I
DER
PROCESS GALILEIS
UND
DIE JESUITEN.
VON
DR- F. H. REUSCH,
PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT IN BONN.
BONN,
EDUARD WEBER'S VERLAG
(JULIUS flittner).
1879.
HISTORISCHE?
AN DER TECH ;i
HOCHSCHULE CR
Das Recht der Uebersetzung behält sich der Verfasser vor.
VORWORT.
Es bedarf einer Erklärung, dass ich schon so bald nach dem
im Jahre 1876 erschienenen Buche von Karl von Gebier, ,, Galileo
Galilei und die römische Curie," eine ausführliche Darstellung des
Galilei'schen Processes veröffentliche. Geblers Buch ist anerkannter-
massen eine fleissige und tüchtige Arbeit und gibt eine im Wesent-
lichen richtige Darstellung des Conflictes Galilei's mit der Römischen
Curie. Seit Jahren mit Studien über diesen Gegenstand beschäftigt,
hätte ich im J. 1876 Geblers Darstellung wohl in Einzelheiten be-
richtigen und vervollständigen und in einigen nicht ganz unbedeu-
tenden Punkten eine abweichende Ansicht begründen können; aber
ich würde mir damals nicht zugetraut haben, eine wesentlich
bessere Arbeit zu liefern. Seitdem sind aber bekanntlich die Vatica-
nischen Processacten zum ersten Male vollständig und genau, und
zwar am besten durch Gebier selbst, veröffentlicht, und ausserdem
andere interessante Materialien durch die Schriften von Berti,
Pieralisi u. A. bekannt geworden. Ferner sind einzelne den Ga-
lilei'schen Process betreffende Fragen Gegenstand specieller Er-
örterungen geworden, wie namentlich die Frage: „Ist Galilei ge-
foltert worden?" in dem unter diesem Titel im J. 1877 von Emil
Wohlwill veröffentlichten Buche und in vielen durch dasselbe ver-
anlassten Aufsätzen. Im Anschlüsse an dieses Buch ist auch die
Echtheit eines Theiles der Vaticanischen Processacten in ausführ-
lichen und scharfsinnigen Untersuchungen von Einigen bestritten,
von Anderen, worunter auch Gebier, vertheidigt worden. Wäre es
Gebier vergönnt gewesen, eine zweite Auflage seines Buches her-
auszugeben, — er ist 7. Sept. 1878, viel zu früh, erst 27 Jahre alt,
gestorben, — dieselbe würde eine stark umgearbeitete haben werden
müssen.
Mein Buch beansprucht aber nicht etwa bloss, als eine ver-
besserte und vermehrte Auflage des Gebler'schen angesehen zu
werden. Ueber Einen Punkt spricht sich Gebier nur gelegentlich
aus, und was er darüber sagt, ist so ungenügend, dass man sieht :
IV Vorwort.
er war nicht Theologe genug, um denselben gründlich erörtern zu
können. Das ist die Frage, welche eine richtige Darstellung der
Thatsachen dem Theologen von selbst aufdrängt," welche aber
doch auch für weitere Kreise ein grosses Interesse, hat, die Frage:
was lehrt uns die Verdammung der Copernicanischen Ansicht im
Jahre 1616 und die Verurtheilung Galilei's im Jahre 1633 bezüglich
der Autorität, welche man in Rom für die Entscheidung von theo-
logischen und mit der Theologie zusammenhangenden Controversen
beansprucht? eine Frage, welche mit der Antwort: dass wenigstens
die damaligen Päpste Pius V. und Urban VIII. nicht unfehlbar
waren, ebenso wenig erledigt ist als mit der Antwort, bei welcher
gleich vielen Anderen auch Gebier sich beruhigt hat : dass die
Römischen Congregationen des Index und der Inquisition bei ihren
Entscheidungen, auch wenn die Päpste persönlich mit denselben
einverstanden sind, gröblich irren können.
Eine eingehendere Erörterung dieser Frage gibt Gebier nicht
und konnte er nicht wohl geben. Eine zugleich gründliche und
unbefangene Erörterung dieser Frage vermisse ich in der neuern
Galilei-Literatur überhaupt, und doch hat dieselbe, wie die Leser
meines Buches hoffentlich erkennen werden, eine Bedeutung, die
über ihren Zusammenhang mit der Frage über die päpstliche Un-
fehlbarkeit weit hinausgeht.
Damit, dass ich mit einer vollständigen geschichtlichen Dar-
stellung des Galilei'schen Processes eine Erörterung der theologi-
schen Bedeutung desselben verbinde, hängt auch der Titel meines
Buches zusammen. Ich habe denselben nicht bloss darum gewählt,
weil ich den Einfluss, den Jesuiten auf die Haltung der Römischen
Behörden dem Copernicanischen Systeme und Galilei gegenüber ge-
übt, klarer ins Licht gestellt zu haben glaube, als dieses in anderen
Darstellungen des Processes geschieht, sondern auch und hauptsäch-
lich darum, weil ich mich bei den theologischen Erörterungen vor-
zugsweise mit Schriftstellern aus einander zu setzen habe, welche
Jesuiten oder Schüler der Jesuiten sind.
Nachdem die Jesuiten in den letzten Decennien es längere
Zeit vorgezogen haben, über die ihnen begreiflicher Weise nicht
bequeme Galilei'sche Angelegenheit mit kurzen und gelegentlichen
Bemerkungen hinwegzugehen, scheinen sie in der neuesten Zeit
es für nöthig gehalten zu haben, die Sache eingehender zu behan-
deln, und die Art und Weise, wie sie dieselbe behandeln, ist so
charakteristisch für die jesuitische Theologie überhaupt, dass sie
wohl eine vollständige Darstellung und gründliche Prüfung verdient.
Vorwort. V
Fast gleichzeitig haben im Jahre 1878 die Jesuiten H. Grisar,
Professor der Theologie an der k. k. Universität in Innsbruck1),
und G. Schneemann2) den Galilei'schen Process in wissenschaft-
lichen Aufsätzen, etwas früher, im J. 1877, in Frankreich der Pater
Eugen Desjardins3) in einer populären Broschüre behandelt. Der
Aufsatz von Schneemann ist freilich eine bis zur Frivolität flüchtige
und oberflächliche Arbeit, und die Broschüre von Desjardins ist
noch leichtere Waare; aber die Aufsätze von Grisar bieten zunächst
eine auf neissigen Studien beruhende Darstellung des Galilei'schen
Processes, welche sogar in einzelnen Punkten dankenswerthe Be-
richtigungen und Vervollständigungen zu den bisherigen Darstellun-
gen liefert, dann eine sehr ausführliche, die jesuitische Auffassung
in ihrer Art recht geschickt vertretende ,, historisch- theologische Er-
örterung über die Römischen Congregations-Decrete in der Ange-
legenheit des Copernicanischen Systems". Auf diese Aufsätze von
Grisar habe ich also bei meinen Erörterungen vorzugsweise Bezug
genommen; daneben habe ich ausser den Arbeiten von Schneemann
und Desjardins noch berücksichtigt einige ältere Aufsätze in der
Civilta cattolica4), von dem französischen Jesuiten A. de Gabriac5),
dem deutschen Jesuiten und k. k. Professor J. B. Wenig0), dem
Germaniker Reinerding7), dem mit dem Jesuitenorden eng liirten
i) In der Innsbrucker „Zeitschrift für katholische Theologie", 2. Jahr-
gang, 1878: „Der Galilei'sche Process auf Grund der neuesten Actenpubli-
cationen historisch und juristisch geprüft", S. 65 — 128; „Die Römischen
Congregationsdecrete in der Angelegenheit des Copernicanischen Systems
historisch und theologisch erörtert", S. 673 — 736; dazu einige Recensionen
S. 185 — 192. 601—605.
2) „Galileo Galilei und der Römische Stuhl" in den „Stimmen aus
Maria-Laach", Jahrgang 1878, 2. — 4. Heft, S. 113 — 130. 254 — 270. 389 — 403.
3) Encore Galilee! Polemique, Histoire, Philosophie. Pau 1877.
4) Besonders Ser. 9 vol. 9 und 10 (1876).
5) „Galilee devant la science, la religion et la litterature", in den „Etu-
des religieuses, historiques et litteraires par des Peres de 4a Compagnie de
Jesus", Nouvelle Serie, Tome 12 (1867), p. 528—547.
6) Ueber die kirchliche und politische Inquisition. Von Theophilus
Philalethes. Wien 1875 (s- u- S. 469). Ueber die Freiheit der Wissen-
schaft. Rede gehalten zum- Amtsantritt von J. B. Wenig S. J., o. ö. Prof.
der Theologie, d. Z. Rector magnificus der k k. Universität zu Innsbruck.
Innsbruck 1866.
7) „Beiträge zur Frage über Galileo Galilei und seine Römische Ver-
urtheilung", in den Historisch-politischen Blättern, 56. Band (1865), S. 42 {
—439-
VI Vorwort.
französischen Kanonisten D. Bouix,1) und einem noch über die Je-
suiten hinausgehenden Infallibilisten, dem englischen Convertiten
W. G. Ward, — bis vor kurzem Herausgeber der unter der Leitung
des Cardinais Manning erscheinenden Dublin Review2), — sowie
die gelegentlichen Bemerkungen in den dogmatischen Werken des
Jesuiten-Cardinals Franzelin3) und der mit den Jesuiten verbrüder-
ten deutschen Theologen J. B. Heinrich und M. J. Scheeben und
in der Kirchengeschichte des neuen Cardinais J. Hergenröther.
Es wird vielleicht auffallend erscheinen, dass ich den ausführ-
lichen und scharfsinnigen Erörterungen von Wohlwill, Cantor und
Scartazzini gegenüber die Echtheit sämmtlicher Stücke der Vatica-
nischen sowie der von Gherardi veröffentlichten Processacten fest-
halte. Dass man in Rom nicht fähig gewesen sein sollte, im J.
1632 vor dem zweiten Processe ein gefälschtes Schriftstück in die
Acten des ersten hineinzubringeu, um Galilei um so sicherer ver-
urtheilen zu können, oder die Processacten vor ihrer Auslieferung
an die französische Regierung im J. 1809 oder vor ihrer theil-
weisen Veröffentlichung durch Monsignor Marini im J. 1850 durch
die Entfernung echter und die Beifügung gefälschter Stücke zu-
recht zu machen, glaube ich ebenso wenig wie die eben genannten
Gelehrten. Aber dass dieses wirklich geschehen sei, scheint mir
nach meinen ganz unbefangen angestellten Untersuchungen nicht
nur nicht erwiesen, sondern bei den meisten hier in Betracht kom-
menden Actenstücken im höchsten Grade unwahrscheinlich zu sein.
Scartazzini hat zwar kürzlich in einer italienischen Zeitschrift 4) ver-
sichert: ,, Die Deutschen sind jetzt überzeugt, dass sich in der Va-
ticanischen Handschrift, welche die angeblichen Acten des Gali-
lei'schen Processes enthält, viele Lücken und nicht wenige Fäl-
schungen finden. Wenn noch irgend ein literarischer Charlatan
(ciarlatano delle lettere) hartnäckig dabei bleibt, nein zu sagen, so
1) La condamnatioii de Galilee. Lapsus des ecrivains qui l'opposent
ä la doctrine de l'infaillibilite du Pape, in der Revue des sciences ecclesia-
stiques dirigee par M. l'abbe D. Bouix, 2. Serie, Tome 3 (1866), p. 105 —
140. 217 — 230.
2) The Authority of Doctrinal Decisions which are not Definiüons of
Faitli. By W. G. Ward, D. Ph. London 1866. Copernicanism and Pope
Paul V., in der Dublin Review, New Series No. 32 (April 1871), p. 351 —
368. Galileo and the Pontifical Congregations, ebend. No. 33 (July 187 1),
p. 140 — 169.
3) Tractatus de divina traditione et scriptura. Romae 1870.
4) Rivista Europea 1878, Vol. 8, p. 790.
Vorwort. VII
lassen sie ihn sprechen und gehen vorüber, und das ist das Beste,
was man thun kann." Ich habe eine bessere Meinung von den
Deutschen, die sich für den Galilei'schen Process interessiren, und
hoffe sogar von den Herren Wohlwill, Cantor und Scartazzini, dass
sie mich nicht darum, weil ich ihre Ansicht nicht theile, für einen
literarischen Charlatan halten und dass sie über meine Einwen-
dungen gegen ihre Argumentationen nicht zur einfachen Tages-
ordnung übergehen werden.
Wenn ich aus den Briefen Galilei' s und seiner Zeitgenossen
noch reichlichere Auszüge in deutscher Uebersetzung in meine
Darstellung verwebe, als dieses in den bisherigen Darstellungen
geschehen, so habe ich das darum gethan, weil es das beste
Mittel ist, den Lesern ein treues und anschauliches Bild von dem
Manne und seiner Zeit vorzuführen. Die Originaltexte der Briefe,
namentlich der nicht in Alberi's Sammlung enthaltenen, sind ja
auch den meisten Lesern nicht zugänglich.
Die neue Auflage von D. Berti's Ausgabe der Acten des
Galilei'schen Processes (s. S. 3) und der Aufsatz von E. Wohl-
will, „Der Original-Wortlaut des päpstlichen Urtheils gegen Gali-
lei" (des Beschlusses der Inquisition vom 16. Juni 1633; s. S. 299),
in der Zts. für Math. 1879, 1. H., Hist.-lit. Abth., S. 1 — 26, sind
mir erst zu Gesicht gekommen, als bereits zwanzig Bogen meines
Buches gedruckt waren. Sie sind bei den folgenden Bogen und
nebst einigen anderen neueren Publicationen in den Nachträgen
S. 479 ff. berücksichtigt worden.
Bonn im April 1879.
Reusch.
INHALT.
Seite.
I. Quellen i
II. Galilei's Persönlichkeit und wissenschaftliche Bedeutung 8
III. Galilei und die Peripatetiker 12
Die Peripatetiker S. 12. Scheiners Rosa Ursina S. 13. Galilei's
Entdeckungen S. 15. Sidereus Nuncius S. 16. Discorso sui Ga-
leggianti S. 18. Die Copernicanische Theorie S. 19. Galilei
und Kepler S. 20.
IV. Galilei's Reise nach Rom im J. 161 1. Seine Schrift über
die Sonnenflecken 24
Bellarmin und die Mathematiker des Römischen Collegs S. 25;
vgl. S. 479. Galilei's Freunde in Rom S. 26. Clavius S. 28.
Die erste Erwähnung Galilei's in den Acten der Inquisition
S. 29; vgl. S. 480. Scheiner und Galilei über die Sonnenflecken
S. 31.
V. Die Controverse über die theologische Zulässigkeit der
Copernicanischen Theorie 34
Brief an Castelli S. 37. Brief an Christina von Lothringen
S. 43. Briefe an Dini S. 52. Aeusserungen der Cardinäle Bar-
berini und Bellarmin und des P. Griemberger S. 56. Brief an
Diodati über Fromond S. $7. Foscarini S. 59. Campanella
Bellarmins Brief an Foscarini S. 62. Galilei's Erwiederung S. 65.
VI. Die Römische Inquisition und die Index-Congregation . 69
Das Sacro Arsenale und andere Literatur über die Inquisition
S. 74; vgl. S. 480.
VII. Denunciation Galilei's bei der Inquisition im J. 16 15 . 77
Niccolö Lorini S. 78. Die Predigt Caccini's S. 78. Die Denun-
ciation Lorini's S. 82. Das Verhör Caccini's S. 85.
VIII. Galilei's Briefwechsel im J. 16 15 88
IX. Galilei in Rom, December 16 15 bis Juni 16 16 . . . 98
Berichte Galilei's S. 99. Berichte Querenghi's und Guicciar-
dini's S. 102.
Inhalt. IX
Seite.
X. Die Verdammung der Copernicanischen Lehre, 25.
Februar 1616 107
Qualifikation der Copernicanischen Lehre S. 107. Sitzung der
Inquisition 25. Febr. 1616 S. 110. Index-Decret vom 5. März
1616 S. in. Bedeutung desselben S. 115. Verhältniss des-
selben zu dem Urtheil der Qualificatoren S. 118. Die Coperni-
canische Lehre als „Hypothese" S. 121. Bellarmins Antheil an
dem Index-Decret S. 125.
XL Galilei's Verwarnung am 26. Februar 1616 . . . . 127
Actenstücke über diese Verwarnung S. 127 (Die Bedeutung
von teuere S. 128). Die Echtheit der Aufzeichnung („Registratur"
S. 133) vom 26. Febr. S. 130 (Die Bedeutung von successive ac
incontinenti S. 136). Tragweite der Verwarnung S. 144 (Die
Bedeutung von tractare S. 146).
XII. Aeusserungen Galilei's und seiner Freunde über die Ent-
scheidung vom J. 16 16 150
Galilei nach Florenz zurückberufen, S. 150. Zeugniss Bellar-
mins S. 151; vgl. S. 480. Audienz bei Paul V. S. 153. Aeusse-
rungen über die Entscheidung vom J. 1616 S. 153. Die Haltung
der Lincei S. 154; vgl. S. 480. Brief an Erzherzog Leopold
S. 155. Aeusserungen von Stelliola, Castelli und Kepler S. 156.
XIII. Galilei's Controverse mit den Jesuiten Grassi und
Scheiner. Der „Saggiatore" . 160
Die Controverse mit Grassi S. 160. Der Saggiatore S. 163.
P. Riccardi S. 164. Denunciation des Saggiatore S. 169. Schei-
ners Rosa Ursina S. 170. Scheiners Verhalten S. 172.
XIV. Galilei und Papst Urban VIII 174
Tod Pauls V. S. 174. Gregor XV. S. 175. Urban VIII.
(MafFeo Barberini) S. 175. Ciampoli's Beförderung S. 175. 177.
Die Cardinäle Barberini S. 178. Galilei in Rom im J. 1624
S. 180. Seine Pension S. 181.
XV. Galilei's Schreiben an Ingoli und andere Vorarbeiten
für den Dialog 184
Die hypothetische Behandlung der Copernicanischen Lehre
S. 184. Das Schreiben an Ingoli S. 185. Scipio Chiaramonti's
Controverse mit Galilei und Kepler S. 188.
XVI. Galilei's Dialog über die beiden Weltsysteme .... 192
Ausarbeitung des Dialogs S. 192. Galilei in Rom 1630 S. 197.
Verhandlungen über die Approbation des Dialogs S. 198. 202.
Urbans VIII. Einschreiten gegen die Astrologen S. 200. Vor-
rede und Schluss des Dialogs S. 208.
XVII. Urtheile der Freunde Galilei's über den Dialog. . . 213
X Inhalt.
Seite.
XVIII. Urban VIII. und Galilei's Dialog 216
Das Einschreiten gegen den Dialog S. 217. Ae'usserungen
von Micanzio und Castelli S. 218. Charakter Urbans VIII.
S. 221. Seine Gespräche mit Niccolini S. 222. Ciampoli in
Ungnade S. 226. Urban VIII. und die Approbation des Dia-
logs S. 227. Urban VIII. und Simplicio S. 230. Die Jesuiten
S. 232.
XIX. Die Special-Congregation (August und September 1632) 235
Mitglieder der Congregation. Oregio S. 237. Actenstücke der-
selben S. 238. Der angeblich fehlende Anfang der Process-
acten S. 241. Die Anklagepunkte S. 243. Aeusserungen von
Magalotti und Micanzio S. 244. Die Haltung des toscanischen
Hofes S. 246. A. Cioli S. 248.
XX. Galilei's Vorladung nach Rom 248
Die erste Vorladung S. 248. Galilei's Brief an Card. Bar-
berini S. 249. Wiederholte Vorladungen S. 254.
XXI. Galilei's Aufenthalt in Rom bis zu dem ersten Verhöre
(13. Februar bis 12. April 1633) 259
Die Cardinäle der Inquisition S. 260. Msgr. Serristori S. 261.
Card. Scaglia S. 263. Card. Cappojii S. 264. Galilei's Haft
S. 265. P. Firenzuola S. 267. Die Verhöre S. 267.
XXII. Das erste Verhör Galilei's 268
XXIII. Die Gutachten der Theologen der Inquisition . . . 272
M. Inchofer S. 273. Z. Pasqualigo S. 275; vgl. S. 481.
XXIV. Das zweite Verhör Galilei's, 30. April 1633. ... 27g
Der Anklagepunkt S. 279. Brief Firenzuola's an Card. Bar-
berini S. 283. Galilei's Erklärung im zweiten Verhör S. 285.
Seine Entlassung aus dem Inquisitionsgebäude S. 287. Die
Kosten seines Aufenthalts in Rom S. 288.
XXV. Das dritte Verhör Galilei's, 10. Mai 1633. Seine Ver-
teidigung ;...... 289
XXVI. Die Sitzung der Inquisition am 16. Juni 1633 . . . 293
Das Referat über den Process S. 294. Das angebliche Fehlen
der juristischen Gutachten S. 297. Der Beschluss vom 16. Juni
1633 S. 299; vgl. 481. Das Verfahren der Inquisition: Verhör
über die Intention S. 303. Anwendung der Folter S. 304. Die
Formel sine praeiudicio etc. S. 304. Der Ausdruck „katholisch
antworten" S. 305. Der Ausdruck et si sustinuerit S. 312; vgl.
S. 481.
XXVII. Das vierte Verhör Galilei's, 21. Juni 1633 . . . . 3J5
Die Echtheit des Protocolls über dieses Verhör S. 317.
Inhalt. XI
Seite.
XXVIII. Die Verkündigung des Urtheils und die Abschwörung
Galilei's, 22. Juni 1633 ' 322
Wortlaut des Urtheils S. 323. Wortlaut der Abschwörung
S. 329. Das Urtheil von drei Cardinälen nicht unterschrieben.
S. 331. Art und Weise der Abschwörung S. 332. E pur si
muove S. 334.
XXIX. Das Vergehen Galilei's 336
Die Copernicanische Lehre als ketzerisch erklärt S. 336, nicht
bloss als temerär S. 339. Nicht zwei Anklagepunkte S. 342.
XXX. Die Aufzeichnung vom 26. Februar 1616 und die Ver-
urteilung Galilei's im J. 1633 346
Wohlwills Ansicht S. 346. Scartazzini's Ansicht S. 349. Ric-
cardi's Stellung in dem Processe S. 351.
XXXI. Ist Galilei gefoltert worden? 357
Territio verbalis und realis S. 358. Examen rigorosum
S. 361.
XXXII. Publication des Urtheils gegen Galilei an anderen
Orten 371
Der Dialog auf den Index gesetzt S. 376. Verweigerung der
Druck-Erlaubniss für Galilei's Werke S. 377. Galilei soll nicht
clarissimus genannt werden S. 378.
XXXIII. Die Behandlung Galilei's nach der Verurtheilung . 379
Galilei aus der Haft entlassen S. 379. Erlaubniss, nach Siena
zu reisen S. 380. Aufenthalt in Siena. Denunciation gegen den
Erzbischof Piccolomini S. 385. Galilei auf seiner Villa zu Arcetri
S. 386. Verwendungen von Castelli, Peiresc, Noailles und König
Ladislaus von Polen S. 389. Galilei erblindet S. 393. Erlaub-
niss zur Uebersiedelung nach Florenz S. 396. Verhandlungen
mit den holländischen Generalstaaten S. 399. Besuch Castelli's
S. 402. Andere Besuche S. 407. Gehülfen Galilei's S. 409.
XXXIV. Galilei's schriftstellerische Arbeiten seit 1633 . . .411
Eine lateinische Uebersetzuhg des Dialogs und des Briefes
an die Grossherzogin Christina in Strassburg gedruckt S. 414.
Die Dialoge über die neuen Wissenschaften S. 416. Projectirte
Publicationen S. 419. Streitschriften gegen den Dialog S. 420.
XXXV. Aeusserungen Galilei's und seiner Freunde über das
Urtheil vom J. 1633 424
XXXVI. Galilei's Tod und Bestattung 432
Verhandlungen mit der Inquisition über ein Denkmal S. 433.
Das Actenstück vom 14. Juni 1734 S. 436.
XXXVII. Die Römische Curie und das Copernicanische System
1633-1822 437
Verhandlungen im J. 1693 S. 438, unter Benedict XIV. S. 439.
XII Inhalt.
Seite.
Die Ausgabe des Dialogs vom J. 1744 S. 440. Approbation
des Buches von Settele und Aufhebung des Deoretes vom J.
1616 S. 441.
XXXVIII. Die Verdammung der Copernicanischen Lehre und
die päpstliche Unfehlbarkeit 442
XXXIX. Die Versuche, die Verdammung der Copernicanischen
Lehre zu entschuldigen 452
XL. Epilogus galeatus 466
Nachträge 479
Personen-Register 483
I.
Quellen.
Der grösste Theil der Acten der beiden gegen Galilei
in den Jahren 1615 — 16 und 1632 — 33 geführten Processe
der römischen Inquisition ist in einen ziemlich starken
Quartband zusammengeheftet, der sich im geheimen Archiv
des Vaticans befindet 1). Unter Napoleon L, wahrscheinlich
im J. 1809, wurden diese Acten mit anderen archivalischen
Schätzen nach Paris gebracht. Der Plan, dieselben dort
mit Beifügung einer französischen Uebersetzung zu veröffent-
lichen, kam nicht zur Ausführung. Die päpstliche Regie-
rung bemühte sich seit dem J. 18 14, die Acten zurückzuer-
halten; aber erst 1845 oder 1846 wurden sie zurückgegeben,
und zwar unter der ausdrücklichen Bedingung, dass dieselben
in Rom veröffentlicht würden. Unter Gregor XVI. wurde
das von der Curie gegebene Versprechen gar nicht er-
füllt, unter Pius IX. nur in sehr unvollkommener Weise
durch das im J. 1850 von dem Präfecten der Vaticanischen
Bibliothek, Monsignor Marino Marini, veröffentlichte Werk
„Galileo e l'Inquisizione. Memorie storico-critiche". Denn
dieses Werk ist nichts weniger als ein vollständiger Abdruck
der Acten; es ist vielmehr eine weder genaue noch unpar-
teiische Darstellung der Geschichte der beiden Processe,
welcher Auszüge und Fragmente der Acten beigefügt sind.
Von manchen wichtigen Actenstücken wird nichts gesagt;
die Auszüge aus anderen sind ungeschickt und tendenziös
gemacht. P. Grisar charakterisirt die Arbeit nicht richtig,
wenn er S. 66 sagt: ,, Marini, welcher im Einvernehmen Pius' IX.
im J. 1850 die vielbesprochenen Processacten veröffentlichen
1) Vgl. K. v. Gebier, Die Acten des Galilei'schen Processes S. VII;
zu dem Folgenden ebend. S. XXXIII und Galilei S. 385.
Reu seil, Galilei, I
2 Quellen.
sollte", — von einer von der Curie übernommenen Verpflich-
tung sagt Grisar nichts, — „hatte sich leider bei seiner
Arbeit" — doch auch wohl „im Einverständnisse Pius' IX."
— ,, nicht entschlossen, die Documente so, wie sie waren,
mitzutheilen. Er hob nur das Wichtigste getreu heraus.
Mit seiner apologetisch gehaltenen, im Ganzen trefflichen
Schrift erfuhr er darum das Unglück, nur um so mehr
allerseits die Verdächtigung zu provociren, als habe er ge-
rade das Bedeutendste unterschlagen und als dürfe und
könne Rom des eigenen Interesses halber mit den unver-
kürzten Acten nicht ans Licht treten." P. Desjardins be-
hauptet sogar S. 8 : „Das Buch is*t freilich unvollständig und
ungenügend, aber gewissenhaft und unparteiisch." Selbst H.
de l'Epinois sagt: „Das Buch Marini's leistete nicht das,
was man von einem Präfecten der Vaticanischen Archive
erwartete: statt des lange geforderten Textes des Processes
fand man nur hie und da ziemlich kurze Bruchstücke, los-
gerissene Sätze, welche die Wissbegierde gar nicht befrie-
digten und gestatteten, an Reticenzen zu glauben"1). Es
war nicht geeignet, den durch diese unvollständige Publi-
cation hervorgerufenen Verdacht zu beseitigen, dass Ande-
ren, wie dem Herausgeber der Werke Galilei's, Eugenio
Alberi, und dem deutschen Mathematiker Moriz Cantor2),
die Einsichtnahme der Acten verweigert wurde.
Erst 1867 erhielt der französische Gelehrte Henri de
TEpinois von dem damaligen Präfecten des Vaticanischen
Archivs, Dr. A. Theiner, die Erlaubniss, die Actenstücke zu
copiren. Er copirte aber nur die wichtigsten und machte
von den anderen nur kurze Inhaltsangaben. Was er auf-
gezeichnet hatte, veröffentlichte er im Juli 1867 in der Pa-
riser „Revue des questions historiques"3). Seine Publication
ist sehr unvollkommen, machte es aber möglich, viele Fehler
Marini's zu corrigiren.
Der Professor Pietro Riccardi, welcher 1872 zu Mo-
dena eine „Bibliografia Galileiana" veröffentlichte, Hess 1873
i) Galilee p. 9. Schärfere Urtheile mit beigefügter Begründung s. bei
Th. H. Martin, Galilee p. 395. 407. 124. 173. 268. Gebier, Galilei S. 390;
Acten S. XXXVI. Wohlwill, Der Inquisitionsprocess des Galilei S. 53;
Ist Galilei gefoltert worden? S. 132. 2) Zts. f. Math. 1864, 187.
3) Separat abgedruckt unter dem Titel: Galilee, son proces, sa con-
demnalion d'apres des documents inedits. Paris 1867.
Quellen. 3
im XIV. Bande der „Memorie della R. Accademia di Scienze,
Lettere ed Arti in Modena" die von H. de l'Epinois ver-
öffentlichten Actenstücke nebst den gleich zu erwähnenden
von Gherardi publicirten und einigen schon früher bekannt
gemachten Documenten zusammen abdrucken1).
Im J. 1876 erhielt der Professor Domenico Berti von
Theiner die Erlaubniss, die Actenstücke zu copiren. Grisar,
der von de l'Epinois sagt, er habe 1867 „die noch unbe-
kannten Theile des Processes [nicht vollständig] mit Er-
laubniss der römischen Archivvorstände herausgegeben",
sagt von Berti S. 67: ,,Der Oratorianer A. Theiner hatte
ihm das Manuscript zur Benützung anheimgegeben, mit
welcher Vollmacht, können wir nicht entscheiden". In der
„Nuova Antologia" vom December 1876 (T. 33, p. 854) ist
ein Brief des Cardinals Antonelli vom 28. Febr. 1870 abge-
druckt, worin er Berti mittheilt, Theiner sei von ihm ange-
wiesen, ihm das Manuscript zur Benutzung anheimzugeben2).
Auch Berti hat aber in dem Buche ,,11 Processo originale
di Galileo Galilei pubblicato per la prima volta", Rom 1876,
die Actenstücke weder vollständig noch genau veröffent-
licht3). Einige Berichtigungen zu Berti's Abdruck veröffent-
lichte noch im J. 1876 der Römische Priester Sante Pieralisi,
Bibliothekar der Barberiniana, — welcher 1858 acht unedirte
Briefe Galilei's und 1875 das Buch „Urbano VIII e Galileo
Galilei" herausgegeben hatte, — in der Broschüre ,,Corre-
zioni al libro Urbano VIII e G. Galilei con osservazioni
sopra il processo originale di G. Galilei pubblicato da D.
Berti".
Im April 1877 wandte sich Karl von Gebier, der Ver-
fasser des 1876 erschienenen Werkes „Galileo Galilei und
die Römische Curie", an die österreichische Botschaft in Rom
mit der Bitte, ihm die Erlaubniss zur Benutzung der Acten-
stücke zu erwirken. Schon am 9. Mai theilte ihm die Bot-
1) Separat abgedruckt unter dem Titel: Di alcune recenti memorie sul
processo e sulla condanna del Galilei. Nota e documenti aggiunti alla
Bibliografia Galileiana del Prof. Cav. Pietro Riccardi. Modena 1873.
2) Der Brief Antonelli's ist, aber ohne Unterschrift, schon in Berti's
Buch S. LVI abgedruckt.
3) H. de l'Epinois, Les pieces du proces p. VII. Berti hat 1875 das
Buch: Copernico e le vicende del sistema Copernicano in Italia nella seconda
metä del secolo XVI e nella prima del secolo XVII veröffentlicht.
4 Quellen.
schaft mit, der Cardinal-Staatssecretär Simeoni werde ihm,
wenn er nach Rom komme, die Benutzung der Actenstücke
gestatten. Gebier reiste nun sofort nach Rom und erhielt
ohne alle Schwierigkeit die Erlaubniss, die Actenstücke voll-
ständig abzuschreiben und drucken zu lassen. Ihm verdan-
ken wir eine sehr genaue Beschreibung und einen ganz
vollständigen, mit grosser Sorgfalt veranstalteten Abdruck
des Actenbandes in dem Buche: „Die Acten des Galilei' -
schen Processes", Stuttgart 1877.
Gleichzeitig mit Gebier hat H. de l'Epinois die Acten-
stücke zum zweiten Male eingesehen und gleichfalls einen
vollständigen Abdruck derselben besorgt: „Les pieces du
proces de Galilee, precedees d'un avant-propos", Paris 1877.
Die Publication von Gebier ist aber genauer; die von Epi-
nois hat vor ihr nur den Einen Vorzug, dass ihr photogra-
phische Facsimile's von elf Stellen des Manuscriptes beige-
geben sind1).
Der Quartband, welcher sich im Vaticanischen Archiv
befindet, enthält übrigens nicht alle auf den Galilei'schen
Process bezüglichen Actenstücke. Es befinden sich darin
z. B. nicht zwei der wichtigsten, das am 22. Juni 1633 pub-
licirte Urtheil der Inquisition und die Formel der Abschwö-
rung Galilei's. Dass nicht alle Actenstücke in dem Vatica-
nischen Manuscripte enthalten sind, erklärt sich aus Folgen-
dem: Die Acten der römischen Inquisition wurden in zwei
Serien von Bänden aufbewahrt. Die eine Serie enthält die
„Decreta", d. h. die Protocolle über die Sitzungen der Con-
gregation der Inquisition oder des h. Officiums und die
darin gefassten Beschlüsse; die andere Serie enthält die
„Processus", d. h. die Protocolle über die Verhöre der An-
geklagten und die Actenstücke zu den Processen, Briefe,
Gutachten der Consultoren, Verteidigungsschriften der An-
geklagten u. s. w. (dazu kommen drittens noch Register-
bände, „Rubricelle"). Der fragliche Quartband des Vatica-
nischen Archivs ist nun zusammengesetzt aus Stücken, welche
zwei verschiedenen Bänden der zweiten Serie entnommen
sind: aus dem einen Bande sind die auf den ersten, aus dem
andern die auf den zweiten Process bezüglichen Actenstücke
1) Berichtigungen zu seiner Ausgabe gibt Epinois in der Schrift La
question de Galilee, Paris 1878, p. 3 II.
Quellen. 5
entnommen. Aus den Bänden, welche die Decreta enthalten,
ist in das Vaticanische Manuscript nichts aufgenommen1).
Eine Anzahl von Decreta, welche Galilei betreffen, sind
aber 1870 zu Florenz in der ,,Rivista Europea" von dem
Professor Silvestro Gherardi veröffentlicht worden, welcher
sie in den Jahren 1 848 und 1 84g während seines Aufenthalts
in Rom, — er war dort einige Zeit Unterrichtsminister, —
theils selbst abgeschrieben, theils aus einer bereits früher,
wahrscheinlich für den Herzog von Blacas, gemachten Ab-
schrift entnommen hat2). Von dem Verhältniss dieser Acten-
stücke zu den Vaticanischen wird unten § VI gesprochen
werden.
Die beiden oben erwähnten Actenstücke, das Urtheil
vom 22. Juli 1633 und die Abschwörungsformel, welche sich
weder bei Gebier noch bei Gherardi finden, sind bereits im
17. Jahrhundert veröffentlicht und seitdem oft, italienisch und
lateinisch3), abgedruckt worden. Der italienische Text,
welcher der Originaltext ist4), steht u. a. in Alberi' s Aus-
gabe der Werke Galilei's und bei Riccardi. Bei Alberi .
finden sich auch mehrere die Processe betreffende Acten-
stücke aus Florenzer Archiven; andere hat Arturo Wolynski5)
herausgegeben.
Ausser diesen Actenstücken sind für die Darstellung
der Processe zu benutzen die Werke Galilei's und seiner
Gegner, Briefe von ihm und an ihn und andere Briefe aus
seiner Zeit. Dieses Material findet sich grösstentheils in
der erwähnten Ausgabe der ,,Opere di Galileo Galilei"
von Eugenio Alberi (f 1878), welche 1842 — 56 zu Florenz in
15 Bänden und einem Supplementbande erschienen ist6).
1) Vgl. Gherardi in der gleich anzuführenden Schrift S. 6. Die „Pro-
cessus" wurden wohl in dem Palast der Inquisition aufbewahrt, wo die Ver-
höre stattfanden, die „Decreta" in dem Dominicanerkloster della Minerva,
wo die Inquisition ihre Sitzungen hielt. Berti, II processo p. CXXXVIII.
2) Separat- Abdruck : II Processo Galileo riveduto sopra documenti di
nuova fönte dal Prof. Comm. Silvestro Gherardi. Florenz 1870. Die wich-
tigsten dieser Stücke sind abgedruckt bei Gebier, Galilei, S. 400 ff.
3) Lateinisch auch bei Gebier, Galilei S. 422.
4) S. Wohlwill, Ist Galilei gefoltert worden? S. 170.
5) Lettere inedite a G. Galilei und La Diplomazia Toscana e G. Ga-
lilei, Florenz 1874 (beide mir nicht zugänglich); Nuovi Documenti inediti
del Processo di G. Galilei, Florenz 1878.
6) Nach dieser Ausgabe citire ich, indem ich in lateinischen Ziffern
6 Quellen.
Nachträge dazu haben Pieralisi, Berti, Wolynski und An-
dere1) veröffentlicht.
Von geringem Werthe für unsern Zweck sind der Be-
richt von Gioan Francesco Buonamici über den zweiten
Process und die Biographieen Galilei's von dem Canonicus
Gherardini und von seinem Schüler Vincenzo Viviani. Buona-
mici hat zwar seinen Bericht im Sommer 1633 in Rom ver-
fasst und Galilei selbst vorgelegt2), — er wurde abschrift-
lich als „Zeitung" nach verschiedenen Ländern versandt3);
— aber Galilei äussert sich über den Inhalt nicht, einzelne
Angaben desselben sind nachweislich unrichtig und darum
auch die anderen nicht zuverlässig. Gherardini4) geht über
den Process mit einigen dunkelen Andeutungen hinweg,
Viviani' aber hat in seiner 1654 verfassten, 1718 zuerst ge-
druckten Biographie Galilei's5), wie wir sehen werden, den
Process und was damit zusammenhängt, aus Rücksichten
gegen die Inquisition und den toscanischen Hof unrichtig,
— Wohlwill urtheilt nicht zu hart, wenn er sagt: ,,in be-
wusster Unwahrheit", — dargestellt6). — Eine notorische
Fälschung ist ein bei vielen früheren Darstellungen benutz-
ter angeblicher Brief Galilei's an seinen Schüler Vincenzo
Renieri7).
den Band (mit Suppl. den Supplementband), in arabischen die Seitenzahl
angebe.
1) Vgl. Wohlwill, Ist Galilei gefoltert worden? S. 36. Auch die
älteren Sammelwerke von G. B. Venturi (Memorie e Lettere di G. Galilei,
Modena 1821, 2 Theile) und Gio. Targioni Tozzetti (Notizie degli aggran-
dimenti delle scienze fisiche accaduti in Toscana, Florenz 1780, 3 Bände)
enthalten einiges, was Alberi nicht aufgenommen.
2) IX, 392. 449.
3) C. Guasti, Le relazioni di Galilei con alcuni Pratesi a proposito
del falso Buonamici scoperto dal Sig. Th. H. Martin [Galilee p. 185. 393],
im Archivio storico S. 3, T. 17 (1873), p. 32.
4) Seine Vita di Galilei ist abgedruckt bei Targioni II, 62 — 76.
5) Abgedruckt XV, 321— 3 80.
6) Wohlwill a. a. O. S. 2. Vgl. Martin p. IV. 262. 398.
7) VII, 40. Vgl. A. v. Reumont, Beiträge zur ital. Gesch. I, 386.
Obschon die Fälschung längst aufgedeckt ist, wird der Brief noch im J. 1875
als echt citirt von P. Wenig S. 53, der sonst nur die Werke von Venturi
und Marini kennt, von Alberi und Epinois keine Notiz nimmt. — Notorische
Fälschungen sind auch die 1862 von Michel Chasles producirten Briefe Ga-
lilei's; s. Martin p. 388. 394.
Quellen. 7
E. Wohlwill hat im J. 1870 in einer kleinen Schrift,
„Der Inquisitionsprocess des G. Galilei", und gleichzeitig
mit ihm S. Gherardi in der „Rivista Europea" die Vermuthung
zu begründen versucht, ein in dem Vaticanischen Manuscript
enthaltenes, auf den ersten Process bezügliches Actenstück
vom 26. Februar 16 16 sei nicht echt, sondern erst kurz vor
dem zweiten Processe fabricirt worden. Diese Ansicht hat
bei den Meisten, welche seitdem über den Galilei'schen
Process geschrieben haben, Zustimmung gefunden. In seiner
zweiten, im J. 1877 erschienenen Schrift, „Ist Galilei gefol-
tert worden?" sucht Wohlwill zu erweisen, dass auch das
Protocoll vom 21. Juni 1633 gefälscht sei und dass der Vati-
canische Actenband auch noch andere gefälschte Actenstücke
enthalte, während ein Theil der echten Actenstücke ver-
nichtet worden sei. Das im J. 1809 nach Frankreich ge-
brachte Manuscript, meint er, habe nur einen Theil der jetzt
im Vatican aufbewahrten Actensammlung umfasst; ihre
jetzige Gestalt habe diese erst nach der Rücklieferung im
J. 1845 in Rom, allem Anscheine nach durch Marini, er-
halten, der mit dem aus Frankreich zurückgebrachten Fas-
cikel die in Rom zurückbehaltenen Documente vereinigt
oder wieder vereinigt, aber dabei auch „mehr und anderes"
gethan haben könne. In mehreren Aufsätzen in Zeit-
schriften ist dieser Versuch, Fälschungen in den Acten nach-
zuweisen, noch weiter ausgedehnt worden. Die Frage nach
der Echtheit der einzelnen Actenstücke wird in den folgen-
den Abschnitten mehr oder weniger ausführlich zu erörtern
sein ; hier mag vorläufig nur bemerkt werden, dass die drei
Gelehrten, welche das Vaticanische Manuscript in Händen
gehabt, Epinois, Berti und Gebier, alle Stücke desselben für
echt halten. Gebier, der in seinem ersten Werke der An-
sicht Wohlwills von der' Fälschung des Actenstückes vom
26. Februar 1626 zugestimmt hatte, hat sogar, nachdem er
das Manuscript geprüft, diese Zustimmung zurückgenommen.
8 Galilei's Persönlichkeit und wissenschaftliche Bedeutung.
'iL
Galilei's Persönlichkeit und wissenschaftliche Bedeutung.
Ich beabsichtige nicht, eine vollständige Biographie
Galilei's zu schreiben; aber folgende Notizen werden für das
Verständniss der Darstellung des Abschnittes seines Lebens
dienlich sein, welcher das Thema meiner Schrift ist.
Galileo Galilei, ein Sohn des Florentiners Vincenzo Ga-
lilei, wurde bei einem vorübergehenden Aufenthalte seiner
Eltern zu Pisa geboren am 18. Februar 1564 (nach dem Ju-
lianischen Kalender), an demselben Tage, an welchem Michel-
angelo Buonarotti in Rom starb. Vom Herbst 1581 bis
1586 studierte er zu Pisa zuerst auf den Wunsch seines
Vaters Medicin, dann, seiner eigenen Neigung folgend,
Mathematik und Physik. 1587 machte er eine Reise nach
Rom. 1589 wurde er Professor der Mathematik zu Pisa.
1592 wurde er von der Venetianischen Regierung an die
Universität Padua, von da 16 10 von dem Grossherzog Co-
simo IL als ,, erster grossherzoglicher Mathematiker und
Philosoph" mit einem Gehalt von 1000 Scudi nach Florenz
berufen. Er erhielt auch den Titel eines „ersten Mathema-
tikers der Universität Pisa", wurde aber von der Ver-
pflichtung, dort zu dociren, entbunden. Er Wohnte seitdem
in Florenz oder- auf einer Villa in der Nähe der Stadt.
Ueber das Motiv seiner Uebersiedelung von Padua nach
Florenz erhalten wir Aufschluss in einem der Briefe, welche
er während der Verhandlungen über seine Berufung nach
Florenz an den grossherzoglichen Minister Belisario Vinta
schrieb1). Er sagt darin: ,,Wenn ich in mein Vaterland
zurückkehren soll, so wünschte ich, dass Seine Hoheit mir
Zeit und Gelegenheit verschaffte, meine Werke zu vollen-
den, ohne dass ich mich mit Vorlesungen zu beschäftigen
hätte. Ich möchte aber nicht, dass Seine Hoheit darum
glaubte, meine Thätigkeit werde für die Freunde meiner
Wissenschaft weniger förderlich sein; sie würde dieses viel-
mehr in grösserm Maasse sein. In den öffentlichen Vor-
lesungen können nur die ersten Elemente vorgetragen wer-
den. Dazu aber sind Viele im Stande, und eine solche
Lehrthätigkeit würde mich nur hindern und mir in keiner
Weise dienlich sein, meine Werke zu vollenden, von denen
1) Vi, 96.
Galilei's Persönlichkeit und wissenschaftliche Bedeutung. 9
ich glaube, dass sie in der Literatur meiner Wissenschaft
nicht den letzten Platz einnehmen werden."
Es wird von keiner Seite bestritten, dass Galilei zu
den grössten Gelehrten seiner Zeit gehörte und dass ihm
in der Geschichte der Mathematik, Physik und Astronomie
eine hervorragende Stelle zukommt. Das schliesst nicht
aus, dass der Fortschritt der Forschungen auf diesen Ge-
bieten manche seiner Ansichten als irrig und manche seiner
Argumente als ungenügend erwiesen hat. Eine genauere
Würdigung seiner wissenschaftlichen Leistungen ist natür-
lich nur für Fachgelehrte möglich, und ihr Urtheil wird ver-
schieden ausfallen, je nachdem sie an Galilei's Leistungen
den Stand der Wissenschaften in der Gegenwart oder in
der Galilei unmittelbar vorhergehenden Zeit als Massstab
anlegen und die Leistungen seiner Zeitgenossen mehr oder
minder eingehend und unparteiisch berücksichtigen. Es
lässt sich auch nicht verkennen, dass gerade, bei der Be-
urtheilung eines Mannes wie Galilei die Gefahr nahe liegt
und von manchen Beurtheilern nicht vermieden worden istx
entweder einseitig und übertrieben zu loben oder ungebühr-
lich herabzusetzen. Mich selbst halte ich zu einer gründ-
lichen Würdigung der wissenschaftlichen Leistungen Gali-
lei's ebenso wenig für competent wie andere Theologen,
welche über den Galilei'schen Process geschrieben haben.
Der Darstellung, welche mehrere Jesuiten in der neuesten
Zeit mit Berufung auf Urtheile von Fachgelehrten entworfen
haben, um nachzuweisen, dass Galilei „nicht unfehlbar" war,
dass er mitunter voreilig Schlüsse zog, ohne gehörige Be-
obachtungen angestellt zu haben, dass er einmal einen
„grossen physicalischen Unsinn zu beweisen trachtet", dass
er „höchst unklare Begriffe von der Atmosphäre hatte und
die [jetzt] bekanntesten Eigenschaften der Luft übersah",
dass er „sich mit den genauesten Forschungen und Berech-
nungen der Astronomen in Widerspruch verwickelt" u. s. w.
u. s. w. *), — dieser Darstellung könnte ich ohne grosse
1) 'Schneemann S. 124, A. de Gabriac p. 529. Desjardins p. II. Von
Gabriac sagt Martin, Galilee p. 416, mit Recht: „In seiner Verstimmung
über die Ponsard'sche Tragödie Galilee hat er alles Böse zusammengetragen
und übertrieben, was über Galilei mit Unrecht gesagt worden ist von seinen
Gegnern von allen Farben, ohne sich um die Gegenbeweise zu kümmern".
Gabriac und Desjardins stützen sich bei ihren Bemerkungen über Galilei's
io Galilei's Persönlichkeit und wissenschaftliche Bedeutung.
Mühe mit Benutzung- der Arbeiten anderer Fachgelehrten
eine für Galilei günstiger lautende entgegenstellen. Aber
in eine Schrift über den Galilei'schen Process gehören der-
gleichen Auseinandersetzungen nicht hinein; denn um diese
Dinge hat es sich bei dem Processe nicht gehandelt.
Noch geflissentlicher als die Mängel an Galilei's wissen-
schaftlichen Leistungen heben die erwähnten Jesuiten die
„dunkelen Flecken" in seinem persönlichen Charakter her-
vor. Es handelt sich dabei zunächst um einen allerdings
sehr dunkeln Flecken in seinem Privatleben. Galilei war
nie verheirathet, hatte aber von einer Venetianerin, Marina
Gamba, mit der er während seines Aufenthalts in Padua
(seit 1599) im Concubinate lebte, drei Kinder, einen Sohn,
Vincenzo (geb. 1606), der 1619 legitimirt wurde, und zwei
Töchter, die in einem Kloster zu Arcetri den Schleier nah-
men. Diese Thatsache ist unbestritten, und wenn der Pater
de Gabriac es für nöthig hielt, sie ,,in authentischer Weise
zu constatiren", so konnte er das ohne grosse Mühe, auch
ohne sich auf das gar nicht existirende ,, lächerliche Decret
des Senats von Venedig'* zu berufen, „welcher seinem eme-
ritirten Gelehrten eine doppelte Pension gibt, »um seine
doppelten Ausgaben zu bestreiten« *)." Es ist aber schon
nicht ganz ehrlich, wenn P. de Gabriac sagt: „er lebte
öffentlich mit einer Venetianerin", ohne zu erwähnen, dass
Galilei dieselbe seit dem Jahre 16 10, in welchem er Padua
verliess, nicht wieder sah2), und es ist nicht berechtigt, wenn
P. Schneemann S. 118 um dieses Einen dunkeln Fleckens
willen ganz allgemein von Galilei's ,,Unsittlichkeit" spricht
und P. Grisar S. 106 der Erwähnung jenes Verhältnisses die
allgemeine Bemerkung vorausschickt: „Wie wenig ängstlich
er überhaupt, vermöge einer gewissen Souveränetät des
Geistes, die Schranken der Pflicht zu nehmen gewohnt
wissenschaftliche Leistungen wesentlich auf Delambre und Arago. S. über
diese Martin p. 422. 423, ferner Alberi, Suppl. p. IX. Bezüglich der Einzel-
heiten kann auf die Erörterungen verwiesen werden, die Martin an den
p. 423 verzeichneten Stellen gibt.
1) Die Decrete über Galilei's Gehalt sind XV, 390 abgedruckt; die
Gehaltserhöhungen werden durch seine wissenschaftlichen und akademischen
Leistungen motivirt; von der Versorgung seiner unehelichen Kinder ist
darin mit keiner Silbe die Rede. Martin, Galilee p. 10.
2) Suppl. 34. 75.
Galilei's Persönlichkeit und wissenschaftliche Bedeutung. 1 1
war, offenbaren starke sittliche Schattenseiten seines Privat-
lebens", und S. 718 „die laxeste Auffassung der Moralität"
zu den „nicht abzuleugnenden Seiten seines Charakters"
zählt. Von ähnlichen „sittlichen Schattenseiten seines Privat-
lebens" ist nirgendwo die Rede1). Vielmehr erscheint Ga-
lilei in seinem spätem Leben als ein sittlich durchaus unbe-
scholtener Mann, dabei als aufrichtig religiös und als gläu-
biger und gewissenhafter Katholik 2). Er genoss die Achtung
und Freundschaft vieler angesehenen und hochgestellten
Männer geistlichen und weltlichen Standes, und Papst Urban
VIII. richtete am 8. Juni 1624, als Galilei nach einem längern
Aufenthalte in Rom nach Florenz zurückkehrte, ein Breve
an den Grossherzog Ferdinand II., um diesem zu zeigen,
„wie- theuer Galilei seinem päpstlichen Herzen sei", und um
„seiner Tugend und Frömmigkeit ein ehrenvolles Zeugniss
auszustellen" 3).
Weniger ungerecht als der Vorwurf der „Unsittlich-
keit" ist der Vorwurf, den Schneemann im Anschluss daran
gegen Galilei erhebt, er sei „ehrgeizig, eitel und rechtha-
berisch" gewesen. Wenn aber P. de Gabriac sagt: „Wir
sehen ihn mit der Sorge für seine Reputation ebenso sehr
beschäftigt wie mit der Förderung der Wissenschaft. Er
beansprucht für sich die Ehre aller Entdeckungen. Stets
beschäftigt, zuerst seine wahren oder falschen Entdeckungen
bekannt zu machen, beobachtet er ein egoistisches und
kluges Stillschweigen über die Forschungen seiner Collegen
und Freunde" u. s. w„ so liegt hier die Uebertreibung auf
der Hand, und von den meisten Einzelheiten, welche zur
Begründung dieser Anklagen vorg-ebracht werden, lässt sich
nachweisen, dass die Thatsachen dabei entstellt oder zu un-
gerechtfertigten Schlüssen missbraucht sind.
Es ist aber nicht nöthig, hier weiter auf die Frage über
Galilei's Charakter einzugehen. Um die gegen ihn geführ-
1) Allerdings scheint im Jahre 1630, als Galilei in Rom war, Jemand
versucht zu haben, bei dem Cardinal Francesco Barberini Galilei durch eine
Andeutung anzuschwärzen, als ob auch der andere Vincenzo, der als Galilei's
Bruderssohn wiederholt erwähnt wird, sein Sohn sei. Der Cardinal wies
den Verleumder ab. Ausser den nicht klaren Andeutungen in den Briefen
VI, 347; IX, 190, findet sich nichts darüber. Die Sache wird auch von
keinem der Jesuiten, mit denen ich hier zu thun habe, erwähnt.
2) Martin, Galilee p. 200. 3) IX, 60.
12 # Galilei und die Peripatetiker.
ten Inquisitionsprocesse anschaulieft darzustellen, muss auch
ein gutes Stück seines Lebens, seiner wissenschaftlichen
Arbeiten und seiner literarischen Thätigkeit geschildert
werden, und diese Schilderung wird neben den Lichtseiten
auch die Schattenseiten seines persönlichen Charakters her-
vortreten lassen. Es ist ja namentlich gar nicht zu bestrei-
ten, dass Galilei bei den Controversen, welche die Processe
gegen ihn zur Folge hatten, sich von Unvorsichtigkeiten
und Missgriffen, auch von Unbilligkeit und Bitterkeit gegen
seine Gegner nicht frei gehalten, dass er während der Pro-
cesse sich wiederholt grobe Unaufrichtigkeiten hat zu Schul-
den kommen lassen und nichts weniger als den Freimuth
eines Bekenners und die Standhaftigkeit eines Märtyrers be-
kundet hat. Eine historisch treue Darstellung der Processe
gestaltet sich eben nicht zu einer Lobrede auf Galilei, nicht
einmal zu einer Apologie Galilei's; aber wenn er weder ein
Heiliger noch ein Märtyrer war, so braucht darum, wie wir
sehen werden, die über ihn gefällte Sentenz nicht milder
beurtheilt zu werden und dürfen die Apologeten der Römi-
schen Curie das nicht einmal als mildernden Umstand gel-
tend machen.
III.
Galilei und die Peripatetiker.
Galilei wird mit Recht zu den Begründern der moder-
nen Naturwissenschaft gezählt, nicht nur wegen seiner natur-
wissenschaftlichen Erfindungen und Entdeckungen, sondern
auch weil er einer der ersten entschiedenen Vertreter der
jetzt allgemein als allein richtig anerkannten naturwissen-
schaftlichen Methode war. Zu seiner Zeit wurde in den
Schulen die Naturwissenschaft als ein Theil der Philosophie
nach der damaligen Auffassung gelehrt. Die Schriften des
Aristoteles und die auf die Aristotelische Lehre basirten
Theorieen galten als massgebend, die naturwissenschaft-
lichen Anschauungen, welche sich in den mittelalterlichen
Schulen gebildet hatten, als ebenso feststehend, wie die
Lehrsätze der theologischen Scholastik. Die Beobachtung,
das Experiment und die Induction wurden ganz vernach-
Galilei und die Peripatetiker. 13
lässigt oder doch nur in sehr beschränktem Umfange ange-
wendet und höchstens eine Berichtigung von einzelnen unter-
geordneten Punkten der herrschenden Lehre für möglich
gehalten1).
„Aristoteles, sagt der Löwener Professor Gilbert2),
herrschte als absoluter Meister in den Schulen, und sein
Wort, das man als ein Orakel ansah, zog um die Natur-
wissenschaften einen unüberschreitbaren Kreis. Die tüch-
tigsten Gelehrten strebten nach nichts anderm, als in seine
Lehre einzudringen und aus ihr alle naturwissenschaftlichen
Wahrheiten abzuleiten, ohne die Natur selbst zu befragen. . .
Die apriorische Methode herrschte in der Naturforschung.
Statt von der Erfahrung auszugehen, um die Ursachen der
Erscheinungen zu erkennen, ging man von den Final-Ursachen
oder den Wesenheiten der Dinge, wie man sich dieselben
vorstellte, aus, um daraus auf dem Wege des Syllogismus
die Thatsachen abzuleiten. Und da dergleichen, auf so un-
sicheren Grundlagen aufgebaute Systeme in der Astronomie,
Physik und Mechanik auf tausend Widersprüche mit der
greifbaren Wirklichkeit stiessen, so erschöpften sich die
scharfsinnigsten Männer in Subtilitäten und Sophismen, um
Aristoteles und die Natur in Einklang zu bringen, um »die
Erscheinungen zu retten« \salvare phaenomena, salvare le
apparenze], wie man sich ausdrückte, — was vollends die
Geister irre führte und die Wissenschaft erstarren machte."
,,Dazu kam noch ein anderes Uebel, die allgemein
herrschende Sitte, in die rein naturwissenschaftlichen Dis-
cussionen die Bibel hineinzuziehen und Stellen der Bibel
und der Kirchenväter zur Bestätigung der physicalischen,
astronomischen u. s. w. Meinungen des Aristoteles zu citiren.
In allen naturwissenschaftlichen Werken jener Zeit findet sich
diese Unsitte. Ich führe als Beispiel die [1630 erschienene]
„Rosa Ursina" des Jesuiten Scheiner an, ein interessantes
Buch, ein merkwürdiges Gemisch von Physik und Bibel.
Auf dem Titelblatte werden als Quellen der Naturwissen-
schaft genannt: Auctoritas sacra, auctoritas profana, ratio,
— also die Bibel, Profanschriftsteller und die Vernunft, —
erst an letzter Stelle sensus, die Beobachtung. Ein Theil
i) Vgl. die Aeusserungen von Antonio Rocco II, 123.
2) Le proces de Galilee, 1869, p. 50.
14 Galilei und die Peripatetiker.
des Werkes handelt von der feuerigen Natur der Gestirne
und der Flüssigkeit des Himmels, und in dieser Erörterung
spielt die Auctorität der Bibel und der Kirchenväter die
Hauptrolle, und treten Tertullian, Ambrosius, Theodoret,
Bonaventura u. s. w. neben Mersenne, Kepler und Galilei
auf. Nicht weniger merkwürdig ist die im Anhange abge-
druckte Correspondenz zwischen dem Fürsten Cesi und dem
Cardinal Bellarmin über die Flüssigkeit des Himmels. Jener
greift den festen Himmel des Aristoteles an und bewaffnet
sich dabei mit der Bibel, die er nach dem Hebräischen
citirt. Der Cardinal seinerseits stützt die sphärische Gestalt
des Himmels auf tiie Stelle des Sirach [24, 8] : Gyrum coeli
circuivi sola; übrigens, fügt er bei, ist die runde Gestalt die
vollkommenste und wir wissen, dass, wie die Bibel [Deut.
32, 4] sagt, D ei perfecta sunt opera. Er beschreibt ein System,
welches er sich ausgedacht, »um zugleich die Bewegung der
Gestirne und die Meinung der h. Väter, welche den Himmel
als unbeweglich und die Sterne als beweglich bezeichnen,
zu retten (salvare)^. Diese Methode, welche gewisser-
massen die Weltansicht des Aristoteles auf die Bibel stützte,
verbunden mit dem ausgedehnten Gebrauche, welchen man
von der Aristotelischen Philosophie in der scholastischen
Theologie machte, hatte die Lehre des Stagiriten fast zu
dem Range einer Offenbarung erhoben und zwischen seiner
Lehre und den Wahrheiten des Glaubens eine so enge Ver-
bindung zu Wege gebracht, dass es kaum möglich war,
jene anzugreifen, ohne sich der Ketzerei verdächtig zu
machen."
Galilei charakterisirt die „Peripatetiker", wie die An-
hänger des traditionellen Systems gewöhnlich genannt wur-
den, in einem Briefe an Kepler vom 19. Aug. 16101) in
folgender Weise: „Diese Leute meinen, die Philosophie sei
ein Buch wie die Aeneis oder Odyssee und die Wahrheit
sei nicht in der Welt oder in der Natur, sondern, um ihre
eigenen Worte zu gebrauchen, in der Vergleichung der
Texte zu suchen. Wie würdest du lachen, wenn du hörtest,
was in Gegenwart des Grossherzogs zu Pisa von dem ersten
Philosophen der dortigen Universität (Libri?) gegen mich
vorgebracht wurde, indem er mit logischen Argumenten,
1) VI, 118.
Galilei und die Peripatetiker. 15
wie mit magischen Zauberformeln, die neuen Planeten vom
Himmel herabzureissen suchte!" „Sie wollen, schreibt er
im Januar 1641 an Fortunio Liceti1), jeden Ausspruch des
Aristoteles als wahr aufrecht erhalten und beweisen, dass
die Erfahrungen uns nichts zeigen, was dem Aristoteles un-
bekannt gewesen. . . Wäre die Philosophie das, was in
den Büchern des Aristoteles enthalten ist, so würde ich Sie
für den grössten Philosophen der Welt halten, da Sie alle
Stellen desselben zur Hand und in Bereitschaft haben. Aber
ich glaube, das Buch der Philosophie ist das Buch der
Natur, welches stets aufgeschlagen vor unseren Augen liegt,
aber, weil es in anderen Zeichen als denen unseres Alpha-
bets geschrieben ist, nicht von Allen gelesen werden kann/'
,, Der Pater Veglia, schreibt Micanzio an Galilei2), der Ver-
fasser der Vestigationes peripateticae, ist ein sehr gelehrter
Mann und wird mit Recht für ein grosses und universelles
Genie gehalten; aber sein dickes Buch handelt von absolut
nichts anderm als quae fuerit opinio Aristotelis in hac quae-
stione" „Ich kann es nur als eine Krankheit beklagen,
schreibt der Fürst Cesi in dem bereits erwähnten Briefe
(vom 14. Aug. 15 18) an den Cardinal Bellarmin3), an der
manche Philosophen unseres Jahrhunderts leiden, dass sie
sich der Experimente und Beobachtungen nicht nur enthal-
ten, sondern sie verwerfen. Es gibt nicht Wenige, welche
nicht nur das Fernrohr und Galilei selbst, der am Himmel
so vieles den Alten Unbekannte, neue Planeten, neue Fix-
sterne, neue Gestalten der Gestirne entdeckt hat, verwün-
schen, sondern sogar die einfache Beobachtung mit unbe-
waffneten Augen unterlassen und lieber freiwillig, durch die
Meinungen einiger alten Schriftsteller bezaubert, blind sein,
als, durch die Wahrnehmung und Vernunft geleitet, sich
auch nur ein wenig von jenen entfernen und ihren Decr et en
und Regeln etwas beifügen oder daran etwas ändern wollen."
Schon im J. 1605 erregte Galilei Aufsehen, als er den
im October 1604 im Bilde des Schlangentreters erschienenen,
nach einem Jahre wieder verschwundenen neuen Stern als
Argument gegen die Aristotelische Lehre von der Unver-
änderlichkeit des Himmels benutzte4). Sein Hauptkampf
1) VII, 354. 2) X, 70. 3) Scheiner, Rosa Ursina p. 779.
4) v, 391. Venturi I, 95. Martin, Galilee p. 13.
i6 Galilei und die Peripatetiker.
gegen die Peripatetiker begann aber erst nach der Erfindung
des Fernrohrs 1609 J).
Wir können uns jetzt kaum eine Vorstellung davon
machen, welches Aufsehen in den Kreisen der Peripatetiker
die Kunde machte, dass Galilei so viele und merkwürdige
Dinge am Himmel entdeckt habe, von denen die herkömm-
liche Physik gar nichts wusste. ,, Schon wenige Monate,
nachdem Galilei sich ein Fernrohr gebaut, hatte er bereits
nicht nur Berge im Monde gesehen, sondern sogar schon
versucht, die Höhen einzelner zu bestimmen; er hatte in
den Plejaden vierzig Sterne unterschieden, einige andere
ähnliche Sternanhäufungen im Orion, im Krebse u. s. w. auf-
gefunden und den Schimmer der noch von Aristoteles den
Meteoren beigezählten Milchstrasse als das vereinigte Licht
zahlloser kleiner Sterne erkannt, vor allem aber die für die
Gegner des Copernicanischen Weltsystems so unbequeme
Thatsache gefunden, dass Jupiter vier Monde besitzt und
somit sich auch ein Centrum von Bewegungen doch selbst
bewegen kann. [Diese Ergebnisse seiner Forschungen machte
Galilei in dem im März 1610 veröffentlichten ,,Sidereus Nun-
tius" bekannt.] Im September 16 10 bemerkte er die Phasen
der Venus und des Mars, ungefähr zur gleichen Zeit die
Dreigestalt Saturns und wahrscheinlich auch, ohne jedoch
1) P. de Gabriac führt als Beweis für seine Beschuldigung: „Galilei
beansprucht für sich die Ehre aller Entdeckungen" auch folgendes an: „In
Holland wird das Fernrohr entdeckt: Galilei rühmt sich, dieses Instrument
zuerst erfunden zu haben, vervollkommnet es und verkauft sein Patent den
Venetianern". Galilei rühmt sich nie, da.4 Fernrohr entdeckt zu haben, son-
dern sagt wiederholt, er sei durch Mittheilungen über ein von einem Hol-
länder [Hans Lippersheym in Middelburgh] angefertigtes Fernrohr veranlasst
worden, selbst ein solches anzufertigen; dieses schenkte er der Signoria
von Venedig und wurde darauf (1609) zur Anerkennung für dieses Geschenk
und für seine bisherige Lehrthätigkeit zum Professor in Padua auf Lebens-
zeit mit höherm Gehalt ernannt. III, 60; IV, 206; VI, 75; XV, 391. Martin,
Galilee p. 17. 22. Viel wesentlicher als die Erfindung des Fernrohrs ist
übrigens, wie R. Wolf, Gesch. der Astronomie, 1877, S. 313 sagt, „dass
Galilei dasselbe alsbald in ausgezeichneter Weise für Eroberungszüge am
Himmel zu verwerthen wusste". Freilich Arago, auf den P. de Gabriac sich
beruft, meint: einige Stunden würden für alle Beobachtungen genügt haben,
welche Galilei in den Jahren 1610 und 161 1 machte. — Das Ei des Co-
lumbus !
Galilei und die Peripatetiker. 17
damals schon über die Bedeutung klar zu werden, die
Flecken der Sonne"1].
Nicht wenige Peripatetiker gingen Anfangs so weit,
die Thatsächlichkeit und Richtigkeit von Galilei's Beobach-
tungen zu leugnen. Francesco Sizi zu Florenz weigerte
sich, durch ein Fernrohr zu sehen, weil er es a priori für
unmöglich hielt, dass die Dinge existirten, die Galilei durch
dasselbe erblickt haben wollte. Aehnlich Cesare Cremonini
zu Padua und Giulio Libri zu Pisa2). Andere behaupteten,
es liege an der Construction der Fernrohre, dass man da-
durch Dinge sehe, die gar nicht vorhanden oder anders be-
schaffen seien*). Unter anderm berichtete der mit Galilei
befreundete Maler Lodovico Cardi Cigoli am 1. Oct. 16 10
von einem der angesehensten damaligen Astronomen, dem
Jesuiten Christoph Clavius zu Rom, — mit dem Galilei
schon bei seiner ersten Anwesenheit in Rom im J. 1587 be-
kannt geworden war und mit dem er seitdem in Briefwechsel
stand4), — er habe geäussert: er lache über die angeblich
von Galilei entdeckten Trabanten des Jupiter; man müsse,
wenn dieselben existiren sollten, ein Fernrohr anfertigen,
welches dieselben erst hervorbringe und dann zeige5).
Dieser Standpunkt war natürlich nicht lange zu be-
1) R. Wolf, Gesch. der Astronomie, 1877, S. 313.
2) VI, 94. 129; VIII, 141.
3) VIII, 61.70; VI, 164. Ich weiss nicht, wer zuerst erzählt hat: als
der Jesuit Scheiner seinem Provincial zu Freiburg, Theodor Busäus, gesagt,
er wolle über die von ihm beobachteten Sonnenflecken schreiben, habe dieser
geantwortet: „Von solchen Dingen habe ich nichts in meinem Aristoteles
gelesen; das sind blosse Einbildungen oder Fehler deines Auges oder auch
deiner Gläser, mein Sohn, und du wirst besser thun, diese Sache für dich
zu behalten." P. Schneemann S. 124 erklärt diese Anekdote freilich für
„eine pure Erfindung"; nach dem oben Mitgetheilten ist sie jedenfalls gut
erfunden. Dass Busäus Scheiner Anfangs verbot, unter seinem Namen etwas
über die Sonnenflecken zu veröffentlichen, ist übrigens geschichtlich; s. de
Backer, Bibliotheque des ecrivains de ia C. de J. I, 703.
4) VI, 1. 120. 130.
5) VIII, 110. Christoph Clavius (Schlüssel), geb. in Bamberg 1538,
gest. 161 2 in Rom (aber nicht als Cardinal, wie in der Allg. D. Biographie
IV, 298 angegeben wird), war ein Haupt-Mitarbeiter an der Kalender-
Verbesserung unter Gregor XIII. Vgl. Hurter, Nomenciator literarius I, 377.
Kaltenbrunner, Die Polemik über die Gregor. Kalenderreform, Sitzungsber.
der Wiener Akad. 87. Bd. (1877), 545-
Eeusch, Galilei. 2
18 Galilei und die Peripatetiker.
haupten. Schon am 17. Dec. 16 10 schrieb Clavius an Gali-
lei, er habe die Jupitersmonde und andere ohne Fernrohr
nicht sichtbare Sterne gesehen1). Galilei antwortete ihm
am 30. December: Clavius1 Zeugniss für die Wahrheit seiner
Beobachtungen sei ihm von grossem Werthe und habe ihm
die Zustimmung einiger bisher Ungläubigen gewonnen; die
Hartnäckigen aber behaupteten, Clavius1 Brief sei entweder
erdichtet oder nur aus Gefälligkeit für Galilei geschrieben;
diese Leute schienen warten zu wollen, bis er ein Mittel
finde, einen der vier Mediceischen Planeten auf die Erde
herabkommen zu lassen, um ihre Existenz zu bezeugen2).
Bei den Controversen zwischen Galilei und den Peri-
patetikern handelt es sich vorzüglich um astronomische
Fragen. Indess trat Galilei auch in anderen Punkten der
in den Schulen herrschenden Physik entgegen. Im J. 161 2
veröffentlichte er, — veranlasst durch ein Gespräch an der
Tafel des Grossherzogs, an welchem auch der Cardinal
Maffeo Barberini, der nachmalige Papst Urban VIII., theil-
nahm3), — eine Abhandlung über die im Wasser schwim-
menden Körper, worin er den Satz bekämpfte, dass das
Schwimmen oder theil weise Eintauchen der Körper im
Wasser wesentlich von ihrer Gestalt abhänge4). Die Ab-
handlung, — gewöhnlich als „Discorso sui Galeggianti" citirt,
— wurde von einer Reihe von Vertretern der alten Richtung
bekämpft. Gegen zwei derselben, Lodovico delle Colombe
und Vincenzo di Grazia, verfasste Galilei eine Entgegnung,
welche 16 15 unter dem Namen seines Schülers, des Bene-
dictiners Benedetto Castelli erschien5). Charakteristisch ist,
was ein anderer Schüler Galilei' s, der Florentiner Giovanni
Bardi, Graf von Vernio, ihm unter dem 20. Juni 16 14 aus
Rom schreibt: er werde demnächst im römischen Colleg
1) VIII, 121. 2) VI, 130.^42.
3) Pieralisi, Urbano VIII. p. 42.
4) S. Günther, Vierteljahrschr. der Astron. Ges. II. Bd. 3. H. be-
zeichnet die „Bewegungslehre schwimmender Körper" als „in der Wolle
antiaristotelisch gefärbt."
5) VIII, 231. Gebier, Galilei S. 53. Castelli war 25. Mai 1577 zu
Brescia geboren und dort 4. Sept. 1595 in den Benedictiner-Orden getreten.
Er war zu Padua Galilei's Schüler. Er wurde 1613 Professor der Mathe-
matik zu Pisa. Von dort wurde er 1626 nach Rom an die Sapienza be-
rufen. Er starb 1644. Vgl. Tiraboschi, Storia (18 12) VIII, 215.
Die Copernicanische Theorie. 19
eine unter der Aufsicht des Pater Griemberger ') ausge-
arbeitete Abhandlung über die im Wasser schwimmenden
Körper vortragen, die ganz im Sinne Galilei's geschrieben
sei; Griemberger habe ihm gesagt: er würde sich noch
deutlicher in diesem Sinne ausgesprochen haben, wenn er
nicht auf Aristoteles hätte Rücksicht nehmen müssen, dem
sie (die Jesuiten) nach einem Befehle des Generals in keinem
Punkte entgegentreten dürften, dessen Ansichten sie vielmehr
unangetastet lassen müssten; er habe dabei zugegeben, dass
Aristoteles in diesem Punkte wie in anderen, z. B. bezüglich
der Geschwindigkeit des Falles, durchaus Unrecht habe 2).
Indess auf die anderen Controversen Galilei's mit den
Peripatetikern braucht hier nicht weiter eingegangen zu
werden; die astronomische Controverse trat schon früh in
den Vordergrund.
Zu Anfang des 17. Jahrhunderts galt bei der Mehrzahl
nicht etwa bloss der Theologen, sondern auch der „Mathe-
matiker" die sogenannte Ptolemäische Ansicht, dass die
Erde der feststehende Mittelpunkt der Welt sei, um welchen
sich die Sonne und die übrigen Himmelskörper bewegen,
als die richtige. Dass die von Nicolaus Copernicus in seinem
J543 erschienenen, Papst Paul III. gewidmeten berühmten
Werke „De revolutionibus orbium coelestium" vorgetragene
Theorie von der Bewegung der Erde um sich selbst und
der Erde und der übrigen Planeten um die Sonne nicht
schon im 16. Jahrhundert lebhaftere Controversen und ein-
gehendere Untersuchungen veranlasste, dazu trug der Um-
stand mit bei, dass in der Vorrede, welche ein Schüler des
Copernicus, der den Druck des Werkes zu Nürnberg leitete,
Andreas Osiander, ohne Vorwissen des Verfassers, statt der
von diesem geschriebenen Vorrede, beigefügt hatte, dessen
Ansichten als blosse Hypothesen, noch dazu als nicht ein-
mal wahrscheinliche Hypothesen bezeichnet waren und dass,
da man vielfach irrthümlich diese Vorrede für ein Werk
des Copernicus selbst hielt, lange Zeit die Meinung sehr ver-
i) Christoph Griemberger, geb. 1 561 zu Hall in Tirol, gest. 1636 zu
Rom, war ein Schüler des Clavius und ein tüchtiger Gelehrter, und wurde
von Galilei sehr geschätzt; VI, 133.
2) VIII, 322. 324. Bardi's Abhandlung steht bei Targioni II, 2; vgl.
I, 20.
20 Die Copernicanische Theorie.
breitet war, Copernicus selbst habe seine Ansicht nur hypo-
thetisch, nur als eine zur Erleichterung der Berechnung des
Laufes der Gestirne dienliche Theorie vorgetragen1).
Galilei theilte diesen Irrthum nicht, sondern hatte er-
kannt, dass Copernicus seine Theorie allerdings als eine
naturwissenschaftlich begründete Wahrheit vorgetragen2);
aber manche seiner Gegner, auch der Cardinal Bellarmin3),
meinten, Copernicus habe seine Ansicht nur hypothetisch
vorgetragen, und es kam, wie wir sehen werden, schliess-
lich zu einer „Correctur" des Copernicus'schen Werkes in
diesem Sinne. '
Galilei vertheidigt die Copernicanische Lehre schon in
dem ältesten Briefe, den wir von ihm haben, an Jacopo Maz-
zoni vom 30. Mai 1579 4). In einem Briefe an J. Kepler, d. d.
Padua 4. August 1597 5), sagt er, er bekenne sich seit vielen
Jahren zu der Ansicht des Copernicus und habe manches
zur Begründung derselben und zur Widerlegung der Ein-
wendungen gegen dieselbe Dienliche geschrieben; er habe
aber bisher nicht gewagt, etwas davon zu veröffentlichen,
„durch das Loos unseres Lehrers Copernicus selbst geschreckt,
der sich zwar bei Einigen unsterblichen Ruhm erworben,
von unendlich Vielen aber, — denn so gross ist die Zahl
der Thoren6), — verlacht und verspottet wird. Ich würde
es wagen, meine Gedanken zu veröffentlichen, wenn es
mehr Männer gleich dir gäbe. Da das aber nicht der Fall
ist, werde ich es unterlassen." In seiner Antwort vom 13.
Oct. 15977) sagt Kepler: „Du erinnerst mich sehr weise
und versteckt, indem du auf dein eigenes Beispiel hinwei-
sest, man müsse vor der allgemeinen Unwissenheit zurück-
weichen und sich nicht unvorsichtig der Wuth der Lehrer
des grossen Haufens aussetzen. Aber da in unserm Jahr-
i) Vgl. Fr. Beckmann, Zur Geschichte des Copernicanischen Systems,
2. Artikel, 1862, S. 3. Wie Dr. Ward, Dublin Review, Apr. 1871, p. 365,
so sagt auffallender Weise auch noch L. Terrier, Galilei, Basel 1878, S. 20:
„Copernicus war so vorsichtig, seine Ideen nur als einfache Hypothesen hin-
zustellen." 2) II, 18; s. u. §. VIII. 3) VIII, 374; s. u. §. V.
4) II, 1. Mazzoni, geb. 1548 zu Cesena, f 1598, war nicht, wie viel-
fach angegeben wird, Galilei's Lehrer zu Pisa gewesen; er wurde dort erst
1588 Professor. VI, 8. 5) VI, 12.
6) Anspielung auf Eccl. 1, 15: Stultorum infinitus est numerus.
7) VIII, 21.
Die Copernicanische Theorie. 21
hundert zuerst von Copernicus, dann von mehreren anderen
sehr gelehrten Mathematikern das grosse Werk begonnen
worden und die Lehre, dass die Erde sich bewege, nicht
mehr ganz neu ist, ist es doch vielleicht besser, durch
gemeinsames Bemühen den einmal in Bewegung gesetzten
Wagen ununterbrochen dem Ziele näher zu bringen, damit
wir den grossen Haufen, da er das Gewicht der Gründe we-
niger beachtet, mit Auctoritäten mehr und mehr überschütten
und so vielleicht durch List zur Erkenntniss der Wahrheit
führen. Du könntest deine Mitarbeiter so vielen ungerechten
Urtheilen gegenüber unterstützen, da sie aus deiner Zustim-
mung Trost schöpfen und in deiner Auctorität einen Schutz
finden würden. Denn es sind nicht bloss deine Italiener,
welche, wenn sie es nicht fühlen, dass sie sich [mit der Erde]
bewegen, nicht glauben können; auch hier in Deutschland
finden wir mit jener Lehre keinen sonderlichen Beifall . . .
Fasse Muth, Galilei, und schreite voran! Wenn ich nicht
irre, werden nur wenige von den angesehensten Mathema-
tikern Europas sich von uns trennen wollen; so gross ist die
Macht der Wahrheit. Wenn dir Italien nicht geeignet
scheint zur Veröffentlichung deiner Argumente und du dort
auf Hindernisse stössest, so werden wir vielleicht in Deutsch-
land uns frei aussprechen können. Theile mir wenigstens,
wenn du es nicht öffentlich thun willst, schriftlich mit, wenn
du etwas zu Gunsten des Copernicus Sprechendes ge-
funden hast."
In seinen akademischen Vorlesungen vermied Galilei,
wie wir aus einem später zu erwähnenden Briefe Castelli's
erfahren, die Copernicanische Theorie zu erörtern. In dem
im J. 1610 erschienenen ,,Sidereus Nuncius" sprach er sich
zum ersten Male öffentlich zu Gunsten derselben aus, indem
er bemerkte1): die Jupitersmonde seien wohl geeignet, „das
Bedenken derjenigen zu beseitigen, welche in dem Coper-
nicanischen Systeme die Bewegung der Planeten um die
Sonne nicht beanstandeten, an der Bewegung Eines Mondes
um die Erde und der Bewegung beider um die Sonne aber
solchen Anstoss nähmen, dass sie darum die ganze Coper-
nicanische Theorie für unmöglich hielten." Eine neue Be-
stätigung dieser Theorie fand Galilei in den noch in dem-
1) III, 98.
22 Die Copernicanische Theorie.
selben Jahre von ihm beobachteten Phasen der Venus. In
Briefen aus dem December 1610 und aus den ersten Monaten
des Jahres 161 1, an Julian von Medici, Sarpi und Andere1),
hebt er dieses auch hervor. Gleichwohl schrieb er am
30. Dec. 16102) an seinen Schüler Castelli: „Ich habe bei-
nahe lachen müssen über die Bemerkung in Ihrem Briefe,
dass durch solche Beobachtungen auch die Hartnäckigsten
überzeugt werden könnten. Wissen Sie denn nicht, dass, um
die Vernünftigen und nach der Erkenntniss der Wahrheit
Verlangenden zu überzeugen, die anderen früher angeführten
Demonstrationen genügten, dass aber, um diejenigen zu
überzeugen, welche hartnäckig sind und sich um nichts
kümmern als um den leeren Beifall des dummen und thö-
richten grossen Haufens , das Zeugniss der Sterne selbst
nicht genügen würde, wenn sie auf die Erde herabkämen und
von sich selbst redeten? Bemühen wir uns, für uns selbst
etwas zu wissen, und begnügen wir uns mit dieser Genug-
tuung ; aber in der Meinung des Volkes fortzuschreiten und
die Zustimmung der Bücher-Philosophen zu gewinnen, das
dürfen wir nicht verlangen und hoffen."
Wie in Briefen, so besprachen Galilei und seine Freunde
auch mündlich die Bestätigung, welche seine Entdeckungen
für das Copernicanische System lieferten3); aber eine förm-
liche und öffentliche Vertheidigung desselben hielt er auch
jetzt noch für bedenklich. Interessant ist in dieser Beziehung
ein Brief, den ihm Castelli am 6. Nov. 1613 schrieb, als er
Professor in Pisa geworden war4). Er berichtet, der Prov-
veditore der Universität, Monsignor Arturo d'Elci, habe ihm
beim ersten Besuche gesagt, er dürfe in seinen Vorlesungen
nicht die Meinung von der Bewegung der Erde u. s. w. be-
handeln. Er habe geantwortet: „Was Sie mir befehlen, —
denn ich nehme Ihre Winke als Befehle an, — hat mir mein
Lehrer Galilei gerathen, und ich werde mich daran halten,
zumal ich weiss, dass auch er während seiner 24jährigen
Lehrthätigkeit nie diese Materie behandelt hat." Monsignor
d'Elci habe darauf angedeutet, solche Meinungen könnten
mitunter digressionsweise als probabele berührt werden. Er
habe geantwortet, er würde auch dieses selbst dann nicht
1) vi, 128. 138. 143. 150. 2) vi, 135; vgl. VIII, 118.
3) Vgl. Acten S. 40. 44. 4) VIII, 290.
Die Copernicanische Theorie. 23
gethan haben, wenn ihm nicht Monsignore das Gegentheil
geboten hätte !).
Auch Freunde Galilei's hielten eine öffentliche Verthei-
digung der Copernicanischen Lehre für bedenklich. Paolo
Gualdo schrieb ihm am 6. Mai 161 12): „Was Ihre Ansicht
betrifft, dass die Erde sich bewege, so habe ich bis jetzt
noch keinen Philosophen oder Astronomen gefunden, der
ihr zustimmen möchte; noch viel weniger werden das die
Theologen thun wollen. Bedenken Sie sich daher wohl, ehe
sie öffentlich diese Ansicht als wahr behaupten; denn manche
Dinge kann man disputationsweise aussprechen, die es nicht
gut ist als wahr zu behaupten, zumal wenn man die allge-
meine, von Allen so zu sagen seit Erschaffung der Welt
eingesogene Meinung gegen sich hat. Verzeihen Sie mir,
denn mein lebhaftes Interesse für Ihre Reputation lässt mich
so reden. Es scheint mir, Sie haben sich Ruhm genug er-
worben durch die Beobachtungen am Monde, an den vier
Planeten u. dergl., ohne dass Sie es unternehmen, eine Sache
zu vertheidigen , die dem Verständniss und der Fassungs-
kraft der Menschen so fern liegt, da es nur Wenige gibt,
welche wissen, was die Beobachtung der himmlischen Zeichen
und Erscheinungen zu bedeuten hat." Am 27. Mai 161 13)
schickte Gualdo Galilei einen Brief von Marcus Welser, worin
es heisst: „Was die Venus betrifft, so stimme ich ohne Be-
denken zu ; aber bezüglich der Bewegung der Erde möchte
ich vorläufig noch dispensirt sein, da das in der That ein
Punkt ist, der reiflich erwogen werden muss; ich kann
nicht wohl meinen Verstand so weit gefangen geben."
1) Grisar führt S. 78 aus diesem Briefe nur an: „Castelli war es
bei seiner Ernennung für den Katheder der Mathematik zu Pisa sogar durch
den Proveditor der Universität verboten worden, die Copernicanische Lehre
zum^Gegenstande seiner Vorträge zu machen." Von Castelli's interessanter
Antwort sagt er nichts.
2) VIII, 142. Gualdo, geb. 1548 zu Vicenza, war unter Urban VII.
Secretär der Memoriali, wurde 1596 Generalvicar, 1609 Archipresbyter zu
Padua; er starb 1621. Vgl. VI, 185.
3) VIII, 144.
Galilei's Reise nach Rom 1611.
IV.
Galilei's Reise Dach Rom im J. 1611. Seine Schrift
über die Sonnenflecken.
Die Reise, welche Galilei im März 1611 nach Rom
machte, hatte hauptsächlich den Zweck, die dortigen Ge-
lehrten sowie die einflussreichen Prälaten durch den Augen-
schein von der Wirklichkeit seiner Entdeckungen zu über-
zeugen1). Dieser Zweck wurde denn auch vollständig er-
reicht. Der Cardinal del Monte schrieb am 31. Mai 161 1
dem Grossherzog Cosimo II.2): „Galilei hat Gelegenheit
gehabt, seine Entdeckungen so gut zu zeigen, dass sie von
allen angesehenen und sachkundigen Männern dieser Stadt
nicht nur als durchaus , wahr und wirklich, sondern auch als
höchst wunderbar anerkannt werden. Lebten wir noch in
den Zeiten der alten römischen Republik, so würde ihm
gewiss eine Statue auf dem Capitol errichtet worden sein,
um sein ausgezeichnetes Verdienst zu ehren". Er selbst
schreibt am 22. April3): ,,Ich bin von vielen Cardinälen und
Prälaten und mehreren Fürsten gnädig aufgenommen wor-
den, welche meine Beobachtungen haben sehen wollen und
sich alle befriedigt ausgesprochen haben. Heute Morgen
habe ich Seiner Heiligkeit [Paul V.] den Fuss geküsst. Ich
wurde von unserm Gesandten vorgestellt, welcher mir ge-
sagt hat, ich sei ausserordentlich begünstigt worden, da
Seine Heiligkeit nicht gestattete, dass ich auch nur ein "Wort
knieend sagte. Unter denjenigen, die hier als Männer der
Wissenschaft gelten, habe ich einige wirklich gelehrte, aber
auch viele beschränkte gefunden. Was meinen besondern
Zweck angeht, so sind alle Sachverständigen überzeugt
worden, namentlich die Patres Jesuiten. " Ueber letztere
schreibt er am 1. April4): „Ich war bei den Patres Jesuiten
und unterhielt mich lange mit dem Pater Clavius und zwei
anderen in unserm Fache sehr bewanderten Patres und ihren
Schülern. . . Ich habe gefunden, dass die genannten Patres
endlich die wirkliche Existenz der neuen Planeten erkannt
[) VI, 140. 2) VIII, 145. 3) vi, 158. 4) vi, 156.
Galilei und die Jesuiten 1611. 25
und seit zwei Monaten fortwährend Beobachtungen gemacht
haben; wir haben diese mit den meinigen verglichen und
sie stimmen genau überein. "
Am 19. April 161 1 richtete der damals sehr einfluss-
reiche Cardinal Bellarmin aus dem Jesuiten-Orden an die
Mathematiker des Römischen Collegs folgendes Schreiben1):
„Ich weiss, dass Sie von den neuen astronomischen Be-
obachtungen Kenntniss genommen haben, welche ein tüchti-
ger Mathematiker [genannt wird Galilei weder von dem
Cardinal noch in der Antwort auf sein Schreiben] vermittelst
eines Instrumentes, welches Cannone oder Occhiale genannt
wird, gemacht hat; ich selbst habe vermittelst dieses In-
strumentes einige sehr merkwürdige Dinge an dem Monde
und an der Venus gesehen. Ich bitte Sie also, mir über
folgende Punkte aufrichtig» Ihre Meinung zu sagen: 1. ob
Sie die Menge der mit dem blossen Auge nicht sichtbaren
Fixsterne anerkennen und insbesondere, dass die Milchstrasse
und die Nebelflecken Haufen von sehr kleinen Sternen seien;
2. dass Saturn nicht ein einfacher Stern sei, sondern aus
drei mit einander verbundenen Sternen bestehe [den Ring
des Saturn hielt Galilei für zwei mit dem Hauptstern ver-
bundene kleinere Sterne]; 3. dass die Venus ihre Gestalt
ändere und ab- und zunehme wie der Mond; 4. dass der
Mond eine rauhe und unebene Oberfläche habe; 5. dass sich
um den Jupiter vier Sterne bewegen, und zwar in ver-
schiedener Weise und sehr rasch. Dieses wünsche ich zu
wissen, weil ich darüber verschiedene Aeusserungen höre
und weil Sie, als in den mathematischen "Wissenschaften
sehr geübt, mir leicht werden sagen können, ob diese neuen
Entdeckungen wohl begründet oder nur scheinbar und nicht
wahr sind. Wenn Sie wollen, können Sie Ihre Antwort auf
dieses Blatt schreiben."
Vier Jesuiten, ausser Clavius und Griemberger noch
Odo Malcotio [van Maelcote, geb. 1572 zu Brüssel, gest.
161 5 zu Rom] und Gio. Paolo Lembo, erkennen in ihrer vom
24. April datirten Antwort, mit einigen nicht wesentlichen
Reservationen, die Richtigkeit der Entdeckungen an. Im
Römischen Colleg hielt sogar im Mai 161 1 in einer sog.
Akademie (Schulfeierlichkeit) ein Jesuit einen lateinischen
1) VIII, 160.
26 Galilei und die Jesuiten 1611.
Vortrag über die neuen astronomischen Entdeckungen, in
welchem Galilei zu den berühmtesten und glücklichsten Astro-
nomen der Gegenwart gezählt und erklärt wurde, die Be-
obachtungen der Astronomen des Collegs hätten seine Ent-
deckungen bestätigt1).
Das eben erwähnte Gutachten der vier Jesuiten wurde
auch in Florenz bekannt. Ueber einen Punkt desselben, die
Unebenheiten des Mondes betreffend, schrieb Lodovico delle
Colombe am 27. Mai 161 1 einen Brief an Pater Clavius.
Diesen Brief Hess der Cardinal Bellarmin durch seinen
Maestro di camera Gallanzone Gallanzoni am 26. Juni an
Galilei schicken, mit der Bitte, sich darüber zu äussern.
Galilei übersandte am 16. Juli eine lange Erwiederung2). —
Ueber einen im Frühjahr 161 1 zu Mantua von einem Jesuiten
gehaltenen Vortrag über die Mondberge beschwerte sich
Galilei bei dem Pater Griemberger. Dieser schrieb darüber
an den Pater Biancano zu Parma, den er für den Verfasser
hielt, und sandte dann dessen Brief, worin er den Vortrag
desavouirte, an Galilei, worauf dieser in einem langen
Schreiben vom 1. Sept. 161 1 an Griemberger die in jenem
Vortrage und in dem Briefe Biancano's erhobenen Beden-
ken widerlegte3). — Auch den Gegnern Galilei's in Perugia
gegenüber, welche übrigens nicht Jesuiten gewesen zu
sein scheinen, stand in dieser Zeit Griemberger auf Galilei's
Seite4).
Der Aufenthalt in Rom im J. 161 1 war für Galilei auch
darum von Bedeutung, weil er durch denselben mit manchen
hochgestellten und einflussreichen Männern persönlich be-
kannt wurde, mit einigen, die sich für seine wissenschaft-
lichen Bestrebungen besonders interessirten, Freundschaft
schloss. Dazu gehörte namentlich der junge Fürst Federico
Cesi5), der Stifter des unter dem Namen Accademia dei
1) Dieser Vortrag ist zuerst gedruckt bei G. Govi, Galileo e i matema-
tici del Collegio Romano nel 161 1, in den Atti della R. Accademia dei Lin-
cei S. 2, Vol. 1 (1873 — 74), p. 230. Er hat den Titel: „Nuncius sidereus
Collegii Romani". Govi meint, er würde besser „Nuncius sidereus Galilaei
de Galilaeis ad maiorem Collegii Romani gloriam concinnatus" heissen.
2) III, 122; vgl. VI, 176; VIII, 183.
3) III, 138; vgl. VI, 176; VIII, 169. 182. 4) VIII, 153.
5) Er hiess damals noch Marchese di Monticelli; den Fürstentitel er-
hielt er durch päpstliches Breve im J. 1613. Er war geboren 1585, starb
Galilei's Freunde in Rom. 27
Lincei (Akademie der Luchsäugigen), bekannten Gelehrten-
Vereins, dessen Mitglied Galilei wurde. Auch der Professor
der Botanik an der Sapienza, Johann Faber aus Bamberg, der
Kanzler, und Francesco Stelluti, der Procurator der Aka-
demie war, correspondirten mit Galilei. Ausserdem finden
wir von jetzt an Galilei in lebhaftem Briefwechsel mit an-
deren angesehenen Männern in Rom, namentlich mit dem
Monsignor Gioan Batista Agucchi, der später (162 1) unter
Gregor XV. Secretär der Breven und Minister, unter Ur-
ban VIII. Nuncius in Venedig wurde 1), und mit seinem frü-
hern Schüler, dem Florentiner Monsignor Piero Dini2).
Mit dem Maler Cigoli (s. o. S. 17) und dem Professor der
Mathematik an der Sapienza, Luca Valerio, einem Schüler
des P. Clavius, stand er schon vor 161 1 in Correspondenz ;
ersterer starb bereits 161 3 und Galilei's Freundschaft mit letz-
term nahm spätestens 16 16 ein Ende. Im J. 1614 siedelte
ein jüngerer Freund Galilei's, Giovanni Ciampoli, von Florenz
nach Rom über, um dort Carriere zu machen. Seine Kennt-
nisse und Gewandtheit verschafften ihm bald Zutritt zu den
vornehmsten Kreisen, — der Cardinal Maffeo Barberini
(später Papst Urban VIII.) hatte ihn schon als Legat in
Bologna kennen gelernt; beide machten lateinische Verse;
— Virginio Cesarini, ein fein gebildeter junger Adeliger,
den wir später (16 16) auch unter Galilei's Correspondenten
finden , schloss bald Freundschaft mh\ ihm. So kam Ciam-
poli in die Lage, Galilei über Vorgänge und Verhältnisse» in
Rom viel berichten zu können3). Unter den folgenden Ponti-
ficaten werden wir ihn in einflussreicher Stellung finden. Vom
Juli 16 14 bis zum Frühjahr 161 5 hielt sich auch der schon
erwähnte Monsignor Paolo Gualdo in Rom auf und corre-
spondirte von dort mit Galilei4).
schon 2. Aug. 1630. Die Akademie der Lincei wurde 1603 gegründet. Es
sind gegen 150 Briefe Cesi's an Galilei erhalten. VIII, 177. — Ueber Faber
und Stelluti s. VI, 184; VIII, 192. Tiraboschi VIII, 292.
1) VIII, 167. Er starb 8. Dec. 1632.
2) Er starb 1625 als Erzbischof von Fermo.
3) Ciampoli, geb. zu Florenz 1589, hatte in Padua studirt, in Pisa
promovirt. Vgl. VIII, 326. 331. 333. 394. 413. 415; Suppl. 114. Vita di
Mons. G. Ciampoli (von seinem Secretär) bei Targioni II, 102; vgl. I, 82,
Tiraboschi VIII, 402. — Ueber Cesarini s. Tiraboschi VIII, 510,
4) VIII, 325. 333.
28 Clavius.
Ohne Zweifel hat Galilei damals in Rom auch von
der Bedeutung seiner Entdeckungen für die Begründung
der Copernicanischen Theorie gesprochen, wenn das auch
in den Briefen aus dieser Zeit nicht erwähnt und in der
Anfrage des Cardinais Bellarmin nicht darauf Bezug ge-
nommen wird. Dass diese Bedeutung seiner Entdeckungen
auch von Anderen erkannt wurde , zeigt eine merkwür-
dige Stelle in der letzten, 1611 zu Mainz erschienenen
Ausgabe des Commentares des Clavius — er starb schon
am 6. Febr. 161 2 — zu dem damals in den Schulen ge-
brauchten astronomischen Handbuche, der „Sphaera" des
Johannes de Sacrobosco1). Er verweist darin auf Galilei's
„Sidereus Nuntius" und sagt: „Unter anderm, was mit die-
sem Instrumente (dem Fernrohr) gesehen wird, nimmt dieses
nicht die letzte Stelle ein, dass die Venus ihr Licht von der
Sonne erhält, wie der Mond, so dass sie je nach ihrer Ent-
fernung von der Sonne bald mehr, bald weniger gehörnt
erscheint, wie ich mit Anderen mehr als einmal zu Rom
beobachtet habe. Mit Saturn sind zwei kleine Sterne ver-
bunden, einer nach Osten, einer nach Westen. Jupiter hat
vier Planeten, welche in wunderbarer Weise ihre Stellung
zu einander und zu Jupiter wechseln, wie Galilei sorgfältig
und genau beschreibt." Er fügt dann die Worte bei, welche
die Ueberzeugung von der Unnahbarkeit der herrschenden
astronomischen Theorie zu verrathen scheinen: „Da sich
dieses so verhält, so mögen die Astronomen sehen, wie die
himmlischen Sphären zu ordnen sind, um diesen Erschei-
nungen gerecht zu werden" (videant astronomi, quo pacto
orbes coelestes constituendi sint, ut haec fhaenomena possmt
salvari).
Jedenfalls machte Galilei dem Cardinal Bellarmin gegen-
über schon im J. 161 1 aus seiner Ueberzeugung von der
Richtigkeit der Copernicanischen Theorie kein Hehl. Der
oben erwähnte Lodovico delle Colombe, schrieb (spätestens
in diesem Jahre) eine lange Abhandlung gegen die Coper-
nicaner (Galilei wird darin nicht ausdrücklich genannt),
welche behaupteten, Aristoteles habe die Unbeweglichkeit
1) Chr. Clavii Opera mathematica III, 75 ; s. Suppl. 100. Venturi
I, 28. Ueber die Sphaera des Sacrobosco s. Mädler, Gesch. der Himmels-
kunde III. 7*.
Lod. delle Colombe. Cesare Cremonini. 29
der Erde nur wegen seiner mangelhaften mathematischen
Kenntnisse behauptet. Er bringt eine Reihe von Argu-
menten gegen die Copernicanische Lehre vor, und beruft sich
schliesslich auch auf die Bibel. Die Abhandlung wurde da-
mals nicht gedruckt1); eine Abschrift kam aber in Galilei's
Hände, der dieselbe mit Randbemerkungen, Postille, ver-
sah. Von dieser Polemik gegen die Copernicanische Lehre
spricht nun Galilei auch in dem oben erwähnten, für Bellarmin
bestimmten Briefe an Gallanzoni. Colombe, sagt er hier2),
habe das Buch des Copernicus gar nicht gelesen und kenne
von den Argumenten desselben nichts als einige wenige
Ausführungen, durch welche er (Galilei) die Argumente des
Aristoteles und Ptolemäus zu verschiedenen Zeiten und bei
verschiedenen Gelegenheiten im Gespräche mit Freunden
widerleg-t habe und welche Colombe durch die Berichte von
dritten Personen gelegentlich zu Ohren gekommen seien.
Diese Ausführungen bekämpfe er in seiner Schrift mit nich-
tigen Argumenten und mit Schmähungen gegen die „An-
hänger des Copernicus", womit er ihn (Galilei) allein meine.
Was übrigens die oben erwähnte Anfrage Bellarmins
an die Mathematiker des Römischen Collegs angeht, so
scheint dieselbe keinen amtlichen Charakter gehabt zu haben.
Jedenfalls waren die vier Jesuiten keine „päpstlichen Sach-
verständigen" und kann man nicht sagen, durch ihr Gut-
achten hätten „die Erforschungen Galilei's gewissermassen
die geistliche Sanction erhalten und seien sie zugleich zu
anerkannten Wahrheiten geworden"3). Eher könnte man
annehmen, dass Bellarmins Anfrage mit der Thatsache zu-
sammenhange, dass Galilei um eben diese Zeit in den Acten
der Inquisition erwähnt wird. Eine von Gherardi (Nr. I)
veröffentlichte Aufzeichnung über die Sitzung der Inqui-
sition vom 17. Mai 161 1 lautet nämlich: „Es ist nachzusehen,
ob in dem Processe des Doctor Cesare Cremonini Galilei,
Professor der Philosophie und Mathematik, genannt worden
sei." Von diesem Processe wissen wir nur, dass es sich darin
ausschliesslich um philosophische Fragen handelte4). Galilei
i) Sie ist II, 337 mit Galilei's" Postillen abgedruckt.
2) III, 134. 3) Gebier, Galilei S. 45.
4) So berichtet Berti, II processo etc. p. XXVII. LX, der die Acten
des Processes in Händen hat und ihre Veröffentlichung in Aussicht stellt.
Die Vermuthung Wohlwills, Zts. f. Math. 1872 L.-Z. 29, der Process
30 Cesare Cremomm.
ist darin schwerlich in einer Weise genannt gewesen, die ihn
graviren konnte. Denn Cesare Cremonini da Cento, Professor
der Philosophie in Padua, war ein entschiedener Peripate-
tiker und bitterer Gegner Galilei's, der, wie diesem eben im
Mai 1611 berichtet wurde1), über dessen Beobachtungen
spottete und sich wunderte, wie Galilei sie für wahre Dinge
ausgeben könne. Er wolle, wurde Galilei weiter berichtet,
astronomische Schriften, auch über die Bewegung der Erde,
herausgeben und darin den Aristoteles vertheidigen und Ga-
lilei, ohne ihn zu "nennen, angreifen; er berufe sich auf eine
Stelle des Plutarch als auf ein unwiderlegliches Argument
gegen die Täuschung des Fernrohrs. Später wurde Cremo-
nini beschuldigt, er habe in einem Buche „De coelo" materia-
listische Anschauungen vorgetragen, und Galilei's Freund
Sagredo schrieb ihm im Februar 161 5, sein Vater, der „Re-
formator" der Universität Padua, habe eine sehr schlechte
Meinung von Cremonini und glaube, derselbe habe durch
seine Lehrthätigkeit viele junge Leute zum Atheismus ge-
fuhrt 2).
Wie die Inquisition also dazu kam, in den Acten des
Cremonini'schen Processes nachsehen zu lassen, ob Galilei
darin erwähnt werde, und ob und wie Bellarmins Anfrage
damit zusammenhängt, dass die Inquisition auf Galilei auf-
merksam geworden war, ist nicht auszumachen.
Während Galilei von seinem Aufenthalte in Rom sehr
befriedigt war, hat Paul Sarpi, — wenn er wirklich die
folgenden Worte im J. 161 1 oder auch nur im J. 16 15 ge-
schrieben hat3), — sich fast wie ein Prophet darüber aus-
gesprochen: „Ich höre von dem Senator Domenico Molino,
dass Galilei nach Rom reisen will , wohin er von mehreren
Cardinälen eingeladen ist, um dort seine astronomischen Ent-
deckungen zu zeigen [das passt besser auf die Reise im
J. 161 1, als auf die im J. 161 5]. Ich fürchte, wenn er bei
möge mit den Streitigkeiten zwischen der Universität Padua und den Jesui-
ten zusammengehangen haben, ist also nicht richtig. Vgl. über Cremonini
Stöckl, Gesch. der Philos. des M.-A.. 1866, III, 272.
1) VIII, 141; s. o. S. 17. 2) VIII, 338. 345.
3) Venturi I, 274 theilt die Stelle aus dem 1785 zu Venedig erschie-
nenen Buche „Genio di Fra Paolo" mu:, welches sich auf Sarpi's Papiere
{Schede) fol. 124 beruft. Vgl. Bianchi-Giovini, Biografia di Fra Paolo Sarpi,
1836, I, 279.
Die Schrift über die Sonnenflecken. 31
dieser Gelegenheit die gelehrten Gründe vorträgt, die ihn
bestimmen, hinsichtlich unseres Sonnensystems die Theorie
des Domherrn Copernicus vorzuziehen, so wird das den Je-
suiten und den anderen Mönchen gewiss nicht gefallen. Diese
werden die physische und astronomische Frag-e in eine theo-
logische verwandeln, und ich sehe zu meinem grössten Be-
dauern vorher, dass er, um in Frieden und ohne die Makel
eines Ketzers und Excommunicirten zu leben, seine An-
sichten wird widerrufen müssen. Es wird freilich der Tag
kommen, dessen bin ich so gut wie gewiss, wo die Men-
schen, durch bessere Studien aufgeklärt, das Unglück Ga-
lilei's und die einem so grossen Manne angethane Unge-
rechtigkeit beklagen werden; aber mittlerweile wird er diese
zu erdulden haben und sich darüber nur insgeheim beklagen
dürfen. — Die Copernicanische Hypothese steht nicht nur
nicht in Widerspruch mit dem in der h. Schrift geoffenbarten
Worte Gottes, sondern ehrt auch dessen unendliche Macht
und Weisheit, sowohl bezüglich der Ordnung und Dispo-
sition der Weltmaschine, wie bezüglich all der anderen Dinge,
welche das Schauspiel des Weltalls ausmachen."
Das freundschaftliche Verhältniss, welches sich während
des Aufenthaltes Galilei's in Rom im J. 161 1 zwischen ihm
und den Jesuiten bildete, sollte nicht lange dauern. Es wurde
schon in dem folgenden Jahre getrübt durch seine Contro-
verse mit dem Pater Christoph Scheiner 1), — er wird uns
noch öfter begegnen, — über die Sonnenflecken, eine Con-
troverse, die zugleich Galilei Gelegenheit bot, sich offener
als bisher für das Copernicanische System auszusprechen.
Scheiner, damals Professor der Mathematik und des
Hebräischen in Ingolstadt, veröffentlichte im J. 161 2 zu Augs-
burg drei Briefe an den dortigen Patricier Marcus Welser
1) Christoph Scheiner, geb. 1575 in Wald bei Mündelheim in Schwaben,
war Professor der Mathematik und des Hebräischen zuerst zu Freiburg im
Breisgau, dann 161 o — 161 6 zu Ingolstadt. Danach war er einige Jahre, bis
zum März 1633 in Rom. Er starb 18. Juli 1650 als Rector des Jesuiten-Colle-
giums in Neisse. Er erfand 1603 den Storchschnabel. Seine Schriften über
die Sonnenflecken sind nicht ohne Werth; namentlich „gehört ihm das Ver-
dienst, zuerst die Rotationszeit der Sonne und die Lage ihres Aequators
wirklich bestimmt, sowie auf die Fleckenzonen aufmerksam gemacht zu
haben". R. Wolf, Gesch. der Astronomie S. 319. 394.
32 Die Schrift über die Sonnenflecken.
über die Sonn enfl ecken pseudonym, unter dem Namen „ Apelles
post tabulam". Galilei's Gegenschrift, gleichfalls drei Briefe
an "Welser, wurde im Frühjahr 1613 zu Rom von der Aka-
demie der Lincei herausgegeben J). Es handelte sich bei
dieser Controverse zunächst um die Fragen, ob Galilei oder
Scheiner die Sonnenflecken zuerst entdeckt habe2) und wie
dieselben zu erklären seien. An mehreren Stellen der Briefe
Galilei's wird aber auch die Copernicanische Theorie, nicht
zwar ex firofesso vertheidigt, aber als richtig bezeichnet3),
und in Briefen aus dieser Zeit hebt Galilei die Bedeutung
seiner Beobachtungen über die Sonnenflecken für jene Theorie
scharf hervor. In dem Briefe vom 12. Mai 16 1 2 4), in welchem
er dem Fürsten Cesi, — der übrigens wenigstens damals
noch kein entschiedener Copernicaner war5), — die dem-
nächstige Uebersendung seines ersten Briefes an Welser an-
kündigt, meint er, seine desfallsigen Entdeckungen würden
„die Todtenfeier oder vielmehr das letzte Gericht der Pseu-
dophilosophie sein, da man nun Zeichen an den Sternen, am
Monde und der Sonne6) gesehen/' Am 16. Juni spricht er
auch in einem Schreiben an Paolo Gualdo 7) von diesem Briefe
an Welser und sagt: „Ich gewinne fortwährend, ohne zu ver-
lieren ; denn es bekehrt sich von Zeit zu Zeit ein Ungläubiger,
während von den schon Ueberzeugten nie einer abfällt. Tag
für Tag werden neue Bestätigungen der Wahrheit entdeckt,
1) Mit Scheiners Briefen abgedruckt III, 369 — 508; vgl. VI, 181; VIII,
303- 313.
2) Dass er die Sonnenflecken früher entdeckt als Scheiner, im Septem-
ber 1610, dafür konnte sich Galilei später u. a. auf das Zengniss der Jesui-
ten Adam Tanner und Guldin berufen (III, 182; IX, 67. 234). Später ist
der Holländer Fabricius als der erste Entdecker bezeichnet worden, und R.
Wolf, Gesch. der Astronomie S. 392, meint, die Priorität Galilei's gegen-
über Fabricius sei wohl nicht festzuhalten. Für die Priorität Galilei's s.
Parchappe, Galilei p. 92. Martin p. 31. Jedenfalls ist P. de Gabriac (s.
o. S. 16, Anm. 1) nicht befugt, zu sagen: „Galilei beansprucht für sich die
Ehre aller Entdeckungen . . . Fabricius theilt in seinem Buche vom 13.
Juni 161 1 mit, er habe auf der Sonnenscheibe Flecken beobachtet: Galilei
beansprucht mehr als ein Jahr später in seinem ersten Briefe an Welser
die Priorität."
3) z. B. III, 383. 385. 469. 507. 4) VI, 180.
5) VIII, 215; VI, 190.
6) Anspielung auf Luk. 21, 25. Denselben Ausdruck gebraucht Ga-
lilei in dem Briefe an Card. Maffeo Barberini vom 2. Juni 1612; Pieralisi,
Urbano VIII p. 45. 7) VI, 186; s. o. S. 23.
Die Schrift über die Sonnenflecken. 33
und wer die Wahrheit auf seiner Seite hat, der ist wohl
daran und kann lachend zusehen, wie sich die Gegner ver-
geblich abmühen." Am 14. Sept. 1612 konnte Cesi1) mit der
Meldung, dass er das Manuscript des zweiten Briefes an
Welser erhalten , die Mittheilung verbinden : vor einigen
Tagen habe ein Dominicaner bei einer öffentlichen Dispu-
tation im Jesuitencollegium zu Rom Galilei's Ansicht von
den Sonnenflecken mit der Conclusion, dass die Sonne der
Mittelpunkt des Weltalls sei, gegen die Jesuiten, welche
Scheiners Theorie vertraten, vertheidigt.
Im Febr. 161 5 2) übersandte Scheiner Galilei seine im
J. 16 14 zu Ingolstadt erschienenen „Disquisitiones mathema-
ticae de controversiis et novitatibus astronomicis", worin die
Copernicanische Theorie bekämpft wird. Er schrieb dabei:
„Es ist mir nicht unbekannt, dass die Copernicanischen Hy-
pothesen Sie sehr ansprechen; aber meine oder vielmehr
meines Schülers Erörterungen scheuen die Prüfung der Ge-
lehrten nicht. Wiewohl ich darum Niemand seine Meinung
in diesen Dingen mit Gewalt nehmen will, so glaube ich
doch die zur Ermittlung der Wahrheit geeigneten Gründe
nicht zurückhalten zu dürfen. Wenn Sie Gegengründe vor-
bringen wollen, so werden wir uns dadurch keineswegs ge-
kränkt fühlen, sondern die Einwendungen gern prüfen, in der
Hoffnung, dass das immerhin dazu beitragen werde, die Wahr-
heit in helleres Licht- zu setzen." Eine Antwort Galilei's
auf diesen Brief findet sich nicht. Er kritisirte Scheiners
Disquisitionen erst 1632 in seinem Dialog, zusammen mit
einer andern polemischen Schrift desselben, von der später
die Rede sein wird.
Dass nicht alle Gegner der Peripatetiker damals auch
Copernicaner waren, sehen wir ausser bei Cesi auch bei dem
Genuesen Gioan Batista Baliani. Filippo Salviati empfahl
diesen Galilei als einen Philosophen, welcher „über die Natur
philosophirt und über Aristoteles und alle Peripatetiker
lacht", und Baliani selbst sagt von sich in seinem ersten
Briefe an Galilei: er habe „immer über alle philosophischen
Conclusionen gelacht, welche — abgesehen von denen, die
1) VIII, 239. 2) Suppl. 99.
3) VIII, 294, 297. Vgl. über Baliani Targioni I, 146. Tiraboschi
VIII, 203. Suppl. 103. 131.
Ee usch, Galilei. 3
34 Die theol. Zulässigkeit der Copern. Theorie.
wir durch das Licht des Glaubens als wahr kennen, — nicht
auf mathematischen Beweisen oder zuverlässigen Beobach-
tungen beruhen." Aber am 31. Jan. 16 14 "schrieb er an
Galilei über die Schrift über die Sonnenflecken1): „Ich
glaube zu sehen, dass Sie die Meinungen des Copernicus
billigen; und doch möchte ich glauben, dass die Beobach-
tungen, die man mit dem Fernrohr an der Venus und den
Mediceischen Sternen und den Sonnenflecken macht, eher
die Flüssigkeit der himmlischen Materie beweisen und darum
die Meinung Tycho's wahrscheinlicher machen."
Galilei antwortete am 12. März 16142): „Was die Mei-
nung des Copernicus angeht, so halte ich sie in der That
für sicher, und zwar nicht bloss wegen der Beobachtungen
an der Venus, den Sonnenflecken und den Mediceischen
Sternen, sondern auch wegen anderer Gründe, die Copernicus
anführt, und wegen vieler anderer Beobachtungen, die ich
gemacht und die mir beweisend zu sein scheinen. . . . Bei
der Meinung des Tycho bleiben jene sehr grossen Schwie-
rigkeiten, die mich nöthigen, von Ptolemäus abzugehen,
während ich bei Copernicus nichts finde, was mir auch nur
das geringste Bedenken machte. Am allerwenigsten machen
mir die Einwendungen Bedenken, welche Tycho in gewissen
Briefen gegen die Bewegung der Erde vorbringt.''
V.
Die Controverse über die theologische Zulässigkeit der
Copernicanischen Theorie.
Man hat vielfach gesagt: Galilei sei nicht als guter
Astronom, sondern als schlechter Theologe in Rom verur-
theilt worden; er habe den Fehler begangen, die Contro-
verse über das Copernicanische System auf das theologische,
speciell das exegetische Gebiet hinüberzuspielen; er habe
verlangt, die kirchliche Behörde solle die Copernicanische
1) VIII, 300.
2) Atti della R. Accademia di Torino, Vol. VII (1871—72), p. 585.
Der Brief ist dort irrthümlicli in das J. 16 13 versetzt.
Die theol. Zulässigkeit der Copern. Theorie. 35
Lehre als in der Bibel begründet anerkennen und dergl. l).
Noch Hergenröther 2) behauptet, ,,Galilei's Sache würde gar
nicht vor der Inquisition verhandelt worden sein, wenn er
auf dem Boden der Physik und Astronomie stehen geblieben
wäre und sich nicht in leidenschaftlicher Erregung auf die
Bibel berufen hätte", und P. Desjardins versichert p. 30. 32:
„Galilei würde nie verurtheilt worden sein, wenn er sich
nicht in seiner Anmassung darauf gesteift hätte, seine Mei-
nung als eine absolute Wahrheit geltend zu machen und im
Interesse seiner Sache exegetische Regeln zu formuliren,
welche die Orthodoxie nicht billigen konnte/' — wenn er
auch zugibt, die Behauptung von Gaume, Gaillardin und
„vielen Anderen'' sei „übertrieben", dass Galilei „für seine
Lehre die Geltung einer in der Bibel enthaltenen Wahrheit
oder gar eines Glaubensartikels beansprucht habe". Diese
Angaben sind, wie sich aus dem Folgenden ergeben wird,
ganz unrichtig.
Wie Exegeten für die der Ptolemäischen Anschauung
entsprechende Deutung von Bibelstellen sich auf die wissen-
schaftliche Unhaltbarkeit des Copernicanischen Systems be-
riefen3), so bekämpften anderseits Philosophen das Coper-
nicanische System mit jenen Bibelstellen, wie denn ja über-
haupt das Hineinziehen theologischer Argumente in natur-
wissenschaftliche Erörterungen bei den Peripatetikern zu jener
Zeit sehr gewöhnlich war (S. 13). Galilei hat sich von diesem
1) Vgl. über solche Angaben Martin, Galilee p. 173. 268. Der erste
Urheber dieser irrigen Auffassung scheint Mallet du Pan zu sein; Martin,
p. 401. 2) Handb. der Kirchengesch., 1877, **> 488-
3) So sagt z. B. der Jesuit Joh. de Pineda in seinem 1597 erschiene-
nen Commentar zu Job 9, 6 : Die Pythagoreische Ansicht, nach welcher
Didacus Stunica diese Stelle erklärt, „ist ganz falsch, — Andere werden sie
verrückt, närrisch, temerär und theologisch bedenklich nennen und sagen, sie
sei aus dem Orcus der alten Philosophen von Copernicus und Caelius Cal-
cagnini zurückgerufen, mehr um sich geistreich zu zeigen, als zum Wohle
und Nutzen der Philosophie und Astrologie. — Ich habe sie weitläufig be-
kämpft, als ich die Bücher des Aristoteles vom Himmel und von der Welt
erklärte und von der Bewegung des Himmels handelte, und sehr elegant hat
mit philosophischen und astrologischen Gründen ihre Falschheit nachge-
wiesen unser Christoph Clavius in seinem Commentar zum I. Capitel der
Sphaera." — Andere Stellen s. bei Grisar S. 732. Vgl. Beckmann 3. Art.
S. 661.
36 Die theol. Zulässigkeit der Copern. Theorie.
Fehler nicht nur frei gehalten, sondern ihn entschieden be-
kämpft. Jedenfalls ist er nicht derjenige, welcher zuerst die
Bibel in die Controverse hineinzog. Schon im J. 1589 hatte
Tycho de Brahe in einem Briefe an Christoph Rothmann
angedeutet, die Copernicanische Lehre stimme nicht mit der
Lehre der Bibel und der Kirchenväter überein1). Kepler
war schon 1596 in seinem „Prodromus" und 1602 in seiner
„Nova Dissertatiuncula". auf diesen Punkt eingegangen.
Joachim Rheticus hatte schon bei Copernicus' Lebzeiten ein
Schriftchen verfasst, worin er die „Bewegung der Erde von
dem Vorwurfe des Widerspruchs mit der h. Schrift be-
freite"2); dasselbe wurde aber nicht gedruckt.
In Italien machte zuerst der Florentiner Francesco Sizi
in einer 161 1 zu Venedig unter dem Titel „Dianoia astro-
nomica" veröffentlichten Streitschrift gegen Galilei's ,,Side-
reus Nuncius"3) unter anderm geltend, die Behauptung,
Jupiter habe Monde, widerspreche der h. Schrift, die nur
von sieben Planeten wisse. Um dieselbe Zeit schliesst Lo-
dovico delle Colombe seine Abhandlung gegen die Bewe-
gung der Erde (s. o. S. 28) mit einer Aufzählung von Bibel-
stellen und fügt dann bei4): „Vielleicht werden die Elenden
zu Deutungen der Bibel ihre Zuflucht nehmen, welche von
dem Buchstaben abweichen. Aber alle Theologen ohne Aus-
nahme sagen: wenn die h. Schrift buchstäblich verstanden
werden könne, dürfe sie nicht anders gedeutet werden, und
Canus sagt mit allen Commentatoren des h. Thomas: wenn
Jemand bezüglich des Sinnes der h. Schrift etwas behaupte
gegen die allgemeine Ansicht der Väter, so sei eine solche Be-
hauptung temerär. Zudem sagen die Theologen, es sei eine
1) Brief vom 24. Nov. 1589: . . . „ob die Bibel der Phantasie (ima-
ginationi) des Copernicus widerspreche oder nicht. Wenn du also in den
heiligen Orakeln oder bei ihren Auslegern, bei Augustinus oder anderen
Vätern etwas gefunden hast, was zu Gunsten dessen spricht, was Copernicus
behauptet und du billigst, so citire es aus ihren Schriften." Vgl. "Wolynski,
Arch. stör. S. 3, T. 17 (1873), p. 16. Epinois, La question, p. 31.
2) S. den Brief des Bischofs Giese an Rheticus vom 26. Juli 1543
bei Beckmann, 2. Art. S. 33.
. 3) VI, 94. 159; VIII, 89. 157. Venturi I, 124. Targioni I, 41. U) II.
Gebier, Galilei S. 50. Sizi wurde 161 8 zu Paris wegen politischer Ver-
brechen hingerichtet. Nach dem Briefe bei Targioni II, 14 befasste er sich
viel mit Nativitätenstellerei. 4) II, 377.
Brief an Castelli 1613. 37
allgemeine Regel, dass ein grosser philosophischer Irrthum
auch theologisch verdächtig sei, namentlich wenn es sich, wie
hier, um eine Sache handelt, von welcher die Bibel redet" x).
Galilei berührt diese theologische Argumentation in seinen
Postillen zu dem Buche Colombe's und in seinem Briefe
an Gallanzoni (s. o. S. 29) mit keinem Worte. Im J. 161 2
aber, als er mit der Ausarbeitung seiner Briefe über die
Sonnenflecken beschäftigt war, wird in seinem Briefwechsel
zuerst die Frage berührt, ob sich die Peripatetiker mit Recht
auf die h. Schrift berufen könnten. Er legte diese Frage
in einem nicht erhaltenen Briefe dem Cardinal Conti vor.
Dieser antwortete am 7. Juli 16122): „Der Aristotelischen
Ansicht von der Incorruptibilität des Himmels ist die h.
Schrift nicht günstig, eher der entgegengesetzten Ansicht,
so dass es die gewöhnliche Ansicht der Kirchenväter war,
der Himmel sei corruptibel. Die Copernicanische Ansicht
von der Bewegung der Erde und der Sonne scheint der h.
Schrift weniger zu entsprechen; denn wenn auch jene Stellen,
an denen es heisst, die Erde stehe fest, von ihrer Dauer
verstanden werden können, wie Lorinus*) zu Eccl. 1, 4 be-
merkt, so können doch die Stellen, an denen gesagt wird,
die Sonne umkreise (die Erde) und der Himmel bewege sich,
(bei der Annahme der Copernicanischen Ansicht) nicht an-
ders gedeutet werden, als so, dass man sagt, die Bibel rede
nach der Weise des gewöhnlichen Volkes, und diese Inter-
pretation sweise darf ohne dringende Notwendigkeit nicht
zugelassen werden. Indess sagt Diego Stunica zu Job 9, 6,
die Ansicht, dass die Erde sich bewege, entspreche der h.
Schrift besser; freilich hat seine Interpretation im allgemeinen
keinen Beifall gefunden."
Nach dem Erscheinen der Schrift über die Sonnen-
flecken, in welcher Galilei zwar wiederholt die Copernica-
nische Ansicht als richtig bezeichnet (s. o. S. 32), in welcher
aber von der Bibel gar nicht die Rede ist, fand Galilei
Veranlassung, sich selbst über jene Frage brieflich auszu-
sprechen. Castelli schrieb ihm aus Pisa am 14. Dec. 16134):
1) Colombe führt dann die oben S. 35 Anm. 3 citirte Stelle von
Pineda an. 2) VIII, 222; vgl. 226.
3) Der bekannte Exeget Johannes Lorinus aus dem Jesuitenorden,
nicht zu verwechseln mit dem unten zu erwähnenden Dominicaner Nicolaus
Lorini. 4) VIII, 291.
38 . Brief an Castelli 1613.
An der grossherzoglichen Tafel sei in seiner Gegenwart die
Rede auf die Mediceischen Planeten gekommen. Der Pro-
fessor der Physik, Boscaglia1), habe dabei geäussert: Gali-
lei's astronomische Entdeckungen seien zwar unbestreitbar,
aber dass die Erde sich bewege, sei unglaublich und unmög-
lich, zumal die Bibel das Gegentheil lehre. Von der Gross-
herzogin-Mutter, Christina von Lothringen2), veranlasst,
habe er (Castelli) darauf ausführlich nachzuweisen gesucht,
dass jene Lehre der Bibel nicht widerspreche. Der Gross-
herzog und die Grossherzogin und andere Anwesende hätten
ihm zugestimmt; Boscaglia habe geschwiegen; nur die Gross-
herzogin-Mutter habe widersprochen, aber — wie Castelli
wohl mit Recht annahm — lediglich um ihm Anlass zur Er-
widerung zu geben. In diesem Gespräche citirte die Gross-
herzogin-Mutter auch die bekannte Stelle im Buche Josue
(10, 12. 13), worauf Castelli von derselben drei Erklärungen,
darunter eine als von Galilei aufgestellt, vortrug, um sie mit
der Copernicanischen Lehre in Einklang zu bringen3).
Von diesem Vorfall nahm Galilei Veranlassung, sich in
einem längern Briefe an Castelli vom 21. Dec. 16 13 über „das
Hineinziehen der h. Schrift in naturwissenschaftliche Contro-
versen" und insbesondere über die Stelle im Buche Josue
auszusprechen4). Da dieser Brief in der Geschichte des
1) Cositno Boscagli (so nennt er sich selbst) war am grossherzoglichen
Hofe sehr angesehen. Targioni I, 87.
2) Christina von Lothringen wurde im Februar 1589 die Gemahlin
Ferdinands I., welcher 7. Febr. 1609 starb. Nach dem Tode ihres Sohnes
Cosimo II. (28. Febr. 1621) führte sie die Regentschaft für ihren unmündi-
gen Enkel Ferdinand II. in Gemeinschaft mit dessen Mutter. Sie starb 10.
Nov. 1636. Sie hatte sich früher gegen Galilei sehr wohlwollend gezeigt.
vi, 28. 35. 63-67. 3) n, 11.
4) P. Schneemann stellt S. 119 die Sache nicht ganz richtig dar, wenn
er sagt: „Galilei und Castelli schienen darüber, dass die alte Dame (bei
dem oben erwähnten Gespräche) bei ihrer Ansicht blieb [?], untröstlich zu
sein, und ersterer erliess — offenbar im Einverständniss und wahrscheinlich
auch unter Mitwirkung seines theologischen Freundes [für letztere Annahme
spricht gar nichts] — an diesen ein Schreiben . . ., welches nun mit grosser
Emsigkeit verbreitet wurde. Trotz des hierdurch erregten Anstosses schrieb
er einige Zeit darauf über dasselbe Thema eine grössere an die Grossherzogin-
Mutter gerichtete Schrift." S. 256 kommt er dann auf die Sache zurück mit
der frivolen Bemerkung: „Nachdem die alte Grossmutter am Mediceischen
Hofe einmal Bedenken über die Harmonie der Schrift mit dem genannten
Brief an Castelli 1613. 39
ersten Processes eine grosse Rolle spielt und zudem für
Galilei' s Anschauungen sehr charakteristisch ist, müssen die
Hauptstellen desselben mitgetheilt werden 1).
„Die h. Schrift kann nie lügen oder irren, vielmehr
sind ihre Aussprüche {decreti) absolut und unverletzlich wahr.
Wenn aber auch die Bibel nicht irren kann, so könnte doch
ein Ausleger derselben in verschiedener Weise irren. Ein
solcher Irrthum, und zwar ein sehr schwerer und gewöhn-
licher Irrthum, wäre es, wenn wir immer bei der eigent-
lichen Bedeutung der Worte stehen bleiben wollten; denn
so würden nicht nur mancherlei Widersprüche, sondern auch
schlimme Ketzereien und Gotteslästerungen herauskommen.
Denn wir müssten dann Gott Hände, Füsse, Ohren bei-
legen und nicht minder körperliche und menschliche Affecte,
wie die des Zornes, der Reue, des Hasses und mitunter so-
gar des Vergessens der vergangenen und des Nichtwissens
der zukünftigen Dinge. . . . Da also die Bibel an vielen Stellen
einer von der zunächst liegenden Bedeutung der Worte ver-
schiedenen Auslegung nicht nur fähig, sondern auch be-
dürftig ist, so scheint mir, es sei ihr bei mathematischen
Controversen der letzte Platz anzuweisen. Da nämlich die
h. Schrift und die Natur beide von dem göttlichen Worte
herkommen, jene als Eingebung des h. Geistes, diese als
Ausführerin der göttlichen Befehle, und da anerkannt ist,
dass die Bibel, um sich der Fassungskraft der grossen Menge
anzubequemen, viele Dinge sagt, welche scheinbar, wenn
man bei der eigentlichen Bedeutung der Worte stehen bleibt,
von der absoluten Wahrheit abweichen2), während anderseits
die Natur unerbittlich und unveränderlich und unbekümmert
System geäussert hatte, schrieb Galilei einen Brief nach dem andern und
schliesslich eine ganze Rechtfertigungsschrift über seine Exegese."
1) Der Brief ist vollständig in den Opere II, 6 (nach Venturi I, 203)
abgedruckt, ferner nach einer andern Abschrift, in welcher der Anfang fehlt,
bei Targioni II, 22. endlich nach der der Inquisition eingesandten Abschrift,
in welcher der Eingang weggelassen war, in den Acten S. 14. Diese letzte
Abschrift ist an einigen Stellen unrichtig; aber auch der Text in den Opere
ist augenscheinlich nicht ganz correct. Hie und da kann er nach den beiden
anderen Abschriften und nach dem unten zu erwähnenden Briefe an Christina
von Lothringen, in welchen ganze Stücke herübergenommen sind, corrigirt
werden. Vgl. Wohlwill, Gott. G. A. 1878, St. 21, S. 644.
2) So in dem Texte Acten S. 15 und II, 33; der Text II, 8 ist hier
unverständlich und sicher corrupt.
40 Brief an Castelli 1613.
darum ist, ob ihre verborgenen Ursachen und Wirkungs-
weisen der Fassungskraft der Menschen, um deren willen
sie nie von den ihr vorgezeichneten Gesetzen abweicht, zu-
gänglich sind oder nicht: so scheint mir, dass die natürlichen
Wirkungen, welche wir entweder durch eine verständige
Beobachtung wahrnehmen oder durch zwingende Demon-
strationen erschliessen , in keiner Weise in Frage zu stellen
seien mit Rücksicht auf Stellen der Bibel, welche nach ihrem
Wortlaute etwas anderes zu besagen scheinen '), — da nicht
jeder Ausspruch der Bibel an so strenge Normen gebunden
ist wie jede Wirkung der Natur. Vielmehr, wenn die Bibel,
bloss um sich der Fassungskraft' roher und ungebildeter
Menschen anzubequemen, sich nicht enthalten hat, ihre wich-
tigsten Lehren zu verhüllen2), indem sie sogar Gott Zustände
zuschreibt, die seinem Wesen durchaus fremd und wider-
sprechend sind: wer möchte da zuversichtlich behaupten,
dass sie, davon abgesehen, wenn sie gelegentlich von der
Erde oder der Sonne oder einem andern Geschöpfe redet,
sich immer strenge an die eigentliche Bedeutung der Worte
halten sollte, zumal wenn sie von diesen Geschöpfen Dinge
aussagt, welche dem Hauptzwecke der h. Schrift ganz fern
liegen, ja Dinge, welche, wenn sie durchaus der Wahrheit
entsprechend ausgesprochen wären, eher den Hauptzweck
gefährdet haben würden, indem sie das gewöhnliche Volk
für die gläubige Annahme der sein Heil betreffenden Ar-
tikel weniger empfänglich gemacht haben würden? Da sich
dieses so verhält und da offenbar zwei Wahrheiten sich nie
widersprechen können, ist es die Aufgabe verständiger Aus-
leger, sich zu bemühen, den wahren Sinn der Bibelstellen
aufzufinden, welcher mit der naturwissenschaftlichen Con-
clusion übereinstimmt, von deren Richtigkeit wir uns durch
sichere Wahrnehmung oder zwingende Demonstrationen
überzeugt haben. Ja, da die Bibel, wiewohl vom h. Geiste
eingegeben, aus den angeführten Gründen an vielen Stellen
Auslegungen, die sich von dem Wortlaute entfernen, zu-
lässt, und da wir nicht mit Sicherheit behaupten können,
dass alle Ausleger von Gott inspirirt seien, so glaube ich,
1) Auch hier ist nach Acten S. 15 und II, 34, nicht nach II, 8 übersetzt.
2) adombrare; so steht II, 8; statt dessen, offenbar unrichtig, Acten
S. 15 pervertire.
Brief an Castelli 1613. 41
man würde klug handeln, wenn man Niemand gestattete,
Bibelstellen dazu zu verwenden und gewissermaassen zu nö-
thigen, die Wahrheit irgend welcher naturwissenschaftlicher
Conclusionen zu stützen, von denen später die Beobachtung
und beweisende und zwingende Gründe uns das Gegentheil
lehren könnten. Und wer wird dem menschlichen Geiste
Schranken ziehen wollen? Wer möchte behaupten, dass
wir schon alles wissen , was in der Welt gewusst werden
kann? Es wäre also wohl am rathsamsten, zu den Artikeln,
welche das Seelenheil und die Begründung des Glaubens
betreffen und deren Gewissheit nie durch eine erwiesene
und zuverlässige [naturwissenschaftliche] Lehre wird ge-
fährdet werden können, nicht ohne Noth noch andere hinzu-
zufügen, und wenn das richtig ist, so wäre es noch viel we-
niger in der Ordnung, sie hinzuzufügen auf das Verlangen
von Personen, von welchen wir einerseits nicht wissen, ob
sie durch himmlische Kraft inspirirt reden, und anderseits
deutlich sehen1), dass sie nichts von der Einsicht besitzen,
die erforderlich wäre, um jene Demonstrationen, ich will
nicht sagen : zu widerlegen, sondern auch nur zu verstehen,
durch welche die höheren Wissenschaften einige ihrer Con-
clusionen zu begTÜnden suchen. Ich möchte darum glauben,
die Auctorität der h. Schrift habe den Zweck, die Menschen
von jenen Artikeln und Sätzen zu überzeugen, welche für ihr
Seelenheil nothwendig sind und welche, da sie alles mensch-
liche Denken übersteigen, nicht durch eine andere Wissen-
schaft oder durch ein anderes Mittel glaubhaft gemacht
werden konnten als durch den Mund des h. Geistes selbst.
Dass aber derselbe Gott, der uns mit Sinnen, Denkver-
mögen und Verstand begabt hat, den Gebrauch dieser Gaben
hintansetzend, uns durch ein anderes Mittel die Kenntnisse
habe geben wollen, die wir durch jene erlangen können, das
ist, denke ich, nicht nothwendig zu glauben, namentlich be-
züglich jener Wissenschaften, von denen nur ein sehr kleiner
Theil, und dieser in verschiedenen Sätzen, in der Bibel vor-
kommt, wie gerade bezüglich der Astronomie, von der nur
ein so kleiner Theil in der Bibel vorkommt, dass darin nicht
einmal alle Planeten aufgezählt werden. Hätten aber die
•
1) So Targioni II, 22, Acten S. 17 und II, 38; weniger gut II, 9:
„von welchen wir, so einsichtig sie auch sein mögen, wenn sie von Gott
inspirirt reden, deutlich sehen" u. s. w. Galilei meint die Bibelausleger.
42 t Brief an Castelli 1613.
ersten heiligen Schriftsteller beabsichtigt, das Volk über
die Stellungen und Bewegungen der Himmelskörper zu un-
terrichten, so würden sie davon nicht so wenig gesagt haben,
dass es wie ein Nichts ist in Vergleich mit den zahllosen
erhabenen und bewunderungswürdigen Sätzen, welche jene
Wissenschaft umfasst.
„Sie sehen also , wie verkehrt, wenn ich nicht irre, das
Verfahren derjenigen ist, welche in naturwissenschaftlichen
und nicht direct mit dem Glauben zusammenhangenden Con-
troversen Stellen der Bibel, und zwar sehr oft falsch ver-
standene, an die Spitze stellen. Wenn diese Leute wirklich
glauben den wahren Sinn irgend einer einzelnen Bibelstelle
erkannt zu haben, und darum überzeugt sind, dass sie be-
züglich der Frage, worüber sie disputiren, die absolute Wahr-
heit in Händen haben, so mögen sie offen sagen, ob sie glauben,
dass derjenige, welcher in einer naturwissenschaftlichen Con-
troverse die wahre Ansicht vertritt, einen grossen Vortheil
vor dem hat, der die falsche Ansicht vertritt. Ich weiss, sie
werden diese Frage bejahen: derjenige, welcher die wahre
Ansicht vertritt, kann tausend Beobachtungen und zwingende
Demonstrationen für sich haben, der Andere nur Sophismen,
Paralogismen und Täuschungen. Wenn sie nun aber, sich inner-
halb der naturwissenschaftlichen Grenzen haltend und keine
anderen als die philosophischen Waffen gebrauchend, dem
Gegner überlegen sein können, warum wollen sie dann, wenn
es zum Kampfe kommt, plötzlich unwiderstehliche und furcht-
bare Waffen ergreifen, deren blosser Anblick jeden, auch
den gewandtesten und erfahrensten Kämpfer erschreckt?
Soll ich aber die Wahrheit sagen, so glaube ich, dass sie
selbst die ersten Erschrockenen sin4 und dass sie, weil sie
sich ausser Stande fühlen, den Angriffen des Gegners zu
widerstehen, ein Mittel zu finden suchen, sich nicht von ihm
angreifen zu lassen. Weil aber, wie gesagt, derjenige, wel-
cher die Wahrheit auf seiner Seite hat, dem Gegner gegen-
über einen grossen, ja den allergrössten Vortheil hat, und
weil es unmöglich ist, dass zwei Wahrheiten einander wider-
sprechen , darum brauchen wir keinerlei Angriffe zu fürchten,
wenn uns nur die Möglichkeit geboten ist, zu reden und von
Personen gehört zu werden, weiche uns verstehen können
und nicht von verkehrten Leidenschaften und Interessen ganz
eingenommen sind."
Brief an Christina v. Lothringen 1615. 43
Im zweiten Theile des Briefes entwickelt Galilei aus-
führlicher eine Erklärung der Stelle Jos. 10, 12, die er be-
reits früher (mündlich) Castelli mitgetheilt hatte1).
Dieser Brief wurde von Galilei nicht durch den Druck
veröffentlicht, — er wurde erst nach seinem Tode gedruckt2),
— aber durch Castelli und durch Galilei selbst in Abschrif-
ten verbreitet. Namentlich sandte Galilei, als er erfuhr,
dass seine Gegner eine Abschrift nach Rom geschickt
hatten, und fürchtete, diese möge nicht genau sein, im Fe-
bruar I615 eine Abschrift an Monsignor Dini, mit der Bitte,
sie dem Jesuiten Griemberger und etwa auch dem Cardi-
nal Bellarmin" zu zeigen3). Dini gab auch noch vielen An-
deren Abschriften4).
Nachdem Galilei im December 16 14 öffentlich von der
Kanzel angegriffen worden, arbeitete er in den ersten Mo-
naten des Jahres 16155) eine ausführlichere Entwicklung
der in dem Briefe an Castelli vorgetragenen Grundsätze
aus in der Form eines Briefes an die Grossherzogin-Mutter
Christina6), in welchen die in jenem Briefe enthaltenen Aus-
einandersetzungen zum Theil wörtlich herübergenommen
wurden7). Auch dieser Brief war nicht für den Druck be-
stimmt, fand aber durch Abschriften Verbreitung8); ge-
druckt wurde er zuerst 1636 zu Strassburg9). Zur Ergän-
1) Vgl. Gebier, Galilei S. 61.
2) Der Brief ist schon in einer 1649 zu Lyon gedruckten Schrift von
Gassendi veröffentlicht (Martin, Galilee p. 251), aber erst 1818 durch Venturi
in weiteren Kreisen bekannt geworden. Wohlwill, Ist Galilei gefoltert
worden? S. 154.
3) 11, 14. 4) viii, 354. 5) n, 15. 20.
6) II, 26—64; vgl. Gebier, Galilei S. 79.
7) Vgl. II, 32—38 mit II, 7—10, II, 57 mit II, 10, II, 59—63 mit
II, 11 — 13.
8) Inchofer nimmt in seinem 1633 abgegebenen Gutachten darauf Be-
zug; Acten S. 93.
9) XV, Bibliogr. XVI. In einem, wahrscheinlich von Galilei eigen-
händig geschriebenen Exemplare, ist, wie Berti, Copernico p. 151, mittheilt,
am Schlüsse ein dem h. Augustinus zugeschriebenes Gebet beigefügt: O vita
pauperum, Dens meus, in cuius sinu non est contradictio. Plue mihi miti-
gationes in cor, ut patienter tales feram, qui non mihi hoc dicunt, quia
divini sunt et in corde famuli tut viderunt quod dicunt, sed quia superbi
sunt nee moventur Moysis sententia, sed amant suam, non quia vera est,
sed quia sua est.
44 Brief an Christina v. Lothringen 1615.
zung der Auszüge aus dem Briefe an Castelli mögen hier
folgende Stellen daraus Platz finden:
„Wenn der h. Geist absichtlich unterlassen hat, uns solche
Sätze zu lehren (ob der Himmel sich bewege oder still stehe,
welche Gestalt er habe u. s. w.), weil sie mit seinem Zwecke,
d. h. mit unserm Seelenheile nichts zu thun haben, wie kann
man dann behaupten, das Festhalten der einen und das Ver-
werfen der andern Ansicht über diese Dinge sei so nothwen-
dig, dass jene de fide und diese irrig sei? Kann denn eine
Meinung ketzerisch sein, die das Seelenheil gar nicht berührt?
Oder kann man sagen, der h. Geist habe uns etwas nicht
lehren wollen, was das Seelenheil berührt? Ich möchte sagen,
was ich vor einem hochgestellten Geistlichen [Cardinal Caesar
Baronius] gehört habe: die Absicht des h. Geistes sei, uns
zu lehren, wie man in den Himmel komme, nicht wie der Him-
mel sich bewege, — Spiritui sancto mentem fuisse, nos docere,
quomodo ad coelum eatur, non quomodo coelum gradtatur1).
"Wenn wir aus dem Munde des h. Geistes selbst wis-
sen, dass Deus tradidit mundum disputationi eorum, ut non
inveniat homo opus, quod operatus est Deus a principio ad
finem [Eccl. 3, 11], so darf man, meine ich, nicht im Wider-
spruch mit diesem Satze der freien Forschung bezüglich
der Dinge der Welt und der Natur den Weg versperren,
als ob diese bereits alle mit Sicherheit gefunden und be-
kannt gemacht wären. Man darf es nicht für eine Ver-
wegenheit halten, wenn Jemand sich bei herrschend gewor-
denen Ansichten nicht beruhigt, und es nicht missbilligen,
wenn Jemand in naturwissenschaftlichen Controversen nicht
jene Meinung festhält, welche ihnen [den Gegnern] gefällt,
zumal wo es sich um Probleme handelt, über welche schon
vor Jahrtausenden von den grössten Philosophen gestritten
worden ist, wie die schon von Pythagoras und seiner Schule
vorgetragene Meinung von dem Stillstehen der Sonne und
der Bewegung der Erde2).
„Ich möchte ferner sagen, wenn es mir erlaubt wäre,
meine Meinung auszusprechen, dass es der Würde und Maje-
stät der h. Schrift besser entspräche, wenn verordnet würde,
dass nicht jeder oberflächliche und gewöhnliche Schriftsteller,
um seinen sehr oft auf leere Phantasieen gestützten Ausein-
1) II, 36. 2) II, 38.
Brief an Christina v. Lothringen 1615. 45
and er Setzungen Gewicht zu geben, Stellen der h. Schrift ein-
flechten dürfe, die er in einem Sinne erklärt oder vielmehr
verdreht, welcher der wahren Intention der Bibel ganz fremd
ist und diejenigen dem Gespötte preis gibt, welche nicht
ohne Ostentation damit grossthuen ').
„Man sagt: diejenigen auf Dinge der Natur bezüg-
lichen Sätze, welche die Bibel überall übereinstimmend aus-
spreche und welche die Väter alle einmüthig in demselben
Sinne verstehen, müssten wörtlich verstanden und so als
wahr anerkannt werden, und da es sich so mit der Bewe-
gung der Sonne und dem Stillstehen der Erde verhalte, sei
es de fide, sie für wahr und die entgegengesetzte Meinung
für irrig zu halten. Ich bemerke dagegen zunächst folgen-
des: Unter den auf Dinge der Natur bezüglichen Sätzen
sind einige, bezüglich deren mit aller menschlichen Wissen-
schaft und allem Scharfsinn nur zu einer probabelen Mei-
nung und wahrscheinlichen Vermuthung, nicht zu einem
sichern und begründeten Wissen zu gelangen ist, wie z. B.
bezüglich der Frage, ob die Sterne beseelt seien. Bezüg-
lich anderer Punkte haben wir durch Erfahrungen und lange
Beobachtungen und durch zwingende Demonstrationen eine
zweifellose Gewissheit erlangt, oder ist doch mit Sicherheit
anzunehmen, dass auf jenem W^ege eine solche Gewissheit
erlangt werden könne, z. B. bezüglich der Frage, ob die
Erde und der Himmel sich bewege oder nicht, ob der Him-
mel eine Kugelgestalt habe oder nicht. Was die Punkte der
ersten Art betrifft, so ist es mir unzweifelhaft, dass, wo das
menschliche Denken nicht zum Ziele führen und also nicht
von Wissen, sondern nur von Meinen und Glauben die
Rede sein kann, es durchaus in der Ordnung ist, sich ein-
fach an den Wortlaut der Bibel zu halten. Was aber die
anderen Punkte betrifft, so möchte ich glauben, es sei zuerst
die Thatsache zu constatiren und diese habe uns zur Auf-
findung des wahren Sinnes der Bibel zu führen, der sich
als mit der erwiesenen Thatsache durchaus übereinstim-
mend zu erweisen hätte, da zwei Wahrheiten nie einander
widersprechen können2). Diese Ansicht halte ich um so
1) n, 39.
2) Diese Stelle führt Grisar S. 84^ als Beweis dafür an, dass Galilei
„allzu zuversichtlich über die Nothwendigkeit der neuen Schriftdeutung"
gesprochen !
46 Brief an Christina v. Lothringen 1615.
mehr für richtig und sicher, als ich sie genau so bei dem
h. Augustinus finde. Eben bei der Frage, wie man sich die
Gestalt des Himmels zu denken habe, da das, was die Astro-
nomen darüber lehren, der Bibel zu widersprechen scheine,
sofern jene den Himmel für eine Kugel halten, die Bibel ihn
als ein Zelt bezeichnet, — erklärt er, es sei nicht zu fürch-
ten, dass die Bibel den Astronomen widerspreche; vielmehr
sei an der Auctorität der Bibel festzuhalten, wenn das, was
die Astronomen sagen, falsch und nur auf Vermuthungen
gestützt sei; wenn aber das, was die Astronomen lehren,
durch unzweifelhafte Gründe erwiesen sei, so sagt jener h.
Vater nicht, es sei den Astronomen zu befehlen, ihre Be-
weise zu widerlegen und ihre Conclusionen für falsch zu
erklären, sondern es sei zu beweisen, dass das, was die
Schrift von dem Zelte sagt, der als wahr erwiesenen Lehre
der Astronomen nicht widerspreche (De Gen. ad lit. 2, 3).
Er fügt bei, wir müssten uns nicht minder bemühen, eine
Stelle der Bibel mit einer erwiesenen naturwissenschaft-
lichen Wahrheit in Einklang zu bringen als mit einer an-
dern scheinbar widersprechenden Bibelstelle1). . .
„Nach dieser und anderen Stellen ist, wenn ich nicht
irre, die Ansicht der heiligen Väter diese : in Fragen, welche
die Natur betreifen und nicht de fide sind, muss zuerst
untersucht werden, ob etwas unzweifelhaft erwiesen oder
durch sorgfältige Beobachtungen erkannt oder ob eine der-
artige Erkenntniss und Demonstration möglich ist. Ist eine
solche Erkenntniss vorhanden, so muss man, da auch sie
eine Gabe Gottes ist, den wahren Sinn der Bibelstellen zu
erforschen suchen, welche jener Erkenntniss zu widerspre-
chen scheinen, und verständige Theologen werden ohne
Zweifel diesen Sinn und zugleich die Gründe auffinden,
weshalb der h. Geist denselben mitunter, um uns zum Nach-
denken zu nöthigen oder aus einer andern mir verborgenen
Absicht, unter Worten, die etwas anderes zu besagen schei-
nen, hat verhüllen wollen.
„Was den andern Punkt betrifft, so glaube ich: wenn
wir den Hauptzweck im Auge behalten, ist an dieser Regel
auch dann festzuhalten, wenn die Bibel über einen Punkt
immer in derselben Weise redet. Denn wenn die Bibel,
1) II, 46.
Brief an Christina v. Lothringen 1615. 47
um sich der Fassungskraft des gewöhnlichen Volkes anzu-
bequemen, sich einmal über einen Punkt in uneigentlichen
Worten ausspricht, warum sollte sie sich dann nicht auch
jedesmal so aussprechen, wo sie von demselben Punkte zu
sprechen hat? Thäte sie das nicht, so würde, scheint mir,
die Verwirrung noch grösser und der Glaube des Volkes
gefährdet worden sein. ,
„Dass aber bezüglich des Stillstehens oder der Bewe-
gung der Sonne und der Erde die Bibel, um sich der Fas-
sungskraft des Volkes anzubequemen, sich so ausdrücken
musste, wie sie thut, das zeigt die Erfahrung. Denn noch
zu unserer Zeit hält das viel weniger ungebildete Volk an
derselben Ansicht fest, . . . und man kann nicht versuchen, es
von dieser Ansicht abzubringen, da es nicht fähig ist, die Gegen-
gründe zu verstehen. . . Wenn also auch für die Gelehrten
das Stillstehen des Himmels und die Bewegung der Erde
sicher und erwiesen wäre, müsste man sich dem grossen
Haufen gegenüber anders aussprechen. Denn von tausend
gewöhnlichen Leuten, die man darüber fragen wollte, würde
vielleicht nicht Einer anders antworten als, er halte es für
gewiss, dass die Sonne sich bewege und die Erde still stehe.
Diese übereinstimmende Ansicht des Volkes darf aber Nie-
mand als einen Beweis für die Wahrheit ansehen; denn
wenn wir dieselben Leute nach den Gründen für ihre Mei-
nung fragen und auf der andern Seite hören, auf welche
Erfahrungen und Demonstrationen die Wenigen sich stützen,
die entgegengesetzter Ansicht sind, so werden wir finden,
dass diese sehr gewichtige Gründe, jene nur den einfachen
Schein und nichts beweisende Beobachtungen für sich haben.
Die Bibel musste also offenbar der Sonne Bewegung und
der Erde Stillstehen zuschreiben, um nicht die geringe
Fassungskraft des Volkes in Verwirrung zu bringen und
dieses abgeneigt zu machen, den Wahrheiten, welche die
wichtigsten und welche absolut de fide sind, gläubig zuzu-
stimmen. Und wenn das nothwendig war, so ist es nicht
zu verwundern, dass es in der h. Schrift mit der grössten
Vorsicht geschehen ist.
„Ich füge aber bei, dass nicht nur die Rücksicht auf
die geringe Fassungskraft des Volkes, sondern auch die
herrschende Ansicht jener Zeiten der Grund gewesen ist,
weshalb die h. Schriften in den Dingen, die zur. Seligkeit
48 Brief an Christina v. Lothringen 1615.
nicht nothwendig sind, mehr auf die herkömmliche Aus-
drucksweise als auf das Wesen der Thatsachen Rücksicht
genommen. Darüber sagt der h. Hieronymus: quasi non
multa in scripturis sanctis dicantur juxta opinionem illius
temporis, quo gesta referuntur, et non juxta quod rei veritas
continebat (in Jer. 28, 10J, und an einer andern Stelle : Con-
suetudinjs scripturarum est, ut opinione?n multarum rerum sie
narret historia, quomodo eo tempore ab omnibus credebatur
(in Matth. 13 PJ1).
„Wenn man ferner sagt, ein auf Dinge der Natur be-
züglicher Satz der Bibel werde, wenn die Väter ihn alle in
derselben Weise verstehen, durch diese Uebereinstimmung
so sicher, dass er als de fide anzusehen sei, so gilt das,
glaube ich, höchstens von solchen Punkten, bei welchen
viele Väter die sorgfältigsten Untersuchungen und Erörte-
rungen angestellt und die Gründe für die eine und für die
andere Ansicht erwogen und dann alle zu dem Ergebnisse
gekommen sind, dass die eine zu verwerfen, die andere
festzuhalten sei. Die Bewegung der Erde und das Still-
stehen der Sonne aber gehört nicht zu diesen Punkten;
denn diese Meinung war damals gänzlich in Vergessenheit
gerathen, wurde in den Schulen nicht erörtert und von Nie-
mand erwogen, geschweige denn anerkannt, so dass anzu-
nehmen ist, ■ es sei den Vätern gar nicht in den Sinn ge-
kommen, sie in Zweifel zu ziehen . . . Ferner ist es nicht
genug zu sagen: die Väter nehmen alle das Stillstehen der
Erde u. s.w. an; also ist diese Ansicht de fide \ sondern man
müsste beweisen, dass sie die entgegengesetzte Ansicht
verworfen haben. Denn ich werde immer sagen können:
da sie keine Veranlassung gehabt haben, über die betreffende
Ansicht nachzudenken und zu discutiren, so haben sie die-
selbe nur als die herrschende, nicht aber als erwiesene
und begründete Ansicht anerkannt. Und ich glaube, das kann
man mit gutem Grunde behaupten. Denn die Väter haben
entweder die betreffende Ansicht als eine Controverse erwo-
gen oder nicht; wenn nicht, so konnten sie auch keine
Entscheidung darüber treffen oder auch nur treffen wollen,
und kann der Umstand, dass sie sich um die Controverse
gar nicht bekümmern konnten, uns nicht verpflichten, eine
1) II, 47—50.
Brief an Christina v. Lothringen 1615. 49
Entscheidung-, die sie gar nicht haben treffen wollen, anzu-
erkennen. Hätten sie aber die Frage als Controverse er-
wogen, so würden sie auch die eine Ansicht, wenn sie die-
selbe als irrig erkannt hätten, verworfen haben. Das haben
sie aber nicht gethan. Erst später haben einige Theologen
angefangen, die [Copernicanische] Ansicht zu prüfen; diese
haben aber dieselbe nicht als irrig angesehen, wie man
aus dem Commentare des Didacus a Stunica über Job 9, 6 J)
sieht, wo derselbe ausführlich von der Copernicanischen
Ansicht spricht und zu dem Schlüsse kommt, die Bewegung
der Erde sei nicht gegen die Bibel.
„Ich habe aber auch einige Zweifel an der Richtigkeit
der Behauptung, dass die Kirche uns verpflichte, derglei-
chen auf natürliche Dinge bezügliche Sätze darum als de
fide anzusehen, weil für sie eine übereinstimmende Interpre-
tation aller Väter angeführt werden kann. Ich weiss nicht,
ob nicht diejenigen, welche dieses behaupten, zu Gunsten
ihrer Meinung dem Decrete der Concilien eine grössere
Tragweite gegeben haben, als ihm zukommt. So viel ich
sehe, verbietet dasselbe nur, diejenigen Stellen, welche
de fide sind oder die zum Aufbau der christlichen Lehre
gehörenden Sitten betreifen, zu einem Sinne zu verdrehen,
welcher dem Sinne der h. Kirche oder dem von den Vätern
mit allgemeiner Uebereinstimmung vorgetragenen wider-
spricht. So das Trienter Concil in der 4. Sitzung. Die
Bewegung oder das Stillstehen der Erde oder der Sonne
sind aber nicht de fide und nicht gegen die Sitten, und Nie-
mand will Stellen der h. Schrift verdrehen, um der h. Kir-
che oder den Vätern zu widersprechen. Derjenige, welcher
diese Lehre entwickelt hat [Copernicus], hat vielmehr nie-
mals auf Bibelstellen Bezug genommen, um es den gründ-
lichen und gelehrten Theologen zu überlassen, dieselben
nach ihrem wahren Sinne zu deuten2).
„Schliesslich kann man jenen Herren noch mehr zuge-
ben, als sie verlangen, und sich bereit erklären, die Ansicht
der unterrichteten Theologen zu unterschreiben. Da aner-
kanntermassen die alten Väter eine besondere Unter-
1) Diego de Zufiiga war Augustiner- Eremit zu Salamanca; er starb
1589. Der Commentar zum B. Job erschien zu Toledo 1584 und zu Rom
1591. S. Hurter, Nomenciator literarius I, 157. 2) II, 51. 52.
Keusch, Galilei. a
5o • Brief an Christina v. Lothringen 1615.
suchung- nicht angestellt haben, so kann eine solche von den
Gelehrten unserer Zeit "angestellt werden : diese hätten zu-
erst die Erfahrungen, die Beobachtungen, die Gründe und
die Demonstrationen zu prüfen, welche die Philosophen und
Astronomen für die eine und die andere Ansicht anführen,
— da es sich bei der Controverse um naturwissenschaftliche
Probleme und Dilemmata handelt, die nur in der einen oder
andern Weise entschieden werden können, — und könnten
dann mit genügender Sicherheit das festsetzen, was die
göttlichen Inspirationen ihnen eingeben werden1). . .
„Um die Ehre der h. Schrift sind diejenigen mit grös-
serm Eifer besorgt, welche, sich ganz der h. Kirche unter-
werfend, nicht verlangen, dass diese oder jene Meinung
verboten, sondern nur, dass ihnen gestattet werde, diejeni-
gen Dinge zur Erwägung vorzulegen, nach deren Berück-
sichtigung die Kirche mit grösserer Sicherheit eine Ent-
scheidung treffen könnte, — als diejenigen, welche, durch
Selbstsucht verblendet oder von böswilligen Absichten ge-
leitet, verlangen, die Kirche solle ohne weiteres das
Schwert schwingen, da sie ja das Recht dazu habe, indem
sie nicht bedenken, dass es nicht immer gut ist, alles zu
thuen, was man thuen kann2).
„Mögen sie sich zunächst bemühen, die Gründe des
Copernicus und Anderer zu widerlegen, und dann dem,
welchem es zusteht, es überlassen, die Ansicht als irrig
oder ketzerisch zu verdammen. Sie dürfen aber nicht hof-
fen, bei den umsichtigen und weisen Vätern und bei der
absoluten Weisheit dessen, der nicht irren kann, jene raschen
Entschlüsse zu finden, zu denen sie sich von ihrer Leiden-
schaft oder Selbstsucht würden fortreissen lassen. Denn
Niemand bezweifelt, dass bezüglich dieser und anderer ähn-
licher Sätze, die nicht direct de fide sind, der Papst immer
absolute Gewalt hat, sie zuzulassen oder zu verdammen;
aber es steht nicht in der Macht irgend eines Geschöpfes,
sie wahr oder falsch zu machen, abweichend von dem, was
sie von Natur oder thatsächlich sind. Darum scheint es
gerathener zu sein, sich zuerst von der nothwendigen und
unabänderlichen Wahrheit der Thatsache, worüber Niemand
Gewalt hat, zu vergewissern, als ohne- eine solche Gewiss-
1) 11, 53. 2) II, 54.
Theol. Zulässigkeit der Copern. Theorie. 51
heit durch die Verdammung der einen Ansicht sich die
Möglichkeit, immer frei zu wählen, zu verschliessen und
jene Entscheidungen definitiv zu machen, die jetzt noch frei
und dem Ermessen der höchsten Auctorität anheimgegeben
sind. Kurz, wenn es nicht möglich ist, einen Satz als ketze-
risch zu verdammen, so lange man es noch für mög-
lich hält, dass er wahr sei, so muss das Bestreben derjeni-
gen, welche die Meinung von der Bewegung der Erde und
dem Stillstehen der Sonne verdammen möchten, fruchtlos
sein, so lange sie nicht die Unmöglichkeit und Falschheit
derselben erwiesen haben1)."
Grisar gibt (S. 81) zu, der Brief an Christina von Loth-
ringen mit seiner Erörterung ,,über die Schrifttexte und die
Stellung der Naturwissenschaft zur Offenbarung überhaupt"
sei ,,im Ganzen correct". Weniger bestimmt spricht er sich
über den in allem Wesentlichen mit jenem übereinstimmen-
den Brief an Castelli aus. Er nennt denselben S. 78 „ver-
hängnissvoll", nimmt an einer Stelle desselben Anstoss (s.
o. S. 45) und berichtet S. 79: die Dominicaner in Florenz
hätten durch die Einsendung dieses Briefes, worin „der h.
Schrift offenbar Gewalt zu geschehen schien", an die Inqui-
sition die Berechtigung ihrer Angriffe auf Galilei nachweisen
wollen. Aber S. 80 constatirt er, dass der von der Inqui-
sition bestellte Censor in dem Briefe im Wesentlichen nichts
Bedenkliches gefunden und ,,über den Vortrag der Coper-
nicanischen Lehre als Wahrheit und die bezügliche Ac-
commodation der Bibelstellen mit freiem, weitem Blicke hin-
weggegangen sei" (s. u. §. VII).
In der That ist gegen Galilei's auf die Auslegung der
h. Schrift bezügliche Erörterungen, von unwesentlichen Un-
g-enauigkeiten des Ausdrucks abgesehen, nichts einzuwen-
den; die darin entwickelten hermeneutischen Grundsätze
wird heutzutage kein katholischer Theologe mehr bean-
standen. In dieser Beziehung urtheilte Galilei richtiger als
die Theologen, die ihn angriffen und verurtheilten.
Bedenklicher scheint eine andere Partie des Schreibens
an Christina von Lothringen zu sein. Es steht keiner kirch-
lichen Behörde zu, über naturwissenschaftliche Fragen eine
autoritative Entscheidung zu geben. Galilei aber scheint
1) n, 58.
52 ' Theol. Zulässigkeit der Copern. Theorie.
es für möglich zu halten, ja zu wünschen, dass in Rom auf
Grund einer sorgfältigen und alle Seiten der Frage um-
fassenden Untersuchung eine Entscheidung über das Coper-
nicanische System gegeben werde, und er scheint zu glauben,
durch eine solche Entscheidung würde die Controverse de-
finitiv erledigt werden, — eine Ansicht, welche in den
massgebenden Kreisen in Rom damals jedenfalls als rich-
tig galt und dem von der Inquisition gefällten Urtheil zu
Grunde liegt. In den beiden Briefen, welche Galilei am
16. Febr. und 25. März 16151) an Monsignor Dini schrieb,
als er mit der Ausarbeitung des Sendschreibens an Christina
von Lothringen beschäftigt war, kommen Stellen vor, welche
in dieser Hinsicht noch bedenklicher klingen: „Aus reinem
Eifer, sagt er einmal2), werde ich [ausser dem Schreiben an
Christina, welches seine aufrichtig katholische Gesinnung be-
weisen werde] auch alle Gründe des Copernicus in einer all-
gemein verständlichen Weise zusammenstellen und viele neue
Erwägungen beifügen, die auf astronomische Beobachtungen
und auf sorgfältige Erfahrungen und physikalische Experi-
mente gestützt sind, um sie dann zu den Füssen des Papstes
nieder- und der unfehlbaren Entscheidung der Kirche vor-
zulegen, welche davon den Gebrauch machen mag, der ihrer
höchsten Weisheit gut scheint." Nimmt man hinzu, dass
er an einer oben angeführten Stelle von einer von den Theo-
logen „unter göttlicher Eingebung" zu treffenden Entschei-
dung und von der päpstlichen Entscheidung als von einer
definitiven und irreformabeln spricht, so scheint es, als ob
er geglaubt habe, der Papst könne über die Richtigkeit der
Copernicanischen Lehre eine unfehlbare Entscheidung ge-
ben. Aber damit stimmen andere Aeusserungen nicht über-
ein. So die oben angeführte: der Papst habe zwar abso-
lute Gewalt, auch Sätze, die nicht direct de fide seien, zuzu-
lassen oder zu verwerfen, aber es stehe nicht in der Macht
irgend eines Geschöpfes, einen von Natur oder thatsächlich
falschen Satz wahr und einen wahren falsch zu machen.
Auch der von Grisar (S. 81 Anm. 4) angeführte Satz: „Möge
eine Entscheidung gefällt werden, wie immer sie Gott ge-
fallen mag: ich bin in der innern Stimmung, dass ich, eher als
1) Nicht 161 4, wie II, 13. 17 und bei Grisar S. 81 Anm. 4 angege-
ben wird; vgl. VI, 211. 2) II, 20.
Theol. Zulässigkeit der Copern. Theorie. 53
meinen Oberen mich zu widersetzen und an der Seele Schaden
zu leiden durch das, was mir jetzt glaubhaft und handgreif-
lich scheint, eruerem oculum ne nie scandalizaret" — ist nach
dem Zusammenhange nicht so zu verstehen, als ob Galilei
eine solche Entscheidung für unfehlbar gehalten. Er sagt
nämlich J) : „Wiewohl ich nur schwer glauben kann, dass man
übereilt den Entschluss fassen könnte, einen solchen Autor
(Copernicus) zu vernichten, so glaube ich doch, da ich von
anderen Fällen her weiss, wie gross die Macht meines Un-
glücks ist, wenn sich damit die Bosheit und Unwissenheit
meiner Gegner verbindet, Grund zu haben, mich nicht ein-
fach auf die grosse Klugheit und Heiligkeit derjenigen zu
verlassen, von denen die letzte Entscheidung abhängt, da
auch diese durch jenen Trug irregeleitet werden könnten,
der sich in den Mantel des Eifers und der Liebe hüllt. Um
meinerseits nichts zu unterlassen, was ich thun kann, werden
Sie bald sehen, dass es ein wahrer und reinster Eifer ist,
wenn ich wünsche, dass meine Schrift (das Sendschreiben
an Christina) wenigstens gesehen werden und dass man dann
einen Entschluss fassen möge, wie er Gott gefallen mag;
denn ich" u. s. w.
Wenn also Galilei, — was seine geistlichen Freunde
in Rom in so warmen Worten belobten2), — wiederholt
erklärte, er sei bereit, sich dem Urtheil der h. Kirche zu
unterwerfen, so braucht er dabei nicht an eine kirchliche
Entscheidung über das Copernicanische System gedacht
zu haben, welcher er als einer doctrinellen gläubig zuzu-
stimmen hätte; er kann auch an eine solche gedacht
haben, der er als einer disciplinaren gehorchen müsse. An
sich wäre eine Entscheidung der letztern Art nicht irrefor-
mabel gewesen; aber Galilei will an der oben angeführten
Stelle auch wohl nur sagen : es würde sehr unklug sein, wenn
der Papst in der vorliegenden Frage eine Entscheidung
treffe, von der man vielleicht später wünschen würde, sie
möge nicht getroffen sein, die aber, eben als eine päpstliche
Entscheidung , nicht gut zurückgenommen werden könne.
