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Full text of "Abhandlungen aus dem Gebiete der Naturwissenschaften 14-15"

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HARVARD UNIVERSITY. 





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MUSEUM OF COMPARATIVE ZOOLOGY. 
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ABHANDLUNGEN 


aus dem 


Gebiete der Naturwissenschaften 


herausgegeben vom 


Naturwissenschaftlichen Verein 


in Hamburg. 
— XIV. Band. — 


INHALT: 


Zur Mechanik des Vogelfluges von Dr. Fr. Ahlborn. 


---9-9.90— eo - - 


HAMBURG. 
L. Friederichsen & Co. 


“1896. 





Druck von Grefe & Tiedemann. 


Mechanik des Vogelfluges. 


Dr. Fr. Ahlborn 


in Hamburg. 


Mit 54 Abbildungen im Text. 


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INHALT. 


I. Teil. 
Der Ruderflug. 


Einleitung cv aces, Lie dag Sir ated ar aiaa nren ANE Dee 


Der Luftwiderstand ............ Ak Wee ee ces. Sha aes Chie woe eae 


Ba des Blugels" 2.0: RR edes men dee A RSE a 
Wirkung des Fliigelschlages..... ...... TIE TAE 
Bedeutung der gewólbten Flugflachen.. ... . .. TNT 


Formen des Vogelfliigels ....... . 


Rückschlag des Flügels beim Ruderfluge .......... PLI 


Unregelmässigkeiten beim Fluge .......... bwin ne EGO eee, Den 
Vertikale und horizontale Schwankungen... .. 2... nn. 
Erhaltung des Gleichgewichtes........ P xen heat eee ee eke 


Flugflichen des Rumpfes und Schwanzes ............. 


II. Teil. 
Der Flug ohne Flügelschlag. 


Einleitung... sa beining sent wire 


Der Gleit- und Schwebflug .... .... 22.2.2... T c 


Der Segelflug. Kritik der vorhandenen Erklärungsversuche .. 


Analyse des Segelfluges ...... TIEMPO AS, uh. RoMsd ue ip re dea tras oe Jodi oe d d 
Von welchen körperlichen Eigenschaften hängt das Segelvermógen der Vögel ab? .. 


Die Arten des Segelfluges ... 2:2: 2220 0 2.0.2 eee EE ee 


Schluss. (Anwendung auf die Aviatik.) ............ 


ee OW DURS Vo Che oue com or she aa a e te Ge Se ele 


-=<-- - ee ee nn ee et ee 


Vorwort. 


Die vorliegende Arbeit ist das Ergebnis eines mehrjährigen Studiums der Flug- 
bewegungen, zu welchem Verfasser durch eine Diskussion des Fischfluges im Natur- 
wissenschaftlichen Verein zu Hamburg die erste Anregung empfing. Zur Entscheidung 
der bestehenden Kontroversen erwies sich ein eingehenderes Studium des Vogelfluges als 
notwendig. Das gerade erschienene grosse Werk Marey’s über den Vogelflug mit seinen 
weitreichenden Litteraturangaben bot dazu eine willkommene Gelegenheit. Es zeigten 
sich bald die Stellen, wo die Forschung vor Schwierigkeiten Halt gemacht, wo daher ein 


weiteres Vordringen einzusetzen hatte. 


Zunächst galt es auf aérodynamischem Gebiete die Konsequenzen des Avanzinischen 
Gesetzes zu ermitteln, welches sich auf die Verteilung des Widerstandes von Flüssigkeiten 
gegen schräge Flächen bezieht. Zu diesem Zwecke konstruierte Verfasser einen grossen 
Präzisionsapparat zur Analyse des Luftwiderstandes gegen geneigte Flächen. Der Apparat 
wurde im Naturwissenschaftlichen Verein zu Hamburg, sowie auf der 67. Versammlung 
deutscher Naturforscher und Aerzte in Lübeck s. Z. vorgezeigt und erläutert. Die noch 
nicht abgeschlossenen Untersuchungen wurden mit Genehmigung des Herrn Geheimrat 
Neumayer auf der deutschen Seewarte ausgeführt, mit Benutzung der dortigen grossen 
Combes'schen Rotationsmaschine und ihren chronographischen und sonstigen Hülfs- 
einrichtungen. Der Naturwissenschaftliche Verein und die Averhoff'sche Stiftung 
in Hamburg stellten die erforderlichen nicht unbedeutenden Mittel zum Bau der Apparate 
bereitwillig zur Verfügung, wofür ich hier meinen verbindlichen Dank aussprechen möchte. 

Während der Untersuchungen erschien die grosse Arbeit Langley's über Aéro- 
dynamics, welche die Verhältnisse des Widerstandes soweit aufklärten, als zur Fortführung 
der wichtigsten Fragen des Vogelfluges nötig war. Die eignen bis dahin. gewonnenen 
Beobachtungsresultate stimmten mit den theoretischen Erwartungen und mit Langley's 


Angaben im Prinzip überein. Da nun infolge eines Bruches eine tiefgreifende und lang: 


wierige Reparatur des Apparats nötig wurde, und Mangel an Zeit und andere Gründe 
den Abschluss der aérodynamischen Untersuchungen in die Ferne rückten, so entschloss 
sich Verfasser zunächst zu einer Durcharbeitung des Vogelfluges auf Grund der inzwischen 
gewonnenen Erfahrungen. 

Die hierbei erzielten Resultate bestehen, wie man sehen wird, im wesentlichen 
in einer Erweiterung unserer Kenntnisse über die mechanische Bedeutung der verschiedenen 
Flügelformen und Flugarten; und es ist schliesslich gelungen, den Schleier zu lüften, 


der bis dahin das Zustandekommen des Segelfluges in so geheimnisvolles Dunkel hüllte. 


Mögen diese Ergebnisse rein wissenschaftlicher Forschung auch den praktischen 
Bestrebungen förderlich sein, deren Ziel ist: die Ausdehnung der Herrschaft des Menschen 
auf das Reich der Lüfte. 


Hamburg, Realgymnasium des Johanneums. 


Herbst 1895. 


I. Teil. 


Der Ruderflug. 


1. Einleitung. 


Die freie Natur zeigt uns ihre befiederten Bewohner mehr in der Bewegung, als 
in der Ruhe, mehr im Fluge, als sitzend und schreitend. Dem Land- und Forstwirt, dem 
Seemann und wen sonst der Beruf hinaus in’s Freie führt, ist daher die Erscheinung des 
fliegenden Vogels eine weit bekanntere, als die des ruhenden. Der Naturfreund und 
Biologe, der es liebt, die Tiere bei ihrem Thun und Treiben zu beobachten, erkennt dic 
Vögel weniger an ihren systematischen Merkmalen, als an dem Bilde, welches sie in ihrem 
Fluge vor seinen Augen vorüberziehen lassen. Er kennt sie an ihrer Grösse, an denı 
Umrissbild, mit dem sie sich vom hellen Hintergrunde des Himmels abheben, an der 
‘ Gestalt der Fluglinie, der Art und Häufigkeit ihres Flügelschlages, an den Lauten, die 
sie im Fliegen hervorbringen, an ihrer Geselligkeit und dem Charakter der Landschaft, 
welche das ganze Flugbild umrahmt. 

Oft übt der Wind einen unverkennbaren Einfluss auf den Verlauf des Fluges. 
Kleinere Vögel kämpfen mühsam flügelschlagend mit Aufgebot aller Kräfte gegen den 
Wind, um ihren Standort oder die Zugstrasse innezuhalten oder wiederzugewinnen, und 
häufig genug verschlagt sie der Wind hinaus in's offene Meer oder auf einsame Eilande, 
und zwingt sie, ein heimatsloses, unstetes Leben zu führen. Die schmalflügeligen Möven, 
die bei ruhigem Wetter träge und schwankend über der regungslosen Wasserfläche dahin- 
rudern, sie tummeln sich mit grosser Lebhaftigkeit auf vielverschlungenen Bahnen fast 
ohne Flügelschlag in der Luft, wenn der Wind ihren Flügeln Kraft verleiht; und der 
Albatros, der bei Windstille vergessen zu haben scheint, dass er Flügel hat, wird zum 
König aller Flugtiere in den stürmisch bewegten Lüften der Kapmeere. 

Sieht man von den Begleiterscheinungen ab, welche den äusseren Gesamteindruck 
des Flugbildes bei den einzelnen Arten der Vögel vervollständigen, achtet man nur auf 
die Thätigkeit des Flugapparats in seiner Wechselwirkung gegen die Luft, so ergeben 
sich zwei auffällig verschiedene Flugmethoden, der aktive Ruderflug, mit Flügelschlag und 


der passive Flug, bei welchem der Vogel die Flügel in ausgebreiteter Stellung festhält, 
schwebend und segelnd oder gar periodisch ganz einzieht, wenn er pfeilartig durch 
die Luft gleitet. 

Die Anwendung dieser beiden Flugmethoden ist eine sehr verschiedene. Die 
meisten Vögel wenden gewöhnlich den Flügelschlag an, andere, wie der Albatros, pflegen 
mit Vorliebe zu schweben und zu segeln. Aber so gut der Albatros gelegentlich Flügel- 
schläge ausführt, so gut fliegen auch die echten Ruderer, unter denen die Hühner die 
schwerfälligsten sind, in vorübergehenden Pausen mit ruhigen Flügeln. Und wenn der 
Kondor nur beim Abfliegen Flügelschläge anwendet, um seine volle Geschwindigkeit zu 
erlangen, und dann stundenlang ohne einen Flügelschlag kreisend und schwebend die 
höchsten Luftschichten durchzieht, so giebt es viele andere Vögel, die während des ganzen 
Fluges ohne Unterbrechung rudern und nur am Schluss, um die Geschwindigkeit zu 
dämpfen, eine kurze Strecke mit ruhigen Flügeln herabschweben. Passiv kreisend lässt 
sich der Storch vom Winde emporheben und langsam durch die Luft dahintragen, oder 
er rudert rastlos vorwärts, dem Winde entgegen; in ruhiger Luft sieht man ihn abends 
in kurzen, wechselnden Perioden rudernd und schwebend seinem Neste zufliegen. 
Periodisch ist auch der Wellenflug der kleinen Singvögel, doch haben sie in den Inter- 
vallen des Ruderfluges ihre Flügel dicht herangezogen, wie der Falke, der hoch aus der 
Luft auf seine Beute herabstösst. Die Segler, Möven und Sturmvögel bewegen sich ohne 
Flügelschlag auf unregelmässigen, mannigfach gekrümmten Bahnen; die grossen Raubvögel 
aber segeln fast nur in Kreisen, Spiralen und Schleifenlinien, und der wechselvolle, leicht 
vom Willen beherrschte Flug jener ist ihnen unmöglich. 

Es ist eine überaus dankbare Aufgabe biologischer Forschung, den Zusammenhang 
dieser auffälligen Verschiedenheiten des Fluges mit den sonstigen Lebensgewohnheiten 
und Existenzbedingungen der Arten festzustellen, und den weiteren Ursachen nachzugehen, 
welche im Laufe der stammesgeschichtlichen Entwicklung eine so ungleiche Ausgestaltung 
des Flugvermögens — vom Kondor bis zu den Kolibris, vom Albatros bis zu den 
Straussen und Pinguinen — veranlasst haben können. 

Für unsere flugmechanischen Betrachtungen kommen nur die nächstliegenden 
Ursachen jener Verschiedenheiten in Frage, und diese liegen — abgesehen von den 
erwähnten Einflüssen des Windes -— so gut wie ausschliesslich in den ungleichen Ver- 
hältnissen des Flugmech: nismus der Vögel. Die vergleichende Anatomie zeigt uns zwar 
in den natürlichen Flugapparaten dieselben Knochen und Bänder, dieselben Muskeln, 
Sehnen, Nerven und Häute, dieselben Arten der Federn und alles in analoger, typischer 
Zusammenstellung; aber dieser nominellen Uebereinstimmung stehen in qualitativer, wie 
quantitativer Hinsicht ebenso viele verschiedenartige Kombinationen jener anatomischen 
Elemente gegenüber, als es verschiedene Vogel- und Flugtypen giebt. 

Die gediegenen Untersuchungen von Prechtl, Harting, Marey, Legal & Reichel, 
Müllenhoff u. a. haben hierfür ein reiches Material exakter Beobachtungen zu Tage 
gefördert und eine Reihe wichtiger Beziehungen zwischen jenen verschiedenen Organisationen 
und dem Charakter des Fluges der Vogel ermittelt. Wir wissen jetzt, dass die Ruderer 


9 


unter den Vögeln eine relativ kräftige Muskulatur besitzen, deren Fasern schräg nach 
hinten und unten gegen die Längsachse des Körpers geneigt stehen, dass die Flügel hohl 
und meist zugespitzt erscheinen, und dass das lineare Verhältnis der Flügeloberfläche und 
des Körpergewichts grösser ist, als bei den Vögeln, die sich vorherrschend des Schweb- 
und Segelfluges bedienen. Von diesen Seglern aber ist bekannt, dass ihre Flugmuskeln 
vergleichsweise schwächer sind, dass die Fasern der Brustmuskeln mehr senkrecht, dorso- 
ventral vom Schultergelenk nach dem Brustbein hinüberziehen, und dass die Flügelformen 
mehr lang, schmal, abgestutzt und flach sind. 


Leider aber fehlt bis jetzt eine befriedigende Erklärung aller dieser und 
vieler anderer richtig erkannter Beobachtungen, und der mechanische Zusammenhang 
zwischen der beobachteten Organisation und ihrer Funktion, dem Flugtyp, ist unklar 
geblieben. Diesen Zusammenhang im Einzelnen nachzuweisen, ist das Endziel einer 
physiologischen Mechanik des Vogelfluges, zu welcher die nachfolgenden Studien hoffentlich 
einige nützliche Bausteine liefern werden. Der Zukunft muss es vorbehalten bleiben, 
den ganzen Bau zu errichten und in allen Einzelheiten systematisch durchzuarbeiten. Gegen- 
wärtig sind wir von diesem Ziele noch weit entfernt, noch ist, um nur Einzelnes heraus- 
zugreifen, die mechanische Bedeutung der verschiedenen Flügelformen unvollständig oder gar 
nicht erkannt, und die vollendetste aller Flugarten, der Segelflug, ist — trotz aller bisherigen 
Erklärungsversuche -— noch heute ein ebenso vollkommenes und unerklärtes Naturwunder, 
wie er es zu allen Zeiten gewesen ist. Die nächstliegende und wichtigste Aufgabe der 
Forschung ist daher vor allem anderen, diese fundamentalen Probleme der Flugmechanik 
und was damit zusammenhängt einer Lösung entgegenzuführen, und das ist das Ziel der 
vorliegenden Untersuchung. 

Der Flug ist die Folge der Wechselwirkung des durch das Körpergewicht 
belasteten Flugapparats gegen die ruhende oder bewegte Luft. Die Luft setzt der 
Bewegung der Flügel einen Widerstand entgegen, der den in der Luft frei schwebenden 
Vogel nicht nur trägt und hebt, sondern unter allen Umständen auch vorwärts treibt. 
Zum Verständnis der Flugerscheinungen ist daher zweierlei vorauszuschicken: 


1. Die Gesetze des Luftwiderstandes, 


» 2. Die Einrichtung des Flugapparats. 


2. Der Luftwiderstand. 


Wenn ein Wind von ı m Stärke senkrecht gegen eine kreisförmige Platte von 
I qm Flächeninhalt trifft, so übt er auf die Platte einen Druck von ca. 0,13 kg aus, und 
umgekehrt, wenn dieselbe Platte mit einer Geschwindigkeit von 1 m in der Sekunde 
gegen ruhende Luft bewegt wird, so leistet diese gegen die Bewegung einen Widerstand 
von 0,13 kg. Nimmt man grössere Platten, so zeigt sich, dass der Widerstand im gleichen 
Masse zunimmt, wie der Flächeninhalt der Platte. Steigert man die Geschwindigkeit 


2 


LO 


der Bewegung, so wächst im allgemeinen der Widerstand mit dem Quadrate der 
Geschwindigkeit, und man erhält somit für die Berechnung des Widerstandes W die ein- 
fachste der vorhandenen empirischen Formeln 
W-013T18% 
wo f den Flächeninhalt und v die Windstärke bedeutet. Für den Fall. dass der Wind 
nicht rechtwinklig auf die Fläche trifft, sondern unter einem spitzen Winkel «, hat man 
die rechte Seite der Gleichung noch mit sin « zu multiplizieren: 
W = 0,13. f. v? sin «. 

Wir übergehen als für unsere Zwecke zunàchst von untergeordneter Bedeutung 
die vorhandenen anderen Formeln für den Luftwiderstand, in denen das konstante Glied 
eine nahere Interpretation erfahren, und die Glieder v? und sin « gewissen abweichenden 
Resultaten der Beobachtung enger angepasst ist. 

Von grosser Bedeutung für die Aérodynamik und besonders für die uns inter- 
essierenden Fragen des Vogelflugs sind die hydrodynamischen Untersuchungen A vanzini's 
geworden, deren Ergebnisse von Duchemin*)citiert werden. Avanzini liess auf verschieden 
gestaltete rechteckige Tafeln den Druck eines Wasserstromes unter verschiedenen Einfalls- 
winkeln einwirken und stellte fest, dass bei rechtwinkligem Auftreffen des Stromes der 
Widerstandsmittelpunkt (= Angriffspunkt der Resultante des Wasserdruckes) mit dem 
Schwerpunkte der getroffenen Fläche zusammenfalle, dass dagegen bei schiefwinkligem 
Auftreffen des Stromes der Widerstandsmittelpunkt umsomehr gegen den Vorderrand der 
Tafel sich verschiebe, je spitzer der Einfallswinkel, je geringer die Geschwindigkeit: und 
je kleiner das Verhältnis der in der Stromrichtung liegenden Seitenlinie des Rechtecks 
zur Länge des Vorderrandes ist. — Bei der grossen Aehnlichkeit der hydrodynamischen 
und aérodynamischen Vorgänge liess sich erwarten, dass ähnliche Verhältnisse wie die 
von Avanzini ermittelten auch bei der Einwirkung von Luftströmen auf geneigte Platten 
vorliegen würden. 

Diese Vermutung wurde zuerst durch die experimentellen Untersuchungen von 
Joéssel**) und Kummer***) bestätigt und hat dann neuerdings in den von W. H. Dines+) 
zu Hersham bei London ausgeführten Untersuchungen und namentlich endlich durch die 
grossartigen Experimente von S. P. Langley t7) weitere eingehende Prüfung und Bestätigung 
gefunden. 

Wenn es nun auch noch nicht möglich ist, die qualitative Wirkung des Luft- 
widerstandes gegen geneigte Flächen so allgemein zu formulieren, wie es durch Avanzini 
tür den Widerstand des Wassers geschehen ist, so ist doch schon jetzt mit Bestimmtheit 
festgestellt, dass die Grösse des Widerstandes keine einfache Funktion des l“lächeninhaltes 


*) Experimental-Untersuchungen über die Gesetze des Widerstandes der Flüssigkeiten. Deutsch 
von Schnuse. Braunschweig 1844. 
**) Joéssel. Mémorial du Génie Maritime 1870, 
*5*; Kummer. Ueber die Wirkung des Luftwiderstandes. Abhand. der Berl. Akad. d. Wiss. 1875. 
T) W. H. Dines, Verschiedene Abhandlungen in Quart. Journ. of R. Meteor. Soc XV etc. 
Tr) S. P. Langley. Experiments in Aerodynamics. Smithsonian Contrib, 1891. 


|I 


ist, wie es nach den bisher angenommenen Formeln zu sein schien, sondern dass dieser 
Widerstand sehr wesentlich auch von der Form der getroffenen Fläche abhängig ist, und 
dass es dabei in erster Linie auf die Länge des Vorderrandes der Fläche ankommt. 





Fig. ı (nach Langley). 
Darstellung des Widerstandes, den die Luft an drei geneigten Flächen von gleichem Inhalt, aber verschiedener 
Form und Stellung hervorruft. Bei der ‘Tafel I (30 X 4,8 inch) steht der lange Rand (30 inch), bei der 
Tafel III der kurze Rand (6 inch) quer zur Windrichtung. Die Abscissen bedeuten die Neigungswinkel der 
Tafel gegen die Horizontale. Die Ordinaten bedeuten die rechtwinklig zur Tafel gerichteten Komponenten 
F (a) der Widerstandsresultante P(a), bezogen auf den Gesammtdruck P (90) des Windes bei rechtwinkligem Auf- 
treffen, desselben also Pia) 


ED = go) 

Die vorstehende Abbildung zeigt, dass bei kleinen Neigungswinkeln der Wider- 
stand der Luft an einer Fläche (I) mit langem Vorderrand erheblich grösser ist, als an 
einer Fläche, bei welcher der schmale Rand voraufgeht. 

Durch Langley s Versuche ist ferner festgestellt, dass bei gleicher Zunahme der 
Windstärke der tragende Widerstand um so schneller wächst, je langer an einer geneigten 
Fläche von bestimmtem Inhalt der Vorderrand ist. 

Mit diesen überaus wichtigen aérodynamischen Thatsachen steht eine Reihe 
weiterer bedeutungsvoller Beobachtungen Kummer's und Langley's in Einklang, aus 


12 
denen sich, dem Avanzini'schen Gesetz entsprechend, auch für den Widerstand der 
Luft eine Verschiebung des Angriffspunktes der Resultante dieses Widerstandes gegen 
den Vorderrand der Fläche ergiebt. Bei rechtwinkligem Windstoss fällt dieser‘ Angriffs- 
punkt, den wir auch Druckmittelpunkt nennen kónnen, mit dem Schwerpunkt der Flache 
zusammen; je kleiner aber der Einfallswinkel des Windes ist, desto mehr wandert der 
Druckmittelpunkt gegen den Vorderrand. Nach Lord Rayleigh*) lässt sich für eine 
quadratische Flache von der Seitenlange b der Abstand x des Druckmittelpunktes vom 
Flächenmittelpunkte, wenn « der Neigungswinkel ist, berechnen nach der Formel: 

3.cos« 
ere 
Danach würde der Druckmittelpunkt bis auf einen Abstand von ,*,. b an den vorderen 
Rand der quadratischen Fläche heranrücken bei ganz kleinen Neigungswinkeln. 

Bei rechteckigen Flächen ist die Verschiebung grösser, wenn bei kleinen Neigungs- 
winkeln der längere Rand der Fläche in der Bewegung voraufgeht, doch sind die bestimmten 
quantitativen Beziehungen zwischen der Gestalt der Fläche und dem Grade der Verschiebung 
noch nicht bekannt. 

Ebenso fehlt bis jetzt, soviel mir bekannt geworden, jede nähere Untersuchung 
über den Grad der Verschiebung des Druckmittelpunktes, welche nach Analogie der 
A vanzini'schen Versuche durch eine Aenderung der Windstärke bei konstantem Neigungs- 
winkel herbeigeführt wird. 

Die Beziehungen zwischen den in Fig. ı dargestellten Widerstandsverhältnissen und der 
Wanderung des Druckmittelpunktes gegen den Vorderrand der vom Winde getroffenen Fläche 
ergeben sich ohne Mühe, wenn man die mechanische Ursache der Verschiebung ins Auge fasst. 

Es sei AB (Fig. 2) n E D als Drehungspunkt 


der in der Vertikal- ru E eines ungleicharmigen 
ebene liegende Durch- : | ` Hebels, so ist für den 
schnitt einer recht- E Fall des Gleichgewichts 
eckigen Tafel, welcher py. Ki die Summe der Mo- 
durch den Druckmittel- | mente der auf AD 
punkt D geht und angreifenden Wider- 


welcher mit der Wind- 
richtung W den Winkel 
« bildet. Es lässt sich 
dann die Summe aller 
normal zu AB gerich- 
teten Komponenten des 
Luftwiderstandesdurch 
eine in D angreifende 
FD 


setzen. Betrachtet man 


Resultante er- 





F 
Fig. 2. 


Schnitt AB durch eine geneigte Ebene in der Vertikal- 
ebene der Windrichtung W. Z «e Neigungswinkel 
der Ebene, D Druckmittelpunkt, FD Druckresultante 
der normalen Komponenten des Luftwiderstandes (ver- 
kürzt;, ACB mutmassliche Kurwe der Druckverteilung, 
deren Ordinaten zu AB die Normalkomponente des 


Luftdruckes für die Punkte von AB angeben, wenn 
der Neigungswinkel = « ist, AEB ähnliche Kurve für 
Zo = go", 


*) Phil; Mag 1876. Dec. pag. 430—441. 


standskrafte gleich der- 
jenigen von BD. Hier- 
aus folgt, dass die le- 
bendige Kraft der be- 
Luftteilchen 
ausciebiger auf den un- 
mittelbar hinter dem 
A lie- 
genden Flächenstreifen 
wird, als 


wegten 


Vorderrande 


übertragen 


13 


auf die Flächenteile, welche dem Hinterrande B benachbart liegen. Nun ist zwar die genaue 
Verteilung des Widerstandes auf die einzelnen Flächenteile noch nicht experimentell ermittelt, 
aber es lässt sich doch nach dem eben Gesagten die allgemeine Anordnung erkennen. Danach 
werden sich für kleine Neigungswinkel Druckkurven F («) ergeben, welche vermutlich 
mit der in Fig. 2 gezeichneten Kurve ACB Aehnlichkeit haben. Die auf AB be- 
zogenen Ordinaten dieser Kurve würden die Normalkomponenten des Luftwiderstandes 
in jedem `Punkte des Flächendurchschnittes AB vorstellen. Die hinzugezeichnete halb- 
kreisähnliche Kurve AEB*) bezeichnet den Druck P (go), den die Luft bei rechtwinkligem 
Auftreffen (« — 90°) auf die Tafel ausübt. — Ein Vergleich der beiden Flächenstücke, welche 
von jeder der beiden Kurven und der Geraden AB begrenzt werden, zeigt die absolute 
Ueberlegenheit des Widerstandes P (90) über den Normaldruck F (« < 9o °). Je mehr 
sich der Neigungswinkel œ dem Rechten nähert, desto mehr wird sich die Kurve ACB der 
Kurve AEB anschmiegen; je kleiner der Neigungswinkel, desto mehr wird sich ACB 
der Geraden AB nähern und endlich bei «:=0° mit AB zusammenfallen, d. h. es wird 
keine eigentliche Hebung mehr erfolgen. . 


Im letzteren Falle kann die Luft nur noch passiv wirken durch ihre Trägheit oder 
ihr Beharrungsvermögen, und dieses ist um so grösser, je grösser die Geschwindigkeit der Luft 
oder umgekehrt die Geschwindigkeit des die Luft durchschneidenden flächenhaften Körpers ist. 

Eine Tafel, welche man bei ruhiger Luft so zur Erde fallen lässt, dass ihre 
Fläche immer horizontal steht, wird zur Ueberwindung der Trägheit der Luft eine 
bestimmte Zeit gebrauchen. Sobald aber die Luft eine horizontale Bewegung hat, wird 
diese Zeit eine entsprechend längere sein, da sich immer neue unbeeinflusste Luftteilchen 
unter die Tafel drängen und somit die Einwirkung der Tafel sich auf eine weit grössere 
Luftmasse erstrecken muss. 


Mit anderen Worten, die mit ihrer Fläche horizontal schwebende Tafel wird von 
der bewegten Luft so getragen, als sei die Dichte der Luft durch entsprechend starke 
Kompression erhöhet worden; je grösser die Geschwindigkeit, sei es der Luft, sei es der 
horizontal bewegten Tafel, desto besser /rägt die Luft den schwebenden Körper und hindert 
ihn am Herabsinken. Langley hat in der vorhin erwähnten grossen Arbeit auch diese 
Verhältnisse mit zum Gegenstande seiner experimentellen Forschung gemacht und dabei 
manche sehr bemerkenswerte Einzelergebnisse erzielt, aber er irrt, wenn er glaubt, die 
Bedeutung der Trägheit der Luft für die Mechanik des Fluges sei »hitherto almost 
neglected by man«: sie ist schon seit mehr als 100 Jahren**) bekannt, wird aber in der 
2. Hälfte dieses Jahrhunderts so zu sagen mit Vorliebe immer wieder neu entdeckt.***) 


*) Eine ähnliche Kurve ergiebt sich aus einer tabellarischen Uebersicht, welche C. Recknagel 
(»Ueber Luftwiderstande, Zeitschr. d. Ver. deut. Ingen., Bd. XXX pag. 489 ff.) über die Verteilung des Luftdruckes 
an einer bewegten kreisformigen Scheibe gegeben hat. 

**) Silberschlag. Von dem Fluge der Vögel, Zeitschr. d. Berl. Ges. naturf. Freunde. Bd. II, 
1781--84, pag. 214. 


***) Map vergleiche darüber: Marey, Vol. des oiseaux. 1890. Seite 255. 


14 


Bedürfen nun auch auf aérodymanischem Gebiete noch manche Punkte im einzelnen 
der experimentellen Aufklarung, so sind doch die eben mitgeteilten allgemeinen Ver- 
hältnisse des Widerstandes der Luft gegen geneigte Flächen bereits so weit sicher gestellt, 
dass ihre Kenntnis für die Beurteilung der wichtigsten flugmechanischen Fragen als 
ausreichend betrachtet werden kann. Auf die sehr interessanten Untersuchungen 
Lilienthal's über den Widerstand an gewölbten Flächen werden wir später einzu- 
gehen haben. 


3., Der Bau des Flügels. 


Neben den passiven Flugflächen des Rumpfes und dem als Steuer fungierenden 
Schwanze des Vogels bilden die Flügel mit den zugehörigen Skeletteilen und Muskeln 
des Rumpfes das eigentliche, aktive Flugorgan. Sehen wir ab von einer Rekapitu- 
lation der inneren anatomischen Verhältnisse, die in allen Lehrbüchern der vergleichenden 
Anatomie mehr oder weniger ausführlich dargestellt sind, so erscheint uns der einzelne 
Flügel äusserlich im Umfang von ausgeprägt unsymmetrischer Gestalt. (Fig. 3.) Der 
straffe Vorderrand bildet am völlig entfalteten Flügel eine mehr oder weniger annähernd 
gerade Linie, die gegen die Spitze, entsprechend der Form der vorderen Schwungfedern, 
ein wenig zurückgebogen ist. Der Hinterrand ist meist stärker gebogen und daher länger 
als der Vorderrand. 

Man unterscheidet an dem 
Flügel zwei deutlich zu 
trennende Abschnitte, der 
eine, welcher die Spitze 
bildet und das Handskelett 
zur Unterlage hat, führt den 
Namen »Schzeinge«, der Rest 
an der Flügelbasis heisst 
»Fücher«. Die meist zehn 
grossen Federn der Schwinge 
führen den Namen Schwung- 
federn oder Schwingen I. 
Ordnung, die etwas kleineren 
Federn des Fächers sind am 
Unterarm befestigt und 
heissen daher Armschwingen 


Fig. 3 > oder Schwungfedern II. Ord- 
Rechter Flügel vom Haushahn. Y\;s der natürl. Grosse. 
F. Fächer; Sch. Schwinge; Df. Daumenflügel oder sog. Lenkfittich (vor- NUNG. 
gezogen). Der nach vorn offene 
Winkel zwischen Ober- und Unterarm wird von der dreieckigen befiederten vorderen Fug- 


haut überspannt, welche demnach den vorderen Bestandteil des Fächers ausmacht. 





- 


15 


Ein als Schulterfittich bezeichneter Federschopf schliesst die Liicke zwischen dem 
Fächer und der Körperwand, soweit sie nicht durch die hier vorhandene Arntere Flughaut 
ausgefüllt wird. 

So erscheinen denn die Skeletteile des Armes eingeschaltet in die Flugfläche 
des Fächers, welche durch die winkelförmige Anordnung der elastisch verbundenen Knochen 
in einfachster und zweckmässigster Weise ausgesteift und lenkbar gemacht wird. Das 
Handskelett bildet die Aussteifung des vorderen Flügelrandes an der Basis der Schwinge. 

Der Daumen ist mit den verwachsenen Fingerrudimenten nicht starr verbunden, 
sondern steht frei beweglich am Vorderrande der Handwurzel und des Flügels. Er trägt 
an seiner Rückseite ein Büschel von 4—6 steifen Federn, die einen unter dem Namen 
Lenkfittich bekannten kleinen Flügel für sich bilden. 

Die Schwungfedern stehen so dicht nebeneinander, dass sie sich dachziegelig 
decken, und zwar so, dass an der Oberseite des Flügels die Vorder- resp. lateralen 
Ränder der Federn freiliegen, an der Unterseite die hinteren resp. medialen Ränder. 
Die Federn können eine geringe Drehung um ihre Längsachse erfahren. Sie stecken mit 
ihren Spulen fest in röhrenförmigen Scheiden, die aus elastischem Bindegewebe gebildet 
und mit dem dorsalen Periost des Arm- und Handskelettes innig verknüpft sind. Soweit 
die unbefiederten Spulen aus den Scheiden hervorsehen, lassen sie Spalträume zwischen 
sich, welche an der Ober- und Unterseite des Flügels durch einige Reihen eng 
anschliessender Deckfedern wirksam verschlossen werden. (Fig. 3.) So bildet der Flügel, 
obgleich er aus so vielen Teilen zusammengesetzt wird, doch eine lückenlose, zusammen- 
hängende Flugfläche, welche infolge des bekanntlich so überaus dichten Gefüges der 
Federfahnen das Hindurchdringen der Luft beim Flügelschlage so gut wie vollständig 
ausschliesst. 

An den entfalteten Flügeln der Störche, Krähen und grossen Raubvögel, z. B. beim 
Bussard, treten die Spitzen der ersten Handschwingen aus der geschlossenen Flügelfläche 
heraus und ragen wie gespreizte Finger frei über den äusseren Rand des Flügels hervor. 
Diese auffallende Erscheinung kann vorübergehend auch bei zahlreichen anderen Vögeln 
auftreten, bei denen der entfaltete Flügel für gewöhnlich nur eine ringsum geschlossene 
Fläche darstellt. Das Zustandekommen und die mechanische Bedeutung dieser merk- 
würdigen Verhältnisse soll weiter unten näher erörtert werden. 

Die Schwungfedern (Fig. 5) als die wichtigsten Teile des Flügelgefieders bestehen 
aus dem axialen Schaft, dessen unteres, im ausgewachsenen Zustande hohles Ende Kze/ 
oder Spule genannt wird, und aus der flächenhaft entwickelten Fahne, deren Hälften zu 
beiden Seiten des Schaftes als Vorderbart und Hinterbart bezeichnet werden. 


Der röhrenförmige Krze! hat einen elliptischen Querschnitt. (Fig. 4,1.) Da der längere 
Durchmesser der Ellipse senkrecht zur Ebene der Federfahne steht, die Röhre demnach 
oben und unten stärker gewölbt ist als seitlich, so ist der Kiel auch in erster Linie zur 
Aufnahme eines senkrecht zur Federfahne erfolgenden mechanischen Druckes geeignet, 
und seine Biegungsfestigkeit ist in dieser Richtung grösser, als in der Richtung des kleineren 
Durchmessers der Ellipse. —- Beim Uebergang zwischen Schaft und Kiel (Fig. 4,2) ist 


16 

der Querschnitt annähernd kreisformig, die hornige Wand scheint oben ein wenig verstärkt, 
die Höhle ist seitlich zum Teil mit korkartigem Federmark erfüllt, welches auch den 
Inhalt des Schaftes bildet. Dieser hat, wie die Fig. 4 (3 u. 4) zeigen, einen nahezu 
quadratischen Quer- 7 2 j. 4. Hornleisten gegen- 
schnitt. Die dorsale über stehen. Diese 
Fläche wird von Hornleisten stossen 
einer flach gewölb- in einer Längsfurche 
ten, kräftigen Horn- - mit ihren dünneren 
platte dargestellt, Fig. 4. Randern aneinander, 
welcheraufderUnter- Querschnitte durch Kiel und Schaft einer Schwungfeder. sodass die Unterseite 

i ; I. Kielmitte. 2. Uebergang zwischen Kiel und Schaft; " l 
seite zwei schmale, Höhle zum Teil mit Mark gefüllt. 3. Erstes Viertel des des Schaftes mit 
starke,rinnenformige Schaftes, 4. Schaftmitte. einer zusammenhän- 
genden, wellblechartigen Hornplatte verstärkt erscheint. Die Seitenwände des Schaftes 
bestehen aus mässig starken, ebenen Horntafeln; sie tragen am oberen Rande die Fiedern, 
von deren Basis zuweilen feine Hornrippen über die Fläche schräg gegen den unteren 


Rand der Seitenflächen herablauten. 





So nebensächlich diese Einzelheiten im Bau des Federschaftes erscheinen mögen, 
so sind sie doch im hohen Grade zweckentsprechend und lassen geradezu die mechanischen 
Ansprüche erkennen, welche beim Fluge an das Federmaterial gestellt werden. Die 
Natur hat in dem Federschafte unter minimalem Substanzverbrauch einen elastischen 
Träger von vorzüglichen Eigenschaften geschaffen. Man erkennt unschwer, dass die 
gewölbten und gewellten Horntafeln der Ober- und Unterseite, sowie die hochkantig 
stehenden Seitenplatten in erster Linie geeignet sind, einen senkrecht zur Flügelfläche 
erfolgenden Druck auszuhalten. Der Schaft erfährt dabei eine entsprechende Biegung, 
welche mit einer geringen Abflachung der Wölbungen oben und unten Hand in Hand 
geht. Wird dagegen ein Druck senkrecht zu einer Seitenfldche des Schaftes ausgeübt, 
so leisten die Seitenflächen nur einen geringen Widerstand gegen die Durchbiegung, und 
die seitlich belasteten gewölbten Flächen werden leicht unter Vertiefung der Wölbungen 
zusammengedriickt. Es lässt sich also aus der mechanischen Konstruktion des Feder- 
schaftes wie des Kieles entnehmen, dass beide gegen den vertikalen Druck, dem der 
Flügel ausgesetzt ist, besser ausgestattet sind, wie gegen einen horizontalen. Die Prüfung 
der Feder zeigt in der That, dass der Schaft in vertikaler Richtung ungleich schwerer 
zu biegen ist, als in der horizontalen. Der Unterschied ist schon wahrzunehmen, wenn 
man die Feder am Kiel festhält und dann mit der anderen Hand den Schaft in der 
einen und in der anderen Richtung biegt. 


Um zu einem bestimmten Ausdruck für die verschiedene Biegsamkeit zu gelangen, 
wandte ich das folgende einfache Verfahren an. Die Schwungfedern wurden zunächst 
mit dem Kiele fest in die Oeffnung eines durchbohrten Korkstückes gesteckt und dieses 
in bestimmter Orientierung festgeklemmt. Darauf wurde vor der Spitze der Feder ein 
vertikaler Massstab aufgestellt und der Teilpunkt abgelesen, den die l'ederspitze bezeichnete. 


17 


Nun wurde vermittelst eines Drahthakens ein konstantes Gewicht in der Mitte des Feder- 
schaftes angehängt, und an der Skala ermittelt, wie weit die Federspitze herabgebogen 
war. , Nachdem die Feder um einen Winkel von 90° um ihre Längsachse gedrcht war, 
wurde der Versuch wiederholt. Die Differenzen der zugeordneten Ablesungen an der Skala 
ergaben dann ein Mass für den verschiedenen Grad der Biegsamkeit des Federschaftes 


in den beiden Hauptbelastungsrichtungen. 
Verhältnis der vertikalen zur horizontalen Biegsamkeit den Wert B = 7: 


So erhielt ich z. B. für eine Schwanenfeder als 
10 1: 1,4, 


—À 


für eine grosse Schwinge von Aquila fulvus B —,4:9 — 1: 2,2. 


Von grosser Bedeutung für den 
Flug ist das Torsionsvermógen des 
ganzen Flügels und der einzelnen, 
isolierten Schwungfedern. Die ex- 
perimentelle Bestimmung desselben 
ist aber mit erheblichen Schwierig- 
keiten verbunden und kann kaum 
in irgendwie befriedigender Weise 
durchgeführt werden, da sie von 
willkürlichen und reflexiven Span- 
nungsverhaltnissen des Flügels ab- 
hángig ist. Auchdie einzelne Feder 
dreht sich ja nicht nur in sich selbst, 
sondern auch im Ganzen in und mit 
ihrem elastischen scheidenfórmigen 


Lager der bindegewebigen Haut, 


in welche sie eingepflanzt ist. 

An allen Schwungfedern be- 
sitzen Kiel und Schaft eine charakte- 
ristische Kriimmung, deren Konka- 
vitat nach unten und etwas nach 
hinten gerichtet ist. Projiziert man 
die Krümmung, wie in Fig 5, auf 
eine horizontale und eine vertikale 
Ebene, so erscheint sie in Gestalt 
von zwei ungleichen Kreisabschnit- 
ten, deren Form durch die Sehnen- 
länge und Segmenthóhe annähernd 
bestimmt ist. Bei dem Adler, der 
Ente und dem Haushuhn beträgt die 
Hohe der ventralen Schaftkriim- 


mung etwa £'; der Sehnenlänge. 


Die horizontale Krümmung des 
Schaftes hat beim Haushuhn eine 
Segmenthöhe von ;!,, beim Adler 
von „'; der geraden Entfernung 
von der Federwurzel bis zur Spitze. 
Durch die ventrale Krümmung der 
Federschafte ist der Grad der Wöl- 
bung des ganzen Flügels bestimmt, 
denn die Federfahnen breiten sich 
in der durch die nebeneinander 
liegenden Federschäfte gehenden 
krummen Fläche aus und bilden 
so die Flugfläche. 






