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Full text of "Der Process Galilei's und die Jesuiten"

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I 


DER 


PROCESS  GALILEIS 


UND 


DIE  JESUITEN. 


VON 


DR-  F.  H.  REUSCH, 

PROFESSOR    AN    DER    UNIVERSITÄT    IN    BONN. 


BONN, 

EDUARD  WEBER'S  VERLAG 

(JULIUS  flittner). 

1879. 


HISTORISCHE? 

AN  DER  TECH  ;i 
HOCHSCHULE  CR 


Das  Recht   der  Uebersetzung  behält  sich  der  Verfasser  vor. 


VORWORT. 


Es  bedarf  einer  Erklärung,  dass  ich  schon  so  bald  nach  dem 
im  Jahre  1876  erschienenen  Buche  von  Karl  von  Gebier,  ,, Galileo 
Galilei  und  die  römische  Curie,"  eine  ausführliche  Darstellung  des 
Galilei'schen  Processes  veröffentliche.  Geblers  Buch  ist  anerkannter- 
massen  eine  fleissige  und  tüchtige  Arbeit  und  gibt  eine  im  Wesent- 
lichen richtige  Darstellung  des  Conflictes  Galilei's  mit  der  Römischen 
Curie.  Seit  Jahren  mit  Studien  über  diesen  Gegenstand  beschäftigt, 
hätte  ich  im  J.  1876  Geblers  Darstellung  wohl  in  Einzelheiten  be- 
richtigen und  vervollständigen  und  in  einigen  nicht  ganz  unbedeu- 
tenden Punkten  eine  abweichende  Ansicht  begründen  können;  aber 
ich  würde  mir  damals  nicht  zugetraut  haben,  eine  wesentlich 
bessere  Arbeit  zu  liefern.  Seitdem  sind  aber  bekanntlich  die  Vatica- 
nischen  Processacten  zum  ersten  Male  vollständig  und  genau,  und 
zwar  am  besten  durch  Gebier  selbst,  veröffentlicht,  und  ausserdem 
andere  interessante  Materialien  durch  die  Schriften  von  Berti, 
Pieralisi  u.  A.  bekannt  geworden.  Ferner  sind  einzelne  den  Ga- 
lilei'schen Process  betreffende  Fragen  Gegenstand  specieller  Er- 
örterungen geworden,  wie  namentlich  die  Frage:  „Ist  Galilei  ge- 
foltert worden?"  in  dem  unter  diesem  Titel  im  J.  1877  von  Emil 
Wohlwill  veröffentlichten  Buche  und  in  vielen  durch  dasselbe  ver- 
anlassten Aufsätzen.  Im  Anschlüsse  an  dieses  Buch  ist  auch  die 
Echtheit  eines  Theiles  der  Vaticanischen  Processacten  in  ausführ- 
lichen und  scharfsinnigen  Untersuchungen  von  Einigen  bestritten, 
von  Anderen,  worunter  auch  Gebier,  vertheidigt  worden.  Wäre  es 
Gebier  vergönnt  gewesen,  eine  zweite  Auflage  seines  Buches  her- 
auszugeben, —  er  ist  7.  Sept.  1878,  viel  zu  früh,  erst  27  Jahre  alt, 
gestorben,  —  dieselbe  würde  eine  stark  umgearbeitete  haben  werden 
müssen. 

Mein  Buch  beansprucht  aber  nicht  etwa  bloss,  als  eine  ver- 
besserte und  vermehrte  Auflage  des  Gebler'schen  angesehen  zu 
werden.  Ueber  Einen  Punkt  spricht  sich  Gebier  nur  gelegentlich 
aus,  und  was  er  darüber  sagt,  ist  so  ungenügend,  dass  man  sieht : 


IV  Vorwort. 

er  war  nicht  Theologe  genug,  um  denselben  gründlich  erörtern  zu 
können.  Das  ist  die  Frage,  welche  eine  richtige  Darstellung  der 
Thatsachen  dem  Theologen  von  selbst  aufdrängt,"  welche  aber 
doch  auch  für  weitere  Kreise  ein  grosses  Interesse,  hat,  die  Frage: 
was  lehrt  uns  die  Verdammung  der  Copernicanischen  Ansicht  im 
Jahre  1616  und  die  Verurtheilung  Galilei's  im  Jahre  1633  bezüglich 
der  Autorität,  welche  man  in  Rom  für  die  Entscheidung  von  theo- 
logischen und  mit  der  Theologie  zusammenhangenden  Controversen 
beansprucht?  eine  Frage,  welche  mit  der  Antwort:  dass  wenigstens 
die  damaligen  Päpste  Pius  V.  und  Urban  VIII.  nicht  unfehlbar 
waren,  ebenso  wenig  erledigt  ist  als  mit  der  Antwort,  bei  welcher 
gleich  vielen  Anderen  auch  Gebier  sich  beruhigt  hat :  dass  die 
Römischen  Congregationen  des  Index  und  der  Inquisition  bei  ihren 
Entscheidungen,  auch  wenn  die  Päpste  persönlich  mit  denselben 
einverstanden  sind,  gröblich  irren  können. 

Eine  eingehendere  Erörterung  dieser  Frage  gibt  Gebier  nicht 
und  konnte  er  nicht  wohl  geben.  Eine  zugleich  gründliche  und 
unbefangene  Erörterung  dieser  Frage  vermisse  ich  in  der  neuern 
Galilei-Literatur  überhaupt,  und  doch  hat  dieselbe,  wie  die  Leser 
meines  Buches  hoffentlich  erkennen  werden,  eine  Bedeutung,  die 
über  ihren  Zusammenhang  mit  der  Frage  über  die  päpstliche  Un- 
fehlbarkeit weit  hinausgeht. 

Damit,  dass  ich  mit  einer  vollständigen  geschichtlichen  Dar- 
stellung des  Galilei'schen  Processes  eine  Erörterung  der  theologi- 
schen Bedeutung  desselben  verbinde,  hängt  auch  der  Titel  meines 
Buches  zusammen.  Ich  habe  denselben  nicht  bloss  darum  gewählt, 
weil  ich  den  Einfluss,  den  Jesuiten  auf  die  Haltung  der  Römischen 
Behörden  dem  Copernicanischen  Systeme  und  Galilei  gegenüber  ge- 
übt, klarer  ins  Licht  gestellt  zu  haben  glaube,  als  dieses  in  anderen 
Darstellungen  des  Processes  geschieht,  sondern  auch  und  hauptsäch- 
lich darum,  weil  ich  mich  bei  den  theologischen  Erörterungen  vor- 
zugsweise mit  Schriftstellern  aus  einander  zu  setzen  habe,  welche 
Jesuiten  oder  Schüler  der  Jesuiten  sind. 

Nachdem  die  Jesuiten  in  den  letzten  Decennien  es  längere 
Zeit  vorgezogen  haben,  über  die  ihnen  begreiflicher  Weise  nicht 
bequeme  Galilei'sche  Angelegenheit  mit  kurzen  und  gelegentlichen 
Bemerkungen  hinwegzugehen,  scheinen  sie  in  der  neuesten  Zeit 
es  für  nöthig  gehalten  zu  haben,  die  Sache  eingehender  zu  behan- 
deln, und  die  Art  und  Weise,  wie  sie  dieselbe  behandeln,  ist  so 
charakteristisch  für  die  jesuitische  Theologie  überhaupt,  dass  sie 
wohl  eine  vollständige  Darstellung  und  gründliche  Prüfung  verdient. 


Vorwort.  V 

Fast  gleichzeitig  haben  im  Jahre  1878  die  Jesuiten  H.  Grisar, 
Professor  der  Theologie  an  der  k.  k.  Universität  in  Innsbruck1), 
und  G.  Schneemann2)  den  Galilei'schen  Process  in  wissenschaft- 
lichen Aufsätzen,  etwas  früher,  im  J.  1877,  in  Frankreich  der  Pater 
Eugen  Desjardins3)  in  einer  populären  Broschüre  behandelt.  Der 
Aufsatz  von  Schneemann  ist  freilich  eine  bis  zur  Frivolität  flüchtige 
und  oberflächliche  Arbeit,  und  die  Broschüre  von  Desjardins  ist 
noch  leichtere  Waare;  aber  die  Aufsätze  von  Grisar  bieten  zunächst 
eine  auf  neissigen  Studien  beruhende  Darstellung  des  Galilei'schen 
Processes,  welche  sogar  in  einzelnen  Punkten  dankenswerthe  Be- 
richtigungen und  Vervollständigungen  zu  den  bisherigen  Darstellun- 
gen liefert,  dann  eine  sehr  ausführliche,  die  jesuitische  Auffassung 
in  ihrer  Art  recht  geschickt  vertretende  ,, historisch- theologische  Er- 
örterung über  die  Römischen  Congregations-Decrete  in  der  Ange- 
legenheit des  Copernicanischen  Systems".  Auf  diese  Aufsätze  von 
Grisar  habe  ich  also  bei  meinen  Erörterungen  vorzugsweise  Bezug 
genommen;  daneben  habe  ich  ausser  den  Arbeiten  von  Schneemann 
und  Desjardins  noch  berücksichtigt  einige  ältere  Aufsätze  in  der 
Civilta  cattolica4),  von  dem  französischen  Jesuiten  A.  de  Gabriac5), 
dem  deutschen  Jesuiten  und  k.  k.  Professor  J.  B.  Wenig0),  dem 
Germaniker  Reinerding7),    dem   mit  dem  Jesuitenorden   eng  liirten 


i)  In  der  Innsbrucker  „Zeitschrift  für  katholische  Theologie",  2.  Jahr- 
gang, 1878:  „Der  Galilei'sche  Process  auf  Grund  der  neuesten  Actenpubli- 
cationen  historisch  und  juristisch  geprüft",  S.  65 — 128;  „Die  Römischen 
Congregationsdecrete  in  der  Angelegenheit  des  Copernicanischen  Systems 
historisch  und  theologisch  erörtert",  S.  673 — 736;  dazu  einige  Recensionen 
S.   185  — 192.  601—605. 

2)  „Galileo  Galilei  und  der  Römische  Stuhl"  in  den  „Stimmen  aus 
Maria-Laach",  Jahrgang  1878,  2. — 4.  Heft,  S.    113 — 130.  254  —  270.  389 — 403. 

3)  Encore  Galilee!     Polemique,  Histoire,  Philosophie.    Pau   1877. 

4)  Besonders  Ser.  9  vol.  9  und   10  (1876). 

5)  „Galilee  devant  la  science,  la  religion  et  la  litterature",  in  den  „Etu- 
des  religieuses,  historiques  et  litteraires  par  des  Peres  de  4a  Compagnie  de 
Jesus",  Nouvelle  Serie,  Tome    12   (1867),  p.   528—547. 

6)  Ueber  die  kirchliche  und  politische  Inquisition.  Von  Theophilus 
Philalethes.  Wien  1875  (s-  u-  S.  469).  Ueber  die  Freiheit  der  Wissen- 
schaft. Rede  gehalten  zum-  Amtsantritt  von  J.  B.  Wenig  S.  J.,  o.  ö.  Prof. 
der  Theologie,  d.  Z.  Rector  magnificus  der  k  k.  Universität  zu  Innsbruck. 
Innsbruck   1866. 

7)  „Beiträge  zur  Frage  über  Galileo  Galilei  und  seine  Römische  Ver- 
urtheilung",  in  den  Historisch-politischen  Blättern,  56.  Band  (1865),  S.  42  { 
—439- 


VI  Vorwort. 

französischen  Kanonisten  D.  Bouix,1)  und  einem  noch  über  die  Je- 
suiten hinausgehenden  Infallibilisten,  dem  englischen  Convertiten 
W.  G.  Ward,  —  bis  vor  kurzem  Herausgeber  der  unter  der  Leitung 
des  Cardinais  Manning  erscheinenden  Dublin  Review2),  —  sowie 
die  gelegentlichen  Bemerkungen  in  den  dogmatischen  Werken  des 
Jesuiten-Cardinals  Franzelin3)  und  der  mit  den  Jesuiten  verbrüder- 
ten deutschen  Theologen  J.  B.  Heinrich  und  M.  J.  Scheeben  und 
in  der  Kirchengeschichte  des  neuen  Cardinais  J.  Hergenröther. 
Es  wird  vielleicht  auffallend  erscheinen,  dass  ich  den  ausführ- 
lichen und  scharfsinnigen  Erörterungen  von  Wohlwill,  Cantor  und 
Scartazzini  gegenüber  die  Echtheit  sämmtlicher  Stücke  der  Vatica- 
nischen  sowie  der  von  Gherardi  veröffentlichten  Processacten  fest- 
halte. Dass  man  in  Rom  nicht  fähig  gewesen  sein  sollte,  im  J. 
1632  vor  dem  zweiten  Processe  ein  gefälschtes  Schriftstück  in  die 
Acten  des  ersten  hineinzubringeu,  um  Galilei  um  so  sicherer  ver- 
urtheilen  zu  können,  oder  die  Processacten  vor  ihrer  Auslieferung 
an  die  französische  Regierung  im  J.  1809  oder  vor  ihrer  theil- 
weisen  Veröffentlichung  durch  Monsignor  Marini  im  J.  1850  durch 
die  Entfernung  echter  und  die  Beifügung  gefälschter  Stücke  zu- 
recht zu  machen,  glaube  ich  ebenso  wenig  wie  die  eben  genannten 
Gelehrten.  Aber  dass  dieses  wirklich  geschehen  sei,  scheint  mir 
nach  meinen  ganz  unbefangen  angestellten  Untersuchungen  nicht 
nur  nicht  erwiesen,  sondern  bei  den  meisten  hier  in  Betracht  kom- 
menden Actenstücken  im  höchsten  Grade  unwahrscheinlich  zu  sein. 
Scartazzini  hat  zwar  kürzlich  in  einer  italienischen  Zeitschrift 4)  ver- 
sichert: ,, Die  Deutschen  sind  jetzt  überzeugt,  dass  sich  in  der  Va- 
ticanischen  Handschrift,  welche  die  angeblichen  Acten  des  Gali- 
lei'schen  Processes  enthält,  viele  Lücken  und  nicht  wenige  Fäl- 
schungen finden.  Wenn  noch  irgend  ein  literarischer  Charlatan 
(ciarlatano  delle  lettere)  hartnäckig  dabei  bleibt,  nein  zu  sagen,  so 

1)  La  condamnatioii  de  Galilee.  Lapsus  des  ecrivains  qui  l'opposent 
ä  la  doctrine  de  l'infaillibilite  du  Pape,  in  der  Revue  des  sciences  ecclesia- 
stiques  dirigee  par  M.  l'abbe  D.  Bouix,  2.  Serie,  Tome  3  (1866),  p.  105  — 
140.  217 — 230. 

2)  The  Authority  of  Doctrinal  Decisions  which  are  not  Definiüons  of 
Faitli.  By  W.  G.  Ward,  D.  Ph.  London  1866.  Copernicanism  and  Pope 
Paul  V.,  in  der  Dublin  Review,  New  Series  No.  32  (April  1871),  p.  351  — 
368.  Galileo  and  the  Pontifical  Congregations,  ebend.  No.  33  (July  187 1), 
p.   140 — 169. 

3)  Tractatus  de  divina  traditione   et  scriptura.  Romae   1870. 

4)  Rivista  Europea  1878,  Vol.  8,  p.  790. 


Vorwort.  VII 

lassen  sie  ihn  sprechen  und  gehen  vorüber,  und  das  ist  das  Beste, 
was  man  thun  kann."  Ich  habe  eine  bessere  Meinung  von  den 
Deutschen,  die  sich  für  den  Galilei'schen  Process  interessiren,  und 
hoffe  sogar  von  den  Herren  Wohlwill,  Cantor  und  Scartazzini,  dass 
sie  mich  nicht  darum,  weil  ich  ihre  Ansicht  nicht  theile,  für  einen 
literarischen  Charlatan  halten  und  dass  sie  über  meine  Einwen- 
dungen gegen  ihre  Argumentationen  nicht  zur  einfachen  Tages- 
ordnung übergehen  werden. 

Wenn  ich  aus  den  Briefen  Galilei' s  und  seiner  Zeitgenossen 
noch  reichlichere  Auszüge  in  deutscher  Uebersetzung  in  meine 
Darstellung  verwebe,  als  dieses  in  den  bisherigen  Darstellungen 
geschehen,  so  habe  ich  das  darum  gethan,  weil  es  das  beste 
Mittel  ist,  den  Lesern  ein  treues  und  anschauliches  Bild  von  dem 
Manne  und  seiner  Zeit  vorzuführen.  Die  Originaltexte  der  Briefe, 
namentlich  der  nicht  in  Alberi's  Sammlung  enthaltenen,  sind  ja 
auch  den  meisten  Lesern  nicht  zugänglich. 

Die  neue  Auflage  von  D.  Berti's  Ausgabe  der  Acten  des 
Galilei'schen  Processes  (s.  S.  3)  und  der  Aufsatz  von  E.  Wohl- 
will, „Der  Original-Wortlaut  des  päpstlichen  Urtheils  gegen  Gali- 
lei" (des  Beschlusses  der  Inquisition  vom  16.  Juni  1633;  s.  S.  299), 
in  der  Zts.  für  Math.  1879,  1.  H.,  Hist.-lit.  Abth.,  S.  1  —  26,  sind 
mir  erst  zu  Gesicht  gekommen,  als  bereits  zwanzig  Bogen  meines 
Buches  gedruckt  waren.  Sie  sind  bei  den  folgenden  Bogen  und 
nebst  einigen  anderen  neueren  Publicationen  in  den  Nachträgen 
S.  479  ff.  berücksichtigt  worden. 

Bonn  im  April   1879. 

Reusch. 


INHALT. 


Seite. 
I.     Quellen i 

II.     Galilei's  Persönlichkeit  und  wissenschaftliche  Bedeutung         8 

III.  Galilei  und  die  Peripatetiker 12 

Die  Peripatetiker  S.  12.  Scheiners  Rosa  Ursina  S.  13.  Galilei's 
Entdeckungen  S.  15.  Sidereus  Nuncius  S.  16.  Discorso  sui  Ga- 
leggianti  S.  18.  Die  Copernicanische  Theorie  S.  19.  Galilei 
und  Kepler  S.  20. 

IV.  Galilei's  Reise  nach  Rom  im  J.  161 1.    Seine  Schrift  über 

die  Sonnenflecken 24 

Bellarmin  und  die  Mathematiker  des  Römischen  Collegs  S.  25; 
vgl.  S.  479.  Galilei's  Freunde  in  Rom  S.  26.  Clavius  S.  28. 
Die  erste  Erwähnung  Galilei's  in  den  Acten  der  Inquisition 
S.  29;  vgl.  S.  480.  Scheiner  und  Galilei  über  die  Sonnenflecken 
S.  31. 
V.     Die  Controverse   über  die  theologische  Zulässigkeit  der 

Copernicanischen  Theorie 34 

Brief  an   Castelli  S.  37.     Brief  an    Christina   von   Lothringen 
S.  43.     Briefe  an  Dini  S.  52.     Aeusserungen  der  Cardinäle  Bar- 
berini  und  Bellarmin  und  des  P.  Griemberger  S.   56.     Brief  an 
Diodati    über    Fromond    S.  $7.      Foscarini    S.  59.      Campanella 
Bellarmins  Brief  an  Foscarini  S.  62.    Galilei's  Erwiederung  S.  65. 
VI.     Die  Römische  Inquisition  und  die  Index-Congregation  .       69 
Das  Sacro  Arsenale  und  andere  Literatur  über  die  Inquisition 
S.  74;  vgl.  S.  480. 
VII.  Denunciation   Galilei's   bei  der  Inquisition  im  J.   16 15   .       77 
Niccolö  Lorini  S.  78.    Die  Predigt  Caccini's  S.  78.    Die  Denun- 
ciation Lorini's  S.  82.     Das  Verhör  Caccini's  S.  85. 

VIII.  Galilei's  Briefwechsel  im  J.   16 15 88 

IX.  Galilei  in  Rom,    December   16 15  bis  Juni  16 16     .     .     .       98 
Berichte  Galilei's  S.  99.     Berichte   Querenghi's   und  Guicciar- 
dini's  S.   102. 


Inhalt.  IX 

Seite. 
X.  Die    Verdammung    der     Copernicanischen    Lehre,     25. 

Februar  1616 107 

Qualifikation  der  Copernicanischen  Lehre  S.  107.  Sitzung  der 
Inquisition  25.  Febr.  1616  S.  110.  Index-Decret  vom  5.  März 
1616  S.  in.  Bedeutung  desselben  S.  115.  Verhältniss  des- 
selben zu  dem  Urtheil  der  Qualificatoren  S.  118.  Die  Coperni- 
canische  Lehre  als  „Hypothese"  S.  121.  Bellarmins  Antheil  an 
dem  Index-Decret  S.   125. 

XL  Galilei's  Verwarnung  am  26.  Februar  1616  .  .  .  .  127 
Actenstücke  über  diese  Verwarnung  S.  127  (Die  Bedeutung 
von  teuere  S.  128).  Die  Echtheit  der  Aufzeichnung  („Registratur" 
S.  133)  vom  26.  Febr.  S.  130  (Die  Bedeutung  von  successive  ac 
incontinenti  S.  136).  Tragweite  der  Verwarnung  S.  144  (Die 
Bedeutung  von  tractare  S.   146). 

XII.  Aeusserungen  Galilei's  und  seiner  Freunde  über  die  Ent- 
scheidung vom  J.    16 16 150 

Galilei  nach  Florenz  zurückberufen,  S.  150.  Zeugniss  Bellar- 
mins S.  151;  vgl.  S.  480.  Audienz  bei  Paul  V.  S.  153.  Aeusse- 
rungen über  die  Entscheidung  vom  J.  1616  S.  153.  Die  Haltung 
der  Lincei  S.  154;  vgl.  S.  480.  Brief  an  Erzherzog  Leopold 
S.  155.     Aeusserungen  von  Stelliola,  Castelli  und  Kepler  S.  156. 

XIII.  Galilei's    Controverse     mit     den    Jesuiten    Grassi    und 
Scheiner.     Der  „Saggiatore" .     160 

Die  Controverse  mit  Grassi  S.  160.  Der  Saggiatore  S.  163. 
P.  Riccardi  S.  164.  Denunciation  des  Saggiatore  S.  169.  Schei- 
ners Rosa  Ursina  S.   170.     Scheiners  Verhalten  S.   172. 

XIV.  Galilei  und  Papst  Urban  VIII 174 

Tod  Pauls  V.  S.  174.  Gregor  XV.  S.  175.  Urban  VIII. 
(MafFeo  Barberini)  S.  175.  Ciampoli's  Beförderung  S.  175.  177. 
Die  Cardinäle  Barberini  S.  178.  Galilei  in  Rom  im  J.  1624 
S.   180.     Seine  Pension  S.   181. 

XV.  Galilei's  Schreiben    an    Ingoli    und    andere    Vorarbeiten 

für  den  Dialog 184 

Die  hypothetische  Behandlung  der  Copernicanischen  Lehre 
S.  184.  Das  Schreiben  an  Ingoli  S.  185.  Scipio  Chiaramonti's 
Controverse  mit  Galilei  und  Kepler  S.   188. 

XVI.  Galilei's  Dialog  über  die  beiden  Weltsysteme  ....     192 

Ausarbeitung  des  Dialogs  S.  192.  Galilei  in  Rom  1630  S.  197. 
Verhandlungen  über  die  Approbation  des  Dialogs  S.  198.  202. 
Urbans  VIII.  Einschreiten  gegen  die  Astrologen  S.  200.  Vor- 
rede und  Schluss  des  Dialogs  S.  208. 

XVII.  Urtheile  der  Freunde  Galilei's  über  den  Dialog.     .     .     213 


X  Inhalt. 

Seite. 

XVIII.  Urban  VIII.  und  Galilei's  Dialog 216 

Das   Einschreiten    gegen    den    Dialog    S.  217.     Ae'usserungen 

von  Micanzio  und  Castelli  S.  218.  Charakter  Urbans  VIII. 
S.  221.  Seine  Gespräche  mit  Niccolini  S.  222.  Ciampoli  in 
Ungnade  S.  226.  Urban  VIII.  und  die  Approbation  des  Dia- 
logs S.  227.  Urban  VIII.  und  Simplicio  S.  230.  Die  Jesuiten 
S.  232. 

XIX.  Die  Special-Congregation  (August  und  September  1632)     235 

Mitglieder  der  Congregation.  Oregio  S.  237.  Actenstücke  der- 
selben S.  238.  Der  angeblich  fehlende  Anfang  der  Process- 
acten S.  241.  Die  Anklagepunkte  S.  243.  Aeusserungen  von 
Magalotti  und  Micanzio  S.  244.  Die  Haltung  des  toscanischen 
Hofes  S.  246.     A.  Cioli  S.  248. 

XX.  Galilei's  Vorladung  nach  Rom 248 

Die  erste  Vorladung  S.  248.  Galilei's  Brief  an  Card.  Bar- 
berini  S.  249.     Wiederholte  Vorladungen  S.  254. 

XXI.  Galilei's  Aufenthalt  in  Rom  bis   zu   dem  ersten  Verhöre 

(13.  Februar  bis    12.  April   1633) 259 

Die  Cardinäle  der  Inquisition  S.  260.  Msgr.  Serristori  S.  261. 
Card.  Scaglia  S.  263.  Card.  Cappojii  S.  264.  Galilei's  Haft 
S.  265.     P.  Firenzuola  S.  267.    Die  Verhöre  S.  267. 

XXII.  Das  erste  Verhör  Galilei's 268 

XXIII.  Die  Gutachten  der  Theologen  der  Inquisition   .     .     .     272 
M.  Inchofer  S.  273.     Z.  Pasqualigo  S.  275;  vgl.  S.  481. 

XXIV.  Das  zweite  Verhör  Galilei's,  30.  April  1633.     ...     27g 
Der  Anklagepunkt   S.  279.     Brief  Firenzuola's    an  Card.  Bar- 

berini  S.  283.  Galilei's  Erklärung  im  zweiten  Verhör  S.  285. 
Seine  Entlassung  aus  dem  Inquisitionsgebäude  S.  287.  Die 
Kosten  seines  Aufenthalts  in  Rom  S.  288. 

XXV.  Das  dritte  Verhör  Galilei's,   10.  Mai  1633.  Seine  Ver- 
teidigung             ;......     289 

XXVI.  Die  Sitzung  der  Inquisition  am  16.  Juni   1633  .     .      .     293 
Das  Referat  über  den  Process  S.  294.     Das  angebliche  Fehlen 

der  juristischen  Gutachten  S.  297.  Der  Beschluss  vom  16.  Juni 
1633  S.  299;  vgl.  481.  Das  Verfahren  der  Inquisition:  Verhör 
über  die  Intention  S.  303.  Anwendung  der  Folter  S.  304.  Die 
Formel  sine  praeiudicio  etc.  S.  304.  Der  Ausdruck  „katholisch 
antworten"  S.  305.  Der  Ausdruck  et  si  sustinuerit  S.  312;  vgl. 
S.  481. 

XXVII.  Das  vierte  Verhör  Galilei's,   21.  Juni   1633    .     .     .     .     3J5 
Die  Echtheit  des  Protocolls  über  dieses  Verhör  S.  317. 


Inhalt.  XI 

Seite. 

XXVIII.  Die  Verkündigung  des  Urtheils  und  die  Abschwörung 
Galilei's,    22.  Juni   1633  ' 322 

Wortlaut  des  Urtheils  S.  323.  Wortlaut  der  Abschwörung 
S.  329.  Das  Urtheil  von  drei  Cardinälen  nicht  unterschrieben. 
S.  331.  Art  und  Weise  der  Abschwörung  S.  332.  E  pur  si 
muove  S.  334. 

XXIX.  Das  Vergehen  Galilei's 336 

Die  Copernicanische  Lehre  als  ketzerisch  erklärt  S.  336,  nicht 

bloss  als  temerär  S.  339.     Nicht  zwei  Anklagepunkte  S.   342. 

XXX.  Die  Aufzeichnung  vom  26.  Februar  1616  und  die  Ver- 
urteilung Galilei's  im  J.   1633 346 

Wohlwills  Ansicht  S.  346.  Scartazzini's  Ansicht  S.  349.  Ric- 
cardi's  Stellung  in  dem  Processe  S.  351. 

XXXI.  Ist  Galilei  gefoltert  worden? 357 

Territio    verbalis    und    realis    S.  358.      Examen    rigorosum 

S.  361. 

XXXII.  Publication    des    Urtheils    gegen  Galilei    an   anderen 
Orten 371 

Der  Dialog  auf  den  Index  gesetzt  S.  376.  Verweigerung  der 
Druck-Erlaubniss  für  Galilei's  Werke  S.  377.  Galilei  soll  nicht 
clarissimus  genannt  werden   S.   378. 

XXXIII.  Die  Behandlung  Galilei's  nach  der  Verurtheilung    .    379 
Galilei  aus  der  Haft  entlassen  S.  379.     Erlaubniss,  nach  Siena 

zu  reisen  S.  380.  Aufenthalt  in  Siena.  Denunciation  gegen  den 
Erzbischof  Piccolomini  S.  385.  Galilei  auf  seiner  Villa  zu  Arcetri 
S.  386.  Verwendungen  von  Castelli,  Peiresc,  Noailles  und  König 
Ladislaus  von  Polen  S.  389.  Galilei  erblindet  S.  393.  Erlaub- 
niss zur  Uebersiedelung  nach  Florenz  S.  396.  Verhandlungen 
mit  den  holländischen  Generalstaaten  S.  399.  Besuch  Castelli's 
S.  402.     Andere  Besuche  S.  407.     Gehülfen  Galilei's  S.  409. 

XXXIV.  Galilei's  schriftstellerische  Arbeiten  seit  1633  .      .     .411 
Eine   lateinische  Uebersetzuhg    des   Dialogs   und    des   Briefes 

an   die    Grossherzogin    Christina  in  Strassburg  gedruckt  S.  414. 

Die  Dialoge  über  die  neuen  Wissenschaften  S.  416.     Projectirte 

Publicationen  S.  419.      Streitschriften  gegen  den  Dialog  S.  420. 

XXXV.  Aeusserungen  Galilei's  und  seiner  Freunde  über  das 

Urtheil  vom  J.   1633 424 

XXXVI.  Galilei's  Tod  und  Bestattung 432 

Verhandlungen  mit  der  Inquisition  über  ein  Denkmal  S.  433. 

Das  Actenstück  vom  14.  Juni  1734  S.  436. 

XXXVII.  Die  Römische  Curie  und  das  Copernicanische  System 
1633-1822 437 

Verhandlungen  im  J.  1693  S.  438,  unter  Benedict  XIV.  S.  439. 


XII  Inhalt. 

Seite. 
Die   Ausgabe   des    Dialogs    vom    J.    1744   S.  440.     Approbation 
des  Buches   von    Settele  und   Aufhebung   des    Deoretes   vom  J. 
1616  S.  441. 

XXXVIII.  Die  Verdammung  der  Copernicanischen  Lehre  und 

die  päpstliche  Unfehlbarkeit 442 

XXXIX.  Die  Versuche,  die  Verdammung  der  Copernicanischen 
Lehre  zu  entschuldigen 452 

XL.    Epilogus  galeatus 466 

Nachträge 479 

Personen-Register 483 


I. 

Quellen. 

Der  grösste  Theil  der  Acten  der  beiden  gegen  Galilei 
in  den  Jahren  1615 — 16  und  1632 — 33  geführten  Processe 
der  römischen  Inquisition  ist  in  einen  ziemlich  starken 
Quartband  zusammengeheftet,  der  sich  im  geheimen  Archiv 
des  Vaticans  befindet 1).  Unter  Napoleon  L,  wahrscheinlich 
im  J.  1809,  wurden  diese  Acten  mit  anderen  archivalischen 
Schätzen  nach  Paris  gebracht.  Der  Plan,  dieselben  dort 
mit  Beifügung  einer  französischen  Uebersetzung  zu  veröffent- 
lichen, kam  nicht  zur  Ausführung.  Die  päpstliche  Regie- 
rung bemühte  sich  seit  dem  J.  18 14,  die  Acten  zurückzuer- 
halten; aber  erst  1845  oder  1846  wurden  sie  zurückgegeben, 
und  zwar  unter  der  ausdrücklichen  Bedingung,  dass  dieselben 
in  Rom  veröffentlicht  würden.  Unter  Gregor  XVI.  wurde 
das  von  der  Curie  gegebene  Versprechen  gar  nicht  er- 
füllt, unter  Pius  IX.  nur  in  sehr  unvollkommener  Weise 
durch  das  im  J.  1850  von  dem  Präfecten  der  Vaticanischen 
Bibliothek,  Monsignor  Marino  Marini,  veröffentlichte  Werk 
„Galileo  e  l'Inquisizione.  Memorie  storico-critiche".  Denn 
dieses  Werk  ist  nichts  weniger  als  ein  vollständiger  Abdruck 
der  Acten;  es  ist  vielmehr  eine  weder  genaue  noch  unpar- 
teiische Darstellung  der  Geschichte  der  beiden  Processe, 
welcher  Auszüge  und  Fragmente  der  Acten  beigefügt  sind. 
Von  manchen  wichtigen  Actenstücken  wird  nichts  gesagt; 
die  Auszüge  aus  anderen  sind  ungeschickt  und  tendenziös 
gemacht.  P.  Grisar  charakterisirt  die  Arbeit  nicht  richtig, 
wenn  er  S.  66  sagt: ,, Marini,  welcher  im  Einvernehmen  Pius' IX. 
im  J.  1850  die  vielbesprochenen  Processacten  veröffentlichen 


1)  Vgl.  K.  v.   Gebier,  Die  Acten  des  Galilei'schen  Processes  S.  VII; 
zu  dem  Folgenden  ebend.  S.  XXXIII  und  Galilei  S.   385. 

Reu  seil,  Galilei,  I 


2  Quellen. 

sollte",  —  von  einer  von  der  Curie  übernommenen  Verpflich- 
tung sagt  Grisar  nichts,  —  „hatte  sich  leider  bei  seiner 
Arbeit"  —  doch  auch  wohl  „im  Einverständnisse  Pius'  IX." 
—  ,, nicht  entschlossen,  die  Documente  so,  wie  sie  waren, 
mitzutheilen.  Er  hob  nur  das  Wichtigste  getreu  heraus. 
Mit  seiner  apologetisch  gehaltenen,  im  Ganzen  trefflichen 
Schrift  erfuhr  er  darum  das  Unglück,  nur  um  so  mehr 
allerseits  die  Verdächtigung  zu  provociren,  als  habe  er  ge- 
rade das  Bedeutendste  unterschlagen  und  als  dürfe  und 
könne  Rom  des  eigenen  Interesses  halber  mit  den  unver- 
kürzten Acten  nicht  ans  Licht  treten."  P.  Desjardins  be- 
hauptet sogar  S.  8 :  „Das  Buch  is*t  freilich  unvollständig  und 
ungenügend,  aber  gewissenhaft  und  unparteiisch."  Selbst  H. 
de  l'Epinois  sagt:  „Das  Buch  Marini's  leistete  nicht  das, 
was  man  von  einem  Präfecten  der  Vaticanischen  Archive 
erwartete:  statt  des  lange  geforderten  Textes  des  Processes 
fand  man  nur  hie  und  da  ziemlich  kurze  Bruchstücke,  los- 
gerissene Sätze,  welche  die  Wissbegierde  gar  nicht  befrie- 
digten und  gestatteten,  an  Reticenzen  zu  glauben"1).  Es 
war  nicht  geeignet,  den  durch  diese  unvollständige  Publi- 
cation  hervorgerufenen  Verdacht  zu  beseitigen,  dass  Ande- 
ren, wie  dem  Herausgeber  der  Werke  Galilei's,  Eugenio 
Alberi,  und  dem  deutschen  Mathematiker  Moriz  Cantor2), 
die  Einsichtnahme  der  Acten  verweigert  wurde. 

Erst  1867  erhielt  der  französische  Gelehrte  Henri  de 
TEpinois  von  dem  damaligen  Präfecten  des  Vaticanischen 
Archivs,  Dr.  A.  Theiner,  die  Erlaubniss,  die  Actenstücke  zu 
copiren.  Er  copirte  aber  nur  die  wichtigsten  und  machte 
von  den  anderen  nur  kurze  Inhaltsangaben.  Was  er  auf- 
gezeichnet hatte,  veröffentlichte  er  im  Juli  1867  in  der  Pa- 
riser „Revue  des  questions  historiques"3).  Seine  Publication 
ist  sehr  unvollkommen,  machte  es  aber  möglich,  viele  Fehler 
Marini's  zu  corrigiren. 

Der  Professor  Pietro  Riccardi,  welcher  1872  zu  Mo- 
dena  eine  „Bibliografia  Galileiana"  veröffentlichte,  Hess  1873 


i)  Galilee  p.  9.  Schärfere  Urtheile  mit  beigefügter  Begründung  s.  bei 
Th.  H.  Martin,  Galilee  p.  395.  407.  124.  173.  268.  Gebier,  Galilei  S.  390; 
Acten  S.  XXXVI.  Wohlwill,  Der  Inquisitionsprocess  des  Galilei  S.  53; 
Ist  Galilei  gefoltert  worden?   S.  132.  2)  Zts.  f.  Math.   1864,   187. 

3)  Separat  abgedruckt  unter  dem  Titel:  Galilee,  son  proces,  sa  con- 
demnalion  d'apres   des   documents  inedits.     Paris    1867. 


Quellen.  3 

im  XIV.  Bande  der  „Memorie  della  R.  Accademia  di  Scienze, 
Lettere  ed  Arti  in  Modena"  die  von  H.  de  l'Epinois  ver- 
öffentlichten Actenstücke  nebst  den  gleich  zu  erwähnenden 
von  Gherardi  publicirten  und  einigen  schon  früher  bekannt 
gemachten  Documenten  zusammen  abdrucken1). 

Im  J.  1876  erhielt  der  Professor  Domenico  Berti  von 
Theiner  die  Erlaubniss,  die  Actenstücke  zu  copiren.  Grisar, 
der  von  de  l'Epinois  sagt,  er  habe  1867  „die  noch  unbe- 
kannten Theile  des  Processes  [nicht  vollständig]  mit  Er- 
laubniss der  römischen  Archivvorstände  herausgegeben", 
sagt  von  Berti  S.  67:  ,,Der  Oratorianer  A.  Theiner  hatte 
ihm  das  Manuscript  zur  Benützung  anheimgegeben,  mit 
welcher  Vollmacht,  können  wir  nicht  entscheiden".  In  der 
„Nuova  Antologia"  vom  December  1876  (T.  33,  p.  854)  ist 
ein  Brief  des  Cardinals  Antonelli  vom  28.  Febr.  1870  abge- 
druckt, worin  er  Berti  mittheilt,  Theiner  sei  von  ihm  ange- 
wiesen, ihm  das  Manuscript  zur  Benutzung  anheimzugeben2). 
Auch  Berti  hat  aber  in  dem  Buche  ,,11  Processo  originale 
di  Galileo  Galilei  pubblicato  per  la  prima  volta",  Rom  1876, 
die  Actenstücke  weder  vollständig  noch  genau  veröffent- 
licht3). Einige  Berichtigungen  zu  Berti's  Abdruck  veröffent- 
lichte noch  im  J.  1876  der  Römische  Priester  Sante  Pieralisi, 
Bibliothekar  der  Barberiniana,  — welcher  1858  acht  unedirte 
Briefe  Galilei's  und  1875  das  Buch  „Urbano  VIII  e  Galileo 
Galilei"  herausgegeben  hatte,  —  in  der  Broschüre  ,,Corre- 
zioni  al  libro  Urbano  VIII  e  G.  Galilei  con  osservazioni 
sopra  il  processo  originale  di  G.  Galilei  pubblicato  da  D. 
Berti". 

Im  April  1877  wandte  sich  Karl  von  Gebier,  der  Ver- 
fasser des  1876  erschienenen  Werkes  „Galileo  Galilei  und 
die  Römische  Curie",  an  die  österreichische  Botschaft  in  Rom 
mit  der  Bitte,  ihm  die  Erlaubniss  zur  Benutzung  der  Acten- 
stücke zu  erwirken.     Schon  am  9.  Mai  theilte  ihm  die  Bot- 


1)  Separat  abgedruckt  unter  dem  Titel:  Di  alcune  recenti  memorie  sul 
processo  e  sulla  condanna  del  Galilei.  Nota  e  documenti  aggiunti  alla 
Bibliografia  Galileiana  del  Prof.  Cav.  Pietro  Riccardi.     Modena   1873. 

2)  Der  Brief  Antonelli's  ist,  aber  ohne  Unterschrift,  schon  in  Berti's 
Buch  S.  LVI  abgedruckt. 

3)  H.  de  l'Epinois,  Les  pieces  du  proces  p.  VII.  Berti  hat  1875  das 
Buch:  Copernico  e  le  vicende  del  sistema  Copernicano  in  Italia  nella  seconda 
metä  del   secolo  XVI  e  nella  prima  del  secolo  XVII  veröffentlicht. 


4  Quellen. 

schaft  mit,  der  Cardinal-Staatssecretär  Simeoni  werde  ihm, 
wenn  er  nach  Rom  komme,  die  Benutzung  der  Actenstücke 
gestatten.  Gebier  reiste  nun  sofort  nach  Rom  und  erhielt 
ohne  alle  Schwierigkeit  die  Erlaubniss,  die  Actenstücke  voll- 
ständig abzuschreiben  und  drucken  zu  lassen.  Ihm  verdan- 
ken wir  eine  sehr  genaue  Beschreibung  und  einen  ganz 
vollständigen,  mit  grosser  Sorgfalt  veranstalteten  Abdruck 
des  Actenbandes  in  dem  Buche:  „Die  Acten  des  Galilei' - 
schen  Processes",  Stuttgart  1877. 

Gleichzeitig  mit  Gebier  hat  H.  de  l'Epinois  die  Acten- 
stücke zum  zweiten  Male  eingesehen  und  gleichfalls  einen 
vollständigen  Abdruck  derselben  besorgt:  „Les  pieces  du 
proces  de  Galilee,  precedees  d'un  avant-propos",  Paris  1877. 
Die  Publication  von  Gebier  ist  aber  genauer;  die  von  Epi- 
nois  hat  vor  ihr  nur  den  Einen  Vorzug,  dass  ihr  photogra- 
phische Facsimile's  von  elf  Stellen  des  Manuscriptes  beige- 
geben sind1). 

Der  Quartband,  welcher  sich  im  Vaticanischen  Archiv 
befindet,  enthält  übrigens  nicht  alle  auf  den  Galilei'schen 
Process  bezüglichen  Actenstücke.  Es  befinden  sich  darin 
z.  B.  nicht  zwei  der  wichtigsten,  das  am  22.  Juni  1633  pub- 
licirte  Urtheil  der  Inquisition  und  die  Formel  der  Abschwö- 
rung Galilei's.  Dass  nicht  alle  Actenstücke  in  dem  Vatica- 
nischen Manuscripte  enthalten  sind,  erklärt  sich  aus  Folgen- 
dem: Die  Acten  der  römischen  Inquisition  wurden  in  zwei 
Serien  von  Bänden  aufbewahrt.  Die  eine  Serie  enthält  die 
„Decreta",  d.  h.  die  Protocolle  über  die  Sitzungen  der  Con- 
gregation  der  Inquisition  oder  des  h.  Officiums  und  die 
darin  gefassten  Beschlüsse;  die  andere  Serie  enthält  die 
„Processus",  d.  h.  die  Protocolle  über  die  Verhöre  der  An- 
geklagten und  die  Actenstücke  zu  den  Processen,  Briefe, 
Gutachten  der  Consultoren,  Verteidigungsschriften  der  An- 
geklagten u.  s.  w.  (dazu  kommen  drittens  noch  Register- 
bände, „Rubricelle").  Der  fragliche  Quartband  des  Vatica- 
nischen Archivs  ist  nun  zusammengesetzt  aus  Stücken,  welche 
zwei  verschiedenen  Bänden  der  zweiten  Serie  entnommen 
sind:  aus  dem  einen  Bande  sind  die  auf  den  ersten,  aus  dem 
andern  die  auf  den  zweiten  Process  bezüglichen  Actenstücke 


1)  Berichtigungen   zu    seiner   Ausgabe    gibt   Epinois  in    der  Schrift  La 
question  de  Galilee,  Paris   1878,  p.   3 II. 


Quellen.  5 

entnommen.     Aus  den  Bänden,  welche  die  Decreta  enthalten, 
ist  in  das  Vaticanische  Manuscript  nichts  aufgenommen1). 

Eine  Anzahl  von  Decreta,  welche  Galilei  betreffen,  sind 
aber  1870  zu  Florenz  in  der  ,,Rivista  Europea"  von  dem 
Professor  Silvestro  Gherardi  veröffentlicht  worden,  welcher 
sie  in  den  Jahren  1 848  und  1 84g  während  seines  Aufenthalts 
in  Rom,  —  er  war  dort  einige  Zeit  Unterrichtsminister,  — 
theils  selbst  abgeschrieben,  theils  aus  einer  bereits  früher, 
wahrscheinlich  für  den  Herzog  von  Blacas,  gemachten  Ab- 
schrift entnommen  hat2).  Von  dem  Verhältniss  dieser  Acten- 
stücke  zu  den  Vaticanischen  wird  unten  §  VI  gesprochen 
werden. 

Die  beiden  oben  erwähnten  Actenstücke,  das  Urtheil 
vom  22.  Juli  1633  und  die  Abschwörungsformel,  welche  sich 
weder  bei  Gebier  noch  bei  Gherardi  finden,  sind  bereits  im 
17.  Jahrhundert  veröffentlicht  und  seitdem  oft,  italienisch  und 
lateinisch3),  abgedruckt  worden.  Der  italienische  Text, 
welcher  der  Originaltext  ist4),  steht  u.  a.  in  Alberi' s  Aus- 
gabe der  Werke  Galilei's  und  bei  Riccardi.  Bei  Alberi  . 
finden  sich  auch  mehrere  die  Processe  betreffende  Acten- 
stücke aus  Florenzer  Archiven;  andere  hat  Arturo  Wolynski5) 
herausgegeben. 

Ausser  diesen  Actenstücken  sind  für  die  Darstellung 
der  Processe  zu  benutzen  die  Werke  Galilei's  und  seiner 
Gegner,  Briefe  von  ihm  und  an  ihn  und  andere  Briefe  aus 
seiner  Zeit.  Dieses  Material  findet  sich  grösstentheils  in 
der  erwähnten  Ausgabe  der  ,,Opere  di  Galileo  Galilei" 
von  Eugenio  Alberi  (f  1878),  welche  1842 — 56  zu  Florenz  in 
15    Bänden    und    einem    Supplementbande    erschienen    ist6). 

1)  Vgl.  Gherardi  in  der  gleich  anzuführenden  Schrift  S.  6.  Die  „Pro- 
cessus" wurden  wohl  in  dem  Palast  der  Inquisition  aufbewahrt,  wo  die  Ver- 
höre stattfanden,  die  „Decreta"  in  dem  Dominicanerkloster  della  Minerva, 
wo   die   Inquisition   ihre  Sitzungen  hielt.     Berti,  II  processo  p.  CXXXVIII. 

2)  Separat- Abdruck :  II  Processo  Galileo  riveduto  sopra  documenti  di 
nuova  fönte  dal  Prof.  Comm.  Silvestro  Gherardi.  Florenz  1870.  Die  wich- 
tigsten dieser  Stücke  sind  abgedruckt  bei   Gebier,   Galilei,  S.  400  ff. 

3)  Lateinisch  auch  bei  Gebier,   Galilei  S.  422. 

4)  S.  Wohlwill,  Ist  Galilei  gefoltert  worden?  S.    170. 

5)  Lettere  inedite  a  G.  Galilei  und  La  Diplomazia  Toscana  e  G.  Ga- 
lilei, Florenz  1874  (beide  mir  nicht  zugänglich);  Nuovi  Documenti  inediti 
del  Processo  di  G.   Galilei,  Florenz   1878. 

6)  Nach    dieser  Ausgabe    citire   ich,    indem  ich    in   lateinischen  Ziffern 


6  Quellen. 

Nachträge  dazu  haben  Pieralisi,  Berti,  Wolynski  und  An- 
dere1) veröffentlicht. 

Von  geringem  Werthe  für  unsern  Zweck  sind  der  Be- 
richt von  Gioan  Francesco  Buonamici  über  den  zweiten 
Process  und  die  Biographieen  Galilei's  von  dem  Canonicus 
Gherardini  und  von  seinem  Schüler  Vincenzo  Viviani.  Buona- 
mici hat  zwar  seinen  Bericht  im  Sommer  1633  in  Rom  ver- 
fasst  und  Galilei  selbst  vorgelegt2),  —  er  wurde  abschrift- 
lich als  „Zeitung"  nach  verschiedenen  Ländern  versandt3); 

—  aber  Galilei  äussert  sich  über  den  Inhalt  nicht,  einzelne 
Angaben  desselben  sind  nachweislich  unrichtig  und  darum 
auch  die  anderen  nicht  zuverlässig.  Gherardini4)  geht  über 
den  Process  mit  einigen  dunkelen  Andeutungen  hinweg, 
Viviani' aber  hat  in  seiner  1654  verfassten,  1718  zuerst  ge- 
druckten Biographie  Galilei's5),  wie  wir  sehen  werden,  den 
Process  und  was  damit  zusammenhängt,  aus  Rücksichten 
gegen  die  Inquisition  und  den  toscanischen  Hof  unrichtig, 

—  Wohlwill  urtheilt  nicht  zu  hart,  wenn  er  sagt:  ,,in  be- 
wusster  Unwahrheit",  —  dargestellt6).  —  Eine  notorische 
Fälschung  ist  ein  bei  vielen  früheren  Darstellungen  benutz- 
ter angeblicher  Brief  Galilei's  an  seinen  Schüler  Vincenzo 
Renieri7). 


den  Band   (mit  Suppl.   den    Supplementband),    in    arabischen    die   Seitenzahl 
angebe. 

1)  Vgl.  Wohlwill,  Ist  Galilei  gefoltert  worden?  S.  36.  Auch  die 
älteren  Sammelwerke  von  G.  B.  Venturi  (Memorie  e  Lettere  di  G.  Galilei, 
Modena  1821,  2  Theile)  und  Gio.  Targioni  Tozzetti  (Notizie  degli  aggran- 
dimenti  delle  scienze  fisiche  accaduti  in  Toscana,  Florenz  1780,  3  Bände) 
enthalten  einiges,  was  Alberi  nicht  aufgenommen. 

2)  IX,  392.  449. 

3)  C.  Guasti,  Le  relazioni  di  Galilei  con  alcuni  Pratesi  a  proposito 
del  falso  Buonamici  scoperto  dal  Sig.  Th.  H.  Martin  [Galilee  p.  185.  393], 
im  Archivio  storico  S.  3,  T.   17  (1873),  p.  32. 

4)  Seine  Vita  di  Galilei  ist  abgedruckt  bei  Targioni  II,  62 — 76. 

5)  Abgedruckt  XV,  321— 3  80. 

6)  Wohlwill  a.  a.  O.  S.   2.   Vgl.  Martin  p.  IV.  262.  398. 

7)  VII,  40.  Vgl.  A.  v.  Reumont,  Beiträge  zur  ital.  Gesch.  I,  386. 
Obschon  die  Fälschung  längst  aufgedeckt  ist,  wird  der  Brief  noch  im  J.  1875 
als  echt  citirt  von  P.  Wenig  S.  53,  der  sonst  nur  die  Werke  von  Venturi 
und  Marini  kennt,  von  Alberi  und  Epinois  keine  Notiz  nimmt.  —  Notorische 
Fälschungen  sind  auch  die  1862  von  Michel  Chasles  producirten  Briefe  Ga- 
lilei's; s.  Martin  p.  388.  394. 


Quellen.  7 

E.  Wohlwill  hat  im  J.  1870  in  einer  kleinen  Schrift, 
„Der  Inquisitionsprocess  des  G.  Galilei",  und  gleichzeitig 
mit  ihm  S.  Gherardi  in  der  „Rivista  Europea"  die  Vermuthung 
zu  begründen  versucht,  ein  in  dem  Vaticanischen  Manuscript 
enthaltenes,  auf  den  ersten  Process  bezügliches  Actenstück 
vom  26.  Februar  16 16  sei  nicht  echt,  sondern  erst  kurz  vor 
dem  zweiten  Processe  fabricirt  worden.  Diese  Ansicht  hat 
bei  den  Meisten,  welche  seitdem  über  den  Galilei'schen 
Process  geschrieben  haben,  Zustimmung  gefunden.  In  seiner 
zweiten,  im  J.  1877  erschienenen  Schrift,  „Ist  Galilei  gefol- 
tert worden?"  sucht  Wohlwill  zu  erweisen,  dass  auch  das 
Protocoll  vom  21.  Juni  1633  gefälscht  sei  und  dass  der  Vati- 
canische  Actenband  auch  noch  andere  gefälschte  Actenstücke 
enthalte,  während  ein  Theil  der  echten  Actenstücke  ver- 
nichtet worden  sei.  Das  im  J.  1809  nach  Frankreich  ge- 
brachte Manuscript,  meint  er,  habe  nur  einen  Theil  der  jetzt 
im  Vatican  aufbewahrten  Actensammlung  umfasst;  ihre 
jetzige  Gestalt  habe  diese  erst  nach  der  Rücklieferung  im 
J.  1845  in  Rom,  allem  Anscheine  nach  durch  Marini,  er- 
halten, der  mit  dem  aus  Frankreich  zurückgebrachten  Fas- 
cikel  die  in  Rom  zurückbehaltenen  Documente  vereinigt 
oder  wieder  vereinigt,  aber  dabei  auch  „mehr  und  anderes" 
gethan  haben  könne.  In  mehreren  Aufsätzen  in  Zeit- 
schriften ist  dieser  Versuch,  Fälschungen  in  den  Acten  nach- 
zuweisen, noch  weiter  ausgedehnt  worden.  Die  Frage  nach 
der  Echtheit  der  einzelnen  Actenstücke  wird  in  den  folgen- 
den Abschnitten  mehr  oder  weniger  ausführlich  zu  erörtern 
sein ;  hier  mag  vorläufig  nur  bemerkt  werden,  dass  die  drei 
Gelehrten,  welche  das  Vaticanische  Manuscript  in  Händen 
gehabt,  Epinois,  Berti  und  Gebier,  alle  Stücke  desselben  für 
echt  halten.  Gebier,  der  in  seinem  ersten  Werke  der  An- 
sicht Wohlwills  von  der'  Fälschung  des  Actenstückes  vom 
26.  Februar  1626  zugestimmt  hatte,  hat  sogar,  nachdem  er 
das  Manuscript  geprüft,  diese  Zustimmung  zurückgenommen. 


8  Galilei's  Persönlichkeit  und  wissenschaftliche  Bedeutung. 

'iL 
Galilei's  Persönlichkeit  und  wissenschaftliche  Bedeutung. 

Ich  beabsichtige  nicht,  eine  vollständige  Biographie 
Galilei's  zu  schreiben;  aber  folgende  Notizen  werden  für  das 
Verständniss  der  Darstellung  des  Abschnittes  seines  Lebens 
dienlich  sein,  welcher  das  Thema  meiner  Schrift  ist. 

Galileo  Galilei,  ein  Sohn  des  Florentiners  Vincenzo  Ga- 
lilei, wurde  bei  einem  vorübergehenden  Aufenthalte  seiner 
Eltern  zu  Pisa  geboren  am  18.  Februar  1564  (nach  dem  Ju- 
lianischen Kalender),  an  demselben  Tage,  an  welchem  Michel- 
angelo Buonarotti  in  Rom  starb.  Vom  Herbst  1581  bis 
1586  studierte  er  zu  Pisa  zuerst  auf  den  Wunsch  seines 
Vaters  Medicin,  dann,  seiner  eigenen  Neigung  folgend, 
Mathematik  und  Physik.  1587  machte  er  eine  Reise  nach 
Rom.  1589  wurde  er  Professor  der  Mathematik  zu  Pisa. 
1592  wurde  er  von  der  Venetianischen  Regierung  an  die 
Universität  Padua,  von  da  16 10  von  dem  Grossherzog  Co- 
simo  IL  als  ,, erster  grossherzoglicher  Mathematiker  und 
Philosoph"  mit  einem  Gehalt  von  1000  Scudi  nach  Florenz 
berufen.  Er  erhielt  auch  den  Titel  eines  „ersten  Mathema- 
tikers der  Universität  Pisa",  wurde  aber  von  der  Ver- 
pflichtung, dort  zu  dociren,  entbunden.  Er  Wohnte  seitdem 
in  Florenz  oder-  auf  einer  Villa  in  der  Nähe  der  Stadt. 
Ueber  das  Motiv  seiner  Uebersiedelung  von  Padua  nach 
Florenz  erhalten  wir  Aufschluss  in  einem  der  Briefe,  welche 
er  während  der  Verhandlungen  über  seine  Berufung  nach 
Florenz  an  den  grossherzoglichen  Minister  Belisario  Vinta 
schrieb1).  Er  sagt  darin:  ,,Wenn  ich  in  mein  Vaterland 
zurückkehren  soll,  so  wünschte  ich,  dass  Seine  Hoheit  mir 
Zeit  und  Gelegenheit  verschaffte,  meine  Werke  zu  vollen- 
den, ohne  dass  ich  mich  mit  Vorlesungen  zu  beschäftigen 
hätte.  Ich  möchte  aber  nicht,  dass  Seine  Hoheit  darum 
glaubte,  meine  Thätigkeit  werde  für  die  Freunde  meiner 
Wissenschaft  weniger  förderlich  sein;  sie  würde  dieses  viel- 
mehr in  grösserm  Maasse  sein.  In  den  öffentlichen  Vor- 
lesungen können  nur  die  ersten  Elemente  vorgetragen  wer- 
den. Dazu  aber  sind  Viele  im  Stande,  und  eine  solche 
Lehrthätigkeit  würde  mich  nur  hindern  und  mir  in  keiner 
Weise  dienlich  sein,  meine  Werke  zu  vollenden,  von  denen 

1)  Vi,  96. 


Galilei's  Persönlichkeit  und  wissenschaftliche  Bedeutung.  9 

ich  glaube,    dass   sie  in  der  Literatur  meiner  Wissenschaft 
nicht  den  letzten  Platz  einnehmen  werden." 

Es  wird  von  keiner  Seite  bestritten,  dass  Galilei  zu 
den  grössten  Gelehrten  seiner  Zeit  gehörte  und  dass  ihm 
in  der  Geschichte  der  Mathematik,  Physik  und  Astronomie 
eine  hervorragende  Stelle  zukommt.  Das  schliesst  nicht 
aus,  dass  der  Fortschritt  der  Forschungen  auf  diesen  Ge- 
bieten manche  seiner  Ansichten  als  irrig  und  manche  seiner 
Argumente  als  ungenügend  erwiesen  hat.  Eine  genauere 
Würdigung  seiner  wissenschaftlichen  Leistungen  ist  natür- 
lich nur  für  Fachgelehrte  möglich,  und  ihr  Urtheil  wird  ver- 
schieden ausfallen,  je  nachdem  sie  an  Galilei's  Leistungen 
den  Stand  der  Wissenschaften  in  der  Gegenwart  oder  in 
der  Galilei  unmittelbar  vorhergehenden  Zeit  als  Massstab 
anlegen  und  die  Leistungen  seiner  Zeitgenossen  mehr  oder 
minder  eingehend  und  unparteiisch  berücksichtigen.  Es 
lässt  sich  auch  nicht  verkennen,  dass  gerade,  bei  der  Be- 
urtheilung  eines  Mannes  wie  Galilei  die  Gefahr  nahe  liegt 
und  von  manchen  Beurtheilern  nicht  vermieden  worden  istx 
entweder  einseitig  und  übertrieben  zu  loben  oder  ungebühr- 
lich herabzusetzen.  Mich  selbst  halte  ich  zu  einer  gründ- 
lichen Würdigung  der  wissenschaftlichen  Leistungen  Gali- 
lei's ebenso  wenig  für  competent  wie  andere  Theologen, 
welche  über  den  Galilei'schen  Process  geschrieben  haben. 
Der  Darstellung,  welche  mehrere  Jesuiten  in  der  neuesten 
Zeit  mit  Berufung  auf  Urtheile  von  Fachgelehrten  entworfen 
haben,  um  nachzuweisen,  dass  Galilei  „nicht  unfehlbar"  war, 
dass  er  mitunter  voreilig  Schlüsse  zog,  ohne  gehörige  Be- 
obachtungen angestellt  zu  haben,  dass  er  einmal  einen 
„grossen  physicalischen  Unsinn  zu  beweisen  trachtet",  dass 
er  „höchst  unklare  Begriffe  von  der  Atmosphäre  hatte  und 
die  [jetzt]  bekanntesten  Eigenschaften  der  Luft  übersah", 
dass  er  „sich  mit  den  genauesten  Forschungen  und  Berech- 
nungen der  Astronomen  in  Widerspruch  verwickelt"  u.  s.  w. 
u.  s.  w. *),    —    dieser   Darstellung    könnte    ich    ohne    grosse 

1)  'Schneemann  S.  124,  A.  de  Gabriac  p.  529.  Desjardins  p.  II.  Von 
Gabriac  sagt  Martin,  Galilee  p.  416,  mit  Recht:  „In  seiner  Verstimmung 
über  die  Ponsard'sche  Tragödie  Galilee  hat  er  alles  Böse  zusammengetragen 
und  übertrieben,  was  über  Galilei  mit  Unrecht  gesagt  worden  ist  von  seinen 
Gegnern  von  allen  Farben,  ohne  sich  um  die  Gegenbeweise  zu  kümmern". 
Gabriac  und  Desjardins    stützen    sich   bei    ihren    Bemerkungen  über  Galilei's 


io  Galilei's  Persönlichkeit  und  wissenschaftliche  Bedeutung. 

Mühe  mit  Benutzung-  der  Arbeiten  anderer  Fachgelehrten 
eine  für  Galilei  günstiger  lautende  entgegenstellen.  Aber 
in  eine  Schrift  über  den  Galilei'schen  Process  gehören  der- 
gleichen Auseinandersetzungen  nicht  hinein;  denn  um  diese 
Dinge  hat  es  sich  bei  dem  Processe  nicht  gehandelt. 

Noch  geflissentlicher  als  die  Mängel  an  Galilei's  wissen- 
schaftlichen Leistungen  heben  die  erwähnten  Jesuiten  die 
„dunkelen  Flecken"  in  seinem  persönlichen  Charakter  her- 
vor. Es  handelt  sich  dabei  zunächst  um  einen  allerdings 
sehr  dunkeln  Flecken  in  seinem  Privatleben.  Galilei  war 
nie  verheirathet,  hatte  aber  von  einer  Venetianerin,  Marina 
Gamba,  mit  der  er  während  seines  Aufenthalts  in  Padua 
(seit  1599)  im  Concubinate  lebte,  drei  Kinder,  einen  Sohn, 
Vincenzo  (geb.  1606),  der  1619  legitimirt  wurde,  und  zwei 
Töchter,  die  in  einem  Kloster  zu  Arcetri  den  Schleier  nah- 
men. Diese  Thatsache  ist  unbestritten,  und  wenn  der  Pater 
de  Gabriac  es  für  nöthig  hielt,  sie  ,,in  authentischer  Weise 
zu  constatiren",  so  konnte  er  das  ohne  grosse  Mühe,  auch 
ohne  sich  auf  das  gar  nicht  existirende  ,, lächerliche  Decret 
des  Senats  von  Venedig'*  zu  berufen,  „welcher  seinem  eme- 
ritirten  Gelehrten  eine  doppelte  Pension  gibt,  »um  seine 
doppelten  Ausgaben  zu  bestreiten«  *)."  Es  ist  aber  schon 
nicht  ganz  ehrlich,  wenn  P.  de  Gabriac  sagt:  „er  lebte 
öffentlich  mit  einer  Venetianerin",  ohne  zu  erwähnen,  dass 
Galilei  dieselbe  seit  dem  Jahre  16 10,  in  welchem  er  Padua 
verliess,  nicht  wieder  sah2),  und  es  ist  nicht  berechtigt,  wenn 
P.  Schneemann  S.  118  um  dieses  Einen  dunkeln  Fleckens 
willen  ganz  allgemein  von  Galilei's  ,,Unsittlichkeit"  spricht 
und  P.  Grisar  S.  106  der  Erwähnung  jenes  Verhältnisses  die 
allgemeine  Bemerkung  vorausschickt:  „Wie  wenig  ängstlich 
er  überhaupt,  vermöge  einer  gewissen  Souveränetät  des 
Geistes,    die   Schranken    der  Pflicht    zu    nehmen  gewohnt 


wissenschaftliche  Leistungen  wesentlich  auf  Delambre  und  Arago.  S.  über 
diese  Martin  p.  422.  423,  ferner  Alberi,  Suppl.  p.  IX.  Bezüglich  der  Einzel- 
heiten kann  auf  die  Erörterungen  verwiesen  werden,  die  Martin  an  den 
p.  423  verzeichneten  Stellen  gibt. 

1)  Die  Decrete  über  Galilei's  Gehalt  sind  XV,  390  abgedruckt;  die 
Gehaltserhöhungen  werden  durch  seine  wissenschaftlichen  und  akademischen 
Leistungen  motivirt;  von  der  Versorgung  seiner  unehelichen  Kinder  ist 
darin  mit  keiner  Silbe  die  Rede.     Martin,  Galilee  p.   10. 

2)  Suppl.  34.  75. 


Galilei's  Persönlichkeit  und  wissenschaftliche  Bedeutung.  1 1 

war,  offenbaren  starke  sittliche  Schattenseiten  seines  Privat- 
lebens", und  S.  718  „die  laxeste  Auffassung  der  Moralität" 
zu  den  „nicht  abzuleugnenden  Seiten  seines  Charakters" 
zählt.  Von  ähnlichen  „sittlichen  Schattenseiten  seines  Privat- 
lebens" ist  nirgendwo  die  Rede1).  Vielmehr  erscheint  Ga- 
lilei in  seinem  spätem  Leben  als  ein  sittlich  durchaus  unbe- 
scholtener Mann,  dabei  als  aufrichtig  religiös  und  als  gläu- 
biger und  gewissenhafter  Katholik 2).  Er  genoss  die  Achtung 
und  Freundschaft  vieler  angesehenen  und  hochgestellten 
Männer  geistlichen  und  weltlichen  Standes,  und  Papst  Urban 
VIII.  richtete  am  8.  Juni  1624,  als  Galilei  nach  einem  längern 
Aufenthalte  in  Rom  nach  Florenz  zurückkehrte,  ein  Breve 
an  den  Grossherzog  Ferdinand  II.,  um  diesem  zu  zeigen, 
„wie-  theuer  Galilei  seinem  päpstlichen  Herzen  sei",  und  um 
„seiner  Tugend  und  Frömmigkeit  ein  ehrenvolles  Zeugniss 
auszustellen" 3). 

Weniger  ungerecht  als  der  Vorwurf  der  „Unsittlich- 
keit"  ist  der  Vorwurf,  den  Schneemann  im  Anschluss  daran 
gegen  Galilei  erhebt,  er  sei  „ehrgeizig,  eitel  und  rechtha- 
berisch" gewesen.  Wenn  aber  P.  de  Gabriac  sagt:  „Wir 
sehen  ihn  mit  der  Sorge  für  seine  Reputation  ebenso  sehr 
beschäftigt  wie  mit  der  Förderung  der  Wissenschaft.  Er 
beansprucht  für  sich  die  Ehre  aller  Entdeckungen.  Stets 
beschäftigt,  zuerst  seine  wahren  oder  falschen  Entdeckungen 
bekannt  zu  machen,  beobachtet  er  ein  egoistisches  und 
kluges  Stillschweigen  über  die  Forschungen  seiner  Collegen 
und  Freunde"  u.  s.  w„  so  liegt  hier  die  Uebertreibung  auf 
der  Hand,  und  von  den  meisten  Einzelheiten,  welche  zur 
Begründung  dieser  Anklagen  vorg-ebracht  werden,  lässt  sich 
nachweisen,  dass  die  Thatsachen  dabei  entstellt  oder  zu  un- 
gerechtfertigten Schlüssen  missbraucht  sind. 

Es  ist  aber  nicht  nöthig,  hier  weiter  auf  die  Frage  über 
Galilei's  Charakter  einzugehen.     Um  die  gegen  ihn  geführ- 


1)  Allerdings  scheint  im  Jahre  1630,  als  Galilei  in  Rom  war,  Jemand 
versucht  zu  haben,  bei  dem  Cardinal  Francesco  Barberini  Galilei  durch  eine 
Andeutung  anzuschwärzen,  als  ob  auch  der  andere  Vincenzo,  der  als  Galilei's 
Bruderssohn  wiederholt  erwähnt  wird,  sein  Sohn  sei.  Der  Cardinal  wies 
den  Verleumder  ab.  Ausser  den  nicht  klaren  Andeutungen  in  den  Briefen 
VI,  347;  IX,  190,  findet  sich  nichts  darüber.  Die  Sache  wird  auch  von 
keinem  der  Jesuiten,  mit  denen  ich  hier  zu  thun  habe,  erwähnt. 

2)  Martin,  Galilee  p.   200.  3)  IX,  60. 


12  #         Galilei  und  die  Peripatetiker. 

ten  Inquisitionsprocesse  anschaulieft  darzustellen,  muss  auch 
ein  gutes  Stück  seines  Lebens,  seiner  wissenschaftlichen 
Arbeiten  und  seiner  literarischen  Thätigkeit  geschildert 
werden,  und  diese  Schilderung  wird  neben  den  Lichtseiten 
auch  die  Schattenseiten  seines  persönlichen  Charakters  her- 
vortreten lassen.  Es  ist  ja  namentlich  gar  nicht  zu  bestrei- 
ten, dass  Galilei  bei  den  Controversen,  welche  die  Processe 
gegen  ihn  zur  Folge  hatten,  sich  von  Unvorsichtigkeiten 
und  Missgriffen,  auch  von  Unbilligkeit  und  Bitterkeit  gegen 
seine  Gegner  nicht  frei  gehalten,  dass  er  während  der  Pro- 
cesse sich  wiederholt  grobe  Unaufrichtigkeiten  hat  zu  Schul- 
den kommen  lassen  und  nichts  weniger  als  den  Freimuth 
eines  Bekenners  und  die  Standhaftigkeit  eines  Märtyrers  be- 
kundet hat.  Eine  historisch  treue  Darstellung  der  Processe 
gestaltet  sich  eben  nicht  zu  einer  Lobrede  auf  Galilei,  nicht 
einmal  zu  einer  Apologie  Galilei's;  aber  wenn  er  weder  ein 
Heiliger  noch  ein  Märtyrer  war,  so  braucht  darum,  wie  wir 
sehen  werden,  die  über  ihn  gefällte  Sentenz  nicht  milder 
beurtheilt  zu  werden  und  dürfen  die  Apologeten  der  Römi- 
schen Curie  das  nicht  einmal  als  mildernden  Umstand  gel- 
tend machen. 


III. 
Galilei  und  die  Peripatetiker. 

Galilei  wird  mit  Recht  zu  den  Begründern  der  moder- 
nen Naturwissenschaft  gezählt,  nicht  nur  wegen  seiner  natur- 
wissenschaftlichen Erfindungen  und  Entdeckungen,  sondern 
auch  weil  er  einer  der  ersten  entschiedenen  Vertreter  der 
jetzt  allgemein  als  allein  richtig  anerkannten  naturwissen- 
schaftlichen Methode  war.  Zu  seiner  Zeit  wurde  in  den 
Schulen  die  Naturwissenschaft  als  ein  Theil  der  Philosophie 
nach  der  damaligen  Auffassung  gelehrt.  Die  Schriften  des 
Aristoteles  und  die  auf  die  Aristotelische  Lehre  basirten 
Theorieen  galten  als  massgebend,  die  naturwissenschaft- 
lichen Anschauungen,  welche  sich  in  den  mittelalterlichen 
Schulen  gebildet  hatten,  als  ebenso  feststehend,  wie  die 
Lehrsätze  der  theologischen  Scholastik.  Die  Beobachtung, 
das  Experiment  und  die  Induction    wurden   ganz    vernach- 


Galilei  und  die  Peripatetiker.  13 

lässigt  oder  doch  nur  in  sehr  beschränktem  Umfange  ange- 
wendet und  höchstens  eine  Berichtigung  von  einzelnen  unter- 
geordneten Punkten  der  herrschenden  Lehre  für  möglich 
gehalten1). 

„Aristoteles,  sagt  der  Löwener  Professor  Gilbert2), 
herrschte  als  absoluter  Meister  in  den  Schulen,  und  sein 
Wort,  das  man  als  ein  Orakel  ansah,  zog  um  die  Natur- 
wissenschaften einen  unüberschreitbaren  Kreis.  Die  tüch- 
tigsten Gelehrten  strebten  nach  nichts  anderm,  als  in  seine 
Lehre  einzudringen  und  aus  ihr  alle  naturwissenschaftlichen 
Wahrheiten  abzuleiten,  ohne  die  Natur  selbst  zu  befragen.  .  . 
Die  apriorische  Methode  herrschte  in  der  Naturforschung. 
Statt  von  der  Erfahrung  auszugehen,  um  die  Ursachen  der 
Erscheinungen  zu  erkennen,  ging  man  von  den  Final-Ursachen 
oder  den  Wesenheiten  der  Dinge,  wie  man  sich  dieselben 
vorstellte,  aus,  um  daraus  auf  dem  Wege  des  Syllogismus 
die  Thatsachen  abzuleiten.  Und  da  dergleichen,  auf  so  un- 
sicheren Grundlagen  aufgebaute  Systeme  in  der  Astronomie, 
Physik  und  Mechanik  auf  tausend  Widersprüche  mit  der 
greifbaren  Wirklichkeit  stiessen,  so  erschöpften  sich  die 
scharfsinnigsten  Männer  in  Subtilitäten  und  Sophismen,  um 
Aristoteles  und  die  Natur  in  Einklang  zu  bringen,  um  »die 
Erscheinungen  zu  retten«  \salvare  phaenomena,  salvare  le 
apparenze],  wie  man  sich  ausdrückte,  —  was  vollends  die 
Geister  irre  führte  und  die  Wissenschaft  erstarren  machte." 

,,Dazu  kam  noch  ein  anderes  Uebel,  die  allgemein 
herrschende  Sitte,  in  die  rein  naturwissenschaftlichen  Dis- 
cussionen  die  Bibel  hineinzuziehen  und  Stellen  der  Bibel 
und  der  Kirchenväter  zur  Bestätigung  der  physicalischen, 
astronomischen  u.  s.  w.  Meinungen  des  Aristoteles  zu  citiren. 
In  allen  naturwissenschaftlichen  Werken  jener  Zeit  findet  sich 
diese  Unsitte.  Ich  führe  als  Beispiel  die  [1630  erschienene] 
„Rosa  Ursina"  des  Jesuiten  Scheiner  an,  ein  interessantes 
Buch,  ein  merkwürdiges  Gemisch  von  Physik  und  Bibel. 
Auf  dem  Titelblatte  werden  als  Quellen  der  Naturwissen- 
schaft genannt:  Auctoritas  sacra,  auctoritas  profana,  ratio, 
—  also  die  Bibel,  Profanschriftsteller  und  die  Vernunft,  — 
erst   an  letzter  Stelle  sensus,    die  Beobachtung.     Ein  Theil 


i)  Vgl.  die  Aeusserungen  von  Antonio   Rocco  II,    123. 
2)  Le  proces  de  Galilee,    1869,  p.   50. 


14  Galilei  und  die  Peripatetiker. 

des  Werkes  handelt  von  der  feuerigen  Natur  der  Gestirne 
und  der  Flüssigkeit  des  Himmels,  und  in  dieser  Erörterung 
spielt  die  Auctorität  der  Bibel  und  der  Kirchenväter  die 
Hauptrolle,  und  treten  Tertullian,  Ambrosius,  Theodoret, 
Bonaventura  u.  s.  w.  neben  Mersenne,  Kepler  und  Galilei 
auf.  Nicht  weniger  merkwürdig  ist  die  im  Anhange  abge- 
druckte Correspondenz  zwischen  dem  Fürsten  Cesi  und  dem 
Cardinal  Bellarmin  über  die  Flüssigkeit  des  Himmels.  Jener 
greift  den  festen  Himmel  des  Aristoteles  an  und  bewaffnet 
sich  dabei  mit  der  Bibel,  die  er  nach  dem  Hebräischen 
citirt.  Der  Cardinal  seinerseits  stützt  die  sphärische  Gestalt 
des  Himmels  auf  tiie  Stelle  des  Sirach  [24,  8] :  Gyrum  coeli 
circuivi  sola;  übrigens,  fügt  er  bei,  ist  die  runde  Gestalt  die 
vollkommenste  und  wir  wissen,  dass,  wie  die  Bibel  [Deut. 
32,  4]  sagt,  D  ei  perfecta  sunt  opera.  Er  beschreibt  ein  System, 
welches  er  sich  ausgedacht,  »um  zugleich  die  Bewegung  der 
Gestirne  und  die  Meinung  der  h.  Väter,  welche  den  Himmel 
als  unbeweglich  und  die  Sterne  als  beweglich  bezeichnen, 
zu  retten  (salvare)^.  Diese  Methode,  welche  gewisser- 
massen  die  Weltansicht  des  Aristoteles  auf  die  Bibel  stützte, 
verbunden  mit  dem  ausgedehnten  Gebrauche,  welchen  man 
von  der  Aristotelischen  Philosophie  in  der  scholastischen 
Theologie  machte,  hatte  die  Lehre  des  Stagiriten  fast  zu 
dem  Range  einer  Offenbarung  erhoben  und  zwischen  seiner 
Lehre  und  den  Wahrheiten  des  Glaubens  eine  so  enge  Ver- 
bindung zu  Wege  gebracht,  dass  es  kaum  möglich  war, 
jene  anzugreifen,  ohne  sich  der  Ketzerei  verdächtig  zu 
machen." 

Galilei  charakterisirt  die  „Peripatetiker",  wie  die  An- 
hänger des  traditionellen  Systems  gewöhnlich  genannt  wur- 
den, in  einem  Briefe  an  Kepler  vom  19.  Aug.  16101)  in 
folgender  Weise:  „Diese  Leute  meinen,  die  Philosophie  sei 
ein  Buch  wie  die  Aeneis  oder  Odyssee  und  die  Wahrheit 
sei  nicht  in  der  Welt  oder  in  der  Natur,  sondern,  um  ihre 
eigenen  Worte  zu  gebrauchen,  in  der  Vergleichung  der 
Texte  zu  suchen.  Wie  würdest  du  lachen,  wenn  du  hörtest, 
was  in  Gegenwart  des  Grossherzogs  zu  Pisa  von  dem  ersten 
Philosophen  der  dortigen  Universität  (Libri?)  gegen  mich 
vorgebracht    wurde,    indem    er   mit  logischen  Argumenten, 


1)  VI,  118. 


Galilei  und  die  Peripatetiker.  15 

wie  mit  magischen  Zauberformeln,  die  neuen  Planeten  vom 
Himmel  herabzureissen  suchte!"  „Sie  wollen,  schreibt  er 
im  Januar  1641  an  Fortunio  Liceti1),  jeden  Ausspruch  des 
Aristoteles  als  wahr  aufrecht  erhalten  und  beweisen,  dass 
die  Erfahrungen  uns  nichts  zeigen,  was  dem  Aristoteles  un- 
bekannt gewesen.  .  .  Wäre  die  Philosophie  das,  was  in 
den  Büchern  des  Aristoteles  enthalten  ist,  so  würde  ich  Sie 
für  den  grössten  Philosophen  der  Welt  halten,  da  Sie  alle 
Stellen  desselben  zur  Hand  und  in  Bereitschaft  haben.  Aber 
ich  glaube,  das  Buch  der  Philosophie  ist  das  Buch  der 
Natur,  welches  stets  aufgeschlagen  vor  unseren  Augen  liegt, 
aber,  weil  es  in  anderen  Zeichen  als  denen  unseres  Alpha- 
bets geschrieben  ist,  nicht  von  Allen  gelesen  werden  kann/' 
,, Der  Pater  Veglia,  schreibt  Micanzio  an  Galilei2),  der  Ver- 
fasser der  Vestigationes  peripateticae,  ist  ein  sehr  gelehrter 
Mann  und  wird  mit  Recht  für  ein  grosses  und  universelles 
Genie  gehalten;  aber  sein  dickes  Buch  handelt  von  absolut 
nichts  anderm  als  quae  fuerit  opinio  Aristotelis  in  hac  quae- 
stione"  „Ich  kann  es  nur  als  eine  Krankheit  beklagen, 
schreibt  der  Fürst  Cesi  in  dem  bereits  erwähnten  Briefe 
(vom  14.  Aug.  15 18)  an  den  Cardinal  Bellarmin3),  an  der 
manche  Philosophen  unseres  Jahrhunderts  leiden,  dass  sie 
sich  der  Experimente  und  Beobachtungen  nicht  nur  enthal- 
ten, sondern  sie  verwerfen.  Es  gibt  nicht  Wenige,  welche 
nicht  nur  das  Fernrohr  und  Galilei  selbst,  der  am  Himmel 
so  vieles  den  Alten  Unbekannte,  neue  Planeten,  neue  Fix- 
sterne, neue  Gestalten  der  Gestirne  entdeckt  hat,  verwün- 
schen, sondern  sogar  die  einfache  Beobachtung  mit  unbe- 
waffneten Augen  unterlassen  und  lieber  freiwillig,  durch  die 
Meinungen  einiger  alten  Schriftsteller  bezaubert,  blind  sein, 
als,  durch  die  Wahrnehmung  und  Vernunft  geleitet,  sich 
auch  nur  ein  wenig  von  jenen  entfernen  und  ihren  Decr et en 
und  Regeln  etwas  beifügen  oder  daran  etwas  ändern  wollen." 
Schon  im  J.  1605  erregte  Galilei  Aufsehen,  als  er  den 
im  October  1604  im  Bilde  des  Schlangentreters  erschienenen, 
nach  einem  Jahre  wieder  verschwundenen  neuen  Stern  als 
Argument  gegen  die  Aristotelische  Lehre  von  der  Unver- 
änderlichkeit    des    Himmels    benutzte4).     Sein    Hauptkampf 


1)  VII,  354.  2)  X,  70.  3)  Scheiner,  Rosa  Ursina  p.   779. 

4)  v,  391.     Venturi  I,   95.    Martin,  Galilee  p.    13. 


i6  Galilei  und  die  Peripatetiker. 

gegen  die  Peripatetiker  begann  aber  erst  nach  der  Erfindung 
des  Fernrohrs  1609 J). 

Wir  können  uns  jetzt  kaum  eine  Vorstellung  davon 
machen,  welches  Aufsehen  in  den  Kreisen  der  Peripatetiker 
die  Kunde  machte,  dass  Galilei  so  viele  und  merkwürdige 
Dinge  am  Himmel  entdeckt  habe,  von  denen  die  herkömm- 
liche Physik  gar  nichts  wusste.  ,, Schon  wenige  Monate, 
nachdem  Galilei  sich  ein  Fernrohr  gebaut,  hatte  er  bereits 
nicht  nur  Berge  im  Monde  gesehen,  sondern  sogar  schon 
versucht,  die  Höhen  einzelner  zu  bestimmen;  er  hatte  in 
den  Plejaden  vierzig  Sterne  unterschieden,  einige  andere 
ähnliche  Sternanhäufungen  im  Orion,  im  Krebse  u.  s.  w.  auf- 
gefunden und  den  Schimmer  der  noch  von  Aristoteles  den 
Meteoren  beigezählten  Milchstrasse  als  das  vereinigte  Licht 
zahlloser  kleiner  Sterne  erkannt,  vor  allem  aber  die  für  die 
Gegner  des  Copernicanischen  Weltsystems  so  unbequeme 
Thatsache  gefunden,  dass  Jupiter  vier  Monde  besitzt  und 
somit  sich  auch  ein  Centrum  von  Bewegungen  doch  selbst 
bewegen  kann.  [Diese  Ergebnisse  seiner  Forschungen  machte 
Galilei  in  dem  im  März  1610  veröffentlichten  ,,Sidereus  Nun- 
tius" bekannt.]  Im  September  16 10  bemerkte  er  die  Phasen 
der  Venus  und  des  Mars,  ungefähr  zur  gleichen  Zeit  die 
Dreigestalt  Saturns  und  wahrscheinlich  auch,    ohne  jedoch 


1)  P.  de  Gabriac  führt  als  Beweis  für  seine  Beschuldigung:  „Galilei 
beansprucht  für  sich  die  Ehre  aller  Entdeckungen"  auch  folgendes  an:  „In 
Holland  wird  das  Fernrohr  entdeckt:  Galilei  rühmt  sich,  dieses  Instrument 
zuerst  erfunden  zu  haben,  vervollkommnet  es  und  verkauft  sein  Patent  den 
Venetianern".  Galilei  rühmt  sich  nie,  da.4  Fernrohr  entdeckt  zu  haben,  son- 
dern sagt  wiederholt,  er  sei  durch  Mittheilungen  über  ein  von  einem  Hol- 
länder [Hans  Lippersheym  in  Middelburgh]  angefertigtes  Fernrohr  veranlasst 
worden,  selbst  ein  solches  anzufertigen;  dieses  schenkte  er  der  Signoria 
von  Venedig  und  wurde  darauf  (1609)  zur  Anerkennung  für  dieses  Geschenk 
und  für  seine  bisherige  Lehrthätigkeit  zum  Professor  in  Padua  auf  Lebens- 
zeit mit  höherm  Gehalt  ernannt.  III,  60;  IV,  206;  VI,  75;  XV,  391.  Martin, 
Galilee  p.  17.  22.  Viel  wesentlicher  als  die  Erfindung  des  Fernrohrs  ist 
übrigens,  wie  R.  Wolf,  Gesch.  der  Astronomie,  1877,  S.  313  sagt,  „dass 
Galilei  dasselbe  alsbald  in  ausgezeichneter  Weise  für  Eroberungszüge  am 
Himmel  zu  verwerthen  wusste".  Freilich  Arago,  auf  den  P.  de  Gabriac  sich 
beruft,  meint:  einige  Stunden  würden  für  alle  Beobachtungen  genügt  haben, 
welche  Galilei  in  den  Jahren  1610  und  161 1  machte.  —  Das  Ei  des  Co- 
lumbus ! 


Galilei   und  die   Peripatetiker.  17 

damals  schon  über  die  Bedeutung  klar  zu  werden,  die 
Flecken  der  Sonne"1]. 

Nicht  wenige  Peripatetiker  gingen  Anfangs  so  weit, 
die  Thatsächlichkeit  und  Richtigkeit  von  Galilei's  Beobach- 
tungen zu  leugnen.  Francesco  Sizi  zu  Florenz  weigerte 
sich,  durch  ein  Fernrohr  zu  sehen,  weil  er  es  a  priori  für 
unmöglich  hielt,  dass  die  Dinge  existirten,  die  Galilei  durch 
dasselbe  erblickt  haben  wollte.  Aehnlich  Cesare  Cremonini 
zu  Padua  und  Giulio  Libri  zu  Pisa2).  Andere  behaupteten, 
es  liege  an  der  Construction  der  Fernrohre,  dass  man  da- 
durch Dinge  sehe,  die  gar  nicht  vorhanden  oder  anders  be- 
schaffen seien*).  Unter  anderm  berichtete  der  mit  Galilei 
befreundete  Maler  Lodovico  Cardi  Cigoli  am  1.  Oct.  16 10 
von  einem  der  angesehensten  damaligen  Astronomen,  dem 
Jesuiten  Christoph  Clavius  zu  Rom,  —  mit  dem  Galilei 
schon  bei  seiner  ersten  Anwesenheit  in  Rom  im  J.  1587  be- 
kannt geworden  war  und  mit  dem  er  seitdem  in  Briefwechsel 
stand4),  —  er  habe  geäussert:  er  lache  über  die  angeblich 
von  Galilei  entdeckten  Trabanten  des  Jupiter;  man  müsse, 
wenn  dieselben  existiren  sollten,  ein  Fernrohr  anfertigen, 
welches  dieselben  erst  hervorbringe  und  dann  zeige5). 

Dieser  Standpunkt  war   natürlich    nicht   lange    zu  be- 


1)  R.  Wolf,  Gesch.  der  Astronomie,    1877,  S.   313. 

2)  VI,  94.   129;   VIII,    141. 

3)  VIII,  61.70;  VI,  164.  Ich  weiss  nicht,  wer  zuerst  erzählt  hat:  als 
der  Jesuit  Scheiner  seinem  Provincial  zu  Freiburg,  Theodor  Busäus,  gesagt, 
er  wolle  über  die  von  ihm  beobachteten  Sonnenflecken  schreiben,  habe  dieser 
geantwortet:  „Von  solchen  Dingen  habe  ich  nichts  in  meinem  Aristoteles 
gelesen;  das  sind  blosse  Einbildungen  oder  Fehler  deines  Auges  oder  auch 
deiner  Gläser,  mein  Sohn,  und  du  wirst  besser  thun,  diese  Sache  für  dich 
zu  behalten."  P.  Schneemann  S.  124  erklärt  diese  Anekdote  freilich  für 
„eine  pure  Erfindung";  nach  dem  oben  Mitgetheilten  ist  sie  jedenfalls  gut 
erfunden.  Dass  Busäus  Scheiner  Anfangs  verbot,  unter  seinem  Namen  etwas 
über  die  Sonnenflecken  zu  veröffentlichen,  ist  übrigens  geschichtlich;  s.  de 
Backer,  Bibliotheque   des  ecrivains  de  ia  C.   de  J.  I,  703. 

4)  VI,   1.   120.   130. 

5)  VIII,  110.  Christoph  Clavius  (Schlüssel),  geb.  in  Bamberg  1538, 
gest.  161 2  in  Rom  (aber  nicht  als  Cardinal,  wie  in  der  Allg.  D.  Biographie 
IV,  298  angegeben  wird),  war  ein  Haupt-Mitarbeiter  an  der  Kalender- 
Verbesserung  unter  Gregor  XIII.  Vgl.  Hurter,  Nomenciator  literarius  I,  377. 
Kaltenbrunner,  Die  Polemik  über  die  Gregor.  Kalenderreform,  Sitzungsber. 
der  Wiener  Akad.   87.  Bd.  (1877),   545- 

Eeusch,  Galilei.  2 


18  Galilei  und  die  Peripatetiker. 

haupten.  Schon  am  17.  Dec.  16 10  schrieb  Clavius  an  Gali- 
lei, er  habe  die  Jupitersmonde  und  andere  ohne  Fernrohr 
nicht  sichtbare  Sterne  gesehen1).  Galilei  antwortete  ihm 
am  30.  December:  Clavius1  Zeugniss  für  die  Wahrheit  seiner 
Beobachtungen  sei  ihm  von  grossem  Werthe  und  habe  ihm 
die  Zustimmung  einiger  bisher  Ungläubigen  gewonnen;  die 
Hartnäckigen  aber  behaupteten,  Clavius1  Brief  sei  entweder 
erdichtet  oder  nur  aus  Gefälligkeit  für  Galilei  geschrieben; 
diese  Leute  schienen  warten  zu  wollen,  bis  er  ein  Mittel 
finde,  einen  der  vier  Mediceischen  Planeten  auf  die  Erde 
herabkommen  zu  lassen,  um  ihre  Existenz  zu  bezeugen2). 

Bei  den  Controversen  zwischen  Galilei  und  den  Peri- 
patetikern  handelt  es  sich  vorzüglich  um  astronomische 
Fragen.  Indess  trat  Galilei  auch  in  anderen  Punkten  der 
in  den  Schulen  herrschenden  Physik  entgegen.  Im  J.  161 2 
veröffentlichte  er,  —  veranlasst  durch  ein  Gespräch  an  der 
Tafel  des  Grossherzogs,  an  welchem  auch  der  Cardinal 
Maffeo  Barberini,  der  nachmalige  Papst  Urban  VIII.,  theil- 
nahm3),  —  eine  Abhandlung  über  die  im  Wasser  schwim- 
menden Körper,  worin  er  den  Satz  bekämpfte,  dass  das 
Schwimmen  oder  theil weise  Eintauchen  der  Körper  im 
Wasser  wesentlich  von  ihrer  Gestalt  abhänge4).  Die  Ab- 
handlung, —  gewöhnlich  als  „Discorso  sui  Galeggianti"  citirt, 
—  wurde  von  einer  Reihe  von  Vertretern  der  alten  Richtung 
bekämpft.  Gegen  zwei  derselben,  Lodovico  delle  Colombe 
und  Vincenzo  di  Grazia,  verfasste  Galilei  eine  Entgegnung, 
welche  16 15  unter  dem  Namen  seines  Schülers,  des  Bene- 
dictiners  Benedetto  Castelli  erschien5).  Charakteristisch  ist, 
was  ein  anderer  Schüler  Galilei' s,  der  Florentiner  Giovanni 
Bardi,  Graf  von  Vernio,  ihm  unter  dem  20.  Juni  16 14  aus 
Rom   schreibt:    er  werde  demnächst    im   römischen   Colleg 


1)  VIII,  121.  2)  VI,  130.^42. 

3)  Pieralisi,  Urbano  VIII.  p.  42. 

4)  S.  Günther,  Vierteljahrschr.  der  Astron.  Ges.  II.  Bd.  3.  H.  be- 
zeichnet die  „Bewegungslehre  schwimmender  Körper"  als  „in  der  Wolle 
antiaristotelisch  gefärbt." 

5)  VIII,  231.  Gebier,  Galilei  S.  53.  Castelli  war  25.  Mai  1577  zu 
Brescia  geboren  und  dort  4.  Sept.  1595  in  den  Benedictiner-Orden  getreten. 
Er  war  zu  Padua  Galilei's  Schüler.  Er  wurde  1613  Professor  der  Mathe- 
matik zu  Pisa.  Von  dort  wurde  er  1626  nach  Rom  an  die  Sapienza  be- 
rufen.    Er  starb   1644.     Vgl.  Tiraboschi,  Storia  (18 12)  VIII,  215. 


Die   Copernicanische  Theorie.  19 

eine  unter  der  Aufsicht  des  Pater  Griemberger ')  ausge- 
arbeitete Abhandlung  über  die  im  Wasser  schwimmenden 
Körper  vortragen,  die  ganz  im  Sinne  Galilei's  geschrieben 
sei;  Griemberger  habe  ihm  gesagt:  er  würde  sich  noch 
deutlicher  in  diesem  Sinne  ausgesprochen  haben,  wenn  er 
nicht  auf  Aristoteles  hätte  Rücksicht  nehmen  müssen,  dem 
sie  (die  Jesuiten)  nach  einem  Befehle  des  Generals  in  keinem 
Punkte  entgegentreten  dürften,  dessen  Ansichten  sie  vielmehr 
unangetastet  lassen  müssten;  er  habe  dabei  zugegeben,  dass 
Aristoteles  in  diesem  Punkte  wie  in  anderen,  z.  B.  bezüglich 
der  Geschwindigkeit  des  Falles,  durchaus  Unrecht  habe 2). 

Indess  auf  die  anderen  Controversen  Galilei's  mit  den 
Peripatetikern  braucht  hier  nicht  weiter  eingegangen  zu 
werden;  die  astronomische  Controverse  trat  schon  früh  in 
den  Vordergrund. 

Zu  Anfang  des  17.  Jahrhunderts  galt  bei  der  Mehrzahl 
nicht  etwa  bloss  der  Theologen,  sondern  auch  der  „Mathe- 
matiker" die  sogenannte  Ptolemäische  Ansicht,  dass  die 
Erde  der  feststehende  Mittelpunkt  der  Welt  sei,  um  welchen 
sich  die  Sonne  und  die  übrigen  Himmelskörper  bewegen, 
als  die  richtige.  Dass  die  von  Nicolaus  Copernicus  in  seinem 
J543  erschienenen,  Papst  Paul  III.  gewidmeten  berühmten 
Werke  „De  revolutionibus  orbium  coelestium"  vorgetragene 
Theorie  von  der  Bewegung  der  Erde  um  sich  selbst  und 
der  Erde  und  der  übrigen  Planeten  um  die  Sonne  nicht 
schon  im  16.  Jahrhundert  lebhaftere  Controversen  und  ein- 
gehendere Untersuchungen  veranlasste,  dazu  trug  der  Um- 
stand mit  bei,  dass  in  der  Vorrede,  welche  ein  Schüler  des 
Copernicus,  der  den  Druck  des  Werkes  zu  Nürnberg  leitete, 
Andreas  Osiander,  ohne  Vorwissen  des  Verfassers,  statt  der 
von  diesem  geschriebenen  Vorrede,  beigefügt  hatte,  dessen 
Ansichten  als  blosse  Hypothesen,  noch  dazu  als  nicht  ein- 
mal wahrscheinliche  Hypothesen  bezeichnet  waren  und  dass, 
da  man  vielfach  irrthümlich  diese  Vorrede  für  ein  Werk 
des  Copernicus  selbst  hielt,  lange  Zeit  die  Meinung  sehr  ver- 


i)  Christoph  Griemberger,  geb.  1 561  zu  Hall  in  Tirol,  gest.  1636  zu 
Rom,  war  ein  Schüler  des  Clavius  und  ein  tüchtiger  Gelehrter,  und  wurde 
von  Galilei  sehr  geschätzt;  VI,   133. 

2)  VIII,  322.  324.  Bardi's  Abhandlung  steht  bei  Targioni  II,  2;  vgl. 
I,   20. 


20  Die  Copernicanische  Theorie. 

breitet  war,  Copernicus  selbst  habe  seine  Ansicht  nur  hypo- 
thetisch, nur  als  eine  zur  Erleichterung  der  Berechnung  des 
Laufes  der  Gestirne  dienliche  Theorie  vorgetragen1). 

Galilei  theilte  diesen  Irrthum  nicht,  sondern  hatte  er- 
kannt, dass  Copernicus  seine  Theorie  allerdings  als  eine 
naturwissenschaftlich  begründete  Wahrheit  vorgetragen2); 
aber  manche  seiner  Gegner,  auch  der  Cardinal  Bellarmin3), 
meinten,  Copernicus  habe  seine  Ansicht  nur  hypothetisch 
vorgetragen,  und  es  kam,  wie  wir  sehen  werden,  schliess- 
lich zu  einer  „Correctur"  des  Copernicus'schen  Werkes  in 
diesem  Sinne.  ' 

Galilei  vertheidigt  die  Copernicanische  Lehre  schon  in 
dem  ältesten  Briefe,  den  wir  von  ihm  haben,  an  Jacopo  Maz- 
zoni  vom  30.  Mai  1579 4).  In  einem  Briefe  an  J.  Kepler,  d.  d. 
Padua  4.  August  1597  5),  sagt  er,  er  bekenne  sich  seit  vielen 
Jahren  zu  der  Ansicht  des  Copernicus  und  habe  manches 
zur  Begründung  derselben  und  zur  Widerlegung  der  Ein- 
wendungen gegen  dieselbe  Dienliche  geschrieben;  er  habe 
aber  bisher  nicht  gewagt,  etwas  davon  zu  veröffentlichen, 
„durch  das  Loos  unseres  Lehrers  Copernicus  selbst  geschreckt, 
der  sich  zwar  bei  Einigen  unsterblichen  Ruhm  erworben, 
von  unendlich  Vielen  aber,  —  denn  so  gross  ist  die  Zahl 
der  Thoren6),  —  verlacht  und  verspottet  wird.  Ich  würde 
es  wagen,  meine  Gedanken  zu  veröffentlichen,  wenn  es 
mehr  Männer  gleich  dir  gäbe.  Da  das  aber  nicht  der  Fall 
ist,  werde  ich  es  unterlassen."  In  seiner  Antwort  vom  13. 
Oct.  15977)  sagt  Kepler:  „Du  erinnerst  mich  sehr  weise 
und  versteckt,  indem  du  auf  dein  eigenes  Beispiel  hinwei- 
sest, man  müsse  vor  der  allgemeinen  Unwissenheit  zurück- 
weichen und  sich  nicht  unvorsichtig  der  Wuth  der  Lehrer 
des  grossen  Haufens  aussetzen.     Aber  da  in  unserm  Jahr- 


i)  Vgl.  Fr.  Beckmann,  Zur  Geschichte  des  Copernicanischen  Systems, 
2.  Artikel,  1862,  S.  3.  Wie  Dr.  Ward,  Dublin  Review,  Apr.  1871,  p.  365, 
so  sagt  auffallender  Weise  auch  noch  L.  Terrier,  Galilei,  Basel  1878,  S.  20: 
„Copernicus  war  so  vorsichtig,  seine  Ideen  nur  als  einfache  Hypothesen  hin- 
zustellen." 2)  II,   18;  s.  u.  §.  VIII.  3)  VIII,   374;  s.  u.  §.  V. 

4)  II,  1.  Mazzoni,  geb.  1548  zu  Cesena,  f  1598,  war  nicht,  wie  viel- 
fach angegeben  wird,  Galilei's  Lehrer  zu  Pisa  gewesen;  er  wurde  dort  erst 
1588  Professor.  VI,   8.  5)  VI,   12. 

6)  Anspielung  auf  Eccl.   1,    15:   Stultorum  infinitus  est  numerus. 

7)  VIII,  21. 


Die  Copernicanische  Theorie.  21 

hundert  zuerst  von  Copernicus,  dann  von  mehreren  anderen 
sehr  gelehrten  Mathematikern  das  grosse  Werk  begonnen 
worden  und  die  Lehre,  dass  die  Erde  sich  bewege,  nicht 
mehr  ganz  neu  ist,  ist  es  doch  vielleicht  besser,  durch 
gemeinsames  Bemühen  den  einmal  in  Bewegung  gesetzten 
Wagen  ununterbrochen  dem  Ziele  näher  zu  bringen,  damit 
wir  den  grossen  Haufen,  da  er  das  Gewicht  der  Gründe  we- 
niger beachtet,  mit  Auctoritäten  mehr  und  mehr  überschütten 
und  so  vielleicht  durch  List  zur  Erkenntniss  der  Wahrheit 
führen.  Du  könntest  deine  Mitarbeiter  so  vielen  ungerechten 
Urtheilen  gegenüber  unterstützen,  da  sie  aus  deiner  Zustim- 
mung Trost  schöpfen  und  in  deiner  Auctorität  einen  Schutz 
finden  würden.  Denn  es  sind  nicht  bloss  deine  Italiener, 
welche,  wenn  sie  es  nicht  fühlen,  dass  sie  sich  [mit  der  Erde] 
bewegen,  nicht  glauben  können;  auch  hier  in  Deutschland 
finden  wir  mit  jener  Lehre  keinen  sonderlichen  Beifall  .  .  . 
Fasse  Muth,  Galilei,  und  schreite  voran!  Wenn  ich  nicht 
irre,  werden  nur  wenige  von  den  angesehensten  Mathema- 
tikern Europas  sich  von  uns  trennen  wollen;  so  gross  ist  die 
Macht  der  Wahrheit.  Wenn  dir  Italien  nicht  geeignet 
scheint  zur  Veröffentlichung  deiner  Argumente  und  du  dort 
auf  Hindernisse  stössest,  so  werden  wir  vielleicht  in  Deutsch- 
land uns  frei  aussprechen  können.  Theile  mir  wenigstens, 
wenn  du  es  nicht  öffentlich  thun  willst,  schriftlich  mit,  wenn 
du  etwas  zu  Gunsten  des  Copernicus  Sprechendes  ge- 
funden hast." 

In  seinen  akademischen  Vorlesungen  vermied  Galilei, 
wie  wir  aus  einem  später  zu  erwähnenden  Briefe  Castelli's 
erfahren,  die  Copernicanische  Theorie  zu  erörtern.  In  dem 
im  J.  1610  erschienenen  ,,Sidereus  Nuncius"  sprach  er  sich 
zum  ersten  Male  öffentlich  zu  Gunsten  derselben  aus,  indem 
er  bemerkte1):  die  Jupitersmonde  seien  wohl  geeignet,  „das 
Bedenken  derjenigen  zu  beseitigen,  welche  in  dem  Coper- 
nicanischen  Systeme  die  Bewegung  der  Planeten  um  die 
Sonne  nicht  beanstandeten,  an  der  Bewegung  Eines  Mondes 
um  die  Erde  und  der  Bewegung  beider  um  die  Sonne  aber 
solchen  Anstoss  nähmen,  dass  sie  darum  die  ganze  Coper- 
nicanische Theorie  für  unmöglich  hielten."  Eine  neue  Be- 
stätigung dieser  Theorie  fand  Galilei  in  den  noch  in  dem- 


1)  III,  98. 


22  Die  Copernicanische  Theorie. 

selben  Jahre  von  ihm  beobachteten  Phasen  der  Venus.  In 
Briefen  aus  dem  December  1610  und  aus  den  ersten  Monaten 
des  Jahres  161 1,  an  Julian  von  Medici,  Sarpi  und  Andere1), 
hebt  er  dieses  auch  hervor.  Gleichwohl  schrieb  er  am 
30.  Dec.  16102)  an  seinen  Schüler  Castelli:  „Ich  habe  bei- 
nahe lachen  müssen  über  die  Bemerkung  in  Ihrem  Briefe, 
dass  durch  solche  Beobachtungen  auch  die  Hartnäckigsten 
überzeugt  werden  könnten.  Wissen  Sie  denn  nicht,  dass,  um 
die  Vernünftigen  und  nach  der  Erkenntniss  der  Wahrheit 
Verlangenden  zu  überzeugen,  die  anderen  früher  angeführten 
Demonstrationen  genügten,  dass  aber,  um  diejenigen  zu 
überzeugen,  welche  hartnäckig  sind  und  sich  um  nichts 
kümmern  als  um  den  leeren  Beifall  des  dummen  und  thö- 
richten  grossen  Haufens ,  das  Zeugniss  der  Sterne  selbst 
nicht  genügen  würde,  wenn  sie  auf  die  Erde  herabkämen  und 
von  sich  selbst  redeten?  Bemühen  wir  uns,  für  uns  selbst 
etwas  zu  wissen,  und  begnügen  wir  uns  mit  dieser  Genug- 
tuung ;  aber  in  der  Meinung  des  Volkes  fortzuschreiten  und 
die  Zustimmung  der  Bücher-Philosophen  zu  gewinnen,  das 
dürfen  wir  nicht  verlangen  und  hoffen." 

Wie  in  Briefen,  so  besprachen  Galilei  und  seine  Freunde 
auch  mündlich  die  Bestätigung,  welche  seine  Entdeckungen 
für  das  Copernicanische  System  lieferten3);  aber  eine  förm- 
liche und  öffentliche  Vertheidigung  desselben  hielt  er  auch 
jetzt  noch  für  bedenklich.  Interessant  ist  in  dieser  Beziehung 
ein  Brief,  den  ihm  Castelli  am  6.  Nov.  1613  schrieb,  als  er 
Professor  in  Pisa  geworden  war4).  Er  berichtet,  der  Prov- 
veditore  der  Universität,  Monsignor  Arturo  d'Elci,  habe  ihm 
beim  ersten  Besuche  gesagt,  er  dürfe  in  seinen  Vorlesungen 
nicht  die  Meinung  von  der  Bewegung  der  Erde  u.  s.  w.  be- 
handeln. Er  habe  geantwortet:  „Was  Sie  mir  befehlen,  — 
denn  ich  nehme  Ihre  Winke  als  Befehle  an,  —  hat  mir  mein 
Lehrer  Galilei  gerathen,  und  ich  werde  mich  daran  halten, 
zumal  ich  weiss,  dass  auch  er  während  seiner  24jährigen 
Lehrthätigkeit  nie  diese  Materie  behandelt  hat."  Monsignor 
d'Elci  habe  darauf  angedeutet,  solche  Meinungen  könnten 
mitunter  digressionsweise  als  probabele  berührt  werden.  Er 
habe  geantwortet,   er  würde   auch  dieses  selbst  dann  nicht 


1)  vi,  128.  138.  143.  150.  2)  vi,  135;  vgl.  VIII,  118. 

3)  Vgl.  Acten  S.  40.  44.  4)  VIII,  290. 


Die  Copernicanische  Theorie.  23 

gethan  haben,    wenn  ihm   nicht  Monsignore  das  Gegentheil 
geboten  hätte  !). 

Auch  Freunde  Galilei's  hielten  eine  öffentliche  Verthei- 
digung  der  Copernicanischen  Lehre  für  bedenklich.  Paolo 
Gualdo  schrieb  ihm  am  6.  Mai  161 12):  „Was  Ihre  Ansicht 
betrifft,  dass  die  Erde  sich  bewege,  so  habe  ich  bis  jetzt 
noch  keinen  Philosophen  oder  Astronomen  gefunden,  der 
ihr  zustimmen  möchte;  noch  viel  weniger  werden  das  die 
Theologen  thun  wollen.  Bedenken  Sie  sich  daher  wohl,  ehe 
sie  öffentlich  diese  Ansicht  als  wahr  behaupten;  denn  manche 
Dinge  kann  man  disputationsweise  aussprechen,  die  es  nicht 
gut  ist  als  wahr  zu  behaupten,  zumal  wenn  man  die  allge- 
meine, von  Allen  so  zu  sagen  seit  Erschaffung  der  Welt 
eingesogene  Meinung  gegen  sich  hat.  Verzeihen  Sie  mir, 
denn  mein  lebhaftes  Interesse  für  Ihre  Reputation  lässt  mich 
so  reden.  Es  scheint  mir,  Sie  haben  sich  Ruhm  genug  er- 
worben durch  die  Beobachtungen  am  Monde,  an  den  vier 
Planeten  u.  dergl.,  ohne  dass  Sie  es  unternehmen,  eine  Sache 
zu  vertheidigen ,  die  dem  Verständniss  und  der  Fassungs- 
kraft der  Menschen  so  fern  liegt,  da  es  nur  Wenige  gibt, 
welche  wissen,  was  die  Beobachtung  der  himmlischen  Zeichen 
und  Erscheinungen  zu  bedeuten  hat."  Am  27.  Mai  161 13) 
schickte  Gualdo  Galilei  einen  Brief  von  Marcus  Welser,  worin 
es  heisst:  „Was  die  Venus  betrifft,  so  stimme  ich  ohne  Be- 
denken zu ;  aber  bezüglich  der  Bewegung  der  Erde  möchte 
ich  vorläufig  noch  dispensirt  sein,  da  das  in  der  That  ein 
Punkt  ist,  der  reiflich  erwogen  werden  muss;  ich  kann 
nicht  wohl  meinen  Verstand  so  weit  gefangen  geben." 


1)  Grisar  führt  S.  78  aus  diesem  Briefe  nur  an:  „Castelli  war  es 
bei  seiner  Ernennung  für  den  Katheder  der  Mathematik  zu  Pisa  sogar  durch 
den  Proveditor  der  Universität  verboten  worden,  die  Copernicanische  Lehre 
zum^Gegenstande  seiner  Vorträge  zu  machen."  Von  Castelli's  interessanter 
Antwort  sagt  er  nichts. 

2)  VIII,  142.  Gualdo,  geb.  1548  zu  Vicenza,  war  unter  Urban  VII. 
Secretär  der  Memoriali,  wurde  1596  Generalvicar,  1609  Archipresbyter  zu 
Padua;  er  starb    1621.     Vgl.  VI,   185. 

3)  VIII,    144. 


Galilei's  Reise  nach  Rom   1611. 


IV. 

Galilei's  Reise  Dach  Rom  im  J.  1611.     Seine  Schrift 
über  die  Sonnenflecken. 

Die  Reise,  welche  Galilei  im  März  1611  nach  Rom 
machte,  hatte  hauptsächlich  den  Zweck,  die  dortigen  Ge- 
lehrten sowie  die  einflussreichen  Prälaten  durch  den  Augen- 
schein von  der  Wirklichkeit  seiner  Entdeckungen  zu  über- 
zeugen1). Dieser  Zweck  wurde  denn  auch  vollständig  er- 
reicht. Der  Cardinal  del  Monte  schrieb  am  31.  Mai  161 1 
dem  Grossherzog  Cosimo  II.2):  „Galilei  hat  Gelegenheit 
gehabt,  seine  Entdeckungen  so  gut  zu  zeigen,  dass  sie  von 
allen  angesehenen  und  sachkundigen  Männern  dieser  Stadt 
nicht  nur  als  durchaus ,  wahr  und  wirklich,  sondern  auch  als 
höchst  wunderbar  anerkannt  werden.  Lebten  wir  noch  in 
den  Zeiten  der  alten  römischen  Republik,  so  würde  ihm 
gewiss  eine  Statue  auf  dem  Capitol  errichtet  worden  sein, 
um  sein  ausgezeichnetes  Verdienst  zu  ehren".  Er  selbst 
schreibt  am  22.  April3):  ,,Ich  bin  von  vielen  Cardinälen  und 
Prälaten  und  mehreren  Fürsten  gnädig  aufgenommen  wor- 
den, welche  meine  Beobachtungen  haben  sehen  wollen  und 
sich  alle  befriedigt  ausgesprochen  haben.  Heute  Morgen 
habe  ich  Seiner  Heiligkeit  [Paul  V.]  den  Fuss  geküsst.  Ich 
wurde  von  unserm  Gesandten  vorgestellt,  welcher  mir  ge- 
sagt hat,  ich  sei  ausserordentlich  begünstigt  worden,  da 
Seine  Heiligkeit  nicht  gestattete,  dass  ich  auch  nur  ein  "Wort 
knieend  sagte.  Unter  denjenigen,  die  hier  als  Männer  der 
Wissenschaft  gelten,  habe  ich  einige  wirklich  gelehrte,  aber 
auch  viele  beschränkte  gefunden.  Was  meinen  besondern 
Zweck  angeht,  so  sind  alle  Sachverständigen  überzeugt 
worden,  namentlich  die  Patres  Jesuiten. "  Ueber  letztere 
schreibt  er  am  1.  April4):  „Ich  war  bei  den  Patres  Jesuiten 
und  unterhielt  mich  lange  mit  dem  Pater  Clavius  und  zwei 
anderen  in  unserm  Fache  sehr  bewanderten  Patres  und  ihren 
Schülern.  .  .  Ich  habe  gefunden,  dass  die  genannten  Patres 
endlich  die  wirkliche  Existenz  der   neuen  Planeten  erkannt 


[)  VI,  140.  2)  VIII,  145.  3)  vi,  158.  4)  vi,  156. 


Galilei  und  die  Jesuiten   1611.  25 

und  seit  zwei  Monaten  fortwährend  Beobachtungen  gemacht 
haben;  wir  haben  diese  mit  den  meinigen  verglichen  und 
sie  stimmen  genau  überein. " 

Am  19.  April  161 1  richtete  der  damals  sehr  einfluss- 
reiche Cardinal  Bellarmin  aus  dem  Jesuiten-Orden  an  die 
Mathematiker  des  Römischen  Collegs  folgendes  Schreiben1): 
„Ich  weiss,  dass  Sie  von  den  neuen  astronomischen  Be- 
obachtungen Kenntniss  genommen  haben,  welche  ein  tüchti- 
ger Mathematiker  [genannt  wird  Galilei  weder  von  dem 
Cardinal  noch  in  der  Antwort  auf  sein  Schreiben]  vermittelst 
eines  Instrumentes,  welches  Cannone  oder  Occhiale  genannt 
wird,  gemacht  hat;  ich  selbst  habe  vermittelst  dieses  In- 
strumentes einige  sehr  merkwürdige  Dinge  an  dem  Monde 
und  an  der  Venus  gesehen.  Ich  bitte  Sie  also,  mir  über 
folgende  Punkte  aufrichtig» Ihre  Meinung  zu  sagen:  1.  ob 
Sie  die  Menge  der  mit  dem  blossen  Auge  nicht  sichtbaren 
Fixsterne  anerkennen  und  insbesondere,  dass  die  Milchstrasse 
und  die  Nebelflecken  Haufen  von  sehr  kleinen  Sternen  seien; 
2.  dass  Saturn  nicht  ein  einfacher  Stern  sei,  sondern  aus 
drei  mit  einander  verbundenen  Sternen  bestehe  [den  Ring 
des  Saturn  hielt  Galilei  für  zwei  mit  dem  Hauptstern  ver- 
bundene kleinere  Sterne];  3.  dass  die  Venus  ihre  Gestalt 
ändere  und  ab-  und  zunehme  wie  der  Mond;  4.  dass  der 
Mond  eine  rauhe  und  unebene  Oberfläche  habe;  5.  dass  sich 
um  den  Jupiter  vier  Sterne  bewegen,  und  zwar  in  ver- 
schiedener Weise  und  sehr  rasch.  Dieses  wünsche  ich  zu 
wissen,  weil  ich  darüber  verschiedene  Aeusserungen  höre 
und  weil  Sie,  als  in  den  mathematischen  "Wissenschaften 
sehr  geübt,  mir  leicht  werden  sagen  können,  ob  diese  neuen 
Entdeckungen  wohl  begründet  oder  nur  scheinbar  und  nicht 
wahr  sind.  Wenn  Sie  wollen,  können  Sie  Ihre  Antwort  auf 
dieses  Blatt  schreiben." 

Vier  Jesuiten,  ausser  Clavius  und  Griemberger  noch 
Odo  Malcotio  [van  Maelcote,  geb.  1572  zu  Brüssel,  gest. 
161 5  zu  Rom]  und  Gio.  Paolo  Lembo,  erkennen  in  ihrer  vom 
24.  April  datirten  Antwort,  mit  einigen  nicht  wesentlichen 
Reservationen,  die  Richtigkeit  der  Entdeckungen  an.  Im 
Römischen  Colleg  hielt  sogar  im  Mai  161 1  in  einer  sog. 
Akademie  (Schulfeierlichkeit)  ein    Jesuit    einen    lateinischen 


1)  VIII,    160. 


26  Galilei  und  die  Jesuiten   1611. 

Vortrag  über  die  neuen  astronomischen  Entdeckungen,  in 
welchem  Galilei  zu  den  berühmtesten  und  glücklichsten  Astro- 
nomen der  Gegenwart  gezählt  und  erklärt  wurde,  die  Be- 
obachtungen der  Astronomen  des  Collegs  hätten  seine  Ent- 
deckungen bestätigt1). 

Das  eben  erwähnte  Gutachten  der  vier  Jesuiten  wurde 
auch  in  Florenz  bekannt.  Ueber  einen  Punkt  desselben,  die 
Unebenheiten  des  Mondes  betreffend,  schrieb  Lodovico  delle 
Colombe  am  27.  Mai  161 1  einen  Brief  an  Pater  Clavius. 
Diesen  Brief  Hess  der  Cardinal  Bellarmin  durch  seinen 
Maestro  di  camera  Gallanzone  Gallanzoni  am  26.  Juni  an 
Galilei  schicken,  mit  der  Bitte,  sich  darüber  zu  äussern. 
Galilei  übersandte  am  16.  Juli  eine  lange  Erwiederung2).  — 
Ueber  einen  im  Frühjahr  161 1  zu  Mantua  von  einem  Jesuiten 
gehaltenen  Vortrag  über  die  Mondberge  beschwerte  sich 
Galilei  bei  dem  Pater  Griemberger.  Dieser  schrieb  darüber 
an  den  Pater  Biancano  zu  Parma,  den  er  für  den  Verfasser 
hielt,  und  sandte  dann  dessen  Brief,  worin  er  den  Vortrag 
desavouirte,  an  Galilei,  worauf  dieser  in  einem  langen 
Schreiben  vom  1.  Sept.  161 1  an  Griemberger  die  in  jenem 
Vortrage  und  in  dem  Briefe  Biancano's  erhobenen  Beden- 
ken widerlegte3).  —  Auch  den  Gegnern  Galilei's  in  Perugia 
gegenüber,  welche  übrigens  nicht  Jesuiten  gewesen  zu 
sein  scheinen,  stand  in  dieser  Zeit  Griemberger  auf  Galilei's 
Seite4). 

Der  Aufenthalt  in  Rom  im  J.  161 1  war  für  Galilei  auch 
darum  von  Bedeutung,  weil  er  durch  denselben  mit  manchen 
hochgestellten  und  einflussreichen  Männern  persönlich  be- 
kannt wurde,  mit  einigen,  die  sich  für  seine  wissenschaft- 
lichen Bestrebungen  besonders  interessirten,  Freundschaft 
schloss.  Dazu  gehörte  namentlich  der  junge  Fürst  Federico 
Cesi5),    der  Stifter    des    unter    dem  Namen   Accademia    dei 


1)  Dieser  Vortrag  ist  zuerst  gedruckt  bei  G.  Govi,  Galileo  e  i  matema- 
tici  del  Collegio  Romano  nel  161 1,  in  den  Atti  della  R.  Accademia  dei  Lin- 
cei  S.  2,  Vol.  1  (1873 — 74),  p.  230.  Er  hat  den  Titel:  „Nuncius  sidereus 
Collegii  Romani".  Govi  meint,  er  würde  besser  „Nuncius  sidereus  Galilaei 
de  Galilaeis  ad  maiorem  Collegii  Romani  gloriam  concinnatus"  heissen. 

2)  III,   122;  vgl.  VI,   176;  VIII,   183. 

3)  III,  138;  vgl.  VI,   176;  VIII,   169.   182.  4)  VIII,   153. 

5)  Er  hiess  damals  noch  Marchese  di  Monticelli;  den  Fürstentitel  er- 
hielt er  durch  päpstliches  Breve  im  J.   1613.     Er   war   geboren    1585,   starb 


Galilei's  Freunde  in  Rom.  27 

Lincei  (Akademie  der  Luchsäugigen),  bekannten  Gelehrten- 
Vereins,  dessen  Mitglied  Galilei  wurde.  Auch  der  Professor 
der  Botanik  an  der  Sapienza,  Johann  Faber  aus  Bamberg,  der 
Kanzler,  und  Francesco  Stelluti,  der  Procurator  der  Aka- 
demie war,  correspondirten  mit  Galilei.  Ausserdem  finden 
wir  von  jetzt  an  Galilei  in  lebhaftem  Briefwechsel  mit  an- 
deren angesehenen  Männern  in  Rom,  namentlich  mit  dem 
Monsignor  Gioan  Batista  Agucchi,  der  später  (162 1)  unter 
Gregor  XV.  Secretär  der  Breven  und  Minister,  unter  Ur- 
ban  VIII.  Nuncius  in  Venedig  wurde  1),  und  mit  seinem  frü- 
hern Schüler,  dem  Florentiner  Monsignor  Piero  Dini2). 
Mit  dem  Maler  Cigoli  (s.  o.  S.  17)  und  dem  Professor  der 
Mathematik  an  der  Sapienza,  Luca  Valerio,  einem  Schüler 
des  P.  Clavius,  stand  er  schon  vor  161 1  in  Correspondenz ; 
ersterer  starb  bereits  161 3  und  Galilei's  Freundschaft  mit  letz- 
term  nahm  spätestens  16 16  ein  Ende.  Im  J.  1614  siedelte 
ein  jüngerer  Freund  Galilei's,  Giovanni  Ciampoli,  von  Florenz 
nach  Rom  über,  um  dort  Carriere  zu  machen.  Seine  Kennt- 
nisse und  Gewandtheit  verschafften  ihm  bald  Zutritt  zu  den 
vornehmsten  Kreisen,  —  der  Cardinal  Maffeo  Barberini 
(später  Papst  Urban  VIII.)  hatte  ihn  schon  als  Legat  in 
Bologna  kennen  gelernt;  beide  machten  lateinische  Verse; 
—  Virginio  Cesarini,  ein  fein  gebildeter  junger  Adeliger, 
den  wir  später  (16 16)  auch  unter  Galilei's  Correspondenten 
finden ,  schloss  bald  Freundschaft  mh\  ihm.  So  kam  Ciam- 
poli in  die  Lage,  Galilei  über  Vorgänge  und  Verhältnisse» in 
Rom  viel  berichten  zu  können3).  Unter  den  folgenden  Ponti- 
ficaten  werden  wir  ihn  in  einflussreicher  Stellung  finden.  Vom 
Juli  16 14  bis  zum  Frühjahr  161 5  hielt  sich  auch  der  schon 
erwähnte  Monsignor  Paolo  Gualdo  in  Rom  auf  und  corre- 
spondirte  von  dort  mit  Galilei4). 


schon  2.  Aug.  1630.  Die  Akademie  der  Lincei  wurde  1603  gegründet.  Es 
sind  gegen  150  Briefe  Cesi's  an  Galilei  erhalten.  VIII,  177.  —  Ueber  Faber 
und  Stelluti  s.  VI,   184;  VIII,   192.     Tiraboschi  VIII,   292. 

1)  VIII,   167.     Er  starb  8.  Dec.    1632. 

2)  Er   starb    1625   als  Erzbischof  von  Fermo. 

3)  Ciampoli,  geb.  zu  Florenz  1589,  hatte  in  Padua  studirt,  in  Pisa 
promovirt.  Vgl.  VIII,  326.  331.  333.  394.  413.  415;  Suppl.  114.  Vita  di 
Mons.  G.  Ciampoli  (von  seinem  Secretär)  bei  Targioni  II,  102;  vgl.  I,  82, 
Tiraboschi  VIII,  402.  —  Ueber  Cesarini  s.  Tiraboschi  VIII,  510, 

4)  VIII,  325.  333. 


28  Clavius. 

Ohne  Zweifel  hat  Galilei  damals  in  Rom  auch  von 
der  Bedeutung  seiner  Entdeckungen  für  die  Begründung 
der  Copernicanischen  Theorie  gesprochen,  wenn  das  auch 
in  den  Briefen  aus  dieser  Zeit  nicht  erwähnt  und  in  der 
Anfrage  des  Cardinais  Bellarmin  nicht  darauf  Bezug  ge- 
nommen wird.  Dass  diese  Bedeutung  seiner  Entdeckungen 
auch  von  Anderen  erkannt  wurde ,  zeigt  eine  merkwür- 
dige Stelle  in  der  letzten,  1611  zu  Mainz  erschienenen 
Ausgabe  des  Commentares  des  Clavius  —  er  starb  schon 
am  6.  Febr.  161 2  —  zu  dem  damals  in  den  Schulen  ge- 
brauchten astronomischen  Handbuche,  der  „Sphaera"  des 
Johannes  de  Sacrobosco1).  Er  verweist  darin  auf  Galilei's 
„Sidereus  Nuntius"  und  sagt:  „Unter  anderm,  was  mit  die- 
sem Instrumente  (dem  Fernrohr)  gesehen  wird,  nimmt  dieses 
nicht  die  letzte  Stelle  ein,  dass  die  Venus  ihr  Licht  von  der 
Sonne  erhält,  wie  der  Mond,  so  dass  sie  je  nach  ihrer  Ent- 
fernung von  der  Sonne  bald  mehr,  bald  weniger  gehörnt 
erscheint,  wie  ich  mit  Anderen  mehr  als  einmal  zu  Rom 
beobachtet  habe.  Mit  Saturn  sind  zwei  kleine  Sterne  ver- 
bunden, einer  nach  Osten,  einer  nach  Westen.  Jupiter  hat 
vier  Planeten,  welche  in  wunderbarer  Weise  ihre  Stellung 
zu  einander  und  zu  Jupiter  wechseln,  wie  Galilei  sorgfältig 
und  genau  beschreibt."  Er  fügt  dann  die  Worte  bei,  welche 
die  Ueberzeugung  von  der  Unnahbarkeit  der  herrschenden 
astronomischen  Theorie  zu  verrathen  scheinen:  „Da  sich 
dieses  so  verhält,  so  mögen  die  Astronomen  sehen,  wie  die 
himmlischen  Sphären  zu  ordnen  sind,  um  diesen  Erschei- 
nungen gerecht  zu  werden"  (videant  astronomi,  quo  pacto 
orbes  coelestes  constituendi  sint,  ut  haec  fhaenomena  possmt 
salvari). 

Jedenfalls  machte  Galilei  dem  Cardinal  Bellarmin  gegen- 
über schon  im  J.  161 1  aus  seiner  Ueberzeugung  von  der 
Richtigkeit  der  Copernicanischen  Theorie  kein  Hehl.  Der 
oben  erwähnte  Lodovico  delle  Colombe,  schrieb  (spätestens 
in  diesem  Jahre)  eine  lange  Abhandlung  gegen  die  Coper- 
nicaner  (Galilei  wird  darin  nicht  ausdrücklich  genannt), 
welche  behaupteten,    Aristoteles  habe  die  Unbeweglichkeit 


1)  Chr.  Clavii  Opera  mathematica  III,  75  ;  s.  Suppl.  100.  Venturi 
I,  28.  Ueber  die  Sphaera  des  Sacrobosco  s.  Mädler,  Gesch.  der  Himmels- 
kunde III.  7*. 


Lod.  delle  Colombe.     Cesare  Cremonini.  29 

der  Erde  nur  wegen  seiner  mangelhaften  mathematischen 
Kenntnisse  behauptet.  Er  bringt  eine  Reihe  von  Argu- 
menten gegen  die  Copernicanische  Lehre  vor,  und  beruft  sich 
schliesslich  auch  auf  die  Bibel.  Die  Abhandlung  wurde  da- 
mals nicht  gedruckt1);  eine  Abschrift  kam  aber  in  Galilei's 
Hände,  der  dieselbe  mit  Randbemerkungen,  Postille,  ver- 
sah. Von  dieser  Polemik  gegen  die  Copernicanische  Lehre 
spricht  nun  Galilei  auch  in  dem  oben  erwähnten,  für  Bellarmin 
bestimmten  Briefe  an  Gallanzoni.  Colombe,  sagt  er  hier2), 
habe  das  Buch  des  Copernicus  gar  nicht  gelesen  und  kenne 
von  den  Argumenten  desselben  nichts  als  einige  wenige 
Ausführungen,  durch  welche  er  (Galilei)  die  Argumente  des 
Aristoteles  und  Ptolemäus  zu  verschiedenen  Zeiten  und  bei 
verschiedenen  Gelegenheiten  im  Gespräche  mit  Freunden 
widerleg-t  habe  und  welche  Colombe  durch  die  Berichte  von 
dritten  Personen  gelegentlich  zu  Ohren  gekommen  seien. 
Diese  Ausführungen  bekämpfe  er  in  seiner  Schrift  mit  nich- 
tigen Argumenten  und  mit  Schmähungen  gegen  die  „An- 
hänger des  Copernicus",  womit  er  ihn  (Galilei)  allein  meine. 
Was  übrigens  die  oben  erwähnte  Anfrage  Bellarmins 
an  die  Mathematiker  des  Römischen  Collegs  angeht,  so 
scheint  dieselbe  keinen  amtlichen  Charakter  gehabt  zu  haben. 
Jedenfalls  waren  die  vier  Jesuiten  keine  „päpstlichen  Sach- 
verständigen" und  kann  man  nicht  sagen,  durch  ihr  Gut- 
achten hätten  „die  Erforschungen  Galilei's  gewissermassen 
die  geistliche  Sanction  erhalten  und  seien  sie  zugleich  zu 
anerkannten  Wahrheiten  geworden"3).  Eher  könnte  man 
annehmen,  dass  Bellarmins  Anfrage  mit  der  Thatsache  zu- 
sammenhange, dass  Galilei  um  eben  diese  Zeit  in  den  Acten 
der  Inquisition  erwähnt  wird.  Eine  von  Gherardi  (Nr.  I) 
veröffentlichte  Aufzeichnung  über  die  Sitzung  der  Inqui- 
sition vom  17.  Mai  161 1  lautet  nämlich:  „Es  ist  nachzusehen, 
ob  in  dem  Processe  des  Doctor  Cesare  Cremonini  Galilei, 
Professor  der  Philosophie  und  Mathematik,  genannt  worden 
sei."  Von  diesem  Processe  wissen  wir  nur,  dass  es  sich  darin 
ausschliesslich  um  philosophische  Fragen  handelte4).     Galilei 

i)  Sie  ist  II,  337  mit  Galilei's" Postillen  abgedruckt. 

2)  III,   134.  3)  Gebier,  Galilei  S.   45. 

4)  So  berichtet  Berti,  II  processo  etc.  p.  XXVII.  LX,  der  die  Acten 
des  Processes  in  Händen  hat  und  ihre  Veröffentlichung  in  Aussicht  stellt. 
Die     Vermuthung    Wohlwills,    Zts.     f.     Math.    1872    L.-Z.    29,    der   Process 


30  Cesare  Cremomm. 

ist  darin  schwerlich  in  einer  Weise  genannt  gewesen,  die  ihn 
graviren  konnte.  Denn  Cesare  Cremonini  da  Cento,  Professor 
der  Philosophie  in  Padua,  war  ein  entschiedener  Peripate- 
tiker  und  bitterer  Gegner  Galilei's,  der,  wie  diesem  eben  im 
Mai  1611  berichtet  wurde1),  über  dessen  Beobachtungen 
spottete  und  sich  wunderte,  wie  Galilei  sie  für  wahre  Dinge 
ausgeben  könne.  Er  wolle,  wurde  Galilei  weiter  berichtet, 
astronomische  Schriften,  auch  über  die  Bewegung  der  Erde, 
herausgeben  und  darin  den  Aristoteles  vertheidigen  und  Ga- 
lilei, ohne  ihn  zu  "nennen,  angreifen;  er  berufe  sich  auf  eine 
Stelle  des  Plutarch  als  auf  ein  unwiderlegliches  Argument 
gegen  die  Täuschung  des  Fernrohrs.  Später  wurde  Cremo- 
nini beschuldigt,  er  habe  in  einem  Buche  „De  coelo"  materia- 
listische Anschauungen  vorgetragen,  und  Galilei's  Freund 
Sagredo  schrieb  ihm  im  Februar  161 5,  sein  Vater,  der  „Re- 
formator" der  Universität  Padua,  habe  eine  sehr  schlechte 
Meinung  von  Cremonini  und  glaube,  derselbe  habe  durch 
seine  Lehrthätigkeit  viele  junge  Leute  zum  Atheismus  ge- 
fuhrt 2). 

Wie  die  Inquisition  also  dazu  kam,  in  den  Acten  des 
Cremonini'schen  Processes  nachsehen  zu  lassen,  ob  Galilei 
darin  erwähnt  werde,  und  ob  und  wie  Bellarmins  Anfrage 
damit  zusammenhängt,  dass  die  Inquisition  auf  Galilei  auf- 
merksam geworden  war,  ist  nicht  auszumachen. 

Während  Galilei  von  seinem  Aufenthalte  in  Rom  sehr 
befriedigt  war,  hat  Paul  Sarpi,  —  wenn  er  wirklich  die 
folgenden  Worte  im  J.  161 1  oder  auch  nur  im  J.  16 15  ge- 
schrieben hat3),  —  sich  fast  wie  ein  Prophet  darüber  aus- 
gesprochen: „Ich  höre  von  dem  Senator  Domenico  Molino, 
dass  Galilei  nach  Rom  reisen  will ,  wohin  er  von  mehreren 
Cardinälen  eingeladen  ist,  um  dort  seine  astronomischen  Ent- 
deckungen zu  zeigen  [das  passt  besser  auf  die  Reise  im 
J.  161 1,   als  auf  die  im  J.    161 5].     Ich  fürchte,  wenn  er  bei 


möge  mit  den  Streitigkeiten  zwischen  der  Universität  Padua  und  den  Jesui- 
ten zusammengehangen  haben,  ist  also  nicht  richtig.  Vgl.  über  Cremonini 
Stöckl,  Gesch.  der  Philos.  des  M.-A..   1866,  III,  272. 

1)  VIII,   141;   s.  o.  S.   17.  2)  VIII,  338.  345. 

3)  Venturi  I,  274  theilt  die  Stelle  aus  dem  1785  zu  Venedig  erschie- 
nenen Buche  „Genio  di  Fra  Paolo"  mu:,  welches  sich  auf  Sarpi's  Papiere 
{Schede)  fol.  124  beruft.  Vgl.  Bianchi-Giovini,  Biografia  di  Fra  Paolo  Sarpi, 
1836,  I,  279. 


Die  Schrift  über  die  Sonnenflecken.  31 

dieser  Gelegenheit  die  gelehrten  Gründe  vorträgt,  die  ihn 
bestimmen,  hinsichtlich  unseres  Sonnensystems  die  Theorie 
des  Domherrn  Copernicus  vorzuziehen,  so  wird  das  den  Je- 
suiten und  den  anderen  Mönchen  gewiss  nicht  gefallen.  Diese 
werden  die  physische  und  astronomische  Frag-e  in  eine  theo- 
logische verwandeln,  und  ich  sehe  zu  meinem  grössten  Be- 
dauern vorher,  dass  er,  um  in  Frieden  und  ohne  die  Makel 
eines  Ketzers  und  Excommunicirten  zu  leben,  seine  An- 
sichten wird  widerrufen  müssen.  Es  wird  freilich  der  Tag 
kommen,  dessen  bin  ich  so  gut  wie  gewiss,  wo  die  Men- 
schen, durch  bessere  Studien  aufgeklärt,  das  Unglück  Ga- 
lilei's  und  die  einem  so  grossen  Manne  angethane  Unge- 
rechtigkeit beklagen  werden;  aber  mittlerweile  wird  er  diese 
zu  erdulden  haben  und  sich  darüber  nur  insgeheim  beklagen 
dürfen.  —  Die  Copernicanische  Hypothese  steht  nicht  nur 
nicht  in  Widerspruch  mit  dem  in  der  h.  Schrift  geoffenbarten 
Worte  Gottes,  sondern  ehrt  auch  dessen  unendliche  Macht 
und  Weisheit,  sowohl  bezüglich  der  Ordnung  und  Dispo- 
sition der  Weltmaschine,  wie  bezüglich  all  der  anderen  Dinge, 
welche  das  Schauspiel  des  Weltalls  ausmachen." 

Das  freundschaftliche  Verhältniss,  welches  sich  während 
des  Aufenthaltes  Galilei's  in  Rom  im  J.  161 1  zwischen  ihm 
und  den  Jesuiten  bildete,  sollte  nicht  lange  dauern.  Es  wurde 
schon  in  dem  folgenden  Jahre  getrübt  durch  seine  Contro- 
verse  mit  dem  Pater  Christoph  Scheiner  1),  —  er  wird  uns 
noch  öfter  begegnen,  —  über  die  Sonnenflecken,  eine  Con- 
troverse,  die  zugleich  Galilei  Gelegenheit  bot,  sich  offener 
als  bisher  für  das  Copernicanische  System  auszusprechen. 

Scheiner,  damals  Professor  der  Mathematik  und  des 
Hebräischen  in  Ingolstadt,  veröffentlichte  im  J.  161 2  zu  Augs- 
burg drei  Briefe  an  den  dortigen  Patricier  Marcus  Welser 


1)  Christoph  Scheiner,  geb.  1575  in  Wald  bei  Mündelheim  in  Schwaben, 
war  Professor  der  Mathematik  und  des  Hebräischen  zuerst  zu  Freiburg  im 
Breisgau,  dann  161  o — 161 6  zu  Ingolstadt.  Danach  war  er  einige  Jahre,  bis 
zum  März  1633  in  Rom.  Er  starb  18.  Juli  1650  als  Rector  des  Jesuiten-Colle- 
giums  in  Neisse.  Er  erfand  1603  den  Storchschnabel.  Seine  Schriften  über 
die  Sonnenflecken  sind  nicht  ohne  Werth;  namentlich  „gehört  ihm  das  Ver- 
dienst, zuerst  die  Rotationszeit  der  Sonne  und  die  Lage  ihres  Aequators 
wirklich  bestimmt,  sowie  auf  die  Fleckenzonen  aufmerksam  gemacht  zu 
haben".     R.  Wolf,  Gesch.    der  Astronomie  S.   319.  394. 


32  Die  Schrift  über  die  Sonnenflecken. 

über  die  Sonn enfl ecken  pseudonym,  unter  dem  Namen  „  Apelles 
post  tabulam".  Galilei's  Gegenschrift,  gleichfalls  drei  Briefe 
an  "Welser,  wurde  im  Frühjahr  1613  zu  Rom  von  der  Aka- 
demie der  Lincei  herausgegeben J).  Es  handelte  sich  bei 
dieser  Controverse  zunächst  um  die  Fragen,  ob  Galilei  oder 
Scheiner  die  Sonnenflecken  zuerst  entdeckt  habe2)  und  wie 
dieselben  zu  erklären  seien.  An  mehreren  Stellen  der  Briefe 
Galilei's  wird  aber  auch  die  Copernicanische  Theorie,  nicht 
zwar  ex  firofesso  vertheidigt,  aber  als  richtig  bezeichnet3), 
und  in  Briefen  aus  dieser  Zeit  hebt  Galilei  die  Bedeutung 
seiner  Beobachtungen  über  die  Sonnenflecken  für  jene  Theorie 
scharf  hervor.  In  dem  Briefe  vom  12.  Mai  16 1 2 4),  in  welchem 
er  dem  Fürsten  Cesi,  —  der  übrigens  wenigstens  damals 
noch  kein  entschiedener  Copernicaner  war5),  —  die  dem- 
nächstige Uebersendung  seines  ersten  Briefes  an  Welser  an- 
kündigt, meint  er,  seine  desfallsigen  Entdeckungen  würden 
„die  Todtenfeier  oder  vielmehr  das  letzte  Gericht  der  Pseu- 
dophilosophie  sein,  da  man  nun  Zeichen  an  den  Sternen,  am 
Monde  und  der  Sonne6)  gesehen/'  Am  16.  Juni  spricht  er 
auch  in  einem  Schreiben  an  Paolo  Gualdo 7)  von  diesem  Briefe 
an  Welser  und  sagt:  „Ich  gewinne  fortwährend,  ohne  zu  ver- 
lieren ;  denn  es  bekehrt  sich  von  Zeit  zu  Zeit  ein  Ungläubiger, 
während  von  den  schon  Ueberzeugten  nie  einer  abfällt.  Tag 
für  Tag  werden  neue  Bestätigungen  der  Wahrheit  entdeckt, 

1)  Mit  Scheiners  Briefen  abgedruckt  III,  369  —  508;  vgl.  VI,   181;  VIII, 

303-  313. 

2)  Dass  er  die  Sonnenflecken  früher  entdeckt  als  Scheiner,  im  Septem- 
ber 1610,  dafür  konnte  sich  Galilei  später  u.  a.  auf  das  Zengniss  der  Jesui- 
ten Adam  Tanner  und  Guldin  berufen  (III,  182;  IX,  67.  234).  Später  ist 
der  Holländer  Fabricius  als  der  erste  Entdecker  bezeichnet  worden,  und  R. 
Wolf,  Gesch.  der  Astronomie  S.  392,  meint,  die  Priorität  Galilei's  gegen- 
über Fabricius  sei  wohl  nicht  festzuhalten.  Für  die  Priorität  Galilei's  s. 
Parchappe,  Galilei  p.  92.  Martin  p.  31.  Jedenfalls  ist  P.  de  Gabriac  (s. 
o.  S.  16,  Anm.  1)  nicht  befugt,  zu  sagen:  „Galilei  beansprucht  für  sich  die 
Ehre  aller  Entdeckungen  .  .  .  Fabricius  theilt  in  seinem  Buche  vom  13. 
Juni  161 1  mit,  er  habe  auf  der  Sonnenscheibe  Flecken  beobachtet:  Galilei 
beansprucht  mehr  als  ein  Jahr  später  in  seinem  ersten  Briefe  an  Welser 
die  Priorität." 

3)  z.  B.  III,  383.  385.  469.    507.  4)  VI,   180. 

5)  VIII,  215;  VI,   190. 

6)  Anspielung  auf  Luk.  21,  25.  Denselben  Ausdruck  gebraucht  Ga- 
lilei in  dem  Briefe  an  Card.  Maffeo  Barberini  vom  2.  Juni  1612;  Pieralisi, 
Urbano   VIII   p.   45.  7)  VI,    186;  s.   o.   S.  23. 


Die  Schrift  über  die  Sonnenflecken.  33 

und  wer  die  Wahrheit  auf  seiner  Seite  hat,  der  ist  wohl 
daran  und  kann  lachend  zusehen,  wie  sich  die  Gegner  ver- 
geblich abmühen."  Am  14.  Sept.  1612  konnte  Cesi1)  mit  der 
Meldung,  dass  er  das  Manuscript  des  zweiten  Briefes  an 
Welser  erhalten ,  die  Mittheilung  verbinden :  vor  einigen 
Tagen  habe  ein  Dominicaner  bei  einer  öffentlichen  Dispu- 
tation im  Jesuitencollegium  zu  Rom  Galilei's  Ansicht  von 
den  Sonnenflecken  mit  der  Conclusion,  dass  die  Sonne  der 
Mittelpunkt  des  Weltalls  sei,  gegen  die  Jesuiten,  welche 
Scheiners  Theorie  vertraten,  vertheidigt. 

Im  Febr.  161 5 2)  übersandte  Scheiner  Galilei  seine  im 
J.  16 14  zu  Ingolstadt  erschienenen  „Disquisitiones  mathema- 
ticae  de  controversiis  et  novitatibus  astronomicis",  worin  die 
Copernicanische  Theorie  bekämpft  wird.  Er  schrieb  dabei: 
„Es  ist  mir  nicht  unbekannt,  dass  die  Copernicanischen  Hy- 
pothesen Sie  sehr  ansprechen;  aber  meine  oder  vielmehr 
meines  Schülers  Erörterungen  scheuen  die  Prüfung  der  Ge- 
lehrten nicht.  Wiewohl  ich  darum  Niemand  seine  Meinung 
in  diesen  Dingen  mit  Gewalt  nehmen  will,  so  glaube  ich 
doch  die  zur  Ermittlung  der  Wahrheit  geeigneten  Gründe 
nicht  zurückhalten  zu  dürfen.  Wenn  Sie  Gegengründe  vor- 
bringen wollen,  so  werden  wir  uns  dadurch  keineswegs  ge- 
kränkt fühlen,  sondern  die  Einwendungen  gern  prüfen,  in  der 
Hoffnung,  dass  das  immerhin  dazu  beitragen  werde,  die  Wahr- 
heit in  helleres  Licht- zu  setzen."  Eine  Antwort  Galilei's 
auf  diesen  Brief  findet  sich  nicht.  Er  kritisirte  Scheiners 
Disquisitionen  erst  1632  in  seinem  Dialog,  zusammen  mit 
einer  andern  polemischen  Schrift  desselben,  von  der  später 
die  Rede  sein  wird. 

Dass  nicht  alle  Gegner  der  Peripatetiker  damals  auch 
Copernicaner  waren,  sehen  wir  ausser  bei  Cesi  auch  bei  dem 
Genuesen  Gioan  Batista  Baliani.  Filippo  Salviati  empfahl 
diesen  Galilei  als  einen  Philosophen,  welcher  „über  die  Natur 
philosophirt  und  über  Aristoteles  und  alle  Peripatetiker 
lacht",  und  Baliani  selbst  sagt  von  sich  in  seinem  ersten 
Briefe  an  Galilei:  er  habe  „immer  über  alle  philosophischen 
Conclusionen  gelacht,   welche  —  abgesehen  von  denen,   die 


1)  VIII,  239.  2)  Suppl.  99. 

3)  VIII,  294,    297.      Vgl.    über    Baliani  Targioni    I,    146.     Tiraboschi 
VIII,  203.     Suppl.   103.   131. 

Ee usch,  Galilei.  3 


34  Die  theol.  Zulässigkeit  der  Copern.  Theorie. 

wir  durch  das  Licht  des  Glaubens  als  wahr  kennen,  —  nicht 
auf  mathematischen  Beweisen  oder  zuverlässigen  Beobach- 
tungen beruhen."  Aber  am  31.  Jan.  16 14  "schrieb  er  an 
Galilei  über  die  Schrift  über  die  Sonnenflecken1):  „Ich 
glaube  zu  sehen,  dass  Sie  die  Meinungen  des  Copernicus 
billigen;  und  doch  möchte  ich  glauben,  dass  die  Beobach- 
tungen, die  man  mit  dem  Fernrohr  an  der  Venus  und  den 
Mediceischen  Sternen  und  den  Sonnenflecken  macht,  eher 
die  Flüssigkeit  der  himmlischen  Materie  beweisen  und  darum 
die  Meinung  Tycho's  wahrscheinlicher  machen." 

Galilei  antwortete  am  12.  März  16142):  „Was  die  Mei- 
nung des  Copernicus  angeht,  so  halte  ich  sie  in  der  That 
für  sicher,  und  zwar  nicht  bloss  wegen  der  Beobachtungen 
an  der  Venus,  den  Sonnenflecken  und  den  Mediceischen 
Sternen,  sondern  auch  wegen  anderer  Gründe,  die  Copernicus 
anführt,  und  wegen  vieler  anderer  Beobachtungen,  die  ich 
gemacht  und  die  mir  beweisend  zu  sein  scheinen.  .  .  .  Bei 
der  Meinung  des  Tycho  bleiben  jene  sehr  grossen  Schwie- 
rigkeiten, die  mich  nöthigen,  von  Ptolemäus  abzugehen, 
während  ich  bei  Copernicus  nichts  finde,  was  mir  auch  nur 
das  geringste  Bedenken  machte.  Am  allerwenigsten  machen 
mir  die  Einwendungen  Bedenken,  welche  Tycho  in  gewissen 
Briefen  gegen  die  Bewegung  der  Erde  vorbringt.'' 


V. 

Die  Controverse  über  die  theologische  Zulässigkeit  der 

Copernicanischen  Theorie. 

Man  hat  vielfach  gesagt:  Galilei  sei  nicht  als  guter 
Astronom,  sondern  als  schlechter  Theologe  in  Rom  verur- 
theilt  worden;  er  habe  den  Fehler  begangen,  die  Contro- 
verse über  das  Copernicanische  System  auf  das  theologische, 
speciell  das  exegetische  Gebiet  hinüberzuspielen;  er  habe 
verlangt,  die  kirchliche  Behörde  solle   die  Copernicanische 


1)  VIII,  300. 

2)  Atti   della  R.  Accademia  di  Torino,    Vol.  VII   (1871—72),  p.  585. 
Der  Brief  ist  dort  irrthümlicli  in  das  J.  16 13  versetzt. 


Die   theol.  Zulässigkeit  der  Copern.  Theorie.  35 

Lehre  als  in  der  Bibel  begründet  anerkennen  und  dergl. l). 
Noch  Hergenröther 2)  behauptet,  ,,Galilei's  Sache  würde  gar 
nicht  vor  der  Inquisition  verhandelt  worden  sein,  wenn  er 
auf  dem  Boden  der  Physik  und  Astronomie  stehen  geblieben 
wäre  und  sich  nicht  in  leidenschaftlicher  Erregung  auf  die 
Bibel  berufen  hätte",  und  P.  Desjardins  versichert  p.  30.  32: 
„Galilei  würde  nie  verurtheilt  worden  sein,  wenn  er  sich 
nicht  in  seiner  Anmassung  darauf  gesteift  hätte,  seine  Mei- 
nung als  eine  absolute  Wahrheit  geltend  zu  machen  und  im 
Interesse  seiner  Sache  exegetische  Regeln  zu  formuliren, 
welche  die  Orthodoxie  nicht  billigen  konnte/'  —  wenn  er 
auch  zugibt,  die  Behauptung  von  Gaume,  Gaillardin  und 
„vielen  Anderen''  sei  „übertrieben",  dass  Galilei  „für  seine 
Lehre  die  Geltung  einer  in  der  Bibel  enthaltenen  Wahrheit 
oder  gar  eines  Glaubensartikels  beansprucht  habe".  Diese 
Angaben  sind,  wie  sich  aus  dem  Folgenden  ergeben  wird, 
ganz   unrichtig. 

Wie  Exegeten  für  die  der  Ptolemäischen  Anschauung 
entsprechende  Deutung  von  Bibelstellen  sich  auf  die  wissen- 
schaftliche Unhaltbarkeit  des  Copernicanischen  Systems  be- 
riefen3), so  bekämpften  anderseits  Philosophen  das  Coper- 
nicanische  System  mit  jenen  Bibelstellen,  wie  denn  ja  über- 
haupt das  Hineinziehen  theologischer  Argumente  in  natur- 
wissenschaftliche Erörterungen  bei  den  Peripatetikern  zu  jener 
Zeit  sehr  gewöhnlich  war  (S.  13).     Galilei  hat  sich  von  diesem 


1)  Vgl.  über  solche  Angaben  Martin,  Galilee  p.  173.  268.  Der  erste 
Urheber  dieser  irrigen  Auffassung  scheint  Mallet  du  Pan  zu  sein;  Martin, 
p.  401.  2)  Handb.  der  Kirchengesch.,   1877,  **>  488- 

3)  So  sagt  z.  B.  der  Jesuit  Joh.  de  Pineda  in  seinem  1597  erschiene- 
nen Commentar  zu  Job  9,  6 :  Die  Pythagoreische  Ansicht,  nach  welcher 
Didacus  Stunica  diese  Stelle  erklärt,  „ist  ganz  falsch,  —  Andere  werden  sie 
verrückt,  närrisch,  temerär  und  theologisch  bedenklich  nennen  und  sagen,  sie 
sei  aus  dem  Orcus  der  alten  Philosophen  von  Copernicus  und  Caelius  Cal- 
cagnini  zurückgerufen,  mehr  um  sich  geistreich  zu  zeigen,  als  zum  Wohle 
und  Nutzen  der  Philosophie  und  Astrologie.  —  Ich  habe  sie  weitläufig  be- 
kämpft, als  ich  die  Bücher  des  Aristoteles  vom  Himmel  und  von  der  Welt 
erklärte  und  von  der  Bewegung  des  Himmels  handelte,  und  sehr  elegant  hat 
mit  philosophischen  und  astrologischen  Gründen  ihre  Falschheit  nachge- 
wiesen unser  Christoph  Clavius  in  seinem  Commentar  zum  I.  Capitel  der 
Sphaera."  —  Andere  Stellen  s.  bei  Grisar  S.  732.  Vgl.  Beckmann  3.  Art. 
S.   661. 


36  Die  theol.  Zulässigkeit  der  Copern.  Theorie. 

Fehler  nicht  nur  frei  gehalten,  sondern  ihn  entschieden  be- 
kämpft. Jedenfalls  ist  er  nicht  derjenige,  welcher  zuerst  die 
Bibel  in  die  Controverse  hineinzog.  Schon  im  J.  1589  hatte 
Tycho  de  Brahe  in  einem  Briefe  an  Christoph  Rothmann 
angedeutet,  die  Copernicanische  Lehre  stimme  nicht  mit  der 
Lehre  der  Bibel  und  der  Kirchenväter  überein1).  Kepler 
war  schon  1596  in  seinem  „Prodromus"  und  1602  in  seiner 
„Nova  Dissertatiuncula".  auf  diesen  Punkt  eingegangen. 
Joachim  Rheticus  hatte  schon  bei  Copernicus'  Lebzeiten  ein 
Schriftchen  verfasst,  worin  er  die  „Bewegung  der  Erde  von 
dem  Vorwurfe  des  Widerspruchs  mit  der  h.  Schrift  be- 
freite"2); dasselbe  wurde  aber  nicht  gedruckt. 

In  Italien  machte  zuerst  der  Florentiner  Francesco  Sizi 
in  einer  161 1  zu  Venedig  unter  dem  Titel  „Dianoia  astro- 
nomica"  veröffentlichten  Streitschrift  gegen  Galilei's  ,,Side- 
reus  Nuncius"3)  unter  anderm  geltend,  die  Behauptung, 
Jupiter  habe  Monde,  widerspreche  der  h.  Schrift,  die  nur 
von  sieben  Planeten  wisse.  Um  dieselbe  Zeit  schliesst  Lo- 
dovico  delle  Colombe  seine  Abhandlung  gegen  die  Bewe- 
gung der  Erde  (s.  o.  S.  28)  mit  einer  Aufzählung  von  Bibel- 
stellen und  fügt  dann  bei4):  „Vielleicht  werden  die  Elenden 
zu  Deutungen  der  Bibel  ihre  Zuflucht  nehmen,  welche  von 
dem  Buchstaben  abweichen.  Aber  alle  Theologen  ohne  Aus- 
nahme sagen:  wenn  die  h.  Schrift  buchstäblich  verstanden 
werden  könne,  dürfe  sie  nicht  anders  gedeutet  werden,  und 
Canus  sagt  mit  allen  Commentatoren  des  h.  Thomas:  wenn 
Jemand  bezüglich  des  Sinnes  der  h.  Schrift  etwas  behaupte 
gegen  die  allgemeine  Ansicht  der  Väter,  so  sei  eine  solche  Be- 
hauptung temerär.     Zudem  sagen  die  Theologen,  es  sei  eine 


1)  Brief  vom  24.  Nov.  1589:  .  .  .  „ob  die  Bibel  der  Phantasie  (ima- 
ginationi)  des  Copernicus  widerspreche  oder  nicht.  Wenn  du  also  in  den 
heiligen  Orakeln  oder  bei  ihren  Auslegern,  bei  Augustinus  oder  anderen 
Vätern  etwas  gefunden  hast,  was  zu  Gunsten  dessen  spricht,  was  Copernicus 
behauptet  und  du  billigst,  so  citire  es  aus  ihren  Schriften."  Vgl.  "Wolynski, 
Arch.   stör.  S.    3,  T.   17  (1873),  p.   16.     Epinois,  La  question,  p.   31. 

2)  S.  den  Brief  des  Bischofs  Giese  an  Rheticus  vom  26.  Juli  1543 
bei  Beckmann,  2.  Art.  S.   33. 

.  3)  VI,  94.  159;  VIII,  89.  157.  Venturi  I,  124.  Targioni  I,  41.  U)  II. 
Gebier,  Galilei  S.  50.  Sizi  wurde  161 8  zu  Paris  wegen  politischer  Ver- 
brechen hingerichtet.  Nach  dem  Briefe  bei  Targioni  II,  14  befasste  er  sich 
viel  mit  Nativitätenstellerei.  4)  II,  377. 


Brief  an  Castelli   1613.  37 

allgemeine  Regel,  dass  ein  grosser  philosophischer  Irrthum 
auch  theologisch  verdächtig  sei,  namentlich  wenn  es  sich,  wie 
hier,  um  eine  Sache  handelt,  von  welcher  die  Bibel  redet"  x). 
Galilei  berührt  diese  theologische  Argumentation  in  seinen 
Postillen  zu  dem  Buche  Colombe's  und  in  seinem  Briefe 
an  Gallanzoni  (s.  o.  S.  29)  mit  keinem  Worte.  Im  J.  161 2 
aber,  als  er  mit  der  Ausarbeitung  seiner  Briefe  über  die 
Sonnenflecken  beschäftigt  war,  wird  in  seinem  Briefwechsel 
zuerst  die  Frage  berührt,  ob  sich  die  Peripatetiker  mit  Recht 
auf  die  h.  Schrift  berufen  könnten.  Er  legte  diese  Frage 
in  einem  nicht  erhaltenen  Briefe  dem  Cardinal  Conti  vor. 
Dieser  antwortete  am  7.  Juli  16122):  „Der  Aristotelischen 
Ansicht  von  der  Incorruptibilität  des  Himmels  ist  die  h. 
Schrift  nicht  günstig,  eher  der  entgegengesetzten  Ansicht, 
so  dass  es  die  gewöhnliche  Ansicht  der  Kirchenväter  war, 
der  Himmel  sei  corruptibel.  Die  Copernicanische  Ansicht 
von  der  Bewegung  der  Erde  und  der  Sonne  scheint  der  h. 
Schrift  weniger  zu  entsprechen;  denn  wenn  auch  jene  Stellen, 
an  denen  es  heisst,  die  Erde  stehe  fest,  von  ihrer  Dauer 
verstanden  werden  können,  wie  Lorinus*)  zu  Eccl.  1,  4  be- 
merkt, so  können  doch  die  Stellen,  an  denen  gesagt  wird, 
die  Sonne  umkreise  (die  Erde)  und  der  Himmel  bewege  sich, 
(bei  der  Annahme  der  Copernicanischen  Ansicht)  nicht  an- 
ders gedeutet  werden,  als  so,  dass  man  sagt,  die  Bibel  rede 
nach  der  Weise  des  gewöhnlichen  Volkes,  und  diese  Inter- 
pretation sweise  darf  ohne  dringende  Notwendigkeit  nicht 
zugelassen  werden.  Indess  sagt  Diego  Stunica  zu  Job  9,  6, 
die  Ansicht,  dass  die  Erde  sich  bewege,  entspreche  der  h. 
Schrift  besser;  freilich  hat  seine  Interpretation  im  allgemeinen 
keinen  Beifall  gefunden." 

Nach  dem  Erscheinen  der  Schrift  über  die  Sonnen- 
flecken, in  welcher  Galilei  zwar  wiederholt  die  Copernica- 
nische Ansicht  als  richtig  bezeichnet  (s.  o.  S.  32),  in  welcher 
aber  von  der  Bibel  gar  nicht  die  Rede  ist,  fand  Galilei 
Veranlassung,  sich  selbst  über  jene  Frage  brieflich  auszu- 
sprechen.   Castelli  schrieb  ihm  aus  Pisa  am  14.  Dec.  16134): 

1)  Colombe  führt  dann  die  oben  S.  35  Anm.  3  citirte  Stelle  von 
Pineda  an.  2)  VIII,  222;  vgl.  226. 

3)  Der  bekannte  Exeget  Johannes  Lorinus  aus  dem  Jesuitenorden, 
nicht  zu  verwechseln  mit  dem  unten  zu  erwähnenden  Dominicaner  Nicolaus 
Lorini.  4)  VIII,  291. 


38  .  Brief  an  Castelli   1613. 

An  der  grossherzoglichen  Tafel  sei  in  seiner  Gegenwart  die 
Rede  auf  die  Mediceischen  Planeten  gekommen.  Der  Pro- 
fessor der  Physik,  Boscaglia1),  habe  dabei  geäussert:  Gali- 
lei's  astronomische  Entdeckungen  seien  zwar  unbestreitbar, 
aber  dass  die  Erde  sich  bewege,  sei  unglaublich  und  unmög- 
lich, zumal  die  Bibel  das  Gegentheil  lehre.  Von  der  Gross- 
herzogin-Mutter, Christina  von  Lothringen2),  veranlasst, 
habe  er  (Castelli)  darauf  ausführlich  nachzuweisen  gesucht, 
dass  jene  Lehre  der  Bibel  nicht  widerspreche.  Der  Gross- 
herzog und  die  Grossherzogin  und  andere  Anwesende  hätten 
ihm  zugestimmt;  Boscaglia  habe  geschwiegen;  nur  die  Gross- 
herzogin-Mutter habe  widersprochen,  aber  —  wie  Castelli 
wohl  mit  Recht  annahm  —  lediglich  um  ihm  Anlass  zur  Er- 
widerung zu  geben.  In  diesem  Gespräche  citirte  die  Gross- 
herzogin-Mutter auch  die  bekannte  Stelle  im  Buche  Josue 
(10,  12.  13),  worauf  Castelli  von  derselben  drei  Erklärungen, 
darunter  eine  als  von  Galilei  aufgestellt,  vortrug,  um  sie  mit 
der  Copernicanischen  Lehre  in  Einklang  zu  bringen3). 

Von  diesem  Vorfall  nahm  Galilei  Veranlassung,  sich  in 
einem  längern  Briefe  an  Castelli  vom  21.  Dec.  16 13  über  „das 
Hineinziehen  der  h.  Schrift  in  naturwissenschaftliche  Contro- 
versen"  und  insbesondere  über  die  Stelle  im  Buche  Josue 
auszusprechen4).    Da   dieser    Brief  in    der   Geschichte    des 


1)  Cositno  Boscagli  (so  nennt  er  sich  selbst)  war  am  grossherzoglichen 
Hofe  sehr  angesehen.  Targioni  I,  87. 

2)  Christina  von  Lothringen  wurde  im  Februar  1589  die  Gemahlin 
Ferdinands  I.,  welcher  7.  Febr.  1609  starb.  Nach  dem  Tode  ihres  Sohnes 
Cosimo  II.  (28.  Febr.  1621)  führte  sie  die  Regentschaft  für  ihren  unmündi- 
gen Enkel  Ferdinand  II.  in  Gemeinschaft  mit  dessen  Mutter.  Sie  starb  10. 
Nov.   1636.     Sie  hatte    sich    früher  gegen  Galilei  sehr  wohlwollend   gezeigt. 

vi,  28.  35.  63-67.         3)  n,  11. 

4)  P.  Schneemann  stellt  S.  119  die  Sache  nicht  ganz  richtig  dar,  wenn 
er  sagt:  „Galilei  und  Castelli  schienen  darüber,  dass  die  alte  Dame  (bei 
dem  oben  erwähnten  Gespräche)  bei  ihrer  Ansicht  blieb  [?],  untröstlich  zu 
sein,  und  ersterer  erliess  —  offenbar  im  Einverständniss  und  wahrscheinlich 
auch  unter  Mitwirkung  seines  theologischen  Freundes  [für  letztere  Annahme 
spricht  gar  nichts]  —  an  diesen  ein  Schreiben  .  .  .,  welches  nun  mit  grosser 
Emsigkeit  verbreitet  wurde.  Trotz  des  hierdurch  erregten  Anstosses  schrieb 
er  einige  Zeit  darauf  über  dasselbe  Thema  eine  grössere  an  die  Grossherzogin- 
Mutter  gerichtete  Schrift."  S.  256  kommt  er  dann  auf  die  Sache  zurück  mit 
der  frivolen  Bemerkung:  „Nachdem  die  alte  Grossmutter  am  Mediceischen 
Hofe  einmal   Bedenken   über   die    Harmonie    der  Schrift  mit   dem  genannten 


Brief  an  Castelli  1613.  39 

ersten  Processes  eine  grosse  Rolle  spielt  und  zudem  für 
Galilei' s  Anschauungen  sehr  charakteristisch  ist,  müssen  die 
Hauptstellen  desselben  mitgetheilt  werden 1). 

„Die  h.  Schrift  kann  nie  lügen  oder  irren,  vielmehr 
sind  ihre  Aussprüche  {decreti)  absolut  und  unverletzlich  wahr. 
Wenn  aber  auch  die  Bibel  nicht  irren  kann,  so  könnte  doch 
ein  Ausleger  derselben  in  verschiedener  Weise  irren.  Ein 
solcher  Irrthum,  und  zwar  ein  sehr  schwerer  und  gewöhn- 
licher Irrthum,  wäre  es,  wenn  wir  immer  bei  der  eigent- 
lichen Bedeutung  der  Worte  stehen  bleiben  wollten;  denn 
so  würden  nicht  nur  mancherlei  Widersprüche,  sondern  auch 
schlimme  Ketzereien  und  Gotteslästerungen  herauskommen. 
Denn  wir  müssten  dann  Gott  Hände,  Füsse,  Ohren  bei- 
legen und  nicht  minder  körperliche  und  menschliche  Affecte, 
wie  die  des  Zornes,  der  Reue,  des  Hasses  und  mitunter  so- 
gar des  Vergessens  der  vergangenen  und  des  Nichtwissens 
der  zukünftigen  Dinge.  . .  .  Da  also  die  Bibel  an  vielen  Stellen 
einer  von  der  zunächst  liegenden  Bedeutung  der  Worte  ver- 
schiedenen Auslegung  nicht  nur  fähig,  sondern  auch  be- 
dürftig ist,  so  scheint  mir,  es  sei  ihr  bei  mathematischen 
Controversen  der  letzte  Platz  anzuweisen.  Da  nämlich  die 
h.  Schrift  und  die  Natur  beide  von  dem  göttlichen  Worte 
herkommen,  jene  als  Eingebung  des  h.  Geistes,  diese  als 
Ausführerin  der  göttlichen  Befehle,  und  da  anerkannt  ist, 
dass  die  Bibel,  um  sich  der  Fassungskraft  der  grossen  Menge 
anzubequemen,  viele  Dinge  sagt,  welche  scheinbar,  wenn 
man  bei  der  eigentlichen  Bedeutung  der  Worte  stehen  bleibt, 
von  der  absoluten  Wahrheit  abweichen2),  während  anderseits 
die  Natur  unerbittlich  und  unveränderlich  und  unbekümmert 


System   geäussert  hatte,    schrieb  Galilei    einen  Brief  nach    dem   andern  und 
schliesslich  eine  ganze  Rechtfertigungsschrift  über  seine  Exegese." 

1)  Der  Brief  ist  vollständig  in  den  Opere  II,  6  (nach  Venturi  I,  203) 
abgedruckt,  ferner  nach  einer  andern  Abschrift,  in  welcher  der  Anfang  fehlt, 
bei  Targioni  II,  22.  endlich  nach  der  der  Inquisition  eingesandten  Abschrift, 
in  welcher  der  Eingang  weggelassen  war,  in  den  Acten  S.  14.  Diese  letzte 
Abschrift  ist  an  einigen  Stellen  unrichtig;  aber  auch  der  Text  in  den  Opere 
ist  augenscheinlich  nicht  ganz  correct.  Hie  und  da  kann  er  nach  den  beiden 
anderen  Abschriften  und  nach  dem  unten  zu  erwähnenden  Briefe  an  Christina 
von  Lothringen,  in  welchen  ganze  Stücke  herübergenommen  sind,  corrigirt 
werden.     Vgl.  Wohlwill,  Gott.  G.  A.   1878,  St.  21,  S.   644. 

2)  So  in  dem  Texte  Acten  S.  15  und  II,  33;  der  Text  II,  8  ist  hier 
unverständlich  und  sicher  corrupt. 


40  Brief  an  Castelli  1613. 

darum  ist,  ob  ihre  verborgenen  Ursachen  und  Wirkungs- 
weisen der  Fassungskraft  der  Menschen,  um  deren  willen 
sie  nie  von  den  ihr  vorgezeichneten  Gesetzen  abweicht,  zu- 
gänglich sind  oder  nicht:  so  scheint  mir,  dass  die  natürlichen 
Wirkungen,  welche  wir  entweder  durch  eine  verständige 
Beobachtung  wahrnehmen  oder  durch  zwingende  Demon- 
strationen erschliessen ,  in  keiner  Weise  in  Frage  zu  stellen 
seien  mit  Rücksicht  auf  Stellen  der  Bibel,  welche  nach  ihrem 
Wortlaute  etwas  anderes  zu  besagen  scheinen  '),  —  da  nicht 
jeder  Ausspruch  der  Bibel  an  so  strenge  Normen  gebunden 
ist  wie  jede  Wirkung  der  Natur.  Vielmehr,  wenn  die  Bibel, 
bloss  um  sich  der  Fassungskraft'  roher  und  ungebildeter 
Menschen  anzubequemen,  sich  nicht  enthalten  hat,  ihre  wich- 
tigsten Lehren  zu  verhüllen2),  indem  sie  sogar  Gott  Zustände 
zuschreibt,  die  seinem  Wesen  durchaus  fremd  und  wider- 
sprechend sind:  wer  möchte  da  zuversichtlich  behaupten, 
dass  sie,  davon  abgesehen,  wenn  sie  gelegentlich  von  der 
Erde  oder  der  Sonne  oder  einem  andern  Geschöpfe  redet, 
sich  immer  strenge  an  die  eigentliche  Bedeutung  der  Worte 
halten  sollte,  zumal  wenn  sie  von  diesen  Geschöpfen  Dinge 
aussagt,  welche  dem  Hauptzwecke  der  h.  Schrift  ganz  fern 
liegen,  ja  Dinge,  welche,  wenn  sie  durchaus  der  Wahrheit 
entsprechend  ausgesprochen  wären,  eher  den  Hauptzweck 
gefährdet  haben  würden,  indem  sie  das  gewöhnliche  Volk 
für  die  gläubige  Annahme  der  sein  Heil  betreffenden  Ar- 
tikel weniger  empfänglich  gemacht  haben  würden?  Da  sich 
dieses  so  verhält  und  da  offenbar  zwei  Wahrheiten  sich  nie 
widersprechen  können,  ist  es  die  Aufgabe  verständiger  Aus- 
leger, sich  zu  bemühen,  den  wahren  Sinn  der  Bibelstellen 
aufzufinden,  welcher  mit  der  naturwissenschaftlichen  Con- 
clusion  übereinstimmt,  von  deren  Richtigkeit  wir  uns  durch 
sichere  Wahrnehmung  oder  zwingende  Demonstrationen 
überzeugt  haben.  Ja,  da  die  Bibel,  wiewohl  vom  h.  Geiste 
eingegeben,  aus  den  angeführten  Gründen  an  vielen  Stellen 
Auslegungen,  die  sich  von  dem  Wortlaute  entfernen,  zu- 
lässt,  und  da  wir  nicht  mit  Sicherheit  behaupten  können, 
dass  alle  Ausleger   von  Gott  inspirirt  seien,   so  glaube  ich, 


1)  Auch  hier  ist  nach  Acten  S.  15  und  II,  34,  nicht  nach  II,  8  übersetzt. 

2)  adombrare;    so  steht  II,  8;    statt  dessen,  offenbar  unrichtig,    Acten 
S.   15  pervertire. 


Brief  an  Castelli  1613.  41 

man  würde  klug  handeln,  wenn  man  Niemand  gestattete, 
Bibelstellen  dazu  zu  verwenden  und  gewissermaassen  zu  nö- 
thigen,  die  Wahrheit  irgend  welcher  naturwissenschaftlicher 
Conclusionen  zu  stützen,  von  denen  später  die  Beobachtung 
und  beweisende  und  zwingende  Gründe  uns  das  Gegentheil 
lehren  könnten.  Und  wer  wird  dem  menschlichen  Geiste 
Schranken  ziehen  wollen?  Wer  möchte  behaupten,  dass 
wir  schon  alles  wissen ,  was  in  der  Welt  gewusst  werden 
kann?  Es  wäre  also  wohl  am  rathsamsten,  zu  den  Artikeln, 
welche  das  Seelenheil  und  die  Begründung  des  Glaubens 
betreffen  und  deren  Gewissheit  nie  durch  eine  erwiesene 
und  zuverlässige  [naturwissenschaftliche]  Lehre  wird  ge- 
fährdet werden  können,  nicht  ohne  Noth  noch  andere  hinzu- 
zufügen, und  wenn  das  richtig  ist,  so  wäre  es  noch  viel  we- 
niger in  der  Ordnung,  sie  hinzuzufügen  auf  das  Verlangen 
von  Personen,  von  welchen  wir  einerseits  nicht  wissen,  ob 
sie  durch  himmlische  Kraft  inspirirt  reden,  und  anderseits 
deutlich  sehen1),  dass  sie  nichts  von  der  Einsicht  besitzen, 
die  erforderlich  wäre,  um  jene  Demonstrationen,  ich  will 
nicht  sagen :  zu  widerlegen,  sondern  auch  nur  zu  verstehen, 
durch  welche  die  höheren  Wissenschaften  einige  ihrer  Con- 
clusionen zu  begTÜnden  suchen.  Ich  möchte  darum  glauben, 
die  Auctorität  der  h.  Schrift  habe  den  Zweck,  die  Menschen 
von  jenen  Artikeln  und  Sätzen  zu  überzeugen,  welche  für  ihr 
Seelenheil  nothwendig  sind  und  welche,  da  sie  alles  mensch- 
liche Denken  übersteigen,  nicht  durch  eine  andere  Wissen- 
schaft oder  durch  ein  anderes  Mittel  glaubhaft  gemacht 
werden  konnten  als  durch  den  Mund  des  h.  Geistes  selbst. 
Dass  aber  derselbe  Gott,  der  uns  mit  Sinnen,  Denkver- 
mögen und  Verstand  begabt  hat,  den  Gebrauch  dieser  Gaben 
hintansetzend,  uns  durch  ein  anderes  Mittel  die  Kenntnisse 
habe  geben  wollen,  die  wir  durch  jene  erlangen  können,  das 
ist,  denke  ich,  nicht  nothwendig  zu  glauben,  namentlich  be- 
züglich jener  Wissenschaften,  von  denen  nur  ein  sehr  kleiner 
Theil,  und  dieser  in  verschiedenen  Sätzen,  in  der  Bibel  vor- 
kommt, wie  gerade  bezüglich  der  Astronomie,  von  der  nur 
ein  so  kleiner  Theil  in  der  Bibel  vorkommt,  dass  darin  nicht 

einmal    alle  Planeten    aufgezählt  werden.     Hätten   aber  die 

• 

1)  So  Targioni  II,  22,  Acten  S.  17  und  II,  38;  weniger  gut  II,  9: 
„von  welchen  wir,  so  einsichtig  sie  auch  sein  mögen,  wenn  sie  von  Gott 
inspirirt  reden,  deutlich  sehen"   u.  s.  w.      Galilei  meint  die  Bibelausleger. 


42  t  Brief  an   Castelli   1613. 

ersten  heiligen  Schriftsteller  beabsichtigt,  das  Volk  über 
die  Stellungen  und  Bewegungen  der  Himmelskörper  zu  un- 
terrichten, so  würden  sie  davon  nicht  so  wenig  gesagt  haben, 
dass  es  wie  ein  Nichts  ist  in  Vergleich  mit  den  zahllosen 
erhabenen  und  bewunderungswürdigen  Sätzen,  welche  jene 
Wissenschaft  umfasst. 

„Sie  sehen  also ,  wie  verkehrt,  wenn  ich  nicht  irre,  das 
Verfahren  derjenigen  ist,  welche  in  naturwissenschaftlichen 
und  nicht  direct  mit  dem  Glauben  zusammenhangenden  Con- 
troversen  Stellen  der  Bibel,  und  zwar  sehr  oft  falsch  ver- 
standene, an  die  Spitze  stellen.  Wenn  diese  Leute  wirklich 
glauben  den  wahren  Sinn  irgend  einer  einzelnen  Bibelstelle 
erkannt  zu  haben,  und  darum  überzeugt  sind,  dass  sie  be- 
züglich der  Frage,  worüber  sie  disputiren,  die  absolute  Wahr- 
heit in  Händen  haben,  so  mögen  sie  offen  sagen,  ob  sie  glauben, 
dass  derjenige,  welcher  in  einer  naturwissenschaftlichen  Con- 
troverse  die  wahre  Ansicht  vertritt,  einen  grossen  Vortheil 
vor  dem  hat,  der  die  falsche  Ansicht  vertritt.  Ich  weiss,  sie 
werden  diese  Frage  bejahen:  derjenige,  welcher  die  wahre 
Ansicht  vertritt,  kann  tausend  Beobachtungen  und  zwingende 
Demonstrationen  für  sich  haben,  der  Andere  nur  Sophismen, 
Paralogismen  und  Täuschungen.  Wenn  sie  nun  aber,  sich  inner- 
halb der  naturwissenschaftlichen  Grenzen  haltend  und  keine 
anderen  als  die  philosophischen  Waffen  gebrauchend,  dem 
Gegner  überlegen  sein  können,  warum  wollen  sie  dann,  wenn 
es  zum  Kampfe  kommt,  plötzlich  unwiderstehliche  und  furcht- 
bare Waffen  ergreifen,  deren  blosser  Anblick  jeden,  auch 
den  gewandtesten  und  erfahrensten  Kämpfer  erschreckt? 
Soll  ich  aber  die  Wahrheit  sagen,  so  glaube  ich,  dass  sie 
selbst  die  ersten  Erschrockenen  sin4  und  dass  sie,  weil  sie 
sich  ausser  Stande  fühlen,  den  Angriffen  des  Gegners  zu 
widerstehen,  ein  Mittel  zu  finden  suchen,  sich  nicht  von  ihm 
angreifen  zu  lassen.  Weil  aber,  wie  gesagt,  derjenige,  wel- 
cher die  Wahrheit  auf  seiner  Seite  hat,  dem  Gegner  gegen- 
über einen  grossen,  ja  den  allergrössten  Vortheil  hat,  und 
weil  es  unmöglich  ist,  dass  zwei  Wahrheiten  einander  wider- 
sprechen ,  darum  brauchen  wir  keinerlei  Angriffe  zu  fürchten, 
wenn  uns  nur  die  Möglichkeit  geboten  ist,  zu  reden  und  von 
Personen  gehört  zu  werden,  weiche  uns  verstehen  können 
und  nicht  von  verkehrten  Leidenschaften  und  Interessen  ganz 
eingenommen  sind." 


Brief  an  Christina  v.  Lothringen   1615.  43 

Im  zweiten  Theile  des  Briefes  entwickelt  Galilei  aus- 
führlicher eine  Erklärung  der  Stelle  Jos.  10,  12,  die  er  be- 
reits früher  (mündlich)  Castelli  mitgetheilt  hatte1). 

Dieser  Brief  wurde  von  Galilei  nicht  durch  den  Druck 
veröffentlicht,  —  er  wurde  erst  nach  seinem  Tode  gedruckt2), 
—  aber  durch  Castelli  und  durch  Galilei  selbst  in  Abschrif- 
ten verbreitet.  Namentlich  sandte  Galilei,  als  er  erfuhr, 
dass  seine  Gegner  eine  Abschrift  nach  Rom  geschickt 
hatten,  und  fürchtete,  diese  möge  nicht  genau  sein,  im  Fe- 
bruar I615  eine  Abschrift  an  Monsignor  Dini,  mit  der  Bitte, 
sie  dem  Jesuiten  Griemberger  und  etwa  auch  dem  Cardi- 
nal Bellarmin"  zu  zeigen3).  Dini  gab  auch  noch  vielen  An- 
deren Abschriften4). 

Nachdem  Galilei  im  December  16 14  öffentlich  von  der 
Kanzel  angegriffen  worden,  arbeitete  er  in  den  ersten  Mo- 
naten des  Jahres  16155)  eine  ausführlichere  Entwicklung 
der  in  dem  Briefe  an  Castelli  vorgetragenen  Grundsätze 
aus  in  der  Form  eines  Briefes  an  die  Grossherzogin-Mutter 
Christina6),  in  welchen  die  in  jenem  Briefe  enthaltenen  Aus- 
einandersetzungen zum  Theil  wörtlich  herübergenommen 
wurden7).  Auch  dieser  Brief  war  nicht  für  den  Druck  be- 
stimmt, fand  aber  durch  Abschriften  Verbreitung8);  ge- 
druckt wurde  er  zuerst    1636  zu  Strassburg9).     Zur  Ergän- 


1)  Vgl.  Gebier,  Galilei  S.  61. 

2)  Der  Brief  ist  schon  in  einer  1649  zu  Lyon  gedruckten  Schrift  von 
Gassendi  veröffentlicht  (Martin,  Galilee  p.  251),  aber  erst  1818  durch  Venturi 
in  weiteren  Kreisen  bekannt  geworden.  Wohlwill,  Ist  Galilei  gefoltert 
worden?  S.    154. 

3)  11,  14.         4)  viii,  354.  5)  n,  15.  20. 

6)  II,  26—64;  vgl.  Gebier,  Galilei  S.  79. 

7)  Vgl.  II,  32—38  mit  II,  7—10,  II,  57  mit  II,  10,  II,  59—63  mit 
II,  11  — 13. 

8)  Inchofer  nimmt  in  seinem  1633  abgegebenen  Gutachten  darauf  Be- 
zug; Acten  S.  93. 

9)  XV,  Bibliogr.  XVI.  In  einem,  wahrscheinlich  von  Galilei  eigen- 
händig geschriebenen  Exemplare,  ist,  wie  Berti,  Copernico  p.  151,  mittheilt, 
am  Schlüsse  ein  dem  h.  Augustinus  zugeschriebenes  Gebet  beigefügt:  O  vita 
pauperum,  Dens  meus,  in  cuius  sinu  non  est  contradictio.  Plue  mihi  miti- 
gationes  in  cor,  ut  patienter  tales  feram,  qui  non  mihi  hoc  dicunt,  quia 
divini  sunt  et  in  corde  famuli  tut  viderunt  quod  dicunt,  sed  quia  superbi 
sunt  nee  moventur  Moysis  sententia,  sed  amant  suam,  non  quia  vera  est, 
sed  quia  sua  est. 


44  Brief  an  Christina  v.  Lothringen  1615. 

zung  der  Auszüge  aus  dem  Briefe  an  Castelli  mögen  hier 
folgende  Stellen    daraus  Platz   finden: 

„Wenn  der  h.  Geist  absichtlich  unterlassen  hat,  uns  solche 
Sätze  zu  lehren  (ob  der  Himmel  sich  bewege  oder  still  stehe, 
welche  Gestalt  er  habe  u.  s.  w.),  weil  sie  mit  seinem  Zwecke, 
d.  h.  mit  unserm  Seelenheile  nichts  zu  thun  haben,  wie  kann 
man  dann  behaupten,  das  Festhalten  der  einen  und  das  Ver- 
werfen der  andern  Ansicht  über  diese  Dinge  sei  so  nothwen- 
dig,  dass  jene  de  fide  und  diese  irrig  sei?  Kann  denn  eine 
Meinung  ketzerisch  sein,  die  das  Seelenheil  gar  nicht  berührt? 
Oder  kann  man  sagen,  der  h.  Geist  habe  uns  etwas  nicht 
lehren  wollen,  was  das  Seelenheil  berührt?  Ich  möchte  sagen, 
was  ich  vor  einem  hochgestellten  Geistlichen  [Cardinal  Caesar 
Baronius]  gehört  habe:  die  Absicht  des  h.  Geistes  sei,  uns 
zu  lehren,  wie  man  in  den  Himmel  komme,  nicht  wie  der  Him- 
mel sich  bewege,  —  Spiritui  sancto  mentem  fuisse,  nos  docere, 
quomodo  ad  coelum  eatur,  non  quomodo  coelum  gradtatur1). 

"Wenn  wir  aus  dem  Munde  des  h.  Geistes  selbst  wis- 
sen, dass  Deus  tradidit  mundum  disputationi  eorum,  ut  non 
inveniat  homo  opus,  quod  operatus  est  Deus  a  principio  ad 
finem  [Eccl.  3,  11],  so  darf  man,  meine  ich,  nicht  im  Wider- 
spruch mit  diesem  Satze  der  freien  Forschung  bezüglich 
der  Dinge  der  Welt  und  der  Natur  den  Weg  versperren, 
als  ob  diese  bereits  alle  mit  Sicherheit  gefunden  und  be- 
kannt gemacht  wären.  Man  darf  es  nicht  für  eine  Ver- 
wegenheit halten,  wenn  Jemand  sich  bei  herrschend  gewor- 
denen Ansichten  nicht  beruhigt,  und  es  nicht  missbilligen, 
wenn  Jemand  in  naturwissenschaftlichen  Controversen  nicht 
jene  Meinung  festhält,  welche  ihnen  [den  Gegnern]  gefällt, 
zumal  wo  es  sich  um  Probleme  handelt,  über  welche  schon 
vor  Jahrtausenden  von  den  grössten  Philosophen  gestritten 
worden  ist,  wie  die  schon  von  Pythagoras  und  seiner  Schule 
vorgetragene  Meinung  von  dem  Stillstehen  der  Sonne  und 
der  Bewegung  der  Erde2). 

„Ich  möchte  ferner  sagen,  wenn  es  mir  erlaubt  wäre, 
meine  Meinung  auszusprechen,  dass  es  der  Würde  und  Maje- 
stät der  h.  Schrift  besser  entspräche,  wenn  verordnet  würde, 
dass  nicht  jeder  oberflächliche  und  gewöhnliche  Schriftsteller, 
um  seinen  sehr  oft  auf  leere  Phantasieen  gestützten  Ausein- 

1)  II,  36.  2)  II,  38. 


Brief  an  Christina  v.   Lothringen  1615.  45 

and  er  Setzungen  Gewicht  zu  geben,  Stellen  der  h.  Schrift  ein- 
flechten dürfe,  die  er  in  einem  Sinne  erklärt  oder  vielmehr 
verdreht,  welcher  der  wahren  Intention  der  Bibel  ganz  fremd 
ist  und  diejenigen  dem  Gespötte  preis  gibt,  welche  nicht 
ohne  Ostentation  damit  grossthuen '). 

„Man  sagt:  diejenigen  auf  Dinge  der  Natur  bezüg- 
lichen Sätze,  welche  die  Bibel  überall  übereinstimmend  aus- 
spreche und  welche  die  Väter  alle  einmüthig  in  demselben 
Sinne  verstehen,  müssten  wörtlich  verstanden  und  so  als 
wahr  anerkannt  werden,  und  da  es  sich  so  mit  der  Bewe- 
gung der  Sonne  und  dem  Stillstehen  der  Erde  verhalte,  sei 
es  de  fide,  sie  für  wahr  und  die  entgegengesetzte  Meinung 
für  irrig  zu  halten.  Ich  bemerke  dagegen  zunächst  folgen- 
des: Unter  den  auf  Dinge  der  Natur  bezüglichen  Sätzen 
sind  einige,  bezüglich  deren  mit  aller  menschlichen  Wissen- 
schaft und  allem  Scharfsinn  nur  zu  einer  probabelen  Mei- 
nung und  wahrscheinlichen  Vermuthung,  nicht  zu  einem 
sichern  und  begründeten  Wissen  zu  gelangen  ist,  wie  z.  B. 
bezüglich  der  Frage,  ob  die  Sterne  beseelt  seien.  Bezüg- 
lich anderer  Punkte  haben  wir  durch  Erfahrungen  und  lange 
Beobachtungen  und  durch  zwingende  Demonstrationen  eine 
zweifellose  Gewissheit  erlangt,  oder  ist  doch  mit  Sicherheit 
anzunehmen,  dass  auf  jenem  W^ege  eine  solche  Gewissheit 
erlangt  werden  könne,  z.  B.  bezüglich  der  Frage,  ob  die 
Erde  und  der  Himmel  sich  bewege  oder  nicht,  ob  der  Him- 
mel eine  Kugelgestalt  habe  oder  nicht.  Was  die  Punkte  der 
ersten  Art  betrifft,  so  ist  es  mir  unzweifelhaft,  dass,  wo  das 
menschliche  Denken  nicht  zum  Ziele  führen  und  also  nicht 
von  Wissen,  sondern  nur  von  Meinen  und  Glauben  die 
Rede  sein  kann,  es  durchaus  in  der  Ordnung  ist,  sich  ein- 
fach an  den  Wortlaut  der  Bibel  zu  halten.  Was  aber  die 
anderen  Punkte  betrifft,  so  möchte  ich  glauben,  es  sei  zuerst 
die  Thatsache  zu  constatiren  und  diese  habe  uns  zur  Auf- 
findung des  wahren  Sinnes  der  Bibel  zu  führen,  der  sich 
als  mit  der  erwiesenen  Thatsache  durchaus  übereinstim- 
mend zu  erweisen  hätte,  da  zwei  Wahrheiten  nie  einander 
widersprechen  können2).      Diese   Ansicht    halte    ich  um   so 

1)  n,  39. 

2)  Diese  Stelle  führt  Grisar  S.  84^  als  Beweis  dafür  an,  dass  Galilei 
„allzu  zuversichtlich  über  die  Nothwendigkeit  der  neuen  Schriftdeutung" 
gesprochen ! 


46  Brief  an  Christina  v.   Lothringen   1615. 

mehr  für  richtig  und  sicher,  als  ich  sie  genau  so  bei  dem 
h.  Augustinus  finde.  Eben  bei  der  Frage,  wie  man  sich  die 
Gestalt  des  Himmels  zu  denken  habe,  da  das,  was  die  Astro- 
nomen darüber  lehren,  der  Bibel  zu  widersprechen  scheine, 
sofern  jene  den  Himmel  für  eine  Kugel  halten,  die  Bibel  ihn 
als  ein  Zelt  bezeichnet,  —  erklärt  er,  es  sei  nicht  zu  fürch- 
ten, dass  die  Bibel  den  Astronomen  widerspreche;  vielmehr 
sei  an  der  Auctorität  der  Bibel  festzuhalten,  wenn  das,  was 
die  Astronomen  sagen,  falsch  und  nur  auf  Vermuthungen 
gestützt  sei;  wenn  aber  das,  was  die  Astronomen  lehren, 
durch  unzweifelhafte  Gründe  erwiesen  sei,  so  sagt  jener  h. 
Vater  nicht,  es  sei  den  Astronomen  zu  befehlen,  ihre  Be- 
weise zu  widerlegen  und  ihre  Conclusionen  für  falsch  zu 
erklären,  sondern  es  sei  zu  beweisen,  dass  das,  was  die 
Schrift  von  dem  Zelte  sagt,  der  als  wahr  erwiesenen  Lehre 
der  Astronomen  nicht  widerspreche  (De  Gen.  ad  lit.  2,  3). 
Er  fügt  bei,  wir  müssten  uns  nicht  minder  bemühen,  eine 
Stelle  der  Bibel  mit  einer  erwiesenen  naturwissenschaft- 
lichen Wahrheit  in  Einklang  zu  bringen  als  mit  einer  an- 
dern scheinbar  widersprechenden  Bibelstelle1).  .  . 

„Nach  dieser  und  anderen  Stellen  ist,  wenn  ich  nicht 
irre,  die  Ansicht  der  heiligen  Väter  diese :  in  Fragen,  welche 
die  Natur  betreifen  und  nicht  de  fide  sind,  muss  zuerst 
untersucht  werden,  ob  etwas  unzweifelhaft  erwiesen  oder 
durch  sorgfältige  Beobachtungen  erkannt  oder  ob  eine  der- 
artige Erkenntniss  und  Demonstration  möglich  ist.  Ist  eine 
solche  Erkenntniss  vorhanden,  so  muss  man,  da  auch  sie 
eine  Gabe  Gottes  ist,  den  wahren  Sinn  der  Bibelstellen  zu 
erforschen  suchen,  welche  jener  Erkenntniss  zu  widerspre- 
chen scheinen,  und  verständige  Theologen  werden  ohne 
Zweifel  diesen  Sinn  und  zugleich  die  Gründe  auffinden, 
weshalb  der  h.  Geist  denselben  mitunter,  um  uns  zum  Nach- 
denken zu  nöthigen  oder  aus  einer  andern  mir  verborgenen 
Absicht,  unter  Worten,  die  etwas  anderes  zu  besagen  schei- 
nen, hat  verhüllen  wollen. 

„Was  den  andern  Punkt  betrifft,  so  glaube  ich:  wenn 
wir  den  Hauptzweck  im  Auge  behalten,  ist  an  dieser  Regel 
auch  dann  festzuhalten,  wenn  die  Bibel  über  einen  Punkt 
immer    in    derselben  Weise   redet.     Denn    wenn    die  Bibel, 

1)  II,  46. 


Brief  an  Christina  v.  Lothringen   1615.  47 

um  sich  der  Fassungskraft  des  gewöhnlichen  Volkes  anzu- 
bequemen, sich  einmal  über  einen  Punkt  in  uneigentlichen 
Worten  ausspricht,  warum  sollte  sie  sich  dann  nicht  auch 
jedesmal  so  aussprechen,  wo  sie  von  demselben  Punkte  zu 
sprechen  hat?  Thäte  sie  das  nicht,  so  würde,  scheint  mir, 
die  Verwirrung  noch  grösser  und  der  Glaube  des  Volkes 
gefährdet  worden  sein.  , 

„Dass  aber  bezüglich  des  Stillstehens  oder  der  Bewe- 
gung der  Sonne  und  der  Erde  die  Bibel,  um  sich  der  Fas- 
sungskraft des  Volkes  anzubequemen,  sich  so  ausdrücken 
musste,  wie  sie  thut,  das  zeigt  die  Erfahrung.  Denn  noch 
zu  unserer  Zeit  hält  das  viel  weniger  ungebildete  Volk  an 
derselben  Ansicht  fest,  .  .  .  und  man  kann  nicht  versuchen,  es 
von  dieser  Ansicht  abzubringen,  da  es  nicht  fähig  ist,  die  Gegen- 
gründe zu  verstehen.  .  .  Wenn  also  auch  für  die  Gelehrten 
das  Stillstehen  des  Himmels  und  die  Bewegung  der  Erde 
sicher  und  erwiesen  wäre,  müsste  man  sich  dem  grossen 
Haufen  gegenüber  anders  aussprechen.  Denn  von  tausend 
gewöhnlichen  Leuten,  die  man  darüber  fragen  wollte,  würde 
vielleicht  nicht  Einer  anders  antworten  als,  er  halte  es  für 
gewiss,  dass  die  Sonne  sich  bewege  und  die  Erde  still  stehe. 
Diese  übereinstimmende  Ansicht  des  Volkes  darf  aber  Nie- 
mand als  einen  Beweis  für  die  Wahrheit  ansehen;  denn 
wenn  wir  dieselben  Leute  nach  den  Gründen  für  ihre  Mei- 
nung fragen  und  auf  der  andern  Seite  hören,  auf  welche 
Erfahrungen  und  Demonstrationen  die  Wenigen  sich  stützen, 
die  entgegengesetzter  Ansicht  sind,  so  werden  wir  finden, 
dass  diese  sehr  gewichtige  Gründe,  jene  nur  den  einfachen 
Schein  und  nichts  beweisende  Beobachtungen  für  sich  haben. 
Die  Bibel  musste  also  offenbar  der  Sonne  Bewegung  und 
der  Erde  Stillstehen  zuschreiben,  um  nicht  die  geringe 
Fassungskraft  des  Volkes  in  Verwirrung  zu  bringen  und 
dieses  abgeneigt  zu  machen,  den  Wahrheiten,  welche  die 
wichtigsten  und  welche  absolut  de  fide  sind,  gläubig  zuzu- 
stimmen. Und  wenn  das  nothwendig  war,  so  ist  es  nicht 
zu  verwundern,  dass  es  in  der  h.  Schrift  mit  der  grössten 
Vorsicht  geschehen  ist. 

„Ich  füge  aber  bei,  dass  nicht  nur  die  Rücksicht  auf 
die  geringe  Fassungskraft  des  Volkes,  sondern  auch  die 
herrschende  Ansicht  jener  Zeiten  der  Grund  gewesen  ist, 
weshalb    die  h.  Schriften  in   den  Dingen,    die  zur.  Seligkeit 


48  Brief  an  Christina  v.  Lothringen    1615. 

nicht  nothwendig  sind,  mehr  auf  die  herkömmliche  Aus- 
drucksweise als  auf  das  Wesen  der  Thatsachen  Rücksicht 
genommen.  Darüber  sagt  der  h.  Hieronymus:  quasi  non 
multa  in  scripturis  sanctis  dicantur  juxta  opinionem  illius 
temporis,  quo  gesta  referuntur,  et  non  juxta  quod  rei  veritas 
continebat  (in  Jer.  28,  10J,  und  an  einer  andern  Stelle :  Con- 
suetudinjs  scripturarum  est,  ut  opinione?n  multarum  rerum  sie 
narret  historia,  quomodo  eo  tempore  ab  omnibus  credebatur 
(in  Matth.  13  PJ1). 

„Wenn  man  ferner  sagt,  ein  auf  Dinge  der  Natur  be- 
züglicher Satz  der  Bibel  werde,  wenn  die  Väter  ihn  alle  in 
derselben  Weise  verstehen,  durch  diese  Uebereinstimmung 
so  sicher,  dass  er  als  de  fide  anzusehen  sei,  so  gilt  das, 
glaube  ich,  höchstens  von  solchen  Punkten,  bei  welchen 
viele  Väter  die  sorgfältigsten  Untersuchungen  und  Erörte- 
rungen angestellt  und  die  Gründe  für  die  eine  und  für  die 
andere  Ansicht  erwogen  und  dann  alle  zu  dem  Ergebnisse 
gekommen  sind,  dass  die  eine  zu  verwerfen,  die  andere 
festzuhalten  sei.  Die  Bewegung  der  Erde  und  das  Still- 
stehen der  Sonne  aber  gehört  nicht  zu  diesen  Punkten; 
denn  diese  Meinung  war  damals  gänzlich  in  Vergessenheit 
gerathen,  wurde  in  den  Schulen  nicht  erörtert  und  von  Nie- 
mand erwogen,  geschweige  denn  anerkannt,  so  dass  anzu- 
nehmen ist,  ■  es  sei  den  Vätern  gar  nicht  in  den  Sinn  ge- 
kommen, sie  in  Zweifel  zu  ziehen  .  .  .  Ferner  ist  es  nicht 
genug  zu  sagen:  die  Väter  nehmen  alle  das  Stillstehen  der 
Erde  u.  s.w.  an;  also  ist  diese  Ansicht  de  fide  \  sondern  man 
müsste  beweisen,  dass  sie  die  entgegengesetzte  Ansicht 
verworfen  haben.  Denn  ich  werde  immer  sagen  können: 
da  sie  keine  Veranlassung  gehabt  haben,  über  die  betreffende 
Ansicht  nachzudenken  und  zu  discutiren,  so  haben  sie  die- 
selbe nur  als  die  herrschende,  nicht  aber  als  erwiesene 
und  begründete  Ansicht  anerkannt.  Und  ich  glaube,  das  kann 
man  mit  gutem  Grunde  behaupten.  Denn  die  Väter  haben 
entweder  die  betreffende  Ansicht  als  eine  Controverse  erwo- 
gen oder  nicht;  wenn  nicht,  so  konnten  sie  auch  keine 
Entscheidung  darüber  treffen  oder  auch  nur  treffen  wollen, 
und  kann  der  Umstand,  dass  sie  sich  um  die  Controverse 
gar  nicht  bekümmern  konnten,   uns  nicht  verpflichten,    eine 


1)  II,  47—50. 


Brief  an  Christina  v.  Lothringen   1615.  49 

Entscheidung-,  die  sie  gar  nicht  haben  treffen  wollen,  anzu- 
erkennen. Hätten  sie  aber  die  Frage  als  Controverse  er- 
wogen, so  würden  sie  auch  die  eine  Ansicht,  wenn  sie  die- 
selbe als  irrig  erkannt  hätten,  verworfen  haben.  Das  haben 
sie  aber  nicht  gethan.  Erst  später  haben  einige  Theologen 
angefangen,  die  [Copernicanische]  Ansicht  zu  prüfen;  diese 
haben  aber  dieselbe  nicht  als  irrig  angesehen,  wie  man 
aus  dem  Commentare  des  Didacus  a  Stunica  über  Job  9,  6  J) 
sieht,  wo  derselbe  ausführlich  von  der  Copernicanischen 
Ansicht  spricht  und  zu  dem  Schlüsse  kommt,  die  Bewegung 
der  Erde  sei  nicht  gegen  die  Bibel. 

„Ich  habe  aber  auch  einige  Zweifel  an  der  Richtigkeit 
der  Behauptung,  dass  die  Kirche  uns  verpflichte,  derglei- 
chen auf  natürliche  Dinge  bezügliche  Sätze  darum  als  de 
fide  anzusehen,  weil  für  sie  eine  übereinstimmende  Interpre- 
tation aller  Väter  angeführt  werden  kann.  Ich  weiss  nicht, 
ob  nicht  diejenigen,  welche  dieses  behaupten,  zu  Gunsten 
ihrer  Meinung  dem  Decrete  der  Concilien  eine  grössere 
Tragweite  gegeben  haben,  als  ihm  zukommt.  So  viel  ich 
sehe,  verbietet  dasselbe  nur,  diejenigen  Stellen,  welche 
de  fide  sind  oder  die  zum  Aufbau  der  christlichen  Lehre 
gehörenden  Sitten  betreifen,  zu  einem  Sinne  zu  verdrehen, 
welcher  dem  Sinne  der  h.  Kirche  oder  dem  von  den  Vätern 
mit  allgemeiner  Uebereinstimmung  vorgetragenen  wider- 
spricht. So  das  Trienter  Concil  in  der  4.  Sitzung.  Die 
Bewegung  oder  das  Stillstehen  der  Erde  oder  der  Sonne 
sind  aber  nicht  de  fide  und  nicht  gegen  die  Sitten,  und  Nie- 
mand will  Stellen  der  h.  Schrift  verdrehen,  um  der  h.  Kir- 
che oder  den  Vätern  zu  widersprechen.  Derjenige,  welcher 
diese  Lehre  entwickelt  hat  [Copernicus],  hat  vielmehr  nie- 
mals auf  Bibelstellen  Bezug  genommen,  um  es  den  gründ- 
lichen und  gelehrten  Theologen  zu  überlassen,  dieselben 
nach  ihrem  wahren  Sinne  zu  deuten2). 

„Schliesslich  kann  man  jenen  Herren  noch  mehr  zuge- 
ben, als  sie  verlangen,  und  sich  bereit  erklären,  die  Ansicht 
der  unterrichteten  Theologen  zu  unterschreiben.  Da  aner- 
kanntermassen     die    alten    Väter    eine     besondere    Unter- 


1)  Diego  de  Zufiiga  war  Augustiner- Eremit  zu  Salamanca;  er  starb 
1589.  Der  Commentar  zum  B.  Job  erschien  zu  Toledo  1584  und  zu  Rom 
1591.     S.  Hurter,  Nomenciator  literarius  I,   157.  2)  II,   51.   52. 

Keusch,  Galilei.  a 


5o  •       Brief  an  Christina  v.  Lothringen  1615. 

suchung-  nicht  angestellt  haben,  so  kann  eine  solche  von  den 
Gelehrten  unserer  Zeit  "angestellt  werden :  diese  hätten  zu- 
erst die  Erfahrungen,  die  Beobachtungen,  die  Gründe  und 
die  Demonstrationen  zu  prüfen,  welche  die  Philosophen  und 
Astronomen  für  die  eine  und  die  andere  Ansicht  anführen, 
—  da  es  sich  bei  der  Controverse  um  naturwissenschaftliche 
Probleme  und  Dilemmata  handelt,  die  nur  in  der  einen  oder 
andern  Weise  entschieden  werden  können,  —  und  könnten 
dann  mit  genügender  Sicherheit  das  festsetzen,  was  die 
göttlichen  Inspirationen  ihnen  eingeben  werden1).  .  . 

„Um  die  Ehre  der  h.  Schrift  sind  diejenigen  mit  grös- 
serm  Eifer  besorgt,  welche,  sich  ganz  der  h.  Kirche  unter- 
werfend, nicht  verlangen,  dass  diese  oder  jene  Meinung 
verboten,  sondern  nur,  dass  ihnen  gestattet  werde,  diejeni- 
gen Dinge  zur  Erwägung  vorzulegen,  nach  deren  Berück- 
sichtigung die  Kirche  mit  grösserer  Sicherheit  eine  Ent- 
scheidung treffen  könnte,  —  als  diejenigen,  welche,  durch 
Selbstsucht  verblendet  oder  von  böswilligen  Absichten  ge- 
leitet, verlangen,  die  Kirche  solle  ohne  weiteres  das 
Schwert  schwingen,  da  sie  ja  das  Recht  dazu  habe,  indem 
sie  nicht  bedenken,  dass  es  nicht  immer  gut  ist,  alles  zu 
thuen,  was  man  thuen  kann2). 

„Mögen  sie  sich  zunächst  bemühen,  die  Gründe  des 
Copernicus  und  Anderer  zu  widerlegen,  und  dann  dem, 
welchem  es  zusteht,  es  überlassen,  die  Ansicht  als  irrig 
oder  ketzerisch  zu  verdammen.  Sie  dürfen  aber  nicht  hof- 
fen, bei  den  umsichtigen  und  weisen  Vätern  und  bei  der 
absoluten  Weisheit  dessen,  der  nicht  irren  kann,  jene  raschen 
Entschlüsse  zu  finden,  zu  denen  sie  sich  von  ihrer  Leiden- 
schaft oder  Selbstsucht  würden  fortreissen  lassen.  Denn 
Niemand  bezweifelt,  dass  bezüglich  dieser  und  anderer  ähn- 
licher Sätze,  die  nicht  direct  de  fide  sind,  der  Papst  immer 
absolute  Gewalt  hat,  sie  zuzulassen  oder  zu  verdammen; 
aber  es  steht  nicht  in  der  Macht  irgend  eines  Geschöpfes, 
sie  wahr  oder  falsch  zu  machen,  abweichend  von  dem,  was 
sie  von  Natur  oder  thatsächlich  sind.  Darum  scheint  es 
gerathener  zu  sein,  sich  zuerst  von  der  nothwendigen  und 
unabänderlichen  Wahrheit  der  Thatsache,  worüber  Niemand 
Gewalt  hat,  zu  vergewissern,    als  ohne-  eine  solche  Gewiss- 

1)  11,  53.  2)  II,  54. 


Theol.  Zulässigkeit  der  Copern.  Theorie.  51 

heit  durch  die  Verdammung  der  einen  Ansicht  sich  die 
Möglichkeit,  immer  frei  zu  wählen,  zu  verschliessen  und 
jene  Entscheidungen  definitiv  zu  machen,  die  jetzt  noch  frei 
und  dem  Ermessen  der  höchsten  Auctorität  anheimgegeben 
sind.  Kurz,  wenn  es  nicht  möglich  ist,  einen  Satz  als  ketze- 
risch zu  verdammen,  so  lange  man  es  noch  für  mög- 
lich hält,  dass  er  wahr  sei,  so  muss  das  Bestreben  derjeni- 
gen, welche  die  Meinung  von  der  Bewegung  der  Erde  und 
dem  Stillstehen  der  Sonne  verdammen  möchten,  fruchtlos 
sein,  so  lange  sie  nicht  die  Unmöglichkeit  und  Falschheit 
derselben  erwiesen  haben1)." 

Grisar  gibt  (S.  81)  zu,  der  Brief  an  Christina  von  Loth- 
ringen mit  seiner  Erörterung  ,,über  die  Schrifttexte  und  die 
Stellung  der  Naturwissenschaft  zur  Offenbarung  überhaupt" 
sei  ,,im  Ganzen  correct".  Weniger  bestimmt  spricht  er  sich 
über  den  in  allem  Wesentlichen  mit  jenem  übereinstimmen- 
den Brief  an  Castelli  aus.  Er  nennt  denselben  S.  78  „ver- 
hängnissvoll",  nimmt  an  einer  Stelle  desselben  Anstoss  (s. 
o.  S.  45)  und  berichtet  S.  79:  die  Dominicaner  in  Florenz 
hätten  durch  die  Einsendung  dieses  Briefes,  worin  „der  h. 
Schrift  offenbar  Gewalt  zu  geschehen  schien",  an  die  Inqui- 
sition die  Berechtigung  ihrer  Angriffe  auf  Galilei  nachweisen 
wollen.  Aber  S.  80  constatirt  er,  dass  der  von  der  Inqui- 
sition bestellte  Censor  in  dem  Briefe  im  Wesentlichen  nichts 
Bedenkliches  gefunden  und  ,,über  den  Vortrag  der  Coper- 
nicanischen  Lehre  als  Wahrheit  und  die  bezügliche  Ac- 
commodation  der  Bibelstellen  mit  freiem,  weitem  Blicke  hin- 
weggegangen sei"  (s.  u.  §.  VII). 

In  der  That  ist  gegen  Galilei's  auf  die  Auslegung  der 
h.  Schrift  bezügliche  Erörterungen,  von  unwesentlichen  Un- 
g-enauigkeiten  des  Ausdrucks  abgesehen,  nichts  einzuwen- 
den; die  darin  entwickelten  hermeneutischen  Grundsätze 
wird  heutzutage  kein  katholischer  Theologe  mehr  bean- 
standen. In  dieser  Beziehung  urtheilte  Galilei  richtiger  als 
die  Theologen,  die  ihn  angriffen  und  verurtheilten. 

Bedenklicher  scheint  eine  andere  Partie  des  Schreibens 
an  Christina  von  Lothringen  zu  sein.  Es  steht  keiner  kirch- 
lichen Behörde  zu,  über  naturwissenschaftliche  Fragen  eine 
autoritative    Entscheidung    zu    geben.      Galilei    aber  scheint 

1)  n,  58. 


52  '         Theol.  Zulässigkeit  der  Copern.  Theorie. 

es  für  möglich  zu  halten,  ja  zu  wünschen,  dass  in  Rom  auf 
Grund  einer  sorgfältigen  und  alle  Seiten  der  Frage  um- 
fassenden Untersuchung  eine  Entscheidung  über  das  Coper- 
nicanische  System  gegeben  werde,  und  er  scheint  zu  glauben, 
durch  eine  solche  Entscheidung  würde  die  Controverse  de- 
finitiv erledigt  werden,  —  eine  Ansicht,  welche  in  den 
massgebenden  Kreisen  in  Rom  damals  jedenfalls  als  rich- 
tig galt  und  dem  von  der  Inquisition  gefällten  Urtheil  zu 
Grunde  liegt.  In  den  beiden  Briefen,  welche  Galilei  am 
16.  Febr.  und  25.  März  16151)  an  Monsignor  Dini  schrieb, 
als  er  mit  der  Ausarbeitung  des  Sendschreibens  an  Christina 
von  Lothringen  beschäftigt  war,  kommen  Stellen  vor,  welche 
in  dieser  Hinsicht  noch  bedenklicher  klingen:  „Aus  reinem 
Eifer,  sagt  er  einmal2),  werde  ich  [ausser  dem  Schreiben  an 
Christina,  welches  seine  aufrichtig  katholische  Gesinnung  be- 
weisen werde]  auch  alle  Gründe  des  Copernicus  in  einer  all- 
gemein verständlichen  Weise  zusammenstellen  und  viele  neue 
Erwägungen  beifügen,  die  auf  astronomische  Beobachtungen 
und  auf  sorgfältige  Erfahrungen  und  physikalische  Experi- 
mente gestützt  sind,  um  sie  dann  zu  den  Füssen  des  Papstes 
nieder-  und  der  unfehlbaren  Entscheidung  der  Kirche  vor- 
zulegen, welche  davon  den  Gebrauch  machen  mag,  der  ihrer 
höchsten  Weisheit  gut  scheint."  Nimmt  man  hinzu,  dass 
er  an  einer  oben  angeführten  Stelle  von  einer  von  den  Theo- 
logen „unter  göttlicher  Eingebung"  zu  treffenden  Entschei- 
dung und  von  der  päpstlichen  Entscheidung  als  von  einer 
definitiven  und  irreformabeln  spricht,  so  scheint  es,  als  ob 
er  geglaubt  habe,  der  Papst  könne  über  die  Richtigkeit  der 
Copernicanischen  Lehre  eine  unfehlbare  Entscheidung  ge- 
ben. Aber  damit  stimmen  andere  Aeusserungen  nicht  über- 
ein. So  die  oben  angeführte:  der  Papst  habe  zwar  abso- 
lute Gewalt,  auch  Sätze,  die  nicht  direct  de  fide  seien,  zuzu- 
lassen oder  zu  verwerfen,  aber  es  stehe  nicht  in  der  Macht 
irgend  eines  Geschöpfes,  einen  von  Natur  oder  thatsächlich 
falschen  Satz  wahr  und  einen  wahren  falsch  zu  machen. 
Auch  der  von  Grisar  (S.  81  Anm.  4)  angeführte  Satz:  „Möge 
eine  Entscheidung  gefällt  werden,  wie  immer  sie  Gott  ge- 
fallen mag:  ich  bin  in  der  innern  Stimmung,  dass  ich,  eher  als 


1)  Nicht  161 4,   wie  II,    13.   17   und    bei  Grisar  S.  81  Anm.  4  angege- 
ben wird;  vgl.  VI,  211.  2)  II,  20. 


Theol.  Zulässigkeit  der  Copern.  Theorie.  53 

meinen  Oberen  mich  zu  widersetzen  und  an  der  Seele  Schaden 
zu  leiden  durch  das,  was  mir  jetzt  glaubhaft  und  handgreif- 
lich scheint,  eruerem  oculum  ne  nie  scandalizaret"  —  ist  nach 
dem  Zusammenhange  nicht  so  zu  verstehen,  als  ob  Galilei 
eine  solche  Entscheidung  für  unfehlbar  gehalten.  Er  sagt 
nämlich J) :  „Wiewohl  ich  nur  schwer  glauben  kann,  dass  man 
übereilt  den  Entschluss  fassen  könnte,  einen  solchen  Autor 
(Copernicus)  zu  vernichten,  so  glaube  ich  doch,  da  ich  von 
anderen  Fällen  her  weiss,  wie  gross  die  Macht  meines  Un- 
glücks ist,  wenn  sich  damit  die  Bosheit  und  Unwissenheit 
meiner  Gegner  verbindet,  Grund  zu  haben,  mich  nicht  ein- 
fach auf  die  grosse  Klugheit  und  Heiligkeit  derjenigen  zu 
verlassen,  von  denen  die  letzte  Entscheidung  abhängt,  da 
auch  diese  durch  jenen  Trug  irregeleitet  werden  könnten, 
der  sich  in  den  Mantel  des  Eifers  und  der  Liebe  hüllt.  Um 
meinerseits  nichts  zu  unterlassen,  was  ich  thun  kann,  werden 
Sie  bald  sehen,  dass  es  ein  wahrer  und  reinster  Eifer  ist, 
wenn  ich  wünsche,  dass  meine  Schrift  (das  Sendschreiben 
an  Christina)  wenigstens  gesehen  werden  und  dass  man  dann 
einen  Entschluss  fassen  möge,  wie  er  Gott  gefallen  mag; 
denn  ich"  u.  s.  w. 

Wenn  also  Galilei,  —  was  seine  geistlichen  Freunde 
in  Rom  in  so  warmen  Worten  belobten2),  —  wiederholt 
erklärte,  er  sei  bereit,  sich  dem  Urtheil  der  h.  Kirche  zu 
unterwerfen,  so  braucht  er  dabei  nicht  an  eine  kirchliche 
Entscheidung  über  das  Copernicanische  System  gedacht 
zu  haben,  welcher  er  als  einer  doctrinellen  gläubig  zuzu- 
stimmen hätte;  er  kann  auch  an  eine  solche  gedacht 
haben,  der  er  als  einer  disciplinaren  gehorchen  müsse.  An 
sich  wäre  eine  Entscheidung  der  letztern  Art  nicht  irrefor- 
mabel  gewesen;  aber  Galilei  will  an  der  oben  angeführten 
Stelle  auch  wohl  nur  sagen :  es  würde  sehr  unklug  sein,  wenn 
der  Papst  in  der  vorliegenden  Frage  eine  Entscheidung 
treffe,  von  der  man  vielleicht  später  wünschen  würde,  sie 
möge  nicht  getroffen  sein,  die  aber,  eben  als  eine  päpstliche 
Entscheidung ,    nicht  gut    zurückgenommen   werden    könne. 

Ganz  klar  mag  sich  Galilei  in  dieser  Beziehung  im 
J.  161 5  nicht  gewesen  sein.  Jedenfalls  hatten  seine  Freunde, 
welche  die  Stimmung   und    die  Verhältnisse  in  Rom  besser 


1)  II,  16.  2)  VIII,  352.  353-  355- 


54  Theol.  Zulässigkeit  der  Copern.  Theorie. 

kannten,  wie  der  Erfolg  zeigte,  vollkommen  Recht,  wenn  sie 
es  für  unklug  hielten,  dass  Galilei  überhaupt  eine  kirchliche 
Entscheidung  über  die  Copernicanische  Lehre  für  wünschens- 
werth  hielt  und  zu  provociren  suchte,  da  eine  solche  Ent- 
scheidung nach  ihrer  Ueberzeugung  unter  den  damaligen 
Verhältnissen  nur  ungünstig  ausfallen  konnte.  Aber  man 
würde  auf  der  andern  Seite  Galilei  Unrecht  thun,  wenn  man 
annehmen  wollte,  er  habe  eine  positive  und  ausdrückliche 
Approbation  der  Copernicanischen  Lehre  durch  die  römi- 
schen Behörden  verlangt1).  Von  einer  gründlichen  Unter- 
suchung der  Sache  versprach  er  sich  zunächst  den  Erfolg, 
dass  man  von  der  von  seinen  Gegnern  verlangten  Verdam- 
mung des  Buches  und  der  Lehre  des  Copernicus  Abstand 
nehmen,  dann  aber  auch,  dass  man  diese  Lehre  für  unver- 
fänglich und  dem  katholischen  Glauben  nicht  widerspre- 
chend erklären  werde,  was  ja  wirklich  etwa  in  der  Form 
hätte  geschehen  können,  dass  die  Index-Congregation  nach 
einer  Prüfung  des  Werkes  des  Copernicus  beschlossen  hätte: 
Dimittatur,  d.  h.  es  liege  kein  Grund  vor,  dasselbe  auf  den 
Index  zu  setzen2). 