Ganz klar mag sich Galilei in dieser Beziehung im
J. 161 5 nicht gewesen sein. Jedenfalls hatten seine Freunde,
welche die Stimmung und die Verhältnisse in Rom besser
1) II, 16. 2) VIII, 352. 353- 355-
54 Theol. Zulässigkeit der Copern. Theorie.
kannten, wie der Erfolg zeigte, vollkommen Recht, wenn sie
es für unklug hielten, dass Galilei überhaupt eine kirchliche
Entscheidung über die Copernicanische Lehre für wünschens-
werth hielt und zu provociren suchte, da eine solche Ent-
scheidung nach ihrer Ueberzeugung unter den damaligen
Verhältnissen nur ungünstig ausfallen konnte. Aber man
würde auf der andern Seite Galilei Unrecht thun, wenn man
annehmen wollte, er habe eine positive und ausdrückliche
Approbation der Copernicanischen Lehre durch die römi-
schen Behörden verlangt1). Von einer gründlichen Unter-
suchung der Sache versprach er sich zunächst den Erfolg,
dass man von der von seinen Gegnern verlangten Verdam-
mung des Buches und der Lehre des Copernicus Abstand
nehmen, dann aber auch, dass man diese Lehre für unver-
fänglich und dem katholischen Glauben nicht widerspre-
chend erklären werde, was ja wirklich etwa in der Form
hätte geschehen können, dass die Index-Congregation nach
einer Prüfung des Werkes des Copernicus beschlossen hätte:
Dimittatur, d. h. es liege kein Grund vor, dasselbe auf den
Index zu setzen2).
„Meine Gegner (speciell die Dominicaner in Florenz),
sagt Galilei in dem Briefe an Dini vom 16. Febr. 16153),
verlangen das Verbot eines viele Jahre lang von der h.
Kirche zugelassenen Buches, ohne dass sie dasselbe je ge-
sehen, geschweige denn gelesen oder verstanden haben;
ich verlange nichts anderes, als dass von den katholischsten
Männern seine Lehre geprüft und seine Gründe erwogen
werden mögen, dass man seine Sätze mit den zuverlässigen
Erfahrungen vergleiche, kurz, dass man nicht etwas ver-
damme, wenn man es nicht zuvor als falsch erkannt, da ja
doch ein Satz nicht zugleich wahr und irrig sein kann/' —
1) Vgl. Martin, Galilee p. 173.
2) In dieser Weise wurde unter Pius IX. bezüglich der Werke Anto-
nio Rosmini's verfahren. Nachdem dieselben zuerst von einer besondern
Commission, dann von der Index-Congregation geprüft worden waren, gaben
in einer am 3. Juli 1854 unter dem Vorsitz des Papstes gehaltenen Sitzung
der letztern die Consultoren nochmals schriftlich ihre Gutachten, die Cardi-
näle ihre Vota ab, und am 10. Aug. wurde dem Procurator Rosmini's mit-
getheilt, es sei beschlossen worden: Dimittantur opera Antonii Rosmini
Serbati, was nach dem Sprachgebrauche der Curie bedeutet, dass ,in den
Werken nichts Unkatholisches gefunden worden sei. Vgl. Deutscher Mer-
kur 1877, No. 7. 3) II, 15.
Theol. Zulässigkeit der Copern. Theorie. 55
„Bedenket doch, ihr Theologen, sagt er ein anderes
Mal 1), dass ihr, wenn ihr die auf die Bewegung und das
Stillstehen der Sonne und der Erde bezüglichen Sätze zu
einer Glaubenssache machen wollt, euch der Gefahr aussetzt,
mit der Zeit, — wenn ein zwingender Beweis dafür geliefert
werden sollte, dass die Erde sich bewegt und die Sonne still
steht, — vielleicht diejenigen als Ketzer verdammen zu müssen,
welche behaupten, die Erde stehe still und die Sonne be-
wege sich." Wenn man die Copernicanische Lehre als
naturwissenschaftlich genügend begründet anerkenne, war
Galilei's Gedanke, so dürfe sie nicht auf den Grund hin
verdammt werden, dass sie mit Bibelstellen in Widerspruch
stehe; vielmehr hätten dann die Theologen diese Bibelstellen,
was ja auch nach den von ihm entwickelten hermeneutischen
Grundsätzen möglich sei, anders zu deuten, als das bis jetzt
herkömmlich gewesen.
Der Vorwurf, Galilei habe die naturwissenschaftliche
Controverse auf das theologische, speciell das exegetische
Gebiet hinübergespielt, ist trotz dieser ausführlichen theolo-
gischen Erörterungen nicht begründet: nicht er, sondern
seine Gegner haben dieses gethan. In den von ihm ver-
öffentlichten Schriften hat Galilei die theologische Seite
der Frage überhaupt gar nicht berührt, und dass er sie
in den Briefen an Castelli und Christina von Lothringen
behandelte, dazu war er, wie wir gesehen, durch seine
Gegner veranlasst worden. Auch die dem Briefe an Dini
vom 23. März 161 5 angehängte Erörterung über Psalm 18
(nach der Vulgata, 19 nach hebräischer Zählung) war
durch die Mittheilung Dini's veranlasst, Cardinal Bellarmin
habe geäussert, unter allen Bibelstellen spreche am meisten
gegen die Copernicanische Ansicht Ps. 18, 7: Exultavit (sol)
ut gigas ad currendam viam, welche Stelle bis jetzt alle Er-
klärer von der Bewegung der Sonne verstanden hätten2).
Galilei begab sich ja freilich mit solchen Erörterungen
auf ein Gebiet, welches nicht sein Fach war. Aber so lange
er sich nicht auf Arbeiten von Theologen berufen konnte,
blieb ihm nichts anderes übrig, als selbst die exegetischen
Einwendungen seiner Gegner zu prüfen. Am 28. Febr. 16 15
i) Berti, Copernico p. 150.
2) II, 21. VIII, 354.
56 Theol. Zulässigkeit der Copern. Theorie.
theilte ihm Ciampoli1) die Aeusserung des Cardinais Bar-
berini (des spätem Papstes Urban VIII.) mit, er halte es
für gerathener, nicht über die Gründe des Ptolemäus oder
Copernicus hinauszugehen oder nicht die Grenzen der Phy-
sik und Mathematik zu überschreiten, weil die Theologen
behaupteten, das Auslegen der Bibel sei ihre Sache; und
am 7. März schrieb ihm Dini 2), der Jesuit Griemberger habe
über das ihm vorgelegte Schreiben an Castelli geäussert:
er hätte gewünscht, Galilei möchte zuerst seine [naturwissen-
schaftlichen] Beweise [die in diesem Schreiben nicht berührt
werden] entwickelt und dann von den Bibelstellen gesprochen
haben; (Griemberger meinte dann freilich selbst wieder, die
Argumente, die für Galilei's Ansicht vorgebracht würden,
sei er geneigt, eher für plausibel als für wahr zu halten,
„weil ihm eine andere Stelle der h. Schrift Furcht einflösste").
Galilei antwortete3): er überlasse sehr gern das Interpretiren
solchen, die es besser verständen als er; er habe sich ja
auch nur in einem Privatbriefe mit den Bibelstellen befasst;
übrigens handle es sich darum, Bibelstellen mit neuen und
nicht gewöhnlichen Lehren in Einklang zu bringen, und da
sei es doch nöthig, diese Lehren vollständig zu kennen, da
man nicht zwei Saiten in Einklang bringen könne, wenn
man nur Eine höre.
Etwas später, 21. März 1615, schrieb Ciampoli4): der Car-
dinal del Monte, der Galilei sehr gewogen sei, habe ihm
von einer langen Unterhaltung mit Cardinal Bellarmin er-
zählt und bemerkt: wenn Galilei von dem Copernicanischen
System und von den Beweisen für dasselbe handle, ohne auf
die Bibelstellen einzugehen, „deren Auslegung den mit. öffent-
licher Autorität bekleideten Professoren der Theologie vor-
zubehalten sei", so werde das keinen Widerspruch finden;
aber man werde nicht leicht Auslegungen der Bibelstellen,
so ingeniös sie auch sein möchten, "zulassen, wenn sie von
der gemeinsamen Ansicht der Kirchenväter abwichen. Eine
Antwort auf diesen oder einen ähnlichen Brief scheint der
zuerst von Berti5) veröffentlichte Brief Galilei's zu sein,
worin es heisst: „Ohne alle Schuld von meiner Seite wird
das Gerücht ausgestreut, welches, wie es scheint, bei den
1) VIII, 352. 2) VIII, 355- 3) n, 20.
4) VIII, 366. 5) Copernico p. 104.
Brief an Diodati 1633. 57
(kirchlichen) Oberen Glauben findet, ich hätte zuerst diese
Dinge angeregt, welche, so viel an mir lag, immer in Ruhe
hätten bleiben können; ich meine das Eingehen auf die Bibel-
stellen, auf welche kein Astronom und Naturforscher einge-
gangen ist, der sich innerhalb seiner Grenzen hält. Wenn
ich mich zu den Lehrsätzen eines Buches bekenne, welches
von der h. Kirche zugelassen worden ist [des Buches des
Copernicus], und mir Philosophen, die in diesen Lehren be-
wandert sind, mit der Einwendung entgegentreten, in jenem
Buche ständen Sätze, die gegen den Glauben seien, und wenn
ich dann, so gut ich kann, nachweisen will, dass sie sich doch
vielleicht irren: so wird mir der Mund geschlossen und be-
fohlen, nicht auf die Bibelstellen einzugehen. Das ist ja
dasselbe, als wenn man sagte,. das von der Kirche zugelassene
Buch des Copernicus enthalte eine Ketzerei, und es sei
Jedem, der wolle, gestattet, dieses zu behaupten, aber Jedem,
der beweisen will, dass es der h. Schrift nicht widerspreche,
sei verboten, auf diese Materie einzugehen. Ich könnte freilich
den Beweis, dass die Lehre des Copernicus nicht der Bibel
widerspricht, am leichtesten und sichersten dadurch führen,
dass ich durch tausend Gründe zeige, dass jene Lehre wahr
und die entgegengesetzte ganz unhaltbar ist, und dass, da
zwei Wahrheiten einander nicht widersprechen können, noth-
wendig jene Lehre und die h. Schrift in völligem Einklang
stehen müssen."
Die Exegeten der damaligen Zeit hatten übrigens kein
Recht, auf den unzünftigen Bibelausleger geringschätzig
herabzusehen. Seine Deutungen einzelner Bibelstellen sind
freilich grossentheils nicht glücklich, aber sie sind nicht unge-
nügender als die vieler damaligen Exegeten , und seine Ent-
wicklung der hier in Betracht kommenden hermeneutischen
Grundsätze ist besser als das Meiste, was mir von solchen
Arbeiten aus der damaligen Zeit bekannt ist.
Ich füge hier noch einige Auszüge aus einem Briefe bei,
den Galilei viel später, — am 15. Jan. 1633, als er eben im
Begriffe stand, von der Inquisition citirt, nach Rom abzu-
reisen, — an den Parlamentsadvocaten Elia Diodati zu
Paris schrieb1): „Was Fromond angeht, der sich übrigens
als einen Mann von vielem Talent zeigt 2), so bedauere ich,
1) VII, 17.
2) Libertus Fromondus (Froidmont, Fromont) war Professor der Theo-
58 Brief an Diodati 1633.
dass er in jenen, nach meiner Meinung schweren, wenn auch
sehr gewöhnlichen Irrthum gefallen ist, dass er, um die An-
sicht des Copernicus zu widerlegen, mit höhnischen und spötti-
schen Sticheleien gegen diejenigen, welche sie für wahr
halten, beginnt und dann, was mir noch weniger in der
Ordnung zu sein scheint, sich vorzugsweise auf die Auto-
rität der Bibel stützt und endlich so weit geht, mit Rück-
sicht darauf jene Meinung als beinahe ketzerisch zu be-
zeichnen. Dass ein solches Verfahren nicht löblich ist, lässt
sich, glaube ich, ziemlich deutlich beweisen. Denn wenn
ich Fromond frage, wessen Werk die Sonne, der Mond, die
Erde, die Sterne, ihre Stellungen und Bewegungen seien,
so wird er mir, denke ich, antworten, sie seien das Werk
Gottes. Und wenn ich ihn frage, wer die h. Schrift dictirt
habe, so weiss ich, er wird antworten: der h. Geist, das ist
auch Gott. Die Welt ist also das Werk, die Bibel das Wort
desselben Gottes. Frage ich weiter, ob nicht mitunter der
h. Geist in seinen Reden Worte gebrauche, die anscheinend
der Wahrheit widersprechen und welche er so verwendet,
um sich der Fassungskraft des grösstentheils rohen und un-
gebildeten Volkes anzubequemen, so bin ich überzeugt, er
wird mir mit allen Theologen antworten, das sei aller-
dings die Gewohnheit der heiligen Schrift, die an hundert
Stellen aus dem angegebenen Grunde Sätze ausspricht,
welche, buchstäblich verstanden, nicht nur Ketzereien, son-
dern arge Gotteslästerungen sein würden, indem sie Gott
selbst Zorn, Reue, Vergessen und dergl. zuschreibt. Wenn
ich ihn aber frage, ob Gott jemals, um sich der Fassungs-
kraft und Meinung des gewöhnlichen Volkes anzubequemen,
sein Werk geändert hat, ob nicht vielmehr die Natur, die
unveränderliche und unwandelbare Dienerin Gottes für die
menschlichen Bedürfnisse, stets dieselbe geblieben ist und
fortwährend dieselbe bleibt bezüglich der Bewegungen, der
Gestalt und der Anordnung der Theile des Weltalls, so bin
ich überzeugt, er wird antworten, der Mond sei stets eine
logie zu Löwen, geb. 1587, f 1653; vgl. Hurter, Nomenciator I, 795.
Galilei spricht hier von seinem 1631 zu Antwerpen erschienenen Buche:
„Ant-Aristarchus sive orbis terrae immobilis. Liber unicus, in quo decretum
S. Congr. S. R. E. Cardinalium anno 1616 adversus Pythagoreo-Copernicanos
editum defenditur". Vgl. Venturi II, 134 und unten §. XXXV.
Foscarini und Campanella. 59
Kugel gewesen, wiewohl man ihn lange Zeit allgemein für
eine Scheibe gehalten, und überhaupt ändere die Natur nie-
mals etwas, um ihr Werk der Vorstellung und Meinung der
Menschen anzubequemen.
„Wenn aber dem so ist, warum sollen wir denn, um zur
Kenntniss der Theile der Welt zu gelangen, unsere For-
schungen mit den Worten und nicht vielmehr mit den Wer-
ken Gottes beginnen? Ist vielleicht das Werk weniger edel
und ausgezeichnet als das Wort? Wenn Fromond oder ein
Anderer bewiesen hätte, zu sagen, die Erde bewege sich,
sei eine Ketzerei, und wenn dann die Demonstration, die
Beobachtung und eine zwingende Schlussfolgerung bewiese,
dass sie sich doch bewege: in welche Verlegenheit hätte er
dann sich selbst und die h. Kirche gebracht? Weist man
aber der Bibel in dem Falle die zweite Stelle an, wo deut-
lich bewiesen wird, dass die Werke von dem, was die Worte
besagen, verschieden sind, so tritt man damit nicht der Bibel
zu nahe. Wenn diese, um sich der Fassungskraft des grossen
Haufens anzubequemen, oft Gott etwas zuschreibt, was ihm
gar nicht zukommt, warum sollen wir denn annehmen,
dass sie, wo sie von der Sonne oder von der Erde spricht,
sich an eine so strenge Regel gebunden haben sollte, dass
sie, die geringe Fassungskraft des Volkes nicht berücksich-
tigend, niemals von diesen Geschöpfen etwas aussagen sollte,
was der Wirklichkeit nicht entspricht? Wenn es wahr sein
sollte, dass die Erde sich bewegt und die Sonne still steht,
so thut das der Bibel keinen Eintrag, welche sich so aus-
gedrückt hat, wie es der grossen Menge erscheint.
„Ich habe vor vielen Jahren, als der Lärm gegen Coper-
nicus sich zu erheben begann, in einer ziemlich langen Ab-
handlung [dem Briefe an Christina von Lothringen] durch
viele Stellen der Kirchenväter bewiesen, ein wie grosser
Missbrauch es ist, sich bei naturwissenschaftlichen Fragen so
viel auf die h. Schrift zu berufen, und verlangt, man solle in
solche Controversen die Bibel nicht hineinziehen."
Anfangs März 161 5 erschien von einem angesehenen Or-
densgeistlichen, dem Karmeliter Paolo Antonio Foscarini,
eine Schrift, welche sich direct zur Aufgabe setzte, die gegen
die Copernicanische Lehre vorgebrachten- exegetischen und
6o Foscarini und Campanella.
theologischen Einwendungen zu widerlegen1). Charakteri-
stisch für ihre Haltung ist folgende Stelle der Einleitung2):
„Wenn die Meinung der Pythagoreer wahr ist, so ver-
schlägt es wenig, dass sie allen Philosophen und Astronomen
der Welt widerspricht und dass man, um sie festzuhalten,
eine neue, auf ihre neuen Principien basirte Philosophie und
Astronomie construiren muss. Was die h. Schrift betrifft,
so wird auch diese ihr nicht schaden. Denn eine Wahrheit
widerspricht nicht der andern; wenn also die Pythagoreische
Meinung wahr ist, so wird ohne Zweifel Gott die Worte der
h. Schrift so dictirt haben, dass sie eine jener Meinung ent-
sprechende Deutung und eine Ausgleichung mit derselben
zulassen. Das hat mich veranlasst, da jene Meinung augen-
scheinlich probabel ist, die Art und Weise zu suchen, wie
man viele Stellen der h. Schrift mit ihr in Einklang bringen
und sie, nicht ohne theologische und physikalische Gründe,
so interpretiren kann, dass sie ihr gar nicht widersprechen,
so dass, wenn sich die jetzt als probabel anerkannte Mei-
nung als sicher wahr erweisen sollte, ihr nichts im Wege
steht, was der Welt die Erkenntniss der Wahrheit ver-
schliessen könnte." An einer andern Stelle 3) heisst es :
„Die Kirche ist unfehlbar nur in den Dingen, welche den
Glauben und unser Seelenheil betreffen, kann aber irren in
den praktischen Urtheilen und in den philosophischen Spe-
culationen und anderen Lehren, die das Seelenheil nicht
angehen."
Auf die einzelnen biblischen und theologischen Erörte-
rungen Foscarini's braucht hier nicht eingegangen zu werden.
i) Der vollständige Titel ist: „Lettera del R. P. M. Paolo Antonio Fos-
carini Carmelitano al Reverendiss. P.Generale del suo ordine, Sebastiano Fan-
toni, sopra l'opinione de' Pittagorici e del Copernico, nella quäle si accordano
ed appaciano i luoghi della Sacra Scrittura e le proposizioni teologiche, che
giammai possano addursi contro di tale opinione". Der Brief erschien zu Ne-
apel; er ist abgedruckt V, 455 — 494. Er ist datirt vom 6. Jan. 1 61 5 ; Cesi
übersandte ein Exemplar an Galilei am 7. März 161 5 ; VIII, 356. — Von
Foscarini ist sonst nicht viel bekannt. Nach der Biographie universelle
(Michaud) 14, 438 ist er 1580 — es ist streitig, ob zu Venedig oder im
Königreich Neapel — geboren, „um 1616'' gestorben. 161 1 sollen zu Co-
senza Predigten und ascetische Sachen von ihm gedruckt jvorden, einige
theologische Abhandlungen noch handschriftlich vorhanden sein.
2) V, 461. 3) V, 475-
Foscarini und Campanella. 61
Manche derselben sind ungenügend. Aber Grisar urtheilt
ungerecht, wenn er (S. 85) sagt, bei Foscarini wie bei dem
oben von Galilei citirten Diego de Stunica1) habe die „un-
geschickte Gewaltthätigkeit, womit sie das neue System mit
der h. Schrift in Harmonie setzen wollten, den begründetsten
Anstoss erregt/' und wenn er als Beweis dafür anführt,
Foscarini habe, von anderen Irrthümern abgesehen, die Co-
pernicanische Lehre sogar in der Beschreibung der Bundes-
lade angedeutet gefunden. Ein solcher wunderlicher Ein-
fall, — Foscarini spricht übrigens nicht von der Bundeslade,
wie Grisar Beckmann nachschreibt, sondern von dem sieben-
armigen Leuchter, — findet sich allerdings in der Schrift2);
aber er bildet gar keinen wesentlichen Theil der Argumen-
tation, und daneben finden sich Partieen, in welchen viel
vernünftigere Anschauungen ganz gut und dabei sehr be-
scheiden vorgetragen werden. Ueber das Schicksal dieser
Schrift wird noch zu reden sein.
Auch der bekannte Dominicaner Thomas Campanella
schrieb im J. 1616, — er war damals in Neapel in Haft, —
für den Cardinal Bonifazio Gaetani ein (lateinisches) Gut-
achten über die Frage: ob Galilei's Ansichten mit der h.
Schrift vereinbar seien3). Dasselbe wurde aber erst 1622 zu
1) Dessen Commentar zum B. Job ist übrigens nicht, wie Grisar an-
gibt, um dieselbe Zeit wie Foscarini's Schrift, sondern schon 1584 zu To-
ledo und nach dem Tode des Verfassers (1589) 1591 zu Rom erschienen,
s. o. S. 49 Anm. I. Eine dritte um 1613 erschienene Ausgabe finde ich
nirgend erwähnt. Freilich sagt auch Galilei in einem Briefe vom 6. März
16 16 (VI, 231), der Commentar sei vor drei Jahren erschienen.
2) V, 489. Die Erörterung ist wahrscheinlich durch eine Schrift ver-
anlasst, von welcher Cesi am I. März 1614 (VIII, 302) an Galilei schreibt:
„Colonna hat mir mitgetheilt, in Neapel habe ein Mönch in einem von theo-
logischen und anderen Dingen handelnden Werke sehr zornig und heftig
Ihre Schriften, namentlich die neuen Planeten angegriffen, weil dieselben
mit der Siebenzahl in Widerspruch ständen und nicht durch den sieben-
armigen Leuchter versinnbildet seien". Auch Francesco Sizi (s. o. S. 36)
hatte (161 1) schon drucken lassen: die h. Schrift und die Rabbinen sprä-
chen nur von sieben Planeten und letztere beriefen sich dabei auf den sie-
benarmigen Leuchter ; es könne nur sieben Planeten geben, weil Sieben die
vollkommene Zahl sei und dgl.; s. Venturi I, 125.
3) Fr. Thomae Campanellae Calabri Ordin. Praedic. Apologia pro Ga-
lilaeo Mathematico Florentino, ubi disquiritur, utrum ratio philosophandi,
quam Galilaeus celebrat, faveat Sacris Scripturis an adversetur, — abge-
druckt V, 495-558.
62 Bellarmins Brief an Foscarini.
Frankfurt gedruckt und kam Galilei erst im Herbst 1616 zu
Gesicht1). Es enthält viel mehr "Wunderlichkeiten, auch
schärfere Angriffe gegen die Aristoteliker , als Foscarini's
Schrift, aber auch manche treffende Bemerkungen2).
Foscarini übersandte seine Schrift auch dem Cardinal
Bellarmin. Dessen Antwort vom 12. April 16153) ist so cha-
rakteristisch, dass sie vollständig mitgetheilt werden muss:
„Ich habe mit Vergnügen den italienischen Brief und
die lateinische Schrift gelesen, die Sie mir geschickt haben.
Ich danke Ihnen für beide und gestehe, dass sie voll Geist
und Gelehrsamkeit sind. Aber da Sie meine Ansicht wis-
sen wollen, theile ich sie Ihnen mit, kurz, weil Sie nicht viel
Zeit zum Lesen haben und ich nicht viel Zeit zum Schreiben.
„1. Es scheint mir, dass Sie und Galilei klug thäten,
wenn Sie sich begnügten, nicht absolut, sondern ex supposi-
tione zu sprechen, wie es, wie ich immer geglaubt habe, Co-
pernicus gethan hat. Denn wenn man sagt : unter der
Voraussetzung, dass die Erde sich bewege und die Sonne
still stehe, lassen sich alle Erscheinungen besser erklären
1) viil, 391. 392.
2) Pieralisi, Urbano VII I. p. 25, theilt eine merkwürdige Stelle aus
einem ungedruckten Commentar Campanella's zu den lateinischen Gedichten
Urbans VIII. mit. Dieser Commentar war, wie aus der vom 10. Juli 1629
datirten Druck-Erlaubniss hervorgeht, 1629 vollendet; in der Pieralisi vorlie-
genden, nicht von Campanella herrührenden Abschrift sind aber, offenbar nach
Galilei's Verurtheilung, von Campanella die hier in Parenthese gesetzten
"Worte beigefügt: „Als Galilei in Rom angegriffen wurde, weil er sich zu
der Meinung des Copernicus hinneigte, . . schrieb ich eine Apologie, worin ich
zeigte, dass diese Meinung (die ich als naturwissenschaftlich falsch verwarf)
vielleicht nicht mit allen heiligen Vätern in Widerspruch stehe, wie aus
Chrysostomus, Justinus . . . bewiesen werden könnte; (aber nach der Publi-
cation des Decretes der Kirche freute ich mich, dass ich gegen Copernicus
geschrieben). Diese Schrift wurde durch den Cardinal Bonifazio Gaetani, auf
dessen Befehl ich sie geschrieben, in Deutschland in Druck gegeben. Unser
göttlicher Poet [Urban VIIL], der schon als Cardinal hervorragende Ge-
lehrte, selbst der Gelehrteste, begünstigt hatte, hat, nachdem er Papst ge-
worden, in einer neuen Ausgabe des , Index die Meinung des Copernicus
(von Irrthum gereinigt) zum Vortheil der Gelehrten und ohne Schaden für
das Gemeinwesen hypothetisch zu lesen gestattet.''
3) Veröffentlicht ist der Brief zuerst von Berti, Copernico p. 121.
Grisar (S. 97) beansprucht, so viel ich weiss, mit Recht, daä Verdienst, in
Deutschland zuerst den Brief berücksichtigt zu haben. Seine Uebersetzung
ist aber nicht ganz genau.
Bellarmins Brief an Foscarini. 63
(si salvano tutte le apparenze meglio) als durch die Annahme
der excentrischen Kreise und Epicyklen, so ist das sehr gut
gesagt und hat keine Gefahr, und das genügt dem Mathe-
matiker. Wenn man aber behaupten will, die Sonne stehe
wirklich im Mittelpunkte der Welt und bewege sich nur um
sich selbst, ohne von Osten nach Westen zu laufen, und die
Erde stehe am dritten Himmel und bewege sich mit der
grössten Schnelligkeit um die Sonne: so läuft man damit
grosse Gefahr, nicht nur alle Philosophen und scholastischen
Theologen zu reizen, sondern auch dem heiligen Glauben
zu schaden, indem man die h. Schriften Lügen straft (con
r ender e false le Scrttture santej. Denn Sie haben zwar viele
Weisen, die h. Schrift auszulegen, aufgezeigt, aber dieselben
nicht im Einzelnen angewendet; Sie würden ohne Zweifel
auf sehr grosse Schwierigkeiten gestossen sein, wenn Sie
alle jene Stellen hätten auslegen wollen, die Sie selbst ci-
tirt haben.
„2. Wie Sie wissen, verbietet das Concil, die Bibel
gegen die allgemeine Uebereinstimmung der h. Väter aus-
zulegen, und wenn Sie nicht nur die h. Väter, sondern auch
die modernen Commentare über die Genesis, die Psalmen,
den Prediger, das Buch Josue lesen wollen, werden Sie fin-
den, dass sie alle übereinstimmend die Stellen ad literam
dahin erklären, dass die Sonne am Himmel ist und sich mit
der grössten Schnelligkeit um die Erde bewegt, und dass
die Erde vom Himmel sehr weit entfernt ist und unbeweg-
lich im Mittelpunkte der Welt steht. Nun bedenken Sie
doch gemäss Ihrer Klugheit, ob die Kirche es dulden kann,
dass die h. Schriften im Widerspruch mit den h. Vätern
und allen griechischen und lateinischen Auslegern gedeutet
werden. Man kann nicht einwenden, dieses sei keine Glau-
benssache; denn wenn es keine Glaubenssache ex parte objecti
ist, so ist es eine Glaubenssache ex parte dicentis. So würde
ja auch derjenige, welcher sagen wollte, Abraham habe nicht
zwei1) und Jakob nicht zwölf Söhne gehabt, ebenso wohl
ein Häretiker sein wie der, welcher sagt, Christus sei nicht
von einer Jungfrau geboren, da das Eine und das Andere
der h. Geist sagt durch den Mund der Propheten und Apostel.
1) Bellarmin denkt an Gal. 4, 22. Die Stelle Gen. 25, 1 ff. war ihm
dabei nicht präsent.
64 Bellarmins Brief an Foscarini.
,,3. Wenn ein wirklicher Beweis dafür vorhanden
wäre, dass die Sonne im Mittelpunkte der Welt stehe und
die Erde am dritten Himmel, und dass niefit die Sonne um
die Erde, sondern die Erde um die Sonne gehe , dann
müsste man bei der Erklärung der Bibelstellen, welche das
Gegentheil zu sagen scheinen, mit grosser Vorsicht vor-
gehen, und eher sagen, wir verständen dieselben nicht, als,
das sei falsch, was bewiesen wird. Aber ich werde nicht
eher glauben, dass ein solcher Beweis geliefert sei, bis er
mir gezeigt ist. Wenn bewiesen ist, dass unter der Voraus-
setzung, dass die Sonne im Mittelpunkte und die Erde am
Himmel stehe, sich die Erscheinungen erklären lassen, so
ist damit nicht auch schon bewiesen, dass wirklich die Sonne
im Mittelpunkte und die Erde am Himmel steht. Das Erstere
lässt sich, glaube ich, beweisen; aber ob sich das Zweite
beweisen lasse, ist mir sehr zweifelhaft, und im Falle des
Zweifels darf man nicht von der h. Schrift, wie sie von
den h. Vätern ausgelegt wird, abgehen. Ich füge noch bei,
dass derjenige, welcher geschrieben hat: »Die Sonne geht
auf, und sie geht unter und kehrt zu ihrem Orte zurück«
[Eccl. 1, 5], Salomo ist, der nicht allein von Gott inspirirt
sprach, sondern auch der weiseste unter allen Menschen und
sehr gelehrt in allen menschlichen Wissenschaften und in der
Kenntniss der geschaffenen Dinge war und all diese Weis-
heit von Gott hatte, weshalb es nicht wahrscheinlich ist,
dass er etwas sollte behauptet haben, was im Widerspruch
stände mit etwas, was als wahr erwiesen ist oder erwiesen
werden könnte. Und wenn man einwendet, Salomo spreche
nach dem Anscheine, weil es uns so scheine, als ob die
Sonne sich bewege, während die Erde sich bewege, grade
so wie es dem, welcher sich vom Ufer entfernt, so scheine,
als ob sich das Ufer vom Schiffe entferne : so antworte ich :
wenn es dem, welcher sich vom Ufer entfernt, auch so
scheint, als entferne sich das Ufer von ihm, so erkennt er
doch, dass dieses ein Irrthum ist, und er berichtigt ihn, da
er deutlich sieht, dass das Schiff sich bewegt und nicht das
Ufer; was aber die Sonne und die Erde betrifft, so braucht
kein Gelehrter den Irrthum zu berichtigen, da er durch
augenscheinliche Erfahrung weiss, dass die Erde still steht
und dass das Auge sich nicht täuscht, wenn es urtheilt,
dass die Sonne sich bewege, wie es sich auch nicht täuscht,
Bellarmins Brief an Foscarini. 65
wenn es urtheilt, dass die Sterne sich bewegen. Das mag
für jetzt genügen."
Von diesem Schreiben Bellarmins besass Galilei eine
Abschrift; er beruft sich darauf in seinem Verhör am 12.
April 1633 1). Berti, der das Schreiben zuerst veröffentlicht
hat, theilt auch eine Erwiederung darauf (theilweise?) mit2),
welche Galilei (ohne Zweifel während seines Aufenthaltes
in Rom im J. 161 5 — 16) geschrieben hat. Darin sagt er zu
No. 1 : „Was die Philosophen angeht, so brauchen sie, wenn
sie wahre Philosophen sind, sich nicht reizen zu lassen;
wenn sie erkennen, dass sie im Irrthum gewesen sind,
müssen sie dem danken, der ihnen die Wahrheit zeigt, und
wenn sie mit ihrer Meinung Recht behalten, haben sie
Grund, sich zu freuen, und nicht, unwillig zu werden. Auch
die Theologen brauchen sich nicht reizen zu lassen; denn
wenn sich die fragliche Meinung als falsch erweist, können
sie dieselbe verbieten; wenn sie sich aber als wahr er-»
weist, müssen sie sich freuen, dass ihnen ein Anderer den
Weg zur Auffindung des wahren Sinnes der Bibek gebahnt
und sie davor bewahrt hat, durch die Verdammung eines
wahren Satzes ein grosses Aergerniss zu geben."
Zu No. 3 bemerkt Galilei: ,,Wer nicht eher glauben
will, dass ein Beweis für die Bewegung der Erde vorhanden
sei, bis er ihm gezeigt ist, der handelt ganz verständig.
Wir verlangen auch von Niemand, dieses ohne Beweis zu
glauben, und wünschen nichts anderes, als dass zum Nutzen
der h. Kirche mit der grössten Strenge das, was die An-
hänger jener Meinung vorzubringen im Stande sind, ge-
prüft und nichts anerkannt werde, wenn nicht das, was sie
vorbringen, die Gründe der andern Partei bei weitem über-
trifft, — dass sie abgewiesen werden mögen, wenn sie nicht
mehr als 90 Procent der Gründe für sich haben, aber dass
man auch, wenn nachgewiesen wird, dass unter dem, was
die gegnerischen Philosophen und Astronomen vorbringen,
viel Falsches und gar nicht in Betracht Kommendes ist, die
andere Partei nicht gering geschätzt und es nicht als ein
unglaubwürdiges Paradoxon angesehen werde, dass sie je
einen evidenten Beweis werde führen können. Man darf
wohl ein so liberales Anerbieten machen, weil ja offenbar
1) Acten S. 78. 2) Copernico p. 128.
Reusch, Galilei.
66 Bellarmins Brief an Foscarini.
diejenigen, welche im Irrthum sind, weder die Vernunft noch
die Erfahrung, so weit sie hier etwas gilt, für sich haben
können, während zu der Wahrheit alles stimmen und passen
muss. Allerdings ist, wenn bewiesen wird, dass unter der
Voraussetzung der Bewegung der Erde und des Stillstehens
der Sonne sich die Erscheinungen erklären lassen, damit
nicht auch schon bewiesen, dass diese Hypothesen wirklich
wahr sind; aber wenn nach dem andern, dem herrschenden
System diese Erscheinungen nicht erklärt werden können, ist
dasselbe unzweifelhaft falsch, und es ist klar, dass das
System, welches zu den Erscheinungen sehr gut passt,
wahr sein kann. Eine grössere Wahrheit kann und darf
man von einer Theorie nicht verlangen, als dass sie allen
einzelnen Erscheinungen entspreche."
Aus Galilei's Bemerkungen zu No. 2 theilt Berti nur
Folgendes mit: „Es könnte ja sein, dass wir bei der Aus-
legung der h. Schrift auf Schwierigkeiten stiessen; aber
das würde seinen Grund in unserer Unwissenheit haben,
nicht darin, dass wirklich eine unüberwindliche Schwierig-
keit dem im Wege stände oder stehen könnte, die Bibel
mit den erwiesenen Wahrheiten in Einklang zu bringen. . .
Wenn man sagt, ein solcher Satz sei de fide, wenn auch
nicht ratione obiecti, so doch ratione dicentis, und er gehöre
darum mit zu denjenigen Sätzen, auf welche sich das Con-
cilsdecret beziehe, so ist zu antworten, dass alles, was in
der h. Schrift steht, ratione dicentis de fide ist und darum
also unter die Regel des Concils mit einbegriffen sein
müsste, — was offenbar nicht der Fall ist, da dann das
Concil gesagt haben würde: in omni verbo scripturarum
sequenda est expositio patrum etc., und nicht: in rebus fidei
et morum. Da es aber sagt: in rebus fidei, so sieht man,
dass es die Regel von rebus fidei ratione obiecti verstanden
haben will."
Diese letzte Bemerkung ist nicht ausreichend. Bellar-
min konnte vom Standpunkte der gewöhnlichen Auffassung
der Inspiration aus mit Recht sagen: wenn man eine Aus-
sage der h. Schrift als unwahr bezeichnet, so ist das auch
dann, w.enn diese Aussage keinen dogmatischen Charakter
hat, häretisch, weil es eine indirecte Bestreitung der Lehre
von der auf der Inspiration beruhenden Irrthumslosigkeit
der h. Schrift ist, — wiewohl doch augenscheinlich die
Bellarmins Brief an Foscarini. 67
beiden biblischen Aussagen: Abraham hatte zwei Söhne,
und: Christus ist von einer Jungfrau geboren, nicht gleich-
werthig sind; — aber die Copernicaner bezeichneten auch
keine einzige Aussage der h. Schrift als unwahr, sondern
nur die herkömmliche Auslegung einiger Aussagen als un-
richtig; sie verstiessen darum auch gar nicht gegen die
Tridentinische Regel, welche bei der Auslegung der Bibel
nur bezüglich der res fidei et morum den Consensus der
Väter als massgebend bezeichnet.
Der interessanteste Theil des Bellarmin'schen Briefes
ist aber der dritte, worin er, wie Grisar S. 98 sagt, „für
den Fall, dass wirklich unanfechtbare Beweise gebracht
würden, sich bereit erklärt, der mehr als tausendjährigen
Schulmeinung den Rücken zu wenden." Ueber einstimmend
damit erklärte später auch der Jesuit Grassi ex sententia
Cardinalis Bellarmini : „wenn man für die Bewegung der
Erde einen Beweis fände, müsse man diejenigen Bibel-
stellen, wo von der Stabilität der Erde die Rede sei, anders
erklären als bisher" *). Es ist mir unbegreiflich, wie Grisar
S. 98 von der fraglichen Stelle des Briefes Anlass nehmen
kann, Bellarmins „Unbefangenheit des Denkens" zu preisen,
„die seine Achtung vor wahrer Wissenschaft in das schönste
Licht stelle". Mir scheint der Brief ein für Bellarmin sehr
gravirendes Actenstück zu sein. Er erkennt offenbar an,
dass die Copernicanische Lehre möglicher Weise richtig
sein und als richtig erwiesen werden könne; er hält sie also,
wenn der casuistische Ausdruck hier gebraucht werden darf,
wie Foscarini für probabel, wenn auch nur für tenuiter pro-
babilis. Mithin hält er die Ptolemäische Lehre nicht für
unzweifelhaft wahr, sondern für eine solche, welche sich
möglicher Weise als irrig herausstellen könne. Er gibt
ferner ausdrücklick zu, dass die auf der Ptolemäischen An-
sicht beruhende Auffassung der Bibelstellen möglicher Weise
irrig sein und für den Exegeten sich die Notwendigkeit
herausstellen könne, die Stellen anders zu deuten2). So un-
1) IX, 67.
2) „Allerdings glaubte er", — so sagt P. Schneemann S. 257 von
dem „höchst interessanten" Briefe Bellarmins, — „dass das Copernicanische
System dem Wortlaute und der bisherigen Erklärung der h. Schrift entgegen
sei; dennoch hielt er den Fall nicht für unmöglich, dass mit dem Fort-
68 Bellarmins Brief an Foscarini.
wahrscheinlich ihm das auch sein mochte, er hätte, wenn
er „unbefangen" gedacht hätte, darauf dringen müssen,
man solle nicht durch einen kirchlichen Urtheilspruch eine
Lehre für falsch und der h. Schrift widersprechend erklären,
von der möglicher Weise im Laufe der Zeit erwiesen wer-
den könne, dass sie richtig sei und darum auch, wenngleich
der jetzt herrschenden Deutung der h. Schrift, doch nicht
dieser selbst widerspreche; eine kirchliche Behörde sei nicht
competent, über die Richtigkeit einer Lehre ein Urtheil zu
fällen, bei welcher es sich gar nicht um eine Offenbarungs-
wahrheit handle ; sie habe vielmehr die Entscheidung über
die Richtigkeit der Lehre der Wissenschaft zu überlassen;
die kirchliche Behörde sei berechtigt, zu erklären, dass die
h. Schrift keinen Irrthum enthalte und in Sachen des Glau-
bens und der Sitten nicht im Widerspruch mit der Lehre
der Kirche und mit dem unantmis consensus der Väter
interpretirt werden dürfe; sie könne aber nicht erklären,
eine andere als die herrschende Auffassung der von der
Sonne und der Erde handelnden Bibelstellen sei nicht zu-
lässig, da sich möglicher Weise die dieser Auffassung zu
Grunde liegende astronomische Ansicht als irrig erweisen
werde.
Weniger begabte und unterrichtete Theologen als Bel-
larmin mögen wirklich geglaubt haben, die Ptolemäische
Lehre sei ebenso sicher wahr wie die kirchliche Trinitäts-
lehre und die Copernicanische Lehre ebenso sicher falsch
wie der Arianismus und Galilei's Deutung der betreffenden
Bibelstellen ebenso sicher unrichtig wie die Arianische Deu-
tung von Joh. i, i ff. Bellarmin aber wusste es besser, und
er verdient darum den schärfsten Tadel, dass er, lediglich
darum, weil er die Copernicanische Lehre für nicht erwiesen
und das Beibringen eines vollgültigen Beweises für dieselbe
für sehr unwahrscheinlich hielt, dem Urtheil zustimmte,
welches dieselbe für falsch, also für unbeweisbar, und für
*der Bibel widersprechend und darum für häretisch erklärte.
• Hätte man sich darauf beschränkt, die Bücher des
Copernicus und seiner Anhänger auf den Index zu setzen,
so hätte sich diese Massregel als eine disciplinare mit
schritte der Wissenschaften dasselbe unumstösslich bewiesen werden könne
und dann auch eine andere Erklärung der Schrifttexte erfordere."
Die Römische Inquisition. 69
Zweckmässigkeitsgründen rechtfertigen oder entschuldigen
lassen. Wir werden aber sehen, dass man darüber hinaus-
ging und ein doctrinelles Urtheil fällte, welches jetzt als ein
falsches allgemein anerkannt ist, damals aber schon von
Bellarmin, wenn er wirklich unbefangen gedacht und vor
der Wissenschaft Achtung gehabt hätte, als ein unzulässiges
hätte erkannt werden müssen.
VI.
Die Römische Inquisition und die Index-Congregation.
Der Darstellung der Galileischen Processe sind einige
Notizen über die päpstlichen Behörden vorauszuschicken,
welche dabei in Betracht kommen, zunächst über die In-
quisition *).
Die mittelalterlichen Päpste haben bekanntlich sich und
den Bischöfen das Recht beigelegt, gegen solche, die einer
Versündigung gegen den katholischen Glauben, namentlich
des Festhaltens und der Kundgebung ketzerischer Ansichten
verdächtig geworden, eine gerichtliche Untersuchung einzu-
leiten und diejenigen, welche eines derartigen Vergehens
schuldig erkannt wurden, zu bestrafen, und zwar, wenn sie
sich nachgiebig und reumüthig zeigten, zur Abschwörung
ihrer irrthümlichen Meinungen und zu irgend welchen Buss-
übungen, auch zu Gefängniss und anderen ähnlichen Strafen,
wenn sie dagegen hartnäckig blieben, zum Tode zu verur-
theilen. Dieses gerichtliche Verfahren kirchlicher Behörden
nannte man Inquisition, eigentlich Inquisitio haereticae ftra-
vitatis, Untersuchung wegen ketzerischer Bosheit. Durch
einige Päpste des 16. Jahrhunderts, namentlich Paul III.,
Pius IV. und V. und Sixtus V., wurde diese Inquisition neu
organisirt und centralisirt. Namentlich wurde eine Anzahl
von Cardinälen als General-Inquisitoren für die ganze Kirche
1) Vgl. J. H. Bangen, Die Römische Curie, ihre gegenwärtige Zusam-
mensetzung und ihr Geschäftsgang, Münster 1854, S. 91 ff. Phillips, Kir-
chenrecht, VI (1864), 583 ff.
70 Die Römische Inquisition.
bestellt. Diese oberste Römische Inquisitionsbehörde erhielt
durch Sixtus V. im Jahre 1586 die Organisation, in welcher
sie zu Galilei' s Zeit bestand und im Wesentlichen, wenigstens
formell, noch heute fortbesteht.
Die amtliche Bezeichnung ist: Sacra Congregatio Ro-
manae et Universalis Inquisitionis, die h. Congregation der
Inquisition für Rom und die ganze Kirche, oder auch Con-
gregatio Sancti Officii, die Congregation des h. Officiums.
Mitglieder dieser Congregation sind mehrere von dem Papste
ernannte Cardinäle, Vorsitzender derselben ist der Papst
selbst. Einer der Cardinäle ist Secretär der Congregation
und hat als solcher namentlich für -die Ausführung ihrer
Beschlüsse zu sorgen. Während des ersten Galilei'schen
Processes war Secretär der Inquisition der Cardinal Gio-
vanni Garzia Mellini (Millini, j 1629), während des zweiten
der Cardinal Antonio Barberini der A eitere, ein Bruder Ur-
bans VIII., gewöhnlich Cardinal von St. Onuphrius genannt.
Zu dem Personal der Congregation der Inquisition ge-
hören: 1. der Commissarius generalis S. Officii, regelmässig
ein Dominicaner, welcher bei allen der von der Congrega-
tion zu treffenden Definitiv-Entscheidung vorhergehenden pro-
cessualischen Acten als ordentlicher Richter fungirt und na-
mentlich die Verhöre der Angeklagten und Zeugen vornimmt.
Bei dem ersten Galilei'schen Process fungirte P. Michelan-
gelo Seghizzi von Lodi (Seghetius de Lauda), bei dem
zweiten P. Vicenzo Macolano von Firenzuola als Commissar 1).
— 2. Der Assessor Sancti Officii, in der Regel ein Welt-
geistlicher, welcher als Gehülfe und Stellvertreter des Com-
missars fungirt und namentlich in den Sitzungen der Car-
dinäle der Inquisition zu referiren hat; bei dem zweiten
Process war es Monsignor Pietro Paolo Febei. — 3. Der
Promotor ßscalis, der öffentliche Ankläger. Als solcher fun-
girte in dem zweiten Processe Carlo Sinceri, Doctor beider
Rechte2); er tritt aber bei den Verhandlungen ebenso wohl
wie der Assessor wenig hervor; der ,,Advocat der Ange-
i) Seghizzi war vorher Inquisitor in Cremona und Mailand, Commis-
sar seit 16 14; schon 1616 wurde er Bischof von Lodi. Berti, II Processo
p. LXII. Ueber Macolano s. u. §. XXI.
2) Er fungirte auch schon 1608 in dem Process des Fulgentio Man-
fredi; s. Gibbings p. 18.
Die Römische Inquisition. 71
klagten" kam dabei gar nicht in Thätigkeit. — 4. Die „Con-
sultoren", Theologen und Canonisten aus dem Stande der
Welt- und Ordensgeistlichen, welche über die in den Sitzungen
der Cardinäle zu verhandelnden Gegenstände ihr Gutachten
abzugeben haben. Sie werden vom Papste ernannt; der Ge-
neral der Dominicaner, der (unten zu erwähnende) Magister
Sacri Palatii und noch ein dritter Dominicaner, der speciell
Consta tor S. Officii heisst, sind immer darunter. — 5. Die
„Qualificatoren", eine Anzahl von Theologen und Canonisten,
welche in einzelnen Fällen zur Begutachtung bestimmter
Punkte aufgefordert, namentlich beauftragt werden, Sätze,
wegen deren Jemand angeklagt ist, zu „qualificiren", d. h.
sich darüber zu äussern, ob und in wiefern dieselben unka-
tholisch sind. — 6. Als Secretär des Commissars, namentlich
als Protocollführer fungirt ein Notar des h. Officiums1).
Die Verhöre fanden in dem von Sixtus V. in der Nähe
der Peterskirche erbauten Palaste des h. Officiums statt, in
welchem sich auch die Wohnungen des Commissars, des
Assessors und des Fiscals und die Gefängnisse für die An-
geklagten befanden. Ebendaselbst traten auch, regelmässig
am Montag, die Consultoren mit dem Commissar und dem
Assessor zusammen, um über die zur Entscheidung reifen
Sachen zu berathen. Der Assessor referirte über dieselben;
ein oder mehrere von dem Cardin al-Secretär bestimmte Con-
sultoren, denen schon vorher die Acten zugesandt worden,
legten ein schriftliches Votum vor. Der in dieser Sitzung
gefasste Beschluss hatte aber nur die Bedeutung eines den
Cardinälen vorzulegenden Gutachtens2). Die Cardinäle der
Inquisition hielten, gewöhnlich am Mittwoch, ihre Sitzungen
in dem Dominicanerkloster Santa Maria sopra Minerva 3). In
diesen Sitzungen referirte der Assessor über den Thatbestand
1) Bei dem ersten Process Galilei's Andrea de Pettini, bei dem zwei-
ten Giovanni Antonio Tomasi; Wolynski p. 38. 75.
2) Eine Aufzeichnung über eine solche Sitzung der Consultoren rindet
sich bei Gebier, Acten S. 184: ~ „Feria 2a. die 14. Junii 1734. DD. CC.
[Domini Consultores] fuerunt in voto, rescribendum etc. Darunter steht: Feria
4. die IG. Junii 1734: Eminentissimi suprascriptum votum Dominorum Con-
sultorum approbarunt.
3) Nach einer Verordnung Urbans VII. vom 17. Sept. 1628; früher
fanden diese Sitzungen in der Wohnung des ältesten Cardinais statt. Pig-
natelli (s. u. S. 75, Anm. 1) II, 520.
72 Die Römische Inquisition.
und das Gutachten der Consultoren. Wenn die Cardinäle
es für nöthig hielten, wurden letztere aus dem Vorsaale, wo
sie warten mussten, hereingerufen, um ihr Gutachten zu er-
läutern und zu motiviren. Die Cardinäle stimmten endlich
über die zu treffende Entscheidung ab. Am folgenden Tage,
also regelmässig am Donnerstag, versammelten sich die
Cardinäle im päpstlichen Palaste zu der unter dem Vorsitze
des Papstes stattfindenden Sitzung: in wichtigen Fällen wurde
nochmals ausführlich über die Sache referirt, dann *gaben
die aus dem Vorsaale herbeigerufenen Consultoren ihr Gut-
achten, darauf die Cardinäle ihre Stimmen ab, worauf der
Papst das Urtheil der Cardinäle bestätigte oder auch eine
davon abweichende Entscheidung traf. Ueber weniger wich-
tige Sachen wurde dem Papste das in der Mittwochs-Sitzung
der Cardinäle gefällte Urtheil zur Bestätigung vorgelegt. —
Die von Gherardi veröffentlichten Documente (s. o. S. 5)
sind Aufzeichnungen über die in solchen Mittwochs- und
Donnerstags-Sitzungen gefassten Beschlüsse (Decreta)\ über
die unter dem Vorsitze des Papstes gefassten Beschlüsse
wird regelmässig mit der Formel Sanctissimus ordinavit,
decrevit oder mandavit berichtet1).
Ueber die in diesen Sitzungen gefassten Beschlüsse
wurde durch den Cardinal-Secretär dem Assessor oder dem
Commissar des h. Officiums oder dem Notar desselben das
Erforderliche mitgetheilt, und letzterer machte dann darüber
in den im Inquisitionspalaste befindlichen Acten eine Notiz2).
Darum finden wir in den jetzt im Vatican aufbewahrten,
von Gebier veröffentlichten Processacten manche Notizen,
welche Aufzeichnungen in der Gherardi' sehen Sammlung ent-
1) Vgl. No. III, IV, VI u. s. w. — Aufzeichnungen über Mittwochs-
Sitzungen sind No. II, IV u. s. w. (No. XXVIII: Emineniissimi decreve-
runt ut memoriale legatur coram Sanctissimo, was nach No. XXIX am
folgenden Tage geschah.) Ausnahmsweise fanden die Sitzungen der Cardi-
näle an einem andern Tage als am Mittwoch statt; s. No. I, XXV, XXVI.
Wolynski sagt p. 37. 39. 62: der Donnerstag sei an der Curie ein Ferientag
gewesen; die Mittwochs -Sitzungen hätten, wenn der Papst theilnehmen
wollte, in seinem Palast stattgefunden; den grössern Theil des Jahres seien
überhaupt Ferien gewesen. Die Angaben im Texte werden von Carena
(s. u. S. 75, Anm. 1) p. 12a bestätigt, der beifügt, die beiden Sitzungen der
Inquisition seien gewöhnlich nur in der Char- und Osterwoche ausgefallen.
2) Vgl. Wolynski p, 63.
Die Römische Inquisition. 73
sprechen, wie umgekehrt in dieser wiederholt auf Acten-
stücke Bezug genommen wird, die sich in der Vaticanischen
Sammlung befinden. So steht z. B. bei Gherardi (Nr. II)
eine Aufzeichnung über die am Mittwoch 25. Febr. 161 5 ge-
haltene Sitzung der Cardinäle, worin es heisst: es sei ein
Brief des Pater Lorini zu Florenz verlesen worden, mit wel-
chem derselbe eine Abschrift eines Schreibens Galilei's an
Benedetto Castelli eingesandt habe, und es sei darauf be-
schlossen worden, den Erzbischof und den Inquisitor zu Pisa
aufzufordern, sie möchten sich das Original des Galilei'schen
Schreibens zu verschaffen suchen und dieses der Inquisition
übermitteln. In den Vaticanischen Acten (in Geblers Aus-
gabe S. 11) findet sich der Brief Lorini's mit der Abschrift
des Galilei'schen Schreibens und dann folgende Aufzeich-
nung (des Notars der Inquisition) vom 26. Februar: „Der
Cardinal Millino [der Secretär der Inquisition] hat mir auf-
getragen, dem Erzbischof und dem Inquisitor von Pisa zu
schreiben, sie möchten sich das Original des Schreibens Ga-
lileis zu verschaffen suchen" *). Dann folgen die Antworten
des Erzbischofs und des Inquisitors. — So erklärt es sich auch,
dass die Gherardi'schen. Urkunden nicht gerade viel "Wich-
tiges zur Ergänzung des Vaticanischen Manuscriptes bieten.
Ausserhalb Roms, namentlich in Italien, fungirten in
vielen Städten von der Congregation des h. Officiums be-
stellte Inquisitoren als Einzelrichter. Auch ihnen standen
Consultoren mit berathender Stimme und andere Gehülfen
zur Seite. Auch hatten sie ihre Vicarien. In allen wichti-
geren Angelegenheiten hatten sie an die Römische Congre-
gation zu berichten und deren Weisungen zu befolgen. In
den Galilei'schen Processen kommen der Inquisitor von Flo-
renz und andere Inquisitoren nur vor, sofern sie Aufträge
der Congregation auszuführen hatten.
Alle Beamten der Inquisition waren bei Strafe der Ex-
communication zu strengem Stillschweigen über die Process-
verhandlungen verpflichtet. Auch die Angeklagten mussten
bei den Verhören eidlich Stillschweigen geloben.
Zur Competenz der Inquisition gehörten ausser der
I) S. 48 steht: Die Jovis 25. Febr. 1616: 711. D. Card. Miliums noti-
ficavit RR. PP. Assessori et Co/nmissario S. Officii, quod . . . Sanctissi-
mus ordinavit etc.
74 Die Römische Inquisition.
Ketzerei auch noch andere Vergehen, welche — zum Theil
kraft einer starken juristischen Fiction — als^Vergehen gegen
den Glauben und als den Verdacht der Ketzerei begrün-
dend angesehen wurden, wie Blasphemie, Hexerei, Miss-
brauch der Sacramente u. s. w.
Unter den Werken, aus 'welchen wir das Verfahren der
Inquisition zur Zeit Galilei's kennen lernen, wird im Fol-
genden am öftesten zu erwähnen sein das „Sacro Arsenale".
Es ist ein für die Local-Inquisitoren und ihre Beamten be-
stimmtes praktisches Handbuch, welches eine übersichtliche
Zusammenstellung der von ihnen zu beobachtenden Regeln
und eine reichhaltige Sammlung von Formularen für die
Verhörsprotocolle, Urtheile u. s. w. gibt. Diesen Formu-
laren entsprechen auch die in den Galilei'schen Processen
vorkommenden Actenstücke, während die in dem Buche ent-
haltenen Regeln, eben weil sie sich auf das Verfahren der
Inquisitionstribunale ausserhalb Roms beziehen, über das
Verfahren der Römischen Inquisition in der Galilei'schen An-
gelegenheit keinen genügenden Aufschluss geben. Das
Sacro Arsenale ist von dem Dominicaner P. Eliseo Masini,
Inquisitor zu Bologna, verfasst und zuerst 1625, dann in
einer neuen vermehrten Ausgabe 1665 zu Bologna, später
mit Zusätzen von dem Inquisitor P. Tomaso Menghini und dem
Fiscal der römischen Inquisition Dr. Giovanni Pasqualone
wiederholt zu Rom gedruckt worden1). — Ausserdem werden
1) Wohlwill, Ist Galilei gefoltert worden? S. 17—21. Pieralisi u. A.
citiren die Ausgabe von (Genua) 1625, Wolynski eine Ausgabe von Perugia
1653. Die (von Wohlwill u. A. benutzte) Ausgabe von 1665 hat den Titel:
„Sacro Arsenale ouero Prattica delP Officio della Santa Inquisitione. Di
nuovo corretto, & ampliato". Die von Berti citirte Ausgabe Rom 1639
scheint ein Abdruck der ersten zu sein. Eine römische Ausgabe von 1693
hat den Titel: „Sacro Arsenale . . . Con l'inserzione d'alcune Regole fatte
dal R. Inquisitore Tomaso Menghini Doinenicano, e di diverse annotationi
del Dott. Giovanni Pasqualone, Fiscale della Suprema Generale Inquisizione
di Roma". Der Text Masini's ist darin, — wie es scheint, ganz — unver-
ändert abgedruckt, hie und da sind aber kleinere oder grössere „Annotationi'4
(p. 23 — 126 eine Anzahl von Formularen zu Verhören) beigefügt. Die Ausgabe
Rom 1705 ist ein (auch in den Seitenzahlen ziemlich genau übereinstim-
mender) Abdruck der Ausgabe von 1693; nur smc* die 300 „Avvertimenti",
(aphoristischen Regeln), welche den 10. Theil des Masini'schen Werkes
bilden, anders geordnet. — Marini u. A. citiren das Sacro Arsenale unter
dem Namen Pasqualone's, Bangen und nach ihm Phillips u. A. (in einer
Die Index-Congregation. 75
noch einige andere Autoren des 17. Jahrhunderts, welche
von der Inquisition handeln, benutzt werden, namentlich der
Theologe Diana und die Canonisten Franz Pena, Carena
und Pignatelli, sowie die Juristen Julius Clarus und Prosper
Farinacci, welche über das damalige Verfahren bei Criminal-
processen bei anderen Gerichtshöfen Auskunft geben *). Auch
die Vergleichung der von R. Gibbings und K. Benrath ver-
öffentlichten Urtheile der Römischen Inquisition aus der
zweiten Hälfte des 16. und der ersten Hälfte des 17. Jahr-
hunderts2) dient zur Aufhellung einzelner Punkte.
Eine andere Congregation von Cardinälen, welche irn
Folgendem zu erwähnen sein wird, heisst Sacra Congregatio
Indicis Librorum ßrohibitorum, die h. Congregation des Index
Ausgabe Rom 1739) unter dem Namen Menghini's (verdruckt Menchini).
Wolynski erwähnt noch eine Ausgabe Rom 171 6. Ich habe die Ausgaben
von 1665, 1693 und 1705 (alle drei auf der Staatsbibliothek zu München)
benutzt. Wo das Sacro Arsenale citirt wird, sind die Seitenzahlen der Aus-
gabe von 1665 angegeben, wo Pasqualone citirt wird, die Seitenzahlen der
Ausgabe von 1705.
i) Ant. Diana Resolutionum moralium Pars IV. Antv. 1645. — Direc-
torium Inquisitorum Fr. Nie. Eymerici cum commentariis Francisci Pegnae
(Spanier, gest. als Decan der Rota 1612; Romae 1578. 1585) Venetiis
1607. — Tractatus de officio S. Inquisitionis et modo procedendi in causis
fidei . . . auet. Caesare Carena. Cremonae 1641. 1655 (Lugd. 1669. Der
Ausgabe von 1655 ist eine [nicht vollständige] Instructio s. Praxis Inquisi-
torum Fr. Pegnae angehängt). — Jacobi Pignatelli Novissimae Consultationes
canonicae. Altera editio. Col. Allobr. 17 19. — Julii Clari Opera omnia s.
Practica civilis atque criminalis. Lugd. 1661. — Prosp. Farinacii Praxis et
Theoricae criminalis libri duo. Francof. 1697. — Die Werke von Diana,
Peiia und Carena werden im Sacro Arsenale empfohlen. Diana nimmt übri-
gens mehr auf die spanische als auf die Römische Inquisition Rücksicht. —
Aus einigen anderen ähnlichen Büchern gibt Wolynski p. 135 Auszüge.
2) Die hier in Betracht kommenden Publicationen von R. Gibbings
(Prof. in Dublin) sind: A Report of the Proceedings of the Roman Inquisi-
tion against Fulgentio Manfredi [1610], 1852. — Case of a Minorite Friar,
who was sentenced by S. Charles Borromeo [Thomas de Fabianis 1564],
1853. — Report of the Trial and Martyrdom of Pietro Carnesecchi [1567],
1856. (Auszüge aus den Verhören Carnesecchi's sind herausgegeben von
Giacomo Manzoni in den Miscellanea di Storia italiana X [1870], 187 — 573).
— A Statement of the Case of Thaddaeus O' Farrihy [1628], 1868. — Ben-
rath hat eine grosse Zahl von Inquisitions-Urtheilen aus den Dubliner Acten
in der Allg. Ztg. 1877, No. 76 ff. veröffentlicht. Zwei Urtheile der Römi-
schen Inquisition vom J. 1635 sind in der Riv. Eur. 1878, V, 510 abge-
druckt.
7^ Die Index-Congregation.
oder Verzeichnisses der verbotenen Bücher1). Sie lässt die
ihr zur Anzeige gebrachten Druckschriften untersuchen und
verbietet das Lesen, das Verbreiten und sogar das Besitzen
derjenigen Bücher, welche ihr in religiöser oder sittlicher
Hinsicht bedenklich erscheinen. Mitunter wird ein solches
Verbot auch auf Grund eines Beschlusses der Inquisition
erlassen, wie denn überhaupt die beiden Congregationen in
manchen Fällen gemeinsam handeln. Das zur Zeit des Trien-
ter Concils angelegte und seitdem von Zeit zu Zeit revidirte
und vervollständigte Verzeichniss der Bücher, welche diese
.Congregation verboten hat und nur auf einen besondern An-
trag Einzelnen gestattet, heisst Index librorujn prohtbitorum,
gewöhnlich kurzweg Index. — Präfect dieser Congregation
ist ein Cardinal, sein Assistent der Prälat, welcher Magister
Sacri Palatii Apostolici heisst, — immer ein Dominicaner.
Letzterm sind auch die Bücher, welche in Rom gedruckt
werden sollen, zur Censur vorzulegen; der Cardinal- Vicar,
der Vertreter des Papstes für die Diöcesanverwaltung von
Rom, oder dessen Stellvertreter 2) ertheilt die Druck-Erlaub-
niss nur auf Grund der Gutheissung des Palastmeisters oder
seines Assistenten3). — Mitunter wird ein Buch nicht unbedingt
verboten, sondern „suspendirt", d. h. mit der Clausel donec
corrigatur verboten. In diesem Falle ist das Lesen dessel-
ben gestattet, nachdem die von der Index-Congregation als
anstössig bezeichneten Stellen daraus, entfernt oder ge-
ändert sind.
Zu Galilei's Zeit wurde das kirchliche Bücherverbot
strenge gehandhabt. Die Nuncien und Inquisitoren wurden
wiederholt aufgefordert, bedenkliche Bücher zur Anzeige zu
bringen, es wurden viele Bücher verboten 4) und die Erlaub-
niss zum Lesen verbotener Bücher nicht leicht ertheilt. Ur-
ban VIII. nahm durch ein Breve vom 2. April 1631 alle
derartigen Licenzen zurück und ertheilte neue nur mit Ein-
1) Bangen a. a. O. S. 124. Phillips a. a. O. S. 598.
2) Bangen a. a. O. S. 287.
3) Die Ausgabe des Sacro Arsenale von 1705 hat 1. B. folgende
Druckerlaubnisse „Imprimatur, si videbitur Rev. P. Magistro S. Palatii Apo-
stolici. Dominicus de Zaulis Episcopus Verulanus Vicesgerens. — Impri-
matur. Fr. Joannes Bapt. Carus Magister et Socius Rev. P. Sacri Apost.
Pal. Magistri Ordinis Praedicatorum" .
4) Wolynski p. 25. S. u. §. X.
Die Predigt Caccini's. 77
schränkungen. In der neuen Erlaubniss, die für den Gross-
herzog von Toscana ausgefertigt wurde, waren Machiavelli
und alle astrologischen Bücher ausgenommen; als der
Grossherzog durch seinen Gesandten Vorstellungen machen
Hess, wurde Machiavelli freigegeben, das Lesen astrologischer
Bücher aber, erklärte der Papst, werde er nicht einmal dem
Kaiser und dem König von Spanien gestatten1).
VII.
Denunciation Galilei's bei der Inquisition im J. 1615.
Kurz nachdem Galilei im J. 1611 von Rom, sehr zu-
frieden mit der Aufnahme, die er dort gefunden, nach Flo-
renz zurückgekehrt war, erhielt er einen Brief von Cigoli
aus Rom 1. Juli 161 12), worin derselbe bemerkt: er glaube,
dass Galilei in Florenz, wenn nicht mehr, so doch boshaf-
tere Feinde habe als in Rom. Am 16. Dec. 161 1 3) schrieb
derselbe: er habe von einem Galilei sehr freundlich gesinnten
Pater gehört, eine Anzahl von Gegnern Galilei's versammele
sich im Hause des Erzbischofs von Florenz — er war ein
Schüler Galilei's, Marzi-Medici, — und berathe darüber, wie
man Galilei auf Grund seiner Ansicht über die Bewegung
der Erde oder anderer Ansichten angreifen könne; einer
dieser Leute habe einen Ordensgeistlichen gebeten, auf der
Kanzel von Galilei's „extravaganten" Meinungen zu sprechen,
der Pater habe aber dieses Ansinnen abgelehnt4).
1) Wolynski p. 163. 2) VIII, 155. 3) VIII, 188.
4) A. v. Reumont sagt, Gesch. Toscana's I, 551 (unter Berufung auf
Palermo, Orazio Ricasoli Rucellai p. 18): „In der Bibliotheca Palatina be-
finden sich zahlreiche Briefe von Pisaner Professoren an die Grossherzogin,
voll Anklagen gegen Galilei als Verderber so der Wissenschaft wie des
Glaubens". Leider wird nicht angegeben, aus welcher Zeit diese Briefe
stammen; da sie an die Grossherzogin gerichtet sind, wahrscheinlich aus der
Zeit von 1621 — 1627, in welcher die Grossherzogin während der Minder-
jährigkeit Ferdinands II. Regentin war. — Dass Galilei in Pisa Gegner
hatte, ergibt sich aus einer Aufzeichnung aus dem J. 1616 bei Targioni
78 Die Predigt Caccini's.
Galilei scheint auf diese Mittheilungen kein sonderliches
Gewicht gelegt zu haben; er spricht noch in einem Briefe
an den Fürsten Cesi vom 5. Jan. 16131) von seinen Geg-
nern in Florenz, die sich unter einander als eine „Verbindung"
(lega) bezeichneten, ganz geringschätzig. Ein dummer
Schwätzer (goffo dicitore), berichtet er, habe sich in Aus-
drücken des Abscheus über die Bewegung der Erde aus-
gesprochen; derselbe wisse aber von dem Urheber dieser
Lehre so wenig, dass er ihn Ipernico nenne. Dieser
„dumme Schwätzer" war ein Mann, der in Galilei's Geschichte
noch eine Rolle spielen sollte, der Dominicaner Niccolö Lo-
rini in San Marco, dem Kloster Savonarola's, Professor der
Kirchengeschichte an der Universität in Florenz2). Wir
haben einen Brief von ihm an Galilei vom 5. Nov. 161 2 3),
worin er sagt: Galilei werde sich überzeugt haben, dass das
Gerücht, er werde am Allerseelentage gegen seine philoso-
phischen Ansichten sprechen, grundlos gewesen sei; er ge-
stehe aber, dass er einmal im Gespräche gesagt, und er
wiederhole: „dass jene Meinung jenes Ipernico oder wie
er heissen mag, der h. Schrift zu widersprechen scheine".
Der erste öffentliche Angriff auf Galilei erfolgte ein Jahr
später durch einen andern Dominicaner, Thomas Caccini, der
damals in Santa Maria Novella Vorträge über die h. Schrift
hielt4) und, wie P. Grisar naiv sagt, „in bester Meinung
den Streit [mit den Copernicanern] über die Bibel auf die
Kanzel bringen zu sollen glaubte" 5). Als er später in Rom
I, 56. Vgl. Suppl. 92. Aus Padua schreibt Lorenzo Pignoria 20. Juni 1614
an Paolo Gualdo, der damals in Rom war: „Einige sagen hier, Galilei's
neue Lehre sei gefährlich". Targioni I, 58. 1) VI, 196.
2) Niccolö Lorini del Monte, ein geborener Florentiner, war auch
Hofprediger des Grossherzogs. Er starb 16 17. Ausser einer im J. 1585
gehaltenen Predigt ist von ihm zu Florenz 1617 erschienen: Elogii delle
piü principali sante donne del sagro Calendario e Martirologio Romano.
Qu6tif-Echard, Scriptores Ordinis Praedicatorum II, 406.
3) VIII, 241.
4) Auch Caccini war ein geborener Florentiner. Später, 1636, wurde
er Professor der Theologie an der Universität zu Florenz; 1637 gab er eine
Geschichte des Concils von Nicäa, 1639 den ersten Band einer Kirchenge-
schichte (bis 202) heraus, beide italienisch. Er starb 12. Jan. 1648. Quetif-
Echard II, 559.
5) S. 78. Grisar klagt: „der Vorgang werde gewöhnlich parteiisch
allzu sehr zu Ungunsten Caccini's dargestellt, indem man nur die Berichte
Die Predigt Caccini's. 79
verhört wurde1), sagte er darüber selbst Folgendes aus: Er
sei bei seinen biblischen Vorträgen am vierten Adventssonn-
tage an die bekannte Stelle im 10. Capitel des Buches Jo-
sue gekommen und habe, nachdem er die Stelle literaliter
und spiritualiter interpretirt, Veranlassung genommen, mit
der seinem Amte gebührenden Bescheidenheit die Meinung
des Copernicus zu bekämpfen, von der damals in Florenz
allgemein gesagt .worden sei, sie werde von Galilei gebilligt
und gelehrt. Er habe gesagt, diese Meinung werde von sehr
gewichtigen Schriftstellern als eine vom katholischen Glauben
abweichende angesehen, weil sie vielen Stellen der h. Schrift
widerspreche, die in dem von den h. Vätern übereinstimmend
dargelegten Literalsinne das Gegentheil besagten, wie die
Stellen Ps. 18, 6. 7; Eccl. 1, 4; Is. 38, 8 und die angeführte
Stelle des Buches Josue; und um den Zuhörern zu zeigen,
dass diese seine Lehre nicht ein Einfall von ihm sei, habe
er die Erörterung des Nicolaus Serarius2) vorgelesen, welcher
sage: die Ansicht des Copernicus widerspreche der gemein-
samen Ansicht fast aller Philosophen, aller scholastischen
Theologen und aller h. Väter, und beifüge, mit Rücksicht
auf die angeführten Bibelstellen könne man jene Meinung
nicht wohl anders als ketzerisch nennen. Nach dieser Er-
örterung habe er noch bemerkt, es sei Niemand erlaubt, die
h. Schrift im Widerspruche mit dem Sinne zu interpretiren,
in welchem alle h. Väter übereinstimmten, weil dieses von
dem Lateran- Concil unter Leo X. und von dem Trienter
Concil verboten sei. — Mit diesem Berichte Caccini's selbst
steht gar nicht im Widerspruch, liefert aber eine charakte-
ristische Vervollständigung desselben, was anderwärts be-
Galilei's und seiner Gönner, nicht aber die eidlichen Aussagen Caccini's
benutze". Die eidlichen Aussagen Caccini's und Attavanti's sind oben voll-
ständiger mitgetheilt als bei Grisar.
1) Acten S. 25.
2) In dem 1610 zu Mainz erschienenen Commentare dieses Jesuiten
(f 1609; s. Hurter, Nomenciator I, 356) heisst es zu Jos. 10, 12: „Coperni-
cus ist zwar sonst ein hervorragender und mit Recht gelobter Mathematiker;
aber wie andere Hypothesen von ihm, so werden namentlich diese allgemein
verworfen . . . Obschon er sein "Werk, um sich gegen jeden Tadel zu sichern,
dem Papste Paul III. widmete, so können doch diese Hypothesen, wenn sie
im Ernst als wahr behauptet werden, so viel ich sehe, von Ketzerei nicht
frei sein (ab haeresi immunes). Denn immer schreibt die Bibel der Erde
Ruhe, der Sonne und dem Monde Bewegung zu."
80 Die Predigt Caccini's.
richtet wird, Caccini habe, — um gleich anzudeuten, wem
sein Angriff gelte, — zum Vorspruch die Worte genommen:
Viri Galilaei, quid statis aspicientes in coeluvi — Ihr Gali-
lei'schen Männer,' was steht ihr da und seht den Himmel
an1)?" und er habe gesagt, die Mathematik sei eine teuf-
lische Kunst und die Mathematiker verdienten, als Urheber
aller Ketzereien, aus allen Staaten vertrieben zu werden2).
Dass Caccini's Predigt nicht so harmlos war, zeigt ein
Brief seines Ordensgenossen Luigi Maraffi zu Rom3), der
sich beklagt, dass man ihn für alle Eseleien (bestialita) ver-
antwortlich machen wolle, welche 30—40,000 Mönche begehen
könnten oder begingen; er wisse sehr wohl, fügt er bei, dass
Caccini der rechte Mann dazu sei, sich von einem Andern
zu einem dummen Streiche verleiten. zu lassen; aber für so
dumm habe er ihn nicht gehalten; er habe freilich schon
einmal zu Bologna sich eine ähnliche Ungehörigkeit auf der
Kanzel zu Schulden kommen lassen und sei dann von dem
damaligen Legaten, dem Cardinal Giustiniano, zu einem Wi-
derruf genöthigt worden. Zur Charakteristik Caccini's ist
noch die Aussage eines von Caccini namhaft gemachten, von
der Inquisition vernommenen Zeugen nicht unwichtig. Der Mi-
norist Gianozzi Attavanti, Pfarrer (plebanus) von Castel Fioren-
tino, sagt aus4): er habe einmal mit dem Dominicaner Xime-
nes, der ihm (ein Privatissimum über) die Casus conscientiae las,
in dessen Zelle über die Bewegung der Sonne u. s. w. ge-
sprochen; da sei Caccini aus seiner ganz nahe dabei liegen-
den Zelle heraus und zu ihnen gekommen und habe gesagt,
die Copernicanische Meinung sei eine ketzerische und er
wolle das auf der Kanzel predigen. Das war schon im Juli
oder August 16 14, also mehrere Monate vor der betreffen-
den Predigt. Von anderen Dingen, welche Caccini als von
Attavanti geäussert ausgesagt hatte, erklärt dieser: Caccini
möge in seiner Zelle gehört haben, dass er mit Ximenes in
1) Apg. 1, 11. Targioni I, 58. 2) VIII, 341; II, 13.
3) VIII, 337. — Maraffi war nicht General der Domicaner, wie Alberi
und nach ihm Viele angeben; vgl. Gebier, Galilei S. 65. Die Echtheit des
Briefes wird von dem Herausgeber der Schrift M. B. Olivieri's, Di Coper-
nico e di Galileo (Bologna 1872) p. XVII, auf ganz nichtige Gründe hin
angezweifelt. Maraffi wird auch VIII, 351. 367 erwähnt. Vgl. Govi, II S.
Offizio, Copernico e Galileo, in den Atti della R. Accademia di Torino,
Vol. VII (1871—72), p. 824. 4) Acten' S. 43.
Lorini's Denunciation. 81
dessen Zelle über solche Dinge gesprochen, und er möge
ihn missverstanden haben; jedenfalls sei sein Bericht un-
richtig.
Caccini selbst sagt in seinem Verhöre1) weiter: seine
„liebevolle Ermahnung" (in der fraglichen Predigt) habe zwar
vielen gebildeten und frommen Männern gefallen, gewissen
Schülern Galilei's aber über die Massen missfallen; einige
derselben hätten sogar den Domprediger, einen Jesuiten aus
Neapel, bewegen wollen, gegen ihn zu predigen; er habe
darum ,,aus Eifer für die Wahrheit" dem Inquisitor zu Flo-
renz über seine Predigt Bericht erstattet und ihm gesagt,
es werde gut sein, gewissen frechen Geistern, Schülern Gali-
lei's, einen Zaum anzulegen. Der Inquisitor scheint auf diese
Denunciation keinen Werth gelegt zu haben.
Bald nach Caccini's Predigt kam der Pater Lorini, von
dem Galilei annimmt, dass er Caccini verhetzt habe, von
Pisa nach Florenz zurück und brachte eine Abschrift des
Briefes Galilei's an Castelli mit. Er zeigte diese Caccini
und Anderen, und an dem Inhalte nahm man in diesen Kreisen
grossen Anstoss2). Im Februar 1615 sandte dann Lorini
diese Abschrift mit einer Denunciation nach Rom und gab
dadurch Veranlassung zu dem ersten Inquisitionsprocesse
gegen Galilei. .
Grisar (S. 79) stellt dieses in seiner Weise folgender-
massen dar: „Ein nicht mehr einzudämmender Sturm seitens
der Getroffenen war die Folge dieser Predigt. Darum griffen
die Bewohner des Dominicanerklosters zu einem Mittel des
klaren öffentlichen Beweises ihres Rechtes. Als solches aber
bot sich nach ihrem Dafürhalten das oben gedachte, in Ab-
schriften circulirende Schreiben Galilei's an Castelli dar;
denn darin schien der h. Schrift offenbar Gewalt zu ge-
schehen. Man sendete also das Schriftstück vom Convent
San Marco aus an den Präfecten der römischen Index-Con-
gregation .... Lorini, der dieses Geschäft auf sich nahm,
klagt zugleich in einem beifolgenden Briefe das Galilei'sche
Schreiben ausser der Copernicanischen noch verschiedener
anderer gefährlicher Lehren an3)."
1) Acten S. 26. 28. 2) II, 14. Acten S. 27.
3) Scartazzini, Unsere Zeit 1877, I, 498 stellt die Sache ganz unrich-
tig so dar: „Am 7. Febr. 1615 denuncirte . . . Lorini Galilei bei dem römi-
Reusch, Galilei. 6
82 Lorini's Denunciation.
In den Acten der Inquisition wird Galilei, wie wir
(S. 29) gesehen, schon unter dem 17. Mai 161 1 einmal er-
wähnt. In den Vaticanischen Acten ist Lorini's Denuncia-
tion das älteste Stück. Sie war datirt vom 7. Febr. 16 15
und adressirt an den Cardinal vom Titel der h. Caecilia, Paolo
Emilio Sfondrati, den Präfecten der Index -Congregation1).
Lorini sagt darin: Er erfülle eine Pflicht, die jedem guten
Christen obliege, ganz besonders aber allen Brüdern vom
h. Dominicus, welche von ihrem Stifter als die schwarzen
und weissen Hunde des h. Officiums bestellt seien2), eine
Pflicht, welche vornehmlich allen Theologen und Predigern
obliege, — indem er eine ihm in die Hände gefallene, unter
den „Galileisten" circulirende Schrift übersende, worin nach
dem Urtheile aller Patres von San Marco viele verdächtige
oder verwegene Sätze enthalten seien. Die Galileisten, fügt
er bei, wollten die h. Schrift nach ihrer Weise und im Wi-
derspruch mit der übereinstimmenden Auslegung der h.
Väter erklären und eine Meinung vertheidigen, welche der
Bibel durchaus zu widersprechen scheine. Sie sprächen auch,
wie er höre, mit wenig Ehrfurcht von den alten h. Vätern
und von dem h. Thomas, träten die ganze Philosophie
des Aristoteles, von der doch die scholastische Theologie
einen so ausgedehnten Gebrauch mache, mit Füssen und
sagten, um als schöne Geister zu erscheinen, tausend unge-
hörige Dinge. Er versichert, dass er die Galileisten für
Ehrenmänner und gute Christen halte, aber für ein wenig
sehen Inquisitionstribunal. Dasselbe hatte inzwischen den kühnen Forscher
keineswegs aus den Augen verloren. Es hatte sich einer Abschrift des
erwähnten Briefes an Castelli bemächtigt und dem Consultore del S. Officio
zur Begutachtung übergeben" u. s. w.
1) Aus den Acten (S. 13) ist das Datum nicht mehr zu ersehen, da
der Schluss des Briefes nicht erhalten ist; es ergibt sich aber aus der Auf-
zeichnung, die Gherardi unter No. II. veröffentlicht hat. Dass der „Cardi-
nal von St. Caecilia" Paolo Emilio (oder Camillo) Sfondrati war (1590 von
seinem Oheim Gregor XIV. zum Cardinal ernannt, f 14. Febr. 1618; s. Cia-
conius IV, 224), hat zuerst Grisar S. 79 bemerkt.
2) Auf einem Bilde in Santa Maria Novella in Florenz sitzen der
Papst und der Kaiser zusammen, umgeben von ihren Beamten. Die Gläubi-
gen sind dargestellt als eine vor ihnen weidende Heerde ; diese wird von
Wölfen, — den Ketzern, — angegriffen; diese aber werden von einem
Rudel schwarz und weiss gefleckter Hunde abgewehrt. Das sind die Domini
canes. Vgl. W. Arthur, The Pope etc. 1877, I, 360.
Lorini's Denunciation. 83
naseweis nnd hartnäckig* in ihren Meinungen , und dass er
zu diesem Schritte nur von heiligem Eifer getrieben sei.
Er bittet schliesslich den Cardinal, seinen Brief, nicht auch
das eingesandte Schriftstück (den Brief an Castelli), ge-
heim zu halten und ihn nicht als eine gerichtliche Aussage,
sondern nur als eine freundschaftliche Mittheilung anzu-
sehen. — Wenn Lorini beifügt, das eingesandte Schriftstück
sei durch eine oder zwei Predigten Caccini's über das 10.
Capitel des Buches Josue veranlasst, so ist das ein Irrthum,
der ganz unbegreiflich ist, da Galilei's Brief auch in Lori-
ni's Abschrift vom 21. Dec. 16 13 datirt ist, während Caccini
erst im December 16 14 seine Predigt gehalten hatte.
Ob wirklich Jeder, „welcher dieses private Denuncia-
tionsschreiben ohne Voreingenommenheit durchliest*', wie
Grisar S. 79 versichert, „darin nur die Sprache eines um
Wohl und Wehe der Kirche aufrichtig besorgten Gemüthes
erkennen wird", mag dahin gestellt bleiben1). Ganz richtig
aber fügt er bei, „diese rein vertrauliche Anzeige Lorini's
habe ohne Zweifel der Inquisition eine Basis für Massnahmen
gegen den Gelehrten in Florenz darbieten können. Die
Natur dieses Gerichtshofes, der ja gerade von seinem Vor-
gehen ohne formellen Ankläger, von dem selbständigen Auf-
suchen der Schuldbeweise den Namen führte, gab dem Tri-
bunale dazu die Berechtigung. Das Kirchenrecht legt dem
Inquisitor sogar auf, quasi denuntiante fama vel deferente
clamore [also auf blosse Gerüchte hin] die nothwendigen
Amtshandlungen einzuleiten". Wenn Grisar beifügt: „Die
religiöse Tragweite* der Entzweiung, die in Italien herrschte,
gesellte zu dem Rechte die Verpflichtung", so ist dabei das
„Herrschen der Entzweiung (zwischen Copernicanern und
1) Weniger Sympathie als Grisar hat für Lorini sein Ordensgenosse
Schneemann. Er sagt S. 119: ,, Lorini war ein blinder Eiferer, weicherauch
den albernsten Klatsch glaubte und so dahin kam, die Jesuiten zu verdächti-
gen, dass sie den Florentinischen Damen auf deren Villen brieflich die
Absolution ertheilten. Diese Patres ruhten aber nicht eher, als bis ihr guter
Ruf wieder hergestellt war. Ueber den unerquicklichen Streit berichtet aus-
führlich die bis jetzt noch nicht edirte Historia controversiarum, quae inter
quosdam e S. Praedicatorum Ordine et S. J. agitatae sunt ab a. 1548 usque
ad 161 2, sex libris explicata a Petro Possino ex eadem Societate (Bibliothe-
que royale de Bruxelles, 4 cc. 10).
84 Lorini's Denunciation.
Anticopernicanern) in Italien" und die „religiöse Tragweite"
derselben stark übertrieben.
Der Cardinal Sfondrati zögerte nicht, Lorini's Denun-
ciation an die richtige Adresse zu befördern. Schon am 25.
Febr. 161 5 beschloss die Inquisition, den Erzbischof und
den Inquisitor zu Pisa zu beauftragen,, sie möchten sich das
Original des Galilei'schen Briefes an Castelli zu verschaffen
suchen1). Dieses gelang aber nicht. Der Erzbischof war
zwar schlau genug, als er Castelli nach dem Briefe fragte,
den Schein anzunehmen, als wolle er ihn nur aus Neugierde
1 und freundlichem Interesse sehen; aber Castelli antwortete,
— offenbar wahrheitsgemäss, — er habe ihn Galilei zurückge-
schickt, er wolle sich ihn aber von diesem zurückerbitten2).
Er that dieses auch, sogar zweimal 3J ; aber Galilei war klug
genug, Castelli nur eine Abschrift zu schicken, mit der Wei-
sung, diese nicht aus der Hand zu geben, so dass Castelli
den Brief dem Erzbischof nur vorlas, und dieser in die pein-
liche Lage kam, ihn, wenn auch nur ,,mit wenigen und
trockenen Worten", loben zu müssen4). Uebrigens hatte
Galilei selbst im Februar 161 5 eine Abschrift des Briefes
an Monsignor Dini in Rom geschickt und dieser hatte dem
Cardinal Bellarmin und vielen Anderen Abschriften gegeben5).
Von diesen Abschriften erhielt aber die Inquisition keine
amtliche Kenntniss.
Der Brief Galilei's wurde im Auftrage der Inquisition
von einem Consultor geprüft. Sein Gutachten befindet sich,
ohne Unterschrift und Datum, bei den Acten6). Der Consul-
1) Gherardi No. II; Acten S. 22; s. o. S. 73.
2) Acten S. 22; vgl. Castelli's Brief an Galilei vom 12. März 16 15,
VIII, 358. 3) VIII, 365.
4) VIII, 369. In den Acten S. 37 wird noch notirt: der Inquisitor
von Belluno habe unter dem 24. Juli 16 15 geschrieben: er habe weder das
Original noch eine Abschrift der Schrift Galilei's; er habe nur von dem
amtlich vernommenen Zeugen gehört, der Decan von Belluno habe ihm eine
Schrift vorgelesen, von der er gesagt, er habe sie von Galilei.
5) S. o. S. 43.
6) Acten S. 10. Die Bedenken Wohlwills, Ist Gal. gef. worden? S.
125. 151, gegen die Echtheit dieses Stückes stützen sich wesentlich auf den
sehr ungenauen Abdruck desselben bei Berti. Vgl. Gebier, Gegenwart 1878,
No. 19, S. 295. Wohlwill hält freilich noch G. G. A. 1878, 665 die An-
sicht fest, das Stück sei erst nach 1846 (durch Marini) in die Acten ge-
kommen. Ebenso Scartazzini, Riv. Eur. 1878, X, 440. Da das Gutachten
Caccini's Verhör. 85
tor findet drei Stellen des Briefes anstössig (male sonantiaj,
gibt aber wenigstens von zweien derselben zu, sie könnten
auch so verstanden werden, dass sie unbedenklich seien.
,,Im Uebrigen, sagt er, weiche der Verfasser, wenn er auch
mitunter ungeeignete Worte gebrauche, von den Pfaden
der katholischen Redeweise nicht ab". „Ueber den Vor-
trag der Copernicanischen Lehre als Wahrheit, fügt Grisar
S. 80 bei, und die bezügliche Accommodation der- Bibel-
stellen ging der Censor mit freiem, weitem Blicke hinweg".
Von weiteren Verhandlungen der Inquisition über Ga-
lilei's Brief berichten die Processacten nichts. Erst in dem
nach Beendigung des zweiten Processes gefällten Urtheil
vom 22. Juni 1633 wird wieder auf den Brief Bezug genommen
und gesagt: Galilei habe darin, den Hypothesen des Coper-
nicus folgend, einige Sätze im Widerspruche mit dem wahren
Sinne und der Autorität der h. Schrift vorgetragen.
Als zweiter Denunciant gegen Galilei trat Caccini auf,
der jetzt im Kloster Santa Maria sopra Minerva in Rom
wohnte. Er hatte mit dem Cardinal von Araceli, dem Do-
minicaner Augustin Galamini1), über die Vorgänge in Flo-
renz gesprochen und dabei geäussert, er wünsche über die
Irrthümer Galilei's „zur Entlastung seines Gewissens" eine
gerichtliche Aussage zu machen. Der Cardinal berichtete
dieses in der Sitzung der Inquisition vom 19. März, und es
wurde darauf beschlossen, Caccini vernehmen zu lassen.
Dieser wurde dann schon am 20. von dem Cardinal aufge-
fordert, sich vor dem Commissar der Inquisition zu stellen2).
In dem Verhöre trug Caccini zunächst den bereits (S. 79)
für den Process von keiner Bedeutung ist, gehe ich auf die Frage nach
seiner Echtheit nicht ein.
1) Galamini war früher Magister Sacri Palatii, dann General der Domini-
caner; Cardinal wurde er 17. Aug. 161 1. Er starb 1639. Ciaconius IV, 428.
2) Gherardi No. III: Feria V. die 19. Martii 1615. C(irca) Galilaeum
Galilei Professorem Mathematicae morantem Florentiae Sanctissimus ordi-
navit examinari Fr. Thomam Caccinum, quem Illustrissimus D. Cardinalis
Ara-Coeli dixit esse informatum de erroribus dicti Galilaei et cuper e Mos
per exonerationem conscientiae deponere. Acten S 24. 25. — Wohlwill,
Zts. f. Math. 1872, L.-Z. 30. sagt: „Man sieht bei diesen Worten den leib-
haftigen Pater Caccini, den ruchlosesten unter Galilei's Feinden, vor Augen,
der »zur Entlastung seines Gewissens« verlangt, Galilei des Atheismus ver-
dächtig zu erklären." Das ist stark übertrieben. „Pro exoneratione (pro-
priae) conscientiae, per isgravio della propria coscienza" (Sacro Arsenale p.
86 Caccini's Verhör.
erwähnten Bericht über seine Predigt vor und „deponirte"
dann weiter: dem öffentlichen Gerüchte zufojge halte Galilei
die zwei Sätze fest : die Erde bewegt sich und die Sonne
ist unbeweglich, Sätze, die nach seinem Wissen und Gewissen
der h. Schrift, wie sie von den h. Vätern ausgelegt werde,
und darum auch dem Glauben widersprächen, der Lehre,
dass man alles für wahr halten müsse, was in der h. Schrift
stehe. Er sagte ferner noch: er habe gehört, dass einige
Schüler Galilei's behauptet hätten: Gott sei keine Substanz,
sondern ein Accidens ; Gott sei sensitiv, weil in ihm gött-
liche Sinne seien1); die Wunder, die man von den Heiligen er-
zähle, seien keine wahren Wunder. (Näheres über die bei-
den ersten, im Process nicht weiter berücksichtigten Anklagen
s. in den Acten S. 40. 45; die dritte wird durch die Zeugen gar
nicht bestätigt, Acten S. 41. 45.) Auf Befragen erklärte er
weiter: er kenne selbst Galilei nur von Ansehen, in Florenz
werde er von Vielen für einen guten Katholiken gehalten, von
Anderen für verdächtig in Sachen des Glaubens, zumal er mit
dem berüchtigten Serviten Fra Paolo [Sarpi] in Venedig
sehr befreundet sein und in Briefwechsel stehen solle; letz-
teres habe ihm Lorini gesagt. (Galilei stand wirklich mit
Sarpi, der sich ja auch mit mathematischen und physi-
kalischen Dingen viel befasste, in freundschaftlichen Be-
ziehungen und in Briefwechsel; die uns erhaltenen Briefe
sind aber ganz unverfänglichen Inhalts2).) Ein Vetter des
Dominicaners Ximenes habe ihm ferner erzählt, als Galilei
einmal zu Rom gewesen [161 1], sei ihm bedeutet worden,
das h. Officium suche Hand an ihn zu legen, und darum
habe er sich fort gemacht. (Allem Anscheine nach ein ganz
33- 34) ist der technische Ausdruck, den die Denuncianten und Zeugen ge-
brauchen, um zu versichern, dass sie nicht aus Hass oder dergleichen aus-
sagen. Vgl. Sacro Arsenale p. 35: Interrogatus super generalibus: An ea,
quae dixit, odio vel amore ductus deposuerit, aut ad exonerandam conscien-
tiam et Dei honorem et gloriam etc. — Grisar sagt S. 80 ungenau: „Weil
Lorini in der Anzeige sich auf Caccini und dessen Predigt berufen hatte,
wurde dieser am 20. März vernommen." In dem Protocoll heisst es aus-
drücklich, Caccini sei sponte vor dem Commissar erschienen.
1) Bei Scartazzini a. a. O. S. 498: „dass Gott kein selbständiges
Wesen, sondern ein Zufall, dass er empfindsam sei" (!).
2) VI, 24. 141; VIII, 29. 52; vgl. 135. Suppl. 316. Griselini, Memo-
rie di P. Sarpi, 1760, p. 163.
Caccini's Verhör. 87
grundloses Gerede.) Caccini erwähnte auch noch Galilei's
Schrift über die Sonnenflecken, in welcher er die Lehre von
der Bewegung der Erde gelesen habe und aus welcher sich
ergebe, dass er zu den Mitgliedern einer Akademie gehöre,
die sich Lincei nannten, und dass er mit Leuten in Deutsch-
land correspondire.
Eine Abschrift des Protocolls über das Verhör Caccini's
wurde gemäss einem in der Sitzung der Inquisition vom 2.
April gefassten Beschlüsse1) an die Inquisitoren zu Florenz
gesandt, um zwei von Caccini namhaft gemachte Zeugen,
den Dominicaner Ferdinando Ximenes und den früher (S. 80)
erwähnten Attavanti, zu vernehmen. Es gelang erst am 13.
Nov. 161 5, der beiden Zeugen habhaft zu werden. Das Er-
gebniss des Verhöres scheint der Inquisition nicht als ge-
nügende Bestätigung der von Caccini, abgesehen von der
Copernicanischen Lehre, vorgebrachten Anklagen erschienen
zu sein; es ist von diesen in den Processacten nicht weiter
mehr die Rede. Da aber, wie von Caccini, so auch von
Attavanti auf Galilei's Schrift über die Sonnenflecken hin-
gewiesen wurde, so beschloss die Inquisition am 25. Nov.
16 15, diese Schrift in Untersuchung zu nehmen2).
Das Jahr 161 5 ging zu Ende, ohne dass der Process
zur Entscheidung kam. Ehe ich über den Schlussact des-
selben berichte, müssen wir einen Blick auf Galilei's Brief-
wechsel im Jahre 1615 werfen. Leider sind manche Briefe
Galilei's aus dieser Zeit nicht erhalten, — vom 23. März bis
12. Dec. 1615 keiner, — und von den Briefen seiner Freunde
fehlen fast alle, die zwischen dem 20. Juni 1615 und dem
1. Juni 16 16 geschrieben sind3). Wahrscheinlich sind diese
1) Gherardi No. IV; Acten S. 31. Da der Inquisitor berichtete, Xi-
menes sei in Mailand, wurde am 28. Mai der dortige Inquisitor mit der
Vernehmung beauftragt (S. 31. 35). Da er auch dort nicht zu finden war,
wurde am 4. Nov. aufs neue der Inquisitor zu Florenz beauftragt (S. 39).
Das Verhör beider Zeugen s. Acten S. 40.
2) Gherardi No. V: Feria IV. die 25. 9 bris 1615. C(irca) Galilaeum
Galilei Mathematicum lecta depositione F. Ferdinandi Ximenes Ord. Praed.
facta coram Inquisitore Florentiae die 3. [13. ~\ 9 bris, decretum, ut videan-
tur quaedam literae dicti Galilaei impressae Rotnae cum inscriptione „delle
macchie solari". Acten S. 47. Nicht Ximenes, sondern der an demselben
Tage vernommene Attavanti (S. 44) hatte die Schrift erwähnt.
3) Vgl. VI, 211; VIII, 339. 380. — Suppl. 107 sind zwei Briefe von
G. F. Sagredo vom II. März und 23. April 1616 abgedruckt.
88 Galilei's Briefwechsel im J. 1615.
Briefe schon zu Galilei's Lebzeiten aus Vorsicht vernichtet
worden ').
VIII.
Galilei's Briefwechsel im Jahre 1615.
Als Caccini in Florenz öffentlich gegen Galilei aufge-
treten war, vermuthete dieser mit Recht, dass seine Geg-
ner auch in Rom gegen ihn thätig sein und dahin streben
würden, ihn persönlich als ketzerisch gesinnt zu verdäch-
tigen und die kirchliche Verdammung der Copernicanischen
Lehre herbeizuführen. Diesen Bestrebungen gegenüber
glaubte er einerseits die persönlichen Angriffe seiner Gegner
als unberechtigt und böswillig erweisen zu müssen und eine
Zurechtweisung wenigstens Caccini's verlangen zu dürfen;
anderseits musste ihm daran liegen, die Verurtheilung der
Copernicanischen Lehre zu hintertreiben, und zu dem Ende
hielt er, wie wir gesehen haben (S. 52), eine gründliche
Prüfung dieser Lehre durch die Römischen Behörden für
wünschenswerth.
Ueber Caccini's Predigt berichtete Galilei, ausser an
den Dominicaner Maraffi (s. o. S. 80), auch in einem verloren
gegangenen Briefe an den Fürsten Cesi, trug in diesem
Briefe aber auch weiter gehende Wünsche vor. Die sehr
interessante Antwort Cesi's ist, — aus Vorsicht auf ein be-
sonderes Blatt und von einer andern Hand geschrieben
und ohne Unterschrift, — einem Briefe vom 12. Jan. 16152)
beigelegt. Was den Ausfall Caccini's gegen die Mathematik
und die Mathematiker betreffe, heisst es darin, so könnten
die beiden Professoren der Mathematik an den toscanischen
Universitäten zu Florenz und Pisa gegen den Dominicaner
bei seinen Oberen Klage führen, auch die anderen Mathe-
matiker in Italien, namentlich in Rom, Lärm machen ; Galilei
selbst aber möge sich an diesen Schritten nicht betheiligen.
Es könnten auch andere Prediger, am besten aus Caccini's
eigenem Orden, bei einer passenden Gelegenheit die mathe-
1) Vgl. Wohlwill, Ist Gal. gefoltert worden? S. 35.
2) VIII, 340.
Galilei's Briefwechsel im J. 1615. 89
matische Wissenschaft loben und „die neuen Entdeckungen,
die Gott unserm Jahrhundert geschenkt, sowie die schönen
Arbeiten, welche zur Ehre Gottes bei der Erforschung sei-
ner wunderbaren Werke Ptolemäus, Copernicus u. s. w. unter-
nommen;" dabei dürfe aber die Bewegung der Erde nicht
erwähnt werden. Auch in der Klage gegen Caccini dürfe
von der Copernicanischen Lehre nicht gesprochen werden.
Dann werde diese Klage, wenn sie nach Rom komme,
in der Congregation der* Bischöfe und Ordensgeistlichen zur
Verhandlung kommen, in welcher nicht viele Gönner des
Delinquenten seien , während , wenn Copernicus erwähnt
werde, die Sache an eine andere Congregation gebracht
werden könne, welche zu untersuchen haben werde, ob
dessen Lehre geduldet werden dürfe; und dann könnte es
den Gönnern Caccini's leicht gelingen, Copernicus auf den
Index zu bringen, da die Peripatetiker in Rom sehr zahl-
reich und einflussreich seien. „Was die Meinung des Coper-
nicus betrifft, sagt Cesi gleich im Anfang des Briefes, so
hat Bellarmin selbst, welcher eins der hervorragendsten
Mitglieder der Congregation ist, in welcher diese Dinge
verhandelt werden, mir gesagt, er halte sie für häretisch,
und die Bewegung der Erde sei ohne allen Zweifel gegen
die Bibel. Darum seien Sie vorsichtig fdi?7iodoche V. S.
vedaj! Ich habe immer gefürchtet, dass die Index-Congre-
gation, wenn sie auf Ihr Betreiben über Copernicus be-
rathen würde, ihn verbieten möchte." Dieses sei vielleicht
weniger zu fürchten, sagt er später, wenn die Meinung des
Copernicus einmal von irgend Jemand ,,mit Gründen, die in
der Theologie approbirt seien, geprüft und mit der h. Schrift
in Einklang gebracht worden sei. Gleichwohl, fügt er bei,
müssen Sie wissen, dass das Verbieten oder Suspendiren
eines Buches die leichteste Sache von der Welt ist und auch
im Falle des Zweifels geschieht. Auch Telesio und Patricio l)
sind verboten, und wenn man keine anderen Gründe zur Hand
hat, so fehlt doch dieser Grund nie, dass es schon mehr als
genug gute und sichere Bücher gebe, mehr als man lesen
1) Bernardino Telesio, geb. 1508, gest. 1580 zu Cosenza, Francesco
Patricio, geb. 1529, gest. 1597 zu Rom, philosophische Schriftsteller, Gegner
des Aristotelismus; s. Stöckl, Gesch. der Philos. des M.-A., 1866, III, 180.
329. Beckmann, 3. Art. S. 411.
90 Galilei's Briefwechsel im J. 1615.
könne; und die dem Aristoteles widersprechenden Bücher
sind die verhasstesten."
Ausser dem Fürsten Cesi sind es namentlich Monsig-
nor Dini und Ciampoli, welche Galilei in den ersten Mo-
naten des Jahres 16 15 von Rom aus berichteten. Beide
glaubten nicht nur seine Besorgnisse bezüglich der gegen
ihn persönlich gerichteten Angriffe als unbegründet bezeich-
nen zu dürfen, sondern theilten auch nicht seine Befürchtung,
das Buch und die Lehre des Copernicus mög-e verdammt
werden. Aber Beide erhoben auch wie Cesi gegen seinen
Wunsch, die Lehre des Copernicus möge eingehend geprüft
werden, Bedenken.
In dem schon (S. 54) erwähnten Briefe an Dini vom 16.
Febr. 16151) sagt Galilei: die Dominicaner hätten verlauten
lassen, sie hofften die Verurtheilung des Buches und der
Lehre des Copernicus durchzusetzen ; es sei ihnen und denen,
die sie aufgehetzt, dabei aber wesentlich darum zu thun,
ihn zu kränken und zu demüthigen. „Gewisse, mir übel-
wollende Leute haben den guten Patres eingeredet, die
fragliche Meinung sei mein Werk, und ihnen nicht gesagt,
dass dieselbe schon vor 70 Jahren gedruckt worden ist.
In derselben Weise verfahren sie bei Anderen, die sie
gegen mich verhetzen wollen, und das gelingt ihnen so gut,
dass der Bischof Gherardini von Fiesole, der vor einigen
Tagen hier angekommen ist, ganz öffentlich in Gegenwart
einiger meiner Freunde sehr heftig gegen mich losgefahren
ist und gesagt hat, er werde Ihren Hoheiten ernste Vor-
stellungen machen, da man über meine extravagante und
irrige Meinung in Rom genug zu sagen haben werde. Viel-
leicht hat er jetzt schon seine Schuldigkeit gethan, wenn man
ihn nicht dadurch zurückgehalten hat, dass man ihm in ge-
eigneter Weise begreiflich gemacht, dass der Urheber jener
Meinung nicht ein lebender Florentiner, sondern ein todter
Deutscher ist, der sein Buch vor 70 Jahren hat drucken lassen
und es dem Papste gewidmet hat." Er zeigt dann weiter,
wie wir gesehen haben, wie bedenklich es sein würde, die
Lehre des Copernicus zu verdammen, wie nöthig es sei, die-
selbe zuvor sorgfältig zu prüfen, legt den Brief an Castelli
bei und verspricht demnächst den Brief an die Grossherzogin
Christina zu schicken. Er bittet Dini, mit den Jesuiten, „als
1) n, 13.
Galilei's Briefwechsel im J. 1615. 91
denjenigen, welche viel mehr wissen als die gewöhnlichen
Mönche", über die Sache zu sprechen, insbesondere dem
Pater Griemberger, ,, einem ausgezeichneten Mathematiker
und meinem grossen Freunde und Gönner", den Brief an
Castelli zu zeigen oder ihm eine Abschrift davon zu ge-
ben, mit der Bitte, sie, wenn er es für gut halte, dem Car-
dinal Bellarmin zukommen zu lassen. Es sei vielleicht gut,
auch Luca Valerio eine Abschrift zu geben, da dieser zu
dem Hause des Cardinais Aldobrandino gehöre und viel-
leicht auch bei dem Papste Dienste leisten könne.
Dini antwortete am 7. März1): er habe viele Abschrif-
ten des Briefes an Castelli anfertigen lassen und vertheilt,
unter anderm an Pater Griemberger und den Cardinal Bel-
larmin. „Mit diesem, berichtet er weiter, habe ich ausführ-
lich über die Dinge gesprochen, von denen Sie schreiben;
er versicherte mir, er habe davon gar nicht mehr reden
hören, seit Sie mit ihm darüber gesprochen. "Was den
Copernicus angeht, so sagt er, er könne nicht glauben,
dass er werde verboten werden; das Schlimmste, was ge-
schehen könne, werde sein, dass man eine Note beifüge, in
welcher erklärt werde, die Theorie, des Copernicus habe
nur den Zweck, die Erscheinungen besser zu erklären, also
einen ähnlichen Zweck wie die Annahme von Epicyklen ; mit
diesem Vorbehalt könnten auch Sie bei jeder Gelegenheit
von diesen Dingen reden. Die schlimmste Feindin der
neuen Theorie in der Bibel sei die Stelle: »sie (die Sonne)
freut sich wie ein Held, zu laufen den Weg« u. s. w., da
diese Stelle bisher von allen Erklärern von der Bewegung
der Sonne verstanden werde. Als ich erwiederte, auch
diese Stelle könne man durch Hinweisung auf die gewöhn-
liche Ausdrucksweise erklären, wurde mir geantwortet: das
sei keine Sache, über die man so leicht hinweggehen dürfe.
Es ist aber auch keine Sache, worüber man sich zu ereifern
und bei der man irgend eine Meinung verdammen dürfte2).
1) VIII, 354.
2) So werden wohl die Worte: „mi fu risposto non esser cosa da
correrla, si come non e da corrersi a furia ne anche a dannare qualsivo-
glia dt queste opinioni" zu übersetzen sein; jedenfalls ist nicht mit P. Schnee-
mann S. 259 zu deuten: „Bellarmin sagte ärgerlich: Es sei keine Sache,
die übereilt werden dürfe, auch solle man weder wüthend herumlaufen noch
irgend eines dieser Systeme verdammen. Offenbar war er mit seinen Colle-
92 Galilei's Briefwechsel im J. 1615.
Wenn Sie in der fraglichen Schrift [dem Briefe an die
Grossherzogin] die Deutungen der betreffenden Bibelstellen
zusammengestellt haben werden, wird der Cardinal gern
davon Einsicht nehmen, und da ich weiss, dass Sie nicht
vergessen werden, dabei zu erklären, dass Sie sich den Ent-
scheidungen der h. Kirche unterwerfen, wie Sie das mir
und Anderen erklärt haben, so kann Ihnen das nur von
grossem Nutzen sein. Da mir der Cardinal sagte, er habe den
Pater Griemberger rufen lassen, um mit ihm über die Sache
zu sprechen, so habe ich heute diesen aufgesucht, von ihm
aber ausser dem Gesagten nichts von Bedeutung gehört.
Nur äusserte er: er hätte es gern gesehen, wenn Sie zuerst'
Ihre Beweise vorgetragen und dann von der Bibel gespro-
chen hätten. Ich antwortete ihm : wenn Sie so verfahren
wären, so hätte es ja scheinen können, als ob Sie Ihren
Beweisen den ersten Platz anwiesen und dann erst an die
h. Schrift dächten. Was Ihre Argumente angeht, so meint
der Pater, sie seien wohl mehr plausibel als wahr, da ihm
eine andere Stelle der h. Schrift Furcht einflösst."
Am 14. März1) schrieb Dini weiter: „Ich habe auch
mit dem Cardinal (Maffeo) Barberini gesprochen, — auch
dieser hatte eine Abschrift des Briefes an Castelli erhalten;
— er hat mir dasselbe gesagt, was ich Ihnen schon gesagt
habe: Sie sollten vorsichtig und als Professor der Mathe-
matik sprechen. Er versicherte mir, er habe gar nicht von
Ihrer Angelegenheit reden hören; und doch kommen in
seiner Congregation oder in der Bellarmin's solche Sachen
zuerst zur Verhandlung." In Wirklichkeit war, wie wir
gesehen haben, schon mehr als vierzehn Tage vorher, am
25. Februar, Lorini's Denunciation in der Congregation der
Inquisition zur Verhandlung gekommen. Er wolle auch
noch mit dem Cardinal del Monte sprechen, fügte Dini
bei, werde jetzt aber die Sache etwas ruhiger betreiben,
da er sie nicht mehr als so gefahrlich ansehe wie Anfangs.
In dem Briefe vom 2$. März2) weist Galilei Dini nach:
wenn man sagen wollte, Copernicus habe seine Theorie nur
gen ungehalten über »das wüthende Herumlaufen«, die Agitation Galilei's
für das Copernicanische System und dessen anmassliches Schrifterklären, wo-
durch derselbe sich öffentlich, ohne Autorisation, als Theologe geberdete."
1) VIII, 360. 2) II, 18.
Galilei's Briefwechsel im J. 1615. 93
vorgetragen, um die Erscheinungen zu erklären, und sie
nicht für wahr gehalten, so würde das unrichtig sein; man
müsse also sein Buch entweder ganz verdammen oder frei
lassen. Er spricht sich dann über die Bemerkung des Pater
Griemberger aus (s. o. S. 56), sowie über die von Bellarmin
erwähnte Psalmenstelle. Dini antwortete am 2. Mai1): ,,Cesi
ist der Ansicht, ich solle Ihren Brief jener Persönlichkeit
[offenbar Bellarmin] nicht zeigen; da dieser und viele andere
hochgestellte Männer strenge Peripatetiker seien, so sei zu
fürchten, dass man sie bezüglich eines Punktes reize, der
schon gewonnen sei, nämlich dass man als Mathematiker
hypothetisch schreiben [die Bewegung der Erde u. s. w.
lehren] könne, wie nach ihrer Ansicht Copernicus gethan.
Letzteres geben zwar die Anhänger des Copernicus nicht
zu; die Anderen aber glauben es, und das hat ja dieselbe
Wirkung, dass sie nämlich frei schreiben lassen, vorausge-
setzt, dass man nicht, wie man es ausgedrückt hat, in die
Sacristei eindringe." Am 16. Mai schreibt Dini2): „Was
den Copernicus angeht, so zweifelt man jetzt nicht mehr
daran, [dass er nicht verboten werden wird]. Was Ihre
Meinung angeht, so ist jetzt nicht die Zeit, die Richter
durch Beweise aufklären zu wollen, sondern zu schweigen
und sich mit guten und triftigen biblischen und mathemati-
schen Gründen auszurüsten, um sie seiner Zeit mit besserm
Erfolg vorzubringen. Es wird gut sein, dass Sie Ihre Schrift
[das Schreiben an Christina von Lothringen] vollenden. . .
Die Erklärung über die Sonne [die Erörterung über die
Psalmenstelle in Galilei's Brief vom 23. März] zeige ich nur
solchen, die auf Ihrer Seite stehen, weil ich nicht glaube,
dass jetzt der Beweis, dass die Erde sich bewegt, eine
gute Aufnahme finden würde." Dini fügt bei, wie er höre,
seien viele Jesuiten heimlich derselben Ansicht wie Galilei,
wenn sie auch schwiegen. (Cesi nennt in einem Briefe vom
7. März den Jesuiten Torquato de Cuppis als einen Anhän-
ger Galilei's.)
Die Briefe, welche Galilei in den ersten Monaten des
Jahres 16 15 an Ciampoli schrieb, sind nicht erhalten. Aus
dessen Antworten ist Folgendes zu erwähnen. Am 28. Febr.3)
schreibt er: „Ich habe bis jetzt unter den Prälaten oder
1) VIII, 374. 2) VIII, 376. 3) VIII, 351
94 Galilei's Briefwechsel im J. 1615.
Cardinal en, welche von solchen Dingen etwas zu wissen
pflegen, noch keinen gefunden, der von jenen argen Scheuss-
lichkeiten (grandtsstme orribüita, den Angriffen Caccini's
u. s. w.) etwas gehört hätte. . . Der Pater Maraffi sagt mir,
seine Mönche, die doch grosse Autorität haben [wegen
ihres Verhältnisses zur Inquisition], dächten nicht daran und
sprächen nicht davon. So halte ich es für möglich, dass
jener, der nach Florenz berichtet hat, dieses zwar nicht aus
Böswilligkeit gethan, aber vielleicht nur gehört hat, wie
drei oder vier Leute im Gespräche den Schaden übertrieben
haben, den die Predigt jenes Mönches anstiften könnte. . .
Von jenen brausenden und tosenden Strömen, die man
Ihnen vorgemalt hat, hört man hier nichts; sonst müsste
ich, der ich doch an manchen Orten verkehre und nicht
taub bin, auch etwas davon vernommen haben. Wir dürfen
freilich das Acres esse viros cum dura proelia gente bei Din-
gen nicht vergessen, bei welchen die Mönche keine Lust zu
haben pflegen, den Kürzern zu ziehen; darum wird jene
heilsame Formel von der Unterwerfung unter die heilige
Mutter Kirche nie zu oft wiederholt. Ich weiss, Sie haben
das immer nicht nur im Herzen, sondern auch mündlich und
schriftlich gethan ; aber meine grosse Liebe zu Ihnen macht,
dass ich mich nicht enthalten kann, Sie daran zu erinnern,
wiewohl mir das in meinem Alter eigentlich nicht zusteht.
— Der Cardinal Barberino, der, wie Sie aus Erfahrung
wissen, stets Ihr Bewunderer gewesen ist, sagte mir noch
gestern Abend, er halte es für rathsam, bei diesen Meinun-
gen über die Gründe des Ptolemäus oder Copernicus oder
über die Grenzen der Physik oder Mathematik nicht hin-
auszugehen, da die Theologen behaupteten, die Erklärung
der Bibel gehe sie an, und wenn etwas Neues, mag es auch
sehr genial sein, vorgebracht wird, so ist nicht Jeder so
leidenschaftlos, dass er die Sachen nehmen sollte, wie sie
gesagt werden. Der Eine erweitert, der Andere ändert
das Gesagte, und so wird das, was der erste Autor gesagt
hat, wenn es Verbreitung findet, mitunter so umgestaltet,
dass jener es nicht mehr als seine Ansicht anerkennen wird.
Ich weiss, was ich sage: Sie sprechen von den Phänomenen
des Lichtes und Schattens, von hellen und dunkelen Par-
tieen und in diesem Sinne von einer Aehnlichkeit zwischen
der Erde und dem Monde; ein Anderer geht weiter und
Galilei's Briefwechsel im J. 1615. 95
sagt, Sie sprächen von Menschen, die auf dem Monde
wohnten, und fängt nun an zu disputiren, wie diese von
Adam abstammen oder aus der Arche Noe's gekommen
sein könnten, und so kommt es zu allerlei Extravaganzen,
an die Sie nie gedacht haben. So ist es, um der Böswillig-
keit Anderer diesen Anlass zu entziehen, durchaus nöthig,
oft von der Unterwerfung unter die Autorität derjenigen
zu sprechen, welche bezüglich der Erklärung der Bibel
Jurisdiction über die menschlichen Geister hciben."
In einem Briefe vom 21. März1) wiederholt Ciampoli,
von den Angriffen auf Galilei werde in Rom kaum gespro-
chen, und fügt dann bei: „Ich war heute Morgen mit Mon-
signor Dini bei dem Cardinal del Monte (s. o. S. 92), der
Sie sehr schätzt und liebt. Er sagte, er habe ein langes
Gespräch mit dem Cardinal Bellarmin gehabt, und erklärte:
wenn Sie von dem Copernicanischen System und seinen
Beweisen handelten, ohne auf die Bibel einzugehen, deren
Auslegung den mit öffentlicher Autorität bekleideten Pro-
fessoren der Theologie vorbehalten sei, so sei keinerlei
Ungelegenheit zu fürchten; aber man . werde schwerlich
Bibeldeutungen zulassen, welche, so ingeniös sie auch sein
möchten, so weit von der gemeinsamen Ansicht der Kirchen-
väter abwichen. Kurz, es wurde so ziemlich das Nämliche
gesagt, was ich Ihnen schon von Seiten des Cardinais Bar-
berino mitgetheilt habe. Ich habe bis jetzt mit Niemand
gesprochen, der es nicht für sehr ungehörig hielte, dass die
Prediger auf den Kanzeln vor den Frauen und dem Volke,
unter dem so Wenige sind, die etwas davon verstehen, von
Dingen reden, die auf den Katheder gehören und so hoch
sind." Am 28. März2) schrieb Ciampoli weiter: „Ich habe
gestern mit Monsignor Dini Ihren sehr bescheidenen und
geistvollen Brief über die Stelle in dem Psalm Coeli enarrant
gelesen (s. o. S. 55). Was mich angeht, so weiss ich nicht,
was man zusetzen könnte. Wir sind ganz klar darüber, dass
von der [Copernicanischen] Meinung hier nur vier oder fünf
Leute, die Ihnen nicht gewogen sind, gesprochen haben,
und von diesen hat keiner mit dem Magister Sacri Palatii,
sondern mit einem Pater, der mit diesem befreundet ist, ge-
:) Vin, 366. 2) VIII, 368.
96 Galilei's Briefwechsel im J. 1615.
sprochen ; das wurde mir von [Vincenzo di] Grazia l) selbst
bestätigt. Darum ist es vielleicht gut, nicht viel von der
Sache zu reden, wie auch der Fürst Cesi meint, damit es
nicht scheint, als klage man sich an, indem man eine Ver-
theidigung unternimmt, wo Niemand da ist, der angriffe."
Sehr erfreut waren Galilei's Freunde über das Erschei-
nen der Schrift von Foscarini (s. o. S. 59), den sie auch, da
er damals in Rom predigte, persönlich kennen lernten. Cesi
schickte die Schrift am 7. März an Galilei mit dem Bemer-
ken, sie komme gerade zur rechten Zeit 2). Ciampoli sprach
zwar in einem Briefe vom 21. März3) die Befürchtung aus,
die Schrift werde, da sie sich mit der Bibel beschäftige,
in der nächsten Sitzung der Congregation des h. Officiums,
die in einem Monat stattfinde, suspendirt werden. Aber am
28. März schrieb er4), Foscarini wolle eine neue vermehrte
Auflage seiner Schrift erscheinen lassen, und am 2. Mai
berichtete Dini5): Foscarini sei mit der Absicht abgereist,
seine Schrift neu aufzulegen, und da er von Molino 6) prote-
girt werde und in seinem Orden graduirt und als gelehrter
Mann geachtet sei, werde er wohl in keine Verdriesslich-
keiten gerathen. Castelli schrieb am 9. März von Pisa'aus7),
Foscarini's Schrift habe auf den dortigen Erzbischof einen
guten Eindruck gemacht.
Cesi schrieb am 20. Juni8) an Galilei, er habe dessen
Abhandlung (ohne Zweifel den Brief an Christina) für Fos-
carini erhalten, und fügte dann — wieder auf einem beson-
dern Blatte (s. o. S. 88) — folgende Mittheilung bei: die Pre-
digten und die Schrift Foscarini's hätten in Rom eine gute
Wirkung gehabt, und seine und seiner Freunde Bemühungen
seien nicht erfolglos gewesen. „Wir glauben jetzt sicher
sein zu dürfen, dass weder der erste Autor [Copernicus],
noch der Brief des Paters, noch die Meinung selbst, mit
gebührender Vorsicht vorgetragen, irgend welche Gefahr
i) Es ist derselbe, der gegen Galilei's Abhandlung über die schwim-
menden Körper geschrieben; s. o. S. 18.
2) VIII, 357. 3) VIII, 367. 4) VIII, 368.
5) VIII, 375-
6) Illustrissimo Molino wird wohl der Cardinal Millini (s. o. S. 70)
sein. Die Cardinäle hiessen Illustrissimi et Reverendissimi, bis ihnen Urban
VIII. im J. 1630 das Prädicat Eminentissimi et Reverendissimi beilegte.
7) VIII, 369. 8) VIII, 377-
Galilei's Briefwechsel im J. 1615. 97
laufen werden. Die jiöthige Vorsicht wird darin bestehen,
dass Sie, bis der Pater seine Arbeit, welche ein langer la-
teinischer Tractat sein wird, vollendet hat, schweigen und
von der [Copernicanischen] Meinung nicht mehr reden und
dass auch Andere nicht viel davon reden, um nicht in diesem
Interim den Zorn der allmächtigen Peripatetiker zu reizen.
Wenn Andere von der Meinung reden, müssen sie sagen,
es handle sich nicht um die Wahrheit und Wirklichkeit,
sondern, indem man diese dahingestellt sein lasse und dem
Urtheile der Oberen anheimgebe, gebrauche man die Mei-
nung nur ex hypothesi, um bequemer und einfacher alle Er-
scheinungen zu erklären, wie schon der erste Autor gethan.
Kurz, man muss nicht über die Wahrheit der Meinung strei-
ten und sie nicht behaupten. Das Buch des Paters wird
bald erscheinen und sehr gründlich sein, auch alle Einwen-
dungen berücksichtigen, die ihm hier gemacht worden sind.
Es wird sich auf so viele Stellen der h. Väter stützen, dass
ich glaube, es wird genügen, die Sache abzumachen. . .
Dann, wenn alle Schwierigkeiten beseitigt sind, wird die
Meinung erlaubt und so genügend approbirt sein, dass
Jeder, der will, sich frei zu ihr bekennen kann, wie zu
andern rein physicalischen und mathematischen Ansichten.
Es ist gut, ja nothwendig, dass diese Arbeit von einem
Professor der Theologie und einem Ordensmanne veröffent-
licht wird, der in seinem Orden so angesehen ist wie der
Pater. Und da er sich beeilen wird, so können Sie mir
alles schicken, was Sie ausgearbeitet haben oder was Ihnen
zweckdienlich scheint. Das wird dem Pater lieb und nütz-
lich sein."
Die lateinische Schrift Foscarini's ist nicht erschienen,
und über die Verhandlungen der Inquisition und der Index-
Congregation über seine italienische Schrift sind wir nicht
unterrichtet. Die Kenntniss dieser Verhandlungen würde
vielleicht auch über den ersten Galilei'schen Process noch
einiges Licht verbreiten. Foscarini starb schon im J. 161 6
und ist darum wohl persönlich mit der Inquisition nicht in
Berührung gekommen1).
1) Ein Zusammenhang Foscarini's mit der religiösen, reformatorischen
Bewegung, deren Mittelpunkt um 1540 Neapel war (Schanz, Galilei S. 34),
ist nicht nachzuweisen und nicht wahrscheinlich.
Reusen, Galilei. 7
98 Galilei in Rom 1615 und 1616.
Der Briefwechsel Galilei's mit seinen Freunden in den
folgenden Monaten ist uns, wie gesagt, nicht erhalten. Im
December 161 5 kam er aber selbst nach Rom, und über
seinen Aufenthalt daselbst bis zum Ende des ersten Pro-
cesses haben wir ziemlich reichhaltige Mittheilungen.
IX.
Galilei in feom, December 1615 bis Juni 1616.
Die Annahme, Galilei sei im December 1615 nach Rom
citirt worden, um sich wegen der Vertheidigung der Coper-
nicanischen Ansicht zu verantworten, ist irrig. Allerdings
sagt Monsignor Querenghi in einem Briefe an den Cardinal
Alexander von Este vom 1. Jan. 16161), Galilei's Reisenach
Rom sei nicht, wie man geglaubt, eine ganz freiwillige, son-
dern man wolle ihn Rechenschaft darüber ablegen lassen,
wie er die der Bibel durchaus widersprechende Lehre von
der Bewegung der Erde rechtfertigen könne; ganz ähnlich
berichtet der Venetianische Gesandte unter dem 29. Febr.
16162), und der toscanische Gesandte Niccolini meldet am
11. Sept. 1632 3), der Magister SacriPalatii habe ihm gesagt:
in den Büchern des h. Officiums habe man gefunden, dass
man Galilei vor 16 Jahren habe nach Rom kommen lassen,
und dass ihm von dem Cardinal Bellarmin amtlich verboten
worden sei, die Copernicanische Meinung festzuhalten. Aber
die Angabe Querenghi's und des Venetianischen Gesandten
beruht ohne Zweifel auf einem blossen Gerüchte, welches
man in Rom ausgestreut haben mochte, und Niccolini's An-
gabe ist ungenau: in den Büchern der Inquisition ist aller-
1) VIII, 383. Es ist nicht, wie Schanz, Galilei S. 28 angibt, ein Brief
des Card. Orsini an den Grossherzog; ein solcher steht unmittelbar vorher,
VIII, 382.
2) Berti, Copernico p. 251; vgl. Suppl. 108. 109.
3) IX, 424.
Galilei in Rom 1615 und 161 6. 99
dings von der Verwarnung- Galilei' s durch den Cardinal
Bellarmin die Rede, aber nicht von seiner Citation nach
Rom. Galilei selbst sagt in dem Verhöre vom 12. April
1633: er sei im J. 161 6 aus eigenem Antriebe, ohne citirt
worden zu sein, in Rom gewesen. Auch seine Briefe aus
den Jahren 1615 und 16 16 widersprechen der Annahme, dass
er nach Rom citirt worden sei 1). Sie ergeben vielmehr, dass
er, vielleicht durch eine Aeusserung Monsignor Dini's2) ver-
anlasst, glaubte, seine persönliche Anwesenheit in Rom könne
seiner Sache nützlich sein, und dass er sich darum von dem
Grossherzog die Erlaubniss zu der Reise erbat8). Der Gross-
herzog ertheilte die Erlaubniss, — er bestritt auch die Kosten,
— und gab Galilei einen Empfehlungsbrief an den Cardinal
del Monte mit4), in welchem es heisst: Galilei habe sich
wegen der Angriffe seiner Feinde freiwillig entschlossen,
nach Rom zu gehen, um sich zu rechtfertigen und die Rein-
heit seiner Absicht zu beweisen.
In den Briefen, welche Galilei von Rom aus an den
Staatssecretär Curzio Picchena zu Florenz schrieb, — der
erste ist vom 12. Dec. 161 5, — unterscheidet er wiederholt
einen doppelten Zweck seiner Reise, einen persönlichen und
einen allgemeinen5). Der erstere war die Vertheidigung
gegen die Beschuldigungen seiner Feinde und die Erwir-
kung der Anerkennung seiner Rechtgläubigkeit und kirch-
lichen Gesinnung, der letztere die Anerkennung der Zu-
lässigkeit der Copernicanischen Ansicht durch die kirchliche
Behörde. Er wusste schon vor seiner Abreise oder erfuhr
doch bald nach seiner Ankunft in Rom, dass die Inquisition
über ihn und die Copernicanische Lehre verhandelte. Das
geht aus mehreren Andeutungen seiner Briefe hervor, wenn
er es auch nicht mit bestimmten Worten ausspricht. Be-
züglich des Erfolges seiner Bemühungen zur Erreichung des
ersten Zweckes spricht sich Galilei in diesen Briefen mit
steigender Befriedigung aus6). Schon am 6. Febr. 16167)
schreibt er: „Der Theil meines Geschäftes, welcher meine
Person betrifft, ist ganz abgemacht, wie mir alle jene hoch-
stehenden (eminentissimi) Persönlichkeiten, welche diese
1) Gebier, Galilei S. 88. 2) VIII, 376. 3) VI, 238.
4) VIII, 380. 5) VI, 213. 214 u. s. w.
6) VI, 212. 216. 220. 7) VI, 221 ; vgl. 223.
ioo Galilei in Rom 1615 und 1616.
Dinge zu verhandeln haben, versichert haben". Er erwähnt
in diesem Briefe1), am 3. Februar habe ihn sogar Caccini
aufgesucht und sein Bedauern über seine ungeschickte Pre-
digt ausgesprochen und sich bereit erklärt, ihm jede Genug-
tuung zu geben. Ueber den zweiten Zweck seiner Reise
sagt Galilei in demselben Briefe: „Mit meiner Sache ist
eine andere verbunden, welche nicht bloss meine Person an-
geht, sondern alle diejenigen, welche seit 80 Jahren in ge-
druckten Werken oder nicht gedruckten Schriften oder in
öffentlichen Vorträgen oder Predigten oder auch in Privat-
gesprächen eine gewisse, Ihnen nicht unbekannte Lehre oder
Meinung vertreten haben, über welche jetzt verhandelt wird,
um zu einer Entscheidung darüber zu gelangen. Dabei
glaube ich einigen Beistand leisten zu können in Bezug auf
den Theil der Frage, welcher von der Kenntniss der Wahr-
heit abhängt, welche uns durch die von mir vertretenen
Wissenschaften geliefert wird. Diesen Beistand glaube ich
als eifriger und katholischer Christ im Gewissen verpflichtet
zu sein nicht zu versagen. Dieses Geschäft nimmt mich sehr
in Anspruch; aber ich trage gern jede Mühe, da sie einem
gerechten und religiösen Zwecke dient, zumal ich sehe, dass
ich mich nicht ohne Nutzen in einer Sache bemühe, welche
schwierig geworden ist durch den Eindruck, den seit langer
Zeit Personen, die eine selbstsüchtige Absicht verfolgten,
gemacht haben, — ein Eindruck, der nur langsam beseitigt
werden kann."
An mehreren anderen Stellen hebt Galilei hervor, dass
die Verhandlungen, obschon ihm seit vielen Monaten von
gelehrten und angesehenen Männern vorgearbeitet worden
sei2), sich in die Länge zögen. Die Stimmung sei in Rom
nicht günstig; er mache viele Besuche bei Cardinal en und
anderen einflussreichen Personen ; aber er könne mit Rück-
sicht auf einen Freund, — der ihm wahrscheinlich über die
Verhandlungen der Inquisition Mittheilungen gemacht, —
nicht direct und offen mit den massgebenden Persönlich-
keiten verhandeln, und diese könnten sich, um nicht in schwere
Censuren, — wegen Verletzung des den Mitgliedern der In-
quisition zur Pflicht gemachten Schweigens, — zu verfallen,
nicht offen gegen ihn aussprechen; er müsse durch Ver-
1) VI, 222; vgl. 220. 226. 2) VI, 216.
Galilei in Rom 1615 und 1616. 101
mittlung dritter Personen verhandeln, über einzelne Punkte
schriftliche Ausarbeitungen machen und sich bemühen, diese
heimlich in die rechten Hände zu bringen u. s. w.1). Noch
am 20. Februar2) spricht er aber die Hoffnung aus, es werde
ihm mit Gottes Hülfe gelingen, „einen Beschluss zu hindern,
durch welchen ein Aergerniss für die h. Kirche entstehen
könnte".
Genauere Mittheilungen gibt Galilei in diesen Briefen
nicht, indem er wiederholt erklärt, er wolle sie lieber münd-
lich machen8). In dem Verhöre vom 12. April 1633 sag"t er
über diesen Anfenthalt in Rom Folgendes 'aus : „Da ich ge-
hört hatte, dass über die Meinung des Copernicus von der
Bewegung der Erde und dem Stillstehen der Sonne und der
Ordnung der Himmelssphären eine Controverse entstanden,
und ^nich sicher stellen wollte, dass ich nur heilige und ka-
tholische Meinungen für wahr hielte, kam ich nach Rom,
um zu hören, was ich bezüglich dieses Gegenstandes anzu-
nehmen hätte. . . . Ich verhandelte darüber mit einigen von
den Cardinälen, welche damals Mitglieder des h. Officiums
waren, namentlich mit den Cardinälen Bellarmino, Araceli,
S. Eusebio, Bonzi und d'Ascoli5) . . . Diese wünschten über
die Lehre des Copernicus unterrichtet zu werden, da sein
Buch für solche, die nicht Mathematiker und Astronomen
sind, ziemlich schwer zu verstehen ist ; namentlich wünschten
sie zu wissen, welches nach der Hypothese des Copernicus
die Disposition der Himmelskörper sei, und wie er die Sonne
in den Mittelpunkt der Planetenbahnen stellt . . . und an-
nimmt, die Sonne stehe unbeweglich im Mittelpunkte und
die Erde bewege sich täglich um sich selbst und jährlich
um die Sonne." Der Wunsch Galilei's, die Cardinäle zu be-
1) VI, 218. 2) vi, 226.
3) VI, 214. 219. 224. 227. 4) Acten S. 76.
5) Der Cardinal Araceli ist der Dominicaner Galamini; s. o. S. 85.
Cardinal von S. Eusebio war seit dem 9. Juni 1604 Ferdinando Taberna;
t 29. Aug. 161 9. Giovanni Batista Bonzi (de Bonsi) aus Florenz wurde 1611
Cardinal, f 4. Juli 1621. Cardinal von Ascoli wurde der aus Ascoli ge-
bürtige Minorit Feiice Centini ganannt, der seit 17. Aug. 161 1 Cardinal
war; 1633 unterzeichnete er das Urtheil über Galilei als Cardinal vom Titel
der h. Anastasia; er starb als Cardinal-Bischof von Sabina 1641. Ciaconius
IV, 361. 425. 431. — Auch mit dem Cardinal Scipio Borghese, dem Neffen
Pauls V., verhandelte Galilei; VI, 222. 226.
102 Galilei in Rom 1615 und 1616.
lehren, wird wohl stärker gewesen sein, als ihr Wunsch,
von ihm belehrt zu werden.
Von den schriftlichen Ausarbeitungen, die er in seinen
Briefen wiederholt erwähnt, sind einige 1876 durch Berti1),
leider nur auszüglich, veröffentlicht worden. Eine der-
selben, gegen Bellarmin's Urtheil über Foscarini's Schrift
gerichtet, ist bereits S. 65 mitgetheilt. In einer andern 2) sucht
er zwei Ansichten als irrig zu erweisen : 1 . die (Meinung von
der) Bewegung der Erde sei ein so exorbitantes Paradoxon
und eine so handgreifliche Thorheit, dass weder jetzt noch
in Zukunft ein Beweis dafür geliefert werden könne; 2. diese
Meinung sei von Copernicus und Anderen nicht für wahr
und den Thatsachen und der Natur entsprechend gehalten,
sondern nur hypothetisch aufgestellt worden, um leichter die
scheinbaren Bewegungen der Gestirne zu erklären und die
astronomischen Berechnungen machen zu können. Viele an-
gesehene Schriftsteller der Vergangenheit und der Gegen-
wart, sagt er, und viele gebildete Männer in Venedig, Pa-
dua, Neapel, Pisa und Parma hielten diese Ansicht für rich-
tig, und fast Alle hätten sie, da sie früher anderer Meinung
gewesen, auf die triftigsten Gründe hin als richtig anerkannt.
Er weist dann ausführlich nach, dass auch Copernicus diese
Theorie nicht hypothetisch vorgetragen. Ein dritter Aufsatz
behandelt dasselbe Thema, welches in dem auf Bellarmins
Brief bezüglichen erörtert wird, ausführlicher3}. Zu diesen
Processschriften gehört auch ein vom 8. Jan. 16 16 datirtes
ausführliches Schreiben an den Cardinal Orsini über Ebbe
und Fluth4).
Ausser Galilei's Briefen an Picchena haben wir über
seinen Aufenthalt in Rom noch einige kurze, in einem leicht-
fertigen Tone geschriebene Mittheilungen in den Briefen des
Monsignor Querenghi an den Cardinal Alexander von Este
zu Modena5), und einen ausführlichen Bericht des toscani-
1) Copernico p. 104'. 244. 2) Berti p. 132.
3) Berti p. 134. 4) II, 387; VI, 279.
5) VIII, 383. Alessandro d'Este, ein Bruder des Herzogs von Modena,
wurde mit 20 Jahren am 3. März 1599 Cardinal; f 1624. Ciaconius IV,
342 — Antonio Querenghi, geb. zu Padua 1546, als eleganter Schriftsteller
und Dichter renommirt, früher Hofbeamter in Modena, war zu Rom Refe-
rendario delle due segnature; 1614 wurde er von Paul V. zum Hauspräla-
Querenghi und Guicciardini. 103
sehen Gesandten Piero Guicciardini an den Grossherzog1).
Ersterer schreibt u. a. am 20. Jan. 1616: „Ew. Durchlaucht
würden viel Vergnügen haben, wenn Sie Galilei discurriren
hörten, wie er es oft inmitten von 15 oder 20 Personen thut,
die ihm hart zusetzen, bald in diesem, bald in jenem Hause.
Er ist seiner Sache so sicher, dass er sie Alle auslacht, und
wenn er sie auch nicht von der Richtigkeit seiner neuen
Meinung überzeugt, so erweist er doch die meisten Argu-
mente, mit welchen ihn die Gegner zu Boden zu werfen
suchen, als nichtig. Am Montag namentlich brachte er im
Hause des Herrn Federico Ghisilieri wunderbare Beweise
vor. Was mir am meisten gefiel, war dieses, dass er, ehe
er auf die Gegengründe antwortete, dieselben durch neue,
anscheinend sehr triftige Argumente verstärkte, um dann
durch die Widerlegung derselben die Gegner nur um so
lächerlicher zu machen2)." Am 5. März schreibt er: „Die
Disputationen des Herrn Galilei sind in alehymistischen Rauch
aufgegangen: das h. Officium hat erklärt, das Festhalten
dieser Meinung sei eine augenscheinliche Abweichung von
den unfehlbaren Dogmen der Kirche. Wir sind also wieder
sicher, dass wir, wenn wir auch mit unserm Gehirn allerlei
Kreise beschreiben, doch fest auf unserm Posten stehen
können und nicht mit der Erde umherzufliegen brauchen
wie Ameisen auf einem Luftballon."
Der Brief Guicciardini's ist so charakteristisch, dass er
vollständig mitgetheilt zu werden verdient : „Galilei hat auf
seine eigene Meinung mehr gegeben als auf die seiner Freunde.
Der Herr Cardinal del Monte und ich nach meinem geringen
Vermögen und mehrere Cardinäle vom h. Officium hatten
ihm zugeredet, er möge sich beruhigen und diese Angelegen-
heit nicht forciren, und wenn er jene Meinung festhalten
wolle, möge er sie ruhig festhalten, ohne sich so sehr zu
bemühen, die Anderen für dieselbe zu gewinnen. Alle fürch-
ten „in abito pavonazzou ernannt. Er starb 1633. VIII, 179, 333. Tirabo-
schi VIII, 509. 1) VI, 227.
2) Am 27. Jan. 1616 schreibt der frivole Monsignore: „Ich habe Ga-
lilei für einen der nächsten Tage mit drei oder vier seiner Gegner zu einem
Kampfe inter pocula eingeladen. " Darauf stützt sich P. Schneemanns (S.
256) Anklage: „Galilei bot sein ganzes Ansehen, seine ganze Beredsamkeit,
seine ganze Dialektik auf, um bei jeder Gelegenheit, selbst inter pocula, für
die Copernicanische Theorie Propaganda zu machen."
104 Querenghi und Guicciardini.
teten, sein Hieherkommen möge ihm schaden und nicht den
Erfolg haben, dass er sich rein wasche und über seine Geg-
ner siege, sondern eine Schmarre davon "trage. Er aber,
da er meinte, Andere gingen nicht warm genug auf seine
Intentionen und seine Wünsche ein, schloss sich, nachdem
er vielen Cardinälen seine Sache vorgetragen und sie über-
drüssig gemacht hatte, an den Cardinal Orsini an, und
wusste sich für diesen ein sehr warmes Empfehlungsschreiben
von Ew. Hoheit zu verschaffen1). Am Mittwoch hat dieser
Cardinal im Consistorium, — ich weiss nicht, wie überlegt und
klug, — mit dem Papste zu Gunsten Galilei's gesprochen. Der
Papst antwortete ihm, er werde wohl thun, Galilei zu bereden,
jene Meinung aufzugeben. Orsini antwortete etwas, was den
Papst reizte, so dass er das Gespräch mit der Bemerkung
abbrach, er habe die Sache den Cardinälen vom h. Officium
übergeben. Als Orsini weggegangen war, Hess Seine Hei-
ligkeit Bellarmin rufen, und nachdem sie über die Sache ge-
sprochen, beschlossen sie, jene Meinung Galilei's sei irrig
und ketzerisch, und gestern haben sie, wie ich höre, eine
Congregation über die Sache gehalten, um die Meinung für
irrig und ketzerisch zu erklären, und Copernicus und andere
Autoren, die darüber geschrieben, werden corrigirt oder
verboten werden. Persönlich wird Galilei, wie ich glaube,
nichts zu leiden haben, weil er klug genug sein wird, zu
wollen und zu denken, wie die h. Kirche will und denkt.
Aber er ereifert sich für seine Meinungen und hat eine
masslose Leidenschaftlichkeit und wenig Kraft und Klugheit,
um sie zu beherrschen. Unter diesen Umständen ist die Rö-
mische Luft sehr gefährlich für ihn, namentlich zu dieser
Zeit, wo der hiesige Herrscher, der die schönen Wissen-
schaften und dergleichen Geister verabscheut, solche Neue-
rungen und Spitzfindigkeiten nicht hören mag und Jeder sein
Gehirn und seine Natur der des Herrn anbequemt, so dass
auch diejenigen, welche etwas wissen und sich für die Sache
I) Vgl. VI, 222, 224. 225; VIII, 382. Alessandro Orsini, ein Ver-
wandter der Medici und am Hofe zu Florenz erzogen, war 2. Dec. 16 15,
erst 22 Jahre alt, gleichzeitig mit dem 19jährigen Carlo von Medici, dem
Bruder des Grossherzogs Cosimo II., zum Cardinal-Diakon ernannt. Ciaco-
nius IV, 440. Er war also allerdings an Jahren jung und im Amte neu,
als er im Consistorium Paul V. über Galilei's Angelegenheit zu belehren
suchte.
Querenghi und Guicciardini. 105
interessiren, wenn sie klug sind, sich ganz anders anstellen,
um nicht verdächtig zu werden und sich selbst Unannehm-
lichkeiten zu bereiten. Es gibt hier Mönche und Andere,
die Galilei übel wollen und ihn verfolgen, und er ist, wie
gesagt, in einer Stimmung, die gar nicht für dieses Land
passt, und könnte sich und Andere in grosse Verdriesslich-
keiten bringen. Ich sehe weder ein, warum er hieher ge-
kommen ist, noch was damit gewonnen werden soll, wenn
er hier bleibt. Ew. Hoheit wissen sehr wohl, wie sich Ihr
durchlauchtigstes Haus in der Vergangenheit bei ähnlichen
Gelegenheiten gegen die Kirche Gottes verhalten und sich
in Bezug auf Personen und Sachen, welche die h. Inquisi-
tion angehen, um die Kirche verdient gemacht hat. Ich
sehe nicht ein, warum man sich ohne gewichtigen Grund
solchen Verwicklungen und Gefahren aussetzen soll, was
keinerlei Vortheil, aber grossen Schaden bringen kann.
Wenn dieses Galilei zu Liebe geschieht, — er ist von Lei-
denschaft verblendet, und achtet nicht auf seine eigene Sache
und sieht nicht, worauf es ankommt, so dass er, wie bisher,
sich Illusionen machen und sich selbst in Gefahr bringen wird
und Jeden, der seinen Wünschen nachgibt oder sich zu dem
bereden lässt, was ihm lieb ist. Diese Sache ist jetzt am
[päpstlichen] Hofe ein Gegenstand des Widerwillens, und
Abscheus, und der Herr Cardinal [Carl von Medici, der da-
mals eben in Rom erwartet wurde] wird sehr verlieren und
grossen Anstoss erregen, wenn er bei seiner Anwesenheit
nicht auch als guter Geistlicher zeigt, dass er den kirch-
lichen Beschlüssen keine Opposition macht, sondern dem
Willen des Papstes und einer Congregation zustimmt, wie
die des h. Officiums ist, welche das Fundament und die Basis
der Religion und die wichtigste in Rom ist. Wenn er in
seine Vorzimirier oder in seine Zirkel Menschen hineinzieht,
die sich von Leidenschaft fortreissen lassen und mit Eifer
ihre Meinungen, zumal in astrologischen und philosophischen
Dingen, vertheidigen und zur Schau tragen wollen, so wird
ihn Jeder fliehen; denn dem Papste sind dergleichen Dinge,
wie gesagt, so fremd, dass hier Jeder den Dummen und
Unwissenden zu spielen sucht, so dass alle Gelehrten, die
von dort hieher kommen werden, ich will nicht sagen schäd-
lich, aber wenig nützlich und gefahrlich sein werden; jeden-
falls je weniger sie ihre Gelehrsamkeit zeigen, — wenn sie
ioö Querenghi und Guicciardini.
es nicht mit der grössten Discretion thun, — um so besser
wird es sein. Und wenn Galilei hier den Herrn Cardinal
abwartet und ihn in diese Dinge verwickelt, so wird das
grosses Missfallen erregen. Er ist heftig, eigensinnig und
leidenschaftlich, so dass es für den, der ihn um sich hat,
unmöglich ist, seinen Händen zu entgehen. So verhält sich
die Sache und es ist kein Spass, sondern eine Sache, die
folgenreich und wichtig werden kann, wenn sie es nicht
schon geworden ist, — wie Ew. Hoheit gemäss Ihrer Klug-
heit leicht begreifen werden, — wenn dieser Mensch noch
hier ist im Hause Ew. Hoheit und des Herrn Cardinais und
unter ihrem Schutze lebt und sich dessen rühmt. Darum
habe ich mich für verpflichtet gehalten, Ew. Hoheit das, was
sich zugetragen hat und was man hier darüber denkt, mit-
zutheilen."
Guicciardini war augenscheinlich kein Freund Galilei's1),
und sein Brief zeigt, dass ihm in seiner amtlichen Stellung
dessen Anwesenheit in Rom und seine ganze Angelegenheit
sehr unbequem war und dass ihm viel daran lag, Galilei
bald, jedenfalls vor der Ankunft des jungen Cardinais von
Medici, los zu werden. Er hat darum ohne Zweifel in über-
triebenen Ausdrücken von Galilei's Unklugheit und Leiden-
schaftlichkeit gesprochen, und es ist jedenfalls unhistorisch
und unbillig zugleich, wenn man wesentlich auf seinen und
Querenghi's Berichte gestützt, behauptet, Galilei habe durch
seine „leidenschaftliche und unkluge Propaganda für das
Copernicanische System" das Einschreiten der Römischen Be-
hörden provocirt2). Aber das ist ja auch innerlich wahr-
i) P. Schneemann behauptet freilich S. 259: „Guicciardini war kein
Feind Galilei's, wie Viele behaupten."
2) So u. A. P. Schneemann S. 256. 260. Seine Darstellung des
ersten Processes ist ein Nonplusultra von Leichtfertigkeit und Unehrlichkeit.
Er erwähnt S. 119 ganz kurz die Denunciation Lorini's und die Predigt
Caccini's, sagt, diese habe grosses Aergerniss erregt, selbst im Dominicaner-
orden, führt die Aeusserung Maraffi's an und fährt dann fort: „Schliesslich
that Caccini Abbitte. [S. oben S. 100.] Auch die Denunciation bei dem
Römischen Tribunal hatte vorerst keine Übeln Folgen, weil die Erkundigun-
gen, welche die Inquisition über Galilei einzog, für denselben günstig laute-
ten. Leider kam aber nun Galilei selbst nach Rom, um dort das Coperni-
canische System zu vertheidigen; seine leidenschaftlichen Bemühungen jedoch
brachten gerade das Gegentheil dessen hervor, was er wollte. Am 5". März
erschien ein Decret" u. s. w.
Qualification der Copern. Lehre. 107
scheinlich, dass Galilei seine Ansichten mit übergrosser Leb-
haftigkeit vertreten und seine Gegner dadurch gereizt hat.
Er selbst versichert freilich, — allem Anscheine nach mit
Rücksicht auf Guicciardini's Beschuldigungen, — er habe
sich der grössten Ruhe und Mässigung befleissigt *). Aber er
hat gewiss den Fehler begangen, auf die Macht der Wahrheit
zu viel zu vertrauen und die Ungunst der Verhältnisse unter
dem damaligen Pontificate und bei der damals in massge-
benden Kreisen in Rom herrschenden Stimmung zu gering
zu taxiren.
X.
Die Verdammung der Copernicanischen Lehre,
25. Februar 1616.
. Galilei wurde im J. 1616 von der Inquisition gar nicht
verhört. Die gegen ihn persönlich gerichtete Denunciation
Lorini's und Caccini's wurde nach den ersten Verhandlungen
(s. o. S. 82) nicht weiter berücksichtigt; die Inquisition be-
schäftigte sich zunächst nur mit der Copernicanischen Lehre.
Ueber die desfallsigen Berathungen geben aber die Process-
acten keinen Aufschluss. Auf den oben S. 87 erwähnten
Beschluss vom 25. Nov. 16 15, Galilei's Schrift über die Sonnen-
flecken in Untersuchung zu nehmen, folgt in den Process-
acten2) die Notiz, es seien am 19. Febr. 16 16 „allen Patres
Theologen"3) zwei Sätze übersandt worden mit der Einla-
1) VI, 232. 2) Acten S. 47.
3) Cantor, Gegenwart 1877, 29^ gibt an: „allen Doctoren der Theolo-
gie", und meint, ,,auch dem Cardinal Bellarmin als Doctor der Theologie"
sei eine Abschrift der Sätze übersandt worden. Aber das DD. in RR. DD.
PP. Theologis heisst nicht Doctoribus, sondern Dominis, und Bellarmin ge-
hörte zu den Mitgliedern der Congregation des h. Officiums, die (wahr-
scheinlich in einer am 18. Febr. gehaltenen Sitzung) den Beschluss gefasst,
die zwei Sätze durch die Theologen der Inquisition qualificiren zu lassen.
Die „Theologen" sind hier die theologischen Consultoren, nicht „Qualifica-
108 Qualification der Copern. Lehre.
düng zu einer am 23. Febr. abzuhaltenden Sitzung, in wel-
cher diese Sätze zu „qualificiren" seien, d. h. in welcher ein
Gutachten darüber abzugeben sei, ob und in welchem Grade
dieselben vom kirchlichen Standpunkte aus verwerflich oder
bedenklich seien.
Die beiden Sätze sind aus der Denunciation Caccini's
entnommen und lauten: „1. Die Sonne ist der Mittelpunkt
der Welt und darum unbeweglich. 2. Die Erde ist nicht der
Mittelpunkt der Welt und nicht unbeweglich, sondern sie
bewegt sich täglich um sich selbst" i). Die Theologen gaben
folgendes Gutachten ab: Der erste Satz sei „thöricht und
philosophisch betrachtet absurd (oder philosophisch be-
trachtet thöricht und absurd, stitlta et absurda in philoso-
phia) und formell häretisch (formaliter haeretica), sofern er
toren" (s. o. S. 71). Wolynski p. 37 sagt: am 23. (24. ist wohl Druck-
fehler) hätten die Qualificatoren, am 24. die Consultoren ihr Gutachten ab-
gegeben, welches am 25. der Cardinal Meilini dem Papste vorgelegt habe.
Nach den Acten S. 47 scheint es aber, dass am 19. den theologischen Con-
sultoren die Sätze zugesandt wurden, dass diese am 23. im Inquisitionsge-
bäude behufs der Qualification eine Sitzung (congregatio qualificationis)
hielten, und am 24. in der Mittwochssitzung in der Minerva ihr Gutachten
unterzeichneten und abgaben. — Ganz falsch ist die Darstellung von Vosen,
Galilei, Frankf. 1865, S. II: „Die Angelegenheit der gegen Galilei einge-
gangenen Anklage wurde nicht vor das eigentliche Inquisitionstribunal ge-
wiesen, wie dieses sonst in ähnlichen Weisen gebräuchlich war; der Papst
beauftragte vielmehr aus besonderer Rücksicht für den geachteten Gelehrten
nur eine Commission aus den sog. Qualificatoren zusammengesetzt mit der
Prüfung der Klage." Vgl. S. 17.
1) Die Sätze wurden den Theologen italienisch vorgelegt. Ihrem
lateinisch abgefassten Gutachten sind sie lateinisch vorausgeschickt. Sie
kommen in Caccini's Denunciation in den Acten S. 26, Z. 3 und S. 27, Z. 13
v. u. vor. In einem zu dem zweiten Process gehörenden Actenstücke, Acten
S. 4, scheint gesagt zu werden, die beiden Sätze seien aus Galilei's Buch
über die Sonnenflecken entnommen. (So auch Schanz, Galilei S. 36, Wo-
lynski p. 37 und Andere.) Das ist nicht richtig. In diesem Buche spricht
sich Galilei allerdings für die Copernicanische Theorie aus (s. o. S. 32),
aber nicht gerade in diesen Ausdrücken. S. Wohlwill, Ist Gal. gef. wor-
den? S. 115. Der Irrthum ist dadurch entstanden, dass in den Processacten
die Sätze unmittelbar hinter dem oben angeführten Beschlüsse über Unter-
suchung des Buches über die Sonnenflecken stehen. — Unbegreiflicher Weise
schreibt L. Terrier, Galilei, Basel 1878, S. 44: „Diese beiden Lehren waren
einige Tage vorher in cfen Briefen über die Sonnenflecken hervorgehoben
und diese Briefe waren als glaubensgefährlich verdammt worden."
Qualification der Copern. Lehre. 109
Sätzen, welche in der h. Schrift an vielen Stellen vorkom-
men, nach dem Wortlaute und nach der gemeinen Ausle-
gung und Deutung der h. Väter und der theologischen Doc-
toren ausdrücklich widerspreche;" für den zweiten Satz „gelte
in der Philosophie dieselbe Censur (wie für den ersten), theo-
logisch betrachtet, sei er mindestens irrig" (enthalte er min-
destens einen Glaubensirrthum oder einen dogmatischen Irr-
thum, spectando veritatem theologica?n ad minus in fide erronea).
Die elf Theologen, welche dieses Gutachten abgaben,
sind nach den Unterschriften und den Notizen Grisars (S. 85)
folgende : Petrus Lombardus (von Waterford), Erzbischof von
Armagh; Fr. Hyacinthus Petronius, Magister Sacri Palatii
(Dominicaner); Fr. Raphael Riphoz, Magister der Theologie
und Generalvicar des Dominicanerordens; Fr. Michael An-
gelus Seghetius, Magister der Theologie und Commissar des
h. Officiums (Dominicaner) ; Fr. Hieronymus de Casali maiori,
Consultor des h. Officiums (Dominicaner; s. o. S. 71); Fr.
Thomas de Lemos (Dominicaner); Fr. Gregorius Nunnius
Coronel (Augustiner) ; Benedictus Justinianus aus der Gesell-
schaft Jesu; D. Raphael Rastellius, Regular-Kleriker, Doc-
tor der Theologie; D. Michael von Neapel aus der (Bene-
dictiner-) Congregation von Monte Cassino; Jacob Tintus,
Socius des Pater Commissarius des h. Officiums (Domini-
caner).
Dass „alle Theologen" aufgefordert wurden, ein ge-
meinsames Gutachten- abzugeben, zeigt, dass die Sache als
eine besonders wichtige angesehen wurde.
Das Gutachten wurde in der am Mittwoch 24. Febr.
gehaltenen Sitzung der Cardinäle der Inquisition vorgelegt,
und dann in der am folgenden Tage unter dem Vorsitze des
Papstes abgehaltenen Sitzung der unten anzuführende Be-
schluss gefasst.
Ueber die Verhandlungen in den Jahren 161 5 und 1616
gibt das in dem zweiten Process 1633 gefällte Urtheil1) einen
Bericht, welcher das, was wir in den Processacten finden,
in einigen Punkten ergänzt. Es heisst darin: „Du wurdest
im J. 161 5 bei diesem h. Officium denuncirt: du hieltest die
von Vielen gelehrte falsche Lehre für wahr, dass die Sonne
der Mittelpunkt der Welt und unbeweglich sei und dass die
1) IX, 466.
HO Sitzung der Inquisition 25. Febr. 1616.
Erde sich täglich bewege; du hättest einige Schüler, denen
du dieselbe Lehre vortrügest ; du correspondirtest über die-
selbe mit einigen Mathematikern in Deutschland; du hättest
einige Briefe über die Sonnenflecken in Druck gegeben, in
welchen du dieselbe Lehre als wahr vortrügest, und du be-
antwortetest die dir wiederholt gemachten, aus der h. Schrift
entnommenen Einwendungen, indem du die h. Schrift nach
deinem Sinne erklärtest. Ferner wurde die Abschrift eines
in Briefform abgefassten Schriftstückes vorgelegt, welches du
an einen frühem Schüler geschickt haben solltest und in wel-
chem, indem darin die Ansicht des Copernicus vorgetragen
wird, verschiedene dem wahren Sinne und der Autorität der
h. Schrift widersprechende Sätze enthalten sind. Da nun dieses
h. Tribunal der Unordnung und dem Nachtheil entgegen-
wirken wollte, welche dieses zur Folge hatte und welche
zum Schaden des h. Glaubens immer mehr zunahmen, so
wurden auf Befehl unseres Herrn und Ihrer Eminenzen der
Herren Cardinäle dieser höchsten und allgemeinen Inquisi-
tion von den Theologen- Qualificatoren die beiden Sätze von
dem Stillstehen der Sonne und von der Bewegung der Erde
qualificirt, nämlich [folgt die oben mitgetheilte Qualification].
Da man aber damals milde gegen dich verfahren wollte, so
wurde in der in Gegenwart unseres Herrn am 25. Febr.
16 16 gehaltenen h. Congregation beschlossen" u. s. w.
In dieser Sitzung vom 25. Febr. 16 15 wurde, wie die
Processacten ergeben, nachdem die Censur der Theo-
logen vorgelegt worden, von der Inquisition beschlossen
(„vom Papste befohlen"), der Cardinal Bellarmin solle Ga-
lilei auffordern, die Copernicanische Meinung aufzugeben
u. s. w. Ausserdem muss in dieser Sitzung beschlossen
worden sein, das Buch des Copernicus und einige andere
seien auf den Index zu setzen1). Denn über die nächstfol-
gende Sitzung, die vom 3. März, wird berichtet: nachdem
1) Unter Gherardi's Aktenstücken findet sich auffallender Weise kein
Protocoll über die Sitzung vom 25. Februar. Dass in der Aufzeichnung
über diese Sitzung in den Vaticanischen Acten S. 48 nur der auf die Ver-
warnung Galilei's bezügliche Beschluss erwähnt wird, ist nicht auffallend,
da der den Index betreffende Beschluss die Beamten der Inquisition zunächst
nichts anging. Ueber die Sitzung vom 3. März wird in den Vaticanischen
Acten nichts mitgetheilt; das Decret der Index-Congregation ist in einem
gedruckten Exemplare beigefügt (S. 50).
Index-Decret vom 5. März 1616. in
Cardinal Bellarmin über die Ausführung seines Auftrages
berichtet, sei ein Decret der Index- Congregation über das
Verbot, beziehungsweise die Suspendirung der Schriften von
Copernicus, Stunica und Foscarini vorgelegt und darauf be-
schlossen (von dem Papste befohlen) worden, der Magister
Sacri Palatii solle dieses Decret publiciren *).
Dieses Decret wurde dann am 5. März ausgefertigt. Es
wird in der Ueberschrift als ein überall zu publicirendes
Decret der Index-Congregation bezeichnet und ist von dem
Cardinal von St. Caecilia, Bischof von Albano [Sfondrati] als
Präfecten der Congregation2) und von dem Secretär der-
selben, dem Dominicaner Franciscus Magdalenus Capiferreus,
unterzeichnet. In dem ersten Theile desselben werden fünf
andere „verschiedene Ketzereien und Irrthümer enthaltende"
Bücher verboten, „damit nicht durch das Lesen derselben
immer schlimmere Schäden in der ganzen Christenheit ent-
stehen"; dann folgt: „Und da es auch zur Kenntniss der
h. Congregation gekommen ist, dass die falsche und der h.
Schrift durchaus widersprechende Pythagoreische Lehre von
der Beweglichkeit der Erde und der Unbeweglichkeit der
Sonne, welche Nicolaus Copernicus [in dem Buche] de re-
volutionibus orbium coelestium und Didacus Astunica [in sei-
nem Commentar] zum Job vortragen, jetzt verbreitet und von
Vielen angenommen wird, — wie zu ersehen ist aus einem
gedruckten Briefe eines Karmeliter-Paters mit dem Titel
Letter e del R. P Maestro P A. Foscarini . . . , worin be-
sagter Pater zu zeigen sucht, die fragliche Lehre ... sei
der Wahrheit entsprechend und der h. Schrift nicht zuwider :
— so hat die h. Congregation geglaubt, damit eine solche
Lehre nicht zum Schaden der katholischen Wahrheit um
1) Gherardi No. VI: Feria V. die III. Martii 1616. Facta relatione
per Illmum D. Card. Bellarminum . . . . ac relato decreto Congregationis
Indicis, qualiter (oder quod) fuerunt prohibita ei suspensa respective scripta
Nicolai Cupernici (De revolutionibus orbium caelestium), Didaci a Stunica
in Job et Fr. Pauli Antonii Foscarini Carmelitae, SSmus ordinavit publi-
cari edictum a P. Magistro S. Palatii huiusmodi suspensionis et prohibi-
tionis respective.
2) Ausser diesem waren nach Grisar S. 95 damals auch die bereits er-
wähnten Cardinäle Bellarmin, Mellini und Galamini und Fabrizio Veralli, Cardi-
nal seit 1608, f 1624, Mitglieder der Index-Congregation. — P. Schneemann
S. 120 bezeichnet das Decret als „ein Decret der Inquisition"!
112 Index-Decret vom 5. März 16 16.
sich greife, seien der besagte Nicolaus Copernicus de revo-
lutionibus orbium und Didacus Astunica zum Job zu sus-
pendiren, bis sie verbessert werden (suspendendos esse, donec
corrigantur), das Buch des Paters Foscarini aber sei ganz
zu verbieten und zu verdammen, und alle anderen Bücher,
welche in gleicher Weise dasselbe lehren, seien zu verbieten,
— wie sie denn durch gegenwärtiges Decret .sie alle respec-
tive verbietet, verdammt und suspendirt." Das Decret
wurde den Inquisitoren (und Nuncien) übersandt mit einem
Schreiben des Präfecten der Index-Congregation vom 2.
April1), worin es heisst: „Da von der h. Congregation des
Index, zugleich im Auftrage Seiner Heiligkeit, einige als
sehr verderblich erachtete Bücher verboten worden sind und
darüber das beiliegende Decret erlassen worden ist, so er-
halten Sie hiemit den Auftrag, dasselbe drucken und in Ihrem
ganzen Bezirk in der üblichen Weise publiciren zu lassen."
Das Decret unterscheidet sich, wie Grisar S. 679 gut nach-
weist, in der Form von anderen Decreten dieser Art. Vor 16 10
wurden in der Regel von dem Magister Sacri Palatii von
Zeit zu Zeit Verzeichnisse der von der Index-Congregation
oder der Inquisition verbotenen Bücher veröffentlicht. Nur
ausnahmsweise und aus speciellen Gründen veröffentlichte die
Index-Congregation selbst ein von ihr oder der Inquisition
beschlossenes Verbot. Seit dem Jahre 16 10 oder 16 13 wurden
die Verbote nicht mehr durch den Palastmeister veröffent-
licht2), sondern durch die Index-Congregation selbst. In der
Ueberschrift eines Decretes vom J. 16 13, wodurch 13 Bücher
verboten werden, werden alle Cardinäle der Congregation
genannt; ein Decret vom J. 16 14, wodurch zwei weitere
Bücher verboten werden, hat ganz dieselbe Ueberschrift
wie das oben erwähnte und die Unterschrift des Präfecten
und des Secretärs, und diese Form blieb seitdem die ste-
1) Das Schreiben an die Inquisitoren ist von Wolynski p. 24 ver-
öffentlicht, ein Gutachten Sarpi's betreffend die Publication des Decrets in
Venedig, vom 7. Mai 161 6, von Berti, II Processo p. 151.
2) Wenn nach dem Berichte über die Sitzung vom 3. März diesem
die Publication aufgetragen werden soll, so ist mit Grisar S. 687 anzunehmen,
dass „entweder der betreffende Ausdruck bloss von dem Fortgebrauch eines
altern Formulars für das Sitzungsprotocoll herrührt oder dass der Magister
S. Palatii noch, aber in untergeordneter "Weise, concurrirte," vielleicht die
Anheftung des Decretes an öffentlichen Plätzen in Rom anordnete.
Index-Decret vom 5. März 16 16. 113
hende (bis zum J. 1630 wurden in dieser Form noch 16
Decrete publicirt). Während aber sonst in den Index-De-
creten eine mehr oder minder grosse Zahl von meist ver-
schiedenartigen Büchern ohne nähere Bezeichnung der Irr-
thümer, durch welche das Verbot derselben veranlasst ist,
ganz in den Formen des ersten Theiles des Decretes vom
5. März 161 6 verboten wird, enthält dieses in seinem zweiten
Theile ein Verbot mit einer Motivirung, wie sie sich sonst
in den Index-D ecreten nicht findet.
Was den Inhalt dieses zweiten Theils betrifft, so wird
nur die Schrift Foscarini's definitiv, das Werk des Coper-
nicus und der Commentar des Stunica werden nur vorläufig
verboten, mit der Bestimmung, dass sie freigegeben werden
sollten, wenn die von der Index-Congregation für nöthig er-
achteten Aenderungen darin vorgenommen würden. In dem
Commentar des Stunica war nur die Bemerkung zu Job 9, 6
zu streichen. Eine bestimmte Angabe der in dem Werke
des Copernicus vorzunehmenden Aenderungen, mit deren
Zusammenstellung der Cardinal Gaetani beauftragt war, er-
wartete man nach Aeusserungen von Galilei in Briefen aus
dem März 16 16') in der nächsten Zeit. Cesi schrieb am 3.
Sept. 161 6 an Galilei, er wolle an die Veröffentlichung der-
selben erinnern. Sie wurden aber erst im J. 1620 durch
ein Monitum des Secretärs der Index-Congregation2) pub-
licirt, und zwar mit folgender Einleitung : „Die Väter der h.
Congregation des Index sind zwar der Ansicht gewesen,
die Schrift des berühmten Astronomen Nicolaus Copernicus
de mundi revolutionibus sei darum gänzlich zu verbieten,
weil er darin kein Bedenken trägt, Grundsätze über die
Stellung und Bewegung der Erdkugel, welche der h. Schrift
und ihrer wahren und katholischen Auslegung widersprechen,
nicht hypothetisch zu behandeln, sondern als durchaus wahr
vorzutragen, was bei einem Christenmenschen nicht zu dul-
den ist3). Gleichwohl haben sie, da in dieser Schrift vieles
1) VI, 231. 233. 236. Cardinal Gaetani (s. o. S. 62) starb 29. Juni
161 7, Card. Sfondrati 14. Febr. 1618. Letzterm folgte in der Präfectur der
Index-Congregation Card. Bellarmin. Wolynski p. 25.
2) Abgedruckt u. a. bei Riccardi (s. o. S. 3) p. 54, bei Bouix p.
112, in der Broschüre The Pontifical Decrees against the Motion of the
Earth, 1870, p. 64. Vgl. Olivieri, Di Copernico p. 33.
3) quin principia de situ et motu terreni. globi Sncrae So ipturae
Renseh, Galilei. 8
114 Verdammung der Copern. Lehre.
für das Gemeinwesen sehr Nützliche enthalten ist, einstim-
mig beschlossen: die bis heute gedruckten Werke [Ausgaben
des Werkes] des Copernicus seien zu erlauben, nachdem ge-
mäss der unten stehenden Emendation diejenigen Stellen
corrigirt worden, in welchen er über die Stellung und Be-
wegung der Erde nicht hypothetisch, sondern in Form der Be-
hauptung spricht. Die in Zukunft zu druckenden [Ausgaben]
aber sollen nur gestattet werden, wenn die besagten
Stellen in der anzugebenden Weise verbessert sind und
diese Verbesserung der Vorrede des Copernicus vorausge-
schickt ist".