LTE, 







^ 4 
SOE E AEN SARS AM 


SSS 


Die Federfahnen sind bei den 
inneren Armschwingen nahezu sym- 
metrisch gebaut, bei den äusseren ist 
der Vorderbart merklich schmäler, 
wie es die Handschwingen immer 
zeigen, bei denen schliesslich der 
Vorderbart auf einen ganz schmalen 
und steifen Rand reduziert sein 
kann. Die Feder wird dadurch 
unsymmetrisch, ein verkleinertes 
Abbild des ganzen Flügels. Ausser- 
dem weisen die Handschwingen 
meist noch eine auffallende Ver- 
schmälerung beider Bärte auf, die 
se CD Peara Kon TON der Spitze aus um so weiter 
kavität: Segmenthöhe = gegen die Basis herabreicht, als 
vio l; EF Horisontale die Feder dem vorderen Flügelrande 
Schaftkrimmung: Seg- MN. : . 

benachbart ist. In der Fig. 3 sieht 


Fig. 5. 
Schwungfeder vom Stein- 
adler (Aquila fulva), t;s 
d. nat, Grösse. AB Zänge: 
| = 55cm. Gewicht: ca, 


menthöhe == !5 1. 


» 
J 


18 


man deutlich bei den Handschwingen die Uebergangsstellen zwischen dem breiten und 
schmalen Teil der Vorderbärte; ebenso zeigt es die Adlerfeder Fig. 5. 

Die schmalste Stelle des Vorderbartes 
der grossen Schwungfedern liegt unmittel- 
bar vor jener Uebergangsstelle und der 
Bart wird nach der Spitze zu wieder breiter 
(Fig. 6). Der vordere Rand des Vorder- 
bartes ist etwas herabgebogen, am 
breiteren basalen Teile mehr als an der 
Spitze, sodass er sich dort bei ausge- 
spanntem Flügel dicht an die Oberseite 
der vorangehenden Federn anlegt a), hier 
.dagegen ein wenig von ihr zurück- 
bleibt b). Am unteren Teile des hinteren 
Federbartes ist der Rand emporgebogen, 
wodurch ebenfalls ein dichtes Zusammen- 
schliessen der benachbarten Federn und 
zwar an der Unterseite des Flügels er- 
möglicht wird. Der verschmälerte Teil 
des hinteren Federbartes zeigt in vielen 
Fällen eine leichte, gegen den Rand zu- 
nehmende Wellung, welche sich durch 
Geradestrecken und Durchbiegen des 
Schaftes nach oben und vorn, sowie 


Fig. 6. durch Emporbiegen des hinteren Feder- 
Linke Schwungfedern vom Gallus domesticus, */2 natürl. : T 
Grösse, a. Querschnitt durch den unteren Teil der Fahne, randes ausgleichen lässt. 
b, durch den oberen Teil. Der hintere Bart ist am Die nächstliegende Bedeutung dieser 


Bande gewent, eigenartigen Formverhältnisse ist ohne 
weiteres klar, wenn man sie bei einem jener Vögel beobachtet, deren Handschwingen an dem 
entfalteten Flügel fingerförmig auseinanderweichen; denn die Zwischenräume, welche die 
benachbarten Federn von einander spalten, reichen dort bis an die bezeichnete Ueber- 
gangsstelle zwischen der schmäleren, isolierten Federspitze und dem breiteren Basalteil der 
Fahne, welcher in dem Verbande der geschlossenen Flügelfläche enthalten ist. Die merk- 
würdige Verschmälerung der Fahne hat hier offenbar den Zweck, das Freiwerden der 
Federspitzen zu ermöglichen, deren geringe Wölbung und Beschaffenheit des Randes für 
die Bildung einer geschlossenen Flügelspitze wenig geeignet erscheint. 





Wenn wir nun dieselben Formgestaltungen der Schwingen in allen wesentlichen 
Einzelheiten bei einer grossen Zahl von Vögeln wieder antreffen, bei denen die Divergenz 
der Handschwingen für gewöhnlich nicht an dem entfalteten Flügel zu sehen ist, so 
schliessen wir, dass auch hier die Verschmälerung und Lockerung der Federspitzen den 
Zweck hat, das Auseinanderweichen der Federn am thätigen Flügel zu ermöglichen und 





I9 


zu begünstigen. Die ferneren Betrachtungen über die Wirkung des Luftdruckes auf 
einzelne Schwungfedern werden diesen Schluss bestátigen und den Nachweis bringen, 
unter welchen äusseren Bedingungen und mit welchem mechanischen Erfolge das Auseinander- 
weichen der Federn thatsächlich stattfindet. (siehe S. 40.) 

Die Strukturverhältnisse der Federfahne sind bekannt. Am Schaft sind zu beiden 
Seiten die Fredern befestigt, welche wie die Zähne eines Kammes mit kleinen Abständen 
parallel nebeneinander stehen. Die Fiedern des Vorder- und Hinterbartes divergieren gegen 
die Federspitze und bilden unter einander nahezu rechte Winkel. Die einzelne Fieder 
hat die Gestalt einer schmalen Hornlamelle, die gegen ihre Spitze hin sich verjüngt und 
— am Hinterbart -- die Form einer weichen Borste annimmt. Die Fläche der Fieder- 
lamelle steht rechtwinklig zur Flache der Fahne, also »hochkantig«, wie die Deckenbalken 
eines Hauses. Die Fieder ist daher mechanisch besonders geeignet, einem senkrecht zur 
Federfahne erfolgenden Drucke ausgiebigen Widerstand zu leisten, sie entspricht also in 
ihrem Bau vollkommen den Ansprüchen, die der Flug an sie stellt, nämlich in erster 
Linie den Kórper zu tragen und zu heben. Die schwanke, rutenartige Form der Fieder- 
spitzen des hinteren Federbartes entspricht nur scheinbar nicht ausdrücklich diesen An- 
forderungen, da beim Flügelschlage die biegsamen Spitzen dem senkrechten Drucke durch 
Umbiegen auszuweichen geneigt sind. In Wirklichkeit werden sie am Ausweichen durch 
die darüberliegende nächstfolgende Feder gehindert (Fig. 6a). Die einzeln stehenden 
Schwungfedern der Flügelspitze sind zwar auch in den Fiedern des Hinterbartes merklich 
steifer gebaut, dennoch krümmt sich der ganze hintere Rand unschwer empor, wie er 
denn an dem nicht freistehenden Teile der Feder auch in der Ruhe emporgekrümmt ist. 
Es hàngt dies einesteils damit zusammen, dass beim Flügelschlage in Wirklichkeit der 
Druck der Luft wohl niemals genau rechtwinklig zur Federflache erfolgt, sondern mehr oder 
weniger schrág von vorn und unten. Unter diesen Stosswinkeln ist aber der Luftwider- 
stand, wie wir oben sahen, nicht gleichmassig über die getroffene Flache verteilt, sondern 
der Mittelpunkt des Luftdruckes ist um so mehr gegen den vorderen Rand der Feder 
verschoben, je kleiner der Stosswinkel ist; er liegt also nicht in der Mitte der Federbreite, 
sondern wahrscheinlich auf oder nahe bet dem Federschafte. Wenn dem so ist, dann 
ist auch der von dem schmalen Vorderbarte zu tragende Teil des Luftdruckes annáhernd 
gleich dem des breiten Hinterbartes, woraus denn folgen würde, dass die Fiedern des 
Hinterbartes den mechanischen Anforderungen genügen konnen, auch wenn sie bei grósserer 
Lànge weniger steif gebaut sind, als die Fiedern des Vorderbartes. Andererseits ist durch 
die grössere Biegsamkeit der Hinterbartfiedern, wie wir sehen werden, der eigenartige 
Effekt des Flügelschlages mit gewährleistet, dass der Vogelkórper nicht nur gehoben, 
sondern auch fortgetragen wird, und dass der verstarkte Flügelschlag auch einen erhóhten 
Antrieb nach vorn zur Folge hat. 


Die Verbindung der Federn zu einer geschlossenen Fläche ist Auf eine höchst 
zweckmässige Weise hergestellt. Jede einzelne Fieder besitzt eine sekundäre Fiederung an 
den dorsalen Längskanten der Lamelle. Die Längskante, welche gegen die Wurzel der 
Feder, den Kiel, sicht, trägt feine Fiederchen, welche mit ihrem langen, borstenformigen 


am 
3 


20 


Ende parallel mit der Fieder liegen, und diese Fiederchen besitzen zum Teil an ihrem 
unteren Rande feinste Sägezähnchen. Die Fiederchen an der gegenüberliegenden Längs- 
kante divergieren seitlich und aufwärts von der Fiederlamelle, und tragen an ihrer Unter- 
kante streckenweis zahlreiche mehr oder weniger lang gestielte Haken, welche an der 
langen Spitze durch eine äusserst zierliche tertiäre Fiederung ersetzt werden. Indem sich 
nun die hakentragenden Fiederchen von oben her über die mit Zähnchen versehenen der 
davor stehenden Fieder legen, schieben sich die Häkchen zwischen den darunter liegenden 
Fiederchen hindurch und haken sich hinter den Sägezähnchen fest. Jedes vordere Fiederchen 
greift mit seinen einzelnen Haken mehrere der parallel liegenden hinteren, gezähnten 
Fiederchen, und jedes gezähnte Fiederchen wird durch eine ganze Reihe von Haken 
gehalten, welche meist zu eben soviel Hakenfiedern gehören. Die tertiären feinsten 
Fiederchen bewirken, dass die benachbarten Fiedern sich nicht selber berühren oder mit 
ihren Haken verwickeln können. Da die Häkchen, wie die ganze Feder aus einem voll- 
kommen elastischen und biegsamen Hornmaterial bestehen, so lassen sie sich durch hin- 
reichenden Zug soweit strecken, dass sie hinter den kleinen Zähnen hinweggleiten. Die 
vorher geschlossene Federfalme erhält dadurch einen vom Rande gegen den Schaft vor- 
dringenden keilförmigen Spalt, der sich sofort wieder schliesst, wenn man den haken- 
tragenden hinteren Rand des Spaltes vom Rücken der Feder her auf den vorderen Spalt- 
rand legt. So kann auch der Vogel mit dem Schnabel die durch irgend einen Zufall 
verletzte, zerschlitzte Federfahne leicht wieder in eine geschlossene Fläche verwandeln. 

Die Fiedern und Fiederchen, Häkchen und Zähnchen liegen so dicht neben und 
über einander, dass sie das Licht nur gedämpft hindurchtreten lassen, wie ein feines 
Seidengewebe, das man gegen das Licht hält. In den feinen capillaren Spalten, welche 
die zahlreichen zarten Gebilde der Federfläche zwischen sich lassen, erfährt die Luft, wenn 
sie beim Niederschlag des Flügels von der unteren zur oberen Flügelseite hindurchzudringen 
strebt, so bedeutende Widerstände, dass sie unter den herrschenden Druckverhältnissen 
so gut wie vollständig am Durchtritt verhindert wird. So ist es zu verstehen, wenn man 
die Federfahne oder den Flügel geradezu als ,,/uftdichte Fläche‘ bezeichnet hat. 


Dichter noch als die beschriebene gewebeartige Fläche der Feder sind gewisse 
Teile der Schwungfedern z. B. bei der Ente, dem Schwan und anderen Vögeln gegen 
das Durchdringen der Luft beim Fluge gebaut. Betrachtet man die Unterseite einer 
solchen Feder, so sicht man zu beiden Seiten des Federschaftes ein Areal, welches etwa 
die Hälfte beider Bärte umfasst und gegen die Randteile der Fläche deutlich begrenzt 
ist. Dies Areal scheint wie mit einem dünnen Gelatinehäutchen überzogen, fast spiegelnd, 
während die seitlichen Teile den gewöhnlichen matten Seidenglanz zeigen. Diese Erscheinung 
kommt dadurch zustande, dass hier die Fiedern ausser der gewöhnlichen Verknüpfung 
(durch die Fiederchen und deren Anhänge) noch durch zarte, häutige Säume verbunden 
sind, welche die Zwischenräume der benachbarten Fiederlamellen an der Unterseite der 
Feder überbrücken. Die untere Kante jeder Fiederlamelle hat an der nach der Spitze 
der Feder gewandten Seite einen schmalen, rechtwinklig umgebogenen Randsaum, welcher 
genau auf den glatten Unterrand der davorliegenden Fiederlamelle passt und sich ihm 


21 
federnd eng anschliesst. Erfolgt nun ein Druck der Luft gegen die Unterseite der Feder, 
so werden die Randsäume der Fiedern nur noch fester und inniger gegen jene glatten 
Ränder gedrückt, sodass ein vollkommener, ja hermetischer Verschluss der Fahne in 
diesem Areal der Feder geschaffen wird. | 

So genügt denn die Feder trotz ihrer in’s Extrem getriebenen Vielgliedrigkeit 
des Baues in vollendeter Weise dem wichtigsten aéromotorischen Erfordernis der 
‘Undurchdringlichkeit ihrer Fläche für Luft. Aber diese Eigenschaft besitzen zweifellos 
in noch höherem Grade die häutigen Flügel der Fledermäuse, Flugfische und Insekten. 
Es fragt sich daher, warum die Natur bei den vollkommensten aller Flugtiere das Prinzip 
der glatten und einheitlichen Flughaut verlassen und ein so ausserordentlich vielteiliges, 
zusammengesetztes Organ geschaffen hat, wie es die Feder ist. 

Die mechanische Bedeutung dieser Einrichtung liegt auf der Hand: sie giebt der 
Flugfäche jederzeit eine vollkommene Elastizität, deren die Flughaut meist erst durch 
das Ausspannen, d. h. durch Aufwand von Muskelkraft teilhaftig wird. Ein zufälliges 
Zerreissen der Fläche, das bei der Flughaut so verhängnisvoll sein würde, ist hier ohne 
jede Bedeutung, da der entstandene Riss immer nur in bestimmter Richtung erfolgt und 
sich meist automatisch wieder schliesst, und da die einzelne, verletzte oder ganz fehlende 
Feder ohne merklichen Einfluss auf den Verlauf des Fluges ist. Es kommt hinzu, dass 
bei der Mauserung normalerweise alle Federn durch neue, tadellos funktionierende "ersetzt 
werden. Von grösster Bedeutung endlich ist die durch die Vielgliedrigkeit der Fahne 
gewährleistete leichte Verschiebbarkeit der Fiedern jeden Grades unter einander und gegen 
den Schaft, welche es ermöglicht, dass die gesamte Fläche ohne schädliche Falten- 
bildung und Zerrung leicht jeder beliebigen Biegung des Federschaftes folgen kann. 
Die Form der Federfläche, gegen welche der Luftwiderstand gerichtet ist, wird hierdurch 
in einer für die Wirkung dieses Widerstandes entscheidenden Weise geändert, und wir 
werden bald sehen, dass die Aenderung eine solche ist, dass in jedem Moment des 
Flügelschlages die Federfläche die geeignetste, zweckmässigste Form erhält. 


4. Wirkung des Flügelschlages. 


Bei meinen Studien über die Wirkung des Luftwiderstandes an den Flugflächen 
der Vögel hat mir ein gewöhnlicher Hühnerflügel weserftliche Dienste geleistet. Derselbe 
ist zwischen Ober- und Unterarm vom Körper abgetrennt und nach Entfernung der 
am Unterarm liegenden Muskeln im ausgespannten Zustande getrocknet. Dies geschicht 
am besten dadurch, dass man den Flügel mit der konvexen Oberseite auf ein Brett legt, 
den Unterarm durch zwei Stifte auf dem Brett befestigt, und dann vermittelst eines 
dritten Stiftes die Hand des Flügels so weit nach vorn zieht, als es irgend möglich ist. 
Der vordere Rand ist dann scharf gestreckt, alle Schwungfedern befinden sich in ihrer 
natürlichen Lage, und wenn man das Brett nun an einem trockenen Orte einige Zeit 
aufbewahrt, so lasst sich nachher der getrocknete Flügel herunternehmen und als ein 
nützliches Hülfsmittel für Flugstudien verwenden, 


lo 
ty 


Denke ich mir, dass dieser Flügel einen Fliigelschlag ausführt, dessen Ausschlags- 
winkel (Amplitude) etwas mehr als 9o? beträgt, so legt die Spitze des Flügels auf 
einem Kreisbogen von etwa 50 cm, mit Heben und Senken einen Weg von I m zurück. 
Wenn nun der Hahn in der Sekunde 6—8 solcher Flügelschläge zustande bringt, so 
erreicht danach die Flügelspitze eine Geschwindigkeit, die beim Niederschlag mindestens 
6—8 m beträgt. Eine solche Geschwindigkeit kann man dem Flügel annähernd erteilen, 
wenn man ihn mit der Hand kräftig nach unten schlägt, sodass die Unterseite den 
Widerstand der Luft erfährt. 

Wie sehr man sich nun auch zwingt, den Arm und den Flügel genau senkrecht 
nach unten zu bewegen, der Flügel wird, je kräftiger der Schlag ausgeführt ist, um so 
mehr in der Richtung nach seinem Vorderrande seitlich ausweichen und man wird, auch 
wenn man noch so fest beabsichtigt, etwa eine Handbreit neben einer Tischecke vorüber- 
zuschlagen, unfehlbar mit den stark nach vorn vorgebogenen Schwungfedern den 
Gegenstand berühren. 

Das Experiment lässt sich auch mit einer einzelnen grossen Schwungfeder ausführen, 
da diese ja nach dem Flügelprinzip gebaut ist. Man braucht sie nur mit der Fahnenfläche 
horizontal zu halten, sodass eher der breite, als der schmale Bart ein wenig tiefer liegt, 
und dann einen Vertikalschlag auszuführen. Man wird jedesmal wahrnehmen, dass die 





Fig. 8. 


Künstlicher Flügel, a in der Ruhe; b während 
des Flügelschlages, wenn er am Griff festgehalten 





Fig. 7. und an der Vorbewegung im Ganzen verhindert 
Eine Adlerfeder, welche kräftig nach unten ge- wird. Der Vortrieb des Flügelschlages ist an der 
schlagen wird, beschreibt mit der Spitze einen Durchbiegung des Schaftes zu erkennen. qı und 


Viertelkreis nach vorne. qz Querschnitte. 


23 — 


Feder stark nach vorn gebogen wird, wie von unsichtbaren Kraften, die den Schaft nach 
vorn ziehen, und dass auch die führende Hand wahrend des Schlages dem Zuge folgt. 

Um den Grad der Biegung zu erkennen, welchen der Luftwiderstand einer Feder 
erteilt, lege man auf die Ecke eines Tisches eine berusste Glastafel und schlage mit der 
Feder in geeignetem Abstande vom Tischrande vertikal nieder. Die Feder streift dann, 
während sie horizontal ausgleitet, über die Tafel und zeichnet ihre Spur auf der schwarzen 
Flache ein. Mit einer 46 cm langen Schwungfeder des Steinadlers (Aquila fulvus) erhielt 
ich das Bild wie in Fig. 7. Die Feder hatte mit der Spitze einen Viertelkreis beschrieben. 

Dass der Niederschlag eines Vogelflügels eine Ablenkung desselben in der Richtung 
nach dem vorderen Rande zur Folge hat, ist langst bekannt. Nach Marey (vol d. oiseaux, 
pag. 262), scheint die Beobachtung zuerst vom Herzog von Argyll (L'aéronaute 1868) 
gemacht worden zu sein. | 

Zur Demonstration des Vortriebes bedient man sich am besten eines künstlichen 
Flügels (Fig. 8 a.), der sich in hinreichend grossen Dimensionen leicht auf folgende Weise 
herstellen lässt. Man nimmt eine kräftige Heckenrute oder eine Bambusgerte, befestigt 
an der Spitze einen Bindfaden und spannt damit die Rute zu einer Art Flitzbogen, 
indem man den Faden am Griff der Rute festbindet. Den so gebildeten Rahmen über- 
klebt man mit Zeug oder Papier, und der Flügel ist fertig. 

Versucht man mit dieser Flügelfläche durch die Luft zu schlagen, so gleitet er 
jedesmal nach der Seite des von der Rute dargestellten Vorderrandes aus, und es ist 
geradezu unmöglich, den Flügel senkrecht nach unten zu bewegen. Je mehr Kraft man 
anwendet, um den vertikalen Schlag herauszubekommen, desto mehr wird die Hand und 
der ganze Arm mit vorwärts gerissen. Verhindert man aber das Vorgleiten durch 
energischen Gegendruck am Griff, so sieht man die vortreibende Wirkung des Flügel- 
schlages deutlichst an der Biegung des Schaftes (Fig. 8 b). 

Marey hat Recht, wenn er sagt, dass nichts überzeugender ist als dieser kleine 
Versuch, welcher jedem, der ihn wiederholt, die Empfindung von der Wirkung des Luft- 
widerstandes giebt und die Macht desselben besser als alle Erklärungen verstehen lässt. 
Dennoch möge hier die einfache mechanische Erklärung dieser überaus wichtigen 
Erscheinung am Platze sein, die uns zeigt, wie durch den Luftwiderstand am Flügel eine 
Bewegung nach vorn zu Stande kommt. 


Hält man den Flügel mit der Fläche horizontal und führt nun einen Schlag nach 
unten, so trifft er senkrecht auf die Luft. Diese setzt daher der Bewegung einen Wider- 
stand entgegen, welcher so gleichmässig über die Fläche verteilt ist, dass man als den 
Angrifispunkt seiner Resultante den Schwerpunkt der Fläche setzen kann. ‚Da nun die 
Kraft, welche die Bewegung des Flügels bewirkt, vermittelst des Griffes an dem vorderen 
Rande der unsymmetrischen Fläche angreift, so bildet sie mit dem Luftwiderstande ein 
Kräftepaar, welches den Flügel unter Torsion des Stieles um den vorderen Rand zu drehen 
strebt. So kommt der Flügel in eine je nach der Stärke des Schlages und des Drehungs- 
vermögens des Stieles mehr oder weniger geneigte Lage (Fig. 8, q. 2). Der Vorderrand 
liegt tiefer, als der Hinterrand und die Flügelspitze. In dieser Stellung bewegt sich der 


Flügel während des Niederschlages weiter. Der Luftwiderstand wirkt nun nicht mehr 
senkrecht, sondern schräg nach dem Prinzip des Drachens auf den Flügel, der daher in 
der Richtung seiner schiefen Fläche, d. h. nach der Seite des geringsten Widerstandes 
nach unten und nach vorn ausgleitet. Die Ursache der Vorwärtsbewegung ist also, um 
es zu wiederholen, die geneigte, pronierte Stellung des Flügels, und diese wieder ist die 
Folge der unsymmetrischen Form desselben. Der Druck, den wir ausüben, indem wir 
mit dem künstlichen Flügel einen Flügelschlag nach unten führen, entspricht genau dem 
Zuge am Faden des Papierdrachen. 

Auch der »atürliche Flügel besitzt eine solche unsymmetrische Fläche wie der 
künstliche Flügel sie hat; auch bei ihm greift die Kraft, die den Flügelschlag bewirkt, 
vermittelst des Arm- und Handskelettes an dem einen, vorderen Rande dieser Fläche an. 
Wenn daher dieser Flügel aus horizontaler Lage einen vertikalen Flügelschlag ausführt, 
so kommt auch an ihm in gleicher Weise wie an dem künstlichen Flügel ein Kräftepaar 
zur Wirkung, welches ihn um seinen Vorderrand in die pronierte Stellung zu drehen 
strebt. Wenn nun auch die knöchernen Teile des Arm- und Handskelettes, welche der 
Bambusgerte des künstlichen Flügels entsprechen, in sich ein weit geringeres elastisches 
Torsionsvermögen besitzen, als jene, und wenn auch durch die oben beschriebene, winkel- 
förmige Anordnung der Armknochen innerhalb der Flugfläche die Lage des Flügels in 
zweckmässiger und wirksamer Weise festgelegt erscheint, so wird doch einerseits durch 
die Nachgiebigkeit der Gelenke, andererseits durch die Biegsamkeit des Federmaterials, 
innerhalb gewisser Grenzen wenigstens eine teilweise Drehung des Flügels um seine 
Längsachse ermöglicht und sicher gestellt, welche dem Sinne nach der Lagenänderung 
des künstlichen Flügels entspricht. 

Nimmt man an, dass die Biegsamkeit der Federn des Fächers im Ganzen dieselbe 
ist, wie an der Schwinge, und dass auch das Torsionsvermögen innerhalb der einzelnen 
Gelenke im Wesentlichen das gleiche sei, so hängt der Grad der Torsion der Flügelfläche 
noch von einer Bedingung ab, nämlich von der Verteilung des L FE EIS EAM ACS am 
Flügel während des Niederschlages. 

Der Luftwiderstand, welcher auf ein einzelnes Flächenelement des Flügels wirkt, 
ist um so grösser, je grösser die Geschwindigkeit ist, mit welcher dieses Element auf die 
Luft trifft. Betrachtet man nun den Flügel als einarmigen Hebel, so sieht man, dass 
die Geschwindigkeit des einzelnen Flächenstückes um so grösser ist, je weiter dasselbe 
vom Gelenk entfernt liegt: die Winkelgeschwindigkeit des Flächenelements ist dem Ab- 
stande vom Drehungspunkte direkt proportional. Der Widerstand der Luft, welcher im 
quadratischen Verhältnisse mit der Geschwindigkeit wächst, ist demnach an der Spitze 
des Flügels bedeutend stärker als an der Basis desselben, am Fächer, und dementsprechend 
ist also auch die Torsion des Flügels an der Flügelspitse, der Schwinge, am grössten. 

Das Ergebnis stimmt mit der Beobachtung überein. Betrachten wir nämlich 
cinen grösseren Vogel, eine Krähe oder eine Move, die langsam flugelschlagend in der 
llóhe unseres Auges gerade auf uns zugeflogen kommt, so schen wir mit völliger 
Bestimmtheit, dass beim Niederschlag des Flügels die Schwinge in die vortreibende 


Stellung emporgebogen ist, während der Fächer in der gewöhnlichen Lage verharrt, etwa 
so, wie es Fig. 9 zeigt. 

Durch die grössere 
Winkelgeschwindigkeit 
der Flügelspitze, der 
Basis gegenüber, erklärt 
es sich, dass der Vor- 
trieb der Schwinge grösser ist, als die Hemmung, welche an dem basalen Teile des Flügels 
erzeugt wird. 

Zur Verstärkung des Vortriebes stehen dem Vogel zwei Mittel zur Verfügung, 
erstens grösserer Aufwand von Muskelkraft unter Vergrösserung der Flugfläche, zweitens 
Verkleinern der Flugfläche. Durch kräftiges Ausspannen und Strecken des Flügels, wie 
es immer beim Abflug geschieht, wird die Fläche der Schwinge entsprechend verbreitert, 
der Angriffspunkt D des Luftwiderstandes (Fig. 10a) entfernt sich weiter vom Schulter- 
gelenk, aber infolge verstärkter Schlaggeschwindigkeit auch weiter vom vorderen Torsions- 
rande des Flügels, sodass nun die Muskelkraft nicht nur stärkere Hebung, sondern auch 
stärkeren Antrieb hervorruft. 





Fig. 9. 
Beim Niederschlagen des Flügels gerät die Spitze in die vortreibende Stellung. 





Fig. 10. 


Torsionsmomente bei ungleicher Flügelentfaltung. AH Torsionsachse und Hebelarm 
der Muskelkraft; D Widerstandspunkt der Luft; HD Hebelarm, an welchem der 
Widerstand die Drehung der Flügelspitze in die vortreibende Stellung bewirkt. 


Langflügelige Vögel pflegen bei hinreichendem Gegenwinde die Schwinge unter 
Lockerung des Handgelenkes zurückzunehmen (Fig. 10b) Der Angriffspunkt D des 
Widerstandes wird dadurch näher nach dem Körper und weiter von der Torsionsachse 
verlegt und die Drehung vollzieht sich unter geringerem Kraftverbrauch. 

Die vorhandenen Momentphotographien leiden vielfach an dem leicht erklärlichen 
Mangel, dass sie zu klein sind und die Torsion des Flügels in die vortreibende Lage nicht 
mit genügender Deutlichkeit erkennen lassen; manche auch, die sich auf das Ende des 
Fluges beziehen, sind für die vorliegende Frage wertlos, da sie den Vogel kurz vor dem 
Niedersetzen darstellen, wo er offenbar den Flügelschlag ausführt, um dadurch die Flug- 
bewegung zu emmen. In einer Anzahl von Fällen aber gelingt es doch ohne Schwierig- 
keit, die Triebflächen an der Flügelspitze deutlichst wahrzunehmen. 

Richtung des Flügelschlages. Der Niederschlag des Flügels wird der, Haupt- 
sache nach durch den grossen Brustmuskel ausgeführt. Die Fasern dieses Muskels haben 
keine einheitliche Richtung. Sie wenden sich zwar alle von der Anheftungsstelle ihrer 
Sehnen am Oberarmknochen ventral gegen die Körpermitte, gehen aber dabei erheblich 
auseinander, sodass die einen mehr nach vorn, die andern mehr nach hinten (caudal) 


4 


26 


am Brustbein angewachsen sind. Sucht man daraus durch Schätzung eine mittlere 
Faserrichtung zu bestimmen, so findet man nach Marey (vol d. ois. pag. 99) sehr grosse 
Verschiedenheiten, welche allem Anscheine nach mit der jedem Vogel eignen Art zu 
fliegen in Beziehung stehen. Im Ganzen kann man nur sagen, dass die Faserrichtung bei 
den Ruderfliegern mehr schräg nach hinten geht, als bei den Segelvögeln, deren Muskel- 
fasern sich mehr der vertikalen Richtung nähern. s. Fig. 52. Man kann daraus, wie an 
anderer Stelle geschehn*), sehr wohl den Schluss ziehen, dass die Widerstände, welche jene 
Muskeln am Flügel zu überwinden haben werden, das eine mal mehr vertikal Jedend, das 
andere mal mehr vortrezbend wirken. Ueber die Richtung aber, in welcher der Flügel 
auf und ab bewegt wird, geben uns die anatomischen Verhaltnisse des grossen Brust- 
muskels alein keinen genügenden Aufschluss, denn hierbei ist die gesamte Muskulatur der 
Brust und des Flügels mit in Thätigkeit, über welche der Vogel die w2llkirliche Ver- 
fügung hat. So erklärt es sich, dass der Flügelschlag nach Intensität und Richtung 
innerhalb gewisser Grenzen ein anderer ist im Anfang des Fluges, ein anderer beim 
ruhigen Fortfliegen, ein anderer am Schluss des Fluges. 


Im Ganzen herrscht darüber kein Zweifel mehr, dass der Flügelschlag nicht nach 
Art eines Bootsruders nach hinten gerichtet ist, sondern der Wirkung der Schwere ent- 
gegen nach unten. Dies zeigt sowohl die direkte Beobachtung grosser fliegender Vögel, 
wie namentlich die Momentphotographie auf das unzweideutigste. Dabei erfährt der 
Flügel aber gleichzeitig eine ausgleitende Bewegung nach vorn, die sich mit der Bewegung 
nach unten kombiniert und so zunächst den Eindruck hervorruft, der Flügel werde durch 
die Thatigkeit der Muskeln unmittelbar nach zem und vorn geführt. Es ist möglich, 
dass die Vorbewegung des Flügels zu Beginn des Tiefschlages durch Muskelarbeit geleistet 
wird, die ja auch das Strecken des bei der Hebung meist im Handgelenk gebeugten 
Flügels bewirkt. Sicher ist aber auch, wie unten gezcigt werden soll, die vertere 
Vorführung des Flügels während des energischen Tiefschlages passiver Natur und die 
mechanische Folge der Einwirkung des Luftwiderstandes auf den Flügelapparat. 


Es ist das grosse Verdienst Marey's, sowohl mit Hülfe der Momentphotographie, 
wie durch viele andere geistreiche Registriermethoden, den Verlauf des Flügelschlages 
auf's eingehendste analysiert und dargestellt zu haben. Ich möchte daher dieserhalb ganz 
besonders auf den hochinteressanten zweiten Teil seines Buches »Vol des oiseaux« und 
die dort citierten besonderen Abhandlungen dieses genialen Forschers hingewiesen haben. 
Hier sei nur eins der wichtigsten Resultate Marey's hervorgehoben, dass der Oberarm. 
knochen sich während des Fligelschlages in der Luft nach unten und vorn bewegt, worauf 
er sich wieder hebt, nachdem er sich nach hinten zurück bewegt hat. Die Bahn, welche 
das seitliche Ende des Oberarms dabei beschreibt, ist annähernd eine Ellipse, deren 


längere Achse schräg nach vorn und unten geneigt ist. Die Geschwindigkeit der Be- 
wegung ist am grössten während des Niederschlages, am geringsten während des Zurück- 


gehens und zu Beginn der Hebung des Flügels. 


*5 Flug der Fische, Programm d. Realgymnasiums d, Joh. Hamburg 1895, Seite 24. 


Dabei erfährt die Ebene des Flügels (der Schwinge) eine Drehung um den vorderen 
Rand, welche beim Tiefschlag des Flügels zz demselben Grade zu- und abnimmt, wie 


die Geschwindigkeit, und damit auch der Luftwiderstand, an- und abschwillt. 


Das Nähere 


zeigt die folgende Figur Marey's, welche das elliptische Trajektorium der Flügelspitze 


eines Bussards darstellt, mit eingezeichneten Stellungen der Flügelebene (Fig. 11). 


der Flügel nach vorn (rechts) 
herabgedrückt wird, neigt sich 
die Ebene soweit, dass der 
Vorderrand tiefer liegt, als 
der hintere. Während der 
Hebung ist es umgekehrt: 
der Flügel befindet sich dem 
Winde gegenüber in Drachen- 





Indem 
geneigten, pronierten Flügel- 
flächen der Antrieb nach vorn 
zustande kommt. 

Diese für die Vorwärts- 
bewegung des fliegenden 
Vogels so unerlässliche Dreh- 
ung des Flügels um seinen 
Vorderrand ist zu Beginn 


Fig. 11 (nach Marey). 
Elliptische Bahn und Stellung der 
Flügelspitze eines Bussard beim 
Fltigelschlag. 


stellung. Es ist ohne Weiteres des Fluges wett starker als 
klar, wie während des Tief. im vollen Fluge oder am 
schlages an den nach vorn Schluss desselben; und diese 
Verschiedenheiten sind zum Teil die Folgen einer selbstthatigen Regulierung, welche ohne 
besondere Muskelwirkungen passiv durch die verschiedenen Formen des Luftwiderstandes 
bewirkt wird. Nach den näheren Angaben, die oben über die Verteilung des Luftdruckes 
gegen geneigte Flächen (Avanzini) gemacht wurden, ist der Widerstand um so gleich- 
mässiger über die Fläche verteilt, je mehr der Einfallswinkel der Luftteilchen (oder die 
Bewegungsrichtung der Fläche gegen die ruhende Luft) sich dem Rechten nähert. Da nun 
im Anfang des Fluges der Flügel nahezu senkrecht gegen die ruhende Luft bewegt wird, 
während er später, nach erlangter Fluggeschwindigkeit, mehr tangential, also unter spitzen 
Winkeln gegen die vorüberströmenden Luftmassen schlägt, so ergiebt sich eine verschieden- 
artige Verteilung des Luftwiderstandes, und es ist klar, dass der hintere Flügelrand anfangs 
stärker emporgebogen wird, als es späterhin geschieht, da der Hinterrand jetzt fast ebenso 
starken Widerstand erfährt, als der festgehaltene Vorderrand, während sich später im 
Fluge der Druck mehr auf den vordern Flügelrand zusammendrängt. 

Natürlich wird der Unterschied in dem Grade der Drehung des Flügels noch 
grösser, wenn der Vogel, um sich vom Erdboden zu erheben und um eine bequeme Flug- 
geschwindigkeit zu erlangen, zu Anfang des Fluges seine Flügel schneller und energischer 
bewegt, als im Vollfluge, oder wenn er am Schluss beim Herabsinken des hinteren Körper- 
teils kräftige Fliigelschlage zum Hemmen ausführt. 


Unter sonst ganz gleichem Verhalten des Luftwiderstandes hängt bei den ver- 
schiedenen Vogelarten der Grad der Drehung des Flügels um die Längsachse sehr 
wesentlich von der Biegsamkeit und Breite des elastischen Materials ab. Der schmale 
weichfedrige Flügel eines grösseren Segelvogels wird leichter in die vortreibend wirkende 
Stellung gedreht, als der steiffedrige sogenannte Stossflügel eines echten Rudervogels. 
Daher wirkt auch die Kraft, mit welcher ein lang- und weichflügeliger Segler seinen Flügel 
herabdrückt, im allgemeinen mehr vorwärtstreibend, während der Flügelschlag eines Ruderers 


4° 


28 


besser hebend arbeitet. Es liegt hierin jedenfalls einer der Gründe, warum die lanır- 
flügeligen Raubvögel und Segler der Lüfte sich weniger leicht und schnell vom Erdboden 
erheben können, als die kurzflügeligen Sperlinge, Tauben, Hühner und andere Vovel, 
deren Flügelschlag eine sehr starke hebende Komponente ergiebt bei vergleichsweise 
geringerem vortreibenden Effekt. Die starke Hebung des Flügelschlages ist bei kleinen 
Vögeln eine Ursache des intermittierenden Rudergleitfluges, rudernd erlangen sie Höhe, 
gleitend Raum. Jene Segler aber können erst dann ihren Körper bequem in der Luft 
tragen, wenn sie eine grosse Geschwindigkeit erreicht haben, sodass der relative Gegen- 
wind unter kleinen spitzen Winkeln ihre Flügel trifft. Der Angriffspunkt des Luft- 
widerstandes liegt dann ganz nahe dem vorderen gewaltig ausgesteiften Flügelrande, die 
hinteren Flügelränder sind entlastet, die Flügeltorsion ist daher hier mässiger und die 
tragende Kraft des Flügels nicht zu sehr auf Kosten der vortreibenden verringert. 

Es ist biologisch hochinteressant, zu sehen, wie die verschiedenen Formen und 
Eigenschaften der Vogelflügel bis in die kleinsten Einzelheiten zweckmässig und passend 
sind für die Lebensgewohnheiten der Vögel, ihren Aufenthaltsort und ihre Art zu fliegen. 
Sie bieten uns Beispiele von Anpassung, wie sie vollkommener nicht gedacht werden 
können, und wer die Mühe nicht scheut, sich mit diesen Verhältnissen vertraut zu machen 
und auf Grund der Gesetze des Luftwiderstandes die mechanische Bedeutung des Flügels 
und seiner Teile zu prüfen, wird bald in der Lage sein, aus den Eigenschaften des 
Flügels auf die Flugart und den Aufenthaltsort des Vogels bestimmte Schlüsse zu ziehen, 
und umgekehrt aus der Erscheinung des Fluges die wesentlichsten Eigenschaften des 
Flügels vorhersagen zu können. 


5. Bedeutung der gewölbten Flächen. 


Wenn ein Flüssigkeitsstrom, Wasser oder Luft, rechtwinklig gegen eine Fläche 
trifft, so fliessen die Teilchen über den nachstliegenden Rand ab (Fig. 12a). Der Abfluss 
wird sich daher im allgemeinen um so leichter vollziehen, je grösser der Umfang und je 
kleiner der Flächeninhalt ist. Die Gesetzmässigkeit trifft genau zu für die Grenzfälle, die 
kreisförmige Fläche mit maximalem Inhalt und minimalem Umfang und für die Linie oder 
Schneide, die eine Fläche von minimalem Inhalt und maximalen Umfang darstellt. Für 
die Zwischenfälle sind die Verhältnisse nicht genügend experimentell aufgeklärt. Hier 
liegt ein weites Gebiet für aérodynamische Untersuchungen offen, dessen Erforschung mit 
der Lösung der Fragen über die Abhängigkeit des Luftdruckes von der Form der Flächen 
zusammenfällt. Denn je leichter der Abfluss der Luftteilchen ist, desto leichter entziehen 
sie sich — sagen wir — ihrer Aufgabe, einen Teil ihrer lebendigen Kraft als Druck auf 
die Fläche wirken zu lassen, desto geringer also ıst thr Gesammtdruck, der Luftwiderstand. 

Hindert man den Abfluss der Luft dadurch, dass man auf einer Seite der Fläche, 
z. B. vorn, den Rand erhöhet, umbiegt oder sonst mit einer darauf gesetzten Schranke 
oder Schneide versieht, so wird auf der extgegengesetsten Seite der Abfluss verstärkt. (Fig. 12, b.) 


29 
Die Luftmassen, welche sich, von der Schranke aufgehalten, unter der Flache zusammen- 
drängen, üben nach allen Seiten einen gleichmässigen Druck aus; und diesem Drucke wird 
in der Stromrichtung durch die nachdrängenden Luftteile und durch die Festigkeit der 





| | d vorn fortbewegen. 
je vollkommener 


tung dagegen, pa- 
rallel zur Fläche, 


Fläche das Gleich- vorderen, ver- 

gewicht gehalten. | — ^ J | schránkten Ran- 

In der Querrich- œ iS f; TU | | y L des, also ` nach 
= pon ee: | 





findet der Druck nun die Luftteil- 
nur vorn an der " A B f y chen nach hinten 
Schranke, nicht + et 2)^ ae abgelenkt werden, 
aber am hinteren i ^ Mm p a 4 desto stärker ist 
Flächen : Rande ! natürlich der vor- 
einen Widerstand, treibende Rück- 
die Luft fliesst —., NE Lu Hoe l N stoss. Denkt man 
daher nach dieser fg RE gl | sichdurch denhin- 
Seitehin ab. Der 9 / teren Rand B der 
einseitige Druck horizontal. Platte 


geg. die Schranke, Fig. 12 c.und den 
der vollkommen freien RandC der 


Ys, _ 
dem bekannten A A GA E Schranke eine 
Rückstosse d. aus- Ti r HT f ebene Fläche ge- 
A | 





fliessenden Was- legt, so erscheint 


sers entspricht, S: dieselbe mit tiefer 
ig. 12. 


ber die "E leg 'or- 
pes d Versuche mit ebenen und mit einer Schranke versehenen Platten, liegendem Vor 


ganze Platte, falls um die Wirkung der Schranke auf die Richtung der abfliessenden derrande gegen 
sie überhaupt frei Luft zu zeigen. Bei d, e, f wird cine geschränkte, bei g und h 

j : ; eine einfache Platte zwischen zwei Kerzen abwärts bewegt. Die . . 
beweglich ist, in seitlichen Ausschläge der Flammen zeigen die Richtung der ent- neigt. An einer 


der Richtung des NEICHENIEHT EN NN solchen Fläche 
entsteht aber gleichfalls ein Antrieb nach vorn, wenn sie, wie die mit Schranke versehene 
horizontale Platte, in der Luft senkrecht nach unten bewegt wird. Man könnte daher 
sehr wohl vermuthen, dass die geneigte, pronierte Ebene für die Vorbewegung dieselben 
Dienste leiste, wie die mit einer Schranke versehene horizontale, oder dass vielleicht sogar 


den Horizont ge- 


die pronierte Ebene für die seitliche Vorbewegung günstiger sei als die geschränkte, da 
sie vermutlich einen geringeren Stirnwiderstand finde, als die gewölbte Schrankenfläche. 