„Meine  Gegner  (speciell  die  Dominicaner  in  Florenz), 
sagt  Galilei  in  dem  Briefe  an  Dini  vom  16.  Febr.  16153), 
verlangen  das  Verbot  eines  viele  Jahre  lang  von  der  h. 
Kirche  zugelassenen  Buches,  ohne  dass  sie  dasselbe  je  ge- 
sehen, geschweige  denn  gelesen  oder  verstanden  haben; 
ich  verlange  nichts  anderes,  als  dass  von  den  katholischsten 
Männern  seine  Lehre  geprüft  und  seine  Gründe  erwogen 
werden  mögen,  dass  man  seine  Sätze  mit  den  zuverlässigen 
Erfahrungen  vergleiche,  kurz,  dass  man  nicht  etwas  ver- 
damme, wenn  man  es  nicht  zuvor  als  falsch  erkannt,  da  ja 
doch  ein  Satz  nicht  zugleich  wahr  und  irrig  sein  kann/'  — 

1)  Vgl.  Martin,  Galilee  p.   173. 

2)  In  dieser  Weise  wurde  unter  Pius  IX.  bezüglich  der  Werke  Anto- 
nio Rosmini's  verfahren.  Nachdem  dieselben  zuerst  von  einer  besondern 
Commission,  dann  von  der  Index-Congregation  geprüft  worden  waren,  gaben 
in  einer  am  3.  Juli  1854  unter  dem  Vorsitz  des  Papstes  gehaltenen  Sitzung 
der  letztern  die  Consultoren  nochmals  schriftlich  ihre  Gutachten,  die  Cardi- 
näle  ihre  Vota  ab,  und  am  10.  Aug.  wurde  dem  Procurator  Rosmini's  mit- 
getheilt,  es  sei  beschlossen  worden:  Dimittantur  opera  Antonii  Rosmini 
Serbati,  was  nach  dem  Sprachgebrauche  der  Curie  bedeutet,  dass  ,in  den 
Werken  nichts  Unkatholisches  gefunden  worden  sei.  Vgl.  Deutscher  Mer- 
kur 1877,  No.  7.  3)  II,   15. 


Theol.  Zulässigkeit  der  Copern.  Theorie.  55 

„Bedenket  doch,  ihr  Theologen,  sagt  er  ein  anderes 
Mal 1),  dass  ihr,  wenn  ihr  die  auf  die  Bewegung  und  das 
Stillstehen  der  Sonne  und  der  Erde  bezüglichen  Sätze  zu 
einer  Glaubenssache  machen  wollt,  euch  der  Gefahr  aussetzt, 
mit  der  Zeit,  —  wenn  ein  zwingender  Beweis  dafür  geliefert 
werden  sollte,  dass  die  Erde  sich  bewegt  und  die  Sonne  still 
steht,  —  vielleicht  diejenigen  als  Ketzer  verdammen  zu  müssen, 
welche  behaupten,  die  Erde  stehe  still  und  die  Sonne  be- 
wege sich."  Wenn  man  die  Copernicanische  Lehre  als 
naturwissenschaftlich  genügend  begründet  anerkenne,  war 
Galilei's  Gedanke,  so  dürfe  sie  nicht  auf  den  Grund  hin 
verdammt  werden,  dass  sie  mit  Bibelstellen  in  Widerspruch 
stehe;  vielmehr  hätten  dann  die  Theologen  diese  Bibelstellen, 
was  ja  auch  nach  den  von  ihm  entwickelten  hermeneutischen 
Grundsätzen  möglich  sei,  anders  zu  deuten,  als  das  bis  jetzt 
herkömmlich  gewesen. 

Der  Vorwurf,  Galilei  habe  die  naturwissenschaftliche 
Controverse  auf  das  theologische,  speciell  das  exegetische 
Gebiet  hinübergespielt,  ist  trotz  dieser  ausführlichen  theolo- 
gischen Erörterungen  nicht  begründet:  nicht  er,  sondern 
seine  Gegner  haben  dieses  gethan.  In  den  von  ihm  ver- 
öffentlichten Schriften  hat  Galilei  die  theologische  Seite 
der  Frage  überhaupt  gar  nicht  berührt,  und  dass  er  sie 
in  den  Briefen  an  Castelli  und  Christina  von  Lothringen 
behandelte,  dazu  war  er,  wie  wir  gesehen,  durch  seine 
Gegner  veranlasst  worden.  Auch  die  dem  Briefe  an  Dini 
vom  23.  März  161 5  angehängte  Erörterung  über  Psalm  18 
(nach  der  Vulgata,  19  nach  hebräischer  Zählung)  war 
durch  die  Mittheilung  Dini's  veranlasst,  Cardinal  Bellarmin 
habe  geäussert,  unter  allen  Bibelstellen  spreche  am  meisten 
gegen  die  Copernicanische  Ansicht  Ps.  18,  7:  Exultavit  (sol) 
ut  gigas  ad  currendam  viam,  welche  Stelle  bis  jetzt  alle  Er- 
klärer von  der  Bewegung  der  Sonne  verstanden  hätten2). 

Galilei  begab  sich  ja  freilich  mit  solchen  Erörterungen 
auf  ein  Gebiet,  welches  nicht  sein  Fach  war.  Aber  so  lange 
er  sich  nicht  auf  Arbeiten  von  Theologen  berufen  konnte, 
blieb  ihm  nichts  anderes  übrig,  als  selbst  die  exegetischen 
Einwendungen  seiner  Gegner  zu  prüfen.     Am  28.  Febr.  16 15 


i)  Berti,  Copernico  p.    150. 
2)  II,   21.  VIII,  354. 


56  Theol.  Zulässigkeit  der  Copern.   Theorie. 

theilte  ihm  Ciampoli1)  die  Aeusserung  des  Cardinais  Bar- 
berini  (des  spätem  Papstes  Urban  VIII.)  mit,  er  halte  es 
für  gerathener,  nicht  über  die  Gründe  des  Ptolemäus  oder 
Copernicus  hinauszugehen  oder  nicht  die  Grenzen  der  Phy- 
sik und  Mathematik  zu  überschreiten,  weil  die  Theologen 
behaupteten,  das  Auslegen  der  Bibel  sei  ihre  Sache;  und 
am  7.  März  schrieb  ihm  Dini 2),  der  Jesuit  Griemberger  habe 
über  das  ihm  vorgelegte  Schreiben  an  Castelli  geäussert: 
er  hätte  gewünscht,  Galilei  möchte  zuerst  seine  [naturwissen- 
schaftlichen] Beweise  [die  in  diesem  Schreiben  nicht  berührt 
werden]  entwickelt  und  dann  von  den  Bibelstellen  gesprochen 
haben;  (Griemberger  meinte  dann  freilich  selbst  wieder,  die 
Argumente,  die  für  Galilei's  Ansicht  vorgebracht  würden, 
sei  er  geneigt,  eher  für  plausibel  als  für  wahr  zu  halten, 
„weil  ihm  eine  andere  Stelle  der  h.  Schrift  Furcht  einflösste"). 
Galilei  antwortete3):  er  überlasse  sehr  gern  das  Interpretiren 
solchen,  die  es  besser  verständen  als  er;  er  habe  sich  ja 
auch  nur  in  einem  Privatbriefe  mit  den  Bibelstellen  befasst; 
übrigens  handle  es  sich  darum,  Bibelstellen  mit  neuen  und 
nicht  gewöhnlichen  Lehren  in  Einklang  zu  bringen,  und  da 
sei  es  doch  nöthig,  diese  Lehren  vollständig  zu  kennen,  da 
man  nicht  zwei  Saiten  in  Einklang  bringen  könne,  wenn 
man  nur  Eine  höre. 

Etwas  später,  21.  März  1615,  schrieb  Ciampoli4):  der  Car- 
dinal del  Monte,  der  Galilei  sehr  gewogen  sei,  habe  ihm 
von  einer  langen  Unterhaltung  mit  Cardinal  Bellarmin  er- 
zählt und  bemerkt:  wenn  Galilei  von  dem  Copernicanischen 
System  und  von  den  Beweisen  für  dasselbe  handle,  ohne  auf 
die  Bibelstellen  einzugehen,  „deren  Auslegung  den  mit.  öffent- 
licher Autorität  bekleideten  Professoren  der  Theologie  vor- 
zubehalten sei",  so  werde  das  keinen  Widerspruch  finden; 
aber  man  werde  nicht  leicht  Auslegungen  der  Bibelstellen, 
so  ingeniös  sie  auch  sein  möchten,  "zulassen,  wenn  sie  von 
der  gemeinsamen  Ansicht  der  Kirchenväter  abwichen.  Eine 
Antwort  auf  diesen  oder  einen  ähnlichen  Brief  scheint  der 
zuerst  von  Berti5)  veröffentlichte  Brief  Galilei's  zu  sein, 
worin  es  heisst:  „Ohne  alle  Schuld  von  meiner  Seite  wird 
das  Gerücht  ausgestreut,   welches,  wie   es   scheint,  bei   den 


1)  VIII,  352.  2)  VIII,  355-  3)  n,  20. 

4)   VIII,  366.  5)  Copernico  p.   104. 


Brief  an  Diodati   1633.  57 

(kirchlichen)  Oberen  Glauben  findet,  ich  hätte  zuerst  diese 
Dinge  angeregt,  welche,  so  viel  an  mir  lag,  immer  in  Ruhe 
hätten  bleiben  können;  ich  meine  das  Eingehen  auf  die  Bibel- 
stellen, auf  welche  kein  Astronom  und  Naturforscher  einge- 
gangen ist,  der  sich  innerhalb  seiner  Grenzen  hält.  Wenn 
ich  mich  zu  den  Lehrsätzen  eines  Buches  bekenne,  welches 
von  der  h.  Kirche  zugelassen  worden  ist  [des  Buches  des 
Copernicus],  und  mir  Philosophen,  die  in  diesen  Lehren  be- 
wandert sind,  mit  der  Einwendung  entgegentreten,  in  jenem 
Buche  ständen  Sätze,  die  gegen  den  Glauben  seien,  und  wenn 
ich  dann,  so  gut  ich  kann,  nachweisen  will,  dass  sie  sich  doch 
vielleicht  irren:  so  wird  mir  der  Mund  geschlossen  und  be- 
fohlen, nicht  auf  die  Bibelstellen  einzugehen.  Das  ist  ja 
dasselbe,  als  wenn  man  sagte,. das  von  der  Kirche  zugelassene 
Buch  des  Copernicus  enthalte  eine  Ketzerei,  und  es  sei 
Jedem,  der  wolle,  gestattet,  dieses  zu  behaupten,  aber  Jedem, 
der  beweisen  will,  dass  es  der  h.  Schrift  nicht  widerspreche, 
sei  verboten,  auf  diese  Materie  einzugehen.  Ich  könnte  freilich 
den  Beweis,  dass  die  Lehre  des  Copernicus  nicht  der  Bibel 
widerspricht,  am  leichtesten  und  sichersten  dadurch  führen, 
dass  ich  durch  tausend  Gründe  zeige,  dass  jene  Lehre  wahr 
und  die  entgegengesetzte  ganz  unhaltbar  ist,  und  dass,  da 
zwei  Wahrheiten  einander  nicht  widersprechen  können,  noth- 
wendig  jene  Lehre  und  die  h.  Schrift  in  völligem  Einklang 
stehen  müssen." 

Die  Exegeten  der  damaligen  Zeit  hatten  übrigens  kein 
Recht,  auf  den  unzünftigen  Bibelausleger  geringschätzig 
herabzusehen.  Seine  Deutungen  einzelner  Bibelstellen  sind 
freilich  grossentheils  nicht  glücklich,  aber  sie  sind  nicht  unge- 
nügender als  die  vieler  damaligen  Exegeten ,  und  seine  Ent- 
wicklung der  hier  in  Betracht  kommenden  hermeneutischen 
Grundsätze  ist  besser  als  das  Meiste,  was  mir  von  solchen 
Arbeiten  aus  der  damaligen  Zeit  bekannt  ist. 

Ich  füge  hier  noch  einige  Auszüge  aus  einem  Briefe  bei, 
den  Galilei  viel  später,  —  am  15.  Jan.  1633,  als  er  eben  im 
Begriffe  stand,  von  der  Inquisition  citirt,  nach  Rom  abzu- 
reisen, —  an  den  Parlamentsadvocaten  Elia  Diodati  zu 
Paris  schrieb1):  „Was  Fromond  angeht,  der  sich  übrigens 
als  einen  Mann  von  vielem  Talent  zeigt 2),  so  bedauere  ich, 

1)  VII,  17. 

2)  Libertus  Fromondus  (Froidmont,  Fromont)  war  Professor  der  Theo- 


58  Brief  an  Diodati  1633. 

dass  er  in  jenen,  nach  meiner  Meinung  schweren,  wenn  auch 
sehr  gewöhnlichen  Irrthum  gefallen  ist,  dass  er,  um  die  An- 
sicht des  Copernicus  zu  widerlegen,  mit  höhnischen  und  spötti- 
schen Sticheleien  gegen  diejenigen,  welche  sie  für  wahr 
halten,  beginnt  und  dann,  was  mir  noch  weniger  in  der 
Ordnung  zu  sein  scheint,  sich  vorzugsweise  auf  die  Auto- 
rität der  Bibel  stützt  und  endlich  so  weit  geht,  mit  Rück- 
sicht darauf  jene  Meinung  als  beinahe  ketzerisch  zu  be- 
zeichnen. Dass  ein  solches  Verfahren  nicht  löblich  ist,  lässt 
sich,  glaube  ich,  ziemlich  deutlich  beweisen.  Denn  wenn 
ich  Fromond  frage,  wessen  Werk  die  Sonne,  der  Mond,  die 
Erde,  die  Sterne,  ihre  Stellungen  und  Bewegungen  seien, 
so  wird  er  mir,  denke  ich,  antworten,  sie  seien  das  Werk 
Gottes.  Und  wenn  ich  ihn  frage,  wer  die  h.  Schrift  dictirt 
habe,  so  weiss  ich,  er  wird  antworten:  der  h.  Geist,  das  ist 
auch  Gott.  Die  Welt  ist  also  das  Werk,  die  Bibel  das  Wort 
desselben  Gottes.  Frage  ich  weiter,  ob  nicht  mitunter  der 
h.  Geist  in  seinen  Reden  Worte  gebrauche,  die  anscheinend 
der  Wahrheit  widersprechen  und  welche  er  so  verwendet, 
um  sich  der  Fassungskraft  des  grösstentheils  rohen  und  un- 
gebildeten Volkes  anzubequemen,  so  bin  ich  überzeugt,  er 
wird  mir  mit  allen  Theologen  antworten,  das  sei  aller- 
dings die  Gewohnheit  der  heiligen  Schrift,  die  an  hundert 
Stellen  aus  dem  angegebenen  Grunde  Sätze  ausspricht, 
welche,  buchstäblich  verstanden,  nicht  nur  Ketzereien,  son- 
dern arge  Gotteslästerungen  sein  würden,  indem  sie  Gott 
selbst  Zorn,  Reue,  Vergessen  und  dergl.  zuschreibt.  Wenn 
ich  ihn  aber  frage,  ob  Gott  jemals,  um  sich  der  Fassungs- 
kraft und  Meinung  des  gewöhnlichen  Volkes  anzubequemen, 
sein  Werk  geändert  hat,  ob  nicht  vielmehr  die  Natur,  die 
unveränderliche  und  unwandelbare  Dienerin  Gottes  für  die 
menschlichen  Bedürfnisse,  stets  dieselbe  geblieben  ist  und 
fortwährend  dieselbe  bleibt  bezüglich  der  Bewegungen,  der 
Gestalt  und  der  Anordnung  der  Theile  des  Weltalls,  so  bin 
ich  überzeugt,   er   wird  antworten,   der  Mond  sei  stets  eine 


logie  zu  Löwen,  geb.  1587,  f  1653;  vgl.  Hurter,  Nomenciator  I,  795. 
Galilei  spricht  hier  von  seinem  1631  zu  Antwerpen  erschienenen  Buche: 
„Ant-Aristarchus  sive  orbis  terrae  immobilis.  Liber  unicus,  in  quo  decretum 
S.  Congr.  S.  R.  E.  Cardinalium  anno  1616  adversus  Pythagoreo-Copernicanos 
editum  defenditur".     Vgl.  Venturi  II,    134  und  unten  §.  XXXV. 


Foscarini  und  Campanella.  59 

Kugel  gewesen,  wiewohl  man  ihn  lange  Zeit  allgemein  für 
eine  Scheibe  gehalten,  und  überhaupt  ändere  die  Natur  nie- 
mals etwas,  um  ihr  Werk  der  Vorstellung  und  Meinung  der 
Menschen  anzubequemen. 

„Wenn  aber  dem  so  ist,  warum  sollen  wir  denn,  um  zur 
Kenntniss  der  Theile  der  Welt  zu  gelangen,  unsere  For- 
schungen mit  den  Worten  und  nicht  vielmehr  mit  den  Wer- 
ken Gottes  beginnen?  Ist  vielleicht  das  Werk  weniger  edel 
und  ausgezeichnet  als  das  Wort?  Wenn  Fromond  oder  ein 
Anderer  bewiesen  hätte,  zu  sagen,  die  Erde  bewege  sich, 
sei  eine  Ketzerei,  und  wenn  dann  die  Demonstration,  die 
Beobachtung  und  eine  zwingende  Schlussfolgerung  bewiese, 
dass  sie  sich  doch  bewege:  in  welche  Verlegenheit  hätte  er 
dann  sich  selbst  und  die  h.  Kirche  gebracht?  Weist  man 
aber  der  Bibel  in  dem  Falle  die  zweite  Stelle  an,  wo  deut- 
lich bewiesen  wird,  dass  die  Werke  von  dem,  was  die  Worte 
besagen,  verschieden  sind,  so  tritt  man  damit  nicht  der  Bibel 
zu  nahe.  Wenn  diese,  um  sich  der  Fassungskraft  des  grossen 
Haufens  anzubequemen,  oft  Gott  etwas  zuschreibt,  was  ihm 
gar  nicht  zukommt,  warum  sollen  wir  denn  annehmen, 
dass  sie,  wo  sie  von  der  Sonne  oder  von  der  Erde  spricht, 
sich  an  eine  so  strenge  Regel  gebunden  haben  sollte,  dass 
sie,  die  geringe  Fassungskraft  des  Volkes  nicht  berücksich- 
tigend, niemals  von  diesen  Geschöpfen  etwas  aussagen  sollte, 
was  der  Wirklichkeit  nicht  entspricht?  Wenn  es  wahr  sein 
sollte,  dass  die  Erde  sich  bewegt  und  die  Sonne  still  steht, 
so  thut  das  der  Bibel  keinen  Eintrag,  welche  sich  so  aus- 
gedrückt hat,  wie  es  der  grossen  Menge  erscheint. 

„Ich  habe  vor  vielen  Jahren,  als  der  Lärm  gegen  Coper- 
nicus  sich  zu  erheben  begann,  in  einer  ziemlich  langen  Ab- 
handlung [dem  Briefe  an  Christina  von  Lothringen]  durch 
viele  Stellen  der  Kirchenväter  bewiesen,  ein  wie  grosser 
Missbrauch  es  ist,  sich  bei  naturwissenschaftlichen  Fragen  so 
viel  auf  die  h.  Schrift  zu  berufen,  und  verlangt,  man  solle  in 
solche  Controversen  die  Bibel  nicht  hineinziehen." 


Anfangs  März  161 5  erschien  von  einem  angesehenen  Or- 
densgeistlichen, dem  Karmeliter  Paolo  Antonio  Foscarini, 
eine  Schrift,  welche  sich  direct  zur  Aufgabe  setzte,  die  gegen 
die  Copernicanische  Lehre  vorgebrachten-  exegetischen  und 


6o  Foscarini  und   Campanella. 

theologischen  Einwendungen  zu  widerlegen1).  Charakteri- 
stisch für  ihre  Haltung  ist  folgende  Stelle  der  Einleitung2): 
„Wenn  die  Meinung  der  Pythagoreer  wahr  ist,  so  ver- 
schlägt es  wenig,  dass  sie  allen  Philosophen  und  Astronomen 
der  Welt  widerspricht  und  dass  man,  um  sie  festzuhalten, 
eine  neue,  auf  ihre  neuen  Principien  basirte  Philosophie  und 
Astronomie  construiren  muss.  Was  die  h.  Schrift  betrifft, 
so  wird  auch  diese  ihr  nicht  schaden.  Denn  eine  Wahrheit 
widerspricht  nicht  der  andern;  wenn  also  die  Pythagoreische 
Meinung  wahr  ist,  so  wird  ohne  Zweifel  Gott  die  Worte  der 
h.  Schrift  so  dictirt  haben,  dass  sie  eine  jener  Meinung  ent- 
sprechende Deutung  und  eine  Ausgleichung  mit  derselben 
zulassen.  Das  hat  mich  veranlasst,  da  jene  Meinung  augen- 
scheinlich probabel  ist,  die  Art  und  Weise  zu  suchen,  wie 
man  viele  Stellen  der  h.  Schrift  mit  ihr  in  Einklang  bringen 
und  sie,  nicht  ohne  theologische  und  physikalische  Gründe, 
so  interpretiren  kann,  dass  sie  ihr  gar  nicht  widersprechen, 
so  dass,  wenn  sich  die  jetzt  als  probabel  anerkannte  Mei- 
nung als  sicher  wahr  erweisen  sollte,  ihr  nichts  im  Wege 
steht,  was  der  Welt  die  Erkenntniss  der  Wahrheit  ver- 
schliessen  könnte."  An  einer  andern  Stelle 3)  heisst  es : 
„Die  Kirche  ist  unfehlbar  nur  in  den  Dingen,  welche  den 
Glauben  und  unser  Seelenheil  betreffen,  kann  aber  irren  in 
den  praktischen  Urtheilen  und  in  den  philosophischen  Spe- 
culationen  und  anderen  Lehren,  die  das  Seelenheil  nicht 
angehen." 

Auf  die  einzelnen  biblischen  und  theologischen  Erörte- 
rungen Foscarini's  braucht  hier  nicht  eingegangen  zu  werden. 


i)  Der  vollständige  Titel  ist:  „Lettera  del  R.  P.  M.  Paolo  Antonio  Fos- 
carini Carmelitano  al  Reverendiss.  P.Generale  del  suo  ordine,  Sebastiano  Fan- 
toni, sopra  l'opinione  de'  Pittagorici  e  del  Copernico,  nella  quäle  si  accordano 
ed  appaciano  i  luoghi  della  Sacra  Scrittura  e  le  proposizioni  teologiche,  che 
giammai  possano  addursi  contro  di  tale  opinione".  Der  Brief  erschien  zu  Ne- 
apel; er  ist  abgedruckt  V,  455 — 494.  Er  ist  datirt  vom  6.  Jan.  1 61 5 ;  Cesi 
übersandte  ein  Exemplar  an  Galilei  am  7.  März  161 5 ;  VIII,  356.  —  Von 
Foscarini  ist  sonst  nicht  viel  bekannt.  Nach  der  Biographie  universelle 
(Michaud)  14,  438  ist  er  1580  —  es  ist  streitig,  ob  zu  Venedig  oder  im 
Königreich  Neapel  —  geboren,  „um  1616''  gestorben.  161 1  sollen  zu  Co- 
senza  Predigten  und  ascetische  Sachen  von  ihm  gedruckt  jvorden,  einige 
theologische  Abhandlungen  noch  handschriftlich  vorhanden  sein. 

2)  V,  461.  3)  V,  475- 


Foscarini  und  Campanella.  61 

Manche  derselben  sind  ungenügend.  Aber  Grisar  urtheilt 
ungerecht,  wenn  er  (S.  85)  sagt,  bei  Foscarini  wie  bei  dem 
oben  von  Galilei  citirten  Diego  de  Stunica1)  habe  die  „un- 
geschickte Gewaltthätigkeit,  womit  sie  das  neue  System  mit 
der  h.  Schrift  in  Harmonie  setzen  wollten,  den  begründetsten 
Anstoss  erregt/'  und  wenn  er  als  Beweis  dafür  anführt, 
Foscarini  habe,  von  anderen  Irrthümern  abgesehen,  die  Co- 
pernicanische  Lehre  sogar  in  der  Beschreibung  der  Bundes- 
lade angedeutet  gefunden.  Ein  solcher  wunderlicher  Ein- 
fall, —  Foscarini  spricht  übrigens  nicht  von  der  Bundeslade, 
wie  Grisar  Beckmann  nachschreibt,  sondern  von  dem  sieben- 
armigen  Leuchter,  —  findet  sich  allerdings  in  der  Schrift2); 
aber  er  bildet  gar  keinen  wesentlichen  Theil  der  Argumen- 
tation, und  daneben  finden  sich  Partieen,  in  welchen  viel 
vernünftigere  Anschauungen  ganz  gut  und  dabei  sehr  be- 
scheiden vorgetragen  werden.  Ueber  das  Schicksal  dieser 
Schrift  wird  noch  zu  reden  sein. 

Auch  der  bekannte  Dominicaner  Thomas  Campanella 
schrieb  im  J.  1616,  —  er  war  damals  in  Neapel  in  Haft,  — 
für  den  Cardinal  Bonifazio  Gaetani  ein  (lateinisches)  Gut- 
achten über  die  Frage:  ob  Galilei's  Ansichten  mit  der  h. 
Schrift  vereinbar  seien3).     Dasselbe  wurde  aber  erst  1622  zu 

1)  Dessen  Commentar  zum  B.  Job  ist  übrigens  nicht,  wie  Grisar  an- 
gibt, um  dieselbe  Zeit  wie  Foscarini's  Schrift,  sondern  schon  1584  zu  To- 
ledo und  nach  dem  Tode  des  Verfassers  (1589)  1591  zu  Rom  erschienen, 
s.  o.  S.  49  Anm.  I.  Eine  dritte  um  1613  erschienene  Ausgabe  finde  ich 
nirgend  erwähnt.  Freilich  sagt  auch  Galilei  in  einem  Briefe  vom  6.  März 
16 16  (VI,  231),  der  Commentar  sei  vor  drei  Jahren  erschienen. 

2)  V,  489.  Die  Erörterung  ist  wahrscheinlich  durch  eine  Schrift  ver- 
anlasst, von  welcher  Cesi  am  I.  März  1614  (VIII,  302)  an  Galilei  schreibt: 
„Colonna  hat  mir  mitgetheilt,  in  Neapel  habe  ein  Mönch  in  einem  von  theo- 
logischen und  anderen  Dingen  handelnden  Werke  sehr  zornig  und  heftig 
Ihre  Schriften,  namentlich  die  neuen  Planeten  angegriffen,  weil  dieselben 
mit  der  Siebenzahl  in  Widerspruch  ständen  und  nicht  durch  den  sieben- 
armigen  Leuchter  versinnbildet  seien".  Auch  Francesco  Sizi  (s.  o.  S.  36) 
hatte  (161 1)  schon  drucken  lassen:  die  h.  Schrift  und  die  Rabbinen  sprä- 
chen nur  von  sieben  Planeten  und  letztere  beriefen  sich  dabei  auf  den  sie- 
benarmigen  Leuchter ;  es  könne  nur  sieben  Planeten  geben,  weil  Sieben  die 
vollkommene  Zahl  sei  und  dgl.;   s.  Venturi  I,   125. 

3)  Fr.  Thomae  Campanellae  Calabri  Ordin.  Praedic.  Apologia  pro  Ga- 
lilaeo  Mathematico  Florentino,  ubi  disquiritur,  utrum  ratio  philosophandi, 
quam  Galilaeus  celebrat,  faveat  Sacris  Scripturis  an  adversetur,  —  abge- 
druckt V,  495-558. 


62  Bellarmins  Brief  an  Foscarini. 

Frankfurt  gedruckt  und  kam  Galilei  erst  im  Herbst  1616  zu 
Gesicht1).  Es  enthält  viel  mehr  "Wunderlichkeiten,  auch 
schärfere  Angriffe  gegen  die  Aristoteliker ,  als  Foscarini's 
Schrift,  aber  auch  manche  treffende  Bemerkungen2). 

Foscarini  übersandte  seine  Schrift  auch  dem  Cardinal 
Bellarmin.  Dessen  Antwort  vom  12.  April  16153)  ist  so  cha- 
rakteristisch, dass  sie  vollständig  mitgetheilt  werden  muss: 

„Ich  habe  mit  Vergnügen  den  italienischen  Brief  und 
die  lateinische  Schrift  gelesen,  die  Sie  mir  geschickt  haben. 
Ich  danke  Ihnen  für  beide  und  gestehe,  dass  sie  voll  Geist 
und  Gelehrsamkeit  sind.  Aber  da  Sie  meine  Ansicht  wis- 
sen wollen,  theile  ich  sie  Ihnen  mit,  kurz,  weil  Sie  nicht  viel 
Zeit  zum  Lesen  haben  und  ich  nicht  viel  Zeit  zum  Schreiben. 

„1.  Es  scheint  mir,  dass  Sie  und  Galilei  klug  thäten, 
wenn  Sie  sich  begnügten,  nicht  absolut,  sondern  ex  supposi- 
tione  zu  sprechen,  wie  es,  wie  ich  immer  geglaubt  habe,  Co- 
pernicus  gethan  hat.  Denn  wenn  man  sagt :  unter  der 
Voraussetzung,  dass  die  Erde  sich  bewege  und  die  Sonne 
still  stehe,    lassen   sich   alle  Erscheinungen   besser  erklären 


1)  viil,  391.  392. 

2)  Pieralisi,  Urbano  VII I.  p.  25,  theilt  eine  merkwürdige  Stelle  aus 
einem  ungedruckten  Commentar  Campanella's  zu  den  lateinischen  Gedichten 
Urbans  VIII.  mit.  Dieser  Commentar  war,  wie  aus  der  vom  10.  Juli  1629 
datirten  Druck-Erlaubniss  hervorgeht,  1629  vollendet;  in  der  Pieralisi  vorlie- 
genden, nicht  von  Campanella  herrührenden  Abschrift  sind  aber,  offenbar  nach 
Galilei's  Verurtheilung,  von  Campanella  die  hier  in  Parenthese  gesetzten 
"Worte  beigefügt:  „Als  Galilei  in  Rom  angegriffen  wurde,  weil  er  sich  zu 
der  Meinung  des  Copernicus  hinneigte,  .  .  schrieb  ich  eine  Apologie,  worin  ich 
zeigte,  dass  diese  Meinung  (die  ich  als  naturwissenschaftlich  falsch  verwarf) 
vielleicht  nicht  mit  allen  heiligen  Vätern  in  Widerspruch  stehe,  wie  aus 
Chrysostomus,  Justinus  .  .  .  bewiesen  werden  könnte;  (aber  nach  der  Publi- 
cation  des  Decretes  der  Kirche  freute  ich  mich,  dass  ich  gegen  Copernicus 
geschrieben).  Diese  Schrift  wurde  durch  den  Cardinal  Bonifazio  Gaetani,  auf 
dessen  Befehl  ich  sie  geschrieben,  in  Deutschland  in  Druck  gegeben.  Unser 
göttlicher  Poet  [Urban  VIIL],  der  schon  als  Cardinal  hervorragende  Ge- 
lehrte, selbst  der  Gelehrteste,  begünstigt  hatte,  hat,  nachdem  er  Papst  ge- 
worden, in  einer  neuen  Ausgabe  des , Index  die  Meinung  des  Copernicus 
(von  Irrthum  gereinigt)  zum  Vortheil  der  Gelehrten  und  ohne  Schaden  für 
das  Gemeinwesen  hypothetisch  zu  lesen  gestattet.'' 

3)  Veröffentlicht  ist  der  Brief  zuerst  von  Berti,  Copernico  p.  121. 
Grisar  (S.  97)  beansprucht,  so  viel  ich  weiss,  mit  Recht,  daä  Verdienst,  in 
Deutschland  zuerst  den  Brief  berücksichtigt  zu  haben.  Seine  Uebersetzung 
ist  aber  nicht  ganz  genau. 


Bellarmins  Brief  an  Foscarini.  63 

(si  salvano  tutte  le  apparenze  meglio)  als  durch  die  Annahme 
der  excentrischen  Kreise  und  Epicyklen,  so  ist  das  sehr  gut 
gesagt  und  hat  keine  Gefahr,  und  das  genügt  dem  Mathe- 
matiker. Wenn  man  aber  behaupten  will,  die  Sonne  stehe 
wirklich  im  Mittelpunkte  der  Welt  und  bewege  sich  nur  um 
sich  selbst,  ohne  von  Osten  nach  Westen  zu  laufen,  und  die 
Erde  stehe  am  dritten  Himmel  und  bewege  sich  mit  der 
grössten  Schnelligkeit  um  die  Sonne:  so  läuft  man  damit 
grosse  Gefahr,  nicht  nur  alle  Philosophen  und  scholastischen 
Theologen  zu  reizen,  sondern  auch  dem  heiligen  Glauben 
zu  schaden,  indem  man  die  h.  Schriften  Lügen  straft  (con 
r ender e  false  le  Scrttture  santej.  Denn  Sie  haben  zwar  viele 
Weisen,  die  h.  Schrift  auszulegen,  aufgezeigt,  aber  dieselben 
nicht  im  Einzelnen  angewendet;  Sie  würden  ohne  Zweifel 
auf  sehr  grosse  Schwierigkeiten  gestossen  sein,  wenn  Sie 
alle  jene  Stellen  hätten  auslegen  wollen,  die  Sie  selbst  ci- 
tirt  haben. 

„2.  Wie  Sie  wissen,  verbietet  das  Concil,  die  Bibel 
gegen  die  allgemeine  Uebereinstimmung  der  h.  Väter  aus- 
zulegen, und  wenn  Sie  nicht  nur  die  h.  Väter,  sondern  auch 
die  modernen  Commentare  über  die  Genesis,  die  Psalmen, 
den  Prediger,  das  Buch  Josue  lesen  wollen,  werden  Sie  fin- 
den, dass  sie  alle  übereinstimmend  die  Stellen  ad  literam 
dahin  erklären,  dass  die  Sonne  am  Himmel  ist  und  sich  mit 
der  grössten  Schnelligkeit  um  die  Erde  bewegt,  und  dass 
die  Erde  vom  Himmel  sehr  weit  entfernt  ist  und  unbeweg- 
lich im  Mittelpunkte  der  Welt  steht.  Nun  bedenken  Sie 
doch  gemäss  Ihrer  Klugheit,  ob  die  Kirche  es  dulden  kann, 
dass  die  h.  Schriften  im  Widerspruch  mit  den  h.  Vätern 
und  allen  griechischen  und  lateinischen  Auslegern  gedeutet 
werden.  Man  kann  nicht  einwenden,  dieses  sei  keine  Glau- 
benssache; denn  wenn  es  keine  Glaubenssache  ex  parte  objecti 
ist,  so  ist  es  eine  Glaubenssache  ex  parte  dicentis.  So  würde 
ja  auch  derjenige,  welcher  sagen  wollte,  Abraham  habe  nicht 
zwei1)  und  Jakob  nicht  zwölf  Söhne  gehabt,  ebenso  wohl 
ein  Häretiker  sein  wie  der,  welcher  sagt,  Christus  sei  nicht 
von  einer  Jungfrau  geboren,  da  das  Eine  und  das  Andere 
der  h.  Geist  sagt  durch  den  Mund  der  Propheten  und  Apostel. 


1)  Bellarmin   denkt    an  Gal.  4,  22.     Die  Stelle  Gen.  25,  1  ff.  war  ihm 
dabei  nicht  präsent. 


64  Bellarmins  Brief  an  Foscarini. 

,,3.  Wenn  ein  wirklicher  Beweis  dafür  vorhanden 
wäre,  dass  die  Sonne  im  Mittelpunkte  der  Welt  stehe  und 
die  Erde  am  dritten  Himmel,  und  dass  niefit  die  Sonne  um 
die  Erde,  sondern  die  Erde  um  die  Sonne  gehe ,  dann 
müsste  man  bei  der  Erklärung  der  Bibelstellen,  welche  das 
Gegentheil  zu  sagen  scheinen,  mit  grosser  Vorsicht  vor- 
gehen, und  eher  sagen,  wir  verständen  dieselben  nicht,  als, 
das  sei  falsch,  was  bewiesen  wird.  Aber  ich  werde  nicht 
eher  glauben,  dass  ein  solcher  Beweis  geliefert  sei,  bis  er 
mir  gezeigt  ist.  Wenn  bewiesen  ist,  dass  unter  der  Voraus- 
setzung, dass  die  Sonne  im  Mittelpunkte  und  die  Erde  am 
Himmel  stehe,  sich  die  Erscheinungen  erklären  lassen,  so 
ist  damit  nicht  auch  schon  bewiesen,  dass  wirklich  die  Sonne 
im  Mittelpunkte  und  die  Erde  am  Himmel  steht.  Das  Erstere 
lässt  sich,  glaube  ich,  beweisen;  aber  ob  sich  das  Zweite 
beweisen  lasse,  ist  mir  sehr  zweifelhaft,  und  im  Falle  des 
Zweifels  darf  man  nicht  von  der  h.  Schrift,  wie  sie  von 
den  h.  Vätern  ausgelegt  wird,  abgehen.  Ich  füge  noch  bei, 
dass  derjenige,  welcher  geschrieben  hat:  »Die  Sonne  geht 
auf,  und  sie  geht  unter  und  kehrt  zu  ihrem  Orte  zurück« 
[Eccl.  1,  5],  Salomo  ist,  der  nicht  allein  von  Gott  inspirirt 
sprach,  sondern  auch  der  weiseste  unter  allen  Menschen  und 
sehr  gelehrt  in  allen  menschlichen  Wissenschaften  und  in  der 
Kenntniss  der  geschaffenen  Dinge  war  und  all  diese  Weis- 
heit von  Gott  hatte,  weshalb  es  nicht  wahrscheinlich  ist, 
dass  er  etwas  sollte  behauptet  haben,  was  im  Widerspruch 
stände  mit  etwas,  was  als  wahr  erwiesen  ist  oder  erwiesen 
werden  könnte.  Und  wenn  man  einwendet,  Salomo  spreche 
nach  dem  Anscheine,  weil  es  uns  so  scheine,  als  ob  die 
Sonne  sich  bewege,  während  die  Erde  sich  bewege,  grade 
so  wie  es  dem,  welcher  sich  vom  Ufer  entfernt,  so  scheine, 
als  ob  sich  das  Ufer  vom  Schiffe  entferne :  so  antworte  ich : 
wenn  es  dem,  welcher  sich  vom  Ufer  entfernt,  auch  so 
scheint,  als  entferne  sich  das  Ufer  von  ihm,  so  erkennt  er 
doch,  dass  dieses  ein  Irrthum  ist,  und  er  berichtigt  ihn,  da 
er  deutlich  sieht,  dass  das  Schiff  sich  bewegt  und  nicht  das 
Ufer;  was  aber  die  Sonne  und  die  Erde  betrifft,  so  braucht 
kein  Gelehrter  den  Irrthum  zu  berichtigen,  da  er  durch 
augenscheinliche  Erfahrung  weiss,  dass  die  Erde  still  steht 
und  dass  das  Auge  sich  nicht  täuscht,  wenn  es  urtheilt, 
dass  die  Sonne  sich  bewege,  wie  es  sich  auch  nicht  täuscht, 


Bellarmins  Brief  an  Foscarini.  65 

wenn  es  urtheilt,    dass  die  Sterne  sich  bewegen.     Das  mag 
für  jetzt  genügen." 

Von  diesem  Schreiben  Bellarmins  besass  Galilei  eine 
Abschrift;  er  beruft  sich  darauf  in  seinem  Verhör  am  12. 
April  1633  1).  Berti,  der  das  Schreiben  zuerst  veröffentlicht 
hat,  theilt  auch  eine  Erwiederung  darauf  (theilweise?)  mit2), 
welche  Galilei  (ohne  Zweifel  während  seines  Aufenthaltes 
in  Rom  im  J.  161 5  — 16)  geschrieben  hat.  Darin  sagt  er  zu 
No.  1 :  „Was  die  Philosophen  angeht,  so  brauchen  sie,  wenn 
sie  wahre  Philosophen  sind,  sich  nicht  reizen  zu  lassen; 
wenn  sie  erkennen,  dass  sie  im  Irrthum  gewesen  sind, 
müssen  sie  dem  danken,  der  ihnen  die  Wahrheit  zeigt,  und 
wenn  sie  mit  ihrer  Meinung  Recht  behalten,  haben  sie 
Grund,  sich  zu  freuen,  und  nicht,  unwillig  zu  werden.  Auch 
die  Theologen  brauchen  sich  nicht  reizen  zu  lassen;  denn 
wenn  sich  die  fragliche  Meinung  als  falsch  erweist,  können 
sie  dieselbe  verbieten;  wenn  sie  sich  aber  als  wahr  er-» 
weist,  müssen  sie  sich  freuen,  dass  ihnen  ein  Anderer  den 
Weg  zur  Auffindung  des  wahren  Sinnes  der  Bibek  gebahnt 
und  sie  davor  bewahrt  hat,  durch  die  Verdammung  eines 
wahren  Satzes  ein  grosses  Aergerniss  zu  geben." 

Zu  No.  3  bemerkt  Galilei:  ,,Wer  nicht  eher  glauben 
will,  dass  ein  Beweis  für  die  Bewegung  der  Erde  vorhanden 
sei,  bis  er  ihm  gezeigt  ist,  der  handelt  ganz  verständig. 
Wir  verlangen  auch  von  Niemand,  dieses  ohne  Beweis  zu 
glauben,  und  wünschen  nichts  anderes,  als  dass  zum  Nutzen 
der  h.  Kirche  mit  der  grössten  Strenge  das,  was  die  An- 
hänger jener  Meinung  vorzubringen  im  Stande  sind,  ge- 
prüft und  nichts  anerkannt  werde,  wenn  nicht  das,  was  sie 
vorbringen,  die  Gründe  der  andern  Partei  bei  weitem  über- 
trifft, —  dass  sie  abgewiesen  werden  mögen,  wenn  sie  nicht 
mehr  als  90  Procent  der  Gründe  für  sich  haben,  aber  dass 
man  auch,  wenn  nachgewiesen  wird,  dass  unter  dem,  was 
die  gegnerischen  Philosophen  und  Astronomen  vorbringen, 
viel  Falsches  und  gar  nicht  in  Betracht  Kommendes  ist,  die 
andere  Partei  nicht  gering  geschätzt  und  es  nicht  als  ein 
unglaubwürdiges  Paradoxon  angesehen  werde,  dass  sie  je 
einen  evidenten  Beweis  werde  führen  können.  Man  darf 
wohl  ein   so   liberales  Anerbieten  machen,   weil  ja  offenbar 


1)  Acten  S.   78.  2)  Copernico  p.   128. 

Reusch,  Galilei. 


66  Bellarmins  Brief  an  Foscarini. 

diejenigen,  welche  im  Irrthum  sind,  weder  die  Vernunft  noch 
die  Erfahrung,  so  weit  sie  hier  etwas  gilt,  für  sich  haben 
können,  während  zu  der  Wahrheit  alles  stimmen  und  passen 
muss.  Allerdings  ist,  wenn  bewiesen  wird,  dass  unter  der 
Voraussetzung  der  Bewegung  der  Erde  und  des  Stillstehens 
der  Sonne  sich  die  Erscheinungen  erklären  lassen,  damit 
nicht  auch  schon  bewiesen,  dass  diese  Hypothesen  wirklich 
wahr  sind;  aber  wenn  nach  dem  andern,  dem  herrschenden 
System  diese  Erscheinungen  nicht  erklärt  werden  können,  ist 
dasselbe  unzweifelhaft  falsch,  und  es  ist  klar,  dass  das 
System,  welches  zu  den  Erscheinungen  sehr  gut  passt, 
wahr  sein  kann.  Eine  grössere  Wahrheit  kann  und  darf 
man  von  einer  Theorie  nicht  verlangen,  als  dass  sie  allen 
einzelnen  Erscheinungen  entspreche." 

Aus  Galilei's  Bemerkungen  zu  No.  2  theilt  Berti  nur 
Folgendes  mit:  „Es  könnte  ja  sein,  dass  wir  bei  der  Aus- 
legung der  h.  Schrift  auf  Schwierigkeiten  stiessen;  aber 
das  würde  seinen  Grund  in  unserer  Unwissenheit  haben, 
nicht  darin,  dass  wirklich  eine  unüberwindliche  Schwierig- 
keit dem  im  Wege  stände  oder  stehen  könnte,  die  Bibel 
mit  den  erwiesenen  Wahrheiten  in  Einklang  zu  bringen.  .  . 
Wenn  man  sagt,  ein  solcher  Satz  sei  de  fide,  wenn  auch 
nicht  ratione  obiecti,  so  doch  ratione  dicentis,  und  er  gehöre 
darum  mit  zu  denjenigen  Sätzen,  auf  welche  sich  das  Con- 
cilsdecret  beziehe,  so  ist  zu  antworten,  dass  alles,  was  in 
der  h.  Schrift  steht,  ratione  dicentis  de  fide  ist  und  darum 
also  unter  die  Regel  des  Concils  mit  einbegriffen  sein 
müsste,  —  was  offenbar  nicht  der  Fall  ist,  da  dann  das 
Concil  gesagt  haben  würde:  in  omni  verbo  scripturarum 
sequenda  est  expositio  patrum  etc.,  und  nicht:  in  rebus  fidei 
et  morum.  Da  es  aber  sagt:  in  rebus  fidei,  so  sieht  man, 
dass  es  die  Regel  von  rebus  fidei  ratione  obiecti  verstanden 
haben  will." 

Diese  letzte  Bemerkung  ist  nicht  ausreichend.  Bellar- 
min konnte  vom  Standpunkte  der  gewöhnlichen  Auffassung 
der  Inspiration  aus  mit  Recht  sagen:  wenn  man  eine  Aus- 
sage der  h.  Schrift  als  unwahr  bezeichnet,  so  ist  das  auch 
dann,  w.enn  diese  Aussage  keinen  dogmatischen  Charakter 
hat,  häretisch,  weil  es  eine  indirecte  Bestreitung  der  Lehre 
von  der  auf  der  Inspiration  beruhenden  Irrthumslosigkeit 
der    h.    Schrift    ist,    —    wiewohl    doch    augenscheinlich   die 


Bellarmins  Brief  an  Foscarini.  67 

beiden  biblischen  Aussagen:  Abraham  hatte  zwei  Söhne, 
und:  Christus  ist  von  einer  Jungfrau  geboren,  nicht  gleich- 
werthig  sind;  —  aber  die  Copernicaner  bezeichneten  auch 
keine  einzige  Aussage  der  h.  Schrift  als  unwahr,  sondern 
nur  die  herkömmliche  Auslegung  einiger  Aussagen  als  un- 
richtig; sie  verstiessen  darum  auch  gar  nicht  gegen  die 
Tridentinische  Regel,  welche  bei  der  Auslegung  der  Bibel 
nur  bezüglich  der  res  fidei  et  morum  den  Consensus  der 
Väter  als  massgebend  bezeichnet. 

Der  interessanteste  Theil  des  Bellarmin'schen  Briefes 
ist  aber  der  dritte,  worin  er,  wie  Grisar  S.  98  sagt,  „für 
den  Fall,  dass  wirklich  unanfechtbare  Beweise  gebracht 
würden,  sich  bereit  erklärt,  der  mehr  als  tausendjährigen 
Schulmeinung  den  Rücken  zu  wenden."  Ueber einstimmend 
damit  erklärte  später  auch  der  Jesuit  Grassi  ex  sententia 
Cardinalis  Bellarmini :  „wenn  man  für  die  Bewegung  der 
Erde  einen  Beweis  fände,  müsse  man  diejenigen  Bibel- 
stellen, wo  von  der  Stabilität  der  Erde  die  Rede  sei,  anders 
erklären  als  bisher"  *).  Es  ist  mir  unbegreiflich,  wie  Grisar 
S.  98  von  der  fraglichen  Stelle  des  Briefes  Anlass  nehmen 
kann,  Bellarmins  „Unbefangenheit  des  Denkens"  zu  preisen, 
„die  seine  Achtung  vor  wahrer  Wissenschaft  in  das  schönste 
Licht  stelle".  Mir  scheint  der  Brief  ein  für  Bellarmin  sehr 
gravirendes  Actenstück  zu  sein.  Er  erkennt  offenbar  an, 
dass  die  Copernicanische  Lehre  möglicher  Weise  richtig 
sein  und  als  richtig  erwiesen  werden  könne;  er  hält  sie  also, 
wenn  der  casuistische  Ausdruck  hier  gebraucht  werden  darf, 
wie  Foscarini  für  probabel,  wenn  auch  nur  für  tenuiter  pro- 
babilis.  Mithin  hält  er  die  Ptolemäische  Lehre  nicht  für 
unzweifelhaft  wahr,  sondern  für  eine  solche,  welche  sich 
möglicher  Weise  als  irrig  herausstellen  könne.  Er  gibt 
ferner  ausdrücklick  zu,  dass  die  auf  der  Ptolemäischen  An- 
sicht beruhende  Auffassung  der  Bibelstellen  möglicher  Weise 
irrig  sein  und  für  den  Exegeten  sich  die  Notwendigkeit 
herausstellen  könne,  die  Stellen  anders  zu  deuten2).     So  un- 


1)  IX,  67. 

2)  „Allerdings  glaubte  er",  —  so  sagt  P.  Schneemann  S.  257  von 
dem  „höchst  interessanten"  Briefe  Bellarmins,  —  „dass  das  Copernicanische 
System  dem  Wortlaute  und  der  bisherigen  Erklärung  der  h.  Schrift  entgegen 
sei;    dennoch  hielt   er   den  Fall   nicht  für    unmöglich,    dass    mit    dem   Fort- 


68  Bellarmins  Brief  an  Foscarini. 

wahrscheinlich  ihm  das  auch  sein  mochte,  er  hätte,  wenn 
er  „unbefangen"  gedacht  hätte,  darauf  dringen  müssen, 
man  solle  nicht  durch  einen  kirchlichen  Urtheilspruch  eine 
Lehre  für  falsch  und  der  h.  Schrift  widersprechend  erklären, 
von  der  möglicher  Weise  im  Laufe  der  Zeit  erwiesen  wer- 
den könne,  dass  sie  richtig  sei  und  darum  auch,  wenngleich 
der  jetzt  herrschenden  Deutung  der  h.  Schrift,  doch  nicht 
dieser  selbst  widerspreche;  eine  kirchliche  Behörde  sei  nicht 
competent,  über  die  Richtigkeit  einer  Lehre  ein  Urtheil  zu 
fällen,  bei  welcher  es  sich  gar  nicht  um  eine  Offenbarungs- 
wahrheit handle ;  sie  habe  vielmehr  die  Entscheidung  über 
die  Richtigkeit  der  Lehre  der  Wissenschaft  zu  überlassen; 
die  kirchliche  Behörde  sei  berechtigt,  zu  erklären,  dass  die 
h.  Schrift  keinen  Irrthum  enthalte  und  in  Sachen  des  Glau- 
bens und  der  Sitten  nicht  im  Widerspruch  mit  der  Lehre 
der  Kirche  und  mit  dem  unantmis  consensus  der  Väter 
interpretirt  werden  dürfe;  sie  könne  aber  nicht  erklären, 
eine  andere  als  die  herrschende  Auffassung  der  von  der 
Sonne  und  der  Erde  handelnden  Bibelstellen  sei  nicht  zu- 
lässig, da  sich  möglicher  Weise  die  dieser  Auffassung  zu 
Grunde  liegende  astronomische  Ansicht  als  irrig  erweisen 
werde. 

Weniger  begabte  und  unterrichtete  Theologen  als  Bel- 
larmin mögen  wirklich  geglaubt  haben,  die  Ptolemäische 
Lehre  sei  ebenso  sicher  wahr  wie  die  kirchliche  Trinitäts- 
lehre  und  die  Copernicanische  Lehre  ebenso  sicher  falsch 
wie  der  Arianismus  und  Galilei's  Deutung  der  betreffenden 
Bibelstellen  ebenso  sicher  unrichtig  wie  die  Arianische  Deu- 
tung von  Joh.  i,  i  ff.  Bellarmin  aber  wusste  es  besser,  und 
er  verdient  darum  den  schärfsten  Tadel,  dass  er,  lediglich 
darum,  weil  er  die  Copernicanische  Lehre  für  nicht  erwiesen 
und  das  Beibringen  eines  vollgültigen  Beweises  für  dieselbe 
für  sehr  unwahrscheinlich  hielt,  dem  Urtheil  zustimmte, 
welches  dieselbe  für  falsch,  also  für  unbeweisbar,  und  für 
*der  Bibel  widersprechend  und  darum  für  häretisch  erklärte. 
•  Hätte  man  sich  darauf  beschränkt,  die  Bücher  des 
Copernicus  und  seiner  Anhänger  auf  den  Index  zu  setzen, 
so    hätte    sich    diese    Massregel    als    eine    disciplinare    mit 


schritte  der  Wissenschaften  dasselbe   unumstösslich  bewiesen   werden   könne 
und  dann  auch  eine  andere  Erklärung  der  Schrifttexte  erfordere." 


Die  Römische  Inquisition.  69 

Zweckmässigkeitsgründen  rechtfertigen  oder  entschuldigen 
lassen.  Wir  werden  aber  sehen,  dass  man  darüber  hinaus- 
ging und  ein  doctrinelles  Urtheil  fällte,  welches  jetzt  als  ein 
falsches  allgemein  anerkannt  ist,  damals  aber  schon  von 
Bellarmin,  wenn  er  wirklich  unbefangen  gedacht  und  vor 
der  Wissenschaft  Achtung  gehabt  hätte,  als  ein  unzulässiges 
hätte  erkannt  werden  müssen. 


VI. 
Die  Römische  Inquisition  und  die  Index-Congregation. 

Der  Darstellung  der  Galileischen  Processe  sind  einige 
Notizen  über  die  päpstlichen  Behörden  vorauszuschicken, 
welche  dabei  in  Betracht  kommen,  zunächst  über  die  In- 
quisition *). 

Die  mittelalterlichen  Päpste  haben  bekanntlich  sich  und 
den  Bischöfen  das  Recht  beigelegt,  gegen  solche,  die  einer 
Versündigung  gegen  den  katholischen  Glauben,  namentlich 
des  Festhaltens  und  der  Kundgebung  ketzerischer  Ansichten 
verdächtig  geworden,  eine  gerichtliche  Untersuchung  einzu- 
leiten und  diejenigen,  welche  eines  derartigen  Vergehens 
schuldig  erkannt  wurden,  zu  bestrafen,  und  zwar,  wenn  sie 
sich  nachgiebig  und  reumüthig  zeigten,  zur  Abschwörung 
ihrer  irrthümlichen  Meinungen  und  zu  irgend  welchen  Buss- 
übungen, auch  zu  Gefängniss  und  anderen  ähnlichen  Strafen, 
wenn  sie  dagegen  hartnäckig  blieben,  zum  Tode  zu  verur- 
theilen.  Dieses  gerichtliche  Verfahren  kirchlicher  Behörden 
nannte  man  Inquisition,  eigentlich  Inquisitio  haereticae  ftra- 
vitatis,  Untersuchung  wegen  ketzerischer  Bosheit.  Durch 
einige  Päpste  des  16.  Jahrhunderts,  namentlich  Paul  III., 
Pius  IV.  und  V.  und  Sixtus  V.,  wurde  diese  Inquisition  neu 
organisirt  und  centralisirt.  Namentlich  wurde  eine  Anzahl 
von  Cardinälen  als  General-Inquisitoren  für  die  ganze  Kirche 


1)  Vgl.  J.  H.  Bangen,  Die  Römische  Curie,  ihre  gegenwärtige  Zusam- 
mensetzung und  ihr  Geschäftsgang,  Münster  1854,  S.  91  ff.  Phillips,  Kir- 
chenrecht,  VI  (1864),  583  ff. 


70  Die  Römische  Inquisition. 

bestellt.  Diese  oberste  Römische  Inquisitionsbehörde  erhielt 
durch  Sixtus  V.  im  Jahre  1586  die  Organisation,  in  welcher 
sie  zu  Galilei' s  Zeit  bestand  und  im  Wesentlichen,  wenigstens 
formell,  noch  heute  fortbesteht. 

Die  amtliche  Bezeichnung  ist:  Sacra  Congregatio  Ro- 
manae  et  Universalis  Inquisitionis,  die  h.  Congregation  der 
Inquisition  für  Rom  und  die  ganze  Kirche,  oder  auch  Con- 
gregatio Sancti  Officii,  die  Congregation  des  h.  Officiums. 
Mitglieder  dieser  Congregation  sind  mehrere  von  dem  Papste 
ernannte  Cardinäle,  Vorsitzender  derselben  ist  der  Papst 
selbst.  Einer  der  Cardinäle  ist  Secretär  der  Congregation 
und  hat  als  solcher  namentlich  für -die  Ausführung  ihrer 
Beschlüsse  zu  sorgen.  Während  des  ersten  Galilei'schen 
Processes  war  Secretär  der  Inquisition  der  Cardinal  Gio- 
vanni Garzia  Mellini  (Millini,  j  1629),  während  des  zweiten 
der  Cardinal  Antonio  Barberini  der  A eitere,  ein  Bruder  Ur- 
bans  VIII.,  gewöhnlich  Cardinal  von  St.  Onuphrius  genannt. 

Zu  dem  Personal  der  Congregation  der  Inquisition  ge- 
hören: 1.  der  Commissarius  generalis  S.  Officii,  regelmässig 
ein  Dominicaner,  welcher  bei  allen  der  von  der  Congrega- 
tion zu  treffenden  Definitiv-Entscheidung  vorhergehenden  pro- 
cessualischen  Acten  als  ordentlicher  Richter  fungirt  und  na- 
mentlich die  Verhöre  der  Angeklagten  und  Zeugen  vornimmt. 
Bei  dem  ersten  Galilei'schen  Process  fungirte  P.  Michelan- 
gelo Seghizzi  von  Lodi  (Seghetius  de  Lauda),  bei  dem 
zweiten  P.  Vicenzo  Macolano  von  Firenzuola  als  Commissar 1). 
—  2.  Der  Assessor  Sancti  Officii,  in  der  Regel  ein  Welt- 
geistlicher, welcher  als  Gehülfe  und  Stellvertreter  des  Com- 
missars  fungirt  und  namentlich  in  den  Sitzungen  der  Car- 
dinäle der  Inquisition  zu  referiren  hat;  bei  dem  zweiten 
Process  war  es  Monsignor  Pietro  Paolo  Febei.  —  3.  Der 
Promotor  ßscalis,  der  öffentliche  Ankläger.  Als  solcher  fun- 
girte in  dem  zweiten  Processe  Carlo  Sinceri,  Doctor  beider 
Rechte2);  er  tritt  aber  bei  den  Verhandlungen  ebenso  wohl 
wie    der  Assessor  wenig  hervor;    der  ,,Advocat  der  Ange- 


i)  Seghizzi  war  vorher  Inquisitor  in  Cremona  und  Mailand,  Commis- 
sar seit  16 14;  schon  1616  wurde  er  Bischof  von  Lodi.  Berti,  II  Processo 
p.  LXII.     Ueber  Macolano  s.  u.  §.  XXI. 

2)  Er  fungirte  auch  schon  1608  in  dem  Process  des  Fulgentio  Man- 
fredi;  s.  Gibbings  p.   18. 


Die  Römische  Inquisition.  71 

klagten"  kam  dabei  gar  nicht  in  Thätigkeit.  —  4.  Die  „Con- 
sultoren",  Theologen  und  Canonisten  aus  dem  Stande  der 
Welt-  und  Ordensgeistlichen,  welche  über  die  in  den  Sitzungen 
der  Cardinäle  zu  verhandelnden  Gegenstände  ihr  Gutachten 
abzugeben  haben.  Sie  werden  vom  Papste  ernannt;  der  Ge- 
neral der  Dominicaner,  der  (unten  zu  erwähnende)  Magister 
Sacri  Palatii  und  noch  ein  dritter  Dominicaner,  der  speciell 
Consta tor  S.  Officii  heisst,  sind  immer  darunter.  —  5.  Die 
„Qualificatoren",  eine  Anzahl  von  Theologen  und  Canonisten, 
welche  in  einzelnen  Fällen  zur  Begutachtung  bestimmter 
Punkte  aufgefordert,  namentlich  beauftragt  werden,  Sätze, 
wegen  deren  Jemand  angeklagt  ist,  zu  „qualificiren",  d.  h. 
sich  darüber  zu  äussern,  ob  und  in  wiefern  dieselben  unka- 
tholisch sind.  —  6.  Als  Secretär  des  Commissars,  namentlich 
als  Protocollführer  fungirt  ein  Notar  des  h.  Officiums1). 

Die  Verhöre  fanden  in  dem  von  Sixtus  V.  in  der  Nähe 
der  Peterskirche  erbauten  Palaste  des  h.  Officiums  statt,  in 
welchem  sich  auch  die  Wohnungen  des  Commissars,  des 
Assessors  und  des  Fiscals  und  die  Gefängnisse  für  die  An- 
geklagten befanden.  Ebendaselbst  traten  auch,  regelmässig 
am  Montag,  die  Consultoren  mit  dem  Commissar  und  dem 
Assessor  zusammen,  um  über  die  zur  Entscheidung  reifen 
Sachen  zu  berathen.  Der  Assessor  referirte  über  dieselben; 
ein  oder  mehrere  von  dem  Cardin al-Secretär  bestimmte  Con- 
sultoren, denen  schon  vorher  die  Acten  zugesandt  worden, 
legten  ein  schriftliches  Votum  vor.  Der  in  dieser  Sitzung 
gefasste  Beschluss  hatte  aber  nur  die  Bedeutung  eines  den 
Cardinälen  vorzulegenden  Gutachtens2).  Die  Cardinäle  der 
Inquisition  hielten,  gewöhnlich  am  Mittwoch,  ihre  Sitzungen 
in  dem  Dominicanerkloster  Santa  Maria  sopra  Minerva 3).  In 
diesen  Sitzungen  referirte  der  Assessor  über  den  Thatbestand 


1)  Bei  dem  ersten  Process  Galilei's  Andrea  de  Pettini,  bei  dem  zwei- 
ten Giovanni  Antonio  Tomasi;  Wolynski  p.   38.   75. 

2)  Eine  Aufzeichnung  über  eine  solche  Sitzung  der  Consultoren  rindet 
sich  bei  Gebier,  Acten  S.  184:  ~  „Feria  2a.  die  14.  Junii  1734.  DD.  CC. 
[Domini  Consultores]  fuerunt  in  voto,  rescribendum  etc.  Darunter  steht:  Feria 
4.  die  IG.  Junii  1734:  Eminentissimi  suprascriptum  votum  Dominorum  Con- 
sultorum  approbarunt. 

3)  Nach  einer  Verordnung  Urbans  VII.  vom  17.  Sept.  1628;  früher 
fanden  diese  Sitzungen  in  der  Wohnung  des  ältesten  Cardinais  statt.  Pig- 
natelli  (s.  u.  S.  75,  Anm.   1)  II,   520. 


72  Die  Römische  Inquisition. 

und  das  Gutachten  der  Consultoren.  Wenn  die  Cardinäle 
es  für  nöthig  hielten,  wurden  letztere  aus  dem  Vorsaale,  wo 
sie  warten  mussten,  hereingerufen,  um  ihr  Gutachten  zu  er- 
läutern und  zu  motiviren.  Die  Cardinäle  stimmten  endlich 
über  die  zu  treffende  Entscheidung  ab.  Am  folgenden  Tage, 
also  regelmässig  am  Donnerstag,  versammelten  sich  die 
Cardinäle  im  päpstlichen  Palaste  zu  der  unter  dem  Vorsitze 
des  Papstes  stattfindenden  Sitzung:  in  wichtigen  Fällen  wurde 
nochmals  ausführlich  über  die  Sache  referirt,  dann  *gaben 
die  aus  dem  Vorsaale  herbeigerufenen  Consultoren  ihr  Gut- 
achten, darauf  die  Cardinäle  ihre  Stimmen  ab,  worauf  der 
Papst  das  Urtheil  der  Cardinäle  bestätigte  oder  auch  eine 
davon  abweichende  Entscheidung  traf.  Ueber  weniger  wich- 
tige Sachen  wurde  dem  Papste  das  in  der  Mittwochs-Sitzung 
der  Cardinäle  gefällte  Urtheil  zur  Bestätigung  vorgelegt.  — 
Die  von  Gherardi  veröffentlichten  Documente  (s.  o.  S.  5) 
sind  Aufzeichnungen  über  die  in  solchen  Mittwochs-  und 
Donnerstags-Sitzungen  gefassten  Beschlüsse  (Decreta)\  über 
die  unter  dem  Vorsitze  des  Papstes  gefassten  Beschlüsse 
wird  regelmässig  mit  der  Formel  Sanctissimus  ordinavit, 
decrevit  oder  mandavit  berichtet1). 

Ueber  die  in  diesen  Sitzungen  gefassten  Beschlüsse 
wurde  durch  den  Cardinal-Secretär  dem  Assessor  oder  dem 
Commissar  des  h.  Officiums  oder  dem  Notar  desselben  das 
Erforderliche  mitgetheilt,  und  letzterer  machte  dann  darüber 
in  den  im  Inquisitionspalaste  befindlichen  Acten  eine  Notiz2). 
Darum  finden  wir  in  den  jetzt  im  Vatican  aufbewahrten, 
von  Gebier  veröffentlichten  Processacten  manche  Notizen, 
welche  Aufzeichnungen  in  der  Gherardi' sehen  Sammlung  ent- 


1)  Vgl.  No.  III,  IV,  VI  u.  s.  w.  —  Aufzeichnungen  über  Mittwochs- 
Sitzungen  sind  No.  II,  IV  u.  s.  w.  (No.  XXVIII:  Emineniissimi  decreve- 
runt  ut  memoriale  legatur  coram  Sanctissimo,  was  nach  No.  XXIX  am 
folgenden  Tage  geschah.)  Ausnahmsweise  fanden  die  Sitzungen  der  Cardi- 
näle an  einem  andern  Tage  als  am  Mittwoch  statt;  s.  No.  I,  XXV,  XXVI. 
Wolynski  sagt  p.  37.  39.  62:  der  Donnerstag  sei  an  der  Curie  ein  Ferientag 
gewesen;  die  Mittwochs -Sitzungen  hätten,  wenn  der  Papst  theilnehmen 
wollte,  in  seinem  Palast  stattgefunden;  den  grössern  Theil  des  Jahres  seien 
überhaupt  Ferien  gewesen.  Die  Angaben  im  Texte  werden  von  Carena 
(s.  u.  S.  75,  Anm.  1)  p.  12a  bestätigt,  der  beifügt,  die  beiden  Sitzungen  der 
Inquisition  seien  gewöhnlich  nur  in  der  Char-  und  Osterwoche  ausgefallen. 

2)  Vgl.  Wolynski  p,  63. 


Die  Römische  Inquisition.  73 

sprechen,  wie  umgekehrt  in  dieser  wiederholt  auf  Acten- 
stücke  Bezug  genommen  wird,  die  sich  in  der  Vaticanischen 
Sammlung  befinden.  So  steht  z.  B.  bei  Gherardi  (Nr.  II) 
eine  Aufzeichnung  über  die  am  Mittwoch  25.  Febr.  161 5  ge- 
haltene Sitzung  der  Cardinäle,  worin  es  heisst:  es  sei  ein 
Brief  des  Pater  Lorini  zu  Florenz  verlesen  worden,  mit  wel- 
chem derselbe  eine  Abschrift  eines  Schreibens  Galilei's  an 
Benedetto  Castelli  eingesandt  habe,  und  es  sei  darauf  be- 
schlossen worden,  den  Erzbischof  und  den  Inquisitor  zu  Pisa 
aufzufordern,  sie  möchten  sich  das  Original  des  Galilei'schen 
Schreibens  zu  verschaffen  suchen  und  dieses  der  Inquisition 
übermitteln.  In  den  Vaticanischen  Acten  (in  Geblers  Aus- 
gabe S.  11)  findet  sich  der  Brief  Lorini's  mit  der  Abschrift 
des  Galilei'schen  Schreibens  und  dann  folgende  Aufzeich- 
nung (des  Notars  der  Inquisition)  vom  26.  Februar:  „Der 
Cardinal  Millino  [der  Secretär  der  Inquisition]  hat  mir  auf- 
getragen, dem  Erzbischof  und  dem  Inquisitor  von  Pisa  zu 
schreiben,  sie  möchten  sich  das  Original  des  Schreibens  Ga- 
lileis zu  verschaffen  suchen" *).  Dann  folgen  die  Antworten 
des  Erzbischofs  und  des  Inquisitors.  —  So  erklärt  es  sich  auch, 
dass  die  Gherardi'schen. Urkunden  nicht  gerade  viel  "Wich- 
tiges zur  Ergänzung  des  Vaticanischen  Manuscriptes  bieten. 

Ausserhalb  Roms,  namentlich  in  Italien,  fungirten  in 
vielen  Städten  von  der  Congregation  des  h.  Officiums  be- 
stellte Inquisitoren  als  Einzelrichter.  Auch  ihnen  standen 
Consultoren  mit  berathender  Stimme  und  andere  Gehülfen 
zur  Seite.  Auch  hatten  sie  ihre  Vicarien.  In  allen  wichti- 
geren Angelegenheiten  hatten  sie  an  die  Römische  Congre- 
gation zu  berichten  und  deren  Weisungen  zu  befolgen.  In 
den  Galilei'schen  Processen  kommen  der  Inquisitor  von  Flo- 
renz und  andere  Inquisitoren  nur  vor,  sofern  sie  Aufträge 
der  Congregation  auszuführen  hatten. 

Alle  Beamten  der  Inquisition  waren  bei  Strafe  der  Ex- 
communication  zu  strengem  Stillschweigen  über  die  Process- 
verhandlungen  verpflichtet.  Auch  die  Angeklagten  mussten 
bei  den  Verhören  eidlich  Stillschweigen  geloben. 

Zur    Competenz    der  Inquisition    gehörten    ausser    der 


I)  S.  48  steht:  Die  Jovis  25.  Febr.  1616:  711.  D.  Card.  Miliums  noti- 
ficavit  RR.  PP.  Assessori  et  Co/nmissario  S.  Officii,  quod  .  .  .  Sanctissi- 
mus  ordinavit  etc. 


74  Die  Römische  Inquisition. 

Ketzerei  auch  noch  andere  Vergehen,  welche  —  zum  Theil 
kraft  einer  starken  juristischen  Fiction  —  als^Vergehen  gegen 
den  Glauben  und  als  den  Verdacht  der  Ketzerei  begrün- 
dend angesehen  wurden,  wie  Blasphemie,  Hexerei,  Miss- 
brauch der  Sacramente  u.  s.  w. 

Unter  den  Werken,  aus  'welchen  wir  das  Verfahren  der 
Inquisition  zur  Zeit  Galilei's  kennen  lernen,  wird  im  Fol- 
genden am  öftesten  zu  erwähnen  sein  das  „Sacro  Arsenale". 
Es  ist  ein  für  die  Local-Inquisitoren  und  ihre  Beamten  be- 
stimmtes praktisches  Handbuch,  welches  eine  übersichtliche 
Zusammenstellung  der  von  ihnen  zu  beobachtenden  Regeln 
und  eine  reichhaltige  Sammlung  von  Formularen  für  die 
Verhörsprotocolle,  Urtheile  u.  s.  w.  gibt.  Diesen  Formu- 
laren entsprechen  auch  die  in  den  Galilei'schen  Processen 
vorkommenden  Actenstücke,  während  die  in  dem  Buche  ent- 
haltenen Regeln,  eben  weil  sie  sich  auf  das  Verfahren  der 
Inquisitionstribunale  ausserhalb  Roms  beziehen,  über  das 
Verfahren  der  Römischen  Inquisition  in  der  Galilei'schen  An- 
gelegenheit keinen  genügenden  Aufschluss  geben.  Das 
Sacro  Arsenale  ist  von  dem  Dominicaner  P.  Eliseo  Masini, 
Inquisitor  zu  Bologna,  verfasst  und  zuerst  1625,  dann  in 
einer  neuen  vermehrten  Ausgabe  1665  zu  Bologna,  später 
mit  Zusätzen  von  dem  Inquisitor  P.  Tomaso  Menghini  und  dem 
Fiscal  der  römischen  Inquisition  Dr.  Giovanni  Pasqualone 
wiederholt  zu  Rom  gedruckt  worden1).  —  Ausserdem  werden 


1)  Wohlwill,  Ist  Galilei  gefoltert  worden?  S.  17—21.  Pieralisi  u.  A. 
citiren  die  Ausgabe  von  (Genua)  1625,  Wolynski  eine  Ausgabe  von  Perugia 
1653.  Die  (von  Wohlwill  u.  A.  benutzte)  Ausgabe  von  1665  hat  den  Titel: 
„Sacro  Arsenale  ouero  Prattica  delP  Officio  della  Santa  Inquisitione.  Di 
nuovo  corretto,  &  ampliato".  Die  von  Berti  citirte  Ausgabe  Rom  1639 
scheint  ein  Abdruck  der  ersten  zu  sein.  Eine  römische  Ausgabe  von  1693 
hat  den  Titel:  „Sacro  Arsenale  .  .  .  Con  l'inserzione  d'alcune  Regole  fatte 
dal  R.  Inquisitore  Tomaso  Menghini  Doinenicano,  e  di  diverse  annotationi 
del  Dott.  Giovanni  Pasqualone,  Fiscale  della  Suprema  Generale  Inquisizione 
di  Roma".  Der  Text  Masini's  ist  darin,  —  wie  es  scheint,  ganz  —  unver- 
ändert abgedruckt,  hie  und  da  sind  aber  kleinere  oder  grössere  „Annotationi'4 
(p.  23 — 126  eine  Anzahl  von  Formularen  zu  Verhören)  beigefügt.  Die  Ausgabe 
Rom  1705  ist  ein  (auch  in  den  Seitenzahlen  ziemlich  genau  übereinstim- 
mender) Abdruck  der  Ausgabe  von  1693;  nur  smc*  die  300  „Avvertimenti", 
(aphoristischen  Regeln),  welche  den  10.  Theil  des  Masini'schen  Werkes 
bilden,  anders  geordnet.  —  Marini  u.  A.  citiren  das  Sacro  Arsenale  unter 
dem    Namen   Pasqualone's,    Bangen   und   nach   ihm   Phillips  u.  A.   (in  einer 


Die  Index-Congregation.  75 

noch  einige  andere  Autoren  des  17.  Jahrhunderts,  welche 
von  der  Inquisition  handeln,  benutzt  werden,  namentlich  der 
Theologe  Diana  und  die  Canonisten  Franz  Pena,  Carena 
und  Pignatelli,  sowie  die  Juristen  Julius  Clarus  und  Prosper 
Farinacci,  welche  über  das  damalige  Verfahren  bei  Criminal- 
processen  bei  anderen  Gerichtshöfen  Auskunft  geben *).  Auch 
die  Vergleichung  der  von  R.  Gibbings  und  K.  Benrath  ver- 
öffentlichten Urtheile  der  Römischen  Inquisition  aus  der 
zweiten  Hälfte  des  16.  und  der  ersten  Hälfte  des  17.  Jahr- 
hunderts2) dient  zur  Aufhellung  einzelner  Punkte. 

Eine  andere  Congregation  von  Cardinälen,  welche  irn 
Folgendem  zu  erwähnen  sein  wird,  heisst  Sacra  Congregatio 
Indicis  Librorum  ßrohibitorum,  die  h.  Congregation  des  Index 


Ausgabe  Rom  1739)  unter  dem  Namen  Menghini's  (verdruckt  Menchini). 
Wolynski  erwähnt  noch  eine  Ausgabe  Rom  171 6.  Ich  habe  die  Ausgaben 
von  1665,  1693  und  1705  (alle  drei  auf  der  Staatsbibliothek  zu  München) 
benutzt.  Wo  das  Sacro  Arsenale  citirt  wird,  sind  die  Seitenzahlen  der  Aus- 
gabe von  1665  angegeben,  wo  Pasqualone  citirt  wird,  die  Seitenzahlen  der 
Ausgabe  von   1705. 

i)  Ant.  Diana  Resolutionum  moralium  Pars  IV.  Antv.  1645.  —  Direc- 
torium  Inquisitorum  Fr.  Nie.  Eymerici  cum  commentariis  Francisci  Pegnae 
(Spanier,  gest.  als  Decan  der  Rota  1612;  Romae  1578.  1585)  Venetiis 
1607.  —  Tractatus  de  officio  S.  Inquisitionis  et  modo  procedendi  in  causis 
fidei  .  .  .  auet.  Caesare  Carena.  Cremonae  1641.  1655  (Lugd.  1669.  Der 
Ausgabe  von  1655  ist  eine  [nicht  vollständige]  Instructio  s.  Praxis  Inquisi- 
torum Fr.  Pegnae  angehängt).  —  Jacobi  Pignatelli  Novissimae  Consultationes 
canonicae.  Altera  editio.  Col.  Allobr.  17 19.  —  Julii  Clari  Opera  omnia  s. 
Practica  civilis  atque  criminalis.  Lugd.  1661.  —  Prosp.  Farinacii  Praxis  et 
Theoricae  criminalis  libri  duo.  Francof.  1697.  —  Die  Werke  von  Diana, 
Peiia  und  Carena  werden  im  Sacro  Arsenale  empfohlen.  Diana  nimmt  übri- 
gens mehr  auf  die  spanische  als  auf  die  Römische  Inquisition  Rücksicht.  — 
Aus    einigen    anderen    ähnlichen   Büchern    gibt   Wolynski   p.    135    Auszüge. 

2)  Die  hier  in  Betracht  kommenden  Publicationen  von  R.  Gibbings 
(Prof.  in  Dublin)  sind:  A  Report  of  the  Proceedings  of  the  Roman  Inquisi- 
tion against  Fulgentio  Manfredi  [1610],  1852.  —  Case  of  a  Minorite  Friar, 
who  was  sentenced  by  S.  Charles  Borromeo  [Thomas  de  Fabianis  1564], 
1853.  —  Report  of  the  Trial  and  Martyrdom  of  Pietro  Carnesecchi  [1567], 
1856.  (Auszüge  aus  den  Verhören  Carnesecchi's  sind  herausgegeben  von 
Giacomo  Manzoni  in  den  Miscellanea  di  Storia  italiana  X  [1870],  187 — 573). 
—  A  Statement  of  the  Case  of  Thaddaeus  O'  Farrihy  [1628],  1868.  —  Ben- 
rath hat  eine  grosse  Zahl  von  Inquisitions-Urtheilen  aus  den  Dubliner  Acten 
in  der  Allg.  Ztg.  1877,  No.  76  ff.  veröffentlicht.  Zwei  Urtheile  der  Römi- 
schen Inquisition  vom  J.  1635  sind  in  der  Riv.  Eur.  1878,  V,  510  abge- 
druckt. 


7^  Die  Index-Congregation. 

oder  Verzeichnisses  der  verbotenen  Bücher1).  Sie  lässt  die 
ihr  zur  Anzeige  gebrachten  Druckschriften  untersuchen  und 
verbietet  das  Lesen,  das  Verbreiten  und  sogar  das  Besitzen 
derjenigen  Bücher,  welche  ihr  in  religiöser  oder  sittlicher 
Hinsicht  bedenklich  erscheinen.  Mitunter  wird  ein  solches 
Verbot  auch  auf  Grund  eines  Beschlusses  der  Inquisition 
erlassen,  wie  denn  überhaupt  die  beiden  Congregationen  in 
manchen  Fällen  gemeinsam  handeln.  Das  zur  Zeit  des  Trien- 
ter  Concils  angelegte  und  seitdem  von  Zeit  zu  Zeit  revidirte 
und  vervollständigte  Verzeichniss  der  Bücher,  welche  diese 
.Congregation  verboten  hat  und  nur  auf  einen  besondern  An- 
trag Einzelnen  gestattet,  heisst  Index  librorujn  prohtbitorum, 
gewöhnlich  kurzweg  Index.  —  Präfect  dieser  Congregation 
ist  ein  Cardinal,  sein  Assistent  der  Prälat,  welcher  Magister 
Sacri  Palatii  Apostolici  heisst,  —  immer  ein  Dominicaner. 
Letzterm  sind  auch  die  Bücher,  welche  in  Rom  gedruckt 
werden  sollen,  zur  Censur  vorzulegen;  der  Cardinal- Vicar, 
der  Vertreter  des  Papstes  für  die  Diöcesanverwaltung  von 
Rom,  oder  dessen  Stellvertreter 2)  ertheilt  die  Druck-Erlaub- 
niss  nur  auf  Grund  der  Gutheissung  des  Palastmeisters  oder 
seines  Assistenten3).  —  Mitunter  wird  ein  Buch  nicht  unbedingt 
verboten,  sondern  „suspendirt",  d.  h.  mit  der  Clausel  donec 
corrigatur  verboten.  In  diesem  Falle  ist  das  Lesen  dessel- 
ben gestattet,  nachdem  die  von  der  Index-Congregation  als 
anstössig  bezeichneten  Stellen  daraus,  entfernt  oder  ge- 
ändert sind. 

Zu  Galilei's  Zeit  wurde  das  kirchliche  Bücherverbot 
strenge  gehandhabt.  Die  Nuncien  und  Inquisitoren  wurden 
wiederholt  aufgefordert,  bedenkliche  Bücher  zur  Anzeige  zu 
bringen,  es  wurden  viele  Bücher  verboten 4)  und  die  Erlaub- 
niss  zum  Lesen  verbotener  Bücher  nicht  leicht  ertheilt.  Ur- 
ban  VIII.  nahm  durch  ein  Breve  vom  2.  April  1631  alle 
derartigen  Licenzen  zurück  und  ertheilte  neue  nur  mit  Ein- 


1)  Bangen  a.  a.  O.   S.    124.     Phillips  a.  a.   O.  S.   598. 

2)  Bangen  a.  a.  O.  S.  287. 

3)  Die  Ausgabe  des  Sacro  Arsenale  von  1705  hat  1.  B.  folgende 
Druckerlaubnisse  „Imprimatur,  si  videbitur  Rev.  P.  Magistro  S.  Palatii  Apo- 
stolici. Dominicus  de  Zaulis  Episcopus  Verulanus  Vicesgerens.  —  Impri- 
matur. Fr.  Joannes  Bapt.  Carus  Magister  et  Socius  Rev.  P.  Sacri  Apost. 
Pal.  Magistri  Ordinis  Praedicatorum" . 

4)  Wolynski  p.  25.  S.  u.  §.  X. 


Die  Predigt  Caccini's.  77 

schränkungen.  In  der  neuen  Erlaubniss,  die  für  den  Gross- 
herzog von  Toscana  ausgefertigt  wurde,  waren  Machiavelli 
und  alle  astrologischen  Bücher  ausgenommen;  als  der 
Grossherzog  durch  seinen  Gesandten  Vorstellungen  machen 
Hess,  wurde  Machiavelli  freigegeben,  das  Lesen  astrologischer 
Bücher  aber,  erklärte  der  Papst,  werde  er  nicht  einmal  dem 
Kaiser  und  dem  König  von  Spanien  gestatten1). 


VII. 

Denunciation  Galilei's  bei  der  Inquisition  im  J.  1615. 

Kurz  nachdem  Galilei  im  J.  1611  von  Rom,  sehr  zu- 
frieden mit  der  Aufnahme,  die  er  dort  gefunden,  nach  Flo- 
renz zurückgekehrt  war,  erhielt  er  einen  Brief  von  Cigoli 
aus  Rom  1.  Juli  161 12),  worin  derselbe  bemerkt:  er  glaube, 
dass  Galilei  in  Florenz,  wenn  nicht  mehr,  so  doch  boshaf- 
tere Feinde  habe  als  in  Rom.  Am  16.  Dec.  161 1 3)  schrieb 
derselbe:  er  habe  von  einem  Galilei  sehr  freundlich  gesinnten 
Pater  gehört,  eine  Anzahl  von  Gegnern  Galilei's  versammele 
sich  im  Hause  des  Erzbischofs  von  Florenz  —  er  war  ein 
Schüler  Galilei's,  Marzi-Medici,  —  und  berathe  darüber,  wie 
man  Galilei  auf  Grund  seiner  Ansicht  über  die  Bewegung 
der  Erde  oder  anderer  Ansichten  angreifen  könne;  einer 
dieser  Leute  habe  einen  Ordensgeistlichen  gebeten,  auf  der 
Kanzel  von  Galilei's  „extravaganten"  Meinungen  zu  sprechen, 
der  Pater  habe  aber  dieses  Ansinnen  abgelehnt4). 


1)  Wolynski  p.   163.  2)  VIII,   155.  3)  VIII,  188. 

4)  A.  v.  Reumont  sagt,  Gesch.  Toscana's  I,  551  (unter  Berufung  auf 
Palermo,  Orazio  Ricasoli  Rucellai  p.  18):  „In  der  Bibliotheca  Palatina  be- 
finden sich  zahlreiche  Briefe  von  Pisaner  Professoren  an  die  Grossherzogin, 
voll  Anklagen  gegen  Galilei  als  Verderber  so  der  Wissenschaft  wie  des 
Glaubens".  Leider  wird  nicht  angegeben,  aus  welcher  Zeit  diese  Briefe 
stammen;  da  sie  an  die  Grossherzogin  gerichtet  sind,  wahrscheinlich  aus  der 
Zeit  von  1621  — 1627,  in  welcher  die  Grossherzogin  während  der  Minder- 
jährigkeit Ferdinands  II.  Regentin  war.  —  Dass  Galilei  in  Pisa  Gegner 
hatte,    ergibt    sich   aus    einer  Aufzeichnung    aus    dem  J.    1616    bei  Targioni 


78  Die  Predigt  Caccini's. 

Galilei  scheint  auf  diese  Mittheilungen  kein  sonderliches 
Gewicht  gelegt  zu  haben;  er  spricht  noch  in  einem  Briefe 
an  den  Fürsten  Cesi  vom  5.  Jan.  16131)  von  seinen  Geg- 
nern in  Florenz,  die  sich  unter  einander  als  eine  „Verbindung" 
(lega)  bezeichneten,  ganz  geringschätzig.  Ein  dummer 
Schwätzer  (goffo  dicitore),  berichtet  er,  habe  sich  in  Aus- 
drücken des  Abscheus  über  die  Bewegung  der  Erde  aus- 
gesprochen; derselbe  wisse  aber  von  dem  Urheber  dieser 
Lehre  so  wenig,  dass  er  ihn  Ipernico  nenne.  Dieser 
„dumme  Schwätzer"  war  ein  Mann,  der  in  Galilei's  Geschichte 
noch  eine  Rolle  spielen  sollte,  der  Dominicaner  Niccolö  Lo- 
rini in  San  Marco,  dem  Kloster  Savonarola's,  Professor  der 
Kirchengeschichte  an  der  Universität  in  Florenz2).  Wir 
haben  einen  Brief  von  ihm  an  Galilei  vom  5.  Nov.  161 2 3), 
worin  er  sagt:  Galilei  werde  sich  überzeugt  haben,  dass  das 
Gerücht,  er  werde  am  Allerseelentage  gegen  seine  philoso- 
phischen Ansichten  sprechen,  grundlos  gewesen  sei;  er  ge- 
stehe aber,  dass  er  einmal  im  Gespräche  gesagt,  und  er 
wiederhole:  „dass  jene  Meinung  jenes  Ipernico  oder  wie 
er  heissen  mag,  der  h.  Schrift  zu  widersprechen  scheine". 

Der  erste  öffentliche  Angriff  auf  Galilei  erfolgte  ein  Jahr 
später  durch  einen  andern  Dominicaner,  Thomas  Caccini,  der 
damals  in  Santa  Maria  Novella  Vorträge  über  die  h.  Schrift 
hielt4)  und,  wie  P.  Grisar  naiv  sagt,  „in  bester  Meinung 
den  Streit  [mit  den  Copernicanern]  über  die  Bibel  auf  die 
Kanzel  bringen  zu  sollen  glaubte"  5).     Als  er  später  in  Rom 


I,  56.  Vgl.  Suppl.  92.  Aus  Padua  schreibt  Lorenzo  Pignoria  20.  Juni  1614 
an  Paolo  Gualdo,  der  damals  in  Rom  war:  „Einige  sagen  hier,  Galilei's 
neue  Lehre  sei  gefährlich".     Targioni  I,   58.  1)  VI,   196. 

2)  Niccolö  Lorini  del  Monte,  ein  geborener  Florentiner,  war  auch 
Hofprediger  des  Grossherzogs.  Er  starb  16 17.  Ausser  einer  im  J.  1585 
gehaltenen  Predigt  ist  von  ihm  zu  Florenz  1617  erschienen:  Elogii  delle 
piü  principali  sante  donne  del  sagro  Calendario  e  Martirologio  Romano. 
Qu6tif-Echard,  Scriptores  Ordinis  Praedicatorum  II,  406. 

3)  VIII,   241. 

4)  Auch  Caccini  war  ein  geborener  Florentiner.  Später,  1636,  wurde 
er  Professor  der  Theologie  an  der  Universität  zu  Florenz;  1637  gab  er  eine 
Geschichte  des  Concils  von  Nicäa,  1639  den  ersten  Band  einer  Kirchenge- 
schichte (bis  202)  heraus,  beide  italienisch.  Er  starb  12.  Jan.  1648.  Quetif- 
Echard  II,  559. 

5)  S.  78.  Grisar  klagt:  „der  Vorgang  werde  gewöhnlich  parteiisch 
allzu  sehr  zu  Ungunsten  Caccini's    dargestellt,    indem   man    nur   die  Berichte 


Die  Predigt  Caccini's.  79 

verhört  wurde1),  sagte  er  darüber  selbst  Folgendes  aus:  Er 
sei  bei  seinen  biblischen  Vorträgen  am  vierten  Adventssonn- 
tage an  die  bekannte  Stelle  im  10.  Capitel  des  Buches  Jo- 
sue  gekommen  und  habe,  nachdem  er  die  Stelle  literaliter 
und  spiritualiter  interpretirt,  Veranlassung  genommen,  mit 
der  seinem  Amte  gebührenden  Bescheidenheit  die  Meinung 
des  Copernicus  zu  bekämpfen,  von  der  damals  in  Florenz 
allgemein  gesagt  .worden  sei,  sie  werde  von  Galilei  gebilligt 
und  gelehrt.  Er  habe  gesagt,  diese  Meinung  werde  von  sehr 
gewichtigen  Schriftstellern  als  eine  vom  katholischen  Glauben 
abweichende  angesehen,  weil  sie  vielen  Stellen  der  h.  Schrift 
widerspreche,  die  in  dem  von  den  h.  Vätern  übereinstimmend 
dargelegten  Literalsinne  das  Gegentheil  besagten,  wie  die 
Stellen  Ps.  18,  6.  7;  Eccl.  1,  4;  Is.  38,  8  und  die  angeführte 
Stelle  des  Buches  Josue;  und  um  den  Zuhörern  zu  zeigen, 
dass  diese  seine  Lehre  nicht  ein  Einfall  von  ihm  sei,  habe 
er  die  Erörterung  des  Nicolaus  Serarius2)  vorgelesen,  welcher 
sage:  die  Ansicht  des  Copernicus  widerspreche  der  gemein- 
samen Ansicht  fast  aller  Philosophen,  aller  scholastischen 
Theologen  und  aller  h.  Väter,  und  beifüge,  mit  Rücksicht 
auf  die  angeführten  Bibelstellen  könne  man  jene  Meinung 
nicht  wohl  anders  als  ketzerisch  nennen.  Nach  dieser  Er- 
örterung habe  er  noch  bemerkt,  es  sei  Niemand  erlaubt,  die 
h.  Schrift  im  Widerspruche  mit  dem  Sinne  zu  interpretiren, 
in  welchem  alle  h.  Väter  übereinstimmten,  weil  dieses  von 
dem  Lateran- Concil  unter  Leo  X.  und  von  dem  Trienter 
Concil  verboten  sei.  —  Mit  diesem  Berichte  Caccini's  selbst 
steht  gar  nicht  im  Widerspruch,  liefert  aber  eine  charakte- 
ristische Vervollständigung  desselben,  was    anderwärts  be- 

Galilei's  und  seiner  Gönner,  nicht  aber  die  eidlichen  Aussagen  Caccini's 
benutze".  Die  eidlichen  Aussagen  Caccini's  und  Attavanti's  sind  oben  voll- 
ständiger mitgetheilt  als  bei  Grisar. 

1)  Acten  S.   25. 

2)  In  dem  1610  zu  Mainz  erschienenen  Commentare  dieses  Jesuiten 
(f  1609;  s.  Hurter,  Nomenciator  I,  356)  heisst  es  zu  Jos.  10,  12:  „Coperni- 
cus ist  zwar  sonst  ein  hervorragender  und  mit  Recht  gelobter  Mathematiker; 
aber  wie  andere  Hypothesen  von  ihm,  so  werden  namentlich  diese  allgemein 
verworfen  .  .  .  Obschon  er  sein  "Werk,  um  sich  gegen  jeden  Tadel  zu  sichern, 
dem  Papste  Paul  III.  widmete,  so  können  doch  diese  Hypothesen,  wenn  sie 
im  Ernst  als  wahr  behauptet  werden,  so  viel  ich  sehe,  von  Ketzerei  nicht 
frei  sein  (ab  haeresi  immunes).  Denn  immer  schreibt  die  Bibel  der  Erde 
Ruhe,  der  Sonne  und  dem   Monde  Bewegung  zu." 


80  Die  Predigt  Caccini's. 

richtet  wird,  Caccini  habe,  —  um  gleich  anzudeuten,  wem 
sein  Angriff  gelte,  —  zum  Vorspruch  die  Worte  genommen: 
Viri  Galilaei,  quid  statis  aspicientes  in  coeluvi  —  Ihr  Gali- 
lei'schen  Männer,'  was  steht  ihr  da  und  seht  den  Himmel 
an1)?"  und  er  habe  gesagt,  die  Mathematik  sei  eine  teuf- 
lische Kunst  und  die  Mathematiker  verdienten,  als  Urheber 
aller  Ketzereien,  aus  allen  Staaten  vertrieben  zu  werden2). 
Dass  Caccini's  Predigt  nicht  so  harmlos  war,  zeigt  ein 
Brief  seines  Ordensgenossen  Luigi  Maraffi  zu  Rom3),  der 
sich  beklagt,  dass  man  ihn  für  alle  Eseleien  (bestialita)  ver- 
antwortlich machen  wolle,  welche  30—40,000  Mönche  begehen 
könnten  oder  begingen;  er  wisse  sehr  wohl,  fügt  er  bei,  dass 
Caccini  der  rechte  Mann  dazu  sei,  sich  von  einem  Andern 
zu  einem  dummen  Streiche  verleiten. zu  lassen;  aber  für  so 
dumm  habe  er  ihn  nicht  gehalten;  er  habe  freilich  schon 
einmal  zu  Bologna  sich  eine  ähnliche  Ungehörigkeit  auf  der 
Kanzel  zu  Schulden  kommen  lassen  und  sei  dann  von  dem 
damaligen  Legaten,  dem  Cardinal  Giustiniano,  zu  einem  Wi- 
derruf genöthigt  worden.  Zur  Charakteristik  Caccini's  ist 
noch  die  Aussage  eines  von  Caccini  namhaft  gemachten,  von 
der  Inquisition  vernommenen  Zeugen  nicht  unwichtig.  Der  Mi- 
norist  Gianozzi  Attavanti,  Pfarrer  (plebanus)  von  Castel  Fioren- 
tino,  sagt  aus4):  er  habe  einmal  mit  dem  Dominicaner  Xime- 
nes,  der  ihm  (ein  Privatissimum  über)  die  Casus  conscientiae  las, 
in  dessen  Zelle  über  die  Bewegung  der  Sonne  u.  s.  w.  ge- 
sprochen; da  sei  Caccini  aus  seiner  ganz  nahe  dabei  liegen- 
den Zelle  heraus  und  zu  ihnen  gekommen  und  habe  gesagt, 
die  Copernicanische  Meinung  sei  eine  ketzerische  und  er 
wolle  das  auf  der  Kanzel  predigen.  Das  war  schon  im  Juli 
oder  August  16 14,  also  mehrere  Monate  vor  der  betreffen- 
den Predigt.  Von  anderen  Dingen,  welche  Caccini  als  von 
Attavanti  geäussert  ausgesagt  hatte,  erklärt  dieser:  Caccini 
möge  in  seiner  Zelle  gehört  haben,  dass  er  mit  Ximenes  in 


1)  Apg.   1,    11.     Targioni  I,  58.  2)  VIII,  341;  II,   13. 

3)  VIII,  337.  —  Maraffi  war  nicht  General  der  Domicaner,  wie  Alberi 
und  nach  ihm  Viele  angeben;  vgl.  Gebier,  Galilei  S.  65.  Die  Echtheit  des 
Briefes  wird  von  dem  Herausgeber  der  Schrift  M.  B.  Olivieri's,  Di  Coper- 
nico  e  di  Galileo  (Bologna  1872)  p.  XVII,  auf  ganz  nichtige  Gründe  hin 
angezweifelt.  Maraffi  wird  auch  VIII,  351.  367  erwähnt.  Vgl.  Govi,  II  S. 
Offizio,  Copernico  e  Galileo,  in  den  Atti  della  R.  Accademia  di  Torino, 
Vol.  VII  (1871—72),  p.  824.  4)  Acten'  S.  43. 


Lorini's  Denunciation.  81 

dessen  Zelle  über  solche  Dinge  gesprochen,  und  er  möge 
ihn  missverstanden  haben;  jedenfalls  sei  sein  Bericht  un- 
richtig. 

Caccini  selbst  sagt  in  seinem  Verhöre1)  weiter:  seine 
„liebevolle  Ermahnung"  (in  der  fraglichen  Predigt)  habe  zwar 
vielen  gebildeten  und  frommen  Männern  gefallen,  gewissen 
Schülern  Galilei's  aber  über  die  Massen  missfallen;  einige 
derselben  hätten  sogar  den  Domprediger,  einen  Jesuiten  aus 
Neapel,  bewegen  wollen,  gegen  ihn  zu  predigen;  er  habe 
darum  ,,aus  Eifer  für  die  Wahrheit"  dem  Inquisitor  zu  Flo- 
renz über  seine  Predigt  Bericht  erstattet  und  ihm  gesagt, 
es  werde  gut  sein,  gewissen  frechen  Geistern,  Schülern  Gali- 
lei's, einen  Zaum  anzulegen.  Der  Inquisitor  scheint  auf  diese 
Denunciation  keinen  Werth  gelegt  zu  haben. 

Bald  nach  Caccini's  Predigt  kam  der  Pater  Lorini,  von 
dem  Galilei  annimmt,  dass  er  Caccini  verhetzt  habe,  von 
Pisa  nach  Florenz  zurück  und  brachte  eine  Abschrift  des 
Briefes  Galilei's  an  Castelli  mit.  Er  zeigte  diese  Caccini 
und  Anderen,  und  an  dem  Inhalte  nahm  man  in  diesen  Kreisen 
grossen  Anstoss2).  Im  Februar  1615  sandte  dann  Lorini 
diese  Abschrift  mit  einer  Denunciation  nach  Rom  und  gab 
dadurch  Veranlassung  zu  dem  ersten  Inquisitionsprocesse 
gegen  Galilei.   . 

Grisar  (S.  79)  stellt  dieses  in  seiner  Weise  folgender- 
massen  dar:  „Ein  nicht  mehr  einzudämmender  Sturm  seitens 
der  Getroffenen  war  die  Folge  dieser  Predigt.  Darum  griffen 
die  Bewohner  des  Dominicanerklosters  zu  einem  Mittel  des 
klaren  öffentlichen  Beweises  ihres  Rechtes.  Als  solches  aber 
bot  sich  nach  ihrem  Dafürhalten  das  oben  gedachte,  in  Ab- 
schriften circulirende  Schreiben  Galilei's  an  Castelli  dar; 
denn  darin  schien  der  h.  Schrift  offenbar  Gewalt  zu  ge- 
schehen. Man  sendete  also  das  Schriftstück  vom  Convent 
San  Marco  aus  an  den  Präfecten  der  römischen  Index-Con- 
gregation  ....  Lorini,  der  dieses  Geschäft  auf  sich  nahm, 
klagt  zugleich  in  einem  beifolgenden  Briefe  das  Galilei'sche 
Schreiben  ausser  der  Copernicanischen  noch  verschiedener 
anderer  gefährlicher  Lehren  an3)." 


1)  Acten  S.  26.  28.  2)  II,   14.  Acten  S.  27. 

3)  Scartazzini,  Unsere  Zeit  1877,   I,  498  stellt  die  Sache  ganz  unrich- 
tig so  dar:  „Am  7.  Febr.    1615   denuncirte  .  .   .  Lorini  Galilei  bei  dem  römi- 
Reusch,  Galilei.  6 


82  Lorini's  Denunciation. 

In  den  Acten  der  Inquisition  wird  Galilei,  wie  wir 
(S.  29)  gesehen,  schon  unter  dem  17.  Mai  161 1  einmal  er- 
wähnt. In  den  Vaticanischen  Acten  ist  Lorini's  Denuncia- 
tion das  älteste  Stück.  Sie  war  datirt  vom  7.  Febr.  16 15 
und  adressirt  an  den  Cardinal  vom  Titel  der  h.  Caecilia,  Paolo 
Emilio  Sfondrati,  den  Präfecten  der  Index -Congregation1). 
Lorini  sagt  darin:  Er  erfülle  eine  Pflicht,  die  jedem  guten 
Christen  obliege,  ganz  besonders  aber  allen  Brüdern  vom 
h.  Dominicus,  welche  von  ihrem  Stifter  als  die  schwarzen 
und  weissen  Hunde  des  h.  Officiums  bestellt  seien2),  eine 
Pflicht,  welche  vornehmlich  allen  Theologen  und  Predigern 
obliege,  —  indem  er  eine  ihm  in  die  Hände  gefallene,  unter 
den  „Galileisten"  circulirende  Schrift  übersende,  worin  nach 
dem  Urtheile  aller  Patres  von  San  Marco  viele  verdächtige 
oder  verwegene  Sätze  enthalten  seien.  Die  Galileisten,  fügt 
er  bei,  wollten  die  h.  Schrift  nach  ihrer  Weise  und  im  Wi- 
derspruch mit  der  übereinstimmenden  Auslegung  der  h. 
Väter  erklären  und  eine  Meinung  vertheidigen,  welche  der 
Bibel  durchaus  zu  widersprechen  scheine.  Sie  sprächen  auch, 
wie  er  höre,  mit  wenig  Ehrfurcht  von  den  alten  h.  Vätern 
und  von  dem  h.  Thomas,  träten  die  ganze  Philosophie 
des  Aristoteles,  von  der  doch  die  scholastische  Theologie 
einen  so  ausgedehnten  Gebrauch  mache,  mit  Füssen  und 
sagten,  um  als  schöne  Geister  zu  erscheinen,  tausend  unge- 
hörige Dinge.  Er  versichert,  dass  er  die  Galileisten  für 
Ehrenmänner   und  gute  Christen  halte,  aber   für  ein  wenig 


sehen  Inquisitionstribunal.  Dasselbe  hatte  inzwischen  den  kühnen  Forscher 
keineswegs  aus  den  Augen  verloren.  Es  hatte  sich  einer  Abschrift  des 
erwähnten  Briefes  an  Castelli  bemächtigt  und  dem  Consultore  del  S.  Officio 
zur  Begutachtung  übergeben"  u.   s.  w. 

1)  Aus  den  Acten  (S.  13)  ist  das  Datum  nicht  mehr  zu  ersehen,  da 
der  Schluss  des  Briefes  nicht  erhalten  ist;  es  ergibt  sich  aber  aus  der  Auf- 
zeichnung, die  Gherardi  unter  No.  II.  veröffentlicht  hat.  Dass  der  „Cardi- 
nal von  St.  Caecilia"  Paolo  Emilio  (oder  Camillo)  Sfondrati  war  (1590  von 
seinem  Oheim  Gregor  XIV.  zum  Cardinal  ernannt,  f  14.  Febr.  1618;  s.  Cia- 
conius  IV,   224),  hat  zuerst  Grisar  S.   79  bemerkt. 

2)  Auf  einem  Bilde  in  Santa  Maria  Novella  in  Florenz  sitzen  der 
Papst  und  der  Kaiser  zusammen,  umgeben  von  ihren  Beamten.  Die  Gläubi- 
gen sind  dargestellt  als  eine  vor  ihnen  weidende  Heerde ;  diese  wird  von 
Wölfen,  —  den  Ketzern,  —  angegriffen;  diese  aber  werden  von  einem 
Rudel  schwarz  und  weiss  gefleckter  Hunde  abgewehrt.  Das  sind  die  Domini 
canes.     Vgl.  W.  Arthur,  The  Pope  etc.   1877,  I,  360. 


Lorini's  Denunciation.  83 

naseweis  nnd  hartnäckig*  in  ihren  Meinungen ,  und  dass  er 
zu  diesem  Schritte  nur  von  heiligem  Eifer  getrieben  sei. 
Er  bittet  schliesslich  den  Cardinal,  seinen  Brief,  nicht  auch 
das  eingesandte  Schriftstück  (den  Brief  an  Castelli),  ge- 
heim zu  halten  und  ihn  nicht  als  eine  gerichtliche  Aussage, 
sondern  nur  als  eine  freundschaftliche  Mittheilung  anzu- 
sehen. —  Wenn  Lorini  beifügt,  das  eingesandte  Schriftstück 
sei  durch  eine  oder  zwei  Predigten  Caccini's  über  das  10. 
Capitel  des  Buches  Josue  veranlasst,  so  ist  das  ein  Irrthum, 
der  ganz  unbegreiflich  ist,  da  Galilei's  Brief  auch  in  Lori- 
ni's Abschrift  vom  21.  Dec.  16 13  datirt  ist,  während  Caccini 
erst  im  December  16 14  seine  Predigt  gehalten  hatte. 

Ob  wirklich  Jeder,  „welcher  dieses  private  Denuncia- 
tionsschreiben  ohne  Voreingenommenheit  durchliest*',  wie 
Grisar  S.  79  versichert,  „darin  nur  die  Sprache  eines  um 
Wohl  und  Wehe  der  Kirche  aufrichtig  besorgten  Gemüthes 
erkennen  wird",  mag  dahin  gestellt  bleiben1).  Ganz  richtig 
aber  fügt  er  bei,  „diese  rein  vertrauliche  Anzeige  Lorini's 
habe  ohne  Zweifel  der  Inquisition  eine  Basis  für  Massnahmen 
gegen  den  Gelehrten  in  Florenz  darbieten  können.  Die 
Natur  dieses  Gerichtshofes,  der  ja  gerade  von  seinem  Vor- 
gehen ohne  formellen  Ankläger,  von  dem  selbständigen  Auf- 
suchen der  Schuldbeweise  den  Namen  führte,  gab  dem  Tri- 
bunale dazu  die  Berechtigung.  Das  Kirchenrecht  legt  dem 
Inquisitor  sogar  auf,  quasi  denuntiante  fama  vel  deferente 
clamore  [also  auf  blosse  Gerüchte  hin]  die  nothwendigen 
Amtshandlungen  einzuleiten".  Wenn  Grisar  beifügt:  „Die 
religiöse  Tragweite*  der  Entzweiung,  die  in  Italien  herrschte, 
gesellte  zu  dem  Rechte  die  Verpflichtung",  so  ist  dabei  das 
„Herrschen   der    Entzweiung  (zwischen   Copernicanern    und 


1)  Weniger  Sympathie  als  Grisar  hat  für  Lorini  sein  Ordensgenosse 
Schneemann.  Er  sagt  S.  119:  ,, Lorini  war  ein  blinder  Eiferer,  weicherauch 
den  albernsten  Klatsch  glaubte  und  so  dahin  kam,  die  Jesuiten  zu  verdächti- 
gen, dass  sie  den  Florentinischen  Damen  auf  deren  Villen  brieflich  die 
Absolution  ertheilten.  Diese  Patres  ruhten  aber  nicht  eher,  als  bis  ihr  guter 
Ruf  wieder  hergestellt  war.  Ueber  den  unerquicklichen  Streit  berichtet  aus- 
führlich die  bis  jetzt  noch  nicht  edirte  Historia  controversiarum,  quae  inter 
quosdam  e  S.  Praedicatorum  Ordine  et  S.  J.  agitatae  sunt  ab  a.  1548  usque 
ad  161 2,  sex  libris  explicata  a  Petro  Possino  ex  eadem  Societate  (Bibliothe- 
que  royale  de  Bruxelles,  4  cc.   10). 


84  Lorini's  Denunciation. 

Anticopernicanern)  in  Italien"  und  die  „religiöse  Tragweite" 
derselben  stark  übertrieben. 

Der  Cardinal  Sfondrati  zögerte  nicht,  Lorini's  Denun- 
ciation an  die  richtige  Adresse  zu  befördern.  Schon  am  25. 
Febr.  161 5  beschloss  die  Inquisition,  den  Erzbischof  und 
den  Inquisitor  zu  Pisa  zu  beauftragen,,  sie  möchten  sich  das 
Original  des  Galilei'schen  Briefes  an  Castelli  zu  verschaffen 
suchen1).  Dieses  gelang  aber  nicht.  Der  Erzbischof  war 
zwar  schlau  genug,  als  er  Castelli  nach  dem  Briefe  fragte, 
den  Schein  anzunehmen,  als  wolle  er  ihn  nur  aus  Neugierde 
1  und  freundlichem  Interesse  sehen;  aber  Castelli  antwortete, 
—  offenbar  wahrheitsgemäss,  —  er  habe  ihn  Galilei  zurückge- 
schickt, er  wolle  sich  ihn  aber  von  diesem  zurückerbitten2). 
Er  that  dieses  auch,  sogar  zweimal  3J ;  aber  Galilei  war  klug 
genug,  Castelli  nur  eine  Abschrift  zu  schicken,  mit  der  Wei- 
sung, diese  nicht  aus  der  Hand  zu  geben,  so  dass  Castelli 
den  Brief  dem  Erzbischof  nur  vorlas,  und  dieser  in  die  pein- 
liche Lage  kam,  ihn,  wenn  auch  nur  ,,mit  wenigen  und 
trockenen  Worten",  loben  zu  müssen4).  Uebrigens  hatte 
Galilei  selbst  im  Februar  161 5  eine  Abschrift  des  Briefes 
an  Monsignor  Dini  in  Rom  geschickt  und  dieser  hatte  dem 
Cardinal  Bellarmin  und  vielen  Anderen  Abschriften  gegeben5). 
Von  diesen  Abschriften  erhielt  aber  die  Inquisition  keine 
amtliche  Kenntniss. 

Der  Brief  Galilei's  wurde  im  Auftrage  der  Inquisition 
von  einem  Consultor  geprüft.  Sein  Gutachten  befindet  sich, 
ohne  Unterschrift  und  Datum,  bei  den  Acten6).     Der  Consul- 


1)  Gherardi  No.  II;  Acten  S.  22;  s.  o.  S.   73. 

2)  Acten  S.  22;  vgl.  Castelli's  Brief  an  Galilei  vom  12.  März  16 15, 
VIII,  358.  3)  VIII,  365. 

4)  VIII,  369.  In  den  Acten  S.  37  wird  noch  notirt:  der  Inquisitor 
von  Belluno  habe  unter  dem  24.  Juli  16 15  geschrieben:  er  habe  weder  das 
Original  noch  eine  Abschrift  der  Schrift  Galilei's;  er  habe  nur  von  dem 
amtlich  vernommenen  Zeugen  gehört,  der  Decan  von  Belluno  habe  ihm  eine 
Schrift  vorgelesen,  von  der  er  gesagt,  er  habe  sie  von  Galilei. 

5)  S.  o.  S.  43. 

6)  Acten  S.  10.  Die  Bedenken  Wohlwills,  Ist  Gal.  gef.  worden?  S. 
125.  151,  gegen  die  Echtheit  dieses  Stückes  stützen  sich  wesentlich  auf  den 
sehr  ungenauen  Abdruck  desselben  bei  Berti.  Vgl.  Gebier,  Gegenwart  1878, 
No.  19,  S.  295.  Wohlwill  hält  freilich  noch  G.  G.  A.  1878,  665  die  An- 
sicht fest,  das  Stück  sei  erst  nach  1846  (durch  Marini)  in  die  Acten  ge- 
kommen.    Ebenso   Scartazzini,    Riv.  Eur.    1878,   X,   440.     Da  das  Gutachten 


Caccini's  Verhör.  85 

tor  findet  drei  Stellen  des  Briefes  anstössig  (male  sonantiaj, 
gibt  aber  wenigstens  von  zweien  derselben  zu,  sie  könnten 
auch  so  verstanden  werden,  dass  sie  unbedenklich  seien. 
,,Im  Uebrigen,  sagt  er,  weiche  der  Verfasser,  wenn  er  auch 
mitunter  ungeeignete  Worte  gebrauche,  von  den  Pfaden 
der  katholischen  Redeweise  nicht  ab".  „Ueber  den  Vor- 
trag der  Copernicanischen  Lehre  als  Wahrheit,  fügt  Grisar 
S.  80  bei,  und  die  bezügliche  Accommodation  der-  Bibel- 
stellen ging  der  Censor  mit  freiem,  weitem  Blicke  hinweg". 

Von  weiteren  Verhandlungen  der  Inquisition  über  Ga- 
lilei's  Brief  berichten  die  Processacten  nichts.  Erst  in  dem 
nach  Beendigung  des  zweiten  Processes  gefällten  Urtheil 
vom  22.  Juni  1633  wird  wieder  auf  den  Brief  Bezug  genommen 
und  gesagt:  Galilei  habe  darin,  den  Hypothesen  des  Coper- 
nicus  folgend,  einige  Sätze  im  Widerspruche  mit  dem  wahren 
Sinne  und  der  Autorität  der  h.  Schrift  vorgetragen. 

Als  zweiter  Denunciant  gegen  Galilei  trat  Caccini  auf, 
der  jetzt  im  Kloster  Santa  Maria  sopra  Minerva  in  Rom 
wohnte.  Er  hatte  mit  dem  Cardinal  von  Araceli,  dem  Do- 
minicaner Augustin  Galamini1),  über  die  Vorgänge  in  Flo- 
renz gesprochen  und  dabei  geäussert,  er  wünsche  über  die 
Irrthümer  Galilei's  „zur  Entlastung  seines  Gewissens"  eine 
gerichtliche  Aussage  zu  machen.  Der  Cardinal  berichtete 
dieses  in  der  Sitzung  der  Inquisition  vom  19.  März,  und  es 
wurde  darauf  beschlossen,  Caccini  vernehmen  zu  lassen. 
Dieser  wurde  dann  schon  am  20.  von  dem  Cardinal  aufge- 
fordert, sich  vor  dem  Commissar  der  Inquisition  zu  stellen2). 

In  dem  Verhöre  trug  Caccini  zunächst  den  bereits  (S.  79) 


für    den  Process    von    keiner  Bedeutung    ist,    gehe  ich    auf  die   Frage  nach 
seiner  Echtheit  nicht  ein. 

1)  Galamini  war  früher  Magister  Sacri  Palatii,  dann  General  der  Domini- 
caner; Cardinal  wurde  er   17.  Aug.    161 1.    Er  starb  1639.    Ciaconius  IV,  428. 

2)  Gherardi  No.  III:  Feria  V.  die  19.  Martii  1615.  C(irca)  Galilaeum 
Galilei  Professorem  Mathematicae  morantem  Florentiae  Sanctissimus  ordi- 
navit  examinari  Fr.  Thomam  Caccinum,  quem  Illustrissimus  D.  Cardinalis 
Ara-Coeli  dixit  esse  informatum  de  erroribus  dicti  Galilaei  et  cuper e  Mos 
per  exonerationem  conscientiae  deponere.  Acten  S  24.  25.  —  Wohlwill, 
Zts.  f.  Math.  1872,  L.-Z.  30.  sagt:  „Man  sieht  bei  diesen  Worten  den  leib- 
haftigen Pater  Caccini,  den  ruchlosesten  unter  Galilei's  Feinden,  vor  Augen, 
der  »zur  Entlastung  seines  Gewissens«  verlangt,  Galilei  des  Atheismus  ver- 
dächtig zu  erklären."  Das  ist  stark  übertrieben.  „Pro  exoneratione  (pro- 
priae)  conscientiae,  per  isgravio  della  propria  coscienza"  (Sacro  Arsenale  p. 


86  Caccini's  Verhör. 

erwähnten  Bericht  über  seine  Predigt  vor  und  „deponirte" 
dann  weiter:  dem  öffentlichen  Gerüchte  zufojge  halte  Galilei 
die  zwei  Sätze  fest :  die  Erde  bewegt  sich  und  die  Sonne 
ist  unbeweglich,  Sätze,  die  nach  seinem  Wissen  und  Gewissen 
der  h.  Schrift,  wie  sie  von  den  h.  Vätern  ausgelegt  werde, 
und  darum  auch  dem  Glauben  widersprächen,  der  Lehre, 
dass  man  alles  für  wahr  halten  müsse,  was  in  der  h.  Schrift 
stehe.  Er  sagte  ferner  noch:  er  habe  gehört,  dass  einige 
Schüler  Galilei's  behauptet  hätten:  Gott  sei  keine  Substanz, 
sondern  ein  Accidens ;  Gott  sei  sensitiv,  weil  in  ihm  gött- 
liche Sinne  seien1);  die  Wunder,  die  man  von  den  Heiligen  er- 
zähle, seien  keine  wahren  Wunder.  (Näheres  über  die  bei- 
den ersten,  im  Process  nicht  weiter  berücksichtigten  Anklagen 
s.  in  den  Acten  S.  40.  45;  die  dritte  wird  durch  die  Zeugen  gar 
nicht  bestätigt,  Acten  S.  41.  45.)  Auf  Befragen  erklärte  er 
weiter:  er  kenne  selbst  Galilei  nur  von  Ansehen,  in  Florenz 
werde  er  von  Vielen  für  einen  guten  Katholiken  gehalten,  von 
Anderen  für  verdächtig  in  Sachen  des  Glaubens,  zumal  er  mit 
dem  berüchtigten  Serviten  Fra  Paolo  [Sarpi]  in  Venedig 
sehr  befreundet  sein  und  in  Briefwechsel  stehen  solle;  letz- 
teres habe  ihm  Lorini  gesagt.  (Galilei  stand  wirklich  mit 
Sarpi,  der  sich  ja  auch  mit  mathematischen  und  physi- 
kalischen Dingen  viel  befasste,  in  freundschaftlichen  Be- 
ziehungen und  in  Briefwechsel;  die  uns  erhaltenen  Briefe 
sind  aber  ganz  unverfänglichen  Inhalts2).)  Ein  Vetter  des 
Dominicaners  Ximenes  habe  ihm  ferner  erzählt,  als  Galilei 
einmal  zu  Rom  gewesen  [161 1],  sei  ihm  bedeutet  worden, 
das  h.  Officium  suche  Hand  an  ihn  zu  legen,  und  darum 
habe  er  sich  fort  gemacht.     (Allem  Anscheine  nach  ein  ganz 


33-  34)  ist  der  technische  Ausdruck,  den  die  Denuncianten  und  Zeugen  ge- 
brauchen, um  zu  versichern,  dass  sie  nicht  aus  Hass  oder  dergleichen  aus- 
sagen. Vgl.  Sacro  Arsenale  p.  35:  Interrogatus  super  generalibus:  An  ea, 
quae  dixit,  odio  vel  amore  ductus  deposuerit,  aut  ad  exonerandam  conscien- 
tiam  et  Dei  honorem  et  gloriam  etc.  —  Grisar  sagt  S.  80  ungenau:  „Weil 
Lorini  in  der  Anzeige  sich  auf  Caccini  und  dessen  Predigt  berufen  hatte, 
wurde  dieser  am  20.  März  vernommen."  In  dem  Protocoll  heisst  es  aus- 
drücklich, Caccini  sei  sponte  vor  dem  Commissar  erschienen. 

1)  Bei   Scartazzini    a.    a.    O.    S.  498:     „dass    Gott    kein    selbständiges 
Wesen,  sondern  ein  Zufall,  dass   er  empfindsam  sei"  (!). 

2)  VI,  24.  141;  VIII,  29.  52;   vgl.  135.    Suppl.  316.     Griselini,  Memo- 
rie  di  P.  Sarpi,   1760,  p.   163. 


Caccini's  Verhör.  87 

grundloses  Gerede.)  Caccini  erwähnte  auch  noch  Galilei's 
Schrift  über  die  Sonnenflecken,  in  welcher  er  die  Lehre  von 
der  Bewegung  der  Erde  gelesen  habe  und  aus  welcher  sich 
ergebe,  dass  er  zu  den  Mitgliedern  einer  Akademie  gehöre, 
die  sich  Lincei  nannten,  und  dass  er  mit  Leuten  in  Deutsch- 
land correspondire. 

Eine  Abschrift  des  Protocolls  über  das  Verhör  Caccini's 
wurde  gemäss  einem  in  der  Sitzung  der  Inquisition  vom  2. 
April  gefassten  Beschlüsse1)  an  die  Inquisitoren  zu  Florenz 
gesandt,  um  zwei  von  Caccini  namhaft  gemachte  Zeugen, 
den  Dominicaner  Ferdinando  Ximenes  und  den  früher  (S.  80) 
erwähnten  Attavanti,  zu  vernehmen.  Es  gelang  erst  am  13. 
Nov.  161 5,  der  beiden  Zeugen  habhaft  zu  werden.  Das  Er- 
gebniss  des  Verhöres  scheint  der  Inquisition  nicht  als  ge- 
nügende Bestätigung  der  von  Caccini,  abgesehen  von  der 
Copernicanischen  Lehre,  vorgebrachten  Anklagen  erschienen 
zu  sein;  es  ist  von  diesen  in  den  Processacten  nicht  weiter 
mehr  die  Rede.  Da  aber,  wie  von  Caccini,  so  auch  von 
Attavanti  auf  Galilei's  Schrift  über  die  Sonnenflecken  hin- 
gewiesen wurde,  so  beschloss  die  Inquisition  am  25.  Nov. 
16 15,  diese  Schrift  in  Untersuchung  zu  nehmen2). 

Das  Jahr  161 5  ging  zu  Ende,  ohne  dass  der  Process 
zur  Entscheidung  kam.  Ehe  ich  über  den  Schlussact  des- 
selben berichte,  müssen  wir  einen  Blick  auf  Galilei's  Brief- 
wechsel im  Jahre  1615  werfen.  Leider  sind  manche  Briefe 
Galilei's  aus  dieser  Zeit  nicht  erhalten,  —  vom  23.  März  bis 
12.  Dec.  1615  keiner,  —  und  von  den  Briefen  seiner  Freunde 
fehlen  fast  alle,  die  zwischen  dem  20.  Juni  1615  und  dem 
1.  Juni  16 16  geschrieben  sind3).     Wahrscheinlich  sind  diese 

1)  Gherardi  No.  IV;  Acten  S.  31.  Da  der  Inquisitor  berichtete,  Xi- 
menes sei  in  Mailand,  wurde  am  28.  Mai  der  dortige  Inquisitor  mit  der 
Vernehmung  beauftragt  (S.  31.  35).  Da  er  auch  dort  nicht  zu  finden  war, 
wurde  am  4.  Nov.  aufs  neue  der  Inquisitor  zu  Florenz  beauftragt  (S.  39). 
Das  Verhör  beider  Zeugen  s.  Acten  S.  40. 

2)  Gherardi  No.  V:  Feria  IV.  die  25.  9 bris  1615.  C(irca)  Galilaeum 
Galilei  Mathematicum  lecta  depositione  F.  Ferdinandi  Ximenes  Ord.  Praed. 

facta  coram  Inquisitore  Florentiae  die  3.  [13. ~\  9  bris,  decretum,  ut  videan- 
tur  quaedam  literae  dicti  Galilaei  impressae  Rotnae  cum  inscriptione  „delle 
macchie  solari".  Acten  S.  47.  Nicht  Ximenes,  sondern  der  an  demselben 
Tage  vernommene  Attavanti   (S.   44)   hatte  die  Schrift  erwähnt. 

3)  Vgl.  VI,  211;  VIII,  339.  380.  —  Suppl.  107  sind  zwei  Briefe  von 
G.  F.  Sagredo   vom   II.  März  und  23.  April   1616  abgedruckt. 


88  Galilei's  Briefwechsel  im  J.   1615. 

Briefe  schon  zu  Galilei's  Lebzeiten  aus  Vorsicht   vernichtet 
worden '). 


VIII. 
Galilei's  Briefwechsel  im  Jahre  1615. 

Als  Caccini  in  Florenz  öffentlich  gegen  Galilei  aufge- 
treten war,  vermuthete  dieser  mit  Recht,  dass  seine  Geg- 
ner auch  in  Rom  gegen  ihn  thätig  sein  und  dahin  streben 
würden,  ihn  persönlich  als  ketzerisch  gesinnt  zu  verdäch- 
tigen und  die  kirchliche  Verdammung  der  Copernicanischen 
Lehre  herbeizuführen.  Diesen  Bestrebungen  gegenüber 
glaubte  er  einerseits  die  persönlichen  Angriffe  seiner  Gegner 
als  unberechtigt  und  böswillig  erweisen  zu  müssen  und  eine 
Zurechtweisung  wenigstens  Caccini's  verlangen  zu  dürfen; 
anderseits  musste  ihm  daran  liegen,  die  Verurtheilung  der 
Copernicanischen  Lehre  zu  hintertreiben,  und  zu  dem  Ende 
hielt  er,  wie  wir  gesehen  haben  (S.  52),  eine  gründliche 
Prüfung  dieser  Lehre  durch  die  Römischen  Behörden  für 
wünschenswerth. 

Ueber  Caccini's  Predigt  berichtete  Galilei,  ausser  an 
den  Dominicaner  Maraffi  (s.  o.  S.  80),  auch  in  einem  verloren 
gegangenen  Briefe  an  den  Fürsten  Cesi,  trug  in  diesem 
Briefe  aber  auch  weiter  gehende  Wünsche  vor.  Die  sehr 
interessante  Antwort  Cesi's  ist,  —  aus  Vorsicht  auf  ein  be- 
sonderes Blatt  und  von  einer  andern  Hand  geschrieben 
und  ohne  Unterschrift,  —  einem  Briefe  vom  12.  Jan.  16152) 
beigelegt.  Was  den  Ausfall  Caccini's  gegen  die  Mathematik 
und  die  Mathematiker  betreffe,  heisst  es  darin,  so  könnten 
die  beiden  Professoren  der  Mathematik  an  den  toscanischen 
Universitäten  zu  Florenz  und  Pisa  gegen  den  Dominicaner 
bei  seinen  Oberen  Klage  führen,  auch  die  anderen  Mathe- 
matiker in  Italien,  namentlich  in  Rom,  Lärm  machen ;  Galilei 
selbst  aber  möge  sich  an  diesen  Schritten  nicht  betheiligen. 
Es  könnten  auch  andere  Prediger,  am  besten  aus  Caccini's 
eigenem  Orden,  bei  einer  passenden  Gelegenheit  die  mathe- 


1)  Vgl.  Wohlwill,  Ist  Gal.  gefoltert  worden?  S.  35. 

2)  VIII,  340. 


Galilei's  Briefwechsel  im  J.   1615.  89 

matische  Wissenschaft  loben  und  „die  neuen  Entdeckungen, 
die  Gott  unserm  Jahrhundert  geschenkt,  sowie  die  schönen 
Arbeiten,  welche  zur  Ehre  Gottes  bei  der  Erforschung  sei- 
ner wunderbaren  Werke  Ptolemäus,  Copernicus  u.  s.  w.  unter- 
nommen;" dabei  dürfe  aber  die  Bewegung  der  Erde  nicht 
erwähnt  werden.  Auch  in  der  Klage  gegen  Caccini  dürfe 
von  der  Copernicanischen  Lehre  nicht  gesprochen  werden. 
Dann  werde  diese  Klage,  wenn  sie  nach  Rom  komme, 
in  der  Congregation  der*  Bischöfe  und  Ordensgeistlichen  zur 
Verhandlung  kommen,  in  welcher  nicht  viele  Gönner  des 
Delinquenten  seien ,  während ,  wenn  Copernicus  erwähnt 
werde,  die  Sache  an  eine  andere  Congregation  gebracht 
werden  könne,  welche  zu  untersuchen  haben  werde,  ob 
dessen  Lehre  geduldet  werden  dürfe;  und  dann  könnte  es 
den  Gönnern  Caccini's  leicht  gelingen,  Copernicus  auf  den 
Index  zu  bringen,  da  die  Peripatetiker  in  Rom  sehr  zahl- 
reich und  einflussreich  seien.  „Was  die  Meinung  des  Coper- 
nicus betrifft,  sagt  Cesi  gleich  im  Anfang  des  Briefes,  so 
hat  Bellarmin  selbst,  welcher  eins  der  hervorragendsten 
Mitglieder  der  Congregation  ist,  in  welcher  diese  Dinge 
verhandelt  werden,  mir  gesagt,  er  halte  sie  für  häretisch, 
und  die  Bewegung  der  Erde  sei  ohne  allen  Zweifel  gegen 
die  Bibel.  Darum  seien  Sie  vorsichtig  fdi?7iodoche  V.  S. 
vedaj!  Ich  habe  immer  gefürchtet,  dass  die  Index-Congre- 
gation,  wenn  sie  auf  Ihr  Betreiben  über  Copernicus  be- 
rathen  würde,  ihn  verbieten  möchte."  Dieses  sei  vielleicht 
weniger  zu  fürchten,  sagt  er  später,  wenn  die  Meinung  des 
Copernicus  einmal  von  irgend  Jemand  ,,mit  Gründen,  die  in 
der  Theologie  approbirt  seien,  geprüft  und  mit  der  h.  Schrift 
in  Einklang  gebracht  worden  sei.  Gleichwohl,  fügt  er  bei, 
müssen  Sie  wissen,  dass  das  Verbieten  oder  Suspendiren 
eines  Buches  die  leichteste  Sache  von  der  Welt  ist  und  auch 
im  Falle  des  Zweifels  geschieht.  Auch  Telesio  und  Patricio  l) 
sind  verboten,  und  wenn  man  keine  anderen  Gründe  zur  Hand 
hat,  so  fehlt  doch  dieser  Grund  nie,  dass  es  schon  mehr  als 
genug  gute  und  sichere  Bücher  gebe,   mehr  als    man  lesen 


1)  Bernardino  Telesio,  geb.  1508,  gest.  1580  zu  Cosenza,  Francesco 
Patricio,  geb.  1529,  gest.  1597  zu  Rom,  philosophische  Schriftsteller,  Gegner 
des  Aristotelismus;  s.  Stöckl,  Gesch.  der  Philos.  des  M.-A.,  1866,  III,  180. 
329.     Beckmann,  3.  Art.  S.  411. 


90  Galilei's  Briefwechsel  im  J.   1615. 

könne;  und  die  dem  Aristoteles  widersprechenden  Bücher 
sind  die  verhasstesten." 

Ausser  dem  Fürsten  Cesi  sind  es  namentlich  Monsig- 
nor  Dini  und  Ciampoli,  welche  Galilei  in  den  ersten  Mo- 
naten des  Jahres  16 15  von  Rom  aus  berichteten.  Beide 
glaubten  nicht  nur  seine  Besorgnisse  bezüglich  der  gegen 
ihn  persönlich  gerichteten  Angriffe  als  unbegründet  bezeich- 
nen zu  dürfen,  sondern  theilten  auch  nicht  seine  Befürchtung, 
das  Buch  und  die  Lehre  des  Copernicus  mög-e  verdammt 
werden.  Aber  Beide  erhoben  auch  wie  Cesi  gegen  seinen 
Wunsch,  die  Lehre  des  Copernicus  möge  eingehend  geprüft 
werden,  Bedenken. 

In  dem  schon  (S.  54)  erwähnten  Briefe  an  Dini  vom  16. 
Febr.  16151)  sagt  Galilei:  die  Dominicaner  hätten  verlauten 
lassen,  sie  hofften  die  Verurtheilung  des  Buches  und  der 
Lehre  des  Copernicus  durchzusetzen ;  es  sei  ihnen  und  denen, 
die  sie  aufgehetzt,  dabei  aber  wesentlich  darum  zu  thun, 
ihn  zu  kränken  und  zu  demüthigen.  „Gewisse,  mir  übel- 
wollende Leute  haben  den  guten  Patres  eingeredet,  die 
fragliche  Meinung  sei  mein  Werk,  und  ihnen  nicht  gesagt, 
dass  dieselbe  schon  vor  70  Jahren  gedruckt  worden  ist. 
In  derselben  Weise  verfahren  sie  bei  Anderen,  die  sie 
gegen  mich  verhetzen  wollen,  und  das  gelingt  ihnen  so  gut, 
dass  der  Bischof  Gherardini  von  Fiesole,  der  vor  einigen 
Tagen  hier  angekommen  ist,  ganz  öffentlich  in  Gegenwart 
einiger  meiner  Freunde  sehr  heftig  gegen  mich  losgefahren 
ist  und  gesagt  hat,  er  werde  Ihren  Hoheiten  ernste  Vor- 
stellungen machen,  da  man  über  meine  extravagante  und 
irrige  Meinung  in  Rom  genug  zu  sagen  haben  werde.  Viel- 
leicht hat  er  jetzt  schon  seine  Schuldigkeit  gethan,  wenn  man 
ihn  nicht  dadurch  zurückgehalten  hat,  dass  man  ihm  in  ge- 
eigneter Weise  begreiflich  gemacht,  dass  der  Urheber  jener 
Meinung  nicht  ein  lebender  Florentiner,  sondern  ein  todter 
Deutscher  ist,  der  sein  Buch  vor  70  Jahren  hat  drucken  lassen 
und  es  dem  Papste  gewidmet  hat."  Er  zeigt  dann  weiter, 
wie  wir  gesehen  haben,  wie  bedenklich  es  sein  würde,  die 
Lehre  des  Copernicus  zu  verdammen,  wie  nöthig  es  sei,  die- 
selbe zuvor  sorgfältig  zu  prüfen,  legt  den  Brief  an  Castelli 
bei  und  verspricht  demnächst  den  Brief  an  die  Grossherzogin 
Christina  zu  schicken.     Er  bittet  Dini,  mit  den  Jesuiten,  „als 

1)  n,  13. 


Galilei's  Briefwechsel  im  J.   1615.  91 

denjenigen,  welche  viel  mehr  wissen  als  die  gewöhnlichen 
Mönche",  über  die  Sache  zu  sprechen,  insbesondere  dem 
Pater  Griemberger,  ,, einem  ausgezeichneten  Mathematiker 
und  meinem  grossen  Freunde  und  Gönner",  den  Brief  an 
Castelli  zu  zeigen  oder  ihm  eine  Abschrift  davon  zu  ge- 
ben, mit  der  Bitte,  sie,  wenn  er  es  für  gut  halte,  dem  Car- 
dinal Bellarmin  zukommen  zu  lassen.  Es  sei  vielleicht  gut, 
auch  Luca  Valerio  eine  Abschrift  zu  geben,  da  dieser  zu 
dem  Hause  des  Cardinais  Aldobrandino  gehöre  und  viel- 
leicht auch  bei  dem  Papste  Dienste  leisten  könne. 

Dini  antwortete  am  7.  März1):  er  habe  viele  Abschrif- 
ten des  Briefes  an  Castelli  anfertigen  lassen  und  vertheilt, 
unter  anderm  an  Pater  Griemberger  und  den  Cardinal  Bel- 
larmin. „Mit  diesem,  berichtet  er  weiter,  habe  ich  ausführ- 
lich über  die  Dinge  gesprochen,  von  denen  Sie  schreiben; 
er  versicherte  mir,  er  habe  davon  gar  nicht  mehr  reden 
hören,  seit  Sie  mit  ihm  darüber  gesprochen.  "Was  den 
Copernicus  angeht,  so  sagt  er,  er  könne  nicht  glauben, 
dass  er  werde  verboten  werden;  das  Schlimmste,  was  ge- 
schehen könne,  werde  sein,  dass  man  eine  Note  beifüge,  in 
welcher  erklärt  werde,  die  Theorie,  des  Copernicus  habe 
nur  den  Zweck,  die  Erscheinungen  besser  zu  erklären,  also 
einen  ähnlichen  Zweck  wie  die  Annahme  von  Epicyklen ;  mit 
diesem  Vorbehalt  könnten  auch  Sie  bei  jeder  Gelegenheit 
von  diesen  Dingen  reden.  Die  schlimmste  Feindin  der 
neuen  Theorie  in  der  Bibel  sei  die  Stelle:  »sie  (die  Sonne) 
freut  sich  wie  ein  Held,  zu  laufen  den  Weg«  u.  s.  w.,  da 
diese  Stelle  bisher  von  allen  Erklärern  von  der  Bewegung 
der  Sonne  verstanden  werde.  Als  ich  erwiederte,  auch 
diese  Stelle  könne  man  durch  Hinweisung  auf  die  gewöhn- 
liche Ausdrucksweise  erklären,  wurde  mir  geantwortet:  das 
sei  keine  Sache,  über  die  man  so  leicht  hinweggehen  dürfe. 
Es  ist  aber  auch  keine  Sache,  worüber  man  sich  zu  ereifern 
und  bei  der  man  irgend  eine  Meinung  verdammen  dürfte2). 

1)  VIII,  354. 

2)  So  werden  wohl  die  Worte:  „mi  fu  risposto  non  esser  cosa  da 
correrla,  si  come  non  e  da  corrersi  a  furia  ne  anche  a  dannare  qualsivo- 
glia  dt  queste  opinioni"  zu  übersetzen  sein;  jedenfalls  ist  nicht  mit  P.  Schnee- 
mann S.  259  zu  deuten:  „Bellarmin  sagte  ärgerlich:  Es  sei  keine  Sache, 
die  übereilt  werden  dürfe,  auch  solle  man  weder  wüthend  herumlaufen  noch 
irgend  eines  dieser  Systeme  verdammen.     Offenbar  war  er  mit    seinen  Colle- 


92  Galilei's  Briefwechsel  im  J.   1615. 

Wenn  Sie  in  der  fraglichen  Schrift  [dem  Briefe  an  die 
Grossherzogin]  die  Deutungen  der  betreffenden  Bibelstellen 
zusammengestellt  haben  werden,  wird  der  Cardinal  gern 
davon  Einsicht  nehmen,  und  da  ich  weiss,  dass  Sie  nicht 
vergessen  werden,  dabei  zu  erklären,  dass  Sie  sich  den  Ent- 
scheidungen der  h.  Kirche  unterwerfen,  wie  Sie  das  mir 
und  Anderen  erklärt  haben,  so  kann  Ihnen  das  nur  von 
grossem  Nutzen  sein.  Da  mir  der  Cardinal  sagte,  er  habe  den 
Pater  Griemberger  rufen  lassen,  um  mit  ihm  über  die  Sache 
zu  sprechen,  so  habe  ich  heute  diesen  aufgesucht,  von  ihm 
aber  ausser  dem  Gesagten  nichts  von  Bedeutung  gehört. 
Nur  äusserte  er:  er  hätte  es  gern  gesehen,  wenn  Sie  zuerst' 
Ihre  Beweise  vorgetragen  und  dann  von  der  Bibel  gespro- 
chen hätten.  Ich  antwortete  ihm :  wenn  Sie  so  verfahren 
wären,  so  hätte  es  ja  scheinen  können,  als  ob  Sie  Ihren 
Beweisen  den  ersten  Platz  anwiesen  und  dann  erst  an  die 
h.  Schrift  dächten.  Was  Ihre  Argumente  angeht,  so  meint 
der  Pater,  sie  seien  wohl  mehr  plausibel  als  wahr,  da  ihm 
eine  andere  Stelle  der  h.  Schrift  Furcht  einflösst." 

Am  14.  März1)  schrieb  Dini  weiter:  „Ich  habe  auch 
mit  dem  Cardinal  (Maffeo)  Barberini  gesprochen,  —  auch 
dieser  hatte  eine  Abschrift  des  Briefes  an  Castelli  erhalten; 
—  er  hat  mir  dasselbe  gesagt,  was  ich  Ihnen  schon  gesagt 
habe:  Sie  sollten  vorsichtig  und  als  Professor  der  Mathe- 
matik sprechen.  Er  versicherte  mir,  er  habe  gar  nicht  von 
Ihrer  Angelegenheit  reden  hören;  und  doch  kommen  in 
seiner  Congregation  oder  in  der  Bellarmin's  solche  Sachen 
zuerst  zur  Verhandlung."  In  Wirklichkeit  war,  wie  wir 
gesehen  haben,  schon  mehr  als  vierzehn  Tage  vorher,  am 
25.  Februar,  Lorini's  Denunciation  in  der  Congregation  der 
Inquisition  zur  Verhandlung  gekommen.  Er  wolle  auch 
noch  mit  dem  Cardinal  del  Monte  sprechen,  fügte  Dini 
bei,  werde  jetzt  aber  die  Sache  etwas  ruhiger  betreiben, 
da  er  sie  nicht  mehr  als  so  gefahrlich  ansehe  wie  Anfangs. 

In  dem  Briefe  vom  2$.  März2)  weist  Galilei  Dini  nach: 
wenn  man  sagen  wollte,  Copernicus  habe  seine  Theorie  nur 


gen    ungehalten   über    »das    wüthende    Herumlaufen«,    die  Agitation  Galilei's 
für  das  Copernicanische  System  und  dessen  anmassliches  Schrifterklären,  wo- 
durch derselbe  sich  öffentlich,    ohne  Autorisation,    als  Theologe  geberdete." 
1)  VIII,  360.  2)  II,  18. 


Galilei's  Briefwechsel  im  J.   1615.  93 

vorgetragen,  um  die  Erscheinungen  zu  erklären,  und  sie 
nicht  für  wahr  gehalten,  so  würde  das  unrichtig  sein;  man 
müsse  also  sein  Buch  entweder  ganz  verdammen  oder  frei 
lassen.  Er  spricht  sich  dann  über  die  Bemerkung  des  Pater 
Griemberger  aus  (s.  o.  S.  56),  sowie  über  die  von  Bellarmin 
erwähnte  Psalmenstelle.  Dini  antwortete  am  2.  Mai1):  ,,Cesi 
ist  der  Ansicht,  ich  solle  Ihren  Brief  jener  Persönlichkeit 
[offenbar  Bellarmin]  nicht  zeigen;  da  dieser  und  viele  andere 
hochgestellte  Männer  strenge  Peripatetiker  seien,  so  sei  zu 
fürchten,  dass  man  sie  bezüglich  eines  Punktes  reize,  der 
schon  gewonnen  sei,  nämlich  dass  man  als  Mathematiker 
hypothetisch  schreiben  [die  Bewegung  der  Erde  u.  s.  w. 
lehren]  könne,  wie  nach  ihrer  Ansicht  Copernicus  gethan. 
Letzteres  geben  zwar  die  Anhänger  des  Copernicus  nicht 
zu;  die  Anderen  aber  glauben  es,  und  das  hat  ja  dieselbe 
Wirkung,  dass  sie  nämlich  frei  schreiben  lassen,  vorausge- 
setzt, dass  man  nicht,  wie  man  es  ausgedrückt  hat,  in  die 
Sacristei  eindringe."  Am  16.  Mai  schreibt  Dini2):  „Was 
den  Copernicus  angeht,  so  zweifelt  man  jetzt  nicht  mehr 
daran,  [dass  er  nicht  verboten  werden  wird].  Was  Ihre 
Meinung  angeht,  so  ist  jetzt  nicht  die  Zeit,  die  Richter 
durch  Beweise  aufklären  zu  wollen,  sondern  zu  schweigen 
und  sich  mit  guten  und  triftigen  biblischen  und  mathemati- 
schen Gründen  auszurüsten,  um  sie  seiner  Zeit  mit  besserm 
Erfolg  vorzubringen.  Es  wird  gut  sein,  dass  Sie  Ihre  Schrift 
[das  Schreiben  an  Christina  von  Lothringen]  vollenden.  .  . 
Die  Erklärung  über  die  Sonne  [die  Erörterung  über  die 
Psalmenstelle  in  Galilei's  Brief  vom  23.  März]  zeige  ich  nur 
solchen,  die  auf  Ihrer  Seite  stehen,  weil  ich  nicht  glaube, 
dass  jetzt  der  Beweis,  dass  die  Erde  sich  bewegt,  eine 
gute  Aufnahme  finden  würde."  Dini  fügt  bei,  wie  er  höre, 
seien  viele  Jesuiten  heimlich  derselben  Ansicht  wie  Galilei, 
wenn  sie  auch  schwiegen.  (Cesi  nennt  in  einem  Briefe  vom 
7.  März  den  Jesuiten  Torquato  de  Cuppis  als  einen  Anhän- 
ger Galilei's.) 

Die  Briefe,  welche  Galilei  in  den  ersten  Monaten  des 
Jahres  16 15  an  Ciampoli  schrieb,  sind  nicht  erhalten.  Aus 
dessen  Antworten  ist  Folgendes  zu  erwähnen.  Am  28.  Febr.3) 
schreibt  er:     „Ich    habe  bis  jetzt  unter   den  Prälaten  oder 


1)  VIII,  374.  2)  VIII,  376.  3)  VIII,  351 


94  Galilei's  Briefwechsel  im  J.   1615. 

Cardinal  en,  welche  von  solchen  Dingen  etwas  zu  wissen 
pflegen,  noch  keinen  gefunden,  der  von  jenen  argen  Scheuss- 
lichkeiten  (grandtsstme  orribüita,  den  Angriffen  Caccini's 
u.  s.  w.)  etwas  gehört  hätte.  .  .  Der  Pater  Maraffi  sagt  mir, 
seine  Mönche,  die  doch  grosse  Autorität  haben  [wegen 
ihres  Verhältnisses  zur  Inquisition],  dächten  nicht  daran  und 
sprächen  nicht  davon.  So  halte  ich  es  für  möglich,  dass 
jener,  der  nach  Florenz  berichtet  hat,  dieses  zwar  nicht  aus 
Böswilligkeit  gethan,  aber  vielleicht  nur  gehört  hat,  wie 
drei  oder  vier  Leute  im  Gespräche  den  Schaden  übertrieben 
haben,  den  die  Predigt  jenes  Mönches  anstiften  könnte.  .  . 
Von  jenen  brausenden  und  tosenden  Strömen,  die  man 
Ihnen  vorgemalt  hat,  hört  man  hier  nichts;  sonst  müsste 
ich,  der  ich  doch  an  manchen  Orten  verkehre  und  nicht 
taub  bin,  auch  etwas  davon  vernommen  haben.  Wir  dürfen 
freilich  das  Acres  esse  viros  cum  dura  proelia  gente  bei  Din- 
gen nicht  vergessen,  bei  welchen  die  Mönche  keine  Lust  zu 
haben  pflegen,  den  Kürzern  zu  ziehen;  darum  wird  jene 
heilsame  Formel  von  der  Unterwerfung  unter  die  heilige 
Mutter  Kirche  nie  zu  oft  wiederholt.  Ich  weiss,  Sie  haben 
das  immer  nicht  nur  im  Herzen,  sondern  auch  mündlich  und 
schriftlich  gethan ;  aber  meine  grosse  Liebe  zu  Ihnen  macht, 
dass  ich  mich  nicht  enthalten  kann,  Sie  daran  zu  erinnern, 
wiewohl  mir  das  in  meinem  Alter  eigentlich  nicht  zusteht. 
—  Der  Cardinal  Barberino,  der,  wie  Sie  aus  Erfahrung 
wissen,  stets  Ihr  Bewunderer  gewesen  ist,  sagte  mir  noch 
gestern  Abend,  er  halte  es  für  rathsam,  bei  diesen  Meinun- 
gen über  die  Gründe  des  Ptolemäus  oder  Copernicus  oder 
über  die  Grenzen  der  Physik  oder  Mathematik  nicht  hin- 
auszugehen, da  die  Theologen  behaupteten,  die  Erklärung 
der  Bibel  gehe  sie  an,  und  wenn  etwas  Neues,  mag  es  auch 
sehr  genial  sein,  vorgebracht  wird,  so  ist  nicht  Jeder  so 
leidenschaftlos,  dass  er  die  Sachen  nehmen  sollte,  wie  sie 
gesagt  werden.  Der  Eine  erweitert,  der  Andere  ändert 
das  Gesagte,  und  so  wird  das,  was  der  erste  Autor  gesagt 
hat,  wenn  es  Verbreitung  findet,  mitunter  so  umgestaltet, 
dass  jener  es  nicht  mehr  als  seine  Ansicht  anerkennen  wird. 
Ich  weiss,  was  ich  sage:  Sie  sprechen  von  den  Phänomenen 
des  Lichtes  und  Schattens,  von  hellen  und  dunkelen  Par- 
tieen  und  in  diesem  Sinne  von  einer  Aehnlichkeit  zwischen 
der  Erde  und   dem  Monde;    ein  Anderer  geht    weiter    und 


Galilei's  Briefwechsel  im  J.    1615.  95 

sagt,  Sie  sprächen  von  Menschen,  die  auf  dem  Monde 
wohnten,  und  fängt  nun  an  zu  disputiren,  wie  diese  von 
Adam  abstammen  oder  aus  der  Arche  Noe's  gekommen 
sein  könnten,  und  so  kommt  es  zu  allerlei  Extravaganzen, 
an  die  Sie  nie  gedacht  haben.  So  ist  es,  um  der  Böswillig- 
keit Anderer  diesen  Anlass  zu  entziehen,  durchaus  nöthig, 
oft  von  der  Unterwerfung  unter  die  Autorität  derjenigen 
zu  sprechen,  welche  bezüglich  der  Erklärung  der  Bibel 
Jurisdiction  über  die  menschlichen  Geister  hciben." 

In  einem  Briefe  vom  21.  März1)  wiederholt  Ciampoli, 
von  den  Angriffen  auf  Galilei  werde  in  Rom  kaum  gespro- 
chen, und  fügt  dann  bei:  „Ich  war  heute  Morgen  mit  Mon- 
signor  Dini  bei  dem  Cardinal  del  Monte  (s.  o.  S.  92),  der 
Sie  sehr  schätzt  und  liebt.  Er  sagte,  er  habe  ein  langes 
Gespräch  mit  dem  Cardinal  Bellarmin  gehabt,  und  erklärte: 
wenn  Sie  von  dem  Copernicanischen  System  und  seinen 
Beweisen  handelten,  ohne  auf  die  Bibel  einzugehen,  deren 
Auslegung  den  mit  öffentlicher  Autorität  bekleideten  Pro- 
fessoren der  Theologie  vorbehalten  sei,  so  sei  keinerlei 
Ungelegenheit  zu  fürchten;  aber  man .  werde  schwerlich 
Bibeldeutungen  zulassen,  welche,  so  ingeniös  sie  auch  sein 
möchten,  so  weit  von  der  gemeinsamen  Ansicht  der  Kirchen- 
väter abwichen.  Kurz,  es  wurde  so  ziemlich  das  Nämliche 
gesagt,  was  ich  Ihnen  schon  von  Seiten  des  Cardinais  Bar- 
berino  mitgetheilt  habe.  Ich  habe  bis  jetzt  mit  Niemand 
gesprochen,  der  es  nicht  für  sehr  ungehörig  hielte,  dass  die 
Prediger  auf  den  Kanzeln  vor  den  Frauen  und  dem  Volke, 
unter  dem  so  Wenige  sind,  die  etwas  davon  verstehen,  von 
Dingen  reden,  die  auf  den  Katheder  gehören  und  so  hoch 
sind."  Am  28.  März2)  schrieb  Ciampoli  weiter:  „Ich  habe 
gestern  mit  Monsignor  Dini  Ihren  sehr  bescheidenen  und 
geistvollen  Brief  über  die  Stelle  in  dem  Psalm  Coeli  enarrant 
gelesen  (s.  o.  S.  55).  Was  mich  angeht,  so  weiss  ich  nicht, 
was  man  zusetzen  könnte.  Wir  sind  ganz  klar  darüber,  dass 
von  der  [Copernicanischen]  Meinung  hier  nur  vier  oder  fünf 
Leute,  die  Ihnen  nicht  gewogen  sind,  gesprochen  haben, 
und  von  diesen  hat  keiner  mit  dem  Magister  Sacri  Palatii, 
sondern  mit  einem  Pater,  der  mit  diesem  befreundet  ist,  ge- 


:)  Vin,  366.  2)  VIII,  368. 


96  Galilei's  Briefwechsel  im  J.   1615. 

sprochen ;  das  wurde  mir  von  [Vincenzo  di]  Grazia l)  selbst 
bestätigt.  Darum  ist  es  vielleicht  gut,  nicht  viel  von  der 
Sache  zu  reden,  wie  auch  der  Fürst  Cesi  meint,  damit  es 
nicht  scheint,  als  klage  man  sich  an,  indem  man  eine  Ver- 
theidigung  unternimmt,  wo  Niemand  da  ist,  der  angriffe." 

Sehr  erfreut  waren  Galilei's  Freunde  über  das  Erschei- 
nen der  Schrift  von  Foscarini  (s.  o.  S.  59),  den  sie  auch,  da 
er  damals  in  Rom  predigte,  persönlich  kennen  lernten.  Cesi 
schickte  die  Schrift  am  7.  März  an  Galilei  mit  dem  Bemer- 
ken, sie  komme  gerade  zur  rechten  Zeit 2).  Ciampoli  sprach 
zwar  in  einem  Briefe  vom  21.  März3)  die  Befürchtung  aus, 
die  Schrift  werde,  da  sie  sich  mit  der  Bibel  beschäftige, 
in  der  nächsten  Sitzung  der  Congregation  des  h.  Officiums, 
die  in  einem  Monat  stattfinde,  suspendirt  werden.  Aber  am 
28.  März  schrieb  er4),  Foscarini  wolle  eine  neue  vermehrte 
Auflage  seiner  Schrift  erscheinen  lassen,  und  am  2.  Mai 
berichtete  Dini5):  Foscarini  sei  mit  der  Absicht  abgereist, 
seine  Schrift  neu  aufzulegen,  und  da  er  von  Molino 6)  prote- 
girt  werde  und  in  seinem  Orden  graduirt  und  als  gelehrter 
Mann  geachtet  sei,  werde  er  wohl  in  keine  Verdriesslich- 
keiten  gerathen.  Castelli  schrieb  am  9.  März  von  Pisa'aus7), 
Foscarini's  Schrift  habe  auf  den  dortigen  Erzbischof  einen 
guten  Eindruck  gemacht. 

Cesi  schrieb  am  20.  Juni8)  an  Galilei,  er  habe  dessen 
Abhandlung  (ohne  Zweifel  den  Brief  an  Christina)  für  Fos- 
carini erhalten,  und  fügte  dann  —  wieder  auf  einem  beson- 
dern Blatte  (s.  o.  S.  88)  —  folgende  Mittheilung  bei:  die  Pre- 
digten und  die  Schrift  Foscarini's  hätten  in  Rom  eine  gute 
Wirkung  gehabt,  und  seine  und  seiner  Freunde  Bemühungen 
seien  nicht  erfolglos  gewesen.  „Wir  glauben  jetzt  sicher 
sein  zu  dürfen,  dass  weder  der  erste  Autor  [Copernicus], 
noch  der  Brief  des  Paters,  noch  die  Meinung  selbst,  mit 
gebührender  Vorsicht    vorgetragen,    irgend   welche  Gefahr 


i)  Es  ist  derselbe,  der  gegen  Galilei's  Abhandlung  über  die  schwim- 
menden Körper  geschrieben;  s.  o.  S.    18. 

2)  VIII,   357.  3)  VIII,  367.  4)  VIII,  368. 

5)  VIII,  375- 

6)  Illustrissimo  Molino  wird  wohl  der  Cardinal  Millini  (s.  o.  S.  70) 
sein.  Die  Cardinäle  hiessen  Illustrissimi  et  Reverendissimi,  bis  ihnen  Urban 
VIII.  im  J.    1630   das  Prädicat  Eminentissimi  et  Reverendissimi  beilegte. 

7)  VIII,  369.  8)  VIII,  377- 


Galilei's  Briefwechsel  im  J.    1615.  97 

laufen  werden.  Die  jiöthige  Vorsicht  wird  darin  bestehen, 
dass  Sie,  bis  der  Pater  seine  Arbeit,  welche  ein  langer  la- 
teinischer Tractat  sein  wird,  vollendet  hat,  schweigen  und 
von  der  [Copernicanischen]  Meinung  nicht  mehr  reden  und 
dass  auch  Andere  nicht  viel  davon  reden,  um  nicht  in  diesem 
Interim  den  Zorn  der  allmächtigen  Peripatetiker  zu  reizen. 
Wenn  Andere  von  der  Meinung  reden,  müssen  sie  sagen, 
es  handle  sich  nicht  um  die  Wahrheit  und  Wirklichkeit, 
sondern,  indem  man  diese  dahingestellt  sein  lasse  und  dem 
Urtheile  der  Oberen  anheimgebe,  gebrauche  man  die  Mei- 
nung nur  ex  hypothesi,  um  bequemer  und  einfacher  alle  Er- 
scheinungen zu  erklären,  wie  schon  der  erste  Autor  gethan. 
Kurz,  man  muss  nicht  über  die  Wahrheit  der  Meinung  strei- 
ten und  sie  nicht  behaupten.  Das  Buch  des  Paters  wird 
bald  erscheinen  und  sehr  gründlich  sein,  auch  alle  Einwen- 
dungen berücksichtigen,  die  ihm  hier  gemacht  worden  sind. 
Es  wird  sich  auf  so  viele  Stellen  der  h.  Väter  stützen,  dass 
ich  glaube,  es  wird  genügen,  die  Sache  abzumachen.  .  . 
Dann,  wenn  alle  Schwierigkeiten  beseitigt  sind,  wird  die 
Meinung  erlaubt  und  so  genügend  approbirt  sein,  dass 
Jeder,  der  will,  sich  frei  zu  ihr  bekennen  kann,  wie  zu 
andern  rein  physicalischen  und  mathematischen  Ansichten. 
Es  ist  gut,  ja  nothwendig,  dass  diese  Arbeit  von  einem 
Professor  der  Theologie  und  einem  Ordensmanne  veröffent- 
licht wird,  der  in  seinem  Orden  so  angesehen  ist  wie  der 
Pater.  Und  da  er  sich  beeilen  wird,  so  können  Sie  mir 
alles  schicken,  was  Sie  ausgearbeitet  haben  oder  was  Ihnen 
zweckdienlich  scheint.  Das  wird  dem  Pater  lieb  und  nütz- 
lich sein." 

Die  lateinische  Schrift  Foscarini's  ist  nicht  erschienen, 
und  über  die  Verhandlungen  der  Inquisition  und  der  Index- 
Congregation  über  seine  italienische  Schrift  sind  wir  nicht 
unterrichtet.  Die  Kenntniss  dieser  Verhandlungen  würde 
vielleicht  auch  über  den  ersten  Galilei'schen  Process  noch 
einiges  Licht  verbreiten.  Foscarini  starb  schon  im  J.  161 6 
und  ist  darum  wohl  persönlich  mit  der  Inquisition  nicht  in 
Berührung  gekommen1). 


1)  Ein  Zusammenhang  Foscarini's  mit  der  religiösen,  reformatorischen 
Bewegung,  deren  Mittelpunkt  um  1540  Neapel  war  (Schanz,  Galilei  S.  34), 
ist  nicht  nachzuweisen  und  nicht  wahrscheinlich. 

Reusen,  Galilei.  7 


98  Galilei  in  Rom   1615  und   1616. 

Der  Briefwechsel  Galilei's  mit  seinen  Freunden  in  den 
folgenden  Monaten  ist  uns,  wie  gesagt,  nicht  erhalten.  Im 
December  161 5  kam  er  aber  selbst  nach  Rom,  und  über 
seinen  Aufenthalt  daselbst  bis  zum  Ende  des  ersten  Pro- 
cesses  haben  wir  ziemlich  reichhaltige  Mittheilungen. 


IX. 

Galilei  in  feom,  December  1615  bis  Juni  1616. 

Die  Annahme,  Galilei  sei  im  December  1615  nach  Rom 
citirt  worden,  um  sich  wegen  der  Vertheidigung  der  Coper- 
nicanischen  Ansicht  zu  verantworten,  ist  irrig.  Allerdings 
sagt  Monsignor  Querenghi  in  einem  Briefe  an  den  Cardinal 
Alexander  von  Este  vom  1.  Jan.  16161),  Galilei's  Reisenach 
Rom  sei  nicht,  wie  man  geglaubt,  eine  ganz  freiwillige,  son- 
dern man  wolle  ihn  Rechenschaft  darüber  ablegen  lassen, 
wie  er  die  der  Bibel  durchaus  widersprechende  Lehre  von 
der  Bewegung  der  Erde  rechtfertigen  könne;  ganz  ähnlich 
berichtet  der  Venetianische  Gesandte  unter  dem  29.  Febr. 
16162),  und  der  toscanische  Gesandte  Niccolini  meldet  am 
11.  Sept.  1632  3),  der  Magister  SacriPalatii  habe  ihm  gesagt: 
in  den  Büchern  des  h.  Officiums  habe  man  gefunden,  dass 
man  Galilei  vor  16  Jahren  habe  nach  Rom  kommen  lassen, 
und  dass  ihm  von  dem  Cardinal  Bellarmin  amtlich  verboten 
worden  sei,  die  Copernicanische  Meinung  festzuhalten.  Aber 
die  Angabe  Querenghi's  und  des  Venetianischen  Gesandten 
beruht  ohne  Zweifel  auf  einem  blossen  Gerüchte,  welches 
man  in  Rom  ausgestreut  haben  mochte,  und  Niccolini's  An- 
gabe ist  ungenau:  in  den  Büchern  der  Inquisition  ist  aller- 


1)  VIII,  383.  Es  ist  nicht,  wie  Schanz,  Galilei  S.  28  angibt,  ein  Brief 
des  Card.  Orsini  an  den  Grossherzog;  ein  solcher  steht  unmittelbar  vorher, 
VIII,  382. 

2)  Berti,  Copernico  p.  251;  vgl.  Suppl.  108.   109. 

3)  IX,  424. 


Galilei  in  Rom   1615   und   161 6.  99 

dings  von  der  Verwarnung-  Galilei' s  durch  den  Cardinal 
Bellarmin  die  Rede,  aber  nicht  von  seiner  Citation  nach 
Rom.  Galilei  selbst  sagt  in  dem  Verhöre  vom  12.  April 
1633:  er  sei  im  J.  161 6  aus  eigenem  Antriebe,  ohne  citirt 
worden  zu  sein,  in  Rom  gewesen.  Auch  seine  Briefe  aus 
den  Jahren  1615  und  16 16  widersprechen  der  Annahme,  dass 
er  nach  Rom  citirt  worden  sei 1).  Sie  ergeben  vielmehr,  dass 
er,  vielleicht  durch  eine  Aeusserung  Monsignor  Dini's2)  ver- 
anlasst, glaubte,  seine  persönliche  Anwesenheit  in  Rom  könne 
seiner  Sache  nützlich  sein,  und  dass  er  sich  darum  von  dem 
Grossherzog  die  Erlaubniss  zu  der  Reise  erbat8).  Der  Gross- 
herzog ertheilte  die  Erlaubniss,  —  er  bestritt  auch  die  Kosten, 
—  und  gab  Galilei  einen  Empfehlungsbrief  an  den  Cardinal 
del  Monte  mit4),  in  welchem  es  heisst:  Galilei  habe  sich 
wegen  der  Angriffe  seiner  Feinde  freiwillig  entschlossen, 
nach  Rom  zu  gehen,  um  sich  zu  rechtfertigen  und  die  Rein- 
heit seiner  Absicht  zu  beweisen. 

In  den  Briefen,  welche  Galilei  von  Rom  aus  an  den 
Staatssecretär  Curzio  Picchena  zu  Florenz  schrieb,  —  der 
erste  ist  vom  12.  Dec.  161 5,  —  unterscheidet  er  wiederholt 
einen  doppelten  Zweck  seiner  Reise,  einen  persönlichen  und 
einen  allgemeinen5).  Der  erstere  war  die  Vertheidigung 
gegen  die  Beschuldigungen  seiner  Feinde  und  die  Erwir- 
kung der  Anerkennung  seiner  Rechtgläubigkeit  und  kirch- 
lichen Gesinnung,  der  letztere  die  Anerkennung  der  Zu- 
lässigkeit  der  Copernicanischen  Ansicht  durch  die  kirchliche 
Behörde.  Er  wusste  schon  vor  seiner  Abreise  oder  erfuhr 
doch  bald  nach  seiner  Ankunft  in  Rom,  dass  die  Inquisition 
über  ihn  und  die  Copernicanische  Lehre  verhandelte.  Das 
geht  aus  mehreren  Andeutungen  seiner  Briefe  hervor,  wenn 
er  es  auch  nicht  mit  bestimmten  Worten  ausspricht.  Be- 
züglich des  Erfolges  seiner  Bemühungen  zur  Erreichung  des 
ersten  Zweckes  spricht  sich  Galilei  in  diesen  Briefen  mit 
steigender  Befriedigung  aus6).  Schon  am  6.  Febr.  16167) 
schreibt  er:  „Der  Theil  meines  Geschäftes,  welcher  meine 
Person  betrifft,  ist  ganz  abgemacht,  wie  mir  alle  jene  hoch- 
stehenden   (eminentissimi)    Persönlichkeiten,     welche    diese 


1)  Gebier,  Galilei  S.  88.  2)  VIII,  376.  3)  VI,   238. 

4)  VIII,  380.  5)  VI,  213.  214  u.  s.  w. 

6)  VI,   212.  216.   220.  7)  VI,   221  ;  vgl.  223. 


ioo  Galilei  in  Rom   1615  und   1616. 

Dinge  zu  verhandeln  haben,  versichert  haben".  Er  erwähnt 
in  diesem  Briefe1),  am  3.  Februar  habe  ihn  sogar  Caccini 
aufgesucht  und  sein  Bedauern  über  seine  ungeschickte  Pre- 
digt ausgesprochen  und  sich  bereit  erklärt,  ihm  jede  Genug- 
tuung zu  geben.  Ueber  den  zweiten  Zweck  seiner  Reise 
sagt  Galilei  in  demselben  Briefe:  „Mit  meiner  Sache  ist 
eine  andere  verbunden,  welche  nicht  bloss  meine  Person  an- 
geht, sondern  alle  diejenigen,  welche  seit  80  Jahren  in  ge- 
druckten Werken  oder  nicht  gedruckten  Schriften  oder  in 
öffentlichen  Vorträgen  oder  Predigten  oder  auch  in  Privat- 
gesprächen eine  gewisse,  Ihnen  nicht  unbekannte  Lehre  oder 
Meinung  vertreten  haben,  über  welche  jetzt  verhandelt  wird, 
um  zu  einer  Entscheidung  darüber  zu  gelangen.  Dabei 
glaube  ich  einigen  Beistand  leisten  zu  können  in  Bezug  auf 
den  Theil  der  Frage,  welcher  von  der  Kenntniss  der  Wahr- 
heit abhängt,  welche  uns  durch  die  von  mir  vertretenen 
Wissenschaften  geliefert  wird.  Diesen  Beistand  glaube  ich 
als  eifriger  und  katholischer  Christ  im  Gewissen  verpflichtet 
zu  sein  nicht  zu  versagen.  Dieses  Geschäft  nimmt  mich  sehr 
in  Anspruch;  aber  ich  trage  gern  jede  Mühe,  da  sie  einem 
gerechten  und  religiösen  Zwecke  dient,  zumal  ich  sehe,  dass 
ich  mich  nicht  ohne  Nutzen  in  einer  Sache  bemühe,  welche 
schwierig  geworden  ist  durch  den  Eindruck,  den  seit  langer 
Zeit  Personen,  die  eine  selbstsüchtige  Absicht  verfolgten, 
gemacht  haben,  —  ein  Eindruck,  der  nur  langsam  beseitigt 
werden  kann." 

An  mehreren  anderen  Stellen  hebt  Galilei  hervor,  dass 
die  Verhandlungen,  obschon  ihm  seit  vielen  Monaten  von 
gelehrten  und  angesehenen  Männern  vorgearbeitet  worden 
sei2),  sich  in  die  Länge  zögen.  Die  Stimmung  sei  in  Rom 
nicht  günstig;  er  mache  viele  Besuche  bei  Cardinal en  und 
anderen  einflussreichen  Personen ;  aber  er  könne  mit  Rück- 
sicht auf  einen  Freund,  —  der  ihm  wahrscheinlich  über  die 
Verhandlungen  der  Inquisition  Mittheilungen  gemacht,  — 
nicht  direct  und  offen  mit  den  massgebenden  Persönlich- 
keiten verhandeln,  und  diese  könnten  sich,  um  nicht  in  schwere 
Censuren,  —  wegen  Verletzung  des  den  Mitgliedern  der  In- 
quisition zur  Pflicht  gemachten  Schweigens,  —  zu  verfallen, 
nicht    offen   gegen    ihn   aussprechen;    er   müsse  durch  Ver- 


1)  VI,  222;  vgl.  220.  226.  2)  VI,  216. 


Galilei  in  Rom   1615  und  1616.  101 

mittlung  dritter  Personen  verhandeln,  über  einzelne  Punkte 
schriftliche  Ausarbeitungen  machen  und  sich  bemühen,  diese 
heimlich  in  die  rechten  Hände  zu  bringen  u.  s.  w.1).  Noch 
am  20.  Februar2)  spricht  er  aber  die  Hoffnung  aus,  es  werde 
ihm  mit  Gottes  Hülfe  gelingen,  „einen  Beschluss  zu  hindern, 
durch  welchen  ein  Aergerniss  für  die  h.  Kirche  entstehen 
könnte". 

Genauere  Mittheilungen  gibt  Galilei  in  diesen  Briefen 
nicht,  indem  er  wiederholt  erklärt,  er  wolle  sie  lieber  münd- 
lich machen8).  In  dem  Verhöre  vom  12.  April  1633  sag"t  er 
über  diesen  Anfenthalt  in  Rom  Folgendes  'aus :  „Da  ich  ge- 
hört hatte,  dass  über  die  Meinung  des  Copernicus  von  der 
Bewegung  der  Erde  und  dem  Stillstehen  der  Sonne  und  der 
Ordnung  der  Himmelssphären  eine  Controverse  entstanden, 
und  ^nich  sicher  stellen  wollte,  dass  ich  nur  heilige  und  ka- 
tholische Meinungen  für  wahr  hielte,  kam  ich  nach  Rom, 
um  zu  hören,  was  ich  bezüglich  dieses  Gegenstandes  anzu- 
nehmen hätte.  .  .  .  Ich  verhandelte  darüber  mit  einigen  von 
den  Cardinälen,  welche  damals  Mitglieder  des  h.  Officiums 
waren,  namentlich  mit  den  Cardinälen  Bellarmino,  Araceli, 
S.  Eusebio,  Bonzi  und  d'Ascoli5)  .  .  .  Diese  wünschten  über 
die  Lehre  des  Copernicus  unterrichtet  zu  werden,  da  sein 
Buch  für  solche,  die  nicht  Mathematiker  und  Astronomen 
sind,  ziemlich  schwer  zu  verstehen  ist ;  namentlich  wünschten 
sie  zu  wissen,  welches  nach  der  Hypothese  des  Copernicus 
die  Disposition  der  Himmelskörper  sei,  und  wie  er  die  Sonne 
in  den  Mittelpunkt  der  Planetenbahnen  stellt  .  .  .  und  an- 
nimmt, die  Sonne  stehe  unbeweglich  im  Mittelpunkte  und 
die  Erde  bewege  sich  täglich  um  sich  selbst  und  jährlich 
um  die  Sonne."    Der  Wunsch  Galilei's,  die  Cardinäle  zu  be- 


1)  VI,  218.  2)  vi,  226. 

3)  VI,  214.  219.   224.  227.  4)  Acten  S.   76. 

5)  Der  Cardinal  Araceli  ist  der  Dominicaner  Galamini;  s.  o.  S.  85. 
Cardinal  von  S.  Eusebio  war  seit  dem  9.  Juni  1604  Ferdinando  Taberna; 
t  29.  Aug.  161 9.  Giovanni  Batista  Bonzi  (de  Bonsi)  aus  Florenz  wurde  1611 
Cardinal,  f  4.  Juli  1621.  Cardinal  von  Ascoli  wurde  der  aus  Ascoli  ge- 
bürtige Minorit  Feiice  Centini  ganannt,  der  seit  17.  Aug.  161 1  Cardinal 
war;  1633  unterzeichnete  er  das  Urtheil  über  Galilei  als  Cardinal  vom  Titel 
der  h.  Anastasia;  er  starb  als  Cardinal-Bischof  von  Sabina  1641.  Ciaconius 
IV,  361.  425.  431.  —  Auch  mit  dem  Cardinal  Scipio  Borghese,  dem  Neffen 
Pauls  V.,  verhandelte  Galilei;  VI,  222.  226. 


102  Galilei  in  Rom   1615  und   1616. 

lehren,  wird  wohl  stärker  gewesen  sein,  als  ihr  Wunsch, 
von  ihm  belehrt  zu  werden. 

Von  den  schriftlichen  Ausarbeitungen,  die  er  in  seinen 
Briefen  wiederholt  erwähnt,  sind  einige  1876  durch  Berti1), 
leider  nur  auszüglich,  veröffentlicht  worden.  Eine  der- 
selben, gegen  Bellarmin's  Urtheil  über  Foscarini's  Schrift 
gerichtet,  ist  bereits  S.  65  mitgetheilt.  In  einer  andern  2)  sucht 
er  zwei  Ansichten  als  irrig  zu  erweisen :  1 .  die  (Meinung  von 
der)  Bewegung  der  Erde  sei  ein  so  exorbitantes  Paradoxon 
und  eine  so  handgreifliche  Thorheit,  dass  weder  jetzt  noch 
in  Zukunft  ein  Beweis  dafür  geliefert  werden  könne;  2.  diese 
Meinung  sei  von  Copernicus  und  Anderen  nicht  für  wahr 
und  den  Thatsachen  und  der  Natur  entsprechend  gehalten, 
sondern  nur  hypothetisch  aufgestellt  worden,  um  leichter  die 
scheinbaren  Bewegungen  der  Gestirne  zu  erklären  und  die 
astronomischen  Berechnungen  machen  zu  können.  Viele  an- 
gesehene Schriftsteller  der  Vergangenheit  und  der  Gegen- 
wart, sagt  er,  und  viele  gebildete  Männer  in  Venedig,  Pa- 
dua,  Neapel,  Pisa  und  Parma  hielten  diese  Ansicht  für  rich- 
tig, und  fast  Alle  hätten  sie,  da  sie  früher  anderer  Meinung 
gewesen,  auf  die  triftigsten  Gründe  hin  als  richtig  anerkannt. 
Er  weist  dann  ausführlich  nach,  dass  auch  Copernicus  diese 
Theorie  nicht  hypothetisch  vorgetragen.  Ein  dritter  Aufsatz 
behandelt  dasselbe  Thema,  welches  in  dem  auf  Bellarmins 
Brief  bezüglichen  erörtert  wird,  ausführlicher3}.  Zu  diesen 
Processschriften  gehört  auch  ein  vom  8.  Jan.  16 16  datirtes 
ausführliches  Schreiben  an  den  Cardinal  Orsini  über  Ebbe 
und  Fluth4). 

Ausser  Galilei's  Briefen  an  Picchena  haben  wir  über 
seinen  Aufenthalt  in  Rom  noch  einige  kurze,  in  einem  leicht- 
fertigen Tone  geschriebene  Mittheilungen  in  den  Briefen  des 
Monsignor  Querenghi  an  den  Cardinal  Alexander  von  Este 
zu  Modena5),   und   einen    ausführlichen  Bericht  des  toscani- 


1)  Copernico  p.  104'.  244.  2)  Berti  p.   132. 

3)  Berti  p.   134.  4)  II,  387;  VI,  279. 

5)  VIII,  383.  Alessandro  d'Este,  ein  Bruder  des  Herzogs  von  Modena, 
wurde  mit  20  Jahren  am  3.  März  1599  Cardinal;  f  1624.  Ciaconius  IV, 
342  —  Antonio  Querenghi,  geb.  zu  Padua  1546,  als  eleganter  Schriftsteller 
und  Dichter  renommirt,  früher  Hofbeamter  in  Modena,  war  zu  Rom  Refe- 
rendario  delle  due  segnature;    1614    wurde   er  von   Paul  V.  zum  Hauspräla- 


Querenghi  und  Guicciardini.  103 

sehen  Gesandten  Piero  Guicciardini  an  den  Grossherzog1). 
Ersterer  schreibt  u.  a.  am  20.  Jan.  1616:  „Ew.  Durchlaucht 
würden  viel  Vergnügen  haben,  wenn  Sie  Galilei  discurriren 
hörten,  wie  er  es  oft  inmitten  von  15  oder  20  Personen  thut, 
die  ihm  hart  zusetzen,  bald  in  diesem,  bald  in  jenem  Hause. 
Er  ist  seiner  Sache  so  sicher,  dass  er  sie  Alle  auslacht,  und 
wenn  er  sie  auch  nicht  von  der  Richtigkeit  seiner  neuen 
Meinung  überzeugt,  so  erweist  er  doch  die  meisten  Argu- 
mente, mit  welchen  ihn  die  Gegner  zu  Boden  zu  werfen 
suchen,  als  nichtig.  Am  Montag  namentlich  brachte  er  im 
Hause  des  Herrn  Federico  Ghisilieri  wunderbare  Beweise 
vor.  Was  mir  am  meisten  gefiel,  war  dieses,  dass  er,  ehe 
er  auf  die  Gegengründe  antwortete,  dieselben  durch  neue, 
anscheinend  sehr  triftige  Argumente  verstärkte,  um  dann 
durch  die  Widerlegung  derselben  die  Gegner  nur  um  so 
lächerlicher  zu  machen2)."  Am  5.  März  schreibt  er:  „Die 
Disputationen  des  Herrn  Galilei  sind  in  alehymistischen  Rauch 
aufgegangen:  das  h.  Officium  hat  erklärt,  das  Festhalten 
dieser  Meinung  sei  eine  augenscheinliche  Abweichung  von 
den  unfehlbaren  Dogmen  der  Kirche.  Wir  sind  also  wieder 
sicher,  dass  wir,  wenn  wir  auch  mit  unserm  Gehirn  allerlei 
Kreise  beschreiben,  doch  fest  auf  unserm  Posten  stehen 
können  und  nicht  mit  der  Erde  umherzufliegen  brauchen 
wie  Ameisen  auf  einem  Luftballon." 

Der  Brief  Guicciardini's  ist  so  charakteristisch,  dass  er 
vollständig  mitgetheilt  zu  werden  verdient :  „Galilei  hat  auf 
seine  eigene  Meinung  mehr  gegeben  als  auf  die  seiner  Freunde. 
Der  Herr  Cardinal  del  Monte  und  ich  nach  meinem  geringen 
Vermögen  und  mehrere  Cardinäle  vom  h.  Officium  hatten 
ihm  zugeredet,  er  möge  sich  beruhigen  und  diese  Angelegen- 
heit nicht  forciren,  und  wenn  er  jene  Meinung  festhalten 
wolle,  möge  er  sie  ruhig  festhalten,  ohne  sich  so  sehr  zu 
bemühen,  die  Anderen  für  dieselbe  zu  gewinnen.     Alle  fürch- 


ten „in  abito  pavonazzou  ernannt.     Er  starb   1633.      VIII,   179,   333.    Tirabo- 
schi  VIII,   509.  1)  VI,   227. 

2)  Am  27.  Jan.  1616  schreibt  der  frivole  Monsignore:  „Ich  habe  Ga- 
lilei für  einen  der  nächsten  Tage  mit  drei  oder  vier  seiner  Gegner  zu  einem 
Kampfe  inter  pocula  eingeladen. "  Darauf  stützt  sich  P.  Schneemanns  (S. 
256)  Anklage:  „Galilei  bot  sein  ganzes  Ansehen,  seine  ganze  Beredsamkeit, 
seine  ganze  Dialektik  auf,  um  bei  jeder  Gelegenheit,  selbst  inter  pocula,  für 
die  Copernicanische  Theorie  Propaganda  zu  machen." 


104  Querenghi  und  Guicciardini. 

teten,  sein  Hieherkommen  möge  ihm  schaden  und  nicht  den 
Erfolg  haben,  dass  er  sich  rein  wasche  und  über  seine  Geg- 
ner siege,  sondern  eine  Schmarre  davon  "trage.  Er  aber, 
da  er  meinte,  Andere  gingen  nicht  warm  genug  auf  seine 
Intentionen  und  seine  Wünsche  ein,  schloss  sich,  nachdem 
er  vielen  Cardinälen  seine  Sache  vorgetragen  und  sie  über- 
drüssig gemacht  hatte,  an  den  Cardinal  Orsini  an,  und 
wusste  sich  für  diesen  ein  sehr  warmes  Empfehlungsschreiben 
von  Ew.  Hoheit  zu  verschaffen1).  Am  Mittwoch  hat  dieser 
Cardinal  im  Consistorium,  —  ich  weiss  nicht,  wie  überlegt  und 
klug,  —  mit  dem  Papste  zu  Gunsten  Galilei's  gesprochen.  Der 
Papst  antwortete  ihm,  er  werde  wohl  thun,  Galilei  zu  bereden, 
jene  Meinung  aufzugeben.  Orsini  antwortete  etwas,  was  den 
Papst  reizte,  so  dass  er  das  Gespräch  mit  der  Bemerkung 
abbrach,  er  habe  die  Sache  den  Cardinälen  vom  h.  Officium 
übergeben.  Als  Orsini  weggegangen  war,  Hess  Seine  Hei- 
ligkeit Bellarmin  rufen,  und  nachdem  sie  über  die  Sache  ge- 
sprochen, beschlossen  sie,  jene  Meinung  Galilei's  sei  irrig 
und  ketzerisch,  und  gestern  haben  sie,  wie  ich  höre,  eine 
Congregation  über  die  Sache  gehalten,  um  die  Meinung  für 
irrig  und  ketzerisch  zu  erklären,  und  Copernicus  und  andere 
Autoren,  die  darüber  geschrieben,  werden  corrigirt  oder 
verboten  werden.  Persönlich  wird  Galilei,  wie  ich  glaube, 
nichts  zu  leiden  haben,  weil  er  klug  genug  sein  wird,  zu 
wollen  und  zu  denken,  wie  die  h.  Kirche  will  und  denkt. 
Aber  er  ereifert  sich  für  seine  Meinungen  und  hat  eine 
masslose  Leidenschaftlichkeit  und  wenig  Kraft  und  Klugheit, 
um  sie  zu  beherrschen.  Unter  diesen  Umständen  ist  die  Rö- 
mische Luft  sehr  gefährlich  für  ihn,  namentlich  zu  dieser 
Zeit,  wo  der  hiesige  Herrscher,  der  die  schönen  Wissen- 
schaften und  dergleichen  Geister  verabscheut,  solche  Neue- 
rungen und  Spitzfindigkeiten  nicht  hören  mag  und  Jeder  sein 
Gehirn  und  seine  Natur  der  des  Herrn  anbequemt,  so  dass 
auch  diejenigen,  welche  etwas  wissen  und  sich  für  die  Sache 


I)  Vgl.  VI,  222,  224.  225;  VIII,  382.  Alessandro  Orsini,  ein  Ver- 
wandter der  Medici  und  am  Hofe  zu  Florenz  erzogen,  war  2.  Dec.  16 15, 
erst  22  Jahre  alt,  gleichzeitig  mit  dem  19jährigen  Carlo  von  Medici,  dem 
Bruder  des  Grossherzogs  Cosimo  II.,  zum  Cardinal-Diakon  ernannt.  Ciaco- 
nius  IV,  440.  Er  war  also  allerdings  an  Jahren  jung  und  im  Amte  neu, 
als  er  im  Consistorium  Paul  V.  über  Galilei's  Angelegenheit  zu  belehren 
suchte. 


Querenghi  und  Guicciardini.  105 

interessiren,  wenn  sie  klug  sind,  sich  ganz  anders  anstellen, 
um  nicht  verdächtig  zu  werden  und  sich  selbst  Unannehm- 
lichkeiten zu  bereiten.  Es  gibt  hier  Mönche  und  Andere, 
die  Galilei  übel  wollen  und  ihn  verfolgen,  und  er  ist,  wie 
gesagt,  in  einer  Stimmung,  die  gar  nicht  für  dieses  Land 
passt,  und  könnte  sich  und  Andere  in  grosse  Verdriesslich- 
keiten  bringen.  Ich  sehe  weder  ein,  warum  er  hieher  ge- 
kommen ist,  noch  was  damit  gewonnen  werden  soll,  wenn 
er  hier  bleibt.  Ew.  Hoheit  wissen  sehr  wohl,  wie  sich  Ihr 
durchlauchtigstes  Haus  in  der  Vergangenheit  bei  ähnlichen 
Gelegenheiten  gegen  die  Kirche  Gottes  verhalten  und  sich 
in  Bezug  auf  Personen  und  Sachen,  welche  die  h.  Inquisi- 
tion angehen,  um  die  Kirche  verdient  gemacht  hat.  Ich 
sehe  nicht  ein,  warum  man  sich  ohne  gewichtigen  Grund 
solchen  Verwicklungen  und  Gefahren  aussetzen  soll,  was 
keinerlei  Vortheil,  aber  grossen  Schaden  bringen  kann. 
Wenn  dieses  Galilei  zu  Liebe  geschieht,  —  er  ist  von  Lei- 
denschaft verblendet,  und  achtet  nicht  auf  seine  eigene  Sache 
und  sieht  nicht,  worauf  es  ankommt,  so  dass  er,  wie  bisher, 
sich  Illusionen  machen  und  sich  selbst  in  Gefahr  bringen  wird 
und  Jeden,  der  seinen  Wünschen  nachgibt  oder  sich  zu  dem 
bereden  lässt,  was  ihm  lieb  ist.  Diese  Sache  ist  jetzt  am 
[päpstlichen]  Hofe  ein  Gegenstand  des  Widerwillens,  und 
Abscheus,  und  der  Herr  Cardinal  [Carl  von  Medici,  der  da- 
mals eben  in  Rom  erwartet  wurde]  wird  sehr  verlieren  und 
grossen  Anstoss  erregen,  wenn  er  bei  seiner  Anwesenheit 
nicht  auch  als  guter  Geistlicher  zeigt,  dass  er  den  kirch- 
lichen Beschlüssen  keine  Opposition  macht,  sondern  dem 
Willen  des  Papstes  und  einer  Congregation  zustimmt,  wie 
die  des  h.  Officiums  ist,  welche  das  Fundament  und  die  Basis 
der  Religion  und  die  wichtigste  in  Rom  ist.  Wenn  er  in 
seine  Vorzimirier  oder  in  seine  Zirkel  Menschen  hineinzieht, 
die  sich  von  Leidenschaft  fortreissen  lassen  und  mit  Eifer 
ihre  Meinungen,  zumal  in  astrologischen  und  philosophischen 
Dingen,  vertheidigen  und  zur  Schau  tragen  wollen,  so  wird 
ihn  Jeder  fliehen;  denn  dem  Papste  sind  dergleichen  Dinge, 
wie  gesagt,  so  fremd,  dass  hier  Jeder  den  Dummen  und 
Unwissenden  zu  spielen  sucht,  so  dass  alle  Gelehrten,  die 
von  dort  hieher  kommen  werden,  ich  will  nicht  sagen  schäd- 
lich, aber  wenig  nützlich  und  gefahrlich  sein  werden;  jeden- 
falls je  weniger  sie  ihre  Gelehrsamkeit  zeigen,  —  wenn  sie 


ioö  Querenghi  und  Guicciardini. 

es  nicht  mit  der  grössten  Discretion  thun,  —  um  so  besser 
wird  es  sein.  Und  wenn  Galilei  hier  den  Herrn  Cardinal 
abwartet  und  ihn  in  diese  Dinge  verwickelt,  so  wird  das 
grosses  Missfallen  erregen.  Er  ist  heftig,  eigensinnig  und 
leidenschaftlich,  so  dass  es  für  den,  der  ihn  um  sich  hat, 
unmöglich  ist,  seinen  Händen  zu  entgehen.  So  verhält  sich 
die  Sache  und  es  ist  kein  Spass,  sondern  eine  Sache,  die 
folgenreich  und  wichtig  werden  kann,  wenn  sie  es  nicht 
schon  geworden  ist,  —  wie  Ew.  Hoheit  gemäss  Ihrer  Klug- 
heit leicht  begreifen  werden,  —  wenn  dieser  Mensch  noch 
hier  ist  im  Hause  Ew.  Hoheit  und  des  Herrn  Cardinais  und 
unter  ihrem  Schutze  lebt  und  sich  dessen  rühmt.  Darum 
habe  ich  mich  für  verpflichtet  gehalten,  Ew.  Hoheit  das,  was 
sich  zugetragen  hat  und  was  man  hier  darüber  denkt,  mit- 
zutheilen." 

Guicciardini  war  augenscheinlich  kein  Freund  Galilei's1), 
und  sein  Brief  zeigt,  dass  ihm  in  seiner  amtlichen  Stellung 
dessen  Anwesenheit  in  Rom  und  seine  ganze  Angelegenheit 
sehr  unbequem  war  und  dass  ihm  viel  daran  lag,  Galilei 
bald,  jedenfalls  vor  der  Ankunft  des  jungen  Cardinais  von 
Medici,  los  zu  werden.  Er  hat  darum  ohne  Zweifel  in  über- 
triebenen Ausdrücken  von  Galilei's  Unklugheit  und  Leiden- 
schaftlichkeit gesprochen,  und  es  ist  jedenfalls  unhistorisch 
und  unbillig  zugleich,  wenn  man  wesentlich  auf  seinen  und 
Querenghi's  Berichte  gestützt,  behauptet,  Galilei  habe  durch 
seine  „leidenschaftliche  und  unkluge  Propaganda  für  das 
Copernicanische  System"  das  Einschreiten  der  Römischen  Be- 
hörden provocirt2).     Aber  das    ist  ja   auch  innerlich  wahr- 

i)  P.  Schneemann  behauptet  freilich  S.  259:  „Guicciardini  war  kein 
Feind   Galilei's,  wie  Viele  behaupten." 

2)  So  u.  A.  P.  Schneemann  S.  256.  260.  Seine  Darstellung  des 
ersten  Processes  ist  ein  Nonplusultra  von  Leichtfertigkeit  und  Unehrlichkeit. 
Er  erwähnt  S.  119  ganz  kurz  die  Denunciation  Lorini's  und  die  Predigt 
Caccini's,  sagt,  diese  habe  grosses  Aergerniss  erregt,  selbst  im  Dominicaner- 
orden, führt  die  Aeusserung  Maraffi's  an  und  fährt  dann  fort:  „Schliesslich 
that  Caccini  Abbitte.  [S.  oben  S.  100.]  Auch  die  Denunciation  bei  dem 
Römischen  Tribunal  hatte  vorerst  keine  Übeln  Folgen,  weil  die  Erkundigun- 
gen, welche  die  Inquisition  über  Galilei  einzog,  für  denselben  günstig  laute- 
ten. Leider  kam  aber  nun  Galilei  selbst  nach  Rom,  um  dort  das  Coperni- 
canische  System  zu  vertheidigen;  seine  leidenschaftlichen  Bemühungen  jedoch 
brachten  gerade  das  Gegentheil  dessen  hervor,  was  er  wollte.  Am  5".  März 
erschien  ein  Decret"  u.  s.  w. 


Qualification  der  Copern.  Lehre.  107 

scheinlich,  dass  Galilei  seine  Ansichten  mit  übergrosser  Leb- 
haftigkeit vertreten  und  seine  Gegner  dadurch  gereizt  hat. 
Er  selbst  versichert  freilich,  —  allem  Anscheine  nach  mit 
Rücksicht  auf  Guicciardini's  Beschuldigungen,  —  er  habe 
sich  der  grössten  Ruhe  und  Mässigung  befleissigt  *).  Aber  er 
hat  gewiss  den  Fehler  begangen,  auf  die  Macht  der  Wahrheit 
zu  viel  zu  vertrauen  und  die  Ungunst  der  Verhältnisse  unter 
dem  damaligen  Pontificate  und  bei  der  damals  in  massge- 
benden Kreisen  in  Rom  herrschenden  Stimmung  zu  gering 
zu  taxiren. 


X. 

Die  Verdammung  der  Copernicanischen  Lehre, 
25.  Februar  1616. 

.  Galilei  wurde  im  J.  1616  von  der  Inquisition  gar  nicht 
verhört.  Die  gegen  ihn  persönlich  gerichtete  Denunciation 
Lorini's  und  Caccini's  wurde  nach  den  ersten  Verhandlungen 
(s.  o.  S.  82)  nicht  weiter  berücksichtigt;  die  Inquisition  be- 
schäftigte sich  zunächst  nur  mit  der  Copernicanischen  Lehre. 
Ueber  die  desfallsigen  Berathungen  geben  aber  die  Process- 
acten keinen  Aufschluss.  Auf  den  oben  S.  87  erwähnten 
Beschluss  vom  25.  Nov.  16 15,  Galilei's  Schrift  über  die  Sonnen- 
flecken in  Untersuchung  zu  nehmen,  folgt  in  den  Process- 
acten2) die  Notiz,  es  seien  am  19.  Febr.  16 16  „allen  Patres 
Theologen"3)  zwei  Sätze   übersandt  worden  mit  der  Einla- 


1)  VI,  232.  2)  Acten  S.  47. 

3)  Cantor,  Gegenwart  1877,  29^  gibt  an:  „allen  Doctoren  der  Theolo- 
gie", und  meint,  ,,auch  dem  Cardinal  Bellarmin  als  Doctor  der  Theologie" 
sei  eine  Abschrift  der  Sätze  übersandt  worden.  Aber  das  DD.  in  RR.  DD. 
PP.  Theologis  heisst  nicht  Doctoribus,  sondern  Dominis,  und  Bellarmin  ge- 
hörte zu  den  Mitgliedern  der  Congregation  des  h.  Officiums,  die  (wahr- 
scheinlich in  einer  am  18.  Febr.  gehaltenen  Sitzung)  den  Beschluss  gefasst, 
die  zwei  Sätze  durch  die  Theologen  der  Inquisition  qualificiren  zu  lassen. 
Die  „Theologen"    sind  hier  die   theologischen  Consultoren,    nicht  „Qualifica- 


108  Qualification  der  Copern.  Lehre. 

düng  zu  einer  am  23.  Febr.  abzuhaltenden  Sitzung,  in  wel- 
cher diese  Sätze  zu  „qualificiren"  seien,  d.  h.  in  welcher  ein 
Gutachten  darüber  abzugeben  sei,  ob  und  in  welchem  Grade 
dieselben  vom  kirchlichen  Standpunkte  aus  verwerflich  oder 
bedenklich  seien. 

Die  beiden  Sätze  sind  aus  der  Denunciation  Caccini's 
entnommen  und  lauten:  „1.  Die  Sonne  ist  der  Mittelpunkt 
der  Welt  und  darum  unbeweglich.  2.  Die  Erde  ist  nicht  der 
Mittelpunkt  der  Welt  und  nicht  unbeweglich,  sondern  sie 
bewegt  sich  täglich  um  sich  selbst" i).  Die  Theologen  gaben 
folgendes  Gutachten  ab:  Der  erste  Satz  sei  „thöricht  und 
philosophisch  betrachtet  absurd  (oder  philosophisch  be- 
trachtet thöricht  und  absurd,  stitlta  et  absurda  in  philoso- 
phia)  und  formell  häretisch  (formaliter  haeretica),   sofern  er 


toren"  (s.  o.  S.  71).  Wolynski  p.  37  sagt:  am  23.  (24.  ist  wohl  Druck- 
fehler) hätten  die  Qualificatoren,  am  24.  die  Consultoren  ihr  Gutachten  ab- 
gegeben, welches  am  25.  der  Cardinal  Meilini  dem  Papste  vorgelegt  habe. 
Nach  den  Acten  S.  47  scheint  es  aber,  dass  am  19.  den  theologischen  Con- 
sultoren die  Sätze  zugesandt  wurden,  dass  diese  am  23.  im  Inquisitionsge- 
bäude behufs  der  Qualification  eine  Sitzung  (congregatio  qualificationis) 
hielten,  und  am  24.  in  der  Mittwochssitzung  in  der  Minerva  ihr  Gutachten 
unterzeichneten  und  abgaben.  —  Ganz  falsch  ist  die  Darstellung  von  Vosen, 
Galilei,  Frankf.  1865,  S.  II:  „Die  Angelegenheit  der  gegen  Galilei  einge- 
gangenen Anklage  wurde  nicht  vor  das  eigentliche  Inquisitionstribunal  ge- 
wiesen, wie  dieses  sonst  in  ähnlichen  Weisen  gebräuchlich  war;  der  Papst 
beauftragte  vielmehr  aus  besonderer  Rücksicht  für  den  geachteten  Gelehrten 
nur  eine  Commission  aus  den  sog.  Qualificatoren  zusammengesetzt  mit  der 
Prüfung  der  Klage."     Vgl.  S.   17. 

1)  Die  Sätze  wurden  den  Theologen  italienisch  vorgelegt.  Ihrem 
lateinisch  abgefassten  Gutachten  sind  sie  lateinisch  vorausgeschickt.  Sie 
kommen  in  Caccini's  Denunciation  in  den  Acten  S.  26,  Z.  3  und  S.  27,  Z.  13 
v.  u.  vor.  In  einem  zu  dem  zweiten  Process  gehörenden  Actenstücke,  Acten 
S.  4,  scheint  gesagt  zu  werden,  die  beiden  Sätze  seien  aus  Galilei's  Buch 
über  die  Sonnenflecken  entnommen.  (So  auch  Schanz,  Galilei  S.  36,  Wo- 
lynski p.  37  und  Andere.)  Das  ist  nicht  richtig.  In  diesem  Buche  spricht 
sich  Galilei  allerdings  für  die  Copernicanische  Theorie  aus  (s.  o.  S.  32), 
aber  nicht  gerade  in  diesen  Ausdrücken.  S.  Wohlwill,  Ist  Gal.  gef.  wor- 
den? S.  115.  Der  Irrthum  ist  dadurch  entstanden,  dass  in  den  Processacten 
die  Sätze  unmittelbar  hinter  dem  oben  angeführten  Beschlüsse  über  Unter- 
suchung des  Buches  über  die  Sonnenflecken  stehen.  —  Unbegreiflicher  Weise 
schreibt  L.  Terrier,  Galilei,  Basel  1878,  S.  44:  „Diese  beiden  Lehren  waren 
einige  Tage  vorher  in  cfen  Briefen  über  die  Sonnenflecken  hervorgehoben 
und  diese  Briefe  waren  als  glaubensgefährlich  verdammt  worden." 


Qualification  der  Copern.  Lehre.  109 

Sätzen,  welche  in  der  h.  Schrift  an  vielen  Stellen  vorkom- 
men, nach  dem  Wortlaute  und  nach  der  gemeinen  Ausle- 
gung und  Deutung  der  h.  Väter  und  der  theologischen  Doc- 
toren  ausdrücklich  widerspreche;"  für  den  zweiten  Satz  „gelte 
in  der  Philosophie  dieselbe  Censur  (wie  für  den  ersten),  theo- 
logisch betrachtet,  sei  er  mindestens  irrig"  (enthalte  er  min- 
destens einen  Glaubensirrthum  oder  einen  dogmatischen  Irr- 
thum,  spectando  veritatem  theologica?n  ad  minus  in  fide  erronea). 

Die  elf  Theologen,  welche  dieses  Gutachten  abgaben, 
sind  nach  den  Unterschriften  und  den  Notizen  Grisars  (S.  85) 
folgende :  Petrus  Lombardus  (von  Waterford),  Erzbischof  von 
Armagh;  Fr.  Hyacinthus  Petronius,  Magister  Sacri  Palatii 
(Dominicaner);  Fr.  Raphael  Riphoz,  Magister  der  Theologie 
und  Generalvicar  des  Dominicanerordens;  Fr.  Michael  An- 
gelus  Seghetius,  Magister  der  Theologie  und  Commissar  des 
h.  Officiums  (Dominicaner) ;  Fr.  Hieronymus  de  Casali  maiori, 
Consultor  des  h.  Officiums  (Dominicaner;  s.  o.  S.  71);  Fr. 
Thomas  de  Lemos  (Dominicaner);  Fr.  Gregorius  Nunnius 
Coronel  (Augustiner) ;  Benedictus  Justinianus  aus  der  Gesell- 
schaft Jesu;  D.  Raphael  Rastellius,  Regular-Kleriker,  Doc- 
tor  der  Theologie;  D.  Michael  von  Neapel  aus  der  (Bene- 
dictiner-)  Congregation  von  Monte  Cassino;  Jacob  Tintus, 
Socius  des  Pater  Commissarius  des  h.  Officiums  (Domini- 
caner). 

Dass  „alle  Theologen"  aufgefordert  wurden,  ein  ge- 
meinsames Gutachten- abzugeben,  zeigt,  dass  die  Sache  als 
eine  besonders  wichtige  angesehen  wurde. 

Das  Gutachten  wurde  in  der  am  Mittwoch  24.  Febr. 
gehaltenen  Sitzung  der  Cardinäle  der  Inquisition  vorgelegt, 
und  dann  in  der  am  folgenden  Tage  unter  dem  Vorsitze  des 
Papstes  abgehaltenen  Sitzung  der  unten  anzuführende  Be- 
schluss  gefasst. 

Ueber  die  Verhandlungen  in  den  Jahren  161 5  und  1616 
gibt  das  in  dem  zweiten  Process  1633  gefällte  Urtheil1)  einen 
Bericht,  welcher  das,  was  wir  in  den  Processacten  finden, 
in  einigen  Punkten  ergänzt.  Es  heisst  darin:  „Du  wurdest 
im  J.  161 5  bei  diesem  h.  Officium  denuncirt:  du  hieltest  die 
von  Vielen  gelehrte  falsche  Lehre  für  wahr,  dass  die  Sonne 
der  Mittelpunkt  der  Welt  und  unbeweglich  sei  und  dass  die 


1)  IX,  466. 


HO  Sitzung   der  Inquisition  25.   Febr.   1616. 

Erde  sich  täglich  bewege;  du  hättest  einige  Schüler,  denen 
du  dieselbe  Lehre  vortrügest ;  du  correspondirtest  über  die- 
selbe mit  einigen  Mathematikern  in  Deutschland;  du  hättest 
einige  Briefe  über  die  Sonnenflecken  in  Druck  gegeben,  in 
welchen  du  dieselbe  Lehre  als  wahr  vortrügest,  und  du  be- 
antwortetest die  dir  wiederholt  gemachten,  aus  der  h.  Schrift 
entnommenen  Einwendungen,  indem  du  die  h.  Schrift  nach 
deinem  Sinne  erklärtest.  Ferner  wurde  die  Abschrift  eines 
in  Briefform  abgefassten  Schriftstückes  vorgelegt,  welches  du 
an  einen  frühem  Schüler  geschickt  haben  solltest  und  in  wel- 
chem, indem  darin  die  Ansicht  des  Copernicus  vorgetragen 
wird,  verschiedene  dem  wahren  Sinne  und  der  Autorität  der 
h.  Schrift  widersprechende  Sätze  enthalten  sind.  Da  nun  dieses 
h.  Tribunal  der  Unordnung  und  dem  Nachtheil  entgegen- 
wirken wollte,  welche  dieses  zur  Folge  hatte  und  welche 
zum  Schaden  des  h.  Glaubens  immer  mehr  zunahmen,  so 
wurden  auf  Befehl  unseres  Herrn  und  Ihrer  Eminenzen  der 
Herren  Cardinäle  dieser  höchsten  und  allgemeinen  Inquisi- 
tion von  den  Theologen- Qualificatoren  die  beiden  Sätze  von 
dem  Stillstehen  der  Sonne  und  von  der  Bewegung  der  Erde 
qualificirt,  nämlich  [folgt  die  oben  mitgetheilte  Qualification]. 
Da  man  aber  damals  milde  gegen  dich  verfahren  wollte,  so 
wurde  in  der  in  Gegenwart  unseres  Herrn  am  25.  Febr. 
16 16  gehaltenen  h.  Congregation  beschlossen"  u.  s.  w. 

In  dieser  Sitzung  vom  25.  Febr.  16 15  wurde,  wie  die 
Processacten  ergeben,  nachdem  die  Censur  der  Theo- 
logen vorgelegt  worden,  von  der  Inquisition  beschlossen 
(„vom  Papste  befohlen"),  der  Cardinal  Bellarmin  solle  Ga- 
lilei auffordern,  die  Copernicanische  Meinung  aufzugeben 
u.  s.  w.  Ausserdem  muss  in  dieser  Sitzung  beschlossen 
worden  sein,  das  Buch  des  Copernicus  und  einige  andere 
seien  auf  den  Index  zu  setzen1).  Denn  über  die  nächstfol- 
gende Sitzung,   die   vom   3.  März,  wird  berichtet:   nachdem 


1)  Unter  Gherardi's  Aktenstücken  findet  sich  auffallender  Weise  kein 
Protocoll  über  die  Sitzung  vom  25.  Februar.  Dass  in  der  Aufzeichnung 
über  diese  Sitzung  in  den  Vaticanischen  Acten  S.  48  nur  der  auf  die  Ver- 
warnung Galilei's  bezügliche  Beschluss  erwähnt  wird,  ist  nicht  auffallend, 
da  der  den  Index  betreffende  Beschluss  die  Beamten  der  Inquisition  zunächst 
nichts  anging.  Ueber  die  Sitzung  vom  3.  März  wird  in  den  Vaticanischen 
Acten  nichts  mitgetheilt;  das  Decret  der  Index-Congregation  ist  in  einem 
gedruckten  Exemplare  beigefügt  (S.   50). 


Index-Decret  vom  5.  März   1616.  in 

Cardinal  Bellarmin  über  die  Ausführung  seines  Auftrages 
berichtet,  sei  ein  Decret  der  Index- Congregation  über  das 
Verbot,  beziehungsweise  die  Suspendirung  der  Schriften  von 
Copernicus,  Stunica  und  Foscarini  vorgelegt  und  darauf  be- 
schlossen (von  dem  Papste  befohlen)  worden,  der  Magister 
Sacri  Palatii  solle  dieses  Decret  publiciren  *). 

Dieses  Decret  wurde  dann  am  5.  März  ausgefertigt.  Es 
wird  in  der  Ueberschrift  als  ein  überall  zu  publicirendes 
Decret  der  Index-Congregation  bezeichnet  und  ist  von  dem 
Cardinal  von  St.  Caecilia,  Bischof  von  Albano  [Sfondrati]  als 
Präfecten  der  Congregation2)  und  von  dem  Secretär  der- 
selben, dem  Dominicaner  Franciscus  Magdalenus  Capiferreus, 
unterzeichnet.  In  dem  ersten  Theile  desselben  werden  fünf 
andere  „verschiedene  Ketzereien  und  Irrthümer  enthaltende" 
Bücher  verboten,  „damit  nicht  durch  das  Lesen  derselben 
immer  schlimmere  Schäden  in  der  ganzen  Christenheit  ent- 
stehen"; dann  folgt:  „Und  da  es  auch  zur  Kenntniss  der 
h.  Congregation  gekommen  ist,  dass  die  falsche  und  der  h. 
Schrift  durchaus  widersprechende  Pythagoreische  Lehre  von 
der  Beweglichkeit  der  Erde  und  der  Unbeweglichkeit  der 
Sonne,  welche  Nicolaus  Copernicus  [in  dem  Buche]  de  re- 
volutionibus  orbium  coelestium  und  Didacus  Astunica  [in  sei- 
nem Commentar]  zum  Job  vortragen,  jetzt  verbreitet  und  von 
Vielen  angenommen  wird,  —  wie  zu  ersehen  ist  aus  einem 
gedruckten  Briefe  eines  Karmeliter-Paters  mit  dem  Titel 
Letter e  del  R.  P  Maestro  P  A.  Foscarini  .  .  .  ,  worin  be- 
sagter Pater  zu  zeigen  sucht,  die  fragliche  Lehre  ...  sei 
der  Wahrheit  entsprechend  und  der  h.  Schrift  nicht  zuwider : 
—  so  hat  die  h.  Congregation  geglaubt,  damit  eine  solche 
Lehre  nicht    zum   Schaden    der  katholischen  Wahrheit  um 


1)  Gherardi  No.  VI:  Feria  V.  die  III.  Martii  1616.  Facta  relatione 
per  Illmum  D.  Card.  Bellarminum  .  .  .  .  ac  relato  decreto  Congregationis 
Indicis,  qualiter  (oder  quod)  fuerunt  prohibita  ei  suspensa  respective  scripta 
Nicolai  Cupernici  (De  revolutionibus  orbium  caelestium),  Didaci  a  Stunica 
in  Job  et  Fr.  Pauli  Antonii  Foscarini  Carmelitae,  SSmus  ordinavit  publi- 
cari  edictum  a  P.  Magistro  S.  Palatii  huiusmodi  suspensionis  et  prohibi- 
tionis  respective. 

2)  Ausser  diesem  waren  nach  Grisar  S.  95  damals  auch  die  bereits  er- 
wähnten Cardinäle  Bellarmin,  Mellini  und  Galamini  und  Fabrizio  Veralli,  Cardi- 
nal seit  1608,  f  1624,  Mitglieder  der  Index-Congregation.  —  P.  Schneemann 
S.   120  bezeichnet  das  Decret  als  „ein  Decret  der  Inquisition"! 


112  Index-Decret  vom   5.  März  16 16. 

sich  greife,  seien  der  besagte  Nicolaus  Copernicus  de  revo- 
lutionibus  orbium  und  Didacus  Astunica  zum  Job  zu  sus- 
pendiren,  bis  sie  verbessert  werden  (suspendendos  esse,  donec 
corrigantur),  das  Buch  des  Paters  Foscarini  aber  sei  ganz 
zu  verbieten  und  zu  verdammen,  und  alle  anderen  Bücher, 
welche  in  gleicher  Weise  dasselbe  lehren,  seien  zu  verbieten, 
—  wie  sie  denn  durch  gegenwärtiges  Decret  .sie  alle  respec- 
tive  verbietet,  verdammt  und  suspendirt."  Das  Decret 
wurde  den  Inquisitoren  (und  Nuncien)  übersandt  mit  einem 
Schreiben  des  Präfecten  der  Index-Congregation  vom  2. 
April1),  worin  es  heisst:  „Da  von  der  h.  Congregation  des 
Index,  zugleich  im  Auftrage  Seiner  Heiligkeit,  einige  als 
sehr  verderblich  erachtete  Bücher  verboten  worden  sind  und 
darüber  das  beiliegende  Decret  erlassen  worden  ist,  so  er- 
halten Sie  hiemit  den  Auftrag,  dasselbe  drucken  und  in  Ihrem 
ganzen  Bezirk  in  der  üblichen  Weise  publiciren  zu  lassen." 
Das  Decret  unterscheidet  sich,  wie  Grisar  S.  679  gut  nach- 
weist, in  der  Form  von  anderen  Decreten  dieser  Art.  Vor  16 10 
wurden  in  der  Regel  von  dem  Magister  Sacri  Palatii  von 
Zeit  zu  Zeit  Verzeichnisse  der  von  der  Index-Congregation 
oder  der  Inquisition  verbotenen  Bücher  veröffentlicht.  Nur 
ausnahmsweise  und  aus  speciellen  Gründen  veröffentlichte  die 
Index-Congregation  selbst  ein  von  ihr  oder  der  Inquisition 
beschlossenes  Verbot.  Seit  dem  Jahre  16 10  oder  16 13  wurden 
die  Verbote  nicht  mehr  durch  den  Palastmeister  veröffent- 
licht2), sondern  durch  die  Index-Congregation  selbst.  In  der 
Ueberschrift  eines  Decretes  vom  J.  16 13,  wodurch  13  Bücher 
verboten  werden,  werden  alle  Cardinäle  der  Congregation 
genannt;  ein  Decret  vom  J.  16 14,  wodurch  zwei  weitere 
Bücher  verboten  werden,  hat  ganz  dieselbe  Ueberschrift 
wie  das  oben  erwähnte  und  die  Unterschrift  des  Präfecten 
und   des  Secretärs,  und  diese  Form  blieb  seitdem   die  ste- 


1)  Das  Schreiben  an  die  Inquisitoren  ist  von  Wolynski  p.  24  ver- 
öffentlicht, ein  Gutachten  Sarpi's  betreffend  die  Publication  des  Decrets  in 
Venedig,  vom  7.  Mai   161 6,  von  Berti,  II  Processo  p.   151. 

2)  Wenn  nach  dem  Berichte  über  die  Sitzung  vom  3.  März  diesem 
die  Publication  aufgetragen  werden  soll,  so  ist  mit  Grisar  S.  687  anzunehmen, 
dass  „entweder  der  betreffende  Ausdruck  bloss  von  dem  Fortgebrauch  eines 
altern  Formulars  für  das  Sitzungsprotocoll  herrührt  oder  dass  der  Magister 
S.  Palatii  noch,  aber  in  untergeordneter  "Weise,  concurrirte,"  vielleicht  die 
Anheftung  des  Decretes  an  öffentlichen  Plätzen  in  Rom  anordnete. 


Index-Decret  vom   5.   März    16 16.  113 

hende  (bis  zum  J.  1630  wurden  in  dieser  Form  noch  16 
Decrete  publicirt).  Während  aber  sonst  in  den  Index-De- 
creten  eine  mehr  oder  minder  grosse  Zahl  von  meist  ver- 
schiedenartigen Büchern  ohne  nähere  Bezeichnung  der  Irr- 
thümer,  durch  welche  das  Verbot  derselben  veranlasst  ist, 
ganz  in  den  Formen  des  ersten  Theiles  des  Decretes  vom 
5.  März  161 6  verboten  wird,  enthält  dieses  in  seinem  zweiten 
Theile  ein  Verbot  mit  einer  Motivirung,  wie  sie  sich  sonst 
in  den  Index-D ecreten  nicht  findet. 

Was  den  Inhalt  dieses  zweiten  Theils  betrifft,  so  wird 
nur  die  Schrift  Foscarini's  definitiv,  das  Werk  des  Coper- 
nicus  und  der  Commentar  des  Stunica  werden  nur  vorläufig 
verboten,  mit  der  Bestimmung,  dass  sie  freigegeben  werden 
sollten,  wenn  die  von  der  Index-Congregation  für  nöthig  er- 
achteten Aenderungen  darin  vorgenommen  würden.  In  dem 
Commentar  des  Stunica  war  nur  die  Bemerkung  zu  Job  9,  6 
zu  streichen.  Eine  bestimmte  Angabe  der  in  dem  Werke 
des  Copernicus  vorzunehmenden  Aenderungen,  mit  deren 
Zusammenstellung  der  Cardinal  Gaetani  beauftragt  war,  er- 
wartete man  nach  Aeusserungen  von  Galilei  in  Briefen  aus 
dem  März  16 16')  in  der  nächsten  Zeit.  Cesi  schrieb  am  3. 
Sept.  161 6  an  Galilei,  er  wolle  an  die  Veröffentlichung  der- 
selben erinnern.  Sie  wurden  aber  erst  im  J.  1620  durch 
ein  Monitum  des  Secretärs  der  Index-Congregation2)  pub- 
licirt, und  zwar  mit  folgender  Einleitung :  „Die  Väter  der  h. 
Congregation  des  Index  sind  zwar  der  Ansicht  gewesen, 
die  Schrift  des  berühmten  Astronomen  Nicolaus  Copernicus 
de  mundi  revolutionibus  sei  darum  gänzlich  zu  verbieten, 
weil  er  darin  kein  Bedenken  trägt,  Grundsätze  über  die 
Stellung  und  Bewegung  der  Erdkugel,  welche  der  h.  Schrift 
und  ihrer  wahren  und  katholischen  Auslegung  widersprechen, 
nicht  hypothetisch  zu  behandeln,  sondern  als  durchaus  wahr 
vorzutragen,  was  bei  einem  Christenmenschen  nicht  zu  dul- 
den ist3).     Gleichwohl  haben  sie,  da  in  dieser  Schrift  vieles 


1)  VI,  231.  233.  236.  Cardinal  Gaetani  (s.  o.  S.  62)  starb  29.  Juni 
161 7,  Card.  Sfondrati  14.  Febr.  1618.  Letzterm  folgte  in  der  Präfectur  der 
Index-Congregation  Card.  Bellarmin.     Wolynski  p.  25. 

2)  Abgedruckt  u.  a.  bei  Riccardi  (s.  o.  S.  3)  p.  54,  bei  Bouix  p. 
112,  in  der  Broschüre  The  Pontifical  Decrees  against  the  Motion  of  the 
Earth,    1870,  p.  64.     Vgl.  Olivieri,  Di  Copernico  p.  33. 

3)  quin  principia    de    situ    et   motu    terreni.    globi    Sncrae    So  ipturae 
Renseh,  Galilei.  8 


114  Verdammung  der  Copern.  Lehre. 

für  das  Gemeinwesen  sehr  Nützliche  enthalten  ist,  einstim- 
mig beschlossen:  die  bis  heute  gedruckten  Werke  [Ausgaben 
des  Werkes]  des  Copernicus  seien  zu  erlauben,  nachdem  ge- 
mäss der  unten  stehenden  Emendation  diejenigen  Stellen 
corrigirt  worden,  in  welchen  er  über  die  Stellung  und  Be- 
wegung der  Erde  nicht  hypothetisch,  sondern  in  Form  der  Be- 
hauptung spricht.  Die  in  Zukunft  zu  druckenden  [Ausgaben] 
aber  sollen  nur  gestattet  werden,  wenn  die  besagten 
Stellen  in  der  anzugebenden  Weise  verbessert  sind  und 
diese  Verbesserung  der  Vorrede  des  Copernicus  vorausge- 
schickt ist". 

Am  10.  Mai  1619  wurde  auch  Keplers  im  J.  161 8  er- 
schienene „Epitome  astronomiae  Copernicanae"  auf  den  In- 
dex gesetzt 1).  In  den  späteren  Ausgaben  des  Index  steht*, 
dem  Decrete  vom  5.  März  1616  entsprechend,  unter  L:  Libri 
omnes  docentes  mobilitatem  terrae  et  immobilitatem  solis. 