Am 10. Mai 1619 wurde auch Keplers im J. 161 8 er-
schienene „Epitome astronomiae Copernicanae" auf den In-
dex gesetzt 1). In den späteren Ausgaben des Index steht*,
dem Decrete vom 5. März 1616 entsprechend, unter L: Libri
omnes docentes mobilitatem terrae et immobilitatem solis.
In den Processacten findet sich2) als letztes zu den
Verhandlungen des Jahres 16 16 gehörendes Stück ein Schrei-
ben des Cardinais (Decio) Caraffa (Erzbischof von Neapel
16 14 — 26) an den Cardinal Mellini aus Neapel 2. Juni. Der-
selbe meldet: Aus dem Decrete der Index- Congregation habe
er ersehen, dass die Schrift Foscarini's in Neapel gedruckt
sei; er habe daher den Drucker darüber befragen lassen,
woher er die Druck-Erlaubniss erhalten; da sich derselbe
darüber nicht habe ausweisen können, habe er ihn ins Ge-
fängniss setzen lassen und werde er ihm den Process machen.
Unter dem 9. Juni wird dann als Beschluss der Inquisition
notirt, es solle dem Cardinal geantwortet werden, er habe
recht gehandelt. Weiteres ist, wie gesagt, über das Ver-
fahren gegen Foscarini und seine Schrift nicht bekannt.
In dem Decret der Index-Congregation werden Galilei
und seine Schrift über die Sonnenflecken nicht genannt ; der
Brief an Castelli konnte schon darum in diesem Decrete
nicht erwähnt werden, weil er nicht gedruckt war. Aber
eiusque verae et catholicae interpretationi, quod in nomine Christiano mi-
nime tolerandum est, non per hypothesim tractare, sed ut verissima adstru-
ere non dubitat.
i) Olivieri p. 33. Am 20. Oct. 1619 wurde der „Circulus Horologii
lunaris et solaris" von Wenzel Budowez auf den Index gesetzt. Wolynski
p. 25. 2) S. 51.
Verdammung der Copern. Lehre. 115
in der Sitzung der Inquisition vom 25. Februar, in welcher
das Verbot der gedruckten Vertheidigungen der Copernica-
nischen Lehre beschlossen wurde, wurde ferner beschlossen
(„vom Papste befohlen"), der Cardinal Bellarmin solle Galilei
zu sich bescheiden und ihn ermahnen, die Copernicanische
Meinung aufzugeben; wenn er sich weigere zu gehorchen,
solle der Commissar der Inquisition vor Notar und Zeugen
ihm gebieten, ganz und gar nicht mehr eine derartige Lehre
und Meinung zu lehren oder zu vertheidigen oder zu erörtern;
wenn er sich diesem Verbote nicht fügen wolle, solle er ein-
gekerkert [und also von der Inquisition ein förmlicher Process
gegen ihn eingeleitet] werden1). In der Sitzung der In-
quisition vom 3. März berichtete Bellarmin, Galilei sei auf
Befehl der h. Congregation ermahnt worden, die von ihm
bisher gehegte Meinung, dass die Sonne u. s. w., aufzugeben,
und habe sich gefügt2). Am 26. Mai stellte dann Bellarmin
Galilei auf seine Bitte ein eigenhändiges Zeugniss aus3),
worin er bescheinigt : Galilei sei weder zur Abschwörung
irgend einer seiner Meinungen angehalten, noch seien ihm
Bussübungen aufgelegt, vielmehr sei ihm nur die von dem
Papste gemachte und von der Index-Congregation publicirte
Erklärung amtlich mitgetheilt worden (denuntiata), dass die
dem Copernfcus zugeschriebene Lehre . . . der h. Schrift
zuwider sei und darum nicht vertheidigt oder für wahr ge-
halten werden dürfe.
Ueber diese Galilei ertheilte Verwarnung wird im fol-
genden Paragraphen ausführlicher zu reden sein. Zunächst
betrachten wir die Bedeutung der über die Copernicanische
Lehre an sich getroffenen Entscheidung.
1. Es ist nicht genau, wenn man sagt, bezüglich der
Copernicanischen Lehre sei im J. 16 16 nur ein Decret der
Index-Congregation veröffentlicht worden. Es handelt sich
nicht um ein Bücherverbot, wie dergleichen die Index-Con-
gregation sehr viele erlassen hat, sondern um ein Decret,
welches sie auf Grund eines von der Congregation der In-
quisition unter dem Vorsitze des Papstes gefassten Beschlusses
entworfen, und dessen Wortlaut dann die Inquisition unter
dem Vorsitze des Papstes gutgeheissen und zu veröffentlichen
1) Acten S. 48. 2) Gherardi No. VI.
3) Acten S. 91.
Il6 Verdammung der Copern. Lehre.
befohlen hat1). Der Cardinal Bellarmin bezeichnet darum
in dem eben erwähnten Zeugnisse die in dem Decrete ent-
haltene Erklärung als „die von unserm Herrn gemachte (fatta
da Nostro Signore) und von der h. Congregation des Index
publicirte Erklärung."
2. Es ist nicht richtig, wenn P. Schneemann S. 260 von
dem Index-D ecrete sagt: „Es ist kein dogmatischer, sondern
ein disciplinärer Erlass, der nicht zum Glauben, sondern nur
zum Nichtlesen, Nichtb ehalten, Nichtverbreiten eines Buches,
bezüglich zur Aenderung gewisser Stellen desselben ver-
pflichtet. Das Decret hat zwei Theile, von denen der erste
nur die Motivirung, der zweite das eigentliche Gesetz ent-
hält. Beides muss unterschieden werden und wird von den
Theologen selbst bei den dogmatischen Definitionen allge-
meiner Synoden unterschieden. Um so mehr gilt dies bei
disciplinären Erlassen ; denn Zweck und Motive fallen streng
genommen nicht unter das Gesetz. Nehmen wir z. B. das
vom vierten Lateranense erlassene Eheverbot. Allerdings
ein höchst weises und gegenwärtig noch giltiges Ehegesetz!
Doch Niemand wird uns kraft desselben verpflichten, das
von dem Concil dafür angegebene Motiv, quia quatuor hu-
mores sunt in corpore; zu glauben; man genügt dem Gesetze,
wenn man in den vier verbotenen Graden keine Ehe ein-
geht. Wenden wir nun dieses auf das obige Decret des
Index an und scheiden wir demgemäss die ganze Motivirung
(quia u. s. w.) von dem Gesetze aus, so bleibt bloss ein
Bücherverbot übrig, das nur disciplinär ist und streng ge-
nommen Niemanden zum Glauben, dass das Copernicanische
System verwerflich sei, verpflichtet" 2). In einer Anmerkung
fügt Schneemann bei: „Wenn wir behaupten, dass die Mo-
tivirung streng genommen nicht zum Gesetze gehört, so
wollen wir jedoch nicht sagen, dass dieselbe von keiner
Bedeutung sei. Ein gewichtiger Grund gegen das genannte
System war ohne Zweifel, dass die höchste kirchliche Be-
1) Grisar S. 678.
2) Aehnlich, indess etwas vorsichtiger, Scheeben, Handb. der kath.
Dogmatik, 1873, I, 251: „Das Decret ist zunächst bloss disciplinär, ein
Bücherverbot, und wenn mit dem Verbote in den Motiven die Censur der
Schriftwidrigkeit ausgesprochen und daher auch im Dispositiv mit dem Ver-
bote der Bücher eine damnatio derselben verbunden wird, dann ist diese
Censur selbst wieder doch mehr nur eine polizeiliche" u. s. w.
Verdammung der Copern. Lehre. 1 17
hörde dasselbe in der Motivirung ihres Gesetzes so scharf
censurirte".
Die päpstlichen Behörden haben über die „Motivirung"
des Bücherverbots jedenfalls anders gedacht. Bellarmin
erhielt, wie wir gesehen haben, vom Papste in der Sitzung
der Inquisition den Auftrag, Galilei aufzufordern, „die Co-
pernicanische Meinung aufzugeben", und theilte demselben
amtlich mit, der Papst habe erklärt, die dem Copernicus
zugeschriebene Lehre sei der Schrift zuwider und dürfe
darum nicht vertheidigt oder für wahr gehalten werden. In
dem Urtheil der Inquisition vom 22. Juni 1633 wird von
eben diesem Index-Decrete gesagt: „Damit eine so verderb-
liche Lehre ganz beseitigt würde und sich nicht weiter ver-
breite, zum schweren Schaden der katholischen Wahrheit,
erging ein Decret der h. Congregation des Index, durch
welches die Bücher, welche von dieser Lehre handeln, ver-
boten wurden und diese selbst für falsch und der h. Schrift
durchaus widersprechend erklärt wurde." In dem Urtheil
wird ferner von der Copernicanischen Lehre gesagt: sie sei
„früher (im J. 1616) verdammt und Galilei ausdrücklich als
eine verdammte bezeichnet" und es sei „von ihr erklärt und
definirt worden, sie widerspreche der h. Schrift", und Galilei
wird darum, weil der Verdacht gegen ihn vorlag, er habe
jene Lehre geglaubt und für wahr gehalten, als der Ketzerei
stark verdächtig behandelt und als der Ketzerei stark ver-
dächtig zur Abschwörung der „besagten Irrthümer und
Ketzereien" angehalten.
Aus diesen Stellen folgt, wie P. Grisar S. 683 sagt,
„unbestreitbar, dass das Index-Decret von 161 6 seitens der
amtlichen Organe und der Nächstbetheiligten nicht bloss
als eine disciplinäre Anordnung, sondern zugleich als doctri-
neller Entscheid betrachtet wurde . . . Allerdings kleidet
sich das Urtheil in die Form einer Motivirung, aber einer
Motivirung, die den betreffenden Fragepunkt selbst als fest-
gestellt betrachtet wissen wollte. Es waren die Verfasser
des Decretes und die Theologen überzeugt, dass im vor-
liegenden Falle die Form der Motivirung den Charakter
einer doctrinellen Feststellung nicht ausschloss." Grisar
hebt schliesslich S. 685 mit Recht auch hervor, dass das
Index-Decret, indem es, wie wir gesehen, „von der bis dahin
und später üblichen Sitte der einfachen Bezeichnung der
1 1 8 Verdammung der Copern. Lehre.
verbotenen Bücher ganz und gar abweicht, und (mit dem
Bücherverbote zugleich) eine längere Lehräusserung der
christlichen Welt vorlegt, damit offenbar döctrinell auftreten
und sich nachdrücklich gegen die Lehre jener Bücher aus-
sprechen will."
3. Es wird in den Processacten nirgendwo ausdrücklich
gesagt, dass die Inquisition das oben (S. 108) mitgetheilte
Urtheil ihrer Qualificatoren über die Copernicanische Lehre
zu dem ihrigen gemacht habe, und die Jesuiten und andere
Apologeten der Römischen Curie suchen zu beweisen, dass
ihre Congregationen jenes Urtheil nur mit einer nicht un=
wesentlichen Modifikation bestätigt, dass sie namentlich
den in jenem Urtheile gebrauchten Ausdruck ,, ketzerisch"
nicht zu dem ihrigen gemacht haben l).
Die Qualificatoren bezeichneten die beiden ihnen vor-
gelegten Sätze als „thöricht und philosophisch absurd",
ferner den einen Satz, den vom Stillstehen der Sonne, als
„förmlich häretisch (formaliter haeretica), weil vielen Sätzen
der h. Schrift nach dem Wortlaute und nach der gemein-
samen Auslegung und Anschauung der h. Väter und der
Theologen ausdrücklich widersprechend", den andern, den von
der Bewegung der Erde, als „wenigstens dogmatisch irrig"
(ad minus in fide erronea). Diese beiden Ausdrücke sind
nicht gleichbedeutend : „häretisch" heisst nach dem Sprach-
gebrauche der Curie ein Satz, wenn er einem als ausdrück-
lich geoffenbarte Wahrheit, „dogmatisch irrig", wenn er einem
als sichere Schlussfolgerung aus einer geoffenbarten Wahr-
heit angesehenen Satze widerspricht. Die Qualificatoren
sahen die beiden ihnen vorgelegten Sätze als der h. Schrift
widersprechend an, nahmen aber an, von der Bewegung der
Sonne spreche diese ausdrücklich, die Unbeweglichkeit der
Erde dagegen werde nicht gerade ausdrücklich in der Bibel
ausgesprochen, müsse aber aus ihren Worten gefolgert wer-
den; darum qualificirten sie den Satz von der Unbeweglich-
keit der Sonne als „häretisch, weil Stellen der h. Schrift
ausdrücklich widersprechend", den Satz von der Bewegung
der Erde dagegen als „mindestens dogmatisch irrig", weil
1) Olivieri, Di Copernico p. 64 (danach Hist.-pol. Bl. 7 [1841], 525).
Bouix p. 107. 222. Civiltä cattolica S. 9, vol. 10 (1876), p. 68. Wenig
S. 45. Grisar S. 699.
Verdammung der Copern. Lehre. 119
sie von ihm annahmen, dass er, wenn auch nicht „ausdrück-
lich Stellen der h. Schrift", so doch jedenfalls noth wendigen
Folgerungen aus solchen Stellen ausdrücklich, oder Stellen
der h. Schrift indirect widerspreche1).
Es wird nun allerdings, wie oben bemerkt wurde, in
den Processacten nicht gesagt, dass die Inquisition das Ur-
theil der Qualificatoren zu dem ihrigen gemacht2), aber es
wird auch durch nichts angedeutet, dass sie dasselbe habe
modificiren wollen; vielmehr spricht alles dafür, dass sie
dasselbe einfach als zutreffend anerkannt und bei den von
ihr zu fassenden Beschlüssen zu Grunde gelegt hat. Das
hat auch P. Grisar in seinem ersten Aufsatze anerkannt, in-
dem er S. 86 sagt: „So weit zu ersehen ist, war die [In-
quisition in der] Sitzung [vom 25. Febr. 16 16] mit der
Censur [der Qualificatoren] einverstanden." In seinem zweiten
Aufsatze S. 701 hat er mit Unrecht diesen Satz zurückge-
nommen. In dem Berichte über jene Sitzung heisst es
allerdings nur: „Nachdem die Censur der Patres Theologen
über die Sätze Galilei's vorgelegt worden, befahl der Papst",
Galilei aufzufordern, seine Meinung aufzugeben. Diese
Worte lassen aber doch eher voraussetzen, dass die Censur
einfach als richtig anerkannt, als dass sie modificirt wurde.
Und wenn auch in dem Urtheil vom 22. Juni 1633 (s. o. S. 110)
das Gutachten der Qualificatoren nur in der Form eines histori-
schen Referates angeführt wird, so würde dasselbe doch wohl
überhaupt nicht angeführt und namentlich nicht als ein „auf
Befehl der Inquisition" erstattetes Gutachten angeführt wer-
den, wenn die Inquisition dasselbe nicht als zutreffend an-
erkannt, sondern eine Amendirung desselben für nöthig er-
achtet hätte.
Wenn in dem Index-D ecrete nicht der Wortlaut der
Qualifikation beibehalten ist, so darf daraus nicht gefol-
gert werden, dass die Index-Congregation und die Inquisi-
tion das Urtheil der Qualificatoren modificirt haben. In
dem Index-Decrete kam es nicht darauf an, die beiden
i) Vgl. R(einerding) in den Hist.-pol. Bl. 56 (1865), 422.
2) In einem Circular des Inquisitors von Pavia vom 7. Aug. 1633
(Acten S. 155) wird das Urtheil der Qualificatoren als Urtheil der Inquisi-
tion bezeichnet. Das ist aber natürlich, wie Grisar S. 701 bemerkt, nicht
massgebend.
120 Verdammung der Coperr^ Lehre.
Seiten der Copernicanischen Theorie und den Grad der Un-
richtigkeit derselben zu unterscheiden. Darum wurden die
beiden von den Qualificatoren gebrauchten Ausdrücke, „häre-
tisch, weil ausdrücklich Stellen der h. Schrift widersprechend"
und „wenigstens dogmatisch irrig", (weil indirect Stellen
der h. Schrift widersprechend), durch den Einen, die beiden
Ausdrücke zusammenfassenden Ausdruck „der h. Schrift
durchaus widersprechend" ersetzt. Auch der von den Quali-
ficatoren gebrauchte Ausdruck „thöricht und philosophisch
absurd" (stulta et absurda in fihilosophia) findet sich in dem
Index-Decrete nicht ; allem Anscheine nach ist „falsch" (falsa)
statt jenes Ausdruckes gesetzt und also damit die „philoso-
phische" Unrichtigkeit der Copernicanischen Theorie in weniger
derber Form, als von den Qualificatoren, ausgesprochen1).
Das Urtheil der Qualificatoren wurde, so viel wir wissen,
bis zum 22. Juni 1633 nicht veröffentlicht. Darum wollen wir
vorläufig bei dem durch das Index-Decret publicirten Ur-
theil stehen bleiben, dass die Copernicanische Lehre „falsch
und der h. Schrift durchaus widersprechend" sei. Auf die
von den Qualificatoren gebrauchten Ausdrücke zurückzu-
kommen, wird sich später Gelegenheit finden.
Wenn Galilei am 6. März 16162) an den Staatssecretär
Picchena schreibt: „die h. Kirche" habe nicht die Meinung
Caccini's, dass die Copernicanische Lehre „gegen den Glau-
ben und ketzerisch sei", zu der ihrigen gemacht, sondern
nur erklärt, „sie stimme nicht mit der h. Schrift überein",
so führt er ja allerdings den Wortlaut des veröffentlichten
Urtheils richtig an; dass er dasselbe in einen Gegensatz zu
der Anklage Caccini's bringt, entspricht der Tendenz seines
Briefes, dem Urtheil eine gute Seite abzugewinnen, ist aber
jedenfalls keine authentische Interpretation des Urtheils.
4. P. Wenig ist noch einmal auf die von dem Pater Olivieri
ersonnene und 1841 durch die Historisch - politischen Blätter
in Deutschland veröffentlichte Apologie der Inquisition zu-
rückgekommen: sie hat „nur die falsche und daher mit der
h. Schrift in der That unvereinbare Galilei'sche Lehre von
i) „Dass die Note falsa auf die philosophische Unrichtigkeit geht",
ist allerdings, wie Grisar S. 700 <3 sagt, „nicht direct erweislich", aber, wenn
man das Urtheil der Qualificatoren vergleicht, wohl nicht zu bezweifeln.
2) VI, 231.
Verdammung der Copern. Lehre. 121
der Bewegung der Erde in der Luft und durch die Luft"
verworfen, nicht die Lehre von der Bewegung der Erde
überhaupt, namentlich nicht die geläuterte, vom Irrthum be-
freite Form des Copernicanischen Systems, wie sie uns jetzt
bekannt ist; diese konnte die Inquisition schon darum nicht
verwerfen, weil sie ihr selbstverständlich gänzlich unbekannt
war 1). Es ist selbstverständlich, dass die Inquisition die An-
sicht von der Bewegung der Erde und dem Stillstehen der
Sonne überhaupt, weil sie der herkömmlichen Ansicht wider-
sprach und der Bibel zu widersprechen schien, verworfen hat.
5. Auch Wohlwill2) deutet das Decret der Index-Con-
gregation nicht ganz richtig. Es werden darin allerdings
nicht ,, unterschiedslos alle Bücher verboten, die von der Erd-
bewegung handeln"; aber das Decret verbietet auch nicht,
wie Wohlwill meint, ,,nur diejenigen Bücher, die einen Ein-
klang zwischen der Copernicanischen Lehre und der Bibel
nachzuweisen suchen, während es diejenigen, die, wie das
Werk des Copernicus, die wissenschaftliche Lehre als solche
vortragen, nur bis zur Verbesserung suspendirt". Wie sich
aus dem Zusammenhange ergibt und in dem Monitum vom
J. 1620 ausdrücklich gesagt wird, sollte es fortan nicht nur
als unzulässig gelten, einen Einklang zwischen der Coperni-
canischen Lehre und der Bibel nachzuweisen zu versuchen,
sondern auch jene Lehre als wahr vorzutragen, wie Coperni-
cus wenigstens (nach der Ansicht der Index - Congregation
nur) an mehreren Stellen seines Werkes gethan. Gestattet
war nur, die Lehre „hypothetisch" vorzutragen. Von Foscarini
wird ja auch nicht bloss gesagt, er habe ,, einen Einklang
zwischen der Copernicanischen Lehre und der Bibel nach-
i) Ueber die kirchl. und polit. Inquisition S. 35 ff. ; ebenso schon Die
Freiheit der Wissensch. 1866, S. 25; vgl. Th. Lit.-Bl. 1867, 25. Vgl. Hist-
pol. Bl. 7, 387. 455 u. s. w. P. Schneemann S. 261 desavouirt seinen Ordens-
genossen (natürlich ohne ihn zu nennen): ,, Solche gewaltsame Erklärungen
wollen uns nicht gefallen." — Der früher von den Apologeten der Curie
viel benutzte Aufsatz im 7. Bande der Hist.-pol. Bl., „Der h. Stuhl gegen
Galilei und das astronomische System des Copernicus", ist eine von dem
verstorbenen Prof. Clemens, der sich damals in Rom aufhielt, herrührende
Uebersetzung der schon 1840 geschriebenen, aber erst 1872 veröffentlichten
Abhandlung des frühern Commissars der Inquisition P. Olivieri; s. o. S. 80.
Th. Lit.-Bl. 1873,5. Gebier, Galilei S. 305. Cantor, Zts. f. Math. 1876. L.-Z. 98.
2) Ist Gal. gef. worden? S. 116.
122 Verdammung der Copern. Lehre.
zuweisen versucht", sondern auch, er habe versucht, zu
zeigen, dass „erstere der Wahrheit entsprechend" sei.
Wohlwills Ansicht kommt der von' Scheeben nahe:
„Die in demlndex-Decrete ausgesprochene Censur der Schrift-
widrigkeit ist mehr nur eine polizeiliche, welche nicht direct
auf die Lehre in sich geht, sondern auf die dreiste Behaup-
tung und Geltendmachung der Lehre ohne die schuldige
Rücksicht auf die Würde der h. Schrift und die katholischen
Regeln für die Interpretation derselben. Diese Tendenz
des Decretes wurde daher auch vier Jahre später durch ein
anderes Index-Decret ausdrücklich erklärt, indem bloss die
assertorische, nicht die hypothetische Aufstellung der frag-
lichen Lehre verboten wurde, was keinen Sinn hätte, wenn
durch das erste Verbot die Lehre in sich selbst verdammt
worden wäre" *). Aber wenn die Römischen Behörden nur
die „hypothetische Aufstellung" der Copernicanischen Lehre
gestatteten, so wollten sie damit nicht nur die „assertorische
Aufstellung" derselben, die Behauptung, die Lehre sei wahr
oder erwiesen, verbieten, so dass es etwa erlaubt gewesen
wäre, zu sagen, die Lehre sei zwar nicht als wahr oder
wahrscheinlich erwiesen, aber auch nicht sicher falsch und
es sei möglich, dass sich für dieselbe in Zukunft noch bes-
sere Gründe finden Hessen als jetzt. Wie es gemeint war,
wenn gestattet wurde, die Copernicanische Lehre „hypothe-
tisch" vorzutragen, darüber geben uns zwei Jesuiten, welche
in den Galilei'schen Processen eine hervorragende Rolle
spielten, Auskunft. Bellarmin sagt in dem früher (S. 62)
mitgetheilten Briefe: es sei gestattet, zu sagen: unter der Vor-
aussetzung, dass die Erde sich bewege und die Sonne still
stehe, Hessen sich alle Erscheinungen besser erklären als
durch die Annahme der excentrischen Kreise und Epicyklen ;
aber es sei nicht gestattet, zu sagen, die Sonne stehe wirk-
lich im Mittelpunkte der Welt und bewege sich nur um sich
selbst u. s. w„ und Melchior Inchofer sagt in einem bei dem
zweiten Processe abgegebenen Gutachten2): man dürfe die
1) Handb. der kath. Dogm. S. 251. Auch Katholik 1864, I, 690 ver-
sichert er: das Decret vom J. 1616 sei 1620 „bedeutend modificirt" worden.
2) Acten S. 105. Ganz ähnlich, nur ausführlicher spricht sich Incho-
fer in dem später zu erwähnenden „Tractatus syllepticus" p. 48 aus. Die
Stelle ist abgedruckt in der oben erwähnten Broschüre The Pontifical De-
Verdammung der Copern. Lehre. 123
Hypothese aufstellen, dass die Erde sich bewege, um auf
Grund dieser Hypothese die astronomischen Erscheinungen
zu veranschaulichen und die astronomischen Berechnungen
zu erleichtern, aber man müsse dabei die Hypothese für
eine reine Fiction halten, wie ja auch ein Mathematiker sich
eine unendliche Linie denken und dann schliessen könne,
dass ein darüber construirtes Dreieck unendlich sei, ohne
darum anzunehmen, dass es wirklich eine unendliche Linie
gebe, und wie ein Philosoph sagen könne, wenn die Welt
von Ewigkeit gewesen wäre, hätte dieses und jenes noth-
wendig oder wahrscheinlich geschehen müssen, während
doch jeder Christ wisse, dass die Welt nicht von Ewigkeit
sei. „Wenn die Index- Congregation, sagt P. Grisar ganz
richtig, den Vortrag der Copernicanischen Lehre ex hypo-
thesi, ex suppositione gestattete, so ist daraus nicht zu
schliessen, dass sie der Lehre einige Wahrscheinlichkeit zu-
gestand. Das Gegentheil ist vielmehr der Fall" (S. 100).
„Sie Hess das System nur als eine blosse willkürliche An-
nahme zur Erleichterung der Rechnungen und Darstellung
der Erscheinungen gelten, ohne irgend welchen Anspruch
auf Wahrheit oder auch nur Wahrscheinlichkeit" (S. 676) 1).
Der Meinung gegenüber, die Lehre habe „wenigstens noch
als einigermassen wahrscheinlich und nur nicht als sicher
vorgetragen werden dürfen", verweist Grisar mit Recht
auf die Sentenz vom 22. Juni 16332). In dieser wird
crees p. 52; ebendaselbst p. 53 die Erklärung des Georg Polaccus im Anti-
copernicus catholicus, 1644, P- 5: »Die Cardinals-Congregation hat die Be-
wegung der Erde (sie) nicht so verboten, dass es Niemand gestattet wäre,
astronomische Schwierigkeiten durch die Voraussetzung der Bewegung der
Erde aufzuhellen, wenn nur derjenige, der dieses thut, deutlich zu erkennen
gibt, dass er sich auf jene Hypothese nicht als auf eine wahre stützt, son-
dern nur von einem falschen Princip ausgeht, um die Sache besser aufzu-
hellen, in ähnlicher Weise, wie die Theologen bei der Erklärung theologi-
scher Schwierigkeiten sagen: Nehmen wir einmal an, Gott sei nicht unend-
lich oder gerecht und dgl., oder was dasselbe ist: Wenn Gott, was unmög-
lich ist, nicht unendlich oder nicht gerecht u. s. w. wäre, so würde dieses
oder jenes folgen." 1
1) „Dem Ausdruck »Hypothese« wird meistens eine falsche Bedeutung
beigelegt, indem man den Sinn, welchen er gegenwärtig in den Naturwissen-
schaften hat, auf die damalige Zeit überträgt. Hypothese im Sinne jenes
Decretes ist soviel als mathematische Fiction." Schneemann S. 263.
2) Vgl. Th. Lit.-Bl. 1876, 463.
124 Verdammung der Copern. Lehre.
von dem Index-Decrete gesagt, es sei erlassen worden,
„ damit eine so verderbliche Lehre ganz beseitigt würde
und sich nicht zum Schaden der katholischen Wahrheit
weiterverbreitete", und weiter wird erklärt : wenn Galilei in
seinem Dialog sich den Anschein gebe, als wolle er die
Copernicanische Lehre nicht direct vertheidigen, sondern
nur als unentschieden und probabel hinstellen, so sei auch
das „ein schwerer Irrthum, da eine Meinung in keiner
Weise probabel sein könne, welche als schriftwidrig erklärt
und deiinirt worden sei".
Auf die Scheeben'sche Ansicht wird, wie überhaupt
auf die Bedeutung und Tragweite der im J. 1616 von den
Römischen Behörden getroffenen Entscheidung zurückzu-
kommensein, nachdem wir auch die damit zusammenhängende
Entscheidung vom J. 1633 werden kennen gelernt haben.
Für das Verständniss des weitern Verlaufs der Geschichte
Galilei's bis zu jenem Jahre genügt es, festzuhalten, dass im
J. 161 6 im Auftrage des Papstes und der Inquisition durch
die Index- Congregation ein Decret bekannt gemacht wurde,
aus welchem Folgendes zu entnehmen war: Die Copernica-
nische Theorie ist falsch und der h. Schrift durchaus wider-
sprechend; es darf Niemand sie für wahr halten, sie als
wahr nachzuweisen oder die betreffenden Stellen der h.
Schrift mit ihr in Einklang zu bringen suchen; es ist aller-
dings zulässig, sich jener Theorie als einer Annahme zur
Erleichterung astronomischer Berechnungen und zur Erklä-
rung von astronomischen Beobachtungen zu bedienen; dabei
ist aber immer festzuhalten, dass diese Annahme weder
wahr noch wahrscheinlich, dass sie vielmehr willkürlich und
unrichtig ist.
P. Schneemann beklagt wiederholt „die unglückliche
Fassung und Motivirung des Decretes der Index-Congrega-
tion" (der Ausdruck wird auf drei Seiten, S. 260 — 262, fünf-
mal gebraucht). Gemeint ist der über das blosse Bücherver-
bot hinausgehende Inhalt des Decretes. Er verbindet dann
mit diesen Klagen den Versuch, die Schuld der unglücklichen
Formulirung des Decretes von seinem Orden ab- und dessen
Gegnern zuzuwälzen. Er hat herausgefunden, dass unter den
elf Qualificatoren drei, der Erzbischof von Armagh, der
Augustiner Coronellus und der Dominicaner de Lemos,
Bellarmin und das Index-Decret. 125
waren, welche bei der einige Jahre vorher mit grosser Leb-
haftigkeit geführten Controverse über die Gnadenlehre in
der sog. Congregatio de auxiliis Hauptgegner der Jesuiten
gewesen waren, und meint nun, dieselben seien auch ,, Chor-
führer" in der Commission der Qualificatoren und die „Ur-
sache des herben Urtheils" derselben gewesen, durch welche
sich dann auch die Index- Corigregation [vielmehr die In-
quisition] habe bestimmen lassen. Zugleich spricht er die
Ueberzeugung aus, der Cardinal Bellarmin sei nicht der
„geistige Urheber" des unglücklichen Decretes gewesen, und
lässt die Ueberzeug-ung durchblicken, dass er in diesem
Falle, wie bezüglich der Gnadenlehre, „abweichender Meinung
von den meisten seiner Collegen in der Inquisitions-Congre-
gation" gewesen.
Es unterliegt kaum einem Zweifel, dass die Qualifica-
toren und die Cardinäle, mögen sie bezüglich der Gnaden-
lehre auf Seiten der Jesuiten oder auf Seiten der Domini-
caner gestanden haben, bezüglich der Copernicanischen
Lehre Einer Ansicht gewesen sind. Von Bellarmin aber
wissen wir, dass er sich mit dieser Frage viel beschäftigt
hatte. Dass der Beschluss der Inquisition gegen seinen
Rath gefasst sein sollte, ist schon wegen des Ansehens, in
dem er in Rom stand, nicht wahrscheinlich J), und die That-
sache, dass gerade er beauftragt wurde, Galilei von dem
Beschlüsse Kenntniss zu geben, spricht eher dafür, dass er
„der geistige Urheber" desselben war. Und wenn sich, wie
Schneemann sagt, Bellarmins Werke „durch die höchste
Klarheit und Genauigkeit des Ausdrucks" auszeichnen, so
spricht das nicht dagegen, dass er der geistige Urheber des
Index-Decretes gewesen; er braucht es darum nicht gerade
stilisirt zu haben, und an Unklarheit und Ungenauigkeit des
Ausdrucks laborirt dasselbe keineswegs.
P. Grisar stimmt S. 730 seinem Ordensgenossen nicht
ganz zu; er meint: „Bellarmin war sich stets klar genug,
i) Der Jesuit Hurter sagt, Katholik 1866, II, 53, unter Berufung auf
den Cardinal del Monte: in den Congregationen sei Bellarmins Ansicht mass-
gebend gewesen; die anderen Cardinäle hätten es sich zur Ehre angerechnet,
seiner Meinung als der sicherern zu folgen, und es sei oft vorgekommen, dass,
wenn bei der Berathung alle Anderen übereinstimmten, das Votum Bellarmins
genügt habe, sie umzustimmen.
126 Bellarmin und das Index-Decret.
um mit Ueberzeugung dem Vorgehen seiner Collegen bei-
zustimmen; aber er hätte seinerseits mehr Zurückhaltung
und Langsamkeit bevorzugt", und S. 701 hält er es für
„nicht unmöglich", dass Bellarmin es durchgesetzt, dass das
Gutachten der Qualificatoren nicht wörtlich angenommen
und namentlich die Bezeichnung der Copernicanischen Lehre
als einer „häretischen" unterlassen worden sei.
Schneemanns und Grisars Vermuthungen stützen sich
wesentlich auf Bellarmins oben (S. 62) mitgetheilten Brief
an Foscarini und ähnliche Aeusserungen desselben. Wenn
Bellarmin in jenem Briefe die Möglichkeit zugibt, dass sich
die Copernicanische Theorie noch einmal als richtig und
darum auch mit der Bibel vereinbar herausstellen könne, so
hätte ihn das freilich, wie wir gesehen haben, abhalten müs-
sen, der beantragten Verdammung der Copernicanischen
Lehre zuzustimmen. Thatsächlich hat er aber jedenfalls
denjenigen beigestimmt, welche die Copernicanische Lehre,
weil sie mit der damals herrschenden astronomischen An-
sicht und mit der damals herrschenden Auffassung mehrerer
Bibelstellen in Widerspruch stand, mindestens für falsch und
der h. Schrift widersprechend erklärten ; denn hätte er nicht
zugestimmt, so hätte er sich nicht dazu hergeben können,
diesen Beschluss Galilei amtlich zu notificiren. Wenn er
wirklich das Verdienst beanspruchen kann, bewirkt zu haben,
dass in das Index-Decret nicht die von den Qualificatoren
gebrauchten Ausdrücke aufgenommen wurden, so ist das,
wie wir sehen werden, nicht so hoch anzuschlagen und
jedenfalls nicht genügend, um es zu entschuldigen, dass er
es mit „seiner Ueberzeugung" vereinigen konnte, „dem Vor-
gehen seiner Collegen beizustimmen", während er nach
dem, was er in dem Briefe an Foscarini äussert, nicht nur
„mehr Zurückhaltung und Langsamkeit hätte bevorzugen",
sondern eine doctrinelle Erklärung gegen die Copernicani-
sche Theorie überhaupt zu verhindern sich hätte bemühen
müssen.
Galilei's Verwarnung 26. Febr. 16 16. 127
XI.
Galilei's Yerwarnung am 26. Februar 1616.
Die durch das Decret der Index-Congregation vom 5.
März 1616 publicirte Verdammung der Copernicanischen
Ansicht ist das wichtigste Ergebniss der durch die Denun-
ciationen Lorini's und Caccini's veranlassten Verhandlungen
der Inquisition. Der gegen Galilei persönlich eingeleitete
Process wurde niedergeschlagen. Man hätte ihn weiter
•führen und gerichtlich constatiren können, dass Galilei die von
der Inquisition für falsch und schriftwidrig erklärten Sätze
mündlich und schriftlich ausgesprochen, und man hätte darauf
hin Galilei wenigstens zu einer Retractation anhalten können.
Man beschränkte sich aber darauf, ihm von dem Urtheile
der Inquisition über die Copernicanische Lehre in amtlicher
Weise Kenntniss zu geben, ihm bemerklich zu machen, dass
er diese Lehre jetzt nicht mehr für wahr halten dürfe, und
ihm das Versprechen abzunehmen, dass er sie nicht mehr
vortragen und vertheidigen wolle. Die auf diese Verwar-
nung bezüglichen Actenstücke müssen eingehender, als oben
S. 1 15, besprochen werden, weil eines derselben in dem zweiten
Processe eine grosse Rolle spielt und weil von Vielen, welche
in der neuesten Zeit über die Galilei'sche Angelegenheit ge-
schrieben, behauptet wird, dasselbe sei unmittelbar vor dem
zweiten Processe gefälscht worden. Die Actenstücke sind
folgende:
I. Die schon oben erwähnte Aufzeichnung des Notars
der Inquisition vom 25. Febr. 1616: „Der Cardinal Mellini
hat dem Assessor und dem Commissar des h. Officiums mit-
getheilt: nachdem die Censur der Patres Theologen über die
Sätze des Mathematikers Galilei, dass die Sonne der Mittel-
punkt der Welt . . . , [in der Sitzung der Inquisition] vor-
getragen worden, habe Seine Heiligkeit befohlen, der Car-
dinal Bellarmin solle Galilei zu sich bescheiden und ihn er-
mahnen (moneat), die besagte [Copernicanische] Meinung
128 Galilei's Verwarnung 26. Febr. 1616.
aufzugeben ; wenn er sich weigere zu gehorchen, solle der Pater
Commissar vor Notar und Zeugen ihm den Befehl ertheilen
(faciat Mi praeceptum), ganz und gar nicht mehr eine derartige
Lehre und Meinung zu lehren, zu vertheidig-en oder zu er-
örtern {ut omnino abstineat huiusmodi doctrinam et opinio-
nem docere aut def ender e seu de ea tractare) ; wenn er sich
(diesem Verbote) nicht fügen wolle, solle er eingekerkert
werden1).
II. Eine unmittelbar dahinter, theilweise noch auf der-
selben Seite, theilweise auf dem folgenden Blatte der Vati-
canischen Acten stehende Aufzeichnung- von der Hand des-
selben Notars2), welche mit Weglassung einiger unwesent-
lichen Worte so lautet: ,, Freitag 26. desselben Monats [Fe-
bruar 1616]. In der Wohnung des Cardinais Bellarmin hat
dieser Cardinal in Gegenwart des Fr. Michael Angelus Se-
ghitius von Lauda aus dem Prediger-Orden, des General-
commissars des h. Officiums, den oben genannten Galilei
über das Irrthümliche der oben besagten Meinung belehrt
und ihn ermahnt, dieselbe aufzugeben (monuit de errore su-
pradictae opinionis et ut illam deserat) ; und gleich darauf
(et successive ac incontinenti) hat in meiner Gegenwart und
in Gegenwart von Zeugen und noch in Anwesenheit des be-
sagten Cardinais der Pater Commissarius dem besagten dort
noch anwesenden Galilei im Namen unseres heiligsten Herrn
des Papstes und3) der ganzen Congregation des h. Officiums
befohlen und geboten (praecepit et ordinavit), die oben be-
sagte Meinung, dass die Sonne . . . ., ganz aufzugeben und
sie in Zukunft in keiner Weise mehr festzuhalten4), zu lehren
1) Acten S. 48.
2) Acten S. 49. Das Stück steht facsimilirt bei Epinois, Les pieces p. 40.
3) Mit „und" beginnt das zweite Blatt.
4) Die beste Uebersetzung von teuere in diesem Zusammenhange ist,
wo es absolut steht, ,,für wahr halten", in der Verbindung opinionem tenere
oder tanquam veram tenere (italienisch tener per oder come vera) „fest-
halten". Tenere ist synonym mit credere; die beiden Ausdrücke werden
oft pleonastisch mit einander verbunden, z. B. in der Sentenz gegen Galilei :
d'haver creduto e tenuto dottrina falsa, und in dem Verhörsformulare S. A.
p. 63 : An tenuerit et crediderit und Quid modo credat vel teneat circa
praemissa. Vgl. S. A. p. 92. 105 u. s. w. Es handelt sich bei tenere um
die innere Ueberzeugung, nicht um ein äusserliches Bekenntniss, auch nicht
um „das Aufrechthalten einer Ansicht abweichenden Ansichten gegenüber",
Galilei's Verwarnung 26. Febr. 1616. 129
oder zu vertheidigen, in Wort oder Schrift (nee eam de cae-
tero qnovis modo teneat, doceat, aut defendat, verbo aut scrifitis) ;
widrigenfalls werde gegen ihn im h. Officium verfahren
werden. Diesem Gebote (praeeepto) fügte sich selbiger Ga-
lilei und versprach zu gehorchen. So geschehen zu Rom
wie oben in Gegenwart des Hochwürdigen Herrn Badinus
Nores aus Nicosia im Königreich Cypern und des Augustinus
Mongardus aus einem Orte der Abtei Rosa in der Diö-
cese Montepulciano, Familiären des besagten Cardinais, als
Zeugen" !).
III. Der von Gherardi unter Nro. VI veröffentlichte
Bericht über die Sitzung der Inquisition vom 3. März 16 16:
„Nachdem der Cardinal Bellarmin berichtet, der Mathema-
tiker Galileo Galilei sei im Auftrage der h. Congregation
ermahnt worden, die Meinung, die er bisher gehegt, dass
die Sonne . . . . , aufzugeben, und er habe sich gefügt"
u. s. w. 2)
IV. Ein eigenhändiges Zeugniss, welches Cardinal Bel-
larmin am 26. Mai 161 6 Galilei ausstellte3): „Da wir, Robert
Cardinal Bellarmin, gehört haben, dass der Herr Galileo Ga-
lilei verleumdet und von ihm gesagt worden ist, er habe in
unsere Hand abgeschworen, und ferner, es seien ihm heil-
same Bussübungen aufgelegt worden, und da wir ersucht
worden sind, die Wahrheit zu bezeugen, so erklären wir:
der besagte Herr Galileo hat weder vor uns noch vor einem
Andern hier in Rom noch, so viel wir wissen, anderswo
irgend eine seiner Meinungen und Lehren abgeschworen,
noch sind ihm Bussübungen oder dergleichen aufgelegt
worden; vielmehr ist ihm nur die von unserm Herrn [dem
wie Zeller, D. Rundschau IX (1876). 73 meint (er übersetzt „behaupten",
Reumont ebenso unrichtig „befolgen"). Wohlwill, Inquisitionsprocess S. 13;
Ist Gal. gef. worden? S. 83.
1) P. Schneemann sagt S. 120: Galilei sei „zwei Tage vor dem 5. März",
also am 3., zu Bellarmin beschieden und ihm von diesem im Namen des
Papstes und „in Gegenwart des Magister Sacri Palatii" bedeutet worden
u. s. w. S. 392 ff. stellt er dann freilich die Sache richtiger dar.
2) Feria V. die III. Martii 1616. Facta relatione per Illustrissimum
D. Cardinalem Bellarminum, quod Galilaeus Galilei Mathematicus monitus
de ordine Sacrae Congregationis ad deserendam opinionem, quam hactenus
tenuit, quod sol sit centrum sfihaerarum et immobilis, terra autem mobilis,
acquievit etc. S. o. S. III. 3) Acten S. 87. 91.
Reuscb, Galilei. 9
130 Die Aufzeichnung vom 26. Febr. 1616.
Papste] gemachte und von der h. Congregation des Index
publicirte Erklärung amtlich mitgetheilt worden (demmtiata),
dass die dem Copernicus zugeschriebene Lehre, — die Erde
bewege sich um die Sonne und die Sonne stehe im Mittel-
punkte der Welt, ohne sich von Osten nach Westen zu be-
wegen, — der h. Schrift zuwider sei und darum nicht ver-
theidigt oder für wahr gehalten werden dürfe."
Diese vier Actenstücke scheinen nicht ganz mit einander
in Einklang zu stehen. Aus allen vier ergibt sich, dass Ga-
lilei eine Verwarnung bezüglich der Copernicanischen Lehre
erhalten hat; aber 1. wird der Inhalt dieser Verwarnung
nicht übereinstimmend angegeben ; 2. scheinen die Angaben
darüber zu differiren, ob die Verwarnung in der Form einer
blossen Ermahnung oder auch noch in der Form eines förm-
lichen Befehls, — eines Praeceptum, wie der technische Aus-
druck lautet, — ertheilt worden; im Zusammenhange damit
kann es 3. fraglich erscheinen, ob nur der Cardinal Bellar-
min oder auch der Commissar der Inquisition Galilei ver-
warnt hat. Namentlich spricht das unter Nr. IV mitgetheilte
Actenstück nur von einer Ermahnung des Cardinais Bellar-
min, die ihrem Inhalte nach mit dem von der Index-Congre-
gation erlassenen Decrete übereinstimmte, während nach dem
unter II mitgetheilten Actenstücke Galilei nicht nur von
Bellarmin ermahnt, sondern ihm darauf auch noch durch
den Commissar ein förmliches Praeceptum ertheilt wurde,
welches inhaltlich über das Index - Decret hinauszugehen
scheint.
Von diesem letztern Actenstücke (II) nun hat Wohl-
will in der 1870 erschienenen Schrift „Der Inquisitionsprocess
des Galileo Galilei'' zu beweisen versucht, es sei eine
Fälschung, d. h. es sei erstens inhaltlich unwahr und in
Wirklichkeit sei Galilei am 26. Februar nur von Bellarmin
ermahnt worden, und es sei zweitens nicht an diesem Tage
von dem Notar der Inquisition niedergeschrieben, sondern
im J. 1632 zu dem Zwecke fabricirt worden, um bei dem
zweiten Processe als Anklagematerial gegen Galilei ver-
wendet zu werden, und die Inquisition habe im J. 1633 die
Verurtheilung Galilei's auf Grund dieses gefälschten Docu-
mentes beschlossen. Diese Ansicht ist gleichzeitig auch von
S. Gherardi ausgesprochen, von den Meisten, welche seit dem
J. 1870 über Galilei geschrieben, als richtig anerkannt und
Die Aufzeichnung vom 26. Febr. 161 6. 131
noch in der neuesten Zeit von Wohlwill selbst und Anderen
gegen die dagegen erhobenen Bedenken vertheidigt worden1).
Die Ausführung der Fälschung denkt sich Wohlwill
so : auf dem ersten Blatte hat hinter dem Satze, welcher über
die Mahnung Bellarmins berichtet, also hinter dem Worte
deserat ursprünglich die Notiz, dass Galilei Gehorsam ver-
sprochen, und der Schluss des Protocolls gestanden, etwa:
Galileus parere promisit. Super quibus actum ubi supra. N.
N. S. Romanae et Universalis Tnquisitionis Notarius. Diese
Zeilen sind im J. 1632 ausradirt und dafür die jetzt dort
stehenden Zeilen von Et successive an substituirt und dann
ist auf dem folgenden Blatte der Schluss des neuen, ge-
fälschten Protocolls beigefügt worden2).
1) Wohlwill vertheidigt seine Ansicht gegen die von Friedlein (s. u.)
erhobenen Einwendungen in der Zts. f. Math. 1872, L.-Z. S. 9 — 31. 81 — 96.
In der Schrift „Ist Galilei gefoltert worden?" S. 116 hält er seine Ansicht
aufrecht. Auf Grund des von H. de l'Epinois veröffentlichten Facsimile's
des Actenstücks sucht er dieselbe weiter zu begründen in der im Dec. 1877
autographirten Abhandlung „Die Fälschung des Protocolls vom 26. Febr.
161 6"; vgl. Gott. G. A. 1878, St. 21. — Gherardi hat dieselbe Ansicht zu-
erst 1870 in dem Aufsalze ,,11 Processo Galileo" in der Rivista Europea,
dann 1872 in dem Aufsatze „Sulla dissertazione del dott. E. Wohlwill" in
derselben Zeitschrift entwickelt. — Wohlwill stimmten bei: M. Cantor, Zts.
f. Math. 1871, L.-Z. S. 1 — 8, und besonders Gegenwart 1877, No- 44> 45;
Riccardi, Di alcune etc. [s. o. S. 2] p. 6; Zeller, D. Rundschau IX (1876),
75; Scartazzini, Unsere Zeit 1877, 1, 502. II, 440; Rivista Europea 1877,
Vol. IV, 839; 1878, Vol. V, 1. 583; Allg. Ztg. 1877, No. 30iß. 302; 1878,
No. 11B.; Mag. f. d. Lit. des Ausl. 1878, No. 14. 15. — Für die Echtheit
des Actenstückes sprechen sich aus: Friedlein, Jahrb. f. math. Unterr. 1,333;
Zts. f. Math. 1872, L.-Z. S. 41. 112; Berti in einem Sendschreiben an K. v.
Gebier in dem Buche II Processo etc. p. 155, und N. Antol. 1877, Vol. IV, I;
A. Wolynski, Riv. Internazionale 1876, No. 15, und Nuovi Documenti p.
36. 65; H. de l'Epinois, La question p. 224; ferner Gilbert, Grisar, Schnee-
mann u. s. w. — K. v. Gebier hat Wohlwill zugestimmt in dem Buche
„Galileo Galilei" S. 193 und in einer Erwiederung auf Berti's Sendschreiben
in der N. Antol. 1876, Vol. III, 48. Er hat diese Zustimmung zurückgezogen
und die Echtheit des Actenstückes begründet in den „Acten" S. XXI und
Allg. Ztg. 1878, No. 56. 57 B. 58 B. Er nimmt aber an, der Notar der
Inquisition, der das Actenstück am 26. Febr. 1616 geschrieben, habe etwas
berichtet, was nicht geschehen sei.
2) So in dem oben erwähnten autographirten Aufsatze S. I. 6. 9.
Scartazzini (Riv. Eur. IV, 858; Mag. f. Lit. des Ausl. 1878, No. 14) meint,
das Blatt, worauf die echte Aufzeichnung über den Vorgang vom 26. Februar
gestanden, sei weggeschnitten worden.
132 Die Aufzeichnung vom 26. Febr. 1616.
Ueber die Ansicht, die Inquisition habe sich im J. 1633
bei der Verurtheilung Galilei's wesentlich auf das Actenstück
vom 26. Febr. 16 16, wie es jetzt in den Acten steht, gestützt,
und über die mit dieser Ansicht zusammenhangenden Argu-
mente für die Annahme einer Fälschung wird später zu
reden sein. Hier beschränke ich mich auf die Prüfung eini-
ger anderen Argumente.
1. Was die äussere Beschaffenheit des Actenstücks
betrifft, so bezeugen die drei Gelehrten, welche in neuester
Zeit die Vaticanischen Acten in Händen gehabt, Berti, de l'Epi-
nois und Gebier, dass sie die Annahme einer Fälschung
desselben in keiner Weise bestätige, und Gebier hat auch
den Versuchen von Wohlwill1), Cantor2) und Scartazzini f{)
gegenüber, aus der Beschaffenheit der Schrift und der An-
ordnung der einzelnen Blätter des Actenfascikels das Gegen-
theil zu erweisen, als misslungen nachzuweisen versucht4).
Auf die Einzelheiten einzugehen, würde hier zu weit führen.
So lange nicht auf Grund einer nochmaligen Untersuchung
der Papiere das Gegentheil erwiesen wird, wird man das
Zeugniss derjenigen, welche dieselben untersucht haben,
gelten lassen dürfen.
2. Zu Zweifeln an der Echtheit des fraglichen Acten-
stücks hat zunächst die eigenthümliche Form desselben Anlass
gegeben5). Es ist kein eigentliches Protocoll; ein solches
würde von Galilei, dem Notar und den Zeugen unterschrieben
sein6). Die früher von mir7) geäusserte Vermuthung, es sei
1) In dem oben erwähnten autographirten Aufsatze; vgl. G. G. A.
1878, 657.
2) Gegenwart 1877, No. 44. 45; vgl. Allg. Ztg. 1878, No. 15 B. 26 B.
3) Riv. Eur. 1877, IV, 854. Allg. Ztg. 1878, No. 11 B., vgl. 22 B.
4) Allg. Ztg. 1878, No. 56. 57 B. 58 B. Vgl. Wolynski, Nuovi docu-
menti p. 78.
5) "Wohlwill, Inquisitionsprocess S. 72.
6) Die Unterschrift der Zeugen wäre nach dem Stil der Inquisition
wohl nicht gerade nöthig gewesen. Im Sacro Arsenale p. 36 wird folgende
Formel angegeben: Actum per me N. de-N. Notarium Sancti Officii anno,
die, loco et coram, ut supra, und beigefügt: wenn Zeugen zugegen gewesen,
sei hinzuzufügen: praesentibus pro testibus vocatis etc. N. de N. et N. de N.
7) Th. Lit.-Bl. 1873, 11; Hist. Zts. 34, 134. Dieser Vermuthung haben
S. Günther, Vierteljahrschr. der astron. Ges. II. Bd. 3. H., und Zöckler, Gesch.
der Beziehungen zw. Theol. und Naturwiss. I, 534, zugestimmt; Günther hat
aber seine Zustimmung später, Jahrb. f. math.Unterr. VIII, 251, zurückgenommen.
Die Aufzeichnung vom 26. Febr. 1616. 133
der Entwurf eines Protocolls, ist haltlos. Eher könnte man
es für eine Abschrift eines Protocolles halten, bei welcher
die Unterschriften weggelassen wären. Es scheint aber ein
förmliches Protocoll über den betreffenden Vorgang gar
nicht aufgenommen worden zu sein; wenigstens findet sich
ein solches nicht in den Acten der Inquisition, und wäre zur
Zeit des zweiten Processes, als man auf den Vorgang am
26. Febr. 161 6 Bezug nahm, ein förmliches Protocoll darüber
vorhanden gewesen, so würde dasselbe ohne Zweifel pro-
ducirt worden sein1). Die Aufzeichnung ist mit P. Grisar
S. 90 als eine „Registratur" zu bezeichnen2), als eine von
dem Notar der Inquisition gemachte und den Acten einver-
leibte amtliche Aufzeichnung. Solcher Registraturen finden
sich in den Vaticanischen Acten noch zwei, die der vor-
liegenden in der Form ganz ähnlich sind. Hinter dem Pro-
tocoll über das Verhör Galilei's am 30. April 1633 steht S.
85 eine Aufzeichnung, welche (abgekürzt) so lautet: „An
demselben Tage 30. April 1633 hat der Commissar Ga-
lilei im Auftrage des Papstes gestattet, in dem grossher-
zoglichen Palaste zu wohnen, nachdem Galilei eidlich ver-
sprochen, die ihm gegebenen Weisungen zu befolgen. So ge-
schehen zu Rom im Sitzungssaale des Palastes des h. Offi-
ciums in Gegenwart des Hochw. Herrn Thomas de Fede-
ricis aus Rom und des Franc. Ballestra von Offida, Kerker-
meisters dieses h. Officiums, als Zeugen u. s. w.". Und S.
115 steht folgende Registratur : „Samstag 2. Juli 1633. Der
Hochw. . . Commissar hat, während ich als Notar zugegen
war, Galilei das Decret Sr. Heiligkeit mitgetheilt, dass er
Rom verlassen könne, sich geraden Weges nach Siena be-
gaben solle . . . Allen und jeglichen Punkten hat er zu ge-
horchen versprochen. So geschehen zu Rom in dem Zimmer
des besagten Galilei in der Mediceischen Villa auf dem Monte
Pincio." Auch diese Registraturen sind ohne alle Unter-
schriften. Bemerkenswerth ist, dass, während das Sacro Ar-
senale die Unterschrift des Notars für alle Verhörsprotocolle
ausdrücklich vorschreibt, kein einziges der Verhöre Galilei's
1) Gebier, Acten S. XXVIII.
2) Galilei spricht Acten S. 89 von dem comandamento fattomi e
registrato.
134 ^e Aufzeichnung vom 26. Febr. 161 6.
von dem Notar unterschrieben ist !) : in Rom scheint also in
dieser Hinsicht eine andere Praxis als bei den anderen In-
quisitionstribunalen bestanden und ein von dem Notar eigen-
händig geschriebenes und zu den Acten genommenes Pro-
tocoll der Unterschrift des Notars nicht bedurft zu haben2).
Wenn Gebier3) darauf hinweist, als Galilei am 1. Oct.
1632 durch den Inquisitor zu Florenz der Befehl der Inqui-
sition, nach Rom zu kommen, intimirt worden sei, habe er
schriftlich bescheinigen müssen, dass er diese Weisung
erhalten und ihr nachkommen wolle, und nachdem er das
Zimmer verlassen, seien Notar und Zeugen, welche sich bis
dahin im Nebengemache versteckt gehalten, hinzugetreten
und hätten unter Galilei' s Unterschrift mit eigener Hand bestä-
tigt, dass sie zugegen gewesen, als jener „Obiges versprach,
schrieb und unterschrieb," — so bemerkt dagegen P. Grisar
S. 92 mit Recht: „Dieser Fall weist keine Analogie auf.
Die gedachte Citation geschah nicht durch einen Beamten
des Römischen Inquisitionstribunals, sondern durch einen
von diesem Gerichtshof deputirten Mandatar. Dass aber der
Act der Citation wirklich vorgenommen worden, das konnte
bei der Römischen Inquisition nicht durch Eintragung des-
selben in die Römischen Gerichtsacten constatirt werden;
dazu bedurfte es vielmehr eines an Ort und Stelle in aller
Form aufgenommenen Protocolls."
Die früher von mir4), neuestens von Gebier5) ausge-
sprochene Ansicht, die Aufzeichnung vom 26. Febr. 1616
sei zwar nicht eine Fälschung, aber ein Actenstück, welches
als juristisch werthlos bei dem zweiten Processe nicht hätte
als Beweisstück benutzt werden dürfen, ist nach dem Ge-
sagten unrichtig. Galilei selbst erhebt denn auch, als auf
das Schriftstück Bezug genommen wird, nicht die Einrede,
es sei nicht beweiskräftig, weil alle Unterschriften fehlten.
3. Wohlwill S. 75 findet einen Grund, die Echtheit des
Actenstücks zu bezweifeln, auch darin, dass an den beiden
1) Auch die Protocolle bei Gibbings, O'Farrihy p. 14 sind nicht von
dem Notar unterschrieben.
2) Die Protocolle über Verhöre in Florenz S. 40 sind von dem Pro-
tocollfiihrer unterschrieben.
3) Acten S. XXVII. 65.
4) Hist Zts. 34, 133. 5) Acten S. XXXII.
Die Aufzeichnung vom 26. Febr. 161 6. 135.
darin genannten Zeugen „alles auffallend sei: die Namen,
die Heimath, die Stellung oder vielmehr der Mangel einer
Stellung, die dem wichtigen Acte entspreche". Es lag aber
doch sehr nahe, Familiären des Cardinais, in dessen Woh-
nung der Act aufgenommen wurde, als Zeugen zu verwen-
den1); Männer von hervorragender Stellung dazu zu nehmen,
dazu war der Act nicht wichtig- genug. Dass die Namen
dieser Familiären des Cardinais sonst nicht erwähnt werden,
ist nicht auffallend. Dass einer aus Cypern war, ist aller-
dings merkwürdig; dass der andere aus der Diöcese Monte-
pulciano war, ist dagegen nichts weniger als auffallend:
Bellarmin war aus Montepulciano gebürtig und verwaltete
unter Paul V. einige Jahre dieses Bisthum für den abwe-
senden Bischof2).
4. „Es verstösst gegen die Praxis der Inquisition, dass
der Generalcommissar des h. Officiums mit Notar und Zeugen
sich in eine Privatwohnung begeben habe, um daselbst
Galilei einen officiellen, feierlichen, wichtigen Befehl zu er-
theilen. Hätte sich Galilei bei der Ermahnung des Cardi-
nais nicht beruhigt, so würde er ohne allen Zweifel in op-
tima forma gerichtlich vorgeladen worden sein." So Scar-
tazzini3). Wenn, wie wir oben No. 2 gesehen, der Commissar
mit dem Notar sich in die Villa Medici begab, um Galilei
eine amtliche Mittheilung zu machen, so konnte er sich noch
viel eher in die Wohnung eines Cardinais, der Mitglied der
Inquisition war, begeben (Zeugen brauchte er nicht mitzu-
bringen). Die Inquisition hätte „ohne Zweifel Galilei in op-
tima forma gerichtlich vorladen" können; Bellarmin hätte,
wenn Galilei sich bei seiner Ermahnung nicht beruhigte,
dieses dem Commissar anzeigen und diesem anheimgeben
können, nunmehr den ihm eventuell ertheilten Auftrag zu
erfüllen und zu diesem Behufe Galilei in das Inquisitions-
gebäude zu citiren. Aber wenn Bellarmin rücksichtsvoll
i) Wolynski S. 38 vermuthet, es seien der Secretär und der Cauda-
tario des Cardinais gewesen.
2) Eigenthümlich ist allerdings die Bezeichnung de loco abbatiae Ro-
sae (Wohlwill hatte noch die falsche, allerdings sehr wunderliche Lesart de
Loco abbatis Rottz), zumal eine Abbatia Rosa in der Diöcese Montepulciano
nicht bekannt ist (es gab eine Abtei Sancta Maria de Rosa oder Rosata in
der Diöcese Siena); Epinois, Les pieces p. 41.
3) Allg. Ztg. 1878, No 11 B.; vgl. Riv. Eur. IV, 845.
136 Die Aufzeichnung vom 26. Febr. 161 6.
gegen Galilei verfahren wollte, — und er wollte das ohne
Zweifel ebenso wohl wie der Papst und die Inquisition, —
so konnte er, ohne gegen die Praxis der Inquisition zu Ver-
stössen und ohne die einem so einflussreichen Cardinal und
Inquisitionsmitgliede zustehenden Befugnisse zu überschreiten,
gleichzeitig mit Galilei auch den Commissar mit seinem No-
tar zu sich bescheiden, um für den Fall, dass es nöthig sein
sollte, Galilei das Praeceptum zu ertheilen.
5. Das Hauptargument gegen die Echtheit der Auf-
zeichnung vom 26. Febr. ist dieses, dass sie in Widerspruch
stehe mit den anderen oben mitgetheilten, anerkannt echten
Actenstücken, zunächst mit der unmittelbar davor stehenden
Aufzeichnung über die Sitzung der Inquisition vom 25. Febr.
In dieser Sitzung war beschlossen, falls Galilei sich der Er-
mahnung des Cardinais nicht füge, solle der Commissar ihm
das Praeceptum ertheilen. In der fraglichen Aufzeichnung
wird zunächst angegeben, Bellarmin habe Galilei ermahnt,
dann, — ohne dass von einer Weigerung desselben zu gehor-
chen etwas gesagt wird, — successive ac incontinenti habe
der Commissar ihm den Befehl ertheilt. „Dieses successive
ac Incontinentia sagt Wohlwill S. 7, an der Stelle, wo man
Galilei's Gegenäusserung erwartet, sagt kaum etwas ande-
res als: »ohne ihm zur Antwort Zeit zu lassen«. Diese
Worte beseitigen, — man könnte glauben, mit absichts-
vollem Nachdruck, — die Vermuthung, es möge das Auf-
treten des Commissars durch eine Aeusserung Galilei's mo-
tivirt sein." Aehnlich Gebier (S. 98) und Andere.
Aber successive ac incofitinenti ist, wie sich aus den
Formularen des Sacro Arsenale ergibt, eine oft — und da-
rum hier jedenfalls nicht „mit absichtsvollem Nachdruck" —
gebrauchte Formel, die nicht „gleich darauf ohne Unter-
brechung" (Gebier, Cantor) oder „darauf folgend und so-
fort" (Wohlwill), sondern einfach „im Anschluss hieran"
(Grisar S. 93) bedeutet und nur den juristischen, nicht den
"ununterbrochenen chronologischen Zusammenhang zweier
Acte bezeichnet. Im Sacro Arsenale wird z. B. S. 1 79 pro-
tocollirt, wie zwei Angeklagte mit einander in der Folter-
kammer confrontirt werden und dann der eine weggeführt
wird; dann folgt: Et successive incontinenti fuit dictus B. in
tormentis existens interrogatus. Nach der Beendigung des
peinlichen Verhörs und der Abführung des B. wird das
Die Aufzeichnung vom 26. Febr. 161 6. 137
Protocoll über das Verhör des Andern eingeleitet mit Suc-
cessive incontinenti eductus de carceribus et personaliter con-
stitutus N. N. de quo supra fuit interrogatus u. s. w. S. 325
heisst es nach der Verlesung einer Sentenz : Successive et in-
continenti N. audito tenore dictae sententiae illique parere
volens . . . abiuravit, dann S. 327 nach der Abschwörung:
Successive et incontinenti N. supradictus . . . fuit ab solutus
ab excommunicatione1). Wenn der Notar also diesen Aus-
druck in der Aufzeichnung vom 26. Febr. 16 16 gebrauchte,
so ist damit nicht gesagt, dass der Commissar sein Praecep-
tum ertheilte, ohne Galilei Zeit zu lassen, auf die Ermah-
nung Bellarmins etwas zu erwiedern. Der Notar hatte über-
haupt kein förmliches Protocoll über die Verhandlungen in
der Wohnung des Cardinais aufzunehmen, sondern nur amt-
lich zu notiren, dass das, was die Inquisition angeordnet, ge-
schehen sei und dass sich die eventuell in Aussicht genommene
Einkerkerung Galilei's nicht als nöthig herausgestellt habe.
Auch wenn Galilei der Mahnung des Cardinals widersprach,
brauchte dieses nicht notirt zu werden ; da er sich dem Be-
fehle des Commissars fügte, hatte jene Weigerung keine
weiteren juristischen Folgen für Galilei, war namentlich seine
Einkerkerung nicht nöthig2). Allerdings lässt die Aufzeich-
nung aber, sofern sie berichtet, dass es nicht bei der Er-
mahnung Bellarmins geblieben, sondern auch der Commis-
sar sein Praeceptum ertheilt habe, voraussetzen, dass Galilei
sich jener Ermahnung nicht gefügt habe. Ob dieses so un-
wahrscheinlich ist, wie die Bestreiter der Echtheit der Auf-
zeichnung annehmen, wird unten erörtert werden.
i) In der Ausgabe des S. A. von Pasqualone S. 25 schliesst das
Protocoll über das Verhör eines Denuncianten mit Acta sunt haec per nie Cur-
tium Signanum, S. Officii Notarium. Dann folgt: Eadem die. Attentis su-
pradictis Dominus (der Inquisitor) decrevit et mandavit festes informatos
citani. S. 41 steht in einem ganz ähnlichen Falle: Acta sunt . . . Successive
Dominus decrevit etc., und S. 53 : Acta sunt . . . Successive et immediate
attentis supradictis Dominus decrevit. — S. 107 wird das Protocoll über
eine Anzeige eines Kirchendiebstahls mit* Acta sunt etc geschlossen; dann
folgt: Immediate attentis narr atis Dominus decrevit fieri accessum ad eccle-
siam . . . et ibi iuridice describi visum et repertum. Ita est ; Curtius Sig-
nanus, S. Off. Not.: dann wird mit Successive das Protocoll über die Unter-
suchung der Kirche eingeleitet, und darauf das in der Sacristei vorgenommene
Verhör eines Zeugen mit Incontinenti.
2) Grisar S. 93.
138 Die Aufzeichnung vom 26. Febr. 16 16.
6. Mit der Aufzeichnung über die Sitzung der Inqui-
sition vom 3. März (s. o. No. III) steht die Aufzeichnung
vom 26. Febr. in keinem Widerspruch; denn wenn es in
jener heisst: Bellarmin habe berichtet, Galilei sei „ermahnt"
worden, seine Meinung aufzugeben, und habe sich gefügt,
so schliesst diese kurze Notiz nicht aus, dass ausser dem
Cardinal selbst auch der Commissar Galilei ermahnt. Bel-
larmin wird in der Sitzung ausführlicher berichtet haben;
die von Gherardi veröffentlichten Aufzeichnungen über die
Sitzungen der Inquisition sind aber alle so lakonisch, dass
es gar nicht auffällt, wenn in dieser nichts mehr notirt ist,
als nöthig war, um zu constatiren, dass der Beschluss der
vorhergehenden Sitzung ausgeführt worden und ein weiteres
Vorgehen gegen Galilei nicht nöthig sei.
Wohlwill meint aber1), die Aufzeichnung vom 26. Febr.
stehe in Widerspruch mit dem Zeugniss des Cardinais Bel-
larmin vom 25. Mai (s. o. No. IV): nach diesem Zeugniss,
sagt er, „ist der Beschluss der Index- Congregation [genauer
gesagt: der Beschluss der Inquisition, welcher Später durch
das Index-Decret promulgirt wurde] Galilei persönlich mit-
getheilt worden, nichts weiter"; Bellarmin „leugnet darin
jeden Befehl, der über den Inhalt dieses Decretes hinaus-
geht", ja, „er leugnet implicite, dass nach ihm selbst der
Commissar zum Worte gekommen". — Das ist zu viel ge-
sagt. Der eigentliche Zweck des Zeugnisses ist, Galilei zu
bescheinigen, dass er nicht zur Abschwörung oder zu irgend
einer Busse oder dergleichen verurtheilt worden sei; wenn
der Cardinal beifügt: „sondern es ist ihm nur die Erklärung
des Papstes . . . amtlich mitgetheilt worden", so schliessen
diese Worte nicht, wie Wohlwill S. 78 meint, „imfilicite die
Behauptung ein, dass Niemand ausser ihm Galilei eine Wei-
sung ertheilt habe"; denn das „sondern nur" bildet einen
Gegensatz zu der behaupteten Abschwörung u. s. w„ n^cht
zu einer amtlichen Eröffnung durch einen Andern als Bellar-
min. Dieser sagt ja nicht: „sondern nur von mir ist ihm"
u. s. w. Seine Worte schltessen gar nicht einmal aus, dass
die amtliche Eröffnung nicht durch Bellarmin selbst, sondern
in dessen Auftrag oder Gegenwart durch einen Andern ge-
macht worden sei und dass sich Galilei einer Eröffnung
S. 18. 20. 22; vgl. 60. 61. 78.
Die Aufzeichnung vom 26. Febr. 1616. 139
dieses Letztern gefügt habe1). Das bekundet das Zeugniss
allerdings, dass die Mittheilung, welche Galilei gemacht
wurde, inhaltlich dem Index-Decrete entsprach, und dass
dieses der Fall war, werden wir unten sehen.
7. Wir haben über den Vorgang am 26. Febr. 16 16
ausser der Aufzeichnung des Notars nur noch Einen Bericht,
das, was Galilei in dem Verhör vom 12. April 1633, also 17
Jahre später, darüber aussagte2). Es ist im Wesentlichen
Folgendes. Er sagt zunächst: der Cardinal Bellarmin habe
ihm eröffnet, die Copernicanische Meinung dürfe hypothetisch
festgehalten werden, wie sie Copernicus selbst festgehalten
und wie der Cardinal gewusst, dass auch er (Galilei) sie
festhalte; absolut genommen dürfe sie nicht festgehalten
und vertheidigt werden, da sie, absolut genommen, der h.
Schrift widerspreche. Zur Bestätigung dieser Mittheilung
überreicht er das Zeugniss des Cardinals. Auf die Frage,
ob Jemand dabei zugegen gewesen, als ihm der Cardinal
diese Eröffnung gemacht, antwortet er: ja, einige Domini-
caner, die er nicht gekannt habe. Auf die weitere Frage,
ob ihm von diesen Dominicanern oder von irgend einem.
Andern irgend ein Befehl (praeceptiaii) bezüglich der Coper-
nicanischen Lehre ertheilt worden sei, antwortet er: „Ich
erinnere mich, dass die Sache so zugegangen ist: Eines
Morgens Hess mich der Cardinal Bellarmin rufen und sagte
mir etwas (im certo particolare), was ich nicht gern Jemand
anders als dem Papste mittheilen möchte3); schliesslich aber
sagte er mir, die Meinung des Copernicus könne als der
h. Schrift widersprechend nicht für wahr gehalten oder ver-
theidigt werden. Ich erinnere mich nicht, ob jene Domini-
caner von Anfang an zugegen waren oder später hinzu-
kamen, auch nicht, ob sie zugegen waren, als mir der Car-
dinal jenes sagte. Es kann sein, dass mir irgend ein Befehl
ertheilt worden ist, ich sollte jene Meinung nicht für wahr
halten oder vertheidigen; aber ich erinnere mich dessen
nicht mehr, da es schon mehrere Jahre her ist." Der Com-
missar sagt darauf, er könne ihm ein Schriftstück vorlesen,
i) Vgl. Th. Lit.-Bl. 1873, 10. Grisar S. 97. 2) Acten S. 77.
3) Was damit gemeint ist, ist nicht zu ermitteln. Berti, Copernico
p. 12, meint: Aeusserungen Bellarmins, wie wir sie aus seinem Briefe an
Foscarini kennen.
140 Die Aufzeichnung vom 26. Febr. 1616.
worin der ihm damals vor Zeugen ertheilte Befehl aufge-
zeichnet sei. Galilei antwortet: „Ich erinnere mich nicht,
dass mir jener Befehl von einem Andern als dem Cardinal
Bellarmin mündlich ertheilt worden ist" u. s. w. — Galilei's
Aussagen in diesem Verhör sind, wie wir später sehen wer-
den, wenigstens bezüglich eines andern Punktes nicht auf-
richtig; es ist auch sehr erklärlich, wenn ihm imj. 1633 die
Vorgänge vom 26. Febr. 161 6 nicht mehr vollständig erinner-
lich waren; indess macht es doch die angeführte Aussage
wenigstens sehr unwahrscheinlich, dass ihm in aller Form
vor Notar und Zeugen durch den Commissar der Inquisition
ein Praeceptum ertheilt worden sei. Wäre das geschehen,
so würde er sich dessen wohl noch erinnert und dann auch
wohl nicht eidlich ausgesagt haben, er erinnere sich dessen
nicht mehr. In dieser Beziehung wird also Galilei's Aussage
noch zu berücksichtigen sein. Weniger Gewicht ist auf
einen andern Punkt zu legen, den Scartazzini l) und
Andere hervorheben: es sei nicht denkbar, dass Galilei den
Commissar der Inquisition nicht persönlich gekannt haben
sollte. Galilei konnte recht gut ,,seit drei Monaten in Rom
weilen und mit den hohen Würdenträgern der Kirche ver-
kehren", ohne mit dem Commissar der Inquisition zusammen-
zutreffen, und darum kann die Aussage, er habe die im
Saale Bellarmins anwesenden Dominicaner nicht gekannt
und zuvor nicht gesehen, richtig sein. Bellarmin wird ihm
aber den Commissar vorgestellt oder dieser wird sich zu
erkennen gegeben haben, ehe er Galilei das Praeceptum er-
theilte. Die Frage, ob er nicht erfahren habe, dass unter
jenen Dominicanern der Commissar der Inquisition sei, wird
nun allerdings Galilei gar nicht vorgelegt; aber das bleibt
auffallend, dass er sagt, er erinnere sich nicht, dass ihm
ein Anderer als der Cardinal einen Befehl ertheilt habe.
7. Wohlwill2) hält es für undenkbar, dass Galilei sich
geweigert haben sollte, der Mahnung Bellarmins zu gehor-
chen, und erklärt darauf gestützt den Bericht über das nur
für den Fall der Weigerung vorgeschriebene Auftreten des
Commissars für unwahr. P. Grisar S. 88. 94 schliesst um-
gekehrt aus dem Berichte über das Auftreten des Commis-
1) Unsere Zeit 1877, II, 446; Riv. Eur. IV, 852.
2) Der Inquisitionsprocess S. 7; vgl. Zts. f. Math. 1872, 12. 82.
Die Aufzeichnung vom 26. Febr. 1616. 141
sars, dass Galilei die Mahnung des Cardinais mit Weige-
rung beantwortet hatte. Dass Galilei sich geradezu ge-
weigert haben sollte, einer förmlichen Entscheidung der
höchsten kirchlichen Behörde sich zu unterwerfen, ist aller-
dings nicht anzunehmen; es ist aber wohl denkbar, dass
ihm am 26. Febr. von dieser Entscheidung zuerst in einer
Form Mittheilung gemacht worden ist, welche Einreden von
seiner Seite nicht ausschloss. Dass Bellarmin über den ihm
am 25. Febr. ertheilten Auftrag hinausgegangen und Gali-
lei, obgleich er sich nicht weigerte der Mahnung zu gehor-
chen, durch den Commissar ein förmliches Praeceptum habe
ertheilen lassen, ist zwar nicht undenkbar, aber nicht wahr-
scheinlich. Folgende Bemerkungen scheinen mir geeignet,
einen grossen Theil der Bedenken gegen die Aufzeichnung
vom 26. Febr. zu beseitigen.
Nach allem, was wir wissen, hat man im J. 16 16 in
Rom zwar die Copernicanische Theorie mit aller Entschie-
denheit verwerfen, aber gegen Galilei persönlich in der
That, wie es in der Sentenz vom J. 1633 heisst, ,, milde
verfahren wollen". Auch Bellarmin, ohne Zweifel das ein-
flussreichste Mitglied der Inquisition, war ein entschiedener
Anticopernicaner, aber kein persönlicher Feind Galilei's. Die
Inquisition hat, wie wir gesehen, nachdem sie die Verdam-
mung der Copernicanischen Theorie beschlossen, von der
Weiterführung des gegen Galilei persönlich eingeleiteten
Processes Abstand genommen und sich darauf beschränkt,
das zu thun, was sie auf ihrem Standpunkte als unerlässlich
ansehen musste, nämlich Galilei jene Verdammung zur
Kenntniss zu bringen und von ihm das Versprechen zu ver-
langen, die verdammte Ansicht aufzugeben und nicht mehr
zu lehren oder zu vertheidigen. Auch diese Massregel gegen
Galilei wollte man, wie der Beschluss vom 25. Febr. zeigt,
mit aller nur möglichen Milde ausführen: zunächst in der
Form einer Mahnung, nur eventuell in der Form eines förm-
lichen Praeceptums; nur für den, gewiss als ganz unwahr-
scheinlich angesehenen Fall einer Widersetzlichkeit Galilei's
gegen das Praeceptum war seine Einkerkerung als Einleitung
zur Fortführung des Processes in Aussicht genommen.
Bellarmin, dem die Ausführung dieses Beschlusses
aufgetragen wurde, wollte gewiss nicht unnöthiger Weise
verletzen; es musste ihm aber auf der andern Seite auch
I42 Die Aufzeichnung vom 26. Febr. 1616.
daran liegen, Galilei zu bewegen, fortan die Copernicanische
Lehre nicht mehr zu vertreten, und zugleich musste er, gerade
wenn er gegen Galilei schonend verfuhr, darauf Werth legen,
dass die wirkliche Ausführung seines Auftrags constatirt
wurde. Nimmt man zu den Actenstücken das hinzu, was
Galilei in dem Verhöre vom 12. April 1633 über den Vor-
gang aussagt, so wird man, glaube ich, folgende Darstel-
lung desselben glaublich finden:
Bellarmin hatte ausser Galilei auch den Commissar der
Inquisition und dessen Notar zu sich beschieden, ohne Galilei
zu sagen, dass diese in ihrer amtlichen Eigenschaft zugegen
waren. Ausserdem waren einige Familiären des Cardinais
und einige Dominicaner in dem Saale anwesend. Der Car-
dinal theilte nun Galilei zunächst, vielleicht unter Bezugnahme
auf frühere Unterredungen, gesprächsweise mit, dass die
Inquisition wirklich, wie er vorhergesagt, die Copernicanische
Theorie für falsch und schriftwidrig erklärt und beschlossen
habe, die Schrift Foscarini's auf den Index zu setzen und
das Werk des Copernicus zu corrigiren. Er fügte bei, dass
gegen Galilei persönlich, obschon er als Anhänger jener
Theorie verdächtigt worden, nichts geschehen solle, dass
man aber von ihm erwarte, er werde sich der Entscheidung-
der kirchlichen Autorität willig fügen und fortan die Theorie
als falsch ansehen und in keiner Weise mehr vertheidigen.
Galilei wird nicht direct widersprochen oder erklärt haben,
er werde sich nicht fügen; aber er mag Bedenken und Ein-
wendungen ausgesprochen haben. So war keiner der beiden
Fälle eingetreten, welche der Beschluss vom 25. Febr. in
Aussicht genommen hatte: Galilei hatte sich nicht geweigert,
aber auch nicht versprochen, der Mahnung zu gehorchen.
Unter diesen Umständen mag Bellarmin es für zweckmäs-
sig und sich für berechtigt gehalten haben, von einem in
aller Form durch den Commissar zu ertheilenden Praeceptum
noch abzusehen und einen Mittelweg einzuschlagen. Er mag
den Commissar ins Gespräch gezogen und ihn in bestimmteren
Ausdrücken haben bestätigen lassen, dass die Inquisition
jenen Beschluss gefasst und dass sie von Massregeln gegen
Galilei nur in der Erwartung, er werde sich dem Beschlüsse
fügen, Abstand genommen habe, dass also Galilei, wenn er
weiteren Unannehmlichkeiten entgehen, wenn er nicht von
der Inquisition als Angeklagter citirt und in dem Inquisitions-
Die Aufzeichnung vom 26. Febr. 1616. I43
gebäude in Haft gesetzt werden wolle, nichts anderes übrig
bleibe, als zu versprechen, dass er die verdammte Ansicht
in keiner Weise mehr festhalten, lehren oder vertheidig-en
wolle. Dieses Versprechen hat Galilei dann abgegeben.
Dass der Notar der Inquisition mit Zeugen zugegen sei, um
von dem Vorgange amtlich Act zu nehmen, wird man Galilei
nicht gesagt haben; die „Registratur" wird erst nach Galilei's
Entfernung niedergeschrieben worden sein, ganz ähnlich wie
in dem oben (S. 134) angeführten Falle zu Florenz Notar und
Zeugen ohne Galilei's Vorwissen fungirten.
Wenn sich die Sache so zugetragen, so konnte Bellar-
min, ohne direct die Wahrheit zu verletzen, — etwas Zwei-
deutigkeit und Hinterlist wird man bei einem Jesuiten, auch
bei Bellarmin nicht auffallend finden dürfen '), — einerseits die
Registratur vom 26. aufnehmen lassen, anderseits der In-
quisition am 3. März berichten, wie er berichtet hat, und am
25. Mai Galilei das Zeugniss ausstellen, welches er ihm aus-
stellte. Wenn sich die Sache so zugetragen, so ist es auch
ganz erklärlich, dass Galilei sich 1 7 Jahre später nicht mehr
davon zu erinnern wusste, als er bei seinem oben erwähn-
ten Verhöre aussagte.
Aehnlich denkt sich Wolynski S. 38. 67 8) den Verlauf
der Sache; nur meint er, Bellarmin habe durch den Com-
missar seine Mittheilung bestätigen lassen, ohne dass Galilei
irgendwie widersprochen und ohne diesem den Commissar
als solchen vorzustellen, und der Notar habe nachher, ohne
dazu beauftragt zu sein, einen Bericht über den Vorgang
1) Die mit einer Bulle Sixtus' V. 1590 veröffentlichte Ausgabe der
Vulgata entsprach nicht den Vorschlägen, welche die mit der Revision der
Vulgata beauftragte Commission gemacht hatte. Bellarmin, ein hervorragen-
des Mitglied der Commission, bestimmte Gregor XIV., die Verbreitung jener
Ausgabe zu sistiren und eine neue Ausgabe ausarbeiten zu lassen. Diese
erschien 1592 unter Clemens VIII. mit einer von Bellarmin verfassten Vor-
rede. Bellarmin rühmt sich, er habe dem Papste gerathen, um nicht Sixtus
V. zu prostituiren, die neue Ausgabe unter dessen Namen erscheinen zu
lassen und in der Vorrede zu sagen, — woran kein wahres Wort war, —
Sixtus V. habe wegen der Druckfehler, die sich in die im J. 1590 vollen-
dete Ausgabe eingeschlichen, die Veranstaltung einer neuen Ausgabe ange-
ordnet. L. van Ess, Gesch. der Vulgata S. 291.
2) Sein Aufsatz in der Rivista Internazionale 1876, No. 15. 16 ist
mir nur aus der Notiz in Uns. Zeit I, 503 bekannt.
144 Bedeutung der Verwarnung Galilei's.
in die Acten geschrieben, der also eigentlich keine recht-
liche Bedeutung haben würde. Namentlich letzteres ist nach
dem oben Gesagten unwahrscheinlich.
Bei den Erörterungen über die Echtheit der Aufzeich-
nung vom 26. Febr. 161 6 kommt, wie oben (S. 130) angedeutet
wurde, auch der Inhalt der damals Galilei ertheilten Ver-
warnung in Betracht, — ein Punkt, der, wie wir sehen werden,
auch noch in anderer Beziehung von Wichtigkeit ist.
Nach dem Beschlüsse vom 25. Febr. sollte Bellarmin
Galilei ermahnen, die Copernicanische Meinung „aufzugeben",
eventuell der Commissar ihm befehlen, „jene Meinung durch-
aus nicht mehr zu lehren oder zu vertheidigen oder zu er-
örtern" (ut omnino abstineat . . . docere aut def ender e seu de
ea tractare). Nach dem Berichte Bellarmins in der Sitzung
vom 3. März wurde Galilei ermahnt „jene Meinung aufzu-
geben", nach dem Zeugnisse vom 26. Mai wurde ihm eröff-
net, jene Meinung „sei der h. Schrift zuwider und dürfe
darum nicht vertheidigt oder für wahr gehalten werden"
(non si possa difendere ne tenere). Nach der Aufzeichnung
vom 26. Febr. belehrte Bellarmin Galilei „über daslrrthümliche
jener Meinung und ermahnte ihn, dieselbe aufzugeben" ; der
Commissar aber befahl ihm, „die Meinung ganz aufzugeben
und fortan in keiner Weise mehr für wahr zu halten, zu
lehren oder zu vertheidigen in Wort oder Schrift" (nee eam
de cetero quovis modo teneat, doceat aut defendat, verbo aut
scriptis).
Der Befehl, den der Commissar nach der Aufzeichnung
vom 26. Febr. Galilei ertheilt hat, stimmt also nicht wörtlich mit
dem über ein, den er ihm nach dem Beschlüsse vom 25. er-
theilen sollte : es sind die Ausdrücke quovis modo tenere und
verbo aut scriptis beigefügt, und anderseits ist der Ausdruck
seu de ea tractare weggelassen. Die Beifügung jener Aus-
drücke — Näheres über sie s. u. — ist nun offenbar keine
so bedeutende Aenderung, wie die Weglassung des seu de ea
tractare-, dieser Ausdruck kann wenigstens als ein Verbot nicht
bloss desDocirens und Vertheidigens, sondern auch jeder Be-
sprechung der Copernicanischen Theorie verstanden werden,
und der Befehl, den der Commissar ertheilte, scheint insofern
weniger weitgehend zu sein als der, den er ertheilen sollte.
Diese Differenz zwischen der Aufzeichnung vom 25. und der
Bedeutung der Verwarnung Galilei's. 145
vom 26. Februar scheint mir ein sehr starker, ja entschei-
dender Grund gegen die Annahme einer Fälschung der letz-
tern zu sein. Wenn Jemand im J. 1632 diese Zeilen in die
Acten hineingeschrieben hat, um ein Schriftstück zu fabri-
ciren, welches gegen Galilei benutzt werden könnte, warum
hat er sich nicht genau an die Ausdrücke gehalten, welche
in dem unmittelbar über seiner Fälschung stehenden echten
Actenstücke standen, und warum hat er es namentlich unter-
lassen, den Ausdruck de ea tractare aus dem echten Acten-
stücke herüberzunehmen, den man am allerbequemsten be-
nutzen konnte, um die Anklage gegen Galilei zu begründen,
er habe durch die Veröffentlichung seines Dialoges über
das Ptolemäische und das Copernicanische System das Ver-
bot übertreten, welches ihm im J. 16 16 ertheilt worden,
überhaupt nicht mehr über das Copernicanische System zu
schreiben?
Diese Differenz spricht auch entschieden gegen die
Vermuthung von Gebier1), der Notar der Inquisition habe
am 26. Febr. 1616 die Verwarnung Galilei's durch den Com-
missar einregistrirt, obschon sie nicht stattgefunden, ent-
weder weil er dieses als eine „Formalität" angesehen oder
weil man schon damals eine Waffe habe schmieden wollen,
die man später gegen Galilei gebrauchen könne. In dem
einen und dem andern Falle würde sich der Notar an den
Wortlaut der ihm vorliegenden, ja von ihm selbst geschrie-
benen Aufzeichnung vom vorhergehenden Tage gehalten
haben. Die letztere Vermuthung Geblers ist übrigens augen-
scheinlich haltlos: im J. 1616 hat man schwerlich auch nur
daran gedacht, dass Galilei noch einmal mit der Inquisition
in Conflict kommen werde, geschweige denn, dass man dann
diese Registratur gegen ihn werde gebrauchen können2).
Die Differenz zwischen dem, was der Commissar nach
dem Beschlüsse vom 25. Febr. thun sollte, und dem, was
er nach der Aufzeichnung vom 26. gethan hat, benutzt P.
Schneemann S. 396 zu einer neuen, der meinigen einiger-
massen ähnlichen, aber doch wesentlich von ihr verschiedenen
Vermuthung über den Vorgang am 26. Februar. Er meint,
am 25. sei angeordnet worden, wenn Galilei der Ermahnung
, 1) Acten S. XXXI.
2) Vgl. Wohlwill, G. G. A. 1878, St. 21, S. 655.
Reusch, Galilei. IO
146 Bedeutung der Verwarnung Galilei's.
Bellarmins nicht gehorchen wolle, solle der Commissar ihm
vollständiges Schweigen über die Copernicanische Lehre
auflegen; Galilei habe am 26. sich nicht geweigert, der
Mahnung zu gehorchen, darum sei der Commissar nicht in
die Lage gekommen, den fraglichen Auftrag auszuführen;
Bellarmin habe nur, was durch den Beschluss vom 25. aller-
dings nicht angeordnet, aber auch nicht ausgeschlossen ge-
wesen sei, dasselbe, wozu er in freundschaftlicher Weise
Galilei ermahnt, ihm durch den Commissar auch noch be-
fehlen lassen. Es ist aber doch sehr unwahrscheinlich, dass
Bellarmin, wenn Galilei seiner Ermahnung zu gehorchen
versprach, sich für berechtigt und es für zweckmässig ge-
halten haben sollte, den Commissar wenigstens in ähnlicher
Weise auftreten zu lassen, wie es für den Fall des Unge-
horsams angeordnet war 1). Ich halte aber auch Schneemanns
Deutung des Ausdrucks tractare nicht für richtig.
Wenn der Commissar Galilei verbieten sollte, die Co-
pernicanische Theorie zu lehren oder zu vertheidigen seu de
ea tractare, so kann das allerdings an sich bedeuten, er
solle ihm jede Erörterung über die Theorie verbieten, also
„vollständiges Stillschweigen in Betreff dieses Gegenstandes
vorschreiben". Wenn aber Schneemann sich zu Gunsten
dieser Deutung darauf beruft, dass nach dem zweiten Pro-
cesse Galilei „untersagt worden sei, über den Gegenstand
zu handeln, und dass ihm hierdurch völliges Stillschweigen
über besagte Materie aufgelegt werde", so beweist dieses
Argument das Gegentheil. Die Inquisition gebraucht, um
nach dem zweiten Processe Galilei völliges Stillschweigen
über die Copernicanische Lehre aufzulegen, den Ausdruck:
ne de cetero scripto vel verbo tractet amplius quovis modo
de mobilitate terrae nee de stabilitate solis et e contra2). In
der Verbindung ut omnino abstineat huüismodi doctrtnam et
opinionem docere aut def ender e seu de ea tractare kann der
letztere Ausdruck auch als ein Synonymum von docere aut
defendere aufgefasst werden, so dass damit „nur in pleona-
stischer Weise die Enthaltung von einer Behandlung des
Copernicanischen Systems als eines irgendwie begründeten
oder wahren gemeint ist" (Grisar S. 603). In diesem Sinne
wird der Ausdruck z. B. gebraucht, wenn in dem Urtheile
) Vgl. Grisar S. 602. 2) Gherardi No. XIII.
Bedeutung der Verwarnung Galilei's. 147
vom 22. Juni 1633 von dem Index-Decrete, welches omnes
libros idem (die Copernicanische Theorie) docentes verbietet,
gesagt wird, es seien darin verboten i libri che trattano di
tat dottrtna, und wenn gesagt wird, auch wenn Galilei nur
von Bellarmin erklärt worden wäre, die Copernicanische
Lehre sei schriftwidrig, habe er nicht dürfen trattarne, dif en-
der ta et per suader la probabtie1).
Wie es sich aber auch um die Bedeutung des Ausdrucks
tractare verhalten mag, in dem Praeceptum, welches der Com-
missar nach der Aufzeichnung vom 26. Febr. Galilei ertheilte,
wurde nicht dieser Ausdruck gebraucht, sondern der Aus-
druck, Galilei solle fortan nicht die Copernicanische Ansicht
quovis modolenere, docere autdef ender e, verbo aut scriptis. Auch
diese Ausdrücke sind von Wohlwill und Anderen so gedeutet
worden, als ob darin Galilei absolutes Schweigen über die
Copernicanische Theorie auferlegt worden sei2). Auf diese
Auffassung der Worte gestützt, hat man dann gesagt: nach
dem Zeugnisse des Cardinais Bellarmin ist Galilei am 26. Febr.
nur der später durch das Index-Decret promulgirte Beschluss,
dass die Copernicanische Ansicht als der Bibel widersprechend
nicht vertheidigt oder für wahr gehalten werden dürfe, zur
Danachachtung mitgetheilt worden; also kann die Angabe
der Aufzeichnung vom 26. Febr. nicht wahr (und darum diese
Aufzeichnung nicht echt) sein, dass Galilei ein über jenes
Index-Decret weit hinausgehender Befehl ertheilt worden sei,
ein Befehl, welcher, — während Anderen wenigstens noch
die hypothetische Behandlung der Copernicanischen Lehre
gestattet blieb, — Galilei „jede Weise der Erörterung der-
selben, auch die Hypothese (nach Scartazzini sogar die Be-
kämpfung derselben) eingeschlossen, untersagte" und ihn „zu
völligem Verstummen (über jene Lehre) verurtheilte" (Wohl-
will S. 13. 25). •
Von den Erörterungen über die Tragweite des frag-
1) IX, 467. 469. Auch in dem Actenstücke Acten S. 5 heisst es von
dem Index-Decrete, es sei darin verboten gener almente ogni Ubro che tratta
di detta opinione.
2) Wohlwill, Inquisitionsprocess S. 13, vgl. 8. 25. Gebier, Acten S.
XXV. Scartazzini, Unsere Zeit 1877,1,505. Riv. Eur. 1877, IV, 851. Cantor,
Gegenwart 1877, No. 44, S. 284. Auch Bouix p. 114, und Pieralisi, Urbano
VIII. p. 62.
148 Bedeutung der Verwarnung Galilei's.
liehen Praeceptums bei Gelegenheit des zweiten Processes
wird später die Rede sein. Die Worte desselben für sich
und in ihrem Zusammenhange betrachtet, nöthigen in keiner
Weise zu einer so weit gehenden Deutung. Jedenfalls ist
Galilei (nach dem Zeugnisse des Cardinais Bellarmin) ver-
boten worden, die Copernicanische Ansicht für wahr zu
halten oder zu vertheidigen. Wenn der Commissar zu teuere
et defendere noch docere hinzugefügt hat, so ist das augen-
scheinlich keine Verschärfung. Was aber den andern Zusatz
quovis modo betrifft, so ist derselbe zunächst nicht dem
Worte docere, sondern dem ganzen Ausdrucke teuere, do-
cere aut defendere vorausgeschickt, und zweitens findet er
seine natürliche Erklärung in dem beigefügten verbo aut
scriptis.
.Bei seinem Verhöre am 12. April 1633 und in seiner
am 10. Mai eingereichten Verteidigungsschrift l) erklärt
Galilei, er erinnere sich nicht, dass in dem ihm im Februar
161 6 ertheilten Befehle ausser den Ausdrücken teuere und
defendere auch die Ausdrücke quovis modo und docere vor-
gekommen seien; er fügt aber bei, — und das ist durchaus
glaublich, — er habe den Wortlaut der ihm am 26. Febr.
ertheilten Weisung darum nicht im Gedächtniss behalten,
weil er das Zeugniss des Cardinais Bellarmin als eine authen-
tische Urkunde über jene Weisung angesehen und darum
angenommen habe, es sei ihm persönlich keine andere Wei-
sung ertheilt worden, als sie in dem Index-Decrete für alle
Katholiken enthalten sei. Mit dem Wortlaute des Praecep-
tums steht, wie gesagt, diese Auffassung auch nicht in
Widerspruch.
Wenn diese Deutung des Praeceptums zulässig ist, so
wird ein weiteres von Scartazzini2) und Anderen stark
hervorgehobenes Argument £fegen die Echtheit der Auf-
zeichnung vom 26. Febr. 161 6 hinfallig. Dieses Argument
ist folgendes : Die Briefe und die schriftstellerischen Arbeiten
Galilei's aus den ersten Jahren nach 161 6 lassen die An-
nahme nicht zu, dass ihm absolutes Schweigen über die
Copernicanische Theorie aufgelegt worden sei; also ist ihm
1) Acten S. 80. 88.
2) Riv. Eur. IV, 848. Vgl. Gebier, Acten S. XXV. Riccardi p. 14.
Zeller, D. Rundschau 1877, I, 76.
Bedeutung der Verwarnung Galilei's. 149
das fragliche Praeceptum von dem Commissar nicht ertheilt
worden. Im J. 1625 wurde, wie wir sehen werden, Galilei's
Saggiatore, in welchem an einigen Stellen von der Coper-
nicanischen Theorie die Rede ist, bei der Inquisition denun-
cirt, der Denunciation aber keine Folge gegeben; hätten
die Denuncianten das Praeceptum gekannt, so würden sie
sich darauf berufen, und hätten die Mitglieder der Inquisi-
tion es gekannt, so würden sie die Denunciation nicht igno-
rirt haben; also existirte die Aufzeichnung vom 26. Febr.
im J. 1625 noch nicht. Für den Saggiatore wurde im J.
1623 zu Rom, für den Dialog 1632 zu Rom und Florenz die
Druck-'Erlaubniss ertheilt; das wäre nicht geschehen, wenn
die Censoren das Praeceptum gekannt hätten ; also existirte
die Aufzeichnung vom 26. Febr. im J. 1632 noch nicht1). —
Zunächst kann nach dem Gesagten mit gleichem Rechte
gefolgert werden : also wurde das in der Aufzeichnung vom
26. Febr. registrirte Praeceptum von denjenigen, die es
kannten, nicht als ein absolutes Verbot aufgefasst. Damit
verliert das Argument seine Beweiskraft. Scartazzini hätte
aber auch so argumentiren können: Wenn im J. 161 6 Galilei
jede Besprechung der Copernicanischen Lehre verboten
worden wäre, so würde dieses Verbot, — wie das im J.
1633 wirklich geschah, — auch wenigstens dem Magister
Sacri Palatii, dem Römischen Büchercensor, und dem In-
quisitor zu Florenz mit der Weisung zur Kenntniss gebracht
worden sein, für kein Buch, worin Galilei die Copernicani-
sche Lehre berühre, die Druck-Erlaubniss zu ertheilen; das
ist offenbar nicht geschehen; also ist Galilei im J. 16 16 ein
solches Verbot nicht ertheilt worden; also, so würde Scar-
tazzini — nach dem Gesagten mit Unrecht — folgern, ist
die Aufzeichnung vom 26. Febr. unecht; also, so darf mit
Recht gefolgert werden, ist das in dieser Aufzeichnung
registrirte Praeceptum nicht ein absolutes, nicht ein über
das Index-Decret inhaltlich hinausgehendes Verbot gewesen.
In Einer Beziehung, — so weit hat Wohlwill S. 1 8 Recht,
— hat die Inquisition im J. 1616 gegen Galilei eine specielle
Massregel ergriffen, eine Massregel, die ihm in einem ge-
1) Gebier folgert in seiner zweiten Schrift (s.o. S. 131, Anm. 1): also
sagt die Aufzeichnung vom 26. Febr., sofern sie von einem Praeceptum des
Commissars spricht, die Unwahrheit.
I 50 Bedeutung der Verwarnung Galilei's.
wissen Sinne „eine Ausnahmestellung" anwies. Durch das
von ihr veranlasste und bestätigte Index-Decret wurde die
Verurtheilung der Copernicanischen Theorie zur allgemeinen
Kenntniss gebracht; Galilei wurde diese Verurtheilung spe-
ciell notiiicirt und ihm das Versprechen abgenommen, die-
selbe respectiren, also die Copernicanische Ansicht aufgeben
und nicht mehr vortragen zu wollen. „Wenngleich er also,
sagt Grisar S. 102 ganz richtig, hinsichtlich der Ausdeh-
nung der ihm gesetzten Schranken den übrigen Gläubigen,
die dem Index-Verbote zu gehorchen hatten, gleichstand, so
war doch seiner Person im Besondern, — und die Sen-
tenz [vom 22. Juni 1633] hebt dieses ausdrücklich hervor,
— die Verwerflichkeit der Lehre »declarirt« und das Ver-
bot derselben »intimirt« worden."
Zur Motivirung dieser speciellen Verwarnung Galilei's
braucht aber nicht mit Grjseir S. 87 angenommen zu wer-
den, dass der Plan Galilei's, ein umfassendes Werk über das
Weltsystem zu schreiben, in den hohen kirchlichen Kreisen
bekannt geworden, — er war doch wohl nur erst Wenigen
bekannt, — und dass die Inquisition der Ausführung dieses
Planes habe zuvorkommen wollen. Die Inquisition war zu
jener Massregel vollauf berechtigt, ja auf ihrem Stand-
punkte verpflichtet, da ihr Galilei durch die Denunciation
und die in Folge derselben stattgefundene Untersuchung
des Briefes an Castelli und des Buches über die Sonnen-
flecken als Anhänger der Copernicanischen Lehre bekannt
oder wenigstens verdächtig geworden war. In der That
war jene Verwarnung die mildeste Form, wie der gegen
Galilei eingeleitete Process beendigt werden konnte.
XII.
Aeussernngen Galilei's und seiner Freunde über die
Entscheidung vom J. 1616.
Der toscanische Gesandte Guicciardini wünschte, wie
wir gesehen haben (S. 106) dringend, Galilei möge gleich
Galilei's Rückkehr nach Florenz. 151
nach der Beendigung des Processes nach Florenz zurückbe-
rufen werden. Galilei durfte indess, wie er wünschte1), in
Rom bleiben bis nach der Ankunft des Cardinais Carl von
Medici (derselbe kam gegen den 20. April an). Am 13.
Mai schrieb Guicciardini nochmals an den Grossherzog2):
„Galilei wird auch fortan ausgezahlt werden, was er will
und zu bedürfen erklärt; aber er ist in der rechten Stim-
mung, um die Mönche zu reizen und mit Leuten zu streiten,
denen gegenüber er den Kürzern ziehen muss. Ueber kurz
oder lang wird man dort hören, dass er in irgend einen Ab-
grund gestürzt ist. Wenn er sich wenigstens durch die
Jahreszeit bestimmen Hesse, seine Abreise nicht lange auf-
zuschieben! Von hier entfernt zu sein, wäre sehr gut für
ihn" u. s. w. Darauf schrieb der Staatssecretär Picchena
an Galilei am 2$. Mai3): „Da Sie die Verfolgungen der
Mönche verkostet haben, wissen Sie, welchen Sinnes die-
selben sind, und Ihre Hoheiten fürchten, ein längeres Ver-
bleiben in Rom möge für Sie Unannehmlichkeiten zur Folge
haben, und würden es darum gern sehen, wenn Sie, nach-
dem Sie bis jetzt mit Ehren davon gekommen, den schla-
fenden Hund nicht mehr reizten und sobald wie möglich
hieher zurückkämen. Es werden Stimmen laut, die uns
nicht gefallen, und die Mönche sind allmächtig." Anfangs
Juni reiste dann Galilei von Rom ab.
Am 23. April schrieb Sagredo von Venedig an Galilei4):
es sei dort das Gerücht verbreitet, Galilei sei mit Gewalt
nach Rom geschleppt worden, um sich vor dem h. Officium
wegen seiner Meinungen zu verantworten; diese seien als
irrig und häretisch erklärt und er selbst mit den strengsten
Verwarnungen entlassen, auch seien ihm verschiedene Buss-
übungen, Fasten, Empfang der Sacramente u. s. w. aufge-
legt worden. Aehnliche Gerüchte scheinen auch in Rom
verbreitet gewesen zu sein. Das veranlasste Galilei, sich
von dem Cardinal Bellarmin das oben (S. 129) mitgetheilte
Zeugniss zu erbitten. Der Cardinal del Monte, an welchen
Galilei von dem Grossherzog empfohlen worden war, gab
ihm, als er seine Rückreise antrat, ein vom 4. Juni datirtes
1) VI, 225. 233. 236. 237. 2) VI, 238.
3) VI, 238. 4) Suppl. 109.
152 Galilei's Rückkehr nach Florenz.
Schreiben an diesen mit1), worin es heisst: „Galilei reist
von hier ab mit völlig intacter Reputation, und belobt von
Allen, die mit ihm verhandelt haben ; denn es ist handgreif-
lich geworden, wie unverdient er von seinen Feinden ver-
leumdet worden war . . . Ich, der ich oft mit ihm gesprochen
und auch diejenigen gehört habe, die um alles wissen, was
geschehen ist, versichere Ew. Hoheit, dass seine Person
nicht der mindeste Vorwurf trifft. Er selbst wird Rechen-
schaft von sich geben und die Verleumdungen seiner Feinde
widerlegen können, da er alles aufgezeichnet hat, was er
vorzubringen für gut gefunden. Ich habe Ew. Hoheit dieses
berichten wollen, damit mein Zeugniss bei Ihnen den Zureden
der Feinde Galilei's den Weg verschliesse , welche voraus-
sichtlich von ihren Machinationen nicht ablassen werden,
nachdem sie auf dem einen Wege ihre Absichten nicht er-
reicht haben."
Wir haben einen Brief Galilei's vom 28. Febr. 16 16 an
den Herzog Muti2) über die Bewohnbarkeit des Mondes; er
wiederholt darin die Gründe, die er einige Tage vorher in
Gegenwart des Herzogs und des Cardinais Muti mündlich
entwickelt hatte, um zu beweisen, dass es auf dem Monde
keine Menschen, nicht einmal Thiere und Pflanzen gebe.
Scartazzini sagt3) zur Begründung seiner Meinung von der
Unechtheit der Aufzeichnung vom 26. Febr. 1616: ,,Ist es
psychologisch denkbar, dass er sich in der Stimmung be-
funden hätte, einen solchen Brief zu schreiben, wenn zwei
Tage vorher das vorgefallen wäre, was nach dem Protocoll
vorgefallen sein soll?" Die Verurtheilung der Copernicani-
schen Lehre war Galilei am 26. Febr. jedenfalls bekannt ge-
worden; wenn ihm das nicht unmöglich machte, zwei Tage
später jenen Brief zu schreiben, in welchem übrigens von
jener Lehre nicht die Rede ist, so macht die Art und Weise,
wie ihm jene Verurtheilung notificirt wurde, keinen wesent-
lichen Unterschied. Viel merkwürdiger ist, dass Galilei als
siebenzigjähriger Greis im J. 1633 einige Wochen nach seiner
Verurtheilung und Abschwörung während seines unfrei-
willigen Aufenthaltes in Siena in der Stimmung war, über
1) VIII, 385. 2) III, 174.
3) Allg. Ztg. 1878, No. 11 B.
Briefe Galilei's aus den J. 1616 und 1617. 153
Probleme der Physik zu schreiben '), und auffallender als
jener Brief vom 28. Febr. ist ein anderer vom 6. März 1616
an Picchena2) und die Art und Weise, wie er darin der
Entscheidung der Römischen Behörden eine gute Seite ab-
zugewinnen sucht. Caccini's Behauptung, sagt er, die Co-
pernicanische Lehre sei gegen den Glauben und ketzerisch,
habe die h. Kirche nicht zu der ihrigen gemacht, vielmehr
nur erklärt, dieselbe stimme nicht mit der h. Schrift über-
ein; darum seien nur die Bücher verboten worden, welche
ex ftrofesso zu beweisen suchten, dass jene Lehre nicht mit
der Bibel in Widerspruch stehe, und zu dieser Classe gehöre
nur die Schrift von Foscarini; das Buch des Copernicus und
der Commentar des Stunica seien nur suspendirt; andere
Autoren würden nicht erwähnt. Dann folgt die noch auf-
fallendere Aeusserung: „Ich habe, wie aus der Natur der
Angelegenheit selbst hervorgeht, dabei kein Interesse, und
ich würde mich gar nicht damit befasst haben, wenn mich
nicht meine Feinde hineingezogen hätten. Was ich dabei
gethan habe, kann man aus meinen Schriftstücken ersehen,
die ich darum aufbewahre, um jederzeit der Bosheit den
Mund stopfen zu können, da ich beweisen kann, dass mein
Verhalten bei diesen Verhandlungen ein solches gewesen
ist, dass ein Heiliger nicht mit grösserer Ehrfurcht und
grösserm Eifer für die h. Kirche hätte verfahren können."
In einem Briefe vom 12. März11) berichtet er: „Gestern
habe ich Seiner Heiligkeit den Fuss geküsst. Die sehr gnä-
dige Audienz, bei welcher ich mich mit dem Papste auf-
und abgehend unterhielt, dauerte drei Viertelstunden . . .
Ich berichtete über die Ursache meines Hieherkommens,
und da ich erwähnte, dass ich beim Abschiede von Ihren
Hoheiten auf alle Gunst, die mir etwa von ihnen hätte zuge-
wandt werden können, verzichtet hätte, da es sich um die
Religion oder um die Unbescholtenheit des Lebens und der
Sitten gehandelt habe, wurde dieser Entschluss warm und
wiederholt belobt. Ich zeigte Seiner Heiligkeit die Bos-
heit meiner Feinde und einige ihrer Verleumdungen. Der
Papst antwortete mir, er kenne meine Unbescholtenheit und
die Reinheit meiner Gesinnung, und da ich einige Besorg-
1) VII, 37. 2) vi, 231. 3) VI, 234.
154 Briefe Galilei's aus den J. 1616 und 161 7.
niss äusserte, ich möchte fort und fort von der unversöhn-
lichen Bosheit verfolgt werden, tröstete er mich mit der
Versicherung, ich dürfe ganz ruhig sein, da er und die
ganze Congregation eine solche Meinung von mir gewon-
nen, dass man den Verleumdern nicht leicht glauben werde;
so lange er lebe, dürfe ich sicher sein. Ehe ich fortging,
sprach er wiederholt seine Bereitwilligkeit aus, mir auch
durch die That bei jeder Gelegenheit seine Zuneigung zu
beweisen." Am 26. März schreibt Galilei1): ,,Von der jetzt
durch die Oberen beendigten Angelegenheit ist nicht mehr
die Rede." Auch in einem Briefe an seinen Freund Sagre-
do sprach sich Galilei, wie wir aus der Antwort2) sehen,
dahin aus: die Sache habe ein ganz anderes Ende genommen,
wie seine Feinde gewünscht.
Es ist kaum glaublich, was B. Odescalchi3) berichtet:
in einer Sitzung derLincei vom 24. März 16 16, bei welcher
auch Galilei zugegen gewesen, sei Luca Valerio (s. o. S. 27)
aus der Gesellschaft ausgeschlossen worden, ,,1. weil ersieh
ohne Grund von der Akademie fern gehalten, 2. weil er
öffentlich gesagt, Galilei behaupte die Bewegung der Erde,
weil er ein Linceo sei, als ob diese Meinung die allgemeine
Ansicht der Akademie sei, 3. weil er, während er sich im-
mer als Freund Galilei's gerirt, ihn beschuldigt habe, er
trage die Lehre, dass die Erde sich bewege, nicht als ein-
fache Hypothese, sondern als Thesis vor." — Der letzte
Brief Valerio's an Galilei, den wir besitzen, ist vom 3. Oct.
16144); er wird seitdem auch in anderen uns erhaltenen Brie-
fen nicht mehr erwähnt.
Ausser den oben erwähnten Aeusserungen findet sich
in den Briefen Galilei's aus den Jahren 1616 und 161 7 die
Römische Entscheidung nicht erwähnt. Es mögen aber
Briefe, in denen er sich auch über diese Entscheidung,
sofern sie nicht ihn persönlich, sondern die Copernica-
nische Lehre betraf, ausgesprochen, vernichtet worden
sein. Der ers^e uns erhaltene Brief, in welchem eine solche
Aeusserung vorkommt, ist der an den Erzherzog Leo-
1) VI, 236. 2) Suppl. 110.
3) Memorie dell' Accademia dei Lincei, Rom 1806, bei Venturi I, 279.
4) Suppl. 97.
Brief an Erzherzog Leopold. 155
pold von Oesterreich vom 23. Mai 16181). Es heisst darin:
„Ich schicke Ihnen ein Exemplar meiner gedruckten Briefe
über die Sonnenflecken und eine kurze Abhandlung über
die Ursache der Ebbe und Fluth, welche ich vor zwei
Jahren in Rom auf Befehl des Cardinais Orsini geschrie-
ben (s. o. S. 102), als man im Kreise jener Herren Theo-
logen an das Verbot des Buches des Copernicus und der
Meinung von der Beweglichkeit der Erde dachte, die in
jenem Buche vorgetragen wird und damals von mir für
wahr gehalten wurde, bis es jenen Herren gefiel, das Buch
zu suspendiren und die besagte Meinung für falsch und der
h. Schrift widersprechend zu erklären. Da ich weiss, dass
es sich geziemt, den Entscheidungen der Oberen zu gehor-
chen und zu glauben, da sie von höheren Erkenntnissen ge-
leitet werden, an welche mein geringer Geist nicht heran-
reicht, so sehe ich jetzt diese Abhandlung und die Schrift,
bei welcher die Bewegung der Erde vorausgesetzt wird,
als eine Dichtung oder einen Traum an, und bitte Ew. Ho-
heit, sie als solche anzunehmen. Wie indess die Dichter
mitunter auf ihre Phantasieen Werth legen, so schätze auch
ich diese meine Spielerei nicht ganz gering*, und nachdem
ich sie dem erwähnten Cardinal und einigen wenigen An-
deren gezeigt, habe ich auch einige Abschriften in die Hand
anderer hochgestellter Personen gelangen lassen, damit,
wenn vielleicht ein Anderer, der nicht zu unserer Kirche ge-
hört, diesen meinen Einfall für sich in Anspruch nehmen
wollte, wie es mir mit manchen anderen meiner Entdeckungen
ergangen ist, angesehene Männer bezeugen könnten, dass
ich der Erste gewesen, der von dieser Chimäre geträumt.
Die Schrift, die ich Ihnen schicke, ist freilich nur eine kurze
Skizze davon; denn ich habe sie eilfertig geschrieben und
zu einer Zeit, wo ich hoffte, Copernicus würde nicht acht-
zig Jahre nach der Veröffentlichung seines Werkes, des Irr-
thums schuldig erklärt werden. Ich dachte daran, wenn
ich mehr Zeit und Müsse haben würde, den Gegenstand
viel ausführlicher zu behandeln, noch andere Argumente
beizufügen und die Sache in besserer Form und Ordnung
zu entwickeln. Aber eine himmlische Stimme hat mich
aufgeweckt und alle meine confusen und verwickelten Phan-
) VI, 279.
156 Stelliola über die Entscheidung vom J. 1616.
tasieen in Nebel aufgelöst." — Dass Galilei in Wirklichkeit
weit davon entfernt war, seine Argumente für die Coper-
nicanische Lehre für „confuse Phantasieen" und „die Ent-
scheidung der Oberen" für eine „himmlische Stimme" zu
halten, zeigt schon der ganze Ton des Briefes.
Auch die Briefe der Freunde Galilei's aus dieser Zeit
scheinen nicht alle erhalten zu sein. Wir haben indess
einige, in welchen interessante Aeusserungen vorkommen.
Ein angesehener Medi einer und Naturforscher zu Neapel,
Niccolö Antonio Stelliola, schreibt am 1. Juni 16161): „Ihre
grossartigen, nie genug gepriesenen Entdeckungen haben
den Neid der Sophisten unserer Zeit so erregt, dass die
Naturforscher in einer sehr schlimmen Lage sind, wenn
man nicht die Verleumdungen und Betrügereien jener Men-
schen aufzudecken sucht. Wir sind überzeugt, dass die
Absicht der Oberen heilig und gerecht ist. Wenn darum,
ohne dass die Parteien gehört worden sind, ein Decret
zu Stande gekommen ist, welches alle Nationen und die
besten Männer der Nationen angeht, so muss mit allen
Mitteln darauf hingearbeitet werden, dass die Sache revi-
dirt und nach Anhörung der Parteien entschieden werde.
Ich" glaube, dass es zur Kundmachung der Gerechtigkeit
und um der gebührenden Ehre willen gut wäre, wenn die
fremden Professoren der Naturwissenschaften eine Denk-
schrift überreichten. Das Uebrige überlasse ich Ihrem Er-
messen." Auf einem besondern Blatte fügt Stelliola ohne
Unterschrift bei: „Es scheint mir rathsam, mit aller Vor-
sicht den Herren, welche die Welt regieren, bemerklich zu
machen, dass diejenigen, welche die Naturwissenschaft und
die Religion in einen Gegensatz zu bringen suchen2),
1) VIII, 386; vgl. 192.
2) P. Grisar, der S. 720 den Brief auch anführt, — mit Weglassung
des ersten Satzes und natürlich des Schlusssatzes über P. Staterio, — fügt
hier bei: „er meint eine private antigalileische Partei", und versteht unter
den „Herren, welche die Welt regieren", die weltlichen Regierungen. Es
scheint mir auf der Hand zu liegen, dass „die Herren, welche die Welt
regieren" in der Beilage mit den „Oberen" in dem Briefe selbst identisch,
und dass mit denjenigen, „welche die Naturwissenschaften und die Religion in
einen Gegensatz zu bringen suchen", diejenigen gemeint sind, welche nach
Stelliola's Ansicht die Oberen zu einem ohne Anhörung der andern Partei
erlassenen Decrete bestimmt hatten, und welche er im ersten Satze „Sophi-
sten" nennt.
Castelli über die Entscheidung vom J. 1616. 157
schlechte Freunde der einen und der andern sind, da die
Religion und die Wissenschaft, weil sie beide göttlich sind,
nothwendig auch übereinstimmen. So viel ich höre, ist in
Neapel ein Jesuit, P. Staterio, sehr bemüht gewesen, der-
gleichen Unkraut zu säen; wahrscheinlich ist es, da bei be-
sagtem Pater die Arroganz und die Ignoranz gleich gross
sind." — In den Briefen des Karmeliters Jacob Failla in Neapel
vom 7. Sept. und Campanella's vom 3. Nov. 16161), worin
Galilei gebeten wird, sich über des Letztern Apologie (s. o.
S. 61) auszusprechen, wird das Index-Decret gar nicht er-
wähnt. — Unter dem 16. Mai 16 17 schreibt Castelli von Pisa2)
über einen dortigen Lector der Philosophie, den Theatiner
Placido Mirto aus Neapel: „Er ist ein ausgezeichneter Pre-
diger und Theologe und, was mir besonders gefällt, ein eif-
riger Lobredner Ihrer Verdienste und Tüchtigkeit. Er liest
peripatetische Philosophie, hält es aber für recht, diejenigen
Meinungen zu ändern, welche mit den neueren Beobachtungen
nicht in Einklang zu bringen sind; er gibt zu, der Himmel
sei entstanden und vergänglich und elastischer als die Luft;
er lacht über die abergläubische Ansicht von vielen Sphären,
beobachtet die Sonnenflecken, die Mediceischen Planeten
und den Saturn und sagt unbedenklich, Aristoteles habe in
diesen und in sehr vielen anderen Dingen geirrt. Er sagte
mir, er habe wiederholt Gelegenheit gehabt, Ihre Lehre zu
vertheidigen, sogar die Ansicht von der Bewegung der
Erde, da nach seiner Meinung zwar das Buch des Coperni-
cus suspendirt, aber die Meinung nicht verdammt sei und
nicht verdammt werden könne, — was mir grosse Freude
machte. In diesen Gesprächen deutete er mir an, in Rom
versuchten die Feinde der Wahrheit jetzt wieder neue Ma-
chinationen."
Am 10. Mai 1619 wurde, wie schon oben (S. 114) er-
wähnt, Keplers „Epitome astronomiae Copernicanae" auf
den Index gesetzt. Kepler erfuhr dieses zuerst durch einen
Brief des Johannes Remus aus Wien 23. Juli 16193), der
ihn um ein Exemplar der Schrift für Galilei bat, weil dieser
dieselbe als verboten in Florenz nicht haben könne. Kep-
ler bat Remus in einem Brief aus Linz vom 4. Aug. um ge-
nauere Mittheilungen über jenes Verbot: ob dasselbe dem
l) VIII, 391. 392. 2) VIII, 399. 3) V, 630.
158 Kepler über die Entscheidung vom J. 1616.
Autor, wenn er in Italien betroffen würde, Gefahr bringen
könne, und ob es auch für Oesterreich gelte; in letzterm
Falle würde er, meint er, fortan in oesterreich keinen
Drucker mehr finden, seine Schrift vielleicht confiscirt wer-
den. „Ja man wird mir zu verstehen geben, ich müsse auf
die astronomische Profession verzichten, da ich über das
Vortragen dieser (der Copernicanischen) Lehre alt geworden
bin, ohne bisher Widerspruch zu finden; ja ich werde Oester-
reich verlassen müssen, wenn dort die wissenschaftliche
Freiheit keine Stätte finden soll." Remus antwortete am 13.
August : „Die Epitome ist, glaube ich, nur darum verboten,
weil sie gegen ein vor zwei Jahren veröffentlichtes Verbot
des h. Officiums verstösst. Es handelte sich um einen Nea-
politanischen Ordensmann, welcher in einer italienischen
Schrift diese Meinung unter dem Volke verbreitete, was
gefährliche Folgen und Meinungen hervorrief; auch vertrat
zu derselben Zeit Galilei seine Sache in Rom zu schroff.
In derselben Weise wurde auch Copernicus corrigirt, wenig-
stens bezüglich einiger Zeilen im Anfange des ersten Buches.
Es dürfen aber diese Bücher und, wie ich glaube, auch die
Epitome mit besonderer Erlaubniss von gelehrten und sach-
kundigen Männern zu Rom und in ganz Italien gelesen
werden. Du hast also weder in Italien noch in Oesterreich
etwas zu fürchten, wenn du dich innerhalb deiner Grenzen
hältst und vorsichtig bist; was du über den Kometen in
deutscher Sprache geschrieben hast, — wenn es wirklich
von dir ist, — hat freilich einigen grossen Herrn nicht sehr
gefallen."
Kepler entschloss sich darauf, seinen „Harmonica"
eine (lateinisch geschriebene) „Erinnerung für die ausländi-
schen, namentlich die italienischen Buchhändler" *) beizufügen,
worin er unter anderm sagt: „die Unvorsichtigkeit Einiger,
welche die astronomischen Lehrsätze an ungeeigneter Stelle
und in ungeeigneter Weise vorgetragen, habe zur Folge
gehabt, dass das Lesen des Copernicus, welches etwa 80
Jahre durchaus gestattet gewesen, bis nach der Verbesserung
des Werkes verboten worden sei"; es sei aber zu hoffen,
dass diese Entscheidung nach einer neuen Untersuchung
werde zurückgenommen werden; die Buchhändler möchten
1) V, 633.
Kepler über die Entscheidung vom J. 1616. 159
also vorläufig sein Buch nicht öffentlich feilbieten und nur
angesehenen Theologen und Philosophen verkaufen, —
„diesen, damit sie untersuchen, ob dieses nur eine Ausge-
burt der Phantasie sei oder durch augenscheinliche Gründe
als aus der Natur selbst geschöpft erwiesen werden könne, —
jenen, damit sie überlegen, ob diese unermessliche Glorie der
göttlichen Werke Allen kundzuthuen oder zurückzuhalten
und die Kunde davon durch Censuren zu unterdrücken sei,
— beiden zu dem Zwecke, dass, da diese jenen die Ver-
besserung des Copernicus übertragen haben oder übertragen
werden, beide sehen, ob . . . die harmonische Anordnung
der Himmelsbewegungen, wenn die Bewegung der Erde
beseitigt und die der Sonne dafür an die Stelle gesetzt
wird, überhaupt aufrecht erhalten werden könne und ob die
Hypothese des Copernicus oder die des Brahe, — denn
dass die alten Ptolemäischen Hypothesen falsch sind, ist
sicher, — fortan festzuhalten sei. Was immer, schliesst er,
nachdem alles gebührend erwogen worden, beschlossen
werden wird, das werden die der Römischen Kirche treuen
Mathematiker ohne Zweifel anerkennen."
Dass diejenigen, welche nicht bloss wissenschaftliche
Gegner, sondern persönliche Feinde Galilei's waren, durch
den Ausgang des Processes nicht befriedigt wurden, ist
selbstverständlich. Von Caccini schreibt Castelli am 5. Dec.
1623 aus Pisa1) an Galilei: „Es missfällt mir, dass der
Pater Caccini den Fürsten und dem h. Officium selbst so
sehr zu nahe tritt, wenn es wahr ist, dass er fortwährend
sagt, ohne den Schutz verschiedener Fürsten würden Sie
vor die Inquisition citirt worden sein, — als ob die Fürsten
das h. Officium hinderten und verdächtige Leute beschützten
und das h. Officium bei dem Einschreiten gegen die Gott-
losigkeit auf die Fürsten Rücksicht nähme. Es scheint mir,
der Pater selbst verdiente vor die Inquisition citirt zu
werden."
1) Suppl. 156.
l6o Controverse mit Grassi.
XIII.
Galilei's Controverse mit den Jesuiten Grassi und
Scheiner. Der „Saggiatore".
Im J. 1619 wurde Galilei in eine Controverse ver-
wickelt, bei der es sich zunächst nicht um das Copernica-
nische System handelte, welche aber auf den Verlauf des
zweiten Processes wohl nicht ohne EinflUss geblieben ist.
Der Jesuit Orazio Grassi, Professor der Mathematik im
Römischen Colleg, hielt in diesem Jahre einen Vortrag über
drei im J. 161 8 erschienene Kometen, der in Abschriften ver-
breitet wurde *). Die darin entwickelte Ansicht wurde in einer
1619 zu Florenz erschienenen Schrift bestritten, welche ein
Schüler Galilei's, ein früherer Zögling desRömischenCollegs2),
Mario Guiducci, veröffentlichte, an deren Abfassung aber Ga-
lilei grossen Antheil hatte3). v Grassi antwortete noch in dem-
selben Jahre in der Schrift ,,Libra astronomica ac philoso-
phica"4) unter dem Namen Lotario Sarsi5). Es braucht nur
beiläufig erwähnt zu werden, dass sich in der Sache, bezüglich
der Frage über die Natur der Kometen, die Ansicht Galilei's
weiter von der später als richtig erkannten Anschauung
entfernt als die Ansicht Grassi's; von Wichtigkeit für meine
Aufgabe ist nur die Thatsache, dass sich Galilei in Folge
dieses Streites gründlich mit den Jesuiten verfeindete.
Die Libra enthielt so starke Angriffe gegen Galilei, —
dieser, nicht Guiducci wird darin angegriffen, — dass man
von diesem allgemein eine Antwort erwartete. Von Galilei's
1) De tribus cometis anni 16 18 disputatio astronomica habita in Col-
legio Romano S. J. ab uno 'ex Patribus ekisdem Societatis, — abgedruckt
IV, 1 — 14. Es erschienen in zwei Jahren mehr als 70 Schriften über diese
Kometen. Venturi II, 46. 2) V, 601.
3) Discorso delle comete di Mario Guiducci fatto nell' Accademia Fio-
rentina, — abgedruckt IV, 15 — 60.
4) Abgedruckt IV, 61 — 121.
5) Lotario Sarsi Sigensano = Oratio Grassi Salonense; s. VIII, 445.
Controverse mit Grassi. 161
Briefen ist uns aus der Zeit vom 23. Mai 161 8 bis 17. Mai
1621 nur ein einziger, ganz unbedeutender1) erhalten. Die
Briefe seiner Freunde an ihn aber sind erhalten und geben
interessante Aufschlüsse. Nach dem Erscheinen der Schrift
von Guiducci schrieb Ciampoli am 12. Juli 1619 aus Rom2):
„Eins hat hier nicht gefallen: dass Sie mit dem Römischen
Colleg Händel anfangen, in welchem man doch öffentlich
so ehrenvoll von Ihnen gesprochen. Die Jesuiten fühlen
sich sehr beleidigt und schicken sich an zu antworten; und
wenn ich auch die Triftigkeit Ihrer Conclusionen kenne, so
bedauere ich doch sehr, dass bei den Jesuiten das Wohl-
wollen und die Anerkennung, womit man von Ihnen redete,
so sehr vermindert sind." Am 6. Dec. 16 19 schrieb Ciampoli
ferner3): „Aus Ihrem letzten Briefe sehe ich, dass Sie nicht
glauben wollen, dass der Pater Grassi der Verfasser der
,,Libra astronomica" ist. Ich versichere Ihnen, Seine Hoch-
würden und die Jesuiten wollen, dass man wisse, dass das
Werk von ihnen ist, und ihre Meinung darüber ist von dem
Urtheil, welches Sie darüber fällen, so sehr verschieden,
dass sie sich desselben als eines Triumphes rühmen4). Grassi
redet von Ihnen mit viel mehr Zurückhaltung als viele an-
dere Patres, denen das Wort » vernichten « sehr geläufig
geworden ist. Grassi habe ich nie ein solches Wort gebrau-
chen hören; er spricht überhaupt so bescheiden, dass ich
darüber verwundert bin, dass seine Schrift so hochfahrend
und so voll von bissigen Spöttereien ist. Man sieht Ihrer
Antwort mit grossem Verlangen entgegen."
Auch Cesi und andere Lincei erwarteten, Galilei werde
antworten, mahnten ihn aber zur Vorsicht5). Francesco
Stelluti schrieb ihm am 27. Jan. • 16206): „Vor allem möchte
ich nicht, dass Sie den Pater Grassi, noch weniger, dass Sie
das Jesuiten-Collegium nennen; halten Sie die Fiction fest,
dass Sie es nur mit jenem Schüler zu thun haben [der an-
gebliche Verfasser der Libra spricht von Grassi als von
seinem Lehrer, den er vertheidigen wolle]; sonst entsteht
ein Streit mit jenen Patres, der gar kein Ende nimmt. Da
ihrer so Viele sind, so würden sie einer ganzen Welt zu
1) VI, 281. 2) Suppl. 130.
3) VIII, 430. 4) Vgl. VIII, 449.
5) VIII, 432. 6) VIII, 436, s. o. S. 27.
Retisch. Galilei.
IÖ2 Controverse mit Grassi.
thun geben, und wenn sie auch Unrecht haben, werden sie
doch Recht haben wollen; und uns könnte das nur sehr
schaden, da sie ganz besonders, wie alle Peripatetiker, den
neuen Meinungen wenig hold sind." Im Juni 16201) schickte
Guiducci dem Fürsten Cesi eine in Form eines Schreibens
an den Jesuiten Tarquinio Galluzzi verfasste Entgegnung2).
Sie scheint aber Cesi und die anderen Freunde nicht be-
friedigt zu haben. Für den Fall, dass die Antwort nicht
von Guiducci oder einem andern Schüler Galilei's, — natür-
lich unter dessen Mitwirkung, — geschrieben werden könne,
empfahlen die Freunde, Galilei solle in der Form eines
Schreibens an Guiducci oder einen andern Freund antwor-
ten3). Cesi meinte einmal, Galilei könnte die Antwort dem
Pater Griemberger widmen. Ciampoli bemerkte aber da-
gegen, man dürfe dem „armen Pater" keinen Verdruss be-
reiten; er schlug seinerseits vor, Galilei möge die Antwort
dem Don Virginio Cesarini widmen, welcher, obschon ein
grosser Verehrer Galilei's und Freund Cesi's und Ciampoli's,
„bei den Patres sehr beliebt" sei4). Cesarini erklärte sich
gern bereit, die Widmung anzunehmen5). In einem spätem
Briefe, vom 1. Aug. 16206), empfahl Ciampoli dringend, Ga-
lilei möge die Antwort so einrichten, dass die Jesuiten mög-
lichst wenig verletzt würden.
Trotz wiederholten Drängens der Freunde7) verzögerte
sich die Vollendung der Erwiederung. Erst am 28. Oct.
1622 kam das Manuscript derselben in Rom an8). Galilei
wünschte, die Mitglieder der Akademie der Lincei möchten
das Manuscript lesen und die ihnen anstössig scheinenden
Stellen streichen oder ändern. Es wurden aber nur einige
Worte geändert9).
1) VIII, 445-
2) Sie wurde 1620 zu Florenz gedruckt, abgedruckt V, 593 — 610.
Auch der Jurist G. B. Stelluti, ein Bruder Francesco's, schrieb eine Ent-
gegnung, die 1622 unter dem Titel „Scandaglio della Libra astronomica e
filosofica di Lotario Sarsi" gedruckt wurde, aber einer Erwiederung
von Seiten Galilei's nicht vorgreifen sollte. Vgl. IX, 45; X, 122; XV,
Bibliogr. XI.
3) VIII, 438. 442. 4) VIII, 447; s. o. S. 27.
5) VIII, 449. 6) VIII, 449.
7) VIII, 442; IX, 5. 11. 12. 16. 18.
8) IX, 19. 9) IX, 20. 22. 27.
Der Saggiatore. 163
Die Veröffentlichung des Saggiatore, — so hiess Gali-
lei's Entgegnung auf Grassi's Libra; man könnte „die Gold-
wage" übersetzen1) — überliess er der Akademie der Lin-
cei. Diese legten Werth darauf, dass sie in Rom und also
mit einer Approbation der päpstlichen Censurbehörde ge-
druckt werde. Am 12. Jan. 1623 schrieb Cesarini2): „Da
Sie uns das überlassen, so wollen wir das Buch in Rom
selbst veröffentlichen trotz der Macht der Gegner, gegen
welche wir uns mit dem Schilde der Wahrheit und auch der
Gunst der Oberen bewaffnen werden. Wir werden auf
Schwierigkeiten stossen, aber sie hoffentlich überwinden.
Sarsi und das Römische Colleg haben schon davon gehört,
dass Ihre Apologie angekommen ist; sie werden sie aber
nicht zu Gesicht bekommen, bis sie gedruckt ist. Sie sind
sehr gespannt darauf und haben mich sogar gebeten, sie
ihnen zu zeigen; aber ich habe ihnen diese Bitte abge-
schlagen, da sie sonst leichter die Veröffentlichung hindern
könnten. . . . Ich beabsichtige die Schrift auch ins Latei-
nische übersetzen zu lassen, um sie denjenigen zugänglich
zu machen, welche jenseits der Berge sich für die philoso-
phische Wahrheit und Freiheit interessiren3). — In den
hiesigen Buchhandlungen ist die in Deutschland gedruckte
i) Der Titel lautet vollständig: „II Saggiatore, nel quäle con bilancia
esquisita e giusta si ponderano le cose contenute nella Libra astronomica e
filosofica di Lotario Sarsi Sigensano", — abgedruckt IV, 145 — 369. —
Ueber den Titel sagt Galilei selbst (IV, 156): „Ich habe meine Entgegnung
Saggiatore nennen wollen, mit Beibehaltung des von Sarsi gebrauchten
Bildes [Sarsi's Buch hiess Libra, "Wage]. Da es mir aber schien, dass er
bei dem Wägen der Sätze Guiducci's sich einer ein wenig zu groben (unge-
nauen) Wage bedient habe, so habe ich mich einer Wage bedienen wollen,
wie sie die Goldwäger gebrauchen (una bilancia da saggiatori), einer von
jenen Wagen, die so genau sind, dass sie weniger als ein Sechzigstel Gran
angeben." „Solcher Wagen, sagt er anderswo (IV, 505), bedienen sich die
Saggiatori, um zu constatiren, ob das Metall, welches ihnen als reines Gold
oder Silber vorgelegt wird, wirklich dieses oder mit Kupfer oder einem an-
dern weniger edeln Metall vermischt ist. So soll mein Saggiatore Sarsi's
versteckte Irrthümer aufdecken." Grassi übersetzte Simbellator ; Galilei sagt
(V, 504), Saggiatore habe dieselbe Bedeutung wie das lateinische Collybista ;
Kepler (V, 613) übersetzt Trutinator.
2) IX, 23.
3) Dieser Plan kam nicht zur Ausführung. Erst später erschien eine
lateinische Uebersetzung des Saggiatore..
164 Der Saggiatore.
Apologie des P. Thomas Campanella (s. o. S. 61) angekom-
men. Sie ist zwar vor dem Decret der Index- Congregation
gegen Copernicus geschrieben; gleichwohl haben die Oberen
den Verkauf verboten1). Einige Feinde haben diese Ge-
legenheit benutzt, die längst widerlegten Verleumdungen
gegen Sie wieder aufzufrischen; aber Sie haben Gönner
und Freunde, die für Sie eintreten, und die Tadellosigkeit
Ihres Verhaltens und der bescheidene Gehorsam, den Sie
stets dem Decret der h. Congregation gegenüber bekundet
haben, zeigen der Welt Ihre Gesinnung. Darum glaube
ich nicht, dass die Erlaubniss zum Drucke Ihrer Schrift ver-
weigert werden wird. Es scheint min von Wichtigkeit, dass
hier, Angesichts der Kirche, vor den Augen der Congre-
gation Ihre Lehre gutgeheissen und die philosophischen
Neuigkeiten, die Sie mittheilen, anerkannt werden. Im
Römischen Colleg haben freilich jene Patres beim Beginne
des Studienjahres sich in öffentlichen Vorträgen gegen die
Entdecker von neuen Dingen in den Wissenschaften ausge-
sprochen und in langer Rede die Schüler überzeugen wollen,
ausserhalb des Aristoteles sei keine Wahrheit zu finden;
aber trotz dieser mit so vieler Beredsamkeit geschleuderten
Excommunication hoffe ich, dass Ihre Speculationen in Rom
frei veröffentlicht werden und Beifall finden werden."
Die Prüfung des Saggiatore wurde von der Censur-
behörde dem Dominicaner Niccolö Riccardi übertragen,
einem Manne, den der König von Spanien wegen seiner
Beredsamkeit, nach Anderen wegen seines stupenden Ge-
dächtnisses (noch Andere sagen: seiner Dickleibigkeit wegen)
scherzhaft Padre Mostro, „Pater Wunderthier", genannt
hatte und der unter diesem Namen in Galilei's Briefwechsel
oft vorkommt. Er war schon länger mit Galilei, wenn auch
nicht persönlich bekannt2), doch befreundet: Galilei gratu-
lirte ihn, als er im J. 16 18 Qualificator der Inquisition ge-
worden war, und Riccardi bezeichnete sich in seiner Ant-
wort als „ergebensten Diener und wahren Schüler" Gali-
lei's3). Als einen grossen Gelehrten oder besonders be-
1) Auf den Index kam die Schrift erst 21. April 1632 mit anderen
Schriften Campanella' s. In den späteren Ausgaben des Index steht: Ca?npa-
nella, Thomae, opera quae Romae impresso, aut approbata non sunt, cum
auctor pro suis ea non agnoscat. Decr. 21. Apr. 1632.
2) IX, 25. 3) Suppl. Iil.
Der Saggiatore. 165
gabten Mann lernen wir ihn übrigens in der Geschichte
Galilei's nicht kennen1). Riccardi also fertigte am 2. Febr.
1623 sein Gutachten 2), auf welches hin die Druck-Erlaubniss
für den Saggiatore ertheilt wurde, in folgender Weise aus:
„Auf Befehl des Magister Sacri Palatii habe ich dieses
Saggiatore betitelte Werk gelesen. Ich finde darin nicht
nur nichts, was den guten Sitten zuwider wäre oder sich
von der übernatürlichen Wahrheit unseres Glaubens ent-
fernte, sondern ich habe darin auch so viele schöne zur
Naturphilosophie gehörende Betrachtungen wahrgenommen,
dass ich glaube, unser Jahrhundert werde in den folgenden
Jahrhunderten nicht nur als Erbe der Arbeiten früherer
Philosophen gerühmt werden müssen, sondern auch als Ent-
decker vieler Geheimnisse der Natur, welche jene nicht auf-
finden konnten, — Dank der scharfsinnigen und gediegenen
Speculation des Verfassers. Ich schätze mich glücklich, in
einer Zeit geboren zu sein, wo man nicht mehr mit einer
gewöhnlichen Wage und bloss ungefähr, sondern mit so
feinen Goldwagen das Gold der Wahrheit wägt."
Während der Saggiatore gedruckt wurde, wurde der
Cardinal Maffeo Barberini am 6. Aug. 1623 als Urban VIII.
Papst. Die Lincei beschlossen ihm das Werk zu widmen.
Cesarini schrieb die vom 20. Oct. 1623 datirte Widmung3).
Am 28. October übersandte er Galilei das erste Exemplar4).
Interessante Mittheilungen enthalten die Briefe der
Freunde Galilei's über die Aufnahme, welche das Buch bei
den Jesuiten fand. Stelluti schreibt 4. Nov. 1623 5): „Als
1) Riccardi, geb. zu Genua 1585, seit 16 17 Professor der Theologie
in dem Kloster seines Ordens zu Rom (Minerva), wurde 1629 Magister
Sacri Palatii, später auch apostolischer Prediger. Er starb 31. Mai 1639.
Ein wunderlicher Brief Castelli's über seinen Tod steht Suppl. 288. Gedruckt
sind von ihm nur einige Predigten u. dgl. Eine Reihe von ungedruckten
Schriften, meist exegetische und dogmatische Hefte, verzeichnen Quetif-Echard
II, 502. Vgl. Berti, II Processo p. LXXVI, und über seine Kanzelbered-
samkeit IX, 70, Tiräboschi VIII, 527 und Berti in der N. Antol. 1878, XI,
396, wo auch p. 409 ein interessanter Brief Riccardi's an Campanella vom
28. Nov. 1638 mitgetheilt wird.
2) IX, 26. 3) IX, 41.
4) IX, 43. In mehreren Briefen ist die Rede von den Druckfehlern
in der Ausgabe; IX, 47. 52. Der Dichter Thomas Stigliani, welcher die
Correctur besorgte, hatte aus Eitelkeit einen von ihm geschriebenen Satz
eingeschoben; IV, 369. 5) IX, 44.
166 Der Saggiatore.
Sarsi in einer Buchhandlung das Titelblatt sah, wechselte
er die Farbe und sagte, Sie hätten dreiv Jahre auf diese
Arbeit warten lassen"; — nach dem Berichte des Thomas
Rinuccini1) hätte er beigefügt: „er wolle in drei Monaten
Galilei vor Aerger ausser sich bringen". — „Ein Pater des
Collegs, der das Buch ganz gelesen, soll gesagt haben: es
sei sehr schön; Sie hätten sich sehr bescheiden ausgedrückt,
und Sarsi werde zu thun haben, wenn er antworten wolle.
Kurz, die Patres meinen, Sie hätten sie gut behandelt." Am
2. Dec. schreibt der eben genannte Rinuccini2): „Sarsi
lobte Sie in einem Gespräche mit einem meiner Freunde
und sagte: die Schrift enthalte Gutes; er werde aber ant-
worten, könne jedoch vor den Herbstferien nicht daran den-
ken; Sie hätten das vor ihm voraus, dass Andere die Druck-
kosten für Sie bezahlten; er werde ohne Bissigkeit schrei-
ben, was Sie nicht gethan; wenn Sie nach Rom kämen,
wolle er mit Ihnen Freundschaft schliessen s). Einige Tage
später fand ihn aber derselbe Freund in ganz anderer
Stimmung. Er hatte einen Brief aus Florenz gesehen, worin
gesagt war: der Saggiatore habe allen Jesuiten den Mund
gestopft; sie würden nichts zu antworten wissen. Er sagte:
wenn die Jesuiten so vielen Häretikern antworten könnten,
so würden sie auch einem Katholiken zu antworten wissen.
Ein anderer Jesuit hat mir erzählt, es sei ihnen strenge ver-
boten, von diesen Schriften zu reden."
Grassi gab sich viele Mühe, mit Guiducci persönlich
bekannt zu werden; es gelang ihm erst nach längerer Zeit4).
Aus seinen Gesprächen mit ihm theilt Guiducci Galilei unter
anderm die bereits früher (S. 67) erwähnte Aeusserung über
Bellarmins Ansicht mit. In einem andern Briefe, vom 13.
Sept. 1624 5) schreibt er: „Es scheint mir, dass Grassi die
Bewegung der Erde nicht sehr verabscheut, vorausgesetzt,
dass sich gute Gründe dafür anführen und die (naturwissen-
schaftlichen) Bedenken widerlegen lassen. . . Sie dürfen
sich nicht wundern, wenn er einmal ganz der Ihrige werden
sollte; denn er zeigt grosses Verlangen, Ihre Meinungen zu
verstehen, und lobt Sie sehr, was freilich auch ein blosser
1) Suppl. 154. 2) IX, 49.
3) Letztere Aeusserung berichtet auch Guiducci IX, 52.
4) IX, 52. 65. 5) IX, 69.
Der Saggiatore. 167
Kunstgriff sein kann. Ich bitte Sie, mir zu schreiben, ob
ich ihm Ihre Entgegnung gegen Ingoli (s. u. S. 185) zeigen
darf. Ich bin geneigt, es zu thun." Es ist wohl unzweifel-
haft, dass es sich hier nur um einen „Kunstgriff " handelte.
Wie im December 1622, so hielt auch im December
1624 im Römischen Colleg ein Jesuit, dies Mal der Pater
Spinola, einen Vortrag, den Guiducci als „eine sehr heftige
Invective gegen die Anhänger der antiperipatetischen Mei-
nungen" bezeichnet 1). Galilei dachte einen Augenblick dar-
an, „dem Pater in einem Dialoge sehr genau die Rechnung
zu revidiren", gab aber diesen Plan wieder auf „in Anbe-
tracht der grossen Albernheit des Vortrags und der enor-
men Dummheiten, von denen er voll sei"; die Unwissenheit
des Publicums, meinte er, werde doch nicht so gross sein,
dass solches Zeug Beifall finde2).
Grassi's Erwiederung auf den Saggiatore erschien, dem
Cardinal Francesco Buoncompagni gewidmet, 1626 zu Paris,
1627 zu Neapel, — wieder unter dem Namen Lotario Sarsi3).
Galilei schrieb kritische Bemerkungen dazu4), veröffentlichte
aber keine Entgegnung. Er schrieb am 2. Aug. 1627 an
Castelli: „Unsere Freunde meinen, ich solle keine Zeit da-
mit verlieren, Grassi zu antworten, da seine Erwiederung
zu frivol sei und deutlich zeige, dass er entschlossen sei,
jedenfalls das letzte Wort zu behalten"5). Cesi und die
anderen Freunde riethen ihm, seine Zeit der Vollendung
anderer Arbeiten zu widmen und nur allenfalls die bereits
geschriebenen kritischen Bemerkungen durch einen Schüler
zu einer Erwiederung ausarbeiten zu lassen6). Auch dieser
Vorschlag kam nicht zur Ausführung.
Bei dieser Controverse mit Grassi handelte es sich, wie
gesagt, nicht um das Copernicanische System. Jede Bezug-
nahme darauf war aber freilich nicht zu vermeiden. Grassi
sagt in seiner ersten Schrift: Galilei (Guiducci) habe in der
Schrift über die Kometen von der Bewegung der Erde
„mit leiser Stimme geflüstert"; aber dieses „der Wahrheit
widersprechende und für fromme Ohren harte" Wort gewiss
1) Suppl. 169. 171. 174. 176. 178. 2) vi, 303.
3) Ratio ponderum librae ac simbellae . . . auctore L. Sarsio, — ab-
gedruckt IV, 371 — 502.
4) IV, 503-528. 5) VI, 319. 6) IX, 135.
l68 Der Saggiatore.
nicht gebrauchen wollen; denn dass sich die Erde nicht be-
wege, sei für die Katholiken gewiss und werde sicher von
Galilei, den er als einen frommen und religiösen Mann kenne,
nicht bestritten1). Galilei sagt im Saggiatore unter anderm:
„Was die Copernicanische Hypothese betrifft, so haben wir
Katholiken das Glück, durch eine höhere Weisheit von dem
Irrthum erlöst und von der Blindheit geheilt worden zu sein ;
sonst glaube ich nicht, dass uns durch die von Tycho vorge-
brachten Gründe und Erfahrungen eine solche Gnade und
Wohlthat hätte zu Theil werden können. D'a also die bei-
den Systeme (das Ptolemäische und das Copernicanische)
sicher falsch sind und das des Tycho nichtig, so sollte Sarsi
mich nicht tadeln, wenn ich mit Seneca die wahre Consti-
tution des Weltalls vermisse" u. s. w.2). An einer andern
Stelle sagt er: Grassi hätte die Bewegung der Erde nicht
bloss als einen Satz, den ein frommer und religiöser Mann
nicht behaupten dürfe, bezeichnen, sondern sich bemühen
sollen, ihn als unrichtig zu erweisen; „vielleicht ist es nicht
übel gethan, wenn man auch mit naturwissenschaftlichen
Gründen, wenn das möglich ist, die Unrichtigkeit jener Sätze
zu erweisen sucht, die als der h. Schrift widersprechend er-
klärt worden sind"3). In ähnlicher Weise wird auch noch
an einigen anderen Stellen4) auf die Copernicanische Lehre
Bezug genommen. — Nach dem Erscheinen des Saggiatore
schrieb Fabio Colonna an Francesco Stelluti: er möge Ga-
lilei ermahnen, behutsam und vorsichtig über biblische Dinge,
namentlich über das Wunder der drei Jünglinge im Feuer-
ofen, zu schreiben ; denn man suche mit der grössten Sorg-
falt Gründe für ein Verbot; das thäten namentlich die Jesui-
ten, welche nie seine besonderen Freunde gewesen und ihm
den Ruhm vieler seiner Entdeckungen streitig machten, um
sie sich selbst zuzuschreiben5). Es ist kaum zu begreifen,
wie man an dem Anstoss nehmen konnte, was Galilei über
„das Wunder der drei Jünglinge im Feuerofen" sagt : Grassi
hatte sich auf den biblischen Bericht darüber (Dan. 3, 92
Vulg.) berufen, um zu beweisen, dass die Flamme durch-
sichtig sei; Galilei lehnt es seinerseits ab, auf dieses Argu-
1) IV, 90; vgl. 69. 2) IV, 172.
3) IV, 182. 4) IV, 304 und sonst.
5) Odescalchi, Memorie de' Lincei p. 191 bei Venturi II, 53.
Der Saggiatore. 169
merit einzugehen, und überlässt die Erörterung desselben
den Theologen1). Dass aber Galilei's Feinde darauf aus-
gingen, ein Verbot des Saggiatore zu erwirken, erfahren
wir auch von anderer Seite.
Am 18. April 1625 theilte nämlich Guiducci2) Galilei
Folgendes mit: „Vor einigen Monaten wurde der Congre-
gation des h. Officiums von einer frommen Person vorge-
schlagen, den Saggiatore verbieten oder corrigiren zu lassen,
da darin die Lehre des Copernicus von der Bewegung der
Erde gelobt werde. Ein Cardinal übernahm es, sich über
die Sache zu informiren und darüber zu berichten. Zum
guten Glück übertrug er die Sache dem Pater Guevara, Ge-
neral der Theatiner. . . Dieser las das Buch sorgfältig und
sprach sich jenem Cardinal gegenüber sehr lobend darüber
aus, schrieb auch einige Bemerkungen auf, worin er die An-
sicht aussprach, jene Lehre von der Bewegung der Erde,
wenn sie auch [im Saggiatore] festgehalten werde, sei nicht
zu verdammen. So ist die Sache damals eingeschlafen/'
Der Pater wird wohl erklärt haben: was im Saggiatore über
die Copernicanische Lehre gesagt werde, biete keinen Anlass,
gegen das Buch einzuschreiten. Weiteres ist über diesen Ver-
such, Galilei zum zweiten Male vor die Inquisition zu bringen,
nicht bekannt3). Vielleicht hangen damit aber einige An-
deutungen zusammen, welche Castelli in zwei am 22. Jan.
und 26. Febr. 1628, — also nach dem Erscheinen der letzten
Streitschrift Grassi's, — geschriebenen Briefen4) gibt. In dem
ersten schreibt er : „Ich habe einmal in Sarsi's Buche gelesen,
als ich es bei Monsignor Ciampoli sah; aber seine dumme
Ignoranz und die vieler Anderen, die ihm Gehör geben,
widert mich so an, dass ich mir nicht die Mühe gegeben,
mehr davon zu lesen, zumal die Verständigen seine Imper-
tinenzen sehr gut kennen. Aber da Sie es befehlen, will ich
i) IV, 360. es ist also irreführend, wenn Cantor, Zts. f. Math.
1868, L.-Z. S. 58 sagt: im 50. Capitel des Saggiatore komme auch Theolo-
gisches vor. 2) IX, 78.
3) Mindestens ungenau ist die Darstellung von Scartazzini, Uns. Zeit
1877, II, 437: „Der Saggiatore wurde bei dem Inquisitionstribunal zu Rom
. . . denuncirt. Umsonst. Die Gegner Galilei's bereiteten sich dadurch
eine neue Niederlage. Nach genauer Prüfung wurde das Werk nicht nur
nicht verboten, sondern gelobt und empfohlen",
4) Suppl. 203; IX, 124.
170 Controverse mit Scheiner.
das Buch lesen und zu dem Pater Riccardi gehen, der mir
bei anderen Gelegenheiten gesagt hat, solche Dinge machten
ihm gar keinen Kummer, ihm genüge die Absicht, stets
Ihre Sache zu vertreten." In dem zweiten Briefe berichtet
er über sein Gespräch mit Riccardi: „Er sagte: Ihre Mei-
nungen seien nicht gegen den Glauben, da sie einfach phi-
losophische seien; er würde alles gethan haben, was Sie
gewünscht, aber er habe nicht offen auftreten wollen, um
Ihnen bei jeder Gelegenheit dienen zu können, wo Ihnen
von Seiten des Tribunals des h. Officiums, bei welchem er
Qualificator ist, Ungelegenheiten drohten; wenn er sich vor-
her ausgesprochen, würde er nichts mehr haben sagen können.
Er erzählte auch, er habe um Ihretwillen ein kleines Unge-
witter von Seiten seiner Ordensgenossen zu bestehen gehabt."
In den Processverhandlungen ist von dem Saggiatore
nicht die Rede. Dass derselbe aber viel dazu beigetragen
hat, Grassi und seine Ordensgenossen gegen Galilei unfreund-
lich zu stimmen, ist unzweifelhaft.
Im J. 1630, als Galilei's Dialog bereits im Manuscript
vollendet war, erschien eine neue Streitschrift seines alten
Gegners in der Frage über die Sonnenflecken, des Jesuiten
Scheiner, voll bitterer Angriffe gegen Galilei. Sie führte
den Titel „Rosa Ursina" l) — wir haben schon früher einiges
darüber gehört, S. 13, — und war dem Paolo Giordano Or-
sini, Herzog von Bracciano, dem Oheim des Cardinais Orsini
(s. o. S. 104), gewidmet und in dessen Druckerei gedruckt.
Als Galilei in einem (nicht erhaltenen) Briefe an den Herzog
seine Verwunderung darüber äusserte, antwortete dieser am
30. Dec. 16302): „Was Sie mir über den für Sie unangenehmen
Inhalt der Rosa Ursina schreiben, war mir ganz neu und
unbekannt; sonst würde ich nicht gestattet haben, dass meine
Diener zu Bracciano das Buch hätten passiren lassen. Es
ist möglich, dass in Abwesenheit unseres General- Auditors
sein Kanzler das Buch durchgesehen hat 3), und dieser wird
1) Rosa Ursina sive Sol ex admirando facularum et macularum su-
arum phoenomeno varius. Auf dem Titelblatt wird angegeben, der Druck
habe 1626 begonnen und sei 1630 vollendet worden. Vgl. VI, 327.
2) IX, 260.
3) Unter der Approbation des Jesuiten- Generals Muzio Vitelleschi
steht: Vidit Bartholomaeus Piccaluga Status Bracchiani Generalis Auditor.
Controverse mit Scheiner. 171
kein anderes Latein-verstehen als das der Urkunden. Ueber
die Indiscretion des Verfassers wundere ich mich nicht sehr;
denn ich habe ihn selbst als sehr indiscret kennen gelernt,
da er zuletzt mit mir gebrochen hat, der ich Ihre vielen Tugen-
den und Verdienste schätze."
Castelli schreibt an Galilei am 26. Sept. 1631 J): „Von
der Orsini'schen Rose habe ich ein wenig gesehen; sie ist
mir aber so übelriechend vorgekommen, dass ich nicht mehr
davon sehen mag. Ich bin ganz entrüstet über die Esel-
haftigkeit (bestialita) und giftige Wuth des Verfassers, der
mit etwas Anderm als mit Dinte gezüchtigt zu werden ver-
diente. Ich glaube, es wäre gut, wenn einer Ihrer Freunde
ein Sendschreiben an den Pater General der Jesuiten drucken
Hesse, worin er denselben ermahnte, doch nicht das Erscheinen
solcher Niederträchtigkeiten zu dulden, deren eine allein ge-
eignet ist den Namen aller jener Hochwürdigen zu infamiren.
Glauben Sie mir, ich habe in Rom mit Verschiedenen ge-
sprochen, welche diese Rose gerochen haben, und sie Alle
sind angeekelt davon. Namentlich sprach man eines Tages
lange und mit gerechter Strenge über das, was im Anfange
des Werkes steht, wo der Autor mit gründlichem Hoch-
muth in ganz unpassender Weise seine Freundschaft und
Brüderschaft mit Fürsten herausstreicht; bei diesem aufge-
blasenen Dünkel ist es nicht zu verwundern, dass er so
wüthend und wahnsinnig über Sie hergefallen ist; er mag
von Ihnen die Errichtung von Tempeln und Altären und Weih-
rauchwolken erwartet haben. Aber lassen wir ihn in seinem
Schmutz und Gestank, und denken Sie nicht weiter an ihn."
Am 27. Sept. schreibt der Servit Fulgenzio Micanzio zu Vene-
dig2), ein Freund Sarpi's und dessen Nachfolger als Theologe
1) ix, 254.-
2) IX, 256. Fulgenzio Micanzio, geb. 1570 zu Venedig, erzogen zu
Brescia, war Lector der Philosophie in dem Kloster seines Ordens zu Bo-
logna, als er im J. 1606 als Gehülfe Sarpi's nach Venedig berufen wurde.
Er starb dort 7. Febr. 1654. Er schrieb eine Biographie Sarpi's. Griselini,
Memorie del F. Paolo Sarpi, 1760, p. 87. 10 1. Bianchi-Giovini, Frä P.
Sarpi II, 417. 472. Der älteste Brief von ihm an Galilei ist vom 26. Febr.
16 II; aber nur aus den Jahren 1631 — 42 haben wir zahlreiche Briefe an
und von Galilei; Galilei nennt in einem Briefe an ihn (VII, 55) Sarpi il
nostro q. comun padre e maestro, — Ueber einen andern Freund Sarpi's,
den Frä Fulgentio Manfredi aus dem Orden der Minoriten-Observanten, der
172 Controverse mit Sclieiner.
der Republik, — er wird uns von jetzt an in dem Brief-
wechsel Galilei's noch oft begegnen: — vDer deutsche Je-
suit scheint mir ein gescheidter Mann zu sein und alles Lob
zu verdienen. Da die Jesuiten sich so gern mit Lästern einen
Namen machen, so konnte er in seiner Profession keinen Be-
rühmtem und Höherstehenden als Sie finden und keinen,
durch den er sich bleibendere Berühmtheit verschaffen
könnte ; denn auch das ist eine Berühmtheit, ein Lästerer ge-
nannt zu werden."
Auf Scheiners Angriffe in einer besondern Schrift zu
antworten, wurde Galilei von seinen Freunden, namentlich
von Castelli und Ciampoli *), abgerathen. In seinem im Früh-
jahr 1632 erschienen Dialog setzte er sich aber mit Scheiner
gründlich aus einander, unter Bezugnahme nicht nur auf die
Rosa Ursina, sondern auch auf die früheren Schriften (s.o. S. 31).
Als er im Mai 1632 Castelli ein nachträgliches Druckfehler-
Verzeichniss zu dem Dialog schickte 2), bat er ihn, dafür zu
sorgen, dass auch die Jesuiten ein Exemplar desselben er-
hielten, ,, damit nicht Pater Scheiner, der an einer der be-
treffenden Stellen getadelt wird, sich auf diese, wenn auch
unbedeutende, Incorrectheit wirft". Dass Scheiner auf den
Dialog antworten würde, war bei seiner Neigung zur Pole-
mik nicht anders zu erwarten. In einem Briefe vom 19.
Juni 1632 3) schreibt Castelli: Scheiner sei in einer Buchhand-
lung mit einem Olivetaner- Pater aus Siena zusammenge-
kommen, und als dieser Galilei's Dialog gelobt und als das
beste Buch, das je erschienen sei, bezeichnet habe, habe
jener sich entfärbt und heftig gezittert und dem Buchhänd-
ler gesagt, er wolle gern zehn Goldscudi für ein Exemplar
bezahlen, um sofort antworten zu können. Am 11. Sept.
schreibt dann Castelli' s Schüler Evangelista Torricelli 4) :
Scheiner habe den Dialog kopfschüttelnd gelobt, indess ge-
meint, er sei wegen der vielen Digressionen eine ermüdende
Leetüre, und schliesslich gesagt, Galilei habe sich schlecht
gegen ihn benommen, er wolle aber nicht darüber reden.
Am 2 7,. Febr. 1633 schrieb Scheiner selbst an Gassendi5):
1610 zu Rom hingerichtet wurde, s. Gibbings (s. o. S. 75) und Benrath,
Allg. Ztg. 1877, No. 88 B.
1) IX, 261. 2) VII, 2. 3) IX, 274.
4) IX, 288. 5) IX, 275.
Controverse mit Scheiner. 173
„Ich bin von dem Kaiser nach Deutschland berufen, aber
die Ortsveränderung trennt Freunde nicht. Neulich sind vier
Dialoge Galilei's in italienischer Sprache erschienen, in
welchen die Copernicanische Bewegung der Erde gegen die
gewöhnliche Lehre der Peripatetiker vertheidigt wird. Er
kritisirt darin meine „Disquisitiones mathematicae" und greift
auch die „Rosa Ursina" und die von mir entdeckte jährliche
Bewegung der Sonnenflecken an. Was dünkt Ihnen davon?
Vielen gefallt diese Schrift nicht. Ich schicke mich an, mich und
die Wahrheit zu vertheidigen." Gassendi schrieb darauf am
10. Mai 1633 an Campanella x): „Es wäre ein gutes Werk, wenn
Sie den Zwist zwischen den beiden vortrefflichen und uns be-
freundeten Männern, Galilei und Scheiner, ausglichen. Beide
sind so gute Männer, so eifrig in der Erforschung der Wahr-
heit, so treu und aufrichtig; dass sie sich verfeinden müssen !"
u. s. w. Campanella wäre wohl kaum ein geeigneter Ver-
mittler gewesen2). Bald darauf wurde übrigens Galilei von
der Inquisition verurtheilt. Scheiners Entgegnung erschien
erst ein Jahr nach seinem Tode, im J. 1651 (s. u. § XXXV).
Scheiner war als Gelehrter nicht unbedeutend, „ein
guter Beobachter und erfindungsreicher Kopf", wieMädler3)
sagt, aber nicht nur ein entschiedener Anti-Copernicaner, son-
dern auch nach allem, was wir aus dem Streit mit Galilei von
ihm erfahren, ein wenig nobler Charakter. In einem sehr un-
günstigen Lichte erscheint er in den Briefen des Jüngern (Lud-
wig) Kepler. Dieser sagt in einem Briefe an Galilei vom 6.
Febr. 1638 4): „Derselbe Gegner, welcher Sie angefeindet hat,
bereitet auch mir Nachstellungen, der Jesuit Scheiner, der unter
dem Schein der Religiosität und Frömmigkeit und des Eifers
für die Römische Kirche, als ob er die dieser Kirche miss-
fallenden Lehren und Hypothesen beseitigen wollte, sich mit
fremden Federn zu schmücken sucht". Scheiner habe, er-
zählt er dann, dem Kaiser und seinen Hofbeamten vorge-
stellt, in den nachgelassenen Schriften Keplers fänden sich
1) IX, 275.
2) Er hatte am 5. Aug. 1632 (IX, 281) an Galilei geschrieben:
„Scheiner hat mir sein Buch geschenkt; aber da seine Schreibart langweilig
ist, kann ich nicht sagen, dass ich es sorgfältig gelesen".
3) Geschichte der Himmelskunde I, 255.
4) X, 265.
174 Tod Pauls V.
Prognostica, die dem Hause Oesterreich zum Schaden ge-
reichten, und die Beobachtungen des Tycho de Brahe (die
der jüngere Kepler in Händen hatte und nicht herausgeben
wollte, bis ihm die 13,000 Gulden ausgezahlt würden, welche
die kaiserliche Kammer seinem Vater schuldete), sowie
einige nachgelassene Schriften Keplers müssten wegen ihres
grossen Werthes, damit sie nicht allgemein bekannt würden,
in der kaiserlichen Bibliothek aufbewahrt werden, so dass
sie nur der Kaiser selbst und diejenigen, denen dieser es
gestatten wolle, einsehen könnten. Er selbst habe dem Kaiser
seine und seiner Schwester bedrängte Lage vorgestellt, um
Bezahlung der fraglichen Summe gebeten, aber drei Monate
keine Antwort erhalten. Auf Scheiners Betreiben habe der
Kaiser einen Böhmischen Baron beauftragt, die Manuscripte
bei Keplers Tochter zu confisciren; diese habe sie aber
nicht in Händen gehabt. Er habe bei dem Kaiser gegen
eine solche Gewaltthat protestirt u. s. w.
In einem sehr bittern und verächtlichen Tone spricht
Galilei von Scheiner in einem Briefe an Micanzio1). Dieser
Brief ist freilich aus einer spätem Zeit (9. Febr. 1636). Aber
jedenfalls war es nach dem oben Mitgetheilten mit den freund-
schaftlichen Beziehungen, in denen Galilei früher zu den
„Mathematikern des Römischen Collegs", namentlich zu Cla-
vius (f 161 2) und Griemberger, gestanden, vorbei, seit Grassi,
Scheiner und der später noch zu erwähnende Inchofer dort
den Ton angaben.
XIV.
Galilei und Papst Urban VIII.
Die Erhebung des Cardinais Maffeo Barberini auf den
päpstlichen Stuhl wurde von Galilei und seinen Freunden
als ein sehr hoffnungsvolles Ereigniss angesehen.
Paul V., unter welchem die Decrete von 161 6 erlassen
worden waren, starb nach fast 1 6 j ähriger Regierung am 28.
■) vii, 59.
Gregor XV. Urban VIII. 175
Jan. 1621. (Am 28. Febr. desselben Jahres starb der Gross-
herzog Cosimo II., am 17. Sept. Cardinal Bellarmin.) Ihm
folgte am 9. Febr. Alessandro Ludovisi, Erzbischof von Bo-
logna, schon 67 Jahre alt, aber erst seit 16 16 Cardinal, als
Gregor XV. Schon am 15. Febr. ernannte er seinen Neffen
Ludovico Ludovisi, obschon derselbe erst 25 Jahre alt war,
zum Cardinal. Auf dessen und des Cardinais Barberini Vor-
schlag wurde Ciampoli im Juli zum Secretär der Breven
an die Fürsten und bald darauf zum Canonicus von St. Peter
ernannt1). Ciampoli's Freund Virginio Cesarini wurde Ca-
meriere segreto.
Unter Gregor XV. erhielt, wie wir gesehen, Galilei's
Saggiatore in Rom das Imprimatur. Am 27. Mai 1623 schrieb
Ciampoli oder, wie er jetzt hiess, Monsignor Ciampoli, nach-
dem er die beiden ersten Bogen des Saggiatore gelesen, an
Galilei2): „Heute Abend habe ich in einer sehr langen Audienz
bei unserm Herrn vielleicht mehr als eine halbe Stunde lang
Seiner Heiligkeit Ihre ausgezeichneten Eigenschaften ge-
schildert, was er sehr gern angehört hat. Wenn Sie in jenen
Zeiten [16 16] hier die Freunde gehabt hätten, die jetzt da sind,
so wäre es vielleicht nicht nÖthig, allerlei Mittel zu ersinnen,
um jene bewunderungswürdigen Gedanken, durch welche Sie
unsere Zeit erleuchtet haben, wenigstens als philosophische
Poesieen der Vergessenheit zu entreissen."