In dieser Frage geben uns einige leicht anzustellenden Versuche sehr bemerkens- 
werte Aufschlüsse. 


Wenn man ein Stück Kartonpapier an einem J.ängsrande rechtwinklig in eine 
Schranke umbiegt und es, wie in Fig. 12 d angedeutet, zwischen zwei brennenden Kerzen 
senkrecht nach unten bewegt, so erfahrt nur die eine Flamme einen seitlichen Ausschlag, 


30 


wahrend die andere, der Schranke benachbarte in Ruhe verharrt.* Ist die Bewegung 
unterhalb der Flamme angekommen. so schlagen beide Flammen. die vorher in Ruhe ge- 
bliebene zuerst, einwärts in den Raum hinter der Kartonplatte. «Fig. 12 e und f.) 

Nimmt man ein Stück Karton ohne Schranke. so sınd. wenn dasselbe in horizon- 
taler Stellung nach unten bewegt wird, die Bewegungen der Kerzen symmetrisch, d. h. 
sie bewegen sich vor der herankommenden Platte nach aussen. um nach dem Vorüber- 
gange derselben wieder nach innen umzubiegen. 

Dies Verhalten ändert sich nicht wesentlich, wenn die Platte nur wenig geneigt 


ist, (Fig. 12g.) und man muss schon eine sehr beträchtliche Neigung — schätzungsweise 
50—60" — anwenden, (Fig. 12h) um die Flammenbewegungen so zu sehen, wie bei der 


Platte, welche eine Schranke an einem ıhrer Ränder besitzt. 

Diese Versuche zeigen mit unverkennbarer Deutlichkeit. dass die Schranke eine 
weit vollkommenere Ablenkung der Luftteilchen gegen den hinteren Flächenrand bewirkt, 
als die einfache Schrägstellung einer ungeschrankten, ebenen Platte, und es ist danach 
klar, dass auch der durch die Schranke hervorgerufene Antrieb nach vorn ein grösserer 
ist, als der durch Schrägstellung bewirkte. 


Die Versuche lassen sich auch mit fliessendem Wasser ausführen. dem man nach- 
einander ebene und mit einer Schranke versehene Platte entgegenhalt. An suspendierten 
oder schwimmenden Fremdkörpern kann man sehr schön sehen, wie namentlich die ge- 
wölbte Schranke alles Wasser seitlich unter die Fläche ablenkt, wahrend an einfachen 
ebenen Flächen erst bei sehr starker Neigung eine völlige Ablenkung nach dem hinteren 
Rande erfolgt. Die Experimentaluntersuchungen über die Gesetze des \Viderstandes der 
Flüssigkeiten von Oberst Duchemin**) geben über das Verhalten an ebenen Flächen 
näheren Aufschluss. Es zeigt sich dabei, dass bei allen nicht sehr kleinen Neigungs- 


winkeln der Fläche ein zunehmend grosser Teil der Flussigkeit um den vorderen Rand 
entweicht. Die dadurch bewirkte Aufstauung und Beschleunigung des Wassers am vorderen 
Plattenrande ist gleichbedeutend mit einem Hindernis der seitlichen, ausgleitenden Vor- 
bewegung der Platte und geht an dem rechtwinklig zur Platte wirkenden Widerstande 
verloren. — In der Luft sind die Erscheinungen des Abflusses völlig analoge, und dem- 
entsprechend sind es auch die Wirkungen. 

Alle diese Thatsachen und Deduktionen weisen darauf hin, dass die mit einer 
Schranke versehenen Flächen für die Erzeugung eines Antriebes in der Richtung nach 
dem vorderen Flächenrande weit geeigneter sind, als einfache Flächen, welche im Sinne 
der Geraden BC (Fig. 12 c) schwach geneigt sind. Wollte man also mit ebenen Flächen 
denselben seitlichen Antrieb erreichen, wie mit Schrankenflächen, so müsste man den 


*) Die Einwirkung der Schranke auf die Abfluss- Richtung der Luftteilchen unter der Fläche ergiebt 
sich auch aus einem von Marey mitgeteilten Experiment H. Müller's (Compt. rendus tom. C. p. 1517. bei 
welchem der einseitig horizontal abtliessende Luftstrom eine aufsteigende Rauchsäule durchbricht und sich da- 


durch sichtbar macht. 


**) Deutsch von Schnuse, Braunschweig 1844. 


31 
Neigungswinkel der Ebenen gegen den Wind vergrössern, was nur auf Kosten des Gesamt- 
widerstandes und seiner tragenden Wirkung geschehen könnte. 

Wir werden alsbald sehen, wie sehr diese Ergebnisse durch die Untersuchungen 
O. Lilienthal’s über den Luftwiderstand an gewölbten Flächen bestätigt werden. Vorher 
bleibt uns noch die Frage zu beantworten, welche Eigenschaften die Schranke haben muss, 
um ihren Zweck bei wechselnder Stärke und Richtung des Gegenwindes zu erfüllen. 

Soll an einer senkrecht vom Winde getroffenen Platte die Luft vollkommen, ein- 
seitig abgelenkt werden, so ist dazu eine bestimmte Hohe der Schranke erforderlich. 
Ist die Schranke niedriger, so erfolgt ein teilweiser Abfluss um den Schrankenrand. Eine 
Ueberschreitung der nötigen Schrankenhöhe ist überflüssig für die Ablenkung und schädlich 
für die Seitenbewegung, denn die breite Aussenseite der (rechtwinklig angehefteten) Schranke 
findet an den schnell vorüberfliessenden Luftteilen einen bedeutenden Stirnwiderstand, 
welcher hemmend auf die Seitenbewegung einwirkt. Man kann sich denken, dass bei 
einer gewissen, beträchtlichen Höhe ber Schranke dieser Widerstand hinreichen wird, die 
seitliche Bewegung der Platte so gut wie völlig aufzuheben. Die Höhe der Schranke 
darf also das notwendige Mass nicht überschreiten. 


‚Welches dieses Mass ist, darüber fehlt es bis jetzt an experimentellen Bestimmungen. 
Soviel aber lässt sich sagen, dass sze von der Breite der Fläche abhängig ist. Eine 
schmale Fläche erfordert eine geringere Schrankenhóhe, als eine breite. Ferner scheint 
mir aus den Elastizitatsverhaltnissen der Luft hervorzugehen, dass die Luftmasse, welche 
durch die Schranke an dem Abfluss nach vorne verhindert werden soll, eine um so 
dünnere Schicht an der Unterseite der Tafel bildet, je grósser die Geschwindigkeit des 
Gegenwindes ist, denn um so grósser ist ja die Kompression und Abflussgeschwindigkeit. 
Wenn dies richtig ist, so würde die Schrankenhöhe mit zunehmender Geschwindigkeit 
abnehmen können. Endlich, aber nicht zum wenigsten, hangt die Schrankenhöhe ab von 
dem Winkel, unter welchem die Luftmassen gegen die Platte treffen. Je grösser dieser 
Winkel, desto höher muss auch die Schranke sein. Bei kleinen Winkeln aber, unter 
denen, wie die obigen Versuche zeigen, ein Herumfliessen der Luft um den vorderen 
Rand der ebenen Fläche so gut wie garnicht erfolgt, kann auch die Schranke auf ein 
Minimum reduziert werden oder gänzlich fehlen. 

Auch die Form und Stellung der Schranke ist von dem Neigungswinkel der 
Fläche gegen die Richtung des Gegenwindes abhängig. Immer muss die Schranke so 
orientiert sein, dass sie mzt threm freien und scharfen Rande genau in der Richtung des 
Gegenwindes steht und so nach Art eines Pflugmessers in die Luft einschneidet. Und 
wie eine Pflugschaar mit ihrer Wölbung den Bodenstreifen, welchen sie fasst, allmählich 
und ohne Stauchung nach einer Seite herumgleiten lässt, so muss auch die Schranke 
mit gleichförmiger Wölbung in die vom Winde getroffene Fläche umbiegen, wenn sie 
einen allmáhlichen und möglichst störungsfreien Abfluss der Luft an der Unterseite 
gewährleisten soll, bei minimalem Stirnwiderstande. Nehmen wir hinzu, dass aus den 
angedeuteten Gründen naturgemäss auch der Hauptteil der Fläche die Wölbung fort- 
setzen muss, welche in dem als Schranke bezeichneten Teile begonnen hat, so führen uns 


E 
diese Betrachtungen ohne weiteres auf einheitlich gewölbte Flächen, wie sie die Flug- 
organe der Vogel in so mannigfacher Art enthalten, und deren Bedeutung für die Form 
und Richtung des Luftwiderstandes und damit für die ganze Flugbewegung aus den obigen 
Darlegungen erhellt. 

Es ist das Verdienst der Gebrüder Lilienthal in Berlin, durch ihre Versuche 
zuerst die Wirkung des Luftwiderstandes an gewölbten Flächen einer quantitativen Prüfung 
unterworfen zu haben. Sie bestätigen unzweifelhaft die Ucberlegenheit der gewolbten 
Flüchen den ebenen gegenüber: sowohl die vortreibende, wie die hebende Komponente 
des Luftwiderstandes sind an den gewölbten Flächen grösser, als an den ebenen. Der 
Unterschied zeigt sich namentlich bei kleineren Winkeln, nach Taf. VII. des Buches von 
Otto Lilienthal (Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst) erfahrt z. B. bei r5? 
Neigung eine ebene Fläche nur 3/10 des Widerstandes der normal getroffenen Fläche, 
während eine cylindrisch gewolbte Platte, deren Wólbung !/ie der Breite beträgt, °/ıo des 
normalen Widerstandes, also dreimal so viel als die ebene Platte erleidet. Die Versuche 
sind, in der Absicht, möglichst hohe Widerstände zu erreichen, mit Flächen von schmaler, 
beiderseits zugespitzter Form ausgeführt, welche, wie Lilienthal aus den Konturen der 
Hauptflugflache fliegender Vögel schliesst, für diesen Zweck am günstigsten sind. 


Es wäre im hohen Masse wünschenswert, dass diese Versuche unter gleichzeitiger 
Rücksichtnahme auf den Einfluss des Flächenumrisses auf die Grösse des Luftwiderstandes 
wieder aufgenommen und systematisch durchgeführt würden, wenn auch nicht verschwiegen 
werden darf, dass für die wissenschaftliche Entwickelung der Theorie des Luftwiderstandes 
zunächst noch viele Fragen, die sich auf ebene Flächen beziehen, dringend ihrer Lösung 
harren. Im Prinzip ist ja der Luftwiderstand an gewölbten Flächen kein anderer als an 
ebenen, da wir die gewölbten als irgendwie im Raume angeordnete Aggregate von kleinen 
Ebenen vorstellen können. Sobald man also über den Einfluss einer verschiedenen An- 
ordnung der Flächenelemente in der Ebene, d. h. über den Einfluss des Flächenumrisses 
auf den Luftwiderstand, genügend orientirt ist, wird man dazu übergehen müssen, die 
räumlich verschiedenen Anordnungen in ihrer Wirkung der Luft gegenüber zu prüfen, und 
zuzusehen, welche Beziehungen zwischen dieser Wirkung und den mathematischen Elementen 
der Anordnung bestehen. 

Stehen nun auch die Lilienthal'schen Versuche einstweilen noch isoliert da, so 
haben sie doch für die Beurteilung der Wölbungen des Vogelflügels eine unschätzbare 
Bedeutung, denn sie enthalten gleichsam die quantitativen Beweise für die Wirkungen der 
Schranke, die sich aus den vorher mitgeteilten Versuchen nur ihrer Qualität nach ergeben 
hatten. Der vordere Rand der gewölbten Fläche, welcher wie ein Messer in der Richtung 
des Gegenwindes die Luft durchschneidet, ist ja nichts anderes, als die vollkommene Form 
einer Schranke, wie sie sich auch aus unseren theoretischen Betrachtungen ergeben hat. 

Dass die Flügel der Vögel keine ebenen, sondern gewölbte Flächen bilden, ist seit 
langer Zeit bekannt. Man glaubte die Wölbung als eine Einrichtung auffassen zu sollen, 
dazu bestimmt, beim Rückschlag des Flügels den Abfluss der Luft zu erleichtern und beim 
Niederschlag zu erschweren, also den schädlichen Widerstand zu verringern, den nützlichen 


33 


zu steigern. Gleichzeitig werde zu diesem Zweck beim Rückschlag die Wölbung verstärkt 
und die Fläche gleichsam verkleinert, während beim Tiefschlag die Wölbung mehr aus- 
geebnet, die Widerstandsfläche also vergrössert werde. 

Der Erste, welcher die Gestalt und Wölbung der Flügel eingehend gewürdigt hat, 
war Prechtl. Er bezeichnet bereits den ganzen vorderen Flügelrand — also die dreieckige 
Flughaut zwischen Ober- und Unterarm, den Lenkfittich, welcher sich über die Mittelhand 
und das erste Glied des grossen Fingers vorwärts hinausschiebt, ferner die »Lenkfeder« 
und die nächstvorderen Schwungfedern — als Schranke und hebt hervor, dass an diesen 
Gebilden, soweit sie nach vorn geneigte, pronierte Flächen darstellen, die Vorwärts- 
bewegung des fliegenden Vogels ihren Antrieb erfährt. Er ist es auch, der in den grossen 
auseinandergespreizten »Ruderfedern« der Adler, Bussarde und Krähen Organe erblickt, 
welche durch den Luftwiderstand um ihre Längsachse gedreht werden, und so als schräge, 
vortreibende Flächen die Wirkung jener Schranke steigern. 

Die grossen Fortschritte in der Erkenntnis, welche durch diese auf sorgfältigstem 
Studium beruhende Auffassung gegen die ältere gewonnen sind, brauchen nicht hervor- 
gehoben zu werden. Aber immer noch ist die Schranke nichts weiter als eine Summe 
von pronierten Flächen und die Frage bleibt unbeantwortet, warum der ganze Flügel 
nicht eben sei, da er dann doch völlig nach Bedarf bald vortreibend, bald hemmend 
benutzt werden könne. 

Nach dem, was oben über die mechanisch zweckmässigste Form der Schranke 
gesagt wurde, muss der vordere Rand der gewölbten Flügelfläche so gestellt sein, dass er, 
einer Schneide gleich, beim Fluge in der Richtung des relativen Gegenwindes vordringt, 
und er muss um so stärker herabgezogen sein, je grösser die Winkel sind, unter denen 
der Gegenwind auf die Fläche trifft. Anders ausgedrückt lautet dieser Satz: Die Wolbungen 
am Vogelflügel sind um so stärker, je grösser die Einfallswinkel des Gegenwindes sind. 

Die folgenden Ausführungen werden zeigen, dass dieser Satz nicht nur für die 
verschiedenartigen Flügel der Segler und Rudervögel Gültigkeit hat, sondern dass er auch 
für die einzelnen Abschnitte jedes Flügels — Fächer, Schwinge und einzelnstehende 
Schwungfedern — richtig ist, und dass er selbst dann noch zu Recht besteht, wenn 
während des Fluges durch energischen Flügelschlag erhebliche vorübergehende Aenderungen 
der Einfallswinkel erfolgen. Zugleich werden die verschiedenen Flügelformen (Umrisse) 
ihre Erklärung finden. 


6. Formen des Vogelflügels. 


Die langflügeligen, nach dem Albatros-Typus (Fig. 13) gebauten Möven, Sturm- 
vögel und echten Segler besitzen alle nur sehr schwach gewölbte, nahezu ebene, schmale 
Flügel, die an der Spitze nicht in einzeln stehende Schwungfedern auslaufen. Je deut- 
licher dieser Flügelcharakter bei einem Vogel auftritt, desto kleiner sind auch die Einfalls- 
winkel des Gegenwindes, für welche die Flügel geeignet sind. Darum kann der Albatros 
nur dann fliegen, wenn er von Anfang an einen hinreichend starken Wind gegen sich hat, 
denn nur dann kann er die für seine platten Flügel passenden kleinen Neigungswinkel 


5 


34 


ausnutzen, die grosse Lange und die auffallend geringe Breite seiner Fliigel ist das Korrelat 
der geringen Wolbung und erklart sich ohne Weiteres aus dem eingangs (S. I1) mitge- 
teilten Gesetz, dass bei kleinen Neigungswinkeln der Luftwiderstand um so grösser ist, 
je länger der Vorderrand der getroffenen Fläche ist. Ein kürzerer Flügel würde daher 
bei dieser Flugart den Vogel nicht tragen können, und da die geringe Breite und Wöl- 
bung des Flügels für grössere Einfallswinkel nicht geeignet ist, so würde es dem Vogel 
auch nichts nützen, wenn er Muskelkraft genug besässe, um durch schnelleren Ruderschlag 
des Flügels den Stosswinkel des relativen Gegenwindes zu vergrössern. Dies würde nur 
dann Erfolg haben, wenn der Vogel gleichzeitig die Breite und Wölbung seiner Flügel 
auf Kosten der Länge willkürlich oder selbstthätig beim Flügelschlag vergrössern könnte. 


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Fig. 13. 
Linker Flügel eines Albatros nach Pettigrew, Länge über 6 Fuss engl. = 1,83 m. 


Wo wir also immer lange, schmale und nahezu ebene Flügel vorfinden*), zeigen 
sie uns, dass der betreffende Vogel zum Abflug, d. h. zum Rudern mit grossen Stoss- 
winkeln weniger geeignet ist, dass er aber ein guter Segler ist und als solcher starke 
Flugwinde, scien diese nun durch grosse Geschwindigkeit des Vogels oder durch herrschende 
Winde erzeugt, mit kleinen Neigungswinkeln der Flugflachen ausnutzen kann. Die ebene, 
schmale, ricmenformige Gestalt bietet dabei den weiteren Vorteil, dass die Flügel leicht 
und sicher gelenkt und gestellt werden kónnen, wie die schmalen Riemen eines Race- 
bootes. Bei starkem Flugwinde bietet ein gewölbter Flügel dem Luftwiderstande sehr 


*) Auch die Flossen der Fische und anderer Schwimmtiere folgen den Gesetzen des Flügels, soweit 
sie nach dem Typus des Vogelfliigels mit starkem, die Bewegung leitenden Vorderrande gebaut sind. Alle tief 
gegabelten Schwanzflossen, alle schmalen bis säbelförmigen Brust- und Bauchflossen, wie sie sich namentlich 
bei den Makrelen, Thunfischen, vielen Haien u. a finden, sind für die grosse Geschwindigkeit eingerichtet, mit 
welcher diese Tiere das Wasser durchschneiden, Die kleinen Abmessungen der Flossen im Vergleich mit den 
Flügeln erklären sich dadurch, dass der Widerstand des Wassers an sich grösser ist, als der der Luft. 

In der Schifffahrt weiss man längst aus Erfahrung, dass die schmalen und langen Vorsegel, welche 
vom Klüver zum Fockmast ziehen, für das Segeln am Winde — als Amwindsegel — vorzügliche Dienste leisten. 
und dass sie gestatten, »härter an den Wind zu gehen«, d. h, mit Erfolg kleine Neigungswinkel anzuwenden. 
Diesen Vorteil gewähren auch die schmalsegeligen Lateinerboote, die schmal dreieckigen Hlouari-Segel, sowie 
die hohen dänischen Spreitsegel mit aufgesetztem Topdreikanter. Alle sind gute Kreuzer, während breitsegelige 
Schiffe besser bei grossen Neigungswinkeln mit halbem Winde oder vor dem Winde laufen. 

Würde man ein Raasegel nach Art einer Jalousie in schmale straffe Streifen zerlegen, die durch eine 
gemeinsame, einheitliche Zugvorrichtung unter beliebigen, kleipen Winkeln an den Wind gebracht werden könnten, 
so würde man darin eine für das Sereln am Winde sehr gecignete Einrichtung haben, die auch sonst mancherlei 
praktische Vorteile böte. Bei grösseren Neigungswinkeln könnte die Jalousie geschlossen, und das Segel als 
Ganzes verwendet werden. Man hätte dann bein Aufkreuzen den Vorteil grosser Segellänge, und vor dem 


Winde doch auch das ganze Areal als breite, geschlossene lläche. 


_3>_ 


leicht auch dann noch eine zu grosse Angriffsflache, wenn schon die Schranke genau in 
den Wind einschneidet, und dies ist um so gefährlicher, als mit der stärkeren Wölbung 
immer auch eine grössere Breite verbunden ist. An solchen Flügeln können böige Winde, 
die fortwährend ihre Richtung und Intensität (Lilienthal, Langley) ändern, leicht allerlei 
schädliche Drehungen und unregelmässige, flatternde Bewegungen hervorrufen, die den 
Flug schliesslich unmöglich machen. Vögel mit solchen Flügeln, versuchen daher stets bei 
starkem Winde die Richtung des Flugwindes durch energischen Flügelschlag so gut es 
geht einigermassen konstant zu halten, oder hören auf zu fliegen, falls dies nicht mehr 
angeht. Der Albatross aber kann seine armförmigen Schwingen auch im stärksten Sturme 
ohne einen Flügelschlag regieren, wenn alle anderen Vögel mit breiten und stärker ge- 
wölbten Flügeln längst ihre Segel gestrichen haben. 

Der Albatros bedient sich nur selten eines langsamen Flügelschlages, stundenlang 
kann er sich bei bewegter Luft fast ohne jede sichtbare Flügelbewegung segelnd in den 
Lüften halten und weite Strecken zurücklegen. Da er mit grosser Geschwindigkeit fliegt, 
so kann der langsame Flügelschlag im allgemeinen auch keine bedeutende Vergrösserung 
des Einfallwinkels der Luft veranlassen. Ist, wie in Fig. 14 A dargestellt, a die Flug- 
geschwindigkeit und b die Geschwindigkeit des Flügelschlages, so ergiebt sich aus beiden 
ein Flugwind c, der nur wenig von der Richtung a abweicht. 





Fig. 14. 
Schematische Darstellung der — Pn ONE 2 des Flugwindes c, wenn 
a der Gegenwind ist, den der Vogel empfindet, und b die Geschwindigkeit des 
Flügelschlages bedeutet. Fl. Flügel: A eines plattflügeligen, langsam rudernden 
Seglers, B. eines hohlflügeligen Rudervogels. 

Die kürseren, breiteren und mehr gewölbten Formen der nun zu betrachtenden 
Fligeltypen sind schon ihrer Kürze wegen handlicher und mehr für den Ruderschlag 
geeignet. Bei ihnen kann daher mit wachsender Schlaggeschwindigkeit b (Fig. 14 B) auch 
der Stosswinkel der Luft mehr und mehr vergrössert werden. Dies ist namentlich ım 
Anfang des Fluges der Fall, wenn der Flügel bei ruhiger Luft erst in einer weit aus- 
schlagenden Ruderbewegung (nach unten) den erforderlichen Widerstand findet. Besonders 
aber gilt es für die Flügelspitze, die Schwinge, die von allen Teilen des Flügels die grösste 
Schlaggeschwindigkeit erreicht und demnach auch von der Luft unter den grössten Einfalls- 
winkeln getroffen wird. Es ist daher auch an keinem Teile des Flügels das Bedürfnis 
nach einer das schädliche Zurückstauen und Herumfliessen der Luft um den Vorderrand 
verhindernden Schranke so gross, wie gerade an der Schwinge. Die Beobachtung zeigt 
in der That, dass die Schwinge von allen Flügelteilen die vollkommensten Einrichtungen 
hat, die diesen Zweck erfüllen. 

L 


36 


Zum Studium dieser Einrichtungen eignet sich am besten der Flüge! der Hühner 
(Fig. 15), denn diese Tiere haben, soweit die später mitzuteilenden Beobachtungen reichen, 
von allen grösseren Vögeln den schnellsten Flügelschlag und die breitesten Flügel; bei 
ihnen muss also die Schranke am deutlichsten zu erkennen sein. Der Befund bestätigt und 
übertrifft diese Erwartung. 


Zunächst fällt auf, dass 
die Schwungfedern erster 
Ordnung, die zusammen die 
Schwinge bilden, stärker ge- 
krümmt sind, als die Arm- 
schwingen. Die Schwinge 
erhält dadurch eine flache 
Schalenform, die sich nach 
innen zu in die flachere 
Wolbung des Fächers fort- 
setzt. Der vordere oder 
Schrankenrand der Schwinge 
ist am stärksten gewölbt und 
tritt am weitesten nach unten 
vor, was dadurch bewirkt 
wird, dass die zwei bis drei 

Fig. 15. ersten Schwungfedern mit 

Rechter Flügel vom Haushahn. Sch. Schwinge; F. Fächer; ihren Barten lose aufeinander- 

Df. Daumenflügel. š PE : 

liegen, so dass sie sich beim 

Gebrauch gegenseitig stützen kónnen. Sie bilden so eine steife Fortsetzung des durch 

die Mittelfingerknochen gefestigten und gleichfalls nach unten hervorschauenden Hand- 
randes, wie es schon Prechtl beschrieb. (Flug der Vogel, Wien 1846. § 182.) 

Dazu kommt end- Df vorziehen kann. Die- 





lich der sogen. Lenk- ses wichtigste Organ 
fittich oder Daumen- J T E des ganzen Schran- 
flügel, der nichts kensystems reicht 
Df 
anderes ist, als eine : b von der Handwurzel 
verstellbare, beweg- bis etwa zum Ende 
liche Schranke, die Fig. 16. des ersten Drittels 
der Vogel nach Be- Lage des Daumenflügels Df. der Handschwingen, 


a. bei geringem Flügelausschlag, nach erlangter mittlerer 
Fluggeschwindigkeit. 


darf noch über den oder bis zu der 
Vorderrand derHand Stelle, wo die ersten 
hinaus nach unten Schwungfedern die 
Verschmälerung ihrer Vorderbärte haben und wo, wie wir sehen werden, beim starken 
Niederschlag die geschlossene Flache des Flügels aufhórt. Die kleinen Federn des Daumen- 


flügels sind die kraftigsten und steifsten des ganzen Gefieders; sie sind scharf konturiert 


b. bei starkem Flügelschlag, zu Beginn des Fluges. 


‚37 


und mit ihren Flächen fest auf einander gepresst. Der vordere Rand dieses kleinen 
Fittichs besitzt in dem stark nach unten gewölbten Vorderbarte der ersten Feder das 
Hauptmerkmal der Schranke deutlicher, als irgend ein anderer Flügelteil. 

Je heftiger nun der ganze Flügel herabgeschlagen wird, desto stärker wird auch der 
Daumenfittich über den vorderen Rand der Hand hinausgespreizt und heruntergedrückt, 
so dass er, immer genau in die Richtung des Gegenwindes einschneidend, die Bewegung 
des Flügelschlages mitmacht und so das Ausweichen der Luft um den Vorderrand des 
Flügels verhindern kann. Wird dagegen mit der Zunahme der Fluggeschwindigkeit der 
Ausschlag des Flügels kleiner, und also auch der Winkel, unter dem die Luft von vorn 
unter den Flügel trifft, so tritt auch der Daumenfittich mehr und mehr in seine gewöhn- 
liche Lage über der Hand zurück, da nun die übrigen Vorrichtungen der Schranke dem 
Bedürfnis genügen. (vergl. Fig. 16 a, b.) 

Wenn so während des Flügelschlages die Thätigkeit des Daumenfittichs sich 
genau nach der Thätigkeit des ganzen Flügels und nach dem Kontraktionszustande des 
grossen Brustmuskels zu richten hat, so ist nicht abzusehen, wie der Vogel gleichzeitig 
dies Organ noch zu einem anderen Zwecke, nämlich zur seitlichen Ablenkung seiner Flug- 
bahn selbständig verwenden könne, zumal er dies in viel wirksamerer Weise durch 
Drehung des Kopfes und des Schwanzes und ganz besonders durch einseitig stärkeren 
Flügelschlag ausführen kann. Wenn man bedenkt, wie gross die Arbeit sein muss, die 
im vollen Fluge geradlinig sich fortbewegende Masse des Vogels einseitig abzulenken, 
so gewinnt man die Ueberzeugung, dass hierzu der kleine, nur mit geringer Muskelmenge 
ausgestattete Daumenflügel nicht geeignet sein kann, vollends, wenn er schon als verstell- 
bare Schranke fungirt. Endlich finden sich die vollkommensten »Lenkflügel« gerade bei 
kurzflügeligen, schnellflatternden und ungeschickten Fliegern, während die Segler, welche 
die Richtung ihres Fluges unausgesetzt verändern, also die geschicktesten Lenker, vielfach 
nur rudimentäre, funktionsunfähige Daumenflügel besitzen. 

Wir finden also für die bereits im 13. Jahrh. von Kaiser Friedrich II. (De arte 
venandi) vertretene Meinung, dass der Daumenflügel ein wichtiges Organ zur Ausführung 
seitlicher Wendungen sei, keine Stütze. Die Hülfe, die der Daumenfittich bei der Wendung 
leistet, kann nur eine durchaus untergeordnete und indirekte sein, die darin besteht, dass 
bei dem einseitigen, stärkeren Flügelschlage, welcher die Wendung veranlasst, auch der 
Daumenfittich stärker herabgedrückt wird, wie es immer geschieht, wenn der Flügelschlag 
verstärkt wird, auch beim geradlinigen Fluge. Daher können wir auch die Bezeichnung 
des Daumenflügels als »Zez£fitfich« nicht als zu Recht bestehend anerkennen ; und wenn 
man dieses Organ des Flügelmechanismus nach seiner Funktion bezeichnen will, so 
dürfte dafür der Name Schränkfittich, Schrankenfittich oder Stellschranke fortan der 
passendste sein. 

Mit der Besprechung dieses merkwürdigen Flügelteils ist aber die Darstellung der 
am Flügel und im besondern an der Schwinge des Hühnerflügels vorhandenen Schranken- 
einrichtungen noch keineswegs erschöpft. Die Frage warum wohl die Stellschranke nur 
soweit an dem Vorderrande der Schwinge hinaufreiche, als von der Spitze her die Ver- 





38 
schmälerungen der vorderen Federbärte hinabreichen, führte mich zu der überraschenden 
Beobachtung, dass jede einzelne der verschmälerten Schwung federn gleichfalls eine in voll- 
kommenster Weise selbstthätig verstellbare Schranke besitst. Für gewöhnlich zwar, an 
dem ruhenden Flügel — und das ist der Grund, warum man diesen schönen Mecha- 
nismus meines Wissens seither übersehen hat, — zeigen die Federn hiervon wenig oder 
gar nichts, ja, bei den ersten Federn sind die Vorderbärte wider Erwarten glatt und eben, 
sodass sie eine scharf nach vorn, nach dem Flügelrande gerichtete Schneide bilden. 
Sobald man aber der Feder die Streckung und Biegung oder die Spannung erteilt, die ste 
während des Flügelschlages durch die Einwirkung des Luftwiderstandes erfährt, d. h. 
sobald man sie nach oben und vorn empor krünımt, erhält auch der Vorderbart eine nach 
unten offene Wölbung, deren Tiefe aufs genaueste mit dem Grade der Spannung zu- und 
abnimmt. (Fig.17) 
Wenn also zu 
AnfangdesFluges 
der Vogel mit 
grossem Kraftauf- 


auf die Flügel 
trifft, so werden 
die Federn der 
Schwinge durch 








wande schnell auf- d. starken Wider- 
einander folgende stand, den sie in 
Flügelschlàge von 5 der Luft finden, 
grosserAmplitude kraftig nach oben 
ausführt, und da- Fig. 17. und vorn gebogen 


her der relative a. Stark gespannte Schwungfeder vom Huhn. (!/s natürl. Grosse.) und es entsteht, 
Wind senkrecht P- Ein quer abgeschnittenes Stück derselben stärker vergrössert. dem Grade dieser 
Biegung entsprechend, die Wölbung der Vorderbärte, deren freie Schneidenränder jetzt 
senkrecht nach unten in den Wind gerichtet sind. 


Mit der Zunahme der Fluggeschwindigkeit steigert sich von selbst auch jedesmal 
die Grösse des Luftwiderstandes, der Vogel braucht ihn also nicht durch besonderen 
Kraftaufwand und tiefen Flügelschlag (wie im Anfang) zu erhöhen. Die Schwinge 
hat nicht mehr allein die Hauptarbeit, alle Flächen, auch der Fächer etc. tragen 
gleichmässiger, der Wind trifft mit genügender Stärke auch unter kleinen Winkeln gegen 
die Flugflächen, die Schwinge wird entlastet, die einzelnen Federn weniger durchgebogen, 
die Wölbungen ihrer Schranke gleichen sich aus, die Schneidenränder wenden sich nach 
vorn, immer genau in die Richtung des Gegenwindes. Jede beliebige Schwungfeder eines 
IIuhnes oder eines Raubvogels zeigt diesen wunderbaren Mechanismus, der in seiner Ein- 
richtung und Wirkung nicht vollkommener gedacht werden kann. Der senkrecht auf den 
Flügel treffende Gegenwind, welcher mit seinem grossen Widerstande den Nachteil ver- 
bindet, dass die Luft leicht über den Vorderrand der Flugfläche abfliesst und dadurch eine 
der Fortbewegung des Vogels schädliche Hemmung erzeugt, — dieser Gegenwind ruft 
selber an dem Mechanismus der unsymmetrischen Feder automatisch die Gestaltung einer 
Schranke hervor, durch welche die schädliche Nebenwirkung der grossen Neigungswinkel 
beseitigt, und der gesamte Luftwiderstand, den der Flügelschlag an der Schwungfeder er- 





39 


zeugt, in nützlicher Weise zum Heben und Vorwartsschieben des Vogels verwendet wird. 
Durch den Schrankenmechanismus der Feder wird also eine der Flugbewegung unbedingt 
schädliche Kraft so geleitet und gewendet, dass sie aus einem Feinde zu der wirksam- 
sten Hülfskraft des Fluges wird. 

Die Wolbung des vorderen Federbartes zur Schranke kommt dadurch zu 
stande, dass mit der (durch den Luftwiderstand bewirkten) Krümmung des Federschaftes 
eine Torsion desselben um die Längsachse verbunden ist. Die Ansatzlinien der Fieder- 
lamellen, die an der nicht gespannten Feder parallel sind und an den Seitenflächen quer 
nach unten laufen, werden dadurch in windschiefe Lage gebracht. Die proximalen Fieder- 
lamellen würden sich daher unter die benachbarten distalen schieben, wenn sie nicht 
durch die Verankerung der Fiederchen (II. Ord.) daran verhindert würden, welche nur 
ein minimales Längsgleiten und ein dichteres Aneinanderlegen der Fiedern gestatten. So 
bleibt in den Fliederlamellen eine Tendenz zurück, nach der Unterseite der Feder aus- 
zuweichen. Je biegsamer die Fiederlamellen gegen ihr freies Ende hin werden, desto 
deutlicher findet diese Tendenz oder Spannung ihren Ausdruck in der stärkeren Krümmung 
des vorderen Federbartes. Von Wichtigkeit ist jene mit dem Längsgleiten verbundene 
dichtere Annähernng der Fiederlamellen, denn wenn diese dadurch auf einen kleineren 
Raum zusammengedrängt werden, so steigert sich die Starrheit und Widerstandsfahigkett 
des umgebogenen Vorderrandes. 

Auch der hintere Federbart erleidet mit der Krümmung des Federschaftes eine 
Aenderung seiner Gestalt und Lage. Wie am Vorderbart die Fiedern dichter zusammen- 
geschoben, die Fläche also verkleinert wird, so findet am Hinterbart eine Flächenver- 
grösserung statt; aber diese wird nicht so sehr durch Auseinanderzerren der Fiedern, als 
vielmehr durch Ausgleichen und Glätten der am hinteren Federrande deutlich zu sehenden 
Wellung des Federbartes erzielt. Zugleich neigt sich die nun glatte und straffe, nahezu 
ebene Fläche mit ihrem Hinterrande nach unten, so dass dieser jetzt tiefer liegt, als die 
Schneide der Schranke. Die Wölbung der Feder wird also vor wie hinter dem Feder- 
schaft vertieft und die Breite der Feder damit etwas verringert. 


Wäre nun der Schaft nicht so vollkommen biegsam und elastisch, so würde bei 
der tiefen Lage des Hinterrandes der Feder, der senkrecht von unten auftreffende Gegen- 
wind trotz der Schranke keinen Antrieb nach vorn hervorrufen können. Nun aber erfahren 
die beiden Bärte der unsymmetrischen Feder einen ihrer ungleichen Breite entsprechenden 
sehr verschiedenen Widerstand. So leicht die Schneide beim Flügelschlag nach unten 
vordringt, so schwer folgt die Breitseite des tragenden Hinterbartes; und eine mit dem 
Luftwiderstande zunehmende Drehung der ganzen Feder um den Schaft als Achse ist die 
notwendige Folge des unsymmetrischen Verhältnisses der Barte. Aber der Schaft ist keine 
frei bewegliche Achse, wie die eines Rades. Er ist an seiner Wurzel vermittelst des 
Kieles in ein wenig nachgiebiges, straffes, elastisches Bindegewebe fest eingefügt, und erst 
in dem Masse, wie sein Querschnitt nach der Spitze zu kleiner und kleiner wird, folgt 
er leichter und leichter den drehenden Kräften des in gleicher Weise mächtiger werdenden 
Luftwiderstandes. 


40 


So entstehen erst während des kräftigen vertikalen Flügelschlages an den stark 
gewölbten Schwingen des Hühnerflügels die nach vorn geneigten und rortretbenden Flächen 
im wesentlichen nach demselben Prinzip, wie an dem künstlichen Flügel; nur dass hier 
durch das Vorhandensein einer Schranke alle schädlichen Nebenwirkungen vermieden, 
der Luftwiderstand in der denkbar vollkommensten Weise ausgenutzt wird. 

Diese Erklärung des Mechanismus der Schwungfedern bestätigt nun auch die oben 
(S. 18) ausgesprochene Annahme über die Bedeutung der Verschmälerung der Federfahne. 
Durch die Verschmälerung wird die Aufwärtsbewegung des hinteren Federrandes vor dem 
übergreifenden Vorderbart der nächsten Feder derart sicher gestellt, dass sie ohne gegen- 
seitige Reibung erfolgt. Sobald der Luftwiderstand die erforderliche Grösse erreicht hat, 
werden bei dem Typus des Hühnerflügels die einzelnen Schwingen vorübergehend von 
einander getrennt, so dass sie als einzelne Flächen frei dem Luftdrucke ausgesetzt sind 
und wie ebenso viele kleine, schmale Flügel wirken können. (Fig. 18.) 

Fände diese Spaltung 
der Flügelspitze in die 
einzelnen Schwungfedern 
nicht statt, so würde an 
der geschlossenen Fläche 
des Flügels nicht die vor- 
treibende Wirkung zu 
stande kommen können, 
welche der Flug zumal im 
Anfang erfordert; denn 
es müsste sonst der ganze 
Flügel zu ungunsten der 
tragenden Wirkung eine 
Drehung um den Vorder- 
rand erfahren, welche die 
kurze und breite Flügel- 


Fig. 18. form nicht zulässt. An 


Rechter Flügel vom Aaushahn. Die Handschwingen weichen in maximaler einem langen und schmalen 


Spannung bei starkem Flügelschlage fingerartig auseinander, 
(1:4 der natürl. Grösse.) Flügel vom Albatrostypus 


reicht der Torsionsaus- 
schlag des bewegten Flügels völlig aus, um einen genügend grossen Teil der Flügelspitze 
in toto in pronierte Lage zu bringen; hier aber musste für alle Fälle eine besondere Ein- 
richtung geschaffen werden, um die fehlende Länge und Torsionsgrösse durch Zerschneiden 
der Flügelspitze in einzelne, hintereinander liegende, leichter drehbare Langsstreifen zu ersetzen. 





Nun ist zwar nach den Luftwiderstandsgesetzen die schmale Form der isolierten 
Federenden für grosse Neigungswinkel nicht besonders günstig, aber der Uebelstand wird 
durch das gleichzeitige Entstehen einer wirksamen Schranke, sowie durch stärkere Wölbung 
der ganzen Federfläche behoben, die sich dann förmlich in die vorüberströmende Luft 


41 

hineinklauet oder -hakt. Daneben bleibt immer nach erlangter Fluggeschwindigkeit. der 
gewolbte Flügel für mittlere Neigungswinkel mit geringerer Schlagfrequenz als geschlossene 
Flache verwendbar. Nur für kleine Neigungswinkel, wie sie bei schnellfliegenden Vogeln 
in Anwendung kommen, ist der Hühnerflügel seiner Gestalt und Wolbung nach nicht 
eingerichtet, denn hierzu sind, wie wir sehen, lange und schmale, fache Flächen erforderlich, 
die sich leicht und sicher wie Schwertklingen einstellen lassen; daher ist den Vógeln vom 
Hühnertypus ein schneller Flug mit starkem relativen Gegenwinde unmöglich. 