In  den  Processacten  findet  sich2)  als  letztes  zu  den 
Verhandlungen  des  Jahres  16 16  gehörendes  Stück  ein  Schrei- 
ben des  Cardinais  (Decio)  Caraffa  (Erzbischof  von  Neapel 
16 14 — 26)  an  den  Cardinal  Mellini  aus  Neapel  2.  Juni.  Der- 
selbe meldet:  Aus  dem  Decrete  der  Index- Congregation  habe 
er  ersehen,  dass  die  Schrift  Foscarini's  in  Neapel  gedruckt 
sei;  er  habe  daher  den  Drucker  darüber  befragen  lassen, 
woher  er  die  Druck-Erlaubniss  erhalten;  da  sich  derselbe 
darüber  nicht  habe  ausweisen  können,  habe  er  ihn  ins  Ge- 
fängniss  setzen  lassen  und  werde  er  ihm  den  Process  machen. 
Unter  dem  9.  Juni  wird  dann  als  Beschluss  der  Inquisition 
notirt,  es  solle  dem  Cardinal  geantwortet  werden,  er  habe 
recht  gehandelt.  Weiteres  ist,  wie  gesagt,  über  das  Ver- 
fahren gegen  Foscarini  und  seine  Schrift  nicht  bekannt. 

In  dem  Decret  der  Index-Congregation  werden  Galilei 
und  seine  Schrift  über  die  Sonnenflecken  nicht  genannt ;  der 
Brief  an  Castelli  konnte  schon  darum  in  diesem  Decrete 
nicht  erwähnt  werden,    weil  er  nicht  gedruckt  war.     Aber 


eiusque  verae  et  catholicae  interpretationi,  quod  in  nomine  Christiano  mi- 
nime  tolerandum  est,  non  per  hypothesim  tractare,  sed  ut  verissima  adstru- 
ere  non  dubitat. 

i)  Olivieri  p.  33.  Am  20.  Oct.  1619  wurde  der  „Circulus  Horologii 
lunaris  et  solaris"  von  Wenzel  Budowez  auf  den  Index  gesetzt.  Wolynski 
p.   25.  2)  S.  51. 


Verdammung  der  Copern.  Lehre.  115 

in  der  Sitzung  der  Inquisition  vom  25.  Februar,  in  welcher 
das  Verbot  der  gedruckten  Vertheidigungen  der  Copernica- 
nischen  Lehre  beschlossen  wurde,  wurde  ferner  beschlossen 
(„vom  Papste  befohlen"),  der  Cardinal  Bellarmin  solle  Galilei 
zu  sich  bescheiden  und  ihn  ermahnen,  die  Copernicanische 
Meinung  aufzugeben;  wenn  er  sich  weigere  zu  gehorchen, 
solle  der  Commissar  der  Inquisition  vor  Notar  und  Zeugen 
ihm  gebieten,  ganz  und  gar  nicht  mehr  eine  derartige  Lehre 
und  Meinung  zu  lehren  oder  zu  vertheidigen  oder  zu  erörtern; 
wenn  er  sich  diesem  Verbote  nicht  fügen  wolle,  solle  er  ein- 
gekerkert [und  also  von  der  Inquisition  ein  förmlicher  Process 
gegen  ihn  eingeleitet]  werden1).  In  der  Sitzung  der  In- 
quisition vom  3.  März  berichtete  Bellarmin,  Galilei  sei  auf 
Befehl  der  h.  Congregation  ermahnt  worden,  die  von  ihm 
bisher  gehegte  Meinung,  dass  die  Sonne  u.  s.  w.,  aufzugeben, 
und  habe  sich  gefügt2).  Am  26.  Mai  stellte  dann  Bellarmin 
Galilei  auf  seine  Bitte  ein  eigenhändiges  Zeugniss  aus3), 
worin  er  bescheinigt :  Galilei  sei  weder  zur  Abschwörung 
irgend  einer  seiner  Meinungen  angehalten,  noch  seien  ihm 
Bussübungen  aufgelegt,  vielmehr  sei  ihm  nur  die  von  dem 
Papste  gemachte  und  von  der  Index-Congregation  publicirte 
Erklärung  amtlich  mitgetheilt  worden  (denuntiata),  dass  die 
dem  Copernfcus  zugeschriebene  Lehre  .  .  .  der  h.  Schrift 
zuwider  sei  und  darum  nicht  vertheidigt  oder  für  wahr  ge- 
halten werden  dürfe. 

Ueber  diese  Galilei  ertheilte  Verwarnung  wird  im  fol- 
genden Paragraphen  ausführlicher  zu  reden  sein.  Zunächst 
betrachten  wir  die  Bedeutung  der  über  die  Copernicanische 
Lehre  an  sich  getroffenen  Entscheidung. 

1.  Es  ist  nicht  genau,  wenn  man  sagt,  bezüglich  der 
Copernicanischen  Lehre  sei  im  J.  16 16  nur  ein  Decret  der 
Index-Congregation  veröffentlicht  worden.  Es  handelt  sich 
nicht  um  ein  Bücherverbot,  wie  dergleichen  die  Index-Con- 
gregation sehr  viele  erlassen  hat,  sondern  um  ein  Decret, 
welches  sie  auf  Grund  eines  von  der  Congregation  der  In- 
quisition unter  dem  Vorsitze  des  Papstes  gefassten  Beschlusses 
entworfen,  und  dessen  Wortlaut  dann  die  Inquisition  unter 
dem  Vorsitze  des  Papstes  gutgeheissen  und  zu  veröffentlichen 


1)  Acten  S.  48.  2)  Gherardi  No.  VI. 

3)  Acten  S.  91. 


Il6  Verdammung  der  Copern.  Lehre. 

befohlen  hat1).  Der  Cardinal  Bellarmin  bezeichnet  darum 
in  dem  eben  erwähnten  Zeugnisse  die  in  dem  Decrete  ent- 
haltene Erklärung  als  „die  von  unserm  Herrn  gemachte  (fatta 
da  Nostro  Signore)  und  von  der  h.  Congregation  des  Index 
publicirte  Erklärung." 

2.  Es  ist  nicht  richtig,  wenn  P.  Schneemann  S.  260  von 
dem  Index-D ecrete  sagt:  „Es  ist  kein  dogmatischer,  sondern 
ein  disciplinärer  Erlass,  der  nicht  zum  Glauben,  sondern  nur 
zum  Nichtlesen,  Nichtb ehalten,  Nichtverbreiten  eines  Buches, 
bezüglich  zur  Aenderung  gewisser  Stellen  desselben  ver- 
pflichtet. Das  Decret  hat  zwei  Theile,  von  denen  der  erste 
nur  die  Motivirung,  der  zweite  das  eigentliche  Gesetz  ent- 
hält. Beides  muss  unterschieden  werden  und  wird  von  den 
Theologen  selbst  bei  den  dogmatischen  Definitionen  allge- 
meiner Synoden  unterschieden.  Um  so  mehr  gilt  dies  bei 
disciplinären  Erlassen ;  denn  Zweck  und  Motive  fallen  streng 
genommen  nicht  unter  das  Gesetz.  Nehmen  wir  z.  B.  das 
vom  vierten  Lateranense  erlassene  Eheverbot.  Allerdings 
ein  höchst  weises  und  gegenwärtig  noch  giltiges  Ehegesetz! 
Doch  Niemand  wird  uns  kraft  desselben  verpflichten,  das 
von  dem  Concil  dafür  angegebene  Motiv,  quia  quatuor  hu- 
mores  sunt  in  corpore;  zu  glauben;  man  genügt  dem  Gesetze, 
wenn  man  in  den  vier  verbotenen  Graden  keine  Ehe  ein- 
geht. Wenden  wir  nun  dieses  auf  das  obige  Decret  des 
Index  an  und  scheiden  wir  demgemäss  die  ganze  Motivirung 
(quia  u.  s.  w.)  von  dem  Gesetze  aus,  so  bleibt  bloss  ein 
Bücherverbot  übrig,  das  nur  disciplinär  ist  und  streng  ge- 
nommen Niemanden  zum  Glauben,  dass  das  Copernicanische 
System  verwerflich  sei,  verpflichtet" 2).  In  einer  Anmerkung 
fügt  Schneemann  bei:  „Wenn  wir  behaupten,  dass  die  Mo- 
tivirung streng  genommen  nicht  zum  Gesetze  gehört,  so 
wollen  wir  jedoch  nicht  sagen,  dass  dieselbe  von  keiner 
Bedeutung  sei.  Ein  gewichtiger  Grund  gegen  das  genannte 
System  war  ohne  Zweifel,    dass   die  höchste  kirchliche  Be- 


1)  Grisar  S.  678. 

2)  Aehnlich,  indess  etwas  vorsichtiger,  Scheeben,  Handb.  der  kath. 
Dogmatik,  1873,  I,  251:  „Das  Decret  ist  zunächst  bloss  disciplinär,  ein 
Bücherverbot,  und  wenn  mit  dem  Verbote  in  den  Motiven  die  Censur  der 
Schriftwidrigkeit  ausgesprochen  und  daher  auch  im  Dispositiv  mit  dem  Ver- 
bote der  Bücher  eine  damnatio  derselben  verbunden  wird,  dann  ist  diese 
Censur  selbst  wieder  doch  mehr  nur  eine  polizeiliche"   u.  s.  w. 


Verdammung  der  Copern.  Lehre.  1 17 

hörde  dasselbe   in  der  Motivirung   ihres  Gesetzes  so  scharf 
censurirte". 

Die  päpstlichen  Behörden  haben  über  die  „Motivirung" 
des  Bücherverbots  jedenfalls  anders  gedacht.  Bellarmin 
erhielt,  wie  wir  gesehen  haben,  vom  Papste  in  der  Sitzung 
der  Inquisition  den  Auftrag,  Galilei  aufzufordern,  „die  Co- 
pernicanische  Meinung  aufzugeben",  und  theilte  demselben 
amtlich  mit,  der  Papst  habe  erklärt,  die  dem  Copernicus 
zugeschriebene  Lehre  sei  der  Schrift  zuwider  und  dürfe 
darum  nicht  vertheidigt  oder  für  wahr  gehalten  werden.  In 
dem  Urtheil  der  Inquisition  vom  22.  Juni  1633  wird  von 
eben  diesem  Index-Decrete  gesagt:  „Damit  eine  so  verderb- 
liche Lehre  ganz  beseitigt  würde  und  sich  nicht  weiter  ver- 
breite, zum  schweren  Schaden  der  katholischen  Wahrheit, 
erging  ein  Decret  der  h.  Congregation  des  Index,  durch 
welches  die  Bücher,  welche  von  dieser  Lehre  handeln,  ver- 
boten wurden  und  diese  selbst  für  falsch  und  der  h.  Schrift 
durchaus  widersprechend  erklärt  wurde."  In  dem  Urtheil 
wird  ferner  von  der  Copernicanischen  Lehre  gesagt:  sie  sei 
„früher  (im  J.  1616)  verdammt  und  Galilei  ausdrücklich  als 
eine  verdammte  bezeichnet"  und  es  sei  „von  ihr  erklärt  und 
definirt  worden,  sie  widerspreche  der  h.  Schrift",  und  Galilei 
wird  darum,  weil  der  Verdacht  gegen  ihn  vorlag,  er  habe 
jene  Lehre  geglaubt  und  für  wahr  gehalten,  als  der  Ketzerei 
stark  verdächtig  behandelt  und  als  der  Ketzerei  stark  ver- 
dächtig zur  Abschwörung  der  „besagten  Irrthümer  und 
Ketzereien"  angehalten. 

Aus  diesen  Stellen  folgt,  wie  P.  Grisar  S.  683  sagt, 
„unbestreitbar,  dass  das  Index-Decret  von  161 6  seitens  der 
amtlichen  Organe  und  der  Nächstbetheiligten  nicht  bloss 
als  eine  disciplinäre  Anordnung,  sondern  zugleich  als  doctri- 
neller  Entscheid  betrachtet  wurde  .  .  .  Allerdings  kleidet 
sich  das  Urtheil  in  die  Form  einer  Motivirung,  aber  einer 
Motivirung,  die  den  betreffenden  Fragepunkt  selbst  als  fest- 
gestellt betrachtet  wissen  wollte.  Es  waren  die  Verfasser 
des  Decretes  und  die  Theologen  überzeugt,  dass  im  vor- 
liegenden Falle  die  Form  der  Motivirung  den  Charakter 
einer  doctrinellen  Feststellung  nicht  ausschloss."  Grisar 
hebt  schliesslich  S.  685  mit  Recht  auch  hervor,  dass  das 
Index-Decret,  indem  es,  wie  wir  gesehen,  „von  der  bis  dahin 
und   später    üblichen  Sitte    der    einfachen  Bezeichnung    der 


1 1 8  Verdammung  der  Copern.  Lehre. 

verbotenen  Bücher  ganz  und  gar  abweicht,  und  (mit  dem 
Bücherverbote  zugleich)  eine  längere  Lehräusserung  der 
christlichen  Welt  vorlegt,  damit  offenbar  döctrinell  auftreten 
und  sich  nachdrücklich  gegen  die  Lehre  jener  Bücher  aus- 
sprechen will." 

3.  Es  wird  in  den  Processacten  nirgendwo  ausdrücklich 
gesagt,  dass  die  Inquisition  das  oben  (S.  108)  mitgetheilte 
Urtheil  ihrer  Qualificatoren  über  die  Copernicanische  Lehre 
zu  dem  ihrigen  gemacht  habe,  und  die  Jesuiten  und  andere 
Apologeten  der  Römischen  Curie  suchen  zu  beweisen,  dass 
ihre  Congregationen  jenes  Urtheil  nur  mit  einer  nicht  un= 
wesentlichen  Modifikation  bestätigt,  dass  sie  namentlich 
den  in  jenem  Urtheile  gebrauchten  Ausdruck  ,, ketzerisch" 
nicht  zu  dem  ihrigen  gemacht  haben  l). 

Die  Qualificatoren  bezeichneten  die  beiden  ihnen  vor- 
gelegten Sätze  als  „thöricht  und  philosophisch  absurd", 
ferner  den  einen  Satz,  den  vom  Stillstehen  der  Sonne,  als 
„förmlich  häretisch  (formaliter  haeretica),  weil  vielen  Sätzen 
der  h.  Schrift  nach  dem  Wortlaute  und  nach  der  gemein- 
samen Auslegung  und  Anschauung  der  h.  Väter  und  der 
Theologen  ausdrücklich  widersprechend",  den  andern,  den  von 
der  Bewegung  der  Erde,  als  „wenigstens  dogmatisch  irrig" 
(ad  minus  in  fide  erronea).  Diese  beiden  Ausdrücke  sind 
nicht  gleichbedeutend :  „häretisch"  heisst  nach  dem  Sprach- 
gebrauche der  Curie  ein  Satz,  wenn  er  einem  als  ausdrück- 
lich geoffenbarte  Wahrheit,  „dogmatisch  irrig",  wenn  er  einem 
als  sichere  Schlussfolgerung  aus  einer  geoffenbarten  Wahr- 
heit angesehenen  Satze  widerspricht.  Die  Qualificatoren 
sahen  die  beiden  ihnen  vorgelegten  Sätze  als  der  h.  Schrift 
widersprechend  an,  nahmen  aber  an,  von  der  Bewegung  der 
Sonne  spreche  diese  ausdrücklich,  die  Unbeweglichkeit  der 
Erde  dagegen  werde  nicht  gerade  ausdrücklich  in  der  Bibel 
ausgesprochen,  müsse  aber  aus  ihren  Worten  gefolgert  wer- 
den; darum  qualificirten  sie  den  Satz  von  der  Unbeweglich- 
keit der  Sonne  als  „häretisch,  weil  Stellen  der  h.  Schrift 
ausdrücklich  widersprechend",  den  Satz  von  der  Bewegung 
der  Erde  dagegen  als   „mindestens  dogmatisch  irrig",    weil 


1)  Olivieri,  Di  Copernico  p.  64  (danach  Hist.-pol.  Bl.  7  [1841],  525). 
Bouix  p.  107.  222.  Civiltä  cattolica  S.  9,  vol.  10  (1876),  p.  68.  Wenig 
S.  45.     Grisar  S.  699. 


Verdammung  der  Copern.  Lehre.  119 

sie  von  ihm  annahmen,  dass  er,  wenn  auch  nicht  „ausdrück- 
lich Stellen  der  h.  Schrift",  so  doch  jedenfalls  noth wendigen 
Folgerungen  aus  solchen  Stellen  ausdrücklich,  oder  Stellen 
der  h.  Schrift  indirect  widerspreche1). 

Es  wird  nun  allerdings,  wie  oben  bemerkt  wurde,  in 
den  Processacten  nicht  gesagt,  dass  die  Inquisition  das  Ur- 
theil  der  Qualificatoren  zu  dem  ihrigen  gemacht2),  aber  es 
wird  auch  durch  nichts  angedeutet,  dass  sie  dasselbe  habe 
modificiren  wollen;  vielmehr  spricht  alles  dafür,  dass  sie 
dasselbe  einfach  als  zutreffend  anerkannt  und  bei  den  von 
ihr  zu  fassenden  Beschlüssen  zu  Grunde  gelegt  hat.  Das 
hat  auch  P.  Grisar  in  seinem  ersten  Aufsatze  anerkannt,  in- 
dem er  S.  86  sagt:  „So  weit  zu  ersehen  ist,  war  die  [In- 
quisition in  der]  Sitzung  [vom  25.  Febr.  16 16]  mit  der 
Censur  [der  Qualificatoren]  einverstanden."  In  seinem  zweiten 
Aufsatze  S.  701  hat  er  mit  Unrecht  diesen  Satz  zurückge- 
nommen. In  dem  Berichte  über  jene  Sitzung  heisst  es 
allerdings  nur:  „Nachdem  die  Censur  der  Patres  Theologen 
über  die  Sätze  Galilei's  vorgelegt  worden,  befahl  der  Papst", 
Galilei  aufzufordern,  seine  Meinung  aufzugeben.  Diese 
Worte  lassen  aber  doch  eher  voraussetzen,  dass  die  Censur 
einfach  als  richtig  anerkannt,  als  dass  sie  modificirt  wurde. 
Und  wenn  auch  in  dem  Urtheil  vom  22.  Juni  1633  (s.  o.  S.  110) 
das  Gutachten  der  Qualificatoren  nur  in  der  Form  eines  histori- 
schen Referates  angeführt  wird,  so  würde  dasselbe  doch  wohl 
überhaupt  nicht  angeführt  und  namentlich  nicht  als  ein  „auf 
Befehl  der  Inquisition"  erstattetes  Gutachten  angeführt  wer- 
den, wenn  die  Inquisition  dasselbe  nicht  als  zutreffend  an- 
erkannt, sondern  eine  Amendirung  desselben  für  nöthig  er- 
achtet hätte. 

Wenn  in  dem  Index-D ecrete  nicht  der  Wortlaut  der 
Qualifikation  beibehalten  ist,  so  darf  daraus  nicht  gefol- 
gert werden,  dass  die  Index-Congregation  und  die  Inquisi- 
tion das  Urtheil  der  Qualificatoren  modificirt  haben.  In 
dem   Index-Decrete  kam    es    nicht    darauf   an,    die    beiden 


i)  Vgl.  R(einerding)  in  den  Hist.-pol.  Bl.   56  (1865),  422. 

2)  In  einem  Circular  des  Inquisitors  von  Pavia  vom  7.  Aug.  1633 
(Acten  S.  155)  wird  das  Urtheil  der  Qualificatoren  als  Urtheil  der  Inquisi- 
tion bezeichnet.  Das  ist  aber  natürlich,  wie  Grisar  S.  701  bemerkt,  nicht 
massgebend. 


120  Verdammung  der  Coperr^  Lehre. 

Seiten  der  Copernicanischen  Theorie  und  den  Grad  der  Un- 
richtigkeit derselben  zu  unterscheiden.  Darum  wurden  die 
beiden  von  den  Qualificatoren  gebrauchten  Ausdrücke,  „häre- 
tisch, weil  ausdrücklich  Stellen  der  h.  Schrift  widersprechend" 
und  „wenigstens  dogmatisch  irrig",  (weil  indirect  Stellen 
der  h.  Schrift  widersprechend),  durch  den  Einen,  die  beiden 
Ausdrücke  zusammenfassenden  Ausdruck  „der  h.  Schrift 
durchaus  widersprechend"  ersetzt.  Auch  der  von  den  Quali- 
ficatoren gebrauchte  Ausdruck  „thöricht  und  philosophisch 
absurd"  (stulta  et  absurda  in  fihilosophia)  findet  sich  in  dem 
Index-Decrete  nicht ;  allem  Anscheine  nach  ist  „falsch"  (falsa) 
statt  jenes  Ausdruckes  gesetzt  und  also  damit  die  „philoso- 
phische" Unrichtigkeit  der  Copernicanischen  Theorie  in  weniger 
derber  Form,  als  von  den  Qualificatoren,  ausgesprochen1). 

Das  Urtheil  der  Qualificatoren  wurde,  so  viel  wir  wissen, 
bis  zum  22.  Juni  1633  nicht  veröffentlicht.  Darum  wollen  wir 
vorläufig  bei  dem  durch  das  Index-Decret  publicirten  Ur- 
theil stehen  bleiben,  dass  die  Copernicanische  Lehre  „falsch 
und  der  h.  Schrift  durchaus  widersprechend"  sei.  Auf  die 
von  den  Qualificatoren  gebrauchten  Ausdrücke  zurückzu- 
kommen, wird  sich  später  Gelegenheit  finden. 

Wenn  Galilei  am  6.  März  16162)  an  den  Staatssecretär 
Picchena  schreibt:  „die  h.  Kirche"  habe  nicht  die  Meinung 
Caccini's,  dass  die  Copernicanische  Lehre  „gegen  den  Glau- 
ben und  ketzerisch  sei",  zu  der  ihrigen  gemacht,  sondern 
nur  erklärt,  „sie  stimme  nicht  mit  der  h.  Schrift  überein", 
so  führt  er  ja  allerdings  den  Wortlaut  des  veröffentlichten 
Urtheils  richtig  an;  dass  er  dasselbe  in  einen  Gegensatz  zu 
der  Anklage  Caccini's  bringt,  entspricht  der  Tendenz  seines 
Briefes,  dem  Urtheil  eine  gute  Seite  abzugewinnen,  ist  aber 
jedenfalls  keine  authentische  Interpretation  des  Urtheils. 

4.  P.  Wenig  ist  noch  einmal  auf  die  von  dem  Pater  Olivieri 
ersonnene  und  1841  durch  die  Historisch  -  politischen  Blätter 
in  Deutschland  veröffentlichte  Apologie  der  Inquisition  zu- 
rückgekommen: sie  hat  „nur  die  falsche  und  daher  mit  der 
h.  Schrift    in  der  That  unvereinbare  Galilei'sche  Lehre  von 


i)  „Dass  die  Note  falsa  auf  die  philosophische  Unrichtigkeit  geht", 
ist  allerdings,  wie  Grisar  S.  700 <3  sagt,  „nicht  direct  erweislich",  aber,  wenn 
man  das  Urtheil  der  Qualificatoren  vergleicht,  wohl  nicht  zu  bezweifeln. 

2)  VI,   231. 


Verdammung  der  Copern.  Lehre.  121 

der  Bewegung  der  Erde  in  der  Luft  und  durch  die  Luft" 
verworfen,  nicht  die  Lehre  von  der  Bewegung  der  Erde 
überhaupt,  namentlich  nicht  die  geläuterte,  vom  Irrthum  be- 
freite Form  des  Copernicanischen  Systems,  wie  sie  uns  jetzt 
bekannt  ist;  diese  konnte  die  Inquisition  schon  darum  nicht 
verwerfen,  weil  sie  ihr  selbstverständlich  gänzlich  unbekannt 
war 1).  Es  ist  selbstverständlich,  dass  die  Inquisition  die  An- 
sicht von  der  Bewegung  der  Erde  und  dem  Stillstehen  der 
Sonne  überhaupt,  weil  sie  der  herkömmlichen  Ansicht  wider- 
sprach und  der  Bibel  zu  widersprechen  schien,  verworfen  hat. 
5.  Auch  Wohlwill2)  deutet  das  Decret  der  Index-Con- 
gregation  nicht  ganz  richtig.  Es  werden  darin  allerdings 
nicht  ,, unterschiedslos  alle  Bücher  verboten,  die  von  der  Erd- 
bewegung handeln";  aber  das  Decret  verbietet  auch  nicht, 
wie  Wohlwill  meint,  ,,nur  diejenigen  Bücher,  die  einen  Ein- 
klang zwischen  der  Copernicanischen  Lehre  und  der  Bibel 
nachzuweisen  suchen,  während  es  diejenigen,  die,  wie  das 
Werk  des  Copernicus,  die  wissenschaftliche  Lehre  als  solche 
vortragen,  nur  bis  zur  Verbesserung  suspendirt".  Wie  sich 
aus  dem  Zusammenhange  ergibt  und  in  dem  Monitum  vom 
J.  1620  ausdrücklich  gesagt  wird,  sollte  es  fortan  nicht  nur 
als  unzulässig  gelten,  einen  Einklang  zwischen  der  Coperni- 
canischen Lehre  und  der  Bibel  nachzuweisen  zu  versuchen, 
sondern  auch  jene  Lehre  als  wahr  vorzutragen,  wie  Coperni- 
cus wenigstens  (nach  der  Ansicht  der  Index  -  Congregation 
nur)  an  mehreren  Stellen  seines  Werkes  gethan.  Gestattet 
war  nur,  die  Lehre  „hypothetisch"  vorzutragen.  Von  Foscarini 
wird  ja  auch  nicht  bloss  gesagt,  er  habe  ,, einen  Einklang 
zwischen  der  Copernicanischen  Lehre   und   der  Bibel  nach- 


i)  Ueber  die  kirchl.  und  polit.  Inquisition  S.  35  ff. ;  ebenso  schon  Die 
Freiheit  der  Wissensch.  1866,  S.  25;  vgl.  Th.  Lit.-Bl.  1867,  25.  Vgl.  Hist- 
pol.  Bl.  7,  387.  455  u.  s.  w.  P.  Schneemann  S.  261  desavouirt  seinen  Ordens- 
genossen (natürlich  ohne  ihn  zu  nennen):  ,, Solche  gewaltsame  Erklärungen 
wollen  uns  nicht  gefallen."  —  Der  früher  von  den  Apologeten  der  Curie 
viel  benutzte  Aufsatz  im  7.  Bande  der  Hist.-pol.  Bl.,  „Der  h.  Stuhl  gegen 
Galilei  und  das  astronomische  System  des  Copernicus",  ist  eine  von  dem 
verstorbenen  Prof.  Clemens,  der  sich  damals  in  Rom  aufhielt,  herrührende 
Uebersetzung  der  schon  1840  geschriebenen,  aber  erst  1872  veröffentlichten 
Abhandlung  des  frühern  Commissars  der  Inquisition  P.  Olivieri;  s.  o.  S.  80. 
Th.  Lit.-Bl.  1873,5.  Gebier,  Galilei  S.  305.  Cantor,  Zts.  f.  Math.  1876.  L.-Z.  98. 

2)  Ist  Gal.  gef.  worden?  S.   116. 


122  Verdammung  der  Copern.  Lehre. 

zuweisen    versucht",    sondern    auch,    er   habe    versucht,    zu 
zeigen,  dass  „erstere  der  Wahrheit  entsprechend"  sei. 

Wohlwills  Ansicht  kommt  der  von'  Scheeben  nahe: 
„Die  in  demlndex-Decrete  ausgesprochene  Censur  der  Schrift- 
widrigkeit ist  mehr  nur  eine  polizeiliche,  welche  nicht  direct 
auf  die  Lehre  in  sich  geht,  sondern  auf  die  dreiste  Behaup- 
tung und  Geltendmachung  der  Lehre  ohne  die  schuldige 
Rücksicht  auf  die  Würde  der  h.  Schrift  und  die  katholischen 
Regeln  für  die  Interpretation  derselben.  Diese  Tendenz 
des  Decretes  wurde  daher  auch  vier  Jahre  später  durch  ein 
anderes  Index-Decret  ausdrücklich  erklärt,  indem  bloss  die 
assertorische,  nicht  die  hypothetische  Aufstellung  der  frag- 
lichen Lehre  verboten  wurde,  was  keinen  Sinn  hätte,  wenn 
durch  das  erste  Verbot  die  Lehre  in  sich  selbst  verdammt 
worden  wäre" *).  Aber  wenn  die  Römischen  Behörden  nur 
die  „hypothetische  Aufstellung"  der  Copernicanischen  Lehre 
gestatteten,  so  wollten  sie  damit  nicht  nur  die  „assertorische 
Aufstellung"  derselben,  die  Behauptung,  die  Lehre  sei  wahr 
oder  erwiesen,  verbieten,  so  dass  es  etwa  erlaubt  gewesen 
wäre,  zu  sagen,  die  Lehre  sei  zwar  nicht  als  wahr  oder 
wahrscheinlich  erwiesen,  aber  auch  nicht  sicher  falsch  und 
es  sei  möglich,  dass  sich  für  dieselbe  in  Zukunft  noch  bes- 
sere Gründe  finden  Hessen  als  jetzt.  Wie  es  gemeint  war, 
wenn  gestattet  wurde,  die  Copernicanische  Lehre  „hypothe- 
tisch" vorzutragen,  darüber  geben  uns  zwei  Jesuiten,  welche 
in  den  Galilei'schen  Processen  eine  hervorragende  Rolle 
spielten,  Auskunft.  Bellarmin  sagt  in  dem  früher  (S.  62) 
mitgetheilten  Briefe:  es  sei  gestattet,  zu  sagen:  unter  der  Vor- 
aussetzung, dass  die  Erde  sich  bewege  und  die  Sonne  still 
stehe,  Hessen  sich  alle  Erscheinungen  besser  erklären  als 
durch  die  Annahme  der  excentrischen  Kreise  und  Epicyklen ; 
aber  es  sei  nicht  gestattet,  zu  sagen,  die  Sonne  stehe  wirk- 
lich im  Mittelpunkte  der  Welt  und  bewege  sich  nur  um  sich 
selbst  u.  s.  w„  und  Melchior  Inchofer  sagt  in  einem  bei  dem 
zweiten  Processe  abgegebenen  Gutachten2):  man  dürfe  die 


1)  Handb.  der  kath.  Dogm.  S.  251.  Auch  Katholik  1864,  I,  690  ver- 
sichert er:   das  Decret  vom  J.  1616  sei  1620  „bedeutend  modificirt"  worden. 

2)  Acten  S.  105.  Ganz  ähnlich,  nur  ausführlicher  spricht  sich  Incho- 
fer in  dem  später  zu  erwähnenden  „Tractatus  syllepticus"  p.  48  aus.  Die 
Stelle    ist  abgedruckt    in   der    oben    erwähnten  Broschüre  The  Pontifical  De- 


Verdammung  der  Copern.  Lehre.  123 

Hypothese  aufstellen,  dass  die  Erde  sich  bewege,  um  auf 
Grund  dieser  Hypothese  die  astronomischen  Erscheinungen 
zu  veranschaulichen  und  die  astronomischen  Berechnungen 
zu  erleichtern,  aber  man  müsse  dabei  die  Hypothese  für 
eine  reine  Fiction  halten,  wie  ja  auch  ein  Mathematiker  sich 
eine  unendliche  Linie  denken  und  dann  schliessen  könne, 
dass  ein  darüber  construirtes  Dreieck  unendlich  sei,  ohne 
darum  anzunehmen,  dass  es  wirklich  eine  unendliche  Linie 
gebe,  und  wie  ein  Philosoph  sagen  könne,  wenn  die  Welt 
von  Ewigkeit  gewesen  wäre,  hätte  dieses  und  jenes  noth- 
wendig  oder  wahrscheinlich  geschehen  müssen,  während 
doch  jeder  Christ  wisse,  dass  die  Welt  nicht  von  Ewigkeit 
sei.  „Wenn  die  Index- Congregation,  sagt  P.  Grisar  ganz 
richtig,  den  Vortrag  der  Copernicanischen  Lehre  ex  hypo- 
thesi,  ex  suppositione  gestattete,  so  ist  daraus  nicht  zu 
schliessen,  dass  sie  der  Lehre  einige  Wahrscheinlichkeit  zu- 
gestand. Das  Gegentheil  ist  vielmehr  der  Fall"  (S.  100). 
„Sie  Hess  das  System  nur  als  eine  blosse  willkürliche  An- 
nahme zur  Erleichterung  der  Rechnungen  und  Darstellung 
der  Erscheinungen  gelten,  ohne  irgend  welchen  Anspruch 
auf  Wahrheit  oder  auch  nur  Wahrscheinlichkeit"  (S.  676) 1). 
Der  Meinung  gegenüber,  die  Lehre  habe  „wenigstens  noch 
als  einigermassen  wahrscheinlich  und  nur  nicht  als  sicher 
vorgetragen  werden  dürfen",  verweist  Grisar  mit  Recht 
auf    die    Sentenz    vom    22.    Juni    16332).      In    dieser    wird 


crees  p.  52;  ebendaselbst  p.  53  die  Erklärung  des  Georg  Polaccus  im  Anti- 
copernicus  catholicus,  1644,  P-  5:  »Die  Cardinals-Congregation  hat  die  Be- 
wegung der  Erde  (sie)  nicht  so  verboten,  dass  es  Niemand  gestattet  wäre, 
astronomische  Schwierigkeiten  durch  die  Voraussetzung  der  Bewegung  der 
Erde  aufzuhellen,  wenn  nur  derjenige,  der  dieses  thut,  deutlich  zu  erkennen 
gibt,  dass  er  sich  auf  jene  Hypothese  nicht  als  auf  eine  wahre  stützt,  son- 
dern nur  von  einem  falschen  Princip  ausgeht,  um  die  Sache  besser  aufzu- 
hellen, in  ähnlicher  Weise,  wie  die  Theologen  bei  der  Erklärung  theologi- 
scher Schwierigkeiten  sagen:  Nehmen  wir  einmal  an,  Gott  sei  nicht  unend- 
lich oder  gerecht  und  dgl.,  oder  was  dasselbe  ist:  Wenn  Gott,  was  unmög- 
lich ist,  nicht  unendlich  oder  nicht  gerecht  u.  s.  w.  wäre,  so  würde  dieses 
oder  jenes  folgen."  1 

1)  „Dem  Ausdruck  »Hypothese«  wird  meistens  eine  falsche  Bedeutung 
beigelegt,  indem  man  den  Sinn,  welchen  er  gegenwärtig  in  den  Naturwissen- 
schaften hat,  auf  die  damalige  Zeit  überträgt.  Hypothese  im  Sinne  jenes 
Decretes  ist  soviel   als  mathematische  Fiction."     Schneemann  S.    263. 

2)  Vgl.  Th.  Lit.-Bl.   1876,  463. 


124  Verdammung  der  Copern.  Lehre. 

von  dem  Index-Decrete  gesagt,  es  sei  erlassen  worden, 
„ damit  eine  so  verderbliche  Lehre  ganz  beseitigt  würde 
und  sich  nicht  zum  Schaden  der  katholischen  Wahrheit 
weiterverbreitete",  und  weiter  wird  erklärt :  wenn  Galilei  in 
seinem  Dialog  sich  den  Anschein  gebe,  als  wolle  er  die 
Copernicanische  Lehre  nicht  direct  vertheidigen,  sondern 
nur  als  unentschieden  und  probabel  hinstellen,  so  sei  auch 
das  „ein  schwerer  Irrthum,  da  eine  Meinung  in  keiner 
Weise  probabel  sein  könne,  welche  als  schriftwidrig  erklärt 
und  deiinirt  worden  sei". 

Auf  die  Scheeben'sche  Ansicht  wird,  wie  überhaupt 
auf  die  Bedeutung  und  Tragweite  der  im  J.  1616  von  den 
Römischen  Behörden  getroffenen  Entscheidung  zurückzu- 
kommensein, nachdem  wir  auch  die  damit  zusammenhängende 
Entscheidung  vom  J.  1633  werden  kennen  gelernt  haben. 
Für  das  Verständniss  des  weitern  Verlaufs  der  Geschichte 
Galilei's  bis  zu  jenem  Jahre  genügt  es,  festzuhalten,  dass  im 
J.  161 6  im  Auftrage  des  Papstes  und  der  Inquisition  durch 
die  Index- Congregation  ein  Decret  bekannt  gemacht  wurde, 
aus  welchem  Folgendes  zu  entnehmen  war:  Die  Copernica- 
nische Theorie  ist  falsch  und  der  h.  Schrift  durchaus  wider- 
sprechend; es  darf  Niemand  sie  für  wahr  halten,  sie  als 
wahr  nachzuweisen  oder  die  betreffenden  Stellen  der  h. 
Schrift  mit  ihr  in  Einklang  zu  bringen  suchen;  es  ist  aller- 
dings zulässig,  sich  jener  Theorie  als  einer  Annahme  zur 
Erleichterung  astronomischer  Berechnungen  und  zur  Erklä- 
rung von  astronomischen  Beobachtungen  zu  bedienen;  dabei 
ist  aber  immer  festzuhalten,  dass  diese  Annahme  weder 
wahr  noch  wahrscheinlich,  dass  sie  vielmehr  willkürlich  und 
unrichtig  ist. 

P.  Schneemann  beklagt  wiederholt  „die  unglückliche 
Fassung  und  Motivirung  des  Decretes  der  Index-Congrega- 
tion"  (der  Ausdruck  wird  auf  drei  Seiten,  S.  260 — 262,  fünf- 
mal gebraucht).  Gemeint  ist  der  über  das  blosse  Bücherver- 
bot hinausgehende  Inhalt  des  Decretes.  Er  verbindet  dann 
mit  diesen  Klagen  den  Versuch,  die  Schuld  der  unglücklichen 
Formulirung  des  Decretes  von  seinem  Orden  ab-  und  dessen 
Gegnern  zuzuwälzen.  Er  hat  herausgefunden,  dass  unter  den 
elf  Qualificatoren  drei,  der  Erzbischof  von  Armagh,  der 
Augustiner    Coronellus    und    der    Dominicaner    de   Lemos, 


Bellarmin   und  das  Index-Decret.  125 

waren,  welche  bei  der  einige  Jahre  vorher  mit  grosser  Leb- 
haftigkeit geführten  Controverse  über  die  Gnadenlehre  in 
der  sog.  Congregatio  de  auxiliis  Hauptgegner  der  Jesuiten 
gewesen  waren,  und  meint  nun,  dieselben  seien  auch  ,, Chor- 
führer" in  der  Commission  der  Qualificatoren  und  die  „Ur- 
sache des  herben  Urtheils"  derselben  gewesen,  durch  welche 
sich  dann  auch  die  Index- Corigregation  [vielmehr  die  In- 
quisition] habe  bestimmen  lassen.  Zugleich  spricht  er  die 
Ueberzeugung  aus,  der  Cardinal  Bellarmin  sei  nicht  der 
„geistige  Urheber"  des  unglücklichen  Decretes  gewesen,  und 
lässt  die  Ueberzeug-ung  durchblicken,  dass  er  in  diesem 
Falle,  wie  bezüglich  der  Gnadenlehre,  „abweichender  Meinung 
von  den  meisten  seiner  Collegen  in  der  Inquisitions-Congre- 
gation"  gewesen. 

Es  unterliegt  kaum  einem  Zweifel,  dass  die  Qualifica- 
toren und  die  Cardinäle,  mögen  sie  bezüglich  der  Gnaden- 
lehre auf  Seiten  der  Jesuiten  oder  auf  Seiten  der  Domini- 
caner gestanden  haben,  bezüglich  der  Copernicanischen 
Lehre  Einer  Ansicht  gewesen  sind.  Von  Bellarmin  aber 
wissen  wir,  dass  er  sich  mit  dieser  Frage  viel  beschäftigt 
hatte.  Dass  der  Beschluss  der  Inquisition  gegen  seinen 
Rath  gefasst  sein  sollte,  ist  schon  wegen  des  Ansehens,  in 
dem  er  in  Rom  stand,  nicht  wahrscheinlich J),  und  die  That- 
sache,  dass  gerade  er  beauftragt  wurde,  Galilei  von  dem 
Beschlüsse  Kenntniss  zu  geben,  spricht  eher  dafür,  dass  er 
„der  geistige  Urheber"  desselben  war.  Und  wenn  sich,  wie 
Schneemann  sagt,  Bellarmins  Werke  „durch  die  höchste 
Klarheit  und  Genauigkeit  des  Ausdrucks"  auszeichnen,  so 
spricht  das  nicht  dagegen,  dass  er  der  geistige  Urheber  des 
Index-Decretes  gewesen;  er  braucht  es  darum  nicht  gerade 
stilisirt  zu  haben,  und  an  Unklarheit  und  Ungenauigkeit  des 
Ausdrucks  laborirt  dasselbe  keineswegs. 

P.  Grisar  stimmt  S.  730  seinem  Ordensgenossen  nicht 
ganz  zu;  er  meint:    „Bellarmin  war  sich    stets   klar   genug, 


i)  Der  Jesuit  Hurter  sagt,  Katholik  1866,  II,  53,  unter  Berufung  auf 
den  Cardinal  del  Monte:  in  den  Congregationen  sei  Bellarmins  Ansicht  mass- 
gebend gewesen;  die  anderen  Cardinäle  hätten  es  sich  zur  Ehre  angerechnet, 
seiner  Meinung  als  der  sicherern  zu  folgen,  und  es  sei  oft  vorgekommen,  dass, 
wenn  bei  der  Berathung  alle  Anderen  übereinstimmten,  das  Votum  Bellarmins 
genügt  habe,  sie  umzustimmen. 


126  Bellarmin  und  das  Index-Decret. 

um  mit  Ueberzeugung  dem  Vorgehen  seiner  Collegen  bei- 
zustimmen; aber  er  hätte  seinerseits  mehr  Zurückhaltung 
und  Langsamkeit  bevorzugt",  und  S.  701  hält  er  es  für 
„nicht  unmöglich",  dass  Bellarmin  es  durchgesetzt,  dass  das 
Gutachten  der  Qualificatoren  nicht  wörtlich  angenommen 
und  namentlich  die  Bezeichnung  der  Copernicanischen  Lehre 
als  einer  „häretischen"  unterlassen  worden  sei. 

Schneemanns  und  Grisars  Vermuthungen  stützen  sich 
wesentlich  auf  Bellarmins  oben  (S.  62)  mitgetheilten  Brief 
an  Foscarini  und  ähnliche  Aeusserungen  desselben.  Wenn 
Bellarmin  in  jenem  Briefe  die  Möglichkeit  zugibt,  dass  sich 
die  Copernicanische  Theorie  noch  einmal  als  richtig  und 
darum  auch  mit  der  Bibel  vereinbar  herausstellen  könne,  so 
hätte  ihn  das  freilich,  wie  wir  gesehen  haben,  abhalten  müs- 
sen, der  beantragten  Verdammung  der  Copernicanischen 
Lehre  zuzustimmen.  Thatsächlich  hat  er  aber  jedenfalls 
denjenigen  beigestimmt,  welche  die  Copernicanische  Lehre, 
weil  sie  mit  der  damals  herrschenden  astronomischen  An- 
sicht und  mit  der  damals  herrschenden  Auffassung  mehrerer 
Bibelstellen  in  Widerspruch  stand,  mindestens  für  falsch  und 
der  h.  Schrift  widersprechend  erklärten ;  denn  hätte  er  nicht 
zugestimmt,  so  hätte  er  sich  nicht  dazu  hergeben  können, 
diesen  Beschluss  Galilei  amtlich  zu  notificiren.  Wenn  er 
wirklich  das  Verdienst  beanspruchen  kann,  bewirkt  zu  haben, 
dass  in  das  Index-Decret  nicht  die  von  den  Qualificatoren 
gebrauchten  Ausdrücke  aufgenommen  wurden,  so  ist  das, 
wie  wir  sehen  werden,  nicht  so  hoch  anzuschlagen  und 
jedenfalls  nicht  genügend,  um  es  zu  entschuldigen,  dass  er 
es  mit  „seiner  Ueberzeugung"  vereinigen  konnte,  „dem  Vor- 
gehen seiner  Collegen  beizustimmen",  während  er  nach 
dem,  was  er  in  dem  Briefe  an  Foscarini  äussert,  nicht  nur 
„mehr  Zurückhaltung  und  Langsamkeit  hätte  bevorzugen", 
sondern  eine  doctrinelle  Erklärung  gegen  die  Copernicani- 
sche Theorie  überhaupt  zu  verhindern  sich  hätte  bemühen 
müssen. 


Galilei's  Verwarnung  26.   Febr.   16 16.  127 


XI. 
Galilei's  Yerwarnung  am  26.  Februar  1616. 

Die  durch  das  Decret  der  Index-Congregation  vom  5. 
März  1616  publicirte  Verdammung  der  Copernicanischen 
Ansicht  ist  das  wichtigste  Ergebniss  der  durch  die  Denun- 
ciationen  Lorini's  und  Caccini's  veranlassten  Verhandlungen 
der  Inquisition.  Der  gegen  Galilei  persönlich  eingeleitete 
Process  wurde  niedergeschlagen.  Man  hätte  ihn  weiter 
•führen  und  gerichtlich  constatiren  können,  dass  Galilei  die  von 
der  Inquisition  für  falsch  und  schriftwidrig  erklärten  Sätze 
mündlich  und  schriftlich  ausgesprochen,  und  man  hätte  darauf 
hin  Galilei  wenigstens  zu  einer  Retractation  anhalten  können. 
Man  beschränkte  sich  aber  darauf,  ihm  von  dem  Urtheile 
der  Inquisition  über  die  Copernicanische  Lehre  in  amtlicher 
Weise  Kenntniss  zu  geben,  ihm  bemerklich  zu  machen,  dass 
er  diese  Lehre  jetzt  nicht  mehr  für  wahr  halten  dürfe,  und 
ihm  das  Versprechen  abzunehmen,  dass  er  sie  nicht  mehr 
vortragen  und  vertheidigen  wolle.  Die  auf  diese  Verwar- 
nung bezüglichen  Actenstücke  müssen  eingehender,  als  oben 
S.  1 15,  besprochen  werden,  weil  eines  derselben  in  dem  zweiten 
Processe  eine  grosse  Rolle  spielt  und  weil  von  Vielen,  welche 
in  der  neuesten  Zeit  über  die  Galilei'sche  Angelegenheit  ge- 
schrieben, behauptet  wird,  dasselbe  sei  unmittelbar  vor  dem 
zweiten  Processe  gefälscht  worden.  Die  Actenstücke  sind 
folgende: 

I.  Die  schon  oben  erwähnte  Aufzeichnung  des  Notars 
der  Inquisition  vom  25.  Febr.  1616:  „Der  Cardinal  Mellini 
hat  dem  Assessor  und  dem  Commissar  des  h.  Officiums  mit- 
getheilt:  nachdem  die  Censur  der  Patres  Theologen  über  die 
Sätze  des  Mathematikers  Galilei,  dass  die  Sonne  der  Mittel- 
punkt der  Welt  .  .  .  ,  [in  der  Sitzung  der  Inquisition]  vor- 
getragen worden,  habe  Seine  Heiligkeit  befohlen,  der  Car- 
dinal Bellarmin  solle  Galilei  zu  sich  bescheiden  und  ihn  er- 
mahnen   (moneat),    die    besagte    [Copernicanische]   Meinung 


128  Galilei's  Verwarnung  26.  Febr.    1616. 

aufzugeben ;  wenn  er  sich  weigere  zu  gehorchen,  solle  der  Pater 
Commissar  vor  Notar  und  Zeugen  ihm  den  Befehl  ertheilen 
(faciat  Mi  praeceptum),  ganz  und  gar  nicht  mehr  eine  derartige 
Lehre  und  Meinung  zu  lehren,  zu  vertheidig-en  oder  zu  er- 
örtern {ut  omnino  abstineat  huiusmodi  doctrinam  et  opinio- 
nem  docere  aut  def  ender e  seu  de  ea  tractare) ;  wenn  er  sich 
(diesem  Verbote)  nicht  fügen  wolle,  solle  er  eingekerkert 
werden1). 

II.  Eine  unmittelbar  dahinter,  theilweise  noch  auf  der- 
selben Seite,  theilweise  auf  dem  folgenden  Blatte  der  Vati- 
canischen  Acten  stehende  Aufzeichnung-  von  der  Hand  des- 
selben Notars2),  welche  mit  Weglassung  einiger  unwesent- 
lichen Worte  so  lautet:  ,, Freitag  26.  desselben  Monats  [Fe- 
bruar 1616].  In  der  Wohnung  des  Cardinais  Bellarmin  hat 
dieser  Cardinal  in  Gegenwart  des  Fr.  Michael  Angelus  Se- 
ghitius  von  Lauda  aus  dem  Prediger-Orden,  des  General- 
commissars des  h.  Officiums,  den  oben  genannten  Galilei 
über  das  Irrthümliche  der  oben  besagten  Meinung  belehrt 
und  ihn  ermahnt,  dieselbe  aufzugeben  (monuit  de  errore  su- 
pradictae  opinionis  et  ut  illam  deserat) ;  und  gleich  darauf 
(et  successive  ac  incontinenti)  hat  in  meiner  Gegenwart  und 
in  Gegenwart  von  Zeugen  und  noch  in  Anwesenheit  des  be- 
sagten Cardinais  der  Pater  Commissarius  dem  besagten  dort 
noch  anwesenden  Galilei  im  Namen  unseres  heiligsten  Herrn 
des  Papstes  und3)  der  ganzen  Congregation  des  h.  Officiums 
befohlen  und  geboten  (praecepit  et  ordinavit),  die  oben  be- 
sagte Meinung,  dass  die  Sonne  .  .  .  .,  ganz  aufzugeben  und 
sie  in  Zukunft  in  keiner  Weise  mehr  festzuhalten4),  zu  lehren 


1)  Acten  S.  48. 

2)  Acten  S.  49.  Das  Stück  steht  facsimilirt  bei  Epinois,  Les  pieces  p.  40. 

3)  Mit  „und"  beginnt  das  zweite  Blatt. 

4)  Die  beste  Uebersetzung  von  teuere  in  diesem  Zusammenhange  ist, 
wo  es  absolut  steht,  ,,für  wahr  halten",  in  der  Verbindung  opinionem  tenere 
oder  tanquam  veram  tenere  (italienisch  tener  per  oder  come  vera)  „fest- 
halten". Tenere  ist  synonym  mit  credere;  die  beiden  Ausdrücke  werden 
oft  pleonastisch  mit  einander  verbunden,  z.  B.  in  der  Sentenz  gegen  Galilei : 
d'haver  creduto  e  tenuto  dottrina  falsa,  und  in  dem  Verhörsformulare  S.  A. 
p.  63 :  An  tenuerit  et  crediderit  und  Quid  modo  credat  vel  teneat  circa 
praemissa.  Vgl.  S.  A.  p.  92.  105  u.  s.  w.  Es  handelt  sich  bei  tenere  um 
die  innere  Ueberzeugung,  nicht  um  ein  äusserliches  Bekenntniss,  auch  nicht 
um  „das  Aufrechthalten   einer  Ansicht  abweichenden  Ansichten  gegenüber", 


Galilei's  Verwarnung  26.  Febr.   1616.  129 

oder  zu  vertheidigen,  in  Wort  oder  Schrift  (nee  eam  de  cae- 
tero  qnovis  modo  teneat,  doceat,  aut  defendat,  verbo  aut  scrifitis)  ; 
widrigenfalls  werde  gegen  ihn  im  h.  Officium  verfahren 
werden.  Diesem  Gebote  (praeeepto)  fügte  sich  selbiger  Ga- 
lilei und  versprach  zu  gehorchen.  So  geschehen  zu  Rom 
wie  oben  in  Gegenwart  des  Hochwürdigen  Herrn  Badinus 
Nores  aus  Nicosia  im  Königreich  Cypern  und  des  Augustinus 
Mongardus  aus  einem  Orte  der  Abtei  Rosa  in  der  Diö- 
cese  Montepulciano,  Familiären  des  besagten  Cardinais,  als 
Zeugen" !). 

III.  Der  von  Gherardi  unter  Nro.  VI  veröffentlichte 
Bericht  über  die  Sitzung  der  Inquisition  vom  3.  März  16 16: 
„Nachdem  der  Cardinal  Bellarmin  berichtet,  der  Mathema- 
tiker Galileo  Galilei  sei  im  Auftrage  der  h.  Congregation 
ermahnt  worden,  die  Meinung,  die  er  bisher  gehegt,  dass 
die  Sonne  .  .  .  .  ,  aufzugeben,  und  er  habe  sich  gefügt" 
u.  s.  w. 2) 

IV.  Ein  eigenhändiges  Zeugniss,  welches  Cardinal  Bel- 
larmin am  26.  Mai  161 6  Galilei  ausstellte3):  „Da  wir,  Robert 
Cardinal  Bellarmin,  gehört  haben,  dass  der  Herr  Galileo  Ga- 
lilei verleumdet  und  von  ihm  gesagt  worden  ist,  er  habe  in 
unsere  Hand  abgeschworen,  und  ferner,  es  seien  ihm  heil- 
same Bussübungen  aufgelegt  worden,  und  da  wir  ersucht 
worden  sind,  die  Wahrheit  zu  bezeugen,  so  erklären  wir: 
der  besagte  Herr  Galileo  hat  weder  vor  uns  noch  vor  einem 
Andern  hier  in  Rom  noch,  so  viel  wir  wissen,  anderswo 
irgend  eine  seiner  Meinungen  und  Lehren  abgeschworen, 
noch  sind  ihm  Bussübungen  oder  dergleichen  aufgelegt 
worden;   vielmehr  ist  ihm  nur  die  von  unserm  Herrn  [dem 


wie  Zeller,  D.  Rundschau  IX  (1876).  73  meint  (er  übersetzt  „behaupten", 
Reumont  ebenso  unrichtig  „befolgen").  Wohlwill,  Inquisitionsprocess  S.  13; 
Ist  Gal.  gef.  worden?  S.  83. 

1)  P.  Schneemann  sagt  S.  120:  Galilei  sei  „zwei  Tage  vor  dem  5.  März", 
also  am  3.,  zu  Bellarmin  beschieden  und  ihm  von  diesem  im  Namen  des 
Papstes  und  „in  Gegenwart  des  Magister  Sacri  Palatii"  bedeutet  worden 
u.  s.  w.     S.  392  ff.  stellt  er  dann  freilich  die  Sache  richtiger  dar. 

2)  Feria  V.  die  III.  Martii  1616.  Facta  relatione  per  Illustrissimum 
D.  Cardinalem  Bellarminum,  quod  Galilaeus  Galilei  Mathematicus  monitus 
de  ordine  Sacrae  Congregationis  ad  deserendam  opinionem,  quam  hactenus 
tenuit,  quod  sol  sit  centrum  sfihaerarum  et  immobilis,  terra  autem  mobilis, 
acquievit  etc.     S.  o.  S.    III.  3)  Acten  S.  87.  91. 

Reuscb,  Galilei.  9 


130  Die  Aufzeichnung  vom  26.  Febr.  1616. 

Papste]  gemachte  und  von  der  h.  Congregation  des  Index 
publicirte  Erklärung  amtlich  mitgetheilt  worden  (demmtiata), 
dass  die  dem  Copernicus  zugeschriebene  Lehre,  —  die  Erde 
bewege  sich  um  die  Sonne  und  die  Sonne  stehe  im  Mittel- 
punkte der  Welt,  ohne  sich  von  Osten  nach  Westen  zu  be- 
wegen, —  der  h.  Schrift  zuwider  sei  und  darum  nicht  ver- 
theidigt  oder  für  wahr  gehalten  werden  dürfe." 

Diese  vier  Actenstücke  scheinen  nicht  ganz  mit  einander 
in  Einklang  zu  stehen.  Aus  allen  vier  ergibt  sich,  dass  Ga- 
lilei eine  Verwarnung  bezüglich  der  Copernicanischen  Lehre 
erhalten  hat;  aber  1.  wird  der  Inhalt  dieser  Verwarnung 
nicht  übereinstimmend  angegeben ;  2.  scheinen  die  Angaben 
darüber  zu  differiren,  ob  die  Verwarnung  in  der  Form  einer 
blossen  Ermahnung  oder  auch  noch  in  der  Form  eines  förm- 
lichen Befehls,  —  eines  Praeceptum,  wie  der  technische  Aus- 
druck lautet,  —  ertheilt  worden;  im  Zusammenhange  damit 
kann  es  3.  fraglich  erscheinen,  ob  nur  der  Cardinal  Bellar- 
min oder  auch  der  Commissar  der  Inquisition  Galilei  ver- 
warnt hat.  Namentlich  spricht  das  unter  Nr.  IV  mitgetheilte 
Actenstück  nur  von  einer  Ermahnung  des  Cardinais  Bellar- 
min, die  ihrem  Inhalte  nach  mit  dem  von  der  Index-Congre- 
gation  erlassenen  Decrete  übereinstimmte,  während  nach  dem 
unter  II  mitgetheilten  Actenstücke  Galilei  nicht  nur  von 
Bellarmin  ermahnt,  sondern  ihm  darauf  auch  noch  durch 
den  Commissar  ein  förmliches  Praeceptum  ertheilt  wurde, 
welches  inhaltlich  über  das  Index  -  Decret  hinauszugehen 
scheint. 

Von  diesem  letztern  Actenstücke  (II)  nun  hat  Wohl- 
will in  der  1870  erschienenen  Schrift  „Der  Inquisitionsprocess 
des  Galileo  Galilei''  zu  beweisen  versucht,  es  sei  eine 
Fälschung,  d.  h.  es  sei  erstens  inhaltlich  unwahr  und  in 
Wirklichkeit  sei  Galilei  am  26.  Februar  nur  von  Bellarmin 
ermahnt  worden,  und  es  sei  zweitens  nicht  an  diesem  Tage 
von  dem  Notar  der  Inquisition  niedergeschrieben,  sondern 
im  J.  1632  zu  dem  Zwecke  fabricirt  worden,  um  bei  dem 
zweiten  Processe  als  Anklagematerial  gegen  Galilei  ver- 
wendet zu  werden,  und  die  Inquisition  habe  im  J.  1633  die 
Verurtheilung  Galilei's  auf  Grund  dieses  gefälschten  Docu- 
mentes  beschlossen.  Diese  Ansicht  ist  gleichzeitig  auch  von 
S.  Gherardi  ausgesprochen,  von  den  Meisten,  welche  seit  dem 
J.   1870   über  Galilei  geschrieben,   als  richtig  anerkannt  und 


Die  Aufzeichnung  vom  26.  Febr.   161 6.  131 

noch  in  der  neuesten  Zeit  von  Wohlwill  selbst  und  Anderen 
gegen  die  dagegen  erhobenen  Bedenken  vertheidigt  worden1). 
Die  Ausführung  der  Fälschung  denkt  sich  Wohlwill 
so  :  auf  dem  ersten  Blatte  hat  hinter  dem  Satze,  welcher  über 
die  Mahnung  Bellarmins  berichtet,  also  hinter  dem  Worte 
deserat  ursprünglich  die  Notiz,  dass  Galilei  Gehorsam  ver- 
sprochen, und  der  Schluss  des  Protocolls  gestanden,  etwa: 
Galileus  parere  promisit.  Super  quibus  actum  ubi  supra.  N. 
N.  S.  Romanae  et  Universalis  Tnquisitionis  Notarius.  Diese 
Zeilen  sind  im  J.  1632  ausradirt  und  dafür  die  jetzt  dort 
stehenden  Zeilen  von  Et  successive  an  substituirt  und  dann 
ist  auf  dem  folgenden  Blatte  der  Schluss  des  neuen,  ge- 
fälschten Protocolls  beigefügt  worden2). 


1)  Wohlwill  vertheidigt  seine  Ansicht  gegen  die  von  Friedlein  (s.  u.) 
erhobenen  Einwendungen  in  der  Zts.  f.  Math.  1872,  L.-Z.  S.  9 — 31.  81 — 96. 
In  der  Schrift  „Ist  Galilei  gefoltert  worden?"  S.  116  hält  er  seine  Ansicht 
aufrecht.  Auf  Grund  des  von  H.  de  l'Epinois  veröffentlichten  Facsimile's 
des  Actenstücks  sucht  er  dieselbe  weiter  zu  begründen  in  der  im  Dec.  1877 
autographirten  Abhandlung  „Die  Fälschung  des  Protocolls  vom  26.  Febr. 
161 6";  vgl.  Gott.  G.  A.  1878,  St.  21.  —  Gherardi  hat  dieselbe  Ansicht  zu- 
erst 1870  in  dem  Aufsalze  ,,11  Processo  Galileo"  in  der  Rivista  Europea, 
dann  1872  in  dem  Aufsatze  „Sulla  dissertazione  del  dott.  E.  Wohlwill"  in 
derselben  Zeitschrift  entwickelt.  —  Wohlwill  stimmten  bei:  M.  Cantor,  Zts. 
f.  Math.  1871,  L.-Z.  S.  1 — 8,  und  besonders  Gegenwart  1877,  No-  44>  45; 
Riccardi,  Di  alcune  etc.  [s.  o.  S.  2]  p.  6;  Zeller,  D.  Rundschau  IX  (1876), 
75;  Scartazzini,  Unsere  Zeit  1877,  1,  502.  II,  440;  Rivista  Europea  1877, 
Vol.  IV,  839;  1878,  Vol.  V,  1.  583;  Allg.  Ztg.  1877,  No.  30iß.  302;  1878, 
No.  11B.;  Mag.  f.  d.  Lit.  des  Ausl.  1878,  No.  14.  15.  —  Für  die  Echtheit 
des  Actenstückes  sprechen  sich  aus:  Friedlein,  Jahrb.  f.  math.  Unterr.  1,333; 
Zts.  f.  Math.  1872,  L.-Z.  S.  41.  112;  Berti  in  einem  Sendschreiben  an  K.  v. 
Gebier  in  dem  Buche  II  Processo  etc.  p.  155,  und  N.  Antol.  1877,  Vol.  IV,  I; 
A.  Wolynski,  Riv.  Internazionale  1876,  No.  15,  und  Nuovi  Documenti  p. 
36.  65;  H.  de  l'Epinois,  La  question  p.  224;  ferner  Gilbert,  Grisar,  Schnee- 
mann u.  s.  w.  —  K.  v.  Gebier  hat  Wohlwill  zugestimmt  in  dem  Buche 
„Galileo  Galilei"  S.  193  und  in  einer  Erwiederung  auf  Berti's  Sendschreiben 
in  der  N.  Antol.  1876,  Vol.  III,  48.  Er  hat  diese  Zustimmung  zurückgezogen 
und  die  Echtheit  des  Actenstückes  begründet  in  den  „Acten"  S.  XXI  und 
Allg.  Ztg.  1878,  No.  56.  57  B.  58  B.  Er  nimmt  aber  an,  der  Notar  der 
Inquisition,  der  das  Actenstück  am  26.  Febr.  1616  geschrieben,  habe  etwas 
berichtet,  was  nicht  geschehen  sei. 

2)  So  in  dem  oben  erwähnten  autographirten  Aufsatze  S.  I.  6.  9. 
Scartazzini  (Riv.  Eur.  IV,  858;  Mag.  f.  Lit.  des  Ausl.  1878,  No.  14)  meint, 
das  Blatt,  worauf  die  echte  Aufzeichnung  über  den  Vorgang  vom  26.  Februar 
gestanden,  sei  weggeschnitten  worden. 


132  Die  Aufzeichnung  vom  26.  Febr.   1616. 

Ueber  die  Ansicht,  die  Inquisition  habe  sich  im  J.  1633 
bei  der  Verurtheilung  Galilei's  wesentlich  auf  das  Actenstück 
vom  26.  Febr.  16 16,  wie  es  jetzt  in  den  Acten  steht,  gestützt, 
und  über  die  mit  dieser  Ansicht  zusammenhangenden  Argu- 
mente für  die  Annahme  einer  Fälschung  wird  später  zu 
reden  sein.  Hier  beschränke  ich  mich  auf  die  Prüfung  eini- 
ger anderen  Argumente. 

1.  Was  die  äussere  Beschaffenheit  des  Actenstücks 
betrifft,  so  bezeugen  die  drei  Gelehrten,  welche  in  neuester 
Zeit  die  Vaticanischen  Acten  in  Händen  gehabt,  Berti,  de  l'Epi- 
nois  und  Gebier,  dass  sie  die  Annahme  einer  Fälschung 
desselben  in  keiner  Weise  bestätige,  und  Gebier  hat  auch 
den  Versuchen  von  Wohlwill1),  Cantor2)  und  Scartazzini f{) 
gegenüber,  aus  der  Beschaffenheit  der  Schrift  und  der  An- 
ordnung der  einzelnen  Blätter  des  Actenfascikels  das  Gegen- 
theil  zu  erweisen,  als  misslungen  nachzuweisen  versucht4). 
Auf  die  Einzelheiten  einzugehen,  würde  hier  zu  weit  führen. 
So  lange  nicht  auf  Grund  einer  nochmaligen  Untersuchung 
der  Papiere  das  Gegentheil  erwiesen  wird,  wird  man  das 
Zeugniss  derjenigen,  welche  dieselben  untersucht  haben, 
gelten  lassen  dürfen. 

2.  Zu  Zweifeln  an  der  Echtheit  des  fraglichen  Acten- 
stücks hat  zunächst  die  eigenthümliche  Form  desselben  Anlass 
gegeben5).  Es  ist  kein  eigentliches  Protocoll;  ein  solches 
würde  von  Galilei,  dem  Notar  und  den  Zeugen  unterschrieben 
sein6).     Die  früher  von  mir7)  geäusserte  Vermuthung,  es  sei 

1)  In  dem  oben  erwähnten  autographirten  Aufsatze;  vgl.  G.  G.  A. 
1878,  657. 

2)  Gegenwart  1877,  No.  44.  45;  vgl.  Allg.  Ztg.  1878,  No.  15  B.  26  B. 

3)  Riv.  Eur.   1877,  IV,  854.     Allg.  Ztg.  1878,  No.   11  B.,  vgl.   22  B. 

4)  Allg.  Ztg.  1878,  No.  56.  57  B.  58  B.  Vgl.  Wolynski,  Nuovi  docu- 
menti  p.  78. 

5)  "Wohlwill,  Inquisitionsprocess  S.  72. 

6)  Die  Unterschrift  der  Zeugen  wäre  nach  dem  Stil  der  Inquisition 
wohl  nicht  gerade  nöthig  gewesen.  Im  Sacro  Arsenale  p.  36  wird  folgende 
Formel  angegeben:  Actum  per  me  N.  de-N.  Notarium  Sancti  Officii  anno, 
die,  loco  et  coram,  ut  supra,  und  beigefügt:  wenn  Zeugen  zugegen  gewesen, 
sei  hinzuzufügen:  praesentibus  pro  testibus  vocatis  etc.  N.  de  N.  et  N.  de  N. 

7)  Th.  Lit.-Bl.  1873,  11;  Hist.  Zts.  34,  134.  Dieser  Vermuthung  haben 
S.  Günther,  Vierteljahrschr.  der  astron.  Ges.  II.  Bd.  3.  H.,  und  Zöckler,  Gesch. 
der  Beziehungen  zw.  Theol.  und  Naturwiss.  I,  534,  zugestimmt;  Günther  hat 
aber  seine  Zustimmung  später,  Jahrb.  f.  math.Unterr.  VIII,  251,  zurückgenommen. 


Die  Aufzeichnung  vom  26.  Febr.   1616.  133 

der  Entwurf  eines  Protocolls,  ist  haltlos.  Eher  könnte  man 
es  für  eine  Abschrift  eines  Protocolles  halten,  bei  welcher 
die  Unterschriften  weggelassen  wären.  Es  scheint  aber  ein 
förmliches  Protocoll  über  den  betreffenden  Vorgang  gar 
nicht  aufgenommen  worden  zu  sein;  wenigstens  findet  sich 
ein  solches  nicht  in  den  Acten  der  Inquisition,  und  wäre  zur 
Zeit  des  zweiten  Processes,  als  man  auf  den  Vorgang  am 
26.  Febr.  161 6  Bezug  nahm,  ein  förmliches  Protocoll  darüber 
vorhanden  gewesen,  so  würde  dasselbe  ohne  Zweifel  pro- 
ducirt  worden  sein1).  Die  Aufzeichnung  ist  mit  P.  Grisar 
S.  90  als  eine  „Registratur"  zu  bezeichnen2),  als  eine  von 
dem  Notar  der  Inquisition  gemachte  und  den  Acten  einver- 
leibte amtliche  Aufzeichnung.  Solcher  Registraturen  finden 
sich  in  den  Vaticanischen  Acten  noch  zwei,  die  der  vor- 
liegenden in  der  Form  ganz  ähnlich  sind.  Hinter  dem  Pro- 
tocoll über  das  Verhör  Galilei's  am  30.  April  1633  steht  S. 
85  eine  Aufzeichnung,  welche  (abgekürzt)  so  lautet:  „An 
demselben  Tage  30.  April  1633  hat  der  Commissar  Ga- 
lilei im  Auftrage  des  Papstes  gestattet,  in  dem  grossher- 
zoglichen Palaste  zu  wohnen,  nachdem  Galilei  eidlich  ver- 
sprochen, die  ihm  gegebenen  Weisungen  zu  befolgen.  So  ge- 
schehen zu  Rom  im  Sitzungssaale  des  Palastes  des  h.  Offi- 
ciums  in  Gegenwart  des  Hochw.  Herrn  Thomas  de  Fede- 
ricis  aus  Rom  und  des  Franc.  Ballestra  von  Offida,  Kerker- 
meisters dieses  h.  Officiums,  als  Zeugen  u.  s.  w.".  Und  S. 
115  steht  folgende  Registratur :  „Samstag  2.  Juli  1633.  Der 
Hochw.  .  .  Commissar  hat,  während  ich  als  Notar  zugegen 
war,  Galilei  das  Decret  Sr.  Heiligkeit  mitgetheilt,  dass  er 
Rom  verlassen  könne,  sich  geraden  Weges  nach  Siena  be- 
gaben solle  .  .  .  Allen  und  jeglichen  Punkten  hat  er  zu  ge- 
horchen versprochen.  So  geschehen  zu  Rom  in  dem  Zimmer 
des  besagten  Galilei  in  der  Mediceischen  Villa  auf  dem  Monte 
Pincio."  Auch  diese  Registraturen  sind  ohne  alle  Unter- 
schriften. Bemerkenswerth  ist,  dass,  während  das  Sacro  Ar- 
senale die  Unterschrift  des  Notars  für  alle  Verhörsprotocolle 
ausdrücklich  vorschreibt,  kein  einziges  der  Verhöre  Galilei's 


1)  Gebier,  Acten  S.  XXVIII. 

2)  Galilei    spricht    Acten    S.    89    von    dem    comandamento   fattomi  e 
registrato. 


134  ^e  Aufzeichnung  vom  26.  Febr.   161 6. 

von  dem  Notar  unterschrieben  ist !) :  in  Rom  scheint  also  in 
dieser  Hinsicht  eine  andere  Praxis  als  bei  den  anderen  In- 
quisitionstribunalen bestanden  und  ein  von  dem  Notar  eigen- 
händig geschriebenes  und  zu  den  Acten  genommenes  Pro- 
tocoll  der  Unterschrift  des  Notars  nicht  bedurft  zu  haben2). 

Wenn  Gebier3)  darauf  hinweist,  als  Galilei  am  1.  Oct. 
1632  durch  den  Inquisitor  zu  Florenz  der  Befehl  der  Inqui- 
sition, nach  Rom  zu  kommen,  intimirt  worden  sei,  habe  er 
schriftlich  bescheinigen  müssen,  dass  er  diese  Weisung 
erhalten  und  ihr  nachkommen  wolle,  und  nachdem  er  das 
Zimmer  verlassen,  seien  Notar  und  Zeugen,  welche  sich  bis 
dahin  im  Nebengemache  versteckt  gehalten,  hinzugetreten 
und  hätten  unter  Galilei' s  Unterschrift  mit  eigener  Hand  bestä- 
tigt, dass  sie  zugegen  gewesen,  als  jener  „Obiges  versprach, 
schrieb  und  unterschrieb,"  —  so  bemerkt  dagegen  P.  Grisar 
S.  92  mit  Recht:  „Dieser  Fall  weist  keine  Analogie  auf. 
Die  gedachte  Citation  geschah  nicht  durch  einen  Beamten 
des  Römischen  Inquisitionstribunals,  sondern  durch  einen 
von  diesem  Gerichtshof  deputirten  Mandatar.  Dass  aber  der 
Act  der  Citation  wirklich  vorgenommen  worden,  das  konnte 
bei  der  Römischen  Inquisition  nicht  durch  Eintragung  des- 
selben in  die  Römischen  Gerichtsacten  constatirt  werden; 
dazu  bedurfte  es  vielmehr  eines  an  Ort  und  Stelle  in  aller 
Form  aufgenommenen  Protocolls." 

Die  früher  von  mir4),  neuestens  von  Gebier5)  ausge- 
sprochene Ansicht,  die  Aufzeichnung  vom  26.  Febr.  1616 
sei  zwar  nicht  eine  Fälschung,  aber  ein  Actenstück,  welches 
als  juristisch  werthlos  bei  dem  zweiten  Processe  nicht  hätte 
als  Beweisstück  benutzt  werden  dürfen,  ist  nach  dem  Ge- 
sagten unrichtig.  Galilei  selbst  erhebt  denn  auch,  als  auf 
das  Schriftstück  Bezug  genommen  wird,  nicht  die  Einrede, 
es    sei  nicht  beweiskräftig,  weil  alle  Unterschriften  fehlten. 

3.  Wohlwill  S.  75  findet  einen  Grund,  die  Echtheit  des 
Actenstücks  zu  bezweifeln,  auch  darin,   dass  an  den  beiden 


1)  Auch  die  Protocolle  bei  Gibbings,  O'Farrihy  p.   14  sind  nicht  von 
dem  Notar  unterschrieben. 

2)  Die   Protocolle  über  Verhöre    in  Florenz  S.  40  sind  von  dem  Pro- 
tocollfiihrer  unterschrieben. 

3)  Acten  S.  XXVII.  65. 

4)  Hist  Zts.  34,   133.  5)  Acten  S.  XXXII. 


Die  Aufzeichnung  vom  26.  Febr.   161 6.  135. 

darin  genannten  Zeugen  „alles  auffallend  sei:  die  Namen, 
die  Heimath,  die  Stellung  oder  vielmehr  der  Mangel  einer 
Stellung,  die  dem  wichtigen  Acte  entspreche".  Es  lag  aber 
doch  sehr  nahe,  Familiären  des  Cardinais,  in  dessen  Woh- 
nung der  Act  aufgenommen  wurde,  als  Zeugen  zu  verwen- 
den1); Männer  von  hervorragender  Stellung  dazu  zu  nehmen, 
dazu  war  der  Act  nicht  wichtig-  genug.  Dass  die  Namen 
dieser  Familiären  des  Cardinais  sonst  nicht  erwähnt  werden, 
ist  nicht  auffallend.  Dass  einer  aus  Cypern  war,  ist  aller- 
dings merkwürdig;  dass  der  andere  aus  der  Diöcese  Monte- 
pulciano  war,  ist  dagegen  nichts  weniger  als  auffallend: 
Bellarmin  war  aus  Montepulciano  gebürtig  und  verwaltete 
unter  Paul  V.  einige  Jahre  dieses  Bisthum  für  den  abwe- 
senden Bischof2). 

4.  „Es  verstösst  gegen  die  Praxis  der  Inquisition,  dass 
der  Generalcommissar  des  h.  Officiums  mit  Notar  und  Zeugen 
sich  in  eine  Privatwohnung  begeben  habe,  um  daselbst 
Galilei  einen  officiellen,  feierlichen,  wichtigen  Befehl  zu  er- 
theilen.  Hätte  sich  Galilei  bei  der  Ermahnung  des  Cardi- 
nais nicht  beruhigt,  so  würde  er  ohne  allen  Zweifel  in  op- 
tima forma  gerichtlich  vorgeladen  worden  sein."  So  Scar- 
tazzini3).  Wenn,  wie  wir  oben  No.  2  gesehen,  der  Commissar 
mit  dem  Notar  sich  in  die  Villa  Medici  begab,  um  Galilei 
eine  amtliche  Mittheilung  zu  machen,  so  konnte  er  sich  noch 
viel  eher  in  die  Wohnung  eines  Cardinais,  der  Mitglied  der 
Inquisition  war,  begeben  (Zeugen  brauchte  er  nicht  mitzu- 
bringen). Die  Inquisition  hätte  „ohne  Zweifel  Galilei  in  op- 
tima forma  gerichtlich  vorladen"  können;  Bellarmin  hätte, 
wenn  Galilei  sich  bei  seiner  Ermahnung  nicht  beruhigte, 
dieses  dem  Commissar  anzeigen  und  diesem  anheimgeben 
können,  nunmehr  den  ihm  eventuell  ertheilten  Auftrag  zu 
erfüllen  und  zu  diesem  Behufe  Galilei  in  das  Inquisitions- 
gebäude   zu    citiren.      Aber    wenn  Bellarmin    rücksichtsvoll 

i)  Wolynski  S.  38  vermuthet,  es  seien  der  Secretär  und  der  Cauda- 
tario  des  Cardinais  gewesen. 

2)  Eigenthümlich  ist  allerdings  die  Bezeichnung  de  loco  abbatiae  Ro- 
sae  (Wohlwill  hatte  noch  die  falsche,  allerdings  sehr  wunderliche  Lesart  de 
Loco  abbatis  Rottz),  zumal  eine  Abbatia  Rosa  in  der  Diöcese  Montepulciano 
nicht  bekannt  ist  (es  gab  eine  Abtei  Sancta  Maria  de  Rosa  oder  Rosata  in 
der  Diöcese  Siena);  Epinois,  Les  pieces  p.  41. 

3)  Allg.  Ztg.   1878,  No    11   B.;  vgl.  Riv.  Eur.  IV,  845. 


136  Die  Aufzeichnung  vom  26.  Febr.  161 6. 

gegen  Galilei  verfahren  wollte,  —  und  er  wollte  das  ohne 
Zweifel  ebenso  wohl  wie  der  Papst  und  die  Inquisition,  — 
so  konnte  er,  ohne  gegen  die  Praxis  der  Inquisition  zu  Ver- 
stössen und  ohne  die  einem  so  einflussreichen  Cardinal  und 
Inquisitionsmitgliede  zustehenden  Befugnisse  zu  überschreiten, 
gleichzeitig  mit  Galilei  auch  den  Commissar  mit  seinem  No- 
tar zu  sich  bescheiden,  um  für  den  Fall,  dass  es  nöthig  sein 
sollte,  Galilei  das  Praeceptum  zu  ertheilen. 

5.  Das  Hauptargument  gegen  die  Echtheit  der  Auf- 
zeichnung vom  26.  Febr.  ist  dieses,  dass  sie  in  Widerspruch 
stehe  mit  den  anderen  oben  mitgetheilten,  anerkannt  echten 
Actenstücken,  zunächst  mit  der  unmittelbar  davor  stehenden 
Aufzeichnung  über  die  Sitzung  der  Inquisition  vom  25.  Febr. 
In  dieser  Sitzung  war  beschlossen,  falls  Galilei  sich  der  Er- 
mahnung des  Cardinais  nicht  füge,  solle  der  Commissar  ihm 
das  Praeceptum  ertheilen.  In  der  fraglichen  Aufzeichnung 
wird  zunächst  angegeben,  Bellarmin  habe  Galilei  ermahnt, 
dann,  —  ohne  dass  von  einer  Weigerung  desselben  zu  gehor- 
chen etwas  gesagt  wird,  —  successive  ac  incontinenti  habe 
der  Commissar  ihm  den  Befehl  ertheilt.  „Dieses  successive 
ac  Incontinentia  sagt  Wohlwill  S.  7,  an  der  Stelle,  wo  man 
Galilei's  Gegenäusserung  erwartet,  sagt  kaum  etwas  ande- 
res als:  »ohne  ihm  zur  Antwort  Zeit  zu  lassen«.  Diese 
Worte  beseitigen,  —  man  könnte  glauben,  mit  absichts- 
vollem Nachdruck,  —  die  Vermuthung,  es  möge  das  Auf- 
treten des  Commissars  durch  eine  Aeusserung  Galilei's  mo- 
tivirt  sein."     Aehnlich  Gebier  (S.  98)  und  Andere. 

Aber  successive  ac  incofitinenti  ist,  wie  sich  aus  den 
Formularen  des  Sacro  Arsenale  ergibt,  eine  oft  —  und  da- 
rum hier  jedenfalls  nicht  „mit  absichtsvollem  Nachdruck"  — 
gebrauchte  Formel,  die  nicht  „gleich  darauf  ohne  Unter- 
brechung" (Gebier,  Cantor)  oder  „darauf  folgend  und  so- 
fort" (Wohlwill),  sondern  einfach  „im  Anschluss  hieran" 
(Grisar  S.  93)  bedeutet  und  nur  den  juristischen,  nicht  den 
"ununterbrochenen  chronologischen  Zusammenhang  zweier 
Acte  bezeichnet.  Im  Sacro  Arsenale  wird  z.  B.  S.  1 79  pro- 
tocollirt,  wie  zwei  Angeklagte  mit  einander  in  der  Folter- 
kammer confrontirt  werden  und  dann  der  eine  weggeführt 
wird;  dann  folgt:  Et  successive  incontinenti  fuit  dictus  B.  in 
tormentis  existens  interrogatus.  Nach  der  Beendigung  des 
peinlichen   Verhörs  und    der  Abführung   des   B.   wird    das 


Die  Aufzeichnung  vom  26.  Febr.   161 6.  137 

Protocoll  über  das  Verhör  des  Andern  eingeleitet  mit  Suc- 
cessive  incontinenti  eductus  de  carceribus  et  personaliter  con- 
stitutus  N.  N.  de  quo  supra  fuit  interrogatus  u.  s.  w.  S.  325 
heisst  es  nach  der  Verlesung  einer  Sentenz :  Successive  et  in- 
continenti N.  audito  tenore  dictae  sententiae  illique  parere 
volens  .  .  .  abiuravit,  dann  S.  327  nach  der  Abschwörung: 
Successive  et  incontinenti  N.  supradictus  .  .  .  fuit  ab  solutus 
ab  excommunicatione1).  Wenn  der  Notar  also  diesen  Aus- 
druck in  der  Aufzeichnung  vom  26.  Febr.  16 16  gebrauchte, 
so  ist  damit  nicht  gesagt,  dass  der  Commissar  sein  Praecep- 
tum  ertheilte,  ohne  Galilei  Zeit  zu  lassen,  auf  die  Ermah- 
nung Bellarmins  etwas  zu  erwiedern.  Der  Notar  hatte  über- 
haupt kein  förmliches  Protocoll  über  die  Verhandlungen  in 
der  Wohnung  des  Cardinais  aufzunehmen,  sondern  nur  amt- 
lich zu  notiren,  dass  das,  was  die  Inquisition  angeordnet,  ge- 
schehen sei  und  dass  sich  die  eventuell  in  Aussicht  genommene 
Einkerkerung  Galilei's  nicht  als  nöthig  herausgestellt  habe. 
Auch  wenn  Galilei  der  Mahnung  des  Cardinals  widersprach, 
brauchte  dieses  nicht  notirt  zu  werden ;  da  er  sich  dem  Be- 
fehle des  Commissars  fügte,  hatte  jene  Weigerung  keine 
weiteren  juristischen  Folgen  für  Galilei,  war  namentlich  seine 
Einkerkerung  nicht  nöthig2).  Allerdings  lässt  die  Aufzeich- 
nung aber,  sofern  sie  berichtet,  dass  es  nicht  bei  der  Er- 
mahnung Bellarmins  geblieben,  sondern  auch  der  Commis- 
sar sein  Praeceptum  ertheilt  habe,  voraussetzen,  dass  Galilei 
sich  jener  Ermahnung  nicht  gefügt  habe.  Ob  dieses  so  un- 
wahrscheinlich ist,  wie  die  Bestreiter  der  Echtheit  der  Auf- 
zeichnung annehmen,  wird  unten  erörtert  werden. 


i)  In  der  Ausgabe  des  S.  A.  von  Pasqualone  S.  25  schliesst  das 
Protocoll  über  das  Verhör  eines  Denuncianten  mit  Acta  sunt  haec  per  nie  Cur- 
tium  Signanum,  S.  Officii  Notarium.  Dann  folgt:  Eadem  die.  Attentis  su- 
pradictis  Dominus  (der  Inquisitor)  decrevit  et  mandavit  festes  informatos 
citani.  S.  41  steht  in  einem  ganz  ähnlichen  Falle:  Acta  sunt  .  .  .  Successive 
Dominus  decrevit  etc.,  und  S.  53  :  Acta  sunt  .  .  .  Successive  et  immediate 
attentis  supradictis  Dominus  decrevit.  —  S.  107  wird  das  Protocoll  über 
eine  Anzeige  eines  Kirchendiebstahls  mit*  Acta  sunt  etc  geschlossen;  dann 
folgt:  Immediate  attentis  narr atis  Dominus  decrevit fieri  accessum  ad  eccle- 
siam  .  .  .  et  ibi  iuridice  describi  visum  et  repertum.  Ita  est ;  Curtius  Sig- 
nanus, S.  Off.  Not.:  dann  wird  mit  Successive  das  Protocoll  über  die  Unter- 
suchung der  Kirche  eingeleitet,  und  darauf  das  in  der  Sacristei  vorgenommene 
Verhör  eines  Zeugen  mit  Incontinenti. 

2)  Grisar  S.  93. 


138  Die  Aufzeichnung  vom  26.  Febr.    16 16. 

6.  Mit  der  Aufzeichnung  über  die  Sitzung  der  Inqui- 
sition vom  3.  März  (s.  o.  No.  III)  steht  die  Aufzeichnung 
vom  26.  Febr.  in  keinem  Widerspruch;  denn  wenn  es  in 
jener  heisst:  Bellarmin  habe  berichtet,  Galilei  sei  „ermahnt" 
worden,  seine  Meinung  aufzugeben,  und  habe  sich  gefügt, 
so  schliesst  diese  kurze  Notiz  nicht  aus,  dass  ausser  dem 
Cardinal  selbst  auch  der  Commissar  Galilei  ermahnt.  Bel- 
larmin wird  in  der  Sitzung  ausführlicher  berichtet  haben; 
die  von  Gherardi  veröffentlichten  Aufzeichnungen  über  die 
Sitzungen  der  Inquisition  sind  aber  alle  so  lakonisch,  dass 
es  gar  nicht  auffällt,  wenn  in  dieser  nichts  mehr  notirt  ist, 
als  nöthig  war,  um  zu  constatiren,  dass  der  Beschluss  der 
vorhergehenden  Sitzung  ausgeführt  worden  und  ein  weiteres 
Vorgehen  gegen  Galilei  nicht  nöthig  sei. 

Wohlwill  meint  aber1),  die  Aufzeichnung  vom  26.  Febr. 
stehe  in  Widerspruch  mit  dem  Zeugniss  des  Cardinais  Bel- 
larmin vom  25.  Mai  (s.  o.  No.  IV):  nach  diesem  Zeugniss, 
sagt  er,  „ist  der  Beschluss  der  Index- Congregation  [genauer 
gesagt:  der  Beschluss  der  Inquisition,  welcher  Später  durch 
das  Index-Decret  promulgirt  wurde]  Galilei  persönlich  mit- 
getheilt  worden,  nichts  weiter";  Bellarmin  „leugnet  darin 
jeden  Befehl,  der  über  den  Inhalt  dieses  Decretes  hinaus- 
geht", ja,  „er  leugnet  implicite,  dass  nach  ihm  selbst  der 
Commissar  zum  Worte  gekommen".  —  Das  ist  zu  viel  ge- 
sagt. Der  eigentliche  Zweck  des  Zeugnisses  ist,  Galilei  zu 
bescheinigen,  dass  er  nicht  zur  Abschwörung  oder  zu  irgend 
einer  Busse  oder  dergleichen  verurtheilt  worden  sei;  wenn 
der  Cardinal  beifügt:  „sondern  es  ist  ihm  nur  die  Erklärung 
des  Papstes  .  .  .  amtlich  mitgetheilt  worden",  so  schliessen 
diese  Worte  nicht,  wie  Wohlwill  S.  78  meint,  „imfilicite  die 
Behauptung  ein,  dass  Niemand  ausser  ihm  Galilei  eine  Wei- 
sung ertheilt  habe";  denn  das  „sondern  nur"  bildet  einen 
Gegensatz  zu  der  behaupteten  Abschwörung  u.  s.  w„  n^cht 
zu  einer  amtlichen  Eröffnung  durch  einen  Andern  als  Bellar- 
min. Dieser  sagt  ja  nicht:  „sondern  nur  von  mir  ist  ihm" 
u.  s.  w.  Seine  Worte  schltessen  gar  nicht  einmal  aus,  dass 
die  amtliche  Eröffnung  nicht  durch  Bellarmin  selbst,  sondern 
in  dessen  Auftrag  oder  Gegenwart  durch  einen  Andern  ge- 
macht   worden   sei    und    dass    sich  Galilei    einer  Eröffnung 


S.  18.  20.  22;  vgl.  60.  61.  78. 


Die   Aufzeichnung  vom   26.  Febr.   1616.  139 

dieses  Letztern  gefügt  habe1).  Das  bekundet  das  Zeugniss 
allerdings,  dass  die  Mittheilung,  welche  Galilei  gemacht 
wurde,  inhaltlich  dem  Index-Decrete  entsprach,  und  dass 
dieses  der  Fall  war,  werden  wir  unten  sehen. 

7.  Wir  haben  über  den  Vorgang  am  26.  Febr.  16 16 
ausser  der  Aufzeichnung  des  Notars  nur  noch  Einen  Bericht, 
das,  was  Galilei  in  dem  Verhör  vom  12.  April  1633,  also  17 
Jahre  später,  darüber  aussagte2).  Es  ist  im  Wesentlichen 
Folgendes.  Er  sagt  zunächst:  der  Cardinal  Bellarmin  habe 
ihm  eröffnet,  die  Copernicanische  Meinung  dürfe  hypothetisch 
festgehalten  werden,  wie  sie  Copernicus  selbst  festgehalten 
und  wie  der  Cardinal  gewusst,  dass  auch  er  (Galilei)  sie 
festhalte;  absolut  genommen  dürfe  sie  nicht  festgehalten 
und  vertheidigt  werden,  da  sie,  absolut  genommen,  der  h. 
Schrift  widerspreche.  Zur  Bestätigung  dieser  Mittheilung 
überreicht  er  das  Zeugniss  des  Cardinals.  Auf  die  Frage, 
ob  Jemand  dabei  zugegen  gewesen,  als  ihm  der  Cardinal 
diese  Eröffnung  gemacht,  antwortet  er:  ja,  einige  Domini- 
caner, die  er  nicht  gekannt  habe.  Auf  die  weitere  Frage, 
ob  ihm  von  diesen  Dominicanern  oder  von  irgend  einem. 
Andern  irgend  ein  Befehl  (praeceptiaii)  bezüglich  der  Coper- 
nicanischen  Lehre  ertheilt  worden  sei,  antwortet  er:  „Ich 
erinnere  mich,  dass  die  Sache  so  zugegangen  ist:  Eines 
Morgens  Hess  mich  der  Cardinal  Bellarmin  rufen  und  sagte 
mir  etwas  (im  certo  particolare),  was  ich  nicht  gern  Jemand 
anders  als  dem  Papste  mittheilen  möchte3);  schliesslich  aber 
sagte  er  mir,  die  Meinung  des  Copernicus  könne  als  der 
h.  Schrift  widersprechend  nicht  für  wahr  gehalten  oder  ver- 
theidigt werden.  Ich  erinnere  mich  nicht,  ob  jene  Domini- 
caner von  Anfang  an  zugegen  waren  oder  später  hinzu- 
kamen, auch  nicht,  ob  sie  zugegen  waren,  als  mir  der  Car- 
dinal jenes  sagte.  Es  kann  sein,  dass  mir  irgend  ein  Befehl 
ertheilt  worden  ist,  ich  sollte  jene  Meinung  nicht  für  wahr 
halten  oder  vertheidigen;  aber  ich  erinnere  mich  dessen 
nicht  mehr,  da  es  schon  mehrere  Jahre  her  ist."  Der  Com- 
missar  sagt  darauf,  er  könne  ihm  ein  Schriftstück  vorlesen, 


i)  Vgl.  Th.  Lit.-Bl.    1873,   10.     Grisar  S.  97.  2)  Acten  S.   77. 

3)  Was  damit  gemeint  ist,  ist  nicht  zu  ermitteln.  Berti,  Copernico 
p.  12,  meint:  Aeusserungen  Bellarmins,  wie  wir  sie  aus  seinem  Briefe  an 
Foscarini  kennen. 


140  Die  Aufzeichnung  vom  26.  Febr.   1616. 

worin  der  ihm  damals  vor  Zeugen  ertheilte  Befehl  aufge- 
zeichnet sei.  Galilei  antwortet:  „Ich  erinnere  mich  nicht, 
dass  mir  jener  Befehl  von  einem  Andern  als  dem  Cardinal 
Bellarmin  mündlich  ertheilt  worden  ist"  u.  s.  w.  —  Galilei's 
Aussagen  in  diesem  Verhör  sind,  wie  wir  später  sehen  wer- 
den, wenigstens  bezüglich  eines  andern  Punktes  nicht  auf- 
richtig; es  ist  auch  sehr  erklärlich,  wenn  ihm  imj.  1633  die 
Vorgänge  vom  26.  Febr.  161 6  nicht  mehr  vollständig  erinner- 
lich waren;  indess  macht  es  doch  die  angeführte  Aussage 
wenigstens  sehr  unwahrscheinlich,  dass  ihm  in  aller  Form 
vor  Notar  und  Zeugen  durch  den  Commissar  der  Inquisition 
ein  Praeceptum  ertheilt  worden  sei.  Wäre  das  geschehen, 
so  würde  er  sich  dessen  wohl  noch  erinnert  und  dann  auch 
wohl  nicht  eidlich  ausgesagt  haben,  er  erinnere  sich  dessen 
nicht  mehr.  In  dieser  Beziehung  wird  also  Galilei's  Aussage 
noch  zu  berücksichtigen  sein.  Weniger  Gewicht  ist  auf 
einen  andern  Punkt  zu  legen,  den  Scartazzini l)  und 
Andere  hervorheben:  es  sei  nicht  denkbar,  dass  Galilei  den 
Commissar  der  Inquisition  nicht  persönlich  gekannt  haben 
sollte.  Galilei  konnte  recht  gut  ,,seit  drei  Monaten  in  Rom 
weilen  und  mit  den  hohen  Würdenträgern  der  Kirche  ver- 
kehren", ohne  mit  dem  Commissar  der  Inquisition  zusammen- 
zutreffen, und  darum  kann  die  Aussage,  er  habe  die  im 
Saale  Bellarmins  anwesenden  Dominicaner  nicht  gekannt 
und  zuvor  nicht  gesehen,  richtig  sein.  Bellarmin  wird  ihm 
aber  den  Commissar  vorgestellt  oder  dieser  wird  sich  zu 
erkennen  gegeben  haben,  ehe  er  Galilei  das  Praeceptum  er- 
theilte. Die  Frage,  ob  er  nicht  erfahren  habe,  dass  unter 
jenen  Dominicanern  der  Commissar  der  Inquisition  sei,  wird 
nun  allerdings  Galilei  gar  nicht  vorgelegt;  aber  das  bleibt 
auffallend,  dass  er  sagt,  er  erinnere  sich  nicht,  dass  ihm 
ein  Anderer  als  der  Cardinal  einen  Befehl  ertheilt  habe. 

7.  Wohlwill2)  hält  es  für  undenkbar,  dass  Galilei  sich 
geweigert  haben  sollte,  der  Mahnung  Bellarmins  zu  gehor- 
chen, und  erklärt  darauf  gestützt  den  Bericht  über  das  nur 
für  den  Fall  der  Weigerung  vorgeschriebene  Auftreten  des 
Commissars  für  unwahr.  P.  Grisar  S.  88.  94  schliesst  um- 
gekehrt aus  dem  Berichte  über  das  Auftreten  des  Commis- 


1)  Unsere  Zeit  1877,  II,  446;  Riv.  Eur.  IV,  852. 

2)  Der  Inquisitionsprocess  S.   7;  vgl.  Zts.  f.  Math.   1872,   12.  82. 


Die  Aufzeichnung  vom  26.  Febr.  1616.  141 

sars,  dass  Galilei  die  Mahnung  des  Cardinais  mit  Weige- 
rung beantwortet  hatte.  Dass  Galilei  sich  geradezu  ge- 
weigert haben  sollte,  einer  förmlichen  Entscheidung  der 
höchsten  kirchlichen  Behörde  sich  zu  unterwerfen,  ist  aller- 
dings nicht  anzunehmen;  es  ist  aber  wohl  denkbar,  dass 
ihm  am  26.  Febr.  von  dieser  Entscheidung  zuerst  in  einer 
Form  Mittheilung  gemacht  worden  ist,  welche  Einreden  von 
seiner  Seite  nicht  ausschloss.  Dass  Bellarmin  über  den  ihm 
am  25.  Febr.  ertheilten  Auftrag  hinausgegangen  und  Gali- 
lei, obgleich  er  sich  nicht  weigerte  der  Mahnung  zu  gehor- 
chen, durch  den  Commissar  ein  förmliches  Praeceptum  habe 
ertheilen  lassen,  ist  zwar  nicht  undenkbar,  aber  nicht  wahr- 
scheinlich. Folgende  Bemerkungen  scheinen  mir  geeignet, 
einen  grossen  Theil  der  Bedenken  gegen  die  Aufzeichnung 
vom  26.  Febr.  zu  beseitigen. 

Nach  allem,  was  wir  wissen,  hat  man  im  J.  16 16  in 
Rom  zwar  die  Copernicanische  Theorie  mit  aller  Entschie- 
denheit verwerfen,  aber  gegen  Galilei  persönlich  in  der 
That,  wie  es  in  der  Sentenz  vom  J.  1633  heisst,  ,, milde 
verfahren  wollen".  Auch  Bellarmin,  ohne  Zweifel  das  ein- 
flussreichste Mitglied  der  Inquisition,  war  ein  entschiedener 
Anticopernicaner,  aber  kein  persönlicher  Feind  Galilei's.  Die 
Inquisition  hat,  wie  wir  gesehen,  nachdem  sie  die  Verdam- 
mung der  Copernicanischen  Theorie  beschlossen,  von  der 
Weiterführung  des  gegen  Galilei  persönlich  eingeleiteten 
Processes  Abstand  genommen  und  sich  darauf  beschränkt, 
das  zu  thun,  was  sie  auf  ihrem  Standpunkte  als  unerlässlich 
ansehen  musste,  nämlich  Galilei  jene  Verdammung  zur 
Kenntniss  zu  bringen  und  von  ihm  das  Versprechen  zu  ver- 
langen, die  verdammte  Ansicht  aufzugeben  und  nicht  mehr 
zu  lehren  oder  zu  vertheidigen.  Auch  diese  Massregel  gegen 
Galilei  wollte  man,  wie  der  Beschluss  vom  25.  Febr.  zeigt, 
mit  aller  nur  möglichen  Milde  ausführen:  zunächst  in  der 
Form  einer  Mahnung,  nur  eventuell  in  der  Form  eines  förm- 
lichen Praeceptums;  nur  für  den,  gewiss  als  ganz  unwahr- 
scheinlich angesehenen  Fall  einer  Widersetzlichkeit  Galilei's 
gegen  das  Praeceptum  war  seine  Einkerkerung  als  Einleitung 
zur  Fortführung  des  Processes  in  Aussicht  genommen. 

Bellarmin,  dem  die  Ausführung  dieses  Beschlusses 
aufgetragen  wurde,  wollte  gewiss  nicht  unnöthiger  Weise 
verletzen;    es   musste   ihm  aber   auf  der  andern  Seite  auch 


I42  Die  Aufzeichnung  vom  26.  Febr.   1616. 

daran  liegen,  Galilei  zu  bewegen,  fortan  die  Copernicanische 
Lehre  nicht  mehr  zu  vertreten,  und  zugleich  musste  er,  gerade 
wenn  er  gegen  Galilei  schonend  verfuhr,  darauf  Werth  legen, 
dass  die  wirkliche  Ausführung  seines  Auftrags  constatirt 
wurde.  Nimmt  man  zu  den  Actenstücken  das  hinzu,  was 
Galilei  in  dem  Verhöre  vom  12.  April  1633  über  den  Vor- 
gang aussagt,  so  wird  man,  glaube  ich,  folgende  Darstel- 
lung desselben  glaublich  finden: 

Bellarmin  hatte  ausser  Galilei  auch  den  Commissar  der 
Inquisition  und  dessen  Notar  zu  sich  beschieden,  ohne  Galilei 
zu  sagen,  dass  diese  in  ihrer  amtlichen  Eigenschaft  zugegen 
waren.  Ausserdem  waren  einige  Familiären  des  Cardinais 
und  einige  Dominicaner  in  dem  Saale  anwesend.  Der  Car- 
dinal theilte  nun  Galilei  zunächst,  vielleicht  unter  Bezugnahme 
auf  frühere  Unterredungen,  gesprächsweise  mit,  dass  die 
Inquisition  wirklich,  wie  er  vorhergesagt,  die  Copernicanische 
Theorie  für  falsch  und  schriftwidrig  erklärt  und  beschlossen 
habe,  die  Schrift  Foscarini's  auf  den  Index  zu  setzen  und 
das  Werk  des  Copernicus  zu  corrigiren.  Er  fügte  bei,  dass 
gegen  Galilei  persönlich,  obschon  er  als  Anhänger  jener 
Theorie  verdächtigt  worden,  nichts  geschehen  solle,  dass 
man  aber  von  ihm  erwarte,  er  werde  sich  der  Entscheidung- 
der  kirchlichen  Autorität  willig  fügen  und  fortan  die  Theorie 
als  falsch  ansehen  und  in  keiner  Weise  mehr  vertheidigen. 
Galilei  wird  nicht  direct  widersprochen  oder  erklärt  haben, 
er  werde  sich  nicht  fügen;  aber  er  mag  Bedenken  und  Ein- 
wendungen ausgesprochen  haben.  So  war  keiner  der  beiden 
Fälle  eingetreten,  welche  der  Beschluss  vom  25.  Febr.  in 
Aussicht  genommen  hatte:  Galilei  hatte  sich  nicht  geweigert, 
aber  auch  nicht  versprochen,  der  Mahnung  zu  gehorchen. 
Unter  diesen  Umständen  mag  Bellarmin  es  für  zweckmäs- 
sig und  sich  für  berechtigt  gehalten  haben,  von  einem  in 
aller  Form  durch  den  Commissar  zu  ertheilenden  Praeceptum 
noch  abzusehen  und  einen  Mittelweg  einzuschlagen.  Er  mag 
den  Commissar  ins  Gespräch  gezogen  und  ihn  in  bestimmteren 
Ausdrücken  haben  bestätigen  lassen,  dass  die  Inquisition 
jenen  Beschluss  gefasst  und  dass  sie  von  Massregeln  gegen 
Galilei  nur  in  der  Erwartung,  er  werde  sich  dem  Beschlüsse 
fügen,  Abstand  genommen  habe,  dass  also  Galilei,  wenn  er 
weiteren  Unannehmlichkeiten  entgehen,  wenn  er  nicht  von 
der  Inquisition  als  Angeklagter  citirt  und  in  dem  Inquisitions- 


Die  Aufzeichnung  vom   26.  Febr.    1616.  I43 

gebäude  in  Haft  gesetzt  werden  wolle,  nichts  anderes  übrig 
bleibe,  als  zu  versprechen,  dass  er  die  verdammte  Ansicht 
in  keiner  Weise  mehr  festhalten,  lehren  oder  vertheidig-en 
wolle.  Dieses  Versprechen  hat  Galilei  dann  abgegeben. 
Dass  der  Notar  der  Inquisition  mit  Zeugen  zugegen  sei,  um 
von  dem  Vorgange  amtlich  Act  zu  nehmen,  wird  man  Galilei 
nicht  gesagt  haben;  die  „Registratur"  wird  erst  nach  Galilei's 
Entfernung  niedergeschrieben  worden  sein,  ganz  ähnlich  wie 
in  dem  oben  (S.  134)  angeführten  Falle  zu  Florenz  Notar  und 
Zeugen  ohne  Galilei's  Vorwissen  fungirten. 

Wenn  sich  die  Sache  so  zugetragen,  so  konnte  Bellar- 
min, ohne  direct  die  Wahrheit  zu  verletzen,  —  etwas  Zwei- 
deutigkeit und  Hinterlist  wird  man  bei  einem  Jesuiten,  auch 
bei  Bellarmin  nicht  auffallend  finden  dürfen  '),  —  einerseits  die 
Registratur  vom  26.  aufnehmen  lassen,  anderseits  der  In- 
quisition am  3.  März  berichten,  wie  er  berichtet  hat,  und  am 
25.  Mai  Galilei  das  Zeugniss  ausstellen,  welches  er  ihm  aus- 
stellte. Wenn  sich  die  Sache  so  zugetragen,  so  ist  es  auch 
ganz  erklärlich,  dass  Galilei  sich  1 7  Jahre  später  nicht  mehr 
davon  zu  erinnern  wusste,  als  er  bei  seinem  oben  erwähn- 
ten Verhöre  aussagte. 

Aehnlich  denkt  sich  Wolynski  S.  38.  67 8)  den  Verlauf 
der  Sache;  nur  meint  er,  Bellarmin  habe  durch  den  Com- 
missar  seine  Mittheilung  bestätigen  lassen,  ohne  dass  Galilei 
irgendwie  widersprochen  und  ohne  diesem  den  Commissar 
als  solchen  vorzustellen,  und  der  Notar  habe  nachher,  ohne 
dazu  beauftragt  zu   sein,    einen  Bericht   über   den  Vorgang 


1)  Die  mit  einer  Bulle  Sixtus'  V.  1590  veröffentlichte  Ausgabe  der 
Vulgata  entsprach  nicht  den  Vorschlägen,  welche  die  mit  der  Revision  der 
Vulgata  beauftragte  Commission  gemacht  hatte.  Bellarmin,  ein  hervorragen- 
des Mitglied  der  Commission,  bestimmte  Gregor  XIV.,  die  Verbreitung  jener 
Ausgabe  zu  sistiren  und  eine  neue  Ausgabe  ausarbeiten  zu  lassen.  Diese 
erschien  1592  unter  Clemens  VIII.  mit  einer  von  Bellarmin  verfassten  Vor- 
rede. Bellarmin  rühmt  sich,  er  habe  dem  Papste  gerathen,  um  nicht  Sixtus 
V.  zu  prostituiren,  die  neue  Ausgabe  unter  dessen  Namen  erscheinen  zu 
lassen  und  in  der  Vorrede  zu  sagen,  —  woran  kein  wahres  Wort  war,  — 
Sixtus  V.  habe  wegen  der  Druckfehler,  die  sich  in  die  im  J.  1590  vollen- 
dete Ausgabe  eingeschlichen,  die  Veranstaltung  einer  neuen  Ausgabe  ange- 
ordnet.    L.  van  Ess,  Gesch.  der  Vulgata  S.   291. 

2)  Sein  Aufsatz  in  der  Rivista  Internazionale  1876,  No.  15.  16  ist 
mir  nur  aus  der  Notiz  in  Uns.  Zeit  I,   503   bekannt. 


144  Bedeutung  der  Verwarnung  Galilei's. 

in  die  Acten  geschrieben,  der  also  eigentlich  keine  recht- 
liche Bedeutung  haben  würde.  Namentlich  letzteres  ist  nach 
dem  oben  Gesagten  unwahrscheinlich. 

Bei  den  Erörterungen  über  die  Echtheit  der  Aufzeich- 
nung vom  26.  Febr.  161 6  kommt,  wie  oben  (S.  130)  angedeutet 
wurde,  auch  der  Inhalt  der  damals  Galilei  ertheilten  Ver- 
warnung in  Betracht,  —  ein  Punkt,  der,  wie  wir  sehen  werden, 
auch  noch  in  anderer  Beziehung  von  Wichtigkeit  ist. 

Nach  dem  Beschlüsse  vom  25.  Febr.  sollte  Bellarmin 
Galilei  ermahnen,  die  Copernicanische  Meinung  „aufzugeben", 
eventuell  der  Commissar  ihm  befehlen,  „jene  Meinung  durch- 
aus nicht  mehr  zu  lehren  oder  zu  vertheidigen  oder  zu  er- 
örtern" (ut  omnino  abstineat  .  .  .  docere  aut  def  ender e  seu  de 
ea  tractare).  Nach  dem  Berichte  Bellarmins  in  der  Sitzung 
vom  3.  März  wurde  Galilei  ermahnt  „jene  Meinung  aufzu- 
geben", nach  dem  Zeugnisse  vom  26.  Mai  wurde  ihm  eröff- 
net, jene  Meinung  „sei  der  h.  Schrift  zuwider  und  dürfe 
darum  nicht  vertheidigt  oder  für  wahr  gehalten  werden" 
(non  si  possa  difendere  ne  tenere).  Nach  der  Aufzeichnung 
vom  26.  Febr.  belehrte  Bellarmin  Galilei  „über  daslrrthümliche 
jener  Meinung  und  ermahnte  ihn,  dieselbe  aufzugeben" ;  der 
Commissar  aber  befahl  ihm,  „die  Meinung  ganz  aufzugeben 
und  fortan  in  keiner  Weise  mehr  für  wahr  zu  halten,  zu 
lehren  oder  zu  vertheidigen  in  Wort  oder  Schrift"  (nee  eam 
de  cetero  quovis  modo  teneat,  doceat  aut  defendat,  verbo  aut 
scriptis). 

Der  Befehl,  den  der  Commissar  nach  der  Aufzeichnung 
vom  26.  Febr.  Galilei  ertheilt  hat,  stimmt  also  nicht  wörtlich  mit 
dem  über  ein,  den  er  ihm  nach  dem  Beschlüsse  vom  25.  er- 
theilen  sollte :  es  sind  die  Ausdrücke  quovis  modo  tenere  und 
verbo  aut  scriptis  beigefügt,  und  anderseits  ist  der  Ausdruck 
seu  de  ea  tractare  weggelassen.  Die  Beifügung  jener  Aus- 
drücke —  Näheres  über  sie  s.  u.  —  ist  nun  offenbar  keine 
so  bedeutende  Aenderung,  wie  die  Weglassung  des  seu  de  ea 
tractare-,  dieser  Ausdruck  kann  wenigstens  als  ein  Verbot  nicht 
bloss  desDocirens  und  Vertheidigens,  sondern  auch  jeder  Be- 
sprechung der  Copernicanischen  Theorie  verstanden  werden, 
und  der  Befehl,  den  der  Commissar  ertheilte,  scheint  insofern 
weniger  weitgehend  zu  sein  als  der,  den  er  ertheilen  sollte. 
Diese  Differenz  zwischen  der  Aufzeichnung  vom  25.  und  der 


Bedeutung  der  Verwarnung  Galilei's.  145 

vom  26.  Februar  scheint  mir  ein  sehr  starker,  ja  entschei- 
dender Grund  gegen  die  Annahme  einer  Fälschung  der  letz- 
tern zu  sein.  Wenn  Jemand  im  J.  1632  diese  Zeilen  in  die 
Acten  hineingeschrieben  hat,  um  ein  Schriftstück  zu  fabri- 
ciren,  welches  gegen  Galilei  benutzt  werden  könnte,  warum 
hat  er  sich  nicht  genau  an  die  Ausdrücke  gehalten,  welche 
in  dem  unmittelbar  über  seiner  Fälschung  stehenden  echten 
Actenstücke  standen,  und  warum  hat  er  es  namentlich  unter- 
lassen, den  Ausdruck  de  ea  tractare  aus  dem  echten  Acten- 
stücke herüberzunehmen,  den  man  am  allerbequemsten  be- 
nutzen konnte,  um  die  Anklage  gegen  Galilei  zu  begründen, 
er  habe  durch  die  Veröffentlichung  seines  Dialoges  über 
das  Ptolemäische  und  das  Copernicanische  System  das  Ver- 
bot übertreten,  welches  ihm  im  J.  16 16  ertheilt  worden, 
überhaupt  nicht  mehr  über  das  Copernicanische  System  zu 
schreiben? 

Diese  Differenz  spricht  auch  entschieden  gegen  die 
Vermuthung  von  Gebier1),  der  Notar  der  Inquisition  habe 
am  26.  Febr.  1616  die  Verwarnung  Galilei's  durch  den  Com- 
missar  einregistrirt,  obschon  sie  nicht  stattgefunden,  ent- 
weder weil  er  dieses  als  eine  „Formalität"  angesehen  oder 
weil  man  schon  damals  eine  Waffe  habe  schmieden  wollen, 
die  man  später  gegen  Galilei  gebrauchen  könne.  In  dem 
einen  und  dem  andern  Falle  würde  sich  der  Notar  an  den 
Wortlaut  der  ihm  vorliegenden,  ja  von  ihm  selbst  geschrie- 
benen Aufzeichnung  vom  vorhergehenden  Tage  gehalten 
haben.  Die  letztere  Vermuthung  Geblers  ist  übrigens  augen- 
scheinlich haltlos:  im  J.  1616  hat  man  schwerlich  auch  nur 
daran  gedacht,  dass  Galilei  noch  einmal  mit  der  Inquisition 
in  Conflict  kommen  werde,  geschweige  denn,  dass  man  dann 
diese  Registratur  gegen  ihn  werde  gebrauchen  können2). 

Die  Differenz  zwischen  dem,  was  der  Commissar  nach 
dem  Beschlüsse  vom  25.  Febr.  thun  sollte,  und  dem,  was 
er  nach  der  Aufzeichnung  vom  26.  gethan  hat,  benutzt  P. 
Schneemann  S.  396  zu  einer  neuen,  der  meinigen  einiger- 
massen  ähnlichen,  aber  doch  wesentlich  von  ihr  verschiedenen 
Vermuthung  über  den  Vorgang  am  26.  Februar.  Er  meint, 
am  25.  sei  angeordnet  worden,  wenn  Galilei  der  Ermahnung 


,      1)  Acten  S.  XXXI. 

2)   Vgl.  Wohlwill,  G.  G.  A.   1878,  St.  21,  S.  655. 
Reusch,  Galilei.  IO 


146  Bedeutung  der  Verwarnung  Galilei's. 

Bellarmins  nicht  gehorchen  wolle,  solle  der  Commissar  ihm 
vollständiges  Schweigen  über  die  Copernicanische  Lehre 
auflegen;  Galilei  habe  am  26.  sich  nicht  geweigert,  der 
Mahnung  zu  gehorchen,  darum  sei  der  Commissar  nicht  in 
die  Lage  gekommen,  den  fraglichen  Auftrag  auszuführen; 
Bellarmin  habe  nur,  was  durch  den  Beschluss  vom  25.  aller- 
dings nicht  angeordnet,  aber  auch  nicht  ausgeschlossen  ge- 
wesen sei,  dasselbe,  wozu  er  in  freundschaftlicher  Weise 
Galilei  ermahnt,  ihm  durch  den  Commissar  auch  noch  be- 
fehlen lassen.  Es  ist  aber  doch  sehr  unwahrscheinlich,  dass 
Bellarmin,  wenn  Galilei  seiner  Ermahnung  zu  gehorchen 
versprach,  sich  für  berechtigt  und  es  für  zweckmässig  ge- 
halten haben  sollte,  den  Commissar  wenigstens  in  ähnlicher 
Weise  auftreten  zu  lassen,  wie  es  für  den  Fall  des  Unge- 
horsams angeordnet  war 1).  Ich  halte  aber  auch  Schneemanns 
Deutung  des  Ausdrucks  tractare  nicht  für  richtig. 

Wenn  der  Commissar  Galilei  verbieten  sollte,  die  Co- 
pernicanische Theorie  zu  lehren  oder  zu  vertheidigen  seu  de 
ea  tractare,  so  kann  das  allerdings  an  sich  bedeuten,  er 
solle  ihm  jede  Erörterung  über  die  Theorie  verbieten,  also 
„vollständiges  Stillschweigen  in  Betreff  dieses  Gegenstandes 
vorschreiben".  Wenn  aber  Schneemann  sich  zu  Gunsten 
dieser  Deutung  darauf  beruft,  dass  nach  dem  zweiten  Pro- 
cesse  Galilei  „untersagt  worden  sei,  über  den  Gegenstand 
zu  handeln,  und  dass  ihm  hierdurch  völliges  Stillschweigen 
über  besagte  Materie  aufgelegt  werde",  so  beweist  dieses 
Argument  das  Gegentheil.  Die  Inquisition  gebraucht,  um 
nach  dem  zweiten  Processe  Galilei  völliges  Stillschweigen 
über  die  Copernicanische  Lehre  aufzulegen,  den  Ausdruck: 
ne  de  cetero  scripto  vel  verbo  tractet  amplius  quovis  modo 
de  mobilitate  terrae  nee  de  stabilitate  solis  et  e  contra2).  In 
der  Verbindung  ut  omnino  abstineat  huüismodi  doctrtnam  et 
opinionem  docere  aut  def ender e  seu  de  ea  tractare  kann  der 
letztere  Ausdruck  auch  als  ein  Synonymum  von  docere  aut 
defendere  aufgefasst  werden,  so  dass  damit  „nur  in  pleona- 
stischer  Weise  die  Enthaltung  von  einer  Behandlung  des 
Copernicanischen  Systems  als  eines  irgendwie  begründeten 
oder  wahren  gemeint  ist"  (Grisar  S.  603).  In  diesem  Sinne 
wird  der  Ausdruck  z.  B.  gebraucht,   wenn  in  dem  Urtheile 


)  Vgl.  Grisar  S.  602.  2)  Gherardi  No.  XIII. 


Bedeutung  der  Verwarnung  Galilei's.  147 

vom  22.  Juni  1633  von  dem  Index-Decrete,  welches  omnes 
libros  idem  (die  Copernicanische  Theorie)  docentes  verbietet, 
gesagt  wird,  es  seien  darin  verboten  i  libri  che  trattano  di 
tat  dottrtna,  und  wenn  gesagt  wird,  auch  wenn  Galilei  nur 
von  Bellarmin  erklärt  worden  wäre,  die  Copernicanische 
Lehre  sei  schriftwidrig,  habe  er  nicht  dürfen  trattarne,  dif en- 
der ta  et  per  suader  la  probabtie1). 

Wie  es  sich  aber  auch  um  die  Bedeutung  des  Ausdrucks 
tractare  verhalten  mag,  in  dem  Praeceptum,  welches  der  Com- 
missar  nach  der  Aufzeichnung  vom  26.  Febr.  Galilei  ertheilte, 
wurde  nicht  dieser  Ausdruck  gebraucht,  sondern  der  Aus- 
druck, Galilei  solle  fortan  nicht  die  Copernicanische  Ansicht 
quovis  modolenere,  docere  autdef ender e,  verbo  aut scriptis.  Auch 
diese  Ausdrücke  sind  von  Wohlwill  und  Anderen  so  gedeutet 
worden,  als  ob  darin  Galilei  absolutes  Schweigen  über  die 
Copernicanische  Theorie  auferlegt  worden  sei2).  Auf  diese 
Auffassung  der  Worte  gestützt,  hat  man  dann  gesagt:  nach 
dem  Zeugnisse  des  Cardinais  Bellarmin  ist  Galilei  am  26.  Febr. 
nur  der  später  durch  das  Index-Decret  promulgirte  Beschluss, 
dass  die  Copernicanische  Ansicht  als  der  Bibel  widersprechend 
nicht  vertheidigt  oder  für  wahr  gehalten  werden  dürfe,  zur 
Danachachtung  mitgetheilt  worden;  also  kann  die  Angabe 
der  Aufzeichnung  vom  26.  Febr.  nicht  wahr  (und  darum  diese 
Aufzeichnung  nicht  echt)  sein,  dass  Galilei  ein  über  jenes 
Index-Decret  weit  hinausgehender  Befehl  ertheilt  worden  sei, 
ein  Befehl,  welcher,  —  während  Anderen  wenigstens  noch 
die  hypothetische  Behandlung  der  Copernicanischen  Lehre 
gestattet  blieb,  —  Galilei  „jede  Weise  der  Erörterung  der- 
selben, auch  die  Hypothese  (nach  Scartazzini  sogar  die  Be- 
kämpfung derselben)  eingeschlossen,  untersagte"  und  ihn  „zu 
völligem  Verstummen  (über  jene  Lehre)  verurtheilte"  (Wohl- 
will S.  13.  25).  • 

Von  den  Erörterungen    über  die  Tragweite    des  frag- 


1)  IX,  467.  469.  Auch  in  dem  Actenstücke  Acten  S.  5  heisst  es  von 
dem  Index-Decrete,  es  sei  darin  verboten  gener almente  ogni  Ubro  che  tratta 
di  detta  opinione. 

2)  Wohlwill,  Inquisitionsprocess  S.  13,  vgl.  8.  25.  Gebier,  Acten  S. 
XXV.  Scartazzini,  Unsere  Zeit  1877,1,505.  Riv.  Eur.  1877,  IV,  851.  Cantor, 
Gegenwart  1877,  No.  44,  S.  284.  Auch  Bouix  p.  114,  und  Pieralisi,  Urbano 
VIII.  p.  62. 


148  Bedeutung  der  Verwarnung  Galilei's. 

liehen  Praeceptums  bei  Gelegenheit  des  zweiten  Processes 
wird  später  die  Rede  sein.  Die  Worte  desselben  für  sich 
und  in  ihrem  Zusammenhange  betrachtet,  nöthigen  in  keiner 
Weise  zu  einer  so  weit  gehenden  Deutung.  Jedenfalls  ist 
Galilei  (nach  dem  Zeugnisse  des  Cardinais  Bellarmin)  ver- 
boten worden,  die  Copernicanische  Ansicht  für  wahr  zu 
halten  oder  zu  vertheidigen.  Wenn  der  Commissar  zu  teuere 
et  defendere  noch  docere  hinzugefügt  hat,  so  ist  das  augen- 
scheinlich keine  Verschärfung.  Was  aber  den  andern  Zusatz 
quovis  modo  betrifft,  so  ist  derselbe  zunächst  nicht  dem 
Worte  docere,  sondern  dem  ganzen  Ausdrucke  teuere,  do- 
cere aut  defendere  vorausgeschickt,  und  zweitens  findet  er 
seine  natürliche  Erklärung  in  dem  beigefügten  verbo  aut 
scriptis. 

.Bei  seinem  Verhöre  am  12.  April  1633  und  in  seiner 
am  10.  Mai  eingereichten  Verteidigungsschrift l)  erklärt 
Galilei,  er  erinnere  sich  nicht,  dass  in  dem  ihm  im  Februar 
161 6  ertheilten  Befehle  ausser  den  Ausdrücken  teuere  und 
defendere  auch  die  Ausdrücke  quovis  modo  und  docere  vor- 
gekommen seien;  er  fügt  aber  bei,  —  und  das  ist  durchaus 
glaublich,  —  er  habe  den  Wortlaut  der  ihm  am  26.  Febr. 
ertheilten  Weisung  darum  nicht  im  Gedächtniss  behalten, 
weil  er  das  Zeugniss  des  Cardinais  Bellarmin  als  eine  authen- 
tische Urkunde  über  jene  Weisung  angesehen  und  darum 
angenommen  habe,  es  sei  ihm  persönlich  keine  andere  Wei- 
sung ertheilt  worden,  als  sie  in  dem  Index-Decrete  für  alle 
Katholiken  enthalten  sei.  Mit  dem  Wortlaute  des  Praecep- 
tums steht,  wie  gesagt,  diese  Auffassung  auch  nicht  in 
Widerspruch. 

Wenn  diese  Deutung  des  Praeceptums  zulässig  ist,  so 
wird  ein  weiteres  von  Scartazzini2)  und  Anderen  stark 
hervorgehobenes  Argument  £fegen  die  Echtheit  der  Auf- 
zeichnung vom  26.  Febr.  161 6  hinfallig.  Dieses  Argument 
ist  folgendes :  Die  Briefe  und  die  schriftstellerischen  Arbeiten 
Galilei's  aus  den  ersten  Jahren  nach  161 6  lassen  die  An- 
nahme nicht  zu,  dass  ihm  absolutes  Schweigen  über  die 
Copernicanische  Theorie  aufgelegt  worden  sei;  also  ist  ihm 


1)  Acten  S.  80.  88. 

2)  Riv.  Eur.  IV,  848.     Vgl.  Gebier,  Acten  S.  XXV.     Riccardi  p.  14. 
Zeller,  D.  Rundschau   1877,  I,  76. 


Bedeutung  der  Verwarnung  Galilei's.  149 

das  fragliche  Praeceptum  von  dem  Commissar  nicht  ertheilt 
worden.  Im  J.  1625  wurde,  wie  wir  sehen  werden,  Galilei's 
Saggiatore,  in  welchem  an  einigen  Stellen  von  der  Coper- 
nicanischen  Theorie  die  Rede  ist,  bei  der  Inquisition  denun- 
cirt,  der  Denunciation  aber  keine  Folge  gegeben;  hätten 
die  Denuncianten  das  Praeceptum  gekannt,  so  würden  sie 
sich  darauf  berufen,  und  hätten  die  Mitglieder  der  Inquisi- 
tion es  gekannt,  so  würden  sie  die  Denunciation  nicht  igno- 
rirt  haben;  also  existirte  die  Aufzeichnung  vom  26.  Febr. 
im  J.  1625  noch  nicht.  Für  den  Saggiatore  wurde  im  J. 
1623  zu  Rom,  für  den  Dialog  1632  zu  Rom  und  Florenz  die 
Druck-'Erlaubniss  ertheilt;  das  wäre  nicht  geschehen,  wenn 
die  Censoren  das  Praeceptum  gekannt  hätten ;  also  existirte 
die  Aufzeichnung  vom  26.  Febr.  im  J.  1632  noch  nicht1).  — 
Zunächst  kann  nach  dem  Gesagten  mit  gleichem  Rechte 
gefolgert  werden :  also  wurde  das  in  der  Aufzeichnung  vom 
26.  Febr.  registrirte  Praeceptum  von  denjenigen,  die  es 
kannten,  nicht  als  ein  absolutes  Verbot  aufgefasst.  Damit 
verliert  das  Argument  seine  Beweiskraft.  Scartazzini  hätte 
aber  auch  so  argumentiren  können:  Wenn  im  J.  161 6  Galilei 
jede  Besprechung  der  Copernicanischen  Lehre  verboten 
worden  wäre,  so  würde  dieses  Verbot,  —  wie  das  im  J. 
1633  wirklich  geschah,  —  auch  wenigstens  dem  Magister 
Sacri  Palatii,  dem  Römischen  Büchercensor,  und  dem  In- 
quisitor zu  Florenz  mit  der  Weisung  zur  Kenntniss  gebracht 
worden  sein,  für  kein  Buch,  worin  Galilei  die  Copernicani- 
sche  Lehre  berühre,  die  Druck-Erlaubniss  zu  ertheilen;  das 
ist  offenbar  nicht  geschehen;  also  ist  Galilei  im  J.  16 16  ein 
solches  Verbot  nicht  ertheilt  worden;  also,  so  würde  Scar- 
tazzini —  nach  dem  Gesagten  mit  Unrecht  —  folgern,  ist 
die  Aufzeichnung  vom  26.  Febr.  unecht;  also,  so  darf  mit 
Recht  gefolgert  werden,  ist  das  in  dieser  Aufzeichnung 
registrirte  Praeceptum  nicht  ein  absolutes,  nicht  ein  über 
das  Index-Decret  inhaltlich  hinausgehendes  Verbot  gewesen. 
In  Einer  Beziehung,  —  so  weit  hat  Wohlwill  S.  1 8  Recht, 
—  hat  die  Inquisition  im  J.  1616  gegen  Galilei  eine  specielle 
Massregel   ergriffen,    eine  Massregel,    die  ihm  in  einem  ge- 


1)  Gebier  folgert  in  seiner  zweiten  Schrift  (s.o.  S.  131,  Anm.  1):  also 
sagt  die  Aufzeichnung  vom  26.  Febr.,  sofern  sie  von  einem  Praeceptum  des 
Commissars  spricht,  die  Unwahrheit. 


I  50  Bedeutung  der  Verwarnung  Galilei's. 

wissen  Sinne  „eine  Ausnahmestellung"  anwies.  Durch  das 
von  ihr  veranlasste  und  bestätigte  Index-Decret  wurde  die 
Verurtheilung  der  Copernicanischen  Theorie  zur  allgemeinen 
Kenntniss  gebracht;  Galilei  wurde  diese  Verurtheilung  spe- 
ciell  notiiicirt  und  ihm  das  Versprechen  abgenommen,  die- 
selbe respectiren,  also  die  Copernicanische  Ansicht  aufgeben 
und  nicht  mehr  vortragen  zu  wollen.  „Wenngleich  er  also, 
sagt  Grisar  S.  102  ganz  richtig,  hinsichtlich  der  Ausdeh- 
nung der  ihm  gesetzten  Schranken  den  übrigen  Gläubigen, 
die  dem  Index-Verbote  zu  gehorchen  hatten,  gleichstand,  so 
war  doch  seiner  Person  im  Besondern,  —  und  die  Sen- 
tenz [vom  22.  Juni  1633]  hebt  dieses  ausdrücklich  hervor, 
—  die  Verwerflichkeit  der  Lehre  »declarirt«  und  das  Ver- 
bot derselben  »intimirt«  worden." 

Zur  Motivirung  dieser  speciellen  Verwarnung  Galilei's 
braucht  aber  nicht  mit  Grjseir  S.  87  angenommen  zu  wer- 
den, dass  der  Plan  Galilei's,  ein  umfassendes  Werk  über  das 
Weltsystem  zu  schreiben,  in  den  hohen  kirchlichen  Kreisen 
bekannt  geworden,  —  er  war  doch  wohl  nur  erst  Wenigen 
bekannt,  —  und  dass  die  Inquisition  der  Ausführung  dieses 
Planes  habe  zuvorkommen  wollen.  Die  Inquisition  war  zu 
jener  Massregel  vollauf  berechtigt,  ja  auf  ihrem  Stand- 
punkte verpflichtet,  da  ihr  Galilei  durch  die  Denunciation 
und  die  in  Folge  derselben  stattgefundene  Untersuchung 
des  Briefes  an  Castelli  und  des  Buches  über  die  Sonnen- 
flecken als  Anhänger  der  Copernicanischen  Lehre  bekannt 
oder  wenigstens  verdächtig  geworden  war.  In  der  That 
war  jene  Verwarnung  die  mildeste  Form,  wie  der  gegen 
Galilei  eingeleitete  Process  beendigt  werden  konnte. 


XII. 

Aeussernngen  Galilei's  und  seiner  Freunde  über  die 
Entscheidung  vom  J.  1616. 

Der  toscanische  Gesandte  Guicciardini  wünschte,   wie 
wir   gesehen  haben  (S.  106)  dringend,   Galilei   möge  gleich 


Galilei's  Rückkehr  nach  Florenz.  151 

nach  der  Beendigung  des  Processes  nach  Florenz  zurückbe- 
rufen werden.  Galilei  durfte  indess,  wie  er  wünschte1),  in 
Rom  bleiben  bis  nach  der  Ankunft  des  Cardinais  Carl  von 
Medici  (derselbe  kam  gegen  den  20.  April  an).  Am  13. 
Mai  schrieb  Guicciardini  nochmals  an  den  Grossherzog2): 
„Galilei  wird  auch  fortan  ausgezahlt  werden,  was  er  will 
und  zu  bedürfen  erklärt;  aber  er  ist  in  der  rechten  Stim- 
mung, um  die  Mönche  zu  reizen  und  mit  Leuten  zu  streiten, 
denen  gegenüber  er  den  Kürzern  ziehen  muss.  Ueber  kurz 
oder  lang  wird  man  dort  hören,  dass  er  in  irgend  einen  Ab- 
grund gestürzt  ist.  Wenn  er  sich  wenigstens  durch  die 
Jahreszeit  bestimmen  Hesse,  seine  Abreise  nicht  lange  auf- 
zuschieben! Von  hier  entfernt  zu  sein,  wäre  sehr  gut  für 
ihn"  u.  s.  w.  Darauf  schrieb  der  Staatssecretär  Picchena 
an  Galilei  am  2$.  Mai3):  „Da  Sie  die  Verfolgungen  der 
Mönche  verkostet  haben,  wissen  Sie,  welchen  Sinnes  die- 
selben sind,  und  Ihre  Hoheiten  fürchten,  ein  längeres  Ver- 
bleiben in  Rom  möge  für  Sie  Unannehmlichkeiten  zur  Folge 
haben,  und  würden  es  darum  gern  sehen,  wenn  Sie,  nach- 
dem Sie  bis  jetzt  mit  Ehren  davon  gekommen,  den  schla- 
fenden Hund  nicht  mehr  reizten  und  sobald  wie  möglich 
hieher  zurückkämen.  Es  werden  Stimmen  laut,  die  uns 
nicht  gefallen,  und  die  Mönche  sind  allmächtig."  Anfangs 
Juni  reiste  dann  Galilei  von  Rom  ab. 

Am  23.  April  schrieb  Sagredo  von  Venedig  an  Galilei4): 
es  sei  dort  das  Gerücht  verbreitet,  Galilei  sei  mit  Gewalt 
nach  Rom  geschleppt  worden,  um  sich  vor  dem  h.  Officium 
wegen  seiner  Meinungen  zu  verantworten;  diese  seien  als 
irrig  und  häretisch  erklärt  und  er  selbst  mit  den  strengsten 
Verwarnungen  entlassen,  auch  seien  ihm  verschiedene  Buss- 
übungen, Fasten,  Empfang  der  Sacramente  u.  s.  w.  aufge- 
legt worden.  Aehnliche  Gerüchte  scheinen  auch  in  Rom 
verbreitet  gewesen  zu  sein.  Das  veranlasste  Galilei,  sich 
von  dem  Cardinal  Bellarmin  das  oben  (S.  129)  mitgetheilte 
Zeugniss  zu  erbitten.  Der  Cardinal  del  Monte,  an  welchen 
Galilei  von  dem  Grossherzog  empfohlen  worden  war,  gab 
ihm,  als  er  seine  Rückreise  antrat,  ein  vom  4.  Juni  datirtes 


1)  VI,  225.  233.  236.  237.  2)  VI,  238. 

3)  VI,  238.  4)  Suppl.   109. 


152  Galilei's  Rückkehr  nach  Florenz. 

Schreiben  an  diesen  mit1),  worin  es  heisst:  „Galilei  reist 
von  hier  ab  mit  völlig  intacter  Reputation,  und  belobt  von 
Allen,  die  mit  ihm  verhandelt  haben ;  denn  es  ist  handgreif- 
lich geworden,  wie  unverdient  er  von  seinen  Feinden  ver- 
leumdet worden  war  .  .  .  Ich,  der  ich  oft  mit  ihm  gesprochen 
und  auch  diejenigen  gehört  habe,  die  um  alles  wissen,  was 
geschehen  ist,  versichere  Ew.  Hoheit,  dass  seine  Person 
nicht  der  mindeste  Vorwurf  trifft.  Er  selbst  wird  Rechen- 
schaft von  sich  geben  und  die  Verleumdungen  seiner  Feinde 
widerlegen  können,  da  er  alles  aufgezeichnet  hat,  was  er 
vorzubringen  für  gut  gefunden.  Ich  habe  Ew.  Hoheit  dieses 
berichten  wollen,  damit  mein  Zeugniss  bei  Ihnen  den  Zureden 
der  Feinde  Galilei's  den  Weg  verschliesse ,  welche  voraus- 
sichtlich von  ihren  Machinationen  nicht  ablassen  werden, 
nachdem  sie  auf  dem  einen  Wege  ihre  Absichten  nicht  er- 
reicht haben." 

Wir  haben  einen  Brief  Galilei's  vom  28.  Febr.  16 16  an 
den  Herzog  Muti2)  über  die  Bewohnbarkeit  des  Mondes;  er 
wiederholt  darin  die  Gründe,  die  er  einige  Tage  vorher  in 
Gegenwart  des  Herzogs  und  des  Cardinais  Muti  mündlich 
entwickelt  hatte,  um  zu  beweisen,  dass  es  auf  dem  Monde 
keine  Menschen,  nicht  einmal  Thiere  und  Pflanzen  gebe. 
Scartazzini  sagt3)  zur  Begründung  seiner  Meinung  von  der 
Unechtheit  der  Aufzeichnung  vom  26.  Febr.  1616:  ,,Ist  es 
psychologisch  denkbar,  dass  er  sich  in  der  Stimmung  be- 
funden hätte,  einen  solchen  Brief  zu  schreiben,  wenn  zwei 
Tage  vorher  das  vorgefallen  wäre,  was  nach  dem  Protocoll 
vorgefallen  sein  soll?"  Die  Verurtheilung  der  Copernicani- 
schen  Lehre  war  Galilei  am  26.  Febr.  jedenfalls  bekannt  ge- 
worden; wenn  ihm  das  nicht  unmöglich  machte,  zwei  Tage 
später  jenen  Brief  zu  schreiben,  in  welchem  übrigens  von 
jener  Lehre  nicht  die  Rede  ist,  so  macht  die  Art  und  Weise, 
wie  ihm  jene  Verurtheilung  notificirt  wurde,  keinen  wesent- 
lichen Unterschied.  Viel  merkwürdiger  ist,  dass  Galilei  als 
siebenzigjähriger  Greis  im  J.  1633  einige  Wochen  nach  seiner 
Verurtheilung  und  Abschwörung  während  seines  unfrei- 
willigen Aufenthaltes  in  Siena   in  der  Stimmung  war,  über 


1)  VIII,  385.  2)  III,  174. 

3)  Allg.  Ztg.  1878,  No.  11  B. 


Briefe  Galilei's  aus  den  J.   1616  und   1617.  153 

Probleme  der  Physik  zu  schreiben '),  und  auffallender  als 
jener  Brief  vom  28.  Febr.  ist  ein  anderer  vom  6.  März  1616 
an  Picchena2)  und  die  Art  und  Weise,  wie  er  darin  der 
Entscheidung  der  Römischen  Behörden  eine  gute  Seite  ab- 
zugewinnen sucht.  Caccini's  Behauptung,  sagt  er,  die  Co- 
pernicanische  Lehre  sei  gegen  den  Glauben  und  ketzerisch, 
habe  die  h.  Kirche  nicht  zu  der  ihrigen  gemacht,  vielmehr 
nur  erklärt,  dieselbe  stimme  nicht  mit  der  h.  Schrift  über- 
ein; darum  seien  nur  die  Bücher  verboten  worden,  welche 
ex  ftrofesso  zu  beweisen  suchten,  dass  jene  Lehre  nicht  mit 
der  Bibel  in  Widerspruch  stehe,  und  zu  dieser  Classe  gehöre 
nur  die  Schrift  von  Foscarini;  das  Buch  des  Copernicus  und 
der  Commentar  des  Stunica  seien  nur  suspendirt;  andere 
Autoren  würden  nicht  erwähnt.  Dann  folgt  die  noch  auf- 
fallendere Aeusserung:  „Ich  habe,  wie  aus  der  Natur  der 
Angelegenheit  selbst  hervorgeht,  dabei  kein  Interesse,  und 
ich  würde  mich  gar  nicht  damit  befasst  haben,  wenn  mich 
nicht  meine  Feinde  hineingezogen  hätten.  Was  ich  dabei 
gethan  habe,  kann  man  aus  meinen  Schriftstücken  ersehen, 
die  ich  darum  aufbewahre,  um  jederzeit  der  Bosheit  den 
Mund  stopfen  zu  können,  da  ich  beweisen  kann,  dass  mein 
Verhalten  bei  diesen  Verhandlungen  ein  solches  gewesen 
ist,  dass  ein  Heiliger  nicht  mit  grösserer  Ehrfurcht  und 
grösserm  Eifer  für  die  h.  Kirche  hätte  verfahren  können." 

In  einem  Briefe  vom  12.  März11)  berichtet  er:  „Gestern 
habe  ich  Seiner  Heiligkeit  den  Fuss  geküsst.  Die  sehr  gnä- 
dige Audienz,  bei  welcher  ich  mich  mit  dem  Papste  auf- 
und  abgehend  unterhielt,  dauerte  drei  Viertelstunden  .  .  . 
Ich  berichtete  über  die  Ursache  meines  Hieherkommens, 
und  da  ich  erwähnte,  dass  ich  beim  Abschiede  von  Ihren 
Hoheiten  auf  alle  Gunst,  die  mir  etwa  von  ihnen  hätte  zuge- 
wandt werden  können,  verzichtet  hätte,  da  es  sich  um  die 
Religion  oder  um  die  Unbescholtenheit  des  Lebens  und  der 
Sitten  gehandelt  habe,  wurde  dieser  Entschluss  warm  und 
wiederholt  belobt.  Ich  zeigte  Seiner  Heiligkeit  die  Bos- 
heit meiner  Feinde  und  einige  ihrer  Verleumdungen.  Der 
Papst  antwortete  mir,  er  kenne  meine  Unbescholtenheit  und 
die  Reinheit  meiner  Gesinnung,    und  da  ich  einige  Besorg- 


1)  VII,  37.  2)  vi,  231.  3)  VI,  234. 


154  Briefe  Galilei's  aus  den  J.   1616  und  161 7. 

niss  äusserte,  ich  möchte  fort  und  fort  von  der  unversöhn- 
lichen Bosheit  verfolgt  werden,  tröstete  er  mich  mit  der 
Versicherung,  ich  dürfe  ganz  ruhig  sein,  da  er  und  die 
ganze  Congregation  eine  solche  Meinung  von  mir  gewon- 
nen, dass  man  den  Verleumdern  nicht  leicht  glauben  werde; 
so  lange  er  lebe,  dürfe  ich  sicher  sein.  Ehe  ich  fortging, 
sprach  er  wiederholt  seine  Bereitwilligkeit  aus,  mir  auch 
durch  die  That  bei  jeder  Gelegenheit  seine  Zuneigung  zu 
beweisen."  Am  26.  März  schreibt  Galilei1):  ,,Von  der  jetzt 
durch  die  Oberen  beendigten  Angelegenheit  ist  nicht  mehr 
die  Rede."  Auch  in  einem  Briefe  an  seinen  Freund  Sagre- 
do  sprach  sich  Galilei,  wie  wir  aus  der  Antwort2)  sehen, 
dahin  aus:  die  Sache  habe  ein  ganz  anderes  Ende  genommen, 
wie  seine  Feinde  gewünscht. 

Es  ist  kaum  glaublich,  was  B.  Odescalchi3)  berichtet: 
in  einer  Sitzung  derLincei  vom  24.  März  16 16,  bei  welcher 
auch  Galilei  zugegen  gewesen,  sei  Luca  Valerio  (s.  o.  S.  27) 
aus  der  Gesellschaft  ausgeschlossen  worden,  ,,1.  weil  ersieh 
ohne  Grund  von  der  Akademie  fern  gehalten,  2.  weil  er 
öffentlich  gesagt,  Galilei  behaupte  die  Bewegung  der  Erde, 
weil  er  ein  Linceo  sei,  als  ob  diese  Meinung  die  allgemeine 
Ansicht  der  Akademie  sei,  3.  weil  er,  während  er  sich  im- 
mer als  Freund  Galilei's  gerirt,  ihn  beschuldigt  habe,  er 
trage  die  Lehre,  dass  die  Erde  sich  bewege,  nicht  als  ein- 
fache Hypothese,  sondern  als  Thesis  vor."  —  Der  letzte 
Brief  Valerio's  an  Galilei,  den  wir  besitzen,  ist  vom  3.  Oct. 
16144);  er  wird  seitdem  auch  in  anderen  uns  erhaltenen  Brie- 
fen nicht  mehr  erwähnt. 

Ausser  den  oben  erwähnten  Aeusserungen  findet  sich 
in  den  Briefen  Galilei's  aus  den  Jahren  1616  und  161 7  die 
Römische  Entscheidung  nicht  erwähnt.  Es  mögen  aber 
Briefe,  in  denen  er  sich  auch  über  diese  Entscheidung, 
sofern  sie  nicht  ihn  persönlich,  sondern  die  Copernica- 
nische  Lehre  betraf,  ausgesprochen,  vernichtet  worden 
sein.  Der  ers^e  uns  erhaltene  Brief,  in  welchem  eine  solche 
Aeusserung    vorkommt,    ist    der    an    den    Erzherzog    Leo- 


1)  VI,  236.  2)  Suppl.  110. 

3)  Memorie  dell'  Accademia  dei  Lincei,  Rom  1806,  bei  Venturi  I,  279. 

4)  Suppl.  97. 


Brief  an  Erzherzog  Leopold.  155 

pold  von  Oesterreich  vom  23.  Mai  16181).  Es  heisst  darin: 
„Ich  schicke  Ihnen  ein  Exemplar  meiner  gedruckten  Briefe 
über  die  Sonnenflecken  und  eine  kurze  Abhandlung  über 
die  Ursache  der  Ebbe  und  Fluth,  welche  ich  vor  zwei 
Jahren  in  Rom  auf  Befehl  des  Cardinais  Orsini  geschrie- 
ben (s.  o.  S.  102),  als  man  im  Kreise  jener  Herren  Theo- 
logen an  das  Verbot  des  Buches  des  Copernicus  und  der 
Meinung  von  der  Beweglichkeit  der  Erde  dachte,  die  in 
jenem  Buche  vorgetragen  wird  und  damals  von  mir  für 
wahr  gehalten  wurde,  bis  es  jenen  Herren  gefiel,  das  Buch 
zu  suspendiren  und  die  besagte  Meinung  für  falsch  und  der 
h.  Schrift  widersprechend  zu  erklären.  Da  ich  weiss,  dass 
es  sich  geziemt,  den  Entscheidungen  der  Oberen  zu  gehor- 
chen und  zu  glauben,  da  sie  von  höheren  Erkenntnissen  ge- 
leitet werden,  an  welche  mein  geringer  Geist  nicht  heran- 
reicht, so  sehe  ich  jetzt  diese  Abhandlung  und  die  Schrift, 
bei  welcher  die  Bewegung  der  Erde  vorausgesetzt  wird, 
als  eine  Dichtung  oder  einen  Traum  an,  und  bitte  Ew.  Ho- 
heit, sie  als  solche  anzunehmen.  Wie  indess  die  Dichter 
mitunter  auf  ihre  Phantasieen  Werth  legen,  so  schätze  auch 
ich  diese  meine  Spielerei  nicht  ganz  gering*,  und  nachdem 
ich  sie  dem  erwähnten  Cardinal  und  einigen  wenigen  An- 
deren gezeigt,  habe  ich  auch  einige  Abschriften  in  die  Hand 
anderer  hochgestellter  Personen  gelangen  lassen,  damit, 
wenn  vielleicht  ein  Anderer,  der  nicht  zu  unserer  Kirche  ge- 
hört, diesen  meinen  Einfall  für  sich  in  Anspruch  nehmen 
wollte,  wie  es  mir  mit  manchen  anderen  meiner  Entdeckungen 
ergangen  ist,  angesehene  Männer  bezeugen  könnten,  dass 
ich  der  Erste  gewesen,  der  von  dieser  Chimäre  geträumt. 
Die  Schrift,  die  ich  Ihnen  schicke,  ist  freilich  nur  eine  kurze 
Skizze  davon;  denn  ich  habe  sie  eilfertig  geschrieben  und 
zu  einer  Zeit,  wo  ich  hoffte,  Copernicus  würde  nicht  acht- 
zig Jahre  nach  der  Veröffentlichung  seines  Werkes,  des  Irr- 
thums  schuldig  erklärt  werden.  Ich  dachte  daran,  wenn 
ich  mehr  Zeit  und  Müsse  haben  würde,  den  Gegenstand 
viel  ausführlicher  zu  behandeln,  noch  andere  Argumente 
beizufügen  und  die  Sache  in  besserer  Form  und  Ordnung 
zu  entwickeln.  Aber  eine  himmlische  Stimme  hat  mich 
aufgeweckt  und  alle  meine  confusen  und  verwickelten  Phan- 


)  VI,  279. 


156  Stelliola  über   die  Entscheidung  vom  J.   1616. 

tasieen  in  Nebel  aufgelöst."  —  Dass  Galilei  in  Wirklichkeit 
weit  davon  entfernt  war,  seine  Argumente  für  die  Coper- 
nicanische  Lehre  für  „confuse  Phantasieen"  und  „die  Ent- 
scheidung der  Oberen"  für  eine  „himmlische  Stimme"  zu 
halten,  zeigt  schon  der  ganze  Ton  des  Briefes. 

Auch  die  Briefe  der  Freunde  Galilei's  aus  dieser  Zeit 
scheinen  nicht  alle  erhalten  zu  sein.  Wir  haben  indess 
einige,  in  welchen  interessante  Aeusserungen  vorkommen. 

Ein  angesehener  Medi einer  und  Naturforscher  zu  Neapel, 
Niccolö  Antonio  Stelliola,  schreibt  am  1.  Juni  16161):  „Ihre 
grossartigen,  nie  genug  gepriesenen  Entdeckungen  haben 
den  Neid  der  Sophisten  unserer  Zeit  so  erregt,  dass  die 
Naturforscher  in  einer  sehr  schlimmen  Lage  sind,  wenn 
man  nicht  die  Verleumdungen  und  Betrügereien  jener  Men- 
schen aufzudecken  sucht.  Wir  sind  überzeugt,  dass  die 
Absicht  der  Oberen  heilig  und  gerecht  ist.  Wenn  darum, 
ohne  dass  die  Parteien  gehört  worden  sind,  ein  Decret 
zu  Stande  gekommen  ist,  welches  alle  Nationen  und  die 
besten  Männer  der  Nationen  angeht,  so  muss  mit  allen 
Mitteln  darauf  hingearbeitet  werden,  dass  die  Sache  revi- 
dirt  und  nach  Anhörung  der  Parteien  entschieden  werde. 
Ich"  glaube,  dass  es  zur  Kundmachung  der  Gerechtigkeit 
und  um  der  gebührenden  Ehre  willen  gut  wäre,  wenn  die 
fremden  Professoren  der  Naturwissenschaften  eine  Denk- 
schrift überreichten.  Das  Uebrige  überlasse  ich  Ihrem  Er- 
messen." Auf  einem  besondern  Blatte  fügt  Stelliola  ohne 
Unterschrift  bei:  „Es  scheint  mir  rathsam,  mit  aller  Vor- 
sicht den  Herren,  welche  die  Welt  regieren,  bemerklich  zu 
machen,  dass  diejenigen,  welche  die  Naturwissenschaft  und 
die    Religion    in    einen    Gegensatz     zu   bringen    suchen2), 

1)  VIII,  386;  vgl.   192. 

2)  P.  Grisar,  der  S.  720  den  Brief  auch  anführt,  —  mit  Weglassung 
des  ersten  Satzes  und  natürlich  des  Schlusssatzes  über  P.  Staterio,  —  fügt 
hier  bei:  „er  meint  eine  private  antigalileische  Partei",  und  versteht  unter 
den  „Herren,  welche  die  Welt  regieren",  die  weltlichen  Regierungen.  Es 
scheint  mir  auf  der  Hand  zu  liegen,  dass  „die  Herren,  welche  die  Welt 
regieren"  in  der  Beilage  mit  den  „Oberen"  in  dem  Briefe  selbst  identisch, 
und  dass  mit  denjenigen,  „welche  die  Naturwissenschaften  und  die  Religion  in 
einen  Gegensatz  zu  bringen  suchen",  diejenigen  gemeint  sind,  welche  nach 
Stelliola's  Ansicht  die  Oberen  zu  einem  ohne  Anhörung  der  andern  Partei 
erlassenen  Decrete  bestimmt  hatten,  und  welche  er  im  ersten  Satze  „Sophi- 
sten" nennt. 


Castelli  über  die  Entscheidung  vom  J.  1616.  157 

schlechte  Freunde  der  einen  und  der  andern  sind,  da  die 
Religion  und  die  Wissenschaft,  weil  sie  beide  göttlich  sind, 
nothwendig  auch  übereinstimmen.  So  viel  ich  höre,  ist  in 
Neapel  ein  Jesuit,  P.  Staterio,  sehr  bemüht  gewesen,  der- 
gleichen Unkraut  zu  säen;  wahrscheinlich  ist  es,  da  bei  be- 
sagtem Pater  die  Arroganz  und  die  Ignoranz  gleich  gross 
sind."  —  In  den  Briefen  des  Karmeliters  Jacob  Failla  in  Neapel 
vom  7.  Sept.  und  Campanella's  vom  3.  Nov.  16161),  worin 
Galilei  gebeten  wird,  sich  über  des  Letztern  Apologie  (s.  o. 
S.  61)  auszusprechen,  wird  das  Index-Decret  gar  nicht  er- 
wähnt. —  Unter  dem  16.  Mai  16 17  schreibt  Castelli  von  Pisa2) 
über  einen  dortigen  Lector  der  Philosophie,  den  Theatiner 
Placido  Mirto  aus  Neapel:  „Er  ist  ein  ausgezeichneter  Pre- 
diger und  Theologe  und,  was  mir  besonders  gefällt,  ein  eif- 
riger Lobredner  Ihrer  Verdienste  und  Tüchtigkeit.  Er  liest 
peripatetische  Philosophie,  hält  es  aber  für  recht,  diejenigen 
Meinungen  zu  ändern,  welche  mit  den  neueren  Beobachtungen 
nicht  in  Einklang  zu  bringen  sind;  er  gibt  zu,  der  Himmel 
sei  entstanden  und  vergänglich  und  elastischer  als  die  Luft; 
er  lacht  über  die  abergläubische  Ansicht  von  vielen  Sphären, 
beobachtet  die  Sonnenflecken,  die  Mediceischen  Planeten 
und  den  Saturn  und  sagt  unbedenklich,  Aristoteles  habe  in 
diesen  und  in  sehr  vielen  anderen  Dingen  geirrt.  Er  sagte 
mir,  er  habe  wiederholt  Gelegenheit  gehabt,  Ihre  Lehre  zu 
vertheidigen,  sogar  die  Ansicht  von  der  Bewegung  der 
Erde,  da  nach  seiner  Meinung  zwar  das  Buch  des  Coperni- 
cus  suspendirt,  aber  die  Meinung  nicht  verdammt  sei  und 
nicht  verdammt  werden  könne,  —  was  mir  grosse  Freude 
machte.  In  diesen  Gesprächen  deutete  er  mir  an,  in  Rom 
versuchten  die  Feinde  der  Wahrheit  jetzt  wieder  neue  Ma- 
chinationen." 

Am  10.  Mai  1619  wurde,  wie  schon  oben  (S.  114)  er- 
wähnt, Keplers  „Epitome  astronomiae  Copernicanae"  auf 
den  Index  gesetzt.  Kepler  erfuhr  dieses  zuerst  durch  einen 
Brief  des  Johannes  Remus  aus  Wien  23.  Juli  16193),  der 
ihn  um  ein  Exemplar  der  Schrift  für  Galilei  bat,  weil  dieser 
dieselbe  als  verboten  in  Florenz  nicht  haben  könne.  Kep- 
ler bat  Remus  in  einem  Brief  aus  Linz  vom  4.  Aug.  um  ge- 
nauere Mittheilungen  über  jenes  Verbot:    ob   dasselbe  dem 


l)  VIII,  391.  392.  2)  VIII,  399.  3)  V,  630. 


158  Kepler  über  die  Entscheidung  vom  J.  1616. 

Autor,  wenn  er  in  Italien  betroffen  würde,  Gefahr  bringen 
könne,  und  ob  es  auch  für  Oesterreich  gelte;  in  letzterm 
Falle  würde  er,  meint  er,  fortan  in  oesterreich  keinen 
Drucker  mehr  finden,  seine  Schrift  vielleicht  confiscirt  wer- 
den. „Ja  man  wird  mir  zu  verstehen  geben,  ich  müsse  auf 
die  astronomische  Profession  verzichten,  da  ich  über  das 
Vortragen  dieser  (der  Copernicanischen)  Lehre  alt  geworden 
bin,  ohne  bisher  Widerspruch  zu  finden;  ja  ich  werde  Oester- 
reich verlassen  müssen,  wenn  dort  die  wissenschaftliche 
Freiheit  keine  Stätte  finden  soll."  Remus  antwortete  am  13. 
August :  „Die  Epitome  ist,  glaube  ich,  nur  darum  verboten, 
weil  sie  gegen  ein  vor  zwei  Jahren  veröffentlichtes  Verbot 
des  h.  Officiums  verstösst.  Es  handelte  sich  um  einen  Nea- 
politanischen Ordensmann,  welcher  in  einer  italienischen 
Schrift  diese  Meinung  unter  dem  Volke  verbreitete,  was 
gefährliche  Folgen  und  Meinungen  hervorrief;  auch  vertrat 
zu  derselben  Zeit  Galilei  seine  Sache  in  Rom  zu  schroff. 
In  derselben  Weise  wurde  auch  Copernicus  corrigirt,  wenig- 
stens bezüglich  einiger  Zeilen  im  Anfange  des  ersten  Buches. 
Es  dürfen  aber  diese  Bücher  und,  wie  ich  glaube,  auch  die 
Epitome  mit  besonderer  Erlaubniss  von  gelehrten  und  sach- 
kundigen Männern  zu  Rom  und  in  ganz  Italien  gelesen 
werden.  Du  hast  also  weder  in  Italien  noch  in  Oesterreich 
etwas  zu  fürchten,  wenn  du  dich  innerhalb  deiner  Grenzen 
hältst  und  vorsichtig  bist;  was  du  über  den  Kometen  in 
deutscher  Sprache  geschrieben  hast,  —  wenn  es  wirklich 
von  dir  ist,  —  hat  freilich  einigen  grossen  Herrn  nicht  sehr 
gefallen." 

Kepler  entschloss  sich  darauf,  seinen  „Harmonica" 
eine  (lateinisch  geschriebene)  „Erinnerung  für  die  ausländi- 
schen, namentlich  die  italienischen  Buchhändler"  *)  beizufügen, 
worin  er  unter  anderm  sagt:  „die  Unvorsichtigkeit  Einiger, 
welche  die  astronomischen  Lehrsätze  an  ungeeigneter  Stelle 
und  in  ungeeigneter  Weise  vorgetragen,  habe  zur  Folge 
gehabt,  dass  das  Lesen  des  Copernicus,  welches  etwa  80 
Jahre  durchaus  gestattet  gewesen,  bis  nach  der  Verbesserung 
des  Werkes  verboten  worden  sei";  es  sei  aber  zu  hoffen, 
dass  diese  Entscheidung  nach  einer  neuen  Untersuchung 
werde  zurückgenommen  werden;    die  Buchhändler  möchten 

1)  V,  633. 


Kepler  über  die  Entscheidung  vom  J.  1616.  159 

also  vorläufig  sein  Buch  nicht  öffentlich  feilbieten  und  nur 
angesehenen  Theologen  und  Philosophen  verkaufen,  — 
„diesen,  damit  sie  untersuchen,  ob  dieses  nur  eine  Ausge- 
burt der  Phantasie  sei  oder  durch  augenscheinliche  Gründe 
als  aus  der  Natur  selbst  geschöpft  erwiesen  werden  könne,  — 
jenen,  damit  sie  überlegen,  ob  diese  unermessliche  Glorie  der 
göttlichen  Werke  Allen  kundzuthuen  oder  zurückzuhalten 
und  die  Kunde  davon  durch  Censuren  zu  unterdrücken  sei, 
—  beiden  zu  dem  Zwecke,  dass,  da  diese  jenen  die  Ver- 
besserung des  Copernicus  übertragen  haben  oder  übertragen 
werden,  beide  sehen,  ob  .  .  .  die  harmonische  Anordnung 
der  Himmelsbewegungen,  wenn  die  Bewegung  der  Erde 
beseitigt  und  die  der  Sonne  dafür  an  die  Stelle  gesetzt 
wird,  überhaupt  aufrecht  erhalten  werden  könne  und  ob  die 
Hypothese  des  Copernicus  oder  die  des  Brahe,  —  denn 
dass  die  alten  Ptolemäischen  Hypothesen  falsch  sind,  ist 
sicher,  —  fortan  festzuhalten  sei.  Was  immer,  schliesst  er, 
nachdem  alles  gebührend  erwogen  worden,  beschlossen 
werden  wird,  das  werden  die  der  Römischen  Kirche  treuen 
Mathematiker  ohne  Zweifel  anerkennen." 

Dass  diejenigen,  welche  nicht  bloss  wissenschaftliche 
Gegner,  sondern  persönliche  Feinde  Galilei's  waren,  durch 
den  Ausgang  des  Processes  nicht  befriedigt  wurden,  ist 
selbstverständlich.  Von  Caccini  schreibt  Castelli  am  5.  Dec. 
1623  aus  Pisa1)  an  Galilei:  „Es  missfällt  mir,  dass  der 
Pater  Caccini  den  Fürsten  und  dem  h.  Officium  selbst  so 
sehr  zu  nahe  tritt,  wenn  es  wahr  ist,  dass  er  fortwährend 
sagt,  ohne  den  Schutz  verschiedener  Fürsten  würden  Sie 
vor  die  Inquisition  citirt  worden  sein,  —  als  ob  die  Fürsten 
das  h.  Officium  hinderten  und  verdächtige  Leute  beschützten 
und  das  h.  Officium  bei  dem  Einschreiten  gegen  die  Gott- 
losigkeit auf  die  Fürsten  Rücksicht  nähme.  Es  scheint  mir, 
der  Pater  selbst  verdiente  vor  die  Inquisition  citirt  zu 
werden." 


1)  Suppl.   156. 


l6o  Controverse  mit  Grassi. 


XIII. 

Galilei's  Controverse  mit  den  Jesuiten  Grassi  und 
Scheiner.    Der  „Saggiatore". 

Im  J.  1619  wurde  Galilei  in  eine  Controverse  ver- 
wickelt, bei  der  es  sich  zunächst  nicht  um  das  Copernica- 
nische  System  handelte,  welche  aber  auf  den  Verlauf  des 
zweiten  Processes  wohl  nicht  ohne  EinflUss  geblieben  ist. 

Der  Jesuit  Orazio  Grassi,  Professor  der  Mathematik  im 
Römischen  Colleg,  hielt  in  diesem  Jahre  einen  Vortrag  über 
drei  im  J.  161 8  erschienene  Kometen,  der  in  Abschriften  ver- 
breitet wurde  *).  Die  darin  entwickelte  Ansicht  wurde  in  einer 
1619  zu  Florenz  erschienenen  Schrift  bestritten,  welche  ein 
Schüler  Galilei's,  ein  früherer  Zögling  desRömischenCollegs2), 
Mario  Guiducci,  veröffentlichte,  an  deren  Abfassung  aber  Ga- 
lilei grossen  Antheil  hatte3).  v  Grassi  antwortete  noch  in  dem- 
selben Jahre  in  der  Schrift  ,,Libra  astronomica  ac  philoso- 
phica"4)  unter  dem  Namen  Lotario  Sarsi5).  Es  braucht  nur 
beiläufig  erwähnt  zu  werden,  dass  sich  in  der  Sache,  bezüglich 
der  Frage  über  die  Natur  der  Kometen,  die  Ansicht  Galilei's 
weiter  von  der  später  als  richtig  erkannten  Anschauung 
entfernt  als  die  Ansicht  Grassi's;  von  Wichtigkeit  für  meine 
Aufgabe  ist  nur  die  Thatsache,  dass  sich  Galilei  in  Folge 
dieses  Streites  gründlich  mit  den  Jesuiten  verfeindete. 

Die  Libra  enthielt  so  starke  Angriffe  gegen  Galilei,  — 
dieser,  nicht  Guiducci  wird  darin  angegriffen,  —  dass  man 
von  diesem  allgemein  eine  Antwort  erwartete.   Von  Galilei's 


1)  De  tribus  cometis  anni  16 18  disputatio  astronomica  habita  in  Col- 
legio  Romano  S.  J.  ab  uno  'ex  Patribus  ekisdem  Societatis,  —  abgedruckt 
IV,  1  — 14.  Es  erschienen  in  zwei  Jahren  mehr  als  70  Schriften  über  diese 
Kometen.     Venturi  II,  46.  2)  V,  601. 

3)  Discorso  delle  comete  di  Mario  Guiducci  fatto  nell'  Accademia  Fio- 
rentina,  —  abgedruckt  IV,  15 — 60. 

4)  Abgedruckt  IV,  61  — 121. 

5)  Lotario   Sarsi  Sigensano  =  Oratio  Grassi  Salonense;    s.  VIII,  445. 


Controverse  mit  Grassi.  161 

Briefen  ist  uns  aus  der  Zeit  vom  23.  Mai  161 8  bis  17.  Mai 
1621  nur  ein  einziger,  ganz  unbedeutender1)  erhalten.  Die 
Briefe  seiner  Freunde  an  ihn  aber  sind  erhalten  und  geben 
interessante  Aufschlüsse.  Nach  dem  Erscheinen  der  Schrift 
von  Guiducci  schrieb  Ciampoli  am  12.  Juli  1619  aus  Rom2): 
„Eins  hat  hier  nicht  gefallen:  dass  Sie  mit  dem  Römischen 
Colleg  Händel  anfangen,  in  welchem  man  doch  öffentlich 
so  ehrenvoll  von  Ihnen  gesprochen.  Die  Jesuiten  fühlen 
sich  sehr  beleidigt  und  schicken  sich  an  zu  antworten;  und 
wenn  ich  auch  die  Triftigkeit  Ihrer  Conclusionen  kenne,  so 
bedauere  ich  doch  sehr,  dass  bei  den  Jesuiten  das  Wohl- 
wollen und  die  Anerkennung,  womit  man  von  Ihnen  redete, 
so  sehr  vermindert  sind."  Am  6.  Dec.  16 19  schrieb  Ciampoli 
ferner3):  „Aus  Ihrem  letzten  Briefe  sehe  ich,  dass  Sie  nicht 
glauben  wollen,  dass  der  Pater  Grassi  der  Verfasser  der 
,,Libra  astronomica"  ist.  Ich  versichere  Ihnen,  Seine  Hoch- 
würden und  die  Jesuiten  wollen,  dass  man  wisse,  dass  das 
Werk  von  ihnen  ist,  und  ihre  Meinung  darüber  ist  von  dem 
Urtheil,  welches  Sie  darüber  fällen,  so  sehr  verschieden, 
dass  sie  sich  desselben  als  eines  Triumphes  rühmen4).  Grassi 
redet  von  Ihnen  mit  viel  mehr  Zurückhaltung  als  viele  an- 
dere Patres,  denen  das  Wort  » vernichten «  sehr  geläufig 
geworden  ist.  Grassi  habe  ich  nie  ein  solches  Wort  gebrau- 
chen hören;  er  spricht  überhaupt  so  bescheiden,  dass  ich 
darüber  verwundert  bin,  dass  seine  Schrift  so  hochfahrend 
und  so  voll  von  bissigen  Spöttereien  ist.  Man  sieht  Ihrer 
Antwort  mit  grossem  Verlangen  entgegen." 

Auch  Cesi  und  andere  Lincei  erwarteten,  Galilei  werde 
antworten,  mahnten  ihn  aber  zur  Vorsicht5).  Francesco 
Stelluti  schrieb  ihm  am  27.  Jan.  •  16206):  „Vor  allem  möchte 
ich  nicht,  dass  Sie  den  Pater  Grassi,  noch  weniger,  dass  Sie 
das  Jesuiten-Collegium  nennen;  halten  Sie  die  Fiction  fest, 
dass  Sie  es  nur  mit  jenem  Schüler  zu  thun  haben  [der  an- 
gebliche Verfasser  der  Libra  spricht  von  Grassi  als  von 
seinem  Lehrer,  den  er  vertheidigen  wolle];  sonst  entsteht 
ein  Streit  mit  jenen  Patres,  der  gar  kein  Ende  nimmt.  Da 
ihrer  so  Viele   sind,    so  würden  sie  einer  ganzen  Welt  zu 


1)  VI,  281.  2)  Suppl.  130. 

3)  VIII,  430.  4)  Vgl.  VIII,  449. 

5)  VIII,  432.  6)  VIII,  436,  s.  o.  S.  27. 

Retisch.  Galilei. 


IÖ2  Controverse  mit  Grassi. 

thun  geben,  und  wenn  sie  auch  Unrecht  haben,  werden  sie 
doch  Recht  haben  wollen;  und  uns  könnte  das  nur  sehr 
schaden,  da  sie  ganz  besonders,  wie  alle  Peripatetiker,  den 
neuen  Meinungen  wenig  hold  sind."  Im  Juni  16201)  schickte 
Guiducci  dem  Fürsten  Cesi  eine  in  Form  eines  Schreibens 
an  den  Jesuiten  Tarquinio  Galluzzi  verfasste  Entgegnung2). 
Sie  scheint  aber  Cesi  und  die  anderen  Freunde  nicht  be- 
friedigt zu  haben.  Für  den  Fall,  dass  die  Antwort  nicht 
von  Guiducci  oder  einem  andern  Schüler  Galilei's,  —  natür- 
lich unter  dessen  Mitwirkung,  —  geschrieben  werden  könne, 
empfahlen  die  Freunde,  Galilei  solle  in  der  Form  eines 
Schreibens  an  Guiducci  oder  einen  andern  Freund  antwor- 
ten3). Cesi  meinte  einmal,  Galilei  könnte  die  Antwort  dem 
Pater  Griemberger  widmen.  Ciampoli  bemerkte  aber  da- 
gegen, man  dürfe  dem  „armen  Pater"  keinen  Verdruss  be- 
reiten; er  schlug  seinerseits  vor,  Galilei  möge  die  Antwort 
dem  Don  Virginio  Cesarini  widmen,  welcher,  obschon  ein 
grosser  Verehrer  Galilei's  und  Freund  Cesi's  und  Ciampoli's, 
„bei  den  Patres  sehr  beliebt"  sei4).  Cesarini  erklärte  sich 
gern  bereit,  die  Widmung  anzunehmen5).  In  einem  spätem 
Briefe,  vom  1.  Aug.  16206),  empfahl  Ciampoli  dringend,  Ga- 
lilei möge  die  Antwort  so  einrichten,  dass  die  Jesuiten  mög- 
lichst wenig  verletzt  würden. 

Trotz  wiederholten  Drängens  der  Freunde7)  verzögerte 
sich  die  Vollendung  der  Erwiederung.  Erst  am  28.  Oct. 
1622  kam  das  Manuscript  derselben  in  Rom  an8).  Galilei 
wünschte,  die  Mitglieder  der  Akademie  der  Lincei  möchten 
das  Manuscript  lesen  und  die  ihnen  anstössig  scheinenden 
Stellen  streichen  oder  ändern.  Es  wurden  aber  nur  einige 
Worte  geändert9). 


1)  VIII,  445- 

2)  Sie  wurde  1620  zu  Florenz  gedruckt,  abgedruckt  V,  593 — 610. 
Auch  der  Jurist  G.  B.  Stelluti,  ein  Bruder  Francesco's,  schrieb  eine  Ent- 
gegnung, die  1622  unter  dem  Titel  „Scandaglio  della  Libra  astronomica  e 
filosofica  di  Lotario  Sarsi"  gedruckt  wurde,  aber  einer  Erwiederung 
von  Seiten  Galilei's  nicht  vorgreifen  sollte.  Vgl.  IX,  45;  X,  122;  XV, 
Bibliogr.  XI. 

3)  VIII,  438.  442.  4)  VIII,  447;  s.  o.  S.  27. 
5)  VIII,  449.             6)  VIII,  449. 

7)  VIII,  442;     IX,  5.   11.  12.   16.   18. 

8)  IX,  19.  9)  IX,  20.  22.  27. 


Der  Saggiatore.  163 

Die  Veröffentlichung  des  Saggiatore,  —  so  hiess  Gali- 
lei's  Entgegnung  auf  Grassi's  Libra;  man  könnte  „die  Gold- 
wage" übersetzen1)  —  überliess  er  der  Akademie  der  Lin- 
cei.  Diese  legten  Werth  darauf,  dass  sie  in  Rom  und  also 
mit  einer  Approbation  der  päpstlichen  Censurbehörde  ge- 
druckt werde.  Am  12.  Jan.  1623  schrieb  Cesarini2):  „Da 
Sie  uns  das  überlassen,  so  wollen  wir  das  Buch  in  Rom 
selbst  veröffentlichen  trotz  der  Macht  der  Gegner,  gegen 
welche  wir  uns  mit  dem  Schilde  der  Wahrheit  und  auch  der 
Gunst  der  Oberen  bewaffnen  werden.  Wir  werden  auf 
Schwierigkeiten  stossen,  aber  sie  hoffentlich  überwinden. 
Sarsi  und  das  Römische  Colleg  haben  schon  davon  gehört, 
dass  Ihre  Apologie  angekommen  ist;  sie  werden  sie  aber 
nicht  zu  Gesicht  bekommen,  bis  sie  gedruckt  ist.  Sie  sind 
sehr  gespannt  darauf  und  haben  mich  sogar  gebeten,  sie 
ihnen  zu  zeigen;  aber  ich  habe  ihnen  diese  Bitte  abge- 
schlagen, da  sie  sonst  leichter  die  Veröffentlichung  hindern 
könnten.  .  .  .  Ich  beabsichtige  die  Schrift  auch  ins  Latei- 
nische übersetzen  zu  lassen,  um  sie  denjenigen  zugänglich 
zu  machen,  welche  jenseits  der  Berge  sich  für  die  philoso- 
phische Wahrheit  und  Freiheit  interessiren3).  —  In  den 
hiesigen  Buchhandlungen  ist  die  in  Deutschland  gedruckte 


i)  Der  Titel  lautet  vollständig:  „II  Saggiatore,  nel  quäle  con  bilancia 
esquisita  e  giusta  si  ponderano  le  cose  contenute  nella  Libra  astronomica  e 
filosofica  di  Lotario  Sarsi  Sigensano",  —  abgedruckt  IV,  145 — 369.  — 
Ueber  den  Titel  sagt  Galilei  selbst  (IV,  156):  „Ich  habe  meine  Entgegnung 
Saggiatore  nennen  wollen,  mit  Beibehaltung  des  von  Sarsi  gebrauchten 
Bildes  [Sarsi's  Buch  hiess  Libra,  "Wage].  Da  es  mir  aber  schien,  dass  er 
bei  dem  Wägen  der  Sätze  Guiducci's  sich  einer  ein  wenig  zu  groben  (unge- 
nauen) Wage  bedient  habe,  so  habe  ich  mich  einer  Wage  bedienen  wollen, 
wie  sie  die  Goldwäger  gebrauchen  (una  bilancia  da  saggiatori),  einer  von 
jenen  Wagen,  die  so  genau  sind,  dass  sie  weniger  als  ein  Sechzigstel  Gran 
angeben."  „Solcher  Wagen,  sagt  er  anderswo  (IV,  505),  bedienen  sich  die 
Saggiatori,  um  zu  constatiren,  ob  das  Metall,  welches  ihnen  als  reines  Gold 
oder  Silber  vorgelegt  wird,  wirklich  dieses  oder  mit  Kupfer  oder  einem  an- 
dern weniger  edeln  Metall  vermischt  ist.  So  soll  mein  Saggiatore  Sarsi's 
versteckte  Irrthümer  aufdecken."  Grassi  übersetzte  Simbellator ;  Galilei  sagt 
(V,  504),  Saggiatore  habe  dieselbe  Bedeutung  wie  das  lateinische  Collybista  ; 
Kepler  (V,  613)  übersetzt  Trutinator. 

2)  IX,  23. 

3)  Dieser  Plan  kam  nicht  zur  Ausführung.  Erst  später  erschien  eine 
lateinische  Uebersetzung  des  Saggiatore.. 


164  Der  Saggiatore. 

Apologie  des  P.  Thomas  Campanella  (s.  o.  S.  61)  angekom- 
men. Sie  ist  zwar  vor  dem  Decret  der  Index- Congregation 
gegen  Copernicus  geschrieben;  gleichwohl  haben  die  Oberen 
den  Verkauf  verboten1).  Einige  Feinde  haben  diese  Ge- 
legenheit benutzt,  die  längst  widerlegten  Verleumdungen 
gegen  Sie  wieder  aufzufrischen;  aber  Sie  haben  Gönner 
und  Freunde,  die  für  Sie  eintreten,  und  die  Tadellosigkeit 
Ihres  Verhaltens  und  der  bescheidene  Gehorsam,  den  Sie 
stets  dem  Decret  der  h.  Congregation  gegenüber  bekundet 
haben,  zeigen  der  Welt  Ihre  Gesinnung.  Darum  glaube 
ich  nicht,  dass  die  Erlaubniss  zum  Drucke  Ihrer  Schrift  ver- 
weigert werden  wird.  Es  scheint  min  von  Wichtigkeit,  dass 
hier,  Angesichts  der  Kirche,  vor  den  Augen  der  Congre- 
gation Ihre  Lehre  gutgeheissen  und  die  philosophischen 
Neuigkeiten,  die  Sie  mittheilen,  anerkannt  werden.  Im 
Römischen  Colleg  haben  freilich  jene  Patres  beim  Beginne 
des  Studienjahres  sich  in  öffentlichen  Vorträgen  gegen  die 
Entdecker  von  neuen  Dingen  in  den  Wissenschaften  ausge- 
sprochen und  in  langer  Rede  die  Schüler  überzeugen  wollen, 
ausserhalb  des  Aristoteles  sei  keine  Wahrheit  zu  finden; 
aber  trotz  dieser  mit  so  vieler  Beredsamkeit  geschleuderten 
Excommunication  hoffe  ich,  dass  Ihre  Speculationen  in  Rom 
frei  veröffentlicht  werden  und  Beifall  finden  werden." 

Die  Prüfung  des  Saggiatore  wurde  von  der  Censur- 
behörde  dem  Dominicaner  Niccolö  Riccardi  übertragen, 
einem  Manne,  den  der  König  von  Spanien  wegen  seiner 
Beredsamkeit,  nach  Anderen  wegen  seines  stupenden  Ge- 
dächtnisses (noch  Andere  sagen:  seiner  Dickleibigkeit  wegen) 
scherzhaft  Padre  Mostro,  „Pater  Wunderthier",  genannt 
hatte  und  der  unter  diesem  Namen  in  Galilei's  Briefwechsel 
oft  vorkommt.  Er  war  schon  länger  mit  Galilei,  wenn  auch 
nicht  persönlich  bekannt2),  doch  befreundet:  Galilei  gratu- 
lirte  ihn,  als  er  im  J.  16 18  Qualificator  der  Inquisition  ge- 
worden war,  und  Riccardi  bezeichnete  sich  in  seiner  Ant- 
wort als  „ergebensten  Diener  und  wahren  Schüler"  Gali- 
lei's3).    Als    einen    grossen    Gelehrten    oder  besonders  be- 


1)  Auf  den  Index  kam  die  Schrift  erst  21.  April  1632  mit  anderen 
Schriften  Campanella' s.  In  den  späteren  Ausgaben  des  Index  steht:  Ca?npa- 
nella,  Thomae,  opera  quae  Romae  impresso,  aut  approbata  non  sunt,  cum 
auctor  pro  suis  ea  non  agnoscat.     Decr.  21.  Apr.  1632. 

2)  IX,   25.  3)  Suppl.    Iil. 


Der  Saggiatore.  165 

gabten  Mann  lernen  wir  ihn  übrigens  in  der  Geschichte 
Galilei's  nicht  kennen1).  Riccardi  also  fertigte  am  2.  Febr. 
1623  sein  Gutachten 2),  auf  welches  hin  die  Druck-Erlaubniss 
für  den  Saggiatore  ertheilt  wurde,  in  folgender  Weise  aus: 
„Auf  Befehl  des  Magister  Sacri  Palatii  habe  ich  dieses 
Saggiatore  betitelte  Werk  gelesen.  Ich  finde  darin  nicht 
nur  nichts,  was  den  guten  Sitten  zuwider  wäre  oder  sich 
von  der  übernatürlichen  Wahrheit  unseres  Glaubens  ent- 
fernte, sondern  ich  habe  darin  auch  so  viele  schöne  zur 
Naturphilosophie  gehörende  Betrachtungen  wahrgenommen, 
dass  ich  glaube,  unser  Jahrhundert  werde  in  den  folgenden 
Jahrhunderten  nicht  nur  als  Erbe  der  Arbeiten  früherer 
Philosophen  gerühmt  werden  müssen,  sondern  auch  als  Ent- 
decker vieler  Geheimnisse  der  Natur,  welche  jene  nicht  auf- 
finden konnten,  —  Dank  der  scharfsinnigen  und  gediegenen 
Speculation  des  Verfassers.  Ich  schätze  mich  glücklich,  in 
einer  Zeit  geboren  zu  sein,  wo  man  nicht  mehr  mit  einer 
gewöhnlichen  Wage  und  bloss  ungefähr,  sondern  mit  so 
feinen  Goldwagen  das  Gold  der  Wahrheit  wägt." 

Während  der  Saggiatore  gedruckt  wurde,  wurde  der 
Cardinal  Maffeo  Barberini  am  6.  Aug.  1623  als  Urban  VIII. 
Papst.  Die  Lincei  beschlossen  ihm  das  Werk  zu  widmen. 
Cesarini  schrieb  die  vom  20.  Oct.  1623  datirte  Widmung3). 
Am  28.  October  übersandte  er  Galilei  das  erste  Exemplar4). 

Interessante  Mittheilungen  enthalten  die  Briefe  der 
Freunde  Galilei's  über  die  Aufnahme,  welche  das  Buch  bei 
den  Jesuiten  fand.     Stelluti   schreibt  4.  Nov.    1623 5):     „Als 


1)  Riccardi,  geb.  zu  Genua  1585,  seit  16 17  Professor  der  Theologie 
in  dem  Kloster  seines  Ordens  zu  Rom  (Minerva),  wurde  1629  Magister 
Sacri  Palatii,  später  auch  apostolischer  Prediger.  Er  starb  31.  Mai  1639. 
Ein  wunderlicher  Brief  Castelli's  über  seinen  Tod  steht  Suppl.  288.  Gedruckt 
sind  von  ihm  nur  einige  Predigten  u.  dgl.  Eine  Reihe  von  ungedruckten 
Schriften,  meist  exegetische  und  dogmatische  Hefte,  verzeichnen  Quetif-Echard 
II,  502.  Vgl.  Berti,  II  Processo  p.  LXXVI,  und  über  seine  Kanzelbered- 
samkeit IX,  70,  Tiräboschi  VIII,  527  und  Berti  in  der  N.  Antol.  1878,  XI, 
396,  wo  auch  p.  409  ein  interessanter  Brief  Riccardi's  an  Campanella  vom 
28.  Nov.    1638  mitgetheilt  wird. 

2)  IX,   26.  3)  IX,  41. 

4)  IX,  43.  In  mehreren  Briefen  ist  die  Rede  von  den  Druckfehlern 
in  der  Ausgabe;  IX,  47.  52.  Der  Dichter  Thomas  Stigliani,  welcher  die 
Correctur  besorgte,  hatte  aus  Eitelkeit  einen  von  ihm  geschriebenen  Satz 
eingeschoben;  IV,  369.  5)  IX,  44. 


166  Der  Saggiatore. 

Sarsi  in  einer  Buchhandlung  das  Titelblatt  sah,  wechselte 
er  die  Farbe  und  sagte,  Sie  hätten  dreiv  Jahre  auf  diese 
Arbeit  warten  lassen";  —  nach  dem  Berichte  des  Thomas 
Rinuccini1)  hätte  er  beigefügt:  „er  wolle  in  drei  Monaten 
Galilei  vor  Aerger  ausser  sich  bringen".  —  „Ein  Pater  des 
Collegs,  der  das  Buch  ganz  gelesen,  soll  gesagt  haben:  es 
sei  sehr  schön;  Sie  hätten  sich  sehr  bescheiden  ausgedrückt, 
und  Sarsi  werde  zu  thun  haben,  wenn  er  antworten  wolle. 
Kurz,  die  Patres  meinen,  Sie  hätten  sie  gut  behandelt."  Am 
2.  Dec.  schreibt  der  eben  genannte  Rinuccini2):  „Sarsi 
lobte  Sie  in  einem  Gespräche  mit  einem  meiner  Freunde 
und  sagte:  die  Schrift  enthalte  Gutes;  er  werde  aber  ant- 
worten, könne  jedoch  vor  den  Herbstferien  nicht  daran  den- 
ken; Sie  hätten  das  vor  ihm  voraus,  dass  Andere  die  Druck- 
kosten für  Sie  bezahlten;  er  werde  ohne  Bissigkeit  schrei- 
ben, was  Sie  nicht  gethan;  wenn  Sie  nach  Rom  kämen, 
wolle  er  mit  Ihnen  Freundschaft  schliessen s).  Einige  Tage 
später  fand  ihn  aber  derselbe  Freund  in  ganz  anderer 
Stimmung.  Er  hatte  einen  Brief  aus  Florenz  gesehen,  worin 
gesagt  war:  der  Saggiatore  habe  allen  Jesuiten  den  Mund 
gestopft;  sie  würden  nichts  zu  antworten  wissen.  Er  sagte: 
wenn  die  Jesuiten  so  vielen  Häretikern  antworten  könnten, 
so  würden  sie  auch  einem  Katholiken  zu  antworten  wissen. 
Ein  anderer  Jesuit  hat  mir  erzählt,  es  sei  ihnen  strenge  ver- 
boten, von  diesen  Schriften  zu  reden." 

Grassi  gab  sich  viele  Mühe,  mit  Guiducci  persönlich 
bekannt  zu  werden;  es  gelang  ihm  erst  nach  längerer  Zeit4). 
Aus  seinen  Gesprächen  mit  ihm  theilt  Guiducci  Galilei  unter 
anderm  die  bereits  früher  (S.  67)  erwähnte  Aeusserung  über 
Bellarmins  Ansicht  mit.  In  einem  andern  Briefe,  vom  13. 
Sept.  1624 5)  schreibt  er:  „Es  scheint  mir,  dass  Grassi  die 
Bewegung  der  Erde  nicht  sehr  verabscheut,  vorausgesetzt, 
dass  sich  gute  Gründe  dafür  anführen  und  die  (naturwissen- 
schaftlichen) Bedenken  widerlegen  lassen.  .  .  Sie  dürfen 
sich  nicht  wundern,  wenn  er  einmal  ganz  der  Ihrige  werden 
sollte;  denn  er  zeigt  grosses  Verlangen,  Ihre  Meinungen  zu 
verstehen,  und  lobt  Sie  sehr,   was  freilich  auch  ein  blosser 


1)  Suppl.  154.  2)  IX,  49. 

3)  Letztere  Aeusserung  berichtet  auch  Guiducci  IX,  52. 

4)  IX,  52.  65.  5)  IX,  69. 


Der  Saggiatore.  167 

Kunstgriff  sein  kann.  Ich  bitte  Sie,  mir  zu  schreiben,  ob 
ich  ihm  Ihre  Entgegnung  gegen  Ingoli  (s.  u.  S.  185)  zeigen 
darf.  Ich  bin  geneigt,  es  zu  thun."  Es  ist  wohl  unzweifel- 
haft, dass  es  sich  hier  nur  um  einen  „Kunstgriff "  handelte. 

Wie  im  December  1622,  so  hielt  auch  im  December 
1624  im  Römischen  Colleg  ein  Jesuit,  dies  Mal  der  Pater 
Spinola,  einen  Vortrag,  den  Guiducci  als  „eine  sehr  heftige 
Invective  gegen  die  Anhänger  der  antiperipatetischen  Mei- 
nungen" bezeichnet 1).  Galilei  dachte  einen  Augenblick  dar- 
an, „dem  Pater  in  einem  Dialoge  sehr  genau  die  Rechnung 
zu  revidiren",  gab  aber  diesen  Plan  wieder  auf  „in  Anbe- 
tracht der  grossen  Albernheit  des  Vortrags  und  der  enor- 
men Dummheiten,  von  denen  er  voll  sei";  die  Unwissenheit 
des  Publicums,  meinte  er,  werde  doch  nicht  so  gross  sein, 
dass  solches  Zeug  Beifall  finde2). 

Grassi's  Erwiederung  auf  den  Saggiatore  erschien,  dem 
Cardinal  Francesco  Buoncompagni  gewidmet,  1626  zu  Paris, 
1627  zu  Neapel,  —  wieder  unter  dem  Namen  Lotario  Sarsi3). 
Galilei  schrieb  kritische  Bemerkungen  dazu4),  veröffentlichte 
aber  keine  Entgegnung.  Er  schrieb  am  2.  Aug.  1627  an 
Castelli:  „Unsere  Freunde  meinen,  ich  solle  keine  Zeit  da- 
mit verlieren,  Grassi  zu  antworten,  da  seine  Erwiederung 
zu  frivol  sei  und  deutlich  zeige,  dass  er  entschlossen  sei, 
jedenfalls  das  letzte  Wort  zu  behalten"5).  Cesi  und  die 
anderen  Freunde  riethen  ihm,  seine  Zeit  der  Vollendung 
anderer  Arbeiten  zu  widmen  und  nur  allenfalls  die  bereits 
geschriebenen  kritischen  Bemerkungen  durch  einen  Schüler 
zu  einer  Erwiederung  ausarbeiten  zu  lassen6).  Auch  dieser 
Vorschlag  kam  nicht  zur  Ausführung. 

Bei  dieser  Controverse  mit  Grassi  handelte  es  sich,  wie 
gesagt,  nicht  um  das  Copernicanische  System.  Jede  Bezug- 
nahme darauf  war  aber  freilich  nicht  zu  vermeiden.  Grassi 
sagt  in  seiner  ersten  Schrift:  Galilei  (Guiducci)  habe  in  der 
Schrift  über  die  Kometen  von  der  Bewegung  der  Erde 
„mit  leiser  Stimme  geflüstert";  aber  dieses  „der  Wahrheit 
widersprechende  und  für  fromme  Ohren  harte"  Wort  gewiss 


1)  Suppl.  169.  171.  174.  176.  178.  2)  vi,  303. 

3)  Ratio   ponderum  librae   ac   simbellae  .  .  .  auctore  L.  Sarsio,  —  ab- 
gedruckt IV,  371 — 502. 

4)  IV,  503-528.  5)  VI,  319.  6)  IX,   135. 


l68  Der  Saggiatore. 

nicht  gebrauchen  wollen;  denn  dass  sich  die  Erde  nicht  be- 
wege, sei  für  die  Katholiken  gewiss  und  werde  sicher  von 
Galilei,  den  er  als  einen  frommen  und  religiösen  Mann  kenne, 
nicht  bestritten1).  Galilei  sagt  im  Saggiatore  unter  anderm: 
„Was  die  Copernicanische  Hypothese  betrifft,  so  haben  wir 
Katholiken  das  Glück,  durch  eine  höhere  Weisheit  von  dem 
Irrthum  erlöst  und  von  der  Blindheit  geheilt  worden  zu  sein ; 
sonst  glaube  ich  nicht,  dass  uns  durch  die  von  Tycho  vorge- 
brachten Gründe  und  Erfahrungen  eine  solche  Gnade  und 
Wohlthat  hätte  zu  Theil  werden  können.  D'a  also  die  bei- 
den Systeme  (das  Ptolemäische  und  das  Copernicanische) 
sicher  falsch  sind  und  das  des  Tycho  nichtig,  so  sollte  Sarsi 
mich  nicht  tadeln,  wenn  ich  mit  Seneca  die  wahre  Consti- 
tution des  Weltalls  vermisse"  u.  s.  w.2).  An  einer  andern 
Stelle  sagt  er:  Grassi  hätte  die  Bewegung  der  Erde  nicht 
bloss  als  einen  Satz,  den  ein  frommer  und  religiöser  Mann 
nicht  behaupten  dürfe,  bezeichnen,  sondern  sich  bemühen 
sollen,  ihn  als  unrichtig  zu  erweisen;  „vielleicht  ist  es  nicht 
übel  gethan,  wenn  man  auch  mit  naturwissenschaftlichen 
Gründen,  wenn  das  möglich  ist,  die  Unrichtigkeit  jener  Sätze 
zu  erweisen  sucht,  die  als  der  h.  Schrift  widersprechend  er- 
klärt worden  sind"3).  In  ähnlicher  Weise  wird  auch  noch 
an  einigen  anderen  Stellen4)  auf  die  Copernicanische  Lehre 
Bezug  genommen.  —  Nach  dem  Erscheinen  des  Saggiatore 
schrieb  Fabio  Colonna  an  Francesco  Stelluti:  er  möge  Ga- 
lilei ermahnen,  behutsam  und  vorsichtig  über  biblische  Dinge, 
namentlich  über  das  Wunder  der  drei  Jünglinge  im  Feuer- 
ofen, zu  schreiben ;  denn  man  suche  mit  der  grössten  Sorg- 
falt Gründe  für  ein  Verbot;  das  thäten  namentlich  die  Jesui- 
ten, welche  nie  seine  besonderen  Freunde  gewesen  und  ihm 
den  Ruhm  vieler  seiner  Entdeckungen  streitig  machten,  um 
sie  sich  selbst  zuzuschreiben5).  Es  ist  kaum  zu  begreifen, 
wie  man  an  dem  Anstoss  nehmen  konnte,  was  Galilei  über 
„das  Wunder  der  drei  Jünglinge  im  Feuerofen"  sagt :  Grassi 
hatte  sich  auf  den  biblischen  Bericht  darüber  (Dan.  3,  92 
Vulg.)  berufen,  um  zu  beweisen,  dass  die  Flamme  durch- 
sichtig sei;  Galilei  lehnt  es  seinerseits  ab,  auf  dieses  Argu- 


1)  IV,  90;  vgl.  69.  2)  IV,  172. 

3)  IV,    182.  4)  IV,  304  und   sonst. 

5)  Odescalchi,  Memorie  de'  Lincei  p.   191  bei  Venturi  II,  53. 


Der  Saggiatore.  169 

merit  einzugehen,  und  überlässt  die  Erörterung  desselben 
den  Theologen1).  Dass  aber  Galilei's  Feinde  darauf  aus- 
gingen, ein  Verbot  des  Saggiatore  zu  erwirken,  erfahren 
wir  auch  von  anderer  Seite. 

Am  18.  April  1625  theilte  nämlich  Guiducci2)  Galilei 
Folgendes  mit:  „Vor  einigen  Monaten  wurde  der  Congre- 
gation  des  h.  Officiums  von  einer  frommen  Person  vorge- 
schlagen, den  Saggiatore  verbieten  oder  corrigiren  zu  lassen, 
da  darin  die  Lehre  des  Copernicus  von  der  Bewegung  der 
Erde  gelobt  werde.  Ein  Cardinal  übernahm  es,  sich  über 
die  Sache  zu  informiren  und  darüber  zu  berichten.  Zum 
guten  Glück  übertrug  er  die  Sache  dem  Pater  Guevara,  Ge- 
neral der  Theatiner.  .  .  Dieser  las  das  Buch  sorgfältig  und 
sprach  sich  jenem  Cardinal  gegenüber  sehr  lobend  darüber 
aus,  schrieb  auch  einige  Bemerkungen  auf,  worin  er  die  An- 
sicht aussprach,  jene  Lehre  von  der  Bewegung  der  Erde, 
wenn  sie  auch  [im  Saggiatore]  festgehalten  werde,  sei  nicht 
zu  verdammen.  So  ist  die  Sache  damals  eingeschlafen/' 
Der  Pater  wird  wohl  erklärt  haben:  was  im  Saggiatore  über 
die  Copernicanische  Lehre  gesagt  werde,  biete  keinen  Anlass, 
gegen  das  Buch  einzuschreiten.  Weiteres  ist  über  diesen  Ver- 
such, Galilei  zum  zweiten  Male  vor  die  Inquisition  zu  bringen, 
nicht  bekannt3).  Vielleicht  hangen  damit  aber  einige  An- 
deutungen zusammen,  welche  Castelli  in  zwei  am  22.  Jan. 
und  26.  Febr.  1628,  —  also  nach  dem  Erscheinen  der  letzten 
Streitschrift  Grassi's,  —  geschriebenen  Briefen4)  gibt.  In  dem 
ersten  schreibt  er :  „Ich  habe  einmal  in  Sarsi's  Buche  gelesen, 
als  ich  es  bei  Monsignor  Ciampoli  sah;  aber  seine  dumme 
Ignoranz  und  die  vieler  Anderen,  die  ihm  Gehör  geben, 
widert  mich  so  an,  dass  ich  mir  nicht  die  Mühe  gegeben, 
mehr  davon  zu  lesen,  zumal  die  Verständigen  seine  Imper- 
tinenzen sehr  gut  kennen.    Aber  da  Sie  es  befehlen,  will  ich 


i)  IV,  360.  es  ist  also  irreführend,  wenn  Cantor,  Zts.  f.  Math. 
1868,  L.-Z.  S.  58  sagt:  im  50.  Capitel  des  Saggiatore  komme  auch  Theolo- 
gisches  vor.  2)  IX,  78. 

3)  Mindestens  ungenau  ist  die  Darstellung  von  Scartazzini,  Uns.  Zeit 
1877,  II,  437:  „Der  Saggiatore  wurde  bei  dem  Inquisitionstribunal  zu  Rom 
.  .  .  denuncirt.  Umsonst.  Die  Gegner  Galilei's  bereiteten  sich  dadurch 
eine  neue  Niederlage.  Nach  genauer  Prüfung  wurde  das  Werk  nicht  nur 
nicht  verboten,  sondern  gelobt  und  empfohlen", 

4)  Suppl.  203;  IX,   124. 


170  Controverse  mit  Scheiner. 

das  Buch  lesen  und  zu  dem  Pater  Riccardi  gehen,  der  mir 
bei  anderen  Gelegenheiten  gesagt  hat,  solche  Dinge  machten 
ihm  gar  keinen  Kummer,  ihm  genüge  die  Absicht,  stets 
Ihre  Sache  zu  vertreten."  In  dem  zweiten  Briefe  berichtet 
er  über  sein  Gespräch  mit  Riccardi:  „Er  sagte:  Ihre  Mei- 
nungen seien  nicht  gegen  den  Glauben,  da  sie  einfach  phi- 
losophische seien;  er  würde  alles  gethan  haben,  was  Sie 
gewünscht,  aber  er  habe  nicht  offen  auftreten  wollen,  um 
Ihnen  bei  jeder  Gelegenheit  dienen  zu  können,  wo  Ihnen 
von  Seiten  des  Tribunals  des  h.  Officiums,  bei  welchem  er 
Qualificator  ist,  Ungelegenheiten  drohten;  wenn  er  sich  vor- 
her ausgesprochen,  würde  er  nichts  mehr  haben  sagen  können. 
Er  erzählte  auch,  er  habe  um  Ihretwillen  ein  kleines  Unge- 
witter  von  Seiten  seiner  Ordensgenossen  zu  bestehen  gehabt." 
In  den  Processverhandlungen  ist  von  dem  Saggiatore 
nicht  die  Rede.  Dass  derselbe  aber  viel  dazu  beigetragen 
hat,  Grassi  und  seine  Ordensgenossen  gegen  Galilei  unfreund- 
lich zu  stimmen,  ist  unzweifelhaft. 

Im  J.  1630,  als  Galilei's  Dialog  bereits  im  Manuscript 
vollendet  war,  erschien  eine  neue  Streitschrift  seines  alten 
Gegners  in  der  Frage  über  die  Sonnenflecken,  des  Jesuiten 
Scheiner,  voll  bitterer  Angriffe  gegen  Galilei.  Sie  führte 
den  Titel  „Rosa  Ursina" l)  —  wir  haben  schon  früher  einiges 
darüber  gehört,  S.  13,  —  und  war  dem  Paolo  Giordano  Or- 
sini,  Herzog  von  Bracciano,  dem  Oheim  des  Cardinais  Orsini 
(s.  o.  S.  104),  gewidmet  und  in  dessen  Druckerei  gedruckt. 
Als  Galilei  in  einem  (nicht  erhaltenen)  Briefe  an  den  Herzog 
seine  Verwunderung  darüber  äusserte,  antwortete  dieser  am 
30.  Dec.  16302):  „Was  Sie  mir  über  den  für  Sie  unangenehmen 
Inhalt  der  Rosa  Ursina  schreiben,  war  mir  ganz  neu  und 
unbekannt;  sonst  würde  ich  nicht  gestattet  haben,  dass  meine 
Diener  zu  Bracciano  das  Buch  hätten  passiren  lassen.  Es 
ist  möglich,  dass  in  Abwesenheit  unseres  General- Auditors 
sein  Kanzler  das  Buch  durchgesehen  hat 3),  und  dieser  wird 


1)  Rosa  Ursina  sive  Sol  ex  admirando  facularum  et  macularum  su- 
arum  phoenomeno  varius.  Auf  dem  Titelblatt  wird  angegeben,  der  Druck 
habe   1626  begonnen  und  sei  1630  vollendet  worden.     Vgl.  VI,  327. 

2)  IX,  260. 

3)  Unter  der  Approbation  des  Jesuiten- Generals  Muzio  Vitelleschi 
steht:    Vidit  Bartholomaeus  Piccaluga  Status  Bracchiani  Generalis  Auditor. 


Controverse  mit  Scheiner.  171 

kein  anderes  Latein-verstehen  als  das  der  Urkunden.  Ueber 
die  Indiscretion  des  Verfassers  wundere  ich  mich  nicht  sehr; 
denn  ich  habe  ihn  selbst  als  sehr  indiscret  kennen  gelernt, 
da  er  zuletzt  mit  mir  gebrochen  hat,  der  ich  Ihre  vielen  Tugen- 
den und  Verdienste  schätze." 

Castelli  schreibt  an  Galilei  am  26.  Sept.  1631  J):  „Von 
der  Orsini'schen  Rose  habe  ich  ein  wenig  gesehen;  sie  ist 
mir  aber  so  übelriechend  vorgekommen,  dass  ich  nicht  mehr 
davon  sehen  mag.  Ich  bin  ganz  entrüstet  über  die  Esel- 
haftigkeit  (bestialita)  und  giftige  Wuth  des  Verfassers,  der 
mit  etwas  Anderm  als  mit  Dinte  gezüchtigt  zu  werden  ver- 
diente. Ich  glaube,  es  wäre  gut,  wenn  einer  Ihrer  Freunde 
ein  Sendschreiben  an  den  Pater  General  der  Jesuiten  drucken 
Hesse,  worin  er  denselben  ermahnte,  doch  nicht  das  Erscheinen 
solcher  Niederträchtigkeiten  zu  dulden,  deren  eine  allein  ge- 
eignet ist  den  Namen  aller  jener  Hochwürdigen  zu  infamiren. 
Glauben  Sie  mir,  ich  habe  in  Rom  mit  Verschiedenen  ge- 
sprochen, welche  diese  Rose  gerochen  haben,  und  sie  Alle 
sind  angeekelt  davon.  Namentlich  sprach  man  eines  Tages 
lange  und  mit  gerechter  Strenge  über  das,  was  im  Anfange 
des  Werkes  steht,  wo  der  Autor  mit  gründlichem  Hoch- 
muth  in  ganz  unpassender  Weise  seine  Freundschaft  und 
Brüderschaft  mit  Fürsten  herausstreicht;  bei  diesem  aufge- 
blasenen Dünkel  ist  es  nicht  zu  verwundern,  dass  er  so 
wüthend  und  wahnsinnig  über  Sie  hergefallen  ist;  er  mag 
von  Ihnen  die  Errichtung  von  Tempeln  und  Altären  und  Weih- 
rauchwolken erwartet  haben.  Aber  lassen  wir  ihn  in  seinem 
Schmutz  und  Gestank,  und  denken  Sie  nicht  weiter  an  ihn." 
Am  27.  Sept.  schreibt  der  Servit  Fulgenzio  Micanzio  zu  Vene- 
dig2), ein  Freund  Sarpi's  und  dessen  Nachfolger  als  Theologe 


1)  ix,  254.- 

2)  IX,  256.  Fulgenzio  Micanzio,  geb.  1570  zu  Venedig,  erzogen  zu 
Brescia,  war  Lector  der  Philosophie  in  dem  Kloster  seines  Ordens  zu  Bo- 
logna, als  er  im  J.  1606  als  Gehülfe  Sarpi's  nach  Venedig  berufen  wurde. 
Er  starb  dort  7.  Febr.  1654.  Er  schrieb  eine  Biographie  Sarpi's.  Griselini, 
Memorie  del  F.  Paolo  Sarpi,  1760,  p.  87.  10 1.  Bianchi-Giovini,  Frä  P. 
Sarpi  II,  417.  472.  Der  älteste  Brief  von  ihm  an  Galilei  ist  vom  26.  Febr. 
16 II;  aber  nur  aus  den  Jahren  1631 — 42  haben  wir  zahlreiche  Briefe  an 
und  von  Galilei;  Galilei  nennt  in  einem  Briefe  an  ihn  (VII,  55)  Sarpi  il 
nostro  q.  comun  padre  e  maestro,  —  Ueber  einen  andern  Freund  Sarpi's, 
den  Frä  Fulgentio  Manfredi  aus  dem  Orden  der  Minoriten-Observanten,  der 


172  Controverse  mit  Sclieiner. 

der  Republik,  —  er  wird  uns  von  jetzt  an  in  dem  Brief- 
wechsel Galilei's  noch  oft  begegnen:  —  vDer  deutsche  Je- 
suit scheint  mir  ein  gescheidter  Mann  zu  sein  und  alles  Lob 
zu  verdienen.  Da  die  Jesuiten  sich  so  gern  mit  Lästern  einen 
Namen  machen,  so  konnte  er  in  seiner  Profession  keinen  Be- 
rühmtem und  Höherstehenden  als  Sie  finden  und  keinen, 
durch  den  er  sich  bleibendere  Berühmtheit  verschaffen 
könnte ;  denn  auch  das  ist  eine  Berühmtheit,  ein  Lästerer  ge- 
nannt zu  werden." 

Auf  Scheiners  Angriffe  in  einer  besondern  Schrift  zu 
antworten,  wurde  Galilei  von  seinen  Freunden,  namentlich 
von  Castelli  und  Ciampoli  *),  abgerathen.  In  seinem  im  Früh- 
jahr 1632  erschienen  Dialog  setzte  er  sich  aber  mit  Scheiner 
gründlich  aus  einander,  unter  Bezugnahme  nicht  nur  auf  die 
Rosa  Ursina,  sondern  auch  auf  die  früheren  Schriften  (s.o.  S.  31). 
Als  er  im  Mai  1632  Castelli  ein  nachträgliches  Druckfehler- 
Verzeichniss  zu  dem  Dialog  schickte 2),  bat  er  ihn,  dafür  zu 
sorgen,  dass  auch  die  Jesuiten  ein  Exemplar  desselben  er- 
hielten, ,, damit  nicht  Pater  Scheiner,  der  an  einer  der  be- 
treffenden Stellen  getadelt  wird,  sich  auf  diese,  wenn  auch 
unbedeutende,  Incorrectheit  wirft".  Dass  Scheiner  auf  den 
Dialog  antworten  würde,  war  bei  seiner  Neigung  zur  Pole- 
mik nicht  anders  zu  erwarten.  In  einem  Briefe  vom  19. 
Juni  1632  3)  schreibt  Castelli:  Scheiner  sei  in  einer  Buchhand- 
lung mit  einem  Olivetaner- Pater  aus  Siena  zusammenge- 
kommen, und  als  dieser  Galilei's  Dialog  gelobt  und  als  das 
beste  Buch,  das  je  erschienen  sei,  bezeichnet  habe,  habe 
jener  sich  entfärbt  und  heftig  gezittert  und  dem  Buchhänd- 
ler gesagt,  er  wolle  gern  zehn  Goldscudi  für  ein  Exemplar 
bezahlen,  um  sofort  antworten  zu  können.  Am  11.  Sept. 
schreibt  dann  Castelli' s  Schüler  Evangelista  Torricelli 4) : 
Scheiner  habe  den  Dialog  kopfschüttelnd  gelobt,  indess  ge- 
meint, er  sei  wegen  der  vielen  Digressionen  eine  ermüdende 
Leetüre,  und  schliesslich  gesagt,  Galilei  habe  sich  schlecht 
gegen  ihn  benommen,  er  wolle  aber  nicht  darüber  reden. 
Am  2  7,.  Febr.  1633  schrieb  Scheiner   selbst    an  Gassendi5): 


1610   zu   Rom  hingerichtet  wurde,    s.    Gibbings   (s.    o.  S.  75)    und   Benrath, 
Allg.  Ztg.   1877,  No.  88  B. 

1)  IX,   261.  2)  VII,  2.  3)  IX,  274. 

4)  IX,  288.  5)  IX,  275. 


Controverse  mit  Scheiner.  173 

„Ich  bin  von  dem  Kaiser  nach  Deutschland  berufen,  aber 
die  Ortsveränderung  trennt  Freunde  nicht.  Neulich  sind  vier 
Dialoge  Galilei's  in  italienischer  Sprache  erschienen,  in 
welchen  die  Copernicanische  Bewegung  der  Erde  gegen  die 
gewöhnliche  Lehre  der  Peripatetiker  vertheidigt  wird.  Er 
kritisirt  darin  meine  „Disquisitiones  mathematicae"  und  greift 
auch  die  „Rosa  Ursina"  und  die  von  mir  entdeckte  jährliche 
Bewegung  der  Sonnenflecken  an.  Was  dünkt  Ihnen  davon? 
Vielen  gefallt  diese  Schrift  nicht.  Ich  schicke  mich  an,  mich  und 
die  Wahrheit  zu  vertheidigen."  Gassendi  schrieb  darauf  am 
10.  Mai  1633  an  Campanella x):  „Es  wäre  ein  gutes  Werk,  wenn 
Sie  den  Zwist  zwischen  den  beiden  vortrefflichen  und  uns  be- 
freundeten Männern,  Galilei  und  Scheiner,  ausglichen.  Beide 
sind  so  gute  Männer,  so  eifrig  in  der  Erforschung  der  Wahr- 
heit, so  treu  und  aufrichtig;  dass  sie  sich  verfeinden  müssen !" 
u.  s.  w.  Campanella  wäre  wohl  kaum  ein  geeigneter  Ver- 
mittler gewesen2).  Bald  darauf  wurde  übrigens  Galilei  von 
der  Inquisition  verurtheilt.  Scheiners  Entgegnung  erschien 
erst  ein  Jahr  nach  seinem  Tode,  im  J.  1651  (s.  u.  §  XXXV). 
Scheiner  war  als  Gelehrter  nicht  unbedeutend,  „ein 
guter  Beobachter  und  erfindungsreicher  Kopf",  wieMädler3) 
sagt,  aber  nicht  nur  ein  entschiedener  Anti-Copernicaner,  son- 
dern auch  nach  allem,  was  wir  aus  dem  Streit  mit  Galilei  von 
ihm  erfahren,  ein  wenig  nobler  Charakter.  In  einem  sehr  un- 
günstigen Lichte  erscheint  er  in  den  Briefen  des  Jüngern  (Lud- 
wig) Kepler.  Dieser  sagt  in  einem  Briefe  an  Galilei  vom  6. 
Febr.  1638  4):  „Derselbe  Gegner,  welcher  Sie  angefeindet  hat, 
bereitet  auch  mir  Nachstellungen,  der  Jesuit  Scheiner,  der  unter 
dem  Schein  der  Religiosität  und  Frömmigkeit  und  des  Eifers 
für  die  Römische  Kirche,  als  ob  er  die  dieser  Kirche  miss- 
fallenden Lehren  und  Hypothesen  beseitigen  wollte,  sich  mit 
fremden  Federn  zu  schmücken  sucht".  Scheiner  habe,  er- 
zählt er  dann,  dem  Kaiser  und  seinen  Hofbeamten  vorge- 
stellt, in  den  nachgelassenen  Schriften  Keplers  fänden  sich 


1)  IX,  275. 

2)  Er  hatte  am  5.  Aug.  1632  (IX,  281)  an  Galilei  geschrieben: 
„Scheiner  hat  mir  sein  Buch  geschenkt;  aber  da  seine  Schreibart  langweilig 
ist,  kann  ich  nicht  sagen,  dass  ich  es  sorgfältig  gelesen". 

3)  Geschichte  der  Himmelskunde  I,  255. 

4)  X,  265. 


174  Tod  Pauls  V. 

Prognostica,  die  dem  Hause  Oesterreich  zum  Schaden  ge- 
reichten, und  die  Beobachtungen  des  Tycho  de  Brahe  (die 
der  jüngere  Kepler  in  Händen  hatte  und  nicht  herausgeben 
wollte,  bis  ihm  die  13,000  Gulden  ausgezahlt  würden,  welche 
die  kaiserliche  Kammer  seinem  Vater  schuldete),  sowie 
einige  nachgelassene  Schriften  Keplers  müssten  wegen  ihres 
grossen  Werthes,  damit  sie  nicht  allgemein  bekannt  würden, 
in  der  kaiserlichen  Bibliothek  aufbewahrt  werden,  so  dass 
sie  nur  der  Kaiser  selbst  und  diejenigen,  denen  dieser  es 
gestatten  wolle,  einsehen  könnten.  Er  selbst  habe  dem  Kaiser 
seine  und  seiner  Schwester  bedrängte  Lage  vorgestellt,  um 
Bezahlung  der  fraglichen  Summe  gebeten,  aber  drei  Monate 
keine  Antwort  erhalten.  Auf  Scheiners  Betreiben  habe  der 
Kaiser  einen  Böhmischen  Baron  beauftragt,  die  Manuscripte 
bei  Keplers  Tochter  zu  confisciren;  diese  habe  sie  aber 
nicht  in  Händen  gehabt.  Er  habe  bei  dem  Kaiser  gegen 
eine  solche  Gewaltthat  protestirt  u.  s.  w. 

In  einem  sehr  bittern  und  verächtlichen  Tone  spricht 
Galilei  von  Scheiner  in  einem  Briefe  an  Micanzio1).  Dieser 
Brief  ist  freilich  aus  einer  spätem  Zeit  (9.  Febr.  1636).  Aber 
jedenfalls  war  es  nach  dem  oben  Mitgetheilten  mit  den  freund- 
schaftlichen Beziehungen,  in  denen  Galilei  früher  zu  den 
„Mathematikern  des  Römischen  Collegs",  namentlich  zu  Cla- 
vius  (f  161 2)  und  Griemberger,  gestanden,  vorbei,  seit  Grassi, 
Scheiner  und  der  später  noch  zu  erwähnende  Inchofer  dort 
den  Ton  angaben. 


XIV. 
Galilei  und  Papst  Urban  VIII. 

Die  Erhebung  des  Cardinais  Maffeo  Barberini  auf  den 
päpstlichen  Stuhl  wurde  von  Galilei  und  seinen  Freunden 
als  ein  sehr  hoffnungsvolles  Ereigniss  angesehen. 

Paul  V.,  unter  welchem  die  Decrete  von  161 6  erlassen 
worden  waren,  starb  nach  fast  1 6 j ähriger  Regierung  am  28. 


■)  vii,  59. 


Gregor  XV.     Urban  VIII.  175 

Jan.  1621.  (Am  28.  Febr.  desselben  Jahres  starb  der  Gross- 
herzog Cosimo  II.,  am  17.  Sept.  Cardinal  Bellarmin.)  Ihm 
folgte  am  9.  Febr.  Alessandro  Ludovisi,  Erzbischof  von  Bo- 
logna, schon  67  Jahre  alt,  aber  erst  seit  16 16  Cardinal,  als 
Gregor  XV.  Schon  am  15.  Febr.  ernannte  er  seinen  Neffen 
Ludovico  Ludovisi,  obschon  derselbe  erst  25  Jahre  alt  war, 
zum  Cardinal.  Auf  dessen  und  des  Cardinais  Barberini  Vor- 
schlag wurde  Ciampoli  im  Juli  zum  Secretär  der  Breven 
an  die  Fürsten  und  bald  darauf  zum  Canonicus  von  St.  Peter 
ernannt1).  Ciampoli's  Freund  Virginio  Cesarini  wurde  Ca- 
meriere  segreto. 

Unter  Gregor  XV.  erhielt,  wie  wir  gesehen,  Galilei's 
Saggiatore  in  Rom  das  Imprimatur.  Am  27.  Mai  1623  schrieb 
Ciampoli  oder,  wie  er  jetzt  hiess,  Monsignor  Ciampoli,  nach- 
dem er  die  beiden  ersten  Bogen  des  Saggiatore  gelesen,  an 
Galilei2):  „Heute  Abend  habe  ich  in  einer  sehr  langen  Audienz 
bei  unserm  Herrn  vielleicht  mehr  als  eine  halbe  Stunde  lang 
Seiner  Heiligkeit  Ihre  ausgezeichneten  Eigenschaften  ge- 
schildert, was  er  sehr  gern  angehört  hat.  Wenn  Sie  in  jenen 
Zeiten  [16 16]  hier  die  Freunde  gehabt  hätten,  die  jetzt  da  sind, 
so  wäre  es  vielleicht  nicht  nÖthig,  allerlei  Mittel  zu  ersinnen, 
um  jene  bewunderungswürdigen  Gedanken,  durch  welche  Sie 
unsere  Zeit  erleuchtet  haben,  wenigstens  als  philosophische 
Poesieen  der  Vergessenheit  zu  entreissen." 

Gregor  XV.  starb  schon  8.  Juli  1623,  und  nun  wurde 
6.  August  der  Cardinal  Maffeo  Barberini,  55  Jahre  alt,  zum 
Papst  gewählt.  Er  nannte  sich  Urban  VIII.  Er  war  ge- 
boren 5.  April  1568  zu  Florenz,  kam,  da  sein  Vater  schon 
1571  starb,  früh  nach  Rom,  wo  sein  Oheim  Francesco  Bar- 
berini Protonotar  war,  erhielt  seine  humanistische  und  phi- 
losophische Bildung  im  Römischen  College,  studierte  dann  die 
Rechte  an  der  Sapienza  und  zu  Pisa,  —  die  Angabe,  dass  er 
dort  Galilei's  Zuhörer  gewesen,  ist  irrig;  Galilei  wurde  erst 
1589  Professor  in  Pisa3),  —  trat  im  October  1588  in  die 
Prälatur  ein,  wurde  1604  Erzbischof  von  Nazareth  i.  p.  und 
Nuncius  in  Paris  und  1605  Cardinal.  Er  hatte  Sinn  für 
Wissenschaft  und  Kunst,  verkehrte  gern  mit  Gelehrten  und 
Humanisten    und  machte  selbst    lateinische   und   italienische 


1)  IX,  6.   11.     Targioni  II,  107.  • 

2)  IX,  30.  3)  Pieralisi,  Urbano  VIII,  p.  40. 


176  Galilei  und  Urban  VIII. 

Verse.  Eine  Sammlung  von  lateinischen  Gedichten  von  ihm 
erschien  im  Druck  l). 

