischen Philosophie, diesen Versuch gemacht zu
haben, um auch das noch zu begründen, was Aristoteles
von vorneherein als sicher gelten Hess. Im Grunde gilt
ja doch beiden das Gleiche als Quelle der Gewissheit und
Erkenntniss, nämlich die Sinneswahrnehmung und die
unmittelbare Evidenz im Bewusstsein. Des Cartesius
Philosophie ist sogar insofern noch objectiver, realistischer
als die des Aristoteles, als ihm das sinnliche Dasein
nicht blos als schwankendes, zwischen Sein und Nichtsein
schwebendes Daseinsgebiet gilt, sondern geradezu als Sub-
stanz, als in sich selbst seiendes, nicht erst durch ein
Formprincip zu verwirklichendes Wesen, wie bei Aristo-
teles. Das Selbstbewusstsein ferner oder die Selbstgewiss-
heit als Fundament aller anderen Gewissheit und alles
Wissens, hat sicher eben so viel Allgemeinheit, Realität
und Objectivität an sich, als der Aristotelische voö? tzoitizixoc;.
Denn nicht um das zufällige, subjective, empirische Be-
wusstsein des einzelnen Menschen war es dem Cartesius
zu thun, sondern nur das allgemeine, selbstbewusste Wesen
der Menschennatur überhaupt war ihm das feste Erkenntniss-
fundament, wie dem Aristoteles der voöc Troirjtixöc das
allgemeine Wesen des Verstandes ist, nicht der einzelne,
zufällige,' empirisch thätige Verstand als solchei'. Und
wenn dem Cartesius endlich die Klarheit das Kriterium
der AVahrheit ist, so stimmt er auch hierin mit Aristoteles
überein, dem ja auch die unmittelbare Evidenz der höchsten
Principien das Entscheidende bei der Einsicht und bei der
3. Die Objectivität der Aristotelischen Philosophie. 133
Gewissheit der Erkeiiiitniss ist. Die Klarheit als Kriterium
ist dem Cartesius offenbar nicht etwas blos Subjectives,
Willkürliches oder Zufälliges, sondern ein mit Noth wendig-
keit und Evidenz sich Aufdrängendes, den erkennenden
Geist durch inneres Licht oder Einleuchten Bestimmendes,
also etwas über die subjective Willkür Erhabenes und
insofern allgemein und objectiv Gültiges. Durch alF
diess ist also auch bei Cartesius nicht der subjective
Mensch zum Maass und zur Quelle der Erkenntniss
und Wahrheit gemacht, wie etwa bei den alten
Sophisten, sondern die jedem einzelnen menschlichen vSub-
jecte zu Grunde liegende, dessen Wesen constituirende
allgemeine Menschennatur, die an sich so real und objectiv
ist, wie die Aussenwelt selbst oder ein geltendes allge-
meines Princip. Es geschieht selbst nur durch eine
Sophisterei, wenn man der modernen Philosophie den
Subjectivismus der alten Sophisten zuschreibt und ihr
Schuld gibt, den Menschen zum Maass der Dinge zu
machen. Es wird nicht der einzelne Mensch, das einzelne
Subject mit seinen zufälligen Ansichten und Neigungen
zum Maass der Dinge gemacht, wenn behauptet wird, das
letzte Kriterium, das sichere Fundament alles Denkens
und Erkennens könne nur im Menschen selbst liegen ;
denn unter dem Menschen ist hier die Menschennatur,
das allgemeine, rationale Wesen des menschlichen Geistes
zu verstehen, das so objectiv und real ist, wie die äusseren
Dinge nur immer sein können, aber eben auch erst all-
mählich zur Entwicklung kommt und zur Offenbarung und
Geltung gelangen kann. Eben bei dieser Entwicklungs-
bedürftigkeit hat dann im Laufe der Entwicklung immer
auch der Zweifel wieder seine Bedeutung und seine Be-
rechtigung, da er zu neuer Prüfung, zu neuer Verinner-
lichung und Vertiefung ebenso, wie zu höherer Läuterung
zu führen geeignet ist. Schon im Alterthum genügte dem
philosophirenden Geiste die unbefangene , unvermittelte
1 34 II. Das einheitliche Princip in der Aristotelischen Weltauflfassung.
Objectivität der Aristotelisclieu Philosophie nicht mehr,
und es war der grösste, genialste philosophische Geist des
christlichen Alterthums, Augustinus, der diess fühlte,
und den Zweifel als Ausgangspunkt des Philosophirens
entschieden geltend machte; so dass man sagen kann, die
neuere, wirklich selbstständige und lebendige Philosophie
habe nach Jahrhunderten blossen Schulbetriebes der Philo-
sophie in der unselbstständigen, unfruchtbaren Scholastik,
genau mit der Forderung begonnen und sich dieselbe
Aufgabe gestellt, mit welcher die alte Philosophie abge-
schlossen wurde. Der Zweifel und das Selbstbewusstsein
wird von Augustinus als Ausgangspunkt des Philosophirens
geltend gemacht; das Selbstbewusstsein ist auch ihm das
Bollwerk gegen den Skepticismus — als subjective Selbstge-
wissheit. Das eigene Denken und also das eigene Sein
lasse sich nicht bezwTifeln, sei also unbedingt gewiss.