Gregor XV. starb schon 8. Juli 1623, und nun wurde
6. August der Cardinal Maffeo Barberini, 55 Jahre alt, zum
Papst gewählt. Er nannte sich Urban VIII. Er war ge-
boren 5. April 1568 zu Florenz, kam, da sein Vater schon
1571 starb, früh nach Rom, wo sein Oheim Francesco Bar-
berini Protonotar war, erhielt seine humanistische und phi-
losophische Bildung im Römischen College, studierte dann die
Rechte an der Sapienza und zu Pisa, — die Angabe, dass er
dort Galilei's Zuhörer gewesen, ist irrig; Galilei wurde erst
1589 Professor in Pisa3), — trat im October 1588 in die
Prälatur ein, wurde 1604 Erzbischof von Nazareth i. p. und
Nuncius in Paris und 1605 Cardinal. Er hatte Sinn für
Wissenschaft und Kunst, verkehrte gern mit Gelehrten und
Humanisten und machte selbst lateinische und italienische
1) IX, 6. 11. Targioni II, 107. •
2) IX, 30. 3) Pieralisi, Urbano VIII, p. 40.
176 Galilei und Urban VIII.
Verse. Eine Sammlung von lateinischen Gedichten von ihm
erschien im Druck l).
Mit Galilei wurde Cardinal Barberini spätestens 161 1
persönlich bekannt, als jener in Rom war. Seitdem stand
Galilei mit ihm in Briefwechsel2), übersandte ihm seine
Schriften und erhielt dafür freundliche Dankschreiben. Im
J. 16 12 schrieb er ihm einen ausführlichen Brief über die
Sonnenflecken3). In den Briefen aus den Jahren 161 5 und
16 16 wird Barberini wiederholt als ein Galilei sehr gewogener
Cardinal erwähnt4); ein Anhänger der Copernicanischen
Lehre war er freilich nicht (s. o. S. 56. 92). Welche Stellung
er bei dem ersten Process gegen Galilei eingenommen, da-
rüber haben wir eine Andeutung in einem Briefe des tosca-
nischen Gesandten in Rom, Francesco Niccolini, vom 13. Nov.
1632 5): Urban VIII. habe (zur Zeit als Galilei von der In-
quisition nach Rom citirt wurde) gesagt, Gott möge es Ga-
lilei verzeihen, dass er sich in eine solche Verwicklung ge-
bracht, nachdem er selbst, als er noch Cardinal gewesen, ihn
daraus befreit. Danach ist anzunehmen, dass der Cardinal
Barberini im J. 161 6 seinen Einfluss dahin geltend machte,
dass gegen Galilei persönlich von Seiten der Inquisition nichts
geschah. Castelli schreibt ausserdem unter dem 16. März
1630 aus Rom6), Cesi habe ihm Folgendes erzählt: „Der Pater
Campanella sagte vor einigen Tagen dem Papste: er habe
einige deutsche Herren unter Händen gehabt, um sie zum
katholischen Glauben zu bekehren; dieselben seien gut dis-
ponirt gewesen; aber als sie von dem Verbote des Copernicus
gehört, hätten sie daran solchen Anstoss genommen, dass
nichts mehr zu machen gewesen sei. Der Papst antwortete
ihm wörtlich Folgendes : »Das war nie unsere Absicht, und
wäre es auf uns angekommen, so wäre jenes Decret nicht
erlassen worden«."
Am 29. Juni 16 19 schickte Galilei dem Cardinal Barbe-
rini die von (ihm und) Guiducci verfasste Schrift über die
Kometen und erhielt dafür ein freundliches Dankschreiben7).
Am 28. Aug. 1620 übersandte der Cardinal Galilei eine
1) Pieralisi p. 19. 2) VIII, 173.
3) Dieser Brief steht bei Pieralisi p. 42, zwei andere p. 47. 49, die
Antworten Barberini's VIII», 206. 208. 262. 4) VIII, 352. 355.
5) IX, 429. 6) IX, 176. 7) Pieralisi p. 63; VIII, 427.
Galilei und Urban VIII. 177
lateinische Ode auf seine astronomischen Entdeckungen; Ga-
lilei dankte unter dem 7. Sept1). Als der Neffe des Cardi-
nais, Francesco Barberini, im April oder Mai 1623 in Pisa
promovirt hatte, beglückwünschte Galilei den Cardinal;
dieser antwortete unter dem 24. Juni, wenige Wochen vor
seiner Erhebung auf den päpstlichen Stuhl2).
Einige Tage nach der Wahl Urbans VIII., am 10.
Aug. 1623, schickte Galilei die Briefe, die er von dem neuen
Papste im Laufe der früheren Jahre erhalten hatte, einer seiner
beiden Töchter, — beide waren Nonnen im Kloster S. Matteo
in Arcetri bei Florenz. Die Nonne bemerkte in ihrer Ant-
wort, der Vater werde ja ohne Zweifel dem neuen Papste
ein Glückwunschschreiben gesandt haben, er möge sie auch
dieses sehen lassen. Galilei belehrte sie, es würde sich
nicht gepasst haben, sich sofort mit einem Glückwunsche
an den Papst heranzudrängen3). Er sandte aber dem
Bruder des neuen Papstes, Carlo, und dem Neffen des-
selben, dem oben erwähnten Francesco Barberini, Gratu-
lationsschreiben 4).
Galilei's Freunde in Rom schrieben sehr erfreut über
die Papstwahl. Schon am 12. Aug. 1623 schrieb Francesco
Stelluti5): „Die Wahl des neuen Papstes hat uns Alle er-
freut. Sie kennen seine Tüchtigkeit und Güte. Er ist ein
besonderer Gönner der Literaturfreunde, und wir werden
an ihm einen grossen Maecenas haben. Er liebt sehr unsern
Fürsten [Cesi], und wie Sie gehört haben werden, hat er so-
fort unsern Don Virginio Cesarini zu seinem Maestro di Ca-
mera ernannt6); Monsignor Ciampoli bleibt nicht nur Secre-
tär der Breven an die Fürsten, sondern ist auch Geheim-
kämmerer geworden; der Cavaliere dal Pozzo, auch ein
Linceo, wird in die Dienste des Neffen des Papstes treten,
der Cardinal werden wird. So werden wir drei Mitglieder
der Akademie am Hofe haben und ausserdem viele andere
Freunde." Am 18. August schrieb Ciampoli7): „Die Wahl
1) VIII, 451; Pieralisi p. 65. Die Ode genau abgedruckt ebend, p. 22.
2) IX, 31. 3) IX, 32. 33.
4) IX, 36. Pieralisi p. 69. 5) Suppl. 122.
6) Cesarini starb bereits I. April 1624; den Cardinalshut, welchen
Urban VIII. ihm zugedacht hatte, erhielt 30. Aug. 1627 sein Bruder Alesr
sandro Cesarini, der 1636 Bischof von Viterbo wurde und 1644 starb. Cia-
conius IV, 563. 7) IX, 35.
Reu seh, Galilei. I 2
178 Galilei und Urban VIII.
erregt allgemeine Befriedigung; wir haben besondern Grund
zu jubeln, da wir Seiner Heiligkeit besonders ergeben sind
und uns seiner Liebe und seines Wohlwollens in reichem
Masse erfreuen. . . . Sie liebt unser Herr mit väterlicher
Zuneigung. Ich habe ihm in Ihfem Namen die Füsse ge-
küsst, und er hat dieses und die Freude, die Sie über seine
Erhebung ausgesprochen, besonders huldvoll aufgenommen."
Ciampoli war nun einige Jahre lang eine einflussreiche Persön-
lichkeit am päpstlichen Hofe, wohnte im päpstlichen Palaste
und hatte täglich Audienz bei Urban VIII., um Geschäfte zu
erledigen und mit ihm über Literatur und dgl. zu plaudern1).
Am 30. Sept. 161 2 schrieb Stelluti: Francesco Barbe-
rini sei an jenem Tage Mitglied der Akademie der Lincei
geworden und werde in den nächsten Tagen Cardinal wer-
den; Galilei möge nicht unterlassen, ihn zu beglückwünschen 2).
Ausser seinem 27jährigen Neffen Francesco, der am 2.
Oct. 1623 Cardinal wurde, machte der Papst am 5. Oct. 1624
auch seinen altern, 1569 geborenen Bruder Antonio, der seit
1585 Capuciner war, und am 13. Aug. 1627 einen Jüngern
Bruder Francesco's, Antonio, geb. 1608, zu Cardinälen. Fran-
cesco war aber der einflussreichste unter den Verwandten
des Papstes, der eigentliche Cardinal-Nepote oder, wie man
damals sagte, Cardinal Padrone*), der die Stellung eines Car-
dinal-Staatssecretärs einnahm; — nur als er 1625 — 26 als
Cardinal-Legat in Frankreich und Spanien war, besorgte der
ältere Antonio dessen Geschäfte ; — er ist in der Regel ge-
meint, wenn in Galilei' s Briefwechsel von dem Cardinal Bar-
berini ohne nähere Bezeichnung die Rede ist. Der ältere
Antonio, der Secretär der Inquisition war, wird gewöhnlich
als Cardinal von St. Onuphrius bezeichnet4). Von ihrer
1) Targioni II, 110. 2) IX, 38; vgl. VI, 289. 3) IX, n.
4) Vgl. Pieralisi p. 171. Ciaconius IV, 525. 531. 564. Arcliivio sto-
rico S. 3, T. 16, p. 265. Bis zur Ernennung Antonio's war Francesco Car-
dinal von St. Onuphrius, 1624 wurde er Cardinal von St. Agatha, 1633 war
er Cardinal von St. Laurentius in Damaso. Er starb 10. Dec. 1679 als Bi-
schof von Ostia und Decan des h. Collegiums. — Der ältere Antonio starb
1646. — Der jüngere Antonio (er wird oft Cardinale Antonio genannt; Wo-
lynski p. 182) wurde Cardinal(-Diakon von St. Maria in Aquiro) gegen den
Wunsch seines Bruders Francesco und unter der ausdrücklichen Bedingung,
dass er keinen Antheil an der Regierung nehmen solle. Er wurde später
Cardinal-Priester von Santa Trinitä dei Monti, dann Cardinal-Bischof von Tus-
Galilei und Urban VIII. 179
schlimmen Seite, welche sie so unbeliebt machte, dass sie
nach dem Tode Urbans VIII. aus Rom fliehen mussten1),
lernen wir die Barberini in Galilei's Briefwechsel nicht kennen.
Wie bereits erwähnt wurde, widmete die Akademie der
Lincei dem neuen Papste Galilei's Saggiatore, und Cesarini
und Rinuccini meldeten Galilei voller Freude, er habe trotz
seiner vielen Geschäfte das ganze Buch mit vielem Vergnügen
gelesen2). Dass der Papst die Widmung des Buches ange-
nommen und sich für das Buch und den Verfasser interessirte,
mag dazu beigetragen haben, dass die Versuche, ein Verbot
desselben durch die Inquisition herbeizuführen (s. o. S. 169),
nicht über das erste Stadium hinauskamen.
Es ist erklärlich, dass Galilei unter diesen Umständen
auf den Gedanken kam, nach Rom zu reisen und zu ver-
suchen, in irgend einer Weise eine Zurücknahme der unter
Paul V. ergangenen Entscheidung zu erwirken. Er schrieb
am 9. Oct. 1623 an den Fürsten Cesi3): ,,Ich bedarf sehr des
Rathes Ew. Excellenz bezüglich der Verwirklichung meines
Wunsches, vielleicht auch meiner Pflicht, nachRom zu kommen
und Seiner Heiligkeit den Fuss zu küssen. Ich möchte dieses
zur gelegenen Zeit thun, und diese bitte ich Sie mir anzu-
culum, zuletzt von Praeneste. — Der Vater der Cardinäle Francesco und An-
tonio, Urbans VIII. älterer Bruder, Don Carlo Barberini, war „General der
Kirche"; in diesem Amte folgte ihm nach seinem Tode sein dritter Sohn
Taddeo. Vgl. Ranke, Die Rom. Päpste, 5. Aufl., III, 20. 201.
1) Härter als Ranke urtheilt Reumont übel- die Neffen Urbans VIII.
Er spricht in der Gesch. Toscana's I, 428 von ihrer „fast beispiellosen Herrsch-
und Habsucht" und sagt in den Beitr. zur italien. Gesch. I, 415: „Des Gross-
herzogs (Ferdinand II.) Nachgiebigkeit gegen die täglich sich mehrenden
Ansprüche des päpstlichen Hofes schützten ihn nicht vor dem frechen Ueber-
muthe der Barberini, welche an den Medici, Estes und Farnesen ihren Aerger
ausliessen, weil es ihnen nicht gelungen war, selbst unter den regierenden
Herren Platz zu nehmen [vgl. Wolynski p. 152]. Ferdinand ermannte sich
endlich und begann im Bunde mit der Republik Venedig und den Herzogen
von Mantua und Parma einen Krieg gegen Urban VIII.", den „Krieg von
Castro"; s. Ranke III, 25. Galilei erlebte aber diesen Kampf nicht mehr.
Als nach dem Tode Urbans VIII. die Barberini aus Rom entflohen (1644),
„Hess der neue Papst Innocenz X. ihre Paläste besetzen, ihre Aemter ver-
theilen, ihre Luoghi di Monte sequestriren. Das Römische Volk stimmte
ihm in seinem Verfahren bei"; Ranke III, 40; vgl. Riv. Eur. 1877, II, 439.
Innocenz X. söhnte sich aber später mit den Barberini aus.
2) IX, 44. 50. Suppl. 154. 3) VI, 289.
180 Galilei in Rom im J. 1624.
geben. Ich beschäftige mich in Gedanken mit Dingen, welche
für die Gelehrten-Republik von einiger Bedeutung sind.
Können dieselben bei dieser wunderbaren Xonjunctur nicht
verwirklicht werden, so weiss ich nicht, ob wir hoffen dürfen,
jemals eine gleich günstige Conjunctur zu finden. Was ich
darüber im Einzelnen Ihnen mitzutheilen habe, ist zu viel,
als dass ich es zu Papier bringen könnte." Cesi antwortete
am 21. Oct. *): ,,Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass Sie
nach Rom kommen wollen und daran denken, bei der so
guten Conjunctur dieses vortrefflichen, gelehrten und gütigen
Papstes die gute Literatur und die Studien zu fördern. . .
Ihr Hieherkommen ist nöthig und wird Seiner Heiligkeit sehr
angenehm sein. Der Papst hat mich gefragt, ob und wann
Sie kämen; ... er zeigt seine Liebe und Achtung gegen
Sie mehr als je. Ich rathe Ihnen, Mitte nächsten Monats zu
kommen; das ist für Ihre Gesundheit die beste Zeit und dann
können Sie hier auch leichter und ruhiger verhandeln, da bis
dahin der Andrang der Geschäfte, der erst jetzt anfängt nach-
zulassen, vorüber sein wird." — Auch T. Rinuccini schrieb
am 20. Oct. 2): „Vor drei Tagen küsste ich unserm Herrn
die Füsse, und ich schwöre Ihnen, dass ich ihn über nichts
so sehr erfreut sah, als da ich Sie nannte. Als ich sagte,
dass Sie sehr wünschten, wenn es Ihre Gesundheit erlaubte,
zu seinen allerheiligsten Füssen zu sein, antwortete er, das
werde ihm sehr angenehm sein, vorausgesetzt, dass es ohne
Gefährdung Ihrer Gesundheit geschehen könne ; denn grosse
Männer, wie Sie, müssten sich in jeder Weise bemühen, so
lange wie möglich zu leben. . . Alle Ihre Freunde wünschen,
dass Sie kommen. . . Sie werden sehr befriedigt sein und
das mit Händen greifen, dass dieses Pontificat das Pontificat
der Guten sein und viele glorreiche Gedanken des guten
Herrn, den Gott lange erhalten möge, verwirklichen wird."
Galilei kam, da er bei der ungünstigen Jahreszeit nicht
reisen mochte3), erst im April 1624 in Rom an. Die Gross-
herzogin Wittwe Christina von Lothringen gab ihm ein Em-
pfehlungsschreiben an ihren Sohn, den Cardinal de' Medici,
mit4). Er verweilte auf der Reise einige Tage zu Acquasparta
bei dem Fürsten Cesi5). Am 15. Mai schrieb er an diesen von
1) IX, 42. 2) IX, 40. 3) VI, 291
4) IX, 56. 5) VI, 292.
Galilei in Rom im J. 1624. 181
Rom aus: „Der Rath, den Sie mir in Ihrem freundlichen [nicht
erhaltenen] Schreiben vom 1 1. d.ertheilen, ich solle mich auf ein
sehr langes Verhandeln an dem hiesigen Hofe gefasst machen,
würde mir ganz vortrefflich erscheinen, wenn sich die Natur
herbeilassen wollte, die wenigen Tage, die mir noch übrig
sind, in Jahre oder in Monate zu verwandeln. In der That
finde ich es jeden Tag durch die Erfahrung bestätigt, dass
ich einige von den Plänen, von denen wir mit einander ge-
redet, würde zu Ende führen können, wenn ich Zeit, Kalt-
blütigkeit und Geduld genug hätte*. Da ich aber bezweifle,
ob ich Zeit genug haben werde, und einige meiner Specu-
lationen [wissenschaftlichen Arbeiten] zu vollenden wünsche,
werde ich wohl bald zu meiner Ruhe und freien Müsse zu-
rückkehren. . . . Ich war vor drei Tagen mit mehreren Ge-
lehrten bei dem Cardinal von Santa Susanna !) zum Früh-
stück. Wir sprachen Stunden lang über viele Dinge, aber
über keinen der Punkte, auf die es uns vor allem ankommt;
ich habe indess erkannt, dass wir Gutes hoffen dürften, wenn
nicht die Zeit zu kurz wäre. Ich habe zweimal ein langes Ge-
spräch mit dem Cardinal Zoller [Eitelfritz von Hohenzollern,
Bischof von Osnabrück] gehabt, der zwar mit unseren Studien
nicht sonderlich gründlich bekannt ist, aber doch den Haupt-
punkt und das Quid agendum bei der Sache versteht. Er hat
mir gesagt, er wolle mit Seiner Heiligkeit vor seiner Abreise
davon reden. Wir wollen sehen, was er erreicht. Aber die
Mannigfaltigkeit der Geschäfte, die für unendlich viel wich-
tiger gehalten werden als dieses, ist Schuld, dass man diesen
Dingen keine Beachtung schenkt." Am 8. Juni2) berichtete
er weiter: ,,Ich bin von dem Papste sehr ehrenvoll und
freundlich behandelt worden. Ich war sechsmal bei ihm und
habe lange Gespräche mit ihm gehabt. Als ich mich gestern
bei ihm verabschiedete, versprach er mir eine Pension für
meinen Sohn3). Vor drei Tagen schenkte er mir ein schönes
i) Damals (seit 16 16) war Scipio Cobelluzzi Cardinal von Santa Su:
sanna (f 1627); früher hatte Card. Borgia diesen Titel.
2) VI, 295.
3) Diese Pension wurde erst 1627, nachdem Galilei's Freunde den
Papst wiederholt an 'sein Versprechen erinnert, im Betrage von 60 Scudi
wirklich bewilligt. Sie wurde auf ein Beneficium angewiesen und die Be-
dingung gestellt, dass Galilei's Sohn Vincenzo Kleriker werde, also wenig-
stens sich die Tonsur geben lasse (geistliche Kleidung zu tragen, war bei
182 Galilei in Rom im J. 1624.
Bild, zwei Medaillen, eine goldene und eine silberne, und eine
gute Quantität Agnus Dei. Der Cardinal [Francesco] Barbe-
rini hat mich immer mit gewohnter Freundlichkeit behandelt;
desgleichen sein vortrefflicher Vater und seine Brüder. Unter
den anderen Cardinälen habe ich wiederholt mit Vergnügen
Santa Susanna, Buoncompagno x) und Zoller gesprochen.
Letzterer ist gestern nach Deutschland abgereist. Er sagte
mir, er habe mit Seiner Heiligkeit über Copernicus gesprochen
und bemerkt: die Häretiker seien alle seiner Meinung und
hielten sie für gewiss; darum müsse man sehr vorsichtig sein,
wenn man zu einer Entscheidung kommen wolle. Der Papst
habe geantwortet; die h. Kirche habe jene Meinung nicht
als häretisch verdammt und werde sie nicht als häretisch ver-
dammen, sondern nur als verwegen; es sei aber nicht zu
fürchten, dass sie je Einer als sicher wahr erweisen sollte.
Der Pater Riccardi und Herr Scioppio 2) sind zwar weit ent-
fernt, sich so, wie es nöthig wäre, mit dergleichen astrono-
mischen Speculationen bekannt machen zu können; aber sie
sind entschieden der Ansicht, es handle sich dabei nicht um
eine Glaubenssache und es sei nicht in der Ordnung, irgend-
wie die Bibel hineinzuziehen. Was das Wahr oder Nicht-
Pensionen von nicht mehr als 60 Scudi nicht erforderlich). Vincenzo hatte
aber, wie Castelli Suppl. 195 schreibt, „nicht eine einfache Abneigung, son-
dern einen giftigen Hass gegen den geistlichen Stand". Durch die Vermitt-
lung des Card. Barberini wurde dann die Pension auf Galilei's Neffen Vin-
cenzo, 1630 auf Galilei selbst übertragen und auf 100 Scudi erhöht; IX,
200. 204. 221. Die Auszahlung stiess aber auf allerlei Schwierigkeiten. Ob
Galilei die Bedingung, die Tonsur zu nehmen (IX, 222. Suppl. 239), wirk-
lich erfüllt hat, wie Schneemann S. 400 u. A. annehmen, ist aus dem Brief-
wechsel nicht zu ersehen. (Schneemann stellt der Bemerkung, die er Gebier
und Anderen in den Mund legt: die Jesuiten hätten durch die moralische
Vernichtung des Laien Galilei sich das Monopol der "Wissenschaft und des
Unterrichts sichern wollen, die Notiz entgegen: „Galilei war nicht Laie, son-
dern Geistlicher, da er . . . die Tonsur genommen hatte" !) Galilei genoss
die Pension auch noch nach seiner Verurtheilung; Suppl. 286. Vgl. Martin,
Galilee p. 95.
1) Francesco Buoncompagni, ein Neffe Gregors XIIL, von Gregor XV.
1621 zum Cardinal ernannt. Er wurde 1626 Erzbischof von Neapel und
starb dort 1641. S. o. S. 167.
2) Der bekannte Convertit und Controversist Caspar Scioppius (Schoppe),
geb. 1576 zu Neumarkt in der Oberpfalz, der 1598 zu Rom katholisch
wurde und 1649 zu Padua starb. X, 337. 431. Hurter, Nomenciator I, 779.
Galilei in Rom im J. 1624. 183
Wahr betrifft, so hängt Riccardi weder dem Ptolemäus noch
dem Copernicus an, sondern beruhigt sich in seiner Weise
mit der bequemen Annahme, die Engel bewegten ohne
Schwierigkeit oder Verwirrung die Sterne in der Weise, wie
sie sich bewegen1), und das müsse uns genügen. . . Ueber
alle diese Dinge, die ich hier angedeutet, hätte ich Ihnen im
Einzelnen noch manches mitzutheilen. Aber im Allgemeinen
haben meine Freunde und ich die Ueberzeugung gewonnen:
wenn ich hier bliebe, könnte ich von Tag zu Tag eher etwas
gewinnen als verlieren; da aber das Verhandeln in Rom
sehr langsam geht und die Zeit, die mir noch zu Gebote
steht, vielleicht sehr kurz ist, so sei es besser, dass ich mich
in meine Ruhe zurückziehe und irgend einen meiner Ge-
danken zur Ausführung zu bringen suche, um dann davon
den Gebrauch zu machen, welchen die Verhältnisse, der Rath
der Freunde und namentlich der Befehl Ew. Excellenz
gebieten werden."
Bei Gelegenheit der Rückkehr Galilei' s nach Florenz
übersandte der Papst dem Grossherzog Ferdinand II. ein
vom 8. Juni 1624 datirtes, von Ciampoli verfasstes Breve2)
voll schwungvoller Lobsprüche auf Galilei. Gleichzeitig
schrieb der Cardinal Nepote an die regierende Grossher-
zogin und an die Grossherzogin Mutter.
Im März 1625 lud Monsignor Ciampoli Galilei ein, nach
Rom zu kommen, um den Jubiläumsablass zu gewinnen, und
bei diesem Besuche bei ihm zu wohnen. Galilei war nicht ab-
geneigt, scheint aber den Reiseplan aufgegeben zu haben, als
Ciampoli ihm schrieb : er werde zwar ohne Zweifel eine Au-
dienz bei dem Papste haben können; aber über wissenschaft-
liche Dinge zu verhandeln, werde unter den augenblicklichen
Verhältnissen, wo politische Dinge die Aufmerksamkeit ab-
sorbirten, nicht wohl angehen3). Im April rieth auch Cesi,
nach Rücksprache mit Ciampoli, Galilei, seine Reise nach
Rom jedenfalls bis zum Herbst zu verschieben4). In Wirk-
lichkeit kam Galilei erst im J. 1630 wieder nach Rom.
i) Das war damals bei den Theologen die gewöhnliche Ansicht; vgl.
Riccioli, Almagestum novum II, 248 a.
2) IX, 60; s. o. S. 11.
3) Suppl. 178. 179. 4) IX, 82.
84 Galilei's Schreiben an Ingoli.
XV.
Galilei's Schreiben an Ingoli und andere Torarbeiten
für den Dialog.
Wenn Galilei gehofft hatte, bei seiner Anwesenheit in
Rom. im J. 1624 eine directe Zurücknahme des Decretes von
161 6 oder eine nochmalige Prüfung der Copernicanischen
Lehre durch die Römischen Behörden erwirken oder an-
bahnen zu können, so sah er sich in dieser Hoffnung ge-
täuscht. Er scheint sich darum noch während seines Auf-
enthalts in Rom entschlossen zu haben, nunmehr indirect
für die Vertheidigung der Copernicanischen Lehre zu wirken.
Wie in den bisher mitgetheilten, so findet sich auch in
den brieflichen Aeusserungen Galilei's aus den folgenden
Jahren keine Spur davon, dass er geglaubt habe, über die
Copernicanische Theorie überhaupt nicht schreiben zu dür-
fen. Sie in der Weise hypothetisch zu erörtern, wie er das
im Saggiatore gethan, hielt er für zulässig und müssen auch
die Römischen Behörden für zulässig gehalten haben, da
der Druck des Saggiatore gestattet und trotz der Denun-
ciation dieses Buches gegen Galilei nicht eingeschritten
wurde. Daraus folgt, dass die Römischen Behörden wie
Galilei selbst nicht annahmen, es sei ihm im J. 16 16 ein
über das Index-Decret von jenem Jahre hinausgehendes
Verbot ertheilt worden. Daraus folgt nun aber, wie be-
reits früher (S. 147) hervorgehoben wurde, nicht weiter, dass
Galilei nicht am 26. Febr. 16 16 in der Weise, wie die Auf-
zeichnung von jenem Tage angibt, von dem Commissar der
Inquisition verwarnt worden sei. Zur Erklärung jener That-
sache genügt vielmehr die Annahme, dass jene Verwarnung
von Galilei selbst nur als eine förmliche und specielle Notifi-
cation der durch das Index-Decret publicirten allgemeinen
Entscheidung der Inquisition, nicht als eine über diese Ent-
scheidung hinausgehende, nur für Galilei geltende, diesem
jede Erörterung der Copernicanischen Lehre verbietende
Weisung aufgefasst wurde.
Galilei's Schreiben an Ingoli. 185
Wenn Galilei in dem Saggiatore nur nebenbei von der
Copernicanischen Theorie gesprochen hatte, so glaubte er
jetzt einen Schritt weiter gehen und es mit einer ausführ-
lichen Erörterung derselben ex professo, — natürlich immer
nur in hypothetischer Form, in der Weise, wie er es in
dem Briefe an den Cardinal Orsini (s. o. S. 155) gethan, —
versuchen zu dürfen.
Als er im J. 161 6 in Rom war, übersandte ihm der
Advocat Francesco Ingoli, der Galilei persönlich sehr hoch-
achtete, aber ein Gegner der Copernicanischen Lehre war,
eine lateinische Abhandlung, worin er astronomische, philo-
sophische und theologische Argumente gegen jene Lehre
entwickelt hatte1). Die Abhandlung fand in Abschriften
Verbreitung2). Ihre Argumente wurden in Keplers Epitome
berücksichtigt. Diese wurde 1619 auf den Index gesetzt,
und Ingoli schrieb eine Entgegnung darauf, die aber nicht
gedruckt wurde3). Im J. 1624 schrieb nun Galilei in der
Form eines Briefes an Ingoli, der seit 1622 Secretär der
Congregation der Propaganda war, eine Widerlegung der
astronomischen und philosophischen Argumente jener Schrift
von 16164). Die theologischen Argumente erklärt er bei
Seite lassen zu wollen. Weiter sagt er: „Ich habe nicht
die Absicht, jenen Satz als wahr zu erweisen, von welchem
erklärt worden ist, er sei verdächtig und widerspreche jener
Lehre, welche an Majestät und Autorität die naturwissen-
schaftlichen und astronomischen Disciplinen übertrifft; ich
will vielmehr nur zeigen, dass ich, als ich mit Astronomen
und Philosophen disputirte, nicht darum, weil ich die von
Ihnen vorgetragenen Argumente nicht gekannt oder nicht
verstanden, bei der Meinung geblieben, die Copernicanische
Hypothese und nicht die Ptolemäische könne und müsse
die wahre sein. Dazu kommt noch ein anderer Grund. Auf
die von Ihnen angeführten Argumente ist nicht wenig Ge-
wicht gelegt worden, selbst von Personen von solcher
Autorität, dass sie zu der Verwerfung der Copernicanischen
Meinung durch die Index- Congregation haben mitwirken
1) De situ et quiete terrae contra Copernici systema disputatio, hand-
schriftlich in der Vaticanischen Bibliothek; s. II, 64.
. 2) VIII, 393- 3) n, 115.
4) Zuerst gedruckt 18 12, abgedruckt II, 64—115.
186 Galilei's Schreiben an Ingoli.
können. Solche Schriften sind, wie ich höre, auch zu ver-
schiedenen Nationen jenseits der Alpen und vielleicht auch
in die Hände von Häretikern gelangt. Darum glaube ich
es meiner Reputation und der Reputation Anderer schuldig
zu sein, zu hindern, dass diese von unserer Gelehrsamkeit
zu gering denken und meinen, es habe unter den Katholi-
ken Niemand gegeben, der erkannt hätte, dass jene Schrif-
ten viel zu wünschen übrig lassen, oder man habe auf jene
Schriften hin die Meinung des Copernicus verworfen, ohne
zu fürchten, dass jemals einer von denjenig-en, die von uns
getrennt sind, für die Wahrheit jener Meinung einen sichern
und zwingenden Beweis liefern oder eine augenscheinliche
Erfahrung anführen könne. Um die Häretiker zu beschä-
men, von denen, wie ich höre, die angesehensten alle die
Meinung des Copernicus theilen, will ich diesen Gegenstand
ausführlich behandeln und ihnen zeigen, dass wir Katholiken
nicht aus Mangel an natürlicher Einsicht und nicht aus Un-
kenntniss der vielen ihnen bekannten Gründe und Er-
fahrungen, Beobachtungen und Demonstrationen bei der
alten Wahrheit bleiben, die uns die heiligen Schriftsteller
lehren, sondern aus Ehrfurcht vor den Schriften unserer
Väter und aus Eifer für die Religion und unsern Glauben.
Wenn sie sehen, dass wir alle ihre astronomischen und
naturwissenschaftlichen Gründe sehr wohl kennen, ja dazu
noch andere, die gewichtiger sind als die bisher vorge-
brachten, so können sie uns höchstens als Leute bezeichnen,
die sehr fest an ihrer Meinung hangen, aber nicht als blind
und unbekannt mit den weltlichen Wissenschaften. Daran
kann ja aber schliesslich einem wahren katholischen Christen
nicht viel liegen, wenn ein Häretiker ihn darüber verlacht,
dass er die Ehrfurcht und den Glauben, der den heiligen
Schriftstellern gebührt, über alle Gründe und Erfahrungen
setzt, welche alle jene Astronomen und Philosophen zu-
sammen anführen"1). ,
Dass es mit dieser Motivirung Galilei nicht Ernst war,
dass er sich vielmehr durch dieselbe nur die Möglichkeit
sichern wollte, ohne mit den kirchlichen Behörden in Con-
flict zu kommen, die Copernicanische Lehre zu vertheidigen,
liegt auf der Hand. Gleich darauf hält er Ingoli vor : „Sie
i) II, 66.
Galilei's Schreiben an Ingoli. 187
müssen doch wissen, dass Copernicus mehr Jahre auf diese
schwierigen Speculationen verwendet hat, als Sie Tage.
Darum durften Sie sich nicht so leicht einbilden, Sie könn-
ten einen solchen Mann zu Boden werfen, zumal mit solchen
Waffen, wie die sind, mit denen Sie ihn angreifen ; Sie brin-
gen ja doch nur einen Theil der ganz gewöhnlichen und
landläufigen Einwendungen vor, und wenn Sie etwas Eige-
nes beifügen, so ist das noch schwächer als das Andere"1).
Am Schlüsse sagt er: „So viel für jetzt über Ihre physica-
lischen und astronomischen Einwendungen gegen das System
des Copernicus. Viel ausführlicher werde ich davon reden,
wenn mir die Zeit und die Kraft vergönnt sein werden,
meine Abhandlung über Ebbe und Fluth zu vollenden, in
welcher ich, indem ich die der Erde zugeschriebene Be-
wegung hypothetisch zu Grunde lege, Veranlassung haben
werde, alles eingehend zu prüfen, was über diesen Gegen-
stand geschrieben ist"2).
In der Alberi'schen Ausgabe der Werke Galilei's trägt
dieses .Sendschreiben an Ingoli das Datum „Rom im Früh-
jahr 1624" 3). Dasselbe ist aber während des Aufenthaltes
in Rom wohl nur angefangen, nicht vollendet worden. Denn
am 21. Juni schreibt Guiducci an Galilei nach Florenz4):
„Falls Sie die Schrift Ingoli's noch nicht ^von Cesare Marsili
erhalten haben, werde ich sie Ihnen schicken. [Galilei
scheint also um die Uebersendung derselben gebeten zu
haben, um sie bei der Vollendung seiner Entgegnung noch-
mals zu vergleichen.] Es freut mich, dass Sie auf den Ge-
danken gekommen sind, sich gegen solche Leute zu erheben,
denen Manche aus Höflichkeit und Frömmigkeit Triumphe
zuschreiben. Aber Sie müssen ihm ohne alle Barmherzig-
keit die Rechnung revidiren. Und wenn es nicht anmas-
send von mir wäre, Ihnen einen Rath zu ertheilen, so würde
ich Ihnen empfehlen, nur auf die Argumente zu antworten,
die er mathematische und philosophische nennt, und die
theologischen, wenigstens für jetzt, beiseitezulassen; denn
bezüglich dieser würde ihm die Erwiederung leichter sein."
Erst am 23. Sept 1624 schreibt Galilei an Cesi5): „Ich habe
die Schrift von Ingoli beantwortet". Er schickte diese Ant-
1) II, 67. 2) II, 114. 3) II, 64.
4) IX, 63. 5) vi, 298.
188 Galilei's Schreiben an Ingoli.
wort Ende October nach Rom an Guiducci. Dieser schreibt
am 26. Oct. *), er werde die Figuren dazu machen und
sie dann Ciampoli und anderen Freunden vorlesen, auch,
wie Galilei wünschte, dem Pater Grassi. Ciampoli rieth,
zwei Sätze der Schrift, welche, „wenn sie auch nichts
Schlimmes enthielten, doch censurirt werden könnten", zu
ändern, womit Galilei sich einverstanden erklärt zu haben
scheint2). Ciampoli sprach dann im November mit dem
Papste über die Schrift und „bemerkte, wie Guiducci Galilei
schrieb3), Seiner Heiligkeit, es sei gut, der Verwegenheit
solcher Leute zu steuern, welche über Dinge schrieben, die
sie nicht verständen". Später las er dem Papste einen
grossen Theil der Schrift vor4).
Die weitere Verbreitung dieser kleinen Schrift Galilei's
wurde zunächst verschoben, als bekannt wurde, es werde
bald eine Schrift von Scipio Chiaramonti gegen die Coper-
nicanische Theorie und gegen Galilei's nicht gedruckte Ab-
handlung über Ebbe und Fluth (s. o. S. 155) erscheinen.
Diese Schrift dachte man abzuwarten5). Ehe dieselbe aber
erschien, beschloss Galilei auf den Rath seiner Freunde in
Rom, das Sendschreiben an Ingoli überhaupt nicht weiter
zu verbreiten, auch Ingoli selbst, der davon gehört und um
eine Abschrift gebeten6), eine solche nicht zu geben. Gui-
ducci theilte nämlich am 18. April 16257) Galilei mit, es sei
ein Einschreiten der Inquisition gegen den Saggiatore bean-
tragt worden (s. o. S. 169). Er fügt bei, der Pä*ter Gue-
vara, der durch sein günstiges Gutachten jenes Einschreiten
vereitelt habe, sei jetzt als Begleiter des Cardinais Francesco
Barberini in Frankreich, und gibt dann, zugleich im Auftrage
des Fürsten Cesi, Galilei Folgendes zu bedenken: „Da wir nun
jetzt diese Stütze nicht haben, so scheint es uns nicht rath-
sam, dass Sie sich der Gefahr einer Unannehmlichkeit aus-
setzen. In dem Briefe an Ingoli wird die Meinung des
Copernicus ex professo vertheidigt, und wenn darin auch
1) Suppl. 165; vgl. 168.
2) Suppl. 169. 171. 173. 176.
3) IX, 97. Der Brief scheint mir nicht am 28. Dec. 1625, sondern
1624 geschrieben zu sein. 4) Suppl. 173.
5) VI, 299. Suppl. 165. 167. 171. 172. 173.
6) Suppl. 174. 7) IX, 79.
Scipio Chiaramonti. 189
ausdrücklich gesagt wird, sie werde kraft eines höhern
Lichtes als falsch erkannt, so werden die weniger Wohlge-
sinnten dies nicht glauben und von neuem Lärm machen.
Und da uns der Schutz des Cardinais Barberino mangelt,
der abwesend ist, und in diesem Punkte ein anderer ein-
flussreicher Herr unser Gegner ist, der früher Ihr Haupt-
vertheidiger war [der Cardinal Santa Susanna oder Car-
dinal Orsini? s. u.], da ferner der Papst durch die Kriegs-
wirren sehr verstimmt ist, so dass man mit ihm nicht von
der Sache reden könnte1), so würden Sie sicher der Discre-
tion und Intelligenz der Mönche preisgegeben sein. Aus
allen diesen Gründen scheint es uns besser, von der Ver-
breitung der Schrift Abstand zu nehmen und diese Frage
lieber ein wenig im Schlafe zu lassen, als sie wach zu erhal-
ten auf die Gefahr hin, Verfolgungen zu provociren und sich
gegen Leute vertheidigen zu müssen, die in aller Freiheit
angreifen dürfen. Mittlerweile kann die Zeit der Sache zu
Gute kommen. . . . Der Cardinal Orsini ist Ihnen noch
immer sehr gewogen; aber der Apelles [P. Scheiner, s. o.
S. 32] steht bei ihm sehr in Gunst."
Im Mai 1625 theilte Cesare Marsili auf den Wunsch
Galilei's den Brief an Ingoli dem Erzbischof Corsini von
Bologna mit2). Von einer weitem Verbreitung desselben
wurde aber, wie gesagt, Abstand genommen, und gedruckt
wurde er bei Galilei's Lebzeiten nicht. Galilei entwickelte
aber, wie wir sehen werden, die in dem Briefe ausgespro-
chenen Gedanken ausführlicher in seinem Dialog.
Der oben erwähnte Chiaramonti hatte schon 1621 mit
1) P. Schneemann verdreht diese Stelle, wenn er sagt: ,,Urban VIII.
hasste alle theologischen Zänkereien. . . Ohne Zweifel waren ihm ebenfalls
die in Betreff des Copernicanischen Systems erregten Streitigkeiten höchst
zuwider, so zwar, dass die Umgebung des Papstes mit demselben darüber
nicht zu sprechen wagte, wie Güiducci seinem geliebten Lehrer schrieb".
Der Papst war nach Guiducci's Mittheilung, die mit der oben S. 183 er-
wähnten Mittheilung Ciampoli's übereinstimmt, eben damals „durch die
Kriegswirren sehr verstimmt", und darum glaubte man damals nicht über
die Copernicanische Sache mit ihm reden zu dürlen.
2) IX, 84. Mit Cesare Marsili wurde Galilei 1624 bekannt und stand seit-
dem mit ihm in Correspondenz ; er wurde auf seinen Vorschlag zum Mitglied
der Akademie der Lincei ernannt. (VI, 293. IX, 73. 75.) Er starb schon
1633 (VI, 299).
190 Scipio Chiaramonti.
einer Schrift, die „Anti-Tycho" betitelt ist, sich an der Con-
troverse über die Kometen (s. o. S. 160) betheiligt1). Er
war ein entschiedener Anticopernicaner und stand bei hoch-
gestellten Personen in Rom in grossem Ansehen; von dem
Cardinal Santa Susanna meldet Guiducci 8. Nov. 16242):
„er hoffe, Chiaramonti werde den Aristoteles wieder in sein
altes Recht einsetzen, die naturwissenschaftlichen Fragen
in letzter Instanz zu entscheiden". Galilei und seine Freunde
taxirten Chiaramonti's wissenschaftliche Bedeutung weniger
hoch, standen aber persönlich auf gutem Fusse mit ihm.
Die Schrift, auf deren Erscheinen man Ende 1624 wartete,
war damals allerdings fertig, wurde aber, da Chiaramonti
nicht eher einen Verleger fand, erst 1631 gedruckt3]. Es
ist ein Supplement zu dem Anti-Tycho, handelt also zu-
nächst auch wieder von den Kometen, bekämpft aber zu-
gleich die Copernicanische Theorie. Galilei erhielt durch
die Vermittlung Marsili's im Januar 1626 eine Abschrift,
gleichzeitig* mit einer Streitschrift gegen Chiaramonti's Anti-
Tycho, welche Kepler 1625 unter dem Titel „Hyperaspistes
Tychonis" veröffentlicht und der er einen Anhang über Ga-
lilei's Saggiatore beigefügt hatte4). Er schreibt darüber 17.
Jan. 16265) an Marsili: „Ich habe gestern das Buch von
Kepler erhalten und den auf mich bezüglichen Anhang
durchgesehen. Einige Tage vorher erhielt ich die Schrift
Chiaramonti's gegen die Copernicanische Hypothese. Soll
ich Ihnen offen meine Meinung sagen, beide Schriften schei-
nen mir sehr schwach zu sein. Freilich von dem An-
hange verstehe ich nur das Wenigste, ich weiss nicht, ob
wegen meiner geringen Fähigkeit oder wegen des extra-
vaganten Stiles des Verfassers. Es will mir scheinen, als
ob er, da er seinen Tycho nicht gegen meine Einwendungen
1) XV, Bibliogr. XII. Venturi II, 58; vgl. Suppl. 170. Chiaramonti
wurde 1624 Professor der Philosophie in Pisa (VI, 203. Suppl. 175), blieb
dort bis 1636 und kehrte dann in seine Vaterstadt Cesena zurück, wo er 3.
Oct. 1652 fast 100 Jahre alt starb.
2) Suppl. 169.
3) De sede sublunari cometarum opuscula tria in supplementum Anti-
tychonis cedentia. Amsterdam 1636. Venturi II, 126.
4) VI, 309. Vgl. XV, Bibliografia XII. Venturi II, 58. Der auf
den Saggiatore bezügliche Anhang ist V, 613 — 629 abgedruckt.
5) VI, 310-
Scipio Chiaramonti. 191
vertheidigen konnte, sich daran geg'eben, etwas zu schrei-
ben, was Andere nicht verstehen könnten und was er viel-
leicht selbst nicht versteht. Was Chiaramonti's Schrift betrifft,
so werde ich in meinen Dialogen Gelegenheit genug finden,
das sehr Wenige zu widerlegen, was er ausser den ge-
wöhnlichen* Argumenten vorbringt. Kurz, die Erörterungen
dieser hervorragenden Männer (primati)1) heben ein wenig
die geringe, um nicht zu sagen verzagte Meinung, die ich
immer von meinen geistigen Gaben gehabt, und statt Furcht
zu empfinden, fühle ich meinen Muth wachsen, das begon-
nene Werk fortzusetzen und zu versuchen, die Dialoge zu
vollenden, — wenn nur der Himmel mir mehr Kraft gibt,
als ich gegenwärtig in Folge meiner schlechten Gesundheit
besitze, deren Hauptfeind gerade das Schreiben ist." In
einem spätem Briefe an Marsili, vom 20. März 16262),
schreibt er: „Ich dachte, ich müsste auf den Anhang Kep-
lers antworten, um seiner und um meiner Reputation willen,
wiewohl die Antwort so leicht ist, dass jeder in diesen Stu-
dien nur einigermassen Bewanderte sehen kann, dass er
durchaus Unrecht hat. Ich wusste aber nicht, wie ich die
Antwort veröffentlichen könnte, die nur ganz kurz sein
kann. Ich dachte daran, sie in der Form eines Briefes an
Chiaramonti zu geben, den dieser dann seiner Erwiederung
als Anhang beifügen könnte. Aber da ich die Ansichten
Chiaramonti's durchaus nicht theile und in einem andern
Werke werde widerlegen müssen, so wird es nicht gut an-
gehen, in solcher Weise zu bekunden, dass ich in diesem
Punkte auf seiner Seite stehe. Es wird vielleicht besser sein,
dass ich darüber an Sie schreibe und dass Sie meinen Brief
wie zufällig Chiaramonti einhändigen, der ihn dann seiner
Antwort beifügen mag. Denken Sie darüber nach und sagen
Sie mir Ihre Meinung." Marsili erklärte sich damit einver-
standen3), der Plan kam aber nicht zur Ausführung. — Am
12. Jan. 16304) schreibt Galilei an Marsili: „Dass ich [in
meinen Dialogen] dem Ritter Chiaramonti bezüglich seiner
Widerlegung des Copernicus widersprechen muss, thut mir
i) Damit sind also Kepler und Chiaramonti gemeint, nicht Letzterer,
Grassi und Scheiner, wie Wolynski S. 43 annimmt.
. 2) VI, 312; vgl. 311. 3) VI, 3x3,
4) VI, 335- vgl. 337.
192 Galilei's Dialog.
um so mehr leid, als die Widerlegung frivol ist und zeigt,
dass er jenen Autor nicht gelesen, geschweige denn studiert
und verstanden hat. Ich werde ihn ab er "möglichst schonend
behandeln, da ich ihn im Uebrigen sehr verehre."
Die Antwort Chiaramonti's auf die Schrift von Kepler
erschien 1626 unter dem Titel „Apologia pro Ant'i-Tychone".
In demselben Jahre vollendete er noch eine andere Schrift
„über die drei neuen 1572, 1600 und 1604 erschienenen
Sterne . . . gegen Tycho, Kepler . . . und mehrere An-
dere", die aber erst 1628 gedruckt wurde. Später, 1633,
nach der Verurtheilung Galilei's Hess er dann noch eine
italienisch geschriebene „Difesa al suo Antiticone" als Ent-
gegnung auf Galilei's Dialog folgen1).
XVI.
Galilei's Dialog über die beiden Weltsysteme.
Schon in einem Briefe, den Galilei am 7. Mai 16102),
als über seine Berufung von Padua nach Florenz verhandelt
wurde, an den grossherzoglichen Staatssecretär Belisario
Vinta schrieb, spricht er die Absicht aus, ein Werk de syste-
mate seu constitutione universi, — „ein umfassendes Thema
voll Philosophie, Astronomie und Geometrie", — sowie ein
zweites de ?notu locali, „eine ganz neue Wissenschaft", aus-
zuarbeiten. Im J. 161 2 stellte er dem Fürsten Cesi ein Werk
del sistema massimo in Aussicht3). In der 1616 verfassten
Abhandlung über Ebbe und Fluth spricht er wieder von
einem Buche über das „Weltsystem", welches er herausgeben
wolle4). In Folge des in jenem Jahre erschienenen Decretes
und des ihm insinuirten Verbotes gab er damals den Plan
wieder auf. Das Werk erschien erst 1632 unter dem Titel
i) XV, Bibliografia XII. Venturi II, 126; s. u. § XXXIV.
2) VI, 97- 3) VIII, 224. 4) n, 388; s. o. S. 155.
Galilei's Dialog. 193
,, Dialog über die beiden grössten Weltsysteme, das Ptole-
mäische und das Copernicanische" *).
In dem Verhöre am 12. April 1633 sagt Galilei, er habe
vor 10 — 12 Jahren, also zwischen 1621 und 1623, mit der Aus-
arbeitung des Dialogs begonnen und 7 — 8 Jahre, aber nicht
ununterbrochen, daran gearbeitet2). Der Dialog ist ohne
Zweifel gemeint, wenn er in dem im J. 1624 geschriebenen
Briefe an Ingoli von einer „Abhandlung über Ebbe und
Fluth" spricht (s. o. S. 187), an der er arbeite3); Ebbe und
Fluth sollten auf dem Titelblatte des Dialogs ausdrücklich
erwähnt werden, was nur auf Befehl des Papstes unterblieb4).
In den Briefen aus dem J. 1625 ist wiederholt von den
„Dialogen" die Rede als von einer Schrift, mit deren Aus-
arbeitung er beschäftigt sei5).
Am 24. Dec. 1629 schrieb Galilei an Cesi6): „Mit meiner
Gesundheit geht es ziemlich gut, so dass ich vor zwei Mo-
naten die Feder wieder ergriffen und meine Dialoge dem
Hafen nahe gebracht und ziemlich gut die Dunkelheiten auf-
gehellt habe, die ich immer für fast unüberwindlich gehalten.
Was die wissenschaftlichen Erörterungen betrifft, so habe
ich wenig mehr beizufügen, und bei diesem Wenigen han-
delt es sich um Dinge, die bereits gut überlegt und leicht
zu erörtern sind. Es fehlen noch die förmliche Einleitung
und die Verbindungen der Anfänge der Dialoge mit den
folgenden Erörterungen, und das sind mehr oratorische oder
poetische als wissenschaftliche Dinge; indess wünschte ich
mir dazu etwas Geist und Schwung. Ich werde meine Freunde
zu Hülfe rufen, wenn meine Muse nicht Genius genug haben
sollte. Bezüglich des Druckes weiss ich nicht recht, ob ich
nicht seiner Zeit nach Rom kommen soll, um nicht Andere
mit der Correctur zu belästigen. Ich möchte auch die lieben
Gönner und Freunde noch einmal sehen, ehe ich das Augen-
1) Vollständig: Dialogo di Galileo Galilei Linceo Matematico Sopra-
ordinario dello Studio di Pisa e Filosofo e Matematico Prion ario del Sere-
nissimo Granduca di Toscana: dove nei congressi di quattro giornate si dis-
corre sopra i due Massimi Sistemi del Mondo, Tolemaico e Copernicano,
proponendo indeterminatamente le ragioni filosofiche e naturali tanto per l'una
quanto per l'altra parte.
2) Acten S. 76. 3) IT, 115; vgl. VI, 298.
4) Acten S. 57; s. u. S. 206. 5) Suppl. 177. 182. 183 ; VI, 304. 311.
6) VI, 333; vgl. 331. 336.
Reusch, Galilei. 13
194 Galilei's Dialog.
licht verliere, welches bei meinem hohen Alter sehr ab-
nimmt." Am 12. Jan. 1630 schrieb er an Marsili1): „Ich
bin mit der Revision meiner Dialoge über Ebbe und Fluth
beschäftigt, welche auch alles das enthalten, was sich, wie
mir scheint, über die beiden Systeme sagen lässt", und am
16. Febr. 2): er denke Ende des Monats nach Rom zu reisen,
um die Dialoge sofort zu veröffentlichen. In Wirklichkeit
reiste er erst Anfangs Mai nach Rom3).
Die ihm gemachten Anträge, das Buch in Frankreich,
Deutschland oder Venedig drucken zu lassen, lehnte er ab 4) ;
auch den Gedanken, es in Genua zu veröffentlichen, gab er
auf5); es musste ihm daran liegen, von der Römischen Cen-
surbehörde die Approbation zu erlangen.
In dem Dialoge oder den Dialogen, — das Werk ist in
vier „Tage", giomate, getheilt, — werden, wie der Titel
sagt, ,,die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme, das Ptole-
mäische und das Copernicanische, besprochen und die für das
eine und für das andere sprechenden philosophischen und
naturwissenschaftlichen Gründe entwickelt", allerdings ohne
dass eine Entscheidung gegeben wird, — indeterminatamente,
— aber doch so, dass das Copernicanische System als das bei
weitem besser begründete erscheint. Die Interlocutoren wer-
den Sagredo, Salviati und Simplicio genannt. Vor vielen
Jahren, sagt Galilei in der Einleitung, habe er im Hause des
vornehmen und geistvollen Venetianers Giovan Francesco
Sagredo mit diesem, mit dem reichen und gelehrten Floren-
tiner Filippo Salviati und einem peripatetischen Philosophen
wiederholt über die im Dialoge behandelten Gegenstände
Gespräche gehabt. Um die beiden verstorbenen Freunde zu
ehren, habe er zwei Interlocutoren ihre Namen beigelegt;
dem dritten, dem „guten Peripatetiker", habe er den Namen
des berühmten Commentators des Aristoteles beigelegt, —
wohl sicher auch mit Rücksicht auf die etymologische Be-
deutung des Namens.
Galilei konnte nicht daran denken, für eine offene Ver-
teidigung der Copernicanischen Lehre, auch wenn dabei jede
Bezugnahme auf die Bibel vermieden wurde, in Rom die
Druck-Erlaubniss zu erlangen. Er glaubte aber diese unter
1) VI, 335; vgl. 336. 2) VI, 337.
3) IX, 182. 183. 4) Acten S. 80. 5) Suppl. 213.
Galilei's Dialog. 195
Urban VIII. erlangen zu können, wenn er einerseits die Form
eines Dialogs wählte und darin Vertreter der beiden einan-
der entgegenstehenden Ansichten zu Worte kommen Hesse,
anderseits, wie er schon in dem Briefe an Ingoli gethan, sich
den Anschein gäbe, als behandle er die Copernicanische Lehre
nur als Hypothese und als solle die Darlegung der für diese
Hypothese sprechenden Gründe nicht die Richtig'keit der-
selben beweisen. Die Aussichten schienen um so günstiger
zu sein, als Galilei's Freund Ciampoli bei dem Papste sehr
angesehen und beliebt, und Pater Riccardi (s. o. S. 164) 1629
Magister Sacri Palatii und als solcher derjenige geworden
war, welchen die Censur des Galilei'schen Buches, falls es in
Rom gedruckt wurde, zunächst anging.
In einem (nicht erhaltenen) Briefe vom 28. Jan. 1630
bat Galilei seinen treuen Schüler Castelli, — derselbe war
1626 von Urban VIII. von Pisa als Professor an der Sa-
pienza nach Rom berufen und las einem Neffen des Papstes,
Taddeo Barberini, mathematische Privatissima 1), — die
Stimmung der massgebenden Persönlichkeiten zu sondiren.
Am 6. Febr. 1630 antwortete Castelli2) Folgendes: „Schon
ehe Sie mir geschrieben, habe ich mehrere Male mit dem
Pater Mostro über Sie und Ihre grossen Verdienste ge-
sprochen. Ich habe ihm auch gesagt, Sie hätten sich ent-
schlossen zu schreiben [den Dialog zu veröffentlichen], seit
er zum Palastmeister ernannt worden, weil Sie überzeugt
seien, dass nun Ihre Sachen nicht von Ignoranten geprüft
und begutachtet werden würden. Er antwortete, er sei
ganz der Ihrige und würde Ihnen immer die gebührende
Rücksicht gezeigt haben; daran dürften Sie nicht zweifeln3).
So bin ich also fest überzeugt, so viel an ihm liegt, wird
die Sache gut gehen. Ich werde aber noch einmal speci-
aler mit ihm reden. — Als vor einigen Abenden in Gegen-
wart des Cardinale Padrone (Francesco Barberini4) die
Rede auf die Ebbe und Fluth kam, sagte ich diesem, Sie
1) IX, 103. Suppl. 186. Boncompagni, Bulletino XI (1878), 658. Im
Febr. 1632 erhielt er den Titel „Abt" IX, 262.
2) IX, 173.
3) Vgl. Castelli's Brief vom 26. Febr. 1628, IX, 124; s. o. S. 169.
4) Nicht Antonio, der Bruder des Papstes, wie Gebier, Galilei S. 166
meint, sondern der Neffe war „die zweitwichtigste Persönlichkeit am päpst-
lichen Hofe", oder Cardinale Padrone. S. o. S. 178.
196 Galilei's Dialog.
hätten darüber eine vortreffliche Abhandlung- geschrieben
(s. o. S. 155), die ich ihm mittheilen würde. Da einer der
Anwesenden bemerkte, Sie setzen dabei die Bewegung der
Erde voraus, sah ich mich genöthigt, ausführlicher darüber zu
reden und zu zeigen, dass Sie die Bewegung der Erde nicht
als wahr behaupteten, sondern nur bewiesen, dass, falls die-
selbe wirklich stattfände, Ebbe undFluth eine nothwendige
Folge davon seien. Der Cardinal schien davon Anfangs
nicht sehr erbaut zu sein, unterhielt sich dann aber lange
allein mit mir in seinem Zimmer. Er meinte, wenn man die
Bewegung der Erde zugebe, müsse man die Erde nothwendig
als einen Stern ansehen, und das scheine ihm allzu sehr mit
den theologischen Wahrheiten in Widerspruch zu stehen.
Ich antwortete: Sie würden das Gegentheil bewiesen und
gezeigt haben, dass die Erde kein Stern sei, — was Ihnen
ja- sehr leicht sein wird zu beweisen, ebenso leicht wie, dass
der Mond der Mond und nicht die Erde, der Mars Mars und
nicht Mond oder Venus ist u. s. w. Der Cardinal antwor-
tete: wenn Sie das bewiesen, könne die Sache passiren.
Ich schreibe Ihnen dies, damit Sie wissen, wie die Sache
steht, und damit Sie, wenn es Ihnen gut scheint, diesen
einzelnen Punkt mit einigen Worten berühren. — Was
unsern Maecenas (Monsignor Ciampoli) angeht, so habe ich
ihm Ihren Brief gezeigt. Er hat gute Hoffnung, kann aber
nichts Bestimmtes versprechen; er ist überzeugt, wenn Sie
hieher kämen, würden Sie durch Ihre Verhandlungen, durch
Ihre Reden, durch Ihr Auftreten und mit dem Buche in
der Hand alle Schwierigkeiten, falls Sie auf solche stossen
sollten, überwinden. Auch Stelluti habe ich Ihren Brief
mitgetheilt; er wird mit dem Fürsten Cesi reden."
Am 16. März theilte Castelli die oben (S. 176) erwähnte
Aeusserung des Papstes mit : wenn es auf ihn angekommen
wäre, würde das Decret von 1616 nicht zu Stande ge-
kommen sein1). Am 6. April2) schrieb er: „Ihren [nicht
erhaltenen] Brief habe ich unserm Monsignor Ciampoli vor-
gelesen. ... Er sagte: Sie würden in Rom sehnlicher er-
wartet als eine Geliebte. . . Er ist bereit, sich bei Allen als
Ihren Gönner zu zeigen, namentlich bei dem Papste. Bei
diesem steht er fortwährend in Gunst; er spricht täglich
1) IX, 176. 2) IX, 177.
Galilei in Rom im J. 1630. 197
zwei- oder dreimal mit ihm; sein Verhältniss zum Papste
ist niemals irgendwie getrübt gewesen, wie einige Feinde
dort ausgestreut haben." Das Gerücht, Ciampoli's Verhält-
niss zu Urban VIII. sei getrübt, mag damals wirklich unbe-
gründet gewesen sein. Nach den Andeutungen, welche in
der Biographie Ciampoli's von seinem Secretär gegeben
werden1), fehlte es demselben aber auch jetzt schon am
päpstlichen Hofe nicht an Gegnern, und Ciampoli selbst
scheint nicht ganz unschuldig daran gewesen zu sein, dass
er bei Manchen missliebig wurde. Wenn er sich als Dichter
über Virgil, Horaz und Petrarca erhob, mag er sich auch
als Hofmann und Günstling des Papstes über Andere er-
hoben haben. Zudem scheint er sich, unmuthig darüber,
dass er auch bei der fünften Cardinals-Creation Urbans VIII.
im December 1629 übergangen worden, der Oppositions-
partei unter den Cardinälen, deren Mittelpunkt der spani-
sche Cardinal Borgia war, genähert zu haben2). Ihn ganz
aus der Gunst Urbans VIII. zu verdrängen, gelang freilich
erst 1632.
Galilei kam im J. 1630 Anfangs Mai nach Rom und
blieb dort bis Ende Juni. Er wohnte bei dem toscanischen
Gesandten, Francesco Niccolini, der viel wohlwollender
gegen ihn gesinnt war als sein Vorgänger Guicciardini
(s. o. S. 106). Seine Briefe aus dieser Zeit und den näch-
sten Monaten sind, mit Ausnahme von ein paar ganz un-
bedeutenden 3) , nicht erhalten, auch nicht die Berichte,
welche er an den mit ihm verschwägerten grossherzoglichen
Secretär Geri Bocchineri4) nach Florenz schickte. Auf-
schluss über diese Zeit geben aber einige spätere Briefe
Galilei's und die Processacten5), ausserdem Bocchineri's
Antworten und andere Briefe.
Bald nach seiner Ankunft hatte Galilei eine lange
Audienz bei dem Papste; er wurde freundlich aufgenom-
men6). Auch bei dem Cardinal-Nepoten und bei anderen
Personen am päpstlichen Hofe fand er eine gute Aufnahme 7).
1) Targioni II, 110. Tiraboschi VIII, 462. 508.
2) Wolynski p. 179. 3) VI, 346. 347. 4> VI, 377.
5) S. 52 ff. 80 ff. Der Bericht, Acten S. 52, ist freilich zur Verthei-
digung Riccardi's geschrieben und darum einseitig.
6) IX, 188. 7) Pieralisi p. 84.
198 Galilei in Rom im J. 1630.
Schon am 18. Mai schrieb er nach Florenz: er habe ange-
fangen, über seine Geschäfte zu verhandeln und hoffe einen
guten Erfolg. Riccardi, dem er sein Manuscript mit der
Bitte um Ertheilung der Druck-Erlaubniss vorlegte, fand
beim Durchlesen desselben, dass Galilei die Copernicanische
Lehre nicht bloss hypothetisch vorgetragen, sondern die
Gründe für und gegen dieselbe entwickelt habe, ohne eine
Entscheidung zu geben. Er beauftragte also seinen Socius,
den Pater Raffaello Visconti, Professor der Mathematik,
das Buch zu revidiren und „auf den hypothetischen Aus-
druck zu reduciren," also ähnlich zu corrigiren, wie das
Werk des Copernicus durch die Index- Congregation im J.
1620 corrigirt worden war (s. o. S. 113). Ferner erklärte er,
es müsse dem Buche noch eine in demselben Sinne gehal-
tene Einleitung und „Peroration" beigefügt werden1). Auf
Galilei's Ersuchen hatte Filippo Niccolini zu Florenz in
seinem eigenen Namen und im Namen des Prinzen Gioan
Carlo Visconti brieflich gebeten, seinerseits dazu mitzu-
wirken, dass Galilei's Buch bald gedruckt werden könne2).
Galilei verständigte sich denn auch mit Visconti bald über
die vorzunehmenden Aenderungen. Auch Riccardi zeigte
sich sehr entgegenkommend: er las selbst das Manuscript
noch einmal durch, änderte noch einiges, sprach dann aber
die Hoffnung aus, es werde ihm gelingen, den Papst über
den Punkt, der ihm besonders anstössig sei, — die Erklä-
1) Acten S. 54. VI, 374. Ueber die Audienz bei dem Papste citirt
Gebier, Galilei S. 169, aus einem Briefe Galilei's vom 18. Mai 1630 Fol-
gendes: „Seine Heiligkeit hat meine Angelegenheit in einer Weise zu be-
handeln begonnen, dass ich wohl auf einen günstigen Ausgang hoffen darf."
Galilei's Brief vom 18. Mai ist aber gar nicht erhalten; wir kennen den In-
halt nur aus der Antwort Geri Bocchineri's, IX, 188, und in dieser heisst
es nur: „Ich habe dem Bali Cioli mitgetheilt, was Sie mir in Ihrem Briefe
vom 18. geschrieben, und er hat mit vielem Vergnügen vernommen, dass
Seine Heiligkeit sich bei der ersten und langen Audienz gnädig gezeigt, und dass
Sie (ella, Galilei) begonnen haben, Ihre Angelegenheit in einer Weise zu be-
handeln" u. s. w. Dass der Papst von Galilei's Angelegenheit gesprochen,
wird also nicht gesagt. Pieralisi p. 82. — Wolynski sagt p. 44: Visconti habe
einige Stellen des Dialogs beanstandet und darum Riccardi die Approbation
verweigert, und so habe sich Galilei „an den Papst selbst wenden müssen,
von welchem er in der Audienz vom 17. oder 18. Mai die nöthige Weisung
erwirkte". Worauf sich diese — unwahrscheinliche — Angabe stützt, wird
nicht gesagt. 2) Suppl. 233.
Verhandlungen über die Approbation des Dialogs. 199
rung von Ebbe und Fluth durch die Bewegung der Erde,
— zu beruhigen1). Am 16. Juni schrieb Visconti Galilei
folgendes Billet: „Der Pater Magister küsst Ihnen die
Hand und sagt, das Buch gefalle ihm, er werde morgen mit
dem Papste wegen des Titelblattes sprechen," — auf welchem
Galilei ausdrücklich Ebbe und Fluth erwähnt hatte, — ,,im
Uebrigen werde er nur noch einige wenige kleine Sachen
zu recht setzen, ähnlich denen, die wir zusammen berichtigt
haben, und Ihnen dann das Buch zurückgeben"2). Riccardi
verlangte freilich, Galilei solle ihm das Manuscript, ehe der
Druck beginne, noch einmal vorlegen, ertheilte aber auf
sein dringendes Bitten, wohl um den Abschluss eines Ver-
trages mit einem Verleger zu ermöglichen, die Erlaubniss
zum Drucke, nachdem er die beizufügende Einleitung skiz-
zirt und mit Galilei folgende Verabredung getroffen hatte:
Galilei solle, — da er der heissen Jahreszeit wegen Rom
verlassen wollte, — das Manuscript nach Florenz mitnehmen,
es dort ganz druckfertig machen und dann im Herbst noch-
mals nach Rom kommen oder das Manuscript dem Fürsten
Cesi schicken, damit dieser es zum Druck befördere; die
einzelnen Bogen (wohl die Correcturbogen) seien dann
Riccardi nochmals vorzulegen3).
Nachdem Galilei nach Florenz zurückgekehrt war,
schrieb ihm Ciampoli: der Papst spreche von ihm oft mit
vieler Achtung und Liebe und habe die ihm bewilligte Pen-
sion aus eigenem Antriebe von 60 auf 100 Scudi erhöht4).
Wenige Wochen nach seiner Rückkehr erhielt er aber die
Nachricht von dem am 1. Aug. 1630 erfolgten Tode des
Fürsten Cesi5), und am 24. Aug. schrieb ihm Castelli6):
,,Aus vielen Gründen, die ich jetzt nicht dem Papiere an-
vertrauen will, — abgesehen von dem Tode des Fürsten
Cesi, — glaube ich, es wäre besser, wenn Sie Ihr Buch in
Florenz drucken Hessen, und zwar so bald als möglich. Ich
habe den Pater Visconti gefragt, ob das ein Bedenken
habe; er sagt, es sei ganz unbedenklich, und er wünsche,
dass Ihr Werk erscheinen möge."
Was es für Gründe waren, die Castelli nicht dem Pa-
0 VI> 374- Suppl. 234. 2) Suppl. 235.
3) Acten S. 54. 81 ; VI, 374 ; IX, 205. 243.
4) IX, 193. 200; s. o. S. 181. 5) IX, 198. 6) IX, 201.
200 Verhandlungen über die Approbation des Dialogs.
piere anvertrauen mochte, erhellt aus Galilei's Briefwechsel
nicht. Es ist aber nicht unwahrscheinlich, dass sie, wie
Wolynski1) nachzuweisen sucht, mit dem Einschreiten Ur-
bans VIII. gegen die Astrologen zusammenhingen. Man
beschäftigte sich damals viel mit einer astrologischen Be-
rechnung, nach welcher der Papst in seinem 63. Lebens-
jahre, also 1630, sterben sollte; es sollen in Folge davon
schon auswärtige Cardinäle nach Rom gekommen sein, um
am Conclave Theil zu nehmen. L[rban VIII. hörte von
diesen Prophezeiungen und Hess mehrere Astrologen, unter
Anderen einen Bekannten Galilei's, den Abt von Santa
Prassede, Orazio Morandi 2), verhaften und ihnen den Process
machen (Morandi starb am 7. Nov. 1630 im Gefängnisse).
Auch der Pater Visconti wurde in diesen Process verwickelt,
obschon er in einem damals unter den Cardinälen, Prälaten
und Diplomaten circulirenden, mit Vorwissen Riccardi's ge-
schriebenen „Discurs über das Leben Urbans VIII." im
Gegensatze zu Morandi berechnet hatte, . dass der Papst,
wenn er immer in Rom bleibe, bis 1643 oder 1644 leben
werde; er wurde im December 1630 seines Amtes als Socius
des Palastmeisters entsetzt und nach Viterbo verbannt. Die
Processe wurden am 15. März 1631 niedergeschlagen; am 1.
April erliess aber der Papst eine eigene Bulle „gegen die
Astrologi iudiciarii, welche über den Zustand der Christen-
heit oder des apostolischen Stuhles oder über das Leben
des Papstes oder seiner Verwandten Berechnungen zu machen
(iudicia facere), und gegen diejenigen, welche sie darüber
zu befragen gewagt haben," und in einem Breve vom 2.
April nahm er alle Ermächtigungen zum Lesen verbotener
Bücher zurück3).
1) Nuovi Documenti p. 157. Vgl. A. Bertolotti, Gior^alisti, Astrologi
e Negromanti in Roma nel secolo XVII, Riv. Eur. V (1878), 466.
2) .Galilei war während seines Aufenthalts in Rom einige Male mit
Visconti von Morandi zum Frühstück eingeladen worden. Riv. Eur. V, 496.
3) S. o. S. 76. Am 22. April 1635 wurden wegen astrologischer
Berechnungen über den Tod des Papstes und wegen des Versuches, den-
selben durch Zauberei zu beschleunigen, Giacinto Centini, ein Neffe des
Cardinais von Ascoli (Feiice Centini), enthauptet, zwei Mönche gehängt und
dann verbrannt, der Hausmeister des Cardinais und zwei Mönche zu den Ga-
leren, zwei andere zu fünfjähriger Haft verurtheilt. Wolynski p. 163. Riv.
Eur. V, 510. (Der Cardinal Centini sollte Urbans Nachfolger, sein Neffe
Cardinal werden.) f 1
Verhandlungen über die Approbation des Dialogs. 201
Dass von dem Odium, welches die Astrologen traf,
auch einiges auf die Astronomen fiel, ist nicht unglaublich.
Galilei wurde zwar in dem Process gegen Morandi nur in-
sofern genannt, als in einem dicken Buche voll Nativitäten
(geniture), die dieser gestellt, auch Galilei' s Nativität vor-
kam1). Aber zwischen Astrologie und Astronomie wurde
damals im allgemeinen nicht so scharf unterschieden, und
was Urban VIII. angeht, so ist für ihn charakteristisch, was
Niccolini in einer Depesche vom 8. Febr. 1642 2) über ein
Gespräch mit ihm berichtet. Der Papst, eben von einer
Krankheit genesen, machte sich lustig über die Astrologen,
welche ihm nur ein Leben von 63 Jahren hätten gönnen
wollen, während er jetzt schon 74 Jahre alt sei; „er ging
dann dazu über, auch von den Irrthümern zu reden, in
welche die Mathematiker fielen, unter anderen (der kurz
zuvor verstorbene) Galilei, dessen Meinung von der Be-
wegung der Erde selbst die Ketzer verlacht und in ge-
druckten Schriften bekämpft hätten."
Wie es sich aber auch um die Gründe verhalten mag,
aus welchen Castelli Galilei rieth, den Dialog in Florenz
drucken zu lassen, Galilei ging auf den Vorschlag um so
bereitwilliger ein, als in Folge der damals in Toscana herr-
schenden Pest3) die Verbindung mit Rom erschwert war.
Er schloss mit einem Drucker in Florenz einen Vertrag,
erwirkte von dem Florentiner Inquisitor, dem Generalvicar
und dem staatlichen Censor die Druck-Erlaubniss und bat
1) Auch Gflilei studierte astrologische Bücher und machte astrolo-
gische Berechnungen und Nativitäten; in seinen Handschriften sind solcher
21 erhalten, die letzte aus dem J. 1624. VI, 66. Wolynski p. 164. Wie
er aber über Astrologie dachte, ersieht man aus seinem Briefe an Elia Dio-
dati vom 15. Jan. 1633 (VII, 17), worin er sagt: „Ich wundere mich, dass
Morinus mit so grosser Achtung von der Astrologie (della giudiziaria)
spricht und meint, mit seinen Conjecturen, die mir ziemlich, um nicht zu
sagen im höchsten Grade unsicher vorkommen, die Zuverlässigkeit der Astro-
logie (astrologia) beweisen zu können. Es wäre sehr wunderbar, wenn er
wirklich, wie er verspricht, mit seinem Scharfsinne bewiese, dass ihr ein
hervorragender Platz unter den menschlichen Wissenschaften zukomme; ich
erwarte mit grosser Neugierde eine so wunderbare Neuigkeit." Vgl. Bon-
compagni, Bulletino VI (1873), 59. 2) Bei Wolynski p. 156.
3) Die Pest herrschte im Sommer 1630, besonders im August, erlosch
im Sommer 1631, brach aber zwei Jahre später nochmals aus. Reumont,
Gesch. Toscana's II, 413. Targioni III, 130. 298.
202 Verhandlungen über die Approbation des Dialogs.
nun Riccardi, zu gestatten, dass er das Buch in Florenz
drucken lasse1). In den Processacten2) heisst es, Riccardi
habe diese Bitte zuerst absolut abgeschlagen, dann, da die-
selbe wiederholt worden sei, verlangt, dass ihm das Original-
Manuscript zur nochmaligen Revision eingesandt werde;
endlich habe er, da man geltend gemacht, dass dieses wegen
der Pest und wegen der Gefahr des Verlorengehens nicht
angehe, auf Anstehen des Grossherzogs die Sache dem In-
quisitor zu Florenz überwiesen. Etwas anders und wohl
richtiger wird die Sache in Galilei's Briefwechsel darge-
stellt. Castelli berichtet am 21. Sept. 1630: er habe Riccardi
einen Brief Galilei's übergeben; Riccardi habe sich sehr
wohlwollend und freundlich gezeigt, aber erklärt: wenn
Galilei nicht, wie sie verabredet, selbst nach Rom kommen
könne, um sich mit ihm über die kleinen Aenderungen in
der Vorrede und im Buche selbst zu yerständigen, so möge
er eine Abschrift schicken; er wolle dann mit Ciampoli die
nöthigem Aenderungen machen und darauf die Erlaubniss
zum Drucke des Buches in Florenz ertheilen3). Dasselbe
wurde Galilei durch Niccolini mitgetheilt4). Die Ueber-
sendung des Manuscriptes war aber wegen der Pest nicht
möglich5). Galilei erbot sich also, die Einleitung und den
Schluss einzusenden, mit der Erklärung: ,,die Oberen möch-
ten nach Gutdünken zusetzen und weglassen und Prote-
stationen nach Belieben beifügen; man möge seine Ge-
danken als Chimären, Träume, Paralogismen und eitele
Phantasieen bezeichnen; er unterstelle alles der absoluten
Weisheit und der sichern Lehre der höheren Wissenschaften"
u. s. w.; die nochmalige Revision könne durch einen Ric-
cardi genehmen Censor in Florenz besorgt werden6). In
diesem Sinne verhandelte die Gemahlin des Gesandten, —
Caterina Riccardi Niccolini, wie es scheint, eine Verwandte
Riccardi's, — mit diesem, und am 19. Oct. schrieb sie an
Galilei7): Riccardi verzichte auf die Uebersendung des
ganzen Buches, verlange aber, dass ihm der Anfang und
der Schluss vorgelegt und dass das Buch selbst in Florenz
durch einen Theologen aus dem Dominicanerorden, der
1) VI, 374. 2) Acten S. 55.
3) IX, 205. 4) VI, 375-
5) Acten S. 81. 6) VI, 375. 7) IX, 209.
Verhandlungen über die Approbation des Dialogs. 203
auch sonst zur Büchercensur verwendet werde, revidirt
werde; er schlage den Pater demente, — den Inquisitor zu
Florenz1), — vor; wenn dieser Galilei nicht genehm sei,
möge er einen andern Dominicaner nennen, dem er (Ric-
cardi), wenn derselbe geeignet sei, die nöthige Vollmacht
geben wolle.
Galilei schickte also Anfang und Schluss des Buches
nach Rom; mit der Revision des Buches selbst wurde auf
Galilei's Vorschlag der Dominicaner Hyacinth Stefani, Lector
der h. Schrift an der Universität, Hofprediger und Consul-
tor der Inquisition zu Florenz, beauftragt2). ,, Dieser revi-
dirte, so berichtet Galilei3), das ganze Buch äusserst genau
und strenge, — wie ich selbst ihn gebeten, — und notirte
alles, selbst einige Kleinigkeiten, die nicht nur ihm, sondern
selbst meinen boshaftesten Gegnern keinen Scrupel hätten
machen sollen. Er hat gestanden, er habe bei mehr als
Einer Stelle meines Buches Thränen vergiessen müssen, da
er gesehen, mit welcher Demuth und ehrfurchtsvollen Be-
reitwilligkeit ich mich der Autorität der Oberen unter-
werfe; er gesteht ferner, gleich Allen, die das Buch ge-
lesen haben, ich müsse gebeten werden, dasselbe herauszu-
geben, und es sei Unrecht, mir Schwierigkeiten zu berei-
ten." In einem andern Briefe4) sagt Galilei: „Da Stefani
nichts anderes zu ändern fand, beschränkte er sich, um zu
zeigen, dass er das Buch sehr sorgfältig geprüft, auf die
Aenderung einiger Worte; er setzte z. B. an vielen Stellen
»Universum« für »Natur«, »Eigenschaft« für »Attribut«, »er-
habener Geist« für »göttlicher Geist«. Er entschuldigte sich
dann bei mir, indem er sagte, er sehe vorher, dass ich es
mit sehr bitteren Feinden und wüthenden Verfolgern zu
thun haben würde."
Es fehlte nun also noch die Einleitung und der Schluss,
worüber Riccardi sich die Entscheidung vorbehalten. Ric-
cardi aber Hess läng'ere Zeit nichts von sich hören. Die
Absetzung seines Socius Visconti, der Galilei's Buch revidirt
hatte, mag ihn ängstlich gemacht haben. Auf Galilei's
Bitte wurde im März 1631 der Gesandte von dem Gross-
herzog beauftragt, ihn an die Erledigung der Sache zu er-
1) Acten S. 59. 2) Acten S. 81.
3) VI, 375- 4) VII, 19.
204 Verhandlungen über die Approbation des Dialogs.
innern l). Der Druck des Werkes wurde mittlerweile be-
gonnen, schritt aber langsam fort, da die Auflage iooo
Exemplare, also für die damalige Zeit sehr stark war; am
20. März 1631 waren sechs Bogen gedruckt2). Am 19. April
1631 berichtete Niccolini, auf sein und seiner Gemahlin drin-
gendes Ersuchen habe Riccardi versprochen, die dem Buche
Galilei's beizufügende „Erklärung", — die Einleitung und
denSchluss, — zu schicken3). Am 28. April schickte dann
Riccardi dem Gesandten folgenden Brief4), welcher deut-
lich zeigt, dass er in Verlegenheit war und die Sache hin-
auszuschieben suchte: „Galilei hat von mir das Imprimatur
erhalten, nachdem er mir versprochen, einige Stellen des
Buches gemäss unserer Verabredung- zu ändern und zu-
rückzukommen, um dasselbe in Rom drucken zu lassen, wo
sich unter Mitwirkung des Monsignor Ciampoli alle Schwie-
rigkeiten würden beseitigen lassen. Der Pater Stefani
wird das Buch sorgfältig revidirt haben; da er aber die
"Willensmeinung des Papstes nicht kennt, so kann er keine
Approbation ertheilen, die mir genügte, um meinerseits die
Approbation für den Druck zu ertheilen, ohne Gefahr zu
laufen, dass für ihn und mich Unannehmlichkeiten entstän-
den, wenn die Gegner etwas finden sollten, was den er-
theilten Befehlen widerspräche. Ich habe kein grösseres
Verlangen, als dem Grossherzog zu Willen zu sein; aber
ich möchte dies in einer solchen Weise thun, dass ein von
einem so grossen Fürsten protegirter Mann jeder Gefahr,
an seiner Reputation Schaden zu leiden, überhoben würde.
Das kann ich nicht dadurch thun, dass ich die Erlaubniss
zum Drucke ertheile, — was mir, wenn das Werk in Flo-
renz gedruckt wird, nicht zusteht5), — sondern nur dadurch,
dass ich mich vergewissere, ob Galilei die ihm auf Befehl
des Papstes ertheilten Weisungen beobachtet hat. Wenn
ich die Einleitung und den Schluss des Buches erhalte,
1) VI, 374; IX, 225. 2) VI, 378.
3) VI, 242; vgl. Suppl. 238. 4) IX, 243.
5) Der Magister Sacri Palatii (und der Cardinal- Vicar, s. o. S. 76)
hatten nur solche Bücher zu approbiren, die in Rom erscheinen sollten.
Ausserdem mussten nach einer Verordnung Urbans VIII. vom 18. Sept.
1625 Schriftsteller, die im Kirchenstaate wohnten, ihre Bücher auch dann
dem Magister S. P. vorlegen, wenn sie auswärts gedruckt werden sollten.
Pignatelli, Consultationes II, 486 b.
Verhandlungen über die Approbation des Dialogs. 205
werde ich leicht das Erforderliche sehen können und ein
Zeugniss darüber ausstellen, dass ich das Buch approbirt
habe. Sollte keine Abschrift [des ganzen Buches] hieher
gesandt werden können, so will ich dem Inquisitor in einem
Briefe mittheilen, was mir befohlen worden ist, damit er
darauf achte, dass es beobachtet werde, und dann den
Druck gestatte. Oder es muss ein anderer Weg gefunden
werden; vorausgesetzt, dass Galilei sich nicht auf meine
Unterschrift allein stützt und mich für mein Entgegen-
kommen in Schaden bringt, will ich alles nur Mögliche
thuen, um dem Grossherzog* zu willfahren. Auf jeden Fall
dürfen Sie den Betheiligten versichern, dass kein Lebender
mit mir von dieser Sache gesprochen hat, — kein Oberer,
kein Untergebener und kein Gleichgestellter, — ausser Ga-
lilei's und meinen gemeinsamen Freunden; denken Sie nicht,
es sei eine feindliche Intrigue dabei betheiligt; denn das
ist nicht der Fall.''
Galilei spricht sich in einem Briefe vom 3. Mai 1631 l)
sehr ungehalten über dieses Schreiben aus, insofern mit
vollem Rechte, als er ja die Einleitung und den Schluss
seines Buches, deren Vorlegung Riccardi verlangte, diesem
längst zugeschickt hatte, also hätte erwarten dürfen, dass
er sie jetzt mit den für nöthig erachteten Aenderungen
zurückerhalten werde. „Ich sehe, schreibt er, zu meinem
grossen Verdruss, dass der Pater Magister, nachdem er
mich fast ein Jahr hingehalten, ohne zu irgend einem
Schlüsse zu kommen, sich jetzt anschickt, dem Grossherzog
gegenüber dasselbe zu thun, ich meine: die Sache durch
leere Worte zu verzögern und in die Länge zu ziehen, —
was man doch, meine ich, nicht dulden sollte. . . Wir segeln
hier auf einem Meere ohne Ufer und Häfen, und mir liegt
doch unendlich viel an der Veröffentlichung meines Buches"
u. s. w. Er schlägt dann vor, der Grossherzog möge selbst
die Sache in die Hand nehmen und zunächst den Inquisitor
von Florenz und Andere zu einer Conferenz berufen; er
wolle beweisen, „dass er nie eine andere Meinung und In-
tention gehabt als die heiligsten und ehrwürdigsten Väter
und Lehrer der h. Kirche, dass die Meinungen, an denen
man Anstoss nehme, nicht die seinigen , dass seine Mei-
1) vi, 382.
206 Verhandlungen über die Approbation des Dialogs.
nungen dieselben seien wie die, welche St. Augustinus, St.
Thomas und alle anderen Heiligen vertreten."
Dieser Vorschlag Galilei's kam nicht zur Ausführung;
Niccolini scheint aber nochmals beauftragt worden zu sein,
Riccardi zu mahnen. Dieser schrieb denn auch am 24. Mai
an den Inquisitor zu Florenz1): „. . . Das Buch Galilei's ist
von mir unterschrieben worden vorbehaltlich der Aende-
rungen, die daran vorzunehmen und hier vorzulegen sein
würden, ehe die letzte Approbation für den Druck ertheilt
würde. Da dieses wegen der Behinderung des Verkehrs
und der Gefahr des Verlorengehens des Original -Manu-
scriptes nicht geschehen kann und der Autor dort die -An-
gelegenheit zu Ende zu führen wünscht, so können Sie von
Ihrer Autorität Gebrauch machen und das Buch approbiren
oder nicht approbiren, ohne die Approbation von meiner
Revision abhängig zu machen. Nur bemerke ich Ihnen,
dass es der Wille des Papstes ist, dass als Titel und Thema
nicht Ebbe und Fluth angegeben werden2), sondern einfach
die mathematische Prüfung der Copernicanischen Hypothese
von der Bewegung der Erde zu dem Ende, zu beweisen,
dass, abgesehen von der göttlichen Offenbarung und der
heiligen Lehre, mit jener Hypothese alle Erscheinungen er-
klärt und dass alle Einwendungen, die man auf Grund der
Erfahrung und der peripatetischen Philosophie anführen
könnte, widerlegt werden könnten. Es darf also jener Hy-
pothese nie die absolute, sondern nur die hypothetische
Wahrheit, und zwar abgesehen von der Bibel, zugestanden
werden. Ferner muss hervorgehoben werden, dass das
Buch nur beweisen solle, dass man alle Gründe, welche für
jene Ansicht angeführt werden können, kenne und dass man
nicht wegen Unkenntniss dieser Gründe jene Ansicht in Rom
geächtet habe, — entsprechend der Einleitung und dem
Schlüsse des Buches, die ich Ihnen von hier aus zusenden
werde. Wenn diese Vorsicht beobachtet wird, wird das
Buch hier in Rom auf kein Hinderniss stossen, und können
Sie dem Autor willfahren und dem Wunsche des Gross-
herzogs entsprechen, der sich so sehr für die Sache inter-
essirt."
1) Acten S. 57.
2) Hierauf bezieht sich, die wohl ungenaue Angabe Buonamici's (IX,
450), der Papst habe an dem Titel „mit eigener Hand" einiges geändert.
Verhandlungen über die Approbation des Dialogs. 207
Der Inquisitor antwortete am 31. Mai1): „. . . Ich werde
nicht ermangeln, mit aller möglichen Sorgfalt Ihre Anord-
nungen auszuführen, und mich nach Ihren Weisungen richten.
Dem Grossherzog lieget viel daran, dass das Buch gedruckt
werde, und Galilei zeigt sich bezüglich aller Aenderungen
sehr bereitwillig und fügsam. Die Revision habe ich dem
Pater Stefani, einem tüchtigen Prediger und Consultor des
h. Officiums, übertragen; die Einleitung und den Schluss er-
warte ich von Ihnen."
Es vergingen wieder mehrere Wochen, ohne dass Ric-
cardi die Einleitung und den Schluss schickte. Erst nach
wiederholtem Dräng'en Niccolini's2) schickte er sie am 19.
Juli an den Inquisitor ab. Niccolini schrieb darüber unter
demselben Datum an Galilei: „Der Pater Palastmeister ver-
dient in der That bemitleidet zu werden; denn gerade in
den Tagen, in welchen ich ihn drängte und quälte, hat er
recht grosse Unannehmlichkeiten und Kränkungen wegen
einiger anderer Bücher zu erleiden gehabt, welche kürzlich
veröffentlicht worden sind, wie er denn auch zu anderen Zei-
ten Verdriesslichkeiten gehabt haben muss. Dies Mal ist er,
wie man zu sagen pflegt, mit den Haaren herbeigezogen
worden." Er habe, schreibt Niccolini ein anderes Mal3), die
Einleitung und die Weisungen für den Inquisitor „sehr un-
gern und nur aus Ehrfurcht vor dem Grossherzog und aus
Freundschaft für seine (Niccolini's) Familie" geschickt.
Das Schreiben Riccardi's an den Inquisitor zu Flo-
renz4) lautet: „Entsprechend dem Befehle unseres Herrn
bezüglich des Buches Galilei's, schicke ich Ihnen, — ausser
dem, was ich Ihnen bezüglich des Buches selbst angedeutet
habe, — anbei die Einleitung oder Vorrede, welche auf den
ersten Bogen zu setzen ist; der Verfasser mag sie bezüglich
des Stiles ändern und ausschmücken, ohne jedoch den In-
halt zu alteriren. Der Schluss muss in demselben Sinne
gehalten sein." Beigelegt ist die vollständig ausgearbei-
tete Vorrede, für den Schluss aber nur die Weisung:
„Den Schluss muss eine dieser Vorrede entsprechende Per-
oration bilden, und Galilei muss darin die von der gött-
lichen Allmacht hergenommenen Gründe beifügen, auf
1) Acten S. 58. 2) IX, 245. 246.
3) IX, 431. 4) Acten S. 62.
208 Vorrede zum Dialog.
welche ihn der Papst aufmerksam gemacht hat, — Gründe,
welche den Geist beruhigen müssen, wenn er sich auch der
Pythagoreischen Argumente nicht erwehren könnte"1).
Die Vorrede wurde genau so, wie Riccardi sie ge-
schickt hatte, dem Dialog vorgedruckt2). Der am meisten
charakteristische Anfang lautet: „Vorjahren wurde in Rom
ein heilsames Edict promulgirt, welches, um den gefähr-
lichen Aergernissen unserer Zeit entgegenzutreten, der Py-
thagoreischen Meinung von der Beweglichkeit der Erde ein
zeitgemässes Stillschweigen auflegte. Es fehlte nicht an
solchen, welche die verwegene Behauptung aufstellten, jenes
Decret sei das Erzeugniss, nicht einer reiflichen Prüfung,
sondern einer ungenügend unterrichteten Leidenschaft, und
man vernahm die Klage, jene mit den astronomischen Be-
obachtungen ganz unbekannten Consultoren dürften doch
nicht durch ein plötzliches Verbot den speculativen Geistern
die Flügel beschneiden. Bei dem Anhören solcher ver-
wegenen Klagen konnte mein Eifer nicht schweigen. Ich
glaubte, da ich über jenen durchaus weisen Entschluss voll-
ständig unterrichtet war, als Zeuge der reinen Wahrheit öffent-
lich auf der Schaubühne der Welt erscheinen zu müssen. Ich
war damals in Rom und wurde von den hervorragendsten
Prälaten des dortigen Hofes nicht nur in Audienz empfan-
gen, sondern auch belobt, und jenes Decret wurde nicht,
ohne dass ich vorher davon einigermassen unterrichtet
worden wäre, publicirt. Darum will ich in diesem Werke
den fremden Nationen zeigen, dass man von dieser Materie
in Italien und namentlich in Rom eben so viel weiss, als die
fleissigen Gelehrten jenseits der Alpen darüber gedacht
haben können, und indem ich meine eigenen Speculationen
über das Copernicanische System zusammenstelle, will ich
zeigen, dass die Kenntniss aller der Römischen Censur vor-
ausgegangen ist und dass aus unserm Lande nicht nur die
Dogmen für das Heil der Seelen, sondern auch die genialen
Entdeckungen zur Ergötzung der Geister ausgehen. Zu
dem Ende habe ich in dieser Schrift die Copernicanische
Ansicht, als blosse mathematische Hypothese, zu Grunde
1) Acten S. 62. Unrichtig ist also die Bemerkung Geblers, Galilei
S. 182: „Wegen des Schlusses fügte er (Riccardi) die vage Bemerkung bei:
dieser müsse auf den gleichen Begründungen wie der Anfang beruhen."
2) Vgl. Acten S. 59—62 und I, 11. 12.
Vorrede zum Dialog. 209
gelegt und mit allen Mitteln der Kunst zu beweisen gesucht,
dass sie den Vorzug verdient, nicht vor der Ansicht von
dem Stillstehen der Erde überhaupt, sondern vor dieser
Ansicht, wie sie von Einigen, die sich Peripatetiker nennen,
vertheidigt wird. . . . Ich hoffe, durch diese Erörterungen
zu zeigen, dass, wenn wir das Stillstehen der Erde behaup-
ten und die gegentheilige Ansicht als eine blosse mathema-
tische Caprice ansehen, dieses nicht seinen Grund darin hat,
dass wir das, was Andere darüber gedacht, nicht beachten,
sondern, abgesehen von Anderm, in den Gründen, welche
die Frömmigkeit, die Religion, dieKenntniss der göttlichen
Allmacht und das Bewusstsein der menschlichen Schwäche
uns darbieten."
Der Verfasser dieser Vorrede ist ohne Zweifel nicht
Riccardi, — vollends nicht, wie Einige gemeint, Urban
VIII. l), — sondern Galilei selbst. Sie enthält ja dieselben
Gedanken, welche schon in dem Schreiben an Ingoli vor-
kommen2). Galilei wird in Rom die Ueberzeugung ge-
wonnen haben, dass er nur hinter einer solchen Maske als
Vertheidiger der Copernicanischen Lehre auftreten könne.
Er hat darum ohne Zweifel mit Riccardi mündlich verab-
redet, dass eine solche Vorrede seinem Werke vorauszu-
schicken sei; dieselbe ist bei ihren mündlichen Verhand-
lungen skizzirt (s. o. S. 119), dann von Galilei in Florenz
ausgearbeitet und an Riccardi übersandt, und von diesem
höchstens etwas modificirt worden.
Es war wohl nicht böse Absicht, aber ein Versehen,
welches Galilei sehr verargt wurde, dass diese Vorrede in
anderen Typen gedruckt wurde als das Werk selbst. Da
ein Theil des letztern schon gedruckt war, wurde sie auf
einem besondern Bogen und mit besonderer Pagination
beigefügt.
Der Weisung bezüglich des Schlusses und der Einfü-
gung des Argumentes, welches Urban VIII. selbst — bei
1) Riccardi, „möglicher "Weise Urban VIII. selbst" nach Cantor, Zts.
f. Math. 1864, 184; 1865, L.-Z. 50. 57.
2) S. o. S. 185. Es ist unrichtig, wenn R. Wolf, Gesch. der Astronomie,
1877, S.255, von dem „Galilei octroyirten und daher auch nicht anzurechnenden
Vorwort" zu dem Dialog spricht (ähnlich Cantor, Martin U.A.); vgl. Wohl-
will, Der Inquisitionsprocess S. 32. Gilbert, Le proces de Galil6e p. 87.
Reu seil, Galilei. • \a
210 Schluss des Dialogs.
der Audienz im J. 1630 oder, was wahrscheinlicher ist, bei
einer der Audienzen im J. 1624 — ihm vorgetragen, kam
Galilei in folgender Weise nach1). Simplicio sagt: „Was
die vorgetragenen Erörterungen betrifft , namentlich die
letzte über Ebbe und Fluth, so habe ich sie in der That
nicht ganz verstanden; aber nach der schwachen Vorstel-
lung, die ich mir davon gebildet, muss ich gestehen, dass
euer Gedanke mir viel sinnreicher zu sein scheint als alle
anderen, die ich darüber gehört habe. Darum halte ich
ihn indess nicht für wahr und zwingend; vielmehr halte ich
immer vor den Augen des Geistes eine sehr bestimmte
Lehre, die ich von einem sehr gelehrten und hochgestellten
Manne vernommen habe und bei der man sich beruhigen
muss. Wenn ich euch fragte: ob Gott mit seiner unbe-
grenzten Macht und Weisheit jene wechselnde Bewegung
des Elementes des Wassers, welche wir an demselben
wahrnehmen, auch auf andere Weise bewirken könne als
durch Bewegung des Gefässes, worin es enthalten ist, —
ich weiss, ihr würdet beide antworten, Gott könne das auf
mancherlei Weise, auch auf eine von unserm Geiste nicht
zu ersinnende Weise thun. Daraus schliesse ich, dass es
unter dieser Voraussetzung sehr verwegen sein würde,
wenn Jemand die göttliche Macht und Weisheit gemäss
einer ihm gut dünkenden Phantasie begrenzen und ein-
schränken wollte2)."
Darauf antwortet Salviati: „Eine wunderbare und in
Wahrheit engelhafte Lehre, mit welcher jene andere gleich-
falls göttliche Lehre recht wohl übereinstimmt, welche uns
zwar gestattet, über den Bau der Welt zu disputiren,
zugleich aber, — vielleicht damit wir nicht von dem
Gebrauche unserer geistigen Fähigkeiten ablassen oder
darin träge werden, — beifügt, dass wir das von seinen
1) II, 502.
2) Das Argument, welches Urban VIII. Galilei vorgetragen und worauf
er so grossen Werth legte, wird in ganz ähnlicher Fassung, wie von Gali-
lei, auch von dem dem Papste sehr nahe stehenden Augustin Oregio (s. u.
§ XIX) in einem 1629 verfassten Tractat De Deo uno mitgetheilt (bei Berti,
Copernico p. 137). Oregio sagt, Urban habe als Cardinal dieses Argument
einem gelehrten Freunde (Galilei) entgegengehalten, und dieser habe sich
dabei beruhigt. Dadurch ist nicht ausgeschlossen, dass Urban als Papst,
in einer der Audienzen, die Galilei 1624 hatte, das Argument wiederholte.
Die Approbation des Dialogs. 2i-i
Händen gemachte Werk nicht ergründen können1). Gebrau-
chen wir also, wie Gott uns gestattet und gebietet, unsere
geistigen Fähigkeiten, um seine Grösse zu erkennen und
um so mehr zu bewundern, je weniger wir uns im Stande
fühlen, die tiefen Abgründe seiner unendlichen Weisheit zu
durchdringen."
Dann schliesst der Dialog mit folgenden Worten Sa-
gredo's: „Das wird der letzte Schluss unserer viertägigen
Unterhaltungen Sein können. Wir werden nun dem Herrn
Salviati, wenn es ihm beliebt, einige Zeit Ruhe lassen müs-
sen, mit dem Vorbehalt jedoch, dass er, wenn es ihm be-
quem sein wird, unsere, namentlich meine Wissbegierde be-
züglich derjenigen Probleme befriedigen möge, die wir bei
Seite gelassen und die ich mir aufgezeichnet, um sie ihm
unserer Verabredung gemäss in einer oder zwei weiteren
Sitzungen vorzulegen. Insbesondere wünsche ich mit gröss-
ter Spannung die Elemente der neuen Wissenschaft unse-
res Akademikers von den Bewegungen, der natürlichen und
der gewaltsamen, zu vernehmen. Für jetzt wollen wir, wie
gewöhnlich, ein Stündchen die Kühle in der bereit stehen-
den Gondel gemessen."
Unter dem n. Sept. 1630 ertheilten der General vicar2)
und der Inquisitor zu Florenz das Imprimatur, unter dem
12. der grossherzogliche Censor die Druck-Erlaubniss. Vor
diese Approbationen liess Galilei auf die Rückseite des
Titelblattes drucken: „Imprimatur, si videbitur Rever. P.
Magistro Sacri Palatii Apostolici. A. Efiiscopus Bellica-
stensis Vices gerens. Imprimatur. Fr. Nicolaus Ricardus,
Sacri Apostolici Palatii Magister"*).
Zur Beifügung dieses Römischen Imprimatur war Ga-
lilei allerdings, wie Grisar S. 108 richtig sagt, „nicht be-
fugt". Im Uebrigen aber wird die vorstehende ausführ-
liche Darstellung der Verhandlungen über die Approbation
gezeigt haben, dass die von Grisar gegebene Darstellung
1) Anspielung auf Eccl. 3, 1 1 : Mundum tradidit disputationi eorum,
ut non inveniat hotno opus, quod operatus est Deus ab initio usque ad
finem. S. o. S. 44.
2) Natürlich nicht der Generalvicar des Inquisitors, wie Gebier, Galilei
S. 173, angibt, sondern der Generalvicar des Erzbischofs von Florenz.
3) Vgl. oben S. 76.
212 Die Approbation des Dialogs.
unvollständig und einseitig und seine Behauptung S. 107:
„Das Römische Imprimatur war ungiltig und das Florenti-
nische nur in Folge einer Uebereilung ertheilt", bezüglich
der zweiten Hälfte unrichtig ist. Grisars Darstellung ist
aber immerhin unvergleichlich vollständiger und wahrheits-
liebender als die von P. Schneemann S. 265: „Um sich
sicher zu stellen, hatte Galilei von dem ihm ergebenen Ma-
gister S. Palatii P. Riccardi sich die Druck-Erlaubnise zu
verschaffen gesucht. Dieser war aus Toscana, und der Gross-
herzog von Toscana, dessen Gesandter und sogar die Frau
des Gesandten, welche eine Nichte des Paters war, halfen
hierbei. Riccardi allerdings zögerte aus Furcht, aber »er
ward sehr lange von der Frau Gesandtin bekämpft, bis er
in den Wunsch Galilei's einwilligte«. Und da er immer
wiederum Angst bekam, bedeutete ihm der päpstliche Secre-
tär Ciampoli, der Papst wolle es. Urban VIII. wüsste aber
nichts von der Herausgabe des Werkes und hatte nichts in
Bezug auf dasselbe befohlen [S. u. § XVIII] So erschien
das Buch Galilei's mit der Erlaubniss des Magister S. Pa-
latii." — Noch — kühner ist freilich die Darstellung des P.
de Gabriac p. 531: „Galilei versprach 1615 [!] schriftlich [!],
er wolle die neue Meinung nicht lehren, und brach alsbald
[aussitötf] sein Versprechen ; er schützte in seinen Dialogen
vor, er wolle die Lächerlichkeit der Argumente des Coper-
nicus nachweisen [!], und gab denselben mehr Werth durch
die Schwäche der Argumente, die er ihnen entgegenstellt;
er legte Foscarini [!] nur die erste und die letzte Seite die-
ser Schrift zur Censur vor" [!].
Galilei hatte bei der ganzen Verhandlung die grösste
Bereitwilligkeit gezeigt, an seinem Buche alle Aenderungen
vorzunehmen, welche die Censoren für nothwendig erach-
teten. Wenn also das Buch, nachdem es gedruckt vorlag,
trotz aller daran vorgenommenen Aenderungen Anstöss
erregte und nicht mit Unrecht als eine mit den Decreten
von 161 6 nicht vereinbare Apologie der Copernicanischen
Lehre angesehen wurde, so war das, juristisch betrachtet,
die Schuld der Censoren, die zu wenig scharfblickend oder
zu nachsichtig gewesen waren. Den Vorwurf aber konnte
man Galilei machen, dass e» nicht nur sein im J. 16 16 ge-
gebenes Versprechen, die Copernicanische Theorie nicht
lehren oder vertheidigen zu wollen, durch die Veröffent-
Urtheile über den Dialog. 213
lichung des Dialogs gebrochen, — das Versprechen, sie
nicht für wahr halten zu wollen, hatte er längst gebrochen,
wahrscheinlich nie im Ernst abgelegt, — sondern auch
diesen Bruch seines Versprechens durch die Form, in wel-
cher er jene Theorie lehrte und vertheidigte, zu verhüllen
>und durch diese schlaue Verhüllung seine Censoren, — die
sich allerdings nicht sonderlich scharfsichtig zeigen, — zu
täuschen und so sich die Erlaubniss zum Drucke seines
Buches zu verschaffen gewusst. Wenn er glaubte, auch
seine Gegner und die Römischen Behörden würden die Um-
gehung des Verbotes vom J. 1616 nicht merken, oder die
Approbationen auf der Rückseite des Titelblattes würden
letztere hindern, gegen ihn und sein Buch einzuschreiten,
und dieses werde also unter den Augen der Inquisition und
der Index-Congregation für die Copernicanische Lehre Pro-
paganda und die Verdammung derselben thatsächlich zu
nichte machen können, so sollte er bitter enttäuscht werden.
XVII.
Urtheile der Freunde Galilei's über den Dialog.
Galilei's Freunde waren über das Erscheinen des Dia-
logs sehr erfreut. Castelli hatte schon am 26. Sept. 1631
geschrieben1): „Ich erwarte mit Sehnsucht Ihre Dialoge.
Ich denke, ich werde dann fürder kein anderes Buch mehr
lesen als das Brevier und die Dialoge und mich bemühen,
so gut ich kann, ohne Beleidigung Gottes und des Näch-
sten zu leben, und wenn die Zeit kommt, den Tod freudig
begrüssen als das Ende alles Elends". Am 22. März 1632 2)
sprach er in gleich übertriebenen Ausdrücken seine Freude
aus, als er zu Bologna das Buch erhalten hatte. In einem
Briefe vom 29. Mai3) wiederholt er seine Lobsprüche, er-
zählt, dass er das Buch einigen Freunden vorlese, und fügt
I) IX, 255. 2) IX, 264.
3) IX, 271; vgl. 273.
214 Urtheile über den Dialog.
bei: „Das Buch wird Alle, denen es wirklich um die Wissen-
schaft zu thun ist, befriedigen. Was die Gegner betrifft,
so sage ich mit Copernicus: Illos nihil- moror, adco ut eti-
am iudicium Mortem tanquam temer arium contemt/am. Sie
müssen dasselbe thun. Ich bin überzeugt, wer gegen die-
ses Buch schreibt, der wird sich selbst und nicht Ihnen
schaden; denn er würde zeigen, dass er böswillig oder un-
wissend oder beides ist. Ich werde in der wenigen Zeit,
die ich noch zu leben habe, fortfahren, dieses Buch allein
zu studieren; von ihm allein erwarte ich die Erhebung und
den Trost, die man aus der Betrachtung der Wunder Got-
tes am Himmel und auf Erden schöpfen kann."
Frä Fulgenzio Micanzio schreibt aus Venedig 3. Juli
1632 x): „Ihr Buch wurde mir, nachdem ich es kaum er-
blickt und verschlungen, aus den Händen genommen und
ist fortwährend unterwegs gewesen. Heute habe ich es
durch Grobheiten wieder in meinen Besitz gebracht, und
nun muss ich es nach Verona dem Commissar Antonini
schicken, einem der tüchtigsten Männer unseres Staates, der
Sie mehr als alle Gelehrten unserer Zeit lobt und bewun-
dert und sagt, er habe noch keinen Philosophen wie Sie
gefunden. . . Ich glaube nicht, dass der Neid oder die Bos-
heit gegen Ihr Buch etwas werden sagen können, abge-
sehen von den Partieen, die sie nicht verstehen werden;
aber Sie haben die abstrusesten Dinge so klar gemacht,
dass ich nicht weiss, was noch zu wünschen übrig bleibe,
und Sie haben so viele unbekannte Dinge ans Licht gebracht,
dass die nicht verdorbenen Geister Sie bewundern müssen."
Am 27. Juli2) schickt Micanzio ein Dankschreiben des genann-
ten Antonini und schreibt selbst: „Wäre mir nur die Wahl
gelassen, entweder Ihres Buches oder aller anderen natur-
wissenschaftlichen Bücher beraubt zu werden, bei Gott! ich
würde lieber jenes allein behalten, und ich glaube, Niemand,
der von der Naturwissenschaft etwas versteht, würde anders
entscheiden. . . Die Wahrheit zu sagten, in welcher Achtung
stand das Copernicanische System in Italien? Aber Sie
haben ihm Flügel gegeben und den Schooss der Natur ent-
hüllt."
Campanella schreibt aus Rom 5. Aug. 1632 3): „Alles
:) IX, 276. 2) ix, 279. 3) ix, 280.
Urtheile über den Dialog. 215
hat mir gefallen; Sie argumentiren viel überzeugender als
Copernicus, wiewohl dessen Beweisführung die Grundlage
ist. Sie haben meinen Rath befolgt und die Lehre in dia-
logischer Form entwickelt, um sich gegen Alle sicher zu
stellen. . . Ich vertheidige gegen Alle den Satz, dass Ihr
Buch zu Gunsten des Decretes gegen die Bewegung der
Erde geschrieben sei, damit nicht irgend ein kleiner Ge-
lehrter den Fortgang dieser Lehre störe ; aber meine Schü-
ler kennen das Geheimniss."
Der junge Evangelista Torricelli schreibt am 11. Sept.
1632'): „Ich bin von Profession Mathematiker, wenngleich
noch jung, seit sechs Jahren ein Schüler des Paters Castelli,
nachdem ich zuvor zehn Jahre unter der Leitung der Jesuiten
studiert. Ich habe Ihr Buch genau und fortwährend bis auf
diesen Tag studiert, mit einer Freude, wie sie der empfin-
det, welcher, nachdem er die ganze Geometrie durchge-
macht, den Ptolemäus studiert und so ziemlich alles von
Tycho, Kepler und Regiomontanus gesehen, endlich, durch
viele Gründe gezwungen, ein Anhänger des Copernicus, von
Profession und Confession ein Galileist geworden ist (di
pro/esstone e di setta Galileista). Der Pater Griemb erger,
der mir sehr wohl will, gesteht, Ihr Buch habe ihm viel
Genuss bereitet und es ständen schöne Sachen darin; aber
die [Copernicanische] Meinung lobt er nicht und hält er
nicht für wahr, wenn es auch scheine,- als ob sie wahr
wäre. . . Ich schätze mich sehr glücklich, in einem Jahr-
hundert geboren zu sein, in welchem ich einen Galilei, ein
Orakel der Natur, brieflich kennen lernen und ehren und
die Gunst eines Ciampoli, meines liebevollsten Herrn, ge-
messen kannu u. s. w.
Gleich anerkennend schrieben Peter Gassendi2) und
Andere. Castelli berichtete sogar von solchen, die durch die
Lesung des Dialogs von der Ptolemäischen Lehre zur Co-
pernicanischen bekehrt worden seien3); er nennt darunter
sogar den Pater Veglia (s. o. S. 15).
Die Bedeutung des Buches konnten auch die Gegner
des Copernicanischen Systems nicht verkennen. Als ein
Werk, welches, wie Grisar S. 106 richtig sagt, „in einer
für die Massen der Gebildeten berechneten Gesprächsform,
1) IX, 288. 2) IX. 308. 3) IX, 297.
21 6 Urban VIII. und der Dialog.
in seiner kräftigen und packenden Darstellung-, in seinem
geschmackvollen Italienisch, in welchem es statt in der bis-
her gewohnten lateinischen Gelehrtensprache geschrieben
war", drohte es der anticopernicanischen Theorie und dem
Ansehen der „Peripatetiker" und zugleich dem Ansehen der
Römischen Behörden, welche die Copernicanische Theorie
geächtet hatten, einen harten Schlag zu versetzen.
Eine Befürchtung, dass der Dialog trotz der Approba-
tionen, mit denen er erschien, Galilei in Conflict mit den
kirchlichen Behörden bringen könnte, spricht keiner seiner
Freunde aus, mit Ausnahme Paolo Aproino's, der am 13.
März 1632 *) aus Venedig schreibt : „Der Magister Fulgenzio
hat mir vor einigen Wochen einige Bogen Manuscript von
Ihnen gezeigt und gesagt, dasselbe solle gedruckt werden.
Ich habe ihm gesagt, um mögliche Unannehmlichkeiten zu
vermeiden, würde es nach meiner Meinung gerathener
sein, drei oder vier Abschriften in öffentlichen und freien
Bibliotheken, etwa eine hier, eine in Frankreich, in Deutsch-
land oder in Flandern zu deponiren (mit einem Briefe, xler
die Zeit der Abfassung angäbe), und Jeden, der es wünschte,
eine Abschrift nehmen zu lassen. Der Personen, die sich für
diese Studien interessiren, sind ja nur wenige, und diese
sind in der Lage, ein wenig Mühe und die grösseren Kosten
nicht anschlagen zu müssen."
XVIII.
Urban Till, und Galilei's Dialog,
Der Dialog wurde schon im Februar 1632 im Druck
vollendet und in den nächsten Monaten versandt; nach Rom
1) Suppl. 243. Ob der Brief nicht aus einer frühern Zeit ist? Im
März 1632 war ja der Dialog schon gedruckt. — Paolo Aproino aus Tre-
viso war zu Padua Galilei's Schüler gewesen und bezeichnet diesen als den
„grössten Mann, der je gelebt". Er stand schon seit 161 2 mit Galilei in
Briefwechsel (VIII, 276 beschreibt er ein von ihm erfundenes akustisches
Instrument). Er wurde später Canonicus in Treviso, f 1638 in Venedig. X,
289. Galilei erwähnt ihn rühmend in seinen neuen Dialogen (XIII, 306).
Tiraboschi VIII, 253.
Das Einschreiten gegen den Dialog. 217
kamen, da die Verbindung mit Florenz durch die Pest er-
schwert war, erst im Mai die beiden ersten Exemplare und
noch später einige andere. Im August wurde auf Befehl
des Papstes dem Verfasser und dem Verleger die Verbrei-
tung des Buches bis auf weiteres untersagt. Der Papst
war geneigt, die Sache sofort der Inquisition zu übergeben,
beauftragte aber zunächst, noch im August, eine besondere
Congregation(Commission), ihr Gutachten abzugeben. Diesem
Gutachten entsprechend, wurde Mitte September die Inqui-
sition angewiesen, Galilei den Process zu machen, und diese
citirte ihn am 1. Oct. 1632 nach Rom. Er kam erst am 13.
Febr. 1633 dort an. Der Process dauerte bis zum 22. Juni,
an welchem Tage Galilei als der Häresie stark verdächtig
zur Abschwörung der Copernicanischen Lehre angehalten
und zu lebenslänglicher Haft verürtheilt wurde. Das ist
eine kurze Skizze des Verfahrens gegen Galilei, zu welchem
sein Dialog die Veranlassung gab. Eine genauere Darstel-
lung wird in den folgenden Abschnitten gegeben werden.
Grisar citirt S. 107 beifällig aus meinem Vortrage über
den Galilei'schen Process folgende Stelle : „Von dem Stand-
punkte aus, den die Römischen Behörden im J. 16 16 einge-
nommen hatten, (indem sie die Lehre von der Bewegung
der Erde verdammten), ist es sehr erklärlich, dass man
gegen ein Buch einschritt, worin jene Lehre unter einer so
durchsichtigen Hülle vertheidigt wurde. " Auf diesen Satz
folgt in meinem Vortrage1) ein Satz, den Grisar nicht an-
führt, auf den es aber eigentlich ankommt: „Nachdem man
aber früher ähnliche Aeusserungen Galilei's wenigstens igno-
rirt hatte, nachdem es diesem sogar gelungen war, die
Druck-Erlaubniss für den Dialog zu erhalten, muss es auf-
fallend erscheinen, dass man sich nicht damit begnügte, den
Dialog auf den Index zu setzen, sondern gegen Galilei per-
sönlich einen Process einleitete und dass der Papst, von
dem man sich Aeusserungen erzählte, nach welchen er die
Decrete vom J. 161 6 bedauerte, mit grosser Entschiedenheit,
um nicht zu sagen Leidenschaftlichkeit, auf ein strenges
Verfahren gegen Galilei drang. "
Als das vorläufige Verbot des Dialogs im August 1632
bekannt wurde, dachten Galilei's Freunde nur an die Mög-
1) Hist. Zeitschr. 34, 131.
21 8 Das Einschreiten gegen den Dialog.
lichkeit, dass die Römischen Behörden denselben unbedingt
verbieten, vielleicht nur eine Emendation desselben anord-
nen würden, wie früher für das Werk . des Copernicus.
Micanzio schreibt am 14. Aug. 1632 *): ,, Ihren Brief vom 7.
[derselbe ist nicht erhalten] habe ich mit Entrüstung und
Wuth, aber nicht mit Verwunderung gelesen. Als ich gleich
nach dem Erscheinen Ihres Buches mit Monsignor Conta-
rini, einem Mann von hohem Geiste und engelgleichen
Sitten, darüber sprach, ahnten wir beide, dass es so kom-
men würde, wie es gekommen ist, da wir uns nicht denken
konnten, dass ein so ausgezeichnetes und göttliches Buch
vor der Ignoranz und Bosheit der Welt und vor der Arro-
ganz derjenigen bewahrt bleiben sollte, welche nicht nur
das Denken, sondern auch die Dinge, mit denen sich die
Geister beschäftigen, lenken zu können glauben." Am 18.
Sept.2) schreibt er wieder: „Das Bestreben Ihrer Feinde, das
Verbot des Buches zu bewirken, wird weder Ihrem Ruhme
noch den Verständigen schaden. Was die Nachwelt be-
trifft, so ist dies gerade ein Mittel, das Buch auf sie zu
bringen. Aber was für eine elende Bande (sciagurata setta)
muss das sein, der alles Gute und in der Natur Begründete
zuwider und verhasst sein muss! . . . Ich fürchte nur, dass
ich nun Ihre anderen Dialoge3) nicht werde zu sehen be-
kommen; sollte sich diese Befürchtung verwirklichen, so
wünsche ich jene Heuchler' ohne Natur und ohne Gott zu
hunderttausend Teufeln."
Castelli antwortet am 2. Oct. 1632 auf einen (nicht er-
haltenen) Brief Galilei's aus dem Anfang des Septembers4):
„Ich habe alles aufgeboten, um zu bewirken, dass man nicht
einen übereilten Beschluss fassen möge über Ihre so herr-
liche, nützliche und grosse Arbeit. Ich habe geltend ge-
macht, wenn man nicht in der Weise vorgehe, wie sie sich
für das erhabene und heilige Tribunal gezieme, so werde
durch diese Sache nur die Reputation desselben geschädigt
und die ihm gebührende Ehrfurcht vermindert werden; ich
1) IX, 283. 2) IX, 289.
3) Micanzio meint die am Schlüsse des Werkes in Aussicht gestellten
Dialoge über die „neue "Wissenschaft von den Bewegungen" (s. o. S. 211).
Sie erschienen, wie wir sehen werden, im J. 1638.
4) IX, 287. 295.
Das Einschreiten gegen den Dialog. 219
wolle nicht verlangen, man solle das Buch nicht verbieten
und verdammen, wohl aber, man solle so vorgehen, dass
man nachher auch sagen könne, was man verboten habe.
Solche Vorstellungen habe ich mit aller Ehrerbietung, aber
sehr entschieden auch dem Pater Magister (Sacri Palatii)
und seinem Adjuncten gemacht, die ich scheinbar gut ge-
stimmt gefunden. Ich habe beigefügt, wenn sie gegen einen
Mann vorgingen, der in der bescheidensten, ehrerbietigsten
und vorsichtigsten Weise geschrieben, so würde das die
Folge haben, dass Andere resolut und rückhaltlos schrieben.
Ich habe jenen Patres auch bemerklich gemacht: wenn es
auch ihres Amtes sei, die von Menschenhand geschriebenen
Blätter zu verbieten oder nicht zu verbieten, so gehe doch
ihre Autorität nicht so weit, dass sie der Erde gebieten
könnten, still zu stehen oder sich zu bewegen, und sie
könnten nicht Gott und der Natur verbieten, uns von Zeit
zu Zeit ihre verborgenen Geheimnisse auf tausenderlei
Weise zu offenbaren. Ich habe auch mk dem Pater Com-
missar [der Inquisition] gesprochen und mich erboten, ihm,
um ihm die Arbeit zu erleichtern, den Dialog zu erklären,
namentlich den Theil und die Stellen desselben, wo von
der Bewegung der Erde gehandelt wird. Dieser Pater ist
ein sehr freundlicher und gegen mich liebevoll gesinnter
Mann1); so habe ich mir erlaubt, ihm Folgendes zu sagen:
«Hochwürdiger Pater Commissarius! Ich finde bei St. Augu-
stinus geschrieben, dass die heiligen Schriftsteller bezüglich
der Frage, ob die Erde sich bewege oder nicht, das Rechte
sehr wohl gewusst, aber nichts entschieden und gelehrt
haben, weil das für das Heil der Seelen von keiner Be-
deutung ist. Viele Jahrhunderte nach Augustinus ist jener
grosse Geist, Nicolaus Copernicus, auf die Welt gekommen,
der nach herculischen Studien und Arbeiten das Buch von
den Bewegungen der Himmelskörper geschrieben und, auf-
gefordert von dem grossen Cardinal Schomberg und ande-
ren frommen und gelehrten katholischen Bischöfen, ver-
öffentlicht hat, indem er es einem sehr gelehrten Papste,
1) Es ist nicht P. Firenzuola, der bei Galilei' s Process fungirte. Dieser
wurde erst im Dec. 1632 Commissar. Sein Vorgänger wurde, wie auch der
Assessor des h. Officiums, Monsignor Vittrice, als Anhänger der spanischen
Partei im Cardinals-Collegium (s. u. S. 226) abgesetzt. Wolynski p. 75. 177.
220 Das Einschreiten gegen den Dialog.
Paul III., widmete. Auf Grund seiner Hypothesen und mit
Hülfe seiner Tafeln hat die h. Mutter Kirche die Reform
des Kalenders zu Ende geführt, so das» man wohl sagen
kann, das Werk des Copernicus sei von der h. Kirche
approbirt worden. Durch alle diese Dinge bewogen, ge-
stehe ich offen, dass ich gar kein Bedenken habe, gestützt
auf überzeugende Gründe und viele von Erfahrungen und
Beobachtungen hergenommene Beweise, zu glauben, dass
der Erde jene Bewegungen zukommen, die ihr von Coper-
nicus zugeschrieben werden. Ueber alles das habe ich
wiederholt mit frommen und intelligenten Theologen ge-
sprochen, welche keine Bedenken erhoben haben. Unter
diesen Umständen sehe ich gar keinen Grund, die Dialoge
Galilei's zu verbieten.« Der Pater antwortete: er sei auch
der Ansicht, dass diese Frage nicht durch die Autorität
der h. Schrift entschieden werden dürfe; er wolle eine Ab-
handlung darüber schreiben und diese mir zeigen. Ich ver-
lange nichts anderes, als dass man Ihr Buch studiere und
verstehe, weil ich überzeugt bin, dass man dann nicht über-
eilter Weise einen unvernünftigen Entschluss fassen wird."
Selbst der Magister Sacri Palatii dachte noch Anfangs
September, es werde nur zu einem Verbote des Dialogs,
donec corrigatur, kommen. Er erzählte dem toscanischen
Gesandten: er sei damit beschäftigt, das Buch zu revidiren
und es an einigen Stellen zu corrigiren; wenn er damit
fertig sei, wolle er es dem Papste bringen und ihm ver-
sichern, dass es so corrigirt passiren könne *).
Dass man sich nicht darauf beschränkte, den Dialog
zu verbieten und Galilei einen ernsten Verweis für die
Nichtbeachtung der ihm im J. 1616 ertheilten Verwarnung
zu geben; dass man nicht mit der Milde gegen ihn verfuhr,
die man bei seinem hohen Alter und seinen grossen Ver-
diensten, bei der Gunst, in der er bisher bei dem Papste
und am päpstlichen Hofe gestanden, bei der Fürsprache des
Grossherzogs und anderer angesehener Personen hätte er-
warten sollen; dass man ein Verfahren einschlug, bei dem
es augenscheinlich nicht bloss auf die Unterdrückung einer
für irrig gehaltenen Lehre, sondern zugleich auf eine gründ-
liche persönliche Demüthigung Galilei's abgesehen war: dar-
1) IX, 422. 424.
Charakter Urbans VIII. 221
an war, wie die Acten zeigen, — und das ist das Auf-
fallendste an der Sache, — in erster Linie Papst Urban
VIII. Schuld, der sich seit dem August 1632 ebenso strenge,
um nicht zu sagen verfolgungssüchtig und unversöhnlich,
gegen Galilei zeigt, wie bis dahin wohlwollend. Wie gegen
Galilei, so zeigt sich der Papst auch gegen den früher bei
ihm sehr beliebten Monsignor Ciampoli sehr erbittert.
Urban VIII. hatte ausser den Eigenschaften, welche
Galilei's Freunde bei Gelegenheit seiner Thronbesteigung
an ihm rühmten, auch noch andere, welche von jetzt an auch
in der Geschichte Galilei's in sehr unangenehmer Weise her-
vortreten. ,,In allen Dingen, sagt Ranke !), verfuhr er mit
unbedingter Selbstherrschaft. Schlug man ihm vor, das
Collegium zu Rathe zu ziehen, so entgegnete er wohl, er
allein verstehe mehr als alle Cardinäle zusammengenommen.
Nur selten ward Consistorium gehalten, und auch dann hat-
ten nur Wenige den Muth, sich freimüthig zu äussern. Die
Congregationen versammelten sich in der gewohnten Weise,
jedoch wurden ihnen keine wichtigen Fragen vorgelegt, die
Beschlüsse, welche sie ja etwa fassten, wenig berücksichtigt. . .
Ich wüsste keinen Papst, der das Selbstgefühl, das ihm seine
hohe Stellung einflösste, in dem Grade gehabt hätte. Man
machte ihm einst einen Vorwurf aus den alten päpstlichen
Constitutionen: er antwortete, der Ausspruch eines lebenden
Papstes sei mehr werth als die Satzungen von hundert ver-
storbenen... In einem Gesandtschaftsberichte vom J. 1624 heisst
es von ihm : Er liebt die eigenen Meinungen und lässt sich
von seinem eigenen Geiste schmeicheln; das hat ein zähes
Festhalten an seinen eigenen Gedanken zur Folge. . '. Er ist
immer bedacht auf das, was seine Meinung von seiner eige-
nen Person erhöhen kann." Und einer seiner Cardinäle,
wahrscheinlich Bentivoglio, sagte von ihm: „Er beansprucht
als der Oberherr der Welt und auf dem ganzen Gebiete der
Wissenschaften angesehen zu werden"2). „Die fremden Ge-
sandten, sagt Ranke weiter, waren unglücklich, dass sie so
wenig mit dem Papste anfangen konnten. In den Audien-
zen sprach er selbst das Meiste, docirte, setzte mit dem
Nachfolgenden das Gespräch fort, das er mit dem Vorher-
1) Die Römischen Päpste, 5. Aufl. 1867, II, 534 ff.
2) Targioni II, III. '
222 Urbans VIII. Aeusserungen über den Dialog.
gehenden begonnen. Man musste ihn hören, ihn bewundern,
ihm mit der grössten Ehrerbietung begegnen, selbst wenn
er abschlug. Auch bei anderen Päpsten, erfolgten viele ab-
schlägliche Bescheide, aber aus einem Princip, sei es der
Religion, sei es der Politik; bei Urban VIII. bemerkte man
Laune. Man konnte nie sagen, ob man ein Ja oder ein Nein
zu erwarten haben würde. "
Die Stimmung des Papstes nach dem Erscheinen des
Dialogs erkennt man sehr deutlich aus den Berichten, die
der toscanische Gesandte in seinen Briefen an den gross-
herzoglichen Staatssecretair Cioli über seine Audienzen bei
dem Papste erstattete. Am 5. Sept. 1632 l) schreibt er über
eine Audienz, die er Tags zuvor gehabt: „Auch ich fange
an zu glauben, wie Sie sehr gut sagen, dass die Welt ver-
gehen wird. Während des Gesprächs über die unangeneh-
men Angelegenheiten des h. Officiums brach Seine Heilig-
keit in heftigen Zorn aus und sagte ganz unverhofft: auch
mein Galilei sei auf verkehrte Wege gerathen und habe sich
in die schlimmsten und gefährlichsten Dinge eingelassen,
die man in diesen Zeiten anregen könne. Ich antwortete :
Galilei habe das Buch nicht ohne die Approbation seiner
Beamten drucken lassen; ich selbst hätte (von Riccardi) die
Einleitung erhalten und nach Florenz geschickt. Er erwie-
derte, noch immer sehr heftig: Galilei und Ciampoli hätten
ihn hintergangen; Ciampoli habe sich erlaubt, ihm zu sagen,
Galilei wolle alles thun, was Seine Heiligkeit befehle, und
alles sei in Ordnung; mehr habe er nicht gewusst, das Buch
habe er nie gesehen oder gelesen ; er müsse sich über Ciam-
poli und den Magister Sacri Palatii beklagen; letzterer sei
freilich auch hintergangen worden, indem man ihm mit schö-
nen Worten die Approbation des Buches entlockt und ihn
dann wieder durch schöne Worte bestimmt habe, zu gestat-
ten, dass das Buch in Florenz gedruckt werde; dort habe
man die dem Inquisitor gegebene Weisung nicht beobachtet
und dann das Imprimatur des Magister Sacri Palatii auf das
Buch gesetzt, der mit den nicht in Rom gedruckten Büchern
nichts zu schaffen habe. Ich bemerkte darauf: ich hätte ge-
hört, dass Seine Heiligkeit eine Congregation mit der Un-
tersuchung dieser Sache beauftragt habe; da unter den Mit-
1) IX, 420.
Urbans VIII. Aeusserungen über den Dialog. 223
gliedern derselben vielleicht solche wären, die Galilei nicht
wohl wollten, so bäte ich ihn unterthänigst, Galilei Gelegen-
heit zu geben sich zu rechtfertigen. Seine Heiligkeit ant-
wortete: bei solchen Angelegenheiten des h. Officiums ge-
schähe nichts anderes, als dass man censurire und dann den
Censurirten citire und widerrufen lasse. Ich erwiederte:
Scheint es denn Ew. Heiligkeit nicht gut, dass Galilei die
sein Werk betreffenden Schwierigkeiten und Bedenken oder
die Censuren und das, was dem h. Officium anstössig ist,
zuvor mitgetheilt werden? Er antwortete heftig: Ich sage
Ihnen ja, dass das h. Officium etwas der Art nicht thut und
diesen Weg nicht einschlägt; die Sachen werden Niemand
vorher mitgetheilt; übrigens weiss Galilei sehr wohl, wo-
rin die Schwierigkeiten bestehen, wenn er es nur wissen
will; denn wir haben mit ihm davon gesprochen, und er hat
sie alle von uns selbst gehört. Ich bat ihn dann, zu beden-
ken, dass das Buch dem Grossherzog gewidmet sei und
dass es sich um einen Diener desselben handle; ich hoffte,
er werde darum milde verfahren und auch seinen Beamten
befehlen, darauf Rücksicht zu nehmen. Er sagte darauf:
er habe Bücher verboten, die ihm selbst gewidmet seien;
wenn es sich um Dinge handle, durch welche der Religion
der grösste und schwerste nur denkbare Schaden zuge-
fügt werden könne, so müsse der Grossherzog als christ-
licher Fürst selbst zur Bestrafung mitwirken ; ich möge dem
Grossherzog nur ganz offen schreiben, er rathe ihm, sich in
diese Sache nicht einzumischen, wie er das bei der Angele-
genheit des Alidosi gethan1); denn er würde nicht mit Ehren
daraus hervorgehen. Ich sagte: ich sei überzeugt, dass ich
Befehle erhalten würde, die mich nöthigen würden, ihm
nochmals lästig zu fallen; ich könne aber nicht glauben,
dass Seine Heiligkeit gestatten werde, dass man ein schon
approbirtes Buch verbiete, ohne wenigstens vorher Galilei
zu hören. Er antwortete: das sei das Geringste, was ihm
1) Mariano Alidosi weigerte sich trotz des Befehles Urbans VIII. im J.
1630 für das Lehen Castel del Rio die kirchliche Investitur nachzusuchen, und
war ausserdem eines im J. 1631 im Kirchenstaate begangenen Todtschlages
angeklagt. Er hielt sich in Florenz auf, und über seine Auslieferung wurde
lange verhandelt. Am 22. April 1633 stellte er sich in Rom; nachdem er.
bis zum October im Inquisitionsgebäude in Haft gewesen, wurde er freige-
lassen. IX, 423. Pieralisi p. 164. 184.
224 Urbans VIII. Aeusserungen über den Dialog.
widerfahren könnte; er solle sich hüten, dass er nicht vor
das h. Officium citirt werde; er habe eine aus tüchtigen und
gut gesinnten Theologen und anderen Gelehrten bestehende
Congregation eingesetzt; diese würden Wort für Wort jede
Kleinigkeit untersuchen; denn es handle sich um die aller-
verkehrteste Sache, die man nur, in die Hände bekommen
könne. Er wiederholte zugleich, es thue ihm leid, dass er
von Galilei und Ciampoli hintergangen worden sei. Dann
sagte er, ich solle dem Grossherzog schreiben: die Lehre
des Buches sei verkehrt im allerhöchsten Grade; die ganze
Sache werde sorgfältig untersucht werden; Seine Hoheit
möge sich nicht einmischen und sich beruhigen. Zugleich
legte er nicht nur mir selbst Stillschweigen auf bezüglich
dessen, was er mir gesagt, sondern beauftragte mich auch,
dem Grossherzog zu schreiben, dass er auch ihm Stillschwei-
gen auflege 1). Er fügte noch bei: indem er die Sache nicht, wie
er eigentlich gesollt, der Inquisition, sondern einer besondern
Congregation übergeben, habe er gegen Galilei besser gehan-
delt, wie dieser gegen ihn; denn dieser habe ihn hintergangen.
Ich fand also eine schlimme Stimmung; der Papst konnte
gar nicht aufgebrachter gegen unsern armen Galilei sein. . .
Ich glaube, wir müssen in dieser Sache behutsam vorgehen
und mehr mit den päpstlichen Beamten und dem Cardinal
Barberino verhandeln als mit dem Papste selbst; denn wenn
man diesem entgegentritt oder droht oder trotzt, wird er
hartnäckig und nimmt auf Niemand Rücksicht. Das Richtige
wird sein, dass wir Zeit zu gewinnen suchen" u. s. w.
Am 1 8. Sept.2) berichtet Niccolini folgende weitere Aeusse-
rungen des Papstes : Galilei sei sein Freund, aber jene Meinun-
gen seien schon vor 16 Jahren verdammt worden, und er habe
sich in einen verwickelten Handel eingelassen; die Sache
sei sehr gefährlich und Galilei's Buch wirklich verderblich;
die Sache sei misslicher, als der Grossherzog glaube; ich
solle diesem schreiben, er dürfe nicht dulden, dass Galilei
seinen Schülern verkehrte und gefährliche Ansichten bei-
bringe u. s. w. In einem Berichte vom 13. Nov.3) erzählt Nicco-
lini: er habe dem Papste nochmals vorgestellt, dass Galilei
auf ordnungsmässigem Wege die Druck-Erlaubniss für sein
1) Vgl. Pieralisi p. 162.
2) IX, 427. 3) IX, 429.
Urbans VIII. Aeusserungen über den Dialog. 22$
Buch erhalten habe ; der Papst habe ihn aber mit den Wor-
ten unterbrochen : Ciampoli und Riccardi hätten sich schlecht
benommen ; die Diener, welche nicht nach dem Willen ihrer
Herren handelten, seien die schlechtesten Diener; er habe
Ciampoli oft gefragt, wie es mit Galilei stehe, und derselbe
habe ihm immer nur geantwortet: gut, und habe nichts da-
von gesagt, dass das Buch gedruckt werde; er habe aber
etwas davon gewittert; das Buch enthalte eine sehr schlechte
Lehre. In einem Briefe vom 19. Febr. 1633 *) sagt er: Der
Papst habe sich über Galilei's Angelegenheit heftig erhitzt
und behandle sie als eine persönliche. Am 2-]. Febr.2) be-
richtet er folgende Aeusserungen des Papstes: Galilei sei
übel berathen gewesen^ dass er jene Meinungen veröffent-
licht habe; man habe eine ciampolata gemacht [etwa:
„eine Stolperei", von ciamftare, stolpern, mit Anspielung
auf den Namen Ciampoli]; Galilei sage zwar, er wolle von
der Bewegung der Erde nur hypothetisch reden, aber indem
er die Gründe dafür anführe, spreche er in Form der be-
stimmten Behauptung davon ; er habe auch gegen die Wei-
sung gehandelt, welche ihm der Cardinal Bellarmin im Auf-
trage der Index- Congregation (vielmehr der Inquisition) er-
theilt. „Ich suchte Galilei zu vertheidigen, fährt Niccolini
fort; aber da der Papst Galilei's Lehre für schlecht erklärt,
wird man gegen ihn vorgehen, und wenn man auch seine
Antworten als befriedigend anerkennen müsste, wird man
doch nicht den Schein haben wollen, dass man einen Bock
geschossen, nachdem man ihn mit so vielem Eclat nach
Rom citirt hat." — Ueber eine Audienz am 13. März be-
richtet Niccolini 3) u. a. Folgendes: ,,Der Papst sagte: Gott
möge es Galilei verzeihen, dass er sich in diese Dinge ein-
gelassen, bei denen es sich um neue Lehren und um die h.
Schrift handle ; Gott möge auch Ciampoli beistehen, der
auch an diesen Meinungen Gefallen finde und ein Freund
der neuen Philosophie sei; Galilei sei sein Freund gewesen
und sie hätten wiederholt freundschaftlich zusammen geges-
sen und sich unterhalten; es thue ihm leid, dass er hart ge-
gen ihn sein müsse, aber es handle sich um das Interesse
des Glaubens und der Religion; auf Ein Argument habe
man niemals antworten können: dass Gott allmächtig sei
1) IX, 434. 2) IX, 435. 3) ix, 437-
Rensch, Galilei.
226 Ciampoli's Absetzung.
und alles vermöge, dass man ihm also nichts vorschreiben
könne. (Das ist wieder das Lieblings- Argument Urbans VIII.,
welches Galilei auf seinen Befehl auch in- den Dialog hatte
aufnehmen müssen.) Ich antwortete: ich verstände nicht über
diese Sachen zu reden, aber ich meinte, ich hätte Galilei
sagen hören, er halte die Meinung von der Bewegung der
Erde nicht für wahr, aber da Gott die Welt auf tausenderlei
Weise habe einrichten können, so könne man die Möglich-
keit nicht bestreiten, dass er sie auf diese Weise eingerich-
tet habe. Der Papst wurde heftig und antwortete: man
müsse Gott keine Vorschriften machen." -
Nach diesen Mittheilungen wird es nicht zu hart er-
scheinen, wenn A. v. Reumont1) sagt: ,,Bei Urban war es
eine rein persönliche Sache: seine Heftigkeit und Eitelkeit
trugen über sein besseres Gefühl und Bewusstsein den Sieg
davon."
Die Ungnade Monsignor Ciampoli's datirt nicht, wie
gewöhnlich angenommen wird, erst von dem Erscheinen des
Dialogs. Aus den Andeutungen seines Biographen2) und
den von Wolynski (p. 178) veröffentlichten Mittheilungen Nic-
colini's ergiebt sich vielmehr Folgendes : Ciampoli hatte schon
seit Jahren Feinde und war seit 1630 der Hinneigung zu den
spanisch gesinnten Cardinälen verdächtig (s. o. S. 197). Nach-
dem diese wiederholt vergebens Urban VIII. gedrängt hat-
ten, den Kaiser in dem dreissigjährigen Kriege durch Sub-
sidien und Einwirkung auf die katholischen Fürsten zu un-
terstützen, brachte endlich der Cardinal Caspar Borgia am
8. März 1632 im Auftrage des Königs von Spanien die Sache
in sehr kräftigen Ausdrücken im Consistorium zur Sprache.
Es kam zu einem heftigen Auftritt3) und in Folge davon
zu einem förmlichen Bruch zwischen dem Papste und den
Cardinälen Borgia, Roberto Ubaldini und Anderen. Urban
VIII. entschloss sich nun aber, ein Jubiläum auszuschreiben,
um von Gott Frieden und Eintracht unter den christlichen
Fürsten zu erflehen. Ciampoli erhielt den Auftrag, die En-
cyklica zu entwerfen oder den Entwurf des Papstes zu sti-
lisiren. Seine Arbeit missfiel dem Papste, — sie soll zu
1) Beitr. I, 415. 2) Targioni II, 110; s. o. S. 197.
3) Wolynski p. 172. Laemmer. Meletematum Rom. Mantissa, 1875,
p. 244.
Urban VIII. und die Approbation des Dialogs. 227
„spanisch" gewesen sein, — und es wurde am 1. April eine
andere Encyklica publicirt. Ciampoli soll diese bei Freun-
den kritisirt und die von ihm entworfene gezeigt, und Urban
VIII. dieses erfahren haben. Jedenfalls fiel er im April gänz-
lich in Ungnade. Er blieb noch einige Monate im Amte,
wurde aber von dem Papste nicht mehr vorgelassen, was
ihm um so schmerzlicher war, als er meinte, ihn versöhnen
zu können, wenn er ihn nur sprechen könnte. Als er sah,
dass seine Stellung unhaltbar geworden, machte er sich An-
fangs Hoffnung, Nuncius in Neapel oder Venedig zu wer-
den; dann hiess es, er werde ein Bisthum erhalten ; schliess-
lich wurde er in demüthigender Weise verbannt, indem er
im October 1632 zum Governatore von Montalto, einem Städt-
chen in den Apenninen, ernannt wurde, wohin er im Novem-
ber abreiste. Später wurde er in gleicher Eigenschaft nach
Norcia, dann nach Fabbriano, zuletzt nach Jesi versetzt, wo
er in päpstlicher Ungnade 8. Sept. 1643 starb1).
Der Unwille des Papstes gegen Ciampoli mag also da-
zu beigetragen haben, ihn gegen Galilei zu verstimmen, und
umgekehrt wird sein Unwille über Galilei's Dialog seine
Stimmung gegen Ciampoli verschlimmert haben.
Was Galilei betrifft; so geht aus den angeführten
Aeusserungen Urbans VIII. hervor, dass er über zwei Dinge
ungehalten war, über den Inhalt des Dialogs und über die
vermeintliche Erschleichung der kirchlichen Approbation
desselben.
Was den letzt ern Punkt betrifft, so scheint Riccardi
Anfangs versucht zu haben, die Schuld auf die Inquisition
zu Florenz zu schieben. Im September sagte er Niccolini 2),
der Papst sei auch darüber unwillig, dass bei dem Drucke
des Buches die ertheilten Vorschriften nicht beobachtet seien;
man wundere sich allgemein, wie man in Florenz den Druck
habe gestatten können; wäre das Buch in Rom gedruckt
und von ihm Bogen für Bogen revidirt worden, so hätte es
1) IX, 306. 314. 315; X, 114. 300; Suppl. 246. 247. Pieralisi p. 115.
Ciampoli's Nachfolger wurde der Ex-Jesuit Francesco Errera, wiewohl man
Anfangs Bedenken trug, diesen zu ernennen, weil er beauftragt war, die
Biographie des Papstes zu schreiben. — , Auch der Commissar und der
Assessor des h. Officiums wurden in Folge der Borgia'schen Affaire abge-
setzt; s. o. S. 219. 2) IX, 423.
228 Urban VIII. und die Approbation des Dialogs.
eine Form erhalten können, in der man es hätte können
passiren lassen. Aber auf der Rückseite des Titelblattes
des Dialogs stand auch die von Riccardi^ ausgefertigte Ap-
probation der Römischen Censurbehörde, was um so auf-
fallender war, als, wie auch der Papst Niccolini gegenüber
hervorhob, „der Magister Sacri Palatii mit den nicht in
Rom gedruckten Büchern nichts zu schaffen hatte"1).
Riccardi konnte sagen, Galilei habe ohne Auftrag von ihm
und gegen seine Absicht sein Imprimatur auf das in Florenz
gedruckte Buch gesetzt ; aber er konnte nicht leugnen, dass
er das Buch approbirt und dann dem Inquisitor zu Florenz
wegen der von diesem zu ertheilenden Druck-Erlaubniss
Instructionen gegeben. Am 26. Dec. 1632 2) berichtet darum
Niccolini: auch Riccardi werde Unannehmlichkeiten haben;
der General der Dominicaner, — Ridolfi; er war vor Ric-
cardi selbst Magister Sacri Palatii gewesen, — und alle An-
deren sagten, er hätte den Dialog nicht approbiren dürfen.
Die Entschuldigung, er habe im Auftrage des Papstes
gehandelt, wurde Riccardi durch die Aeusserungen Urbans
abgeschnitten, der, wie Niccolini am 23. April 16333) berich-
tet, sagte, er habe nicht befohlen, die Druck-Erlaubniss zu
ertheilen, ja nichts davon gewusst und der, wie wir eben
gehört, auch behauptete, wenn Ciampoli Riccardi gesagt
habe, er, der Papst, sei mit der Ertheilung der Druck-Er-
laubniss einverstanden, so habe er die Unwahrheit gesagt.
Die Sache ist nicht ganz klar; aber es ist so gut wie
sicher, dass Urban VIII. in seiner Aufregung sich einiger
Thatsachen nicht mehr erinnerte oder nicht mehr erinnern
wollte. Jedenfalls hat Riccardi bei den Verhandlungen über
die Approbation nicht selbständig handeln zu dürfen, son-
dern die Befehle des Papstes einholen zu müssen geglaubt.
Pater Visconti, der den Dialog revidirt hatte, schrieb, wie
wir gesehen haben (S. 199) am 16. Juni 1630: Riccardi wolle
am folgenden Tage mit dem Papste wegen des Titelblattes
sprechen, auf welchem Galilei Ebbe und Fluth erwähnt hatte,
und schon einige Tage vorher hatte Riccardi die Hoffnung
ausgesprochen, es werde ihm gelingen, den Papst über die-
sen speciellen Punkt zu beruhigen. Später trug er Beden-
ken, dem Pater Stefani zu Florenz die Censur zu überlassen,
1) S. o. S. 204, Anm. 5. 2) IX, 431. 3) IX, 434.
Urban VIII. und die Approbation des Dialogs. 229
da dieser „die Willensmeinung des Papstes nicht kenne"
(S. 204), und endlich schrieb er am 24. Mai 1631 (S. 206) dem
Inquisitor zu Florenz : es sei ,,der Wille des Papstes, dass
als Titel und Thema nicht Ebbe und Fluth angegeben werde"
u. s. w., und am 19. Juli (S. 207): „entsprechend dem Befehle
des Papstes" schicke er die beizufügende Einleitung. Alle
diese Aeusserungen lassen voraussetzen, dass Riccardi von
dem Papste selbst specielle Weisungen erhalten hat. Wenn
er das eine Mal Galilei mittheilen lässt, er wolle mit dem
Papste (über den Titel des Buches) sprechen, so braucht
darum freilich nicht angenommen zu werden, dass er alle
Weisungen, auf die er sich beruft, selbst aus dem Munde
des Papstes erhalten; die meisten können ihm durch Ciam-
poli zugegangen sein, der den Papst täglich sah und der
wohl die Verhandlungen zwischen diesem und Riccardi we-
nigstens zum grössten Theile vermittelte. Urban spricht
gar nicht davon, dass er mit Riccardi, sondern nur davon,
dass er mit Ciampoli über Galilei' s Buch geredet habe, und
zwar behauptet er, Ciampoli habe ihm keinerlei specielle
Mittheilungen über das Buch gemacht und darum auch keine
speciellen Weisungen von ihm erhalten. Die Richtigkeit
dieser Angaben des Papstes voraussetzend, nimmt Pieralisi1)
an: Riccardi habe die Weisungen des Papstes, auf die er
sich beruft, und die Ermächtigung, nach Berücksichtigung
dieser Weisungen die Druck-Erlaubniss für den Dialog zu
ertheilen, von Ciampoli erhalten; dieser aber habe eigen-
mächtig, ohne dazu autorisirt zu sein, ja ohne den Papst
von der Sachlage in Kenntniss zu setzen, im Namen des
Papstes diese Weisungen ertheilt. Das ist aber doch viel
schwerer zu glauben, als dass Ciampoli wirklich dem Papste,
— wenn auch vielleicht mitunter nur gesprächsweise, mit
Benutzung günstiger Augenblicke und in einer im Interesse
Galilei's geschickt gewählten Form, — die Punkte, über
welche Riccardi die Willensmeinung des Papstes zu ver-
nehmen wünschte, vorgetragen und dann auf Grund der
Aeusserungen des Papstes Riccardi Bescheid gegeben, und
dass Urban VIIL, als Ciampoli in Ungnade gefallen war,
sich seiner Aeusserungen nicht mehr erinnerte oder erinnern
wollte. Der Bericht Buonamici's über Galilei's Process2) ist
1) Urbano VIII p. 113. 2) IX, 45.
230 Der Dialog und das Argument Urbans VIII.
zwar im allgemeinen keine zuverlässige Quelle (s. o. S. 6);
aber es klingt sehr wahrscheinlich, wenn er erzählt: „Der
Pater Palastmeister sagt, er habe von Seiner Heiligkeit selbst
Befehl erhalten, das Buch zu approbiren. Der Papst leugnet
es und wird heftig. Der Pater sagt, Ciampoli habe ihm auf
Befehl Seiner Heiligkeit die Ermächtigung ertheilt. Der Papst
erwiedert, Worten dürfe man nicht glauben. Endlich zeigt
der Pater ein Billet von Ciampoli vor, worin derselbe sagt,
der Papst, in dessen Gegenwart er schreibe, befehle ihm,
das Buch zu approbiren." — Ueber Ciampoli's Aussagen
liegen uns keine Mittheilungen vor; dass er von Rom ver-
bannt wurde, ist aber jedenfalls kein Beweis dafür, dass er
wirklich in dem Grade schuldig war, wie der Papst be-
hauptete.
Was den Inhalt des Dialogs betrifft, so tadelte Urban
von seinem Standpunkte aus mit vollem Rechte, dass Ga-
lilei die Copernicanische Lehre nicht bloss hypothetisch
vorgetragen. Es verräth aber schon eine starke Voreinge-
nommenheit gegen Galilei und eine grosse Aufregung-, wenn
er sagt: es handle sich um Dinge, durch welche der Reli-
gion der grösste und schwerste nur denkbare Schaden zu-
gefügt werden könne, um die allerverkehrteste Sache, die
man nur in die Hände bekommen könne, die Lehre des
Buches sei schlecht und verkehrt im allerhöchsten Grade
u. s. w. Augenscheinlich war der Papst speciell darüber
entrüstet, dass " Galilei ein Argument, das er aus seinem
eigenen Munde vernommen, nicht gehörig beachtet habe.
Riccardi hatte ausdrücklich angeordnet, in der Peroration
des Dialogs müsse Galilei „die von der göttlichen Allmacht
hergenommenen Gründe beifügen, auf welche ihn der Papst
aufmerksam gemacht habe, Gründe, welche den Geist be-
ruhigen müssten, wenn er sich auch der Pythagoreischen
Argumente nicht erwehren könnte", und demgemäss hatte
Galilei den Schluss des Dialogs eingerichtet. Nun berich-
tet der Graf Filippo Magalotti, ein Verwandter der Barbe-
rini, am 7. Aug. 1632 l) auf Grund einer Mittheilung Riccar-
di's: der Papst habe in dem Buche zwei oder drei Argu-
mente vermisst, die er selbst erfunden und durch welche er
Galilei überzeugt und die Copernicanische Lehre als falsch
1) Suppl. 321
i Der Dialog und das Argument Urbans VIII. 231
erwiesen zu haben glaube. Am 4. Sept1) berichtigt er sich:
„Was die Argumente unseres Herrn betrifft, so war es in
Wirklichkeit nur ein einziges, und dieses steht auch am
Ende des Buches; aber man ist verstimmt darüber, dass
dasselbe dem Simplicio in den Mund gelegt wird, einer Per-
son, die in dem ganzen Gespräche wenig ästimirt, vielmehr
verlacht und verspottet wird." Magalotti fügt bei, er habe
darauf aufmerksam gemacht, nach der ganzen Anlage des
Dialogs habe doch keinem der beiden anderen Interlocu-
toren jenes Argument in den Mund gelegt werden können,
und die Erwiederung Salviati's zeige, dass er dem Argu-
mente die gebührende Achtung zolle und sich dabei be-
ruhige. Jedenfalls aber hatte Urban erwartet, dass das
Argument, welches er selbst erfunden und Galilei vorge-
tragen und auf welches er selbst so grossen Werth legte,'
in dem Dialog eine viel grössere und entscheidendere
Rolle spielen werde. Auf die geringe Beachtung, die sein
Argument gefunden, kommt Urban in den Gesprächen mit
Niccolini wiederholt zurück, und noch im Dec. 16342) er-
wiederte er dem französischen Gesandten Graf Noailles, als
dieser bei einer Audienz Galilei sehr lobte: er schätze und
liebe denselben, aber es sei ihm auffallend, dass er das ihm
vorgetragene Argument nicht berücksichtigt habe.
Der Umstand, dass das päpstliche Argument Simplicio
in den Mund gelegt wurde, war, wenn dieses auch in der
That nicht zu vermeiden 'gewesen, nicht geeignet, den
Papst zu befriedigen. Man hat vielfach behauptet, Galilei's
Feinde hätten gesagt und Urban VIII. hätte geglaubt, Ga-
lilei habe in dem Simplicio ihn selbst darstellen und lächer-
lich machen wollen, und Einzelne haben sogar gemeint,
Galilei habe wirklich diese Absicht gehabt3). Die erste
darauf bezügliche Notiz findet sich in Briefen Castelli's vom
22. Dec. 1635 und 12. Juli 16364). In dem ersten berichtet
er: er habe dem Cardinal Antonio Barberini gesagt, es sei
eine Verleumdung, wenn man ausstreue, Galilei habe jene
1) Suppl. 325. 2) X, 65.
3) Vgl. Gebier, Galilei S. 197. Pieralisi p. 341. Epinois, La que-
stion de Galilee p. 217. — Der Jesuit A. de Gabriac fragt p. 531 ganz
ungenirt: „Hat sich Galilei hochherzig gegen Urban VIII. gezeigt in diesen
Dialogen, in denen sein Wohlthäter unter dem Namen Simplicius insultirt
wird?" 4) X, 131. 159.
232 Der Dialog und die Jesuiten. •
Absicht gehabt. In dem zweiten berichtet er: Graf Noailles
habe dem Papste selbst versichert, Galilei habe nie die Ab-
sicht gehabt, ihn zu beleidigen, und der Papst habe darauf
geantwortet: „Wir glauben es, wir glauben es". Galilei
hat in der That sicher jene Absicht nicht gehabt, und es ist
nicht wahrscheinlich, dass Urban es geglaubt; aber darüber
mag er, wie gesagt, sehr unwillig gewesen sein, dass Gali-
lei sein Argument „einem Dummkopf in den Mund gelegt"1),
nicht so ausführlich und überzeugend, wie er gewünscht,
entwickelt und nicht genug Anerkennung von Seiten der
anderen Interlocutoren hatte finden lassen.
Es legt sich von selbst die Vermuthung nahe, dass
der plötzliche Umschwung in der Stimmung Urbans VIII.
gegen Galilei nicht durch die blosse eigene Leetüre des
Dialogs und die dadurch spontan in ihm entstandene Un-
zufriedenheit hervorgerufen worden, dass vielmehr Gegner
Galilei's das Erscheinen des Dialogs geschickt benutzt ha-
ben, den Papst gegen ihn aufzureizen und die bei diesem
entstandene Verstimmung zu steigern. Buonamici2) spricht
von einem „Mönchshass" zwischen dem Pater Firenzuola,
dem Commissar der Inquisition, der bei dem Papste wegen
seiner Arbeiten für die Befestigung der Engelsburg sehr be-
liebt gewesen, und dem Pater Riccardi. Aber gegen letztern
war der Papst am wenigsten aufgebracht, gegen Galilei
zeigte sich der Commissar der Inquisition immer freundlich
und wohlwollend, und in Galilei's Briefwechsel kommt nie
eine Klage über ihn vor3). Von Anderen, — und zwar
nicht bloss, wie Grisar S. 110 angibt, von Campanella, —
werden die Jesuiten als Urheber oder Miturheber der Mass-
regeln gegen Galilei bezeichnet. In einem Briefe vom 7.
Aug. 16324) an Guiducci schreibt Filippo Magalotti: „Die
Hauptsache ist, dass die Patres Jesuiten unter der Hand
eifrig daran arbeiten, dass das Buch verboten werde. Ric-
cardi hat mir das selbst gesagt mit den Worten: Die Je-
1) Acten S. 56. 2) IX, 450.
3) Wenn Lucas Holstenius im Mai 1633 an Peiresc schreibt: „Man
glaubt, der ganze Sturm rühre von dem Hasse eines Mönches her, den Ga-
lilei nicht als den ersten Mathematiker hat anerkennen wollen; dieser ist
jetzt Commissar des h. Officiums" (IX, 450), so beruht das wahrscheinlich
auf einer Verwechselung des Pater Scheiner mit dem Pater Firenzuola,
4) Suppl. 321,
Der Dialog und die Jesuiten. 233
suiten werden ihn auf das heftigste verfolgen". In dem
Briefe an den Cardinal Barberini vom 13. Oct. 1632 l) sagt
Galilei: ,, Einige" hassten -ihn, weil er durch seine Schriften
zum Theil den Glanz der ihrigen verdunkelt, und diese hät-
ten den Oberen eingeredet, dass sein Buch nicht des Lichtes
werth sei. In dem Briefe an Elia Diodati vom 15. Juni 16332)
sagt er ausdrücklich: „Von guter Seite höre ich, dass die
Patres Jesuiten der massgebendsten Persönlichkeit einge-
redet, mein Buch sei verabscheuenswerther und für die
Kirche verderblicher als die Schriften Luthers und Calvins",
— eine solche Aeusserung findet sich in einem Werke des
Jesuiten Inchofer: Galilaeus plus demeritus iftsis haeretüis'6),
— und in einem Briefe an denselben Diodati vom 25. Juli
1634 4) fährt er, nachdem er die Abweisung seines Begna-
digungsgesuches erwähnt, also fort: „Aus diesem und an-
deren Vorfällen, welche zu erzählen zu weit führen würde,
ergibt sich, dass die Wuth meiner mächtigen Verfolger noch
immer heftiger wird. Sie haben sich endlich selbst mir ent-
decken wollen; denn als vor etwa zwei Monaten ein lieber
Freund von mir in Rom war und mit dem Pater Griem-
berger, dem Mathematiker des dortigen Collegs, sprach
und die Rede auf mich kam, sagte der Jesuit zu meinem
Freunde wörtlich Folgendes : t Hätte Galilei sich die Zunei-
gung der Väter dieses Collegs zu erhalten gewusst, so
würde er ruhmvoll in der Welt leben und von allen Unan-
nehmlichkeiten frei geblieben sein, und er hätte nach Gut-
dünken über jeden Gegenstand schreiben können, auch über
die Bewegung der Erde u. s. w. 5)«. Sie sehen also, ich
habe nicht um dieser oder jener Meinung willen zu leiden,
sondern weil ich bei den Jesuiten in Ungnade gefallen bin"6).
1) VII, 7. 2) VII, 19.
3) Epinois, La question p. 170. 4) VII, 47.
5) Es ist doch nicht zulässig, dass Grisar S. 725 diese Mittheilung
als ^Versicherung des als Lügner entlarvten extravaganten Campanella" be-
zeichnet. Galilei nennt seinen Freund nicht, der „vor zwei Monaten", also
im Mai 1634 mit Griemberger gesprochen. "Wir haben aus dieser Zeit keinen
Brief von Campanella an Galilei, — er floh im Oct. 1634 von Rom nach
Frankreich, — und dieser würde Campanella auch schwerlich als „lieben
Freund" bezeichnen. — Auf Griembergers Aeusserung scheint sich auch
Micanzio's Brief X, 46 zu beziehen.
6) Auf solche Mittheilungen Galilei's sind direct oder indirect Aeusse-
rungen zurückzuführen, wie: „Der Haupt-Urheber und Anstifter der Ver-
234 Der Dialog und die Jesuiten.
Wenn die Jesuiten auf Urban VIII. Einfluss geübt
haben, um ihn zu einem energischen Einschreiten gegen
Galilei zu veranlassen, so ist dabei natürlich nicht persön-
licher Hass das einzige Motiv gewesen. Sie waren natur-
gemäss die Hauptvertreter der Ansicht, welche im J. 1616
hauptsächlich durch ihren Cardinal Bellarmin zum Siege
gelangt war: dass die Copernicanische Lehre wissenschaft-
lich betrachtet unrichtig und theologisch betrachtet irrig
sei. Wenn Galilei also das Ptolemäische System bekämpfte,
so bekämpfte er zugleich die von den Jesuiten überhaupt
und von ihren hervorragendsten Gelehrten vertheidigte An-
sicht. So macht denn Melchior Inchofer in dem Gutachten,
welches er über den Dialog abgab (s. u. § XXIII), Galilei
den Vorwurf: es sei sein Hauptzweck gewesen, den Pater
Scheiner zu bekämpfen, der zuletzt gegen die Copernicaner
geschrieben1). Die im J. 16 16 zum Siege gelangte An-
sicht sahen die Jesuiten durch Galilei's Dialog bedroht, und
da sie fühlen mochten, dass keiner ihrer Gelehrten die rein
wissenschaftliche Widerlegung des Buches mit Aussicht auf
Erfolg unternehmen könne, so lag es nahe, ein Einschreiten
der kirchlichen Behörden zu provociren, zu welchem ja in
der That das Buch Anlass bot. Ein wirksames Einschrei-
ten gegen das Buch war aber, wie die Sachen lagen, nicht
wohl möglich ohne ein Einschreiten gegen den Verfasser
desselben, und diesen zu schonen, mochten Grassi und Schei-
ner nichts weniger als geneigt sein. Diese Beiden werden
am eifrigsten gegen Galilei operirt haben. Neben ihnen
tritt aber jetzt, wie wir sehen werden, ihr Ordensgenosse
Melchior Inchofer in den Vordergrund.
Der Vollständigkeit wegen theile ich hier noch die Be-
merkungen mit, mit welchen Niccolö Gherardini, damals
Canonicus in Florenz, seine Biographie Galilei's2) beginnt.
Sie sind zwar sehr dunkel, zeigen aber, wie stark persön-
liche Stimmungen in Galilei's Sache hineinspielten. Er sei
folgung Galilei's ist der Jesuit Scheiner" (Matthias Bernegger an Caspar
Hoffmann, 21. Juli 1638, X, 179); „Galilei ist durch den Hass der Jesuiten
und die Feigheit des Grossherzogs genöthigt worden nach Rom zu gehen"
u. s. w. (Hugo Grotius an Joh. Vossius, 17. Mai 1635, x> 2l8)>' »Ihr [die
Jesuiten] habt gegen Galilei ein Römisches Decret erwirkt" (Pascal in No.
18 der Lettres provinciales im J. 1657).
1) Acten S. 97. 2) Targioni II, 63; s. o. S. 6.
Die Special-Congregation. 235
erst im J. 1633 zu Rom mit Galilei in persönlichen Verkehr
gekommen, erzählt Gherardini ; er habe ihm damals im Auf-
trage „eines der hervorragendsten Beamten des h. Officiums",
den er aber nicht habe nennen dürfen, einen Rath für sein
Verhalten erheilt. Jenem Beamten sei Galilei von demjeni-
gen empfohlen worden, der „Galilei's Sache und Person
protegirt" habe; derselbe habe zugleich „den bösen Ab-
sichten einer andern bei der Inquisition einflussreichen Per-
sönlichkeit" entgegenwirken wollen. Galilei habe den Rath,
der darauf berechnet gewesen sei, ihn „der drohenden und
zu strengen Kränkung" zu entziehen, freundlich aufgenom-
men, dann aber, weil er gegen den Rathgeber misstrauisch
geworden oder sich auf seine Unschuld zu viel verlassen,
den^Rath nicht befolgt. Das Loos, welches ihn in Folge
davon betraf, fügt Gherardini bei, „war noch immer weniger
schlimm, als diejenigen erwarten mussten, welche den Ur-
sprung der so harten Verfolgung kannten. Mit Einem
Worte, die Wunde, welche der Pfeil schlug, war klein im
Verhältniss zu der Gewalt, mit welcher der Bogen gespannt
wurde, — Dank dem Schutze, welchen der Grossherzog
durch seinen Gesandten Galilei angedeihen Hess."
XIX.
Die Special-Congregation (August und September 1632).
Am 22. Febr. 1632 überreichte Galilei Exemplare des
Dialogs dem Grossherzog, welchem derselbe gewidmet
war 1), und anderen fürstlichen Personen in Florenz. Sofort
wurden auch Exemplare nach auswärts versandt. Die Ver-
sendung nach Rom wurde durch die Pest verzögert; die
Exemplare, welche Galilei Anfangs März für seine Gönner
in Rom einbinden und vergolden liess, waren am 17. Mai
noch nicht abgesandt 2). Zwei ungebundene Exemplare nahm
1) VI, 390. 2) vii,
236 Die Special-Congregation.
der Erzbischof von Florenz mit nach Rom, von denen eins
der Cardinal Francesco Barberini erhielt x). Später brachte
der oben (S. 230) erwähnte Magalotti noch acht Exemplare
mit nach Rom, von denen er im Auftrage Galilei' s je eins
dem Cardinal Barberini, dem toscanischen Gesandten und
dem Pater Riccardi überreichte, eins dem Monsignor Serri-
stori, einem Consultor der Inquisition, und eins dem Jesui-
ten Leon Santi gab2).
Magalotti war sehr verwundert, als ihn in den ersten
Tagen des August Pater Riccardi bat, ihm die mitgebrach-
ten Exemplare auf acht Tage zu leihen. Bei dieser Ge-
legenheit äusserte Riccardi, man habe Anstoss an einer
Vignette auf dem Titelblatte des Buches genommen, welche
drei Delphine darstellt, von denen einer den andern in den
Schwanz beisst. Magalotti beruhigte ihn lachend durch die
Bemerkung, diese Vignette stehe auch auf anderen in der
Landini'schen Druckerei gedruckten Büchern3).
Man nahm freilich an anderen Dingen noch mehr An-
stoss, und der Palastmeister hat wahrscheinlich die in Maga-
lotti's Händen befindlichen Exemplare nicht bloss leihen
wollen. Er liess um eben diese Zeit die auf der Douane
angekommenen Exemplare festhalten, und der Papst befahl,
die Exemplare, deren man habhaft werden könne, zu confis-
ciren4). Noch im August erhielten Galilei und der Drucker
des Dialogs die Weisung, vorläufig keine Exemplare mehr
auszugeben5). Später wurde dem Drucker befohlen, die
noch vorräthigen Exemplare nach Rom abzuliefern ; er ant-
wortete, er habe keine Exemplare mehr in seinem Besitze.
Am 25. Sept. 1632 schrieb der Cardinal Francesco Barberini an
den Nuncius zu Florenz6): er höre, dass Galilei noch Exem-
i) IX, 271. Wolynski p. 48. 2) Suppl. 319.
3) Suppl. 320. 322. 324. Das Titelblatt ist nachgebildet bei Venturi
II, 117. 4) Acten S. 55.
5) In dem Briefe an den Card. Barberini vom 13. Oct. 1632, VII, 8,
sagt Galilei, diese Weisung sei „vor zwei Monaten" ertheilt worden. Es
ist also ein Irrthum, wenn er in dem Verhör vom 12. Apr. 1633, Acten S. 75,
sagt, sie sei „wenige Tage vor seiner Citation nach Rom" ertheilt worden.
— Der Drucker klagte, durch die „Suspension" des Buches sei ihm ein Ge-
winn von 2000 Scudi entgangen; denn er würde sonst ausser den 1000
Exemplaren, die er zuerst gedruckt, noch doppelt so viele gedruckt und ver-
kauft haben; VII, 19. 6) Pieralisi p. 163. ,
Die Special-Congregation. 237
plare des Dialogs nach verschiedenen Theilen der Welt
versenden wolle; der Nuncius möge sich erkundigen und,
wenn es wahr sei, die päpstlichen Legaten zu Bologna und
Ferrara und die Bischöfe oder Inquisitoren der Orte, über
welche die Packete zu gehen hätten, in Kenntniss setzen.
Im September wurde der Inquisitor zu Florenz aufgefordert,
auch das Manuscript des Dialogs einzusenden, damit man
die daran vorgenommenen Aenderungen sehen, und wohl
auch, damit man constatiren könne, ob der Druck mit dem
(approbirten) Manuscripte übereinstimme 1). Das Manuscript
wurde am 21. Sept. eingesandt, wird aber nicht weiter er-
wähnt, scheint also für die Begründung der Anklag-e gegen
Galilei keinen Werth gehabt zu haben.
Schon in der ersten Hälfte des August wurde die be-
reits erwähnte Special-Congregation mit der Untersuchung
des Buches beauftragt. Vorsitzender derselben war der
Cardinal (Francesco) Barberini 2); dass Riccardi an den Ver-
handlungen Theil nahm, ist selbstverständlich; welche „be-
sonders gelehrte und in der Theologie und in anderen Wissen-
schaften bewanderte Männer"3) der Papst zu Mitgliedern
dieser Commission ernannte, erfahren wir nicht. Jedenfalls
waren der Theologe des Papstes, Augustin Oregio, und
ein Jesuit Mitglieder der Commission4). Oregio stand im
Rufe eines frommen und gewissenhaften Mannes, war Ur-
bans VIII. theologischer Rathgeber bereits gewesen, als
derselbe noch Cardinal- Legat von Bologna war, und galt
1) Acten S. 54. 64. 75. 2) IX, 419. 3) IX, 422. 425.