Mit  Galilei  wurde  Cardinal  Barberini  spätestens  161 1 
persönlich  bekannt,  als  jener  in  Rom  war.  Seitdem  stand 
Galilei  mit  ihm  in  Briefwechsel2),  übersandte  ihm  seine 
Schriften  und  erhielt  dafür  freundliche  Dankschreiben.  Im 
J.  16 12  schrieb  er  ihm  einen  ausführlichen  Brief  über  die 
Sonnenflecken3).  In  den  Briefen  aus  den  Jahren  161 5  und 
16 16  wird  Barberini  wiederholt  als  ein  Galilei  sehr  gewogener 
Cardinal  erwähnt4);  ein  Anhänger  der  Copernicanischen 
Lehre  war  er  freilich  nicht  (s.  o.  S.  56.  92).  Welche  Stellung 
er  bei  dem  ersten  Process  gegen  Galilei  eingenommen,  da- 
rüber haben  wir  eine  Andeutung  in  einem  Briefe  des  tosca- 
nischen  Gesandten  in  Rom,  Francesco  Niccolini,  vom  13.  Nov. 
1632  5):  Urban  VIII.  habe  (zur  Zeit  als  Galilei  von  der  In- 
quisition nach  Rom  citirt  wurde)  gesagt,  Gott  möge  es  Ga- 
lilei verzeihen,  dass  er  sich  in  eine  solche  Verwicklung  ge- 
bracht, nachdem  er  selbst,  als  er  noch  Cardinal  gewesen,  ihn 
daraus  befreit.  Danach  ist  anzunehmen,  dass  der  Cardinal 
Barberini  im  J.  161 6  seinen  Einfluss  dahin  geltend  machte, 
dass  gegen  Galilei  persönlich  von  Seiten  der  Inquisition  nichts 
geschah.  Castelli  schreibt  ausserdem  unter  dem  16.  März 
1630  aus  Rom6),  Cesi  habe  ihm  Folgendes  erzählt:  „Der  Pater 
Campanella  sagte  vor  einigen  Tagen  dem  Papste:  er  habe 
einige  deutsche  Herren  unter  Händen  gehabt,  um  sie  zum 
katholischen  Glauben  zu  bekehren;  dieselben  seien  gut  dis- 
ponirt  gewesen;  aber  als  sie  von  dem  Verbote  des  Copernicus 
gehört,  hätten  sie  daran  solchen  Anstoss  genommen,  dass 
nichts  mehr  zu  machen  gewesen  sei.  Der  Papst  antwortete 
ihm  wörtlich  Folgendes :  »Das  war  nie  unsere  Absicht,  und 
wäre  es  auf  uns  angekommen,  so  wäre  jenes  Decret  nicht 
erlassen  worden«." 

Am  29.  Juni  16 19  schickte  Galilei  dem  Cardinal  Barbe- 
rini die  von  (ihm  und)  Guiducci  verfasste  Schrift  über  die 
Kometen  und  erhielt  dafür  ein  freundliches  Dankschreiben7). 
Am    28.   Aug.  1620    übersandte    der    Cardinal   Galilei    eine 


1)  Pieralisi  p.  19.  2)  VIII,   173. 

3)  Dieser  Brief  steht  bei  Pieralisi  p.  42,    zwei  andere  p.  47.  49,   die 
Antworten  Barberini's  VIII»,  206.  208.  262.  4)  VIII,  352.  355. 

5)  IX,  429.  6)  IX,  176.  7)  Pieralisi  p.  63;  VIII,  427. 


Galilei  und  Urban  VIII.  177 

lateinische  Ode  auf  seine  astronomischen  Entdeckungen;  Ga- 
lilei dankte  unter  dem  7.  Sept1).  Als  der  Neffe  des  Cardi- 
nais, Francesco  Barberini,  im  April  oder  Mai  1623  in  Pisa 
promovirt  hatte,  beglückwünschte  Galilei  den  Cardinal; 
dieser  antwortete  unter  dem  24.  Juni,  wenige  Wochen  vor 
seiner  Erhebung  auf  den  päpstlichen  Stuhl2). 

Einige  Tage  nach  der  Wahl  Urbans  VIII.,  am  10. 
Aug.  1623,  schickte  Galilei  die  Briefe,  die  er  von  dem  neuen 
Papste  im  Laufe  der  früheren  Jahre  erhalten  hatte,  einer  seiner 
beiden  Töchter,  —  beide  waren  Nonnen  im  Kloster  S.  Matteo 
in  Arcetri  bei  Florenz.  Die  Nonne  bemerkte  in  ihrer  Ant- 
wort, der  Vater  werde  ja  ohne  Zweifel  dem  neuen  Papste 
ein  Glückwunschschreiben  gesandt  haben,  er  möge  sie  auch 
dieses  sehen  lassen.  Galilei  belehrte  sie,  es  würde  sich 
nicht  gepasst  haben,  sich  sofort  mit  einem  Glückwunsche 
an  den  Papst  heranzudrängen3).  Er  sandte  aber  dem 
Bruder  des  neuen  Papstes,  Carlo,  und  dem  Neffen  des- 
selben, dem  oben  erwähnten  Francesco  Barberini,  Gratu- 
lationsschreiben 4). 

Galilei's  Freunde  in  Rom  schrieben  sehr  erfreut  über 
die  Papstwahl.  Schon  am  12.  Aug.  1623  schrieb  Francesco 
Stelluti5):  „Die  Wahl  des  neuen  Papstes  hat  uns  Alle  er- 
freut. Sie  kennen  seine  Tüchtigkeit  und  Güte.  Er  ist  ein 
besonderer  Gönner  der  Literaturfreunde,  und  wir  werden 
an  ihm  einen  grossen  Maecenas  haben.  Er  liebt  sehr  unsern 
Fürsten  [Cesi],  und  wie  Sie  gehört  haben  werden,  hat  er  so- 
fort unsern  Don  Virginio  Cesarini  zu  seinem  Maestro  di  Ca- 
mera ernannt6);  Monsignor  Ciampoli  bleibt  nicht  nur  Secre- 
tär  der  Breven  an  die  Fürsten,  sondern  ist  auch  Geheim- 
kämmerer geworden;  der  Cavaliere  dal  Pozzo,  auch  ein 
Linceo,  wird  in  die  Dienste  des  Neffen  des  Papstes  treten, 
der  Cardinal  werden  wird.  So  werden  wir  drei  Mitglieder 
der  Akademie  am  Hofe  haben  und  ausserdem  viele  andere 
Freunde."     Am  18.  August  schrieb  Ciampoli7):   „Die  Wahl 

1)  VIII,  451;  Pieralisi  p.  65.    Die  Ode  genau  abgedruckt  ebend,  p.  22. 

2)  IX,   31.  3)  IX,  32.  33. 

4)  IX,  36.     Pieralisi  p.   69.  5)  Suppl.   122. 

6)  Cesarini  starb  bereits  I.  April  1624;  den  Cardinalshut,  welchen 
Urban  VIII.  ihm  zugedacht  hatte,  erhielt  30.  Aug.  1627  sein  Bruder  Alesr 
sandro  Cesarini,  der  1636  Bischof  von  Viterbo  wurde  und  1644  starb.  Cia- 
conius  IV,   563.  7)  IX,    35. 

Reu  seh,  Galilei.  I  2 


178  Galilei  und  Urban  VIII. 

erregt  allgemeine  Befriedigung;  wir  haben  besondern  Grund 
zu  jubeln,  da  wir  Seiner  Heiligkeit  besonders  ergeben  sind 
und  uns  seiner  Liebe  und  seines  Wohlwollens  in  reichem 
Masse  erfreuen.  .  .  .  Sie  liebt  unser  Herr  mit  väterlicher 
Zuneigung.  Ich  habe  ihm  in  Ihfem  Namen  die  Füsse  ge- 
küsst,  und  er  hat  dieses  und  die  Freude,  die  Sie  über  seine 
Erhebung  ausgesprochen,  besonders  huldvoll  aufgenommen." 
Ciampoli  war  nun  einige  Jahre  lang  eine  einflussreiche  Persön- 
lichkeit am  päpstlichen  Hofe,  wohnte  im  päpstlichen  Palaste 
und  hatte  täglich  Audienz  bei  Urban  VIII.,  um  Geschäfte  zu 
erledigen  und  mit  ihm  über  Literatur  und  dgl.  zu  plaudern1). 

Am  30.  Sept.  161 2  schrieb  Stelluti:  Francesco  Barbe- 
rini  sei  an  jenem  Tage  Mitglied  der  Akademie  der  Lincei 
geworden  und  werde  in  den  nächsten  Tagen  Cardinal  wer- 
den; Galilei  möge  nicht  unterlassen,  ihn  zu  beglückwünschen 2). 

Ausser  seinem  27jährigen  Neffen  Francesco,  der  am  2. 
Oct.  1623  Cardinal  wurde,  machte  der  Papst  am  5.  Oct.  1624 
auch  seinen  altern,  1569  geborenen  Bruder  Antonio,  der  seit 
1585  Capuciner  war,  und  am  13.  Aug.  1627  einen  Jüngern 
Bruder  Francesco's,  Antonio,  geb.  1608,  zu  Cardinälen.  Fran- 
cesco war  aber  der  einflussreichste  unter  den  Verwandten 
des  Papstes,  der  eigentliche  Cardinal-Nepote  oder,  wie  man 
damals  sagte,  Cardinal  Padrone*),  der  die  Stellung  eines  Car- 
dinal-Staatssecretärs  einnahm;  —  nur  als  er  1625 — 26  als 
Cardinal-Legat  in  Frankreich  und  Spanien  war,  besorgte  der 
ältere  Antonio  dessen  Geschäfte ;  —  er  ist  in  der  Regel  ge- 
meint, wenn  in  Galilei' s  Briefwechsel  von  dem  Cardinal  Bar- 
berini  ohne  nähere  Bezeichnung  die  Rede  ist.  Der  ältere 
Antonio,  der  Secretär  der  Inquisition  war,  wird  gewöhnlich 
als    Cardinal    von    St.    Onuphrius    bezeichnet4).     Von    ihrer 


1)  Targioni  II,   110.  2)  IX,  38;  vgl.  VI,  289.  3)  IX,   n. 

4)  Vgl.  Pieralisi  p.  171.  Ciaconius  IV,  525.  531.  564.  Arcliivio  sto- 
rico  S.  3,  T.  16,  p.  265.  Bis  zur  Ernennung  Antonio's  war  Francesco  Car- 
dinal von  St.  Onuphrius,  1624  wurde  er  Cardinal  von  St.  Agatha,  1633  war 
er  Cardinal  von  St.  Laurentius  in  Damaso.  Er  starb  10.  Dec.  1679  als  Bi- 
schof von  Ostia  und  Decan  des  h.  Collegiums.  —  Der  ältere  Antonio  starb 
1646.  —  Der  jüngere  Antonio  (er  wird  oft  Cardinale  Antonio  genannt;  Wo- 
lynski  p.  182)  wurde  Cardinal(-Diakon  von  St.  Maria  in  Aquiro)  gegen  den 
Wunsch  seines  Bruders  Francesco  und  unter  der  ausdrücklichen  Bedingung, 
dass  er  keinen  Antheil  an  der  Regierung  nehmen  solle.  Er  wurde  später 
Cardinal-Priester  von  Santa  Trinitä  dei  Monti,  dann  Cardinal-Bischof  von  Tus- 


Galilei   und  Urban  VIII.  179 

schlimmen  Seite,  welche  sie  so  unbeliebt  machte,  dass  sie 
nach  dem  Tode  Urbans  VIII.  aus  Rom  fliehen  mussten1), 
lernen  wir  die  Barberini  in  Galilei's  Briefwechsel  nicht  kennen. 

Wie  bereits  erwähnt  wurde,  widmete  die  Akademie  der 
Lincei  dem  neuen  Papste  Galilei's  Saggiatore,  und  Cesarini 
und  Rinuccini  meldeten  Galilei  voller  Freude,  er  habe  trotz 
seiner  vielen  Geschäfte  das  ganze  Buch  mit  vielem  Vergnügen 
gelesen2).  Dass  der  Papst  die  Widmung  des  Buches  ange- 
nommen und  sich  für  das  Buch  und  den  Verfasser  interessirte, 
mag  dazu  beigetragen  haben,  dass  die  Versuche,  ein  Verbot 
desselben  durch  die  Inquisition  herbeizuführen  (s.  o.  S.  169), 
nicht  über  das  erste  Stadium  hinauskamen. 

Es  ist  erklärlich,  dass  Galilei  unter  diesen  Umständen 
auf  den  Gedanken  kam,  nach  Rom  zu  reisen  und  zu  ver- 
suchen, in  irgend  einer  Weise  eine  Zurücknahme  der  unter 
Paul  V.  ergangenen  Entscheidung  zu  erwirken.  Er  schrieb 
am  9.  Oct.  1623  an  den  Fürsten  Cesi3):  ,,Ich  bedarf  sehr  des 
Rathes  Ew.  Excellenz  bezüglich  der  Verwirklichung  meines 
Wunsches,  vielleicht  auch  meiner  Pflicht,  nachRom  zu  kommen 
und  Seiner  Heiligkeit  den  Fuss  zu  küssen.  Ich  möchte  dieses 
zur  gelegenen  Zeit  thun,  und   diese   bitte   ich  Sie   mir  anzu- 


culum,  zuletzt  von  Praeneste.  —  Der  Vater  der  Cardinäle  Francesco  und  An- 
tonio, Urbans  VIII.  älterer  Bruder,  Don  Carlo  Barberini,  war  „General  der 
Kirche";  in  diesem  Amte  folgte  ihm  nach  seinem  Tode  sein  dritter  Sohn 
Taddeo.     Vgl.  Ranke,  Die  Rom.  Päpste,   5.  Aufl.,  III,  20.  201. 

1)  Härter  als  Ranke  urtheilt  Reumont  übel-  die  Neffen  Urbans  VIII. 
Er  spricht  in  der  Gesch.  Toscana's  I,  428  von  ihrer  „fast  beispiellosen  Herrsch- 
und Habsucht"  und  sagt  in  den  Beitr.  zur  italien.  Gesch.  I,  415:  „Des  Gross- 
herzogs (Ferdinand  II.)  Nachgiebigkeit  gegen  die  täglich  sich  mehrenden 
Ansprüche  des  päpstlichen  Hofes  schützten  ihn  nicht  vor  dem  frechen  Ueber- 
muthe  der  Barberini,  welche  an  den  Medici,  Estes  und  Farnesen  ihren  Aerger 
ausliessen,  weil  es  ihnen  nicht  gelungen  war,  selbst  unter  den  regierenden 
Herren  Platz  zu  nehmen  [vgl.  Wolynski  p.  152].  Ferdinand  ermannte  sich 
endlich  und  begann  im  Bunde  mit  der  Republik  Venedig  und  den  Herzogen 
von  Mantua  und  Parma  einen  Krieg  gegen  Urban  VIII.",  den  „Krieg  von 
Castro";  s.  Ranke  III,  25.  Galilei  erlebte  aber  diesen  Kampf  nicht  mehr. 
Als  nach  dem  Tode  Urbans  VIII.  die  Barberini  aus  Rom  entflohen  (1644), 
„Hess  der  neue  Papst  Innocenz  X.  ihre  Paläste  besetzen,  ihre  Aemter  ver- 
theilen,  ihre  Luoghi  di  Monte  sequestriren.  Das  Römische  Volk  stimmte 
ihm  in  seinem  Verfahren  bei";  Ranke  III,  40;  vgl.  Riv.  Eur.  1877,  II,  439. 
Innocenz  X.   söhnte  sich  aber  später  mit  den  Barberini  aus. 

2)  IX,  44.   50.     Suppl.   154.  3)  VI,   289. 


180  Galilei  in  Rom  im  J.   1624. 

geben.  Ich  beschäftige  mich  in  Gedanken  mit  Dingen,  welche 
für  die  Gelehrten-Republik  von  einiger  Bedeutung  sind. 
Können  dieselben  bei  dieser  wunderbaren  Xonjunctur  nicht 
verwirklicht  werden,  so  weiss  ich  nicht,  ob  wir  hoffen  dürfen, 
jemals  eine  gleich  günstige  Conjunctur  zu  finden.  Was  ich 
darüber  im  Einzelnen  Ihnen  mitzutheilen  habe,  ist  zu  viel, 
als  dass  ich  es  zu  Papier  bringen  könnte."  Cesi  antwortete 
am  21.  Oct.  *):  ,,Ich  habe  mich  sehr  darüber  gefreut,  dass  Sie 
nach  Rom  kommen  wollen  und  daran  denken,  bei  der  so 
guten  Conjunctur  dieses  vortrefflichen,  gelehrten  und  gütigen 
Papstes  die  gute  Literatur  und  die  Studien  zu  fördern.  .  . 
Ihr  Hieherkommen  ist  nöthig  und  wird  Seiner  Heiligkeit  sehr 
angenehm  sein.  Der  Papst  hat  mich  gefragt,  ob  und  wann 
Sie  kämen;  ...  er  zeigt  seine  Liebe  und  Achtung  gegen 
Sie  mehr  als  je.  Ich  rathe  Ihnen,  Mitte  nächsten  Monats  zu 
kommen;  das  ist  für  Ihre  Gesundheit  die  beste  Zeit  und  dann 
können  Sie  hier  auch  leichter  und  ruhiger  verhandeln,  da  bis 
dahin  der  Andrang  der  Geschäfte,  der  erst  jetzt  anfängt  nach- 
zulassen, vorüber  sein  wird."  —  Auch  T.  Rinuccini  schrieb 
am  20.  Oct. 2):  „Vor  drei  Tagen  küsste  ich  unserm  Herrn 
die  Füsse,  und  ich  schwöre  Ihnen,  dass  ich  ihn  über  nichts 
so  sehr  erfreut  sah,  als  da  ich  Sie  nannte.  Als  ich  sagte, 
dass  Sie  sehr  wünschten,  wenn  es  Ihre  Gesundheit  erlaubte, 
zu  seinen  allerheiligsten  Füssen  zu  sein,  antwortete  er,  das 
werde  ihm  sehr  angenehm  sein,  vorausgesetzt,  dass  es  ohne 
Gefährdung  Ihrer  Gesundheit  geschehen  könne ;  denn  grosse 
Männer,  wie  Sie,  müssten  sich  in  jeder  Weise  bemühen,  so 
lange  wie  möglich  zu  leben.  .  .  Alle  Ihre  Freunde  wünschen, 
dass  Sie  kommen.  .  .  Sie  werden  sehr  befriedigt  sein  und 
das  mit  Händen  greifen,  dass  dieses  Pontificat  das  Pontificat 
der  Guten  sein  und  viele  glorreiche  Gedanken  des  guten 
Herrn,  den  Gott  lange  erhalten  möge,  verwirklichen  wird." 
Galilei  kam,  da  er  bei  der  ungünstigen  Jahreszeit  nicht 
reisen  mochte3),  erst  im  April  1624  in  Rom  an.  Die  Gross- 
herzogin Wittwe  Christina  von  Lothringen  gab  ihm  ein  Em- 
pfehlungsschreiben an  ihren  Sohn,  den  Cardinal  de'  Medici, 
mit4).  Er  verweilte  auf  der  Reise  einige  Tage  zu  Acquasparta 
bei  dem  Fürsten  Cesi5).   Am  15.  Mai  schrieb  er  an  diesen  von 


1)  IX,  42.  2)  IX,  40.  3)  VI,  291 

4)  IX,  56.  5)  VI,  292. 


Galilei  in  Rom  im  J.   1624.  181 

Rom  aus:  „Der  Rath,  den  Sie  mir  in  Ihrem  freundlichen  [nicht 
erhaltenen]  Schreiben  vom  1 1.  d.ertheilen,  ich  solle  mich  auf  ein 
sehr  langes  Verhandeln  an  dem  hiesigen  Hofe  gefasst  machen, 
würde  mir  ganz  vortrefflich  erscheinen,  wenn  sich  die  Natur 
herbeilassen  wollte,  die  wenigen  Tage,  die  mir  noch  übrig 
sind,  in  Jahre  oder  in  Monate  zu  verwandeln.  In  der  That 
finde  ich  es  jeden  Tag  durch  die  Erfahrung  bestätigt,  dass 
ich  einige  von  den  Plänen,  von  denen  wir  mit  einander  ge- 
redet, würde  zu  Ende  führen  können,  wenn  ich  Zeit,  Kalt- 
blütigkeit und  Geduld  genug  hätte*.  Da  ich  aber  bezweifle, 
ob  ich  Zeit  genug  haben  werde,  und  einige  meiner  Specu- 
lationen  [wissenschaftlichen  Arbeiten]  zu  vollenden  wünsche, 
werde  ich  wohl  bald  zu  meiner  Ruhe  und  freien  Müsse  zu- 
rückkehren. .  .  .  Ich  war  vor  drei  Tagen  mit  mehreren  Ge- 
lehrten bei  dem  Cardinal  von  Santa  Susanna !)  zum  Früh- 
stück. Wir  sprachen  Stunden  lang  über  viele  Dinge,  aber 
über  keinen  der  Punkte,  auf  die  es  uns  vor  allem  ankommt; 
ich  habe  indess  erkannt,  dass  wir  Gutes  hoffen  dürften,  wenn 
nicht  die  Zeit  zu  kurz  wäre.  Ich  habe  zweimal  ein  langes  Ge- 
spräch mit  dem  Cardinal  Zoller  [Eitelfritz  von  Hohenzollern, 
Bischof  von  Osnabrück]  gehabt,  der  zwar  mit  unseren  Studien 
nicht  sonderlich  gründlich  bekannt  ist,  aber  doch  den  Haupt- 
punkt und  das  Quid  agendum  bei  der  Sache  versteht.  Er  hat 
mir  gesagt,  er  wolle  mit  Seiner  Heiligkeit  vor  seiner  Abreise 
davon  reden.  Wir  wollen  sehen,  was  er  erreicht.  Aber  die 
Mannigfaltigkeit  der  Geschäfte,  die  für  unendlich  viel  wich- 
tiger gehalten  werden  als  dieses,  ist  Schuld,  dass  man  diesen 
Dingen  keine  Beachtung  schenkt."  Am  8.  Juni2)  berichtete 
er  weiter:  ,,Ich  bin  von  dem  Papste  sehr  ehrenvoll  und 
freundlich  behandelt  worden.  Ich  war  sechsmal  bei  ihm  und 
habe  lange  Gespräche  mit  ihm  gehabt.  Als  ich  mich  gestern 
bei  ihm  verabschiedete,  versprach  er  mir  eine  Pension  für 
meinen  Sohn3).   Vor  drei  Tagen  schenkte  er  mir  ein  schönes 


i)  Damals  (seit  16 16)  war  Scipio  Cobelluzzi  Cardinal  von  Santa  Su: 
sanna  (f  1627);  früher  hatte  Card.  Borgia  diesen  Titel. 

2)  VI,  295. 

3)  Diese  Pension  wurde  erst  1627,  nachdem  Galilei's  Freunde  den 
Papst  wiederholt  an  'sein  Versprechen  erinnert,  im  Betrage  von  60  Scudi 
wirklich  bewilligt.  Sie  wurde  auf  ein  Beneficium  angewiesen  und  die  Be- 
dingung gestellt,  dass  Galilei's  Sohn  Vincenzo  Kleriker  werde,  also  wenig- 
stens   sich    die  Tonsur  geben   lasse    (geistliche  Kleidung  zu  tragen,    war  bei 


182  Galilei  in  Rom  im  J.   1624. 

Bild,  zwei  Medaillen,  eine  goldene  und  eine  silberne,  und  eine 
gute  Quantität  Agnus  Dei.  Der  Cardinal  [Francesco]  Barbe- 
rini  hat  mich  immer  mit  gewohnter  Freundlichkeit  behandelt; 
desgleichen  sein  vortrefflicher  Vater  und  seine  Brüder.  Unter 
den  anderen  Cardinälen  habe  ich  wiederholt  mit  Vergnügen 
Santa  Susanna,  Buoncompagno x)  und  Zoller  gesprochen. 
Letzterer  ist  gestern  nach  Deutschland  abgereist.  Er  sagte 
mir,  er  habe  mit  Seiner  Heiligkeit  über  Copernicus  gesprochen 
und  bemerkt:  die  Häretiker  seien  alle  seiner  Meinung  und 
hielten  sie  für  gewiss;  darum  müsse  man  sehr  vorsichtig  sein, 
wenn  man  zu  einer  Entscheidung  kommen  wolle.  Der  Papst 
habe  geantwortet;  die  h.  Kirche  habe  jene  Meinung  nicht 
als  häretisch  verdammt  und  werde  sie  nicht  als  häretisch  ver- 
dammen, sondern  nur  als  verwegen;  es  sei  aber  nicht  zu 
fürchten,  dass  sie  je  Einer  als  sicher  wahr  erweisen  sollte. 
Der  Pater  Riccardi  und  Herr  Scioppio 2)  sind  zwar  weit  ent- 
fernt, sich  so,  wie  es  nöthig  wäre,  mit  dergleichen  astrono- 
mischen Speculationen  bekannt  machen  zu  können;  aber  sie 
sind  entschieden  der  Ansicht,  es  handle  sich  dabei  nicht  um 
eine  Glaubenssache  und  es  sei  nicht  in  der  Ordnung,  irgend- 
wie die  Bibel   hineinzuziehen.     Was   das  Wahr  oder  Nicht- 


Pensionen von  nicht  mehr  als  60  Scudi  nicht  erforderlich).  Vincenzo  hatte 
aber,  wie  Castelli  Suppl.  195  schreibt,  „nicht  eine  einfache  Abneigung,  son- 
dern einen  giftigen  Hass  gegen  den  geistlichen  Stand".  Durch  die  Vermitt- 
lung des  Card.  Barberini  wurde  dann  die  Pension  auf  Galilei's  Neffen  Vin- 
cenzo, 1630  auf  Galilei  selbst  übertragen  und  auf  100  Scudi  erhöht;  IX, 
200.  204.  221.  Die  Auszahlung  stiess  aber  auf  allerlei  Schwierigkeiten.  Ob 
Galilei  die  Bedingung,  die  Tonsur  zu  nehmen  (IX,  222.  Suppl.  239),  wirk- 
lich erfüllt  hat,  wie  Schneemann  S.  400  u.  A.  annehmen,  ist  aus  dem  Brief- 
wechsel nicht  zu  ersehen.  (Schneemann  stellt  der  Bemerkung,  die  er  Gebier 
und  Anderen  in  den  Mund  legt:  die  Jesuiten  hätten  durch  die  moralische 
Vernichtung  des  Laien  Galilei  sich  das  Monopol  der  "Wissenschaft  und  des 
Unterrichts  sichern  wollen,  die  Notiz  entgegen:  „Galilei  war  nicht  Laie,  son- 
dern Geistlicher,  da  er  .  .  .  die  Tonsur  genommen  hatte" !)  Galilei  genoss 
die  Pension  auch  noch  nach  seiner  Verurtheilung;  Suppl.  286.  Vgl.  Martin, 
Galilee  p.  95. 

1)  Francesco  Buoncompagni,  ein  Neffe  Gregors  XIIL,  von  Gregor  XV. 
1621  zum  Cardinal  ernannt.  Er  wurde  1626  Erzbischof  von  Neapel  und 
starb  dort   1641.     S.  o.  S.   167. 

2)  Der  bekannte  Convertit  und  Controversist  Caspar  Scioppius  (Schoppe), 
geb.  1576  zu  Neumarkt  in  der  Oberpfalz,  der  1598  zu  Rom  katholisch 
wurde  und   1649  zu  Padua  starb.    X,  337.  431.    Hurter,  Nomenciator  I,  779. 


Galilei  in  Rom  im  J.   1624.  183 

Wahr  betrifft,  so  hängt  Riccardi  weder  dem  Ptolemäus  noch 
dem  Copernicus  an,  sondern  beruhigt  sich  in  seiner  Weise 
mit  der  bequemen  Annahme,  die  Engel  bewegten  ohne 
Schwierigkeit  oder  Verwirrung  die  Sterne  in  der  Weise,  wie 
sie  sich  bewegen1),  und  das  müsse  uns  genügen.  .  .  Ueber 
alle  diese  Dinge,  die  ich  hier  angedeutet,  hätte  ich  Ihnen  im 
Einzelnen  noch  manches  mitzutheilen.  Aber  im  Allgemeinen 
haben  meine  Freunde  und  ich  die  Ueberzeugung  gewonnen: 
wenn  ich  hier  bliebe,  könnte  ich  von  Tag  zu  Tag  eher  etwas 
gewinnen  als  verlieren;  da  aber  das  Verhandeln  in  Rom 
sehr  langsam  geht  und  die  Zeit,  die  mir  noch  zu  Gebote 
steht,  vielleicht  sehr  kurz  ist,  so  sei  es  besser,  dass  ich  mich 
in  meine  Ruhe  zurückziehe  und  irgend  einen  meiner  Ge- 
danken zur  Ausführung  zu  bringen  suche,  um  dann  davon 
den  Gebrauch  zu  machen,  welchen  die  Verhältnisse,  der  Rath 
der  Freunde  und  namentlich  der  Befehl  Ew.  Excellenz 
gebieten  werden." 

Bei  Gelegenheit  der  Rückkehr  Galilei' s  nach  Florenz 
übersandte  der  Papst  dem  Grossherzog  Ferdinand  II.  ein 
vom  8.  Juni  1624  datirtes,  von  Ciampoli  verfasstes  Breve2) 
voll  schwungvoller  Lobsprüche  auf  Galilei.  Gleichzeitig 
schrieb  der  Cardinal  Nepote  an  die  regierende  Grossher- 
zogin und  an  die  Grossherzogin  Mutter. 

Im  März  1625  lud  Monsignor  Ciampoli  Galilei  ein,  nach 
Rom  zu  kommen,  um  den  Jubiläumsablass  zu  gewinnen,  und 
bei  diesem  Besuche  bei  ihm  zu  wohnen.  Galilei  war  nicht  ab- 
geneigt, scheint  aber  den  Reiseplan  aufgegeben  zu  haben,  als 
Ciampoli  ihm  schrieb :  er  werde  zwar  ohne  Zweifel  eine  Au- 
dienz bei  dem  Papste  haben  können;  aber  über  wissenschaft- 
liche Dinge  zu  verhandeln,  werde  unter  den  augenblicklichen 
Verhältnissen,  wo  politische  Dinge  die  Aufmerksamkeit  ab- 
sorbirten,  nicht  wohl  angehen3).  Im  April  rieth  auch  Cesi, 
nach  Rücksprache  mit  Ciampoli,  Galilei,  seine  Reise  nach 
Rom  jedenfalls  bis  zum  Herbst  zu  verschieben4).  In  Wirk- 
lichkeit kam  Galilei  erst  im  J.   1630  wieder  nach  Rom. 


i)  Das  war  damals  bei  den  Theologen  die   gewöhnliche  Ansicht;  vgl. 
Riccioli,  Almagestum  novum  II,   248  a. 

2)  IX,  60;  s.  o.  S.   11. 

3)  Suppl.   178.   179.  4)  IX,  82. 


84  Galilei's  Schreiben  an  Ingoli. 


XV. 

Galilei's  Schreiben  an  Ingoli  und  andere  Torarbeiten 
für  den  Dialog. 

Wenn  Galilei  gehofft  hatte,  bei  seiner  Anwesenheit  in 
Rom.  im  J.  1624  eine  directe  Zurücknahme  des  Decretes  von 
161 6  oder  eine  nochmalige  Prüfung  der  Copernicanischen 
Lehre  durch  die  Römischen  Behörden  erwirken  oder  an- 
bahnen zu  können,  so  sah  er  sich  in  dieser  Hoffnung  ge- 
täuscht. Er  scheint  sich  darum  noch  während  seines  Auf- 
enthalts in  Rom  entschlossen  zu  haben,  nunmehr  indirect 
für  die  Vertheidigung  der  Copernicanischen  Lehre  zu  wirken. 

Wie  in  den  bisher  mitgetheilten,  so  findet  sich  auch  in 
den  brieflichen  Aeusserungen  Galilei's  aus  den  folgenden 
Jahren  keine  Spur  davon,  dass  er  geglaubt  habe,  über  die 
Copernicanische  Theorie  überhaupt  nicht  schreiben  zu  dür- 
fen. Sie  in  der  Weise  hypothetisch  zu  erörtern,  wie  er  das 
im  Saggiatore  gethan,  hielt  er  für  zulässig  und  müssen  auch 
die  Römischen  Behörden  für  zulässig  gehalten  haben,  da 
der  Druck  des  Saggiatore  gestattet  und  trotz  der  Denun- 
ciation  dieses  Buches  gegen  Galilei  nicht  eingeschritten 
wurde.  Daraus  folgt,  dass  die  Römischen  Behörden  wie 
Galilei  selbst  nicht  annahmen,  es  sei  ihm  im  J.  16 16  ein 
über  das  Index-Decret  von  jenem  Jahre  hinausgehendes 
Verbot  ertheilt  worden.  Daraus  folgt  nun  aber,  wie  be- 
reits früher  (S.  147)  hervorgehoben  wurde,  nicht  weiter,  dass 
Galilei  nicht  am  26.  Febr.  16 16  in  der  Weise,  wie  die  Auf- 
zeichnung von  jenem  Tage  angibt,  von  dem  Commissar  der 
Inquisition  verwarnt  worden  sei.  Zur  Erklärung  jener  That- 
sache  genügt  vielmehr  die  Annahme,  dass  jene  Verwarnung 
von  Galilei  selbst  nur  als  eine  förmliche  und  specielle  Notifi- 
cation  der  durch  das  Index-Decret  publicirten  allgemeinen 
Entscheidung  der  Inquisition,  nicht  als  eine  über  diese  Ent- 
scheidung hinausgehende,  nur  für  Galilei  geltende,  diesem 
jede  Erörterung  der  Copernicanischen  Lehre  verbietende 
Weisung  aufgefasst  wurde. 


Galilei's  Schreiben  an  Ingoli.  185 

Wenn  Galilei  in  dem  Saggiatore  nur  nebenbei  von  der 
Copernicanischen  Theorie  gesprochen  hatte,  so  glaubte  er 
jetzt  einen  Schritt  weiter  gehen  und  es  mit  einer  ausführ- 
lichen Erörterung  derselben  ex  professo,  —  natürlich  immer 
nur  in  hypothetischer  Form,  in  der  Weise,  wie  er  es  in 
dem  Briefe  an  den  Cardinal  Orsini  (s.  o.  S.  155)  gethan,  — 
versuchen  zu  dürfen. 

Als  er  im  J.  161 6  in  Rom  war,  übersandte  ihm  der 
Advocat  Francesco  Ingoli,  der  Galilei  persönlich  sehr  hoch- 
achtete, aber  ein  Gegner  der  Copernicanischen  Lehre  war, 
eine  lateinische  Abhandlung,  worin  er  astronomische,  philo- 
sophische und  theologische  Argumente  gegen  jene  Lehre 
entwickelt  hatte1).  Die  Abhandlung  fand  in  Abschriften 
Verbreitung2).  Ihre  Argumente  wurden  in  Keplers  Epitome 
berücksichtigt.  Diese  wurde  1619  auf  den  Index  gesetzt, 
und  Ingoli  schrieb  eine  Entgegnung  darauf,  die  aber  nicht 
gedruckt  wurde3).  Im  J.  1624  schrieb  nun  Galilei  in  der 
Form  eines  Briefes  an  Ingoli,  der  seit  1622  Secretär  der 
Congregation  der  Propaganda  war,  eine  Widerlegung  der 
astronomischen  und  philosophischen  Argumente  jener  Schrift 
von  16164).  Die  theologischen  Argumente  erklärt  er  bei 
Seite  lassen  zu  wollen.  Weiter  sagt  er:  „Ich  habe  nicht 
die  Absicht,  jenen  Satz  als  wahr  zu  erweisen,  von  welchem 
erklärt  worden  ist,  er  sei  verdächtig  und  widerspreche  jener 
Lehre,  welche  an  Majestät  und  Autorität  die  naturwissen- 
schaftlichen und  astronomischen  Disciplinen  übertrifft;  ich 
will  vielmehr  nur  zeigen,  dass  ich,  als  ich  mit  Astronomen 
und  Philosophen  disputirte,  nicht  darum,  weil  ich  die  von 
Ihnen  vorgetragenen  Argumente  nicht  gekannt  oder  nicht 
verstanden,  bei  der  Meinung  geblieben,  die  Copernicanische 
Hypothese  und  nicht  die  Ptolemäische  könne  und  müsse 
die  wahre  sein.  Dazu  kommt  noch  ein  anderer  Grund.  Auf 
die  von  Ihnen  angeführten  Argumente  ist  nicht  wenig  Ge- 
wicht gelegt  worden,  selbst  von  Personen  von  solcher 
Autorität,  dass  sie  zu  der  Verwerfung  der  Copernicanischen 
Meinung    durch    die   Index- Congregation    haben    mitwirken 


1)  De  situ  et  quiete  terrae    contra  Copernici  systema  disputatio,  hand- 
schriftlich in  der  Vaticanischen  Bibliothek;  s.  II,  64. 
.    2)  VIII,  393-  3)  n,   115. 

4)  Zuerst  gedruckt  18 12,  abgedruckt  II,  64—115. 


186  Galilei's  Schreiben  an  Ingoli. 

können.  Solche  Schriften  sind,  wie  ich  höre,  auch  zu  ver- 
schiedenen Nationen  jenseits  der  Alpen  und  vielleicht  auch 
in  die  Hände  von  Häretikern  gelangt.  Darum  glaube  ich 
es  meiner  Reputation  und  der  Reputation  Anderer  schuldig 
zu  sein,  zu  hindern,  dass  diese  von  unserer  Gelehrsamkeit 
zu  gering  denken  und  meinen,  es  habe  unter  den  Katholi- 
ken Niemand  gegeben,  der  erkannt  hätte,  dass  jene  Schrif- 
ten viel  zu  wünschen  übrig  lassen,  oder  man  habe  auf  jene 
Schriften  hin  die  Meinung  des  Copernicus  verworfen,  ohne 
zu  fürchten,  dass  jemals  einer  von  denjenig-en,  die  von  uns 
getrennt  sind,  für  die  Wahrheit  jener  Meinung  einen  sichern 
und  zwingenden  Beweis  liefern  oder  eine  augenscheinliche 
Erfahrung  anführen  könne.  Um  die  Häretiker  zu  beschä- 
men, von  denen,  wie  ich  höre,  die  angesehensten  alle  die 
Meinung  des  Copernicus  theilen,  will  ich  diesen  Gegenstand 
ausführlich  behandeln  und  ihnen  zeigen,  dass  wir  Katholiken 
nicht  aus  Mangel  an  natürlicher  Einsicht  und  nicht  aus  Un- 
kenntniss  der  vielen  ihnen  bekannten  Gründe  und  Er- 
fahrungen, Beobachtungen  und  Demonstrationen  bei  der 
alten  Wahrheit  bleiben,  die  uns  die  heiligen  Schriftsteller 
lehren,  sondern  aus  Ehrfurcht  vor  den  Schriften  unserer 
Väter  und  aus  Eifer  für  die  Religion  und  unsern  Glauben. 
Wenn  sie  sehen,  dass  wir  alle  ihre  astronomischen  und 
naturwissenschaftlichen  Gründe  sehr  wohl  kennen,  ja  dazu 
noch  andere,  die  gewichtiger  sind  als  die  bisher  vorge- 
brachten, so  können  sie  uns  höchstens  als  Leute  bezeichnen, 
die  sehr  fest  an  ihrer  Meinung  hangen,  aber  nicht  als  blind 
und  unbekannt  mit  den  weltlichen  Wissenschaften.  Daran 
kann  ja  aber  schliesslich  einem  wahren  katholischen  Christen 
nicht  viel  liegen,  wenn  ein  Häretiker  ihn  darüber  verlacht, 
dass  er  die  Ehrfurcht  und  den  Glauben,  der  den  heiligen 
Schriftstellern  gebührt,  über  alle  Gründe  und  Erfahrungen 
setzt,  welche  alle  jene  Astronomen  und  Philosophen  zu- 
sammen anführen"1).  , 

Dass  es  mit  dieser  Motivirung  Galilei  nicht  Ernst  war, 
dass  er  sich  vielmehr  durch  dieselbe  nur  die  Möglichkeit 
sichern  wollte,  ohne  mit  den  kirchlichen  Behörden  in  Con- 
flict  zu  kommen,  die  Copernicanische  Lehre  zu  vertheidigen, 
liegt  auf  der  Hand.     Gleich  darauf  hält  er  Ingoli  vor :  „Sie 

i)  II,  66. 


Galilei's  Schreiben  an  Ingoli.  187 

müssen  doch  wissen,  dass  Copernicus  mehr  Jahre  auf  diese 
schwierigen  Speculationen  verwendet  hat,  als  Sie  Tage. 
Darum  durften  Sie  sich  nicht  so  leicht  einbilden,  Sie  könn- 
ten einen  solchen  Mann  zu  Boden  werfen,  zumal  mit  solchen 
Waffen,  wie  die  sind,  mit  denen  Sie  ihn  angreifen ;  Sie  brin- 
gen ja  doch  nur  einen  Theil  der  ganz  gewöhnlichen  und 
landläufigen  Einwendungen  vor,  und  wenn  Sie  etwas  Eige- 
nes beifügen,  so  ist  das  noch  schwächer  als  das  Andere"1). 
Am  Schlüsse  sagt  er:  „So  viel  für  jetzt  über  Ihre  physica- 
lischen  und  astronomischen  Einwendungen  gegen  das  System 
des  Copernicus.  Viel  ausführlicher  werde  ich  davon  reden, 
wenn  mir  die  Zeit  und  die  Kraft  vergönnt  sein  werden, 
meine  Abhandlung  über  Ebbe  und  Fluth  zu  vollenden,  in 
welcher  ich,  indem  ich  die  der  Erde  zugeschriebene  Be- 
wegung hypothetisch  zu  Grunde  lege,  Veranlassung  haben 
werde,  alles  eingehend  zu  prüfen,  was  über  diesen  Gegen- 
stand geschrieben  ist"2). 

In  der  Alberi'schen  Ausgabe  der  Werke  Galilei's  trägt 
dieses  .Sendschreiben  an  Ingoli  das  Datum  „Rom  im  Früh- 
jahr 1624" 3).  Dasselbe  ist  aber  während  des  Aufenthaltes 
in  Rom  wohl  nur  angefangen,  nicht  vollendet  worden.  Denn 
am  21.  Juni  schreibt  Guiducci  an  Galilei  nach  Florenz4): 
„Falls  Sie  die  Schrift  Ingoli's  noch  nicht  ^von  Cesare  Marsili 
erhalten  haben,  werde  ich  sie  Ihnen  schicken.  [Galilei 
scheint  also  um  die  Uebersendung  derselben  gebeten  zu 
haben,  um  sie  bei  der  Vollendung  seiner  Entgegnung  noch- 
mals zu  vergleichen.]  Es  freut  mich,  dass  Sie  auf  den  Ge- 
danken gekommen  sind,  sich  gegen  solche  Leute  zu  erheben, 
denen  Manche  aus  Höflichkeit  und  Frömmigkeit  Triumphe 
zuschreiben.  Aber  Sie  müssen  ihm  ohne  alle  Barmherzig- 
keit die  Rechnung  revidiren.  Und  wenn  es  nicht  anmas- 
send  von  mir  wäre,  Ihnen  einen  Rath  zu  ertheilen,  so  würde 
ich  Ihnen  empfehlen,  nur  auf  die  Argumente  zu  antworten, 
die  er  mathematische  und  philosophische  nennt,  und  die 
theologischen,  wenigstens  für  jetzt,  beiseitezulassen;  denn 
bezüglich  dieser  würde  ihm  die  Erwiederung  leichter  sein." 
Erst  am  23.  Sept  1624  schreibt  Galilei  an  Cesi5):  „Ich  habe 
die  Schrift  von  Ingoli  beantwortet".     Er  schickte  diese  Ant- 


1)  II,  67.  2)  II,  114.  3)  II,  64. 

4)  IX,  63.  5)  vi,  298. 


188  Galilei's  Schreiben  an  Ingoli. 

wort  Ende  October  nach  Rom  an  Guiducci.  Dieser  schreibt 
am  26.  Oct.  *),  er  werde  die  Figuren  dazu  machen  und 
sie  dann  Ciampoli  und  anderen  Freunden  vorlesen,  auch, 
wie  Galilei  wünschte,  dem  Pater  Grassi.  Ciampoli  rieth, 
zwei  Sätze  der  Schrift,  welche,  „wenn  sie  auch  nichts 
Schlimmes  enthielten,  doch  censurirt  werden  könnten",  zu 
ändern,  womit  Galilei  sich  einverstanden  erklärt  zu  haben 
scheint2).  Ciampoli  sprach  dann  im  November  mit  dem 
Papste  über  die  Schrift  und  „bemerkte,  wie  Guiducci  Galilei 
schrieb3),  Seiner  Heiligkeit,  es  sei  gut,  der  Verwegenheit 
solcher  Leute  zu  steuern,  welche  über  Dinge  schrieben,  die 
sie  nicht  verständen".  Später  las  er  dem  Papste  einen 
grossen  Theil  der  Schrift  vor4). 

Die  weitere  Verbreitung  dieser  kleinen  Schrift  Galilei's 
wurde  zunächst  verschoben,  als  bekannt  wurde,  es  werde 
bald  eine  Schrift  von  Scipio  Chiaramonti  gegen  die  Coper- 
nicanische  Theorie  und  gegen  Galilei's  nicht  gedruckte  Ab- 
handlung über  Ebbe  und  Fluth  (s.  o.  S.  155)  erscheinen. 
Diese  Schrift  dachte  man  abzuwarten5).  Ehe  dieselbe  aber 
erschien,  beschloss  Galilei  auf  den  Rath  seiner  Freunde  in 
Rom,  das  Sendschreiben  an  Ingoli  überhaupt  nicht  weiter 
zu  verbreiten,  auch  Ingoli  selbst,  der  davon  gehört  und  um 
eine  Abschrift  gebeten6),  eine  solche  nicht  zu  geben.  Gui- 
ducci theilte  nämlich  am  18.  April  16257)  Galilei  mit,  es  sei 
ein  Einschreiten  der  Inquisition  gegen  den  Saggiatore  bean- 
tragt  worden  (s.  o.  S.  169).  Er  fügt  bei,  der  Pä*ter  Gue- 
vara, der  durch  sein  günstiges  Gutachten  jenes  Einschreiten 
vereitelt  habe,  sei  jetzt  als  Begleiter  des  Cardinais  Francesco 
Barberini  in  Frankreich,  und  gibt  dann,  zugleich  im  Auftrage 
des  Fürsten  Cesi,  Galilei  Folgendes  zu  bedenken:  „Da  wir  nun 
jetzt  diese  Stütze  nicht  haben,  so  scheint  es  uns  nicht  rath- 
sam,  dass  Sie  sich  der  Gefahr  einer  Unannehmlichkeit  aus- 
setzen. In  dem  Briefe  an  Ingoli  wird  die  Meinung  des 
Copernicus  ex  professo  vertheidigt,    und  wenn  darin   auch 


1)  Suppl.  165;  vgl.  168. 

2)  Suppl.  169.  171.  173.  176. 

3)  IX,  97.     Der  Brief  scheint    mir   nicht    am   28.  Dec.   1625,    sondern 
1624  geschrieben  zu  sein.  4)  Suppl.   173. 

5)  VI,  299.     Suppl.  165.   167.   171.   172.    173. 

6)  Suppl.   174.  7)  IX,  79. 


Scipio  Chiaramonti.  189 

ausdrücklich  gesagt  wird,  sie  werde  kraft  eines  höhern 
Lichtes  als  falsch  erkannt,  so  werden  die  weniger  Wohlge- 
sinnten dies  nicht  glauben  und  von  neuem  Lärm  machen. 
Und  da  uns  der  Schutz  des  Cardinais  Barberino  mangelt, 
der  abwesend  ist,  und  in  diesem  Punkte  ein  anderer  ein- 
flussreicher Herr  unser  Gegner  ist,  der  früher  Ihr  Haupt- 
vertheidiger  war  [der  Cardinal  Santa  Susanna  oder  Car- 
dinal Orsini?  s.  u.],  da  ferner  der  Papst  durch  die  Kriegs- 
wirren sehr  verstimmt  ist,  so  dass  man  mit  ihm  nicht  von 
der  Sache  reden  könnte1),  so  würden  Sie  sicher  der  Discre- 
tion  und  Intelligenz  der  Mönche  preisgegeben  sein.  Aus 
allen  diesen  Gründen  scheint  es  uns  besser,  von  der  Ver- 
breitung der  Schrift  Abstand  zu  nehmen  und  diese  Frage 
lieber  ein  wenig  im  Schlafe  zu  lassen,  als  sie  wach  zu  erhal- 
ten auf  die  Gefahr  hin,  Verfolgungen  zu  provociren  und  sich 
gegen  Leute  vertheidigen  zu  müssen,  die  in  aller  Freiheit 
angreifen  dürfen.  Mittlerweile  kann  die  Zeit  der  Sache  zu 
Gute  kommen.  .  .  .  Der  Cardinal  Orsini  ist  Ihnen  noch 
immer  sehr  gewogen;  aber  der  Apelles  [P.  Scheiner,  s.  o. 
S.  32]  steht  bei  ihm  sehr  in  Gunst." 

Im  Mai  1625  theilte  Cesare  Marsili  auf  den  Wunsch 
Galilei's  den  Brief  an  Ingoli  dem  Erzbischof  Corsini  von 
Bologna  mit2).  Von  einer  weitem  Verbreitung  desselben 
wurde  aber,  wie  gesagt,  Abstand  genommen,  und  gedruckt 
wurde  er  bei  Galilei's  Lebzeiten  nicht.  Galilei  entwickelte 
aber,  wie  wir  sehen  werden,  die  in  dem  Briefe  ausgespro- 
chenen Gedanken  ausführlicher  in  seinem  Dialog. 

Der  oben  erwähnte  Chiaramonti  hatte  schon  1621  mit 


1)  P.  Schneemann  verdreht  diese  Stelle,  wenn  er  sagt:  ,,Urban  VIII. 
hasste  alle  theologischen  Zänkereien.  .  .  Ohne  Zweifel  waren  ihm  ebenfalls 
die  in  Betreff  des  Copernicanischen  Systems  erregten  Streitigkeiten  höchst 
zuwider,  so  zwar,  dass  die  Umgebung  des  Papstes  mit  demselben  darüber 
nicht  zu  sprechen  wagte,  wie  Güiducci  seinem  geliebten  Lehrer  schrieb". 
Der  Papst  war  nach  Guiducci's  Mittheilung,  die  mit  der  oben  S.  183  er- 
wähnten Mittheilung  Ciampoli's  übereinstimmt,  eben  damals  „durch  die 
Kriegswirren  sehr  verstimmt",  und  darum  glaubte  man  damals  nicht  über 
die  Copernicanische  Sache  mit  ihm  reden  zu  dürlen. 

2)  IX,  84.  Mit  Cesare  Marsili  wurde  Galilei  1624  bekannt  und  stand  seit- 
dem mit  ihm  in  Correspondenz ;  er  wurde  auf  seinen  Vorschlag  zum  Mitglied 
der  Akademie  der  Lincei  ernannt.  (VI,  293.  IX,  73.  75.)  Er  starb  schon 
1633  (VI,  299). 


190  Scipio  Chiaramonti. 

einer  Schrift,  die  „Anti-Tycho"  betitelt  ist,  sich  an  der  Con- 
troverse  über  die  Kometen  (s.  o.  S.  160)  betheiligt1).  Er 
war  ein  entschiedener  Anticopernicaner  und  stand  bei  hoch- 
gestellten Personen  in  Rom  in  grossem  Ansehen;  von  dem 
Cardinal  Santa  Susanna  meldet  Guiducci  8.  Nov.  16242): 
„er  hoffe,  Chiaramonti  werde  den  Aristoteles  wieder  in  sein 
altes  Recht  einsetzen,  die  naturwissenschaftlichen  Fragen 
in  letzter  Instanz  zu  entscheiden".  Galilei  und  seine  Freunde 
taxirten  Chiaramonti's  wissenschaftliche  Bedeutung  weniger 
hoch,  standen  aber  persönlich  auf  gutem  Fusse  mit  ihm. 
Die  Schrift,  auf  deren  Erscheinen  man  Ende  1624  wartete, 
war  damals  allerdings  fertig,  wurde  aber,  da  Chiaramonti 
nicht  eher  einen  Verleger  fand,  erst  1631  gedruckt3].  Es 
ist  ein  Supplement  zu  dem  Anti-Tycho,  handelt  also  zu- 
nächst auch  wieder  von  den  Kometen,  bekämpft  aber  zu- 
gleich die  Copernicanische  Theorie.  Galilei  erhielt  durch 
die  Vermittlung  Marsili's  im  Januar  1626  eine  Abschrift, 
gleichzeitig*  mit  einer  Streitschrift  gegen  Chiaramonti's  Anti- 
Tycho,  welche  Kepler  1625  unter  dem  Titel  „Hyperaspistes 
Tychonis"  veröffentlicht  und  der  er  einen  Anhang  über  Ga- 
lilei's  Saggiatore  beigefügt  hatte4).  Er  schreibt  darüber  17. 
Jan.  16265)  an  Marsili:  „Ich  habe  gestern  das  Buch  von 
Kepler  erhalten  und  den  auf  mich  bezüglichen  Anhang 
durchgesehen.  Einige  Tage  vorher  erhielt  ich  die  Schrift 
Chiaramonti's  gegen  die  Copernicanische  Hypothese.  Soll 
ich  Ihnen  offen  meine  Meinung  sagen,  beide  Schriften  schei- 
nen mir  sehr  schwach  zu  sein.  Freilich  von  dem  An- 
hange verstehe  ich  nur  das  Wenigste,  ich  weiss  nicht,  ob 
wegen  meiner  geringen  Fähigkeit  oder  wegen  des  extra- 
vaganten Stiles  des  Verfassers.  Es  will  mir  scheinen,  als 
ob  er,  da  er  seinen  Tycho  nicht  gegen  meine  Einwendungen 


1)  XV,  Bibliogr.  XII.  Venturi  II,  58;  vgl.  Suppl.  170.  Chiaramonti 
wurde  1624  Professor  der  Philosophie  in  Pisa  (VI,  203.  Suppl.  175),  blieb 
dort  bis  1636  und  kehrte  dann  in  seine  Vaterstadt  Cesena  zurück,  wo  er  3. 
Oct.   1652  fast  100  Jahre  alt  starb. 

2)  Suppl.   169. 

3)  De  sede  sublunari  cometarum  opuscula  tria  in  supplementum  Anti- 
tychonis  cedentia.     Amsterdam    1636.     Venturi  II,    126. 

4)  VI,  309.  Vgl.  XV,  Bibliografia  XII.  Venturi  II,  58.  Der  auf 
den  Saggiatore  bezügliche  Anhang  ist  V,  613 — 629  abgedruckt. 

5)  VI,  310- 


Scipio  Chiaramonti.  191 

vertheidigen  konnte,  sich  daran  geg'eben,  etwas  zu  schrei- 
ben, was  Andere  nicht  verstehen  könnten  und  was  er  viel- 
leicht selbst  nicht  versteht.  Was  Chiaramonti's  Schrift  betrifft, 
so  werde  ich  in  meinen  Dialogen  Gelegenheit  genug  finden, 
das  sehr  Wenige  zu  widerlegen,  was  er  ausser  den  ge- 
wöhnlichen* Argumenten  vorbringt.  Kurz,  die  Erörterungen 
dieser  hervorragenden  Männer  (primati)1)  heben  ein  wenig 
die  geringe,  um  nicht  zu  sagen  verzagte  Meinung,  die  ich 
immer  von  meinen  geistigen  Gaben  gehabt,  und  statt  Furcht 
zu  empfinden,  fühle  ich  meinen  Muth  wachsen,  das  begon- 
nene Werk  fortzusetzen  und  zu  versuchen,  die  Dialoge  zu 
vollenden,  —  wenn  nur  der  Himmel  mir  mehr  Kraft  gibt, 
als  ich  gegenwärtig  in  Folge  meiner  schlechten  Gesundheit 
besitze,  deren  Hauptfeind  gerade  das  Schreiben  ist."  In 
einem  spätem  Briefe  an  Marsili,  vom  20.  März  16262), 
schreibt  er:  „Ich  dachte,  ich  müsste  auf  den  Anhang  Kep- 
lers antworten,  um  seiner  und  um  meiner  Reputation  willen, 
wiewohl  die  Antwort  so  leicht  ist,  dass  jeder  in  diesen  Stu- 
dien nur  einigermassen  Bewanderte  sehen  kann,  dass  er 
durchaus  Unrecht  hat.  Ich  wusste  aber  nicht,  wie  ich  die 
Antwort  veröffentlichen  könnte,  die  nur  ganz  kurz  sein 
kann.  Ich  dachte  daran,  sie  in  der  Form  eines  Briefes  an 
Chiaramonti  zu  geben,  den  dieser  dann  seiner  Erwiederung 
als  Anhang  beifügen  könnte.  Aber  da  ich  die  Ansichten 
Chiaramonti's  durchaus  nicht  theile  und  in  einem  andern 
Werke  werde  widerlegen  müssen,  so  wird  es  nicht  gut  an- 
gehen, in  solcher  Weise  zu  bekunden,  dass  ich  in  diesem 
Punkte  auf  seiner  Seite  stehe.  Es  wird  vielleicht  besser  sein, 
dass  ich  darüber  an  Sie  schreibe  und  dass  Sie  meinen  Brief 
wie  zufällig  Chiaramonti  einhändigen,  der  ihn  dann  seiner 
Antwort  beifügen  mag.  Denken  Sie  darüber  nach  und  sagen 
Sie  mir  Ihre  Meinung."  Marsili  erklärte  sich  damit  einver- 
standen3), der  Plan  kam  aber  nicht  zur  Ausführung.  —  Am 
12.  Jan.  16304)  schreibt  Galilei  an  Marsili:  „Dass  ich  [in 
meinen  Dialogen]  dem  Ritter  Chiaramonti  bezüglich  seiner 
Widerlegung  des  Copernicus  widersprechen  muss,  thut  mir 


i)  Damit   sind    also  Kepler  und  Chiaramonti  gemeint,    nicht  Letzterer, 
Grassi  und  Scheiner,  wie  Wolynski  S.  43  annimmt. 
.       2)  VI,  312;  vgl.  311.  3)  VI,  3x3, 

4)  VI,  335-  vgl.  337. 


192  Galilei's  Dialog. 

um  so  mehr  leid,  als  die  Widerlegung  frivol  ist  und  zeigt, 
dass  er  jenen  Autor  nicht  gelesen,  geschweige  denn  studiert 
und  verstanden  hat.  Ich  werde  ihn  ab  er  "möglichst  schonend 
behandeln,  da  ich  ihn  im  Uebrigen  sehr  verehre." 

Die  Antwort  Chiaramonti's  auf  die  Schrift  von  Kepler 
erschien  1626  unter  dem  Titel  „Apologia  pro  Ant'i-Tychone". 
In  demselben  Jahre  vollendete  er  noch  eine  andere  Schrift 
„über  die  drei  neuen  1572,  1600  und  1604  erschienenen 
Sterne  .  .  .  gegen  Tycho,  Kepler  .  .  .  und  mehrere  An- 
dere", die  aber  erst  1628  gedruckt  wurde.  Später,  1633, 
nach  der  Verurtheilung  Galilei's  Hess  er  dann  noch  eine 
italienisch  geschriebene  „Difesa  al  suo  Antiticone"  als  Ent- 
gegnung auf  Galilei's  Dialog  folgen1). 


XVI. 

Galilei's  Dialog  über  die  beiden  Weltsysteme. 

Schon  in  einem  Briefe,  den  Galilei  am  7.  Mai  16102), 
als  über  seine  Berufung  von  Padua  nach  Florenz  verhandelt 
wurde,  an  den  grossherzoglichen  Staatssecretär  Belisario 
Vinta  schrieb,  spricht  er  die  Absicht  aus,  ein  Werk  de  syste- 
mate  seu  constitutione  universi,  —  „ein  umfassendes  Thema 
voll  Philosophie,  Astronomie  und  Geometrie",  —  sowie  ein 
zweites  de  ?notu  locali,  „eine  ganz  neue  Wissenschaft",  aus- 
zuarbeiten. Im  J.  161 2  stellte  er  dem  Fürsten  Cesi  ein  Werk 
del  sistema  massimo  in  Aussicht3).  In  der  1616  verfassten 
Abhandlung  über  Ebbe  und  Fluth  spricht  er  wieder  von 
einem  Buche  über  das  „Weltsystem",  welches  er  herausgeben 
wolle4).  In  Folge  des  in  jenem  Jahre  erschienenen  Decretes 
und  des  ihm  insinuirten  Verbotes  gab  er  damals  den  Plan 
wieder  auf.     Das  Werk  erschien  erst  1632  unter  dem  Titel 


i)  XV,  Bibliografia  XII.     Venturi  II,   126;  s.  u.  §  XXXIV. 
2)  VI,   97-  3)  VIII,  224.  4)  n,  388;  s.  o.  S.   155. 


Galilei's  Dialog.  193 

,, Dialog  über  die  beiden  grössten  Weltsysteme,  das  Ptole- 
mäische  und  das  Copernicanische" *). 

In  dem  Verhöre  am  12.  April  1633  sagt  Galilei,  er  habe 
vor  10 — 12  Jahren,  also  zwischen  1621  und  1623,  mit  der  Aus- 
arbeitung des  Dialogs  begonnen  und  7 — 8  Jahre,  aber  nicht 
ununterbrochen,  daran  gearbeitet2).  Der  Dialog  ist  ohne 
Zweifel  gemeint,  wenn  er  in  dem  im  J.  1624  geschriebenen 
Briefe  an  Ingoli  von  einer  „Abhandlung  über  Ebbe  und 
Fluth"  spricht  (s.  o.  S.  187),  an  der  er  arbeite3);  Ebbe  und 
Fluth  sollten  auf  dem  Titelblatte  des  Dialogs  ausdrücklich 
erwähnt  werden,  was  nur  auf  Befehl  des  Papstes  unterblieb4). 
In  den  Briefen  aus  dem  J.  1625  ist  wiederholt  von  den 
„Dialogen"  die  Rede  als  von  einer  Schrift,  mit  deren  Aus- 
arbeitung er  beschäftigt  sei5). 

Am  24.  Dec.  1629  schrieb  Galilei  an  Cesi6):  „Mit  meiner 
Gesundheit  geht  es  ziemlich  gut,  so  dass  ich  vor  zwei  Mo- 
naten die  Feder  wieder  ergriffen  und  meine  Dialoge  dem 
Hafen  nahe  gebracht  und  ziemlich  gut  die  Dunkelheiten  auf- 
gehellt habe,  die  ich  immer  für  fast  unüberwindlich  gehalten. 
Was  die  wissenschaftlichen  Erörterungen  betrifft,  so  habe 
ich  wenig  mehr  beizufügen,  und  bei  diesem  Wenigen  han- 
delt es  sich  um  Dinge,  die  bereits  gut  überlegt  und  leicht 
zu  erörtern  sind.  Es  fehlen  noch  die  förmliche  Einleitung 
und  die  Verbindungen  der  Anfänge  der  Dialoge  mit  den 
folgenden  Erörterungen,  und  das  sind  mehr  oratorische  oder 
poetische  als  wissenschaftliche  Dinge;  indess  wünschte  ich 
mir  dazu  etwas  Geist  und  Schwung.  Ich  werde  meine  Freunde 
zu  Hülfe  rufen,  wenn  meine  Muse  nicht  Genius  genug  haben 
sollte.  Bezüglich  des  Druckes  weiss  ich  nicht  recht,  ob  ich 
nicht  seiner  Zeit  nach  Rom  kommen  soll,  um  nicht  Andere 
mit  der  Correctur  zu  belästigen.  Ich  möchte  auch  die  lieben 
Gönner  und  Freunde  noch  einmal  sehen,  ehe  ich  das  Augen- 


1)  Vollständig:  Dialogo  di  Galileo  Galilei  Linceo  Matematico  Sopra- 
ordinario  dello  Studio  di  Pisa  e  Filosofo  e  Matematico  Prion ario  del  Sere- 
nissimo  Granduca  di  Toscana:  dove  nei  congressi  di  quattro  giornate  si  dis- 
corre  sopra  i  due  Massimi  Sistemi  del  Mondo,  Tolemaico  e  Copernicano, 
proponendo  indeterminatamente  le  ragioni  filosofiche  e  naturali  tanto  per  l'una 
quanto  per  l'altra  parte. 

2)  Acten  S.  76.  3)  IT,   115;  vgl.  VI,  298. 

4)  Acten  S.  57;  s.  u.  S.  206.  5)  Suppl.  177.  182.  183 ;   VI,  304.  311. 

6)  VI,  333;  vgl.  331.   336. 
Reusch,  Galilei.  13 


194  Galilei's  Dialog. 

licht  verliere,  welches  bei  meinem  hohen  Alter  sehr  ab- 
nimmt." Am  12.  Jan.  1630  schrieb  er  an  Marsili1):  „Ich 
bin  mit  der  Revision  meiner  Dialoge  über  Ebbe  und  Fluth 
beschäftigt,  welche  auch  alles  das  enthalten,  was  sich,  wie 
mir  scheint,  über  die  beiden  Systeme  sagen  lässt",  und  am 
16.  Febr. 2):  er  denke  Ende  des  Monats  nach  Rom  zu  reisen, 
um  die  Dialoge  sofort  zu  veröffentlichen.  In  Wirklichkeit 
reiste  er  erst  Anfangs  Mai  nach  Rom3). 

Die  ihm  gemachten  Anträge,  das  Buch  in  Frankreich, 
Deutschland  oder  Venedig  drucken  zu  lassen,  lehnte  er  ab 4) ; 
auch  den  Gedanken,  es  in  Genua  zu  veröffentlichen,  gab  er 
auf5);  es  musste  ihm  daran  liegen,  von  der  Römischen  Cen- 
surbehörde  die  Approbation  zu  erlangen. 

In  dem  Dialoge  oder  den  Dialogen,  —  das  Werk  ist  in 
vier  „Tage",  giomate,  getheilt,  —  werden,  wie  der  Titel 
sagt,  ,,die  beiden  hauptsächlichsten  Weltsysteme,  das  Ptole- 
mäische  und  das  Copernicanische,  besprochen  und  die  für  das 
eine  und  für  das  andere  sprechenden  philosophischen  und 
naturwissenschaftlichen  Gründe  entwickelt",  allerdings  ohne 
dass  eine  Entscheidung  gegeben  wird,  —  indeterminatamente, 
—  aber  doch  so,  dass  das  Copernicanische  System  als  das  bei 
weitem  besser  begründete  erscheint.  Die  Interlocutoren  wer- 
den Sagredo,  Salviati  und  Simplicio  genannt.  Vor  vielen 
Jahren,  sagt  Galilei  in  der  Einleitung,  habe  er  im  Hause  des 
vornehmen  und  geistvollen  Venetianers  Giovan  Francesco 
Sagredo  mit  diesem,  mit  dem  reichen  und  gelehrten  Floren- 
tiner Filippo  Salviati  und  einem  peripatetischen  Philosophen 
wiederholt  über  die  im  Dialoge  behandelten  Gegenstände 
Gespräche  gehabt.  Um  die  beiden  verstorbenen  Freunde  zu 
ehren,  habe  er  zwei  Interlocutoren  ihre  Namen  beigelegt; 
dem  dritten,  dem  „guten  Peripatetiker",  habe  er  den  Namen 
des  berühmten  Commentators  des  Aristoteles  beigelegt,  — 
wohl  sicher  auch  mit  Rücksicht  auf  die  etymologische  Be- 
deutung des  Namens. 

Galilei  konnte  nicht  daran  denken,  für  eine  offene  Ver- 
teidigung der  Copernicanischen  Lehre,  auch  wenn  dabei  jede 
Bezugnahme  auf  die  Bibel  vermieden  wurde,  in  Rom  die 
Druck-Erlaubniss  zu  erlangen.     Er  glaubte  aber  diese  unter 


1)  VI,  335;  vgl.  336.  2)  VI,  337. 

3)  IX,   182.   183.  4)  Acten  S.  80.  5)  Suppl.  213. 


Galilei's   Dialog.  195 

Urban  VIII.  erlangen  zu  können,  wenn  er  einerseits  die  Form 
eines  Dialogs  wählte  und  darin  Vertreter  der  beiden  einan- 
der entgegenstehenden  Ansichten  zu  Worte  kommen  Hesse, 
anderseits,  wie  er  schon  in  dem  Briefe  an  Ingoli  gethan,  sich 
den  Anschein  gäbe,  als  behandle  er  die  Copernicanische  Lehre 
nur  als  Hypothese  und  als  solle  die  Darlegung  der  für  diese 
Hypothese  sprechenden  Gründe  nicht  die  Richtig'keit  der- 
selben beweisen.  Die  Aussichten  schienen  um  so  günstiger 
zu  sein,  als  Galilei's  Freund  Ciampoli  bei  dem  Papste  sehr 
angesehen  und  beliebt,  und  Pater  Riccardi  (s.  o.  S.  164)  1629 
Magister  Sacri  Palatii  und  als  solcher  derjenige  geworden 
war,  welchen  die  Censur  des  Galilei'schen  Buches,  falls  es  in 
Rom  gedruckt  wurde,  zunächst  anging. 

In  einem  (nicht  erhaltenen)  Briefe  vom  28.  Jan.  1630 
bat  Galilei  seinen  treuen  Schüler  Castelli,  —  derselbe  war 
1626  von  Urban  VIII.  von  Pisa  als  Professor  an  der  Sa- 
pienza  nach  Rom  berufen  und  las  einem  Neffen  des  Papstes, 
Taddeo  Barberini,  mathematische  Privatissima 1),  —  die 
Stimmung  der  massgebenden  Persönlichkeiten  zu  sondiren. 
Am  6.  Febr.  1630  antwortete  Castelli2)  Folgendes:  „Schon 
ehe  Sie  mir  geschrieben,  habe  ich  mehrere  Male  mit  dem 
Pater  Mostro  über  Sie  und  Ihre  grossen  Verdienste  ge- 
sprochen. Ich  habe  ihm  auch  gesagt,  Sie  hätten  sich  ent- 
schlossen zu  schreiben  [den  Dialog  zu  veröffentlichen],  seit 
er  zum  Palastmeister  ernannt  worden,  weil  Sie  überzeugt 
seien,  dass  nun  Ihre  Sachen  nicht  von  Ignoranten  geprüft 
und  begutachtet  werden  würden.  Er  antwortete,  er  sei 
ganz  der  Ihrige  und  würde  Ihnen  immer  die  gebührende 
Rücksicht  gezeigt  haben;  daran  dürften  Sie  nicht  zweifeln3). 
So  bin  ich  also  fest  überzeugt,  so  viel  an  ihm  liegt,  wird 
die  Sache  gut  gehen.  Ich  werde  aber  noch  einmal  speci- 
aler mit  ihm  reden.  —  Als  vor  einigen  Abenden  in  Gegen- 
wart des  Cardinale  Padrone  (Francesco  Barberini4)  die 
Rede  auf  die  Ebbe  und  Fluth  kam,    sagte  ich  diesem,  Sie 


1)  IX,  103.  Suppl.  186.  Boncompagni,  Bulletino  XI  (1878),  658.  Im 
Febr.   1632  erhielt  er  den  Titel  „Abt"  IX,  262. 

2)  IX,  173. 

3)  Vgl.  Castelli's  Brief  vom  26.  Febr.  1628,  IX,   124;  s.  o.  S.  169. 

4)  Nicht  Antonio,  der  Bruder  des  Papstes,  wie  Gebier,  Galilei  S.  166 
meint,  sondern  der  Neffe  war  „die  zweitwichtigste  Persönlichkeit  am  päpst- 
lichen Hofe",  oder  Cardinale  Padrone.     S.  o.  S.    178. 


196  Galilei's  Dialog. 

hätten  darüber  eine  vortreffliche  Abhandlung-  geschrieben 
(s.  o.  S.  155),  die  ich  ihm  mittheilen  würde.  Da  einer  der 
Anwesenden  bemerkte,  Sie  setzen  dabei  die  Bewegung  der 
Erde  voraus,  sah  ich  mich  genöthigt,  ausführlicher  darüber  zu 
reden  und  zu  zeigen,  dass  Sie  die  Bewegung  der  Erde  nicht 
als  wahr  behaupteten,  sondern  nur  bewiesen,  dass,  falls  die- 
selbe wirklich  stattfände,  Ebbe  undFluth  eine  nothwendige 
Folge  davon  seien.  Der  Cardinal  schien  davon  Anfangs 
nicht  sehr  erbaut  zu  sein,  unterhielt  sich  dann  aber  lange 
allein  mit  mir  in  seinem  Zimmer.  Er  meinte,  wenn  man  die 
Bewegung  der  Erde  zugebe,  müsse  man  die  Erde  nothwendig 
als  einen  Stern  ansehen,  und  das  scheine  ihm  allzu  sehr  mit 
den  theologischen  Wahrheiten  in  Widerspruch  zu  stehen. 
Ich  antwortete:  Sie  würden  das  Gegentheil  bewiesen  und 
gezeigt  haben,  dass  die  Erde  kein  Stern  sei,  —  was  Ihnen 
ja- sehr  leicht  sein  wird  zu  beweisen,  ebenso  leicht  wie,  dass 
der  Mond  der  Mond  und  nicht  die  Erde,  der  Mars  Mars  und 
nicht  Mond  oder  Venus  ist  u.  s.  w.  Der  Cardinal  antwor- 
tete: wenn  Sie  das  bewiesen,  könne  die  Sache  passiren. 
Ich  schreibe  Ihnen  dies,  damit  Sie  wissen,  wie  die  Sache 
steht,  und  damit  Sie,  wenn  es  Ihnen  gut  scheint,  diesen 
einzelnen  Punkt  mit  einigen  Worten  berühren.  —  Was 
unsern  Maecenas  (Monsignor  Ciampoli)  angeht,  so  habe  ich 
ihm  Ihren  Brief  gezeigt.  Er  hat  gute  Hoffnung,  kann  aber 
nichts  Bestimmtes  versprechen;  er  ist  überzeugt,  wenn  Sie 
hieher  kämen,  würden  Sie  durch  Ihre  Verhandlungen,  durch 
Ihre  Reden,  durch  Ihr  Auftreten  und  mit  dem  Buche  in 
der  Hand  alle  Schwierigkeiten,  falls  Sie  auf  solche  stossen 
sollten,  überwinden.  Auch  Stelluti  habe  ich  Ihren  Brief 
mitgetheilt;  er  wird  mit  dem  Fürsten  Cesi  reden." 

Am  16.  März  theilte  Castelli  die  oben  (S.  176)  erwähnte 
Aeusserung  des  Papstes  mit :  wenn  es  auf  ihn  angekommen 
wäre,  würde  das  Decret  von  1616  nicht  zu  Stande  ge- 
kommen sein1).  Am  6.  April2)  schrieb  er:  „Ihren  [nicht 
erhaltenen]  Brief  habe  ich  unserm  Monsignor  Ciampoli  vor- 
gelesen. ...  Er  sagte:  Sie  würden  in  Rom  sehnlicher  er- 
wartet als  eine  Geliebte.  .  .  Er  ist  bereit,  sich  bei  Allen  als 
Ihren  Gönner  zu  zeigen,  namentlich  bei  dem  Papste.  Bei 
diesem    steht    er   fortwährend   in  Gunst;    er   spricht  täglich 

1)  IX,   176.  2)  IX,   177. 


Galilei  in  Rom  im  J.    1630.  197 

zwei-  oder  dreimal  mit  ihm;  sein  Verhältniss  zum  Papste 
ist  niemals  irgendwie  getrübt  gewesen,  wie  einige  Feinde 
dort  ausgestreut  haben."  Das  Gerücht,  Ciampoli's  Verhält- 
niss zu  Urban  VIII.  sei  getrübt,  mag  damals  wirklich  unbe- 
gründet gewesen  sein.  Nach  den  Andeutungen,  welche  in 
der  Biographie  Ciampoli's  von  seinem  Secretär  gegeben 
werden1),  fehlte  es  demselben  aber  auch  jetzt  schon  am 
päpstlichen  Hofe  nicht  an  Gegnern,  und  Ciampoli  selbst 
scheint  nicht  ganz  unschuldig  daran  gewesen  zu  sein,  dass 
er  bei  Manchen  missliebig  wurde.  Wenn  er  sich  als  Dichter 
über  Virgil,  Horaz  und  Petrarca  erhob,  mag  er  sich  auch 
als  Hofmann  und  Günstling  des  Papstes  über  Andere  er- 
hoben haben.  Zudem  scheint  er  sich,  unmuthig  darüber, 
dass  er  auch  bei  der  fünften  Cardinals-Creation  Urbans  VIII. 
im  December  1629  übergangen  worden,  der  Oppositions- 
partei unter  den  Cardinälen,  deren  Mittelpunkt  der  spani- 
sche Cardinal  Borgia  war,  genähert  zu  haben2).  Ihn  ganz 
aus  der  Gunst  Urbans  VIII.  zu  verdrängen,  gelang  freilich 
erst  1632. 

Galilei  kam  im  J.  1630  Anfangs  Mai  nach  Rom  und 
blieb  dort  bis  Ende  Juni.  Er  wohnte  bei  dem  toscanischen 
Gesandten,  Francesco  Niccolini,  der  viel  wohlwollender 
gegen  ihn  gesinnt  war  als  sein  Vorgänger  Guicciardini 
(s.  o.  S.  106).  Seine  Briefe  aus  dieser  Zeit  und  den  näch- 
sten Monaten  sind,  mit  Ausnahme  von  ein  paar  ganz  un- 
bedeutenden 3) ,  nicht  erhalten,  auch  nicht  die  Berichte, 
welche  er  an  den  mit  ihm  verschwägerten  grossherzoglichen 
Secretär  Geri  Bocchineri4)  nach  Florenz  schickte.  Auf- 
schluss  über  diese  Zeit  geben  aber  einige  spätere  Briefe 
Galilei's  und  die  Processacten5),  ausserdem  Bocchineri's 
Antworten  und  andere  Briefe. 

Bald  nach  seiner  Ankunft  hatte  Galilei  eine  lange 
Audienz  bei  dem  Papste;  er  wurde  freundlich  aufgenom- 
men6). Auch  bei  dem  Cardinal-Nepoten  und  bei  anderen 
Personen  am  päpstlichen  Hofe  fand  er  eine  gute  Aufnahme 7). 


1)  Targioni  II,   110.     Tiraboschi  VIII,  462.  508. 

2)  Wolynski  p.  179.  3)  VI,  346.  347.  4>  VI,  377. 

5)  S.   52  ff.  80   ff.     Der  Bericht,  Acten  S.   52,  ist   freilich  zur  Verthei- 
digung  Riccardi's  geschrieben  und  darum  einseitig. 

6)  IX,   188.  7)  Pieralisi  p.  84. 


198  Galilei  in  Rom  im  J.    1630. 

Schon  am  18.  Mai  schrieb  er  nach  Florenz:  er  habe  ange- 
fangen, über  seine  Geschäfte  zu  verhandeln  und  hoffe  einen 
guten  Erfolg.  Riccardi,  dem  er  sein  Manuscript  mit  der 
Bitte  um  Ertheilung  der  Druck-Erlaubniss  vorlegte,  fand 
beim  Durchlesen  desselben,  dass  Galilei  die  Copernicanische 
Lehre  nicht  bloss  hypothetisch  vorgetragen,  sondern  die 
Gründe  für  und  gegen  dieselbe  entwickelt  habe,  ohne  eine 
Entscheidung  zu  geben.  Er  beauftragte  also  seinen  Socius, 
den  Pater  Raffaello  Visconti,  Professor  der  Mathematik, 
das  Buch  zu  revidiren  und  „auf  den  hypothetischen  Aus- 
druck zu  reduciren,"  also  ähnlich  zu  corrigiren,  wie  das 
Werk  des  Copernicus  durch  die  Index- Congregation  im  J. 
1620  corrigirt  worden  war  (s.  o.  S.  113).  Ferner  erklärte  er, 
es  müsse  dem  Buche  noch  eine  in  demselben  Sinne  gehal- 
tene Einleitung  und  „Peroration"  beigefügt  werden1).  Auf 
Galilei's  Ersuchen  hatte  Filippo  Niccolini  zu  Florenz  in 
seinem  eigenen  Namen  und  im  Namen  des  Prinzen  Gioan 
Carlo  Visconti  brieflich  gebeten,  seinerseits  dazu  mitzu- 
wirken, dass  Galilei's  Buch  bald  gedruckt  werden  könne2). 
Galilei  verständigte  sich  denn  auch  mit  Visconti  bald  über 
die  vorzunehmenden  Aenderungen.  Auch  Riccardi  zeigte 
sich  sehr  entgegenkommend:  er  las  selbst  das  Manuscript 
noch  einmal  durch,  änderte  noch  einiges,  sprach  dann  aber 
die  Hoffnung  aus,  es  werde  ihm  gelingen,  den  Papst  über 
den  Punkt,   der  ihm  besonders  anstössig  sei,  —  die  Erklä- 


1)  Acten  S.  54.  VI,  374.  Ueber  die  Audienz  bei  dem  Papste  citirt 
Gebier,  Galilei  S.  169,  aus  einem  Briefe  Galilei's  vom  18.  Mai  1630  Fol- 
gendes: „Seine  Heiligkeit  hat  meine  Angelegenheit  in  einer  Weise  zu  be- 
handeln begonnen,  dass  ich  wohl  auf  einen  günstigen  Ausgang  hoffen  darf." 
Galilei's  Brief  vom  18.  Mai  ist  aber  gar  nicht  erhalten;  wir  kennen  den  In- 
halt nur  aus  der  Antwort  Geri  Bocchineri's,  IX,  188,  und  in  dieser  heisst 
es  nur:  „Ich  habe  dem  Bali  Cioli  mitgetheilt,  was  Sie  mir  in  Ihrem  Briefe 
vom  18.  geschrieben,  und  er  hat  mit  vielem  Vergnügen  vernommen,  dass 
Seine  Heiligkeit  sich  bei  der  ersten  und  langen  Audienz  gnädig  gezeigt,  und  dass 
Sie  (ella,  Galilei)  begonnen  haben,  Ihre  Angelegenheit  in  einer  Weise  zu  be- 
handeln" u.  s.  w.  Dass  der  Papst  von  Galilei's  Angelegenheit  gesprochen, 
wird  also  nicht  gesagt.  Pieralisi  p.  82.  —  Wolynski  sagt  p.  44:  Visconti  habe 
einige  Stellen  des  Dialogs  beanstandet  und  darum  Riccardi  die  Approbation 
verweigert,  und  so  habe  sich  Galilei  „an  den  Papst  selbst  wenden  müssen, 
von  welchem  er  in  der  Audienz  vom  17.  oder  18.  Mai  die  nöthige  Weisung 
erwirkte".  Worauf  sich  diese  —  unwahrscheinliche  —  Angabe  stützt,  wird 
nicht  gesagt.  2)  Suppl.   233. 


Verhandlungen  über  die  Approbation  des  Dialogs.  199 

rung  von  Ebbe  und  Fluth  durch  die  Bewegung  der  Erde, 
—  zu  beruhigen1).  Am  16.  Juni  schrieb  Visconti  Galilei 
folgendes  Billet:  „Der  Pater  Magister  küsst  Ihnen  die 
Hand  und  sagt,  das  Buch  gefalle  ihm,  er  werde  morgen  mit 
dem  Papste  wegen  des  Titelblattes  sprechen,"  —  auf  welchem 
Galilei  ausdrücklich  Ebbe  und  Fluth  erwähnt  hatte,  —  ,,im 
Uebrigen  werde  er  nur  noch  einige  wenige  kleine  Sachen 
zu  recht  setzen,  ähnlich  denen,  die  wir  zusammen  berichtigt 
haben,  und  Ihnen  dann  das  Buch  zurückgeben"2).  Riccardi 
verlangte  freilich,  Galilei  solle  ihm  das  Manuscript,  ehe  der 
Druck  beginne,  noch  einmal  vorlegen,  ertheilte  aber  auf 
sein  dringendes  Bitten,  wohl  um  den  Abschluss  eines  Ver- 
trages mit  einem  Verleger  zu  ermöglichen,  die  Erlaubniss 
zum  Drucke,  nachdem  er  die  beizufügende  Einleitung  skiz- 
zirt  und  mit  Galilei  folgende  Verabredung  getroffen  hatte: 
Galilei  solle,  —  da  er  der  heissen  Jahreszeit  wegen  Rom 
verlassen  wollte,  —  das  Manuscript  nach  Florenz  mitnehmen, 
es  dort  ganz  druckfertig  machen  und  dann  im  Herbst  noch- 
mals nach  Rom  kommen  oder  das  Manuscript  dem  Fürsten 
Cesi  schicken,  damit  dieser  es  zum  Druck  befördere;  die 
einzelnen  Bogen  (wohl  die  Correcturbogen)  seien  dann 
Riccardi  nochmals  vorzulegen3). 

Nachdem  Galilei  nach  Florenz  zurückgekehrt  war, 
schrieb  ihm  Ciampoli:  der  Papst  spreche  von  ihm  oft  mit 
vieler  Achtung  und  Liebe  und  habe  die  ihm  bewilligte  Pen- 
sion aus  eigenem  Antriebe  von  60  auf  100  Scudi  erhöht4). 
Wenige  Wochen  nach  seiner  Rückkehr  erhielt  er  aber  die 
Nachricht  von  dem  am  1.  Aug.  1630  erfolgten  Tode  des 
Fürsten  Cesi5),  und  am  24.  Aug.  schrieb  ihm  Castelli6): 
,,Aus  vielen  Gründen,  die  ich  jetzt  nicht  dem  Papiere  an- 
vertrauen will,  —  abgesehen  von  dem  Tode  des  Fürsten 
Cesi,  —  glaube  ich,  es  wäre  besser,  wenn  Sie  Ihr  Buch  in 
Florenz  drucken  Hessen,  und  zwar  so  bald  als  möglich.  Ich 
habe  den  Pater  Visconti  gefragt,  ob  das  ein  Bedenken 
habe;  er  sagt,  es  sei  ganz  unbedenklich,  und  er  wünsche, 
dass  Ihr  Werk  erscheinen  möge." 

Was  es  für  Gründe  waren,   die  Castelli  nicht  dem  Pa- 


0  VI>  374-     Suppl.  234.  2)  Suppl.  235. 

3)  Acten  S.  54.  81 ;  VI,  374 ;  IX,  205.   243. 

4)  IX,    193.  200;  s.  o.  S.   181.  5)  IX,   198.  6)  IX,  201. 


200  Verhandlungen  über  die  Approbation  des  Dialogs. 

piere  anvertrauen  mochte,  erhellt  aus  Galilei's  Briefwechsel 
nicht.  Es  ist  aber  nicht  unwahrscheinlich,  dass  sie,  wie 
Wolynski1)  nachzuweisen  sucht,  mit  dem  Einschreiten  Ur- 
bans  VIII.  gegen  die  Astrologen  zusammenhingen.  Man 
beschäftigte  sich  damals  viel  mit  einer  astrologischen  Be- 
rechnung, nach  welcher  der  Papst  in  seinem  63.  Lebens- 
jahre, also  1630,  sterben  sollte;  es  sollen  in  Folge  davon 
schon  auswärtige  Cardinäle  nach  Rom  gekommen  sein,  um 
am  Conclave  Theil  zu  nehmen.  L[rban  VIII.  hörte  von 
diesen  Prophezeiungen  und  Hess  mehrere  Astrologen,  unter 
Anderen  einen  Bekannten  Galilei's,  den  Abt  von  Santa 
Prassede,  Orazio  Morandi 2),  verhaften  und  ihnen  den  Process 
machen  (Morandi  starb  am  7.  Nov.  1630  im  Gefängnisse). 
Auch  der  Pater  Visconti  wurde  in  diesen  Process  verwickelt, 
obschon  er  in  einem  damals  unter  den  Cardinälen,  Prälaten 
und  Diplomaten  circulirenden,  mit  Vorwissen  Riccardi's  ge- 
schriebenen „Discurs  über  das  Leben  Urbans  VIII."  im 
Gegensatze  zu  Morandi  berechnet  hatte, .  dass  der  Papst, 
wenn  er  immer  in  Rom  bleibe,  bis  1643  oder  1644  leben 
werde;  er  wurde  im  December  1630  seines  Amtes  als  Socius 
des  Palastmeisters  entsetzt  und  nach  Viterbo  verbannt.  Die 
Processe  wurden  am  15.  März  1631  niedergeschlagen;  am  1. 
April  erliess  aber  der  Papst  eine  eigene  Bulle  „gegen  die 
Astrologi  iudiciarii,  welche  über  den  Zustand  der  Christen- 
heit oder  des  apostolischen  Stuhles  oder  über  das  Leben 
des  Papstes  oder  seiner  Verwandten  Berechnungen  zu  machen 
(iudicia  facere),  und  gegen  diejenigen,  welche  sie  darüber 
zu  befragen  gewagt  haben,"  und  in  einem  Breve  vom  2. 
April  nahm  er  alle  Ermächtigungen  zum  Lesen  verbotener 
Bücher  zurück3). 

1)  Nuovi  Documenti  p.  157.  Vgl.  A.  Bertolotti,  Gior^alisti,  Astrologi 
e  Negromanti  in  Roma  nel  secolo  XVII,  Riv.  Eur.  V  (1878),  466. 

2)  .Galilei  war  während  seines  Aufenthalts  in  Rom  einige  Male  mit 
Visconti  von  Morandi  zum  Frühstück  eingeladen  worden.     Riv.  Eur.  V,  496. 

3)  S.  o.  S.  76.  Am  22.  April  1635  wurden  wegen  astrologischer 
Berechnungen  über  den  Tod  des  Papstes  und  wegen  des  Versuches,  den- 
selben durch  Zauberei  zu  beschleunigen,  Giacinto  Centini,  ein  Neffe  des 
Cardinais  von  Ascoli  (Feiice  Centini),  enthauptet,  zwei  Mönche  gehängt  und 
dann  verbrannt,  der  Hausmeister  des  Cardinais  und  zwei  Mönche  zu  den  Ga- 
leren,  zwei  andere  zu  fünfjähriger  Haft  verurtheilt.  Wolynski  p.  163.  Riv. 
Eur.  V,  510.  (Der  Cardinal  Centini  sollte  Urbans  Nachfolger,  sein  Neffe 
Cardinal  werden.)  f  1 


Verhandlungen  über  die  Approbation  des  Dialogs.  201 

Dass  von  dem  Odium,  welches  die  Astrologen  traf, 
auch  einiges  auf  die  Astronomen  fiel,  ist  nicht  unglaublich. 
Galilei  wurde  zwar  in  dem  Process  gegen  Morandi  nur  in- 
sofern genannt,  als  in  einem  dicken  Buche  voll  Nativitäten 
(geniture),  die  dieser  gestellt,  auch  Galilei' s  Nativität  vor- 
kam1). Aber  zwischen  Astrologie  und  Astronomie  wurde 
damals  im  allgemeinen  nicht  so  scharf  unterschieden,  und 
was  Urban  VIII.  angeht,  so  ist  für  ihn  charakteristisch,  was 
Niccolini  in  einer  Depesche  vom  8.  Febr.  1642 2)  über  ein 
Gespräch  mit  ihm  berichtet.  Der  Papst,  eben  von  einer 
Krankheit  genesen,  machte  sich  lustig  über  die  Astrologen, 
welche  ihm  nur  ein  Leben  von  63  Jahren  hätten  gönnen 
wollen,  während  er  jetzt  schon  74  Jahre  alt  sei;  „er  ging 
dann  dazu  über,  auch  von  den  Irrthümern  zu  reden,  in 
welche  die  Mathematiker  fielen,  unter  anderen  (der  kurz 
zuvor  verstorbene)  Galilei,  dessen  Meinung  von  der  Be- 
wegung der  Erde  selbst  die  Ketzer  verlacht  und  in  ge- 
druckten Schriften  bekämpft  hätten." 

Wie  es  sich  aber  auch  um  die  Gründe  verhalten  mag, 
aus  welchen  Castelli  Galilei  rieth,  den  Dialog  in  Florenz 
drucken  zu  lassen,  Galilei  ging  auf  den  Vorschlag  um  so 
bereitwilliger  ein,  als  in  Folge  der  damals  in  Toscana  herr- 
schenden Pest3)  die  Verbindung  mit  Rom  erschwert  war. 
Er  schloss  mit  einem  Drucker  in  Florenz  einen  Vertrag, 
erwirkte  von  dem  Florentiner  Inquisitor,  dem  Generalvicar 
und  dem  staatlichen  Censor  die  Druck-Erlaubniss  und  bat 


1)  Auch  Gflilei  studierte  astrologische  Bücher  und  machte  astrolo- 
gische Berechnungen  und  Nativitäten;  in  seinen  Handschriften  sind  solcher 
21  erhalten,  die  letzte  aus  dem  J.  1624.  VI,  66.  Wolynski  p.  164.  Wie 
er  aber  über  Astrologie  dachte,  ersieht  man  aus  seinem  Briefe  an  Elia  Dio- 
dati vom  15.  Jan.  1633  (VII,  17),  worin  er  sagt:  „Ich  wundere  mich,  dass 
Morinus  mit  so  grosser  Achtung  von  der  Astrologie  (della  giudiziaria) 
spricht  und  meint,  mit  seinen  Conjecturen,  die  mir  ziemlich,  um  nicht  zu 
sagen  im  höchsten  Grade  unsicher  vorkommen,  die  Zuverlässigkeit  der  Astro- 
logie (astrologia)  beweisen  zu  können.  Es  wäre  sehr  wunderbar,  wenn  er 
wirklich,  wie  er  verspricht,  mit  seinem  Scharfsinne  bewiese,  dass  ihr  ein 
hervorragender  Platz  unter  den  menschlichen  Wissenschaften  zukomme;  ich 
erwarte  mit  grosser  Neugierde  eine  so  wunderbare  Neuigkeit."  Vgl.  Bon- 
compagni,  Bulletino  VI  (1873),  59.  2)  Bei  Wolynski  p.  156. 

3)  Die  Pest  herrschte  im  Sommer  1630,  besonders  im  August,  erlosch 
im  Sommer  1631,  brach  aber  zwei  Jahre  später  nochmals  aus.  Reumont, 
Gesch.  Toscana's  II,   413.     Targioni  III,   130.   298. 


202  Verhandlungen   über  die  Approbation  des  Dialogs. 

nun  Riccardi,  zu  gestatten,  dass  er  das  Buch  in  Florenz 
drucken  lasse1).  In  den  Processacten2)  heisst  es,  Riccardi 
habe  diese  Bitte  zuerst  absolut  abgeschlagen,  dann,  da  die- 
selbe wiederholt  worden  sei,  verlangt,  dass  ihm  das  Original- 
Manuscript  zur  nochmaligen  Revision  eingesandt  werde; 
endlich  habe  er,  da  man  geltend  gemacht,  dass  dieses  wegen 
der  Pest  und  wegen  der  Gefahr  des  Verlorengehens  nicht 
angehe,  auf  Anstehen  des  Grossherzogs  die  Sache  dem  In- 
quisitor zu  Florenz  überwiesen.  Etwas  anders  und  wohl 
richtiger  wird  die  Sache  in  Galilei's  Briefwechsel  darge- 
stellt. Castelli  berichtet  am  21.  Sept.  1630:  er  habe  Riccardi 
einen  Brief  Galilei's  übergeben;  Riccardi  habe  sich  sehr 
wohlwollend  und  freundlich  gezeigt,  aber  erklärt:  wenn 
Galilei  nicht,  wie  sie  verabredet,  selbst  nach  Rom  kommen 
könne,  um  sich  mit  ihm  über  die  kleinen  Aenderungen  in 
der  Vorrede  und  im  Buche  selbst  zu  yerständigen,  so  möge 
er  eine  Abschrift  schicken;  er  wolle  dann  mit  Ciampoli  die 
nöthigem  Aenderungen  machen  und  darauf  die  Erlaubniss 
zum  Drucke  des  Buches  in  Florenz  ertheilen3).  Dasselbe 
wurde  Galilei  durch  Niccolini  mitgetheilt4).  Die  Ueber- 
sendung  des  Manuscriptes  war  aber  wegen  der  Pest  nicht 
möglich5).  Galilei  erbot  sich  also,  die  Einleitung  und  den 
Schluss  einzusenden,  mit  der  Erklärung:  ,,die  Oberen  möch- 
ten nach  Gutdünken  zusetzen  und  weglassen  und  Prote- 
stationen nach  Belieben  beifügen;  man  möge  seine  Ge- 
danken als  Chimären,  Träume,  Paralogismen  und  eitele 
Phantasieen  bezeichnen;  er  unterstelle  alles  der  absoluten 
Weisheit  und  der  sichern  Lehre  der  höheren  Wissenschaften" 
u.  s.  w.;  die  nochmalige  Revision  könne  durch  einen  Ric- 
cardi genehmen  Censor  in  Florenz  besorgt  werden6).  In 
diesem  Sinne  verhandelte  die  Gemahlin  des  Gesandten,  — 
Caterina  Riccardi  Niccolini,  wie  es  scheint,  eine  Verwandte 
Riccardi's,  —  mit  diesem,  und  am  19.  Oct.  schrieb  sie  an 
Galilei7):  Riccardi  verzichte  auf  die  Uebersendung  des 
ganzen  Buches,  verlange  aber,  dass  ihm  der  Anfang  und 
der  Schluss  vorgelegt  und  dass  das  Buch  selbst  in  Florenz 
durch    einen    Theologen    aus    dem    Dominicanerorden,    der 


1)  VI,  374.  2)  Acten  S.  55. 

3)  IX,  205.  4)  VI,  375- 

5)  Acten  S.  81.  6)  VI,  375.  7)  IX,  209. 


Verhandlungen  über  die  Approbation  des   Dialogs.  203 

auch  sonst  zur  Büchercensur  verwendet  werde,  revidirt 
werde;  er  schlage  den  Pater  demente,  —  den  Inquisitor  zu 
Florenz1),  —  vor;  wenn  dieser  Galilei  nicht  genehm  sei, 
möge  er  einen  andern  Dominicaner  nennen,  dem  er  (Ric- 
cardi),  wenn  derselbe  geeignet  sei,  die  nöthige  Vollmacht 
geben  wolle. 

Galilei  schickte  also  Anfang  und  Schluss  des  Buches 
nach  Rom;  mit  der  Revision  des  Buches  selbst  wurde  auf 
Galilei's  Vorschlag  der  Dominicaner  Hyacinth  Stefani,  Lector 
der  h.  Schrift  an  der  Universität,  Hofprediger  und  Consul- 
tor  der  Inquisition  zu  Florenz,  beauftragt2).  ,, Dieser  revi- 
dirte,  so  berichtet  Galilei3),  das  ganze  Buch  äusserst  genau 
und  strenge,  —  wie  ich  selbst  ihn  gebeten,  —  und  notirte 
alles,  selbst  einige  Kleinigkeiten,  die  nicht  nur  ihm,  sondern 
selbst  meinen  boshaftesten  Gegnern  keinen  Scrupel  hätten 
machen  sollen.  Er  hat  gestanden,  er  habe  bei  mehr  als 
Einer  Stelle  meines  Buches  Thränen  vergiessen  müssen,  da 
er  gesehen,  mit  welcher  Demuth  und  ehrfurchtsvollen  Be- 
reitwilligkeit ich  mich  der  Autorität  der  Oberen  unter- 
werfe; er  gesteht  ferner,  gleich  Allen,  die  das  Buch  ge- 
lesen haben,  ich  müsse  gebeten  werden,  dasselbe  herauszu- 
geben, und  es  sei  Unrecht,  mir  Schwierigkeiten  zu  berei- 
ten." In  einem  andern  Briefe4)  sagt  Galilei:  „Da  Stefani 
nichts  anderes  zu  ändern  fand,  beschränkte  er  sich,  um  zu 
zeigen,  dass  er  das  Buch  sehr  sorgfältig  geprüft,  auf  die 
Aenderung  einiger  Worte;  er  setzte  z.  B.  an  vielen  Stellen 
»Universum«  für  »Natur«,  »Eigenschaft«  für  »Attribut«,  »er- 
habener Geist«  für  »göttlicher  Geist«.  Er  entschuldigte  sich 
dann  bei  mir,  indem  er  sagte,  er  sehe  vorher,  dass  ich  es 
mit  sehr  bitteren  Feinden  und  wüthenden  Verfolgern  zu 
thun  haben  würde." 

Es  fehlte  nun  also  noch  die  Einleitung  und  der  Schluss, 
worüber  Riccardi  sich  die  Entscheidung  vorbehalten.  Ric- 
cardi  aber  Hess  läng'ere  Zeit  nichts  von  sich  hören.  Die 
Absetzung  seines  Socius  Visconti,  der  Galilei's  Buch  revidirt 
hatte,  mag  ihn  ängstlich  gemacht  haben.  Auf  Galilei's 
Bitte  wurde  im  März  1631  der  Gesandte  von  dem  Gross- 
herzog beauftragt,  ihn  an  die  Erledigung  der  Sache  zu  er- 


1)  Acten  S.  59.  2)  Acten  S.  81. 

3)  VI,  375-  4)  VII,    19. 


204  Verhandlungen  über  die  Approbation  des  Dialogs. 

innern l).  Der  Druck  des  Werkes  wurde  mittlerweile  be- 
gonnen, schritt  aber  langsam  fort,  da  die  Auflage  iooo 
Exemplare,  also  für  die  damalige  Zeit  sehr  stark  war;  am 
20.  März  1631  waren  sechs  Bogen  gedruckt2).  Am  19.  April 
1631  berichtete  Niccolini,  auf  sein  und  seiner  Gemahlin  drin- 
gendes Ersuchen  habe  Riccardi  versprochen,  die  dem  Buche 
Galilei's  beizufügende  „Erklärung",  —  die  Einleitung  und 
denSchluss,  —  zu  schicken3).  Am  28.  April  schickte  dann 
Riccardi  dem  Gesandten  folgenden  Brief4),  welcher  deut- 
lich zeigt,  dass  er  in  Verlegenheit  war  und  die  Sache  hin- 
auszuschieben suchte:  „Galilei  hat  von  mir  das  Imprimatur 
erhalten,  nachdem  er  mir  versprochen,  einige  Stellen  des 
Buches  gemäss  unserer  Verabredung-  zu  ändern  und  zu- 
rückzukommen, um  dasselbe  in  Rom  drucken  zu  lassen,  wo 
sich  unter  Mitwirkung  des  Monsignor  Ciampoli  alle  Schwie- 
rigkeiten würden  beseitigen  lassen.  Der  Pater  Stefani 
wird  das  Buch  sorgfältig  revidirt  haben;  da  er  aber  die 
"Willensmeinung  des  Papstes  nicht  kennt,  so  kann  er  keine 
Approbation  ertheilen,  die  mir  genügte,  um  meinerseits  die 
Approbation  für  den  Druck  zu  ertheilen,  ohne  Gefahr  zu 
laufen,  dass  für  ihn  und  mich  Unannehmlichkeiten  entstän- 
den, wenn  die  Gegner  etwas  finden  sollten,  was  den  er- 
theilten  Befehlen  widerspräche.  Ich  habe  kein  grösseres 
Verlangen,  als  dem  Grossherzog  zu  Willen  zu  sein;  aber 
ich  möchte  dies  in  einer  solchen  Weise  thun,  dass  ein  von 
einem  so  grossen  Fürsten  protegirter  Mann  jeder  Gefahr, 
an  seiner  Reputation  Schaden  zu  leiden,  überhoben  würde. 
Das  kann  ich  nicht  dadurch  thun,  dass  ich  die  Erlaubniss 
zum  Drucke  ertheile,  —  was  mir,  wenn  das  Werk  in  Flo- 
renz gedruckt  wird,  nicht  zusteht5),  —  sondern  nur  dadurch, 
dass  ich  mich  vergewissere,  ob  Galilei  die  ihm  auf  Befehl 
des  Papstes  ertheilten  Weisungen  beobachtet  hat.  Wenn 
ich   die  Einleitung    und    den    Schluss    des    Buches    erhalte, 


1)  VI,  374;  IX,  225.  2)  VI,  378. 

3)  VI,  242;  vgl.  Suppl.  238.  4)  IX,  243. 

5)  Der  Magister  Sacri  Palatii  (und  der  Cardinal- Vicar,  s.  o.  S.  76) 
hatten  nur  solche  Bücher  zu  approbiren,  die  in  Rom  erscheinen  sollten. 
Ausserdem  mussten  nach  einer  Verordnung  Urbans  VIII.  vom  18.  Sept. 
1625  Schriftsteller,  die  im  Kirchenstaate  wohnten,  ihre  Bücher  auch  dann 
dem  Magister  S.  P.  vorlegen,  wenn  sie  auswärts  gedruckt  werden  sollten. 
Pignatelli,  Consultationes  II,  486  b. 


Verhandlungen  über  die  Approbation  des  Dialogs.  205 

werde  ich  leicht  das  Erforderliche  sehen  können  und  ein 
Zeugniss  darüber  ausstellen,  dass  ich  das  Buch  approbirt 
habe.  Sollte  keine  Abschrift  [des  ganzen  Buches]  hieher 
gesandt  werden  können,  so  will  ich  dem  Inquisitor  in  einem 
Briefe  mittheilen,  was  mir  befohlen  worden  ist,  damit  er 
darauf  achte,  dass  es  beobachtet  werde,  und  dann  den 
Druck  gestatte.  Oder  es  muss  ein  anderer  Weg  gefunden 
werden;  vorausgesetzt,  dass  Galilei  sich  nicht  auf  meine 
Unterschrift  allein  stützt  und  mich  für  mein  Entgegen- 
kommen in  Schaden  bringt,  will  ich  alles  nur  Mögliche 
thuen,  um  dem  Grossherzog*  zu  willfahren.  Auf  jeden  Fall 
dürfen  Sie  den  Betheiligten  versichern,  dass  kein  Lebender 
mit  mir  von  dieser  Sache  gesprochen  hat,  —  kein  Oberer, 
kein  Untergebener  und  kein  Gleichgestellter,  —  ausser  Ga- 
lilei's  und  meinen  gemeinsamen  Freunden;  denken  Sie  nicht, 
es  sei  eine  feindliche  Intrigue  dabei  betheiligt;  denn  das 
ist  nicht  der  Fall.'' 

Galilei  spricht  sich  in  einem  Briefe  vom  3.  Mai  1631  l) 
sehr  ungehalten  über  dieses  Schreiben  aus,  insofern  mit 
vollem  Rechte,  als  er  ja  die  Einleitung  und  den  Schluss 
seines  Buches,  deren  Vorlegung  Riccardi  verlangte,  diesem 
längst  zugeschickt  hatte,  also  hätte  erwarten  dürfen,  dass 
er  sie  jetzt  mit  den  für  nöthig  erachteten  Aenderungen 
zurückerhalten  werde.  „Ich  sehe,  schreibt  er,  zu  meinem 
grossen  Verdruss,  dass  der  Pater  Magister,  nachdem  er 
mich  fast  ein  Jahr  hingehalten,  ohne  zu  irgend  einem 
Schlüsse  zu  kommen,  sich  jetzt  anschickt,  dem  Grossherzog 
gegenüber  dasselbe  zu  thun,  ich  meine:  die  Sache  durch 
leere  Worte  zu  verzögern  und  in  die  Länge  zu  ziehen,  — 
was  man  doch,  meine  ich,  nicht  dulden  sollte. .  .  Wir  segeln 
hier  auf  einem  Meere  ohne  Ufer  und  Häfen,  und  mir  liegt 
doch  unendlich  viel  an  der  Veröffentlichung  meines  Buches" 
u.  s.  w.  Er  schlägt  dann  vor,  der  Grossherzog  möge  selbst 
die  Sache  in  die  Hand  nehmen  und  zunächst  den  Inquisitor 
von  Florenz  und  Andere  zu  einer  Conferenz  berufen;  er 
wolle  beweisen,  „dass  er  nie  eine  andere  Meinung  und  In- 
tention gehabt  als  die  heiligsten  und  ehrwürdigsten  Väter 
und  Lehrer  der  h.  Kirche,  dass  die  Meinungen,  an  denen 
man  Anstoss   nehme,    nicht    die    seinigen ,    dass    seine  Mei- 

1)  vi,  382. 


206  Verhandlungen  über  die  Approbation  des  Dialogs. 

nungen  dieselben  seien  wie  die,    welche  St.  Augustinus,  St. 
Thomas  und  alle  anderen  Heiligen  vertreten." 

Dieser  Vorschlag  Galilei's  kam  nicht  zur  Ausführung; 
Niccolini  scheint  aber  nochmals  beauftragt  worden  zu  sein, 
Riccardi  zu  mahnen.  Dieser  schrieb  denn  auch  am  24.  Mai 
an  den  Inquisitor  zu  Florenz1):  „.  .  .  Das  Buch  Galilei's  ist 
von  mir  unterschrieben  worden  vorbehaltlich  der  Aende- 
rungen,  die  daran  vorzunehmen  und  hier  vorzulegen  sein 
würden,  ehe  die  letzte  Approbation  für  den  Druck  ertheilt 
würde.  Da  dieses  wegen  der  Behinderung  des  Verkehrs 
und  der  Gefahr  des  Verlorengehens  des  Original -Manu- 
scriptes  nicht  geschehen  kann  und  der  Autor  dort  die  -An- 
gelegenheit zu  Ende  zu  führen  wünscht,  so  können  Sie  von 
Ihrer  Autorität  Gebrauch  machen  und  das  Buch  approbiren 
oder  nicht  approbiren,  ohne  die  Approbation  von  meiner 
Revision  abhängig  zu  machen.  Nur  bemerke  ich  Ihnen, 
dass  es  der  Wille  des  Papstes  ist,  dass  als  Titel  und  Thema 
nicht  Ebbe  und  Fluth  angegeben  werden2),  sondern  einfach 
die  mathematische  Prüfung  der  Copernicanischen  Hypothese 
von  der  Bewegung  der  Erde  zu  dem  Ende,  zu  beweisen, 
dass,  abgesehen  von  der  göttlichen  Offenbarung  und  der 
heiligen  Lehre,  mit  jener  Hypothese  alle  Erscheinungen  er- 
klärt und  dass  alle  Einwendungen,  die  man  auf  Grund  der 
Erfahrung  und  der  peripatetischen  Philosophie  anführen 
könnte,  widerlegt  werden  könnten.  Es  darf  also  jener  Hy- 
pothese nie  die  absolute,  sondern  nur  die  hypothetische 
Wahrheit,  und  zwar  abgesehen  von  der  Bibel,  zugestanden 
werden.  Ferner  muss  hervorgehoben  werden,  dass  das 
Buch  nur  beweisen  solle,  dass  man  alle  Gründe,  welche  für 
jene  Ansicht  angeführt  werden  können,  kenne  und  dass  man 
nicht  wegen  Unkenntniss  dieser  Gründe  jene  Ansicht  in  Rom 
geächtet  habe,  —  entsprechend  der  Einleitung  und  dem 
Schlüsse  des  Buches,  die  ich  Ihnen  von  hier  aus  zusenden 
werde.  Wenn  diese  Vorsicht  beobachtet  wird,  wird  das 
Buch  hier  in  Rom  auf  kein  Hinderniss  stossen,  und  können 
Sie  dem  Autor  willfahren  und  dem  Wunsche  des  Gross- 
herzogs entsprechen,  der  sich  so  sehr  für  die  Sache  inter- 
essirt." 


1)  Acten  S.  57. 

2)  Hierauf  bezieht   sich,  die  wohl   ungenaue  Angabe  Buonamici's  (IX, 
450),  der  Papst  habe  an  dem  Titel   „mit  eigener  Hand"  einiges  geändert. 


Verhandlungen  über  die  Approbation  des   Dialogs.  207 

Der  Inquisitor  antwortete  am  31.  Mai1):  „.  .  .  Ich  werde 
nicht  ermangeln,  mit  aller  möglichen  Sorgfalt  Ihre  Anord- 
nungen auszuführen,  und  mich  nach  Ihren  Weisungen  richten. 
Dem  Grossherzog  lieget  viel  daran,  dass  das  Buch  gedruckt 
werde,  und  Galilei  zeigt  sich  bezüglich  aller  Aenderungen 
sehr  bereitwillig  und  fügsam.  Die  Revision  habe  ich  dem 
Pater  Stefani,  einem  tüchtigen  Prediger  und  Consultor  des 
h.  Officiums,  übertragen;  die  Einleitung  und  den  Schluss  er- 
warte ich  von  Ihnen." 

Es  vergingen  wieder  mehrere  Wochen,  ohne  dass  Ric- 
cardi  die  Einleitung  und  den  Schluss  schickte.  Erst  nach 
wiederholtem  Dräng'en  Niccolini's2)  schickte  er  sie  am  19. 
Juli  an  den  Inquisitor  ab.  Niccolini  schrieb  darüber  unter 
demselben  Datum  an  Galilei:  „Der  Pater  Palastmeister  ver- 
dient in  der  That  bemitleidet  zu  werden;  denn  gerade  in 
den  Tagen,  in  welchen  ich  ihn  drängte  und  quälte,  hat  er 
recht  grosse  Unannehmlichkeiten  und  Kränkungen  wegen 
einiger  anderer  Bücher  zu  erleiden  gehabt,  welche  kürzlich 
veröffentlicht  worden  sind,  wie  er  denn  auch  zu  anderen  Zei- 
ten Verdriesslichkeiten  gehabt  haben  muss.  Dies  Mal  ist  er, 
wie  man  zu  sagen  pflegt,  mit  den  Haaren  herbeigezogen 
worden."  Er  habe,  schreibt  Niccolini  ein  anderes  Mal3),  die 
Einleitung  und  die  Weisungen  für  den  Inquisitor  „sehr  un- 
gern und  nur  aus  Ehrfurcht  vor  dem  Grossherzog  und  aus 
Freundschaft  für  seine  (Niccolini's)  Familie"  geschickt. 

Das  Schreiben  Riccardi's  an  den  Inquisitor  zu  Flo- 
renz4) lautet:  „Entsprechend  dem  Befehle  unseres  Herrn 
bezüglich  des  Buches  Galilei's,  schicke  ich  Ihnen,  —  ausser 
dem,  was  ich  Ihnen  bezüglich  des  Buches  selbst  angedeutet 
habe,  —  anbei  die  Einleitung  oder  Vorrede,  welche  auf  den 
ersten  Bogen  zu  setzen  ist;  der  Verfasser  mag  sie  bezüglich 
des  Stiles  ändern  und  ausschmücken,  ohne  jedoch  den  In- 
halt zu  alteriren.  Der  Schluss  muss  in  demselben  Sinne 
gehalten  sein."  Beigelegt  ist  die  vollständig  ausgearbei- 
tete Vorrede,  für  den  Schluss  aber  nur  die  Weisung: 
„Den  Schluss  muss  eine  dieser  Vorrede  entsprechende  Per- 
oration  bilden,  und  Galilei  muss  darin  die  von  der  gött- 
lichen   Allmacht     hergenommenen    Gründe     beifügen,     auf 


1)  Acten  S.  58.  2)  IX,  245.  246. 

3)  IX,  431.  4)  Acten  S.  62. 


208  Vorrede  zum  Dialog. 

welche  ihn  der  Papst  aufmerksam  gemacht  hat,  —  Gründe, 
welche  den  Geist  beruhigen  müssen,  wenn  er  sich  auch  der 
Pythagoreischen  Argumente  nicht  erwehren  könnte"1). 

Die  Vorrede  wurde  genau  so,  wie  Riccardi  sie  ge- 
schickt hatte,  dem  Dialog  vorgedruckt2).  Der  am  meisten 
charakteristische  Anfang  lautet:  „Vorjahren  wurde  in  Rom 
ein  heilsames  Edict  promulgirt,  welches,  um  den  gefähr- 
lichen Aergernissen  unserer  Zeit  entgegenzutreten,  der  Py- 
thagoreischen Meinung  von  der  Beweglichkeit  der  Erde  ein 
zeitgemässes  Stillschweigen  auflegte.  Es  fehlte  nicht  an 
solchen,  welche  die  verwegene  Behauptung  aufstellten,  jenes 
Decret  sei  das  Erzeugniss,  nicht  einer  reiflichen  Prüfung, 
sondern  einer  ungenügend  unterrichteten  Leidenschaft,  und 
man  vernahm  die  Klage,  jene  mit  den  astronomischen  Be- 
obachtungen ganz  unbekannten  Consultoren  dürften  doch 
nicht  durch  ein  plötzliches  Verbot  den  speculativen  Geistern 
die  Flügel  beschneiden.  Bei  dem  Anhören  solcher  ver- 
wegenen Klagen  konnte  mein  Eifer  nicht  schweigen.  Ich 
glaubte,  da  ich  über  jenen  durchaus  weisen  Entschluss  voll- 
ständig unterrichtet  war,  als  Zeuge  der  reinen  Wahrheit  öffent- 
lich auf  der  Schaubühne  der  Welt  erscheinen  zu  müssen.  Ich 
war  damals  in  Rom  und  wurde  von  den  hervorragendsten 
Prälaten  des  dortigen  Hofes  nicht  nur  in  Audienz  empfan- 
gen, sondern  auch  belobt,  und  jenes  Decret  wurde  nicht, 
ohne  dass  ich  vorher  davon  einigermassen  unterrichtet 
worden  wäre,  publicirt.  Darum  will  ich  in  diesem  Werke 
den  fremden  Nationen  zeigen,  dass  man  von  dieser  Materie 
in  Italien  und  namentlich  in  Rom  eben  so  viel  weiss,  als  die 
fleissigen  Gelehrten  jenseits  der  Alpen  darüber  gedacht 
haben  können,  und  indem  ich  meine  eigenen  Speculationen 
über  das  Copernicanische  System  zusammenstelle,  will  ich 
zeigen,  dass  die  Kenntniss  aller  der  Römischen  Censur  vor- 
ausgegangen ist  und  dass  aus  unserm  Lande  nicht  nur  die 
Dogmen  für  das  Heil  der  Seelen,  sondern  auch  die  genialen 
Entdeckungen  zur  Ergötzung  der  Geister  ausgehen.  Zu 
dem  Ende  habe  ich  in  dieser  Schrift  die  Copernicanische 
Ansicht,    als   blosse    mathematische  Hypothese,   zu  Grunde 

1)  Acten  S.  62.  Unrichtig  ist  also  die  Bemerkung  Geblers,  Galilei 
S.  182:  „Wegen  des  Schlusses  fügte  er  (Riccardi)  die  vage  Bemerkung  bei: 
dieser  müsse   auf  den  gleichen  Begründungen  wie  der  Anfang  beruhen." 

2)  Vgl.  Acten  S.  59—62  und  I,   11.   12. 


Vorrede  zum  Dialog.  209 

gelegt  und  mit  allen  Mitteln  der  Kunst  zu  beweisen  gesucht, 
dass  sie  den  Vorzug  verdient,  nicht  vor  der  Ansicht  von 
dem  Stillstehen  der  Erde  überhaupt,  sondern  vor  dieser 
Ansicht,  wie  sie  von  Einigen,  die  sich  Peripatetiker  nennen, 
vertheidigt  wird.  .  .  .  Ich  hoffe,  durch  diese  Erörterungen 
zu  zeigen,  dass,  wenn  wir  das  Stillstehen  der  Erde  behaup- 
ten und  die  gegentheilige  Ansicht  als  eine  blosse  mathema- 
tische Caprice  ansehen,  dieses  nicht  seinen  Grund  darin  hat, 
dass  wir  das,  was  Andere  darüber  gedacht,  nicht  beachten, 
sondern,  abgesehen  von  Anderm,  in  den  Gründen,  welche 
die  Frömmigkeit,  die  Religion,  dieKenntniss  der  göttlichen 
Allmacht  und  das  Bewusstsein  der  menschlichen  Schwäche 
uns  darbieten." 

Der  Verfasser  dieser  Vorrede  ist  ohne  Zweifel  nicht 
Riccardi,  —  vollends  nicht,  wie  Einige  gemeint,  Urban 
VIII. l),  —  sondern  Galilei  selbst.  Sie  enthält  ja  dieselben 
Gedanken,  welche  schon  in  dem  Schreiben  an  Ingoli  vor- 
kommen2). Galilei  wird  in  Rom  die  Ueberzeugung  ge- 
wonnen haben,  dass  er  nur  hinter  einer  solchen  Maske  als 
Vertheidiger  der  Copernicanischen  Lehre  auftreten  könne. 
Er  hat  darum  ohne  Zweifel  mit  Riccardi  mündlich  verab- 
redet, dass  eine  solche  Vorrede  seinem  Werke  vorauszu- 
schicken sei;  dieselbe  ist  bei  ihren  mündlichen  Verhand- 
lungen skizzirt  (s.  o.  S.  119),  dann  von  Galilei  in  Florenz 
ausgearbeitet  und  an  Riccardi  übersandt,  und  von  diesem 
höchstens  etwas  modificirt  worden. 

Es  war  wohl  nicht  böse  Absicht,  aber  ein  Versehen, 
welches  Galilei  sehr  verargt  wurde,  dass  diese  Vorrede  in 
anderen  Typen  gedruckt  wurde  als  das  Werk  selbst.  Da 
ein  Theil  des  letztern  schon  gedruckt  war,  wurde  sie  auf 
einem  besondern  Bogen  und  mit  besonderer  Pagination 
beigefügt. 

Der  Weisung  bezüglich  des  Schlusses  und  der  Einfü- 
gung  des   Argumentes,    welches  Urban  VIII.    selbst  —  bei 


1)  Riccardi,  „möglicher  "Weise  Urban  VIII.  selbst"  nach  Cantor,  Zts. 
f.  Math.   1864,   184;   1865,  L.-Z.  50.   57. 

2)  S.  o.  S.  185.  Es  ist  unrichtig,  wenn  R.  Wolf,  Gesch.  der  Astronomie, 
1877,  S.255,  von  dem  „Galilei  octroyirten  und  daher  auch  nicht  anzurechnenden 
Vorwort"  zu  dem  Dialog  spricht  (ähnlich  Cantor,  Martin  U.A.);  vgl.  Wohl- 
will, Der  Inquisitionsprocess  S.  32.     Gilbert,  Le  proces  de  Galil6e  p.  87. 

Reu  seil,  Galilei.  •  \a 


210  Schluss  des  Dialogs. 

der  Audienz  im  J.  1630  oder,  was  wahrscheinlicher  ist,  bei 
einer  der  Audienzen  im  J.  1624  —  ihm  vorgetragen,  kam 
Galilei  in  folgender  Weise  nach1).  Simplicio  sagt:  „Was 
die  vorgetragenen  Erörterungen  betrifft ,  namentlich  die 
letzte  über  Ebbe  und  Fluth,  so  habe  ich  sie  in  der  That 
nicht  ganz  verstanden;  aber  nach  der  schwachen  Vorstel- 
lung, die  ich  mir  davon  gebildet,  muss  ich  gestehen,  dass 
euer  Gedanke  mir  viel  sinnreicher  zu  sein  scheint  als  alle 
anderen,  die  ich  darüber  gehört  habe.  Darum  halte  ich 
ihn  indess  nicht  für  wahr  und  zwingend;  vielmehr  halte  ich 
immer  vor  den  Augen  des  Geistes  eine  sehr  bestimmte 
Lehre,  die  ich  von  einem  sehr  gelehrten  und  hochgestellten 
Manne  vernommen  habe  und  bei  der  man  sich  beruhigen 
muss.  Wenn  ich  euch  fragte:  ob  Gott  mit  seiner  unbe- 
grenzten Macht  und  Weisheit  jene  wechselnde  Bewegung 
des  Elementes  des  Wassers,  welche  wir  an  demselben 
wahrnehmen,  auch  auf  andere  Weise  bewirken  könne  als 
durch  Bewegung  des  Gefässes,  worin  es  enthalten  ist,  — 
ich  weiss,  ihr  würdet  beide  antworten,  Gott  könne  das  auf 
mancherlei  Weise,  auch  auf  eine  von  unserm  Geiste  nicht 
zu  ersinnende  Weise  thun.  Daraus  schliesse  ich,  dass  es 
unter  dieser  Voraussetzung  sehr  verwegen  sein  würde, 
wenn  Jemand  die  göttliche  Macht  und  Weisheit  gemäss 
einer  ihm  gut  dünkenden  Phantasie  begrenzen  und  ein- 
schränken wollte2)." 

Darauf  antwortet  Salviati:  „Eine  wunderbare  und  in 
Wahrheit  engelhafte  Lehre,  mit  welcher  jene  andere  gleich- 
falls göttliche  Lehre  recht  wohl  übereinstimmt,  welche  uns 
zwar  gestattet,  über  den  Bau  der  Welt  zu  disputiren, 
zugleich  aber,  —  vielleicht  damit  wir  nicht  von  dem 
Gebrauche  unserer  geistigen  Fähigkeiten  ablassen  oder 
darin   träge  werden,  —  beifügt,    dass    wir   das    von    seinen 


1)  II,  502. 

2)  Das  Argument,  welches  Urban  VIII.  Galilei  vorgetragen  und  worauf 
er  so  grossen  Werth  legte,  wird  in  ganz  ähnlicher  Fassung,  wie  von  Gali- 
lei, auch  von  dem  dem  Papste  sehr  nahe  stehenden  Augustin  Oregio  (s.  u. 
§  XIX)  in  einem  1629  verfassten  Tractat  De  Deo  uno  mitgetheilt  (bei  Berti, 
Copernico  p.  137).  Oregio  sagt,  Urban  habe  als  Cardinal  dieses  Argument 
einem  gelehrten  Freunde  (Galilei)  entgegengehalten,  und  dieser  habe  sich 
dabei  beruhigt.  Dadurch  ist  nicht  ausgeschlossen,  dass  Urban  als  Papst, 
in  einer  der  Audienzen,  die  Galilei   1624  hatte,  das  Argument  wiederholte. 


Die  Approbation  des  Dialogs.  2i-i 

Händen  gemachte  Werk  nicht  ergründen  können1).  Gebrau- 
chen wir  also,  wie  Gott  uns  gestattet  und  gebietet,  unsere 
geistigen  Fähigkeiten,  um  seine  Grösse  zu  erkennen  und 
um  so  mehr  zu  bewundern,  je  weniger  wir  uns  im  Stande 
fühlen,  die  tiefen  Abgründe  seiner  unendlichen  Weisheit  zu 
durchdringen." 

Dann  schliesst  der  Dialog  mit  folgenden  Worten  Sa- 
gredo's:  „Das  wird  der  letzte  Schluss  unserer  viertägigen 
Unterhaltungen  Sein  können.  Wir  werden  nun  dem  Herrn 
Salviati,  wenn  es  ihm  beliebt,  einige  Zeit  Ruhe  lassen  müs- 
sen, mit  dem  Vorbehalt  jedoch,  dass  er,  wenn  es  ihm  be- 
quem sein  wird,  unsere,  namentlich  meine  Wissbegierde  be- 
züglich derjenigen  Probleme  befriedigen  möge,  die  wir  bei 
Seite  gelassen  und  die  ich  mir  aufgezeichnet,  um  sie  ihm 
unserer  Verabredung  gemäss  in  einer  oder  zwei  weiteren 
Sitzungen  vorzulegen.  Insbesondere  wünsche  ich  mit  gröss- 
ter  Spannung  die  Elemente  der  neuen  Wissenschaft  unse- 
res Akademikers  von  den  Bewegungen,  der  natürlichen  und 
der  gewaltsamen,  zu  vernehmen.  Für  jetzt  wollen  wir,  wie 
gewöhnlich,  ein  Stündchen  die  Kühle  in  der  bereit  stehen- 
den Gondel  gemessen." 

Unter  dem  n.  Sept.  1630  ertheilten  der  General vicar2) 
und  der  Inquisitor  zu  Florenz  das  Imprimatur,  unter  dem 
12.  der  grossherzogliche  Censor  die  Druck-Erlaubniss.  Vor 
diese  Approbationen  liess  Galilei  auf  die  Rückseite  des 
Titelblattes  drucken:  „Imprimatur,  si  videbitur  Rever.  P. 
Magistro  Sacri  Palatii  Apostolici.  A.  Efiiscopus  Bellica- 
stensis  Vices  gerens.  Imprimatur.  Fr.  Nicolaus  Ricardus, 
Sacri  Apostolici  Palatii  Magister"*). 

Zur  Beifügung  dieses  Römischen  Imprimatur  war  Ga- 
lilei allerdings,  wie  Grisar  S.  108  richtig  sagt,  „nicht  be- 
fugt". Im  Uebrigen  aber  wird  die  vorstehende  ausführ- 
liche Darstellung  der  Verhandlungen  über  die  Approbation 
gezeigt  haben,    dass    die  von  Grisar  gegebene  Darstellung 


1)  Anspielung  auf  Eccl.  3,    1 1 :   Mundum  tradidit  disputationi  eorum, 
ut  non    inveniat  hotno    opus,    quod    operatus    est   Deus    ab    initio    usque   ad 

finem.     S.  o.  S.  44. 

2)  Natürlich  nicht  der  Generalvicar  des  Inquisitors,  wie  Gebier,  Galilei 
S.  173,  angibt,  sondern  der  Generalvicar  des  Erzbischofs  von  Florenz. 

3)  Vgl.  oben  S.  76. 


212  Die  Approbation  des  Dialogs. 

unvollständig  und  einseitig  und  seine  Behauptung  S.  107: 
„Das  Römische  Imprimatur  war  ungiltig  und  das  Florenti- 
nische  nur  in  Folge  einer  Uebereilung  ertheilt",  bezüglich 
der  zweiten  Hälfte  unrichtig  ist.  Grisars  Darstellung  ist 
aber  immerhin  unvergleichlich  vollständiger  und  wahrheits- 
liebender als  die  von  P.  Schneemann  S.  265:  „Um  sich 
sicher  zu  stellen,  hatte  Galilei  von  dem  ihm  ergebenen  Ma- 
gister S.  Palatii  P.  Riccardi  sich  die  Druck-Erlaubnise  zu 
verschaffen  gesucht.  Dieser  war  aus  Toscana,  und  der  Gross- 
herzog von  Toscana,  dessen  Gesandter  und  sogar  die  Frau 
des  Gesandten,  welche  eine  Nichte  des  Paters  war,  halfen 
hierbei.  Riccardi  allerdings  zögerte  aus  Furcht,  aber  »er 
ward  sehr  lange  von  der  Frau  Gesandtin  bekämpft,  bis  er 
in  den  Wunsch  Galilei's  einwilligte«.  Und  da  er  immer 
wiederum  Angst  bekam,  bedeutete  ihm  der  päpstliche  Secre- 
tär  Ciampoli,  der  Papst  wolle  es.  Urban  VIII.  wüsste  aber 
nichts  von  der  Herausgabe  des  Werkes  und  hatte  nichts  in 
Bezug  auf  dasselbe  befohlen  [S.  u.  §  XVIII]  So  erschien 
das  Buch  Galilei's  mit  der  Erlaubniss  des  Magister  S.  Pa- 
latii." —  Noch  —  kühner  ist  freilich  die  Darstellung  des  P. 
de  Gabriac  p.  531:  „Galilei  versprach  1615  [!]  schriftlich  [!], 
er  wolle  die  neue  Meinung  nicht  lehren,  und  brach  alsbald 
[aussitötf]  sein  Versprechen ;  er  schützte  in  seinen  Dialogen 
vor,  er  wolle  die  Lächerlichkeit  der  Argumente  des  Coper- 
nicus  nachweisen  [!],  und  gab  denselben  mehr  Werth  durch 
die  Schwäche  der  Argumente,  die  er  ihnen  entgegenstellt; 
er  legte  Foscarini  [!]  nur  die  erste  und  die  letzte  Seite  die- 
ser Schrift  zur  Censur  vor"  [!]. 

Galilei  hatte  bei  der  ganzen  Verhandlung  die  grösste 
Bereitwilligkeit  gezeigt,  an  seinem  Buche  alle  Aenderungen 
vorzunehmen,  welche  die  Censoren  für  nothwendig  erach- 
teten. Wenn  also  das  Buch,  nachdem  es  gedruckt  vorlag, 
trotz  aller  daran  vorgenommenen  Aenderungen  Anstöss 
erregte  und  nicht  mit  Unrecht  als  eine  mit  den  Decreten 
von  161 6  nicht  vereinbare  Apologie  der  Copernicanischen 
Lehre  angesehen  wurde,  so  war  das,  juristisch  betrachtet, 
die  Schuld  der  Censoren,  die  zu  wenig  scharfblickend  oder 
zu  nachsichtig  gewesen  waren.  Den  Vorwurf  aber  konnte 
man  Galilei  machen,  dass  e»  nicht  nur  sein  im  J.  16 16  ge- 
gebenes Versprechen,  die  Copernicanische  Theorie  nicht 
lehren   oder   vertheidigen   zu   wollen,    durch   die  Veröffent- 


Urtheile  über  den  Dialog.  213 

lichung  des  Dialogs  gebrochen,  —  das  Versprechen,  sie 
nicht  für  wahr  halten  zu  wollen,  hatte  er  längst  gebrochen, 
wahrscheinlich  nie  im  Ernst  abgelegt,  —  sondern  auch 
diesen  Bruch  seines  Versprechens  durch  die  Form,  in  wel- 
cher er  jene  Theorie  lehrte  und  vertheidigte,  zu  verhüllen 
>und  durch  diese  schlaue  Verhüllung  seine  Censoren,  —  die 
sich  allerdings  nicht  sonderlich  scharfsichtig  zeigen,  —  zu 
täuschen  und  so  sich  die  Erlaubniss  zum  Drucke  seines 
Buches  zu  verschaffen  gewusst.  Wenn  er  glaubte,  auch 
seine  Gegner  und  die  Römischen  Behörden  würden  die  Um- 
gehung des  Verbotes  vom  J.  1616  nicht  merken,  oder  die 
Approbationen  auf  der  Rückseite  des  Titelblattes  würden 
letztere  hindern,  gegen  ihn  und  sein  Buch  einzuschreiten, 
und  dieses  werde  also  unter  den  Augen  der  Inquisition  und 
der  Index-Congregation  für  die  Copernicanische  Lehre  Pro- 
paganda und  die  Verdammung  derselben  thatsächlich  zu 
nichte  machen  können,  so  sollte  er  bitter  enttäuscht  werden. 


XVII. 

Urtheile  der  Freunde  Galilei's  über  den  Dialog. 

Galilei's  Freunde  waren  über  das  Erscheinen  des  Dia- 
logs sehr  erfreut.  Castelli  hatte  schon  am  26.  Sept.  1631 
geschrieben1):  „Ich  erwarte  mit  Sehnsucht  Ihre  Dialoge. 
Ich  denke,  ich  werde  dann  fürder  kein  anderes  Buch  mehr 
lesen  als  das  Brevier  und  die  Dialoge  und  mich  bemühen, 
so  gut  ich  kann,  ohne  Beleidigung  Gottes  und  des  Näch- 
sten zu  leben,  und  wenn  die  Zeit  kommt,  den  Tod  freudig 
begrüssen  als  das  Ende  alles  Elends".  Am  22.  März  1632 2) 
sprach  er  in  gleich  übertriebenen  Ausdrücken  seine  Freude 
aus,  als  er  zu  Bologna  das  Buch  erhalten  hatte.  In  einem 
Briefe  vom  29.  Mai3)  wiederholt  er  seine  Lobsprüche,  er- 
zählt, dass  er  das  Buch  einigen  Freunden  vorlese,  und  fügt 


I)  IX,  255.  2)  IX,  264. 

3)  IX,  271;  vgl.  273. 


214  Urtheile  über  den  Dialog. 

bei:  „Das  Buch  wird  Alle,  denen  es  wirklich  um  die  Wissen- 
schaft zu  thun  ist,  befriedigen.  Was  die  Gegner  betrifft, 
so  sage  ich  mit  Copernicus:  Illos  nihil-  moror,  adco  ut  eti- 
am  iudicium  Mortem  tanquam  temer arium  contemt/am.  Sie 
müssen  dasselbe  thun.  Ich  bin  überzeugt,  wer  gegen  die- 
ses Buch  schreibt,  der  wird  sich  selbst  und  nicht  Ihnen 
schaden;  denn  er  würde  zeigen,  dass  er  böswillig  oder  un- 
wissend oder  beides  ist.  Ich  werde  in  der  wenigen  Zeit, 
die  ich  noch  zu  leben  habe,  fortfahren,  dieses  Buch  allein 
zu  studieren;  von  ihm  allein  erwarte  ich  die  Erhebung  und 
den  Trost,  die  man  aus  der  Betrachtung  der  Wunder  Got- 
tes am  Himmel  und  auf  Erden  schöpfen  kann." 

Frä  Fulgenzio  Micanzio  schreibt  aus  Venedig  3.  Juli 
1632  x):  „Ihr  Buch  wurde  mir,  nachdem  ich  es  kaum  er- 
blickt und  verschlungen,  aus  den  Händen  genommen  und 
ist  fortwährend  unterwegs  gewesen.  Heute  habe  ich  es 
durch  Grobheiten  wieder  in  meinen  Besitz  gebracht,  und 
nun  muss  ich  es  nach  Verona  dem  Commissar  Antonini 
schicken,  einem  der  tüchtigsten  Männer  unseres  Staates,  der 
Sie  mehr  als  alle  Gelehrten  unserer  Zeit  lobt  und  bewun- 
dert und  sagt,  er  habe  noch  keinen  Philosophen  wie  Sie 
gefunden.  .  .  Ich  glaube  nicht,  dass  der  Neid  oder  die  Bos- 
heit gegen  Ihr  Buch  etwas  werden  sagen  können,  abge- 
sehen von  den  Partieen,  die  sie  nicht  verstehen  werden; 
aber  Sie  haben  die  abstrusesten  Dinge  so  klar  gemacht, 
dass  ich  nicht  weiss,  was  noch  zu  wünschen  übrig  bleibe, 
und  Sie  haben  so  viele  unbekannte  Dinge  ans  Licht  gebracht, 
dass  die  nicht  verdorbenen  Geister  Sie  bewundern  müssen." 
Am  27.  Juli2)  schickt  Micanzio  ein  Dankschreiben  des  genann- 
ten Antonini  und  schreibt  selbst:  „Wäre  mir  nur  die  Wahl 
gelassen,  entweder  Ihres  Buches  oder  aller  anderen  natur- 
wissenschaftlichen Bücher  beraubt  zu  werden,  bei  Gott!  ich 
würde  lieber  jenes  allein  behalten,  und  ich  glaube,  Niemand, 
der  von  der  Naturwissenschaft  etwas  versteht,  würde  anders 
entscheiden.  .  .  Die  Wahrheit  zu  sagten,  in  welcher  Achtung 
stand  das  Copernicanische  System  in  Italien?  Aber  Sie 
haben  ihm  Flügel  gegeben  und  den  Schooss  der  Natur  ent- 
hüllt." 

Campanella  schreibt  aus  Rom  5.  Aug.  1632 3):    „Alles 


:)  IX,  276.  2)  ix,  279.  3)  ix,  280. 


Urtheile  über  den  Dialog.  215 

hat  mir  gefallen;  Sie  argumentiren  viel  überzeugender  als 
Copernicus,  wiewohl  dessen  Beweisführung  die  Grundlage 
ist.  Sie  haben  meinen  Rath  befolgt  und  die  Lehre  in  dia- 
logischer Form  entwickelt,  um  sich  gegen  Alle  sicher  zu 
stellen.  .  .  Ich  vertheidige  gegen  Alle  den  Satz,  dass  Ihr 
Buch  zu  Gunsten  des  Decretes  gegen  die  Bewegung  der 
Erde  geschrieben  sei,  damit  nicht  irgend  ein  kleiner  Ge- 
lehrter den  Fortgang  dieser  Lehre  störe ;  aber  meine  Schü- 
ler kennen  das  Geheimniss." 

Der  junge  Evangelista  Torricelli  schreibt  am  11.  Sept. 
1632'):  „Ich  bin  von  Profession  Mathematiker,  wenngleich 
noch  jung,  seit  sechs  Jahren  ein  Schüler  des  Paters  Castelli, 
nachdem  ich  zuvor  zehn  Jahre  unter  der  Leitung  der  Jesuiten 
studiert.  Ich  habe  Ihr  Buch  genau  und  fortwährend  bis  auf 
diesen  Tag  studiert,  mit  einer  Freude,  wie  sie  der  empfin- 
det, welcher,  nachdem  er  die  ganze  Geometrie  durchge- 
macht, den  Ptolemäus  studiert  und  so  ziemlich  alles  von 
Tycho,  Kepler  und  Regiomontanus  gesehen,  endlich,  durch 
viele  Gründe  gezwungen,  ein  Anhänger  des  Copernicus,  von 
Profession  und  Confession  ein  Galileist  geworden  ist  (di 
pro/esstone  e  di  setta  Galileista).  Der  Pater  Griemb erger, 
der  mir  sehr  wohl  will,  gesteht,  Ihr  Buch  habe  ihm  viel 
Genuss  bereitet  und  es  ständen  schöne  Sachen  darin;  aber 
die  [Copernicanische]  Meinung  lobt  er  nicht  und  hält  er 
nicht  für  wahr,  wenn  es  auch  scheine,-  als  ob  sie  wahr 
wäre.  .  .  Ich  schätze  mich  sehr  glücklich,  in  einem  Jahr- 
hundert geboren  zu  sein,  in  welchem  ich  einen  Galilei,  ein 
Orakel  der  Natur,  brieflich  kennen  lernen  und  ehren  und 
die  Gunst  eines  Ciampoli,  meines  liebevollsten  Herrn,  ge- 
messen kannu  u.  s.  w. 

Gleich  anerkennend  schrieben  Peter  Gassendi2)  und 
Andere.  Castelli  berichtete  sogar  von  solchen,  die  durch  die 
Lesung  des  Dialogs  von  der  Ptolemäischen  Lehre  zur  Co- 
pernicanischen  bekehrt  worden  seien3);  er  nennt  darunter 
sogar  den  Pater  Veglia  (s.  o.  S.   15). 

Die  Bedeutung  des  Buches  konnten  auch  die  Gegner 
des  Copernicanischen  Systems  nicht  verkennen.  Als  ein 
Werk,  welches,  wie  Grisar  S.  106  richtig  sagt,  „in  einer 
für  die  Massen  der  Gebildeten  berechneten  Gesprächsform, 


1)  IX,  288.  2)  IX.  308.  3)  IX,  297. 


21 6  Urban  VIII.  und  der  Dialog. 

in  seiner  kräftigen  und  packenden  Darstellung-,  in  seinem 
geschmackvollen  Italienisch,  in  welchem  es  statt  in  der  bis- 
her gewohnten  lateinischen  Gelehrtensprache  geschrieben 
war",  drohte  es  der  anticopernicanischen  Theorie  und  dem 
Ansehen  der  „Peripatetiker"  und  zugleich  dem  Ansehen  der 
Römischen  Behörden,  welche  die  Copernicanische  Theorie 
geächtet  hatten,  einen  harten  Schlag  zu  versetzen. 

Eine  Befürchtung,  dass  der  Dialog  trotz  der  Approba- 
tionen, mit  denen  er  erschien,  Galilei  in  Conflict  mit  den 
kirchlichen  Behörden  bringen  könnte,  spricht  keiner  seiner 
Freunde  aus,  mit  Ausnahme  Paolo  Aproino's,  der  am  13. 
März  1632  *)  aus  Venedig  schreibt :  „Der  Magister  Fulgenzio 
hat  mir  vor  einigen  Wochen  einige  Bogen  Manuscript  von 
Ihnen  gezeigt  und  gesagt,  dasselbe  solle  gedruckt  werden. 
Ich  habe  ihm  gesagt,  um  mögliche  Unannehmlichkeiten  zu 
vermeiden,  würde  es  nach  meiner  Meinung  gerathener 
sein,  drei  oder  vier  Abschriften  in  öffentlichen  und  freien 
Bibliotheken,  etwa  eine  hier,  eine  in  Frankreich,  in  Deutsch- 
land oder  in  Flandern  zu  deponiren  (mit  einem  Briefe,  xler 
die  Zeit  der  Abfassung  angäbe),  und  Jeden,  der  es  wünschte, 
eine  Abschrift  nehmen  zu  lassen.  Der  Personen,  die  sich  für 
diese  Studien  interessiren,  sind  ja  nur  wenige,  und  diese 
sind  in  der  Lage,  ein  wenig  Mühe  und  die  grösseren  Kosten 
nicht  anschlagen  zu  müssen." 


XVIII. 
Urban  Till,  und  Galilei's  Dialog, 

Der  Dialog  wurde   schon  im  Februar  1632   im  Druck 
vollendet  und  in  den  nächsten  Monaten  versandt;  nach  Rom 


1)  Suppl.  243.  Ob  der  Brief  nicht  aus  einer  frühern  Zeit  ist?  Im 
März  1632  war  ja  der  Dialog  schon  gedruckt.  —  Paolo  Aproino  aus  Tre- 
viso  war  zu  Padua  Galilei's  Schüler  gewesen  und  bezeichnet  diesen  als  den 
„grössten  Mann,  der  je  gelebt".  Er  stand  schon  seit  161 2  mit  Galilei  in 
Briefwechsel  (VIII,  276  beschreibt  er  ein  von  ihm  erfundenes  akustisches 
Instrument).  Er  wurde  später  Canonicus  in  Treviso,  f  1638  in  Venedig.  X, 
289.  Galilei  erwähnt  ihn  rühmend  in  seinen  neuen  Dialogen  (XIII,  306). 
Tiraboschi  VIII,  253. 


Das  Einschreiten  gegen  den  Dialog.  217 

kamen,  da  die  Verbindung  mit  Florenz  durch  die  Pest  er- 
schwert war,  erst  im  Mai  die  beiden  ersten  Exemplare  und 
noch  später  einige  andere.  Im  August  wurde  auf  Befehl 
des  Papstes  dem  Verfasser  und  dem  Verleger  die  Verbrei- 
tung des  Buches  bis  auf  weiteres  untersagt.  Der  Papst 
war  geneigt,  die  Sache  sofort  der  Inquisition  zu  übergeben, 
beauftragte  aber  zunächst,  noch  im  August,  eine  besondere 
Congregation(Commission),  ihr  Gutachten  abzugeben.  Diesem 
Gutachten  entsprechend,  wurde  Mitte  September  die  Inqui- 
sition angewiesen,  Galilei  den  Process  zu  machen,  und  diese 
citirte  ihn  am  1.  Oct.  1632  nach  Rom.  Er  kam  erst  am  13. 
Febr.  1633  dort  an.  Der  Process  dauerte  bis  zum  22.  Juni, 
an  welchem  Tage  Galilei  als  der  Häresie  stark  verdächtig 
zur  Abschwörung  der  Copernicanischen  Lehre  angehalten 
und  zu  lebenslänglicher  Haft  verürtheilt  wurde.  Das  ist 
eine  kurze  Skizze  des  Verfahrens  gegen  Galilei,  zu  welchem 
sein  Dialog  die  Veranlassung  gab.  Eine  genauere  Darstel- 
lung wird  in  den  folgenden  Abschnitten  gegeben  werden. 

Grisar  citirt  S.  107  beifällig  aus  meinem  Vortrage  über 
den  Galilei'schen  Process  folgende  Stelle :  „Von  dem  Stand- 
punkte aus,  den  die  Römischen  Behörden  im  J.  16 16  einge- 
nommen hatten,  (indem  sie  die  Lehre  von  der  Bewegung 
der  Erde  verdammten),  ist  es  sehr  erklärlich,  dass  man 
gegen  ein  Buch  einschritt,  worin  jene  Lehre  unter  einer  so 
durchsichtigen  Hülle  vertheidigt  wurde. "  Auf  diesen  Satz 
folgt  in  meinem  Vortrage1)  ein  Satz,  den  Grisar  nicht  an- 
führt, auf  den  es  aber  eigentlich  ankommt:  „Nachdem  man 
aber  früher  ähnliche  Aeusserungen  Galilei's  wenigstens  igno- 
rirt  hatte,  nachdem  es  diesem  sogar  gelungen  war,  die 
Druck-Erlaubniss  für  den  Dialog  zu  erhalten,  muss  es  auf- 
fallend erscheinen,  dass  man  sich  nicht  damit  begnügte,  den 
Dialog  auf  den  Index  zu  setzen,  sondern  gegen  Galilei  per- 
sönlich einen  Process  einleitete  und  dass  der  Papst,  von 
dem  man  sich  Aeusserungen  erzählte,  nach  welchen  er  die 
Decrete  vom  J.  161 6  bedauerte,  mit  grosser  Entschiedenheit, 
um  nicht  zu  sagen  Leidenschaftlichkeit,  auf  ein  strenges 
Verfahren  gegen  Galilei  drang. " 

Als  das  vorläufige  Verbot  des  Dialogs  im  August  1632 
bekannt  wurde,  dachten  Galilei's  Freunde  nur  an  die  Mög- 


1)  Hist.  Zeitschr.  34,   131. 


21 8  Das  Einschreiten  gegen  den  Dialog. 

lichkeit,  dass  die  Römischen  Behörden  denselben  unbedingt 
verbieten,  vielleicht  nur  eine  Emendation  desselben  anord- 
nen würden,  wie  früher  für  das  Werk  .  des  Copernicus. 
Micanzio  schreibt  am  14.  Aug.  1632  *):  ,, Ihren  Brief  vom  7. 
[derselbe  ist  nicht  erhalten]  habe  ich  mit  Entrüstung  und 
Wuth,  aber  nicht  mit  Verwunderung  gelesen.  Als  ich  gleich 
nach  dem  Erscheinen  Ihres  Buches  mit  Monsignor  Conta- 
rini,  einem  Mann  von  hohem  Geiste  und  engelgleichen 
Sitten,  darüber  sprach,  ahnten  wir  beide,  dass  es  so  kom- 
men würde,  wie  es  gekommen  ist,  da  wir  uns  nicht  denken 
konnten,  dass  ein  so  ausgezeichnetes  und  göttliches  Buch 
vor  der  Ignoranz  und  Bosheit  der  Welt  und  vor  der  Arro- 
ganz derjenigen  bewahrt  bleiben  sollte,  welche  nicht  nur 
das  Denken,  sondern  auch  die  Dinge,  mit  denen  sich  die 
Geister  beschäftigen,  lenken  zu  können  glauben."  Am  18. 
Sept.2)  schreibt  er  wieder:  „Das  Bestreben  Ihrer  Feinde,  das 
Verbot  des  Buches  zu  bewirken,  wird  weder  Ihrem  Ruhme 
noch  den  Verständigen  schaden.  Was  die  Nachwelt  be- 
trifft, so  ist  dies  gerade  ein  Mittel,  das  Buch  auf  sie  zu 
bringen.  Aber  was  für  eine  elende  Bande  (sciagurata  setta) 
muss  das  sein,  der  alles  Gute  und  in  der  Natur  Begründete 
zuwider  und  verhasst  sein  muss!  .  .  .  Ich  fürchte  nur,  dass 
ich  nun  Ihre  anderen  Dialoge3)  nicht  werde  zu  sehen  be- 
kommen; sollte  sich  diese  Befürchtung  verwirklichen,  so 
wünsche  ich  jene  Heuchler'  ohne  Natur  und  ohne  Gott  zu 
hunderttausend  Teufeln." 

Castelli  antwortet  am  2.  Oct.  1632  auf  einen  (nicht  er- 
haltenen) Brief  Galilei's  aus  dem  Anfang  des  Septembers4): 
„Ich  habe  alles  aufgeboten,  um  zu  bewirken,  dass  man  nicht 
einen  übereilten  Beschluss  fassen  möge  über  Ihre  so  herr- 
liche, nützliche  und  grosse  Arbeit.  Ich  habe  geltend  ge- 
macht, wenn  man  nicht  in  der  Weise  vorgehe,  wie  sie  sich 
für  das  erhabene  und  heilige  Tribunal  gezieme,  so  werde 
durch  diese  Sache  nur  die  Reputation  desselben  geschädigt 
und  die  ihm  gebührende  Ehrfurcht  vermindert  werden;  ich 


1)  IX,  283.  2)  IX,  289. 

3)  Micanzio  meint  die  am  Schlüsse  des  Werkes  in  Aussicht  gestellten 
Dialoge  über  die  „neue  "Wissenschaft  von  den  Bewegungen"  (s.  o.  S.  211). 
Sie  erschienen,  wie  wir  sehen  werden,  im  J.   1638. 

4)  IX,  287.  295. 


Das  Einschreiten  gegen  den  Dialog.  219 

wolle  nicht  verlangen,  man  solle  das  Buch  nicht  verbieten 
und  verdammen,  wohl  aber,  man  solle  so  vorgehen,  dass 
man  nachher  auch  sagen  könne,  was  man  verboten  habe. 
Solche  Vorstellungen  habe  ich  mit  aller  Ehrerbietung,  aber 
sehr  entschieden  auch  dem  Pater  Magister  (Sacri  Palatii) 
und  seinem  Adjuncten  gemacht,  die  ich  scheinbar  gut  ge- 
stimmt gefunden.  Ich  habe  beigefügt,  wenn  sie  gegen  einen 
Mann  vorgingen,  der  in  der  bescheidensten,  ehrerbietigsten 
und  vorsichtigsten  Weise  geschrieben,  so  würde  das  die 
Folge  haben,  dass  Andere  resolut  und  rückhaltlos  schrieben. 
Ich  habe  jenen  Patres  auch  bemerklich  gemacht:  wenn  es 
auch  ihres  Amtes  sei,  die  von  Menschenhand  geschriebenen 
Blätter  zu  verbieten  oder  nicht  zu  verbieten,  so  gehe  doch 
ihre  Autorität  nicht  so  weit,  dass  sie  der  Erde  gebieten 
könnten,  still  zu  stehen  oder  sich  zu  bewegen,  und  sie 
könnten  nicht  Gott  und  der  Natur  verbieten,  uns  von  Zeit 
zu  Zeit  ihre  verborgenen  Geheimnisse  auf  tausenderlei 
Weise  zu  offenbaren.  Ich  habe  auch  mk  dem  Pater  Com- 
missar  [der  Inquisition]  gesprochen  und  mich  erboten,  ihm, 
um  ihm  die  Arbeit  zu  erleichtern,  den  Dialog  zu  erklären, 
namentlich  den  Theil  und  die  Stellen  desselben,  wo  von 
der  Bewegung  der  Erde  gehandelt  wird.  Dieser  Pater  ist 
ein  sehr  freundlicher  und  gegen  mich  liebevoll  gesinnter 
Mann1);  so  habe  ich  mir  erlaubt,  ihm  Folgendes  zu  sagen: 
«Hochwürdiger  Pater  Commissarius!  Ich  finde  bei  St.  Augu- 
stinus geschrieben,  dass  die  heiligen  Schriftsteller  bezüglich 
der  Frage,  ob  die  Erde  sich  bewege  oder  nicht,  das  Rechte 
sehr  wohl  gewusst,  aber  nichts  entschieden  und  gelehrt 
haben,  weil  das  für  das  Heil  der  Seelen  von  keiner  Be- 
deutung ist.  Viele  Jahrhunderte  nach  Augustinus  ist  jener 
grosse  Geist,  Nicolaus  Copernicus,  auf  die  Welt  gekommen, 
der  nach  herculischen  Studien  und  Arbeiten  das  Buch  von 
den  Bewegungen  der  Himmelskörper  geschrieben  und,  auf- 
gefordert von  dem  grossen  Cardinal  Schomberg  und  ande- 
ren frommen  und  gelehrten  katholischen  Bischöfen,  ver- 
öffentlicht hat,   indem  er   es    einem   sehr  gelehrten  Papste, 


1)  Es  ist  nicht  P.  Firenzuola,  der  bei  Galilei' s  Process  fungirte.  Dieser 
wurde  erst  im  Dec.  1632  Commissar.  Sein  Vorgänger  wurde,  wie  auch  der 
Assessor  des  h.  Officiums,  Monsignor  Vittrice,  als  Anhänger  der  spanischen 
Partei  im  Cardinals-Collegium  (s.  u.  S.  226)  abgesetzt.     Wolynski  p.  75.  177. 


220  Das  Einschreiten  gegen  den  Dialog. 

Paul  III.,  widmete.  Auf  Grund  seiner  Hypothesen  und  mit 
Hülfe  seiner  Tafeln  hat  die  h.  Mutter  Kirche  die  Reform 
des  Kalenders  zu  Ende  geführt,  so  das»  man  wohl  sagen 
kann,  das  Werk  des  Copernicus  sei  von  der  h.  Kirche 
approbirt  worden.  Durch  alle  diese  Dinge  bewogen,  ge- 
stehe ich  offen,  dass  ich  gar  kein  Bedenken  habe,  gestützt 
auf  überzeugende  Gründe  und  viele  von  Erfahrungen  und 
Beobachtungen  hergenommene  Beweise,  zu  glauben,  dass 
der  Erde  jene  Bewegungen  zukommen,  die  ihr  von  Coper- 
nicus zugeschrieben  werden.  Ueber  alles  das  habe  ich 
wiederholt  mit  frommen  und  intelligenten  Theologen  ge- 
sprochen, welche  keine  Bedenken  erhoben  haben.  Unter 
diesen  Umständen  sehe  ich  gar  keinen  Grund,  die  Dialoge 
Galilei's  zu  verbieten.«  Der  Pater  antwortete:  er  sei  auch 
der  Ansicht,  dass  diese  Frage  nicht  durch  die  Autorität 
der  h.  Schrift  entschieden  werden  dürfe;  er  wolle  eine  Ab- 
handlung darüber  schreiben  und  diese  mir  zeigen.  Ich  ver- 
lange nichts  anderes,  als  dass  man  Ihr  Buch  studiere  und 
verstehe,  weil  ich  überzeugt  bin,  dass  man  dann  nicht  über- 
eilter Weise  einen  unvernünftigen  Entschluss  fassen  wird." 

Selbst  der  Magister  Sacri  Palatii  dachte  noch  Anfangs 
September,  es  werde  nur  zu  einem  Verbote  des  Dialogs, 
donec  corrigatur,  kommen.  Er  erzählte  dem  toscanischen 
Gesandten:  er  sei  damit  beschäftigt,  das  Buch  zu  revidiren 
und  es  an  einigen  Stellen  zu  corrigiren;  wenn  er  damit 
fertig  sei,  wolle  er  es  dem  Papste  bringen  und  ihm  ver- 
sichern, dass  es  so  corrigirt  passiren  könne  *). 

Dass  man  sich  nicht  darauf  beschränkte,  den  Dialog 
zu  verbieten  und  Galilei  einen  ernsten  Verweis  für  die 
Nichtbeachtung  der  ihm  im  J.  1616  ertheilten  Verwarnung 
zu  geben;  dass  man  nicht  mit  der  Milde  gegen  ihn  verfuhr, 
die  man  bei  seinem  hohen  Alter  und  seinen  grossen  Ver- 
diensten, bei  der  Gunst,  in  der  er  bisher  bei  dem  Papste 
und  am  päpstlichen  Hofe  gestanden,  bei  der  Fürsprache  des 
Grossherzogs  und  anderer  angesehener  Personen  hätte  er- 
warten sollen;  dass  man  ein  Verfahren  einschlug,  bei  dem 
es  augenscheinlich  nicht  bloss  auf  die  Unterdrückung  einer 
für  irrig  gehaltenen  Lehre,  sondern  zugleich  auf  eine  gründ- 
liche persönliche  Demüthigung  Galilei's  abgesehen  war:  dar- 


1)  IX,  422.  424. 


Charakter  Urbans  VIII.  221 

an  war,  wie  die  Acten  zeigen,  —  und  das  ist  das  Auf- 
fallendste an  der  Sache,  —  in  erster  Linie  Papst  Urban 
VIII.  Schuld,  der  sich  seit  dem  August  1632  ebenso  strenge, 
um  nicht  zu  sagen  verfolgungssüchtig  und  unversöhnlich, 
gegen  Galilei  zeigt,  wie  bis  dahin  wohlwollend.  Wie  gegen 
Galilei,  so  zeigt  sich  der  Papst  auch  gegen  den  früher  bei 
ihm  sehr  beliebten  Monsignor  Ciampoli  sehr  erbittert. 

Urban  VIII.  hatte  ausser  den  Eigenschaften,  welche 
Galilei's  Freunde  bei  Gelegenheit  seiner  Thronbesteigung 
an  ihm  rühmten,  auch  noch  andere,  welche  von  jetzt  an  auch 
in  der  Geschichte  Galilei's  in  sehr  unangenehmer  Weise  her- 
vortreten. ,,In  allen  Dingen,  sagt  Ranke  !),  verfuhr  er  mit 
unbedingter  Selbstherrschaft.  Schlug  man  ihm  vor,  das 
Collegium  zu  Rathe  zu  ziehen,  so  entgegnete  er  wohl,  er 
allein  verstehe  mehr  als  alle  Cardinäle  zusammengenommen. 
Nur  selten  ward  Consistorium  gehalten,  und  auch  dann  hat- 
ten nur  Wenige  den  Muth,  sich  freimüthig  zu  äussern.  Die 
Congregationen  versammelten  sich  in  der  gewohnten  Weise, 
jedoch  wurden  ihnen  keine  wichtigen  Fragen  vorgelegt,  die 
Beschlüsse,  welche  sie  ja  etwa  fassten,  wenig  berücksichtigt. . . 
Ich  wüsste  keinen  Papst,  der  das  Selbstgefühl,  das  ihm  seine 
hohe  Stellung  einflösste,  in  dem  Grade  gehabt  hätte.  Man 
machte  ihm  einst  einen  Vorwurf  aus  den  alten  päpstlichen 
Constitutionen:  er  antwortete,  der  Ausspruch  eines  lebenden 
Papstes  sei  mehr  werth  als  die  Satzungen  von  hundert  ver- 
storbenen... In  einem  Gesandtschaftsberichte  vom  J.  1624  heisst 
es  von  ihm :  Er  liebt  die  eigenen  Meinungen  und  lässt  sich 
von  seinem  eigenen  Geiste  schmeicheln;  das  hat  ein  zähes 
Festhalten  an  seinen  eigenen  Gedanken  zur  Folge.  . '.  Er  ist 
immer  bedacht  auf  das,  was  seine  Meinung  von  seiner  eige- 
nen Person  erhöhen  kann."  Und  einer  seiner  Cardinäle, 
wahrscheinlich  Bentivoglio,  sagte  von  ihm:  „Er  beansprucht 
als  der  Oberherr  der  Welt  und  auf  dem  ganzen  Gebiete  der 
Wissenschaften  angesehen  zu  werden"2).  „Die  fremden  Ge- 
sandten, sagt  Ranke  weiter,  waren  unglücklich,  dass  sie  so 
wenig  mit  dem  Papste  anfangen  konnten.  In  den  Audien- 
zen sprach  er  selbst  das  Meiste,  docirte,  setzte  mit  dem 
Nachfolgenden  das  Gespräch  fort,  das  er  mit  dem  Vorher- 


1)  Die  Römischen  Päpste,  5.  Aufl.  1867,  II,   534  ff. 

2)  Targioni  II,  III.  ' 


222  Urbans  VIII.  Aeusserungen  über  den  Dialog. 

gehenden  begonnen.  Man  musste  ihn  hören,  ihn  bewundern, 
ihm  mit  der  grössten  Ehrerbietung  begegnen,  selbst  wenn 
er  abschlug.  Auch  bei  anderen  Päpsten,  erfolgten  viele  ab- 
schlägliche Bescheide,  aber  aus  einem  Princip,  sei  es  der 
Religion,  sei  es  der  Politik;  bei  Urban  VIII.  bemerkte  man 
Laune.  Man  konnte  nie  sagen,  ob  man  ein  Ja  oder  ein  Nein 
zu  erwarten  haben  würde. " 

Die  Stimmung  des  Papstes  nach  dem  Erscheinen  des 
Dialogs  erkennt  man  sehr  deutlich  aus  den  Berichten,  die 
der  toscanische  Gesandte  in  seinen  Briefen  an  den  gross- 
herzoglichen Staatssecretair  Cioli  über  seine  Audienzen  bei 
dem  Papste  erstattete.  Am  5.  Sept.  1632 l)  schreibt  er  über 
eine  Audienz,  die  er  Tags  zuvor  gehabt:  „Auch  ich  fange 
an  zu  glauben,  wie  Sie  sehr  gut  sagen,  dass  die  Welt  ver- 
gehen wird.  Während  des  Gesprächs  über  die  unangeneh- 
men Angelegenheiten  des  h.  Officiums  brach  Seine  Heilig- 
keit in  heftigen  Zorn  aus  und  sagte  ganz  unverhofft:  auch 
mein  Galilei  sei  auf  verkehrte  Wege  gerathen  und  habe  sich 
in  die  schlimmsten  und  gefährlichsten  Dinge  eingelassen, 
die  man  in  diesen  Zeiten  anregen  könne.  Ich  antwortete : 
Galilei  habe  das  Buch  nicht  ohne  die  Approbation  seiner 
Beamten  drucken  lassen;  ich  selbst  hätte  (von  Riccardi)  die 
Einleitung  erhalten  und  nach  Florenz  geschickt.  Er  erwie- 
derte,  noch  immer  sehr  heftig:  Galilei  und  Ciampoli  hätten 
ihn  hintergangen;  Ciampoli  habe  sich  erlaubt,  ihm  zu  sagen, 
Galilei  wolle  alles  thun,  was  Seine  Heiligkeit  befehle,  und 
alles  sei  in  Ordnung;  mehr  habe  er  nicht  gewusst,  das  Buch 
habe  er  nie  gesehen  oder  gelesen ;  er  müsse  sich  über  Ciam- 
poli und  den  Magister  Sacri  Palatii  beklagen;  letzterer  sei 
freilich  auch  hintergangen  worden,  indem  man  ihm  mit  schö- 
nen Worten  die  Approbation  des  Buches  entlockt  und  ihn 
dann  wieder  durch  schöne  Worte  bestimmt  habe,  zu  gestat- 
ten, dass  das  Buch  in  Florenz  gedruckt  werde;  dort  habe 
man  die  dem  Inquisitor  gegebene  Weisung  nicht  beobachtet 
und  dann  das  Imprimatur  des  Magister  Sacri  Palatii  auf  das 
Buch  gesetzt,  der  mit  den  nicht  in  Rom  gedruckten  Büchern 
nichts  zu  schaffen  habe.  Ich  bemerkte  darauf:  ich  hätte  ge- 
hört, dass  Seine  Heiligkeit  eine  Congregation  mit  der  Un- 
tersuchung dieser  Sache  beauftragt  habe;  da  unter  den  Mit- 


1)  IX,  420. 


Urbans  VIII.  Aeusserungen  über  den  Dialog.  223 

gliedern  derselben  vielleicht  solche  wären,  die  Galilei  nicht 
wohl  wollten,  so  bäte  ich  ihn  unterthänigst,  Galilei  Gelegen- 
heit zu  geben  sich  zu  rechtfertigen.  Seine  Heiligkeit  ant- 
wortete: bei  solchen  Angelegenheiten  des  h.  Officiums  ge- 
schähe nichts  anderes,  als  dass  man  censurire  und  dann  den 
Censurirten  citire  und  widerrufen  lasse.  Ich  erwiederte: 
Scheint  es  denn  Ew.  Heiligkeit  nicht  gut,  dass  Galilei  die 
sein  Werk  betreffenden  Schwierigkeiten  und  Bedenken  oder 
die  Censuren  und  das,  was  dem  h.  Officium  anstössig  ist, 
zuvor  mitgetheilt  werden?  Er  antwortete  heftig:  Ich  sage 
Ihnen  ja,  dass  das  h.  Officium  etwas  der  Art  nicht  thut  und 
diesen  Weg  nicht  einschlägt;  die  Sachen  werden  Niemand 
vorher  mitgetheilt;  übrigens  weiss  Galilei  sehr  wohl,  wo- 
rin die  Schwierigkeiten  bestehen,  wenn  er  es  nur  wissen 
will;  denn  wir  haben  mit  ihm  davon  gesprochen,  und  er  hat 
sie  alle  von  uns  selbst  gehört.  Ich  bat  ihn  dann,  zu  beden- 
ken, dass  das  Buch  dem  Grossherzog  gewidmet  sei  und 
dass  es  sich  um  einen  Diener  desselben  handle;  ich  hoffte, 
er  werde  darum  milde  verfahren  und  auch  seinen  Beamten 
befehlen,  darauf  Rücksicht  zu  nehmen.  Er  sagte  darauf: 
er  habe  Bücher  verboten,  die  ihm  selbst  gewidmet  seien; 
wenn  es  sich  um  Dinge  handle,  durch  welche  der  Religion 
der  grösste  und  schwerste  nur  denkbare  Schaden  zuge- 
fügt werden  könne,  so  müsse  der  Grossherzog  als  christ- 
licher Fürst  selbst  zur  Bestrafung  mitwirken ;  ich  möge  dem 
Grossherzog  nur  ganz  offen  schreiben,  er  rathe  ihm,  sich  in 
diese  Sache  nicht  einzumischen,  wie  er  das  bei  der  Angele- 
genheit des  Alidosi  gethan1);  denn  er  würde  nicht  mit  Ehren 
daraus  hervorgehen.  Ich  sagte:  ich  sei  überzeugt,  dass  ich 
Befehle  erhalten  würde,  die  mich  nöthigen  würden,  ihm 
nochmals  lästig  zu  fallen;  ich  könne  aber  nicht  glauben, 
dass  Seine  Heiligkeit  gestatten  werde,  dass  man  ein  schon 
approbirtes  Buch  verbiete,  ohne  wenigstens  vorher  Galilei 
zu  hören.     Er  antwortete:    das  sei  das  Geringste,    was  ihm 


1)  Mariano  Alidosi  weigerte  sich  trotz  des  Befehles  Urbans  VIII.  im  J. 
1630  für  das  Lehen  Castel  del  Rio  die  kirchliche  Investitur  nachzusuchen,  und 
war  ausserdem  eines  im  J.  1631  im  Kirchenstaate  begangenen  Todtschlages 
angeklagt.  Er  hielt  sich  in  Florenz  auf,  und  über  seine  Auslieferung  wurde 
lange  verhandelt.  Am  22.  April  1633  stellte  er  sich  in  Rom;  nachdem  er. 
bis  zum  October  im  Inquisitionsgebäude  in  Haft  gewesen,  wurde  er  freige- 
lassen.    IX,  423.     Pieralisi  p.    164.    184. 


224  Urbans  VIII.  Aeusserungen  über  den  Dialog. 

widerfahren  könnte;  er  solle  sich  hüten,  dass  er  nicht  vor 
das  h.  Officium  citirt  werde;  er  habe  eine  aus  tüchtigen  und 
gut  gesinnten  Theologen  und  anderen  Gelehrten  bestehende 
Congregation  eingesetzt;  diese  würden  Wort  für  Wort  jede 
Kleinigkeit  untersuchen;  denn  es  handle  sich  um  die  aller- 
verkehrteste  Sache,  die  man  nur, in  die  Hände  bekommen 
könne.  Er  wiederholte  zugleich,  es  thue  ihm  leid,  dass  er 
von  Galilei  und  Ciampoli  hintergangen  worden  sei.  Dann 
sagte  er,  ich  solle  dem  Grossherzog  schreiben:  die  Lehre 
des  Buches  sei  verkehrt  im  allerhöchsten  Grade;  die  ganze 
Sache  werde  sorgfältig  untersucht  werden;  Seine  Hoheit 
möge  sich  nicht  einmischen  und  sich  beruhigen.  Zugleich 
legte  er  nicht  nur  mir  selbst  Stillschweigen  auf  bezüglich 
dessen,  was  er  mir  gesagt,  sondern  beauftragte  mich  auch, 
dem  Grossherzog  zu  schreiben,  dass  er  auch  ihm  Stillschwei- 
gen auflege 1).  Er  fügte  noch  bei:  indem  er  die  Sache  nicht,  wie 
er  eigentlich  gesollt,  der  Inquisition,  sondern  einer  besondern 
Congregation  übergeben,  habe  er  gegen  Galilei  besser  gehan- 
delt, wie  dieser  gegen  ihn;  denn  dieser  habe  ihn  hintergangen. 
Ich  fand  also  eine  schlimme  Stimmung;  der  Papst  konnte 
gar  nicht  aufgebrachter  gegen  unsern  armen  Galilei  sein. . . 
Ich  glaube,  wir  müssen  in  dieser  Sache  behutsam  vorgehen 
und  mehr  mit  den  päpstlichen  Beamten  und  dem  Cardinal 
Barberino  verhandeln  als  mit  dem  Papste  selbst;  denn  wenn 
man  diesem  entgegentritt  oder  droht  oder  trotzt,  wird  er 
hartnäckig  und  nimmt  auf  Niemand  Rücksicht.  Das  Richtige 
wird  sein,  dass  wir  Zeit  zu  gewinnen  suchen"  u.  s.  w. 

Am  1 8.  Sept.2)  berichtet  Niccolini  folgende  weitere  Aeusse- 
rungen des  Papstes :  Galilei  sei  sein  Freund,  aber  jene  Meinun- 
gen seien  schon  vor  16  Jahren  verdammt  worden,  und  er  habe 
sich  in  einen  verwickelten  Handel  eingelassen;  die  Sache 
sei  sehr  gefährlich  und  Galilei's  Buch  wirklich  verderblich; 
die  Sache  sei  misslicher,  als  der  Grossherzog  glaube;  ich 
solle  diesem  schreiben,  er  dürfe  nicht  dulden,  dass  Galilei 
seinen  Schülern  verkehrte  und  gefährliche  Ansichten  bei- 
bringe u.  s.  w.  In  einem  Berichte  vom  13.  Nov.3)  erzählt  Nicco- 
lini: er  habe  dem  Papste  nochmals  vorgestellt,  dass  Galilei 
auf  ordnungsmässigem  Wege  die  Druck-Erlaubniss  für  sein 


1)  Vgl.  Pieralisi  p.  162. 

2)  IX,  427.  3)  IX,  429. 


Urbans  VIII.  Aeusserungen  über  den  Dialog.  22$ 

Buch  erhalten  habe ;  der  Papst  habe  ihn  aber  mit  den  Wor- 
ten unterbrochen :  Ciampoli  und  Riccardi  hätten  sich  schlecht 
benommen ;  die  Diener,  welche  nicht  nach  dem  Willen  ihrer 
Herren  handelten,  seien  die  schlechtesten  Diener;  er  habe 
Ciampoli  oft  gefragt,  wie  es  mit  Galilei  stehe,  und  derselbe 
habe  ihm  immer  nur  geantwortet:  gut,  und  habe  nichts  da- 
von gesagt,  dass  das  Buch  gedruckt  werde;  er  habe  aber 
etwas  davon  gewittert;  das  Buch  enthalte  eine  sehr  schlechte 
Lehre.  In  einem  Briefe  vom  19.  Febr.  1633  *)  sagt  er:  Der 
Papst  habe  sich  über  Galilei's  Angelegenheit  heftig  erhitzt 
und  behandle  sie  als  eine  persönliche.  Am  2-].  Febr.2)  be- 
richtet er  folgende  Aeusserungen  des  Papstes:  Galilei  sei 
übel  berathen  gewesen^  dass  er  jene  Meinungen  veröffent- 
licht habe;  man  habe  eine  ciampolata  gemacht  [etwa: 
„eine  Stolperei",  von  ciamftare,  stolpern,  mit  Anspielung 
auf  den  Namen  Ciampoli];  Galilei  sage  zwar,  er  wolle  von 
der  Bewegung  der  Erde  nur  hypothetisch  reden,  aber  indem 
er  die  Gründe  dafür  anführe,  spreche  er  in  Form  der  be- 
stimmten Behauptung  davon ;  er  habe  auch  gegen  die  Wei- 
sung gehandelt,  welche  ihm  der  Cardinal  Bellarmin  im  Auf- 
trage der  Index- Congregation  (vielmehr  der  Inquisition)  er- 
theilt.  „Ich  suchte  Galilei  zu  vertheidigen,  fährt  Niccolini 
fort;  aber  da  der  Papst  Galilei's  Lehre  für  schlecht  erklärt, 
wird  man  gegen  ihn  vorgehen,  und  wenn  man  auch  seine 
Antworten  als  befriedigend  anerkennen  müsste,  wird  man 
doch  nicht  den  Schein  haben  wollen,  dass  man  einen  Bock 
geschossen,  nachdem  man  ihn  mit  so  vielem  Eclat  nach 
Rom  citirt  hat."  —  Ueber  eine  Audienz  am  13.  März  be- 
richtet Niccolini 3)  u.  a.  Folgendes:  ,,Der  Papst  sagte:  Gott 
möge  es  Galilei  verzeihen,  dass  er  sich  in  diese  Dinge  ein- 
gelassen, bei  denen  es  sich  um  neue  Lehren  und  um  die  h. 
Schrift  handle ;  Gott  möge  auch  Ciampoli  beistehen,  der 
auch  an  diesen  Meinungen  Gefallen  finde  und  ein  Freund 
der  neuen  Philosophie  sei;  Galilei  sei  sein  Freund  gewesen 
und  sie  hätten  wiederholt  freundschaftlich  zusammen  geges- 
sen und  sich  unterhalten;  es  thue  ihm  leid,  dass  er  hart  ge- 
gen ihn  sein  müsse,  aber  es  handle  sich  um  das  Interesse 
des  Glaubens  und  der  Religion;  auf  Ein  Argument  habe 
man  niemals  antworten  können:    dass    Gott    allmächtig    sei 


1)  IX,  434.  2)  IX,  435.  3)  ix,  437- 

Rensch,  Galilei. 


226  Ciampoli's  Absetzung. 

und  alles  vermöge,  dass  man  ihm  also  nichts  vorschreiben 
könne.  (Das  ist  wieder  das  Lieblings- Argument  Urbans  VIII., 
welches  Galilei  auf  seinen  Befehl  auch  in- den  Dialog  hatte 
aufnehmen  müssen.)  Ich  antwortete:  ich  verstände  nicht  über 
diese  Sachen  zu  reden,  aber  ich  meinte,  ich  hätte  Galilei 
sagen  hören,  er  halte  die  Meinung  von  der  Bewegung  der 
Erde  nicht  für  wahr,  aber  da  Gott  die  Welt  auf  tausenderlei 
Weise  habe  einrichten  können,  so  könne  man  die  Möglich- 
keit nicht  bestreiten,  dass  er  sie  auf  diese  Weise  eingerich- 
tet habe.  Der  Papst  wurde  heftig  und  antwortete:  man 
müsse  Gott  keine  Vorschriften  machen."  - 

Nach  diesen  Mittheilungen  wird  es  nicht  zu  hart  er- 
scheinen, wenn  A.  v.  Reumont1)  sagt:  ,,Bei  Urban  war  es 
eine  rein  persönliche  Sache:  seine  Heftigkeit  und  Eitelkeit 
trugen  über  sein  besseres  Gefühl  und  Bewusstsein  den  Sieg 
davon." 

Die  Ungnade  Monsignor  Ciampoli's  datirt  nicht,  wie 
gewöhnlich  angenommen  wird,  erst  von  dem  Erscheinen  des 
Dialogs.  Aus  den  Andeutungen  seines  Biographen2)  und 
den  von  Wolynski  (p.  178)  veröffentlichten  Mittheilungen  Nic- 
colini's  ergiebt  sich  vielmehr  Folgendes :  Ciampoli  hatte  schon 
seit  Jahren  Feinde  und  war  seit  1630  der  Hinneigung  zu  den 
spanisch  gesinnten  Cardinälen  verdächtig  (s.  o.  S.  197).  Nach- 
dem diese  wiederholt  vergebens  Urban  VIII.  gedrängt  hat- 
ten, den  Kaiser  in  dem  dreissigjährigen  Kriege  durch  Sub- 
sidien  und  Einwirkung  auf  die  katholischen  Fürsten  zu  un- 
terstützen, brachte  endlich  der  Cardinal  Caspar  Borgia  am 
8.  März  1632  im  Auftrage  des  Königs  von  Spanien  die  Sache 
in  sehr  kräftigen  Ausdrücken  im  Consistorium  zur  Sprache. 
Es  kam  zu  einem  heftigen  Auftritt3)  und  in  Folge  davon 
zu  einem  förmlichen  Bruch  zwischen  dem  Papste  und  den 
Cardinälen  Borgia,  Roberto  Ubaldini  und  Anderen.  Urban 
VIII.  entschloss  sich  nun  aber,  ein  Jubiläum  auszuschreiben, 
um  von  Gott  Frieden  und  Eintracht  unter  den  christlichen 
Fürsten  zu  erflehen.  Ciampoli  erhielt  den  Auftrag,  die  En- 
cyklica  zu  entwerfen  oder  den  Entwurf  des  Papstes  zu  sti- 
lisiren.     Seine  Arbeit   missfiel    dem  Papste,   —   sie   soll   zu 


1)  Beitr.  I,  415.  2)  Targioni  II,  110;  s.  o.  S.   197. 

3)  Wolynski    p.    172.     Laemmer.   Meletematum  Rom.  Mantissa,    1875, 
p.  244. 


Urban  VIII.  und  die   Approbation  des  Dialogs.  227 

„spanisch"  gewesen  sein,  —  und  es  wurde  am  1.  April  eine 
andere  Encyklica  publicirt.  Ciampoli  soll  diese  bei  Freun- 
den kritisirt  und  die  von  ihm  entworfene  gezeigt,  und  Urban 
VIII.  dieses  erfahren  haben.  Jedenfalls  fiel  er  im  April  gänz- 
lich in  Ungnade.  Er  blieb  noch  einige  Monate  im  Amte, 
wurde  aber  von  dem  Papste  nicht  mehr  vorgelassen,  was 
ihm  um  so  schmerzlicher  war,  als  er  meinte,  ihn  versöhnen 
zu  können,  wenn  er  ihn  nur  sprechen  könnte.  Als  er  sah, 
dass  seine  Stellung  unhaltbar  geworden,  machte  er  sich  An- 
fangs Hoffnung,  Nuncius  in  Neapel  oder  Venedig  zu  wer- 
den; dann  hiess  es,  er  werde  ein  Bisthum  erhalten ;  schliess- 
lich wurde  er  in  demüthigender  Weise  verbannt,  indem  er 
im  October  1632  zum  Governatore  von  Montalto,  einem  Städt- 
chen in  den  Apenninen,  ernannt  wurde,  wohin  er  im  Novem- 
ber abreiste.  Später  wurde  er  in  gleicher  Eigenschaft  nach 
Norcia,  dann  nach  Fabbriano,  zuletzt  nach  Jesi  versetzt,  wo 
er  in  päpstlicher  Ungnade  8.  Sept.  1643  starb1). 

Der  Unwille  des  Papstes  gegen  Ciampoli  mag  also  da- 
zu beigetragen  haben,  ihn  gegen  Galilei  zu  verstimmen,  und 
umgekehrt  wird  sein  Unwille  über  Galilei's  Dialog  seine 
Stimmung  gegen  Ciampoli  verschlimmert  haben. 

Was  Galilei  betrifft;  so  geht  aus  den  angeführten 
Aeusserungen  Urbans  VIII.  hervor,  dass  er  über  zwei  Dinge 
ungehalten  war,  über  den  Inhalt  des  Dialogs  und  über  die 
vermeintliche  Erschleichung  der  kirchlichen  Approbation 
desselben. 

Was  den  letzt ern  Punkt  betrifft,  so  scheint  Riccardi 
Anfangs  versucht  zu  haben,  die  Schuld  auf  die  Inquisition 
zu  Florenz  zu  schieben.  Im  September  sagte  er  Niccolini 2), 
der  Papst  sei  auch  darüber  unwillig,  dass  bei  dem  Drucke 
des  Buches  die  ertheilten  Vorschriften  nicht  beobachtet  seien; 
man  wundere  sich  allgemein,  wie  man  in  Florenz  den  Druck 
habe  gestatten  können;  wäre  das  Buch  in  Rom  gedruckt 
und  von  ihm  Bogen  für  Bogen  revidirt  worden,  so  hätte  es 


1)  IX,  306.  314.  315;  X,  114.  300;  Suppl.  246.  247.  Pieralisi  p.  115. 
Ciampoli's  Nachfolger  wurde  der  Ex-Jesuit  Francesco  Errera,  wiewohl  man 
Anfangs  Bedenken  trug,  diesen  zu  ernennen,  weil  er  beauftragt  war,  die 
Biographie  des  Papstes  zu  schreiben.  — ,  Auch  der  Commissar  und  der 
Assessor  des  h.  Officiums  wurden  in  Folge  der  Borgia'schen  Affaire  abge- 
setzt; s.  o.  S.   219.  2)  IX,   423. 


228  Urban  VIII.  und  die  Approbation  des  Dialogs. 

eine  Form  erhalten  können,  in  der  man  es  hätte  können 
passiren  lassen.  Aber  auf  der  Rückseite  des  Titelblattes 
des  Dialogs  stand  auch  die  von  Riccardi^  ausgefertigte  Ap- 
probation der  Römischen  Censurbehörde,  was  um  so  auf- 
fallender war,  als,  wie  auch  der  Papst  Niccolini  gegenüber 
hervorhob,  „der  Magister  Sacri  Palatii  mit  den  nicht  in 
Rom  gedruckten  Büchern  nichts  zu  schaffen  hatte"1). 
Riccardi  konnte  sagen,  Galilei  habe  ohne  Auftrag  von  ihm 
und  gegen  seine  Absicht  sein  Imprimatur  auf  das  in  Florenz 
gedruckte  Buch  gesetzt ;  aber  er  konnte  nicht  leugnen,  dass 
er  das  Buch  approbirt  und  dann  dem  Inquisitor  zu  Florenz 
wegen  der  von  diesem  zu  ertheilenden  Druck-Erlaubniss 
Instructionen  gegeben.  Am  26.  Dec.  1632  2)  berichtet  darum 
Niccolini:  auch  Riccardi  werde  Unannehmlichkeiten  haben; 
der  General  der  Dominicaner,  —  Ridolfi;  er  war  vor  Ric- 
cardi selbst  Magister  Sacri  Palatii  gewesen,  —  und  alle  An- 
deren sagten,  er  hätte  den  Dialog  nicht  approbiren  dürfen. 
Die  Entschuldigung,  er  habe  im  Auftrage  des  Papstes 
gehandelt,  wurde  Riccardi  durch  die  Aeusserungen  Urbans 
abgeschnitten,  der,  wie  Niccolini  am  23.  April  16333)  berich- 
tet, sagte,  er  habe  nicht  befohlen,  die  Druck-Erlaubniss  zu 
ertheilen,  ja  nichts  davon  gewusst  und  der,  wie  wir  eben 
gehört,  auch  behauptete,  wenn  Ciampoli  Riccardi  gesagt 
habe,  er,  der  Papst,  sei  mit  der  Ertheilung  der  Druck-Er- 
laubniss einverstanden,  so  habe  er  die  Unwahrheit  gesagt. 
Die  Sache  ist  nicht  ganz  klar;  aber  es  ist  so  gut  wie 
sicher,  dass  Urban  VIII.  in  seiner  Aufregung  sich  einiger 
Thatsachen  nicht  mehr  erinnerte  oder  nicht  mehr  erinnern 
wollte.  Jedenfalls  hat  Riccardi  bei  den  Verhandlungen  über 
die  Approbation  nicht  selbständig  handeln  zu  dürfen,  son- 
dern die  Befehle  des  Papstes  einholen  zu  müssen  geglaubt. 
Pater  Visconti,  der  den  Dialog  revidirt  hatte,  schrieb,  wie 
wir  gesehen  haben  (S.  199)  am  16.  Juni  1630:  Riccardi  wolle 
am  folgenden  Tage  mit  dem  Papste  wegen  des  Titelblattes 
sprechen,  auf  welchem  Galilei  Ebbe  und  Fluth  erwähnt  hatte, 
und  schon  einige  Tage  vorher  hatte  Riccardi  die  Hoffnung 
ausgesprochen,  es  werde  ihm  gelingen,  den  Papst  über  die- 
sen speciellen  Punkt  zu  beruhigen.  Später  trug  er  Beden- 
ken, dem  Pater  Stefani  zu  Florenz  die  Censur  zu  überlassen, 


1)  S.  o.  S.  204,  Anm.   5.  2)  IX,  431.  3)  IX,  434. 


Urban  VIII.  und  die  Approbation   des  Dialogs.  229 

da  dieser  „die  Willensmeinung  des  Papstes  nicht  kenne" 
(S.  204),  und  endlich  schrieb  er  am  24.  Mai  1631  (S.  206)  dem 
Inquisitor  zu  Florenz :  es  sei  ,,der  Wille  des  Papstes,  dass 
als  Titel  und  Thema  nicht  Ebbe  und  Fluth  angegeben  werde" 
u.  s.  w.,  und  am  19.  Juli  (S.  207):  „entsprechend  dem  Befehle 
des  Papstes"  schicke  er  die  beizufügende  Einleitung.  Alle 
diese  Aeusserungen  lassen  voraussetzen,  dass  Riccardi  von 
dem  Papste  selbst  specielle  Weisungen  erhalten  hat.  Wenn 
er  das  eine  Mal  Galilei  mittheilen  lässt,  er  wolle  mit  dem 
Papste  (über  den  Titel  des  Buches)  sprechen,  so  braucht 
darum  freilich  nicht  angenommen  zu  werden,  dass  er  alle 
Weisungen,  auf  die  er  sich  beruft,  selbst  aus  dem  Munde 
des  Papstes  erhalten;  die  meisten  können  ihm  durch  Ciam- 
poli  zugegangen  sein,  der  den  Papst  täglich  sah  und  der 
wohl  die  Verhandlungen  zwischen  diesem  und  Riccardi  we- 
nigstens zum  grössten  Theile  vermittelte.  Urban  spricht 
gar  nicht  davon,  dass  er  mit  Riccardi,  sondern  nur  davon, 
dass  er  mit  Ciampoli  über  Galilei' s  Buch  geredet  habe,  und 
zwar  behauptet  er,  Ciampoli  habe  ihm  keinerlei  specielle 
Mittheilungen  über  das  Buch  gemacht  und  darum  auch  keine 
speciellen  Weisungen  von  ihm  erhalten.  Die  Richtigkeit 
dieser  Angaben  des  Papstes  voraussetzend,  nimmt  Pieralisi1) 
an:  Riccardi  habe  die  Weisungen  des  Papstes,  auf  die  er 
sich  beruft,  und  die  Ermächtigung,  nach  Berücksichtigung 
dieser  Weisungen  die  Druck-Erlaubniss  für  den  Dialog  zu 
ertheilen,  von  Ciampoli  erhalten;  dieser  aber  habe  eigen- 
mächtig, ohne  dazu  autorisirt  zu  sein,  ja  ohne  den  Papst 
von  der  Sachlage  in  Kenntniss  zu  setzen,  im  Namen  des 
Papstes  diese  Weisungen  ertheilt.  Das  ist  aber  doch  viel 
schwerer  zu  glauben,  als  dass  Ciampoli  wirklich  dem  Papste, 
—  wenn  auch  vielleicht  mitunter  nur  gesprächsweise,  mit 
Benutzung  günstiger  Augenblicke  und  in  einer  im  Interesse 
Galilei's  geschickt  gewählten  Form,  —  die  Punkte,  über 
welche  Riccardi  die  Willensmeinung  des  Papstes  zu  ver- 
nehmen wünschte,  vorgetragen  und  dann  auf  Grund  der 
Aeusserungen  des  Papstes  Riccardi  Bescheid  gegeben,  und 
dass  Urban  VIIL,  als  Ciampoli  in  Ungnade  gefallen  war, 
sich  seiner  Aeusserungen  nicht  mehr  erinnerte  oder  erinnern 
wollte.     Der  Bericht  Buonamici's  über  Galilei's  Process2)  ist 


1)  Urbano   VIII  p.  113.  2)  IX,  45. 


230  Der  Dialog  und  das  Argument  Urbans  VIII. 

zwar  im  allgemeinen  keine  zuverlässige  Quelle  (s.  o.  S.  6); 
aber  es  klingt  sehr  wahrscheinlich,  wenn  er  erzählt:  „Der 
Pater  Palastmeister  sagt,  er  habe  von  Seiner  Heiligkeit  selbst 
Befehl  erhalten,  das  Buch  zu  approbiren.  Der  Papst  leugnet 
es  und  wird  heftig.  Der  Pater  sagt,  Ciampoli  habe  ihm  auf 
Befehl  Seiner  Heiligkeit  die  Ermächtigung  ertheilt.  Der  Papst 
erwiedert,  Worten  dürfe  man  nicht  glauben.  Endlich  zeigt 
der  Pater  ein  Billet  von  Ciampoli  vor,  worin  derselbe  sagt, 
der  Papst,  in  dessen  Gegenwart  er  schreibe,  befehle  ihm, 
das  Buch  zu  approbiren."  —  Ueber  Ciampoli's  Aussagen 
liegen  uns  keine  Mittheilungen  vor;  dass  er  von  Rom  ver- 
bannt wurde,  ist  aber  jedenfalls  kein  Beweis  dafür,  dass  er 
wirklich  in  dem  Grade  schuldig  war,  wie  der  Papst  be- 
hauptete. 

Was  den  Inhalt  des  Dialogs  betrifft,  so  tadelte  Urban 
von  seinem  Standpunkte  aus  mit  vollem  Rechte,  dass  Ga- 
lilei die  Copernicanische  Lehre  nicht  bloss  hypothetisch 
vorgetragen.  Es  verräth  aber  schon  eine  starke  Voreinge- 
nommenheit gegen  Galilei  und  eine  grosse  Aufregung-,  wenn 
er  sagt:  es  handle  sich  um  Dinge,  durch  welche  der  Reli- 
gion der  grösste  und  schwerste  nur  denkbare  Schaden  zu- 
gefügt werden  könne,  um  die  allerverkehrteste  Sache,  die 
man  nur  in  die  Hände  bekommen  könne,  die  Lehre  des 
Buches  sei  schlecht  und  verkehrt  im  allerhöchsten  Grade 
u.  s.  w.  Augenscheinlich  war  der  Papst  speciell  darüber 
entrüstet,  dass  "  Galilei  ein  Argument,  das  er  aus  seinem 
eigenen  Munde  vernommen,  nicht  gehörig  beachtet  habe. 
Riccardi  hatte  ausdrücklich  angeordnet,  in  der  Peroration 
des  Dialogs  müsse  Galilei  „die  von  der  göttlichen  Allmacht 
hergenommenen  Gründe  beifügen,  auf  welche  ihn  der  Papst 
aufmerksam  gemacht  habe,  Gründe,  welche  den  Geist  be- 
ruhigen müssten,  wenn  er  sich  auch  der  Pythagoreischen 
Argumente  nicht  erwehren  könnte",  und  demgemäss  hatte 
Galilei  den  Schluss  des  Dialogs  eingerichtet.  Nun  berich- 
tet der  Graf  Filippo  Magalotti,  ein  Verwandter  der  Barbe- 
rini,  am  7.  Aug.  1632  l)  auf  Grund  einer  Mittheilung  Riccar- 
di's:  der  Papst  habe  in  dem  Buche  zwei  oder  drei  Argu- 
mente vermisst,  die  er  selbst  erfunden  und  durch  welche  er 
Galilei  überzeugt  und  die  Copernicanische  Lehre  als  falsch 


1)  Suppl.  321 


i  Der  Dialog  und  das  Argument  Urbans  VIII.  231 

erwiesen  zu  haben  glaube.  Am  4.  Sept1)  berichtigt  er  sich: 
„Was  die  Argumente  unseres  Herrn  betrifft,  so  war  es  in 
Wirklichkeit  nur  ein  einziges,  und  dieses  steht  auch  am 
Ende  des  Buches;  aber  man  ist  verstimmt  darüber,  dass 
dasselbe  dem  Simplicio  in  den  Mund  gelegt  wird,  einer  Per- 
son, die  in  dem  ganzen  Gespräche  wenig  ästimirt,  vielmehr 
verlacht  und  verspottet  wird."  Magalotti  fügt  bei,  er  habe 
darauf  aufmerksam  gemacht,  nach  der  ganzen  Anlage  des 
Dialogs  habe  doch  keinem  der  beiden  anderen  Interlocu- 
toren  jenes  Argument  in  den  Mund  gelegt  werden  können, 
und  die  Erwiederung  Salviati's  zeige,  dass  er  dem  Argu- 
mente die  gebührende  Achtung  zolle  und  sich  dabei  be- 
ruhige. Jedenfalls  aber  hatte  Urban  erwartet,  dass  das 
Argument,  welches  er  selbst  erfunden  und  Galilei  vorge- 
tragen und  auf  welches  er  selbst  so  grossen  Werth  legte,' 
in  dem  Dialog  eine  viel  grössere  und  entscheidendere 
Rolle  spielen  werde.  Auf  die  geringe  Beachtung,  die  sein 
Argument  gefunden,  kommt  Urban  in  den  Gesprächen  mit 
Niccolini  wiederholt  zurück,  und  noch  im  Dec.  16342)  er- 
wiederte  er  dem  französischen  Gesandten  Graf  Noailles,  als 
dieser  bei  einer  Audienz  Galilei  sehr  lobte:  er  schätze  und 
liebe  denselben,  aber  es  sei  ihm  auffallend,  dass  er  das  ihm 
vorgetragene  Argument  nicht  berücksichtigt  habe. 

Der  Umstand,  dass  das  päpstliche  Argument  Simplicio 
in  den  Mund  gelegt  wurde,  war,  wenn  dieses  auch  in  der 
That  nicht  zu  vermeiden  'gewesen,  nicht  geeignet,  den 
Papst  zu  befriedigen.  Man  hat  vielfach  behauptet,  Galilei's 
Feinde  hätten  gesagt  und  Urban  VIII.  hätte  geglaubt,  Ga- 
lilei habe  in  dem  Simplicio  ihn  selbst  darstellen  und  lächer- 
lich machen  wollen,  und  Einzelne  haben  sogar  gemeint, 
Galilei  habe  wirklich  diese  Absicht  gehabt3).  Die  erste 
darauf  bezügliche  Notiz  findet  sich  in  Briefen  Castelli's  vom 
22.  Dec.  1635  und  12.  Juli  16364).  In  dem  ersten  berichtet 
er:  er  habe  dem  Cardinal  Antonio  Barberini  gesagt,  es  sei 
eine  Verleumdung,   wenn  man  ausstreue,   Galilei  habe  jene 


1)  Suppl.  325.  2)  X,  65. 

3)  Vgl.  Gebier,  Galilei  S.  197.  Pieralisi  p.  341.  Epinois,  La  que- 
stion  de  Galilee  p.  217.  —  Der  Jesuit  A.  de  Gabriac  fragt  p.  531  ganz 
ungenirt:  „Hat  sich  Galilei  hochherzig  gegen  Urban  VIII.  gezeigt  in  diesen 
Dialogen,  in  denen  sein  Wohlthäter  unter  dem  Namen  Simplicius  insultirt 
wird?"  4)   X,   131.    159. 


232  Der  Dialog  und  die  Jesuiten.  • 

Absicht  gehabt.  In  dem  zweiten  berichtet  er:  Graf  Noailles 
habe  dem  Papste  selbst  versichert,  Galilei  habe  nie  die  Ab- 
sicht gehabt,  ihn  zu  beleidigen,  und  der  Papst  habe  darauf 
geantwortet:  „Wir  glauben  es,  wir  glauben  es".  Galilei 
hat  in  der  That  sicher  jene  Absicht  nicht  gehabt,  und  es  ist 
nicht  wahrscheinlich,  dass  Urban  es  geglaubt;  aber  darüber 
mag  er,  wie  gesagt,  sehr  unwillig  gewesen  sein,  dass  Gali- 
lei sein  Argument  „einem  Dummkopf  in  den  Mund  gelegt"1), 
nicht  so  ausführlich  und  überzeugend,  wie  er  gewünscht, 
entwickelt  und  nicht  genug  Anerkennung  von  Seiten  der 
anderen  Interlocutoren  hatte  finden  lassen. 

Es  legt  sich  von  selbst  die  Vermuthung  nahe,  dass 
der  plötzliche  Umschwung  in  der  Stimmung  Urbans  VIII. 
gegen  Galilei  nicht  durch  die  blosse  eigene  Leetüre  des 
Dialogs  und  die  dadurch  spontan  in  ihm  entstandene  Un- 
zufriedenheit hervorgerufen  worden,  dass  vielmehr  Gegner 
Galilei's  das  Erscheinen  des  Dialogs  geschickt  benutzt  ha- 
ben, den  Papst  gegen  ihn  aufzureizen  und  die  bei  diesem 
entstandene  Verstimmung  zu  steigern.  Buonamici2)  spricht 
von  einem  „Mönchshass"  zwischen  dem  Pater  Firenzuola, 
dem  Commissar  der  Inquisition,  der  bei  dem  Papste  wegen 
seiner  Arbeiten  für  die  Befestigung  der  Engelsburg  sehr  be- 
liebt gewesen,  und  dem  Pater  Riccardi.  Aber  gegen  letztern 
war  der  Papst  am  wenigsten  aufgebracht,  gegen  Galilei 
zeigte  sich  der  Commissar  der  Inquisition  immer  freundlich 
und  wohlwollend,  und  in  Galilei's  Briefwechsel  kommt  nie 
eine  Klage  über  ihn  vor3).  Von  Anderen,  —  und  zwar 
nicht  bloss,  wie  Grisar  S.  110  angibt,  von  Campanella,  — 
werden  die  Jesuiten  als  Urheber  oder  Miturheber  der  Mass- 
regeln gegen  Galilei  bezeichnet.  In  einem  Briefe  vom  7. 
Aug.  16324)  an  Guiducci  schreibt  Filippo  Magalotti:  „Die 
Hauptsache  ist,  dass  die  Patres  Jesuiten  unter  der  Hand 
eifrig  daran  arbeiten,  dass  das  Buch  verboten  werde.  Ric- 
cardi  hat  mir  das  selbst  gesagt  mit  den  Worten:   Die  Je- 


1)  Acten  S.  56.  2)  IX,  450. 

3)  Wenn  Lucas  Holstenius  im  Mai  1633  an  Peiresc  schreibt:  „Man 
glaubt,  der  ganze  Sturm  rühre  von  dem  Hasse  eines  Mönches  her,  den  Ga- 
lilei nicht  als  den  ersten  Mathematiker  hat  anerkennen  wollen;  dieser  ist 
jetzt  Commissar  des  h.  Officiums"  (IX,  450),  so  beruht  das  wahrscheinlich 
auf  einer  Verwechselung  des  Pater  Scheiner  mit  dem  Pater  Firenzuola, 

4)  Suppl.  321, 


Der  Dialog  und  die  Jesuiten.  233 

suiten  werden  ihn  auf  das  heftigste  verfolgen".  In  dem 
Briefe  an  den  Cardinal  Barberini  vom  13.  Oct.  1632  l)  sagt 
Galilei:  ,, Einige"  hassten  -ihn,  weil  er  durch  seine  Schriften 
zum  Theil  den  Glanz  der  ihrigen  verdunkelt,  und  diese  hät- 
ten den  Oberen  eingeredet,  dass  sein  Buch  nicht  des  Lichtes 
werth  sei.  In  dem  Briefe  an  Elia  Diodati  vom  15.  Juni  16332) 
sagt  er  ausdrücklich:  „Von  guter  Seite  höre  ich,  dass  die 
Patres  Jesuiten  der  massgebendsten  Persönlichkeit  einge- 
redet, mein  Buch  sei  verabscheuenswerther  und  für  die 
Kirche  verderblicher  als  die  Schriften  Luthers  und  Calvins", 

—  eine  solche  Aeusserung  findet  sich  in  einem  Werke  des 
Jesuiten  Inchofer:  Galilaeus  plus  demeritus  iftsis  haeretüis'6), 

—  und  in  einem  Briefe  an  denselben  Diodati  vom  25.  Juli 
1634 4)  fährt  er,  nachdem  er  die  Abweisung  seines  Begna- 
digungsgesuches erwähnt,  also  fort:  „Aus  diesem  und  an- 
deren Vorfällen,  welche  zu  erzählen  zu  weit  führen  würde, 
ergibt  sich,  dass  die  Wuth  meiner  mächtigen  Verfolger  noch 
immer  heftiger  wird.  Sie  haben  sich  endlich  selbst  mir  ent- 
decken wollen;  denn  als  vor  etwa  zwei  Monaten  ein  lieber 
Freund  von  mir  in  Rom  war  und  mit  dem  Pater  Griem- 
berger,  dem  Mathematiker  des  dortigen  Collegs,  sprach 
und  die  Rede  auf  mich  kam,  sagte  der  Jesuit  zu  meinem 
Freunde  wörtlich  Folgendes :  t Hätte  Galilei  sich  die  Zunei- 
gung der  Väter  dieses  Collegs  zu  erhalten  gewusst,  so 
würde  er  ruhmvoll  in  der  Welt  leben  und  von  allen  Unan- 
nehmlichkeiten frei  geblieben  sein,  und  er  hätte  nach  Gut- 
dünken über  jeden  Gegenstand  schreiben  können,  auch  über 
die  Bewegung  der  Erde  u.  s.  w. 5)«.  Sie  sehen  also,  ich 
habe  nicht  um  dieser  oder  jener  Meinung  willen  zu  leiden, 
sondern  weil  ich  bei  den  Jesuiten  in  Ungnade  gefallen  bin"6). 

1)  VII,  7.  2)  VII,  19. 

3)  Epinois,  La  question  p.   170.  4)  VII,  47. 

5)  Es  ist  doch  nicht  zulässig,  dass  Grisar  S.  725  diese  Mittheilung 
als  ^Versicherung  des  als  Lügner  entlarvten  extravaganten  Campanella"  be- 
zeichnet. Galilei  nennt  seinen  Freund  nicht,  der  „vor  zwei  Monaten",  also 
im  Mai  1634  mit  Griemberger  gesprochen.  "Wir  haben  aus  dieser  Zeit  keinen 
Brief  von  Campanella  an  Galilei,  —  er  floh  im  Oct.  1634  von  Rom  nach 
Frankreich,  —  und  dieser  würde  Campanella  auch  schwerlich  als  „lieben 
Freund"  bezeichnen.  —  Auf  Griembergers  Aeusserung  scheint  sich  auch 
Micanzio's  Brief  X,  46   zu  beziehen. 

6)  Auf  solche  Mittheilungen  Galilei's  sind  direct  oder  indirect  Aeusse- 
rungen   zurückzuführen,    wie:    „Der  Haupt-Urheber   und    Anstifter    der  Ver- 


234  Der  Dialog  und  die  Jesuiten. 

Wenn  die  Jesuiten  auf  Urban  VIII.  Einfluss  geübt 
haben,  um  ihn  zu  einem  energischen  Einschreiten  gegen 
Galilei  zu  veranlassen,  so  ist  dabei  natürlich  nicht  persön- 
licher Hass  das  einzige  Motiv  gewesen.  Sie  waren  natur- 
gemäss  die  Hauptvertreter  der  Ansicht,  welche  im  J.  1616 
hauptsächlich  durch  ihren  Cardinal  Bellarmin  zum  Siege 
gelangt  war:  dass  die  Copernicanische  Lehre  wissenschaft- 
lich betrachtet  unrichtig  und  theologisch  betrachtet  irrig 
sei.  Wenn  Galilei  also  das  Ptolemäische  System  bekämpfte, 
so  bekämpfte  er  zugleich  die  von  den  Jesuiten  überhaupt 
und  von  ihren  hervorragendsten  Gelehrten  vertheidigte  An- 
sicht. So  macht  denn  Melchior  Inchofer  in  dem  Gutachten, 
welches  er  über  den  Dialog  abgab  (s.  u.  §  XXIII),  Galilei 
den  Vorwurf:  es  sei  sein  Hauptzweck  gewesen,  den  Pater 
Scheiner  zu  bekämpfen,  der  zuletzt  gegen  die  Copernicaner 
geschrieben1).  Die  im  J.  16 16  zum  Siege  gelangte  An- 
sicht sahen  die  Jesuiten  durch  Galilei's  Dialog  bedroht,  und 
da  sie  fühlen  mochten,  dass  keiner  ihrer  Gelehrten  die  rein 
wissenschaftliche  Widerlegung  des  Buches  mit  Aussicht  auf 
Erfolg  unternehmen  könne,  so  lag  es  nahe,  ein  Einschreiten 
der  kirchlichen  Behörden  zu  provociren,  zu  welchem  ja  in 
der  That  das  Buch  Anlass  bot.  Ein  wirksames  Einschrei- 
ten gegen  das  Buch  war  aber,  wie  die  Sachen  lagen,  nicht 
wohl  möglich  ohne  ein  Einschreiten  gegen  den  Verfasser 
desselben,  und  diesen  zu  schonen,  mochten  Grassi  und  Schei- 
ner nichts  weniger  als  geneigt  sein.  Diese  Beiden  werden 
am  eifrigsten  gegen  Galilei  operirt  haben.  Neben  ihnen 
tritt  aber  jetzt,  wie  wir  sehen  werden,  ihr  Ordensgenosse 
Melchior  Inchofer  in  den  Vordergrund. 

Der  Vollständigkeit  wegen  theile  ich  hier  noch  die  Be- 
merkungen mit,  mit  welchen  Niccolö  Gherardini,  damals 
Canonicus  in  Florenz,  seine  Biographie  Galilei's2)  beginnt. 
Sie  sind  zwar  sehr  dunkel,  zeigen  aber,  wie  stark  persön- 
liche Stimmungen  in  Galilei's  Sache  hineinspielten.     Er  sei 


folgung  Galilei's  ist  der  Jesuit  Scheiner"  (Matthias  Bernegger  an  Caspar 
Hoffmann,  21.  Juli  1638,  X,  179);  „Galilei  ist  durch  den  Hass  der  Jesuiten 
und  die  Feigheit  des  Grossherzogs  genöthigt  worden  nach  Rom  zu  gehen" 
u.  s.  w.  (Hugo  Grotius  an  Joh.  Vossius,  17.  Mai  1635,  x>  2l8)>'  »Ihr  [die 
Jesuiten]  habt  gegen  Galilei  ein  Römisches  Decret  erwirkt"  (Pascal  in  No. 
18  der  Lettres  provinciales  im  J.   1657). 

1)  Acten  S.  97.  2)  Targioni  II,  63;  s.  o.  S.  6. 


Die  Special-Congregation.  235 

erst  im  J.  1633  zu  Rom  mit  Galilei  in  persönlichen  Verkehr 
gekommen,  erzählt  Gherardini ;  er  habe  ihm  damals  im  Auf- 
trage „eines  der  hervorragendsten  Beamten  des  h.  Officiums", 
den  er  aber  nicht  habe  nennen  dürfen,  einen  Rath  für  sein 
Verhalten  erheilt.  Jenem  Beamten  sei  Galilei  von  demjeni- 
gen empfohlen  worden,  der  „Galilei's  Sache  und  Person 
protegirt"  habe;  derselbe  habe  zugleich  „den  bösen  Ab- 
sichten einer  andern  bei  der  Inquisition  einflussreichen  Per- 
sönlichkeit" entgegenwirken  wollen.  Galilei  habe  den  Rath, 
der  darauf  berechnet  gewesen  sei,  ihn  „der  drohenden  und 
zu  strengen  Kränkung"  zu  entziehen,  freundlich  aufgenom- 
men, dann  aber,  weil  er  gegen  den  Rathgeber  misstrauisch 
geworden  oder  sich  auf  seine  Unschuld  zu  viel  verlassen, 
den^Rath  nicht  befolgt.  Das  Loos,  welches  ihn  in  Folge 
davon  betraf,  fügt  Gherardini  bei,  „war  noch  immer  weniger 
schlimm,  als  diejenigen  erwarten  mussten,  welche  den  Ur- 
sprung der  so  harten  Verfolgung  kannten.  Mit  Einem 
Worte,  die  Wunde,  welche  der  Pfeil  schlug,  war  klein  im 
Verhältniss  zu  der  Gewalt,  mit  welcher  der  Bogen  gespannt 
wurde,  —  Dank  dem  Schutze,  welchen  der  Grossherzog 
durch  seinen  Gesandten  Galilei  angedeihen  Hess." 


XIX. 

Die  Special-Congregation  (August  und  September  1632). 

Am  22.  Febr.  1632  überreichte  Galilei  Exemplare  des 
Dialogs  dem  Grossherzog,  welchem  derselbe  gewidmet 
war  1),  und  anderen  fürstlichen  Personen  in  Florenz.  Sofort 
wurden  auch  Exemplare  nach  auswärts  versandt.  Die  Ver- 
sendung nach  Rom  wurde  durch  die  Pest  verzögert;  die 
Exemplare,  welche  Galilei  Anfangs  März  für  seine  Gönner 
in  Rom  einbinden  und  vergolden  liess,  waren  am  17.  Mai 
noch  nicht  abgesandt 2).    Zwei  ungebundene  Exemplare  nahm 


1)  VI,  390.  2)  vii, 


236  Die  Special-Congregation. 

der  Erzbischof  von  Florenz  mit  nach  Rom,  von  denen  eins 
der  Cardinal  Francesco  Barberini  erhielt x).  Später  brachte 
der  oben  (S.  230)  erwähnte  Magalotti  noch  acht  Exemplare 
mit  nach  Rom,  von  denen  er  im  Auftrage  Galilei' s  je  eins 
dem  Cardinal  Barberini,  dem  toscanischen  Gesandten  und 
dem  Pater  Riccardi  überreichte,  eins  dem  Monsignor  Serri- 
stori,  einem  Consultor  der  Inquisition,  und  eins  dem  Jesui- 
ten Leon  Santi  gab2). 

Magalotti  war  sehr  verwundert,  als  ihn  in  den  ersten 
Tagen  des  August  Pater  Riccardi  bat,  ihm  die  mitgebrach- 
ten Exemplare  auf  acht  Tage  zu  leihen.  Bei  dieser  Ge- 
legenheit äusserte  Riccardi,  man  habe  Anstoss  an  einer 
Vignette  auf  dem  Titelblatte  des  Buches  genommen,  welche 
drei  Delphine  darstellt,  von  denen  einer  den  andern  in  den 
Schwanz  beisst.  Magalotti  beruhigte  ihn  lachend  durch  die 
Bemerkung,  diese  Vignette  stehe  auch  auf  anderen  in  der 
Landini'schen  Druckerei  gedruckten  Büchern3). 

Man  nahm  freilich  an  anderen  Dingen  noch  mehr  An- 
stoss, und  der  Palastmeister  hat  wahrscheinlich  die  in  Maga- 
lotti's  Händen  befindlichen  Exemplare  nicht  bloss  leihen 
wollen.  Er  liess  um  eben  diese  Zeit  die  auf  der  Douane 
angekommenen  Exemplare  festhalten,  und  der  Papst  befahl, 
die  Exemplare,  deren  man  habhaft  werden  könne,  zu  confis- 
ciren4).  Noch  im  August  erhielten  Galilei  und  der  Drucker 
des  Dialogs  die  Weisung,  vorläufig  keine  Exemplare  mehr 
auszugeben5).  Später  wurde  dem  Drucker  befohlen,  die 
noch  vorräthigen  Exemplare  nach  Rom  abzuliefern ;  er  ant- 
wortete, er  habe  keine  Exemplare  mehr  in  seinem  Besitze. 
Am  25.  Sept.  1632  schrieb  der  Cardinal  Francesco  Barberini  an 
den  Nuncius  zu  Florenz6):  er  höre,  dass  Galilei  noch  Exem- 


i)  IX,   271.     Wolynski  p.  48.  2)  Suppl.   319. 

3)  Suppl.  320.  322.  324.  Das  Titelblatt  ist  nachgebildet  bei  Venturi 
II,   117.  4)  Acten  S.  55. 

5)  In  dem  Briefe  an  den  Card.  Barberini  vom  13.  Oct.  1632,  VII,  8, 
sagt  Galilei,  diese  Weisung  sei  „vor  zwei  Monaten"  ertheilt  worden.  Es 
ist  also  ein  Irrthum,  wenn  er  in  dem  Verhör  vom  12.  Apr.  1633,  Acten  S.  75, 
sagt,  sie  sei  „wenige  Tage  vor  seiner  Citation  nach  Rom"  ertheilt  worden. 
—  Der  Drucker  klagte,  durch  die  „Suspension"  des  Buches  sei  ihm  ein  Ge- 
winn von  2000  Scudi  entgangen;  denn  er  würde  sonst  ausser  den  1000 
Exemplaren,  die  er  zuerst  gedruckt,  noch  doppelt  so  viele  gedruckt  und  ver- 
kauft haben;  VII,   19.  6)  Pieralisi  p.   163.  , 


Die  Special-Congregation.  237 

plare  des  Dialogs  nach  verschiedenen  Theilen  der  Welt 
versenden  wolle;  der  Nuncius  möge  sich  erkundigen  und, 
wenn  es  wahr  sei,  die  päpstlichen  Legaten  zu  Bologna  und 
Ferrara  und  die  Bischöfe  oder  Inquisitoren  der  Orte,  über 
welche  die  Packete  zu  gehen  hätten,  in  Kenntniss  setzen. 
Im  September  wurde  der  Inquisitor  zu  Florenz  aufgefordert, 
auch  das  Manuscript  des  Dialogs  einzusenden,  damit  man 
die  daran  vorgenommenen  Aenderungen  sehen,  und  wohl 
auch,  damit  man  constatiren  könne,  ob  der  Druck  mit  dem 
(approbirten)  Manuscripte  übereinstimme  1).  Das  Manuscript 
wurde  am  21.  Sept.  eingesandt,  wird  aber  nicht  weiter  er- 
wähnt, scheint  also  für  die  Begründung  der  Anklag-e  gegen 
Galilei  keinen  Werth  gehabt  zu  haben. 

Schon  in  der  ersten  Hälfte  des  August  wurde  die  be- 
reits erwähnte  Special-Congregation  mit  der  Untersuchung 
des  Buches  beauftragt.  Vorsitzender  derselben  war  der 
Cardinal  (Francesco)  Barberini 2);  dass  Riccardi  an  den  Ver- 
handlungen Theil  nahm,  ist  selbstverständlich;  welche  „be- 
sonders gelehrte  und  in  der  Theologie  und  in  anderen  Wissen- 
schaften bewanderte  Männer"3)  der  Papst  zu  Mitgliedern 
dieser  Commission  ernannte,  erfahren  wir  nicht.  Jedenfalls 
waren  der  Theologe  des  Papstes,  Augustin  Oregio,  und 
ein  Jesuit  Mitglieder  der  Commission4).  Oregio  stand  im 
Rufe  eines  frommen  und  gewissenhaften  Mannes,  war  Ur- 
bans  VIII.  theologischer  Rathgeber  bereits  gewesen,  als 
derselbe  noch  Cardinal- Legat   von  Bologna  war,    und  galt 


1)  Acten  S.  54.  64.  75.  2)  IX,  419.  3)  IX,  422.  425. 