Augustinus spricht sich so aus: Tu qui vis te nosse, scis
esse te? Scio. Unde sis? Nescio. Simplicem te sentis,
an multiplicem? Nescio. Moveri te scis ? Nescio. Cogitare
te scis? Scio.^) In gleichem Sinne schliesst Augustinus
aus dem ,,falli posse" auf das Sein und bringt Sein, Leben,
Denken in Verbindung.^ Sehr deutlich spricht er sich
in seiner Schifft über die wahre Eeligion aus: Noli foras
ire, in te redi, in inferiore homine habitat veritas, et si
animam mutabilem inveneris, transcende te ipsum. Und
wiederum: Omnis qui se dubitantem intelligit, verum in-
telligit et de hac re, quam intelligit, certus est. Omnis
igitur, qui utrum sit veritas dubitat, in se ipso habet
verum unde non dubitet, nee uUum verum nisi veritate
verum est. Non itaque oportet eum de veritate dubitare,
qui potuit undecunque dubitare.^) In seinem Werke über
die Trinität, einem seiner späteren (aus der Zeit, da er
1) Soliloq. II 1.
2) De lib. arbit. II 7.
^) De Vera relig. 72. 73.
3. Die Objectivität der Aristotelischen Philosophie. ]^35
schon Bischof war 400—410), bemerkt er: Utriim aeris
sit vis vivendi an ignis dubitaverunt homines; vivere se
tarnen et meminisse et intelligere et velle et cogitare et
scire et judicare quis dnbitat ? Quandoqnidem etiam si
dnbitat, vivit, si dubitat, unde dubitet meminit, si dnbitat,
dubitare se intelligit, si dnbitat certus esse vnlt, si dnbitat
cogitat, si dnbitat seit, se nescire, si dnbitat, jndicat non
se temere consentire oppertere.^) Später: Nihil enim tarn
novit mens, qnam id, quod sibi praesto est, nee menti
magis qnidqnam praesto est quam ipsa sibi.^) Diess sind
dieselben Gedanken, wie sie bei Cartesins sich finden, nnd
da Angnstinns wohl der letzte bedeutende Geist des
Alterthnms war, der wirklich selbstständig und mit philo-
sophischer Kraft dachte, so kann man sagen, dass das
letzte Wort der alten Philosophie das erste der neueren
war, dass diese das Vermächtniss der schwach nnd macht-
los gewordenen, erlöschenden pliilosphischen Forschung des
Alterthnms wieder aufgenommen und, allerdings nach langer
Unterbrechung durch eine unselbstständige, dienstbare
Schulphilosophie, weiter geführt hat.
Aehnlich wie mit Cartesins verhält es sich auch mit
Kant. Auch er wird beschuldigt, dass er die Philosophie
ganz snbjectivistisch gestaltet und dadurch auch den sub-
jectivisti sehen Charakter der nachkantischen Philosophie ver-
anlasst habe; so dass demgemäss die ganze Philosophie
der Neuzeit (mit Ausnahme der aristotelisch-scholastischen,
kirchlichen Philosophie) dem Snbjectivismns verfallen sei.
Daher sie auch, obwohl idealistisch, doch den Materialismus
nicht tiberwinden könne, da sie überhaupt nicht das Wesen
der Dinge und nicht das Uebersinnliche , sondern nur
Phänomene nnd Formen zu ihrem Inhalt mache. ^) — Wer
^) De trinit. X 14.
2) De trinit. XIV 7.
^) So neuestens Dr. M. Glossner:
seinen metaph. und erkenntnisstheoretischen Beziehungen etc. Münster
136 II- D'^s einheitliche Priucip in der Aristotelischen Weltauffassung.
nun auch nur die ersten Sätze der „Kritik der reinen
Vernunft" kennt, der weiss, dass Kant das grösste Gewicht
auch auf die äussere Erfahrung legte, und wer bedenkt,
dass nach Kant durch blosses Denken ohne sinnliche
Wahrnehmung, durch blosse Begriffe ohne Anschauung
nur leere Hirngespinnste zu Stande kommen, der soll sich
wohl hüten, Kant ohne weiters des Subjectivismus zu be-
schuldigen. Seine Auffassung von Raum und Zeit als subjec-
tiver, apriorisch gegebener Formen der äusseren und
inneren Anschauung schliessen die Objectivität von Raum
und Zeit keineswegs aus, und selbst wenn man diess an-
nähme, so würde doch bei Kant ein Subjectivismus so
eigener Art übrig bleiben, dass er mit dem gewöhnlichen
nicht gleichgesetzt werden könnte. Und sein ganzes
Streben geht gerade dahin, der menschlichen Erkenntniss
Allgemeingiltigkeit und Noth wendigkeit und dadurch Ob-
jectivität zu sichern. Die sog. transcendentale Apperception
(Selbstbewusstsein) und der Verstand (Kategorien) mit der
Einbildungskraft sollen zusammenwirken, um aus dem
durch die Empfindung in den Formen von Raum und Zeit
aufgenommenen Erkenntnissmaterial wirkliche, objective
Erkenntniss oder ,, Erfahrung" zu bilden. Und hierin
berührt sich auch die Kant'sche Erkenntnisslehre mit der
Aristotelischen weit näher, als man gewöhnlich anzunehmen
pflegt. Die Aristotelischen 'favcdcixaia (Erkenntnissstoff)
sind bei Kant durch die Anschauungen und Reproductionen
gegeben, dem voöc tzoitizi'hoq mit seinen Principien und seinem
Lichte entspricht dagegen der Verstand mit seinen Normen
und die productive Einbildungkraft, die das ttoitjtixöv ent-
hält, wähtend die transcendentale Apperception als der
Coincidenzpunkt des yoüc ttoiyjtixöc und TraO-YjTixöc betrachtet
1880. Und von demselben Verfasser: „Das objective Princip der
Aristotelisch-scholastischen Philosophie, besonders Albert des Grossen
Lehre vom objectiven Ursprung der intellectuellen Erkenntniss etc.
Regensburg, New- York und Cincinnati. 1880.