4) IX, 424; vgl. Acten S. 92. Hier nimmt Oregio in einem am 17.
April 1633 der Inquisition übergebenen Gutachten (s. u. § XXIII) auf ein
Gutachten Bezug, das er früher mit Riccardi gemeinschaftlich abgegeben.
Das wird das von der Special-Congregation abgegebene Gutachten sein.
Ausser von Oregio finden sich bei den Processacten Gutachten von dem
Jesuiten Inchofer und dem Regular-Kleriker Zacharias Pasqualigo. Darauf
stützt sich die Vermuthung von Berti, II Processo p. LXXX, und Grisar
S. IT#, beide könnten Mitglieder der Special-Congregation gewesen- sein.
Nach IX, 424 scheint es aber, als ob nur Riccardi, Oregio und „der Jesuit"
dem Cardinal Barberini beigegeben gewesen. — Natürlich kam auch Riccardi's
Verfahren bei der Approbation des Dialogs zur Sprache, und insofern kann
Wolynski p. 48 von einem „Disciplinar-Process" gegen ihn sprechen. Dass
er sich dabei „von aller Schuld und Verantwortlichkeit gereinigt" (p. 75),
ist aber zu viel gesagt; s. IX, 431 und oben S. 228.
238 Die Special-Congregation.
sehr viel bei dem Papste, der ihn seinen Bellarmin genannt
haben soll1). Als Niccolini die Befürchtung äusserte, die
Commission sei aus Gegnern Galilei's zusammengesetzt, ver-
sicherte ihm Riccardi: Oregio habe guten Willen, und den
Jesuiten habe er selbst vorgeschlagen, weil er mit ihm be-
freundet und unparteiisch sei. Wenn dieser Jesuit der Pater
Inchofer war, so ist diese Aeusserung kaum zu begreifen;
denn Inchofer war, wie wir sehen werden, einer der bitter-
sten Gegner des Copernicanischen Systems2). Niccolini's
Bitte, man möge einige unparteiische Gelehrte hinzunehmen,
wurde abgeschlagen3). Den Wunsch, Campanella und Ca-
stelli möchten als Vertheidiger Galilei's zu den Sitzungen
der Congregation zugelassen werden, — Castelli war von
dem Grossherzog als „Procurator" Galilei's bestellt4), —
bezeichnete Riccardi als ganz aussichtslos5).
Von dieser Special-Congregation rühren zweiActenstücke
ohne Unterschrift und Datum her, mit denen die Acten des
zweiten Galilei'schen Processes beginnen6). Das zweite scheint
ein der Congregation vorgelegtes, allem Anschein nach von
Riccardi verfasstes Referat, das erste der Entwurf eines
dem Papste Namens der Congregation vorzulegenden Be-
richtes zu sein.
1) Oregio, geb. 1577, studierte Philosophie im Römischen Colleg, die
Rechte an der Sapienza und wurde dann Canonicus zu Faenza. Am 28.
Nov. 1633 ernannte ihn Urban VIII. zum Cardinal (von St. Sixtus) und
Erzbischof von Benevent. Im J. 1632 war er also noch nicht Cardinal, wie
Berti, II Processo p. LXXXV, und Scartazzini, Unsere Zeit 1877, II, 442,
angeben. Er starb 12. Juli 1635. Einige theologische Tractate von ihm
wurden 1637 und 1642 zu Rom von seinem Neffen Nicolaus Oregio heraus-
gegeben (s. o. S. 210). Ciaconius IV, 593. Hurter, Nomenciator I, 507.
2) Dass Riccardi „mit dem vollen Bewusstsein der Lüge gelogen",
als er Niccolini versicherte, die Mitglieder der Commission, namentlich „der
Jesuit", seien Galilei günstig gesinnt (Scartazzini, Unsere Zeit II, 449), ist
doch wohl zu viel behauptet.
3) IX, 420. 4) IX, 297.
5) IX, 424; vgl. IX, 285. 294. 303. Cantor, Zts. f. Math. 1864, 186
spricht von einer ,, besondern Commission von zehn höheren geistlichen
Würdenträgern", und lässt diese Commission auch das Urtheil fällen; er
hat also die Special-Congregation und die Inquisition zusammengeworfen.
Auch die Angabe S. 189, Chiaramonti sei von Pisa in die Commission be-
rufen worden, ist irrig; s. IX, 419.
6) S. 52—63.
Die Special-Congregation. 239
In dem zweiten Actenstücke wird zunächst über die
Verhandlungen über die Approbation des Dialogs berich-
tet. Dieser Bericht ist ziemlich ausführlich und hat augen-
scheinlich den Zweck, das Verfahren Riccardi' s, so gut es
anging, als correct darzustellen1); seine Correspondenz mit
dem Inquisitor zu Florenz ist beigelegt. Dann heisst es
weiter:
„In dem Buche sind folgende Dinge gewissermassen als
Corpus delicti zu betrachten2):
„1. Er hat unbefugter Weise das Römische Imprima-
tur beigefügt und die Publication demjenigen nicht mitge-
theilt, der jenes unterschrieben haben soll [Riccardi].
„2. Er hat die Vorrede mit anderen Typen drucken
lassen und sie nutzlos gemacht, indem sie von dem Buche
selbst getrennt ist, und er hat die Medicin des Endes [das
am Schlüsse mitgetheilte Argument Urbans VIII.] einem
Dummkopf in den Mund gelegt und nur theilweise mitge-
theilt und so, dass man sie nur mit Mühe findet; sie wird
dann von dem anderen Interlocutor nur sehr kühl gebilligt
und so, dass das Gute nur angedeutet, nicht hervorgehoben
wird, was wenig guten Willen verräth.
„3. Er fehlt an vielen Stellen des Buches und geht
über die Hypothese hinaus, indem er entweder die Bewe-
gung der Erde und das Stillstehen der Sonne absolut be-
hauptet, oder die Argumente, auf welche er diese Meinung
1) Schon dieser Umstand spricht dafür, dass Riccardi (obschon von
ihm in der dritten Person gesprochen wird) der Verfasser ist. Diese Ver-
muthung wird durch folgende Umstände bestätigt: 1. In dem ersten Acten-
stücke heisst es von der dem Berichte beiliegenden Correspondenz, der
Palastmeister habe dieselbe vorgelegt (S. 53). 2. Gegen Ende des Berichtes
heisst es, die als anstössig namhaft gemachten Punkte im Dialog konnten
allenfalls corrigirt werden; um dieselbe Zeit, in der ersten Hälfte des Sep-
tember, sagte Riccardi, wie wir (S. 220) gesehen, Niccolini, er wolle eine
solche_yerbesserung des Dialogs vorschlagen. — Dass das erste Actenstück
der Entwurf eines dem Papste vorzulegenden Berichtes ist, zeigt der An-
fang: „Gemäss dem Auftrage Euerer Heiligkeit ist der ganze Verlauf dessen
dargestellt, was sich bezüglich des Druckes des Galilei'schen Buches zuge-
tragen." Dass es sich um einen blossen Entwurf handelt, zeigt die unfer-
tige Gestalt des Berichtes; s. u. S. 240. Wahrscheinlich ist auf Grund des-
selben dem Papste mündlich Vortrag gehalten worden.
2) Pieralisi p. 136 gibt einen ausführlichen Commentar zu diesen
Punkten.
24° Die Special-Congregation.
stüzt, als beweisend und zwingend bezeichnet, oder die ent-
gegengesetzte Ansicht als unmöglich behandelt.
„4. Er behandelt die Sache als unentschieden und so,
als ob eine [kirchliche] Entscheidung [über die Copernicani-
sche Lehre] zu erwarten und nicht schon gegeben wäre.
,,5. Er misshandelt die gegnerischen Autoren und die-
jenigen, deren sich die h. Kirche am meisten bedient [Ari-
stoteles u. s. w.].
„6. Er behauptet und erklärt schlecht eine Gleichheit
des menschlichen und des göttlichen Geistes bezüglich des
Begreifens der geometrischen Dinge [bezieht sich wohl auf
die Stelle I, 116].
„7. Er führt als einen Beweis für die Wahrheit an,
dass die Ptolemäiker Copernicaner würden, und nicht um-
gekehrt [vgl. I, 143].
„8. Er führt die Ebbe und Fluth des Meeres, welche
existiren, auf das Stillstehen der Sonne und die Bewegung
der Erde zurück, die nicht existiren."
Es wird noch beigefügt: ,,Alle diese Dinge könnten
emendirt werden, wenn man der Ansicht wäre, dass das
Buch irgend einen Nutzen hätte, mit Rücksicht auf welchen
man ^jese Gnade gewähren müsste" [wie bezüglich des
Buches des Copernicus verfahren wurde].
„Dem Verfasser ist 16 16 vom h. Officium befohlen
worden: er habe die besagte Meinung, dass die Sonne der
Mittelpunkt der Welt sei und die Erde sich bewege, gänz-
lich aufzugeben und dürfe sie fortan in keiner Weise mehr
für wahr halten, lehren oder vertheidigen, weder mündlich
noch schriftlich; widrigenfalls werde im h. Officium wider
ihn verfahren werden; diesem Befehle hat er sich gefügt
und zu gehorchen versprochen" \ut siipradictam u. s. w.
Es wird der lateinische Wortlaut nach der Aufzeichnung
vom 26. Febr. 1616, s. o. S. 128, angeführt].
Das erste Actenstück gibt zunächst einen Auszug aus
dem Berichte des zweiten über die Verhandlungen über die
Approbation des Dialogs; dann heisst es weiter: „Es wird
behauptet; Galilei habe die (ihm ertheilten) Befehle über-
treten, indem er sich von der Hypothese entfernt und die
Bewegung der Erde und das Stillstehen der Sonne absolut
behauptet habe; er habe die Ebbe und Fluth des Meeres,
welche existiren, mit Unrecht auf das Stillstehen der Sonne
Die Einleitung des Processes. 24t
und die Bewegung der Erde zurückgeführt, welche nicht
existiren. Dieses sind die Hauptpunkte1). Ferner [wird
behauptet]: er habe betrügerischer Weise einen Befehl ver-
schwiegen, der ihm im J. 16 16 von dem h. Officium er-
theilt worden und der lautet; er habe die besagte Meinung
u. s. w. Es ist also nun zu überlegen, wie zu verfahren sei
sowohl gegen die Person wie gegen das bereits gedruckte
Buch'." Von den acht in dem zweiten Actenstücke aufge-
zählten speciellen -Punkten sind also in das erste nur der
dritte und der achte aufgenommen.
Ein Beschluss der Special -Congregation ist in diesen
Actenstücken nicht enthalten. In einem Briefe des Cardinais
Barberini an den Nuncius in Florenz vom 25. Sept. 16322)
wird aber gemeldet: die Congregation habe, nachdem sie
fünf Sitzungen gehalten und alles wohl erwogen, sich dahin
ausgesprochen, dass die Sache der Congregation des h.
Officiums zu übergeben sei. Dass dieses geschehen würde,
liess der Papst durch einen seiner Secretäre am 15. Sept.
Niccolini mittheilen. Der Papst verpflichtete dabei den
Grossherzog und seinen Gesandten zum Stillschweigen über
diese Mittheilung unter Androhung der auf der Verletzung
des Geheimnisses der Inquisition stehenden Censuren, — wie
er dies auch bei den Mittheilungen, die er Niccolini selbst
bei Audienzen machte, zu thun pflegte3).
Am 2$. Sept. 1632 beschloss die Inquisition, Galilei
nach Rom zu citiren. Der Darstellung der weiteren Ver-
handlungen muss ich aber noch einige Bemerkungen vor-
ausschicken.
1. Wohlwill meint, in den Processacten fehle der An-
fang des Processes vom J. 16334). In dem von der Inquisition
gefällten Urtheil werde ausdrücklich als Veranlassung die-
ses Processes eine „Mittheilung an die h. Congregation"
1) Schanz, Galilei S. 51, übersetzt ganz unrichtig: „Aber die Haupt-
punkte sind: 3. er habe betrügerischer Weise" u. s. w. Im Italienischen
steht erst (nach einem Komma) : che sonno li cafii firincifiali, dann nach
einem Punkt und in einer neuen Zeile: De fiiü che habbia etc.
2) Zuerst veröffentlicht von Pieralisi p. 162.
3) IX, 425. 428; s. o. S. 224.
4) Ist Gal. gef. worden? S. 100. Cantor, Gegenw. 1877, No. 45, S. 296,
und Scartazzini, Riv. Eur. 1878, X, 425, stimmen ihm bei. S. dagegen
Gebier, Gegenw. 1878, No. 19, S. 296.
Keusch, Galilei. ■ l6
242 Die Einleitung des Processes.
bezeichnet, des Inhalts, dass in Folge der Veröffentlichung
des Dialogs die falsche Meinung von der Bewegung der
Erde von Tag zu Tage mehr Fuss fasse (informata appresso
la Sacra Co7tgregazionc, che con fimpressione etc.). Diese
„Mittheilung", die zur „sorgfältigen Prüfung" des Buches
führte, sei schwerlich etwas anderes gewesen als eine De-
nunciation, wahrscheinlich des P. Scheiner, und da sich eine
solche bei den Acten nicht finde, sei anzunehmen, dass sie
später daraus entfernt worden, um „die Spuren einer für
alle Zeiten den Thäter entehrenden Handlung zu beseiti-
gen." — Das beruht auf einem Irrthum. Der Ausdruck in
dem Urtheil: informata la Sacra Congregazione u. s. w„ be-
sagt nur, die Inquisition habe von der Verbreitung des
fraglichen Irrthums Kenntniss erhalten. Eine solche Kennt-
niss oder Information, die sie veranlasste, sich mit der
Sache zu beschäftigen, konnte die Inquisition aber auch
ohne Denunciation und ohne schriftliche Anzeige erhalten.
Sie konnte schon auf Grund der fama publica ein Verfahren
einleiten1). In diesem Falle lag ja aber der Bericht der
Special- Congregation vor. Wäre dem zweiten Processe eine
Denunciation vorhergegangen, so würde dieselbe in dem
Urtheil ebenso wohl erwähnt worden sein, wie die Denun-
ciation, die den ersten Process veranlasste, mit den Worten
erwähnt wird: „Du wurdest im J. 161 5 denuncirt" (fosti de-
nunciato) u. s. w.2).
2. Urban VIII. konnte allerdings dem toscanischen
Gesandten sagen: wenn er die Galilei'sche Sache nicht so-
fort der Inquisition, sondern zunächst einer besondern Com-
mission übergebe, die sich darüber äussern solle, ob die
1) S. o. S. 83. Bangen, Die Rom. Curie S. 116. Sacro Arsenale p. 38.
Pasqualone bemerkt freilich p. 37 zu dieser Stelle des S. A., die Römische
Inquisition vermeide es, ex officio e per via oVinquisizione einzuschreiten.
Man suchte, wie er- beifügt, irgend eine bestimmte Person zu finden," die
eine Aussage machte, welche einen Anlass zur Einleitung des Processes bot.
2) Targioni I, 1 1 3 theilt eine Notiz mit, wonach in einem Briefe von
Gaffarello behauptet wird, Galilei sei „von P. Scheiner denuncirt worden";
es wird die Vermuthung beigefügt: wenn Scheiner nicht der Denunciant ge-
wesen, so sei es vielleicht Grassi gewesen. Wenn aber diese Notiz über-
haupt geschichtlichen Werth hat, beweist sie nur, dass Scheiner und Grassi
als bei der Verfolgung Galilei's stark betheiligt angesehen wurden, nicht
dass eine förmliche, schriftliche Denunciation vorhanden war.
Die Einleitung des Processes. 243
Angelegenheit anders als durch einen Inquisitionsprocess
erledigt werden könne, so handle er damit besonders rück-
sichtsvoll gegen Galilei und geg*en seinen Landesherrn und
Gönner, den Grossherzog1). Wenn er aber auf Niccolini's
Bitte, man möge Galilei hören und ihm Gelegenheit bieten,
sich zu vertheidigen, antwortete: das sei gegen die Praxis
des h. Officiums2), so war das eine leere Ausrede. Jene
Special- Congregation war, wie Niccolini dem Papste auch
vorstellte3), ja eben nicht das h. Officium, und der Papst
hätte, wenn er wollte, anordnen können, dieselbe solle Ga-
lilei anhören oder allenfalls statt seiner Castelli, den der
Grossherzog ersucht hatte, sich die Vertheidigung seines
Lehrers und Freundes angelegen sein zu lassen4).
3. Unter den von der Special- Commission formulirten
Anklagepunkten werden zwei als die „Hauptpunkte" be-
zeichnet: dass Galilei die Copernicanische Theorie nicht
bloss als Hypothese vorgetragen, und dass er sie zur Er-
klärung der Erscheinungen der Ebbe und Fluth angewen-
det. Offenbar war ersteres der Hauptpunkt; der zweite
Punkt ist augenscheinlich nur beigefügt, weil daran Urban
VIII., wie wir oben (S. 206) gesehen, besondern Anstoss nahm.
Neben und nach diesen ,, Hauptpunkten" wird auf das Ga-
lilei 16 16 insinuirte Verbot Bezug "genommen. Die Ueber-
tretung dieses Verbotes wurde also, wenigstens nach die-
sem Actenstücke, von der Congregation nicht als der, nicht
einmal als ein Hauptpunkt angesehen. Damit steht nicht
in Widerspruch, dass Riccardi am 11. Sept. 1632 5), also
gerade in der Zeit, wo die Berathungen der Special-Con-
gregation stattfanden, Niccolini sagte: man habe in den
Büchern des h. Officiums jenes Verbot gefunden, und „das
allein sei genug\ um Galilei zu ruiniren". Man hätte ja in
der That Galilei „ruiniren" können, indem man ihn wegen
Ungehorsams gegen dieses Verbot verurtheilte. Aber auch,
wenn man ihm wegen des Vortragens einer unkirchlichen
1) IX, 421. 425. 426. 2) IX, 421. 3) IX, 426.
4) IX, 297. Die Darstellung "Wohlwills, Ist Gal. gef. worden? S. 42
ist nicht ganz richtig. Thatsächlich war freilich die Special-Congregation
„nichts weiter als eine Commission der Inquisition, welche erst einen brauch-
baren Anklagepunkt ausfindig zu machen hatte". Aber formell war sie nicht
eine „auf Befehl der Inquisition eingesetzte" Commission, — was auch Suppl.
322. 329 nicht gesagt wird. 5) IX, 424.
244 Die Einleitung des Processes.
Meinung den Process machte, war das betreffende Acten-
stück, wie wir sehen werden, ein sehr brauchbares, wenn
auch nicht unentbehrliches Mittel, ihn zu ,,,ruiniren".
Dass die Special-Congregation in ungefähr einem Mo-
nate mit ihrer Arbeit fertig wurde, überraschte Manche.
Magalotti schrieb am 4. Sept , also etwa zehn Tage früher,
als die Congregation ihren Bericht erstattete, an Gui-
ducci1): „Ich glaube, wir müssen uns jetzt mit Geduld waff-
nen und, da sie sich einmal auf diese Congregation einge-
lassen haben, die Sache laufen lassen und nicht forciren.
So wird sie sich in die Länge ziehen ; denn sie werden ent-
weder bei der Berathung, — falls sie, wie es sich doch ge-
bührt, die Frage untersuchen wollen, — auf unlösbare
Schwierigkeiten stossen, zumal die Meisten von diesen Din-
gen nichts verstehen, oder sie werden müde werden, und
so wird die Geschichte eines natürlichen Todes sterben. Es
wäre nicht übel, wenn der Gesandte in einigen Wochen
unter dem Vorwande, Galilei's Bereitwilligkeit, den Befehlen
der Oberen zu gehorchen, in Erinnerung zu bringen, ein-
mal wieder sondirte, aber nur bei dem Pater Riccardi oder
höchstens bei dem Cardinal Barberino, vor allem nicht bei
unserm Herrn, aus Gründen, die ich nicht anzuführen brauche."
An demselben Tage schrieb er an Galilei2), der die Be-
fürchtung geäussert hatte, man gehe darauf aus, die Coper-
nicanische Lehre als ketzerisch zu verdammen : „Selbst wenn
die Mehrzahl der Mitglieder der Congregation der Ansicht
sein sollte, die Copernicanische Meinung sei falsch, so glau-
be ich nicht, dass es dazu kommen würde, dass sie von der
höchsten Autorität für falsch erklärt würde. Ich stütze
mich dabei auf Aeusserungen solcher, welche bei dem h.
Officium beschäftigt sind, wo hauptsächlich über die die
Dogmen betreffenden Materien verhandelt wird. Diese
sagen: es gebe in der Kirche Gottes Controversen , bei
denen zum Theil die Bibel und die h. Väter ganz deutlich
für die eine Ansicht zu sprechen scheinen, und es gebe sol-
cher Controversen noch mehr in Cultus- Angelegenheiten,
— z. B. die Empfängniss der Madonna, — und doch wür-
den solche Controversen niemals ohne die dringendste Noth-
1) Suppl. 327. 2) Suppl. 329.
Die Einleitung des Processes. 245
wendigkeit oder ohne ein allgemeines Concil entschieden
werden. Nach allem, was ich von dem Pater Riccardi höre,
glaube ich, dass es nicht auf etwas der Art abgesehen ist,
sondern nur auf eine Emendation Ihres Dialogs durch Bei-
fügung oder Streichung einiger Stellen, so weit dieses
nöthig zu sein scheint, um das frühere Decret [von 16 16]
in Kraft zu erhalten."
Selbst als Galilei bereits nach Rom citirt war, schrieb
Micanzio, von welchem schon oben (S. 218) einige Aeusse-
rungen mitgetheilt wurden, am 9. Oct. *): „Ich kann nicht
fürchten, dass Sie in Rom Hartes sollten zu leiden haben;
denn Ihre Sache ist zu gerecht. Ihr Buch trägt selbst seine
Rechtfertigung in sich. . . Sicher wird diese Unannehmlich-
keit in Wirklichkeit viel geringer sein, als sie sich ansieht.
Sie reisen nach Rom unter dem Schutze Ihrer Hoheiten;
dessen müssen Sie sich in jeder Weise versichern. Diejenigen,
welche von Ihnen Gehorsam (gegen den Befehl, nach Rom
zu kommen) verlangen, werden auch Ihre Tugend lieb ge-
winnen, Ihr Alter berücksichtigen und Ihre reine Absicht
anerkennen. Der Papst selbst, ein so ausgezeichneter Freund
der Literatur und Wissenschaft, wird der Bosheit den Weg
versperren. Fassen Sie Muth, Gott wird Ihnen beistehen;
Ich denke, das Schlimmste, was kommen kann, wird sein,
dass man von Ihnen nicht einen Widerruf, — der nicht am
Platze ist, wo keine Lehre vorgetragen ist, — sondern eine
Widerlegung der Copernicanischen Gründe verlangt; diese
werden Sie liefern, so gut Sie können." Am 30. October2)
schreibt derselbe Micanzio: „Ich erinnere mich, dass die
Curie, wenn ein Buch angeklagt wird und sie dasselbe ver-
bieten zu müssen glaubt, wenn es auch keine der Religion
zuwider laufende Sätze enthält, dieses nicht thut, ohne den
Verfasser oder denjenigen zu citiren, der ein Interesse dabei
hat, es zu vertheidigen. Da Sie nun die Sache so behan-
delt haben, dass ich nicht weiss, was man zu tadeln finden
kann, — da Sie nichts entscheiden, sondern alles in suspenso
lassen, — und da Sie nicht für Ihre Ansicht Propaganda ge-
macht, sondern sie nur in der Schule behandelt und in
Büchern haben drucken lassen, so ist es möglich, dass 'die
Wuth und der Neid es darauf anlegen, das Verbot des Bu-
IX, 298. 2) IX, 307.
246 Die Haltung des toscanischen Hofes.
ches herbeizuführen. In diesem Falle rathe ich Ihnen, sich
nicht zu vertheidigen und zu ärgern, sondern sich unbedingt
dem zu fügen, was man verlangt. So werden Sie aus der
Verdriesslichkeit herauskommen, und Sie dürfen gewiss sein,
das wird keine andere Folge haben, als dass das Werk um
so mehr Absatz und Anerkennung finden und um so eher
übersetzt und in anderen Ländern und Sprachen gedruckt
werden wird. Ueberlegen Sie, ob Sie nicht durch die aus-
drückliche Erklärung, Sie verlangten für Ihr Buch nichts
anderes, als dass jene damit machten, was sie wollten, dazu
beitragen können, dass die Sache sich so abwickle." Mican-
zio nahm also, — wie der Verlauf der Sache zeigt, irrthüm-
lich — an, Galilei sei nur nach Rom citirt worden, um vor
dem beabsichtigten Verbot seines Buches gehört zu werden.
Während dieser ersten Phase des Vorgehens gegen
Galilei nahm sich der Grossherzog von Toscana desselben
sehr warm an. Am 24. August 1632 ') richtete der Staats-
secretär Cioli an den Gesandten Niccolini folgendes, — wie
das noch erhaltene Concept zeigt, von Galilei selbst ver-
fasste — Schreiben: ,, Seine Hoheit ist sehr verwundert dar-
über, dass ein Buch, welches der Verfasser selbst in Rom
der höchsten Autorität vorgelegt hat und welches dort sehr
aufmerksam gelesen und wieder gelesen, . . . welches dann
hier, entsprechend der Weisung Roms, in derselben Weise
geprüft und endlich dort und hier approbirt worden ist, jetzt,
nach zwei Jahren, beanstandet wird . . . Seine Hoheit wun-
dert sich um so mehr, da er weiss, dass in dem Buche nir-
gendwo eine Entscheidung zu Gunsten der einen von den
beiden darin behandelten Ansichten gegeben wird, dass viel-
mehr nur alle Gründe, Beobachtungen und Erfahrungen dar-
gelegt werden, welche für die eine und die andere Meinung
angeführt werden können, und dass dieses, wie Seine Ho-
heit sicher weiss, nur im Interesse der heiligen Kirche ge-
schieht, damit bezüglich der ihrer Natur nach schwer ver-
ständlichen Materien diejenigen, welche darüber zu berathen
haben, im Stande wären, mit weniger Mühe und Zeitverlust
zu erkennen, welche Ansicht der Wahrheit näher kommt,
und mit dieser die Auslegung der h. Schrift in Einklang zu
bringen. Und wenn man auch sagen könnte, man bedürfe
1) VII, 3.
Die Haltung des toscanischen Hofes. 247
dort, wo es intelligente Männer in Ueberfluss gebe, der Hülfe
und des Rathes nicht, so muss doch der Eifer und gute Wille
eines Jeden anerkannt werden, welcher, um seinem eigenen
Gewissen zu genügen, seinen wenn auch schwachen Kräf-
ten entsprechend, eifrig arbeitet. Aus diesen Gründen ist
Seine Hoheit geneigt, zu glauben, dass diese Agitation [ge-
gen Galilei' s Buch] in einer nicht wohlwollenden Gesinnung
ihren Grund hat, mehr gegen die Person als gegen das Buch
des Verfassers oder gegen die Meinung dieses oder jenes
altern oder neuern Gelehrten. Um sich aber über die Schuld
oder Unschuld seines Dieners zu vergewissern, wünscht
Seine Hoheit, dass demselben gestattet werde, was von allen
Gerichtshöfen dem Angeklagten gestattet wird, ich meine
die Vertheidigung gegen die Ankläger, und dass die Ankla-
gen, welche gegen das Buch erhoben werden, . . . dem Ver-
fasser vorgelegt werden. Derselbe vertraut so sehr auf
seine Unschuld und ist so fest überzeugt, dass jene Agita-
tion nur auf einer Verleumdung seiner Feinde beruhe, die
er schon früher bei anderen Gelegenheiten kennen gelernt,
dass er Seine Hoheit gebeten hat, ihn seines Amtes und
seiner Gnade verlustig zu erklären, wenn er nicht handgreif-
lich beweise, dass er fromm, religiös und in diesen Dingen
durchaus heilig gesinnt sei und stets gewesen sei. Seine
Hoheit . . . verlangt also, dass ihm die Anklagen übersandt
werden, wegen deren das Buch suspendirt worden ist und
wegen deren man vielleicht das Verbot desselben zu erwir-
ken sucht. Ew. Excellenz können sich also geeigneten Ortes
dieser Weisung entsprechend äussern, damit die so gerechte
Forderung Seiner Hoheit erfüllt werde."
In den Berichten Niccolini's wird noch ein Schreiben
Cioli's vom 30. August erwähnt, welches nicht erhalten ist,
aber gleichfalls sehr energisch gehalten gewesen sein muss *).
Niccolini trug Bedenken, den Inhalt desselben dem Papste
zur Kenntniss zu bringen, da dieser dadurch nur noch mehr
erbittert werden würde, und Pater Riccardi sagte ihm: wenn
man Galilei ruinfren und mit Seiner Heiligkeit brechen wolle,
müsse Niccolini solche Vorstellungen machen; zu helfen sei
Galilei nur durch Temporisiren; er selbst verpfände seine
Ehre und sein Leben dafür, dass er für Galilei thun wolle,
1) IX, 423.
248 Galilei's Vorladung nach Rom.
was er könne. Am 18. Sept. machte Niccolini dem Papste
nochmals Vorstellungen; aber vergebens.
Niccolini erwies sich auch in der folgenden Zeit als
Galilei's treuen und eifrigen Freund. Für den Staatssecre-
tär Cioli aber ist folgende Stelle aus einem seiner Briefe l)
charakteristisch: „Der Grossherzog hat die Lage der An-
gelegenheit des Mariano Alidosi und Galilei's vernommen
und ist dadurch in eine solche Alteration versetzt, dass ich
nicht weiss, wie die Sache ablaufen wird. So viel aber weiss
ich, dass Seine Heiligkeit nie Grund haben wird, sich über
die Minister und über deren bösen Rath zu beklagen." Im
März 1633 schreibt er an Niccolini2), — was beinahe wie ein
Verweis klingt: „Bezüglich des Herrn Galilei sind die Vor-
stellungen, die Sie aufs neue Seiner Heiligkeit gemacht
haben [Niccolini hatte ausführlich darüber berichtet], Seiner
Hoheit so warm (ardente) vorgekommen, dass er sich dar-
über gewundert hat, dass Seine Heiligkeit nicht noch mehr
darüber in Zorn gerathen ist, als Sie schreiben3)."
XX.
Galilei's Vorladung nach Rom.
Nachdem die Galilei'sche Angelegenheit der Inquisition
übergeben worden, beschloss diese in der am 2$. Sept. 1632
unter dem Vorsitze des Papstes gehaltenen Sitzung, Galilei
1) Wolynski, La diplomazia Toscana p. 45. 2) IX, 438.
3) Andrea Cioli von Cortona, — in Galilei's Correspondenz heisst er
gewöhnlich il Ball Cioli als Ritter (oder Comthur) des von Cosimo I. ge-
stifteten St. Stephansordens, — „stieg aus bescheidenster Stellung in Ferdi-
nands (I.) letzter Zeit zu höchstem Ansehen auf. Als Ferdinand II. 1621
elfjährig seinem Vater folgte, wurde Cioli Staatssecretär für das Innere; das
Staatssecretariat des Aeussern behielt Curzio Picchena, der aber 1626 starb.
1632 war Ferdinand II. 22 Jahre alt und führte schon seit fünf Jahren die
Regierung; aber er war schwach und unselbständig, und Cioli war nicht der
Mann, Rom gegenüber das dem Herrscher Mangelnde zu ergänzen." Reumont,
Gesch. Toscana's I, 398. 401. 553.
Galilei's Brief an Card. Barberini. 249
durch den Inquisitor zu Florenz amtlich aufzufordern, sich
im October vor dem General- Commissar des h. Officiums
zu stellen. Der Inquisitor wurde angewiesen, von Galilei
eine schriftliche Erklärung zu verlangen, dass er gehorchen
wolle, und zwar, ohne dass er dieses merke, vor Notar
und Zeugen, die eventuell, falls er sich weigere, dieses be-
zeugen könnten1). Der Inquisitor führte seinen Auftrag am
1. Oct. aus. Galilei erklärte sich sofort bereit und gab diese
Erklärung auch schriftlich, worauf sie der Inquisitor mit den
Unterschriften seines Kanzlers und zweier Zeugen nach Rom
schickte2).
Galilei gehorchte indess nicht sofort, sondern versuchte
zunächst, eine Aenderung des Befehles der Inquisition zu
bewirken. In einem Briefe vom 6. Oct. an Cioli3) äussert
er die Absicht, nach Siena zu kommen, wo sich der gross-
herzogliche Hof aufhielt, „um dem Grossherzog die Mittel
und Wege vorzuschlagen, — deren mir mehrere durch den
Kopf gehen, — um mich als das zu zeigen, was ich bin,
als einen gehorsamen und eifrigen Sohn der Kirche, und
dabei als von dem "Wunsche beseelt, mich so viel wie mög-
lich gegen die ungerechten Verdächtigungen zu vertheidigen,
durch welche vielleicht die Oberen gegen mich aufgehetzt
sind." Die Reise kam indess nicht zur Ausführung.
Am 13. Oct. schrieb er dann an den Cardinal Francesco4)
Barberini einen langen Brief.
„Dass mein neulich veröffentlichter Dialog, beginnt der-
selbe, Widerspruch finden werde, haben ich und alle meine
1) Acten S. 63 (facsimilirt bei Epinois p. 52). Dass es sich hier nicht
um einen Befehl des Papstes handelt, wie Wolynski p. 50 meint, sondern um
einen Ureter dessen Vorsitz gefassten Beschluss der Inquisition, zeigen, — ab-
gesehen davon, dass der 23. Sept. ein Donnerstag, also der gewöhnliche Sitzungs-
tag, war, — die Worte: der Inquisitor solle Galilei nomine S. Congregationis
auffordern. Dass über den Beschluss bei Gherardi keine Aufzeichnung vor-
handen ist, spricht nicht dagegen, da bei ihm auch andere Aufzeichnungen
fehlen. Die Instruction für den Inquisitor wird vollständiger in einem Briefe
des Card. Fr. Barberini an den Nuncius in Florenz, Pieralisi p. 163, mitge-
theilt. Hier und Acten S. 63 steht: Galilei solle „für den ganzen October"
nach Rom kommen; Galilei selbst sagt VII, 8: „vor Ablauf des October".
2) Acten S. 65; s. o. S. 134. 3) VII, 6.
4) Nicht an den altern Antonio, wie Alberi VII, 7, und ebenso wenig
an den jungem Antonio, wie Gebier, Galilei S. 219, meint; s. Pieralisi p. 171.
250 Galilei's Brief an Card. Barberini.
Freunde vorhergesehen; das Hessen die Angriffe erwarten,
welche meine früher gedruckten Schriften erfahren haben,
und das scheint das gewöhnliche Loos der Lehren zu sein,
welche von den herrschenden und eingewurzelten Meinun-
gen irgendwie abweichen. Aber dass der Hass, den Einige
gegen mich und meine Schriften tragen, — lediglich darum,
weil diese den Glanz der ihrigen theilweise verdunkeln, — im
Stande sein würde, in den heiligen Gemüthern der Oberen
die Vorstellung zu erwecken, dass mein Buch des Lichtes
unwürdig sei, das habe ich in der That nicht erwartet." Er
sei darum schmerzlich überrascht gewesen, fährt er fort, als
vor zwei Monaten ihm und dem Drucker verboten worden
sei, das Buch auszugeben; noch tiefer habe es ihn be-
trübt, — obschon er bereit sei, „auf den leisesten Wink der
Oberen nicht nur nach Rom, sondern bis ans Ende der Welt
zu kommen", — dass er jetzt förmlich vor das Tribunal des
h. Officiums citirt worden sei, was doch nur solchen zu wi-
derfahren pflege, die sich schwer vergangen hätten. Diese
Betrübniss habe zu der Last seiner siebenzig Jahre und zu
seinen anderen körperlichen Leiden noch eine beständige
Schlaflosigkeit hinzugefügt, so dass er fürchten müsse, die
weite und beschwerliche Reise nach Rom nicht ohne Lebens-
gefahr machen zu können. Der Cardinal möge ihm mit
Rücksicht auf seinen bemitleidenswerthen Zustand die Er-
laubniss erwirken, sich zunächst schriftlich zu verantworten.
„Ich bin gern bereit, eine ganz genaue und aufrichtig-e
Darstellung alles dessen zu verfassen, was ich gesagt, ge-
schrieben und gethan seit dem ersten Tage, an welchem das
Buch des Copernicus und die Erneuerung seiner Meinung
eine Bewegung hervorgerufen. In dieser Schrift glaube ich
die Reinheit meiner Absicht und meine lautere, eifrige und
heilige Gesinnung gegen die h. Kirche, ihr Oberhaupt und
ihre Diener so klar und überzeugend nachweisen zu können,
dass Jeder, der von Leidenschaft frei ist, wird gestehen
müssen, ich habe mich so fromm und katholisch verhalten,
dass keiner der Väter, die als Heilige verehrt werden,
eine grössere Frömmigkeit hätte beweisen können. Ich be-
sitze noch alle Schriftstücke, die ich aus diesem Anlass
hier und in Rom verfasst habe; aus diesen wird Jeder, —
ich wiederhole es, — ersehen, dass ich mich mit dieser Sache
nur aus Eifer für die h. Kirche und nur darum befasst habe,
Galilei's Brief an Card. Barberini. 251
um den Dienern derselben diejenigen Kenntnisse vorzulegen,
welche ich durch meine langen Studien gewonnen, und de-
ren vielleicht, da es sich um dunkele und weniger bekannte
Dinge handelt, der Eine oder Andere bedürftig sein könnte.
Ich bin auch überzeugt, es wird mir sehr leicht sein, zu zei-
gen, dass ich mich zu dieser Arbeit namentlich durch die
Entscheidungen und heiligen Vorschriften habe bestimmen
lassen, welche sich an so vielen Stellen in den Büchern der
h. Lehrer der h. Kirche finden, und dass ich mich schliess-
lich in diesem Vorsatze dadurch befestigt gefühlt habe, dass
ich einen ganz kurzen, aber sehr heiligen und bewunderungs-
würdigen Ausspruch vernahm, welcher wie ein Echo des h.
Geistes unwillkürlich aus dem Munde eines durch Gelehr-
samkeit ausgezeichneten und wegen seines heiligen Lebens
ehrwürdigen Mannes kam 1), — einen Ausspruch*, der in we-
niger als zehn witzig anmuthigen Worten das enthielt, was
aus langen in den Schriften der h. Lehrer vorkommenden
Erörterungen zu entnehmen ist. Ich verschweige für jetzt
diesen bewunderungswürdigen Ausspruch und den Urheber
desselben, da ich nur vorsichtig und behutsam einen Andern
in diese Angelegenheit hineinziehen zu dürfen glaube, bei
der es sich nur um meine Person handelt. Wenn es mir
gelingt, diese Gunst zu erlangen, so hoffe ich zu erreichen,
dass jene weisen und gerechten Väter meine Unschuld an-
erkennen und staunen werden über eine Intrigue, welche
von Jemand angezettelt worden ist, der sich . . . durch Hass
gegen meine Person hat verblenden und antreiben lassen."
— Wenn diese schriftliche Verantwortung nicht genüge, fährt
er fort, könne man ihn ja immer noch nach Rom citiren.
Vorläufig sei er für seine Schuld, falls der Schatten einer
solchen vorhanden sei, mehr als genug bestraft durch die
Verdriesslichkeit, welche ihm jetzt schon durch die, wie
er fürchte, von sehr wenig lauteren Motiven veranlassten
1) Alberi meint, es sei an den Erzbischof Ascanio Piccolomini von
Siena oder an den Erzbischof Gio. Batista Rinuccini von Fermo zu denken.
Grisar S. 191 meint, Galilei spreche von Bellarmin und denke an dessen oben
S. 67 erwähnte Aeusserung: wenn die Bewegung der Erde bewiesen
werde, müsse man die betreffenden Bibelstellen anders deuten als bisher.
Aber nach dem Schlüsse des Passus scheint es sich um einen damals noch
lebenden Prälaten zu handeln.
252 Galilei's Brief an Card. Barberini.
Denunciationen Anderer bereitet worden sei. „Und sollte
diese meine schriftliche Verantwortung- nicht bezüglich aller
derjenigen Punkte ausreichend sein, wegen deren eine Klage
wider mich erhoben worden ist, so können mir die beson-
deren Schwierigkeiten vorgelegt werden, und ich werde dar-
auf antworten, was Gott mir eingeben wird. Aber ich halte
es für möglich, Eminenz und Hochwürdigster Herr, dass
meine Feinde nicht eben so schnell bei der Hand sein wer-
den, das zu Papier zu bringen, was sie mündlich und ad aures
gegen mich vorgebracht haben mögen, wie ich bereit bin,
meine Vertheidigung schriftlich auszuarbeiten. " — "Verlange
man aber eine mündliche Verhandlung, so könne ja der In-
quisitor oder der Nuncius oder der Erzbischof zu Florenz
mit seiner Vernehmung beauftragt werden. „So viel ich
weiss, werden selbst Sachen von grösserer Wichtigkeit vor
diesen Tribunalen verhandelt. Es ist ja doch auch nicht
wahrscheinlich, dass unter den so scharfblickenden und wach-
samen Augen derjenigen, welche mein Buch revidirt haben
und welche volle Freiheit hatten, nach Belieben zu streichen,
beizufügen und zu ändern, ein Irrthum unbeachtet geblieben
sein sollte, der zu bedeutend wäre, um von den Oberen der
hiesigen Stadt corrigirt und gestraft werden zu können." *
„Das sind die Vorschläge, Eminenz, schliesst der Brief,
welche ich über die Art und Weise zu machen habe, wie
mein Leben geschont und doch jenem erhabenen und ehr-
würdigen Tribunale Genüge geschehen könnte. Ich bitte Sie,
die Güte zu haben, sie demselben vorzulegen und zugleich,
mich zu entschuldigen, wenn ich aus Unwissenheit dabei
etwas versehen haben sollte. Sollten aber weder mein hohes
Alter, noch meine körperlichen Leiden, noch meine gedrückte
Stimmung, noch die Länge einer unter den gegenwärtigen
Verhältnissen sehr unbequemen Reise von j eifern heiligen
und erhabenen Tribunale als genügende Gründe angesehen
werden, mir die Reise zu erlassen oder mir einen Aufschub
zu gewähren, so werde ich mich auf den Weg machen, da
ich lieber sterben als ungehorsam sein will."
Diesen Brief sandte Galilei an Niccolini mit der Bitte,
ihn dem Cardinal zu übergeben. Niccolini schrieb am 2$.
Oct.1), der Papst und der Cardinal seien zu Castel Gandolfo
) IX, 304.
Galilei's Brief an Card. Barberini. 253
und kämen nicht vor Allerheiligen zurück; er habe also den
Brief noch nicht abgeben, auch noch nicht mit Castelli spre-
chen können, der gleichfalls in Castel Gandolfo sei. Er
fügte bei: ,,Soll ich offen reden, so fürchte ich, der Brief
möge eher erbittern als beschwichtigen; denn wenn Sie an-
deuten, Sie könnten alles, was Sie geschrieben, vertheidigen
und sich darüber verantworten, so wird man um so mehr
geneigt sein, das Buch ganz zu verdammen. Merken Sie
sich als Antwort auf Ihre Vorschläge dieses : man wird sich
nie dazu herbeilassen, Ihnen zu gestatten, sich schriftlich
zu vertheidigen, und eben so w^enig wird man dort einen
Richter für Sie bestellen. Einen Aufschub wird man Ihnen,
glaube ich, nicht verweigern, aber nur für eine sehr kurze
Zeit. Was die Sache selbst angeht, so glauben Sie mir
nur: es wird nöthig sein, dass Sie nicht eine Vertheidigung
der Dinge versuchen, welche die Congregation nicht billigt,
sondern dass Sie dieser sich unterwerfen und in der Weise,
wie die Cardinäle derselben wollen, widerrufen; sonst wird
die Erledigung Ihrer Sache sehr schwierig werden, wie das
viele Andere erfahren haben; und als Christen können wir
ja auch nichts anderes verlangen, als was jene, als das
höchste Tribunal, das nicht irren kann, wollen. In dieser
Weise würde Ihre Sache leicht erledigt werden können;
aber dass dieses ohne Process und darum ohne ein wenig
Beschränkung Ihrer persönlichen Freiheit geschehen könne,
glauben Sie das nicht. — In dem IJriefe an den Cardinal
deuten Sie an, Sie hätten von einem hochgestellten Manne
einen Ausspruch wie ein Echo des h. Geistes vernommen.
Wenn der Brief übergeben wird, so wird er ohne Zweifel
der Congregation vorgelegt werden, — dazu sind die Car-
dinäle derselben verpflichtet, — und dann wird man wissen
wollen, wer das gewesen sei. Ich behalte mir also vor, ehe
ich den Brief abgebe, über alles mit Castelli zu reden, der
ja Ihr treuer Freund ist. Ihr Unglück, zumal in Ihrem Alter,
thut mir unendlich leid, und ich möchte Ihnen gern mit meinem
eigenen Blute helfen. Aber das Verfahren der Inquisition
ist anders als das der übrigen Congregationen; und wegen
der Censuren ertheilt Niemand demjenigen, der eine Mitthei-
lung macht oder eine Empfehlung vorbringt, eine Antwort."
Am 6. Nov.1) schrieb Niccolini an Galilei: er habe dem
1) IX, 3H.
254 Galilei's wiederholte Vorladung nach Rom.
Cardinal Barberini den Brief gegeben und mündlich das bei-
gefügt, was Galilei gewünscht habe. Der Cardinal habe —
mit Rücksicht auf die Strafen, die Jedem angedroht seien,
der die Sachen der Inquisition nicht geheim halte, — keine
bestimmte Antwort gegeben, sich aber sehr wohlwollend
gegen Galilei geäussert. Dieser dürfe hoffen, dass ihm ein
Aufschub bewilligt, und dass er, wenn er nach Rom komme,
milde werde behandelt werden. In den folgenden Tagen
verwendete sich Niccolini auch bei dem Cardinal Ginetti, der
bei dem Papste sehr beliebt und Mitglied der Inquisition war,
und bei dem Assessor des h. Officiums, Monsignor Bocca-
bella1).
Der Cardinal Barberini händigte übrigens Galilei's Brief
nicht, wie Niccolini gefürchtet hatte, der Inquisition ein, —
er befindet sich nicht bei den Processacten, wohl aber ein
Brief von Michelangelo Buonarroti vom 12. Oct., worin die-
ser bei dem Cardinal für Galilei Fürsprache einlegt2), —
sondern übergab ihn dem Papste. Dieser schrieb eigenhän-
dig darauf: „Die Sache ist in der letzten Sitzung des h.
Officiums zur Sprache gebracht worden; es bedarf keiner
andern Antwort; der Assessor ist zu fragen, ob das in der
Sitzung Angeordnete ausgeführt worden ist3)." Am 13. Nov.
sagte der Papst Niccolini: er habe Galilei's Brief gelesen;
es gehe aber nicht anders, Galilei müsse nach Rom kommen.
Da Niccolini erwiederte: er halte es nicht für unmöglich,
dass Galilei die Reise glicht überleben werde, so dass man
ihm weder in Rom noch in Florenz den Process machen
könne, sagte der Papst: Galilei möge in einer Sänfte und ganz
langsam und nach seiner Bequemlichkeit reisen, und die Qua-
rantäne solle ihm abgekürzt und erleichtert werden; aber
kommen müsse er 4). Niccolini meldet gleichzeitig, es werde
noch an demselben Tage eine Weisung der Inquisition nach
Florenz abgehen, dass Galilei sich auf den Weg zu machen
habe; Monsignor Boccabella habe aber versprochen, bei
seiner nächsten Audienz nochmals um Aufschub zu bitten.
Ueber die oben vom Papste erwähnte Sitzung der In-
quisition, — sie fand am 11. Nov. statt, — haben wir fol-
1) IX, 312. 429. Marzio Ginetti, seit 30. Aug. 1627 Cardinal, war seit
dem Tode Mellini's auch Cardinal- Vicar.
2) Acten S. 68. 3) Pieralisi p. 170. 4) IX, 312. 429.
Galilei's wiederholte Vorladung nach Rom. 255
gende Aufzeichnung: „Es wurde ferner berichtet, dass der-
selbe Gesandte durch denselben Secretär [den Secretär der
Inquisition, den altern Cardinal Antonio Barberini] die Bitte
des Galilei vorgetragen, es möge ihm mit Rücksicht auf sein
hohes Alter gestattet werden, nicht nach Rom zu kommen.
Seine Heiligkeit wollte nichts gestatten, sondern befahl, ihm
zu schreiben, er solle gehorchen, und dem Inquisitor [zu
Florenz], er solle ihn antreiben, nach Rom zu kommen1)."
In einer andern Sitzung, am 25. Nov., wurde der oben er-
wähnte Brief Buonarroti's vorgelegt, aber als erledigt an-
gesehen2).
Am 20. Nov. berichtete der Inquisitor zu Florenz: „Ich
habe Galilei nochmals rufen lassen. Er sagt, er sei gern
bereit, zu kommen; er hat aber sein hohes Alter und seine
Kränklichkeit vorgestellt, — er sei in ärztlicher Behand-
lung, — und viele andere Dinge. Darauf habe ich ihm
vor Notar und Zeugen einen Termin von einem Monate
gesetzt. Er hat nochmals seine Bereitwilligkeit zu kommen
erklärt. Ich weiss nicht, ob er es thuen wird"3). — Dieser
Brief wurde in der Sitzung der Inquisition vom 9. Dec. vor-
gelegt und darauf beschlossen, dem Inquisitor zu schrei-
ben: nach Ablauf der gesetzten Frist habe er Galilei unter
allen Umständen zu nöthigen, zunächst nach Siena, dann
nach Rom zu reisen4). Am 13. Dec. schrieb Niccolini an
Galilei5): alle Versuche, einen Aufschub zu erwirken, seien
vergeblich. „Der Papst besteht darauf, dass Sie kommen,
und es scheint, man legt mehr Gewicht darauf, Sie gehor-
1) Gherardi No. VII, abgedruckt bei Gebier, Galilei S. 406. In den
Vaticanischen Acten findet sich über diese Sitzung nichts notirt, wenn nicht
die Notiz^S. 67 hierher gehört: „Es wurde ihm [dem Inquisitor zu Florenz]
geschrieben, er solle ihm einen angemessenen Termin setzen".
2) Gherardi No. VIII; vgl. Acten S. 69.
3) Acten S. 67. Ob der Inquisitor beauftragt war, Galilei einen Ter-
min zu setzen, oder dieses selbständig that, ist nicht klar. Doch ist ersteres
wahrscheinlich; s. die Anm. I angeführte Notiz und Gherardi No. IX, wo
es heisst: der Inquisitor habe gemeldet, er habe Galilei einen Termin ge-
setzt „entsprechend dem Befehle der h. Congregation". Wenn Niccolini IX,
318 berichtet, der Papst sei über die Bewilligung des Termins unwillig ge-
wesen, so schliesst das nicht aus, dass jener Auftrag ohne Vorwissen des
Papstes (in einer Mittwochs-Sitzung) ertheilt war.
4) Gherardi No. IX, abgedruckt bei Gebier, Galilei S. 406; Acten
S. 68 (facsimilirt bei Epinois p. 55). 5) IX, 318.
256 Galilei's wiederholte Vorladung nach Rom.
chen zu sehen, als auf das Andere. So lange Sie in Flo-
renz bleiben, wird man keine Entschuldigung annehmen,
da man vermuthet, alles sei nur Vorwand. . . . Wenn Sie
Florenz verlassen und nach Siena oder einem andern Orte
im Kirchenstaate reisen, wo Sie der Quarantäne wegen
wenigstens zwanzig Tage bleiben müssen, und wenn dann
von dort durch einen nicht verdächtigen Mann geschrieben
würde, Sie seien wirklich in so schlechten Gesundheitsum-
ständen, so würde es, glaube ich, nicht schwer sein, einen
weitern Aufschub zu erlangen. . . . Ich kann Ihnen aller-
dings nicht die Gewissheit geben, dass Sie, wenn Sie kom-
men, die ganze Zeit nicht werden in Haft gebracht werden;
aber selbst wenn dieses geschehen sollte, würde ich dafür
sorgen, dass Ihnen alle möglichen Bequemlichkeiten nicht
mangeln." Ueber den letzten Punkt schreibt Niccolini am
11. Nov.1) an Cioli: „Wenn Galilei zu wissen wünscht, wo
er hier werde wohnen müssen, so ist es unmöglich darüber
etwas zu erfahren; wir haben es mit der Congregation des
h. Officiums zu thun, welche ganz geheim vorgeht und bei
der wegen der Censuren Niemand den Mund aufthut. Ga-
lilei kann zunächst in meiner Wohnung absteigen ; was aber
weiter geschehen wird, darüber kann ich nichts sagen."
Am 18. Dec. meldete der Inquisitor2): Galilei sei bett-
lägerig; sein Vicar sei bei ihm gewesen; er habe erklärt,
er sei gern bereit, abzureisen, aber jetzt nicht dazu im
Stande; er habe ihm das beiliegende Zeugniss von drei der
angesehensten Aerzte der Stadt übersandt. In diesem Zeug-
nisse heisst es: „Wir haben den Herrn Galilei untersucht
und gefunden, dass der Puls nach drei oder vier Schlägen
aussetzt, was vermuthen lässt, dass bei seinem hohen Alter
die Lebenskraft gehindert und geschwächt ist. Er klagt
über häufigen Schwindel, hypochondrische Melancholie,
Magenschwäche, Schlaflosigkeit und im Körper herumzie-
hende Schmerzen. Wir haben auch einen schlimmen Bruch,
durch welchen das Darmfell afficirt ist, constatirt. Alle
diese Leiden sind nicht unbedenklich und könnten durch
jede kleine äussere Ursache augenscheinlich lebensgefähr-
lich werden." Gleichzeitig schrieb Galilei an Niccolini.
Dieser sprach mit Monsignor Boccabella, dem Assessor des
1) IX, 430. 2) Acten S. 70.
Galilei's wiederholte Vorladung nach Rom. 257
h. Officiums, mit dem er überhaupt in dieser Zeit vielfach in
vertraulicher Weise verhandelte, und der es Niccolini gegen-
über mit dem Geheimniss der Inquisition und den auf der
Verletzung desselben stehenden Censuren nicht sehr genau
nahm1); — er legte Ende Januar 1633 sein Amt nieder2).
— Derselbe erklärte: der Papst wolle von einem Verschie-
ben der Reise nichts wissen; er würde eher etwas für Ga-
lilei haben thuen können, wenn derselbe von Florenz abge-
reist wäre und sich unterwegs irgendwo aufhielte; denn
damit würde er seine Bereitwilligkeit zu gehorchen bekun-
det haben und so eher auf Mitleid und Rücksicht Anspruch
machen können. Niccolini meldete dieses am 25. Dec. Ga-
lilei und am 26. Cioli3). Am 25. schrieb auch Castelli an
Galilei4): ,,Da Sie weder in Werken noch in Worten noch
in Schriften sich irgendwie gegen die heilige Mutter Kirche
vergangen haben, so ist Ihren boshaften Verfolgern nichts
erwünschter, als dass Sie nicht nach Rom kommen, da sie
dann unter dem unwissenden grossen Haufen ein Geschrei
erheben und Sie als widersetzlich und hartnäckig bezeich-
nen können, wenn Sie auch durch eine gesetzliche Ursache
zurückgehalten werden. Darum meine ich, Sie sollten trotz
Ihrer Alterschwäche und der schlechten Jahreszeit einen
herzhaften Entschluss fassen und sich auf den Weg machen,
zugleich aber an unsern Herrn selbst und an den Cardinal
Padrone einen guten Brief schreiben in dem ehrfurchtsvollen
Tone, den Sie zu treffen wissen, und dann, sich Gott anbe-
fehlend, getrost hieher kommen. Ich hoffe, dass Sie alle
Schwierigkeiten überwinden werden."
Der Brief des Inquisitors vom 18. Dec. kam erst am 28.
in Rom an5). In der Sitzung der Inquisition am 30. wurde
beschlossen, dem Inquisitor zu antworten: „Seine Heilig-
keit und die h. Congregation könne und dürfe dergleichen
Ausflüchte durchaus nicht dulden; um zu constatiren, ob
Galilei wirklich nicht ohne Lebensgefahr nach Rom kom-
men könne, werde man einen Commissar mit Aerzten nach
Florenz senden ; wenn nach deren Ansicht Galilei im Stande
sei zu reisen, solle ihn der Inquisitor sofort, — wenn er
wirklich jetzt ohne Lebensgefahr nicht reisen könne, gleich
1) IX, 431. 2) IX, 432. 3) IX, 320. 431.
4) IX, 319. 5) Acten S. 71.
Reusen, Galilei. 17
258 Galilei's wiederholte Vorladung nach Rom.
nach seiner Wiederherstellung, — gefangen und gefesselt
(carceratum et ligatum cum ferris) nach Rom transportiren
lassen; der Commissar und die Aerzte würden auf Galilei's
Kosten geschickt werden, weil er nicht sofort gehorcht
habe"1). Diese Weisung wurde Galilei am 8. Jan. 1633 von
dem Inquisitor vorgelesen ; er erklärte, er werde gehorchen
und sich in Rom von Aerzten untersuchen lassen, um zu
beweisen, dass er seine Krankheit nicht fingirt habe2). Er
machte von .dieser neuen Aufforderung sofort dem Staats-
secretär Cioli Mittheilung. Dieser antwortete ihm: der
Grossherzog könne zu seinem lebhaften Bedauern nun
nichts mehr thuen, um ihm die Reise zu ersparen ; es werde
ihm eine Sänfte zur Disposition gestellt werden; in Rom*
könne er für einen Monat im Hause des Gesandten Woh-
nung nehmen3).
Am 22. Jan. 1633 meldete der Inquisitor, Galilei, den
er nicht unterlassen habe beständig zu mahnen, sei am 20.
abgereist4). In Acquapendente musste er Quarantäne hal-
ten; er scheint in einem Briefe geklagt zu haben, dass er
sich dort keine Bewegung in freier Luft machen konnte
und Abstinenz halten musste, da er nur Brod, Wein und
Eier bekam5). Die Quarantäne wurde, trotz aller Be-
mühungen Niccolini's, nur um zwei Tage abgekürzt6). Am
14. Febr. meldete Niccolini, Galilei sei Tags zuvor „in guter
Gesundheit" in Rom angekommen7). Grisar sagt S. in mit
Rücksicht auf diese letzte Notiz: „Merkwürdiger Weise
war seine Gesundheit bei der Ankunft durchaus zufrieden-
stellend, trotzdem er noch unlängst [d. h. zwei Monate vor-
her] durch ein Attest von drei Florentiner Aerzten in Rom
hatte erklären lassen, er könne sich wegen schweren Unwohl-
seins nicht ohne Todesgefahr einer so weiten Reise über-
antworten." Auf der folgenden Seite hat Grisar zu con-
statiren, dass Galilei „in Anbetracht seiner schlechten Ge-
sundheit und seines hohen Alters" gestattet wurde, im Ge-
sandtschaftspalaste zu wohnen, und schon in einem Briefe
vom 25. Febr.8) klagt Galilei über sein schlechtes körper-
1) Gherardi No. X, abgedruckt bei Gebier, Galilei S. 407. Acten S. 72;
vgl. IX, 431. 2) Acten S. 70. Gherardi No. XI.
3) IX, 322. 4) Acten S. 73. Gherardi No. XII.
5) IX, 326. 6) IX, 327. 7) IX, 432. 8) VII, 23.
Galilei in Rom bis zum ersten Verhör. 259
liches Befinden, wovon er die Schuld hauptsächlich darauf
schiebt, dass er sich nun schon vierzig Tage nicht die ge-
wohnte Bewegung in freier Luft habe machen können.
XXI.
Galilei's Aufenthalt in Rom bis zu dem ersten Yerhöre
(13. Febr. bis 12. April 1633).
Galilei kam am 13. Febr. 1633 m Rom an; das erste
Verhör vor dem General- Commissar des h. Officiums hatte
er erst am 12. April zu bestehen. Diese zwei Monate blieb
er im Gesandtschaftspalaste wohnen. Er erhielt übrigens
dazu nicht eine förmliche Erlaubniss; es wurde dieses nur
stillschweigend geduldet, wahrscheinlich um die Vergünsti-
gung, falls er sie missbrauchen sollte, ohne weiteres zurück-
ziehen zu können. Er erhielt merkwürdiger Weise in den
ersten Wochen seines Aufenthalts in Rom keine amtliche
Mittheilung von der Inquisition, und in den Processacten
findet sich aus dieser Zeit keine auf ihn bezügliche Notiz.
Dagegen haben wir aus diesen Wochen zahlreiche Berichte
Niccolini's an den Staatssecretär Cioli und einige interessante
Briefe von Galilei selbst.
Am Tage nach seiner Ankunft besuchte Galilei zuerst
den frühern Assessor des h. Officiums, Monsignor Bocca-
bella, um ihm für das bisher bewiesene Wohlwollen zu dan-
ken und sich mit ihm zu berathen. Er besuchte dann den
neuen Assessor (Monsignor Febeo) und wollte sich, der amt-
lichen Aufforderung entsprechend, dem General-Commissar
vorstellen, traf diesen aber nicht zu Hause. Er besuchte
auch noch einen Freund desselben, Girolamo Mutti, der sich
immer sehr wohlwollend gegen ihn bewiesen hatte1). Am
15. Febr. bat Niccolini den Cardinal (Francesco) Barberini,
für Galilei „mit Rücksicht auf sein Alter, seine Reputation
und seinen bereitwilligen Gehorsam'' die Begünstigung zu
1) IX, 432.
26o Galilei in Rom bis zum ersten Verhör.
erwirken, dass er im Gesandtschaftspalaste wohnen bleiben
dürfe. Der Cardinal und der General-Commissar verspra-
chen, sich dafür zu verwenden, und der Cardinal, welcher
sonst an den Sitzungen der Inquisition, namentlich an den
Mittwochs-Sitzungen (s. o. S. 71 ), nicht theilzunehmen pflegte,
wohnte dies Mal am Mittwoch der Sitzung bei. Eine amt-
liche Mittheilung erhielt aber Galilei nicht; der Cardinal und
der Commissar riethen ihm nur, wie sie ausdrücklich sagten,
nicht amtlich, sondern als Freunde, nicht auszugehen und
keine verdächtigen Besuche zu empfangen. Galilei besuchte
indess in den ersten Tagen die Cardinäle Scaglia und Ben-
tivoglio1), die ihn freundlich aufnahmen. Der Grossher-
zog schickte beiden Cardinälen auf Galilei's Wunsch Em-
pfehlungsschreiben2). Später schickte er auf Niccolini's
Rath auch den anderen Cardinälen, welche Mitglieder
der Inquisition waren, damit sie sich nicht zurückgesetzt
fühlten, Empfehlungsschreiben. Es waren die Cardinäle S.
Onofrio [Antonio Barberini] , Borgia , S. Sisto [Laudivio
Zacchia], [Francesco] Barberini, Gessi, Ginetti und Verospi3).
Einige derselben entschuldigten sich, als Niccolini ihnen die
Briefe überreichte, dass sie dieselben wegen der bei dem
h. Officium geltenden Censuren nicht beantworten könnten;
einer fürchtete sogar durch die Annahme des Briefes in
diese Censuren zu verfallen, worüber ihn Niccolini mit der
1) Guido Bentivoglio war in Padua Galilei's Schüler gewesen. Nach-
dem er Nuncius in Belgien und Frankreich gewesen, wurde er von Gregor
XV. 22. April 1621 zum Cardinal ernannt. Nach dem Tode Urbans VIII.
machte er sich Hoffnung, Papst zu werden. Er starb während des Conclave's
7. Sept. 1644. Ciaconius IV, 454. Berti, II Processo p. XCIV, führt aus
seinen Memoiren eine Stelle an, worin er bedauert, dass „ein Archimedes
durch seine eigene Schuld so unglücklich geworden, da er seine neuen An-
sichten über die Bewegung der Erde im "Widerspruch mit der wahren ge-
meinsamen Ansicht der Kirche durch den Druck veröffentlichte, — Meinun-
gen, welche ihn hier zu Rom mit dem h. Officium in Collision brachten, bei
dem ich damals einer der Inquisitoren war und Galilei bei seiner Sache zu
helfen suchte, so viel mir möglich war." — Desiderio Scaglia war ein Domi-
nicaner und früher Inquisitor zu Mailand (als solcher erscheint er Acten
S. 37 im Juni 1615), dann seit 161 6 Commissar des h. Officiums zu Rom
gewesen. Er war seit 11. Jan. 1621 Cardinal, damals vom Titel des h. Carl,
wurde aber gewöhnlich von seiner Vaterstadt der Cardinal von Cremona ge-
nannt. Ciaconius IV, 460. S. u. S. 262.
2) IX, 432. 330; VII, 21. 23. 24. 3) IX, 336. 438.
Galilei in Rom bis zum ersten Verhör. 261
Bemerkung beruhigte, Barberini und andere Cardinäle hät-
ten den Brief angenommen1). Empfehlungsschreiben des
Cardinais Medici an den General des Kapucinerordens, wel-
chem der Cardinal Antonio Barberini angehörte, und an
dessen Socius hatte Galilei mitgebracht2).
Den Pater Riccardi- scheint Galilei in diesen Wochen
nicht gesehen zu haben. Castelli, dessen treue Freundschaft
und Hülfswilligkeit er rühmt 3), wurde Ende März nach Brescia
gesandt und kam erst im Juli nach der Beendigung des
Processes zurück4). Ein Consultor der Inquisition, der sich
auch früher gegen Galilei wohlwollend gezeigt, Monsignor
Serristori, besuchte ihn zweimal und unterhielt sich mit ihm
freundlich über seine Angelegenheit. Er versicherte, er
komme nicht in seiner amtlichen Eigenschaft; Niccolini und
Galilei selbst vermutheten aber, er sei nicht ohne Vorwissen
und vielleicht im Auftrage der Inquisition gekommen5).
Unter dem 19. Febr. schreibt Galilei an Cioli6): „Es
scheint mir und auch dem Herrn Gesandten und seinen Haus-
beamten, als ob der Sturm sich wirklich oder anscheinend
bedeutend gelegt habe, und als ob nicht ein Schiffbruch zu
fürchten und nicht daran zu verzweifeln sei, dass ich den
Hafen erreiche . . . Bis jetzt ist mir nichts amtlich befohlen
oder gesagt worden; ja einer der Herrn von der Congre-
gation hat mich zweimal sehr freundlich besucht und mir
in geschickter "Weise Gelegenheit geboten, etwas zu sagen,
um die aufrichtige und gehorsame Gesinnung, die ich stets
gegen die h. Kirche und ihre Diener gehabt, auszusprechen
und zu bekräftigen, und er hat alles aufmerksam angehört
und, so viel ich wahrnehmen konnte, gebilligt", — Galilei
zeigte ihm auch einige seiner schriftlichen Ausarbeitungen,
vielleicht den Brief an Christina von Lothringen, den er
auch dem Kapuciner-General schickte7) — „und wenn er
seinen Besuch, wie ja wohl zu vermuthen ist, mit Zustim-
mung und vielleicht auf Befehl der h. Congregation gemacht
hat, so ist das eine sehr milde und freundliche Einleitung
des Verfahrens, die zu den angedrohten Stricken, Ketten
und Kerkern nicht passt. Es gereicht mir zum Tröste, von
1) IX, 441. 2) IX, 325. 329; VII, 23. 25.
3) VII, 22. 28. 4) IX, 334- 355- 365. 575-
5) IX, 433; VII, 21. 6) VII, 20. 7) VII, 23.
262 Galilei in Rom bis zum ersten Verhör.
Vielen zu hören und theilweise selbst wahrgenommen zu
haben, dass es auch unter den einflussr eichen Männern nicht
an solchen fehlt, welche bezüglich meiner Person und meiner
Angelegenheit wohlwollend gesinnt sind/'
Auch Niccolini schreibt am 19. Febr. J): ,,Aus dem Ver-
halten der Diener Seiner Heiligkeit glaube ich die Hoffnung
schöpfen zu dürfen, dass man in dieser Sache mit einiger
Milde vorgehen wird, wiewohl der Papst selbst, wie ich
wiederholt berichtet habe, die Angelegenheit sehr wenig
wohlwollend behandelt." Am 27. Febr.2) berichtet Niccolini
über eine Audienz bei dem Papste. Derselbe erklärte, er
habe lediglich aus Gefälligkeit für den Grossherzog gestat-
tet, dass Galilei im Gesandtschaftspalaste wohnen bleibe.
Niccolini bat dann — im Auftrage des Grossherzogs, den
Galilei darum hatte bitten lassen3), — um Beschleunigung
der Sache, worauf der Papst antwortete: der Geschäftsgang
des h. Officiums sei im allgemeinen etwas langsam; das-
selbe sei noch mit der Instruction des Processes beschäftigt.
Er brachte dann wieder seine Klagen über Galilei und Ciam-
poli vor, aber, wie Niccolini meint, weniger heftig als ge-
wöhnlich. Bei einer andern Audienz am 13. März4) dankte
Niccolini im Auftrage des Grossherzogs für die Galilei er-
theilte Erlaubniss, im Gesandtschaftspalaste zu wohnen. Der
Papst antwortete: wenn die Verhöre begännen, würde Ga-
lilei im Inquisitionsgebäude untergebracht werden müssen,
und lehnte Niccolini's Bitte, ihn auch davon zu dispensiren,
ab. Er wiederholte dann, dies Mal wieder heftig werdend,
seine Klagen über Galilei und Ciampoli (s. o. S. 225), ver-
sprach aber schliesslich, Galilei solle im Inquisitionsgebäude
die besten und bequemsten Zimmer haben.
Am 25. Febr. schreibt Galilei5): „Castelli und ich hören,
dass die vielen und schweren Anschuldigungen auf einen
einzigen Punkt zusammengeschrumpft und alle anderen fallen
gelassen worden sind; diesen einzigen Punkt aber werde ich
ohne Mühe beseitigen können, wenn man meine Rechtfer-
tigungen gehört haben wird, welche mittlerweile ganz allmäh-
lich einem jener höchsten Beamten in der besten Weise vor-
getragen werden. " Ohne Zweifel ist hier der Cardinal Scaglia
1) IX, 433. 2) IX, 434. 3) VII, 26. 27. 28.
4) IX, 436. 5) vii, 22:
Galilei in Rom bis zum ersten Verhör. 263
gemeint, der mit Castelli den Dialog las. Am 5. März
schreibt Galilei1) etwas weniger zuversichtlich: „Nach
dem Wenigen zu urtheilen, was ich erfahren, erkennt
man allmählich immer mehr die Grundlosigkeit der gegen
mich vorgebrachten Beschuldigungen; einige hat man als
augenscheinlich unbegründet fallen lassen; hoffentlich wird
es mit denjenigen, die noch aufrecht erhalten werden, ebenso
gehen; etwas anderes darf man ja auch nicht erwarten,
wenn die Wahrheit schliesslich über die Lüge siegen muss."
Aus den Briefen der Freunde Galilei's aus dieser Zeit
verdienen folgende Stellen mitgetheilt zu werden: Der Ca-
nonicus Niccolö Cini von Florenz schreibt am 26. März2):
„Hier sprechen Alle immer und mit der grössten Liebe von
Ihnen; . . . Jeder möchte Sie mit seinem Blute aus Ihrer
schlimmen Lage befreien und Sie nach Verdienst erhöht
sehen. Jeder freut sich, dass der Cardinal Scaglia Ihr Buch
liest, und zwar, was wichtig ist, mit Hülfe des Pater Castelli;
man wünscht sehr, Seine Eminenz möge auch Ihren Brief
an die Grossherzogin lesen; aber daran wird ja Castelli
selbst gedacht haben. In der That sagt Jeder: man lese
doch das Buch und erwäge es. Im übrigen hält man für
sicher, dass Sie den Ihnen gebührenden Sieg davon tragen
werden." Mario Guiducci schreibt am 2. April3): „Gott gebe
Ihnen ein langes Leben, damit Sie den Ruhm gemessen
können, von so vielen und so mächtigen Feinden verfolgt,
durch Feuer und Wasser hindurch und glücklich daraus
hervorgegangen zu sein. ... Es thut mir leid, dass Castelli
Sie in dieser kritischen Lage verlassen muss; aber die Sache
scheint doch so gut in Gang gebracht zu sein, namentlich
bei jener Eminenz, auf welche Sie anspielen [Card. Scaglia],
dass ein plötzlicher Schiffbruch nicht zu fürchten ist. Möge
Gott geben, dass Ihre Unschuld auch von den anderen
Herren in der Congregation erkannt werde, und ihnen seine
Gnade und sein Licht geben, dass sie beschliessen, was zur
grössern Ehre der h. Kirche und der Wahrheit gereicht."
Am 9. April4) schreibt derselbe: „Die Freunde des Ritters
Chiaramonti (s. o. S. 189) streuen das Gerücht aus, er sei
nach Rom berufen, um mit Ihnen confrontirt zu werden.
1) VII, 25. 2) IX, 337.
3) IX, 339. 4) IX, 340.
264 Galilei in Rom bis zum ersten Verhör.
[Das Gerücht war, wie Guidücci selbst später1) meldet,
ebenso grundlos wie das früher in Rom verbreitete Gerücht,
Chiaramonti sei zu der Special-Congregation berufen.] Ich
habe darüber kürzlich mit dem Cardinal Capponi [zu Flo-
renz] gesprochen; er meint, in diesem Falle sollten Sie,
nachdem Chiaramonti seine Einwendungen den Herren von
der Congregation vorgetragen, zuerst fragen, ob sie wollten,
dass Sie die Antwort ertheilten, die Ihnen geeignet scheine,
die Einwendungen zu widerlegen, oder nicht; wenn diesel-
ben, wie sie ja wohl nicht anders können werden, diese
Frage bejahten, dann sollten Sie die Argumente mit Ihrer
gewohnten Klarheit widerlegen; das müsse, meint Seine
Eminenz, auf jene Herren Eindruck machen, da Sie so Ihre
Bescheidenheit zeigen und, nachdem Sie die Erlaubniss da-
zu erhalten, mit grösserer Freiheit die Sophismen und Trug-
schlüsse des Gegners widerlegen könnten. Es scheint mir,
dem Cardinal müssen Sie schreiben und ihm für die Ehre
danken, dass er Ihr Buch gelesen, ihm das Lob spenden,
welches ich in meinen Briefen angedeutet, und dann bei-
fügen: Gott möge geben, dass die anderen Eminenzen, seine
Collegen, denselben Gedanken bekämen wie Seine Eminenz,
nämlich das Buch erst zu lesen, ehe sie sich ein ungünstiges
Urtheil darüber bildeten." Der Brief Galilei's an den Car-
dinal Capponi ist nicht erhalten, wohl aber dessen kurze,
vom 21. Mai datirte Antwort2).
Als Niccolini am 13. März von dem Papste gehört
hatte, dass Galilei demnächst in das Inquisitionsgebäude
werde übersiedeln müssen, theilte er dieses Galilei nicht mit,
um ihn nicht jetzt schon aufzuregen3). Die Sache verzögerte
sich noch, zum Theil wegen des Osterfestes. Am 7. April
aber erklärte der Cardinal Barberini dem Gesandten, er sei
von Seiner Heiligkeit und der Congregation des h. Officiums
beauftragt, ihm aus Rücksicht gegen ihn selbst, sowie gegen
den Grossherzog und dessen „gutes Verhalten gegen den
h. Stuhl, namentlich in Sachen der Inquisition" im voraus
mitzutheilen, dass man Galilei, um seine Sache zu erledigen,
vor das h. Officium laden und dass es, falls sich die Sache
nicht in zwei Stunden [in Einem Verhöre] erledigen lasse,
nöthig sein werde, ihn im Inquisitionsgebäude zurück zu
1) IX, 346; s. o. S. 238. 2) IX, 357. 3) JX, 437-
Galilei' s Haft. 265
halten. Niccolini antwortete : er denke den Papst zu bitten,
man möge Galilei, der eben jetzt wieder sehr leidend sei,
unter Androhung von Censuren Stillschweigen auflegen und
ihm gestatten, jeden Abend in den Gesandtschaftspalast
zurückzukehren. Der Cardinal meinte, das werde nicht ge-
stattet werden, Galilei solle aber alle Bequemlichkeiten haben
und nicht als Gefangener behandelt werden, sondern gute
Zimmer erhalten, die man vielleicht nicht einmal verschliessen
werde. Niccolini erhielt denn auch am 9. April von dem
Papste keinen andern Bescheid. Er theilte nun die Sache
Galilei mit. „Er ist im höchsten Grade betrübt darüber,
schreibt er an demselben Tage 1), und sieht heute in Vergleich
zu gestern so verfallen aus, dass ich sehr für sein Leben
fürchte. Ich werde mich bemühen, dass er dort einen Die-
ner und andere Bequemlichkeiten haben kann. Wir Alle
unterlassen auch nicht ihn zu trösten und uns für ihn zu
verwenden; denn er verdient in Wahrheit alles Gute, und
mein ganzes Haus, welches ihn sehr liebt, ist unaussprech-
lich betrübt/'
Galilei' s Haft im Inquisitionsgebäude war in der That
sehr milde. „Ich bewohne, schreibt er am 16. April2), drei
Zimmer, welche zu der Wohnung des Fiscals des h. Offici-
ums gehören3), und darf mich frei in vielen Räumen bewegen.
Mit meiner Gesundheit geht es gut, und der Herr Gesandte
und seine Gemahlin sorgen mit der grössten Freundlichkeit
und Aufmerksamkeit für alle Bequemlichkeiten." Ausführ-
licher berichtet an demselben Tage4) Niccolini: „Galilei hat
sich am Dinstag (12. April) Morgens vor dem Pater Com-
missar des h. Officiums gestellt. Dieser empfing ihn sehr
freundlich und wies ihm nicht die Kammern oder Gefäng-
nisszellen an, welche gewöhnlich den Delinquenten gegeben
werden, sondern Zimmer des Fiscals, so dass er nicht nur
unter den Beamten wohnt, sondern auch nicht eingeschlossen
ist und bis in den Hof des Gebäudes gehen kann. Galilei
glaubte, er werde an demselben Tage des Abends zu mir
zurückkehren dürfen, weil er gleich nach seiner Ankunft ver-
hört wurde; aber der Commissar antwortete meinem Secre-
t) IX, 438. 2) VII, 29.
3) Eine Beschreibung der Räume gibt Gebier, D. Rundschau 1878,
IV, 51. 4) IX, 440.
266 Galilei's Haft.
tär, der Galilei begleitete, er könne nichts anderes thun,
als was ihm werde befohlen werden, nachdem er über Galilei's
Aussage und über das, was er nach diesem ersten Verhör
aus ihm herausbringen werde, berichtet haben würde. Ohne
Zweifel wird aber die Sache rasch erledigt werden; denn
wie man bisher bei diesem Process mit ganz ungewöhn-
licher Milde verfahren ist, so ist auch zu hoffen, dass die
Erledigung desselben eine rasche und günstige sein wird. Es
gibt kein Beispiel, dass Personen, gegen welche Pro-
cesse anhängig gemacht waren, nicht gefangen gehalten
worden wären. Galilei ist es zu Gute gekommen, dass er
ein Diener Seiner Hoheit und in dem Gesandtschaftsgebäude
abgestiegen ist ; Andere, selbst Bischöfe, Prälaten und Vor-
nehme, sind gleich nach ihrer Ankunft in Rom in dem Ca-
stell [Sant' Angelo] oder in dem Palast der Inquisition in
strenge Haft genommen worden. Galilei ist sogar erlaubt
worden, dass sein eigener Diener ihn bedient und dort
schläft und, was mehr ist, geht und kommt, wie es ihm
beliebt, und dass meine Diener ihm von hier Morgens und
Abends die Speisen auf sein Zimmer bringen und in mein
Haus zurückkehren dürfen. ... Es muss Galilei unter An-
drohung der Excommunication verboten worden sein, über
das Verhör zu sprechen; er hat meinem Hausmeister Tolo-
mei nichts erzählen wollen, ohne ihm auch nur zu sagen,
ob er reden dürfe oder nicht." Am 25. April1) berichtet
Niccolini: „Galilei schreibt mir täglich und ich antworte
ihm."
Galilei wurde im Inquisitionsgebäude in Haft behalten
vom 12. bis zum 30. April, dann wieder vom 21. bis 24. Juni,
also im Ganzen drei Wochen. Er musste also nicht, wie
z. B. E. Haeckel noch im J. 18782) hat drucken lassen, „Jahre
lang im Kerker der Inquisition schmachten."
Grisar sagt S. 112, mit Rücksicht auf die Galilei ge-
währten Vergünstigungen, Gebier habe ihm „das Wort aus
dem Munde genommen", wenn er sage: „Mit Ostentation
bemühte sich die Römische Curie, eine grosse Rücksicht und
1) IX, 441.
2) Vorträge aus dem Gebiete der Entwicklungslehre S. 33. Draper,
Gesch. der Conflicte zw. Rel. und Wiss., Leipzig 1875, S. 174 sagt: „drei
Jahre".
Galilei's Verhöre. 267
Schonung für Galilei an den Tag zu legen. Man Hess dem
Angeklagten bezüglich seiner materiellen Lage lauter in
der Geschichte der Inquisition geradezu unerhörte
Vergünstigungen angedeihen." Es wirkt geradezu komisch,
wenn Grisar unmittelbar auf diesen von ihm adoptirten Satz
Geblers seinerseits den Satz folgen lässt: „Es waltete nur
jene Courtoisie oder besser jene christliche Menschenfreund-
lichkeit, welche dem Unparteiischen überall in der Ge-
schichte der Römischen Kirchengerichte entgegentritt. "
Es muss noch hervorgehoben werden, dass der Gene-
ral-Commissar des h. Officiums, der Galilei verhörte, der
Dominicaner Vincenzo Macolano von Firenzuola (Vincentius
Maculanus de Florentiola), so viel sich aus den Processacten
und sonstigen Quellen ersehen lässt, sich persönlich stets
wohlwollend und rücksichtsvoll gegen Galilei benahm1).
Ausser dem Commissar waren nur der Procurator fiscalis
Sancti Officii (s. o. S. 70), Carlo Sincero, und ein Notar der
Inquisition als Protonollführer bei den Verhören zugegen2).
Die Verhöre fanden im Sitzungssaale (in aula con-
gregationum) des Inquisitionsgebäudes statt, nur das erste
in der Wohnung des Commissars (in Palatio S. Offitii in
mansionibus solitis R. P. Comissarii, S. 74); ob dieses aus
besonderer Rücksicht gegen Galilei geschah oder aus einem
andern Grunde, erhellt nicht. Die Formeln der Verhörspro-
tocolle entsprechen genau den im Sacro Arsenale mitgetheil-
ten Formularen: Beim Beginne jedes Verhöres hatte Galilei
einen Eid abzulegen, dass er die Wahrheit sagen wolle,
1) Berti, II Processo etc. p. CXIV. Vincenzo Macolano aus Firen-
zuola, daher gewöhnlich Pater Firenzuola genannt, geb. II. Sept. 1578, war
in jüngeren Jahren Lector in mehreren Klöstern seines Ordens, dann Inqui-
sitor in Pavia. Unter Urban VIII. wurde er Procurator, dann Generalvicar
seines Ordens, im Dec. 1632 General-Commissar des h. Officiums, 1639 nach
dem Tode Riccardi's Magister Sacri Palatii, 1641 Cardinal-Priester von St.
Clemens und Erzbischof von Benevent. 1643 legte er sein Bisthum nieder
und kam nach Rom zurück. Nach dem Tode Urbans VIII. war er im Con-
clave einer der Candidaten der Barberini. Er starb 15. Febr. 1667, 89 Jahre
alt. Er hatte als Mathematiker und Militär- Architekt einen Namen, in Rom
durch seine Theilnahme an den Befestigungen der Engelsburg, auf Malta
durch das Fort Santa Margherita, das er 1638 baute. Ciaconius IV, 607.
Quetif-Echard II, 622. Reumont, Beitr. I, 373.
2) Nicht „das heilige Tribunal" wie Gebier, Galilei S. 269, meint.
268 Das erste Verhör Galilei's.
bei dem Schlüsse der meisten Verhöre einen Eid, dass er
über das Verhör Stillschweigen beobachten wolle (s. u. §
XXVII).
XXII.
Das erste Verhör Galilei's, 12» April 1633.
Es ist auffallend, dass Galilei erst zwei Monate nach
seiner Ankunft in Rom, am 12. April, zum ersten Verhöre
in das Inquisitionsgebäude beschieden wurde und dass dann
wieder mehr als zwei Wochen verflossen, bis er (am 30.
April) zum zweiten Male verhört wurde.
Ende Februar antwortete der Papst, wie wir gehört,
auf Niccolini's Bitte um Beschleunigung der Sache, die Inqui-
sition sei noch mit der Instruction des Processes beschäftigt.
Man wollte ohne Zweifel, ehe der Commissar das Verhör
begann, die Anklagepunkte so genau wie möglich festsetzen.
Ueber die Sitzungen der Inquisition vom 3. Febr. bis 16.
Juni 1633 haben wir in den Acten keinerlei Aufzeichnungen,
und bei dem strengen Geheimniss, womit sich das h. Offi-
cium umgab, dürfen wir auch keine nennenswerthen Auf-
schlüsse aus anderen Quellen erwarten. Galilei war aber
allem Anscheine nach . ziemlich gut unterrichtet,, wenn er
Ende Februar schrieb: die gegen ihn erhobenen Anschul-
digungen habe man alle bis auf Eine oder einige wenige
als unbegründet fallen gelassen (S. 262). Von den meisten
Punkten, welche oben (S. 239) als in der Special-Congrega-
tion namhaft gemacht mitgetheilt wurden, ist in dem Pro-
cess nicht mehr die Rede; aufrecht erhalten wurden, wie
Niccolini Ende Februar aus den Aeusserungen des Papstes
und Anderer entnahm, die beiden Anklagen, dass Galilei
im Dialog die Copernicanische Lehre nicht rein hypothe-
tisch, sondern „behauptend und beweisend" (asser tivamente
e concludentissimamente) vorgetragen und dass er dem ihm
im J. 161 6 ertheilten Befehle zuwidergehandelt habe1), —
I) IX, 434. 435.
Das erste Verhör Galilei's. 269
zwei Punkte, die sich zu der Einen Anklage zusammen-
fassen li essen: dass er trotz des ihm im J. 1616 ertheilten
Befehles die Copernicanische Lehre vorgetragen und ver-
theidigt habe. Ueber diese Punkte wurde denn aucfh Gali-
lei am 12. April verhört1).
Auf die Frage, ob er wisse oder vermuthe, warum er
nach Rom citirt worden sei, antwortet Galilei : er vermuthe,
um über sein jüngst gedrucktes Buch Rechenschaft abzu-
legen. Nachdem er den Dialog ausdrücklich als sein Werk
anerkannt, wird er über seinen Aufenthalt in Rom im J. 16 16
befragt und gibt darauf die schon früher (S. 101) mitge-
theilte Antwort. Ueber die ihm damals von dem Cardinal
Bellarmin gemachte Mittheilung sagt er zunächst Folgendes
aus: „Der Cardinal machte mir bemerklich, die Meinung
des Copernicus dürfe man hypothetisch festhalten, wie das
Copernicus selbst gethan. Der Cardinal wusste, dass ich
sie hypothetisch festhielt, in derselben Weise wie Coperni-
cus. Das sieht man aus einem Briefe des Cardinais an
Foscarini [s. o. S. 62], worin es heisst: »Es scheint mir, Sie
und Galilei thuen wohl, nur hypothetisch zu reden und nicht
absolut«. Anders, d. h. absolut genommen, sagte der
Cardinal, dürfe man die Meinung weder für wahr halten
noch vertheidigen. . . . Im Febr. 16 16 sagte mir der Car-
dinal, da die Meinung des Copernicus absolut genommen
der h. Schrift widerspreche, so dürfe man sie so, absolut
genommen, weder für wahr halten (tenere) noch vertheidi-
gen, aber hypothetisch (ex suppositione) dürfe man sie
annehmen und sich ihrer bedienen." Er überreicht zugleich
eine Abschrift des ihm von Bellarmin am 26. Mai 1616 aus-
gestellten Zeugnisses (s. o. S. 129).
Auf die Fragen, ob Jemand und wer dabei zugegen ge-
wesen, als ihm der Cardinal jene Mittheilung gemacht, und
ob ihm damals nicht von Jemand ein Befehl bezüglich des-
selben Gegenstandes ertheilt worden sei, gibt er die Ant-
worten, welche bereits früher (S. 139) mitgetheilt worden
sind. Auf die Frage, ob er, wenn ihm das, was ihm damals
gesagt und als Befehl insinuirt worden, vorgelesen werde,
sich dessen erinnern werde, antwortet er: „Ich erinnere
mich nicht, dass mir etwas anderes gesagt worden wäre,
1) Acten S. 74.
270 Das erste Verhör Galilei's.
und ich kann nicht wissen, ob ich mich dessen erinnern
werde, was mir damals gesagt worden ist, wenn es mir
vorgelesen wird. Ich sage frei heraus, wessen ich mich
erinnere, weil ich nicht glaube, dass ich irgendwie jenen
Befehl übertreten, d. h. die Meinung von der Bewegung
der Erde und von dem Stillstehen der Sonne irgendwie für
wahr gehalten oder vertheidigt habe."
Es wird Galilei dann gesagt : ä in dem ihm damals vor
Zeugen ertheilten Befehle heisse es: er dürfe in keiner
Weise die besagte Meinung für wahr halten, vertheidigen
oder lehren (quod non fiossit quovis modo teuere, defendere
aut docere dictam opinionem) ; er solle also sagen, ob er sich
erinnere, wie und von wem ihm dieser Befehl ertheilt wor-
den sei. Galilei antwortet: „Ich erinnere mich nicht, dass
mir dieser Befehl von einem Andern als mündlich von dem
Cardinal Bellarmin mitgetheilt worden ist. Ich erinnere
mich, dass der Befehl dahin lautete: ich dürfe nicht für
wahr halten oder vertheidigen; es kann sein, dass dabei
auch gesagt wurde, »oder lehren«. Ich erinnere mich auch
nicht, dass die Partikel quovis modo darin vorkam; aber es
kann sein, dass sie darin vorkam. Ich habe darauf nicht
geachtet und nichts weiter im Gedächtnisse behalten, weil
ich wenige Monate später jenes von mir überreichte Zeug-
niss des Cardinais Bellarmin erhielt, in welchem der mir
ertheilte Befehl, die besagte Meinung nicht für wahr zu
halten und nicht zu vertheidig*en, erwähnt wird. Die beiden
mir jetzt bemerklich gemachten Ausdrücke des Befehls, nee
docere und quovis modo, habe ich nicht im Gedächtniss be-
halten, ich glaube darum nicht, weil sie in dem erwähnten
Zeugnisse nicht vorkommen, an welches ich mich gehalten
und welches ich im Gedächtnisse behalten habe."
Damit ist der Theil des Verhöres, welcher sich auf
die Galilei im J. 161 6 ertheilte Verwarnung bezieht, beendigt.
Der Inquirent geht jetzt zu dem Dialog über mit der Frage:
ob er nach der Insinuation des fraglichen Befehles die Er-
laubniss zur Abfassung des von ihm in Druck gegebenen
Buches erhalten habe. Galilei antwortet: „Nach dem be-
sagten Befehle habe ich keine Erlaubniss dazu nachgesucht,
jenes Buch zu schreiben, weil ich glaube, durch das Schrei-
ben dieses Buches den Befehl, die besagte Meinung nicht
für wahr zu halten oder zu vertheidigen oder zu lehren, in
Das erste Verhör Galilei's. 271
keiner Weise übertreten, vielmehr diese widerlegt zu haben."
Die Frage, ob und von wem er die Druck - Erlaubniss
für den Dialog erhalten habe, beantwortet Galilei mit
einem ausführlichen, schon oben (S. 197) berücksichtigten
Berichte über die betreffenden Verhandlungen. Er wird
schliesslich gefragt, ob er, als er bei dem Palastmeister die
Druck- Erlaubniss nachgesucht, demselben von dem vorhin
besprochenen, ihm im Auftrage der h. Congregation ertheil-
ten Befehle Mittheilung gemacht habe. Er antwortet: „Ich
habe dem Palastmeister nichts davon gesagt, weil ich das
nicht für nöthig hielt, da ich gar kein Bedenken hatte, weil
ich in meinem Buche die Meinung von der Bewegung der
Erde und dem Stillstehen der Sonne weder für wahr ge-
halten noch vertheidigt habe, vielmehr das Gegentheil jener
Meinung erweise und zeig'e, dass die Gründe des Coperni-
cus hinfällig und nicht beweisend sind."
Damit ist das Verhör zu Ende. Das Protocoll schliesst
mit den Worten: „Danach wurde das Verhör abgebrochen,
mit dem Vorbehalte es fortzusetzen1), und ihm ein Zimmer
in der Wohnung der Beamten im Palast des h. Officiums
anstatt des Kerkers angewiesen, mit dem Befehle, dasselbe
ohne specielle Erlaubniss nicht zu verlassen, bei den nach
dem Ermessen der h. Congregation zu bestimmenden Stra-
fen, und es wurde ihm befohlen, zu unterschreiben, und ihm
unter einem Eide 1 Stillschweigen aufgelegt." Galilei unter-
schrieb dieses und alle anderen Protocolle: „Ich Galileo
Galilei habe ausgesagt wie vorstehend."
Galilei blieb im Inquisitionsgebäude bis nach dem zwei-
ten Verhör am 30. April. Das Verbot, sein Zimmer zu ver-
lassen, wurde, wie wir gesehen haben, gemildert. Ausser
dem oben erwähnten Briefe vom 16. April schrieb er noch
einen zweiten am 2$. April an Geri Bocchineri2), worin er
sagt: „Ich schreibe im Bette, an welches mich seit 16 Stun-
den heftige Schmerzen in einem Schenkel fesseln, welche
nach meinen Erfahrungen in eben so viel Zeit vergehen
müssen. Vor kurzem haben mich der Commissar und der
Fiscal, — diese sind es, die mich verhören, — besucht und
i) Die Formel Quibus habitis dimissum fuit examen animo etc. ist
zu ergänzen: animo tarnen continuandi examen. S. Sacro Arsenale p. 57.
2) VII, 30.
272 Die Gutachten der Theologen.
mir die bestimmte Zusage gegeben, die Sache erledigen zu
wollen, sobald ich das Bett verlassen, wobei sie mir wieder-
holt sagten, ich solle guten Muthes sein. Ich lege mehr
Werth auf dieses Versprechen als auf alle Hoffnungen, die
mir früher gemacht worden sind und die, wie die Erfahrung
gelehrt hat, mehr auf Vermuthungen als auf Wissen be-
gründet waren. Dass meine Unschuld und Aufrichtigkeit
werde anerkannt werden, habe ich immer gehofft und hoffe
ich jetzt mehr als je." An demselben Tage schrieb Nicco-
lini nach Florenz1): ,, Galilei ist nur einmal verhört worden,
und ich glaube, sie werden ihn frei lassen, sobald Seine
Heiligkeit, zu Christi Himmelfahrt, von Castel Gandolfo
zurückkommt."
XXIII.
Die Gutachten der Theologen der Inquisition.
In den Vaticanischen Processacten finden sich Gutach-
ten von drei Theologen. Es ist nicht klar, ob das Datum
,,17. April 1633" nur zu dem ersten derselben oder zu allen
drei gehört. Jedenfalls ist das erste an diesem Tage, also
zwischen dem ersten und zweiten Verhör Galilei's abgege-
ben worden. Nur der Verfasser dieses ersten Gutachtens,
Augustin Oregio, bezeichnet sich als Consultor der Inquisi-
tion; die Verfasser der beiden anderen scheinen nicht als
Consultoren angestellt gewesen zu sein. Das zweite Gut-
achten, von M. Inchofer, ist wahrscheinlich schon für die
Special-Congregation (s. o. S. 237), das dritte, von Z. Pas-
qualigo, wahrscheinlich auch schon früher, zunächst für den
Cardinal Ginetti ausgearbeitet worden. Beide werden dann
an dem genannten Tage, 17. April, den Acten der Inquisi-
tion einverleibt worden sein2).
Ein gemeinschaftliches Gutachten aller theologischen
Consultoren, wie ein solches 16 16 abgegeben wurde (S. 107),
[) IX, 441. 2) Vgl. Berti, II Processo p. 155.
M. Inchofer. 273
findet sich bei den Acten des zweiten Prcrcesses nicht. Es
handelte sich ja auch jetzt nicht mehr, wie damals, um eine
doctrinelle Entscheidung über die Copernicanische Lehre,
sondern nur um die Anwendung der damals getroffenen
Entscheidung auf Galilei's Dialog. Die den drei Theologen
vorgelegte Frage wird zwar in den Acten nicht mitg-etheilt,
muss aber nach dem Inhalte der Gutachten gelautet haben:
ob der Verfasser des Dialogs die Meinung von der Bewegung
der Erde und dem Stillstehen der Sonne für wahr halte,
lehre und vertheidige. Die Frage schloss sich also an die
Ausdrücke an, welche nach der Aufzeichnung vom 26. Febr.
16 16 der Commissar des h. Officiums in dem Galilei ertheil-
ten Praeceptum gebraucht hatte.
Wenn ausser dem päpstlichen Theologen Augustin
Oregio (s. o. S. 237) der Jesuit Inchofer und der Regular-
Kleriker Pasqualigo beauftragt wurden, Gutachten abzuge-
ben, so war das keine besonders glückliche Wahl.
Melchior Inchofer1), geboren 1584 zu Wien, war 1607
zu Rom in den Jesuitenorden getreten und hatte eine Reihe
von Jahren in Messina Philosophie, Mathematik und Theologie
docirt. Im J. 1629 gab er dort eine Schrift in Folio heraus,
worin er die Echtheit eines angeblichen Briefes der h. Jung-
frau Maria an die Messinesen vertheidigte. Er wurde dar-
auf von der Index- Congregation nach Rom citirt und die
Schrift, donec corri^atur, verboten; im J. 1632 erschien zu
Viterbo die corrigirte Ausgabe2), und vom 19. März 1633
ist das Decret der Index- Congregation datirt, welches die
erste Ausgabe des Buches verbietet, die zweite freigibt.
Dieser eben erst beendigte Conflict Inchofers mit der Index-
Congregation hinderte also nicht, dass er für die Inquisition
oder vielleicht schon als Mitglied der Special-Congregation
(s. o. S. 238) ein Gutachten über Galilei's Dialog abzugeben
hatte. Ueber die Copernicanische Theorie veröffentlichte er
gleich nach Galilei's Verurtheilung, noch im J. 1633, zu Rom
1) Vgl. Niceron, Memoires 3^, 322. de Backer, Bibliotheque des
£crivains de la C. de J. V, 333. Biographie universelle (Michaud) 20, 328.
2) Die erste Ausgabe hat den Titel: „Epistolae B. Mariae V. ad
Messanenses veritas vindicata ac plurimis gravissimorum scriptorum testimo-
niis et rationibus illustrata", — die zweite: „De epistola B. Mariae ad Mes-
sanenses conjectatio plurimis rationibus et verosimilitudinibus locuples".
Reu seh, Galilei. l8
274 M. Inchofer.
eine Schrift, von» welcher noch die Rede sein wird1). Eine
zwei Jahre später von ihm verfasste Schrift über dasselbe
Thema2) blieb ungedruckt, — wie Grisar S* 697 sagt, „höchst-
wahrscheinlich weil sie in der Censur der Oberen nicht appro-
birt wurde". Er sagt in dieser Schrift, er spreche darin
von Galilei, „obschon derselbe strengern Tadel als die Ketzer
verdiene, massvoll, wiewohl Viele verlangt hätten, er solle
ihn schärfer mitnehmen". Hoffentlich haben die Censoren
es eher zu scharf als zu massvoll gefunden, wenn er Kepler,
Lansberg und Galilei als „Verächter der peripatetischen
Philosophie" auch „Verächter der Religion" nannte. Auch
für den ersten Band seiner „Annales ecclesiastici Regni
Hungarici", der 1644 zu Rom erschien, soller nur mit Mühe
das Imprimatur erlangt haben3). Sogar P. Desjardins (p.
1) Tractatus syllepticus, in quo quid de terrae solisque motu vel sta-
tione secundum S. Scripturam et SS. Patres sentiendum, quave certitudine
alterutra sententia tenenda sit, breviter ostenditur. 100 S. kl. 4.
2) Vindiciae Sedis Apostolicae, SS. Tribunalium auctoritate [auctori-
tatis?] adversus Neo-Pythagoreos terrae motores et solis statores. Grisar
S. 697, Epinois, La question p. 170. 253, und Berti, II Processo p. LXXXVII,
theilen Auszüge aus dieser Schrift mit, Epinois namentlich die Stellen, auf
welche oben Bezug genommen wird. — In dem Tractatus wird Galilei nicht
genannt; er wird aber zu den „wenigen Schriftstellern der neuesten Zeit"
gehören, welche, „um sich zu zeigen, die Einbildung von der Bewegung der
Erde als eine erwiesene Sache behandeln" (p. 5. 30).
3) Gedruckt sind noch von Inchofer 1635 zu Messina und 1638 zu
München „Historiae sacrae latinitatis libri VI", — darin stehen u. a. Capitel
mit der Ueberschrift : Beatos in coelo latine locuturos esse probabile
(Münchener Ausgabe p. 220), Christum latine interdum locutum probabile
(p. 230), — ferner einige kleinere Schriften, u. a. Streitschriften gegen C.
Scioppius, die er unter dem Namen „Eugenius Lavanda" herausgab, und Briefe
an Leo Allatius, die in dessen Werken gedruckt wurden. In des Allatius
Symmicta (1653) wurde auch die „Dissertatio de eunuchismo" gedruckt, worin
Inchofer die (1641) von Zacharias Pasqualigo ausgesprochene Ansicht be-
kämpft, dass das Castriren im Interesse der Gesangkunst erlaubt sei. Dass
er sich durch diese Schrift den Zorn der Sänger und Musikfreunde zuge-
zogen und darum seine Versetzung von Rom beantragt habe, ist wohl eine
Uebertreibung. Ende 1634 kehrte er nach Messina zurück, kam aber 1636
wieder nach Rom und scheint dort bis 1647 geblieben und als Consultor
der Inquisition und der Index - Congregation thätig gewesen zu sein. Am
1. Juni 1639 hielt er die Leichenrede auf Riccardi und am 25. März 1647
schreibt er an den Cardinal Francesco Barberini: „Seit der Zeit unseres
neuen Generals (1645 wurde Vincenz Caraffa Jesuiten-General) habe ich im
Z. Pasqualigo. Oregio's Gutachten. 275
72) meint: einige Werke Inchofers zeigten, dass er nicht
ebenso viel gesundes Urtheil wie Gelehrsamkeit besessen.
Zacharias Pasqualigo bezeichnet sich selbst als Regu-
lar-Kleriker und Professor der Theologie und hat einige
theologische Bücher geschrieben1). Wenn Inchofer vorher
mit der Index- Congregation zu schaffen gehabt, so h hatte
Pasqualigo später das Unglück, dass einige Sätze aus seiner
„speculativen Theologie" durch den Commissar und einen
Consultor des h. Officiums als „nach Ketzerei schmeckend"
qualificirt wurden2). Auch wurde er von seinem Collegen
Inchofer sehr sgharf angegriffen, weil er das Castratenwesen
in der päpstlichen Kapelle in Schutz genommen. In Bezug
auf die Lehre des Copernicus und Galilei waren aber die
beiden Theologen, wie wir sehen werden, Einer Meinung.
Das erste Gutachten, das von Oregio, ist ganz kurz.
Er sagt: dass in Galilei's Dialog jene Meinung für wahr ge-
halten und vertheidigt werde, gehe aus dem ganzen Inhalte
desselben und namentlich aus den Stellen hervor, welche in
einem Schriftstücke notirt seien, das er selbst und Pater
Riccardi als Consultoren des h. Officiums auf Befehl Seiner
Heiligkeit der Inquisition überreicht hätten. Dieses, ohne
Zweifel zu den Acten der Special-Congregation gehörende
Schriftstück liegt uns nicht vor.
Inchofer beweist in seinem Gutachten 3) ausführlich, dass
Römischen Collegium die h. Schrift gelesen und jetzt lebe ich im Deutschen
Collegium frei von häuslichen Aemtern." Erst 1647 scheint er nach Mace-
rata versetzt worden zu sein. Er starb 28. Sept. 1648 zu Mailand. Bei de
Backer werden viele ungedruckte Schriften von ihm aufgezählt, auch einige
astronomische, die unter dem Namen „Academicus Vertumnius" gedruckt
sein sollen. Berti, II Processo p. LXXXVIIL erwähnt Briefe von Inchofer,
die in Rom existiren, theilt aber leider nichts daraus mit. — Als Verfasser
der unter dem Titel „Lucii Cornelii Europei Monarchia Solipsorum ad V. C.
Leonem Allatium" zu Venedig 1645 gedruckten Satire auf den Jesuitenorden
ist Inchofer mit Unrecht angesehen worden; das Buch ist wahrscheinlich von
dem Exjesuiten Julius Clemens Scotti. S. de Backer V, 335.
1) Decisiones morales juxta principia theologica et sacras atque civiles
leges difficultatum, quae in utroque 'foro passim occurrunt. Veronae 1641.
Fol. — De sacrificio novae legis quaestiones theologicae, morales, iuridicae.
Venetiis 1707. 2 vol. Fol.
2) Berti, II Processo p. CXXXIV.
3) Das Gutachten besteht aus zwei Theilen: der erste handelt von der
Bewegung der Erde, der zweite von dem Stillstehen der Sonne. Jeder Theil
276 Inchofers Gutachten.
nicht nur Galilei im Dialog die Copernicanische Ansicht
„lehre und vertheidige", sondern auch ein starker Verdacht
vorliege, dass er dieser Ansicht durchaus. zustimme, dass er
sie also auch „für wahr halte" (verum etiam de firma huic
opinioni adhaesione veheinenter esse suspectum atque adeo
eam teuere). Er hebt auch besonders hervor, dass Galilei
die Copernicanische Lehre nicht etwa bloss hypothetisch
oder „problematisch" oder „als probabel" vortrage, sondern
in absoluten und behauptenden Worten (verbis absolutis et
assertivis aut certe aequivalentibus, absolute ei demonstrative),
denen gegenüber die Versicherung, er wolle*jene Lehre nicht
beweisen, — eine Versicherung, die er beifüge, um den Schein
zu erwecken, als versündige er sich nicht gegen das Decret
(von 16 16), — nicht in Betracht kommen könne1). Dass es Gali-
lei wirklich um die Vertheidigung jener Lehre zu thun sei,
ergebe sich auch daraus, dass er den Aristoteles und seine
Anhänger heftig angreife, dass es sein Hauptzweck sei, den
P. Scheiner zu bekämpfen, der zuletzt gegen die Coperni-
caner geschrieben, dass er Alle, die nicht Pythagoreer oder
Copernicaner seien, verspotte und den Wilhelm Gilbert,
einen verkehrten Ketzer und heftigen und leidenschaftlichen
Vertreter der Copernicanischen Lehre, über Gebühr lobe2).
Dass Galilei nicht erst in neuester Zeit die Copernicanische
Theorie gelehrt, ergebe sich aus einer früher veröffentlich-
ten Schrift, in welcher er wegen dieser Lehre belobt und
vertheidigt werde3), — es wird die Schrift von Foscarini oder
die Apologie Campanella's gemeint sein. — Zum Schlüsse 4)
sagt Inchofer: „Obschon übrigens aus den in meinen beiden
Gutachten angeführten Gründen über Galilei' s Ansicht, —
besteht aus dem ganz kurz gefassten eigentlichen Votum und einer ausführ-
lichen Begründung. Das erste Votum steht in den Acten Fol. 435 (S. 94),
die Begründung desselben Fol. 437 — 439 (S. 95 — 103), das zweite Votum
Fol. 431 (S. 92), die Begründung desselben Fol. 433 (S. 93. 94). Vgl.
Gebier, Acten S. XVII. Berti hat das erste Votum nicht abdrucken lassen
(II Processo p. 102). Darum spricht Scartazzini, Unsere Zeit 1877, II, 449,
irrig von „drei Eingaben" Inchofers.
i) S. 93. 96, 2. 97, 5. 98, 3. — Inchofer citirt die Stellen aus dem
Dialog nicht immer wörtlich und mitunter inhaltlich ungenau. Berti p. 107.
2) S. 97,* 3. 5. 100, 7. Von Gilbert wird im Dialog I, 433 ff. ge-
sprochen. Vgl. Beckmann III, 668. IV, 656.
3) S. 96. 4) S. 93-
Pasqualigo's Gutachten. 277
dass er die Meinung . . . sowohl lehrt als vertheidigt als
für wahr hält, — kein Zweifel obwalten kann, so ergibt sich
doch dieses alles ganz evident auch aus einer langen Ab-
handlung, welche er früher einer Grossherzogin zu Florenz
zu seiner Vertheidigung übersandt hat. In dieser billigt er
nicht nur die Meinung des Copernicus, sondern sucht sie
auch durch Erklärung von Stellen der h. Schrift zu stützen.
Bei der Erklärung der Bibelstellen aber, namentlich über
die Bewegung der Sonne, bietet er alles auf zu beweisen,
die h. Schrift spreche so, indem sie sich der Meinung des
grossen Haufens anbequeme, nicht weil die Sonne sich wirk-
lich bewege. Diejenigen aber, welche an der gewöhnlichen
Deutung der Bibelstellen von der Bewegung der Sonne fest-
halten, behandelt er als beschränkt und fast als Dummköpfe,
weil sie auf Kleinigkeiten achteten, in das Tieferliegende aber
nicht eindrängen. Ich habe diese Abhandlung gelesen, und
wenn ich nicht irre, ist sie inRom in vielen Händen" (s.o.S. 43).
Das Gutachten Pasqualigo's ist der Form nach von
den beiden ersten verschieden. Es besteht aus vier Stücken.
An der Spitze stehen zwei fast gleichlautende kurze latei-
nische Erklärungen des Inhalts: er sei vor (cor am) dem Car-
dinal Ginetti, Vicar Urbans VIII., gefragt worden, ob Galilei
in seinem Dialog das ihm von dem h. Officium ertheilte
Praeceptum übertreten habe, die Meinung von der Bewegung
der Erde und dem Stillstehen der Sonne nicht für wahr zu
halten, zu lehren oder zu vertheidigen; nach genauer Durch-
sicht des Buches sei er der Ansicht, Galilei habe das Verbot
bezüglich der Ausdrücke „lehren" und „vertheidigen" übertre-
ten, da er die Bewegung der Erde und das Stillstehen der
Sonne, so viel er könne, zu beweisen suche, und er sei auch
dringend verdächtig, dass er diese Meinung für wahr halte. Das
zweite Stück unterscheidet sich von dem ersten, abgesehen
von unwesentlichen Differenzen im Ausdruck, dadurch, dass
darin nur von der Bewegung der Erde die Rede ist1). Das
dritte, italienisch geschriebene und nicht unterzeichnete Stück
scheint die Motivirung des zweiten Stückes zu sein. Es be-
ginnt: „Obschon Galilei im Anfange seines Buches sagt, er
1) Wahrscheinlich ist, wie Wolynski p. 105 vermuthet, das eine im
J. 1632 für den Card. Ginetti, das andere im April 1633 ^r die Inquisition
geschrieben.
278 Pasqualigo's Gutachten.
wolle von der Bewegung der Erde sub hypothesi handeln,
lässt er doch im Verlaufe seiner Dialoge die Hypothese bei
Seite und beweist die Bewegung der Erde absolut" u. s. w.
Dieses wird dann ausführlich bewiesen. Das vierte, gleich-
falls italienisch geschriebene Stück endlich scheint die Mo-
tivirung des ersten Stückes zu sein. Es beginnt: „Da Ga-
lilei vor Jahren von dem h. Officium bezüglich der Coperni-
canischen Meinung von der Bewegung der Erde und dem
Stillstehen der Sonne ein Praeceptum erhalten, dass er sie
neque teneat neque doceat neque defe?idat quovis modo verbo
aut scripto, und da er seine Dialoge über diesen Gegenstand
hat drucken lassen, so fragt sich, ob er das besagte Prae-
ceptum übertreten hat. Es wird geantwortet: er habe dem
Praeceptum zuwider gehandelt, so fern es verbietet, dass
er non doceat quovis modo. . . Er hat auch den andern Theil
übertreten, dass er non defendat quovis modo. . . Was den
andern Punkt betrifft, der verbietet, dass er non teneat, so
liegt der Verdacht und ein dringendes Indicium vor, dass
er auch diesen übertreten hat." Jede dieser drei Behaup-
tungen wird durch die Anführung von Stellen aus dem
Dialog begründet. Zum Schluss steht lateinisch: „Ich Z.
Pasqualigo . . . trage die vorstehende Ansicht vor Seiner
Eminenz dem Cardinal Ginetti, Vicar Seiner Heiligkeit
Urbans VIII. , vor und bin dieser Meinung."
Cardinal Ginetti (s. o. S. 254) hatte als Cardinal- Vicar
mit dem Magister Sacri Palatii die Censur der in Rom er-
scheinenden Bücher zu besorgen (s. o. S. 76). Galilei's Dialog
trug das Imprimatur seines Substituten (Vicesgerens). Das
ist wohl die Veranlassung gewesen, dass er sich, — wahr-
scheinlich gleich als das Erscheinen des Dialogs in Rom
Aufsehen erregte, — von Pasqualigo diese Gutachten geben
Hess, die er dann später an die Inquisition abgegeben haben
wird l).
1) A. Mezieres schreibt in der Revue des deux mondes 1876, t. 16,
658, von diesen Gutachten: „Die drei Richter, welche Galilei verhört hatten,
erklärten einmüthig, er fyabe" u. s. w.!
Das zweite Verhör.
279
XXIV.
Das zweite Yerhör Galilei's, 30. April 1633.
In dem ersten Verhöre gestand Galilei ein, dass ihm
im J. 16 16 amtlich mitgetheilt worden sei, die Copernicani-
sche Lehre sei falsch und schriftwidrig und dürfe nicht als
wahr angesehen und vorgetragen werden; er gestand nicht
ein, bestritt aber auch nicht entschieden, dass ihm dieses
noch durch einen Andern als den Cardinal Bellarmin, und
dass es ihm gerade in den Ausdrücken mitgetheilt worden
sei, welche ihm der Inquirent aus der Aufzeichnung vom
26. Febr. 1616 vorlas. Ferner erklärte Galilei, er habe sich
nicht für verpflichtet gehalten, von jener ihm im J. 161 6 ge-
machten Eröffnung, als er den Dialog zur Censur vorgelegt,
dem Censor Mittheilung zu machen, weil er durch die Ab-
fassung und Veröffentlichung des Dialogs jener Eröffnung
nicht zuwider zu handeln geglaubt, da er in dem Dialog
die Copernicanische Lehre nicht als eine von ihm für wahr
gehaltene vorgetragen, vielmehr als unrichtig nachgewiesen
habe.
Wenn die Inquisition Galilei wegen Uebertretung der
ihm im J. 161 6 ertheilten Weisung durch die Veröffent-
lichung seines Dialogs den Process machen wollte, so
konnte dieses in doppelter Weise geschehen. Sie konnte
entweder die formelle Seite der Frage in den Vordergrund
stellen und die Anklage erheben, Galilei habe ein ihm im
Auftrage des Papstes und des h. Officiums ertheiltes förm-
liches Praeceptum übertreten und sich dadurch, — abge-
sehen von dem Inhalte des Praeceptums, — eines sträflichen
Ungehorsams schuldig gemacht, welcher, weil es sich um
Ungehorsam gegen die Inquisition, die Wächterin der Or-
thodoxie, handelte, sich als ein Vergehen gegen den Glau-
ben darstellte; oder sie konnte die materielle Seite der
Frage in den Vordergrund stellen und die Anklage erheben,
Galilei habe eine Lehre vorgetragen, von welcher ihm im
280 Der Anklagepunkt.
J. 1616 amtlich erklärt worden, dass sie falsch und schrift-
widrig sei, und er habe sich dadurch, dass er trotz dieser
Erklärung jene Lehre vorgetragen, der Ketzerei schuldig
oder verdächtig gemacht. Wenn die Inquisition den ersten
Standpunkt einnahm, kam es darauf an, die Art und Weise,
in welcher Galilei im J. 16 16 das fragliche Praeceptum er-
theilt worden, als eine möglichst förmliche und bestimmte
nachzuweisen. In diesem Falle war also die Aufzeichnung
vom 26. Febr. 1616 ein Actenstück von entscheidender Bedeu-
tung, da nach ihr Galilei nicht nur, wie er zugab, durch den
Cardinal Bellarmin eine amtliche Mittheilung, sondern auch
durch den Commissar der Inquisition vor Notar und Zeugen
einen förmlichen Befehl erhalten hatte, für den Fall des
Ungehorsams mit einem Inquisitionsprocess bedroht worden
war und jenem Befehle zu gehorchen versprochen hatte.
Und da es nach dem Geschäftsgange der Inquisition darauf
ankam, dass der Angeklagte das eingestand, was sich aus
den vorhandenen Beweismitteln als „Indicium" gegen ihn
ergab, so musste in diesem Falle der Versuch gemacht
werden, durch weiteres Verhören, durch Verlängerung der
Haft, schliesslich durch Androhung und Anwendung der
Folter pro veritate habenda Galilei zum Geständnisse, dahin
zu bringen, dass er bezüglich des Vorganges vom 26. Febr.
161 6 das als thatsächlich anerkannte, wovon er in dem er-
sten Verhöre gesagt hatte, er erinnere sich dessen nicht
mehr. Nahm die Inquisition dagegen den zweiten Stand-
punkt ein, so hatte die Aufzeichnung vom 26. Febr. 16 16
nur eine untergeordnete Bedeutung. Dass ihm die Coperni-
canische Lehre amtlich als falsch und schriftwidrig bezeich-
net worden, räumte ja Galilei ein; es kam also nun nur
noch darauf an, zu constatiren', ob er diese falsche und
schriftwidrige Lehre vorgetragen, in welchem Falle gegen
ihn als einen der Ketzerei Schuldigen oder Verdächtigen
vorgegangen werden konnte.
Die Processacten zeigen, dass die Inquisition wenig-
stens von dem zweiten Verhöre Galilei' s an nicht den er-
sten, sondern den zweiten Standpunkt einnahm. Die Frage,
ob Galilei am 26. Febr. 16 16 ein förmliches Praeceptum
ertheilt worden sei, tritt nach dem ersten Verhöre ganz in
den Hintergrund. Es wird gar kein Versuch mehr ge-
macht, Galilei bezüglich dieses Punktes zum Geständnisse
Der Anklagepunkt. 281
zu bringen; man begnügt sich in dieser Hinsicht mit dem,
was er eingeräumt hatte, dass ihm Bellarmin amtlich die
Copernicanische Lehre als falsch und schriftwidrig bezeich-
net habe, und der Process wird fortan ganz in den Formen
eines Processes wegen Häresie geführt.
Bei einem solchen Processe war zunächst der objective
Thatbestand festzustellen, zu constatiren, ob der Angeklagte
Aeusserungen gethan, welche zu dem Verdachte berechtigten,
dass er nicht rechtgläubig sei, — dicta haereticalia, wie der
technische Ausdruck lautet, — dann in zweiter Linie, ob er
bei diesen Aeusserungen eine häretische Gesinnung oder „In-
tention" gehabt. Diese zweite Frage wurde nach dem Ge-
schäftsgange der Inquisition erst dann untersucht, wenn die
erste erledigt war. Es handelte sich jetzt also zunächst
darum, ob in Galilei's Dialog häretisch klingende Sätze vor-
kamen, speciell ob die nach der Entscheidung von 16 16 als
falsch und schriftwidrig anzusehende Copernicanische Lehre
darin vorgetragen und vertheidigt war. Hätte Galilei den
Rath Niccolini's befolgt, er solle, um die Erledigung seiner
Sache zu beschleunigen, sich allem fügen, was man von
ihm verlange1), hätte er also eingestanden, dass er im Dia-
log die Copernicanische Lehre vorgetragen und verthei-
digt, so hätte die Inquisition gleich zu der weitern Unter-
suchung übergehen können, ob er dieses mit einer häreti-
schen Absicht gethan, und sie hätte ihn dann je nach dem
Ausfalle dieser Untersuchung zu einer Retractation seiner
Aeusserungen oder zur Abschwörung der Häresie, der er
sich schuldig oder verdächtig gemacht, anhalten können.
Nun hatte aber Galilei im ersten Verhöre geleugnet, dass
er die Copernicanische Lehre im Dialog vorgetragen und
vertheidigt, und da die Inquisition, zumal nach den Gut-
achten der Theologen, dieses Leugnen als ein unberech-
tigtes ansehen musste, war sie zunächst darauf angewiesen,
die ihr zu Gebote stehenden Mittel anzuwenden, um den
Angeklagten zum Geständnisse zu bringen.
Das erste Mittel, welches zu diesem Behufe angewen-
det werden konnte, war, Galilei nochmals ins Verhör zu
nehmen, ihm vorzuhalten, dass der Dialog jedem unbefan-
genen Leser als eine Vertheidigung der Copernicanischen
1) IX, 434. 439.
282 Brief Firenzuola's vom 28. April 1633.
Lehre erscheinen müsse, und dass sich die Theologen der
Inquisition in diesem Sinne ausgesprochen, und ihm zu be-
deuten, dass, wenn er nicht der Wahrheit die Ehre gebe,
er noch länger in Haft gehalten und die Erledigung seiner
Sache verzögert werden werde, und dass er durch ein offe-
nes Geständniss seine Strafe mildern könne1). Führte die-
ses Mittel nicht zum Ziele, so konnte die Folter angewen-
det werden.
Zur Anwendung dieser Mittel kam es aber bei Ga-
lilei nicht. Der Commissar liess ihn bis zum 30. April
nicht wieder vorführen, um das Verhör fortzusetzen; am
30. aber wurde Galilei auf sein eigenes Verlangen vorge-
führt und legte nun, — ohne dass ihm irgend eine andere
Frage als: was er zu sagen habe, vorgelegt wurde, — aller-
dings etwas verclausulirt, das Geständniss ab, welches die
Inquisition verlangen musste, welches er aber in dem er-
sten Verhöre verweigert hatte.
Diese Aenderung in seinem Verhalten findet ihre Er-
klärung durch ein Actenstück, welches Pieralisi2) zuerst
1) In einem Verhörsformulare des Sacro Arsenale p. 55 wird einem
Angeklagten zuerst vorgehalten: da er einen Theil der gegen ihn geltend
gemachten Thatsachen eingestanden, könne er die anderen nicht wohl leugnen,
und wenn er dies thue, sage er offenbar nicht die Wahrheit. Dann wird er
aufgefordert: er solle doch die Wahrheit sagen und sein Gewissen erleich-
tern ; es sei nicht anzunehmen, dass die vereideten Zeugen die Unwahrheit
gesagt; wenn er fortfahre zu leugnen, werde er noch länger in Haft ge-
halten werden und die Erledigung seiner Sache sich in die Länge ziehen;
auch werde er strenger gestraft werden, wenn er als des Vergehens durch
Zeugen überführt verurtheilt werde, als wenn er ein reumüthiges Geständniss
ablege. — P. 60 wird das Formular eines zweiten Verhöres mitgetheilt. Der
Inquisitor fragt den Angeklagten zunächst: ob er sein Gewissen besser er-
forscht und sich entschlossen habe, aufrichtiger die Wahrheit zu sagen.
Dann hält er ihm vor: aus den Acten des Processes ergebe sich, dass er
nicht die Wahrheit gesagt; denn es sei constatirt u. s. w. u. s. w. Darauf wird
er ermahnt, die Wahrheit zu sagen, damit er sich nicht des Meineides
schuldig mache und sein Gewissen beschwere. Dann, heisst es weiter,
kann er nochmals im Einzelnen inquirirt und wiederholt ermahnt werden,
wie oben angegeben, unter Beifügung der Drohung, die Erledigung der
Sache werde sich, wenn er nicht die Wahrheit sage, verzögern, er werde
länger in Haft gehalten und es werde nach dem strengen Rechte gegen ihn
verfahren werden.
2) Urbano VIII, p. 197. Scartazzini sagt, Uns. Zeit 1877, II, 450,
,, dieses wichtige Document sei unseren deutschen Galilei-Forschern noch
Brief Firenzuola's vom 28. April 1633. 283
veröffentlicht hat. Es ist ein Brief des Commissars der
Inquisition vom 28. April 1633 an den Cardinal Barberini,
der sich damals mit dem Papste in Castel Gandolfo be-
fand. Dieser Brief lautet: „Gestern1) habe ich entspre-
chend dem Befehle unseres Herrn den Cardinälen der Con-
gregation über den Stand der Galilei'schen Sache kurz
berichtet. Die Herren haben gut geheissen, was bis jetzt
geschehen ist. Dann haben sie verschiedene Schwierig-
keiten erwogen bezüglich der Weise, wie die Sache weiter
zu führen und ihrer Erledigung näher zu bringen sei,
namentlich folgende: Galilei hat in seinem Verhöre abge-
leugnet, was doch ganz augenscheinlich aus dem von ihm
verfassten Buche hervorgeht; wenn er bei diesem Ableug-
nen bleibt, würde es nöthig werden, mit grösserer Strenge
nach dem Rechte zu verfahren und nicht mehr so viel Rück-
sichten zu nehmen, wie sonst bei dieser Sache rathsam
scheint. Schliesslich schlug ich vor, die h. Congregation
möge mich ermächtigen, in aussergerichtlicher Weise mit
Galilei zu verhandeln, um ihn von seinem Irrthum zu über-
zeugen und dahin zu bringen, dass er diesen, nachdem er
ihn erkannt, eingestehe. Der Vorschlag wurde Anfangs
als zu kühn angesehen; man meinte, die Erreichung dieses
Zieles sei wohl nicht zu hoffen, so lange man dabei bleibe,
ihn mit Gründen überzeugen zu wollen. Aber nachdem ich
den Grund angedeutet hatte, weshalb ich diesen Vorschlag
gemacht, haben sie mir jene Ermächtigung gegeben. Um
keine Zeit zu verlieren, habe ich gestern nach dem Früh-
stück mit Galilei ein Gespräch angeknüpft, und nachdem
wir viele und viele Gründe und Antworten mit einander ge-
wechselt, erreichte ich mit der Gnade Gottes meinen Zweck.
Ich zeigte ihm handgreiflich seinen Irrthum, so dass er
deutlich erkannte, dass er geirrt und in seinem Buche sich
verfehlt habe. Das alles sprach er in sehr bewegten Wor-
ten aus, als wenn er sich selbst über die Erkenntniss seines
völlig unbekannt geblieben". Ich habe schon Th. Lit.-Bl. 1876, 175 auf
dasselbe aufmerksam gemacht.
i) Der 27. April war ein Mittwoch. Es hatte also an diesem Tage
die regelmässige Sitzung der Cardinäle der Inquisition stattgefunden. Weder
in den Vaticanischen noch in den Gherardi'schen Actenstücken findet sich
eine Notiz über diese Sitzung, in welcher ja auch kein förmlicher Beschluss
über Galilei gefasst wurde.
284 Brief Firenzuola's vom 28. April 1633.
Irrthums sehr getröstet fühlte. Er zeigte sich bereit, den-
selben gerichtlich zu gestehen, bat mich jedoch, ihm einige
Zeit zu lassen, um über die Art und Weise nachzudenken,
wie er seinem Geständniss eine anständige Form geben
(honestare la conf esstone) könne, welches hoffentlich, was
den Inhalt betrifft, in der angegebenen Weise erfolgen
wird. Ich habe es für meine Pflicht gehalten, Ew. Eminenz
dieses sogleich mitzutheilen, — ich habe es sonst Niemand
mitgetheilt, — weil ich hoffe, dass Seine Heiligkeit und
Ew. Eminenz erfreut darüber sein werden, dass auf diese
Weise die Sache auf den Weg gebracht wird, auf welchem
sie ohne Schwierigkeit erledigt werden kann. Das Tribu-
nal wird seiner Reputation nichts vergeben, gegen den An-
geklagten wird man milde verfahren können, und in wel-
cher Weise auch die Sache erledigt werden mag, er wird
die Gnade, die ihm zu Theil geworden, erkennen1). . . .
Heute denke ich ihn zu verhören, um das besagte Geständ-
niss zu erlangen, und wenn ich dieses, wie ich hoffe, er-
lange, so bleibt mir nur noch übrig, ihn über die Intention
zu verhören und ihn zur Einreichung seiner Verteidigungs-
schrift aufzufordern, und darauf wird ihm das Haus [des
Gesandten] als Kerker angewiesen werden können, wie Ew.
Eminenz andeutete."
Die Inquisition war nach der bei ihr geltenden Ord-
nung berechtigt, ja verpflichtet, da starke Beweise vorlagen,
dass Galilei trotz des ihm im J. 161 6 ertheilten Verbotes
die Copernicanische Ansicht in dem Dialog gelehrt und
vertheidigt habe, gegen Galilei, der dieses leugnete, „mit
grösserer Strenge nach dem Recht zu verfahren", d. h. zu
versuchen, ihn durch Verlängerung seiner Haft und andere
Mittel, zuletzt durch die Folter zum Geständniss zu bringen.
Der Papst wünschte aber, Galilei möge nicht gefoltert und
nicht lange in Haft gehalten, sondern bald entlassen wer-
den, — das ist ohne Zweifel „der Grund", welchen der
Commissar der Inquisition für seinen Vorschlag anführte
und welcher die Cardinäle bestimmte, darauf einzugehen.
i) Es folgen die mir nicht recht verständlichen, aber jedenfalls nicht
wichtigen Worte: con tutte Valtre conseguenze di sodisfatione che in cid si
desiderano. Scartazzini, a. a. O. S. 451, übersetzt: „nebst allen übrigen Folgen
von Genugthuung, die man in dieser Sache wünscht".
Das zweite Verhör. 285
Galilei wurde allerdings nicht, wie Firenzuola beab-
sichtigte, am 28. April verhört, — warum nicht, ist nicht zu
ermitteln und nicht wichtig, — aber am 30. wurde er auf
sein eigenes Verlangen vor den Commissar (und den Fiscal)
geführt1). Dieser forderte ihn, ohne selbst irgendwelche
Fragen zu stellen, auf, zu sagen, was er zu sagen habe,
und Galilei gab nun folgende Erklärung zu Protocoll: „Ich
habe mehrere Tage fortgesetzt und angestrengt über die
mir am 12.2) dieses Monats vorgelegten Fragen nachge-
dacht, namentlich über die Frage, ob mir vor 16 Jahren
auf Befehl des h. Officiums verboten worden sei, die damals
schon verdammte Meinung von der Bewegung der Erde
und dem Stillstehen der Sonne für wahr zu halten, zu ver-
theidigen oder irgendwie zu lehren. Dabei bin ich auf den
Gedanken gekommen, meinen gedruckten Dialog, den ich
seit drei Jahren nicht mehr durchgesehen, noch einmal zu
lesen, um zu erkennen, ob mir vielleicht gegen meine ganz
reine Absicht durch meine Unachtsamkeit irgend etwas aus
der Feder geflossen, was den Leser oder die Oberen ver-
anlassen könnte, bei mir nicht nur irgend eine Makel des
Ungehorsams, sondern auch anderes vorauszusetzen, was mich
als den Anordnungen der h. Kirche zuwiderhandelnd er-
scheinen lassen könnte. Und da mir die Oberen gütig ge-
stattet haben, meinen Diener auszuschicken, habe ich mir
ein Exemplar meines Buches verschafft und mich daran
gegeben, es zu lesen und bis ins Einzelnste zu prüfen. Und
da es mir, weil ich es lange nicht mehr gelesen, wie eine
neue und von einem Andern verfasste Schrift vorkam, so
gestehe ich frei3), dass sie mir an mehreren Stellen so ab-
gefasst erschien, dass der Leser, der meine innere Gesin-
nung nicht kennt, dadurch veranlasst werden könnte, sich
die Meinung zu bilden : die Argumente, welche für die eine
Ansicht, welche falsch ist und welche ich zu widerlegen
beabsichtigte, angeführt werden, seien so vorgetragen, dass
sie eher als beweiskräftig denn als leicht zu widerlegen
1) Acten S. 82.
2) In den Acten steht unrichtig „am 16".
3) Von hier an sind einige Zeilen unterstrichen; neben den folgenden
bis zum Schlüsse befindet sich ein Strich am Rande. Diese Striche rühren
ohne Zweifel von dem Verfasser des unten (S. 294) zu erwähnenden Re-
ferates her.
286 Das zweite Verhör.
erscheinen, und namentlich zwei, das von den Sonnenflecken
und das von der Ebbe und Fluth des Meeres hergenommene,
würden in der That in einer Weise als starke und beweis-
kräftige Argumente hingestellt, wie sich das für einen Au-
tor nicht passe, der sie für nicht beweisend halte und
widerlegen wolle, wie ich sie denn innerlich und in Wahr-
heit nicht für beweisend, sondern für widerlegbar hielt und
halte. Und um mich bei mir selbst darüber zu entschul-
digen, dass ich in einen meiner Absicht so sehr fremden
Irrthum gefallen, genügte mir nicht völlig, zu sagen: wenn
man die Argumente der Gegenpartei darstelle, um sie zu
widerlegen, so müsse man sie, — namentlich wenn man in
der Form eines Dialogs schreibe, — in der schärfsten Weise
vortragen und nicht zu Gunsten des Gegners abschwächen.
Da mir diese Entschuldigung, wie gesagt, nicht genügte,
so recurrirte ich auf jene Entschuldigung, die darin liegt,
dass ein Jeder von Natur geneigt ist, an seinen eigenen
Subtilitäten und daran Gefallen zu finden, sich dadurch
scharfsinniger als die meisten Menschen zu erweisen, dass
er auch falsche Sätze durch ingeniöse und blendende Be-
weisführungen wahrscheinlich zu machen weiss. Bei alle dem
und wiewohl ich, mit Cicero zu reden, avidior sim gloriae
quam sah's est, würde ich doch, wenn ich jetzt die näm-
lichen Gründe niederzuschreiben hätte, ohne Zweifel sie so
abschwächen, dass sie nicht den Eindruck machen würden,
als besässen sie die Beweiskraft, die sie ihrem Wesen nach
und in Wirklichkeit nicht besitzen. Mein Irrthum, den ich ein-
gestehe, ist also ein solcher gewesen, der in eitelm Ehrgeiz
und in reiner Unwissenheit und Unachtsamkeit seinen Grund
hatte. Das ist es, was ich zu sagen habe bezüglich dessen,
was mir bei dem Wiederdurchlesen meines Buches in den
Sinn gekommen ist."
Nachdem diese Erklärung protocollirt und von Galilei
unterschrieben war, wurde er entlassen, kam aber gleich
darauf (post paulum) zurück und gab noch Folgendes zuPro-
tocoll: „Zur Bekräftigung meiner Versicherung, dass ich die
verdammte Meinung von der Bewegung der Er de und dem Still-
stehen der Sonne weder für wahr gehalten habe noch für wahr
halte, bin ich bereit, wenn mir dazu, wie ich wünsche, die
Möglichkeit und die Zeit gestattet sein wird, einen noch deut-
lichem Beweis dafür zu führen. Es bietet sich dazu eine sehr
Entlassung aus der Haft. 287
bequeme Gelegenheit1), da in dem gedruckten Buche die
Interlocutoren sich verabreden, nach einiger Zeit wieder zu-
sammen zu kommen, um über einige von dem in ihren
Gesprächen behandelten Gegenstande verschiedene natur-
wissenschaftliche Probleme zu sprechen. Bei dieser Ge-
legenheit also verspreche ich, indem ich einen oder zwei
Dialoge (giomate) hinzufüge, die zu Gunsten der besagten
falschen und verdammten Meinung bereits vorgetragenen
Argumente wieder aufzunehmen und sie so überzeugend,
wie mir Gott der Gebenedeite eingeben wird, zu widerlegen.
Ich bitte also dieses h. Tribunal, diesen meinen guten Vor-
satz dadurch unterstützen zu wollen, dass es mir die Er-
laubniss gibt, ihn auszuführen/'
Es braucht nicht ausdrücklich constatirt zu werden,
dass Galilei's Versicherung, er habe die Copernicanische
Ansicht nicht für wahr gehalten, ebenso wenig aufrichtig
war wie die in dem ersten Verhör aufgestellte Behauptung,
er habe sie im Dialog nicht gelehrt oder vertheidigt. Be-
dürfte dieses eines Beweises, so würde die Hinweisung auf
den oben (S. 57) erwähnten merkwürdigen Brief genüg*en,
den Galilei am 15. Jan. 1633, unmittelbar vor seiner Ab-
reise nach Rom geschrieben. Der Inquisition g-enügte das
zu Protocoll gegebene Geständniss vorläufig. Unter dem
Protocoll ist mit demselben Datum vermerkt: der Commis-
sar habe in Anbetracht der Kränklichkeit und des hohen
Alters Galilei's, „nachdem er vorher mit dem Papste ge-
sprochen (facto prius verbo cum Sanctissimo), den Angeklag-
ten in den Gesandtschaftspalast entlassen, mit der Wei-
sung, diesen als Kerker anzusehen, mit keinem Andern als
den Bewohnern desselben zu sprechen und sich, so oft er
werde vorgefordert werden, im h. Officium wieder einzu-
finden, — bei Vermeidung der nach dem Gutdünken der
h. Congregation zu bestimmenden Strafen, und nachdem er
eidlich gelobt, über seinen Process Stillschweigen zu beob-
achten und allen obigen Weisungen zu gehorchen2). Der
1) Auch im Folgenden ist auf einige Zeilen durch Unterstreichung
aufmerksam gemacht.
2) Wenn Wohlwill S. 40 sagt: „Dass es sich in der Entlassung des
leidenden Gefangenen um eine keineswegs ungewöhnliche Begünstigung han-
delt, geht daraus hervor, dass eine zeitliche Befreiung aus Gesundheitsrück-
288 Entlassung aus der Haft.
Commissar kann nicht nach dem Verhöre am 30. April
mit dem Papste gesprochen haben, da dieser noch in Castel
Gandolfo war; er war ohne Zweifel, wie auch sein oben
mitgetheilter Brief andeutet, in voraus ermächtigt, Galilei zu
entlassen, sobald er das erwartete Geständniss abgelegt.
Am 1. Mai1) schreibt Niccolini: „Galilei wurde mir
gestern ganz unerwartet zurückgeschickt, obschon seine
Vernehmung nicht beendigt ist. Es ist dies geschehen auf
die Fürsprache, welche der Commissar bei dem Cardinal
Barberino eingelegt, und dieser hat ihn nach eigenem Er-
messen, ohne die Congregation, in Freiheit setzen lassen,
damit er sich von seinem gewöhnlichen Unwohlsein, wel-
ches ihn fortwährend quälte, erholen könne. Der Commis-
sar verspricht auch, dahin zu wirken, dass diese Sache nie-
dergeschlagen [? per cht questa causa st sttacct] und Still-
schweigen darüber auferlegt werde. Wenn das erreicht
wird, so wird das dazu dienen, alles abzukürzen und Viele
von Verdriesslichkeiten und Gefahren zu befreien." Am 3.
Mai2) berichtet er weiter: „Da Galilei die Beendigung sei-
ner Sache wünscht, so hat der Commissar ihm Hoffnung
gemacht, er werde zu dem Ende zu ihm kommen. Er fährt
fort, in dieser Angelegenheit sich in jeder Weise gefällig
und als gegen das grossherzogliche Haus ergeben zu er-
weisen; ich biete alles auf, diese gute Gesinnung bei ihm
zu erhalten und zu vermehren."
Auf die Anzeige von Galilei' s Rückkehr in sein Haus
erhielt Niccolini, — gewiss zu seinem grossen Verdruss, —
von dem Staatssecretär Cioli folgenden Bescheid3): ,,Seine
Hoheit ist sehr erfreut über die Nachricht von der Freilas-
sung Galilei's. Ich glaube aber Ew. Excellenz daran er-
innern zu müssen, dass ich, als ich Ihnen schrieb, Sie möch-
ten ihn in Ihr Haus aufnehmen, die Bestimmung beifügte:
»für Einen Monat«. An die Kosten der übrigen Zeit muss
sichten im Sacro Arsenale vorgesehen ist", so ist das richtig; wenn er aber
beifügt: „und dass die für diesen Fall vorgeschriebene Form der Protocolli-
rung fast wörtlich mit derjenigen übereinstimmt, die . . . bei Galilei's Ent-
lassung am 30. April 1633 aufgenommen wurde", so ist das übertrieben. In
dem Protocoll S. A. p. 147 wird vorausgesetzt, dass der Angeklagte eine
entsprechende Summe als Caution deponirte und ein Anderer sich für ihn
verbürgte.
1) IX, 441. 2) IX, 442. 3) IX, 442; vgl. IX, 323.
Das dritte Verhör. 289
er also selbst denken. " Niccolini antwortete am 15. Mai1):
„Wenn Sie mir mittheilen, Seine Hoheit beabsichtige die
Auslagen für Galilei nur für den ersten Monat zu vergüten,
so kann ich antworten, dass ich über diesen Gegenstand
nicht mit ihm zu sprechen gedenke, so lange er mein Gast
ist; lieber werde ich die Kosten selbst tragen; dieselben
übersteigen schliesslich, alles eingerechnet, nicht 14 oder 15
Scudi den Monat, so dass sie, wenn er selbst ein halbes
Jahr hierbliebe, für ihn und einen Diener nur 90 — 100 Scudi
betragen werden/' Die toscanische Regierung nahm ihn beim
"Worte. Am 1. Juni schrieb Geri Bocchineri an Galilei2):
„Die Kosten Ihres Aufenthalts werden jetzt nicht mehr von
Seiner Hoheit bestritten, sondern von dem Gesandten vor-
gelegt ; wenn er sich dieselben nicht von Ihnen zurückzahlen
lässt, müssen Sie ihm dafür danken."
XXV.
Das dritte Verhör Galilei'«, 10. Mai 1633.
Seine Yertheidigung.
Einem Angeklagten, der die ihm Schuld gegebenen
Thatsachen leugnete, musste nach den bei der Inquisition
geltenden Regeln, ehe zur Folter geschritten wurde, Gele-
genheit geboten werden, sich zu vertheidigen oder durch
einen Advocaten vertheidigen zu lassen3). Aber auch wenn
der Angeklagte sein Vergehen eingestanden hatte, musste
ihm anheimgegeben werden, sich innerhalb einer bestimmten
Frist zu vertheidigen4), also mildernde Umstände nachzu-
weisen u. dgl. Demgemäss wurde Galilei am 10. Mai wie-
der vor den Commissar citirt5), — der Fiscal war dies Mal
nicht zugegen, — und ihm eröffnet, es sei ihm eine Frist
von acht Tagen für die Einreichung seiner Vertheidigungs-
i) IX, 442. 2) IX, 361.
3) Sacro Arsenale p. 218. Der technische Ausdruck lautete: dare al
Reo le difese. 4) S. A. 139. 5) Acten S. 86.
Reusch, Galilei. IQ,
290 Das dritte Verhör.
schrift gesetzt. Der Commissar hatte dies ohne Zweifel
Galilei bereits früher mitgetheilt und ihm, wie das Sitte war,
eine Abschrift der Protocolle über seine beiden Verhöre
gegeben1); denn Galilei erklärte sofort: \,Zu meiner Ver-
teidigung, d. h. um die Aufrichtigkeit und Reinheit meiner
Absicht zu beweisen, nicht um es völlig zu entschuldigen,
dass ich einigermassen in der Weise, wie ich gesagt, ge-
fehlt habe, überreiche ich dieses Schriftstück nebst dem von
dem Cardinal Bellarmin eigenhändig geschriebenen Zeugnisse,
von dem ich bereits eine von meiner Hand geschriebene
Abschrift überreicht habe. Im Uebrigen überlasse ich mich
in allem und für alles der gewohnten Güte und Milde dieses
Gerichtshofes."
Die Vertheidigungsschrift lautet: ?,In dem oben stehen-
den Verhöre, in welchem ich gefragt wurde, ob ich dem
Pater Palastmeister den Befehl mitgetheilt, welcher mir vor
16 Jahren auf Anordnung des h. Officiums ertheilt worden,
— die Meinung von der Bewegung der Erde und dem Still-
stehen der Sonne nicht für wahr zu halten, zu vertheidigen
oder in irgend einer Weise zu lehren, — habe ich mit Nein
geantwortet, und weil ich nicht gefragt wurde, warum ich
dieses nicht gethan, hatte ich keine Veranlassung, etwas hin-
zuzufügen. Jetzt scheint es mir nöthig, zu sagen, warum ich
dies nicht gethan, um zu zeigen, dass meine Absicht stets
rein gewesen und dass es mir stets fern gelegen, bei irgend
einer meiner Handlungen Verstellung oder Trug anzuwenden.
„Ich sage also: Da in jenen Zeiten Einige, die mir nicht
wohl wollten, das Gerücht ausstreuten, ich sei zu dem Car-
dinal Bellarmin beschieden worden, um einige meiner Mei-
nungen abzuschwören, und ich hätte abschwören müssen und
es seien mir auch Bussen aufgelegt worden, war ich genö-
thigt, mich mit der Bitte an Seine Eminenz zu wenden, er
möge mir ein Zeugniss ausstellen, in welchem gesagt werde,
weshalb ich zu ihm beschieden worden sei. Dieses Zeugniss
erhielt ich von ihm selbst geschrieben, und ich lege es die-
sem Schriftstücke bei. Daraus ergibt sich, dass mir nur
eröffnet worden ist, die dem Copernicus zugeschriebene Mei-
nung von der Bewegung der Erde und dem Stillstehen der
i) So erklärt sich, wie Wolynski p. 57 bemerkt, der Anfang seiner
Vertheidigungsschrift: NelV interrogatorio fiosto di sopra.
Das dritte Verhör. 29 t
Sonne u. s. w. dürfe nicht für wahr gehalten und nicht verthei-
digt werden. Dass ausser dieser allgemeinen, Alle ange-
henden Mittheilung mir irgend etwas Besonderes befohlen
worden, davon steht darin kein Wort. Da ich nun zu mei-
ner Erinnerung l) dieses authentische, von demjenigen, der
mir die Mittheilung machte, eigenhändig geschriebene Zeug-
niss hatte, so habe ich später nicht mehr an die Worte ge-
dacht, welche gebraucht wurden, als mir der besagte Befehl,
dass man nicht vertheidigen und für wahr halten dürfe, münd-
lich ertheilt wurde, — so dass die beiden Ausdrücke vel
quovis modo docere, welche ausser dem tenere, defendere in
dem mir ertheilten und registrirten Befehle vorkommen, als
sie mir [bei dem ersten Verhöre] vorgelesen wurden, mir ganz
neu und wie nie gehört vorkamen. Ich denke, man wird es
mir glauben dürfen, dass ich sie im Laufe von 14 oder 16
Jahren ganz aus dem Gedächtnisse verloren, zumal ich nicht
genöthigt war, darüber nachzudenken, da ich ja eine so gül-
tige schriftliche Aufzeichnung in Händen hatte. Werden
aber die beiden besagten Ausdrücke weggelassen und nur
die beiden in dem beiliegenden Zeugnisse vorkommenden
festgehalten, so ist es unzweifelhaft, dass der in diesem
Zeugnisse enthaltene Befehl derselbe ist, wie der in dem
Decrete der h. Congregation des Index enthaltene. So scheint
es mir, dass ich eine genügende Entschuldigung dafür habe,
dass ich dem Pater Palastmeister den mir privatim ertheil-
ten Befehl, als mit dem der Index- Congregation identisch,
nicht mitgetheilt habe.
,,Ich sage ferner: wiewohl mein Buch keiner strengern
Censur unterlag als derjenigen, zu welcher das Index-Decret
verpflichtet, habe ich doch, wie mir scheint, offenbar das
beste und passendste Mittel gewählt, dasselbe sicher zu
stellen und von jedem Schatten eines Fleckens zu reinigen,
indem ich es dem obersten Inquisitor vorlegte, zu der-
selben Zeit, in welcher viele -von demselben Gegenstande
handelnde Bücher nur auf Grund des besagten Decretes
verboten wurden.
„Nach dem Gesagten glaube ich fest hoffen zu dürfen,
dass der Gedanke, ich habe mit Wissen und Willen die mir
ertheilten Befehle übertreten, Ihren Eminenzen den höchst
1) Hier sind wieder einige Zeilen durch Unterstreichen hervorgehoben.
292 Das dritte Verhör.
verständigen Herren Richtern fern bleiben werde, und dass
sie anerkennen werden, dass die in meinem Buche vorkom-
menden tadelnswerthen Sätze nicht aus böser oder weniger
aufrichtiger Absicht mit Ueberlegung in das Buch aufge-
nommen worden, sondern in Folge von eitelm Ehrgeiz und
der Sucht, scharfsinniger zu erscheinen als die meisten po-
pulären Schriftsteller, aus Unachtsamkeit mir aus der Feder
geflossen sind, wie ich in einem andern Verhöre eingestan-
den habe. Dieses Versehen bin ich bereit mit allem nur
möglichen Fleisse wieder gut zu machen, sofern mir dieses
von Ihren Eminenzen befohlen oder erlaubt wird.
„Es erübrigt mir schliesslich noch zu bitten, man möge
Rücksicht nehmen auf den Zustand eines bemitleiden swer-
then körperlichen Leidens, worin mich eine zehn Monate
ununterbrochen andauernde Betrübniss des Geistes, verbun-
den mit den Unbequemlichkeiten einer langen und mühe-
vollen Reise in der ungünstigsten Jahreszeit in einem Alter
von 70 Jahren, versetzt hat, so dass ich den grössern
Theil der Jahre, welche mir meine frühere Körperbeschaf-
fenheit versprach, verloren zu haben fürchte. Diese Bitte
auszusprechen, fühle ich mich ermuthigt und angetrieben
durch das Vertrauen, welches ich in die Milde und Güte
Ihrer Eminenzen meiner Richter setze, indem ich hoffe, sie
werden, wenn nach ihrem gerechten Urtheile so viele Leiden
noch keine ausreichende Strafe für meine Vergehen sein
sollten, auf meine Bitte das noch Mangelnde dem hinsinken-
den Greisenalter nachlassen, welches auch noch demüthig
sich zur Berücksichtigung empfiehlt. Nicht minder will ich
ihnen meine Ehre und Reputation empfehlen, gegenüber den
Verleumdungen meiner Feinde. Wie hartnäckig diese dar-
auf ausgehen, meinen Ruf zu untergraben, dafür mag die
Notwendigkeit als Beweis dienen, in welche ich mich ver-
setzt gesehen, * mir von dem Cardinal Bellarmin das beilie-
gende Zeugniss zu erbitten."
Nach derUeberreichung der Verteidigungsschrift wurde
Galilei sofort wieder, unter denselben Bedingungen wie am
30. April, in den Gesandtschaftspalast zurückgeschickt. Das
nächste Verhör fand erst am 21. Juni statt. Am 15. Mai be-
richtete Niccolini1) nach Florenz: „Galilei befindet sich ziem-
1) IX, 442.
Sitzung der Inquisition, 16. Juni 1633. 293
lieh gut ; aber seine Sache kommt noch nicht zum Ende, und
er ist noch immer in meinem Hause internirt, was ihm un-
bequem ist, weil er sich keine Bewegung machen kann."
Ende Mai wurde ihm erlaubt in den Gärten- der Villa des
Gesandten spazieren zu gehen, nachdem er in einem halb-
verschlossenen Wagen dorthin gefahren. Er machte sogar
einmal einen Ausflug nach Castel Gandolfo1).
XXVI.
Die Sitzung der Inquisition am 16. Jnni 1633.
In Briefen, welche Galilei im Mai 1633 schrieb, die aber
nicht erhalten sind, sprach er, nach den Antworten zu ur-
theilen2), die Erwartung aus, sein Process werde bald und
in einer für ihn günstigen Weise beendigt werden. Am 22.
Mai berichtete Niccolini3): „Ich sprach mit Seiner Heiligkeit
von der Erledigung der Sache Galilei' s. Es wurde mir von
ihm und von dem Cardinal-Nepoten in Aussicht gestellt, die
Sache werde wohl in der zweiten Sitzung, am Donnerstag
in acht Tagen, beendigt werden. Ich vermuthe, das Buch
wird verboten werden, wenn man nicht den Ausweg wählt,
ihn selbst eine Apologie machen zu lassen, wie ich Seiner
Heiligkeit vorschlug. Galilei selbst wird irgend eine heil-
same Busse aufgelegt werden, weil man behauptet, er habe
die ihm im J. 161 6 von dem Cardinal Bellarmin bezüglich
der Bewegung der Erde ertheilten Befehle übertreten. Ich
habe ihm bis jetzt noch nicht alles gesagt, da ich beabsich-
tige, um ihn nicht zu betrüben, ihn ganz allmählich darauf
vorzubereiten/'
Wenn man milde gegen Galilei verfahren wollte, konnte
man in der That sich darauf beschränken, den Dialog auf
den Index zu setzen, von ihm selbst das Geständniss zu
veröffentlichen, er habe dadurch gefehlt, dass er in dem
1) IX, 443. 360. 2) IX, 351. 353-354- 355- 357- 359- 362.
3) IX, 443; vgl. 364.
294 Referat über den Process.
Dialog zu Gunsten einer irrigen und der h. Schrift wider-
sprechenden Ansicht gesprochen, und ihm dafür und für
die Nichtbeachtung der ihm im J. 1616 ertheilten Weisung
eine Strafe, etwa eine zeitweilige Haft oder Internirung,
oder eine „heilsame Busse" aufzulegen. Wenn man ihn
bloss wegen Ungehorsams gegen die erwähnte Weisung
verurtheilen wollte, konnte man nicht wohl weiter gehen.
Ob der Papst und der Cardinal Barberini Ende Mai wirk-
lich, wie Niccolini angenommen zu haben scheint, beabsich-
tigten, in dieser Weise die Sache zu erledigen oder ob sie
in ähnlicher Weise Niccolini allmählich vorbereiten wollten,
wie Niccolini Galilei, ist nicht auszumachen. Jedenfalls be-
schränkte sich Urban VIII. nicht auf die angegebenen Mass-
regeln.
Die Sitzung der Inquisition, in welcher über Galilei's
Schicksal entschieden wurde, fand am 16. Juni 1633 statt.
Bei den Processacten findet sich ein Referat, welches wahr-
scheinlich von dem Assessor des h. Officiums verfasst ist1) und
entweder in dieser Sitzung vorgetragen wurde oder, wie
Grisar S. 1 20 annimmt, vor derselben bei den Cardinälen, —
wahrscheinlich auch bei den Consultoren, — der Inquisition
circulirte. Es gibt ein Resume aus den zu dem ersten und
zweiten Process gehörenden Actenstücken, beginnend mit
der Denunciation Lorini's im Febr. 1615 und schliessend mit
der am 30. Mai überreichten Vertheidigungsschrift Galilei's,
wobei auf die einzelnen Actenstücke mit Angabe der Fo-
lio-Zahl verwiesen wird2).
Wohlwill3) sucht von diesem Actenstücke nachzuwei-
sen, dass es erst kurz vor 180g geschrieben worden sei, zu
einer Zeit, als man die Entführung der Processacten aus
dem Archiv der Inquisition erwartete, und in der Absicht,
für diesen Fall den Inhalt des Processes als unerheblich,
1) Acten S. 3. S. oben S. 71 und Wolynski p. 59.
2) Gebier, Die Acten S. XI. Der Verfasser des Referates hat die von
ihm benutzten Actenstücke auf dem untern Rande paginirt, um sie mit An-
gabe der Folio-Zahl citiren zu können. Er hat auch in den Actenstücken
die Stellen, auf die es hauptsächlich ankam, durch Unterstreichen bemerklich
gemacht; s. o. S. 285.
3) Ist Gal. gef. worden? S. 114— 123. 149. Ebenso Scartazzini, Riv.
Eur. 1878, X, 438. Vgl. dagegen Th. Lit.-Bl. 1877,510 und Gebier, Gegen-
wart 1878, No. 18, S. 278.
Referat über den Process. 295
ja völlig werthlos für einen Angriff gegen Inquisition und
Kirche, dagegen als in hohem Masse bedenklich für das
Ansehen Galilei's in den Augen der Welt erscheinen zu
lassen. Die Argumentation Wohlwills stützt sich lediglich
auf innere Gründe, auf den Inhalt des Actenstücks. Es
braucht nun nicht untersucht zu werden, ob das Actenstück
dem von Wohlwill angenommenen Zwecke genau entspricht ;
es genügt, nachzuweisen, dass es nichts enthält, was nicht
ein mit einem Referat über die Galilei' sehe Angelegenheit
behufs Vorbereitung des Urtheils beauftragter Beamter der
Inquisition zwischen dem 10. Mai und 16. Juni schreiben
konnte.
Wohlwill sagt selbst, das Referat sei „eine abgekürzte,
aber doch völlig zusammenhängende Erzählung des Ver-
fahrens gegen Galilei von der ersten Denunciation im Febr.
16 15 bis zu seiner Vertheidigung im Mai 1633, bei der an
geeigneten Stellen [durchgehends, bei jedem Passus] auf
die betreffenden Actenstücke verwiesen werde". Wenn er
beifügt, dieser Auszug aus den Acten sei „in vielen Punk-
ten und allem Anscheine nach absichtlich ungenau", so
spricht diese Angabe nicht gegen die Abfassung durch den
Referenten der Inquisition; sie ist aber in dem Grade, wie
Wohlwill behauptet, nicht richtig. Das Referat würde aller-
dings, wenn es eine geschichtliche Darstellung der Ver-
handlungen sein sollte, unvollständig zu nennen sein; dem
Referenten kam es aber gar nicht auf eine geschichtlich
vollständige Erzählung an, sondern nur auf eine Zusammen-
stellung der Punkte, welche für die Cardinäle, die das Ur-
theil zu fällen hatten, von Bedeutung waren. Darum wer-
den einzelne Punkte nur kurz und oberflächlich und in Fol-
ge davon ungenau behandelt, während z. B. die Aussage
Galilei's in dem Verhöre vom 30. April, die für die Richter
vor allem von Bedeutung war, vollständig wiedergegeben
wird. Einige Angaben des Referates sind unrichtig oder
doch ungenau; von einer dieser Ungenauigkeiten, die sich
auf die Schrift über die Sonnenflecken bezieht, war schon
oben S. 108 die Rede; auch der Auszug aus den Verhören
des ersten Processes ist nicht genau. Aber es handelt sich
doch durchweg nur um Ungenauigkeiten, wie sie einem
Referenten der Inquisition, auch wenn er ganz objeetiv be-
richten wollte, leicht unterlaufen konnten, nicht um „absieht-
296 Referat über den Process.
liehe Ungenauigkeiten", wie man sie bei einer Fälschung zu
dem von Wohlwill angenommenen Zwecke erwarten sollte.
Wohlwill scheint zu vergessen, dass ein -Beamter der In-
quisition im J. 1633 manche Dinge anders ansah als ein
„moderner Mensch" wie er selbst, wenn er sagt: „Wenn
die Acten in der Denunciation vom J. 1615 und den daran
sich knüpfenden Zeugenverhören eine ruchlose Intrigue ent-
hüllen, so weiss der Auszug nur von regelrechten Anklagen
und Verhandlungen; die Schleichwege, auf denen der Erz-
bischof und der Inquisitor von Pisa den arglosen Castelli
im Auftrage des h. Officiums zu berücken suchen [s. o.
S. 84], werden in der Inhaltsangabe zu soliden «Be-
mühungen«." Wie immer auch diese Vorgänge beurtheilt
werden mögen, der Referent der Inquisition konnte sie
doch nicht wohl anders darstellen, als er thut. Ueber den
zweiten Punkt sagt er übrigens nur, was ja auch für seinen
Zweck genügte: man habe sich vergeblich bemüht, das Ori-
ginal des (von Lorini denuncirten) Briefes (Galilei's an Ca-
stelli) zu erlangen. Bezüglich des ersten Punktes sagt Wohl-
will weiter nicht ganz mit Unrecht: „Der Denunciant des
Originals lässt [Caccini lässt in den Acten, s. o. S. 86] Galilei's
Schüler, der Verfasser des Auszugs Galilei selbst ketzerischer
Sätze, unter ihnen einer geringschätzigen Aeusserung über die
Wunder der Heiligen, verdächtig erscheinen; bei der Auf-'
klärung über das Irrthümliche dieses Theils der Anklage
lässt der Auszug* den Leser vermuthen, dass Galilei und
seine Schüler über solche Dinge zum mindesten disputirten,
während die Zeugenverhöre vielmehr ergeben, dass kein
Anderer als ein Bundesgenosse des Denuncianten diese Dis-
putationen veranlasst hat, dass der Mann, mit dem er dis-
putirt*, kein Schüler des Galilei, und dass die Aeusserung
über die Wunder der Heiligen eine Erfindung des Denun-
cianten ist." Der Auszug constatirt: „Caccini habe ausge-
sagt, er habe (ausser der Copernicanischen Ansicht) andere
irrige Meinungen von Galilei aussagen hören. . . Aus dem
Verhöre der von ihm namhaft gemachten Zeugen ergebe
sich, dass die fraglichen Sätze von Galilei und seinen Schü-
lern nicht behauptungs weise (asser tive)^ sondern nur dispu-
tationsweise (disputative) ausgesprochen worden seien."
Damit war constatirt, dass diese Sätze keinen „Theil der
Anklage" hatten bilden können; darauf aber kam es an,
Referat über den Process. 297
und die Ungenauigkeiten, welche sich hier im Einzelnen in
dem Auszug finden, ändern daran nichts, und zu ihrer Er-
klärung ist nicht einmal die Annahme einer bösen Absicht
erforderlich, sondern die Annahme genügend, dass der Ver-
fasser, indem er ,,der Natur des Auszugs gemäss kürzte
und zusammenzog*', ungeschickt und vielleicht auch bei die-
sem für den Process nicht wichtigen Punkte nicht besonders
sorgfältig verfahren. — Noch unbilliger ist der Vorwurf
Wohlwills: „Der wichtige persönliche Antheil des Papstes
an der Correctur der Dialoge, den die Acten ausser Zwei-
fel stellen, ist in dem Ueberblick verschwunden." Der Re-
ferent hatte anzugeben, — was er thut, — wie es sich mit
der für den Dialog von dem Palastmeister ertheilten
Druck-Erlaubniss verhielt; ob dieser dabei nach eigenem
Ermessen oder nach päpstlichen Weisungen gehandelt, war
hier ganz irrelevant, da es sich ja nicht um die Frage han-
delte, ob sich der Palastmeister, sondern um die Frage, ob
sich Galilei etwas habe zu Schulden kommen lassen. — Von
dem, was das Referat über das Index -Decret von 161 6
sagt, war schon oben (S. 147) die Rede; die Aufzeichnung
vom 26. Febr. 161 6 wird einfach angeführt, wie sie in den
Acten stand.
Jedenfalls ist die Annahme, dass das fragliche Acten-
stück ein zwischen dem 10. Mai und 16. Juni 1633 für die
Cardinäle der Inquisition angefertigtes Referat sei, durch
Wohlwills Argumentation nicht erschüttert.
Diesem Referate waren mit den anderen Actenstücken
auch die Gutachten der drei Theologen beigefügt1), ohne
dass indess darauf Bezug genommen wird. In dem Ur-
theil vom 22. Juni wird gesagt: es sei gefällt worden „nach
dem Rathe und Gutachten der Magister der h. Theologie
und Doctoren beider Rechte, 'die unsere Consultoren sind".
Wohlwill findet es mit Rücksicht auf diese Stelle „in hohem
Grade verdächtig", dass sich bei den Acten keine juristi-
schen Vota befinden, und vermuthet, dieselben seien nach-
träglich daraus entfernt worden2). In dem Urtheil ist aber
i) Sie sind gleich den anderen Actenstücken paginirt, Fol. 84 — 103.
2) Er meinte, Ist Gal. gef. worden? S. 63, hinter dem Votum des
Pasqualigo sei eine Lücke von drei Blättern; dort müssten die juristischen
Vota gestanden haben. Da nun nach Gebier, Acten S. 92 ff., dort keine
298 Referat über den Process.
gar nicht von schriftlichen Gutachten die Rede und sind
mit den Gutachten der theologischen Consultoren wahr-
scheinlich auch nicht die drei oben erwähnten Gutachten
gemeint, welche sich ja nur auf einen speciellen Punkt be-
ziehen. Das Urtheil spricht ohne Zweifel von dem Rathe
und Gutachten, welches die Consultoren nach dem Ge-
schäftsgange der Inquisition, ehe die Cardinäle das Urtheil
fällten, mündlich abzugeben hatten ').
Wenn die Acten mit dem oben besprochenen Referate
bei den Mitgliedern der Congregation des h. Officiums
circulirt haben, was, wie gesagt, nicht unwahrscheinlich ist,
so ist es nicht auffallend, dass erst fünf Wochen nach dem
Verhöre vom 10. Mai die entscheidende Sitzung stattfand.
GrisarS. 120 meint, es sei „wohl nicht zu bezweifeln", dass
„in dieser Zeit das Inquisitionstribunal überdies von den
damaligen neuesten Schriften competenter Astronomen zu
Ungunsten des Copernicanischen Systems Kenntniss nahm."
Dazu hatte das Inquisitionstribunal gar keine Veranlassung :
dass das Copernicanische System falsch und schriftwidrig
sei, war schon 1616 erklärt worden; jetzt handelte es sich
gar nicht mehr um eine erneuerte Prüfung der durch den
damaligen Beschluss erledigten Frage, sondern nur um die
Frage, ob Galilei durch die Veröffentlichung des Dialogs
gegen jenen Beschluss und das ihm auf Grund desselben
ertheilte Praeceptum gefehlt und sich der Ketzerei schuldig
Lücke ist, so vermuthet Wohlwill, G. G. A. 1878, St. 21, S. 657, die Vota
könnten da gestanden haben, wo jetzt Fol. 432. 436. 441 fehlen. Vgl. Scar-
tazzini, Riv. Eur. 1878, VI, 408; X, 427.
1) S. o. S. 72. Im S. A. p. 345 wird für die Local-Inquisitoren be-
züglich der Vorbereitung der Sentenz folgende Anweisung gegeben: Wenn
eine Sache bei dem h. Officium zu erledigen ist, so ist es angemessen, zu-
nächst einen Bericht anzufertigen (si formt il caso), worin kurz das, worum
es sich handelt (i meriti della causa), und alle wesentlichen Punkte des
Processes dargelegt sind. Dieser Bericht wird allen Consultoren zugesandt.
Dann tritt der Inquisitor mit diesen zu einer Sitzung zusammen. In dieser
kann er, wenn er es für zweckmässig hält, noch weitere Erläuterungen geben.
Dann stimmen die Consultoren ab; der Notar registrirt ihre Vota. Das Ur-
theil fällt der Inquisitor; die Consultoren haben nur eine berathende Stimme.
Von schriftlichen Voten der Consultoren ist nicht die Rede. — In Rom
war über das Urtheil, nach Anhörung der Consultoren, von der Congregation
unter dem Vorsitze des Papstes zu beschliessen, wobei dieser allein die ent-
scheidende Stimme hatte.
Sitzung der Inquisition, 16. Juni 1633. 299
oder verdächtig gemacht und wie er zu bestrafen sei. Dass
für einzelne Cardinäle der Inquisition der Galilei'sche Pro-
cess die Veranlassung gewesen ist, Bücher über das Coper-
nicanische System zu lesen, ist freilich nicht unwahrschein-
lich; von dem Cardinal Scaglia haben wir (S. 263) gehört,
dass er mit Castelli's Beihülfe den Dialog studierte.
Die entscheidende Sitzung fand, wie gesagt, am 16.
Juni, einem Donnerstag, also dem regelmässigen Sitzun'gs-
tage, cor am Sanctissimo, unter dem Vorsitze des Papstes
statt. Die Aufzeichnung über dieselbe in den Acten1) lau-
tet: „Nachdem die Sache des Galileo Galilei zur Verhand-
lung gebracht, über den Process referirt und die Vota ab-
gegeben worden2), befahl Seine Heiligkeit: Galilei sei be-
züglich der Intention zu verhören, auch unter Androhung
der Folter, ipsum Galileum ittterrogandtim esse super inten-
tione, etiam*) co?nminata et tortura, und wenn er bei seiner
frühern Erklärung verharre, et*) st sustinuerit, solle er sich
zunächst in einer Plenar- Versammlung des h. Officiums durch
eine Abschwörung von dem starken gegen ihn vorliegenden
Verdachte der Ketzerei reinigen und dann zu Kerkerhaft
bis auf weitern Befehl der h. Congregation verurtheilt wer-
den, praevia abiuratione de vehementi in plena congregatione
S. Officii condemnandwn ad carcerem arbitrio S. Congrega-
tionis; ferner solle ihm befohlen werden5), fortan weder
schriftlich noch mündlich irgendwie die Ansicht von der
Bewegung der Erde und dem Stillstehen der Sonne oder
die entgegengesetzte Ansicht zu behandeln, widrigenfalls er
als rückfälliger Häretiker werde behandelt werden, sub
poena retapsus6); das von ihm verfasste Buch ,, Dialogo
1) Gherardi No. XIII. Acten S. 112 (facsimilirt bei Epinois p. 92).