4)  IX,  424;  vgl.  Acten  S.  92.  Hier  nimmt  Oregio  in  einem  am  17. 
April  1633  der  Inquisition  übergebenen  Gutachten  (s.  u.  §  XXIII)  auf  ein 
Gutachten  Bezug,  das  er  früher  mit  Riccardi  gemeinschaftlich  abgegeben. 
Das  wird  das  von  der  Special-Congregation  abgegebene  Gutachten  sein. 
Ausser  von  Oregio  finden  sich  bei  den  Processacten  Gutachten  von  dem 
Jesuiten  Inchofer  und  dem  Regular-Kleriker  Zacharias  Pasqualigo.  Darauf 
stützt  sich  die  Vermuthung  von  Berti,  II  Processo  p.  LXXX,  und  Grisar 
S.  IT#,  beide  könnten  Mitglieder  der  Special-Congregation  gewesen- sein. 
Nach  IX,  424  scheint  es  aber,  als  ob  nur  Riccardi,  Oregio  und  „der  Jesuit" 
dem  Cardinal  Barberini  beigegeben  gewesen.  —  Natürlich  kam  auch  Riccardi's 
Verfahren  bei  der  Approbation  des  Dialogs  zur  Sprache,  und  insofern  kann 
Wolynski  p.  48  von  einem  „Disciplinar-Process"  gegen  ihn  sprechen.  Dass 
er  sich  dabei  „von  aller  Schuld  und  Verantwortlichkeit  gereinigt"  (p.  75), 
ist  aber  zu  viel  gesagt;   s.  IX,  431   und  oben  S.   228. 


238  Die  Special-Congregation. 

sehr  viel  bei  dem  Papste,  der  ihn  seinen  Bellarmin  genannt 
haben  soll1).  Als  Niccolini  die  Befürchtung  äusserte,  die 
Commission  sei  aus  Gegnern  Galilei's  zusammengesetzt,  ver- 
sicherte ihm  Riccardi:  Oregio  habe  guten  Willen,  und  den 
Jesuiten  habe  er  selbst  vorgeschlagen,  weil  er  mit  ihm  be- 
freundet und  unparteiisch  sei.  Wenn  dieser  Jesuit  der  Pater 
Inchofer  war,  so  ist  diese  Aeusserung  kaum  zu  begreifen; 
denn  Inchofer  war,  wie  wir  sehen  werden,  einer  der  bitter- 
sten Gegner  des  Copernicanischen  Systems2).  Niccolini's 
Bitte,  man  möge  einige  unparteiische  Gelehrte  hinzunehmen, 
wurde  abgeschlagen3).  Den  Wunsch,  Campanella  und  Ca- 
stelli  möchten  als  Vertheidiger  Galilei's  zu  den  Sitzungen 
der  Congregation  zugelassen  werden,  —  Castelli  war  von 
dem  Grossherzog  als  „Procurator"  Galilei's  bestellt4),  — 
bezeichnete  Riccardi  als  ganz  aussichtslos5). 

Von  dieser  Special-Congregation  rühren  zweiActenstücke 
ohne  Unterschrift  und  Datum  her,  mit  denen  die  Acten  des 
zweiten  Galilei'schen  Processes  beginnen6).  Das  zweite  scheint 
ein  der  Congregation  vorgelegtes,  allem  Anschein  nach  von 
Riccardi  verfasstes  Referat,  das  erste  der  Entwurf  eines 
dem  Papste  Namens  der  Congregation  vorzulegenden  Be- 
richtes zu  sein. 


1)  Oregio,  geb.  1577,  studierte  Philosophie  im  Römischen  Colleg,  die 
Rechte  an  der  Sapienza  und  wurde  dann  Canonicus  zu  Faenza.  Am  28. 
Nov.  1633  ernannte  ihn  Urban  VIII.  zum  Cardinal  (von  St.  Sixtus)  und 
Erzbischof  von  Benevent.  Im  J.  1632  war  er  also  noch  nicht  Cardinal,  wie 
Berti,  II  Processo  p.  LXXXV,  und  Scartazzini,  Unsere  Zeit  1877,  II,  442, 
angeben.  Er  starb  12.  Juli  1635.  Einige  theologische  Tractate  von  ihm 
wurden  1637  und  1642  zu  Rom  von  seinem  Neffen  Nicolaus  Oregio  heraus- 
gegeben (s.  o.  S.   210).     Ciaconius  IV,    593.     Hurter,  Nomenciator  I,   507. 

2)  Dass  Riccardi  „mit  dem  vollen  Bewusstsein  der  Lüge  gelogen", 
als  er  Niccolini  versicherte,  die  Mitglieder  der  Commission,  namentlich  „der 
Jesuit",  seien  Galilei  günstig  gesinnt  (Scartazzini,  Unsere  Zeit  II,  449),  ist 
doch  wohl  zu  viel  behauptet. 

3)  IX,  420.  4)  IX,  297. 

5)  IX,  424;  vgl.  IX,  285.  294.  303.  Cantor,  Zts.  f.  Math.  1864,  186 
spricht  von  einer  ,, besondern  Commission  von  zehn  höheren  geistlichen 
Würdenträgern",  und  lässt  diese  Commission  auch  das  Urtheil  fällen;  er 
hat  also  die  Special-Congregation  und  die  Inquisition  zusammengeworfen. 
Auch  die  Angabe  S.  189,  Chiaramonti  sei  von  Pisa  in  die  Commission  be- 
rufen worden,  ist  irrig;  s.  IX,  419. 

6)  S.   52—63. 


Die  Special-Congregation.  239 

In  dem  zweiten  Actenstücke  wird  zunächst  über  die 
Verhandlungen  über  die  Approbation  des  Dialogs  berich- 
tet. Dieser  Bericht  ist  ziemlich  ausführlich  und  hat  augen- 
scheinlich den  Zweck,  das  Verfahren  Riccardi' s,  so  gut  es 
anging,  als  correct  darzustellen1);  seine  Correspondenz  mit 
dem  Inquisitor  zu  Florenz  ist  beigelegt.  Dann  heisst  es 
weiter: 

„In  dem  Buche  sind  folgende  Dinge  gewissermassen  als 
Corpus  delicti  zu  betrachten2): 

„1.  Er  hat  unbefugter  Weise  das  Römische  Imprima- 
tur beigefügt  und  die  Publication  demjenigen  nicht  mitge- 
theilt,  der  jenes  unterschrieben  haben  soll  [Riccardi]. 

„2.  Er  hat  die  Vorrede  mit  anderen  Typen  drucken 
lassen  und  sie  nutzlos  gemacht,  indem  sie  von  dem  Buche 
selbst  getrennt  ist,  und  er  hat  die  Medicin  des  Endes  [das 
am  Schlüsse  mitgetheilte  Argument  Urbans  VIII.]  einem 
Dummkopf  in  den  Mund  gelegt  und  nur  theilweise  mitge- 
theilt  und  so,  dass  man  sie  nur  mit  Mühe  findet;  sie  wird 
dann  von  dem  anderen  Interlocutor  nur  sehr  kühl  gebilligt 
und  so,  dass  das  Gute  nur  angedeutet,  nicht  hervorgehoben 
wird,  was  wenig  guten  Willen  verräth. 

„3.  Er  fehlt  an  vielen  Stellen  des  Buches  und  geht 
über  die  Hypothese  hinaus,  indem  er  entweder  die  Bewe- 
gung der  Erde  und  das  Stillstehen  der  Sonne  absolut  be- 
hauptet, oder  die  Argumente,  auf  welche  er  diese  Meinung 


1)  Schon  dieser  Umstand  spricht  dafür,  dass  Riccardi  (obschon  von 
ihm  in  der  dritten  Person  gesprochen  wird)  der  Verfasser  ist.  Diese  Ver- 
muthung  wird  durch  folgende  Umstände  bestätigt:  1.  In  dem  ersten  Acten- 
stücke heisst  es  von  der  dem  Berichte  beiliegenden  Correspondenz,  der 
Palastmeister  habe  dieselbe  vorgelegt  (S.  53).  2.  Gegen  Ende  des  Berichtes 
heisst  es,  die  als  anstössig  namhaft  gemachten  Punkte  im  Dialog  konnten 
allenfalls  corrigirt  werden;  um  dieselbe  Zeit,  in  der  ersten  Hälfte  des  Sep- 
tember, sagte  Riccardi,  wie  wir  (S.  220)  gesehen,  Niccolini,  er  wolle  eine 
solche_yerbesserung  des  Dialogs  vorschlagen.  —  Dass  das  erste  Actenstück 
der  Entwurf  eines  dem  Papste  vorzulegenden  Berichtes  ist,  zeigt  der  An- 
fang: „Gemäss  dem  Auftrage  Euerer  Heiligkeit  ist  der  ganze  Verlauf  dessen 
dargestellt,  was  sich  bezüglich  des  Druckes  des  Galilei'schen  Buches  zuge- 
tragen." Dass  es  sich  um  einen  blossen  Entwurf  handelt,  zeigt  die  unfer- 
tige Gestalt  des  Berichtes;  s.  u.  S.  240.  Wahrscheinlich  ist  auf  Grund  des- 
selben dem  Papste  mündlich  Vortrag  gehalten  worden. 

2)  Pieralisi  p.  136  gibt  einen  ausführlichen  Commentar  zu  diesen 
Punkten. 


24°  Die  Special-Congregation. 

stüzt,  als  beweisend  und  zwingend  bezeichnet,  oder  die  ent- 
gegengesetzte Ansicht  als  unmöglich  behandelt. 

„4.  Er  behandelt  die  Sache  als  unentschieden  und  so, 
als  ob  eine  [kirchliche]  Entscheidung  [über  die  Copernicani- 
sche  Lehre]  zu  erwarten  und  nicht  schon  gegeben  wäre. 

,,5.  Er  misshandelt  die  gegnerischen  Autoren  und  die- 
jenigen, deren  sich  die  h.  Kirche  am  meisten  bedient  [Ari- 
stoteles u.  s.  w.]. 

„6.  Er  behauptet  und  erklärt  schlecht  eine  Gleichheit 
des  menschlichen  und  des  göttlichen  Geistes  bezüglich  des 
Begreifens  der  geometrischen  Dinge  [bezieht  sich  wohl  auf 
die  Stelle  I,  116]. 

„7.  Er  führt  als  einen  Beweis  für  die  Wahrheit  an, 
dass  die  Ptolemäiker  Copernicaner  würden,  und  nicht  um- 
gekehrt [vgl.  I,   143]. 

„8.  Er  führt  die  Ebbe  und  Fluth  des  Meeres,  welche 
existiren,  auf  das  Stillstehen  der  Sonne  und  die  Bewegung 
der  Erde  zurück,  die  nicht  existiren." 

Es  wird  noch  beigefügt:  ,,Alle  diese  Dinge  könnten 
emendirt  werden,  wenn  man  der  Ansicht  wäre,  dass  das 
Buch  irgend  einen  Nutzen  hätte,  mit  Rücksicht  auf  welchen 
man  ^jese  Gnade  gewähren  müsste"  [wie  bezüglich  des 
Buches  des  Copernicus  verfahren  wurde]. 

„Dem  Verfasser  ist  16 16  vom  h.  Officium  befohlen 
worden:  er  habe  die  besagte  Meinung,  dass  die  Sonne  der 
Mittelpunkt  der  Welt  sei  und  die  Erde  sich  bewege,  gänz- 
lich aufzugeben  und  dürfe  sie  fortan  in  keiner  Weise  mehr 
für  wahr  halten,  lehren  oder  vertheidigen,  weder  mündlich 
noch  schriftlich;  widrigenfalls  werde  im  h.  Officium  wider 
ihn  verfahren  werden;  diesem  Befehle  hat  er  sich  gefügt 
und  zu  gehorchen  versprochen"  \ut  siipradictam  u.  s.  w. 
Es  wird  der  lateinische  Wortlaut  nach  der  Aufzeichnung 
vom  26.  Febr.   1616,  s.  o.  S.  128,  angeführt]. 

Das  erste  Actenstück  gibt  zunächst  einen  Auszug  aus 
dem  Berichte  des  zweiten  über  die  Verhandlungen  über  die 
Approbation  des  Dialogs;  dann  heisst  es  weiter:  „Es  wird 
behauptet;  Galilei  habe  die  (ihm  ertheilten)  Befehle  über- 
treten, indem  er  sich  von  der  Hypothese  entfernt  und  die 
Bewegung  der  Erde  und  das  Stillstehen  der  Sonne  absolut 
behauptet  habe;  er  habe  die  Ebbe  und  Fluth  des  Meeres, 
welche  existiren,  mit  Unrecht  auf  das  Stillstehen  der  Sonne 


Die  Einleitung  des  Processes.  24t 

und  die  Bewegung  der  Erde  zurückgeführt,  welche  nicht 
existiren.  Dieses  sind  die  Hauptpunkte1).  Ferner  [wird 
behauptet]:  er  habe  betrügerischer  Weise  einen  Befehl  ver- 
schwiegen, der  ihm  im  J.  16 16  von  dem  h.  Officium  er- 
theilt  worden  und  der  lautet;  er  habe  die  besagte  Meinung 
u.  s.  w.  Es  ist  also  nun  zu  überlegen,  wie  zu  verfahren  sei 
sowohl  gegen  die  Person  wie  gegen  das  bereits  gedruckte 
Buch'."  Von  den  acht  in  dem  zweiten  Actenstücke  aufge- 
zählten speciellen -Punkten  sind  also  in  das  erste  nur  der 
dritte  und  der  achte  aufgenommen. 

Ein  Beschluss  der  Special -Congregation  ist  in  diesen 
Actenstücken  nicht  enthalten.  In  einem  Briefe  des  Cardinais 
Barberini  an  den  Nuncius  in  Florenz  vom  25.  Sept.  16322) 
wird  aber  gemeldet:  die  Congregation  habe,  nachdem  sie 
fünf  Sitzungen  gehalten  und  alles  wohl  erwogen,  sich  dahin 
ausgesprochen,  dass  die  Sache  der  Congregation  des  h. 
Officiums  zu  übergeben  sei.  Dass  dieses  geschehen  würde, 
liess  der  Papst  durch  einen  seiner  Secretäre  am  15.  Sept. 
Niccolini  mittheilen.  Der  Papst  verpflichtete  dabei  den 
Grossherzog  und  seinen  Gesandten  zum  Stillschweigen  über 
diese  Mittheilung  unter  Androhung  der  auf  der  Verletzung 
des  Geheimnisses  der  Inquisition  stehenden  Censuren,  —  wie 
er  dies  auch  bei  den  Mittheilungen,  die  er  Niccolini  selbst 
bei  Audienzen  machte,  zu  thun  pflegte3). 

Am  2$.  Sept.  1632  beschloss  die  Inquisition,  Galilei 
nach  Rom  zu  citiren.  Der  Darstellung  der  weiteren  Ver- 
handlungen muss  ich  aber  noch  einige  Bemerkungen  vor- 
ausschicken. 

1.  Wohlwill  meint,  in  den  Processacten  fehle  der  An- 
fang des  Processes  vom  J.  16334).  In  dem  von  der  Inquisition 
gefällten  Urtheil  werde  ausdrücklich  als  Veranlassung  die- 
ses  Processes    eine  „Mittheilung    an    die    h.  Congregation" 


1)  Schanz,  Galilei  S.  51,  übersetzt  ganz  unrichtig:  „Aber  die  Haupt- 
punkte sind:  3.  er  habe  betrügerischer  Weise"  u.  s.  w.  Im  Italienischen 
steht  erst  (nach  einem  Komma) :  che  sonno  li  cafii  firincifiali,  dann  nach 
einem  Punkt  und  in  einer  neuen  Zeile:  De  fiiü  che  habbia  etc. 

2)  Zuerst  veröffentlicht  von  Pieralisi  p.   162. 

3)  IX,  425.  428;  s.  o.  S.  224. 

4)  Ist  Gal.  gef.  worden?  S.  100.  Cantor,  Gegenw.  1877,  No.  45,  S.  296, 
und  Scartazzini,  Riv.  Eur.  1878,  X,  425,  stimmen  ihm  bei.  S.  dagegen 
Gebier,   Gegenw.    1878,  No.   19,  S.   296. 

Keusch,  Galilei.  ■  l6 


242  Die  Einleitung  des  Processes. 

bezeichnet,  des  Inhalts,  dass  in  Folge  der  Veröffentlichung 
des  Dialogs  die  falsche  Meinung  von  der  Bewegung  der 
Erde  von  Tag  zu  Tage  mehr  Fuss  fasse  (informata  appresso 
la  Sacra  Co7tgregazionc,  che  con  fimpressione  etc.).  Diese 
„Mittheilung",  die  zur  „sorgfältigen  Prüfung"  des  Buches 
führte,  sei  schwerlich  etwas  anderes  gewesen  als  eine  De- 
nunciation,  wahrscheinlich  des  P.  Scheiner,  und  da  sich  eine 
solche  bei  den  Acten  nicht  finde,  sei  anzunehmen,  dass  sie 
später  daraus  entfernt  worden,  um  „die  Spuren  einer  für 
alle  Zeiten  den  Thäter  entehrenden  Handlung  zu  beseiti- 
gen." —  Das  beruht  auf  einem  Irrthum.  Der  Ausdruck  in 
dem  Urtheil:  informata  la  Sacra  Congregazione  u.  s.  w„  be- 
sagt nur,  die  Inquisition  habe  von  der  Verbreitung  des 
fraglichen  Irrthums  Kenntniss  erhalten.  Eine  solche  Kennt- 
niss  oder  Information,  die  sie  veranlasste,  sich  mit  der 
Sache  zu  beschäftigen,  konnte  die  Inquisition  aber  auch 
ohne  Denunciation  und  ohne  schriftliche  Anzeige  erhalten. 
Sie  konnte  schon  auf  Grund  der  fama  publica  ein  Verfahren 
einleiten1).  In  diesem  Falle  lag  ja  aber  der  Bericht  der 
Special- Congregation  vor.  Wäre  dem  zweiten  Processe  eine 
Denunciation  vorhergegangen,  so  würde  dieselbe  in  dem 
Urtheil  ebenso  wohl  erwähnt  worden  sein,  wie  die  Denun- 
ciation, die  den  ersten  Process  veranlasste,  mit  den  Worten 
erwähnt  wird:  „Du  wurdest  im  J.  161 5  denuncirt"  (fosti  de- 
nunciato)  u.  s.  w.2). 

2.  Urban  VIII.  konnte  allerdings  dem  toscanischen 
Gesandten  sagen:  wenn  er  die  Galilei'sche  Sache  nicht  so- 
fort der  Inquisition,  sondern  zunächst  einer  besondern  Com- 
mission  übergebe,    die    sich    darüber  äussern  solle,    ob   die 


1)  S.  o.  S.  83.  Bangen,  Die  Rom.  Curie  S.  116.  Sacro  Arsenale  p.  38. 
Pasqualone  bemerkt  freilich  p.  37  zu  dieser  Stelle  des  S.  A.,  die  Römische 
Inquisition  vermeide  es,  ex  officio  e  per  via  oVinquisizione  einzuschreiten. 
Man  suchte,  wie  er-  beifügt,  irgend  eine  bestimmte  Person  zu  finden,"  die 
eine  Aussage  machte,  welche  einen  Anlass  zur  Einleitung  des  Processes  bot. 

2)  Targioni  I,  1 1 3  theilt  eine  Notiz  mit,  wonach  in  einem  Briefe  von 
Gaffarello  behauptet  wird,  Galilei  sei  „von  P.  Scheiner  denuncirt  worden"; 
es  wird  die  Vermuthung  beigefügt:  wenn  Scheiner  nicht  der  Denunciant  ge- 
wesen, so  sei  es  vielleicht  Grassi  gewesen.  Wenn  aber  diese  Notiz  über- 
haupt geschichtlichen  Werth  hat,  beweist  sie  nur,  dass  Scheiner  und  Grassi 
als  bei  der  Verfolgung  Galilei's  stark  betheiligt  angesehen  wurden,  nicht 
dass  eine  förmliche,  schriftliche  Denunciation  vorhanden  war. 


Die  Einleitung  des  Processes.  243 

Angelegenheit  anders  als  durch  einen  Inquisitionsprocess 
erledigt  werden  könne,  so  handle  er  damit  besonders  rück- 
sichtsvoll gegen  Galilei  und  geg*en  seinen  Landesherrn  und 
Gönner,  den  Grossherzog1).  Wenn  er  aber  auf  Niccolini's 
Bitte,  man  möge  Galilei  hören  und  ihm  Gelegenheit  bieten, 
sich  zu  vertheidigen,  antwortete:  das  sei  gegen  die  Praxis 
des  h.  Officiums2),  so  war  das  eine  leere  Ausrede.  Jene 
Special- Congregation  war,  wie  Niccolini  dem  Papste  auch 
vorstellte3),  ja  eben  nicht  das  h.  Officium,  und  der  Papst 
hätte,  wenn  er  wollte,  anordnen  können,  dieselbe  solle  Ga- 
lilei anhören  oder  allenfalls  statt  seiner  Castelli,  den  der 
Grossherzog  ersucht  hatte,  sich  die  Vertheidigung  seines 
Lehrers  und  Freundes  angelegen  sein  zu  lassen4). 

3.  Unter  den  von  der  Special- Commission  formulirten 
Anklagepunkten  werden  zwei  als  die  „Hauptpunkte"  be- 
zeichnet: dass  Galilei  die  Copernicanische  Theorie  nicht 
bloss  als  Hypothese  vorgetragen,  und  dass  er  sie  zur  Er- 
klärung der  Erscheinungen  der  Ebbe  und  Fluth  angewen- 
det. Offenbar  war  ersteres  der  Hauptpunkt;  der  zweite 
Punkt  ist  augenscheinlich  nur  beigefügt,  weil  daran  Urban 
VIII.,  wie  wir  oben  (S.  206)  gesehen,  besondern  Anstoss  nahm. 
Neben  und  nach  diesen  ,, Hauptpunkten"  wird  auf  das  Ga- 
lilei 16 16  insinuirte  Verbot  Bezug  "genommen.  Die  Ueber- 
tretung  dieses  Verbotes  wurde  also,  wenigstens  nach  die- 
sem Actenstücke,  von  der  Congregation  nicht  als  der,  nicht 
einmal  als  ein  Hauptpunkt  angesehen.  Damit  steht  nicht 
in  Widerspruch,  dass  Riccardi  am  11.  Sept.  1632 5),  also 
gerade  in  der  Zeit,  wo  die  Berathungen  der  Special-Con- 
gregation  stattfanden,  Niccolini  sagte:  man  habe  in  den 
Büchern  des  h.  Officiums  jenes  Verbot  gefunden,  und  „das 
allein  sei  genug\  um  Galilei  zu  ruiniren".  Man  hätte  ja  in 
der  That  Galilei  „ruiniren"  können,  indem  man  ihn  wegen 
Ungehorsams  gegen  dieses  Verbot  verurtheilte.  Aber  auch, 
wenn   man  ihm  wegen   des  Vortragens  einer    unkirchlichen 


1)  IX,  421.  425.  426.  2)  IX,  421.  3)  IX,   426. 

4)  IX,  297.  Die  Darstellung  "Wohlwills,  Ist  Gal.  gef.  worden?  S.  42 
ist  nicht  ganz  richtig.  Thatsächlich  war  freilich  die  Special-Congregation 
„nichts  weiter  als  eine  Commission  der  Inquisition,  welche  erst  einen  brauch- 
baren Anklagepunkt  ausfindig  zu  machen  hatte".  Aber  formell  war  sie  nicht 
eine  „auf  Befehl  der  Inquisition  eingesetzte"  Commission,  —  was  auch  Suppl. 
322.  329  nicht  gesagt  wird.  5)  IX,  424. 


244  Die  Einleitung  des  Processes. 

Meinung  den  Process  machte,  war  das  betreffende  Acten- 
stück,  wie  wir  sehen  werden,  ein  sehr  brauchbares,  wenn 
auch  nicht  unentbehrliches  Mittel,  ihn  zu  ,,,ruiniren". 

Dass  die  Special-Congregation  in  ungefähr  einem  Mo- 
nate mit  ihrer  Arbeit  fertig  wurde,  überraschte  Manche. 
Magalotti  schrieb  am  4.  Sept ,  also  etwa  zehn  Tage  früher, 
als  die  Congregation  ihren  Bericht  erstattete,  an  Gui- 
ducci1):  „Ich  glaube,  wir  müssen  uns  jetzt  mit  Geduld  waff- 
nen  und,  da  sie  sich  einmal  auf  diese  Congregation  einge- 
lassen haben,  die  Sache  laufen  lassen  und  nicht  forciren. 
So  wird  sie  sich  in  die  Länge  ziehen ;  denn  sie  werden  ent- 
weder bei  der  Berathung,  —  falls  sie,  wie  es  sich  doch  ge- 
bührt, die  Frage  untersuchen  wollen,  —  auf  unlösbare 
Schwierigkeiten  stossen,  zumal  die  Meisten  von  diesen  Din- 
gen nichts  verstehen,  oder  sie  werden  müde  werden,  und 
so  wird  die  Geschichte  eines  natürlichen  Todes  sterben.  Es 
wäre  nicht  übel,  wenn  der  Gesandte  in  einigen  Wochen 
unter  dem  Vorwande,  Galilei's  Bereitwilligkeit,  den  Befehlen 
der  Oberen  zu  gehorchen,  in  Erinnerung  zu  bringen,  ein- 
mal wieder  sondirte,  aber  nur  bei  dem  Pater  Riccardi  oder 
höchstens  bei  dem  Cardinal  Barberino,  vor  allem  nicht  bei 
unserm  Herrn,  aus  Gründen,  die  ich  nicht  anzuführen  brauche." 
An  demselben  Tage  schrieb  er  an  Galilei2),  der  die  Be- 
fürchtung geäussert  hatte,  man  gehe  darauf  aus,  die  Coper- 
nicanische  Lehre  als  ketzerisch  zu  verdammen :  „Selbst  wenn 
die  Mehrzahl  der  Mitglieder  der  Congregation  der  Ansicht 
sein  sollte,  die  Copernicanische  Meinung  sei  falsch,  so  glau- 
be ich  nicht,  dass  es  dazu  kommen  würde,  dass  sie  von  der 
höchsten  Autorität  für  falsch  erklärt  würde.  Ich  stütze 
mich  dabei  auf  Aeusserungen  solcher,  welche  bei  dem  h. 
Officium  beschäftigt  sind,  wo  hauptsächlich  über  die  die 
Dogmen  betreffenden  Materien  verhandelt  wird.  Diese 
sagen:  es  gebe  in  der  Kirche  Gottes  Controversen ,  bei 
denen  zum  Theil  die  Bibel  und  die  h.  Väter  ganz  deutlich 
für  die  eine  Ansicht  zu  sprechen  scheinen,  und  es  gebe  sol- 
cher Controversen  noch  mehr  in  Cultus- Angelegenheiten, 
—  z.  B.  die  Empfängniss  der  Madonna,  —  und  doch  wür- 
den solche  Controversen  niemals  ohne  die  dringendste  Noth- 


1)  Suppl.  327.  2)  Suppl.  329. 


Die  Einleitung  des  Processes.  245 

wendigkeit  oder  ohne  ein  allgemeines  Concil  entschieden 
werden.  Nach  allem,  was  ich  von  dem  Pater  Riccardi  höre, 
glaube  ich,  dass  es  nicht  auf  etwas  der  Art  abgesehen  ist, 
sondern  nur  auf  eine  Emendation  Ihres  Dialogs  durch  Bei- 
fügung oder  Streichung  einiger  Stellen,  so  weit  dieses 
nöthig  zu  sein  scheint,  um  das  frühere  Decret  [von  16 16] 
in  Kraft  zu  erhalten." 

Selbst  als  Galilei  bereits  nach  Rom  citirt  war,  schrieb 
Micanzio,  von  welchem  schon  oben  (S.  218)  einige  Aeusse- 
rungen  mitgetheilt  wurden,  am  9.  Oct.  *):  „Ich  kann  nicht 
fürchten,  dass  Sie  in  Rom  Hartes  sollten  zu  leiden  haben; 
denn  Ihre  Sache  ist  zu  gerecht.  Ihr  Buch  trägt  selbst  seine 
Rechtfertigung  in  sich.  . .  Sicher  wird  diese  Unannehmlich- 
keit in  Wirklichkeit  viel  geringer  sein,  als  sie  sich  ansieht. 
Sie  reisen  nach  Rom  unter  dem  Schutze  Ihrer  Hoheiten; 
dessen  müssen  Sie  sich  in  jeder  Weise  versichern.  Diejenigen, 
welche  von  Ihnen  Gehorsam  (gegen  den  Befehl,  nach  Rom 
zu  kommen)  verlangen,  werden  auch  Ihre  Tugend  lieb  ge- 
winnen, Ihr  Alter  berücksichtigen  und  Ihre  reine  Absicht 
anerkennen.  Der  Papst  selbst,  ein  so  ausgezeichneter  Freund 
der  Literatur  und  Wissenschaft,  wird  der  Bosheit  den  Weg 
versperren.  Fassen  Sie  Muth,  Gott  wird  Ihnen  beistehen; 
Ich  denke,  das  Schlimmste,  was  kommen  kann,  wird  sein, 
dass  man  von  Ihnen  nicht  einen  Widerruf,  —  der  nicht  am 
Platze  ist,  wo  keine  Lehre  vorgetragen  ist,  —  sondern  eine 
Widerlegung  der  Copernicanischen  Gründe  verlangt;  diese 
werden  Sie  liefern,  so  gut  Sie  können."  Am  30.  October2) 
schreibt  derselbe  Micanzio:  „Ich  erinnere  mich,  dass  die 
Curie,  wenn  ein  Buch  angeklagt  wird  und  sie  dasselbe  ver- 
bieten zu  müssen  glaubt,  wenn  es  auch  keine  der  Religion 
zuwider  laufende  Sätze  enthält,  dieses  nicht  thut,  ohne  den 
Verfasser  oder  denjenigen  zu  citiren,  der  ein  Interesse  dabei 
hat,  es  zu  vertheidigen.  Da  Sie  nun  die  Sache  so  behan- 
delt haben,  dass  ich  nicht  weiss,  was  man  zu  tadeln  finden 
kann,  —  da  Sie  nichts  entscheiden,  sondern  alles  in  suspenso 
lassen,  —  und  da  Sie  nicht  für  Ihre  Ansicht  Propaganda  ge- 
macht, sondern  sie  nur  in  der  Schule  behandelt  und  in 
Büchern  haben  drucken  lassen,  so  ist  es  möglich,  dass 'die 
Wuth  und  der  Neid  es  darauf  anlegen,  das  Verbot  des  Bu- 


IX,  298.  2)  IX,  307. 


246  Die  Haltung  des  toscanischen  Hofes. 

ches  herbeizuführen.  In  diesem  Falle  rathe  ich  Ihnen,  sich 
nicht  zu  vertheidigen  und  zu  ärgern,  sondern  sich  unbedingt 
dem  zu  fügen,  was  man  verlangt.  So  werden  Sie  aus  der 
Verdriesslichkeit  herauskommen,  und  Sie  dürfen  gewiss  sein, 
das  wird  keine  andere  Folge  haben,  als  dass  das  Werk  um 
so  mehr  Absatz  und  Anerkennung  finden  und  um  so  eher 
übersetzt  und  in  anderen  Ländern  und  Sprachen  gedruckt 
werden  wird.  Ueberlegen  Sie,  ob  Sie  nicht  durch  die  aus- 
drückliche Erklärung,  Sie  verlangten  für  Ihr  Buch  nichts 
anderes,  als  dass  jene  damit  machten,  was  sie  wollten,  dazu 
beitragen  können,  dass  die  Sache  sich  so  abwickle."  Mican- 
zio  nahm  also,  —  wie  der  Verlauf  der  Sache  zeigt,  irrthüm- 
lich  —  an,  Galilei  sei  nur  nach  Rom  citirt  worden,  um  vor 
dem  beabsichtigten  Verbot  seines  Buches  gehört  zu  werden. 
Während  dieser  ersten  Phase  des  Vorgehens  gegen 
Galilei  nahm  sich  der  Grossherzog  von  Toscana  desselben 
sehr  warm  an.  Am  24.  August  1632 ')  richtete  der  Staats- 
secretär  Cioli  an  den  Gesandten  Niccolini  folgendes,  —  wie 
das  noch  erhaltene  Concept  zeigt,  von  Galilei  selbst  ver- 
fasste  —  Schreiben:  ,, Seine  Hoheit  ist  sehr  verwundert  dar- 
über, dass  ein  Buch,  welches  der  Verfasser  selbst  in  Rom 
der  höchsten  Autorität  vorgelegt  hat  und  welches  dort  sehr 
aufmerksam  gelesen  und  wieder  gelesen, . . .  welches  dann 
hier,  entsprechend  der  Weisung  Roms,  in  derselben  Weise 
geprüft  und  endlich  dort  und  hier  approbirt  worden  ist,  jetzt, 
nach  zwei  Jahren,  beanstandet  wird  . . .  Seine  Hoheit  wun- 
dert sich  um  so  mehr,  da  er  weiss,  dass  in  dem  Buche  nir- 
gendwo eine  Entscheidung  zu  Gunsten  der  einen  von  den 
beiden  darin  behandelten  Ansichten  gegeben  wird,  dass  viel- 
mehr nur  alle  Gründe,  Beobachtungen  und  Erfahrungen  dar- 
gelegt werden,  welche  für  die  eine  und  die  andere  Meinung 
angeführt  werden  können,  und  dass  dieses,  wie  Seine  Ho- 
heit sicher  weiss,  nur  im  Interesse  der  heiligen  Kirche  ge- 
schieht, damit  bezüglich  der  ihrer  Natur  nach  schwer  ver- 
ständlichen Materien  diejenigen,  welche  darüber  zu  berathen 
haben,  im  Stande  wären,  mit  weniger  Mühe  und  Zeitverlust 
zu  erkennen,  welche  Ansicht  der  Wahrheit  näher  kommt, 
und  mit  dieser  die  Auslegung  der  h.  Schrift  in  Einklang  zu 
bringen.     Und   wenn  man  auch  sagen  könnte,  man  bedürfe 

1)  VII,  3. 


Die  Haltung  des  toscanischen  Hofes.  247 

dort,  wo  es  intelligente  Männer  in  Ueberfluss  gebe,  der  Hülfe 
und  des  Rathes  nicht,  so  muss  doch  der  Eifer  und  gute  Wille 
eines  Jeden  anerkannt  werden,  welcher,  um  seinem  eigenen 
Gewissen  zu  genügen,  seinen  wenn  auch  schwachen  Kräf- 
ten entsprechend,  eifrig  arbeitet.  Aus  diesen  Gründen  ist 
Seine  Hoheit  geneigt,  zu  glauben,  dass  diese  Agitation  [ge- 
gen Galilei' s  Buch]  in  einer  nicht  wohlwollenden  Gesinnung 
ihren  Grund  hat,  mehr  gegen  die  Person  als  gegen  das  Buch 
des  Verfassers  oder  gegen  die  Meinung  dieses  oder  jenes 
altern  oder  neuern  Gelehrten.  Um  sich  aber  über  die  Schuld 
oder  Unschuld  seines  Dieners  zu  vergewissern,  wünscht 
Seine  Hoheit,  dass  demselben  gestattet  werde,  was  von  allen 
Gerichtshöfen  dem  Angeklagten  gestattet  wird,  ich  meine 
die  Vertheidigung  gegen  die  Ankläger,  und  dass  die  Ankla- 
gen, welche  gegen  das  Buch  erhoben  werden, .  .  .  dem  Ver- 
fasser vorgelegt  werden.  Derselbe  vertraut  so  sehr  auf 
seine  Unschuld  und  ist  so  fest  überzeugt,  dass  jene  Agita- 
tion nur  auf  einer  Verleumdung  seiner  Feinde  beruhe,  die 
er  schon  früher  bei  anderen  Gelegenheiten  kennen  gelernt, 
dass  er  Seine  Hoheit  gebeten  hat,  ihn  seines  Amtes  und 
seiner  Gnade  verlustig  zu  erklären,  wenn  er  nicht  handgreif- 
lich beweise,  dass  er  fromm,  religiös  und  in  diesen  Dingen 
durchaus  heilig  gesinnt  sei  und  stets  gewesen  sei.  Seine 
Hoheit  .  .  .  verlangt  also,  dass  ihm  die  Anklagen  übersandt 
werden,  wegen  deren  das  Buch  suspendirt  worden  ist  und 
wegen  deren  man  vielleicht  das  Verbot  desselben  zu  erwir- 
ken sucht.  Ew.  Excellenz  können  sich  also  geeigneten  Ortes 
dieser  Weisung  entsprechend  äussern,  damit  die  so  gerechte 
Forderung  Seiner  Hoheit  erfüllt  werde." 

In  den  Berichten  Niccolini's  wird  noch  ein  Schreiben 
Cioli's  vom  30.  August  erwähnt,  welches  nicht  erhalten  ist, 
aber  gleichfalls  sehr  energisch  gehalten  gewesen  sein  muss  *). 
Niccolini  trug  Bedenken,  den  Inhalt  desselben  dem  Papste 
zur  Kenntniss  zu  bringen,  da  dieser  dadurch  nur  noch  mehr 
erbittert  werden  würde,  und  Pater  Riccardi  sagte  ihm:  wenn 
man  Galilei  ruinfren  und  mit  Seiner  Heiligkeit  brechen  wolle, 
müsse  Niccolini  solche  Vorstellungen  machen;  zu  helfen  sei 
Galilei  nur  durch  Temporisiren;  er  selbst  verpfände  seine 
Ehre  und  sein  Leben  dafür,   dass  er  für  Galilei  thun  wolle, 

1)  IX,  423. 


248  Galilei's  Vorladung  nach  Rom. 

was  er  könne.     Am  18.  Sept.  machte  Niccolini  dem  Papste 
nochmals  Vorstellungen;  aber  vergebens. 

Niccolini  erwies  sich  auch  in  der  folgenden  Zeit  als 
Galilei's  treuen  und  eifrigen  Freund.  Für  den  Staatssecre- 
tär  Cioli  aber  ist  folgende  Stelle  aus  einem  seiner  Briefe l) 
charakteristisch:  „Der  Grossherzog  hat  die  Lage  der  An- 
gelegenheit des  Mariano  Alidosi  und  Galilei's  vernommen 
und  ist  dadurch  in  eine  solche  Alteration  versetzt,  dass  ich 
nicht  weiss,  wie  die  Sache  ablaufen  wird.  So  viel  aber  weiss 
ich,  dass  Seine  Heiligkeit  nie  Grund  haben  wird,  sich  über 
die  Minister  und  über  deren  bösen  Rath  zu  beklagen."  Im 
März  1633  schreibt  er  an  Niccolini2),  —  was  beinahe  wie  ein 
Verweis  klingt:  „Bezüglich  des  Herrn  Galilei  sind  die  Vor- 
stellungen, die  Sie  aufs  neue  Seiner  Heiligkeit  gemacht 
haben  [Niccolini  hatte  ausführlich  darüber  berichtet],  Seiner 
Hoheit  so  warm  (ardente)  vorgekommen,  dass  er  sich  dar- 
über gewundert  hat,  dass  Seine  Heiligkeit  nicht  noch  mehr 
darüber  in  Zorn  gerathen  ist,  als  Sie  schreiben3)." 


XX. 
Galilei's  Vorladung  nach  Rom. 

Nachdem  die  Galilei'sche  Angelegenheit  der  Inquisition 
übergeben  worden,  beschloss  diese  in  der  am  2$.  Sept.  1632 
unter  dem  Vorsitze  des  Papstes  gehaltenen  Sitzung,  Galilei 


1)  Wolynski,  La  diplomazia  Toscana  p.  45.  2)  IX,  438. 

3)  Andrea  Cioli  von  Cortona,  —  in  Galilei's  Correspondenz  heisst  er 
gewöhnlich  il  Ball  Cioli  als  Ritter  (oder  Comthur)  des  von  Cosimo  I.  ge- 
stifteten St.  Stephansordens,  —  „stieg  aus  bescheidenster  Stellung  in  Ferdi- 
nands (I.)  letzter  Zeit  zu  höchstem  Ansehen  auf.  Als  Ferdinand  II.  1621 
elfjährig  seinem  Vater  folgte,  wurde  Cioli  Staatssecretär  für  das  Innere;  das 
Staatssecretariat  des  Aeussern  behielt  Curzio  Picchena,  der  aber  1626  starb. 
1632  war  Ferdinand  II.  22  Jahre  alt  und  führte  schon  seit  fünf  Jahren  die 
Regierung;  aber  er  war  schwach  und  unselbständig,  und  Cioli  war  nicht  der 
Mann,  Rom  gegenüber  das  dem  Herrscher  Mangelnde  zu  ergänzen."  Reumont, 
Gesch.  Toscana's  I,  398.  401.  553. 


Galilei's  Brief  an  Card.  Barberini.  249 

durch  den  Inquisitor  zu  Florenz  amtlich  aufzufordern,  sich 
im  October  vor  dem  General- Commissar  des  h.  Officiums 
zu  stellen.  Der  Inquisitor  wurde  angewiesen,  von  Galilei 
eine  schriftliche  Erklärung  zu  verlangen,  dass  er  gehorchen 
wolle,  und  zwar,  ohne  dass  er  dieses  merke,  vor  Notar 
und  Zeugen,  die  eventuell,  falls  er  sich  weigere,  dieses  be- 
zeugen könnten1).  Der  Inquisitor  führte  seinen  Auftrag  am 
1.  Oct.  aus.  Galilei  erklärte  sich  sofort  bereit  und  gab  diese 
Erklärung  auch  schriftlich,  worauf  sie  der  Inquisitor  mit  den 
Unterschriften  seines  Kanzlers  und  zweier  Zeugen  nach  Rom 
schickte2). 

Galilei  gehorchte  indess  nicht  sofort,  sondern  versuchte 
zunächst,  eine  Aenderung  des  Befehles  der  Inquisition  zu 
bewirken.  In  einem  Briefe  vom  6.  Oct.  an  Cioli3)  äussert 
er  die  Absicht,  nach  Siena  zu  kommen,  wo  sich  der  gross- 
herzogliche Hof  aufhielt,  „um  dem  Grossherzog  die  Mittel 
und  Wege  vorzuschlagen,  —  deren  mir  mehrere  durch  den 
Kopf  gehen,  —  um  mich  als  das  zu  zeigen,  was  ich  bin, 
als  einen  gehorsamen  und  eifrigen  Sohn  der  Kirche,  und 
dabei  als  von  dem  "Wunsche  beseelt,  mich  so  viel  wie  mög- 
lich gegen  die  ungerechten  Verdächtigungen  zu  vertheidigen, 
durch  welche  vielleicht  die  Oberen  gegen  mich  aufgehetzt 
sind."     Die  Reise  kam  indess  nicht  zur  Ausführung. 

Am  13.  Oct.  schrieb  er  dann  an  den  Cardinal  Francesco4) 
Barberini  einen  langen  Brief. 

„Dass  mein  neulich  veröffentlichter  Dialog,  beginnt  der- 
selbe, Widerspruch  finden  werde,  haben  ich  und  alle  meine 


1)  Acten  S.  63  (facsimilirt  bei  Epinois  p.  52).  Dass  es  sich  hier  nicht 
um  einen  Befehl  des  Papstes  handelt,  wie  Wolynski  p.  50  meint,  sondern  um 
einen  Ureter  dessen  Vorsitz  gefassten  Beschluss  der  Inquisition,  zeigen,  —  ab- 
gesehen davon,  dass  der  23.  Sept.  ein  Donnerstag,  also  der  gewöhnliche  Sitzungs- 
tag, war,  —  die  Worte:  der  Inquisitor  solle  Galilei  nomine  S.  Congregationis 
auffordern.  Dass  über  den  Beschluss  bei  Gherardi  keine  Aufzeichnung  vor- 
handen ist,  spricht  nicht  dagegen,  da  bei  ihm  auch  andere  Aufzeichnungen 
fehlen.  Die  Instruction  für  den  Inquisitor  wird  vollständiger  in  einem  Briefe 
des  Card.  Fr.  Barberini  an  den  Nuncius  in  Florenz,  Pieralisi  p.  163,  mitge- 
theilt.  Hier  und  Acten  S.  63  steht:  Galilei  solle  „für  den  ganzen  October" 
nach  Rom  kommen;    Galilei  selbst  sagt  VII,  8:    „vor  Ablauf  des  October". 

2)  Acten  S.  65;  s.   o.   S.   134.  3)  VII,  6. 

4)  Nicht  an  den  altern  Antonio,  wie  Alberi  VII,  7,  und  ebenso  wenig 
an  den  jungem  Antonio,   wie  Gebier,  Galilei  S.  219,  meint;  s.  Pieralisi  p.  171. 


250  Galilei's  Brief  an  Card.  Barberini. 

Freunde  vorhergesehen;  das  Hessen  die  Angriffe  erwarten, 
welche  meine  früher  gedruckten  Schriften  erfahren  haben, 
und  das  scheint  das  gewöhnliche  Loos  der  Lehren  zu  sein, 
welche  von  den  herrschenden  und  eingewurzelten  Meinun- 
gen irgendwie  abweichen.  Aber  dass  der  Hass,  den  Einige 
gegen  mich  und  meine  Schriften  tragen,  —  lediglich  darum, 
weil  diese  den  Glanz  der  ihrigen  theilweise  verdunkeln,  —  im 
Stande  sein  würde,  in  den  heiligen  Gemüthern  der  Oberen 
die  Vorstellung  zu  erwecken,  dass  mein  Buch  des  Lichtes 
unwürdig  sei,  das  habe  ich  in  der  That  nicht  erwartet."  Er 
sei  darum  schmerzlich  überrascht  gewesen,  fährt  er  fort,  als 
vor  zwei  Monaten  ihm  und  dem  Drucker  verboten  worden 
sei,  das  Buch  auszugeben;  noch  tiefer  habe  es  ihn  be- 
trübt, —  obschon  er  bereit  sei,  „auf  den  leisesten  Wink  der 
Oberen  nicht  nur  nach  Rom,  sondern  bis  ans  Ende  der  Welt 
zu  kommen",  —  dass  er  jetzt  förmlich  vor  das  Tribunal  des 
h.  Officiums  citirt  worden  sei,  was  doch  nur  solchen  zu  wi- 
derfahren pflege,  die  sich  schwer  vergangen  hätten.  Diese 
Betrübniss  habe  zu  der  Last  seiner  siebenzig  Jahre  und  zu 
seinen  anderen  körperlichen  Leiden  noch  eine  beständige 
Schlaflosigkeit  hinzugefügt,  so  dass  er  fürchten  müsse,  die 
weite  und  beschwerliche  Reise  nach  Rom  nicht  ohne  Lebens- 
gefahr machen  zu  können.  Der  Cardinal  möge  ihm  mit 
Rücksicht  auf  seinen  bemitleidenswerthen  Zustand  die  Er- 
laubniss  erwirken,  sich  zunächst  schriftlich  zu  verantworten. 
„Ich  bin  gern  bereit,  eine  ganz  genaue  und  aufrichtig-e 
Darstellung  alles  dessen  zu  verfassen,  was  ich  gesagt,  ge- 
schrieben und  gethan  seit  dem  ersten  Tage,  an  welchem  das 
Buch  des  Copernicus  und  die  Erneuerung  seiner  Meinung 
eine  Bewegung  hervorgerufen.  In  dieser  Schrift  glaube  ich 
die  Reinheit  meiner  Absicht  und  meine  lautere,  eifrige  und 
heilige  Gesinnung  gegen  die  h.  Kirche,  ihr  Oberhaupt  und 
ihre  Diener  so  klar  und  überzeugend  nachweisen  zu  können, 
dass  Jeder,  der  von  Leidenschaft  frei  ist,  wird  gestehen 
müssen,  ich  habe  mich  so  fromm  und  katholisch  verhalten, 
dass  keiner  der  Väter,  die  als  Heilige  verehrt  werden, 
eine  grössere  Frömmigkeit  hätte  beweisen  können.  Ich  be- 
sitze noch  alle  Schriftstücke,  die  ich  aus  diesem  Anlass 
hier  und  in  Rom  verfasst  habe;  aus  diesen  wird  Jeder,  — 
ich  wiederhole  es,  —  ersehen,  dass  ich  mich  mit  dieser  Sache 
nur  aus  Eifer  für  die  h.  Kirche  und  nur  darum  befasst  habe, 


Galilei's  Brief  an  Card.  Barberini.  251 

um  den  Dienern  derselben  diejenigen  Kenntnisse  vorzulegen, 
welche  ich  durch  meine  langen  Studien  gewonnen,  und  de- 
ren vielleicht,  da  es  sich  um  dunkele  und  weniger  bekannte 
Dinge  handelt,  der  Eine  oder  Andere  bedürftig  sein  könnte. 
Ich  bin  auch  überzeugt,  es  wird  mir  sehr  leicht  sein,  zu  zei- 
gen, dass  ich  mich  zu  dieser  Arbeit  namentlich  durch  die 
Entscheidungen  und  heiligen  Vorschriften  habe  bestimmen 
lassen,  welche  sich  an  so  vielen  Stellen  in  den  Büchern  der 
h.  Lehrer  der  h.  Kirche  finden,  und  dass  ich  mich  schliess- 
lich in  diesem  Vorsatze  dadurch  befestigt  gefühlt  habe,  dass 
ich  einen  ganz  kurzen,  aber  sehr  heiligen  und  bewunderungs- 
würdigen Ausspruch  vernahm,  welcher  wie  ein  Echo  des  h. 
Geistes  unwillkürlich  aus  dem  Munde  eines  durch  Gelehr- 
samkeit ausgezeichneten  und  wegen  seines  heiligen  Lebens 
ehrwürdigen  Mannes  kam  1),  —  einen  Ausspruch*,  der  in  we- 
niger als  zehn  witzig  anmuthigen  Worten  das  enthielt,  was 
aus  langen  in  den  Schriften  der  h.  Lehrer  vorkommenden 
Erörterungen  zu  entnehmen  ist.  Ich  verschweige  für  jetzt 
diesen  bewunderungswürdigen  Ausspruch  und  den  Urheber 
desselben,  da  ich  nur  vorsichtig  und  behutsam  einen  Andern 
in  diese  Angelegenheit  hineinziehen  zu  dürfen  glaube,  bei 
der  es  sich  nur  um  meine  Person  handelt.  Wenn  es  mir 
gelingt,  diese  Gunst  zu  erlangen,  so  hoffe  ich  zu  erreichen, 
dass  jene  weisen  und  gerechten  Väter  meine  Unschuld  an- 
erkennen und  staunen  werden  über  eine  Intrigue,  welche 
von  Jemand  angezettelt  worden  ist,  der  sich  .  .  .  durch  Hass 
gegen  meine  Person  hat  verblenden  und  antreiben  lassen." 
—  Wenn  diese  schriftliche  Verantwortung  nicht  genüge,  fährt 
er  fort,  könne  man  ihn  ja  immer  noch  nach  Rom  citiren. 
Vorläufig  sei  er  für  seine  Schuld,  falls  der  Schatten  einer 
solchen  vorhanden  sei,  mehr  als  genug  bestraft  durch  die 
Verdriesslichkeit,  welche  ihm  jetzt  schon  durch  die,  wie 
er  fürchte,    von    sehr  wenig   lauteren   Motiven  veranlassten 


1)  Alberi  meint,  es  sei  an  den  Erzbischof  Ascanio  Piccolomini  von 
Siena  oder  an  den  Erzbischof  Gio.  Batista  Rinuccini  von  Fermo  zu  denken. 
Grisar  S.  191  meint,  Galilei  spreche  von  Bellarmin  und  denke  an  dessen  oben 
S.  67  erwähnte  Aeusserung:  wenn  die  Bewegung  der  Erde  bewiesen 
werde,  müsse  man  die  betreffenden  Bibelstellen  anders  deuten  als  bisher. 
Aber  nach  dem  Schlüsse  des  Passus  scheint  es  sich  um  einen  damals  noch 
lebenden  Prälaten  zu  handeln. 


252  Galilei's  Brief  an  Card.  Barberini. 

Denunciationen  Anderer  bereitet  worden  sei.  „Und  sollte 
diese  meine  schriftliche  Verantwortung-  nicht  bezüglich  aller 
derjenigen  Punkte  ausreichend  sein,  wegen  deren  eine  Klage 
wider  mich  erhoben  worden  ist,  so  können  mir  die  beson- 
deren Schwierigkeiten  vorgelegt  werden,  und  ich  werde  dar- 
auf antworten,  was  Gott  mir  eingeben  wird.  Aber  ich  halte 
es  für  möglich,  Eminenz  und  Hochwürdigster  Herr,  dass 
meine  Feinde  nicht  eben  so  schnell  bei  der  Hand  sein  wer- 
den, das  zu  Papier  zu  bringen,  was  sie  mündlich  und  ad  aures 
gegen  mich  vorgebracht  haben  mögen,  wie  ich  bereit  bin, 
meine  Vertheidigung  schriftlich  auszuarbeiten. "  —  "Verlange 
man  aber  eine  mündliche  Verhandlung,  so  könne  ja  der  In- 
quisitor oder  der  Nuncius  oder  der  Erzbischof  zu  Florenz 
mit  seiner  Vernehmung  beauftragt  werden.  „So  viel  ich 
weiss,  werden  selbst  Sachen  von  grösserer  Wichtigkeit  vor 
diesen  Tribunalen  verhandelt.  Es  ist  ja  doch  auch  nicht 
wahrscheinlich,  dass  unter  den  so  scharfblickenden  und  wach- 
samen Augen  derjenigen,  welche  mein  Buch  revidirt  haben 
und  welche  volle  Freiheit  hatten,  nach  Belieben  zu  streichen, 
beizufügen  und  zu  ändern,  ein  Irrthum  unbeachtet  geblieben 
sein  sollte,  der  zu  bedeutend  wäre,  um  von  den  Oberen  der 
hiesigen  Stadt  corrigirt  und  gestraft  werden  zu  können."  * 

„Das  sind  die  Vorschläge,  Eminenz,  schliesst  der  Brief, 
welche  ich  über  die  Art  und  Weise  zu  machen  habe,  wie 
mein  Leben  geschont  und  doch  jenem  erhabenen  und  ehr- 
würdigen Tribunale  Genüge  geschehen  könnte.  Ich  bitte  Sie, 
die  Güte  zu  haben,  sie  demselben  vorzulegen  und  zugleich, 
mich  zu  entschuldigen,  wenn  ich  aus  Unwissenheit  dabei 
etwas  versehen  haben  sollte.  Sollten  aber  weder  mein  hohes 
Alter,  noch  meine  körperlichen  Leiden,  noch  meine  gedrückte 
Stimmung,  noch  die  Länge  einer  unter  den  gegenwärtigen 
Verhältnissen  sehr  unbequemen  Reise  von  j eifern  heiligen 
und  erhabenen  Tribunale  als  genügende  Gründe  angesehen 
werden,  mir  die  Reise  zu  erlassen  oder  mir  einen  Aufschub 
zu  gewähren,  so  werde  ich  mich  auf  den  Weg  machen,  da 
ich  lieber  sterben  als  ungehorsam  sein  will." 

Diesen  Brief  sandte  Galilei  an  Niccolini  mit  der  Bitte, 
ihn  dem  Cardinal  zu  übergeben.  Niccolini  schrieb  am  2$. 
Oct.1),  der  Papst  und  der  Cardinal  seien  zu  Castel  Gandolfo 


)  IX,  304. 


Galilei's  Brief  an  Card.   Barberini.  253 

und  kämen  nicht  vor  Allerheiligen  zurück;  er  habe  also  den 
Brief  noch  nicht  abgeben,  auch  noch  nicht  mit  Castelli  spre- 
chen können,  der  gleichfalls  in  Castel  Gandolfo  sei.  Er 
fügte  bei:  ,,Soll  ich  offen  reden,  so  fürchte  ich,  der  Brief 
möge  eher  erbittern  als  beschwichtigen;  denn  wenn  Sie  an- 
deuten, Sie  könnten  alles,  was  Sie  geschrieben,  vertheidigen 
und  sich  darüber  verantworten,  so  wird  man  um  so  mehr 
geneigt  sein,  das  Buch  ganz  zu  verdammen.  Merken  Sie 
sich  als  Antwort  auf  Ihre  Vorschläge  dieses :  man  wird  sich 
nie  dazu  herbeilassen,  Ihnen  zu  gestatten,  sich  schriftlich 
zu  vertheidigen,  und  eben  so  w^enig  wird  man  dort  einen 
Richter  für  Sie  bestellen.  Einen  Aufschub  wird  man  Ihnen, 
glaube  ich,  nicht  verweigern,  aber  nur  für  eine  sehr  kurze 
Zeit.  Was  die  Sache  selbst  angeht,  so  glauben  Sie  mir 
nur:  es  wird  nöthig  sein,  dass  Sie  nicht  eine  Vertheidigung 
der  Dinge  versuchen,  welche  die  Congregation  nicht  billigt, 
sondern  dass  Sie  dieser  sich  unterwerfen  und  in  der  Weise, 
wie  die  Cardinäle  derselben  wollen,  widerrufen;  sonst  wird 
die  Erledigung  Ihrer  Sache  sehr  schwierig  werden,  wie  das 
viele  Andere  erfahren  haben;  und  als  Christen  können  wir 
ja  auch  nichts  anderes  verlangen,  als  was  jene,  als  das 
höchste  Tribunal,  das  nicht  irren  kann,  wollen.  In  dieser 
Weise  würde  Ihre  Sache  leicht  erledigt  werden  können; 
aber  dass  dieses  ohne  Process  und  darum  ohne  ein  wenig 
Beschränkung  Ihrer  persönlichen  Freiheit  geschehen  könne, 
glauben  Sie  das  nicht.  —  In  dem  IJriefe  an  den  Cardinal 
deuten  Sie  an,  Sie  hätten  von  einem  hochgestellten  Manne 
einen  Ausspruch  wie  ein  Echo  des  h.  Geistes  vernommen. 
Wenn  der  Brief  übergeben  wird,  so  wird  er  ohne  Zweifel 
der  Congregation  vorgelegt  werden,  —  dazu  sind  die  Car- 
dinäle derselben  verpflichtet,  —  und  dann  wird  man  wissen 
wollen,  wer  das  gewesen  sei.  Ich  behalte  mir  also  vor,  ehe 
ich  den  Brief  abgebe,  über  alles  mit  Castelli  zu  reden,  der 
ja  Ihr  treuer  Freund  ist.  Ihr  Unglück,  zumal  in  Ihrem  Alter, 
thut  mir  unendlich  leid,  und  ich  möchte  Ihnen  gern  mit  meinem 
eigenen  Blute  helfen.  Aber  das  Verfahren  der  Inquisition 
ist  anders  als  das  der  übrigen  Congregationen;  und  wegen 
der  Censuren  ertheilt  Niemand  demjenigen,  der  eine  Mitthei- 
lung macht  oder  eine  Empfehlung  vorbringt,  eine  Antwort." 

Am  6.  Nov.1)  schrieb  Niccolini  an  Galilei:  er  habe  dem 

1)  IX,  3H. 


254  Galilei's  wiederholte  Vorladung  nach  Rom. 

Cardinal  Barberini  den  Brief  gegeben  und  mündlich  das  bei- 
gefügt, was  Galilei  gewünscht  habe.  Der  Cardinal  habe  — 
mit  Rücksicht  auf  die  Strafen,  die  Jedem  angedroht  seien, 
der  die  Sachen  der  Inquisition  nicht  geheim  halte,  —  keine 
bestimmte  Antwort  gegeben,  sich  aber  sehr  wohlwollend 
gegen  Galilei  geäussert.  Dieser  dürfe  hoffen,  dass  ihm  ein 
Aufschub  bewilligt,  und  dass  er,  wenn  er  nach  Rom  komme, 
milde  werde  behandelt  werden.  In  den  folgenden  Tagen 
verwendete  sich  Niccolini  auch  bei  dem  Cardinal  Ginetti,  der 
bei  dem  Papste  sehr  beliebt  und  Mitglied  der  Inquisition  war, 
und  bei  dem  Assessor  des  h.  Officiums,  Monsignor  Bocca- 
bella1). 

Der  Cardinal  Barberini  händigte  übrigens  Galilei's  Brief 
nicht,  wie  Niccolini  gefürchtet  hatte,  der  Inquisition  ein,  — 
er  befindet  sich  nicht  bei  den  Processacten,  wohl  aber  ein 
Brief  von  Michelangelo  Buonarroti  vom  12.  Oct.,  worin  die- 
ser bei  dem  Cardinal  für  Galilei  Fürsprache  einlegt2),  — 
sondern  übergab  ihn  dem  Papste.  Dieser  schrieb  eigenhän- 
dig darauf:  „Die  Sache  ist  in  der  letzten  Sitzung  des  h. 
Officiums  zur  Sprache  gebracht  worden;  es  bedarf  keiner 
andern  Antwort;  der  Assessor  ist  zu  fragen,  ob  das  in  der 
Sitzung  Angeordnete  ausgeführt  worden  ist3)."  Am  13.  Nov. 
sagte  der  Papst  Niccolini:  er  habe  Galilei's  Brief  gelesen; 
es  gehe  aber  nicht  anders,  Galilei  müsse  nach  Rom  kommen. 
Da  Niccolini  erwiederte:  er  halte  es  nicht  für  unmöglich, 
dass  Galilei  die  Reise  glicht  überleben  werde,  so  dass  man 
ihm  weder  in  Rom  noch  in  Florenz  den  Process  machen 
könne,  sagte  der  Papst:  Galilei  möge  in  einer  Sänfte  und  ganz 
langsam  und  nach  seiner  Bequemlichkeit  reisen,  und  die  Qua- 
rantäne solle  ihm  abgekürzt  und  erleichtert  werden;  aber 
kommen  müsse  er 4).  Niccolini  meldet  gleichzeitig,  es  werde 
noch  an  demselben  Tage  eine  Weisung  der  Inquisition  nach 
Florenz  abgehen,  dass  Galilei  sich  auf  den  Weg  zu  machen 
habe;  Monsignor  Boccabella  habe  aber  versprochen,  bei 
seiner  nächsten  Audienz  nochmals  um  Aufschub  zu  bitten. 

Ueber  die  oben  vom  Papste  erwähnte  Sitzung  der  In- 
quisition,   —  sie   fand    am  11.  Nov.  statt,  —  haben  wir  fol- 


1)  IX,  312.  429.     Marzio  Ginetti,  seit  30.  Aug.  1627  Cardinal,  war  seit 
dem  Tode  Mellini's  auch  Cardinal- Vicar. 

2)  Acten  S.  68.  3)  Pieralisi  p.   170.  4)  IX,  312.  429. 


Galilei's  wiederholte  Vorladung  nach  Rom.  255 

gende  Aufzeichnung:  „Es  wurde  ferner  berichtet,  dass  der- 
selbe Gesandte  durch  denselben  Secretär  [den  Secretär  der 
Inquisition,  den  altern  Cardinal  Antonio  Barberini]  die  Bitte 
des  Galilei  vorgetragen,  es  möge  ihm  mit  Rücksicht  auf  sein 
hohes  Alter  gestattet  werden,  nicht  nach  Rom  zu  kommen. 
Seine  Heiligkeit  wollte  nichts  gestatten,  sondern  befahl,  ihm 
zu  schreiben,  er  solle  gehorchen,  und  dem  Inquisitor  [zu 
Florenz],  er  solle  ihn  antreiben,  nach  Rom  zu  kommen1)." 
In  einer  andern  Sitzung,  am  25.  Nov.,  wurde  der  oben  er- 
wähnte Brief  Buonarroti's  vorgelegt,  aber  als  erledigt  an- 
gesehen2). 

Am  20.  Nov.  berichtete  der  Inquisitor  zu  Florenz:  „Ich 
habe  Galilei  nochmals  rufen  lassen.  Er  sagt,  er  sei  gern 
bereit,  zu  kommen;  er  hat  aber  sein  hohes  Alter  und  seine 
Kränklichkeit  vorgestellt,  —  er  sei  in  ärztlicher  Behand- 
lung, —  und  viele  andere  Dinge.  Darauf  habe  ich  ihm 
vor  Notar  und  Zeugen  einen  Termin  von  einem  Monate 
gesetzt.  Er  hat  nochmals  seine  Bereitwilligkeit  zu  kommen 
erklärt.  Ich  weiss  nicht,  ob  er  es  thuen  wird"3).  —  Dieser 
Brief  wurde  in  der  Sitzung  der  Inquisition  vom  9.  Dec.  vor- 
gelegt und  darauf  beschlossen,  dem  Inquisitor  zu  schrei- 
ben: nach  Ablauf  der  gesetzten  Frist  habe  er  Galilei  unter 
allen  Umständen  zu  nöthigen,  zunächst  nach  Siena,  dann 
nach  Rom  zu  reisen4).  Am  13.  Dec.  schrieb  Niccolini  an 
Galilei5):  alle  Versuche,  einen  Aufschub  zu  erwirken,  seien 
vergeblich.  „Der  Papst  besteht  darauf,  dass  Sie  kommen, 
und  es  scheint,   man  legt  mehr  Gewicht  darauf,   Sie  gehor- 


1)  Gherardi  No.  VII,  abgedruckt  bei  Gebier,  Galilei  S.  406.  In  den 
Vaticanischen  Acten  findet  sich  über  diese  Sitzung  nichts  notirt,  wenn  nicht 
die  Notiz^S.  67  hierher  gehört:  „Es  wurde  ihm  [dem  Inquisitor  zu  Florenz] 
geschrieben,  er  solle  ihm  einen  angemessenen  Termin  setzen". 

2)  Gherardi  No.  VIII;  vgl.  Acten  S.   69. 

3)  Acten  S.  67.  Ob  der  Inquisitor  beauftragt  war,  Galilei  einen  Ter- 
min zu  setzen,  oder  dieses  selbständig  that,  ist  nicht  klar.  Doch  ist  ersteres 
wahrscheinlich;  s.  die  Anm.  I  angeführte  Notiz  und  Gherardi  No.  IX,  wo 
es  heisst:  der  Inquisitor  habe  gemeldet,  er  habe  Galilei  einen  Termin  ge- 
setzt „entsprechend  dem  Befehle  der  h.  Congregation".  Wenn  Niccolini  IX, 
318  berichtet,  der  Papst  sei  über  die  Bewilligung  des  Termins  unwillig  ge- 
wesen, so  schliesst  das  nicht  aus,  dass  jener  Auftrag  ohne  Vorwissen  des 
Papstes  (in  einer  Mittwochs-Sitzung)  ertheilt  war. 

4)  Gherardi  No.  IX,  abgedruckt  bei  Gebier,  Galilei  S.  406;  Acten 
S.  68  (facsimilirt  bei  Epinois  p.  55).  5)  IX,  318. 


256  Galilei's   wiederholte  Vorladung  nach  Rom. 

chen  zu  sehen,  als  auf  das  Andere.  So  lange  Sie  in  Flo- 
renz bleiben,  wird  man  keine  Entschuldigung  annehmen, 
da  man  vermuthet,  alles  sei  nur  Vorwand.  .  .  .  Wenn  Sie 
Florenz  verlassen  und  nach  Siena  oder  einem  andern  Orte 
im  Kirchenstaate  reisen,  wo  Sie  der  Quarantäne  wegen 
wenigstens  zwanzig  Tage  bleiben  müssen,  und  wenn  dann 
von  dort  durch  einen  nicht  verdächtigen  Mann  geschrieben 
würde,  Sie  seien  wirklich  in  so  schlechten  Gesundheitsum- 
ständen,  so  würde  es,  glaube  ich,  nicht  schwer  sein,  einen 
weitern  Aufschub  zu  erlangen.  .  .  .  Ich  kann  Ihnen  aller- 
dings nicht  die  Gewissheit  geben,  dass  Sie,  wenn  Sie  kom- 
men, die  ganze  Zeit  nicht  werden  in  Haft  gebracht  werden; 
aber  selbst  wenn  dieses  geschehen  sollte,  würde  ich  dafür 
sorgen,  dass  Ihnen  alle  möglichen  Bequemlichkeiten  nicht 
mangeln."  Ueber  den  letzten  Punkt  schreibt  Niccolini  am 
11.  Nov.1)  an  Cioli:  „Wenn  Galilei  zu  wissen  wünscht,  wo 
er  hier  werde  wohnen  müssen,  so  ist  es  unmöglich  darüber 
etwas  zu  erfahren;  wir  haben  es  mit  der  Congregation  des 
h.  Officiums  zu  thun,  welche  ganz  geheim  vorgeht  und  bei 
der  wegen  der  Censuren  Niemand  den  Mund  aufthut.  Ga- 
lilei kann  zunächst  in  meiner  Wohnung  absteigen ;  was  aber 
weiter  geschehen  wird,  darüber  kann  ich  nichts  sagen." 

Am  18.  Dec.  meldete  der  Inquisitor2):  Galilei  sei  bett- 
lägerig; sein  Vicar  sei  bei  ihm  gewesen;  er  habe  erklärt, 
er  sei  gern  bereit,  abzureisen,  aber  jetzt  nicht  dazu  im 
Stande;  er  habe  ihm  das  beiliegende  Zeugniss  von  drei  der 
angesehensten  Aerzte  der  Stadt  übersandt.  In  diesem  Zeug- 
nisse heisst  es:  „Wir  haben  den  Herrn  Galilei  untersucht 
und  gefunden,  dass  der  Puls  nach  drei  oder  vier  Schlägen 
aussetzt,  was  vermuthen  lässt,  dass  bei  seinem  hohen  Alter 
die  Lebenskraft  gehindert  und  geschwächt  ist.  Er  klagt 
über  häufigen  Schwindel,  hypochondrische  Melancholie, 
Magenschwäche,  Schlaflosigkeit  und  im  Körper  herumzie- 
hende Schmerzen.  Wir  haben  auch  einen  schlimmen  Bruch, 
durch  welchen  das  Darmfell  afficirt  ist,  constatirt.  Alle 
diese  Leiden  sind  nicht  unbedenklich  und  könnten  durch 
jede  kleine  äussere  Ursache  augenscheinlich  lebensgefähr- 
lich werden."  Gleichzeitig  schrieb  Galilei  an  Niccolini. 
Dieser  sprach  mit  Monsignor  Boccabella,  dem  Assessor  des 


1)  IX,  430.  2)  Acten  S.  70. 


Galilei's  wiederholte  Vorladung  nach  Rom.  257 

h.  Officiums,  mit  dem  er  überhaupt  in  dieser  Zeit  vielfach  in 
vertraulicher  Weise  verhandelte,  und  der  es  Niccolini  gegen- 
über mit  dem  Geheimniss  der  Inquisition  und  den  auf  der 
Verletzung  desselben  stehenden  Censuren  nicht  sehr  genau 
nahm1);  —  er  legte  Ende  Januar  1633  sein  Amt  nieder2). 
—  Derselbe  erklärte:  der  Papst  wolle  von  einem  Verschie- 
ben der  Reise  nichts  wissen;  er  würde  eher  etwas  für  Ga- 
lilei haben  thuen  können,  wenn  derselbe  von  Florenz  abge- 
reist wäre  und  sich  unterwegs  irgendwo  aufhielte;  denn 
damit  würde  er  seine  Bereitwilligkeit  zu  gehorchen  bekun- 
det haben  und  so  eher  auf  Mitleid  und  Rücksicht  Anspruch 
machen  können.  Niccolini  meldete  dieses  am  25.  Dec.  Ga- 
lilei und  am  26.  Cioli3).  Am  25.  schrieb  auch  Castelli  an 
Galilei4):  ,,Da  Sie  weder  in  Werken  noch  in  Worten  noch 
in  Schriften  sich  irgendwie  gegen  die  heilige  Mutter  Kirche 
vergangen  haben,  so  ist  Ihren  boshaften  Verfolgern  nichts 
erwünschter,  als  dass  Sie  nicht  nach  Rom  kommen,  da  sie 
dann  unter  dem  unwissenden  grossen  Haufen  ein  Geschrei 
erheben  und  Sie  als  widersetzlich  und  hartnäckig  bezeich- 
nen können,  wenn  Sie  auch  durch  eine  gesetzliche  Ursache 
zurückgehalten  werden.  Darum  meine  ich,  Sie  sollten  trotz 
Ihrer  Alterschwäche  und  der  schlechten  Jahreszeit  einen 
herzhaften  Entschluss  fassen  und  sich  auf  den  Weg  machen, 
zugleich  aber  an  unsern  Herrn  selbst  und  an  den  Cardinal 
Padrone  einen  guten  Brief  schreiben  in  dem  ehrfurchtsvollen 
Tone,  den  Sie  zu  treffen  wissen,  und  dann,  sich  Gott  anbe- 
fehlend, getrost  hieher  kommen.  Ich  hoffe,  dass  Sie  alle 
Schwierigkeiten  überwinden  werden." 

Der  Brief  des  Inquisitors  vom  18.  Dec.  kam  erst  am  28. 
in  Rom  an5).  In  der  Sitzung  der  Inquisition  am  30.  wurde 
beschlossen,  dem  Inquisitor  zu  antworten:  „Seine  Heilig- 
keit und  die  h.  Congregation  könne  und  dürfe  dergleichen 
Ausflüchte  durchaus  nicht  dulden;  um  zu  constatiren,  ob 
Galilei  wirklich  nicht  ohne  Lebensgefahr  nach  Rom  kom- 
men könne,  werde  man  einen  Commissar  mit  Aerzten  nach 
Florenz  senden ;  wenn  nach  deren  Ansicht  Galilei  im  Stande 
sei  zu  reisen,  solle  ihn  der  Inquisitor  sofort,  —  wenn  er 
wirklich  jetzt  ohne  Lebensgefahr  nicht  reisen  könne,  gleich 


1)  IX,  431.  2)  IX,  432.  3)  IX,  320.  431. 

4)  IX,  319.  5)  Acten  S.   71. 

Reusen,  Galilei.  17 


258  Galilei's  wiederholte  Vorladung  nach  Rom. 

nach  seiner  Wiederherstellung,  —  gefangen  und  gefesselt 
(carceratum  et  ligatum  cum  ferris)  nach  Rom  transportiren 
lassen;  der  Commissar  und  die  Aerzte  würden  auf  Galilei's 
Kosten  geschickt  werden,  weil  er  nicht  sofort  gehorcht 
habe"1).  Diese  Weisung  wurde  Galilei  am  8.  Jan.  1633  von 
dem  Inquisitor  vorgelesen ;  er  erklärte,  er  werde  gehorchen 
und  sich  in  Rom  von  Aerzten  untersuchen  lassen,  um  zu 
beweisen,  dass  er  seine  Krankheit  nicht  fingirt  habe2).  Er 
machte  von  .dieser  neuen  Aufforderung  sofort  dem  Staats- 
secretär  Cioli  Mittheilung.  Dieser  antwortete  ihm:  der 
Grossherzog  könne  zu  seinem  lebhaften  Bedauern  nun 
nichts  mehr  thuen,  um  ihm  die  Reise  zu  ersparen ;  es  werde 
ihm  eine  Sänfte  zur  Disposition  gestellt  werden;  in  Rom* 
könne  er  für  einen  Monat  im  Hause  des  Gesandten  Woh- 
nung nehmen3). 

Am  22.  Jan.  1633  meldete  der  Inquisitor,  Galilei,  den 
er  nicht  unterlassen  habe  beständig  zu  mahnen,  sei  am  20. 
abgereist4).  In  Acquapendente  musste  er  Quarantäne  hal- 
ten; er  scheint  in  einem  Briefe  geklagt  zu  haben,  dass  er 
sich  dort  keine  Bewegung  in  freier  Luft  machen  konnte 
und  Abstinenz  halten  musste,  da  er  nur  Brod,  Wein  und 
Eier  bekam5).  Die  Quarantäne  wurde,  trotz  aller  Be- 
mühungen Niccolini's,  nur  um  zwei  Tage  abgekürzt6).  Am 
14.  Febr.  meldete  Niccolini,  Galilei  sei  Tags  zuvor  „in  guter 
Gesundheit"  in  Rom  angekommen7).  Grisar  sagt  S.  in  mit 
Rücksicht  auf  diese  letzte  Notiz:  „Merkwürdiger  Weise 
war  seine  Gesundheit  bei  der  Ankunft  durchaus  zufrieden- 
stellend, trotzdem  er  noch  unlängst  [d.  h.  zwei  Monate  vor- 
her] durch  ein  Attest  von  drei  Florentiner  Aerzten  in  Rom 
hatte  erklären  lassen,  er  könne  sich  wegen  schweren  Unwohl- 
seins nicht  ohne  Todesgefahr  einer  so  weiten  Reise  über- 
antworten." Auf  der  folgenden  Seite  hat  Grisar  zu  con- 
statiren,  dass  Galilei  „in  Anbetracht  seiner  schlechten  Ge- 
sundheit und  seines  hohen  Alters"  gestattet  wurde,  im  Ge- 
sandtschaftspalaste zu  wohnen,  und  schon  in  einem  Briefe 
vom  25.  Febr.8)  klagt  Galilei  über  sein  schlechtes  körper- 


1)  Gherardi  No.  X,  abgedruckt  bei  Gebier,  Galilei  S.  407.     Acten  S.  72; 
vgl.  IX,  431.  2)  Acten  S.  70.     Gherardi  No.  XI. 

3)  IX,  322.  4)  Acten  S.  73.     Gherardi  No.  XII. 

5)  IX,  326.  6)  IX,  327.  7)  IX,  432.  8)  VII,  23. 


Galilei  in  Rom  bis  zum  ersten  Verhör.  259 

liches  Befinden,  wovon  er  die  Schuld  hauptsächlich  darauf 
schiebt,  dass  er  sich  nun  schon  vierzig  Tage  nicht  die  ge- 
wohnte Bewegung  in  freier  Luft  habe  machen  können. 


XXI. 

Galilei's  Aufenthalt  in  Rom  bis  zu  dem  ersten  Yerhöre 
(13.  Febr.  bis  12.  April  1633). 

Galilei  kam  am  13.  Febr.  1633  m  Rom  an;  das  erste 
Verhör  vor  dem  General- Commissar  des  h.  Officiums  hatte 
er  erst  am  12.  April  zu  bestehen.  Diese  zwei  Monate  blieb 
er  im  Gesandtschaftspalaste  wohnen.  Er  erhielt  übrigens 
dazu  nicht  eine  förmliche  Erlaubniss;  es  wurde  dieses  nur 
stillschweigend  geduldet,  wahrscheinlich  um  die  Vergünsti- 
gung, falls  er  sie  missbrauchen  sollte,  ohne  weiteres  zurück- 
ziehen zu  können.  Er  erhielt  merkwürdiger  Weise  in  den 
ersten  Wochen  seines  Aufenthalts  in  Rom  keine  amtliche 
Mittheilung  von  der  Inquisition,  und  in  den  Processacten 
findet  sich  aus  dieser  Zeit  keine  auf  ihn  bezügliche  Notiz. 
Dagegen  haben  wir  aus  diesen  Wochen  zahlreiche  Berichte 
Niccolini's  an  den  Staatssecretär  Cioli  und  einige  interessante 
Briefe  von  Galilei  selbst. 

Am  Tage  nach  seiner  Ankunft  besuchte  Galilei  zuerst 
den  frühern  Assessor  des  h.  Officiums,  Monsignor  Bocca- 
bella,  um  ihm  für  das  bisher  bewiesene  Wohlwollen  zu  dan- 
ken und  sich  mit  ihm  zu  berathen.  Er  besuchte  dann  den 
neuen  Assessor  (Monsignor  Febeo)  und  wollte  sich,  der  amt- 
lichen Aufforderung  entsprechend,  dem  General-Commissar 
vorstellen,  traf  diesen  aber  nicht  zu  Hause.  Er  besuchte 
auch  noch  einen  Freund  desselben,  Girolamo  Mutti,  der  sich 
immer  sehr  wohlwollend  gegen  ihn  bewiesen  hatte1).  Am 
15.  Febr.  bat  Niccolini  den  Cardinal  (Francesco)  Barberini, 
für  Galilei  „mit  Rücksicht  auf  sein  Alter,  seine  Reputation 
und  seinen  bereitwilligen  Gehorsam''    die   Begünstigung  zu 


1)  IX,  432. 


26o  Galilei  in  Rom  bis  zum  ersten  Verhör. 

erwirken,  dass  er  im  Gesandtschaftspalaste  wohnen  bleiben 
dürfe.  Der  Cardinal  und  der  General-Commissar  verspra- 
chen, sich  dafür  zu  verwenden,  und  der  Cardinal,  welcher 
sonst  an  den  Sitzungen  der  Inquisition,  namentlich  an  den 
Mittwochs-Sitzungen  (s.  o.  S.  71 ),  nicht  theilzunehmen  pflegte, 
wohnte  dies  Mal  am  Mittwoch  der  Sitzung  bei.  Eine  amt- 
liche Mittheilung  erhielt  aber  Galilei  nicht;  der  Cardinal  und 
der  Commissar  riethen  ihm  nur,  wie  sie  ausdrücklich  sagten, 
nicht  amtlich,  sondern  als  Freunde,  nicht  auszugehen  und 
keine  verdächtigen  Besuche  zu  empfangen.  Galilei  besuchte 
indess  in  den  ersten  Tagen  die  Cardinäle  Scaglia  und  Ben- 
tivoglio1),  die  ihn  freundlich  aufnahmen.  Der  Grossher- 
zog schickte  beiden  Cardinälen  auf  Galilei's  Wunsch  Em- 
pfehlungsschreiben2). Später  schickte  er  auf  Niccolini's 
Rath  auch  den  anderen  Cardinälen,  welche  Mitglieder 
der  Inquisition  waren,  damit  sie  sich  nicht  zurückgesetzt 
fühlten,  Empfehlungsschreiben.  Es  waren  die  Cardinäle  S. 
Onofrio  [Antonio  Barberini] ,  Borgia ,  S.  Sisto  [Laudivio 
Zacchia],  [Francesco]  Barberini,  Gessi,  Ginetti  und  Verospi3). 
Einige  derselben  entschuldigten  sich,  als  Niccolini  ihnen  die 
Briefe  überreichte,  dass  sie  dieselben  wegen  der  bei  dem 
h.  Officium  geltenden  Censuren  nicht  beantworten  könnten; 
einer  fürchtete  sogar  durch  die  Annahme  des  Briefes  in 
diese  Censuren  zu  verfallen,    worüber  ihn  Niccolini  mit  der 


1)  Guido  Bentivoglio  war  in  Padua  Galilei's  Schüler  gewesen.  Nach- 
dem er  Nuncius  in  Belgien  und  Frankreich  gewesen,  wurde  er  von  Gregor 
XV.  22.  April  1621  zum  Cardinal  ernannt.  Nach  dem  Tode  Urbans  VIII. 
machte  er  sich  Hoffnung,  Papst  zu  werden.  Er  starb  während  des  Conclave's 
7.  Sept.  1644.  Ciaconius  IV,  454.  Berti,  II  Processo  p.  XCIV,  führt  aus 
seinen  Memoiren  eine  Stelle  an,  worin  er  bedauert,  dass  „ein  Archimedes 
durch  seine  eigene  Schuld  so  unglücklich  geworden,  da  er  seine  neuen  An- 
sichten über  die  Bewegung  der  Erde  im  "Widerspruch  mit  der  wahren  ge- 
meinsamen Ansicht  der  Kirche  durch  den  Druck  veröffentlichte,  —  Meinun- 
gen, welche  ihn  hier  zu  Rom  mit  dem  h.  Officium  in  Collision  brachten,  bei 
dem  ich  damals  einer  der  Inquisitoren  war  und  Galilei  bei  seiner  Sache  zu 
helfen  suchte,  so  viel  mir  möglich  war."  —  Desiderio  Scaglia  war  ein  Domi- 
nicaner und  früher  Inquisitor  zu  Mailand  (als  solcher  erscheint  er  Acten 
S.  37  im  Juni  1615),  dann  seit  161 6  Commissar  des  h.  Officiums  zu  Rom 
gewesen.  Er  war  seit  11.  Jan.  1621  Cardinal,  damals  vom  Titel  des  h.  Carl, 
wurde  aber  gewöhnlich  von  seiner  Vaterstadt  der  Cardinal  von  Cremona  ge- 
nannt.    Ciaconius  IV,  460.     S.  u.  S.  262. 

2)  IX,  432.  330;    VII,   21.   23.   24.  3)  IX,  336.  438. 


Galilei  in  Rom  bis  zum  ersten  Verhör.  261 

Bemerkung  beruhigte,  Barberini  und  andere  Cardinäle  hät- 
ten den  Brief  angenommen1).  Empfehlungsschreiben  des 
Cardinais  Medici  an  den  General  des  Kapucinerordens,  wel- 
chem der  Cardinal  Antonio  Barberini  angehörte,  und  an 
dessen  Socius  hatte  Galilei  mitgebracht2). 

Den  Pater  Riccardi-  scheint  Galilei  in  diesen  Wochen 
nicht  gesehen  zu  haben.  Castelli,  dessen  treue  Freundschaft 
und  Hülfswilligkeit  er  rühmt 3),  wurde  Ende  März  nach  Brescia 
gesandt  und  kam  erst  im  Juli  nach  der  Beendigung  des 
Processes  zurück4).  Ein  Consultor  der  Inquisition,  der  sich 
auch  früher  gegen  Galilei  wohlwollend  gezeigt,  Monsignor 
Serristori,  besuchte  ihn  zweimal  und  unterhielt  sich  mit  ihm 
freundlich  über  seine  Angelegenheit.  Er  versicherte,  er 
komme  nicht  in  seiner  amtlichen  Eigenschaft;  Niccolini  und 
Galilei  selbst  vermutheten  aber,  er  sei  nicht  ohne  Vorwissen 
und  vielleicht  im  Auftrage  der  Inquisition  gekommen5). 

Unter  dem  19.  Febr.  schreibt  Galilei  an  Cioli6):  „Es 
scheint  mir  und  auch  dem  Herrn  Gesandten  und  seinen  Haus- 
beamten, als  ob  der  Sturm  sich  wirklich  oder  anscheinend 
bedeutend  gelegt  habe,  und  als  ob  nicht  ein  Schiffbruch  zu 
fürchten  und  nicht  daran  zu  verzweifeln  sei,  dass  ich  den 
Hafen  erreiche  .  .  .  Bis  jetzt  ist  mir  nichts  amtlich  befohlen 
oder  gesagt  worden;  ja  einer  der  Herrn  von  der  Congre- 
gation  hat  mich  zweimal  sehr  freundlich  besucht  und  mir 
in  geschickter  "Weise  Gelegenheit  geboten,  etwas  zu  sagen, 
um  die  aufrichtige  und  gehorsame  Gesinnung,  die  ich  stets 
gegen  die  h.  Kirche  und  ihre  Diener  gehabt,  auszusprechen 
und  zu  bekräftigen,  und  er  hat  alles  aufmerksam  angehört 
und,  so  viel  ich  wahrnehmen  konnte,  gebilligt",  —  Galilei 
zeigte  ihm  auch  einige  seiner  schriftlichen  Ausarbeitungen, 
vielleicht  den  Brief  an  Christina  von  Lothringen,  den  er 
auch  dem  Kapuciner-General  schickte7)  —  „und  wenn  er 
seinen  Besuch,  wie  ja  wohl  zu  vermuthen  ist,  mit  Zustim- 
mung und  vielleicht  auf  Befehl  der  h.  Congregation  gemacht 
hat,  so  ist  das  eine  sehr  milde  und  freundliche  Einleitung 
des  Verfahrens,  die  zu  den  angedrohten  Stricken,  Ketten 
und  Kerkern  nicht  passt.     Es  gereicht  mir  zum  Tröste,  von 


1)  IX,  441.  2)  IX,  325.  329;    VII,  23.  25. 

3)  VII,  22.  28.  4)  IX,  334-  355-  365.  575- 

5)  IX,  433;    VII,  21.  6)  VII,  20.  7)  VII,  23. 


262  Galilei  in  Rom  bis  zum  ersten  Verhör. 

Vielen  zu  hören  und  theilweise  selbst  wahrgenommen  zu 
haben,  dass  es  auch  unter  den  einflussr eichen  Männern  nicht 
an  solchen  fehlt,  welche  bezüglich  meiner  Person  und  meiner 
Angelegenheit  wohlwollend  gesinnt  sind/' 

Auch  Niccolini  schreibt  am  19.  Febr. J):  ,,Aus  dem  Ver- 
halten der  Diener  Seiner  Heiligkeit  glaube  ich  die  Hoffnung 
schöpfen  zu  dürfen,  dass  man  in  dieser  Sache  mit  einiger 
Milde  vorgehen  wird,  wiewohl  der  Papst  selbst,  wie  ich 
wiederholt  berichtet  habe,  die  Angelegenheit  sehr  wenig 
wohlwollend  behandelt."  Am  27.  Febr.2)  berichtet  Niccolini 
über  eine  Audienz  bei  dem  Papste.  Derselbe  erklärte,  er 
habe  lediglich  aus  Gefälligkeit  für  den  Grossherzog  gestat- 
tet, dass  Galilei  im  Gesandtschaftspalaste  wohnen  bleibe. 
Niccolini  bat  dann  —  im  Auftrage  des  Grossherzogs,  den 
Galilei  darum  hatte  bitten  lassen3),  —  um  Beschleunigung 
der  Sache,  worauf  der  Papst  antwortete:  der  Geschäftsgang 
des  h.  Officiums  sei  im  allgemeinen  etwas  langsam;  das- 
selbe sei  noch  mit  der  Instruction  des  Processes  beschäftigt. 
Er  brachte  dann  wieder  seine  Klagen  über  Galilei  und  Ciam- 
poli  vor,  aber,  wie  Niccolini  meint,  weniger  heftig  als  ge- 
wöhnlich. Bei  einer  andern  Audienz  am  13.  März4)  dankte 
Niccolini  im  Auftrage  des  Grossherzogs  für  die  Galilei  er- 
theilte  Erlaubniss,  im  Gesandtschaftspalaste  zu  wohnen.  Der 
Papst  antwortete:  wenn  die  Verhöre  begännen,  würde  Ga- 
lilei im  Inquisitionsgebäude  untergebracht  werden  müssen, 
und  lehnte  Niccolini's  Bitte,  ihn  auch  davon  zu  dispensiren, 
ab.  Er  wiederholte  dann,  dies  Mal  wieder  heftig  werdend, 
seine  Klagen  über  Galilei  und  Ciampoli  (s.  o.  S.  225),  ver- 
sprach aber  schliesslich,  Galilei  solle  im  Inquisitionsgebäude 
die  besten  und  bequemsten  Zimmer  haben. 

Am  25.  Febr.  schreibt  Galilei5):  „Castelli  und  ich  hören, 
dass  die  vielen  und  schweren  Anschuldigungen  auf  einen 
einzigen  Punkt  zusammengeschrumpft  und  alle  anderen  fallen 
gelassen  worden  sind;  diesen  einzigen  Punkt  aber  werde  ich 
ohne  Mühe  beseitigen  können,  wenn  man  meine  Rechtfer- 
tigungen gehört  haben  wird,  welche  mittlerweile  ganz  allmäh- 
lich einem  jener  höchsten  Beamten  in  der  besten  Weise  vor- 
getragen werden. "   Ohne  Zweifel  ist  hier  der  Cardinal  Scaglia 


1)  IX,   433.  2)  IX,  434.  3)  VII,  26.  27.  28. 

4)  IX,  436.  5)  vii,  22: 


Galilei  in  Rom  bis  zum  ersten  Verhör.  263 

gemeint,  der  mit  Castelli  den  Dialog  las.  Am  5.  März 
schreibt  Galilei1)  etwas  weniger  zuversichtlich:  „Nach 
dem  Wenigen  zu  urtheilen,  was  ich  erfahren,  erkennt 
man  allmählich  immer  mehr  die  Grundlosigkeit  der  gegen 
mich  vorgebrachten  Beschuldigungen;  einige  hat  man  als 
augenscheinlich  unbegründet  fallen  lassen;  hoffentlich  wird 
es  mit  denjenigen,  die  noch  aufrecht  erhalten  werden,  ebenso 
gehen;  etwas  anderes  darf  man  ja  auch  nicht  erwarten, 
wenn  die  Wahrheit  schliesslich  über  die  Lüge  siegen  muss." 
Aus  den  Briefen  der  Freunde  Galilei's  aus  dieser  Zeit 
verdienen  folgende  Stellen  mitgetheilt  zu  werden:  Der  Ca- 
nonicus  Niccolö  Cini  von  Florenz  schreibt  am  26.  März2): 
„Hier  sprechen  Alle  immer  und  mit  der  grössten  Liebe  von 
Ihnen;  .  .  .  Jeder  möchte  Sie  mit  seinem  Blute  aus  Ihrer 
schlimmen  Lage  befreien  und  Sie  nach  Verdienst  erhöht 
sehen.  Jeder  freut  sich,  dass  der  Cardinal  Scaglia  Ihr  Buch 
liest,  und  zwar,  was  wichtig  ist,  mit  Hülfe  des  Pater  Castelli; 
man  wünscht  sehr,  Seine  Eminenz  möge  auch  Ihren  Brief 
an  die  Grossherzogin  lesen;  aber  daran  wird  ja  Castelli 
selbst  gedacht  haben.  In  der  That  sagt  Jeder:  man  lese 
doch  das  Buch  und  erwäge  es.  Im  übrigen  hält  man  für 
sicher,  dass  Sie  den  Ihnen  gebührenden  Sieg  davon  tragen 
werden."  Mario  Guiducci  schreibt  am  2.  April3):  „Gott  gebe 
Ihnen  ein  langes  Leben,  damit  Sie  den  Ruhm  gemessen 
können,  von  so  vielen  und  so  mächtigen  Feinden  verfolgt, 
durch  Feuer  und  Wasser  hindurch  und  glücklich  daraus 
hervorgegangen  zu  sein.  ...  Es  thut  mir  leid,  dass  Castelli 
Sie  in  dieser  kritischen  Lage  verlassen  muss;  aber  die  Sache 
scheint  doch  so  gut  in  Gang  gebracht  zu  sein,  namentlich 
bei  jener  Eminenz,  auf  welche  Sie  anspielen  [Card.  Scaglia], 
dass  ein  plötzlicher  Schiffbruch  nicht  zu  fürchten  ist.  Möge 
Gott  geben,  dass  Ihre  Unschuld  auch  von  den  anderen 
Herren  in  der  Congregation  erkannt  werde,  und  ihnen  seine 
Gnade  und  sein  Licht  geben,  dass  sie  beschliessen,  was  zur 
grössern  Ehre  der  h.  Kirche  und  der  Wahrheit  gereicht." 
Am  9.  April4)  schreibt  derselbe:  „Die  Freunde  des  Ritters 
Chiaramonti  (s.  o.  S.  189)  streuen  das  Gerücht  aus,  er  sei 
nach  Rom  berufen,    um    mit   Ihnen   confrontirt  zu    werden. 


1)  VII,  25.  2)  IX,  337. 

3)  IX,  339.  4)  IX,  340. 


264  Galilei  in  Rom  bis  zum  ersten  Verhör. 

[Das  Gerücht  war,  wie  Guidücci  selbst  später1)  meldet, 
ebenso  grundlos  wie  das  früher  in  Rom  verbreitete  Gerücht, 
Chiaramonti  sei  zu  der  Special-Congregation  berufen.]  Ich 
habe  darüber  kürzlich  mit  dem  Cardinal  Capponi  [zu  Flo- 
renz] gesprochen;  er  meint,  in  diesem  Falle  sollten  Sie, 
nachdem  Chiaramonti  seine  Einwendungen  den  Herren  von 
der  Congregation  vorgetragen,  zuerst  fragen,  ob  sie  wollten, 
dass  Sie  die  Antwort  ertheilten,  die  Ihnen  geeignet  scheine, 
die  Einwendungen  zu  widerlegen,  oder  nicht;  wenn  diesel- 
ben, wie  sie  ja  wohl  nicht  anders  können  werden,  diese 
Frage  bejahten,  dann  sollten  Sie  die  Argumente  mit  Ihrer 
gewohnten  Klarheit  widerlegen;  das  müsse,  meint  Seine 
Eminenz,  auf  jene  Herren  Eindruck  machen,  da  Sie  so  Ihre 
Bescheidenheit  zeigen  und,  nachdem  Sie  die  Erlaubniss  da- 
zu erhalten,  mit  grösserer  Freiheit  die  Sophismen  und  Trug- 
schlüsse des  Gegners  widerlegen  könnten.  Es  scheint  mir, 
dem  Cardinal  müssen  Sie  schreiben  und  ihm  für  die  Ehre 
danken,  dass  er  Ihr  Buch  gelesen,  ihm  das  Lob  spenden, 
welches  ich  in  meinen  Briefen  angedeutet,  und  dann  bei- 
fügen: Gott  möge  geben,  dass  die  anderen  Eminenzen,  seine 
Collegen,  denselben  Gedanken  bekämen  wie  Seine  Eminenz, 
nämlich  das  Buch  erst  zu  lesen,  ehe  sie  sich  ein  ungünstiges 
Urtheil  darüber  bildeten."  Der  Brief  Galilei's  an  den  Car- 
dinal Capponi  ist  nicht  erhalten,  wohl  aber  dessen  kurze, 
vom  21.  Mai  datirte  Antwort2). 

Als  Niccolini  am  13.  März  von  dem  Papste  gehört 
hatte,  dass  Galilei  demnächst  in  das  Inquisitionsgebäude 
werde  übersiedeln  müssen,  theilte  er  dieses  Galilei  nicht  mit, 
um  ihn  nicht  jetzt  schon  aufzuregen3).  Die  Sache  verzögerte 
sich  noch,  zum  Theil  wegen  des  Osterfestes.  Am  7.  April 
aber  erklärte  der  Cardinal  Barberini  dem  Gesandten,  er  sei 
von  Seiner  Heiligkeit  und  der  Congregation  des  h.  Officiums 
beauftragt,  ihm  aus  Rücksicht  gegen  ihn  selbst,  sowie  gegen 
den  Grossherzog  und  dessen  „gutes  Verhalten  gegen  den 
h.  Stuhl,  namentlich  in  Sachen  der  Inquisition"  im  voraus 
mitzutheilen,  dass  man  Galilei,  um  seine  Sache  zu  erledigen, 
vor  das  h.  Officium  laden  und  dass  es,  falls  sich  die  Sache 
nicht  in  zwei  Stunden  [in  Einem  Verhöre]  erledigen  lasse, 
nöthig    sein    werde,    ihn    im  Inquisitionsgebäude  zurück    zu 


1)  IX,  346;  s.  o.  S.  238.  2)  IX,  357.  3)  JX,  437- 


Galilei' s  Haft.  265 

halten.  Niccolini  antwortete :  er  denke  den  Papst  zu  bitten, 
man  möge  Galilei,  der  eben  jetzt  wieder  sehr  leidend  sei, 
unter  Androhung  von  Censuren  Stillschweigen  auflegen  und 
ihm  gestatten,  jeden  Abend  in  den  Gesandtschaftspalast 
zurückzukehren.  Der  Cardinal  meinte,  das  werde  nicht  ge- 
stattet werden,  Galilei  solle  aber  alle  Bequemlichkeiten  haben 
und  nicht  als  Gefangener  behandelt  werden,  sondern  gute 
Zimmer  erhalten,  die  man  vielleicht  nicht  einmal  verschliessen 
werde.  Niccolini  erhielt  denn  auch  am  9.  April  von  dem 
Papste  keinen  andern  Bescheid.  Er  theilte  nun  die  Sache 
Galilei  mit.  „Er  ist  im  höchsten  Grade  betrübt  darüber, 
schreibt  er  an  demselben  Tage 1),  und  sieht  heute  in  Vergleich 
zu  gestern  so  verfallen  aus,  dass  ich  sehr  für  sein  Leben 
fürchte.  Ich  werde  mich  bemühen,  dass  er  dort  einen  Die- 
ner und  andere  Bequemlichkeiten  haben  kann.  Wir  Alle 
unterlassen  auch  nicht  ihn  zu  trösten  und  uns  für  ihn  zu 
verwenden;  denn  er  verdient  in  Wahrheit  alles  Gute,  und 
mein  ganzes  Haus,  welches  ihn  sehr  liebt,  ist  unaussprech- 
lich betrübt/' 

Galilei' s  Haft  im  Inquisitionsgebäude  war  in  der  That 
sehr  milde.  „Ich  bewohne,  schreibt  er  am  16.  April2),  drei 
Zimmer,  welche  zu  der  Wohnung  des  Fiscals  des  h.  Offici- 
ums  gehören3),  und  darf  mich  frei  in  vielen  Räumen  bewegen. 
Mit  meiner  Gesundheit  geht  es  gut,  und  der  Herr  Gesandte 
und  seine  Gemahlin  sorgen  mit  der  grössten  Freundlichkeit 
und  Aufmerksamkeit  für  alle  Bequemlichkeiten."  Ausführ- 
licher berichtet  an  demselben  Tage4)  Niccolini:  „Galilei  hat 
sich  am  Dinstag  (12.  April)  Morgens  vor  dem  Pater  Com- 
missar  des  h.  Officiums  gestellt.  Dieser  empfing  ihn  sehr 
freundlich  und  wies  ihm  nicht  die  Kammern  oder  Gefäng- 
nisszellen an,  welche  gewöhnlich  den  Delinquenten  gegeben 
werden,  sondern  Zimmer  des  Fiscals,  so  dass  er  nicht  nur 
unter  den  Beamten  wohnt,  sondern  auch  nicht  eingeschlossen 
ist  und  bis  in  den  Hof  des  Gebäudes  gehen  kann.  Galilei 
glaubte,  er  werde  an  demselben  Tage  des  Abends  zu  mir 
zurückkehren  dürfen,  weil  er  gleich  nach  seiner  Ankunft  ver- 
hört wurde;  aber  der  Commissar  antwortete  meinem  Secre- 


t)  IX,  438.  2)  VII,  29. 

3)  Eine   Beschreibung   der   Räume   gibt   Gebier,    D.  Rundschau  1878, 
IV,  51.  4)  IX,  440. 


266  Galilei's  Haft. 

tär,  der  Galilei  begleitete,  er  könne  nichts  anderes  thun, 
als  was  ihm  werde  befohlen  werden,  nachdem  er  über  Galilei's 
Aussage  und  über  das,  was  er  nach  diesem  ersten  Verhör 
aus  ihm  herausbringen  werde,  berichtet  haben  würde.  Ohne 
Zweifel  wird  aber  die  Sache  rasch  erledigt  werden;  denn 
wie  man  bisher  bei  diesem  Process  mit  ganz  ungewöhn- 
licher Milde  verfahren  ist,  so  ist  auch  zu  hoffen,  dass  die 
Erledigung  desselben  eine  rasche  und  günstige  sein  wird.  Es 
gibt  kein  Beispiel,  dass  Personen,  gegen  welche  Pro- 
cesse  anhängig  gemacht  waren,  nicht  gefangen  gehalten 
worden  wären.  Galilei  ist  es  zu  Gute  gekommen,  dass  er 
ein  Diener  Seiner  Hoheit  und  in  dem  Gesandtschaftsgebäude 
abgestiegen  ist ;  Andere,  selbst  Bischöfe,  Prälaten  und  Vor- 
nehme, sind  gleich  nach  ihrer  Ankunft  in  Rom  in  dem  Ca- 
stell  [Sant'  Angelo]  oder  in  dem  Palast  der  Inquisition  in 
strenge  Haft  genommen  worden.  Galilei  ist  sogar  erlaubt 
worden,  dass  sein  eigener  Diener  ihn  bedient  und  dort 
schläft  und,  was  mehr  ist,  geht  und  kommt,  wie  es  ihm 
beliebt,  und  dass  meine  Diener  ihm  von  hier  Morgens  und 
Abends  die  Speisen  auf  sein  Zimmer  bringen  und  in  mein 
Haus  zurückkehren  dürfen.  ...  Es  muss  Galilei  unter  An- 
drohung der  Excommunication  verboten  worden  sein,  über 
das  Verhör  zu  sprechen;  er  hat  meinem  Hausmeister  Tolo- 
mei  nichts  erzählen  wollen,  ohne  ihm  auch  nur  zu  sagen, 
ob  er  reden  dürfe  oder  nicht."  Am  25.  April1)  berichtet 
Niccolini:  „Galilei  schreibt  mir  täglich  und  ich  antworte 
ihm." 

Galilei  wurde  im  Inquisitionsgebäude  in  Haft  behalten 
vom  12.  bis  zum  30.  April,  dann  wieder  vom  21.  bis  24.  Juni, 
also  im  Ganzen  drei  Wochen.  Er  musste  also  nicht,  wie 
z.  B.  E.  Haeckel  noch  im  J.  18782)  hat  drucken  lassen,  „Jahre 
lang  im  Kerker  der  Inquisition  schmachten." 

Grisar  sagt  S.  112,  mit  Rücksicht  auf  die  Galilei  ge- 
währten Vergünstigungen,  Gebier  habe  ihm  „das  Wort  aus 
dem  Munde  genommen",  wenn  er  sage:  „Mit  Ostentation 
bemühte  sich  die  Römische  Curie,  eine  grosse  Rücksicht  und 


1)  IX,  441. 

2)  Vorträge  aus  dem  Gebiete  der  Entwicklungslehre  S.  33.  Draper, 
Gesch.  der  Conflicte  zw.  Rel.  und  Wiss.,  Leipzig  1875,  S.  174  sagt:  „drei 
Jahre". 


Galilei's  Verhöre.  267 

Schonung  für  Galilei  an  den  Tag  zu  legen.  Man  Hess  dem 
Angeklagten  bezüglich  seiner  materiellen  Lage  lauter  in 
der  Geschichte  der  Inquisition  geradezu  unerhörte 
Vergünstigungen  angedeihen."  Es  wirkt  geradezu  komisch, 
wenn  Grisar  unmittelbar  auf  diesen  von  ihm  adoptirten  Satz 
Geblers  seinerseits  den  Satz  folgen  lässt:  „Es  waltete  nur 
jene  Courtoisie  oder  besser  jene  christliche  Menschenfreund- 
lichkeit, welche  dem  Unparteiischen  überall  in  der  Ge- 
schichte der  Römischen  Kirchengerichte  entgegentritt. " 

Es  muss  noch  hervorgehoben  werden,  dass  der  Gene- 
ral-Commissar  des  h.  Officiums,  der  Galilei  verhörte,  der 
Dominicaner  Vincenzo  Macolano  von  Firenzuola  (Vincentius 
Maculanus  de  Florentiola),  so  viel  sich  aus  den  Processacten 
und  sonstigen  Quellen  ersehen  lässt,  sich  persönlich  stets 
wohlwollend  und  rücksichtsvoll  gegen  Galilei  benahm1). 
Ausser  dem  Commissar  waren  nur  der  Procurator  fiscalis 
Sancti  Officii  (s.  o.  S.  70),  Carlo  Sincero,  und  ein  Notar  der 
Inquisition  als  Protonollführer  bei  den  Verhören  zugegen2). 

Die  Verhöre  fanden  im  Sitzungssaale  (in  aula  con- 
gregationum)  des  Inquisitionsgebäudes  statt,  nur  das  erste 
in  der  Wohnung  des  Commissars  (in  Palatio  S.  Offitii  in 
mansionibus  solitis  R.  P.  Comissarii,  S.  74);  ob  dieses  aus 
besonderer  Rücksicht  gegen  Galilei  geschah  oder  aus  einem 
andern  Grunde,  erhellt  nicht.  Die  Formeln  der  Verhörspro- 
tocolle  entsprechen  genau  den  im  Sacro  Arsenale  mitgetheil- 
ten  Formularen:  Beim  Beginne  jedes  Verhöres  hatte  Galilei 
einen    Eid  abzulegen,   dass    er    die  Wahrheit    sagen  wolle, 


1)  Berti,  II  Processo  etc.  p.  CXIV.  Vincenzo  Macolano  aus  Firen- 
zuola, daher  gewöhnlich  Pater  Firenzuola  genannt,  geb.  II.  Sept.  1578,  war 
in  jüngeren  Jahren  Lector  in  mehreren  Klöstern  seines  Ordens,  dann  Inqui- 
sitor in  Pavia.  Unter  Urban  VIII.  wurde  er  Procurator,  dann  Generalvicar 
seines  Ordens,  im  Dec.  1632  General-Commissar  des  h.  Officiums,  1639  nach 
dem  Tode  Riccardi's  Magister  Sacri  Palatii,  1641  Cardinal-Priester  von  St. 
Clemens  und  Erzbischof  von  Benevent.  1643  legte  er  sein  Bisthum  nieder 
und  kam  nach  Rom  zurück.  Nach  dem  Tode  Urbans  VIII.  war  er  im  Con- 
clave  einer  der  Candidaten  der  Barberini.  Er  starb  15.  Febr.  1667,  89  Jahre 
alt.  Er  hatte  als  Mathematiker  und  Militär- Architekt  einen  Namen,  in  Rom 
durch  seine  Theilnahme  an  den  Befestigungen  der  Engelsburg,  auf  Malta 
durch  das  Fort  Santa  Margherita,  das  er  1638  baute.  Ciaconius  IV,  607. 
Quetif-Echard  II,  622.     Reumont,  Beitr.  I,  373. 

2)  Nicht  „das  heilige  Tribunal"  wie  Gebier,  Galilei  S.  269,  meint. 


268  Das  erste  Verhör  Galilei's. 

bei  dem  Schlüsse  der  meisten  Verhöre  einen  Eid,  dass  er 
über  das  Verhör  Stillschweigen  beobachten  wolle  (s.  u.  § 
XXVII). 


XXII. 
Das  erste  Verhör  Galilei's,  12»  April  1633. 

Es  ist  auffallend,  dass  Galilei  erst  zwei  Monate  nach 
seiner  Ankunft  in  Rom,  am  12.  April,  zum  ersten  Verhöre 
in  das  Inquisitionsgebäude  beschieden  wurde  und  dass  dann 
wieder  mehr  als  zwei  Wochen  verflossen,  bis  er  (am  30. 
April)  zum  zweiten  Male  verhört  wurde. 

Ende  Februar  antwortete  der  Papst,  wie  wir  gehört, 
auf  Niccolini's  Bitte  um  Beschleunigung  der  Sache,  die  Inqui- 
sition sei  noch  mit  der  Instruction  des  Processes  beschäftigt. 
Man  wollte  ohne  Zweifel,  ehe  der  Commissar  das  Verhör 
begann,  die  Anklagepunkte  so  genau  wie  möglich  festsetzen. 
Ueber  die  Sitzungen  der  Inquisition  vom  3.  Febr.  bis  16. 
Juni  1633  haben  wir  in  den  Acten  keinerlei  Aufzeichnungen, 
und  bei  dem  strengen  Geheimniss,  womit  sich  das  h.  Offi- 
cium umgab,  dürfen  wir  auch  keine  nennenswerthen  Auf- 
schlüsse aus  anderen  Quellen  erwarten.  Galilei  war  aber 
allem  Anscheine  nach  .  ziemlich  gut  unterrichtet,,  wenn  er 
Ende  Februar  schrieb:  die  gegen  ihn  erhobenen  Anschul- 
digungen habe  man  alle  bis  auf  Eine  oder  einige  wenige 
als  unbegründet  fallen  gelassen  (S.  262).  Von  den  meisten 
Punkten,  welche  oben  (S.  239)  als  in  der  Special-Congrega- 
tion  namhaft  gemacht  mitgetheilt  wurden,  ist  in  dem  Pro- 
cess  nicht  mehr  die  Rede;  aufrecht  erhalten  wurden,  wie 
Niccolini  Ende  Februar  aus  den  Aeusserungen  des  Papstes 
und  Anderer  entnahm,  die  beiden  Anklagen,  dass  Galilei 
im  Dialog  die  Copernicanische  Lehre  nicht  rein  hypothe- 
tisch, sondern  „behauptend  und  beweisend"  (asser  tivamente 
e  concludentissimamente)  vorgetragen  und  dass  er  dem  ihm 
im  J.   161 6   ertheilten   Befehle    zuwidergehandelt   habe1),  — 


I)  IX,  434.  435. 


Das  erste  Verhör  Galilei's.  269 

zwei  Punkte,  die  sich  zu  der  Einen  Anklage  zusammen- 
fassen li essen:  dass  er  trotz  des  ihm  im  J.  1616  ertheilten 
Befehles  die  Copernicanische  Lehre  vorgetragen  und  ver- 
theidigt  habe.  Ueber  diese  Punkte  wurde  denn  aucfh  Gali- 
lei am   12.  April  verhört1). 

Auf  die  Frage,  ob  er  wisse  oder  vermuthe,  warum  er 
nach  Rom  citirt  worden  sei,  antwortet  Galilei :  er  vermuthe, 
um  über  sein  jüngst  gedrucktes  Buch  Rechenschaft  abzu- 
legen. Nachdem  er  den  Dialog  ausdrücklich  als  sein  Werk 
anerkannt,  wird  er  über  seinen  Aufenthalt  in  Rom  im  J.  16 16 
befragt  und  gibt  darauf  die  schon  früher  (S.  101)  mitge- 
theilte  Antwort.  Ueber  die  ihm  damals  von  dem  Cardinal 
Bellarmin  gemachte  Mittheilung  sagt  er  zunächst  Folgendes 
aus:  „Der  Cardinal  machte  mir  bemerklich,  die  Meinung 
des  Copernicus  dürfe  man  hypothetisch  festhalten,  wie  das 
Copernicus  selbst  gethan.  Der  Cardinal  wusste,  dass  ich 
sie  hypothetisch  festhielt,  in  derselben  Weise  wie  Coperni- 
cus. Das  sieht  man  aus  einem  Briefe  des  Cardinais  an 
Foscarini  [s.  o.  S.  62],  worin  es  heisst:  »Es  scheint  mir,  Sie 
und  Galilei  thuen  wohl,  nur  hypothetisch  zu  reden  und  nicht 
absolut«.  Anders,  d.  h.  absolut  genommen,  sagte  der 
Cardinal,  dürfe  man  die  Meinung  weder  für  wahr  halten 
noch  vertheidigen.  .  .  .  Im  Febr.  16 16  sagte  mir  der  Car- 
dinal, da  die  Meinung  des  Copernicus  absolut  genommen 
der  h.  Schrift  widerspreche,  so  dürfe  man  sie  so,  absolut 
genommen,  weder  für  wahr  halten  (tenere)  noch  vertheidi- 
gen, aber  hypothetisch  (ex  suppositione)  dürfe  man  sie 
annehmen  und  sich  ihrer  bedienen."  Er  überreicht  zugleich 
eine  Abschrift  des  ihm  von  Bellarmin  am  26.  Mai  1616  aus- 
gestellten Zeugnisses  (s.  o.  S.   129). 

Auf  die  Fragen,  ob  Jemand  und  wer  dabei  zugegen  ge- 
wesen, als  ihm  der  Cardinal  jene  Mittheilung  gemacht,  und 
ob  ihm  damals  nicht  von  Jemand  ein  Befehl  bezüglich  des- 
selben Gegenstandes  ertheilt  worden  sei,  gibt  er  die  Ant- 
worten, welche  bereits  früher  (S.  139)  mitgetheilt  worden 
sind.  Auf  die  Frage,  ob  er,  wenn  ihm  das,  was  ihm  damals 
gesagt  und  als  Befehl  insinuirt  worden,  vorgelesen  werde, 
sich  dessen  erinnern  werde,  antwortet  er:  „Ich  erinnere 
mich  nicht,    dass  mir    etwas  anderes  gesagt  worden    wäre, 


1)  Acten  S.  74. 


270  Das  erste  Verhör  Galilei's. 

und  ich  kann  nicht  wissen,  ob  ich  mich  dessen  erinnern 
werde,  was  mir  damals  gesagt  worden  ist,  wenn  es  mir 
vorgelesen  wird.  Ich  sage  frei  heraus,  wessen  ich  mich 
erinnere,  weil  ich  nicht  glaube,  dass  ich  irgendwie  jenen 
Befehl  übertreten,  d.  h.  die  Meinung  von  der  Bewegung 
der  Erde  und  von  dem  Stillstehen  der  Sonne  irgendwie  für 
wahr  gehalten  oder  vertheidigt  habe." 

Es  wird  Galilei  dann  gesagt :  ä  in  dem  ihm  damals  vor 
Zeugen  ertheilten  Befehle  heisse  es:  er  dürfe  in  keiner 
Weise  die  besagte  Meinung  für  wahr  halten,  vertheidigen 
oder  lehren  (quod  non  fiossit  quovis  modo  teuere,  defendere 
aut  docere  dictam  opinionem) ;  er  solle  also  sagen,  ob  er  sich 
erinnere,  wie  und  von  wem  ihm  dieser  Befehl  ertheilt  wor- 
den sei.  Galilei  antwortet:  „Ich  erinnere  mich  nicht,  dass 
mir  dieser  Befehl  von  einem  Andern  als  mündlich  von  dem 
Cardinal  Bellarmin  mitgetheilt  worden  ist.  Ich  erinnere 
mich,  dass  der  Befehl  dahin  lautete:  ich  dürfe  nicht  für 
wahr  halten  oder  vertheidigen;  es  kann  sein,  dass  dabei 
auch  gesagt  wurde,  »oder  lehren«.  Ich  erinnere  mich  auch 
nicht,  dass  die  Partikel  quovis  modo  darin  vorkam;  aber  es 
kann  sein,  dass  sie  darin  vorkam.  Ich  habe  darauf  nicht 
geachtet  und  nichts  weiter  im  Gedächtnisse  behalten,  weil 
ich  wenige  Monate  später  jenes  von  mir  überreichte  Zeug- 
niss  des  Cardinais  Bellarmin  erhielt,  in  welchem  der  mir 
ertheilte  Befehl,  die  besagte  Meinung  nicht  für  wahr  zu 
halten  und  nicht  zu  vertheidig*en,  erwähnt  wird.  Die  beiden 
mir  jetzt  bemerklich  gemachten  Ausdrücke  des  Befehls,  nee 
docere  und  quovis  modo,  habe  ich  nicht  im  Gedächtniss  be- 
halten, ich  glaube  darum  nicht,  weil  sie  in  dem  erwähnten 
Zeugnisse  nicht  vorkommen,  an  welches  ich  mich  gehalten 
und  welches  ich  im  Gedächtnisse  behalten  habe." 

Damit  ist  der  Theil  des  Verhöres,  welcher  sich  auf 
die  Galilei  im  J.  161 6  ertheilte  Verwarnung  bezieht,  beendigt. 
Der  Inquirent  geht  jetzt  zu  dem  Dialog  über  mit  der  Frage: 
ob  er  nach  der  Insinuation  des  fraglichen  Befehles  die  Er- 
laubniss  zur  Abfassung  des  von  ihm  in  Druck  gegebenen 
Buches  erhalten  habe.  Galilei  antwortet:  „Nach  dem  be- 
sagten Befehle  habe  ich  keine  Erlaubniss  dazu  nachgesucht, 
jenes  Buch  zu  schreiben,  weil  ich  glaube,  durch  das  Schrei- 
ben dieses  Buches  den  Befehl,  die  besagte  Meinung  nicht 
für  wahr  zu  halten  oder  zu  vertheidigen  oder  zu  lehren,  in 


Das  erste  Verhör  Galilei's.  271 

keiner  Weise  übertreten,  vielmehr  diese  widerlegt  zu  haben." 
Die  Frage,  ob  und  von  wem  er  die  Druck  -  Erlaubniss 
für  den  Dialog  erhalten  habe,  beantwortet  Galilei  mit 
einem  ausführlichen,  schon  oben  (S.  197)  berücksichtigten 
Berichte  über  die  betreffenden  Verhandlungen.  Er  wird 
schliesslich  gefragt,  ob  er,  als  er  bei  dem  Palastmeister  die 
Druck- Erlaubniss  nachgesucht,  demselben  von  dem  vorhin 
besprochenen,  ihm  im  Auftrage  der  h.  Congregation  ertheil- 
ten  Befehle  Mittheilung  gemacht  habe.  Er  antwortet:  „Ich 
habe  dem  Palastmeister  nichts  davon  gesagt,  weil  ich  das 
nicht  für  nöthig  hielt,  da  ich  gar  kein  Bedenken  hatte,  weil 
ich  in  meinem  Buche  die  Meinung  von  der  Bewegung  der 
Erde  und  dem  Stillstehen  der  Sonne  weder  für  wahr  ge- 
halten noch  vertheidigt  habe,  vielmehr  das  Gegentheil  jener 
Meinung  erweise  und  zeig'e,  dass  die  Gründe  des  Coperni- 
cus  hinfällig  und  nicht  beweisend  sind." 

Damit  ist  das  Verhör  zu  Ende.  Das  Protocoll  schliesst 
mit  den  Worten:  „Danach  wurde  das  Verhör  abgebrochen, 
mit  dem  Vorbehalte  es  fortzusetzen1),  und  ihm  ein  Zimmer 
in  der  Wohnung  der  Beamten  im  Palast  des  h.  Officiums 
anstatt  des  Kerkers  angewiesen,  mit  dem  Befehle,  dasselbe 
ohne  specielle  Erlaubniss  nicht  zu  verlassen,  bei  den  nach 
dem  Ermessen  der  h.  Congregation  zu  bestimmenden  Stra- 
fen, und  es  wurde  ihm  befohlen,  zu  unterschreiben,  und  ihm 
unter  einem  Eide  1  Stillschweigen  aufgelegt."  Galilei  unter- 
schrieb dieses  und  alle  anderen  Protocolle:  „Ich  Galileo 
Galilei  habe  ausgesagt  wie  vorstehend." 

Galilei  blieb  im  Inquisitionsgebäude  bis  nach  dem  zwei- 
ten Verhör  am  30.  April.  Das  Verbot,  sein  Zimmer  zu  ver- 
lassen, wurde,  wie  wir  gesehen  haben,  gemildert.  Ausser 
dem  oben  erwähnten  Briefe  vom  16.  April  schrieb  er  noch 
einen  zweiten  am  2$.  April  an  Geri  Bocchineri2),  worin  er 
sagt:  „Ich  schreibe  im  Bette,  an  welches  mich  seit  16  Stun- 
den heftige  Schmerzen  in  einem  Schenkel  fesseln,  welche 
nach  meinen  Erfahrungen  in  eben  so  viel  Zeit  vergehen 
müssen.  Vor  kurzem  haben  mich  der  Commissar  und  der 
Fiscal,  —  diese  sind  es,  die  mich  verhören,  —  besucht  und 


i)  Die  Formel    Quibus   habitis    dimissum  fuit   examen   animo  etc.  ist 
zu  ergänzen:  animo  tarnen  continuandi  examen.  S.  Sacro  Arsenale  p.  57. 
2)  VII,  30. 


272  Die  Gutachten  der  Theologen. 

mir  die  bestimmte  Zusage  gegeben,  die  Sache  erledigen  zu 
wollen,  sobald  ich  das  Bett  verlassen,  wobei  sie  mir  wieder- 
holt sagten,  ich  solle  guten  Muthes  sein.  Ich  lege  mehr 
Werth  auf  dieses  Versprechen  als  auf  alle  Hoffnungen,  die 
mir  früher  gemacht  worden  sind  und  die,  wie  die  Erfahrung 
gelehrt  hat,  mehr  auf  Vermuthungen  als  auf  Wissen  be- 
gründet waren.  Dass  meine  Unschuld  und  Aufrichtigkeit 
werde  anerkannt  werden,  habe  ich  immer  gehofft  und  hoffe 
ich  jetzt  mehr  als  je."  An  demselben  Tage  schrieb  Nicco- 
lini  nach  Florenz1):  ,, Galilei  ist  nur  einmal  verhört  worden, 
und  ich  glaube,  sie  werden  ihn  frei  lassen,  sobald  Seine 
Heiligkeit,  zu  Christi  Himmelfahrt,  von  Castel  Gandolfo 
zurückkommt." 


XXIII. 
Die  Gutachten  der  Theologen  der  Inquisition. 

In  den  Vaticanischen  Processacten  finden  sich  Gutach- 
ten von  drei  Theologen.  Es  ist  nicht  klar,  ob  das  Datum 
,,17.  April  1633"  nur  zu  dem  ersten  derselben  oder  zu  allen 
drei  gehört.  Jedenfalls  ist  das  erste  an  diesem  Tage,  also 
zwischen  dem  ersten  und  zweiten  Verhör  Galilei's  abgege- 
ben worden.  Nur  der  Verfasser  dieses  ersten  Gutachtens, 
Augustin  Oregio,  bezeichnet  sich  als  Consultor  der  Inquisi- 
tion; die  Verfasser  der  beiden  anderen  scheinen  nicht  als 
Consultoren  angestellt  gewesen  zu  sein.  Das  zweite  Gut- 
achten, von  M.  Inchofer,  ist  wahrscheinlich  schon  für  die 
Special-Congregation  (s.  o.  S.  237),  das  dritte,  von  Z.  Pas- 
qualigo,  wahrscheinlich  auch  schon  früher,  zunächst  für  den 
Cardinal  Ginetti  ausgearbeitet  worden.  Beide  werden  dann 
an  dem  genannten  Tage,  17.  April,  den  Acten  der  Inquisi- 
tion einverleibt  worden  sein2). 

Ein  gemeinschaftliches  Gutachten  aller  theologischen 
Consultoren,  wie  ein  solches  16 16  abgegeben  wurde  (S.  107), 


[)  IX,  441.  2)  Vgl.  Berti,  II  Processo  p.   155. 


M.  Inchofer.  273 

findet  sich  bei  den  Acten  des  zweiten  Prcrcesses  nicht.  Es 
handelte  sich  ja  auch  jetzt  nicht  mehr,  wie  damals,  um  eine 
doctrinelle  Entscheidung  über  die  Copernicanische  Lehre, 
sondern  nur  um  die  Anwendung  der  damals  getroffenen 
Entscheidung  auf  Galilei's  Dialog.  Die  den  drei  Theologen 
vorgelegte  Frage  wird  zwar  in  den  Acten  nicht  mitg-etheilt, 
muss  aber  nach  dem  Inhalte  der  Gutachten  gelautet  haben: 
ob  der  Verfasser  des  Dialogs  die  Meinung  von  der  Bewegung 
der  Erde  und  dem  Stillstehen  der  Sonne  für  wahr  halte, 
lehre  und  vertheidige.  Die  Frage  schloss  sich  also  an  die 
Ausdrücke  an,  welche  nach  der  Aufzeichnung  vom  26.  Febr. 
16 16  der  Commissar  des  h.  Officiums  in  dem  Galilei  ertheil- 
ten  Praeceptum  gebraucht  hatte. 

Wenn  ausser  dem  päpstlichen  Theologen  Augustin 
Oregio  (s.  o.  S.  237)  der  Jesuit  Inchofer  und  der  Regular- 
Kleriker  Pasqualigo  beauftragt  wurden,  Gutachten  abzuge- 
ben, so  war  das  keine  besonders  glückliche  Wahl. 

Melchior  Inchofer1),  geboren  1584  zu  Wien,  war  1607 
zu  Rom  in  den  Jesuitenorden  getreten  und  hatte  eine  Reihe 
von  Jahren  in  Messina  Philosophie,  Mathematik  und  Theologie 
docirt.  Im  J.  1629  gab  er  dort  eine  Schrift  in  Folio  heraus, 
worin  er  die  Echtheit  eines  angeblichen  Briefes  der  h.  Jung- 
frau Maria  an  die  Messinesen  vertheidigte.  Er  wurde  dar- 
auf von  der  Index- Congregation  nach  Rom  citirt  und  die 
Schrift,  donec  corri^atur,  verboten;  im  J.  1632  erschien  zu 
Viterbo  die  corrigirte  Ausgabe2),  und  vom  19.  März  1633 
ist  das  Decret  der  Index- Congregation  datirt,  welches  die 
erste  Ausgabe  des  Buches  verbietet,  die  zweite  freigibt. 
Dieser  eben  erst  beendigte  Conflict  Inchofers  mit  der  Index- 
Congregation  hinderte  also  nicht,  dass  er  für  die  Inquisition 
oder  vielleicht  schon  als  Mitglied  der  Special-Congregation 
(s.  o.  S.  238)  ein  Gutachten  über  Galilei's  Dialog  abzugeben 
hatte.  Ueber  die  Copernicanische  Theorie  veröffentlichte  er 
gleich  nach  Galilei's  Verurtheilung,  noch  im  J.  1633,  zu  Rom 


1)  Vgl.  Niceron,  Memoires  3^,  322.  de  Backer,  Bibliotheque  des 
£crivains  de  la  C.  de  J.  V,  333.     Biographie  universelle  (Michaud)  20,  328. 

2)  Die  erste  Ausgabe  hat  den  Titel:  „Epistolae  B.  Mariae  V.  ad 
Messanenses  veritas  vindicata  ac  plurimis  gravissimorum  scriptorum  testimo- 
niis  et  rationibus  illustrata",  —  die  zweite:  „De  epistola  B.  Mariae  ad  Mes- 
sanenses conjectatio   plurimis  rationibus  et  verosimilitudinibus  locuples". 

Reu  seh,  Galilei.  l8 


274  M.  Inchofer. 

eine  Schrift,  von»  welcher  noch  die  Rede  sein  wird1).  Eine 
zwei  Jahre  später  von  ihm  verfasste  Schrift  über  dasselbe 
Thema2)  blieb  ungedruckt,  —  wie  Grisar  S*  697  sagt,  „höchst- 
wahrscheinlich weil  sie  in  der  Censur  der  Oberen  nicht  appro- 
birt  wurde".  Er  sagt  in  dieser  Schrift,  er  spreche  darin 
von  Galilei,  „obschon  derselbe  strengern  Tadel  als  die  Ketzer 
verdiene,  massvoll,  wiewohl  Viele  verlangt  hätten,  er  solle 
ihn  schärfer  mitnehmen".  Hoffentlich  haben  die  Censoren 
es  eher  zu  scharf  als  zu  massvoll  gefunden,  wenn  er  Kepler, 
Lansberg  und  Galilei  als  „Verächter  der  peripatetischen 
Philosophie"  auch  „Verächter  der  Religion"  nannte.  Auch 
für  den  ersten  Band  seiner  „Annales  ecclesiastici  Regni 
Hungarici",  der  1644  zu  Rom  erschien,  soller  nur  mit  Mühe 
das  Imprimatur   erlangt   haben3).     Sogar  P.  Desjardins   (p. 


1)  Tractatus  syllepticus,  in  quo  quid  de  terrae  solisque  motu  vel  sta- 
tione  secundum  S.  Scripturam  et  SS.  Patres  sentiendum,  quave  certitudine 
alterutra  sententia  tenenda  sit,  breviter  ostenditur.     100  S.  kl.  4. 

2)  Vindiciae  Sedis  Apostolicae,  SS.  Tribunalium  auctoritate  [auctori- 
tatis?]  adversus  Neo-Pythagoreos  terrae  motores  et  solis  statores.  Grisar 
S.  697,  Epinois,  La  question  p.  170.  253,  und  Berti,  II  Processo  p.  LXXXVII, 
theilen  Auszüge  aus  dieser  Schrift  mit,  Epinois  namentlich  die  Stellen,  auf 
welche  oben  Bezug  genommen  wird.  —  In  dem  Tractatus  wird  Galilei  nicht 
genannt;  er  wird  aber  zu  den  „wenigen  Schriftstellern  der  neuesten  Zeit" 
gehören,  welche,  „um  sich  zu  zeigen,  die  Einbildung  von  der  Bewegung  der 
Erde  als  eine  erwiesene  Sache  behandeln"  (p.  5.  30). 

3)  Gedruckt  sind  noch  von  Inchofer  1635  zu  Messina  und  1638  zu 
München  „Historiae  sacrae  latinitatis  libri  VI",  —  darin  stehen  u.  a.  Capitel 
mit  der  Ueberschrift :  Beatos  in  coelo  latine  locuturos  esse  probabile 
(Münchener  Ausgabe  p.  220),  Christum  latine  interdum  locutum  probabile 
(p.  230),  —  ferner  einige  kleinere  Schriften,  u.  a.  Streitschriften  gegen  C. 
Scioppius,  die  er  unter  dem  Namen  „Eugenius  Lavanda"  herausgab,  und  Briefe 
an  Leo  Allatius,  die  in  dessen  Werken  gedruckt  wurden.  In  des  Allatius 
Symmicta  (1653)  wurde  auch  die  „Dissertatio  de  eunuchismo"  gedruckt,  worin 
Inchofer  die  (1641)  von  Zacharias  Pasqualigo  ausgesprochene  Ansicht  be- 
kämpft, dass  das  Castriren  im  Interesse  der  Gesangkunst  erlaubt  sei.  Dass 
er  sich  durch  diese  Schrift  den  Zorn  der  Sänger  und  Musikfreunde  zuge- 
zogen und  darum  seine  Versetzung  von  Rom  beantragt  habe,  ist  wohl  eine 
Uebertreibung.  Ende  1634  kehrte  er  nach  Messina  zurück,  kam  aber  1636 
wieder  nach  Rom  und  scheint  dort  bis  1647  geblieben  und  als  Consultor 
der  Inquisition  und  der  Index  -  Congregation  thätig  gewesen  zu  sein.  Am 
1.  Juni  1639  hielt  er  die  Leichenrede  auf  Riccardi  und  am  25.  März  1647 
schreibt  er  an  den  Cardinal  Francesco  Barberini:  „Seit  der  Zeit  unseres 
neuen  Generals  (1645  wurde  Vincenz    Caraffa  Jesuiten-General)  habe  ich  im 


Z.  Pasqualigo.     Oregio's  Gutachten.  275 

72)  meint:  einige  Werke  Inchofers  zeigten,  dass  er  nicht 
ebenso  viel  gesundes  Urtheil  wie  Gelehrsamkeit  besessen. 

Zacharias  Pasqualigo  bezeichnet  sich  selbst  als  Regu- 
lar-Kleriker  und  Professor  der  Theologie  und  hat  einige 
theologische  Bücher  geschrieben1).  Wenn  Inchofer  vorher 
mit  der  Index- Congregation  zu  schaffen  gehabt,  so  h  hatte 
Pasqualigo  später  das  Unglück,  dass  einige  Sätze  aus  seiner 
„speculativen  Theologie"  durch  den  Commissar  und  einen 
Consultor  des  h.  Officiums  als  „nach  Ketzerei  schmeckend" 
qualificirt  wurden2).  Auch  wurde  er  von  seinem  Collegen 
Inchofer  sehr  sgharf  angegriffen,  weil  er  das  Castratenwesen 
in  der  päpstlichen  Kapelle  in  Schutz  genommen.  In  Bezug 
auf  die  Lehre  des  Copernicus  und  Galilei  waren  aber  die 
beiden  Theologen,  wie  wir  sehen  werden,  Einer  Meinung. 

Das  erste  Gutachten,  das  von  Oregio,  ist  ganz  kurz. 
Er  sagt:  dass  in  Galilei's  Dialog  jene  Meinung  für  wahr  ge- 
halten und  vertheidigt  werde,  gehe  aus  dem  ganzen  Inhalte 
desselben  und  namentlich  aus  den  Stellen  hervor,  welche  in 
einem  Schriftstücke  notirt  seien,  das  er  selbst  und  Pater 
Riccardi  als  Consultoren  des  h.  Officiums  auf  Befehl  Seiner 
Heiligkeit  der  Inquisition  überreicht  hätten.  Dieses,  ohne 
Zweifel  zu  den  Acten  der  Special-Congregation  gehörende 
Schriftstück  liegt  uns  nicht  vor. 

Inchofer  beweist  in  seinem  Gutachten 3)  ausführlich,  dass 


Römischen  Collegium  die  h.  Schrift  gelesen  und  jetzt  lebe  ich  im  Deutschen 
Collegium  frei  von  häuslichen  Aemtern."  Erst  1647  scheint  er  nach  Mace- 
rata  versetzt  worden  zu  sein.  Er  starb  28.  Sept.  1648  zu  Mailand.  Bei  de 
Backer  werden  viele  ungedruckte  Schriften  von  ihm  aufgezählt,  auch  einige 
astronomische,  die  unter  dem  Namen  „Academicus  Vertumnius"  gedruckt 
sein  sollen.  Berti,  II  Processo  p.  LXXXVIIL  erwähnt  Briefe  von  Inchofer, 
die  in  Rom  existiren,  theilt  aber  leider  nichts  daraus  mit.  —  Als  Verfasser 
der  unter  dem  Titel  „Lucii  Cornelii  Europei  Monarchia  Solipsorum  ad  V.  C. 
Leonem  Allatium"  zu  Venedig  1645  gedruckten  Satire  auf  den  Jesuitenorden 
ist  Inchofer  mit  Unrecht  angesehen  worden;  das  Buch  ist  wahrscheinlich  von 
dem  Exjesuiten  Julius  Clemens  Scotti.     S.  de  Backer  V,  335. 

1)  Decisiones  morales  juxta  principia  theologica  et  sacras  atque  civiles 
leges  difficultatum,  quae  in  utroque 'foro  passim  occurrunt.  Veronae  1641. 
Fol.  —  De  sacrificio  novae  legis  quaestiones  theologicae,  morales,  iuridicae. 
Venetiis   1707.     2  vol.  Fol. 

2)  Berti,  II  Processo  p.  CXXXIV. 

3)  Das  Gutachten  besteht  aus  zwei  Theilen:  der  erste  handelt  von  der 
Bewegung  der  Erde,   der  zweite  von  dem  Stillstehen  der  Sonne.     Jeder  Theil 


276  Inchofers  Gutachten. 

nicht  nur  Galilei  im  Dialog  die  Copernicanische  Ansicht 
„lehre  und  vertheidige",  sondern  auch  ein  starker  Verdacht 
vorliege,  dass  er  dieser  Ansicht  durchaus. zustimme,  dass  er 
sie  also  auch  „für  wahr  halte"  (verum  etiam  de  firma  huic 
opinioni  adhaesione  veheinenter  esse  suspectum  atque  adeo 
eam  teuere).  Er  hebt  auch  besonders  hervor,  dass  Galilei 
die  Copernicanische  Lehre  nicht  etwa  bloss  hypothetisch 
oder  „problematisch"  oder  „als  probabel"  vortrage,  sondern 
in  absoluten  und  behauptenden  Worten  (verbis  absolutis  et 
assertivis  aut  certe  aequivalentibus,  absolute  ei  demonstrative), 
denen  gegenüber  die  Versicherung,  er  wolle*jene  Lehre  nicht 
beweisen,  —  eine  Versicherung,  die  er  beifüge,  um  den  Schein 
zu  erwecken,  als  versündige  er  sich  nicht  gegen  das  Decret 
(von  16 16),  — nicht  in  Betracht  kommen  könne1).  Dass  es  Gali- 
lei wirklich  um  die  Vertheidigung  jener  Lehre  zu  thun  sei, 
ergebe  sich  auch  daraus,  dass  er  den  Aristoteles  und  seine 
Anhänger  heftig  angreife,  dass  es  sein  Hauptzweck  sei,  den 
P.  Scheiner  zu  bekämpfen,  der  zuletzt  gegen  die  Coperni- 
caner  geschrieben,  dass  er  Alle,  die  nicht  Pythagoreer  oder 
Copernicaner  seien,  verspotte  und  den  Wilhelm  Gilbert, 
einen  verkehrten  Ketzer  und  heftigen  und  leidenschaftlichen 
Vertreter  der  Copernicanischen  Lehre,  über  Gebühr  lobe2). 
Dass  Galilei  nicht  erst  in  neuester  Zeit  die  Copernicanische 
Theorie  gelehrt,  ergebe  sich  aus  einer  früher  veröffentlich- 
ten Schrift,  in  welcher  er  wegen  dieser  Lehre  belobt  und 
vertheidigt  werde3),  —  es  wird  die  Schrift  von  Foscarini  oder 
die  Apologie  Campanella's  gemeint  sein.  —  Zum  Schlüsse 4) 
sagt  Inchofer:  „Obschon  übrigens  aus  den  in  meinen  beiden 
Gutachten  angeführten  Gründen    über  Galilei' s   Ansicht,  — 


besteht  aus  dem  ganz  kurz  gefassten  eigentlichen  Votum  und  einer  ausführ- 
lichen Begründung.  Das  erste  Votum  steht  in  den  Acten  Fol.  435  (S.  94), 
die  Begründung  desselben  Fol.  437 — 439  (S.  95 — 103),  das  zweite  Votum 
Fol.  431  (S.  92),  die  Begründung  desselben  Fol.  433  (S.  93.  94).  Vgl. 
Gebier,  Acten  S.  XVII.  Berti  hat  das  erste  Votum  nicht  abdrucken  lassen 
(II  Processo  p.  102).  Darum  spricht  Scartazzini,  Unsere  Zeit  1877,  II,  449, 
irrig  von  „drei  Eingaben"  Inchofers. 

i)  S.  93.  96,  2.  97,  5.  98,  3.    —    Inchofer   citirt   die  Stellen  aus   dem 
Dialog  nicht  immer  wörtlich   und  mitunter  inhaltlich  ungenau.     Berti  p.  107. 

2)  S.  97,*  3.  5.     100,  7.     Von    Gilbert   wird    im   Dialog   I,   433  ff.    ge- 
sprochen.    Vgl.  Beckmann  III,  668.    IV,  656. 

3)  S.  96.  4)  S.  93- 


Pasqualigo's  Gutachten.  277 

dass  er  die  Meinung  .  .  .  sowohl  lehrt  als  vertheidigt  als 
für  wahr  hält,  —  kein  Zweifel  obwalten  kann,  so  ergibt  sich 
doch  dieses  alles  ganz  evident  auch  aus  einer  langen  Ab- 
handlung, welche  er  früher  einer  Grossherzogin  zu  Florenz 
zu  seiner  Vertheidigung  übersandt  hat.  In  dieser  billigt  er 
nicht  nur  die  Meinung  des  Copernicus,  sondern  sucht  sie 
auch  durch  Erklärung  von  Stellen  der  h.  Schrift  zu  stützen. 
Bei  der  Erklärung  der  Bibelstellen  aber,  namentlich  über 
die  Bewegung  der  Sonne,  bietet  er  alles  auf  zu  beweisen, 
die  h.  Schrift  spreche  so,  indem  sie  sich  der  Meinung  des 
grossen  Haufens  anbequeme,  nicht  weil  die  Sonne  sich  wirk- 
lich bewege.  Diejenigen  aber,  welche  an  der  gewöhnlichen 
Deutung  der  Bibelstellen  von  der  Bewegung  der  Sonne  fest- 
halten, behandelt  er  als  beschränkt  und  fast  als  Dummköpfe, 
weil  sie  auf  Kleinigkeiten  achteten,  in  das  Tieferliegende  aber 
nicht  eindrängen.  Ich  habe  diese  Abhandlung  gelesen,  und 
wenn  ich  nicht  irre,  ist  sie  inRom  in  vielen  Händen" (s.o.S. 43). 
Das  Gutachten  Pasqualigo's  ist  der  Form  nach  von 
den  beiden  ersten  verschieden.  Es  besteht  aus  vier  Stücken. 
An  der  Spitze  stehen  zwei  fast  gleichlautende  kurze  latei- 
nische Erklärungen  des  Inhalts:  er  sei  vor  (cor am)  dem  Car- 
dinal Ginetti,  Vicar  Urbans  VIII.,  gefragt  worden,  ob  Galilei 
in  seinem  Dialog  das  ihm  von  dem  h.  Officium  ertheilte 
Praeceptum  übertreten  habe,  die  Meinung  von  der  Bewegung 
der  Erde  und  dem  Stillstehen  der  Sonne  nicht  für  wahr  zu 
halten,  zu  lehren  oder  zu  vertheidigen;  nach  genauer  Durch- 
sicht des  Buches  sei  er  der  Ansicht,  Galilei  habe  das  Verbot 
bezüglich  der  Ausdrücke  „lehren"  und  „vertheidigen"  übertre- 
ten, da  er  die  Bewegung  der  Erde  und  das  Stillstehen  der 
Sonne,  so  viel  er  könne,  zu  beweisen  suche,  und  er  sei  auch 
dringend  verdächtig,  dass  er  diese  Meinung  für  wahr  halte.  Das 
zweite  Stück  unterscheidet  sich  von  dem  ersten,  abgesehen 
von  unwesentlichen  Differenzen  im  Ausdruck,  dadurch,  dass 
darin  nur  von  der  Bewegung  der  Erde  die  Rede  ist1).  Das 
dritte,  italienisch  geschriebene  und  nicht  unterzeichnete  Stück 
scheint  die  Motivirung  des  zweiten  Stückes  zu  sein.  Es  be- 
ginnt: „Obschon  Galilei  im  Anfange  seines  Buches  sagt,  er 


1)  Wahrscheinlich  ist,  wie  Wolynski  p.  105  vermuthet,  das  eine  im 
J.  1632  für  den  Card.  Ginetti,  das  andere  im  April  1633  ^r  die  Inquisition 
geschrieben. 


278  Pasqualigo's  Gutachten. 

wolle  von  der  Bewegung  der  Erde  sub  hypothesi  handeln, 
lässt  er  doch  im  Verlaufe  seiner  Dialoge  die  Hypothese  bei 
Seite  und  beweist  die  Bewegung  der  Erde  absolut"  u.  s.  w. 
Dieses  wird  dann  ausführlich  bewiesen.  Das  vierte,  gleich- 
falls italienisch  geschriebene  Stück  endlich  scheint  die  Mo- 
tivirung  des  ersten  Stückes  zu  sein.  Es  beginnt:  „Da  Ga- 
lilei vor  Jahren  von  dem  h.  Officium  bezüglich  der  Coperni- 
canischen  Meinung  von  der  Bewegung  der  Erde  und  dem 
Stillstehen  der  Sonne  ein  Praeceptum  erhalten,  dass  er  sie 
neque  teneat  neque  doceat  neque  defe?idat  quovis  modo  verbo 
aut  scripto,  und  da  er  seine  Dialoge  über  diesen  Gegenstand 
hat  drucken  lassen,  so  fragt  sich,  ob  er  das  besagte  Prae- 
ceptum übertreten  hat.  Es  wird  geantwortet:  er  habe  dem 
Praeceptum  zuwider  gehandelt,  so  fern  es  verbietet,  dass 
er  non  doceat  quovis  modo.  .  .  Er  hat  auch  den  andern  Theil 
übertreten,  dass  er  non  defendat  quovis  modo.  .  .  Was  den 
andern  Punkt  betrifft,  der  verbietet,  dass  er  non  teneat,  so 
liegt  der  Verdacht  und  ein  dringendes  Indicium  vor,  dass 
er  auch  diesen  übertreten  hat."  Jede  dieser  drei  Behaup- 
tungen wird  durch  die  Anführung  von  Stellen  aus  dem 
Dialog  begründet.  Zum  Schluss  steht  lateinisch:  „Ich  Z. 
Pasqualigo  .  .  .  trage  die  vorstehende  Ansicht  vor  Seiner 
Eminenz  dem  Cardinal  Ginetti,  Vicar  Seiner  Heiligkeit 
Urbans  VIII. ,  vor  und  bin  dieser  Meinung." 

Cardinal  Ginetti  (s.  o.  S.  254)  hatte  als  Cardinal- Vicar 
mit  dem  Magister  Sacri  Palatii  die  Censur  der  in  Rom  er- 
scheinenden Bücher  zu  besorgen  (s.  o.  S.  76).  Galilei's  Dialog 
trug  das  Imprimatur  seines  Substituten  (Vicesgerens).  Das 
ist  wohl  die  Veranlassung  gewesen,  dass  er  sich,  —  wahr- 
scheinlich gleich  als  das  Erscheinen  des  Dialogs  in  Rom 
Aufsehen  erregte,  —  von  Pasqualigo  diese  Gutachten  geben 
Hess,  die  er  dann  später  an  die  Inquisition  abgegeben  haben 
wird l). 


1)  A.  Mezieres  schreibt  in  der  Revue  des  deux  mondes  1876,  t.  16, 
658,  von  diesen  Gutachten:  „Die  drei  Richter,  welche  Galilei  verhört  hatten, 
erklärten  einmüthig,  er  fyabe"  u.  s.  w.! 


Das  zweite  Verhör. 


279 


XXIV. 
Das  zweite  Yerhör  Galilei's,  30.  April  1633. 

In  dem  ersten  Verhöre  gestand  Galilei  ein,  dass  ihm 
im  J.  16 16  amtlich  mitgetheilt  worden  sei,  die  Copernicani- 
sche  Lehre  sei  falsch  und  schriftwidrig  und  dürfe  nicht  als 
wahr  angesehen  und  vorgetragen  werden;  er  gestand  nicht 
ein,  bestritt  aber  auch  nicht  entschieden,  dass  ihm  dieses 
noch  durch  einen  Andern  als  den  Cardinal  Bellarmin,  und 
dass  es  ihm  gerade  in  den  Ausdrücken  mitgetheilt  worden 
sei,  welche  ihm  der  Inquirent  aus  der  Aufzeichnung  vom 
26.  Febr.  1616  vorlas.  Ferner  erklärte  Galilei,  er  habe  sich 
nicht  für  verpflichtet  gehalten,  von  jener  ihm  im  J.  161 6  ge- 
machten Eröffnung,  als  er  den  Dialog  zur  Censur  vorgelegt, 
dem  Censor  Mittheilung  zu  machen,  weil  er  durch  die  Ab- 
fassung und  Veröffentlichung  des  Dialogs  jener  Eröffnung 
nicht  zuwider  zu  handeln  geglaubt,  da  er  in  dem  Dialog 
die  Copernicanische  Lehre  nicht  als  eine  von  ihm  für  wahr 
gehaltene  vorgetragen,  vielmehr  als  unrichtig  nachgewiesen 
habe. 

Wenn  die  Inquisition  Galilei  wegen  Uebertretung  der 
ihm  im  J.  161 6  ertheilten  Weisung  durch  die  Veröffent- 
lichung seines  Dialogs  den  Process  machen  wollte,  so 
konnte  dieses  in  doppelter  Weise  geschehen.  Sie  konnte 
entweder  die  formelle  Seite  der  Frage  in  den  Vordergrund 
stellen  und  die  Anklage  erheben,  Galilei  habe  ein  ihm  im 
Auftrage  des  Papstes  und  des  h.  Officiums  ertheiltes  förm- 
liches Praeceptum  übertreten  und  sich  dadurch,  —  abge- 
sehen von  dem  Inhalte  des  Praeceptums,  —  eines  sträflichen 
Ungehorsams  schuldig  gemacht,  welcher,  weil  es  sich  um 
Ungehorsam  gegen  die  Inquisition,  die  Wächterin  der  Or- 
thodoxie, handelte,  sich  als  ein  Vergehen  gegen  den  Glau- 
ben darstellte;  oder  sie  konnte  die  materielle  Seite  der 
Frage  in  den  Vordergrund  stellen  und  die  Anklage  erheben, 
Galilei   habe   eine  Lehre   vorgetragen,    von  welcher  ihm  im 


280  Der  Anklagepunkt. 

J.  1616  amtlich  erklärt  worden,  dass  sie  falsch  und  schrift- 
widrig sei,  und  er  habe  sich  dadurch,  dass  er  trotz  dieser 
Erklärung  jene  Lehre  vorgetragen,  der  Ketzerei  schuldig 
oder  verdächtig  gemacht.  Wenn  die  Inquisition  den  ersten 
Standpunkt  einnahm,  kam  es  darauf  an,  die  Art  und  Weise, 
in  welcher  Galilei  im  J.  16 16  das  fragliche  Praeceptum  er- 
theilt  worden,  als  eine  möglichst  förmliche  und  bestimmte 
nachzuweisen.  In  diesem  Falle  war  also  die  Aufzeichnung 
vom  26.  Febr.  1616  ein  Actenstück  von  entscheidender  Bedeu- 
tung, da  nach  ihr  Galilei  nicht  nur,  wie  er  zugab,  durch  den 
Cardinal  Bellarmin  eine  amtliche  Mittheilung,  sondern  auch 
durch  den  Commissar  der  Inquisition  vor  Notar  und  Zeugen 
einen  förmlichen  Befehl  erhalten  hatte,  für  den  Fall  des 
Ungehorsams  mit  einem  Inquisitionsprocess  bedroht  worden 
war  und  jenem  Befehle  zu  gehorchen  versprochen  hatte. 
Und  da  es  nach  dem  Geschäftsgange  der  Inquisition  darauf 
ankam,  dass  der  Angeklagte  das  eingestand,  was  sich  aus 
den  vorhandenen  Beweismitteln  als  „Indicium"  gegen  ihn 
ergab,  so  musste  in  diesem  Falle  der  Versuch  gemacht 
werden,  durch  weiteres  Verhören,  durch  Verlängerung  der 
Haft,  schliesslich  durch  Androhung  und  Anwendung  der 
Folter  pro  veritate  habenda  Galilei  zum  Geständnisse,  dahin 
zu  bringen,  dass  er  bezüglich  des  Vorganges  vom  26.  Febr. 
161 6  das  als  thatsächlich  anerkannte,  wovon  er  in  dem  er- 
sten Verhöre  gesagt  hatte,  er  erinnere  sich  dessen  nicht 
mehr.  Nahm  die  Inquisition  dagegen  den  zweiten  Stand- 
punkt ein,  so  hatte  die  Aufzeichnung  vom  26.  Febr.  16 16 
nur  eine  untergeordnete  Bedeutung.  Dass  ihm  die  Coperni- 
canische  Lehre  amtlich  als  falsch  und  schriftwidrig  bezeich- 
net worden,  räumte  ja  Galilei  ein;  es  kam  also  nun  nur 
noch  darauf  an,  zu  constatiren',  ob  er  diese  falsche  und 
schriftwidrige  Lehre  vorgetragen,  in  welchem  Falle  gegen 
ihn  als  einen  der  Ketzerei  Schuldigen  oder  Verdächtigen 
vorgegangen  werden  konnte. 

Die  Processacten  zeigen,  dass  die  Inquisition  wenig- 
stens von  dem  zweiten  Verhöre  Galilei' s  an  nicht  den  er- 
sten, sondern  den  zweiten  Standpunkt  einnahm.  Die  Frage, 
ob  Galilei  am  26.  Febr.  16 16  ein  förmliches  Praeceptum 
ertheilt  worden  sei,  tritt  nach  dem  ersten  Verhöre  ganz  in 
den  Hintergrund.  Es  wird  gar  kein  Versuch  mehr  ge- 
macht,  Galilei  bezüglich  dieses  Punktes  zum  Geständnisse 


Der  Anklagepunkt.  281 

zu  bringen;  man  begnügt  sich  in  dieser  Hinsicht  mit  dem, 
was  er  eingeräumt  hatte,  dass  ihm  Bellarmin  amtlich  die 
Copernicanische  Lehre  als  falsch  und  schriftwidrig  bezeich- 
net habe,  und  der  Process  wird  fortan  ganz  in  den  Formen 
eines  Processes  wegen  Häresie  geführt. 

Bei  einem  solchen  Processe  war  zunächst  der  objective 
Thatbestand  festzustellen,  zu  constatiren,  ob  der  Angeklagte 
Aeusserungen  gethan,  welche  zu  dem  Verdachte  berechtigten, 
dass  er  nicht  rechtgläubig  sei,  —  dicta  haereticalia,  wie  der 
technische  Ausdruck  lautet,  —  dann  in  zweiter  Linie,  ob  er 
bei  diesen  Aeusserungen  eine  häretische  Gesinnung  oder  „In- 
tention" gehabt.  Diese  zweite  Frage  wurde  nach  dem  Ge- 
schäftsgange der  Inquisition  erst  dann  untersucht,  wenn  die 
erste  erledigt  war.  Es  handelte  sich  jetzt  also  zunächst 
darum,  ob  in  Galilei's  Dialog  häretisch  klingende  Sätze  vor- 
kamen, speciell  ob  die  nach  der  Entscheidung  von  16 16  als 
falsch  und  schriftwidrig  anzusehende  Copernicanische  Lehre 
darin  vorgetragen  und  vertheidigt  war.  Hätte  Galilei  den 
Rath  Niccolini's  befolgt,  er  solle,  um  die  Erledigung  seiner 
Sache  zu  beschleunigen,  sich  allem  fügen,  was  man  von 
ihm  verlange1),  hätte  er  also  eingestanden,  dass  er  im  Dia- 
log die  Copernicanische  Lehre  vorgetragen  und  verthei- 
digt, so  hätte  die  Inquisition  gleich  zu  der  weitern  Unter- 
suchung übergehen  können,  ob  er  dieses  mit  einer  häreti- 
schen Absicht  gethan,  und  sie  hätte  ihn  dann  je  nach  dem 
Ausfalle  dieser  Untersuchung  zu  einer  Retractation  seiner 
Aeusserungen  oder  zur  Abschwörung  der  Häresie,  der  er 
sich  schuldig  oder  verdächtig  gemacht,  anhalten  können. 
Nun  hatte  aber  Galilei  im  ersten  Verhöre  geleugnet,  dass 
er  die  Copernicanische  Lehre  im  Dialog  vorgetragen  und 
vertheidigt,  und  da  die  Inquisition,  zumal  nach  den  Gut- 
achten der  Theologen,  dieses  Leugnen  als  ein  unberech- 
tigtes ansehen  musste,  war  sie  zunächst  darauf  angewiesen, 
die  ihr  zu  Gebote  stehenden  Mittel  anzuwenden,  um  den 
Angeklagten  zum  Geständnisse  zu  bringen. 

Das  erste  Mittel,  welches  zu  diesem  Behufe  angewen- 
det werden  konnte,  war,  Galilei  nochmals  ins  Verhör  zu 
nehmen,  ihm  vorzuhalten,  dass  der  Dialog  jedem  unbefan- 
genen Leser   als   eine  Vertheidigung   der  Copernicanischen 


1)  IX,  434.  439. 


282  Brief  Firenzuola's  vom  28.  April   1633. 

Lehre  erscheinen  müsse,  und  dass  sich  die  Theologen  der 
Inquisition  in  diesem  Sinne  ausgesprochen,  und  ihm  zu  be- 
deuten, dass,  wenn  er  nicht  der  Wahrheit  die  Ehre  gebe, 
er  noch  länger  in  Haft  gehalten  und  die  Erledigung  seiner 
Sache  verzögert  werden  werde,  und  dass  er  durch  ein  offe- 
nes Geständniss  seine  Strafe  mildern  könne1).  Führte  die- 
ses Mittel  nicht  zum  Ziele,  so  konnte  die  Folter  angewen- 
det werden. 

Zur  Anwendung  dieser  Mittel  kam  es  aber  bei  Ga- 
lilei nicht.  Der  Commissar  liess  ihn  bis  zum  30.  April 
nicht  wieder  vorführen,  um  das  Verhör  fortzusetzen;  am 
30.  aber  wurde  Galilei  auf  sein  eigenes  Verlangen  vorge- 
führt und  legte  nun,  —  ohne  dass  ihm  irgend  eine  andere 
Frage  als:  was  er  zu  sagen  habe,  vorgelegt  wurde,  —  aller- 
dings etwas  verclausulirt,  das  Geständniss  ab,  welches  die 
Inquisition  verlangen  musste,  welches  er  aber  in  dem  er- 
sten Verhöre  verweigert  hatte. 

Diese  Aenderung  in  seinem  Verhalten  findet  ihre  Er- 
klärung  durch   ein    Actenstück,    welches    Pieralisi2)   zuerst 


1)  In  einem  Verhörsformulare  des  Sacro  Arsenale  p.  55  wird  einem 
Angeklagten  zuerst  vorgehalten:  da  er  einen  Theil  der  gegen  ihn  geltend 
gemachten  Thatsachen  eingestanden,  könne  er  die  anderen  nicht  wohl  leugnen, 
und  wenn  er  dies  thue,  sage  er  offenbar  nicht  die  Wahrheit.  Dann  wird  er 
aufgefordert:  er  solle  doch  die  Wahrheit  sagen  und  sein  Gewissen  erleich- 
tern ;  es  sei  nicht  anzunehmen,  dass  die  vereideten  Zeugen  die  Unwahrheit 
gesagt;  wenn  er  fortfahre  zu  leugnen,  werde  er  noch  länger  in  Haft  ge- 
halten werden  und  die  Erledigung  seiner  Sache  sich  in  die  Länge  ziehen; 
auch  werde  er  strenger  gestraft  werden,  wenn  er  als  des  Vergehens  durch 
Zeugen  überführt  verurtheilt  werde,  als  wenn  er  ein  reumüthiges  Geständniss 
ablege.  —  P.  60  wird  das  Formular  eines  zweiten  Verhöres  mitgetheilt.  Der 
Inquisitor  fragt  den  Angeklagten  zunächst:  ob  er  sein  Gewissen  besser  er- 
forscht und  sich  entschlossen  habe,  aufrichtiger  die  Wahrheit  zu  sagen. 
Dann  hält  er  ihm  vor:  aus  den  Acten  des  Processes  ergebe  sich,  dass  er 
nicht  die  Wahrheit  gesagt;  denn  es  sei  constatirt  u.  s.  w.  u.  s.  w.  Darauf  wird 
er  ermahnt,  die  Wahrheit  zu  sagen,  damit  er  sich  nicht  des  Meineides 
schuldig  mache  und  sein  Gewissen  beschwere.  Dann,  heisst  es  weiter, 
kann  er  nochmals  im  Einzelnen  inquirirt  und  wiederholt  ermahnt  werden, 
wie  oben  angegeben,  unter  Beifügung  der  Drohung,  die  Erledigung  der 
Sache  werde  sich,  wenn  er  nicht  die  Wahrheit  sage,  verzögern,  er  werde 
länger  in  Haft  gehalten  und  es  werde  nach  dem  strengen  Rechte  gegen  ihn 
verfahren  werden. 

2)  Urbano  VIII,  p.  197.  Scartazzini  sagt,  Uns.  Zeit  1877,  II,  450, 
,, dieses   wichtige    Document    sei    unseren    deutschen   Galilei-Forschern    noch 


Brief  Firenzuola's  vom  28.  April   1633.  283 

veröffentlicht  hat.  Es  ist  ein  Brief  des  Commissars  der 
Inquisition  vom  28.  April  1633  an  den  Cardinal  Barberini, 
der  sich  damals  mit  dem  Papste  in  Castel  Gandolfo  be- 
fand. Dieser  Brief  lautet:  „Gestern1)  habe  ich  entspre- 
chend dem  Befehle  unseres  Herrn  den  Cardinälen  der  Con- 
gregation  über  den  Stand  der  Galilei'schen  Sache  kurz 
berichtet.  Die  Herren  haben  gut  geheissen,  was  bis  jetzt 
geschehen  ist.  Dann  haben  sie  verschiedene  Schwierig- 
keiten erwogen  bezüglich  der  Weise,  wie  die  Sache  weiter 
zu  führen  und  ihrer  Erledigung  näher  zu  bringen  sei, 
namentlich  folgende:  Galilei  hat  in  seinem  Verhöre  abge- 
leugnet, was  doch  ganz  augenscheinlich  aus  dem  von  ihm 
verfassten  Buche  hervorgeht;  wenn  er  bei  diesem  Ableug- 
nen bleibt,  würde  es  nöthig  werden,  mit  grösserer  Strenge 
nach  dem  Rechte  zu  verfahren  und  nicht  mehr  so  viel  Rück- 
sichten zu  nehmen,  wie  sonst  bei  dieser  Sache  rathsam 
scheint.  Schliesslich  schlug  ich  vor,  die  h.  Congregation 
möge  mich  ermächtigen,  in  aussergerichtlicher  Weise  mit 
Galilei  zu  verhandeln,  um  ihn  von  seinem  Irrthum  zu  über- 
zeugen und  dahin  zu  bringen,  dass  er  diesen,  nachdem  er 
ihn  erkannt,  eingestehe.  Der  Vorschlag  wurde  Anfangs 
als  zu  kühn  angesehen;  man  meinte,  die  Erreichung  dieses 
Zieles  sei  wohl  nicht  zu  hoffen,  so  lange  man  dabei  bleibe, 
ihn  mit  Gründen  überzeugen  zu  wollen.  Aber  nachdem  ich 
den  Grund  angedeutet  hatte,  weshalb  ich  diesen  Vorschlag 
gemacht,  haben  sie  mir  jene  Ermächtigung  gegeben.  Um 
keine  Zeit  zu  verlieren,  habe  ich  gestern  nach  dem  Früh- 
stück mit  Galilei  ein  Gespräch  angeknüpft,  und  nachdem 
wir  viele  und  viele  Gründe  und  Antworten  mit  einander  ge- 
wechselt, erreichte  ich  mit  der  Gnade  Gottes  meinen  Zweck. 
Ich  zeigte  ihm  handgreiflich  seinen  Irrthum,  so  dass  er 
deutlich  erkannte,  dass  er  geirrt  und  in  seinem  Buche  sich 
verfehlt  habe.  Das  alles  sprach  er  in  sehr  bewegten  Wor- 
ten aus,  als  wenn  er  sich  selbst  über  die  Erkenntniss  seines 


völlig   unbekannt    geblieben".     Ich    habe    schon    Th.  Lit.-Bl.   1876,   175   auf 
dasselbe   aufmerksam  gemacht. 

i)  Der  27.  April  war  ein  Mittwoch.  Es  hatte  also  an  diesem  Tage 
die  regelmässige  Sitzung  der  Cardinäle  der  Inquisition  stattgefunden.  Weder 
in  den  Vaticanischen  noch  in  den  Gherardi'schen  Actenstücken  findet  sich 
eine  Notiz  über  diese  Sitzung,  in  welcher  ja  auch  kein  förmlicher  Beschluss 
über  Galilei  gefasst  wurde. 


284  Brief  Firenzuola's  vom  28.  April    1633. 

Irrthums  sehr  getröstet  fühlte.  Er  zeigte  sich  bereit,  den- 
selben gerichtlich  zu  gestehen,  bat  mich  jedoch,  ihm  einige 
Zeit  zu  lassen,  um  über  die  Art  und  Weise  nachzudenken, 
wie  er  seinem  Geständniss  eine  anständige  Form  geben 
(honestare  la  conf esstone)  könne,  welches  hoffentlich,  was 
den  Inhalt  betrifft,  in  der  angegebenen  Weise  erfolgen 
wird.  Ich  habe  es  für  meine  Pflicht  gehalten,  Ew.  Eminenz 
dieses  sogleich  mitzutheilen,  —  ich  habe  es  sonst  Niemand 
mitgetheilt,  —  weil  ich  hoffe,  dass  Seine  Heiligkeit  und 
Ew.  Eminenz  erfreut  darüber  sein  werden,  dass  auf  diese 
Weise  die  Sache  auf  den  Weg  gebracht  wird,  auf  welchem 
sie  ohne  Schwierigkeit  erledigt  werden  kann.  Das  Tribu- 
nal wird  seiner  Reputation  nichts  vergeben,  gegen  den  An- 
geklagten wird  man  milde  verfahren  können,  und  in  wel- 
cher Weise  auch  die  Sache  erledigt  werden  mag,  er  wird 
die  Gnade,  die  ihm  zu  Theil  geworden,  erkennen1).  .  .  . 
Heute  denke  ich  ihn  zu  verhören,  um  das  besagte  Geständ- 
niss zu  erlangen,  und  wenn  ich  dieses,  wie  ich  hoffe,  er- 
lange, so  bleibt  mir  nur  noch  übrig,  ihn  über  die  Intention 
zu  verhören  und  ihn  zur  Einreichung  seiner  Verteidigungs- 
schrift aufzufordern,  und  darauf  wird  ihm  das  Haus  [des 
Gesandten]  als  Kerker  angewiesen  werden  können,  wie  Ew. 
Eminenz  andeutete." 

Die  Inquisition  war  nach  der  bei  ihr  geltenden  Ord- 
nung berechtigt,  ja  verpflichtet,  da  starke  Beweise  vorlagen, 
dass  Galilei  trotz  des  ihm  im  J.  161 6  ertheilten  Verbotes 
die  Copernicanische  Ansicht  in  dem  Dialog  gelehrt  und 
vertheidigt  habe,  gegen  Galilei,  der  dieses  leugnete,  „mit 
grösserer  Strenge  nach  dem  Recht  zu  verfahren",  d.  h.  zu 
versuchen,  ihn  durch  Verlängerung  seiner  Haft  und  andere 
Mittel,  zuletzt  durch  die  Folter  zum  Geständniss  zu  bringen. 
Der  Papst  wünschte  aber,  Galilei  möge  nicht  gefoltert  und 
nicht  lange  in  Haft  gehalten,  sondern  bald  entlassen  wer- 
den, —  das  ist  ohne  Zweifel  „der  Grund",  welchen  der 
Commissar  der  Inquisition  für  seinen  Vorschlag  anführte 
und  welcher  die  Cardinäle  bestimmte,  darauf  einzugehen. 


i)  Es  folgen  die  mir  nicht  recht  verständlichen,  aber  jedenfalls  nicht 
wichtigen  Worte:  con  tutte  Valtre  conseguenze  di  sodisfatione  che  in  cid  si 
desiderano.  Scartazzini,  a.  a.  O.  S.  451,  übersetzt:  „nebst  allen  übrigen  Folgen 
von  Genugthuung,  die  man  in  dieser  Sache  wünscht". 


Das  zweite  Verhör.  285 

Galilei  wurde  allerdings  nicht,  wie  Firenzuola  beab- 
sichtigte, am  28.  April  verhört,  —  warum  nicht,  ist  nicht  zu 
ermitteln  und  nicht  wichtig,  —  aber  am  30.  wurde  er  auf 
sein  eigenes  Verlangen  vor  den  Commissar  (und  den  Fiscal) 
geführt1).  Dieser  forderte  ihn,  ohne  selbst  irgendwelche 
Fragen  zu  stellen,  auf,  zu  sagen,  was  er  zu  sagen  habe, 
und  Galilei  gab  nun  folgende  Erklärung  zu  Protocoll:  „Ich 
habe  mehrere  Tage  fortgesetzt  und  angestrengt  über  die 
mir  am  12.2)  dieses  Monats  vorgelegten  Fragen  nachge- 
dacht, namentlich  über  die  Frage,  ob  mir  vor  16  Jahren 
auf  Befehl  des  h.  Officiums  verboten  worden  sei,  die  damals 
schon  verdammte  Meinung  von  der  Bewegung  der  Erde 
und  dem  Stillstehen  der  Sonne  für  wahr  zu  halten,  zu  ver- 
theidigen  oder  irgendwie  zu  lehren.  Dabei  bin  ich  auf  den 
Gedanken  gekommen,  meinen  gedruckten  Dialog,  den  ich 
seit  drei  Jahren  nicht  mehr  durchgesehen,  noch  einmal  zu 
lesen,  um  zu  erkennen,  ob  mir  vielleicht  gegen  meine  ganz 
reine  Absicht  durch  meine  Unachtsamkeit  irgend  etwas  aus 
der  Feder  geflossen,  was  den  Leser  oder  die  Oberen  ver- 
anlassen könnte,  bei  mir  nicht  nur  irgend  eine  Makel  des 
Ungehorsams,  sondern  auch  anderes  vorauszusetzen,  was  mich 
als  den  Anordnungen  der  h.  Kirche  zuwiderhandelnd  er- 
scheinen lassen  könnte.  Und  da  mir  die  Oberen  gütig  ge- 
stattet haben,  meinen  Diener  auszuschicken,  habe  ich  mir 
ein  Exemplar  meines  Buches  verschafft  und  mich  daran 
gegeben,  es  zu  lesen  und  bis  ins  Einzelnste  zu  prüfen.  Und 
da  es  mir,  weil  ich  es  lange  nicht  mehr  gelesen,  wie  eine 
neue  und  von  einem  Andern  verfasste  Schrift  vorkam,  so 
gestehe  ich  frei3),  dass  sie  mir  an  mehreren  Stellen  so  ab- 
gefasst  erschien,  dass  der  Leser,  der  meine  innere  Gesin- 
nung nicht  kennt,  dadurch  veranlasst  werden  könnte,  sich 
die  Meinung  zu  bilden :  die  Argumente,  welche  für  die  eine 
Ansicht,  welche  falsch  ist  und  welche  ich  zu  widerlegen 
beabsichtigte,  angeführt  werden,  seien  so  vorgetragen,  dass 
sie   eher   als  beweiskräftig   denn    als    leicht    zu   widerlegen 


1)  Acten  S.  82. 

2)  In  den  Acten  steht  unrichtig  „am   16". 

3)  Von  hier  an  sind  einige  Zeilen  unterstrichen;  neben  den  folgenden 
bis  zum  Schlüsse  befindet  sich  ein  Strich  am  Rande.  Diese  Striche  rühren 
ohne  Zweifel  von  dem  Verfasser  des  unten  (S.  294)  zu  erwähnenden  Re- 
ferates her. 


286  Das  zweite  Verhör. 

erscheinen,  und  namentlich  zwei,  das  von  den  Sonnenflecken 
und  das  von  der  Ebbe  und  Fluth  des  Meeres  hergenommene, 
würden  in  der  That  in  einer  Weise  als  starke  und  beweis- 
kräftige Argumente  hingestellt,  wie  sich  das  für  einen  Au- 
tor nicht  passe,  der  sie  für  nicht  beweisend  halte  und 
widerlegen  wolle,  wie  ich  sie  denn  innerlich  und  in  Wahr- 
heit nicht  für  beweisend,  sondern  für  widerlegbar  hielt  und 
halte.  Und  um  mich  bei  mir  selbst  darüber  zu  entschul- 
digen, dass  ich  in  einen  meiner  Absicht  so  sehr  fremden 
Irrthum  gefallen,  genügte  mir  nicht  völlig,  zu  sagen:  wenn 
man  die  Argumente  der  Gegenpartei  darstelle,  um  sie  zu 
widerlegen,  so  müsse  man  sie,  —  namentlich  wenn  man  in 
der  Form  eines  Dialogs  schreibe,  —  in  der  schärfsten  Weise 
vortragen  und  nicht  zu  Gunsten  des  Gegners  abschwächen. 
Da  mir  diese  Entschuldigung,  wie  gesagt,  nicht  genügte, 
so  recurrirte  ich  auf  jene  Entschuldigung,  die  darin  liegt, 
dass  ein  Jeder  von  Natur  geneigt  ist,  an  seinen  eigenen 
Subtilitäten  und  daran  Gefallen  zu  finden,  sich  dadurch 
scharfsinniger  als  die  meisten  Menschen  zu  erweisen,  dass 
er  auch  falsche  Sätze  durch  ingeniöse  und  blendende  Be- 
weisführungen wahrscheinlich  zu  machen  weiss.  Bei  alle  dem 
und  wiewohl  ich,  mit  Cicero  zu  reden,  avidior  sim  gloriae 
quam  sah's  est,  würde  ich  doch,  wenn  ich  jetzt  die  näm- 
lichen Gründe  niederzuschreiben  hätte,  ohne  Zweifel  sie  so 
abschwächen,  dass  sie  nicht  den  Eindruck  machen  würden, 
als  besässen  sie  die  Beweiskraft,  die  sie  ihrem  Wesen  nach 
und  in  Wirklichkeit  nicht  besitzen.  Mein  Irrthum,  den  ich  ein- 
gestehe, ist  also  ein  solcher  gewesen,  der  in  eitelm  Ehrgeiz 
und  in  reiner  Unwissenheit  und  Unachtsamkeit  seinen  Grund 
hatte.  Das  ist  es,  was  ich  zu  sagen  habe  bezüglich  dessen, 
was  mir  bei  dem  Wiederdurchlesen  meines  Buches  in  den 
Sinn  gekommen  ist." 

Nachdem  diese  Erklärung  protocollirt  und  von  Galilei 
unterschrieben  war,  wurde  er  entlassen,  kam  aber  gleich 
darauf  (post  paulum)  zurück  und  gab  noch  Folgendes  zuPro- 
tocoll:  „Zur  Bekräftigung  meiner  Versicherung,  dass  ich  die 
verdammte  Meinung  von  der  Bewegung  der  Er  de  und  dem  Still- 
stehen der  Sonne  weder  für  wahr  gehalten  habe  noch  für  wahr 
halte,  bin  ich  bereit,  wenn  mir  dazu,  wie  ich  wünsche,  die 
Möglichkeit  und  die  Zeit  gestattet  sein  wird,  einen  noch  deut- 
lichem Beweis  dafür  zu  führen.    Es  bietet  sich  dazu  eine  sehr 


Entlassung  aus  der  Haft.  287 

bequeme  Gelegenheit1),  da  in  dem  gedruckten  Buche  die 
Interlocutoren  sich  verabreden,  nach  einiger  Zeit  wieder  zu- 
sammen zu  kommen,  um  über  einige  von  dem  in  ihren 
Gesprächen  behandelten  Gegenstande  verschiedene  natur- 
wissenschaftliche Probleme  zu  sprechen.  Bei  dieser  Ge- 
legenheit also  verspreche  ich,  indem  ich  einen  oder  zwei 
Dialoge  (giomate)  hinzufüge,  die  zu  Gunsten  der  besagten 
falschen  und  verdammten  Meinung  bereits  vorgetragenen 
Argumente  wieder  aufzunehmen  und  sie  so  überzeugend, 
wie  mir  Gott  der  Gebenedeite  eingeben  wird,  zu  widerlegen. 
Ich  bitte  also  dieses  h.  Tribunal,  diesen  meinen  guten  Vor- 
satz dadurch  unterstützen  zu  wollen,  dass  es  mir  die  Er- 
laubniss  gibt,  ihn  auszuführen/' 

Es  braucht  nicht  ausdrücklich  constatirt  zu  werden, 
dass  Galilei's  Versicherung,  er  habe  die  Copernicanische 
Ansicht  nicht  für  wahr  gehalten,  ebenso  wenig  aufrichtig 
war  wie  die  in  dem  ersten  Verhör  aufgestellte  Behauptung, 
er  habe  sie  im  Dialog  nicht  gelehrt  oder  vertheidigt.  Be- 
dürfte dieses  eines  Beweises,  so  würde  die  Hinweisung  auf 
den  oben  (S.  57)  erwähnten  merkwürdigen  Brief  genüg*en, 
den  Galilei  am  15.  Jan.  1633,  unmittelbar  vor  seiner  Ab- 
reise nach  Rom  geschrieben.  Der  Inquisition  g-enügte  das 
zu  Protocoll  gegebene  Geständniss  vorläufig.  Unter  dem 
Protocoll  ist  mit  demselben  Datum  vermerkt:  der  Commis- 
sar  habe  in  Anbetracht  der  Kränklichkeit  und  des  hohen 
Alters  Galilei's,  „nachdem  er  vorher  mit  dem  Papste  ge- 
sprochen (facto  prius  verbo  cum  Sanctissimo),  den  Angeklag- 
ten in  den  Gesandtschaftspalast  entlassen,  mit  der  Wei- 
sung, diesen  als  Kerker  anzusehen,  mit  keinem  Andern  als 
den  Bewohnern  desselben  zu  sprechen  und  sich,  so  oft  er 
werde  vorgefordert  werden,  im  h.  Officium  wieder  einzu- 
finden, —  bei  Vermeidung  der  nach  dem  Gutdünken  der 
h.  Congregation  zu  bestimmenden  Strafen,  und  nachdem  er 
eidlich  gelobt,  über  seinen  Process  Stillschweigen  zu  beob- 
achten und  allen  obigen  Weisungen  zu  gehorchen2).     Der 


1)  Auch  im  Folgenden  ist  auf  einige  Zeilen  durch  Unterstreichung 
aufmerksam  gemacht. 

2)  Wenn  Wohlwill  S.  40  sagt:  „Dass  es  sich  in  der  Entlassung  des 
leidenden  Gefangenen  um  eine  keineswegs  ungewöhnliche  Begünstigung  han- 
delt, geht  daraus  hervor,  dass   eine  zeitliche  Befreiung  aus  Gesundheitsrück- 


288  Entlassung  aus  der  Haft. 

Commissar  kann  nicht  nach  dem  Verhöre  am  30.  April 
mit  dem  Papste  gesprochen  haben,  da  dieser  noch  in  Castel 
Gandolfo  war;  er  war  ohne  Zweifel,  wie  auch  sein  oben 
mitgetheilter  Brief  andeutet,  in  voraus  ermächtigt,  Galilei  zu 
entlassen,  sobald  er  das  erwartete  Geständniss  abgelegt. 

Am  1.  Mai1)  schreibt  Niccolini:  „Galilei  wurde  mir 
gestern  ganz  unerwartet  zurückgeschickt,  obschon  seine 
Vernehmung  nicht  beendigt  ist.  Es  ist  dies  geschehen  auf 
die  Fürsprache,  welche  der  Commissar  bei  dem  Cardinal 
Barberino  eingelegt,  und  dieser  hat  ihn  nach  eigenem  Er- 
messen, ohne  die  Congregation,  in  Freiheit  setzen  lassen, 
damit  er  sich  von  seinem  gewöhnlichen  Unwohlsein,  wel- 
ches ihn  fortwährend  quälte,  erholen  könne.  Der  Commis- 
sar verspricht  auch,  dahin  zu  wirken,  dass  diese  Sache  nie- 
dergeschlagen [?  per  cht  questa  causa  st  sttacct]  und  Still- 
schweigen darüber  auferlegt  werde.  Wenn  das  erreicht 
wird,  so  wird  das  dazu  dienen,  alles  abzukürzen  und  Viele 
von  Verdriesslichkeiten  und  Gefahren  zu  befreien."  Am  3. 
Mai2)  berichtet  er  weiter:  „Da  Galilei  die  Beendigung  sei- 
ner Sache  wünscht,  so  hat  der  Commissar  ihm  Hoffnung 
gemacht,  er  werde  zu  dem  Ende  zu  ihm  kommen.  Er  fährt 
fort,  in  dieser  Angelegenheit  sich  in  jeder  Weise  gefällig 
und  als  gegen  das  grossherzogliche  Haus  ergeben  zu  er- 
weisen; ich  biete  alles  auf,  diese  gute  Gesinnung  bei  ihm 
zu  erhalten  und  zu  vermehren." 

Auf  die  Anzeige  von  Galilei' s  Rückkehr  in  sein  Haus 
erhielt  Niccolini,  —  gewiss  zu  seinem  grossen  Verdruss,  — 
von  dem  Staatssecretär  Cioli  folgenden  Bescheid3):  ,,Seine 
Hoheit  ist  sehr  erfreut  über  die  Nachricht  von  der  Freilas- 
sung Galilei's.  Ich  glaube  aber  Ew.  Excellenz  daran  er- 
innern zu  müssen,  dass  ich,  als  ich  Ihnen  schrieb,  Sie  möch- 
ten ihn  in  Ihr  Haus  aufnehmen,  die  Bestimmung  beifügte: 
»für  Einen  Monat«.     An  die  Kosten  der  übrigen  Zeit  muss 


sichten  im  Sacro  Arsenale  vorgesehen  ist",  so  ist  das  richtig;  wenn  er  aber 
beifügt:  „und  dass  die  für  diesen  Fall  vorgeschriebene  Form  der  Protocolli- 
rung  fast  wörtlich  mit  derjenigen  übereinstimmt,  die  .  .  .  bei  Galilei's  Ent- 
lassung am  30.  April  1633  aufgenommen  wurde",  so  ist  das  übertrieben.  In 
dem  Protocoll  S.  A.  p.  147  wird  vorausgesetzt,  dass  der  Angeklagte  eine 
entsprechende  Summe  als  Caution  deponirte  und  ein  Anderer  sich  für  ihn 
verbürgte. 

1)  IX,  441.  2)  IX,  442.  3)  IX,  442;  vgl.  IX,  323. 


Das  dritte  Verhör.  289 

er  also  selbst  denken. "  Niccolini  antwortete  am  15.  Mai1): 
„Wenn  Sie  mir  mittheilen,  Seine  Hoheit  beabsichtige  die 
Auslagen  für  Galilei  nur  für  den  ersten  Monat  zu  vergüten, 
so  kann  ich  antworten,  dass  ich  über  diesen  Gegenstand 
nicht  mit  ihm  zu  sprechen  gedenke,  so  lange  er  mein  Gast 
ist;  lieber  werde  ich  die  Kosten  selbst  tragen;  dieselben 
übersteigen  schliesslich,  alles  eingerechnet,  nicht  14  oder  15 
Scudi  den  Monat,  so  dass  sie,  wenn  er  selbst  ein  halbes 
Jahr  hierbliebe,  für  ihn  und  einen  Diener  nur  90  — 100  Scudi 
betragen  werden/'  Die  toscanische  Regierung  nahm  ihn  beim 
"Worte.  Am  1.  Juni  schrieb  Geri  Bocchineri  an  Galilei2): 
„Die  Kosten  Ihres  Aufenthalts  werden  jetzt  nicht  mehr  von 
Seiner  Hoheit  bestritten,  sondern  von  dem  Gesandten  vor- 
gelegt ;  wenn  er  sich  dieselben  nicht  von  Ihnen  zurückzahlen 
lässt,  müssen  Sie  ihm  dafür  danken." 


XXV. 


Das  dritte  Verhör  Galilei'«,  10.  Mai  1633. 
Seine  Yertheidigung. 

Einem  Angeklagten,  der  die  ihm  Schuld  gegebenen 
Thatsachen  leugnete,  musste  nach  den  bei  der  Inquisition 
geltenden  Regeln,  ehe  zur  Folter  geschritten  wurde,  Gele- 
genheit geboten  werden,  sich  zu  vertheidigen  oder  durch 
einen  Advocaten  vertheidigen  zu  lassen3).  Aber  auch  wenn 
der  Angeklagte  sein  Vergehen  eingestanden  hatte,  musste 
ihm  anheimgegeben  werden,  sich  innerhalb  einer  bestimmten 
Frist  zu  vertheidigen4),  also  mildernde  Umstände  nachzu- 
weisen u.  dgl.  Demgemäss  wurde  Galilei  am  10.  Mai  wie- 
der vor  den  Commissar  citirt5),  —  der  Fiscal  war  dies  Mal 
nicht  zugegen,  —  und  ihm  eröffnet,  es  sei  ihm  eine  Frist 
von  acht  Tagen  für  die  Einreichung  seiner  Vertheidigungs- 


i)  IX,  442.  2)  IX,  361. 

3)  Sacro  Arsenale  p.   218.    Der  technische  Ausdruck  lautete:     dare  al 
Reo  le  difese.  4)  S.  A.   139.  5)  Acten  S.  86. 

Reusch,  Galilei.  IQ, 


290  Das  dritte  Verhör. 

schrift  gesetzt.  Der  Commissar  hatte  dies  ohne  Zweifel 
Galilei  bereits  früher  mitgetheilt  und  ihm,  wie  das  Sitte  war, 
eine  Abschrift  der  Protocolle  über  seine  beiden  Verhöre 
gegeben1);  denn  Galilei  erklärte  sofort:  \,Zu  meiner  Ver- 
teidigung, d.  h.  um  die  Aufrichtigkeit  und  Reinheit  meiner 
Absicht  zu  beweisen,  nicht  um  es  völlig  zu  entschuldigen, 
dass  ich  einigermassen  in  der  Weise,  wie  ich  gesagt,  ge- 
fehlt habe,  überreiche  ich  dieses  Schriftstück  nebst  dem  von 
dem  Cardinal  Bellarmin  eigenhändig  geschriebenen  Zeugnisse, 
von  dem  ich  bereits  eine  von  meiner  Hand  geschriebene 
Abschrift  überreicht  habe.  Im  Uebrigen  überlasse  ich  mich 
in  allem  und  für  alles  der  gewohnten  Güte  und  Milde  dieses 
Gerichtshofes." 

Die  Vertheidigungsschrift  lautet:  ?,In  dem  oben  stehen- 
den Verhöre,  in  welchem  ich  gefragt  wurde,  ob  ich  dem 
Pater  Palastmeister  den  Befehl  mitgetheilt,  welcher  mir  vor 
16  Jahren  auf  Anordnung  des  h.  Officiums  ertheilt  worden, 
—  die  Meinung  von  der  Bewegung  der  Erde  und  dem  Still- 
stehen der  Sonne  nicht  für  wahr  zu  halten,  zu  vertheidigen 
oder  in  irgend  einer  Weise  zu  lehren,  —  habe  ich  mit  Nein 
geantwortet,  und  weil  ich  nicht  gefragt  wurde,  warum  ich 
dieses  nicht  gethan,  hatte  ich  keine  Veranlassung,  etwas  hin- 
zuzufügen. Jetzt  scheint  es  mir  nöthig,  zu  sagen,  warum  ich 
dies  nicht  gethan,  um  zu  zeigen,  dass  meine  Absicht  stets 
rein  gewesen  und  dass  es  mir  stets  fern  gelegen,  bei  irgend 
einer  meiner  Handlungen  Verstellung  oder  Trug  anzuwenden. 

„Ich  sage  also:  Da  in  jenen  Zeiten  Einige,  die  mir  nicht 
wohl  wollten,  das  Gerücht  ausstreuten,  ich  sei  zu  dem  Car- 
dinal Bellarmin  beschieden  worden,  um  einige  meiner  Mei- 
nungen abzuschwören,  und  ich  hätte  abschwören  müssen  und 
es  seien  mir  auch  Bussen  aufgelegt  worden,  war  ich  genö- 
thigt,  mich  mit  der  Bitte  an  Seine  Eminenz  zu  wenden,  er 
möge  mir  ein  Zeugniss  ausstellen,  in  welchem  gesagt  werde, 
weshalb  ich  zu  ihm  beschieden  worden  sei.  Dieses  Zeugniss 
erhielt  ich  von  ihm  selbst  geschrieben,  und  ich  lege  es  die- 
sem Schriftstücke  bei.  Daraus  ergibt  sich,  dass  mir  nur 
eröffnet  worden  ist,  die  dem  Copernicus  zugeschriebene  Mei- 
nung von  der  Bewegung  der  Erde  und  dem  Stillstehen  der 


i)  So  erklärt  sich,   wie   Wolynski  p.  57  bemerkt,    der  Anfang   seiner 
Vertheidigungsschrift:  NelV  interrogatorio  fiosto  di  sopra. 


Das  dritte  Verhör.  29  t 

Sonne  u.  s.  w.  dürfe  nicht  für  wahr  gehalten  und  nicht  verthei- 
digt  werden.  Dass  ausser  dieser  allgemeinen,  Alle  ange- 
henden Mittheilung  mir  irgend  etwas  Besonderes  befohlen 
worden,  davon  steht  darin  kein  Wort.  Da  ich  nun  zu  mei- 
ner Erinnerung l)  dieses  authentische,  von  demjenigen,  der 
mir  die  Mittheilung  machte,  eigenhändig  geschriebene  Zeug- 
niss  hatte,  so  habe  ich  später  nicht  mehr  an  die  Worte  ge- 
dacht, welche  gebraucht  wurden,  als  mir  der  besagte  Befehl, 
dass  man  nicht  vertheidigen  und  für  wahr  halten  dürfe,  münd- 
lich ertheilt  wurde,  —  so  dass  die  beiden  Ausdrücke  vel 
quovis  modo  docere,  welche  ausser  dem  tenere,  defendere  in 
dem  mir  ertheilten  und  registrirten  Befehle  vorkommen,  als 
sie  mir  [bei  dem  ersten  Verhöre]  vorgelesen  wurden,  mir  ganz 
neu  und  wie  nie  gehört  vorkamen.  Ich  denke,  man  wird  es 
mir  glauben  dürfen,  dass  ich  sie  im  Laufe  von  14  oder  16 
Jahren  ganz  aus  dem  Gedächtnisse  verloren,  zumal  ich  nicht 
genöthigt  war,  darüber  nachzudenken,  da  ich  ja  eine  so  gül- 
tige schriftliche  Aufzeichnung  in  Händen  hatte.  Werden 
aber  die  beiden  besagten  Ausdrücke  weggelassen  und  nur 
die  beiden  in  dem  beiliegenden  Zeugnisse  vorkommenden 
festgehalten,  so  ist  es  unzweifelhaft,  dass  der  in  diesem 
Zeugnisse  enthaltene  Befehl  derselbe  ist,  wie  der  in  dem 
Decrete  der  h.  Congregation  des  Index  enthaltene.  So  scheint 
es  mir,  dass  ich  eine  genügende  Entschuldigung  dafür  habe, 
dass  ich  dem  Pater  Palastmeister  den  mir  privatim  ertheil- 
ten Befehl,  als  mit  dem  der  Index- Congregation  identisch, 
nicht  mitgetheilt  habe. 

,,Ich  sage  ferner:  wiewohl  mein  Buch  keiner  strengern 
Censur  unterlag  als  derjenigen,  zu  welcher  das  Index-Decret 
verpflichtet,  habe  ich  doch,  wie  mir  scheint,  offenbar  das 
beste  und  passendste  Mittel  gewählt,  dasselbe  sicher  zu 
stellen  und  von  jedem  Schatten  eines  Fleckens  zu  reinigen, 
indem  ich  es  dem  obersten  Inquisitor  vorlegte,  zu  der- 
selben Zeit,  in  welcher  viele  -von  demselben  Gegenstande 
handelnde  Bücher  nur  auf  Grund  des  besagten  Decretes 
verboten  wurden. 

„Nach  dem  Gesagten  glaube  ich  fest  hoffen  zu  dürfen, 
dass  der  Gedanke,  ich  habe  mit  Wissen  und  Willen  die  mir 
ertheilten  Befehle  übertreten,    Ihren  Eminenzen    den  höchst 


1)  Hier  sind  wieder  einige  Zeilen  durch  Unterstreichen  hervorgehoben. 


292  Das  dritte  Verhör. 

verständigen  Herren  Richtern  fern  bleiben  werde,  und  dass 
sie  anerkennen  werden,  dass  die  in  meinem  Buche  vorkom- 
menden tadelnswerthen  Sätze  nicht  aus  böser  oder  weniger 
aufrichtiger  Absicht  mit  Ueberlegung  in  das  Buch  aufge- 
nommen worden,  sondern  in  Folge  von  eitelm  Ehrgeiz  und 
der  Sucht,  scharfsinniger  zu  erscheinen  als  die  meisten  po- 
pulären Schriftsteller,  aus  Unachtsamkeit  mir  aus  der  Feder 
geflossen  sind,  wie  ich  in  einem  andern  Verhöre  eingestan- 
den habe.  Dieses  Versehen  bin  ich  bereit  mit  allem  nur 
möglichen  Fleisse  wieder  gut  zu  machen,  sofern  mir  dieses 
von  Ihren  Eminenzen  befohlen  oder  erlaubt  wird. 

„Es  erübrigt  mir  schliesslich  noch  zu  bitten,  man  möge 
Rücksicht  nehmen  auf  den  Zustand  eines  bemitleiden  swer- 
then  körperlichen  Leidens,  worin  mich  eine  zehn  Monate 
ununterbrochen  andauernde  Betrübniss  des  Geistes,  verbun- 
den mit  den  Unbequemlichkeiten  einer  langen  und  mühe- 
vollen Reise  in  der  ungünstigsten  Jahreszeit  in  einem  Alter 
von  70  Jahren,  versetzt  hat,  so  dass  ich  den  grössern 
Theil  der  Jahre,  welche  mir  meine  frühere  Körperbeschaf- 
fenheit versprach,  verloren  zu  haben  fürchte.  Diese  Bitte 
auszusprechen,  fühle  ich  mich  ermuthigt  und  angetrieben 
durch  das  Vertrauen,  welches  ich  in  die  Milde  und  Güte 
Ihrer  Eminenzen  meiner  Richter  setze,  indem  ich  hoffe,  sie 
werden,  wenn  nach  ihrem  gerechten  Urtheile  so  viele  Leiden 
noch  keine  ausreichende  Strafe  für  meine  Vergehen  sein 
sollten,  auf  meine  Bitte  das  noch  Mangelnde  dem  hinsinken- 
den Greisenalter  nachlassen,  welches  auch  noch  demüthig 
sich  zur  Berücksichtigung  empfiehlt.  Nicht  minder  will  ich 
ihnen  meine  Ehre  und  Reputation  empfehlen,  gegenüber  den 
Verleumdungen  meiner  Feinde.  Wie  hartnäckig  diese  dar- 
auf ausgehen,  meinen  Ruf  zu  untergraben,  dafür  mag  die 
Notwendigkeit  als  Beweis  dienen,  in  welche  ich  mich  ver- 
setzt gesehen,  *  mir  von  dem  Cardinal  Bellarmin  das  beilie- 
gende Zeugniss  zu  erbitten." 

Nach  derUeberreichung  der  Verteidigungsschrift  wurde 
Galilei  sofort  wieder,  unter  denselben  Bedingungen  wie  am 
30.  April,  in  den  Gesandtschaftspalast  zurückgeschickt.  Das 
nächste  Verhör  fand  erst  am  21.  Juni  statt.  Am  15.  Mai  be- 
richtete Niccolini1)  nach  Florenz:  „Galilei  befindet  sich  ziem- 


1)  IX,  442. 


Sitzung  der  Inquisition,   16.  Juni   1633.  293 

lieh  gut ;  aber  seine  Sache  kommt  noch  nicht  zum  Ende,  und 
er  ist  noch  immer  in  meinem  Hause  internirt,  was  ihm  un- 
bequem ist,  weil  er  sich  keine  Bewegung  machen  kann." 
Ende  Mai  wurde  ihm  erlaubt  in  den  Gärten- der  Villa  des 
Gesandten  spazieren  zu  gehen,  nachdem  er  in  einem  halb- 
verschlossenen Wagen  dorthin  gefahren.  Er  machte  sogar 
einmal  einen  Ausflug  nach  Castel  Gandolfo1). 


XXVI. 
Die  Sitzung  der  Inquisition  am  16.  Jnni  1633. 

In  Briefen,  welche  Galilei  im  Mai  1633  schrieb,  die  aber 
nicht  erhalten  sind,  sprach  er,  nach  den  Antworten  zu  ur- 
theilen2),  die  Erwartung  aus,  sein  Process  werde  bald  und 
in  einer  für  ihn  günstigen  Weise  beendigt  werden.  Am  22. 
Mai  berichtete  Niccolini3):  „Ich  sprach  mit  Seiner  Heiligkeit 
von  der  Erledigung  der  Sache  Galilei' s.  Es  wurde  mir  von 
ihm  und  von  dem  Cardinal-Nepoten  in  Aussicht  gestellt,  die 
Sache  werde  wohl  in  der  zweiten  Sitzung,  am  Donnerstag 
in  acht  Tagen,  beendigt  werden.  Ich  vermuthe,  das  Buch 
wird  verboten  werden,  wenn  man  nicht  den  Ausweg  wählt, 
ihn  selbst  eine  Apologie  machen  zu  lassen,  wie  ich  Seiner 
Heiligkeit  vorschlug.  Galilei  selbst  wird  irgend  eine  heil- 
same Busse  aufgelegt  werden,  weil  man  behauptet,  er  habe 
die  ihm  im  J.  161 6  von  dem  Cardinal  Bellarmin  bezüglich 
der  Bewegung  der  Erde  ertheilten  Befehle  übertreten.  Ich 
habe  ihm  bis  jetzt  noch  nicht  alles  gesagt,  da  ich  beabsich- 
tige, um  ihn  nicht  zu  betrüben,  ihn  ganz  allmählich  darauf 
vorzubereiten/' 

Wenn  man  milde  gegen  Galilei  verfahren  wollte,  konnte 
man  in  der  That  sich  darauf  beschränken,  den  Dialog  auf 
den  Index  zu  setzen,  von  ihm  selbst  das  Geständniss  zu 
veröffentlichen,    er   habe    dadurch  gefehlt,    dass   er  in  dem 


1)  IX,  443.  360.  2)  IX,  351.  353-354-  355-  357-  359-  362. 

3)  IX,  443;  vgl.  364. 


294  Referat  über  den  Process. 

Dialog  zu  Gunsten  einer  irrigen  und  der  h.  Schrift  wider- 
sprechenden Ansicht  gesprochen,  und  ihm  dafür  und  für 
die  Nichtbeachtung  der  ihm  im  J.  1616  ertheilten  Weisung 
eine  Strafe,  etwa  eine  zeitweilige  Haft  oder  Internirung, 
oder  eine  „heilsame  Busse"  aufzulegen.  Wenn  man  ihn 
bloss  wegen  Ungehorsams  gegen  die  erwähnte  Weisung 
verurtheilen  wollte,  konnte  man  nicht  wohl  weiter  gehen. 
Ob  der  Papst  und  der  Cardinal  Barberini  Ende  Mai  wirk- 
lich, wie  Niccolini  angenommen  zu  haben  scheint,  beabsich- 
tigten, in  dieser  Weise  die  Sache  zu  erledigen  oder  ob  sie 
in  ähnlicher  Weise  Niccolini  allmählich  vorbereiten  wollten, 
wie  Niccolini  Galilei,  ist  nicht  auszumachen.  Jedenfalls  be- 
schränkte sich  Urban  VIII.  nicht  auf  die  angegebenen  Mass- 
regeln. 

Die  Sitzung  der  Inquisition,  in  welcher  über  Galilei's 
Schicksal  entschieden  wurde,  fand  am  16.  Juni  1633  statt. 
Bei  den  Processacten  findet  sich  ein  Referat,  welches  wahr- 
scheinlich von  dem  Assessor  des  h.  Officiums  verfasst  ist1)  und 
entweder  in  dieser  Sitzung  vorgetragen  wurde  oder,  wie 
Grisar  S.  1 20  annimmt,  vor  derselben  bei  den  Cardinälen,  — 
wahrscheinlich  auch  bei  den  Consultoren,  —  der  Inquisition 
circulirte.  Es  gibt  ein  Resume  aus  den  zu  dem  ersten  und 
zweiten  Process  gehörenden  Actenstücken,  beginnend  mit 
der  Denunciation  Lorini's  im  Febr.  1615  und  schliessend  mit 
der  am  30.  Mai  überreichten  Vertheidigungsschrift  Galilei's, 
wobei  auf  die  einzelnen  Actenstücke  mit  Angabe  der  Fo- 
lio-Zahl verwiesen  wird2). 

Wohlwill3)  sucht  von  diesem  Actenstücke  nachzuwei- 
sen, dass  es  erst  kurz  vor  180g  geschrieben  worden  sei,  zu 
einer  Zeit,  als  man  die  Entführung  der  Processacten  aus 
dem  Archiv  der  Inquisition  erwartete,  und  in  der  Absicht, 
für  diesen  Fall    den   Inhalt  des  Processes    als   unerheblich, 


1)  Acten  S.  3.     S.  oben  S.  71  und  Wolynski  p.  59. 

2)  Gebier,  Die  Acten  S.  XI.  Der  Verfasser  des  Referates  hat  die  von 
ihm  benutzten  Actenstücke  auf  dem  untern  Rande  paginirt,  um  sie  mit  An- 
gabe der  Folio-Zahl  citiren  zu  können.  Er  hat  auch  in  den  Actenstücken 
die  Stellen,  auf  die  es  hauptsächlich  ankam,  durch  Unterstreichen  bemerklich 
gemacht;  s.  o.  S.  285. 

3)  Ist  Gal.  gef.  worden?  S.  114— 123.  149.  Ebenso  Scartazzini,  Riv. 
Eur.  1878,  X,  438.  Vgl.  dagegen  Th.  Lit.-Bl.  1877,510  und  Gebier,  Gegen- 
wart 1878,  No.   18,  S.   278. 


Referat  über  den  Process.  295 

ja  völlig  werthlos  für  einen  Angriff  gegen  Inquisition  und 
Kirche,  dagegen  als  in  hohem  Masse  bedenklich  für  das 
Ansehen  Galilei's  in  den  Augen  der  Welt  erscheinen  zu 
lassen.  Die  Argumentation  Wohlwills  stützt  sich  lediglich 
auf  innere  Gründe,  auf  den  Inhalt  des  Actenstücks.  Es 
braucht  nun  nicht  untersucht  zu  werden,  ob  das  Actenstück 
dem  von  Wohlwill  angenommenen  Zwecke  genau  entspricht ; 
es  genügt,  nachzuweisen,  dass  es  nichts  enthält,  was  nicht 
ein  mit  einem  Referat  über  die  Galilei' sehe  Angelegenheit 
behufs  Vorbereitung  des  Urtheils  beauftragter  Beamter  der 
Inquisition  zwischen  dem  10.  Mai  und  16.  Juni  schreiben 
konnte. 

Wohlwill  sagt  selbst,  das  Referat  sei  „eine  abgekürzte, 
aber  doch  völlig  zusammenhängende  Erzählung  des  Ver- 
fahrens gegen  Galilei  von  der  ersten  Denunciation  im  Febr. 
16 15  bis  zu  seiner  Vertheidigung  im  Mai  1633,  bei  der  an 
geeigneten  Stellen  [durchgehends,  bei  jedem  Passus]  auf 
die  betreffenden  Actenstücke  verwiesen  werde".  Wenn  er 
beifügt,  dieser  Auszug  aus  den  Acten  sei  „in  vielen  Punk- 
ten und  allem  Anscheine  nach  absichtlich  ungenau",  so 
spricht  diese  Angabe  nicht  gegen  die  Abfassung  durch  den 
Referenten  der  Inquisition;  sie  ist  aber  in  dem  Grade,  wie 
Wohlwill  behauptet,  nicht  richtig.  Das  Referat  würde  aller- 
dings, wenn  es  eine  geschichtliche  Darstellung  der  Ver- 
handlungen sein  sollte,  unvollständig  zu  nennen  sein;  dem 
Referenten  kam  es  aber  gar  nicht  auf  eine  geschichtlich 
vollständige  Erzählung  an,  sondern  nur  auf  eine  Zusammen- 
stellung der  Punkte,  welche  für  die  Cardinäle,  die  das  Ur- 
theil  zu  fällen  hatten,  von  Bedeutung  waren.  Darum  wer- 
den einzelne  Punkte  nur  kurz  und  oberflächlich  und  in  Fol- 
ge davon  ungenau  behandelt,  während  z.  B.  die  Aussage 
Galilei's  in  dem  Verhöre  vom  30.  April,  die  für  die  Richter 
vor  allem  von  Bedeutung  war,  vollständig  wiedergegeben 
wird.  Einige  Angaben  des  Referates  sind  unrichtig  oder 
doch  ungenau;  von  einer  dieser  Ungenauigkeiten,  die  sich 
auf  die  Schrift  über  die  Sonnenflecken  bezieht,  war  schon 
oben  S.  108  die  Rede;  auch  der  Auszug  aus  den  Verhören 
des  ersten  Processes  ist  nicht  genau.  Aber  es  handelt  sich 
doch  durchweg  nur  um  Ungenauigkeiten,  wie  sie  einem 
Referenten  der  Inquisition,  auch  wenn  er  ganz  objeetiv  be- 
richten wollte,  leicht  unterlaufen  konnten,  nicht  um  „absieht- 


296  Referat  über  den  Process. 

liehe  Ungenauigkeiten",  wie  man  sie  bei  einer  Fälschung  zu 
dem  von  Wohlwill  angenommenen  Zwecke  erwarten  sollte. 
Wohlwill  scheint  zu  vergessen,  dass  ein  -Beamter  der  In- 
quisition im  J.  1633  manche  Dinge  anders  ansah  als  ein 
„moderner  Mensch"  wie  er  selbst,  wenn  er  sagt:  „Wenn 
die  Acten  in  der  Denunciation  vom  J.  1615  und  den  daran 
sich  knüpfenden  Zeugenverhören  eine  ruchlose  Intrigue  ent- 
hüllen, so  weiss  der  Auszug  nur  von  regelrechten  Anklagen 
und  Verhandlungen;  die  Schleichwege,  auf  denen  der  Erz- 
bischof und  der  Inquisitor  von  Pisa  den  arglosen  Castelli 
im  Auftrage  des  h.  Officiums  zu  berücken  suchen  [s.  o. 
S.  84],  werden  in  der  Inhaltsangabe  zu  soliden  «Be- 
mühungen«." Wie  immer  auch  diese  Vorgänge  beurtheilt 
werden  mögen,  der  Referent  der  Inquisition  konnte  sie 
doch  nicht  wohl  anders  darstellen,  als  er  thut.  Ueber  den 
zweiten  Punkt  sagt  er  übrigens  nur,  was  ja  auch  für  seinen 
Zweck  genügte:  man  habe  sich  vergeblich  bemüht,  das  Ori- 
ginal des  (von  Lorini  denuncirten)  Briefes  (Galilei's  an  Ca- 
stelli) zu  erlangen.  Bezüglich  des  ersten  Punktes  sagt  Wohl- 
will weiter  nicht  ganz  mit  Unrecht:  „Der  Denunciant  des 
Originals  lässt  [Caccini  lässt  in  den  Acten,  s.  o.  S.  86]  Galilei's 
Schüler,  der  Verfasser  des  Auszugs  Galilei  selbst  ketzerischer 
Sätze,  unter  ihnen  einer  geringschätzigen  Aeusserung  über  die 
Wunder  der  Heiligen,  verdächtig  erscheinen;  bei  der  Auf-' 
klärung  über  das  Irrthümliche  dieses  Theils  der  Anklage 
lässt  der  Auszug*  den  Leser  vermuthen,  dass  Galilei  und 
seine  Schüler  über  solche  Dinge  zum  mindesten  disputirten, 
während  die  Zeugenverhöre  vielmehr  ergeben,  dass  kein 
Anderer  als  ein  Bundesgenosse  des  Denuncianten  diese  Dis- 
putationen veranlasst  hat,  dass  der  Mann,  mit  dem  er  dis- 
putirt*,  kein  Schüler  des  Galilei,  und  dass  die  Aeusserung 
über  die  Wunder  der  Heiligen  eine  Erfindung  des  Denun- 
cianten ist."  Der  Auszug  constatirt:  „Caccini  habe  ausge- 
sagt, er  habe  (ausser  der  Copernicanischen  Ansicht)  andere 
irrige  Meinungen  von  Galilei  aussagen  hören.  .  .  Aus  dem 
Verhöre  der  von  ihm  namhaft  gemachten  Zeugen  ergebe 
sich,  dass  die  fraglichen  Sätze  von  Galilei  und  seinen  Schü- 
lern nicht  behauptungs weise  (asser  tive)^  sondern  nur  dispu- 
tationsweise (disputative)  ausgesprochen  worden  seien." 
Damit  war  constatirt,  dass  diese  Sätze  keinen  „Theil  der 
Anklage"  hatten  bilden  können;    darauf  aber  kam  es    an, 


Referat  über  den  Process.  297 

und  die  Ungenauigkeiten,  welche  sich  hier  im  Einzelnen  in 
dem  Auszug  finden,  ändern  daran  nichts,  und  zu  ihrer  Er- 
klärung ist  nicht  einmal  die  Annahme  einer  bösen  Absicht 
erforderlich,  sondern  die  Annahme  genügend,  dass  der  Ver- 
fasser, indem  er  ,,der  Natur  des  Auszugs  gemäss  kürzte 
und  zusammenzog*',  ungeschickt  und  vielleicht  auch  bei  die- 
sem für  den  Process  nicht  wichtigen  Punkte  nicht  besonders 
sorgfältig  verfahren.  —  Noch  unbilliger  ist  der  Vorwurf 
Wohlwills:  „Der  wichtige  persönliche  Antheil  des  Papstes 
an  der  Correctur  der  Dialoge,  den  die  Acten  ausser  Zwei- 
fel stellen,  ist  in  dem  Ueberblick  verschwunden."  Der  Re- 
ferent hatte  anzugeben,  —  was  er  thut,  —  wie  es  sich  mit 
der  für  den  Dialog  von  dem  Palastmeister  ertheilten 
Druck-Erlaubniss  verhielt;  ob  dieser  dabei  nach  eigenem 
Ermessen  oder  nach  päpstlichen  Weisungen  gehandelt,  war 
hier  ganz  irrelevant,  da  es  sich  ja  nicht  um  die  Frage  han- 
delte, ob  sich  der  Palastmeister,  sondern  um  die  Frage,  ob 
sich  Galilei  etwas  habe  zu  Schulden  kommen  lassen.  —  Von 
dem,  was  das  Referat  über  das  Index -Decret  von  161 6 
sagt,  war  schon  oben  (S.  147)  die  Rede;  die  Aufzeichnung 
vom  26.  Febr.  161 6  wird  einfach  angeführt,  wie  sie  in  den 
Acten  stand. 

Jedenfalls  ist  die  Annahme,  dass  das  fragliche  Acten- 
stück  ein  zwischen  dem  10.  Mai  und  16.  Juni  1633  für  die 
Cardinäle  der  Inquisition  angefertigtes  Referat  sei,  durch 
Wohlwills  Argumentation  nicht  erschüttert. 

Diesem  Referate  waren  mit  den  anderen  Actenstücken 
auch  die  Gutachten  der  drei  Theologen  beigefügt1),  ohne 
dass  indess  darauf  Bezug  genommen  wird.  In  dem  Ur- 
theil  vom  22.  Juni  wird  gesagt:  es  sei  gefällt  worden  „nach 
dem  Rathe  und  Gutachten  der  Magister  der  h.  Theologie 
und  Doctoren  beider  Rechte,  'die  unsere  Consultoren  sind". 
Wohlwill  findet  es  mit  Rücksicht  auf  diese  Stelle  „in  hohem 
Grade  verdächtig",  dass  sich  bei  den  Acten  keine  juristi- 
schen Vota  befinden,  und  vermuthet,  dieselben  seien  nach- 
träglich daraus  entfernt  worden2).     In  dem  Urtheil  ist  aber 


i)  Sie  sind  gleich  den  anderen  Actenstücken  paginirt,  Fol.  84 — 103. 

2)  Er  meinte,  Ist  Gal.  gef.  worden?  S.  63,  hinter  dem  Votum  des 
Pasqualigo  sei  eine  Lücke  von  drei  Blättern;  dort  müssten  die  juristischen 
Vota   gestanden   haben.      Da  nun  nach  Gebier,   Acten  S.  92  ff.,    dort  keine 


298  Referat  über  den  Process. 

gar  nicht  von  schriftlichen  Gutachten  die  Rede  und  sind 
mit  den  Gutachten  der  theologischen  Consultoren  wahr- 
scheinlich auch  nicht  die  drei  oben  erwähnten  Gutachten 
gemeint,  welche  sich  ja  nur  auf  einen  speciellen  Punkt  be- 
ziehen. Das  Urtheil  spricht  ohne  Zweifel  von  dem  Rathe 
und  Gutachten,  welches  die  Consultoren  nach  dem  Ge- 
schäftsgange der  Inquisition,  ehe  die  Cardinäle  das  Urtheil 
fällten,  mündlich  abzugeben  hatten  '). 

Wenn  die  Acten  mit  dem  oben  besprochenen  Referate 
bei  den  Mitgliedern  der  Congregation  des  h.  Officiums 
circulirt  haben,  was,  wie  gesagt,  nicht  unwahrscheinlich  ist, 
so  ist  es  nicht  auffallend,  dass  erst  fünf  Wochen  nach  dem 
Verhöre  vom  10.  Mai  die  entscheidende  Sitzung  stattfand. 
GrisarS.  120  meint,  es  sei  „wohl  nicht  zu  bezweifeln",  dass 
„in  dieser  Zeit  das  Inquisitionstribunal  überdies  von  den 
damaligen  neuesten  Schriften  competenter  Astronomen  zu 
Ungunsten  des  Copernicanischen  Systems  Kenntniss  nahm." 
Dazu  hatte  das  Inquisitionstribunal  gar  keine  Veranlassung  : 
dass  das  Copernicanische  System  falsch  und  schriftwidrig 
sei,  war  schon  1616  erklärt  worden;  jetzt  handelte  es  sich 
gar  nicht  mehr  um  eine  erneuerte  Prüfung  der  durch  den 
damaligen  Beschluss  erledigten  Frage,  sondern  nur  um  die 
Frage,  ob  Galilei  durch  die  Veröffentlichung  des  Dialogs 
gegen  jenen  Beschluss  und  das  ihm  auf  Grund  desselben 
ertheilte  Praeceptum  gefehlt  und  sich  der  Ketzerei  schuldig 


Lücke  ist,  so  vermuthet  Wohlwill,  G.  G.  A.  1878,  St.  21,  S.  657,  die  Vota 
könnten  da  gestanden  haben,  wo  jetzt  Fol.  432.  436.  441  fehlen.  Vgl.  Scar- 
tazzini,  Riv.  Eur.    1878,  VI,  408;  X,  427. 

1)  S.  o.  S.  72.  Im  S.  A.  p.  345  wird  für  die  Local-Inquisitoren  be- 
züglich der  Vorbereitung  der  Sentenz  folgende  Anweisung  gegeben:  Wenn 
eine  Sache  bei  dem  h.  Officium  zu  erledigen  ist,  so  ist  es  angemessen,  zu- 
nächst einen  Bericht  anzufertigen  (si  formt  il  caso),  worin  kurz  das,  worum 
es  sich  handelt  (i  meriti  della  causa),  und  alle  wesentlichen  Punkte  des 
Processes  dargelegt  sind.  Dieser  Bericht  wird  allen  Consultoren  zugesandt. 
Dann  tritt  der  Inquisitor  mit  diesen  zu  einer  Sitzung  zusammen.  In  dieser 
kann  er,  wenn  er  es  für  zweckmässig  hält,  noch  weitere  Erläuterungen  geben. 
Dann  stimmen  die  Consultoren  ab;  der  Notar  registrirt  ihre  Vota.  Das  Ur- 
theil fällt  der  Inquisitor;  die  Consultoren  haben  nur  eine  berathende  Stimme. 
Von  schriftlichen  Voten  der  Consultoren  ist  nicht  die  Rede.  —  In  Rom 
war  über  das  Urtheil,  nach  Anhörung  der  Consultoren,  von  der  Congregation 
unter  dem  Vorsitze  des  Papstes  zu  beschliessen,  wobei  dieser  allein  die  ent- 
scheidende Stimme  hatte. 


Sitzung  der  Inquisition,   16.  Juni   1633.  299 

oder  verdächtig  gemacht  und  wie  er  zu  bestrafen  sei.  Dass 
für  einzelne  Cardinäle  der  Inquisition  der  Galilei'sche  Pro- 
cess  die  Veranlassung  gewesen  ist,  Bücher  über  das  Coper- 
nicanische  System  zu  lesen,  ist  freilich  nicht  unwahrschein- 
lich; von  dem  Cardinal  Scaglia  haben  wir  (S.  263)  gehört, 
dass  er  mit  Castelli's  Beihülfe  den  Dialog  studierte. 

Die  entscheidende  Sitzung  fand,  wie  gesagt,  am  16. 
Juni,  einem  Donnerstag,  also  dem  regelmässigen  Sitzun'gs- 
tage,  cor  am  Sanctissimo,  unter  dem  Vorsitze  des  Papstes 
statt.  Die  Aufzeichnung  über  dieselbe  in  den  Acten1)  lau- 
tet: „Nachdem  die  Sache  des  Galileo  Galilei  zur  Verhand- 
lung gebracht,  über  den  Process  referirt  und  die  Vota  ab- 
gegeben worden2),  befahl  Seine  Heiligkeit:  Galilei  sei  be- 
züglich der  Intention  zu  verhören,  auch  unter  Androhung 
der  Folter,  ipsum  Galileum  ittterrogandtim  esse  super  inten- 
tione,  etiam*)  co?nminata  et  tortura,  und  wenn  er  bei  seiner 
frühern  Erklärung  verharre,  et*)  st  sustinuerit,  solle  er  sich 
zunächst  in  einer  Plenar- Versammlung  des  h.  Officiums  durch 
eine  Abschwörung  von  dem  starken  gegen  ihn  vorliegenden 
Verdachte  der  Ketzerei  reinigen  und  dann  zu  Kerkerhaft 
bis  auf  weitern  Befehl  der  h.  Congregation  verurtheilt  wer- 
den, praevia  abiuratione  de  vehementi  in  plena  congregatione 
S.  Officii  condemnandwn  ad  carcerem  arbitrio  S.  Congrega- 
tionis;  ferner  solle  ihm  befohlen  werden5),  fortan  weder 
schriftlich  noch  mündlich  irgendwie  die  Ansicht  von  der 
Bewegung  der  Erde  und  dem  Stillstehen  der  Sonne  oder 
die  entgegengesetzte  Ansicht  zu  behandeln,  widrigenfalls  er 
als  rückfälliger  Häretiker  werde  behandelt  werden,  sub 
poena    retapsus6);    das    von    ihm    verfasste    Buch    ,, Dialogo 

1)  Gherardi  No.  XIII.     Acten  S.  112  (facsimilirt  bei  Epinois  p.  92). 