3. Die Objectivität der Aristotelischen Philosophie, 137
werden kann. Dass Kant auch dem Materialismus min-
destens ebenso fern stehe wie Aristoteles und denselben
wissenschaftlich sicher so sehr überwinde wie dieser,
braucht hier gar nicht weiter ausgeführt zu werden. Wenn
man freilich den Jacobi'schen Einfall eines „Materialismus
ohne Materie" für Ernst nimmt, als ob er einen Sinn
hätte, dann kann man allerdings jeden Philosophen , was
er auch lehren möge, für einen Materialisten erklären l
Dass Kant nur Phänomene, nicht Dinge an sich erkennen
will, stempelt ihn noch nicht zu einen Materialisten, da
das ,,Ding an sich" nicht als Materie erklärt wird, und
ausserdem der erkennende Geist oder die Vernunft selbst
doch jedenfalls nicht als Materie erscheint. Phänomene,
Formen sind auch bei Aristoteles der Gegenstand der
Erkenntniss, und zwar sowohl der sinnlichen als der intel-
lectuellen Erkenntniss. Form (siSoc) im Unterschied von
dem Stofflichen ist ihm Anschauung und Vorstellung, z. B.
des Steines, da nicht der Stein selbst, sondern nur seine
Form in die Seele kommt. Als Form wird aber auch das
begriffliche Wesen, welches Gegenstand des Denkens und
Erkennens ist, bezeichnet und sogar auch ein «paviaajJLa
dafür gefordert. Es muss sich eben Alles, was erkannt
werden soll, irgendwie dem Geiste offenbaren d. h. als
Erscheinung, also in irgend einer Form darstellen, demnach
Phänomen werden. Was sich gar nicht offenbart oder
nicht zur Offenbarung oder Erscheinung (äusserer oder
innerer) bringen lässt, ist eben nicht erkennbar, bleibt
unerkannt, oder geradezu unbekannt.
Es ist demnach für die Anhänger der Aristotelisch-
scholastischen Erkenntnisslehre kein Grund vorhanden auf
besondere Objectivität zu pochen, im Gegensatz zur neueren
Philosophie, als einer ganz subjecti vis tischen. Richtig ist
nur, dass die neuere Philosophie das Subject besonders
betont und dem subjectiven Factor der Erkenntniss eine
nähere Untersuchung gewidmet hat, um seine Bedeutung
138 11. Das einheitliche Princip in der Aristotelischen Weltanflfassung.
tiefer zu erforschen und zu begründen, während die frühere
mehr den objectiven Factor dabei in's Auge gefasst hat,
zur Untersuchung des subjectiven, zu dieser Selbsterforschung
und Selbsterkenntniss des Erkennens aber noch nicht ge-
kommen war. Diess kann nicht als Vorzug gelten der
neueren Philosophie gegenüber, wenn doch das unvermittelte
Hinnehmen und Annehmen ohne genaue Prüfung nicht
als Vorzug gellen kann, sondern vielmehr das Gegentheil
davon ist. Ohne Subject kann nun einmal nicht erkannt
werden, bei Aristoteles und den Scholastikern so wenig
als bei den neueren Philosophen ; und jede Gewissheit und
Wahrheit muss ihre Gewähr und Geltung aus dem Subjecte,
aus subjectiver Evidenz, aus klarer Einsicht erhalten.
Ohne diese giebt es auch keine objective Evidenz, denn
auch die evidentia objectiva kann nicht an sich bestehen
und sich dem Geiste mittheilen, wenn sie diesem nicht in
subjectiver Evidenz als objective erscheint oder sich kund
gibt. Es gibt keinen Stein der Weisen, wenn der Weise
dem Steine mangelt. Diese subjective Evidenz hat dann
allerdings zwei Momente an sich: das rein subjective des
Thätig- und Bewusstseins bei dem Erkenntnissact, wodurch
Irrthum und Täuschung möglich ist, und das objective,
allgemeine Moment, das in der Bethätigung der dem Geiste
immanenten rationalen Gesetze und Grundsätze besteht,
welche die Kechtheit und Klarheit des Gedankens wirken,
aber doch trotz der Allgemeinheit und Objectivität ein
constitutives Moment des rationalen Geistes selbst bilden. ^)
Die Aristotelische Lehre vom Erkenntnissprocesse
zeichnet sich, wie wir sahen, nicht eben durch Klarheit
aus, sondern ist, besonders was die Unterscheidung eines
doppelten voöc betrifft, mit grosser Dunkelheit und Un-
bestimmtheit behaftet. Und die Scholastiker haben in
^) Näheres in der Abhandlung : „lieber Subjectivismus und Objec-
tivität in der Philosophie" im „Athenäum" philosophische Zeit-
schrift herausgegeben v. J. Frohschammer. München I. Band (1862).
3. Die Objectivität der Aristotelischen Philosophie. 139
dieselbe mit all' ihren endlosen Commentaren und Streitig-
keiten kaum irgend eine grössere Klarheit und Bestimmt-
heit gebracht. Im Allgemeinen ist der Erkenntnissvorgang
durch Albertus Magnus und besonders durch Thomas
von Aquin^) so bestimmt, dass die Einbildungskraft die
phantasmata zu liefern hat, welche zunächst die durch die
Sinneswahrnehmung gewonnenen species sensibiles dar-
stellen. Diese werden dann durch das Licht des intellectus
agens so beleuchtet, dass das begriffliche Wesen davon
(die species intelligibiles) erscheint und vom intellectus
possibilis, als dem eigentlichen Erkenn tnisssubject erfasst
werden kann. So im Allgemeinen; aber in Bezug auf das
Einzelne und bei der näheren Bestimmung herrscht grosse
Unbestimmtheit und viel Streit. Wenn allenfalls diese
Scholastiker und ihre Nachbeter darin übereinstimmen,
dass der intellectus agens ein constitutives Wesens-Moment
des menschlichen Geistes selbst sei, nicht ein davon ge-
trenntes, selbstständiges Wesen, wie arabische Philosophen
annahmen, — so lassen sie doch ganz im Unklaren darüber,
was dieser intellectus agens eigentlich sei und was er
leiste. Er wird als Licht bezeichnet; aber wie unbestimmt
ist dieser Ausdruck! Ist er dadurch Licht, dass er In-
begriff von Denkprincipien ist, wodurch Evidenz erzielt
wird? Aber wie können diese die species intelligibiles
zeigen, da sie sich doch auch auf die species sensibiles
beziehen und überhaupt nur das Denken formal leiten,
nicht Inhalt gewähren? Oder hat dieser intellectus agens
die species intelligibiles (ei^^q) als Ideen oder Urformen
alles Seienden im Grossen und im Einzelnen (nach Gat-
tungen und Arten) in sich wie angeborenen, apriorischen
Besitz, und gibt sie auf Anregung der phantasmata oder
species sensibiles an den intellectus possibiles ab? Bei
^) Näheres in des Verfassers „Einleitung in die Philosophie und
Grundriss der Metaphysik". 1858. S. 210 ff.