Die trennbaren Schwungfedern habe ich in sehr verschiedenem Grade der Trenn- 
barkeit bei Hühnern, Trappen, Papageien, Schwimmvögeln u. a. gefunden. Bei einem 
Haushahn waren die ersten 8 oder 9 Federn 11 bis 5 cm tief von der Flügelspitze her 
eingeschnitten und von einander zu trennen; bei einer Ente dagegen war die Verschma- 
lerung der Spitzen nur noch an den beiden ersten Schwungfedern angedeutet (Fig. 19). 


/A A Ne 
o MIT 


Fig. 19. 
Linker Flügel einer Ente. 









Der Entenflügel ist im ganzen langer und schmaler als der runde Hühnerflügel*) 
und schliesst sich auch in dieser Beziehung an die spater zu betrachtenden Flügel mit 
ungeteilter Spitze an. 

Sollten die langen, schmalen Schwungfederenden des Huhnes auch für kleine 
Neigungswinkel dienen, so müsste die Jalousieeinrichtung etwas anders sein, als beim 
Hühnerflügel, nämlich so, dass zum Auseinanderspalten der einzelnen Federn nicht so 
grosse Neigungswinkel und Widerstände nötig waren. Diesem Bedürfnis entspricht nun 
der Flügel vom nahverwandten Typus der Raubvögel, Störche und Raben. 

Bei diesen Tieren sind schon am entfalteten, aber noch unbelasteten, ruhenden 
Flügel die grossen Schwungfedern so weit von einander getrennt, dass sich die wirk- 


*) Bildet man die Summe der Vorderrandlinge des Flügels und der fakultativ freien Vorderründer 
der Schwungfedern und dividiert diese Summe durch die mittlere Flügelbreite, so erhält man sowohl bei der 
Ente, wie beim Haushahn die relative Vorderrandlinge 4. Ohne Hinzunahme der fakultativ freien Schwung- 
federlingen würde beim Haushahn nur ungefähr die relative Zahl 2 herauskommen. Es lassen sich zwar aus 
diesen Verháltniszahlen noch keine allgemeinen Schlüsse auf das beste Längen- und Breitenverháltuis künstlicher 
Flügel ziehen; immerhin glaube ich, dass die Zahlen interessant genug sind, um zu einer nüheren, ein grósseres 
Material umfassenden Zusammenstellung der relativen Vorderrandlängen anzuregen. 

6 


42 


samen vorderen Federrander beim Segeln mit minimaler Schranke dem Winde ent- 
gegensetzen. Waren alle die hintereinanderstehenden schmalen Federflächen in der 





Fig. 20. 
Rechter Flügel eines Bussard (von unten gesehen). 


Verlängerung der ersten Schwungfeder angebracht, so’ würde ein langer, schmaler 
Flügelfortsatz entstanden sein: ein Albatrosflügel an der Spitze einer breiten Flügelbasıs, 
ein Segelflügel an einem offenbar im Anschluss an 
Ruderflügel. Die Natur die breite Fläche des 
hat den langen Segelfort- Flügels aus dem vorhan- 
satz des Raubvogelflügels denen Federmaterial 

in Wirklichkeit nicht in leichter herzustellen, alsein 
einem Stück angelegt, Fig. at. einziger langer  Fortsatz 
sondern in Form mehrerer, Hypothetischer Ruderflügel mit angehängter von gleicher Segelkraft, 
jalousieartig hinter ein- i aa qe nn der zu seiner Aussteifung 
ander stehender Ab- Figur sind hier nebeneinander als einheitliche eine harte knöcherne 
schnitte.*) Diese waren Verlängerung der 1. Handschwinge gezeichnet. Grundlage erfordert hätte. 
Und für die Verwendung der geschlossenen Flugfliche zu schnellen Flügelschlägen 
würde ein so langer Segelanhang im hohen Grade nachteilig sein, da er die 
Schlagfrequenz bis zur äussersten Grenze verlangsamen würde, ohne doch — für den 
Anfang des Fluges und für eine steile Flugbahn — die nötige Hubwirkung zu gewährleisten. 
Die breite, für schnelleren Flügelschlag, geringeren Gegenwind und grosse Neigungswinkel 





*) So stehen auch auf einem Schiffe aus praktischen Gründen die Segel staffelartig hintereinander, 
weil sie an mehreren Masten leichter anzubringen sind, als an einem und weil ein einziges grosses Segel schon 
wegen der Gefahr des Kenterns weit schwieriger zu handhaben und zu sichern ist, als mehrere kleine. Ein Schiff 
mit einem grossen Segel wäre ein Spiel des Windes, wenn der Sturm dies eine Segel fortrisse, während ein 
verlorenes kleines Segel leicht ersetzt werden kann. 


43 


des Flugwindes bestimmte Flügelfläche behält thre Wirksamkeit bei der jalousieartigen Anord- 
nung der Segelflachen, ja ihre Hebewirkung kann durch stärkere Wölbung der Fläche ge- 
steigert werden, da die einzelnen leicht drehbaren Schwungfedern beim Flügelschlag den 
Antrieb nach vorn verstärken und der breite Hubflügel für diese Nebenwirkung also 
weniger eingerichtet zu sein braucht. 

So vereinigt denn der Adlerfliigel in sich die Eigenschaften eines Segelfliigels und 
eines Ruderfliigels. Bei den verschiedenen Vogelarten von diesem Flügeltypus tritt bald 
die eine, bald die andere Eigenschaft mehr in den Vordergrund; die grösseren (Fig. 22) 





Fig. 22. 
Rechter Flügel vom Seeadler. !/s, nach Prechtl. 

sind mit ihren langen Segelfedern geschickt im Segeln, die kleineren geschickter im Ab- 
flug, die einen erheben sich in flach ansteigender Bahn vom Boden, die andern können 
steiler emporfliegen. Aber bei starken Winden stehen alle in ihrem Segelvermögen mehr 
oder weniger zurück hinter den Vögeln vom Albatrostypus, die dafür gleichsam Specia- 
listen sind; und bei ruhiger Luft sind ihnen die Vogel mit geschlossener Flügelfläche 
überlegen. Die grossen, gut segelnden Geier und Adler können sich bei ruhigem Wetter 
nur mühsam und mit langem Anlauf vom Boden erheben, und man beobachtete an der 
Meeresküste einen Adler, der vergeblich gegen den Sturm ankämpfte und schliesslich 
zurückgeworfen wurde, während die grossen Möven spielend im Winde kreisten. Der Adler 
konnte offenbar seine grosse, gewölbte Flügelfläche nicht mit genügend kleinen Winkeln 
in die Richtung des Sturmes einstellen, und die zerteilten Segelflachen der Geier haben 
für den Abflug nicht dieselbe Hubwirkung, wie geschlossene Flügelflächen. 

Es wurde oben bemerkt, dass auch am Adlerflügel die isolierten Schwungfedern 
beim Flügelschlage leicht um ihren Schaft drehbar sind und daher in analoger Weise, wie 
es beim Hühnerflügel beschrieben wurde, als Organe für den Antrieb des fliegenden 
Vogels in der Flugrichtung angesehen werden können. Prechtl bezeichnet daher diese 
Federn als Ruderfedern. Die Drehung erfolgt indessen nicht nur beim »rudernden« Flügel- 
schlage, sondern auch beim Segeln, und wie wir sehen, ist die weite Trennung der Federn 


gerade eine für das Sege/n geschaffene Einrichtung. Die übereinanderliegenden verschma- 
6* 


44 


lerten Handschwingen des Huhnes trennen sich erst beim kraftigen Fliigelschlage und 
werden nun erst einzeln um ihren Schaft drehbar. Sie sind es also, die in erster Linie 
die Bezeichnung Auderfedern verdienen, und die stets getrennt stehenden Schwungfedern 
der Adler, Falken und Störche sind treffender als Sege/federn zu bezeichnen.*) 

Dieser verschiedenartige Charakter der trennbaren Schwungfedern findet auch 
einen Ausdruck in der ungleichen Kriimmung und Biegsamkeit ihrer Schafte. Wir haben 
oben (S. 17) des Näheren gesehen, dass die Schwungfedern verschiedener Vogelarten am 
ausgebreiteten Flügel sowohl von vorn nach hinten (horizontal), als senkrecht zur Fahne, 
von oben nach unten (ventral), in sehr bestimmter Weise gekrümmt sind, und dass sie in 
beiden Richtungen eine ganz verschiedene Biegsamkeit besitzen. Sobald nun der Flügel 
belastet oder durch Flügelschlag in Anspruch genommen ist, werden die Krümmungen — 
wie die Wölbungen des ganzen Flügels — je nach dem Grade der Biegsamkeit und der 
Stärke des Luftwiderstandes mehr oder weniger verflacht und ausgeglichen. Der Krümmung 
nach unten wirkt die hebende Komponente des Luftwiderstandes entgegen, der Krümmung 
nach hinten die vortreibende Komponente. Umgekehrt wird man sagen dürfen, dass die 
stärkere Krümmung und grössere Steifheit einer Feder in der einen oder anderen Richtung 
einen Rückschluss auf die Art und Grösse des Widerstandes gestattet, für welchen diese 
Feder bestimmt oder wenigstens geeignet ist. Bei der ganz ausserordentlichen Zweck- 
mässigkeit und Vollkommenheit des Vogelflügels in allen seinen Einzelheiten ist es nicht 
überraschend, dass die einzelne Feder, wie der ganze Flügel, solche Einrichtungen besitzt, 
welche den verschiedenen Ansprüchen des tragenden und treibenden Luftwiderstandes so 
genau entsprechen, wie es meiner Ueberzeugung nach durch jenen verschiedenen Grad 
der Krümmung und der Biegsamkeit geschieht. Das Fehlen einer solchen Einrichtung 
würde einem entschiedenen Mangel des Flugapparates gleichkommen. Die mechanische 
Bedeutung der vorhandenen, so sehr charakteristischen Krümmungen der Federschäfte nach 
zwei Richtungen, sowie die durch ganz bestimmte anatomische Eigenschaften (S. 16) hervor- 
gerufene ungleiche Biegsamkeit würde sich kaum in einer anderen Weise genügend erklären 
lassen, wenn man bezweifeln wollte, dass sie eben genau den verschiedenen Ansprüchen 
des Luftwiderstandes angepasst sind. Es sprechen also alle Umstände dafür, dass wir 
aus der Krümmung und Biegsamkeit der Federschäfte auf die mechanische Beanspruchung 
derselben im Fluge schliessen dürfen und müssen. 

Die auf Seite 17 als Beispiele angegebenen Massbestimmungen für Biegsamkeit 
und Wölbung der Flügelelemente sind natürlich nicht ohne weiteres Ausdrücke für die 
Hub- und Zugwirkungen, welche durch den Flügelschlag ausgelöst werden, aber sie zeigen 
doch ganz unverkennbar, dass der Flügel für den starken vertikalen Hub des Luftwider- 
standes, welcher die Einwirkung der Schwere zu überwinden hat, entsprechend steifer 
gebaut ist, als für den schwächeren horizontalen Schub, durch den ja im vollen Fluge 
nur die Hemmungswiderstände der Luft beseitigt zu werden brauchen. 


*) Prechtl bezeichnet die Flügel vom Adlertypus als „Auderflügel‘‘, da ihm bekannt ist, dass die 
einzeln stehenden Schwungfedern beim Nicderschlag des Flügels infolge ihrer pronierten Stellung den Vogel vor- 


wärtsschieben wie Ruder. Die Flügel vom Ilühnertypus erwähnt er gar nicht. 


.35. 


Auf eine wichtige Nebenbedeutung der geteilten und emporgekrümmten Schwinge sei 
hier noch hingewiesen: sie gestattet der vorüberstreifenden Luft einen gleitenden Abfluss und 
verhindert die Entstehung von Randwirbeln, welche den zarten Federrändern schaden könnten. 


Beim Flügelschlag wird durch die elastische Spannung der Federn die Wirkung des 
Muskelzuges soweit verzögert, dass durch den allmählichen Ausgleich dieser Spannung am 
Schluss der Senkung des Flügels Zeit gewonnen wird für die Einleitung der Hebung des 
Flügels. Hebung und Senkung stehen sich anfangs nicht schroff gegenüber, sondern die 
Hebung wird infolge jener Federspannung durch die Senkung des Flügels selber ein- 
geleitet, um dann passiv durch den Widerstand der Luft, oder aktiv durch die Hebe- 
muskeln ausgeführt zu werden. Der so verursachte allmähliche Uebergang zwischen 
Senkung und Hebung findet auch bei Beginn des Niederschlages, d. h. zwischen der 
Hebung und Senkung, statt und erscheint auch in der Wellen- oder 8-formigen Schleifen- 
linie, die der Flügel mit seiner Spitze beim Ruderfluge beschreibt, oder in der geschlossenen 
elliptischen Kurve, welche die Flügelspitze eines festgehaltenen Vogels beim Flügelschlag 
auf eine berusste Glastafel einschreibt. (Fig. 11.) 


Die Spannung der emporgekrümmten Schwungfedern — auch der nicht zerteilten, 
geschlossenen Schwinge -- übt in der Richtung der Federspulen und der Längsachse 
des Flügels einen Druck aus, welcher schliesslich auf das Schultergelenk übertragen wird. 
Dieser Druck geht für den Flug nicht verloren und bewirkt auch keine lästigen oder 
schädlichen Zerrungen in der Umgebung der Schulter, denn er wird von dem elastischen 
Gabelbein aufgenommen und in Form einer federnden Spannung desselben aufgespeichert. 
Wenn die Ursache der Spannung aufhört, so wird auch die Spannung des Gabelbeines 
wieder an die Federfahne zurückgegeben. Durch die Entspannung der Federfahnen wird 
also auch die Spannung des Gabelbeines wieder für die Zwecke des Fluges verwendet. 

Von weitester Verbreitung ist die Flügelform mit ungetrennten Schwungfedern 
vom Typus der Tauben (Fig. 23). Man hat diese Flügel »Stossflügel« genannt, weil sie 
sich bei einer Anzahl 
sogen. Stossvögel, be- 

sonders auch bei 

kleineren Falkenarten, 
vorfinden. Prechtl 
bemerkt dazu, das 
Stossen stehe mit dieser 
Flügelform in keiner 
"wesentlichen Verbin- 
dung. Der Tauben- 

TH id 23. - habicht, dessen Flügel 

f Oe ner krahenartig ist, stösst 
ganz gut und die Saatgans, deren Flügel vollkommen die Stossflügelform hat, stösst 
niemals. Er nennt daher diese Flügelform »Schnellflügel«, von Schnellen, lancer, da 
sie für einen schnellen, heftigen Flügelschlag geschickt sei. 





46 


Man kann gegen diese Bezeichnung indessen ganz ähnliche Einwürfe erheben, 
wie gegen das Wort Stossflügel, denn die Schnelligkeit oder Frequenz des Flügelschlages 
hängt ebensowenig wie das Stossvermögen der Vögel von dieser Flügelform ab. Dies 
wird später näher erörtert werden. Hier möge nur der Hinweis genügen, dass nach 
Prechtl’s eigenen Angaben die Schnellflügel sich zwar mehr oder weniger bei allen 
kleinen Vögeln, herab bis zu EEE vorkommen, deren Schlag- 
den Kolibris (Fig. 24), finden, =, 7 77777  frequenz von manchem kurz- 
dass sie aber auch bei.den fliigeligen Rudervogel (vom 
Seeschwalben, den Tauben Hühnertypus), wie auch von 
und kleinen Falken (Wander- dem Taubenhabicht und 
falke, Turmfalke, Baumfalke), Fig. 24. Sperber (vom Adlertypus) 
ja sogar bei der Saatgans #lügel eines Kolibri (natürl. Grösse). übertroffen wird. Aus diesen 
Gründen bemerkt Prechtl einschränkend am Schlusse seines § 106: »Nur bei hin- 
reichender Länge, welche die nötigen Verkürzungen erlaubt, ohne dass dabei die Trag- 
fläche des Flügels bei dem Niederschlage unzureichend wird, sind die Schnellfliigel ihre 
eigentümliche Wirkung zu leisten im Stande«. Man sieht nicht ein, warum dann die in 
Frage stehende Flügelform noch allgemein »Schnellflügel« genannt werden kann, wenn 
die Schlagfrequenz so offenbar von anderen Ursachen abhängig ist, als von der ge- 
schlossenen Lage der Handschwingen. 

Die Beschreibung, welche Prechtl von diesem Flügeltypus giebt ($ 100), passt 
sehr gut für die Tauben und kleinen Falken. Hier sind die Schwungfedern steif, mit 
starkem Kiel und weniger breiten, daher starkeren Fahnen, und der Flügel erhalt durch 
die gestreckte und zusammengeschobene Lage der áusseren Schwungfedern eine verhaltnis- 
mässig geringe Breite. Bei anderen Vögeln treten jedoch erhebliche Abweichungen auf, 
die sich sowohl auf die Gestalt und Wolbung der Flügelspitze, wie auf das Verhaltnis 
der Lange zur Breite beziehen, und auch die Bezeichnung der Schwungfedern als steif 
und schmal hat vielfach keine Gültigkeit. 





Es gehóren hierher Flügel, 
wie die der Paradiesvögel 
(Fig 25), welche durch ihre 
kurze und breite Form mit 
denen vom Hühnertypus über- 
einstimmen, ohne dass jedoch 
die Trennung der Schwung- 
federn beim Nieder@chlag 
möglich wäre, da die Feder- 


schliessen sich die Flügel des 
laubentypus durch die 
kleineren Móven, Seeschwal- 
ben und Schwalben an den 
Albatrostypus an. Endlich 
giebt es unter den Wat- und 
Schwimmvögeln wahrschein- 
lich solche nahe verwandte 
Formen, die in der Form 





n : ; Fig. 25. : E 
bärte nicht verschmälert sind. Linker Flügel vom Paradiesvogel, Ihrer Flügel den Uebergang 
In dem anderen Extrem (P. apoda). Unterseite. vom - Taubentypus zum 


Hühner- und Adler- oder Storchtypus darstellen. Es sei nur an den Entenflügel (Fig. 19) 
erinnert, bei dem die ersten Schwungfedern eine deutliche Verschmälerung der Spitzen 
zeigen, sodass diese beim Tiefschlag eine kurze Strecke von einander getrennt werden. 


ae 
Es sind mir keine Vogel von Taubengrösse und darunter bekannt, bei denen 
die Schwinge nicht unter allen Umstanden geschlossen ware. 


Welche Gestalt der Fliigel dieses Typus aber auch immer im Einzelfall haben 
mag, stets kommt an ihm die vortreibende Wirkung dadurch zu stande, dass die ganze 
Schwinge als geschlossene Flache beim Tiefschlag in eine zur Flugrichtung pronierte Lage 
gerät, sodass der Vorderrand tiefer liegt, als der Hinterrand. In dieser wichtigen 
mechanischen Beziehung stimmt der Fliigel vom Taubentypus mit dem vom Albatros- 
typus genau überein. Man könnte daher den Albatrosfliigel als einen übertrieben langen 
Flügel vom Taubentypus ansehen, der wegen zu grosser Länge zu einem hubkräftigen 
Flügelschlage in ruhiger Luft unbrauchbar ist. Und umgekehrt wäre erlaubt zu sagen, 
der Flügel vom Taubentypus sei ein verkürzter Albatrosflügel. der mit der Verkürzung 
zwar die Fähigkeit zur Ausführung hubkräftiger Flügelschläge erworben hat, dessen 
Vorderrand aber nicht lang genug geblieben ist, um in starker Gegenströmung die zum 
Segeln nötigen, hinreichend kleinen Neigungswinkel mit andauerndem Erfolge anwenden 
zu können. 


Ueber die Wölbungen des Flügels gilt das bei der Besprechung der anderen 
Typen Gesagte. Ein kurzer, breiter Flügel ist stärker gewölbt, als ein längerer, schmälerer. 
Die Schlagfrequenz ist bei dem breiten, kleinen Flügel eine grössere, als beim langen 
Flügel, gleichzeitig ist die Fluggeschwindigkeit eine geringere, der Stosswinkel des Luft- 
widerstandes ein grösserer, und wie wir sahen ist hierzu eine stärker gebogene Schranke, 
eine stärkere Wölbung erforderlich. 


Da mit zunehmender Fliigellange und mit zunehmender Schlagfrequenz beim 
Flügelschlage der Angriffspunkt des Luftwiderstandes mehr und mehr gegen die Alügel- 
spitze verschoben wird, unter gleichzeitiger Entlastung der proximalen Flügelteile, so ist 
es verständlich, dass in gleichem Masse die Bedeutung und Entwicklung des sogen. Lenk- 
fittichs oder Daumenflügels geringer wird, da dieser nur als Schranke für die Basis der 
Schwinge zu fungieren bestimmt ist. Wir sehen daher bei allen Flügeln mit geschlossener 
und somit hubkräftiger Schwinge den Schränkfittich (cf. S. 37) schwächer entwickelt, als 
bei den Flügeln von Adler- und Hühnertypus, wo die zerteilte Schwinge im Flügelschlage 
eine stärkere Inanspruchnahme der Schwingenbasis und des Fächers bedingt. Je länger 
die Schwinge im Vergleich zum Fächer des Flügels ist, desto unbedeutender erscheint 
der Schränkfittich, denn in diesen Fällen kann er höchstens beim Abflug in beschränktem 
Masse zur Herstellung der vortreibenden Vorneigung (Pronation) des Flügels beitragen. 


An der geschlossenen Schwinge kommt nun die zum Vortrieb nötige Stellung 
je nach der Periode des Fluges in einer den wechselnden Verhältnissen des Luftwider- 
standes genau angepassten. und daher verschiedenen Weise zu stande. Im Beginn des 
Fluges (Abflug) erreichen alle Flügel beim Tiefschlag ihre grösste Entfaltung nach Umfang 
und Wölbung. Die vorderen Schwungfedern, —- die erste sogen. Lenkfeder sowohl, wie 


die ihr ähnlichen, kürzeren Schwungfedern des Vorderrandes*) — treten mehr oder weniger 
unter der längsten Feder, welche gewöhnlich den vorderen Schwingenrand einnimmt, 
hervor. Dadurch erhält auch ein gewöhnlich als spitz beschriebener Flügel, wie der einer 
Taube, an seinem freien Ende eine breite Rundung. Die nicht verschmälerten hinteren 
Federbärte verhindern die vollständige Trennung der Federn und gewährleisten den ein- 
heitlichen Charakter der Schwinge. Die Momentphotographien von Ottomar Anschütz, 
Marey u.a. zeigen in zahlreichen Beispielen diesen Zustand des im Tiefschlage gespannten 
Flügels. Stellt man an einem frischen Flügel oder an einem lebenden Tiere diesen 
Spannungszustand durch starkes Ausbreiten des Flügels her, so gewahrt man, wie mit 
dem stärkeren Vorziehen der ersten Schwungfedern die Wölbung stärker wird, und wie 
sich die untere Flügelfläche abplattet, sobald die ersten Schwungfedern unter die längste 
Hauptfeder geschoben, oder die ganze Schwinge mehr zurückgelegt wird. Die folgende 
Abbildung zeigt nach einer Photographie von Anschütz mit genügender Deutlichkeit, 
wie die vorderen Schwungfedern am Taubenflügel beim Tiefschlag entfaltet sind, und wie 
sie so in vorgeneigter Stellung eine typische, schneidenförmige Schranke bilden, mit 






welcher der vordere Rand Loss uz e Schwinge genau dieselbe Be- 

der geschlossenen Schwinge fee deutung, wie die schmalen 
" : / ^ &4à . $ -. 3: 

genau in der Richtung des fe: Ynt- Vorderbärte der oben näher 


auf den Flügel wirkenden besprochenen Ruder- und 
Gegenwindes vordringen | Segelfedern des Hühner- und 
kann. Die vorderen, kürzeren Adlerflügels: sie verhindern 





Fig. 26. iouis 
Schwungfedern haben dem- Taube nach einer Momentphotographie den schädlichen Abfluss der 
nach für die geschlossene von Ottomar Anschütz. Luft um den Vorderrand 


und lenken den Widerstand derart gegen die hinter der Torsionsachse des Flügels 
liegende Schwingenfläche, dass diese in die vortreibende Stellung kommt. Besonders 
schön ist dies am Flügel des Paradiesvogels (Fig. 25) zu erkennen, bei welchem die 4 
ersten Handschwingen mit zurückgebogener und dadurch am Heraustreten verhinderter 
Spitze den vorderen Flügelrand nach Art mehrschichtiger Wagenfedern versteifen und 
schrankenartig erhöhen. 

Im vollen geradlinigen Fluge und immer dann, wenn der Flügelschlag anscheinend 
nicht mit grossem Kraftaufwande, jedenfalls nicht mit maximaler Schwingungsweite aus- 
geführt wird, erhält man ein wesentlich anderes Bild von dem tiefschlagenden Flügel. Die 
Momentphotographien freilich, die sich mit wenigen Ausnahmen nur auf den Anfang oder 
das Ende des Fluges beziehen, liefern uns dafür, wie oben bemerkt wurde, keine objektiven 
Beweisstücke, aber dafür ist bei dem langsamen Flügelschlage mittlerer und 
grösserer Vögel die unmittelbare Beobachtung leicht und durchaus zuverlässig. Wenn man 


* Bei der Taube, der Arickente u, a. ist die 2. Schwungfeder die längste; beim Zaunkönig die 
3. oder 4., beim ZParadiesvogel die sechste. Hier sind also die ersten Schwungfedern mehr und mehr reduziert 
und die nachfolgenden bilien die Hauptfläche der Schwinge. Bei den Ao/ibris dagegen wird der schmale Flügel 
der Hauptsache nach aus den 4 bis 5 ersten Schwungfedern gebildet, die durch breite Hinterbärte vor dem 
Auseinanderweichen geschützt sind Pei den Schwalben ist die erste Schwungfeder die längste, 


49 


dabei genay nur auf diesen Punkt achtet, so wird man vielfach Gelegenheit haben zu 
sehen, dass z. B. Tauben unter gewissen Bedingungen beim Tiefschlagen die vorderen 
Schwungfedern nicht entfalten und vorziehen, sondern unter der längsten Feder liegen 
lassen und so die spitze Form des Flügels während des ganzen Niederschlages bewahren. 
Der vordere Flügelrand bildet dann nicht eine nahezu gerade Linie, sondern es zeigt sich 
am Anfang der Schwinge ein deutlicher Knick, ohne dass deshalb am hinteren Flügel- 
rande wesentliche Änderungen der Umgrenzung (im Vergleich zum vollgespannten Flügel) 
auffielen. 

Bei dieser Haltung ist der Flügel an der Spitze mehr abgeplattet, weniger stark 
gewölbt, er ist mehr auf Vortrieb, als auf Hebung eingestellt; dazu kommt, dass das 
Einziehen der vorderen Schwungfedern und die unvollständige Entfaltung der Schwinge 
beim Tiefschlage des Flügels einer Verkleinerung der Flugflächen gleichbedeutend ist 
und daher, wenn es in horizontalem Fluge geschieht, ein Sinken des Vogels herbei- 
führen kann. 

Wenn das Sinken in vielen Fällen nicht eintritt, so wird die Verkleinerung der 
Fläche durch eine Verstärkung des Flugwindes ausgeglichen. Dieser Ausgleich kann 
vorübergehend passiv durch Unregelmässigkeiten des Windes zustande kommen. Man 
sieht z. B. wie ein Taubenschwarm, der gleichmässig ruderte, plötzlich den Flügelschlag 
verlangsamt und dabei die Flügelspitzen unentfaltet schwanzwärts zurückbiegt. Die Er- 
scheinung ist die momentane Reaktion des Flugapparates gegen einen Windstoss, den das 
Tier als unvorhergesehene Aenderung des Flugwindes in Richtung und Stärke empfindet. 
Der Flugwind trifft dabei unter kleinerem Winkel auf die Flügel, als beim gewöhnlichen 
Flügelschlage, darum muss die Fläche abgeplattet werden, was eben nur durch Einziehen 
der ersten Schwungfedern und Zurücknehmen der Flügelspitze schnell durchführbar ist. 
Die grössere Stärke des Gegenwindes gestattet oder bedingt sogar die Verkleinerung der 
Flugfläche, der Vogel ist eben durch die Fähigkeit, die Grosse und Form seiner Flügel 
jederzeit augenblicklich zu ändern, für den verhältnismässig gleichförmigen und sicheren 
Verlauf seines Fluges eingerichtet. Ohne diese Anpassungsfähigkeit an die Ungleich- 
förmigkeiten und Unregelmässigkeiten der bewegten Luft würden die Flugbewegungen des 
Vogels einen fast ebenso unsteten Verlauf nehmen wie der Wind, dessen innerstes Wesen 
die Veränderlichkeit ist. | | 

Auch die Elasticität des Flügelmaterials trägt viel dazu bei, dem Vogel über 
kleinere Unebenheiten und Schwierigkeiten der Bahn in bewegter Luft hinwegzuhelfen ; 
aber für manche Hindernisse genügt weder die Elasticitat, noch die Anpassungsfahigkeit 
der Flügel, um den Vogel vor allerlei Stössen, Erschütterungen und selbst zeitweiligen 
Abstürzen in der Luft zu bewahren. | 

So oft das Tier von plötzlichen Verstärkungen des Gegenwindes, durch Windstösse, 
überrascht wird, so oft und ebenso unerwartet wird es auch an Stellen seiner Flugbahn 
kommen, an denen der Gegenwind ohne sein Zuthun unter das zum Fluge nothwendige 
Mass herabsinkt. Dann muss eine Beschleunigung des Flügelschlages (und der Flug- 
geschwindigkeit) d. h. ein grösserer Kraftaufwand erfolgen, um das Hindernis zu über- 


e 7 


50 


winden; und was der Vogel bei dem maximalen Gegenwind des Windstosses an Kraft 
ersparte, das muss er im nachfolgenden Minimum wieder aufwenden. Dass diese Ungleich- 
förmigkeit der Kraftausgabe, die bald durch den Windstoss gehemmt wird, um bald mit 
um so grösserer Spannung und Stärke erfolgen zu müssen, nicht gleichgültig, sondern 
einer wesentlichen Erschwerung des Fluges gleichbedeutend ist, möge nebenbei erwahnt 
werden, denn die Ungleichförmigkeiten des Windes wirken ganz analog den Unebenheiten 
einer schlecht gepflasterten Fahrbahn. — Jene Tauben, die im Maximum des Windes wie 
auf Befehl ihre Flügel änderten und den Schlag verlangsamten, führten an anderen Stellen 
mit eben solcher Uebereinstimmung plötzlich die heftigsten Flügelschläge mit stark 
gespreizten Flügeln aus, um das Windminimum zu überwinden. Aber sie konnten dennoch 
mit aller ihrer Kunst nicht verhindern, dass sie z. B. an anderen Stellen von plötzlichen, 


vertikal nach unten gerichteten Windstóssen -— die Tiere flogen über einem mit hohen 
Hausern bebauten Gelände — gelegentlich mit blitzartiger Geschwindigkeit eine kurze 


Strecke aus ihrer Bahn herabgestürzt wurden. 

“Nicht immer sind es die Unregelmässigkeiten des Windes, die den Vogel zu einer 
Aenderung der Form und Grösse seiner Flügelflächen veranlassen; jede das gewöhnliche 
Mittelmass überschreitende Verstärkung des Gegenwindes zwingt ihn zu einer Verkleinerung 
und Abflachung der Flügel, jede Verringerung des Gegenwindes zu einer Vergrösserung 
der Fläche und des Schrankenrandes des Flügels; dort wird der Flügelschlag verlangsamt, 
hier hingegen beschleunigt. 

Ein Vogel, der mit geringer Geschwindigkeit aufwärts oder in ruhiger Luft lanzsam 
horizontal vorwärts fliegt, wird immer beim Tiefschlag seine Flügel maximal entfaltet 
haben; sobald er aber — sei es aktiv durch eigene Muskelkraft, sei es passiv im Sinken 
durch die Schwerkraft — eine grosse Geschwindigkeit gegen die Luft erreicht, muss er 
auch die Form und Grösse der Flügel dem stärkeren Gegenwinde anpassen, und dies 
geschieht genau ebenso, wie wenn die Zunahme nur vorübergehend durch einen Windstoss 
erzeugt wäre, nämlich durch Verschmälerung und Anwinkeln der Flügelspitze. 

So verstehen wir die Flügelhaltung eines verfolgenden und eines verfolgten. 
fliehenden Vogels, die beide mit grösstmöglicher Geschwindigkeit und höchstem Krat- 
aufwand zu fliegen suchen: ihre Flügelspitzen zeigen nach hinten wie die einer Bekassine 
in den Gleitperioden des Fluges, und an der verkleinerten, für den Vortrieb eingrestellten 
Flugfläche kann ein weit grösserer Teil der Muskelkraft in Zlugbeschleunigung umgesetzt 
werden, als am ganz entfalteten Flügel, der mehr der Schwere entgegen, als vortreibend wirkt. 

Da beim Flügelschlag die Spitze des Flügels in Folge der grösseren Winkel. 
geschwindigkeit einen weit grösseren Widerstand erfährt, als die Fliigelbasis, so hat 
Marey u. a. A. die Schwinge des Flügels auch als aktiven Flügel bezeichnet, im Gegensatz 
zu dem passiven Flügel oder dem Fächer. Ich kann diese physiologische Unterscheidung 
nicht als besonders glücklich anerkennen, da die beiden Abschnitte des Flügels woh: 
morphologisch bestimmt von einander zu trennen sind, nicht aber ihrer Funktion nach. 
Es giebt keine feste Grenze zwischen einem aktiven und einem passiven Flügelteil. Be: 
schnellem Flügelschlag ist auch der Fächer des Flügels aktiv, wenn auch gegen die Basis 


t v 





es 


abnehmend, und je langsamer der Flügelschlag, desto mehr ist auch die Schwinge passiv, 
bis endlich beim Schweben und Segeln der ganze Flügel gleichmässig passiv wird. Wenn 
daher auch bei den Rudervögeln, welche ja bei weitem die Mehrzahl bilden, die Schwinge 
zweifellos der wichtigste Teil des Flügels ist, so dürfte diese Wertschätzung für den 
Albatros schwerlich zu Recht bestehen, dessen Schwinge nur als ein wenig veränderungs- 
fähiger, kleiner Anhang des Fächers erscheint. 


Wir haben die verschiedenen Flügelformen im Hinblick auf die Gesetze des Luft- 
widerstandes und aus didaktischen Gründen in der Reihenfolge besprochen, dass wir vom 
Albatrosflügel ausgingen, dann die Flügel vom Hühner- und Adlertypus folgen liessen 
und schliesslich beim Taubenflügel endeten. Rein morphologisch betrachtet ist jedoch 
der Flügel vom Taubentypus in den Vordergrund zu stellen. Sofern das palaeontho- 
logische Dokument des Archaeopteryx durchschlagende Beweiskraft hat, müssen wir diesen 
Flügel auch als den phylogenetisch älteren ansehen. Von ihm ist abzuleiten nach der 
einen Seiten der Albatrosflügel, nach der andern die Flügel vom Typus Huhn und Adler. 

Der Albatrosflügel erscheint als eine Specialisierung des gewöhnlichen Ruder- 
flügels für den ausschliesslichen Zweck des Segelns in bewegter Luft. Die grossen und 
schweren Raubvögel und Störche sind durch die isolierten Schwungfedern gleichfalls zum 
Segeln in den bewegten oberen Luftschichten befähigt, besitzen aber noch eine zum 
aktiven Abflug ausreichende hubkräftige Flügelbasis, die dem Albatros fehlt. Bei den 
Hühnern endlich, die sich in ihrer systematischen Stellung an die Raubvögel anschliessen, 
erscheint anstatt des Segelapparats des Adlerflügels ein für energischen, aktiven Flügel- 
schlag bestimmter Triebflügel. | 

Diese Thatsachen entsprechen vollständig der verschiedenen Lebensweise der 
Tiere. Der Albatros lebt in der fast stets bewegten Luft des offenen Meeres, er 
kann sich jederzeit leicht der lebendigen Kraft des Windes bedienen, um sich heben und 
tragen zu lassen. Die grossen Raubvögel des Landes erreichen die tragenden Luftströme 
erst nach einem anstrengenden Abfluge in der stillen Luft nahe dem Boden. Und die in 
Feld und Wald, also in weit ruhigerer Luft wohnenden Hühner sind ganz auf die eigene 
Kraft angewiesen, wie alle kleineren Vögel vom Flügeltypus der Tauben. 

Schwer zu beantworten ist die Frage, warum die Natur den Hühnern, die doch 
echte Rudervögel sind, nicht analoge Flügel gegeben hat, wie den übrigen Rudervögeln. 
Hierzu ist vom physiologischen Standpunkte aus hervorzuheben, dass sich die Flügel 
vom Hühnertypus nur bei verhältnissmässig schweren Vögeln vorfinden. Wollte man 
sich solche Tiere mit Flügeln vom Taubentypus denken, so müssten diese Flügel an 
Flächeninhalt und Länge bedeutend grösser sein. Fine Verlangsamung der Schlagfrequenz 
des Flügels wäre die Folge, und diese steigert jedenfalls die Schwierigkeiten des Abfluges, 
der für die Erhaltung der Arten im Kampfe um's Dasein so ausserordentlich wichtig ist. 
Ein kurzer, breiter Flügel ist hubkräftiger, als ein gleich grosser, aber langer Flügel, an 
welchem leichter die vorwartstreibenden Flachen entstehen und der mehr zum Fliegen in 


2* 


52 

bewegter Luft geeignet ist. Ausserdem bietet der compendiös gebaute Flugapparat des 
Huhnes für den Flug zwischen Gestrüpp, Busch und Wald den grossen Vorteil, dass er 
ohne erhebliche Verletzungsgefahr in engen und von Hindernissen durchsetzten Luft- 
räumen zu gebrauchen ist. So hat diese Flügelform viele Eigenschaften, welche für das Fliegen 
schwerer Vögel in den unteren, ruhigen Luftschichten über bedecktem Gelände von unschätz- 
barer, ja entscheidender Bedeutung sind. Man darf daher wohl annehmen, dass der Flügel, 
dessen Schwungfedern I. Ordnung bei starkem Ruderschlag auseinanderweichen, um einzeln 
in die den Vortrieb bewirkende schräge Stellung überzugehen, im Laufe der stammes- 
geschichtlichen Entwickelung durch natürliche Auslese aus einfacheren Flügelformen mit 
geschlossener Schwinge hervorgegangen ist, und dass diese Entwickelung durch eine 
Steigerung des durchschnittlichen Körpergewichts der betreffenden Arten veranlasst wurde. 
Die Verschmälerung. der Federbärte, durch welche die zeitweilige Trennung der Hand- 
schwingen am Hühnerflügel ermöglicht wird, betrachten wir dabei — im Vergleich zu den 
unverschmälerten Federn des Taubenflügels — als eine höhere Ausgestaltung, die endlich 
bei den grossen Seglern vom Adlertypus so weit fortgeschritten ist, dass sie zu einer 
dauernden Trennung der Segelfedern geführt hat. Wir erhalten danach das folgende 
Schema für die phylogenetische Entwickelung der Typen des Vogelflügels: 


Ruderflügel mit ungeteilter Schwinge 


Taube 
# E" Ruderfliigel mit verschmä- 
Huhn lerten Schwungfedern, die 
VA sich beim Tiefschlag trennen. 


Adler 


Breiter Segel-Ruderflügel mit 
getrennten Segelfedern. 


Langer schmaler Segelflügel , 
à lbatros 
mit ungeteilter Schwinge. Albatro 


Die Unterscheidung der vier Typen des Vogelflügels gründete sich im wesentlichen 
auf die charakteristischen Eigentümlichkeiten der für den aktiven oder Ruderflug so 
wichtigen Flügelspitze oder der Schwinge. Einfacher und gleichartiger gebaut, als diese, 
ist der basale Teil des Flügels, der Fächer. 

Die stets geschlossene und einheitlich fungierende Flugfläche des Fächers wird, 
wie schon bemerkt, der Hauptsache nach aus den am Unterarm befestigten Armschwingen 
oder Schwungfedern II. Ordnung gebildet, denen sich, zum Verschluss der Lücken und 
zur Bedeckung der vorderen Flughaut, Reihen von grösseren und kleineren Konturfedern 
zugesellen. Die kleinsten dieser Deckfedern stehen auf der Flughaut, wo sie am vorderen 
Rande eine wohl entwickelte Schneide oder Kante ausmodellieren, die hier eine-scharfe 


53 


Begrenzungslinie der unteren Fliigelflache darstellt. Die Oberseite des Fliigels wolbt sich 
bei grossen Vögeln bis zu dieser Kante herab. Man hat die vordere Flughaut treffend 
als Windfang bezeichnet. Bei starkem Flügelschlag besonders wirkt sie nach Art einer 
Schranke, welche die Luft fängt und zum Abfluss über den hinteren Flügelrand zwingt. 