2)  Galilei  de  Galileis  .  .  .  proposita  causa  .  .  .  Sanctissimus  decrevit. 
Epinois  hatte  in  seiner  ersten  Schrift  p.  66  diese  Stelle  so  drucken  lassen: 
Galilei  ....  proposito  cautus  Sanctissimus  decrevit.  Das  cautus  hat  dann 
zu  wunderlichen  Deutungen  (Pieralisi  p.   236)  Veranlassung  gegeben. 

3)  Bei  Gherardi  ist  et  gedruckt;  in  den  Vaticanischen  Acten  steht 
deutlich  etiam  und  ist  die  Stelle  so  interpungirt:  super  intentione,  etiam 
comminata  ei  tortura,  et  si  sustinuerit,  previa  etc. 

4)  et  steht  bei  Gherardi  und  in  den  Acten,  nicht  ac,  wie  früher  Epinois 
angegeben. 

5)  iniunctum  ei  bei  Gherardi  ist  verdruckt  für  iniuncto  ei. 

6)  Gebier,  Galilei  S.  278,  übersetzt  unrichtig:  „bei  sonstiger  Strafe 
wegen  Abtrünnigkeit". 


300  Sitzung  der  Inquisition,   16.  Juni   1633. 

di  Galileo  Galilei  Linceo"  solle  verboten  werden;  ausserdem 
sollen,  damit  dieses  Allen  bekannt  werde,  Abschriften  der 
Sentenz  und  das  Decret  [über  das  Verbot  des  Dialogs] 
allen  apostolischen  Nuncien  und  allen  Inquisitoren  übersandt 
werden,  namentlich  dem  Inquisitor  zu  Florenz,  und  dieser 
solle  die  Sentenz  in  einer  Plenar- Versammlung  unter  Bei- 
ziehung der  Consultoren  und  in  Gegenwart  möglichst  vieler 
Professoren  der  Mathematik  öffentlich  vorlesen"  1). 

Wo  von  dem  Verbote  des  Dialogs  die  Rede  ist,  war 
in  dem  von  Gherardi  veröffentlichten  Protocoll  ursprüng- 
lich geschrieben:  publice  cremandum  fore ;  diese  Worte  sind 
ausgestrichen  und  dafür  prohibendum  fore  geschrieben.  Es 
wurde  also  jedenfalls  in  der  Sitzung  auch  die  öffentliche 
Verbrennung  des  Dialogs  beantragt,  von  dieser  aber  schliess- 
lich Abstand  genommen2). 


i)  qui  eam  sententiam  in  eins  [der  Inquisition]  plena  congregatione, 
consultoribus  accersitis  etiam  et  coram  plerisqu*  mathematicae  artis  pro- 
fessoribus  publice  legat  (legatur  bei  Gherardi  ist  Druckfehler).  In  den 
Acten  S.  112  fehlt  consultoribus ;  wenn  das  nicht  auf  einem  Versehen  beruht, 
wäre  zu  übersetzen  :  „nach  Berufung  und  in  Gegenwart  möglichst  vieler"  u.  s.  w. 
_  2)  Gherardi  hat  Wohlwill  (s.  G.  G.  A.  1878,  St.  21,  S.  668)  mitge- 
theilt,  „dass  sich  in  dem  [von  ihm  veröffentlichten]  Originaldecret  zwischen 
den  Worten  sustinuerit  und  praevia  zwei  durchstrichene  Zeilen  finden,  und 
dass  er  in  dem  Durchgestrichenen  unmittelbar  vor  praevia  die  Worte  et  si 
destiterit  deutlich  gelesen  habe".  Wohlwill  fügt  dieser  Mittheilung  die 
Vermuthung  bei:  ,,In  der  ursprünglichen  Form  des  Decretes  folgte  dem- 
nach auf  das  et  si  sustinuerit  die  Weisung  zu  weiterm  strengen  Verfahren, 
für  den  Fall,  dass  Galilei  auch  der  Androhung  der  Tortur  gegenüber  ein 
Geständniss  verweigerte.  Dass  die  Streichung  nicht  etwa  der  Zeit  des  Pro- 
cesses,  sondern  dem  19.  Jahrhundert  angehört,  scheint  durch  weitere  wichtige 
Enthüllungen  Gherardi's,  auf  die  ich  an  dieser  Stelle  nicht  eingehen  darf, 
ausser  Frage  gestellt."  So  lange  diese  wichtigen  Enthüllungen  uns  vorent- 
halten werden,  wird  man  annehmen  dürfen,  dass  jene  zwei  Zeilen,  ähnlich 
wie  die  Worte  publice  cremandum,  während  der  Sitzung  gestrichen  wurden, 
weil  der  in  diesen  Zeilen  protocollirte  Beschluss  geändert  wurde.  —  Eine 
nothwendige  Folge  der  Annahme,  dass  Gherardi's  Document  No.  XIII  im 
19.  Jahrhundert  gefälscht  sei,  ist  die,  dass  die  entsprechende  Aufzeich- 
nung Acten  S.  112  erst  nach  jener  Fälschung  geschrieben  worden,  und  dar- 
aus folgt  wieder,  dass  auch  der  Acten  S.  183  siehende  Bericht  nicht  dem 
J.  1734,  sondern  dem  19.  Jahrhundert  angehört  und  dass  auch  Gherardi's 
Actenstück  No.  XXXII,  in  welchem  auf  diesen  Bericht  Bezug  genommen 
wird,  gefälscht  ist.  Man  sieht,  die  Athetese  Galilei'scher  Actenstücke  nimmt 
immer  grössere  Dimensionen  an.     Nachdem  nun  auch  in  zwei  Gherardi'schen 


Sitzung  der  Inquisition,   16.  Juni    1633.  301 

Martin  hat,  den  Ausdruck  Sanctissimus  decrevit  miss- 
verstehend (s.  o.  S.  72),  angenommen,  Urban  VIII.  habe 
„der  Inquisition  das  Urtheil  durch  einen  geheimen  Befehl 
dictirt"1),  und  diese  sei  so  „servil"  gewesen,  nach  dem  Be- 
fehle des  Papstes  zu  beschliessen,  wiewohl  sie  vorher  ge- 
neigt gewesen,  milder  zu  verfahren.  Das  Vorstehende .  ist 
nicht  ein  von  dem  Papste  der  Inquisition  übersandter  Be- 
fehl, sondern  ein  in  einer  Sitzung  der  letztern  gefasster  Be- 1 
schluss.  In  dieser  hatte  freilich  der  Papst  allein  eine  ent- 
scheidende Stimme;  aber  inwiefern  sein  Wille  für  die  Car- 
dinäle  bei  der  Abgabe  ihrer  Vota  massgebend  geweseri 
oder  seine  Entscheidung  von  diesen  abgewichen  ist,  wissen 
wir  nicht.  Es  ist  jedoch  nicht  unwahrscheinlich,  dass  die 
anwesenden  Cardinäle  in  der  Hauptsache  einig  waren,  wie 
Urban  VIII.  Niccolini  erzählte.    y 

Am  18.  Juni,  also  zwei  Tage  nach  der  Sitzung,  berich- 
tete Niccolini2)  über  eine  Audienz,  die  er  —  ohne  Zweifel 
an  demselben  Tage  —  bei  dem  Papste  gehabt.  Folgendes: 
„Ich  habe  aufs  neue  um  die  Erledigung  der  Sache  Galilei' s 
gebeten,  und  Seine  Heiligkeit  hat  mir  mitgetheilt,  dieselbe 
sei  schon  erledigt  und  er  werde  in  der  nächsten  Woche 
eines  Morgens  vor  das  h.  Officium  beschieden  werden,  um 
das  Urtheil  zu  vernehmen.  Als  ich  dieses  hörte,  bat  ich 
den  Papst,  aus  Rücksicht  gegen  Seine  Hoheit  die  Strenge 
mildern  zu  wollen,  welche  vielleicht  Seine  Heiligkeit  und 
die  h.  Congregation  in  dieser  Sache  als  nothwendig  erach- 
tet haben  möchten.  .  .  Er  antwortete:  man  werde  nicht  um- 
hin können,  jene  Meinung  zu  verbieten,  weil  sie  irrig  und 
den  ex  ore  Dei  dictirten  Schriften  widersprechend  sei;  was 


Actenstücken  die  Hand  des  Fälschers  erkannt  worden  ist,  dürfen  wir  er- 
warten, dass  auch  noch  andere  von  diesen  Actenstücken  dem  Urtheil  ver- 
fallen werden,  welches  nun  schon  über  einen  nicht  unbedeutenden  Theil  der 
Vaticanischen  Acten  gesprochen  ist. 

i)  Galilee  p.  124.  136.  Auch  Cantor,  Zts.  f.  Math.  1868,  L.-Z.  57, 
spricht  von  einem  geheimen  Befehle  des  Papstes  vom  16.  Juni,  und  auch 
Scartazzini,  Uns.  Zeit  1877,  II,  453,  scheint  nicht  zu  erkennen,  dass  es  sich 
um  einen  Beschluss  der  Inquisition  handelt.  Bouix  p.  114  spricht  von  einem 
Decrete  der  Index- Congregation  vom  16.  Juni!  —  Von  drei  Cardinälen 
nimmt  Martin  an,  sie  seien  nicht  so  „servil"  gewesen,  weil  sie  das  Urtheil 
nicht  unterschrieben  haben.     S.  unten  §  XXVIII. 

2)  IX,  443. 


302  Sitzung  der  Inquisition,   16.  Juni   1633. 

Galilei's  Person  angehe,  so  werde  er  nach  dem,  was  her- 
kömmlich sei,  einige  Zeit  hier  in  Haft  bleiben  müssen,  weil 
er  die  ihm  161 6  ertheilten  Befehle  übertreten  habe;  aber  nach 
der  Publication  des  Urtheils  werde  er  mich  wieder  sehen 
und  mit  mir  überlegen,  was  man  thuen  könne,  um  ihn  mög- 
lichst wenig  hart  zu  behandeln  und  zu  betrüben;  ohne  ir- 
gend eine  persönliche  Bestrafung  könne  er  aber  nicht  da- 
von kommen.  Ich  bat  ihn  darauf  nochmals  demüthig,  nach 
seiner  gewohnten  Milde  auf  die  70  Jahre  des  guten  Greises 
und  auch  auf  seine  aufrichtige  Gesinnung  Rücksicht  zu  neh- 
men. Er  deutete  mir  aber  an,  man  werde  nicht  umhin  kön- 
nen, ihn  wenigstens  für  einige  Zeit  in  irgend  ein  Kloster, 
etwa  Santa  Croce,  zu  verbannen;  aber  er  wisse  noch  nicht, 
was  die  h.  Congregation  [über  die  Ausführung  des  auf  die 
Haft  bezüglichen  Theiles  des  Urtheils]  beschliessen  werde1); 
dieselbe  sei  einstimmig  und  nemine  discrepante  der  Ansicht, 
dass  ihm  eine  Busse  aufzulegen  sei2).  Der  Papst  will  aber, 
dass,  um  kein  Beispiel  zu  geben,  ausdrücklich  erklärt  werde, 
alle  Strafen  seien  lediglich  aus  Rücksicht  gegen  den  Gross- 
herzog gemildert  worden;  in  der  That  ist  diese  Rücksicht 
der  einzige  Grund  für  alle  Erleichterungen,  welche  Galilei 
gewährt  worden  sind  und  gewährt  werden  werden.  Ich 
habe  Galilei  selbst  bis  jetzt  noch  nichts  gesagt,  als  dass  die 
Sache  in  der  nächsten  Zeit  entschieden  und  dass  das  Buch 
verboten  werden  werde;  von  der  persönlichen  Strafe  habe 
ich  ihm  nichts  gesagt,  um  ihn  nicht  dadurch,  dass  ich  ihm 
alles  auf  einmal  sage,  zu  betrüben.  Seine  Heiligkeit  hat  mir 
auch  befohlen,  ihm  davon  nichts  zu  sagen,  um  ihn  nicht 
aufzuregen,  und  vielleicht  lässt  sich  die  Sache  durch  Unter- 
handlungen noch  ändern."  Galilei  scheint  wirklich  bis  zum 
Tage  seiner  Verurtheilung  gehofft  zu  haben,  es  werde  bei 
dem  Verbote  des  Dialogs  sein  Bewenden  haben3). 


1)  Scartazzini,  Uns.  Zeit  II,  454  fügt  der  Aeusserung:  „übrigens  wisse 
er  noch  nicht  genau,  was  die  Congregation  beschliessen  werde",  den  Ausruf 
bei:  „So  sprach  der  Mann,  der  zwei  Tage  vorher  bereits  genau  vorgeschrie- 
ben hatte,  was  in  Sachen  [Galilei's]  geschehen  sollte!"  Offenbar  sind  die 
oben  in  Parenthese  beigefügten  Worte  hinzuzudenken. 

2)  Martin  p.  125  meint,  der  Papst  habe  hier  von  einer  Einmüthigkeit 
der  Cardinäle  gesprochen,  weil  er  nicht  daran  gezweifelt,  dass  sie  Alle  seiner 
Weisung  gehorchen  würden. 

3)  IX,  445. 


Verhör  über  die  Intention.  303 

Der  Beschluss  der  Inquisition  vom  16.  Juni  bezieht 
sich  zum  Theil  auf  das  weitere  Processverfahren  gegen  Ga- 
lilei, zum  Theil  auf  das  nach  Beendigung  des  Processes  zu 
publicirende  Urtheil.  Um  den  auf  den  ersten  Punkt  bezüg- 
lichen Beschluss :  „Galilei  sei  über  die  Intention  zu  verhören, 
auch  unter  Androhung  der  Tortur",  richtig  zu  verstehen, 
müssen  wir  uns,  mit  Hülfe  des  Sacro  Arsenale  und  ande- 
rer Quellen,  das  Verfahren  der  Inquisition  in  dem  letzten 
Stadium  eines  wegen  Häresie  eingeleiteten  Processes  ver- 
gegenwärtigen. 

Die  Inquisition  nahm,  wie  bereits  bemerkt  wurde  (S.  281), 
den  objectiven  Thatbestand  der  Häresie  als  gegen  Galilei 
erwiesen  an,  nachdem  er  gestanden,  dass  in  seinem  Dialog 
Stellen  vorkämen,  welche  als  Vertheidigung-  der  Copernica- 
nischen  Lehre,  also  als  ketzerisch  klingende  Aeusserungen 
aufgefasst  werden  könnten.  War  der  objective  Thatbestand 
erwiesen,  so  musste  nach  dem  Geschäftsgange  der  Inqui- 
sition noch  constatirt  werden,  ob  der  Angeklagte,  welcher 
objectiv  ketzerische  Aeusserungen  gethan,  auch  subjectiv 
eine  ketzerische  Gesinnung  habe  oder  gehabt  habe.  „Ein 
von  den  Glaubenswahrheiten  abweichendes,  schlechtes  Glau- 
ben, heisst  es  im  Sacro  Arsenale  p.  62,  hat  zwar  seinen 
Sitz  in  der  Seele,  in  welche  Gott  allein  hineinsehen  und 
über  welche  er  allein  richten  kann,  und  es  kann  darum  nicht 
von  dem  Menschen  gesehen  werden;  aber  ketzerische 
Worte  oder  Handlungen  begründen  die  Praesumtion,  dass 
im  Geiste  ein  Irrthum  und  schlechter  Glaube  vorhanden  sei. 
Wenn  darum  der  Angeklagte  eingestanden  hat  oder  über- 
wiesen worden  ist,  dass  er  ketzerisch  klingende  Gottes- 
lästerungen ausgesprochen  oder  ketzerische  Handlungen 
verübt  [z.  B.  Bilder  Christi  oder  der  Heiligen  zerschlagen, 
Magie  oder  Nekromantie  getrieben],  so  muss  er  sofort  auch 
über  seine  Intention  oder  seinen  Glauben  (sopra  V intentione 
b  credenza  sua)  verhört,  d.  h.  gefragt  werden,  ob  er  im 
Herzen  das  für  wahr  gehalten  oder  geglaubt,  was  er  mit 
dem  Munde  gotteslästerisch  gesprochen  oder  durch  die 
Handlungen  in  gottloser  Weise  bekundet l)."  Die  Fragen 
in  dem  im  Sacro  Arsenale  mitgetheilten  Formular  beginnen 
mit  An  tenuerit  et  crediderit,    z.  B.    Deu?n    benedictum  non 


1)  Vgl.  Carena,  Tractatus  de  off.    S.  Inq. 


304  Anwendung   der  Folter. 

esse  Optimum,  oder  licere  uti  magicis  experimentis.  Wenn 
der  Angeklagte  eingesteht,  heisst  es  weiter,  dass  er  diese 
Irrthümer  geglaubt  habe,  so  ist  er  zu  fragen,  welches  jetzt 
in  dieser  Beziehung  sein  Glaube  sei:  Quid  modo  credat 
vel  teneat  circa  praemissa.  Wenn  er  aber  leugnet,  dass  er 
,, schlecht  geglaubt"  habe,  so  ist  er  in  folgender  Weise  zu 
ermahnen:  Da  er  selbst  eingestanden,  resp.  da  er  durch 
Zeugen  überwiesen  worden,  dass  er  dieses  oder  jenes  ge- 
than,  was  den  Verdacht  der  Ketzerei  begründe,  und  da  sehr 
stark  yermuthet  werde,  dass  er  bezüglich  dieser  Punkte 
einen  schlechten  Glauben  (malam  credulitatem)  gehabt,  so 
möge  er  sein  Gewissen  wohl  erforschen  und  frei  die  Wahr- 
heit sagen.  —  Ohne  Zweifel  konnte  auch  dem  Angeklagten, 
der  seine  „schlechte  Intention"  nicht  eingestand,  Verlänge- 
rung der  Haft  angedroht  und  das  Verhör  und  die  Ermah- 
nung wiederholt  werden  (s.  o.  S.  282). 

Blieb  der  Angeklagte  beim  Leugnen ,  also  bei  der 
Versicherung,  er  habe  nicht  „schlecht  geglaubt",  so  konnte 
er  auch  auf  der  Folter  über  die  Intention  befragt  werden. 
Das  Sacro  Arsenale  enthält  p.  160  und  164  eine  doppelte 
Anweisung:  Älodo  di  esaminare  il  Reo  ne'  tormenti  pro  ul- 
teriori  veritate  et  super  intentione,  für  den  Fall,  dass  der 
Angeklagte  einen  Theil  der  gegen  ihn  vorgebrachten  That- 
sachen  und  die  schlechte  Intention  leugnete,  und  Modo  di 
esaminare  in  tortura  sopra  Vintentione  solamente,  für  den 
Fall,  dass  es  sich  nur  um  die  Constatirung  der  Intention 
handelte.  In  beiden  Fällen  musste  vorher  die  Erklärung 
der  Richter  protocollirt  werden:  die  Folter  solle  nur  ange- 
wendet werden  pro  ulteriori  veritate  habenda  et  super  in- 
tentione  oder  nur  super  intentione,  „ohne  Präjudiz  für  die 
Dinge,  welche  der  Angeklagte  schon  eingestanden  oder 
deren  er  überwiesen  worden"1).  Zur  Erklärung  dieser  For- 
mel ist  (für  das  Verständniss  einer  Stelle  in  dem  Urtheil 
über  Galilei)  Folgendes  zu  bemerken:  Die  Aussage,  welche 
der  Angeklagte  auf  der  Folter  machte,  wurde  als  wahr 
angesehen,  selbst  wenn  er  auf  der  Folter  Dinge  leugnete, 
die  er  früher  gestanden  oder  deren  er  überführt  war.  Um 
also  letzteres  zu  verhüten,  wurde  in  voraus  genau  bestimmt, 
in  Bezug  auf  welche  Punkte  der  Angeklagte  auf  der  Folter 


[)  S.  A.  p.  160.     Carena  p.  412. 


Anwendung  der  Folter.  305 

verhört    und    seine    Aussage    als  wahr  angesehen    werden 
sollte1). 

Gestand  der  Angeklagte,  welcher  super  intentione  ge- 
foltert wurde,  dass  er  die  fragliche  ketzerische  Meinung  für 
wahr  gehalten,  so  musste  er  zunächst  dieses  Geständniss 
nach  24  Stunden  „ratificiren",  d.  h.  an  einem  andern  Orte  als 
in  der  Folterkammer,  in  der  Regel  in  dem  Saale,  worin  die 
gewöhnlichen  Verhöre  stattfanden,  wiederholen,  so  dass  es 
als  ein  frei  abgelegtes  Geständniss  erschien2).  Auf  Grund 
dieses  Geständnisses  wurde  dann  der  Angeklagte,  da  er  mit 
ketzerischer  Gesinnung  oder  Absicht  ketzerische  Aeusse- 
rungen  gethan  oder  wie  ein  Ketzer  gehandelt,  der 
Ketzerei  schuldig,  als  „formeller  Häretiker"  erklärt  und 
dann  entweder  als  reumüthiger  Häretiker  zur  Abschwörung 
de  formali  (haeresi)  und  zu  mehr  oder  minder  harten  Stra- 
fen, nach  strengem  Recht  zu  lebenslänglicher  Haft,  verur- 
theilt  oder  als  unbussfertiger  Ketzer  dem  weltlichen  Arme 
übergeben3).  Wenn  der  Angeklagte  auch  auf  der  Folter  bei 
seiner  Versicherung  blieb,  dass  er  die  ketzerische  Meinung, 
deren  er  verdächtig  geworden,  nicht  gehegt,  dass  er  in  sei- 
nem Herzen  immer  rechtgläubig  gewesen,  —  wenn  er  also  auf 
die  ihm  bezüglich  seiner  Intention  vorgelegten  Fragen,  wie 
das  mitunter  ausgedrückt  wird,  „katholisch  antwortete" 4),  — , 


1)  Wohlwill,  Ist  Gal.  gef.  worden?  S.  32. 

2)  S.  A.  p.   183.  P.   10,  No.   243.     Carena  p.  413. 

3)  S.  A.  p.  261.  292.  J.  Clarus  L.  V.  §  Haeresis  p.  368:  Si  haere- 
ticus  nolit  ad  fidem  ecclesiae  redire,  tunc  de  consuetudine  igne  comburitur.  .  . 
Si  poeniteat  et  paratus  sit  redire  ad  fidem  ecclesiae  et  abiurare  suam  hae- 
resim,  evitat  poenas  de  iure  haereticis  impositas,  est  tarnen  ad  perpeluos 
carceres  condemnandus.  .  .  Hodie  isla  poena  potest  per  superiorem  (eccle- 
siasticum)  et  etiam  per  inquisitionem  in  aliam  commutari,  .  .  .  nisi  esset 
relapsus;  tunc  enim  omnino  est  igne  cremandus,  etiam  si  velit  poe?titere  et 
ad  fidem  ecclesiae  redire. 

4)  Die  Bedeutung  des  Ausdrucks  (vgl.  Carena  p.  100b.  172  a  u.  s.  w.) 
ergibt  sich  aus  Stellen  wie  S.  A.  p.  312:  se  responderä  cattolicamente  im 
Gegensatze  zu  p.  311:  se  responderä  d'haver  malamente  sentito  delle  cose 
della  fide,  und  Carena  p.  249  a:  si  catholice  respondeat  et  haereticam  inten- 
tionem  neget.  Der  Priester  O'Farrihy,  welcher  (1628)  eingestanden,  dass  er 
zehn  Monate  in  einem  protestantischen  Seminar  zu  Dublin  gelebt,  wurde 
gefragt:  ob  er  geglaubt,  es  sei  einem  Katholiken  erlaubt,  äusserlich  wie  ein 
Ketzer  zu  leben  und  das  zu  thun,  was  er  gethan.  Er  antwortete  „katho- 
lisch", indem  er  diese  Frage  verneinte.     Gibbings,  O'Farrihy  p.    14.     Wenn 

Reuscb,  Galilei.  20 


306  Anwendung  der  Folter. 

so  konnte  er  nicht  als  „formeller  Ketzer"  verurtheilt,  wohl 
aber  als  der  Ketzerei  mehr  oder  minder  verdächtig  angesehen 
und  demgemäss  zu  einer  Abschwörung  de  suspicione  hae- 
reseos  und  zu  irgend  welchen  Strafen  oder  Bussen  verur- 
theilt werden.  Die  in  solchen  Fällen  gebräuchliche  Ab- 
schwörungsformel  enthält  die  Versicherung ,  dass  der 
Abschwörende  die  ketzerische  Meinung,  deren  er  sich  ver- 
dächtig gemacht,  sowie  überhaupt  alle  ketzerischen  Mei- 
nungen verabscheue  und  verfluche.  Der  Verdacht  der 
Ketzerei  war  in  solchen  Fällen  begründet  durch  die  erwie- 
senen oder  eingestandenen  äusseren  Thatsach^n,  die  Worte 
oder  Handlungen  des  Angeklagten.  Je  nach  der  Beschaf- 
fenheit des  objectiven  Thatbestandes  unterschied  man  aber 
einen  mehr  oder  minder  starken  Verdacht  der  Ketzerei, 
suspicio  levis  und  vehemens  haereseos,  und  danach  auch  eine 
Abschwörung  de  levi  und  de  vehementi  sc.  suspicione  haere- 
seos  Y). 

Den  Inquisitoren  ausserhalb  Roms  war  vorgeschrie- 
ben, ehe  sie  die  Folterung  eines  Angeklagten  anordneten, 
zuvor  eine  Sitzung  der  Consultoren  des  h.  Officiums  abzu- 
halten, in  dieser  über  den  Process  zu  berichten  und  die 
Consultoren  ihr  (allerdings  nur  berathendes)  Votum  darüber 
abgeben  zu  lassen,  ob  zur  Folterung  zu  schreiten  sei.  In 
allen  wichtigen  und  schwierigen  Fällen  sollten  sie  an  die 
Römische  Congregation  berichten  und  dann  nach  deren 
Anweisung  handeln2).  Auch  mussten  sie  den  Bischof  zu- 
ziehen. In  Rom  musste,  wenn  der  Commissar  oder  der 
General-Fiscal   des   h.    Officiums    die    Folterung   für    ange- 


also  in  dem  Urtheil  vom  22.  Juni  gesagt  wird,  Galilei  habe  bezüglich  seiner 
Intention  „katholisch  geantwortet",  so  bedeutet  das  nicht,  wie  Parchappe, 
Galilee  p.  246,  meint,  Galilei  habe  eingestanden,  dass  er  die  Copernicanische 
Lehre  für  wahr  gehalten,  sondern  im  Gegentheil:  er  sei  auch  bei  dem  pein- 
lichen Verhöre  bei  der  Versicherung  geblieben,  er  habe,  wie  jeder  gute 
Katholik,  seit  161 6  die  Copernicanische  Lehre  für  falsch  gehalten.  S.  Wohl- 
will S.  30. 

1)  S.  A.  p.  229.  Früher  wurde  noch  eine  dritte  Stufe  angenommen, 
suspicio  violens;  zur  Zeit  Masini's  waren  aber  bei  der  Römischen  Inquisition 
nur  noch  Abschwörungen  de  levi  und  de  vehementi  üblich.  S.  A.  p.  252. 
Nach  Pignatelli  II,  201a  wurde  im  J.  161 4  von  der  Inquisition  ein  Decret  er- 
lassen, wodurch  die  abiuratio  de  violenti  reducitur  ad  abiurationem  de  ve- 
hementi. 2)  S.  A.  p.   154. 


Anwendung  der  Folter.  307 

zeigt  hielt,  in  jedem  Falle  die  Congregation  der  Cardinäle 
in  einer  Sitzung  darüber  entscheiden,  ob  zur  Folterung  ge- 
schritten werden  dürfe. 

War  der  Beschluss  gefasst,  dass  die  Folterung  ange- 
wendet werden  dürfe,  so  geschah  dieses  nicht  ohne  weite- 
res. Vielmehr  musste  der  Angeklagte  zunächst  noch  einmal 
in  das  gewöhnliche  Verhörslocal  geführt  und  dort  verhört 
werden.  Dieses  Verhör  sollte  aber  ,,in  anderer  Weise  vor- 
genommen werden  als  die  früheren  Verhöre:  der  Richter 
[in  Rom  der  Commissar]  soll  nicht  viele  Worte  machen  und 
weit  hergeholte  Fragen  stellen  [also  nicht  mehr  eigentlich 
inquiriren],  sondern  gleich  zur  Sache  kommen"  1).  Das 
Sacro  Arsenale  enthält  für  die  verschiedenen  Fälle,  in  denen 
die  Folter  angewendet  wurde,  verschiedene  Formulare,  die 
aber  im  Wesentlichen  übereinstimmen.  Falls  eine  Folterung 
super  intentione  angeordnet  war2),  wurden  an  den  Ange- 
klagten nur  folgende  Fragen  gestellt :  ob  er  etwas  zu  sagen 
habe;  ob  er  glaube  oder  geglaubt  habe,  dass  u.  s.  w.  Dann 
wurde  ihm  vorgehalten:  da  er,  wie  er  selbst  eingestanden, 
dieses  oder  jenes  gesagt  oder  gethan,  so  sei  anzunehmen, 
dass  er  in  dieser  Beziehung  einen  schlechten  Glauben  (ma- 
lam  credulitatem)  gehabt ;  er  solle  also  die  Wahrheit  sagen. 
Blieb  er  bei  der  Leugnung  der  „schlechten  Intention";  so 
wurde  ihm  zuerst  gesagt:  wenn  er  sich  nicht  entschliesse, 
die  Wahrheit  zu  sagen,  so  werde  man  die  geeigneten  Mit- 
tel anwenden  (contra  eum  devenietur  ad  re?nedia  iuris  et 
facti  opportunaj,  dann  deutlicher:  so  werde  man  zur  Folte- 
rung schreiten  (contra  eum  devenietur  ad  torturamj.  Blieb 
diese  Drohung  ohne  Wirkung,  so  wurde  der  Beschluss,  die 
Folterung  vorzunehmen,  protocollirt.  Die  Formel,  welche 
das  Sacro  Arsenale  dafür  angibt,  welche  aber  in  Rom  etwas 
anders  gefasst  werden  musste,  lautet:  „Darauf  wurde  im 
Hinblicke  auf  die  Hartnäckigkeit  des  Angeklagten  und 
nach  Einsicht  und  reiflicher  Erwägung  des  ganzen  Proces- 
ses  u.  s.  w.  [hier  war  in  Rom  zu  sagen:  „in  Ausführung 
des  Decretes  der  h.  Congregation  des  h.  Officiums"  oder 
dergl.]  beschlossen,  den  Angeklagten  bezüglich  der  Intention 
zu  foltern.  Demgemäss  wurde  befohlen  ihn  in  die  Folter- 
kammer abzuführen    und  ihn  dort  zu  entkleiden,    zu  binden 


)  S.  A.  p.  155.  2)  S.  A.  p.  164. 


308  Anwendung  der  Folter. 

und  an  das  Seil  zu  bringen,  jedoch  ohne  irgend  welches 
Präjudiz  für  das,  was  er  eingestanden"  (s.  o.  S.  304)  u.  s.  w. 1). 
In  die  Folterkammer  abgeführt,  wurde  -der  Angeklagte, 
nachdem  er  entkleidet  und  festgebunden  worden  oder 
während  dieses  geschah,  nochmals  von  dem  Inquisitor 
(dem  Commissar)  „freundlich  ermahnt,  die  Wahrheit  zu 
sagen  und  nicht  zu  warten,  bis  man  zur  Folterung  schreite"2). 
Blieb  diese  Ermahnung  erfolglos,  so  begann  die  Folterung. 
Der  Notar  hatte  nicht  nur  alle  Antworten  des  Gefolterten, 
sondern  auch  alle  sonstigen  Worte,  Ausrufe,  Seufzer,  Klagen, 
Thränen,  Bewegungen  u.  s.  w.  zu  protocolliren. 

Was  die  Anwendung  der  Folter  betrifft,  so  galten  die 
persönlichen  Privilegien,  welche  bei  anderen  Gerichtshöfen 
anerkannt  wurden,  wonach  z.  B.  Geistliche,  Beamte,  Ade- 
liche u.  s.  w.  nicht  gefoltert  werden  durften,  bei  der  Inqui- 
sition nicht3),  und  bezüglich  der  Greise  gab  es  keine  feste 
Norm;  es  war  dem  Ermessen  des  Inquisitors  (oder  der 
Römischen  Inquisition)  anheimgegeben ,  ob  Jemand  mit 
Rücksicht  auf  sein  Alter  von  der  Folterung  verschont  blei- 
ben sollte ;  aber  in  der  Regel  sollten  Greise  nur  durch  An- 
drohung der  Folter  „geschreckt"  werden,  bei  „abgelebten" 
Greisen  (decrepiti)  sollte  auch  die  Schreckung  unterbleiben  4). 

1)  S.  A.  p.  165  (nach  den  vorhergehenden  Formularen  zu  ergänzen): 
Tunc  Domini  sedentes  [in  Rom  etwa:  R.  P.  Commissarius~\  visa  pertinacia 
et  obstinatione  ipsius  Constituti  visoque  et  mature  considerato  toto  tenore 
Processus  etc.  decreverunt  [in  Rom  etwa:  in  executionem  decreti  S.  Con- 
gregationis  S.  Officii  statuit],  ipsum  Constitutum  torquendum  esse  tormento 
funis  super  intentione  et  credulitate  circa  praemissa,  sie  instante  et  petente 
Domino  Promotore  Fiscali  Sancti  Officii.  Et  ideo  mandaverunt,  ipsum  Con- 
stitutum duci  ad  locum  torturae  ibique  spoliari,  ligari  et  funi  applicari, 
et  hoc  sine  ullo  praeiudicio  eorutn,  quae  fassus  est,  super  quibus  Domini 
non  intendunt  aliquo  modo  ipsum  torqueri,  .  .  sed  tantum  ipsum  torqueri 
facere  intettdunt  super  intentione  et  credulitate  ipsius  Constituti  et  non 
alias,  aliter  nee  alio  modo,  de  quo  solemniter  et  expresse  ac  omni  meliori 
?nodo  protesiati  fuerunt  et  firotestantur. 

2)  Die  Fortsetzung  des  Protocolls  im  S.  A.  p.  161  lautet:  Qui  sie 
duetus,  spoliatus,  ligatus  et  funi  applicatus,  antequam  in  altum  elevaretur 
[p.  157 :  dum  spoliaretur,  ligaretur  ac  funi  applicaretur\  benigne  per  Do- 
minos monitus  ad  dicendam  veritatem,  nee  exspectet,  quod  contra  ipsum  ad 
lormenta  deveniatur. 

3)  S.  A.  P.  10,  No.   286.     Carena  p.  409.     Pignatelli  p.   167. 

4)  Carena  p.  410.  Pignatelli  p.  167  b.  Wer  an  einem  körperlichen 
Gebrechen   litt,   konnte    eine    ärztliche  Untersuchung  verlangen.     Nach    dem 


Anwendung  der  Folter.  309 

Im  Sacro  Arsenale *)  wird  den  Inquisitoren  eingeschärft, 
die  Folter  nur  anzuwenden,  wenn  auf  keine  andere  Weise 
die  Wahrheit  herauszubringen  und  wenn  die  Indicien  so 
stark  seien,  dass  nur  noch  das  Geständniss  des  Angeklagten 
zum  Wahrheitsbeweise  fehle.  Namentlich  sollte  die  Folter 
wegen  der  Intention  „nicht  leicht  und  nur  dann  angewendet 
werden,  wenn  nach  Erwägung  aller  Verhältnisse,  mit  Rück- 
sicht auf  die  Person,  die  Sache,  den  Ort  und  andere  Um- 
stände die  Sache  zweifelhaft  sei"2).  Im  Einzelnen  gibt  Pas- 
qualone  in  den  Zusätzen  zum  Sacro  Arsenale  p.  215  folgende 
Regel :  „Handelt  es  sich  um  ein  Vergehen,  für  welches  dem 
Angeklagten  die  Abschwörung  de  levi  aufzulegen  ist,  so 
darf  derselbe  zwar  wohl  gefoltert  werden,  um  ihn  zum  Ge- 
ständnisse bezüglich  des  Vergehens  selbst  zu  bewegen ; 
aber  wenn  er  dieses  gestanden  hat,  lässt  man  ihn  nicht 
durch  die  Tortur  von  dem  leichten  Verdachte  der  Ketzerei, 
den  er  sich  durch  sein  Vergehen  zugezogen,  sich  reinigen; 
denn  die  Folterung  super  intentione  findet  nicht  statt,  wo 
die  aus  der  von  dem  Angeklagten  eingestandenen  Aeusse- 
rung  oder  Handlung  sich  ergebenden  Indicien  oder  Vermu- 
thungen  nicht  gewichtig  und  berechtigt  sind.  Auch  be- 
züglich derjenigen ,  welche  de  vehementi  abzuschwören 
haben,  darf  die  Tortur  nur  leicht  und  von  beschränkter 
Dauer  sein."  In Uebereinstimmung  damit  sagt  auch  Carena3): 
die  Folterung  super  i?itentione  sei  bei  dem  nur  „leicht  Ver- 
dächtigen" nicht  anzuwenden :  „die  suspicio  vehemens  wird 
aufgehoben  durch  die  Tortur  super  intentione  und  die  Ab- 
schwörung; also  ist  es  nicht  billig,  zur  Beseitigung  einer 
suspicio  levis,  die  viel  geringer  ist  als  die  vehemens,  auch 
beides,  die  Tortur  und  die  Abschwörung,  als  nöthig  anzu- 
sehen". Er  fügt  dann  freilich  bei :  wenn  die  suspicio  nicht 
ganz  leicht  sei,  könne  auch  ein  suspectus  de  levi  leicht  ge- 
foltert   und    dann    zur   Abschwörung    angehalten    werden4). 


S.  A  p.  167  ff.  zu  urtheilen,  wurde  aber  die  Folterung  um  solcher  Ge- 
brechen willen  nicht  unterlassen,  sondern  die  Folterung  durch  das  Seil  (tor- 
menta  della  corda)  durch  eine  andere  (Fuss-  und  Daumschrauben  und  dgl.) 
ersetzt. 

1)  P.  X,  No   245.  247.     Vgl.  Pignatelli  p.  164b.  2)  Carena  p.  71. 

3)  P-   I73-     Pignatelli  p.   170a.   201a.      Bordoni    (1693)   bei   Wolynski 
I    137. 

4)  Die  von   Wohlwill,   Ist  Gal.  gef.  worden?  S.  23,   citirte  Stelle   aus 


310  Androhung  der  Folterung. 

Allem  Anscheine  nach  fand  also  die  Folter  super  intentione 
bei  einem  leviter  suspectus  in  der  Regel  nicht  statt,  während 
sie  bei  einem  vehementer  suspectus  regelmässig,  aber  nur  in 
leichterer  Weise  angewendet  wurde1). 

Das  Sacro  Arsenale  und  das  Buch  von  Carena  geben 
übrigens  zunächst  Regeln  für  die  Inquisitoren  ausserhalb 
Roms  und  lehren  uns  die  gewöhnliche  Praxis  der  Römi- 
schen Inquisition  kennen ;  dass  der  Papst,  wenn  er  der  Rö- 
mischen Inquisition  präsidirte,  nicht  an  diese  Regeln  und  die 
gewöhnliche  Praxis  gebunden  war,  ist  selbstverständlich2), 
und  speciell  von  Urban  VIII.,  dem  die  Aeusserung  zuge- 
schrieben wird;  der  Ausspruch  eines  lebenden  Papstes  sei 
mehr  werth  als  die  Satzungen  von  hundert  verstorbenen, 
braucht  nicht  angenommen  zu  werden,  da«s  er  sich  durch 
die  hergebrachten  Regeln  gebunden  erachtet  habe. 

Nach  dieser  langen  Erörterung  über  das  Verfahren 
der  Inquisition  im  Allgemeinen  nehme  ich  die  Erläuterung 
des  Beschlusses  vom  16.  Juni  1633  wieder  auf:  „Galilei  solle 
über  die  Intention  verhört  werden,  auch  unter  Androhung 
der  Folter".  Bisher  war  Galilei  über  die  Intention  noch 
gar  nicht  förmlich  verhört  worden;  er  hatte  sich  darüber  nur 
in  dem  Verhöre  vom  30.  April  und  in  seiner  Verteidigungs- 
schrift ausgesprochen.  Die  Inquisition  konnte  den  Commissar 
beauftragen,  ihn  zunächst  förmlich  über  die  Intention  in  der 
gewöhnlichen,  oben  S.  303  beschriebenen  Weise  zu  verhö- 
ren und   über  das  Ergebniss   dieses  Verhöres  zu  berichten. 


Carena  (p.  172,  No.  66)  gehört  nicht  hieher.  Carena  bespricht  (und  bejaht) 
dort  die  Frage,  ob  ein  suspectus  de  levi  (nicht  super  intentione,  sondern 
pro  veritate  habenda  et  super  complicibus)  gefoltert  werden  dürfe.  In  dem 
dabei  aus  dem  S.  A.  p.  230  citirten  Formular  einer  Sentenz  gegen  einen 
suspectus  de  levi  wird  allerdings  die  Folterung,  aber  nicht  speciell  die  Fol- 
terung super  intentione  erwähnt:  „Du  hast  wiederholt,  eidlich  vernommen, 
eingestanden,  dass  du  unüberlegt  und  im  Scherz  die  besagten  ketzerischen 
Worte  gesprochen,  dabei  aber  geleugnet,  dass  du  sie  je  im  Herzen  irgendwie 
geglaubt.  Und  da  es  uns  schien,  dass  du  nicht  völlig  die  Wahrheit  gesagt, 
haben  wir  ...  für  nöthig  befunden,  zum  peinlichen  Verhöre  gegen  dich  zu 
schreiten,  bei  welchem  du  deinen  früheren  Aussagen  nichts  Neues  beige- 
fügt hast". 

1)  Der  oben  erwähnte  O'Farrihy  wurde  als  vehementer  suspectus  ver- 
urtheilt,  ohne  super  intentione  gefoltert  worden  zu  sein;  ebenso  Fra  Ful- 
gentio  bei  seinem  ersten  Processe  (1608).     Gibbings,    Fulg.  Manfredi  p.  18. 

2)  Von  Wohlwill,  Ist  Gal.  gef.  worden?  S.  77,  nicht  genug  beachtet. 


Androhung  der  Folterung.  311 

Auf  Grund  dieses  Berichtes  konnte  sie  dann  in  einer  spä- 
tem Sitzung  den  Commissar  ermächtigen,  das  weitere,  oben 
S.  307  beschriebene  Verhör  über  die  Intention  vorzunehmen, 
bei  welchem  die  Folter  angedroht  wurde,  und  nach  diesem 
Verhöre  zur  Folterung  zu  schreiten.  Von  jenem  ersten 
Verhöre  nahm  man  bei  Galilei  Abstand;  denn  ein  solches 
fand  nach  den  Acten  nicht  statt.  Durch  den  Beschluss, 
„Galilei  solle  über  die  Intention  verhört  werden,  auch  unter 
Androhung  der  Folter",  wird  das  zweite  Verhör  angeord- 
net, dem  regelmässig  die  Tortur  folgte.  Hätte  nun  diese 
auch  bei  Galilei  angewendet  werden  sollen,  so  hätte  es 
heissen  müssen :  er  solle  über  die  Intention  verhört  werden, 
auch  unter  Anwendung  oder  auf  der  Folter,  etwa  interro- 
gandum  esse  super  intentione  in  tortura.  Denn  ohne  ein  solches 
Decret  der  Inquisition  durfte  der  Commissar  nicht  foltern 
lassen.  Wenn  also  in  dem  Decrete  nicht  von  der  Anwendung, 
sondern  nur  von  der  Androhung  der  Tortur  die  Rede  ist, 
so  wurde  damit  dem  Commissar  die  Weisung  gegeben,  das 
Verhör  über  die  Intention  bis  zu  der  Androhung  der  Tortur 
einschliesslich  fortzusetzen,  dann  aber  abzubrechen.  Man 
kann  nicht  gerade  sagen,  durch  die  Formel  etiam  commi- 
nata  ei  tortura  sei  die  Folterung  verboten  worden;  aber 
sie  wurde  dadurch  nicht  angeordnet,  und  ohne  dass  sie 
ausdrücklich  angeordnet  war,  durfte  sie  nicht  vorgenommen 
werden.  Da  im  Folgenden  Galilei  als  „stark",  nicht  als 
„leicht  verdächtig"  bezeichnet  wird,  so  hätte  nach  der  an- 
geführten Regel  die  Folterung  angeordnet  werden  sollen  oder 
dürfen.  Aber  bei  einem  Siebenzigjährigen  war  es  wohl 
nicht  einmal  eine  Abweichung  von  der  gewöhnlichen  Praxis, 
wenn  von  der  Folterung  abgesehen  wurde.  Dass  dieses 
wegen  Galilei's  Alter  und  Kränklichkeit  geschah,  scheint 
der  Eingang  des  Protocolls  über  die  Sitzung  vom  16.  Juni 
anzudeuten:  „Galileo  Galilei  aus  Florenz,  der  bei  diesem 
h.  Officium  in  Haft  ist,  wegen  seiner  Kränklichkeit  und  sei- 
nes hohen  Alters  aber  .  .  .  die  Erlaubniss  erhalten  hat,  in 
der  Stadt  zu  wohnen"  1). 

1)  Gherardi  No.  XIII:  Galilaei  de  Galileis  Flore?itini  in  hoc  S.  Off. 
carcerati  et  ob  eins  adversam  valetudinem  et  senectutem  cum  praecepto  de 
non  discedendo  de  domo  electae  habitationis  in  urbe  ac  de  se  repraesen- 
tando  toties  quoties  sub  poenis  arbitrio  S.  Congregationis  habilitati  propo- 
sita  causa  etc.;  vgl.  Wolynsßi  p.  60.  88. 


312  Et  si  sustinuerit. 

Wäre  am  16.  Juni  angeordnet  worden,  Galilei  solle 
über  die  Intention  unter  Anwendung  der  Folter  verhört 
werden,  so  würde  man  wohl  nicht  gleich  auch  schon  über 
seine  Abschwörung  einen  Beschluss  gefasst  haben.  Es  wäre 
ja  möglich  gewesen,  dass  Galilei  auf  der  Folter  eine  schlechte 
Absicht  eingestanden  und  dann  also  als  der  Ketzerei  schul- 
dig hätte  angesehen  werden  müssen.  Die  Inquisition  nahm 
aber  am  16.  Juni  an,  dass  er  auch  nach  dem  Verhöre  über 
die  Intention  nur  als  ein  der  Ketzerei  Verdächtiger  anzu- 
sehen sein,  dass  er  also  in  dem  Verhöre  bei  seiner  bisherigen 
Versicherung  bleiben  werde,  er  habe  die  ketzerischen  Sätze, 
die  er  ausgesprochen,  also  die  Copernicanische  Lehre,  nicht 
für  wahr  gehalten,  sei  also  im  Herzen  nicht  von  der  katho- 
lischen Wahrheit  abgewichen.  Wenn  Galilei  nur  unter 
Androhung  der  Folter  verhört  wurde,  konnte  die  Inquisition 
voraussetzen,  dass  er  bei  dieser  Versicherung  bleiben  werde, 
und  also  beschliessen :  ,, Galilei  solle  über  die  Intention 
verhört  werden,  auch  unter  Androhung  der  Folter,  und 
wenn  er  bei  seiner  frühern  Erklärung  verharre,  solle  er, 
nachdem  er  eine  Abschwörung  de  vehementi  geleistet,  ver- 
urtheilt  werden"  u.  s.  w. 

Damit,  dass  Galilei  zur  Abiuratio,  nicht  de  levi,  son- 
dern de  vehementi  verurtheilt  wurde,  hängt  die  Androhung 
zusammen,  dass  er,  wenn  er  noch  einmal  die  Copernica- 
nische Lehre  behandle,  als  rückfälliger  Ketzer  werde  be- 
handelt werden;  denn  das  galt  nur  für  den  letztern,  nicht 
auch  für  den  erstem  Fall 1). 

Zur  Rechtfertigung  der  Uebersetzung  der  Worte  et 
si  sustinuerit  durch  „wenn  er  bei  seiner  frühern  Erklärung 
verharre"  wird  es  nöthig  sein,  die  vielen  verschiedenen 
Deutungen  jener  Worte  zu  prüfen. 

Da  jetzt  feststeht,  dass  die  richtige  Lesart  et  si  susti- 
nuerit, nicht  ac  sL  sustinuerit  ist,  so  darf  auf  keinen  Fall 
übersetzt  werden:    er  solle  mit  der  Folterung  bedroht  wer- 


i)  Pignatelli  p.  200b:  Si  post  abiurationem  de  levi  in  eandem  hae- 
resis  suspicionem  relabiiur,  non  punitur  poena  relapsis  debita,  licet  gravius 
puniatur,  quam  si  antea  non  abiurasset  .  .  .  p.  201  a:  Qui  \abiuravit  de 
vehementi\  si  postea  relabitur,  punitur  poena  relapsi,  i.  e.  traditur  brachio 
saeculari,  ultimo  supplicio  puniendus ;  s.  o.  S£  305,   Anm.  3. 


Et  si  sustinuerit.  313 

den,  als  ob  er  dieselbe  wirklich  erdulden  sollte1).  Sprach- 
lich unmöglich  ist  auch  die  Deutung:  er  solle  mit  der  Fol- 
ter bedroht  und  diese  solle  angewendet  werden,  falls  er  sie 
aushalten  könne2).  Sprachlich  zulässig  und  namentlich  dem 
Sprachgebrauche  der  Inquisition  entsprechend  wäre  es,  zu 
sustinuerit  als  Object  torturam  zu  ergänzen  und  zu  über- 
setzen: er  solle  unter  Androhung  der  Tortur  über  die  In- 
tention befragt,  und  wenn  er  sie  (die  Tortur)  ausgehalten 
(ohne  weitere  Geständnisse  zu  machen),  .  .  .  verurtheilt  wer- 
den 3).  Wäre  diese  Uebersetzung  richtig,  so  würde  in  den 
Worten  indirect  ausgesprochen,  dass  die  Folterung  statt- 
finden solle4).  Der  Commissar  durfte  dieselbe  aber,  wie 
wir  gesehen,  nicht  vornehmen  lassen,  ohne  einen  ausdrück- 
lichen Befehl  der  Cardinais- Congregation,  und  es  ist  undenk- 
bar, dass  dieser  Befehl,  wenn  er  ertheilt  werden  sollte,  nicht 
in  einer  ganz  bestimmten  und  klaren,  sondern  in  jener  in- 
directen  und  verhüllten  Form  ertheilt  sein  sollte.  Wenn 
die  Worte  comminata  ei  tortura  et  si  sustinuerit,  wie 
Wohlwill  vermuthet,  eine  für  den  Commissar  leicht  ver- 
ständliche, herkömmliche  und  stehende  Formel  waren,  — 
was  nicht  wahrscheinlich  ist,  —  so  sind  sie  gewiss  nicht  die 
Formel  gewesen,  in  welcher  die  Anwendung  der  Folter  an- 
geordnet wurde. 

Als  sprachlich  zulässig  erkennt  Wohlwill  mit  Recht 
auch  an,  aus  dem  comminata  ei  tortura  den  Begriff  commi- 
nationem  zu  sustinuerit  zu  ergänzen  und  zu  übersetzen : 
er  solle  verhört  werden  unter  Androhung  der  Folter,  und 
wenn  er  diese  Bedrohung  ausgehalten  haben  werde,  sich 
dadurch  nicht  zu  weiteren  Geständnissen   habe  bringen  las- 


1)  So  früher  de  l'Epinois,  Galilee  p.  66,  und  Gebier,  Galilei  S.  278. 
S.  Wohlwill  S.  66. 

2)  So  Berti,  II  Processo  p.  XIII.  CV  und  Mezieres,  Rev.  des  deux 
mondes   1876,  T.   17,  659.  661.     S.  Wohlwill  S.  74. 

3)  Wohlwill  S.  76  führt  eine  Reihe  von  Stellen  an,  welche  diesen 
Sprachgebrauch  der  Inquisition  beweisen.  Ganz  deutlich  ist  z.  B.  die  von 
Farinacci  erörterte  Frage:  Torturam  super  intentione  datam  si  quis  sustinet, 
an  sit  relaxandus.  Vgl.  Bordoni  bei  Wolynski  p.  138:  esto  torturam  susti- 
neat,  non  tarnen  vincit  in  totum  suspicionem  haeresis.  Gleichbedeutend  ist 
der  Ausdruck  bei  Carena  p.  73a:  Si  reus  superaverit  torturam;  ebenso 
Eymericus-Pegna  p.  483b.  484b. 

4)  So  Scartazzini,  Riv,  Eur,    1877,  V,  236, 


314  Et  si  sustinuerit. 

sen,  solle  er  u.  s.  w. !).  Sprachlich  zulässig  ist,  wie  Wohl- 
will zugibt,  endlich  auch  die  oben  angenommene  Deutung, 
wobei  sustinere  absolut  gefasst  wird:  er  solle  unter  An- 
drohung der  Folter  über  die  Intention  verhört  werden,  und 
wenn  er-  aushalte,  wenn  er  trotz  der  Androhung  der  Folter 
bei  seiner  frühern  Erklärung  über  seine  Intention  verharre 
u.  s.  w.2).  So  heisst  es  bei  Farinacci3):  Si  quis  in  tormentis 
sustinuerit  et  nihil  confessusfuerit,  und  ganz  genau  unserer 
Stelle  analog  bei  Pignatelli  (p.  169  b):  Nam  in  S.  Officio, 
qui  protulit  propositionem  manifeste  haereticam,  si  neget  in- 
ternam  credulitatem,  torquetur  super  intentione  et,  si  sustineat, 
damnatur  non  ut  haereticus,  sed  ut  de  fide  suspectus ;  im  Fol- 
genden wird  statt  si  sustineat  wiederholt  si  in  tortura  in 
negativa  persistat  gebraucht.  Aehnlich  wird  von  Carena 
auch  sonst  persistere  und  im  Sacro  Arsenale  auch  stare,  du- 
rare  und  perseverare  gebraucht 4). 

Von  den  beiden  zuletzt  vorgetragenen  Deutungen 
unterscheidet  sich  dem  Sinne  nach  nicht  eine  andere,  welche 
von  Neueren  vorgeschlagen  worden  ist:  „wenn  er  seine 
Intention5),  oder  sein  Bisheriges6),  oder  seine  bisherige 
Aussage7),  —  besser:  seine  bisherige  Erklärung  über  seine 
Intention8)  aufrecht  erhalte".  In  ähnlicher  Weise  scheint 
auch  der  Verfasser  eines  spätem,  bei  den  Vaticanischen 
Acten  befindlichen  Stückes,  —  ein  Beamter  der  Inquisition 


1)  Wohlwill  S.  78.  Damit  stimmen  dem  Sinne  nach  überein  die  Deu- 
tungen von  Martin,  Galilee  p.  124:  s'il  ne  ce'dait  devant  cette  menacex  und 
von  Gilbert:  s'il  supportait  cette  epreuve. 

2)  Th.  Lit.-Bl.  1876,  177.  Aehnlich  Scartazzini,  Uns.  Zeit  1877,  II, 
453 :  »wenn  er  dabei  verharrt,  wenn  er  hartnäckig  bleibt",  und  de  PEpinois, 
La  question  p.  215:  s'il  a  tenu  bon,  s'il  a  resiste,  s'il  a  persiste. 

3)  De  haeresi  p.   153  a  bei  Wohlwill  S.  78. 

4)  Carena  p.  72b:  An  autem  tortus  super  intentione  persistens  sit 
relaxandus ;  vgl.  p.  152b.  —  S.  A.  p.  159:  e  persistendo  si  esorti  a 
confessare  la  veritä,  e  persistendo  si  jninacci,  e  persistendo  pure  nella 
negativa,  si  faccia  di  nuovo  alzare ;  p.  164:  stando  nella  negativa:  p.  186: 
se  il  reo  durerä  negando  nella  tortura;  P.  X,  No.  243:  se  egli  subito 
doppo  la  tortura  fosse  ricondotto  al  tribunale  per  farli  in  ogni  modo  per- 
severare (bei  der  Ratification). 

5)  Pieralisi,  Correzioni  p.  37.     Schanz,  Galilei  S.  55. 

6)  Grisar  S.   122. 

7)  Gebier,  Gegenwart  1878,  391.     Schneemann  S.  390. 

8)  Zöckler,  Gesch.  der  Beziehungen  u.  s.  w.  I,  747.     Wolynski  p.  87. 


Das  vierte  Verhör.  315 

im  J.  1734,  —  den  Ausdruck  verstanden  zu  haben,  wenn  er 
übersetzt:  che  il  detto  Galileo  s'interrogasse  sopra  V  inten- 
zione,  anche  con  comminargli  la  tortura,  e  sostenendo  .  .  . 
si  condannasse  etc. 


XXVII. 
Das  vierte  Yerhör  Galilei's,  21.  Juni  1633. 

Am  21.  Juni  wurde  Galilei  zum  letzten  Male  in  den 
Sitzungssaal  des  Inquisitionsgebäudes  geführt,  um  von  dem 
Commissar  in  Gegenwart  des  Fiscals  gemäss  dem  Beschlüsse 
der  Inquisition  vom  16.  „über  die  Intention"  vernommen  zu 
werden.  Das  Protocoll  des  Verhöres  entspricht  ganz  ge- 
nau dem  Formulare,  welches  das  Sacro  Arsenale  für  das 
der  Folterung  vorhergehende  Verhör  gibt1).  Galilei  wird 
in  denselben  Formeln  mit  de,r  Folterung  bedroht,  welche 
angewendet  wurden,  wenn  die  Folterung  stattfinden  sollte. 
Das  entspricht  der  Praxis  der  Inquisition,  wie  sie  Pigna- 
telli  (p.  177b)  beschreibt:  „Wenn  der  Bischof  und  der  In- 
quisitor [hier  also  die  Congregation  des  h.  Officiums]  aus 
irgend  einer  gerechten  Ursache,  mit  Rücksicht  auf  die  In- 
dicien,  die  Beschaffenheit  der  Vergehen  und  der  Personen, 
eine  besonders  gelinde  Folterung  anordnen  zu  müssen  glau- 
ben, so  müssen  sie  das  in  einem  geheimen,  nicht  in  dem 
dem  Angeklagten  zu  verkündigenden  Beschlüsse  festsetzen, 
damit  dieser  nicht  dadurch  zu  hartnackigem!  Leugnen  ver- 
anlasst wird".  Hier  war  der  Commissar  von  dem  Be- 
schlüsse, dass  überhaupt  die  Folterung  nicht  angewendet 
werden  solle,  in  Kenntniss  gesetzt;  aber  Galilei  gegenüber 
hatte  er  zunächst  sich  so  verhalten,  als  ob  die  wirkliche 
Folterung  beabsichtigt  sei. 

Der  Commissar  fragt  Galilei  zunächst,  ob  er  aus  eige- 


1)  S.  o.  S.  307;   vgl.   die  Zusammenstellung   bei  Wohlwill  S.  90  urid. 
bei  Wolynski  p.   119. 


316  Das  vierte  Verhör. 

nem  Antriebe  etwas  zu  sagen  habe.  Nachdem  diese  Frage 
verneint  worden,  fragt  er  weiter,  ob  er  die  Meinung,  dass 
die  Sonne  der  Mittelpunkt  der  Welt  sei^u.  s.  w.,  für  wahr 
halte  oder  für  wahr  gehalten  habe,  und  seit  wann  etwa. 
Galilei  antwortet:  ,, Schon  vor  langer  Zeit,  d.  h.  vor  der 
Entscheidung  der  h.  Congregation  des  Index  und  ehe  mir 
jene  Weisung  ertheilt  wurde,  war  ich  indifferent  und  hielt 
die  beiden  Meinungen,  die  des  Ptolemäus  und  die  des  Co- 
pernicus  für  disputabel,  weil,  naturwissenschaftlich  betrach- 
tet, die  eine  und  die  andere  wahr  sein  könne.  Aber  nach 
der  besagten  Entscheidung  hörte,  da  ich  durch  die  Weis- 
heit der  Oberen  Gewissheit  erlangte,  bei  mir  jedes  Schwan- 
ken auf  und  hielt  ich,  wie  ich  das  auch  jetzt  thue,  die  Mei- 
nung des  Ptolemäus,  dass  die  Erde  still  stehe  und  die  Sonne 
sich  bewege,  für  durchaus  wahr  und  unzweifelhaft." 

Es  wird  ihm  bemerkt:  die  Art  und  Weise,  wie  in  dem 
nach  jener  Zeit  von  ihm  veröffentlichten  Buche  die  besagte 
Meinung  besprochen  und  vertheidigt  werde,  ja  schon  die 
Thatsache,  dass  er  dieses  Buch  geschrieben  und  dem  Druck 
übergeben ,  lasse  vermuthen,  dass  er  jene  Meinung  nach 
der  angegebenen  Zeit  für  wahr,  gehalten ;  er  solle  also  offen 
die  Wahrheit  sagen,  ob  er  dieselbe  für  wahr  halte  oder 
gehalten  habe.  Er  antwortet:  „Den  Dialog  zu  schreiben, 
habe  ich  mich  nicht  entschlossen,  weil  ich  dje  Copernica- 
nische  Meinung  für  wahr  hielt.  Nur  darum,  weil  ich  dachte, 
ich  würde  damit  etwas  dem  allgemeinen  Interesse  Dienliches 
thuen,  habe  ich  die  naturwissenschaftlichen  und  astrono- 
mischen Gründe  aus  einander  gesetzt,  welche  für  die  eine 
und  die  andere  Ansicht  angeführt  werden  können.  Ich 
beabsichtigte,  zu  zeigen,  dass  weder  die  Gründe  für  die 
eine,  noch  die  Gründe  für  die  andere  Meinung  strenge  be- 
weisend seien  und  dass  man  also,  um  zur  Gewissheit  zu 
gelangen,  sich  an  die  durch  erhabenere  Lehren  gegebene 
Entscheidung  halten  müsse.  Das  ist  aus  vielen  Stellen  des 
Dialogs  deutlich  zu  erkennen.  Ich  erkläre  also,  dass  ich 
innerlich  die  verdammte  Meinung  nicht  für  wahr  halte  noch 
seit  der  Entscheidung  der  Oberen  für  wahr  gehalten  habe." 

Es  wird  ihm  nochmals  entgegen  gehalten:  das  Buch 
und  die  in  demselben  für  die  Bewegung  der  Erde  u.  s.  w. 
angeführten  Gründe  Hessen  doch  vermuthen,  dass  er  die 
Meinung    des   Copernicus   für   wahr  halte    oder   wenigstens 


Das  Protocoll  über  das  vierte  Verhör.  317 

früher  für  wahr  gehalten  habe;  wenn  er  sich  also  nicht  ent- 
schliesse,  die  Wahrheit  zu  gestehen,  werde  man  gegen  ihn 
die  geeigneten  Mittel  anwenden  (devenietur  contra  ipsum 
ad  remedia  iuris  et  facti  opportuna).  Galilei  antwortet:  „Ich 
halte  diese  Meinung  des  Copernicus  nicht  für  wahr  und 
habe  sie  nicht  für  wahr  gehalten,  seitdem  mir  der  Befehl 
insinuirt  worden  ist,  sie  aufzugeben;  übrigens  bin  ich  hier 
in  ihren  Händen  (nette  loro  mani,  also:  in  den  Händen  der 
Mitglieder  der  Inquisition);  sie  mögen  thuen,  was  ihnen 
gut  dünkt."  Nun  wird  ihm  gesagt:  er  solle  die  Wahrheit 
sagen,  sonst  werde  man  die  Folter  anwenden  (alias  deve- 
nietur ad  torturam).  Galilei  antwortet:  ,,Ich  bin  hier,  um 
zu  gehorchen,  und  ich  habe,  wie  gesagt,  jene  Meinung, 
nachdem  die  Entscheidung  getroffen  war,  nicht  für  wahr 
gehalten". 

Dann  schliesst  das  Protocoll:  „Und  da  nichts  weiter 
zu  erreichen  war,  wurde  er  in  Gemässheit  des  Decretes 
[der  Inquisition  vom  16.  Juni],  nachdem  er  unterschrieben, 
an  seinen  Ort  zurückgesandt"  ,).  Der  Ort,  wohin  er  zurück- 
gesandt wurde,  war  nicht,  wie  Marini  angibt,  der  Gesandt- 
schaftspalast, sondern  das  Galilei  als  Gefängniss  angewie- 
sene Zimmer  im  Inquisitionsgebäude.  Denn  von  dort  wurde 
er,  wie  Niccolini2)  berichtet,  am  folgenden  Tage  nach  der 
Minerva  geführt,  und  erst  am  24.  Juni  wurde  er  in  die 
Wohnung  des  Gesandten  entlassen. 

Wäre  Galilei  nach  diesem  Verhöre  wirklich  gefoltert 
worden,  so  müsste  nach  dem  oben  Gesagten  das  Protocoll 
nicht  mit  den  Worten  schliessen:  „Und  da  nichts  weiter  zu 
erreichen  war"  u.  s.  w.,  sondern  es  müssten  der  Beschluss, 
es  solle  zur  Folterung  geschritten  werden,  die  Abführung 
in  die  Folterkammer  und  die  Vorgänge  in  dieser  proto- 
collirt  worden  sein.  Wohlwill  hat  zu  beweisen  versucht, 
dieses  alles  sei  in  der  That  am  21.  Juni  protocollirt,  dieses 
Protocoll  sei  aber  vernichtet  und  dafür  das  jetzt  in  den  Pro- 
cessacten  stehende  gefälschte  Protocoll   substituirt  worden. 

1)  Diese  Interpunction  und  Ueberselzung  verdient  den  Vorzug  vor  der 
von  Gebier,  Galilei  S.  282,  Schanz,  Galilei  S.  56,  u.  A. :  „Und  da  nichts 
weiter  zu  erreichen  war  zur  Ausführung  des  Decretes,  wurde  er"  u.  s.  w. 
Vgl.  Wohlwill,  Ist  Gal.  gef.  worden?  S.  85.  Scartazzini,  Uns.  Zeit  1877,  n> 
455;  Allg.  Ztg.   1877,  No.  301  B.     Gebier,  Gegenw.    1878,  376. 

2)  IX,  444. 


31 8  Das  Protocoll  über  das  vierte  Verhör. 

Zu  dieser  Annahme  ist  er  genöthigt,  weil  er  glaubt,  aus  dem 
Wortlaute  des  Urtheils  gegen  Galilei  ergebe  sich,  dass  der- 
selbe am  21.  Juni,  wenn  nicht  wirklich  gefoltert,  wenigstens 
in  die  Folterkammer  abgeführt  und  dort  noch  einmal  in  der 
oben  S.  308  angegebenen  Weise  „ermahnt"  worden  sei.  Wenn 
sich  dieses  aus  dem  Urtheil  wirklich  ergäbe,  so  könnte  aller- 
dings das  uns  vorliegende  Protocoll  nicht  echt  sein;  denn 
dass  der  Notar  dasselbe  am  21.  Juni  geschrieben,  aber  mit 
Verletzung  der  Regeln  der  Inquisition  von  dem  Beschlüsse, 
zur  Folterung  zu  schreiten  u.  s.  w.,  nichts  protocollirt  haben 
sollte,  ist  nicht  anzunehmen.  Dieses  Hauptargument  Wohl- 
wills  gegen  die  Echtheit  des  Protocolls,  —  sein  angeblicher 
Widerspruch  mit  dem  Urtheil,  —  wird  später  eingehend  ge- 
prüft werden;  einige  andere  Argumente  werden  am  besten 
hier  erörtert.     % 

1.  „Während  bei  den  anderen  Verhören  der  Ange- 
klagte stets  als  supradictus  Galtleus  oder  Galtleus  de  quo 
supra  auftritt;  heisst  es  hier:  Galileus  de  Galileis  Florenti- 
nus  de  quo  alias1).'1  Die  beiden  ersten  Formeln  werden 
in  den  Protocollen  über  die  Verhöre  vom  30.  April  und  10. 
Mai  gebraucht.  Diese  Verhöre  waren  von  dem  vorherge- 
henden nicht  durch  viele  Tage  getrennt,  und  die  Protocolle 
darüber  werden  auf  derselben  Seite  begonnen,  auf  welcher 
das  vorhergehende  schliesst.  Zwischen  dem  dritten  und 
dem  vierten  Verhöre  lagen  fünf  Wochen,  und  das  Protocoll 
über  letzteres  beginnt  auf  einem  neuen  Blatte2). 

2.  „Das  Verhör  vom  21.  Juni  ist  von  den  sieben  Ver- 
hören, die  das  Vatican-Manuscript  enthält,  das  einzige,  in 
welchem  bei  der  Entlassung  des  Angeklagten  das  Gelübde 
des  Stillschweigens  nicht  erwähnt  wird3)."  Dasselbe  fehlt 
auch  bei  dem  Verhöre  vom  10.  Mai. 


1)  S.  104. 

2)  So  scheint  sich  mir  das  de  quo  alias  und  die  Beifügung  von  Flo- 
rentinus  besser  zu  erklären  als  durch  die  Bemerkung  von  Gebier,  Gegenw. 
1878,  No.  25,  S.  392:  der  Ausdruck  sei  gewählt,  weil,  während  die  Proto- 
colle vom  12.  und  30.  April  und  10.  Mai  unmittelbar  hinter  einander  stehen, 
zwischen  den  Blättern,  auf  denen  diese  drei,  und  den  Blättern,  auf  denen 
das  letzte  Protocoll  steht,  die  Verteidigungsschrift  Galilei's  und  die  Gut- 
achten der  Consultoren  eingelegt  seien.  Denn  in  der  Aufzeichnung  vom  16. 
Juni  (S.   112)   steht  Galilei  de  quo  supra. 

3)  Wohlwill  S.   113;    vgl.   Gebier  a.   a.  O.      Auch  in   den  Formularen 


Das  Protocoll  über  das  vierte  Verhör.  319 

3.  „Die  Formel  in  exealtionem  decrcti  wird  sonst  nicht 
so  absolut  ohne  Bezeichnung  dessen,  von  dem  das  Decret 
ausgegangen,  also  hier  der  Congregation  der  Inquisition, 
gebraucht."  Das  Decret,  auf  welches  Bezug  genommen 
wird,  steht  auf  dem  unmittelbar  vorhergehenden  Blatte  und 
bedurfte  also  keiner  nähern  Bezeichnung. 

4.  Das  Protocoll  vom  21.  Juni  ist,  wie  die  anderen 
Protocolle,  von  Galilei  unterschrieben.  Gebier  bemerkt  dazu: 
„Diese  Unterschrift  Galilei's  ist  im  Gegensatze  zu  seinen 
anderen  Unterzeichnungen  mit  auffallend  zitternder  Hand 
niedergesetzt" 1).  Diese  Bemerkung  hat,  wie  zu  erwarten 
war,  zu  der  Vermuthung  Anlass  geboten,  die  Unterschrift 
sei  gefälscht2).  Gebier  erwiedert  darauf:  „Wir  meinen,  ein 
Fälscher  hätte  alles  aufgeboten,  die  Unterschrift  den  anderen 
so  ähnlich  wie  möglich  nachzuahmen,  keinesfalls  hätte  er 
auffällig  gezittert.  Nein,  in  dieser  mit  schwankender  Hand 
aufs  Papier  gebrachten  Unterzeichnung,  die  übrigens  trotz- 
dem ganz  unverkennbar  den  eigenthümlichen  Charakter  der 
Unterschrift  Galilei's  trägt,  spiegelt  sich  nur  die  furchtbare 
Aufregung,  welche  der  mit  der  Tortur  bedrohte  unglück- 
liche Greis  so  eben  erduldet"3). 

Während  Wohlwill  annimmt,  von  dem  Protocoll  vom 
21.  Juni  sei  nur  der  auf  Fol.  453  stehende  Schluss,  von  der 
vorletzten  Antwort  Galilei's  an,  gefälscht,  hat  Scartazzini 
zu  beweisen  versucht,  das  ganze  Protocoll  sei,  allerdings 
mit  theilweiser  Benutzung  des  echten,  an  dessen  Stelle  es 
gesetzt  wurde,  von  einem  Fälscher  geschrieben4):  Er  meint, 
auch  das  Datum  sei  gefälscht:    das  Verhör  habe  nicht  am 


des  S.  A.  p.  62  und  69  fehlt  dasselbe.  Bei  Pignatelli  p.  521a  heisst  es: 
Reis  S.  Officii  dafür,  etiam  pluries,  iuramentum  de  non  tractando  de  me- 
ritis  suae  causae.  Das  klingt  nicht  so,  als  ob  die  Vereidigung  bei  jedem 
Verhöre  nöthig  gewesen  wäre.  Sie  scheint  nur  bei  dem  sog.  Offensiv-Processe 
vorgeschrieben  gewesen  zu  sein.     Wolynski  p.  96. 

1)  Acten  S.  114. 

2)  Scartazzini,  Allg.  Ztg.  1878,  No.  38;  Wohlwill,  G.  G.  A.  1878, 
St.  21,  S.  666.  3)  Gegenwart  a.  a.  O. 

4)  Riv.  Eur.  1878,  V,  225;  Allg.  Ztg.  1878,  No.  38;  Mag.  f.  d.  Lit. 
des  Ausl.  1878,  No.  15,  S.  232.  Die  ausführliche  und  scharfsinnige  Demon- 
stration, wie  der  Fälscher  mit  den  Blättern  des  Actenheftes  verfahren  (Riv. 
Eur.  V,  225 — 232),  kann  hier  unerörtert  bleiben.  Sie  zeigt  ja  jedenfalls  nur 
die  Möglichkeit  einer  Fälschung.     Vgl.  Wolynski  p.   102. 


320  Das  Protocoll  über  das  vierte  Verhör. 

21.,  sondern  am  17.  Juni  stattgefunden.  Als  Grund  für  diese 
Vermuthung  wird  nur  angeführt:  das  Decret  vom  16.  Juni 
habe  keinen  Aufschub  zugelassen,  sondern  gleich  ausge- 
führt sein  wollen,  wie  denn  ja  auch  andere  Galilei's  Sache 
betreffende  Decrete  des  Papstes  sofort  ausgeführt  worden 
seien.  Allerdings  wurde  der  früher  erwähnte,  am  25.  Febr. 
16 16  dem  Cardinal  Bellarmin  ertheilte  Auftrag  am  26.  aus- 
geführt, und  mehrere  Briefe,  deren  Absendung  die  Inquisi- 
tion beschlossen  (2.  Apr.  1615;  2$.  Sept.  1632),  wurden 
gleich  expedirt.  Aber  daraus  kann  doch  nicht  gefolgert 
werden,  dass  nicht  die  Ausführung  des  am  16.  Juni  ge- 
fassten  Beschlusses  aus  irgend  einem  Grunde  bis  zum  21. 
hätte  verschoben  werden  können.  Es  ist  gar  nicht  unwahr- 
scheinlich, dass  der  Grund  folgender  war:  man  wollte  die 
Verkündigung  vdes  Urtheils  an  dem  unmittelbar  auf  das 
letzte  Verhör  folgenden  Tage  vornehmen,  um  Galilei  eine 
längere  Spannung  und  einen  längern  Aufenthalt  im  Inqui- 
sitionsgebäude zu  ersparen;  die  Ausarbeitung  des  Urtheils 
und  das  Einholen  der  Unterschriften  der  Cardinäle  bean- 
spruchte einige  Tage1);  so  konnte  die  Publication  des  Ur- 
theils erst  am  22.  Juni  stattfinden,  darum  wurde  Galilei  erst 
am  21.  zu  dem  letzten  Verhöre  citirt. 

Scartazzini  sagt  selbst2),  seine  Vermuthung,  das  letzte 
Verhör  habe  am  17.  Juni  stattgefunden,  stehe  in  Wider- 
spruch mit  der  Angabe  in  dem  Briefe  Niccolini's  vom  26. 
Juni,  Galilei  sei  am  Montag  [20.  JuniJ  Abends  nach  dem 
h.  Officium  beschieden,  am  Dinstag  [21.]  verhört  und  am 
Mittwoch  [22.]  zur  Abschwörung  nach  der  Minerva  geführt 
worden3).  Er  hält  aber  seine  Vermuthung  für  so  sicher, 
dass  er  behaupten  zu  dürfen  glaubt,  diese  genauen  Angaben 
Niccolini's  -beruhten  auf  einem  „unabsichtlichen  oder  absicht- 
lichen" Gedächtnissfehler4). 


i)  Wolynski  p.  61.    102.  2)  Riv.  Eur.  V,  233.  3)  IX,  444. 

4)  An  dieser  Stelle  deutet  Scartazzini  nur  an,  dass  Niccolini  nicht 
immer  die  Wahrheit  sage;  p.  247  lässt  er  (mit  Rücksicht  auf  eine  unten  zu 
besprechende  Notiz  in  seinen  Berichten)  mit  grossen  Buchstaben  drucken: 
„Der  toscanische  Gesandte  Niccolini  ist  ein  Lügner"!  Wie  leichtfertig  Scar- 
tazzini Niccolini's  Berichte  kritisirt,  davon  ein  Beispiel.  Er  führt  p.  233  die 
Stelle  IX,  445  an:  „Das  Urtheil  enthält  das  Verbot  des  Buches  und  Gali- 
lei's Verurtheilung  zu  Gefängniss,  .  .  .  weil  er  das  ihm  im  J.  1616  ertheilte 
Praeceptum    übertreten   haben    soll",    und  meint,  Niccolini  verschweige,  dass 


Das  Protocoll  über  das  vierte  Verhör.  32 1 

Der  Grund,  weshalb  der  Fälscher  den  21.  Juni  für  den 
17.  substituirt  haben  soll,  oder  richtiger  gesagt,  der  Grund, 
weshalb  Scartazzini  den  17.  Juni  für  den  21.  substituirt,  ist 
folgender1):  Am  21.  kann  Galilei  nicht  gefoltert  worden 
sein,  denn  dann  hätte  er,  da  am  22.  das  Urtheil  verlesen 
wurde,  nicht  der  Vorschrift  der  Inquisition  entsprechend 
24  Stunden  nach  der  Folterung  seine  Aussage  ratificiren 
können.  Da  der  Fälscher  die  Möglichkeit  der  Folterung 
ausschliessen  wollte,  musste  er  das  Verhör  auf  den  21.  ver- 
legen, und  da  Scartazzini  die  Wirklichkeit  der  Folterung 
annimmt,  musste  er  es  auf  einen  frühern  Tag  verlegen.  So 
scheint  es.  Aber  eine  Ratification  war  nur  nöthig,  wenn 
der  Angeklagte  auf  der  Folter  ein  Geständniss  ablegte; 
Galilei  hat  aber,  wie  wir  aus  dem  —  bis  jetzt  wenigstens 
noch  nicht  bestrittenen  —  Urtheil  erfahren,  bezüglich  der 
Intention  —  auf  der  Folter  oder  trotz  der  Androhung  der- 
selben —  „katholisch  geantwortet",  also  kein  Geständniss 
abgelegt,  mithin  auch  nichts  zu  ratificiren  gehabt.  Das 
Datum  des  Verhörs  ist  also  für  Scartazzini  wie  für  den 
angeblichen  Fälscher  gleich  irrelevant. 

Schliesslich  mag  noch  eine  Vermuthung  Bertis2)  er- 
wähnt werden.  Er  meint:  am  16.  Juni  sei  die  Folterung 
Galilei's  angeordnet  worden  ,  der  Commissar  habe  aber 
kraft  seiner  „discretionären  Gewalt",  Greise  und  Schwäch- 
liche nicht  foltern  zu  lassen,  und  in  der  Ueberzeugung, 
dass  Galilei  die  Folter  nicht  aushalten  könne,  jene  Anord- 
nung nicht  ausgeführt;  in  dem  Urtheil  werde  die  Folterung 
erwähnt,  weil  dasselbe  schon  vor  dem  21.,  also  unter  der 
Voraussetzung,  dass  die  Anordnung  vom  16.  ausgeführt 
werden  würde,  niedergeschrieben  worden  sei.  Dass  am  16. 
Juni  die  Folterung  nicht  angeordnet  worden,  haben  wir  ge- 
sehen; dass  der  Commissar  sich  nicht  für  befugt  halten 
konnte,  eine  Anordnung  der  Inquisitions-Congregation  nicht 


die  Inquisition  Galilei  als  der  Ketzerei  stark  verdächtig  verurtheilt  habe. 
Aber  unmittelbar  vor  den  oben  angeführten  Worten  sagt  Niccolini :  „Man 
hat  Galilei  nicht  nur  das  Urtheil  vorgelesen,  sondern  auch  ihn  seine  Mei- 
nung abschwören  lassen".  Das  konnte  man  doch  in  Florenz  nicht  anders 
verstehen,  als  dass  Galilei  der  Ketzerei  schuldig  oder  verdächtig  gefunden 
worden  sei. 

1)  Riv.   Eur.  V,   234.  2)  11  Processo  p.  CXIII  (N.  Ed    p.   100). 

Keusch,  Galilei.  21 


322  Verkündigung  des  Urtheils   22.  Juni   1633. 

auszuführen,   ist  unzweifelhaft *) ;    dass    in    dem  Urtheil    die 
Folterung  nicht  erwähnt  wird,  werden  wir  später  sehen. 


XXVIII. 


Die  Verkündigung  des  Urtheils  und  die  Abschwörnng 
Galilei's,  22.  Juni  1633. 

Wer  von  der  Inquisition  der  Ketzerei  schuldig  gefun- 
den worden  war,  dem  wurde  das  Urtheil  öffentlich  vorge- 
lesen und  er  hatte,  wenn  er  zu  einer  Abschwörung  verurtheilt 
worden,  diese  öffentlich  zu  leisten2).  Der  der  Ketzerei  leicht 
Verdächtige  hatte  nicht  öffentlich  abzuschwören;  die  der 
Ketzerei  stark  Verdächtigen  konnten  zur  öffentlichen  oder 
zur  privaten  Abschwörung  verurtheilt  werden3).  Ausserhalb 
Roms  hatte  der  Inquisitor  das  Urtheil  in  Gegenwart  des 
Bischofs  und  der  Consultoren  zu  verkündigen4).  In  Rom 
wurde  bei  einem  stark  Verdächigen  die  Verkündigung  des 
Urtheils,  auf  welche  die  Abschwörung  folgte,  mitunter  von 


i)  Es  ist  ganz  unrichtig,  wenn  Berti,  p.  CXXXVIII.  70,  sagt:  „In 
fast  allen  Tractaten  über  das  Recht  der  Inquisition  wird  dem  Commissar  ge- 
stattet, gegen  Greise  die  Folter  nicht  anzuwenden"  (vgl.  N.  Ed.  p.  292).  Dem 
Inquisitor,  in  Rom  der  Congregation  des  h.  Officiums  stand  es  zu,  über  An- 
wendung oder  Nichtanwendung  der  Folter  zu  befinden;  der  Commissar  war 
an  die  Beschlüsse  der  Congregation  gebunden. 

2)  In  dem  Formular  S.  A.  p.  275  heisst  es:  Lata,  data  et  in  his 
scriptis  sententialiter  promulgata  fuit  supra  scripta  sententia  .  .  .  astanti- 
bus  et  audientibus  RR.  PP.  ac  III.  DD.  Consultoribus  S.  Officii  necnon 
magna  nobilium  et  populi  multitudine.  .  .  Successive  praedictus  N.  abiu- 
ravit  etc.  Eine  Beschreibung  der  Abschwörung  des  Michael  Molinos,  die 
am  3.  Sept.  1687  in  der  Kirche  S.  Maria  sopra  Minerva  stattfand,  s.  bei 
Laemmer,  Meletematum  Rom.  Mantissa,  1875,  p.  407.  Durch  ein  an  ver- 
schiedenen Orten  angeheftetes  Edict  war  angekündigt,  dass  Allen,  die  der 
Abschwörung  beiwohnen  würden,  ein  Ablass  von  15  Jahren  und  15  Qua- 
dragenen  verliehen  worden  sei;  für  die  Mitglieder  der  Inquisition,  für  die 
Herren  und  Damen  des  Römischen  Adels  waren  Tribünen  errichtet  u.  s.  w. 

3)  S.  A.  P.  X,  No.   10.  201.     Carena  p.  426. 

4)  Carena  p.  417  a. 


Verkündigung  des  Urtheils  22.  Juni   1633.  323 

dem  Commissar  vor  Notar  und  Zeugen  vorgenommen1); 
mitunter  fand  sie  öffentlich  statt2),  mitunter,  wie  für  Galilei 
am  16.  Juni  angeordnet  war,  in  einer  Plenarsitzung  des 
h.  Officiums,  also  in  Anwesenheit  der  Cardinäle,  welche 
Mitglieder  der  Inquisition  waren,  und  der  Beamten  der 
letzern3),  in  dem  grossen  Saale  des  Dominicanerklosters 
Santa  Maria  sopra  Minerva.  Das  Urtheil  war  in  italieni- 
scher Sprache  abgefasst4);  Galilei  hatte  es  stehend  anzu- 
hören5).    Dasselbe  lautet: 

„Wir,  Gasparo  Borgia,  vom  Titel  Santa  Croce  in 
Gierusalemme,  —  Fra  Feiice  Centin o,  vom  Titel  Santa 
Anastasia,  genannt  von  Ascoli  —  Guido  Bentivoglio, 
vom  Titel  S.  Maria  del  Popolo,  —  Fra  Desiderio  Sca- 
glia,  vom  Titel  S.  Carlo,  genannt  von  Cremona,  —  Fra 
Antonio  Barberino,  genannt  von  S.  Onofrio,  —  Lau- 
divio  Zacchia,  vom  Titel  S.  Pietro  in  Vincola,  genannt 
von  S.  Sisto,  —  Berlingero  Gessi,  vom  Titel  S.  Agostino, 
—  Fabricio  Verospi,  vom  Titel  S.  Lorenzo  in  pane  eperna, 
genannt  Priester6),  —  Francesco  Barberino  von  S.  Lo- 


1)  Gibbings,  O'Farrihy  p.   19;  Fulgentio  Manfredi  p.   21. 

2)  Allg.  Ztg.   1877,   102  B.  3)  IX,  444. 

4)  Carena  p.  416a:  In  causis  fidei  sententiae  solent  materno  sermone 
fieri.  Dass  der  italienische,  nicht  der  lateinische  Text  der  Originaltext  ist, 
hat  Wohlwill,  Ist  Gal.  gef.  worden?  S.  159.  170  nachgewiesen.  Ich  über- 
setze nach  dem  Abdruck  bei  Venturi  II,  171,  der  genauer  ist  als  der  IX, 
466  stehende.  Die  lateinische  Uebersetzung  ist  übrigens  wahrscheinlich  gleich 
angefertigt  worden,  um  an  die  Nuncien  im  Auslande  (s.  §  XXXII)  versandt 
zu  werden.     Wolynski  p.  61. 

5)  Carena  p.  418b:  Ret  sententias  audire  debent  stantes  et  nudo 
capite. 

6)  Im  Italienischen  Fabricio  del  titolo  di  S.  Lorenzo  in  pane  e  perna 
Verospi  chiamato  Prete,  in  der  lateinischen  Uebersetzung  Fabricius  S.  Lau- 
rentii  in  pane  et  perna  Verospius  dictus  Presbyter,  als  wenn  Verospi  den 
Beinamen  Prete  gehabt  hätte.  Ohne  Zweifel  ist  aber,  wie  in  dem  Urtheil 
bei  Gibbings,  Fulgentio  Manfredi  p.  33,  zu  lesen  chiamati  Preti,  so  dass 
die  acht  ersten  Cardinäle  als  Cardinal-Priester,  wie  die  beiden  letzten  als 
Cardinal-Diakonen  bezeichnet  werden.  In  einem  Erlass  der  Inquisition  vom 
3.  Jan.  1623  bei  Diana,  Resolutionum  moralium  P.  IV.  p.  380,  steht  an  der 
Spitze  Octavius  episcopus  Praenestinus  Bandinus,  dann  folgen  die  Namen 
von  acht  anderen  Cardinälen  und  dahinter  das  "Wort  Presbyteri,  dann  Lu- 
dovicus  S.  Adriani  Diaconus  de  Lavalette,  und  in  den  beiden  Urtheilen  vom 
J.  1635,  Riv.  Eur.  1878,   V,   510,  stehen  die  Namen  von  fünf  Cardinälen  und 


324  Verkündigung  des  Urtheils  22.  Juni   1633. 

renzo  in  Damaso  und  Martio.Ginetti  von  S.  Maria  Nuova, 
Diakonen ,  durch  Gottes  Barmherzigkeit  Cardinäle  der 
h.  Römischen  Kirche,  speciell  bestellte  General-Inquisitoren 
des  h.  apostolischen  Stuhles  gegen  die  ketzerische  Bosheit 
in  der  ganzen  christlichen  Welt: 

„Du,  Galileo,  Sohn  des  verstorbenen  Vincenzo  Galilei 
aus  Florenz,  70  Jahre  alt,  bist  im  Jahre  161 5  bei  diesem 
h.  Officium  denuncirt  worden :  du  hieltest  die  von  Vielen 
vorgetragene  falsche  Lehre  für  wahr,  dass  die  Sonne  der 
Mittelpunkt  der  Welt  und  unbeweglich  sei  und  dass  die 
Erde  sich  bewege,  auch  eine  tägliche  Bewegung  habe ;  du 
hättest  einige  Schüler,  denen  du  diese  selbe  Lehre  vortrü- 
gest; du  ständest  über  dieselbe  in  Correspondenz  mit  eini- 
gen Mathematikern  in  Deutschland;  du  hättest  einige  Briefe 
unter  dem  Titel  „von  den  Sonnenflecken"  in  Druck  gege- 
ben, in  welchen  du  diese  Lehre  als  wahr  vortrügest;  und 
die  Einwendungen,  die  dir  zu  verschiedenen  Malen  auf 
Grund  der  h.  Schrift  gemacht  worden,  beantwortetest  du,, 
indem  du  die  besagte  Schrift  nach  deinem  Sinne  erklärtest. 
Ferner  wurde  eine  Abschrift  einer  Abhandlung  vorgelegt  in 
Form  eines  Briefes,  —  von  welchem  gesagt  wurde,  du  habest 
ihn  an  einen  deiner  früheren  Schüler  geschrieben,  —  worin 
im  Anschlüsse  an  die  Ansicht  des  Copernicus  verschiedene 
Sätze  gegen  den  wahren  Sinn  und  die  Autorität  der  h. 
Schrift  enthalten  sind. 

„Da  nun  in  Folge  davon  dieser  h.  Gerichtshof  der  Un- 
ordnung und  dem  Schaden  entgegen  wirken  wollte,  der 
daraus  erwuchs  und  immer  mehr  zunahm  zum  Nachtheile  des 
heiligen  Glaubens,  wurden  auf  Befehl  unseres  Herrn  und 
Ihrer  Eminenzen  der  Herren  Cardinäle  dieser  höchsten 
und  allgemeinen  Inquisition  von  den  Theologen-Qualifica- 
toren  die  beiden  Sätze  von  dem  Stillstehen  der  Sonne  und 
der  Bewegung  der  Erde  qualificirt,  und  zwar  so: 

„Der  Satz  dass  die  Sonne  der  Mittelpunkt  der  Welt 
sei1)  und  keine  räumliche  Bewegung  habe,  ist  philosophisch 


dahinter  Preti,  dann  Martio  .  .  .  Ginetti  Diacono.  —  Wolynski,  der  S.  125 
Sentenz  und  Abschwörung  neben  den  Formularen  des  Sacro  Arsenale  mit- 
theilt, hat:  Verospi  chiamato,  Preti.  Ueber  die  Beinamen  der  Cardinäle 
Centini,   Scaglia  und  Antonio  Barberini  s.  o.  S.   101.   178.  260. 

i)  Im  lateinischen  Texte  ungenau:   solem  esse  in  centro  mundi. 


Verkündigung  des  Urtheils   22.  Juni   1633.  325 

absurd  und  falsch  und  formell  ketzerisch,  weil  er  ausdrück- 
lich der  h.  Schrift  widerspricht. 

„Der  Satz,  dass  die  Erde  nicht  der  Mittelpunkt  der 
Welt  und  nicht  unbeweglich  sei,  sondern  sich  bewege,  auch 
in  täglicher  Umdrehung,  ist  gleichfalls  philosophisch  absurd 
und  falsch  und  theologisch  betrachtet  wenigstens  irrig  im 
Glauben. 

„Da  man  aber  damals  gegen  dich  milde  verfahren  wollte, 
wurde  in  der  am  25.  Febr.  16 16  in  Gegenwart  unseres 
Herrn  gehaltenen  h.  Congregation  beschlossen :  Seine  Emi- 
nenz der  Herr  Cardinal  Bellarmin  solle  dir  bedeuten,  du 
müsstest  die  besagte  falsche  Lehre  ganz  aufgeben ;  und 
wenn  du  dich  weigertest,  dieses  zu  thun,  solle  dir  von  dem 
Commissar  des  h.  Officiums  der  Befehl  ertheilt  werden,  die 
besagte  Lehre  aufzugeben  und  sie  nicht  Anderen  vorzutra- 
gen noch  sie  zu  vertheidigen  noch  sie  zu  erörtern ;  und 
wenn  du  dich  diesem  Befehle  nicht  fügtest,  solltest  du  ein- 
gekerkert werden.  In  Ausführung  eben  dieses  Beschlusses 
wurde  dir  am  folgenden  Tage  im  Palaste  und  in  Gegenwart 
des  besagten  Herrn  Cardinais  Bellarmin,  nachdem  du  von 
demselben  freundlich  gewarnt  und  ermahnt  worden  wärest, 
von  dem  damaligen  Pater  Commissar  des  h.  Officiums  vor 
Notar  und  Zeugen  der  Befehl  ertheilt,  du  müsstest  die  be- 
sagte falsche  Meinung  ganz  aufgeben  und  dürftest  sie  in 
Zukunft  in  keiner  Weise  mehr  vertheidigen  oder  lehren, 
weder  mündlich  noch  schriftlich;  und  nachdem  du  ver- 
sprochen zu  gehorchen,  wurdest  du  entlassen. 

„Und  damit  eine  so  verderbliche  Lehre  ganz  beseitigt 
würde  und  sich  nicht  weiter  verbreiten  könnte  zum  schwe- 
ren Schaden  der  katholischen  Wahrheit,  erging  ein  Decret 
der  h.  Congregation  des  Index,  durch  welches  die  Bücher, 
welche  von  dieser  Lehre  handeln,  verboten  wurden  und 
diese  selbst  für  falsch  und  der  heiligen  und  göttlichen  Schrift 
durchaus  widersprechend  erklärt  wurde. 

„Da  nun  unlängst  hier  ein  Buch  erschien,  welches  im  vori- 
gen Jahre  in  Florenz  gedruckt  ist  und  dessen  Aufschrift  zeigte, 
dass  du  der  Verfasser  desselben  seiest,  da  der  Titel  lautet : 
Dialogo  di  Galileo  Galilei  delli  due  massimi  sistemi  del  mondo, 
Tolemaico  e  Copernicano,  und  da  der  h.  Congregation  mitge- 
theilt  wurde,  dass  in  Folge  der  Veröffentlichung  des  besag- 
ten Buches  die  falsche  Meinung  von  der  Bewegung  der  Erde 


326  Verkündigung  des  Urtheils   22.  Juni   1633. 

und  dem  Stillstehen  der  Sonne  alle  Tage  mehr  Fuss  fasse: 
so  wurde  das  besagte  Buch  sorgfaltig  geprüft  und  in  dem- 
selben eine  offenbare  Uebertretung  des  oben  erwähnten,  dir 
ertheilten  Befehles  gefunden,  indem  du  in  diesem  Buche  die 
früher  besagte  verdammte  und  dir  ausdrücklich  als  ver- 
dammt bezeichnete  Lehre  vertheidigt  hast,  wiewohl  du  in 
dem  besagten  Buche  durch  verschiedene  Wendungen  die 
Meinung  zu  erwecken  dich  bemühest,  du  stelltest  sie  als 
unentschieden  und  ausdrücklich  nur  als  probabel  hin,  was 
aber  auch  ein  sehr  schwerer  Irrthum  ist,  da  eine  Meinung, 
von  welcher  erklärt  und  definirt  worden  ist,  sie  wider- 
spreche der  h.  Schrift,  in  keiner  Weise  probabel  sein  kann. 

„Demgemäss  wurdest  du  auf  unsern  Befehl  vor  dieses 
h.  Officium  beschieden,  wo  du  bei  deiner  eidlichen  Verneh- 
mung das  Buch  als  von  dir  verfasst  und  in  Druck  gegeben 
anerkanntest.  Du  gestandest  ein,  dass  du  vor  etwa  zehn 
oder  zwölf  Jahren,  nachdem  dir  der  oben  erwähnte  Befehl 
bereits  ertheilt  worden  war,  das  besagte  Buch  zu  schreiben, 
angefangen  und  dass  du  die  Erlaubniss  zum  Drucke  dessel- 
ben nachgesucht  habest,  ohne  denjenigen,  welche  dir  diese 
Erlaubniss  gaben,  mitzutheilen,  dass  dir  der  Befehl  ertheilt 
worden,  die  fragliche  Lehre  nicht  für  wahr  zu  halten,  zu 
vertheidigen  noch  in  irgend  einer  Weise  zu  lehren. 

„Du  hast  ferner  eingestanden,  das  besagte  Buch  sei 
an  mehreren  Stellen  so  gehalten,  dass  der  Leser  sich  die 
Meinung  bilden  könne,  die  für  die  falsche  Meinung  vorge- 
brachten Gründe  seien  so  vorgetragen,  dass  sie  eher  durch 
ihre  Beweiskraft  geeignet  zu  überzeugen  als  leicht  zu  wider- 
legen seien,  —  indem  du  zu  deiner  Entschuldigung  angäbest, 
du  seiest  in  einen,  wie  du  sagtest,  deiner  Absicht  so  fern 
liegenden  Irrthum  verfallen  in  Folge  der  Abfassung  des 
Buches  in  dialogischer  Form  und  in  Folge  des  natürlichen 
Gefallens,  welches  Jeder  an  seiner  eigenen  Spitzfindigkeit 
und  daran  findet,  sich  dadurch  scharfsinniger  als  die  meisten 
Menschen  zu  erweisen,  dass  er  auch  für  die  falschen  Sätze 
ingeniöse  und  blendende  Wahrscheinlichkeitsgründe  zu  fin- 
den wisse. 

„Und  nachdem  dir  eine  angemessene  Frist  für  deine 
Verteidigung  gesetzt  worden  wTar,  hast  du  ein  von  der 
Hand  Seiner  Eminenz  des  Herrn  Cardinais  Bellarmin  ge- 
schriebenes Zeugniss  producirt,  welches  du,  wie  du  sagtest, 


Verkündigung  des  Ürtheils  22.  Juni   1633.  327 

dir  verschafft  hattest,  um  dich  gegen  die  Verleumdungen 
deiner  Feinde  zu  vertheidigen,  welche  von  dir  sagten,  du 
hättest  abgeschworen  und  seiest  von  dem  h.  Officium  zu 
einer  Busse  verurtheilt  worden.  In  diesem  Zeugnisse  wird 
gesagt,  du  hättest  nicht  abgeschworen  und  seiest  auch  nicht 
zu  einer  Busse  verurtheilt,  sondern  es  sei  dir  nur  die  von 
unserm  Herrn  abgegebene  und  von  der  h.  Congregation 
des  Index  publicirte  Erklärung  mitgetheilt  worden,  des 
Inhalts,  dass  die  Lehre  von  der  Bewegung  der  Erde  und 
dem  Stillstehen  der  Sonne  der  h.  Schrift  widerspreche  und 
darum  nicht  vertheidigt  und  nicht  für  wahr  gehalten  werden 
dürfe.  Da  nun  in  diesem  Zeugnisse  die  beiden  Ausdrücke 
des  Befehles,  docere  und  quovis  modo,  nicht  erwähnt  werden, 
so  müsse  man  glauben,  sagtest  du '),  dass  du  im  Verlaufe 
von  14  oder  16  Jahren  diese  ganz  aus  dem  Gedächtnisse 
verloren,  und  dass  du  aus  diesem  Grunde  über  den  Befehl 
geschwiegen  hättest,  als  du  die  Erlaubniss  zum  Drucke  des 
Buches  nachsuchtest.  Alles  dieses  sagtest  du  nicht,  um 
deinen  Irrthum  zu  entschuldigen,  sondern  damit  er  nicht 
bösem  Willen,  sondern  eitelm  Ehrgeiz  zugeschrieben  werde. 
Aber  das  besagte,  von  dir  zu  deiner  Vertheidigung  vorge- 
brachte Zeugniss  ist  nur  geeignet,  dich  noch  mehr  zu  gra- 
viren,  indem  du,  obschon  in  demselben  die  besagte  Meinung 
als  der  h.  Schrift  widersprechend  bezeichnet  wird,  nichts 
desto  weniger  gewagt  hast,  sie  zu  erörtern,  zu  vertheidigen 
und  als  probabel  darzustellen.  Auch  dient  dir  nicht  zur 
Rechtfertigung  die  Erlaubniss,  welche  du  auf  geschickte 
und  schlaue  Weise  erschlichen  hast,  indem  du  von  dem  dir 
ertheilten  Befehle  nichts  sagtest. 

„Da  es  uns  nun  schien,  dass  du  bezüglich  deiner  Inten- 
tion nicht  ganz  die  Wahrheit  gesagt,  erachteten  wir  es  für 
nöthig,  das  peinliche  Verhör  (rigoroso  esame)  mit  dir  anzu- 
stellen2). Bei  diesem  hast  du,  —  jedoch  ohne  irgend  wel- 
ches Präjudiz  für  das,  was  bezüglich  deiner  Intention  von 
dir  eingestanden  oder  gegen  dich,  wie  oben  erwähnt,  er- 
wiesen worden,  —  katholisch  geantwortet3). 

i)  Im  lateinischen  Text  steht  falsch:  credendum  est  statt  credendum 
esse;   s.  Wohlwill   S.    181;  Zts.  f.  Math.   1872,  L.-Z.  S.   24. 

2)  Frohschammer,  Das  Christenthum  u.  s.  w.  1868,  S.  48  übersetzt: 
„die  strenge  Prüfung  deiner  Person  in  Anwendung  zu  bringen"! 

3)  S.  o.  S.  304.  305. 


328  Verkündigung  des   Urtheils   22.  Juni    1633. 

„D esshalb  sind  wir,  nachdem  wir  diese  deine  Sache  nach 
allen  Seiten  sammt  deinen  oben  besagten  Geständnissen 
und  Entschuldigungen  und  allem,  was  von  Rechts  wegen 
einzusehen  und  zu  erwägen  war,  eingesehen  und  reiflich 
erwogen  haben,  zu  dem  unten  stehenden  definitiven  Urtheile 
gegen  dich  gelangt. 

„Nach  Anrufung  also  des  allerheiligsten  Namens  unseres 
Herrn  Jesu  Christi  und  seiner  glorreichen  allzeit  jungfräu- 
lichen Mutter  Maria«  sprechen  wir,  als  Gerichtshof  sitzend, 
nach  dem  Rathe  und  Gutachten  der  Hochwürdigen  Magister 
der  h.  Theologie  und  der  Doctoren  beider  Rechte,  die 
unsere  Consultoren  sind,  in  dieser  Schrift  unser  definitives 
Urtheil  in  der  Streitsache  und  den  Streitsachen,  die  uns 
vorliegen,  zwischen  Seiner  Magnificenz  Carlo  Sincero,  beider 
Rechte  Doctor,  Fiscal-Procurator  dieses  h.  Officiums,  einer- 
seits, und  dir,  Galileo  Galilei,  als  hier  gegenwärtigem  und, 
wie  oben  gesagt,  processirtem  und  geständigem  Angeklagten 
anderseits,  indem  wir  sagen,  aussprechen,  urtheilen,  erklä- 
ren: dass  du,  oben  besagter  Galileo,  durch  die,  wie  oben 
erwähnt,  im  Process  erwiesenen  und  von  dir  eingestandenen 
Dinge  dich  diesem  h.  Officium  der  Ketzerei  stark  verdäch- 
tig gemacht  hast,  nämlich  (verdächtig),  dass  du  die  falsche 
und  den  heiligen  und  göttlichen  Schriften  widersprechende 
Lehre,  die  Sonne  sei  der  Mittelpunkt  der  Welt1)  und  be- 
wege sich  nicht  von  Osten  nach  Westen,  und  die  Erde  be- 
wege sich  und  sei  nicht  der  Mittelpunkt  der  Welt,  geglaubt 
und  für  wahr  gehalten,  und  (dass  du  geglaubt  und  für  wahr 
gehalten),  es  dürfe  eine  Meinung,  auch  nachdem  sie  als  der 
h.  Schrift  widersprechend  erklärt  und  definirt  worden,  als  wahr- 
scheinlich festgehalten  und  vertheidigt  werden ;  —  und  dass  du 
in  Folge  dessen  in  alle  Censuren  und  Strafen  verfallen  bist, 
welche  durch  die  heiligen  Canones  und  andere  allgemeine 
und  besondere  Constitutionen  gegen  solche,  die  sich  in  ähn- 
licher Weise  verfehlt  haben,  festgesetzt  und  promulgirt  wor- 
den sind.  Wir  genehmigen,  dass  du  von  diesen  (Censuren 
und  Strafen)  freigesprochen  werdest,  vorausgesetzt  dass  du 
zuvor  mit  aufrichtigem  Herzen  und  ungeheucheltem  Glauben 
die  oben  besagten  Irrthümer  und  Ketzereien   und   alle  an- 


i)  della  terra  (im  lateinischen  Texte  orbis  terrae)  wird  ein  Versehen 
sein  für  del  mondo,  wie   im  Folgenden  steht.     Wohlwill  S.    1 79. 


Abschwörung  Galilei's.  329 

deren  der  katholischen  und  apostolischen  Römischen  Kirche 
zuwiderlaufenden  Irrthümer  und  Ketzereien  in  der  Weise, 
die  dir  von  uns  wird  angegeben  werden,  vor  uns  abschwö- 
rest, verfluchest  und  verwünschest. 

„Und  damit  dieser  dein  schwerer  und  verderblicher 
Irrthum  und  Fehltritt  nicht  ganz  ungestraft  bleibe  und  du 
in  Zukunft  vorsichtiger  seiest,  und  zum  Beispiel  für  die  An- 
deren, dass  sie  sich  vor  ähnlichen  Vergehen  hüten,  verord- 
nen wir,  dass  das  Buch  Dialoghi  di  Galileo  Galilei  durch 
einen  öffentlichen  Erlass  verboten  werde.  Dich  verurtheilen 
wir  zu  förmlicher  Kerkerhaft  in  diesem  h.  Officium  für  eine 
nach  unserm  Ermessen  zu  bestimmende  Zeit,  und  legen  dir 
als  heilsame  Busse  auf,  drei  Jahre  lang  wöchentlich  einmal 
die  sieben  Busspsalmen  zu  beten,  indem  wir  uns  das  Recht 
vorbehalten,  die  besagten  Strafen  und  Bussen  zu  ermässigen, 
umzuwandeln  oder  ganz  oder  theilweise  zu  erlassen1). 

„Und  so  sprechen,  verkündigen,  verordnen,  befehlen, 
verurtheilen  und  behalten  wir  uns  vor,  in  dieser  und  in  jeder 
andern  bessern  Weise  und  Form,  wie  wir  von  Rechtswegen 
können  und  müssen. 

„IIa  pronunciamus  nos  Cardinales  infra  scripti.  F.  Car- 
dinalis de  Asculo.  G.  Cardinalis  Bentivolus.  Fr.  Cardinalis 
de  Cremona.  Fr.  Antonius  Cardinalis  S.  Honuphrii.  B.  Car- 
dinalis Gypsius.  F.,  Cardinalis  Verospius.  M.  Cardinalis 
Ginettus." 

Sofort  verlas  Galilei  —  in  italienischer  Sprache2)  — 
folgende  Abschwörungsformel: 

„Ich,  Galileo  Galilei,  Sohn  des  verstorbenen  Vincenzo 
Galilei  aus  Florenz,  siebenzig  Jahre  alt,  persönlich  vor  Ge- 
richt gestellt  und  knieend  vor  Eueren  Eminenzen,  den  Hoch- 
würdigsten Herren  Cardinälen  General-Inquisitoren  gegen  die 
ketzerische  Bosheit  in  der  ganzen  christlichen  Welt,  vor 
meinen  Augen  habend  die  hochheiligen  Evangelien,  die  ich 
mit    meinen  Händen   berühre,  schwöre,    dass  ich  immer  ge- 


i)  Diese  Formel  wurde  in  den  Urtheilen  der  Römischen  (nicht  der 
spanischen;  Inquisition  beigefügt,  weil  sie,  im  Unterschiede  von  anderen  Ge- 
richtshöfen, das  Recht  hatte,  die  Strafen  zu  mildern  und  nachzulassen.  Carena 
p.  417  b.     Pignatelli  II,   26  a.    184  a. 

2)  S.  A.  P.  X,  No.  49.  Carena  p.  427 :  Abiuratio  fit  Lingua  et  idio- 
mate  vulgari: 


3$o  Abschwörung  Galilei's. 

glaubt  habe,  jetzt  glaube  und  mit  Gottes  Hülfe  in  Zukunft 
glauben  werde  alles,  was  die  h.  katholische  und  apostolische 
Römische  Kirche  für  wahr  hält,  predigt  und  lehrt.  Da  ich 
aber,  —  nachdem  mir  von  diesem  heiligen  Officium  der  ge- 
richtliche Befehl  verkündet  worden,  ich  müsse  die  falsche 
Meinung,  dass  die  Sonne  der  Mittelpunkt  der  Welt  und 
unbeweglich  und  die  Erde  nicht  der  Mittelpunkt  sei  und 
sich  bewege,  ganz  aufgeben  und  dürfe  diese  falsche  Lehre 
nicht  für  wahr  halten,  vertheidigen,  noch  in  irgend  welcher 
Weise  lehren,  weder  mündlich  noch  schriftlich,  und  nach- 
dem mir  eröffnet  worden,  dass  diese  Lehre  der  h.  Schrift 
widerspreche,  —  ein  Buch  geschrieben  und  in  Druck  gege- 
ben, in  welchem  ich  die  nämliche  bereits  verdammte  Lehre 
erörtere  und  mit  vieler  Bestimmtheit  Gründe  für  dieselbe 
anführe,  ohne  eine  Widerlegung  derselben  beizufügen,  — 
und  da  ich  mich  dadurch  diesem  h.  Officium  der  Ketzerei 
stark  verdächtig  gemacht  habe,  nämlich  (verdächtig),  für 
wahr  gehalten  und  geglaubt  zu  haben,  dass  die  Sonne  der 
Mittelpunkt  der  Welt  und  unbeweglich  und  die  Erde  nicht 
der  Mittelpunkt  sei  und  sich  bewege:  —  darum,  da  ich 
wünsche,  Eueren  Eminenzen  und  jedem  Christgläubigen  die- 
sen gegen  mich  mit  Recht  gefassten  starken  Verdacht  zu 
benehmen,  schwöre  ich  ab,  verfluche  und  verwünsche  ich 
mit  aufrichtigem  Herzen  und  ungeheucheltem  Glauben  be- 
sagte Irrthümer  und  Ketzereien  und  überhaupt  allen  und 
jeden  andern  der  besagten  h.  Kirche  widersprechenden 
Irrthum  und  Secte1).  Und  ich  schwöre,  dass  ich  in  Zukunft 
niemals  mehr  etwas  sagen  oder  mündlich  oder  schriftlich 
behaupten  will,  woraus  man  einen  ähnlichen  Verdacht  gegen 
mich  schöpfen  könnte,  und  dass  ich,  wenn  ich  irgend  einen 
Ketzer  oder  der  Ketzerei  Verdächtigen  kennen  lerne,  den- 
selben diesem  h.  Officium  oder  dem  Inquisitor  und  Ordina- 
rius des  Ortes,  wo  ich  mich  befinde,  denunciren  will.  Ich 
schwöre  auch  und  verspreche,  alle  Bussen  pünktlich  zu  er- 
füllen und  zu  beobachten,  welche  mir  von  diesem  h.  Officium 
aufgelegt  worden  sind  oder  aufgelegt  werden  werden.  Und 
sollte  ich,  was  Gott  verhüten  wolle,  irgend  einer  meiner 
besagten  Versprechungen,  Betheuerungen  oder  Schwüre 
zuwider  handeln,   so  unterwerfe  ich  mich  allen  Strafen  und 


i)  setta  hier  ss  sectirerische  Meinung  =  eresia. 


Abschwörung   Galilei's.  331 

Züchtigungen,  welche  durch  die  heiligen  Canones  und  an- 
dere allgemeine  und  besondere  Constitutionen  gegen  solche, 
die  sich  in  solcher  Weise  vergehen,  festgesetzt  und  promul- 
girt  worden  sind.  So  wahr  mir  Gott  helfe  und  diese  seine 
heiligen  Evangelien,  die  ich  mit  meinen  Händen  berühre. 

„Ich,  besagter  Galileo  Galilei,  habe  abgeschworen,  ge- 
schworen und  versprochen  und  mich  verpflichtet,  wie  vor- 
stehend, und  zur  Beglaubigung  habe  ich  diese  Urkunde 
meiner  Abschwörung,  die  ich  Wort  für  Wort  verlesen, 
eigenhändig  unterschrieben. 

„Rom  im  Kloster  der  Minerva  am  22.  Juni  1633. 

„Ich  Galileo  Galilei  habe  abgeschworen  wie  vorstehend, 
mit  eigener  Hand." 

M.  Cantor  hat  zuerst  darauf  hingewiesen,  dass  von  den 
zehn  Cardinälen,  die  an  der  Spitze  der  Sentenz  als  Richter 
verzeichnet  sind,  drei,  Francesco  Barberini,  Borgia  und 
Zacchia,  das  Urtheil  nicht  unterschrieben  haben1).  Er 
selbst,  Martin  und  Andere 2)  haben  vermuthet,  sie  seien  mit 
dem  Urtheil  nicht  einverstanden  gewesen.  Der  Papst  sagte 
aber  am  18.  Juni  Niccolini3),  die  ganze  Congregation  sei 
ne?ntne  discrepante  der  Ansicht  gewesen,  Galilei  müsse  be- 
straft werden  (penitenziarlo) .  Pieralisi4)  erklärt  das  Fehlen 
der  drei  Unterschriften  in  folgender  Weise:  Borgia  stand 
um  diese  Zeit  mit  dem  Papste  und  den  meisten  Cardinälen  auf 
schlechtem  Fusse  (s.  o.  S.  226)  und  betheiligte  sich  wenig  an  den 
Sitzungen;  Zacchia  mag  aus  irgend  einem  zufälligen  Grunde 
in  der  Sitzung  gefehlt  haben;  Francesco  Barberini  nahm 
auch  sonst  an  den  Sitzungen  der  Inquisition  selten  Theil5), 
wie  es  denn  überhaupt  damals  Brauch  war,  „dass  die  Car- 
dinäle  Nepoten  (wie  später  die  Staatssecretäre)  mitunter  an 
den  Abstimmungen  nicht  Theil  nahmen,  um  grössere  Frei- 
heit in  der  Behandlung  der  öffentlichen  und  privaten,  reli- 
giösen und  politischen  Geschäfte  zu  haben".  Wenn  Martin 6) 
Urban  VIII.  zum  Vorwurfe  macht,  dass  er  das  auf  seinen  Be- 
fehl gefällte  Urtheil  selbst  nicht  unterzeichnet  und  der  Publica- 


1)  Zts.  f.  Math.  1864,  194.     Bei  Alberi  IX,  470,  wie  bei  Riccioli,  sind 
die   drei  Namen  beigefügt.     Wohlwill,  Ist  Gal.  gef.  worden?  S.   170, 

2)  Martin,  Galilee  p.   125.   133.     Gebier,  Galilei  S.  300. 

3)  IX,  444.  4)  Urbano  VIII  p.  218. 

5)  IX,  433.  6)  Galilee  p.   136;  s.  o.  S.  301. 


332  Abschwörung  Galilei's. 

tion  desselben  nicht  beigewohnt  habe,  so  ist  das  unbillig; 
es  war  nicht  Stil,  dass  der  Papst  solche  Urtheile  der  Inqui- 
sition unterschrieb  und  in  seiner  Gegenwart  publicirenliess1). 
Die  Abschwörungsformel  musste  von  dem  Abschwö- 
renden eigenhändig  geschrieben  oder  wenigstens  unter- 
schrieben werden2).  Auch  musste  über  die  Publication  der 
Sentenz  und  die  Abschwörung  von  dem  Notar  ein  Protocoll 
aufgenommen  werden3).  Dass  sich  ein  solches  Protocoll 
nicht  unter  den  Vaticanischen  Actenstücken  findet,  ist  nicht 
auffallend ;  es  gehörte  in  die  andere  Serie  von  Actenstücken, 
die  Decreta  (s.  o.  S.  4).  Es  scheint  sich  aber  auch  hier 
nicht  mehr  zu  finden,  wenigstens  hat  Gherardi  (No.  XIV) 
aus  dieser  Serie  nur  Folgendes  veröffentlicht:  Feria  IV.  die 
22.  Junii.  Galilaeus  de  Galilaeis  Flor  entin.  abiuravit  de 
vehementi  in  Congregatione  etc.  iuxta  formulam  etc.  Dass 
sich  in  der  Vaticanischen  Actensammlung  nicht  eine  Notiz 
über  den  Vorgang  vom  22.  Juni  findet,  ist  nicht  so  auffallend, 
wie  Wohlwill4)  meint.  Die  Notizen  über  die  Sitzungen  der 
Inquisition,  welche  sich  in  den  Vaticanischen  Actenstücken 
finden,  sind  nämlich  nicht  in  der  Absicht  eingeschaltet,  um 
über  die  auf  Galilei's  Process  bezüglichen  Vorgänge  einen 
vollständigen  actenmässigen  Bericht  zusammenzustellen;  in 
diesem  Falle  hätte  allerdings  der  entscheidende  Act  der 
Verkündigung  des  Urtheils,  die  Abschwörung  und  die  Frei- 
lassung des  Gefangenen  nicht  unerwähnt  bleiben  dürfen.  Die 
Notizen  beziehen  sich  vielmehr  sämmtlich  auf  solche  Mitthei- 
lungen, welche,  wahrscheinlich  von  dem  Cardinal-Secretär  der 
Inquisition,  über  die  in  den  Sitzungen  gefassten  Beschlüsse 
dem  Pater  Commissar  oder  dem  Assessor   des  h.  Officiums 


1)  Eine  scheinbare  Ausnahme  bildet  das  von  Pius  V.  allein  unter- 
schriebene Urtheil  über  den  Bischof  von  Policastro,  Nicolö  Francesco 
Missanelli,  vom  22.  Mai  1567,  bei  Gibbings,  Carnesecchi  p.  XV.  Allg.  Ztg. 
1877,  96  B.  Vgl.  Pignatelli  II,  519a:  Generales  Inquisitores  subscribunt 
sente?itias  contra  qiwscunque,  non  tarnen  contra  Episcopos,  latas,  etsi  de- 
cretum  definitivum  factum  fuerit  cora?n  Summo  Pontifice.  Ita  quoque  de- 
creta facta  coram  Pontifice  eduntur  ipsorum  nomine. 

2)  S.  A.  P.  X,  No.  49.     Carena  p.  427. 

3)  Wohlwill  S.  104.  S.  A.  p.  234.  244.  Carena  p.  427.  Beispiele 
bei  Gibbings,  Fulgentio  p.  21.  O'Farrihy  p.  19  und  Riv.  Eur.  1878,  V, 
512.  514.     S.  o.  S.   137. 

4)  S.   105;  ebenso  Scartazzini,  Riv.  Eur.  V,   244. 


Abschworung  Galilei's.  333 

oder  ihrem  Secretär  oder  Notar  darum  gemacht  wurden, 
weil  sie  von  diesen  auszuführen  waren1).  Die  Verlesung 
der  Sentenz  und  die  Abschwörung  zu  erwähnen,  hatte  also 
der  Notar  der  Inquisition,  der  diese  Notizen  machte,  keine 
Veranlassung,  ebenso  wenig  die  am  23.  Juni  Galilei  ertheilte 
Erlaubniss,  sich  in  den  Gesandtschaftspalast  zu  begeben, 
wohl  aber  die  ihm  am  30.  ertheilte  Erlaubniss,  nach  Siena 
zu  reisen,  da  diese  Erlaubniss  nur  unter  Bedingungen  er- 
theilt  wurde,  die  ihm  der  Commissar  vor  Notar  und  Zeugen 
mitzutheilen  hatte,  sowie  den  Beschluss  der  Inquisition, 
Abschriften  der  Sentenz  nach  auswärts  zu  versenden2). 

In  der  Regel  wurden  die  der  Ketzerei  stark  Verdäch- 
tigen nach  der  Abschwörung  auch  förmlich  von  der  Excom- 
munication  bedingungsweise  oder  zur  Vorsicht  (ad  cautelam), 
d.  h.  für  den  Fall,  dass  sie  durch  Ketzerei  derselben  ver- 
fallen sein  sollten,  absolvirt3).  Bei  Galilei  wurde,  wie  es 
scheint,  von  einer  solchen  förmlichen  Absolution  abgesehen 
und  nur  im  Urtheile  selbst  erklärt,  er  solle  unter  der  Bedin- 
gung, dass  er  abschwöre,  von  den  Censuren  und  Strafen, 
denen  er  verfallen,  losgesprochen  sein. 

Die  Abschwörungsformel  verlas  Galilei,  wie  in  der 
Einleitung  derselben  gesagt  wird  und  wie  es  bei  der  Inqui- 
sition Regel  war,  knieend.  Dass  er  dabei  nur  mit  dem 
Hemde4)  oder  mit  einem  besondern  Armensünderkleide  be- 
kleidet gewesen,  gehört  zu  den  Zügen,  mit  denen  die  Phan- 
tasie späterer  Schriftsteller  die  traurige  Scene  ausgeschmückt 
hat;  das  sog.  Habitellum  trugen  bei  der  Abschwörung 
nur  die  wegen  Häresie  Verurtheilten,  die  wegen  starken 
Verdachtes  der  Häresie  Verurtheilten  selbst  dann  nicht, 
wenn  die  Abschwör ung   öffentlich  stattfand5).  —  Auch  die 


i)  Z.  B.  S.  22:  Card.  Millinus  mihi  ordinavit,  ut  scribatur  arclüepi- 
scopo  et  Inquisitor i  Pisarum.  2)  Acten  S.   114. 

3)  Carena  p.  420b.  Das  Formular  des  betreffenden  Urtheils  im  S.  A. 
p.  241  enthält  den  Satz:  Dopo  la  quäle  abiuratione  saretno  contenti  assol- 
verti  a  cautela  della  scommunica,  nella  quäle  per  le  suddette  cose  potessi 
esser  incorso,  dann  das  Protocoll  des  Notars  p.  244  den  Satz :  Successive 
praedictus  N.  genuflexus  ubi  supra  coram  eodem  Adm.  Rev.  P.  Inquisitore 
fuit  a  Patemitate  Sua  Admodum  Reverenda  absolutus  ad  cautelam  ab  ex- 
communicatione  etc.     Aehnlich  bei  Gibbings,  Fulgentio  p.    19.   21. 

4)  Noch  Terrier,  Galilei  S.  62,  sagt:  „halbnackt". 

5)  S.  A.    P.  X,    No.   10.     Wenn   das  Habitellum  zu  tragen   war,   wird 


334  „Sie  bewegt  sich  doch!" 

Angabe,  Galilei  habe,  als  er  sich  nach  der  Abschwörung, 
von  den  Knieen  erhoben,  auf  den  Boden  gestampft,  mit 
den  Worten:  „E  pur  st  muove,  und  sie  bewegt  sich  doch", 
gehört  zu  dem  Legendenkreise,  mit  dem  man  Galilei  um- 
geben hat.  Der  Ursprung  dieser  Sage  lässt  sich  nur  bis 
in  die  letzten  Decennien  des  vorigen  Jahrhunderts  zurück- 
führen. Der  verstorbene  Professor  Heis  in  Münster,  der 
den  Spuren  der  Sage  eifrig  nachgegangen  ist,  hat  die  älte- 
ste Notiz  in  einem  1789  in  7.  Auflage  in  Caen  erschienenen 
„Dictionnaire  historique"  gefunden:  Au  moment  qu'il  se  re- 
leva,  agite  par  le  remord  d'avoir  fait  un  faux  serment,  les 
yeux  baisses  vers  la  terre,  on  pretend  qu'il  du  en  la  frap- 
pant du  pied:  E  pur  st  muove.  Ohne  071  pretend  erzählt 
dann  die  Geschichte  der  Ex- Jesuit  Feller  in  der  2.  Auflage 
seines  „Dictionnaire  historique"  17971).  Wie  Grisar  S.  124 
mittheilt,  steht  aber  schon  in  dem  1774  in  Würzburg  er- 
schienenen „Lehrbuch  der  philosophischen  Geschichte"  von 
Fr.  N.  Steinacher  S.  336:  „Die  Abbitte  des  Galilei  war 
weder  ernstlich  noch  standhaft  genug;  denn  in  dem  Augen- 
blicke, da  er  wieder  aufstand  und  sein  Gewissen  ihm  sagte, 
dass  er  falsch  geschworen  habe,  schlug  er  die  Augen  nieder, 
stampfte  mit  dem  Fusse  und  sagte :  E  pur  st  muove,  sie  be- 
wegt sich  doch"2). 

Was  Galilei  gedacht,  als  er  diese  geistige  Tortur 
überstanden,  lässt  sich  ja  wohl  vermuthen,  und  was  er  em- 
pfunden, kann  man  sich  leicht  vorstellen.  Aber  wenn  er 
seine  Gedanken  und  Empfindungen  hätte  laut  werden  lassen, 
so  hätte  er  leicht  das  werden  können,  was  er  nicht  gewor- 


es  im  Urtheil  gesagt;  Gibbings,  Minorite  Friar  p.  14.  Allg.  Ztg.  1877, 
135  B.  Das  Habitellum  (italienisch  Abitello,  in  Spanien  Sambenito,  s.  Reusch, 
Luis  de  Leon  S.  35)  war  vestitus  poenitentiae  duplici  cruce  signatus ;  Ey- 
mericus-Pegna  p.  498.  Pignatelli  II,  201b.  202b.  Hier  findet  sich  die  Be- 
stimmung: der  de  vehementi  oder  de  for?nali  Abschwörende  solle  eine 
brennende  Kerze  in  der  Hand  halten.  Das  Sacro  Arsenale  erwähnt  davon 
nichts. 

1)  Natur  und  Offenbarung  1868,  S.  371. 

2)  Der  letzte  Satz  klingt  wie  eine  Uebersetzung  des  oben  französisch 
angeführten  Satzes,  vielleicht  nach  einer  altern  Auflage  des  Dictionnaire.  — 
E.  Haeckel  schreibt  noch  1878,  Vorträge  aus  dem  Gebiete  der  Entwickelungs- 
lehre  S.  33:  „Sein  stolzes  Wort:  .»Sie  bewegt  sich  doch!«  unmittelbar  nach 
der  Abschwörungsformel  gesprochen",  u.  s.  w. 


„Und  sie  bewegt  sich  doch!"  335 

den  ist,  ein  Märtyrer  seiner  wissenschaftlichen  Ueber- 
zeugungen.  Im  sechszehnten  Jahrhundert  ist  mehr  als  Ein 
bedeutender  Mann  wegen  seiner  religiösen  Ueb  er  Zeugungen 
von  der  Römischen  Inquisition  zum  Tode  verurtheilt  worden. 
Noch  bei  Galilei's  Lebzeiten  wurden  am  17.  Febr.  1600 
Giordano  Bruno,  am  5.  Juli  16 10  Fra  Fulgenzio  Manfredi  auf 
dem  Campo  di  Fiore  verbrannt,  noch  unter  Urban  VIII. 
am  21.  Dec.  1624  der  Erzbischof  Marcantonio  de  Dominis, 
nachdem  er  in  seinem  Gefängnisse  in  der  Engelsburg  ge- 
storben war1),  in  effigie  verbrannt.  Einen  Mann  wie  Ga- 
lilei zur  „Auslieferung  an  den  weltlichen  Arm",  d.  h.  zum 
Feuertode  zu  verurtheilen,  würde  Urban  VIII.  freilich  wohl 
Bedenken  getragen  haben;  aber  lebenslängliche  Haft  würde 
wohl  sicher  sein  Loos  gewesen  sein,  wenn  er  sich  dem 
Spruche  der  Inquisition  nicht  unterworfen  hätte.  Dass  er 
sich  demselben  mit  Verleugnung  seiner  Ueberzeugung 
unterworfen,  dass  er  sich  bei  seiner  eidlichen  Vernehmung 
in  den  Verhören  so  wenig  aufrichtig  und  wahrheitsliebend 
gezeigt,  und  dass  er  schliesslich  —  gewiss  nicht  „mit  auf- 
richtigem Herzen  und  ungeheucheltem  Glauben"  —  die 
Copernicanische  Lehre  feierlich  abgeschworen,  verflucht  und 
verwünscht  hat,  das  werden  wir,  eine  so  schwere  Verschul- 
dung es  auch,  objectiv  betrachtet,  sein  mag,  unter  diesen 
Umständen  bei  einem  siebenzigj ährigen  Greise  milde  beur- 
theilen  müssen.  Der  Unwille  aber,  welchen  das  Verhalten 
seiner  Gegner  erweckt,  muss  noch  gesteigert  werden,  wenn 
wir  die  Behandlung  betrachten,  welche  sie  Galilei,  nachdem 
und  trotzdem  er  sich  so  tief  verdemüthigt  hatte,  zu  Theil 
werden  Hessen. 

Ehe  ich  diese  Behandlung  schildere,  muss  ich  aber 
zunächst  einige  Punkte  des  Processes  etwas  ausführlicher 
besprechen. 


1)  VIII,  214. 


336  Das  Vergehen  Galilei's. 


XXIX. 
Das  Yergehen  Galilei's. 

Galilei  hatte  sich  durch  die  Verteidigung  der  Coper- 
nicanischen  Lehre  in  den  Augen  der  Inquisition  der  Ketzerei 
verdächtig  gemacht.  Das  ergibt  sich  augenscheinlich  aus 
dem  Wortlaute  des  Urtheils  und  der  Abschwörung.  Folgt 
daraus,  dass  die  Inquisition  die  Copernicanische  Lehre  als 
eine  Ketzerei  angesehen  hat  und  von  allen  Katholiken  als 
eine  Ketzerei  angesehen  wissen  wollte?  Diese  Folgerung 
scheint  ganz  natürlich  zu  sein;  sie  wird  aber  von  P.  Grisar 
und  Anderen  bestritten. 

Die  Qualificatoren  der  Inquisition  hatten  im  J.  1616 
wenigstens  den  einen  Theil  der  Copernicanischen  Lehre,  den 
Satz,  dass  die  Sonne  der  Mittelpunkt  der  Welt  und  unbe- 
weglich sei,  als  ,, formell  häretisch"  bezeichnet;  in  dem  In- 
dex-Decrete  vom  5.  März  16 16  wird  aber  die  Copernicani- 
sche Lehre  nur  als  „falsch  und  der  h.  Schrift  durchaus 
widersprechend"  bezeichnet.  Es  ist  früher  schon  bemerkt 
worden  (S.  119),  dass  aus  dem  Gebrauche  dieses  letztern 
Ausdrucks  nicht  zu  folgern  sei,  die  Inquisition  und  die  In- 
dex-Congregation  hätten  den  von  den  Qualificatoren  ge- 
brauchten Ausdruck  nicht  für  den  richtigen  gehalten,  dass 
vielmehr  allem  Anscheine  nach  die  beiden  Congregationen 
das  Urtheil  der  Qualificatoren  zu  dem  ihrigen  gemacht.  Da 
aber  der  Wortlaut  des  Urtheils  der  Qualificatoren  im  J. 
16 16  nicht  publicirt  wurde,  so  war  damals  die  Coperni- 
canische Lehre  nicht  mit  ausdrücklichen  Worten  als  „ketze- 
risch", sondern  nur  als  „falsch  und  der  h.  Schrift  durchaus 
widersprechend"  bezeichnet  worden.  Wenn  also  in  dem 
Urtheil  vom  22.  Juni  1633  das  Gutachten  der  Qualificatoren 
und  das  Index-Decret  zwar  beide  mitgetheilt  werden,  dann 
aber  „gerade  an  jener  Stelle,  wo  es  darauf  ankam,  die  von 
der  (Index-) Congregation  ausgesprochene  Censur  mit  aller 
Schärfe  und  Genauigkeit  hervortreten  zu  lassen,  nicht  die 
Qualifikation   «häretisch«,    sondern   die  Qualifikation  »falsch 


Die  Cop.  Lehre  ketzerisch.  337 

und  der  h.  Schrift  widersprechend«  angeführt  wird"  (Grisar 
S.  700),  so  ist  das  ganz  natürlich.  Nur  letztere  Qualifikation 
war  imj.  16 16  publicirt,  und  darum  konnte,  wenn  man  sich 
genau  ausdrücken  wollte,  von  Galilei  auch  nur  gesagt  wer- 
den, er  habe  sich  verdächtig  gemacht,  eine  ,, falsche  und 
der  h.  Schrift  widersprechende"  Lehre  geglaubt  zu  haben; 
denn  als  „häretisch"  war  sie  weder  ihm  persönlich  gegen- 
über noch  in  dem  veröffentlichten  Decrete  bezeichnet  wor- 
den. Dass  die  Inquisition  die  Lehre  nicht  als  häretisch  an- 
gesehen, darf  daraus  nicht  gefolgert  werden. 

Wenn  aber  die  Copernicanische  Lehre  amtlich  als 
,, falsch  und  der  h.  Schrift  durchaus  widersprechend"  be- 
zeichnet war,  war  sie  damit  nicht  indirect  als  eine  ketzeri- 
sche verworfen  ?  oder  mit  anderen  Worten :  kann  nach 
Römischer  Anschauung  eine  Lehre  „der  h.  Schrift  durch- 
aus widersprechend,  und  doch  nicht  „ketzerisch"  sein? 

„Ketzerisch"  ist  nach  dem  Sprachgebrauche  der  Curie 
ein  Satz,  I  welcher  einer  ausdrücklichen  Offenbarungswahr- 
heit widerspricht1).  Nun  ist  allerdings  die  h.  Schrift  die 
Urkunde  der  göttlichen  Offenbarungen,  aber  nicht  alle  Aus- 
sprüche der  h.  Schrift  sind  Offenbarungswahrheiten.  „Ist 
auch  die  ganze  h.  Schrift",  —  sagt  Reinerding  (S.  427),  und 
ähnlich  äussern  sich  Grisar  u.  A.,  —  „weil  durch  die  Inspi- 
ration des  h.  Geistes  zu  Stande  gekommen,  als  Wort  Gottes 
im  weitern  Sinne  des  Ausdrucks  zu  betrachten,  so  ist  doch 
nicht  ihr  ganzer  Inhalt  geoffenbart.  Man  kann  daher  in 
Wahrheit  sagen,  dass  sie  die  göttliche  Offenbarung  enthalte, 
ohne  in  allen  ihren  Theilen  göttliche  Offenbarung  zu  sein. 
Daraus,  dass  einiges  in  der  h.  Schrift  nicht  göttliche  Offen- 
barung ist,  folgt  nun  zwar  nicht,  dass  man  einiges  in  ihr  als 
unwahr  betrachten  könne;  denn  das  gestattet  die  göttliche 
Inspiration,  aus  welcher  alles  geschrieben  ist,  nicht;  es  folgt 
jedoch,  dass  nicht  alles  zur  Hinterlage  des  Glaubens  oder 
zur  geoffenbarten  Glaubens-  und  Sittenlehre  gehört."  Diese 
Unterscheidung  macht  auch  der  Cardinal  Bellarmin,  wenn 
er  in  seinem  Briefe  an  Foscarini  (s.  o.  S.  63)  sagt:  es  gebe 
in   der  h.  Schrift  Sätze,    welche  Glaubenssache    ratione    ob- 


i)  Propositio  haeretica  est  illa,  quae  negat,  quod  in  se  et  expresse 
est  a  Deo  revelatum,  vel  quae  aperte  alicui  catholicae  veritati  de  fide  defi- 
nitae  contraria  est.     Pignatelli   I,  99  b. 

Reu  seh,  Galilei.  22 


338  Die  Cop.  Lehre  ketzerisch. 

iecti  seien,  wie  z.  B.  dass  Christus  von  einer  Jungfrau  ge- 
boren worden,  und  andere,  welche  Glaubenssache  rattone 
dicentis  sei,  wie  z.  B.  dass  Abraham  zwei  und  Jakob  zwölf 
Söhne  gehabt.  Es  wird  nun  allerdings  jetzt  Niemand  bezwei- 
feln, dass  die  h.  Schrift  keine  göttliche  Offenbarung  über 
das  Stillstehen  oder  die  Bewegung  der  Sonne  und  der  Erde 
enthält,  und  es  ist  möglich,  dass  auch  die  Inquisition  zur 
Zeit  Galilei's  wenigstens  dieses  angenommen,  dass  die  Coper- 
nicanische  Lehre  nicht  einer  in  der  Bibel  enthaltenen  Offen- 
barungswahrheit widerspreche,  sondern  ,,nur  deshalb  im 
Widerspruche  mit  dem  Glauben  stehe,  weil  damit  etwas, 
das  in  der  h.  Schrift  enthalten  sei,  geleugnet  werde,  dass 
also  der  Widerspruch  der  genannten  Lehre  mit  dem  Glau- 
ben in  der  (indirecten)  Leugnung  des  Dogma's  von  der  In- 
spiration bestehe" *).  Dass  aber  auf  Grund  dieser  Distinction 
die  Inquisition  im  J.  1616  das  von  den  Qualificatoren  bean- 
tragte Prädicat  „ketzerisch"  förmlich  abgelehnt  und  als 
eine  zu  weit  gehende  Censur  angesehen  habe,  wie  Grisar 
S.  702  meint,  ist  nicht  anzunehmen.  Bellarmin,  auf  dessen 
Brief  an  Foscarini  sich  Grisar  hier  beruft,  sagt  darin,  — 
gerade  diese  Stelle  wird  freilich  von  Grisar  weder  S.  97 
noch  S.  702  genau  angeführt  — :  „Auch  derjenige,  welcher 
sagen  wollte,  Abraham  habe  nicht  zwei  und  Jakob  nicht 
zwölf  Söhne  gehabt  [also  auch  derjenige,  welcher  sagen 
wollte,  die  Sonne  stehe  still  u.  s.  w.],  würde  ebenso  wohl  ein 
Häretiker  sein  wie  der,  welcher  sagt,  Christus  sei  nicht  von 
einer  Jungfrau  geboren,  da  das  Eine  und  das  Andere  der 
h.  Geist  sagt  durch  den  Mund  der  Propheten  und  Apostel." 
Und  Carena2)  sagt  ausdrücklich:  „Ob  das  ein  ketzerischer 
Satz  sein  würde,  wenn  Jemand  etwas  behauptete,  was  mit 
einem  Ausspruche  der  h.  Schrift  in  Widerspruch  steht, 
z.  B.  der  Hund  des  Tobias  habe  keinen  Schwanz  gehabt, 
[was  der  Stelle  Tob.  11,  9  Vulg.  widersprechen  würde],  — 
das  haben  Einige  bezweifelt;  aber  unzweifelhaft  ist  ein 
solcher  Satz  ketzerisch."  Jedenfalls  hat  die  Inquisition 
wie  Bellarmin,  wenn  nicht  den  Satz:  die  Sonne  steht  still, 
für  einen   an   sich   ketzerischen  Satz,    doch  denjenigen,   der 


1)  Hist.-pol.  Bl.  56.  Bd.  S.  429. 

2)  p.   293  b.     Ausführlich    wird    dieses    begründet    von    Pignatelli    II, 
98  —  100. 


Die  Cop.  Lehre  ketzerisch.  339 

diesen  Satz  behauptete,  für  einen  Ketzer  gehalten,  und 
demgemäss  Galilei,  weil  er  verdächtig  geworden,  jenen  Satz 
für  wahr  gehalten  zu  haben,  als  der  Ketzerei  verdächtig 
verurtheilt. 

Jedenfalls  ist  die  Ansicht  von  Grisar  S.  704  unrichtig: 
die  Inquisition  habe  die  Copernicanische  Lehre  nur  als  eine 
„temeräre"  oder,  was  dasselbe  sei,  als  eine  ,, nicht  hinläng- 
lich sichere"  Meinung  (fiarum  tüta)  angesehen.  Eine  „teme- 
räre Proposition"  ist  nach  dem  von  Grisar  citirten  Bordoni, 
der  als  Inquisitions-Consultor  zu  Parma  1648  ein  Werk  über 
den  Geschäftsgang  der  Inquisition  schrieb,  ein  Satz,  welcher 
„autorisirte  Propositionen  leugnet",  was  Grisar  etwas  um- 
ständlich umschreibt:  ein  Satz,  der  „Ansichten  zuwider  ist, 
welche,  sei  es  durch  die  gemeinsame  Annahme,  sei  es  durch 
befugte  Aussprüche  der  Autorität  eine  gewisse  Sanction, 
jedoch  ohne  den  Stempel  geoffenbarter  oder  peremtorischer 
Wahrheit  erhalten  haben."  Sonst  wird  kürzer  und  klarer 
sententia  temeraria  defmirt  als  ein  Satz,  welcher  der  allge- 
meinen und  wohl  begründeten  Ansicht  der  Theologen  wider- 
spricht1). Als  bloss  temerär  konnte  jedenfalls  im  J.  1633 
von  der  Inquisition  die  Copernicanische  Meinung  nicht  mehr 
angesehen  werden,  nachdem  sie  auf  Grund  eines  Beschlusses 
der  Inquisition  selbst  oder,  wie  Bellarmin  sagt,  -auf  Grund 
einer  Erklärung  des  Papstes  durch  ein  Decret  der  Index- 
Congregation  als  falsch  und  der  h.  Schrift  durchaus  wider- 
sprechend bezeichnet  worden  war :  eine  in  dieser  Weise  als 
„der  Bibel  widersprechend  verdammte  und  definirte"  Mei- 
nung,  wie   es   in  dem  Urtheil  heisst,    widersprach   offenbar 


i)  Pignatelli,  II,  102:  lila  est  propositio  temeraria,  quae  in  rebus  ad 
fidem  vel  ad  bonos  mores  pertinentibus  sine  ratione  procedit  et  omni  pror- 
sus  caret  authoritate,  ac  illa,  quae  nulla  sufficienti  ratione  vel  authoritate 
fulta  communi  doctorum  sensui  vel  approbatae  historiae  adversatur  (er 
fügt  sogar  bei:  vel  quae  pugnat  cum  aliquo  decreto  celebris  Universitatis). 
Ebenso  Heinrich,  Dogmat.  Theol.  II,  615,  „Temerär  ...  ist  eine  die  Reli- 
gion berührende  Behauptung,  welche,  ohne  mit  einem  Glaubenssatz  oder  einer 
gewissen  theologischen  Conclusion  in  Widerspruch  zu  stehen  und  somit  eine 
sententia  haeretica  oder  erronea  zu  sein,  ohne  stichhaltige  Gründe  gegen 
eine  allgemeine  und  wohl  begründete  Lehre  der  Theologen  oder  eine  fromme 
Ueberzeugung  der  Gläubigen  oder  eine  allgemeine,  von  der  Kirche  gebilligte 
religiöse  Uebung  verstösst."  Aehnlich  Scheeben,  Dogmatik  I,  199,  Franze- 
lin,  De  traditione  p.   124,  Denzinger,  Enchiridion  p.  VII  u.  A. 


34°  Die  Cop.  Lehre  ketzerisch. 

nicht  mehr  bloss  einer  „allgemeinen  und  wohl  begründeten 
Ansicht  der  Theologen". 

Es  ist  freilich  unzweifelhaft,  was  Grisar  S.  713  aus- 
führlich nachweist,  dass  die  Inquisition  nicht  bloss  gegen 
solche  vorging,  welche  „offen  häretische  Propositionen  vor- 
trugen", sondern  auch  gegen  solche,  welche  „als  temerär 
mit  Grund  geltende  Meinungen  vertraten",  ja  auch  gegen 
solche,  „welche  Zauberei,  Wahrsagerei  oder  Astrologie 
trieben,  welche  vorsätzlich  der  Inquisition  ihre  Amtshand- 
lungen unmöglich  machten"  u.  s.  w.  und  dadurch  den  „juristi- 
schen Verdacht  der  Häresie"  begründeten.  Aber  daraus 
folgt  doch  nur,  dass  nicht  schon  darum,  weil  die  Inquisition 
einen  Process  gegen  Jemand  einleitete,  angenommen  werden 
muss,  derselbe  sei  verdächtig  gewesen,  „häretische  Propo- 
sitionen vorgetragen  zu  haben".  Ob  dieses  oder  eines  der 
anderen  Vergehen  Gegenstand  der  Anklage  war,  muss  in 
jedem  einzelnen  Falle  aus  den  Processacten  und  namentlich 
aus  dem  Urtheil  entnommen  werden.  Nun  spricht  schon 
die  Thatsache,  dass  Galilei  zu  einer  Abschwörung  angehal- 
ten wurde,  gegen  die  Annahme,  dass  er  wegen  „temerärer 
Meinungen"  verurtheilt  worden  sei;  denn  in  diesem  Falle 
pflegte  die  Inquisition  sich  mit  einem  Widerruf  zu  begnügen1). 
Ganz  deutlich  aber  ergibt  sich,  wie  die  Inquisition  im 
J.  1633  die  Copernicanische  Lehre  beurtheilt  hat,  aus  dem 
Wortlaute  des  am  22.  Juni  verkündeten  Urtheils  und  der 
Abschwörungsformel.  In  ersterm  wird  erklärt:  Galilei  habe 
sich  der  Ketzerei  verdächtig  gemacht,  nämlich  (verdächtig), 
die  falsche  und  der  h.  Schrift  widersprechende  Lehre,  die 
Sonne  sei  der  Mittelpunkt  der  Welt  .  .  .,  geglaubt  und  für 
wahr  gehalten  zu  haben  und  (geglaubt  und  für  wahr  gehal- 
ten zu  haben),  es  dürfe  eine  Meinung,  auch  nachdem  sie  als 
der  h.  Schrift  widersprechend  erklärt  und  definirt  worden, 
als  wahrscheinlich  festgehalten  und  vertheidigt  werden,  und 


i)  Carena  p.  297  a:  Quo  vero  ad  assertores  propositionum  temer  aria- 
rum,  scandalosarum  .  .  .  dicendum  est,  quod,  ex  quo  non  possunt  cogi  ad 
abiurandum,  sunt  saltem  cogendi  ad  revocandum  dictas  propositiones  et  ad 
error em  suum  detestandum.  Pignatelli  II,  7a:  Admittimus,  etiam  proferen- 
tes  propositiones  haeresim  sapientes  (das  ist  nach  Grisar  S.  704  noch  stärker 
als  temerarias),  scandalosas  et  male  sonantes,  piarum  aurium  offensivas 
subiici  Sacro  Tribunali  iuxta  gradum  earum  corrigendos  absque  abiura- 
tione;  coguntur  tarnen  illas  retractare  vel  declarare. 


Die  Cop.  Lehre  ketzerisch.  341 

es  wird  dann  bestimmt,  Galilei  müsse  „die  oben  besagten 
Irrthümer  und  Ketzereien*'  abschwören.  In  der  Abschwörung 
bekennt  Galilei:  *er  habe  sich  der  Ketzerei  verdächtig  ge- 
macht, nämlich  (verdächtig),  für  wahr  gehalten  und  geglaubt 
zu  haben,  dass  die  Sonne  der  Mittelpunkt  der  Welt  und  un- 
beweglich und  die  Erde  nicht  der  Mittelpunkt  sei  und  sich 
bewege,  und  er  schwört  dann  ab  ,,die  besagten  Irrthümer 
und  Ketzereien".  Ich  denke,  deutlicher  kann  die  Coperni- 
canische  Lehre  nicht  als  Irrthum  und  Ketzerei  bezeichnet 
werden. 

Es  müssen  aber  noch  einige  Missverständnisse  be- 
sprochen werden,  zu  welchen  eben  diese  Stellen  Anlass 
gegeben  haben. 

1.  Der  Anfang  der  aus  dem  Urtheil  angeführten  Stelle 
lautet  im  Original:  .  .  .  ti  sei  reso  veemente  sospetto  d'eresia, 
cioZ  d'aver  creduto  e  tenuto  dottrina  falsa  e  contraria  alle 
sacre  e  divine  scritture  che  il  sole  sia  centro  del  mondo  etc. 
Das  darf,  wie  Wohlwill  (S.  31.  175)  ganz  richtig  bemerkt, 
nicht  mit  Parchappe  u.  A. !)  so  gedeutet  werden,  als  habe 
sich  Galilei  durch  seinen  Glauben  an  die  Bewegung  der 
Erde  u.  s.  w.  der  Ketzerei  verdächtig  gemacht.  Hätte  man 
ihn  dieses  Glaubens  überführt  erachtet,  so  würde  man 
ihn  nicht  als  der  Ketzerei  verdächtig,  sondern  als  der 
Ketzerei  schuldig  behandelt  haben.  Die  Stelle  der  Sentenz 
besagt  vielmehr:  es  liege  ein  starker  Verdacht  vor,  dass 
Galilei  die  Lehre  von  der  Bewegung  der  Erde  u.  s.  w.  für 
wahr  gehalten,  und  da  diese  Lehre  falsch  und  schriftwidrig 
sei,  auch  ein  starker  Verdacht,  dass  er  eine  ketzerische 
Meinung,  nämlich  eben  die  angeführte,  für  wahr  gehalten. 
Durch  die  auf  cioe  folgenden  Worte  wird  die  Ketzerei, 
deren  Galilei  verdächtig  war,  näher  bestimmt2). 


i)  Martin,  de  l'Epinois,  Frohschammer.  Dieser  übersetzt,  Das  Christen- 
thum  S.  48 :  „dass  du  .  .  .  dich  der  Häresie  verdächtig  gemacht  hast,  inso- 
fern du  eine  falsche,  den  heiligen  und  göttlichen  Schriften  widersprechende 
Lehre  geglaubt  und  aufrecht  erhalten  hast"  u.   s.  w. 

2)  Bei  Parchappe  schliesst  sich  an  dieses  eine  Missverständniss  noch 
ein  schlimmeres  an:  er  meint  (Galilee  p.  246),  Galilei  habe  bei  dem  „pein- 
lichen Verhöre"  am  16.  Juni  eingestanden,  dass  er  die  Copernicanische 
Lehre  wirklich  für  wahr  gehalten,  —  das  bedeute  der  Ausdruck  in  der 
Sentenz:  er  habe  „katholisch  geantwortet";  —  er  sei  also  als  eingestandener 
Ketzer  verdammt,  aber  unter  der  Bedingung,  dass  er  abschwöre,  sei  ihm  die 


342  Nicht   zwei  Anklagepunkte. 

2.  Wohlwill  sagt  S.  97:  „Galilei  war  nach  dem  Wort- 
laute der  Sentenz  stark  verdächtig,  geglaubt  zu  haben: 
1.  dass  die  Sonne  das  Centrum  der  Welt  ist  und  sich  nicht 
von  Osten  nach  Westen  bewegt,  und  dass  die  Erde  sich 
bewegt  und  nicht  das  Centrum  der  Welt  ist;  2.  dass  man 
eine  Meinung  für  wahrscheinlich  halten  und  als  solche  ver- 
theidigen  könne,  nachdem  sie  als  der  h.  Schrift  widerspre- 
chend erklärt  und  definirt  ist.  Von  diesem  zweiten  Ver- 
dachtspunkte, der  in  einer  Anklage  wegen  Ketzerei  dem 
ersten  wahrlich  nicht  untergeordnet  erscheinen  konnte,  ist 
in  dem  letzten  Verhöre  (vom  21.  Juni)  so  wenig  wie  in 
einem  der  früheren  die  Rede.  Dass  man  es  für  überflüssig 
gehalten  haben  sollte,  den  Angeklagten  über  eine  ketzerische 
Meinung  ausdrücklich  zu  befragen,  deren  man  ihn  verdäch- 
tig glaubte,  muss  den  Gewohnheiten  der  Inquisition  gegen- 
über als  unwahrscheinlich  angesehen  werden. "  Das  ist  einer 
der  Gründe,  weshalb  Wohlwill  das  Protocoll  über  das  Ver- 
hör vom  21.  Juni,  wie  es  sich  in  den  Processacten  findet, 
für  unvollständig  hält.  Er  fügt  bei:  „Auffälliger  Weise 
wird  auch  in  der  Abschwörungsformel  von  den  beiden 
Punkten  nur  der  erste  hervorgehoben.  Man  erklärt  demnach 
Galilei  durch  das  Urtheil  für  verdächtig,  geglaubt  zu  haben, 
dass  eine  schriftwidrige  Meinung  sich  als  wahrscheinlich 
betrachten  lasse,  man  verurtheilt  ihn  ausdrücklich,  diese 
Meinung  abzuschwören,  und  dennoch  findet  eine  Abschwö- 
rung dieser  besondern  Ketzerei  nicht  statt,  —  ein  Wider- 
spruch, den  man  schwerlich  ohne  die  Annahme  einer  Nach- 
lässigkeit bei  der  Abfassung,  sei  es  der  Sentenz,  sei  es  der 
Abschwörungsformel  erklären  kann." 

Diese  ganze  Argumentation  beruht  auf  einem  Miss- 
verständnisse. Die  beiden  von  Wohlwill  angegebenen 
Punkte  werden  allerdings  neben  einander  in  der  Sentenz  er- 
wähnt (s.  o.  S.  328),  aber  nicht  mit  „erstens"  und  „zweitens" 
unterschieden.  Sie  bilden  auch  nur  Einen  Anklagepunkt. 
Die  in  dem  ersten  Punkte  erwähnte  Meinung  wurde  ja  nur 
darum  als  häretisch  angesehen,  weil  sie  ,,der  h.  Schrift 
widersprechend"    war,    und   umgekehrt    wurde    der    zweite 


verdiente  Strafe,  der  Scheiterhaufen,  erlassen  worden.  Dass  die  „katholische 
Antwort",  das  Gegentheil  bedeutet,  ist  oben  S.  305  gezeigt  worden;  das 
Andere  bedarf  keiner  Widerlegung'. 


Nicht  zwei  Anklagepunkte.  343 

Punkt  nur  aus  dem  ersten  gefolgert.  Die  Anklage  konnte 
ja  gegen  Galilei  nicht  erhoben  werden,  dass  er  in  abstracto, 
theoretisch  oder  principiell  geglaubt  habe,  eine  der  h.  Schrift 
widersprechende  Meinung  könne  wahrscheinlich  sein  oder 
vertheidigt  werden  ;  er  war  nur  darum  verdächtig  geworden, 
dieses  geglaubt  zu  haben,  weil  er  die  Copernicanische  An- 
sicht, auch  nachdem  sie  für  schriftwidrig  erklärt  worden, 
wenigstens  als  probabel  dargestellt  hatte.  Darum  heisst  es 
an  einer  andern  Stelle  der  Sentenz  (S.  326)  von  dem  Dia- 
log: „Es  wurde  darin  eine  Uebertretung  des  dir  ertheilten 
Befehles  gefunden,  indem  du  in  diesem  Buche  die  früher  ver- 
dammte und  dir  ausdrücklich  als  verdammt  bezeichnete  Lehre 
vertheidigt  hast,  wiewohl  du  in  dem  besagten  Buche  durch 
verschiedene  Wendungen  die  Meinung  zu  erwecken  dich 
bemühest,  du  stelltest  sie  als  unentschieden  und  ausdrück- 
lich nur  als  probabel  hin,  —  was  aber  auch  ein  sehr  schwe- 
rer Irrthum  ist,  da  eine  Meinung,  von  welcher  erklärt 
worden  ist,  sie  widerspreche  der  h.  Schrift,  in  keiner  Weise 
probabel  sein  kann."  Darum  bekennt  denn  auch  Galilei  in 
der  Abschwörungsformel  (s.  o.  S.  330),  ganz  in  Ueberein- 
stimmung  mit  der  Sentenz :  „Nachdem  mir  eröffnet  worden, 
dass  diese  Lehre  der  h.  Schrift  widerspreche,  habe  ich  ein 
Buch  geschrieben  und  in  Druck  gegeben,  in  welchem  ich 
die  nämliche  bereits  verdammte  Lehre  erörtere  und  mit 
vieler  Bestimmtheit  Gründe  für  dieselbe  anführe,  ohne  eine 
Widerlegung  derselben  beizufügen  und  dadurch  habe  ich 
mich  der  Ketzerei  stark  verdächtig  gemacht,  nämlich  [ver- 
dächtig, die  als  der  h.  Schrift  widersprechend  verdammte 
und  darum  ketzerische  Meinung]  für  wahr  gehalten  und 
geglaubt  zu  haben,  dass  die  Sonne  der  Mittelpunkt  der 
Welt  und  unbeweglich  und  die  Erde  nicht  der  Mittelpunkt 
sei  und  sich  bewege/'  Wenn  also  von  dem  von  Wohlwill 
mit  2)  bezeichneten  Punkte  in  dem  Verhöre  vom  21.  Juni 
wie  in  den  früheren  Verhören  nicht  besonders,  nicht  getrennt 
von  dem  ersten  Punkte  die  Rede  ist,  so  braucht  darum  das 
Protocoll  nicht  unvollständig  zu  sein.  Galilei  sagt  in  dem 
Verhöre:  er  habe  früher  beide  Ansichten,  die  des  Ptole- 
mäus  und  die  des  Copernicus,  für  disputabel  gehalten,  aber 
nach  der  Entscheidung  der  Index- Congregation,  —  dass 
die  letztere  Ansicht  falsch  und  schriftwidrig  sei,  —  habe  er 
immer  die  Ptolemäische  Ansicht  für  wahr  und  unzweifelhaft 


344  Nicht  zwei  Anklagepunkte. 

gehalten.  Damit  lehnt  er  auch  den  von  Wohlwill  mit  No.  2 
bezeichneten  Verdacht  deutlich  genug  ab  1). 

3.  Auch  Grisar  S.  714  unterscheidet  %  in  dem  Urtheil 
die  beiden  Punkte  wie  Wohlwill  mit  „erstens"  und  „zwei- 
tens", und  sagt  dann:  „Ein  doppelter  Verdacht  wird  hier 
als  Gegenstand,  der  den  Verdacht  der  Häresie  bewirkt,  be- 
zeichnet; nur  der  zweite,  von  allgemeinerer  Natur,  führt  direct 
zum  Verdacht  der  Häresie,  aber  dieser  zweite  hat  den  ersten, 
besondern,  zum  Ausgangspunkte  und  zur  Grundlage".  Die 
Häresie,  meint  er  darum,  deren  Galilei  verdächtig  war,  war 
„nicht  etwa  das  Copernicanische  System,  dem  innerlich  anzu- 
hangen er  allerdings  schwer  verdächtig  war,  sondern  die  Leug- 
nung der  kirchlichen  Autorität  überhaupt."  Diese  Deutung  ist 
schon  darum  unhaltbar,  weil  in  der  Abschwörung  gerade 
das,  was  Grisar  als  den  „zweiten  Verdachtspunkt,  der  den 
Verdacht  der  Häresie  eigentlich  involvirte",  bezeichnet,  weg- 
gelassen ist.  Die  Bemerkung,  dass  dieses  geschehen  sei, 
um  die  Formel  kürzer  und  prägnanter  zu  machen  und  dass 
das,  worauf  es  eigentlich  ankam,  „aus  der  unmittelbar  vor- 
her verlesenen  Sentenz  vorausgesetzt"  sei,  ist  doch  augen- 
scheinlich nur  eine  Ausrede  der  Verlegenheit,  und  die  Be- 
merkung, dass  die  Formel:  ich  schwöre  ab  „mit  aufrichtigem 
Herzen  und  ungeheucheltem  Glauben2)  die  besagten  Irrthü- 
mer  und  Ketzereien"  u.  s.  w.,  aus  der  ständigen  Formel  für 
Abschwörungen  entlehnt  sei,  ändert  vollends  an  der  Sache 
gar  nichts.  Die  Inquisition  wird  den  Wortlaut  der  Abschwö- 
rungsformel  wohl  überlegt  haben,  und  hat  also  unzweifel- 
haft die  Copernicanische  Meinung  als  eine  ketzerische 
angesehen.  Dass  der  Gegensatz  dieser  Meinung,  „die  Be- 
wegung der  Sonne  um  die  Erde  geoffenbart  und  daher 
Dogma  des  göttlichen  Glaubens  sei",  ist  damit  allerdings, 
wie  Reinerding  S.  432  bemerkt,  nicht  ausgesprochen,  wohl 
aber,  dass  die  Bewegung  der  Sonne  um  die  Erde  eine 
ebenso  unzweifelhafte  Aussage  der  h.  Schrift  sei,    wie,  um 


1)  Ich  habe  diesen  Punkt  bereits  im  Theol.  Lit.-Bl.  1877,  510  er- 
örtert. Gebier  hat  ihn  dann  ausführlicher  in  der  Gegenwart  1878,  No.  18 
behandelt.     Aehnlich  spricht  sich  Grisar  S.   126  aus. 

2)  Grisar  S.  715  übersetzt  das  con  cuore  sincero  e  fede  non  finta 
durch  „mit  ernster  Gesinnung  und  ungeheuchelter  Aufrichtigkeit".  Der  Aus- 
druck ist  aus    1  Tim.   1,5:   de  cor  de  fiuro  et  conscientia  bona  et  fide  non  ßcta. 


Das  Vergehen  Galilei's.  345 

Bellarmins  Beispiel  beizubehalten,  dass  Jakob  zwölf  Söhne 
gehabt. 

Zum  Beweise  dafür,  dass  die  Copernicanische  Lehre 
nur  als  „temerär"  verworfen  worden  sei,  beruft  sich  Grisar 
S.  702  auch  auf  eine  früher  (S.  182)  mitgetheilte  Aeusserung 
Urbans  VIII.  im  J.  1624:  „die  h.  Kirche  habe  jene  Meinung 
nicht  als  häretisch  verdammt  und  werde  sie  nicht  als  häre- 
tisch verdammen,  sondern  nur  als  temerär;  es  sei  aber  nicht 
zu  fürchten,  dass  sie  je  Einer  als  sicher  wahr  erweisen 
sollte."  Wenn  der  Cardinal  von  Zollern,  der  Galilei  diese 
Aeusserung  berichtete,  sie  genau  wiedergegeben  hat,  so  ist 
sie  ebenso  wenig  als  eine  authentische  Erklärung  der  Ent- 
scheidung von  16 16  anzusehen  als  die  Aeusserungen,  die  der 
Papst  im  J.  1632  und  1633  Niccolini  gegenüber  that. 

Wenn  sich  Grisar  schliesslich  S.  703  auf  Aeusserungen 
von  Schriftstellern  des  17.  Jahrhunderts,  von  Tanner,  Gas- 
sendi,  Fromond  und  sogar  von  dem  anglicanischen  Bischof 
Wilkins  beruft,  welche  sagen,  die  Copernicanische  Lehre  sei 
nur  als  temerär  verworfen  worden,  so  können  diese  doch 
nicht  mehr,  vielleicht  weniger  Autorität  beanspruchen  als 
Andere,  die,  wie  Caramuel  und  Riccioli1),  ebenso  bestimmt 
sagen,  sie  sei  als  ketzerisch  verdammt  worden,  und  als  Pater 
Inchofer,  den  Grisar  freilich  nicht  citirt,  der  aber  als  einer 
der  Rathgeber  der  Inquisition  wohl  verdient  hätte  berück- 
sichtigt zu  werden.  Inchofer  aber  sagt  in  seinem  unmittel- 
bar nach  der  Verurtheilung  Galilei's  veröffentlichten  „Trac- 
tatus  syllepticus"  (s.  o.  S.  274)  p.  34  ausdrücklich:  „Es  ist 
de  fide,  dass  die  Sonne  sich  bewegt,  und  zwar  im  Kreise 
(circulartter,  um  die  Erde;  p.  46  sagt  er:  dass  die  Sonne  sich 
bewege,  sei  direct  „geoffenbart");  dass  die  Erde  still  steht,  ist 
nicht  nur  an  und  für  sich  de  fide,  sondern  auch  darum,  weil 
es  aus  einem  Satze,  der  de  fide  ist,  —  aus  dem  Satze  nämlich, 
dass  sich  die  Sonne  im  Kreise  bewegt,  —  unmittelbar  folgt 
und  virtuell  in  diesem  Satze  enthalten  ist."  Dass  die  Erde 
der  Mittelpunkt  des  Weltalls  sei,  ist  Inchofer  p.  44  so  libe- 


1)  S.  die  Stellen  bei  Bouix  p.  131.  140.  Noch  Lucius  Ferraris  ver- 
theidigt  in  seiner  1746  erschienenen  Prompta  Bibliotheca  canonica  s.  v. 
Haereticus  (in  der  Ausgabe  Venedig  1782  IV,  196)  ausführlich  gegen  einen 
Römischen  Theologen  den  Satz:  „Wenn  Jemand  heutzutage  behauptete,  die 
Erde  sei  beweglich  u.  s.  w.,  so  wäre  er  ein  Ketzer", 


34^  Das  Actenstück  vom  26.  Febr.   1616. 

ral  nur  als  einen  Satz,  der  wahrscheinlich  de  fide  sei,  zu 
bezeichnen,  weil  dieser  Satz  nur  durch  einen  Syllogismus 
aus  zwei  Prämissen,  welche  de  fide  seien,. gefolgert  werde. 
Wenn  aber  diese  Sätze  de  fide  sind,  so  sind  die  ihnen  wider- 
sprechenden Propositionen  nicht  etwa  bloss  „temerär",  son- 
dern „ketzerisch". 

Das  Vergehen,  dessen  Galilei  im  J.  1633  schuldig  er- 
klärt wurde,  war  also  "dieses:  dass  er  die  Copernicanische 
Lehre  vorgetragen,  eine  Lehre,  welche  die  Inquisition  als 
falsch  und  der  h.  Schrift  widersprechend  und  darum  als 
(objectiv)  ketzerisch  ansah,  so  dass  Jeder,  welcher  diese 
Lehre,  wissend,  dass  sie  verdammt  war,  für  wahr  hielt,  als 
Ketzer,  Jeder,  der  sie  vorgetragen,  ohne  dass  er  überführt 
war,  sie  innerlich  für.  wahr  zu  halten,  als  der  Ketzerei  ver- 
dächtig zu  verurtheilen  war. 


XXX. 

Die  Aufzeichnung  vom  26.  Febr.  1616  und  die 
Verurtheilung  Galilei's  im  J.  1633. 

Es  wurde  bereits  oben  (S.  130)  die  Ansicht  erwähnt, 
die  Verurtheilung  Galilei's  im  J.  1633  stütze  sich  wesentlich 
auf  die  —  eigens  zu  diesem  Zwecke  im  Herbst  1632  von 
seinen  Gegnern  fabricirte,  —  vom  26.  Febr.  1616  datirte 
Aufzeichnung,  nach  welcher  er  an  diesem  Tage  nicht  bloss 
von  dem  Cardinal  Bellarmin  über  die  Falschheit  und  Schrift- 
widrigkeit der  Copernicanischen  Ansicht  belehrt  und  zum 
Aufgeben  derselben  ermahnt,  sondern  ihm  auch  im  Auftrage 
des  Papstes  und  der  Inquisition  von  dem  Commissar  der 
Befehl  ertheilt  wurde,  jene  Ansicht  fortan  in  keiner  Weise, 
weder  mündlich  noch  schriftlich,  festzuhalten,  zu  lehren  oder 
zu  vertheidigen.  Eine  Reihe  von  Gründen,  welche  Wohl- 
will und  Andere  gegen  die  Echtheit  jener  Aufzeichnung 
vorgebracht,  sind  früher  geprüft  worden.  Hier  ist  noch  die 
Frage  zu  erörtern:  stützt  sich  wirklich  die  Verurtheilung 
Galilei's  im  J.  1633  wesentlich  auf  jenes  Document,  und  be- 


Das  Actenstück  vom  26.  Febr.   1616.  347 

durften  Galilei's  Gegner  desselben,  um  seine  Verurtheilung 
herbeizuführen,  hatten  sie  also  ein  Interesse  dabei,  ein 
solches  Document,  wenn  es  nicht  existirte,  zu  fabriciren? 
Ich  glaube,  diese  Frage  ist  unbedingt  zu  verneinen. 

Galilei  ist  im  J.  1633  nicht,  wenigstens  nicht  bloss  und 
nicht  einmal  hauptsächlich  darum  verurtheilt  worden,  weil 
er  das  ihm  im  J.  161 6  insinuirte  Verbot,  die  Copernicani- 
sche  Lehre  vorzutragen,  übertreten  hatte;  er  wurde,  wie 
sich  aus  der  Sentenz  ergibt,  verurtheilt,  weil  er  sich  ,,der 
Ketzerei  stark  verdächtig"  gemacht.  Als  der  Ketzerei  ver- 
dächtig musste  ihn  aber  die  Inquisition  ansehen,  wenn  fest 
stand,  dass  er  nach  dem  J.  16 16  über  die  damals  für  falsch 
und  schriftwidrig  erklärte  Lehre'  in  Ausdrücken  gesprochen, 
welche  den  Verdacht  begründeten,  dass  er  sie  nicht  für 
falsch  gehalten.  Nun  hatten  aber  die  Theologen  der  Inqui- 
sition ausführlich  nachgewiesen,  dass  er  in  dem  Dialog  die 
Copernicanische  Ansicht  lehre  und  vertheidige  und  dadurch 
den  starken  Verdacht  begründe,  dass  er  diese  Ansicht  für 
wahr  halte,  und  Galilei  selbst  hatte  in  dem  Verhöre  vom 
30.  April  eingestanden,  er  habe  sich  in  dem  Dialog  so  aus- 
gedrückt, dass  der  Leser  meinen  könne,  er  halte  jene  An- 
sicht für  wahr.  Er  konnte  auch  nicht  sagen,  er  habe  nicht 
gewusst,  dass  die  Copernicanische  Ansicht  nicht  für  wahr 
gehalten  werden  dürfe;  denn  er  selbst  bestritt  gar  nicht, 
dass  ihm  dieses  am  26.  Febr.  16 16  amtlich  eröffnet  worden 
war.  Zwischen  ihm  und  seinen  Richtern  oder  Anklägern 
war  nur  streitig,  in  welcher  Form  dieses  geschehen  sei: 
die  Inquisition  behauptete,  gestützt  auf  das  fragliche  Schrift- 
stück, es  sei  ihm  nach  der  von  ihm  nicht  bestrittenen  Er- 
öffnung des  Cardinais  Bellarmin  auch  noch  durch  den  Com- 
missar  vor  Notar  und  Zeugen  das  Praeceptum  ertheilt  wor- 
den, die  Copernicanische  Ansicht  in  keiner  Weise,  mündlich 
oder  schriftlich,  festzuhalten,  zu  lehren  oder  zu  vertheidigen. 

Das  fragliche  Schriftstück  war  natürlich  ein  gewichti- 
ges Document,  um  den  Verdacht  der  Ketzerei  gegen  Gali- 
lei zu  begründen;  aber  nothwendig  Avar  es  durchaus  nicht. 
In  der  Sentenz  heisst  es:  gerade  jenes  Zeugniss  Bellar- 
mins, worauf  sich  Galilei  zu  seiner  Vertheidigung  berufe, 
sei  für  ihn  sehr  gravirend;  denn  die  Copernicanische  Ansicht 
sei  laut  diesem  Zeugniss  Galilei  als  eine  der  Bibel  wider- 
sprechende bezeichnet  worden,   und  doch  habe   er  dieselbe 


348  Das  Actenstück  vom  26.  Febr.   16 16. 

in  seinem  Dialog  wenigstens  als  probabel  dargestellt,  da 
doch  eine  Meinung  unmöglich  probabel  sein  könne,  von  der 
erklärt  worden,  dass  sie  der  Bibel  widerspreche.  Hätte  also 
auch  das  fragliche  Schriftstück  nicht  existirt,  so  hätte  die 
Inquisition  ganz  dasselbe  Urtheil  gegen  Galilei  fällen  kön- 
nen, welches  sie  gefällt  hat;  mithin  stützt  sich  dieses  Urtheil 
nicht  wesentlich  auf  jenes  Schriftstück  und  hatten  Galilei's 
Feinde  kein  besonderes  Interesse,  dasselbe  zu  fälschen. 

Mit  dieser  Auffassung  des  Urtheils  steht  nicht  in  Wider- 
spruch die  Aeusserung,  welche  Urban  VIII.  am  18.  Juni 
Niccolini  gegenüber1)  that:  Galilei  werde  verurtheilt  wer- 
den, einige  Zeit  in  Haft  zu  bleiben,  weil  er  den  ihm  161 6 
ertheilten  Befehlen  zuwider  gehandelt.  Die  der  Ketzerei 
Verdächtigen  wurden  immer  nicht  bloss  zu  einer  Abschwö- 
rung angehalten,  —  die  nicht  als  Strafe  angesehen  wurde, 
—  sondern  auch  zu  irgend  einer  Strafe,  Geldbusse,  Ver- 
bannung, Gefangniss,  Galere,  verurtheilt2),  in  so  fern  mit 
Recht,  als  man  annahm,  dass  Niemand  ohne  irgend  welche 
Schuld  von  seiner  Seite  der  Ketzerei  verdächtig  werden 
könne.  Galilei's  Schuld  wurde  nun  in  den  Augen  der  In- 
quisition dadurch  vergrössert,  dass  er  sich  trotz  der  im  J. 
16 16  ihm  ausdrücklich  und  speciell  ertheilten  Verwarnung  der 
Zustimmung  zu  der  Copernicanischen  Lehre  verdächtig  ge- 
macht, und  darum  konnte  der  Papst  seine  Verurtheilung  zu 
Haft  mit  der  Nichtbeachtung  jener  Warnung  in  Verbindung 
bringen 3). 

Die  Sentenz  vom  22.  Juni  stützt  sich  also  nicht  wesent- 
lich auf  die  fragliche  Aufzeichnung.  Dass  auch  bei  dem  Pro- 
cess  wenigstens  von  dem  zweiten  Verhöre  an  dieselbe  nicht 
als  ein  Actenstück  von  wesentlicher  Bedeutung  behandelt 
wird,  wurde  bereits  oben  (S.  280)  angedeutet.  Etwas  anders 
scheint  die  Sache  bei  dem  ersten  Verhöre  zu  liegen.  In 
diesem  wird  nicht  nur  Galilei  über  die  Vorgänge  am  26. 
Febr.  1616  scharf  inquirirt  und  versucht,  ihn  zu  dem  Ge- 
ständnisse zu  bringen,  dass  ihm  damals  wirklich  durch 
den  Commissar    das   fragliche  Praeceptum   ertheilt   worden 


1)  IX,  444;  s.  o.  S.  302.  2)  S.  A.  P.  X,  No.  72. 

3)  Dass  in  der  fraglichen  Aeusserung  des  Papstes  „als  Galilei's  Haupt- 
schuld angeführt  werde,  dass  er  die  ihm  1616  ertheilten  Befehle  übertreten 
habe"  (Scartazzini,  Uns.  Zeit  II,  454),  ist  nicht  richtig. 


Das  Actenstück  vom  26.  Febr.   16 16.  349 

sei;  der  Commissar  fragt  ihn  auch,  ob  er  nach  dem  ihm  im 
J.  16 16  ertheilten  Befehle  eine  Erlaubniss  zur  Abfassung 
seines  Dialogs  erwirkt  und  ob  er,  als  er  die  Druck-Erlaub- 
niss  dafür  nachgesucht,  dem  Palastmeister  von  jenem  Be- 
fehle Mittheilung  gemacht.  Der  Commissar  scheint  also 
vorauszusetzen,  dass  Galilei  dazu  verpflichtet  gewesen  sei, 
und  in  seiner  —  wahrscheinlich  im  Einverständniss  mit 
dem  Commissar  verfassten  —  Verteidigungsschrift  setzt  Ga- 
lilei ausführlich  aus  einander,  er  habe  sich  nicht  für  ver- 
pflichtet gehalten,  dem  Palastmeister  von  jenem  Befehle 
Mittheilung  zu  machen,  weil  er  gemeint  habe,  jener  ihm 
speciell  ertheilte  Befehl  gehe  inhaltlich  nicht  über  das  In- 
dex-Decret  von  1616  hinaus. 

Wenn  also  auch  bei  der  Verurtheilung  Galilei's  dem 
fraglichen  Actenstüche  keine  entscheidende  Bedeutung  bei- 
gelegt wurde,  in  der  ersten  Phase  des  Inquisitionsprocesses 
scheint  mehr  Gewicht  darauf  gelegt  worden  zu  sein.  Diese 
richtige  Beobachtung  hat  Scartazzini  dazu  veranlasst,  Wohl- 
wills  Hypothese  über  die  Fälschung  des  Actenstückes  in 
folgender  Weise  zu  modificiren:  Das  Actenstück  ist  fabri- 
cirt  worden,  um  als  Mittel,  Galilei's  Verurtheilung  herbei- 
zuführen, benutzt  zu  werden;  aber  im  April  1633  gewann 
man  die  Ueberzeugung,  dass  man  dasselbe  nicht  bedürfe, 
und  darum  wurde  seitdem  kein  sonderliches  Gewicht  mehr 
darauf  gelegt1). 

Dieser  Hypothese  gegenüber  ist  die  oben  formulirte 
Frage  so  zu  fassen:  mussten  die  Gegner  Galilei's  in  den 
ersten  Monaten  nach  dem  Erscheinen  des*  Dialogs  annehmen, 
dass  sie  eines  Actenstückes  wie  das  fragliche  bedürften, 
um  seine  Verurtheilung  herbeizuführen?  Scartazzini  bejaht 
diese  Frage.  „Wenn  das  Document  vom  26.  Febr.  16 16  nicht 
vorlag,  sagt  er2),  so  mussten  sie  den  Beweis  liefern,  dass 
Galilei  die  Copernicanische  Lehre  in  dem  Dialog  festgehal- 
ten und  vertheidigt  habe.  Dieser  Beweis  ist  nun  allerdings 
durch  die  Gutachten  der  drei  Consultoren  im  April  1633 
geliefert  worden  und  war  auch  nicht  gerade  sehr  schwer 
zu  liefern.  Wäre  aber  jener  Beweis  nicht  gelungen,  oder 
wäre   es   dem  gewandten  und  gefürchteten  Dialektiker  Ga- 


1)  Uns.  Zeit  1877,  I,  506.  II,  447.     Riv.  Eur.   1878,  V,   I. 

2)  Uns.  Zeit  I,   506. 


35°  Das  Actenstück  vom  26.  Febr.   1616. 

lilei  gelungen,  seinerseits  nachzuweisen,  dass  er  die  Coper- 
nicanische  Lehre  weder  festgehalten  noch  vertheidigt  habe, 
dann  hätte  das  Actenstück  allerdings  vortreffliche  Dienste 
geleistet:  es  hätte  vollständig  genügt,  um  Galilei  zu  ver- 
derben. Beim  Beginne  des  Sturms  gegen  Galilei,  also  im 
J.  1632,  konnten  sich  seine  Feinde  um  so  weniger  darauf 
verlassen,  dass  es  gelingen  würde,  jenen  Beweis  zu  geben, 
als  sie  durch  frühere  Erfahrungen  bereits  gewitzigt  waren. 
Hatten  sie  doch  1625  den  Saggiatore,  in  welchem- eine  ver- 
steckte Vertheidigung  der  Copernicanischen  Lehre  ohne 
alle  Mühe  gefunden  werden  kann,  vergeblich  beim  Römischen 
Inquisitionstribunal  denuncirt  [s.  o.  S.  169];  dies  mal  nun  woll- 
ten sie  sicherer  fahren.  Konnten  sie  auch  im  Dialag  keine 
Vertheidigung  der  Copernicanischen  Lehre  nachweisen,  so 
mussten  sie  ein  anderes  Mittel  in  den  Händen  haben,  um 
unter  allen  Umständen  Galilei  zu  verderben.  Ein  solches 
Mittel  war  eben  das  Document  vom  26.  Febr.  16 16.  Darum 
wurde  dasselbe  —  gefunden." 

Die  mit  dem  Saggiatore  gemachte  Erfahrung  brauchte 
Galilei's  Feinde  nicht  besorgt  zu  machen:  im  Dialog  wird 
die  Copernicanische  Lehre  viel  weniger  „versteckt"  verthei- 
digt als  im  Saggiatore.  Das  war  so  leicht  nachzuweisen, 
dass  man  gar  nicht  zu  fürchten  brauchte,  der  Beweis  werde 
nicht  gelingen  oder  Galilei  einen  Gegenbeweis  führen  kön- 
nen. Urban  VIII.  äusserte  sich,  wie  wir  gesehen,  schon  in 
den  ersten  Tagen  des  September  über  den  Inhalt  des  Dia- 
logs in  solchen  Ausdrücken,  dass  Galilei's  Feinde  gar  nicht 
besorgt  zu  sein  brauchten,  ob  es  ihnen  gelingen  werde, 
einen  genügenden,  wenigstens,  worauf  es  ankam,  einen  für 
den  Papst  genügenden  Beweis  zu  liefern,  dass  Galilei  eine 
falsche  und  schriftwidrige  Lehre  vorgetragen.  Diesen  Be- 
weis lieferten  auch  nicht  erst  im  April  die  Consultoren; 
Oregio  hatte,  wie  wir  gesehen,  schon  früher  diesen  Beweis 
geliefert,  und  wenn  Inchofer  das  Gutachten,  welches  wir  von 
ihm  haben,  nicht  auch  schon  als  Mitglied  der  Special- Con- 
gregation  im  August  oder  September  1632  geschrieben 
haben  sollte,  so  hätte  er,  wenn  es  verlangt  wurde,  ohne 
alle  Mühe  damals  ein  gleiches  schreiben  können.  In  der 
Special-Congregation  wurde,  wie  wir  gesehen  haben,  bereits 
ausdrücklich  hervorgehoben,  dass  im  Dialog  die  Coperni- 
canische Lehre  (nicht  bloss  hypothetisch)  vorgetragen  werde. 


Riccardi's  Stellung.  351 

Galilei's  Gegner  brauchten  also  von  Anfang  an  gar  nicht  zu 
befürchten,  dass  es  ihnen  ohne  ein  Document  wie  das  vom 
26.  Febr.  161 6  nicht  gelingen  möchte,  Galilei's  Verurtheilung 
herbeizuführen.  Sie  hatten  also  von  Anfang  an  kein  Inter- 
esse dabei,  dasselbe  zu  fabriciren.  Hätten  sie  es  aber  fabricirt, 
so  würden  sie  ohne  Zweifel,  wie  schon  früher  (S.  145)  her- 
vorgehoben wurde,  dasselbe  anders  formulirt  haben. 

Aber  war  nicht  durch  die  von  dem  Palastmeister  für 
den  Dialog  ertheilte  Druck-Erlaubniss  Galilei  gegen  ein 
Einschreiten  der  Inquisition  gesichert,  falls  nicht  durch  die 
Production  eines  Actenstückes,  wie  das  fragliche  ist,  der 
Vorwurf  begründet  werden  konnte,  die  Druck-Erlaubniss 
sei  ungültig,  weil  sie  erschlichen  sei,  da  der  Palastmeister 
sie  nicht  ertheilt  haben  würde,  wenn  ihm  Galilei  von  dem 
ihm  im  J.  161 6  gegebenen  Befehle  Mittheilung  gemacht 
hätte1)?  Wenn  die  Inquisition  glaubte,  es  seien  in  dem  Dialog 
häretisch  klingende  Sätze  enthalten,  so  war  sie  durch  das 
Imprimatur  des  Palastmeisters  gar  nicht  behindert,  einen 
Process  gegen  Galilei  einzuleiten  und  ihn  wegen  jener  Sätze 
zu  verurtheilen.  Wenn  Urban  VIII.,  wie  er  Niccolini  er- 
zählte2), Bücher  hatte  auf  den  Index  setzen  lassen,  die  ihm 
selbst  gewidmet  (und  selbstverständlich  mit  der  Approbation 
eines  kirchlichen  Censors  erschienen)  waren,  so  konnte  er 
auch  gegen  den  Verfasser  eines  mit  regelrechter  Approba- 
tion des  Palastmeisters  erschienenen  Buches  einen  Inquisiti- 
onsprocess  einleiten  lassen.  Freilich  wurde  dadurch  der 
Palastmeister  desavouirt  und  compromittirt  und  musste  er 
wegen  Ertheilung  der  Druck-Erlaubniss  zur  Rechenschaft 
gezogen  werden,  —  was  ja  auch  mit  Riccardi  geschah. 

Die  Gegner  Galilei's  bedurften  nach  dem  Gesagten 
das  fragliche  Actenstück  nicht,  um  einen  Process  gegen  ihn 
einzuleiten.  Für  Einen  freilich  hatte  das  Actenstück  einen 
gewissen  Werth,  aber  für  Einen,  der  die  Einleitung  des 
Processes  gewiss  nicht  betrieben  hat.  Durch  die  Angriffe, 
welche  der  Dialog  erfuhr,  und  namentlich  durch  den  Zorn 
des  Papstes  über  das  Buch  kam  Riccardi,  der  dasselbe 
approbirt  hatte,  in  grosse  Verlegenheit.  Er  scheint  wirk- 
lich versucht  zu  haben,  der  Sache  eine  solche  Wendung  zu 


1)  Wohlwill,  Inquisitionsprocess  S.  80.     Gebier,  Galilei  S.   214. 

2)  IX,  421.      Vgl.  Pieralisi  p.   138. 


352  Riccardi's  Stellung. 

geben,  dass  weniger  die  materielle  Seite,  der  Inhalt  des 
Dialogs,  als  die  formelle,  die  Berechtigung  Galilei's  zur 
Veröffentlichung  eines  solchen  Buches,  berücksichtigt  würde. 
Er  suchte  darum  nachzuweisen,  dass  in  dem  Dialog  nur 
einige  Stellen  ausgemerzt  oder  geändert  zu  werden  brauch- 
ten, um  ihn  unverfänglich  zu  machen1);  er  klagte,  —  wie 
wir  gesehen  haben,  bezüglich  der  meisten  Punkte  mit  Un- 
recht, —  dass  Galilei  sich  nicht  an  die  Bedingungen  gehal- 
ten, unter  denen  er  die  Druck-Erlaubniss  erhalten2);  er  war 
es  auch,  der  Niccolini  am  u.  Sept.  16323)  mittheilte,  „man 
habe  in  den  Büchern  des  h.  Officiums  gefunden,  dass  Gali- 
lei, als  er  vor  etwa  16  Jahren  nach  Rom  citirt  worden,  im 
Namen  des  Papstes  und  des  h.  Officiums  von  dem  Cardi- 
nal Bellarmin  verboten  worden  sei,  die  Copernicanische 
Meinung  festzuhalten",  und  der  dieser  Mittheilung  beifügte: 
„das  allein  sei  genug,  um  Galilei  zu  ruiniren." 

Da  dieses  nach  der  gewöhnlichen  Angabe  die  erste 
Erwähnung  des  Actenstückes  vom  26.  Febr.  1616  ist,  so 
muss  darauf  etwas  näher  eingegangen  werden.  Dass  Gali- 
lei im  J.  16 16  nach  Rom  citirt  worden,  ist,  wie  wir  wissen, 
unrichtig;  wenn  nicht,  was  leicht  möglich,  Niccolini  Ric- 
cardi's Worte  ungenau  wiedergegeben,  so  hat  dieser  nicht 
zwar  „gelogen"4),  —  das  anzunehmen  liegt  gar  kein  Grund 
vor,  —  aber  sich  geirrt.  Dass  Bellarmin  als  derjenige  be- 
zeichnet wird,  der  das  Verbot  ertheilt  habe,  ist  kaum  eine 
Unrichtigkeit  zu  nennen,  da  der  Commissar  der  Inquisition 
es  im  Beisein  und  Auftrage  des  Cardinais  gethan.  Auch  dass 
der  Inhalt  des  fraglichen  Verbotes  ungenau  angegeben  wird, 
ist  nicht  so  auffallend:  entweder  hat  Niccolini  Riccardi's 
Worte  nur  kurz  und  darum  ungenau  berichtet,  oder  dieser  hat 
zu  kurz  und  darum  ungenau  referirt.  Jedenfalls  schwebt  Scar- 
tazzini's5)  Vermuthung  in  der  Luft:  die  Aufzeichnung,  welche 
wir  jetzt  mit  dem  Datum  „26.  Febr.  1616"  in  den  Acten 
finden,  habe  damals  noch  nicht  existirt;  man  sei  eben  da- 
mit beschäftigt  gewesen,  dieselbe  zu  fabriciren,  und  habe 
damals    noch    vorgehabt,    sie    so    zu    fassen,    wie    Riccardi 


1)  IX,  422.     Acten  S.  56;  s.  o.  S.  220.  240. 

2)  IX,  422.  424.  3)  IX,  424. 

4)  Scartazzini,  Uns.  Zeit  II,  439. 

5)  Riv.  Eur.  V,   10. 


Riccardi's  Stellung.  353 

referire,  während  man  später  sich  für  die  Fassung  entschied, 
in  der  wir  sie  jetzt  in  den  Acten  lesen.  Allem  Anscheine 
nach  ist  von  den  beiden  zu  den  Acten  der  Special-Congre- 
gation  gehörenden  Schriftstücken  (s.  o.  S.  238),  —  da  diese 
Congregation  schon  vor  dem  15.  Aug.  1632  niedergesetzt 
wurde  und  am  15.  Sept.  ihren  Bericht  erstattet  hatte  (S.  241), 
—  wenigstens  das  eine  schon  vor  dem  11.  Sept.,  also  vor 
der  Mittheilung  Riccardi's  an  Niccolini  geschrieben:  in  bei- 
den Schriftstücken  wird  aber  das  Praeceptum,  wie  es  in 
der  Aufzeichnung  vom  26.  Febr.  161 6  steht,  wörtlich  mit- 
getheilt;  jedenfalls  kann  also  diese  Aufzeichnung  nicht  erst 
zwischen  dem  September  1632  und  dem  Februar  1633  fabri- 
cirt  worden  sein1). 

Man  beachte  übrigens,  dass  Riccardi  nicht  sagte:  nur 
auf  Grund  des  fraglichen  Documentes  könne  man  Galilei 
ruiniren,  sondern:  dieses  Document  allein  genüge,  ihn  zu 
ruiniren,  d.  h.  wenn  man  ihn  auch  nicht  auf  einen  andern 
Grund  hin  verurtheilen  könnte,  würde  man  ihn  wegen  der 
Uebertretung  eines  ihm  im  J.  1616  ertheilten  Befehles  ver- 
urtheilen können.  Ihm  wäre  es  ohne  Zweifel  lieber  ge- 
wesen, wenn  man  sich  auf  diesen  Standpunkt  gestellt  und 
nicht  den  bedenklichen  Inhalt  des  Dialogs,  für  dessen  Ver- 
öffentlichung er  mit  verantwortlich  war,  sondern  den  Un- 
gehorsam gegen  einen  Befehl  der  Inquisition  als  den  Haupt- 
anklagepunkt geltend  gemacht  hätte.  Die  Inquisition  hat 
aber,  wie  wir  gesehen,  dieses  nicht  gethan. 

Man  kann  also  höchstens  von  Riccardi  sagen,  er  hätte 
ein  Interesse  dabei  gehabt,  die  Aufzeichnung  vom  26.  Febr. 
161 6,  wenn  sie  nicht  existirte,  zu  fabriciren.  Ihm  wäre  das 
aber  nicht  möglich  gewesen  ohne  die  Mithülfe  der  Beamten 
der  Inquisition,  welche  die  Acten  in  Verwahr  hatten,  und 
dass  er  diese  so  leicht  hätte  finden  sollen  zu  einer  Zeit,  wo 
seine  amtliche  Stellung  gefährdet  und  der  Papst  sehr  un- 
gnädig gegen  ihn  gesinnt  war,  ist  nicht  wahrscheinlich. 
Jedenfalls  aber  würde  er,  wie  schon  (S.  145)  hervorgehoben 
wurde,  wenn  er  das  Actenstück  gefälscht  hätte,  dem  Com- 
missar  die  Ausdrücke  in  den  Mund  gelegt  haben,  welche 
er  in  der  Aufzeichnung  vom  25.  Febr.  16 16  vorfand  und 
welche  dem  Zwecke  der  Fälschung  entsprechender  gewesen 


1)  Riv.  Eur.  V,   14. 
Beusch,  Galilei.  2$ 


354  Riccardi's  Stellung. 

wären,  die  Ausdrücke:  „Galilei  solle  sich  fortan  enthalten, 
die  Copernicanische  Meinung  zu  lehren  oder  zu  vertheidi- 
gen  oder  von  ihr  zu  handeln".  Der  letzte  Ausdruck 
Hess  sich  leichter  als  der  Ausdruck:  „in  keiner  Weise, 
weder  schriftlich  noch  mündlich,  lehren  oder  vertheidigen", 
als  ein  absolutes  Verbot  deuten,  überhaupt  über  die  Coper- 
nicanische Lehre  zu  schreiben,  und  als  ein  solches  Verbot 
musste  man  doch  das  Praeceptum  vom  26.  Febr.  16 16  deu- 
ten, wenn  man  schon  die  Veröffentlichung  des  Dialogs,  — 
abgesehen  von  der  Art  und  Weise,  wie  darin  die  Coper- 
nicanische Lehre  behandelt  wurde,  —  als  eine  Uebertretung 
des  Praeceptums  ansehen  wollte. 

Die  Vermuthung,  die  Aufzeichnung  vom  26.  Febr.  16 16 
sei  im  J.  1632  fabricirt  oder  gefälscht  worden,  ist  also  un- 
begründet, und  die  Meinung,  wesentlich  auf  dieses  Acten- 
stück  hin  sei  der  Process  gegen  Galilei  eingeleitet  und  der- 
selbe verurtheilt  worden,  ist  unrichtig.  Sehen  wir  nun, 
welchen  Gebrauch  die  Inquisition  wirklich  von  dem  Acten- 
stücke  gemacht  hat. 

In  dem  einen  zu  den  Acten  der  Special-Congregation 
gehörenden  Schriftstücke1)  wird,  wenn  auch  nicht  als  haupt- 
sächlicher Anklagepunkt,  angeführt:  Galilei  werde  beschul- 
digt, betrügerischer  Weise  das  Praeceptum  vom  J.  16 16 
(dem  Censor  des  Dialogs)  verschwiegen  zu  haben.  Eine 
ausdrückliche  Meinungsäusserung  der  Congregation  über 
die  Berechtigung  dieser  Beschuldigung,  die  wahrscheinlich 
Riccardi  vorgebracht  hat,  liegt  nicht  vor;  jedenfalls  wurde 
aber  auf  die  Beschuldigung  Werth  genug  gelegt,  um  Ga- 
lilei in  dem  ersten  Verhöre  am  12.  April  1633  darüber  zu 
inquiriren,  und  in  seiner  Verteidigungsschrift  geht  Galilei 
ausführlich  darauf  ein.  Was  er  darüber  sagt,  zeigt,  dass 
er  voraussetzte,  —  vielleicht  von  dem  Commissar  erfahren 
hatte,  —  man  könne  das  Praeceptum  dahin  deuten,  dass  er 
in  Folge  desselben  zu  etwas  Weiterm  verpflichtet  gewesen 
wäre  als  andere  Katholiken,  dass  er  nach  jenem  Praecep- 
tum überhaupt  nicht  mehr  oder  doch  nur  mit  einer  beson- 
dern Erlaubniss  eine  Schrift  über  die  Copernicanische  Lehre 
hätte  veröffentlichen  dürfen,  und  dass  er  darum,  als  es  sich 
um    die    Druck-Erlaubniss    für    den    Dialog   handelte,    dem 


1)  Acten  S.  53;  s.  o.  S.  241. 


Riccardi's  Stellung.  355 

Censor  von  jenem  Praeceptum  hätte  Mittheilung  machen 
müssen,  worauf  dieser  die  Ertheilung  der  Erlaubniss  ver- 
weigert oder  die  Entscheidung  der  Inquisitions-Congrega- 
tion  eingeholt  haben  würde. 

Es  wurde  bereits  früher  (S.  247)  gezeigt,  dass  der  Wort- 
laut des  Praeceptums  zu  dieser  Auffassung  nicht  nöthigt,  und 
dass  es  allem  Anscheine  nach  bis  zum  J.  1632  weder  von  Gali- 
lei noch  von  der  Inquisition  so  verstanden  worden  ist.  Wahr- 
scheinlich ist  es  Riccardi  gewesen,  der  diese  Deutung  aufge- 
bracht hat,  und  wahrscheinlich  ist  er  es  auch  gewesen,  der 
Niccolini  Ende  Februar  16331)  von  einem  Galilei  im  J.  1616 
ertheilten  Befehle  erzählte,  er  solle  über  die  Copernicani- 
sche  Lehre  „nicht  disputiren  und  nicht  discurriren",  —  Ga- 
lilei erklärte  sofort,  der  Befehl  laute:  „sie  nicht  lehren  oder 
vertheidigen",  —  und  der  die  Nichtbeachtung  dieses  Be- 
fehles als  die  Hauptanklage  gegen  Galilei  bezeichnete,  wäh- 
rend gleichzeitig  der  Papst2)  auf  diesen  Punkt  nicht  so  gros- 
ses Gewicht  legte,  indem  er  sagte:  Galilei  habe  im  Dialog 
die  Bewegung  der  Erde  nicht,  wie  er  ankündige,  bloss  hy- 
pothetisch, sondern  behauptend  und  beweisend  vorgetra- 
gen; auch  habe  er  den  ihm  von  dem  Cardinal  Bellarmin3) 
ertheilten  Befehl  übertreten. 

Diese,  wie  gesagt,  wahrscheinlich  von  Riccardi  aufge- 
brachte Deutung  des  Praeceptums  ist  dann  auch  in  das 
Urtheil  vom  2^.  Juni  1633  übergegangen,  in  welchem  es 
heisst:  Galilei  könne  sich  nicht  auf  die  für  den  Dialog  er- 
theilte  Druck-Erlaubniss  berufen,  da  er  diese  „auf  geschickte 
und  schlaue  Weise  erschlichen,  indem  er  von  dem  (im  J. 
1616)  erhaltenen  Praeceptum  nichts  gesagt".  Noch  aus- 
drücklicher wird  das  Praeceptum  so  gedeutet  in  dem 
Schreiben,  mit  welchem  der  Secretär  der  Inquisition  unter 
dem  2.  Juli  1633  den  auswärtigen  Inquisitoren  die  Sentenz 
und  die  Abschwörung  Galilei's  übersandte4):  „Wiewohl  von 
der  Index- Congregation  der  Tractat  des  Copernicus,  .  .  worin 
die  der  h.  Schrift  widersprechende  Lehre  vorgetragen  wird, 
dass  die  Erde  sich  bewege,  .  .  .  suspendirt  und  von  dieser 
Congregation  des  h.  Officiums  vor  Jahren  Galilei  verboten 

1)  IX,  432.  2)  IX,  433;  s.  o.  S.  225. 

3)  Wenn  dabei  steht  „im  Auftrage  der  Index-Congregation",  so  be- 
ruht das  auf  einem  Versehen  des  Papstes  oder  Niccolini's. 

4)  IX,  472,  lateinisch  bei  Gebier,  Galilei  S.   428. 


356  Riccardi's  Stellung. 

worden  ist,  diese  Meinung  für  wahr  zu  halten,  zu  verthei- 
digen  und  in  irgend  einer  Weise  schriftlich  oder  mündlich 
zu  lehren,  so  hat  doch  derselbe  Galilei  gewagt  ein  Buch  zu 
verfassen  unter  dem  Titel  .  .  . ,  und  ohne  von  dem  besag- 
ten Verbote  etwas  zu  sagen,  hat  er  die  Erlaubniss  zum 
Drucke  desselben  erschlichen,  und  während  er  im  Anfange, 
in  der  Mitte  und  am  Ende  angibt,  er  wolle  die  besagte 
Meinung  hypothetisch  behandeln,  hat  er,  wiewohl  er  in  keiner 
Weise  davon  handeln  durfte  (benche  non  ne  potesse  trattare 
in  modo  alcuno),  in  solcher  Weise  davon  gehandelt,  dass 
er  sich  dringend  verdächtig  gemacht,  dass  er  eine  solche 
Meinung  für  wahr  halte"  u.  s.  w. 

Die  Inquisition  handelte  von  ihrem  Standpunkte  aus 
nicht  unrecht,  wenn  sie,  wie  Urban  VIII.  andeutete,  die  im 
J.  1616  ertheilte  Verwarnung  gegen  Galilei,  als  er  sich  des 
Festhaltens  an  der  Copernicanischen  Lehre  verdächtig  ge- 
macht, als  erschwerenden  Umstand  geltend  machte.  Sie 
konnte  auch  sagen,  der  Dialog  über  die  beiden  Weltsy- 
steme hätte,  als  ein  von  einem  schon  einmal  deswegen  ver- 
warnten Autor  geschriebenes  Buch,  strenger  als  andere 
Bücher  untersucht  werden  müssen.  Wenn  sie  aber  weiter 
annahm,  Galilei  hätte,  um  eine  solche  strengere  Prüfung  zu 
veranlassen,  selbst  den  Censor  an  seine  Verwarnung  erin- 
nern müssen,  oder  er  hätte,  um  überhaupt  über  die  Copernica- 
nische  Lehre  schreiben  zu  dürfen,  einer  besondern  Erlaubniss 
oder  einer  Dispensation  von  dem  ihm  im  J.  161 6  ertheilten 
Verbote  bedurft,  so  war  eine  solche  Forderung*  unberech- 
tigt und  konnte  billiger  Weise  aus  dem  Wortlaute  des 
Praeceptums  nicht  abgeleitet  werden.  Wenn  dasselbe  trotz- 
dem wirklich  in  dieser  Weise  verwerthet  wurde,  so  folgt 
daraus  nicht,  dass  dasselbe  eine  wesentliche  Grundlage  der 
Verurtheilung  gebildet  hätte.  Wäre  das  Praeceptum  des 
Commissars  nicht  vorhanden  gewesen,  so  hätte  man  in 
ähnlicher  Weise  die  Mahnung  des  Cardinais  Bellarmin  ver- 
werthen  können.  Dass  aber  in  dem  Urtheil  und  noch  aus- 
drücklicher in  dem  Schreiben  an  die  auswärtigen  Inquisi- 
toren behauptet  wurde,  Galilei  habe  das  Imprimatur  er- 
schlichen, geschah  nicht  so  sehr,  um  ihn  zu  graViren,  als 
um  den  Magister  Sacri  Palatii  weniger  zu  compromittiren  1), 

1)  Schneemann  S.  398  hat  einen  richtigen  Gedanken  durch  leichtfertige 
Uebertreibung  entstellt. 


Ist  Galilei  gefoltert  worden?  357 

der  ja  doch,  wenn  man  ihn  nicht  in  dieser  Weise  entschul- 
digte, hätte  abgesetzt  werden  müssen. 

Die  Angabe,  Riccardi  sei  abgesetzt  worden1),  ist  näm- 
lich unrichtig.  Der  Papst  war  Anfangs  auch  über  ihn  sehr 
erzürnt,  richtete  aber  von  vorn  herein,  wie  wir  gesehen,  seinen 
Zorn  hauptsächlich  auf  den  unglücklichen  Ciampoli.  Am  26. 
Dec.  1632  schreibt  Niccolini2)  zwar:  Die  Galilei'sche  Sache 
scheine  auch  für  Riccardi  schlimme  Folgen  haben  zu  sollen; 
alle  Welt,  namentlich  der  General  der  Dominicaner  (s.  o. 
S.  228)  sage,  er  habe  den  Dialog  nicht  approbiren  dürfen; 
am  23.  April  16333)  schreibt  er:  man  spreche  jetzt  weniger 
über  Galilei' s  Buch  als  darüber,  wie  Riccardi  dazu  gekom- 
men, dasselbe  zu  approbiren,  da  der  Papst  behaupte,  ihn 
dazu  nicht  ermächtigt  zu  haben,  und  nach  der  Verurtheilung 
Galilei's  schreibt  er  am  3.  Juli4):  er  habe  von  dem  Com- 
missar  der  Inquisition  gehört,  Riccardi  werde  für  seine  Un- 
achtsamkeit und  Nachlässigkeit  bestraft  werden.  Aber  die 
Strafe  scheint  sich  auf  einen  Verweis  beschränkt  zu  haben. 
Riccardi  blieb  wenigstens  Magister  Sacri  Palatii  bis  zu 
seinem  Tode.  Er  starb  31.  Mai  1639  (s-  °-  S.  165).  Die 
Leichenrede  hielt  am  1.  Juni  —  Pater  Inchofer,  und  sein 
Nachfolger  wurde  Pater  Firenzuola,  der  Commissar  des  h. 
Officiums.  Dieser  machte  freilich  eine  bessere  Carriere  als 
Riccardi,  da  er  schon.  164 1  Cardinal  wurde. 

Auch  der  Inquisitor  zu  Florenz  erhielt,  wie  wir  sehen 
werden,  einen  Verweis  für  die  Ertheilung  der  Druck-Er- 
laubniss. 


XXXI. 

„Ist  Galilei  gefoltert  worden?" 

So  lautet  der  Titel  der  von  E.  Wohlwill  im  J.  1877 
herausgegebenen  Schrift.  Das  Ergebniss  der  scharfsinnigen 
und  lehrreichen  Untersuchungen,  die  darin  niedergelegt  sind, 

i)  Gebier,  Galilei  S.  322,  Schneemann  S.   269  u.  A. 
2)  IX,  431.  3)  IX,  441.  4)  IX,  446. 


358  Ist  Galilei  gefoltert  worden? 

ist,  kurz  zusamrnengefasst,  folgendes:  Eine  Folterung  Gali- 
lei's  im  eigentlichen  Sinne,  eine  strenge  Folterung,  wie  sie 
sonst  oft  bei  Inquisitionsprocessen  vorgenommen  wurde,  hat 
nicht  stattgefunden,  —  insofern  haben  die  vielen  neueren 
Schriftsteller,  welche  Libri  und  Anderen  gegenüber  die 
Frage:  Ist  Galilei  gefoltert  worden?  verneinen,  Recht.  Es 
braucht  nicht  einmal  angenommen  zu  werden,  dass  Galilei 
überhaupt  wirklich  gefoltert,  etwa  einer  leichten  Folterung, 
wie  sie  auch  sonst  wohl  bei  Greisen  vorgenommen  wurde, 
unterworfen  worden  sei,  einer  Folterung,  die,  —  im  Unter- 
schiede von  dem,  was  Eymericus  (p.  481  und  oft)  decenter 
quaestionare  nennt,  —  so  leicht  war,  dass  sie,  wie  das  Sacro 
Arsenale  (P.  X,  No.  135)  witzig  sagt,  „kaum  Tortur  genannt 
werden  könne,  sowie  ein  leichtes  Fieberchen  nicht  Fieber 
genannt  werde".  Galilei  ist  vielmehr  aller  Wahrscheinlich- 
keit nach  nur  mit  der  Folterung  bedroht  worden,  wie  denn 
ja  auch  in  dem  Beschlüsse  der  Inquisition  vom  16.  Juni  nur 
von  einer  Androhung  der  Folter  die  Rede  ist.  Aber  diese 
Bedrohung  hat  nicht  bloss  in  der  in  dem  Protocoll  vom 
21.  Juni  beschriebenen  Weise  in  dem  Verhörslocale  statt- 
gefunden, —  eine  Form  der  Bedrohung,  die  man  als  Territio 
verbalis  oder  levis  bezeichnete,  —  sondern  Galilei  ist  nach 
dieser  bloss  in  Worten  vorgenommenen  „leichten  Schreckung" 
aus  dem  Verhörslocale  in  die  Folterkammer  abgeführt  und 
dort  einer  Territio  realis  unterworfen,  d.  h.  unter  Vorzei- 
gung der  Marterwerkzeuge  und  Beschreibung  ihrer  Ver- 
wendung mit  der  Anwendung  dieser  Mittel  bedroht,  viel- 
leicht danach  auch  noch  durch  die  Folterknechte  entkleidet, 
gebunden  und  in  die  zu  der  eigentlichen  Folterung  erfor- 
derliche Stellung  gebracht  und  in  diesem  Zustande  von 
neuem  befragt  worden1). 

Die  Differenz  zwischen  dieser  Antwort  und  der  ein- 
fachen Verneinung  der  Frage,  ob  Galilei  gefoltert  worden, 
ist  an  sich  nicht  bedeutend,  aber  sie  ist  wichtig  wegen  der 
Folgerung,  die  Wohlwill  aus  seiner  Ansicht  zieht,  der  schon 
oben  (S.  3 1 7)  erwähnten  Folgerung,  dass  das  Protocoll  vom 
2 1 .  Juni,  welches  nur  von  einer  Territio  verbalis  spricht  und 
die  Vornahme  der  Territio  realis  ausschliesst,  nicht  echt 
sein  könne. 

1)  Aehnlich  schon  Parchappe,  Galilee  p.  259,  Cantor,  Zts.  f.  Math.  IX 
(1864),   194  und  Lit.-Z.  20,  Wangemann,  Jahrb.  f.  D.  Theol.   1866,  381  u.  A. 


Ist  Galilei  gefoltert  worden?  359 

Dass  in  Galilei's  Briefwechsel  nie  von  einer  Folterung 
gesprochen  wird,  beweist  freilich  nicht,  dass  eine  solche 
nicht  stattgefunden;  wir  finden  in  seinen  Briefen,  von  denen 
übrigens  viele  nicht  erhalten  sind,  überhaupt  keine  Mitthei- 
lungen über  die  Einzelheiten  seines  Processes ').  Aber  das 
spricht  entschieden  gegen  die  Annahme  einer  wirklichen 
Folterung  am  21.  Juni,  —  denn  nur  an  diesem  Tage  könnte 
sie  stattgefunden  haben,  —  dass  Galilei  am  22.  nach  Santa 
Maria  sopra  Minerva  gebracht  wurde,  um  sein  Urtheil  zu 
hören  und  knieend  abzuschwören,  dass  er  am  Abend  des 
24.  von  Niccolini  abgeholt  wurde,  am  26.  einen  Brief  schrieb 
und  am  6.  Juli  Rom  „in  recht  guter  Gesundheit"  verliess 
und  von  Viterbo  aus  Niccolini  schrieb,  er  habe  vier  Miglien 
zu  Fusse  zurückgelegt2).  Wenigstens  diese  letzte  Thatsache 
verbürgt,  wie  auch  Wohlwill  zugibt,  für  den  15.  Tag  nach 
dem  21,  Juni  ein  Wohlbefinden,  das  wir  nach  strenger  Fol- 
terung nicht  erwarten  würden3). 

Die  Absicht,  ohne  Noth  Galilei  körperlich  zu  miss- 
handeln, hatten  auch  der  Papst  und  die  Inquisition  sicher 
nicht;  sie  wäre  mit  der  Milde,  die  man  in  dieser  Beziehung 
gegen  ihn  bekundete,  indem  man  ihn  nicht  einkerkerte 
u.  s.  w.,  sie  wäre  namentlich  mit  dem,  was  wir  aus  dem 
oben  (S.  283)  mitgetheilten  Briefe  des  Commissars  der  In- 
quisition an  den  Cardinal  Barberini  entnehmen  dürfen,  nicht 


1)  "Wohlwill  S.  35. 

2)  IX,  371.  445.  447.  Scartazzini,  Riv.  Eur.  1878,  VI,  421  hält  freilich 
Niccolini's  Mittheilung  über  die  Fussreise  für  unwahr.     S.  o.  S.  320,  Anm.  4. 

3)  S.  52.  Man  hat  das  Bruchleiden  Galilei's,  welches  in  dem  Berichte 
des  Florentiner  Inquisitors  vom  J.  1638  (X,  280)  erwähnt  wird,  als  einen 
Beweis  für  die  Folterung  ansehen  wollen  („Galilei  wurde  nachher  von  einer 
Krankheit  befallen,  welche  die  gewöhnliche  Folge  der  Folterung  mit  dem 
Strange  ist".  Terrier,  Galilei  S.  61).  Das  Leiden  wird  aber  schon  in  dem 
ärztlichen  Zeugnisse  vom  17.  Dec.  1632  erwähnt  (s.  o.  S.  256).  Da  das 
Leiden  in  jenem  Berichte  als  terribile  rottura  bezeichnet  wird,  könnte 
man  annehmen,  dass  es  sich  seit  dem  December  1632  verschlimmert.  Als 
„Indicium  für  die  Vollziehung  der  Tortur"  will  jedoch  auch  Wohlwill  S.  54 
diese  Verschlimmerung  nicht  verwerthen  ;  anderseits  glaubt  er  freilich  auch 
nicht,  dass  man  behaupten  dürfe,  die  Inquisition  habe  wegen  dieses  Leidens 
von  der  Folterung  Galilei's  absehen  müssen.  Bertolotti,  Riv.  Eur.  1878,  V, 
477,  führt  freilich  ein  Actenstück  vom  J.  1599  an,  wonach  Bruchleidende 
(rotti)  bei  einem  Criminalprocess  in  Rom  nicht  gefoltert  wurden  (vgl.  Berti, 
II  Processo,  N.  Ed.  p.  292);  s.  indess  oben  S.  308,  Anm.  4. 


360  Ist  Galilei  gefoltert  worden? 

vereinbar  gewesen  *).  Man  würde  aber  ausnahmsweise 
grausam  gegen  Galilei  gewesen  sein,  wenn  man  ihn  hätte 
foltern  lassen;  denn  wenn  die  Folterung  von  Greisen  auch 
nicht  unbedingt  unzulässig  war,  so  wäre  doch  die  Folterung 
eines  Mannes  von  70  Jahren  und  von  der  Körperbeschaffen- 
heit Galilei's  eine  ausnahmsweise  Härte  gewesen,  wie  sie 
in  diesem  Falle  nicht  vorauszusetzen,  ja  geradezu  undenk- 
bar ist.  ' 

Galilei  foltern  zu  lassen,  wäre  auch  zwecklos  gewesen. 
Die  Inquisition  war,  wie  wir  (S.  312)  gesehen  haben,  am  16. 
Juni  bereits  zu  dem  definitiven  Beschlüsse  gekommen,  Galilei 
nicht  als  formellen  Ketzer,  sondern  als  der  Ketzerei  stark 
verdächtig  zu  verurtheilen.  Um  ihn  als  Ketzer  verurtheilen 
zu  können,  hätte  erwiesen  sein  müssen,  dass  er  die  als  ketze- 
risch angesehene  Copernicanische  Meinung  nicht  nur  in  dem 
Dialog  vorgetragen,  sondern  auch  für  wahr  gehalten,  also 
eine  ketzerische  Intention  gehabt.  Ersteres  nahm  die  Inqui- 
sition als  erwiesen  an  und  hatte  Galilei  selbst  eingestanden ; 
letzeres  hatte  er  bisher  geleugnet.  Wollte  man  ihn  also 
als  Ketzer  verurtheilen,  so  musste  man  beschliessen,  es 
solle  versucht  werden,  ihn  zunächst  durch  Androhung,  even- 
tuell durch  Anwendung  der  Tortur  zu  dem  Geständnisse 
der  ketzerischen  Intention  zu  bringen.  Da  man  ihn  aber 
nicht  als  Ketzer,  sondern  nur  als  der  Ketzerei  verdächtig 
verurtheilen  wollte,  so  bedurfte  man  gar  bricht  eines  weitern 
Geständnisses,  und  hatte  also  gar  kein  Interesse,  den  Versuch 
zu  machen,  ein  solches  durch  die  Folter  zu  erpressen, 
musste  vielmehr  wünschen,  dass  Galilei  seine  bisherige  Er- 
klärung über  seine  Intention  aufrecht  erhielt.  Dass  dieses 
geschehen  würde,  setzte  die  Inquisition  voraus ;  darum  be- 
schloss  sie  schon  am  16.,  was  nach  dem  Verhöre  über  die 
Intention  geschehen  sollte,  ohne  der  Eventualität,  dass  Ga- 
lilei eine  andere  Erklärung  abgeben  könnte,  auch  nur  zu 
gedenken.  Das  ganze  Verhör  vom  21.  Juni  war  also  inso- 
fern nur  eine  Formalität,  als  man  über  das  Ergebniss  des- 
selben im  voraus  keinen  Zweifel  hatte;  es  wurde  überhaupt 
nur  angestellt,  weil  es  nach  der  Gerichtspraxis  üblich  war, 
wie  es  denn  ja  auch  der  Commissar  in  dem  erwähnten  ver- 


1)  Auch  die  Bemerkungen  von  Wohlwill  S.  39  ff.  beweisen  nicht,  dass 
man  nicht  in  dieser  Hinsicht  milde  gegen  Galilei  verfuhr. 


Der    Ausdruck  Examen  rigorosum.  361 

traulichen  Briefe  (S.  284)  nur  als  eine  Formalität  zu  bezeich- 
nen scheint.  Dem  entspricht  es  auch,  dass  die  Inquisition 
das  Verhör  zwar  anordnete,  aber  gleich  beifügte,  es  solle 
dabei  die  Kolter  zwar  angedroht,  aber  nicht  angewendet 
werden.  Hätte  es  den  Zweck  gehabt,  weiteres  Beweis- 
material gegen  Galilei  zu  beschaffen,  so  hätte  man  nicht 
schon  vor  dem  Verhöre  am  16.  das  Urtheil  fällen  können. 
"Wahrscheinlich  ist  sogar  schon  vor  dem  Verhöre  die  Sen- 
tenz ausgearbeitet  worden;  ^denn  die  Zeit  zwischen  dem 
Ende  des  Verhöres  am  21.  und  der  Verlesung  der  Sentenz 
am  22.  ist  dazu  zu  kurz,  diese  auszuarbeiten  und  von  den 
Cardinälen  genehmigen  und  unterzeichnen  zu  lassen. 

Jedenfalls  hatte  die  Folterung,  wenn  man  Galilei  nur 
als  der  Ketzerei  verdächtig  verurtheilen  wollte,  keinen 
Zweck;  denn  das  konnte  man  ohne  Folterung1). 