140 II- Das einheitliclie Princip in der Aristotelischen WeltauflFassung.
höheren Geistern wird in der That von den genannten
Scholastikern ein x\ngeschaffensein solcher Ideen an-
genommen, bei dem menschlichen intellectus agens aber
nicht, oder wenigstens nicht mit Entschiedenheit. Wozu
bedurfte es in solchem Falle auch der phantasmata, wenn
der active Geist das schon in Actualität in sich hätte,
was durch jene erst in den Geist gebracht werden sollte ?
So beschränkt man also die Thätigkeit des intellectus agens
darauf, dass er Beihülfe leisten soll durch sein Licht, da-
mit der intellectus possibilis die species intelligibiles in
den phantasmata erfassen und in sich als Erkenntniss auf-
nehmen könne. Bei solcher Unbestimmtheit und Rath-
losigkeit darüber, was der intellectus agens eigentlich sei
und zu leisten habe, ist es nicht zu verwundern, dass
selbst viele von den Scholastikern älterer und neuester
Zeit, trotz ihrer sonstigen Unterwerfung unter die Tho-
mistische Scholastik, doch den intellectus agens als unnütze
und verwirrende Belastung der Erkenntnisslehre fallen
Hessen — während allerdings Andere noch jetzt mit Strenge
daran festhalten. — Nicht minder unklar ist die schola-
stische Lehre in Bezug auf die species intelligibiles. Sie
sollen wohl die sXdri ^^^ Aristoteles sein und durch den
Intellect soll das ü ri^j sbai (und za^öXoo ?), das begriif liehe
Wesen bestimmt werden. Nach der Darstellung scheint
es, als ob diese species intelligibiles in den Dingen und
'ihren Abbildern, den phantasmata verborgen wären und
erst durch das Licht des Intellect s zum Vorschein kämen.
Sie sind also noch richtige Platon'sche Ideen, die fix und
fertig, aber ohne eigentliche lebendige Kraft und Wirk-
samkeit in den Dingen stecken, denselben gleichsam inner-
lich angethan, wie die Form dem Stoffe der Statue äusser-
lich angebildet ist, ohne für sich weiter wirken zu können.
Wir haben gesehen, dass auch die Aristotelische Auf-
fassung selbst noch an diesem Mangel leidet, und dass sie
in der That noch mehr Platonisch ist, als es zunächst
3. Die Objectivität der Aristotelischen Philosophie. 141
scheint. Unklar ist auch diess, was die species intelligibiles
eigentlich seien, ob nur das begriffliche Wesen der Einzel-
dinge nach Arten und Gattungen, oder auch abstracte
Eigenschaften, das Allgemeine, das verschiedenen Dingen
eigen sein kann, demnach auch allgemeine Verhältnisse
und Thätigkeiten — die doch wohl nicht als Ideen oder
species intelligibiles bezeichnet werden können ! Nicht blos
unklar, sondern geradezu unrichtig ist dann auch die
Weise bestimmt, wie die Erkenntniss dieser species intelli-
gibiles stattfindet. Es soll diess durch Beleuchtung geschehen,
wodurch das Wesen erscheine und vom intellectus possibilis
in abstracter Form aufgenommen werde. Wer die Art
der wissenschaftlichen Forschung und Entdeckungen kennt,
der weiss, wie wenig eine solche Auffassung dem wirk-
lichen Sachverhalt entspricht; weiss, wie wenig mit dem
blossen Hiuleuchten des Yerstandeslichtes und mit blosser
Abstraction gethan sei, dass vielmehr lange, mühsame
Beobachtung und Experimente (wo möglich} nothwendig
sind, um das Wesen der Einzeldinge und ganzer Complexe
von Dingen und Verhältnissen zu erkennen. Die schola-
stische Ansicht geht von der Meinung aus, das ganze
Dasein sei nur ein Complex von starren Ideen (species
intelligibiles), die in materielle Formen eingehüllt seien
und da nur aufgezeigt, aus der Umhüllung hervorgezogen
zu werden brauchen im Erkenntnissprocesse. Aber die
Natur ist vielmehr unendliches Leben und Wirken, sich
bildend und umbildend, in welcher nichts beharrend ist
als die allgemeine und sich beständig differenzirende oder
vielmehr producirende Gestaltungsmacht und die allgemeinen
Gesetze oder wirkenden Kräfte. Endlich auch in Bezug
auf den armen intellectus possibilis sind die Ansichten
der Scholastiker verschieden. — Die Einen fassen ihn blos
als tabula rasa, in qua nihil est scriptum, als leere Tafel
oder als Gefäss zum Aufnehmen — wobei ganz unklar
bleibt, was er denn eigentlich seinem Wesen nach sei, ob
142 II- I^äs einheitliche Princip in der Aristotelischen Weltauffassung.
vielleicM doch wenigstens das Bewusstsein oder Bewusst-
seiende oder anch dieses nicht ! Andere setzen ihn geradezu
als einerlei mit der Phantasie, so dass er seinen Namen
mit Unrecht trägt. Noch Andere endlich haben ihn da-
gegen zum eigentlichen, einzigen Intellect erhoben, indem
sie den intellectus agens ganz beseitigten.