Die Anzahl der Armschwingen ist nach Prechtl (l. c. $94) bedeutenden Schwan- 
kungen unterworfen. Bei den kleinen Vögeln, wie den Finken, sind ihrer acht vorhanden, 
bei den Krahen 10, beim Adler 12, bei der Saatgans 18, beim Geier 19 bis 20, und 
beim Pelikan 25. Prechtl hat an der Hand von Beispielen gezeigt, dass diese Schwan- 
kungen weder von dem Langenverhaltnis des Ober- und Unterarms, noch von der absoluten 
Länge des Unterarmes, noch von der Lange des ganzen Flügels abhängen; sie sollen 
vielmehr in gewisser Weise durch das Verhältnis der Flügelgrösse zum Körpergewicht 
bedingt sein. Die Vögel, die gegen das Gewicht ihres Körpers mit verhältnismässig 
grossen Flügeln ausgestattet sind, haben demnach eine geringere Anzahl von Fächerfedern, 
als diejenigen, welche mit verhältnismässig kurzen Flügeln einen schweren Körper fort- 
zuschaffen habene Für die letztere ist eine grössere Steifheit des Fächers erforderlich, 
als für die ersteren, deren Fächer beim Fluge weniger stark belastet ist; und die grössere 
Festigkeit wird nach Prechtl durch die Vergrösserung der Federzahl erreicht — Es 
mag sein, dass diese Deduktionen für bestimmte Fälle, die Prechtl im Auge hatte, 
zutreffend sind; ob sie allgemein gültig sind, möchte ich bezweifeln, da der physiologische 


Wert der inneren, dem Schulterfittich benachbarten, kleinen Armschwingen — und gerade 
an dieser Stelle scheint die Anzahl der Federn besonders zu schwanken — ein viel 
geringerer ist, als der der äusseren Fächerfedern. — Sehr richtig hat schon Precht] aus 


der Krümmung der Federschäfte nach innen oder gegen den Schulterfittich (Fig. 23) 
geschlossen, dass beim Flügelschlag die Luft unter dem Fächer nach der Flügelspitze zu 
abfliesst, und dass dabei ein Druck entstehen muss, welcher die Federn des Fächers nach 
aussen treibt und gerade streckt. Er fügt hinzu, dass die Kiele der Fächerfedern auch 
in der Vertikalebene gekrümmt sind, jedoch schwächer, als die Schwungfedern, da die 
Kraft, welche sie aufwärts zu biegen strebt, verhältnismässig geringer ist. — 

Die ganze Fläche des Fächers wird durch die im Ellenbogengelenk unter einem 
stumpfen Winkel zusammenstossenden Skeletteile des Ober- und Unterarmes so festgehalten, 
dass sie auch während des Flügelschlages grösstenteils in ihrer supinierten Stellung 
verharrt, d. h. mit der Unterseite nach vorn sieht. Die Stellung scheint erforderlich zu 
sein, weil nur so am Fächer ein nützlicher Luftwiderstand entstehen kann; denn die 
Winkelgeschwindigkeit dieses dem Körper zunächst liegenden Flügelteils ist nicht gross 
genug, um die Richtung des von vorn kommenden Luftstromes so weit nach unten abzu- 
lenken, dass der Druck die Unterseite des Fächers erreichen könnte, wenn dieser z. B. 
nach vorn geneigt, proponiert wäre. — Die grössere Breite des Fächers und die Zunahme 
des Neigungswinkels gegen die Schulter hin hat ohne Zweifel die Bedeutung, auch beim 
Flügelschlage einen gewissen Ausgleich der mechanischen Beanspruchung der Flügelteile 
zu gewährleisten, so dass alle Flächenstücke eine möglichst gleichmässige Anspannung 
erfahren, ohne dass die Schwinge allein zu Gunsten des Fächers zu schr belastet wird. 


54 


7. Rückschlag des Flügels beim Ruderfluge. 


Wir haben bei den bisherigen Auseinandersetzungen über das Flugorgan der 
Vögel im wesentlichen immer nur die Wirkungen berücksichtigt, welche der Flügel bei der 
für die Ortsbewegung offenbar so wichtigen Abwärtsbewegung, dem Tiefschlage auslöst. 
Es erübrigt daher noch eine wenn auch nur kurze Erörterung über den Rückschlag des 
Flügels und die etwa vorhandene positive Wirkung des Luftwiderstandes gegen die Ober- 
seite des Flügels. 


Der Rückschlag des Flügels hat seiner lokomotorischen Bedeutung nach eine un- 
gleiche Beurteilung erfahren. Nach Cayley, Wenham und Penaud hat die Hebung 
des Flügels eine vortreibende Wirkung, während Marey u. a. die Ansicht vertreten, dass 
eine Beschleunigung der Flugbewegung durch den Rückschlag nicht erfolge. Man unter- 
scheidet eine aktive und eine passive Hebung des Flügels. Die letztere vollzieht sich, 
wenn der Flügel ohne Zuthun von Muskelkraft durch den Gegenwind emporgehoben wird. 


Der aktive Rückschlag kommt unter Mitwirkung der Hebemuskeln des Flügels 
zu stande. Die Winkelgeschwindigkeit des Flügels ist dann entsprechend grösser, als beim 
passiven Rückschlag, der Flügel weicht schneller. zurück, als ihn der entgegenkommende 
Wind passiv heben würde. Daher ist beim aktiven Rückschlag die Möglichkeit vorhanden, 
dass der Flügel einen positiven Luftwiderstand an der Rückseite erfährt. Die lokomotorische 
Wirkung eines solchen Widerstandes ergiebt sich aus dem Neigungswinkel, den die Flächen- 
teile während des Rückschlages einnehmen. Der Regel nach liegt bei der Flügelhebung 
der Vorderrand höher als der Hinterrand, der Flügel befindet sich in Supination. Ist 
dann der Supinationswinkel ein kleiner, so könnte der aktive Rückschlag eine Senkung 
des Körpers bei geringem Vortrieb zur Folge haben, und dieser Vortrieb würde sich mit 
der Zunahme des Supinationswinkels bis zu einem Rechten steigern unter gleichzeitiger 
Abnahme des Niederstriebes. | 


Die Abbildung 27 stellt 
nach einer Momentphoto- 
graphie von Ottomar An- 
schütz einen Storch dar, 
der im Begriffe ist, mit 
starkem Flügelschlag von 
seinem Neste abzufliegen. Die 
Schwinge wird in steiler Seite. Diese Erscheinung ist 
Stellung zurückgeführt; durch Fig. 27. lange bekannt, und man hat 
eine Drehung in den elasti- vom Nest abfliegender Storch nach einer. ihr früher eine grosse Bedeu- 
schen Lagern der Kiele ist S E E tung für dasZustandekommen 
die Konkavitát der Feder- aktiven Rückschlag des Flügels stark des Fluges beigemessen, denn, 
schafte jetzt mehr nach vorn BACH. vorm qe open. sagte man, indem sich der 
Flügel ventilartig öffnet, verhindert er einen herabdrückenden Luftwiderstand bei der 
Hebung des Flügels. 


und oben gerichtet, und die 
einzelnen Federn sind weit 
von einander gespalten. Die 
Schwinge hat sich jalousie- 
artig geóffnet und gestattet 
der Luft einen Durchtritt von 
der dorsalen zur ventralen 





55 





Besondere Muskeln sind ftir die Drehung der Schwungfedern um ihre Langsachse nicht 
vorhanden, diese kommt rein mechanisch zustande. Trifft der Wind auf die Rückseite der breiten 
hinteren Barte, so wird er sie, da sie elastisch biegsam sind, herabbiegen. Dadurch werden die 
einzelnen Fiederlamellen in einen Zustand der elastischen Spannung. versetzt. Die 
Spannung ist negativ, wenn man die Spannung, die der Nirderschlag erzeugt, als positiv 
bezeichnet. Stände nun der einzelne Federkiel fest und undrehbar eingewurzelt in seiner 
scheidenformigen Alveole, so würde die Spannung, wie sie durch einen von hinten und 
oben erfolgenden Widerstand hervorgerufen wird, ein Ausbiegen des Schaftes nach der 
Seite des geringsten Widerstandes, nàmlich nach unten und vorn bewirken. Auf den 
Korper übertragen, hatte dies Ausbiegen den bereits bezeichneten, entsprechenden loko- 
motorischen Erfolg. Da aber dieser Effekt, der, wie bemerkt, bei den vorherrschenden kleinen 
Neigungswinkeln des Flügels im wesentlichen in einer Senkung des Körpers besteht, nicht 
im günstigen Sinne den Flug beinflusst, so hat die Natur im Flügel einen Mechanismus 
geschaffen, durch welchen dieser ungünstige Einfluss für gewöhnliche Verhältnisse beseitigt 
und in extremen Fallen auf ein Minimum beschrankt wird. Das bindegewebige, elastische 
Lager der Federkiele gestattet bis zu gewissem Grade eine willige Drehung der Federn 
um ihre Langsachsen, wodurch dann die breiten Abflussspalten für die Luft entstehen, 
während die Federfahnen sich, so weit es geht, in die Richtung der nach der Unterseite 
des Flügels abschliessenden Luft einstellen und sich der Wirkung derselben entziehen. 
Es ist leicht einzusehen, dass der Winddruck, der diese 72;s5:(4 der Schwungfedern um 
ihren Schaft bewirkt, für die Flugbewegung unschadlich geworden ist. Nur der Ueberschuss 
desselben, welcher den Schaft der Fieder biegt, wirkt lokomotorisch, doch ist die Richtung 
dieser Wirkung eine weit günstigere, als es ohne jene Torsion sein würde, denn diese 
schafft für die Federfahne einen grósseree Neigungswinkel und verstarkt somit den günstigen 
»Schub« auf Kosten der schädlichen Komponente, die den Vogelkórper sinken lässt. 

Die Starke dieses lokomotorischen Antriebes lásst sich an dem Grade der Biegung 
und negativen Spannung ermessen, welche die Federschäfte beim Rückschlag des Flügels 
erfahren (Fig. 27). Doch hat man dabei im Auge zu behalten, dass ja die normale 
Krümmung der Federschafte schon durch die blosse Torsion in den elastischen Lagern 
teilweise nach vorn und oben gerichtet wird. Zweifellos bleibt aber in diesem Falle immer 
noch eine Spannung der Schwungfedern übrig, die motorisch wirken muss. 


Die photochronographischen Aufnahmen Marey's (Fig. 31) zeigen, dass mit dem 
Rückschlag des Flügels eine Verlangsamung der Geschwindigkeit des Vogels verbunden 
ist. Marey sieht hierin den Beweis für seine Auffassung, dass der Rückschlag des 
Flügels niemals vortreibend ist. Genau genommen beweist aber die Photochronographie 
diesen Satz nicht, sie lasst nur erkennen, dass beim Rückschlag des Flügels kein so 
grosser Vortrieb zu stande kommt, dass er dem allgemeinen hemmenden Widerstande, den 
der Vogel erleidet, auch nur das Gleichgewicht halten kónnte. Mehr kann die Chrono- 
graphie nicht beweisen, einen etwa vorhandenen Schub, der Z/ezer ist, als die Hemmung 
des Luftwiderstandes, der also nur eine geringere Verzógerung der Flügelbewegung zur 
Folge hätte, gestattet sie nicht zu unterscheiden. Nur der Grad und die Richtung der 


56 


Biegung und Spannung des Federmaterials kann hierüber, wie bemerkt, nähere Aus- 
kunft geben. | 

Wahrscheinlich liefert die vervollkommnete Momentphotographie einmal das Material, 
welches für den. Einzelfall die zur definitiven Entscheidung dieser Frage nötigen bestimm- 
ten Daten an die Hand giebt. — Im Ganzen ist allerdings der Mechanismus des Flügels 
vielmehr dazu eingerichtet, einen an seiner Rückseite entstehenden positiven Widerstand 
zu vermeiden oder lokomotorisch unwirksam zu machen, als ihn zu erzeugen und für 
den Flug zu verwenden. Nur bei geringem relativen Gegenwinde, im Anfang des Fluges, 
liegt die Möglichkeit vor, dass durch die aktive Hebung des Flügels, d. h. durch die 
Kraft des Hebemuskels, ein Widerstand hervorgerufen wird, der eine lokomotorische 
Wirkung hat. 

Die passive Hebung des Flügels. Die passive Hebung des Flügels ohne Mitwir- 
kung der Hebemuskeln, allein durch die Wirkung des Luftwiderstandes, welcher gegen die 
Unterfläche des supinierten Flügels gerichtet ist, findet im vollen Fluge, d. h. nach erlangter 
Fluggeschwindigkeit regelmässig statt. Dennoch ist dieser Vorgang nicht ein rein passiver, 
wie die Drehung einer Windfahne. Allein zur Erhaltung der mehr oder weniger aus- 
gestreckten Form des Flügels sind Muskelkräfte erforderlich, welche der Hebung indirekt 
zu gute kommen. Aber auch hiervon abgesehen, vollzieht sich die passive Hebung 
gleichsam angesichts willkürlicher Muskelkräfte, die jederzeit bereit sind, momentan auf den 
Gang der Hebung modificierend einzuwirken, sei es, dass sie dieselbe direkt beschleunigen 
oder verlangsamen, oder sie durch Aenderung des Neigungswinkels und der Grösse der 
Flugflachen beeinflussen. — Bei geringer Stärke des relativen Gegenwindes ist zur Hebung 
des Flügels die Kraft des Hebemuskels erforderlich, steigert sich der relative Gegenwind, 
so kann die hebende Komponente des Luftwiderstandes die Wirkung jenes Muskels nach 
und nach ersetzen und schliesslich die Hebung allein ausführen. Eine weitere Steigerung 
des relativen Gegenwindes würde eine Beschleunigung der Winkelgeschwindigkeit des 
zurückschlagenden Flügels bewirken. Soweit diese Beschleunigung des Rückschlages dem 
Mechanismus und dem Fortgange des Fluges nicht mehr dienlich ist, hat der Vogel die 
Möglichkeit, sie entweder durch teilweises Zusammenfalten und Verkleinern der Flugfläche 
zu verringern, oder er kann durch Anspannen des grossen Brustmuskels den Rückschlag 
hemmen und dadurch den vorhandenen Ueberschuss von Luftwiderstand für den Flug 
verwerten. — | 

Wie der Rückschlag des Flügels im Gegensatz zum Tiefschlage steht, so ist auch 
die Wirkung des Luftwiderstandes auf die Teile des Flügels beim Rückschlag genau ent- 
gegengesetzt, wie beim Tiefschlag. War hier stets die Flügelspitze, die Schwinge, der 
am meisten belastete Teil, so ist es beim Rückschlag die Flügelbasis, der Fächer. Wird 
nämlich der Flügel durch den entgegenkommenden Luftstrom gehoben, so weicht die 
Schwinge — worauf schon Marey hingewiesen — vermöge der grösseren Winkel- 
geschwindigkeit dem hebenden Drucke aus, während der langsamer zurückweichende 
Fächer, dessen Neigungswinkel noch dazu grösser sind, als die der Schwinge, den weitaus 
grösseren Teil des hebenden Widerstandes empfängt. — Ähnlich ist es auch bei aktiver 


57 


Hebung des Flügels, wenn an der Rückseite desselben ein positiver Luftwiderstand erzeugt 
wird. Der grösseren Winkelgeschwindigkeit nach würde dann zwar an der Flügelspitze 
der Widerstand ein grösserer sein, als an der Basis, allein abgesehen davon, dass die 
Schwinge sich dann ja jalousieartig öffnet und der Luft freien Durchzug gestattet, biegt 
sie sich oft auch noch im Handgelenk rechtwinkelig zur Fläche des Fächers ab, so dass sie 
während der stärksten Hebung nur eine minimale Widerstandsfläche der Luft darbietet. 


8. Unregelmässigkeiten beim Fluge. 


Setzt der Vogel der passiven Hebung seiner Flügel durch den Wind die Kraft 
des herabziehenden Brustmuskels entgegen, so kann er dadurch den Rückschlag verzögern, 
oder ihn zum Stillstand bringen, oder endlich bei weiterer Anspannung den Tiefschlag 
des Flügels bewirken. In jedem Falle — und wie gross auch immer die Kraft sei, 
welche der Vogel dabei anwendet — bewirkt die Spannung des grossen Brustmuskels 
an dem Flügel einen lokomotorischen Effekt, der seinem Wesen nach mit der Wirkung 
des aktiven Flügelschlages übereinstimmt. Diese Wirkung ist, wie wir sehen, im wesent- 
lichen nur abhängig von der Grösse und Richtung des Widerstandes, den die Luft auf 
die Unterseite des Flügels ausübt, und von der Spannung des grossen Brustmuskels, mit 
welcher der Flügel diesem Widerstande entgegentritt. Der Fliigelschlag dient dann nur 
dazu, jenen Widerstand, wenn nötig, zu verstärken und ihm eine zweckmässige, von den 
Unregelmässigkeiten der strómenden Luft unabhängige Wirkung zu geben. l 

Bei ruhigen Luftverhältnissen wird man zwar aus der wechselnden Schnelligkeit 
(Frequenz) und Schlagweite (Amplitude) der Flügelbewegung eines Vogels auf die mehr 
zunehmende oder nachlassende Leistung des Flügelschlages schliessen können, sobald aber 
die Luft selber bewegt ist, bieten jene Eigenschaften des Flügelschlages kein Mass 
mehr für die grössere oder geringere Flugwirkung. 

Bei kleineren Vögeln namentlich, deren Masse und mechanische Trägheit zu gering 
ist, um innerhalb der bekannten Unregelmässigkeiten. der strömenden Luft einen gleich- 
förmigen Gang des Fluges zu gewährleisten, die also leichter als grosse Vögel durch 
kleinere Schwankungen der Intensität des Luftwiderstandes beeinflusst werden, müssen 
schon aus diesem Grunde die Unregelmässigkeiten des Gegenwindes durch genau ent- 
sprechende Beschleunigungen und Verzögerungen des Flügelschlages ausgeglichen werden. 
Grössere Vögel werden zwar infolge der grösseren Trägheit ihrer Masse und der elastischen 
Biegsamkeit der Flügel von kleineren Intensitätsschwankungen des Gegenwindes nur wenig 
oder gar nicht beeinflusst, bei böigem Winde aber stehen auch sie sichtbar unter dem 
Einflusse jener Schwankungen, und der aus der Nähe beobachtete unregelmässige Verlauf 
ihres Flügelschlages ist eine naturgetreue Darstellung der ungleichförmigen Struktur des 
Windes. 

Ich hatte in letzter Zeit vielfach Gelegenheit, flicgende Störche aus geringer Ent- 
fernung zu beobachten, und bei windigem Wetter auf die Unregelmässigkeiten ihrer 
Flügelbewegung zu achten. Es zeigte sich mit grosser Deutlichkeit, dass jede Zunahme 

8 


58 


des Windes mit einer Verlangsamung des Flügelschlages und einer Verringerung des 
Schlagweite Hand in Hand ging, und dass das Gegenteil eintrat, wenn die Boe abflaute. 
Bei der mittleren Fluggeschwindigkeit vom Neste zum nahen Jagdrevier vollzogen sich 
diese Wechsel der Bewegung an beiden Flügeln im ganzen gleichzeitig. Wurde dagegen 
die Fluggeschwindigkeit beim Herannahen an das Nest oder den Erdboden herabgemindert, 
so machten sich auch geringere Unterschiede des Luftwiderstandes gegen den einen oder 
den anderen Flügel durch auffällige Schwankungen des Tieres bemerklich, die jedesmal 
eine den Ausgleich bewirkende einseitige Flügelbewegung hervorriefen. 


Man hat geglaubt, den Vögeln ein aussergewöhnlich feines Tastgefühl der Flügel 
zuschreiben zu müssen, das sie in den Stand setze, die Unregelmässigkeiten des Windes 
früh genug zu bemerken, um rechtzeitig die nötigen Gegrenmassregeln zu treffen. Die 
verbreitetsten Hypothesen über das Wesen des Segelfluges schreiben den Vögeln geradezu 
erstaunliche geistige Fähigkeit zu, allerlei Unregelmässigkeiten, Wirbelbildungen etc. inner- 
halb der bewegten Luft instinktiv vorher empfinden zu können, und dass sie sich von 
diesem Vermögen leiten lassen, um solche accessorische Bewegungen aufzusuchen und sie 
zu dem so rätselhaften Fluge ohne Flügelschlag zu verwerthen. 

Für diese hypothetische, durch keine Erfahrungsthatsache bestätigte oder gestützte 
Annahme lag kein anderer Grund vor, als das Fehlen einer befriedigenden Erklärung füı 
den Segelflug. Nach den Ergebnissen der unten folgenden Untersuchungen bedarf es 
einer derartigen Annahme nicht mehr. Wenn wir uns bei der Prüfung der Leistungen 
des fliegenden Vogels nur an die Thatsachen der Beobachtung halten, so kommen wir 
zu der Einsicht, dass das Mass geistiger Kraft, welches der Vogel zum Fluge aufwendet, 
keineswegs grösser ist, als für die Ortsbewegung im Wasser und auf dem festen Boden. 
Der Flug bei ruhiger Luft ist in dieser Beziehung dem Gehen auf ebenem Boden oder 
dem Schwimmen in ruhigem Wasser vergleichbar, und bei windigem oder stürmischem 
Wetter mögen mit den physischen Leistungen auch die geistigen gesteigert werden, jedoch 
nicht mehr als beim Laufen und Springen, oder dem Wandern auf steilem und 
beschwerlichem Bergpfade, oder wie beim Schwimmen im bewegten Wasser. 

Der fliegende Vogel nimmt die Ungleichförmigkeiten der bewegten Luft nicht eher 
wahr, als bis sie durch Berührung auf ihn einwirken; ebensowenig sucht er sie auf, um 
sie auszunutzen, denn sie können nur Hindernisse seiner Bewegung sein. Wo er jedoch 
immer von ihnen überrascht wird, da empfindet er sie durch den Tastsinn seiner Flügel 
als vorübergehende Aenderungen des Luftwiderstandes. Die Reaktionen aber, welche der 
Flugapparat zum Ausgleich dieser Aenderungen ausführt, wird man schwerlich anders 
als Reflexbewegungen nennen können, sofern sie sich nicht als einfache elastische Nach- 
wirkungen darstellen. 

Werden die Flügel mit einer bestimmten Muskelspannung dem Flugwinde ent- 
gegengehalten (beim Schweb- und Segelflug) oder entgegengeführt (Ruderflug), so muss 
jede zufallige Verringerung. des Winddruckes eine entsprechende Bewegung des Flügels 
zur Folge haben, der segelnde Vogel wird dann sinken, oder er wird unwillkürlich einen 
Flügelschlag ausführen, und der Flügel des rudernden Vogels wird seine Bewegung schneller 


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vollenden. Ebenso wird ja auch, wie Marey experimentel gezeigt hat, der Flügelschlag 
verlangsamt, wenn sich der Gegenwind verstarkt, und der segelnde Vogel wird durch 
den stärkeren Druck, sofern er die Flugfläche nicht verändert, stärker gehoben und fort- 
getrieben und dabei zu grösserem Kraftaufwande gezwungen. So ruft der ungleichförmige 
Charakter der bewegten Luft selber am Flugapparat die Bewegungen und Spannungs- 
änderungen hervor, die bei hinreichender Starke wohl geeignet sind, dem Fluge ein un- 
regelmässiges Aussehen zu geben. Es bedarf keines Beweises dafür, dass alle die Unregel- 
mässigkeiten in der Struktur des Windes der Flugbewegung nicht förderlich sind, es sind, 
wie gesagt, Hindernisse, die der Vogel auf seiner Bahn durch die Luft antrifft, und mit 
denen er sich wohl oder übel abfinden muss. 


9. Vertikale und horizontale Schwankungen. 


Der Flügel ist ein im Schultergelenk drehbarer einarmiger Hebel, an welchem 
die Muskelkraft nahe beim Drehungspunkte angreift. Der Angriffspunkt der Resultante 
des Luftwiderstandes wechselt seine Lage je nach der relativen Fluggeschwindigkeit und 
nach der Winkelgeschwindigkeit des Flügelschlages. Denn von diesen Verhältnissen ist 
die Geschwindigkeit und der Stosswinkel der den Flügel treffenden Luftteilchen abhängig, 
und diese wiederum bedingen die wechselnde Verteilung des Luftwiderstandes am Flügel, 
wie oben gezeigt wurde. 


In der schema- vorstellen. Die 
tischen Fig. 28 ^ Kontraktion der 


schnittes möge keln AC bewirkt 
S den Schwer- dann in A jeder- 
punkt, C den Ur- seits einen nach 
sprung (punct.fix.) unten gerichteten 
und À den An- Zug AZ und in 

heftungspunkt C einen entgegen- 
(punct. mobil.) des gesetzt gerich- 
grossen Brust- teten Hub, der 
muskels bedeuten durch die Strecke 
und D den An- SH dargestellt 


eines Vogelquer- " beiden Flugmus- 
| 
| 





griffspunktderRe- sein emóge. Für 
sultante des Luft- den Fall des 
widerstandes WD au Se freien Schwebens 


hält der Hub SH dem Körpergewicht SG*) genau das Gleichgewicht, und es ist auch 


*) Unter Körpergewicht ist hierbei nur derjenige Teil desselben zu verstehen, welcher nicht von den 
Flugflächen des Rumpfes und des Schwanzes getragen wird, denn nur dieser kanı als Gegengewicht des Muskel- 
zuges in Frage kommen. 


8* 


60 


das auf das Schultergelenk P als Drehungspunkt bezogene Moment des Muskelzuges AZ 
gleich und entgegengesetzt dem des Luftwiderstandes, also: 


AZ * AP = WD « DP. 


Wird nun durch gesteigerte Muskelanspannung und stärkeren Luftwiderstand das 
Moment des Muskelzuges und des Luftwiderstandes vergrössert, so wird auch der Hub SH 
grösser, als die Schwerkraft SG, und der Körper wird gehoben. 

Bei grossen Vögeln von lang- 
samem Flügelschlage folgt auf 
die durch den Tiefschlag er- 
zeugte Hebung des Körpers eine 
den Rückschlag begleitende 
Senkung. So entstehen die 
Schwankungen, wie sie bei 
Möven so deutlich zu sehen 
sind. Durch die photochronogra- 
phischen Aufnahmen Marey's 
ist es gelungen, diese vertikalen Oscillationen des Vogelkörpers zu registrieren (Fig. 29) 
(vol. d. ois. p. 100). Ist die Hebung des Kórpers, die den Tiefschlag des Flügels begleitet, 
grösser als die Senkung während des Rückschlages, so steigt die Flugbahn empor, im 
anderen Falle sinkt der Vogel; beim horizontalen Fluge halten sich Hebung und Senkung 
das Gleichgewicht und die Flugbahn nimmt die Gestalt einer regelmässigen Wellenlinie 
an. Nach Marey sind die vertikalen Schwankungen im wesentlichen auf die extremen 
Korperteile beschránkt, sodass etwa das Auge des Vogels eine viermal so grosse Vertikal- 
verschiebung erfährt, als der Schwerpunkt des Vogels. Unter genauer Erwägung endlich, 





Fig. 29. 





Fig. 30. 
Der Drehungspunkt D des Flügels liegt beim geradlinigen Fluge (1.) im Schultergelenk; bei 
vertikalen Schwankungen des Körpers (2.) wandert er entsprechend gegen die Flügelspitze. 


welche Verschiebung der Schwerpunkt erfährt, wenn der Vogel die Flügel hochhebt oder 
senkt, kommt Marey zu dem Schluss, dass trotz der sichtbaren Schwankungen des Vogels 
der Schwerpunkt sich auf einer geradlinigen Bahn (Trajectorium) fortbewegt, dass also 
der Schwerpunkt mit der Hebung der Flügel um etwa ebensoviel gehoben wird, als der 








61 


Körper sich sichtbar senkt, während die Senkung der Flügel eine Senkung des Schwer- 
punktes zur Folge hat, die der allgemeinen Körperhebung an Ausschlag gleichkommt. 
Die vertikalen Schwankungen liegen als solche nicht im Interesse der trans- 
latorischen Bewegung des Vogels, wenn sie auch namentlich beim Abflug grosser Vögel 
unvermeidlich sind. Man könnte sie daher als ein notwendiges Uebel bezeichnen. Jede 
einzelne der rhythmischen Hebungen des Vogels hat auch eine Hebung des niederschlagenden 
Flügels zur Folge, sodass beim Tiefschlag die Flügelbasis statt einer nützlichen Senkung 
eine schädliche oder wenigstens indifferente Hebung erfährt und der eigentliche Drehungs- 
punkt des Flügels sich von dem Schultergelenk gegen die Flügelspitze verschiebt. (Fig. 30.) 
Bei Vögeln, welche kürzere Flügel besitzen, und die sich daher eines schnelleren 
Flügelschlages bedienen, treten die Schwankungen nicht in die Erscheinung, da der 
Zeitraum zwischen zwei Flügelschlägen zu kurz ist, um eine sichtbare Einwirkung der 


t 





Fig. 31. 
Synoptische Abbildung der aufeinanderfolgenden Stellungen einer fliegenden Müve; A. von oben, B. von der 
Seite, C. von vorn gesehen. Die Abstände zwischen den vertikalen Linien zeigen die ungleiche Fluggeschwindig- 
keit während der Senkung und Hebung der Flügel (nach Marey). 


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62 


Schwere, ein deutlich erkennbares Sinken während der Fliigelhebung zuzulassen. Der 
kurze, schnell bewegte Flügel der Rudervögel hat also in dieser Beziehung einen gewissen 
Vorteil vor dem langen und langsam schlagenden der echten Segler voraus. 

Da jeder Tiefschlag des Flügels eine Beschleunigung der translatorischen Flug- 
bewegung zur Folge hat, jede Hebung dagegen mit einer Verzögerung verbunden ist, so 
stehen den vertikalen Schwankungen des Körpers horizontale Oscillationen der Flug- 
geschwindigkeiten gegenüber. Marey hat vermittelst der Photochronographie auch diese 
interessanten Verhältnisse festlegen können, wie es in der vorstehend abgedruckten, 
seinem Werke entlehnten Tafel in so vorzüglicher Klarheit dargestellt ist. 


10. Erhaltung des Gleichgewichts im Fluge. 


Unter den wenigen älteren Anwendungen, welche das auf den Luftwiderstand 
übertragene hydrodynamische Gesetz Avanzini's in der Mechanik des Fluges erfahren 
hat, ist eine bemerkenswert, welche sich bei Marey (Vol des oiseaux pag. 305—307] 
findet. Der berühmte französische Physiologe knüpft an eine Beobachtung Mouillard's 
(L'empire de l'air. 1887 pag. 227) an, nach welcher beim Schweben der grossen Raub- 
vógel die Haltung der Flügel 
mit der grosseren oder ge- 
ringeren Fluggeschwindigkeit 
geändert wird. Bei den 
Vögeln, welche mit Lang- 
samkeit ohne Flügelschlag 
kreisen, werden die Flügel 
weit ausgebreitet und ın 
der Weise gehalten, dass sie 
einen nach vorn offenen 
stumpfen Winkel bilden, in dessem Grunde der Kopf erscheint (Fig. 32). Andere Vogel 
dagegen, welche schneller, oder in gerader Linie gegen den Wind schweben, tragen ihre 
Flügel nach hinten, sodass sie einen nach hinten offenen stumpfen Winkel bilden. (Fig. 33). 

Nach de Louvric stattfindende Verschie- 
(L'aéronaute 1876) hat bung des Widerstands- 
nun diese veränderte mittelpunktesder Flügel 

Flügelhaltung den veranlasst wird. De 
Zweck, eine Störung Louvrie und Marey 
des Gleichgewichtes des sind nämlich der Mei- 
fliegenden Vogels zu nung, dass nach dem 
beseitigren, welche durch genannten Gesetze der 
eine dem Avanzini'- Widerstandsmittel- 
schen Gesetze gemäss punkt um so mehr 
gegen den vorderen Flügelrand verschoben werde, je grösser die Fluggeschwindigkeit 





Fig. 32. 





Fig. 33. 


63 


sei. Der Vogel müsse demnach notwendig nach hinten übergeworfen werden (culbute 
en arriére), wenn er die Flügel nicht zurücknehme. Marey fügt hinzu, dass die Wieder- 
herstellung des Gleichgewichtes auch noch durch den nach Art eines Vertikalsteuers 
wirkenden Schwanz geschehe, oder endlich durch eine bei gewissen Arten übliche Ver- 
langerung des Halses. »Der Reiher trägt beim gewöhnlichen Fluge den Hals zurück- 
gebogen und den Kopf zwischen den Schultern; wird er aber verfolgt, so streckt er den 
Hals nach vorn und gewinnt an Geschwindigkeit.« (vergl. Fig. 34.) 

Diese ganze Schlussreihe kann nun nicht aufrecht erhalten werden, da sie eine 
misverstandliche Auffassung des Avanzini'schen Gesetzes zur Voraussetzung hat. Es findet 
namlich nach diesem Gesetze mit zunehmender Geschwindigkeit (Starke des Gegenwindes) 
zwar eine Verschiebung des Widerstandsmittelpunktes der Flugflächen statt, aber nicht 
gegen den vorderen Flügelrand, sondern gegen den Mittelpunkt (Schwerpunkt) der Fläche, also 
nach hinten. Wenn aber hierdurch eine Störung des Gleichgewichtes bedingt wird, so 
wird dieselbe durch das Zurücklegen und Anziehen der Flügelspitzen noch vergrössert, 
da der Mittelpunkt des hebenden Luftwiderstandes hierdurch noch weiter aus seiner nor- 
malen Lage verschoben wird. Mit der erfolgten Verkleinerung und Umgestaltung der 
Flugfläche (Fig. 33) in eine solche, deren vorderer Rand kürzer, und deren in der Flug- 
richtung gemessene Demension grösser ist, als beim langsam schwebenden Vogel (Fig. 32), 
— ist nach den Ergebnissen der Langley'schen Experimente, eine Verringerung des 
gesamten hebenden Luftwiderstandes an den Flügeln verbunden. Hiermit würde aber das 
gestörte Gleichgewicht keineswegs wieder hergestellt, sondern nur noch mehr beeinträchtigt 
werden, wenn nicht gerade durch die grössere Geschwindigkeit eine so bedeutende Steigerung 
des Gesammtwiderstandes hervorgerufen würde. 

Bekanntlich wird allgemein angenommen, dass die Zunahme des Widerstandes 
dem Quadrat der Geschwindigkeit proportional ist. Diese Zunahme ist bei dem aus- 
gestreckten, langen und schmalen Flügel (Fig. 32) grösser, als bei dem etwas eingezogenen, 
kürzeren und breiteren (Fig. 33), der noch dazu durch Uebereinanderschieben der Federn 
in seinem Flächeninhalt verkleinert ist*). Wenn also ein Vogel beim Schweben, Segeln 
oder Gleiten seine Flugflächen in solcher Weise verändert, so verringert er dadurch den 
Luftwiderstand und zwar sowohl den nützlichen, wie den schädlichen. Allein mit dem 
Heranziehen der Flügelspitze ist auch die Beseitigung des Schrankenrandes und eine Ab- 
flachung des ganzen Flügels verbunden, der Vogel kann daher jetzt jene günstigen kleinsten 
Neigungswinkel der Flügel verwenden, bei denen das Verhältnis des nützlichen zum schäd- 
lichen Widerstande ein weit besseres ist, als vorher. Und der hebende Luftwiderstand 
kann den weniger stark entfalteten Flügel leichter in die vortreibende Lage spannen, als 
den voll ausgebreiteten. (siehe S. 25, Fig. 10). 





*) Bei den Versuchen Langley’s wurde ein Paar rechteckiger Tafeln von 18“ Vorderrandlänge und 
4“ Breite bei einem Neigungswinkel von 10° vom Winde getragen, wenn derselbe eine Geschwindigkeit von 
etwa 13,6 m hatte. Bei Anwendung eines anderen Tafelpaares von gleichem Inhalt, gleichem Gewicht und 
gleicher Neigung, dessen Vorderrand 6** und dessen Breite 12°, musste die Windstärke auf etwa 19,6 m, also 


um die Hälfte gesteigert werden, um die Tafe! schwebend zu erhalten. 


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ole . . . - t4 - .® ^ >.’ d : $ > Zu mA re eS - 
nf, ia , DEREN ar OL AURORE ES pde e See ee he ewes ZU > 


ALP win BEA OE wr beh Mot ne anae Karer an der Dre verses Kircatunms 
wur ut ien Finespf sans nes tenenden Fannenstance thre Landcntemanover austuhren. 
fne cere en werwunne fe sen bass zu fassen. sind alemi mut einem Emporschweben 
VED nen, ven an dem uS agentunke wenn der Voges, die Fosse herabiasst. die Wind- 
rnit at Gen necp auyebretteten Fugen das (sieichzenicht des Kerpers aufzuheben 
m Peyn it, wrdass das Tier automatisch das Steuer herabdruckt: so wird der Vogel 
mennt ntan gehoben und ein wenig mitzerissen. bis er durch aktiven Fiugelschlag wieder 
sone Vorwarttibewegung gegen das erstrebte Ziel aufnimmt. 
Im Ietzten Winter sah ich in der Nahe der Aussenal-ter bei boigem, stürmischem 
Wetter Nebelkrahen mühsam gegen den Wind anfliegen. Streckenweise suchten die 
Tuer" die Kraft des Windes zum muüheloseren Segeln ohne Flügelschlag auszunutzen, 
wurden aber dann bei jedem heftigen Windstoss ın die Höhe gehoben und so mehr oder 
wemper in ihrer Vorwäartsbewegung gehemmt, sodass der Flug einen völlig unsteten 
Charakter annahm. Der Stoss des Windes traf die Flügel und strebte momentan den 
Vorderkörper um die durch den Schwerpunkt gehende Querachse des Körpers zu drehen 
une aufzunichten, sofort erfolgte nun, so erkläre ich den Vorgang, ein energisches Herab- 
schlagen des Schwanzsteuers, so dass nun auch die hinter dem Schwerpunkte liegende 
Masse des Kopers gehoben wurde. Die Flugverzógerung war eine Folge des am Steuer 
sm Wirkung: kommenden grösseren Hemmungswiderstandes, und auch des vorübergehend 
" mit dem Windstoss gestei- 
gerten allgemeinen Reibungs- 
widerstandes der ganzen 
Körperoberfläche. 
Dass auch die Haltung 
des Kopfes für die Erhaltung 
p" des Gleichgewichtes des 
Nr | Körpers in der Fluglage von 
s ge grosser Bedeutung ist, bedarf 
keiner Bestätigung. Viele 
Vögel, wie die Kraniche, 
hwang, Ganse und Fonten, tragen während des Fluges den Kopf dauernd 
wett mach vorne qgestrecht, wie sie die Beine nach hinten strecken. Wenn 







Kanaa a nn I) vi E 





Ne 


Fig. 34. 


65 
aber ein Reiher, der sich verfolgt sieht, den Kopf zwischen den Schultern herausnimmt 
und so weit nach vorne hält, als die Länge des Halses gestattet (Fig. 34), so ist es 
gewiss weniger um eine schon vorhandene Störung des Gleichgewichts zu beseitigen, als 
vielmehr um das vorhandene Gleichgewicht des langsamen Fluges dergestalt umzuändern, 
dass der schnellere Flug möglich wird. Der Schwerpunkt wird dadurch weiter nach 
vorne verlegt*); und damit nun ein Ueberkippen nach vorn nicht erfolgt, ist ein grösserer 


9 


Aufwand von hebender und vortreibender Flügelarbeit erforderlich. 


11. Flugfláchen des Rumpfes und des Schwanzes. 


Müllenhoff hat mit Recht darauf hingewiesen, dass das Gewicht eines 
fliegenden Vogels nicht ausschliesslich durch die Flügel getragen werde, sondern dass 
dabei auch die Flugflachen des Rumpfes und des Schwanzes beteiligt sind. Der Anteil 
dieser Flachen darf jedoch nicht iiberschatzt werden und ist auf keinen Fall nach dem 
einfachen Verhältnis der Flächeninhalte gegenüber dem der Flügel zu ermessen. Nimmt 
man auch für die Bauchfläche nur deren Projektion auf eine horizontale Ebene, etwa das 
Schattenbild des schwebenden Vogels, so ist klar, dass diese Fläche nicht in gleicher Weise 
tragen kann, wie ein gleich grosser Flügel, denn dieser ist nach unten konkav, die Rumpf- 
flache dagegen konvex. Die keilfórmig nach unten vorspringende Bauchfläche (Fig. 28) 
zerteilt die Luft, der hohle Flügel dagegen Adlt sie zusammen und zwingt sie zum Widerstande. 
Dass thatsáchlich die Luft gegen eine hohle Flache stárkeren Widerstand leistet, als gegen 
eine ebene oder konvexe, ist seit langem bekannt. Auf dieser Beobachtung beruht z. B. 
die Konstruktion des Robinson'schen Schalenkreuzes der Anemometer. Den Geschossen, 
welche die Luft mit möglichst wenig Widerstand durchschneiden sollen, giebt man vorn 
eine konvexe Oberfläche. Für den Vogelflug haben erst die Untersuchungen O. Lilien- 
thal's**) die Ueberlegenheit hohler gewolbter Flachen über ebene nachgewiesen. 