2) Galilei de Galileis . . . proposita causa . . . Sanctissimus decrevit.
Epinois hatte in seiner ersten Schrift p. 66 diese Stelle so drucken lassen:
Galilei .... proposito cautus Sanctissimus decrevit. Das cautus hat dann
zu wunderlichen Deutungen (Pieralisi p. 236) Veranlassung gegeben.
3) Bei Gherardi ist et gedruckt; in den Vaticanischen Acten steht
deutlich etiam und ist die Stelle so interpungirt: super intentione, etiam
comminata ei tortura, et si sustinuerit, previa etc.
4) et steht bei Gherardi und in den Acten, nicht ac, wie früher Epinois
angegeben.
5) iniunctum ei bei Gherardi ist verdruckt für iniuncto ei.
6) Gebier, Galilei S. 278, übersetzt unrichtig: „bei sonstiger Strafe
wegen Abtrünnigkeit".
300 Sitzung der Inquisition, 16. Juni 1633.
di Galileo Galilei Linceo" solle verboten werden; ausserdem
sollen, damit dieses Allen bekannt werde, Abschriften der
Sentenz und das Decret [über das Verbot des Dialogs]
allen apostolischen Nuncien und allen Inquisitoren übersandt
werden, namentlich dem Inquisitor zu Florenz, und dieser
solle die Sentenz in einer Plenar- Versammlung unter Bei-
ziehung der Consultoren und in Gegenwart möglichst vieler
Professoren der Mathematik öffentlich vorlesen" 1).
Wo von dem Verbote des Dialogs die Rede ist, war
in dem von Gherardi veröffentlichten Protocoll ursprüng-
lich geschrieben: publice cremandum fore ; diese Worte sind
ausgestrichen und dafür prohibendum fore geschrieben. Es
wurde also jedenfalls in der Sitzung auch die öffentliche
Verbrennung des Dialogs beantragt, von dieser aber schliess-
lich Abstand genommen2).
i) qui eam sententiam in eins [der Inquisition] plena congregatione,
consultoribus accersitis etiam et coram plerisqu* mathematicae artis pro-
fessoribus publice legat (legatur bei Gherardi ist Druckfehler). In den
Acten S. 112 fehlt consultoribus ; wenn das nicht auf einem Versehen beruht,
wäre zu übersetzen : „nach Berufung und in Gegenwart möglichst vieler" u. s. w.
_ 2) Gherardi hat Wohlwill (s. G. G. A. 1878, St. 21, S. 668) mitge-
theilt, „dass sich in dem [von ihm veröffentlichten] Originaldecret zwischen
den Worten sustinuerit und praevia zwei durchstrichene Zeilen finden, und
dass er in dem Durchgestrichenen unmittelbar vor praevia die Worte et si
destiterit deutlich gelesen habe". Wohlwill fügt dieser Mittheilung die
Vermuthung bei: ,,In der ursprünglichen Form des Decretes folgte dem-
nach auf das et si sustinuerit die Weisung zu weiterm strengen Verfahren,
für den Fall, dass Galilei auch der Androhung der Tortur gegenüber ein
Geständniss verweigerte. Dass die Streichung nicht etwa der Zeit des Pro-
cesses, sondern dem 19. Jahrhundert angehört, scheint durch weitere wichtige
Enthüllungen Gherardi's, auf die ich an dieser Stelle nicht eingehen darf,
ausser Frage gestellt." So lange diese wichtigen Enthüllungen uns vorent-
halten werden, wird man annehmen dürfen, dass jene zwei Zeilen, ähnlich
wie die Worte publice cremandum, während der Sitzung gestrichen wurden,
weil der in diesen Zeilen protocollirte Beschluss geändert wurde. — Eine
nothwendige Folge der Annahme, dass Gherardi's Document No. XIII im
19. Jahrhundert gefälscht sei, ist die, dass die entsprechende Aufzeich-
nung Acten S. 112 erst nach jener Fälschung geschrieben worden, und dar-
aus folgt wieder, dass auch der Acten S. 183 siehende Bericht nicht dem
J. 1734, sondern dem 19. Jahrhundert angehört und dass auch Gherardi's
Actenstück No. XXXII, in welchem auf diesen Bericht Bezug genommen
wird, gefälscht ist. Man sieht, die Athetese Galilei'scher Actenstücke nimmt
immer grössere Dimensionen an. Nachdem nun auch in zwei Gherardi'schen
Sitzung der Inquisition, 16. Juni 1633. 301
Martin hat, den Ausdruck Sanctissimus decrevit miss-
verstehend (s. o. S. 72), angenommen, Urban VIII. habe
„der Inquisition das Urtheil durch einen geheimen Befehl
dictirt"1), und diese sei so „servil" gewesen, nach dem Be-
fehle des Papstes zu beschliessen, wiewohl sie vorher ge-
neigt gewesen, milder zu verfahren. Das Vorstehende . ist
nicht ein von dem Papste der Inquisition übersandter Be-
fehl, sondern ein in einer Sitzung der letztern gefasster Be- 1
schluss. In dieser hatte freilich der Papst allein eine ent-
scheidende Stimme; aber inwiefern sein Wille für die Car-
dinäle bei der Abgabe ihrer Vota massgebend geweseri
oder seine Entscheidung von diesen abgewichen ist, wissen
wir nicht. Es ist jedoch nicht unwahrscheinlich, dass die
anwesenden Cardinäle in der Hauptsache einig waren, wie
Urban VIII. Niccolini erzählte. y
Am 18. Juni, also zwei Tage nach der Sitzung, berich-
tete Niccolini2) über eine Audienz, die er — ohne Zweifel
an demselben Tage — bei dem Papste gehabt. Folgendes:
„Ich habe aufs neue um die Erledigung der Sache Galilei' s
gebeten, und Seine Heiligkeit hat mir mitgetheilt, dieselbe
sei schon erledigt und er werde in der nächsten Woche
eines Morgens vor das h. Officium beschieden werden, um
das Urtheil zu vernehmen. Als ich dieses hörte, bat ich
den Papst, aus Rücksicht gegen Seine Hoheit die Strenge
mildern zu wollen, welche vielleicht Seine Heiligkeit und
die h. Congregation in dieser Sache als nothwendig erach-
tet haben möchten. . . Er antwortete: man werde nicht um-
hin können, jene Meinung zu verbieten, weil sie irrig und
den ex ore Dei dictirten Schriften widersprechend sei; was
Actenstücken die Hand des Fälschers erkannt worden ist, dürfen wir er-
warten, dass auch noch andere von diesen Actenstücken dem Urtheil ver-
fallen werden, welches nun schon über einen nicht unbedeutenden Theil der
Vaticanischen Acten gesprochen ist.
i) Galilee p. 124. 136. Auch Cantor, Zts. f. Math. 1868, L.-Z. 57,
spricht von einem geheimen Befehle des Papstes vom 16. Juni, und auch
Scartazzini, Uns. Zeit 1877, II, 453, scheint nicht zu erkennen, dass es sich
um einen Beschluss der Inquisition handelt. Bouix p. 114 spricht von einem
Decrete der Index- Congregation vom 16. Juni! — Von drei Cardinälen
nimmt Martin an, sie seien nicht so „servil" gewesen, weil sie das Urtheil
nicht unterschrieben haben. S. unten § XXVIII.
2) IX, 443.
302 Sitzung der Inquisition, 16. Juni 1633.
Galilei's Person angehe, so werde er nach dem, was her-
kömmlich sei, einige Zeit hier in Haft bleiben müssen, weil
er die ihm 161 6 ertheilten Befehle übertreten habe; aber nach
der Publication des Urtheils werde er mich wieder sehen
und mit mir überlegen, was man thuen könne, um ihn mög-
lichst wenig hart zu behandeln und zu betrüben; ohne ir-
gend eine persönliche Bestrafung könne er aber nicht da-
von kommen. Ich bat ihn darauf nochmals demüthig, nach
seiner gewohnten Milde auf die 70 Jahre des guten Greises
und auch auf seine aufrichtige Gesinnung Rücksicht zu neh-
men. Er deutete mir aber an, man werde nicht umhin kön-
nen, ihn wenigstens für einige Zeit in irgend ein Kloster,
etwa Santa Croce, zu verbannen; aber er wisse noch nicht,
was die h. Congregation [über die Ausführung des auf die
Haft bezüglichen Theiles des Urtheils] beschliessen werde1);
dieselbe sei einstimmig und nemine discrepante der Ansicht,
dass ihm eine Busse aufzulegen sei2). Der Papst will aber,
dass, um kein Beispiel zu geben, ausdrücklich erklärt werde,
alle Strafen seien lediglich aus Rücksicht gegen den Gross-
herzog gemildert worden; in der That ist diese Rücksicht
der einzige Grund für alle Erleichterungen, welche Galilei
gewährt worden sind und gewährt werden werden. Ich
habe Galilei selbst bis jetzt noch nichts gesagt, als dass die
Sache in der nächsten Zeit entschieden und dass das Buch
verboten werden werde; von der persönlichen Strafe habe
ich ihm nichts gesagt, um ihn nicht dadurch, dass ich ihm
alles auf einmal sage, zu betrüben. Seine Heiligkeit hat mir
auch befohlen, ihm davon nichts zu sagen, um ihn nicht
aufzuregen, und vielleicht lässt sich die Sache durch Unter-
handlungen noch ändern." Galilei scheint wirklich bis zum
Tage seiner Verurtheilung gehofft zu haben, es werde bei
dem Verbote des Dialogs sein Bewenden haben3).
1) Scartazzini, Uns. Zeit II, 454 fügt der Aeusserung: „übrigens wisse
er noch nicht genau, was die Congregation beschliessen werde", den Ausruf
bei: „So sprach der Mann, der zwei Tage vorher bereits genau vorgeschrie-
ben hatte, was in Sachen [Galilei's] geschehen sollte!" Offenbar sind die
oben in Parenthese beigefügten Worte hinzuzudenken.
2) Martin p. 125 meint, der Papst habe hier von einer Einmüthigkeit
der Cardinäle gesprochen, weil er nicht daran gezweifelt, dass sie Alle seiner
Weisung gehorchen würden.
3) IX, 445.
Verhör über die Intention. 303
Der Beschluss der Inquisition vom 16. Juni bezieht
sich zum Theil auf das weitere Processverfahren gegen Ga-
lilei, zum Theil auf das nach Beendigung des Processes zu
publicirende Urtheil. Um den auf den ersten Punkt bezüg-
lichen Beschluss : „Galilei sei über die Intention zu verhören,
auch unter Androhung der Tortur", richtig zu verstehen,
müssen wir uns, mit Hülfe des Sacro Arsenale und ande-
rer Quellen, das Verfahren der Inquisition in dem letzten
Stadium eines wegen Häresie eingeleiteten Processes ver-
gegenwärtigen.
Die Inquisition nahm, wie bereits bemerkt wurde (S. 281),
den objectiven Thatbestand der Häresie als gegen Galilei
erwiesen an, nachdem er gestanden, dass in seinem Dialog
Stellen vorkämen, welche als Vertheidigung- der Copernica-
nischen Lehre, also als ketzerisch klingende Aeusserungen
aufgefasst werden könnten. War der objective Thatbestand
erwiesen, so musste nach dem Geschäftsgange der Inqui-
sition noch constatirt werden, ob der Angeklagte, welcher
objectiv ketzerische Aeusserungen gethan, auch subjectiv
eine ketzerische Gesinnung habe oder gehabt habe. „Ein
von den Glaubenswahrheiten abweichendes, schlechtes Glau-
ben, heisst es im Sacro Arsenale p. 62, hat zwar seinen
Sitz in der Seele, in welche Gott allein hineinsehen und
über welche er allein richten kann, und es kann darum nicht
von dem Menschen gesehen werden; aber ketzerische
Worte oder Handlungen begründen die Praesumtion, dass
im Geiste ein Irrthum und schlechter Glaube vorhanden sei.
Wenn darum der Angeklagte eingestanden hat oder über-
wiesen worden ist, dass er ketzerisch klingende Gottes-
lästerungen ausgesprochen oder ketzerische Handlungen
verübt [z. B. Bilder Christi oder der Heiligen zerschlagen,
Magie oder Nekromantie getrieben], so muss er sofort auch
über seine Intention oder seinen Glauben (sopra V intentione
b credenza sua) verhört, d. h. gefragt werden, ob er im
Herzen das für wahr gehalten oder geglaubt, was er mit
dem Munde gotteslästerisch gesprochen oder durch die
Handlungen in gottloser Weise bekundet l)." Die Fragen
in dem im Sacro Arsenale mitgetheilten Formular beginnen
mit An tenuerit et crediderit, z. B. Deu?n benedictum non
1) Vgl. Carena, Tractatus de off. S. Inq.
304 Anwendung der Folter.
esse Optimum, oder licere uti magicis experimentis. Wenn
der Angeklagte eingesteht, heisst es weiter, dass er diese
Irrthümer geglaubt habe, so ist er zu fragen, welches jetzt
in dieser Beziehung sein Glaube sei: Quid modo credat
vel teneat circa praemissa. Wenn er aber leugnet, dass er
,, schlecht geglaubt" habe, so ist er in folgender Weise zu
ermahnen: Da er selbst eingestanden, resp. da er durch
Zeugen überwiesen worden, dass er dieses oder jenes ge-
than, was den Verdacht der Ketzerei begründe, und da sehr
stark yermuthet werde, dass er bezüglich dieser Punkte
einen schlechten Glauben (malam credulitatem) gehabt, so
möge er sein Gewissen wohl erforschen und frei die Wahr-
heit sagen. — Ohne Zweifel konnte auch dem Angeklagten,
der seine „schlechte Intention" nicht eingestand, Verlänge-
rung der Haft angedroht und das Verhör und die Ermah-
nung wiederholt werden (s. o. S. 282).
Blieb der Angeklagte beim Leugnen , also bei der
Versicherung, er habe nicht „schlecht geglaubt", so konnte
er auch auf der Folter über die Intention befragt werden.
Das Sacro Arsenale enthält p. 160 und 164 eine doppelte
Anweisung: Älodo di esaminare il Reo ne' tormenti pro ul-
teriori veritate et super intentione, für den Fall, dass der
Angeklagte einen Theil der gegen ihn vorgebrachten That-
sachen und die schlechte Intention leugnete, und Modo di
esaminare in tortura sopra Vintentione solamente, für den
Fall, dass es sich nur um die Constatirung der Intention
handelte. In beiden Fällen musste vorher die Erklärung
der Richter protocollirt werden: die Folter solle nur ange-
wendet werden pro ulteriori veritate habenda et super in-
tentione oder nur super intentione, „ohne Präjudiz für die
Dinge, welche der Angeklagte schon eingestanden oder
deren er überwiesen worden"1). Zur Erklärung dieser For-
mel ist (für das Verständniss einer Stelle in dem Urtheil
über Galilei) Folgendes zu bemerken: Die Aussage, welche
der Angeklagte auf der Folter machte, wurde als wahr
angesehen, selbst wenn er auf der Folter Dinge leugnete,
die er früher gestanden oder deren er überführt war. Um
also letzteres zu verhüten, wurde in voraus genau bestimmt,
in Bezug auf welche Punkte der Angeklagte auf der Folter
[) S. A. p. 160. Carena p. 412.
Anwendung der Folter. 305
verhört und seine Aussage als wahr angesehen werden
sollte1).
Gestand der Angeklagte, welcher super intentione ge-
foltert wurde, dass er die fragliche ketzerische Meinung für
wahr gehalten, so musste er zunächst dieses Geständniss
nach 24 Stunden „ratificiren", d. h. an einem andern Orte als
in der Folterkammer, in der Regel in dem Saale, worin die
gewöhnlichen Verhöre stattfanden, wiederholen, so dass es
als ein frei abgelegtes Geständniss erschien2). Auf Grund
dieses Geständnisses wurde dann der Angeklagte, da er mit
ketzerischer Gesinnung oder Absicht ketzerische Aeusse-
rungen gethan oder wie ein Ketzer gehandelt, der
Ketzerei schuldig, als „formeller Häretiker" erklärt und
dann entweder als reumüthiger Häretiker zur Abschwörung
de formali (haeresi) und zu mehr oder minder harten Stra-
fen, nach strengem Recht zu lebenslänglicher Haft, verur-
theilt oder als unbussfertiger Ketzer dem weltlichen Arme
übergeben3). Wenn der Angeklagte auch auf der Folter bei
seiner Versicherung blieb, dass er die ketzerische Meinung,
deren er verdächtig geworden, nicht gehegt, dass er in sei-
nem Herzen immer rechtgläubig gewesen, — wenn er also auf
die ihm bezüglich seiner Intention vorgelegten Fragen, wie
das mitunter ausgedrückt wird, „katholisch antwortete" 4), — ,
1) Wohlwill, Ist Gal. gef. worden? S. 32.
2) S. A. p. 183. P. 10, No. 243. Carena p. 413.
3) S. A. p. 261. 292. J. Clarus L. V. § Haeresis p. 368: Si haere-
ticus nolit ad fidem ecclesiae redire, tunc de consuetudine igne comburitur. . .
Si poeniteat et paratus sit redire ad fidem ecclesiae et abiurare suam hae-
resim, evitat poenas de iure haereticis impositas, est tarnen ad perpeluos
carceres condemnandus. . . Hodie isla poena potest per superiorem (eccle-
siasticum) et etiam per inquisitionem in aliam commutari, . . . nisi esset
relapsus; tunc enim omnino est igne cremandus, etiam si velit poe?titere et
ad fidem ecclesiae redire.
4) Die Bedeutung des Ausdrucks (vgl. Carena p. 100b. 172 a u. s. w.)
ergibt sich aus Stellen wie S. A. p. 312: se responderä cattolicamente im
Gegensatze zu p. 311: se responderä d'haver malamente sentito delle cose
della fide, und Carena p. 249 a: si catholice respondeat et haereticam inten-
tionem neget. Der Priester O'Farrihy, welcher (1628) eingestanden, dass er
zehn Monate in einem protestantischen Seminar zu Dublin gelebt, wurde
gefragt: ob er geglaubt, es sei einem Katholiken erlaubt, äusserlich wie ein
Ketzer zu leben und das zu thun, was er gethan. Er antwortete „katho-
lisch", indem er diese Frage verneinte. Gibbings, O'Farrihy p. 14. Wenn
Reuscb, Galilei. 20
306 Anwendung der Folter.
so konnte er nicht als „formeller Ketzer" verurtheilt, wohl
aber als der Ketzerei mehr oder minder verdächtig angesehen
und demgemäss zu einer Abschwörung de suspicione hae-
reseos und zu irgend welchen Strafen oder Bussen verur-
theilt werden. Die in solchen Fällen gebräuchliche Ab-
schwörungsformel enthält die Versicherung , dass der
Abschwörende die ketzerische Meinung, deren er sich ver-
dächtig gemacht, sowie überhaupt alle ketzerischen Mei-
nungen verabscheue und verfluche. Der Verdacht der
Ketzerei war in solchen Fällen begründet durch die erwie-
senen oder eingestandenen äusseren Thatsach^n, die Worte
oder Handlungen des Angeklagten. Je nach der Beschaf-
fenheit des objectiven Thatbestandes unterschied man aber
einen mehr oder minder starken Verdacht der Ketzerei,
suspicio levis und vehemens haereseos, und danach auch eine
Abschwörung de levi und de vehementi sc. suspicione haere-
seos Y).
Den Inquisitoren ausserhalb Roms war vorgeschrie-
ben, ehe sie die Folterung eines Angeklagten anordneten,
zuvor eine Sitzung der Consultoren des h. Officiums abzu-
halten, in dieser über den Process zu berichten und die
Consultoren ihr (allerdings nur berathendes) Votum darüber
abgeben zu lassen, ob zur Folterung zu schreiten sei. In
allen wichtigen und schwierigen Fällen sollten sie an die
Römische Congregation berichten und dann nach deren
Anweisung handeln2). Auch mussten sie den Bischof zu-
ziehen. In Rom musste, wenn der Commissar oder der
General-Fiscal des h. Officiums die Folterung für ange-
also in dem Urtheil vom 22. Juni gesagt wird, Galilei habe bezüglich seiner
Intention „katholisch geantwortet", so bedeutet das nicht, wie Parchappe,
Galilee p. 246, meint, Galilei habe eingestanden, dass er die Copernicanische
Lehre für wahr gehalten, sondern im Gegentheil: er sei auch bei dem pein-
lichen Verhöre bei der Versicherung geblieben, er habe, wie jeder gute
Katholik, seit 161 6 die Copernicanische Lehre für falsch gehalten. S. Wohl-
will S. 30.
1) S. A. p. 229. Früher wurde noch eine dritte Stufe angenommen,
suspicio violens; zur Zeit Masini's waren aber bei der Römischen Inquisition
nur noch Abschwörungen de levi und de vehementi üblich. S. A. p. 252.
Nach Pignatelli II, 201a wurde im J. 161 4 von der Inquisition ein Decret er-
lassen, wodurch die abiuratio de violenti reducitur ad abiurationem de ve-
hementi. 2) S. A. p. 154.
Anwendung der Folter. 307
zeigt hielt, in jedem Falle die Congregation der Cardinäle
in einer Sitzung darüber entscheiden, ob zur Folterung ge-
schritten werden dürfe.
War der Beschluss gefasst, dass die Folterung ange-
wendet werden dürfe, so geschah dieses nicht ohne weite-
res. Vielmehr musste der Angeklagte zunächst noch einmal
in das gewöhnliche Verhörslocal geführt und dort verhört
werden. Dieses Verhör sollte aber ,,in anderer Weise vor-
genommen werden als die früheren Verhöre: der Richter
[in Rom der Commissar] soll nicht viele Worte machen und
weit hergeholte Fragen stellen [also nicht mehr eigentlich
inquiriren], sondern gleich zur Sache kommen" 1). Das
Sacro Arsenale enthält für die verschiedenen Fälle, in denen
die Folter angewendet wurde, verschiedene Formulare, die
aber im Wesentlichen übereinstimmen. Falls eine Folterung
super intentione angeordnet war2), wurden an den Ange-
klagten nur folgende Fragen gestellt : ob er etwas zu sagen
habe; ob er glaube oder geglaubt habe, dass u. s. w. Dann
wurde ihm vorgehalten: da er, wie er selbst eingestanden,
dieses oder jenes gesagt oder gethan, so sei anzunehmen,
dass er in dieser Beziehung einen schlechten Glauben (ma-
lam credulitatem) gehabt ; er solle also die Wahrheit sagen.
Blieb er bei der Leugnung der „schlechten Intention"; so
wurde ihm zuerst gesagt: wenn er sich nicht entschliesse,
die Wahrheit zu sagen, so werde man die geeigneten Mit-
tel anwenden (contra eum devenietur ad re?nedia iuris et
facti opportunaj, dann deutlicher: so werde man zur Folte-
rung schreiten (contra eum devenietur ad torturamj. Blieb
diese Drohung ohne Wirkung, so wurde der Beschluss, die
Folterung vorzunehmen, protocollirt. Die Formel, welche
das Sacro Arsenale dafür angibt, welche aber in Rom etwas
anders gefasst werden musste, lautet: „Darauf wurde im
Hinblicke auf die Hartnäckigkeit des Angeklagten und
nach Einsicht und reiflicher Erwägung des ganzen Proces-
ses u. s. w. [hier war in Rom zu sagen: „in Ausführung
des Decretes der h. Congregation des h. Officiums" oder
dergl.] beschlossen, den Angeklagten bezüglich der Intention
zu foltern. Demgemäss wurde befohlen ihn in die Folter-
kammer abzuführen und ihn dort zu entkleiden, zu binden
) S. A. p. 155. 2) S. A. p. 164.
308 Anwendung der Folter.
und an das Seil zu bringen, jedoch ohne irgend welches
Präjudiz für das, was er eingestanden" (s. o. S. 304) u. s. w. 1).
In die Folterkammer abgeführt, wurde -der Angeklagte,
nachdem er entkleidet und festgebunden worden oder
während dieses geschah, nochmals von dem Inquisitor
(dem Commissar) „freundlich ermahnt, die Wahrheit zu
sagen und nicht zu warten, bis man zur Folterung schreite"2).
Blieb diese Ermahnung erfolglos, so begann die Folterung.
Der Notar hatte nicht nur alle Antworten des Gefolterten,
sondern auch alle sonstigen Worte, Ausrufe, Seufzer, Klagen,
Thränen, Bewegungen u. s. w. zu protocolliren.
Was die Anwendung der Folter betrifft, so galten die
persönlichen Privilegien, welche bei anderen Gerichtshöfen
anerkannt wurden, wonach z. B. Geistliche, Beamte, Ade-
liche u. s. w. nicht gefoltert werden durften, bei der Inqui-
sition nicht3), und bezüglich der Greise gab es keine feste
Norm; es war dem Ermessen des Inquisitors (oder der
Römischen Inquisition) anheimgegeben , ob Jemand mit
Rücksicht auf sein Alter von der Folterung verschont blei-
ben sollte ; aber in der Regel sollten Greise nur durch An-
drohung der Folter „geschreckt" werden, bei „abgelebten"
Greisen (decrepiti) sollte auch die Schreckung unterbleiben 4).
1) S. A. p. 165 (nach den vorhergehenden Formularen zu ergänzen):
Tunc Domini sedentes [in Rom etwa: R. P. Commissarius~\ visa pertinacia
et obstinatione ipsius Constituti visoque et mature considerato toto tenore
Processus etc. decreverunt [in Rom etwa: in executionem decreti S. Con-
gregationis S. Officii statuit], ipsum Constitutum torquendum esse tormento
funis super intentione et credulitate circa praemissa, sie instante et petente
Domino Promotore Fiscali Sancti Officii. Et ideo mandaverunt, ipsum Con-
stitutum duci ad locum torturae ibique spoliari, ligari et funi applicari,
et hoc sine ullo praeiudicio eorutn, quae fassus est, super quibus Domini
non intendunt aliquo modo ipsum torqueri, . . sed tantum ipsum torqueri
facere intettdunt super intentione et credulitate ipsius Constituti et non
alias, aliter nee alio modo, de quo solemniter et expresse ac omni meliori
?nodo protesiati fuerunt et firotestantur.
2) Die Fortsetzung des Protocolls im S. A. p. 161 lautet: Qui sie
duetus, spoliatus, ligatus et funi applicatus, antequam in altum elevaretur
[p. 157 : dum spoliaretur, ligaretur ac funi applicaretur\ benigne per Do-
minos monitus ad dicendam veritatem, nee exspectet, quod contra ipsum ad
lormenta deveniatur.
3) S. A. P. 10, No. 286. Carena p. 409. Pignatelli p. 167.
4) Carena p. 410. Pignatelli p. 167 b. Wer an einem körperlichen
Gebrechen litt, konnte eine ärztliche Untersuchung verlangen. Nach dem
Anwendung der Folter. 309
Im Sacro Arsenale *) wird den Inquisitoren eingeschärft,
die Folter nur anzuwenden, wenn auf keine andere Weise
die Wahrheit herauszubringen und wenn die Indicien so
stark seien, dass nur noch das Geständniss des Angeklagten
zum Wahrheitsbeweise fehle. Namentlich sollte die Folter
wegen der Intention „nicht leicht und nur dann angewendet
werden, wenn nach Erwägung aller Verhältnisse, mit Rück-
sicht auf die Person, die Sache, den Ort und andere Um-
stände die Sache zweifelhaft sei"2). Im Einzelnen gibt Pas-
qualone in den Zusätzen zum Sacro Arsenale p. 215 folgende
Regel : „Handelt es sich um ein Vergehen, für welches dem
Angeklagten die Abschwörung de levi aufzulegen ist, so
darf derselbe zwar wohl gefoltert werden, um ihn zum Ge-
ständnisse bezüglich des Vergehens selbst zu bewegen ;
aber wenn er dieses gestanden hat, lässt man ihn nicht
durch die Tortur von dem leichten Verdachte der Ketzerei,
den er sich durch sein Vergehen zugezogen, sich reinigen;
denn die Folterung super intentione findet nicht statt, wo
die aus der von dem Angeklagten eingestandenen Aeusse-
rung oder Handlung sich ergebenden Indicien oder Vermu-
thungen nicht gewichtig und berechtigt sind. Auch be-
züglich derjenigen , welche de vehementi abzuschwören
haben, darf die Tortur nur leicht und von beschränkter
Dauer sein." In Uebereinstimmung damit sagt auch Carena3):
die Folterung super i?itentione sei bei dem nur „leicht Ver-
dächtigen" nicht anzuwenden : „die suspicio vehemens wird
aufgehoben durch die Tortur super intentione und die Ab-
schwörung; also ist es nicht billig, zur Beseitigung einer
suspicio levis, die viel geringer ist als die vehemens, auch
beides, die Tortur und die Abschwörung, als nöthig anzu-
sehen". Er fügt dann freilich bei : wenn die suspicio nicht
ganz leicht sei, könne auch ein suspectus de levi leicht ge-
foltert und dann zur Abschwörung angehalten werden4).
S. A p. 167 ff. zu urtheilen, wurde aber die Folterung um solcher Ge-
brechen willen nicht unterlassen, sondern die Folterung durch das Seil (tor-
menta della corda) durch eine andere (Fuss- und Daumschrauben und dgl.)
ersetzt.
1) P. X, No 245. 247. Vgl. Pignatelli p. 164b. 2) Carena p. 71.
3) P- I73- Pignatelli p. 170a. 201a. Bordoni (1693) bei Wolynski
I 137.
4) Die von Wohlwill, Ist Gal. gef. worden? S. 23, citirte Stelle aus
310 Androhung der Folterung.
Allem Anscheine nach fand also die Folter super intentione
bei einem leviter suspectus in der Regel nicht statt, während
sie bei einem vehementer suspectus regelmässig, aber nur in
leichterer Weise angewendet wurde1).
Das Sacro Arsenale und das Buch von Carena geben
übrigens zunächst Regeln für die Inquisitoren ausserhalb
Roms und lehren uns die gewöhnliche Praxis der Römi-
schen Inquisition kennen ; dass der Papst, wenn er der Rö-
mischen Inquisition präsidirte, nicht an diese Regeln und die
gewöhnliche Praxis gebunden war, ist selbstverständlich2),
und speciell von Urban VIII., dem die Aeusserung zuge-
schrieben wird; der Ausspruch eines lebenden Papstes sei
mehr werth als die Satzungen von hundert verstorbenen,
braucht nicht angenommen zu werden, da«s er sich durch
die hergebrachten Regeln gebunden erachtet habe.
Nach dieser langen Erörterung über das Verfahren
der Inquisition im Allgemeinen nehme ich die Erläuterung
des Beschlusses vom 16. Juni 1633 wieder auf: „Galilei solle
über die Intention verhört werden, auch unter Androhung
der Folter". Bisher war Galilei über die Intention noch
gar nicht förmlich verhört worden; er hatte sich darüber nur
in dem Verhöre vom 30. April und in seiner Verteidigungs-
schrift ausgesprochen. Die Inquisition konnte den Commissar
beauftragen, ihn zunächst förmlich über die Intention in der
gewöhnlichen, oben S. 303 beschriebenen Weise zu verhö-
ren und über das Ergebniss dieses Verhöres zu berichten.
Carena (p. 172, No. 66) gehört nicht hieher. Carena bespricht (und bejaht)
dort die Frage, ob ein suspectus de levi (nicht super intentione, sondern
pro veritate habenda et super complicibus) gefoltert werden dürfe. In dem
dabei aus dem S. A. p. 230 citirten Formular einer Sentenz gegen einen
suspectus de levi wird allerdings die Folterung, aber nicht speciell die Fol-
terung super intentione erwähnt: „Du hast wiederholt, eidlich vernommen,
eingestanden, dass du unüberlegt und im Scherz die besagten ketzerischen
Worte gesprochen, dabei aber geleugnet, dass du sie je im Herzen irgendwie
geglaubt. Und da es uns schien, dass du nicht völlig die Wahrheit gesagt,
haben wir ... für nöthig befunden, zum peinlichen Verhöre gegen dich zu
schreiten, bei welchem du deinen früheren Aussagen nichts Neues beige-
fügt hast".
1) Der oben erwähnte O'Farrihy wurde als vehementer suspectus ver-
urtheilt, ohne super intentione gefoltert worden zu sein; ebenso Fra Ful-
gentio bei seinem ersten Processe (1608). Gibbings, Fulg. Manfredi p. 18.
2) Von Wohlwill, Ist Gal. gef. worden? S. 77, nicht genug beachtet.
Androhung der Folterung. 311
Auf Grund dieses Berichtes konnte sie dann in einer spä-
tem Sitzung den Commissar ermächtigen, das weitere, oben
S. 307 beschriebene Verhör über die Intention vorzunehmen,
bei welchem die Folter angedroht wurde, und nach diesem
Verhöre zur Folterung zu schreiten. Von jenem ersten
Verhöre nahm man bei Galilei Abstand; denn ein solches
fand nach den Acten nicht statt. Durch den Beschluss,
„Galilei solle über die Intention verhört werden, auch unter
Androhung der Folter", wird das zweite Verhör angeord-
net, dem regelmässig die Tortur folgte. Hätte nun diese
auch bei Galilei angewendet werden sollen, so hätte es
heissen müssen : er solle über die Intention verhört werden,
auch unter Anwendung oder auf der Folter, etwa interro-
gandum esse super intentione in tortura. Denn ohne ein solches
Decret der Inquisition durfte der Commissar nicht foltern
lassen. Wenn also in dem Decrete nicht von der Anwendung,
sondern nur von der Androhung der Tortur die Rede ist,
so wurde damit dem Commissar die Weisung gegeben, das
Verhör über die Intention bis zu der Androhung der Tortur
einschliesslich fortzusetzen, dann aber abzubrechen. Man
kann nicht gerade sagen, durch die Formel etiam commi-
nata ei tortura sei die Folterung verboten worden; aber
sie wurde dadurch nicht angeordnet, und ohne dass sie
ausdrücklich angeordnet war, durfte sie nicht vorgenommen
werden. Da im Folgenden Galilei als „stark", nicht als
„leicht verdächtig" bezeichnet wird, so hätte nach der an-
geführten Regel die Folterung angeordnet werden sollen oder
dürfen. Aber bei einem Siebenzigjährigen war es wohl
nicht einmal eine Abweichung von der gewöhnlichen Praxis,
wenn von der Folterung abgesehen wurde. Dass dieses
wegen Galilei's Alter und Kränklichkeit geschah, scheint
der Eingang des Protocolls über die Sitzung vom 16. Juni
anzudeuten: „Galileo Galilei aus Florenz, der bei diesem
h. Officium in Haft ist, wegen seiner Kränklichkeit und sei-
nes hohen Alters aber . . . die Erlaubniss erhalten hat, in
der Stadt zu wohnen" 1).
1) Gherardi No. XIII: Galilaei de Galileis Flore?itini in hoc S. Off.
carcerati et ob eins adversam valetudinem et senectutem cum praecepto de
non discedendo de domo electae habitationis in urbe ac de se repraesen-
tando toties quoties sub poenis arbitrio S. Congregationis habilitati propo-
sita causa etc.; vgl. Wolynsßi p. 60. 88.
312 Et si sustinuerit.
Wäre am 16. Juni angeordnet worden, Galilei solle
über die Intention unter Anwendung der Folter verhört
werden, so würde man wohl nicht gleich auch schon über
seine Abschwörung einen Beschluss gefasst haben. Es wäre
ja möglich gewesen, dass Galilei auf der Folter eine schlechte
Absicht eingestanden und dann also als der Ketzerei schul-
dig hätte angesehen werden müssen. Die Inquisition nahm
aber am 16. Juni an, dass er auch nach dem Verhöre über
die Intention nur als ein der Ketzerei Verdächtiger anzu-
sehen sein, dass er also in dem Verhöre bei seiner bisherigen
Versicherung bleiben werde, er habe die ketzerischen Sätze,
die er ausgesprochen, also die Copernicanische Lehre, nicht
für wahr gehalten, sei also im Herzen nicht von der katho-
lischen Wahrheit abgewichen. Wenn Galilei nur unter
Androhung der Folter verhört wurde, konnte die Inquisition
voraussetzen, dass er bei dieser Versicherung bleiben werde,
und also beschliessen : ,, Galilei solle über die Intention
verhört werden, auch unter Androhung der Folter, und
wenn er bei seiner frühern Erklärung verharre, solle er,
nachdem er eine Abschwörung de vehementi geleistet, ver-
urtheilt werden" u. s. w.
Damit, dass Galilei zur Abiuratio, nicht de levi, son-
dern de vehementi verurtheilt wurde, hängt die Androhung
zusammen, dass er, wenn er noch einmal die Copernica-
nische Lehre behandle, als rückfälliger Ketzer werde be-
handelt werden; denn das galt nur für den letztern, nicht
auch für den erstem Fall 1).
Zur Rechtfertigung der Uebersetzung der Worte et
si sustinuerit durch „wenn er bei seiner frühern Erklärung
verharre" wird es nöthig sein, die vielen verschiedenen
Deutungen jener Worte zu prüfen.
Da jetzt feststeht, dass die richtige Lesart et si susti-
nuerit, nicht ac sL sustinuerit ist, so darf auf keinen Fall
übersetzt werden: er solle mit der Folterung bedroht wer-
i) Pignatelli p. 200b: Si post abiurationem de levi in eandem hae-
resis suspicionem relabiiur, non punitur poena relapsis debita, licet gravius
puniatur, quam si antea non abiurasset . . . p. 201 a: Qui \abiuravit de
vehementi\ si postea relabitur, punitur poena relapsi, i. e. traditur brachio
saeculari, ultimo supplicio puniendus ; s. o. S£ 305, Anm. 3.
Et si sustinuerit. 313
den, als ob er dieselbe wirklich erdulden sollte1). Sprach-
lich unmöglich ist auch die Deutung: er solle mit der Fol-
ter bedroht und diese solle angewendet werden, falls er sie
aushalten könne2). Sprachlich zulässig und namentlich dem
Sprachgebrauche der Inquisition entsprechend wäre es, zu
sustinuerit als Object torturam zu ergänzen und zu über-
setzen: er solle unter Androhung der Tortur über die In-
tention befragt, und wenn er sie (die Tortur) ausgehalten
(ohne weitere Geständnisse zu machen), . . . verurtheilt wer-
den 3). Wäre diese Uebersetzung richtig, so würde in den
Worten indirect ausgesprochen, dass die Folterung statt-
finden solle4). Der Commissar durfte dieselbe aber, wie
wir gesehen, nicht vornehmen lassen, ohne einen ausdrück-
lichen Befehl der Cardinais- Congregation, und es ist undenk-
bar, dass dieser Befehl, wenn er ertheilt werden sollte, nicht
in einer ganz bestimmten und klaren, sondern in jener in-
directen und verhüllten Form ertheilt sein sollte. Wenn
die Worte comminata ei tortura et si sustinuerit, wie
Wohlwill vermuthet, eine für den Commissar leicht ver-
ständliche, herkömmliche und stehende Formel waren, —
was nicht wahrscheinlich ist, — so sind sie gewiss nicht die
Formel gewesen, in welcher die Anwendung der Folter an-
geordnet wurde.
Als sprachlich zulässig erkennt Wohlwill mit Recht
auch an, aus dem comminata ei tortura den Begriff commi-
nationem zu sustinuerit zu ergänzen und zu übersetzen :
er solle verhört werden unter Androhung der Folter, und
wenn er diese Bedrohung ausgehalten haben werde, sich
dadurch nicht zu weiteren Geständnissen habe bringen las-
1) So früher de l'Epinois, Galilee p. 66, und Gebier, Galilei S. 278.
S. Wohlwill S. 66.
2) So Berti, II Processo p. XIII. CV und Mezieres, Rev. des deux
mondes 1876, T. 17, 659. 661. S. Wohlwill S. 74.
3) Wohlwill S. 76 führt eine Reihe von Stellen an, welche diesen
Sprachgebrauch der Inquisition beweisen. Ganz deutlich ist z. B. die von
Farinacci erörterte Frage: Torturam super intentione datam si quis sustinet,
an sit relaxandus. Vgl. Bordoni bei Wolynski p. 138: esto torturam susti-
neat, non tarnen vincit in totum suspicionem haeresis. Gleichbedeutend ist
der Ausdruck bei Carena p. 73a: Si reus superaverit torturam; ebenso
Eymericus-Pegna p. 483b. 484b.
4) So Scartazzini, Riv, Eur, 1877, V, 236,
314 Et si sustinuerit.
sen, solle er u. s. w. !). Sprachlich zulässig ist, wie Wohl-
will zugibt, endlich auch die oben angenommene Deutung,
wobei sustinere absolut gefasst wird: er solle unter An-
drohung der Folter über die Intention verhört werden, und
wenn er- aushalte, wenn er trotz der Androhung der Folter
bei seiner frühern Erklärung über seine Intention verharre
u. s. w.2). So heisst es bei Farinacci3): Si quis in tormentis
sustinuerit et nihil confessusfuerit, und ganz genau unserer
Stelle analog bei Pignatelli (p. 169 b): Nam in S. Officio,
qui protulit propositionem manifeste haereticam, si neget in-
ternam credulitatem, torquetur super intentione et, si sustineat,
damnatur non ut haereticus, sed ut de fide suspectus ; im Fol-
genden wird statt si sustineat wiederholt si in tortura in
negativa persistat gebraucht. Aehnlich wird von Carena
auch sonst persistere und im Sacro Arsenale auch stare, du-
rare und perseverare gebraucht 4).
Von den beiden zuletzt vorgetragenen Deutungen
unterscheidet sich dem Sinne nach nicht eine andere, welche
von Neueren vorgeschlagen worden ist: „wenn er seine
Intention5), oder sein Bisheriges6), oder seine bisherige
Aussage7), — besser: seine bisherige Erklärung über seine
Intention8) aufrecht erhalte". In ähnlicher Weise scheint
auch der Verfasser eines spätem, bei den Vaticanischen
Acten befindlichen Stückes, — ein Beamter der Inquisition
1) Wohlwill S. 78. Damit stimmen dem Sinne nach überein die Deu-
tungen von Martin, Galilee p. 124: s'il ne ce'dait devant cette menacex und
von Gilbert: s'il supportait cette epreuve.
2) Th. Lit.-Bl. 1876, 177. Aehnlich Scartazzini, Uns. Zeit 1877, II,
453 : »wenn er dabei verharrt, wenn er hartnäckig bleibt", und de PEpinois,
La question p. 215: s'il a tenu bon, s'il a resiste, s'il a persiste.
3) De haeresi p. 153 a bei Wohlwill S. 78.
4) Carena p. 72b: An autem tortus super intentione persistens sit
relaxandus ; vgl. p. 152b. — S. A. p. 159: e persistendo si esorti a
confessare la veritä, e persistendo si jninacci, e persistendo pure nella
negativa, si faccia di nuovo alzare ; p. 164: stando nella negativa: p. 186:
se il reo durerä negando nella tortura; P. X, No. 243: se egli subito
doppo la tortura fosse ricondotto al tribunale per farli in ogni modo per-
severare (bei der Ratification).
5) Pieralisi, Correzioni p. 37. Schanz, Galilei S. 55.
6) Grisar S. 122.
7) Gebier, Gegenwart 1878, 391. Schneemann S. 390.
8) Zöckler, Gesch. der Beziehungen u. s. w. I, 747. Wolynski p. 87.
Das vierte Verhör. 315
im J. 1734, — den Ausdruck verstanden zu haben, wenn er
übersetzt: che il detto Galileo s'interrogasse sopra V inten-
zione, anche con comminargli la tortura, e sostenendo . . .
si condannasse etc.
XXVII.
Das vierte Yerhör Galilei's, 21. Juni 1633.
Am 21. Juni wurde Galilei zum letzten Male in den
Sitzungssaal des Inquisitionsgebäudes geführt, um von dem
Commissar in Gegenwart des Fiscals gemäss dem Beschlüsse
der Inquisition vom 16. „über die Intention" vernommen zu
werden. Das Protocoll des Verhöres entspricht ganz ge-
nau dem Formulare, welches das Sacro Arsenale für das
der Folterung vorhergehende Verhör gibt1). Galilei wird
in denselben Formeln mit de,r Folterung bedroht, welche
angewendet wurden, wenn die Folterung stattfinden sollte.
Das entspricht der Praxis der Inquisition, wie sie Pigna-
telli (p. 177b) beschreibt: „Wenn der Bischof und der In-
quisitor [hier also die Congregation des h. Officiums] aus
irgend einer gerechten Ursache, mit Rücksicht auf die In-
dicien, die Beschaffenheit der Vergehen und der Personen,
eine besonders gelinde Folterung anordnen zu müssen glau-
ben, so müssen sie das in einem geheimen, nicht in dem
dem Angeklagten zu verkündigenden Beschlüsse festsetzen,
damit dieser nicht dadurch zu hartnackigem! Leugnen ver-
anlasst wird". Hier war der Commissar von dem Be-
schlüsse, dass überhaupt die Folterung nicht angewendet
werden solle, in Kenntniss gesetzt; aber Galilei gegenüber
hatte er zunächst sich so verhalten, als ob die wirkliche
Folterung beabsichtigt sei.
Der Commissar fragt Galilei zunächst, ob er aus eige-
1) S. o. S. 307; vgl. die Zusammenstellung bei Wohlwill S. 90 urid.
bei Wolynski p. 119.
316 Das vierte Verhör.
nem Antriebe etwas zu sagen habe. Nachdem diese Frage
verneint worden, fragt er weiter, ob er die Meinung, dass
die Sonne der Mittelpunkt der Welt sei^u. s. w., für wahr
halte oder für wahr gehalten habe, und seit wann etwa.
Galilei antwortet: ,, Schon vor langer Zeit, d. h. vor der
Entscheidung der h. Congregation des Index und ehe mir
jene Weisung ertheilt wurde, war ich indifferent und hielt
die beiden Meinungen, die des Ptolemäus und die des Co-
pernicus für disputabel, weil, naturwissenschaftlich betrach-
tet, die eine und die andere wahr sein könne. Aber nach
der besagten Entscheidung hörte, da ich durch die Weis-
heit der Oberen Gewissheit erlangte, bei mir jedes Schwan-
ken auf und hielt ich, wie ich das auch jetzt thue, die Mei-
nung des Ptolemäus, dass die Erde still stehe und die Sonne
sich bewege, für durchaus wahr und unzweifelhaft."
Es wird ihm bemerkt: die Art und Weise, wie in dem
nach jener Zeit von ihm veröffentlichten Buche die besagte
Meinung besprochen und vertheidigt werde, ja schon die
Thatsache, dass er dieses Buch geschrieben und dem Druck
übergeben , lasse vermuthen, dass er jene Meinung nach
der angegebenen Zeit für wahr, gehalten ; er solle also offen
die Wahrheit sagen, ob er dieselbe für wahr halte oder
gehalten habe. Er antwortet: „Den Dialog zu schreiben,
habe ich mich nicht entschlossen, weil ich dje Copernica-
nische Meinung für wahr hielt. Nur darum, weil ich dachte,
ich würde damit etwas dem allgemeinen Interesse Dienliches
thuen, habe ich die naturwissenschaftlichen und astrono-
mischen Gründe aus einander gesetzt, welche für die eine
und die andere Ansicht angeführt werden können. Ich
beabsichtigte, zu zeigen, dass weder die Gründe für die
eine, noch die Gründe für die andere Meinung strenge be-
weisend seien und dass man also, um zur Gewissheit zu
gelangen, sich an die durch erhabenere Lehren gegebene
Entscheidung halten müsse. Das ist aus vielen Stellen des
Dialogs deutlich zu erkennen. Ich erkläre also, dass ich
innerlich die verdammte Meinung nicht für wahr halte noch
seit der Entscheidung der Oberen für wahr gehalten habe."
Es wird ihm nochmals entgegen gehalten: das Buch
und die in demselben für die Bewegung der Erde u. s. w.
angeführten Gründe Hessen doch vermuthen, dass er die
Meinung des Copernicus für wahr halte oder wenigstens
Das Protocoll über das vierte Verhör. 317
früher für wahr gehalten habe; wenn er sich also nicht ent-
schliesse, die Wahrheit zu gestehen, werde man gegen ihn
die geeigneten Mittel anwenden (devenietur contra ipsum
ad remedia iuris et facti opportuna). Galilei antwortet: „Ich
halte diese Meinung des Copernicus nicht für wahr und
habe sie nicht für wahr gehalten, seitdem mir der Befehl
insinuirt worden ist, sie aufzugeben; übrigens bin ich hier
in ihren Händen (nette loro mani, also: in den Händen der
Mitglieder der Inquisition); sie mögen thuen, was ihnen
gut dünkt." Nun wird ihm gesagt: er solle die Wahrheit
sagen, sonst werde man die Folter anwenden (alias deve-
nietur ad torturam). Galilei antwortet: ,,Ich bin hier, um
zu gehorchen, und ich habe, wie gesagt, jene Meinung,
nachdem die Entscheidung getroffen war, nicht für wahr
gehalten".
Dann schliesst das Protocoll: „Und da nichts weiter
zu erreichen war, wurde er in Gemässheit des Decretes
[der Inquisition vom 16. Juni], nachdem er unterschrieben,
an seinen Ort zurückgesandt" ,). Der Ort, wohin er zurück-
gesandt wurde, war nicht, wie Marini angibt, der Gesandt-
schaftspalast, sondern das Galilei als Gefängniss angewie-
sene Zimmer im Inquisitionsgebäude. Denn von dort wurde
er, wie Niccolini2) berichtet, am folgenden Tage nach der
Minerva geführt, und erst am 24. Juni wurde er in die
Wohnung des Gesandten entlassen.
Wäre Galilei nach diesem Verhöre wirklich gefoltert
worden, so müsste nach dem oben Gesagten das Protocoll
nicht mit den Worten schliessen: „Und da nichts weiter zu
erreichen war" u. s. w., sondern es müssten der Beschluss,
es solle zur Folterung geschritten werden, die Abführung
in die Folterkammer und die Vorgänge in dieser proto-
collirt worden sein. Wohlwill hat zu beweisen versucht,
dieses alles sei in der That am 21. Juni protocollirt, dieses
Protocoll sei aber vernichtet und dafür das jetzt in den Pro-
cessacten stehende gefälschte Protocoll substituirt worden.
1) Diese Interpunction und Ueberselzung verdient den Vorzug vor der
von Gebier, Galilei S. 282, Schanz, Galilei S. 56, u. A. : „Und da nichts
weiter zu erreichen war zur Ausführung des Decretes, wurde er" u. s. w.
Vgl. Wohlwill, Ist Gal. gef. worden? S. 85. Scartazzini, Uns. Zeit 1877, n>
455; Allg. Ztg. 1877, No. 301 B. Gebier, Gegenw. 1878, 376.
2) IX, 444.
31 8 Das Protocoll über das vierte Verhör.
Zu dieser Annahme ist er genöthigt, weil er glaubt, aus dem
Wortlaute des Urtheils gegen Galilei ergebe sich, dass der-
selbe am 21. Juni, wenn nicht wirklich gefoltert, wenigstens
in die Folterkammer abgeführt und dort noch einmal in der
oben S. 308 angegebenen Weise „ermahnt" worden sei. Wenn
sich dieses aus dem Urtheil wirklich ergäbe, so könnte aller-
dings das uns vorliegende Protocoll nicht echt sein; denn
dass der Notar dasselbe am 21. Juni geschrieben, aber mit
Verletzung der Regeln der Inquisition von dem Beschlüsse,
zur Folterung zu schreiten u. s. w., nichts protocollirt haben
sollte, ist nicht anzunehmen. Dieses Hauptargument Wohl-
wills gegen die Echtheit des Protocolls, — sein angeblicher
Widerspruch mit dem Urtheil, — wird später eingehend ge-
prüft werden; einige andere Argumente werden am besten
hier erörtert. %
1. „Während bei den anderen Verhören der Ange-
klagte stets als supradictus Galtleus oder Galtleus de quo
supra auftritt; heisst es hier: Galileus de Galileis Florenti-
nus de quo alias1).'1 Die beiden ersten Formeln werden
in den Protocollen über die Verhöre vom 30. April und 10.
Mai gebraucht. Diese Verhöre waren von dem vorherge-
henden nicht durch viele Tage getrennt, und die Protocolle
darüber werden auf derselben Seite begonnen, auf welcher
das vorhergehende schliesst. Zwischen dem dritten und
dem vierten Verhöre lagen fünf Wochen, und das Protocoll
über letzteres beginnt auf einem neuen Blatte2).
2. „Das Verhör vom 21. Juni ist von den sieben Ver-
hören, die das Vatican-Manuscript enthält, das einzige, in
welchem bei der Entlassung des Angeklagten das Gelübde
des Stillschweigens nicht erwähnt wird3)." Dasselbe fehlt
auch bei dem Verhöre vom 10. Mai.
1) S. 104.
2) So scheint sich mir das de quo alias und die Beifügung von Flo-
rentinus besser zu erklären als durch die Bemerkung von Gebier, Gegenw.
1878, No. 25, S. 392: der Ausdruck sei gewählt, weil, während die Proto-
colle vom 12. und 30. April und 10. Mai unmittelbar hinter einander stehen,
zwischen den Blättern, auf denen diese drei, und den Blättern, auf denen
das letzte Protocoll steht, die Verteidigungsschrift Galilei's und die Gut-
achten der Consultoren eingelegt seien. Denn in der Aufzeichnung vom 16.
Juni (S. 112) steht Galilei de quo supra.
3) Wohlwill S. 113; vgl. Gebier a. a. O. Auch in den Formularen
Das Protocoll über das vierte Verhör. 319
3. „Die Formel in exealtionem decrcti wird sonst nicht
so absolut ohne Bezeichnung dessen, von dem das Decret
ausgegangen, also hier der Congregation der Inquisition,
gebraucht." Das Decret, auf welches Bezug genommen
wird, steht auf dem unmittelbar vorhergehenden Blatte und
bedurfte also keiner nähern Bezeichnung.
4. Das Protocoll vom 21. Juni ist, wie die anderen
Protocolle, von Galilei unterschrieben. Gebier bemerkt dazu:
„Diese Unterschrift Galilei's ist im Gegensatze zu seinen
anderen Unterzeichnungen mit auffallend zitternder Hand
niedergesetzt" 1). Diese Bemerkung hat, wie zu erwarten
war, zu der Vermuthung Anlass geboten, die Unterschrift
sei gefälscht2). Gebier erwiedert darauf: „Wir meinen, ein
Fälscher hätte alles aufgeboten, die Unterschrift den anderen
so ähnlich wie möglich nachzuahmen, keinesfalls hätte er
auffällig gezittert. Nein, in dieser mit schwankender Hand
aufs Papier gebrachten Unterzeichnung, die übrigens trotz-
dem ganz unverkennbar den eigenthümlichen Charakter der
Unterschrift Galilei's trägt, spiegelt sich nur die furchtbare
Aufregung, welche der mit der Tortur bedrohte unglück-
liche Greis so eben erduldet"3).
Während Wohlwill annimmt, von dem Protocoll vom
21. Juni sei nur der auf Fol. 453 stehende Schluss, von der
vorletzten Antwort Galilei's an, gefälscht, hat Scartazzini
zu beweisen versucht, das ganze Protocoll sei, allerdings
mit theilweiser Benutzung des echten, an dessen Stelle es
gesetzt wurde, von einem Fälscher geschrieben4): Er meint,
auch das Datum sei gefälscht: das Verhör habe nicht am
des S. A. p. 62 und 69 fehlt dasselbe. Bei Pignatelli p. 521a heisst es:
Reis S. Officii dafür, etiam pluries, iuramentum de non tractando de me-
ritis suae causae. Das klingt nicht so, als ob die Vereidigung bei jedem
Verhöre nöthig gewesen wäre. Sie scheint nur bei dem sog. Offensiv-Processe
vorgeschrieben gewesen zu sein. Wolynski p. 96.
1) Acten S. 114.
2) Scartazzini, Allg. Ztg. 1878, No. 38; Wohlwill, G. G. A. 1878,
St. 21, S. 666. 3) Gegenwart a. a. O.
4) Riv. Eur. 1878, V, 225; Allg. Ztg. 1878, No. 38; Mag. f. d. Lit.
des Ausl. 1878, No. 15, S. 232. Die ausführliche und scharfsinnige Demon-
stration, wie der Fälscher mit den Blättern des Actenheftes verfahren (Riv.
Eur. V, 225 — 232), kann hier unerörtert bleiben. Sie zeigt ja jedenfalls nur
die Möglichkeit einer Fälschung. Vgl. Wolynski p. 102.
320 Das Protocoll über das vierte Verhör.
21., sondern am 17. Juni stattgefunden. Als Grund für diese
Vermuthung wird nur angeführt: das Decret vom 16. Juni
habe keinen Aufschub zugelassen, sondern gleich ausge-
führt sein wollen, wie denn ja auch andere Galilei's Sache
betreffende Decrete des Papstes sofort ausgeführt worden
seien. Allerdings wurde der früher erwähnte, am 25. Febr.
16 16 dem Cardinal Bellarmin ertheilte Auftrag am 26. aus-
geführt, und mehrere Briefe, deren Absendung die Inquisi-
tion beschlossen (2. Apr. 1615; 2$. Sept. 1632), wurden
gleich expedirt. Aber daraus kann doch nicht gefolgert
werden, dass nicht die Ausführung des am 16. Juni ge-
fassten Beschlusses aus irgend einem Grunde bis zum 21.
hätte verschoben werden können. Es ist gar nicht unwahr-
scheinlich, dass der Grund folgender war: man wollte die
Verkündigung vdes Urtheils an dem unmittelbar auf das
letzte Verhör folgenden Tage vornehmen, um Galilei eine
längere Spannung und einen längern Aufenthalt im Inqui-
sitionsgebäude zu ersparen; die Ausarbeitung des Urtheils
und das Einholen der Unterschriften der Cardinäle bean-
spruchte einige Tage1); so konnte die Publication des Ur-
theils erst am 22. Juni stattfinden, darum wurde Galilei erst
am 21. zu dem letzten Verhöre citirt.
Scartazzini sagt selbst2), seine Vermuthung, das letzte
Verhör habe am 17. Juni stattgefunden, stehe in Wider-
spruch mit der Angabe in dem Briefe Niccolini's vom 26.
Juni, Galilei sei am Montag [20. JuniJ Abends nach dem
h. Officium beschieden, am Dinstag [21.] verhört und am
Mittwoch [22.] zur Abschwörung nach der Minerva geführt
worden3). Er hält aber seine Vermuthung für so sicher,
dass er behaupten zu dürfen glaubt, diese genauen Angaben
Niccolini's -beruhten auf einem „unabsichtlichen oder absicht-
lichen" Gedächtnissfehler4).
i) Wolynski p. 61. 102. 2) Riv. Eur. V, 233. 3) IX, 444.
4) An dieser Stelle deutet Scartazzini nur an, dass Niccolini nicht
immer die Wahrheit sage; p. 247 lässt er (mit Rücksicht auf eine unten zu
besprechende Notiz in seinen Berichten) mit grossen Buchstaben drucken:
„Der toscanische Gesandte Niccolini ist ein Lügner"! Wie leichtfertig Scar-
tazzini Niccolini's Berichte kritisirt, davon ein Beispiel. Er führt p. 233 die
Stelle IX, 445 an: „Das Urtheil enthält das Verbot des Buches und Gali-
lei's Verurtheilung zu Gefängniss, . . . weil er das ihm im J. 1616 ertheilte
Praeceptum übertreten haben soll", und meint, Niccolini verschweige, dass
Das Protocoll über das vierte Verhör. 32 1
Der Grund, weshalb der Fälscher den 21. Juni für den
17. substituirt haben soll, oder richtiger gesagt, der Grund,
weshalb Scartazzini den 17. Juni für den 21. substituirt, ist
folgender1): Am 21. kann Galilei nicht gefoltert worden
sein, denn dann hätte er, da am 22. das Urtheil verlesen
wurde, nicht der Vorschrift der Inquisition entsprechend
24 Stunden nach der Folterung seine Aussage ratificiren
können. Da der Fälscher die Möglichkeit der Folterung
ausschliessen wollte, musste er das Verhör auf den 21. ver-
legen, und da Scartazzini die Wirklichkeit der Folterung
annimmt, musste er es auf einen frühern Tag verlegen. So
scheint es. Aber eine Ratification war nur nöthig, wenn
der Angeklagte auf der Folter ein Geständniss ablegte;
Galilei hat aber, wie wir aus dem — bis jetzt wenigstens
noch nicht bestrittenen — Urtheil erfahren, bezüglich der
Intention — auf der Folter oder trotz der Androhung der-
selben — „katholisch geantwortet", also kein Geständniss
abgelegt, mithin auch nichts zu ratificiren gehabt. Das
Datum des Verhörs ist also für Scartazzini wie für den
angeblichen Fälscher gleich irrelevant.
Schliesslich mag noch eine Vermuthung Bertis2) er-
wähnt werden. Er meint: am 16. Juni sei die Folterung
Galilei's angeordnet worden , der Commissar habe aber
kraft seiner „discretionären Gewalt", Greise und Schwäch-
liche nicht foltern zu lassen, und in der Ueberzeugung,
dass Galilei die Folter nicht aushalten könne, jene Anord-
nung nicht ausgeführt; in dem Urtheil werde die Folterung
erwähnt, weil dasselbe schon vor dem 21., also unter der
Voraussetzung, dass die Anordnung vom 16. ausgeführt
werden würde, niedergeschrieben worden sei. Dass am 16.
Juni die Folterung nicht angeordnet worden, haben wir ge-
sehen; dass der Commissar sich nicht für befugt halten
konnte, eine Anordnung der Inquisitions-Congregation nicht
die Inquisition Galilei als der Ketzerei stark verdächtig verurtheilt habe.
Aber unmittelbar vor den oben angeführten Worten sagt Niccolini : „Man
hat Galilei nicht nur das Urtheil vorgelesen, sondern auch ihn seine Mei-
nung abschwören lassen". Das konnte man doch in Florenz nicht anders
verstehen, als dass Galilei der Ketzerei schuldig oder verdächtig gefunden
worden sei.
1) Riv. Eur. V, 234. 2) 11 Processo p. CXIII (N. Ed p. 100).
Keusch, Galilei. 21
322 Verkündigung des Urtheils 22. Juni 1633.
auszuführen, ist unzweifelhaft *) ; dass in dem Urtheil die
Folterung nicht erwähnt wird, werden wir später sehen.
XXVIII.
Die Verkündigung des Urtheils und die Abschwörnng
Galilei's, 22. Juni 1633.
Wer von der Inquisition der Ketzerei schuldig gefun-
den worden war, dem wurde das Urtheil öffentlich vorge-
lesen und er hatte, wenn er zu einer Abschwörung verurtheilt
worden, diese öffentlich zu leisten2). Der der Ketzerei leicht
Verdächtige hatte nicht öffentlich abzuschwören; die der
Ketzerei stark Verdächtigen konnten zur öffentlichen oder
zur privaten Abschwörung verurtheilt werden3). Ausserhalb
Roms hatte der Inquisitor das Urtheil in Gegenwart des
Bischofs und der Consultoren zu verkündigen4). In Rom
wurde bei einem stark Verdächigen die Verkündigung des
Urtheils, auf welche die Abschwörung folgte, mitunter von
i) Es ist ganz unrichtig, wenn Berti, p. CXXXVIII. 70, sagt: „In
fast allen Tractaten über das Recht der Inquisition wird dem Commissar ge-
stattet, gegen Greise die Folter nicht anzuwenden" (vgl. N. Ed. p. 292). Dem
Inquisitor, in Rom der Congregation des h. Officiums stand es zu, über An-
wendung oder Nichtanwendung der Folter zu befinden; der Commissar war
an die Beschlüsse der Congregation gebunden.
2) In dem Formular S. A. p. 275 heisst es: Lata, data et in his
scriptis sententialiter promulgata fuit supra scripta sententia . . . astanti-
bus et audientibus RR. PP. ac III. DD. Consultoribus S. Officii necnon
magna nobilium et populi multitudine. . . Successive praedictus N. abiu-
ravit etc. Eine Beschreibung der Abschwörung des Michael Molinos, die
am 3. Sept. 1687 in der Kirche S. Maria sopra Minerva stattfand, s. bei
Laemmer, Meletematum Rom. Mantissa, 1875, p. 407. Durch ein an ver-
schiedenen Orten angeheftetes Edict war angekündigt, dass Allen, die der
Abschwörung beiwohnen würden, ein Ablass von 15 Jahren und 15 Qua-
dragenen verliehen worden sei; für die Mitglieder der Inquisition, für die
Herren und Damen des Römischen Adels waren Tribünen errichtet u. s. w.
3) S. A. P. X, No. 10. 201. Carena p. 426.
4) Carena p. 417 a.
Verkündigung des Urtheils 22. Juni 1633. 323
dem Commissar vor Notar und Zeugen vorgenommen1);
mitunter fand sie öffentlich statt2), mitunter, wie für Galilei
am 16. Juni angeordnet war, in einer Plenarsitzung des
h. Officiums, also in Anwesenheit der Cardinäle, welche
Mitglieder der Inquisition waren, und der Beamten der
letzern3), in dem grossen Saale des Dominicanerklosters
Santa Maria sopra Minerva. Das Urtheil war in italieni-
scher Sprache abgefasst4); Galilei hatte es stehend anzu-
hören5). Dasselbe lautet:
„Wir, Gasparo Borgia, vom Titel Santa Croce in
Gierusalemme, — Fra Feiice Centin o, vom Titel Santa
Anastasia, genannt von Ascoli — Guido Bentivoglio,
vom Titel S. Maria del Popolo, — Fra Desiderio Sca-
glia, vom Titel S. Carlo, genannt von Cremona, — Fra
Antonio Barberino, genannt von S. Onofrio, — Lau-
divio Zacchia, vom Titel S. Pietro in Vincola, genannt
von S. Sisto, — Berlingero Gessi, vom Titel S. Agostino,
— Fabricio Verospi, vom Titel S. Lorenzo in pane eperna,
genannt Priester6), — Francesco Barberino von S. Lo-
1) Gibbings, O'Farrihy p. 19; Fulgentio Manfredi p. 21.
2) Allg. Ztg. 1877, 102 B. 3) IX, 444.
4) Carena p. 416a: In causis fidei sententiae solent materno sermone
fieri. Dass der italienische, nicht der lateinische Text der Originaltext ist,
hat Wohlwill, Ist Gal. gef. worden? S. 159. 170 nachgewiesen. Ich über-
setze nach dem Abdruck bei Venturi II, 171, der genauer ist als der IX,
466 stehende. Die lateinische Uebersetzung ist übrigens wahrscheinlich gleich
angefertigt worden, um an die Nuncien im Auslande (s. § XXXII) versandt
zu werden. Wolynski p. 61.
5) Carena p. 418b: Ret sententias audire debent stantes et nudo
capite.
6) Im Italienischen Fabricio del titolo di S. Lorenzo in pane e perna
Verospi chiamato Prete, in der lateinischen Uebersetzung Fabricius S. Lau-
rentii in pane et perna Verospius dictus Presbyter, als wenn Verospi den
Beinamen Prete gehabt hätte. Ohne Zweifel ist aber, wie in dem Urtheil
bei Gibbings, Fulgentio Manfredi p. 33, zu lesen chiamati Preti, so dass
die acht ersten Cardinäle als Cardinal-Priester, wie die beiden letzten als
Cardinal-Diakonen bezeichnet werden. In einem Erlass der Inquisition vom
3. Jan. 1623 bei Diana, Resolutionum moralium P. IV. p. 380, steht an der
Spitze Octavius episcopus Praenestinus Bandinus, dann folgen die Namen
von acht anderen Cardinälen und dahinter das "Wort Presbyteri, dann Lu-
dovicus S. Adriani Diaconus de Lavalette, und in den beiden Urtheilen vom
J. 1635, Riv. Eur. 1878, V, 510, stehen die Namen von fünf Cardinälen und
324 Verkündigung des Urtheils 22. Juni 1633.
renzo in Damaso und Martio.Ginetti von S. Maria Nuova,
Diakonen , durch Gottes Barmherzigkeit Cardinäle der
h. Römischen Kirche, speciell bestellte General-Inquisitoren
des h. apostolischen Stuhles gegen die ketzerische Bosheit
in der ganzen christlichen Welt:
„Du, Galileo, Sohn des verstorbenen Vincenzo Galilei
aus Florenz, 70 Jahre alt, bist im Jahre 161 5 bei diesem
h. Officium denuncirt worden : du hieltest die von Vielen
vorgetragene falsche Lehre für wahr, dass die Sonne der
Mittelpunkt der Welt und unbeweglich sei und dass die
Erde sich bewege, auch eine tägliche Bewegung habe ; du
hättest einige Schüler, denen du diese selbe Lehre vortrü-
gest; du ständest über dieselbe in Correspondenz mit eini-
gen Mathematikern in Deutschland; du hättest einige Briefe
unter dem Titel „von den Sonnenflecken" in Druck gege-
ben, in welchen du diese Lehre als wahr vortrügest; und
die Einwendungen, die dir zu verschiedenen Malen auf
Grund der h. Schrift gemacht worden, beantwortetest du,,
indem du die besagte Schrift nach deinem Sinne erklärtest.
Ferner wurde eine Abschrift einer Abhandlung vorgelegt in
Form eines Briefes, — von welchem gesagt wurde, du habest
ihn an einen deiner früheren Schüler geschrieben, — worin
im Anschlüsse an die Ansicht des Copernicus verschiedene
Sätze gegen den wahren Sinn und die Autorität der h.
Schrift enthalten sind.
„Da nun in Folge davon dieser h. Gerichtshof der Un-
ordnung und dem Schaden entgegen wirken wollte, der
daraus erwuchs und immer mehr zunahm zum Nachtheile des
heiligen Glaubens, wurden auf Befehl unseres Herrn und
Ihrer Eminenzen der Herren Cardinäle dieser höchsten
und allgemeinen Inquisition von den Theologen-Qualifica-
toren die beiden Sätze von dem Stillstehen der Sonne und
der Bewegung der Erde qualificirt, und zwar so:
„Der Satz dass die Sonne der Mittelpunkt der Welt
sei1) und keine räumliche Bewegung habe, ist philosophisch
dahinter Preti, dann Martio . . . Ginetti Diacono. — Wolynski, der S. 125
Sentenz und Abschwörung neben den Formularen des Sacro Arsenale mit-
theilt, hat: Verospi chiamato, Preti. Ueber die Beinamen der Cardinäle
Centini, Scaglia und Antonio Barberini s. o. S. 101. 178. 260.
i) Im lateinischen Texte ungenau: solem esse in centro mundi.
Verkündigung des Urtheils 22. Juni 1633. 325
absurd und falsch und formell ketzerisch, weil er ausdrück-
lich der h. Schrift widerspricht.
„Der Satz, dass die Erde nicht der Mittelpunkt der
Welt und nicht unbeweglich sei, sondern sich bewege, auch
in täglicher Umdrehung, ist gleichfalls philosophisch absurd
und falsch und theologisch betrachtet wenigstens irrig im
Glauben.
„Da man aber damals gegen dich milde verfahren wollte,
wurde in der am 25. Febr. 16 16 in Gegenwart unseres
Herrn gehaltenen h. Congregation beschlossen : Seine Emi-
nenz der Herr Cardinal Bellarmin solle dir bedeuten, du
müsstest die besagte falsche Lehre ganz aufgeben ; und
wenn du dich weigertest, dieses zu thun, solle dir von dem
Commissar des h. Officiums der Befehl ertheilt werden, die
besagte Lehre aufzugeben und sie nicht Anderen vorzutra-
gen noch sie zu vertheidigen noch sie zu erörtern ; und
wenn du dich diesem Befehle nicht fügtest, solltest du ein-
gekerkert werden. In Ausführung eben dieses Beschlusses
wurde dir am folgenden Tage im Palaste und in Gegenwart
des besagten Herrn Cardinais Bellarmin, nachdem du von
demselben freundlich gewarnt und ermahnt worden wärest,
von dem damaligen Pater Commissar des h. Officiums vor
Notar und Zeugen der Befehl ertheilt, du müsstest die be-
sagte falsche Meinung ganz aufgeben und dürftest sie in
Zukunft in keiner Weise mehr vertheidigen oder lehren,
weder mündlich noch schriftlich; und nachdem du ver-
sprochen zu gehorchen, wurdest du entlassen.
„Und damit eine so verderbliche Lehre ganz beseitigt
würde und sich nicht weiter verbreiten könnte zum schwe-
ren Schaden der katholischen Wahrheit, erging ein Decret
der h. Congregation des Index, durch welches die Bücher,
welche von dieser Lehre handeln, verboten wurden und
diese selbst für falsch und der heiligen und göttlichen Schrift
durchaus widersprechend erklärt wurde.
„Da nun unlängst hier ein Buch erschien, welches im vori-
gen Jahre in Florenz gedruckt ist und dessen Aufschrift zeigte,
dass du der Verfasser desselben seiest, da der Titel lautet :
Dialogo di Galileo Galilei delli due massimi sistemi del mondo,
Tolemaico e Copernicano, und da der h. Congregation mitge-
theilt wurde, dass in Folge der Veröffentlichung des besag-
ten Buches die falsche Meinung von der Bewegung der Erde
326 Verkündigung des Urtheils 22. Juni 1633.
und dem Stillstehen der Sonne alle Tage mehr Fuss fasse:
so wurde das besagte Buch sorgfaltig geprüft und in dem-
selben eine offenbare Uebertretung des oben erwähnten, dir
ertheilten Befehles gefunden, indem du in diesem Buche die
früher besagte verdammte und dir ausdrücklich als ver-
dammt bezeichnete Lehre vertheidigt hast, wiewohl du in
dem besagten Buche durch verschiedene Wendungen die
Meinung zu erwecken dich bemühest, du stelltest sie als
unentschieden und ausdrücklich nur als probabel hin, was
aber auch ein sehr schwerer Irrthum ist, da eine Meinung,
von welcher erklärt und definirt worden ist, sie wider-
spreche der h. Schrift, in keiner Weise probabel sein kann.
„Demgemäss wurdest du auf unsern Befehl vor dieses
h. Officium beschieden, wo du bei deiner eidlichen Verneh-
mung das Buch als von dir verfasst und in Druck gegeben
anerkanntest. Du gestandest ein, dass du vor etwa zehn
oder zwölf Jahren, nachdem dir der oben erwähnte Befehl
bereits ertheilt worden war, das besagte Buch zu schreiben,
angefangen und dass du die Erlaubniss zum Drucke dessel-
ben nachgesucht habest, ohne denjenigen, welche dir diese
Erlaubniss gaben, mitzutheilen, dass dir der Befehl ertheilt
worden, die fragliche Lehre nicht für wahr zu halten, zu
vertheidigen noch in irgend einer Weise zu lehren.
„Du hast ferner eingestanden, das besagte Buch sei
an mehreren Stellen so gehalten, dass der Leser sich die
Meinung bilden könne, die für die falsche Meinung vorge-
brachten Gründe seien so vorgetragen, dass sie eher durch
ihre Beweiskraft geeignet zu überzeugen als leicht zu wider-
legen seien, — indem du zu deiner Entschuldigung angäbest,
du seiest in einen, wie du sagtest, deiner Absicht so fern
liegenden Irrthum verfallen in Folge der Abfassung des
Buches in dialogischer Form und in Folge des natürlichen
Gefallens, welches Jeder an seiner eigenen Spitzfindigkeit
und daran findet, sich dadurch scharfsinniger als die meisten
Menschen zu erweisen, dass er auch für die falschen Sätze
ingeniöse und blendende Wahrscheinlichkeitsgründe zu fin-
den wisse.
„Und nachdem dir eine angemessene Frist für deine
Verteidigung gesetzt worden wTar, hast du ein von der
Hand Seiner Eminenz des Herrn Cardinais Bellarmin ge-
schriebenes Zeugniss producirt, welches du, wie du sagtest,
Verkündigung des Ürtheils 22. Juni 1633. 327
dir verschafft hattest, um dich gegen die Verleumdungen
deiner Feinde zu vertheidigen, welche von dir sagten, du
hättest abgeschworen und seiest von dem h. Officium zu
einer Busse verurtheilt worden. In diesem Zeugnisse wird
gesagt, du hättest nicht abgeschworen und seiest auch nicht
zu einer Busse verurtheilt, sondern es sei dir nur die von
unserm Herrn abgegebene und von der h. Congregation
des Index publicirte Erklärung mitgetheilt worden, des
Inhalts, dass die Lehre von der Bewegung der Erde und
dem Stillstehen der Sonne der h. Schrift widerspreche und
darum nicht vertheidigt und nicht für wahr gehalten werden
dürfe. Da nun in diesem Zeugnisse die beiden Ausdrücke
des Befehles, docere und quovis modo, nicht erwähnt werden,
so müsse man glauben, sagtest du '), dass du im Verlaufe
von 14 oder 16 Jahren diese ganz aus dem Gedächtnisse
verloren, und dass du aus diesem Grunde über den Befehl
geschwiegen hättest, als du die Erlaubniss zum Drucke des
Buches nachsuchtest. Alles dieses sagtest du nicht, um
deinen Irrthum zu entschuldigen, sondern damit er nicht
bösem Willen, sondern eitelm Ehrgeiz zugeschrieben werde.
Aber das besagte, von dir zu deiner Vertheidigung vorge-
brachte Zeugniss ist nur geeignet, dich noch mehr zu gra-
viren, indem du, obschon in demselben die besagte Meinung
als der h. Schrift widersprechend bezeichnet wird, nichts
desto weniger gewagt hast, sie zu erörtern, zu vertheidigen
und als probabel darzustellen. Auch dient dir nicht zur
Rechtfertigung die Erlaubniss, welche du auf geschickte
und schlaue Weise erschlichen hast, indem du von dem dir
ertheilten Befehle nichts sagtest.
„Da es uns nun schien, dass du bezüglich deiner Inten-
tion nicht ganz die Wahrheit gesagt, erachteten wir es für
nöthig, das peinliche Verhör (rigoroso esame) mit dir anzu-
stellen2). Bei diesem hast du, — jedoch ohne irgend wel-
ches Präjudiz für das, was bezüglich deiner Intention von
dir eingestanden oder gegen dich, wie oben erwähnt, er-
wiesen worden, — katholisch geantwortet3).
i) Im lateinischen Text steht falsch: credendum est statt credendum
esse; s. Wohlwill S. 181; Zts. f. Math. 1872, L.-Z. S. 24.
2) Frohschammer, Das Christenthum u. s. w. 1868, S. 48 übersetzt:
„die strenge Prüfung deiner Person in Anwendung zu bringen"!
3) S. o. S. 304. 305.
328 Verkündigung des Urtheils 22. Juni 1633.
„D esshalb sind wir, nachdem wir diese deine Sache nach
allen Seiten sammt deinen oben besagten Geständnissen
und Entschuldigungen und allem, was von Rechts wegen
einzusehen und zu erwägen war, eingesehen und reiflich
erwogen haben, zu dem unten stehenden definitiven Urtheile
gegen dich gelangt.
„Nach Anrufung also des allerheiligsten Namens unseres
Herrn Jesu Christi und seiner glorreichen allzeit jungfräu-
lichen Mutter Maria« sprechen wir, als Gerichtshof sitzend,
nach dem Rathe und Gutachten der Hochwürdigen Magister
der h. Theologie und der Doctoren beider Rechte, die
unsere Consultoren sind, in dieser Schrift unser definitives
Urtheil in der Streitsache und den Streitsachen, die uns
vorliegen, zwischen Seiner Magnificenz Carlo Sincero, beider
Rechte Doctor, Fiscal-Procurator dieses h. Officiums, einer-
seits, und dir, Galileo Galilei, als hier gegenwärtigem und,
wie oben gesagt, processirtem und geständigem Angeklagten
anderseits, indem wir sagen, aussprechen, urtheilen, erklä-
ren: dass du, oben besagter Galileo, durch die, wie oben
erwähnt, im Process erwiesenen und von dir eingestandenen
Dinge dich diesem h. Officium der Ketzerei stark verdäch-
tig gemacht hast, nämlich (verdächtig), dass du die falsche
und den heiligen und göttlichen Schriften widersprechende
Lehre, die Sonne sei der Mittelpunkt der Welt1) und be-
wege sich nicht von Osten nach Westen, und die Erde be-
wege sich und sei nicht der Mittelpunkt der Welt, geglaubt
und für wahr gehalten, und (dass du geglaubt und für wahr
gehalten), es dürfe eine Meinung, auch nachdem sie als der
h. Schrift widersprechend erklärt und definirt worden, als wahr-
scheinlich festgehalten und vertheidigt werden ; — und dass du
in Folge dessen in alle Censuren und Strafen verfallen bist,
welche durch die heiligen Canones und andere allgemeine
und besondere Constitutionen gegen solche, die sich in ähn-
licher Weise verfehlt haben, festgesetzt und promulgirt wor-
den sind. Wir genehmigen, dass du von diesen (Censuren
und Strafen) freigesprochen werdest, vorausgesetzt dass du
zuvor mit aufrichtigem Herzen und ungeheucheltem Glauben
die oben besagten Irrthümer und Ketzereien und alle an-
i) della terra (im lateinischen Texte orbis terrae) wird ein Versehen
sein für del mondo, wie im Folgenden steht. Wohlwill S. 1 79.
Abschwörung Galilei's. 329
deren der katholischen und apostolischen Römischen Kirche
zuwiderlaufenden Irrthümer und Ketzereien in der Weise,
die dir von uns wird angegeben werden, vor uns abschwö-
rest, verfluchest und verwünschest.
„Und damit dieser dein schwerer und verderblicher
Irrthum und Fehltritt nicht ganz ungestraft bleibe und du
in Zukunft vorsichtiger seiest, und zum Beispiel für die An-
deren, dass sie sich vor ähnlichen Vergehen hüten, verord-
nen wir, dass das Buch Dialoghi di Galileo Galilei durch
einen öffentlichen Erlass verboten werde. Dich verurtheilen
wir zu förmlicher Kerkerhaft in diesem h. Officium für eine
nach unserm Ermessen zu bestimmende Zeit, und legen dir
als heilsame Busse auf, drei Jahre lang wöchentlich einmal
die sieben Busspsalmen zu beten, indem wir uns das Recht
vorbehalten, die besagten Strafen und Bussen zu ermässigen,
umzuwandeln oder ganz oder theilweise zu erlassen1).
„Und so sprechen, verkündigen, verordnen, befehlen,
verurtheilen und behalten wir uns vor, in dieser und in jeder
andern bessern Weise und Form, wie wir von Rechtswegen
können und müssen.
„IIa pronunciamus nos Cardinales infra scripti. F. Car-
dinalis de Asculo. G. Cardinalis Bentivolus. Fr. Cardinalis
de Cremona. Fr. Antonius Cardinalis S. Honuphrii. B. Car-
dinalis Gypsius. F., Cardinalis Verospius. M. Cardinalis
Ginettus."
Sofort verlas Galilei — in italienischer Sprache2) —
folgende Abschwörungsformel:
„Ich, Galileo Galilei, Sohn des verstorbenen Vincenzo
Galilei aus Florenz, siebenzig Jahre alt, persönlich vor Ge-
richt gestellt und knieend vor Eueren Eminenzen, den Hoch-
würdigsten Herren Cardinälen General-Inquisitoren gegen die
ketzerische Bosheit in der ganzen christlichen Welt, vor
meinen Augen habend die hochheiligen Evangelien, die ich
mit meinen Händen berühre, schwöre, dass ich immer ge-
i) Diese Formel wurde in den Urtheilen der Römischen (nicht der
spanischen; Inquisition beigefügt, weil sie, im Unterschiede von anderen Ge-
richtshöfen, das Recht hatte, die Strafen zu mildern und nachzulassen. Carena
p. 417 b. Pignatelli II, 26 a. 184 a.
2) S. A. P. X, No. 49. Carena p. 427 : Abiuratio fit Lingua et idio-
mate vulgari:
3$o Abschwörung Galilei's.
glaubt habe, jetzt glaube und mit Gottes Hülfe in Zukunft
glauben werde alles, was die h. katholische und apostolische
Römische Kirche für wahr hält, predigt und lehrt. Da ich
aber, — nachdem mir von diesem heiligen Officium der ge-
richtliche Befehl verkündet worden, ich müsse die falsche
Meinung, dass die Sonne der Mittelpunkt der Welt und
unbeweglich und die Erde nicht der Mittelpunkt sei und
sich bewege, ganz aufgeben und dürfe diese falsche Lehre
nicht für wahr halten, vertheidigen, noch in irgend welcher
Weise lehren, weder mündlich noch schriftlich, und nach-
dem mir eröffnet worden, dass diese Lehre der h. Schrift
widerspreche, — ein Buch geschrieben und in Druck gege-
ben, in welchem ich die nämliche bereits verdammte Lehre
erörtere und mit vieler Bestimmtheit Gründe für dieselbe
anführe, ohne eine Widerlegung derselben beizufügen, —
und da ich mich dadurch diesem h. Officium der Ketzerei
stark verdächtig gemacht habe, nämlich (verdächtig), für
wahr gehalten und geglaubt zu haben, dass die Sonne der
Mittelpunkt der Welt und unbeweglich und die Erde nicht
der Mittelpunkt sei und sich bewege: — darum, da ich
wünsche, Eueren Eminenzen und jedem Christgläubigen die-
sen gegen mich mit Recht gefassten starken Verdacht zu
benehmen, schwöre ich ab, verfluche und verwünsche ich
mit aufrichtigem Herzen und ungeheucheltem Glauben be-
sagte Irrthümer und Ketzereien und überhaupt allen und
jeden andern der besagten h. Kirche widersprechenden
Irrthum und Secte1). Und ich schwöre, dass ich in Zukunft
niemals mehr etwas sagen oder mündlich oder schriftlich
behaupten will, woraus man einen ähnlichen Verdacht gegen
mich schöpfen könnte, und dass ich, wenn ich irgend einen
Ketzer oder der Ketzerei Verdächtigen kennen lerne, den-
selben diesem h. Officium oder dem Inquisitor und Ordina-
rius des Ortes, wo ich mich befinde, denunciren will. Ich
schwöre auch und verspreche, alle Bussen pünktlich zu er-
füllen und zu beobachten, welche mir von diesem h. Officium
aufgelegt worden sind oder aufgelegt werden werden. Und
sollte ich, was Gott verhüten wolle, irgend einer meiner
besagten Versprechungen, Betheuerungen oder Schwüre
zuwider handeln, so unterwerfe ich mich allen Strafen und
i) setta hier ss sectirerische Meinung = eresia.
Abschwörung Galilei's. 331
Züchtigungen, welche durch die heiligen Canones und an-
dere allgemeine und besondere Constitutionen gegen solche,
die sich in solcher Weise vergehen, festgesetzt und promul-
girt worden sind. So wahr mir Gott helfe und diese seine
heiligen Evangelien, die ich mit meinen Händen berühre.
„Ich, besagter Galileo Galilei, habe abgeschworen, ge-
schworen und versprochen und mich verpflichtet, wie vor-
stehend, und zur Beglaubigung habe ich diese Urkunde
meiner Abschwörung, die ich Wort für Wort verlesen,
eigenhändig unterschrieben.
„Rom im Kloster der Minerva am 22. Juni 1633.
„Ich Galileo Galilei habe abgeschworen wie vorstehend,
mit eigener Hand."
M. Cantor hat zuerst darauf hingewiesen, dass von den
zehn Cardinälen, die an der Spitze der Sentenz als Richter
verzeichnet sind, drei, Francesco Barberini, Borgia und
Zacchia, das Urtheil nicht unterschrieben haben1). Er
selbst, Martin und Andere 2) haben vermuthet, sie seien mit
dem Urtheil nicht einverstanden gewesen. Der Papst sagte
aber am 18. Juni Niccolini3), die ganze Congregation sei
ne?ntne discrepante der Ansicht gewesen, Galilei müsse be-
straft werden (penitenziarlo) . Pieralisi4) erklärt das Fehlen
der drei Unterschriften in folgender Weise: Borgia stand
um diese Zeit mit dem Papste und den meisten Cardinälen auf
schlechtem Fusse (s. o. S. 226) und betheiligte sich wenig an den
Sitzungen; Zacchia mag aus irgend einem zufälligen Grunde
in der Sitzung gefehlt haben; Francesco Barberini nahm
auch sonst an den Sitzungen der Inquisition selten Theil5),
wie es denn überhaupt damals Brauch war, „dass die Car-
dinäle Nepoten (wie später die Staatssecretäre) mitunter an
den Abstimmungen nicht Theil nahmen, um grössere Frei-
heit in der Behandlung der öffentlichen und privaten, reli-
giösen und politischen Geschäfte zu haben". Wenn Martin 6)
Urban VIII. zum Vorwurfe macht, dass er das auf seinen Be-
fehl gefällte Urtheil selbst nicht unterzeichnet und der Publica-
1) Zts. f. Math. 1864, 194. Bei Alberi IX, 470, wie bei Riccioli, sind
die drei Namen beigefügt. Wohlwill, Ist Gal. gef. worden? S. 170,
2) Martin, Galilee p. 125. 133. Gebier, Galilei S. 300.
3) IX, 444. 4) Urbano VIII p. 218.
5) IX, 433. 6) Galilee p. 136; s. o. S. 301.
332 Abschwörung Galilei's.
tion desselben nicht beigewohnt habe, so ist das unbillig;
es war nicht Stil, dass der Papst solche Urtheile der Inqui-
sition unterschrieb und in seiner Gegenwart publicirenliess1).
Die Abschwörungsformel musste von dem Abschwö-
renden eigenhändig geschrieben oder wenigstens unter-
schrieben werden2). Auch musste über die Publication der
Sentenz und die Abschwörung von dem Notar ein Protocoll
aufgenommen werden3). Dass sich ein solches Protocoll
nicht unter den Vaticanischen Actenstücken findet, ist nicht
auffallend ; es gehörte in die andere Serie von Actenstücken,
die Decreta (s. o. S. 4). Es scheint sich aber auch hier
nicht mehr zu finden, wenigstens hat Gherardi (No. XIV)
aus dieser Serie nur Folgendes veröffentlicht: Feria IV. die
22. Junii. Galilaeus de Galilaeis Flor entin. abiuravit de
vehementi in Congregatione etc. iuxta formulam etc. Dass
sich in der Vaticanischen Actensammlung nicht eine Notiz
über den Vorgang vom 22. Juni findet, ist nicht so auffallend,
wie Wohlwill4) meint. Die Notizen über die Sitzungen der
Inquisition, welche sich in den Vaticanischen Actenstücken
finden, sind nämlich nicht in der Absicht eingeschaltet, um
über die auf Galilei's Process bezüglichen Vorgänge einen
vollständigen actenmässigen Bericht zusammenzustellen; in
diesem Falle hätte allerdings der entscheidende Act der
Verkündigung des Urtheils, die Abschwörung und die Frei-
lassung des Gefangenen nicht unerwähnt bleiben dürfen. Die
Notizen beziehen sich vielmehr sämmtlich auf solche Mitthei-
lungen, welche, wahrscheinlich von dem Cardinal-Secretär der
Inquisition, über die in den Sitzungen gefassten Beschlüsse
dem Pater Commissar oder dem Assessor des h. Officiums
1) Eine scheinbare Ausnahme bildet das von Pius V. allein unter-
schriebene Urtheil über den Bischof von Policastro, Nicolö Francesco
Missanelli, vom 22. Mai 1567, bei Gibbings, Carnesecchi p. XV. Allg. Ztg.
1877, 96 B. Vgl. Pignatelli II, 519a: Generales Inquisitores subscribunt
sente?itias contra qiwscunque, non tarnen contra Episcopos, latas, etsi de-
cretum definitivum factum fuerit cora?n Summo Pontifice. Ita quoque de-
creta facta coram Pontifice eduntur ipsorum nomine.
2) S. A. P. X, No. 49. Carena p. 427.
3) Wohlwill S. 104. S. A. p. 234. 244. Carena p. 427. Beispiele
bei Gibbings, Fulgentio p. 21. O'Farrihy p. 19 und Riv. Eur. 1878, V,
512. 514. S. o. S. 137.
4) S. 105; ebenso Scartazzini, Riv. Eur. V, 244.
Abschworung Galilei's. 333
oder ihrem Secretär oder Notar darum gemacht wurden,
weil sie von diesen auszuführen waren1). Die Verlesung
der Sentenz und die Abschwörung zu erwähnen, hatte also
der Notar der Inquisition, der diese Notizen machte, keine
Veranlassung, ebenso wenig die am 23. Juni Galilei ertheilte
Erlaubniss, sich in den Gesandtschaftspalast zu begeben,
wohl aber die ihm am 30. ertheilte Erlaubniss, nach Siena
zu reisen, da diese Erlaubniss nur unter Bedingungen er-
theilt wurde, die ihm der Commissar vor Notar und Zeugen
mitzutheilen hatte, sowie den Beschluss der Inquisition,
Abschriften der Sentenz nach auswärts zu versenden2).
In der Regel wurden die der Ketzerei stark Verdäch-
tigen nach der Abschwörung auch förmlich von der Excom-
munication bedingungsweise oder zur Vorsicht (ad cautelam),
d. h. für den Fall, dass sie durch Ketzerei derselben ver-
fallen sein sollten, absolvirt3). Bei Galilei wurde, wie es
scheint, von einer solchen förmlichen Absolution abgesehen
und nur im Urtheile selbst erklärt, er solle unter der Bedin-
gung, dass er abschwöre, von den Censuren und Strafen,
denen er verfallen, losgesprochen sein.
Die Abschwörungsformel verlas Galilei, wie in der
Einleitung derselben gesagt wird und wie es bei der Inqui-
sition Regel war, knieend. Dass er dabei nur mit dem
Hemde4) oder mit einem besondern Armensünderkleide be-
kleidet gewesen, gehört zu den Zügen, mit denen die Phan-
tasie späterer Schriftsteller die traurige Scene ausgeschmückt
hat; das sog. Habitellum trugen bei der Abschwörung
nur die wegen Häresie Verurtheilten, die wegen starken
Verdachtes der Häresie Verurtheilten selbst dann nicht,
wenn die Abschwör ung öffentlich stattfand5). — Auch die
i) Z. B. S. 22: Card. Millinus mihi ordinavit, ut scribatur arclüepi-
scopo et Inquisitor i Pisarum. 2) Acten S. 114.
3) Carena p. 420b. Das Formular des betreffenden Urtheils im S. A.
p. 241 enthält den Satz: Dopo la quäle abiuratione saretno contenti assol-
verti a cautela della scommunica, nella quäle per le suddette cose potessi
esser incorso, dann das Protocoll des Notars p. 244 den Satz : Successive
praedictus N. genuflexus ubi supra coram eodem Adm. Rev. P. Inquisitore
fuit a Patemitate Sua Admodum Reverenda absolutus ad cautelam ab ex-
communicatione etc. Aehnlich bei Gibbings, Fulgentio p. 19. 21.
4) Noch Terrier, Galilei S. 62, sagt: „halbnackt".
5) S. A. P. X, No. 10. Wenn das Habitellum zu tragen war, wird
334 „Sie bewegt sich doch!"
Angabe, Galilei habe, als er sich nach der Abschwörung,
von den Knieen erhoben, auf den Boden gestampft, mit
den Worten: „E pur st muove, und sie bewegt sich doch",
gehört zu dem Legendenkreise, mit dem man Galilei um-
geben hat. Der Ursprung dieser Sage lässt sich nur bis
in die letzten Decennien des vorigen Jahrhunderts zurück-
führen. Der verstorbene Professor Heis in Münster, der
den Spuren der Sage eifrig nachgegangen ist, hat die älte-
ste Notiz in einem 1789 in 7. Auflage in Caen erschienenen
„Dictionnaire historique" gefunden: Au moment qu'il se re-
leva, agite par le remord d'avoir fait un faux serment, les
yeux baisses vers la terre, on pretend qu'il du en la frap-
pant du pied: E pur st muove. Ohne 071 pretend erzählt
dann die Geschichte der Ex- Jesuit Feller in der 2. Auflage
seines „Dictionnaire historique" 17971). Wie Grisar S. 124
mittheilt, steht aber schon in dem 1774 in Würzburg er-
schienenen „Lehrbuch der philosophischen Geschichte" von
Fr. N. Steinacher S. 336: „Die Abbitte des Galilei war
weder ernstlich noch standhaft genug; denn in dem Augen-
blicke, da er wieder aufstand und sein Gewissen ihm sagte,
dass er falsch geschworen habe, schlug er die Augen nieder,
stampfte mit dem Fusse und sagte : E pur st muove, sie be-
wegt sich doch"2).
Was Galilei gedacht, als er diese geistige Tortur
überstanden, lässt sich ja wohl vermuthen, und was er em-
pfunden, kann man sich leicht vorstellen. Aber wenn er
seine Gedanken und Empfindungen hätte laut werden lassen,
so hätte er leicht das werden können, was er nicht gewor-
es im Urtheil gesagt; Gibbings, Minorite Friar p. 14. Allg. Ztg. 1877,
135 B. Das Habitellum (italienisch Abitello, in Spanien Sambenito, s. Reusch,
Luis de Leon S. 35) war vestitus poenitentiae duplici cruce signatus ; Ey-
mericus-Pegna p. 498. Pignatelli II, 201b. 202b. Hier findet sich die Be-
stimmung: der de vehementi oder de for?nali Abschwörende solle eine
brennende Kerze in der Hand halten. Das Sacro Arsenale erwähnt davon
nichts.
1) Natur und Offenbarung 1868, S. 371.
2) Der letzte Satz klingt wie eine Uebersetzung des oben französisch
angeführten Satzes, vielleicht nach einer altern Auflage des Dictionnaire. —
E. Haeckel schreibt noch 1878, Vorträge aus dem Gebiete der Entwickelungs-
lehre S. 33: „Sein stolzes Wort: .»Sie bewegt sich doch!« unmittelbar nach
der Abschwörungsformel gesprochen", u. s. w.
„Und sie bewegt sich doch!" 335
den ist, ein Märtyrer seiner wissenschaftlichen Ueber-
zeugungen. Im sechszehnten Jahrhundert ist mehr als Ein
bedeutender Mann wegen seiner religiösen Ueb er Zeugungen
von der Römischen Inquisition zum Tode verurtheilt worden.
Noch bei Galilei's Lebzeiten wurden am 17. Febr. 1600
Giordano Bruno, am 5. Juli 16 10 Fra Fulgenzio Manfredi auf
dem Campo di Fiore verbrannt, noch unter Urban VIII.
am 21. Dec. 1624 der Erzbischof Marcantonio de Dominis,
nachdem er in seinem Gefängnisse in der Engelsburg ge-
storben war1), in effigie verbrannt. Einen Mann wie Ga-
lilei zur „Auslieferung an den weltlichen Arm", d. h. zum
Feuertode zu verurtheilen, würde Urban VIII. freilich wohl
Bedenken getragen haben; aber lebenslängliche Haft würde
wohl sicher sein Loos gewesen sein, wenn er sich dem
Spruche der Inquisition nicht unterworfen hätte. Dass er
sich demselben mit Verleugnung seiner Ueberzeugung
unterworfen, dass er sich bei seiner eidlichen Vernehmung
in den Verhören so wenig aufrichtig und wahrheitsliebend
gezeigt, und dass er schliesslich — gewiss nicht „mit auf-
richtigem Herzen und ungeheucheltem Glauben" — die
Copernicanische Lehre feierlich abgeschworen, verflucht und
verwünscht hat, das werden wir, eine so schwere Verschul-
dung es auch, objectiv betrachtet, sein mag, unter diesen
Umständen bei einem siebenzigj ährigen Greise milde beur-
theilen müssen. Der Unwille aber, welchen das Verhalten
seiner Gegner erweckt, muss noch gesteigert werden, wenn
wir die Behandlung betrachten, welche sie Galilei, nachdem
und trotzdem er sich so tief verdemüthigt hatte, zu Theil
werden Hessen.
Ehe ich diese Behandlung schildere, muss ich aber
zunächst einige Punkte des Processes etwas ausführlicher
besprechen.
1) VIII, 214.
336 Das Vergehen Galilei's.
XXIX.
Das Yergehen Galilei's.
Galilei hatte sich durch die Verteidigung der Coper-
nicanischen Lehre in den Augen der Inquisition der Ketzerei
verdächtig gemacht. Das ergibt sich augenscheinlich aus
dem Wortlaute des Urtheils und der Abschwörung. Folgt
daraus, dass die Inquisition die Copernicanische Lehre als
eine Ketzerei angesehen hat und von allen Katholiken als
eine Ketzerei angesehen wissen wollte? Diese Folgerung
scheint ganz natürlich zu sein; sie wird aber von P. Grisar
und Anderen bestritten.
Die Qualificatoren der Inquisition hatten im J. 1616
wenigstens den einen Theil der Copernicanischen Lehre, den
Satz, dass die Sonne der Mittelpunkt der Welt und unbe-
weglich sei, als ,, formell häretisch" bezeichnet; in dem In-
dex-Decrete vom 5. März 16 16 wird aber die Copernicani-
sche Lehre nur als „falsch und der h. Schrift durchaus
widersprechend" bezeichnet. Es ist früher schon bemerkt
worden (S. 119), dass aus dem Gebrauche dieses letztern
Ausdrucks nicht zu folgern sei, die Inquisition und die In-
dex-Congregation hätten den von den Qualificatoren ge-
brauchten Ausdruck nicht für den richtigen gehalten, dass
vielmehr allem Anscheine nach die beiden Congregationen
das Urtheil der Qualificatoren zu dem ihrigen gemacht. Da
aber der Wortlaut des Urtheils der Qualificatoren im J.
16 16 nicht publicirt wurde, so war damals die Coperni-
canische Lehre nicht mit ausdrücklichen Worten als „ketze-
risch", sondern nur als „falsch und der h. Schrift durchaus
widersprechend" bezeichnet worden. Wenn also in dem
Urtheil vom 22. Juni 1633 das Gutachten der Qualificatoren
und das Index-Decret zwar beide mitgetheilt werden, dann
aber „gerade an jener Stelle, wo es darauf ankam, die von
der (Index-) Congregation ausgesprochene Censur mit aller
Schärfe und Genauigkeit hervortreten zu lassen, nicht die
Qualifikation «häretisch«, sondern die Qualifikation »falsch
Die Cop. Lehre ketzerisch. 337
und der h. Schrift widersprechend« angeführt wird" (Grisar
S. 700), so ist das ganz natürlich. Nur letztere Qualifikation
war imj. 16 16 publicirt, und darum konnte, wenn man sich
genau ausdrücken wollte, von Galilei auch nur gesagt wer-
den, er habe sich verdächtig gemacht, eine ,, falsche und
der h. Schrift widersprechende" Lehre geglaubt zu haben;
denn als „häretisch" war sie weder ihm persönlich gegen-
über noch in dem veröffentlichten Decrete bezeichnet wor-
den. Dass die Inquisition die Lehre nicht als häretisch an-
gesehen, darf daraus nicht gefolgert werden.
Wenn aber die Copernicanische Lehre amtlich als
,, falsch und der h. Schrift durchaus widersprechend" be-
zeichnet war, war sie damit nicht indirect als eine ketzeri-
sche verworfen ? oder mit anderen Worten : kann nach
Römischer Anschauung eine Lehre „der h. Schrift durch-
aus widersprechend, und doch nicht „ketzerisch" sein?
„Ketzerisch" ist nach dem Sprachgebrauche der Curie
ein Satz, I welcher einer ausdrücklichen Offenbarungswahr-
heit widerspricht1). Nun ist allerdings die h. Schrift die
Urkunde der göttlichen Offenbarungen, aber nicht alle Aus-
sprüche der h. Schrift sind Offenbarungswahrheiten. „Ist
auch die ganze h. Schrift", — sagt Reinerding (S. 427), und
ähnlich äussern sich Grisar u. A., — „weil durch die Inspi-
ration des h. Geistes zu Stande gekommen, als Wort Gottes
im weitern Sinne des Ausdrucks zu betrachten, so ist doch
nicht ihr ganzer Inhalt geoffenbart. Man kann daher in
Wahrheit sagen, dass sie die göttliche Offenbarung enthalte,
ohne in allen ihren Theilen göttliche Offenbarung zu sein.
Daraus, dass einiges in der h. Schrift nicht göttliche Offen-
barung ist, folgt nun zwar nicht, dass man einiges in ihr als
unwahr betrachten könne; denn das gestattet die göttliche
Inspiration, aus welcher alles geschrieben ist, nicht; es folgt
jedoch, dass nicht alles zur Hinterlage des Glaubens oder
zur geoffenbarten Glaubens- und Sittenlehre gehört." Diese
Unterscheidung macht auch der Cardinal Bellarmin, wenn
er in seinem Briefe an Foscarini (s. o. S. 63) sagt: es gebe
in der h. Schrift Sätze, welche Glaubenssache ratione ob-
i) Propositio haeretica est illa, quae negat, quod in se et expresse
est a Deo revelatum, vel quae aperte alicui catholicae veritati de fide defi-
nitae contraria est. Pignatelli I, 99 b.
Reu seh, Galilei. 22
338 Die Cop. Lehre ketzerisch.
iecti seien, wie z. B. dass Christus von einer Jungfrau ge-
boren worden, und andere, welche Glaubenssache rattone
dicentis sei, wie z. B. dass Abraham zwei und Jakob zwölf
Söhne gehabt. Es wird nun allerdings jetzt Niemand bezwei-
feln, dass die h. Schrift keine göttliche Offenbarung über
das Stillstehen oder die Bewegung der Sonne und der Erde
enthält, und es ist möglich, dass auch die Inquisition zur
Zeit Galilei's wenigstens dieses angenommen, dass die Coper-
nicanische Lehre nicht einer in der Bibel enthaltenen Offen-
barungswahrheit widerspreche, sondern ,,nur deshalb im
Widerspruche mit dem Glauben stehe, weil damit etwas,
das in der h. Schrift enthalten sei, geleugnet werde, dass
also der Widerspruch der genannten Lehre mit dem Glau-
ben in der (indirecten) Leugnung des Dogma's von der In-
spiration bestehe" *). Dass aber auf Grund dieser Distinction
die Inquisition im J. 1616 das von den Qualificatoren bean-
tragte Prädicat „ketzerisch" förmlich abgelehnt und als
eine zu weit gehende Censur angesehen habe, wie Grisar
S. 702 meint, ist nicht anzunehmen. Bellarmin, auf dessen
Brief an Foscarini sich Grisar hier beruft, sagt darin, —
gerade diese Stelle wird freilich von Grisar weder S. 97
noch S. 702 genau angeführt — : „Auch derjenige, welcher
sagen wollte, Abraham habe nicht zwei und Jakob nicht
zwölf Söhne gehabt [also auch derjenige, welcher sagen
wollte, die Sonne stehe still u. s. w.], würde ebenso wohl ein
Häretiker sein wie der, welcher sagt, Christus sei nicht von
einer Jungfrau geboren, da das Eine und das Andere der
h. Geist sagt durch den Mund der Propheten und Apostel."
Und Carena2) sagt ausdrücklich: „Ob das ein ketzerischer
Satz sein würde, wenn Jemand etwas behauptete, was mit
einem Ausspruche der h. Schrift in Widerspruch steht,
z. B. der Hund des Tobias habe keinen Schwanz gehabt,
[was der Stelle Tob. 11, 9 Vulg. widersprechen würde], —
das haben Einige bezweifelt; aber unzweifelhaft ist ein
solcher Satz ketzerisch." Jedenfalls hat die Inquisition
wie Bellarmin, wenn nicht den Satz: die Sonne steht still,
für einen an sich ketzerischen Satz, doch denjenigen, der
1) Hist.-pol. Bl. 56. Bd. S. 429.
2) p. 293 b. Ausführlich wird dieses begründet von Pignatelli II,
98 — 100.
Die Cop. Lehre ketzerisch. 339
diesen Satz behauptete, für einen Ketzer gehalten, und
demgemäss Galilei, weil er verdächtig geworden, jenen Satz
für wahr gehalten zu haben, als der Ketzerei verdächtig
verurtheilt.
Jedenfalls ist die Ansicht von Grisar S. 704 unrichtig:
die Inquisition habe die Copernicanische Lehre nur als eine
„temeräre" oder, was dasselbe sei, als eine ,, nicht hinläng-
lich sichere" Meinung (fiarum tüta) angesehen. Eine „teme-
räre Proposition" ist nach dem von Grisar citirten Bordoni,
der als Inquisitions-Consultor zu Parma 1648 ein Werk über
den Geschäftsgang der Inquisition schrieb, ein Satz, welcher
„autorisirte Propositionen leugnet", was Grisar etwas um-
ständlich umschreibt: ein Satz, der „Ansichten zuwider ist,
welche, sei es durch die gemeinsame Annahme, sei es durch
befugte Aussprüche der Autorität eine gewisse Sanction,
jedoch ohne den Stempel geoffenbarter oder peremtorischer
Wahrheit erhalten haben." Sonst wird kürzer und klarer
sententia temeraria defmirt als ein Satz, welcher der allge-
meinen und wohl begründeten Ansicht der Theologen wider-
spricht1). Als bloss temerär konnte jedenfalls im J. 1633
von der Inquisition die Copernicanische Meinung nicht mehr
angesehen werden, nachdem sie auf Grund eines Beschlusses
der Inquisition selbst oder, wie Bellarmin sagt, -auf Grund
einer Erklärung des Papstes durch ein Decret der Index-
Congregation als falsch und der h. Schrift durchaus wider-
sprechend bezeichnet worden war : eine in dieser Weise als
„der Bibel widersprechend verdammte und definirte" Mei-
nung, wie es in dem Urtheil heisst, widersprach offenbar
i) Pignatelli, II, 102: lila est propositio temeraria, quae in rebus ad
fidem vel ad bonos mores pertinentibus sine ratione procedit et omni pror-
sus caret authoritate, ac illa, quae nulla sufficienti ratione vel authoritate
fulta communi doctorum sensui vel approbatae historiae adversatur (er
fügt sogar bei: vel quae pugnat cum aliquo decreto celebris Universitatis).
Ebenso Heinrich, Dogmat. Theol. II, 615, „Temerär ... ist eine die Reli-
gion berührende Behauptung, welche, ohne mit einem Glaubenssatz oder einer
gewissen theologischen Conclusion in Widerspruch zu stehen und somit eine
sententia haeretica oder erronea zu sein, ohne stichhaltige Gründe gegen
eine allgemeine und wohl begründete Lehre der Theologen oder eine fromme
Ueberzeugung der Gläubigen oder eine allgemeine, von der Kirche gebilligte
religiöse Uebung verstösst." Aehnlich Scheeben, Dogmatik I, 199, Franze-
lin, De traditione p. 124, Denzinger, Enchiridion p. VII u. A.
34° Die Cop. Lehre ketzerisch.
nicht mehr bloss einer „allgemeinen und wohl begründeten
Ansicht der Theologen".
Es ist freilich unzweifelhaft, was Grisar S. 713 aus-
führlich nachweist, dass die Inquisition nicht bloss gegen
solche vorging, welche „offen häretische Propositionen vor-
trugen", sondern auch gegen solche, welche „als temerär
mit Grund geltende Meinungen vertraten", ja auch gegen
solche, „welche Zauberei, Wahrsagerei oder Astrologie
trieben, welche vorsätzlich der Inquisition ihre Amtshand-
lungen unmöglich machten" u. s. w. und dadurch den „juristi-
schen Verdacht der Häresie" begründeten. Aber daraus
folgt doch nur, dass nicht schon darum, weil die Inquisition
einen Process gegen Jemand einleitete, angenommen werden
muss, derselbe sei verdächtig gewesen, „häretische Propo-
sitionen vorgetragen zu haben". Ob dieses oder eines der
anderen Vergehen Gegenstand der Anklage war, muss in
jedem einzelnen Falle aus den Processacten und namentlich
aus dem Urtheil entnommen werden. Nun spricht schon
die Thatsache, dass Galilei zu einer Abschwörung angehal-
ten wurde, gegen die Annahme, dass er wegen „temerärer
Meinungen" verurtheilt worden sei; denn in diesem Falle
pflegte die Inquisition sich mit einem Widerruf zu begnügen1).
Ganz deutlich aber ergibt sich, wie die Inquisition im
J. 1633 die Copernicanische Lehre beurtheilt hat, aus dem
Wortlaute des am 22. Juni verkündeten Urtheils und der
Abschwörungsformel. In ersterm wird erklärt: Galilei habe
sich der Ketzerei verdächtig gemacht, nämlich (verdächtig),
die falsche und der h. Schrift widersprechende Lehre, die
Sonne sei der Mittelpunkt der Welt . . ., geglaubt und für
wahr gehalten zu haben und (geglaubt und für wahr gehal-
ten zu haben), es dürfe eine Meinung, auch nachdem sie als
der h. Schrift widersprechend erklärt und definirt worden,
als wahrscheinlich festgehalten und vertheidigt werden, und
i) Carena p. 297 a: Quo vero ad assertores propositionum temer aria-
rum, scandalosarum . . . dicendum est, quod, ex quo non possunt cogi ad
abiurandum, sunt saltem cogendi ad revocandum dictas propositiones et ad
error em suum detestandum. Pignatelli II, 7a: Admittimus, etiam proferen-
tes propositiones haeresim sapientes (das ist nach Grisar S. 704 noch stärker
als temerarias), scandalosas et male sonantes, piarum aurium offensivas
subiici Sacro Tribunali iuxta gradum earum corrigendos absque abiura-
tione; coguntur tarnen illas retractare vel declarare.
Die Cop. Lehre ketzerisch. 341
es wird dann bestimmt, Galilei müsse „die oben besagten
Irrthümer und Ketzereien*' abschwören. In der Abschwörung
bekennt Galilei: *er habe sich der Ketzerei verdächtig ge-
macht, nämlich (verdächtig), für wahr gehalten und geglaubt
zu haben, dass die Sonne der Mittelpunkt der Welt und un-
beweglich und die Erde nicht der Mittelpunkt sei und sich
bewege, und er schwört dann ab ,,die besagten Irrthümer
und Ketzereien". Ich denke, deutlicher kann die Coperni-
canische Lehre nicht als Irrthum und Ketzerei bezeichnet
werden.
Es müssen aber noch einige Missverständnisse be-
sprochen werden, zu welchen eben diese Stellen Anlass
gegeben haben.
1. Der Anfang der aus dem Urtheil angeführten Stelle
lautet im Original: . . . ti sei reso veemente sospetto d'eresia,
cioZ d'aver creduto e tenuto dottrina falsa e contraria alle
sacre e divine scritture che il sole sia centro del mondo etc.
Das darf, wie Wohlwill (S. 31. 175) ganz richtig bemerkt,
nicht mit Parchappe u. A. !) so gedeutet werden, als habe
sich Galilei durch seinen Glauben an die Bewegung der
Erde u. s. w. der Ketzerei verdächtig gemacht. Hätte man
ihn dieses Glaubens überführt erachtet, so würde man
ihn nicht als der Ketzerei verdächtig, sondern als der
Ketzerei schuldig behandelt haben. Die Stelle der Sentenz
besagt vielmehr: es liege ein starker Verdacht vor, dass
Galilei die Lehre von der Bewegung der Erde u. s. w. für
wahr gehalten, und da diese Lehre falsch und schriftwidrig
sei, auch ein starker Verdacht, dass er eine ketzerische
Meinung, nämlich eben die angeführte, für wahr gehalten.
Durch die auf cioe folgenden Worte wird die Ketzerei,
deren Galilei verdächtig war, näher bestimmt2).
i) Martin, de l'Epinois, Frohschammer. Dieser übersetzt, Das Christen-
thum S. 48 : „dass du . . . dich der Häresie verdächtig gemacht hast, inso-
fern du eine falsche, den heiligen und göttlichen Schriften widersprechende
Lehre geglaubt und aufrecht erhalten hast" u. s. w.
2) Bei Parchappe schliesst sich an dieses eine Missverständniss noch
ein schlimmeres an: er meint (Galilee p. 246), Galilei habe bei dem „pein-
lichen Verhöre" am 16. Juni eingestanden, dass er die Copernicanische
Lehre wirklich für wahr gehalten, — das bedeute der Ausdruck in der
Sentenz: er habe „katholisch geantwortet"; — er sei also als eingestandener
Ketzer verdammt, aber unter der Bedingung, dass er abschwöre, sei ihm die
342 Nicht zwei Anklagepunkte.
2. Wohlwill sagt S. 97: „Galilei war nach dem Wort-
laute der Sentenz stark verdächtig, geglaubt zu haben:
1. dass die Sonne das Centrum der Welt ist und sich nicht
von Osten nach Westen bewegt, und dass die Erde sich
bewegt und nicht das Centrum der Welt ist; 2. dass man
eine Meinung für wahrscheinlich halten und als solche ver-
theidigen könne, nachdem sie als der h. Schrift widerspre-
chend erklärt und definirt ist. Von diesem zweiten Ver-
dachtspunkte, der in einer Anklage wegen Ketzerei dem
ersten wahrlich nicht untergeordnet erscheinen konnte, ist
in dem letzten Verhöre (vom 21. Juni) so wenig wie in
einem der früheren die Rede. Dass man es für überflüssig
gehalten haben sollte, den Angeklagten über eine ketzerische
Meinung ausdrücklich zu befragen, deren man ihn verdäch-
tig glaubte, muss den Gewohnheiten der Inquisition gegen-
über als unwahrscheinlich angesehen werden. " Das ist einer
der Gründe, weshalb Wohlwill das Protocoll über das Ver-
hör vom 21. Juni, wie es sich in den Processacten findet,
für unvollständig hält. Er fügt bei: „Auffälliger Weise
wird auch in der Abschwörungsformel von den beiden
Punkten nur der erste hervorgehoben. Man erklärt demnach
Galilei durch das Urtheil für verdächtig, geglaubt zu haben,
dass eine schriftwidrige Meinung sich als wahrscheinlich
betrachten lasse, man verurtheilt ihn ausdrücklich, diese
Meinung abzuschwören, und dennoch findet eine Abschwö-
rung dieser besondern Ketzerei nicht statt, — ein Wider-
spruch, den man schwerlich ohne die Annahme einer Nach-
lässigkeit bei der Abfassung, sei es der Sentenz, sei es der
Abschwörungsformel erklären kann."
Diese ganze Argumentation beruht auf einem Miss-
verständnisse. Die beiden von Wohlwill angegebenen
Punkte werden allerdings neben einander in der Sentenz er-
wähnt (s. o. S. 328), aber nicht mit „erstens" und „zweitens"
unterschieden. Sie bilden auch nur Einen Anklagepunkt.
Die in dem ersten Punkte erwähnte Meinung wurde ja nur
darum als häretisch angesehen, weil sie ,,der h. Schrift
widersprechend" war, und umgekehrt wurde der zweite
verdiente Strafe, der Scheiterhaufen, erlassen worden. Dass die „katholische
Antwort", das Gegentheil bedeutet, ist oben S. 305 gezeigt worden; das
Andere bedarf keiner Widerlegung'.
Nicht zwei Anklagepunkte. 343
Punkt nur aus dem ersten gefolgert. Die Anklage konnte
ja gegen Galilei nicht erhoben werden, dass er in abstracto,
theoretisch oder principiell geglaubt habe, eine der h. Schrift
widersprechende Meinung könne wahrscheinlich sein oder
vertheidigt werden ; er war nur darum verdächtig geworden,
dieses geglaubt zu haben, weil er die Copernicanische An-
sicht, auch nachdem sie für schriftwidrig erklärt worden,
wenigstens als probabel dargestellt hatte. Darum heisst es
an einer andern Stelle der Sentenz (S. 326) von dem Dia-
log: „Es wurde darin eine Uebertretung des dir ertheilten
Befehles gefunden, indem du in diesem Buche die früher ver-
dammte und dir ausdrücklich als verdammt bezeichnete Lehre
vertheidigt hast, wiewohl du in dem besagten Buche durch
verschiedene Wendungen die Meinung zu erwecken dich
bemühest, du stelltest sie als unentschieden und ausdrück-
lich nur als probabel hin, — was aber auch ein sehr schwe-
rer Irrthum ist, da eine Meinung, von welcher erklärt
worden ist, sie widerspreche der h. Schrift, in keiner Weise
probabel sein kann." Darum bekennt denn auch Galilei in
der Abschwörungsformel (s. o. S. 330), ganz in Ueberein-
stimmung mit der Sentenz : „Nachdem mir eröffnet worden,
dass diese Lehre der h. Schrift widerspreche, habe ich ein
Buch geschrieben und in Druck gegeben, in welchem ich
die nämliche bereits verdammte Lehre erörtere und mit
vieler Bestimmtheit Gründe für dieselbe anführe, ohne eine
Widerlegung derselben beizufügen und dadurch habe ich
mich der Ketzerei stark verdächtig gemacht, nämlich [ver-
dächtig, die als der h. Schrift widersprechend verdammte
und darum ketzerische Meinung] für wahr gehalten und
geglaubt zu haben, dass die Sonne der Mittelpunkt der
Welt und unbeweglich und die Erde nicht der Mittelpunkt
sei und sich bewege/' Wenn also von dem von Wohlwill
mit 2) bezeichneten Punkte in dem Verhöre vom 21. Juni
wie in den früheren Verhören nicht besonders, nicht getrennt
von dem ersten Punkte die Rede ist, so braucht darum das
Protocoll nicht unvollständig zu sein. Galilei sagt in dem
Verhöre: er habe früher beide Ansichten, die des Ptole-
mäus und die des Copernicus, für disputabel gehalten, aber
nach der Entscheidung der Index- Congregation, — dass
die letztere Ansicht falsch und schriftwidrig sei, — habe er
immer die Ptolemäische Ansicht für wahr und unzweifelhaft
344 Nicht zwei Anklagepunkte.
gehalten. Damit lehnt er auch den von Wohlwill mit No. 2
bezeichneten Verdacht deutlich genug ab 1).
3. Auch Grisar S. 714 unterscheidet % in dem Urtheil
die beiden Punkte wie Wohlwill mit „erstens" und „zwei-
tens", und sagt dann: „Ein doppelter Verdacht wird hier
als Gegenstand, der den Verdacht der Häresie bewirkt, be-
zeichnet; nur der zweite, von allgemeinerer Natur, führt direct
zum Verdacht der Häresie, aber dieser zweite hat den ersten,
besondern, zum Ausgangspunkte und zur Grundlage". Die
Häresie, meint er darum, deren Galilei verdächtig war, war
„nicht etwa das Copernicanische System, dem innerlich anzu-
hangen er allerdings schwer verdächtig war, sondern die Leug-
nung der kirchlichen Autorität überhaupt." Diese Deutung ist
schon darum unhaltbar, weil in der Abschwörung gerade
das, was Grisar als den „zweiten Verdachtspunkt, der den
Verdacht der Häresie eigentlich involvirte", bezeichnet, weg-
gelassen ist. Die Bemerkung, dass dieses geschehen sei,
um die Formel kürzer und prägnanter zu machen und dass
das, worauf es eigentlich ankam, „aus der unmittelbar vor-
her verlesenen Sentenz vorausgesetzt" sei, ist doch augen-
scheinlich nur eine Ausrede der Verlegenheit, und die Be-
merkung, dass die Formel: ich schwöre ab „mit aufrichtigem
Herzen und ungeheucheltem Glauben2) die besagten Irrthü-
mer und Ketzereien" u. s. w., aus der ständigen Formel für
Abschwörungen entlehnt sei, ändert vollends an der Sache
gar nichts. Die Inquisition wird den Wortlaut der Abschwö-
rungsformel wohl überlegt haben, und hat also unzweifel-
haft die Copernicanische Meinung als eine ketzerische
angesehen. Dass der Gegensatz dieser Meinung, „die Be-
wegung der Sonne um die Erde geoffenbart und daher
Dogma des göttlichen Glaubens sei", ist damit allerdings,
wie Reinerding S. 432 bemerkt, nicht ausgesprochen, wohl
aber, dass die Bewegung der Sonne um die Erde eine
ebenso unzweifelhafte Aussage der h. Schrift sei, wie, um
1) Ich habe diesen Punkt bereits im Theol. Lit.-Bl. 1877, 510 er-
örtert. Gebier hat ihn dann ausführlicher in der Gegenwart 1878, No. 18
behandelt. Aehnlich spricht sich Grisar S. 126 aus.
2) Grisar S. 715 übersetzt das con cuore sincero e fede non finta
durch „mit ernster Gesinnung und ungeheuchelter Aufrichtigkeit". Der Aus-
druck ist aus 1 Tim. 1,5: de cor de fiuro et conscientia bona et fide non ßcta.
Das Vergehen Galilei's. 345
Bellarmins Beispiel beizubehalten, dass Jakob zwölf Söhne
gehabt.
Zum Beweise dafür, dass die Copernicanische Lehre
nur als „temerär" verworfen worden sei, beruft sich Grisar
S. 702 auch auf eine früher (S. 182) mitgetheilte Aeusserung
Urbans VIII. im J. 1624: „die h. Kirche habe jene Meinung
nicht als häretisch verdammt und werde sie nicht als häre-
tisch verdammen, sondern nur als temerär; es sei aber nicht
zu fürchten, dass sie je Einer als sicher wahr erweisen
sollte." Wenn der Cardinal von Zollern, der Galilei diese
Aeusserung berichtete, sie genau wiedergegeben hat, so ist
sie ebenso wenig als eine authentische Erklärung der Ent-
scheidung von 16 16 anzusehen als die Aeusserungen, die der
Papst im J. 1632 und 1633 Niccolini gegenüber that.
Wenn sich Grisar schliesslich S. 703 auf Aeusserungen
von Schriftstellern des 17. Jahrhunderts, von Tanner, Gas-
sendi, Fromond und sogar von dem anglicanischen Bischof
Wilkins beruft, welche sagen, die Copernicanische Lehre sei
nur als temerär verworfen worden, so können diese doch
nicht mehr, vielleicht weniger Autorität beanspruchen als
Andere, die, wie Caramuel und Riccioli1), ebenso bestimmt
sagen, sie sei als ketzerisch verdammt worden, und als Pater
Inchofer, den Grisar freilich nicht citirt, der aber als einer
der Rathgeber der Inquisition wohl verdient hätte berück-
sichtigt zu werden. Inchofer aber sagt in seinem unmittel-
bar nach der Verurtheilung Galilei's veröffentlichten „Trac-
tatus syllepticus" (s. o. S. 274) p. 34 ausdrücklich: „Es ist
de fide, dass die Sonne sich bewegt, und zwar im Kreise
(circulartter, um die Erde; p. 46 sagt er: dass die Sonne sich
bewege, sei direct „geoffenbart"); dass die Erde still steht, ist
nicht nur an und für sich de fide, sondern auch darum, weil
es aus einem Satze, der de fide ist, — aus dem Satze nämlich,
dass sich die Sonne im Kreise bewegt, — unmittelbar folgt
und virtuell in diesem Satze enthalten ist." Dass die Erde
der Mittelpunkt des Weltalls sei, ist Inchofer p. 44 so libe-
1) S. die Stellen bei Bouix p. 131. 140. Noch Lucius Ferraris ver-
theidigt in seiner 1746 erschienenen Prompta Bibliotheca canonica s. v.
Haereticus (in der Ausgabe Venedig 1782 IV, 196) ausführlich gegen einen
Römischen Theologen den Satz: „Wenn Jemand heutzutage behauptete, die
Erde sei beweglich u. s. w., so wäre er ein Ketzer",
34^ Das Actenstück vom 26. Febr. 1616.
ral nur als einen Satz, der wahrscheinlich de fide sei, zu
bezeichnen, weil dieser Satz nur durch einen Syllogismus
aus zwei Prämissen, welche de fide seien,. gefolgert werde.
Wenn aber diese Sätze de fide sind, so sind die ihnen wider-
sprechenden Propositionen nicht etwa bloss „temerär", son-
dern „ketzerisch".
Das Vergehen, dessen Galilei im J. 1633 schuldig er-
klärt wurde, war also "dieses: dass er die Copernicanische
Lehre vorgetragen, eine Lehre, welche die Inquisition als
falsch und der h. Schrift widersprechend und darum als
(objectiv) ketzerisch ansah, so dass Jeder, welcher diese
Lehre, wissend, dass sie verdammt war, für wahr hielt, als
Ketzer, Jeder, der sie vorgetragen, ohne dass er überführt
war, sie innerlich für. wahr zu halten, als der Ketzerei ver-
dächtig zu verurtheilen war.
XXX.
Die Aufzeichnung vom 26. Febr. 1616 und die
Verurtheilung Galilei's im J. 1633.
Es wurde bereits oben (S. 130) die Ansicht erwähnt,
die Verurtheilung Galilei's im J. 1633 stütze sich wesentlich
auf die — eigens zu diesem Zwecke im Herbst 1632 von
seinen Gegnern fabricirte, — vom 26. Febr. 1616 datirte
Aufzeichnung, nach welcher er an diesem Tage nicht bloss
von dem Cardinal Bellarmin über die Falschheit und Schrift-
widrigkeit der Copernicanischen Ansicht belehrt und zum
Aufgeben derselben ermahnt, sondern ihm auch im Auftrage
des Papstes und der Inquisition von dem Commissar der
Befehl ertheilt wurde, jene Ansicht fortan in keiner Weise,
weder mündlich noch schriftlich, festzuhalten, zu lehren oder
zu vertheidigen. Eine Reihe von Gründen, welche Wohl-
will und Andere gegen die Echtheit jener Aufzeichnung
vorgebracht, sind früher geprüft worden. Hier ist noch die
Frage zu erörtern: stützt sich wirklich die Verurtheilung
Galilei's im J. 1633 wesentlich auf jenes Document, und be-
Das Actenstück vom 26. Febr. 1616. 347
durften Galilei's Gegner desselben, um seine Verurtheilung
herbeizuführen, hatten sie also ein Interesse dabei, ein
solches Document, wenn es nicht existirte, zu fabriciren?
Ich glaube, diese Frage ist unbedingt zu verneinen.
Galilei ist im J. 1633 nicht, wenigstens nicht bloss und
nicht einmal hauptsächlich darum verurtheilt worden, weil
er das ihm im J. 161 6 insinuirte Verbot, die Copernicani-
sche Lehre vorzutragen, übertreten hatte; er wurde, wie
sich aus der Sentenz ergibt, verurtheilt, weil er sich ,,der
Ketzerei stark verdächtig" gemacht. Als der Ketzerei ver-
dächtig musste ihn aber die Inquisition ansehen, wenn fest
stand, dass er nach dem J. 16 16 über die damals für falsch
und schriftwidrig erklärte Lehre' in Ausdrücken gesprochen,
welche den Verdacht begründeten, dass er sie nicht für
falsch gehalten. Nun hatten aber die Theologen der Inqui-
sition ausführlich nachgewiesen, dass er in dem Dialog die
Copernicanische Ansicht lehre und vertheidige und dadurch
den starken Verdacht begründe, dass er diese Ansicht für
wahr halte, und Galilei selbst hatte in dem Verhöre vom
30. April eingestanden, er habe sich in dem Dialog so aus-
gedrückt, dass der Leser meinen könne, er halte jene An-
sicht für wahr. Er konnte auch nicht sagen, er habe nicht
gewusst, dass die Copernicanische Ansicht nicht für wahr
gehalten werden dürfe; denn er selbst bestritt gar nicht,
dass ihm dieses am 26. Febr. 16 16 amtlich eröffnet worden
war. Zwischen ihm und seinen Richtern oder Anklägern
war nur streitig, in welcher Form dieses geschehen sei:
die Inquisition behauptete, gestützt auf das fragliche Schrift-
stück, es sei ihm nach der von ihm nicht bestrittenen Er-
öffnung des Cardinais Bellarmin auch noch durch den Com-
missar vor Notar und Zeugen das Praeceptum ertheilt wor-
den, die Copernicanische Ansicht in keiner Weise, mündlich
oder schriftlich, festzuhalten, zu lehren oder zu vertheidigen.
Das fragliche Schriftstück war natürlich ein gewichti-
ges Document, um den Verdacht der Ketzerei gegen Gali-
lei zu begründen; aber nothwendig Avar es durchaus nicht.
In der Sentenz heisst es: gerade jenes Zeugniss Bellar-
mins, worauf sich Galilei zu seiner Vertheidigung berufe,
sei für ihn sehr gravirend; denn die Copernicanische Ansicht
sei laut diesem Zeugniss Galilei als eine der Bibel wider-
sprechende bezeichnet worden, und doch habe er dieselbe
348 Das Actenstück vom 26. Febr. 16 16.
in seinem Dialog wenigstens als probabel dargestellt, da
doch eine Meinung unmöglich probabel sein könne, von der
erklärt worden, dass sie der Bibel widerspreche. Hätte also
auch das fragliche Schriftstück nicht existirt, so hätte die
Inquisition ganz dasselbe Urtheil gegen Galilei fällen kön-
nen, welches sie gefällt hat; mithin stützt sich dieses Urtheil
nicht wesentlich auf jenes Schriftstück und hatten Galilei's
Feinde kein besonderes Interesse, dasselbe zu fälschen.
Mit dieser Auffassung des Urtheils steht nicht in Wider-
spruch die Aeusserung, welche Urban VIII. am 18. Juni
Niccolini gegenüber1) that: Galilei werde verurtheilt wer-
den, einige Zeit in Haft zu bleiben, weil er den ihm 161 6
ertheilten Befehlen zuwider gehandelt. Die der Ketzerei
Verdächtigen wurden immer nicht bloss zu einer Abschwö-
rung angehalten, — die nicht als Strafe angesehen wurde,
— sondern auch zu irgend einer Strafe, Geldbusse, Ver-
bannung, Gefangniss, Galere, verurtheilt2), in so fern mit
Recht, als man annahm, dass Niemand ohne irgend welche
Schuld von seiner Seite der Ketzerei verdächtig werden
könne. Galilei's Schuld wurde nun in den Augen der In-
quisition dadurch vergrössert, dass er sich trotz der im J.
16 16 ihm ausdrücklich und speciell ertheilten Verwarnung der
Zustimmung zu der Copernicanischen Lehre verdächtig ge-
macht, und darum konnte der Papst seine Verurtheilung zu
Haft mit der Nichtbeachtung jener Warnung in Verbindung
bringen 3).
Die Sentenz vom 22. Juni stützt sich also nicht wesent-
lich auf die fragliche Aufzeichnung. Dass auch bei dem Pro-
cess wenigstens von dem zweiten Verhöre an dieselbe nicht
als ein Actenstück von wesentlicher Bedeutung behandelt
wird, wurde bereits oben (S. 280) angedeutet. Etwas anders
scheint die Sache bei dem ersten Verhöre zu liegen. In
diesem wird nicht nur Galilei über die Vorgänge am 26.
Febr. 1616 scharf inquirirt und versucht, ihn zu dem Ge-
ständnisse zu bringen, dass ihm damals wirklich durch
den Commissar das fragliche Praeceptum ertheilt worden
1) IX, 444; s. o. S. 302. 2) S. A. P. X, No. 72.
3) Dass in der fraglichen Aeusserung des Papstes „als Galilei's Haupt-
schuld angeführt werde, dass er die ihm 1616 ertheilten Befehle übertreten
habe" (Scartazzini, Uns. Zeit II, 454), ist nicht richtig.
Das Actenstück vom 26. Febr. 16 16. 349
sei; der Commissar fragt ihn auch, ob er nach dem ihm im
J. 16 16 ertheilten Befehle eine Erlaubniss zur Abfassung
seines Dialogs erwirkt und ob er, als er die Druck-Erlaub-
niss dafür nachgesucht, dem Palastmeister von jenem Be-
fehle Mittheilung gemacht. Der Commissar scheint also
vorauszusetzen, dass Galilei dazu verpflichtet gewesen sei,
und in seiner — wahrscheinlich im Einverständniss mit
dem Commissar verfassten — Verteidigungsschrift setzt Ga-
lilei ausführlich aus einander, er habe sich nicht für ver-
pflichtet gehalten, dem Palastmeister von jenem Befehle
Mittheilung zu machen, weil er gemeint habe, jener ihm
speciell ertheilte Befehl gehe inhaltlich nicht über das In-
dex-Decret von 1616 hinaus.
Wenn also auch bei der Verurtheilung Galilei's dem
fraglichen Actenstüche keine entscheidende Bedeutung bei-
gelegt wurde, in der ersten Phase des Inquisitionsprocesses
scheint mehr Gewicht darauf gelegt worden zu sein. Diese
richtige Beobachtung hat Scartazzini dazu veranlasst, Wohl-
wills Hypothese über die Fälschung des Actenstückes in
folgender Weise zu modificiren: Das Actenstück ist fabri-
cirt worden, um als Mittel, Galilei's Verurtheilung herbei-
zuführen, benutzt zu werden; aber im April 1633 gewann
man die Ueberzeugung, dass man dasselbe nicht bedürfe,
und darum wurde seitdem kein sonderliches Gewicht mehr
darauf gelegt1).
Dieser Hypothese gegenüber ist die oben formulirte
Frage so zu fassen: mussten die Gegner Galilei's in den
ersten Monaten nach dem Erscheinen des* Dialogs annehmen,
dass sie eines Actenstückes wie das fragliche bedürften,
um seine Verurtheilung herbeizuführen? Scartazzini bejaht
diese Frage. „Wenn das Document vom 26. Febr. 16 16 nicht
vorlag, sagt er2), so mussten sie den Beweis liefern, dass
Galilei die Copernicanische Lehre in dem Dialog festgehal-
ten und vertheidigt habe. Dieser Beweis ist nun allerdings
durch die Gutachten der drei Consultoren im April 1633
geliefert worden und war auch nicht gerade sehr schwer
zu liefern. Wäre aber jener Beweis nicht gelungen, oder
wäre es dem gewandten und gefürchteten Dialektiker Ga-
1) Uns. Zeit 1877, I, 506. II, 447. Riv. Eur. 1878, V, I.
2) Uns. Zeit I, 506.
35° Das Actenstück vom 26. Febr. 1616.
lilei gelungen, seinerseits nachzuweisen, dass er die Coper-
nicanische Lehre weder festgehalten noch vertheidigt habe,
dann hätte das Actenstück allerdings vortreffliche Dienste
geleistet: es hätte vollständig genügt, um Galilei zu ver-
derben. Beim Beginne des Sturms gegen Galilei, also im
J. 1632, konnten sich seine Feinde um so weniger darauf
verlassen, dass es gelingen würde, jenen Beweis zu geben,
als sie durch frühere Erfahrungen bereits gewitzigt waren.
Hatten sie doch 1625 den Saggiatore, in welchem- eine ver-
steckte Vertheidigung der Copernicanischen Lehre ohne
alle Mühe gefunden werden kann, vergeblich beim Römischen
Inquisitionstribunal denuncirt [s. o. S. 169]; dies mal nun woll-
ten sie sicherer fahren. Konnten sie auch im Dialag keine
Vertheidigung der Copernicanischen Lehre nachweisen, so
mussten sie ein anderes Mittel in den Händen haben, um
unter allen Umständen Galilei zu verderben. Ein solches
Mittel war eben das Document vom 26. Febr. 16 16. Darum
wurde dasselbe — gefunden."
Die mit dem Saggiatore gemachte Erfahrung brauchte
Galilei's Feinde nicht besorgt zu machen: im Dialog wird
die Copernicanische Lehre viel weniger „versteckt" verthei-
digt als im Saggiatore. Das war so leicht nachzuweisen,
dass man gar nicht zu fürchten brauchte, der Beweis werde
nicht gelingen oder Galilei einen Gegenbeweis führen kön-
nen. Urban VIII. äusserte sich, wie wir gesehen, schon in
den ersten Tagen des September über den Inhalt des Dia-
logs in solchen Ausdrücken, dass Galilei's Feinde gar nicht
besorgt zu sein brauchten, ob es ihnen gelingen werde,
einen genügenden, wenigstens, worauf es ankam, einen für
den Papst genügenden Beweis zu liefern, dass Galilei eine
falsche und schriftwidrige Lehre vorgetragen. Diesen Be-
weis lieferten auch nicht erst im April die Consultoren;
Oregio hatte, wie wir gesehen, schon früher diesen Beweis
geliefert, und wenn Inchofer das Gutachten, welches wir von
ihm haben, nicht auch schon als Mitglied der Special- Con-
gregation im August oder September 1632 geschrieben
haben sollte, so hätte er, wenn es verlangt wurde, ohne
alle Mühe damals ein gleiches schreiben können. In der
Special-Congregation wurde, wie wir gesehen haben, bereits
ausdrücklich hervorgehoben, dass im Dialog die Coperni-
canische Lehre (nicht bloss hypothetisch) vorgetragen werde.
Riccardi's Stellung. 351
Galilei's Gegner brauchten also von Anfang an gar nicht zu
befürchten, dass es ihnen ohne ein Document wie das vom
26. Febr. 161 6 nicht gelingen möchte, Galilei's Verurtheilung
herbeizuführen. Sie hatten also von Anfang an kein Inter-
esse dabei, dasselbe zu fabriciren. Hätten sie es aber fabricirt,
so würden sie ohne Zweifel, wie schon früher (S. 145) her-
vorgehoben wurde, dasselbe anders formulirt haben.
Aber war nicht durch die von dem Palastmeister für
den Dialog ertheilte Druck-Erlaubniss Galilei gegen ein
Einschreiten der Inquisition gesichert, falls nicht durch die
Production eines Actenstückes, wie das fragliche ist, der
Vorwurf begründet werden konnte, die Druck-Erlaubniss
sei ungültig, weil sie erschlichen sei, da der Palastmeister
sie nicht ertheilt haben würde, wenn ihm Galilei von dem
ihm im J. 161 6 gegebenen Befehle Mittheilung gemacht
hätte1)? Wenn die Inquisition glaubte, es seien in dem Dialog
häretisch klingende Sätze enthalten, so war sie durch das
Imprimatur des Palastmeisters gar nicht behindert, einen
Process gegen Galilei einzuleiten und ihn wegen jener Sätze
zu verurtheilen. Wenn Urban VIII., wie er Niccolini er-
zählte2), Bücher hatte auf den Index setzen lassen, die ihm
selbst gewidmet (und selbstverständlich mit der Approbation
eines kirchlichen Censors erschienen) waren, so konnte er
auch gegen den Verfasser eines mit regelrechter Approba-
tion des Palastmeisters erschienenen Buches einen Inquisiti-
onsprocess einleiten lassen. Freilich wurde dadurch der
Palastmeister desavouirt und compromittirt und musste er
wegen Ertheilung der Druck-Erlaubniss zur Rechenschaft
gezogen werden, — was ja auch mit Riccardi geschah.
Die Gegner Galilei's bedurften nach dem Gesagten
das fragliche Actenstück nicht, um einen Process gegen ihn
einzuleiten. Für Einen freilich hatte das Actenstück einen
gewissen Werth, aber für Einen, der die Einleitung des
Processes gewiss nicht betrieben hat. Durch die Angriffe,
welche der Dialog erfuhr, und namentlich durch den Zorn
des Papstes über das Buch kam Riccardi, der dasselbe
approbirt hatte, in grosse Verlegenheit. Er scheint wirk-
lich versucht zu haben, der Sache eine solche Wendung zu
1) Wohlwill, Inquisitionsprocess S. 80. Gebier, Galilei S. 214.
2) IX, 421. Vgl. Pieralisi p. 138.
352 Riccardi's Stellung.
geben, dass weniger die materielle Seite, der Inhalt des
Dialogs, als die formelle, die Berechtigung Galilei's zur
Veröffentlichung eines solchen Buches, berücksichtigt würde.
Er suchte darum nachzuweisen, dass in dem Dialog nur
einige Stellen ausgemerzt oder geändert zu werden brauch-
ten, um ihn unverfänglich zu machen1); er klagte, — wie
wir gesehen haben, bezüglich der meisten Punkte mit Un-
recht, — dass Galilei sich nicht an die Bedingungen gehal-
ten, unter denen er die Druck-Erlaubniss erhalten2); er war
es auch, der Niccolini am u. Sept. 16323) mittheilte, „man
habe in den Büchern des h. Officiums gefunden, dass Gali-
lei, als er vor etwa 16 Jahren nach Rom citirt worden, im
Namen des Papstes und des h. Officiums von dem Cardi-
nal Bellarmin verboten worden sei, die Copernicanische
Meinung festzuhalten", und der dieser Mittheilung beifügte:
„das allein sei genug, um Galilei zu ruiniren."
Da dieses nach der gewöhnlichen Angabe die erste
Erwähnung des Actenstückes vom 26. Febr. 1616 ist, so
muss darauf etwas näher eingegangen werden. Dass Gali-
lei im J. 16 16 nach Rom citirt worden, ist, wie wir wissen,
unrichtig; wenn nicht, was leicht möglich, Niccolini Ric-
cardi's Worte ungenau wiedergegeben, so hat dieser nicht
zwar „gelogen"4), — das anzunehmen liegt gar kein Grund
vor, — aber sich geirrt. Dass Bellarmin als derjenige be-
zeichnet wird, der das Verbot ertheilt habe, ist kaum eine
Unrichtigkeit zu nennen, da der Commissar der Inquisition
es im Beisein und Auftrage des Cardinais gethan. Auch dass
der Inhalt des fraglichen Verbotes ungenau angegeben wird,
ist nicht so auffallend: entweder hat Niccolini Riccardi's
Worte nur kurz und darum ungenau berichtet, oder dieser hat
zu kurz und darum ungenau referirt. Jedenfalls schwebt Scar-
tazzini's5) Vermuthung in der Luft: die Aufzeichnung, welche
wir jetzt mit dem Datum „26. Febr. 1616" in den Acten
finden, habe damals noch nicht existirt; man sei eben da-
mit beschäftigt gewesen, dieselbe zu fabriciren, und habe
damals noch vorgehabt, sie so zu fassen, wie Riccardi
1) IX, 422. Acten S. 56; s. o. S. 220. 240.
2) IX, 422. 424. 3) IX, 424.
4) Scartazzini, Uns. Zeit II, 439.
5) Riv. Eur. V, 10.
Riccardi's Stellung. 353
referire, während man später sich für die Fassung entschied,
in der wir sie jetzt in den Acten lesen. Allem Anscheine
nach ist von den beiden zu den Acten der Special-Congre-
gation gehörenden Schriftstücken (s. o. S. 238), — da diese
Congregation schon vor dem 15. Aug. 1632 niedergesetzt
wurde und am 15. Sept. ihren Bericht erstattet hatte (S. 241),
— wenigstens das eine schon vor dem 11. Sept., also vor
der Mittheilung Riccardi's an Niccolini geschrieben: in bei-
den Schriftstücken wird aber das Praeceptum, wie es in
der Aufzeichnung vom 26. Febr. 161 6 steht, wörtlich mit-
getheilt; jedenfalls kann also diese Aufzeichnung nicht erst
zwischen dem September 1632 und dem Februar 1633 fabri-
cirt worden sein1).
Man beachte übrigens, dass Riccardi nicht sagte: nur
auf Grund des fraglichen Documentes könne man Galilei
ruiniren, sondern: dieses Document allein genüge, ihn zu
ruiniren, d. h. wenn man ihn auch nicht auf einen andern
Grund hin verurtheilen könnte, würde man ihn wegen der
Uebertretung eines ihm im J. 1616 ertheilten Befehles ver-
urtheilen können. Ihm wäre es ohne Zweifel lieber ge-
wesen, wenn man sich auf diesen Standpunkt gestellt und
nicht den bedenklichen Inhalt des Dialogs, für dessen Ver-
öffentlichung er mit verantwortlich war, sondern den Un-
gehorsam gegen einen Befehl der Inquisition als den Haupt-
anklagepunkt geltend gemacht hätte. Die Inquisition hat
aber, wie wir gesehen, dieses nicht gethan.
Man kann also höchstens von Riccardi sagen, er hätte
ein Interesse dabei gehabt, die Aufzeichnung vom 26. Febr.
161 6, wenn sie nicht existirte, zu fabriciren. Ihm wäre das
aber nicht möglich gewesen ohne die Mithülfe der Beamten
der Inquisition, welche die Acten in Verwahr hatten, und
dass er diese so leicht hätte finden sollen zu einer Zeit, wo
seine amtliche Stellung gefährdet und der Papst sehr un-
gnädig gegen ihn gesinnt war, ist nicht wahrscheinlich.
Jedenfalls aber würde er, wie schon (S. 145) hervorgehoben
wurde, wenn er das Actenstück gefälscht hätte, dem Com-
missar die Ausdrücke in den Mund gelegt haben, welche
er in der Aufzeichnung vom 25. Febr. 16 16 vorfand und
welche dem Zwecke der Fälschung entsprechender gewesen
1) Riv. Eur. V, 14.
Beusch, Galilei. 2$
354 Riccardi's Stellung.
wären, die Ausdrücke: „Galilei solle sich fortan enthalten,
die Copernicanische Meinung zu lehren oder zu vertheidi-
gen oder von ihr zu handeln". Der letzte Ausdruck
Hess sich leichter als der Ausdruck: „in keiner Weise,
weder schriftlich noch mündlich, lehren oder vertheidigen",
als ein absolutes Verbot deuten, überhaupt über die Coper-
nicanische Lehre zu schreiben, und als ein solches Verbot
musste man doch das Praeceptum vom 26. Febr. 16 16 deu-
ten, wenn man schon die Veröffentlichung des Dialogs, —
abgesehen von der Art und Weise, wie darin die Coper-
nicanische Lehre behandelt wurde, — als eine Uebertretung
des Praeceptums ansehen wollte.
Die Vermuthung, die Aufzeichnung vom 26. Febr. 16 16
sei im J. 1632 fabricirt oder gefälscht worden, ist also un-
begründet, und die Meinung, wesentlich auf dieses Acten-
stück hin sei der Process gegen Galilei eingeleitet und der-
selbe verurtheilt worden, ist unrichtig. Sehen wir nun,
welchen Gebrauch die Inquisition wirklich von dem Acten-
stücke gemacht hat.
In dem einen zu den Acten der Special-Congregation
gehörenden Schriftstücke1) wird, wenn auch nicht als haupt-
sächlicher Anklagepunkt, angeführt: Galilei werde beschul-
digt, betrügerischer Weise das Praeceptum vom J. 16 16
(dem Censor des Dialogs) verschwiegen zu haben. Eine
ausdrückliche Meinungsäusserung der Congregation über
die Berechtigung dieser Beschuldigung, die wahrscheinlich
Riccardi vorgebracht hat, liegt nicht vor; jedenfalls wurde
aber auf die Beschuldigung Werth genug gelegt, um Ga-
lilei in dem ersten Verhöre am 12. April 1633 darüber zu
inquiriren, und in seiner Verteidigungsschrift geht Galilei
ausführlich darauf ein. Was er darüber sagt, zeigt, dass
er voraussetzte, — vielleicht von dem Commissar erfahren
hatte, — man könne das Praeceptum dahin deuten, dass er
in Folge desselben zu etwas Weiterm verpflichtet gewesen
wäre als andere Katholiken, dass er nach jenem Praecep-
tum überhaupt nicht mehr oder doch nur mit einer beson-
dern Erlaubniss eine Schrift über die Copernicanische Lehre
hätte veröffentlichen dürfen, und dass er darum, als es sich
um die Druck-Erlaubniss für den Dialog handelte, dem
1) Acten S. 53; s. o. S. 241.
Riccardi's Stellung. 355
Censor von jenem Praeceptum hätte Mittheilung machen
müssen, worauf dieser die Ertheilung der Erlaubniss ver-
weigert oder die Entscheidung der Inquisitions-Congrega-
tion eingeholt haben würde.
Es wurde bereits früher (S. 247) gezeigt, dass der Wort-
laut des Praeceptums zu dieser Auffassung nicht nöthigt, und
dass es allem Anscheine nach bis zum J. 1632 weder von Gali-
lei noch von der Inquisition so verstanden worden ist. Wahr-
scheinlich ist es Riccardi gewesen, der diese Deutung aufge-
bracht hat, und wahrscheinlich ist er es auch gewesen, der
Niccolini Ende Februar 16331) von einem Galilei im J. 1616
ertheilten Befehle erzählte, er solle über die Copernicani-
sche Lehre „nicht disputiren und nicht discurriren", — Ga-
lilei erklärte sofort, der Befehl laute: „sie nicht lehren oder
vertheidigen", — und der die Nichtbeachtung dieses Be-
fehles als die Hauptanklage gegen Galilei bezeichnete, wäh-
rend gleichzeitig der Papst2) auf diesen Punkt nicht so gros-
ses Gewicht legte, indem er sagte: Galilei habe im Dialog
die Bewegung der Erde nicht, wie er ankündige, bloss hy-
pothetisch, sondern behauptend und beweisend vorgetra-
gen; auch habe er den ihm von dem Cardinal Bellarmin3)
ertheilten Befehl übertreten.
Diese, wie gesagt, wahrscheinlich von Riccardi aufge-
brachte Deutung des Praeceptums ist dann auch in das
Urtheil vom 2^. Juni 1633 übergegangen, in welchem es
heisst: Galilei könne sich nicht auf die für den Dialog er-
theilte Druck-Erlaubniss berufen, da er diese „auf geschickte
und schlaue Weise erschlichen, indem er von dem (im J.
1616) erhaltenen Praeceptum nichts gesagt". Noch aus-
drücklicher wird das Praeceptum so gedeutet in dem
Schreiben, mit welchem der Secretär der Inquisition unter
dem 2. Juli 1633 den auswärtigen Inquisitoren die Sentenz
und die Abschwörung Galilei's übersandte4): „Wiewohl von
der Index- Congregation der Tractat des Copernicus, . . worin
die der h. Schrift widersprechende Lehre vorgetragen wird,
dass die Erde sich bewege, . . . suspendirt und von dieser
Congregation des h. Officiums vor Jahren Galilei verboten
1) IX, 432. 2) IX, 433; s. o. S. 225.
3) Wenn dabei steht „im Auftrage der Index-Congregation", so be-
ruht das auf einem Versehen des Papstes oder Niccolini's.
4) IX, 472, lateinisch bei Gebier, Galilei S. 428.
356 Riccardi's Stellung.
worden ist, diese Meinung für wahr zu halten, zu verthei-
digen und in irgend einer Weise schriftlich oder mündlich
zu lehren, so hat doch derselbe Galilei gewagt ein Buch zu
verfassen unter dem Titel . . . , und ohne von dem besag-
ten Verbote etwas zu sagen, hat er die Erlaubniss zum
Drucke desselben erschlichen, und während er im Anfange,
in der Mitte und am Ende angibt, er wolle die besagte
Meinung hypothetisch behandeln, hat er, wiewohl er in keiner
Weise davon handeln durfte (benche non ne potesse trattare
in modo alcuno), in solcher Weise davon gehandelt, dass
er sich dringend verdächtig gemacht, dass er eine solche
Meinung für wahr halte" u. s. w.
Die Inquisition handelte von ihrem Standpunkte aus
nicht unrecht, wenn sie, wie Urban VIII. andeutete, die im
J. 1616 ertheilte Verwarnung gegen Galilei, als er sich des
Festhaltens an der Copernicanischen Lehre verdächtig ge-
macht, als erschwerenden Umstand geltend machte. Sie
konnte auch sagen, der Dialog über die beiden Weltsy-
steme hätte, als ein von einem schon einmal deswegen ver-
warnten Autor geschriebenes Buch, strenger als andere
Bücher untersucht werden müssen. Wenn sie aber weiter
annahm, Galilei hätte, um eine solche strengere Prüfung zu
veranlassen, selbst den Censor an seine Verwarnung erin-
nern müssen, oder er hätte, um überhaupt über die Copernica-
nische Lehre schreiben zu dürfen, einer besondern Erlaubniss
oder einer Dispensation von dem ihm im J. 161 6 ertheilten
Verbote bedurft, so war eine solche Forderung* unberech-
tigt und konnte billiger Weise aus dem Wortlaute des
Praeceptums nicht abgeleitet werden. Wenn dasselbe trotz-
dem wirklich in dieser Weise verwerthet wurde, so folgt
daraus nicht, dass dasselbe eine wesentliche Grundlage der
Verurtheilung gebildet hätte. Wäre das Praeceptum des
Commissars nicht vorhanden gewesen, so hätte man in
ähnlicher Weise die Mahnung des Cardinais Bellarmin ver-
werthen können. Dass aber in dem Urtheil und noch aus-
drücklicher in dem Schreiben an die auswärtigen Inquisi-
toren behauptet wurde, Galilei habe das Imprimatur er-
schlichen, geschah nicht so sehr, um ihn zu graViren, als
um den Magister Sacri Palatii weniger zu compromittiren 1),
1) Schneemann S. 398 hat einen richtigen Gedanken durch leichtfertige
Uebertreibung entstellt.
Ist Galilei gefoltert worden? 357
der ja doch, wenn man ihn nicht in dieser Weise entschul-
digte, hätte abgesetzt werden müssen.
Die Angabe, Riccardi sei abgesetzt worden1), ist näm-
lich unrichtig. Der Papst war Anfangs auch über ihn sehr
erzürnt, richtete aber von vorn herein, wie wir gesehen, seinen
Zorn hauptsächlich auf den unglücklichen Ciampoli. Am 26.
Dec. 1632 schreibt Niccolini2) zwar: Die Galilei'sche Sache
scheine auch für Riccardi schlimme Folgen haben zu sollen;
alle Welt, namentlich der General der Dominicaner (s. o.
S. 228) sage, er habe den Dialog nicht approbiren dürfen;
am 23. April 16333) schreibt er: man spreche jetzt weniger
über Galilei' s Buch als darüber, wie Riccardi dazu gekom-
men, dasselbe zu approbiren, da der Papst behaupte, ihn
dazu nicht ermächtigt zu haben, und nach der Verurtheilung
Galilei's schreibt er am 3. Juli4): er habe von dem Com-
missar der Inquisition gehört, Riccardi werde für seine Un-
achtsamkeit und Nachlässigkeit bestraft werden. Aber die
Strafe scheint sich auf einen Verweis beschränkt zu haben.
Riccardi blieb wenigstens Magister Sacri Palatii bis zu
seinem Tode. Er starb 31. Mai 1639 (s- °- S. 165). Die
Leichenrede hielt am 1. Juni — Pater Inchofer, und sein
Nachfolger wurde Pater Firenzuola, der Commissar des h.
Officiums. Dieser machte freilich eine bessere Carriere als
Riccardi, da er schon. 164 1 Cardinal wurde.
Auch der Inquisitor zu Florenz erhielt, wie wir sehen
werden, einen Verweis für die Ertheilung der Druck-Er-
laubniss.
XXXI.
„Ist Galilei gefoltert worden?"
So lautet der Titel der von E. Wohlwill im J. 1877
herausgegebenen Schrift. Das Ergebniss der scharfsinnigen
und lehrreichen Untersuchungen, die darin niedergelegt sind,
i) Gebier, Galilei S. 322, Schneemann S. 269 u. A.
2) IX, 431. 3) IX, 441. 4) IX, 446.
358 Ist Galilei gefoltert worden?
ist, kurz zusamrnengefasst, folgendes: Eine Folterung Gali-
lei's im eigentlichen Sinne, eine strenge Folterung, wie sie
sonst oft bei Inquisitionsprocessen vorgenommen wurde, hat
nicht stattgefunden, — insofern haben die vielen neueren
Schriftsteller, welche Libri und Anderen gegenüber die
Frage: Ist Galilei gefoltert worden? verneinen, Recht. Es
braucht nicht einmal angenommen zu werden, dass Galilei
überhaupt wirklich gefoltert, etwa einer leichten Folterung,
wie sie auch sonst wohl bei Greisen vorgenommen wurde,
unterworfen worden sei, einer Folterung, die, — im Unter-
schiede von dem, was Eymericus (p. 481 und oft) decenter
quaestionare nennt, — so leicht war, dass sie, wie das Sacro
Arsenale (P. X, No. 135) witzig sagt, „kaum Tortur genannt
werden könne, sowie ein leichtes Fieberchen nicht Fieber
genannt werde". Galilei ist vielmehr aller Wahrscheinlich-
keit nach nur mit der Folterung bedroht worden, wie denn
ja auch in dem Beschlüsse der Inquisition vom 16. Juni nur
von einer Androhung der Folter die Rede ist. Aber diese
Bedrohung hat nicht bloss in der in dem Protocoll vom
21. Juni beschriebenen Weise in dem Verhörslocale statt-
gefunden, — eine Form der Bedrohung, die man als Territio
verbalis oder levis bezeichnete, — sondern Galilei ist nach
dieser bloss in Worten vorgenommenen „leichten Schreckung"
aus dem Verhörslocale in die Folterkammer abgeführt und
dort einer Territio realis unterworfen, d. h. unter Vorzei-
gung der Marterwerkzeuge und Beschreibung ihrer Ver-
wendung mit der Anwendung dieser Mittel bedroht, viel-
leicht danach auch noch durch die Folterknechte entkleidet,
gebunden und in die zu der eigentlichen Folterung erfor-
derliche Stellung gebracht und in diesem Zustande von
neuem befragt worden1).
Die Differenz zwischen dieser Antwort und der ein-
fachen Verneinung der Frage, ob Galilei gefoltert worden,
ist an sich nicht bedeutend, aber sie ist wichtig wegen der
Folgerung, die Wohlwill aus seiner Ansicht zieht, der schon
oben (S. 3 1 7) erwähnten Folgerung, dass das Protocoll vom
2 1 . Juni, welches nur von einer Territio verbalis spricht und
die Vornahme der Territio realis ausschliesst, nicht echt
sein könne.
1) Aehnlich schon Parchappe, Galilee p. 259, Cantor, Zts. f. Math. IX
(1864), 194 und Lit.-Z. 20, Wangemann, Jahrb. f. D. Theol. 1866, 381 u. A.
Ist Galilei gefoltert worden? 359
Dass in Galilei's Briefwechsel nie von einer Folterung
gesprochen wird, beweist freilich nicht, dass eine solche
nicht stattgefunden; wir finden in seinen Briefen, von denen
übrigens viele nicht erhalten sind, überhaupt keine Mitthei-
lungen über die Einzelheiten seines Processes '). Aber das
spricht entschieden gegen die Annahme einer wirklichen
Folterung am 21. Juni, — denn nur an diesem Tage könnte
sie stattgefunden haben, — dass Galilei am 22. nach Santa
Maria sopra Minerva gebracht wurde, um sein Urtheil zu
hören und knieend abzuschwören, dass er am Abend des
24. von Niccolini abgeholt wurde, am 26. einen Brief schrieb
und am 6. Juli Rom „in recht guter Gesundheit" verliess
und von Viterbo aus Niccolini schrieb, er habe vier Miglien
zu Fusse zurückgelegt2). Wenigstens diese letzte Thatsache
verbürgt, wie auch Wohlwill zugibt, für den 15. Tag nach
dem 21, Juni ein Wohlbefinden, das wir nach strenger Fol-
terung nicht erwarten würden3).
Die Absicht, ohne Noth Galilei körperlich zu miss-
handeln, hatten auch der Papst und die Inquisition sicher
nicht; sie wäre mit der Milde, die man in dieser Beziehung
gegen ihn bekundete, indem man ihn nicht einkerkerte
u. s. w., sie wäre namentlich mit dem, was wir aus dem
oben (S. 283) mitgetheilten Briefe des Commissars der In-
quisition an den Cardinal Barberini entnehmen dürfen, nicht
1) "Wohlwill S. 35.
2) IX, 371. 445. 447. Scartazzini, Riv. Eur. 1878, VI, 421 hält freilich
Niccolini's Mittheilung über die Fussreise für unwahr. S. o. S. 320, Anm. 4.
3) S. 52. Man hat das Bruchleiden Galilei's, welches in dem Berichte
des Florentiner Inquisitors vom J. 1638 (X, 280) erwähnt wird, als einen
Beweis für die Folterung ansehen wollen („Galilei wurde nachher von einer
Krankheit befallen, welche die gewöhnliche Folge der Folterung mit dem
Strange ist". Terrier, Galilei S. 61). Das Leiden wird aber schon in dem
ärztlichen Zeugnisse vom 17. Dec. 1632 erwähnt (s. o. S. 256). Da das
Leiden in jenem Berichte als terribile rottura bezeichnet wird, könnte
man annehmen, dass es sich seit dem December 1632 verschlimmert. Als
„Indicium für die Vollziehung der Tortur" will jedoch auch Wohlwill S. 54
diese Verschlimmerung nicht verwerthen ; anderseits glaubt er freilich auch
nicht, dass man behaupten dürfe, die Inquisition habe wegen dieses Leidens
von der Folterung Galilei's absehen müssen. Bertolotti, Riv. Eur. 1878, V,
477, führt freilich ein Actenstück vom J. 1599 an, wonach Bruchleidende
(rotti) bei einem Criminalprocess in Rom nicht gefoltert wurden (vgl. Berti,
II Processo, N. Ed. p. 292); s. indess oben S. 308, Anm. 4.
360 Ist Galilei gefoltert worden?
vereinbar gewesen *). Man würde aber ausnahmsweise
grausam gegen Galilei gewesen sein, wenn man ihn hätte
foltern lassen; denn wenn die Folterung von Greisen auch
nicht unbedingt unzulässig war, so wäre doch die Folterung
eines Mannes von 70 Jahren und von der Körperbeschaffen-
heit Galilei's eine ausnahmsweise Härte gewesen, wie sie
in diesem Falle nicht vorauszusetzen, ja geradezu undenk-
bar ist. '
Galilei foltern zu lassen, wäre auch zwecklos gewesen.
Die Inquisition war, wie wir (S. 312) gesehen haben, am 16.
Juni bereits zu dem definitiven Beschlüsse gekommen, Galilei
nicht als formellen Ketzer, sondern als der Ketzerei stark
verdächtig zu verurtheilen. Um ihn als Ketzer verurtheilen
zu können, hätte erwiesen sein müssen, dass er die als ketze-
risch angesehene Copernicanische Meinung nicht nur in dem
Dialog vorgetragen, sondern auch für wahr gehalten, also
eine ketzerische Intention gehabt. Ersteres nahm die Inqui-
sition als erwiesen an und hatte Galilei selbst eingestanden ;
letzeres hatte er bisher geleugnet. Wollte man ihn also
als Ketzer verurtheilen, so musste man beschliessen, es
solle versucht werden, ihn zunächst durch Androhung, even-
tuell durch Anwendung der Tortur zu dem Geständnisse
der ketzerischen Intention zu bringen. Da man ihn aber
nicht als Ketzer, sondern nur als der Ketzerei verdächtig
verurtheilen wollte, so bedurfte man gar bricht eines weitern
Geständnisses, und hatte also gar kein Interesse, den Versuch
zu machen, ein solches durch die Folter zu erpressen,
musste vielmehr wünschen, dass Galilei seine bisherige Er-
klärung über seine Intention aufrecht erhielt. Dass dieses
geschehen würde, setzte die Inquisition voraus ; darum be-
schloss sie schon am 16., was nach dem Verhöre über die
Intention geschehen sollte, ohne der Eventualität, dass Ga-
lilei eine andere Erklärung abgeben könnte, auch nur zu
gedenken. Das ganze Verhör vom 21. Juni war also inso-
fern nur eine Formalität, als man über das Ergebniss des-
selben im voraus keinen Zweifel hatte; es wurde überhaupt
nur angestellt, weil es nach der Gerichtspraxis üblich war,
wie es denn ja auch der Commissar in dem erwähnten ver-
1) Auch die Bemerkungen von Wohlwill S. 39 ff. beweisen nicht, dass
man nicht in dieser Hinsicht milde gegen Galilei verfuhr.
Der Ausdruck Examen rigorosum. 361
traulichen Briefe (S. 284) nur als eine Formalität zu bezeich-
nen scheint. Dem entspricht es auch, dass die Inquisition
das Verhör zwar anordnete, aber gleich beifügte, es solle
dabei die Kolter zwar angedroht, aber nicht angewendet
werden. Hätte es den Zweck gehabt, weiteres Beweis-
material gegen Galilei zu beschaffen, so hätte man nicht
schon vor dem Verhöre am 16. das Urtheil fällen können.
"Wahrscheinlich ist sogar schon vor dem Verhöre die Sen-
tenz ausgearbeitet worden; ^denn die Zeit zwischen dem
Ende des Verhöres am 21. und der Verlesung der Sentenz
am 22. ist dazu zu kurz, diese auszuarbeiten und von den
Cardinälen genehmigen und unterzeichnen zu lassen.
Jedenfalls hatte die Folterung, wenn man Galilei nur
als der Ketzerei verdächtig verurtheilen wollte, keinen
Zweck; denn das konnte man ohne Folterung1).
Aus den hier entwickelten Gründen ist anzunehmen,
dass Galilei wirklich, dem Beschlüsse der Inquisition vom
16. Juni entsprechend, nicht gefoltert, sondern nur mit der
Folterung bedroht worden ist. Ob aber die Bedrohung nur
in der Form der Territio Verhalts oder auch in der Form der
Territio realis stattgefunden, ist damit noch nicht entschie-
den. Das Protocoll vom 21. Juni spricht nur von ersterer.
Diese Angabe glaubt aber Wohlwill für unrichtig (und
darum das Protocoll für gefälscht) erklären zu dürfen, weil
die am 22. Juni verkündete Sentenz sagt, es sei mit Galilei
das „peinliche Verhör", rigoroso esame, examen rigorosum.
angestellt worden. Denn von diesem Ausdrucke glaubt
Wohlwill erwiesen zu haben, dass er nur von der wirklichen
Folterung und der Territio realis, nicht aber von der Ter-
ritio verbalis gebraucht worden sei.