Unter diesen Umständen, bei solcher Unsicherheit und
Unklarheit der Scholastik bezüglich der menschlichen Er-
kenntnisskraft und -Thätigkeit, darf es sicher nicht wun-
dernehmen und nicht für überflüssig gehalten werden, dass
in der neueren Philosphie so viele Versuche gemacht wurden,
diese fundamentale Fähigkeit und Thätigkeit des mensch-
lichen Geistes genauer zu erforschen und eine richtigere
und klarere Einsicht in das Wesen der menschlichen Er-
kenntniss zu erlangen. Und da das Problem auch jetzt
noch keineswegs zur vollen Lösung gebracht ist, so sind
fernere Versuche in dieser Beziehung nicht bloss zulässig,
sondern geboten. So wurde auch ein Versuch dieser Art
gewagt, indem die Phantasie als Grundprincip des Welt-
processes, und also auch der psychischen und insbesondere
der erkennenden Thätigkeit des menschlichen Geistes auf-
gefasst und in ihrer Bethätigung und Entwicklung darge-
stellt wurde. ^) Es wurde dabei nicht bloss die Bethätigung
des Verstandes im Erkennen, sondern die Entstehung, die
Genesis dieses Verstandes selbst zu erklären versucht. Aus
zwei Momenten constituirt sich derselbe und die Erkennt-
nisskraft überhaupt: Aus der bildenden Potenz, dem Bild-
dungsprincip oder der Phantasie einerseits und den wir-
kenden allgemeinen Gesetzen andererseits. Das eine Mo-
^) Die Phantasie alsGrundprincip desWeltprocesses
München. Th. Ackermann 1877, und : Monaden u n d W e 1 1 p h a n-
tasie. München Th. Ackermann. 1879. In Beziehung darauf auch:
„lieber die Bedeutung der Einbildungskraft in der Phi-
losophie Kant's und Spinoza' s". München Theod. Acker-
mann. 1879.
3. Die Objectivität der Aristo telischen Philosophie. 143
ment ist das eigentlich Subjective am menschlichen Geiste,
das Andere dagegen das Allgemeine nnd Objective, das
was der erkennenden Natnr und Thätigkeit den Charakter
der Allgemeingültigkeit und Objectivität verleiht. Die ob-
jectiven, real wirkenden Gesetze werden lebendig durch
Vermählung mit dem Gestaltungsprincip und es bildet sich ein
bestimmtes, centrales, beharrendes Wesen des menschlichen
Geistes, wodurch dieser im Stande ist, die Dinge im Strome
des Werdens zu erfassen, gleichsam zum Stehen zu bringen ^)
und nach ihrem wahren Wesen zu betrachten und für die
Erkenntniss zu bestimmen. Um das Wesen der Dinge in
allgemeine Begriffe zu fassen und den Zusammenhang und
das Yerhältniss derselben zu einander zu bestimmen, ge-
nügt es, dass einerseits ein bildendes Princip (Phantasie)
wirksam sei, andererseits aber die allgemeinen, beharrenden
Gesetze oder Normen bei der Bestimmung zur Anwendung
gebracht werden. So ist der menschliche Intellect durch
Vermittlung der Phantasie aus dem objectiven, realen In-
telligiblen entstanden und hat sich als bewusster mensch-
licher Verstand constituirt; und hinwiederum kann durch
diesen subjectiven Intellect das objective Intelligible er-
fasst werden. So dass, wie auch Aristoteles behauptet,
sich erkennend der voöc alles Intelligible gewissermassen
erkennt, und in der Erkenntniss von diesem wieder sein
eigenes Wesen erfasst.
^) Aristoteles selbst bringt das W^ort e~toT-r]fiYj mit Stehenbleiben
in Beziehung und er vergleicht das Entstehen der allgemeinen Begriffe
aus der Erfahrung mit dem zum Stehen-kommen eines aus der Schlacht
fliehenden Heeres. Phys. 247 : to) YjpsixYiaai v.al axfjvat tyjv otdvotav
£7ttaxaa'8'a'. xal cppovsiv Xe^OfAsv und tw v.ad'ioxr/.zd-ai xyjv '}o)(*rjV sx tYjc
cpuau.Yjc Tap^X"*!^ <pp6vt}j.ov xt ^('ivszai v.rx\ ETC'.ax-rifjLCiv. Anal. post. 100a.
Auch das deutsche Wort „Verstand" deutet Aehnliches an, wofern es
von verstau — Sich hemmend in den ^Veg stellen oder zum Stehen
bringen — abgeleitet werden kann. Dieser Verstand ist eben dadurch
fähig „was in schwankender Erscheinung schwebt zu befestigen in
dauernden Gedanken."
DIE
PHANTASIE
ALS
(IßllNDPRIiNCIP DES WELTPROCESSES
VON
J. FROHSCHAMMER
PROFESSOR DER PHILOSOPHIE IN MÜNXHEN.
MÜNCHEN.
THEODOR ACKERMANN.
1877.
Preis 11 Mark.
Das Werk (XXIV 575 S.) ist in 3 Bücher getheilt : das
erste behandelt „die Phantasie als snbjectives Seelenver-
mögen, ihre Bethätigung besonders in der menschlichen Er-
kenntniss und ihren principiellen und objectiven Chai-akter".