Auch die Schwanzflache ist trotz ihrer oft recht betrachtlichen Entfaltung als 
Flugflache nicht gleichwertig mit echten Flügelflàchen. Der Umstand allein, dass ein 
Vogel durch den Verlust des Schwanzes nicht wesentlich am Fliegen verhindert erscheint, 
lasst auf die untergeordnete Rolle desselben als Flugflache schliessen. Da der Schwanz 
beweglich mit der Masse des Kórpers verbunden ist, so ist, fals an ihm überhaupt ein 
nützlicher Luftwiderstand zur Entfaltung kommen soll, eine Muskelkraft oder -Spannung 
erforderlich, welche d'e Schwanzflache der Einwirkung der bewegten Luftteilchen fest 
entgegenhalt. Die hierzu vorhandenen Muskeln des Bürzels zeigen durchweg nur eine 


*) Im Grunde liegen hier dieselben Verhältnisse vor, wie beim Gehen und Laufen. Die Einleitung 
des Gehens besteht in einer Verschiebung des Schwerpunktes nach vorn, wie sie beim Beginn des Marsches 
einer exerzierenden Abteilung nach erfolgtem Avertissementskommando so auffällig in die Erscheinung treten 
kann. Jedermann legt sich dann »vorn herein«, und wenn das Ausführungskommando nicht präcise erfolgt, so 
stürtzt wohl einmal ein schlecht stehender Soldat vorzeitig aus dem Gliede hervor. — Jede Beschleunigung des 


Marschtempos beginnt mit einer weiteren Vorschiebung des Schwerpunktes, 


**: 0), Lilienthal, Der Vogelflug ete. 


64 


Wollte der Vogel das Uebermass der Hebung ausgleichen, das bei zu grosser 
Geschwindigkeit am voll ausgebreiteten Flügel auf den vorderen Körperteil einwirkt, 
so könnte dies natürlich nur durch Herabdrücken der Steuerfedern geschehen, sodass auch 
der hintere Körperteil in demselben Masse wie der vordere gehoben würde. Aber hiermit 
ist notwendig eine Verringerung der Vorwartsgeschwindigkeit des Vogels verbunden, 
da die nach Art eines Drachen wirkende Steuerfläche des Schwanzes steil geneigt werden 
muss und dadurch eine dem Sinus dieses grösseren Neigungswinkels entsprechende, 
grössere hemmende Widerstandskomponente hervorgerufen wird. : 


Man hat oft Gelegenheit, diese Art der Herstellung des Gleichgewichts zu beob- 
achten, wenn man sieht, wie bei frischem Winde Krahen an der Spitze eines Kirchturms 
oder um den Knopf einer hochstehenden Fahnenstange ihre Landungsmanóver ausführen. 
Die vergeblichen Versuche, festen Fuss zu fassen, sind allemal mit einem Emporschweben 
verbunden, weil in dem Augenblicke wenn der Vogel die Füsse herablässt, die Wind- 
wirkung an den noch ausgebreiteten Flügeln das Gleichgewicht des Körpers aufzuheben 
im Begriff ist, sodass das Tier automatisch das Steuer herabdrückt: so wird der Vogel 
momentan gehoben und ein wenig mitgerissen, bis er durch aktiven Flügelschlag wieder 
seine Vorwärtsbewegung gegen das erstrebte Ziel aufnimmt. 

Im letzten Winter sah ich in der Nähe der Aussenalster bei böigem, stürmischem 
Wetter Nebelkrahen mühsam gegen den Wind anfliegen. Streckenweise suchten die 
Tiere die Kraft des Windes zum müheloseren Segeln ohne Flügelschlag auszunutzen, 
wurden aber dann bei jedem heftigen Windstoss in die Höhe gehoben und so mehr oder 
weniger in ihrer Vorwärtsbewegung gehemmt, sodass der Flug einen völlig unsteten 
Charakter annahm. Der Stoss des Windes traf die Flügel und strebte momentan den 
Vorderkörper um die durch den Schwerpunkt gehende Querachse des Körpers zu drehen 
und aufzurichten, sofort erfolgte nun, so erkläre ich den Vorgang, ein energisches Herab- 
schlagen des Schwanzsteuers, so dass nun auch die hinter dem Schwerpunkte liegende 
Masse des Köpers gehoben wurde. Die Flugverzögerung war eine Folge des am Steuer 
zur Wirkung kommenden grösseren Hemmungswiderstandes, und auch des vorübergehend 
mit dem Windstoss gestei- 
gerten allgemeinen Reibungs- 
widerstandes der ganzen 
Körperoberfläche. 

Dass auch die Haltung 
des Kopfes für die Erhaltung 
des Gleichgewichtes des 
Körpers in der Fluglage von 
grosser Bedeutung ist, bedarf 
keiner Bestätigung. Viele 
Vögel, wie die Kraniche, 
Schwäne, Gänse und Enten, tragen während des Fluges den Kopf dauernd 
weit nach vorne gestreckt, wie sic die Beine nach hinten strecken. Wenn 





Fig. 34. 


aber ein Reiher, der sich verfolgt sieht, den Kopf zwischen den Schultern herausnimmt 
und so weit nach vorne hält, als die Lange des Halses gestattet (Fig. 34), so ist es 
gewiss weniger um eine schon vorhandene Störung des Gleichgewichts zu beseitigen, als 
vielmehr um das vorhandene Gleichgewicht des langsamen Fluges dergestalt umzuändern, 
dass der schnellere Flug möglich wird. Der Schwerpunkt wird dadurch weiter nach 
vorne verlegt*); und damit nun ein Ueberkippen nach vorn nicht erfolgt, ist ein grösserer 
Aufwand von hebender und vortreibender Flügelarbeit erforderlich. 


11. Flugflächen des Rumpfes und des Schwanzes. 


Müllenhoff hat mit Recht darauf hingewiesen, dass das Gewicht eines 
fliegenden Vogels nicht ausschliesslich durch die Flügel getragen werde, sondern dass 
dabei auch die Flugflachen des Rumpfes und des Schwanzes beteiligt sind. Der Anteil 
dieser Flächen darf jedoch nicht überschätzt werden und ist auf keinen Fall nach dem 
einfachen Verhältnis der Flächeninhalte gegenüber dem der Flügel zu ermessen. Nimmt 
man auch für die Bauchfläche nur deren Projektion auf eine horizontale Ebene, etwa das 
Schattenbild des schwebenden Vogels, so ist klar, dass diese Fläche nicht in gleicher Weise 
tragen kann, wie ein gleich grosser Flügel, denn dieser ist nach unten konkav, die Rumpf- 
fläche dagegen konvex. Die keilförmig nach unten vorspringende Bauchfläche (Fig. 28) 
zerteilt die Luft, der hohle Flügel dagegen A4/f sie zusammen und zwingt sie zum Widerstanae. 
Dass thatsächlich die Luft gegen eine hohle Fläche stärkeren Widerstand leistet, als gegen 
eine ebene oder konvexe, ist seit langem bekannt. Auf dieser Beobachtung beruht z. B. 
die Konstruktion des Robinson'schen Schalenkreuzes der Anemometer. Den Geschossen, 
welche die Luft mit möglichst wenig Widerstand durchschneiden sollen, giebt man vorn 
eine konvexe Oberfläche. Für den Vogelflug haben erst die Untersuchungen O. Lilien- 
thal’s**) die Ueberlegenheit hohler gewölbter Flächen über ebene nachgewiesen. 

Auch die Schwanzfläche ist trotz ihrer oft recht beträchtlichen Entfaltung als 
Flugfläche nicht gleichwertig mit echten Flügelflächen. Der Umstand allein, dass ein 
Vogel durch den Verlust des Schwanzes nicht wesentlich am Fliegen verhindert erscheint, 
lasst auf die untergeordnete Rolle desselben als Flugfläche schliessen. Da der Schwanz 
beweglich mit der Masse des Körpers verbunden ist, so ist, falls an ihm überhaupt ein 
nützlicher Luftwiderstand zur Entfaltung kommen soll, eine Muskelkraft oder -Spannung 
erforderlich, welche d’e Schwanzfläche der Einwirkung der bewegten Luftteilchen fest 
entgegenhält. Die hierzu vorhandenen Muskeln des Bürzels zeigen durchweg nur eine 


*) Im Grunde liegen hier dieselben Verhältnisse vor, wie beim Gehen und Laufen. Die Einleitung 
des Gehens besteht in einer Verschiebung des Schwerpunktes nach vorn, wie sie beim Beginn des Marsches 
einer exerzierenden Abteilung nach erfolgtem Avertissementskommando so auffällig in die Erscheinung treten 
kann. Jedermann legt sich dann »vorn herein«, und wenn das Ausführungskommando nicht präcise erfolgt, so 
stürtzt wohl einmal ein schlecht stehender Soldat vorzeitig aus dem Glicde hervor. — Jede Beschleunigung des 
Marschtempos beginnt mit einer weiteren Vorschiebung des Schwerpunktes, 


**y O, Lilienthal, Der Vogeltlug etc. 


66 


mässige Entwicklung, die keinen Vergleich mit der Flügelmuskulagur zulässt. Beim 
gewöhnlichen Ruderfluge liegen die Steuerfedern des Schwanzes meist unentfaltet dicht 
neben einander; der Schwanz wird, dann passiv in der Fluglinie des Vogels nachgeschleppt, 
ohne dass er in bemerkbarer Weise am Tragen der Last des Körpers beteiligt zu sein 
scheint. In anderen Fällen sieht man aber, dass die Tiere die Schwanzfedern zu einem 
breiten Fächer energisch auseinanderziehen. Dann ist die Mitwirkung des Organs augen- 
scheinlich. Kleine Vögel, wie die Sperlinge, welche intermittierend rudern und gleiten, 
entfalten in den Perioden des Flügelschlages den Schwanz und legen beim Gleiten die 
Steuerfedern wieder zusammen. Beim Kreisfluge der Tauben oder wenn diese Tiere aus 
der Luft annähernd senkrecht herabschweben, ist der Schwanz weit entfaltet. Man erkennt 
dabei leicht, wie die Schwanzfläche bald um die Längsachse, bald um die Querachse 
kräftig gedreht wird, und wie der Flug durch diese Thätigkeit beeinflusst wird. 





Fig. 35, ı und 2. 


Die in Fig. 35 dargestellten Bilder einer fliegenden Taube, sind nach Moment- 
aufnahmen Marey's angefertigt und einer Serie von 10 in einer Sekunde aufgenommenen 
Photogrammen entlehnt. Die Taube fliegt schräg herab. Man sieht, wie mit der Senkung 
des Flügels (1.) eine steilere Stellung des Steuers Hand in Hand geht, und dass bei der 
Hebung der Flügel (2.) auch eine geringe Hebung des Schwanzes erfolgt. Die aktive Mit- 
wirkung des Schwanzes ist also beim Herabfliegen der Taube, wenn es darauf ankommt 
die Beschleunigung der Schwere durch eine verzögernde Wirkung des Flugapparates 
auszugleichen und zu übertreffen, eine ganz augenfallige. Auch beim Anfluge und bei 
einer Hebung der Flugbahn, namentlich auch beim kreisenden Segelfluge grosser Vögel 
ist die thätige Mithülfe des Steuers unverkennbar. Da jedoch der Schwerpunkt des 
Vogels sehr nahe bei dem Ansatze der Flügel liegt, so ist auch diese Arbeit des 
Schwanzes nur eine geringe. Dies entspricht der wenig entwickelten Muskulatur des Steuers. 


Für den Fall des horizontalen Fluges muss das statische Moment des am Schwanze 
und an den übrigen, hinter der Vertikalebene des Schwerpunktes liegenden Flugflächen 
entwickelten hebenden Luftwiderstandes gleich dem der Flügel und der anderen vorderen 
Flugfläche sein. Ist (Fig. 36) R die Resultante des Hubes an der vorderen, und r die 
der hinteren Körperhälfte und S der Schwerpunkt, so muss, wenn a und A die ent- 


67 


sprechenden Abstände der Angriffspunkte dieser Resultante vom Schwerpunkte bedeuten: 


R- a = re À sein. 

Einseitige Aenderungen werden, haben natürlich eine 
des Hubes, wie sie durch 5 vertikale Drehung d. Systems 
Vergrössern oder Einziehen, , E a um den Schwerpunkt zur 
Heben oder Senken derFlügel b Folge. Das Zusammenlegen 
oder des Schwanzes, sowie . oder Emporheben des 
durch Aenderung der Nei- — Schwanzes hat ein Sinken 

1g. 3 


gungswinkel hervorgerufen der hinteren Kórperhàlfte 
oder ein Aufrichten der Längsachse des Körpers zur Folge: und das Gegenteil tritt ein, 
wenn der Schwanz plötzlich entfaltet und herabgedrückt wird. 

Eine auf der Hand sitzende Taube entfaltet und senkt augenblicklich ihren Schwanz, 
wenn man ihr den Kopf emporhebt; senkt man dagegen ihren Kopf, so schnellt der 
Schwanz ebenso rapide in die Höhe (Marey). Die Bewegungen machen durchaus den 
Eindruck des Unwillkürlichen, Reflexiven; man kann daher annehmen, dass auch beim 
Fluge die geringste Stórung des Gleichgewichtes momentan und unwillkürlich durch eine 
geeignete Bewegung des Steuers ausgeglichen wird. Halt man einen Vogel so in der Hand, 
dass die Langsachse senkrecht steht, oder neigt man ihn stark vorn über, so beginnt er 
augenblicklich mit den Flügeln zu schlagen, um die normale Lage wieder herzustellen. 
Diese Bewegungen sind ebenso unwillkürlich, wie das Vorschnellen des Beines bei einem 
Menschen, den ein Druck in den Rücken aus seiner vertikalen Stellung bringt. 

Wenn ein Vogel nach Verlust seiner Steuerfedern noch weiterfliegt, ohne eine 
Einbusse am Flugvermógen erkennen zu lassen, so ist doch der Mangel des Schwanzes 
dabei nicht gleichgültig. Die Langsachse des Vogels wird dann mit der Flugbahn einen 
grosseren Winkel bilden, da der hintere Korperteil nicht mehr wie vorher vom Schwanze 
mitgetragen wird. Der Schwerpunkt wird also weiter nach vorne verschoben, und da- 
durch werden die Flügel entsprechend stárker belastet. Die Flügel müssen also vikariierend 
für den fehlenden Schwanz eintreten. Wenn daher durch diese notgedrungene Ver- 
einigung von Aufgaben, die normalerweise auf verschiedene Organe verteilt sind, das 
Flugvermógen im Ganzen nicht bemerkbar beeintrachtigt wird, so geht damit doch eine 
grossere Beanspruchung der Brustmuskulatur Hand in Hand. 

Bei manchen Vógeln ist der Flugapparat von Haus aus nicht mit einem Schwanz- 
steuer ausgestattet; so bei den Enten, dem Storch, Kranich, Flamingo und anderen. Hier 
wird also auch normalerweise die Funktion des Schwanzes von den Flügeln übernommen, 
sofern nicht etwa die nach hinten gestreckten Beine einen gewissen Ersatz für den 
Schwanz bilden. 


Im allgemeinen wird man die Bedeutung des Schwanzes für den Flug an der 
Grösse und Gestalt der Steuerflàche ermessen können, wobei natürlich die langen und 
weichen, fahnenartigen Zierfedern, wie sie in der Familie der Hühner, der Paradiesvögel etc. 
auftreten, ausser Rechnung bleiben müssen. Damit soll aber nicht gesagt sein, dass 
diese Gebilde gänzlich indifferent für den Flug wären. (Zuspitzung des Hecks am Schiff.) 


9° 


68 

Steuerflachen von dachartiger Gestalt (Fig. 35), oder solche die im ausgebreiteten 
Zustande unterwarts konkav sind, miissen in ihrer Wirkung solchen von gleichem Flachen- 
inhalt überlegen sein, deren Unterseite eben oder konvex ist. Im Einzelnen fehlt es bis 
jetzt an experimentellen Bestimmungen über die Wirksamkeit der verschiedenen Formen, 
welche am Steuer der Vögel in Anwendung kommen, doch unterliegt es keinem Zweifel, 
dass ein gut entwickelter Schwanz, wie er bei den Tauben, der Gabelweihe, den Falken, 
Kuckucken und so vielen anderen Vögeln ausgebildet ist, wohl geeignet erscheint, einen 
Teil des Körpergewichts zu tragen, und somit die Flügel in etwas zu entlasten. 

Der Flügelschlag, den die Brustmuskeln erzeugen, ist nur nach unten gerichtet. 
aber in Folge des eigenartigen Baues des Flügels trägt er nicht nur, wie zu erwarten, 
das Gewicht des Vogels, indem er sich auf die Luft stützt, sondern er erteilt ihm auch 
eine Vorwärtsgeschwindigkeit. Je stärker der Schlag, der Druck des Flügels auf die Luft, 
desto grösser der Erfolg, der tragende sowohl, wie der vorwartstreibende. Die Stärke 
des Fliivelschlages hat ihre natürliche Grenze an der Leistungsfahigkeit der Muskeln und 
an dem Körpergewicht, welches den Muskeln gleichsam als »festen Punkt« dient. Ist 
der Schlag zu heftig, se sinkt nicht der Flügel nieder, sondern der Körper hebt sich, 
wie der des Turners, der sich in den Ringen nicht nur schwebend hält, sondern empor 
stemmt. Es wird also in diesem Falle beim Fluge ein Teil der Muskelkraft direkt in 
Hebearbeit umgesetzt, statt in horizontal translatorische. Indirekt kann der Vogel durch 
jedesmaliges Herabsinken von der gewonnenen Höhe auch eine entsprechende horizontale 
Beschleunigung erlangen, aber es treten dabei notwendig Verluste ein, und der Flug wird 
schwankend, ungleichmässig verlaufend. Wie die Ladung eines Schiffes oder der Ballast 
erst die Anwendung der Segel möglich macht, indem sie ein Gegengewicht gegen den 
seitlichen Winddruck bilden, der das Schiff zu kentern strebt, so ist auch die Masse des 
Flugtieres, das Gewicht, unentbehrlich, denn es sichert den stabilen Verlauf des Fluges 
und bildet das feste Gegengewicht gegen den am losen Flügel angreifenden Muskelzug. 
Es leuchtet ein, dass der so bezeichnete Nutzeffekt des Körpergewichts um so geringer 
werden muss, je grösser der Teil desselben ist, der von der hinteren Bauch- und Schwanz- 
fläche getragen wird. 


ll. Teal. 


Der Flug ohne Flügelschlag. 


1. Einleitung. 


Wohl alle Vögel sind im Stande, ihren Körper zeitweilig mit ruhig gehaltenen 
Flügeln in der Luft zu tragen und fortzubewegen. 

Die Flügel sind dabei mehr oder weniger weit entfaltet. Der grosse Raubvogel, 
der in der hohen Luft seine Kreise zieht, der Storch, die herabschwebende Krähe haben 
ihre Flügel bis zur äussersten Grenze ausgebreitet; der herabstossende Falke hat sie 
scharf angezogen, so dass sie nur wie schmale, abstehende Leisten zur Seite des Körpers 
liegen, gleich Schienen, oder seitlichen lenkbaren Kielen, auf denen der Vogel sicher und 
glatt durch die Luft gleitet; und die kleinen Singvögel pflegen, wenn sie weitere Strecken 
zurücklegen. nach einer Periode des schnellen Flügelschlages ihre Flügel gänzlich einzu- 
ziehen und so wie ein Pfeil durch die Luft fortzuschiessen, jederzeit bereit, durch teil- 
weises Entfalten der Flügel die Flugbahn zu bestimmen. 

Diese Unterschiede zeigen uns, dass die Mitwirkung der Flügel und besonders 
des grossen Brustmuskels, welcher die Flügel der Luft entgegenhält, bald mehr, bald 
weniger zur Unterhaltung des Fluges ohne Flügelschlag in Anspruch genommen wird, 
am wenigsten beim periodischen Zfeilfug kleiner Vögel, am meisten beim andauernden 
Segeln grosser Vögel. 

Wie gross nun immer der Luftwiderstand und die Muskelspannung sein mag, 
deren sich der Vogel bei dieser Flugart bedient: die nächstliegende Wirkung des Wider- 
standes auf den Flügel ist prinzipiell keine andere als beim Ruderflug, denn immer ist 
dieser Wiederstand schräg von vorn gegen die Unterseite des Flügels gerichtet und 
lässt sich demnach in eine abgleitende, nicht wirksame und eine normal zur Fläche 
gerichtete, wirksame Komponente zerlegen, wie es weiter oben geschehen und näher be- 
sprochen ist. Welche Bewegung nun aber diese wirksame Widerstandskomponente an 
der mit den Flügeln fest verbundenen Masse des Vogels hervorruft, oder wie es 
kommt, dass diese Komponente den Vogel mehr oder weniger tragen, heben und fort- 
bewegen kann, — das hängt im wesentlichen noch mit von den übrigen Kräften ab, 


7O 


welche, wie die Schwerkraft oder die lebendige Kraft, als potentielle oder kinetische 
Energie gleichfalls beim Fluge die Masse des Vogels beherrschen. 

Der Vogel bewegt sich selbstverständlich in der Richtung der Resultante aler 
beim Fluge wirksamen Kräfte. Sind die Kräfte im Einzelfall alle nach Richtung und 
Stärke bekannt, so ist damit auch die Flugbewegung a priori bestimmt. Umgekehrt ist 
eine gegebene Form der Flugbewegung als befriedigend erklärt zu betrachten, wenn der 
Nachweis geführt ist, dass sie das notwendige Resultat des Zusammenwirkens aller nach- 
weislich vorhandenen, wirksamen Flugkräfte ist. So ist der Ruderflug das Erzeugnis der 
Wechselwirkung zwischen Schwerkraft und Muskelkraft. Die Kraft der Flugmuskeln 
erzeugt vermittelst des in seiner Einrichtung und Wirksamkeit wohlbekannten unsymme- 
trischen Flügels in dem Medium Luft einen Widerstand, der ihr als Stützpunkt dient, 
einerseits um die Masse des Körpers zu tragen und zu heben und damit die Wirkung 
der Schwerkraft (das Fallen) zu verhindern oder zu übertreffen, andererseits um die 
Trägheit der Masse zu überwinden und ihr eine Beschleunigung zu erteilen, durch welche 
alle hemmenden Widerstände beseitigt und eine nahezu konstante Flugbewegung bewirkt 
wird. Mit anderen Worten könnte man auch sagen: das Gewicht des Körpers dient als 
fester Ankerpunkt für den Zug des Flugmuskels, welcher den beweglichen Flügel derart 
gegen die widerstandleistende Luft drückt und spannt, dass die Resultante dieses Wider- 
standes nach vorn und oben gerichtet ist, d. h. dass sie den Vogel hebt und forttreibt. 

Dabei ist die Stellung des Vogels so gedacht, dass die Längsachse horizontal liegt. 
Allein diese Stellung ist keineswegs unabänderlich, wie die Lage der Teile innerhalb 
des Flugapparates, oder wie die Richtung der Schwerkraft. Daher hat zwar die Resul- 
tante des Luftwiderstandes, den der Flugapparat hervorruft, immer annähernd dieselbe 
Lage im Vergleich zur Längsachse des Vogels, aber nicht zur Schwerkraftrichtung. Wenn 
also der Vogel seine Längsachse emporrichtet oder abwärts neigt, so bildet auch die 
Resultante des Luftwiderstandes mit der Richtung der Schwere entsprechend grössere oder 
kleinere Winkel, d. h. sie wirkt mehr im hebenden oder mehr im vortreibenden Sinne. 
Ist bei einer gewissen Steigung der Längsachse die Resultante des Widerstandes genau 
entgegengesetzt der Schwerkraft gerichtet, so ist damit theoretisch die Stellung erreicht, 
bei welcher die ganze Muskelkraft zur Hebung verwendet wird, wie es thatsächlich beim 
stationären Züftelflug der Fall ist. Die entgegengesetzte Stellung, — bei welcher die Re- 
sultante des Widerstandes in die Richtung der Schwerkraft fällt, der Flügelschlag also nur 
vortreibend wirkt und keine hebende Wirkung hat, — wird, soweit mir bekannt, nur von 
grossen Raubvögeln angewandt, um die im Herabstossen erlangte Geschwindigkeit noch 
zu vergrössern. 

Der Flug ohne Flügelschlag unterscheidet sich wesentlich dadurch vom Ruderfluge. 
dass dabei die Flugmuskeln keine äussere Arbeit verrichten. Sie befinden sich zwar, wie 
wir sahen, in dem Zustande einer mehr oder weniger starken Spannung, die mit einem 
durch die Ernährung zu ersctzenden Kraftverbrauche verbunden ist, aber sie führen keine 
rhythmischen Kontraktionen, keine sichtbaren Bewegungen aus, sondern setzen, wie ein 
starres Band, ihrer Streckung durch den am Flügel angreifenden Winddruck einen die 


71 
Bewegung des Flügels verhindernden Widerstand entgegen. Die Muskelkraft wird dabei 
indirekt zur Ablenkung des auf die Unterseite des Flügels stossenden Luftstromes ver- 
braucht; aber diese Ablenkung würde ebensogut von statten gehen, wenn der Muskel 
durch ein zugfestes, straffes Band oder eine knöcherne Sperrvorrichtung ersetzt wäre. 
Dass die Natur dem Vogel keine solche passive, jeden auch inneren Kraftaufwand ver- 
meidende Einrichtung verliehen hat, könnte auf den ersten Blick als unzweckmässig er- 
scheinen; aber ganz abgesehen davon, dass derselbe Flügel ja auch zum aktiven Flügel- 
schlage verwendet wird, erfordert der Flug ohne Flügelschlag, dass sich der Flügel in der 
willkürlichen Gewalt des Flugmuskels befinde, da allein schon wegen der Ungleichförmigkeit 
des Flugwindes der Vogel in der Lage sein muss, jederzeit den Luftwiderstand durch 
Flügelschlag aktiv zu verstärken, oder durch Zurücklegen der Flügel zu verringern. 

Wenn nun im allgemeinen während des Fluges ohne Flügelschlag die Flug- 
muskulatur keine treibende Kraft entwickelt, so fragt es sich, woher die Kraft kommt, 
die diese Flugbewegung hervorruft und unterhält. 

Zur Beantwortung dieser Frage haben wir die beiden Hauptformen des Fluges 
ohne Flügelschlag auseinander zu halten; den Gleit- und Schwebflug und den Segelflug. 


2. Der Gleit- und Schwebflug. 


In der einfachsten Form tritt uns diese Flugart in der vorhin als Gletfug oder 
Tfeilflug bezeichneten wurfähnlichen Bewegung kleiner Vogel entgegen. In einer vorher- 
gehenden Periode lebhaften Fliigelschlages erwerben die Tiere eine grosse (horizontale) Ge- 
schwindigkeit, mit welcher sie, nachdem sie die Fliigel eingezogen haben, pfeilartig durch 
die Luft gleiten. Hierbei bietet ihr Körper der Luft eine minimale Widerstandsfläche, 
sodass die vorhandene lebendige Kraft des Vogels verhältnismässig lange genügt, die 
Hemmungen des Luftwiderstandes zu überwinden. Der Schwerkraft wirkt nur der positive 
und negative Winddruck an den Bauch- und Rückenflächen sowie am Schwanze des Vogels 
entgegen, sodass der Schwerpunkt des Körpers auf einer flachen, parabelähnlichen, bal- 
listischen Kurve fortschreitet. Durch Wiederentfalten der Flügel und den Beginn des 
erneuten Flügelschlages wird der Pfeilflug abgeschlossen, um alsbald von neuem zu be- 
vinnen. Die meist geringe Fallhöhe des Vogels in den Perioden des Pfeilfluges wird in 
den Perioden des Ruderfluges wieder aufgeholt, sodass die ganze Flugbahn eine wellen- 
förmige Gestalt hat. Man hat daher diese Flugart auch treffend als Wellenflug bezeichnet. 
is. Fig. 37). Die ansteigenden Teile der Wellenlinie sind dabei gewöhnlich kürzer und steiler, 
als die sinkenden; die Ruderperioden also kürzer als die Gleitperioden. In den Ruder- 
perioden nimmt die Fluggeschwindigkeit zu, in den Pfeilflugperioden nimmt sie ab. 

Ziehen die Vögel am Ende der Ruderperioden ihre Flügel nicht völlig ein, sondern 
halten sie mehr oder weniger weit entfaltet, so ist die Bewegung ein Schweben, wie man es 
bei Störchen, Reihern, Móven und anderen grösseren Vögeln periodisch, bei vielen Vögeln 
gelegentlich beobachtet. 


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Fig. 37. 
Verschiedene Bahnen des Wellenfluges. Flugrichtung nach rechts. Die punktierten Abschnitte bedeuten die 
Perioden des Ruderfluges, die anderen stellen die Gleitperioden dar. Die beiden oberen Wellenlinieu sind un- 
symmetrisch und von ungleicher Höhe; die untere ist symmetrisch. 


Wie beim Gleitflug, so wird auch bei diesem Schwebfluge die Bewegung durch 
die vorher durch Fligelschlag gewonnene lebendige Kraft unterhalten, bis diese nach und 
nach unter Verringerung der Fluggeschwindigkeit so weit erschöpft ist, dass eine neue 
Ruderperiode einsetzen muss. Der Unterschied gegenüber dem Pfeilflug liegt darin, dass 
beim Schwebpfluge nicht nur die l'lugfláchen des Rumpfes, sondern auch die Flügelflächen 
dazu beitragen, den im allgemeinen schwereren Körper am Herabsinken zu hindern. 

Die Flügel erfahren dabei wie gewöhnlich stehende Drachenflachen einen der 
Schwere entgegengerichteten hebenden, und einen die Flugbewegung verzögernden, der 
lebendigen Kraft entgegengesetzten Widerstand. Soweit es sich um kleine Neigungs- 
winkel der Flügel handelt, ist der hemmende Widerstand bekanntlich weit geringer, als 
der hebende. Die Neigungswinkel sind aber nicht konstant so klein, wie bei Beginn der 
Schwebperiode, denn einesteils sinkt (wie bei den Flugfischen, die sich dieser Flugart 
ausschliesslich und auf weite Strecken bedienen) mit abnehmender Fluggeschwindigkeit 
das hintere Körperende ein wenig herab, sodass mit der Lagenänderung der Körper- 
längsachse auch der Neigungswinkel der Flugflächen gegen den Wind vergrössert wird; 
anderenteils kann der Vogel wahrscheinlich auch durch aktive Steuerung der Flügel die 
Neigungswinkel willkürlich so vergrössern, dass trotz der Abnahme der Fluggeschwindig- 
keit die hebende Komponente des Luftwiderstandes ausreicht, der Schwerkraft möglichst 
das Gleichgewicht zu halten. 

Durch das Einsetzen der Flügel wird somit der Schwebflug im Gegensatz zum 
Gleitflug vor der sichtbaren Wirkung der Schwere mehr und mehr bewahrt, der Vogel 
sinkt wenig oder gar nicht in den Schwebperioden, und die wellenförmige Flugbahn nimmt 
nahezu die Gestalt einer geraden Linie an. Ich beobachtete einen so fliegenden Storch, 
der in den Ruderperioden je 8 bis 16 Flügelschläge ausführte. Die Abnahme der Flug- 
geschwindigkeit gegen Ende der Schwebperioden glaube ich bestimmt bemerkt zu haben. 
Die Flugbahn aber machte von unten seitswärts gesehen den Eindruck einer geraden, 
horizontalen Linie. Ob sie sich bei rein seitlicher Beobachtung doch noch als flache 
Wellenlinie erweisen würde, vermochte ich nicht zu entscheiden. 


Von besonderen Interesse ist die Frage, warum sich denn die Vögel eines 
intermittirenden Fluges bedienen, warum sie nicht statt des sehr ungleichen Kraftaufwandes 
in den einzelnen Perioden einen ruhigen, gleichmässigen Ruderflug mit langsamen Fliigelschligen 
ausführen. 


Die gleichfórmige Kraftausgabe hat vor der periodischen, stossweisen im all- 
gemeinen ihre grossen Vorzüge. Aber man wird nicht fehlgehen in der Annahme, dass 
in diesem Falle die Nachteile der periodischen Ausgabe ihre Vorteile überwiegen. Nehmen 
wir den Fall, dass die Ruderperioden zeitlich eben so lang sind, als die Schwebperioden. 
Was würde geschehen, wenn die Flügelschläge gleichmässig über beide Perioden verteilt 
wären, wenn also der Flügelschlag durchschnittlich mit der halben Geschwindigkeit aus- 
geführt würde? — Hierzu ist folgendes zu bemerken. 


Ein Vogel, der mit ausgebreiteten Flügeln ohne Flügelschlag und ohne zu sinken 
horizontal und geradlinig durch die Luft schwebt, erfährt an seinen Flügeln, die dabei stets 
in gewöhnlicher, supinierter Drachenstellung verharren, nur einen hebenden und einen 
hemmenden Luftwiderstand. Wie gross auch immer die Geschwindigkeit des Vogels und 
des horizontalen Flugwindes sei: eine vorwärtstreibende Resultante des Luftwiderstandes 
kann an den Flügeln unter den angegebenen Bedingungen nicht zu Stande kommen. 
Der Flügel bleibt immer in supinierter Stellung; die Spitzen mögen sich flatternd in die 
horizontale Ebene der Flugbahn einstellen, je grösser die Geschwindigkeit des Flugwindes, 
desto kleiner werden die Neigungswinkel des Flügels gegen ihn. Soll aber der Flugwind 
die Möglichkeit haben, Teile des Flügels in die pronierte, nach vorn übergeneigte und 
daher vortreibende Stellung durch aktiven Flügelschlag 
zu biegen, so darf er nicht Re d u. Muskelkraft eine genügend 


genau der Flugrichtung ent- 
gegen gerichtet sein, sondern 
er muss dieselbe von vorn 
unter spitzen Winkeln schnei- 
den. (Fig. 38 III a.) 

Um dies zu erreichen, 
stehen dem Vogel beim gerad- 
linigen Fluge nur zwei Mittel 
zur Verfügung, entweder er 
*muss mit ruhig ausgebreiteten 
Flügeln sinken, und so die 


Sie, > 
Fw A 
/n 


Fig. 38. 


starke Abwartsbewegung er- 
teilen. Für den vorliegenden 
Fall trifft das Letztere zu. Bei 
sehr grosser Fluggeschwindig- 
keit od. beistarkem Flugwind, 
wo der Flügel schon eine 
ähnliche Stellung hat wie 
in Fig 38 II, genügt schon 
ein geringer Flügelausschlag, 
um die gewünschte Ueber- 
neigung der Triebspitzen des 


Schwerkraft für den Vortrieb 
benutzen — wovon weiter 
unten die Rede sein wird —, die den Flügel nicht so weit 
oder er muss den Flügeln allein an die  Horizontalebene 
spannt, bedarf es für den Zweck eines entsprechend starkeren Flügelschlages. Die Beobachtung 
zeigt nun, dass hierzu die Schlagfrequenz geeignet ist, welche der Vogel in den Ruderperioden 


Flügels zu bewirken; bei ge- 
ringerer Fluggeschwindigkeit, 


Schematische Flügelquerschnitte. I und 
II beim ansteigenden und horizontalen 
Gleitfluge; III beim sinkenden Gleit- 
fluge und beim Flügelschlag. 
Fw. Flugwind, Flr. Flugrichtung. 


10 


74 


anwendet. Diese Schlagfrequenz ist sicher nicht die maximale, welche der Vogel gegen 
starken Wind und auf der Flucht anwendet. Der intermittierende Flug ruft stets, nament- 
lich wenn er von grossen Vögeln ausgeführt wird, den subjektiven Eindruck hervor, dass 
er eine bequeme, nicht mit grossen Anstrengungen verbundene Flugart ist. Man darf 
daher annehmen, dass die vom Vogel angewandte Schlagfrequenz eher eine minimale, als 
eine maximale ist, zumal auch jedes Tier durch einen instinktiven Sparsamkeitstrieb an- 
gehalten wird, mit seiner Kraft haushälterisch umzugehen. 


Unter diesen Verhältnissen kann darüber wohl kaum noch ein Zweifel bestehen, 
dass eine Verringerung der angewendeten Schlagfrequenz um die Hälfte nicht genügend 
ist zur Erzeugung eines (hinreichenden) Antriebes nach vorn, und dass eine gleichmässige 
Verteilung der Flügelschläge über beide Perioden des Rudergleitfluges demnach ungeeignet 
wäre, einen gleich günstigen lokomotorischen Effekt hervorzurufen. Wir kommen also 
zu dem Resultat, dass der abwechseln:e Rudergleitflug (und ebenso der Ruderschwebflug) eine 
Flugart ist, welche dem Vogel gestattet, mit im ganzen minimalem, aber periodisch und mit starker 
Spannung geleistelem Kraftaufwande einen horizontalen Flug von verhàltnismássig geringer oder 
mittlerer Geschwindigkeit auszuführen. Um eine grössere mittlere Fluggeschwindigkeit zu 
erreichen, wird der Vogel die Schweb- oder Gleitperioden durch Wiederbeginn des Flügel- 
schlages abkürzen müssen oder endlich zum ausschliesslichen Ruderfluge übergehen, der 
ihm bei maximaler Muskelspannung auch die grösste erreichbare Fluggeschwindigkeit erteilt. 


Bei manchen Vögeln scheint der Ruderflug niemals durch regelmässige Schweb- 
und Gleitperioden unterbrochen zu werden. Hier gelangen anscheinend die Flügel leichter in 
die zur Erzeugung eines vortreibenden Widerstandes geeignete Stellung, sodass auch bei 
dem mit möglichst geringer Muskelkraft ausgeführten Fluge die Kraftausgabe eine gleich- 
massige sein kann. — 


Wir haben bisher den Schwebflug nur in soweit der Betrachtung unterworfen, 
als die zu seiner Unterhaltung erforderliche treibende Kraft vorher durch die Arbeit der 
Flugmuskeln, durch Flügelschlag erworben war. Aber wie beim Gleitflug, so kommt auch 
hier in vielen Fällen die Schwere als bewegende Kraft hinzu. 


Wir haben gesehen, wie die vertikalen Schwankungen der wellenförmigen Flug- 
bahn dadurch hervorgerufen werden, dass der Vogel in den Ruderperioden ansteigt, 
während in den Gleit- oder Schwebflugperioden neben der verzögerten Horizontalbewegung 
des Vogels eine mehr oder weniger deutliche Fallbewegung einhergeht. Hierbei erteilt 
die Schwerkraft der Masse des Vogels eine Beschleunigung nach unten, die er alsbald’ 
vermittelst seiner Flügel in horizontale Flugbeschleunigung umsetzt. Denn indem der 
Vogel schräg herabsinkt, erfährt er einen von vorn und unten kommenden Luftwiderstand, 
welcher, da er nicht mehr horizontal gerichtet ist (Fig. 38 III, Flw.), den Flügel leicht in die 
vortreibende Stellung spannen kann. Die Vorwärtsbewegung, welche von der lebendigen 
Kraft des Vogels unterhalten wird, erfährt demnach im vorliegenden Falle einen weiteren 
Antrieb durch die Schwerkraft. Was der Vogel dabei durch die Fallbewegung an Höhe 


verliert, das gewinnt er, mit anderer Einheit gemessen, an horizontalem Wege. Den 


/5. 


Hohenverlust aber muss er in den nachsten Ruderperioden durch hóheren Einsatz von 
Muskelkraft wieder einholen. Er hat hiernach keinen Vorteil von den vertikalen 
Schwankungen des Wellenfluges, eher kónnte man die dadurch bewirkte Verlangerung 
der Bahn als einen Nachteil bezeichnen. 


Der Grund dieser Einrichtung ist natürlich im Flugapparat zu suchen. Die Flügel 
der betreffenden Vögel sind allem Anscheine nach so gebaut, dass sie unter der aktiven 
Spannung der Flugmuskeln eine besonders für die Hubwirkung günstige, supinierte Stellung 
einnehmen, wahrend die pronierte Triebstellung bei jedem Flügelschlag erst nach Aufwand 
eines den ganzen Vogel nicht nur tragenden, sondern auch emporhebenden Quantums von 
Muskelkraft erreicht wird. Nach den grósseren oder geringeren Schwankungen der Wellen- 
bahn würde man danach auf einen mehr oder weniger hubkraftigen Flügel der betreffenden 
Vogel schliessen kónnen. Dass die Hebung beim Wellenfluge nicht jedesmal willkürlich 
und absichtlich vom Vogel herbeigeführt wird, um etwa die vorhergegangene Senkung 
wieder aufzuheben, sondern dass umgekehrt die Senkung erfolgt, um die unvermeidliche 
Hebung über die mittlere Fluglinie wieder auszugleichen, dafür spricht die Thatsache, dass 
gerade die Vogel, deren Wellenflug am starksten auf und ab schwankt, auf den sinkenden 
Strecken Pfeilflug anwenden. Wäre das Sinken nicht notwendig zum Ausgleich der jedes- 
mal vorhergehenden, unvermeidlichen Hebung, so würden es die Tiere leicht durch Ueber- 
gang zum Schwebflug mit entfalteten oder teilweis entfalteten Flügeln verhindern kónnen. 


Uebrigens möge auch das Folgende beachtet werden. Beim stark schwankenden 
Wellenfluge wird jedesmal in der Ruderperiode ein gewisses Quantum Flugkraft zur 
Hebung verwendet, oder mit andern Worten in Form von potentieller Energie für die 
nachfolgende Gleitperiode aufgespeichert und erst während des Gleitens und Sinkens in 
kinetische Energie umgewandelt; der Rest der Kraft treibt den Vogel nach vorn und 
steht grösstenteils als lebendige Kraft oder kinetische Energie ohne weiteres für die Gleit- 
periode zur Verfügung. Bei dem mehr geradlinigen, horizontalen Ruderschwebfluge dagegen 
wird durch den Flügelschlag jedesmal die ganze Flugkraft für die Gleitperiode in Form 
von kinetischer Energie aufyespeichert. Der Vogel erhält hier also jedesmal einen 
stärkeren Geschwindigkeitszuwachs, während dort die Fluggeschwindigkeit im Ganzen 
gleichformiger bleibt. Wollten die kleineren, leichten Vogel, welche den hochgehenden 
Wellenflug fliegen, den gestreckteren Flug grósserer Vógel ausführen, so müssten sie 
ihrer geringen Masse und des bedeutenden Hemmungswiderstandes wegen*) bei jeder 
.Ruderperiode eine geradezu schussartige Beschleunigung erwerben, und der Flug würde 
mit seinem beträchtlichen Geschwindigkeitswechsel einen durchaus unruhigen, zuckenden 
Charakter bekommen. 


Der Wellenflug ist also ein Mittel, dessen sich kleinere Vögel mit Vorteil für die 
horizontale Ortsbewegung bedienen, und der ihnen ermöglicht, mit geringem Kraftauf- 
wande und annähernd gleichmässiger Geschwindigkeit den Flug zu unterhalten. 


*) Das Nähere über die Hemmung wird beim Segelflug erörtert werden. 