Aus  den  hier  entwickelten  Gründen  ist  anzunehmen, 
dass  Galilei  wirklich,  dem  Beschlüsse  der  Inquisition  vom 
16.  Juni  entsprechend,  nicht  gefoltert,  sondern  nur  mit  der 
Folterung  bedroht  worden  ist.  Ob  aber  die  Bedrohung  nur 
in  der  Form  der  Territio  Verhalts  oder  auch  in  der  Form  der 
Territio  realis  stattgefunden,  ist  damit  noch  nicht  entschie- 
den. Das  Protocoll  vom  21.  Juni  spricht  nur  von  ersterer. 
Diese  Angabe  glaubt  aber  Wohlwill  für  unrichtig  (und 
darum  das  Protocoll  für  gefälscht)  erklären  zu  dürfen,  weil 
die  am  22.  Juni  verkündete  Sentenz  sagt,  es  sei  mit  Galilei 
das  „peinliche  Verhör",  rigoroso  esame,  examen  rigorosum. 
angestellt  worden.  Denn  von  diesem  Ausdrucke  glaubt 
Wohlwill  erwiesen  zu  haben,  dass  er  nur  von  der  wirklichen 
Folterung  und  der  Territio  realis,  nicht  aber  von  der  Ter- 
ritio verbalis  gebraucht  worden  sei. 

Eine  Stelle,  worin  der  Begriff  des  Examen  rigorosum 
ausdrücklich  so  angegeben  würde,  findet  sich  in  den  Schrif- 
ten, aus  denen  wir  den  Sprachgebrauch  der  Inquisition 
kennen  lernen,  nicht;  wir  müssen  die  Bedeutung  des  Wortes 
und  der  anderen  hier  in  Betracht  kommenden  Ausdrücke 
durch  die  Berücksichtigung  vieler  einzelnen  Stellen,  an  wel- 
chen sie  gebraucht  werden,  zu  ermitteln  suchen. 

1)  Th.  Lit.-Bl.  1876,  177;  1877,  224.  Wenn  Zöckler,  Gesch.  der  Be- 
ziehungen u.  s.  w.  I,  535  sagt,  „durch  Bedrohung  mit  der  Folter  sei  Gali- 
lei's  schliesslicher  Widerruf  erpresst  worden",  so  ist  damit  der  Zweck  der 
Folterung  ganz  verkannt. 


362  Der  Ausdruck  Examen  rigorosum. 

Zunächst  scheint,  wie  Wohlwill1)  bemerkt,  der  Aus- 
druck Examen  rigorosum  ausschliesslich  in  den  Sentenzen 
gebraucht  worden  zu  sein.  In  den  Formularen,  welche  das 
Sacro  Arsenale  für  die  Verhöre  gibt,  kommt  er  nicht  vor. 
In  den  Sentenzen  wird  der  Ausdruck  aber  gebraucht,  wo 
von  dem  Befragen  des  Angeklagten  auf  der  Tortur  ge- 
sprochen wird.  „Da  es  uns  schien,  dass  du  nicht  ganz  die 
Wahrheit  gesagt,  haben  wir  für  nöthig  erachtet,  gegen  dich 
zum  peinlichen  Verhöre  zu  schreiten  (venir  contro  di  te  alla 
rigor osa  esamina),  bei  welchem  du  nichts  Neues  ausgesagt" 
oder  dergl.,  heisst  es  im  Sacro  Arsenale  in  der  Sentenz, 
während  in  dem  Verhöre  dem  Angeklagten  gesagt  wird: 
,,wenn  er  sich  nicht  entschliesse,  die  Wahrheit  zu  sagen, 
werde  gegen  ihn  zur  Folterung  geschritten  werden"  (contra 
eum  devenietur  ad  torttiram),  worauf  dann  eventuell  die  Ab- 
führung in  die  Folterkammer  und  die  Folterung  selbst  folgt. 
Es  ist  also  jedenfalls,  wie  Wohlwill  weiter  (S.  8  ff.)  richtig 
bemerkt,  ganz  falsch,  wenn  man  sagt,  Examen  rigorosum 
und  Tortur  seien  „zwei  ganz  verschiedene  Dinge"2).  Nie 
wird  die  Tortur  neben  dem  Examen  rigorosum  als  etwas 
davon  Verschiedenes  genannt;  sie  ist  vielmehr  in  dieses  mit 
eingeschlossen,  und  wenn  eine  Sentenz  der  Inquisition  von 
Examen  rigorosum  spricht,  so  ist  vorauszusetzen,  dass  das 
stattgefunden,  was  im  6.  Theile  des  Sacro  Arsenale  mit  dem 
Ausdrucke  interrogare  oder  esaminare  i  Rei  nella  tortura 
(in  tortura,  ne'  tormenti),  bezeichnet  wird 3).  Aus  einem  hand- 


1)  S.  15.  22.  23.  In  den  Fonnularen  für  die  Sentenzen  im  S.  A.  steht 
rigorosa  esamina,  in  den  Urtheilen  gegen  Galilei  und  Manfredi  (p.  47)  rigo- 
roso esame,  in  dem  Urtheil  gegen  Carnesecchi  (p.  47)  esamine  rigoroso.  Bei 
Carena  findet  sich  examen  rigorosum  nur  einmal  (p.  172)  in  einem  Citat  aus 
dem  S.  A.  (Wohlwill  S.  23);  bei  Pena  habe  ich  den  Ausdruck  gar  nicht 
gefunden,  bei  Pignatelli  einmal  ^p.  535  a)  severum  examen.  In  dem  Capitel, 
welches  Wolynski  p.  135  aus  der  Praxis  S.  Inquisitionis  von  J.  B.  Neri 
(1685)  mittheilt,  steht  einmal  extor quere  rigoroso  examine,  einmal  confessus 
est  in  rigoroso  examine  torturae. 

2)  So  Epinois,  Galil6e  p.  70,  und  ähnlich  auch  noch  La  question  p.  210. 
Aehnlich  Gebier,  Galilei  S.  315. 

3)  Gleichbedeutend  ist  Quaestio ;  vgl.  Carena  p.  396  b:  Quaestio  in 
iure  nostro  dicitur  inquisitio  veritatis  per  tormenta  et  corporis  dolorem', 
tortura  vero  est  ipsemet  corporis  cruciatus  ad  veritatem  eruendam  repertus. 
In  der  Formel  bei  Eymericus-Pegna  p.  480b  heisst  es:  sententiamus  te  sup- 
ponendum   quaestionibus    et  tormentis ;    der    von    der   Folterung    handelnde 


Der  Ausdruck  Examen  rigorosum.  363 

schriftlichen  Werke  über  das  Verfahren  der  Inquisition, 
welches  der  Bischof  Diodato  Scaglia  von  Melfi,  ein  Neffe 
des  Cardinais  Scaglia,  der  unter  Galilei's  Richtern  war, 
geschrieben  und  dem  Cardinal  Barberini  gewidmet  hat, 
führt  Berti1)  folgende  Stelle  an:  „Wenn  beschlossen  worden 
ist,  den  Angeklagten  zum  zweiten  Male  zu  foltern  (dar  la 
corda  repetita  al  reo),  so  ist  es  nicht  nöthig,  dieses  [im  Ur- 
theil]  zu  erwähnen;  es  genügt,  zu  sagen:  es  wurde  beschlos- 
sen, gegen  dich  zum  peinlichen  Verhöre  (esame  rigoroso)  zu 
schreiten." 

Nun  muss  aber  nicht  in  allen  Fällen,  in  welchen  die 
Sentenz  von  dem  Examen  rigorosum  spricht,  angenommen 
werden,  dass  der  Delinquent  wirklich  gefoltert  worden  sei. 
Denn  in  manchen  Fällen  galt  das  Bedrohen  mit  der  Folte- 
rung, welches  Wohlwill  als  Territio  realis  bezeichnet,  als 
mit  der  wirklichen  Folterung  gleichwerthig,  und  in  solchen 
Fällen  konnte  also  auch  von  demjenigen,  der  nicht  gefoltert, 
sondern  nur  geschreckt  worden  war,  in  der  Sentenz  gesagt 
werden,  es  habe  das  Examen  rigorosum  stattgefunden. 

Der  Delinquent  musste,  wie  oben  (S.  305)  erwähnt 
wurde,  die  auf  der  Folter  gemachten  Geständnisse,  wenn 
sie  rechtliche  Gültigkeit  haben  sollten,  nach  24  Stunden 
ausserhalb  der  Folterkammer  ratificiren.  Nun  wird  im  Sacro 
Arsenale2)  bestimmt,  diese  Ratification  sei  auch  dann  nöthig, 
wenn  der  Angeklagte  ein  Geständniss  abgelegt  „nur  aus 
Furcht  vor  den  bevorstehenden,  ihm  von  dem  Inquisitor  an- 
gedrohten Foltern,  d.  h.  wenn  er  schon  gebunden  oder  ent- 
kleidet oder  doch  in  die  Folterkammer  abgeführt  war",  und 
an  einer  andern  Stelle3)  heisst  es:  „Wenn  der  Angeklagte, 
nachdem  er  nur  in  die  Folterkammer  abgeführt  oder  dort 
entkleidet  oder  auch  gebunden,  aber  noch  nicht  emporge- 
zogen worden,  ein  Geständniss  macht,  so  sagt  man,  er  habe 
auf  der  Folter  und  bei  dem  peinlichen  Verhöre  (ne*  tormenti 
e  nella  esamina  rigorosa)  gestanden".  Aehnlich  sagt  Ca- 
rena4):  die  Ratification  sei  nöthig,  wenn  der  Delinquent  das 


Abschnitt  p.   591    hat   die    Ueberschrift   De   quaestionibus  et   tormentis,  und 
quaestionare  bedeutet  während  der  Folter  verhören. 

1)  II  Processo  p.  CXI  (N.  Ed.  p.  96).  2)  P.  X,  No.  85. 

3)  P.  X,  No.  249.     Vgl.  Wohlwill  S.  28. 

4)  p.  413a.     Ganz  ähnlich  Pignatelli  p.  171a.   175a, 


364  Der  Ausdruck  Examen  rigorosum. 

Geständniss  abgelegt  „aus  unmittelbarer  Furcht  vor  der 
Folter  (meta  torturae  proximo),  d.  h.  wenn  er  in  der  Folter- 
kammer gestanden,  während  er  gebunden,  wurde  u.  s.  w., 
da  die  Furcht  vor  der  Folter  dasselbe  bewirkt  wie  die  Fol- 
ter selbst";  dagegen  sei  die  Ratification  nicht  nöthig,  das 
Geständniss  als  ein  freies  und  darum  ohne  weiteres  rechts- 
gültiges anzusehen,  wenn  es  gemacht  worden  sei  ,,nach  einer 
Androhung  der  Folter  nur  in  Worten  (post  comminationem 
tantummodo  verbalem),  weil  die  aus  einer  solchen  Bedrohung 
entstehende  Furcht  vor  der  Folter  entfernt^  und  leicht  und 
darum  der  wirklichen  Folter  nicht  gleichzustellen  ist".  Auf 
Grund  solcher  Stellen  nimmt  Wohlwill  mit  Recht  an,  von 
einem  Examen  rigorosum  könne  in  einer  Sentenz  auch  dann 
gesprochen  werden,  wenn  nur  eine  Bedrohung  mit  der  Fol- 
terung in  der  Folterkammer  stattgefunden. 

Eine  Stelle  in  den  Zusätzen  Pasqualone's  zum  Sacro 
Arsenale1)  führt  uns  noch  einen  Schritt  weiter.  „Die  Ratifi- 
cation, sagt  er,  ist  nicht  nur  dann  nöthig,  wenn  das  Geständ- 
niss abgelegt  wird  während  der  wirklichen  Folterung  oder 
nachdem  der  Angeklagte  in  die  Folterkammer  abgeführt  und 
gebunden  worden  und  im  Begriffe  steht,  emporgezogen  zu 
werden,  sondern  auch  dann,  wenn  der  Angeklagte  es  ablegt, 
nachdem  an  dem  Orte  des  Verhöres  das  Decret  aufgezeichnet 
worden,  dass  er  in  die  Folterkammer  zur  Folterung  abzu- 
führen sei;  denn  auch  in  diesem  Falle  wird  von  dem  Ge- 
ständnisse präsumirt,  es  sei  aus  Furcht  vor  der  Folter  ab- 
gelegt." Masini2)  sagt  sogar:  „Wenn  der  Richter  in  dem 
Gerichtssaale  ausserhalb  der  Folterkammer  zu  dem  Ange- 
klagten sagt:  Wenn  du  nicht  das  Vergehen  eingestehst, 
werde  ich  dich  abführen  und  foltern  lassen,  und  der  Ange- 
klagte darauf  hin  gesteht,  so  wird  man  nicht  sagen,  das 
Geständniss  sei  aus  Furcht  vor  der  Folter  abgelegt;  denn 
das  ist  eine  leichte  Schreckung  (lieve  territione)  und  erscheint 
nur  als  Renommage  (una  cotal  giattanza)  des  Richters,  — 
es  sei  denn,  dass  der  Richter  ein  schrecklich  aussehender 
Mensch  und  gewohnt  wäre,  dergleichen  zu  sagen  und  zur 
Ausführung  zu  bringen;  denn  in  diesem  Falle  müsste  das 
Geständniss  ein  metu  tormentorum  abgelegtes  genannt 
werden".     Dieser  letzte  Fall  kommt  hier  nicht  in  Betracht; 


1)  p.  229.  2)  S.  A.  P.  X,  No.  260. 


Der  Ausdruck  Examen  rigorosum.  36$ 

aber  bei  dem  von  Pasqualone  angeführten  handelt  es  sich 
um  eine  Androhung,  die  Wohlwill  zu  der  Territio  verbalis 
zählt  und  die  doch  in  ihrer  Wirkung  dem,  was  er  Territio 
realis  nennt,  gleichgestellt  wird.  So  wird  also  der  Satz, 
dass  in  einer  Sentenz  von  dem  Examen  rigorosum  nur  dann 
gesprochen  werden  könne,  wenn  die  Folterung  oder  die 
Schreckung  in  der  Folterkammer,  nicht  auch  dann,  wenn 
bloss  eine  Schreckung  im  Verhörslocale  stattgefunden,  nicht 
festgehalten  werden  können.  Die  Ausdrücke  Territio  levis 
oder  verbalis  und  gravis  oder  realis  scheinen  überhaupt 
nicht  so  scharf  bestimmte  und  so  stehende  Termini  technici 
gewesen  zu  sein,  wie  Wohlwill  annimmt.  Während  Pas- 
qualone schon  die  noch  im  Verhörslocale  stattfindende  Pub- 
lication  des  Beschlusses,  zur  Folterung  zu  schreiten,  als 
eine  Territio  gravis  behandelt,  bezeichnen  Andere  die  Ab- 
führung des  Angeklagten  in  die  Folterkammer,  so  lange 
nicht  bis  zur  Entkleidung  und  zum  Festbinden  geschritten 
worden  sei,  als  einen  levis  terror1). 

Zu  Gunsten  der  Ansicht,  dass  nur  die  Territio  realis, 
nicht  auch  die  verbalis  unter  den  Begriff  Examen  rigorosum 
falle,  beruft  sich  Wohlwill  S.  25  auch  darauf,  dass  nach 
Farinacci  gewöhnlich  fünf  Grade  der  Tortur  unterschieden 
wurden,  von  denen  der  erste  darin  bestand,  dass  der  An- 
geklagte entkleidet,  gebunden  und  an  das  Seil  geschlossen 
und  alles  so  weit  vorbereitet  wurde,  dass  nur  noch  das 
Aufziehen  fehlte,  was  zwar,  wie  Farinacci  sagt,  eigentlich 
nur  eine  Schreckung  war,  aber  im  weitern  Sinne  Tortur 
genannt  werden  konnte2).  Dem  gegenüber  hat  man  ge- 
sagt: auch  die  Territio  verbalis  werde  oft  unter  dem  Aus- 
drucke Tortura  mit  einbegriffen;  namentlich  zähle  Julius 
Clarus  die  fünf  Grade  der  Tortur  so  auf:  1.  die  Androhung 
der  Folter,    2.   die  Einführung  in  die  Folterkammer,    3.   die 


1)  So  Julius  Clarus  p.  696  und  unter  Bezugnahme  auf  ihn  Pignatelli 
II,  168a.  Auch  Farinacius  p.  587  b:  etiam  conductio  rei  ad  fiunem  dicitur 
levis  terror  secundiim  communem,  während  er  p.  588a  und  p.  655  die  ter- 
ritio realis  erklärt  als  quae  fit  per  spoliationem,  ligationem,  conductionem 
ad  locum  torturae  etc.;  ähnlich  Pegna  p.   484a. 

2)  Farinacius  L.  I.  Tit.  V.  Qu.  38,  No.  40,  p.  607a.  Ganz  ähnlich  M. 
A.  Sabellius  (1692)  bei  Wolynski  p.  138;  nur  zählt  er  als  sechsten  Grad: 
quando  devenitur  ad  repetitionem.  Beide  sprechen  von  der  Praxis  bei  welt- 
lichen Gerichtshöfen. 


366  Der  Ausdruck  Examen  rigorosum. 

Entkleidung  und  das  Festbinden,  4.  das  Aufziehen,  5.  der 
Folterruck1).  Aber  Clarus  fügt  dieser  Eintheilung,  —  die 
übrigens  auch  Farinacci  kennt,  aber  als  die  „weniger  ge- 
wöhnliche" bezeichnet,  —  die  Bemerkung  bei:  in  der  Pra- 
xis werde  ein  Geständniss,  welches  auf  eine  vor  der  Ab- 
führung in  die  Folterkammer  stattgehabte  Bedrohung  hin 
abgelegt  worden,  nicht  als  ein  aus  Furcht  vor  der  Folter 
abgelegtes  angesehen,  und  er  führt  dann  eine  andere  Ein- 
theilung der  Tortur  in  drei  Grade  an,  von  denen  der  erste 
Schreckung  genannt  werde,  aber  nicht  allein  die  Androhung 
der  Folterung,  sondern  auch  die  Abführung  in  die  Folter- 
kammer, das  Entkleiden  und  das  Festbinden  umfasse.  Pig- 
natelli  führt  p.  163  a  dieselben  fünf,  p.  168  a  dieselben  drei 
Grade  an  und  sagt:  nur  wenn  die  drei  ersten  Grade  nach 
der  ersten  Eintheilung  zusammen  kämen,  könne  von  einer 
Furcht  vor  der  Folter  die  Rede  sein,  die  der  Folterung 
selbst  gleich  stehe.  So  bleibt  es  also  richtig,  dass  gewöhn- 
lich die  Territio  verbalis  unter  dem  Ausdrucke  Tortura 
nicht  mit  einbegriffen  wurde.  Aber  daraus  folgt  nicht,  dass 
sie  nicht  unter  den  Begriff  Examen  rigorosum  fiel. 

Ich  glaube,  wir  müssen,  um  die  Bedeutung  des  Aus- 
drucks Examen  rigorosum  in  dem  Sprachgebrauche  der 
Inquisition  zu  erkennen,  einen  etwas  andern  Weg  ein- 
schlagen als  Wohlwill2).  Bei  einem  Inquisitionsprocesse 
wurden  zunächst  die  Denuncianten,  die  von  ihnen  namhaft 
gemachten  Zeugen  und  der  Denuncirte  selbst  verhört,  um 
die  Richter  zu  informiren  und  Material  für  die  zu  formu- 
lirende  Anklage  zu  gewinnen.  Von  diesem  Theile  des 
Processes,  dem  Informativ-Processe,  handelt  der  2.  und  3. 
Theil  des  Sacro  Arsenale;  der  4.  handelt  Del  modo  di  for- 
mare  il  processo  repetitivo  e  defeitsivo  und  enthält  Formu- 
lare für  das  nach  der  Formulirung  der  Anklage  vorzuneh- 
mende nochmalige  Verhör  der  Belastungszeugen  über  be- 
stimmte Fragen   und   für   das  Verhör   der   von    dem  Ange- 


1)  So  Grisar  S.  188,  Gebier,  Gegenw.  1878,  No.  24,  S.  376.  S.  Ju- 
lius Clarus,  Pract.  crim.  L.  V,  §  Fin.  q.  64,  p.  696 ;  vgl.  Farinacius  1.  c. 
No.  39«  —  Der  Folterruck,  squassatio  z.  e.  succussio  per  funem  et  lapsus 
(Pignatelli  II,  163  a),  war  übrigens  bei  der  Römischen  Inquisition  verboten. 
S.  A.  p.   189. 

2)  Aehnlich  wie  ich  fasst,  wie  ich  nachträglich  gesehen,  Wolynski 
p.  86.  97.  98  die  Sache  auf. 


Der  Ausdruck  Examen  rigorosum.  367 

klagten  namhaft  gemachten  Schutzzeugen.  Dann  handelt 
der  6.  Theil  (in  dem  5.  stehen  Formulare,  die  hier  nicht  in 
Betracht  kommen)  Del  modo  d'interrogare  i  Ret  nella  tor- 
tura.  In  dem  einleitenden  Abschnitte  heisst  es:  „Wenn  der 
Angeklagte  die  ihm  Schuld  gegebenen  Vergehen  leugnet  und 
diese  nicht  vollständig  erwiesen  sind,  und  wenn  der  Ange- 
klagte in  der  ihm  für  seine  Vertheidigung  angesetzten 
Frist  zu  seiner  Rechtfertigung  nichts  vorgebracht  oder  bei 
seiner  Vertheidigung  die  Indicien ,  welche  sich  aus  dem 
Processe  gegen  ihn  ergeben,  nicht  beseitigt  hat,  so  muss, 
um  die  Wahrheit  zu  ermitteln,  gegen  ihn  zum  peinlichen 
Verhöre  (rigorosa  esamina)  geschritten  werden,  da  die  Folte- 
rung (la  tortura)  gerade  dazu  erfunden  ist,  den  Mangel  der 
Zeugenaussagen,  falls  diese  keinen  vollen  Beweis  gegen 
den  Angeklagten  liefern,  zu  ergänzen.  .  .  .  Um  aber  sicher 
zu  gehen,  muss  der  Inquisitor  zuerst  in  einer  Sitzung  der 
Consultoren  des  h.  Officiums  den  Offensiv-  und  Defensiv- 
Process  vorlegen,  und  nach  dem  gelehrten  und  erfahrenen 
Rathe  der  Consultoren  muss  er,  obschon  ihr  Votum  kein 
entscheidendes,  sondern  nur  ein  berathendes  ist,  sich  rich- 
ten und  verfahren.  Oder  wenn  die  Sache  wichtig  und 
schwierig  ist,  mache  er  davon  dem  heiligen  und  höchsten 
Tribunale  der  heiligen  und  allgemeinen  Römischen  Inquisi- 
tion Mittheilung  und  erwarte  von  dort  die  Entscheidung. 
Wir  setzen  also  voraus,  es  habe  bereits  unter  der  Assistenz 
des  Diöcesanbischofs  oder  seines  Bevollmächtigen  die  Be- 
rathung  [mit  den  Consultoren]  stattgefunden  und  es  müsse 
nach  den  Gesetzen  der  Angeklagte  dem  peinlichen  Ver- 
höre unterworfen  werden  (a  rigorosa  esamina  sottoporsi), 
oder  es  sei  von  der  h.  Congregation  eine  Weisung  ange- 
langt (st  sia  ricevuto  l'oraculo),  was  zu  thun  sei,  und  gehen 
nun  daran,  die  verschiedenen  Formen  des  besagten  Ver- 
höres (dt  detta  esamina)  auseinanderzusetzen,  welche  je  nach 
der  Verschiedenheit  der  Fälle  bei  dem  h.  Tribunale  vor- 
kommen können."  Der  nächste  Abschnitt  hat  die  Ueber- 
schrift:  Modo  di  esaminare  in  tortura  sopra  il  fatto,  einer 
der  folgenden:  Modo  di  esaminare  in  tortura  sopra  V inten- 
tione  solamente  (p.  164,  —  um  ein  Verhör  über  die  Intention 
handelt  es  sich  bei  Galilei).  Jeder  dieser  Abschnitte  be- 
ginnt aber  mit  der  bereits  (S.  307)  erwähnten  Weisung  be- 
züglich des  letzten  noch  in  dem  gewöhnlichen  Locale  abzu- 


368  t)er  Ausdruck  Examen  rigorosum. 

haltenden  Verhöres,  bei  welchem  nach  einigen  kurzen  und 
knappen  Fragen  die  Bedrohung  mit  der  Folterung  statt- 
fand und  welches  mit  der  Protocollirung  des  Beschlus- 
ses, den  Angeklagten  in  die  Folterkammer  abzuführen 
u.  s.  w.,  schloss.  —  Aus  dieser  Darlegung  scheint  mir 
ganz  deutlich  hervorzugehen,  dass  mit  Examen  rigorosum 
das  Verhör  bezeichnet  wird,  welches  auf  den  nach  der 
Beendigung  des  Informativ-,  Offensiv-  und  Defensiv-Pro- 
cesses  gefassten  förmlichen  Beschluss  des  Inquisitors  und 
seiner  Consultoren  oder  der  Römischen  Inquisition ,  es 
dürfe  zur  Folterung  geschritten  werden,  folgt,  dass  also 
das  letzte  in  dem'  gewöhnlichen  Locale  vorg-enommene 
Verhör,  bei  welchem  dieser,  zunächst  nur  eventuelle  Be- 
schluss, nachdem  der  Angeklagte  auch  bei  der  Androhung 
der  Folter  hartnäckig  geblieben,  als  ein  definitiver  proto- 
collirt  wurde,  mit  zu  dem  Examen  rigorosum  gehört,  —  mit 
anderen  Worten,  dass  die  Grenzscheide  zwischen  den  ge- 
wöhnlichen Verhören  und  dem  peinlichen  Verhöre  nicht,  wie 
Wohlwill  annimmt,  die  Abführung  in  die  Folterkammer, 
sondern  der  zur  Folterung  ermächtigende  Beschluss  ist1). 

In  der  Regel  wird  es;  wenn  der  Beschluss  vorlag,  es 
dürfe  zur  Folterung  geschritten  werden,  auch  zur  wirklichen 
Folterung  oder  zu  einer  dieser  gleichwerthig  erachteten 
Schreckung  gekommen  sein,  und  zu  einem  regelrechten  und 
vollständigen  Examen  rigorosum  gehörte  also  auch  die  Be- 
fragung auf  der  Folter  oder  wenigstens  in  der  Folterkammer. 
Darum  kann  das  Sacro  Arsenale,  welches  die  Formulare 
für  vollständige  und  regelrechte  Examina  rigorosa  gibt, 
auch  in  den  Ueb  er  Schriften  die  Bezeichnung  csaminarc 
in  tortura  gebrauchen.  Dass  aber  die  beiden  Ausdrücke 
völlig  gleichbedeutend  seien,  folgt  daraus  nicht.  Wenn  der 
oben  (S.  364)  angeführte  Fall  eintrat,   dass  der  Delinquent 


1)  Auch  bei  den  weltlichen  Gerichten  musste  der  Richter,  wenn  er 
nach  der  Vollendung  des  Offensiv-  und  Defensiv-Processes  zur  Folterung 
schreiten  zu  müssen  glaubte,  ein  förmliches  Decret  darüber  erlassen.  Jul. 
Clarus  1.  c.  qu.  62,  p.  672;  qu.  64,  p.  681.  694  a.  Aber  die  letzte  Ermah- 
nung und  Bedrohung  im  Verhörslocale,  welche  bei  der  Inquisition  der 
Promulgation  des  Decretes  der  Folterung  und  der  Abführung  in  die  Folter- 
kammer vorherging,  war,  so  viel  ich  sehe,  bei  den  weltlichen  Gerichten  nicht 
erforderlich,  weshalb  denn  auch  bei  ihnen  das  examinare  in  tortura  jene 
letzte  Ermahnung  und  Bedrohung  nicht  mit  umfasste. 


Der  Ausdruck  Examen  rigorosum.  369 

nach  der  Protocollirung  des  Decretes,  ihn  in  die  Folter- 
kammer abzuführen,  noch  im  Verhörslocale  gestand,  so  wird 
man  dieses  Geständniss  als  ein  bei  dem  Examen  rigorosum 
gemachtes  bezeichnet  haben.  Nach  den  angeführten  einlei- 
tenden Bemerkungen  zum  6.  Theile  des  Sacro  Arsenale 
waren  Examen  rigorosum  und  Examen  in  tortura  nicht 
„identisch",  letzteres  vielmehr  ein  Theil,  in  der  Regel  der 
Haupttheil  des  (vollständigen)  Examen  rigorosum. 

Zu  dieser  Auffassung  passen,  so  viel  ich  sehe,  alle 
Stellen  des  Sacro  Arsenale,  wo  der  Ausdruck  Examen  rip-o- 
rosum  vorkommt.  Auch  die  von  Wohlwill  S.  24  angeführte 
Stelle  p.  187  (nicht  189)  spricht  nicht  dagegen.  Es  heisst 
dort:  Wenn  ein  Angeklagter  sich  hartnäckig  weigert  zu 
antworten  oder  unbestimmt  und  ausweichend  antwortet,  ,,so 
ist  es  nothwendig,  gegen  ihn  zum  Examen  rigorosum  zu 
schreiten,  um  überhaupt  eine  Antwort  oder  eine  genaue, 
genügende  und  ausreichende  Antwort  zu  erlangen.  Aber 
zuerst  fprimaj  muss  man  ihn  in  gebührender  Weise  er- 
mahnen und  dann  (appresso)  ihn  mit  dem  Seile  bedrohen, 
und  der  Notar  hat  seine  Hartnäckigkeit  gegenüber  diesen 
Ermahnungen  und  Drohungen  in  folgender  Form  zu  regi- 
striren.  .  .  Dann  wird  das  Decret  der  Folterung  (il  decreto 
dt  tortura)  formulirt"  u.  s.  w.  Die  Formeln  stimmen  in 
allem  Wesentlichen  mit  den  früher  angegebenen  überein. 
Wohlwill  übersetzt  nicht  genau:  „Aber  zuvor  muss  man  ihn 
in  gebührender  Weise  ermahnen  und  ihn  mit  dem  Seile 
bedrohen",  lässt  das  Folgende  weg,  fügt  bei:  „Der  Richter 
soll  also  mit  der  Tortur  bedrohen,  ehe  er  zum  Examen  rigo- 
rosum  schreitet",  und  folgert  aus  der  Stelle,  „dass  die  ein- 
leitende Befragung  unter  Androhung  der  Tortur  nicht  ein- 
mal als  ein  Theil  derselben  angesehen  werde".  Richtig  • 
übersetzt  und  verstanden,  besagt  die  Stelle  vielmehr:  das 
Examen  rigorosum,  zu  dem  der  Richter  zu  schreiten  habe, 
habe  zu  bestehen  1.  aus  der  Ermahnung,  2.  der  Bedrohung, 
3.  dem  Decrete,  den  Delinquenten  in  die  Folterkammer  ab- 
zuführen und  dort  zu  foltern,  4.  dem  was  in  der  Folterkam- 
mer geschah.  Nicht  vor  dem  Examen  rigorosum,  sondern 
vor  der  Folterung  soll  die  Ermahnung  und  Bedrohung  statt- 
finden, und  diese  wird  allerdings  nicht  als  ein  Theil  der 
Tortur,  wohl  aber  als  ein  Theil  des  Examen  rigorosum 
angesehen. 

Reusch,  Galilei.  24 


370  Der  Ausdruck  Examen  rigorosum. 

Da  es,  wie  gesagt,  in  der  Regel,  wenn  die  Inquisition 
beschlossen  hatte,  der  Angeklagte  solle  „dem  peinlichen 
Verhöre  unterworfen  werden",  zur  wirklichen  Folterung  oder 
zu  einer  ihr  gleichwerthig  erachteten  Schreckung  gekommen 
sein  wird,  so  ist,  wenn  in  einer  Sentenz  das  Examen  rigo- 
rosum erwähnt  wird,  zu  präsumiren,  dass  der  Angeklagte 
gefoltert  oder  doch  in  die  Folterkammer  abgeführt  und  dort 
geschreckt,  dass  mindestens  bei  dem  letzten  Verhöre  der 
definitive  Beschluss,  zur  Folterung  zu  schreiten,  protocollirt 
worden  sei.  Die  Inquisition  war  aber  berechtigt,  auch  wenn 
es  bei  Galilei  so  weit  nicht  gekommen  war,  in  der  Sentenz 
zu  sagen:  „Wir  haben  für  nöthig  erachtet,  gegen  dich  zum 
peinlichen  Verhöre  zu  schreiten,  bei  welchem  du  —  jedoch 
ohne  Präjudiz  u.  s.  w.  —  katholisch  geantwortet  hast",  — 
sofern  sie  wirklich  beschlossen  hatte,  es  solle  zum  peinlichen 
Verhöre  Galilei's  geschritten  werden,  wenn  auch  mit  der 
Beschränkung,  dasselbe  solle  nur  bis  zur  Androhung  der 
Tortur  fortgesetzt  werden,  und  sofern  Galilei  wirklich  bei 
einem  nach  dem  oben  Gesagten  zum  Examen  rigorosum 
gehörenden  Verhöre  bezüglich  der  Intention  katholisch  ge- 
antwortet hatte.  Die  Beifügung  der  Formel  „ohne  Präjudiz 
u.  s.  w."  (s.  o.  S.  304)  hätte  allerdings  in  der  Sentenz  gegen 
Galilei  unterbleiben  können,  weil  sie,  wie  Wohlwill  S.  34 
richtig  bemerkt,  nur  dann  in  das  Protocoll  aufgenommen 
wurde,  wenn  die  Abführung  des  Angeklagten  in  die  Folter- 
kammer beschlossen  wurde,  also  bei  Galilei  von  dem  Com- 
missar  nicht  gebraucht  worden  war.  Sie  wurde  aber  in  die 
Sentenz  aufgenommen,  um  zu  constatiren,  dass  die  Inquisi- 
tion, wiewohl  Galilei  bei  dem  peinlichen  Verhöre  bezüglich 
der  Intention  „katholisch  geantwortet",  sich  doch  auf  Grund 
dessen,  was  er  früher  eingestanden  und  was  gegen  ihn  er- 
wiesen worden,  für  berechtigt  halte,  ihn  als  der  Ketzerei 
verdächtig  anzusehen. 

Einige  haben  angenommen,  in  der  Sentenz  sei,  obschon 
nur  die  in  dem  Protocoll  vom  2 1 .  Juni  erwähnte  Bedrohung 
stattgefunden,  der  Ausdruck  Examen  rigorosum,  der  auf  ein 
„Verhör  in  strengerer  Form"  (wenigstens  auf  das,  was 
Wohlwill  Territio  realis  nennt)  zu  deuten  scheine,  gebraucht 
worden,  „um  zu  bezeichnen,  was  der  Sitte  oder,  wie  man 
sagt,  dem  Stile  gemäss  hätte  geschehen  sollen,  nicht  aber, 


Publication  des  Urtheils  an  anderen  Orten.  371 

was  geschehen  war" 1).  Richtiger  wird  man  nach  dem  eben 
Vorgetragenen  sagen:  die  Inquisition  habe  auch  in  der  Sen- 
tenz gegen  Galilei  „dem  Stile  gemäss'*',  wie  das  in  den 
Sentenzen  gegen  „stark  Verdächtige'*  üblich  war,  das  Exa- 
men rigorosum  erwähnt,  obschon  dasselbe  gegen  Galilei  in 
einer  mildern  Form  angewendet  worden,  als  sonst  üblich 
war,  —  und  diese  Erwähnung  des  Examen  rigorosum  nicht 
zu  unterlassen,  mag  die  Inquisition,  wie  Gebier  vermuthet, 
darum  für  gut  befunden  haben,  weil  die  Sentenz,  die  überall 
publicirt  wurde,  auch  den  Zweck  hatte,  „zur  Einschüchterung 
zu  dienen,  der  Verbreitung  der  Copernicanischen  Lehre  ent- 
gegenzuwirken und  ihren  Anhängern  die  Übeln  Folgen  zu 
zeigen,  welche  die  Vertheidigung  derselben  für  Galilei  ge- 
habt." 


XXXII. 

Publication  des  Urtheils  gegen  Galilei  an  anderen  Orten. 

Der  in  der  Sitzung  der  Inquisition  vom  16.  Juni  1633 
gefasste  Beschluss  über  die  Bekanntmachung  der  Verur- 
theilung  Galilei's  wurde  in  der  am  30.  Juni,  wieder  unter 
dem  Vorsitze  des  Papstes,  gehaltenen  Sitzung2)  bestimmter 
so  gefasst:  Dem  Inquisitor  zu  Florenz  sei  eine  Abschrift 
der  Sentenz  und  der  Abschwörung  Galilei's  zu  übersenden 
mit  der  Weisung,  sie  in  einer  Sitzung  der  Inquisition  den 
Consultoren  und  Beamten  des  h.  Officiums  und  den  gleich- 
falls einzuladenden  Professoren  der  Philosophie  und  Mathe- 
matik jener  Stadt  vorlesen  zu  lassen;  ferner  seien  Abschrif- 
ten  allen  Nuncien   und  Local-Inquisitoren,    namentlich    den 


i)  So  zuerst  Brenna  (1778);  s.  Wohlwill  S.  5.  Aehnlich  Gebier,  N. 
Antol.   1876,  III,  p.  64. 

2)  Gherardi  No.  XVI.  Acten  S.  114.  IX,  445.  Bei  Gherardi  heisst 
es:  der  Inquisitor  zu  Florenz  solle  die  Actenstücke  in  einer  Sitzung  velo 
levato  verlesen  lassen.  Das  wird  wohl  ein  technischer  Ausdruck  für  Sitzun- 
gen sein,  zu  denen  ausser  den  Beamten  der  Inquisition  auch  noch  andere  Per- 
sonen, hier  die  Professoren,  zugezogen  wurden. 


372  Publication  des  Urtheils  an  anderen  Orten. 

Inquisitoren  zu  Bologna  und  Padua,  zu  übersenden,  um  sie 
ihren  „Vicarien  und  Diöcesanen"  zu  notificiren,  —  die  In- 
quisitoren sollten  sie  ihren  Vicarien,  die  Nuncien  den  Diö- 
cesanbischöfen  ihres  Bezirks  notificiren J),  —  „damit  sie  zur 
Kenntniss  aller  Professoren  der  Philosophie  und  Mathema- 
tik gelangten." 

Wir  haben  ein  Schreiben  des  Secretärs  der  Inquisition 
vom  2.  Juli  1633,  mit  welchem  er  -die  beiden  Actenstücke 
der  Inquisition  zu  Venedig  übersandte2).  Am  Schlüsse  des- 
selben heisst  es:  dieselben  seien  den  Professoren  der  Phi- 
losophie und  Mathematik  zur  Kenntniss  zu  bringen,  „damit 
sie  wissen,  wie  mit  Galilei  verfahren  worden,  und  daraus 
die  Schwere  des  von  ihm  begangenen  Irrthums  erkennen 
und  sich  vor  der  Strafe  hüten,  die  sie,  wenn  sie  in  densel- 
ben Irrthum  fallen  sollten,  zu  erleiden  haben  würden".  Wie 
die  gleich  zu  erwähnenden  Antworten  ergeben,  ergingen 
gleichlautende  Schreiben  noch  an  26  Inquisitoren  in  ande- 
ren italienischen  Städten  und  Schreiben  desselben  Inhalts 
an  die  zehn  Nuncien  in  Florenz,  Neapel,  Venedig,  St.  Ni- 
colas (Frankreich),  Brüssel,  Lüttich,  Wien,  Luzern,  Wilna 
(Polen)  und  Madrid3). 

Bezüglich  des  Inquisitors  zu  Florenz  scheint  in  Rom  der 
Verdacht  entstanden  zu  sein,  dass  er  die  ihm  ertheilte  Wei- 
sung nicht  pünktlich  ausgeführt.  Bei  den  Acten 4)  findet  sich 
folgender  Brief  desselben  vom  27.  Aug.  1633:  „Schon  am  9. 
Juli  habe  ich  Ew.  Eminenz  geschrieben  [der  Brief  ist  nicht 
bei  den  Acten],  dass  ich  die  Abschrift  der  Sentenz  gegen 
Galilei   und  seiner  Abschwörung   erhalten  und  dass  ich  sie 


1)  Wolynski  p.  26  theilt  das  betreffende  Schreiben  des  Nuncius  zu 
Florenz  an  den  dortigen  Erzbischof  (27.  Aug.   1633)  mit. 

2)  IX,  472;  s.  o.  S.  355. 

3)  Vgl.  Grisar  S.  676.  Von  einer  directen  Mittheilung  an  „alle  Erz- 
bischöfe und  Bischöfe  Italiens''  (Gebier,  Galilei  S.  322)  ist  nicht  die  Rede. 

4)  S.  127.  Bei  Gherardi  No.  XVII  wird  berichtet:  in  der  Sitzung 
vom  24.  Aug.  sei  ein  Brief  des  Nuncius  zu  Florenz  vorgelesen  und  darauf 
beschlossen  worden,  ihm  zu  schreiben,  er  solle  für  die  Ausführung  des  Be- 
fehles Seiner  Heiligkeit  bezüglich  der  Sentenz  gegen  Galilei  Sorge  tragen. 
In  den  Vaticanischen  Acten  findet  sich  nur  S.  122  ein  Brief  des  Nuncius 
vom  6.  Aug.,  worin  er  den  Empfang  eines  Schreibens  des  Cardinais  Antonio 
Barberini  anzeigt,  und  S.  130  ein  Brief  vom  3.  Sept.,  worin  er  berichtet,  er 
habe   die  Sentenz  und  Abschwörung  publicirt. 


Publication  des  Urtheils  an  anderen  Orten.  373 

in  der  folgenden  Woche  publiciren  würde.  Am  12.  Juli, 
wurde  in  Gegenwart  der  Consultoren  dieses  h.  Officiums 
und  so  vieler  Philosophen  und  Mathematiker,  als  zu  haben 
waren,  —  es  waren  ihrer  mehr  als  fünfzig,  —  die  besagte 
Sentenz  und  Abschwörung  in  der  vorgeschriebenen  Weise 
publicirt.  Ich  habe  mir  also  bezüglich  der  Ausführung  des 
Befehles  nichts  zu  Schulden  kommen  lassen.  Wenn  ich 
dadurch  gefehlt  habe,  dass  ich  über  diese  Ausführung  nicht 
berichtet  habe,  so  bitte  ich  demüthig  unsern  Herrn  und- die 
h.  Congregation  um  Verzeihung.  Ich  habe  dies  vernach- 
lässigt, weil  ich  dachte,  jener  Brief  würde  genügen.  Aber 
sie  mögen  mich  gnädig  entschuldigen;  denn  die  Ausführung 
dessen,  was  mir  befohlen  wird,  habe  ich  nie  unterlassen 
und  werde  ich  nie  unterlassen."  Dieser  Brief  wurde  in  der 
Sitzung  der  Inquisition  vom  8.  Sept.  vorgelesen,  und  darauf 
beschlossen,  dem  Inquisitor  einen  ernsten  Verweis  dafür 
zu  ertheilen,  dass  er  für  den  Dialog  Galilei's  die  Druck-Er- 
laubniss  ertheilt  habe1).  Der  Inquisitor  antwortete  am  17. 
Sept.2):  „Ich  habe  bereitwillig  und  mit  der  grössten  De- 
muth  den  scharfen  Tadel  entgegengenommen,  den  mir  Ew. 
Eminenz  im  Namen  unseres  Herrn  und  der  h.  Congregation 
ausgesprochen,  —  dass  dieselben  erklärt  hätten,  ich  hätte 
sie  schlecht  bedient,  indem  ich  so  leicht  den  Druck  und  die 
Veröffentlichung  des  so  verderblichen  Buches  Galilei's  ge- 
stattet hätte.  Wiewohl  ich  in  dieser  Beziehung  manches 
zu  meiner  Vertheidigung  sagen  könnte,  will  ich  doch,  da 
sie  das  Urtheil  aussprechen,  die  Schuld  liege  an  mir,  nichts 
anderes  sagen,  als  dass  ich  es  bereitwillig  hinnehme.  Ich 
bitte  demüthig  um  Verzeihung  und  versichere,  dass  es  mir 
für  die  Zukunft  zur  Lehre  und  Warnung  dienen  soll." 

Ueber  die  Publication  in  Florenz  berichtet  Mario  Gui- 
ducci  an  Galilei3):  ,,Im  Juli  kam  eines  Abends  der  Pater 
Vicarius  zu  mir  und  lud  mich  im  Namen  des  Paters  Inqui- 
sitor ein,  mich  zu  einem  Acte  einzufinden,  der  am  12.  im  h. 
Officium  stattfinden  solle.  Er  wollte  mir  nicht  sagen,  wo- 
rum es  sich  handelte.  Ich  ging  Abends  hin  und  fand,  dass 
sie  eben  in  Begriff  waren  anzufangen.  Es  waren  zugegen 
die   Consultoren   und   einige   Canonici  und    andere  Ordens- 


1)  Gherardi  No.  XVIII.     Acten  S.   128. 

2)  Acten  S.  137.  3)  IX,  390. 


374  Publication  des  Urtlieils  an  anderen  Orten. 

geistliche,  ferner  die  Herren  Filippo  Pandolfini,  Aggiunti, 
Francesco  Rinuccini  und  Dino  Peri1),  welche  eingeladen 
waren  wie  ich.  Wir  setzten  uns  Alle,  und  der  Pater  In- 
quisitor sagte,  er  habe  von  der  Congregation  den  Befehl 
erhalten,  den  Eingeladenen  die  Sentenz  und  die  Abschwö- 
rung vorzulesen,  und  er  beauftragte  den  Kanzler,  der  ein 
Mönch  desselben  Ordens  ist,  sie  vorzulesen.  (Folgt  eine 
Inhaltsangabe  der  Sentenz  und  der  Abschwörung.)  Was 
die  Erlangung  einer  Abschrift  betrifft  [darum  hatte  Galilei 
gebeten],  so  war  ein  Consultor  nicht  zug-egen,  weil  er  nicht 
in  Florenz  war.  Dieser  war  neugierig,  die  Sentenz  zu  hören, 
und  sie  wurde  ihm  vorgelesen.  Die  Bitte  um  eine  Abschrift 
aber  wurde  ihm  abgeschlagen.  Da  ich  neugierig  war,  zu 
wissen,  warum  ich  eingeladen  worden  sei,  sagte  mir  der 
Pater  Vicarius,  sie  hätten  von  Rom  Befehl,  so  viele  Mathe- 
matiker und  Philosophen  einzuladen,  als  sie  haben  könnten." 
In  den  Processacten  findet  sich  eine  ganze  Reihe  von 
Schreiben,  worin  die  Nuncien  und  Inquisitoren  anzeigen, 
dass  sie  die  Actenstücke  erhalten  und  die  Weisung  der  h. 
Congregation  ausgeführt  hätten  oder  ausführen  würden.  Wie 
der  Inquisitor  von  Florenz,  so  wurden  auch  noch  einige 
Andere,  die  nur  angezeigt  hatten,  sie  würden  die  Weisung 
ausführen,  nach  einiger  Zeit  aufgefordert,  auch  über  die 
geschehene  Ausführung  zu  berichten2).  Uebrigens  haben  in 
diesen,  sonst  sehr  einförmigen  Actenstücken  nur  folgende  Ein- 
zelheiten Interesse:  Der  Inquisitor  von  Padua  meldet,  der 
Philosoph  Fortunio  Liceti  habe  ihm  das  Exemplar  des  Dia- 
logs ausgeliefert,  welches  er  von  Galilei  zugeschickt  er- 
halten; er  fahnde  auch  in  den  dortigen  Bibliotheken  auf 
das  Buch3).     Der  Inquisitor  von  Reggio  fragt  an,  ob  er  die 

i)  Niccolö  Aggiunti,  geb.  1600,  war  einer  der  hervorragendsten  Schü- 
ler Galilei's.  Er  wurde  auf  dessen  Empfehlung  1626  Castelli's  Nachfolger 
als  Professor  der  Mathematik  in  Pisa,  starb  aber  schon  1.  Dec.  1635.  Dino 
Peri,  ein  anderer  Schüler  Galilei's,  wurde  in  Pisa  Aggiunti's  Nachfolger, 
starb  aber  schon  1640.     S.  IX,   109.    184.     Targioni  I,  310. 

2)  Acten  S.  141.  153. 

3)  Acten  S.  136.  Liceti,  geb.  1577,  1600  Professor  der  Philosophie 
in  Pisa,  seit  1609  in  Padua,  später  (1636)  in  Bologna,  1645  Prof.  der  Medicin 
in  Bologna,  f  1657,  ein  sehr  gelehrter  Mann  und  fruchtbarer  Schriftsteller, 
aber  ein  starrer  Aristoteliker,  s.  o.  S.  15  und  unten  §  XXXV.  VI,  285. 
Tiraboschi  VIII,  163.  Liceti  erbat  sich  nachher  die  Erlaubniss,  den  Dialog 
zu  lesen.     Epinois,  La  question  p.  282. 


Publication  des  Urtheils  an  anderen    Orten.  375 

Zuschrift  der  Inquisition  und  das  Urtheil  über  Galilei  voll- 
ständig oder  nur  eine  Notiz  darüber  drucken  lassen  solle. 
Der  Inquisitor  von  Pisa  beklagt  sich,  dass  der  Vicar  des 
Erzbischofs  die  Zuschrift  der  Inquisition  früher  erhalten  als 
er  und  ihm  mit  der  Publication  zuvorgekommen  sei.  Der 
Inquisitor  von  Venedig  spricht  von  der  Meinung,  welche 
Galilei  „in  seinem  Linceo"  vorgetragen  habe,  und  der  In- 
quisitor von  Ceneda  spricht  von  einem  schon  vor  dreizehn 
Jahren  erlassenen  Decrete  über  das  Buch  des  Nicolo  Caper- 
nico  Lettore1).  Der  Nuncius  von  Brüssel  legt  einen  Brief 
des  Rectors  des  englischen  Colleg  zu  Douay,  Matthäus 
Kellison,  bei,  worin  derselbe  sagt:  „Ich  habe  die  Sache 
bei  der  ersten  Gelegenheit  dem  Kanzler  und  anderen  Pro- 
fessoren der  hiesigen  Universität  mitgetheilt;  sie  sind  so 
weit  entfernt,  dieser  fanatischen  Meinung  (des  Copernicus, 
huic  phanaticae  opinioni)  zuzustimmen,  dass  sie  dieselbe  in 
ihren  Vorlesungen  immer  bekämpft  haben  (ut  illam  e  scho- 
lis  suis  semper  explodendam  et  exsibilandam  duxerint).  In 
unserm  englischen  Colleg  ist  jenes  Paradoxon  nie  gebilligt 
worden  und  wird  es  nie  gebilligt  werden;  vielmehr  haben 
wir  es  immer  verabscheut  und  werden  es  immer  verab- 
scheuen" 2). 

Diesen  mit  den  Processacten  veröffentlichten  Acten- 
stücken  können  noch  zwei  bei  Alberi3)  gedruckte  an  die 
Seite  gestellt  werden.  Das  erste  ist  ein  Schreiben  des 
Nuncius  zu  Brüssel  vom  1.  Sept.  1633,  worin  er  dem  Cor- 
nelius Jansenius,  als  Professor  primarius  zu  Löwen,  die 
Verurtheilung  Galilei's  mittheilt  und  zum  Schlüsse  sagt: 
„Dieses  hat  die  h.  Congregation  den  belgischen  Universi- 
täten mitzutheilen  befohlen,  damit  sich  Alle  dieser  Wahr- 
heit conformiren;  daran  bitte  ich  also  Sie  auch  die  übrigen 
Professoren  Ihrer  Universität  zu  erinnern".  Das  zweite  ist 
ein  Decret  des  Bischofs  von  Cortona  vom  13.  Sept.  1633, 
worin  das  Urtheil  gegen  Galilei  publicirt  wird.  Der  Schluss 
lautet:  „Damit  nun  Alle  und  ein  Jeder  insbesondere  davon 


1)  Acten  S.  145.   149.   124.    125. 

2)  S.  171.  Auch  in  diesem  Briefe  ist  die  Rede  von  „dem  Buche  eines 
gewissen  Galilei,  qui  Galilens  Galilaei  Lynceus  inscribituru,  —  vielleicht 
verschrieben  oder  verdruckt  für  Dialogus  Galilaei  Lyncei. 

3)  IX,  473- 


376  Der  Dialog  auf  den  Index  gesetzt. 

Kenntniss  erlange,  um  sich  zu  merken,  wie  man  über  die 
Dinge  redet  und  handelt,  welche  den  Glauben,  die  Kirche 
und  ihre  Prälaten  angehen,  soll  dieses  Edict  an  den  ge- 
wöhnlichen Stellen  angeheftet  und  von  Niemand  abgerissen 
werden.  Wer  dieses  wagt,  soll  sofort  der  Excommunica- 
tion  verfallen,  und  es  soll  gegen  ihn  als  einen  im  Glauben 
Verdächtigen  bei  dem  Officium  der  h.  Inquisition  vorge- 
gangen werden. " 

Galilei  selbst  erhielt  von  der  Inquisition  keine  Ab- 
schrift des  Urtheils  und  der  Abschwörung.  Er  bemühte 
sich,  durch" Freunde  eine  solche  zu  erhalten.  Am  3.  Sept. 
schrieb  ihm  Buonamici,  bei  dem  er  vor  seiner  Abreise  von 
Rom  den  Wunsch  geäussert  hatte,  eine  Abschrift  zu  haben, 
nach  Siena,  es  sei  ihm  nach  vielen  Bemühungen  gelungen, 
eine  solche  zu  erhalten;  er  bringe  sie  nächstens  mit1).  Buon- 
amici legte  diesem  Briefe  einen  Bericht  über  den  Pro- 
cess  bei,  den  „ein  Freund  nach  Deutschland,  Spanien  und 
Flandern  geschickt  habe";  das  ist  der  oben  (S.  6)  erwähnte, 
von  Buonamici  selbst  verfasste  Bericht,  —  Die  Sentenz 
wurde  zuerst  in  einem  1634  zu  Paris  erschienenen  Werke 
von  Mersenne  in  französischer  Uebersetzung,  1644  zu  Ve- 
nedig in  dem  „Anticopernicus  catholicus"  von  Giorgio  Po- 
lacco  mit  der  Abschwörung  italienisch  gedruckt2). 

Der  Dialog  wurde  auffallender  Weise  erst  unter  dem 
23.  Aug.  1634  auf  den  Index  gesetzt,  und  das  Verbot  des- 
selben nicht  durch  ein  besonderes  motivirtes  Decret  wie  das 
vom  J.  161 6  bekannt  gemacht3).  Als  der  Prinz  Gioan  Carlo 
von  Medici  im  August  1633  auf  sein  Ansuchen  die  Erlaub- 
niss  zum  Lesen  verbotener  Bücher  erhielt,  wurden,  wie  Gui- 
ducci4)  berichtet,  der  Dialog,  Machiavelli  und  „ein  gewisser 
Morneo"  (Philipp  Mornay  du  Plessis,  der  seit  1621  auf  dem 
Index  stand)  ausgenommen.  Damit  stimmt  die  Angabe  in 
einem  Briefe  Galilei's  vom  28.  Juni' 1 636 5),  der  Papst  habe 
die  Ertheilung  der  Erlaubniss  zum  Lesen  des  Dialogs  sich 
selbst  vorbehalten. 


1)  IX,  392;  vgl.  x,  166.     VII,  139. 

2)  Martin,  Galilee  p.  252.    Wohlwill,  Ist  Gal.  gef.  worden?  S.  159.  170. 

3)  Bouix  p.  114  meint  sonderbarer  Weise,  die  Stelle  aus  dem  Proto- 
coll  vom  16.  Juni  1633,  die  von  dem  Verbote  des  Dialogs  handelt,  sei  aus 
einem  Decrete  der  Index-Congregation. 

4)  IX,  384.     S.   o.  S.  76.  5)  VII,  66. 


Verbot  fernerer  Schriften  Galilei's.  377 

Nach  dem  Beschlüsse  vom  16.  Juni  1633  sollte  Galilei 
befohlen  werden,  „fortan  weder  schriftlich  noch  mündlich 
irgendwie  die  Ansicht  von  der  Bewegung1  der  Erde  u.  s.  w. 
oder  die  entgegengesetzte  Ansicht  zu  behandeln";  es 
sollte  ihm  also  jetzt  jede  Erörterung*  der  Copernicanischen 
Lehre,  selbst  die  Bekämpfung  derselben  untersagt  sein. 
Zu  dieser  Fassung  des  Beschlusses  mag  der  Umstand  An- 
lass  g'egeben  haben,  dass  Ga4ilei  in  dem  Verhöre  am  30. 
April  sich  erboten  hatte,  in  einer  Fortsetzung  des  Dialogs 
die  Copernicanische  Lehre  zu  widerlegen.  In  das  Urtheil 
vom  22.  Juni  wurde  jenes  Verbot  nicht  aufgenommen.  Es 
findet  sich  in  den  Acten  auch  nicht  erwähnt,  dass  es  Gali- 
lei förmlich  insinuirt  worden  sei.  Die  Inquisition  wandte  ein 
anderes,  über  den  Beschluss  vom  16.  Juni  noch  hinaus- 
gehendes Mittel  an,  um  die  Veröffentlichung  von  Schriften 
Galilei's  über,  für  oder  gegen  die  Copernicanische  Lehre 
zu  hindern. 

Unter  dem  10.  Febr.  1635 J)  schreibt  Micanzio  an  Gali- 
lei: „Vor  einigen  Tagen  .äusserte  ich  bei  dem  P.  Inquisitor 
die  Absicht,  Ihre  Abhandlung  über  die  schwimmenden 
Körper  neu  drucken  zu  lassen.  Er  sagte  mir,  er  habe  einen 
ausdrücklichen  Auftrag  von  Rom,  der  das  nicht  gestatte. 
Ich  antwortete,  der  Auftrag  werde  sich  auf  das  Werk  über 
das  Copernicanische  System  beziehen.  «Nein,  erwiederte 
er,  es  ist  ein  allgemeines  Verbot  de  editis  omnibus  et  eden- 
dis.a  Ich  sagte:  »Aber  wenn  er  das  Credo  oder  das  Pater- 
noster drucken  lassen  will?«  Wir  kamen  überein,  dass  er 
mir  eine  Abschrift  des  Auftrags  geben  solle."  Am  10. 
März2)  schreibt  er  dann:  ,,Der  Inquisitor  hat  mir  den  sehr 
strengen  Befehl  bezüglich  der  gedruckten  und  zu  drucken- 
den Sachen  schriftlich  gezeigt",  und  am  17.:  „Ich  habe 
Ihnen  von  dem  barbarischen  Befehle  geschrieben,  der  hier 
ist;  wie  ich  erfahren  habe,  ist  er  auch  an  allen  anderen 
Orten  nullo  excepto."  Am  21.  Febr.  1636  erwähnt  Galilei 
selbst  diese  Verordnung  in  einem  Briefe  an  Peiresc3).  Schnee- 
mann erklärt  freilich  S.  270:  „Da  sich  keine  Spur  hiervon 
in  den  Acten  der  Römischen  Inquisition  [so  weit  sie  ge- 
druckt sind]  findet  und  auch  die  neu  gedruckten  Werke 
Galilei's  ungehindert  in  Rom  verkauft  wurden,  können  wir 


1)  x,  75.  2)  X,  81.  3)  Suppl.  362. 


378  Galilei  nicht  „clarissimus''. 

den  Worten  des  Venetianischen  Hoftheologen  keinen  Glau- 
ben beimessen."  Wenn  die  Inquisition  ihren  Organen  heim- 
lich befahl,  den  Druck  von  Schriften  Galilei's  nicht  zu  ge- 
statten, so  brauchte  sie  darum  noch  nicht  den  Muth  zu 
haben,  öffentlich  den  Verkauf  der  gegen  ihren  Willen 
ausserhalb  ihres  Bereiches  gedruckten,  inhaltlich  unbedenk- 
lichen Schriften  Galilei's  zu  verbieten.  Dass  Micanzio  die 
Sache  erdichtet  haben  sollte*»  dafür  ist  die  Thatsache,  dass 
er  Theologe  der  Republik  Venedig  war,  doch  kein  ge- 
nügender Beweis. 

In  einem  Briefe  vom  6.  März  1641  erzählt  Vincenzo 
Renieri  Galilei  folgende  „schöne  Geschichte"1):  Der  Profes- 
sor Gaudenzio  Paganino  zu  Pisa2)  habe  in  einem  Buche 
über  die  Pythagoreische  Seelenwanderung  Galilei  als  claris- 
simus  Galileus  citirt;  der  Pater  Inquisitor  habe  aber  bei 
der  Censur  das  clarissimus  nicht  wollen  passiren  lassen,  und 
Paganino  habe  mit  Mühe  erreicht,  dass  er  notissimus  Gali- 
leus sagen  dürfe.  H.  de  l'Epinois3)  scheint  diese  Geschichte 
nicht  ganz  glaublich  zu  finden.  Der  Inquisitor  wandte  aber 
nur  die  Verordnung  Clemens'  VIII.  vom  J.  1596  auch  auf 
Galilei  an :  es  seien  alle  ehrenvollen  Epitheta  der  Ketzer  zu 
streichen4). 


1)  x,  409. 

2)  Targioni  I,  352.     Tiraboschi  VIII,  272. 

3)  La  question  p.  277.  Epinois  weist  allerdings  nach,  dass  sonst  ita- 
lienische Schriftsteller  unbehindert  von  Galilei  in  den  lobendsten  Ausdrücken 
gesprochen.  ' 

4)  Vgl.  Gibbings,  Carnesecchi  p.  VIII.  Theol.  Lit.-Bl.  1874,  510.  Der 
Jesuit  H.  Montrouzier  hat  noch  im  J.  1872  (Etudes  relig.  t.  2,  p.  19.  22) 
diese  von  Clemens  VIII.  den  Bücher-Revisoren  ertheilte  und  durch  Benedict 
XIV.  erneuerte  Instruction:  Epitheta  honorifica  et  omnia  in  laudem  haere- 
ticorum  dicta  deleantur,  in  Erinnerung  gebracht,  als  durchaus  vernünftig  be- 
zeichnet und  beigefügt:  „Es  werde  also  den  erklärten  Feinden  der  Kirche 
oder  denen,  die  fern  von  ihr  leben,  kein  Wort  des  Lobes  gespendet;  man 
berufe  sich  nie  auf  ihre  Autorität,  es  sei  denn,  um  sie  mit  einander  in 
Widerspruch  zu  bringen  oder  sie  mit  Rücksicht  auf  diejenigen,  welche  sie 
als  ihre  Meister  ansehen,  für  die  Wahrheit  Zeugniss  ablegen  zu  lassen.  Der 
h.  Ignatius  wollte  nicht  einmal,  dass  man  den  Stil  und  die  Belesenheit  eines 
häretischen  Schriftstellers  lobe." 


Behandlung  Galilei's  seit  1633.  379 


XXXIII. 
Die  Behandlung  Galilei's  nach  der  Verurtheilung. 

Oben  (S.  335)  wurde  gesagt,  der  Unwille,  welchen 
das  Verhalten  der  Gegner  Galilei's  erwecke,  müsse  noch 
gesteigert  werden,  wenn  man  die  Behandlung  betrachte, 
welche  sie  nach  seiner  Verurtheilung  und  Abschwörung  ihm 
angedeihen  Hessen.  Es  ist  ein  grosser  Fehler  mancher  älte- 
ren Darstellungen  des  Galilei'schen  Processes,  dass  sie  bei 
den  Fabeln  von  Kerkerhaft,  grausamer  Folterung  und  der- 
gleichen verweilen,  und  dann  über  die  actenmässig  beglau- 
bigten Thatsachen  der  folgenden  Jahre  hinweggehen,  und 
es  ist  auf  der  andern  Seite  sehr  charakteristisch,  wenn  die 
Apologeten  der  Curie  nach  der  Widerlegung  jener  Fabeln 
diese  Thatsachen  verhüllen,  wie  z.  B.  P.  Schneemann  S.  269 : 
,, Dieses  Urtheil  [die  Verurtheilung  zu  Kerkerhaft]  wurde 
vom  Papste  sofort  in  das  der  Internirung  verwandelt,  ,  und 
so  »büsste«  der  Verurtheilte  zuerst  in  den  angenehmen 
Gärten  von  Trinitä  de'  Monti  in  Rom,  dann  im  Palast  des 
Erzbischofs  von  Siena,  eines  ihm  ergebenen  Freundes,  end- 
lich in  der  Villa  Arcetri  bei  Florenz,  wo  .  er  ruhig  seinen 
Studien  lebte"1). 

Am  22.  Juni  1633  wurde  Galilei,  wie  wir  gesehen,  zu 
Kerkerhaft  während  einer  von  der  Inquisition.zu  bestimmen- 
den Zeit  verurtheilt.  Die  Haft  im  Inquisitionsgebäude  wurde 
aber  schon  am  23.  in  Internirung  im  Palaste  des  grossher- 
zoglichen Gesandten  umgewandelt,  wohin  Galilei  am  24.- 
Abends    von    Niccolini    abgeholt   wurde2).     Gleich    in    den 


i)  Aehnlich  Wenig  S.  53,  Reinerding  S.  422,  Civ.  catt.  S.  9,  vol.  10 
(1876),  p.  457,  Vosen,  Galilei,  1865,  S.  26:  „Gesund  und  rüstig  trotz  seiner 
72  Jahre,  kam  Galilei  nach  einer  tüchtigen  Fussreise  auf  seiner  Villa  an  und 
zeigte  keine  Spur  von  Gram  oder  ausgestandenen  Misshandlungen.  Bis  zu 
seinem  Tode  arbeitete  er  rüstig  fort  im  Kreise  seiner  Freunde  und  Schüler, 
die  ihn  täglich  umgaben." 

2)  Gherardi  No.  XV.     Vgl.  IX,  445;    VII,  31. 


380  Galilei  aus  der  Haft  entlassen. 

nächsten  Tagen  Hess  Niccolini  dem  Cardinal  Barberini  die 
Bitte  vortragen,  man  möge  Galilei,  wenn  man  ihn  nicht 
ganz  freilassen  wolle,  zunächst  zu  Siena  im  Hause  des  Erz- 
bischofs oder  in  einem  Kloster,  später,  wenn  die  Pest  in 
Florenz  erloschen  sei,  in  seiner  dortigen  Villa  interniren. 
Auf  den  Rath  des  Cardinais  reichte  er  am  29.  bei  der  In- 
quisition ein  (an  den  Papst  adressirtes)  Gesuch  ein  1),  worin 
er  im  Namen  Galilei's  bat,  es  möge  der  ihm  in  Rom  als 
Haft  ang'ewiesene  Ort  mit  einem  ähnlichen  in  Florenz  ver- 
tauscht werden,  mit  Rücksicht  auf  seine  Kränklichkeit  und 
weil  er  dort  eine  aus  Deutschland  mit  acht  Kindern  zurück- 
kehrende Schwester  erwarte,  für  die  er  zu  sorgen  habe. 

Am  30.  Juni  fand  eine  Sitzung  der  Inquisition  unter  dem 
Vorsitze  des  Papstes  statt.  In  dieser  wurden  nach  den 
Processacten  Anordnungen  über  die  Publication  des  Urtheils 
gegen  Galilei  getroffen  (s.  o.  S.  371).  Ferner  berichtet  Nic- 
colini 2)  darüber  Folgendes : 

„Es  wurde  beschlossen,  Seine  Heiligkeit  solle  sich  mit 
mir  am  Samstag  [2.  Juli]  über  eine  Galilei  zu  gewährende 
Erleichterung  besprechen.  [Der  Papst  wird  wohl  den 
Cardinälen  erklärt  haben,  er  wolle  dieses  thun.]  Ich  habe 
darauf  gestern  [2.  Juli]  dem  Papste  selbst  meine  Bitte  noch- 
mals vorgetragen,  indem  ich  andeutete,  dass  ich  von  jenem 
Beschlüsse  wisse.  Der  Papst  antwortete:  es  sei  zwar  noch 
etwas  früh  für  eine  Strafmilderung;  er  habe  indess  sofort 
die  Haft  in  Internirung  in  der  grossherzoglichen  Villa  um- 
gewandelt und  .wolle  jetzt  auf  meine  Fürsprache  und  aus 
Rücksicht  gegen  den  Grossherzog  gestatten,  dass  Galilei 
nach  Siena  reise,  um  dort  bis  auf  weiteres  in  einem  Kloster 
zu  bleiben.  Ich  bat  darauf,  es  möge  auch  jetzt  schon  die 
Erlaubniss  ertheilt  werden,  dass  Galilei  nach  dem  Erlöschen 
der  Pest  nach  Florenz  zurückkehren  dürfe,  um  in  seiner 
Villa  internirt  zu  werden.  Der  Papst  meinte  aber,  das  sei 
noch  zu  früh.  Ich  schlug  dann  vor,  Galilei  zu  gestatten, 
in  Siena  bei  dem  Erzbischof  zu  wohnen.  Der  Papst  erwie- 
derte,  damit  sei  er  einverstanden,  obschon  die  Inquisition 
davon  nichts  wisse;  Galilei  dürfe  aber  dort  »keine  Conver- 
sation  machen«.  Er  befahl  mir,  dieses  dem  Cardinal  Barbe- 
rini   mitzutheilen.     Das    habe   ich  gethan,    und  t  von    diesem 


1)  IX,  445.     Acten  S.   115.  2)  IX,  445. 


Galilei  aus  der  Haft  entlassen.  381 

auch  noch  die  Erlaubniss  erwirkt,  dass  Galilei  in  den  Dom 
gehen  darf,  um  dem  Gottesdienste  beizuwohnen.  Seine  Hei- 
ligkeit meint,  es  könne  Galilei  nach  einiger  Zeit  erlaubt 
werden,  sich  nach  der  Certosa  (Karthause)  in  Florenz  zu 
begeben;  man  müsse  aber  ganz  langsam  vorgehen  und  ihm 
ganz  allmählich  die  Haft  mildern.  Darauf  erwiederte  ich 
nichts,  um  nicht  vorzeitig  Seine  Heiligkeit  zu  einem  solchen 
Entschlüsse  zu  veranlassen.  Man  kann  darauf  zurückkommen, 
wenn  Galilei  eine  weitere  Milderung  nachsuchen  will l)." 

Noch  an  demselben  Tage,  2.  Juli,  wurde  Galilei  von 
dem  Commissar  der  Inquisition  im  Beisein  des  Notars  noti- 
ficirt:  er  könne  Rom  verlassen,  habe  sich  aber  gerades 
Weges  nach  Siena  zu  begeben,  dort  gleich  nach  seiner  An- 
kunft dem  Erzbischof  vorzustellen  und  pünktlich  zu  befol- 
gen, was  dieser  ihm  vorschreiben  werde ;  er  dürfe  die  Stadt 
nie  und  unter  keinem  Vorwande  ohne  schriftliche  Erlaubniss 
der  Inquisition  verlassen.  Galilei  musste  förmlich  verspre- 
chen, allen  diesen  Weisungen  zu  gehorchen 2).  Der  Erzbischof 
von  Siena  wurde  unter  demselben  Datum   davon  in  Kennt- 


1)  Zu  der  oben  gegebenen  Darstellung  scheint  nicht  zu  passen,  dass 
in  den  Processacten  S.  116  auf  der  Rückseite  der  von  Niccolini  eingereich- 
ten Bittschrift  notirt  ist:  30.  Junii  1633.  S(anctissim)us  fecit  or(atori)  gra- 
tiam  eundi  Senas  et  ab  eadem  civitate  non  discedere  sine  licentia  Sac(rae 
Cong(regationis),  et  se  p(raese)ntet  coram  archiepiscopo  d(icta)e  civitatis) 
etc.,  und  dass  S.  114  unmittelbar  hinter  der  Notiz  über  die  in  der  Sitzung 
vom  30.  Juni  beschlossene  Publication  des  Urtheils  folgt:  Praeterea  firae- 
dicto  Galilaeo  .  .  .  fecit  gratiam  d(ic(a)e  relegationis  et  mandavit  illum 
relegari  Senis  u.  s.  w.  In  dem  Berichte  über  die  Sitzung  bei  Gherardi  No. 
XVI  steht  davon  nichts.  Wahrscheinlich  ist  die  oben  im  Texte  gegebene 
Darstellung  richtig,  und  in  den  Acten  die  Entscheidung  über  die  Bittschrift 
und  die  zweite  Notiz  über  die  Sitzung  vom  30.  Juni  (vgl.  Acten  S.  164; 
s.  u.  S.  384)  erst  am  2.  Juli  beigefügt  worden,  aber  mit  dem  Datum  vom 
30.  Juni,  weil  in  der  an  diesem  Tage  gehaltenen  Sitzung  die  Sache  zur 
Sprache  gekommen  und  die  Erledigung  derselben  dem  Papste  überlassen 
war.  So  scheinen  sich  die  Bedenken  von  "Wohlwill,  Ist  Gal.  gef.  worden? 
S.  109,  vgl.  S.  IX,  und  Scartazzini,  Riv.  Eur.  1878,  X,  447,  zu  erledigen. 
Die  Vermuthung  von  Scartazzini,  Riv.  Eur.  1878,  V,  246,  Niccolini  habe 
„den  Roman  von  der  am  29.  Juni  von  ihm  eingereichten  Bittschrift  und  von 
seiner  Unterredung  mit  dem  Papste  am  2.  Juli  erfunden",  um  dem  Gross- 
herzog gegenüber  sich  als  denjenigen  darzustellen,  der  die  Erleichterungen 
für  Galilei  erwirkt,  hängt  mit  der  unglücklichen  Idee  zusammen,  Niccolini 
als  einen  „Lügner",  sogar  als  einen  „schamlosen"  Lügner  darzustellen.  S.  o. 
S.  320.  2)  Acten  S.   115;  s.  o.  S.   133. 


382  Galilei  in  Siena. 

niss  gesetzt1),  und  schrieb  am  10.  Juli,  am  Tage  nach  der 
Ankunft  Galilei's  an  den  Cardinal- Secretär  der  Inquisition, 
er  werde  die  ihm  ertheilten  Weisungen  pünktlich  aus- 
führen 2). 

Galilei  reiste,  wie  Niccolini  berichtet,  am  6.  Juli  „in 
ziemlich  guter  Gesundheit"  ab  und  schrieb  ihm  von  Viterbo 
aus,  er  habe  bei  sehr  kühlem  Wetter  vier  Meilen  zu  Fusse 
zurückgelegt.  Am  9.  kam  er  in  Siena  an.  Galilei's  Freunde 
in  Florenz  hatten  schon  im  Mai  1633,  als  man  noch  einen 
andern  Ausgang  des  Processes  erwartete,  mit  Rücksicht 
auf  die  in  Florenz  noch  fortdauernde  Pest  für  ihn  einen 
vorläufigen  Aufenthalt  in  Siena  in  Aussicht  genommen3). 
Der  dortige  Erzbischof  Ascanio  Piccolomini  war  ein  Schüler 
und  Freund  Galilei's  und  hatte  während  des  Processes 
wiederholt  sehr  theilnehmend  an  ihn  geschrieben  und  ihn 
schon  im  Mai  eingeladen,  nach  Beendigung  des  Processes 
bis  zum  Erlöschen  der  Pest  in  Florenz  bei  ihm  zu  bleiben4). 
Er  fand  bei  ihm  die  freundlichste  Aufnahme. 

Nach  Galilei's  Abreise  von  Rom  kam  dort  noch  ein 
an  ihn  adressirter  Brief  aus  dem  Auslande  an.  Derselbe 
wurde  an  den  Cardinal  Barberini  abgeliefert;  er  enthielt 
starke  Lobsprüche  auf  den  Dialog,  aber  zum  Glück  ergab 
sich  daraus,  dass  er  nicht  eine  Antwort  auf  einen  Brief 
Galilei's  war5). 

Ende  Juli  ertheilte  der  Grossherzog  auf  Galilei's  Bitte 
dem  Gesandten  den  Auftrag,  den  Papst  um  die  Begnadigung 
Galilei's  zu  bitten  und  dabei  auch  geltend  zu  machen,  dass 
der  Grossherzog  seiner  Dienste  bedürfe 6).  Niccolini  antwor- 
tete am  7.  Aug.7):  er  müsse  dazu  rathen,  bis  zum  October 
zu  warten;  der  Papst  werde  es  nicht  gern  sehen,  dass  Ga- 
lilei jetzt,  wo  der  Papst  noch  so  sehr  ungnädig  gegen  ihn 
gesinnt  sei,  an  den  grossherzoglichen  Hof  kommen  solle,  und 


1)  Acten  S.  117.  2)  IX,  447.  3)  IX,  359.  361. 

4)  IX,  343.  365.  Suppl.  245.  248.  249.  Ascanio,  ein  Bruder  des  aus 
der  Geschichte  des  dreissigjährigen  Krieges  bekannten  Ottavio  Piccolomini 
(IX,  406),  hatte  im  Dienste  des  Cardinais  Francesco  Barberini  gestanden  und 
denselben  auf  seiner  Reise  nach  Spanien  begleitet  (Suppl.  161).  Im  Juni 
1628  war  er  Erzbischof  geworden  (Suppl.  222).  1630  war  er  der  Begleiter 
Antonio  Barberini's,  als  dieser  Legat  an  die  italienischen  Fürsten  war.  Reu- 
mont,  Beitr.  I,  395.     Er  war  nicht  Cardinal,  wie  Gfisar  S.  706  meint. 

5)  VII,  48.  6)  VII,  31;    IX,  378.  379.  7)  IX,  447. 


Galilei  in  Siena.  383 

wenn  man  sage,  er  solle  dort  Vorlesungen  halten,  so  könne 
ihm  das  eher  schaden  als  nützen.  In  Florenz  wurden  diese 
Bedenken  anerkannt1).  Guiducci  meinte  auch  in  einem 
Briefe  an  Galilei2):  wenn  man  jetzt  die  Sache  wieder  anrege, 
werde  der  Papst  vielleicht  auf  seinen  Plan  zurückkommen, 
Galilei  in  der  Karthause  zu  Florenz  zu  interniren,  und  dieser 
Ort  würde  für  Galilei's  Gesundheit  nicht  zuträglich  sein,  da 
er  dort  „einerseits  der  Discretion  der  Mönche  anheimgegeben 
sein  und  anderseits  kein  Fleisch  zu  essen  bekommen  würde". 

Im  September  scheint  irgend  ein  Gesuch  Galilei's,  — 
von  dem  die  Acten  nichts  melden,  —  abgeschlagen  worden 
zu  sein.  Wenigstens  schreibt  ihm  Geri  Bocchineri  am 
21.  Sept.3):  „Es  thut  mir  leid,  dass  Ihr  Gesuch  abgeschlagen 
worden  ist,  und  ich  finde  es  auffallend,  dass  man  sich  so 
wenig  geneigt  zeigt,  Ihnen  Erleichterungen  zu  gewähren. 
Es  ist  die  Rede  davon,  dass  der  Hof  im  nächsten  Monate 
nach  Siena  reisen  werde ;  vielleicht  wird  Ihnen  dann  gestat- 
tet werden,  auf  Ihre  Villa  zurückzukehren,  damit  Sie  keine 
Gelegenheit  haben,  die  Herrschaften  zu  sehen". 

Anfangs  November  wurde  Niccolini  auf  Galilei's  Bitte 
nochmals  beauftragt,  sich  energisch  für  ihn  zu  verwen- 
den4). Niccolini  berichtet  dann  am  13.  Nov.5):  „Ich  bat 
gestern  Seine  Heiligkeit,  zu  gestatten,  dass  Galilei  nun,  nach 
einer  fünfmonatlichen  Verbannung  in  Siena,  nach  Florenz 
zurückkehren  dürfe.  Seine  Heiligkeit  antwortete,  er  wolle 
sehen,  was  sich  thun  lasse,  und  in  der  Sitzung  des  h.  Offi- 
ciums  die  Sache  zur  Sprache  bring-en;  er  müsse  mir  aber 
zugleich  bemerken,  dass  er  Nachricht  habe,  dass  Einige  zu 
Gunsten  der  Meinung  Galilei's  schrieben.  Ich  erwiederte  : 
ich  könne  ihm  versichern,  dass  das  nicht  unter  Mitwirkung 
oder  im  Auftrage  Galilei's  geschehe,  und  bat  ihn,  doch 
ihn  nicht  für  die  Sünden  Anderer  leiden  zu  lassen.  Er  ant- 
wortete: er  wisse  nicht,  dass  Galilei  Antheil  daran  hätte; 
aber  die  Leute  möchten  sich  vor  dem  h.  Officium  in  Acht 
nehmen."  Niccolini  übergab  dem  Papste  folgende  Bitt- 
schrift6): „Euere  Heiligkeit  werden  gebeten,  zu  gestatten, 
dass  Galileo  Galilei  in  sein  Vaterland  zurückkehren  dürfe, 
da  er  bisher  dem  Befehle  Euerer  Heiligkeit  und  der  h.  Con- 


1)  IX,  383.  2)  ix,  385.  3)  ix,  396. 

4)  IX,  406.  5)  IX,  447.  6)  Acten  S.  163. 


384  Galilei  in  Siena. 

gregation,  in  der  ihm  vorgeschriebenen  Weise  in  Siena  zu 
bleiben,  gehorcht  hat."  Wegen  Unwohlseins  wohnte  der 
Papst  erst  am  1.  Dec.  wieder  einer  Sitzung  der  Inquisition 
bei.  In  dieser  wurde  beschlossen:  Galilei  solle  bis  auf  wei- 
tere Verfügung  der  Inquisition  seine  Villa  als  Wohnsitz  an- 
gewiesen werden;  er  habe  dort  in  der  Einsamkeit  zu  leben 
und  dürfe  nicht  mit  Besuchern  Gespräche  haben1).  Letzere 
Bestimmung  erläuterte  Niccolini  auf  Grund  mündlicher  Mit- 
theilungen des  Papstes  in  einem  Briefe  an  Galilei2)  in  fol- 
gender Weise:  „Sie  sollen  dort  zurückgezogen  leben  und 
nicht  viele  Personen  gleichzeitig  zu  Gesprächen  zulassen 
oder  zu  Tische  laden,  um  den  Verdacht  zu  vermeiden,  als 
hielten  Sie  so  zu  sagen  Vorlesungen  (che  ella  faccia  per 
cosi  dire  accademia)  oder  als  verhandelten  Sie  über  jene 
Dinge,  die  Ihnen  zum  Schaden  gereichen  können.  Ich  bin 
überzeugt,  Sie  werden  sich  daran  halten,  um  nach  einiger 
Zeit  die  völlige  Begnadigung  zu  erlangen.  Es  ist  Ihnen 
nicht  verboten,  Besuche  von  Freunden  und  Verwandten  an- 
zunehmen, wenn  Sie  nur  den  oben  erwähnten  Verdacht  ver- 
meiden. Ich  hätte  Ihnen  gern  die  gänzliche  Beendigung 
Ihrer  Angelegenheit  mitgetheilt,  aber  Sie  wissen,  hier  zu 
Lande  muss  man  Schritt  vor  Schritt  gehen,  namentlich  in 
diesen  Dingen;  und  selbst  um  nur  dieses  zu  erreichen,  hat 
sich  der  Cardinal  (Francesco)  Barberini  viele  Mühe  geben 
und  seine  Autorität  geltend  machen  müssen."  (Diesem 
sprach  Galilei  in  einem  Briefe  vom  17.  Dec.3)  seinen  Dank 
aus.)  Diesen  Brief  erhielt  Galilei,  als  er  eben  wegen  eines 
Unwohlseins  sehr  wünschte,  den  Winter  in  dem  mildern 
Klima  von  Florenz    zubring*en  zu  können4),     In    der    ersten 


1)  Gherardi  No.  XX:  Feria  V.  die  1.  Xbris  1633.  Galilaei  de  Gali- 
laeis Florentini  Senis  relegati  lecto  memoriali,  SSmus  oratorem  habilitavit 
ad  eius  rurem  per  tempus  arbitrio  S.  Congregationis,  ubi  vivat  in  solitu- 
dine,  nee  eo  amoveatur  (nach  Acten  S.  164  ist  zu  lesen:  nee  eo  evocet)  aut 
venientes  illuc  reeipiat  ad  allocutiones  (collocutio/ies).  Nach  Acten  S.  164 
findet  sich  diese  Notiz  (fast)  gleichlautend  zuerst  (vielleicht  von  dem  Cardinal- 
Secretär  während  der  Sitzung)  auf  die  Rückseite  der  erwähnten  Bittschrift 
geschrieben,  dann  nochmals  (wohl  von  der  Hand  des  Notars);  beide  Notizen 
faesimilirt  bei  Epinois  p.    128.     Aehnlich  Acten  S.  174;  s.  u.  S.  387. 

2)  IX,  407;  vgl.   448. 

3)  Acten  S.    168.     Gherardi  No.  XXI. 

4)  VII,  39 


Denunciation  Piccolomini's.  385 

Hälfte  des  December  1633  reiste  Galilei  von  Siena  ab,  wo 
er  also  fünf  Monate  zugebracht  hatte,  —  allerdings  unfrei,  aber 
im  Uebrigen  unter  sehr  angenehmen  Verhältnissen.  „Ich 
wurde,  schreibt  er  später  an  Elia  Diodati1),  von  dem  Erz- 
bischof wie  von  einem  Vater  behandelt,  und  hatte  fortwäh- 
rend Besuch  von  den  Adelichen  der  Stadt;  ich  verfasste 
dort  auch  eine  Abhandlung  über  ein  neues  Thema  aus  der 
Mechanik  voll  merkwürdiger  und  nützlicher  Speculationen2)." 
In  einem  Briefe,  worin  er  Micanzio  den  Lector  der  Philosophie 
zu  Siena,  Alessandro  Marsili,  für  eine  Professur  in  Padua  em- 
pfiehlt3), sagt  er,  er  habe  während  seines  Aufenthaltes  in  Siena 
mit  demselben  täglich  verkehrt  und  Hunderte  von  Stunden 
sich  unterhalten  und  gefunden,  dass  derselbe  in  der  „scho- 
lastischen Doctrin"  hinter  keinem  der  Berühmtesten  der 
Gegenwart  zurückstehe  und  dabei  tractabler  als  Viele 
und   weniger  petulant  und  hartköpfig  sei  als  alle  Anderen. 

Der  Brief,  den  Galilei  von  Siena  aus  an  seinen  Schüler 
Renieri  geschrieben  haben  soll,  ist  eine  Fälschung  (s.  o. 
S.  6).  Ein  „langer  und  des  Aufbewahrens  werther"  Brief 
aus  Siena,  von  dem  Geri  Bocchineri  spricht4),  ist  leider 
nicht  erhalten.  —  Mit  dem  Erzbischof  Piccolomini  blieb  Ga- 
lilei in  freundschaftlichster  Correspondenz  bis  zu  seinem 
Tode5). 

Mehrere  Wochen  nach  Galilei's  Abreise  von  Siena,  am 
1.  Febr.  1634,  lief  bei  der  Inquisition  folgende  anonyme  De- 
nunciation gegen  den  Erzbischof6)  ein :  „Galilei  hat  in  dieser 
Stadt  wenig  katholische  Meinungen  ausgestreut,  begünstigt 
durch  jenen  Erzbischof,  bei  dem  er  wohnte.  Dieser  hat  bei 
Vielen  geäussert:  jener  sei  von  der  h.  Congregation  unge- 
recht behandelt  worden;  diese  hätte  die  philosophischen 
Meinungen  nicht  verwerfen  können  und  dürfen,  welche  jener 
mit  unwiderleglichen  und  wahren  mathematischen  Gründen 
erwiesen  habe7);    Galilei  sei  der  erste  Mann    der  Welt   und 


1)  vil,  44-  2)  Vgl.  VII,  34. 

3)  VII,  144.  Vgl.  VII,  309.  Alessandro  Marsili  (nicht  zu  verwechseln 
mit  Cesare  Marsili,  s.  o.  S.  189)  wurde  1637  auf  Galilei's  Empfehlung  Pro- 
fessor in  Pisa.     X,  231.     Targioni  I,  343.  433.   524. 

4)  IX,   372. 

5)  X,  35.  45.   173.  186.    250.  256.     Suppl.  264.  299.  300. 

6)  Acten  S.   172. 

7)  Es  ist  doch    fast   komisch,    wenn    Grisar   S.  706  aus    diesem   Satze, 
Reusch,  Galilei.  25 


386  Galilei  in  Arcetri. 

werde  immer  in  seinen  Schriften,  wenngleich  diese  verboten 
seien,  fortleben  und  bei  allen  Neueren  und  Besseren  Zu- 
stimmung finden.  Und  weil  diese  Samenkörner  aus  dem 
Munde  eines  Prälaten  verderbliche  Früchte  tragen  könnten, 
wird  darüber  berichtet."  Die  Inquisition  hat  dieser  Denun- 
ciation  gegen  den  Erzbischof,  so  viel  wir  wissen,  keine  Folge 
gegeben,  vielleicht  aber  Galilei  dafür  büssen  lassen.  We- 
nigstens spricht  Grisar  S.  128  die  Meinung  aus:  „Es  hat 
Manchen  auffällig  und  ungerecht  gedünkt,  dass  die  Inquisi- 
tion Galilei  bis  zu  seinem  Tode  nicht  eigentlich  frei  Hess, 
im  Gegentheil  in  einigen  Fällen  ihm  anscheinend  harte  Be- 
scheide gab.  Allein  man  hat  den  Schlüssel,  zur  Erklärung 
dieses  Verfahrens  übersehen,  der  darin  liegt,  dass  in  Betreff 
Galilei's  aus  Siena  Meldungen  eingelaufen  waren,  welche 
seine  Haltung  gegenüber  der  Autorität  der  Congregationen 
in  sehr  ungünstiges  Licht  stellten."  Also  eine  anonyme  De- 
nunciation,  in  der  gegen  Galilei  nur  die  vage  Anschuldigung 
vorgebracht  wird,  er  habe  „wenig  katholische  Meinungen 
ausgestreut",  genügt  der  Inquisition,  ohne  weitere  Unter- 
suchung Galilei  fortan  so  zu  behandeln,  wie  wir  im  Folgen- 
den sehen  werden!  Warum  findet  Grisar  nicht  auch  in  dem 
dem  Papste  zu  Ohren  gekommenen  Gerüchte,  dass  „Einige 
zu  Gunsten  der  Meinung  Galilei's  schrieben"  (s.  o.  S.  383), 
den  „Schlüssel"  zu  der  Unversöhnlichkeit  Urbans  VIII.  ? 

Die  Villa  bei  (eine  Meile  von)  Florenz,  in  welche  Ga- 
lilei im  Dec.  1633  zurückkehren  durfte,  hatte  er  gegen  Ende 
des  Jahres  1631  von  seinem  frühern  Schüler  Esau  Martel- 
lini  für  15  Scudi  jährlich  gemiethet,  —  von  161 7  bis  1631 
wohnte  er  in  der  Villa  Segni  zu  Bellosguardo,  —  sie  hiess 
77  Gioello,  das  Juwel,  und  war  nur  einen  Büchsenschuss  von 
dem  Kloster  San  Matteo  in  Arcetri  entfernt,  in  welchem 
seine  beiden  Töchter  lebten1).  Seine  Briefe  von  dort  da- 
dirt  Galilei  „Arcetri",  mitunter:  „Aus  meinem  Kerker  zu 
Arcetri,"  della  mia  carcere  dt  Arcetri*).  —  Bald  nach  seiner 


den  wir  nur  aus  der  Denunciation  kennen  lernen,  nicht  nur  schliesst,  dass 
Piccolomini,  den  er  bei  dieser  Gelegenheit  zum  Cardinal  befördert,  die  Ent- 
scheidung der  Römischen  Behörden  für  widerruflich,  also  für  irrig  gehalten, 
—  was  ja  wohl  richtig  sein  wird,  —  sondern  ihn  auch  mit  als  Beleg  dafür 
anführt,  dass  eine  solche  Auffassung  damals  als  zulässig  angesehen  worden  sei. 

1)  XV,  393;  vgl.  Gebier,  D.  Rundschau  1878,  IV,  66. 

2)  III,    183.     VII,  351:  Dalla    Villa  d? Arcetri,  mio  continuato  carcere 


Galilei  in  Arcetri.  387 

Ankunft  wurde  Galilei  durch  einen  Besuch  des  Grossher- 
zogs erfreut1). 

Im  März  1634  reichte  Niccolini  bei  der  Inquisition  fol- 
gende Bittschrift  ein 2) :  „Galilei  befindet  sich  den  Anord- 
nungen dieser  h.  Congregation  entsprechend  in  der  Villa 
ausserhalb  Florenz ;  da  aber  seine  körperlichen  Leiden  zu- 
nehmen, so  kann  er  sich  nicht  ohne  den  regelmässigen  Be- 
such des  Arztes  Befreiung  davon  verschaffen.  Darum  wen- 
det er  sich  an  die  grosse  Güte  Euerer  Eminenzen  mit  der 
Bitte,  ihm  die  freie  Rückkehr  in  sein  Haus  gestatten  zu 
wollen,  damit  er  sich  heilen  lassen  und  die  Tage,  die  ihm 
bei  seinem  Alter  noch  übrig  sind,  in  Ruhe  unter  den 
Seinigen  verleben  könne."  Der  in  der  Sitzung  der  Inquisi- 
tion vom  23.  März  gefasste  Beschluss3)  lautet:  „Seine  Heilig- 
keit hat  diese  Erlaubniss  nicht  ertheilen  wollen  und  befoh- 
len, dem  Inquisitor  zu  Florenz  zu  schreiben,  er  solle  Galilei 
bedeuten,  er  habe  sich  solcher  Petitionen  zu  enthalten,  da- 
mit die  h.  Congregation  sich  nicht  genöthigt  sehe,  ihn  in 
die  Kerker  dieses  h.  Officiums  zurückzuberufen." 

Der  Inquisitor  von  Florenz  berichtet  dann  am  1.  April4): 
„Ich  habe  Galilei  zu  wissen  g'ethan,  was  mir  Euere  Emi- 
nenz befohlen  haben.  Er  entschuldigt  sich  damit,  dass  er 
das  alles  gethan  wegen  eines  schrecklichen  Bruches,  woran 
er  leidet.  Die  Villa,  in  der  er  wohnt,  ist  aber  so  nahe  bei 
der  Stadt,  dass  er  leicht  Aerzte  und  Chirurgen  berufen  und 
die  nöthigen  Arzneien  haben  kann.  Ich  glaube  also,  er 
wird  die  h.  Congregation  nicht  weiter  mehr  belästigen." 
Galilei  selbst  berichtet  in  einem  Briefe  an  Elia  Diodati5): 
er  sei  gerade  von  seiner  todkranken  altern  Tochter  gekom- 


ed  esilio  dalla  cittä.  Am  10.  März  1639  schrieb  Matthias  Bernegger  von 
Strassburg  an  Caspar  Hoffmann,  der  gehört  hatte,  Galilei  sei  im  Kerker  ge- 
storben: Niinquam  audivi  de  carcere,  stricto  Mo  quidem ;  natu  adiöftOV 
illam  (fvluzrjv,  qua  praedioli  cuiusdam  sui  finibus  Cardinaliam  Collegii 
fnandato  circumscriptus  est,  proprie  carcerem  non  dixeris  (X,  180). 
1)  X,  3.   it.  2)  Acten  S.  173. 

3)  Gherardi  No.  XX.  In  den  Vaticanischen  Acten  (S.  174)  findet  sich 
auf  der  Rückseite  der  Bittschrift  zuerst  mit  Bleistift  (von  der  Hand  des 
Cardinal-Secretärs)  geschrieben :  Nihil.  Inq(uisito)r  ei  obiurget(ur)  petitum 
ne  reducatur  in  carcerem,  dann  (von  dem  Notai')  der  Beschluss,  wie  bei 
Gherardi  registrirt;   s.  o.  S.   384. 

4)  Acten  S.    174.  5)  VII,  46. 


388  Galilei  in  Arcetri. 

men  in  Begleitung  des  Arztes,  der  ihm  unterwegs  gesagt, 
sie  könne  den  folgenden  Tag  nicht  erleben;  da  habe  er  in 
seiner  Villa  den  Vicar  des  Inquisitors  gefunden,  der  ihm 
jene  Mittheilung  gemacht  habe.  „Danach  ist  wohl  anzu- 
nehmen, fügt  er  bei,  dass  meine  jetzige  Haft  nicht  eher  endi- 
gen wird,  bis  ich  in  jenen  allgemeinen  engen  und  lange  wäh- 
renden Kerker  komme."  Suor  Maria  Celeste  starb  wirklich 
am  1.  April  1634.  Das  innige  Verhältniss,  welches  zwischen 
Galilei  und  dieser  Tochter  bestand,  bezeugen  die  vielen 
hübschen  Briefe,  die  uns  von  ihr  erhalten  sind1).  In  einem 
derselben,  vom  3.  Oct.  16332),  sagt  sie:  sie  habe  sich  das 
Urtheil  der  Inquisition  zu  lesen  verschafft,  und  wenn  ihr 
die  Leetüre  auch  einigen  Kummer  gemacht,  so  habe  sie 
sich  doch  gefreut,  daraus  zu  sehen,  wie  sie  dem  Vater  eini- 
germassen  helfen  könne :  sie  wolle  die  ihm  aufgelegte  Busse, 
wöchentlich  die  sieben  Busspsalmen  zu  beten,  übernehmen. 
Galilei  machte  Geri  Bocchineri  von  dem  Bescheide  der 
Inquisition  Mittheilung;  dieser  antwortete  am  8.  April3): 
„Dem  Gesandten  ist  alles,  was  Sie  mir  angedeutet,  ge- 
schrieben worden,  aber  mit  der  Weisung,  mit  der  nöthigen 
Vorsicht  von  den  Notizen  Gebrauch  zu  machen  und  sich 
für  Sie  zu  verwenden,  damit  die  Sache,  die  sehr  delicater 
Natur  ist,  nicht  schlimmer  gemacht  werde.  Vielleicht  glau- 
ben sie  in  Rom,  Sie  könnten  jene  von  ihnen  verdammten 
Meinungen  Seiner  Hoheit,  den  Prinzen  und  der  ganzen 
Stadt  mündlich  besser  darstellen  als  brieflich.  Wie  sehr 
irren  sie  mit  ihren  Vermuthungen,  da  Sie  ja  davon  nicht 
schreiben  und  nicht  reden !"  Der  Theologe  der  Republik 
Venedig,  Micanzio,  schrieb  29.  April4)  über  das  Benehmen 
des  Inquisitors:  „Man  muss  darüber  staunen,  dass  ein  sol- 
ches Mönchlein  sich  zum  Werkzeuge  des  Zornes  Anderer 
gegen  einen  solchen  Diener  seines  Fürsten  macht.  An 
einem  gewissen  andern  Orte  würde  er  das  nicht  thun,  oder 
auf  seine  Kosten  thun."  Hugo  Grotius  schreibt  im  J.  1635 
an  Johann  Vossius:  Galilei's  Freunde  in  Paris  hätten  ge- 
meint, er  solle  fliehen  und  in  Amsterdam  eine  Zuflucht 
suchen;  Galilei  habe  aber  diesen  Vorschlag  seines  hohen 
Alters  wegen  abgelehnt5). 

1)  27  bei  Alberi,   131  in  der  1864  von  Arduini  veröffentlichten  Schrift 
„La  primogenita  di  Galileo  Galilei."  Vgl.  Rev.  des  questions  hist.  12  (1872),  237. 

2)  IX,  400.  3)  X,  34.  4)  X,  42.  5)  X,  218.  219. 


Verwendungen  Castelli's  und  Peirescs.  389 

Von  Galilei  selbst  wurden  in  den  nächsten  Jahren  der 
Papst  und  die  Inquisition  nicht  weiter  mit  Begnadigungsge- 
suchen „belästigte    Aber  Andere  verwendeten  sich  für  ihn. 

Castelli  benutzte  jede  Gelegenheit ,  sich  für  seinen 
alten  Lehrer  zu  bemühen.  Bei  dem  Papste  selbst  konnte  er 
freilich  nichts  für  ihn  thuen;  er  hatte  im  Frühjahr  1635 
zum  ersten  Male  wieder  seit  drei  Jahren  Audienz,  wurde 
freundlich  aufgenommen  1),  scheint  aber  nie  wieder  in  Gunst 
gekommen  zu  sein.  Dagegen  fand  er  Gelegenheit,  bei  dem 
Cardinal  Antonio  Barberino  für  Galilei  ein  gutes  Wort  ein- 
zulegen2), und  auch  sonst  bemühte  er  sich,  wie  wir  sehen 
werden,  vielfach  in  dessen  Interesse;  er  bemerkt  aber  in  seinen 
Briefen  an  Galilei  wiederholt,  er  müsse  eine  günstige  Zeit 
abwarten,  um  die  Sache  nicht  schlimmer  zu  machen. 

Ein  warmer  Fürsprecher  Galilei's  war  Nicolas  Claude 
Fabri  (Fabrice)  de  Peiresc,  Parlamentsrath  zu  Aix,  den 
Bayle  Procureur  gener al  des  sctences  nennt.  Er  stammte 
aus  einer  toscanischen  Familie  und  war  in  Padua  Galilei's 
Zuhörer  gewesen.  Er  stand,  wie  mit  Galilei,  so  auch  mit 
dem  Cardinal  Francesco  Barberini  in  Correspondenz  und 
benutzte  dieses,  sich  in  den  Jahren  1634 — 37,  —  er  starb  24. 
Juni  1637,  —  wiederholt  und  warm  für  seinen  alten  Lehrer 
zu  verwenden3).  Er  könne,  schrieb  er  diesem  einmal, 
„reden,  wo  Andere  stumm  seien",  weil  er  von  Rom  für  sich 
nichts  zu  fürchten  und  nichts  zu  wünschen  habe.  So 
schrieb  er  denn  dem  Cardinal  u.  a.  am  5.  Dec.  1634:  „Ich 
bitte  Euere  Eminenz,  etwas  zum  Tröste  eines  guten  sieben- 
zigj ährigen  und  kränklichen  Greises  thun  zu  wollen,  dessen 
Andenken  in  der  Zukunft  nicht  leicht  erlöschen  wird. 
Sollte  er  auch  in  irgend  einem  Satze  geirrt  haben,  wie 
denn  Irren  menschlich  ist,  so  hat  er  ja  doch  nicht  hart- 
näckig seine  Meinung  festgehalten,  vielmehr,  den  ihm  er- 
theilten  Weisungen  entsprechend,  die  entgegengesetzte  Mei- 
nung unterschrieben;  er  sollte  also  nicht  so  strenge  behan- 


1)  x,  99.         2)  x,  149.  161.  325.  328. 

3)  Vgl.  das  Capitel  //  Galilei,  il  Peiresc  e  il  Card.  Franc.  Barberini 
bei  Pieralisi  p.  301,  wo  die  betreffenden  Briefe  vollständiger  und  genauer, 
auch  richtiger  datirt  als  bei  Alberi  abgedruckt  sind.  Bei  den  Exequien,  die 
für  Peiresc  in  Rom  gehalten  wurden,  hielt  ein  Franzose  Namens  Bussiard 
eine  Leichenrede,  in  welcher  er  auch  Galilei's  Verdienste  erwähnte,  und 
zwar  in  Ausdrücken,  die  Castelli's  Staunen  erregten.     VII,   178;    X,  255. 


39°  Verwendungen  Peirescs. 

delt  werden,  wie  es  dem  Vernehmen  nach  geschieht,  .  .  . 
Die  Nachwelt  wird  ihm  wohl  immer  dankbar  sein  für  die 
wunderbaren  Entdeckungen,  die  er  mit  seinen  Fernrohren 
und  mit  seinem  scharfblickenden  Geiste  am  Himmel  ge- 
macht hat.  Tertullian,  Origenes  und  so  viele  andere  Väter, 
welche  aus  Einfalt  oder  einem  andern  Grunde  in  einen  Irr- 
thum  gefallen  sind,  geniessen  dennoch  bei  der  h.  Kirche 
als  einer  guten  Mutter  grosse  Verehrung  wegen  ihrer  an- 
deren   religiösen  Gedanken    und    der  Kundgebungen    ihrer 

Frömmigkeit  und  ihres  Eifers  für  den  Dienst  Gottes 

So  werden  es,  scheint  mir,  die  kommenden  Jahrhunderte 
auffallend  finden  können,  wenn  nach  dem  Widerruf  einer 
Meinung,  die  noch  nicht  öffentlich  unbedingt  verboten  und 
nur  als  problematisch  vorgetragen  worden  war,  ein  armer 
sieb enzigj ähriger  Greis  so  strenge  behandelt  und  öffent- 
lich oder  insgeheim  so  in  Haft  gehalten  wird,  dass  ihm 
nicht  gestattet  ist,  in  seine  Vaterstadt  und  in  sein  Haus 
zurückzukehren  und  die  Besuche  und  Tröstungen  von  Freun- 
den zu  empfangen,  trotz  der  Leiden,  die  von  dem  Alter 
so  gut  wie  unzertrennlich  sind,  und  bei  denen  er  fast  bestän- 
dig der  Hülfe  bedürftig  ist,  und  zwar  bei  plötzlichen  Zu- 
fällen einer  solchen  Hülfe,  welche  nicht  die  Verzögerung  zu- 
lässt,  die  durch  die  Entfernung  von  der  Stadt  veranlasst 
wird-  .  •  •  Sollten  nicht  die  merkwürdigsten  Entdeckungen, 
die  seit  so  vielen  Jahrhunderten  gemacht  worden  sind,  ihm 
Verzeihung  verschaffen  dürfen  für  einen  problematischen 
Scherz,  bei  dem  er  niemals  das  als  seine  eigene  Absicht 
mit  Bestimmtheit  vorgetragen  hat.  was  missbilligt  worden 
ist?  In  der  That  wird  man  das  überall  sehr  hart  finden,  und 
in  der  Zukunft  noch  mehr  als  in  der  Gegenwart.  .  .  Es 
wird  das  ein  Flecken  sein  für  den  Glanz  und  Ruhm  die- 
ses Pontificates,  wenn  Euere  Eminenz  sich  nicht  entschliesst, 
ihm  einigen  Schutz  und  einige  besondere  Fürsorge  ange- 
deihen  zu  lassen.  Darum  bitte  und  beschwöre  ich  Euere 
Eminenz  demüthigst  und  so  inständig  und  dringlich,  wie 
mir  nur  Ihnen  gegenüber  erlaubt  ist.  Ich  bitte,  mir  diese 
vielleicht  zu  grosse  Freimüthigkeit  zu  verzeihen;  aber  es 
muss  doch  zu  Zeiten  Ihren  treuen  Dienern  gestattet  sein, 
Ihnen  in  dieser  Weise  ihre  Treue  zu  beweisen,  da,  wie  ich 
glaube,  die  Anderen,  welche  Sie  umgeben,  nicht  den  Muth 
haben,   so    die  Gedanken  kundzugeben,    die   sie  im  Herzen 


Verwendungen  des  Grafen  Noailles.  391 

haben,  und  die  die  Ehre  Euerer  Eminenz  viel  näher  an- 
gehen, als  vielleicht  Manche  glauben." 

Der  Cardinal  antwortete  am  2.  Jan.  1635,  während  er 
auf  andere  Punkte  des  Briefes  von  Peiresc  ausführlich  ein- 
ging, auf  diese  Bitte  nur:  „Ich  werde  nicht  unterlassen, 
unserm  Herrn  mitzutheilen,  was  Sie  mir  über  den  Herrn 
Galilei  geschrieben  haben;  Sie  werden  mich  aber  entschul- 
digen, wenn  ich  diesen  Punkt  nicht  ausführlicher  beant- 
worte, da  ich  einer,  wenn  auch  der  letzte,  von  den  Car- 
dinälen  bin,  die  zum  h.  Officium  gehören.4 '  Peiresc  schrieb 
darauf  am  31.  Jan.  1635:  .  .  .  „Was  Euere  Eminenz  bei 
Seiner  Heiligkeit  für  den  ehrwürdigen  Greis  Galilei  thuen 
werden,  dafür  werde  ich  Ihnen  nicht  minder  dankbar  sein, 
als  hätten  Sie  es  für  meinen  seligen  Vater  gethan.  Ich 
trage  Ihnen  nochmals  mit  der  grössten  Demuth  meine  Bitte 
vor,  da  mir  die  Ehre  und  Reputation  dieses  Pontificates 
und  der  weisen  Leitung  und  Verwaltung  Euerer  Eminenz 
viel  mehr  am  Herzen  liegt  als  die  Erhaltung  meines  Lebens, 
und  da  ich  überzeugt  bin,  dass,  wie  die  Verzeihung,  die 
Sie  seiner  aus  menschlicher  Schwachheit  begangenen  Sünde 
angedeihen  lassen,  den  Wünschen  der  edelsten  Geister 
unseres  Jahrhunderts  entsprechen  wird,  welche  über  die 
Strenge  und  Verlängerung"  seiner  Bestrafung  ein  so  grosses 
Mitleid  empfinden,  so  das  Gegentheil  Gefahr  laufen  würde, 
dereinst  mit  der  Verfolgung  der  Person  und  der  Weisheit 
des  Sokrates  in  seinem  Vaterlande  verglichen  zu  werden, 
welche  von  den  anderen  Völkern  und  von  den  Nachkommen 
der  Verfolger  selbst  so  sehr  getadelt  wird." 

Auch  der  Graf  Franz  de  Noailles,  der  in  Padua  Gali- 
lei's  Zuhörer  gewesen  und  1634— 1636  französischer  Gesand- 
ter in  Rom  war,  bemühte  sich  für  seinen  alten  Lehrer1). 
Am  9.  Dec.  1634  schrieb  Castelli  an  Galilei,  er  habe  im 
Einverständniss  mit  Niccolini  Noailles  gebeten,  sich  bei  dem 
Cardinal  Barberini  für  ihn  zu  verwenden.  Vorerst  glaubte 
Noailles  sich  darauf  beschränken  zu  müssen,  im  Gespräch 
mit  dem  Papste  und  mit  dem  Cardinal  Galilei  sehr  zu 
loben2).  Anfangs  August  1636  theilte  er  dem  Cardinal  An- 
tonio  Barberini  einen    —    wahrscheinlich    zu    dem    Zwecke 


1)  Wolynski,  Franc,  de  Noailles  e  G.  Galilei,  in  der  Riv.  Eur.  1877, 
III,  688.  2)  X,  64.  65.  103.    149.   161;  s.  o.  S.  232. 


Verwendungen  l     igs  von  Polen. 

geschriebenen  —  Brief  Galilei's  mit  und  wollte  ihm  densel- 
ben in  Händen  lassen,  damit  er  ihn  (dem  Pap>  igen 
könne.  Der  Cardinal  wollte  den  Brief  aber  nicht  behalten 
und  sagte,  es  sei  dem  Papst  eingeredet  worden.  dt>r  Ge- 
sandte sei  zu  seinen  Schritten  im  Interesse  GaKKePs  von 
Castelli  beredet  worden.  Bei  seiner  Abschieds- Audienz  am 
8.  Aug.  1636  verwendete  sich  Noailles  aber  nochmals  sehr 
warm  für  Galilei,  und  der  Papst  versprach  endlich,  die 
Sache  in  einer  Sitzung  der  Inquisition  zur  Sprache  zu  brin- 
gen. Der  Cardinal  Antonio  Barberini  versprach  seiner- 
seits, die  anderen  Cardinale  der  Inquisition  zu  gewinnen1). 
Es  geschah  aber  in  der  nächsten  Zeit  nichts  zu  Gunsten 
GalileTs;  nur  erhielt  er  von  der  Inquisition  die  Erlaubniss, 
sich  von  seiner  Villa  im  Oct  1636  für  einige  Stunden  nach 
dem  nahen  Poggibonsi  zu  begeben,  um  dort  mit  Xoailles 
auf  dessen  Rückreise  nach  Frankreich  zusammenzutreffen1). 

Auch  der  König  Ladislaus  IV.  von  Polen  interessirte 
sich  für  Galilei  und  suchte  im  J.  1636  durch  seine  Agenten 
seine  Begnadigung  zu  erwirken,  sich  auch  zu  dem  Ende 
mit  dem  Grossherzog  von  Toscana  zu  verstandigen.  Dieser 
stand  aber  eben  damals  mit  Urban  VIII.  nicht  auf  gutem 
Fusse,  da  er  die  Abberufung  des  Inquisitors  zu  Florenz, 
der  sich  Willkürlichkeiten  hatte  zu  Schulden  kommen  las- 
sen, nicht  erlangen  konnte3). 

Alle  diese  Verwendungen  blieben  erfolglos.  Mit 
Rücksicht  auf  die -vergeblichen  Bemühungen  des  Grafen 
de  Xoailles  schreibt  am  3.  Febr.  1637  Roberto  Galilei  von 
Lyon4):  ..Man  muss  sagen,  Ihre  Feinde  sind  eher  Teufel 
als  Menschen;  Anderen  predigen  sie  Versöhnlichkeit,  und 
selbst  üben  sie  Rache;  man  darf  annehmen,  wenn  sie  noch 
Schlimmeres  ihnen  konnten,  würden  sie  es  nicht  unter- 
lassen.'* 

Im  Juni  1637  schrieb  Galilei  wieder  an  Castelli;  der 
Brief  ist  nicht  erhalten,  und  wir  wissen  nicht,  welche  spe- 
öefle  Bitte  er  enthielt.  Aber  Castelli  antwortet:  Der  Brief 
habe  ihn  zu  vielen  Thränen  gerührt;  aber  er  und  Niccolmi 


1)  X.  16«.  a)  X,  169,  171.  17a. 

3)  X,  hol   129.    152.   177.    184;    vgL  A.  Wolrmski,  Rduk»  di  G. 

DU*  Potaöa,  m  Aidft  stak»  S.  3,  IL  16,  p.  «H-  251  C  27a 
*J  X,  1S7. 


.1«  erblindet.  V: 

glaubten,  es  würde  nicht  gut  sein,  wer.  orch- 

aus    berechtigte    Bitte    vortrügen;     eher    könne    e 
haben,    wenn    man    den    Inquisitor   zu    Florenz   bestimmen 
konnte,  die  Sache,  wo  möglich  in  denselben  Worten,  v 
bringen;    er  wolle  dann  zu  mit  dem  Cardi- 

nal Scaglia  und  Anderen  reden 2j.  Im  September  versprach 
auch  der  Grossherzog  Galilei  bei  einem  Besuche,  „unter 
der  Hand"  einen  neuen  Versuch  zu  machen,  seine  Begna- 
digung zu  erwirk  er..  Ob  wirklich  etwas  geschah,  ist  nicht 
bekannt. 

Galilei 's  körperlicher  Zustand  wurde  immer  trauriger; 
im  Dec.  1637  war  er  ganz  erblindet*).  In  einem  Brief  an 
Elia  Diodati  vom  2.  Jan.  1638*)  gibt  er  dem  Schmerze  über 
den  Verlust  des  Augenlichtes  in  einer  Weise  Ausdruck, 
die  ihm  von  Seiten  derjenigen,  welche  sich  die  Darstellung 
seiner  Charakterfehler  zur  Hauptaufgabe  gemacht4),  den 
Vorwurf  des  Mangels  an  Bescheidenheit  zugezogen:  ^Sie 
fragen  nach  dem  Stande  meiner  Gesundheit:  meine  körper- 
lichen Kräfte  haben  sich  ziemlich  wieder  gehoben;  aber 
ach,  mein  Herr,  Ihr  lieber  Freund  und  Diener  Galileo  ist 
seit  einem  Monate  unheilbar  und  ganz  blind,  so  dass  jener 
Himmel,  jene  Weh  und  jenes  Universum,  welches  ich  durch 
meine  wunderbaren  Beobachtungen  und  überzeugenden  Be- 
weise  um   das  Hundert«  und  Tausendfache  über  den  Um- 


:  X.  z'.l.  Mal  aneseai  Bnefie  idtidkie Gatfefl^  mmGaMmnxm  tHmttm, 
tamm  floate,  im  ~r  Act  kok  ifim  Ecntiaalane  pradanrawa,  aal  Is 
Biv.t.   il-.z  r.  :-:   *-  =    :->:-:    ::    :--!■=-       Z-^.\~  -t  .-.:-   -.-.>_:    —  i!- 

2)  Schoa  im  Jan.  1637  klagt  Galilei  aber  eia  Aagealeidea  (¥11,  145. 
I4S;  X,  189.  190.  197).     La  Jani  1 

seine   eigenen  Briefe   dictirea  (¥11,  161).     Iai  JaK  war  er 
Ange  ganz  erblindet,  wänread  das    Unke  leidend  war  iVIL  1S01-     Ln  I>ec 
1637  erblindete  er  roKig  (¥H,   205.   207;  X,  256).    Eia  Fremd  am  Rom 

274.  291.  302.  303.  323*.   Bomcompzgmk,  BaDetiao  XI  (Rom  1*7*%  615.  —  IL 


394  Verhandlungen  über  die  Rückkehr  nach  Florenz. 

fang  hinaus  erweitert  habe,  den  die  Weisen  aller  früheren 
Jahrhunderte  gewöhnlich  annahmen,  jetzt  für  mich  so  klein 
und  enge  geworden,  dass  es  nicht  grösser  ;st  als  der  Raum, 
den  meine  Person  einnimmt." 

Eben  als  Galilei  ganz  erblindet  war,  erhielt  er  in  einem 
Briefe  Castelli's  vom  12.  Dec.  1637 l)  folgende  Mittheilung: 
„Vor  einigen  Tagen  äusserte  ich  im  Gespräche  mit  einem 
hochgestellten,  intelligenten  und  in  den  Geschäften  erfahre- 
nen Manne  mein  Bedauern,  dass  Ihnen  verboten  sei,  in 
Ihrer  üblen  Lage  zu  der  barmherzigen  Liebe  der  h.  Kirche 
Ihre  Zuflucht  zu  nehmen.  Er  antwortete:  das  könne  nicht 
sein;  jenes  Verbot  sei  nur  zu  verstehen  von  Eingaben  durch 
die  Vermittlung  von  einflussreichen  Fürsprechern  (del  ricor- 
rere  per  via  di  favori);  Sie  hätten  also  Ihr  Anliegen  in  den 
ehrfurchtsvollen  Ausdrücken,  deren  Sie  sich  immer  bedient 
haben,  der  h.  Congregation  des  h.  Officiums  vortragen 
können,  indem  Sie  in  aller  Demuth  Ihre  Lage  darstellten 
und  um  jene  Hülfe  bäten,  die  der  Weisheit  der  Oberen 
geeignet  schiene  für  das  Heil  Ihrer  Seele  und  zur  Linde- 
rung Ihrer  grossen  Noth.  Ich  meine,  Sie  sollten  diesen 
Rath  befolgen  und  in  dieser  Weise  schreiben."  Galilei 
schickte  diesen  Brief  an  einen  Beamten  am  grossherzog- 
lichen Hofe,  Benedetto  Guerrini2),  und  der  Grossherzog 
Hess  ihm  rathen,  eine  Petition  an  Castelli  zu  schicken,  da- 
mit dieser  sie  zur  geeigneten  Zeit  überreiche3).  Castelli 
sprach  noch  einmal  mit  demjenigen,  der  ihm  den  Rath  er- 
theilt  hatte,  über  die  Fassung  der  Bittschrift  und  schickte 
am  9.  Jan.  1638  das  Concept  derselben  an  Galilei,  mit  dem 
Rathe,  sie  mit  einem  ärztlichen  Zeugnisse  direct  an  den 
Assessor  des  h.  Officiums  einzusenden4).  Die  Petition  lautet: 
„Galileo  Galilei,  der  demüthigste  Diener  Euerer  Eminen- 
zen, trägt  ehrfurchtsvoll  vor,  dass  er  seit  vier  Jahren  auf 
Befehl  der  h.  Congregation  ausserhalb  Florenz  internirt 
(sequestrato)  ist  und  dass  er  nach  einer  langen  lebensge- 
fahrlichen Krankheit  das  Gesicht  verloren  hat,  wie  aus 
den  beiliegenden  Zeugnissen  der  Aerzte  hervorgeht.  Da 
er  nun  der  ärztlichen  Hülfe  dringend  bedarf,  so  wendet  er 
sich  an  die  Gnade  Euerer  Eminenzen  mit  der  Bitte,  ihm  in 


1)  X,  248.  2)  VII,  204. 

3)  X,  249.  4)  X,  251.  254.  262. 


Verhandlungen  über  die  Rückkehr  nach  Florenz.  395 

diesem  traurigen  Zustande   und  in  seinem  hohen  Alter  die 
Gnade  der  Freilassung  angedeihen  zu  lassen." 

Die  Bittschrift  wurde  in  der  Sitzung  der  Inquisition 
vom  4.  Febr.  1638  vorgelegt  und  zunächst  beschlossen,  den 
Inquisitor  zu  Florenz  zu  einem  Berichte  über  Galilei's  Ge- 
sundheitszustand und  zu  einer  Aeusserung  darüber  aufzu- 
fordern, ob  seine  Rückkehr  nach  Florenz  zu  Zusammen- 
künften und  Gesprächen  Anlass  geben  könne,  in  welchen 
seine  verdammte  Meinung  von  der  Bewegung  der  Erde  und 
dem  Stillstehen  der  Sonne  wieder  aufgefrischt  werden 
könnte1).  Der  Inquisitor  berichtete  am  13.  Febr.2)  Folgen- 
des: „Um  dem  Befehle  Seiner  Heiligkeit  vollständiger  zu 
entsprechen,  bin  ich  selbst  unangemeldet  mit  einem  mir 
bekannten  fremden  Arzte  nach  Galilei's  Villa  zu  Arcetri 
gegangen,  um  mich  über  seinen  Zustand  zu  informiren.  Ich 
glaubte,  dieses  thun  zu  müssen  nicht  so  sehr  darum,  um 
über  die  Beschaffenheit  seiner  Leiden  berichten  zu  können, 
sondern  darum,  um  zu  sehen,  mit  welchen  Studien  er  sieh 
beschäftigt  und  wie  er  lebt,  um  so  beurtheilen  zu  können, 
ob  er,  wenn  er  nach  Florenz  käme,  durch  Zusammenkünfte 
und  Gespräche  seine  verdammte  Meinung  von  der  Bewe- 
gung der  Erde  verbreiten  könnte.  Ich  habe  ihn  völlig  des 
Augenlichtes  beraubt,  in  der  That  blind  gefunden,  und 
wenn  er  auch  selbst  meint,  er  könne  noch  geheilt  werden, 
da  sich  erst  seit  sechs  Monaten  der  Staar  auf  den  Augen 
gebildet  hat,  so  hält  doch  der  Arzt,  bei  einem  Alter  von 
70  Jahren,  das  Uebel  für  so  gut  wie  unheilbar.     Ausserdem 


1)  Gherardi  No.  XXIII,  abgedruckt  bei  Gebier,  Galilei  S.  429.  In 
den  Vaticanischen  Acten  findet  sich  über  diese  Verhandlungen  nichts,  wahr- 
scheinlich, weil  diese  Correspondenz  mit  dem  Inquisitor  zu  Florenz  nicht 
von  dem  Secretär  der  Inquisition,  sondern  von  dem  Cardinal  Francesco 
Barberini  geführt  wurde.  Es  fehlen  in  den  Vaticanischen  Acten  auch  andere 
den  Gherardi'schen  Actenstücken  aus  der  Zeit  nach  1634  entsprechende 
Notizen.  Dass  aber  gerade  die  Aufzeichnungen  fehlen,  „durch  die  Galilei's 
moralische  Misshandlung  bis  an  sein  Ende  constatirt  wird"  (Wohlwill  S.  106), 
ist  etwas  zu  viel  gesagt;  eine  der  schlimmsten  Notizen  der  Art,  die  vom  23. 
Mai   1634  (s.  o.  S.  387),  fehlt  wenigstens  nicht. 

2)  Der  Bericht  ist  von  Alberi  X,  280  aus  dem  Archiv  der  Inquisition 
zu  Florenz  herausgegeben.  Inquisitor  war  jetzt  nicht  mehr  P.  Clemens,  der 
den  Bericht  vom  I.  April  1634  (s.  o.  S.  387)  geschickt  hatte,  sondern  P.  Giovanni 
Muzzarelli  da  Fanano.  Das  hat  Gebier  übersehen,  wenn  er  S.  349  sagt; 
„Der  Inquisitor  widerspricht  selbst  seinem  Rapport  vom  1.  April  163^", 


396  Erlaubniss  zur  Rückkehr  nach  Florenz. 

hat  er  einen  schlimmen  Bruch,  empfindet  beständig  Schmer- 
zen und  leidet,  wie  er  selbst  sagt  und  seine  Hausgenossen 
berichten,  an  einer  solchen  Schlaflosigkeit,  dass  er  in  24 
Stunden  nie  eine  ganze  Stunde  schläft.  Er  ist  auch  im 
Uebrigen  so  elend,  dass  er  mehr  einem  Leichnam  als  einem 
lebendigen  Menschen  gleicht.  Die  Villa  liegt  weit  von  der 
Stadt  entfernt  und  ist  nicht  bequem  zu  erreichen,  so  dass  er 
nur  selten,  nicht  ohne  Schwierigkeit  und  nur  mit  vielen  Kosten 
ärztliche  Hülfe  erlangen  kann.  Seine  Studien  sind  in  Folge 
seiner  Erblindung  unterbrochen,  wiewohl  er  sich  zu  Zeiten 
etwas  vorlesen  lässt.  Er  hat  nicht  viel  Verkehr,  weil  er 
bei  seinen  schlechten  Gesundheitsumständen  gewöhnlich 
nichts  anderes  thun  kann  als  über  sein  Unglück  klagen  und 
mit  denjenigen,  die  ihn  zu  Zeiten  besuchen,  über  seine 
Leiden  sprechen.  Ich  glaube  darum  auch  in  dieser  Bezie- 
hung, wenn  Seine  Heiligkeit  in  seiner  unendlichen  Barm- 
herzigkeit ihm  erlauben  wollte,  in  Florenz  zu  wohnen,  so 
hätte  er  keine  Gelegenheit,  Versammlungen  zu  halten,  und 
wenn  er  sie  hätte,  so  ist  er  so  mürbe  geworden,  dass,  um 
sich  dessen  zu  versichern,  wohl  eine  gute  Ermahnung  ge- 
nügen würde,  um  ihn  im  Zügel  zu  halten. " 

Am  25.  Febr.  1638  beschloss  darauf  die  Inquisition,  Ga- 
lilei zu  erlauben,  in  seinem  Hause  zu  Florenz  zu  wohnen, 
um  sich  ärztlich  behandeln  zu  lassen,  jedoch  unter  der  Be- 
dingung, dass  er  nicht  in  die  Stadt  gehe  und  auch  in  seinem 
Hause  keine  öffentlichen  oder  geheimen  Unterredungen  über 
seine  frühere  verdammte  Meinung  von  der  Bewegung  der 
Erde  zulasse;  der  Inquisitor  solle  ihm  unter  Androhung  der 
schwersten  Strafen  verbieten,  über  dergleichen  Dinge  mit 
irgend  Jemand  zu  reden,  und  ihn  überwachen  lassen1).  Am 
6.  März  theilte  der  Cardinal  Barberini  dieses  dem  Inquisitor 
zu  Florenz  mit2).  An  demselben  Tage  schrieb  Castelli  an 
Galilei3),  der  Assessor  des  h.  Officiums  habe  ihm  erzählt, 
dass  dieser  Brief  abgehen  werde,  und  beigefügt,  Galilei 
müsse  sich  vor  Gesprächen  und  Zusammenkünften  u.  s.  w. 
hüten.  „Ich  habe  ihm  versichert,  schreibt  Castelli  weiter, 
Sie  sprächen  nie  über  verdächtige  oder  verbotene  Dinge 
und   fügten    sich   in  diesem  und  in    allen   anderen  Punkten 


1)  Gherardi  No.  XXIV,  abgedruckt  bei  Gebier,  Galilei  S.  429. 

2)  Wolynski  p.  27.  3)  X,  285. 


Erlaubniss  zur  Rückkehr  nach  Florenz.  397 

gewissenhaft  dem  Willen  Gottes  und  der  Oberen;  dafür 
wolle  ich  mich  mit  meinem  Leben  verbürgen.  Ich  schreibe 
Ihnen  dies,  nicht  als  ob  ich  daran  zweifelte,  dass  Sie  auf 
das  pünktlichste  gehorchen,  sondern  damit  Sie  sich  mög- 
lichst vor  Verleumdungen  hüten." 

Am  9.  März  schrieb  darauf  der  Inquisitor  an  Galilei1): 
„Seine  Heiligkeit  hat  geruht,  Ihnen  zu  erlauben,  von  Ihrer 
Villa  in  Ihr  Haus  in  Florenz  überzusiedeln,  um  sich  ärztlich 
behandeln  zu  lassen.  Sie  müssen  jedoch,  wenn  Sie  in  die 
Stadt  kommen,  gerades  Weges  hierher  in  das  h.  Officium 
kommen  oder  sich  bringen  lassen,  um  von  mir  zu  verneh- 
men, was  ich  Ihnen  weiter  zu  eröffnen  und  vorzuschreiben 
habe."  Am  folgenden  Tage  berichtete  der  Inquisitor  an 
den  Cardinal  Barberini2):  ,,Ich  habe  Galilei  von  der  ihm 
ertheilten  Erlaubniss  ...  in  Kenntniss  gesetzt.  Zugleich 
habe  ich  ihm  bei  Strafe  lebenslänglicher  förmlicher  Haft 
und  der  Seiner  Heiligkeit  vorbehaltenen  Excommunication 
latae  sententiae  verboten,  in  die  Stadt  zu  gehen  oder  mit 
irgend  Jemand  von  seiner  verdammten  Meinung  von  der 
Bewegung  der  Erde  zu  reden.  Er  ist  durch  sein  Alter  von 
70  Jahren,  durch  seine  Blindheit  und  durch  viele  andere 
Krankheiten  und  Leiden,  die  ihn  quälen,  so  niedergedrückt, 
dass  man  wohl  annehmen  darf,  er  werde,  wie  er  versprochen, 
den  ihm  ertheilten  Befehl  nicht  übertreten.  Zudem  liegt  sein 
Haus  in  einem  der  abgelegensten  Theile  der  Stadt.  Auch 
hat  er  einen  sehr  wohlgesitteten  und  gutgesinnten  Sohn, 
der  beständig  bei  ihm  ist,  und  dieser  ist  von  mir  ange- 
wiesen worden,  in  keiner  Weise  verdächtige  Personen  mit 
seinem  Vater  reden  zu  lassen  und  dafür  zu  sorgen,  dass  die- 
jenigen, welche  ihn  besuchen,  sich  bald  wieder  entfernen. 
Ich  bin  überzeugt,  er  wird  wachsam  und  gehorsam  sein; 
denn  wie  er  sich  sehr  dankbar  gegen  unsern  Herrn  und 
Euere  Eminenz  ausspricht  für  die  seinem  Vater  ertheilte 
Erlaubniss,  der  ärztlichen  Behandlung  wegen  in  der  »Stadt 
zu  wohnen,  so  fürchtet  er,  dass  er  um  der  gering*sten  Sache 
wegen  zurückberufen  werden  möge.  Es  liegt  auch  sehr  in 
seinem  Interesse,  dass  der  Vater  sich  in  Acht  nehme  und 
noch  lange  lebe,  da  mit  seinem  Tode  tausend  Scudi  ver- 
loren gehen,  die  ihm  der  Grossherzog  jährlich  gibt.    Bei  alle 


[)  X,  286.  2)  X,  287. 


398  Erlaubniss  zur  Rückkehr  nach  Florenz. 

dem  werde  ich  pflichtmässig  darüber  wachen,  dass  alles  aus- 
geführt werde,  was  von  Seiner  Heiligkeit  und  Euerer  Emi- 
nenz angeordnet  ist.  Ich  füge  noch  bei,  dass  Galilei  drin- 
gend bittet,  es  möge  ihm  gestattet  werden,  an  den  Fest- 
tagen, falls  es  ihm  seine  Leiden  gestatten,  sich  in  eine  kleine, 
zwanzig  Schritte  von  seinem  Hause  entfernte  Kirche  tragen 
zu  lassen,  um  dort  die  Messe  zu  hören/' 

Die  Inquisition  beschloss  am  29.  März,  den  Inquisitor 
zu  ermächtigen,  nach  seinem  Gutdünken  Galilei  den  Besuch 
der  Kirche  zu  gestatten,  „vorausgesetzt,  dass  kein  Zusam- 
menlauf von  Leuten  stattfinde"  *).  Schon  am  28.  hatte  aber 
der  Inquisitor  Galilei  erlaubt,  an  den  drei  letzten  Tagen  der 
Charwoche  und  am  Ostertage  in  seine  Pfarrkirche  oder  in 
eine  andere  Kirche  in  der  Nähe  seines  Hauses  zu  gehen, 
um  zu  beichten,  zu  communiciren  und  sonstige  Andachts- 
übungen vorzunehmen,  oder,  wenn  er  das  vorziehe,  auf  seiner 
Villa  zu  bleiben2).  —  Bezüglich  des  Verbotes  der  Besuche 
wandte  sich  Galilei  nochmals  an  Castelli;  dieser  schrieb  ihm 
am  27.  März3),  nach  der  Erklärung  des  Assessors  des  h. 
Officiums  sei  das  Verbot  nur  dahin  zu  verstehen,  dass  ,,kein 
Anlass  geboten  werden  dürfe,  von  der  Bewegung  der  Erde 
u.  s.  w.  zu  reden". 

Aus  mehreren  Briefen  geht  hervor,  dass  Galilei  seit 
dem  10.  März  1638  sich  nicht  immer  in  Florenz,  sondern 
zeitweilig  wieder  auf  seiner  Villa  aufhielt4).  Seit  dem  Jan. 
1639  sind  alle  Briefe  von  Arcetri  datirt.  Die  Erlaubniss, 
nach  Florenz  überzusiedeln,  war  allerdings  nur  zu  dem 
Zwecke  der  ärztlichen  Behandlung,  aber  nicht  für  eine  be- 
stimmte Zeit  ertheilt,  und  es  findet  sich  nirgendwo  erwähnt, 
dass  sie  zurückgenommen  worden  sei.  Galilei  scheint  also 
später  selbst  den  Aufenthalt  in  Arcetri  vorgezogen  zu  haben. 


i)  Gherardi  Nq,  XXV,  abgedruckt  bei  Gebier,  Galilei  S.  430:  proviso 
ne  habeat\ur\  concursus  personarum.  In  dem  betreffenden  Schreiben  des 
Card.  Barberini  vom  3.  April  (bei  Wolynski  p.  27)  heisst  es:  „Ihre  Eminen- 
zen wünschen,  dass  es  zu  geeigneten  Stunden  und  mit  wenig  Apparat  und 
Begleitung  geschehe."  Dass  „der  Inquisitor  den  Auftrag  erhalten,  wohl  dar- 
auf zu  achten,  dass  Niemand  in  jenes  Gotteshaus  zugelassen  werde,  so  lange 
Galilei  darin  seine  Andacht  verrichte",  und  dass  darum  „für  Galilei  eine 
eigene  Messe  gehalten  wurde,  bei  der  Niemand  zugegen  sein  durfte"  (Geb- 
ier, D.  Rundschau   1878,  IV,  70),  ist  jedenfalls  eine  Uebertreibung. 

2)  X,  292.  3)  X,  290.  4)  X,   292;  VII,  211.  214.  217. 


Verhandlungen  mit  den  Generalstaaten.  399 

Galilei  correspondirte  in  den  Jahren  1636—38  vielfach 
mit  den  holländischen  Generalstaaten  über  die  Methode  der 
Längenmessung  auf  dem  Meere1).  Im  Sommer  1638  sollte 
Martin  Hortensius,  Professor  der  Mathematik  zu  Amster- 
dam, nach  Florenz  kommen,  um  mit  Galilei  persönlich  dar- 
über zu  sprechen2).  Der  Inquisitor  hörte  davon  und  be- 
richtete unter  dem  26.  Juni  nach  Rom3):  ,,Ich  habe  erfahren, 
dass  hier  in  Kurzem  aus  Deutschland  ein  vornehmer  Herr 
erwartet  wird,  welcher  von  den  freien  Städten  der  Nieder- 
lande mit  werthvollen  Geschenken  an  Galilei  abgesandt  ist. 
Durch  eingezogene  Erkundigungen  habe  ich  entdeckt,  dass 
dieser  jenen  vor  vielen  Jahren  mitgetheilt  hat,  er  könne  ein 
Instrument  machen,  mit  welchem  man  die  Schifffahrt  durch 
die  Länge  von  Westen  nach  Osten  erleichtern  könne  [sie], 
dass  jene  beschlossen  haben,  Jemand  hierher  zu  schicken, 
um  sich  vollständig  darüber  zu  unterrichten,  und  dass  dieser 
Abgesandte  von  dem  Grossherzog  empfangen  werden  und 
Wohnung  erhalten  wird.  Ich  habe  unter  den  gegenwärtigen 
schwierigen  Verhältnissen  für  gut  gehalten,  nichts  anderes 
zu  thun  als  Galilei  zu  rathen,  er  möge,  wenn  es  möglich  sei, 
den  besagten  Herrn  nicht  empfangen,  oder  wenn  er  ihn,  wie 
zu  vermuthen  ist,  auf  Befehl  Seiner  Hoheit  empfange,  möge 
er  sich  davor  hüten,  in  irgend  einer  Weise  von  dem  zu 
reden,  was  ihm  verboten  ist.  Ich  habe  es  für  meine  Pflicht 
gehalten,  dieses  mitzutheilen,  um  Euere  Eminenz  von  dem, 
was  vor  sich  geht,  in  Kenntniss  zu  setzen  und  um  von 
Ihnen  Weisungen  zu  erhalten,  falls  Sie  mir  solche  zu  geben 
für  gut  halten." 

Die  Inquisition  beschloss  in  der  Sitzung  vom  13.  Juli4), 
dem  Inquisitor  zu  antworten:  wenn  der  betreffende  Herr 
ein  Ketzer  oder  von  einer  ketzerischen  Stadt  gesandt  sei, 
solle  er  Galilei  die  Annahme  seines  Besuches  förmlich  ver- 
bieten; wenn  aber  der  Herr  und  die  Stadt  katholisch  sei, 
solle    er   die  Verhandlung    zwischen  Beiden   nicht    hindern, 


1)  VII,  73—137.  161  — 189.  197.     Pieralisi  p.  278. 

2)  VII,    183.    187;      X,    220.    221. 

3)  Acten  S.    178. 

4)  Gherardi  No.  XXVI,  abgedruckt  bei  Gebier  S.  430.  Acten  S.  179 
(eine  nur  theilweise  leserliche  Notiz  darüber  unter  dem  Briefe  des  Inquisitors 
ist  faesimilirt  bei  Epinois  p.  138).  Der  betreffende  Brief  des  Card.  Barberini, 
vom   19.  Juli,  ist  von  Wolynski  p.   28  veröffentlicht. 


400  Verhandlungen  mit  den  Generalstaaten. 

vorausg'esetzt,  dass  sie  nicht  über  die  Bewegung  der  Erde 
redeten.  Der  Cardinal  Barberini,  der  dem  Inquisitor  diese 
Weisung  mittheilte,  fügte  bei:  wenn  das  Instrument  wirk- 
lich, was  man  in  Rom  nicht  recht  glaube,  eine  so  werthvolle 
Erfindung  sei,  so  sei  zu  hoffen,  dass  der  Grossherzog  nicht 
zulasse,  dass  sie  „einem  fremden  Volke  in  die  Hände  falle 
und  Italien  des  Ruhmes  beraubt  werde,  sie  zuerst  benutzt 
zu  haben." 

Am  25.  Juli  berichtete  der  Inquisitor  weiter1):  „Der 
Herr,  welcher  an  Galilei  abgesandt  war,  ist  nicht  nach  Flo- 
renz gekommen  und  wird,  so  viel  ich  höre,  nicht  kommen. 
Ich  habe  bis  jetzt  noch  nicht  erfahren  können,  ob  wegen 
einer  Behinderung  auf  der  Reise  oder  wegen  eines  andern 
Grundes.  Aber  die  Geschenke  sind  mit  Briefen  an  Galilei 
in  die  Hände  einiger  deutschen  Kaufleute  hierselbst  gelangt. 
Ein  zuverlässiger,  mir  bekannter  Mann,  der  mit  demjenigen, 
welcher  die  Geschenke  und  Briefe  in  Händen  hat,  ge- 
sprochen, sagt,  diese  seien  mit  dem  Siegel  der  holländi- 
schen. Generalstaaten  gesiegelt  und  jene  seien  in  einem 
Packet,  und  es  seien  wahrscheinlich  Schmucksachen  von 
Gold  und  Silber.  Galilei  hat  sich  standhaft  geweigert,  die 
Briefe  und  die  Geschenke  anzunehmen,  sei  es  aus  Furcht, 
er  möge  sich  einer  Gefahr  aussetzen  wegen  der  Warnung, 
die  ich  ihm  bezüglich  des  Herrn,  der  hierher  kommen  sollte, 
ertheilt  habe,  sei  es  weil  er  wirklich  die  Anweisung  über 
die  Längenmessung  nicht  vollendet  hat  und  nicht  vollenden 
kann,  da  er  ganz  blind  ist  und  mehr  mit  dem  Kopfe  im 
Grabe,  als  mit  dem  Geiste  in  mathematischen  Studien  steckt, 
und  da  der  Gebrauch  des  Instrumentes,  welches  er  ausge- 
dacht, auf  viele  unüberwindliche  Schwierigkeiten  stösst. 
Man  sagt  hier  auch,  wenn  er  die  Sache  vollendet  hätte, 
würde  Seine  Hoheit  nicht  gestattet  haben,  dass  sie  Frem- 
den, Ketzern  und  Feinden  der  mit  dem  grossherzoglichen 
Hause  verbündeten  Fürsten  in  die  Hände  falle/'  Die  Inqui- 
sition beschloss  am  5.  August2),  dem  Inquisitor  zu  antwor- 
ten:   er  solle  Galilei  mittheilen,    die   Congregation  finde  es 


1)  Acten   S.  176. 

2)  Gherardi  No.  XXVII,  abgedruckt  bei  Gebier  S.  431.  Acten  S.  180. 
Der  betreffende  Brief  des  Card.  Barberini,  vom  7.  Aug.,  ist  von  Wolynski 
p.   28  veröffentlicht. 


Verhandlungen  mit  den  Generalstaaten.  40 1 

sehr  lobenswerth,  dass  er  sich  geweigert  habe,    die  Briefe 
und  Geschenke  der  Generalstaaten  anzunehmen. 

Etwas  mehr  erfahren  wir  über  diese  Sache  aus  zwei 
Briefen  Galilei's  an  Elia  Diodati  in  Paris  l).  In  dem  ersten, 
vom  7.  Aug.  1638,  berichtet  er  zunächst,  er  liege  seit 
einem  Monate  zu  Bette,  und  fühle  sich  so  schwach,  dass  er 
nicht  glaube,  mit  dem  Leben  davon  kommen  zu  können. 
Zu  seinem  Augenleiden  seien  Kolikschmerzen  gekommen; 
er  schlafe  höchstens  eine  Viertelstunde  oder  eine  halbe 
Stunde  gegen  Morgen  und  mitunter  eine  oder  zwei  Stunden 
des  Abends  u.  s.  w. ;  dazu  sei  er  geistig  sehr  angegriffen 
und  niedergedrückt.  „Vor  sechs  Tagen,  berichtet  er  weiter, 
brachten  mir  die  Herren  Ebers,  deutsche  Kaufleute  hier- 
selbst,  einen  Brief  der  Generalstaaten  und  ein  Kistchen  mit 
einer  Kette2).  Sie  fanden  mich  in  sehr  traurigem  Zustande 
im  Bette,  und  da  ich  blind  bin,  öffneten  sie  den  Brief  und 
lasen  ihn  mir  vor;  er  ist  voll  Freundlichkeit.  Den  Brief 
nahm  ich  an  mich,  das  Kistchen  gab  ich  ihnen  zurück,  mit 
der  Bitte,  es  zu  behalten,  bis  ich  den  Generalstaaten  ge- 
schrieben und  von  ihnen  Antwort  erhalten  haben  würde. 
Ich  will  den  Generalstaaten  für  den  Beweis  ihres  Wohl- 
wollens danken,  aber  die  Kette  für  jetzt  nicht  behalten,  aus 
verschiedenen  Gründen,  namentlich  aber  darum,  weil  in 
Folge  meiner  Erblindung  und  der  Zunahme  meiner  Krank- 
heit die  Verhandlungen  unterbrochen  sind.  .  .  .  Wenn  mein 
Zustand  sich  fortwährend  so  verschlechtert,  wie  es  seit 
drei  bis  vier  Tagen  der  Fall  ist,  sq  wird  es  mit  dem 
Dictiren  von  Briefen  wohl  zu  Ende  sein  ...  Es  wäre  eine 
nutzlose  Mühe,  wenn  Herr  Hortensius  hieher  kommen  wollte, 
um  mich  zu  besuchen.  Sollte  er  mich  noch  lebend  finden, 
was  ich  nicht  glaube,  so  würde  ich  doch  nicht  im  Stande 
sein,  ihm  den  mindestens  Dienst  zu  leisten."  Am  14.  Aug. 
schreibt  er:  „Das  Unglück  hat  es  gewollt,  dass  das  h.  Offi- 
cium von  meinen  Verhandlungen  mit  den  Generalstaaten 
über  die  Längenmessung  Kunde  erhalten  hat,  was  mir 
grossen  Schaden  hätte  bringen  können.  Es  ist  mir  darum 
sehr  lieb,  dass  Sie  Herrn  Hortensius  veranlasst  haben, 
seine  Reise  aufzugeben.  Sein  Besuch  hätte  mir  Ungelegen- 
heiten  bereiten  können.     Es  ist  freilich  richtig,  dass  aus  den 


1)  vii,  214.  2)  Vgl.  vil,  135. 

Keusch,  Galilei.  -  20 


402  Castelli  bei  Galilei. 

von  Ihnen  angeführten,  durchaus  wahren  und  einleuchten- 
den Gründen  eine  solche  Verhandlung  mir  keinen  Nachtheil, 
sondern  Ehre  und  Ruhm  bringen  sollte,  wenn  ich  ein 
Mensch  wie  andere  Menschen,  d.  h.  nicht  unglücklicher  als 
Andere  wäre ;  aber  viele,  viele  Erfahrungen  haben  mich  von 
der  Bosheit  meines  Unglücks  überzeugt,  so  dass  ich  von 
der  hartnäckigen  Perfidie,  mit  welcher  es  mich  verfolgt, 
nichts  anderes  erwarten  kann,  als  dass  das,  was  jedem  An- 
dern Vortheil  bringen  würde,  mir  nur  Schaden  und  Nach- 
theil bringen  kann.  Ich  gebe  mich  aber  zufrieden;  denn  es 
wäre  eine  nutzlose  Vermessenheit,  dem  unabwendbaren  Ge- 
schicke widerstreben  zu  wollen." 

Im  Sommer  1639  scheint  Galilei  Micanzio  geschrieben 
zu  haben,  er  wolle  die  Kette  zurückschicken,  auch  darum, 
weil  ihm  die  Annahme  eines  Geschenkes  von  einer  pro- 
testantischen Regierung  verübelt  werden  könne.  Micanzio 
widersprach  ihm  entschieden,  und  Galilei  beschränkte  sich 
darauf,  die  Generalstaaten  zu  bitten,  sie  möchten  erwägen, 
ob  er  des  Geschenkes  würdig  sei,  da  er  seine  Aufgabe  nicht 
zu  Ende  geführt  habe1). 

Im  Herbst  1638  hatten  sich  der  Papst  und  die  Inqui- 
sition aufs  neue  mit  Galilei's  Sache  zu  befassen.  Die  noch 
wenig  beachteten  Actenstücke  verdienen,  weil  sie  in  mehr 
als  einer  Hinsicht  charakteristisch  sind,  ihrem  Hauptinhalte 
nach  mitgetheilt  zu  werden. 

Ende  1635  beabsichtigte  der  Grossherzog,  Galilei's 
Schüler  Castelli  wieder  nach  Pisa  zu  berufen2).  Castelli 
lehnte  ab,  unter  anderm  auch  darum,  weil  er  fürchtete, 
der  Cardinal  Francesco  Barberini,  der  Protector  seines  Or- 
dens, werde  ihn  dafür  seine  Ungnade  fühlen  lassen.  Im 
Mai  1638  scheint  Galilei  den  "Wunsch  geäussert  zu  haben, 
Castelli  zu  sehen.  Dieser  antwortete 3) :  er  habe  dem  Gross- 
herzog über  eine  ihm  vorgelegte  Frage  schriftlich  berichtet 
und  sich  dabei  erboten,  nach  Florenz  zu  kommen,  um  die 
Sache  mündlich  zu  erledigen;  er  habe  noch  keine  Antwort 
erhalten;  wenn  er  aufgefordert  werde,  nach  Florenz  zu 
kommen,  hoffe  er  einige  Tage  bei  Galilei  sein  zu  können. 
Am  9.  Sept.  1638  schrieb  dann  der  Minister  Cioli  an  Nicco- 


0  X,  355.  373.  376.  2)  x,  131.  3)  x,  300.  307. 


Castelli  bei  Galilei.  403 

lini1):  „Galilei  befindet  sich  in  Folge  seines.  Alters  und  sei- 
ner körperlichen  Leiden  in  einem  solchen  Zustande,  dass 
er  voraussichtlich  bald  aus  diesem  Leben  scheiden  wird. 
Wenn  nun  auch  das  Andenken  an  seinen  Ruhm  und  an 
seine  Tüchtigkeit  ewig  dauern  wird,  so  wünscht  doch  Seine 
Hoheit  sehr,  sein  Tod  möge  für  die  Welt  ein  möglichst 
geringer  Verlust  sein,  und  seine  Arbeiten  möchten  nicht 
verloren  gehen,  sondern  zum  allgemeinen  Besten  zu  der 
Vollendung  gebracht  werden,  die  er  selbst  ihnen  nicht  mehr 
wird  geben  können.  Er  hat  noch  viele  Dinge,  die  seiner 
würdig  sind,  im  Sinne,  möchte  dieselben  aber  Niemand  mit- 
theilen als  dem  Pater  Castelli,  dem  er  volles  Vertrauen 
schenkt.  Seine  Hoheit  wünscht  also,  Euere  Excellenz  möge 
den  besagten  Pater  veranlassen,  sich  die  Erlaubniss  zu  ver- 
schaffen, zu  dem  genannten  Zwecke,  für  den  sich  Seine 
Hoheit  sehr  interessirt,  für  ein  paar  Monate  nach  Florenz 
zu  kommen.  Wenn  er  die  Erlaubniss  erhält,  werden  Euere 
Excellenz  ihm  die  Reisekosten  vorschiessen."  Niccolini  ant- 
wortete am  25.  Sept.2):  „Castelli  hat  mir  mitgetheilt,  er 
habe  Seine  Heiligkeit  selbst  um  die  Erlaubniss  zu  der  Reise 
nach  Florenz  gebeten;  der  Papst  habe  den  Verdacht  ge- 
äussert, es  sei  darauf  abgesehen,  dass  er  sich  mit  Galilei 
unterhalten  solle;  er  habe  gesagt,  wenn  er  nach  Florenz 
komme,  müsse  er  auch  Galilei  sprechen,  und  habe  dann 
die  Antwort  erhalten,  das  solle  ihm  erlaubt  werden,  aber 
nur  in  Gegenwart  eines  Andern.  Ich  habe  ihm  50  Scudi 
auszahlen  lassen." 

Castelli  reiste  alsbald  ab.  Am  2.  Oct.  schrieb  er  von 
Florenz  aus  an  den  Cardinal  Francesco  Barberini3):  „Ich 
habe  heute  Ihren  Hoheiten  meine  Aufwartung  gemacht.  Ich 
wurde  sehr  gnädig  aufgenommen;  aber  ich  habe  sogleich 
gefunden,  dass  der  pünktliche  Gehorsam  gegen  Euere 
Eminenz  und  den  Befehl  unseres  Herrn  auf  eine  kleine 
Schwierigkeit  stösst,  bin  jedoch  fest  entschlossen,  pünktlich 
zu  gehorchen,  und  will  lieber  mein  Leben  lassen  als  unge- 
horsam sein.  Es  handelt  sich  um  Folgendes:  Da  der  Gross- 
herzog sieht,  dass  Galilei  immer  mehr  abnimmt  und  nicht 
lange  mehr  leben  kann,  wirkt  er  darauf  hin,  dass  er  sich 
auf  die  letzte  Reise  vorbereite,    um  sie  als  Christ    und  mit 


1)  X,  313.  2)  X,  314.  3)  Pieralisi  p.   291. 


404  Castelli  bei  Galilei. 

pflichtmässiger  Andacht  anzutreten.  Seine  Hoheit  hat  ihn 
nicht  nur  selbst  mit  grosser  Frömmigkeit  und  Liebe  er- 
mahnt, seine  Tage  in  ehrenhafter  Weise  -  zu  beschliessen, 
sondern  auch  durch  andere  Mittel  so  auf  ihn  eing-ewirkt, 
dass  er  ganz  ergeben  ist  in  den  Willen  Gottes  und  sich  mit 
Andachtsübungen  und  heiligen  Gedanken  beschäftigt.  Wie- 
wohl ich  nun  dazu  durchaus  ungeeignet  bin,  wünscht  doch 
Seine  Hoheit,  auch  ich  möge  dazu  mitwirken,  als  derjenige, 
dem  Herr  Galilei  stets  besonderes  Vertrauen  geschenkt  hat. 
Darum  bitte  ich  Euere  Eminenz  um  der  Liebe  Gottes  willen, 
mir  doch  von  unserm  Herrn  eine  ausgedehntere  Erlaubniss 
zum  Besuche  des  armen  Greises  erwirken  zu  wollen.  Ich 
verspreche,  mit  ihm  von  nichts  zu  reden  als  von  Dingen, 
die  sein  Seelenheil  betreffen,  und  höchstens  noch  von  Einem 
andern  Punkte,  welcher  gar  nicht  zu  den  streitigen  oder 
von  der  h.  Kirche  verdammten  Dingen  gehört.  Wenn 
E.  E.  mir  diese  Erlaubniss  ertheilt  und  verschafft,  so 
werde  ich  sie  genau  so  benutzen,  wie  ich  versprochen  habe; 
wenn  sie  mir  aus  höheren  Rücksichten  nicht  ertheilt  wird, 
so  schwöre  ich,  dass  ich  lieber  das  Leben  lassen  als  unge- 
horsam sein  will."  Castelli  erzählt  dann,  als  Beweis  für  ,,die 
Ehrfurcht  und  Achtung  Galilei's  vor  der  h.  Römischen 
Kirche",  die  Ablehnung  der  goldenen  Kette,  „eine  wahrhaft 
ehrenhafte  und  fromme  und  seiner  würdige  Handlung", 
und  schliesst:  „Der  Abt  des  hiesigen  Klosters  wird  mich 
gern,  entsprechend  dem  Befehle  Euerer  Eminenz,  die  drei 
Male,  die  ich  Erlaubniss  habe,  Galilei  zu  besuchen,  beglei- 
ten; aber  wenn  unser  Herr  in  seiner  väterlichen  Liebe  mir 
die  Erlaubniss  erweitert,  so  bitte  ich,  da  der  Pater  Abt 
durch  die  Leitung  des  Klosters  in  Anspruch  genommen  ist, 
zu  gestatten,  dass  er  mir  einen  andern  Begleiter  anweisen 
dürfe,  so  dass  ich  in  dessen  Gegenwart,  und  nicht  anders, 
das  thun  dürfte,  was  Gott  mir  eingeben  wird."  Am  9.  Oct. 
schrieb  Castelli  wieder  an  den  Cardinal:  „Zu  dem,  was  ich 
Euerer  Eminenz  mit  der  letzten  Post  geschrieben,  muss  ich 
nachtragen,  dass,  da  der  Prinz  Gioan  Carlo  zum  Generalissi- 
mus zur  See  ernannt  worden  ist,  der  Grossherzog  wünscht, 
Galilei  möge  mir  vollständig  die  Bewegungen  der  Medi- 
ceischen  Planeten  mit  den  bezüglichen  Tafeln  und  Be- 
rechnungen mittheilen  behufs  der  Längenmessung,  —  was, 
wie    E.    E.    wissen,     eine     sehr    wichtige    und    wünschens- 


Castelli  bei  Galilei. 


405 


werthe  Sache  ist,  von  der  zu  fürchten  ist,  sie  möge  mit  dem 
Tode  Galilei's  verloren  gehen  und  begraben  werden.  Darum 
muss  ich  aufs  neue  E.  E.  bitten,  mir  von  unserm  Herrn  die 
Erlaubniss  zu  erwirken,  mit  grösserer  Freiheit  mit  Galilei 
zu  verhandeln.  Ich  versichere  aufs  neue,  dass  ich  bei  mei- 
nen Gesprächen  stets  den  Dienst  Gottes  und  das  Heil  mei- 
ner Seele  und  des  Nächsten  im  Auge  behalten  werde".  .  . 
Am  16.  Oct.  antwortete  der  Cardinal:  „Seine  Heiligkeit  ge- 
nehmigt, dass  Sie  jene  Person  so  oft  besuchen,  als  Ihnen 
gut  scheint,  um  mit  ihr  von  Dingen  zu  reden,  die  ihr  Seelen- 
heil betreffen,  aber  nicht  von  einem  andern  Punkte,  um 
Ihre  eigenen  Worte  zu  gebrauchen,  der  gar  nicht  zu  den 
streitigen  oder  von  der  h.  Kirche  verdammten  Dingen  ge- 
hört. Vielleicht  hat  diese  Beschränkung  in  meinem  unge- 
nauen Berichte  und  nicht  in  den  Worten  Ihres  Briefes  ihren 
Grund;  aber  mag  ich  Sie  nicht  recht  verstehen  oder  mögen 
Sie  sich  nicht  deutlich  ausgedrückt  haben,  der  Befehl  lau- 
tet, wie  ich  .gesagt  habe.  Seine  Heiligkeit  genehmigt  ferner, 
dass  Sie  sich  einen  Begleiter  geben  lassen,  den  der  Pater 
Abt  für  geeignet  hält,  im  Falle  er  selbst  nicht  mitgehen 
kann,  bei  Ihren  Gesprächen  zugegen  zu  sein.  Alles  dieses 
wird  Ihnen  bewilligt  mit  Rücksicht  auf  Ihre  bekannte 
Frömmigkeit  und  in  der  Voraussetzung,  dass  Sie  die  Er- 
laubniss in  der  Weise  benutzen  werden,  wie  Sie  versprochen 
haben." 

An  demselben  Tage,  16.  Oct.,  schrieb  Castelli  einen 
dritten  Brief,  um  seine  Bittein  Erinnerung  zu  bringen;  er 
versichert  diesmal:  „immer  loquar  de  testimoniis  Dei  et  non 
confundar".  Am  25.  Oct.  schrieb  er  zum  vierten  Male1): 
„Ich  muss  Euere  Eminenz  demüthig  um  Verzeihung  bitten, 
wenn  ich  zudringlich  erscheine  mit  der  Wiederholung  meiner 
Bitte,  mir  um  der  Liebe  Gottes  willen  eine  ausgedehntere 
Erlaubniss  zu  verschaffen,  Galilei  zu  besuchen,  um  Ihren 
Hoheiten  dienen  zu  können.  Seien  Sie  versichert,  dass  ich 
von  Dingen,  welche  zu  den  von  der  h.  Kirche  verbotenen 
gehören,  gar  nicht  reden  und  lieber  mein  Leben  lassen  als 
ungehorsam  sein  werde.     Ich    fühle    mich  verpflichtet,    den 


1)  Dieses  ist  der  einzige  Brief,  der  sich  bei  den  Processaclen  (S.  175. 
181)  befindet;  die  anderen  hat  Pieralisi  a.  a.  O.  veröffentlicht. 


406  Castelli  bei  Galilei. 

hiesigen  Fürsten  mich  dienstwillig  zu  zeigen,  da  ich  berufen 
worden  bin  in  Angelegenheiten,  welche  sehr  ehrenvoll  und 
wichtig  und  auch  für  den  Dienst  Gottes  nützlich  sind,  und 
ich  kann  mich  dem  nicht  entziehen."  Er^  wiederholt,  was 
er  über  den  Prinzen  Gioan  Carlo  und  die  Längenmessung 
geschrieben,  und  schliesst:  ,,Ich  bitte  also  in  aller  Demuth 
um  Ihre  Vermittlung,  damit  der  Prinz  diesen  Schatz  mit 
nach  Spanien  nehmen  und  E.  E.  mit  Ihrer  Autorität  einen 
Antheil  haben  könne  an  einem  so  ehrenvollen  Werke,  indem 
einer  Ihrer  Diener  daran  mitwirkt,  und  damit  nicht  Andere 
mir  diese  Ehre  wegnehmen.  Morgen  werde  ich  gemäss  der 
mir  ertheilten  Erlaubniss  Galilei  zum  zweiten  Male  besuchen 
und  nichts  anderes  mit  ihm  reden,  als  was  ich  aus  christli- 
cher Liebe  reden  muss." 

Am  28.  Oct.  schrieb  Castelli:  er  habe  die  vom  16.  da- 
tirte  Antwort  auf  seinen  ersten  Brief  erhalten,  warte  aber 
noch  auf  Antwort  auf  die  späteren  Briefe.  Diese  ertheilte 
der  Cardinal  in  einem  Briefe  vom  30.  Oct.:  „Seine  Heilig- 
keit genehmigt,  dass  Sie  über  die  Bewegungen  der  Medi- 
ceischen  Planeten  mit  den  bezüglichen  Tafeln  und  Berech- 
nungen behufs  der  Längenmessung  reden  dürfen,  da  es  der 
Wunsch  Seiner  Heiligkeit  und  der  h.  Congregation  ist,  dass, 
wenn  sich  etwas  für  die  Schifffahrt  Nützliches  festsetzen 
lässt,  dieses  durch  einen  katholischen  Fürsten  geschehen 
möge.  Demgemäss  haben  Sie  also  die  Erlaubniss.  Ich  bin 
überzeugt,  dass  Sie  andere  Gespräche  vermeiden  werden, 
namentlich  solche,  die  dem  Willen  der  h.  Congregation  zu- 
wider laufen  würden." 

Am  25.  Nov.  beschloss  die  Inquisition,  mit  Rücksicht 
auf  Castelli's  Brief  vom  2$.  Oct.,  den  Inquisitor  zu  Florenz 
zu  ermächtigen,  Castelli  den  öfteren  Besuch  Galilei's  zu  ge- 
statten, ,,im  Interesse  von  dessen  Seelenheil  und  um  sich 
über  die  Perioden  der  Mediceischen  Planeten  u.  s.  w.  zu 
unterrichten";  er  solle  ihm  aber  zugleich  befehlen,  von  der 
durch  die  Inquisition  verdammten  Meinung  von  der  Bewe- 
gung der  Erde  nicht  zu  reden,  bei  Strafe  der  Excommuni- 
cation  latae  sententtae,  der  er  ohne  weitere  Declaration 
verfallen  würde;  die  Lossprechung  von  dieser  Excommuni- 
cation  habe  Seine  Heiligkeit  sich  selbst  vorbehalten  und 
auch  der  h.  Pönitentiarie  die  Facultät,  davon  zu  absolviren, 


Besuche  bei  Galilei.  407 

entzogen1).  Der  Inquisitor  berichtete  am  4.  Dec.  16382): 
er  habe  den  Auftrag  ausgeführt  und  Castelli  habe  ver- 
sprochen, die  ihm  ertheilte  Weisung  genau  zu  befolgen. 

Spätestens  im  Januar  1639  kehrte  Castelli  nach  Rom 
zurück3).  Im  Frühjahr  1640  bot  ihm  der  Grossherzog  aufs 
neue  die  Professur  in  Pisa  an;  Galilei  wünschte  sehr,  er 
möge  den  Ruf  annehmen.  Castelli  wünschte  selbst,  seine 
Lebenstage  in  Florenz  beschliessen  zu  können,  —  er  war 
jetzt  ein  Siebenziger,  —  lehnte  aber  den  Ruf  auch  jetzt  ab, 
und  zwar  wieder  mit  aus  dem  Grunde,  weil  der  Protector  sei- 
nes Ordens,  der  Cardinal  Francesco,  ihn  „ruiniren"  und  ihm 
nicht  nur  verbieten  könne,  Vorlesungen  zu  halten,  sondern 
auch  jemals  nach  Florenz  zu  gehen,  um  Galilei  zu  spre- 
chen4). Im  October  und  November  1641,  also  einige  Mo- 
nate vor  Galilei's  Tode,  war  übrigens  Castelli  längere  Zeit 
bei  ihm,  —  wie  es  scheint,  jetzt,  ohne  die  Inquisition  um 
Erlaubniss  gefragt  zu  haben. 

Urban  VIII.  zeigte  sich  auch  im  J.  1639  noch  wenig 
geneigt,  Galilei  weitere  Strafmilderungen  zu  bewilligen. 
Ueber  eine  Sitzung  der  Inquisition  vom  27.  April  1639  findet 
sich  notirt5):  „Es  wurde  eine  Bittschrift  von  Galilei  vorge- 
lesen, welcher  um  Freiheit  bittet.  Ihre  Eminenzen  be- 
schlossen, die  Bittschrift  Seiner  Heiligkeit  vorzulegen",  — 
und  über  die  Sitzung  vom  folgenden  Tage:  „Es  wurde  die 
Bittschrift  von  Galilei  vorgelesen,  der  um  verschiedene 
Gnaden  bittet.  Seine  Heiligkeit  wollte  ihm  nichts  bewilli- 
gen". Von  weiteren  Bittgesuchen  Galilei's  ist  in  den  Acten 
nicht  die  Rede.  Der  nächste  Beschluss  der  Inquisition,  den 
die  Acten  verzeichnen,  bezieht  sich  auf  seine  Beerdigung. 

Man  würde  sehr  im  Irrthum  sein,  wenn  man  aus  den 
Verfügungen  der  Inquisition  über  den  Besuch  des  Horten- 
sius  und  Castelli's  bei  Galilei  schliessen  wollte,  Freunde  und 


1)  Acten  S.  181  (facsimilirt  bei  Epinois  p.  137).  Brief  des  Card.  Bar- 
berini  vom  27.  Nov.  bei  Wolynski  p.   28. 

2)  X,  314.     Das  Schreiben  ist  hier  irrthümlich  vom  4.  October  datirt. 

3)  X,  325. 

4)  VII,  316.  335.     X,  387.  392.  393. 

5)  Gherardi  No.  XXVIII  und  XXIX,  abgedruckt  bei  Gebier  S.  431. 
In  den  Vaticanischen  Acten  findet  sich  nichts  über  diese  Sitzung,  was  sich 
hier  daraus  erklärt,  dass  nichts  beschlossen  war,  was  durch  die  Beamten 
der  Inquisition  auszuführen  gewesen  wäre;  s.  o.  S.  332. 


408  Besuche  bei  Galilei. 

Fremde  hätten  überhaupt  mit  besonderen  Schwierigkeiten 
zu  kämpfen  gehabt,  wenn  sie  Galilei  in  Arcetri  und  Florenz 
besuchen  wollten.  Es  war  ihm  nicht  verboten,  Besuche  an- 
zunehmen, und  die  Ueberwachung  durch  den  Inquisitor,  der 
er  in  dieser  Beziehung  unterworfen  war,  scheint  im  allge- 
meinen nicht  strenge  gewesen  zu  sein.  Der  beabsichtigte 
Besuch  des  Hortensius  ist  der  einzige,  über  den  der  Inqui- 
sitor nach  Rom  berichtet.  Von  manchen  Besuchen  mag  er 
nichts  erfahren  haben ;  im  allgemeinen  scheint  er  aber  auch 
keine  Lust  gehabt  zu  haben,  viel  über  Galilei  nach  Rom  zu 
berichten.  Die  Römische  Inquisition  aber  scheint  sich  im  all- 
gemeinen damit  begnügt  zu  haben,  Galilei  formell  in  Haft 
zu  halten,  ihn  von  Zeit  zu  Zeit  dieses  fühlen  zu  lassen  und 
sich  die  Möglichkeit  zu  wahren,  nöthigenfalls  strenger  gegen 
ihn  aufzutreten.  Castelli  war  selbst  verdächtig  und  dabei 
nicht  nur  ein  Ordensgeistlicher,  sondern  auch  Professor  in 
Rom ;  er  musste  also  eine  specielle  Erlaubniss  zum  Besuche 
Galilei's  nachsuchen,  und  dies  benutzte  Urban  VIII.  wenig- 
stens im  J.  1638,  ihn  und  Galilei  seine  Ungnade  fühlen  zu 
lassen.  Andere  konnten  Galilei  besuchen,  ohne  um  Erlaub- 
niss zu  bitten.  In  der  That  ergibt  sich  aus  dem  Briefwechsel 
Galilei's,  dass  seine  Bekannten  oft  zu  ihm  kamen,  —  der 
Canonicus  Gherardini,  der  in  der  Nähe  wohnte,  verkehrte 
sehr  viel  mit  ihm1),  —  und  dass  auch  manche  Fremde  ihn 
besuchten2),  unter  Anderen  der  englische  Dichter  Milton3), 
der  Philosoph  Hobbes  und  wahrscheinlich  auch  Descartes4). 
Wenn  er  einmal  die  Erlaubniss  erhielt,  um  den  Grafen  de 
Noailles  zu  sprechen,  seine  Villa  zu  verlassen 5),  so  scheint  er 
wiederholt  ohne  Erlaubniss  und  ohne  Vorwissen  des  Inqui- 
sitors mit  dem  Grossherzog  an  einem  dritten  Orte  zusam- 
mengekommen  zu   sein6),     Der    Grossherzog,    sein   Bruder 


1)  Targioni  II,  63;  s.  o.  S.  6. 

2)  VII,  58.  65.  197.  242.  259;  X,  60.   116. 

3)  Reumont,  Beitr.  zur  ital.  Gesch.  I,  405  und  „Milton  e  Galileo"  im 
Arch.  stör.  S.  3,  T.  26,  p.  427.  Milton  besuchte  Galilei  im  J.  1638,  wahr- 
scheinlich in  Arcetri.  Ein  hübscher  Bericht  über  den  Besuch  eines  reichen 
und  vornehmen  „Ultramontanen''  bei  Targioni  II,  50. 

4)  Targioni  I,   144.  5)  S.  o.  S.  392. 

6)  VII,  142.  153.  (Hier  bittet  er,  der  Grossherzog  möge  ihn  „zu 
früher  Stunde  in  einem  verschlossenen  Wagen  abholen  und  Abends  spät  zu- 
rückbringen lassen".)     Suppl.  280. 


Gehülfen  Galilei's.  409 

Leopold  und  andere  Prinzen  besuchten  ihn  auch  wiederholt 
in  Arcetri  und  in  Florenz1). 

Im  Mai  1637  erhielt  Dino  Peri,  Lector  der  Mathematik 
zu  Pisa,  von  dem  Grossherzog  die  Erlaubniss,  sich  längere 
Zeit  bei  Galilei  aufzuhalten,  um  ihn  bei  seinen  wissenschaft- 
lichen Arbeiten  zu  unterstützen2).  Schon  im  Juli  1636  war 
ein  anderer  seiner  Schüler,  der  Pater  Bonaventura  Cavalieri, 
Professor  der  Mathematik  zu  Bologna,  einige  Zeit  bei  ihm3). 
Von  den  jüngeren  Männern,  welche  zeitweise  seine  Gehülfen 
bei  seinen  wissenschaftlichen  Arbeiten  waren,  gehörten  drei 
dem  von  dem  damals  noch  lebenden  Joseph  Calasanza  ge- 
stifteten und  geleiteten  Orden  der  Piaristen  (Chierici  rego- 
lari  delle  Scnole  Pie)  an.  Famiano  Michelini,  mit  seinem 
Ordensnamen  Frater  Franciscus  vom  h.  Joseph,  welcher  in 
dem  Kloster  seines  Ordens  in  Florenz  lehrte  und  auch  die 
Prinzen  Gioan  Carlo  und  Leopold  in  der  Mathematik  unter- 
richtete, war  in  den  Jahren  1634 — 39  viel  bei  Galilei4). 
Durch  ihn  wurde  einer  seiner  Schüler,  demente  Settimi, 
mit  seinem  Ordensnamen  Pater  Clemens  vom  h.  Carl,  mit 
Galilei  bekannt5).  Auf  dessen  Wunsch  beauftragte  der 
Sta£itssecretär  Cioli  im  April  1639  den  Gesandten  Niccolini, 
bei  dem  Ordensgeneral  für  den  Pater  Clemens  die  Erlaub- 
niss zu  erwirken,  Galilei  bei  seinen  Arbeiten  zu  unterstützen 
und  bei  ihm  zu  Arcetri  wenigstens  zeitweilig  zu  wohnen. 
In  seiner  Antwort  vom  13.  April  1639  schreibt  Niccolini  die 
charakteristischen  Worte:  „Gebe  Gott,  dass  es  der  Pater 
General  ohne  die  Congregation  [des  h.  Officiums]  thun 
könne !"  Der  General  hielt  nicht  für  nöthig,  die  Inquisition 
zu  belästigen.     Er  antwortete  Niccolini:    er  wisse,  dass  der 


1)  XV,  371. 

2)  VII,  153.  191;  X,  212.  229.  308.     S.  o.  S.  374. 

3)  VII,  72;  X,  161.  Cavalieri,  geb.  1598  in  Mailand,  war  Jesuat.  Die 
Professur  in  Bologna  erhielt  er  1629  auf  die  Empfehlung  Galilei's  und  Cesare 
Marsili's;  VI,  325;  IX,  139.  153.  157.     Er  starb  1647.     Tiraboschi  VIII,  258. 

4)  Suppl.  265 — 270;  X,  49.  74.  176.  206.  308.  332;  VII,  2.  Michelini, 
geb.  1600  in  Rom,  trat  1625  in  den  Orden,  wurde  aber  erst  1637  Priester. 
1647 — 57  war  er  Professor  der  Mathematik  in  Pisa.  1657  trat  er  mit  päpst- 
licher Dispensation  aus  dem  Orden  aus.  Er  starb  1666  in  Florenz.  Targioni 
I,  198.  365.  Tiraboschi  VIII,  218.  Briefe  von  ihm,  zum  Theil  medicini- 
schen  Inhalts,  bei  Targioni  II,   122. 

5)  X,  333  ff. 


410  Gehülfen  Galilei's. 

Pater  Clemens  wiederholt  in  der  Villa  Galilei's  übernachtet 
habe  und  wolle  seinen  Obern  anweisen,  ihm  dieses  auch  in 
Zukunft  in  einzelnen  Fällen  zu  gestatten;  eine  allgemeine 
schriftliche  Erlaubniss  dazu  könne  er  ihm  aber  nicht  erthei- 
len;  wenn  es  übrigens  nicht  genüge,  dass  er  wöchentlich 
einmal  zu  Galilei  gehe,  möge  er  öfter  hingehen1).  Seitdem 
war  Pater  Clemens  viel  bei  Galilei2).  Ein  dritter  Piarist, 
Pater  Ambrosius  von  der  Conception,  scheint  nur  verein- 
zelte Male  bei  Galilei  gewesen  zu  sein3).  Galilei's  Schüler 
Vincenzio  Renieri  aus  dem  Orden  der  Olivetaner,  seit  1640 
Professor  in  Pisa,  war  nur  vorübergehend  in  Arcetri,  stand 
aber  mit  Galilei  in  regem  wissenschaftlichem  Briefwechsel4). 
Die  letzten  dreissig  Monate  seines  Lebens  hatte  Galilei  fast 
ununterbrochen  den  jungen  Vincenzo  Viviani  als  Schüler 
und  Gehülfen  bei  sich5),  seit  dem  October  1641  auch  Evan- 
gelista  Torricelli,  den  Lieblingsschüler  Castelli's6). 

Auffallend  könnte  es  erscheinen,  dass  nie  davon  die 
Rede  ist,  dass  die  Inquisition  die  sehr  ausgebreitete  Corre- 
spondenz  Galilei's  behinderte.  In  einem  Briefe  an  Micanzio 
deutet  Galilei  an,  wie  die  Briefe  sicher  an  ihn  gelangten7): 
„Ihre  beiden  letzten  Briefe  sind  mir  durch  die  gewöhnlichen 
Briefträger  zugegangen,  nicht  durch  den  Herrn  Geri  Bocchi- 
neri,  Secretär  des  Grossherzogs  und  meinen  Verwandten. 
Sie  können  den  gewöhnlichen  Weg  einhalten  und  die  Briefe 
an  den  Postmeister  Landi,  einen  Landsmann  Geri's,  schicken, 
dem  dieser  den  Auftrag-  gegeben,    sie  an  ihn  zu  besorgen. 


1)  P.  Schneemann,  S.  269,  weiss  von  allen  in  diesem  Capitel  mitge- 
theilten  Verhandlungen  nichts  als:  „Galilei  ward  Stillschweigen  über  den 
beregten  Gegenstand  auferlegt.  Seinen  anderweitigen  physikalischen  For- 
schungen konnte  er  ungehindert  obliegen;  ja  als  er  wünschte,  dass  P.  Cle- 
mens aus  dem  Piaristenorden,  welcher  nebst  anderen  Schülern  mit  ihm 
arbeitete,  gegen  die  Ordensregel  über  Nacht  auf  der  Villa  Arcetri  bleiben 
könne,  dispensirte  diesen  der  heilige  Ordensstifter  Joseph  Calasanctius,"  — 
eine  Angabe,  die  nach  dem  Gesagten  nicht  einmal  genau  ist. 

2)  VIL  232.  235;  X,  350. 

3)  VII,  242;  Suppl.  292. 

4)  VII,  243.  335;  X,   186.  196.   254. 

5)  VII,  229.  231.  238. 

6)  VII,  367;  X,  413;  Suppl.  297;  s.  o.  S.  215.  Torricelli,  geb.  1608, 
starb  schon  1647.  Unter  sein  Porträt  setzte  man  das  Anagramm:  Evange- 
lista  Torricellius  —  en  virescit  Galilaeus  alter. 

7)  VII,  67;  vgl.    142. 


Schriften  seit  1633.  41 1 

Wenn  Sie  etwas  Besonderes  zu  schreiben  haben,  was  nicht 
bekannt  werden  darf,  schicken  Sie  die  Briefe  an  irgend 
einen  Pater  in  der  Nunziata,  den  Sie  kennen  und  bei  dem 
ich  sie  jede  Woche  abholen  lassen  kann."  In  einem  andern 
Briefe  schreibt  er ') :  ,, Ihren  Brief  habe  ich  durch  Alessandro 
Bocchineri  erhalten;  so  wird  es  wohl  auch  in  Zukunft  ge- 
halten werden." 

Ich  habe  dieses  lange  Capitel  mit  einem  Citate  aus  P. 
Schneemanns  Abhandlung  begonnen;  ein  Satz  von  P.  Grisar 
(S.  673)  mag  es  schliessen:  „Die  Behandlung,  welche  Ga- 
lilei fand,  lässt  unter  mehr  als  Einer  Rücksicht  eine  ausge- 
suchte Milde  des  Glaubensgerichtes  gegen  seine  Person  er- 
kennen, und  nur  [!]  dem  eigenen  Mangel  an  edelmüthigem 
Entgegenkommen,  an  Achtung  für  die  ihm  gegenüber- 
stehende Autorität  musste  Galilei  es  zuschreiben,  wenn  er 
bis  in  die  letzten  Jahre  seines  Lebens  sich  von  der  Ueber- 
wachung  durch  die  Inquisition  nicht  frei  sah." 


XXXIV. 

Galilei's  schriftstellerische  Arbeiten  seit  1633. 

P.  Grisar  sagt  S.  128:  „So  wenig  war  Galilei  zu  Arce- 
tri  in  seiner  wissenschaftlichen  Thätigkeit  behindert,  dass  er 
ebenda  im  J.  1636  sein  grösstes  und  wahrhaft  unsterbliches 
Werk  zu  Ende  führen  konnte,  die  „Dialoghi  delle  nuove 
scienze",  welche  von  dem  Beharrungsvermögen,  der  Fall- 
und  Wurfbewegung  der  Körper  handelten  und  ihren  Ver- 
fasser  zum  Schöpfer   der  Dynamik  erhoben2)."     Allerdings 


1)  VII,  71;  vgl.  X,  212. 

2)  Noch  besser  P.  Schneemann  S.  401:  „War  die  Verurtheilung  Ga- 
lilei's dem  Fortschritte  der  Wissenschaft  schädlich?  Durchaus  nicht,  nicht 
einmal  für  Galilei  selbst.  Sein  grösstes  Werk,  wodurch  er  der  Vater  der  neuern 
Physik  wurde,  ward  erst  nach  seiner  Verurtheilung  fertig  gemacht  und  her- 
ausgegeben. Die  Villa  Arcetri  bot  ihm  die  Müsse  zu  seinen  Forschungen, 
welche   ihm  vielleicht   nicht  geworden,    wenn   er  am   toscanischen  Hofe  ge- 


4T2  Schriften  seit  1633. 

war  Galilei  zu  Arcetri  unausgesetzt  wissenschaftlich  thätig l). 
Schon  zu  Siena  nahm  er  seine  wissenschaftlichen  Arbeiten 
wieder  auf2).  Wir  besitzen  von  ihm  aus  der  Zeit  nach  seiner 
Verurtheilung  eine  Reihe  von  wissenschaftlichen  Schriften 
und  von  Briefen,  die  über  wissenschaftliche  Dinge  han- 
deln. Aber  dass  diese  Schriften,  namentlich  sein  ,,grösstes 
und  wahrhaft  unsterbliches  Werk",  veröffentlicht  wurden, 
haben  wir  nicht  Urban  VIII.  und  der  Inquisition  zu  ver- 
danken, welche  vielmehr,  wie  wir  (S.  377)  gesehen,  so  viel 
an  ihnen  lag,  Galilei  die  schriftstellerische  Thätigkeit  ganz 
unmöglich  machten. 

Als  Micanzio  von  dem  „tyrannischen"  Verbote  der  In- 
quisition erfuhr,  war  er  sich  nicht  gleich  klar  darüber,  wie 
neue  Schriften  Galilei's,  namentlich  die  am  Schlüsse  des 
Dialogs  in  Aussicht  gestellte  Fortsetzung,  trotz  jenes  Ver- 
botes veröffentlicht  werden  könnten.  Am  10.  Febr.  1635 
schreibt  er3):  „Zwei  Dinge  stehen  fest:  Sachen  von  so 
grossem  Werthe  dürfen  nicht  zu  Grunde  gehen,  —  und  es  sind 
Sachen,  in  denen  ich  den  grössten  Fortschritt  im  Philoso- 
phiren finde,  der  seit  zweitausend  Jahren  gemacht  worden, 
und  deren  man  die  Welt  nicht  berauben  kann  ohne  eine 
Versündigung  an  der  Menschheit;  —  zweitens:  die  Ver- 
öffentlichung darf  dem  Wohlthäter  nicht  schaden.  In  dieser 
Beziehung  meine  ich,  wir  könnten  es  mit  Wien  versuchen, 
aber  vorsichtig.  Sie  könnten  mir  etwa  Ihr  Manuscript  zum 
Lesen  anvertrauen,  und  ich  könnte  es  abschreiben  und  zum 
Druck  befördern;  mich  kümmert  es  nicht,  mag  darüber 
schreien,  wer  Lust  hat.  .  .  Gedruckt  will  ich  auf  jeden  Fall 
Ihre  Schriften  sehen,  wenn  Sie  nur  fortfahren,  mir  dieselben 
im  Manuscript  zu  schicken."  „Bezüglich  der  Uebersetzung 
Ihrer  Werke,    schreibt    er   am  5.  März4),    machen  Sie   sich 


blieben  und  in  neue  Controversen  über  das  Copernicanische  System  ver- 
wickelt worden  wäre.  So  zog  ihn  sein  Unglück  von  einer  Frage  ab,  deren 
Lösung  nach  dem  damaligen  Zustande  der  Wissenschaft  noch  nicht  reif  war, 
und  führte  ihn  ungetheilt  anderen  Fragen  zu,  in  welchen  er  bahnbrechend 
wirkte.'4  Augenscheinlich  hat  sich  also  die  Inquisition  durch  Galilei's  Ver- 
urtheilung um  ihn  selbst  und  um  die  Wissenschaft  verdient  gemacht.  Uebri- 
gens  hat  Galilei  auch  vor  seiner  Verurtheilung  nicht  ,,am  toscanischen  Hofe" 
gelebt,  meist  nicht  einmal  in  Florenz,  sondern  auf  Villen;  s.  o.  S.  386. 

1)  X,   193.  2)  VII,   37- 

3)  X,  75.  4)  X,  77. 


Schriften  seit  1633.  413 

keine  Gedanken;  das  können  weder  Sie  noch  die  ganze 
italienische  Macht  hindern.  Der  Pater  Paolo  [Sarpi]  schrieb 
die  Geschichte  des  Trienter  Concils;  sie  wurde  von  Jemand, 
der  sie  zum  Durchlesen  erhalten,  abgeschrieben1),  und  ich 
habe  sie  italienisch,  lateinisch,  französisch,  englisch  gesehen; 
da  sehen  Sie,  was  Verbote  helfen.  Müsste  man  sich  nicht 
davor  hüten,  Ihnen  persönliche  Unannehmlichkeiten  zu  be- 
reiten, so  wüsste  ich  schon,  was  ich  gethan  hätte.  Aber 
solche  Sachen  zu  Grunde  gehen  zu  lassen,  das  thue  ich 
nicht,  und  wenn  die  ganze  Hölle  ihre  Macht  daran  setzt." 
„Der  barbarische  Befehl,  schreibt  er  am  17.  März2),  würde 
mir  keine  Sorge  machen,  wenn  ich  nicht  einsähe,  dass  man 
vor  allem  Ihnen  keine  Verdriesslichkeiten  bereiten  darf,  da 
Sie  sind,  wo  Sie  sind;  denn  wären  sie  hier  bei  uns,  so 
möchte  kommen,  wer  wollte."  —  Peiresc,  der  auch  von  dem 
Verbote  der  Inquisition  gehört,  schrieb  am  17.  April  1635 3): 
„Ich  glaube  nicht,  dass  alle  Befehle  des  obersten  Tribunals 
die  Existenz  Ihrer  Werke,  der  gedruckten  und  der  zu 
druckenden,  hindern  kann.  Bezüglich  der  letzteren  bitte  ich 
Sie,  rechtzeitig  dafür  zu  sorgen,  dass  sie  nicht  dort  der 
Discretion  Ihrer  Gegner  überlassen  bleiben,  und  eine  Ab- 
schrift über  die  Berge  hierher  zu  schicken,  damit  Freunde 
sie  aufbewahren  und  zu  geeigneter  Zeit  veröffentlichen 
können.  Ich  rathe  Ihnen  aber,  keine  neue  Ausgabe  zu  be- 
sorgen, so  lange  noch  Hoffnung  ist,  dass  Sie  eine  Erleichte- 
rung Ihrer  Übeln  Lage  erreichen  könnten." 

Das  Verbot  der  Inquisition  scheint  nicht  förmlich  zu- 
rückgenommen worden  zu  sein.  Im  J.  1640  wurde  zu  Padua 
die  1606  erschienene  Schrift  über  den  Gebrauch  des  Propor- 
tionalzirkels4) neu  gedruckt.  Dieses  ist  aber  die  einzige 
Schrift  Galilei's,  die  nach  seiner  Verurtheilung  bei  seinen 
Lebzeiten  in  Italien  gedruckt  wurde.  Die  anderen  erschie- 
nen im  Auslande.  Sie  fanden  freilich  auch  in  Italien  Ver- 
breitung, und  es  scheint  nicht,  dass  die  Inquisition  ihre  Ver- 
breitung verbot  oder  Galilei  wegen  der  Veröffentlichung 
zur  Rechenschaft  zog.     Die  Mittel,  welche  Galilei  und  seine 


1)  Marcantonio   de  Dominis,    der   sie    1619  zu  London   drucken  Hess. 
Griselini,  P.  Sarpi  p.  234.  279. 

2)  X,  81.  3)  X,  90. 
4)  XV,  Bibliografia  p.  III. 


414  Uebersetzung  des  Dialogs. 

Freunde  anwendeten,  um  directen  Massregeln  der  Inquisition 
gegen  den  Verfasser  vorzubeugen,  sind  ganz  ähnlicher  Art, 
—  an  sich  ebenso  wenig  zu  rechtfertigen  >  und  für  die  da- 
maligen Verhältnisse  ebenso  charakteristisch,  —  wie  die  Ein- 
leitung zu  dem  Dialoge. 

1.  Zuerst,  schon  im  J.  1635,  erschien  in  der  Elzevir'- 
schen  Buchhandlung  zu  Strassburg  eine  lateinische  Ueber- 
setzung des  Dialogs,  welcher  als  Anhang  die  Perioche  von 
Kepler  und  die  Schrift  des  Foscarini  (s.  o.  S.  60)  beigefügt 
waren.  Der  Uebersetzer,  der  auf  dem  Titelblatte  nicht  genannt 
wird,  war  Matthias  Maria  Bernegger J).  Aus  Galilei's  Brief- 
wechsel ergibt  sich,  dass  die  Uebersetzung  mit  seinem 
Wissen  und  Willen  veröffentlicht  wurde2).  Dieses  wurde 
aber  geheim  gehalten,  und  die  Vorrede  war  so  gefasst, 
dass  der  Verdacht  von  dem  Verfasser  abgelenkt  wurde3). 

Ein  Landsmann  Galilei's,  Giovanni  Pieroni,  Architekt 
im  Dienste  des  Kaisers,  schrieb  am  11.  Aug.  1635  aus 
Wien4):  ,,Wenn  der  Dialog  lateinisch  geschrieben  wäre, 
würde  er,  glaube  ich,  schon  in  Frankreich,  Flandern,  Deutsch- 
land an  mehreren  Orten  nachgedruckt  worden  sein,  da  sich 
sehr  Viele  dafür  interessiren."  Nachdem  ihm  aber  Galilei 
mitgetheilt,  der  Dialog  sei  ins  Lateinische  übersetzt,  schrieb 
Pieroni  am  15.  Dec.  16355):  da  das  Buch  so  merkwürdige 
Dinge  enthalte  und  die  Darstellung  allgemein  verständlich 
sei,  werde  die  Uebersetzung  eine  grosse  Verbreitung  finden ; 
er  fügt  aber  bei:  „Wäre  es  möglich  gewesen,  einiges  dem 
Willen  der  Oberen  entsprechend  wegzulassen,  so  dass  der 
neue  Abdruck  von  Allen  frei  gelesen  werden  dürfte,  so 
wäre  das  Vielen  sehr  angenehm  gewesen;  sonst  wird  ein 
Sachkundiger  die  schönen  Sachen,  die  darin  stehen,  heraus- 
nehmen und  in  einer  andern  Form  der  Welt  oder,  besser  ge- 
sagt, den  katholischen  Lesern  zugänglich  machen  müssen." 

Im  Jan.  1637 6)  bat  Bernegger  Galilei,  ihm  für  eine 
zweite  Auflage  die  nöthigen  Verbesserungen  zu  schicken. 
Eine  solche  erschien  1641.  Es  folgten  im  17.  Jahrhundert 
noch  zwei  weitere  Ausgaben7).  Am  1.  Dec.  1635  schreibt 
Galilei  an  Micanzio 8) :  „Ein  vornehmer  Engländer,  der  mich 

1)  Vgl.  Allg.  Deutsche  Biographie  II,  412. 

2)  X,  25  ff.;  VII,  52.  69.  3)  X,  179. 
4)  X,  110.             5)  X,   128.               6)  X,   179. 

7)  XV,  Bibliografia  p.  XIV.  8)  VII,  58.  140. 


Der  Brief  an  Christina  von  Lothringen.  415 

besuchte,  hat  mir  erzählt,  mein  unglücklicher  Dialog  sei  in 
jene  Sprache  übersetzt  worden,  —  eine  Sache,  die  mir  nur 
schaden  kann."  Am  4.  Jan.  1638  schreibt  Ludwig  Elzevir 
an  Galilei1),  der  holländische  Ingenieur  de  Weerdt  habe 
den  Dialog  ins  Flämische  übersetzt.  Beide  Uebersetzungen 
scheinen  nicht  gedruckt  zu  sein.  Die  Originalausgabe  des 
Dialogs  war  natürlich  in  Italien  selten  geworden.  Galilei 
erwähnt  einmal,  dass  Exemplare  derselben  heimlich  für 
vier  bis  sechs  Scudi  verkauft  wurden2). 

2.  In  der  Vorrede  zu  seiner  Uebersetzung  des  Dialogs 
hatte  Bernegger  eine  Uebersetzung  des  bis  dahin  noch 
nicht  gedruckten  Briefes  Galilei's  an  die  Grossherzogin 
Christina  in  Aussicht  gestellt.  Die  von  Elia  Diodati  ange- 
fertigte Uebersetzung  erschien  mit  beigefügtem  italienischem 
Original  1636  zu  Strassburg3).  Vorausgeschickt  sind  ein 
Brief  von  Robertus  Robertinus  Borassus,  d.  i.  Elia  Diodati, 
an  Bernegger  und  dessen  Antwort4).  In  ersterm  wird 
unter  anderm  gesagt :  diese  lange  vor  dem  zweiten  Process 
geschriebene  Abhandlung  Galilei's  zeige  nicht  nur  seine 
Gelehrsamkeit  und  seinen  luchsartigen  Scharfblick  (lyncea 
sagacitas),  sondern  auch  seine  Ehrfurcht  vor  der  Kirche 
und  seine  religiöse  und  gläubige  Gesinnung.  Wenn  also 
Galilei  wegen  seiner  Ansicht  zu  Rom  verurtheilt  worden 
sei,  so  dürfe  ihm  auf  keinen  Fall  böser  Wille  vorgeworfen 
werden  u.  s.  w.  In  dem  Briefe  Berneggers  wird  angedeutet: 
Galilei  werde  es  wohl  nicht  billigen,  dass  die  Abhandlung 
jetzt  durch  Andere  veröffentlicht  werde,  da  er  befürchten 
möge,  durch  eine  öffentliche  Erwiederung  seine  Gegner  noch 
mehr  zu  reizen  u.  s.  w.  Galilei  wusste  natürlich  von  der 
Veröffentlichung  und  legte  grossen  Werth  darauf.  Er  schrieb 
wiederholt  an  Micanzio5),  Elzevir  müsse  dafür  sorgen,  dass 
Exemplare  nach  Italien  kämen  „zur  Beschämung  seiner 
Feinde  und  Verleumder".  Auch  Castelli  hielt  den  Brief  an 
die  Grossherzogin  Christina  für  geeignet  zur  Vertheidigung 
Galilei's  zu  dienen;  er  Hess  1635  und  1636  Abschriften  davon 
für  de  Beaugrand  und  für  den  Cardinal  Antonio  Barberini 
anfertigen 6). 


1)  X,  252.  2)  VII,  154. 

3)  VII,  65.  4)  x,  29. 

5)  VII,  65.  68;  vgl.  140.  217.  6)  X,   123.   164. 


41 6  Die  Dialoge  über  die  neuen  Wissenschaften. 

3.  Die  oben  erwähnten  „Dialoge  über  die  neuen  Wis- 
senschaften" l)  hielt  Galilei  selbst  für  sein  bestes  Werk2). 
Dem  Druck  derselben  gingen  interessante  Verhandlungen 
vorher. 

Schon  im  Jan.  1635  übersandte  Galilei  einige  Bogen 
an  Micanzio3);  im  Juni  1635  schenkte  er  eine  Abschrift  der 
beiden  ersten  Dialoge  dem  Prinzen  Matthias,  als  derselbe 
von  Florenz  nach  Deutschland  reiste4).  Als  er  im  Oct.  1636 
mit  dem  Grafen  de  Noailles  zusammentraf  (s.  o.  S.  392), 
schenkte  er  diesem  eine  Abschrift  des  vollständigen  Werkes5). 
Schon  im  Jan.  1635  erbot  sich  der  oben  erwähnte  Pieroni, 
die  Dialoge  in  Oesterreich  drucken  zu  lassen6),  und  Galilei 
nahm  das  Anerbieten  an.  Am  11.  Aug.  berichtete  ihm 
Pieroni  aus  Wien 7) :  „Ich  denke  das  Buch  in  Prag  drucken 
zu  lassen ;  hier  könnte  vielleicht  eine  Druck-Erlaubniss  nöthig 
sein,  die  dort  nicht  nöthig  oder  leicht  zu  erlangen  sein  wird. 
Hier  mag  ich  eine  solche  nicht  nachsuchen,  um  nicht  eine 
abschlägige  Antwort  zu  bekommen,  falls  der  Befehl,  von 
dem  Sie  schreiben  [zu  keinem  Buche  von  Galilei  die  Druck- 
Erlaubniss  zu  ertheilen],  auch  hierher  gekommen  sein  sollte. 
Zudem  ist  jener  Ihnen  feindlich  gesinnte  Pater,  den  Sie  er- 
wähnen [Scheiner],  hier,  und  da  sie  [die  Jesuiten]  neu- 
gierig sind,  könnten  sie  etwas  davon  erfahren  und  den 
Druck  hindern,  dadurch  dass  sie  nach  Rom  schrieben  oder 
auf  andere  Weise;  denn  ich  höre,  dass  er  noch  immer  sehr 
aufgebracht  gegen  Sie  ist  und  ein  Buch  geschrieben  hat, 
worin  er  die  Geschichte  Ihres  Dialogs  und  Ihre  Abschwö- 
rung und  das  Urtheil  mittheilt.  .  .  .  Was  die  Widmung  Ihres 
Buches  angeht,  so  gebe  ich  eins  zu  bedenken:  hier  sind  die 
Patres  [Jesuiten]  bei  dem,  welchem  Sie  es  widmen  möchten 
[Kaiser  Ferdinand  IL],  allmächtig,  und  wer  weiss,  ob  sie  nicht, 
wenn  sie  von  dem  Römischen  Befehle  wissen,-  davon  Anlass 
nehmen,  jenem  sehr  zarten  Gewissen  Scrupel  zu  machen 
und  ein  Verbot  oder  doch  die  Ablehnung  der  Widmung  zu 
erwirken?"     Am  15.  Dec.  1635  schreibt  Pieroni8)  nochmals: 


i)  Der    Titel    ist    eigentlich: 
intorno  a  due  nuove  Scienze  attenenti  alla  Meccanica  e  ai  Movimenti  Locali". 
2)  VII,  50.   70.  3)  X,  71.  72.    167;  vgl.  VII,  56. 

4)  VII,  57-  5)  X,  173.  6)  X,  66. 

7)  X,   108.  8)  X,   129. 


Die  Dialoge  über  die  neuen  Wissenschaften.  417 

„Was  die  Widmung  angeht,  so  würde  ich  es  sehr  gern 
sehen,  wenn  der  Kaiser  an  Ihrer  Schrift  Gefallen  fände; 
aber  ich  glaube,  es  wird  das  davon  abhangen,  in  welchem 
Masse  das  Buch  von  denjenigen  gebilligt  und  gelobt  oder 
getadelt  wird,  die  ihn  umgeben,  und  unter  diesen  nehmen 
einige  Ihrer  Gegner  den  ersten  Platz  ein.  .  .  .  Seine  Ma- 
jestät von  der  bösen  Absicht  einiger  Ihrer  Gegner  über- 
zeugen zu  wollen,  wäre  ein  ganz  fruchtloses  Beginnen; 
man  müsste  dann  diese  Gegner  nennen,  und  er  ist  eben  von 
diesen  ganz  fest  überzeugt,  dass  sie  nie  irren  und  mehr 
wissen  als  Andere;  wollte  man  darum  auch  nur  einen  ein- 
zigen von  ihnen  zu  discreditiren  versuchen,  so  wäre  das  ein 
sicheres  Mittel,  die  Gnade  des  Kaisers  zu  verscherzen"1). 
Pieroni  hatte  bereits  die  Figuren  zu  dem  Werke  ste- 
chen lassen;  der  Beginn  des  Druckes  aber  verzögerte  sich 
so  sehr,  dass  Galilei  um  Rücksendung  des  Manuscriptes  bat. 
In  einem  Briefe  aus  Prag  vom  9.  Juli  1637  berichtet  Pieroni2) 
weiter:  ,, In  Wien  konnte  ich  das  Buch  nicht  drucken  lassen, 
weil  dort  der  Pater  Scheiner  war;  da  die  Patres  alle  Bücher, 
die  in  Wien  gedruckt  werden  sollen,  zu  revidiren  haben, 
fürchtete  ich,  die  Revision  Ihres  Buches  möchte  ihm  über- 
tragen werden  oder  er  möchte  doch  Kenntniss  davon  er- 
langen und  dann  den  Druck  des  Buches  zuerst  in  Wien, 
dann  an  jedem  andern  Orte  hindern.  Ich  wandte  mich 
also  an  den  Cardinal  Dietrichstein;  er  versprach  mir,  dafür 
zu  sorgen,  dass  das  Buch  in  Olmütz  gedruckt  und  dort  durch 
einen  Pater  aus  einem  andern  Orden  revidirt  werde,  so  dass 
nicht  zu  fürchten  wäre,  der  Pater  Scheiner  und  seine  An- 
hänger möchten  etwas  davon  erfahren.  Er  gab  das  Buch 
einem  Dominicaner,  und  dieser  ertheilte  die  beiliegende 
Approbation.     Ehe  er  sie  aber  ausgefertigt,    starb  der  Car- 


1)  Von  Ferdinand  III.  dagegen  schreibt  Francesco  Piccolomini,  5.  Febr. 
1638  (X,  264),  aus  Pressburg:  „Vor  vierzehn  Tagen  habe  ich  mit  Seiner 
Kaiserlichen  Majestät  von  Ihnen  gesprochen.  Er  konnte  Sie  nicht  genug 
loben  und  sprach  dabei  auch  von  der  Anmassung  des  Pater  Scheiner,  indem 
er  sagte:  »Der  Pater  Scheiner  kann  Galilei  nicht  die  Bücher  tragend.  .  .  Er 
äusserte  auch  den  Wunsch,  alle  Ihre  Bücher  zu  besitzen,  und  da  ich  ihm 
sagte,  in  Amsterdam  würden  einige  derselben  neu  gedruckt,  befahl  er,  sie 
gleich  zu  bestellen.  Das  Buch  Scheiners  bezeichnete  er  als  verschwendetes 
Papier." 

2)  X,  222;  vgl.   137.   141.  150;  VIT,  61. 

Keusch,  Galilei.  27 


41 8  Die  Dialoge  über  die  neuen  Wissenschaften. 

dinal.  .  .  Ich  kehrte  [aus  verschiedenen  Gründen,  die  ange- 
geben werden]  nach  Wien  zurück,  um  das  Buch  dort  drucken 
zu  lassen,  zumal  ich  erfuhr,  der  Pater  Scheiner  sei  nach 
Neisse  in  Schlesien  geschickt.  Da  aber  in  Wien  die  01- 
mützer  Approbation  nicht  galt  und  ich  eine  neue  nicht  ohne 
die  Patres  erhalten  konnte,  habe  ich  mir  meine  Freund- 
schaft mit  einem  Pater,  der  ein  angesehener  Professor  der 
Theologie  ist,  zu  Nutze  gemacht.  Dieser  hat  selbst  das 
Buch  revidirt  und  approbirt  und  mir  die  Druck-Erlaubniss 
des  Rectors  der  Universität  verschafft1).  So  konnte  der 
Druck  beginnen,  da  kam  der  Pater  Scheiner  wieder  nach 
Wien,  um  dort  sein  Buch  drucken  zu  lassen.  Ich  zog  es 
vor,  ihn  erst  wieder  abreisen  zu  lassen,  da  es  hiess,  er 
werde  in  einigen  Wochen  fertig  sein.  Mittlerweile  habe  ich 
auf  Befehl  des  Kaisers  hieher  reisen  müssen.  Da  ich  nicht 
wusste,  ob  ich  nicht  längere  Zeit  hier  bleiben  müsste,  habe 
ich  das  Buch  mitgenommen,  um  es  eventuell  hier  drucken 
zu  lassen,  wo  der  Cardinal  Harrach  mir  die  von  ihm  für  die 
Universität  errichtete  Druckerei  zur  Verfügung  gestellt 
hatte.  Aber  da  hier  wieder  eine  neue  Approbation  nöthig 
wäre  und  ich  bald  wieder  nach  Wien  zurückreisen  muss, 
will  ich  dort  sofort  den  Druck  beginnen  lassen,  falls  Sie  da- 
mit einverstanden  sind.  Ich  frage  erst  bei  Ihnen  an,  weil 
mir  der  Prinz  Matthias  gesagt  hat,  Sie  Hessen  das  Buch 
anderswo  drucken  und  ich  dürfe  ohne  neue  Weisung  von 
Ihnen  den  Druck  nicht  beginnen  lassen." 

Mittlerweile  hatte  Galilei  durch  Micanzio's  Vermittlung 
der  Elzevir'schen  Buchhandlung  den  Verlag  übertragen2). 
Der  Druck  war  im  Frühjahr  1638  vollendet3). 

Auch  bei  diesem  Buche  glaubte  Galilei  der  Inquisition 
gegenüber  den  Schein  erwecken  zu  müssen,  als  wäre  es 
ohne  sein  Zuthun  gedruckt  worden.  In  dem  Schreiben  vom 
6.  März  1638,  in  welchem  er  das  Buch  dem  Grafen  de 
Noailles  widmet4),   sagt  er:    „Ich  erkenne  Ihre  Hochherzig- 


1)  Das  Actenstück  ist  X,  226  abgedruckt:  Der  Jesuit  Gualterus  Paulus, 
Decan  der  .theologischen  Facultät,  bezeugt  unter  dem  29.  Apr.  1637,  das 
Buch  enthalte  nichts  gegen  den  Glauben  und  die  guten  Sitten  und  könne 
gedruckt  werden.  Darauf  hin  ertheilt  Leo  Mylgiesser,  Doctor  der  Medicin 
und  Rector  der  Universität,  die  Erlaubniss  zum  Drucke. 

2)  VII,  63.  74.  138;  X,  157.     Vgl.  Allg.  Deutsche  Biographie  VI,  64. 

3)  X,  202.   VII,  153.  4)  VII,  209;  vgl.  X,  308. 


Projectirte  Publicationen.  419 

keit  an  in  dem,  was  Sie  über  dieses  mein  Werk  verfügt 
haben,  wiewohl  ich,  wie  Sie  wissen,  verwirrt  und  erschreckt 
durch  das  wenig  glückliche  Schicksal  anderer  Werke  von 
mir,  mich  entschlossen  hatte,  keine  meiner  Arbeiten  mehr 
zu  veröffentlichen,  sondern  nur,  damit  sie  nicht  ganz  be- 
graben blieben,  eine  Abschrift  derselben  an  einem  Orte 
niederzulegen,  wo  sie  für  diejenigen,  welche  für  die  von 
mir  behandelten  Materien  Verständniss  haben,  zugänglich 
wäre.  Darum-  hatte  ich  zunächst  mich  entschlossen,  sie  in 
Ihre  Hand  zu  legen.  .  .  Demgemäss  habe  ich  Ihnen,  als 
ich  Ihnen  auf  Ihrer  Rückreise  von  Rom  meine  Achtung 
bezeugte  (s.  o.  S.  392),  eine  Abschrift  dieses  Werkes  über- 
reicht. Sie  haben  dieselbe  freundlich  angenommen,  um  sie 
sorgfältig  aufzubewahren  und  um  sie  einem  in  diesen  Wis- 
senschaften bewanderten  Freunde  in  Frankreich  mitzutheilen 
und  diesem  zu  zeigen,  dass  ich,  wenn  ich  auch  schwiege, 
doch  nicht  müssig  sei.  Ich  schickte  mich  an,  einige  andere 
Abschriften  nach  Deutschland,  Flandern,  England,  Spanien 
und  vielleicht  auch  nach  einigen  Orten  in  Italien  zu  schicken, 
als  ich  unerwartet  von  den  Elzeviren  die  Mittheilung  erhielt, 
sie  hätten  dieses  Werk  unter  der  Presse  und  ich  möge 
ihnen  darum  baldigst  wegen  der  Widmung  meinen  Willen 
mittheilen.  Bei  dieser  unerwarteten  und  unverhofften  Nach- 
richt habe  ich  gedacht,  Ihr  Wunsch,  meinen  Namen  da- 
durch in  Erinnerung  zu  bringen  und  zu  ehren,  dass  Sie 
meine  Schriften  Verschiedenen  mittheilten,  müsse  die  Veran- 
lassung gewesen  sein,  dass  sie  in  die  Hände  der  Drucker 
gekommen,  welche,  da  sie  auch  andere  Werke  von  mir 
herausgegeben  haben,  mich  dadurch  hätten  ehren  wollen, 
dass  sie  dieselben  durch  ihre  schönen  Typen  veröffentlich- 
ten" u.  s.  w. 

Die  Inquisition  behinderte  den  Verkauf  des  Buches 
nicht.  Castelli  schrieb  Galilei  Anfangs  1639,  die  fünfzig 
ersten  Exemplare,  welche  nach  Rom  gekommen,  seien  so- 
fort zu  zwei  Scudi  verkauft  worden,  und  noch  dreimal  so 
viele  würden  rasch  Absatz  gefunden  haben1). 

4.  Von  verschiedenen  Seiten  wurde  der  Plan  einer  Ge- 
sammt- Ausgabe  der  älteren  Schriften  Galilei' s  angeregt,  die 
zum  Theil   selbst  in  Italien   selten  geworden  und  im   Aus- 


1)  X,  326.  328. 


420  Streitschriften  gegen  den  Dialog. 

lande  wenig  verbreitet  waren1),  und  Galilei  Hess  dafür 
mehrere  seiner  italienischen  Schriften  durch  den  Priester 
Marco  Ambrogetti  in's  Lateinische  übersetzen2).  Der  Plan 
kam  aber  nicht  zur  Ausführung;  ebenso  wenig  der  Vor- 
schlag Micanzio's,  Galilei's  noch  ungedruckte  Abhandlungen 
und  die  Briefe  wissenschaftlichen  Inhalts  zu  veröffentlichen3). 
Ausser  den  vorhin  genannten  Werken  Galilei's  wurde  bei 
seinen  Lebzeiten  nur  noch  eine  kleine  mathematische  Ab- 
handlung gedruckt. 

In  seinen  letzten  Lebensjahren  dachte  Galilei  daran,  in 
dialogischer  Form  eine  Menge  von  kritischen  Bemerkungen 
(Postille)  zusammenzustellen,  die  er  zu  den  gegen  ihn  ge- 
richteten Schriften  und  auch  zu  anderen  Autoren,  namentlich 
zu  Aristoteles,  niedergeschrieben4).  Auch  dieser  Gedanke 
kam  nicht  zur  Ausführung,  oder  doch  nur  zum  kleinen 
Theile  in  den  Zusätzen  zu  den  neuen  Dialogen,  welche  Ga- 
lilei in  den  letzten  Monaten  seines  Lebens  dictirte5). 

Kritische  Bemerkungen,  wie  sie  eben  unter  dem  Namen 
Postille  erwähnt  wurden,  —  es  sind  mitunter  ausführliche 
Erörterungen,  —  schrieb  Galilei,  wie  früher^),  so  auch  nach 
seiner  Verurtheilung  zu  mehreren  Schriften,  unter  ander m 
zu  einer  1633  erschienenen  Streitschrift  von  Antonio  Rocco 
gegen  den  Dialog7).     Einige    andere    Streitschriften    gegen 

1)  VII,  63.  154;  X,  110.  170.  Von  der  kleinen  Schrift  über  den  Pro- 
portionalzirkel sagt  Galilei  VII,  64,  er  müsse  sie  für  solche,  die  ihn  darum 
bäten,  abschreiben  lassen. 

2)  VII,  71.  In  den  Jahren  1635 — 37  correspondirte  Galilei  über  diesen 
Plan  mit  Pierre  Carcavi  zu  Toulouse  (VII,  132;  X,  213  und  sonst),  —  seit 
1636  mit  Ludwig  Elzevir  (VII,  66.  138;  X,  260  und  sonst).  Dieser  erklärte 
1640  (VII,  253),  er  müsse  mit  diesem  Unternehmen  warten,  bis  von  den  bei- 
den von  ihm  verlegten  Schriften  Galilei's  mehr  Exemplare  abgesetzt  seien; 
er  habe  noch  über  500  vorräthig.  Im  J.  1641  ist  noch  einmal  von  dem  Plane 
die  Rede;  X,  430. 

3)  VII,  55;  X,  61.  Auch  Raffaello  Magiotti  in  Rom  bat  Galilei  drin- 
gend, seine  Schriften  zu  veröffentlichen;   Suppl.  273. 

4)  VII,   194.  208.     Auch  Viviani  berichtet  XV,  360  über  diesen  Plan. 

5)  XIII,  267.  Venturi  II,  267.  Aus  dem  J.  1640  haben  wir  noch 
ein  ausführliches  Schreiben  an  den  Prinzen  Leopold  von  Toscana  über  das 
Licht  des  Mondes  und  mehrere  Briefe  an  Fortunio  Liceti  (s.  o.  S.  374)  über 
denselben  Gegenstand;  VII,  254  ff.;  III,  189.     % 

6)  S.  o.  S.   167. 

7)  Er  übersandte  diese  Postille  Micanzio,  VII,  50;  X,  4  u.  s.  w.  Sie 
sind   mit    Rocco's    Schrift    abgedruckt   III,   119.     Poslille   zu    einer    1631    er- 


Streitschriften  gegen  den  Dialog.  421 

den  Dialog,  wie  die  von  Berigardo  (Beauregard)  und  Chia- 
ramonti1),  werden  in  Galilei's  Briefen  nur  kurz  erwähnt. 
Ueber  Inchofers  Schrift2)  sagt  er  in  einem  Briefe  an  Elia 
Diodati:  „Fromond  beschränkte  sich  darauf,  die  Bewegung 
der  Erde  bis  beinahe  an  den  Mund  in  die  Ketzerei  einzu- 
tauchen3). Aber  kürzlich  hat  ein  Pater  Jesuit  in  Rom  drucken 
lassen,  jene  Meinung  sei  so  schrecklich,  verderblich  und 
scandalös,  dass  man,  wenn  man  auch  erlaube,  dass  auf  den 
Lehrstühlen,  in  Gesellschaften,  in  öffentlichen  Disputationen 
und  in  Druckschriften  die  wichtigsten  Glaubensartikel,  wie  die 
Unsterblichkeit  der  Seele,  die  Schöpfung,  die  Menschwer- 
dung u.  s.  w.,  bestritten  werden,  doch  nicht  erlauben  dürfe, 
gegen  das  Stillstehen   der  Erde  zu  disputiren  oder  Gründe 


schienenen  Streitschrift  von  J.  B.  Morin  (VII,  17.  Venturi  II,  135.  R. 
Wolf,  Gesch.  der  Astronomie  S.  327)  hat  B.  Boncompagni,  Bulletino  di 
Bibliografia  VI  (Rom  1873),  45,  veröffentlicht. 

i)  VII,  49.  Ueber  Beauregard  s.  Targioni  I,  81.  288,  über  Chiara- 
monti  s.  o.  S.  192.  Wunderliche  Sätze  aus  seiner  Schrift  vom  J.  1633  (er 
gab  1636 — 48  noch  sechs  naturwissenschaftliche  Streitschriften  heraus)  s.  bei 
Venturi  II,  127,  geringschätzige  Urtheile  von  Freunden  Galilei's  IX,  374. 
386.  387;  X,  13.  247.  Galilei  schrieb  Postille  dazu;  VII,  145.  —  Ueber 
andere  Streitschriften  gegen  den  Dialog  s.  Venturi  II,  131,  Martin,  Galilee 
p.  386.  Ueber  eine  Vertheidigung  des  Copernicanischen  Systems,  welche 
Ismael  Boulliau  zu  Paris  1642  unter  dem  Titel  „Philolaus"  (anonym)  her- 
ausgab und  Galilei  übersandte,   s.  X,   241.  372;    VII,  245.     Venturi  II,   135. 

2)  S.  o.  S.  273.  Inchofers  Tractat  war  dem  bekannten  Geschicht- 
schreiber des  Franciscaner- Ordens,  Fr.  Lucas  Wadding,  zur  Prüfung  über- 
geben worden;  dieser  bezeugt  schon  am  22.  Aug.  1633:  „Der  Inhalt  hat 
mir  sehr  gefallen,  zumal  in  dieser  Zeit,  wo  Einige,  denen  die  Ohren  jucken 
[2  Tim.  4,  3],  sich  von  der  einfachen  Reinheit  und  heiligen  Wahrheit  der 
göttlichen  Schrift  ab-  und  Fabeln  zuwenden.  Diese  Pythagoreer  widerlegt 
christlich  dieser  Theologe  und  beweist  gründlich,  dass  die  Mathematik  und 
die  anderen  menschlichen  Wissenschaften  sich  nach  den  Regeln  der  h.  Schrift 
richten  müssen,  nicht  aber,  wie  man  sich  in  bedenklicher  Weise  in  unserm 
Jahrhundert  erlauben  will,  das  Wort  Gottes  nach  der  Einsicht  und  dem 
Gutdünken  eines  Jeden  ausgelegt  oder  vielmehr  verdreht  werden  darf,  um 
dem,  was  Menschen  ausgedacht,  dienstbar  zu  werden."  Auf  Grund  dieses 
Gutachtens  erhielt  das  Buch  das  Imprimatur  von  —  Riccardi,  dem  Padre 
Mostro. 

3)  Fromond  hatte  in  seiner  Schrift  vom  J.  1631  (s.  o.  S.  57;  er  ver- 
öffentlichte 1634  noch  eine  zweite,  Vesta  sive  Ant-Aristarchi  vindex;  s.  Ven- 
turi II,  134)  gesagt:  „Die  Copernicanische  Meinung  ist  temerär,  und  mit 
Einem  Fusse  betritt  sie  die  Schwelle  der  Häresie.'' 


422  Streitschriften  gegen  den  Dialog. 

anzuführen,  so  dass  also  dieser  eine  Artikel  vor  allen  ande- 
ren so  sehr  heilig  zu  halten  sei,  dass  man  auch  nicht  ein- 
mal disputationsweise  und  zu  seiner  Bekräftigung  Einwen- 
dungen dagegen  machen  dürfe" !).  Micanzio2)  meinte:  „Der 
Jesuit,  der  neue  Glaubensartikel  macht,  wird  mehr  Leute 
zu  Ketzern  machen  als  bekehren/'  Von  den  drei  Streit- 
schriften, welche  P.  Scheiner  seinen  Freunden  in  Aussicht 
stellte,  erschienen  zwei  überhaupt  nicht.  Die  dritte  war 
1637  vollendet,  erschien  aber  erst  kurz  nach  seinem  und 
neun  Jahre  nach  Galilei's  Tode  im  J.  1651  unter  dem  Titel 
„Prodromus  pro  Sole  mobili  et  stabilitate  Terrae"3). 