Das zweite Buch stellt „die objective Phantasie dar und
ihre Entwicklung zur subjectiven (Seele) im Naturprocesse" ;
das dritte Buch zeigt „die Entwicklung der subjectiven
oder Subject gewordenen Phantasie (Seele) zum selbstbe-
wussten Geiste, zur menschlichen Persönlichkeit".
Urtheile der Presse über dieses Werk:
Die Deutsche Zeitung (Wien) v. 12. Jan. 1777 sagt: . . . „Das
Buch kann in jeder Beziehung als hochinteressant e ni-
p fohlen werden. Zunächst ob seines aus den Zeiten des letzten
vatikanischen Concils berühmten Autors, sodann durch seine muster-
hafte Schreibweise und endlich (sit venia verbo) durch das Paradoxe
seiner Aufgabe, welche selbstverständlich im Rahmen des Buches
nicht erfüllt wird, das aber dennoch eine Menge lesenswerther, theil-
weise bedeutsamer Ausführungen enthält. Obschon das Ganze sich
streng an die wissenschaftlichen Formen hält, dürfte es doch einen
weiteren Leserkreis als die eigentlichen Fachkreise
find en."
Die Deutsche Allgemeine Zeitung (Leipzig) Nr. 66 von 1876 be-
merkt: . . . „Das Werk, welches unbedingt als Epoche ma-
chend auf dem Gebiete der neuesten Philosophie be-
grüsst werden darf, zerfällt in drei Hauptbücher, wovon das erste
die Phantasie als subjectives Seelenvermögen u. s. w.
Das Frankfurter Journal Nr. 322 von 1876 . . . „Unsere wiss-
begierigen (auch die gleich dem Referenten, nicht zu den philosophi-
schen Fachgelehrten gehörenden) Leser muntern wir auf, aus dem
Werke selbst sich ein Urtheil zu bilden sowohl über die
Grund- Anschauung und Beweisführung des Verfassers an sich wie
über eigene Zustimmung oder deren Gegentheil. Zeit und Mühe
wird sich ihnen reichlich lohnen! Selbst Ketzer-Richter —
theologische wie auch wissenschaftliche — werden anerkennen, dass
Frohschammer die Wahrheit redlich sucht und ein überaus feiner
Denker ist. Kenner der philosophischen Systeme aller Zeiten, hat er
auch die Fortschritte der allgewaltigen Naturwissenschaft in unserer
Zeit aufmerksam verfolgt. Von den meisten seiner Fachge-
nossen zeichnet ihnderästhetische undpoetischeSinn
aus, der — namentlich in diesem Buche — auch durch die Prosa
der vorsichtig und scharfsichtig vorschreitenden Forschung hervor-
leuchtet. Schliesslich machen w ir noch auf die Bedeutung des Werkes
für die Psychologie aufmerksam.''
Die Neue freie Presse (Abeudbl. 2. Dezember 1876) äussert sich:
„Der Inhalt dieses gedankenreichen Buches ist schwer in
wenigen Zeilen anzudeuten. Wenn man sagen wollte, Frohschammer
l)ekenne sich inmitten der heutigen Strömungen der Philosophie als
entschiedener Monist, so würde man wenig gethan haben, um seinem
Werke gerecht zu werden. Mit einer Nomenclatur ist hier überhaupt
nichts bewirkt. Fr. stellt die Phantasie als das Gestaltende in dem
Leben der Individuen nicht minder als in demjenigen des Weltgauzen
hin; sie ist ihm der Gegensatz zu dem mechanischen Werden der
Materialisten einerseits und zur ideologischen Aeusserlichkeit Gottes
andererseits. Fr. erkennt die Phantasie als die Einheit und Gesetz-
mässigkeit im Organismus des Weltganzen wie des Einzelmenschen
und sie ist es, aus der sich alle einzelnen Kräfte und Erscheinungen
entwickeln. Fachmänner werden zu beurtheilen haben, in wieweit Fr.
eine Grundlegung zu einem neuen System gelungen ist. Aber auch
Laien werden an dem redlichen Wahrheitseifer des
Verfassers Gefallen finden, der überdiess neben einer um-
fassenden Belesenheit auch einer Schreibweise sich
rühmen darf, welche in dieser Einfachheit und Leicht-
verständlichkeit sonst nicht bei Seinesgleichen ge-
funden zu werden pflegt."
Die Grazer Tagespost Nr. 60. 1877. „Ein sehr beachtenswerthes
Buch. Es präsentirt sich als ein neues philosophisches System und
zwingt auch denjenigen Lesern Achtung ab, die sich mit dem Kern-
punkte dieses neuen Systems nicht einverstanden erklären können,
— Achtung desshalb, weil Prof. Fr. das Wesen der subjectiven
Phantasie mit einer solchen Gründlichkeit und Viel-
seitigkeit durchforscht hat, dass dieser Theil seiner
Untersuchungen einen bleibenden Gewinn für die
Wissenschaft darstellt. Von tadelloser Klarheit und
Ueberzeugungskraft sind auch jene Abschnitte des Buches, in
welchen Fr. die Rolle kennzeichnet, welche die Phantasie in älteren,
jungen und jüngsten philos. Systemen gespielt hat". . .
Die Zeitschrift Europa (1876 Nr. 51) sagt : . . „Der Verfasser,
dessen Name in unserer philos. Literatur einen so guten Klang hat,
stellt sich die Aufgabe Wesen und Bedeutung dieses Princips zu er-
forschen und die Phantasie als das eigentliche Grundprincip alles
Bildens und Wirkens in Natur und Geschichte aufzufassen und sie
hinwiederum auch als Erkenntniss- und Erklärungsprincip vor Allem
geltend zu machen. . . Bei der Bedeutung des hier so
scharfsinnig beh im delten Problems seien alle pliilo-
soj^lii sehen und selbst denken den Kreise darauf auf-
merksam gemacht". . .