79 


Bei grösseren Vögeln werden die starken vertikalen Schwankungen des Wellen- 
fluges vermieden, weil hier ein Aufspeichern der für .die Schwebperioden nötigen Kraft 
nicht in Form von Höhe oder potentieller Energie einzutreten braucht, da der grösseren 
Masse der Tiere wegen schon eine geringe Flugbeschleunigung hinreicht, um jene Kraft 
in Form lebendiger Kraft oder kinetischer Energie zur Verfügung zu stellen. 


Wir haben oben bemerkt, dass der Schwebflug nicht nur in den regelmässigen 
Perioden des Wellenfluges vorkommt, sondern dass man ihn gelegentlich auch sonst noch 
bei vielen, wenn nicht allen fliegenden Vögeln beobachten kann. Der Storch, der sich 
vom Neste auf ein nahes Feld begiebt, die Taube, die vom Dachrande niederfliegt, der 
Segler, der sich zum Fluge in die Luft hinabstürzt, der Sperling, der sich von einem 
Zweige nahebei auf die Erde herablässt, der herabstossende Falke, die Krähen und die 
meisten anderen Vögel beim Anlanden: alle bedienen sich in den abwärts gerichteten 
Strecken zeitweise des Schweb- oder Gleitfluges. 

Aus der Haltung, welche die Flügel dabei einnehmen, lässt sich erkennen, dass 
hier der Schwebflug den verschiedensten Flugzwecken dienstbar gemacht wird. 

Wenn zu Beginn der Abwärtsbewegung ein Falke mit mehr oder weniger ein- 
gezogenen Flügeln sich herabstürzt, so ist ihm diese Bewegung das Mittel, ohne eigne 
Arbeit, nur auf Kosten der Höhe seines Standpunktes und durch die Wirkung der 
Schwerkraft eine grosse Fluggeschwindigkeit und lebendige Kraft zu erwerben. Vielleicht 
benutzt er einen Teil dieser Kraft, um sich durch Stoss seiner Beute zu bemächtigen; 
vielleicht vergrössert er alsbald Neigungswinkel und Flächen seiner Flügel, um mit der 
erlangten lebendigen Kraft horizontal fortzuschweben; vielleicht auch lässt er sich mit 
straff entfalteten Flügeln durch dieselbe Kraft in einem gewaltigen Schwunge wieder bis 
nahe zu dem früheren Standpunkte emporheben, um alsbald das Flugspiel von neuem 
zu beginnen. 


Bei der Falkenjagd, welche nach Brehm noch heute in Afrika und bei mehreren 
Völkern Asiens ausgeübt wird, beobachtete man genau den Verlauf des Kampfes zwischen 
Raubvogel und Beutetier und hatte besondere Bezeichnungen für die einzelnen Episoden 
desselben und für jedes Flugmanöver des jagenden und des gejagten Vogels. Marey 
macht darüber nach einem kleinen Buche von Hubert (Observation sur le vol des 
oiseaux de proie. Geneve 1784) u. a. die folgenden Mitteilungen: 


Durch Flügelschlag steigt der Falke in der Richtung gegen den Wind schräg 
empor (carrière); zuweilen auch unterbricht er den Anstieg, um eine Strecke weit horizontal 
mit dem Winde zurückzukehren (degre), und beginnt dann von neuem den Aufstieg, so 
dass die Fluglinie im Zickzack aufwärts geht (Fig. 39). Marey meint, das geschehe, um die 
schwere Arbeit des Anstieges einzuteilen, da die »degrés« einer Erholungspause gleich- 
kommen. Dies ist wohl richtig, aber in manchen Fällen mag auch das Bestreben möglichst 
steil über der Abflugstelle und in der Nähe des jagdbaren Vogels emporzukommen, die 
Veranlassung zu dieser Form der Anstieglinie sein. Ist die Höhe erreicht, so beginnt 


cM 


7 


der Angriff, bei dem sich der Falke fast nur des Schweb- und Gleitfluges bedient. Mit 
angezogenen Flügeln stósst er auf die Beute herab (chute) die durch eine geschickte 





A 





Steigende Fluglinie eines Falken auf der Beize. AB, CD Anstieg (carrière), BC Stufe (degré. Von A bis D 
Ruderflug, von D ab Gleitflug und Stoss von unten (pointe) gegen den gejagten Vogel. 
Wendung seitlich oder nach unten ausweicht (esquivade). Ein momentanes Aufrichten 
der Flugflächen genügt, um den Falken gleitend fast bis zur vorher innegehabten Höhe 
auffahren zu lassen (ressource von resurgere), worauf nach kurzem Rütteln ein neuer Gang 
(passade) mit Stoss und Auffahrt erfolgt, bis das Beutetier zu Boden gestürzt und kampf- 

unfähig gemacht ist. 

Die dem Buche Hubert's entlehnte Figur 2 Mareys, welche die von einem 
Jagdfalken während des Kampfes zurückgelegte Flugbahn darstellt, ist fehlerhaft, da sie 
z.B. in einzelnen Passaden den Vogel in der Ressource höher steigen lässt als er vorher 
herabgestossen ist, was ohne Flügelschlag unmöglich ist. Ich möchte sie daher durch die 
folgende Fig. 40 ersetzen, die diese und andere Ungenauigkeiten vermeidet. 


Ff. 


«d 





Schema der Fluglinie auf einer Reiherbeize. AP Bahn des Falken, BP Bahn des Reihers. Bei den Zahlen 
I bis § beginnen die Stósse des Falken, denen der Reiher bei a bis d ausweicht. Bei P ergreift der Raubvogel die Beute. 


Hat der Falke nach und nach zu viel Hohe verloren, um noch kräftig genug 
herabstossen zu können, so wird er durch eine neue kurze Periode des Flügelschlages 
höher emporsteigen und damit die frühere Stosskraft wiedergewinnen. Immer ist es 
hierbei die Schwerkraft, die dem Falken die zur Auffahrt (ressource) nötige lebendige 
Kraft überträgt. Gewiss wird auch zwischen den einzelnen Stössen Flügelschlag angewandt. 

Zuweilen aber, wenn der Falke während seines Anstieges (carriére) dicht unterhalb 
des gejagten Vogels angekommen ist, benutzt er auch wohl direkt die durch kräftigen 
Flügelschlag gewonnene schwanzchen , Fliegen- 
Geschwindigkeit, um mit schnäpper und andere 
einer »pointe« den Vogel kleine Vögel aus, die sich 
von unten zu spiessen von fliegenden Insekten 
(brousser). Er geht dann nähren. Sehr oft ist dies 
plötzlich vom Ruderfluge bei denSchwalben (Fig. 411 





zum ansteigenden Schweb- Ex zu beobachten; im schnell- 
fluge über, indem er die E o N sten Fluge stossen sie blitz- 
Flügel wie zu einer Auf- ; y a schnell empor, halten dann 
fahrt (ressource) orientiert. M zd E T die Flügel weit entfaltet 


- 
~ een 


Aehnliche nach oben aber steil in die Hohe, 
gerichtete Schwebstösse Fig. 41. so dass sie fast senkrecht 





wie die Falken führen Schwalbe, die nach einem Hochstoss mit auf- herabsinken. 
h die Schwalben. Rot gerichteten Flügeln steil herabschwebt. 
auc > 7 9 ux 
C 
A E a we a ce N, RT Tees Lom me meum me mmu e ma wr ri Me ann D 
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E ur Po 
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\ Nur É evens = P 
X Fig. 43. 
Fig. 42. Aufrechte Schleife aus der Flugbahn der Purzeltaube. AB und BD 
Steil herabschwebende Ruderflug, die Schleife Schwebflug, bei C wendet der Vogel vor- 
Taube. übergehend den Rücken gegen den Erdboden. 


Auch die Tauben sieht man oft mit hoch gehaltenen Flügeln (Fig. 42) ohne 
Flügelschlag in der Luft fast senkrecht herabschweben. Sie hindern durch diese Flügel 
stellung die vortreibende Spannung und Wirkung derselben und verringern damit auch 
deren Tragkraft, da die Flügel wie die Flachen eines Keiles, dessen Schneide die konvexe 
Bauchflache ist, die Luft durchschneiden. ` 


79 


Höchst seltsam und vollendet ist die Form, in welcher der aufwärts gerichtete 
Schwebflug gelegentlich von der Purzeltaube ausgeführt wird. Diese Abart der Haustaube 
hat ihren Namen danach erhalten, dass die Tiere während des Ruderfluges zuweilen so 
kräftig mit den Flügeln nach vorn schlagen, dass sie sich unmittelbar darauf nach rück- 
wärts überschlagen, d. h. in einem kurzen Gleiten eine volle vertikale Schleifenlinie 
durchfliegen (Fig. 43). 


™ 





Fig. 44. 

Gleitlinie einer Krähe. Die im absteigenden Ast der |a erlangte Fluggeschwindigkeit wird im horizontalen 
Teil verbraucht, Das unterc Ende der Bahn ist stets gegen den Wind gerichtet, zuweilen mit schwach 
ansteigender Tendenz. 

Ueberall, wo eine Schwebbewegung nach abwärts beginnt, ist sie zunächst eine 
gleichfórmig beschleunigte, bis bei einer gewissen Geschwindigkeit der Luftwiderstand 
gleich dem Körpergewicht geworden ist. Von diesem Zeitpunkte an bleibt die Geschwin- 
digkeit konstant. Erfolgt nun eine Verkleinerung des Neigungswinkels oder des Inhalts 
der Flugflachen, so vollzieht sich der weitere Abwartsflug unter steilerem Winkel und 
mit grósserer Geschwindigkeit. Wird dagegen die Flugflache oder ihr Neigungswinkel 
vergróssert, so verläuft die Fluglinie alsbald horizontal oder aufwärts, und die Geschwindigkeit 
wird allmählich geringer und schliesslich auf Null reduziert. Dies ist der Grund, warum 
der horizontale oder emporstrebende Gleitflug so vielfach angewandt wird, eine vorhandene 
Fluggeschwindigkeit zu vernichten und den Flug abzubrechen. Die meisten Vögel bedienen 
sich dieses Mittels, sofern die Raumverhaltnisse es gestatten (Fig. 44), andernfalls wird 
die Hemmung durch geeignete Fliigelschlage verstarkt, und der Vogel sinkt, wie es bei 
landenden Tauben so oft zu beobachten ist, in Rüttelflugstellung d. h. mit steil aufgerichteter 
Langsachse langsam zum Sitzen herab. 


80 


Die seltsamste Art des Schwebfluges, die immer und immer wieder die Bewunderung 
und das Staunen der Beobachter hervorruft, ist ohne Zweifel der echte Schwebflug oder 
das Schweben auf der Stelle ohne Flügelschlag. 

Man kann diese Flugart bei Schwalben, Seglern, Krähen, Falken, Möven, Sturm- 
vögeln und anderen beobachten, wenn ein lebhafter Wind die Luft bewegt. Der Wind 
ist zur Ausführung dieses Fluges ebenso notwendig, wie für den eigentlichen Segelflug. 
Da aber ein horizontaler Wind, wie früher gezeigt wurde, nur hebend und hemmend 
oder fortreissend auf den Flügel einwirken kann, so ist klar, dass gegen die eintretende 
Abdrift eine andere vortreibende Flugkraft zur Anwendung kommen muss. Diese Kraft 
kann in horizontalem Winde keine andere sein, als die Schwerkraft, sofern beim echten 
Schwebfluge die Muskelkraft nur rein steuernd mitwirkt. Da sich nun das aktive Ein- 
greifen der Schwerkraft beim Fluge darin zeigt, dass der Vogel sinkt, so ist auch der 
Schwebflug genau genommen kein Flug auf der Stelle: er ist vielmehr mit einem, wenn 
auch nur geringen Herabsinken verbunden. | 

Wegen der Ungleichförmigkeit des Windes kann das Sinken des Vogels beim 
Schweben nicht gleichförmig erfolgen. Jeder stärkere Windstoss strebt den Vogel zu 
heben, jedes Abflauen ihn sinken zu lassen. Aber mit der Hebung würde der Vogel 
auch von seinem Standpunkte fortgerissen werden, wenn er nicht durch geschickte Ver- 
kleinerung der Flugflache und namentlich des Neigungswinkels die Hemmung und Abdrift 
auf eine sehr geringe Grosse einschranken konnte. 

Auf Sylt und Helgoland*) kann man das Schweben der Möven aus allernächster 
Nähe beobachten. Der Vogel steht nicht völlig still, man kann sehen, dass er mit 
gewissen balancierenden Schwankungen und steuernden Einstellungen der Flügel dem 
unregelmässiren Charakter des Windes gerecht wird. Es ist nicht zu verwundern, dass 
man diese Schwankungen als absichtlich vom Vogel erzeugt und als das geheimnisvolle 
Mittel angesehen hat, durch welches der Vogel dem entvegenstehenden Winde eine vor- 
treibende, die Abdrift aufhebende Kraftkomponente abgewinne. 

Nach Basté lässt sich der schwebende Vogel mit einer gewissen Neigung seiner 
Flügel vom Winde emporheben und ein wenig zurückführen; dann verringert er den 
Neigungswinkel, sinkt infolgedessen und gewinnt auch den durch die Abdrift verlorenen 
Raum zurück. 

Ganz ähnlich wäre der Schwebflug nach der Theorie Langley's zu erklären, 
nur dass die Hebung passiv durch eine momentane Verstärkung des Windes vollzogen 
würde, während das Sinken und Vorgleiten während eines anemometrischen Minimums 
erfolgen müsste. 

Die Unhaltbarkeit der Basté'schen Erklärung liegt nach dem früher Gesagten 
auf der Hand, denn ohne andauerndes, im ganzen nach unten fortschreitendes Fallen. 
ohne Aufwand einer der Abdrift entvegenwirkenden Kraft muss diese Abdrift selbst. 
ständlich eintreten und ein Schweben über einem Punkte der festen Erde ist danach nicht 


Vergl. Gätke: Die Vogelwarte Helgoland, herausgegeben von Blasius. 


MM MUU UM a.AAM AMA aaa i Kassierer | n eL" ""!"|")|"J/'—"' c — — —M 


81 
ausführbar. Bezüglich der zweiten Erklärung können wir auf die unten folgende Kritik 
der Hypothese Langley's verweisen. 

Die dort (S. 91) mitgeteilten Beobachtungen der gegen den Wind anschwebenden 
Schwalben lassen das Schweben an Ort über einem festen Punkte nur als einen besonderen 
Fall des Schwebfluges erscheinen, bei dem der Flugwind aktiver Natur ist und eine Mit- 
wirkung von lebendiger Kraft des Vogels nicht stattfindet. Auch das Schweben an Ort 
vollzieht sich unter dem aktiven Einflusse der Schwerkraft, wie das Fortschweben; aber 
wenn beim Gleitflug die Schwere die Aufgabe hat, dem Vogel unter Ueberwindung aller 
Flughemmungen eine Fluggeschwindigkeit gegen den Wind sowie lebendige Kraft zum 
Emporsteigen zu verleihen, so hat sie beim Schweben nur der hemmenden Windkomponente 
das Gleichgewicht zu halten, während ihr selbst die lebendige Kraft des Windes entgegen- 
wirkt. Daher ist auch beim Schweben auf der Stelle die Fallgeschwindigkeit weit geringer 
als beim Vorwärtsschweben, aber sie ist nicht absolut minimal, denn es sind sehr wohl 
Fälle denkbar, wo bei einer sehr geringen, aber immer noch positiven Fallbewegung 
des Vogels nicht ganz so viel Vortrieb gewonnen wird, als die Abdrift durch den Wind 
beträgt, wo also trotz des Sinkens eine langsame Abdrift erfolgt. 

Um dies näher zu illustrieren, möchte ich ein interessantes Landungsmanóver- der 
Tauben mitteilen, welches ich von meinem Fenster aus wiederholt zu beobachten Ge- 
legenheit hatte. Die Thür des Taubenschlages mit den Anflugstangen liegt nach Westen. 
Weht nun ein kräftiger Westwind, so macht es den Tauben grosse Mühe, auf den 
Anflugstangen festen Fuss zu fassen, da sie unter allen Umständen beim Niedersetzen 
den Kopf dem Winde zukehren müssen, um nicht augenblicklich heruntergeweht zu 
werden. Die Tauben überwinden diese Schwierigkeit durch ein kunstvolles Manöver; sie 
fliegen von der Firstseite des Daches her gegen den Wind und schweben zuletzt herab 
bis auf eine Entfernung von 1—1!/s m vor und über der Anflugstange. Dann hört die 
Bewegung nach vorn auf, und ohne sich zu drehen, lassen sie sich, den Kopf gegen den 
Wind und öfter abwärts sehend, ohne Flügelschlag langsam abwärts- und zurücktragen, 
so dass sie in richtiger Stellung den Landungsplatz erreichen. Hier findet also in will. 
kürlicher Folge ein Sinken mit Vortrieb und ein Sinken mit Abdrift statt; aber während 
die erste Bewegung gleichsam spielend erfolgte, kostete die letztere offenbar einen ganz 
besonderen Aufwand an Geschick und Steuerkraft, denn die Kunst des Zurückschwebens 
gelang den Tauben oft erst nach einem vergeblichen Versuche und unter aktiven 
Flügelschlägen. 


3. Der Segelflug. 


In dem vorhergehenden Abschnitte über den Gleit- und Schwebflug wurde gezeigt 
und wiederholt hervorgehoben, dass jeder horizontal oder ansteigend verlaufende Flug 
ohne Flügelschlag auf Kosten einer vorher erworbenen Geschwindigkeit des Vogels aus- 
geführt werde. Stets ist es die lebendige Kraft des Vogels, die den so gerichteten 
Schwebflug unterhält, und noch vor völliger Erschöpfung derselben muss der Vogel zu 
einer anderen, neuen Antrieb gebenden Flugart übergehen, wenn er die Flugbewegung 


Il 


82 
nicht abbrechen will. An der unbedingten Zuverlässigkeit und Richtigkeit dieser Einsicht 
kann nicht der geringste Zweifel bestehen, denn jede in einem widerstandleistenden Medium 
begonnene Bewegung eines wie immer gestalteten Körpers kommt schliesslich zur Ruhe, 
wenn der durch die Hemmung hervorgerufene Geschwindigkeitsverlust nicht durch neuen 
Antrieb ersetzt wird. 

Diese Ueberzeugung hat früher manche namhafte Flugtheoretiker veranlasst, die 
Möglichkeit des nun zu besprechenden Segelfluges zu leugnen. Und doch hat man oft 
Gelegenheit, fliegende Vögel zu sehen, die ohne Flügelschlag mit ruhig ausgebreiteten 
Flügeln sich lange Zeit, ja stundenlang, frei schwebend in der Luft erhalten, und ohne 
Flügelschlag sich zu den höchsten Höhen emporschwingen. 

Diese Thatsache wird heute nicht mehr bestritten. Seit langer Zeit ist man eifrigst 
bemüht, die rätselhafte Kraft zu ermitteln, welche »diesen mühelosen Flug«, die »voll- 
kommenste aller Fortbewegungsarten« unterhält. Dass diese Bemühungen nicht gleich 
von Erfolg gekrönt waren, dass bis in die neuste Zeit, wo durch die Bestrebungen der 
Luftschifffahrt das Interesse an der Lösung dieses Problems immer brennender geworden ist, 
die vielfach angestellten Forschungen noch nicht das Stadium der Hypothesen über- 
schritten haben: dies alles ist schon so vielfach mit den Schwierigkeiten der Aufgabe ent- 
schuldigt werden, dass es keiner weiteren Erklärungen bedarf. Unser erster Schritt zur 
Lösung des Problems soll sein eine 


Kritik der bisherigen Erklärungsversuche des Segelfluges. 


Wir brauchen nicht näher -auf die mancherlei aus älterer und neuerer Zeit 
stammenden sog. Erklärungsversuche einzugehen, deren Unrichtigkeit auf der Hand liegt 
und die schon zu wiederholten Malen, zuletzt noch von. Prof. Dr. Karl Millenhoff,*) 
zusammengestellt und wiederlegt worden sind. 

Es ist weder die »warme Luft in den hohlen Knochen.« noch die »Luft in den Luft 
säckene, welche den Vogel trägt und hebt, denn die erstere würde nur einen aörostatischen 
Auftrieb von 31/60 Gramm, die letztere von !/is Gramm ergeben, wenn das zu. hebende 
Gewicht des Vogels 1000 Gramm betrüge. Und wenn man die Behauptung aufgestellt 
hat, der Vogel könne sich dank der »schraubenförmigen Gestalt der Flügel (Pettigrew). 
in die Luft emporschrauben, ohne dass die .hierzu nötige Kraft nachgewiesen ‚wird, so ist 
damit der Flug ebensowenig erklärt, wie wenn ein Änderer die spiritistische Meinung aus- 
spricht, der Vogel könne allein vermöge des freien Willens sich in der Luft schwebend er- 
halten und emporsteigen. 

Vielfach hört man auch die Ansicht aussprechen, der Vogel müsse zweifellos 
schr schnelle Flügelbewegungen ausführen, die sich aber der Beobachtung entzögen. Ein aus 
der Nähe zu beobachtendes leichtes Zittern der weichen Federspitzen, das Rauschen der 
Flügel, bestätigen zwar das Vorkommen minimaler Vibrationen, aber man hat doch nicht 
ernstlich gewagt, diese dem Flattern einer Fahne vergleichbaren Erschütterungen als die 


*) Dr. K. Müllenhoff: Ueber das Schweben und Kreisen der Vögel. Journal für Ornithologie, 


XLII Jahrg., October 1894. 


33 


Ursache des andauernden Segelfluges hinzustellen. Mit weit grösserem Nachdruck wird 
dagegen noch heute in der Litteratur versucht, das Segeln und Schweben der Vögel durch 
aufsteigende Luftströme zu erklären. Der Gedanke, dass die Vögel durch aufwärts- 
gerichtete Winde gehoben werden könnten, ist ja naheliepend, zumal an dem Vorkommen 
vertikaler Luftströmungen gar nicht zu zweifeln ist. Man braucht nur an die Auflockerung 
der Atmosphäre im Tropengürtel zu denken, welche auf die Cirkulation in der gesamten 
Lufthülle der Erde einen so weitreichenden Einfluss ausübt; oder an die ungleiche Er- 
wärmung der Luft über dem Wasser und über dem Lande, über dem Walde und über 
der kahlen Haide. Man hat auch mehrfach Gelegenheit gehabt (am Eifelthurm und früher 
schon durch Lilienthals Experimente), eine aufsteigende Tendenz des Windes durch direkte 
Messung festzustellen. | | 

Die Frage ist nur, ob überall, wo die kreisenden Vögel ihre spiralige Flugbahn 
emporschweben, solche oder ähnliche aufsteigende Winde vorhanden sind, und ob man 
auch nur die geringste Berechtigung hat, anzunehmen, dass es überhaupt vertikale Winde 
von solcher Stärke giebt, dass sie z. B. den 6—8 kg schweren Körper eines Kondors 
mit einer Flugflache von kaum einem Quadratmeter spielend zu den höchsten Höhen der 
Atmosphäre tragen können. 

Diese Fragen sind mit grosser Entschiedenheit im bejahenden Sinne beantwortet 
in einer ausführlichen Arbeit vom Ingenieur Joh. Olshausen, betitelt: »Das Segeln und 
Schweben der Vögel«. (Berichte des Freien Deutschen Hochstiftes. Jahrg. 1890. Heft 3). 
Das Endergebnis dieser Arbeit lautet: »Das flügelschlaglose Schweben, Kreisen und 
Scgeln der Vögel wird ermöglicht durch senkrecht oder schräg aufsteigende Luftströme 
oder Winde. Diese sind an unzähligen Orten der Erde und entstehen 

1. Durch Ablenkung der Winde aus ihrer horizontalen Bahn durch die Gestaltung 
der Erd- nnd Meeresoberflache. Die Geschwindigkeit dieser abgelenkten Luft- 
strome oder Winde kann nahezu so gross werden wie die der horizontal- 
wehenden Winde, d. h. bis 40 m und mehr in der Sekunde. 

Durch lokale Erwärmung des Bodens durch die Sonnenstrahlen, bei verschiedener 
Beschaffenheit der Erdoberfläche. Die Geschwindigkeit dieser erwärmten Luft- 
ströme beträgt häufig wenigstens 5 bis 10 m in der Sekunde, wahrscheinlich 


t3 


aber bedeutend mehr. 

»Die vorhandenen Geschwindigkeiten genügen vollauf, um gegen die vollkommen 
ausgebreiteten Flügelflàchen der schwebenden, kreisenden oder segelnden Vögel einen 
Druck auszuüben, welcher sie trägt und hebt. . . . . « 

Leider halt dies glänzende, alle Erwartungen und Erfahrungen weit hinter sich 
lassende Resultat der Kritik nicht stand. Das Hauptargument des Verfassers bildet das 
Helgolander Windpháünomen?) An der steilen, 60 m hohen Felsenküste der Insel ent- 
steht bekanntlich wie an jeder senkrechten Wand, in Folge der Ablenkung des darauf. 





*) Dasselbe ist meines Wissens zuerst von Prof. Móbius zur Erklirung des Anbordkommens der 
fliegenden Fische in die Fluglitteratur eingeführt worden. (Zeitschr. f. wiss. Zool, XNXX. Suppl. Bd.) Daselbst 


wird auch zuerst auf dynamische Einflüsse der Meereswellen auf die benachbarten Luftschichten hingewiesen. 


11? 


84 
stossenden Windes ein aufsteigender Luftstrom, der vom oberen Rande des Felsens aus 
leicht zu konstatieren ist. Bei stiirmischem Wetter erlangt dieser Strom eine so enorme 
Geschwindigkeit, dass er selbst schwere Gegenstände, wie einen schweren hölzernen 
Warnungspfahl und eine grosse, schwere Bank, die von oben über den Abhang gestürzt 
wurden, mit Leichtigkeit emporhob, um sie nahe neben der Kante in der hier vor- 
handenen windstillen Zone niedersinken zu lassen. Man muss dem Autor zugeben, dass 
eine aufsteigende Luftströmung, die solche Kraftstücke vollbringen kann, auch im Stande 
ist, die soviel leichteren Vögel zu tragen. Aber die Vögel schweben gar nicht in diesem 
starken Luftstrome, sondern hoch darüber und draussen über dem offenen Meere, wie 
über der Insel. Olshausen nimmt nun an, dass der tragende aufsteigende Wind «bis 
in eine Höhe von vielen hunderten vielleicht tausenden von Metern« sich erstrecke und je 
höher, um so weiter in’s Meer hinaus reiche, da man nur dort das vollständig flügelschlag- 
lose Schweben von ganzen Mövenscharen beobachte, die in diesem Gebiete scheinbar nach 
jeder Richtung steuern. Die Tiere schweben immer vor der dem Winde zugekehrten Küste. 

Den Beweis für die Richtigkeit der Annahme eines nahezu unbegrenzt bis in die 
höchsten Luftschichten Aufsteigenden Stromes, der selbst in hunderten von Metern Höhe 
noch die schwebenden Möwen trägt, glaubt Olshausen durch eine Berechnung erbracht 
zu haben. Der Gedanke ist folgender. Es wäre denkbar, dass ein horizontaler Luftstrom, 
der durch ein Hindernis aufgehalten wird, keine aufsteigende Richtung annähme, sondern 
sich vor dem Hindernis verdichte und so eine annähernd horizontale Richtung beibehielte. 
(Der Verfasser denkt sich offenbar, ohne es klarer auszusprechen, es bilde sich eine keil- 
förmige, komprimierte Luftmasse von dem Hindernis, über welche dann vielleicht der 
Wind schwach ansteigend, die Höhe des Hindernisses erreichte, um glatt über dessen 
Rand hinwegzugehen). Die angestellte Berechnung ergiebt aber, dass bei stärkstem Sturme 
die Luft vor festen Wänden nur um etwas mehr als 3 °/o zusammengedrückt werden kann. 
Es muss also unter allen Umständen ein aufsteigender Strom entstehen; das Hindernis 
zwingt die ganze Luftmasse, welche sich auf dasselbe zu bewegt, in parallelen, horizon- 
talen Schichten aufwärts auszubiegen und da die Luft sich so wenig zusammendrückt, so 
müssen auch die obersten Schichten, in Anpassung an die unteren, die Aufwärtsbewegung 
mitmachen. So kann auch das geringfügigste Hindernis, wie die flache Düne von Helgo- 
land, jeder Wellenrücken auf dem Meere auf hunderte von Metern Höhe die Luft zwingen, 
aufwärts statt horizontal zu fliessen. 


Das Resultat dieser Deduktionen ist ein so überaus unwahrscheinliches, das man 
glauben sollte, es hätte allgemein ohne weitere Prüfung abgelehnt werden müssen. Auf- 
fälligerweise hat man es aber vielfach in Ermangelung von etwas Besserem ohne Prüfung 
anerkannt, und das Dogma von der Allgegenwart starker aufsteigender Luftströme findet 
darin noch immer seine kräftigste Stütze. 

Der Fehler in den theoretischen Ausführungen Olshausens liegt darin, dass er 
glaubt, es könne die durch das Hindernis hervorgerufene Aufwärtsströmung nur aérostatisch 
durch Luftverdichtung oder Kompression gedämpft und ausgeglichen werden. 

Thatsächlich findet der Ausgleich in dem elastischen und beweglichen Medium 


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nur zum verschwindend kleinen Teile bei senkrechten Hindernissen durch Zusammendriickung, 
grösstenteils aber durch bedeutend gesteigerte Abflussgeschwindigkeit statt. Nicht die ganze 
Atmosphäre wird gezwungen, mit der allgemeinen Windgeschwindigkeit das Hindernis 
vertikal zu umgehen, sondern nur die unteren Schichten geraten nahe vor dem Auftreffen auf 
das Hindernis gleichsam in eine Stromenge. Die Luftteilchen werden hier zusammen- 
gedrängt und erhalten infolge ihrer Elasticität und Beweglichkeit eine dem Andrange ent- 
sprechende mehr oder weniger bedeutende Beschleunigung nach der Seite des geringsten 
Widerstandes, d. h. vor dem Hindernis nach oben. So entsteht an dieser Stelle der auf- 
steigende Strom, der oberhalb des Hindernisses durch den seitlichen Andrang des Windes 
in kurzer Zeit wieder nach der Seite des geringsten Widerstandes, d. h. in die Richtung des 
Windes abgelenkt wird. Schon in der Entfernung von 10 bis 20 Metern hinter der 
Felsenkante treffen, wie Olshausen angiebt, die ersten wilden Wirbel des umbiegenden 
Vertikalstromes auf das Inselplateau, und dann herrscht bei starkem Winde auf der Insel 
ein Sturm, welcher das Gehen fast unmöglich macht. Wenn der Wind auf ein grosses, 
freistehendes Haus stösst, so bilden sich an den Hausecken ganz analoge, aber horizontal 
in der Richtung der Hausfront abweichende Stromschnellen, die hinter der Ecke Wirbel 
und Windschatten bilden, wie der Wind an der helgoländer Kante. Nach Olshausen's 
Hypothese müsste diese seitliche Stromung in gleicher Starke auf hunderte, ja tausende von 
Metern zu konstatiren sein. Die Erfahrung zeigt, dass schon in geringer Entfernung 
seitlich und vor dem Hause keine erkennbare Stórung des Windes vorhanden ist. 

Auch aus aérodynamischen Versuchen Langley’ s ergiebt sich, dass der Einfluss eines 
Hindernisses auf die Bewegung der Luft erst in geringer Entfernung von dem Hindernis 
bemerkbar wird. Daher ist auch der aufsteigende Strom, durch welchen die auf den 
Felsen stossenden Luftmassen abfliessen, nur in der Nàhe des Felsens vorhanden, nicht 
aber hunderte von Meter davor und darüber; die Geschwindigkeit des vertikalen Stromes 
ist nicht etwa so stark wie die allgemeine Windgeschwindigkeit, also im Maximum bis 
etwa 40 m, sondern stetst stárker als der Wind, und auch noch über der Insel fliesst die 
Luft mit einer grósseren Geschwindigkeit nach der Leeseite ab. Olshausen hat auf 
diese Geschwindigkeitsdifferenzen bei der Aufstellung seiner infolgedessen ziemlich unklar 
formulierten Hypothese gar keine Rücksicht genommen, und auch nicht den Versuch ge- 
macht, eine Erklärung der in ihren enormen Wirkungen so überraschenden Stromschnelle 
an der Felsenkante zu geben; er würde sonst seine Ausführungen wenigstens in hypo- 
thetische Formen gekleidet haben. 


Selbstverstandlich kann hiernach keine Rede davon sein, dass die Düne von 
Helgoland oder gar die Wellen des Meeres starke aufsteigende Winde erzeugen, resp. den 
Wind so weit nach oben ablenken, dass in grósserer Hóhe über dem Wasserspiegel Vogel 
ohne Flügelschlag fliegen kónnen. Solche Stróme sind gar nicht vorhanden, und ihre 
Existenz wird auch nicht wahrscheinlicher gemacht, wenn wir erstaunen über das Wunder 
des flügelschlaglosen Fluges, den die Vógel auch bei schwachem Winde hoch über dem 
freien Meere wie an jeder beliebigen anderen Stelle der frei bewegten Luft mit spielender 
Leichtigkeit ausführen. — Nicht weniger gewagt sind die Spekulationen, die Olshausen 
über die Geschwindigkeit der durch Erwärmung hervorgerufenen aufsteigenden Luftstrome 


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angestellt hat. Hier berechnet er die Geschwindigkeit der aufsteigenden erwarmten Luft 
nach einer Formel, die für die Luftbewegung in einem Schornstein bestimmt ist. Der 
Autor nennt .es zwar selber kühn, eine solche Berechnnng auf eine frei sich erhebende, 
nicht von allen seitlichen Einwirkungen wie in einer Esse abgeschlossene Luftstrómung anzu- 
wenden, aber es hindert ihn nicht, gleich darauf »von bescheidensten, unanfechtbaren 
Annahmen« zu sprechen, mit denen er sich die gewünschten vertikalen Geschwindigkeiten 
ausrechnet. Von irgend einer positiven Beweisführung oder gar Beobachtung ist nicht 
die Rede, und schliesslich wird im Zirkel aus den .Flugbewegungen auf die aufsteigende 
Windrichtung geschlossen, um durch diese wieder den Flug zu erklären. 

Könnte die Insolation eine derartige Wirkung hervorbringen, so würde diese 
jedenfalls bei ruhigem, windstillen Wetter am grössten sein, und man sollte erwarten, 
dass dies das richtige Wetter zum Schweben und Kreisen der Vögel sei, da dann ja die 
aufsteigenden Ströme ihre grösste Tragkraft entwickeln würden. In Wirklichkeit ruhen 
die Vögel bei Windstille, oder gehen erst mit dem Auffrischen des Windes zum Segel- 
fluge über, der ohne Wind unmöglich ist. 

Diese Ausführungen mögen genügen, um zu zeigen, welche positive Grundlagen 
der Glaube an die Existenz so starker aufsteigender Ströme hat, wie sie von Olshausen 
behauptet und zur Erklärung des Kreisens und Schwebens verwendet sind. Weder durch 
die kleinen und grösseren Unebenheiten der Erdoberfläche, noch durch die ungleichen 
Wirkungen der Insolation können in den oberen Luftschichten derartige allgemeine und 
starke Bewegungen verursacht werden. 


Eine noch grössere Beachtung und Anerkennung als die Hypothese der aufsteigenden 
Luftstróme haben die bis in die neuste Zeit immer wieder unternommenen Versuche 
gefunden, das Fliegen ohne Flügelschlag auf die Ungleichmässigkeiten in der Luftbewegung 
zurückzuführen. 

Die alteste der dahingehenden Hypothesen wurde von Lord Rayleigh (Nature, 
XXVII. pag. 535) entwickelt; von Hubert Airy (ibid. pag. 590) R. Courtenay. 
(ibid. XXVIII. pag. 28) und anderen englischen Autoren vervollständigt und in Deutsch- 
land mit besonderem Nachdruck von H. Strasser (Flug d. Vögel. Jena 1885. S. 236 ff.) 
vertreten. ONG 

Lord .Rayleigh gcht von der unbedingt richtigen Beobachtung aus, dass das 
Kreisen der Vögel immer nur bei bewegter Luft stattfindet. Da alle Versuche, das 
‚Kreisen in gleichmässig horizontal bewegter Luft zu erklären, erfolglos gewesen sind und 
— der Theorie nach — sein mussten, so liegt die Vermutung nahe, dass Ungleich- 
fórmigkeiten des Windes die wahren Ursachen des Segelfluges sind. Thatsächlich bestehen 
solche Ungleichformigkeiten und Verschiedenheiten der Strómung, sowohl in vertikaler 
wie in horizontaler Richtung. Es ist bekannt, dass die hoheren Luftschichten eine gróssere 
Geschwindigkeit haben, als die unteren, da die der Erdoberfliche benachbarten Luftmassen 
stärker gehemmt werden, als die entfernteren. Aber auch nebeneinander dahinziehende 
Luftmassen kónnen sich verschieden verhalten. Und überall, wo solche Verschiedenheiten 


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vorhanden sind, 'enipfindet sie der fliegende Vogel als Verstarkungen oder Verringerungen 
des Gegenwindes, eventuell sogar als Rückenwind. 

Alle diese Verschiedenheiten nun weiss der Vogel auszunutzen, indem er sich 
immer so stellt und wendet, dass er von dem relativ schwächeren Gegenwinde, worin er 
sich ‘befindet, gegen einen relativ stärkeren ansegelt und so mit stets zunehmender Wind- 
geschwindigkeit emporgehoben wird. Wenn nötig, kann er durch vorübergehendes Fallen 
seine eigne und die Geschwindigkeit des Gegenwindes entsprechend steigern, um dann 
durch Emporgleiten die alte Höhe wieder zu gewinnen, ja zu überschreiten. 

So die Theorie. Ihre schwachen Seiten sind bald herausgefunden. Zunächst 
setzt sie, wie die Hypothese der aufsteigenden Luftströme, eine an's Wunderbare 
grenzende, unvorstellbare und unnachahmliche Manövrierfähigkeit voraus, mit welcher 
die Vögel der enormen Schwierigkeiten Herr werden sollen, welche der Flug nach der 
Theorie hat. Und doch sieht die ganze Bewegung gar nicht nach solchen Schwierig- 
keiten aus. Sie vollzieht sich auch bei starkem Winde in so erhabener Ruhe und Gleich- 
massigkeit, dass man mit Recht das Kreisen als eine geradezu entziickende Art der Fort- 
bewegung bezeichnet hat. 

Aber selbst wenn der Vogel diesse ausserordentliche Fähigkeit besässe und durch 
seine Drehungen und Wendungen den bald rechts, bald links, bald über, bald unter ihm 
vorhandenen stärkeren Gegenwind mit den Flügeln aufzufangen verstände, so würde durch 
den gleichmässig gesteigerten Gegenwind doch immer nicht zu erklären sein, wie der 
Vogel unter Vorwärtsbewegung gehoben wird. Denn wenn schon ein: gleichförmiger 
Gegenwind den in ihm schwebenden Vogel nach einiger Zeit mit sich fortreisst, so muss 
es ein zunehmender auch, und der Vogel würde, schnell und schneller mit dem Winde 
zurückgehend, nur dann vor dem Absturze gesichert sein, wenn er gleichzeitig und fortwährend 
eine der Abtrift gleiche Geschwindigkeitszunahme des Gegenwindes erzielen könnte. Das ist 
aber, zumal bei stundenlangem Fluge, ganz undenkbar und unmöglich. Dazu fehlt jede 
Erklärung für die schönen, regelmässigen, kreisförmigen oder spiraligen Bahnen, denn nach 
der Theorie müsste der Flug ein höchst unruhiges Hasten und Tasten nach stärkerem 
Gegenwinde sein, und er könnte eventuell auch ebensogut geradlinig emporsteigen. 


Auch S. P. Langley hat zur Erklärung des Fluges ohne Flügelschlag 
eine vielversprechende und viel besprochene Hypothese aufgestellt, die gleichfalls das 
Geheimnis dieses »physical miracle of nature« in Unregelmässigkeiten des Windes erblickt 
und demnach im Prinzip mit der Theorie Lord Rayleigh's identisch ist. Während 
Rayleigh aber die Geschwindigkeitsdifferenzen in horizontaler und vertikaler Richtung ver- 
werthet, stützt sich die Hypothese Langley's auf die anemometrischen Unterschiede, 
die man gewöhnlich als Windstösse oder Böen bezeichnet, im wesentlichen also auf An- 
und Abschwellungen des horizontalen Windes. Derartige Schwankungen der Windstärke 
sind Jedermann aus Erfahrung bekannt, und man weiss auch seit langer Zeit, dass sie 
viel zahlreicher sind, als man für gewöhnlich beachtet. Schon O. Lilienthal giebt in 
seinem Werke über den Vogelflue auf Tafel V Fig. 3 eine durch den Wind selbst regi- 
strierte Kurve dieser --- hier in vertikaler Richtung gemessenen — Schwankungen. Inner- 


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halb einer Minute fand er durchschnittlich 20 Maxima und 20 Minima, sodass jede 
steigende und jede fallende Tendenz des Windes je 1,5 Sekunden andauerte. Leider 
fehlt bei Lilienthal eine Angabe über die Windstärke, bei welcher diese Schwankungen 
beobachtet wurden. Nach Langley's Messungen sind die Schwankungen annähernd pro- 
portional der mittleren Windgeschwindigkeit. Langley hat die Schwankungen der Wind- 
stärke mit sehr empfindlichen Anemometern von Sekunde zu Sekunde gemessen und u. a. 
ermittelt, dass ein Wind von einer mittleren Stärke von 12 m in $5!/; Minuten durch 
18 beträchtliche Maxima und ebensoviele Minima hindurchging, und dass somit auf jede 
Verstärkung und jedes Abflauen des Windstosses durchschnittlich 10 Sekunden entfielen. 
Der Wind stieg innerhalb 10 Sekunden bis auf 17 m, sank in weiteren 10 Sek. wieder 
auf 12 m, stieg dann in 30 Sek. auf 18,5 und so fort auf und ab, einmal sogar sank er 
bis auf Null. Es ist dies auf den ersten Blick ein auffälliger Unterschied gegen Lilien- 
thal’s Messung, der sich dadurch erklärt, dass Langley nur die beträchtlichen Extreme 
mitzählt, während Lilienthal auch untergeordnete Schwankungen registriert hat, soweit es 
die Empfindlichkeit seiner Apparate zulies. In Wirklichkeit schwankt aber die Wind- 
stärke noch öfter, als die Lilienthal'schen Kurven zeigen, und Langley bemerkt 
ausdrücklich, dass auch der kleinste zu beobachtende Teil des Windes nicht als völlig 
gleichförmig bewegt anzusehen ist. 