Interessant    und    charakteristisch    ist    noch    folgender 


1)  Inchofer  sagt  p.  50:  Die  Copernicanische  Theorie  dürfe  zwar  als 
Hypothese  verwendet,  müsse  aber  dabei  als  falsch  angesehen,  und  über  ihre 
Wahrheit  oder  Falschheit  dürfe  nicht  einmal  disputirt  werden.  Ueber  die 
Frage,  ob  die  Welt  ewig,  die  Seele  unsterblich  sei  u.  s.  w.,  werde  zwar 
disputirt;  das  sei  aber  weniger  gefährlich,  weil  bezüglich  dieser  Punkte  Jeder 
das  Richtige  wisse,  während  die  Mathematiker,  wenn  sie  fänden,  dass  ihre 
Beobachtungen  und  Berechnungen  zu  der  Copernicanischen  Hypothese  pass- 
ten,  leicht  meinen  oder  sich  so  ausdrücken  könnten,  als  sei  diese  Hypothese 
wahr.  2)  X,  20. 

3)  Leo  Allatius  berichtet  in  seinen  1632  zu  Rom  erschienenen  „Apes 
Urbanae"  (s.  II,  p.  XII) :  Scheiner  werde  zunächst  eine  Schrift  herausgeben, 
worin  er  beweisen  werde,  „dass  von  dem,  was  Galilei  (im  Dialoge  bezüglich 
der  Sonnenflecken)  behaupte,  nichts  richtig  sei,  dass  Galilei  die  Bewegung 
der  Sonnenflecken  erst  aus  der  »Rosa  Ursina*  kennen  gelernt  habe,  dieses 
aber  schlau  verschweige  und  so  den  Leser  irre  führe,  und  dass  er  an  den 
Himmel,  die  Sonne,  die  Orsini'sche  Rose  und  ihren  Verfasser  gewaltsam 
Hand  anlege".  '  Dann  werde  eine  weitere  Streitschrift  gegen  den  Dialog 
unter  dem  Titel  „Prodromus  pro  stabilitate  terrae"  folgen,  worin  Galilei's 
„logische,  physische,  mathematische,  ethische  und  theologische  Irrthümer" 
kurz  nachgewiesen  werden  würden.  Endlich  werde  das  Hauptwerk  folgen, 
worin  die  Bewegung  der  Sonne  und  das  Stillstehen  der  Erde  „aus  heiligen 
und  profanen  Quellen  und  aus  der  Beobachtung  und  Vernunft"  werde  be- 
wiesen werden.  Vgl.  IX,  279.  Im  März  1633  SmS  Scheiner  von  Rom  nach 
Deutschland.  Der  „deutsche  Jesuit",  von  welchem  Magiotti  14.  Oct.  1633 
(IX,  403)  schreibt,  er  „fabricire  im  Römischen  Colleg  ein  dickes  Buch  gegen 
den  Dialog",  ist  also  nicht  Scheiner,  wie  Alberi  meint,  sondern  Inchofer. 
Wenn  P.  Schneemann  S.  399  von  Scheiner  sagt:  „Obwohl  er  anfänglich  ent- 
schlossen gewesen,  gegen  Galilei's  heftige  Angriffe  zu  schreiben,  so  unterliess 
e»  doch  solches,  als  Galilei  verurtheilt  worden",  so  ist  das  unrichtig.  Im 
October  1637  war,  wie  Pieroni  an  Galilei  schreibt  (X,  234),  der  „Prodromus" 
gedruckt  bis  auf  die  Tafeln. 


Streitschriften  gegen   den  Dialog.  423 

Brief  von  Micanzio  vom  8.  März  I6361):  „Es  ist  mir  [als 
Venetianischem  Censor]  ein  Büchlein  von  einem  Kapuziner 
gegen  die  Bewegung  der  Erde  vorgelegt  worden.  Ich  hätte 
es  laufen  lassen,  um  der  Welt  etwas  zu  lachen  zu  geben ; 
denn  die  unwissende  Bestie  hat,  —  das  ist  die  Hauptsache 
in  seinem  Discurs,  —  zwölf  Gründe,  die  als  unwidersprech- 
liche  und  unwiderlegliche  Beweise  vorgeführt  werden,  und 
doch  bringt  er  nichts  anderes  vor,  als  jene  Kindereien,  die 
schon  Jemand,  der  etwas  davon  versteht,  widerlegt  hat. 
Dabei  versteht  dieses  Vieh  so  viel  von  Geometrie  und  Ma- 
thematik, dass  er  als  Beweis  anführt:  wenn  die  Erde  sich 
bewegte,  dann  müsste  sie,  da  sie  nichts  hätte,  worauf  sie 
sich  stützte,  herunterfallen;  er  hätte  noch  beifügen  sollen: 
und  dann  würden  alle  Wachteln  todt  bleiben.  Aber  weil 
er  unanständig  von  Ihnen  spricht  und  die  Unverschämtheit 
gehabt  hat,  Ihre  Geschichte  zu  erzählen  und  zu  sagen,  Sie 
seien  processirt  und  verurtheilt  worden,  habe  ich  den,  der 
mir  das  Büchlein  vorlegte,  zum  Henker  geschickt.  Aber 
Sie  wissen,  wie  freche  Gesellen  sind.  Ich  vermuthe,  er  wird 
es  anderswo  drucken  lassen ;  denn  er  ist  verliebt  in  sich 
selbst  und  glaubt  fester,  dass  seine  Dummheiten  zwingende 
Beweise  seien,  als  er  ans  In  principio 2)  glaubt."  Galilei 
antwortet  am  15.  März3):  „Ich  muss  Ihnen  dafür  danken, 
dass  Sie  die  fragliche  Bestie  dort  nicht  haben  laufen  lassen, 
und  dass  Sie  damit,  wie  bei  allen  Gelegenheiten,  Ihre  zarte 
Fürsorge  für  das  bischen  Reputation  bekundet  haben,  welches 
ich  bei  der  Welt  noch  habe.  .  .  .  Ich  halte  es  für  die  grösste 
Gunstbezeugung  und  Ehre,  mich  rühmen  zu  können,  dass 
Sie  mich  Ihres  Schutzes  würdig  erachtet  haben.  Sollte  jenes 
Werkchen  anderswo  veröffentlicht  werden,  so  wird  es  mir 
zur  Ergötzung  und  Belustigung  dienen,  meinen  Feinden  und 
Neidern  aber,  von  denen  doch  manche  nicht  ganz  dumm 
sind,  wird  es  nicht  sehr  angenehm  sein,  mich  mit  Fuchs- 
schwänzen gepeitscht  zu  sehen,  während  sie  scharfe  und 
spitze  Wolfs-  und  Vipernzähne  gebrauchen  möchten." 


1)  X,   142. 

2)  Anfang  des  Johannes-Evangeliums. 

3)  VII,  60. 


424  Aeusserungen  über  das  Urtheil  vom  J.  1633. 


XXXV. 

Aeusserungen  Galilei's  und  seiner  Freunde  über  das 
Urtheil  vom  J.  1633. 

Es  ist  nicht  ohne  Interesse,  mit  der  vorstehenden  Dar- 
stellung einige  Stellen  in  der  Biographie  Galilei's  zu  ver- 
gleichen, welche  sein  Schüler  Viviani  im  J.  1654  auf  Er- 
suchen des  Prinzen  (spätem  Cardinais)  Leopold  de'  Medici 
schrieb  und  welche  171 7  zuerst  gedruckt  wurde  l):  „Da  sich 
Galilei  durch  seine  anderen  bewunderungswürdigen  Specu- 
lationen  mit  unsterblichem  Ruhme  bis  zum  Himmel  erhoben 
und  durch  so  viele  neue  Entdeckungen  unter  den  Menschen 
den  Namen  des  Göttlichen  erworben,  Hess  es  die  ewige 
Vorsehung  zu,  dass  er  seine  Menschlichkeit  durch  Irren  be- 
wies, indem  er  bei  der  Besprechung  der  beiden  Weltsysteme 
seine  Hinneigung  zu  der  Copernicanischen  Hypothese  zeigte, 
die  bereits  von  der  h.  Kirche  als  der  h.  Schrift  wider- 
sprechend verdammt  war.  Er  wurde  darum  nach  Rom  be- 
rufen, .  .  .  und  nachdem  ihm  sein  Irrthum  gezeigt  war,  nahm 
er  als  echter  Katholik  jene  Meinung  zurück.  .  .  Es  war 
nicht  anders  möglich,  als  dass  jenes  Werk  über  das  Welt- 
system auch  in  Länder  jenseits  der  Alpen  gelangte,  und 
so  wurde  es  bald  darauf  in  Deutschland  in  lateinischer 
Uebersetzung  von  Matthias  Bernegger  und  von  Anderen  in 
französischer,  englischer  und  deutscher  Sprache  veröffentlicht. 
Danach  wurde  in  Holland  mit  einer  lateinischen  Uebersetzung 
auch  eine  Abhandlung  gedruckt,  welche  Galilei  in  italienischer 
Sprache  schon  um  das  J.  16 15  in  Form  eines  Briefes  an  die 
Grossherzogin  Christina  von  Lothringen  geschrieben.  .  . 
Die  Nachricht  von  diesen  Uebersetzungen  und  Publicationen 
seiner  Schriften  betrübte  Galilei  sehr,  da  er  die  Unmöglich- 
keit erkannte,  dieselben  jemals  zu  unterdrücken,  wie  auch 
viele  andere,  welche  schon  in  Italien  und  im  Auslande  in 
Abschriften  verbreitet  waren  und  welche  sich  auf  denselben 

1)  XV,  352. 


Aeusserungen  über  das  Urtheil  vom  J.  1633.  425 

Gegenstand  beziehen  und  von  ihm  bei  verschiedenen  Ge- 
legenheiten im  Laufe  der  Zeit  verfasst  worden  waren,  in 
welcher  er  der  Meinung  des  Pythagoras  und  Copernicus  ge- 
wesen, welche  er  schliesslich  auf  die  Autorität  der  Römi- 
schen Censur  hin  in  katholischer  Gesinnung  aufgegeben 
hatte.  Für  die  heilbringende  Wohlthat,  welche  die  unend- 
liche Vorsehung*  ihm  erwiesen,  indem  sie  ihn  von  einem  so 
grossen  Irrthum  befreite,  wollte  sich  Galilei  dankbar  erwei- 
sen durch  die  Förderung  anderer  wichtiger  Erfindungen. 
(Folgt  ein  Bericht  über  Galiiei's  auf  die  Längenmessung 
bezügliche  Arbeiten.)  Galilei  hatte  sich  entschlossen,  nie 
mehr  eine  seiner  Arbeiten  dem  Druck  zu  übergeben,  um 
nicht  aufs  neue  jene  Nebenbuhler  zu  reizen,  die  er  bei  allen 
seinen  anderen  Arbeiten  zu  finden  das  Unglück  gehabt. 
Aber  um  sich  seinem  Schöpfer  dankbar  zu  erweisen,  wollte 
er  alles,  was  er  noch  hatte,  handschriftlich  verschiedenen 
Personen  mittheilen,  welche  gegen  ihn  wohlwollend  gesinnt 
waren  und  für  die  von  ihm  behandelten  Materien  Verständ- 
niss  hatten.  An  erster  Stelle  überreichte  er  dem  Grafen 
de  Noailles  .  .  .  im  J.  1636  eine  Abschrift  seiner  [neuen] 
Dialoge.  .  .  Als  der  Herr  Graf  zu  Paris  angekommen  war, 
liess  er,  um  der  Welt  nicht  einen  solchen  Schatz  vorzuent- 
halten, eine  Abschrift  in  die  Hände  der  Elzevire  gelangen, 
welche  sogleich  den  Druck  begannen,  der  1638  vollendet 
wurde.  Bald  nach  dieser  unerwarteten  Veröffentlichung' ' 
u.  s.  w. 

Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  Viviani  die  Sache 
besser  wusste  und  nur  aus  Rücksichten  gegen  die  Inquisition 
oder  den  Hof  sie  so  unrichtig  darstellte.  Ueber  die  Veröffent- 
lichung der  erwähnten  drei  Schriften  gibt  uns  Galiiei's  Brief- 
wechsel, wie  wir  gesehen  haben,  vollständigen  Aufschluss. 
Seine  Gedanken  über  seine  Verurtheilung  spricht  er  aller- 
dings in  seinen  Briefen  nicht  so  offen  aus;  die  Andeutungen 
in  seinen  eigenen  und  in  den  Briefen  seiner  vertrauten 
Freunde  zeigen  aber  deutlich  genug,  dass  er  anders  dar- 
über dachte,  als  Viviani  angibt.  Einzelne  solcher  Andeu- 
tungen sind  bereits  mitgetheilt;  einige  andere  mögen  hier 
folgen. 

Am  21.  Febr.   1635    schreibt  Galilei  an  Peiresc1):    „Ich 


.)  Suppl.  362. 


426  Aeusserungen  über  das  Urtheil  vom  J.  1633. 

hoffe  keine  Erleichterung,  und  zwar  darum  nicht,  weil  ich 
kein  Verbrechen  begangen  habe.  Ich  könnte  Gnade  und 
Verzeihung  hoffen  und  erlangen,  wenn  ich  geirrt  hätte; 
denn  bei  Fehltritten  kann  der  Fürst  Gnade  und  Nachsicht 
walten  lassen;  dagegen  muss  einem  unschuldig  Verurtheil- 
ten  gegenüber  Strenge  geübt  werden,  um  den  Schein  zu 
retten,  als  sei  nach  dem  Rechte  gegen  ihn  verfahren.  .  . 
Zwei  Dinge  trösten  mich:  das  eine  ist  dieses,  dass  in  allen 
meinen  Werken  Niemand  eine  Spur  einer  Verletzung  der 
der  h.  Kirche  gebührenden  Pietät  und  Ehrfurcht  finden  wird; 
das  andere  ist  mein  Gewissen,  welches  mir  sagt,  dass  in  der 
Sache,  wofür  ich  leide,  Niemand  mit  einer  heiligern  Absicht 
hätte  handeln  und  reden  können  als  ich.  Wie  viel  deutlicher 
würde  diese  meine  durchaus  religiöse  und  heilige  Gesinnung 
hervortreten,  wenn  die  Verleumdungen,  Lügen,  Kunstgriffe 
und  Täuschungen  enthüllt  würden,  die  vor  achtzehn  Jahren 
in  Rom  angewendet  wurden,  um  die  Augen  der  Oberen 
zu  verblenden.  .  .  .  Sie  werden  wohl  aus  meinen  Schriften 
erkannt  haben,  welches  der  wahre  und  wirkliche  primus 
motor  gewesen  ist,  der  mich  unter  der  Maske  der  Religion 
bekriegt  hat  und  fortwährend  mich  belagert  und  alle  meine 
Schritte  so  einengt,  dass  mir  weder  von  aussen  Hülfe  kom- 
men, noch  ich  selbst  mich  vertheidigen  kann,  da  allen  In- 
quisitoren ausdrücklich  befohlen  ist,  nicht  zu  gestatten, 
dass  irgend  eins  meiner  schon  vor  vielen  Jahren  gedruckten 
Bücher  neu  gedruckt  und  für  irgend  ein  neues  die  Druck- 
Erlaubniss  ertheilt  werde,  so  dass  ich  nicht  nur  zu  den  zahl- 
reichen Angriffen  schweigen  muss,  welche  in  rein  naturwis- 
senschaftlichen Fragen  gegen  mich  gerichtet  werden,  um 
meine  Lehre  zu  unterdrücken  und  meine  Unwissenheit  zu 
beweisen,  sondern  auch  die  Spöttereien,  Bissigkeiten  und 
Injurien  verschlucken  muss,  welche  Leute,  die  unwissender 
sind  als  ich,  sich  unbedenklich  gegen  mich  erlauben." 

Im  J.  1637  schreibt  Galilei  an  den  König  Ladislaus 
von  Polen1):  ,,Ich  weiss,  dass  Exemplare  meines  Dialogs 
auch  in  die  dortigen  Gegenden  gelangt  sind;  so  können 
also  Euere  Majestät  und  Ihre  Gelehrten  beurtheilen,  in  wie 
weit  es  wahr  ist,  dass  darin  eine  scandalösere,  abscheulichere 
und    für   die  ganze  Christenheit   verderblichere  Lehre   ent- 


j)  VII,  190. 


Aeusserungen  über  das  Urtheil  vom  J.  1633.  427. 

halten  sei  als  in  den  Büchern  Calvins,  Luthers  und  aller 
Häresiarchen  zusammen;  und  doch  ist  diese  Vorstellung 
dem  Papste  so  fest  eingeredet  worden,  dass  das  Buch  ver- 
boten ist  und  ich  mit  Schmach  bedeckt  und  zu  Kerkerhaft 
nach  dem  Ermessen  Seiner  Heiligkeit,  das  heisst  auf  Lebens- 
zeit, verurtheilt  worden  bin." 

Am  9.  Nov.  1637  schreibt  er  an  Beaugrand1):  Morin 
habe  ihm  eine  neue  wStreitschrift  über  die  Bewegung  der 
Erde  geschickt,  die  zwar  zunächst  gegen  Lansberg  gerich- 
tet war,  in  der  aber  auch  ein  Capitel  über  Galilei's  Verur- 
theilung  vorkam;  er  sage  darin,  er  theile  die  Sentenz  und 
Abschwörung  nicht  mit,  um  Galilei's  Ruf  zu  schonen.  „Er 
sieht  also  nicht  ein,  dass  er  so  meine  Ehre  nicht  schont, 
sondern  schwer  schädigt,  da  wegen  dieses  seines  Schwei- 
gens der  Leser  sicher  vermuthen  wird,  mein  Vergehen  sei 
ein  sehr  schweres  gewesen,  während  es  doch  kein  anderes 
war,  als  dass  ich  bei  den  Oberen  der  Hinneigung  zu  der 
verdammten  Meinung  von  der  Bewegung  der  Erde  ver- 
dächtig geworden  war.  Es  ist  auch  keine  geringe  Leicht- 
fertigkeit, wenn  er  behauptet,  ich  hätte  in  versteckter  und 
heuchlerischer  Weise  die  Bewegung  der  Erde  vertheidigen 
wollen,  während  ich  von  nichts  entschieden  rede,  sondern 
mich  immer  auf  die  Entscheidung  der  Oberen  beziehe." 

Am  2$.  März  1641,  also  ein  Jahr  vor  Galilei's  Tode, 
schrieb  ihm  Francesco  Rinuccini2)  über  ein  ihm  in  einem 
Buche  aufgestossenes  Argument,  welches  ihn  an  der  Rich- 
tigkeit des  Copernicanischen  Systems  irre  zu  machen  drohte. 
Galilei  gab  ihm  in  einem  Briefe  vom  29.  März3)  die  nöthige 
Aufklärung,  wobei  er  zum  Schlüsse  auf  seinen  „unglücklichen" 
Dialog  verweist,  begann  aber  diesen  Brief  mit  folgenden 
merkwürdigen  Sätzen:  „Die  Falschheit  des  Copernicanischen 
Systems  darf  in  keiner  Weise  in  Zweifel  gezogen  werden, 
namentlich  nicht  von  uns  Katholiken,    die  wir  die  unwider- 


1)  VII,   197.     Ueber  Morin   s.  o.  S.  421. 

2)  Francesco  Rinuccini,  ein  Neffe  des  Cardinais  Bandini,  geb.  1603, 
war  damals  (1637— 1642)  toscanischer  Resident  in  Venedig;  er  wurde  später 
Bischof  von  Pistoja,  f  1678.  Sein  Bruder,  Giovanni  Batista,  wurde  1625,  nach 
dem  Tode  Dini's,  Erzbischof  von  Fermo  (Suppl.  183).  Auch  ein  auderer 
Bruder,  Tommaso,  war  ein  Schüler  und  Freund  Galilei's  (s.  o.  S.  166).  Suppl. 
252.  253  stehen  zwei  Briefe  an  Galilei  von  einem  Carlo  Rinuccini. 

3)  VII,  361. 


428  Aeusserungen  über  das  Urtheil  vom  J.  1633. 

legliche  Autorität  der  h.  Schriften  haben,  wie  sie  von  den 
grössten  Meistern  in  der  Theologie  erklärt  werden,  deren 
einmüthige  Uebereinstimmung  uns  die  Gewissheit  gibt,  dass 
die  Erde  unbeweglich  im  Mittelpunkte  steht  und  die  Sonne 
sich  um  dieselbe  herum  bewegt.  Die  Vermuthungen,  welche 
Copernicus  und  seine  Anhänger  für  das  Gegentheil  vorge- 
bracht, erledigen  sich  alle  durch  jenes  durchaus  beweiskräf- 
tige Argument,  welches  von  der  Allmacht  Gottes  herge- 
nommen wird:  da  diese  auf  verschiedene,  ja  auf  zahllose 
Weisen  das  hervorbringen  kann,  was  nach  unserer  Meinung 
und  Beobachtung  auf  diese  bestimmte  Weise  hervorgebracht 
zu  sein  scheint,  so  dürfen  wir  nicht  die  Hand  Gottes  ver- 
kürzen wollen  und  hartnäckig  das  behaupten,  worin  wir 
uns  täuschen  können.  Wie  ich  aber  die  Beobachtungen 
und  Vermuthungen  des  Copernicus  für  ungenügend  halte, 
so  halte  ich  anderseits  die  des  Ptolemäus,  des  Aristoteles 
und  ihrer  Anhänger  für  noch  trügerischer  und  irriger,  da 
man,  ohne  über  die  Grenzen  des  menschlichen  Denkens 
hinauszugehen,  hinlänglich  klar  erkennen  kann,  dass  sie  nicht 
beweiskräftig  sind."  Ohne  Zweifel  ist  dieser  Passus  mit 
seiner  Verweisung  auf  das  für  Galilei  so  verhängnissvolle 
Argument  Urbans  VIII.  ironisch  gemeint,  und  hat  ihn  nicht 
nur  Rinuccini,  sondern  auch  Viviani,  dem  Galilei  den  Brief 
dictirte,  so  verstanden1). 

Dazu  nehme  man  noch  folgende  Bemerkungen,  die 
Galilei  an  den  Rand  von  Büchern  geschrieben  und  die  von 
Berti2)  veröffentlicht  worden  sind:  „Neuerungen  einführen! 
Wer  bezweifelt,  dass  es  die  schlimmsten  Scandale  zur  Folge 
haben  muss,  wenn  man  die  Neuerung  einführt,  zu  verlangen, 
dass  die  von  Gott  frei  geschaffenen  Geister  sich  zu  Sklaven 
des  Willens  eines  Andern  machen  sollen,  —  dass  man  die 
eigenen  Sinne  verleugnen  und  dem  Gutdünken  eines  Andern 
unterordnen  solle,  —  zuzulassen,  dass  Leute,  die  von  einer 
Wissenschaft  oder  Kunst  gar  nichts  wissen,  über  diejeni- 
gen, die  etwas  davon  verstehen,  Richter  sind  und  durch  die 
ihnen  eingeräumte  Autorität  die  Macht  haben  sollen,  jene 
nach  ihrem  Sinne  zu  lenken?  Das  sind  die  Neuerungen, 
welche  die  Staaten  ruiniren  können!"  —  „Neue  Lehren  sind 


1)  Martin,  Galilee  p.   235.     Reumont,  Beitr.  I,  419. 

2)  Copernico  p.   148, 


Aeusserungen  über  das  Urtheil  vom  J.  1633.  429 

euere  Lehren,  durch  welche  ihr  den  Verstand  und  die  Sinne 
zwingt,  nicht  zu  verstehen  und  nicht  zu  sehen."  —  „Ihr 
seid  es,  die  Ketzereien  verursachen,  wenn  ihr  ohne  allen 
Grund  wollt,  dass  der  Sinn  der  Bibel  derjenige  sei,  der  euch 
gefällt,  und  dass  die  Gelehrten  ihre  Sinne  und  die  zwingen- 
den Beweise  verleugnen  sollen."  —  „Ihr  seid  die  Urheber 
von  Neuerungen,  und  zwar  von  Neuerungen,  welche  der 
Religion  grossen  Schaden  bringen  können."  In  einem  Exem- 
plare der  ersten  Ausgabe  des  Dialogs  hat  Galilei  eine  Reihe 
von  Zusätzen  beigefügt,  welche  in  der  1744  zu  Padua  er- 
schienenen und  in  den  folgenden  Ausgaben  mit  abgedruckt 
sind1).  Einer  dieser  Zusätze2)  ist  eine  ausführliche  Wider- 
legung von  Einwendungen  gegen  das  Copernicanische 
System. 

Von  Galilei's  Freunden  spricht  sich  Micanzio  ganz  offen 
aus.  Er  schreibt  z.  B.  14.  Oct.  16343):  Ich  habe  nur  Ihre 
Dialoge  und  das  Buch  des  Rocco  mit  aufs  Land  genommen. 
Ich  habe  sie  beide  mit  Vergnügen  gelesen;  es  war  mir  zu 
Muthe,  wie  wenn  ich  einen  Frosch  sähe,  der  die  Sprünge 
eines  Seiltänzers  nachzumachen  sucht.  .  .  Wenn  ich  die 
peripatetischen  Principien  noch  einmal  prüfe,  wie  Sie  in 
dem  Weltsystem  gethan,  so  ist  mir,  als  ginge  alles  in 
Rauch  auf."  Am  31.  Oct.  16344)  schreibt  er:  „Sie  haben 
in  dem  Briefe  an  die  Grossherzogin  Christina  die  beiden 
wesentlichen  Punkte  berührt:  erstens,  dass  man  sich  hüten 
müsse,  etwas  als  Dogma  hinzustellen,  was  jetzt  oder  im 
Laufe  der  Zeit  als  unrichtig  erwiesen  werden  könne,  und 
zweitens,  dass  die  h.  Schrift  von  den  Dingen  der  Natur  der 
herrschenden  Meinung  entsprechend  redet.  Und  wenn  die 
Jesuiten  die  Unbeweglichkeit  der  Erde  zu  einem  Glaubens- 
artikel machen,  so  mögen  sie  überzeugt  sein,  dass  alle 
Professoren  der  Astronomie  Ketzer  werden  sein  müssen. 
Ueber  die  Copernicanische  Lehre  hat  Ihr  Buch  so  viel  Licht 
verbreitet,  dass  sich  Alle,  die  es  lesen,  hineinstürzen  müssen." 
Aehnlich  spricht  er  in  anderen  Briefen  über  den  Dialog. 
Die  „Bestialität"  des  Verbotes  desselben,  klagt  er  einmal, 
sei  Schuld  daran,  dass  sein  Exemplar  an  Freunde  verliehen 


1)  I,  6.  2)  I,  358-364. 

3)  X,  58;  über  Rocco  s.  o.  S.  420. 

4)  Suppl.  271. 


43°  Aeusserungen  über  das  Urtheil  vom  J.  1633. 

sei1).  Am  13.  Febr.  16.38 2)  theilt  er  Galilei  mit:  „Unser 
Ingenieur  [der  Holländer  Franz  de  Weerdt]  hat  eine  Ent- 
gegnung auf  einen  akademischen  Vortrag  eines  gewissen 
Giacomo  Accarisio 3)  gegen  das  Copernicanische  System 
geschrieben.  Die  Erwiederung  ist  gut,  aber  ganz  aus  den 
Dialogen  geschöpft,  mit  Ausnahme  des  Abschnittes  über 
die  Bibelstellen,  die  er  gut  bespricht.  Wenn  die  Schrift 
gedruckt  wird,  wie  ich  glaube,  so  wird  sie  den  Rath  be- 
kräftigen, den  Herr  Galileo  Madama  [der  Grossherzogin 
Christina]  ertheilt  hat:  es  sei  eine  verwegene  Kühnheit, 
Glaubensartikel  in  die  Luft  zu  bauen  über  Sachen,  bei  denen 
sich  mit  der  Zeit  das  Gegentheil  als  wahr  erweisen  werde." 
Am  14.  Jan.  1640  schreibt4)  er:  „Auf  diejenigen,  welche 
etwas  davon  verstehen,  hat  die  Lehre  der  ersten  Dialoge 
einen  solchen  Eindruck  gemacht,  dass  sie  wünschen,  alles 
was  Sie  schreiben,  möge  von  demselben  Gegenstande  han- 
deln. .  .  .  Ich  werde,  wenn  ich  die  Wahrheit  sagen  soll, 
jedesmal  ärgerlich,  wenn  Sie  Ihre  ersten  Dialoge  tadeln; 
ich  sage  es  Jedermann  und  es  ist  wahr,  dass  ich  mir  lieber 
alle  Bücher  wegnehmen  liesse  als  dieses  über  die  Weltsy- 
steme. Lassen  Sie  doch  in  Gottes  Namen  diejenigen  dage- 
gen bellen,  die  es  sich  zur  Aufgabe  machen,  alle  Wahrheit 
und  alle  Leistungen  eines  ungewöhnlichen  Geistes  zu  ver- 
nichten, und  lassen  Sie  jenes  unvergleichliche  Werk  immer- 
hin verfolgt  werden;  aber  ein  so  schönes  Kind  darf  doch 
nicht  von  seinem  Erzeuger  übel  angesehen  werden.  Lassen 
Sie  den  Sohn  das  Loos  des  Vaters  theilen,  dem  die  Ver- 
folgung ebenso  sehr  zum  Ruhme  gereicht  wie  die  unver- 
gleichliche Erhabenheit  seines  Geistes." 

Die  anderen  Freunde  Galilei's  vermeiden  es,  über  die 
Copernicanische  Lehre  zu  schreiben,  oder  drücken  sich  sehr 
vorsichtig  aus5).  Niccolö  Aggiunti  schreibt  aus  Florenz  am 
30.  Juli  1633  6),  also  wenige  Wochen  nachdem  er  der  feier- 
lichen Verkündigung  des  Urtheils  über  Galilei  hatte  bei- 
wohnen   müssen:    „Wenn    der  Ausgang    der   Sache    unge- 

1)  X,   115   (Oct.   1635).  lll  (Sept.   1636). 

2)  X,  274. 

3)  Der  Vortrag  erschien  1637  zu  R°m>  der  Verfasser  bezeichnet  sich 
auf  dem  Titelblatt  als  Qualificator  der  Inquisition;  II,  p.  XVI. 

4)  X,  378. 

5)  Vgl.  X,  4.  10 1  u.  s.  w.  6)  X,  380. 


Aeusserungen  über  das  Unheil  vom  J.  1633.  431 

heuerlich  gewesen  ist,  so  sind  ohne  Zweifel  auch  die  Mittel 
und  der  Verlauf  so  gewesen,  wie  -sie  sein  mussten,  um  eine 
solche  Ungeheuerlichkeit  zu  Wege  zu  bringen,  und  wenn 
mich  bei  der  ersten  Nachricht  von  dem  Ausgange  Erstau- 
nen und  Bestürzung  ergriffen,  so  werde  ich  wohl,  wenn  ich 
die  Ursachen  erfahre,  die  ihn  herbeigeführt  und  zu  Wege 
gebracht,  noch  mehr  erstaunt  und  entrüstet  sein.  Derselbe 
Grund,  weshalb  Sie  mir  gegenüber  geschwiegen,  hat  auch 
mich  bestimmt  und  bestimmt  mich  noch  zu  schweigen,  so 
dass  ich  über  unser  Unglück  nicht  gesprochen  habe  und 
nicht  spreche.  So  darüber  zu  sprechen,  wie  ich  kann,  daran 
liegt  mir  nichts,  und  so,  wie  ich  möchte,  kann  ich  nicht 
sprechen,  Dank  denjenigen,  welche  auch  mit  unserer  Ver- 
stellung ihren  perfide  erheuchelten  Eifer  beschönigen  möch- 
ten. Doch  von  Anderm."  Mario  Guiducci,  der  auch  bei 
der  feierlichen  Verkündigung  des  Urtheils  in  Florenz  zu- 
gegen gewesen,  schreibt  am  5.  Nov.  1633 !):  „Es  ist  mir 
nicht  unlieb,  zu  hören,  dass  Jemand  in  Rom  ex  professo 
gegen  Sie  schreibt;  denn  ich  glaube  nicht,  dass  etwas  her- 
auskommen wird,  was  in  den  Augen  derjenigen,  die  etwas 
von  der  Sache  verstehen,  Ihre  Reputation  irgendwie  schä- 
digen könnte.  Ihre  Gegner  können  freilich  gewiss  sein,  dass 
Sie  nicht  antworten  werden ;  denn  ich  bin  überzeugt,  sie  wer- 
den so  rohe  und  dumme  Dinge  schreiben,  dass  ohne  irgend- 
welche Erwiederung  ihre  Unwissenheit  und  Bosheit  zu  Tage 
treten  wird.  Wenn  Sie  dann  die  Arbeit,  die  Sie  jetzt  unter 
Händen  haben,  [die  neuen  Dialoge]  veröffentlichen,  so  wird 
man  sehen,  dass  Sie  darum  nicht  antworten,  weil  Sie,  wie 
das  jeder  Katholik  thun  muss,  sich  den  Weisungen  der 
Oberen  fügen  und  bei  deren  Entscheidungen,  welche  durch- 
aus wahr  und  unwidersprechlich  sind,  sich  beruhigen,  aber 
nicht  darum  als  ob  Sie  so  schwach  wären,  sich  von  so  frivolen 
Gründen  überzeugen  zu  lassen,  wie  sie,  so  viel  ich  vermuthe, 
von  Ihren  Gegnern  werden  vorgebracht  werden.  Und  wenn 
diese,  was  ich  nicht  glaube,  so  schrieben,  dass  sie  auch 
durch  philosophische  und  physicalische  Argumente  den  Ver- 
stand überzeugten,  so  weiss  ich,  dass  Sie  das  als  einen 
grossen  Gewinn  ansehen  würden,  wiewohl  es  überflüssig  ist, 
das,    was  Leute,    die    durch    ein   anderes  als  das  natürliche 


1)  Suppl.  257. 


432  Galilei's  Tod  und  Bestattung. 

Licht  erleuchtet  sind,  entschieden  haben,  durch  schwache 
von  Menschen  erfundene  Gründe  zu  bekräftigen.  Wir  wer- 
den ja  sehen/'  Noch  vorsichtiger  schreibt  Castelli  am 
19.  April  IÖ361):  „Ich  habe  in  diesem  Jahre  sehr  oft  die 
Sapienza  besucht  und  viel  Gefallen  an  einem  Doctor  aus 
Bologna  gefunden,  der  sehr  oft  äusserst  gelehrte  und  scharf- 
sinnige Vorträge  gegen  die  Meinung  des  Copernicus  hält, 
voll  von  sehr  überzeugenden  geometrischen  Demonstratio- 
nen, die  auf  sehr  guten  Grundlagen  und  Principien  beruhen. 
Ich  will  Ihnen  eine  solche  Grundlage  mittheilen,  die  ich 
behalten  habe,  wie  sie  mir  ein  Schüler  berichtet  hat,  — 
denn  ich  war  selbst  nicht  zugegen:  die  Sonne  ist  in  dem 
primum  mobile  wie  ein  Nagel  in  dem  Karrenrade,  woraus 
ganz  deutlich  die  Unrichtigkeit  der  Meinung  des  Copernicus 
erhellt  und  sich  ganz  leicht  die  Antwort  auf  viele  seiner 
Argumente  ergibt  u.  s.  w." 


XXXVI. 
Galilei's  Tod  und  Bestattung. 

Am  8.  Jan.  1642,  in  demselben  Jahre,  in  welchem  New- 
ton geboren  wurde,  starb  Galilei,  beinahe  78  Jahre  alt,  nach- 
dem er  zuvor  die  Sacramente  und  den  Segen  Urbans  VIII., 
wohl  die  sog.  General -Absolution,  empfangen  hatte.  Sein 
Sohn  Vincenzo,  seine  beiden  Schüler  Viviani  und  Torricelli, 
der  Ortspfarrer  und  —  zwei  Beamte  der  Inquisition  waren 
bei  seinem  Tode  zugegen. 

Am  21.  Aug.  1638  hatte  Galilei  ein  Testament  gemacht2). 
Einige  Theologen  meinten,  dasselbe  sei  nicht  rechtsgültig, 
weil  er  von  der  Inquisition  verurtheilt  und  nicht  begnadigt 
worden  sei.  Auf  Grund  eines  Rechtsgutachtens,  welches 
diese  Einrede  für  unbegründet  erklärte,  wurde  indess  das 
Testament  anerkannt.  Einige  meinten  auch,  Galilei  dürfe 
nicht  kirchlich    begraben    werden;    aber    auch    über    dieses 


[)  X,   150.  2)  XV,  401. 


Galilei's  Tod  und  Bestattung.  433 

Bedenken  ging  man  hinweg1).  Der  Wunsch,  den  Galilei  in 
seinem  Testamente  ausgesprochen/  in  der  Gruft  seiner  Fami- 
lie in  Santa  Croce'  in  Florenz  begraben  zu  werden,  wurde 
indess  nicht  erfüllt;  die  Leiche  wurde  in  der  Seitenkapelle 
der  hh.  Cosmas  und  Damianus  in  Santa  Croce  beigesetzt. 
Man  beabsichtigte,  ihm  ein  Grabmal  zu  setzen;  zu  den  auf 
3000  Scudi  veranschlagten  Kosten  zeichneten  ausser  vielen 
angesehenen  Florentinern  auch  die  Erzbischöfe  Piccolomini 
von  Siena  und  Rinuccini  von  Fermo  Beiträge2). 

Die  von  Galilei  hinterlassenen  Papiere  wurden  von 
Vincenzo  in  einer  Kiste  verschlossen.  Als  er  bald  nach 
dem  Tode  seines  Vaters  für  einige  Tage  nach  Pisa  reiste, 
bat  er  brieflich  Viviani,  dafür  zu  sorgen,  dass  diese  Kiste 
Niemand  ausgeliefert  werde,  sie  schlimmsten  Falls  in  das 
Kloster  zu  seiner  Schwester  bringen  zu  lassen,  wo  er  dem 
Beichtvater  der  Nonnen  das  Nöthige  aufgetragen.  Vincenzo 
fügte  bei,  er  glaube  nicht,  dass  man  nach  den  Papieren 
fragen  werde.  In  der  That  scheint  die  Inquisition  keinen 
Versuch  gemacht  zu  haben,  ihrer  habhaft  zu  werden3). 

Grisar  sagt  S.  128,  Galilei  sei  „im  Frieden  der  Kirche 
und  mit  dem  Segen  Urbans  VIII.  gestorben".  Diese  Aus- 
drücke finden  in  Folgendem  eine  eigenthümliche  Illustration. 
Der  Inquisitor  von  Florenz  berichtete  über  Galilei's  Tod 
nach  Rom.  In  einer  am  23.  Jan.  1642  unter  dem  Vorsitze 
des  Papstes  gehaltenen  Sitzung  der  Inquisition  wurde  über 
diesen  Bericht  berathen4)  und  darauf  am  25.  von  dem  Car- 


1)  Venturi  II,  324.  Die  Bestimmung,  auf  welche  jene  Theologen  sich 
mit  Unrecht  beriefen,  wird  die  sein,  welche  im  Sacro  Arsenale  p.  X,  No. 
269  so  angeführt  wird:  „Die  Häretiker  können  kein  Testament  machen,  auch 
nicht  ad  pias  causas,  und  das  von  einem  Häretiker  gemachte  Testament  ist 
null  und  nichtig  und  wird  auch  durch  dessen  Busse  nicht  gültig;  auch  nach- 
dem er  mit  der  Kirche  wieder  ausgesöhnt  worden,  kann  er  nicht  über  die 
nach  der  Abschwörung  erworbenen  Güter  testiren." 

2)  XV,  402. 

3)  Vgl.  Berti  in  den  Atti  della  R.  Acc.  dei  Lincei  1875—76,  S.  2, 
Vol.  3,  P.  3,  p.  96.  Berti  berichtet  auch  über  die  späteren  Schicksale  der 
Papiere,  und  berichtigt  manche  irrige  Angaben,  z.  B.  dass  nach  dem  Tode 
Renieri's  im  J.  1648  die  Inquisition  Schriften  von  Galilei,  die  er  in  Händen 
gehabt,  confiscirt  und  dass  ein  Enkel  Galilei's,  der  Priester  war,  Papiere 
seines  Grossvaters  verbrannt  habe. 

4)  Gherardi  No.  XXX,  abgedruckt  bei  Gebier,  Galilei  S.  432;  der 
Brief  des  Cardinais  bei  Wolynski  p.   29. 

Keusch,  Galilei.  28 


434  Galilei's  Tod  und  Bestattung. 

dinal  Barberini  dem  Inquisitor  geschrieben:  „Der  Monsignor 
Assessor  [des  h.  Officiums]  hat  Seiner  Heiligkeit  den  Brief 
vorgelesen,  worin  Sie  von  dem  Tode  Galilei's  Mittheilung 
machen  und  andeuten,  was  nach  Ihrer  Meinung  bezüglich 
seines  Grabmals  und  der  Exequien  zu  thuen  sei.  Seine 
Heiligkeit  hat  nach  Berathung  mit  Ihren  Eminenzen  beschlos- 
sen: Sie  möchten  mit  Ihrer  gewohnten  Geschicklichkeit 
dafür  sorgen,  dass  dem  Grossherzog  beigebracht  werde, 
es  sei  nicht  gut,  für  die  Leiche  dessen  Mausoleen  zu  errich- 
ten, der  von  dem  Tribunal  der  h.  Inquisition  zu  Bussen 
verurtheilt  worden  (penitentiato)  und  während  der  Busszeit 
gestorben  ist,  da  die  Gutgesinnten  daran  Anstoss  nehmen 
könnten  zum  Schaden  [des  Rufes]  der  Frömmigkeit  Seiner 
Hoheit.  Sollte  aber  jener  Plan  nicht  hintertrieben  werden 
können,  so  müssen  Sie  darauf  achten,  dass  in  der  auf  das 
Grab  zu  setzenden  Inschrift  keine  Worte  vorkommen, 
welche  der  Reputation  dieses  Tribunals  zu  nahe  treten. 
Dieselbe  Vorsicht  haben  Sie  demjenigen  gegenüber  zu  be- 
obachten, welcher  die  Leichenrede  halten  wird;  sorgen  Sie, 
dass  Sie  dieselbe,  ehe  sie  gehalten  und  gedruckt  wird,  zu 
Gesicht  bekommen  und  genau  prüfen.  Ihrer  klugen  Einsicht 
gibt  Seine  Heiligkeit  diese  Sache  anheim."  An  demselben 
Tage  berichtete  Niccolini  an  den  Staatssecretär  über  eine 
Audienz,  die  er  bei  dem  Papste  gehabt,  Folgendes !) :  „Der 
Papst  sprach  von  dem  Cardinal  Firenzuola  und  erinnerte 
sich  dabei,  dass  derselbe  Commissar  des  h.  Officiums  war, 
als  der  verstorbene  Galilei  wegen  seines  Buches  über  die 
Bewegung  der  Erde  inquirirt  wurde.  Er  sagte  dann,  er 
wolle  mir  im  Vertrauen  und  bloss  gesprächsweise,  nicht 
damit  ich  darüber  nach  Florenz  schriebe,  etwas  mittheilen: 
er  habe  gehört,  der  Grossherzog  könnte  auf  den  Gedanken 
gekommen  sein,  ihm  in  Santa  Croce  ein  Denkmal  zu  setzen; 
ob  ich  etwas  davon  wisse.  Ich  habe  in  der  That  seit  vielen 
Tagen  hier  davon  reden  gehört,  antwortete  aber,  ich  wisse 
nichts  davon.  Seine  Heiligkeit  erwiederte:  er  habe  davon 
gehört,  wisse  aber  nicht,  ob  es  wahr  sei  oder  nicht;  jeden- 
falls wolle  er  mir  aber  bemerken:  wenn  der  Grossherzog 
das  thäte,  würde  er  der  Welt  kein  gutes  Beispiel  geben; 
Galilei   habe  hier   vor    dem    h.  Officium    gestanden    wegen 


)  XV,  403. 


Galilei's  Tod  und  Bestattung.  435 

einer  so  sehr  falschen  und  irrigen  Meinung;  er  habe  diese 
Meinung  auch  vielen  Anderen  in  Florenz  beigebracht  und 
der  ganzen  Christenheit  ein  Aergerniss  gegeben  mit  einer 
Lehre,  die  schon  verdammt  gewesen  sei.  Dann  sprach  er 
lange  Zeit  über  die  Anklagepunkte  und  über  die  Antworten, 
die  Galilei  hier  gegeben,  und  '  dass  er  eingestanden  habe, 
überführt  worden  zu  sein.  Ich  halte  es  für  meine  Pflicht, 
Ihnen  darüber  zu  berichten  und  beizufügen,  dass,  wenn 
Seine  Hoheit  eine  solche  Absicht  haben  sollte,  es  besser 
sein  würde,  die  Sache  auf  eine  andere  Zeit  zu  verschieben, 
um  Unannehmlichkeiten  zu  vermeiden.  Seine  Heiligkeit 
hat  die  Leiche  der  Gräfin  Mathilde  aus  der  Karthause  zu 
Mantua  wegnehmen  und  hieher  nach  St.  Peter  bringen  lassen, 
wo  er  ihr  ein  Denkmal  errichtet  hat.  Er  hat  mit  dem  Her- 
zog Carlo,  der  sich  darüber  beschwert  hat,  gar  nicht  darüber 
verhandelt,  unter  dem  Vorwande,  alle  Kirchen  gehörten 
dem  Papste  und  die  darin  Beigesetzten  seien  kirchliches 
Eigenthum.  So  könnte  auch  diese  Sache  Anlass  zu  Schwie- 
rigkeiten und  langen  Verhandlungen  geben,  ohne  dass  die- 
ses zu  etwas  Gutem  führen  würde."  Der  Cavaliere  Gondi 
antwortete  auf  diese  Depesche  unter  dem  29.  Jan.  1642: 
„Von  dem  Grabmal  für  den  verstorbenen  Mathematiker 
Galileo  war  auch  hier  die  Rede,  aber  Seine  Hoheit  hatte 
darüber  nichts  beschlossen  und  es  war  auch  noch  keine 
Entschliessung  beabsichtigt.  Auf  jeden  Fall  werden  die 
Bedenken,  welche  Sie  im  Anschlüsse  an  das,  was  Ihnen  der 
Papst  mit  so  viel  Delicatesse  gesagt  hat,  vorgetragen  haben, 
gewürdigt  werden."  In  der  nächsten  Audienz  nahm  dann 
Niccolini  von  den  früher  (S.  201)  erwähnten  Aeusserungen 
des  Papstes  über  die  Astrologen  und  Galilei's  Irrthümer 
Veranlassung,  ihm  zu  sagen:  es  sei  allerdings  von  einem 
Denkmal  für  Galilei  die  Rede  gewesen,  aber  zu  einem  be- 
stimmten Plane  sei  es  nicht  gekommen.  Auch  der  Inquisi- 
tor berichtete  am  1.  Febr.  1642  *):  er  werde  gemäss  den  ihm 
von  der  Inquisition  ertheilten  Weisungen  verfahren;  bis 
jetzt  mache  man  aber  noch  keine  Anstalten.  Dieser  Brief 
wurde  der  Inquisition  in  der  Sitzung  vom  13.  Februar  zur 
Kenntniss  gebracht2).  Sie  fand  damals  keine  weitere  Ver- 
anlassung,   sich    um    die    Sache    zu    kümmern.     Denn    man 


:)  XV,  404.  2)  Gherardi  No.  XXXI. 


43°  Galilei's  Tod  und  Bestattung. 

hielt  für  gut,  von  dem  Denkmal  vorerst  Abstand  zu  nehmen. 
Erst  am  i.  Sept.  1674  wurde  auf  dem  Grabe  eine  Inschrift 
angebracht x). 

Vincenzo  Viviani,  der  am  22.  Sept.  1703  starb,  legte 
in  seinem  Testamente  seinen  Erben  die  Verpflichtung  auf, 
Galilei,  neben  dem  er  selbst  begraben  werden  wollte,  in 
Santa  Croce  ein  prächtiges  Denkmal  zu  setzen.  Die  Aus- 
führung verzögerte  sich  bis  zum  J.  17372).  Die  Errichtung 
dieses  Denkmals  gab  Anlass  zu  den  letzten  Schriftstücken, 
welche  sich  in  den  Acten  der  Inquisition  über  Galilei 
finden. 

Am  8.  Juni  17343)  schrieb  der  Inquisitor  von  Florenz 
an  die  Römische  Inquisition:  „Heute  Morgen  war  der  Rit- 
ter Neroni  bei  mir  und  fragte  mich,  ob  bei  unserm  h.  Offi- 
cium eine  Ordre  Ihrer  höchsten  und  heiligen  Congregation 
existire,  nach  welcher  es  nicht  erlaubt  sei,  in  der  Kirche 
Santa  Croce  ein  prächtiges  Denkmal  von  Marmor  und 
Bronze  zu  Ehren  des  verstorbenen,  wegen  seiner  bekannten 
Irrthümer  verdammten  Galileo  Galilei  zu  errichten;  die  Er- 
richtung eines  solchen  Denkmals  mit  einem  Kostenaufwand 
von  etwa  4000  Scudi  sei  von  einem  Anhänger  des  besagten 
Galilei4)  seinen  Erben  schon  durch  eine  testamentarische 
Bestimmung  vom  J.  1689  aufgelegt.  Da  man  jetzt  diese 
Bestimmung  ausführen  will,  bin  ich  also  gefragt  worden, 
ob  früher  ein  Verbot  erlassen  worden  sei,  —  in  unserm 
Archiv  finde  ich  nichts  darüber,  —  oder  ob  Euere  Eminen- 
zen die  Errichtung  des  Denkmals  mit  Rücksicht  auf  die 
Notorietät  der  Irrthümer  des  verstorbenen  Galilei  verbieten 
könnten."  Die  Inquisition  verwies  diese  Anfrage  zunächst 
an  ihre  Consultoren,  —  bei  dieser  Gelegenheit  ist  ein  kur- 
zer Bericht  über  Galilei's  Verurtheilung  aus  den  Acten  zu- 
sammengestellt, der  sich  in  den  Acten  hinter  dem  Briefe 
des    Inquisitors   findet5);    —    die    Consultoren    beantragten 


1)  XV,  404. 

2)  „Der  Sarg  (Galilei's)  hat  bis  1734  in  dem  Thurmkämmerchen  der 
grossen  Kirche  gestanden,  neben  demselben  über  30  Jahre  der  Sarg  Viviani's.'' 
Reumont,  Gesch.  Toscana's  I,  554. 

3)  Acten  S.   182.     "Wolynski  p.  29. 

4)  Acten  S.  182  steht  da  un  descendente,  bei  Wolynski  da  un  depen- 
dente  di  detto  Galilei. 

5)  Acten  S.  183.     Dass  der  Bericht  mit  dieser  Verhandlung  zusammen- 


Die  Römische  Curie  und  das  Copernicaniscbe  System.  437 

am  14.  Juni,  dem  Inquisitor  zu  Florenz  zu  antworten:  er 
möge  die  Errichtung  des  Denkmals  nicht  hindern,  aber  sich 
eifrig  bemühen,  dass  ihm  die  darauf  anzubringende  Inschrift 
vorher  mitgetheilt  werde,  und  diese  möge  er  nach  Rom 
schicken,  damit  man  dort  das  Geeignete  verfüge.  In  der 
Sitzung  vom  16.  Juni  genehmigte  die  Inquisition  diesen  An- 
trag1), und  unter  dem  ig.  wurde  der  Inquisitor  in  diesem 
Sinne  durch  den  Cardinal  Ottoboni  beschieden2).  Ob  die 
Inschrift  wirklich  in  Rom  vorgelegt  worden,  ist  nicht  be- 
kannt3). 


XXXVII. 


Die  Römische  Curie  und  das  Copernicanische  System 
1633-1822. 

„Die  Kirche,  sagt  P.  Desjardins  p.  61,  alle  Zeit  den 
wahren  Fortschritten  des  menschlichen  Geistes  günstig,  hat, 
nachdem  sie  durch  ihre  Disciplinar-Decrete  die  Grundsätze 
gewahrt  hatte,  welche  ihre  doctrinelle  Integrität  schützen, 
kein  Bedenken   getragen,    in  immer  weiterer  Ausdehnung, 


hängt,  hat  zuerst  Pieralisi,  Correzioni  p.  45,  hervorgehoben.  Vgl.  Th.  Lit.- 
Bl.  1877,  224-  Wohlwill,  Ist  Gal.  gef.  worden?  S.  69.  —  Neuerdings  hat 
Wohlwill,  G.  G.  A.  1878,  St.  21,  S.  669  (und  Zts.  f.  Math.  1879,  Hist.-lit. 
Abth.  S.  19),  vermuthet,  der  Bericht  sei  im  19.  Jahrhundert  fabricirt  (s.  o. 
S.  300);  er  meint,  so  erkläre  sich  leichter  die  unrichtige  Angabe  in  dem 
Anfange  des  Actenstückes:  „Galilei  wurde  im  h.  Officium  von  Florenz  zur 
Untersuchung  gezogen  (inquisito)  wegen  folgender  Sätze  .  .  .,  und  nach  Rom 
beschieden,  wurde  er  in  diesem  h.  Officium  in  Haft  genommen"  u.  s.  w. 
Aber  ein  solcher  „Schreib-  oder  Denkfehler"  bei  einem  für  den  Zweck  des 
Berichtes  ganz  unwesentlichen  Punkte  konnte  einem  Beamten  (wahrschein- 
lich dem  Commissar  oder  Assessor)  der  Inquisition  im  J.  1734  ebenso  leicht 
oder  noch  leichter  passiren  als  Monsignor  Marini  oder  einem  andern  Fälscher 
im   19.  Jahrhundert. 

1)  Acten  S.  184;  Gherardi  No.  XXXII,  abgedruckt  bei  Gebier,  Gali- 
lei S.  433.  2)   Wolynski  p.  30. 

3)  Ueber  das  Grabmal  s.  Gebier,  D.  Rundsch.  1878,  IV,   74. 


438  Die  Römische  Curie  und  das  Copernicanische  System. 

so  wie  die  Probabilität  des  Copernicanischen  Systems  wuchs, 
das  Lehren  desselben,  sowie  die  metaphorische  Auslegung 
der  betreffenden  Bibelstellen  zu  dulden.  Mit  weiser  Lang- 
samkeit hat  sie  dasselbe  zuerst  nur  negativ  autorisirt,  indem 
sie  1755  die  Werke,  in  welchen  die  Bewegung  der  Erde 
ex  professo  gelehrt  wurde,  von  dem  Index  verschwinden 
liess.  Endlich  am  17.  Sept.  1822  wurde  die  Annahme  der 
gewöhnlichen  Meinung  der  modernen  Astronomen  positiv 
und  ausdrücklich  gestattet  durch  ein  Decret  der  Inquisition, 
welches  von  dem  Papste  Pius  VII.  bestätigt  und  unter- 
zeichnet wurde,  während  die  verurtheilenden  Decrete  weder 
von  Paul  V.  noch  von  Urban  VIII.  unterzeichnet  worden 
waren." 

„Die  Kirche"  ist  noch  etwas  langsamer  vorgegangen, 
als  P.  Desjardins  von  ihr  rühmt.  Allerdings  ist  nach  Gali- 
lei kein  Vertheidiger  der  Copernicanischen  Lehre  mehr  von 
der  Inquisition  verfolgt1),  auch  ist  nach  dem  J.  1634  kein 
Copernicanisches  Buch  mehr  auf  den  Index  gesetzt  worden, 
obschon  einzelne  derartige  Schriften  schon  im  17.  Jahrhun- 
dert auch  in  Italien,  selbst  in  Rom  erschienen2).  Auch  die 
Uebersetzungen  des  Galilei'schen  Dialogs  wurden  nicht  auf 
den  Index  gesetzt3).    Im  J.  1693  schrieb  zwar  Baldigiani  aus 


1)  Targioni  I,  385  berichtet:  der  französische  Jesuit  Honoratus  Fabri 
(Lefevre,  geb.  1607,  gest.  1688  als  Pönitentiar  in  Rom)  sei  wegen  seiner  Be- 
theiligung an  Controversen  „über  die  Experimental-Philosophie,  die  damals 
in  Rom  nicht  im  guten  Gerüche  gestanden,  im  J.  1671  von  der  Inquisition 
processirt,  5  Tage  in  strenger  und  45  in  weniger  strenger  Haft  gehalten 
worden  und  endlich,  Dank  dem  Schutze  des  Cardinais  Leopold  von  Me- 
dici,  mit  dem  Leben  davon  gekommen."  Nach  Reumont,  Gesch.  von 
Toscana  I,  562,  wäre  Fabri  „kühn  genug  gewesen,  den  Copernicanischen 
Streit  wieder  zu  beleben".  Aber  nach  Venturi  II,  141  hat  Fabri  1665  und  1671 
gegen  die  Lehre  von  der  Bewegung  der  Erde  geschrieben  [eine  Aeusserung 
von  ihm  aus  dem  J.  1661,  s.  u.  S.  457].  Nach  Brucker,  Hist.  philos.  IV, 
I,  144,  war  er  bei  den  anderen  Jesuiten  des  Cartesianismus  verdächtig  ge- 
worden. Die  Sache  ist  mir  nicht  klar  geworden.  Bekannt  ist  Fabri  durch 
die  unter  dem  Namen  des  EustaChius  de  Divinis  veröffentlichten  Streit- 
schriften gegen  Chr.  Huyghens'  Systema  Saturnium  (Targioni  I,  382)  und 
durch  seine  Betheiligung  an  dem  Streite  über  Probabilismus  und  Jesuiten- 
Moral  (de  Backer  I,  290.     Hurter,  Nomencl.  I,   534). 

2)  Martin,  Galilee  p.  261. 

3)  Es  pflegt  sonst  im  Index  bei  einem  verbotenen  Buche,  wenn  es 
übersetzt  ist,  ausdrücklich  beigefügt  zu  werden:  quovis  idiomate. 


Die  Römische  Curie  und  das  Copernicanische  System.  439 

Rom  an  Viviani1):  „Ganz  Rom  steht  in  Waffen  gegen  die 
Mathematiker  und  Physiker.  Es  werden  ausserordentliche 
Sitzungen  der  Cardinäle  des  h.  Officiums  in  Anwesenheit 
des  Papstes  gehalten,  und  es  ist  die  Rede  von  einem  allge- 
meinen Verbote  aller  Verfasser  von  modernen  Physiken. 
Es  werden  lange  Listen  derselben  angefertigt;  an  der  Spitze 
stehen  Galilei,  Gassendi  und  Cartesius  als  für  die  Literatur 
und  die  Reinheit  der  Religion  höchst  gefährlich."  Und  in 
einem  Briefe  von  Alessandro  Aldobrandini  vom  14.  März 
1693  heisst  es:  „Sehr  schlimme  Nachrichten  für  die  Gelehr- 
ten-Republik! Man  spricht  davon,  vierzig  der  besten  Auto- 
ren, welche  von  den  modernen  Wissenschaften  handeln,  zu 
verbieten,  darunter  unsern  armen  Galilei.  ...  Der  Cardinal 
Bittre2)  ist  der  Einzige,  welcher  die  Sache  dieser  armen 
Ehrenmänner  gegenüber  der  Masse  aller  Anderen  vertritt." 
Es  kam  damals  zu  keinem  solchen  Verbote.  Aber  auch  die 
Hoffnung,  die  etwas  später,  im  J.  169g,  Leibniz  aussprach, 
man  werde,  seinem  Rathe  folgend,  die  Censuren  gegen  das 
Copernicanische  System  aufheben,  ging  nicht  in  Erfüllung 3). 
Erst  am  10.  Mai  1757  beschloss  die  Index- Congregation,  in 
den  neuen  Ausgaben  des  Index  das  allgemeine  Verbot  der 
die  Copernicanische  Theorie  lehrenden  Bücher  (s.  o.  S.  114) 
wegzulassen4),  und  dieser  Beschluss  wurde  am  11.  Mai  von 

1)  Berti,  Copernico  p.   152. 

2)  Es  wird  der  französische  Cardinal  Cesar  d'Estree  gemeint  sein. 

3)  Leibniz  schreibt  aus  Hannover  30.  Oct.  1699  an  Antonio  Maglia- 
bechi  in  Florenz  (Targioni  I,  517):  „Als  ich  zu  Rom  war,  ermahnte  ich 
einige  hervorragende  Männer,  sie  möchten  in  einer  in  keiner  "Weise  gefähr- 
lichen Sache  sich  der  philosophischen  Freiheit  günstig  zeigen  und  zugeben, 
dass  die  Censuren  gegen  das  Copernicanische  System  ausdrücklich  oder  still- 
schweigend aufgehoben  würden;  ich  zeigte,  dass  dieses  im  Interesse  der 
Römischen  Kirche  liege,  damit  sie  nicht  von  Unwissenden  als  Begünstigerin 
der  Unwissenheit  und  des  Irrthums  angesehen  würde.  Sie  zeigten  sich  nicht 
unempfänglich  für  meinen  Rath;  ich  hoffe,  die  alte  Freiheit  wird  wieder 
hergestellt  werden,  deren  Unterdrückung  den  aufgeregten  Geistern  der  Ita- 
liener viel  schadet."  Andere  Aeusserungen  von  Leibniz  s.  bei  A.  Pichler, 
Theologie  des  Leibniz  II,  238. 

4)  Habito  verbo  cum  Sanctissimo  omittatur  decretum,  quo  prohiben- 
tur  omnes  libri  docentes  immobilitatem  solis  et  mobilitatem  terrae.  Olivieri, 
Di  Copernico  p.  94.  Wahrscheinlich  sind  zu  dieser  Zeit  die  Acten  der 
beiden  Galilei'schen  Processe  aus  dem  Archiv  der  Inquisition  in  das  Vati- 
canische  Archiv  gebracht,  zusammengeheftet  und  mit  der  fortlaufenden  Pagi- 
nirung  versehen  worden.     Wolynski  p.  5.   23. 


44°  Die  Römische  Curie  und  das  Copernicanische  System. 

P.  Benedict  XIV.  bestätigt.  Demgemäss  enthält  die  nächste 
Ausgabe  des  Index,  die  vom  J.  1758  (nicht  1755)  jenes  Ver- 
bot nicht  mehr.  Das  specielle  Verbot  der  Original- Ausgabe 
des  Galilei'schen  Dialogs  u.  s.  w.  blieb  dagegen  bis  in  unser 
Jahrhundert  in  Kraft.  Freilich  erschien  der  Dialog  im  vier- 
ten Bande  der  zu  Padua  1744  gedruckten,  mit  der  kirch- 
lichen Druck-Erlaubniss  versehenen  Ausgabe  der  Werke 
Galilei's;  aber  der  Herausgeber,  Abate  Toaldo,  schickt 
folgende  Erklärung1)  voraus:  „Dieser  viel  besprochene 
Dialog,  der  so  oft  unbefugt  gedruckt  worden  ist,  erscheint 
endlich  mit  den  nöthigen  Ermächtigungen  zum  öffentlichen 
freien  Gebrauche.  Er  verdiente  dieses  in  der  That  wegen 
der  seltenen  und  ausgesuchten  Lehren,  die  er  enthält,  und 
wegen  der  schönen  Form,  in  welcher  dieselben  entwickelt 
werden.  Was  die  Hauptfrage  von  der  Bewegung  der  Erde 
betrifft,  so  schliessen  auch  wir  uns  dem  Widerrufe  und  der 
Erklärung  des  Verfassers  an,  indem  wir  in  der  feierlichsten 
Form  erklären,  dass  dieselbe  nur  als  reine  mathematische 
Hypothese,  die  zur  leichtern  Erklärung  gewisser  Erschei- 
nungen geeignet  ist,  zugelassen  werden  kann  und  darf. 
Darum  haben  wir  die  Randbemerkungen,  welche  nicht  ganz 
unbestimmt  waren  oder  zu  sein  schienen,  weggelassen  oder 
in  eine  hypothetische  Form  gebracht2);  und  aus  demselben 
Grunde  haben  wir  die  Abhandlung  des  Pater  Calmet  bei- 
gefügt, in  welcher  die  auf  diesen  Gegenstand  bezüglichen 
Bibelstellen  nach  der  gewöhnlichen  katholischen  Ansicht 
gedeutet  werden.  \  .  Wir  wollen  uns  nicht  im  mindesten 
von  den  ehrwürdigen  Vorschriften  der  h.  Römischen  Kirche 
entfernen."  Ausser  der  Abhandlung  von  Calmet  sind  als 
Gegengift  gegen  den  Dialog  auch  die  Sentenz  gegen  Gali- 
lei und  seine  Abschwörung  (in  lateinischer  Uebersetzung) 
beigefügt.  —  Im  J.  1765  verwendete  sich  der  französische 
Astronom  Lalande  in  Rom  ohne  Erfolg  für  die  Weglassung 
des  Dialogs  aus  dem  Index5).     Noch  die  Ausgabe  von  18 19 


1)  XV,  Bibliogr.  XXVII. 

2)  Nach  Venturi  II,  118  sind  13  solcher  Randbemerkungen  wegge- 
lassen (z.  B.  „die  Sonne  selbst  bezeugt  die  jährliche  Bewegung  der  Erde"), 
40  geändert  (wiederholt  „die  Bewegung  der  Erde"  in  „die  vorausgesetzte 
Bewegung  der  Erde'*). 

3)  Er  berichtet:  der  Cardinal-Präfect  des  Index  habe  eingewendet, 
gegen  Galilei  liege  ein  Urtheil  der  Inquisition  vor,  welches  zuvor  modificirt 


Die  Römische  Curie  und  das  Copernicanische  System.  441 

enthält  das  Verbot    des  Dialogs    und    der  anderen  speciell 
verbotenen  Schriften. 

Es  wurden  gleichwohl  seit  dem  J.  1758  in  Rom  mehrere 
Bücher  gedruckt,  in  welchen  die  Copernicanische  Lehre 
offen  vorgetragen  wurde.  Aber  im  J.  1820  verweigerte 
der  Magister  Sacri  Palatii,  P.  Filippo  Anfossi,  dem  Cano- 
nicus  Giuseppe  Settele,  Professor  an  der  Sapienza,  die  Druck- 
Erlaubniss  für  seine  „Elemente  der  Optik  und  Astronomie", 
weil  darin  die  Copernicanische  Theorie  nicht  als  blosse 
Hypothese  vorgetragen  wurde  *).  Settele  reichte  dem  Papste 
Pius  VII.  eine  ausführliche  Beschwerdeschrift  ein.  Die  In- 
quisition, welcher  der  Papst  die  Sache  überwies,  beschloss 
am  16.  Aug.  1820,  das  Buch  sei  nicht  zu  beanstanden,  und 
dieser  Beschluss  wurde  vom  Papste  bestätigt.  So  wurde 
das  Buch  unverändert  gedruckt,  im  zweiten  Bande  aber 
S.  130  folgende,  von  dem  Commissar  des  h.  Officiums,  P. 
Maurizio  Olivieri,  verfasste  und  von  der  Inquisition  ge- 
nehmigte Anmerkung  beigefügt:  „Ein  System,  welches  dem 
buchstäblichen  Sinne  der  h.  Schrift  zu  widersprechen  schien 
und  welches  übrigens  nicht  nur  keinen  thatsächlichen  Be- 
weis für  sich  hatte,  sondern  auch  grosse  Verwirrungen  in- 
volvirte,  konnte  gewiss  nicht  von  den  Katholiken  zugelassen 
werden,  die  an  der  Regel  festhalten,  dass  man  von  dem 
buchstäblichen  Sinne  der  Bibel  nicht  abgehen  dürfe,  wenn 
man  nicht  ganz  gewiss  sei,  dass  derselbe  zu  irgend  einer 
Absurdität  führen  würde.  Die  Verdammung  dieses  Systems 
stützte  sich  also  auf  philosophische  Absurditäten;  aber  diese 
verschwanden  bald  nachher,  da  die  Entdeckung  der  Schwere 
der  Luft  durch  Torricelli  im  J.  1645  die  Meinung  widerlegte, 
dass  die  Umdrehung  der  Erde  Verwirrungen  auf  derselben 
hervorbringen  müsse2)."  Anfossi  machte  auf  Grund  der 
älteren  Decrete  weitere  Bedenken  geltend  und  Hess  zur  Be- 
gründung  derselben    eine   besondere    Abhandlung   drucken 


werden  müsse;  Clemens  XIII.  scheine  dazu  geneigt  gewesen  zu  sein,  er  habe 
aber  nicht  Zeit  genug  gehabt,  die  Unterhandlungen  zu  Ende  zu  führen,  bei 
denen  zu  viele  Personen  betheiligt  gewesen  seien.  Traite  d'Astronomie, 
Paris  1792,  p.  421,  bei  Olivieri  p.  95;  vgl.  Abrege  d'Astronomie,  Amster- 
dam 1774,  p.  159. 

1)  Olivieri  (s.  o.  S.  80)  p.  96.  XVI. 

2)  Vgl.  Govi,  II  S.  Offizio,  Copernico  e  Galileo,  in  den  Atti  della  R. 
Accademia  di  Torino,   Vol.  VII  (1871—72),  p.  574.  832.     S.  o.  S.   120. 


442  Die  päpstliche  Unfehlbarkeit. 

unter  dem  Titel:  „Ob  Jemand,  der  das  Tridentinische  Glau- 
bensbekenntniss  abgelegt  hat,  die  Beweglichkeit  der  Erde 
und  die  Unbeweglichkeit  der  Sonne  nicht  als  blosse  Hypo- 
these, sondern  als  durchaus  wahr  und  als  Thesis  vertheidi- 
gen  und  lehren  dürfe.  Eine  theologisch-moralische  Unter- 
suchung." Die  Cardinäle  der  Inquisition  beschlossen  aber 
trotz  dieser  Einrede  am  n.  Sept.  1822,  es  sei  in  Rom  — 
seit  dem  J.  1822!  —  der  Druck  von  Werken  gestattet,  „in 
welchen  von  der  Beweglichkeit  der  Erde  und  der  Unbe- 
weglichkeit der  Sonne  gemäss  der  allgemeinen  Ansicht  der 
modernen  Astronomen  (iuxta  communem  modernorum  astro- 
nomorum  opinionem)  gehandelt  werde",  und  dieser  Beschluss 
wurde  am  25.  Sept.  1822  von  Pius  VII.  bestätigt.  In  der 
nächsten  Ausgabe  des  Index,  die  im  J.  1835  erschien,  wurden 
dann  auch  die  Bücher  von  Copernicus,  Foscarini,  Kepler 
und  Galilei  weggelassen. 


XXXVIII. 


Die  Verdammung  der  Copernicanischen  Lehre  und  die 
päpstliche  Unfehlbarkeit. 

Gebier  J)  sagt  in  Uebereinstimmung  mit  vielen  anderen 
katholischen  Schriftstellern:  „Allerdings  hatte  Papst  Paul  V. 
das  Index-Decret  vom  J.  161 6  gewollt  und  privatim  veran- 
lasst, ebenso  wie  Urban  VIII.  die  Sentenz  wider  Galilei, 
und  in  diesem  Sinne  kann  dem  Erstem  jener  Erlass,  dem 
Letztern  dieser  Urtheilspruch  und  Beiden  die  Verdammung 
der  Copernicanischen  Lehre  zugeschrieben  werden.  Allein 
da  hatten  sie  als  Privatpersonen  gehandelt,  und  als  solche 
waren  sie  nach  der  theologischen  Regel  nicht  unfehlbar.  .  . 
Die  christkatholische  Nachwelt  darf  heute  nur  sagen :  Paul 
V.  und  Urban  VIII.  hätten  sich  bezüglich  der  Copernicani- 
schen   Weltanschauung    zwar    als    Menschen    geirrt,    doch 


1)  Galilei  S.  298.     Aehnlich  Martin,  Galilee  p.   151. 


Die  päpstliche  Unfehlbarkeit.  443 

nicht  als  Päpste."  Ueber  diese  Auffassung  ist  Folgendes  zu 
bemerken. 

1.  Wenn  man  annimmt,  die  Päpste  sprächen  nur  bei  sol- 
chen feierlichen  Kundgebungen  ex  cathedra,  wie  z.  B.  bei 
der  Verkündigung  der  Bulle  Ineffabilis  über  die  unbefleckte 
Empfängniss,  so  hat  allerdings  kein  Papst  ex  cathedra  die 
Copernicanische  Lehre  für  falsch  und  der  Bibel  widerspre- 
chend erklärt.  Eusebius  Amort1)  spricht  allerdings  von 
einer  Bulle,  worin  Urban  VIII.  jene  Lehre  verworfen  habe. 
Das  ist  aber  ein  Irrthum:  eine  solche  Bulle  existirt  weder 
von  Urban  VIII.  noch  von  einem  andern  Papste,  auch  nicht, 
wie  von  Einigen  angegeben  wird,  von  Alexander  VII.  Die- 
ser Papst  hat  allerdings  unter  dem  5.  März  1664  eine  Bulle 
erlassen,  wodurch  er  eine  damals  veranstaltete  neue  Aus- 
gabe des  Index  sanctionirte ;  er  sagt  darin,  in  diese  neue 
Ausgabe  seien  auch  alle  auf  den  Index  bezüglichen,  seit 
Clemens  VIII.  erlassenen  Decrete  aufgenommen,  und  erklärt 
dann:  „Diesen  Index  mit  allem  und  jeglichem,  was  darin 
enthalten  ist,  bestätigen  und  approbiren  Wir  durch  Gegen- 
wärtiges kraft  apostolischer  Autorität  und  verordnen  und 
befehlen,  dass  er  allüberall  von  allen  Universitäten  und  ein- 
zelnen Personen  unverbrüchlich  beobachtet  werde."  Mithin, 
hat  man  gesagt,  ist  auch  das  Index-D ecr et  vom  5.  März  16 16, 

—  denn  auch  dieses  ist  in  der  neuen  Ausgabe  abgedruckt, 

—  durch  eine  päpstliche  Bulle  bestätigt  worden2).  Man 
kann  aber  darauf  mit  Grisar  S.  695  antworten:  „Alexander 
VII.  will  offenbar  durch  diese  Bulle  den  in  der  neuen  Aus- 
gabe des  Index  abgedruckten  Decreten,  also  auch  dem 
obigen,  keine  neue  Geltung,  über  diejenige  hinaus,  welche 
sie  bisher  genossen,  beilegen.  Er  hat  ihre  Natur  nicht  ge- 
ändert." 

2.  Die  Infallibilisten  der  strengern  Observanz  bean- 
spruchen aber  auch  noch  für  andere  päpstliche  Kundge- 
bungen die  Bedeutung  von  Cathedralsprüchen,  nämlich  für 
solche  „apostolische  Schreiben,  in  welchen  die  Päpste  per- 
sönlich in  einer  Form,  die  den  unzweifelhaften  Anspruch  auf 


1)  Philos.  Pollingana,   1734,  III,  7,  bei  Bouix  p.  135. 

2)  Pontifical  Decrees  p.  65.  F.  X.  Kraus,  Synchronistische  Tabellen 
der  Kirchengesch. :  „1664.  Alexander  VII.  verurtheilt  in  einer  Bulle  das 
Copernicanische  System  als  falsch".     Vgl.  Schneemann  S.  263. 


444  Die  päpstliche  Unfehlbarkeit. 

eine  peremtorische  erhebt,  Bücher  oder  Lehren  verurtheilen. 
Pius  V.  entschied  so  am  i.  Oct.  1567  gegen  Bajus  mit  der 
Bulle  Ex  omnibus,  Innocenz  X.  am  31.  Mai  1653  gegen 
Jansenius,  .  .  .  Gregor  XVI.  am  26.  Sept.  1835  [in  einem 
Breve]  gegen  Hermes"  (Grisar  S.  692).  Auch  in  dieser 
Form  ist  die  Copernicanische  Lehre  nicht  verdammt  worden. 

3.  Es  gibt  nach  Grisar  S.  692  „noch  eine  andere  Form 
von  päpstlichen  Lehrsprüchen  ex  cathedra.  Zuweilen  näm- 
lich entscheidet  der  Papst  als  oberster  Lehrer  zwar  direct 
und  persönlich,  aber  er  kündigt  diese  seine  Entscheidung 
nicht  selbst  an,  sondern  lässt  sie  durch  seine  Organe  [die 
Römischen  Congregationen]  ankündigen.  In  diesen  Fällen 
mag  die  Congregation,  deren  Vorstand  den  Erlass  unter- 
zeichnet, bei  der  Vorbereitung  des  Spruches  grossen, 
vielleicht  ausschlaggebenden  Antheil  gehabt,  sie  mag  bis 
zur  Spruchreife  die  Sache  auf  eigenen  Schultern  getra- 
gen haben;  aber  schliesslich  zieht  der  unfehlbare  Lehrer 
der  Kirche  die  Fällung  des  Urtheils  ganz  an  seine  Person, 
und  die  Cardinäle  bleiben  nur  das  Werkzeug,  durch  welches 
jener  seine  Entscheidung  bekannt  macht.  Dieser  Weg 
wurde  z.  B.  eingeschlagen  bei  der  Verwerfung  der  bekann- 
ten Moralsätze  durch  Alexander  VII.  am  24.  Sept.  1655 
und  am  8.  März  1666"  u.  s.  w.,  —  aber  nicht  bei  der  Ver- 
werfung der  Copernicanischen  Lehre. 

4.  Die  unter  No.  2  und  3  erwähnten  „päpstlichen  Lehr  - 
Sprüche  geschehen  nomine  Papae,  und  darum,  weil  der  Nach- 
folger Petri  in  ihnen  von  seiner  Lehrgewalt  den  höchsten 
Gebrauch  macht,  sind  sie  unfehlbar";  die  Decrete  einer 
Congregation  dagegen,  wie  das  Index-Decret  vom  5.  März 
161 6,  „geschehen  nomine  Congregationis  und  unterliegen, 
wenngleich  unter  besonderer  Initiative  seitens  des  Papstes 
erfolgt,  der  Fehlbarkeit  der  Cardinäle".  So  Grisar  S.  693, 
und  so  weit  stimmen  die  Jesuiten  überein;  von  hier  an  aber 
beginnt  ein  bemerkenswerther  Dissensus. 

Die  gewöhnliche  Ansicht  der  Jesuiten-Theologen  ist 
folgende :  Die  Decrete  der  Congregationen,  welche  Lehrent- 
scheidungen enthalten,  werden  zu  Decreten  des  ex  cathedra 
redenden  Papstes,  wenn  ein  eigener  Act  der  Bestätigung 
oder  Promulgation  von  Seiten  des  Papstes  hinzutritt1).  Von 


[)  Bouix  p.  221,  ausführlicher  in  seinen  Büchern  De  Curia  Rom.  p.  471 


Die  päpstliche  Unfehlbarbeit.  445 

dieser  Regel  macht  Bouix,  dem  Viele  zugestimmt  haben, 
auf  unsern  Fall  folgende  Anwendung:  Wenn  das  Index- 
Decret  vom  5.  März  1616  eine  „die  Unfehlbarkeit  nach  sich 
ziehende  Bestätigung  des  Papstes"  erhalten  hätte,  so  würde 
in  demselben  die  Formel  vorkommen:  „Und  nachdem  Sei- 
ner Heiligkeit  darüber  berichtet  worden,  hat  Seine  Heilig- 
keit das  Decret  bestätigt  und  zu  veröffentlichen  befohlen," 
oder:  „Und  das  gegenwärtige  Decret  hat  die  h.  Congrega- 
tion  auf  speciellen  Befehl  Seiner  Heiligkeit  veröffentlicht" l). 
Diese  Formel  findet  sich  aber  nicht  in  jenem  Decrete  (und 
ebenso  wenig  in  einem  andern  Galilei  betreifenden  Decrete). 
Es  heisst  zwar  von  der  in  ihm  promulgirten  Erklärung,  sie  sei 
„von  unserm  Herrn  gemacht  worden",  und  es  ist  auch  nicht 
zu  bestreiten,  dass  der  Papst  die  Copernicanische  Lehre  als 
der  h.  Schrift  widersprechend  angesehen,  dass  er  erklärt 
hat,  das  sei  sein  Urtheil,  und  dass  er  der  Index- Congrega- 
tion  befohlen  hat,  ein  in  diesem  Sinne  gehaltenes  Decret 
zu  publiciren.  Aber  diese  Erklärung  des  Papstes  war,  ehe 
sie  publicirt  und  promulgirt  wurde,  nur  eine  Erklärung 
Pauls  V.  als  eines  doctor  privatus  oder  wenigstens  keine 
Erklärung  des  ex  cathedra  redenden  Papstes.  Um  letzteres 
zu  werden,  musste  sie  entweder  von  dem  Papste  in  seinem 
eigenen  Namen  publicirt  werden  (s.  o.  No.  2  und  3),  oder, 
wenn  sie  im  Namen  der  Cardinäle  publicirt  werden  sollte, 
musste  wenigstens  bezeugt  werden,  dass  der  Papst  sie  be- 
stätigt und  zu  publiciren  befohlen  habe.  Die  Index-Congre- 
gation  publicirte  allerdings  ein  Decret,  welches  genau  jener 
Erklärung  des  Papstes  entspricht;  aber  sie  unterliess,  — 
und  das  ist  der  entscheidende  Punkt,  —  zu  publiciren,  dass 
dieses  die  Erklärung  des  Papstes  sei,  und  so  wurde  dieselbe 
nicht  eine  Erklärung  des  ex  cathedra  redenden  Papstes.  — 
Gebier2)  u.  A.  meinen,  „die  Päpste  seien  vorsichtig  genug 
gewesen,  nicht  durch  Einbeziehung  ihrer  infallibeln  Auto- 
rität  bei  der  Entscheidung    einer    wissenschaftlichen  Streit- 


und  De  Papa'll,  475;   vgl.  Pont.  Decrees  p.  7.     Aehnlich  Scheeben,  Dogm. 
I,  248,  und  der  Jesuit  Ch.  de  Smedt,  Etudes  relig.   1869,  III,  229. 

1)  Et  facta  relatione  ad  Sanctissimum,  Sanctissimus  confirmavit  et 
publicari  mandavit.  Et  praesens  decretum  de"  speciali  man  dato  S.  Congre- 
gatio  publicavit.  Bei.  Scheeben  I,  250:  Sanctissimus  sua  suprema  auctori- 
tate  conßrmavit  et  promulgari  mandavit. 

2)  Galilei  S.  298. 


446  Die  päpstliche  Unfehlbarkeit. 

frage  dieses  höchste  Privilegium  des  Papstthums  in  Gefahr 
zu  bringen;  darum  hätten  sie  sich  enthalten,  den  auf  ihre 
Veranlassung  von  der  (Index-)  Congregation  ergriffenen 
Massregeln  zur  Unterdrückung  der  Copernicanischen  Lehre 
die  Sanction  als  Oberhaupt  der  römisch-katholischen  Kirche 
zu  ertheilen."  Bouix  dagegen  (p.  227.  231)  findet  hier  „einen 
frappanten  Beweis  für  die  Sorgfalt,  mit  welcher  die  göttliche 
Vorsehung  jeden  Irrthum  der  ex  cathedra  redenden  Päpste 
hindert.  Nach  menschlicher  -Berechnung  war  damals  eine 
irrige  Entscheidung  ex  cathedra  unvermeidlich.  Die  Inqui- 
sition qualificirte  die  Copernicanische  Meinung  als  heterodox. 
Der  Papst  hatte  sich  in  demselben  Sinne  ausgesprochen. 
Er  wollte,  dass  jene  Meinung  als  eine  irrige  verdammt  würde. 
Nach  dem  gewöhnlichen  Lauf  der  Dinge  musste  nun  ein 
Verdammungsdecret  erscheinen,  begleitet  von  einem  Be- 
stätigungsbreve  des  Papstes  oder  wenigstens  mit  einem 
Satze,  der  bezeugte,  dass  der  Papst  es  bestätigt  und  zu 
publiciren  befohlen  habe.  Nun  wurde  aber  dieser  natürliche 
Lauf  der  Dinge  in  pro videnti eller  Weise  unterwegs  aufge- 
halten. Das  Verdammungsdecret  wurde  von  den  Cardinälen 
ausgefertigt,  aber  man  unterliess  es.  dasselbe  durch  den 
Papst  bestätigen  zu  lassen,  oder,  was  auf  dasselbe  hinaus- 
kommt, die  diese  Bestätigung  bekundende  Formel  beizu- 
fügen. So  ist  die  Verdammung  des  Copernicanischen 
Systems  nie  eine  von  dem  ex  cathedra  redenden  Papste  aus- 
gesprochene geworden.  .  .  Der  Irrthum  (dass  die  Coperni- 
canische Lehre  falsch  sei)  war  in  der  Umgebung  des  Papstes 
entstanden,  hatte  den  Papst  persönlich  ergriffen,  blieb  aber 
gerade  an  der  Schwelle  seiner  päpstlichen  Lehrgewalt 
stehen,  ohne  diese  zu  überschreiten.  Es  fehlte  nur  noch 
eine  Formalität,  die  Beifügung  eines  Satzes;  diese  unter- 
blieb. Wer  sollte  da  nicht  die  Treue  des  göttlichen  Stifters 
der  Kirche  bewundern,  mit  welcher  er  die  Prärogative  der 
Unfehlbarkeit  seines  Statthalters  auf  Erden  beschützt  hat?"1) 


1)  Aehnlich  Ward  p.  182  und  Heinrich,  Dogmat.  Theol.  II,  244:  „Die 
Decrete  der  Congr.  S.  Officii  gegen  Galilei  hatten  nicht  den  Charakter  von 
Lehrdefinitionen,  auch  wenn  der  Papst  sie  bestätigt  hätte.  Er  hat  sie  aber 
nicht  bestätigt.  Wenn  es  richtig  stünde,  dass  er  die  Absicht  gehabt,  sie  zu 
bestätigen,  so  wäre  die  Thatsache,  dass  diese  Absicht  nicht  zur  Ausführung 
kam,  ein  Beispiel,  dass  die  Vorsehung  den  Papst  nicht  nur  vor  irrigen  De- 
finitionen, sonders  selbst  vor  solchen  Massregeln  bewahrt,  die  irgendwie  sein 


Die  päpstliche  Unfehlbarkeit.  447 

P.  Grisar  sagt  S.  689  von  dieser  ,, Lösung"  der  Schwie- 
rigkeit: „So  frappant  sie  klingt  und  so  sehr  sie  sich  dem 
oberflächlichen  Blicke  empfahl,  so  unbegründet  sind  mehrere 
Annahmen,  auf  die  sie  sich  stützt."  In  dem  Protocoll  der 
Sitzung  der  Inquisition  vom  3.  März  1616  (s.  o.  S.  in),  wel- 
ches Bouix  freilich  nicht  kannte,  wird  ausdrücklich  gesagt: 
das  auf  Grund  des  am  25.  Febr.  von  der  Inquisition  unter  dem 
Vorsitze  des  Papstes  gefassten  Beschlusses  von  der  Index- 
Congregation  ausgearbeitete  Decret  sei  vorgelegt  worden 
und  der  Papst  habe  die  Veröffentlichung  desselben  befoh- 
len. Auch  in  dem  Schreiben,  mit  welchem  der  Präfect  der 
Index-Congregation  das  Decret  nach  auswärts  versandte, 
wird  ausdrücklich  gesagt,  es  sei  im  Auftrage  des  Papstes 
erlassen  worden  (s.  o.  S.  112).  Es  fehlt  also  nicht  die  Be- 
stätigung des  Decrets  vom  5.  März  durch  den  Papst  und 
der  Befehl  der  Veröffentlichung  desselben,  sondern  nur  die 
ausdrückliche  Erwähnung  dieser  Bestätigung  und  dieses 
Befehles  in  dem  Decrete  selbst.  Dass  diese  unterblieb,  ist 
aber  gar  nichts  Bemerkenswerthes.  Jetzt  wird  allerdings 
regelmässig  eine  Formel  der  Art,  wie  sie  Bouix  anführt,  in 
die  Index-Decrete  aufgenommen;  aber  zur  Zeit  Galilei's  und 
noch  bis  ins  18.  Jahrhundert  erschienen,  wie  Grisar  S.  689 
nachgewiesen,  die  Index-Decrete  gewöhnlich  ohne  jegliche 
Andeutung  dieser  Art,  obschon  es  feststeht,  dass  sie  alle  vor 
der  Kundmachung  vom  Papste  gut  geheissen  waren.   Wenn 


höchstes  Lehr-  und  Richteramt  blossstellen  könnten".  Der  Cardinal  Dechamps, 
Erzbischof  von  Mecheln,  sagt  sogar  in  einer  1868  erlassenen  Pastoral-Instruction 
(Katholik  1868,  II,  747):  ,, Weder  die  Kirche  noch  die  Päpste  in  ihrer 
Eigenschaft  als  Oberhaupt  der  Kirche  haben  gegen  das  Copernicanische 
System  im  allgemeinen  oder  insbesondere  gegen  Galilei  jemals  auch  nur  Ein 
"Wort  verkündigt.  .  .  Es  ist  sehr  bemerkenswerth,  dass  Paul  V.  und  Urban 
VIII.  ihrer  persönlichen  Meinung  ungeachtet  und  gegen  den  Gebrauch  der 
Congregationen  [s.  o.]  ihren  Namen  nicht  unter  die  in  Sachen  Galilei's  er- 
lassenen Decrete  setzen  wollten.  Keine  von  den  Entscheidungen  gegen  das 
neue  Weltsystem  wurde  in  einem  andern  Namen  als  lediglich  in  dem  der 
Congregationen  selbst  erlassen.  Daher  stand  auch  nichts  im  Wege,  dass  das 
h.  Officium  später  die  Entscheidung  wieder  aufhob  und  so  die  Bahn,  ein- 
schlug, welche  die  Päpste  längst  vorher  eingeschlagen,  die  die  Erkenntniss 
des  wahren  Weltsystems  mächtig  gefördert  haben,  indem  sie  zwei  Jahr- 
hunderte hindurch  Copernicus  und  seine  Vorläufer  [Nicolaus  von  Cusa  u.  s.  w.] 
gestützt  und  ermuntert  haben."  Das  h.  Officium  hat  aber  doch  nicht  gegen 
den  Willen  der  Päpste  jene  Bahn  verlassen! 


448  Die  päpstliche  Unfehlbarkeit. 

aber  die  Approbationen  der  Decrete  schon  früher  ebenso  vor 
sich  gingen  wie  nachher,  fügt  er  S.  694  bei,  so  „kann  es  nur 
ein  unwesentlicher  Umstand,  eine  nebensächliche  Form  des 
Curialstiles  sein,  dass  sie  später  im  Decrete  ausgedrückt 
wurden  und  vorher  nicht.  Oder  will  man  etwa  behaupten, 
dass  kraft  des  ausser  liehen  Beisatzes  jener  Angabe  Decrete, 
die  früher  nicht  unfehlbar  gewesen  wären,  auf  einmal  zu 
unfehlbaren  gestempelt  worden  sein  sollten?" 

Der  Versuch  von  Bouix,  das  Decret  vom  5.  März  1616 
als  ein  von  anderen,  mit  ausdrücklicher  päpstlicher  Bestäti- 
gung erlassenen  Decreten  Römischer  Congregationen  ver- 
schiedenes darzustellen,  wird  also  von  Grisar  mit  Recht 
als  misslungen  bezeichnet :  jenes  Decret  kann  ganz  dieselbe 
Geltung  beanspruchen,  wie  ein  Index-D ecr et,  welches  jetzt 
mit  der  Formel  Sanctitas  Sua  decretum  probavit  etc.  publi- 
cirt  wird. 

Es  ist  charakteristisch,  dass  Grisar,  nachdem  er  dieses 
im  Texte  nachgewiesen,  sich  in  einer  Anmerkung  S.  695 
zwei  Hinterthüren  offen  hält:  i.„EskönnJte  noch  in  Betracht 
gezogen  werden,  dass  das  Index-Decret  von  16 16  trotz  sei- 
nes doctrinellen  Charakters  und  trotz  der  päpstlichen  Be- 
stätigung nur  den  Inquisitoren  und  Nuncien  unmittelbar, 
nicht  den  Bischöfen  direct  notificirt  wurde."  Aber  ob  die 
Bischöfe  das  Decret  von  Rom  direct  oder  von  den  Nuncien 
zugestellt  bekamen,  davon  kann  doch  seine  Unfehlbarkeit 
nicht  abhangen.  —  2.  „Wenn  man  den  Wortlaut  des  Pro- 
tocolls  (der  Sitzung  der  Inquisition  vom  3.  März  16 16)  be- 
achtet, bleiben  immer  noch  Zweifel  übrig,  ob  dem  Papste 
Paul  V.  das  Decret  in  seiner  ausgearbeiteten  (doctrinellen) 
Form  vorlag.  Man  könnte  sagen,  dass  bei  ihm  die  Absicht, 
ein  blosses  Edictum  suspensionis  et  prohibitionis  zu  appro- 
biren,  wenigstens  vorwaltete."  Wenn  es  in  dem  Protocoll 
vom  3.  März  heisst:  es  sei  ein  Decret  der  Index-Congre- 
gation  von  dem  Papste  genehmigt  worden,  und  diese  am 
5.  ein  Decret  publicirt,  so  ist  es  unzweifelhaft,  dass  eben 
dieses  Decret  seinem  Wortlaute  nach  approbirt  worden  ist, 
und  wenn  noch  ein  Zweifel  zulässig  wäre,  so  würde  er 
durch  das  Zeugniss  Bellarmins  beseitigt  werden,  worin  die 
Verwerfung  der  Copernicanischen  Lehre  als  eine  von  dem 
Papste  ausgegangene  und  durch  die  Index- Congregation 
promulgirte  Erklärung  bezeichnet  wird. 


Die  päpstliche  Unfehlbarkeit.  449 

4.  Es  ist  selbstverständlich  und  wird  auch  von  Bouix 
p.  221  anerkannt,  dass,  wenn  sich  ein  einziges  von  dem 
Papste  bestätigtes  doctrinelles  Decret  der  Römischen  Con- 
gregationen  als  irrig  erweisen  lässt,  für  solche  Decrete  über- 
haupt keine  Unfehlbarkeit  beansprucht  werden  kann.  Das 
von  dem  Papste  bestätigte  Index-D ecr et  vom  5.  März  16 16 
ist  irrig;  also  werden,  —  diese  Folg-erung  zieht  Grisar 
S.  690  im  Anschlüsse  an  den  Jesuiten-Cardinal  Franzelin, — 
,, solche  Decrete,  welche  (von  einer  Congregation)  zur  Ver- 
urtheilung  einer  Doctrin  erlassen  werden,  nicht  dadurch 
Definitionen  ex  cathedra,  dass  sie  durch  die  oberste  Auto- 
rität des  Papstes  bestätigt  werden. "  Wenn  man  also  früher 
Decrete  der  Römischen  Congregationen,  wie  sie  z.  B.  in 
neuerer  Zeit  gegen  die  Schriften  von  A.  Günther  und  gegen 
gewisse  philosophische  Ansichten  von  Löwener  Professoren 
erlassen  worden  sind,  darum,  weil  sie  vom  Papste  bestätigt 
worden,  als  unfehlbare  Lehrentscheidungen  bezeichnet  hat, 
so  ist  das  nach  dieser  Theorie  von  Franzelin  und  Grisar  ein 
Irrthum  gewesen.  Die  Decrete  können  ebenso  gut  irrig 
sein  wie  das  ^  Decret,  worin  die  Copernicanische  Lehre  als 
falsch  und  schriftwidrig  bezeichnet  wird.  In  jenem  Irrthum 
scheint  freilich  auch  Pius  IX.  befangen  gewesen  zu  sein, 
wenn  er  in  dem  Breve  vom  15.  Juni  1857  an  den  Cardinal 
von  Geissei  von  dem  Index-Decrete  gegen  Günther  schreibt: 
„Dieses  durch  Unsere  Autorität  bestätigte  und  auf  Unsern 
Befehl  veröffentlichte  Decret  musste  als  völlig  genügend 
erscheinen,  um  jeden  Streit  zu  entscheiden  und  Allen,  die 
sich  des  Namens  katholisch  rühmen,  die  klare  und  entschie- 
dene Ueberzeugung  zu  gewähren,  dass  die  in  den  Günther'- 
schen  Büchern    enthaltene    Lehre    nicht    rein    sein    könne." 

Die  bisher  mitgetheilten  subtilen  Erörterungen  zeigen, 
dass  die  Lehre  von  der  Unfehlbarkeit  des  Papstes  im  J.  1870 
nicht  so  klar  definirt  worden  ist,  dass  nicht  in  jedem  ein- 
zelnen Falle,  wo  eine  päpstliche  Entscheidung  sich  als  eine 
irrige  erweist,  ein  Jesuit  den  Beweis  antreten  könnte,  der 
Papst  habe  in  diesem  Falle  nicht  ex  cathedra  gesprochen'. 
Der  Cardinal  Franzelin  und  Pater  Grisar  (S.  694)  haben 
sich  in  dieser  Beziehung  ziemlich  freie  Hand  gewahrt,  wenn 
sie  lehren :  wenn  auch  der  Papst  als  Haupt  der  Kirche  und 
kraft  seiner  höchsten  Autorität  (suprema  auctoritate  Ponti- 
ficis)  spreche,    so  sei    es  noch  immer  möglich,    dass    er,  — 

Reusch,  Galilei.  20 


45°  Die  päpstliche  Unfehlbarkeit. 

wie  Papst  Honorius  in  seinem  Schreiben  an  den  Patriarchen 
Sergius,  —  nicht  „mit  jener  eigentlichen  Anwendung  seiner 
obersten  Lehrgewalt"  rede,  die  zu  einer  unwiderruflichen 
Glaubensentscheidung  nothwendig  sei;  wenn  der  Papst 
zwar  suprema  auctoritate,  aber  nicht  cum  suprema  inten- 
sione  huius  auctoritatis  et  ?nagisterii  spreche,  so  könne  man 
nicht  sicher  sein,  dass  er  nicht  irre.  So  wird  man  also  in 
jedem  Falle,  wo  eine  päpstliche  Entscheidung,  die  man  ihrer 
Form  nach  als  eine  Entscheidung  ex  cathedra  ansehen  dürfte, 
sich  als  irrig  erweist,  sagen  dürfen:'  der  Papst  hat  seine 
Autorität  und  Lehrgewalt  nicht  genug  angespannt,  um  un- 
fehlbar zu  entscheiden1). 

Wenden  wir  uns  von  den  jesuitischen  Klügeleien,  zu 
den  Thatsachen  zurück.  Im  J.  1616  ist  auf  Befehl  Pauls  V. 
durch  ein  Decret  der  Index-Congregation  die  Copernicanische 
Lehre  für  falsch  und  schriftwidrig  erklärt  worden.  Im  J.  1633 
ist  Galilei  mit  Genehmigung,  wenn  nicht  auf  Befehl  Ur- 
bans  VIII.  verurtheilt  worden,  die  im  J.  16 16  als  falsch  und 
schriftwidrig  erklärte  Lehre  als  eine  Ketzerei  abzuschwören. 
Diese  Abschwörung  ist  sammt  dem  Urtheil  der  Inquisition 
auf  Befehl  des  Papstes  in  der  ganzen  Welt  bekannt  gemacht 
worden.  Das  Verbot  der  die  Copernicanische  Theorie  leh- 
renden Bücher  ist  in  allen  Ausgaben  des  Index,  auch  in 
der  von  Alexander  VII.  1664  durch  eine  Bulle  ausdrücklich 
bestätigten  Ausgabe  abgedruckt  und  erst  unter  Benedict 
XIV.  im  J.  1757  theilweise  weggelassen  worden.  Erst  im 
J.    1822    hat  Pius   VII.    die    Veröffentlichung    von  Büchern, 


1)  Dass  ein  Jesuit  nöthigenfalls  auch  päpstliche  Bullen,  welche  augen- 
scheinlich die  Bedeutung  von  Cathedralsprüchen  beanspruchen,  ignorirt  oder 
bekämpft,  zeigt  Cardinal  Bellarmin,  welcher  die  Unterdrückung  der  Bulle 
Sixtus'  V.  über  die  Vulgata- Ausgabe  bewirkte  (s.  o.  S.  143.  Th.  Lit.-Bl.  1870, 
413.  Laemmer,  Melet.  Rom.  Mant.^p.  383)  und  gegen  die  Bulle  Johanns 
XXII.  Quia  vir  reprobus  (über  den  Armuthstreit  der  Franciscaner)  scharf 
polemisirt  (Laemmer  p.  69).  F*ohschammer,  Das  Christenthum  u.  s.  w.  S.  29, 
sagt  ganz  richtig:  „Es  ist  bemerkenswerth,  dass  die  römisch-scholastische 
Partei  da,  wo  es  sich  um  offenbare  Fehlgriffe  der  Congregationen  handelt, 
behauptet,  diese  seien  nicht  die  kirchliche  Autorität,  wenn  es  dagegen  gilt, 
einen  katholischen  Schriftsteller  der  Gegenwart  zu  misshandeln,  dann  einen 
Unterschied  zwischen  Kirche,  Papst  und  Congregationen  durchaus  nicht 
gelten  lässt  und  schon  darin  ein  Zeichen  von  schlechter  oder  unkirchlicher 
Gesinnung  erblickt,  wenn  Jemand  auf  diesen  Unterschied  sich  beruft." 


Die  päpstliche  Unfehlbarkeit.  45 1 

worin  die  Copernicanische  Lehre  als  wahr  vorgetragen 
wird,  ausdrücklich  für  zulässig  erklärt.  Ich  glaube,  gegen 
die  Folgerungen,  die  ein  ungenannter  englischer  Katholik1) 
aus  diesen  Thatsachen  zieht,  lässt  sich  nichts  einwenden: 

„1.  Rom,  d.  h.  eine  im  Auftrage  des  Papstes  han- 
delnde Congregation,  kann  eine  naturwissenschaftlich  falsche 
und  theologisch  irrige  Entscheidung  erlassen. 

,,2.  Wenn  der  Kirche  kundgethan  wird,  der  Papst 
habe  einem  Katholiken  befohlen,  eine  Meinung  als  unhalt- 
bar gänzlich  aufzugeben,  so  folgt  daraus  nicht,  dass  diese 
Meinung  nicht  wahr  und  richtig  sein  könne. 

„3.  Der  Papst  kann  einen  Katholiken  auffordern, 
einem  Urtheile  rückhaltlos  zuzustimmen,  welches  dogmatisch 
irrig  ist. 

„4.  Der  Papst  kann  einer  päpstlichen  Congregation 
befehlen,  etwas  als  Bestandtheil  der  Lehre  der  h.  katholi- 
schen und  apostolischen  Römischen  Kirche  zu  promulgiren, 
was  naturwissenschaftlich  falsch  und  dogmatisch  irrig  ist. 

„5.  Die  richtige  Auslegung  der  von  Christus  dem 
Petrus  gegebenen  Verheissung  gestattet  uns,  zu  sagen:  der 
Papst  kann  durch  einen  amtlichen  Act  seine  Brüder,  die 
Cardinäle,  in  einem  die  Glaubenssachen  berührenden  Irrthum 
bestärken  und  seine  päpstliche  Autorität  dazu  anwenden, 
der  Kirche  eine  falsche  Meinung  betreffs  der  h.  Schrift 
vorzutragen. 

„6.  Es  gereicht  nicht  immer  zum  Heile  der  Kirche, 
dass  die  Katholiken  wi^  Rom  denken,  selbst  da,  wo  es  sich 
um  dogmatische  Fragen  handelt. 

„Also  ist  die  ultramontane  Theorie  ebenso  sicher  falsch, 
als  es  wahr  ist,  dass  die  Erde  sich  bewegt." 


1)  Pont.  Decrees  p.  55.     Vgl.  Th.  Lit.-Bl.   1870,  813. 


452  Die  Entschuldigungen  für  die  Rom.  Decrete. 


XXXIX. 

Die  Versuche,  die  Verdammung  der  Copernicanischen 
Lehre  zu  entschuldigen. 

Bouix  gesteht  (p.  225.  228)  offen  ein:  „Die  Index-Con- 
gregation  hat  sich  geirrt,  als  sie  im  J.  16 16  die  Copernica- 
nische  Lehre  für  falsch  und  der  h.  Schrift  widersprechend 
erklärte,  und  das  h.  Officium  hat  unrecht  daran  gethan, 
wegen  dieser  Meinung  Galilei  zu  verurtheilen  und  ihn  zur 
Abschwörung  derselben  anzuhalten",  und  Grisar  bezeichnet 
es  S.  71  als  „thatsächlich  unleugbar,  dass  die  Römischen 
Tribunale  gegenüber  Galilei  und  seiner  Lehrmeinung  eine 
Bibelauslegung  vertraten,  welche  jetzt  allgemein  als  unrich- 
tig bezeichnet  wird."  Andere  Apologeten  der  Curie  halten 
diese  Concession  für  zu  weit  gehend  und  sagen:  „Die  Con- 
gregationen  mussten  an  der  Regel  festhalten:  die  Bibel  ist 
nach  dem  einstimmigen  Consens  der  Väter  wörtlich  zu  er- 
klären, so  lange  der  Beweis  für  das  Gegentheil  nicht  er- 
bracht ist.  Letzterer  Fall  war  (zur  Zeit  Galilei' s)  noch  nicht 
gegeben",  da  die  Copernicanische  Lehre  noch  nicht  erwie- 
sen war;  also  mussten  die  Congregationen  die  dem  einstim- 
migen Consens  der  Väter  entsprechende  wörtliche  Erklärung 
der  betreffenden  Bibelstellen  aufrecht  erhalten1). 

Die  Römischen  Behörden  hatten  sich  einfach  an  die 
von  dem  Trienter  Concil  aufgestellte  Regel  zu  halten,  dass 
in'  Sachen  des  Glaubens  und  der  Sitten  die  h.  Schrift  ge- 
mäss dem  einstimmigen  Consens  der  Kirchenväter  zu  erklä- 
ren sei  und  dass,  sofern  es  sich  um  Sachen  des  Glaubens 
und  der  Sitten  handelt,  „die  Kirche  über  den  wahren  Sinn 
und  die  Auslegung  der  h.  Schrift  zu  urtheilen"  habe.  Da 
nun  die  Bewegung  der  Erde  nicht  zu  den  Glaubenssachen 
gehört,  so  ist  für  die  Entscheidung  der  Frage,  ob  die 
anscheinend  von  dem   Stillstehen    der  Erde  und  der  Bewe- 


1)  Hergenröther,  Kirchengesch.  II,  488.  Civiltä  catt.  S.  9,  vol.  10  (1876), 
p.  444.     Scheeben,  Dogm.  I,   189.  255. 


Die  Entschuldigungen  für  die  Rom.  Decrete.  453 

gung  der  Sonne  redenden  Bibelstellen  ,, wörtlich"  zu  erklä- 
ren sind,  der  Consens  der  Kirchenväter  nicht  massgebend, 
und  eine  kirchliche  Behörde  zur  Entscheidung  dieser  Frage 
ebenso  wenig  competent  wie  zur  Entscheidung  der  Frage, 
ob  die  Copernicanische  Theorie  wissenschaftlich  richtig 
ist  oder  nicht.  Die  Römischen  Behörden  haben  also  ihre 
Competenz  überschritten,  als  sie  über  die  Richtigkeit  der 
Copernicanischen  Lehre  und  ihre  Vereinbarkeit  mit  der 
Bibel  entschieden,  und  thatsächlich  geirrt,  als  sie  dieselbe 
für  falsch  und  der  h.  Schrift  widersprechend  erklärten. 
Wenn  die  Civiltä  cattolica  von  einem  „weisen  Gesetze" 
vSpricht:  ,,die  h.  Schrift  sei  nach  dem  einstimmigen  Consens 
der  Väter  zu  erklären,  falls  nicht  eine  demselben  wider- 
sprechende Erklärung  als  richtig  erwiesen  sei",  so  steht 
dieses  angebliche  „Gesetz"  in  directem  Widerspruch  mit  dem 
Trienter  Concil:  dieses  hat  gar  nicht  daran  gedacht,  dass 
eine  dem  einstimmigen  Consens  der  Väter  widersprechende 
Erklärung,  so  weit  es  jenen  Consens  überhaupt  als  mass- 
gebend ansieht,  jemals  als  richtig  erwiesen  werden  könnte. 
Aber,  meint  Scheeben  S.  189,  „die  Leugnung  der  Be- 
wegung der  Sonne  um  die  Erde  konnte,  obschon  sie  wegen 
der  Natur  des  Gegenstandes  nicht  durch  dogmatische  Er- 
klärung der  h.  Schrift  pro  oder  contra  entschieden  werden 
kann,  gleichwohl  vor  Zeiten  [161 6]  einen  Verstoss  gegen 
das  Dogma  involviren,  inwiefern  sie  entweder  von  der  aus- 
drücklichen Behauptung,  die  h.  Schrift  sei  in  den  einschlä- 
gigen Stellen  falsch,  begleitet  war,  oder  aber,  so  lange 
eine  vom  eigentlichen  Sinne  abweichende  Erklärung  der 
h.  Schrift  nicht  hinlänglich  gerechtfertigt  war,  logischer 
Weise  nur  durch  Leugnung  der  Wahrheit  der  h.  Schrift 
gerechtfertigt  werden  konnte."  Die  „Behauptung,  die  h. 
Schrift  sei  in  den  einschlägigen  Stellen  falsch",  hat  weder 
Galilei  noch  Foscarini  noch  ein  anderer  der  hier  in  Betracht 
kommenden  Schriftsteller  aufgestellt;  vielmehr  waren  sie 
alle  von  der  „Leugnung  der  Wahrheit  der  h.  Schrift"  gerade 
so  weit  entfernt  wie  die  Qualificatoren  und  Cardinäle  der 
Inquisition,  und  aus  ihrer  „von  dem  eigentlichen  Sinne", 
d.  h.  von  der  herkömmlichen  buchstäblichen  Deutung  ab- 
weichenden Erklärung  der  einschlägigen  Bibelstellen  konnte 
die  „Leugnung  der  Wahrheit  der  h.  Schrift  logischer  Weise" 
nur   unter    der  Voraussetzung    gefolgert    werden,    dass    die 


454  Die  Entschuldigungen  für  die  Rom.  Decrete. 

herkömmliche  Deutung  wirklich  die  einzig  zulässige  war. 
Diese  Voraussetzung  war  aber  nicht  nur  unberechtigt,  son- 
dern das  Gegentheil  der  Wahrheit.  Mithin  haben  wirklich, 
wie  Grisar  sagt,  „die  Römischen  Tribunale  gegenüber  Ga- 
lilei und  seiner  Lehrmeinung  eine  Bibelauslegung  vertreten, 
welche  jetzt  allgemein  (und  mit  Recht)  als  unrichtig  be- 
zeichnet wird." 

Alle  Versuche,  die  Irrthümlichkeit  der  Entscheidung 
der  Römischen  Behörden  abzuschwächen,  sind  erfolglos. 
Erklären  lässt  es  sich  freilich,  wie  sie  damals  zu  dieser  irr- 
thümlichen  Entscheidung"  gekommen  sind;  aber  was  sich 
zur  Erklärung  dieser  Thatsache  sagen  lässt,  gereicht  den 
Päpsten  und  ihren  Congregationen  nicht  einmal  zur  Ent- 
schuldigung. 

Das  einzig  Richtige  wäre,  wie  Martin1)  sagt,  unter 
den  damaligen  Verhältnissen  für  die  kirchliche  Autorität 
gewesen,  „entweder  sich  jeder  Erklärung  zu  enthalten,  die 
Denunciationen  auf  sich  beruhen  und  der  Discussion  freien 
Lauf  zu  lassen,  so  lange  nicht  einer  der  Streitenden  wirk- 
lich einen  glaub ens widrigen  Satz  aussprach,  oder  nicht 
allein  den  Copernicanern,  die  sich  auf  dem  theologischen  Ge- 
biete rein  defensiv  verhielten,  sondern  auch  und  vor  allem  den 
Peripatetikern,  welche,  auf  einem  andern  Gebiete  geschlagen, 
auf  dem  theologischen  angreifend  auftraten,  die  Einmischung 
von  Bibelstellen  und  theologischen  Argumenten  in  ihre 
wissenschaftlichen  Controversen  zu  untersagen,  letzteren 
aber  freien  Lauf  zu  lassen."  Zu  einem  dieser  beiden  Schritte 
hätte  man  sich  in  Rom  damals  sehr  wohl  entschliessen  kön- 
nen, wenn  man  ruhig  und  unbefangen  überlegt  hätte,  und 
es  ist  eine  sehr  starke  Uebertreibung,  wenn  Grisar  S.  720 
sagt:  „Die  Congregationen  standen  unter  derartigen  Um- 
ständen vor  der  zu  fällenden  Entscheidung,  dass  es  moralisch 
genommen  einer  an  das  Wunderbare  grenzenden  höhern 
Dazwischenkunft  bedurft  hätte,  um  ein  anderes  Resultat  ihrer 
Erwägungen  als  das  bekannte  herbeizuführen.  Der  Herr  der 
Kirche  weiss,  warum  er  diese  Lage  zuliess.  Er  weiss  auch, 
warum  er  zur  Fernhaltung  des  Irrthums  damals  nicht  die 
Hand  ausstreckte,  deren  Eingreifen  in  allen  und  jeden  Fäl- 
len   nur    dem   ex  cathedra    lehrenden  Oberhaupte    gesichert 


1)  Galilee  p.   154. 


Die  Entschuldigungen  für  die  Rom.  Decrete.  455 

ist."  Es  ist  eine  ebenso  starke  Uebertreibung,  wenn  Grisar 
sagt:  „Angesichts  der  damaligen  profanen  Wissenschaft 
war  der  in  dem  Decrete  von  16 16  begangene  Irrthum  ein 
fast  unausweichlicher."  Freilich  war  das  Copernicanische 
System  damals  noch  nicht  als  richtig  erwiesen,  und  Grisar 
kann  eine  lange  Reihe  von  Zeitgenossen  Galilei's  aufzählen, 
die  es  bestritten,  —  zumal  ihm  selbst  Leute  wie  Inchofer 
und  Pasqualigo  gut  genug  sind,  die  Reihe  länger  zu 
machen;  —  aber  es  ist  doch  eine  handgreifliche  Uebertrei- 
bung, wenn  er  von  einer  „allgemeinen  Uebereinstimmung 
der  weltlichen  Gelehrten"  und  von  einem  „Consensus  der 
damaligen  Wissenschaft"  zu  Ungunsten  der  Copernicanischen 
Theorie  spricht;  diese  war,  wie  Martin  sagt,  „damals  bereits 
beinahe  erwiesen  und  wurde  bald  darauf  vollständig  erwie- 
sen." Dass  die  Römischen  Congregationen  auf  „den  vom 
Auslande  her  ihnen  entgegentönenden  Ruf  der  Gelehrten", 
d.  h.  auf  die  geringschätzigen  Bemerkungen  von  Justus 
Lipsius,  Scaliger,  Tycho  de  Brahe  und  vollends  Melanchthon 
über  die  Copernicanische  Lehre,  Gewicht  gelegt  haben 
sollten,  glaubt  doch  wohl  Grisar  selbst  nicht.  Und  wenn 
Galilei  und  seine  Freunde  „sich  nicht  mit  der  Befürwortung 
des  neuen  Himmelssystems  begnügten,  sondern  auf  breitester 
Linie  die  ältere  philosophische  Wissenschaft  bekämpften", 
so  gab  es  ja,  wie  Grisar  selbst  —  in  der  hier  eingeschalte- 
ten Apologie  des  Aristotelismus  und  der  Scholastik  S.  J2J 
—  sagt,  „eine  Bekämpfung  des  Aristoteles  schon  vor  Ga- 
lilei, die  kaum  eine  Grenze  anerkennen  wollte".  Warum 
Hess  man  nicht  die  Aristoteliker  für  ihren  Meister  kämpfen, 
und  wenn  die  Curie  ihnen  zu  Hülfe  kommen  zu  müssen 
glaubte,  warum  trat  sie  Galilei  gegenüber,  ohne  seine  und 
seiner  Freunde  Angriffe  auf  die  „Philosophie  der  Vorzeit" 
überhaupt  zu  berücksichtigen,  gerade  für  deren  „irrthümliches 
Himmelssystem"  ein,  zumal  wenn  „man  ein  recht  guter 
Aristoteliker  sein  und  doch  das  Copernicanische  System 
als  hinreichend  verbürgt  betrachten  kann  und  konnte" 
(S.  726)? 

Die  Römischen  Congregationen  hätten  die  Entschei- 
dung über  den  wissenschaftlichen  oder,  wie  man  damals 
sagte,  philosophischen  Werth  der  Copernicanischen  Theorie 
von  vorn  herein  als  gar  nicht  zu  ihrer  Competenz  gehörend 
ablehnen   müssen.     Statt  dessen  Hessen  sie   dieselbe  durch 


456  Die  Entschuldigungen  für  die  Rom.  Decrete. 

ihre  Qualiücatoren  für  „philosophisch  thöricht  und  absurd" 
erklären  und  erklärten  sie  dann  selbst  amtlich  mit  Zustim- 
mung des  Papstes  für  „falsch",  was  sie,  wie  wir  S.  120  ge- 
sehen, aller  Wahrscheinlichkeit  nach  als  wissenschaftlich 
unrichtig  bezeichnen  soll. 

Die  kirchliche  Autorität  durfte  sich  mit  der  Coperni- 
canischen  Theorie  überhaupt  nur  befassen,  um  die  Frage  zu 
entscheiden,  ob  dieselbe  einer  anerkannten  kirchlichen  Glau- 
benslehre oder  der  h.  Schrift  widerspreche.  Wenn  sie  nun  die 
letztere  Frage  bejahte  und  die  Theorie  für.  „der  h.  Schrift 
durchaus  widersprechend"  erklärte,  so  war  das  nicht  nur, 
wie  Niemand  bestreiten  kann,  ein  Irrthum,  sondern  auch 
ein  Irrthum,  der  damals  nichts  weniger  als  „unausweichlich'' 
war,  vielmehr  gewiss  vermieden  worden  wäre,  wenn  nicht 
die  Gegner  Galilei's,  wie  Martin  richtig  sagt,  auf  einem 
andern  Gebiete  geschlagen,  die  Copernicanische  Lehre  auf 
dem  theologischen  Gebiete  durch  das  Herbeiziehen  von 
Bibelstellen  als  verwerflich  darzustellen  versucht  hätten. 

Die  Censur  „der  h.  Schrift  widersprechend"  wird  von 
den  Qualificatoren  erläutert  durch  „vielen  Stellen  der  h. 
Schrift  nach  ihrem  Wortlaute  und  nach  der  gemeinen  Aus- 
legung der  h.  Väter  und  der  Theologen  widersprechend". 
Den  Irrthum,  der  hierin  liegt,  hebt  Grisar  S.  729  ganz  gut 
hervor:  die  Theologen  und  die  Congregationen  gingen  von 
der  Voraussetzung  aus,  „die  unbezweifelte  Annahme  des 
Ptolemäischen  Weltsystems  in  den  theologischen  Schriften 
und  Bibelcommentaren  der  Väter,  sowie  die  hieran  an- 
schliessende gewohnheitsmässige  Exegese  bis  auf  ihre  Zeit 
involvire  einen  theologischen  Consensus  im  Sinne  des 
Concils  von  Trient.  Aus  diesem  Grunde  glaubte  man  sich 
genöthigt,  die  betreffenden  Bibelstellen  wörtlich  zu  nehmen 
und  insofern  eine  Belehrung  über  das  Weltsystem  darin  zu 
finden.  Eine  traditionelle  Uebereinstimmung  in  der  Kirche 
von  jenem  theologischen  Charakter,  wie  sie  der  Triden- 
tinische  Kanon  als  Norm  der  katholischen  Bibelauslegung 
hinstellt,  war  aber  niemals  vorhanden",  und  die  Theologen 
des  16.  und  17.  Jahrhunderts,  welche  der  Copernicanischen 
Lehre  gegenüber  auf  der  buchstäblichen  Deutung  der  be- 
treffenden Bibelstellen  bestanden,  nahmen  dabei,  wie  Grisar 
S.  731  gut  nachweist,  „ihren  Ausgang  rein  von  den  profan- 
wissenschaftlichen  Einwürfen    und   lehnten    sich  erst  in  der 


Die  Entschuldigungen  für  die  Rom.  Decrete.  457 

Folge  an  den  vermeintlichen  theologischen  Consensus  patrum 
und  an  verkehrt  angewendete  hermeneutische  Regeln  an." 
Man  kann  nicht  zur  Entschuldigung  der  Curie  sagen, 
die  hier  anzuwendenden  Grundsätze  der  Schriftauslegung 
seien  damals  noch  nicht  hinlänglich  klar  gestellt  und  die 
Möglichkeit  einer  von  der  buchstäblichen  Auslegung-  ab- 
weichenden Deutung  der  betreffenden  Bibelstellen  sei  noch 
nicht  nachgewiesen  gewesen.  Wir  haben  gesehen,  dass 
Galilei  selbst,  obschon  kein  Theologe,  jene  Grundsätze  im 
Wesentlichen  richtig  dargestellt  und  seine  Auslegung  der 
Bibelstellen  als  eine  theologisch  unbedenkliche  nachgewiesen 
hatte.  Diese  seine  Erörterungen  waren  zwar  nicht  gedruckt; 
aber  seine  Briefe  an  Castelli  und  an  die  Grossherzogin 
Christina  waren  mehreren  Cardinälen  und  Theologen  be- 
kannt, und  er  hatte  bei  seinem  Aufenthalte  in  Rom  1615 — 16 
in  mündlichen  und  schriftlichen  Expositionen  massgebenden 
Persönlichkeiten  seine  Gedanken  vorgetragen.  Hätte  man 
diese  Darlegungen  unbefangen  geprüft,  so  wäre  die  irrige 
Entscheidung,  die  im  J.  16 16  getroffen,  1633  in  so  unquali- 
ficirbarer  Weise  bestätigt  und  dann  fast  zwei  Jahrhunderte 
aufrecht  erhalten  wurde,  vermieden  worden.  Die  hermeneu- 
tischen  Grundsätze,  welche  Galilei  entwickelte,  konnten 
auch  nicht  etwa  darum,  weil  sie  neu  gewesen,  bedenklich 
erscheinen.  Man  las,  wie  Grisar  S.  735  richtig  bemerkt, 
auch  in  der  Summa  des  Thomas  von  Aquin  wie  schon  bei 
Augustinus  „die  Warnung,  nicht  etwa  einer  einseitigen 
voreingenommenen  Auslegung  des  materiellen  Wortes  Got- 
tes so  anzuhangen,  dass  die  Schrift  dem  Gespötte  der  Un- 
gläubigen ausgesetzt  wäre,  wenn  das  in  sie  Hineingelegte 
sich  als  falsch  und  wissenschaftlich  unhaltbar  herausstellen 
würde".  Es  ist  auffallend,  dass  ein  so  klarer  Kopf  wie 
Bellarmin  den  bedenklichen  Grundsatz  ausprach :  so  lange  es 
noch  an  durchschlagenden  Beweisen  für  das  Copernicanische 
System  fehle,  sei  es  nicht  nothwendig  und  nicht  zulässig, 
von  dem  bisherigen  wörtlichen  Verständniss  der  Bibeltexte 
abzugehen.  Eine  ganz  ähnliche  Aeusserung-  führt  Grisar 
S.  74  von  dem  P.  Scheiner  an,  und  fügt  dann  ganz  naiv  bei: 
„Gerade  so  —  wie  P.  Scheiner  —  sprachen  die  Congrega- 
tionen."  Und  als  besonders  wichtig  führt  an  einer  andern 
Stelle  S.  705  Grisar  einen  Ausspruch  des  Jesuiten  Honora- 
tus  Fabri  vom  J.  1661  an:  „Euere  Koryphäen  sind  mehr  als 


45^  Die  Entschuldigungen  für  die  Rom.  Decrete. 

einmal  gefragt  worden,  ob  sie  einen  Beweis  für  die  Bewe- 
gung der  Erde  hätten.  Sie  haben  nie  gewagt,  das  zu  be- 
haupten. Es  steht  also  nichts  im  Wege,  dass  die  Kirche 
jene  Stellen  buchstäblich  verstehe  und  erkläre,  sie  müssten 
so  verstanden  werden,  so  lange  nicht  ein  zwingender  Beweis 
für  das  Gegentheil  beigebracht  ist.  Solltet  ihr  jemals  einen 
solchen  beibringen,  was  ich  kaum  glaube,  so  wird  die  Kirche 
kein  Bedenken  tragen,  zu  erklären,  jene  Stellen  seien  figür- 
lich und  uneigentlich  zu  verstehen,  wie  jene  Worte  des 
Dichters:  Terraeque  urbesque  recedunt"*).  Die  Jesuiten 
mögen  für  ihre  Bibelerklärung  die  Regel  aufstellen,  es  sei 
an  der  herkömmlichen  buchstäblichen  Deutung  der  von 
Dingen  der  Natur  redenden  Bibelstellen  festzuhalten,  so 
lange  diese  Deutung  nicht  mit  ganz  unzweifelhaft  gesicher- 
ten Ergebnissen  der  Naturforschung  in  einen  gar  nicht  zu 
beseitigenden  Conflict  komme,  —  wie  Grisar,  so  preisen 
auch  die  Patres  Schneemann  S.  258  und  Desjardins  p.  41 
diese  Regel  Bellarmins,  und  neuere  Jesuiten  wenden  sie 
auch    praktisch    an2):    —    jedenfalls    haben    diejenigen    der 


1)  Ueber  Fabri  s.  o.  S.  438.  Aehnlich  äussert  sich  der  polnische 
Jesuit  Kochanski  (Grisar  S.  736)  in  den  Leipziger  Acta  eruditonim  1685, 
p.  317:  Die  Inquisition  habe  nur  verboten,  die  Copernicanische  Meinung  als 
eine  „dogmatische  Thesis"  anzusehen  und  „als  reine  Wahrheit  überall  zu 
predigen",  während  sie  doch  nur  auf  „Probabilität"  Anspruch  machen  könne. 
Wenn  einmal  ein  zwingender  Beweis  dafür  beigebracht  werde,  —  und  einen 
solchen  zu  suchen,  stehe  Jedem  frei,  —  dann  werde  es  erlaubt  und  noth- 
wendig  sein,  die  betreffenden  Bibelstellen  anders  zu  erklären.  Bei  Targioni 
I,  332  erscheint  übrigens  Kochanski,  der  1667 — 70  in  Florenz  lebte,  als 
entschiedener  Anticopernicaner,  so  dass  es  fast  scheint,  als  habe  er  sich  in 
Leipzig  liberaler  geäussert  als  in  Italien.  Der  Jesuit  Boscovich  sagt  in  einer 
Schrift,  die  er  1746  zu  Rom  geschrieben:  er  halte  „aus  Ehrfurcht  vor  der 
h.  Schrift  und  aus  Gehorsam  gegen  die  Decrete  der  Inquisition"  die  Unbe- 
weglichkeit  der  Erde  fest  und  lege  die  Bewegung  der  Erde  nur  als  Hypo- 
these zu  Grunde.  In  der  1786  zu  Venedig  erschienenen  Ausgabe  desselben 
Werkes  fügt  er  dieser  Stelle  die  Note  bei:  „Der  Leser  darf  hier  Ort  und 
Zeitpunkt  der  ersten  Veröffentlichung  nicht  ausser  Acht  lassen".  Zöckler, 
Gesch.  der  Beziehungen  u.  s.  w.  II,   44.  247. 

2)  Der  Jesuit  A.  Bosizio  gibt  in  dem  1865  erschienenen  Buche  „Das 
Hexaemeron  und  die  Geologie"  „die  Möglichkeit  einer  Auslegung  der  sechs 
Tage  der  Schöpfung  in  einem  andern  als  im  gewöhnlichen  Sinne  des  Wortes 
Tag"  ausdrücklich  zu,  meint  aber  dann,  man  dürfe  „vom  einfach  vorliegen- 
den Sinne  des  h.  Textes  [d.  h.  der  buchstäblichen  Auffassung  der  sechs  Tage] 
nur  dann  und  erst    dann  und   nur  insofern  abgehen,    als   die  Geologie  ihre 


Die  Entschuldigungen   für  die  Rom.  Decrete.  459 

„Kirche"  einen  ebenso  schlechten  Dienst  erwiesen  wie  der 
Wissenschaft,  welche  die  Römischen  Behörden  bestimmt 
haben,  eine  naturwissenschaftliche  Ansicht  als  falsch  und 
der  Bibel  widersprechend  zu  ächten,  von  welcher  später  er- 
wiesen worden  ist,  dass  sie  weder  falsch  ist  noch  der  Bibel 
widerspricht. 

Was  sonst  noch  die  Apologeten  der  Curie  zur  Ent- 
schuldigung- derjenigen  vorzubringen  pflegen,  welche  das 
Copernicanische  System  für  falsch  und  sehr ift widrig  erklär- 
ten und  Galilei  als  Anhänger  desselben  als  der  Ketzerei 
verdächtig  verurtheilten,  fasst  Grisar  S.  733  so  zusammen: 
„Es  war  das  erste  Mal,  dass  die  kühn  und  keck  aufstre- 
bende Erfahrungswissenschaft  den  Theologen  eine  Position 
rauben  wollte.  Die  Theologen  erklärten  im  Eifer  des  Con- 
flicts  dieselbe  immer  lebhafter  als  die  ihrige.  Sie  waren 
gewohnt,  das  Wort  Gottes  allenthalben  die  unbedingte  Ent- 
scheidung geben  zu  lassen;  die  letzten  Zeiten  insbesondere 
hatten  überall  die  Theologie  in  die  Verhandlungen  über  die 
Wissenschaft  hineingezogen,  vielleicht  [!]  in  etwas  zu  aus- 
giebiger, missverstandener  Weise;  und  jetzt  schien  die  ernste 
Frage  heranzutreten:  darf  sich  die  weltliche  Wissenschaft 
emaneipiren  in  einem  so  wichtigen  Punkte,  und  was  ist  zu 
fürchten,  wenn  man  ihr  einmal  hier  sich  auf  eigene  Füsse 
zu  stellen  erlaubt?  l).     Bereiteten  nicht  eben  damals  der  Hu- 

geogonischen  Lehrsätze,  welche  mit  dem  klar  vorliegenden  "Wortsinne  der 
Schrift  unvereinbarlich  scheinen,  durch  evident  unleugbare  Gründe  als  wahr 
bezeugt  haben  werde;  so  lange  das  noch  nicht  der  Fall  sei,  könne  und 
brauche  man  nicht  vom  einfach  vorliegenden  Sinne  abzugehen."  Vgl.  Reusch, 
Bibel  und  Natur,  4.  Aufl.  S.   II 8. 

1)  Sehr  naiv  sagt  Caramuel  in  seiner  1676  erschienenen  Theologia 
fundamentalis  I,  105  (bei  Bouix  p.  130):  „Wenn  es  sich  bloss  um  die 
fälschlich  der  Erde  zugeschriebene  Bewegung  handelte,  so  würden  sich  die 
Herren  Cardinäle,  glaube  ich,  nicht  viel  Sorge  gemacht  haben.  Das  war  eine 
physicalische  Ansicht,  die  man  zwei  Jahrhunderte  geduldet  hatte,  so  lange 
sie  innerhalb  der  Schranken  der  Philosophie  blieb.  Aber  in  unserm  Jahr- 
hundert wollten  die  Schuster  nicht  bei  ihrem  Leisten,  die  Astronomen  nicht 
bei  der  Arithmetik  und  Geometrie  bleiben  und  die  Stellen  der  h.  Schrift, 
welche  die  Erde  eher  feststellen  als  in  Bewegung  setzen,  nach  ihrem  Sinne 
erklären.  Und  weil  das  Heilige  nicht  mit  ungewaschenen  Händen  angefasst 
werden  darf,  hat  man  die  Astronomen  getadelt,  welche  so  verwegen  waren, 
ihre  Sichel  an  eine  fremde  Ernte  anzulegen.  Die  h.  Schrift  mit  Probabilität 
auszulegen,  steht  den  Professoren  der  h.  Theologie,  sie  mit  Unfehlbarkeit 
auszulegen,  dem  Papste  zu." 


460  Die  Entschuldigungen  für  die  Rom.  Decrete. 

manismus  und  der  Protestantismus  einer  sogenannten  freien 
Forschung  ihre  verderblichen  Wege?  Griffen  nicht  die  an- 
geblichen Reformatoren,  unter  Einführung  eines  willkür- 
lichen Verständnisses  von  Bibeltexten  an  der  Stelle  des 
wörtlichen,  die  Grunddogmen  der  katholischen  Kirche  an?1) 
Vertrat  nicht  selbst  Galilei  in  dem  Kampfe  für  seine  neue 
Bibelauslegung  Sätze,  die,  wenn  einigermassen  premirt, 
jeden  Katholiken  mit  Besorgniss  für  die  begründeten  Rechte 
der  kirchlichen  Autorität  gegenüber  der  Wissenschaft  er- 
füllen mussten?2).  Es  war  bekannt,  dass  er  mit  dem  Apo- 
staten Sarpi  und  mit  deutschen  Protestanten  verkehrte,  und 
dieser  Verkehr  trug,  was  den  erstem  betrifft,  den  Stempel 
enger  Freundschaft.  Man  lebte  in  Italien  unter  dem  Ein- 
drucke der  Furcht  vor  dem  Weitergreifen  der  Verirrungen 
gelehrter  einheimischer  Männer  wie  Giordano  Bruno,  Vanini, 
Campanella,  de  Dominis,  und  man  vermochte  nicht  abzu- 
sehen, ob  nicht  die  Copernicanische  Weltansicht  den  Um- 
schwung der  Geister  durch  daraus  möglicher  Weise  abzulei- 
tende Consequenzen,  wie  z.  B.  die  schon  von  Bruno  ausge- 
sprochene Vielheit  bewohnter  Welten,  in  noch  gefährlichem 
Gang  bringen  werde." 


1)  Caramuel  sagt  a.  a.  O.:  „Die  Bewegung  der  Erde  wird  jetzt  sehr 
eifrig  von  den  Calvinisten  vertheidigt,  und  warum?  Etwa  um  dem  Himmel 
und  den  Gestirnen  Ruhe  zuschreiben  zu  können?  Gewiss  nicht;  denn  die 
Calvinisten  haben  nichts  mit  dem  Himmel  gemein.  Warum  also  ?  Sie  wollen 
einen  Damm  aufwerfen,  um  darauf  ihre  Kriegsmaschinen  zur  Bekämpfung  der 
christlichen  Glaubensartikel  aufzustellen.  Sie  könnten  sagen:  »Die  Lehre 
des  Copernicus  von  der  Bewegung  der  Erde  lässt  die  Römische  Kirche  zu; 
also  lässt'  sie  eine  metaphorische  und  uneigentliche  Deutung  der  h.  Schrift 
zu;  also  dürfen  auch  wir  die  Bibel  so  deuten  .  .  .  und  z.  B.  die  Consecra- 
tionsworte  metaphorisch  erklären  und  die  Transsubstantiation  leugnen«  .  .  . 
Wir  müssen  der  Congregation  der  Cardinäle  dafür  dankbar  sein,  dass  sie 
uns  durch  die  Verdammung  der  Lehre  des  Copernicus  die  Antwort  auf  dieses 
Argument  leicht  gemacht  haben." 

2)  Grisar  citirt  hier  „Berti,  Copernico  314".  Man  sollte  denken,  dort 
müssten  sehr  bedenkliche  Sätze  von  Galilei  stehen.  Berti  theilt  aber  nur 
aus  einem  der  161 6  verfassten,  gar  nicht  veröffentlichten  Schriftstücke  (s.  o. 
S.  102)  einen  Passus  mit,  worin  Galilei  die  Frage  erörtert:  ob  man  bei  der 
Beurtheilung  der  Copernicanischen  Theorie  mit  den  Bibelstellen  oder  mit 
den  naturwissenschaftlichen  Argumenten  beginnen  müsse,  und,  wie  auch  bei 
anderen  Gelegenheiten  (s.  o.  S.  39.  45.  59),  antwortet:  es  sei  weiser,  sicherer 
und  logischer,  den  Thatsachen  und  den  Demonstrationen  den  Vortritt  einzu- 
räumen vor  den  Bibelstellen  und  den  Auslegungen  der  Väter. 


Die  Entschuldigungen  für  die  Rom.  Decrete.  461 

Deutlicher  kann  man  es  nicht  sagen,  dass  es  wesent- 
liche Zweckmässigkeitsgründe  verschiedener  Art  gewesen 
sind,  durch  welche  man  sich  damals  in  Rom  hat  bestimmen 
lassen,  in  der  förmlichsten  und  nachdrücklichsten  Weise  das 
Fürwahrhalten  und  Vortragen  einer  Ansicht  zu  verbieten, 
welche  nicht  irrig,  sondern  richtig  war,  und  von  der  man 
sich  bei  vorurtheilsfreier  Prüfung  hätte  überzeugen  können, 
dass  man  nicht  berechtigt  sei,  sie  als  falsch  und  der  h. 
Schrift  widersprechend  zu  verdammen.  Und  man  be- 
schränkte sich,  —  was  wohl  zu  beachten,  —  nicht  auf  ein 
durch  Zweckmässigkeitsgründe  allenfalls  zu  motivirendes 
Verbot,  die  Copernicanische  Lehre  in  gedruckten  Schriften 
zu  vertheidigen,  —  ein  Verbot,  welches  ohne  Schwierigkeit 
aus  Zweckmässigkeitsgründen  auch  wieder  aufgehoben  wer- 
den konnte,  —  sondern  erliess  ein  doctrinelles  und  darum  als 
unwiderruflich  gemeintes  Decret,  welches  allen  Katholiken 
die  Verpflichtung  auflegte,  jene  Lehre  als  eine  der  h.  Schrift 
widersprechende  anzusehen  und  die  von  Copernicus  be- 
kämpfte astronomische  Theorie,  wenn  nicht  als  einen  Be- 
standteil der  göttlichen  Offenbarung  und  der  kirchlichen 
Glaubenslehre,  so  doch  als  eine  nothwendige  Folgerung  aus 
dieser  gläubig  anzunehmen.  Warum  ist  man  bei  dem  Streite 
über  die  Copernicanische  Lehre  nicht  mit  einer  ähnlichen 
Bedachtsamkeit  und  Vorsicht  vorgegangen,  wie  bei  einem 
Streite,  bei  welchem  es  sich  wirklich  um  eine  theologische 
Frage  handelte,  bei  dem  Streite  über  die  Gnadenlehre,  be- 
züglich dessen,  nachdem  seit  1594  darüber  verhandelt  wor- 
den war,  Paul  V.  im  J.  1607  den  Befehl  erliess,  die  beiden 
streitenden  Theile  sollten  die  Untersuchung  in  Ruhe  führen, 
sich  nicht  gegenseitig  mit  Censuren  belegen  und  die  be- 
treffenden Schriften  vor  dem  Druck  der  Inquisition  unter- 
breiten? Grisar  S.  736  weiss  auf  die  Frage,  warum  man 
unter  dem  nämlichen  Pontificate  in  dem  Galilei'schen  Streite 
nicht  dieses  „Vorbild"  nachgeahmt,  keine  andere  Antwort 
als:  „In  unserm  Falle  versprach  ein  solches  Gebot  doch 
nur  eine  sehr  fragliche  Wirkung;  man  schlug  andere  Wege 
ein":  nachdem  die  Inquisition  seit  dem  Febr.  161 5  Denun- 
ciationen  gegen  Galilei  in  Händen  gehabt  und  einige  Ver- 
höre angestellt,  bei  denen  nichts  Sonderliches  herauskam, 
wurde  am  19.  Febr.  1616  die  Copernicanische  Lehre  ihren 
Qualificatoren    vorgelegt;    diese    waren    am    24.    desselben 


462  Die  Entschuldigungen  für  die  Rom.  Decrete. 

Monats  mit  ihrem  Gutachten  fertig,  und  am  nächstfolgenden 
Tage  wurde  die  Sache  in  einer  Sitzung  der  Inquisition  unter 
dem  Vorsitze  Pauls  V.  entschieden;  und  im  J.  1633  haben, 
wie  wir  gesehen,  Urban  VIII.  und  die  Inquisition  ihr  Mög- 
lichstes gethan,  die  im  J.  16 16  getroffene  irrige  Entscheidung 
zur  Geltung  zu  bringen. 

Wenn  die  jetzigen  Apologeten  der  Curie  uns  belehren, 
jene  Entscheidung  sei  keine  definitive  und  peremtorische  und 
keine  solche  gewesen,  welche  auf  Unfehlbarkeit  Anspruch 
gemacht  habe,  so  haben  die  Römischen  Behörden  zu  Ga- 
lilei's  Zeit  jedenfalls  unbedingte  Unterwerfung  unter  sie  ver- 
langt und  Jeden,  der  ihr  widersprechen  würde,  mit  einem 
ähnlichen  Schicksal  bedroht,  wie  es  Galilei  betroffen. 

Es  ist  zwar  richtig,  was  Grisar  S.  698  sagt,  dass,  wenn 
die  Entscheidung  über  die  Copernicanische  Lehre  als  eine 
Entscheidung  des  Papstes,  des  h.  Stuhles  oder  der  Kirche 
bezeichnet  wird,  dieses  nicht  im  eigentlichen  Sinne  ver- 
standen zu  werden  braucht  und  von  der  Entscheidung  eines 
Organes  des  Papstes,  des  h.  Stuhles  und  der  Kirche  verstanden 
werden  kann !),  und  dass  der  Ausdruck  „definiren",  der  jetzt 
gewöhnlich  von  peremtorischen  Erklärungen  über  Glaubens- 
sachen gebraucht  wird,  auch  von  Entscheidungen  päpstlicher 
Congregationen  gebraucht  wird  und  darum  auch  z.  B.  in 
dem  Urtheil  über  Galilei,  wo  gesagt  wird,  die  Copernicani- 
sche Lehre  sei  als  schriftwidrig  erklärt  und  definirt  worden, 
nicht  von  einer  Definition  ex  cathedra  verstanden  zu  werden 
braucht.  Aber  in  praxi  hat  man  zur  Zeit  Galilei' s  in  mass- 
gebenden Kreisen  zwischen  definitiven  Lehrentscheidungen 
der  Kirche  und  Erlassen  der  höchsten  kirchlichen  Behörden 
nicht  so  genau  unterschieden  und,  wie  gesagt,  für  letztere 
dieselbe  Anerkennung  und  Unterwerfung  beansprucht  wie 
für  erstere. 

Pasqualone  sagt  im  Sacro  Arsenale  p.  174:  Wenn  ein 
Angeklagter  gegen  die  von  den  Qualificatoren  der  Inquisition 
über  die  von  ihm  geäusserten  Sätze  ausgesprochene  Censur 
Einreden  mache,  so  sei  ihm  zu  antworten:  solche  Einreden 
seien  nicht  zulässig,    „da  er  verpflichtet  sei,    in   dieser  Hin- 


1)  Der  Jurist  Julius  Clarus  spricht  p.  368  von  einer  Entscheidung  des 
Römischen  Gerichtshofes  der  Rota  und  sagt :  er  halte  dieselbe  für  zu  rigoros, 
unterwerfe  sich  aber  der  „Entscheidung  der  h.  Kirche". 


Die  Entschuldigungen  für  die  Rom.  Decrete.  463 

sieht  sich  auf  das  Urtheil  der  h.  Mutter  Kirche  zu  verlassen 
und  sein  Urtheil  durchaus  (in  tutto  e  per  tutto)  deren  Ent- 
scheidungen zu  unterwerfen."  Diese  naive  Anschauung,  dass 
das  Urtheil  einiger  von  der  Inquisition  berufener  Theologen 
das  Urtheil  der  Kirche  sei,  wird  auch  wohl  damals  nicht 
die  allgemeine  gewesen  sein;  auch  die  Worte  des  toscani- 
schen  Gesandten  Niccolini:  Galilei  müsse  sich  der  Inquisition 
unterwerfen  „als  dem  höchsten  Tribunale,  welches  nicht 
irren  kann"  J),  sind  wohl  ebenso  wenig  zu  urgiren,  wie  die 
seines  Vorgängers  Guicciardini,  der  nach  der  Entscheidung 
von  16 16  die  Erwartung  ausspricht:  „Galilei  werde  wollen 
und  denken,  was  die  h.  Kirche  wolle  und  denke,  und  der 
Cardinal  Medici  werde  sich  als  guter  Geistlicher  vor  dem 
Scheine  hüten,  als  opponire  er  den  Entscheidungen  der  h. 
Kirche  und  dem  Willen  des  Papstes  und  der  Congregation 
des  h.  Officiums,  welche  das  Fundament  und  die  Basis  der 
Religion  sei"  (s.  o.  S.  105).  Aber  in  dem  Urtheil  der  In- 
quisition vom  22.  Juni  1633  wird  doch  mit  ausdrücklichen 
Worten  gesagt:  das  Index-Decret  vom  J.  1616  sei  ergangen, 
„damit  eine  so  verderbliche  Lehre  (die  Copernicanische) 
ganz  beseitigt  werde  und  sich  nicht  weiter  verbreiten 
könne";  nach  dieser  Entscheidung  dürfe  jene  Lehre  in  kei- 
ner Weise  mehr  als  probabel  angesehen  werden;  wer  sie 
für  wahr  halte  und  vertheidige,  sei  als  Ketzer  anzusehen, 
und  Galilei  werde  bestraft  auch  „zum  Beispiel  für  Andere, 
damit  sie  sich  vor  ähnlichen  Vergehen  hüteten".  Dem  ent- 
sprechend wurde  das  Urtheil  auch  an  anderen  Orten  spe- 
ciell  den  Professoren  der  Philosophie  und  Mathematik  zur 
Kenntniss  gebracht,  damit  sie,  wie  es  in  dem  Schreiben  des 
Cardinal-Secretärs  des  h.  Officiums  heisst,  „wüssten,  wie 
mit  Galilei  verfahren  worden,  und  daraus  die  Schwere  des 
von  ihm  begangenen  Irrthums  erkannten  und  sich  vor  der 
Strafe  hüten  möchten,  die  sie,  wenn  sie  in  denselben  Irrthum 
fielen,  zu  erleiden  haben  würden." 

Grisar  führt  zwar  S.  705  „einige  Urtheile  competenter 
Männer"  an,  welche  schon  im  17.  Jahrhundert  „geradezu 
die  Widerruflichkeit  des  Decretes  über  die  neue  Weltlehre 
ausgesprochen".  Neben  dem  Jesuiten  Fabri  (s.  o.  S.  457) 
nennt    er  zunächst    den  Bischof  Caramuel  (1651),    aber    mit 


1)  IX,  305  (23.  Oct.   1632);   s.  o.  S.  253. 


4^4  Die  Entschuldigungen  für  die  Rom.  Decrete. 

Unrecht;  denn  dieser  spricht,  —  Grisar  citirt  seine  Aeusse- 
rung  unvollständig1),  —  die  Ueberzeugung  aus,  ohne  ein 
Wunder  werde  man  keinen  Beweis  für  die  Bewegung  der 
Erde  beibringen  können,  sagt  dann  allerdings:  wenn  dieser 
als  unmöglich  anzusehende  Fall  eintreten  sollte,  dann  würde 
allerdings  nach  menschlichem  Ermessen  für  die  Cardinäle 
ein  Grund  vorliegen,  eine  uneigentliche  Deutung  von  Jos. 
10,  12  zw  gestatten,  wiederholt  dann  aber,  er  behaupte,  ein 
solcher  Beweis  sei  unmöglich,  und  die  Annahme,  er  werde 
geliefert  werden,  führe  zu  absurden  Consequenzen.  Dass 
Descartes  und  die  französischen  Naturforscher  Sarlat  und 
Auzout,  auf  die  sich  Grisar  noch  beruft2),  den  Wunsch  und 
die  Hoffnung  ausgesprochen,  die  gewiss  viele  katholische 
Gelehrte  hegten,  die  Römischen  Decrete  gegen  die  Coperni-. 
canische  Lehre  möchten  rückgängig  gemacht  werden,  ist 
gar  nichts  Bemerkenswerthes  und  ganz  ohne  Bedeutung  für 
die  Frage,  ob  man  in  massgebenden  Kreisen  im  17.  Jahr- 
hundert an  die  Möglichkeit  einer  Zurücknahme,  wie  sie  im 
J.  1822  stattgefunden,  gedacht  und  es  für  zulässig  gehalten, 
auf  eine  solche  hinzuarbeiten. 

Wenn  einige  Apologeten  der  Curie  auf  die  Thatsache  hin- 
weisen, dass  „die  Stellung,  welche  die  Kirche  dem  Copernica- 
nischen  System  gegenüber  eingenommen,  dessen  Verbreitung 
keinen  Eintrag  gethan  und  der  weitern  Begründung  desselben 
nicht  im  geringsten  geschadet"3),  so  ist  das  mehr  als  naiv. 
Magna  est  veritas  et  praevalet;  wenn  aber  die  Wahrheit  der 
Copernicanischen  Lehre  schliesslich  selbst  in  Rom  zur  An- 
erkennung gelangt  ist,  so  ist  dieses  das  Verdienst  derjenigen, 
die  dasselbe  gethan,  wofür  Galilei  von  der  Inquisition  ver- 
urtheilt  worden.  Es  ist  ebenso  naiv,  wenn  man  sagt:  „Konnte 
man  zur  Zeit  Galilei's  das  Copernicanische  System  als  Hypo- 
these vertheidigen,  so  war  noch  nichts  geschehen,  was  des- 
sen Annahme  und  damit  den  Fortschritten  der  Astronomie 


1)  Sie  steht  vollständig  bei  Bouix  pt  132. 

2)  Dass  er  den  Erzbischof  Piccolomini  mit  Unrecht  hieher  zieht,  wurde 
schon  oben  S.  385  gezeigt. 

3)  Hist.-pol.  Bl.  56,  437.  Schneemann  S.  263.  401.  —  S.  402  wagt 
Schneemann  zu  sagen:  „Die  Gegner  denken  viel  zu  gering  von  der  Wissen- 
schaft, wenn  sie  behaupten,  dass  ihr  Fortschritt  durch  eine  solche  Massregel 
gehindert  werden  könnte. " 


Die  Entschuldigungen  für  die  Rom.  Decrete.  465 

hinderlich  sein  musste,"  mehr  als  naiv,  wenn  Ward1)  be- 
hauptet, die  katholischen  Astronomen  hätten  auch  nach  den 
Entscheidungen  von  1616  und  1633  unbedenklich  alle  zu 
Gunsten  der  Copernicanischen  Theorie  sprechenden  Argu- 
mente in  das  hellste  Licht  stellen  und  sagen  dürfen,  die 
Theorie  sei  „wissenschaftlich  betrachtet  wahrscheinlich  in 
dem  höchsten  möglichen  Grade",  nur  nicht,  sie  sei  unwider- 
sprechlich  erwiesen.  Diese  Behauptung  steht  im  geraden 
Gegensatze  zu  der  Erklärung  der  Inquisition:  eine  als  der 
h.  Schrift  widersprechend  definirte  Meinung  könne  „in  kei- 
ner Weise  wahrscheinlich"  sein,  und  Ward  kommt  zu  sei- 
ner Behauptung-  durch  eine  grobe  Missdeutung  des  Satzes, 
die  Copernicanische  Lehre  dürfe  „hypothetisch"  vorgetra- 
gen werden,  womit,  wie  wir  früher  (S.  123)  gesehen,  gar 
nicht  gesagt  sein  soll,  dass  sie  als  möglicher  Weise  nicht 
falsch  angesehen  werden  dürfe.  Die  Theologen,  meint 
Ward  (p.  177)  weiter,  seien  allerdings  durch  die  Erklärung, 
die  Copernicanische  Theorie  widerspreche  der  h.  Schrift, 
etwas  mehr  eingeengt  gewesen;  aber  auch  sie  hätten  nicht 
nur  die  Ueberzeugung  haben,  sondern  auch  im  Privatge- 
spräche bei  anderen  Theologen,  ja  selbst  dem  h.  Vater 
gegenüber  aussprechen  dürfen,  die  naturwissenschaftlichen 
Argumente  für  die  Richtigkeit  der  Theorie  seien  stärker 
als  die  theologischen  Argumente  für  ihre  Unrichtigkeit; 
aber  sie  hätten  das  nicht  öffentlich  aussprechen  dürfen. 

In  diesem  Punkte  scheint  Scheeben  etwas  liberaler  zu 
denken  als  Ward.  Er  meint,  „die  in  dem  Index-Decrete 
ausgesprochene  Censur  der  Schriftwidrigkeit  gehe  nicht 
direct  auf  die  Copernicanische  Lehre  in  sich,  sondern  auf 
die  dreiste  Behauptung  und  Geltendmachung  der  Lehre 
ohne  die  schuldige  Rücksicht  auf  die  Würde  der  h.  Schrift 
und  die  katholischen  Regeln  für  die  Interpretation  dersel- 
ben," und  die  Lehre  vorzutragen  sei  nur  unzulässig  gewe- 
sen, „so  lange  eine  vom  eigentlichen  Sinne  abweichende 
Erklärung  der  h.  Schrift  nicht  hinreichend  gerechtfertigt 
war."  Aber  Foscarini's  Schrift  wurde  ja  eben  darum  ver- 
boten, weil  er  darin  „zu  beweisen  versuche,  dass  die  be- 
sagte Lehre  der  Wahrheit  entsprechend  und  der  h.  Schrift 


1)  The  Authority  p.  173.    Dublin  Review,  July  1871,  p.  168.     Schnee- 
mann S.  263. 

Ite  lisch,  Galilei.  30 


466  Die  jesuitischen  Darstellungen. 

nicht  zuwider  sei" ;  war  aber  der  Versuch,  dieses  zu  bewei- 
sen, unzulässig,  so  konnte  ja  überhaupt  ,,eine  vom  eigent- 
lichen Sinne  [von  der  buchstäblichen  Auffassung  der  be- 
treffenden Bibelstellen]  abweichende  Erklärung  der  heiligen 
Schrift"  nicht  „gerechtfertigt"  werden. 

Wenn  die  Copernicanische  Theorie  als  wissenschaftlich 
richtig  und  theologisch  unbedenklich  erwiesen  worden  ist, 
so  entspricht  dieser  Beweis  nicht  den  Intentionen  derjeni- 
gen, welche  das  Decret  vom  J.  1616  erlassen  und  so  lange 
aufrecht  erhalten  haben.  Ihren  Intentionen  entspricht  viel- 
mehr der  Standpunkt  derjenigen,  welche,  wie  P.  Desjardins 
p.  41,  von  dem  Jesuiten  Faure  und  einigen  Franzosen  des 
19.  Jahrhunderts  berichtet,  sehnsüchtig  und  hoffend  dem 
Auftreten  eines  genialen  Astronomen  entgegen  sehen,  der 
den  wissenschaftlichen  Beweis  führen  wird,  dass  es  mit  dem 
Copernicanischen  System  nichts  ist  und  |dass  ,,in  dem  Gali- 
lei'schen  Process  die  Kirche,  auf  die  Bibel  gestützt,  für  die 
astronomische  Wahrheit  eingetreten  ist,  von  welcher  die 
Astronomen  der  beiden  letzten  Jahrhunderte  abgeirrt 
sind" l). 


XL. 
Epilogus  galeatus. 

Von  Jesuiten,  die  über  den  Galilei'schen  Process  schrei- 
ben, kann  man  billiger  Weise  nicht  verlangen,  dass  sie 
nicht  mit  der  geschichtlichen  Darstellung  eine  Apologie 
der  Römischen  Curie  und  des  Institutes  der  Inquisition  ver- 


1)  Ueber  den  hemmenden  Einfluss,  den  die  Römischen  Decrete  auf 
katholische  Gelehrte  geübt,  s.  Martin,  Galilee  p.  249,  über  die  ultramontanen 
Anticopernicaner  des  19.  Jahrh.  ebend.  p.  274,  über  die  protestantischen 
Anticopernicaner  des  18.  und  19.  Jahrh.,  für  welche  freilich  die  Römische 
Curie  nicht  verantwortlich  ist,  Zöckler,  Gesch.  der  Beziehungen  u.  s.  w.  II, 
45-  352. 


Die  jesuitischen  Darstellungen.  467 

binden  sollten.  Aber  das  darf  man  auch  von  Jesuiten  for- 
dern, dass  sie  dieser  Tendenz  nicht  die  geschichtliche 
Wahrheit  und  Gerechtigkeit  zum  Opfer  bringen.  Nun  fin- 
den sich  aber,  wie  an  vielen  Beispielen  gezeigt  worden  ist, 
nicht  nur  in  allen  jesuitischen  Darstellungen  des  Galilei'schen 
Processes  mehr  oder  weniger  viele  Unrichtigkeiten,  die  bei 
grösserer  Gewissenhaftigkeit  und  Wahrhaftigkeit  zu  ver- 
meiden gewesen  wären :  Ein  schlimmer  Zug  geht  durch  alle 
diese  Darstellung'en,  die  beste  unter  ihnen,  die  von  Grisar, 
nicht  ausgenommen,  hindurch:  ein  dunkeler  Flecken  in  Ga- 
lilei's  Privatleben,  die  Schwächen  und  Fehler  seines  Cha- 
rakters, die  Unvorsichtigkeiten  in  seinem  Verhalten  und 
dergleichen  Dinge,  welche  für  die  Beurtheilung  des  Verfah- 
rens der  Curie  gegen  ihn  von  gar  keinem  oder  von  ganz 
untergeordnetem  Belange  sind,  werden  stark  übertrieben 
und  wiederholt  hervorgehoben;  auf  die  Rücksichten,  welche 
man  gegen  ihn  nahm  und  die  man  ebenso  stark  übertreibt, 
wird  grosses  Gewicht  gelegt  und  triumphirend  darauf  hin- 
gewiesen, dass  es  Lüge  und  Verleumdung  sei,  wenn  man 
von  einer  langen  Kerkerhaft  und  von  Folterung  Galilei's 
spreche ;  dagegen  werden  die  Härten  in  dem  Verfahren  bei 
dem  Processe  selbst  und  namentlich  nach  demselben  theils 
ganz  verschwiegen,  theils  vertuscht  und  beschönigt ;  und  so 
wird  bei  dem  mit  dem  Sachverhalt  weniger  bekannten  Leser 
der  Eindruck  hervorgerufen,  ,als  sei  doch  eigentlich  Galilei 
kein  sonderliches  Unrecht  widerfahren  und  die  Inquisition 
nicht  so  schwarz,  wie  sie  gewöhnlich  gemalt  werde.  Und 
zur  Bestätigung  citirt  man  dann  in  echt  jesuitischer  Weise 
verstümmelte  und  aus  dem  Zusammenhange  gerissene  Stel- 
len von  Schriftstellern,  die  sich  einer  streng  objectiven  und 
unbefangenen  Darstellung  befleissigen  und  darum  auch 
Unrichtigkeiten  und  Uebertreibungen  von  einseitigen  Geg- 
nern der  Curie  nicht  ungerügt  lassen,  als  Concessionen, 
welche  auch  die  Gegner  nothgedrungen  der  Wahrheit  ge- 
macht ;  man  verschmäht  nicht,  zu  diesem  Zwecke  sich  selbst 
auf  so  unbedeutende  Aufsätze  wie  den  von  A.  Mezieres  in 
der  Revue  des  deux  mondes  zu  berufen  (Schneemann  S. 
265.  390),  und  man  scheut  sich  nicht,  die  Citate,  um  sie 
brauchbar  zu  machen,  zu  verstümmeln  (s.  o.  S.   217). 

Wenn  sich  aber  Grisar  darauf  beschränkt,  das  Verfah- 
ren   der  Inquisition    zu    entschuldigen   und   mildernde    Um- 


468  Verherrlichung  der  Inquisition. 

stände  zu  plaidiren,  so  gehen  andere  Jesuiten  darüber  weit 
hinaus.  P.  Desjardins  erklärt  p.  41 :  „die  Kirche"  habe 
einer  einfachen,  der  zwingenden  Beweise  noch  entbehren- 
den Hypothese  gegenüber  ihre  Exegese  nicht  modificiren 
und  ihr  System  der  Bibelauslegung  nicht  ändern  dürfen, 
und  versichert,  das  h.  Officium  habe  die  heiligste  seiner 
Pflichten  erfüllt,  als  es  sich  glaubensgefährlichen  Prätensio- 
nen widersetzte;  jeder  Unparteiische  und  Vorurtheilsfreie 
müsse  sein  Verhalten  loben,  und  es  sei  zu  verwundern,  dass 
sonst  gelehrte  und  orthodoxe  Schriftsteller  sich  mit  dem 
Haufen  der  rationalistischen  Schriftsteller  zu  der  Erklärung 
vereinigten,  die  Mitglieder  des  h.  Officiums  hätten  unrecht 
gehandelt,  als  sie  Galilei  verurtheilten.  Man  könne  sein 
Verhalten  nicht  nur  rechtfertigen,  man  müsse  vielmehr  die 
Treue,  Weisheit  und  Billigkeit  loben,  die  es  bei  dem  Gali- 
lei'schen  Process  bewiesen,  ohne  dass  man  darum  gerade 
ein  Urtheil  vertheidigen  müsse,  welches  heutzutage  wissen- 
schaftlich nicht  mehr  haltbar  sei1).  Ein  deutscher  Jesuit, 
der  noch  dazu  k.  k.  Professor  der  Theologie  und  im  J.  1866 
sogar  Rector  der  Universität  zu  Innsbruck  war,  J.  B.  We- 
nig, begnügt  sich  nicht  einmal  damit,  den  Process  gegen 
Galilei  als  „schlagenden  Beweis"  dafür  anzuführen,  dass 
„das  kirchliche  Inquisitionstribunal  sowohl  in  der  Behand- 
lung und  Untersuchung  als  auch  in  der  Aburtheilung  und 
Bestrafung  der  Inquisiten  das  Gesetz  der  Milde  walten 
Hess".  Er  verbindet  mit  seiner  Darstellung  des  Galilei'schen 
Processes  eine  förmliche,  nicht  Apologie,"  sondern  Glorifi- 
cirung  der  Inquisition,  behauptet  sogar,  die  Verhängung 
der  Todesstrafe  über  Häretiker  sei  „wenigstens  nicht  unge- 
recht" gewesen,  da  „das  Verbrechen  der  Häresie  nur  durch 
die  Todesstrafe  gebührend  gesühnt  und  mit  Erfolg  für  die 
kirchliche  und  bürgerliche  Gesellschaft;  unschädlich  gemacht 
werde,"  und  schliesst  mit  der  offenen  Erklärung :  „Wir  haben 
gesehen,    dass    die  kirchliche  Inquisition  mit  den  modernen 


1)  Wo  möglich  noch  stärker  ist  die  Aeusserung  des  Cardinais  Manning 
in  dem  1875  erschienenen  Buche  „The  Internal  Mission  of  the  Holy  Ghost" 
(s.  Theol.  Lit.-Bl  1875,  470):  „Die  Kirche  hat  zu  einer  Zeit,  als  die  [Coper- 
nicanische]  Lehre  nur  eine  Hypothese  und  Vermuthung  war,  welche  dem 
Glauben  der  Menschheit  und  scheinbar  der  h.  Schrift  widersprach,  ein  Buch 
missbilligt,  welches  die  Tendenz  hatte,  den  Glauben  der  Menschen  an  natür- 
liche  und  übernatürliche  Wahrheiten  zu  untergraben." 


Die  jetzige  Inquisition  und  Index-Congregation.  469 

Ideen  über  Toleranz,  Aufklärung  und  Humanität  sich  nicht 
vereinbaren  lässt;  aber  dessenungeachtet  rufe  ich,  angelangt 
am  Schlüsse  des  ersten  Theiles  meines  Vortrags:  Es  lebe 
die  kirchliche  Inquisition!  denn  jene  Ideen  sind  nicht  bloss 
unchristlich,  sondern  auch  unvernünftig,  die  Mission  der 
Kirche  aber,  welche  durch  die  Inquisition  über  die  Rein- 
heit der  Glaubens-  und  Sittenlehre  wacht,  ist  eine  göttliche 
und  darum  von  dem  Zeitgeiste  und  den  Zeitumständen  un- 
abhängige"J).  Wenn  Wenig  in  dem  zweiten  Theile  seines 
Vortrags  die  spanische  Inquisition  der  von  ihm  glorificirten 
kirchlichen  als  eine  solche  gegenüberstellt,  die  „nichts  we- 
niger als  eine  Schöpfung  der  Kirche,  sondern  wesentlich 
ein  Staatsinstitut"  gewesen,  so  haben  seine  Ordensgenossen 
und  Collegen  in  Innsbruck  nicht  unterlassen,  zwei  Jahre 
später  in  dem  ersten  Hefte  der  von  ihnen  herausgegebenen 
„Zeitschrift  für  katholische  Theologie"  ein  Buch  eines  Spa- 
niers (Juan  Manuel  Orti  y  Lara)  zu  empfehlen,  welches  die 
Ansicht  vertheidigt,  dass  allerdings  auch  die  spanische  In- 
quisition „eine  Schöpfung  der  Kirche"  gewesen,  dass  „die 
Kirche,  welche  sie  ins  Dasein  gerufen,  sie  immer  mit  be- 
sonderer Vorliebe  angesehen  und  dass  darum  kein  Katho- 
lik den  Namen  des  h.  Glaubenstribunals  aussprechen  dürfe, 
ohne  ehrfurchtsvoll  das  Haupt  zu  neigen  vor  einer  Institu- 
tion, die  wesentlich  katholisch,  so  zu  sagen,  ein  substan- 
tielles Bild  der  Kirche,  unserer  Mutter,  sei"2). 

Mit  der  Wiedereinsetzung  der  Inquisition  in  ihre  frühe- 
ren Functionen  hat  es,  trotz  aller  frommen  Wünsche  der 
Jesuiten,  gute  Wege.  Aber  die  Congregation  des  h.  Offi- 
ciums  ist  wie  die  des  Index  in  einer  Beziehung  noch  in  voller 
Thätigkeit,  und  diese  Thätigkeit  gegen  die  Einwendungen 
zu  vertheidigen,  welche  auf  Grund  des  Galilei'schen  Pro- 
cesses  gegen  sie  erhoben  werden  können,  lässt  sich  mehr 
noch  als  andere  Jesuiten  P.  Grisar  angelegen  sein,  ja  viel- 
leicht ist  es  darauf  bei  seinen  Aufsätzen  hauptsächlich  ab- 
gesehen. * 


1)  Ueber  die  kirchliche  und  politische  Inquisition  S.  65.  72.  74.  Wenig 
hat  es  —  wohl  in  seiner  Eigenschaft  als  k.  k.  Professor  —  für  gerathen 
gehalten,  die  Schrift  pseudonym  (unter  dem  Namen  Theophilus  Philalethes) 
erscheinen  zu  lassen.  Erst  nach  seinem,  bald  nachher  erfolgten,  Tode  ist  er 
als  Verfasser  bekannt  geworden.     S.  Theol.  Lit.-Bl.   1875,   530.   573. 

2)  Vgl.  Theol.  Lit.-Bl.   1877,   335. 


470  Die  jetzige  Inquisition  und  Index-Congregation. 

In  Rom  herrscht  schon  lange  das  Bestreben,  nicht  nur 
die  Einheit  des  Glaubens  unter  den  Katholiken  zu  erhalten, 
sondern  auch  eine  Einheit  des  Denkens  und  Wollens  unter 
ihnen  herbeizuführen,  und  seit  die  jesuitische  Partei  in  der 
römisch-katholischen  Kirche  zur  Herrschaft  gelangt  ist,  wird 
mehr  noch  als  früher  das  Ziel  angestrebt,  die  Verfassung 
des  Jesuitenordens  auch  in  der  Kirche  einzuführen.  Dem- 
gemäss  wird  nicht  nur  für  den  Papst  Unfehlbarkeit  bean- 
sprucht, wenn  er  ex  cathedra  redet,  und  der  Begriff  des  ex 
cathedra  möglichst  weit,  z.  B.  auch  auf  den  Syllabus,  aus- 
gedehnt, und  von  jedem  Katholiken  verlangt,  alles  als  gött- 
liche Offenbarung  zu  glauben,  was  der  Papst  definirt.  Es 
wird  für  den  Papst  ausser  der  anctoritas  infallibiliiatis 
auch  noch  eine  auctoritas  universalis  providentiae  ecclesia- 
sticae  und,  wie  für  das,  was  er  kraft  der  erstem  Autorität 
entscheidet,  eine  veritas  infaltibilis,  so  für  das,  was  er 
kraft  der  letztern  entscheidet,  eine  infallibilis  securitas  bean- 
sprucht1). Es  wird  gelehrt:  „Das  Charisma  der  Unfehlbar- 
keit kommt  dem  Papste  nur  bezüglich  seines  Lehramtes 
zu,  aber  wenn  er  auch  bezüglich  der  Regierung  der  Kirche 
nicht  unfehlbar  ist,  so  darf  man  ihm  doch  auch  in  Punkten, 
welche  mit  der  Glaubens-  und  Sittenlehre  nicht  zusammen- 
hangen, nicht  ungehorsam  sein ;  denn  Christus  und  sein 
Stellvertreter  sind  in  Bezug  auf  die  Belehrung  und  Lei- 
tung der  Kirche  durchaus  Eins,  so  dass  es  im  strengsten 
Sinne  w*ihr  ist,  wenn  man  sagt,  Christus  lehre  und  leite 
seine  Kirche  durch  den  Papst"2).  „Es  gibt  in  der  Kirche 
neben  oder  vielmehr  im  Anschlüsse  an  das  eigentliche  Glau- 
bensgesetz noch  ein  Gesetz  (resp.  eine  gesetzliche  Einheit 
und  Allgemeinheit)  des  theologischen  Denkens  oder 
der  religiösen  Ueberzeugung,  welchem  jedes  Glied  der 
Kirche  als  solches  oder  jeder  Katholik  kraft  seiner  katho- 
lischen Profession  sich  nicht  bloss  äusserlich,  sondern  inner- 
lich unterwerfen  und  conformiren  muss"3). 

Diese  „gesetzliche  Einheit  des  theologischen  Denkens" 
herbeizuführen,  ist  eine  Hauptaufgabe  der  Römischen  Con- 

i)  Franzelin,  Tract.   de  div.   traditione  p.    116. 

2)  Civiltä  cattolica  639.  Heft  (3.  Febr.  1877);  s.  Deutscher  Merkur 
1877,  98. 

3)  Scheeben,  Dogmatil*  I,  183.  Vgl.  (auch  zu  dem  Folgenden)  Theol. 
Lit-Bl.   1877,  57. 


Die  jetzige  Inquisition  und  Index-Congregation.  471 

gregationen,  namentlich  der  beiden  genannten;  ihre  doctri- 
nellen  Decrete  sind,  wenn  auch  nicht  als  unfehlbar,  so  doch 
als  ,,der  moralisch  sichere  Ausdruck  der  Tradition  der  Rö- 
mischen Kirche"  (der  Kirche  der  Stadt  Rom)  anzusehen, 
welche  „schon  für  sich  allein  ein  vollgültiger  Beweis  der 
apostolischen  Ueberlieferung  ist  und  eine  Normaltradition 
für  die  ganze  Kirche  bildet".  Jenen  Congregationen  kann 
der  Papst  zwar  nicht  eine  aiictoritas  infallibis  mittheilen, 
aber  er  lässt  sie  theilnehmen  an  seiner  aiictoritas  universalis 
providentiae  ecclesiasticae,  und  so  haben  ihre  Decrete  „einen 
besondern  Antheil  an  dem  übernatürlichen  Schutze,  der 
über  dem  h.  Stuhle  waltet,  und  sie  haben  darum  eine  so 
starke  Präsumtion  der  Wahrheit  für  sich,  dass  innerliche 
Zustimmung  zu  denselben  verlangt  werden  muss." 

Demgemäss  verbietet  die  Index-Congregation  das  Le- 
sen nicht  nur  solcher  Bücher,  deren  Inhalt  der  katholischen 
Glaubens-  und  Sittenlehre  widerspricht,  sondern  auch  sol- 
cher, in  welchen  wissenschaftliche  theologische  Erörte- 
rungen vorkommen,  die  der  „gesetzlichen  Einheit  des  theo- 
logischen Denkens"  nicht  entsprechen,  mit  anderen  Worten, 
die  zu  der  als  normativ  angesehenen  Römischen  oder  jesui- 
tischen Schultheologie  nicht  passen1).  Und  von  den  Ver- 
fassern solcher  Bücher  verlangt  die  Index-Congregation 
nicht  nur,  dass  sie  das  Verbot*  als  solches  respectiren,  son- 
dern auch,  dass  sie  ihre  Bücher  selbst  förmlich  verwerfen. 
Auetor  laudabiliter  se  subiecit  et  opus  suum  reprobavit,  ist 
die  stehende  Formel,  welche  von  denjenigen  gebraucht 
wird,  welche  thuen,  was  die  Index-Congregation  verlangt. 
Ferner  verdammen  die  Congregation  des  Index  oder  die  des 
h.  Officiums  theologische  oder  philosophische  Systeme  oder 
Richtungen,  wie  die  Hermesische  und  die  Günther'sche  und 
den  von  Löwener  Professoren  vertretenen  „Ontologismus", 
oder  einzelne  theologische  oder  philosophische  Thesen,  oder 
sie  stellen  selbst  positiv  solche  Thesen  als  Normen  auf,  und  sie 


1)  Nachdem  Dieringer  in  einer  Recension  der  ,, Theologie  der  Vorzeit" 
des  Jesuiten  Kleutgen  im  Theol.  Lit.-Bl.  1868,  213  (und  in  dem  Schriftchen 
„Die  Theologie  der  Vor-  und  Jetztzeit''  1868)  die  1792  erschienene  Regula 
fidei  von  Ph.  N.  Chrismann  citirt  hatte,  wurde  diese  auf  den  Index  ge- 
setzt, —  aber  nur  der  von  Dieringer  benutzte  Abdruck  Augsburg  1844,  so 
dass  die  Original-Ausgabe  und  andere  Abdrücke  nicht  verboten  sind. 


472  Die  jetzige  Inquisition   und  Index-Congregation. 

beantworten  gern  Fragen,  welche  ihnen  von  Einzelnen  vor- 
gelegt werden:  ob  dieses  oder  jenes  für  wahr  gehalten  und 
gelehrt  werden  dürfe. 

Im  J.  1840  wurde  Prof.  Bautain  in  Strassburg  ange- 
halten, sechs  „Thesen"  theologischen  und  philosophischen 
Inhalts  zu  unterschreiben1).  Im  J.  1855  wurde  dem  Heraus- 
geber der  „Annales  de  philosophie  chretienne",  A.  Bonnetty, 
auf  Grund  eines  am  11.  Juni  von  der  Index-Congregation 
gefassten,  am  15.  von  Pius  IX.  bestätigten  Beschlusses  auf- 
gegeben, vier  Thesen  zu  unterzeichnen;  die  vierte  lautet: 
„Die  von  den  hh.  Thomas  und  Bonaventura  und  nach  ihnen 
von  anderen  Scholastikern  angewendete  Methode  führt  nicht 
zum  Rationalismus  und  ist  nicht  die  Ursache  gewesen,  dass 
in  den  modernen  Schulen  die  Philosophie  in  Naturalismus 
und  Pantheismus  verfallen  ist.  Darum  darf  jenen  Kirchen- 
lehrern und  Theologen  nicht  zum  Vorwurf  gemacht  werden, 
dass  sie  jene  Methode  angewendet,  zumal  sie  das  mit  we- 
nigstens stillschweigender  Gutheissung  der  Kirche  gethan." 
—  Im  J.  1843  und  1844  wurden  von  der  Index-Congregation 
dem  Prof.  Ubaghs  zu  LÖwen  mehrere  Punkte  bezeichnet, 
die  er  in  seiner  Logik  und  Theodicee  zu  ändern  habe.  Im 
J.  1860  fragten  vier  Löwener  Professoren  bei  der  Index- 
Congregation  an,  ob  die  Sätze,  die  sie  einzeln  angaben,  ge- 
lehrt werden  dürften.  Der  Präfect  der  Congregation,  Cardi- 
nal Andrea,  antwortete  bejahend,  wurde  aber  durch  ein 
Breve  Pius'  IX.  vom  19.  Dec.  1861  desavouirt.  Die  Schrif- 
ten von  Ubaghs  wurden  nun  von  den  Congregationen  des 
Index  und  der  Inquisition  gemeinsam  geprüft,  und  in  meh- 
reren vom  Papste  bestätigten  Decreten  eine  Reihe  von 
Punkten  als  solche  bezeichnet,  die  nicht  ohne  Gefahr  gelehrt 
werden  könnten.  Die  Löwener  Professoren  erklärten,  die- 
sen Decreten  gehorchen  zu  wollen;  das  genügte  nicht:  sie 
mussten  im  J.  1867  schriftlich  erklären,  dass  sie  „den  De- 
creten des  h.  Stuhles  sich  völlig,  vollkommen  und  absolut 
unterwürfen  und  innerlich  zustimmten  und  darum  jede  ihnen 
widersprechende  Lehre  (namentlich  die  in  ihrem  eigenen  Briefe 
an  die  Index-Congregation  enthaltene  Exposition)  von  Herzen 
missbilligten  und  verwürfen"2).  —  Am   18.  Sept.  1861  wurde 

1)  Denzinger,  Enchiridion  N.   97. 

2)  S.  die  Actenstücke  Katholik  1860,  I,  623;  1865,  I,  210;  1866,  II, 
491;  1867,  II,   506.     Revue  catholique   1879,  XXI,  247. 


Die  jetzige  Inquisition  und  Index-Congregation.  473 

in  einer  Sitzung  der  Inquisition  darüber  berathen,  ob  sieben 
ihr  vorgelegte,  aus  französischen  Lehrbüchern  der  Philoso- 
phie entnommene  „ontologistische"  Sätze  unbedenklich 
gelehrt  werden  (tuto  tradi)  könnten ;  die  Inquisition  entschied 
,,nach  Anhörung  ihrer  Consultoren  und  nach  reiflicher  Er- 
wägung" verneinend1).  Als  der  Prof.  Hugonin  zum  Bischof 
von  Bayeux  ernannt  war,  musste  er,  um  die  päpstliche  Be- 
stätigung zu  erhalten,  am  13.  Oct.  1866  schriftlich  erklären: 
die  in  seinem  Buche  vorgetragene  Lehre,  die  jenen  sieben 
Sätzen  günstig  sei,  verwerfe  er,  ganz  so  wie  der  h.  Stuhl 
es  verlange,  als  von  den  gesunden  Principien  der  Philosophie 
mehr  oder  weniger  abweichend2).  —  Solche  Entscheidun- 
gen der  Römischen  Congregationen  gelten  nun  allerdings, 
wie  wir  gesehen  haben,  nicht  als  päpstliche  Cathedralsprüche 
und  also  nicht  als  unfehlbar;  aber  Pius  IX.  hat  in  dem  an 
den  Erzbischof  von  München  gerichteten  Breve  Tuas  liben- 
ter  vom  21.  Dec.  1867,  —  nach  Dr.  Ward  spricht  hier  der 
Papst  ex  cathedra 3),  —  erklärt :  es  sei  nicht  genug,  die  durch 
Decrete  der  allgemeinen  Concilien  oder  der  Päpste  definir- 
ten  Dogmen  „mit  göttlichem  Glauben"  (fide  divina,  als 
göttliche  Offenbarung)  anzunehmen;  die  katholischen  Gelehr- 
ten müssten  vielmehr  auch  den  von  den  päpstlichen  Con- 
gregationen ausgehenden  doctrinellen  Entscheidungen  sich 
unterwerfen.  Damit  ist  aber  nicht  bloss  eine  äussere,  son- 
dern auch  eine  innere  Unterwerfung  gemeint.  Wie  es  für 
ungenügend  erklärt  wurde,  die  päpstlichen  Entscheidungen 
in  den  Jansenistischen  Streitigkeiten  mit  „frommem  Still- 
schweigen"   (religiosum   silentium)  hinzunehmen,    und    eine 


1)  Das  Decret  erinnert  selbst  in  der  Form  an  die  Tage  Galilei's : 
A  Sancta  Romanae  et  Universalis  Inquisitionis  Congregatione  postulatum 
est,  utrum  sequentes  propositiones  tuto  tradi  posse?it.  .  .  Feria  IV.  die  18. 
Sept.  1861.  In  Congregatione  generali  habita  in  conventu  S.  M.  supra 
Minervam  coram  Em.  et  Rev.  DD.  S.  R.  E.  Cardinalibus  contra  haereti- 
cam  pravitate?n  in  tota  republica  christiana  Inquisitor  ibus  generalibus, 
iidem  Em.  et  Rev.  DD.  praehabito  voto  DD.  Consultorum,  omnibus  et  sin- 
gulis  propositionibus  superius  enunciatis  mature  perpensis,  proposito  dubio 
responderunt:  Negative.  S.  den  Text  des  Decretes  und  Notizen  über  die 
Haltung  der  Jesuiten  gegenüber  dem  Ontologismus  Theol.  Lit.-Bl.   1868,  753. 

2)  Katholik   1867,  I,  399. 

3)  The  Authority  p.  120.  Den  Text  der  betreffenden  Stelle  s.  bei 
Scheeben  I,  193.     Vgl.  Franzelin,  De  traditione,  2.  Ed.  p.   137. 


474  Die  jetzige  Inquisition   und  Index-Congregation. 

innere  Zustimmung  zu  denselben  verlangt  wurde,  so  ist  es 
auch  nicht  genug,  sich  jedes  offenen  Widerspruchs  gegen 
die  Entscheidungen  der  Congregationen  zu  enthalten,  viel- 
mehr wird  auch  eine  „innerliche  Unterwerfung  und  Zustim- 
mung zu  denselben"  verlangt.  Diese  Zustimmung  braucht 
nun  freilich,  wie  P.  Grisar  S.  707.  717  mit  anderen  Jesuiten 
lehrt,  nicht,  wie  Bouix  meint,  dieselbe  zu  sein,  welche  päpst- 
liche Cathedralsprüche  erheischen,  sie  braucht,  da  die  Con- 
gregationen irren  können  (S.  685),  keine  ,, absolut  zweifel- 
lose und  über  alles  feste"  zu  sein;  sie  muss  aber  „eine  Un- 
terwerfung pflichtmässigen  Gehorsams  sein,  welche  die  [von 
einer  Congregation]  ausgesprochene  Doctrin  als  eine  solche 
hinnimmt,  der  wir  mit  der  grössten  Beruhigung  und  Sicher- 
heit, wenngleich  nicht  mit  unfehlbarer  Gewissheit  beipflich- 
ten können.  Mit  der  grössten  Beruhigung-;  denn  der  Fall 
kann  niemals  eintreten,  dass  Jemand  sich  eine  Gewissens- 
schuld auflüde,  indem  er  aus  Achtung  gegen  den  erfolgten 
Spruch  sein  eigenes  Meinen  dran  gibt.  Mit  der  grössten 
Sicherheit;  denn  ist  auch  die  sprechende  Autorität  eine 
menschliche  und  bleibt  der  Irrthum  nicht  absolut  ausge- 
schlossen, so  sind  doch  die  Urheber  des  Spruches,  die  Ge- 
horsam verlangen,  mit  hoher  Weisheit  und  Gelehrsamkeit 
ausgerüstet:  wegen  ihrer  Stellung  sind  sie  mehr  befähigt 
zu  einem  allgemeinen  Ueberblick  als  alle  Anderen,  als  ins- 
besondere die  leicht  durch  persönliche  Befangenheit  ge- 
blendeten Vertreter  einer  etwa  verurtheilten  Lehre,  und 
sie  handeln  nur  nach  langen  Berathungen  mit  den  tüchtigsten 
Gewährsmännern ;  auch  ist  jener  erleuchtende  Beistand  der 
Gnade  in  Anschlag  zu  bringen,  der  bei  ihren  Acten,  als 
Acten  authentisch  bevollmächtigter  Lehrer  und  als  Ent- 
schliessungen  von  so  weiter  Tragweite,  vorausgesetzt  wer- 
den darf." 

Man  wird  vielleicht  sagen :  bei  einem  solchen  Jurare  in 
verba  Congregationum  könne  von  einer  eigentlichen  Wissen- 
schaft nicht  mehr  die  Rede  sein.  Wäre  das  der  Fall,  ent- 
gegnet Reinerding1),  so  wäre  der  Schaden  nicht  so  gross: 
„das  Heil  Einer  Seele  gilt,  wie  jedes  Kind  in  seinem  Kate- 
chismus findet,  mehr  als  die  ganze  Welt  und  folglich  mehr 
als  alle  Wissenschaft".     Uebrigens  ist  ja  auch  die  Behaup- 


I)  Hist-pol.  Bl.  56,  435.  439. 


Die  jetzige  Inquisition  und  Index-Congregation.  475 

tung:  „Die  Decrete  des  apostolischen  Stuhles  und  der  Römi- 
schen Congregationen  hindern  den  freien  Fortschritt  der 
Wissenschaft"  im  Syllabus  (No.  XII)  verdammt,  und  nach 
Reinerding  ist  sogar  „die  kirchliche  Ueberwachung  der 
Wissenschaft,  weit  entfernt  ihrem  Fortschritte  nachtheilig 
zu  sein,  eine  Leuchte  für  sie.  Es  mag  sein,  dass  man  sich 
des  Nachts  in  der  Stadt  auch  ohne  Laterne  zurecht  finden 
könnte;  verschmäht  man  aber  deshalb  das  Licht  der  La- 
terne?" Jedenfalls  hat  auch,  wie  P.  Desjardins  p.  43  ver- 
sichert, „die  Kirche  eine  souveräne  Autorität,  gewisse  Ent- 
wicklungen der  Wissenschaft  zu  verzögern,  falls  sie  glaubt, 
dass  dieselben  unter  den  augenblicklichen  Verhältnissen  den 
viel  höheren  Interessen  des  Glaubens  gefährlich  werden 
könnten."  Wenn  das,  was  ein  katholischer  Gelehrter  durch 
gewissenhaftes  Studium  als  wissenschaftliche  Wahrheit  er- 
kannt zu  haben  glaubt,  von  einer  Römischen  Congregation 
als  Irrthum  bezeichnet  wird,  so  muss  er  sich  eben  dabei  be- 
ruhigen, dass  das,  was  die  „mit  hoher  Weisheit  und  Gelehr- 
samkeit ausgerüsteten  und  zu  einem  allgemeinen  Ueb erblick 
mehr  als  alle  Anderen  befähigten"  Cardinäle  der  Congre- 
gation „nach  langen  Berathungen  mit  den  tüchtigsten  Ge- 
währsmännern", die  ja  in  Rom  für  jeden  Zweig  der  Wissen- 
schaft in  P^ülle  zu  finden  sind,  unter  dem  „erleuchtenden 
Beistande  der  Gnade"  als  wissenschaftlich  richtig  aus- 
sprechen, mindestens  probabeler  ist  als  seine  eigene  wissen- 
schaftliche Ueberzeugung,  und  dass  er  jedenfalls,  indem  er 
„aus  Achtung  gegen  den  erfolgten  Spruch  sein  eigenes 
Meinen  daran  gibt"  und  auf  die  Autorität  der  Congregation 
hin  das  schwarz  nennt,  was  nach  seiner  Meinung  weiss  ist, 
„sich  keine  Gewissensschuld"  aufladet.  , 

Es  liegt  auf  der  Hand,  wie  unbequem  den  Jesuiten  bei 
der  Verteidigung  dieser  Theorie  die  von  den  Römischen 
Congregationen  im  J.  1616  ausgesprochene,  im  J.  1633  in  so 
energischer  Weise  eingeschärfte  und  von  den  Päpsten  so 
lange  aufrecht  erhaltene  „Doctrin"  sein  muss,  dass  die  Erde 
still  stehe  und  die  Sonne  sich  bewege,  —  eine  Doctrin, 
welche  die  „hohe  Weisheit  und  Gelehrsamkeit"  der  Päpste, 
der  Cardinäle  und  ihrer  „Gewährsmänner"  und  selbst  den 
„erleuchtenden  Beistand  der  Gnade",  der  diesen  „authentisch 
bevollmächtigten  Lehrern"  bei  einer  „Entschliessung  von  so 
weiter   Tragweite"    hätte    zu   Theil   werden   müssen,    in  so 


47^  Die  jetzige  Inquisition  und  Index-Congregation. 

eigen thümlichem  Lichte  erscheinen  lässt.  Scheeben,  S.  250, 
scheint  freilich  zur  Beruhigung  solcher,  die  dadurch  an  der 
Zuverlässigkeit  der  Congregations-Entscheidungen  irre  x  wer- 
den möchten,  die  Versicherung  für  genügend  zu  halten:  das 
Index-Decret  vom  J.  1616  sei  der  einzige  Fall  einer  von 
den  Congregationen  ausgegangenen  Censur,  die  man  mit 
einigem  Schein  als  falsch  bezeichnen  könne,  und  Reinerding 
S.  438  fügt  nur  noch  den  Trost  bei:  „das  endlose  Aerger- 
niss,  zu  dem  diese  Geschichte  ausgebeutet  werde,  könne  die 
Kirche  [sie]  nicht  ermuthigen,  eine  zweite  Galilei-Geschichte 
zu  bieten" *).  So  leicht  macht  sich  P.  Grisar  die  Sache 
nicht.  Die  Folgerung  aus  der  „Galilei-Geschichte"  gibt  er 
S.  708  zu:  für  die  Entscheidungen  der  Römischen  Congre- 
gationen kann  „nicht  jedesmal  ein  untrüglicher  Gnadenbei- 
stand angenommen  werden".  Aber  eine  Widerlegung  der 
vorgetragenen  Ansicht  von  der  Verbindlichkeit  der  Congre- 
gations-Decrete,  fügt  er  S.  709  bei,  enthalte  das  Decret  über 
die  Copernicanische  Angelegenheit  nicht,  sondern  nur  eine 
„Aufforderung  zur  präcisen  Angabe  der  Schranken,  welche 
jener  Verbindlichkeit  eigen  sind".  Demgemäss  gibt  er  denn, 
unter  Berufung  auf  seine  Ordensgenossen  Hurter  und  Pal- 
mieri,  zu:  die  Zustimmung  zu  einer  Entscheidung  der  Con- 
gregationen brauche  sich  nur  auf  „eine  moralische,  nie  auf 
eine  metaphysische  Gewissheit"  zu  stützen,  und  wenn  Jemand 
„wichtige  und  solide  Gründe"  habe,  eine  Entscheidung  für 
unrichtig  zu  halten,  so  dürfe  er  „fürchten,  zweifeln,  bedin- 
gungsweise beistimmen,  ja  die  Beistimmung  suspendiren". 
Grisar  selbst  geht  noch  einen  bedeutenden  Schritt 
weiter  und  führt  das  vorhin  perhorrescirte  silentium  reli- 
giosum  durch  eine  Hinterthüre  wieder  ein.  Es  sei,  sagt  er, 
sehr  löblich  gewesen,  wenn  Gelehrte  des  17.  Jahrhunderts 
wie  Gassendi  und  Descartes  bezüglich  der  Copernicanischen 
Lehre  „das  demüthige  Opfer  des  Verzichtens  auf  die  eigene 
Meinung  gebracht"  hätten;  aber  als  „Vorschrift"  habe  nur 
gegolten,  „der  Ehrerbietung  gegen  die  Congregation  nicht 
durch  ausgesprochenes  gegentheiliges  Handeln  zu  nahe  zu 


1)  Aehnlich  (Scheeben  im)  Katholik  1864,  I,  691 :  „Wenn  ich  meine 
Meinung  ganz  sagen  soll,  so  zweifle  ich  nicht,  dass  dieser  Missgriff  die  Con- 
gregation des  Index  für  alle  Zukunft  um  so  vorsichtiger  gemacht  habe,  wo 
es  sich  um  wissenschaftliche  Controversen  handel  t." 


Die  Jesuiten  über  Galilei's  Verurtheilung.  477 

treten,  also  die  vorgeschriebene  Form  zu  wahren  und  dem 
Vortrage  der  Copernicanischen  Lehre  die  Gestalt  der  Hypo- 
these zu  geben.  Nicht  Ein  Beispiel  ist  vorhanden,  dass  man 
nach  dem  J.  1633  auch  nur  die  äussere  Verletzung  jener 
Form  gestraft  hätte;  viel  weniger  noch  versuchte  man  je- 
mals, auf  die  Decrete  hin  in  das  Innere  einzudringen  und 
Beugung  des  entgegengesetzten  Meinens  dem  zu  befehlen, 
der  von  überzeugenden  Gründen  geleitet  zu  sein  glaubte. 
Der  so  oft  geschilderte  Gewissenszwang  gehört  in  das  Reich 
der  Utopien."  Wenige  Seiten  weiter  (S.  719)  wird  freilich 
diese  Concession,  dass  man  unter  Umständen  einer  Ent- 
scheidung einer  Römischen  Congregation  gegenüber  „das 
demüthige  Opfer  des  Verzichtens  auf  die  eigene  Meinung" 
zu  bringen  nicht  verpflichtet  sei,  wieder  illusorisch  gemacht 
durch  die  Erklärung:  es  könne  sich  zwar,  absolut  genommen, 
ein  Fall  ereignen,  in  welchem  die  Beistimmung  zu  einer 
Congregations-Entscheidung  wegen  des  allzugrossen  Gewich- 
tes von  Gründen  für  die  entgegengesetzte  Wahrheit  von 
einem  Einzelnen  nicht  geleistet  und  darum  auch  nicht  ge- 
fordert werden  könne;  aber  ein  solcher  Fall  sei  doch,  wenn 
auch  absolut  möglich,  kaum  jemals  denkbar. 

Aber  bei  dem  armen  Galilei  lag  doch  ein  solcher  Fall 
vor,  und  bei  ihm  war  es  doch  ein  „Gewissenszwang",  wenn 
von  ihm  verlangt  wurde,  dass  er  die  Meinung  von  der  Be- 
wegung der  Erde  und  dem  Stillstehen  der  Sonne,  von  deren 
Richtigkeit  er  überzeugt  war,  als  eine  Ketzerei  „mit  auf- 
richtigem Herzen  und  ungeheucheltem Glauben"  abschwöre! 
Was  Grisar  —  ausser  den  schon  oben  berührten  Sophiste- 
reien —  darauf  antwortet  (S.  717),  ist  wohl  geeignet,  den  Ab- 
schluss  der  Beiträge  zur  Charakteristik  des  Jesuitismus  zu 
bilden,  die  ich  in  diesem  Paragraphen  zusammenstelle ;  denn 
etwas  Jesuitischeres  kann  selbst  ein  Jesuit  nicht  schreiben. 

Die  Frage,  ob  bei  Galilei  ein  Fall,  wie  der  vorhin  als 
absolut  möglich  bezeichnete,  vorlag,  ist  „unbedenklich  zu 
verneinen":  die  Cardinäle,  die  ihn  zur  Abschwörung  anhiel- 
ten, konnten  „auch  nicht  im  entferntesten  ahnen",  dass  er 
ihrer  Entscheidung  nicht  innerlich  beistimmen  konnte,  ja  „sie 
hatten  ein  ganz  specielles  Recht,  die  Garantie  der  Beistim- 
mung durch  den  Schwur  von  ihm  zu  fordern.  Er  verzichtet 
ja  selbst  vor  seinen  Richtern  auf  alle  Anführung  wissen- 
schaftlicher Bedenken  gegen   die   Annahme   der  Lehre    des 


47^  Die  Jesuiten  über  Galilei's  Verurtheilung. 

Decretes,  weit  entfernt,  mit  Berufung  auf  subjective  Evidenz 
aus  der  Astronomie  die  Unmöglichkeit  irgend  welcher  Bei- 
stimmung zu  behaupten.  Er  beeilt  sich  so  gleichsam,  die 
Cardinäle  zu  jener  vollsten  Geltendmachung"  ihres  Stand- 
punkts gegenüber  seiner  Person  weiter  zu  führen,  wie  sie 
die  Ablegung  des  Schwures  enthält.  Er  sagt  in  den  Ver- 
hören, er  betrachte  die  der  Copernicanischen  entgegenge- 
setzte Weltlehre  des  Ptolemäus  durchaus  als  wahr,  er  sei 
bereit,  gegen  Copernicus  die  Feder  zu  ergreifen  und  dgl." 

Das  ist  ja  thatsächlich  richtig,  und  man  mag  darüber 
streiten,  wer  persönlich  schwerer  gefehlt  hat,  Galilei,  wel- 
cher in  den  Verhören  seine  Ueberzeugung  von  der  Rich- 
tigkeit der  Copernicanischen  Lehre  verleugnete,  oder  die 
Cardinäle,  welche  ihn  nöthigten,  diese  Ableugnung,  von 
deren  Unaufrichtigkeit  sie  überzeugt  sein  mussten,  mit 
einem  Schwüre  zu  bekräftigen.  Aber  was  soll  man  von  einer 
Institution  sagen,  die  diese  Folgen  hatte,  dass  ein  siebenzig- 
jähriger  Gelehrter,  um  nicht  als  Ketzer  verurtheilt  und  be- 
straft zu  werden,  seine  wissenschaftliche  Ueberzeugung 
verleugnete,  und  dass  eine  Anzahl  der  höchstgestellten 
Kirchenfürsten  mit  dem  Papste  an  der  Spitze  ihn  nöthigte, 
eine  Lehre  mit  einem  Eide  als  Ketzerei  zu  verfluchen,  die 
unzweifelhaft  wahr  ist  und  von  der  sie  annehmen  mussten, 
dass  jener  Gelehrte  von  ihrer  Unrichtigkeit  nicht  über- 
zeugt sei. 

Und  um  das  Mass  des  Hohnes  gegen  den  unglücklichen 
Greis  voll  zu  machen,  erhebt  P.  Grisar  mit  P.  Schneemann 
noch  den  Vorwurf  gegen  ihn:  dass  er  nichts  von  einer 
Martyrernatur  gehabt,  dass  ihm  nicht  Heuchelei  und  Ver- 
stellung mehr  als  der  Tod  zuwider  gewesen  seien,  dass  er 
seine  Ueberzeugung  nicht  hätte  verleugnen,  dass  er  viel- 
mehr hätte  handeln  müssen  wie  Paulus,  als  er  dem  Petrus 
in's  Angesicht  widerstand.  „Die  ausgesuchte  Milde  und  Zu- 
vorkommenheit, mit  welcher  er  während  des  Processes  be- 
handelt worden,  sei  geradezu  danach  angethan  gewesen, 
ihn  dazu  zu  ermuthigen,  mit  ganzer  Loyalität  und  muthiger 
Festigkeit  die  Bedrängniss  seines  Gewissens  bezüglich  der 
ihm  zugemutheten  Abschwörung  geltend  zu  machen."  ,, Hätte 
er  das  gethan,  so  wäre  das,  was  geschehen  ist,  unterblieben. 
So  aber  hat  er  den  Schwur  geleistet,  nur  berathen  von  sei- 
nem überall  hervortretenden  Verlangen,    so    leicht   und  be- 


Nachträge.  479 

quem  wie  möglich  aus  der  Affaire  den  Ausgang  zu  finden. " 
Damit  aber  nicht  Jemand  aus  dieser  Lobpreisung  einer 
Ueberzeugungstreue,  wie  sie  Galilei  nicht  gehabt,  einen 
„falschen  Schluss"  ziehe,  unterlasst  Schneemann  S.  401  nicht 
beizufügen:  „Daraus,  dass  es  in  einzelnen  ausserordentlichen 
Fällen  erlaubt  ist,  den  höchsten  Behörden  zu  widerstehen, 
folgt  noch  nicht,  dass  man  nur  da  hinsichtlich  der  Lehre 
zu  gehorchen  hätte,  wo  ein  unfehlbarer  Spruch  ex  cathedra 
vorliegt.  Es  wäre  das  vielmehr  Stolz  und  Anmassung.  Wer 
die  Demuth  besitzt,  welche  das  Christenthum  und  noch 
mehr  der  Stand  eines  Priesters  erheischt,  wird  bereitwilligst, 
auch  in  Fragen,  in  denen  das  Oberhaupt  der  Kirche  nicht 
in  feierlichster  Weise  von  seiner  Machtfülle  Gebrauch  macht, 
falls  nur  nicht  das  Gegentheil  klar  ist,  sein  Urtheil  dem  der 
höchsten  Römischen  Behörden,  ja  auch  dem  seiner  unmittel- 
baren geistlichen  Vorgesetzten  unterwerfen." 


NACHTRÄGE. 


Zu  S.  26,  Anm.  1.  Ein  interessanter  Brief  über  Galilei's  Ent- 
deckungen von  dem  Jesuiten  Gregorius  a  S.  Vincentio,  d.  d.  Rom 
23.  Juli  161 1,  ist  abgedruckt  in  den  Bulletins  de  l'Acad.  de  Bel- 
gique,  1873,  2.  S.  t.  36,  p.  89.  Es  heisst  darin:  Odo  Malcot  hac 
de  re  problema  exhibuü  coram  auctore  huius  novitaiis,  Galilaeo  Ga- 
lilaei  nomine,  maximo  applausu  et  concursn  virorum  doctorum  et 
nobilium.     Das  wird  der  von  Govi  veröffentlichte  Vortrag  sein. 

Zu  S.  27.  Ueber  die  Akademie  der  Lincei  s.  Domenico  Ca- 
rutti,  Di  Giovanni  Eckio  e  della  instituzione  delP  Accademia  dei 
Lincei,   und   Degli   Ultimi   tempi,    delP    ultima    opera    degli   antichi 


480  Nachträge. 

Lincei  etc.,  Rom  1877.  1878  (in  den  Atti  della  R.  Acc.  dei  Lin- 
cei  1876 — 77,  S.  3,  vol.  1,  p.  65,  und  1877—78,  vol.  II,  auch  in 
Separat-Abdruck).     Vgl.  auch  die  Atti  1878 — 79,   Transunti  III,  73. 

Zu  S.  29.  Berti  berichtet  in  den  Atti  della  R.  Acc.  dei  Lin- 
cei 1876 — 77,  S.  3,  Transunti,  vol.  1,  p.  158:  Cremonini's  Vor- 
lesungen machten  ihn  der  Inquisition  verdächtig.  Seine  Bücher 
„De  coelo,  Apologia  dictorum  Aristotelis,  De  quinta  coeli  substan- 
tia",  gaben  Anlass  zu  einem  Streite  mit  der  Inquisition  zu  Padua 
und  zu  Rom,  welcher  über  sieben  Jahre  dauerte..  1626  wurde 
er  zu  Rom  denuncirt,  er  behaupte  die  Sterblichkeit  der  Seele  und 
die  Ewigkeit  der  Welt.  —  Seine  „Disputatio  de  Coelo"  wurde  1. 
Jan.   1622  resp.   3.  Juli    1623  auf  den  Index  gesetzt. 

Zu  S.  74.  Von  dem  Sacro  Arsenale  besitze  ich  jetzt  die  Aus- 
gaben Bologna  1679  und  Rom  1730.  Letztere  wird  als  „vierter 
(Römischer)  Abdruck''  bezeichnet.  Die  Annotationi  in  den  Römi- 
schen Ausgaben  sind  von  Pasqualone;  von  Menghini  sind  die  p.  2^ 
(25)  ff.  beigefügten  Formulare  nebst  den  daneben  stehenden  An- 
weisungen. Dieselben  waren  ursprünglich  von  Menghini  besonders 
veröffentlicht  unter  dem  Titel:  „Regole  dei  Tribunale  dei  Sant' 
Officio  praticate  in  alcuni  Casi  Imaginarij  da  F.  Tomaso  Menghini 
d'Albacina,  Inquisitore  Generale  di  Ferrara  e  suo  Ducato,  per 
lume  de'  Vicarij  della  di  lui  Giurisdizione".  Ich  besitze  von  dieser 
Publication  die  „seconda  Impressione",  Ferrara   1687. 

Zu  S.  129,  Anm.  3.  Das  Concept  des  Zeugnisses  Bellar- 
mins ist  abgedruckt  bei  Berti,  II  Processo,  N.  Ed.  p.   277. 

Zu  S.  151  u.:  Am  20.  April  schrieb  Ca-stelli  Galilei  von 
Pisa  aus:  Bfoscagli?]  habe  dorthin  geschrieben,  er  habe  heimlich 
vor  dem  Cardinal  Bellarmin  abschwören  müssen.  Am  2^.  (oder 
25.)  April  schrieb  Sagredo  von  Venedig:  es  sei  dort  ausgestreut 
worden,  was  S.  151  angegeben  ist.  Galilei  theilte  dem  Cardinal 
Bellarmin  eine  Abschrift  dieser  Stellen  aus  den  beiden  Briefen  mit, 
und  der  Cardinal  stellte  ihm  darauf  das  oben  (S.  129)  mitgetheilte 
Zeugniss  aus.     S.   Berti,  II  Processo,  N.  Ed.  p.  43.   278. 

Zu  S.  154.  Ueber  die  Sitzung  der  Lincei  vgl.  den  oben  er- 
wähnten Aufsatz  von  Domenico  Carutti,  Di  Giovanni  Eckio  (auch 
die  Atti  1876 — 77,  Transunti  I,  45).  Nach  p.  65  wollte  Valerio 
nicht  mehr  zu  der  Akademie  gehören,  weil  sie  eine  verderbliche 
Lehre  befördere.  In  der  Sitzung  vom  24.  März  16 16,  in  welcher 
Cesi,  Galilei,  Stelluti,  Faber  und  Angelo  de  Filiis  anwesend  waren, 
wurde  darauf  beschlossen:  Valerio  nicht  aus  dem  Verzeichnisse 
der  Mitglieder    zu    streichen,    aber    von    den    Sitzungen    und    Ab- 


Nachträge.  48 1 

Stimmungen  auszuschliessen,  1.  weil  er  gar  keinen  Grund  gehabt, 
sich  von  der  Akademie  loszusagen;  2.  weil  er  durch  die  Erklärung, 
er  wolle  kein  Linceo  sein,  gegen  die  Akademie  selbst  den  Vor- 
wurf erhebe,  als  habe  sie  sich  eines  Vergehens  oder  offenbaren 
Irrthums  bezüglich  der  Meinung  von  der  Bewegung  der  Erde 
schuldig  gemacht,  von  welcher  Meinung  Valerio  sage,  Galilei  hul- 
dige derselben  als  Mitglied  der  Akademie;  3.  weil  er  Galilei  selbst, 
den  er  sonst  immer  als  seinen  Freund  behandelt,  eines  Irrthums 
und  grossen  Vergehens  beschuldigt,  da  doch  Galilei  jene  Meinung 
nur 'als  eine  Meinung  behandelt  habe.  —  Ganz  klar  ist  die  Sache 
nicht;  aber  sie  verhält  sich  jedenfalls  anders,  als  Odescalchi  angibt. 

Zu  S.  275.  Die  „Decisiones  morales"  von  Pasqualigo  wur- 
den 2.  Jan.  1684  donec  corrigantur  auf  den  Index  gesetzt.  Ferner 
steht  von  ihm  auf  dem  Index:  „Sacra  moralis  doctrinae  de  statu 
supernaturali  humanae  naturae",  nisi  fuerit  ex  correctis  iuxta  de- 
cretum  29.  Martii  1656. 

Zu  S.  299,  Anm.  4  und  zu  S.  3i2,  Z.  3  v.  u.:  Gebier,  de 
l'Epinois  und  Pieralisi  geben  an,  in  den  Vaticanischen  Acten  stehe, 
wie  bei  Gherardi,  et  si,  nicht  ac  si\  Berti  hat  auch  in  seiner  neuen 
Ausgabe  der  Acten  p.  214  wieder  ac  si  drucken  lassen.  Jeden- 
falls würde  aber  auch  dieses  durch  „und  wenn",  nicht  durch  „als 
ob"  zu  übersetzen  sein. 

Zu  S.  3oo,  Anm.  2.  Wohlwill  berichtet,  Zts.  f.  Math.  1879,  2, 
über  Gherardi's  Mittheilungen  folgendes  Weitere:  Gherardi  hat  den 
Beschluss  der  Inquisition  nicht  nur  in  dem  Bande  der  Decreta 
(s.  o.  S.  4),  sondern  auch  noch  auf  neun  losen  Blättern  gefunden. 
Der  Wortlaut  ist  auf  diesen  Blättern  verschieden;  von  vier  wird 
er  mitgetheilt.  Auf  einem  Blatte  steht:  Smus  decrevit  ipsum  Gali- 
leam  interrogandmn  esse  super  intentione,  et  comminata  ei  tortura,  et 
si  attamen  sustinuerit  vel  perstiterit  (dann  sind  ungefähr  zwei  Zeilen 
durch  Durchstreichen  unleserlich  gemacht)  si  demum  destiterit  (hier 
findet  sich  am  Rande  vel  cesserit  recesserit),  praevia  abiuratione  de 
vehe?nenti  in  plena  Congregatione  S.  O.  condemnandwn  ad  carcerem 
etc.  Auf  einem  zweiten  Blatte  steht  ganz  dasselbe;  nur  finden  sich 
an  der  Stelle  der  auf  dem  ersten  Blatte  durchstrichenen  Worte 
Reihen  von  Doppelstrichen  (=),  wie  sie  nach  Gherardi's  Angabe 
in  derartigen  Manuscripten  häufig  vorkommen,  und  zwar  an  der 
Stelle  bestimmter,  dem  Schreiber  geläufiger  Formelausdrücke.  Die 
Fassung  in  dem  Bande  der  Decreta  stimmt  mit  der  auf  dem  ersten 
Blatte  überein;  nur  fehlt  die  Randnote  und  auch  da,  wo  auf  dem 
ersten  Blatte  attamen,  vel  perstiterit,  si  demum  destiterit  steht,  finden 

Keusch,  Galilei.  31 


482  Nachträge. 

sich  durchstrichene  Worte,  von  denen  destiterit  noch  zu  erkennen 
ist.  Auf  einem  dritten  Blatte  steht  das  Decret,  wie  es  Gherardi 
früher  veröffentlicht  hat:  Smus  decrevit  ipsum  Galileum  interrogan- 
dum  esse  super  intentione,  et  comminata  ei  lortura,  et  si  sustinuerit, 
praevia  abiuratione  de  vehementi  in  plena  Congregatione  S.  Off.  con- 
demnandum  ad  carcerem  etc.,  auf  einem  vierten  ebenso,  nur  et  si  de- 
stiterit statt  et  si  sustinuerit.  Die  beiden  letzten  Aufzeichnungen 
sind  nach  Gherardi's  Meinung  nicht  vor  1828 — 38  geschrieben, 
die  beiden  ersten  dagegen  „sehr  alten  Ursprungs".  —  Gherardi's 
Aufschlüsse  lassen,  wie  Wohlwill  S.  6  sagt,  noch  viel  zu  wünschen 
übrig;  die  bereits  in  der  Sitzung  der  Accademia  dei  Lincei  vom 
3.  Dec.  1876  von  ihm  in  Aussicht  gestellten  Mittheilungen  sind 
meines  Wissens  noch  nicht  erfolgt.  Jedenfalls  ist  die  Fassung  des 
Decretes,  wie  es  S.  299  nach  den  Acten  S.  1 12  mitgetheilt  ist,  durch 
Streichungen  aus  einer  altern  Form  hergestellt.  Wohlwill  meint, 
dieses  sei  erst  im  19.  Jahrhundert  geschehen,  der  am  16.  Juni  1633 
gefasste  Beschluss  habe  für  den  Fall,  dass  Galilei  bei  der  Andro- 
hung der  Folterung  standhaft  bleibe  (si  sustinuerit  erklärt  er  jetzt 
wie  ich  S.  512,  314),  die  Folterung  oder  wenigstens  die  Schreckung 
in  der  Folterkammer  angeordnet.  Ich  halte  es  auch  jetzt  noch  für 
wahrscheinlicher,  dass  diese  Massregeln  zwar  in  der  Mittwochs-  oder 
auch  noch  in  der  Donnerstags-Sitzung  beantragt  worden  sind,  dass 
aber  in  dieser  schliesslich  das  beschlossen  worden  ist,  was  oben 
S.  299  mitgetheilt  worden.  Die  ausgestrichenen  Worte  in  dem  Ent- 
würfe könnten  gelautet  haben  (et  si  attamen  sustinuerit  vel  persti- 
terit)  ducendum  ad  locum  torturae  ibique  spoliandum,  ligandum  et 
funi  applicandum  et  iterum  interrogandum  (s.  o.  S.  308,  Anm.  1  und  2). 
Das  si  demum  destiterit  (vel  cesserit,  recesserit)  ist  mir  unerklärlich, 
denn  wenn  Galilei  von  seiner  bisherigen  Erklärung  abliess,  also 
seine  häretische  Intention  eingestand,  war  er  nicht  zur  abiuratio  de 
vehementi,  sondern  zur  abiuratio  de  formali  zu  verurtheilen;  s.  o.  S. 
305-  312. 


PERSONEN  -  REGISTER. 


Accarisio   430. 

Aggiunti  374.  430. 

Agucchi  27. 

Alexander  VII.  443. 

Alidosi  223. 

Ambrogetti  420. 

Anfossi  441. 

Antonini  214. 

Aproino  216. 

Ascoli,  Card,  von,  s.  Centini. 

Attavanti  80.  87. 

Baliani  33. 

Barberini,    Maffeo,    s.   Urban  VIII. 

Die   anderen    Barberini    178.   195 

u.  s. 
Baronius  44. 
Beaugrand  427. 
Bellarmin    14.    25.   56.  62.  91.   125. 

450  u.  s. 
Benedict  XIV.  440. 
Bentivoglio,  Card.  221.  260. 
Berigardo  (Beauregard)  421. 
Bernegger  387.  414. 
Boccabella  254.   256. 
Bocchineri   197. 
Borgia,  Card.   197.   226.  331. 
Boscaglia  38. 
Boscovich  458. 
Bouillau  421. 

Buonamici  6.   229.   232.  376. 
Buonarroti  254. 
Buoncompagni,  Card.    167.    182. 

Caccini  78.   100.    159. 

Calasanza  409. 

Campanella  61.   157.  164.    173.  176. 

233- 
Capponi,  Card.  264. 
Caramuel  459.  460.  463. 
Carcavi  420. 
Carena  75. 
Castelli   18.  22.  37.   195.    261.  389. 

402  u.  s. 
Cavalieri  409. 

Centini,  Card.  v.  Ascoli  100.   200. 
Cesarini  27.   162.   175.   177. 
Cesi  14.  26.   88.  199  u.  s. 


Cosimo  II.  8.   175. 
Chiaramonti   188.  238.   263.  421. 
Christina  von  Lothringen  38.  43. 
Ciampoli  27.  90.  175.  177.  197.  226. 

u.   s. 
Cigoli  17. 
Cini  263. 

Cioli  222.  246.  248.  288. 
Claras,  Julius  75. 
Clavius   17.   28. 
Clemens  s.  Settimi. 
Cobelluzzi,  Card.  v.  S.  Susanna  181. 

190. 
Colombe,  L.  delle  26.  36. 
Contarini  218. 
Conti,  Card.  37. 
Cremona,  Card,  v.,  s.  Scaglia. 
Cremonini  17.  29.  480. 

Dini  27.  90. 
Diodati  57.  415. 

Elzevir  414. 

Este,  Card.  v.  102. 

Faber  27. 

Fabri,  Honoratus  438.  457.  463. 

Farinacci  75. 

Febeo   259. 

Ferdinand  II.,  Grossherzog  246.  248. 

Ferdinand  IL,  Kaiser,  416. 

Firenzuola(Macolano)  232.  267.283. 

357- 
Foscarini  59.  96.   144.  414. 
Fromond    57.  421. 

Galamini,  Card.  85. 

Galilei,  Vincenzo   10.   181.  397. 

Galilei's  Töchter  10.  177.  388. 
Gassendi  172.  439. 
Gherardini,  Bischof  90. 
Gherardini,  Canonicus  6.  234. 
Ginetti,  Card.  254.  278. 
Grassi  160.  234. 
Gregor  XV.  175. 

Griemberger   19.   56.  91.   215.   233. 
Grotius  388. 
Gualdo  23. 


484 


Personen-Register. 


Guevara  169. 

Guicciardini   103.   151. 

Guiducci   160.   166.  263.  373.  431. 

Hohenzollern,  Card.  181. 
Holstenius   232. 
Hortensius  399. 

Inchofer  122.  234.  237.273.345.421. 
Ingoli  185. 

Kellison  375. 

Kepler   20.  114.  157.  173.  185.  190. 

Kochanski  458. 

Ladislaus  IV.   von  Polen  392.  426. 

Lalande  440. 

Leibniz  439. 

Libri   17. 

Liceti  15.  374.  420. 

Lorini  78.  82. 

Ludovisi,  Card.   175. 

Macolano  s.  Firenzuola. 

Magalotti  230.  236.  244. 

Magiotti  420. 

Maraffi  80. 

Marsili,  Alessandro  385. 

Marsili.  Cesare    189. 

Marzi-Medizi  77. 

Masini  74.  480. 

Mazzoni  20. 

Medici,  Card.   105. 

Mellini,  Card.  70. 

Menghini  74.  480. 

Micanzio  171.  214.  377.  412  u.  s. 

Michelini  409. 

Mirto  200. 

Monte,  Card,  del  24.  95.   152. 

Morandi  200. 

Morin  421.  427. 

Muti  152. 

Niccolini  197.  222.  320.  381  u.  s.  . 
Noailles  391.  418. 

Oregio   210.   237.  272.   275. 
Olivieri  80.   120.  441. 
Orsini,  Card.   104.    170.    189. 

Paganino  378. 
Pasqualigo  237.   275.  481. 
Pasqualone  74.  480. 
Paul  V.  24.    104.   153.    174. 


Peiresc  389. 
Pena  75. 
Peri  374.  409. 
Picchena  99.  248. 
Piccolomini  382. 
Pieroni  414. 
Pignatelli  75. 
Pineda  35. 

Querenghi   102. 

Renieri  6.  378.  410. 

Riccardi  164.  170. 182.  195.237.351, 

u.  s. 
Ridolfi  228. 
Rinuccini  427. 
Rocco  420.  429. 

Sagredo    151.   194. 

Salviati  33.  194. 

Sarpi  30.  86. 

Scaglia,'  Card.  v.  Cremona  260.  262. 

363. 
Scheiner  13.   17.  31.  170.  234.  242. 

416.  422. 
Scioppius   182. 
Seghizzi  70.   128. 
Serristori  261. 
Settele  441. 

Settimi  (P.  Clemens)  409. 
Sfondrati,  Card.   82.    in. 
Sizi   17.  36. 
Simplicio   194.   231. 
Sinceri  70. 
Spinola  167. 
Stefani  203. 
Stelliola    156. 
Stelluti  27.   162.    177. 

Torricelli   172.   215.  410. 

Ubaldini,  Card.   226. 
Urban  VIII.   18.  56.  62.  92.  94.  165. 
175.   221.  434.  u.  s. 

Valerio   27.   154.    480. 
Veglia  5.   215. 
Visconti   198.  200. 
Viviani  6.  410.  424.  436. 

Wadding  421. 
Weerdt,  F.  de  430. 
Welser  23.  31. 

Zacchia,   Card.  331. 


Universitäts-Buchdruckerei  von  Carl  Georgi  in  Bonn.