Die Augsb. Allg. Zeitung Nr. 352 Beil. 1876. Daselbst heisst
es: . . . „Wir schliessen unser Referat, in welchem wir nur die
Hauptgedanken diesesgedanken- und ideenreichen Werkes
kurz hervorheben konnten, in der Hoföiung, dass nach Vollendung
des Ganzen abermals Gelegenheit gegeben werden wird, auf sie zu-
rückzukommen, um die Bedeutung dieses Werkes für die Lösung der
wissenschaftlichen und praktischen Fragen für die Gegenwart be-
stimmter zu charakterisiren. So viel erhellt schon aus dem Mitge-
theilten, dass das Werk einen vermittelnden Standpunkt zwischen den
Gegensätzen unserer Zeitrichtungen einnimmt und verständigend und
versöhnend zu wirken sucht, und dass am wenigsten die Theologen,
wenn sie sich eine geistigeEin Wirkung auf unsere Zeit
zu erhalten suchen, Ursache haben, dieses Werk zu
ignoriren oder zu desavouiren."
Der Nürnberg. Correspondent 1877 Nr. 20. . . „Fr. hat ein
neues j)hilosophisches l'rincip aufgestellt zur einheitlichen Erklärung
der verschiedenen Formen des Daseins ; im vorliegenden AVerke stehen
wir einer ganz neuen, in sich abgerundeten W e 1 1 - A n-
schauunggegenüber, die der Verfasset mitbewunderns-
wert h e r Klarheit und Energie aus dem G r u n d p r i n c i p
ableitet."
Die neue Hannover'sche Zeitung 1877 Nr. ii bemerkt unter An-
derm: . . . „Die Theorie E. v. Hartmann's, nach der Alles
aus dem „Unbewussten" entstanden sei, findet ebenso ihre gründ-
liche Widerlegung, wie die S c h o p e n h a u e r ' s , wornach der
„Wille" das Urprincip gewesen und die Welt im Grunde nichts sei
als Vorstellung des dunklen ,, Willens". Frohschammer ist
nicht nur ein gewandter Dialektiker, sondern auch
ein Stil fertiger Schriftsteller. Er weiss seine Ge-
danken so darzustellen, dass sie jeder Gel)ildete ver-
stehen kann und ist dadurch vorzüglich geeignet, in
grösseren Kreisen wirksame philosophische Anreg-
ung zu geben,"
Die Weser Zeitung Beil. v. l. April 1877 schliesst einen längeren
Artikel : ,,F>ei dem Stunde der aus der alten Bahn der abstracten
Speculation namentlich durch den Einfluss der Naturwissenschaften
geleiteten philosophischen Frage halten wir es vollständig gerecht-
fertigt zur Erklärung des Weltdaseins einen Versuch mit einem
ganz neuen Elemente zu wagen, der seine Legitimation in der
Thatsache findet, dass dersellje ein erfahrungsmässiger, bedeutungs-
voller Factor in dem Seelenleben des Menschen ist und es nur dank-
bar aufgenommen werden kann, wenn eine geheimniss-
volle, räthsel hafte Seite unseres geistigen Wesens in
das Licht wissenschaftlicher Behandlung tritt." —
Die Jenaische Literaturzeitung 1877 Nr. 8. . . „Zunächst hebe
ich hervor, dass ich die wissenschaftliche, überhaupt acht philosophische
Gesinnung des Verfassers sehr hochschätze und mit dem Geiste, der
seine Schriften durchweht, im Wesentlichen sympathisiere, insofern
als er die idealen Interessen der Menschennatur in edler Weise und
warm vertritt. Ferner ist es selbstverständlich, dass, wenn man au(;h
die \'om Verfasser als Grundwahrheiten seiner Weltauflfassung aufge-
stellten Sätze und das Verfahren, dieselben als solche darzuthun,
nicht acceptirt, dabei doch das viele Vortreffliche, woran
('S in dem u m f a n g r e i c h e n W e r k e eines s o g e 1 e h r t e n und
geistreichen Verfassers nicht fehlen kann, nicht braucht über-
sehen zu sein."
Zarncke's Liter. Centralblatt 1878 Nr. 20. . . „Diese Proben
mögen als Beleg dienen für die 1 e i d e n s c h a f 1 1 o s e , o b j e c t i v e
Behandlung des schwierigen Thema' s, welches bisher
im Ganzen noch sehr wenig Beachtung gefunden hat.
So füllt das Buch eine Lücke der psychologischen und
e r k e n n t n i s s t h e o r e t i s c h e n Forschung aus. . . Die ganze
Anlage erinnert einigermassen an die „Philosophie des Unbewussten"
wie ja auch „Phantasie" und „Unbewusstes" nicht allzuweit ausein-
ander gehen."
Die Rheinischen Blätter für Erziehung und Unterricht VI. 1877
(Nov. — Dez.) . . . Frohschammer blickt ebensogut Avie Schopen-
hauer hinein in unser inneres Leben, um „das Ding an sich" d. h.
jenes ]Mehr, von dem wir redeten, zu finden. Die Natur ist fort-
währende Gestaltung und Wiedergestaltnng, ein stetes Entstehen und
Vergehen, ein Handehi und sich Verwandehi. Nur ein Wahnsinniger
könnte daran zweifehi. Was aber in uns schafft und gestaltet, das
ist die Phantasie, und da wir als die höchste Frucht der Natur-
entwicklung, so Aveit wir sie überschauen, zu betrachten sind, so wird
auch wohl in der Wurzel unseres Daseins dasselbe schaffend walten,
was wir in uns als das eigentlich Schöpferische empfinden. Es gibt
also nach Fr. eine siibjective und objective Phantasie. . . Fr. A. Lange
nennt jedes philosophische System ein ,, Gedicht in Begriffen". JNIag
er Kecht haben ! Wenn die Gedichte nur lehrreich und er-
hebend sind. Und diese Eigenschaften müssen der Froh-
scham m e r ' s c h e n Arbeit in hohem AI a s s e zugesprochen
werden. Leicht wäre es zu zeigen, wie durch die Frohschammer'sche
Anschauung die Pädagogik ein unerwartet sicheres und ergiebiges
Fundament, Avie namentlich die FrölieVsche Erziehungsweise durch
Frohschammer'sche Gedanken eine tiefsinnige Begründung erhält."