Eine Stelle, worin der Begriff des Examen rigorosum
ausdrücklich so angegeben würde, findet sich in den Schrif-
ten, aus denen wir den Sprachgebrauch der Inquisition
kennen lernen, nicht; wir müssen die Bedeutung des Wortes
und der anderen hier in Betracht kommenden Ausdrücke
durch die Berücksichtigung vieler einzelnen Stellen, an wel-
chen sie gebraucht werden, zu ermitteln suchen.
1) Th. Lit.-Bl. 1876, 177; 1877, 224. Wenn Zöckler, Gesch. der Be-
ziehungen u. s. w. I, 535 sagt, „durch Bedrohung mit der Folter sei Gali-
lei's schliesslicher Widerruf erpresst worden", so ist damit der Zweck der
Folterung ganz verkannt.
362 Der Ausdruck Examen rigorosum.
Zunächst scheint, wie Wohlwill1) bemerkt, der Aus-
druck Examen rigorosum ausschliesslich in den Sentenzen
gebraucht worden zu sein. In den Formularen, welche das
Sacro Arsenale für die Verhöre gibt, kommt er nicht vor.
In den Sentenzen wird der Ausdruck aber gebraucht, wo
von dem Befragen des Angeklagten auf der Tortur ge-
sprochen wird. „Da es uns schien, dass du nicht ganz die
Wahrheit gesagt, haben wir für nöthig erachtet, gegen dich
zum peinlichen Verhöre zu schreiten (venir contro di te alla
rigor osa esamina), bei welchem du nichts Neues ausgesagt"
oder dergl., heisst es im Sacro Arsenale in der Sentenz,
während in dem Verhöre dem Angeklagten gesagt wird:
,,wenn er sich nicht entschliesse, die Wahrheit zu sagen,
werde gegen ihn zur Folterung geschritten werden" (contra
eum devenietur ad torttiram), worauf dann eventuell die Ab-
führung in die Folterkammer und die Folterung selbst folgt.
Es ist also jedenfalls, wie Wohlwill weiter (S. 8 ff.) richtig
bemerkt, ganz falsch, wenn man sagt, Examen rigorosum
und Tortur seien „zwei ganz verschiedene Dinge"2). Nie
wird die Tortur neben dem Examen rigorosum als etwas
davon Verschiedenes genannt; sie ist vielmehr in dieses mit
eingeschlossen, und wenn eine Sentenz der Inquisition von
Examen rigorosum spricht, so ist vorauszusetzen, dass das
stattgefunden, was im 6. Theile des Sacro Arsenale mit dem
Ausdrucke interrogare oder esaminare i Rei nella tortura
(in tortura, ne' tormenti), bezeichnet wird 3). Aus einem hand-
1) S. 15. 22. 23. In den Fonnularen für die Sentenzen im S. A. steht
rigorosa esamina, in den Urtheilen gegen Galilei und Manfredi (p. 47) rigo-
roso esame, in dem Urtheil gegen Carnesecchi (p. 47) esamine rigoroso. Bei
Carena findet sich examen rigorosum nur einmal (p. 172) in einem Citat aus
dem S. A. (Wohlwill S. 23); bei Pena habe ich den Ausdruck gar nicht
gefunden, bei Pignatelli einmal ^p. 535 a) severum examen. In dem Capitel,
welches Wolynski p. 135 aus der Praxis S. Inquisitionis von J. B. Neri
(1685) mittheilt, steht einmal extor quere rigoroso examine, einmal confessus
est in rigoroso examine torturae.
2) So Epinois, Galil6e p. 70, und ähnlich auch noch La question p. 210.
Aehnlich Gebier, Galilei S. 315.
3) Gleichbedeutend ist Quaestio ; vgl. Carena p. 396 b: Quaestio in
iure nostro dicitur inquisitio veritatis per tormenta et corporis dolorem',
tortura vero est ipsemet corporis cruciatus ad veritatem eruendam repertus.
In der Formel bei Eymericus-Pegna p. 480b heisst es: sententiamus te sup-
ponendum quaestionibus et tormentis ; der von der Folterung handelnde
Der Ausdruck Examen rigorosum. 363
schriftlichen Werke über das Verfahren der Inquisition,
welches der Bischof Diodato Scaglia von Melfi, ein Neffe
des Cardinais Scaglia, der unter Galilei's Richtern war,
geschrieben und dem Cardinal Barberini gewidmet hat,
führt Berti1) folgende Stelle an: „Wenn beschlossen worden
ist, den Angeklagten zum zweiten Male zu foltern (dar la
corda repetita al reo), so ist es nicht nöthig, dieses [im Ur-
theil] zu erwähnen; es genügt, zu sagen: es wurde beschlos-
sen, gegen dich zum peinlichen Verhöre (esame rigoroso) zu
schreiten."
Nun muss aber nicht in allen Fällen, in welchen die
Sentenz von dem Examen rigorosum spricht, angenommen
werden, dass der Delinquent wirklich gefoltert worden sei.
Denn in manchen Fällen galt das Bedrohen mit der Folte-
rung, welches Wohlwill als Territio realis bezeichnet, als
mit der wirklichen Folterung gleichwerthig, und in solchen
Fällen konnte also auch von demjenigen, der nicht gefoltert,
sondern nur geschreckt worden war, in der Sentenz gesagt
werden, es habe das Examen rigorosum stattgefunden.
Der Delinquent musste, wie oben (S. 305) erwähnt
wurde, die auf der Folter gemachten Geständnisse, wenn
sie rechtliche Gültigkeit haben sollten, nach 24 Stunden
ausserhalb der Folterkammer ratificiren. Nun wird im Sacro
Arsenale2) bestimmt, diese Ratification sei auch dann nöthig,
wenn der Angeklagte ein Geständniss abgelegt „nur aus
Furcht vor den bevorstehenden, ihm von dem Inquisitor an-
gedrohten Foltern, d. h. wenn er schon gebunden oder ent-
kleidet oder doch in die Folterkammer abgeführt war", und
an einer andern Stelle3) heisst es: „Wenn der Angeklagte,
nachdem er nur in die Folterkammer abgeführt oder dort
entkleidet oder auch gebunden, aber noch nicht emporge-
zogen worden, ein Geständniss macht, so sagt man, er habe
auf der Folter und bei dem peinlichen Verhöre (ne* tormenti
e nella esamina rigorosa) gestanden". Aehnlich sagt Ca-
rena4): die Ratification sei nöthig, wenn der Delinquent das
Abschnitt p. 591 hat die Ueberschrift De quaestionibus et tormentis, und
quaestionare bedeutet während der Folter verhören.
1) II Processo p. CXI (N. Ed. p. 96). 2) P. X, No. 85.
3) P. X, No. 249. Vgl. Wohlwill S. 28.
4) p. 413a. Ganz ähnlich Pignatelli p. 171a. 175a,
364 Der Ausdruck Examen rigorosum.
Geständniss abgelegt „aus unmittelbarer Furcht vor der
Folter (meta torturae proximo), d. h. wenn er in der Folter-
kammer gestanden, während er gebunden, wurde u. s. w.,
da die Furcht vor der Folter dasselbe bewirkt wie die Fol-
ter selbst"; dagegen sei die Ratification nicht nöthig, das
Geständniss als ein freies und darum ohne weiteres rechts-
gültiges anzusehen, wenn es gemacht worden sei ,,nach einer
Androhung der Folter nur in Worten (post comminationem
tantummodo verbalem), weil die aus einer solchen Bedrohung
entstehende Furcht vor der Folter entfernt^ und leicht und
darum der wirklichen Folter nicht gleichzustellen ist". Auf
Grund solcher Stellen nimmt Wohlwill mit Recht an, von
einem Examen rigorosum könne in einer Sentenz auch dann
gesprochen werden, wenn nur eine Bedrohung mit der Fol-
terung in der Folterkammer stattgefunden.
Eine Stelle in den Zusätzen Pasqualone's zum Sacro
Arsenale1) führt uns noch einen Schritt weiter. „Die Ratifi-
cation, sagt er, ist nicht nur dann nöthig, wenn das Geständ-
niss abgelegt wird während der wirklichen Folterung oder
nachdem der Angeklagte in die Folterkammer abgeführt und
gebunden worden und im Begriffe steht, emporgezogen zu
werden, sondern auch dann, wenn der Angeklagte es ablegt,
nachdem an dem Orte des Verhöres das Decret aufgezeichnet
worden, dass er in die Folterkammer zur Folterung abzu-
führen sei; denn auch in diesem Falle wird von dem Ge-
ständnisse präsumirt, es sei aus Furcht vor der Folter ab-
gelegt." Masini2) sagt sogar: „Wenn der Richter in dem
Gerichtssaale ausserhalb der Folterkammer zu dem Ange-
klagten sagt: Wenn du nicht das Vergehen eingestehst,
werde ich dich abführen und foltern lassen, und der Ange-
klagte darauf hin gesteht, so wird man nicht sagen, das
Geständniss sei aus Furcht vor der Folter abgelegt; denn
das ist eine leichte Schreckung (lieve territione) und erscheint
nur als Renommage (una cotal giattanza) des Richters, —
es sei denn, dass der Richter ein schrecklich aussehender
Mensch und gewohnt wäre, dergleichen zu sagen und zur
Ausführung zu bringen; denn in diesem Falle müsste das
Geständniss ein metu tormentorum abgelegtes genannt
werden". Dieser letzte Fall kommt hier nicht in Betracht;
1) p. 229. 2) S. A. P. X, No. 260.
Der Ausdruck Examen rigorosum. 36$
aber bei dem von Pasqualone angeführten handelt es sich
um eine Androhung, die Wohlwill zu der Territio verbalis
zählt und die doch in ihrer Wirkung dem, was er Territio
realis nennt, gleichgestellt wird. So wird also der Satz,
dass in einer Sentenz von dem Examen rigorosum nur dann
gesprochen werden könne, wenn die Folterung oder die
Schreckung in der Folterkammer, nicht auch dann, wenn
bloss eine Schreckung im Verhörslocale stattgefunden, nicht
festgehalten werden können. Die Ausdrücke Territio levis
oder verbalis und gravis oder realis scheinen überhaupt
nicht so scharf bestimmte und so stehende Termini technici
gewesen zu sein, wie Wohlwill annimmt. Während Pas-
qualone schon die noch im Verhörslocale stattfindende Pub-
lication des Beschlusses, zur Folterung zu schreiten, als
eine Territio gravis behandelt, bezeichnen Andere die Ab-
führung des Angeklagten in die Folterkammer, so lange
nicht bis zur Entkleidung und zum Festbinden geschritten
worden sei, als einen levis terror1).
Zu Gunsten der Ansicht, dass nur die Territio realis,
nicht auch die verbalis unter den Begriff Examen rigorosum
falle, beruft sich Wohlwill S. 25 auch darauf, dass nach
Farinacci gewöhnlich fünf Grade der Tortur unterschieden
wurden, von denen der erste darin bestand, dass der An-
geklagte entkleidet, gebunden und an das Seil geschlossen
und alles so weit vorbereitet wurde, dass nur noch das
Aufziehen fehlte, was zwar, wie Farinacci sagt, eigentlich
nur eine Schreckung war, aber im weitern Sinne Tortur
genannt werden konnte2). Dem gegenüber hat man ge-
sagt: auch die Territio verbalis werde oft unter dem Aus-
drucke Tortura mit einbegriffen; namentlich zähle Julius
Clarus die fünf Grade der Tortur so auf: 1. die Androhung
der Folter, 2. die Einführung in die Folterkammer, 3. die
1) So Julius Clarus p. 696 und unter Bezugnahme auf ihn Pignatelli
II, 168a. Auch Farinacius p. 587 b: etiam conductio rei ad fiunem dicitur
levis terror secundiim communem, während er p. 588a und p. 655 die ter-
ritio realis erklärt als quae fit per spoliationem, ligationem, conductionem
ad locum torturae etc.; ähnlich Pegna p. 484a.
2) Farinacius L. I. Tit. V. Qu. 38, No. 40, p. 607a. Ganz ähnlich M.
A. Sabellius (1692) bei Wolynski p. 138; nur zählt er als sechsten Grad:
quando devenitur ad repetitionem. Beide sprechen von der Praxis bei welt-
lichen Gerichtshöfen.
366 Der Ausdruck Examen rigorosum.
Entkleidung und das Festbinden, 4. das Aufziehen, 5. der
Folterruck1). Aber Clarus fügt dieser Eintheilung, — die
übrigens auch Farinacci kennt, aber als die „weniger ge-
wöhnliche" bezeichnet, — die Bemerkung bei: in der Pra-
xis werde ein Geständniss, welches auf eine vor der Ab-
führung in die Folterkammer stattgehabte Bedrohung hin
abgelegt worden, nicht als ein aus Furcht vor der Folter
abgelegtes angesehen, und er führt dann eine andere Ein-
theilung der Tortur in drei Grade an, von denen der erste
Schreckung genannt werde, aber nicht allein die Androhung
der Folterung, sondern auch die Abführung in die Folter-
kammer, das Entkleiden und das Festbinden umfasse. Pig-
natelli führt p. 163 a dieselben fünf, p. 168 a dieselben drei
Grade an und sagt: nur wenn die drei ersten Grade nach
der ersten Eintheilung zusammen kämen, könne von einer
Furcht vor der Folter die Rede sein, die der Folterung
selbst gleich stehe. So bleibt es also richtig, dass gewöhn-
lich die Territio verbalis unter dem Ausdrucke Tortura
nicht mit einbegriffen wurde. Aber daraus folgt nicht, dass
sie nicht unter den Begriff Examen rigorosum fiel.
Ich glaube, wir müssen, um die Bedeutung des Aus-
drucks Examen rigorosum in dem Sprachgebrauche der
Inquisition zu erkennen, einen etwas andern Weg ein-
schlagen als Wohlwill2). Bei einem Inquisitionsprocesse
wurden zunächst die Denuncianten, die von ihnen namhaft
gemachten Zeugen und der Denuncirte selbst verhört, um
die Richter zu informiren und Material für die zu formu-
lirende Anklage zu gewinnen. Von diesem Theile des
Processes, dem Informativ-Processe, handelt der 2. und 3.
Theil des Sacro Arsenale; der 4. handelt Del modo di for-
mare il processo repetitivo e defeitsivo und enthält Formu-
lare für das nach der Formulirung der Anklage vorzuneh-
mende nochmalige Verhör der Belastungszeugen über be-
stimmte Fragen und für das Verhör der von dem Ange-
1) So Grisar S. 188, Gebier, Gegenw. 1878, No. 24, S. 376. S. Ju-
lius Clarus, Pract. crim. L. V, § Fin. q. 64, p. 696 ; vgl. Farinacius 1. c.
No. 39« — Der Folterruck, squassatio z. e. succussio per funem et lapsus
(Pignatelli II, 163 a), war übrigens bei der Römischen Inquisition verboten.
S. A. p. 189.
2) Aehnlich wie ich fasst, wie ich nachträglich gesehen, Wolynski
p. 86. 97. 98 die Sache auf.
Der Ausdruck Examen rigorosum. 367
klagten namhaft gemachten Schutzzeugen. Dann handelt
der 6. Theil (in dem 5. stehen Formulare, die hier nicht in
Betracht kommen) Del modo d'interrogare i Ret nella tor-
tura. In dem einleitenden Abschnitte heisst es: „Wenn der
Angeklagte die ihm Schuld gegebenen Vergehen leugnet und
diese nicht vollständig erwiesen sind, und wenn der Ange-
klagte in der ihm für seine Vertheidigung angesetzten
Frist zu seiner Rechtfertigung nichts vorgebracht oder bei
seiner Vertheidigung die Indicien , welche sich aus dem
Processe gegen ihn ergeben, nicht beseitigt hat, so muss,
um die Wahrheit zu ermitteln, gegen ihn zum peinlichen
Verhöre (rigorosa esamina) geschritten werden, da die Folte-
rung (la tortura) gerade dazu erfunden ist, den Mangel der
Zeugenaussagen, falls diese keinen vollen Beweis gegen
den Angeklagten liefern, zu ergänzen. . . . Um aber sicher
zu gehen, muss der Inquisitor zuerst in einer Sitzung der
Consultoren des h. Officiums den Offensiv- und Defensiv-
Process vorlegen, und nach dem gelehrten und erfahrenen
Rathe der Consultoren muss er, obschon ihr Votum kein
entscheidendes, sondern nur ein berathendes ist, sich rich-
ten und verfahren. Oder wenn die Sache wichtig und
schwierig ist, mache er davon dem heiligen und höchsten
Tribunale der heiligen und allgemeinen Römischen Inquisi-
tion Mittheilung und erwarte von dort die Entscheidung.
Wir setzen also voraus, es habe bereits unter der Assistenz
des Diöcesanbischofs oder seines Bevollmächtigen die Be-
rathung [mit den Consultoren] stattgefunden und es müsse
nach den Gesetzen der Angeklagte dem peinlichen Ver-
höre unterworfen werden (a rigorosa esamina sottoporsi),
oder es sei von der h. Congregation eine Weisung ange-
langt (st sia ricevuto l'oraculo), was zu thun sei, und gehen
nun daran, die verschiedenen Formen des besagten Ver-
höres (dt detta esamina) auseinanderzusetzen, welche je nach
der Verschiedenheit der Fälle bei dem h. Tribunale vor-
kommen können." Der nächste Abschnitt hat die Ueber-
schrift: Modo di esaminare in tortura sopra il fatto, einer
der folgenden: Modo di esaminare in tortura sopra V inten-
tione solamente (p. 164, — um ein Verhör über die Intention
handelt es sich bei Galilei). Jeder dieser Abschnitte be-
ginnt aber mit der bereits (S. 307) erwähnten Weisung be-
züglich des letzten noch in dem gewöhnlichen Locale abzu-
368 t)er Ausdruck Examen rigorosum.
haltenden Verhöres, bei welchem nach einigen kurzen und
knappen Fragen die Bedrohung mit der Folterung statt-
fand und welches mit der Protocollirung des Beschlus-
ses, den Angeklagten in die Folterkammer abzuführen
u. s. w., schloss. — Aus dieser Darlegung scheint mir
ganz deutlich hervorzugehen, dass mit Examen rigorosum
das Verhör bezeichnet wird, welches auf den nach der
Beendigung des Informativ-, Offensiv- und Defensiv-Pro-
cesses gefassten förmlichen Beschluss des Inquisitors und
seiner Consultoren oder der Römischen Inquisition , es
dürfe zur Folterung geschritten werden, folgt, dass also
das letzte in dem' gewöhnlichen Locale vorg-enommene
Verhör, bei welchem dieser, zunächst nur eventuelle Be-
schluss, nachdem der Angeklagte auch bei der Androhung
der Folter hartnäckig geblieben, als ein definitiver proto-
collirt wurde, mit zu dem Examen rigorosum gehört, — mit
anderen Worten, dass die Grenzscheide zwischen den ge-
wöhnlichen Verhören und dem peinlichen Verhöre nicht, wie
Wohlwill annimmt, die Abführung in die Folterkammer,
sondern der zur Folterung ermächtigende Beschluss ist1).
In der Regel wird es; wenn der Beschluss vorlag, es
dürfe zur Folterung geschritten werden, auch zur wirklichen
Folterung oder zu einer dieser gleichwerthig erachteten
Schreckung gekommen sein, und zu einem regelrechten und
vollständigen Examen rigorosum gehörte also auch die Be-
fragung auf der Folter oder wenigstens in der Folterkammer.
Darum kann das Sacro Arsenale, welches die Formulare
für vollständige und regelrechte Examina rigorosa gibt,
auch in den Ueb er Schriften die Bezeichnung csaminarc
in tortura gebrauchen. Dass aber die beiden Ausdrücke
völlig gleichbedeutend seien, folgt daraus nicht. Wenn der
oben (S. 364) angeführte Fall eintrat, dass der Delinquent
1) Auch bei den weltlichen Gerichten musste der Richter, wenn er
nach der Vollendung des Offensiv- und Defensiv-Processes zur Folterung
schreiten zu müssen glaubte, ein förmliches Decret darüber erlassen. Jul.
Clarus 1. c. qu. 62, p. 672; qu. 64, p. 681. 694 a. Aber die letzte Ermah-
nung und Bedrohung im Verhörslocale, welche bei der Inquisition der
Promulgation des Decretes der Folterung und der Abführung in die Folter-
kammer vorherging, war, so viel ich sehe, bei den weltlichen Gerichten nicht
erforderlich, weshalb denn auch bei ihnen das examinare in tortura jene
letzte Ermahnung und Bedrohung nicht mit umfasste.
Der Ausdruck Examen rigorosum. 369
nach der Protocollirung des Decretes, ihn in die Folter-
kammer abzuführen, noch im Verhörslocale gestand, so wird
man dieses Geständniss als ein bei dem Examen rigorosum
gemachtes bezeichnet haben. Nach den angeführten einlei-
tenden Bemerkungen zum 6. Theile des Sacro Arsenale
waren Examen rigorosum und Examen in tortura nicht
„identisch", letzteres vielmehr ein Theil, in der Regel der
Haupttheil des (vollständigen) Examen rigorosum.
Zu dieser Auffassung passen, so viel ich sehe, alle
Stellen des Sacro Arsenale, wo der Ausdruck Examen rip-o-
rosum vorkommt. Auch die von Wohlwill S. 24 angeführte
Stelle p. 187 (nicht 189) spricht nicht dagegen. Es heisst
dort: Wenn ein Angeklagter sich hartnäckig weigert zu
antworten oder unbestimmt und ausweichend antwortet, ,,so
ist es nothwendig, gegen ihn zum Examen rigorosum zu
schreiten, um überhaupt eine Antwort oder eine genaue,
genügende und ausreichende Antwort zu erlangen. Aber
zuerst fprimaj muss man ihn in gebührender Weise er-
mahnen und dann (appresso) ihn mit dem Seile bedrohen,
und der Notar hat seine Hartnäckigkeit gegenüber diesen
Ermahnungen und Drohungen in folgender Form zu regi-
striren. . . Dann wird das Decret der Folterung (il decreto
dt tortura) formulirt" u. s. w. Die Formeln stimmen in
allem Wesentlichen mit den früher angegebenen überein.
Wohlwill übersetzt nicht genau: „Aber zuvor muss man ihn
in gebührender Weise ermahnen und ihn mit dem Seile
bedrohen", lässt das Folgende weg, fügt bei: „Der Richter
soll also mit der Tortur bedrohen, ehe er zum Examen rigo-
rosum schreitet", und folgert aus der Stelle, „dass die ein-
leitende Befragung unter Androhung der Tortur nicht ein-
mal als ein Theil derselben angesehen werde". Richtig •
übersetzt und verstanden, besagt die Stelle vielmehr: das
Examen rigorosum, zu dem der Richter zu schreiten habe,
habe zu bestehen 1. aus der Ermahnung, 2. der Bedrohung,
3. dem Decrete, den Delinquenten in die Folterkammer ab-
zuführen und dort zu foltern, 4. dem was in der Folterkam-
mer geschah. Nicht vor dem Examen rigorosum, sondern
vor der Folterung soll die Ermahnung und Bedrohung statt-
finden, und diese wird allerdings nicht als ein Theil der
Tortur, wohl aber als ein Theil des Examen rigorosum
angesehen.
Reusch, Galilei. 24
370 Der Ausdruck Examen rigorosum.
Da es, wie gesagt, in der Regel, wenn die Inquisition
beschlossen hatte, der Angeklagte solle „dem peinlichen
Verhöre unterworfen werden", zur wirklichen Folterung oder
zu einer ihr gleichwerthig erachteten Schreckung gekommen
sein wird, so ist, wenn in einer Sentenz das Examen rigo-
rosum erwähnt wird, zu präsumiren, dass der Angeklagte
gefoltert oder doch in die Folterkammer abgeführt und dort
geschreckt, dass mindestens bei dem letzten Verhöre der
definitive Beschluss, zur Folterung zu schreiten, protocollirt
worden sei. Die Inquisition war aber berechtigt, auch wenn
es bei Galilei so weit nicht gekommen war, in der Sentenz
zu sagen: „Wir haben für nöthig erachtet, gegen dich zum
peinlichen Verhöre zu schreiten, bei welchem du — jedoch
ohne Präjudiz u. s. w. — katholisch geantwortet hast", —
sofern sie wirklich beschlossen hatte, es solle zum peinlichen
Verhöre Galilei's geschritten werden, wenn auch mit der
Beschränkung, dasselbe solle nur bis zur Androhung der
Tortur fortgesetzt werden, und sofern Galilei wirklich bei
einem nach dem oben Gesagten zum Examen rigorosum
gehörenden Verhöre bezüglich der Intention katholisch ge-
antwortet hatte. Die Beifügung der Formel „ohne Präjudiz
u. s. w." (s. o. S. 304) hätte allerdings in der Sentenz gegen
Galilei unterbleiben können, weil sie, wie Wohlwill S. 34
richtig bemerkt, nur dann in das Protocoll aufgenommen
wurde, wenn die Abführung des Angeklagten in die Folter-
kammer beschlossen wurde, also bei Galilei von dem Com-
missar nicht gebraucht worden war. Sie wurde aber in die
Sentenz aufgenommen, um zu constatiren, dass die Inquisi-
tion, wiewohl Galilei bei dem peinlichen Verhöre bezüglich
der Intention „katholisch geantwortet", sich doch auf Grund
dessen, was er früher eingestanden und was gegen ihn er-
wiesen worden, für berechtigt halte, ihn als der Ketzerei
verdächtig anzusehen.
Einige haben angenommen, in der Sentenz sei, obschon
nur die in dem Protocoll vom 2 1 . Juni erwähnte Bedrohung
stattgefunden, der Ausdruck Examen rigorosum, der auf ein
„Verhör in strengerer Form" (wenigstens auf das, was
Wohlwill Territio realis nennt) zu deuten scheine, gebraucht
worden, „um zu bezeichnen, was der Sitte oder, wie man
sagt, dem Stile gemäss hätte geschehen sollen, nicht aber,
Publication des Urtheils an anderen Orten. 371
was geschehen war" 1). Richtiger wird man nach dem eben
Vorgetragenen sagen: die Inquisition habe auch in der Sen-
tenz gegen Galilei „dem Stile gemäss'*', wie das in den
Sentenzen gegen „stark Verdächtige'* üblich war, das Exa-
men rigorosum erwähnt, obschon dasselbe gegen Galilei in
einer mildern Form angewendet worden, als sonst üblich
war, — und diese Erwähnung des Examen rigorosum nicht
zu unterlassen, mag die Inquisition, wie Gebier vermuthet,
darum für gut befunden haben, weil die Sentenz, die überall
publicirt wurde, auch den Zweck hatte, „zur Einschüchterung
zu dienen, der Verbreitung der Copernicanischen Lehre ent-
gegenzuwirken und ihren Anhängern die Übeln Folgen zu
zeigen, welche die Vertheidigung derselben für Galilei ge-
habt."
XXXII.
Publication des Urtheils gegen Galilei an anderen Orten.
Der in der Sitzung der Inquisition vom 16. Juni 1633
gefasste Beschluss über die Bekanntmachung der Verur-
theilung Galilei's wurde in der am 30. Juni, wieder unter
dem Vorsitze des Papstes, gehaltenen Sitzung2) bestimmter
so gefasst: Dem Inquisitor zu Florenz sei eine Abschrift
der Sentenz und der Abschwörung Galilei's zu übersenden
mit der Weisung, sie in einer Sitzung der Inquisition den
Consultoren und Beamten des h. Officiums und den gleich-
falls einzuladenden Professoren der Philosophie und Mathe-
matik jener Stadt vorlesen zu lassen; ferner seien Abschrif-
ten allen Nuncien und Local-Inquisitoren, namentlich den
i) So zuerst Brenna (1778); s. Wohlwill S. 5. Aehnlich Gebier, N.
Antol. 1876, III, p. 64.
2) Gherardi No. XVI. Acten S. 114. IX, 445. Bei Gherardi heisst
es: der Inquisitor zu Florenz solle die Actenstücke in einer Sitzung velo
levato verlesen lassen. Das wird wohl ein technischer Ausdruck für Sitzun-
gen sein, zu denen ausser den Beamten der Inquisition auch noch andere Per-
sonen, hier die Professoren, zugezogen wurden.
372 Publication des Urtheils an anderen Orten.
Inquisitoren zu Bologna und Padua, zu übersenden, um sie
ihren „Vicarien und Diöcesanen" zu notificiren, — die In-
quisitoren sollten sie ihren Vicarien, die Nuncien den Diö-
cesanbischöfen ihres Bezirks notificiren J), — „damit sie zur
Kenntniss aller Professoren der Philosophie und Mathema-
tik gelangten."
Wir haben ein Schreiben des Secretärs der Inquisition
vom 2. Juli 1633, mit welchem er -die beiden Actenstücke
der Inquisition zu Venedig übersandte2). Am Schlüsse des-
selben heisst es: dieselben seien den Professoren der Phi-
losophie und Mathematik zur Kenntniss zu bringen, „damit
sie wissen, wie mit Galilei verfahren worden, und daraus
die Schwere des von ihm begangenen Irrthums erkennen
und sich vor der Strafe hüten, die sie, wenn sie in densel-
ben Irrthum fallen sollten, zu erleiden haben würden". Wie
die gleich zu erwähnenden Antworten ergeben, ergingen
gleichlautende Schreiben noch an 26 Inquisitoren in ande-
ren italienischen Städten und Schreiben desselben Inhalts
an die zehn Nuncien in Florenz, Neapel, Venedig, St. Ni-
colas (Frankreich), Brüssel, Lüttich, Wien, Luzern, Wilna
(Polen) und Madrid3).
Bezüglich des Inquisitors zu Florenz scheint in Rom der
Verdacht entstanden zu sein, dass er die ihm ertheilte Wei-
sung nicht pünktlich ausgeführt. Bei den Acten 4) findet sich
folgender Brief desselben vom 27. Aug. 1633: „Schon am 9.
Juli habe ich Ew. Eminenz geschrieben [der Brief ist nicht
bei den Acten], dass ich die Abschrift der Sentenz gegen
Galilei und seiner Abschwörung erhalten und dass ich sie
1) Wolynski p. 26 theilt das betreffende Schreiben des Nuncius zu
Florenz an den dortigen Erzbischof (27. Aug. 1633) mit.
2) IX, 472; s. o. S. 355.
3) Vgl. Grisar S. 676. Von einer directen Mittheilung an „alle Erz-
bischöfe und Bischöfe Italiens'' (Gebier, Galilei S. 322) ist nicht die Rede.
4) S. 127. Bei Gherardi No. XVII wird berichtet: in der Sitzung
vom 24. Aug. sei ein Brief des Nuncius zu Florenz vorgelesen und darauf
beschlossen worden, ihm zu schreiben, er solle für die Ausführung des Be-
fehles Seiner Heiligkeit bezüglich der Sentenz gegen Galilei Sorge tragen.
In den Vaticanischen Acten findet sich nur S. 122 ein Brief des Nuncius
vom 6. Aug., worin er den Empfang eines Schreibens des Cardinais Antonio
Barberini anzeigt, und S. 130 ein Brief vom 3. Sept., worin er berichtet, er
habe die Sentenz und Abschwörung publicirt.
Publication des Urtheils an anderen Orten. 373
in der folgenden Woche publiciren würde. Am 12. Juli,
wurde in Gegenwart der Consultoren dieses h. Officiums
und so vieler Philosophen und Mathematiker, als zu haben
waren, — es waren ihrer mehr als fünfzig, — die besagte
Sentenz und Abschwörung in der vorgeschriebenen Weise
publicirt. Ich habe mir also bezüglich der Ausführung des
Befehles nichts zu Schulden kommen lassen. Wenn ich
dadurch gefehlt habe, dass ich über diese Ausführung nicht
berichtet habe, so bitte ich demüthig unsern Herrn und- die
h. Congregation um Verzeihung. Ich habe dies vernach-
lässigt, weil ich dachte, jener Brief würde genügen. Aber
sie mögen mich gnädig entschuldigen; denn die Ausführung
dessen, was mir befohlen wird, habe ich nie unterlassen
und werde ich nie unterlassen." Dieser Brief wurde in der
Sitzung der Inquisition vom 8. Sept. vorgelesen, und darauf
beschlossen, dem Inquisitor einen ernsten Verweis dafür
zu ertheilen, dass er für den Dialog Galilei's die Druck-Er-
laubniss ertheilt habe1). Der Inquisitor antwortete am 17.
Sept.2): „Ich habe bereitwillig und mit der grössten De-
muth den scharfen Tadel entgegengenommen, den mir Ew.
Eminenz im Namen unseres Herrn und der h. Congregation
ausgesprochen, — dass dieselben erklärt hätten, ich hätte
sie schlecht bedient, indem ich so leicht den Druck und die
Veröffentlichung des so verderblichen Buches Galilei's ge-
stattet hätte. Wiewohl ich in dieser Beziehung manches
zu meiner Vertheidigung sagen könnte, will ich doch, da
sie das Urtheil aussprechen, die Schuld liege an mir, nichts
anderes sagen, als dass ich es bereitwillig hinnehme. Ich
bitte demüthig um Verzeihung und versichere, dass es mir
für die Zukunft zur Lehre und Warnung dienen soll."
Ueber die Publication in Florenz berichtet Mario Gui-
ducci an Galilei3): ,,Im Juli kam eines Abends der Pater
Vicarius zu mir und lud mich im Namen des Paters Inqui-
sitor ein, mich zu einem Acte einzufinden, der am 12. im h.
Officium stattfinden solle. Er wollte mir nicht sagen, wo-
rum es sich handelte. Ich ging Abends hin und fand, dass
sie eben in Begriff waren anzufangen. Es waren zugegen
die Consultoren und einige Canonici und andere Ordens-
1) Gherardi No. XVIII. Acten S. 128.
2) Acten S. 137. 3) IX, 390.
374 Publication des Urtlieils an anderen Orten.
geistliche, ferner die Herren Filippo Pandolfini, Aggiunti,
Francesco Rinuccini und Dino Peri1), welche eingeladen
waren wie ich. Wir setzten uns Alle, und der Pater In-
quisitor sagte, er habe von der Congregation den Befehl
erhalten, den Eingeladenen die Sentenz und die Abschwö-
rung vorzulesen, und er beauftragte den Kanzler, der ein
Mönch desselben Ordens ist, sie vorzulesen. (Folgt eine
Inhaltsangabe der Sentenz und der Abschwörung.) Was
die Erlangung einer Abschrift betrifft [darum hatte Galilei
gebeten], so war ein Consultor nicht zug-egen, weil er nicht
in Florenz war. Dieser war neugierig, die Sentenz zu hören,
und sie wurde ihm vorgelesen. Die Bitte um eine Abschrift
aber wurde ihm abgeschlagen. Da ich neugierig war, zu
wissen, warum ich eingeladen worden sei, sagte mir der
Pater Vicarius, sie hätten von Rom Befehl, so viele Mathe-
matiker und Philosophen einzuladen, als sie haben könnten."
In den Processacten findet sich eine ganze Reihe von
Schreiben, worin die Nuncien und Inquisitoren anzeigen,
dass sie die Actenstücke erhalten und die Weisung der h.
Congregation ausgeführt hätten oder ausführen würden. Wie
der Inquisitor von Florenz, so wurden auch noch einige
Andere, die nur angezeigt hatten, sie würden die Weisung
ausführen, nach einiger Zeit aufgefordert, auch über die
geschehene Ausführung zu berichten2). Uebrigens haben in
diesen, sonst sehr einförmigen Actenstücken nur folgende Ein-
zelheiten Interesse: Der Inquisitor von Padua meldet, der
Philosoph Fortunio Liceti habe ihm das Exemplar des Dia-
logs ausgeliefert, welches er von Galilei zugeschickt er-
halten; er fahnde auch in den dortigen Bibliotheken auf
das Buch3). Der Inquisitor von Reggio fragt an, ob er die
i) Niccolö Aggiunti, geb. 1600, war einer der hervorragendsten Schü-
ler Galilei's. Er wurde auf dessen Empfehlung 1626 Castelli's Nachfolger
als Professor der Mathematik in Pisa, starb aber schon 1. Dec. 1635. Dino
Peri, ein anderer Schüler Galilei's, wurde in Pisa Aggiunti's Nachfolger,
starb aber schon 1640. S. IX, 109. 184. Targioni I, 310.
2) Acten S. 141. 153.
3) Acten S. 136. Liceti, geb. 1577, 1600 Professor der Philosophie
in Pisa, seit 1609 in Padua, später (1636) in Bologna, 1645 Prof. der Medicin
in Bologna, f 1657, ein sehr gelehrter Mann und fruchtbarer Schriftsteller,
aber ein starrer Aristoteliker, s. o. S. 15 und unten § XXXV. VI, 285.
Tiraboschi VIII, 163. Liceti erbat sich nachher die Erlaubniss, den Dialog
zu lesen. Epinois, La question p. 282.
Publication des Urtheils an anderen Orten. 375
Zuschrift der Inquisition und das Urtheil über Galilei voll-
ständig oder nur eine Notiz darüber drucken lassen solle.
Der Inquisitor von Pisa beklagt sich, dass der Vicar des
Erzbischofs die Zuschrift der Inquisition früher erhalten als
er und ihm mit der Publication zuvorgekommen sei. Der
Inquisitor von Venedig spricht von der Meinung, welche
Galilei „in seinem Linceo" vorgetragen habe, und der In-
quisitor von Ceneda spricht von einem schon vor dreizehn
Jahren erlassenen Decrete über das Buch des Nicolo Caper-
nico Lettore1). Der Nuncius von Brüssel legt einen Brief
des Rectors des englischen Colleg zu Douay, Matthäus
Kellison, bei, worin derselbe sagt: „Ich habe die Sache
bei der ersten Gelegenheit dem Kanzler und anderen Pro-
fessoren der hiesigen Universität mitgetheilt; sie sind so
weit entfernt, dieser fanatischen Meinung (des Copernicus,
huic phanaticae opinioni) zuzustimmen, dass sie dieselbe in
ihren Vorlesungen immer bekämpft haben (ut illam e scho-
lis suis semper explodendam et exsibilandam duxerint). In
unserm englischen Colleg ist jenes Paradoxon nie gebilligt
worden und wird es nie gebilligt werden; vielmehr haben
wir es immer verabscheut und werden es immer verab-
scheuen" 2).
Diesen mit den Processacten veröffentlichten Acten-
stücken können noch zwei bei Alberi3) gedruckte an die
Seite gestellt werden. Das erste ist ein Schreiben des
Nuncius zu Brüssel vom 1. Sept. 1633, worin er dem Cor-
nelius Jansenius, als Professor primarius zu Löwen, die
Verurtheilung Galilei's mittheilt und zum Schlüsse sagt:
„Dieses hat die h. Congregation den belgischen Universi-
täten mitzutheilen befohlen, damit sich Alle dieser Wahr-
heit conformiren; daran bitte ich also Sie auch die übrigen
Professoren Ihrer Universität zu erinnern". Das zweite ist
ein Decret des Bischofs von Cortona vom 13. Sept. 1633,
worin das Urtheil gegen Galilei publicirt wird. Der Schluss
lautet: „Damit nun Alle und ein Jeder insbesondere davon
1) Acten S. 145. 149. 124. 125.
2) S. 171. Auch in diesem Briefe ist die Rede von „dem Buche eines
gewissen Galilei, qui Galilens Galilaei Lynceus inscribituru, — vielleicht
verschrieben oder verdruckt für Dialogus Galilaei Lyncei.
3) IX, 473-
376 Der Dialog auf den Index gesetzt.
Kenntniss erlange, um sich zu merken, wie man über die
Dinge redet und handelt, welche den Glauben, die Kirche
und ihre Prälaten angehen, soll dieses Edict an den ge-
wöhnlichen Stellen angeheftet und von Niemand abgerissen
werden. Wer dieses wagt, soll sofort der Excommunica-
tion verfallen, und es soll gegen ihn als einen im Glauben
Verdächtigen bei dem Officium der h. Inquisition vorge-
gangen werden. "
Galilei selbst erhielt von der Inquisition keine Ab-
schrift des Urtheils und der Abschwörung. Er bemühte
sich, durch" Freunde eine solche zu erhalten. Am 3. Sept.
schrieb ihm Buonamici, bei dem er vor seiner Abreise von
Rom den Wunsch geäussert hatte, eine Abschrift zu haben,
nach Siena, es sei ihm nach vielen Bemühungen gelungen,
eine solche zu erhalten; er bringe sie nächstens mit1). Buon-
amici legte diesem Briefe einen Bericht über den Pro-
cess bei, den „ein Freund nach Deutschland, Spanien und
Flandern geschickt habe"; das ist der oben (S. 6) erwähnte,
von Buonamici selbst verfasste Bericht, — Die Sentenz
wurde zuerst in einem 1634 zu Paris erschienenen Werke
von Mersenne in französischer Uebersetzung, 1644 zu Ve-
nedig in dem „Anticopernicus catholicus" von Giorgio Po-
lacco mit der Abschwörung italienisch gedruckt2).
Der Dialog wurde auffallender Weise erst unter dem
23. Aug. 1634 auf den Index gesetzt, und das Verbot des-
selben nicht durch ein besonderes motivirtes Decret wie das
vom J. 161 6 bekannt gemacht3). Als der Prinz Gioan Carlo
von Medici im August 1633 auf sein Ansuchen die Erlaub-
niss zum Lesen verbotener Bücher erhielt, wurden, wie Gui-
ducci4) berichtet, der Dialog, Machiavelli und „ein gewisser
Morneo" (Philipp Mornay du Plessis, der seit 1621 auf dem
Index stand) ausgenommen. Damit stimmt die Angabe in
einem Briefe Galilei's vom 28. Juni' 1 636 5), der Papst habe
die Ertheilung der Erlaubniss zum Lesen des Dialogs sich
selbst vorbehalten.
1) IX, 392; vgl. x, 166. VII, 139.
2) Martin, Galilee p. 252. Wohlwill, Ist Gal. gef. worden? S. 159. 170.
3) Bouix p. 114 meint sonderbarer Weise, die Stelle aus dem Proto-
coll vom 16. Juni 1633, die von dem Verbote des Dialogs handelt, sei aus
einem Decrete der Index-Congregation.
4) IX, 384. S. o. S. 76. 5) VII, 66.
Verbot fernerer Schriften Galilei's. 377
Nach dem Beschlüsse vom 16. Juni 1633 sollte Galilei
befohlen werden, „fortan weder schriftlich noch mündlich
irgendwie die Ansicht von der Bewegung1 der Erde u. s. w.
oder die entgegengesetzte Ansicht zu behandeln"; es
sollte ihm also jetzt jede Erörterung* der Copernicanischen
Lehre, selbst die Bekämpfung derselben untersagt sein.
Zu dieser Fassung des Beschlusses mag der Umstand An-
lass g'egeben haben, dass Ga4ilei in dem Verhöre am 30.
April sich erboten hatte, in einer Fortsetzung des Dialogs
die Copernicanische Lehre zu widerlegen. In das Urtheil
vom 22. Juni wurde jenes Verbot nicht aufgenommen. Es
findet sich in den Acten auch nicht erwähnt, dass es Gali-
lei förmlich insinuirt worden sei. Die Inquisition wandte ein
anderes, über den Beschluss vom 16. Juni noch hinaus-
gehendes Mittel an, um die Veröffentlichung von Schriften
Galilei's über, für oder gegen die Copernicanische Lehre
zu hindern.
Unter dem 10. Febr. 1635 J) schreibt Micanzio an Gali-
lei: „Vor einigen Tagen .äusserte ich bei dem P. Inquisitor
die Absicht, Ihre Abhandlung über die schwimmenden
Körper neu drucken zu lassen. Er sagte mir, er habe einen
ausdrücklichen Auftrag von Rom, der das nicht gestatte.
Ich antwortete, der Auftrag werde sich auf das Werk über
das Copernicanische System beziehen. «Nein, erwiederte
er, es ist ein allgemeines Verbot de editis omnibus et eden-
dis.a Ich sagte: »Aber wenn er das Credo oder das Pater-
noster drucken lassen will?« Wir kamen überein, dass er
mir eine Abschrift des Auftrags geben solle." Am 10.
März2) schreibt er dann: ,,Der Inquisitor hat mir den sehr
strengen Befehl bezüglich der gedruckten und zu drucken-
den Sachen schriftlich gezeigt", und am 17.: „Ich habe
Ihnen von dem barbarischen Befehle geschrieben, der hier
ist; wie ich erfahren habe, ist er auch an allen anderen
Orten nullo excepto." Am 21. Febr. 1636 erwähnt Galilei
selbst diese Verordnung in einem Briefe an Peiresc3). Schnee-
mann erklärt freilich S. 270: „Da sich keine Spur hiervon
in den Acten der Römischen Inquisition [so weit sie ge-
druckt sind] findet und auch die neu gedruckten Werke
Galilei's ungehindert in Rom verkauft wurden, können wir
1) x, 75. 2) X, 81. 3) Suppl. 362.
378 Galilei nicht „clarissimus''.
den Worten des Venetianischen Hoftheologen keinen Glau-
ben beimessen." Wenn die Inquisition ihren Organen heim-
lich befahl, den Druck von Schriften Galilei's nicht zu ge-
statten, so brauchte sie darum noch nicht den Muth zu
haben, öffentlich den Verkauf der gegen ihren Willen
ausserhalb ihres Bereiches gedruckten, inhaltlich unbedenk-
lichen Schriften Galilei's zu verbieten. Dass Micanzio die
Sache erdichtet haben sollte*» dafür ist die Thatsache, dass
er Theologe der Republik Venedig war, doch kein ge-
nügender Beweis.
In einem Briefe vom 6. März 1641 erzählt Vincenzo
Renieri Galilei folgende „schöne Geschichte"1): Der Profes-
sor Gaudenzio Paganino zu Pisa2) habe in einem Buche
über die Pythagoreische Seelenwanderung Galilei als claris-
simus Galileus citirt; der Pater Inquisitor habe aber bei
der Censur das clarissimus nicht wollen passiren lassen, und
Paganino habe mit Mühe erreicht, dass er notissimus Gali-
leus sagen dürfe. H. de l'Epinois3) scheint diese Geschichte
nicht ganz glaublich zu finden. Der Inquisitor wandte aber
nur die Verordnung Clemens' VIII. vom J. 1596 auch auf
Galilei an : es seien alle ehrenvollen Epitheta der Ketzer zu
streichen4).
1) x, 409.
2) Targioni I, 352. Tiraboschi VIII, 272.
3) La question p. 277. Epinois weist allerdings nach, dass sonst ita-
lienische Schriftsteller unbehindert von Galilei in den lobendsten Ausdrücken
gesprochen. '
4) Vgl. Gibbings, Carnesecchi p. VIII. Theol. Lit.-Bl. 1874, 510. Der
Jesuit H. Montrouzier hat noch im J. 1872 (Etudes relig. t. 2, p. 19. 22)
diese von Clemens VIII. den Bücher-Revisoren ertheilte und durch Benedict
XIV. erneuerte Instruction: Epitheta honorifica et omnia in laudem haere-
ticorum dicta deleantur, in Erinnerung gebracht, als durchaus vernünftig be-
zeichnet und beigefügt: „Es werde also den erklärten Feinden der Kirche
oder denen, die fern von ihr leben, kein Wort des Lobes gespendet; man
berufe sich nie auf ihre Autorität, es sei denn, um sie mit einander in
Widerspruch zu bringen oder sie mit Rücksicht auf diejenigen, welche sie
als ihre Meister ansehen, für die Wahrheit Zeugniss ablegen zu lassen. Der
h. Ignatius wollte nicht einmal, dass man den Stil und die Belesenheit eines
häretischen Schriftstellers lobe."
Behandlung Galilei's seit 1633. 379
XXXIII.
Die Behandlung Galilei's nach der Verurtheilung.
Oben (S. 335) wurde gesagt, der Unwille, welchen
das Verhalten der Gegner Galilei's erwecke, müsse noch
gesteigert werden, wenn man die Behandlung betrachte,
welche sie nach seiner Verurtheilung und Abschwörung ihm
angedeihen Hessen. Es ist ein grosser Fehler mancher älte-
ren Darstellungen des Galilei'schen Processes, dass sie bei
den Fabeln von Kerkerhaft, grausamer Folterung und der-
gleichen verweilen, und dann über die actenmässig beglau-
bigten Thatsachen der folgenden Jahre hinweggehen, und
es ist auf der andern Seite sehr charakteristisch, wenn die
Apologeten der Curie nach der Widerlegung jener Fabeln
diese Thatsachen verhüllen, wie z. B. P. Schneemann S. 269 :
,, Dieses Urtheil [die Verurtheilung zu Kerkerhaft] wurde
vom Papste sofort in das der Internirung verwandelt, , und
so »büsste« der Verurtheilte zuerst in den angenehmen
Gärten von Trinitä de' Monti in Rom, dann im Palast des
Erzbischofs von Siena, eines ihm ergebenen Freundes, end-
lich in der Villa Arcetri bei Florenz, wo . er ruhig seinen
Studien lebte"1).
Am 22. Juni 1633 wurde Galilei, wie wir gesehen, zu
Kerkerhaft während einer von der Inquisition.zu bestimmen-
den Zeit verurtheilt. Die Haft im Inquisitionsgebäude wurde
aber schon am 23. in Internirung im Palaste des grossher-
zoglichen Gesandten umgewandelt, wohin Galilei am 24.-
Abends von Niccolini abgeholt wurde2). Gleich in den
i) Aehnlich Wenig S. 53, Reinerding S. 422, Civ. catt. S. 9, vol. 10
(1876), p. 457, Vosen, Galilei, 1865, S. 26: „Gesund und rüstig trotz seiner
72 Jahre, kam Galilei nach einer tüchtigen Fussreise auf seiner Villa an und
zeigte keine Spur von Gram oder ausgestandenen Misshandlungen. Bis zu
seinem Tode arbeitete er rüstig fort im Kreise seiner Freunde und Schüler,
die ihn täglich umgaben."
2) Gherardi No. XV. Vgl. IX, 445; VII, 31.
380 Galilei aus der Haft entlassen.
nächsten Tagen Hess Niccolini dem Cardinal Barberini die
Bitte vortragen, man möge Galilei, wenn man ihn nicht
ganz freilassen wolle, zunächst zu Siena im Hause des Erz-
bischofs oder in einem Kloster, später, wenn die Pest in
Florenz erloschen sei, in seiner dortigen Villa interniren.
Auf den Rath des Cardinais reichte er am 29. bei der In-
quisition ein (an den Papst adressirtes) Gesuch ein 1), worin
er im Namen Galilei's bat, es möge der ihm in Rom als
Haft ang'ewiesene Ort mit einem ähnlichen in Florenz ver-
tauscht werden, mit Rücksicht auf seine Kränklichkeit und
weil er dort eine aus Deutschland mit acht Kindern zurück-
kehrende Schwester erwarte, für die er zu sorgen habe.
Am 30. Juni fand eine Sitzung der Inquisition unter dem
Vorsitze des Papstes statt. In dieser wurden nach den
Processacten Anordnungen über die Publication des Urtheils
gegen Galilei getroffen (s. o. S. 371). Ferner berichtet Nic-
colini 2) darüber Folgendes :
„Es wurde beschlossen, Seine Heiligkeit solle sich mit
mir am Samstag [2. Juli] über eine Galilei zu gewährende
Erleichterung besprechen. [Der Papst wird wohl den
Cardinälen erklärt haben, er wolle dieses thun.] Ich habe
darauf gestern [2. Juli] dem Papste selbst meine Bitte noch-
mals vorgetragen, indem ich andeutete, dass ich von jenem
Beschlüsse wisse. Der Papst antwortete: es sei zwar noch
etwas früh für eine Strafmilderung; er habe indess sofort
die Haft in Internirung in der grossherzoglichen Villa um-
gewandelt und .wolle jetzt auf meine Fürsprache und aus
Rücksicht gegen den Grossherzog gestatten, dass Galilei
nach Siena reise, um dort bis auf weiteres in einem Kloster
zu bleiben. Ich bat darauf, es möge auch jetzt schon die
Erlaubniss ertheilt werden, dass Galilei nach dem Erlöschen
der Pest nach Florenz zurückkehren dürfe, um in seiner
Villa internirt zu werden. Der Papst meinte aber, das sei
noch zu früh. Ich schlug dann vor, Galilei zu gestatten,
in Siena bei dem Erzbischof zu wohnen. Der Papst erwie-
derte, damit sei er einverstanden, obschon die Inquisition
davon nichts wisse; Galilei dürfe aber dort »keine Conver-
sation machen«. Er befahl mir, dieses dem Cardinal Barbe-
rini mitzutheilen. Das habe ich gethan, und t von diesem
1) IX, 445. Acten S. 115. 2) IX, 445.
Galilei aus der Haft entlassen. 381
auch noch die Erlaubniss erwirkt, dass Galilei in den Dom
gehen darf, um dem Gottesdienste beizuwohnen. Seine Hei-
ligkeit meint, es könne Galilei nach einiger Zeit erlaubt
werden, sich nach der Certosa (Karthause) in Florenz zu
begeben; man müsse aber ganz langsam vorgehen und ihm
ganz allmählich die Haft mildern. Darauf erwiederte ich
nichts, um nicht vorzeitig Seine Heiligkeit zu einem solchen
Entschlüsse zu veranlassen. Man kann darauf zurückkommen,
wenn Galilei eine weitere Milderung nachsuchen will l)."
Noch an demselben Tage, 2. Juli, wurde Galilei von
dem Commissar der Inquisition im Beisein des Notars noti-
ficirt: er könne Rom verlassen, habe sich aber gerades
Weges nach Siena zu begeben, dort gleich nach seiner An-
kunft dem Erzbischof vorzustellen und pünktlich zu befol-
gen, was dieser ihm vorschreiben werde ; er dürfe die Stadt
nie und unter keinem Vorwande ohne schriftliche Erlaubniss
der Inquisition verlassen. Galilei musste förmlich verspre-
chen, allen diesen Weisungen zu gehorchen 2). Der Erzbischof
von Siena wurde unter demselben Datum davon in Kennt-
1) Zu der oben gegebenen Darstellung scheint nicht zu passen, dass
in den Processacten S. 116 auf der Rückseite der von Niccolini eingereich-
ten Bittschrift notirt ist: 30. Junii 1633. S(anctissim)us fecit or(atori) gra-
tiam eundi Senas et ab eadem civitate non discedere sine licentia Sac(rae
Cong(regationis), et se p(raese)ntet coram archiepiscopo d(icta)e civitatis)
etc., und dass S. 114 unmittelbar hinter der Notiz über die in der Sitzung
vom 30. Juni beschlossene Publication des Urtheils folgt: Praeterea firae-
dicto Galilaeo . . . fecit gratiam d(ic(a)e relegationis et mandavit illum
relegari Senis u. s. w. In dem Berichte über die Sitzung bei Gherardi No.
XVI steht davon nichts. Wahrscheinlich ist die oben im Texte gegebene
Darstellung richtig, und in den Acten die Entscheidung über die Bittschrift
und die zweite Notiz über die Sitzung vom 30. Juni (vgl. Acten S. 164;
s. u. S. 384) erst am 2. Juli beigefügt worden, aber mit dem Datum vom
30. Juni, weil in der an diesem Tage gehaltenen Sitzung die Sache zur
Sprache gekommen und die Erledigung derselben dem Papste überlassen
war. So scheinen sich die Bedenken von "Wohlwill, Ist Gal. gef. worden?
S. 109, vgl. S. IX, und Scartazzini, Riv. Eur. 1878, X, 447, zu erledigen.
Die Vermuthung von Scartazzini, Riv. Eur. 1878, V, 246, Niccolini habe
„den Roman von der am 29. Juni von ihm eingereichten Bittschrift und von
seiner Unterredung mit dem Papste am 2. Juli erfunden", um dem Gross-
herzog gegenüber sich als denjenigen darzustellen, der die Erleichterungen
für Galilei erwirkt, hängt mit der unglücklichen Idee zusammen, Niccolini
als einen „Lügner", sogar als einen „schamlosen" Lügner darzustellen. S. o.
S. 320. 2) Acten S. 115; s. o. S. 133.
382 Galilei in Siena.
niss gesetzt1), und schrieb am 10. Juli, am Tage nach der
Ankunft Galilei's an den Cardinal- Secretär der Inquisition,
er werde die ihm ertheilten Weisungen pünktlich aus-
führen 2).
Galilei reiste, wie Niccolini berichtet, am 6. Juli „in
ziemlich guter Gesundheit" ab und schrieb ihm von Viterbo
aus, er habe bei sehr kühlem Wetter vier Meilen zu Fusse
zurückgelegt. Am 9. kam er in Siena an. Galilei's Freunde
in Florenz hatten schon im Mai 1633, als man noch einen
andern Ausgang des Processes erwartete, mit Rücksicht
auf die in Florenz noch fortdauernde Pest für ihn einen
vorläufigen Aufenthalt in Siena in Aussicht genommen3).
Der dortige Erzbischof Ascanio Piccolomini war ein Schüler
und Freund Galilei's und hatte während des Processes
wiederholt sehr theilnehmend an ihn geschrieben und ihn
schon im Mai eingeladen, nach Beendigung des Processes
bis zum Erlöschen der Pest in Florenz bei ihm zu bleiben4).
Er fand bei ihm die freundlichste Aufnahme.
Nach Galilei's Abreise von Rom kam dort noch ein
an ihn adressirter Brief aus dem Auslande an. Derselbe
wurde an den Cardinal Barberini abgeliefert; er enthielt
starke Lobsprüche auf den Dialog, aber zum Glück ergab
sich daraus, dass er nicht eine Antwort auf einen Brief
Galilei's war5).
Ende Juli ertheilte der Grossherzog auf Galilei's Bitte
dem Gesandten den Auftrag, den Papst um die Begnadigung
Galilei's zu bitten und dabei auch geltend zu machen, dass
der Grossherzog seiner Dienste bedürfe 6). Niccolini antwor-
tete am 7. Aug.7): er müsse dazu rathen, bis zum October
zu warten; der Papst werde es nicht gern sehen, dass Ga-
lilei jetzt, wo der Papst noch so sehr ungnädig gegen ihn
gesinnt sei, an den grossherzoglichen Hof kommen solle, und
1) Acten S. 117. 2) IX, 447. 3) IX, 359. 361.
4) IX, 343. 365. Suppl. 245. 248. 249. Ascanio, ein Bruder des aus
der Geschichte des dreissigjährigen Krieges bekannten Ottavio Piccolomini
(IX, 406), hatte im Dienste des Cardinais Francesco Barberini gestanden und
denselben auf seiner Reise nach Spanien begleitet (Suppl. 161). Im Juni
1628 war er Erzbischof geworden (Suppl. 222). 1630 war er der Begleiter
Antonio Barberini's, als dieser Legat an die italienischen Fürsten war. Reu-
mont, Beitr. I, 395. Er war nicht Cardinal, wie Gfisar S. 706 meint.
5) VII, 48. 6) VII, 31; IX, 378. 379. 7) IX, 447.
Galilei in Siena. 383
wenn man sage, er solle dort Vorlesungen halten, so könne
ihm das eher schaden als nützen. In Florenz wurden diese
Bedenken anerkannt1). Guiducci meinte auch in einem
Briefe an Galilei2): wenn man jetzt die Sache wieder anrege,
werde der Papst vielleicht auf seinen Plan zurückkommen,
Galilei in der Karthause zu Florenz zu interniren, und dieser
Ort würde für Galilei's Gesundheit nicht zuträglich sein, da
er dort „einerseits der Discretion der Mönche anheimgegeben
sein und anderseits kein Fleisch zu essen bekommen würde".
Im September scheint irgend ein Gesuch Galilei's, —
von dem die Acten nichts melden, — abgeschlagen worden
zu sein. Wenigstens schreibt ihm Geri Bocchineri am
21. Sept.3): „Es thut mir leid, dass Ihr Gesuch abgeschlagen
worden ist, und ich finde es auffallend, dass man sich so
wenig geneigt zeigt, Ihnen Erleichterungen zu gewähren.
Es ist die Rede davon, dass der Hof im nächsten Monate
nach Siena reisen werde ; vielleicht wird Ihnen dann gestat-
tet werden, auf Ihre Villa zurückzukehren, damit Sie keine
Gelegenheit haben, die Herrschaften zu sehen".
Anfangs November wurde Niccolini auf Galilei's Bitte
nochmals beauftragt, sich energisch für ihn zu verwen-
den4). Niccolini berichtet dann am 13. Nov.5): „Ich bat
gestern Seine Heiligkeit, zu gestatten, dass Galilei nun, nach
einer fünfmonatlichen Verbannung in Siena, nach Florenz
zurückkehren dürfe. Seine Heiligkeit antwortete, er wolle
sehen, was sich thun lasse, und in der Sitzung des h. Offi-
ciums die Sache zur Sprache bring-en; er müsse mir aber
zugleich bemerken, dass er Nachricht habe, dass Einige zu
Gunsten der Meinung Galilei's schrieben. Ich erwiederte :
ich könne ihm versichern, dass das nicht unter Mitwirkung
oder im Auftrage Galilei's geschehe, und bat ihn, doch
ihn nicht für die Sünden Anderer leiden zu lassen. Er ant-
wortete: er wisse nicht, dass Galilei Antheil daran hätte;
aber die Leute möchten sich vor dem h. Officium in Acht
nehmen." Niccolini übergab dem Papste folgende Bitt-
schrift6): „Euere Heiligkeit werden gebeten, zu gestatten,
dass Galileo Galilei in sein Vaterland zurückkehren dürfe,
da er bisher dem Befehle Euerer Heiligkeit und der h. Con-
1) IX, 383. 2) ix, 385. 3) ix, 396.
4) IX, 406. 5) IX, 447. 6) Acten S. 163.
384 Galilei in Siena.
gregation, in der ihm vorgeschriebenen Weise in Siena zu
bleiben, gehorcht hat." Wegen Unwohlseins wohnte der
Papst erst am 1. Dec. wieder einer Sitzung der Inquisition
bei. In dieser wurde beschlossen: Galilei solle bis auf wei-
tere Verfügung der Inquisition seine Villa als Wohnsitz an-
gewiesen werden; er habe dort in der Einsamkeit zu leben
und dürfe nicht mit Besuchern Gespräche haben1). Letzere
Bestimmung erläuterte Niccolini auf Grund mündlicher Mit-
theilungen des Papstes in einem Briefe an Galilei2) in fol-
gender Weise: „Sie sollen dort zurückgezogen leben und
nicht viele Personen gleichzeitig zu Gesprächen zulassen
oder zu Tische laden, um den Verdacht zu vermeiden, als
hielten Sie so zu sagen Vorlesungen (che ella faccia per
cosi dire accademia) oder als verhandelten Sie über jene
Dinge, die Ihnen zum Schaden gereichen können. Ich bin
überzeugt, Sie werden sich daran halten, um nach einiger
Zeit die völlige Begnadigung zu erlangen. Es ist Ihnen
nicht verboten, Besuche von Freunden und Verwandten an-
zunehmen, wenn Sie nur den oben erwähnten Verdacht ver-
meiden. Ich hätte Ihnen gern die gänzliche Beendigung
Ihrer Angelegenheit mitgetheilt, aber Sie wissen, hier zu
Lande muss man Schritt vor Schritt gehen, namentlich in
diesen Dingen; und selbst um nur dieses zu erreichen, hat
sich der Cardinal (Francesco) Barberini viele Mühe geben
und seine Autorität geltend machen müssen." (Diesem
sprach Galilei in einem Briefe vom 17. Dec.3) seinen Dank
aus.) Diesen Brief erhielt Galilei, als er eben wegen eines
Unwohlseins sehr wünschte, den Winter in dem mildern
Klima von Florenz zubring*en zu können4), In der ersten
1) Gherardi No. XX: Feria V. die 1. Xbris 1633. Galilaei de Gali-
laeis Florentini Senis relegati lecto memoriali, SSmus oratorem habilitavit
ad eius rurem per tempus arbitrio S. Congregationis, ubi vivat in solitu-
dine, nee eo amoveatur (nach Acten S. 164 ist zu lesen: nee eo evocet) aut
venientes illuc reeipiat ad allocutiones (collocutio/ies). Nach Acten S. 164
findet sich diese Notiz (fast) gleichlautend zuerst (vielleicht von dem Cardinal-
Secretär während der Sitzung) auf die Rückseite der erwähnten Bittschrift
geschrieben, dann nochmals (wohl von der Hand des Notars); beide Notizen
faesimilirt bei Epinois p. 128. Aehnlich Acten S. 174; s. u. S. 387.
2) IX, 407; vgl. 448.
3) Acten S. 168. Gherardi No. XXI.
4) VII, 39
Denunciation Piccolomini's. 385
Hälfte des December 1633 reiste Galilei von Siena ab, wo
er also fünf Monate zugebracht hatte, — allerdings unfrei, aber
im Uebrigen unter sehr angenehmen Verhältnissen. „Ich
wurde, schreibt er später an Elia Diodati1), von dem Erz-
bischof wie von einem Vater behandelt, und hatte fortwäh-
rend Besuch von den Adelichen der Stadt; ich verfasste
dort auch eine Abhandlung über ein neues Thema aus der
Mechanik voll merkwürdiger und nützlicher Speculationen2)."
In einem Briefe, worin er Micanzio den Lector der Philosophie
zu Siena, Alessandro Marsili, für eine Professur in Padua em-
pfiehlt3), sagt er, er habe während seines Aufenthaltes in Siena
mit demselben täglich verkehrt und Hunderte von Stunden
sich unterhalten und gefunden, dass derselbe in der „scho-
lastischen Doctrin" hinter keinem der Berühmtesten der
Gegenwart zurückstehe und dabei tractabler als Viele
und weniger petulant und hartköpfig sei als alle Anderen.
Der Brief, den Galilei von Siena aus an seinen Schüler
Renieri geschrieben haben soll, ist eine Fälschung (s. o.
S. 6). Ein „langer und des Aufbewahrens werther" Brief
aus Siena, von dem Geri Bocchineri spricht4), ist leider
nicht erhalten. — Mit dem Erzbischof Piccolomini blieb Ga-
lilei in freundschaftlichster Correspondenz bis zu seinem
Tode5).
Mehrere Wochen nach Galilei's Abreise von Siena, am
1. Febr. 1634, lief bei der Inquisition folgende anonyme De-
nunciation gegen den Erzbischof6) ein : „Galilei hat in dieser
Stadt wenig katholische Meinungen ausgestreut, begünstigt
durch jenen Erzbischof, bei dem er wohnte. Dieser hat bei
Vielen geäussert: jener sei von der h. Congregation unge-
recht behandelt worden; diese hätte die philosophischen
Meinungen nicht verwerfen können und dürfen, welche jener
mit unwiderleglichen und wahren mathematischen Gründen
erwiesen habe7); Galilei sei der erste Mann der Welt und
1) vil, 44- 2) Vgl. VII, 34.
3) VII, 144. Vgl. VII, 309. Alessandro Marsili (nicht zu verwechseln
mit Cesare Marsili, s. o. S. 189) wurde 1637 auf Galilei's Empfehlung Pro-
fessor in Pisa. X, 231. Targioni I, 343. 433. 524.
4) IX, 372.
5) X, 35. 45. 173. 186. 250. 256. Suppl. 264. 299. 300.
6) Acten S. 172.
7) Es ist doch fast komisch, wenn Grisar S. 706 aus diesem Satze,
Reusch, Galilei. 25
386 Galilei in Arcetri.
werde immer in seinen Schriften, wenngleich diese verboten
seien, fortleben und bei allen Neueren und Besseren Zu-
stimmung finden. Und weil diese Samenkörner aus dem
Munde eines Prälaten verderbliche Früchte tragen könnten,
wird darüber berichtet." Die Inquisition hat dieser Denun-
ciation gegen den Erzbischof, so viel wir wissen, keine Folge
gegeben, vielleicht aber Galilei dafür büssen lassen. We-
nigstens spricht Grisar S. 128 die Meinung aus: „Es hat
Manchen auffällig und ungerecht gedünkt, dass die Inquisi-
tion Galilei bis zu seinem Tode nicht eigentlich frei Hess,
im Gegentheil in einigen Fällen ihm anscheinend harte Be-
scheide gab. Allein man hat den Schlüssel, zur Erklärung
dieses Verfahrens übersehen, der darin liegt, dass in Betreff
Galilei's aus Siena Meldungen eingelaufen waren, welche
seine Haltung gegenüber der Autorität der Congregationen
in sehr ungünstiges Licht stellten." Also eine anonyme De-
nunciation, in der gegen Galilei nur die vage Anschuldigung
vorgebracht wird, er habe „wenig katholische Meinungen
ausgestreut", genügt der Inquisition, ohne weitere Unter-
suchung Galilei fortan so zu behandeln, wie wir im Folgen-
den sehen werden! Warum findet Grisar nicht auch in dem
dem Papste zu Ohren gekommenen Gerüchte, dass „Einige
zu Gunsten der Meinung Galilei's schrieben" (s. o. S. 383),
den „Schlüssel" zu der Unversöhnlichkeit Urbans VIII. ?
Die Villa bei (eine Meile von) Florenz, in welche Ga-
lilei im Dec. 1633 zurückkehren durfte, hatte er gegen Ende
des Jahres 1631 von seinem frühern Schüler Esau Martel-
lini für 15 Scudi jährlich gemiethet, — von 161 7 bis 1631
wohnte er in der Villa Segni zu Bellosguardo, — sie hiess
77 Gioello, das Juwel, und war nur einen Büchsenschuss von
dem Kloster San Matteo in Arcetri entfernt, in welchem
seine beiden Töchter lebten1). Seine Briefe von dort da-
dirt Galilei „Arcetri", mitunter: „Aus meinem Kerker zu
Arcetri," della mia carcere dt Arcetri*). — Bald nach seiner
den wir nur aus der Denunciation kennen lernen, nicht nur schliesst, dass
Piccolomini, den er bei dieser Gelegenheit zum Cardinal befördert, die Ent-
scheidung der Römischen Behörden für widerruflich, also für irrig gehalten,
— was ja wohl richtig sein wird, — sondern ihn auch mit als Beleg dafür
anführt, dass eine solche Auffassung damals als zulässig angesehen worden sei.
1) XV, 393; vgl. Gebier, D. Rundschau 1878, IV, 66.
2) III, 183. VII, 351: Dalla Villa d? Arcetri, mio continuato carcere
Galilei in Arcetri. 387
Ankunft wurde Galilei durch einen Besuch des Grossher-
zogs erfreut1).
Im März 1634 reichte Niccolini bei der Inquisition fol-
gende Bittschrift ein 2) : „Galilei befindet sich den Anord-
nungen dieser h. Congregation entsprechend in der Villa
ausserhalb Florenz ; da aber seine körperlichen Leiden zu-
nehmen, so kann er sich nicht ohne den regelmässigen Be-
such des Arztes Befreiung davon verschaffen. Darum wen-
det er sich an die grosse Güte Euerer Eminenzen mit der
Bitte, ihm die freie Rückkehr in sein Haus gestatten zu
wollen, damit er sich heilen lassen und die Tage, die ihm
bei seinem Alter noch übrig sind, in Ruhe unter den
Seinigen verleben könne." Der in der Sitzung der Inquisi-
tion vom 23. März gefasste Beschluss3) lautet: „Seine Heilig-
keit hat diese Erlaubniss nicht ertheilen wollen und befoh-
len, dem Inquisitor zu Florenz zu schreiben, er solle Galilei
bedeuten, er habe sich solcher Petitionen zu enthalten, da-
mit die h. Congregation sich nicht genöthigt sehe, ihn in
die Kerker dieses h. Officiums zurückzuberufen."
Der Inquisitor von Florenz berichtet dann am 1. April4):
„Ich habe Galilei zu wissen g'ethan, was mir Euere Emi-
nenz befohlen haben. Er entschuldigt sich damit, dass er
das alles gethan wegen eines schrecklichen Bruches, woran
er leidet. Die Villa, in der er wohnt, ist aber so nahe bei
der Stadt, dass er leicht Aerzte und Chirurgen berufen und
die nöthigen Arzneien haben kann. Ich glaube also, er
wird die h. Congregation nicht weiter mehr belästigen."
Galilei selbst berichtet in einem Briefe an Elia Diodati5):
er sei gerade von seiner todkranken altern Tochter gekom-
ed esilio dalla cittä. Am 10. März 1639 schrieb Matthias Bernegger von
Strassburg an Caspar Hoffmann, der gehört hatte, Galilei sei im Kerker ge-
storben: Niinquam audivi de carcere, stricto Mo quidem ; natu adiöftOV
illam (fvluzrjv, qua praedioli cuiusdam sui finibus Cardinaliam Collegii
fnandato circumscriptus est, proprie carcerem non dixeris (X, 180).
1) X, 3. it. 2) Acten S. 173.
3) Gherardi No. XX. In den Vaticanischen Acten (S. 174) findet sich
auf der Rückseite der Bittschrift zuerst mit Bleistift (von der Hand des
Cardinal-Secretärs) geschrieben : Nihil. Inq(uisito)r ei obiurget(ur) petitum
ne reducatur in carcerem, dann (von dem Notai') der Beschluss, wie bei
Gherardi registrirt; s. o. S. 384.
4) Acten S. 174. 5) VII, 46.
388 Galilei in Arcetri.
men in Begleitung des Arztes, der ihm unterwegs gesagt,
sie könne den folgenden Tag nicht erleben; da habe er in
seiner Villa den Vicar des Inquisitors gefunden, der ihm
jene Mittheilung gemacht habe. „Danach ist wohl anzu-
nehmen, fügt er bei, dass meine jetzige Haft nicht eher endi-
gen wird, bis ich in jenen allgemeinen engen und lange wäh-
renden Kerker komme." Suor Maria Celeste starb wirklich
am 1. April 1634. Das innige Verhältniss, welches zwischen
Galilei und dieser Tochter bestand, bezeugen die vielen
hübschen Briefe, die uns von ihr erhalten sind1). In einem
derselben, vom 3. Oct. 16332), sagt sie: sie habe sich das
Urtheil der Inquisition zu lesen verschafft, und wenn ihr
die Leetüre auch einigen Kummer gemacht, so habe sie
sich doch gefreut, daraus zu sehen, wie sie dem Vater eini-
germassen helfen könne : sie wolle die ihm aufgelegte Busse,
wöchentlich die sieben Busspsalmen zu beten, übernehmen.
Galilei machte Geri Bocchineri von dem Bescheide der
Inquisition Mittheilung; dieser antwortete am 8. April3):
„Dem Gesandten ist alles, was Sie mir angedeutet, ge-
schrieben worden, aber mit der Weisung, mit der nöthigen
Vorsicht von den Notizen Gebrauch zu machen und sich
für Sie zu verwenden, damit die Sache, die sehr delicater
Natur ist, nicht schlimmer gemacht werde. Vielleicht glau-
ben sie in Rom, Sie könnten jene von ihnen verdammten
Meinungen Seiner Hoheit, den Prinzen und der ganzen
Stadt mündlich besser darstellen als brieflich. Wie sehr
irren sie mit ihren Vermuthungen, da Sie ja davon nicht
schreiben und nicht reden !" Der Theologe der Republik
Venedig, Micanzio, schrieb 29. April4) über das Benehmen
des Inquisitors: „Man muss darüber staunen, dass ein sol-
ches Mönchlein sich zum Werkzeuge des Zornes Anderer
gegen einen solchen Diener seines Fürsten macht. An
einem gewissen andern Orte würde er das nicht thun, oder
auf seine Kosten thun." Hugo Grotius schreibt im J. 1635
an Johann Vossius: Galilei's Freunde in Paris hätten ge-
meint, er solle fliehen und in Amsterdam eine Zuflucht
suchen; Galilei habe aber diesen Vorschlag seines hohen
Alters wegen abgelehnt5).
1) 27 bei Alberi, 131 in der 1864 von Arduini veröffentlichten Schrift
„La primogenita di Galileo Galilei." Vgl. Rev. des questions hist. 12 (1872), 237.
2) IX, 400. 3) X, 34. 4) X, 42. 5) X, 218. 219.
Verwendungen Castelli's und Peirescs. 389
Von Galilei selbst wurden in den nächsten Jahren der
Papst und die Inquisition nicht weiter mit Begnadigungsge-
suchen „belästigte Aber Andere verwendeten sich für ihn.
Castelli benutzte jede Gelegenheit , sich für seinen
alten Lehrer zu bemühen. Bei dem Papste selbst konnte er
freilich nichts für ihn thuen; er hatte im Frühjahr 1635
zum ersten Male wieder seit drei Jahren Audienz, wurde
freundlich aufgenommen 1), scheint aber nie wieder in Gunst
gekommen zu sein. Dagegen fand er Gelegenheit, bei dem
Cardinal Antonio Barberino für Galilei ein gutes Wort ein-
zulegen2), und auch sonst bemühte er sich, wie wir sehen
werden, vielfach in dessen Interesse; er bemerkt aber in seinen
Briefen an Galilei wiederholt, er müsse eine günstige Zeit
abwarten, um die Sache nicht schlimmer zu machen.
Ein warmer Fürsprecher Galilei's war Nicolas Claude
Fabri (Fabrice) de Peiresc, Parlamentsrath zu Aix, den
Bayle Procureur gener al des sctences nennt. Er stammte
aus einer toscanischen Familie und war in Padua Galilei's
Zuhörer gewesen. Er stand, wie mit Galilei, so auch mit
dem Cardinal Francesco Barberini in Correspondenz und
benutzte dieses, sich in den Jahren 1634 — 37, — er starb 24.
Juni 1637, — wiederholt und warm für seinen alten Lehrer
zu verwenden3). Er könne, schrieb er diesem einmal,
„reden, wo Andere stumm seien", weil er von Rom für sich
nichts zu fürchten und nichts zu wünschen habe. So
schrieb er denn dem Cardinal u. a. am 5. Dec. 1634: „Ich
bitte Euere Eminenz, etwas zum Tröste eines guten sieben-
zigj ährigen und kränklichen Greises thun zu wollen, dessen
Andenken in der Zukunft nicht leicht erlöschen wird.
Sollte er auch in irgend einem Satze geirrt haben, wie
denn Irren menschlich ist, so hat er ja doch nicht hart-
näckig seine Meinung festgehalten, vielmehr, den ihm er-
theilten Weisungen entsprechend, die entgegengesetzte Mei-
nung unterschrieben; er sollte also nicht so strenge behan-
1) x, 99. 2) x, 149. 161. 325. 328.
3) Vgl. das Capitel // Galilei, il Peiresc e il Card. Franc. Barberini
bei Pieralisi p. 301, wo die betreffenden Briefe vollständiger und genauer,
auch richtiger datirt als bei Alberi abgedruckt sind. Bei den Exequien, die
für Peiresc in Rom gehalten wurden, hielt ein Franzose Namens Bussiard
eine Leichenrede, in welcher er auch Galilei's Verdienste erwähnte, und
zwar in Ausdrücken, die Castelli's Staunen erregten. VII, 178; X, 255.
39° Verwendungen Peirescs.
delt werden, wie es dem Vernehmen nach geschieht, . . .
Die Nachwelt wird ihm wohl immer dankbar sein für die
wunderbaren Entdeckungen, die er mit seinen Fernrohren
und mit seinem scharfblickenden Geiste am Himmel ge-
macht hat. Tertullian, Origenes und so viele andere Väter,
welche aus Einfalt oder einem andern Grunde in einen Irr-
thum gefallen sind, geniessen dennoch bei der h. Kirche
als einer guten Mutter grosse Verehrung wegen ihrer an-
deren religiösen Gedanken und der Kundgebungen ihrer
Frömmigkeit und ihres Eifers für den Dienst Gottes
So werden es, scheint mir, die kommenden Jahrhunderte
auffallend finden können, wenn nach dem Widerruf einer
Meinung, die noch nicht öffentlich unbedingt verboten und
nur als problematisch vorgetragen worden war, ein armer
sieb enzigj ähriger Greis so strenge behandelt und öffent-
lich oder insgeheim so in Haft gehalten wird, dass ihm
nicht gestattet ist, in seine Vaterstadt und in sein Haus
zurückzukehren und die Besuche und Tröstungen von Freun-
den zu empfangen, trotz der Leiden, die von dem Alter
so gut wie unzertrennlich sind, und bei denen er fast bestän-
dig der Hülfe bedürftig ist, und zwar bei plötzlichen Zu-
fällen einer solchen Hülfe, welche nicht die Verzögerung zu-
lässt, die durch die Entfernung von der Stadt veranlasst
wird- . • • Sollten nicht die merkwürdigsten Entdeckungen,
die seit so vielen Jahrhunderten gemacht worden sind, ihm
Verzeihung verschaffen dürfen für einen problematischen
Scherz, bei dem er niemals das als seine eigene Absicht
mit Bestimmtheit vorgetragen hat. was missbilligt worden
ist? In der That wird man das überall sehr hart finden, und
in der Zukunft noch mehr als in der Gegenwart. . . Es
wird das ein Flecken sein für den Glanz und Ruhm die-
ses Pontificates, wenn Euere Eminenz sich nicht entschliesst,
ihm einigen Schutz und einige besondere Fürsorge ange-
deihen zu lassen. Darum bitte und beschwöre ich Euere
Eminenz demüthigst und so inständig und dringlich, wie
mir nur Ihnen gegenüber erlaubt ist. Ich bitte, mir diese
vielleicht zu grosse Freimüthigkeit zu verzeihen; aber es
muss doch zu Zeiten Ihren treuen Dienern gestattet sein,
Ihnen in dieser Weise ihre Treue zu beweisen, da, wie ich
glaube, die Anderen, welche Sie umgeben, nicht den Muth
haben, so die Gedanken kundzugeben, die sie im Herzen
Verwendungen des Grafen Noailles. 391
haben, und die die Ehre Euerer Eminenz viel näher an-
gehen, als vielleicht Manche glauben."
Der Cardinal antwortete am 2. Jan. 1635, während er
auf andere Punkte des Briefes von Peiresc ausführlich ein-
ging, auf diese Bitte nur: „Ich werde nicht unterlassen,
unserm Herrn mitzutheilen, was Sie mir über den Herrn
Galilei geschrieben haben; Sie werden mich aber entschul-
digen, wenn ich diesen Punkt nicht ausführlicher beant-
worte, da ich einer, wenn auch der letzte, von den Car-
dinälen bin, die zum h. Officium gehören.4 ' Peiresc schrieb
darauf am 31. Jan. 1635: . . . „Was Euere Eminenz bei
Seiner Heiligkeit für den ehrwürdigen Greis Galilei thuen
werden, dafür werde ich Ihnen nicht minder dankbar sein,
als hätten Sie es für meinen seligen Vater gethan. Ich
trage Ihnen nochmals mit der grössten Demuth meine Bitte
vor, da mir die Ehre und Reputation dieses Pontificates
und der weisen Leitung und Verwaltung Euerer Eminenz
viel mehr am Herzen liegt als die Erhaltung meines Lebens,
und da ich überzeugt bin, dass, wie die Verzeihung, die
Sie seiner aus menschlicher Schwachheit begangenen Sünde
angedeihen lassen, den Wünschen der edelsten Geister
unseres Jahrhunderts entsprechen wird, welche über die
Strenge und Verlängerung" seiner Bestrafung ein so grosses
Mitleid empfinden, so das Gegentheil Gefahr laufen würde,
dereinst mit der Verfolgung der Person und der Weisheit
des Sokrates in seinem Vaterlande verglichen zu werden,
welche von den anderen Völkern und von den Nachkommen
der Verfolger selbst so sehr getadelt wird."
Auch der Graf Franz de Noailles, der in Padua Gali-
lei's Zuhörer gewesen und 1634— 1636 französischer Gesand-
ter in Rom war, bemühte sich für seinen alten Lehrer1).
Am 9. Dec. 1634 schrieb Castelli an Galilei, er habe im
Einverständniss mit Niccolini Noailles gebeten, sich bei dem
Cardinal Barberini für ihn zu verwenden. Vorerst glaubte
Noailles sich darauf beschränken zu müssen, im Gespräch
mit dem Papste und mit dem Cardinal Galilei sehr zu
loben2). Anfangs August 1636 theilte er dem Cardinal An-
tonio Barberini einen — wahrscheinlich zu dem Zwecke
1) Wolynski, Franc, de Noailles e G. Galilei, in der Riv. Eur. 1877,
III, 688. 2) X, 64. 65. 103. 149. 161; s. o. S. 232.
Verwendungen l igs von Polen.
geschriebenen — Brief Galilei's mit und wollte ihm densel-
ben in Händen lassen, damit er ihn (dem Pap> igen
könne. Der Cardinal wollte den Brief aber nicht behalten
und sagte, es sei dem Papst eingeredet worden. dt>r Ge-
sandte sei zu seinen Schritten im Interesse GaKKePs von
Castelli beredet worden. Bei seiner Abschieds- Audienz am
8. Aug. 1636 verwendete sich Noailles aber nochmals sehr
warm für Galilei, und der Papst versprach endlich, die
Sache in einer Sitzung der Inquisition zur Sprache zu brin-
gen. Der Cardinal Antonio Barberini versprach seiner-
seits, die anderen Cardinale der Inquisition zu gewinnen1).
Es geschah aber in der nächsten Zeit nichts zu Gunsten
GalileTs; nur erhielt er von der Inquisition die Erlaubniss,
sich von seiner Villa im Oct 1636 für einige Stunden nach
dem nahen Poggibonsi zu begeben, um dort mit Xoailles
auf dessen Rückreise nach Frankreich zusammenzutreffen1).
Auch der König Ladislaus IV. von Polen interessirte
sich für Galilei und suchte im J. 1636 durch seine Agenten
seine Begnadigung zu erwirken, sich auch zu dem Ende
mit dem Grossherzog von Toscana zu verstandigen. Dieser
stand aber eben damals mit Urban VIII. nicht auf gutem
Fusse, da er die Abberufung des Inquisitors zu Florenz,
der sich Willkürlichkeiten hatte zu Schulden kommen las-
sen, nicht erlangen konnte3).
Alle diese Verwendungen blieben erfolglos. Mit
Rücksicht auf die -vergeblichen Bemühungen des Grafen
de Xoailles schreibt am 3. Febr. 1637 Roberto Galilei von
Lyon4): ..Man muss sagen, Ihre Feinde sind eher Teufel
als Menschen; Anderen predigen sie Versöhnlichkeit, und
selbst üben sie Rache; man darf annehmen, wenn sie noch
Schlimmeres ihnen konnten, würden sie es nicht unter-
lassen.'*
Im Juni 1637 schrieb Galilei wieder an Castelli; der
Brief ist nicht erhalten, und wir wissen nicht, welche spe-
öefle Bitte er enthielt. Aber Castelli antwortet: Der Brief
habe ihn zu vielen Thränen gerührt; aber er und Niccolmi
1) X. 16«. a) X, 169, 171. 17a.
3) X, hol 129. 152. 177. 184; vgL A. Wolrmski, Rduk» di G.
DU* Potaöa, m Aidft stak» S. 3, IL 16, p. «H- 251 C 27a
*J X, 1S7.
.1« erblindet. V:
glaubten, es würde nicht gut sein, wer. orch-
aus berechtigte Bitte vortrügen; eher könne e
haben, wenn man den Inquisitor zu Florenz bestimmen
konnte, die Sache, wo möglich in denselben Worten, v
bringen; er wolle dann zu mit dem Cardi-
nal Scaglia und Anderen reden 2j. Im September versprach
auch der Grossherzog Galilei bei einem Besuche, „unter
der Hand" einen neuen Versuch zu machen, seine Begna-
digung zu erwirk er.. Ob wirklich etwas geschah, ist nicht
bekannt.
Galilei 's körperlicher Zustand wurde immer trauriger;
im Dec. 1637 war er ganz erblindet*). In einem Brief an
Elia Diodati vom 2. Jan. 1638*) gibt er dem Schmerze über
den Verlust des Augenlichtes in einer Weise Ausdruck,
die ihm von Seiten derjenigen, welche sich die Darstellung
seiner Charakterfehler zur Hauptaufgabe gemacht4), den
Vorwurf des Mangels an Bescheidenheit zugezogen: ^Sie
fragen nach dem Stande meiner Gesundheit: meine körper-
lichen Kräfte haben sich ziemlich wieder gehoben; aber
ach, mein Herr, Ihr lieber Freund und Diener Galileo ist
seit einem Monate unheilbar und ganz blind, so dass jener
Himmel, jene Weh und jenes Universum, welches ich durch
meine wunderbaren Beobachtungen und überzeugenden Be-
weise um das Hundert« und Tausendfache über den Um-
: X. z'.l. Mal aneseai Bnefie idtidkie Gatfefl^ mmGaMmnxm tHmttm,
tamm floate, im ~r Act kok ifim Ecntiaalane pradanrawa, aal Is
Biv.t. il-.z r. :-: *- = :->:-: :: :--!■=- Z-^.\~ -t .-.:- -.-.>_: — i!-
2) Schoa im Jan. 1637 klagt Galilei aber eia Aagealeidea (¥11, 145.
I4S; X, 189. 190. 197). La Jani 1
seine eigenen Briefe dictirea (¥11, 161). Iai JaK war er
Ange ganz erblindet, wänread das Unke leidend war iVIL 1S01- Ln I>ec
1637 erblindete er roKig (¥H, 205. 207; X, 256). Eia Fremd am Rom
274. 291. 302. 303. 323*. Bomcompzgmk, BaDetiao XI (Rom 1*7*% 615. — IL
394 Verhandlungen über die Rückkehr nach Florenz.
fang hinaus erweitert habe, den die Weisen aller früheren
Jahrhunderte gewöhnlich annahmen, jetzt für mich so klein
und enge geworden, dass es nicht grösser ;st als der Raum,
den meine Person einnimmt."
Eben als Galilei ganz erblindet war, erhielt er in einem
Briefe Castelli's vom 12. Dec. 1637 l) folgende Mittheilung:
„Vor einigen Tagen äusserte ich im Gespräche mit einem
hochgestellten, intelligenten und in den Geschäften erfahre-
nen Manne mein Bedauern, dass Ihnen verboten sei, in
Ihrer üblen Lage zu der barmherzigen Liebe der h. Kirche
Ihre Zuflucht zu nehmen. Er antwortete: das könne nicht
sein; jenes Verbot sei nur zu verstehen von Eingaben durch
die Vermittlung von einflussreichen Fürsprechern (del ricor-
rere per via di favori); Sie hätten also Ihr Anliegen in den
ehrfurchtsvollen Ausdrücken, deren Sie sich immer bedient
haben, der h. Congregation des h. Officiums vortragen
können, indem Sie in aller Demuth Ihre Lage darstellten
und um jene Hülfe bäten, die der Weisheit der Oberen
geeignet schiene für das Heil Ihrer Seele und zur Linde-
rung Ihrer grossen Noth. Ich meine, Sie sollten diesen
Rath befolgen und in dieser Weise schreiben." Galilei
schickte diesen Brief an einen Beamten am grossherzog-
lichen Hofe, Benedetto Guerrini2), und der Grossherzog
Hess ihm rathen, eine Petition an Castelli zu schicken, da-
mit dieser sie zur geeigneten Zeit überreiche3). Castelli
sprach noch einmal mit demjenigen, der ihm den Rath er-
theilt hatte, über die Fassung der Bittschrift und schickte
am 9. Jan. 1638 das Concept derselben an Galilei, mit dem
Rathe, sie mit einem ärztlichen Zeugnisse direct an den
Assessor des h. Officiums einzusenden4). Die Petition lautet:
„Galileo Galilei, der demüthigste Diener Euerer Eminen-
zen, trägt ehrfurchtsvoll vor, dass er seit vier Jahren auf
Befehl der h. Congregation ausserhalb Florenz internirt
(sequestrato) ist und dass er nach einer langen lebensge-
fahrlichen Krankheit das Gesicht verloren hat, wie aus
den beiliegenden Zeugnissen der Aerzte hervorgeht. Da
er nun der ärztlichen Hülfe dringend bedarf, so wendet er
sich an die Gnade Euerer Eminenzen mit der Bitte, ihm in
1) X, 248. 2) VII, 204.
3) X, 249. 4) X, 251. 254. 262.
Verhandlungen über die Rückkehr nach Florenz. 395
diesem traurigen Zustande und in seinem hohen Alter die
Gnade der Freilassung angedeihen zu lassen."
Die Bittschrift wurde in der Sitzung der Inquisition
vom 4. Febr. 1638 vorgelegt und zunächst beschlossen, den
Inquisitor zu Florenz zu einem Berichte über Galilei's Ge-
sundheitszustand und zu einer Aeusserung darüber aufzu-
fordern, ob seine Rückkehr nach Florenz zu Zusammen-
künften und Gesprächen Anlass geben könne, in welchen
seine verdammte Meinung von der Bewegung der Erde und
dem Stillstehen der Sonne wieder aufgefrischt werden
könnte1). Der Inquisitor berichtete am 13. Febr.2) Folgen-
des: „Um dem Befehle Seiner Heiligkeit vollständiger zu
entsprechen, bin ich selbst unangemeldet mit einem mir
bekannten fremden Arzte nach Galilei's Villa zu Arcetri
gegangen, um mich über seinen Zustand zu informiren. Ich
glaubte, dieses thun zu müssen nicht so sehr darum, um
über die Beschaffenheit seiner Leiden berichten zu können,
sondern darum, um zu sehen, mit welchen Studien er sieh
beschäftigt und wie er lebt, um so beurtheilen zu können,
ob er, wenn er nach Florenz käme, durch Zusammenkünfte
und Gespräche seine verdammte Meinung von der Bewe-
gung der Erde verbreiten könnte. Ich habe ihn völlig des
Augenlichtes beraubt, in der That blind gefunden, und
wenn er auch selbst meint, er könne noch geheilt werden,
da sich erst seit sechs Monaten der Staar auf den Augen
gebildet hat, so hält doch der Arzt, bei einem Alter von
70 Jahren, das Uebel für so gut wie unheilbar. Ausserdem
1) Gherardi No. XXIII, abgedruckt bei Gebier, Galilei S. 429. In
den Vaticanischen Acten findet sich über diese Verhandlungen nichts, wahr-
scheinlich, weil diese Correspondenz mit dem Inquisitor zu Florenz nicht
von dem Secretär der Inquisition, sondern von dem Cardinal Francesco
Barberini geführt wurde. Es fehlen in den Vaticanischen Acten auch andere
den Gherardi'schen Actenstücken aus der Zeit nach 1634 entsprechende
Notizen. Dass aber gerade die Aufzeichnungen fehlen, „durch die Galilei's
moralische Misshandlung bis an sein Ende constatirt wird" (Wohlwill S. 106),
ist etwas zu viel gesagt; eine der schlimmsten Notizen der Art, die vom 23.
Mai 1634 (s. o. S. 387), fehlt wenigstens nicht.
2) Der Bericht ist von Alberi X, 280 aus dem Archiv der Inquisition
zu Florenz herausgegeben. Inquisitor war jetzt nicht mehr P. Clemens, der
den Bericht vom I. April 1634 (s. o. S. 387) geschickt hatte, sondern P. Giovanni
Muzzarelli da Fanano. Das hat Gebier übersehen, wenn er S. 349 sagt;
„Der Inquisitor widerspricht selbst seinem Rapport vom 1. April 163^",
396 Erlaubniss zur Rückkehr nach Florenz.
hat er einen schlimmen Bruch, empfindet beständig Schmer-
zen und leidet, wie er selbst sagt und seine Hausgenossen
berichten, an einer solchen Schlaflosigkeit, dass er in 24
Stunden nie eine ganze Stunde schläft. Er ist auch im
Uebrigen so elend, dass er mehr einem Leichnam als einem
lebendigen Menschen gleicht. Die Villa liegt weit von der
Stadt entfernt und ist nicht bequem zu erreichen, so dass er
nur selten, nicht ohne Schwierigkeit und nur mit vielen Kosten
ärztliche Hülfe erlangen kann. Seine Studien sind in Folge
seiner Erblindung unterbrochen, wiewohl er sich zu Zeiten
etwas vorlesen lässt. Er hat nicht viel Verkehr, weil er
bei seinen schlechten Gesundheitsumständen gewöhnlich
nichts anderes thun kann als über sein Unglück klagen und
mit denjenigen, die ihn zu Zeiten besuchen, über seine
Leiden sprechen. Ich glaube darum auch in dieser Bezie-
hung, wenn Seine Heiligkeit in seiner unendlichen Barm-
herzigkeit ihm erlauben wollte, in Florenz zu wohnen, so
hätte er keine Gelegenheit, Versammlungen zu halten, und
wenn er sie hätte, so ist er so mürbe geworden, dass, um
sich dessen zu versichern, wohl eine gute Ermahnung ge-
nügen würde, um ihn im Zügel zu halten. "
Am 25. Febr. 1638 beschloss darauf die Inquisition, Ga-
lilei zu erlauben, in seinem Hause zu Florenz zu wohnen,
um sich ärztlich behandeln zu lassen, jedoch unter der Be-
dingung, dass er nicht in die Stadt gehe und auch in seinem
Hause keine öffentlichen oder geheimen Unterredungen über
seine frühere verdammte Meinung von der Bewegung der
Erde zulasse; der Inquisitor solle ihm unter Androhung der
schwersten Strafen verbieten, über dergleichen Dinge mit
irgend Jemand zu reden, und ihn überwachen lassen1). Am
6. März theilte der Cardinal Barberini dieses dem Inquisitor
zu Florenz mit2). An demselben Tage schrieb Castelli an
Galilei3), der Assessor des h. Officiums habe ihm erzählt,
dass dieser Brief abgehen werde, und beigefügt, Galilei
müsse sich vor Gesprächen und Zusammenkünften u. s. w.
hüten. „Ich habe ihm versichert, schreibt Castelli weiter,
Sie sprächen nie über verdächtige oder verbotene Dinge
und fügten sich in diesem und in allen anderen Punkten
1) Gherardi No. XXIV, abgedruckt bei Gebier, Galilei S. 429.
2) Wolynski p. 27. 3) X, 285.
Erlaubniss zur Rückkehr nach Florenz. 397
gewissenhaft dem Willen Gottes und der Oberen; dafür
wolle ich mich mit meinem Leben verbürgen. Ich schreibe
Ihnen dies, nicht als ob ich daran zweifelte, dass Sie auf
das pünktlichste gehorchen, sondern damit Sie sich mög-
lichst vor Verleumdungen hüten."
Am 9. März schrieb darauf der Inquisitor an Galilei1):
„Seine Heiligkeit hat geruht, Ihnen zu erlauben, von Ihrer
Villa in Ihr Haus in Florenz überzusiedeln, um sich ärztlich
behandeln zu lassen. Sie müssen jedoch, wenn Sie in die
Stadt kommen, gerades Weges hierher in das h. Officium
kommen oder sich bringen lassen, um von mir zu verneh-
men, was ich Ihnen weiter zu eröffnen und vorzuschreiben
habe." Am folgenden Tage berichtete der Inquisitor an
den Cardinal Barberini2): ,,Ich habe Galilei von der ihm
ertheilten Erlaubniss ... in Kenntniss gesetzt. Zugleich
habe ich ihm bei Strafe lebenslänglicher förmlicher Haft
und der Seiner Heiligkeit vorbehaltenen Excommunication
latae sententiae verboten, in die Stadt zu gehen oder mit
irgend Jemand von seiner verdammten Meinung von der
Bewegung der Erde zu reden. Er ist durch sein Alter von
70 Jahren, durch seine Blindheit und durch viele andere
Krankheiten und Leiden, die ihn quälen, so niedergedrückt,
dass man wohl annehmen darf, er werde, wie er versprochen,
den ihm ertheilten Befehl nicht übertreten. Zudem liegt sein
Haus in einem der abgelegensten Theile der Stadt. Auch
hat er einen sehr wohlgesitteten und gutgesinnten Sohn,
der beständig bei ihm ist, und dieser ist von mir ange-
wiesen worden, in keiner Weise verdächtige Personen mit
seinem Vater reden zu lassen und dafür zu sorgen, dass die-
jenigen, welche ihn besuchen, sich bald wieder entfernen.
Ich bin überzeugt, er wird wachsam und gehorsam sein;
denn wie er sich sehr dankbar gegen unsern Herrn und
Euere Eminenz ausspricht für die seinem Vater ertheilte
Erlaubniss, der ärztlichen Behandlung wegen in der »Stadt
zu wohnen, so fürchtet er, dass er um der gering*sten Sache
wegen zurückberufen werden möge. Es liegt auch sehr in
seinem Interesse, dass der Vater sich in Acht nehme und
noch lange lebe, da mit seinem Tode tausend Scudi ver-
loren gehen, die ihm der Grossherzog jährlich gibt. Bei alle
[) X, 286. 2) X, 287.
398 Erlaubniss zur Rückkehr nach Florenz.
dem werde ich pflichtmässig darüber wachen, dass alles aus-
geführt werde, was von Seiner Heiligkeit und Euerer Emi-
nenz angeordnet ist. Ich füge noch bei, dass Galilei drin-
gend bittet, es möge ihm gestattet werden, an den Fest-
tagen, falls es ihm seine Leiden gestatten, sich in eine kleine,
zwanzig Schritte von seinem Hause entfernte Kirche tragen
zu lassen, um dort die Messe zu hören/'
Die Inquisition beschloss am 29. März, den Inquisitor
zu ermächtigen, nach seinem Gutdünken Galilei den Besuch
der Kirche zu gestatten, „vorausgesetzt, dass kein Zusam-
menlauf von Leuten stattfinde" *). Schon am 28. hatte aber
der Inquisitor Galilei erlaubt, an den drei letzten Tagen der
Charwoche und am Ostertage in seine Pfarrkirche oder in
eine andere Kirche in der Nähe seines Hauses zu gehen,
um zu beichten, zu communiciren und sonstige Andachts-
übungen vorzunehmen, oder, wenn er das vorziehe, auf seiner
Villa zu bleiben2). — Bezüglich des Verbotes der Besuche
wandte sich Galilei nochmals an Castelli; dieser schrieb ihm
am 27. März3), nach der Erklärung des Assessors des h.
Officiums sei das Verbot nur dahin zu verstehen, dass ,,kein
Anlass geboten werden dürfe, von der Bewegung der Erde
u. s. w. zu reden".
Aus mehreren Briefen geht hervor, dass Galilei seit
dem 10. März 1638 sich nicht immer in Florenz, sondern
zeitweilig wieder auf seiner Villa aufhielt4). Seit dem Jan.
1639 sind alle Briefe von Arcetri datirt. Die Erlaubniss,
nach Florenz überzusiedeln, war allerdings nur zu dem
Zwecke der ärztlichen Behandlung, aber nicht für eine be-
stimmte Zeit ertheilt, und es findet sich nirgendwo erwähnt,
dass sie zurückgenommen worden sei. Galilei scheint also
später selbst den Aufenthalt in Arcetri vorgezogen zu haben.
i) Gherardi Nq, XXV, abgedruckt bei Gebier, Galilei S. 430: proviso
ne habeat\ur\ concursus personarum. In dem betreffenden Schreiben des
Card. Barberini vom 3. April (bei Wolynski p. 27) heisst es: „Ihre Eminen-
zen wünschen, dass es zu geeigneten Stunden und mit wenig Apparat und
Begleitung geschehe." Dass „der Inquisitor den Auftrag erhalten, wohl dar-
auf zu achten, dass Niemand in jenes Gotteshaus zugelassen werde, so lange
Galilei darin seine Andacht verrichte", und dass darum „für Galilei eine
eigene Messe gehalten wurde, bei der Niemand zugegen sein durfte" (Geb-
ier, D. Rundschau 1878, IV, 70), ist jedenfalls eine Uebertreibung.
2) X, 292. 3) X, 290. 4) X, 292; VII, 211. 214. 217.
Verhandlungen mit den Generalstaaten. 399
Galilei correspondirte in den Jahren 1636—38 vielfach
mit den holländischen Generalstaaten über die Methode der
Längenmessung auf dem Meere1). Im Sommer 1638 sollte
Martin Hortensius, Professor der Mathematik zu Amster-
dam, nach Florenz kommen, um mit Galilei persönlich dar-
über zu sprechen2). Der Inquisitor hörte davon und be-
richtete unter dem 26. Juni nach Rom3): ,,Ich habe erfahren,
dass hier in Kurzem aus Deutschland ein vornehmer Herr
erwartet wird, welcher von den freien Städten der Nieder-
lande mit werthvollen Geschenken an Galilei abgesandt ist.
Durch eingezogene Erkundigungen habe ich entdeckt, dass
dieser jenen vor vielen Jahren mitgetheilt hat, er könne ein
Instrument machen, mit welchem man die Schifffahrt durch
die Länge von Westen nach Osten erleichtern könne [sie],
dass jene beschlossen haben, Jemand hierher zu schicken,
um sich vollständig darüber zu unterrichten, und dass dieser
Abgesandte von dem Grossherzog empfangen werden und
Wohnung erhalten wird. Ich habe unter den gegenwärtigen
schwierigen Verhältnissen für gut gehalten, nichts anderes
zu thun als Galilei zu rathen, er möge, wenn es möglich sei,
den besagten Herrn nicht empfangen, oder wenn er ihn, wie
zu vermuthen ist, auf Befehl Seiner Hoheit empfange, möge
er sich davor hüten, in irgend einer Weise von dem zu
reden, was ihm verboten ist. Ich habe es für meine Pflicht
gehalten, dieses mitzutheilen, um Euere Eminenz von dem,
was vor sich geht, in Kenntniss zu setzen und um von
Ihnen Weisungen zu erhalten, falls Sie mir solche zu geben
für gut halten."
Die Inquisition beschloss in der Sitzung vom 13. Juli4),
dem Inquisitor zu antworten: wenn der betreffende Herr
ein Ketzer oder von einer ketzerischen Stadt gesandt sei,
solle er Galilei die Annahme seines Besuches förmlich ver-
bieten; wenn aber der Herr und die Stadt katholisch sei,
solle er die Verhandlung zwischen Beiden nicht hindern,
1) VII, 73—137. 161 — 189. 197. Pieralisi p. 278.
2) VII, 183. 187; X, 220. 221.
3) Acten S. 178.
4) Gherardi No. XXVI, abgedruckt bei Gebier S. 430. Acten S. 179
(eine nur theilweise leserliche Notiz darüber unter dem Briefe des Inquisitors
ist faesimilirt bei Epinois p. 138). Der betreffende Brief des Card. Barberini,
vom 19. Juli, ist von Wolynski p. 28 veröffentlicht.
400 Verhandlungen mit den Generalstaaten.
vorausg'esetzt, dass sie nicht über die Bewegung der Erde
redeten. Der Cardinal Barberini, der dem Inquisitor diese
Weisung mittheilte, fügte bei: wenn das Instrument wirk-
lich, was man in Rom nicht recht glaube, eine so werthvolle
Erfindung sei, so sei zu hoffen, dass der Grossherzog nicht
zulasse, dass sie „einem fremden Volke in die Hände falle
und Italien des Ruhmes beraubt werde, sie zuerst benutzt
zu haben."
Am 25. Juli berichtete der Inquisitor weiter1): „Der
Herr, welcher an Galilei abgesandt war, ist nicht nach Flo-
renz gekommen und wird, so viel ich höre, nicht kommen.
Ich habe bis jetzt noch nicht erfahren können, ob wegen
einer Behinderung auf der Reise oder wegen eines andern
Grundes. Aber die Geschenke sind mit Briefen an Galilei
in die Hände einiger deutschen Kaufleute hierselbst gelangt.
Ein zuverlässiger, mir bekannter Mann, der mit demjenigen,
welcher die Geschenke und Briefe in Händen hat, ge-
sprochen, sagt, diese seien mit dem Siegel der holländi-
schen. Generalstaaten gesiegelt und jene seien in einem
Packet, und es seien wahrscheinlich Schmucksachen von
Gold und Silber. Galilei hat sich standhaft geweigert, die
Briefe und die Geschenke anzunehmen, sei es aus Furcht,
er möge sich einer Gefahr aussetzen wegen der Warnung,
die ich ihm bezüglich des Herrn, der hierher kommen sollte,
ertheilt habe, sei es weil er wirklich die Anweisung über
die Längenmessung nicht vollendet hat und nicht vollenden
kann, da er ganz blind ist und mehr mit dem Kopfe im
Grabe, als mit dem Geiste in mathematischen Studien steckt,
und da der Gebrauch des Instrumentes, welches er ausge-
dacht, auf viele unüberwindliche Schwierigkeiten stösst.
Man sagt hier auch, wenn er die Sache vollendet hätte,
würde Seine Hoheit nicht gestattet haben, dass sie Frem-
den, Ketzern und Feinden der mit dem grossherzoglichen
Hause verbündeten Fürsten in die Hände falle/' Die Inqui-
sition beschloss am 5. August2), dem Inquisitor zu antwor-
ten: er solle Galilei mittheilen, die Congregation finde es
1) Acten S. 176.
2) Gherardi No. XXVII, abgedruckt bei Gebier S. 431. Acten S. 180.
Der betreffende Brief des Card. Barberini, vom 7. Aug., ist von Wolynski
p. 28 veröffentlicht.
Verhandlungen mit den Generalstaaten. 40 1
sehr lobenswerth, dass er sich geweigert habe, die Briefe
und Geschenke der Generalstaaten anzunehmen.
Etwas mehr erfahren wir über diese Sache aus zwei
Briefen Galilei's an Elia Diodati in Paris l). In dem ersten,
vom 7. Aug. 1638, berichtet er zunächst, er liege seit
einem Monate zu Bette, und fühle sich so schwach, dass er
nicht glaube, mit dem Leben davon kommen zu können.
Zu seinem Augenleiden seien Kolikschmerzen gekommen;
er schlafe höchstens eine Viertelstunde oder eine halbe
Stunde gegen Morgen und mitunter eine oder zwei Stunden
des Abends u. s. w. ; dazu sei er geistig sehr angegriffen
und niedergedrückt. „Vor sechs Tagen, berichtet er weiter,
brachten mir die Herren Ebers, deutsche Kaufleute hier-
selbst, einen Brief der Generalstaaten und ein Kistchen mit
einer Kette2). Sie fanden mich in sehr traurigem Zustande
im Bette, und da ich blind bin, öffneten sie den Brief und
lasen ihn mir vor; er ist voll Freundlichkeit. Den Brief
nahm ich an mich, das Kistchen gab ich ihnen zurück, mit
der Bitte, es zu behalten, bis ich den Generalstaaten ge-
schrieben und von ihnen Antwort erhalten haben würde.
Ich will den Generalstaaten für den Beweis ihres Wohl-
wollens danken, aber die Kette für jetzt nicht behalten, aus
verschiedenen Gründen, namentlich aber darum, weil in
Folge meiner Erblindung und der Zunahme meiner Krank-
heit die Verhandlungen unterbrochen sind. . . . Wenn mein
Zustand sich fortwährend so verschlechtert, wie es seit
drei bis vier Tagen der Fall ist, sq wird es mit dem
Dictiren von Briefen wohl zu Ende sein ... Es wäre eine
nutzlose Mühe, wenn Herr Hortensius hieher kommen wollte,
um mich zu besuchen. Sollte er mich noch lebend finden,
was ich nicht glaube, so würde ich doch nicht im Stande
sein, ihm den mindestens Dienst zu leisten." Am 14. Aug.
schreibt er: „Das Unglück hat es gewollt, dass das h. Offi-
cium von meinen Verhandlungen mit den Generalstaaten
über die Längenmessung Kunde erhalten hat, was mir
grossen Schaden hätte bringen können. Es ist mir darum
sehr lieb, dass Sie Herrn Hortensius veranlasst haben,
seine Reise aufzugeben. Sein Besuch hätte mir Ungelegen-
heiten bereiten können. Es ist freilich richtig, dass aus den
1) vii, 214. 2) Vgl. vil, 135.
Keusch, Galilei. - 20
402 Castelli bei Galilei.
von Ihnen angeführten, durchaus wahren und einleuchten-
den Gründen eine solche Verhandlung mir keinen Nachtheil,
sondern Ehre und Ruhm bringen sollte, wenn ich ein
Mensch wie andere Menschen, d. h. nicht unglücklicher als
Andere wäre ; aber viele, viele Erfahrungen haben mich von
der Bosheit meines Unglücks überzeugt, so dass ich von
der hartnäckigen Perfidie, mit welcher es mich verfolgt,
nichts anderes erwarten kann, als dass das, was jedem An-
dern Vortheil bringen würde, mir nur Schaden und Nach-
theil bringen kann. Ich gebe mich aber zufrieden; denn es
wäre eine nutzlose Vermessenheit, dem unabwendbaren Ge-
schicke widerstreben zu wollen."
Im Sommer 1639 scheint Galilei Micanzio geschrieben
zu haben, er wolle die Kette zurückschicken, auch darum,
weil ihm die Annahme eines Geschenkes von einer pro-
testantischen Regierung verübelt werden könne. Micanzio
widersprach ihm entschieden, und Galilei beschränkte sich
darauf, die Generalstaaten zu bitten, sie möchten erwägen,
ob er des Geschenkes würdig sei, da er seine Aufgabe nicht
zu Ende geführt habe1).
Im Herbst 1638 hatten sich der Papst und die Inqui-
sition aufs neue mit Galilei's Sache zu befassen. Die noch
wenig beachteten Actenstücke verdienen, weil sie in mehr
als einer Hinsicht charakteristisch sind, ihrem Hauptinhalte
nach mitgetheilt zu werden.
Ende 1635 beabsichtigte der Grossherzog, Galilei's
Schüler Castelli wieder nach Pisa zu berufen2). Castelli
lehnte ab, unter anderm auch darum, weil er fürchtete,
der Cardinal Francesco Barberini, der Protector seines Or-
dens, werde ihn dafür seine Ungnade fühlen lassen. Im
Mai 1638 scheint Galilei den "Wunsch geäussert zu haben,
Castelli zu sehen. Dieser antwortete 3) : er habe dem Gross-
herzog über eine ihm vorgelegte Frage schriftlich berichtet
und sich dabei erboten, nach Florenz zu kommen, um die
Sache mündlich zu erledigen; er habe noch keine Antwort
erhalten; wenn er aufgefordert werde, nach Florenz zu
kommen, hoffe er einige Tage bei Galilei sein zu können.
Am 9. Sept. 1638 schrieb dann der Minister Cioli an Nicco-
0 X, 355. 373. 376. 2) x, 131. 3) x, 300. 307.
Castelli bei Galilei. 403
lini1): „Galilei befindet sich in Folge seines. Alters und sei-
ner körperlichen Leiden in einem solchen Zustande, dass
er voraussichtlich bald aus diesem Leben scheiden wird.
Wenn nun auch das Andenken an seinen Ruhm und an
seine Tüchtigkeit ewig dauern wird, so wünscht doch Seine
Hoheit sehr, sein Tod möge für die Welt ein möglichst
geringer Verlust sein, und seine Arbeiten möchten nicht
verloren gehen, sondern zum allgemeinen Besten zu der
Vollendung gebracht werden, die er selbst ihnen nicht mehr
wird geben können. Er hat noch viele Dinge, die seiner
würdig sind, im Sinne, möchte dieselben aber Niemand mit-
theilen als dem Pater Castelli, dem er volles Vertrauen
schenkt. Seine Hoheit wünscht also, Euere Excellenz möge
den besagten Pater veranlassen, sich die Erlaubniss zu ver-
schaffen, zu dem genannten Zwecke, für den sich Seine
Hoheit sehr interessirt, für ein paar Monate nach Florenz
zu kommen. Wenn er die Erlaubniss erhält, werden Euere
Excellenz ihm die Reisekosten vorschiessen." Niccolini ant-
wortete am 25. Sept.2): „Castelli hat mir mitgetheilt, er
habe Seine Heiligkeit selbst um die Erlaubniss zu der Reise
nach Florenz gebeten; der Papst habe den Verdacht ge-
äussert, es sei darauf abgesehen, dass er sich mit Galilei
unterhalten solle; er habe gesagt, wenn er nach Florenz
komme, müsse er auch Galilei sprechen, und habe dann
die Antwort erhalten, das solle ihm erlaubt werden, aber
nur in Gegenwart eines Andern. Ich habe ihm 50 Scudi
auszahlen lassen."
Castelli reiste alsbald ab. Am 2. Oct. schrieb er von
Florenz aus an den Cardinal Francesco Barberini3): „Ich
habe heute Ihren Hoheiten meine Aufwartung gemacht. Ich
wurde sehr gnädig aufgenommen; aber ich habe sogleich
gefunden, dass der pünktliche Gehorsam gegen Euere
Eminenz und den Befehl unseres Herrn auf eine kleine
Schwierigkeit stösst, bin jedoch fest entschlossen, pünktlich
zu gehorchen, und will lieber mein Leben lassen als unge-
horsam sein. Es handelt sich um Folgendes: Da der Gross-
herzog sieht, dass Galilei immer mehr abnimmt und nicht
lange mehr leben kann, wirkt er darauf hin, dass er sich
auf die letzte Reise vorbereite, um sie als Christ und mit
1) X, 313. 2) X, 314. 3) Pieralisi p. 291.
404 Castelli bei Galilei.
pflichtmässiger Andacht anzutreten. Seine Hoheit hat ihn
nicht nur selbst mit grosser Frömmigkeit und Liebe er-
mahnt, seine Tage in ehrenhafter Weise - zu beschliessen,
sondern auch durch andere Mittel so auf ihn eing-ewirkt,
dass er ganz ergeben ist in den Willen Gottes und sich mit
Andachtsübungen und heiligen Gedanken beschäftigt. Wie-
wohl ich nun dazu durchaus ungeeignet bin, wünscht doch
Seine Hoheit, auch ich möge dazu mitwirken, als derjenige,
dem Herr Galilei stets besonderes Vertrauen geschenkt hat.
Darum bitte ich Euere Eminenz um der Liebe Gottes willen,
mir doch von unserm Herrn eine ausgedehntere Erlaubniss
zum Besuche des armen Greises erwirken zu wollen. Ich
verspreche, mit ihm von nichts zu reden als von Dingen,
die sein Seelenheil betreffen, und höchstens noch von Einem
andern Punkte, welcher gar nicht zu den streitigen oder
von der h. Kirche verdammten Dingen gehört. Wenn
E. E. mir diese Erlaubniss ertheilt und verschafft, so
werde ich sie genau so benutzen, wie ich versprochen habe;
wenn sie mir aus höheren Rücksichten nicht ertheilt wird,
so schwöre ich, dass ich lieber das Leben lassen als unge-
horsam sein will." Castelli erzählt dann, als Beweis für ,,die
Ehrfurcht und Achtung Galilei's vor der h. Römischen
Kirche", die Ablehnung der goldenen Kette, „eine wahrhaft
ehrenhafte und fromme und seiner würdige Handlung",
und schliesst: „Der Abt des hiesigen Klosters wird mich
gern, entsprechend dem Befehle Euerer Eminenz, die drei
Male, die ich Erlaubniss habe, Galilei zu besuchen, beglei-
ten; aber wenn unser Herr in seiner väterlichen Liebe mir
die Erlaubniss erweitert, so bitte ich, da der Pater Abt
durch die Leitung des Klosters in Anspruch genommen ist,
zu gestatten, dass er mir einen andern Begleiter anweisen
dürfe, so dass ich in dessen Gegenwart, und nicht anders,
das thun dürfte, was Gott mir eingeben wird." Am 9. Oct.
schrieb Castelli wieder an den Cardinal: „Zu dem, was ich
Euerer Eminenz mit der letzten Post geschrieben, muss ich
nachtragen, dass, da der Prinz Gioan Carlo zum Generalissi-
mus zur See ernannt worden ist, der Grossherzog wünscht,
Galilei möge mir vollständig die Bewegungen der Medi-
ceischen Planeten mit den bezüglichen Tafeln und Be-
rechnungen mittheilen behufs der Längenmessung, — was,
wie E. E. wissen, eine sehr wichtige und wünschens-
Castelli bei Galilei.
405
werthe Sache ist, von der zu fürchten ist, sie möge mit dem
Tode Galilei's verloren gehen und begraben werden. Darum
muss ich aufs neue E. E. bitten, mir von unserm Herrn die
Erlaubniss zu erwirken, mit grösserer Freiheit mit Galilei
zu verhandeln. Ich versichere aufs neue, dass ich bei mei-
nen Gesprächen stets den Dienst Gottes und das Heil mei-
ner Seele und des Nächsten im Auge behalten werde". . .
Am 16. Oct. antwortete der Cardinal: „Seine Heiligkeit ge-
nehmigt, dass Sie jene Person so oft besuchen, als Ihnen
gut scheint, um mit ihr von Dingen zu reden, die ihr Seelen-
heil betreffen, aber nicht von einem andern Punkte, um
Ihre eigenen Worte zu gebrauchen, der gar nicht zu den
streitigen oder von der h. Kirche verdammten Dingen ge-
hört. Vielleicht hat diese Beschränkung in meinem unge-
nauen Berichte und nicht in den Worten Ihres Briefes ihren
Grund; aber mag ich Sie nicht recht verstehen oder mögen
Sie sich nicht deutlich ausgedrückt haben, der Befehl lau-
tet, wie ich .gesagt habe. Seine Heiligkeit genehmigt ferner,
dass Sie sich einen Begleiter geben lassen, den der Pater
Abt für geeignet hält, im Falle er selbst nicht mitgehen
kann, bei Ihren Gesprächen zugegen zu sein. Alles dieses
wird Ihnen bewilligt mit Rücksicht auf Ihre bekannte
Frömmigkeit und in der Voraussetzung, dass Sie die Er-
laubniss in der Weise benutzen werden, wie Sie versprochen
haben."
An demselben Tage, 16. Oct., schrieb Castelli einen
dritten Brief, um seine Bittein Erinnerung zu bringen; er
versichert diesmal: „immer loquar de testimoniis Dei et non
confundar". Am 25. Oct. schrieb er zum vierten Male1):
„Ich muss Euere Eminenz demüthig um Verzeihung bitten,
wenn ich zudringlich erscheine mit der Wiederholung meiner
Bitte, mir um der Liebe Gottes willen eine ausgedehntere
Erlaubniss zu verschaffen, Galilei zu besuchen, um Ihren
Hoheiten dienen zu können. Seien Sie versichert, dass ich
von Dingen, welche zu den von der h. Kirche verbotenen
gehören, gar nicht reden und lieber mein Leben lassen als
ungehorsam sein werde. Ich fühle mich verpflichtet, den
1) Dieses ist der einzige Brief, der sich bei den Processaclen (S. 175.
181) befindet; die anderen hat Pieralisi a. a. O. veröffentlicht.
406 Castelli bei Galilei.
hiesigen Fürsten mich dienstwillig zu zeigen, da ich berufen
worden bin in Angelegenheiten, welche sehr ehrenvoll und
wichtig und auch für den Dienst Gottes nützlich sind, und
ich kann mich dem nicht entziehen." Er^ wiederholt, was
er über den Prinzen Gioan Carlo und die Längenmessung
geschrieben, und schliesst: ,,Ich bitte also in aller Demuth
um Ihre Vermittlung, damit der Prinz diesen Schatz mit
nach Spanien nehmen und E. E. mit Ihrer Autorität einen
Antheil haben könne an einem so ehrenvollen Werke, indem
einer Ihrer Diener daran mitwirkt, und damit nicht Andere
mir diese Ehre wegnehmen. Morgen werde ich gemäss der
mir ertheilten Erlaubniss Galilei zum zweiten Male besuchen
und nichts anderes mit ihm reden, als was ich aus christli-
cher Liebe reden muss."
Am 28. Oct. schrieb Castelli: er habe die vom 16. da-
tirte Antwort auf seinen ersten Brief erhalten, warte aber
noch auf Antwort auf die späteren Briefe. Diese ertheilte
der Cardinal in einem Briefe vom 30. Oct.: „Seine Heilig-
keit genehmigt, dass Sie über die Bewegungen der Medi-
ceischen Planeten mit den bezüglichen Tafeln und Berech-
nungen behufs der Längenmessung reden dürfen, da es der
Wunsch Seiner Heiligkeit und der h. Congregation ist, dass,
wenn sich etwas für die Schifffahrt Nützliches festsetzen
lässt, dieses durch einen katholischen Fürsten geschehen
möge. Demgemäss haben Sie also die Erlaubniss. Ich bin
überzeugt, dass Sie andere Gespräche vermeiden werden,
namentlich solche, die dem Willen der h. Congregation zu-
wider laufen würden."
Am 25. Nov. beschloss die Inquisition, mit Rücksicht
auf Castelli's Brief vom 2$. Oct., den Inquisitor zu Florenz
zu ermächtigen, Castelli den öfteren Besuch Galilei's zu ge-
statten, ,,im Interesse von dessen Seelenheil und um sich
über die Perioden der Mediceischen Planeten u. s. w. zu
unterrichten"; er solle ihm aber zugleich befehlen, von der
durch die Inquisition verdammten Meinung von der Bewe-
gung der Erde nicht zu reden, bei Strafe der Excommuni-
cation latae sententtae, der er ohne weitere Declaration
verfallen würde; die Lossprechung von dieser Excommuni-
cation habe Seine Heiligkeit sich selbst vorbehalten und
auch der h. Pönitentiarie die Facultät, davon zu absolviren,
Besuche bei Galilei. 407
entzogen1). Der Inquisitor berichtete am 4. Dec. 16382):
er habe den Auftrag ausgeführt und Castelli habe ver-
sprochen, die ihm ertheilte Weisung genau zu befolgen.
Spätestens im Januar 1639 kehrte Castelli nach Rom
zurück3). Im Frühjahr 1640 bot ihm der Grossherzog aufs
neue die Professur in Pisa an; Galilei wünschte sehr, er
möge den Ruf annehmen. Castelli wünschte selbst, seine
Lebenstage in Florenz beschliessen zu können, — er war
jetzt ein Siebenziger, — lehnte aber den Ruf auch jetzt ab,
und zwar wieder mit aus dem Grunde, weil der Protector sei-
nes Ordens, der Cardinal Francesco, ihn „ruiniren" und ihm
nicht nur verbieten könne, Vorlesungen zu halten, sondern
auch jemals nach Florenz zu gehen, um Galilei zu spre-
chen4). Im October und November 1641, also einige Mo-
nate vor Galilei's Tode, war übrigens Castelli längere Zeit
bei ihm, — wie es scheint, jetzt, ohne die Inquisition um
Erlaubniss gefragt zu haben.
Urban VIII. zeigte sich auch im J. 1639 noch wenig
geneigt, Galilei weitere Strafmilderungen zu bewilligen.
Ueber eine Sitzung der Inquisition vom 27. April 1639 findet
sich notirt5): „Es wurde eine Bittschrift von Galilei vorge-
lesen, welcher um Freiheit bittet. Ihre Eminenzen be-
schlossen, die Bittschrift Seiner Heiligkeit vorzulegen", —
und über die Sitzung vom folgenden Tage: „Es wurde die
Bittschrift von Galilei vorgelesen, der um verschiedene
Gnaden bittet. Seine Heiligkeit wollte ihm nichts bewilli-
gen". Von weiteren Bittgesuchen Galilei's ist in den Acten
nicht die Rede. Der nächste Beschluss der Inquisition, den
die Acten verzeichnen, bezieht sich auf seine Beerdigung.
Man würde sehr im Irrthum sein, wenn man aus den
Verfügungen der Inquisition über den Besuch des Horten-
sius und Castelli's bei Galilei schliessen wollte, Freunde und
1) Acten S. 181 (facsimilirt bei Epinois p. 137). Brief des Card. Bar-
berini vom 27. Nov. bei Wolynski p. 28.
2) X, 314. Das Schreiben ist hier irrthümlich vom 4. October datirt.
3) X, 325.
4) VII, 316. 335. X, 387. 392. 393.
5) Gherardi No. XXVIII und XXIX, abgedruckt bei Gebier S. 431.
In den Vaticanischen Acten findet sich nichts über diese Sitzung, was sich
hier daraus erklärt, dass nichts beschlossen war, was durch die Beamten
der Inquisition auszuführen gewesen wäre; s. o. S. 332.
408 Besuche bei Galilei.
Fremde hätten überhaupt mit besonderen Schwierigkeiten
zu kämpfen gehabt, wenn sie Galilei in Arcetri und Florenz
besuchen wollten. Es war ihm nicht verboten, Besuche an-
zunehmen, und die Ueberwachung durch den Inquisitor, der
er in dieser Beziehung unterworfen war, scheint im allge-
meinen nicht strenge gewesen zu sein. Der beabsichtigte
Besuch des Hortensius ist der einzige, über den der Inqui-
sitor nach Rom berichtet. Von manchen Besuchen mag er
nichts erfahren haben ; im allgemeinen scheint er aber auch
keine Lust gehabt zu haben, viel über Galilei nach Rom zu
berichten. Die Römische Inquisition aber scheint sich im all-
gemeinen damit begnügt zu haben, Galilei formell in Haft
zu halten, ihn von Zeit zu Zeit dieses fühlen zu lassen und
sich die Möglichkeit zu wahren, nöthigenfalls strenger gegen
ihn aufzutreten. Castelli war selbst verdächtig und dabei
nicht nur ein Ordensgeistlicher, sondern auch Professor in
Rom ; er musste also eine specielle Erlaubniss zum Besuche
Galilei's nachsuchen, und dies benutzte Urban VIII. wenig-
stens im J. 1638, ihn und Galilei seine Ungnade fühlen zu
lassen. Andere konnten Galilei besuchen, ohne um Erlaub-
niss zu bitten. In der That ergibt sich aus dem Briefwechsel
Galilei's, dass seine Bekannten oft zu ihm kamen, — der
Canonicus Gherardini, der in der Nähe wohnte, verkehrte
sehr viel mit ihm1), — und dass auch manche Fremde ihn
besuchten2), unter Anderen der englische Dichter Milton3),
der Philosoph Hobbes und wahrscheinlich auch Descartes4).
Wenn er einmal die Erlaubniss erhielt, um den Grafen de
Noailles zu sprechen, seine Villa zu verlassen 5), so scheint er
wiederholt ohne Erlaubniss und ohne Vorwissen des Inqui-
sitors mit dem Grossherzog an einem dritten Orte zusam-
mengekommen zu sein6), Der Grossherzog, sein Bruder
1) Targioni II, 63; s. o. S. 6.
2) VII, 58. 65. 197. 242. 259; X, 60. 116.
3) Reumont, Beitr. zur ital. Gesch. I, 405 und „Milton e Galileo" im
Arch. stör. S. 3, T. 26, p. 427. Milton besuchte Galilei im J. 1638, wahr-
scheinlich in Arcetri. Ein hübscher Bericht über den Besuch eines reichen
und vornehmen „Ultramontanen'' bei Targioni II, 50.
4) Targioni I, 144. 5) S. o. S. 392.
6) VII, 142. 153. (Hier bittet er, der Grossherzog möge ihn „zu
früher Stunde in einem verschlossenen Wagen abholen und Abends spät zu-
rückbringen lassen".) Suppl. 280.
Gehülfen Galilei's. 409
Leopold und andere Prinzen besuchten ihn auch wiederholt
in Arcetri und in Florenz1).
Im Mai 1637 erhielt Dino Peri, Lector der Mathematik
zu Pisa, von dem Grossherzog die Erlaubniss, sich längere
Zeit bei Galilei aufzuhalten, um ihn bei seinen wissenschaft-
lichen Arbeiten zu unterstützen2). Schon im Juli 1636 war
ein anderer seiner Schüler, der Pater Bonaventura Cavalieri,
Professor der Mathematik zu Bologna, einige Zeit bei ihm3).
Von den jüngeren Männern, welche zeitweise seine Gehülfen
bei seinen wissenschaftlichen Arbeiten waren, gehörten drei
dem von dem damals noch lebenden Joseph Calasanza ge-
stifteten und geleiteten Orden der Piaristen (Chierici rego-
lari delle Scnole Pie) an. Famiano Michelini, mit seinem
Ordensnamen Frater Franciscus vom h. Joseph, welcher in
dem Kloster seines Ordens in Florenz lehrte und auch die
Prinzen Gioan Carlo und Leopold in der Mathematik unter-
richtete, war in den Jahren 1634 — 39 viel bei Galilei4).
Durch ihn wurde einer seiner Schüler, demente Settimi,
mit seinem Ordensnamen Pater Clemens vom h. Carl, mit
Galilei bekannt5). Auf dessen Wunsch beauftragte der
Sta£itssecretär Cioli im April 1639 den Gesandten Niccolini,
bei dem Ordensgeneral für den Pater Clemens die Erlaub-
niss zu erwirken, Galilei bei seinen Arbeiten zu unterstützen
und bei ihm zu Arcetri wenigstens zeitweilig zu wohnen.
In seiner Antwort vom 13. April 1639 schreibt Niccolini die
charakteristischen Worte: „Gebe Gott, dass es der Pater
General ohne die Congregation [des h. Officiums] thun
könne !" Der General hielt nicht für nöthig, die Inquisition
zu belästigen. Er antwortete Niccolini: er wisse, dass der
1) XV, 371.
2) VII, 153. 191; X, 212. 229. 308. S. o. S. 374.
3) VII, 72; X, 161. Cavalieri, geb. 1598 in Mailand, war Jesuat. Die
Professur in Bologna erhielt er 1629 auf die Empfehlung Galilei's und Cesare
Marsili's; VI, 325; IX, 139. 153. 157. Er starb 1647. Tiraboschi VIII, 258.
4) Suppl. 265 — 270; X, 49. 74. 176. 206. 308. 332; VII, 2. Michelini,
geb. 1600 in Rom, trat 1625 in den Orden, wurde aber erst 1637 Priester.
1647 — 57 war er Professor der Mathematik in Pisa. 1657 trat er mit päpst-
licher Dispensation aus dem Orden aus. Er starb 1666 in Florenz. Targioni
I, 198. 365. Tiraboschi VIII, 218. Briefe von ihm, zum Theil medicini-
schen Inhalts, bei Targioni II, 122.
5) X, 333 ff.
410 Gehülfen Galilei's.
Pater Clemens wiederholt in der Villa Galilei's übernachtet
habe und wolle seinen Obern anweisen, ihm dieses auch in
Zukunft in einzelnen Fällen zu gestatten; eine allgemeine
schriftliche Erlaubniss dazu könne er ihm aber nicht erthei-
len; wenn es übrigens nicht genüge, dass er wöchentlich
einmal zu Galilei gehe, möge er öfter hingehen1). Seitdem
war Pater Clemens viel bei Galilei2). Ein dritter Piarist,
Pater Ambrosius von der Conception, scheint nur verein-
zelte Male bei Galilei gewesen zu sein3). Galilei's Schüler
Vincenzio Renieri aus dem Orden der Olivetaner, seit 1640
Professor in Pisa, war nur vorübergehend in Arcetri, stand
aber mit Galilei in regem wissenschaftlichem Briefwechsel4).
Die letzten dreissig Monate seines Lebens hatte Galilei fast
ununterbrochen den jungen Vincenzo Viviani als Schüler
und Gehülfen bei sich5), seit dem October 1641 auch Evan-
gelista Torricelli, den Lieblingsschüler Castelli's6).
Auffallend könnte es erscheinen, dass nie davon die
Rede ist, dass die Inquisition die sehr ausgebreitete Corre-
spondenz Galilei's behinderte. In einem Briefe an Micanzio
deutet Galilei an, wie die Briefe sicher an ihn gelangten7):
„Ihre beiden letzten Briefe sind mir durch die gewöhnlichen
Briefträger zugegangen, nicht durch den Herrn Geri Bocchi-
neri, Secretär des Grossherzogs und meinen Verwandten.
Sie können den gewöhnlichen Weg einhalten und die Briefe
an den Postmeister Landi, einen Landsmann Geri's, schicken,
dem dieser den Auftrag- gegeben, sie an ihn zu besorgen.
1) P. Schneemann, S. 269, weiss von allen in diesem Capitel mitge-
theilten Verhandlungen nichts als: „Galilei ward Stillschweigen über den
beregten Gegenstand auferlegt. Seinen anderweitigen physikalischen For-
schungen konnte er ungehindert obliegen; ja als er wünschte, dass P. Cle-
mens aus dem Piaristenorden, welcher nebst anderen Schülern mit ihm
arbeitete, gegen die Ordensregel über Nacht auf der Villa Arcetri bleiben
könne, dispensirte diesen der heilige Ordensstifter Joseph Calasanctius," —
eine Angabe, die nach dem Gesagten nicht einmal genau ist.
2) VIL 232. 235; X, 350.
3) VII, 242; Suppl. 292.
4) VII, 243. 335; X, 186. 196. 254.
5) VII, 229. 231. 238.
6) VII, 367; X, 413; Suppl. 297; s. o. S. 215. Torricelli, geb. 1608,
starb schon 1647. Unter sein Porträt setzte man das Anagramm: Evange-
lista Torricellius — en virescit Galilaeus alter.
7) VII, 67; vgl. 142.
Schriften seit 1633. 41 1
Wenn Sie etwas Besonderes zu schreiben haben, was nicht
bekannt werden darf, schicken Sie die Briefe an irgend
einen Pater in der Nunziata, den Sie kennen und bei dem
ich sie jede Woche abholen lassen kann." In einem andern
Briefe schreibt er ') : ,, Ihren Brief habe ich durch Alessandro
Bocchineri erhalten; so wird es wohl auch in Zukunft ge-
halten werden."
Ich habe dieses lange Capitel mit einem Citate aus P.
Schneemanns Abhandlung begonnen; ein Satz von P. Grisar
(S. 673) mag es schliessen: „Die Behandlung, welche Ga-
lilei fand, lässt unter mehr als Einer Rücksicht eine ausge-
suchte Milde des Glaubensgerichtes gegen seine Person er-
kennen, und nur [!] dem eigenen Mangel an edelmüthigem
Entgegenkommen, an Achtung für die ihm gegenüber-
stehende Autorität musste Galilei es zuschreiben, wenn er
bis in die letzten Jahre seines Lebens sich von der Ueber-
wachung durch die Inquisition nicht frei sah."
XXXIV.
Galilei's schriftstellerische Arbeiten seit 1633.
P. Grisar sagt S. 128: „So wenig war Galilei zu Arce-
tri in seiner wissenschaftlichen Thätigkeit behindert, dass er
ebenda im J. 1636 sein grösstes und wahrhaft unsterbliches
Werk zu Ende führen konnte, die „Dialoghi delle nuove
scienze", welche von dem Beharrungsvermögen, der Fall-
und Wurfbewegung der Körper handelten und ihren Ver-
fasser zum Schöpfer der Dynamik erhoben2)." Allerdings
1) VII, 71; vgl. X, 212.
2) Noch besser P. Schneemann S. 401: „War die Verurtheilung Ga-
lilei's dem Fortschritte der Wissenschaft schädlich? Durchaus nicht, nicht
einmal für Galilei selbst. Sein grösstes Werk, wodurch er der Vater der neuern
Physik wurde, ward erst nach seiner Verurtheilung fertig gemacht und her-
ausgegeben. Die Villa Arcetri bot ihm die Müsse zu seinen Forschungen,
welche ihm vielleicht nicht geworden, wenn er am toscanischen Hofe ge-
4T2 Schriften seit 1633.
war Galilei zu Arcetri unausgesetzt wissenschaftlich thätig l).
Schon zu Siena nahm er seine wissenschaftlichen Arbeiten
wieder auf2). Wir besitzen von ihm aus der Zeit nach seiner
Verurtheilung eine Reihe von wissenschaftlichen Schriften
und von Briefen, die über wissenschaftliche Dinge han-
deln. Aber dass diese Schriften, namentlich sein ,,grösstes
und wahrhaft unsterbliches Werk", veröffentlicht wurden,
haben wir nicht Urban VIII. und der Inquisition zu ver-
danken, welche vielmehr, wie wir (S. 377) gesehen, so viel
an ihnen lag, Galilei die schriftstellerische Thätigkeit ganz
unmöglich machten.
Als Micanzio von dem „tyrannischen" Verbote der In-
quisition erfuhr, war er sich nicht gleich klar darüber, wie
neue Schriften Galilei's, namentlich die am Schlüsse des
Dialogs in Aussicht gestellte Fortsetzung, trotz jenes Ver-
botes veröffentlicht werden könnten. Am 10. Febr. 1635
schreibt er3): „Zwei Dinge stehen fest: Sachen von so
grossem Werthe dürfen nicht zu Grunde gehen, — und es sind
Sachen, in denen ich den grössten Fortschritt im Philoso-
phiren finde, der seit zweitausend Jahren gemacht worden,
und deren man die Welt nicht berauben kann ohne eine
Versündigung an der Menschheit; — zweitens: die Ver-
öffentlichung darf dem Wohlthäter nicht schaden. In dieser
Beziehung meine ich, wir könnten es mit Wien versuchen,
aber vorsichtig. Sie könnten mir etwa Ihr Manuscript zum
Lesen anvertrauen, und ich könnte es abschreiben und zum
Druck befördern; mich kümmert es nicht, mag darüber
schreien, wer Lust hat. . . Gedruckt will ich auf jeden Fall
Ihre Schriften sehen, wenn Sie nur fortfahren, mir dieselben
im Manuscript zu schicken." „Bezüglich der Uebersetzung
Ihrer Werke, schreibt er am 5. März4), machen Sie sich
blieben und in neue Controversen über das Copernicanische System ver-
wickelt worden wäre. So zog ihn sein Unglück von einer Frage ab, deren
Lösung nach dem damaligen Zustande der Wissenschaft noch nicht reif war,
und führte ihn ungetheilt anderen Fragen zu, in welchen er bahnbrechend
wirkte.'4 Augenscheinlich hat sich also die Inquisition durch Galilei's Ver-
urtheilung um ihn selbst und um die Wissenschaft verdient gemacht. Uebri-
gens hat Galilei auch vor seiner Verurtheilung nicht ,,am toscanischen Hofe"
gelebt, meist nicht einmal in Florenz, sondern auf Villen; s. o. S. 386.
1) X, 193. 2) VII, 37-
3) X, 75. 4) X, 77.
Schriften seit 1633. 413
keine Gedanken; das können weder Sie noch die ganze
italienische Macht hindern. Der Pater Paolo [Sarpi] schrieb
die Geschichte des Trienter Concils; sie wurde von Jemand,
der sie zum Durchlesen erhalten, abgeschrieben1), und ich
habe sie italienisch, lateinisch, französisch, englisch gesehen;
da sehen Sie, was Verbote helfen. Müsste man sich nicht
davor hüten, Ihnen persönliche Unannehmlichkeiten zu be-
reiten, so wüsste ich schon, was ich gethan hätte. Aber
solche Sachen zu Grunde gehen zu lassen, das thue ich
nicht, und wenn die ganze Hölle ihre Macht daran setzt."
„Der barbarische Befehl, schreibt er am 17. März2), würde
mir keine Sorge machen, wenn ich nicht einsähe, dass man
vor allem Ihnen keine Verdriesslichkeiten bereiten darf, da
Sie sind, wo Sie sind; denn wären sie hier bei uns, so
möchte kommen, wer wollte." — Peiresc, der auch von dem
Verbote der Inquisition gehört, schrieb am 17. April 1635 3):
„Ich glaube nicht, dass alle Befehle des obersten Tribunals
die Existenz Ihrer Werke, der gedruckten und der zu
druckenden, hindern kann. Bezüglich der letzteren bitte ich
Sie, rechtzeitig dafür zu sorgen, dass sie nicht dort der
Discretion Ihrer Gegner überlassen bleiben, und eine Ab-
schrift über die Berge hierher zu schicken, damit Freunde
sie aufbewahren und zu geeigneter Zeit veröffentlichen
können. Ich rathe Ihnen aber, keine neue Ausgabe zu be-
sorgen, so lange noch Hoffnung ist, dass Sie eine Erleichte-
rung Ihrer Übeln Lage erreichen könnten."
Das Verbot der Inquisition scheint nicht förmlich zu-
rückgenommen worden zu sein. Im J. 1640 wurde zu Padua
die 1606 erschienene Schrift über den Gebrauch des Propor-
tionalzirkels4) neu gedruckt. Dieses ist aber die einzige
Schrift Galilei's, die nach seiner Verurtheilung bei seinen
Lebzeiten in Italien gedruckt wurde. Die anderen erschie-
nen im Auslande. Sie fanden freilich auch in Italien Ver-
breitung, und es scheint nicht, dass die Inquisition ihre Ver-
breitung verbot oder Galilei wegen der Veröffentlichung
zur Rechenschaft zog. Die Mittel, welche Galilei und seine
1) Marcantonio de Dominis, der sie 1619 zu London drucken Hess.
Griselini, P. Sarpi p. 234. 279.
2) X, 81. 3) X, 90.
4) XV, Bibliografia p. III.
414 Uebersetzung des Dialogs.
Freunde anwendeten, um directen Massregeln der Inquisition
gegen den Verfasser vorzubeugen, sind ganz ähnlicher Art,
— an sich ebenso wenig zu rechtfertigen > und für die da-
maligen Verhältnisse ebenso charakteristisch, — wie die Ein-
leitung zu dem Dialoge.
1. Zuerst, schon im J. 1635, erschien in der Elzevir'-
schen Buchhandlung zu Strassburg eine lateinische Ueber-
setzung des Dialogs, welcher als Anhang die Perioche von
Kepler und die Schrift des Foscarini (s. o. S. 60) beigefügt
waren. Der Uebersetzer, der auf dem Titelblatte nicht genannt
wird, war Matthias Maria Bernegger J). Aus Galilei's Brief-
wechsel ergibt sich, dass die Uebersetzung mit seinem
Wissen und Willen veröffentlicht wurde2). Dieses wurde
aber geheim gehalten, und die Vorrede war so gefasst,
dass der Verdacht von dem Verfasser abgelenkt wurde3).
Ein Landsmann Galilei's, Giovanni Pieroni, Architekt
im Dienste des Kaisers, schrieb am 11. Aug. 1635 aus
Wien4): ,,Wenn der Dialog lateinisch geschrieben wäre,
würde er, glaube ich, schon in Frankreich, Flandern, Deutsch-
land an mehreren Orten nachgedruckt worden sein, da sich
sehr Viele dafür interessiren." Nachdem ihm aber Galilei
mitgetheilt, der Dialog sei ins Lateinische übersetzt, schrieb
Pieroni am 15. Dec. 16355): da das Buch so merkwürdige
Dinge enthalte und die Darstellung allgemein verständlich
sei, werde die Uebersetzung eine grosse Verbreitung finden ;
er fügt aber bei: „Wäre es möglich gewesen, einiges dem
Willen der Oberen entsprechend wegzulassen, so dass der
neue Abdruck von Allen frei gelesen werden dürfte, so
wäre das Vielen sehr angenehm gewesen; sonst wird ein
Sachkundiger die schönen Sachen, die darin stehen, heraus-
nehmen und in einer andern Form der Welt oder, besser ge-
sagt, den katholischen Lesern zugänglich machen müssen."
Im Jan. 1637 6) bat Bernegger Galilei, ihm für eine
zweite Auflage die nöthigen Verbesserungen zu schicken.
Eine solche erschien 1641. Es folgten im 17. Jahrhundert
noch zwei weitere Ausgaben7). Am 1. Dec. 1635 schreibt
Galilei an Micanzio 8) : „Ein vornehmer Engländer, der mich
1) Vgl. Allg. Deutsche Biographie II, 412.
2) X, 25 ff.; VII, 52. 69. 3) X, 179.
4) X, 110. 5) X, 128. 6) X, 179.
7) XV, Bibliografia p. XIV. 8) VII, 58. 140.
Der Brief an Christina von Lothringen. 415
besuchte, hat mir erzählt, mein unglücklicher Dialog sei in
jene Sprache übersetzt worden, — eine Sache, die mir nur
schaden kann." Am 4. Jan. 1638 schreibt Ludwig Elzevir
an Galilei1), der holländische Ingenieur de Weerdt habe
den Dialog ins Flämische übersetzt. Beide Uebersetzungen
scheinen nicht gedruckt zu sein. Die Originalausgabe des
Dialogs war natürlich in Italien selten geworden. Galilei
erwähnt einmal, dass Exemplare derselben heimlich für
vier bis sechs Scudi verkauft wurden2).
2. In der Vorrede zu seiner Uebersetzung des Dialogs
hatte Bernegger eine Uebersetzung des bis dahin noch
nicht gedruckten Briefes Galilei's an die Grossherzogin
Christina in Aussicht gestellt. Die von Elia Diodati ange-
fertigte Uebersetzung erschien mit beigefügtem italienischem
Original 1636 zu Strassburg3). Vorausgeschickt sind ein
Brief von Robertus Robertinus Borassus, d. i. Elia Diodati,
an Bernegger und dessen Antwort4). In ersterm wird
unter anderm gesagt : diese lange vor dem zweiten Process
geschriebene Abhandlung Galilei's zeige nicht nur seine
Gelehrsamkeit und seinen luchsartigen Scharfblick (lyncea
sagacitas), sondern auch seine Ehrfurcht vor der Kirche
und seine religiöse und gläubige Gesinnung. Wenn also
Galilei wegen seiner Ansicht zu Rom verurtheilt worden
sei, so dürfe ihm auf keinen Fall böser Wille vorgeworfen
werden u. s. w. In dem Briefe Berneggers wird angedeutet:
Galilei werde es wohl nicht billigen, dass die Abhandlung
jetzt durch Andere veröffentlicht werde, da er befürchten
möge, durch eine öffentliche Erwiederung seine Gegner noch
mehr zu reizen u. s. w. Galilei wusste natürlich von der
Veröffentlichung und legte grossen Werth darauf. Er schrieb
wiederholt an Micanzio5), Elzevir müsse dafür sorgen, dass
Exemplare nach Italien kämen „zur Beschämung seiner
Feinde und Verleumder". Auch Castelli hielt den Brief an
die Grossherzogin Christina für geeignet zur Vertheidigung
Galilei's zu dienen; er Hess 1635 und 1636 Abschriften davon
für de Beaugrand und für den Cardinal Antonio Barberini
anfertigen 6).
1) X, 252. 2) VII, 154.
3) VII, 65. 4) x, 29.
5) VII, 65. 68; vgl. 140. 217. 6) X, 123. 164.
41 6 Die Dialoge über die neuen Wissenschaften.
3. Die oben erwähnten „Dialoge über die neuen Wis-
senschaften" l) hielt Galilei selbst für sein bestes Werk2).
Dem Druck derselben gingen interessante Verhandlungen
vorher.
Schon im Jan. 1635 übersandte Galilei einige Bogen
an Micanzio3); im Juni 1635 schenkte er eine Abschrift der
beiden ersten Dialoge dem Prinzen Matthias, als derselbe
von Florenz nach Deutschland reiste4). Als er im Oct. 1636
mit dem Grafen de Noailles zusammentraf (s. o. S. 392),
schenkte er diesem eine Abschrift des vollständigen Werkes5).
Schon im Jan. 1635 erbot sich der oben erwähnte Pieroni,
die Dialoge in Oesterreich drucken zu lassen6), und Galilei
nahm das Anerbieten an. Am 11. Aug. berichtete ihm
Pieroni aus Wien 7) : „Ich denke das Buch in Prag drucken
zu lassen ; hier könnte vielleicht eine Druck-Erlaubniss nöthig
sein, die dort nicht nöthig oder leicht zu erlangen sein wird.
Hier mag ich eine solche nicht nachsuchen, um nicht eine
abschlägige Antwort zu bekommen, falls der Befehl, von
dem Sie schreiben [zu keinem Buche von Galilei die Druck-
Erlaubniss zu ertheilen], auch hierher gekommen sein sollte.
Zudem ist jener Ihnen feindlich gesinnte Pater, den Sie er-
wähnen [Scheiner], hier, und da sie [die Jesuiten] neu-
gierig sind, könnten sie etwas davon erfahren und den
Druck hindern, dadurch dass sie nach Rom schrieben oder
auf andere Weise; denn ich höre, dass er noch immer sehr
aufgebracht gegen Sie ist und ein Buch geschrieben hat,
worin er die Geschichte Ihres Dialogs und Ihre Abschwö-
rung und das Urtheil mittheilt. . . . Was die Widmung Ihres
Buches angeht, so gebe ich eins zu bedenken: hier sind die
Patres [Jesuiten] bei dem, welchem Sie es widmen möchten
[Kaiser Ferdinand IL], allmächtig, und wer weiss, ob sie nicht,
wenn sie von dem Römischen Befehle wissen,- davon Anlass
nehmen, jenem sehr zarten Gewissen Scrupel zu machen
und ein Verbot oder doch die Ablehnung der Widmung zu
erwirken?" Am 15. Dec. 1635 schreibt Pieroni8) nochmals:
i) Der Titel ist eigentlich:
intorno a due nuove Scienze attenenti alla Meccanica e ai Movimenti Locali".
2) VII, 50. 70. 3) X, 71. 72. 167; vgl. VII, 56.
4) VII, 57- 5) X, 173. 6) X, 66.
7) X, 108. 8) X, 129.
Die Dialoge über die neuen Wissenschaften. 417
„Was die Widmung angeht, so würde ich es sehr gern
sehen, wenn der Kaiser an Ihrer Schrift Gefallen fände;
aber ich glaube, es wird das davon abhangen, in welchem
Masse das Buch von denjenigen gebilligt und gelobt oder
getadelt wird, die ihn umgeben, und unter diesen nehmen
einige Ihrer Gegner den ersten Platz ein. . . . Seine Ma-
jestät von der bösen Absicht einiger Ihrer Gegner über-
zeugen zu wollen, wäre ein ganz fruchtloses Beginnen;
man müsste dann diese Gegner nennen, und er ist eben von
diesen ganz fest überzeugt, dass sie nie irren und mehr
wissen als Andere; wollte man darum auch nur einen ein-
zigen von ihnen zu discreditiren versuchen, so wäre das ein
sicheres Mittel, die Gnade des Kaisers zu verscherzen"1).
Pieroni hatte bereits die Figuren zu dem Werke ste-
chen lassen; der Beginn des Druckes aber verzögerte sich
so sehr, dass Galilei um Rücksendung des Manuscriptes bat.
In einem Briefe aus Prag vom 9. Juli 1637 berichtet Pieroni2)
weiter: ,, In Wien konnte ich das Buch nicht drucken lassen,
weil dort der Pater Scheiner war; da die Patres alle Bücher,
die in Wien gedruckt werden sollen, zu revidiren haben,
fürchtete ich, die Revision Ihres Buches möchte ihm über-
tragen werden oder er möchte doch Kenntniss davon er-
langen und dann den Druck des Buches zuerst in Wien,
dann an jedem andern Orte hindern. Ich wandte mich
also an den Cardinal Dietrichstein; er versprach mir, dafür
zu sorgen, dass das Buch in Olmütz gedruckt und dort durch
einen Pater aus einem andern Orden revidirt werde, so dass
nicht zu fürchten wäre, der Pater Scheiner und seine An-
hänger möchten etwas davon erfahren. Er gab das Buch
einem Dominicaner, und dieser ertheilte die beiliegende
Approbation. Ehe er sie aber ausgefertigt, starb der Car-
1) Von Ferdinand III. dagegen schreibt Francesco Piccolomini, 5. Febr.
1638 (X, 264), aus Pressburg: „Vor vierzehn Tagen habe ich mit Seiner
Kaiserlichen Majestät von Ihnen gesprochen. Er konnte Sie nicht genug
loben und sprach dabei auch von der Anmassung des Pater Scheiner, indem
er sagte: »Der Pater Scheiner kann Galilei nicht die Bücher tragend. . . Er
äusserte auch den Wunsch, alle Ihre Bücher zu besitzen, und da ich ihm
sagte, in Amsterdam würden einige derselben neu gedruckt, befahl er, sie
gleich zu bestellen. Das Buch Scheiners bezeichnete er als verschwendetes
Papier."
2) X, 222; vgl. 137. 141. 150; VIT, 61.
Keusch, Galilei. 27
41 8 Die Dialoge über die neuen Wissenschaften.
dinal. . . Ich kehrte [aus verschiedenen Gründen, die ange-
geben werden] nach Wien zurück, um das Buch dort drucken
zu lassen, zumal ich erfuhr, der Pater Scheiner sei nach
Neisse in Schlesien geschickt. Da aber in Wien die 01-
mützer Approbation nicht galt und ich eine neue nicht ohne
die Patres erhalten konnte, habe ich mir meine Freund-
schaft mit einem Pater, der ein angesehener Professor der
Theologie ist, zu Nutze gemacht. Dieser hat selbst das
Buch revidirt und approbirt und mir die Druck-Erlaubniss
des Rectors der Universität verschafft1). So konnte der
Druck beginnen, da kam der Pater Scheiner wieder nach
Wien, um dort sein Buch drucken zu lassen. Ich zog es
vor, ihn erst wieder abreisen zu lassen, da es hiess, er
werde in einigen Wochen fertig sein. Mittlerweile habe ich
auf Befehl des Kaisers hieher reisen müssen. Da ich nicht
wusste, ob ich nicht längere Zeit hier bleiben müsste, habe
ich das Buch mitgenommen, um es eventuell hier drucken
zu lassen, wo der Cardinal Harrach mir die von ihm für die
Universität errichtete Druckerei zur Verfügung gestellt
hatte. Aber da hier wieder eine neue Approbation nöthig
wäre und ich bald wieder nach Wien zurückreisen muss,
will ich dort sofort den Druck beginnen lassen, falls Sie da-
mit einverstanden sind. Ich frage erst bei Ihnen an, weil
mir der Prinz Matthias gesagt hat, Sie Hessen das Buch
anderswo drucken und ich dürfe ohne neue Weisung von
Ihnen den Druck nicht beginnen lassen."
Mittlerweile hatte Galilei durch Micanzio's Vermittlung
der Elzevir'schen Buchhandlung den Verlag übertragen2).
Der Druck war im Frühjahr 1638 vollendet3).
Auch bei diesem Buche glaubte Galilei der Inquisition
gegenüber den Schein erwecken zu müssen, als wäre es
ohne sein Zuthun gedruckt worden. In dem Schreiben vom
6. März 1638, in welchem er das Buch dem Grafen de
Noailles widmet4), sagt er: „Ich erkenne Ihre Hochherzig-
1) Das Actenstück ist X, 226 abgedruckt: Der Jesuit Gualterus Paulus,
Decan der .theologischen Facultät, bezeugt unter dem 29. Apr. 1637, das
Buch enthalte nichts gegen den Glauben und die guten Sitten und könne
gedruckt werden. Darauf hin ertheilt Leo Mylgiesser, Doctor der Medicin
und Rector der Universität, die Erlaubniss zum Drucke.
2) VII, 63. 74. 138; X, 157. Vgl. Allg. Deutsche Biographie VI, 64.
3) X, 202. VII, 153. 4) VII, 209; vgl. X, 308.
Projectirte Publicationen. 419
keit an in dem, was Sie über dieses mein Werk verfügt
haben, wiewohl ich, wie Sie wissen, verwirrt und erschreckt
durch das wenig glückliche Schicksal anderer Werke von
mir, mich entschlossen hatte, keine meiner Arbeiten mehr
zu veröffentlichen, sondern nur, damit sie nicht ganz be-
graben blieben, eine Abschrift derselben an einem Orte
niederzulegen, wo sie für diejenigen, welche für die von
mir behandelten Materien Verständniss haben, zugänglich
wäre. Darum- hatte ich zunächst mich entschlossen, sie in
Ihre Hand zu legen. . . Demgemäss habe ich Ihnen, als
ich Ihnen auf Ihrer Rückreise von Rom meine Achtung
bezeugte (s. o. S. 392), eine Abschrift dieses Werkes über-
reicht. Sie haben dieselbe freundlich angenommen, um sie
sorgfältig aufzubewahren und um sie einem in diesen Wis-
senschaften bewanderten Freunde in Frankreich mitzutheilen
und diesem zu zeigen, dass ich, wenn ich auch schwiege,
doch nicht müssig sei. Ich schickte mich an, einige andere
Abschriften nach Deutschland, Flandern, England, Spanien
und vielleicht auch nach einigen Orten in Italien zu schicken,
als ich unerwartet von den Elzeviren die Mittheilung erhielt,
sie hätten dieses Werk unter der Presse und ich möge
ihnen darum baldigst wegen der Widmung meinen Willen
mittheilen. Bei dieser unerwarteten und unverhofften Nach-
richt habe ich gedacht, Ihr Wunsch, meinen Namen da-
durch in Erinnerung zu bringen und zu ehren, dass Sie
meine Schriften Verschiedenen mittheilten, müsse die Veran-
lassung gewesen sein, dass sie in die Hände der Drucker
gekommen, welche, da sie auch andere Werke von mir
herausgegeben haben, mich dadurch hätten ehren wollen,
dass sie dieselben durch ihre schönen Typen veröffentlich-
ten" u. s. w.
Die Inquisition behinderte den Verkauf des Buches
nicht. Castelli schrieb Galilei Anfangs 1639, die fünfzig
ersten Exemplare, welche nach Rom gekommen, seien so-
fort zu zwei Scudi verkauft worden, und noch dreimal so
viele würden rasch Absatz gefunden haben1).
4. Von verschiedenen Seiten wurde der Plan einer Ge-
sammt- Ausgabe der älteren Schriften Galilei' s angeregt, die
zum Theil selbst in Italien selten geworden und im Aus-
1) X, 326. 328.
420 Streitschriften gegen den Dialog.
lande wenig verbreitet waren1), und Galilei Hess dafür
mehrere seiner italienischen Schriften durch den Priester
Marco Ambrogetti in's Lateinische übersetzen2). Der Plan
kam aber nicht zur Ausführung; ebenso wenig der Vor-
schlag Micanzio's, Galilei's noch ungedruckte Abhandlungen
und die Briefe wissenschaftlichen Inhalts zu veröffentlichen3).
Ausser den vorhin genannten Werken Galilei's wurde bei
seinen Lebzeiten nur noch eine kleine mathematische Ab-
handlung gedruckt.
In seinen letzten Lebensjahren dachte Galilei daran, in
dialogischer Form eine Menge von kritischen Bemerkungen
(Postille) zusammenzustellen, die er zu den gegen ihn ge-
richteten Schriften und auch zu anderen Autoren, namentlich
zu Aristoteles, niedergeschrieben4). Auch dieser Gedanke
kam nicht zur Ausführung, oder doch nur zum kleinen
Theile in den Zusätzen zu den neuen Dialogen, welche Ga-
lilei in den letzten Monaten seines Lebens dictirte5).
Kritische Bemerkungen, wie sie eben unter dem Namen
Postille erwähnt wurden, — es sind mitunter ausführliche
Erörterungen, — schrieb Galilei, wie früher^), so auch nach
seiner Verurtheilung zu mehreren Schriften, unter ander m
zu einer 1633 erschienenen Streitschrift von Antonio Rocco
gegen den Dialog7). Einige andere Streitschriften gegen
1) VII, 63. 154; X, 110. 170. Von der kleinen Schrift über den Pro-
portionalzirkel sagt Galilei VII, 64, er müsse sie für solche, die ihn darum
bäten, abschreiben lassen.
2) VII, 71. In den Jahren 1635 — 37 correspondirte Galilei über diesen
Plan mit Pierre Carcavi zu Toulouse (VII, 132; X, 213 und sonst), — seit
1636 mit Ludwig Elzevir (VII, 66. 138; X, 260 und sonst). Dieser erklärte
1640 (VII, 253), er müsse mit diesem Unternehmen warten, bis von den bei-
den von ihm verlegten Schriften Galilei's mehr Exemplare abgesetzt seien;
er habe noch über 500 vorräthig. Im J. 1641 ist noch einmal von dem Plane
die Rede; X, 430.
3) VII, 55; X, 61. Auch Raffaello Magiotti in Rom bat Galilei drin-
gend, seine Schriften zu veröffentlichen; Suppl. 273.
4) VII, 194. 208. Auch Viviani berichtet XV, 360 über diesen Plan.
5) XIII, 267. Venturi II, 267. Aus dem J. 1640 haben wir noch
ein ausführliches Schreiben an den Prinzen Leopold von Toscana über das
Licht des Mondes und mehrere Briefe an Fortunio Liceti (s. o. S. 374) über
denselben Gegenstand; VII, 254 ff.; III, 189. %
6) S. o. S. 167.
7) Er übersandte diese Postille Micanzio, VII, 50; X, 4 u. s. w. Sie
sind mit Rocco's Schrift abgedruckt III, 119. Poslille zu einer 1631 er-
Streitschriften gegen den Dialog. 421
den Dialog, wie die von Berigardo (Beauregard) und Chia-
ramonti1), werden in Galilei's Briefen nur kurz erwähnt.
Ueber Inchofers Schrift2) sagt er in einem Briefe an Elia
Diodati: „Fromond beschränkte sich darauf, die Bewegung
der Erde bis beinahe an den Mund in die Ketzerei einzu-
tauchen3). Aber kürzlich hat ein Pater Jesuit in Rom drucken
lassen, jene Meinung sei so schrecklich, verderblich und
scandalös, dass man, wenn man auch erlaube, dass auf den
Lehrstühlen, in Gesellschaften, in öffentlichen Disputationen
und in Druckschriften die wichtigsten Glaubensartikel, wie die
Unsterblichkeit der Seele, die Schöpfung, die Menschwer-
dung u. s. w., bestritten werden, doch nicht erlauben dürfe,
gegen das Stillstehen der Erde zu disputiren oder Gründe
schienenen Streitschrift von J. B. Morin (VII, 17. Venturi II, 135. R.
Wolf, Gesch. der Astronomie S. 327) hat B. Boncompagni, Bulletino di
Bibliografia VI (Rom 1873), 45, veröffentlicht.
i) VII, 49. Ueber Beauregard s. Targioni I, 81. 288, über Chiara-
monti s. o. S. 192. Wunderliche Sätze aus seiner Schrift vom J. 1633 (er
gab 1636 — 48 noch sechs naturwissenschaftliche Streitschriften heraus) s. bei
Venturi II, 127, geringschätzige Urtheile von Freunden Galilei's IX, 374.
386. 387; X, 13. 247. Galilei schrieb Postille dazu; VII, 145. — Ueber
andere Streitschriften gegen den Dialog s. Venturi II, 131, Martin, Galilee
p. 386. Ueber eine Vertheidigung des Copernicanischen Systems, welche
Ismael Boulliau zu Paris 1642 unter dem Titel „Philolaus" (anonym) her-
ausgab und Galilei übersandte, s. X, 241. 372; VII, 245. Venturi II, 135.
2) S. o. S. 273. Inchofers Tractat war dem bekannten Geschicht-
schreiber des Franciscaner- Ordens, Fr. Lucas Wadding, zur Prüfung über-
geben worden; dieser bezeugt schon am 22. Aug. 1633: „Der Inhalt hat
mir sehr gefallen, zumal in dieser Zeit, wo Einige, denen die Ohren jucken
[2 Tim. 4, 3], sich von der einfachen Reinheit und heiligen Wahrheit der
göttlichen Schrift ab- und Fabeln zuwenden. Diese Pythagoreer widerlegt
christlich dieser Theologe und beweist gründlich, dass die Mathematik und
die anderen menschlichen Wissenschaften sich nach den Regeln der h. Schrift
richten müssen, nicht aber, wie man sich in bedenklicher Weise in unserm
Jahrhundert erlauben will, das Wort Gottes nach der Einsicht und dem
Gutdünken eines Jeden ausgelegt oder vielmehr verdreht werden darf, um
dem, was Menschen ausgedacht, dienstbar zu werden." Auf Grund dieses
Gutachtens erhielt das Buch das Imprimatur von — Riccardi, dem Padre
Mostro.
3) Fromond hatte in seiner Schrift vom J. 1631 (s. o. S. 57; er ver-
öffentlichte 1634 noch eine zweite, Vesta sive Ant-Aristarchi vindex; s. Ven-
turi II, 134) gesagt: „Die Copernicanische Meinung ist temerär, und mit
Einem Fusse betritt sie die Schwelle der Häresie.''
422 Streitschriften gegen den Dialog.
anzuführen, so dass also dieser eine Artikel vor allen ande-
ren so sehr heilig zu halten sei, dass man auch nicht ein-
mal disputationsweise und zu seiner Bekräftigung Einwen-
dungen dagegen machen dürfe" !). Micanzio2) meinte: „Der
Jesuit, der neue Glaubensartikel macht, wird mehr Leute
zu Ketzern machen als bekehren/' Von den drei Streit-
schriften, welche P. Scheiner seinen Freunden in Aussicht
stellte, erschienen zwei überhaupt nicht. Die dritte war
1637 vollendet, erschien aber erst kurz nach seinem und
neun Jahre nach Galilei's Tode im J. 1651 unter dem Titel
„Prodromus pro Sole mobili et stabilitate Terrae"3).
Interessant und charakteristisch ist noch folgender
1) Inchofer sagt p. 50: Die Copernicanische Theorie dürfe zwar als
Hypothese verwendet, müsse aber dabei als falsch angesehen, und über ihre
Wahrheit oder Falschheit dürfe nicht einmal disputirt werden. Ueber die
Frage, ob die Welt ewig, die Seele unsterblich sei u. s. w., werde zwar
disputirt; das sei aber weniger gefährlich, weil bezüglich dieser Punkte Jeder
das Richtige wisse, während die Mathematiker, wenn sie fänden, dass ihre
Beobachtungen und Berechnungen zu der Copernicanischen Hypothese pass-
ten, leicht meinen oder sich so ausdrücken könnten, als sei diese Hypothese
wahr. 2) X, 20.