Die Allgemeine Deutsche Lehrerzeitung Beiblatt: Anzeiger für die
neueste pädagogische Literatur 1878 Nr. 11 schliesst das Referat
über den Inhalt des Werkes mit den Worten: „Die bedeutende Stel-
lung, Avelche der \'erfasser der Phantasie nach ihrer productiven und
reproductiven Seite im Weltj)rocess einräumt, ist mit Schärfe und
Sorgfalt nachgewiesen. Auch fehlt es dem Werke nicht an
treffend gewählten Beispielen ; überhaupt zeichnet sich die ganze
Arbeit durch Schärfe und doch Einfachheit derDic-
tion aus."
Die Literarische Correspondenz Bd. IV. Nr. 39. „Der geist-
vf)lle Verfasser der Gegenschrift gegen David Strauss: ,,Das neue
Wissen und der neue Glaube" bietet in dem vorliegenden umfang-
reichen Buche den Versuch, die Phantasie als Grundprincip des Welt-
processes aufzuzeigen. Findet sich auch Manches darin, was ein
wenig phantastisch klingt, wie bei solchem Unternehmen wohl kaum
zu vermeiden war, so können wir dasselbe doch u n s e r n
Lesern wegen der Keichhaltigkeit des Gedankenstof-
fes und der Klarheit der Form zur Leetüre empfehlen.
Vor Allem hat der Standpunkt des Verf. unsern Beifall. Bei voll-
kommer Beherrschung der naturwissenschaftlichen Kenntnisse, welche
heutzutage für ein erfolgreiches Philosophiren unumgänglich sind, hat
sich Frohschammer doch kritischen Sinn genug gewahrt, um die
Schwächen der verbreiteten rein mechanistischen Erkenntnisstheorie
zu erkennen". . .
Im „Ausland'' (Nr. 25. 1879) sagt ein Kecensent unter Anderm
Folgendes: . . . „Wer die mit Kant antiquirte (?) sog. „Ontologie"
noch immer als Muster hinstellt und sich von der sog. „reinen" Meta-
physik nicht losmachen kann, dessen Blick wird gegenwärtig vorzugs-
weise hingeleitet sein auf H a r t m a n n und Frohschammer, als
die gegenwärtig lebenden höchsten Eepräsentanten
dieser Weltanschauung. Wägt man die ontologisch-metaphysischen
Systeme beider aber wieder ihrem philosophischen Werthe
nach gegen einander ab, so sinkt die W^age ein wenig zu Gun-
st e n Frohschammer s".
Im Salzburger Volksblatt (Sept. 1879) schliesst eine Besprechung
der Schrift d. Verf. „lieber die Bedeutung der Einbildungskraft in der
Philosophie Kaut's und Spinoza's" mit den Worten: „Wir wünschen
den genannten Schriften die möglichste Verbreitung und erfolgreichste
Anerkennung, w^elche hinwieder zu dem Wunsche berechtigt, Prof. Fr.
möchte seineju grösseren Werke „lieber die Phantasie als Grundprincip"
in nicht zu ferner Zeit auch den zweiten Theil folgen lassen. Wir
hatten Gelegenheit über den ersten Theil dieses Werkes die gänzlich
unpartheiische Meinung eines hervorragenden Gelehrten Oesterreichs zu
hören und zum Schlüsse wiederholen wir dessen gewichtige Worte :
„Frohschammer's Werk: „Die Phantasie als Grundprincip
des Weltprocesses" ist ein eminent genialer Gedanke
und die Durchführung desselben eine bewMinderungs-
wür dige".
In diesem und ähnlichem Sinne haben sich — mit
geringfügigen Ausnahmen — bereits mehr als ein halbes
Hundert Stimmen in den Blättern über dieses Werk ge-
äussert. Darunter belinden sich auch die bedeutendsten
Fachzeitschriften des Auslandes: Filosofia delle scuole ita-
liane (Rom), Rivista Europea (Florenz), Revue critique
8
(Paris), Mind, Saturday Review (London), Westminster
Review (Jan. 1877,) Journal of speculative Philosophy
(St. Louis) etc.
Monaden und Weltphantasie.
Von demselben Verfasser in gleichem Verlage. 1879.
Preis 3 Mk. 60 Pf.
Diese Schrift (X. 181 S.) gibt im ersten Theile eine
übersichtliche Darstellung des Hauptinhalts des vorgenann-
ten grösseren Werkes und sucht Missverständnissen und
Einwendungen zu begegnen; im zweiten Theile setzt sich
der Verfasser mit jenen philosoph. Systemen auseinander,
welche als Urprincipien oder letzte Gründe des Weltge-
schehens und aller Gestaltungen sogen. Monaden in ver-
schiedenen Modifikationen annehmen. Die Grundlage der
philos. Weltauffassungen von Leibniz, Herbart und mehrerer
neuester Philosophen (J. G. Fichte, Carriere, Ulrici) wer-
den dargestellt und gewüi'digt und ebenso die denselben
sich annähernden Hj^pothesen 'einiger neuester Natur-
forscher (Preyer, Nägeli, Häckel und Zöllner).
Von demselben Verfasser 1879.
Ueber
die Bedeutung der Einbildungskraft
in der
Philosophie Kant's und Spinoza's.
Preis 3 Mk. GO Pf.