3) Leo Allatius berichtet in seinen 1632 zu Rom erschienenen „Apes
Urbanae" (s. II, p. XII) : Scheiner werde zunächst eine Schrift herausgeben,
worin er beweisen werde, „dass von dem, was Galilei (im Dialoge bezüglich
der Sonnenflecken) behaupte, nichts richtig sei, dass Galilei die Bewegung
der Sonnenflecken erst aus der »Rosa Ursina* kennen gelernt habe, dieses
aber schlau verschweige und so den Leser irre führe, und dass er an den
Himmel, die Sonne, die Orsini'sche Rose und ihren Verfasser gewaltsam
Hand anlege". ' Dann werde eine weitere Streitschrift gegen den Dialog
unter dem Titel „Prodromus pro stabilitate terrae" folgen, worin Galilei's
„logische, physische, mathematische, ethische und theologische Irrthümer"
kurz nachgewiesen werden würden. Endlich werde das Hauptwerk folgen,
worin die Bewegung der Sonne und das Stillstehen der Erde „aus heiligen
und profanen Quellen und aus der Beobachtung und Vernunft" werde be-
wiesen werden. Vgl. IX, 279. Im März 1633 SmS Scheiner von Rom nach
Deutschland. Der „deutsche Jesuit", von welchem Magiotti 14. Oct. 1633
(IX, 403) schreibt, er „fabricire im Römischen Colleg ein dickes Buch gegen
den Dialog", ist also nicht Scheiner, wie Alberi meint, sondern Inchofer.
Wenn P. Schneemann S. 399 von Scheiner sagt: „Obwohl er anfänglich ent-
schlossen gewesen, gegen Galilei's heftige Angriffe zu schreiben, so unterliess
e» doch solches, als Galilei verurtheilt worden", so ist das unrichtig. Im
October 1637 war, wie Pieroni an Galilei schreibt (X, 234), der „Prodromus"
gedruckt bis auf die Tafeln.
Streitschriften gegen den Dialog. 423
Brief von Micanzio vom 8. März I6361): „Es ist mir [als
Venetianischem Censor] ein Büchlein von einem Kapuziner
gegen die Bewegung der Erde vorgelegt worden. Ich hätte
es laufen lassen, um der Welt etwas zu lachen zu geben ;
denn die unwissende Bestie hat, — das ist die Hauptsache
in seinem Discurs, — zwölf Gründe, die als unwidersprech-
liche und unwiderlegliche Beweise vorgeführt werden, und
doch bringt er nichts anderes vor, als jene Kindereien, die
schon Jemand, der etwas davon versteht, widerlegt hat.
Dabei versteht dieses Vieh so viel von Geometrie und Ma-
thematik, dass er als Beweis anführt: wenn die Erde sich
bewegte, dann müsste sie, da sie nichts hätte, worauf sie
sich stützte, herunterfallen; er hätte noch beifügen sollen:
und dann würden alle Wachteln todt bleiben. Aber weil
er unanständig von Ihnen spricht und die Unverschämtheit
gehabt hat, Ihre Geschichte zu erzählen und zu sagen, Sie
seien processirt und verurtheilt worden, habe ich den, der
mir das Büchlein vorlegte, zum Henker geschickt. Aber
Sie wissen, wie freche Gesellen sind. Ich vermuthe, er wird
es anderswo drucken lassen ; denn er ist verliebt in sich
selbst und glaubt fester, dass seine Dummheiten zwingende
Beweise seien, als er ans In principio 2) glaubt." Galilei
antwortet am 15. März3): „Ich muss Ihnen dafür danken,
dass Sie die fragliche Bestie dort nicht haben laufen lassen,
und dass Sie damit, wie bei allen Gelegenheiten, Ihre zarte
Fürsorge für das bischen Reputation bekundet haben, welches
ich bei der Welt noch habe. . . . Ich halte es für die grösste
Gunstbezeugung und Ehre, mich rühmen zu können, dass
Sie mich Ihres Schutzes würdig erachtet haben. Sollte jenes
Werkchen anderswo veröffentlicht werden, so wird es mir
zur Ergötzung und Belustigung dienen, meinen Feinden und
Neidern aber, von denen doch manche nicht ganz dumm
sind, wird es nicht sehr angenehm sein, mich mit Fuchs-
schwänzen gepeitscht zu sehen, während sie scharfe und
spitze Wolfs- und Vipernzähne gebrauchen möchten."
1) X, 142.
2) Anfang des Johannes-Evangeliums.
3) VII, 60.
424 Aeusserungen über das Urtheil vom J. 1633.
XXXV.
Aeusserungen Galilei's und seiner Freunde über das
Urtheil vom J. 1633.
Es ist nicht ohne Interesse, mit der vorstehenden Dar-
stellung einige Stellen in der Biographie Galilei's zu ver-
gleichen, welche sein Schüler Viviani im J. 1654 auf Er-
suchen des Prinzen (spätem Cardinais) Leopold de' Medici
schrieb und welche 171 7 zuerst gedruckt wurde l): „Da sich
Galilei durch seine anderen bewunderungswürdigen Specu-
lationen mit unsterblichem Ruhme bis zum Himmel erhoben
und durch so viele neue Entdeckungen unter den Menschen
den Namen des Göttlichen erworben, Hess es die ewige
Vorsehung zu, dass er seine Menschlichkeit durch Irren be-
wies, indem er bei der Besprechung der beiden Weltsysteme
seine Hinneigung zu der Copernicanischen Hypothese zeigte,
die bereits von der h. Kirche als der h. Schrift wider-
sprechend verdammt war. Er wurde darum nach Rom be-
rufen, . . . und nachdem ihm sein Irrthum gezeigt war, nahm
er als echter Katholik jene Meinung zurück. . . Es war
nicht anders möglich, als dass jenes Werk über das Welt-
system auch in Länder jenseits der Alpen gelangte, und
so wurde es bald darauf in Deutschland in lateinischer
Uebersetzung von Matthias Bernegger und von Anderen in
französischer, englischer und deutscher Sprache veröffentlicht.
Danach wurde in Holland mit einer lateinischen Uebersetzung
auch eine Abhandlung gedruckt, welche Galilei in italienischer
Sprache schon um das J. 16 15 in Form eines Briefes an die
Grossherzogin Christina von Lothringen geschrieben. . .
Die Nachricht von diesen Uebersetzungen und Publicationen
seiner Schriften betrübte Galilei sehr, da er die Unmöglich-
keit erkannte, dieselben jemals zu unterdrücken, wie auch
viele andere, welche schon in Italien und im Auslande in
Abschriften verbreitet waren und welche sich auf denselben
1) XV, 352.
Aeusserungen über das Urtheil vom J. 1633. 425
Gegenstand beziehen und von ihm bei verschiedenen Ge-
legenheiten im Laufe der Zeit verfasst worden waren, in
welcher er der Meinung des Pythagoras und Copernicus ge-
wesen, welche er schliesslich auf die Autorität der Römi-
schen Censur hin in katholischer Gesinnung aufgegeben
hatte. Für die heilbringende Wohlthat, welche die unend-
liche Vorsehung* ihm erwiesen, indem sie ihn von einem so
grossen Irrthum befreite, wollte sich Galilei dankbar erwei-
sen durch die Förderung anderer wichtiger Erfindungen.
(Folgt ein Bericht über Galiiei's auf die Längenmessung
bezügliche Arbeiten.) Galilei hatte sich entschlossen, nie
mehr eine seiner Arbeiten dem Druck zu übergeben, um
nicht aufs neue jene Nebenbuhler zu reizen, die er bei allen
seinen anderen Arbeiten zu finden das Unglück gehabt.
Aber um sich seinem Schöpfer dankbar zu erweisen, wollte
er alles, was er noch hatte, handschriftlich verschiedenen
Personen mittheilen, welche gegen ihn wohlwollend gesinnt
waren und für die von ihm behandelten Materien Verständ-
niss hatten. An erster Stelle überreichte er dem Grafen
de Noailles . . . im J. 1636 eine Abschrift seiner [neuen]
Dialoge. . . Als der Herr Graf zu Paris angekommen war,
liess er, um der Welt nicht einen solchen Schatz vorzuent-
halten, eine Abschrift in die Hände der Elzevire gelangen,
welche sogleich den Druck begannen, der 1638 vollendet
wurde. Bald nach dieser unerwarteten Veröffentlichung' '
u. s. w.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass Viviani die Sache
besser wusste und nur aus Rücksichten gegen die Inquisition
oder den Hof sie so unrichtig darstellte. Ueber die Veröffent-
lichung der erwähnten drei Schriften gibt uns Galiiei's Brief-
wechsel, wie wir gesehen haben, vollständigen Aufschluss.
Seine Gedanken über seine Verurtheilung spricht er aller-
dings in seinen Briefen nicht so offen aus; die Andeutungen
in seinen eigenen und in den Briefen seiner vertrauten
Freunde zeigen aber deutlich genug, dass er anders dar-
über dachte, als Viviani angibt. Einzelne solcher Andeu-
tungen sind bereits mitgetheilt; einige andere mögen hier
folgen.
Am 21. Febr. 1635 schreibt Galilei an Peiresc1): „Ich
.) Suppl. 362.
426 Aeusserungen über das Urtheil vom J. 1633.
hoffe keine Erleichterung, und zwar darum nicht, weil ich
kein Verbrechen begangen habe. Ich könnte Gnade und
Verzeihung hoffen und erlangen, wenn ich geirrt hätte;
denn bei Fehltritten kann der Fürst Gnade und Nachsicht
walten lassen; dagegen muss einem unschuldig Verurtheil-
ten gegenüber Strenge geübt werden, um den Schein zu
retten, als sei nach dem Rechte gegen ihn verfahren. . .
Zwei Dinge trösten mich: das eine ist dieses, dass in allen
meinen Werken Niemand eine Spur einer Verletzung der
der h. Kirche gebührenden Pietät und Ehrfurcht finden wird;
das andere ist mein Gewissen, welches mir sagt, dass in der
Sache, wofür ich leide, Niemand mit einer heiligern Absicht
hätte handeln und reden können als ich. Wie viel deutlicher
würde diese meine durchaus religiöse und heilige Gesinnung
hervortreten, wenn die Verleumdungen, Lügen, Kunstgriffe
und Täuschungen enthüllt würden, die vor achtzehn Jahren
in Rom angewendet wurden, um die Augen der Oberen
zu verblenden. . . . Sie werden wohl aus meinen Schriften
erkannt haben, welches der wahre und wirkliche primus
motor gewesen ist, der mich unter der Maske der Religion
bekriegt hat und fortwährend mich belagert und alle meine
Schritte so einengt, dass mir weder von aussen Hülfe kom-
men, noch ich selbst mich vertheidigen kann, da allen In-
quisitoren ausdrücklich befohlen ist, nicht zu gestatten,
dass irgend eins meiner schon vor vielen Jahren gedruckten
Bücher neu gedruckt und für irgend ein neues die Druck-
Erlaubniss ertheilt werde, so dass ich nicht nur zu den zahl-
reichen Angriffen schweigen muss, welche in rein naturwis-
senschaftlichen Fragen gegen mich gerichtet werden, um
meine Lehre zu unterdrücken und meine Unwissenheit zu
beweisen, sondern auch die Spöttereien, Bissigkeiten und
Injurien verschlucken muss, welche Leute, die unwissender
sind als ich, sich unbedenklich gegen mich erlauben."
Im J. 1637 schreibt Galilei an den König Ladislaus
von Polen1): ,,Ich weiss, dass Exemplare meines Dialogs
auch in die dortigen Gegenden gelangt sind; so können
also Euere Majestät und Ihre Gelehrten beurtheilen, in wie
weit es wahr ist, dass darin eine scandalösere, abscheulichere
und für die ganze Christenheit verderblichere Lehre ent-
j) VII, 190.
Aeusserungen über das Urtheil vom J. 1633. 427.
halten sei als in den Büchern Calvins, Luthers und aller
Häresiarchen zusammen; und doch ist diese Vorstellung
dem Papste so fest eingeredet worden, dass das Buch ver-
boten ist und ich mit Schmach bedeckt und zu Kerkerhaft
nach dem Ermessen Seiner Heiligkeit, das heisst auf Lebens-
zeit, verurtheilt worden bin."
Am 9. Nov. 1637 schreibt er an Beaugrand1): Morin
habe ihm eine neue wStreitschrift über die Bewegung der
Erde geschickt, die zwar zunächst gegen Lansberg gerich-
tet war, in der aber auch ein Capitel über Galilei's Verur-
theilung vorkam; er sage darin, er theile die Sentenz und
Abschwörung nicht mit, um Galilei's Ruf zu schonen. „Er
sieht also nicht ein, dass er so meine Ehre nicht schont,
sondern schwer schädigt, da wegen dieses seines Schwei-
gens der Leser sicher vermuthen wird, mein Vergehen sei
ein sehr schweres gewesen, während es doch kein anderes
war, als dass ich bei den Oberen der Hinneigung zu der
verdammten Meinung von der Bewegung der Erde ver-
dächtig geworden war. Es ist auch keine geringe Leicht-
fertigkeit, wenn er behauptet, ich hätte in versteckter und
heuchlerischer Weise die Bewegung der Erde vertheidigen
wollen, während ich von nichts entschieden rede, sondern
mich immer auf die Entscheidung der Oberen beziehe."
Am 2$. März 1641, also ein Jahr vor Galilei's Tode,
schrieb ihm Francesco Rinuccini2) über ein ihm in einem
Buche aufgestossenes Argument, welches ihn an der Rich-
tigkeit des Copernicanischen Systems irre zu machen drohte.
Galilei gab ihm in einem Briefe vom 29. März3) die nöthige
Aufklärung, wobei er zum Schlüsse auf seinen „unglücklichen"
Dialog verweist, begann aber diesen Brief mit folgenden
merkwürdigen Sätzen: „Die Falschheit des Copernicanischen
Systems darf in keiner Weise in Zweifel gezogen werden,
namentlich nicht von uns Katholiken, die wir die unwider-
1) VII, 197. Ueber Morin s. o. S. 421.
2) Francesco Rinuccini, ein Neffe des Cardinais Bandini, geb. 1603,
war damals (1637— 1642) toscanischer Resident in Venedig; er wurde später
Bischof von Pistoja, f 1678. Sein Bruder, Giovanni Batista, wurde 1625, nach
dem Tode Dini's, Erzbischof von Fermo (Suppl. 183). Auch ein auderer
Bruder, Tommaso, war ein Schüler und Freund Galilei's (s. o. S. 166). Suppl.
252. 253 stehen zwei Briefe an Galilei von einem Carlo Rinuccini.
3) VII, 361.
428 Aeusserungen über das Urtheil vom J. 1633.
legliche Autorität der h. Schriften haben, wie sie von den
grössten Meistern in der Theologie erklärt werden, deren
einmüthige Uebereinstimmung uns die Gewissheit gibt, dass
die Erde unbeweglich im Mittelpunkte steht und die Sonne
sich um dieselbe herum bewegt. Die Vermuthungen, welche
Copernicus und seine Anhänger für das Gegentheil vorge-
bracht, erledigen sich alle durch jenes durchaus beweiskräf-
tige Argument, welches von der Allmacht Gottes herge-
nommen wird: da diese auf verschiedene, ja auf zahllose
Weisen das hervorbringen kann, was nach unserer Meinung
und Beobachtung auf diese bestimmte Weise hervorgebracht
zu sein scheint, so dürfen wir nicht die Hand Gottes ver-
kürzen wollen und hartnäckig das behaupten, worin wir
uns täuschen können. Wie ich aber die Beobachtungen
und Vermuthungen des Copernicus für ungenügend halte,
so halte ich anderseits die des Ptolemäus, des Aristoteles
und ihrer Anhänger für noch trügerischer und irriger, da
man, ohne über die Grenzen des menschlichen Denkens
hinauszugehen, hinlänglich klar erkennen kann, dass sie nicht
beweiskräftig sind." Ohne Zweifel ist dieser Passus mit
seiner Verweisung auf das für Galilei so verhängnissvolle
Argument Urbans VIII. ironisch gemeint, und hat ihn nicht
nur Rinuccini, sondern auch Viviani, dem Galilei den Brief
dictirte, so verstanden1).
Dazu nehme man noch folgende Bemerkungen, die
Galilei an den Rand von Büchern geschrieben und die von
Berti2) veröffentlicht worden sind: „Neuerungen einführen!
Wer bezweifelt, dass es die schlimmsten Scandale zur Folge
haben muss, wenn man die Neuerung einführt, zu verlangen,
dass die von Gott frei geschaffenen Geister sich zu Sklaven
des Willens eines Andern machen sollen, — dass man die
eigenen Sinne verleugnen und dem Gutdünken eines Andern
unterordnen solle, — zuzulassen, dass Leute, die von einer
Wissenschaft oder Kunst gar nichts wissen, über diejeni-
gen, die etwas davon verstehen, Richter sind und durch die
ihnen eingeräumte Autorität die Macht haben sollen, jene
nach ihrem Sinne zu lenken? Das sind die Neuerungen,
welche die Staaten ruiniren können!" — „Neue Lehren sind
1) Martin, Galilee p. 235. Reumont, Beitr. I, 419.
2) Copernico p. 148,
Aeusserungen über das Urtheil vom J. 1633. 429
euere Lehren, durch welche ihr den Verstand und die Sinne
zwingt, nicht zu verstehen und nicht zu sehen." — „Ihr
seid es, die Ketzereien verursachen, wenn ihr ohne allen
Grund wollt, dass der Sinn der Bibel derjenige sei, der euch
gefällt, und dass die Gelehrten ihre Sinne und die zwingen-
den Beweise verleugnen sollen." — „Ihr seid die Urheber
von Neuerungen, und zwar von Neuerungen, welche der
Religion grossen Schaden bringen können." In einem Exem-
plare der ersten Ausgabe des Dialogs hat Galilei eine Reihe
von Zusätzen beigefügt, welche in der 1744 zu Padua er-
schienenen und in den folgenden Ausgaben mit abgedruckt
sind1). Einer dieser Zusätze2) ist eine ausführliche Wider-
legung von Einwendungen gegen das Copernicanische
System.
Von Galilei's Freunden spricht sich Micanzio ganz offen
aus. Er schreibt z. B. 14. Oct. 16343): Ich habe nur Ihre
Dialoge und das Buch des Rocco mit aufs Land genommen.
Ich habe sie beide mit Vergnügen gelesen; es war mir zu
Muthe, wie wenn ich einen Frosch sähe, der die Sprünge
eines Seiltänzers nachzumachen sucht. . . Wenn ich die
peripatetischen Principien noch einmal prüfe, wie Sie in
dem Weltsystem gethan, so ist mir, als ginge alles in
Rauch auf." Am 31. Oct. 16344) schreibt er: „Sie haben
in dem Briefe an die Grossherzogin Christina die beiden
wesentlichen Punkte berührt: erstens, dass man sich hüten
müsse, etwas als Dogma hinzustellen, was jetzt oder im
Laufe der Zeit als unrichtig erwiesen werden könne, und
zweitens, dass die h. Schrift von den Dingen der Natur der
herrschenden Meinung entsprechend redet. Und wenn die
Jesuiten die Unbeweglichkeit der Erde zu einem Glaubens-
artikel machen, so mögen sie überzeugt sein, dass alle
Professoren der Astronomie Ketzer werden sein müssen.
Ueber die Copernicanische Lehre hat Ihr Buch so viel Licht
verbreitet, dass sich Alle, die es lesen, hineinstürzen müssen."
Aehnlich spricht er in anderen Briefen über den Dialog.
Die „Bestialität" des Verbotes desselben, klagt er einmal,
sei Schuld daran, dass sein Exemplar an Freunde verliehen
1) I, 6. 2) I, 358-364.
3) X, 58; über Rocco s. o. S. 420.
4) Suppl. 271.
43° Aeusserungen über das Urtheil vom J. 1633.
sei1). Am 13. Febr. 16.38 2) theilt er Galilei mit: „Unser
Ingenieur [der Holländer Franz de Weerdt] hat eine Ent-
gegnung auf einen akademischen Vortrag eines gewissen
Giacomo Accarisio 3) gegen das Copernicanische System
geschrieben. Die Erwiederung ist gut, aber ganz aus den
Dialogen geschöpft, mit Ausnahme des Abschnittes über
die Bibelstellen, die er gut bespricht. Wenn die Schrift
gedruckt wird, wie ich glaube, so wird sie den Rath be-
kräftigen, den Herr Galileo Madama [der Grossherzogin
Christina] ertheilt hat: es sei eine verwegene Kühnheit,
Glaubensartikel in die Luft zu bauen über Sachen, bei denen
sich mit der Zeit das Gegentheil als wahr erweisen werde."
Am 14. Jan. 1640 schreibt4) er: „Auf diejenigen, welche
etwas davon verstehen, hat die Lehre der ersten Dialoge
einen solchen Eindruck gemacht, dass sie wünschen, alles
was Sie schreiben, möge von demselben Gegenstande han-
deln. . . . Ich werde, wenn ich die Wahrheit sagen soll,
jedesmal ärgerlich, wenn Sie Ihre ersten Dialoge tadeln;
ich sage es Jedermann und es ist wahr, dass ich mir lieber
alle Bücher wegnehmen liesse als dieses über die Weltsy-
steme. Lassen Sie doch in Gottes Namen diejenigen dage-
gen bellen, die es sich zur Aufgabe machen, alle Wahrheit
und alle Leistungen eines ungewöhnlichen Geistes zu ver-
nichten, und lassen Sie jenes unvergleichliche Werk immer-
hin verfolgt werden; aber ein so schönes Kind darf doch
nicht von seinem Erzeuger übel angesehen werden. Lassen
Sie den Sohn das Loos des Vaters theilen, dem die Ver-
folgung ebenso sehr zum Ruhme gereicht wie die unver-
gleichliche Erhabenheit seines Geistes."
Die anderen Freunde Galilei's vermeiden es, über die
Copernicanische Lehre zu schreiben, oder drücken sich sehr
vorsichtig aus5). Niccolö Aggiunti schreibt aus Florenz am
30. Juli 1633 6), also wenige Wochen nachdem er der feier-
lichen Verkündigung des Urtheils über Galilei hatte bei-
wohnen müssen: „Wenn der Ausgang der Sache unge-
1) X, 115 (Oct. 1635). lll (Sept. 1636).
2) X, 274.
3) Der Vortrag erschien 1637 zu R°m> der Verfasser bezeichnet sich
auf dem Titelblatt als Qualificator der Inquisition; II, p. XVI.
4) X, 378.
5) Vgl. X, 4. 10 1 u. s. w. 6) X, 380.
Aeusserungen über das Unheil vom J. 1633. 431
heuerlich gewesen ist, so sind ohne Zweifel auch die Mittel
und der Verlauf so gewesen, wie -sie sein mussten, um eine
solche Ungeheuerlichkeit zu Wege zu bringen, und wenn
mich bei der ersten Nachricht von dem Ausgange Erstau-
nen und Bestürzung ergriffen, so werde ich wohl, wenn ich
die Ursachen erfahre, die ihn herbeigeführt und zu Wege
gebracht, noch mehr erstaunt und entrüstet sein. Derselbe
Grund, weshalb Sie mir gegenüber geschwiegen, hat auch
mich bestimmt und bestimmt mich noch zu schweigen, so
dass ich über unser Unglück nicht gesprochen habe und
nicht spreche. So darüber zu sprechen, wie ich kann, daran
liegt mir nichts, und so, wie ich möchte, kann ich nicht
sprechen, Dank denjenigen, welche auch mit unserer Ver-
stellung ihren perfide erheuchelten Eifer beschönigen möch-
ten. Doch von Anderm." Mario Guiducci, der auch bei
der feierlichen Verkündigung des Urtheils in Florenz zu-
gegen gewesen, schreibt am 5. Nov. 1633 !): „Es ist mir
nicht unlieb, zu hören, dass Jemand in Rom ex professo
gegen Sie schreibt; denn ich glaube nicht, dass etwas her-
auskommen wird, was in den Augen derjenigen, die etwas
von der Sache verstehen, Ihre Reputation irgendwie schä-
digen könnte. Ihre Gegner können freilich gewiss sein, dass
Sie nicht antworten werden ; denn ich bin überzeugt, sie wer-
den so rohe und dumme Dinge schreiben, dass ohne irgend-
welche Erwiederung ihre Unwissenheit und Bosheit zu Tage
treten wird. Wenn Sie dann die Arbeit, die Sie jetzt unter
Händen haben, [die neuen Dialoge] veröffentlichen, so wird
man sehen, dass Sie darum nicht antworten, weil Sie, wie
das jeder Katholik thun muss, sich den Weisungen der
Oberen fügen und bei deren Entscheidungen, welche durch-
aus wahr und unwidersprechlich sind, sich beruhigen, aber
nicht darum als ob Sie so schwach wären, sich von so frivolen
Gründen überzeugen zu lassen, wie sie, so viel ich vermuthe,
von Ihren Gegnern werden vorgebracht werden. Und wenn
diese, was ich nicht glaube, so schrieben, dass sie auch
durch philosophische und physicalische Argumente den Ver-
stand überzeugten, so weiss ich, dass Sie das als einen
grossen Gewinn ansehen würden, wiewohl es überflüssig ist,
das, was Leute, die durch ein anderes als das natürliche
1) Suppl. 257.
432 Galilei's Tod und Bestattung.
Licht erleuchtet sind, entschieden haben, durch schwache
von Menschen erfundene Gründe zu bekräftigen. Wir wer-
den ja sehen/' Noch vorsichtiger schreibt Castelli am
19. April IÖ361): „Ich habe in diesem Jahre sehr oft die
Sapienza besucht und viel Gefallen an einem Doctor aus
Bologna gefunden, der sehr oft äusserst gelehrte und scharf-
sinnige Vorträge gegen die Meinung des Copernicus hält,
voll von sehr überzeugenden geometrischen Demonstratio-
nen, die auf sehr guten Grundlagen und Principien beruhen.
Ich will Ihnen eine solche Grundlage mittheilen, die ich
behalten habe, wie sie mir ein Schüler berichtet hat, —
denn ich war selbst nicht zugegen: die Sonne ist in dem
primum mobile wie ein Nagel in dem Karrenrade, woraus
ganz deutlich die Unrichtigkeit der Meinung des Copernicus
erhellt und sich ganz leicht die Antwort auf viele seiner
Argumente ergibt u. s. w."
XXXVI.
Galilei's Tod und Bestattung.
Am 8. Jan. 1642, in demselben Jahre, in welchem New-
ton geboren wurde, starb Galilei, beinahe 78 Jahre alt, nach-
dem er zuvor die Sacramente und den Segen Urbans VIII.,
wohl die sog. General -Absolution, empfangen hatte. Sein
Sohn Vincenzo, seine beiden Schüler Viviani und Torricelli,
der Ortspfarrer und — zwei Beamte der Inquisition waren
bei seinem Tode zugegen.
Am 21. Aug. 1638 hatte Galilei ein Testament gemacht2).
Einige Theologen meinten, dasselbe sei nicht rechtsgültig,
weil er von der Inquisition verurtheilt und nicht begnadigt
worden sei. Auf Grund eines Rechtsgutachtens, welches
diese Einrede für unbegründet erklärte, wurde indess das
Testament anerkannt. Einige meinten auch, Galilei dürfe
nicht kirchlich begraben werden; aber auch über dieses
[) X, 150. 2) XV, 401.
Galilei's Tod und Bestattung. 433
Bedenken ging man hinweg1). Der Wunsch, den Galilei in
seinem Testamente ausgesprochen/ in der Gruft seiner Fami-
lie in Santa Croce' in Florenz begraben zu werden, wurde
indess nicht erfüllt; die Leiche wurde in der Seitenkapelle
der hh. Cosmas und Damianus in Santa Croce beigesetzt.
Man beabsichtigte, ihm ein Grabmal zu setzen; zu den auf
3000 Scudi veranschlagten Kosten zeichneten ausser vielen
angesehenen Florentinern auch die Erzbischöfe Piccolomini
von Siena und Rinuccini von Fermo Beiträge2).
Die von Galilei hinterlassenen Papiere wurden von
Vincenzo in einer Kiste verschlossen. Als er bald nach
dem Tode seines Vaters für einige Tage nach Pisa reiste,
bat er brieflich Viviani, dafür zu sorgen, dass diese Kiste
Niemand ausgeliefert werde, sie schlimmsten Falls in das
Kloster zu seiner Schwester bringen zu lassen, wo er dem
Beichtvater der Nonnen das Nöthige aufgetragen. Vincenzo
fügte bei, er glaube nicht, dass man nach den Papieren
fragen werde. In der That scheint die Inquisition keinen
Versuch gemacht zu haben, ihrer habhaft zu werden3).
Grisar sagt S. 128, Galilei sei „im Frieden der Kirche
und mit dem Segen Urbans VIII. gestorben". Diese Aus-
drücke finden in Folgendem eine eigenthümliche Illustration.
Der Inquisitor von Florenz berichtete über Galilei's Tod
nach Rom. In einer am 23. Jan. 1642 unter dem Vorsitze
des Papstes gehaltenen Sitzung der Inquisition wurde über
diesen Bericht berathen4) und darauf am 25. von dem Car-
1) Venturi II, 324. Die Bestimmung, auf welche jene Theologen sich
mit Unrecht beriefen, wird die sein, welche im Sacro Arsenale p. X, No.
269 so angeführt wird: „Die Häretiker können kein Testament machen, auch
nicht ad pias causas, und das von einem Häretiker gemachte Testament ist
null und nichtig und wird auch durch dessen Busse nicht gültig; auch nach-
dem er mit der Kirche wieder ausgesöhnt worden, kann er nicht über die
nach der Abschwörung erworbenen Güter testiren."
2) XV, 402.
3) Vgl. Berti in den Atti della R. Acc. dei Lincei 1875—76, S. 2,
Vol. 3, P. 3, p. 96. Berti berichtet auch über die späteren Schicksale der
Papiere, und berichtigt manche irrige Angaben, z. B. dass nach dem Tode
Renieri's im J. 1648 die Inquisition Schriften von Galilei, die er in Händen
gehabt, confiscirt und dass ein Enkel Galilei's, der Priester war, Papiere
seines Grossvaters verbrannt habe.
4) Gherardi No. XXX, abgedruckt bei Gebier, Galilei S. 432; der
Brief des Cardinais bei Wolynski p. 29.
Keusch, Galilei. 28
434 Galilei's Tod und Bestattung.
dinal Barberini dem Inquisitor geschrieben: „Der Monsignor
Assessor [des h. Officiums] hat Seiner Heiligkeit den Brief
vorgelesen, worin Sie von dem Tode Galilei's Mittheilung
machen und andeuten, was nach Ihrer Meinung bezüglich
seines Grabmals und der Exequien zu thuen sei. Seine
Heiligkeit hat nach Berathung mit Ihren Eminenzen beschlos-
sen: Sie möchten mit Ihrer gewohnten Geschicklichkeit
dafür sorgen, dass dem Grossherzog beigebracht werde,
es sei nicht gut, für die Leiche dessen Mausoleen zu errich-
ten, der von dem Tribunal der h. Inquisition zu Bussen
verurtheilt worden (penitentiato) und während der Busszeit
gestorben ist, da die Gutgesinnten daran Anstoss nehmen
könnten zum Schaden [des Rufes] der Frömmigkeit Seiner
Hoheit. Sollte aber jener Plan nicht hintertrieben werden
können, so müssen Sie darauf achten, dass in der auf das
Grab zu setzenden Inschrift keine Worte vorkommen,
welche der Reputation dieses Tribunals zu nahe treten.
Dieselbe Vorsicht haben Sie demjenigen gegenüber zu be-
obachten, welcher die Leichenrede halten wird; sorgen Sie,
dass Sie dieselbe, ehe sie gehalten und gedruckt wird, zu
Gesicht bekommen und genau prüfen. Ihrer klugen Einsicht
gibt Seine Heiligkeit diese Sache anheim." An demselben
Tage berichtete Niccolini an den Staatssecretär über eine
Audienz, die er bei dem Papste gehabt, Folgendes !) : „Der
Papst sprach von dem Cardinal Firenzuola und erinnerte
sich dabei, dass derselbe Commissar des h. Officiums war,
als der verstorbene Galilei wegen seines Buches über die
Bewegung der Erde inquirirt wurde. Er sagte dann, er
wolle mir im Vertrauen und bloss gesprächsweise, nicht
damit ich darüber nach Florenz schriebe, etwas mittheilen:
er habe gehört, der Grossherzog könnte auf den Gedanken
gekommen sein, ihm in Santa Croce ein Denkmal zu setzen;
ob ich etwas davon wisse. Ich habe in der That seit vielen
Tagen hier davon reden gehört, antwortete aber, ich wisse
nichts davon. Seine Heiligkeit erwiederte: er habe davon
gehört, wisse aber nicht, ob es wahr sei oder nicht; jeden-
falls wolle er mir aber bemerken: wenn der Grossherzog
das thäte, würde er der Welt kein gutes Beispiel geben;
Galilei habe hier vor dem h. Officium gestanden wegen
) XV, 403.
Galilei's Tod und Bestattung. 435
einer so sehr falschen und irrigen Meinung; er habe diese
Meinung auch vielen Anderen in Florenz beigebracht und
der ganzen Christenheit ein Aergerniss gegeben mit einer
Lehre, die schon verdammt gewesen sei. Dann sprach er
lange Zeit über die Anklagepunkte und über die Antworten,
die Galilei hier gegeben, und ' dass er eingestanden habe,
überführt worden zu sein. Ich halte es für meine Pflicht,
Ihnen darüber zu berichten und beizufügen, dass, wenn
Seine Hoheit eine solche Absicht haben sollte, es besser
sein würde, die Sache auf eine andere Zeit zu verschieben,
um Unannehmlichkeiten zu vermeiden. Seine Heiligkeit
hat die Leiche der Gräfin Mathilde aus der Karthause zu
Mantua wegnehmen und hieher nach St. Peter bringen lassen,
wo er ihr ein Denkmal errichtet hat. Er hat mit dem Her-
zog Carlo, der sich darüber beschwert hat, gar nicht darüber
verhandelt, unter dem Vorwande, alle Kirchen gehörten
dem Papste und die darin Beigesetzten seien kirchliches
Eigenthum. So könnte auch diese Sache Anlass zu Schwie-
rigkeiten und langen Verhandlungen geben, ohne dass die-
ses zu etwas Gutem führen würde." Der Cavaliere Gondi
antwortete auf diese Depesche unter dem 29. Jan. 1642:
„Von dem Grabmal für den verstorbenen Mathematiker
Galileo war auch hier die Rede, aber Seine Hoheit hatte
darüber nichts beschlossen und es war auch noch keine
Entschliessung beabsichtigt. Auf jeden Fall werden die
Bedenken, welche Sie im Anschlüsse an das, was Ihnen der
Papst mit so viel Delicatesse gesagt hat, vorgetragen haben,
gewürdigt werden." In der nächsten Audienz nahm dann
Niccolini von den früher (S. 201) erwähnten Aeusserungen
des Papstes über die Astrologen und Galilei's Irrthümer
Veranlassung, ihm zu sagen: es sei allerdings von einem
Denkmal für Galilei die Rede gewesen, aber zu einem be-
stimmten Plane sei es nicht gekommen. Auch der Inquisi-
tor berichtete am 1. Febr. 1642 *): er werde gemäss den ihm
von der Inquisition ertheilten Weisungen verfahren; bis
jetzt mache man aber noch keine Anstalten. Dieser Brief
wurde der Inquisition in der Sitzung vom 13. Februar zur
Kenntniss gebracht2). Sie fand damals keine weitere Ver-
anlassung, sich um die Sache zu kümmern. Denn man
:) XV, 404. 2) Gherardi No. XXXI.
43° Galilei's Tod und Bestattung.
hielt für gut, von dem Denkmal vorerst Abstand zu nehmen.
Erst am i. Sept. 1674 wurde auf dem Grabe eine Inschrift
angebracht x).
Vincenzo Viviani, der am 22. Sept. 1703 starb, legte
in seinem Testamente seinen Erben die Verpflichtung auf,
Galilei, neben dem er selbst begraben werden wollte, in
Santa Croce ein prächtiges Denkmal zu setzen. Die Aus-
führung verzögerte sich bis zum J. 17372). Die Errichtung
dieses Denkmals gab Anlass zu den letzten Schriftstücken,
welche sich in den Acten der Inquisition über Galilei
finden.
Am 8. Juni 17343) schrieb der Inquisitor von Florenz
an die Römische Inquisition: „Heute Morgen war der Rit-
ter Neroni bei mir und fragte mich, ob bei unserm h. Offi-
cium eine Ordre Ihrer höchsten und heiligen Congregation
existire, nach welcher es nicht erlaubt sei, in der Kirche
Santa Croce ein prächtiges Denkmal von Marmor und
Bronze zu Ehren des verstorbenen, wegen seiner bekannten
Irrthümer verdammten Galileo Galilei zu errichten; die Er-
richtung eines solchen Denkmals mit einem Kostenaufwand
von etwa 4000 Scudi sei von einem Anhänger des besagten
Galilei4) seinen Erben schon durch eine testamentarische
Bestimmung vom J. 1689 aufgelegt. Da man jetzt diese
Bestimmung ausführen will, bin ich also gefragt worden,
ob früher ein Verbot erlassen worden sei, — in unserm
Archiv finde ich nichts darüber, — oder ob Euere Eminen-
zen die Errichtung des Denkmals mit Rücksicht auf die
Notorietät der Irrthümer des verstorbenen Galilei verbieten
könnten." Die Inquisition verwies diese Anfrage zunächst
an ihre Consultoren, — bei dieser Gelegenheit ist ein kur-
zer Bericht über Galilei's Verurtheilung aus den Acten zu-
sammengestellt, der sich in den Acten hinter dem Briefe
des Inquisitors findet5); — die Consultoren beantragten
1) XV, 404.
2) „Der Sarg (Galilei's) hat bis 1734 in dem Thurmkämmerchen der
grossen Kirche gestanden, neben demselben über 30 Jahre der Sarg Viviani's.''
Reumont, Gesch. Toscana's I, 554.
3) Acten S. 182. "Wolynski p. 29.
4) Acten S. 182 steht da un descendente, bei Wolynski da un depen-
dente di detto Galilei.
5) Acten S. 183. Dass der Bericht mit dieser Verhandlung zusammen-
Die Römische Curie und das Copernicaniscbe System. 437
am 14. Juni, dem Inquisitor zu Florenz zu antworten: er
möge die Errichtung des Denkmals nicht hindern, aber sich
eifrig bemühen, dass ihm die darauf anzubringende Inschrift
vorher mitgetheilt werde, und diese möge er nach Rom
schicken, damit man dort das Geeignete verfüge. In der
Sitzung vom 16. Juni genehmigte die Inquisition diesen An-
trag1), und unter dem ig. wurde der Inquisitor in diesem
Sinne durch den Cardinal Ottoboni beschieden2). Ob die
Inschrift wirklich in Rom vorgelegt worden, ist nicht be-
kannt3).
XXXVII.
Die Römische Curie und das Copernicanische System
1633-1822.
„Die Kirche, sagt P. Desjardins p. 61, alle Zeit den
wahren Fortschritten des menschlichen Geistes günstig, hat,
nachdem sie durch ihre Disciplinar-Decrete die Grundsätze
gewahrt hatte, welche ihre doctrinelle Integrität schützen,
kein Bedenken getragen, in immer weiterer Ausdehnung,
hängt, hat zuerst Pieralisi, Correzioni p. 45, hervorgehoben. Vgl. Th. Lit.-
Bl. 1877, 224- Wohlwill, Ist Gal. gef. worden? S. 69. — Neuerdings hat
Wohlwill, G. G. A. 1878, St. 21, S. 669 (und Zts. f. Math. 1879, Hist.-lit.
Abth. S. 19), vermuthet, der Bericht sei im 19. Jahrhundert fabricirt (s. o.
S. 300); er meint, so erkläre sich leichter die unrichtige Angabe in dem
Anfange des Actenstückes: „Galilei wurde im h. Officium von Florenz zur
Untersuchung gezogen (inquisito) wegen folgender Sätze . . ., und nach Rom
beschieden, wurde er in diesem h. Officium in Haft genommen" u. s. w.
Aber ein solcher „Schreib- oder Denkfehler" bei einem für den Zweck des
Berichtes ganz unwesentlichen Punkte konnte einem Beamten (wahrschein-
lich dem Commissar oder Assessor) der Inquisition im J. 1734 ebenso leicht
oder noch leichter passiren als Monsignor Marini oder einem andern Fälscher
im 19. Jahrhundert.
1) Acten S. 184; Gherardi No. XXXII, abgedruckt bei Gebier, Gali-
lei S. 433. 2) Wolynski p. 30.
3) Ueber das Grabmal s. Gebier, D. Rundsch. 1878, IV, 74.
438 Die Römische Curie und das Copernicanische System.
so wie die Probabilität des Copernicanischen Systems wuchs,
das Lehren desselben, sowie die metaphorische Auslegung
der betreffenden Bibelstellen zu dulden. Mit weiser Lang-
samkeit hat sie dasselbe zuerst nur negativ autorisirt, indem
sie 1755 die Werke, in welchen die Bewegung der Erde
ex professo gelehrt wurde, von dem Index verschwinden
liess. Endlich am 17. Sept. 1822 wurde die Annahme der
gewöhnlichen Meinung der modernen Astronomen positiv
und ausdrücklich gestattet durch ein Decret der Inquisition,
welches von dem Papste Pius VII. bestätigt und unter-
zeichnet wurde, während die verurtheilenden Decrete weder
von Paul V. noch von Urban VIII. unterzeichnet worden
waren."
„Die Kirche" ist noch etwas langsamer vorgegangen,
als P. Desjardins von ihr rühmt. Allerdings ist nach Gali-
lei kein Vertheidiger der Copernicanischen Lehre mehr von
der Inquisition verfolgt1), auch ist nach dem J. 1634 kein
Copernicanisches Buch mehr auf den Index gesetzt worden,
obschon einzelne derartige Schriften schon im 17. Jahrhun-
dert auch in Italien, selbst in Rom erschienen2). Auch die
Uebersetzungen des Galilei'schen Dialogs wurden nicht auf
den Index gesetzt3). Im J. 1693 schrieb zwar Baldigiani aus
1) Targioni I, 385 berichtet: der französische Jesuit Honoratus Fabri
(Lefevre, geb. 1607, gest. 1688 als Pönitentiar in Rom) sei wegen seiner Be-
theiligung an Controversen „über die Experimental-Philosophie, die damals
in Rom nicht im guten Gerüche gestanden, im J. 1671 von der Inquisition
processirt, 5 Tage in strenger und 45 in weniger strenger Haft gehalten
worden und endlich, Dank dem Schutze des Cardinais Leopold von Me-
dici, mit dem Leben davon gekommen." Nach Reumont, Gesch. von
Toscana I, 562, wäre Fabri „kühn genug gewesen, den Copernicanischen
Streit wieder zu beleben". Aber nach Venturi II, 141 hat Fabri 1665 und 1671
gegen die Lehre von der Bewegung der Erde geschrieben [eine Aeusserung
von ihm aus dem J. 1661, s. u. S. 457]. Nach Brucker, Hist. philos. IV,
I, 144, war er bei den anderen Jesuiten des Cartesianismus verdächtig ge-
worden. Die Sache ist mir nicht klar geworden. Bekannt ist Fabri durch
die unter dem Namen des EustaChius de Divinis veröffentlichten Streit-
schriften gegen Chr. Huyghens' Systema Saturnium (Targioni I, 382) und
durch seine Betheiligung an dem Streite über Probabilismus und Jesuiten-
Moral (de Backer I, 290. Hurter, Nomencl. I, 534).
2) Martin, Galilee p. 261.
3) Es pflegt sonst im Index bei einem verbotenen Buche, wenn es
übersetzt ist, ausdrücklich beigefügt zu werden: quovis idiomate.
Die Römische Curie und das Copernicanische System. 439
Rom an Viviani1): „Ganz Rom steht in Waffen gegen die
Mathematiker und Physiker. Es werden ausserordentliche
Sitzungen der Cardinäle des h. Officiums in Anwesenheit
des Papstes gehalten, und es ist die Rede von einem allge-
meinen Verbote aller Verfasser von modernen Physiken.
Es werden lange Listen derselben angefertigt; an der Spitze
stehen Galilei, Gassendi und Cartesius als für die Literatur
und die Reinheit der Religion höchst gefährlich." Und in
einem Briefe von Alessandro Aldobrandini vom 14. März
1693 heisst es: „Sehr schlimme Nachrichten für die Gelehr-
ten-Republik! Man spricht davon, vierzig der besten Auto-
ren, welche von den modernen Wissenschaften handeln, zu
verbieten, darunter unsern armen Galilei. ... Der Cardinal
Bittre2) ist der Einzige, welcher die Sache dieser armen
Ehrenmänner gegenüber der Masse aller Anderen vertritt."
Es kam damals zu keinem solchen Verbote. Aber auch die
Hoffnung, die etwas später, im J. 169g, Leibniz aussprach,
man werde, seinem Rathe folgend, die Censuren gegen das
Copernicanische System aufheben, ging nicht in Erfüllung 3).
Erst am 10. Mai 1757 beschloss die Index- Congregation, in
den neuen Ausgaben des Index das allgemeine Verbot der
die Copernicanische Theorie lehrenden Bücher (s. o. S. 114)
wegzulassen4), und dieser Beschluss wurde am 11. Mai von
1) Berti, Copernico p. 152.
2) Es wird der französische Cardinal Cesar d'Estree gemeint sein.
3) Leibniz schreibt aus Hannover 30. Oct. 1699 an Antonio Maglia-
bechi in Florenz (Targioni I, 517): „Als ich zu Rom war, ermahnte ich
einige hervorragende Männer, sie möchten in einer in keiner "Weise gefähr-
lichen Sache sich der philosophischen Freiheit günstig zeigen und zugeben,
dass die Censuren gegen das Copernicanische System ausdrücklich oder still-
schweigend aufgehoben würden; ich zeigte, dass dieses im Interesse der
Römischen Kirche liege, damit sie nicht von Unwissenden als Begünstigerin
der Unwissenheit und des Irrthums angesehen würde. Sie zeigten sich nicht
unempfänglich für meinen Rath; ich hoffe, die alte Freiheit wird wieder
hergestellt werden, deren Unterdrückung den aufgeregten Geistern der Ita-
liener viel schadet." Andere Aeusserungen von Leibniz s. bei A. Pichler,
Theologie des Leibniz II, 238.
4) Habito verbo cum Sanctissimo omittatur decretum, quo prohiben-
tur omnes libri docentes immobilitatem solis et mobilitatem terrae. Olivieri,
Di Copernico p. 94. Wahrscheinlich sind zu dieser Zeit die Acten der
beiden Galilei'schen Processe aus dem Archiv der Inquisition in das Vati-
canische Archiv gebracht, zusammengeheftet und mit der fortlaufenden Pagi-
nirung versehen worden. Wolynski p. 5. 23.
44° Die Römische Curie und das Copernicanische System.
P. Benedict XIV. bestätigt. Demgemäss enthält die nächste
Ausgabe des Index, die vom J. 1758 (nicht 1755) jenes Ver-
bot nicht mehr. Das specielle Verbot der Original- Ausgabe
des Galilei'schen Dialogs u. s. w. blieb dagegen bis in unser
Jahrhundert in Kraft. Freilich erschien der Dialog im vier-
ten Bande der zu Padua 1744 gedruckten, mit der kirch-
lichen Druck-Erlaubniss versehenen Ausgabe der Werke
Galilei's; aber der Herausgeber, Abate Toaldo, schickt
folgende Erklärung1) voraus: „Dieser viel besprochene
Dialog, der so oft unbefugt gedruckt worden ist, erscheint
endlich mit den nöthigen Ermächtigungen zum öffentlichen
freien Gebrauche. Er verdiente dieses in der That wegen
der seltenen und ausgesuchten Lehren, die er enthält, und
wegen der schönen Form, in welcher dieselben entwickelt
werden. Was die Hauptfrage von der Bewegung der Erde
betrifft, so schliessen auch wir uns dem Widerrufe und der
Erklärung des Verfassers an, indem wir in der feierlichsten
Form erklären, dass dieselbe nur als reine mathematische
Hypothese, die zur leichtern Erklärung gewisser Erschei-
nungen geeignet ist, zugelassen werden kann und darf.
Darum haben wir die Randbemerkungen, welche nicht ganz
unbestimmt waren oder zu sein schienen, weggelassen oder
in eine hypothetische Form gebracht2); und aus demselben
Grunde haben wir die Abhandlung des Pater Calmet bei-
gefügt, in welcher die auf diesen Gegenstand bezüglichen
Bibelstellen nach der gewöhnlichen katholischen Ansicht
gedeutet werden. \ . Wir wollen uns nicht im mindesten
von den ehrwürdigen Vorschriften der h. Römischen Kirche
entfernen." Ausser der Abhandlung von Calmet sind als
Gegengift gegen den Dialog auch die Sentenz gegen Gali-
lei und seine Abschwörung (in lateinischer Uebersetzung)
beigefügt. — Im J. 1765 verwendete sich der französische
Astronom Lalande in Rom ohne Erfolg für die Weglassung
des Dialogs aus dem Index5). Noch die Ausgabe von 18 19
1) XV, Bibliogr. XXVII.
2) Nach Venturi II, 118 sind 13 solcher Randbemerkungen wegge-
lassen (z. B. „die Sonne selbst bezeugt die jährliche Bewegung der Erde"),
40 geändert (wiederholt „die Bewegung der Erde" in „die vorausgesetzte
Bewegung der Erde'*).
3) Er berichtet: der Cardinal-Präfect des Index habe eingewendet,
gegen Galilei liege ein Urtheil der Inquisition vor, welches zuvor modificirt
Die Römische Curie und das Copernicanische System. 441
enthält das Verbot des Dialogs und der anderen speciell
verbotenen Schriften.
Es wurden gleichwohl seit dem J. 1758 in Rom mehrere
Bücher gedruckt, in welchen die Copernicanische Lehre
offen vorgetragen wurde. Aber im J. 1820 verweigerte
der Magister Sacri Palatii, P. Filippo Anfossi, dem Cano-
nicus Giuseppe Settele, Professor an der Sapienza, die Druck-
Erlaubniss für seine „Elemente der Optik und Astronomie",
weil darin die Copernicanische Theorie nicht als blosse
Hypothese vorgetragen wurde *). Settele reichte dem Papste
Pius VII. eine ausführliche Beschwerdeschrift ein. Die In-
quisition, welcher der Papst die Sache überwies, beschloss
am 16. Aug. 1820, das Buch sei nicht zu beanstanden, und
dieser Beschluss wurde vom Papste bestätigt. So wurde
das Buch unverändert gedruckt, im zweiten Bande aber
S. 130 folgende, von dem Commissar des h. Officiums, P.
Maurizio Olivieri, verfasste und von der Inquisition ge-
nehmigte Anmerkung beigefügt: „Ein System, welches dem
buchstäblichen Sinne der h. Schrift zu widersprechen schien
und welches übrigens nicht nur keinen thatsächlichen Be-
weis für sich hatte, sondern auch grosse Verwirrungen in-
volvirte, konnte gewiss nicht von den Katholiken zugelassen
werden, die an der Regel festhalten, dass man von dem
buchstäblichen Sinne der Bibel nicht abgehen dürfe, wenn
man nicht ganz gewiss sei, dass derselbe zu irgend einer
Absurdität führen würde. Die Verdammung dieses Systems
stützte sich also auf philosophische Absurditäten; aber diese
verschwanden bald nachher, da die Entdeckung der Schwere
der Luft durch Torricelli im J. 1645 die Meinung widerlegte,
dass die Umdrehung der Erde Verwirrungen auf derselben
hervorbringen müsse2)." Anfossi machte auf Grund der
älteren Decrete weitere Bedenken geltend und Hess zur Be-
gründung derselben eine besondere Abhandlung drucken
werden müsse; Clemens XIII. scheine dazu geneigt gewesen zu sein, er habe
aber nicht Zeit genug gehabt, die Unterhandlungen zu Ende zu führen, bei
denen zu viele Personen betheiligt gewesen seien. Traite d'Astronomie,
Paris 1792, p. 421, bei Olivieri p. 95; vgl. Abrege d'Astronomie, Amster-
dam 1774, p. 159.
1) Olivieri (s. o. S. 80) p. 96. XVI.
2) Vgl. Govi, II S. Offizio, Copernico e Galileo, in den Atti della R.
Accademia di Torino, Vol. VII (1871—72), p. 574. 832. S. o. S. 120.
442 Die päpstliche Unfehlbarkeit.
unter dem Titel: „Ob Jemand, der das Tridentinische Glau-
bensbekenntniss abgelegt hat, die Beweglichkeit der Erde
und die Unbeweglichkeit der Sonne nicht als blosse Hypo-
these, sondern als durchaus wahr und als Thesis vertheidi-
gen und lehren dürfe. Eine theologisch-moralische Unter-
suchung." Die Cardinäle der Inquisition beschlossen aber
trotz dieser Einrede am n. Sept. 1822, es sei in Rom —
seit dem J. 1822! — der Druck von Werken gestattet, „in
welchen von der Beweglichkeit der Erde und der Unbe-
weglichkeit der Sonne gemäss der allgemeinen Ansicht der
modernen Astronomen (iuxta communem modernorum astro-
nomorum opinionem) gehandelt werde", und dieser Beschluss
wurde am 25. Sept. 1822 von Pius VII. bestätigt. In der
nächsten Ausgabe des Index, die im J. 1835 erschien, wurden
dann auch die Bücher von Copernicus, Foscarini, Kepler
und Galilei weggelassen.
XXXVIII.
Die Verdammung der Copernicanischen Lehre und die
päpstliche Unfehlbarkeit.
Gebier J) sagt in Uebereinstimmung mit vielen anderen
katholischen Schriftstellern: „Allerdings hatte Papst Paul V.
das Index-Decret vom J. 161 6 gewollt und privatim veran-
lasst, ebenso wie Urban VIII. die Sentenz wider Galilei,
und in diesem Sinne kann dem Erstem jener Erlass, dem
Letztern dieser Urtheilspruch und Beiden die Verdammung
der Copernicanischen Lehre zugeschrieben werden. Allein
da hatten sie als Privatpersonen gehandelt, und als solche
waren sie nach der theologischen Regel nicht unfehlbar. . .
Die christkatholische Nachwelt darf heute nur sagen : Paul
V. und Urban VIII. hätten sich bezüglich der Copernicani-
schen Weltanschauung zwar als Menschen geirrt, doch
1) Galilei S. 298. Aehnlich Martin, Galilee p. 151.
Die päpstliche Unfehlbarkeit. 443
nicht als Päpste." Ueber diese Auffassung ist Folgendes zu
bemerken.
1. Wenn man annimmt, die Päpste sprächen nur bei sol-
chen feierlichen Kundgebungen ex cathedra, wie z. B. bei
der Verkündigung der Bulle Ineffabilis über die unbefleckte
Empfängniss, so hat allerdings kein Papst ex cathedra die
Copernicanische Lehre für falsch und der Bibel widerspre-
chend erklärt. Eusebius Amort1) spricht allerdings von
einer Bulle, worin Urban VIII. jene Lehre verworfen habe.
Das ist aber ein Irrthum: eine solche Bulle existirt weder
von Urban VIII. noch von einem andern Papste, auch nicht,
wie von Einigen angegeben wird, von Alexander VII. Die-
ser Papst hat allerdings unter dem 5. März 1664 eine Bulle
erlassen, wodurch er eine damals veranstaltete neue Aus-
gabe des Index sanctionirte ; er sagt darin, in diese neue
Ausgabe seien auch alle auf den Index bezüglichen, seit
Clemens VIII. erlassenen Decrete aufgenommen, und erklärt
dann: „Diesen Index mit allem und jeglichem, was darin
enthalten ist, bestätigen und approbiren Wir durch Gegen-
wärtiges kraft apostolischer Autorität und verordnen und
befehlen, dass er allüberall von allen Universitäten und ein-
zelnen Personen unverbrüchlich beobachtet werde." Mithin,
hat man gesagt, ist auch das Index-D ecr et vom 5. März 16 16,
— denn auch dieses ist in der neuen Ausgabe abgedruckt,
— durch eine päpstliche Bulle bestätigt worden2). Man
kann aber darauf mit Grisar S. 695 antworten: „Alexander
VII. will offenbar durch diese Bulle den in der neuen Aus-
gabe des Index abgedruckten Decreten, also auch dem
obigen, keine neue Geltung, über diejenige hinaus, welche
sie bisher genossen, beilegen. Er hat ihre Natur nicht ge-
ändert."
2. Die Infallibilisten der strengern Observanz bean-
spruchen aber auch noch für andere päpstliche Kundge-
bungen die Bedeutung von Cathedralsprüchen, nämlich für
solche „apostolische Schreiben, in welchen die Päpste per-
sönlich in einer Form, die den unzweifelhaften Anspruch auf
1) Philos. Pollingana, 1734, III, 7, bei Bouix p. 135.
2) Pontifical Decrees p. 65. F. X. Kraus, Synchronistische Tabellen
der Kirchengesch. : „1664. Alexander VII. verurtheilt in einer Bulle das
Copernicanische System als falsch". Vgl. Schneemann S. 263.
444 Die päpstliche Unfehlbarkeit.
eine peremtorische erhebt, Bücher oder Lehren verurtheilen.
Pius V. entschied so am i. Oct. 1567 gegen Bajus mit der
Bulle Ex omnibus, Innocenz X. am 31. Mai 1653 gegen
Jansenius, . . . Gregor XVI. am 26. Sept. 1835 [in einem
Breve] gegen Hermes" (Grisar S. 692). Auch in dieser
Form ist die Copernicanische Lehre nicht verdammt worden.
3. Es gibt nach Grisar S. 692 „noch eine andere Form
von päpstlichen Lehrsprüchen ex cathedra. Zuweilen näm-
lich entscheidet der Papst als oberster Lehrer zwar direct
und persönlich, aber er kündigt diese seine Entscheidung
nicht selbst an, sondern lässt sie durch seine Organe [die
Römischen Congregationen] ankündigen. In diesen Fällen
mag die Congregation, deren Vorstand den Erlass unter-
zeichnet, bei der Vorbereitung des Spruches grossen,
vielleicht ausschlaggebenden Antheil gehabt, sie mag bis
zur Spruchreife die Sache auf eigenen Schultern getra-
gen haben; aber schliesslich zieht der unfehlbare Lehrer
der Kirche die Fällung des Urtheils ganz an seine Person,
und die Cardinäle bleiben nur das Werkzeug, durch welches
jener seine Entscheidung bekannt macht. Dieser Weg
wurde z. B. eingeschlagen bei der Verwerfung der bekann-
ten Moralsätze durch Alexander VII. am 24. Sept. 1655
und am 8. März 1666" u. s. w., — aber nicht bei der Ver-
werfung der Copernicanischen Lehre.
4. Die unter No. 2 und 3 erwähnten „päpstlichen Lehr -
Sprüche geschehen nomine Papae, und darum, weil der Nach-
folger Petri in ihnen von seiner Lehrgewalt den höchsten
Gebrauch macht, sind sie unfehlbar"; die Decrete einer
Congregation dagegen, wie das Index-Decret vom 5. März
161 6, „geschehen nomine Congregationis und unterliegen,
wenngleich unter besonderer Initiative seitens des Papstes
erfolgt, der Fehlbarkeit der Cardinäle". So Grisar S. 693,
und so weit stimmen die Jesuiten überein; von hier an aber
beginnt ein bemerkenswerther Dissensus.
Die gewöhnliche Ansicht der Jesuiten-Theologen ist
folgende : Die Decrete der Congregationen, welche Lehrent-
scheidungen enthalten, werden zu Decreten des ex cathedra
redenden Papstes, wenn ein eigener Act der Bestätigung
oder Promulgation von Seiten des Papstes hinzutritt1). Von
[) Bouix p. 221, ausführlicher in seinen Büchern De Curia Rom. p. 471
Die päpstliche Unfehlbarbeit. 445
dieser Regel macht Bouix, dem Viele zugestimmt haben,
auf unsern Fall folgende Anwendung: Wenn das Index-
Decret vom 5. März 1616 eine „die Unfehlbarkeit nach sich
ziehende Bestätigung des Papstes" erhalten hätte, so würde
in demselben die Formel vorkommen: „Und nachdem Sei-
ner Heiligkeit darüber berichtet worden, hat Seine Heilig-
keit das Decret bestätigt und zu veröffentlichen befohlen,"
oder: „Und das gegenwärtige Decret hat die h. Congrega-
tion auf speciellen Befehl Seiner Heiligkeit veröffentlicht" l).
Diese Formel findet sich aber nicht in jenem Decrete (und
ebenso wenig in einem andern Galilei betreifenden Decrete).
Es heisst zwar von der in ihm promulgirten Erklärung, sie sei
„von unserm Herrn gemacht worden", und es ist auch nicht
zu bestreiten, dass der Papst die Copernicanische Lehre als
der h. Schrift widersprechend angesehen, dass er erklärt
hat, das sei sein Urtheil, und dass er der Index- Congrega-
tion befohlen hat, ein in diesem Sinne gehaltenes Decret
zu publiciren. Aber diese Erklärung des Papstes war, ehe
sie publicirt und promulgirt wurde, nur eine Erklärung
Pauls V. als eines doctor privatus oder wenigstens keine
Erklärung des ex cathedra redenden Papstes. Um letzteres
zu werden, musste sie entweder von dem Papste in seinem
eigenen Namen publicirt werden (s. o. No. 2 und 3), oder,
wenn sie im Namen der Cardinäle publicirt werden sollte,
musste wenigstens bezeugt werden, dass der Papst sie be-
stätigt und zu publiciren befohlen habe. Die Index-Congre-
gation publicirte allerdings ein Decret, welches genau jener
Erklärung des Papstes entspricht; aber sie unterliess, —
und das ist der entscheidende Punkt, — zu publiciren, dass
dieses die Erklärung des Papstes sei, und so wurde dieselbe
nicht eine Erklärung des ex cathedra redenden Papstes. —
Gebier2) u. A. meinen, „die Päpste seien vorsichtig genug
gewesen, nicht durch Einbeziehung ihrer infallibeln Auto-
rität bei der Entscheidung einer wissenschaftlichen Streit-
und De Papa'll, 475; vgl. Pont. Decrees p. 7. Aehnlich Scheeben, Dogm.
I, 248, und der Jesuit Ch. de Smedt, Etudes relig. 1869, III, 229.
1) Et facta relatione ad Sanctissimum, Sanctissimus confirmavit et
publicari mandavit. Et praesens decretum de" speciali man dato S. Congre-
gatio publicavit. Bei. Scheeben I, 250: Sanctissimus sua suprema auctori-
tate conßrmavit et promulgari mandavit.
2) Galilei S. 298.
446 Die päpstliche Unfehlbarkeit.
frage dieses höchste Privilegium des Papstthums in Gefahr
zu bringen; darum hätten sie sich enthalten, den auf ihre
Veranlassung von der (Index-) Congregation ergriffenen
Massregeln zur Unterdrückung der Copernicanischen Lehre
die Sanction als Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche
zu ertheilen." Bouix dagegen (p. 227. 231) findet hier „einen
frappanten Beweis für die Sorgfalt, mit welcher die göttliche
Vorsehung jeden Irrthum der ex cathedra redenden Päpste
hindert. Nach menschlicher -Berechnung war damals eine
irrige Entscheidung ex cathedra unvermeidlich. Die Inqui-
sition qualificirte die Copernicanische Meinung als heterodox.
Der Papst hatte sich in demselben Sinne ausgesprochen.
Er wollte, dass jene Meinung als eine irrige verdammt würde.
Nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge musste nun ein
Verdammungsdecret erscheinen, begleitet von einem Be-
stätigungsbreve des Papstes oder wenigstens mit einem
Satze, der bezeugte, dass der Papst es bestätigt und zu
publiciren befohlen habe. Nun wurde aber dieser natürliche
Lauf der Dinge in pro videnti eller Weise unterwegs aufge-
halten. Das Verdammungsdecret wurde von den Cardinälen
ausgefertigt, aber man unterliess es. dasselbe durch den
Papst bestätigen zu lassen, oder, was auf dasselbe hinaus-
kommt, die diese Bestätigung bekundende Formel beizu-
fügen. So ist die Verdammung des Copernicanischen
Systems nie eine von dem ex cathedra redenden Papste aus-
gesprochene geworden. . . Der Irrthum (dass die Coperni-
canische Lehre falsch sei) war in der Umgebung des Papstes
entstanden, hatte den Papst persönlich ergriffen, blieb aber
gerade an der Schwelle seiner päpstlichen Lehrgewalt
stehen, ohne diese zu überschreiten. Es fehlte nur noch
eine Formalität, die Beifügung eines Satzes; diese unter-
blieb. Wer sollte da nicht die Treue des göttlichen Stifters
der Kirche bewundern, mit welcher er die Prärogative der
Unfehlbarkeit seines Statthalters auf Erden beschützt hat?"1)
1) Aehnlich Ward p. 182 und Heinrich, Dogmat. Theol. II, 244: „Die
Decrete der Congr. S. Officii gegen Galilei hatten nicht den Charakter von
Lehrdefinitionen, auch wenn der Papst sie bestätigt hätte. Er hat sie aber
nicht bestätigt. Wenn es richtig stünde, dass er die Absicht gehabt, sie zu
bestätigen, so wäre die Thatsache, dass diese Absicht nicht zur Ausführung
kam, ein Beispiel, dass die Vorsehung den Papst nicht nur vor irrigen De-
finitionen, sonders selbst vor solchen Massregeln bewahrt, die irgendwie sein
Die päpstliche Unfehlbarkeit. 447
P. Grisar sagt S. 689 von dieser ,, Lösung" der Schwie-
rigkeit: „So frappant sie klingt und so sehr sie sich dem
oberflächlichen Blicke empfahl, so unbegründet sind mehrere
Annahmen, auf die sie sich stützt." In dem Protocoll der
Sitzung der Inquisition vom 3. März 1616 (s. o. S. in), wel-
ches Bouix freilich nicht kannte, wird ausdrücklich gesagt:
das auf Grund des am 25. Febr. von der Inquisition unter dem
Vorsitze des Papstes gefassten Beschlusses von der Index-
Congregation ausgearbeitete Decret sei vorgelegt worden
und der Papst habe die Veröffentlichung desselben befoh-
len. Auch in dem Schreiben, mit welchem der Präfect der
Index-Congregation das Decret nach auswärts versandte,
wird ausdrücklich gesagt, es sei im Auftrage des Papstes
erlassen worden (s. o. S. 112). Es fehlt also nicht die Be-
stätigung des Decrets vom 5. März durch den Papst und
der Befehl der Veröffentlichung desselben, sondern nur die
ausdrückliche Erwähnung dieser Bestätigung und dieses
Befehles in dem Decrete selbst. Dass diese unterblieb, ist
aber gar nichts Bemerkenswerthes. Jetzt wird allerdings
regelmässig eine Formel der Art, wie sie Bouix anführt, in
die Index-Decrete aufgenommen; aber zur Zeit Galilei's und
noch bis ins 18. Jahrhundert erschienen, wie Grisar S. 689
nachgewiesen, die Index-Decrete gewöhnlich ohne jegliche
Andeutung dieser Art, obschon es feststeht, dass sie alle vor
der Kundmachung vom Papste gut geheissen waren. Wenn
höchstes Lehr- und Richteramt blossstellen könnten". Der Cardinal Dechamps,
Erzbischof von Mecheln, sagt sogar in einer 1868 erlassenen Pastoral-Instruction
(Katholik 1868, II, 747): ,, Weder die Kirche noch die Päpste in ihrer
Eigenschaft als Oberhaupt der Kirche haben gegen das Copernicanische
System im allgemeinen oder insbesondere gegen Galilei jemals auch nur Ein
"Wort verkündigt. . . Es ist sehr bemerkenswerth, dass Paul V. und Urban
VIII. ihrer persönlichen Meinung ungeachtet und gegen den Gebrauch der
Congregationen [s. o.] ihren Namen nicht unter die in Sachen Galilei's er-
lassenen Decrete setzen wollten. Keine von den Entscheidungen gegen das
neue Weltsystem wurde in einem andern Namen als lediglich in dem der
Congregationen selbst erlassen. Daher stand auch nichts im Wege, dass das
h. Officium später die Entscheidung wieder aufhob und so die Bahn, ein-
schlug, welche die Päpste längst vorher eingeschlagen, die die Erkenntniss
des wahren Weltsystems mächtig gefördert haben, indem sie zwei Jahr-
hunderte hindurch Copernicus und seine Vorläufer [Nicolaus von Cusa u. s. w.]
gestützt und ermuntert haben." Das h. Officium hat aber doch nicht gegen
den Willen der Päpste jene Bahn verlassen!
448 Die päpstliche Unfehlbarkeit.
aber die Approbationen der Decrete schon früher ebenso vor
sich gingen wie nachher, fügt er S. 694 bei, so „kann es nur
ein unwesentlicher Umstand, eine nebensächliche Form des
Curialstiles sein, dass sie später im Decrete ausgedrückt
wurden und vorher nicht. Oder will man etwa behaupten,
dass kraft des ausser liehen Beisatzes jener Angabe Decrete,
die früher nicht unfehlbar gewesen wären, auf einmal zu
unfehlbaren gestempelt worden sein sollten?"
Der Versuch von Bouix, das Decret vom 5. März 1616
als ein von anderen, mit ausdrücklicher päpstlicher Bestäti-
gung erlassenen Decreten Römischer Congregationen ver-
schiedenes darzustellen, wird also von Grisar mit Recht
als misslungen bezeichnet : jenes Decret kann ganz dieselbe
Geltung beanspruchen, wie ein Index-D ecr et, welches jetzt
mit der Formel Sanctitas Sua decretum probavit etc. publi-
cirt wird.
Es ist charakteristisch, dass Grisar, nachdem er dieses
im Texte nachgewiesen, sich in einer Anmerkung S. 695
zwei Hinterthüren offen hält: i.„EskönnJte noch in Betracht
gezogen werden, dass das Index-Decret von 16 16 trotz sei-
nes doctrinellen Charakters und trotz der päpstlichen Be-
stätigung nur den Inquisitoren und Nuncien unmittelbar,
nicht den Bischöfen direct notificirt wurde." Aber ob die
Bischöfe das Decret von Rom direct oder von den Nuncien
zugestellt bekamen, davon kann doch seine Unfehlbarkeit
nicht abhangen. — 2. „Wenn man den Wortlaut des Pro-
tocolls (der Sitzung der Inquisition vom 3. März 16 16) be-
achtet, bleiben immer noch Zweifel übrig, ob dem Papste
Paul V. das Decret in seiner ausgearbeiteten (doctrinellen)
Form vorlag. Man könnte sagen, dass bei ihm die Absicht,
ein blosses Edictum suspensionis et prohibitionis zu appro-
biren, wenigstens vorwaltete." Wenn es in dem Protocoll
vom 3. März heisst: es sei ein Decret der Index-Congre-
gation von dem Papste genehmigt worden, und diese am
5. ein Decret publicirt, so ist es unzweifelhaft, dass eben
dieses Decret seinem Wortlaute nach approbirt worden ist,
und wenn noch ein Zweifel zulässig wäre, so würde er
durch das Zeugniss Bellarmins beseitigt werden, worin die
Verwerfung der Copernicanischen Lehre als eine von dem
Papste ausgegangene und durch die Index- Congregation
promulgirte Erklärung bezeichnet wird.
Die päpstliche Unfehlbarkeit. 449
4. Es ist selbstverständlich und wird auch von Bouix
p. 221 anerkannt, dass, wenn sich ein einziges von dem
Papste bestätigtes doctrinelles Decret der Römischen Con-
gregationen als irrig erweisen lässt, für solche Decrete über-
haupt keine Unfehlbarkeit beansprucht werden kann. Das
von dem Papste bestätigte Index-D ecr et vom 5. März 16 16
ist irrig; also werden, — diese Folg-erung zieht Grisar
S. 690 im Anschlüsse an den Jesuiten-Cardinal Franzelin, —
,, solche Decrete, welche (von einer Congregation) zur Ver-
urtheilung einer Doctrin erlassen werden, nicht dadurch
Definitionen ex cathedra, dass sie durch die oberste Auto-
rität des Papstes bestätigt werden. " Wenn man also früher
Decrete der Römischen Congregationen, wie sie z. B. in
neuerer Zeit gegen die Schriften von A. Günther und gegen
gewisse philosophische Ansichten von Löwener Professoren
erlassen worden sind, darum, weil sie vom Papste bestätigt
worden, als unfehlbare Lehrentscheidungen bezeichnet hat,
so ist das nach dieser Theorie von Franzelin und Grisar ein
Irrthum gewesen. Die Decrete können ebenso gut irrig
sein wie das ^ Decret, worin die Copernicanische Lehre als
falsch und schriftwidrig bezeichnet wird. In jenem Irrthum
scheint freilich auch Pius IX. befangen gewesen zu sein,
wenn er in dem Breve vom 15. Juni 1857 an den Cardinal
von Geissei von dem Index-Decrete gegen Günther schreibt:
„Dieses durch Unsere Autorität bestätigte und auf Unsern
Befehl veröffentlichte Decret musste als völlig genügend
erscheinen, um jeden Streit zu entscheiden und Allen, die
sich des Namens katholisch rühmen, die klare und entschie-
dene Ueberzeugung zu gewähren, dass die in den Günther'-
schen Büchern enthaltene Lehre nicht rein sein könne."
Die bisher mitgetheilten subtilen Erörterungen zeigen,
dass die Lehre von der Unfehlbarkeit des Papstes im J. 1870
nicht so klar definirt worden ist, dass nicht in jedem ein-
zelnen Falle, wo eine päpstliche Entscheidung sich als eine
irrige erweist, ein Jesuit den Beweis antreten könnte, der
Papst habe in diesem Falle nicht ex cathedra gesprochen'.
Der Cardinal Franzelin und Pater Grisar (S. 694) haben
sich in dieser Beziehung ziemlich freie Hand gewahrt, wenn
sie lehren : wenn auch der Papst als Haupt der Kirche und
kraft seiner höchsten Autorität (suprema auctoritate Ponti-
ficis) spreche, so sei es noch immer möglich, dass er, —
Reusch, Galilei. 20
45° Die päpstliche Unfehlbarkeit.
wie Papst Honorius in seinem Schreiben an den Patriarchen
Sergius, — nicht „mit jener eigentlichen Anwendung seiner
obersten Lehrgewalt" rede, die zu einer unwiderruflichen
Glaubensentscheidung nothwendig sei; wenn der Papst
zwar suprema auctoritate, aber nicht cum suprema inten-
sione huius auctoritatis et ?nagisterii spreche, so könne man
nicht sicher sein, dass er nicht irre. So wird man also in
jedem Falle, wo eine päpstliche Entscheidung, die man ihrer
Form nach als eine Entscheidung ex cathedra ansehen dürfte,
sich als irrig erweist, sagen dürfen:' der Papst hat seine
Autorität und Lehrgewalt nicht genug angespannt, um un-
fehlbar zu entscheiden1).
Wenden wir uns von den jesuitischen Klügeleien, zu
den Thatsachen zurück. Im J. 1616 ist auf Befehl Pauls V.
durch ein Decret der Index-Congregation die Copernicanische
Lehre für falsch und schriftwidrig erklärt worden. Im J. 1633
ist Galilei mit Genehmigung, wenn nicht auf Befehl Ur-
bans VIII. verurtheilt worden, die im J. 16 16 als falsch und
schriftwidrig erklärte Lehre als eine Ketzerei abzuschwören.
Diese Abschwörung ist sammt dem Urtheil der Inquisition
auf Befehl des Papstes in der ganzen Welt bekannt gemacht
worden. Das Verbot der die Copernicanische Theorie leh-
renden Bücher ist in allen Ausgaben des Index, auch in
der von Alexander VII. 1664 durch eine Bulle ausdrücklich
bestätigten Ausgabe abgedruckt und erst unter Benedict
XIV. im J. 1757 theilweise weggelassen worden. Erst im
J. 1822 hat Pius VII. die Veröffentlichung von Büchern,
1) Dass ein Jesuit nöthigenfalls auch päpstliche Bullen, welche augen-
scheinlich die Bedeutung von Cathedralsprüchen beanspruchen, ignorirt oder
bekämpft, zeigt Cardinal Bellarmin, welcher die Unterdrückung der Bulle
Sixtus' V. über die Vulgata- Ausgabe bewirkte (s. o. S. 143. Th. Lit.-Bl. 1870,
413. Laemmer, Melet. Rom. Mant.^p. 383) und gegen die Bulle Johanns
XXII. Quia vir reprobus (über den Armuthstreit der Franciscaner) scharf
polemisirt (Laemmer p. 69). F*ohschammer, Das Christenthum u. s. w. S. 29,
sagt ganz richtig: „Es ist bemerkenswerth, dass die römisch-scholastische
Partei da, wo es sich um offenbare Fehlgriffe der Congregationen handelt,
behauptet, diese seien nicht die kirchliche Autorität, wenn es dagegen gilt,
einen katholischen Schriftsteller der Gegenwart zu misshandeln, dann einen
Unterschied zwischen Kirche, Papst und Congregationen durchaus nicht
gelten lässt und schon darin ein Zeichen von schlechter oder unkirchlicher
Gesinnung erblickt, wenn Jemand auf diesen Unterschied sich beruft."
Die päpstliche Unfehlbarkeit. 45 1
worin die Copernicanische Lehre als wahr vorgetragen
wird, ausdrücklich für zulässig erklärt. Ich glaube, gegen
die Folgerungen, die ein ungenannter englischer Katholik1)
aus diesen Thatsachen zieht, lässt sich nichts einwenden:
„1. Rom, d. h. eine im Auftrage des Papstes han-
delnde Congregation, kann eine naturwissenschaftlich falsche
und theologisch irrige Entscheidung erlassen.
,,2. Wenn der Kirche kundgethan wird, der Papst
habe einem Katholiken befohlen, eine Meinung als unhalt-
bar gänzlich aufzugeben, so folgt daraus nicht, dass diese
Meinung nicht wahr und richtig sein könne.
„3. Der Papst kann einen Katholiken auffordern,
einem Urtheile rückhaltlos zuzustimmen, welches dogmatisch
irrig ist.
„4. Der Papst kann einer päpstlichen Congregation
befehlen, etwas als Bestandtheil der Lehre der h. katholi-
schen und apostolischen Römischen Kirche zu promulgiren,
was naturwissenschaftlich falsch und dogmatisch irrig ist.
„5. Die richtige Auslegung der von Christus dem
Petrus gegebenen Verheissung gestattet uns, zu sagen: der
Papst kann durch einen amtlichen Act seine Brüder, die
Cardinäle, in einem die Glaubenssachen berührenden Irrthum
bestärken und seine päpstliche Autorität dazu anwenden,
der Kirche eine falsche Meinung betreffs der h. Schrift
vorzutragen.
„6. Es gereicht nicht immer zum Heile der Kirche,
dass die Katholiken wi^ Rom denken, selbst da, wo es sich
um dogmatische Fragen handelt.
„Also ist die ultramontane Theorie ebenso sicher falsch,
als es wahr ist, dass die Erde sich bewegt."
1) Pont. Decrees p. 55. Vgl. Th. Lit.-Bl. 1870, 813.
452 Die Entschuldigungen für die Rom. Decrete.
XXXIX.
Die Versuche, die Verdammung der Copernicanischen
Lehre zu entschuldigen.
Bouix gesteht (p. 225. 228) offen ein: „Die Index-Con-
gregation hat sich geirrt, als sie im J. 16 16 die Copernica-
nische Lehre für falsch und der h. Schrift widersprechend
erklärte, und das h. Officium hat unrecht daran gethan,
wegen dieser Meinung Galilei zu verurtheilen und ihn zur
Abschwörung derselben anzuhalten", und Grisar bezeichnet
es S. 71 als „thatsächlich unleugbar, dass die Römischen
Tribunale gegenüber Galilei und seiner Lehrmeinung eine
Bibelauslegung vertraten, welche jetzt allgemein als unrich-
tig bezeichnet wird." Andere Apologeten der Curie halten
diese Concession für zu weit gehend und sagen: „Die Con-
gregationen mussten an der Regel festhalten: die Bibel ist
nach dem einstimmigen Consens der Väter wörtlich zu er-
klären, so lange der Beweis für das Gegentheil nicht er-
bracht ist. Letzterer Fall war (zur Zeit Galilei' s) noch nicht
gegeben", da die Copernicanische Lehre noch nicht erwie-
sen war; also mussten die Congregationen die dem einstim-
migen Consens der Väter entsprechende wörtliche Erklärung
der betreffenden Bibelstellen aufrecht erhalten1).
Die Römischen Behörden hatten sich einfach an die
von dem Trienter Concil aufgestellte Regel zu halten, dass
in' Sachen des Glaubens und der Sitten die h. Schrift ge-
mäss dem einstimmigen Consens der Kirchenväter zu erklä-
ren sei und dass, sofern es sich um Sachen des Glaubens
und der Sitten handelt, „die Kirche über den wahren Sinn
und die Auslegung der h. Schrift zu urtheilen" habe. Da
nun die Bewegung der Erde nicht zu den Glaubenssachen
gehört, so ist für die Entscheidung der Frage, ob die
anscheinend von dem Stillstehen der Erde und der Bewe-
1) Hergenröther, Kirchengesch. II, 488. Civiltä catt. S. 9, vol. 10 (1876),
p. 444. Scheeben, Dogm. I, 189. 255.
Die Entschuldigungen für die Rom. Decrete. 453
gung der Sonne redenden Bibelstellen ,, wörtlich" zu erklä-
ren sind, der Consens der Kirchenväter nicht massgebend,
und eine kirchliche Behörde zur Entscheidung dieser Frage
ebenso wenig competent wie zur Entscheidung der Frage,
ob die Copernicanische Theorie wissenschaftlich richtig
ist oder nicht. Die Römischen Behörden haben also ihre
Competenz überschritten, als sie über die Richtigkeit der
Copernicanischen Lehre und ihre Vereinbarkeit mit der
Bibel entschieden, und thatsächlich geirrt, als sie dieselbe
für falsch und der h. Schrift widersprechend erklärten.
Wenn die Civiltä cattolica von einem „weisen Gesetze"
vSpricht: ,,die h. Schrift sei nach dem einstimmigen Consens
der Väter zu erklären, falls nicht eine demselben wider-
sprechende Erklärung als richtig erwiesen sei", so steht
dieses angebliche „Gesetz" in directem Widerspruch mit dem
Trienter Concil: dieses hat gar nicht daran gedacht, dass
eine dem einstimmigen Consens der Väter widersprechende
Erklärung, so weit es jenen Consens überhaupt als mass-
gebend ansieht, jemals als richtig erwiesen werden könnte.
Aber, meint Scheeben S. 189, „die Leugnung der Be-
wegung der Sonne um die Erde konnte, obschon sie wegen
der Natur des Gegenstandes nicht durch dogmatische Er-
klärung der h. Schrift pro oder contra entschieden werden
kann, gleichwohl vor Zeiten [161 6] einen Verstoss gegen
das Dogma involviren, inwiefern sie entweder von der aus-
drücklichen Behauptung, die h. Schrift sei in den einschlä-
gigen Stellen falsch, begleitet war, oder aber, so lange
eine vom eigentlichen Sinne abweichende Erklärung der
h. Schrift nicht hinlänglich gerechtfertigt war, logischer
Weise nur durch Leugnung der Wahrheit der h. Schrift
gerechtfertigt werden konnte." Die „Behauptung, die h.
Schrift sei in den einschlägigen Stellen falsch", hat weder
Galilei noch Foscarini noch ein anderer der hier in Betracht
kommenden Schriftsteller aufgestellt; vielmehr waren sie
alle von der „Leugnung der Wahrheit der h. Schrift" gerade
so weit entfernt wie die Qualificatoren und Cardinäle der
Inquisition, und aus ihrer „von dem eigentlichen Sinne",
d. h. von der herkömmlichen buchstäblichen Deutung ab-
weichenden Erklärung der einschlägigen Bibelstellen konnte
die „Leugnung der Wahrheit der h. Schrift logischer Weise"
nur unter der Voraussetzung gefolgert werden, dass die
454 Die Entschuldigungen für die Rom. Decrete.
herkömmliche Deutung wirklich die einzig zulässige war.
Diese Voraussetzung war aber nicht nur unberechtigt, son-
dern das Gegentheil der Wahrheit. Mithin haben wirklich,
wie Grisar sagt, „die Römischen Tribunale gegenüber Ga-
lilei und seiner Lehrmeinung eine Bibelauslegung vertreten,
welche jetzt allgemein (und mit Recht) als unrichtig be-
zeichnet wird."
Alle Versuche, die Irrthümlichkeit der Entscheidung
der Römischen Behörden abzuschwächen, sind erfolglos.
Erklären lässt es sich freilich, wie sie damals zu dieser irr-
thümlichen Entscheidung" gekommen sind; aber was sich
zur Erklärung dieser Thatsache sagen lässt, gereicht den
Päpsten und ihren Congregationen nicht einmal zur Ent-
schuldigung.
Das einzig Richtige wäre, wie Martin1) sagt, unter
den damaligen Verhältnissen für die kirchliche Autorität
gewesen, „entweder sich jeder Erklärung zu enthalten, die
Denunciationen auf sich beruhen und der Discussion freien
Lauf zu lassen, so lange nicht einer der Streitenden wirk-
lich einen glaub ens widrigen Satz aussprach, oder nicht
allein den Copernicanern, die sich auf dem theologischen Ge-
biete rein defensiv verhielten, sondern auch und vor allem den
Peripatetikern, welche, auf einem andern Gebiete geschlagen,
auf dem theologischen angreifend auftraten, die Einmischung
von Bibelstellen und theologischen Argumenten in ihre
wissenschaftlichen Controversen zu untersagen, letzteren
aber freien Lauf zu lassen." Zu einem dieser beiden Schritte
hätte man sich in Rom damals sehr wohl entschliessen kön-
nen, wenn man ruhig und unbefangen überlegt hätte, und
es ist eine sehr starke Uebertreibung, wenn Grisar S. 720
sagt: „Die Congregationen standen unter derartigen Um-
ständen vor der zu fällenden Entscheidung, dass es moralisch
genommen einer an das Wunderbare grenzenden höhern
Dazwischenkunft bedurft hätte, um ein anderes Resultat ihrer
Erwägungen als das bekannte herbeizuführen. Der Herr der
Kirche weiss, warum er diese Lage zuliess. Er weiss auch,
warum er zur Fernhaltung des Irrthums damals nicht die
Hand ausstreckte, deren Eingreifen in allen und jeden Fäl-
len nur dem ex cathedra lehrenden Oberhaupte gesichert
1) Galilee p. 154.
Die Entschuldigungen für die Rom. Decrete. 455
ist." Es ist eine ebenso starke Uebertreibung, wenn Grisar
sagt: „Angesichts der damaligen profanen Wissenschaft
war der in dem Decrete von 16 16 begangene Irrthum ein
fast unausweichlicher." Freilich war das Copernicanische
System damals noch nicht als richtig erwiesen, und Grisar
kann eine lange Reihe von Zeitgenossen Galilei's aufzählen,
die es bestritten, — zumal ihm selbst Leute wie Inchofer
und Pasqualigo gut genug sind, die Reihe länger zu
machen; — aber es ist doch eine handgreifliche Uebertrei-
bung, wenn er von einer „allgemeinen Uebereinstimmung
der weltlichen Gelehrten" und von einem „Consensus der
damaligen Wissenschaft" zu Ungunsten der Copernicanischen
Theorie spricht; diese war, wie Martin sagt, „damals bereits
beinahe erwiesen und wurde bald darauf vollständig erwie-
sen." Dass die Römischen Congregationen auf „den vom
Auslande her ihnen entgegentönenden Ruf der Gelehrten",
d. h. auf die geringschätzigen Bemerkungen von Justus
Lipsius, Scaliger, Tycho de Brahe und vollends Melanchthon
über die Copernicanische Lehre, Gewicht gelegt haben
sollten, glaubt doch wohl Grisar selbst nicht. Und wenn
Galilei und seine Freunde „sich nicht mit der Befürwortung
des neuen Himmelssystems begnügten, sondern auf breitester
Linie die ältere philosophische Wissenschaft bekämpften",
so gab es ja, wie Grisar selbst — in der hier eingeschalte-
ten Apologie des Aristotelismus und der Scholastik S. J2J
— sagt, „eine Bekämpfung des Aristoteles schon vor Ga-
lilei, die kaum eine Grenze anerkennen wollte". Warum
Hess man nicht die Aristoteliker für ihren Meister kämpfen,
und wenn die Curie ihnen zu Hülfe kommen zu müssen
glaubte, warum trat sie Galilei gegenüber, ohne seine und
seiner Freunde Angriffe auf die „Philosophie der Vorzeit"
überhaupt zu berücksichtigen, gerade für deren „irrthümliches
Himmelssystem" ein, zumal wenn „man ein recht guter
Aristoteliker sein und doch das Copernicanische System
als hinreichend verbürgt betrachten kann und konnte"
(S. 726)?
Die Römischen Congregationen hätten die Entschei-
dung über den wissenschaftlichen oder, wie man damals
sagte, philosophischen Werth der Copernicanischen Theorie
von vorn herein als gar nicht zu ihrer Competenz gehörend
ablehnen müssen. Statt dessen Hessen sie dieselbe durch
456 Die Entschuldigungen für die Rom. Decrete.
ihre Qualiücatoren für „philosophisch thöricht und absurd"
erklären und erklärten sie dann selbst amtlich mit Zustim-
mung des Papstes für „falsch", was sie, wie wir S. 120 ge-
sehen, aller Wahrscheinlichkeit nach als wissenschaftlich
unrichtig bezeichnen soll.
Die kirchliche Autorität durfte sich mit der Coperni-
canischen Theorie überhaupt nur befassen, um die Frage zu
entscheiden, ob dieselbe einer anerkannten kirchlichen Glau-
benslehre oder der h. Schrift widerspreche. Wenn sie nun die
letztere Frage bejahte und die Theorie für. „der h. Schrift
durchaus widersprechend" erklärte, so war das nicht nur,
wie Niemand bestreiten kann, ein Irrthum, sondern auch
ein Irrthum, der damals nichts weniger als „unausweichlich''
war, vielmehr gewiss vermieden worden wäre, wenn nicht
die Gegner Galilei's, wie Martin richtig sagt, auf einem
andern Gebiete geschlagen, die Copernicanische Lehre auf
dem theologischen Gebiete durch das Herbeiziehen von
Bibelstellen als verwerflich darzustellen versucht hätten.
Die Censur „der h. Schrift widersprechend" wird von
den Qualificatoren erläutert durch „vielen Stellen der h.
Schrift nach ihrem Wortlaute und nach der gemeinen Aus-
legung der h. Väter und der Theologen widersprechend".
Den Irrthum, der hierin liegt, hebt Grisar S. 729 ganz gut
hervor: die Theologen und die Congregationen gingen von
der Voraussetzung aus, „die unbezweifelte Annahme des
Ptolemäischen Weltsystems in den theologischen Schriften
und Bibelcommentaren der Väter, sowie die hieran an-
schliessende gewohnheitsmässige Exegese bis auf ihre Zeit
involvire einen theologischen Consensus im Sinne des
Concils von Trient. Aus diesem Grunde glaubte man sich
genöthigt, die betreffenden Bibelstellen wörtlich zu nehmen
und insofern eine Belehrung über das Weltsystem darin zu
finden. Eine traditionelle Uebereinstimmung in der Kirche
von jenem theologischen Charakter, wie sie der Triden-
tinische Kanon als Norm der katholischen Bibelauslegung
hinstellt, war aber niemals vorhanden", und die Theologen
des 16. und 17. Jahrhunderts, welche der Copernicanischen
Lehre gegenüber auf der buchstäblichen Deutung der be-
treffenden Bibelstellen bestanden, nahmen dabei, wie Grisar
S. 731 gut nachweist, „ihren Ausgang rein von den profan-
wissenschaftlichen Einwürfen und lehnten sich erst in der
Die Entschuldigungen für die Rom. Decrete. 457
Folge an den vermeintlichen theologischen Consensus patrum
und an verkehrt angewendete hermeneutische Regeln an."
Man kann nicht zur Entschuldigung der Curie sagen,
die hier anzuwendenden Grundsätze der Schriftauslegung
seien damals noch nicht hinlänglich klar gestellt und die
Möglichkeit einer von der buchstäblichen Auslegung- ab-
weichenden Deutung der betreffenden Bibelstellen sei noch
nicht nachgewiesen gewesen. Wir haben gesehen, dass
Galilei selbst, obschon kein Theologe, jene Grundsätze im
Wesentlichen richtig dargestellt und seine Auslegung der
Bibelstellen als eine theologisch unbedenkliche nachgewiesen
hatte. Diese seine Erörterungen waren zwar nicht gedruckt;
aber seine Briefe an Castelli und an die Grossherzogin
Christina waren mehreren Cardinälen und Theologen be-
kannt, und er hatte bei seinem Aufenthalte in Rom 1615 — 16
in mündlichen und schriftlichen Expositionen massgebenden
Persönlichkeiten seine Gedanken vorgetragen. Hätte man
diese Darlegungen unbefangen geprüft, so wäre die irrige
Entscheidung, die im J. 16 16 getroffen, 1633 in so unquali-
ficirbarer Weise bestätigt und dann fast zwei Jahrhunderte
aufrecht erhalten wurde, vermieden worden. Die hermeneu-
tischen Grundsätze, welche Galilei entwickelte, konnten
auch nicht etwa darum, weil sie neu gewesen, bedenklich
erscheinen. Man las, wie Grisar S. 735 richtig bemerkt,
auch in der Summa des Thomas von Aquin wie schon bei
Augustinus „die Warnung, nicht etwa einer einseitigen
voreingenommenen Auslegung des materiellen Wortes Got-
tes so anzuhangen, dass die Schrift dem Gespötte der Un-
gläubigen ausgesetzt wäre, wenn das in sie Hineingelegte
sich als falsch und wissenschaftlich unhaltbar herausstellen
würde". Es ist auffallend, dass ein so klarer Kopf wie
Bellarmin den bedenklichen Grundsatz ausprach : so lange es
noch an durchschlagenden Beweisen für das Copernicanische
System fehle, sei es nicht nothwendig und nicht zulässig,
von dem bisherigen wörtlichen Verständniss der Bibeltexte
abzugehen. Eine ganz ähnliche Aeusserung- führt Grisar
S. 74 von dem P. Scheiner an, und fügt dann ganz naiv bei:
„Gerade so — wie P. Scheiner — sprachen die Congrega-
tionen." Und als besonders wichtig führt an einer andern
Stelle S. 705 Grisar einen Ausspruch des Jesuiten Honora-
tus Fabri vom J. 1661 an: „Euere Koryphäen sind mehr als
45^ Die Entschuldigungen für die Rom. Decrete.
einmal gefragt worden, ob sie einen Beweis für die Bewe-
gung der Erde hätten. Sie haben nie gewagt, das zu be-
haupten. Es steht also nichts im Wege, dass die Kirche
jene Stellen buchstäblich verstehe und erkläre, sie müssten
so verstanden werden, so lange nicht ein zwingender Beweis
für das Gegentheil beigebracht ist. Solltet ihr jemals einen
solchen beibringen, was ich kaum glaube, so wird die Kirche
kein Bedenken tragen, zu erklären, jene Stellen seien figür-
lich und uneigentlich zu verstehen, wie jene Worte des
Dichters: Terraeque urbesque recedunt"*). Die Jesuiten
mögen für ihre Bibelerklärung die Regel aufstellen, es sei
an der herkömmlichen buchstäblichen Deutung der von
Dingen der Natur redenden Bibelstellen festzuhalten, so
lange diese Deutung nicht mit ganz unzweifelhaft gesicher-
ten Ergebnissen der Naturforschung in einen gar nicht zu
beseitigenden Conflict komme, — wie Grisar, so preisen
auch die Patres Schneemann S. 258 und Desjardins p. 41
diese Regel Bellarmins, und neuere Jesuiten wenden sie
auch praktisch an2): — jedenfalls haben diejenigen der
1) Ueber Fabri s. o. S. 438. Aehnlich äussert sich der polnische
Jesuit Kochanski (Grisar S. 736) in den Leipziger Acta eruditonim 1685,
p. 317: Die Inquisition habe nur verboten, die Copernicanische Meinung als
eine „dogmatische Thesis" anzusehen und „als reine Wahrheit überall zu
predigen", während sie doch nur auf „Probabilität" Anspruch machen könne.
Wenn einmal ein zwingender Beweis dafür beigebracht werde, — und einen
solchen zu suchen, stehe Jedem frei, — dann werde es erlaubt und noth-
wendig sein, die betreffenden Bibelstellen anders zu erklären. Bei Targioni
I, 332 erscheint übrigens Kochanski, der 1667 — 70 in Florenz lebte, als
entschiedener Anticopernicaner, so dass es fast scheint, als habe er sich in
Leipzig liberaler geäussert als in Italien. Der Jesuit Boscovich sagt in einer
Schrift, die er 1746 zu Rom geschrieben: er halte „aus Ehrfurcht vor der
h. Schrift und aus Gehorsam gegen die Decrete der Inquisition" die Unbe-
weglichkeit der Erde fest und lege die Bewegung der Erde nur als Hypo-
these zu Grunde. In der 1786 zu Venedig erschienenen Ausgabe desselben
Werkes fügt er dieser Stelle die Note bei: „Der Leser darf hier Ort und
Zeitpunkt der ersten Veröffentlichung nicht ausser Acht lassen". Zöckler,
Gesch. der Beziehungen u. s. w. II, 44. 247.
2) Der Jesuit A. Bosizio gibt in dem 1865 erschienenen Buche „Das
Hexaemeron und die Geologie" „die Möglichkeit einer Auslegung der sechs
Tage der Schöpfung in einem andern als im gewöhnlichen Sinne des Wortes
Tag" ausdrücklich zu, meint aber dann, man dürfe „vom einfach vorliegen-
den Sinne des h. Textes [d. h. der buchstäblichen Auffassung der sechs Tage]
nur dann und erst dann und nur insofern abgehen, als die Geologie ihre
Die Entschuldigungen für die Rom. Decrete. 459
„Kirche" einen ebenso schlechten Dienst erwiesen wie der
Wissenschaft, welche die Römischen Behörden bestimmt
haben, eine naturwissenschaftliche Ansicht als falsch und
der Bibel widersprechend zu ächten, von welcher später er-
wiesen worden ist, dass sie weder falsch ist noch der Bibel
widerspricht.
Was sonst noch die Apologeten der Curie zur Ent-
schuldigung- derjenigen vorzubringen pflegen, welche das
Copernicanische System für falsch und sehr ift widrig erklär-
ten und Galilei als Anhänger desselben als der Ketzerei
verdächtig verurtheilten, fasst Grisar S. 733 so zusammen:
„Es war das erste Mal, dass die kühn und keck aufstre-
bende Erfahrungswissenschaft den Theologen eine Position
rauben wollte. Die Theologen erklärten im Eifer des Con-
flicts dieselbe immer lebhafter als die ihrige. Sie waren
gewohnt, das Wort Gottes allenthalben die unbedingte Ent-
scheidung geben zu lassen; die letzten Zeiten insbesondere
hatten überall die Theologie in die Verhandlungen über die
Wissenschaft hineingezogen, vielleicht [!] in etwas zu aus-
giebiger, missverstandener Weise; und jetzt schien die ernste
Frage heranzutreten: darf sich die weltliche Wissenschaft
emaneipiren in einem so wichtigen Punkte, und was ist zu
fürchten, wenn man ihr einmal hier sich auf eigene Füsse
zu stellen erlaubt? l). Bereiteten nicht eben damals der Hu-
geogonischen Lehrsätze, welche mit dem klar vorliegenden "Wortsinne der
Schrift unvereinbarlich scheinen, durch evident unleugbare Gründe als wahr
bezeugt haben werde; so lange das noch nicht der Fall sei, könne und
brauche man nicht vom einfach vorliegenden Sinne abzugehen." Vgl. Reusch,
Bibel und Natur, 4. Aufl. S. II 8.
1) Sehr naiv sagt Caramuel in seiner 1676 erschienenen Theologia
fundamentalis I, 105 (bei Bouix p. 130): „Wenn es sich bloss um die
fälschlich der Erde zugeschriebene Bewegung handelte, so würden sich die
Herren Cardinäle, glaube ich, nicht viel Sorge gemacht haben. Das war eine
physicalische Ansicht, die man zwei Jahrhunderte geduldet hatte, so lange
sie innerhalb der Schranken der Philosophie blieb. Aber in unserm Jahr-
hundert wollten die Schuster nicht bei ihrem Leisten, die Astronomen nicht
bei der Arithmetik und Geometrie bleiben und die Stellen der h. Schrift,
welche die Erde eher feststellen als in Bewegung setzen, nach ihrem Sinne
erklären. Und weil das Heilige nicht mit ungewaschenen Händen angefasst
werden darf, hat man die Astronomen getadelt, welche so verwegen waren,
ihre Sichel an eine fremde Ernte anzulegen. Die h. Schrift mit Probabilität
auszulegen, steht den Professoren der h. Theologie, sie mit Unfehlbarkeit
auszulegen, dem Papste zu."
460 Die Entschuldigungen für die Rom. Decrete.
manismus und der Protestantismus einer sogenannten freien
Forschung ihre verderblichen Wege? Griffen nicht die an-
geblichen Reformatoren, unter Einführung eines willkür-
lichen Verständnisses von Bibeltexten an der Stelle des
wörtlichen, die Grunddogmen der katholischen Kirche an?1)
Vertrat nicht selbst Galilei in dem Kampfe für seine neue
Bibelauslegung Sätze, die, wenn einigermassen premirt,
jeden Katholiken mit Besorgniss für die begründeten Rechte
der kirchlichen Autorität gegenüber der Wissenschaft er-
füllen mussten?2). Es war bekannt, dass er mit dem Apo-
staten Sarpi und mit deutschen Protestanten verkehrte, und
dieser Verkehr trug, was den erstem betrifft, den Stempel
enger Freundschaft. Man lebte in Italien unter dem Ein-
drucke der Furcht vor dem Weitergreifen der Verirrungen
gelehrter einheimischer Männer wie Giordano Bruno, Vanini,
Campanella, de Dominis, und man vermochte nicht abzu-
sehen, ob nicht die Copernicanische Weltansicht den Um-
schwung der Geister durch daraus möglicher Weise abzulei-
tende Consequenzen, wie z. B. die schon von Bruno ausge-
sprochene Vielheit bewohnter Welten, in noch gefährlichem
Gang bringen werde."
1) Caramuel sagt a. a. O.: „Die Bewegung der Erde wird jetzt sehr
eifrig von den Calvinisten vertheidigt, und warum? Etwa um dem Himmel
und den Gestirnen Ruhe zuschreiben zu können? Gewiss nicht; denn die
Calvinisten haben nichts mit dem Himmel gemein. Warum also ? Sie wollen
einen Damm aufwerfen, um darauf ihre Kriegsmaschinen zur Bekämpfung der
christlichen Glaubensartikel aufzustellen. Sie könnten sagen: »Die Lehre
des Copernicus von der Bewegung der Erde lässt die Römische Kirche zu;
also lässt' sie eine metaphorische und uneigentliche Deutung der h. Schrift
zu; also dürfen auch wir die Bibel so deuten . . . und z. B. die Consecra-
tionsworte metaphorisch erklären und die Transsubstantiation leugnen« . . .
Wir müssen der Congregation der Cardinäle dafür dankbar sein, dass sie
uns durch die Verdammung der Lehre des Copernicus die Antwort auf dieses
Argument leicht gemacht haben."
2) Grisar citirt hier „Berti, Copernico 314". Man sollte denken, dort
müssten sehr bedenkliche Sätze von Galilei stehen. Berti theilt aber nur
aus einem der 161 6 verfassten, gar nicht veröffentlichten Schriftstücke (s. o.
S. 102) einen Passus mit, worin Galilei die Frage erörtert: ob man bei der
Beurtheilung der Copernicanischen Theorie mit den Bibelstellen oder mit
den naturwissenschaftlichen Argumenten beginnen müsse, und, wie auch bei
anderen Gelegenheiten (s. o. S. 39. 45. 59), antwortet: es sei weiser, sicherer
und logischer, den Thatsachen und den Demonstrationen den Vortritt einzu-
räumen vor den Bibelstellen und den Auslegungen der Väter.
Die Entschuldigungen für die Rom. Decrete. 461
Deutlicher kann man es nicht sagen, dass es wesent-
liche Zweckmässigkeitsgründe verschiedener Art gewesen
sind, durch welche man sich damals in Rom hat bestimmen
lassen, in der förmlichsten und nachdrücklichsten Weise das
Fürwahrhalten und Vortragen einer Ansicht zu verbieten,
welche nicht irrig, sondern richtig war, und von der man
sich bei vorurtheilsfreier Prüfung hätte überzeugen können,
dass man nicht berechtigt sei, sie als falsch und der h.
Schrift widersprechend zu verdammen. Und man be-
schränkte sich, — was wohl zu beachten, — nicht auf ein
durch Zweckmässigkeitsgründe allenfalls zu motivirendes
Verbot, die Copernicanische Lehre in gedruckten Schriften
zu vertheidigen, — ein Verbot, welches ohne Schwierigkeit
aus Zweckmässigkeitsgründen auch wieder aufgehoben wer-
den konnte, — sondern erliess ein doctrinelles und darum als
unwiderruflich gemeintes Decret, welches allen Katholiken
die Verpflichtung auflegte, jene Lehre als eine der h. Schrift
widersprechende anzusehen und die von Copernicus be-
kämpfte astronomische Theorie, wenn nicht als einen Be-
standteil der göttlichen Offenbarung und der kirchlichen
Glaubenslehre, so doch als eine nothwendige Folgerung aus
dieser gläubig anzunehmen. Warum ist man bei dem Streite
über die Copernicanische Lehre nicht mit einer ähnlichen
Bedachtsamkeit und Vorsicht vorgegangen, wie bei einem
Streite, bei welchem es sich wirklich um eine theologische
Frage handelte, bei dem Streite über die Gnadenlehre, be-
züglich dessen, nachdem seit 1594 darüber verhandelt wor-
den war, Paul V. im J. 1607 den Befehl erliess, die beiden
streitenden Theile sollten die Untersuchung in Ruhe führen,
sich nicht gegenseitig mit Censuren belegen und die be-
treffenden Schriften vor dem Druck der Inquisition unter-
breiten? Grisar S. 736 weiss auf die Frage, warum man
unter dem nämlichen Pontificate in dem Galilei'schen Streite
nicht dieses „Vorbild" nachgeahmt, keine andere Antwort
als: „In unserm Falle versprach ein solches Gebot doch
nur eine sehr fragliche Wirkung; man schlug andere Wege
ein": nachdem die Inquisition seit dem Febr. 161 5 Denun-
ciationen gegen Galilei in Händen gehabt und einige Ver-
höre angestellt, bei denen nichts Sonderliches herauskam,
wurde am 19. Febr. 1616 die Copernicanische Lehre ihren
Qualificatoren vorgelegt; diese waren am 24. desselben
462 Die Entschuldigungen für die Rom. Decrete.
Monats mit ihrem Gutachten fertig, und am nächstfolgenden
Tage wurde die Sache in einer Sitzung der Inquisition unter
dem Vorsitze Pauls V. entschieden; und im J. 1633 haben,
wie wir gesehen, Urban VIII. und die Inquisition ihr Mög-
lichstes gethan, die im J. 16 16 getroffene irrige Entscheidung
zur Geltung zu bringen.
Wenn die jetzigen Apologeten der Curie uns belehren,
jene Entscheidung sei keine definitive und peremtorische und
keine solche gewesen, welche auf Unfehlbarkeit Anspruch
gemacht habe, so haben die Römischen Behörden zu Ga-
lilei's Zeit jedenfalls unbedingte Unterwerfung unter sie ver-
langt und Jeden, der ihr widersprechen würde, mit einem
ähnlichen Schicksal bedroht, wie es Galilei betroffen.
Es ist zwar richtig, was Grisar S. 698 sagt, dass, wenn
die Entscheidung über die Copernicanische Lehre als eine
Entscheidung des Papstes, des h. Stuhles oder der Kirche
bezeichnet wird, dieses nicht im eigentlichen Sinne ver-
standen zu werden braucht und von der Entscheidung eines
Organes des Papstes, des h. Stuhles und der Kirche verstanden
werden kann !), und dass der Ausdruck „definiren", der jetzt
gewöhnlich von peremtorischen Erklärungen über Glaubens-
sachen gebraucht wird, auch von Entscheidungen päpstlicher
Congregationen gebraucht wird und darum auch z. B. in
dem Urtheil über Galilei, wo gesagt wird, die Copernicani-
sche Lehre sei als schriftwidrig erklärt und definirt worden,
nicht von einer Definition ex cathedra verstanden zu werden
braucht. Aber in praxi hat man zur Zeit Galilei' s in mass-
gebenden Kreisen zwischen definitiven Lehrentscheidungen
der Kirche und Erlassen der höchsten kirchlichen Behörden
nicht so genau unterschieden und, wie gesagt, für letztere
dieselbe Anerkennung und Unterwerfung beansprucht wie
für erstere.
Pasqualone sagt im Sacro Arsenale p. 174: Wenn ein
Angeklagter gegen die von den Qualificatoren der Inquisition
über die von ihm geäusserten Sätze ausgesprochene Censur
Einreden mache, so sei ihm zu antworten: solche Einreden
seien nicht zulässig, „da er verpflichtet sei, in dieser Hin-
1) Der Jurist Julius Clarus spricht p. 368 von einer Entscheidung des
Römischen Gerichtshofes der Rota und sagt : er halte dieselbe für zu rigoros,
unterwerfe sich aber der „Entscheidung der h. Kirche".
Die Entschuldigungen für die Rom. Decrete. 463
sieht sich auf das Urtheil der h. Mutter Kirche zu verlassen
und sein Urtheil durchaus (in tutto e per tutto) deren Ent-
scheidungen zu unterwerfen." Diese naive Anschauung, dass
das Urtheil einiger von der Inquisition berufener Theologen
das Urtheil der Kirche sei, wird auch wohl damals nicht
die allgemeine gewesen sein; auch die Worte des toscani-
schen Gesandten Niccolini: Galilei müsse sich der Inquisition
unterwerfen „als dem höchsten Tribunale, welches nicht
irren kann" J), sind wohl ebenso wenig zu urgiren, wie die
seines Vorgängers Guicciardini, der nach der Entscheidung
von 16 16 die Erwartung ausspricht: „Galilei werde wollen
und denken, was die h. Kirche wolle und denke, und der
Cardinal Medici werde sich als guter Geistlicher vor dem
Scheine hüten, als opponire er den Entscheidungen der h.
Kirche und dem Willen des Papstes und der Congregation
des h. Officiums, welche das Fundament und die Basis der
Religion sei" (s. o. S. 105). Aber in dem Urtheil der In-
quisition vom 22. Juni 1633 wird doch mit ausdrücklichen
Worten gesagt: das Index-Decret vom J. 1616 sei ergangen,
„damit eine so verderbliche Lehre (die Copernicanische)
ganz beseitigt werde und sich nicht weiter verbreiten
könne"; nach dieser Entscheidung dürfe jene Lehre in kei-
ner Weise mehr als probabel angesehen werden; wer sie
für wahr halte und vertheidige, sei als Ketzer anzusehen,
und Galilei werde bestraft auch „zum Beispiel für Andere,
damit sie sich vor ähnlichen Vergehen hüteten". Dem ent-
sprechend wurde das Urtheil auch an anderen Orten spe-
ciell den Professoren der Philosophie und Mathematik zur
Kenntniss gebracht, damit sie, wie es in dem Schreiben des
Cardinal-Secretärs des h. Officiums heisst, „wüssten, wie
mit Galilei verfahren worden, und daraus die Schwere des
von ihm begangenen Irrthums erkannten und sich vor der
Strafe hüten möchten, die sie, wenn sie in denselben Irrthum
fielen, zu erleiden haben würden."
Grisar führt zwar S. 705 „einige Urtheile competenter
Männer" an, welche schon im 17. Jahrhundert „geradezu
die Widerruflichkeit des Decretes über die neue Weltlehre
ausgesprochen". Neben dem Jesuiten Fabri (s. o. S. 457)
nennt er zunächst den Bischof Caramuel (1651), aber mit
1) IX, 305 (23. Oct. 1632); s. o. S. 253.
4^4 Die Entschuldigungen für die Rom. Decrete.
Unrecht; denn dieser spricht, — Grisar citirt seine Aeusse-
rung unvollständig1), — die Ueberzeugung aus, ohne ein
Wunder werde man keinen Beweis für die Bewegung der
Erde beibringen können, sagt dann allerdings: wenn dieser
als unmöglich anzusehende Fall eintreten sollte, dann würde
allerdings nach menschlichem Ermessen für die Cardinäle
ein Grund vorliegen, eine uneigentliche Deutung von Jos.
10, 12 zw gestatten, wiederholt dann aber, er behaupte, ein
solcher Beweis sei unmöglich, und die Annahme, er werde
geliefert werden, führe zu absurden Consequenzen. Dass
Descartes und die französischen Naturforscher Sarlat und
Auzout, auf die sich Grisar noch beruft2), den Wunsch und
die Hoffnung ausgesprochen, die gewiss viele katholische
Gelehrte hegten, die Römischen Decrete gegen die Coperni-.
canische Lehre möchten rückgängig gemacht werden, ist
gar nichts Bemerkenswerthes und ganz ohne Bedeutung für
die Frage, ob man in massgebenden Kreisen im 17. Jahr-
hundert an die Möglichkeit einer Zurücknahme, wie sie im
J. 1822 stattgefunden, gedacht und es für zulässig gehalten,
auf eine solche hinzuarbeiten.
Wenn einige Apologeten der Curie auf die Thatsache hin-
weisen, dass „die Stellung, welche die Kirche dem Copernica-
nischen System gegenüber eingenommen, dessen Verbreitung
keinen Eintrag gethan und der weitern Begründung desselben
nicht im geringsten geschadet"3), so ist das mehr als naiv.
Magna est veritas et praevalet; wenn aber die Wahrheit der
Copernicanischen Lehre schliesslich selbst in Rom zur An-
erkennung gelangt ist, so ist dieses das Verdienst derjenigen,
die dasselbe gethan, wofür Galilei von der Inquisition ver-
urtheilt worden. Es ist ebenso naiv, wenn man sagt: „Konnte
man zur Zeit Galilei's das Copernicanische System als Hypo-
these vertheidigen, so war noch nichts geschehen, was des-
sen Annahme und damit den Fortschritten der Astronomie
1) Sie steht vollständig bei Bouix pt 132.
2) Dass er den Erzbischof Piccolomini mit Unrecht hieher zieht, wurde
schon oben S. 385 gezeigt.
3) Hist.-pol. Bl. 56, 437. Schneemann S. 263. 401. — S. 402 wagt
Schneemann zu sagen: „Die Gegner denken viel zu gering von der Wissen-
schaft, wenn sie behaupten, dass ihr Fortschritt durch eine solche Massregel
gehindert werden könnte. "
Die Entschuldigungen für die Rom. Decrete. 465
hinderlich sein musste," mehr als naiv, wenn Ward1) be-
hauptet, die katholischen Astronomen hätten auch nach den
Entscheidungen von 1616 und 1633 unbedenklich alle zu
Gunsten der Copernicanischen Theorie sprechenden Argu-
mente in das hellste Licht stellen und sagen dürfen, die
Theorie sei „wissenschaftlich betrachtet wahrscheinlich in
dem höchsten möglichen Grade", nur nicht, sie sei unwider-
sprechlich erwiesen. Diese Behauptung steht im geraden
Gegensatze zu der Erklärung der Inquisition: eine als der
h. Schrift widersprechend definirte Meinung könne „in kei-
ner Weise wahrscheinlich" sein, und Ward kommt zu sei-
ner Behauptung- durch eine grobe Missdeutung des Satzes,
die Copernicanische Lehre dürfe „hypothetisch" vorgetra-
gen werden, womit, wie wir früher (S. 123) gesehen, gar
nicht gesagt sein soll, dass sie als möglicher Weise nicht
falsch angesehen werden dürfe. Die Theologen, meint
Ward (p. 177) weiter, seien allerdings durch die Erklärung,
die Copernicanische Theorie widerspreche der h. Schrift,
etwas mehr eingeengt gewesen; aber auch sie hätten nicht
nur die Ueberzeugung haben, sondern auch im Privatge-
spräche bei anderen Theologen, ja selbst dem h. Vater
gegenüber aussprechen dürfen, die naturwissenschaftlichen
Argumente für die Richtigkeit der Theorie seien stärker
als die theologischen Argumente für ihre Unrichtigkeit;
aber sie hätten das nicht öffentlich aussprechen dürfen.
In diesem Punkte scheint Scheeben etwas liberaler zu
denken als Ward. Er meint, „die in dem Index-Decrete
ausgesprochene Censur der Schriftwidrigkeit gehe nicht
direct auf die Copernicanische Lehre in sich, sondern auf
die dreiste Behauptung und Geltendmachung der Lehre
ohne die schuldige Rücksicht auf die Würde der h. Schrift
und die katholischen Regeln für die Interpretation dersel-
ben," und die Lehre vorzutragen sei nur unzulässig gewe-
sen, „so lange eine vom eigentlichen Sinne abweichende
Erklärung der h. Schrift nicht hinreichend gerechtfertigt
war." Aber Foscarini's Schrift wurde ja eben darum ver-
boten, weil er darin „zu beweisen versuche, dass die be-
sagte Lehre der Wahrheit entsprechend und der h. Schrift
1) The Authority p. 173. Dublin Review, July 1871, p. 168. Schnee-
mann S. 263.
Ite lisch, Galilei. 30
466 Die jesuitischen Darstellungen.
nicht zuwider sei" ; war aber der Versuch, dieses zu bewei-
sen, unzulässig, so konnte ja überhaupt ,,eine vom eigent-
lichen Sinne [von der buchstäblichen Auffassung der be-
treffenden Bibelstellen] abweichende Erklärung der heiligen
Schrift" nicht „gerechtfertigt" werden.
Wenn die Copernicanische Theorie als wissenschaftlich
richtig und theologisch unbedenklich erwiesen worden ist,
so entspricht dieser Beweis nicht den Intentionen derjeni-
gen, welche das Decret vom J. 1616 erlassen und so lange
aufrecht erhalten haben. Ihren Intentionen entspricht viel-
mehr der Standpunkt derjenigen, welche, wie P. Desjardins
p. 41, von dem Jesuiten Faure und einigen Franzosen des
19. Jahrhunderts berichtet, sehnsüchtig und hoffend dem
Auftreten eines genialen Astronomen entgegen sehen, der
den wissenschaftlichen Beweis führen wird, dass es mit dem
Copernicanischen System nichts ist und |dass ,,in dem Gali-
lei'schen Process die Kirche, auf die Bibel gestützt, für die
astronomische Wahrheit eingetreten ist, von welcher die
Astronomen der beiden letzten Jahrhunderte abgeirrt
sind" l).
XL.
Epilogus galeatus.
Von Jesuiten, die über den Galilei'schen Process schrei-
ben, kann man billiger Weise nicht verlangen, dass sie
nicht mit der geschichtlichen Darstellung eine Apologie
der Römischen Curie und des Institutes der Inquisition ver-
1) Ueber den hemmenden Einfluss, den die Römischen Decrete auf
katholische Gelehrte geübt, s. Martin, Galilee p. 249, über die ultramontanen
Anticopernicaner des 19. Jahrh. ebend. p. 274, über die protestantischen
Anticopernicaner des 18. und 19. Jahrh., für welche freilich die Römische
Curie nicht verantwortlich ist, Zöckler, Gesch. der Beziehungen u. s. w. II,
45- 352.
Die jesuitischen Darstellungen. 467
binden sollten. Aber das darf man auch von Jesuiten for-
dern, dass sie dieser Tendenz nicht die geschichtliche
Wahrheit und Gerechtigkeit zum Opfer bringen. Nun fin-
den sich aber, wie an vielen Beispielen gezeigt worden ist,
nicht nur in allen jesuitischen Darstellungen des Galilei'schen
Processes mehr oder weniger viele Unrichtigkeiten, die bei
grösserer Gewissenhaftigkeit und Wahrhaftigkeit zu ver-
meiden gewesen wären : Ein schlimmer Zug geht durch alle
diese Darstellung'en, die beste unter ihnen, die von Grisar,
nicht ausgenommen, hindurch: ein dunkeler Flecken in Ga-
lilei's Privatleben, die Schwächen und Fehler seines Cha-
rakters, die Unvorsichtigkeiten in seinem Verhalten und
dergleichen Dinge, welche für die Beurtheilung des Verfah-
rens der Curie gegen ihn von gar keinem oder von ganz
untergeordnetem Belange sind, werden stark übertrieben
und wiederholt hervorgehoben; auf die Rücksichten, welche
man gegen ihn nahm und die man ebenso stark übertreibt,
wird grosses Gewicht gelegt und triumphirend darauf hin-
gewiesen, dass es Lüge und Verleumdung sei, wenn man
von einer langen Kerkerhaft und von Folterung Galilei's
spreche ; dagegen werden die Härten in dem Verfahren bei
dem Processe selbst und namentlich nach demselben theils
ganz verschwiegen, theils vertuscht und beschönigt ; und so
wird bei dem mit dem Sachverhalt weniger bekannten Leser
der Eindruck hervorgerufen, ,als sei doch eigentlich Galilei
kein sonderliches Unrecht widerfahren und die Inquisition
nicht so schwarz, wie sie gewöhnlich gemalt werde. Und
zur Bestätigung citirt man dann in echt jesuitischer Weise
verstümmelte und aus dem Zusammenhange gerissene Stel-
len von Schriftstellern, die sich einer streng objectiven und
unbefangenen Darstellung befleissigen und darum auch
Unrichtigkeiten und Uebertreibungen von einseitigen Geg-
nern der Curie nicht ungerügt lassen, als Concessionen,
welche auch die Gegner nothgedrungen der Wahrheit ge-
macht ; man verschmäht nicht, zu diesem Zwecke sich selbst
auf so unbedeutende Aufsätze wie den von A. Mezieres in
der Revue des deux mondes zu berufen (Schneemann S.
265. 390), und man scheut sich nicht, die Citate, um sie
brauchbar zu machen, zu verstümmeln (s. o. S. 217).
Wenn sich aber Grisar darauf beschränkt, das Verfah-
ren der Inquisition zu entschuldigen und mildernde Um-
468 Verherrlichung der Inquisition.
stände zu plaidiren, so gehen andere Jesuiten darüber weit
hinaus. P. Desjardins erklärt p. 41 : „die Kirche" habe
einer einfachen, der zwingenden Beweise noch entbehren-
den Hypothese gegenüber ihre Exegese nicht modificiren
und ihr System der Bibelauslegung nicht ändern dürfen,
und versichert, das h. Officium habe die heiligste seiner
Pflichten erfüllt, als es sich glaubensgefährlichen Prätensio-
nen widersetzte; jeder Unparteiische und Vorurtheilsfreie
müsse sein Verhalten loben, und es sei zu verwundern, dass
sonst gelehrte und orthodoxe Schriftsteller sich mit dem
Haufen der rationalistischen Schriftsteller zu der Erklärung
vereinigten, die Mitglieder des h. Officiums hätten unrecht
gehandelt, als sie Galilei verurtheilten. Man könne sein
Verhalten nicht nur rechtfertigen, man müsse vielmehr die
Treue, Weisheit und Billigkeit loben, die es bei dem Gali-
lei'schen Process bewiesen, ohne dass man darum gerade
ein Urtheil vertheidigen müsse, welches heutzutage wissen-
schaftlich nicht mehr haltbar sei1). Ein deutscher Jesuit,
der noch dazu k. k. Professor der Theologie und im J. 1866
sogar Rector der Universität zu Innsbruck war, J. B. We-
nig, begnügt sich nicht einmal damit, den Process gegen
Galilei als „schlagenden Beweis" dafür anzuführen, dass
„das kirchliche Inquisitionstribunal sowohl in der Behand-
lung und Untersuchung als auch in der Aburtheilung und
Bestrafung der Inquisiten das Gesetz der Milde walten
Hess". Er verbindet mit seiner Darstellung des Galilei'schen
Processes eine förmliche, nicht Apologie," sondern Glorifi-
cirung der Inquisition, behauptet sogar, die Verhängung
der Todesstrafe über Häretiker sei „wenigstens nicht unge-
recht" gewesen, da „das Verbrechen der Häresie nur durch
die Todesstrafe gebührend gesühnt und mit Erfolg für die
kirchliche und bürgerliche Gesellschaft; unschädlich gemacht
werde," und schliesst mit der offenen Erklärung : „Wir haben
gesehen, dass die kirchliche Inquisition mit den modernen
1) Wo möglich noch stärker ist die Aeusserung des Cardinais Manning
in dem 1875 erschienenen Buche „The Internal Mission of the Holy Ghost"
(s. Theol. Lit.-Bl 1875, 470): „Die Kirche hat zu einer Zeit, als die [Coper-
nicanische] Lehre nur eine Hypothese und Vermuthung war, welche dem
Glauben der Menschheit und scheinbar der h. Schrift widersprach, ein Buch
missbilligt, welches die Tendenz hatte, den Glauben der Menschen an natür-
liche und übernatürliche Wahrheiten zu untergraben."
Die jetzige Inquisition und Index-Congregation. 469
Ideen über Toleranz, Aufklärung und Humanität sich nicht
vereinbaren lässt; aber dessenungeachtet rufe ich, angelangt
am Schlüsse des ersten Theiles meines Vortrags: Es lebe
die kirchliche Inquisition! denn jene Ideen sind nicht bloss
unchristlich, sondern auch unvernünftig, die Mission der
Kirche aber, welche durch die Inquisition über die Rein-
heit der Glaubens- und Sittenlehre wacht, ist eine göttliche
und darum von dem Zeitgeiste und den Zeitumständen un-
abhängige"J). Wenn Wenig in dem zweiten Theile seines
Vortrags die spanische Inquisition der von ihm glorificirten
kirchlichen als eine solche gegenüberstellt, die „nichts we-
niger als eine Schöpfung der Kirche, sondern wesentlich
ein Staatsinstitut" gewesen, so haben seine Ordensgenossen
und Collegen in Innsbruck nicht unterlassen, zwei Jahre
später in dem ersten Hefte der von ihnen herausgegebenen
„Zeitschrift für katholische Theologie" ein Buch eines Spa-
niers (Juan Manuel Orti y Lara) zu empfehlen, welches die
Ansicht vertheidigt, dass allerdings auch die spanische In-
quisition „eine Schöpfung der Kirche" gewesen, dass „die
Kirche, welche sie ins Dasein gerufen, sie immer mit be-
sonderer Vorliebe angesehen und dass darum kein Katho-
lik den Namen des h. Glaubenstribunals aussprechen dürfe,
ohne ehrfurchtsvoll das Haupt zu neigen vor einer Institu-
tion, die wesentlich katholisch, so zu sagen, ein substan-
tielles Bild der Kirche, unserer Mutter, sei"2).
Mit der Wiedereinsetzung der Inquisition in ihre frühe-
ren Functionen hat es, trotz aller frommen Wünsche der
Jesuiten, gute Wege. Aber die Congregation des h. Offi-
ciums ist wie die des Index in einer Beziehung noch in voller
Thätigkeit, und diese Thätigkeit gegen die Einwendungen
zu vertheidigen, welche auf Grund des Galilei'schen Pro-
cesses gegen sie erhoben werden können, lässt sich mehr
noch als andere Jesuiten P. Grisar angelegen sein, ja viel-
leicht ist es darauf bei seinen Aufsätzen hauptsächlich ab-
gesehen. *
1) Ueber die kirchliche und politische Inquisition S. 65. 72. 74. Wenig
hat es — wohl in seiner Eigenschaft als k. k. Professor — für gerathen
gehalten, die Schrift pseudonym (unter dem Namen Theophilus Philalethes)
erscheinen zu lassen. Erst nach seinem, bald nachher erfolgten, Tode ist er
als Verfasser bekannt geworden. S. Theol. Lit.-Bl. 1875, 530. 573.
2) Vgl. Theol. Lit.-Bl. 1877, 335.
470 Die jetzige Inquisition und Index-Congregation.
In Rom herrscht schon lange das Bestreben, nicht nur
die Einheit des Glaubens unter den Katholiken zu erhalten,
sondern auch eine Einheit des Denkens und Wollens unter
ihnen herbeizuführen, und seit die jesuitische Partei in der
römisch-katholischen Kirche zur Herrschaft gelangt ist, wird
mehr noch als früher das Ziel angestrebt, die Verfassung
des Jesuitenordens auch in der Kirche einzuführen. Dem-
gemäss wird nicht nur für den Papst Unfehlbarkeit bean-
sprucht, wenn er ex cathedra redet, und der Begriff des ex
cathedra möglichst weit, z. B. auch auf den Syllabus, aus-
gedehnt, und von jedem Katholiken verlangt, alles als gött-
liche Offenbarung zu glauben, was der Papst definirt. Es
wird für den Papst ausser der anctoritas infallibiliiatis
auch noch eine auctoritas universalis providentiae ecclesia-
sticae und, wie für das, was er kraft der erstem Autorität
entscheidet, eine veritas infaltibilis, so für das, was er
kraft der letztern entscheidet, eine infallibilis securitas bean-
sprucht1). Es wird gelehrt: „Das Charisma der Unfehlbar-
keit kommt dem Papste nur bezüglich seines Lehramtes
zu, aber wenn er auch bezüglich der Regierung der Kirche
nicht unfehlbar ist, so darf man ihm doch auch in Punkten,
welche mit der Glaubens- und Sittenlehre nicht zusammen-
hangen, nicht ungehorsam sein ; denn Christus und sein
Stellvertreter sind in Bezug auf die Belehrung und Lei-
tung der Kirche durchaus Eins, so dass es im strengsten
Sinne w*ihr ist, wenn man sagt, Christus lehre und leite
seine Kirche durch den Papst"2). „Es gibt in der Kirche
neben oder vielmehr im Anschlüsse an das eigentliche Glau-
bensgesetz noch ein Gesetz (resp. eine gesetzliche Einheit
und Allgemeinheit) des theologischen Denkens oder
der religiösen Ueberzeugung, welchem jedes Glied der
Kirche als solches oder jeder Katholik kraft seiner katho-
lischen Profession sich nicht bloss äusserlich, sondern inner-
lich unterwerfen und conformiren muss"3).
Diese „gesetzliche Einheit des theologischen Denkens"
herbeizuführen, ist eine Hauptaufgabe der Römischen Con-
i) Franzelin, Tract. de div. traditione p. 116.
2) Civiltä cattolica 639. Heft (3. Febr. 1877); s. Deutscher Merkur
1877, 98.
3) Scheeben, Dogmatil* I, 183. Vgl. (auch zu dem Folgenden) Theol.
Lit-Bl. 1877, 57.
Die jetzige Inquisition und Index-Congregation. 471
gregationen, namentlich der beiden genannten; ihre doctri-
nellen Decrete sind, wenn auch nicht als unfehlbar, so doch
als ,,der moralisch sichere Ausdruck der Tradition der Rö-
mischen Kirche" (der Kirche der Stadt Rom) anzusehen,
welche „schon für sich allein ein vollgültiger Beweis der
apostolischen Ueberlieferung ist und eine Normaltradition
für die ganze Kirche bildet". Jenen Congregationen kann
der Papst zwar nicht eine aiictoritas infallibis mittheilen,
aber er lässt sie theilnehmen an seiner aiictoritas universalis
providentiae ecclesiasticae, und so haben ihre Decrete „einen
besondern Antheil an dem übernatürlichen Schutze, der
über dem h. Stuhle waltet, und sie haben darum eine so
starke Präsumtion der Wahrheit für sich, dass innerliche
Zustimmung zu denselben verlangt werden muss."
Demgemäss verbietet die Index-Congregation das Le-
sen nicht nur solcher Bücher, deren Inhalt der katholischen
Glaubens- und Sittenlehre widerspricht, sondern auch sol-
cher, in welchen wissenschaftliche theologische Erörte-
rungen vorkommen, die der „gesetzlichen Einheit des theo-
logischen Denkens" nicht entsprechen, mit anderen Worten,
die zu der als normativ angesehenen Römischen oder jesui-
tischen Schultheologie nicht passen1). Und von den Ver-
fassern solcher Bücher verlangt die Index-Congregation
nicht nur, dass sie das Verbot* als solches respectiren, son-
dern auch, dass sie ihre Bücher selbst förmlich verwerfen.
Auetor laudabiliter se subiecit et opus suum reprobavit, ist
die stehende Formel, welche von denjenigen gebraucht
wird, welche thuen, was die Index-Congregation verlangt.
Ferner verdammen die Congregation des Index oder die des
h. Officiums theologische oder philosophische Systeme oder
Richtungen, wie die Hermesische und die Günther'sche und
den von Löwener Professoren vertretenen „Ontologismus",
oder einzelne theologische oder philosophische Thesen, oder
sie stellen selbst positiv solche Thesen als Normen auf, und sie
1) Nachdem Dieringer in einer Recension der ,, Theologie der Vorzeit"
des Jesuiten Kleutgen im Theol. Lit.-Bl. 1868, 213 (und in dem Schriftchen
„Die Theologie der Vor- und Jetztzeit'' 1868) die 1792 erschienene Regula
fidei von Ph. N. Chrismann citirt hatte, wurde diese auf den Index ge-
setzt, — aber nur der von Dieringer benutzte Abdruck Augsburg 1844, so
dass die Original-Ausgabe und andere Abdrücke nicht verboten sind.
472 Die jetzige Inquisition und Index-Congregation.
beantworten gern Fragen, welche ihnen von Einzelnen vor-
gelegt werden: ob dieses oder jenes für wahr gehalten und
gelehrt werden dürfe.
Im J. 1840 wurde Prof. Bautain in Strassburg ange-
halten, sechs „Thesen" theologischen und philosophischen
Inhalts zu unterschreiben1). Im J. 1855 wurde dem Heraus-
geber der „Annales de philosophie chretienne", A. Bonnetty,
auf Grund eines am 11. Juni von der Index-Congregation
gefassten, am 15. von Pius IX. bestätigten Beschlusses auf-
gegeben, vier Thesen zu unterzeichnen; die vierte lautet:
„Die von den hh. Thomas und Bonaventura und nach ihnen
von anderen Scholastikern angewendete Methode führt nicht
zum Rationalismus und ist nicht die Ursache gewesen, dass
in den modernen Schulen die Philosophie in Naturalismus
und Pantheismus verfallen ist. Darum darf jenen Kirchen-
lehrern und Theologen nicht zum Vorwurf gemacht werden,
dass sie jene Methode angewendet, zumal sie das mit we-
nigstens stillschweigender Gutheissung der Kirche gethan."
— Im J. 1843 und 1844 wurden von der Index-Congregation
dem Prof. Ubaghs zu LÖwen mehrere Punkte bezeichnet,
die er in seiner Logik und Theodicee zu ändern habe. Im
J. 1860 fragten vier Löwener Professoren bei der Index-
Congregation an, ob die Sätze, die sie einzeln angaben, ge-
lehrt werden dürften. Der Präfect der Congregation, Cardi-
nal Andrea, antwortete bejahend, wurde aber durch ein
Breve Pius' IX. vom 19. Dec. 1861 desavouirt. Die Schrif-
ten von Ubaghs wurden nun von den Congregationen des
Index und der Inquisition gemeinsam geprüft, und in meh-
reren vom Papste bestätigten Decreten eine Reihe von
Punkten als solche bezeichnet, die nicht ohne Gefahr gelehrt
werden könnten. Die Löwener Professoren erklärten, die-
sen Decreten gehorchen zu wollen; das genügte nicht: sie
mussten im J. 1867 schriftlich erklären, dass sie „den De-
creten des h. Stuhles sich völlig, vollkommen und absolut
unterwürfen und innerlich zustimmten und darum jede ihnen
widersprechende Lehre (namentlich die in ihrem eigenen Briefe
an die Index-Congregation enthaltene Exposition) von Herzen
missbilligten und verwürfen"2). — Am 18. Sept. 1861 wurde
1) Denzinger, Enchiridion N. 97.
2) S. die Actenstücke Katholik 1860, I, 623; 1865, I, 210; 1866, II,
491; 1867, II, 506. Revue catholique 1879, XXI, 247.
Die jetzige Inquisition und Index-Congregation. 473
in einer Sitzung der Inquisition darüber berathen, ob sieben
ihr vorgelegte, aus französischen Lehrbüchern der Philoso-
phie entnommene „ontologistische" Sätze unbedenklich
gelehrt werden (tuto tradi) könnten ; die Inquisition entschied
,,nach Anhörung ihrer Consultoren und nach reiflicher Er-
wägung" verneinend1). Als der Prof. Hugonin zum Bischof
von Bayeux ernannt war, musste er, um die päpstliche Be-
stätigung zu erhalten, am 13. Oct. 1866 schriftlich erklären:
die in seinem Buche vorgetragene Lehre, die jenen sieben
Sätzen günstig sei, verwerfe er, ganz so wie der h. Stuhl
es verlange, als von den gesunden Principien der Philosophie
mehr oder weniger abweichend2). — Solche Entscheidun-
gen der Römischen Congregationen gelten nun allerdings,
wie wir gesehen haben, nicht als päpstliche Cathedralsprüche
und also nicht als unfehlbar; aber Pius IX. hat in dem an
den Erzbischof von München gerichteten Breve Tuas liben-
ter vom 21. Dec. 1867, — nach Dr. Ward spricht hier der
Papst ex cathedra 3), — erklärt : es sei nicht genug, die durch
Decrete der allgemeinen Concilien oder der Päpste definir-
ten Dogmen „mit göttlichem Glauben" (fide divina, als
göttliche Offenbarung) anzunehmen; die katholischen Gelehr-
ten müssten vielmehr auch den von den päpstlichen Con-
gregationen ausgehenden doctrinellen Entscheidungen sich
unterwerfen. Damit ist aber nicht bloss eine äussere, son-
dern auch eine innere Unterwerfung gemeint. Wie es für
ungenügend erklärt wurde, die päpstlichen Entscheidungen
in den Jansenistischen Streitigkeiten mit „frommem Still-
schweigen" (religiosum silentium) hinzunehmen, und eine
1) Das Decret erinnert selbst in der Form an die Tage Galilei's :
A Sancta Romanae et Universalis Inquisitionis Congregatione postulatum
est, utrum sequentes propositiones tuto tradi posse?it. . . Feria IV. die 18.
Sept. 1861. In Congregatione generali habita in conventu S. M. supra
Minervam coram Em. et Rev. DD. S. R. E. Cardinalibus contra haereti-
cam pravitate?n in tota republica christiana Inquisitor ibus generalibus,
iidem Em. et Rev. DD. praehabito voto DD. Consultorum, omnibus et sin-
gulis propositionibus superius enunciatis mature perpensis, proposito dubio
responderunt: Negative. S. den Text des Decretes und Notizen über die
Haltung der Jesuiten gegenüber dem Ontologismus Theol. Lit.-Bl. 1868, 753.
2) Katholik 1867, I, 399.
3) The Authority p. 120. Den Text der betreffenden Stelle s. bei
Scheeben I, 193. Vgl. Franzelin, De traditione, 2. Ed. p. 137.
474 Die jetzige Inquisition und Index-Congregation.
innere Zustimmung zu denselben verlangt wurde, so ist es
auch nicht genug, sich jedes offenen Widerspruchs gegen
die Entscheidungen der Congregationen zu enthalten, viel-
mehr wird auch eine „innerliche Unterwerfung und Zustim-
mung zu denselben" verlangt. Diese Zustimmung braucht
nun freilich, wie P. Grisar S. 707. 717 mit anderen Jesuiten
lehrt, nicht, wie Bouix meint, dieselbe zu sein, welche päpst-
liche Cathedralsprüche erheischen, sie braucht, da die Con-
gregationen irren können (S. 685), keine ,, absolut zweifel-
lose und über alles feste" zu sein; sie muss aber „eine Un-
terwerfung pflichtmässigen Gehorsams sein, welche die [von
einer Congregation] ausgesprochene Doctrin als eine solche
hinnimmt, der wir mit der grössten Beruhigung und Sicher-
heit, wenngleich nicht mit unfehlbarer Gewissheit beipflich-
ten können. Mit der grössten Beruhigung-; denn der Fall
kann niemals eintreten, dass Jemand sich eine Gewissens-
schuld auflüde, indem er aus Achtung gegen den erfolgten
Spruch sein eigenes Meinen dran gibt. Mit der grössten
Sicherheit; denn ist auch die sprechende Autorität eine
menschliche und bleibt der Irrthum nicht absolut ausge-
schlossen, so sind doch die Urheber des Spruches, die Ge-
horsam verlangen, mit hoher Weisheit und Gelehrsamkeit
ausgerüstet: wegen ihrer Stellung sind sie mehr befähigt
zu einem allgemeinen Ueberblick als alle Anderen, als ins-
besondere die leicht durch persönliche Befangenheit ge-
blendeten Vertreter einer etwa verurtheilten Lehre, und
sie handeln nur nach langen Berathungen mit den tüchtigsten
Gewährsmännern ; auch ist jener erleuchtende Beistand der
Gnade in Anschlag zu bringen, der bei ihren Acten, als
Acten authentisch bevollmächtigter Lehrer und als Ent-
schliessungen von so weiter Tragweite, vorausgesetzt wer-
den darf."
Man wird vielleicht sagen : bei einem solchen Jurare in
verba Congregationum könne von einer eigentlichen Wissen-
schaft nicht mehr die Rede sein. Wäre das der Fall, ent-
gegnet Reinerding1), so wäre der Schaden nicht so gross:
„das Heil Einer Seele gilt, wie jedes Kind in seinem Kate-
chismus findet, mehr als die ganze Welt und folglich mehr
als alle Wissenschaft". Uebrigens ist ja auch die Behaup-
I) Hist-pol. Bl. 56, 435. 439.
Die jetzige Inquisition und Index-Congregation. 475
tung: „Die Decrete des apostolischen Stuhles und der Römi-
schen Congregationen hindern den freien Fortschritt der
Wissenschaft" im Syllabus (No. XII) verdammt, und nach
Reinerding ist sogar „die kirchliche Ueberwachung der
Wissenschaft, weit entfernt ihrem Fortschritte nachtheilig
zu sein, eine Leuchte für sie. Es mag sein, dass man sich
des Nachts in der Stadt auch ohne Laterne zurecht finden
könnte; verschmäht man aber deshalb das Licht der La-
terne?" Jedenfalls hat auch, wie P. Desjardins p. 43 ver-
sichert, „die Kirche eine souveräne Autorität, gewisse Ent-
wicklungen der Wissenschaft zu verzögern, falls sie glaubt,
dass dieselben unter den augenblicklichen Verhältnissen den
viel höheren Interessen des Glaubens gefährlich werden
könnten." Wenn das, was ein katholischer Gelehrter durch
gewissenhaftes Studium als wissenschaftliche Wahrheit er-
kannt zu haben glaubt, von einer Römischen Congregation
als Irrthum bezeichnet wird, so muss er sich eben dabei be-
ruhigen, dass das, was die „mit hoher Weisheit und Gelehr-
samkeit ausgerüsteten und zu einem allgemeinen Ueb erblick
mehr als alle Anderen befähigten" Cardinäle der Congre-
gation „nach langen Berathungen mit den tüchtigsten Ge-
währsmännern", die ja in Rom für jeden Zweig der Wissen-
schaft in P^ülle zu finden sind, unter dem „erleuchtenden
Beistande der Gnade" als wissenschaftlich richtig aus-
sprechen, mindestens probabeler ist als seine eigene wissen-
schaftliche Ueberzeugung, und dass er jedenfalls, indem er
„aus Achtung gegen den erfolgten Spruch sein eigenes
Meinen daran gibt" und auf die Autorität der Congregation
hin das schwarz nennt, was nach seiner Meinung weiss ist,
„sich keine Gewissensschuld" aufladet. ,
Es liegt auf der Hand, wie unbequem den Jesuiten bei
der Verteidigung dieser Theorie die von den Römischen
Congregationen im J. 1616 ausgesprochene, im J. 1633 in so
energischer Weise eingeschärfte und von den Päpsten so
lange aufrecht erhaltene „Doctrin" sein muss, dass die Erde
still stehe und die Sonne sich bewege, — eine Doctrin,
welche die „hohe Weisheit und Gelehrsamkeit" der Päpste,
der Cardinäle und ihrer „Gewährsmänner" und selbst den
„erleuchtenden Beistand der Gnade", der diesen „authentisch
bevollmächtigten Lehrern" bei einer „Entschliessung von so
weiter Tragweite" hätte zu Theil werden müssen, in so
47^ Die jetzige Inquisition und Index-Congregation.
eigen thümlichem Lichte erscheinen lässt. Scheeben, S. 250,
scheint freilich zur Beruhigung solcher, die dadurch an der
Zuverlässigkeit der Congregations-Entscheidungen irre x wer-
den möchten, die Versicherung für genügend zu halten: das
Index-Decret vom J. 1616 sei der einzige Fall einer von
den Congregationen ausgegangenen Censur, die man mit
einigem Schein als falsch bezeichnen könne, und Reinerding
S. 438 fügt nur noch den Trost bei: „das endlose Aerger-
niss, zu dem diese Geschichte ausgebeutet werde, könne die
Kirche [sie] nicht ermuthigen, eine zweite Galilei-Geschichte
zu bieten" *). So leicht macht sich P. Grisar die Sache
nicht. Die Folgerung aus der „Galilei-Geschichte" gibt er
S. 708 zu: für die Entscheidungen der Römischen Congre-
gationen kann „nicht jedesmal ein untrüglicher Gnadenbei-
stand angenommen werden". Aber eine Widerlegung der
vorgetragenen Ansicht von der Verbindlichkeit der Congre-
gations-Decrete, fügt er S. 709 bei, enthalte das Decret über
die Copernicanische Angelegenheit nicht, sondern nur eine
„Aufforderung zur präcisen Angabe der Schranken, welche
jener Verbindlichkeit eigen sind". Demgemäss gibt er denn,
unter Berufung auf seine Ordensgenossen Hurter und Pal-
mieri, zu: die Zustimmung zu einer Entscheidung der Con-
gregationen brauche sich nur auf „eine moralische, nie auf
eine metaphysische Gewissheit" zu stützen, und wenn Jemand
„wichtige und solide Gründe" habe, eine Entscheidung für
unrichtig zu halten, so dürfe er „fürchten, zweifeln, bedin-
gungsweise beistimmen, ja die Beistimmung suspendiren".
Grisar selbst geht noch einen bedeutenden Schritt
weiter und führt das vorhin perhorrescirte silentium reli-
giosum durch eine Hinterthüre wieder ein. Es sei, sagt er,
sehr löblich gewesen, wenn Gelehrte des 17. Jahrhunderts
wie Gassendi und Descartes bezüglich der Copernicanischen
Lehre „das demüthige Opfer des Verzichtens auf die eigene
Meinung gebracht" hätten; aber als „Vorschrift" habe nur
gegolten, „der Ehrerbietung gegen die Congregation nicht
durch ausgesprochenes gegentheiliges Handeln zu nahe zu
1) Aehnlich (Scheeben im) Katholik 1864, I, 691 : „Wenn ich meine
Meinung ganz sagen soll, so zweifle ich nicht, dass dieser Missgriff die Con-
gregation des Index für alle Zukunft um so vorsichtiger gemacht habe, wo
es sich um wissenschaftliche Controversen handel t."
Die Jesuiten über Galilei's Verurtheilung. 477
treten, also die vorgeschriebene Form zu wahren und dem
Vortrage der Copernicanischen Lehre die Gestalt der Hypo-
these zu geben. Nicht Ein Beispiel ist vorhanden, dass man
nach dem J. 1633 auch nur die äussere Verletzung jener
Form gestraft hätte; viel weniger noch versuchte man je-
mals, auf die Decrete hin in das Innere einzudringen und
Beugung des entgegengesetzten Meinens dem zu befehlen,
der von überzeugenden Gründen geleitet zu sein glaubte.
Der so oft geschilderte Gewissenszwang gehört in das Reich
der Utopien." Wenige Seiten weiter (S. 719) wird freilich
diese Concession, dass man unter Umständen einer Ent-
scheidung einer Römischen Congregation gegenüber „das
demüthige Opfer des Verzichtens auf die eigene Meinung"
zu bringen nicht verpflichtet sei, wieder illusorisch gemacht
durch die Erklärung: es könne sich zwar, absolut genommen,
ein Fall ereignen, in welchem die Beistimmung zu einer
Congregations-Entscheidung wegen des allzugrossen Gewich-
tes von Gründen für die entgegengesetzte Wahrheit von
einem Einzelnen nicht geleistet und darum auch nicht ge-
fordert werden könne; aber ein solcher Fall sei doch, wenn
auch absolut möglich, kaum jemals denkbar.
Aber bei dem armen Galilei lag doch ein solcher Fall
vor, und bei ihm war es doch ein „Gewissenszwang", wenn
von ihm verlangt wurde, dass er die Meinung von der Be-
wegung der Erde und dem Stillstehen der Sonne, von deren
Richtigkeit er überzeugt war, als eine Ketzerei „mit auf-
richtigem Herzen und ungeheucheltem Glauben" abschwöre!
Was Grisar — ausser den schon oben berührten Sophiste-
reien — darauf antwortet (S. 717), ist wohl geeignet, den Ab-
schluss der Beiträge zur Charakteristik des Jesuitismus zu
bilden, die ich in diesem Paragraphen zusammenstelle ; denn
etwas Jesuitischeres kann selbst ein Jesuit nicht schreiben.
Die Frage, ob bei Galilei ein Fall, wie der vorhin als
absolut möglich bezeichnete, vorlag, ist „unbedenklich zu
verneinen": die Cardinäle, die ihn zur Abschwörung anhiel-
ten, konnten „auch nicht im entferntesten ahnen", dass er
ihrer Entscheidung nicht innerlich beistimmen konnte, ja „sie
hatten ein ganz specielles Recht, die Garantie der Beistim-
mung durch den Schwur von ihm zu fordern. Er verzichtet
ja selbst vor seinen Richtern auf alle Anführung wissen-
schaftlicher Bedenken gegen die Annahme der Lehre des
47^ Die Jesuiten über Galilei's Verurtheilung.
Decretes, weit entfernt, mit Berufung auf subjective Evidenz
aus der Astronomie die Unmöglichkeit irgend welcher Bei-
stimmung zu behaupten. Er beeilt sich so gleichsam, die
Cardinäle zu jener vollsten Geltendmachung" ihres Stand-
punkts gegenüber seiner Person weiter zu führen, wie sie
die Ablegung des Schwures enthält. Er sagt in den Ver-
hören, er betrachte die der Copernicanischen entgegenge-
setzte Weltlehre des Ptolemäus durchaus als wahr, er sei
bereit, gegen Copernicus die Feder zu ergreifen und dgl."
Das ist ja thatsächlich richtig, und man mag darüber
streiten, wer persönlich schwerer gefehlt hat, Galilei, wel-
cher in den Verhören seine Ueberzeugung von der Rich-
tigkeit der Copernicanischen Lehre verleugnete, oder die
Cardinäle, welche ihn nöthigten, diese Ableugnung, von
deren Unaufrichtigkeit sie überzeugt sein mussten, mit
einem Schwüre zu bekräftigen. Aber was soll man von einer
Institution sagen, die diese Folgen hatte, dass ein siebenzig-
jähriger Gelehrter, um nicht als Ketzer verurtheilt und be-
straft zu werden, seine wissenschaftliche Ueberzeugung
verleugnete, und dass eine Anzahl der höchstgestellten
Kirchenfürsten mit dem Papste an der Spitze ihn nöthigte,
eine Lehre mit einem Eide als Ketzerei zu verfluchen, die
unzweifelhaft wahr ist und von der sie annehmen mussten,
dass jener Gelehrte von ihrer Unrichtigkeit nicht über-
zeugt sei.
Und um das Mass des Hohnes gegen den unglücklichen
Greis voll zu machen, erhebt P. Grisar mit P. Schneemann
noch den Vorwurf gegen ihn: dass er nichts von einer
Martyrernatur gehabt, dass ihm nicht Heuchelei und Ver-
stellung mehr als der Tod zuwider gewesen seien, dass er
seine Ueberzeugung nicht hätte verleugnen, dass er viel-
mehr hätte handeln müssen wie Paulus, als er dem Petrus
in's Angesicht widerstand. „Die ausgesuchte Milde und Zu-
vorkommenheit, mit welcher er während des Processes be-
handelt worden, sei geradezu danach angethan gewesen,
ihn dazu zu ermuthigen, mit ganzer Loyalität und muthiger
Festigkeit die Bedrängniss seines Gewissens bezüglich der
ihm zugemutheten Abschwörung geltend zu machen." ,, Hätte
er das gethan, so wäre das, was geschehen ist, unterblieben.
So aber hat er den Schwur geleistet, nur berathen von sei-
nem überall hervortretenden Verlangen, so leicht und be-
Nachträge. 479
quem wie möglich aus der Affaire den Ausgang zu finden. "
Damit aber nicht Jemand aus dieser Lobpreisung einer
Ueberzeugungstreue, wie sie Galilei nicht gehabt, einen
„falschen Schluss" ziehe, unterlasst Schneemann S. 401 nicht
beizufügen: „Daraus, dass es in einzelnen ausserordentlichen
Fällen erlaubt ist, den höchsten Behörden zu widerstehen,
folgt noch nicht, dass man nur da hinsichtlich der Lehre
zu gehorchen hätte, wo ein unfehlbarer Spruch ex cathedra
vorliegt. Es wäre das vielmehr Stolz und Anmassung. Wer
die Demuth besitzt, welche das Christenthum und noch
mehr der Stand eines Priesters erheischt, wird bereitwilligst,
auch in Fragen, in denen das Oberhaupt der Kirche nicht
in feierlichster Weise von seiner Machtfülle Gebrauch macht,
falls nur nicht das Gegentheil klar ist, sein Urtheil dem der
höchsten Römischen Behörden, ja auch dem seiner unmittel-
baren geistlichen Vorgesetzten unterwerfen."
NACHTRÄGE.
Zu S. 26, Anm. 1. Ein interessanter Brief über Galilei's Ent-
deckungen von dem Jesuiten Gregorius a S. Vincentio, d. d. Rom
23. Juli 161 1, ist abgedruckt in den Bulletins de l'Acad. de Bel-
gique, 1873, 2. S. t. 36, p. 89. Es heisst darin: Odo Malcot hac
de re problema exhibuü coram auctore huius novitaiis, Galilaeo Ga-
lilaei nomine, maximo applausu et concursn virorum doctorum et
nobilium. Das wird der von Govi veröffentlichte Vortrag sein.
Zu S. 27. Ueber die Akademie der Lincei s. Domenico Ca-
rutti, Di Giovanni Eckio e della instituzione delP Accademia dei
Lincei, und Degli Ultimi tempi, delP ultima opera degli antichi
480 Nachträge.
Lincei etc., Rom 1877. 1878 (in den Atti della R. Acc. dei Lin-
cei 1876 — 77, S. 3, vol. 1, p. 65, und 1877—78, vol. II, auch in
Separat-Abdruck). Vgl. auch die Atti 1878 — 79, Transunti III, 73.
Zu S. 29. Berti berichtet in den Atti della R. Acc. dei Lin-
cei 1876 — 77, S. 3, Transunti, vol. 1, p. 158: Cremonini's Vor-
lesungen machten ihn der Inquisition verdächtig. Seine Bücher
„De coelo, Apologia dictorum Aristotelis, De quinta coeli substan-
tia", gaben Anlass zu einem Streite mit der Inquisition zu Padua
und zu Rom, welcher über sieben Jahre dauerte.. 1626 wurde
er zu Rom denuncirt, er behaupte die Sterblichkeit der Seele und
die Ewigkeit der Welt. — Seine „Disputatio de Coelo" wurde 1.
Jan. 1622 resp. 3. Juli 1623 auf den Index gesetzt.
Zu S. 74. Von dem Sacro Arsenale besitze ich jetzt die Aus-
gaben Bologna 1679 und Rom 1730. Letztere wird als „vierter
(Römischer) Abdruck'' bezeichnet. Die Annotationi in den Römi-
schen Ausgaben sind von Pasqualone; von Menghini sind die p. 2^
(25) ff. beigefügten Formulare nebst den daneben stehenden An-
weisungen. Dieselben waren ursprünglich von Menghini besonders
veröffentlicht unter dem Titel: „Regole dei Tribunale dei Sant'
Officio praticate in alcuni Casi Imaginarij da F. Tomaso Menghini
d'Albacina, Inquisitore Generale di Ferrara e suo Ducato, per
lume de' Vicarij della di lui Giurisdizione". Ich besitze von dieser
Publication die „seconda Impressione", Ferrara 1687.
Zu S. 129, Anm. 3. Das Concept des Zeugnisses Bellar-
mins ist abgedruckt bei Berti, II Processo, N. Ed. p. 277.
Zu S. 151 u.: Am 20. April schrieb Ca-stelli Galilei von
Pisa aus: Bfoscagli?] habe dorthin geschrieben, er habe heimlich
vor dem Cardinal Bellarmin abschwören müssen. Am 2^. (oder
25.) April schrieb Sagredo von Venedig: es sei dort ausgestreut
worden, was S. 151 angegeben ist. Galilei theilte dem Cardinal
Bellarmin eine Abschrift dieser Stellen aus den beiden Briefen mit,
und der Cardinal stellte ihm darauf das oben (S. 129) mitgetheilte
Zeugniss aus. S. Berti, II Processo, N. Ed. p. 43. 278.
Zu S. 154. Ueber die Sitzung der Lincei vgl. den oben er-
wähnten Aufsatz von Domenico Carutti, Di Giovanni Eckio (auch
die Atti 1876 — 77, Transunti I, 45). Nach p. 65 wollte Valerio
nicht mehr zu der Akademie gehören, weil sie eine verderbliche
Lehre befördere. In der Sitzung vom 24. März 16 16, in welcher
Cesi, Galilei, Stelluti, Faber und Angelo de Filiis anwesend waren,
wurde darauf beschlossen: Valerio nicht aus dem Verzeichnisse
der Mitglieder zu streichen, aber von den Sitzungen und Ab-
Nachträge. 48 1
Stimmungen auszuschliessen, 1. weil er gar keinen Grund gehabt,
sich von der Akademie loszusagen; 2. weil er durch die Erklärung,
er wolle kein Linceo sein, gegen die Akademie selbst den Vor-
wurf erhebe, als habe sie sich eines Vergehens oder offenbaren
Irrthums bezüglich der Meinung von der Bewegung der Erde
schuldig gemacht, von welcher Meinung Valerio sage, Galilei hul-
dige derselben als Mitglied der Akademie; 3. weil er Galilei selbst,
den er sonst immer als seinen Freund behandelt, eines Irrthums
und grossen Vergehens beschuldigt, da doch Galilei jene Meinung
nur 'als eine Meinung behandelt habe. — Ganz klar ist die Sache
nicht; aber sie verhält sich jedenfalls anders, als Odescalchi angibt.
Zu S. 275. Die „Decisiones morales" von Pasqualigo wur-
den 2. Jan. 1684 donec corrigantur auf den Index gesetzt. Ferner
steht von ihm auf dem Index: „Sacra moralis doctrinae de statu
supernaturali humanae naturae", nisi fuerit ex correctis iuxta de-
cretum 29. Martii 1656.
Zu S. 299, Anm. 4 und zu S. 3i2, Z. 3 v. u.: Gebier, de
l'Epinois und Pieralisi geben an, in den Vaticanischen Acten stehe,
wie bei Gherardi, et si, nicht ac si\ Berti hat auch in seiner neuen
Ausgabe der Acten p. 214 wieder ac si drucken lassen. Jeden-
falls würde aber auch dieses durch „und wenn", nicht durch „als
ob" zu übersetzen sein.
Zu S. 3oo, Anm. 2. Wohlwill berichtet, Zts. f. Math. 1879, 2,
über Gherardi's Mittheilungen folgendes Weitere: Gherardi hat den
Beschluss der Inquisition nicht nur in dem Bande der Decreta
(s. o. S. 4), sondern auch noch auf neun losen Blättern gefunden.
Der Wortlaut ist auf diesen Blättern verschieden; von vier wird
er mitgetheilt. Auf einem Blatte steht: Smus decrevit ipsum Gali-
leam interrogandmn esse super intentione, et comminata ei tortura, et
si attamen sustinuerit vel perstiterit (dann sind ungefähr zwei Zeilen
durch Durchstreichen unleserlich gemacht) si demum destiterit (hier
findet sich am Rande vel cesserit recesserit), praevia abiuratione de
vehe?nenti in plena Congregatione S. O. condemnandwn ad carcerem
etc. Auf einem zweiten Blatte steht ganz dasselbe; nur finden sich
an der Stelle der auf dem ersten Blatte durchstrichenen Worte
Reihen von Doppelstrichen (=), wie sie nach Gherardi's Angabe
in derartigen Manuscripten häufig vorkommen, und zwar an der
Stelle bestimmter, dem Schreiber geläufiger Formelausdrücke. Die
Fassung in dem Bande der Decreta stimmt mit der auf dem ersten
Blatte überein; nur fehlt die Randnote und auch da, wo auf dem
ersten Blatte attamen, vel perstiterit, si demum destiterit steht, finden
Keusch, Galilei. 31
482 Nachträge.
sich durchstrichene Worte, von denen destiterit noch zu erkennen
ist. Auf einem dritten Blatte steht das Decret, wie es Gherardi
früher veröffentlicht hat: Smus decrevit ipsum Galileum interrogan-
dum esse super intentione, et comminata ei lortura, et si sustinuerit,
praevia abiuratione de vehementi in plena Congregatione S. Off. con-
demnandum ad carcerem etc., auf einem vierten ebenso, nur et si de-
stiterit statt et si sustinuerit. Die beiden letzten Aufzeichnungen
sind nach Gherardi's Meinung nicht vor 1828 — 38 geschrieben,
die beiden ersten dagegen „sehr alten Ursprungs". — Gherardi's
Aufschlüsse lassen, wie Wohlwill S. 6 sagt, noch viel zu wünschen
übrig; die bereits in der Sitzung der Accademia dei Lincei vom
3. Dec. 1876 von ihm in Aussicht gestellten Mittheilungen sind
meines Wissens noch nicht erfolgt. Jedenfalls ist die Fassung des
Decretes, wie es S. 299 nach den Acten S. 1 12 mitgetheilt ist, durch
Streichungen aus einer altern Form hergestellt. Wohlwill meint,
dieses sei erst im 19. Jahrhundert geschehen, der am 16. Juni 1633
gefasste Beschluss habe für den Fall, dass Galilei bei der Andro-
hung der Folterung standhaft bleibe (si sustinuerit erklärt er jetzt
wie ich S. 512, 314), die Folterung oder wenigstens die Schreckung
in der Folterkammer angeordnet. Ich halte es auch jetzt noch für
wahrscheinlicher, dass diese Massregeln zwar in der Mittwochs- oder
auch noch in der Donnerstags-Sitzung beantragt worden sind, dass
aber in dieser schliesslich das beschlossen worden ist, was oben
S. 299 mitgetheilt worden. Die ausgestrichenen Worte in dem Ent-
würfe könnten gelautet haben (et si attamen sustinuerit vel persti-
terit) ducendum ad locum torturae ibique spoliandum, ligandum et
funi applicandum et iterum interrogandum (s. o. S. 308, Anm. 1 und 2).
Das si demum destiterit (vel cesserit, recesserit) ist mir unerklärlich,
denn wenn Galilei von seiner bisherigen Erklärung abliess, also
seine häretische Intention eingestand, war er nicht zur abiuratio de
vehementi, sondern zur abiuratio de formali zu verurtheilen; s. o. S.
305- 312.
PERSONEN - REGISTER.
Accarisio 430.
Aggiunti 374. 430.
Agucchi 27.
Alexander VII. 443.
Alidosi 223.
Ambrogetti 420.
Anfossi 441.
Antonini 214.
Aproino 216.
Ascoli, Card, von, s. Centini.
Attavanti 80. 87.
Baliani 33.
Barberini, Maffeo, s. Urban VIII.
Die anderen Barberini 178. 195
u. s.
Baronius 44.
Beaugrand 427.
Bellarmin 14. 25. 56. 62. 91. 125.
450 u. s.
Benedict XIV. 440.
Bentivoglio, Card. 221. 260.
Berigardo (Beauregard) 421.
Bernegger 387. 414.
Boccabella 254. 256.
Bocchineri 197.
Borgia, Card. 197. 226. 331.
Boscaglia 38.
Boscovich 458.
Bouillau 421.
Buonamici 6. 229. 232. 376.
Buonarroti 254.
Buoncompagni, Card. 167. 182.
Caccini 78. 100. 159.
Calasanza 409.
Campanella 61. 157. 164. 173. 176.
233-
Capponi, Card. 264.
Caramuel 459. 460. 463.
Carcavi 420.
Carena 75.
Castelli 18. 22. 37. 195. 261. 389.
402 u. s.
Cavalieri 409.
Centini, Card. v. Ascoli 100. 200.
Cesarini 27. 162. 175. 177.
Cesi 14. 26. 88. 199 u. s.
Cosimo II. 8. 175.
Chiaramonti 188. 238. 263. 421.
Christina von Lothringen 38. 43.
Ciampoli 27. 90. 175. 177. 197. 226.
u. s.
Cigoli 17.
Cini 263.
Cioli 222. 246. 248. 288.
Claras, Julius 75.
Clavius 17. 28.
Clemens s. Settimi.
Cobelluzzi, Card. v. S. Susanna 181.
190.
Colombe, L. delle 26. 36.
Contarini 218.
Conti, Card. 37.
Cremona, Card, v., s. Scaglia.
Cremonini 17. 29. 480.
Dini 27. 90.
Diodati 57. 415.
Elzevir 414.
Este, Card. v. 102.
Faber 27.
Fabri, Honoratus 438. 457. 463.
Farinacci 75.
Febeo 259.
Ferdinand II., Grossherzog 246. 248.
Ferdinand IL, Kaiser, 416.
Firenzuola(Macolano) 232. 267.283.
357-
Foscarini 59. 96. 144. 414.
Fromond 57. 421.
Galamini, Card. 85.
Galilei, Vincenzo 10. 181. 397.
Galilei's Töchter 10. 177. 388.
Gassendi 172. 439.
Gherardini, Bischof 90.
Gherardini, Canonicus 6. 234.
Ginetti, Card. 254. 278.
Grassi 160. 234.
Gregor XV. 175.
Griemberger 19. 56. 91. 215. 233.
Grotius 388.
Gualdo 23.
484
Personen-Register.
Guevara 169.
Guicciardini 103. 151.
Guiducci 160. 166. 263. 373. 431.
Hohenzollern, Card. 181.
Holstenius 232.
Hortensius 399.
Inchofer 122. 234. 237.273.345.421.
Ingoli 185.
Kellison 375.
Kepler 20. 114. 157. 173. 185. 190.
Kochanski 458.
Ladislaus IV. von Polen 392. 426.
Lalande 440.
Leibniz 439.
Libri 17.
Liceti 15. 374. 420.
Lorini 78. 82.
Ludovisi, Card. 175.
Macolano s. Firenzuola.
Magalotti 230. 236. 244.
Magiotti 420.
Maraffi 80.
Marsili, Alessandro 385.
Marsili. Cesare 189.
Marzi-Medizi 77.
Masini 74. 480.
Mazzoni 20.
Medici, Card. 105.
Mellini, Card. 70.
Menghini 74. 480.
Micanzio 171. 214. 377. 412 u. s.
Michelini 409.
Mirto 200.
Monte, Card, del 24. 95. 152.
Morandi 200.
Morin 421. 427.
Muti 152.
Niccolini 197. 222. 320. 381 u. s. .
Noailles 391. 418.
Oregio 210. 237. 272. 275.
Olivieri 80. 120. 441.
Orsini, Card. 104. 170. 189.
Paganino 378.
Pasqualigo 237. 275. 481.
Pasqualone 74. 480.
Paul V. 24. 104. 153. 174.
Peiresc 389.
Pena 75.
Peri 374. 409.
Picchena 99. 248.
Piccolomini 382.
Pieroni 414.
Pignatelli 75.
Pineda 35.
Querenghi 102.
Renieri 6. 378. 410.
Riccardi 164. 170. 182. 195.237.351,
u. s.
Ridolfi 228.
Rinuccini 427.
Rocco 420. 429.
Sagredo 151. 194.
Salviati 33. 194.
Sarpi 30. 86.
Scaglia,' Card. v. Cremona 260. 262.
363.
Scheiner 13. 17. 31. 170. 234. 242.
416. 422.
Scioppius 182.
Seghizzi 70. 128.
Serristori 261.
Settele 441.
Settimi (P. Clemens) 409.
Sfondrati, Card. 82. in.
Sizi 17. 36.
Simplicio 194. 231.
Sinceri 70.
Spinola 167.
Stefani 203.
Stelliola 156.
Stelluti 27. 162. 177.
Torricelli 172. 215. 410.
Ubaldini, Card. 226.
Urban VIII. 18. 56. 62. 92. 94. 165.
175. 221. 434. u. s.
Valerio 27. 154. 480.
Veglia 5. 215.
Visconti 198. 200.
Viviani 6. 410. 424. 436.
Wadding 421.
Weerdt, F. de 430.
Welser 23. 31.
Zacchia, Card. 331.
Universitäts-Buchdruckerei von Carl Georgi in Bonn.