Fortwährende Schwankungen und Unregelmässigkeiten bilden in der That den 
Grundcharakter der bewegten Luft. Wie an der Oberfläche des bewegten Meeres Wellen 
von allen Grössen, von den feinsten kaum bemerkbaren Riffelungen bis zu den mächtigsten 
Wogen, nebeneinander und durcheinander herlaufen, sich gegenseitig hier verstärkend, 
dort schwächend und aufhebend, so sind auch die Bewegungen des Luftmeeres ihrem 
innersten Wesen nach unregelmässig und verworren. Darum liegen aber auch die anemo- 
metrischen Extreme, deren durchschnittlicher Abstand von Langley auf ca. 10 Sekunden 
angegeben wird, einzeln genommen — und darauf allein kommt es im vorliegenden Falle 
an — keineswegs auch nur annähernd in gleichen Abständen, sondern zw ganz unregel- 
mässigen zeitlichen Entfernungen von einander. 

Wenn nun ein Vogel mit annähernd gleichmässiger Geschwindigkeit die so be- 
wegte Luft durchstreift, so muss natürlich auch der relative Wind, den er empfindet — 
für den Flug kommt selbstverständlich immer nur dieser in Frage, nicht der absolute, der 
auf ein feststehendes Instrument einwirkt — in gleich unregelmässigen Pulsationen auf 
den Flugapparat des Tieres treffen, bald anschwellend, bald schwächer werdend, oder gar 
in der Form eines negativen oder Rückenwindes. Flöge der Vogel in der Richtung des 
Windes mit dessen mittlerer Geschwindigkeit, so würde er abwechselnd den Wind von 
vorn und von hinten empfinden. Hierin liegt nach Langley die theoretische Möglich- 
keit, dass ein schwerer Körper in einem solchen Winde unbegrenzt emporsteigen kann, 
wenn er es nur versteht, bei jedem von hinten kommenden Windstoss seine Flügel so 
einzustellen, dass sie den Wind mit ihrer Unterseite auffangen. Langley geht ausdrücklich 
nicht auf die Frage ein, wie der Vogel dies praktisch anfangen soll, aber er hält für 
denkbar, die theoretische Möglichkeit zur That werden zu lassen: die Flugflächen müssten 


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entweder bei jeder Aenderung der Windintensität um 180° um eine vertikale Achse gedreht 
werden, oder der Vogel miisste abwechselnd den vorderen und hinteren Fliigelrand hoher 
heben. Bei jedem Maximum, wo der Wind die Fluggeschwindigkeit des Vogels übertrifft, 
müsste der hintere Flügelrand höher liegen als der vordere, und bei jedem Minimum wo 
die Windstärke geringer ist als die Fluggeschwindigkeit, müsste der vordere Rand höher 
liegen, als der hintere. So sind nach Langley die Pulsationen des Windes tx der Theorie 
eine Kraftquelle, welche einen mit dem Winde treibenden schweren Körper nicht nur 
tragen, sondern sogar emporheben kann. Die so gewonnene Höhe, glaubt Langley, 
liesse sich durch Herabsinken in fortschreitende Bewegung gegen den Wind umsetzen, 
die grösser sei, als die erlittene Abdrift (!) Welchen praktischen Wert diese theoretische 
Erörterung hat, möge folgendes Beispiel zeigen. Ein Wind von 8 m mittlerer Geschwindig- 
keit schwanke zwischen 6 und ıo m. Ein in diesem Winde mit der gleichen mittleren 
Geschwindigkeit von 8 m treibender schwerer Körper würde somit, wenn er aus der Kraftquelle 
der Pulsationen schöpfen wollte, nur abwechselnde Windstösse von höchstens 2 m, ge- 
wöhnlich viel weniger empfinden. Dieser Körper würde also nur so wenig wie möglich 
von der lebendigen Kraft des Windes ausnützen; wie leicht müsste er sein, wenn er von dieser 
minimalen Kraft gehoben und getragen werden sollte und welche enorme Geschwindigkeit 
müsste er beim folgenden Hinabgleiten wohl haben, wenn er dadurch die Abdrift, welche 
der Wind erteilen kann, wieder aufholen sollte? — Ein Vogel ist zur Ausübung dieser 
denkbar schlechtesten aller Segelflugbewegungen seiner ganzen Organisation nach völlig 
ausser Stande. 

Ohne die praktische Durchführbarkeit nachzuweisen, hält es Langley") theoretisch 
für móglich, auch noch auf andere Weise durch die Pulsationen, (die er auch im Gegensatz 
zu dem gewóhnlichen Begriff der inneren Arbeit »the internal work of the wind« nennt), 
den Flug ohne Flügelschlag physikalisch zu erklären. Jede Zunahme des Flugwindes 
wird den Vogel heben, jede Abnahme, jeder Rückenwind ihn sinken lassen. Dadurch 
gewinnt er sinkend lebendige Kraft, die er mit zum  Emporsteigen verwendet, 
wenn ein erneuter Windstoss ihn wieder hebt. Die lebendige Kraft allein würde 
ihn nahezu auf die vor dem Fallen erlangte Höhe emporheben; der hinzukommende 
Windstoss hebt den trägen Körper beträchtlich darüber hinaus. Den horizontalen Raum 
gewinnt der Vogel während der Fallbewegung in den Perioden des Abflauens des Flug- 
windes. Im Uebrigen kennt der Vogel aus Erfahrung die Eigenschaften des Windes und 
weiss sich durch zweckmässiges Einstellen der Flügel über alle sonstigen Schwierigkeiten 
hinwegzuhelfen. | 

Gegen diese von Prof. A. Ritter**) noch näher illustrierte Hypothese, der ebenso- 
wenig wie der vorhergehenden Deduktion irgendwelche Beobachtungen des Vogelfluges 
zu Grunde liegen, möchte ich Folgendes bemerken. 

ı) Wenn der Flug die Folge der Einwirkung jener unregelmässigen Luftstösse 
wäre, so müssten sich diese Unregelmässigkeiten auch in der Flugbewegung wiederspiegeln; 


*) S. P. Langley: »On the internal work of the wind«, Americ. Journal. 1894. 
**) Prof. A. Ritter: Neues aus dem Gebiete der Flugtechnik. Z. d. Ver. deutsch. Ingenieure, Bd. XXXVUI. 
12 


90 

denn jeder Stoss müsste eine Hebung, jedes Abflauen ein Sinken, jeder Rückenwind einen 
Absturz hervorrufen, und die verschiedenen Bewegungen müssten in ihrer zeitlichen Auf- 
einanderfolge wie an Stärke jenen unregelmässigen Intensitätsschwankungen des Windes 
entsprechen. — Aber nichts von alledem ist zu beobachten. Die Bewegung erfolgt mit 
einer geradezu idealen, das Entzücken und die Bewunderung aller Beobachter heraus- 
fordernden Regelmässigkeit. 

2) Die Annahme, dass die Vögel infolge fortgesetzter Uebung und Erfahrung 
befähigt seien, durch zweckmässige Flügelstellung aus allen den unregelmässigen Wind- 
stössen eine so gleichmässige Flugbewegung hervorgehen zu lassen, ist unphysikalisch 
und verschiebt die Schwierigkeiten der Erklärung auf ein unzugängliches Gebiet. Sobald 
man zugesteht, dass zur Unterhaltung des Fluges eine nicht zu übersehende und daher 
auch nicht klar vorstellbare psychische oder intellektuelle Thätigkeit des Vogels nötig sei, 
giebt man genau genommen die Unerklärbarkeit der Erscheinung zu. 

3) Wäre die Hypothese richtig, so wäre nicht einzusehen, warum die Vögel stets 

auf gekrümmten Bahnen segeln, da ihnen doch offenbar der gerade Flug gegen den Wind 
viel leichter werden müsste, wo sie den Fulsationen des Windes entgegengehen, statt ihnen 
periodisch den Rücken zu kehren. 
: Die Beobachtungen zeigen aber, dass ein Vogel niemals geradlinig gegen den 
Wind segeln und dabei zugleich Hohe gewinnen kann. Segelt ein Vogel geradlinig gegen 
die Richtung des Windes, so findet dabei stets eine Einbusse an Höhe, ein Sinken statt, 
und die dadurch gewonnene lebendige Kraft wird zur Beseitigung der Hemmungswider- 
stände der Luft verwertet. 

4) Die Hypothese Langley’s hat den Fehler, dass sie die Hemmungswidersiande 
nicht genügend berücksichtigt. Der Autor geht von einer Betrachtung ebener Drachen- 
flachen aus, welche, statt von einem Faden festgehalten zu werden, durch eine verschieb- 
bare Hülse an einer senkrechten Stange befestigt sind, so dass jede andere als die verti- 
kale Bewegung ausgeschlossen ist. Wenn ein Wind von bestimmter Starke einen solchen 
Drachen schwebend erhalt, so muss natürlich jede Verstarkung desselben eine Hebung, 
jedes Abflauen eine Fallbewegung veranlassen, und wenn der Apparat gut arbeitet, so 
rauss er, wie der Registrierapparat Lilienthal's, mit gróssérer oder geringerer Genauig- 
keit alle Pulsationen des Windes deutlich erkennen lassen, man kónnte ihn dann als 
Anemoskop gebrauchen. 


Ein gewóhnlicher am Faden schwebender Drachen zeigt nun zwar auch, dass 
jede Zunahme des Windes eine Hebung, jede Abnahme eine Senkung des Drachens zur 
Folge hat, aber man sieht auch, dass jedes Sinken mit einer riicklaufigen Bewegung ver- 
bunden ist, und fühlt, dass jedes weitere Steigen den Zug am Faden verstárkt. Wenn 
ein Windstoss den Faden zerreisst, so steigt der Drachen nicht weiter, sondern der Wind 
wirft ihn weit zurück und lässt ihn mit schaukelnden Bewegungen zu Boden fallen. 

Ein segelnder Vogel gleitet weder an einer festen Stange, noch wird er von einem 
Faden festgehalten. Daher muss er durch den hemmenden Widerstand des wie immer 
beschaffenen Windes mit derselben mechanischen Notwendigkeit zurückgeworfen werden, 


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wie der Drachen, dessen Faden zerrissen ist. Und vor diesem Schicksal rettet er sich 
nicht, wenn er die Drachenflachen seiner Flügel auch unten noch so kleinen Winkeln dem 
Winde entgegenstellt, oder wenn er seine Widerstandsflachen durch Einziehen der Flügel 
noch so sehr verkleinert. Wohl kann der Vogel auf diese Weise die Hemmung bis zu 
cewissem Grade verringern, aber er verringert damit auch die hebende Komponente des 
Windes, und wenn die Hebuug schon gleich Null ist, bleibt immer noch eine mitreissende 
Hemmung des Windes, eine Abdrift des Vogels übrig. Diese Abdrift soll der Vogel 
durch Sinken wieder nachholen. Das setzt schon ein bestimmtes Verhältniss zwiscnen 
Masse oder Gewicht des Vogels und Windstärke voraus. Nach Langley's Versuchen 
über die »soaring speed« muss es Windstärken geben, bei denen wenigstens der kleinere 
Vogel schwebend erhalten und am Herabsinken verhindert wird, selbst wenn er seine 
Flugflächen genau unter Null Grad Neigung in den Wind stellt. Die Benutzung negativer 
Neigungswinkel, also vom Rückenwind, ist ausgeschlossen. 

Im letzten Sommer hatte ich in der Nähe der Ostsee vielfach Gelegenheit, den 
Flug von Schwalben zu beobachten, die in einer Höhe von ca. 20—30 m mit einer Art 
Ruder- und Schwebflug gegen den Wind vorzufliegen strebten. Das Vorschweben nach 
den Ruderperioden setzt aber voraus, das wirklich auch eine Fallbewegung eintritt. Allein 
der Wind war so lebhaft, dass es den Schwalben nicht gelang herabzusinken, wie klein 
sie auch die Neigungswinkel ihrer Flügel machten. So schwebten sie mit geringen, den 
Windstössen entsprechenden Schwankungen balancierend in annähernd gleichbleibender 
Höhe, erlitten aber dabei eine Abdrift, die in einzelnen Fällen schätzungsweise 10 m 
und darüber betrug. Hier hatte der Wind offenbar für die Schwalben die Schweb- 
geschwindigkeit (soaring speed) erreicht, bei welcher das willkürliche, geradlinige Herabsinken 
gegen den Wind nur durch gleichzeitige Wirkung von Schwerkraft und aktiver Muskel- 
kraft möglich ist. Immer hatten die Schwalben dann die Tendenz, herabgleitend vor- 
vorzudringen. Jedes vorübergehende Abflauen des Windes liess die Abdrift verlangsamen, 
oft war sie gleich Null, der Vogel schwebte an einer Stelle, dann aber konnte man 
jedesmal deutlich von der Seite her erkennen, wie der Vogel langsam herabsank. Der 
Wind hatte also nicht mehr die Schwebgeschwindigkeit, die Hebung, welche er an den 
unter kleinstem Neigungswinkel eingestellten Flügeln hervorbrachte, war geringer als der 
Zug der Schwere, und der Vortrieb, den die nun aktive Schwerkraft an den Flügeln 
auslöste, war gleich der Abdrift, die der Wind hervorrief. Wurde dann einmal der Wind 
vorübergehend noch schwächer, so wurden es auch seine beiden Kraftkomponenten am 
Flügel, und der Zug und der Vortrieb der Schwere führte den Vogel im gewöhnlichen 
Schweben sinkend gegen den Wind voran. So hielten sich die Schwalben während der 
Schwebperioden im Ganzen nicht einmal auf derselben Höhe und noch viel weniger 
konnten sie aufwärts gegen den Wind vordringen. 


Wenn es eine physikalische Möglichkeit gabe, geradlinig gegen den »pulsierenden« 
Wind empor zu segeln, so sollte man meinen, dass es diesen Schwalben gelungen ware, 
Aber noch niemand hat es bisher beobachtet, und wo es in der Litteratur behauptet 
wird, fehlt dafür jeder Beweis, oder man kann jedesmal nachweisen, dass der Beobachter 


12* 


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der vermeintlichen Erscheinung von seinem tiefen Standpunkte aus ausser Stande war. 
den Anstieg zu beobachten. 


Wenn es also den Schwalben nicht möglich ist, bei Windstärken unter der 
Schwebegeschwindigkeit gegen den Wind aufzusegeln, so ist nicht abzusehen, wie es 
grösseren Vögeln gelingen könnte. Freilich liegt bei diesen die Schwebgeschwindigkeit, 
bei welcher sie auch mit kleinstmóglichem Neigungswinkel der Flügel nicht vorwärts 
herabsinken können, höher, als bei den Schwalben, sie werden also fast immer geradlinig 
und vorwärts sinken können, wenn sie wollen, aber damit haben sie noch keineswegs die 
Fähigkeit, geradlinig und vorwärts ohne Flügelschlag gegen den Wind emporzusegeln. 


Es ist theoretisch ja ganz richtig, dass eine mit der Geschwindigkeit v in ein 
gekrümmtes Rohr eintretende Kugel in diesem Rohre bis zu einer Höhe h = z empor- 
steigt, welche eben so gross ist, wie die Höhe, von welcher die Kugel herabsinken 
müsste, um die Geschwindigkeit v zu erlangen. Allein dies setzt voraus, dass die Kugel 
einen kleineren Durchmesser hat, als das Rohr und dass sie an den Rohrwänden keine 
in Betracht kommende Hemmung erfährt. Ein herabgleitender Vogel aber ist allseitig 
von einem widerstandleistenden Medium umgeben, und wenn er von einer Turmspitze 
herabgleitet, so hat er, unten angekommen, keineswegs eine Geschwindigkeit, mit welcher 
er wieder bis zu der gleichen Höhe einer gegenüberliegenden Turmspitze emporsteigen 
könnte. Treffend leitet Prof. Ritter seinen Aufsatz: »Neues aus der Flugtechnike (l. c.) 
folgenmassen ein: 


»Die sinkende Bewegung eines starren Körpers in einer specifisch leichteren 
Flüssigkeit findet anfangs mit Beschleunigung statt und geht später, wenn der mit 
zunehmender Geschwindigkeit wachsende Widerstand der Flüssigkeit gleich dem Gewicht 
des Körpers geworden ist, in eine gleichförmige Bewegung über, deren Geschwindigkeit 
von der Form und dem Gewichte des sinkenden Körpers abhängt.« 


So erlangt auch der herabgleitende Vogel, zumal bei weit entfalteten Flügeln, 
sehr bald eine nahezu konstante Geschwindigkeit, die er nicht überschreiten kann, wie 
lange und wie weit er auch die Bewegung fortsetze, und wenn er von einer Höhe von 
100 m herabgestossen ist, so ist seine Geschwindigkeit deshalb vielleicht nicht grösser, 
als sei er nur 50 m gesunken. Grosse, aus bedeutender Höhe herabstossende Raubvögel 
suchen daher ihre Geschwindigkeit im steilen Fallen noch durch aktive Flügelschläge 
zu steigern. 


In der Theorie Langley's handelt es sich natürlich nicht um das Herabsinken 
bis zur konstanten Geschwindigkeit, sondern nur um das Sinken in den Intermittenzen 
des Windes. Aber immerhin liegen nach Langley's Messungen die benachbarten 
anemometrischen Extreme 10—15 Sek. und mehr auseinander, Zeiträume die an sich mehr 
als genügend sind, um freifallenden Körpern bereits sehr bedeutende Geschwindigkeiten zu 
verleihen. Wenn die Vögel wirklich diese Gelegenheiten zu sinken für den Flug aus 
nutzen müssten, wenn sie nicht im Gegenteil thatsächlich mit bestem Erfolge das Herab- 


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sinken verhinderten, so würden sie in diesen Zeitintervallen jedenfalls schon eine beträchtliche 
Fallgeschwindigkeit erlangen können. 

Hierzu wären aber, bei hinreichendem Gewicht des Vogels oder bei schwächeren 
Winden, die Pulsationen gar nicht erforderlich, das könnte der Vogel bei homogenem 
Winde gerade so gut erreichen, wenn er, um zu sinken, Flächen und Neigungswinkel der 
Flügel verkleinerte, und um sich zu heben, vergrösserte. Je grösser nun der Weg ist, 
den der Vogel sinkend gegen den Wind zurücklegt, desto grösser ist auch der Betrag 
der durch die Schwerkraft erzeugten lebendigen Kraft, den er zur Ueberwindung der 
Flughemmungen aufzuwenden hat Der Rest genügt aber nicht, um ihn wieder auf die 
vorher innegehabte Höhe emporgleiten zu lassen, möge er dies in ruhiger Luft mit aktiver 
Vergrösserung des Neigungswinkels versuchen, oder möge ein Windstoss die Hebung 
ausführen. Die Verstärkung des Windes bewirkt nur, dass die noch erreichbare Höhe 
auf steilerem, kürzerem Wege erreicht wird; in dem Augenblick aber, wo die lebendige 
Kraft des Vogels, mit welcher er bis dahin dem Winde entgegentrat, aufgebraucht ist, 
befindet sich der Vogel dem Winde gegenüber in der Lage einer trägen Masse, und er 
muss mit Notwendigkeit genau wie der Drachen vom Winde zurückgeworfen werden und 
herabsinken. Das Einzige, was er ohne Flügelschlag dagegen thun kann, ist, diss er 
zeitig genug die Neigungswinkel und die Grössen der Flugflächen verringert, und sich so 
durch willkürliches Sinken vor der Abdrift schützt. Der Drachen steigt nur so lange im 
Winde empor, als der Zug am Faden ihn gegen den Wind drückt, und der gleitende 
Vogel nur so weit als er mit seinem Vorrat von lebendiger Kraft dem Winde widersteht, 
ist dieser Vorrat aber verzehrt, oder der Faden durchschnitten, so bewirkt jeder Wind- 
stoss nur ein schnelleres Herabstürzen. 

Es ist L. zuzugeben, dass die Trägheit der Masse eines Drachens theoretisch 
genügt, um ihm für einen Augenblick (»momentarily«) den Halt des Fadens zu ersetzen; 
aber sie ist es auch, welche es bewirkt, dass eine momentane Windverstärkung keine 
Bewegung des Korpers hervorbringen kann, und es ist nicht einzusehen, wie sie genügen 
soll, in diesem Moment den Vogel eine Bewegung ausführen zu lassen, in der er vom Winde 
weit mehr gehoben, als horizontal fortgetrieben wird. Es ist richtig, dass bei sehr kleinen 
Neigungswinkeln an ebenen Flächen die hebende Komponente des Windes grösser ist, 
als die hemmende (Fig. 1), aber der Hubwirkung steht das ganze Gewicht der trágen 
Masse gegenüber, während die Hemmung oAne Gegengewicht auf die Masse einwirken 
kann. Ist daher die hebende Komponente des Windes gleich dem Gewicht des Vogels, 
so wird er überhaupt noch nicht gehoben, wohl aber erleidet er bereits eine Abdrift. 
Die schwache hemmende Komponente erzeugt hier also schon eine rückläufige Bewegung 
des Vogels, während die weit stärkere hebende noch keine positive Bewegung hervorruft. 
Die beginnende Flugbahn hat somit von Anfang an keine steigende, sondern eine weichende 
Tendenz, sie ist nicht, wieLangley's Figuren angeben, nach oder konvex, sondern nach 
unten. Wie endlich die Tragheit der Masse sogar im Stande sein soll, den Vogel direkt 
gegen den Wind fortschreiten zu lassen (Langlcy, »Internal work: Fig. 3, p. 59, Text 
p. 60) ist vollends unerfindlich. 


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Die vermeintliche Entdeckung Langle ys. dass die Veränderlichkeit der Windstärke mög- 
licherweise eine arbeitsfahrge Kraftquelle bilde, welche der Vogel zur Unterhaltung seines Fluges 
ohne eigene Arbeitsletstung auszunutzen verstehe, beruht hiernach auf einem physikalischen Irrthum, 
und wir werden schen, dass die Schwankungen des Windes der Flugbewegung unter allen Umständen 
cher hinderlich als förderlich sind. Í 

Wenn wirklich die Vogel, wie cs Langley's Hypothese voraussetzt, bei der 
Abnahme des Windes herabsanken und bei der Zunahme aufstiegen, so würden diese 
vertikalen Schwankungen der Vogel mit den Schwankungen der Windstärke harmoniren, 
bei einem tiefen Minimum des Windes würde der Vogel auch tiefer herabsinken, als bei 
einem weniger tiefen Minimum. Betrachten wir nun diese hypothetische Bewegung eines 
Vogels während zweier ungleich tiefer Minima von gleicher Zeitdauer, so sehen wir, dass 
der Vogel wahrend des stárkeren Abflauens des Windés einen tiefer nach unten aus- 
weichenden, also /ängeren Weg zurücklegt, wie im Falle des mässigen Minimums. Im 
ersten Falle durchfliegt er den grossen Bogen a (Fig. 45), im anderen den kleinen Bogen b. 


Solange man nun die Flug- 
hemmungen ausser Acht lasst, 
ist die Linge des Bogens fur 
den Verlauf des Fluges gleich- 
gültig, denn nach Langley 


Mind 


hinaus. Sobald man jedoch 
die Hemmungen berücksich- 
tigt, ist ohne weiteres klar, 
dass sie auf der längeren und 


mit grösserer Geschwindigkeit 


kommt ja der Vogel beim 
Emporschweben nicht nur 
wieder auf die Höhe des 
Ausgangspunktes A zurück, 
sondern sogar weit darüber 


durchflogenen Bahn wesent- 
lich grössere sind, als auf 
der kleineren Bahn. Der 
Vogel wird also thatsächlich 
auf der flacheren Bahn im 


(l 


Fig. 45. 

Zwei hypothetische Flugbalinen. 
a wihrend eines starken, b während 
eines schwachen anemometrischen 
Minimums. 


kürzeren und weniger gehemmten Fluge näher an die Höhe des Punktes A hinauf 
gelangen, als auf der stärker ausweichenden Fluglinie. Je flacher also der Bogen ist, 
auf dem der Vogel herabgleitet, oder je geringer das Minimum ist, das den Bogen 
verursacht, desto eher wird es dem Vogel möglich sein, sich nahezu in der Höhe von 
A zu halten, desto weniger wird er im Ganzen zu sinken brauchen, wenn er gegen den 
Wind Fortschritte Ein Wind von konstanter Starke aber, bei dem der 
Vogel gar keine Umwege im Sinken macht, ist hierzu am besten geeignet, ein pulsierender 
wird ihn am tiefsten sinken lassen. 

Die folgenden schematischen Kurven (Fig. 46) veranschaulichen den Verlauf der 
gegen den Wind gerichteten, sinkenden Schwebbahnen eines Vogels. Bei einer bestimmten 
Windstärke gleitet der Vogel auf der geraden Bahn AB herab, wenn der Wind homogen 
ist, oder die Pulsationen keinen Einfluss auf ihn haben (siehe unten). Würde er den 
Pulsationen folgen, nach Langley's Theorie, so müsste die Bahn den Verlauf von AC 
haben, wenn die Windschwankungen gering sind; in D aber würde er ankommen, wenn 
die Schwankungen betrachtlicher sind. 

Die Ungleichförmigkeiten des Windes nützen also nicht für den Flug, sondern 
Ich cines schlecht 


machen will. 


wirken direkt schädlich möchte sie mit den Steinen und Löchern 


gepflasterten Weges vergleichen. 


95 


Ein Rad, das darüber hinfährt, rollt schneller über die 


in der Fahrrichtung abschüssigen Stellen, aber um so stärker stösst es gegen die entgegen- 
gesetzt geneigten Fiöchen der Steine, und um so grösser ist die Hemmung, die sein 


Lauf erfährt. Auf 
solchen Wegen ha- 
ben oft die Pferde 
schwere Arbeit, auch 
wenn es thalwärts 
geht, wenn d. günstig 
"geneigten Flächen 
zahlreicher, grösser 
sind, als die der 
Bewegung steilerent- 
gegen stehenden; 
denn da 
Wahl, und kein noch 


ist keine. 


Wind 
abt — — ————— P .4 





Fig. 46. 
Gegen den Wind gerichtete Schwebbahn eines Vogels, 
AB bei homogenem Wind oder wenn die Pulsationen 
ohne Einfluss sind, AC bei geringen, AD bei starken . 
anemometrischen Schwankungen. 


so geschickter, noch 
so intelligenter 
Führer. und sei er 
selbst dervon Lang- 
ley erwähnte »Sor- 
ting Demon« Lord 
Kelvin’s kann den 
Wagen so lenken, 
dass er sich mit allen 
Rädern immer nur 
auf den abwärts ge- 
neigten Stellen be- 
wege, und dass die 


Hindernisse und Hemmungen völlig vermieden würden. Wie ausserordentlich die Flugbe- 
wegung gerade durch die ganz unberechenbaren Windstösse erschwert wird, das hat Lilien- 
thal bei seinen berühmten Flugversuchen zur Genüge persönlich erfahren. und auch darüber 
berichtet. Und für die grossen, wie kleinen Vögel sind die Intensitätsschwankungen des 
Windes sicher und sichtbar ebenso lästig, da sie zum mindesten fortwährende Aende- 
rungen der Muskelspannung nöthig machen, die bei gleichformigem Winde vermieden werden. 

Die Natur hat aber den Flugtieren ausnahmslos das Mittel verliehen, cht »to 
pick out from the internal motions, those whose direction is opposed to the main current, 
and to omit those which are not so, and thus without the expenditure of energy to con- 
struct a force which will act against the main. current itself« — sondern das Mittel, durch 
welches die flugschädlichen Wirkungen aller Unregelmässigkeiten und Schwankungen des 
Windes auf ein Minimum gebracht werden, und dieses Mittel ist die Zlastieität der Flügel 
und die Trägheit: der Masse des Vogels, Die Elasticitat der Federn und Bander, der Sehnen 
und Muskeln: des Flugapparats speichert den Druck der kleineren Windstósse in Form 
von Spannung auf, welche in den Perioden des Abflauens wieder in Bewegung umgesetzt 
wird. Stärkeren Windstössen, die für sich sichtbar hebend und verzögernd auf den Vogel 
einwirken, folgen schwächere, bei denen der Flug durch Sinken des Vogels entsprechend 
beschleunigt wird. So entstehen Schwankungen des Vogels, die eben so oft nach oben, 
wie nach unten gerichtet sind, und die bei kleinen Vögeln von geringer Masse und Träg- 
heit- eher und leichter auftreten, als bei grossen und schweren Flugtieren. Die Masse 
des Vogels hat für den gleichmässigen Gang der Flugbewegung dieselbe Bedeutung, wie 
das Schwungrad an einer Maschine. 

Gerade die grossen Vögel sind es, welche mit bestem Erfolge den Segelflug an- 
wenden, während kleinere Vögel nur auf ganz kurze Entfernungen oder unter häufigem 
Flügelschlage segeln können. Nach Langley's Hypothese sollte man das Umgekehrte 


96 
erwarten, da die kleineren Vogel leichter durch die Schwankungen des Windes beeinflusst 
werden, als die grösseren 

Uebrigens ist auch nicht zu vergessen, dass für die grossen und schnellen Segler, 
welche den grössten, oder doch einen beträchtlichen Teil des für den Flug in Frage 
kommenden relativen Gegenwindes oder Flugwindes ihrer eignen Fluggeschwindigkeit ver- 
danken, die anemometrischen Differenzen des absoluten Windes wohl immer nur einen so 
geringen Bruchteil des Flugwindes betragen, dass sie schon aus diesem Grunde durch die 
Elasticität des Flügelmaterials ausgeglichen, d. h. in ihrer Wirkung so verzögert werden, 
dass gewöhnlich eine beginnende Hebung durch das Nachlassen des Windes, und die 
beginnende Senkung durch die Zunahme desselben aufgehoben wird. Die »innere Arbeit 
des Windes« übt hier also keinen sichtbaren oder irgendwie nennenswerten Einfluss auf die 
Flugbewegung aus, die sich so vollzieht, wie wenn der Wind völlig homogener Struktur wäre. 

Langley's eigene Beobachtung eines Bussard, der über der Aquäduktbrücke des 
Potomac bei Washington in einer Höhe von ca. 20 m seine ruhigen Kreise zog, möge 
dies bestátigen. Obgleich ein starker Wind von 15—16 m Starke wehte, der doch gewiss 
noch stárkere »innere Arbeit« verrichtete, als der von 12 m, von dem oben die Rede 
war, schwebte der Vogel, anscheinend ohne dem Winde viel Beachtung zu schenken, in 
lassiger Weise dahin, . . . fort und fort dieselbe wagerechte, anscheinend elliptische Bahn 
durchkreisend. Durch lange Zeit fortgesetzte, sorgfáltige Beobachtung aus unmittelbarer 
Nahe konnte sich Langley überzeugen, dass weder die Flügel, noch einzelne Federn 
dabei eine Bewegung ausführten. Es sind also die feinen Schwankungen in der Spannung 
der bereits durch das Körpergewicht gespannten Federn, welche (Schwankungen) durch 
die Pulsationen des Windes hervorgerufen werden müssen, so minimale, dass sie sich auch 
aus nachster Nahe der Beobachtung entziehen. — 

Auch in Frankreich hat man schon vor Langley auf die Intermittenzen des Windes 
hingewiesen (Mouillard*) und sie zur Erklarung des Segelfluges zu verwenden gesucht. 
Nach Marey (vol. d. ois. pag. 316) würde ein Vogel unbegrenzt gegen den Wind fort. 
` schreiten können, wenn die Zu- und Abnahmen des Windes in geeigneten Zwischenraumen 
vorhanden wären. Er macht auch auf einen von A. Bazin angegebenen Versuch auf- 
merksam, durch welchen gezeigt werden soll, wie durch Windstösse ein auf wellenfórmiger 
Bahn gegen den Wind emporsteigender Segelflug unterhalten werden kónne. Der Versuch 
wird auch von Müllenhoff (l. c. S. 441) (irrtümlich unter dem Namen eines Basté'schen 
Versuches) mitgetheilt und als eine Art Illustration der Langley'schen Theorie benutzt. 

Eine Kugel rollt auf einer den bekannten russischen Bergbahnen (montagnes russes) 
oder Rutschbahnen nachgebildeten Einrichtung einen Abhang hinunter und auf dem folgenden 
Hang wieder empor, ohne natürlich die Hóhe des Abgangspunktes wieder zu erreichen. 


*) Marey (vol. d. ois. pag. S. 318) sagt darüber folgendes: Mouillard prétend que l'intermittence 
existe toujours dans les coups de vents, depuis les plus faibles brises, jusqu'aux ourogans les plus violents. Si 
les météorologistes ont, jusqui'ci, négligé de démontrer cette intermittence au moyen d'appareils inscripteurs. 
son existence est entitrement prouvée par les modulations lamentables que produit le vent quand il s'engouffre 
dans nos chéminées, (Mouillard, Empire de l'air, pag. 221). 


.97 


Nun aber erteilt man der ganzen Unterlage, auf welcher die Kugel rollt, einen der Kugel. 
bewegung entgegengesetzten starken Stoss, sodass die Kugel infolge ihrer Trägheit nicht 
nur auf die anfangliche Hohe gelangt, sondern sogar bis auf und über den nahen Gipfel. 
punkt kommt, indem dabei die Rollbahn unter ihr weggestossen wird. Die Kugel stellt 
einen Vogel dar, der seine durch Sinken erlangte lebendige Kraft zum Aufgleiten benutzt, 
und in dem Augenblicke, wo diese verbraucht ist, jedesmal einen plótzlichen Windstoss 
erhalt, der ihn hóher hebt. Gleich nach dem Stoss nimmt der Wind so schnell ab, oder 
dreht der Vogel seine Flügel unter so kleine Neigungswinkel, dass er wieder sinkt und 
damit den Weg durch das zweite Wellenthal beginnt. 

Die nähere Betrachtung lässt uns unschwer erkennen, dass der Versuch unter wesent- 
lich anderen Bedingungen verläuft, als die Flugbewegung. Zunächst ist zu bemerken, dass 
ja die Pulsationen des Windes nicht regelmässig erfolgen, wie die Stösse des Versuchs; 
sie stehen keineswegs immer gerade bereit, wenn der im Bogen emporgleitende Vogel 
seinen Vorrat an Geschwindigkeit und lebendiger Kraft verbraucht hat, sondern werden 
eben so oft vorher wie nachher eintreten. Ferner weht der Windstoss niemals ruckweise, 
wie ein Schlag, sondern es ist die an- und abschwellende Bewegung einer elastischen 
Flüssigkeit, deren Druck und Wirkung durch die Biegsamkeit und Elasticitát der Flügel 
noch mehr verlangsamt wird. Auf die feste Kugel wirkt der Stoss eines anderen festen 
Körpers, der mit Ueberwindung der Reibung unter ihr fortgestossen wird. Die ganze 
horizontale Stosskomponente ist dabei nur zur Ueberwindung der Reibung unter Wärme- 
entwicklung wirksam, die vertikale Komponente hebt die Kugel empor, ohne ihr jedoch 
einen Impuls zur Fortbewegung gegen den Wind geben zu können. Dagegen wirkt der 
Druck des Windes, der den ganzen Vogel umgiebt und gegen dessen ganze Oberfläche 
gerichtet ist, nicht nur hebend, sondern unter allen Umständen auch verzögernd und 
fortreissend, wie es bei der Kritik der Hypothese Langley's des Näheren ausgeführt 
wurde. Durch den Bazin' schen Versuch wird also zwar eine Bewegung hervorgerufen, 
die eine gewisse Aehnlichkeit mit einigen Segelbewegungen hat, die wirksamen Kräfte 
sind aber wesentlich andere, als die beim Fluge vorhandenen, und ebenso die Wirkungen. 
Demgemäss haben auch die photochronographischen Aufnahmen, welche Marey von der 
Bewegung einer solchen Kugel gemacht hat, keinen Wert für die Entwicklung unserer 
Kenntnisse über das Kreisen und Segeln der Vögel. 

Marey (vol. d. ois. S. 315) hebt hervor, wie, gemäss den Angaben von Bazin 
und besonders Bretonniere (l'Aéronaut, 1889), die im Zickzack auffliegende Bekassine und 
ebenso die kreisenden Vögel, indem sie gegen und mit dem Winde fliesen, künstliche 
Variationen der Intensität des Windes herstellen. Dies ist richtig, aber diese Intensitäts- 
änderungen sind keine plötzlichen Stösse, und sicher kann durch Verstärkung des Flug- 
windes der Hemmungswiderstand nicht beseitigt oder gar ein Antrieb nach vorn gegen 
diesen stärkeren Wind ausgelöst werden. 

Marey sagt an einer anderen Stelle seines Werkes (p. 318) über den Einfluss 
der sog. Pulsationen des Windes: »Il y a, toutefois, un point fort délicat de mécanique, 
sur lequel les mathématiciens devront se prononcere. Er ist im Zweifel darüber, ob die 

13 


gs 


Intermittenzen des Windes unumganglich notig sind, oder ob ein Vogel nicht ebenso gut 
im gleichformigen Winde emporsteigen konne, um die gewonnene Hohe zum Gleiten gegen 
den Wind wieder zu verwenden, und dies alles nur durch Aenderung der Neigung seiner 
Flügel. Wir haben gesehen, dass dieser Zweifel nur zu sehr berechtigt gewesen ist. 


Mit mehr Zuversicht entwickelt Marey (S. 319) eine Theorie des Kreisens, welche 
sich, wie er sagt, aus den neueren Arbeiten, über den Segclflug und besonders aus den 
schónen Studien Basté's ergiebt. 


In dem Teile seines Kreises, wo der Vogel vor dem Winde fliegt, widersteht er 
dem Mitgerissenwerden (entrainement) durch seine Trägheit. Je mehr dabei der Wind 
die Geschwindigkeit des Vogels übertrifft (tant que le vent a sur l'oiseaux, un exés de 
vitesse suffisant, desto mehr wird dieser von der hebenden Kraft desselben unterstützt, 
und kann daher emporsteigen, oder seine Hohe bewahren, oder langsam sinken. 


Damit der Vogel nicht zu weit mitgerissen wird und dabei zu viel Höhe verliert, voll- 
führt er eine drehende Bewegung. So kommt er mit seiner Geschwindigkeit dem Winde 
entgegen, dadurch wachst die Geschwindigkeit des relativen Gegenwindes und mit ihr 
die Kraft, die den Vogel hebt. Der fortreissenden, verzógernden Kraft des Windes setzt 
nun der Vogel nicht nur seine Tragheit, sondern auch seine lebendige Kraft entgegen, 
welche der Wind selber ihm verliehen hat. Der Vogel wird bestrebt sein, diese lebendige 
Kraft vollstandig auszugeben, bevor er eine neue drehende Bewegung macht, damit er 
ohne Geschwindigkeit in demjenigen Teile seines Kreises ankommt, wo er vom neuen 
Rückenwind (!) haben wird. 


Offenbar hat Marey nicht gewusst, dass schon im Jahre 1884 genau dieselbe 
Theorie von Müllenhof (Pflüger's Archiv f. Physiol., 1884, S. 427) aufgestellt worden 
ist, und dass sie bereits zwei Jahre später von Gerlach (Zeitschrift f. Luftschifffahrt, 
1886, 5. 286) eingehend widerlegt wurde. Es ist eine physikalische Unmöglichkeit, dass 
ein Rückenwind, der dem Vogel von hinten in das Gefieder blast und ihm die Federn 
straubt, eine Flugbewegung unterhalten kónnte. Nur mit positivem, nicht mit negativem 
Flugwinde kann ein Vogel fliesen. Der Rückenwind würde dem Vogel in der kürzesten 
Zeit die Windgeschwindivkeit mitteilen und das Tier herabstürzen lassen. Der Flugapparat 
des Vogels ist so orientiert, dass er unter allen Umständen nur mit positivem Winddruck 
an der Unterseite der Flügel arbeiten kann; bei Rückenwind aber trifft der Druck die 
supinierte Oberseite der Flugflachen und drückt daher das Tier zu Boden. Der Vogel ist 
nicht im Stande dem Sturze auszuweichen, erst nachdem er durch ihn wieder positiven 
Flugwind gewonnen hat, kann er den Flug fortsetzen. Marey hebt dies selber in einem 
folyenden Paragraphen (S. 323) hervor und kann nicht angeben, durch welches Mittel der 
Vogel dem Sturze an der gefährlichen Uebergangsstelle entgeht. Zur Aufklärung dieses 
wichtiren Punktes empfiehlt er ein System vleichzeitiver photochronographischer Auf. 
nahmen von verschiedenen Standpunkten; man solle sich nicht durch die Schwierigkeiten 
des Experimentes von der Ausführung abschrecken lassen, die Wichtigkeit der Resultate 
verdiene es. 


9° 


Bis jetzt ist nicht bekannt geworden, dass Jemand diesen Plan zur Aufklärung 
der räthselhaften Flugart mit irgend welchem Erfolge ausgeführt, oder auszuführen unter- 
nommen hat. Die Schwierigkeiten derartiger synchroner photochronographischer Auf- 
nahmen, mit denen eine gleichzeitige sehr genaue Messung der jeweiligen Windstärke in 
der Flugregion Hand in Hand gehen müsste, sind in der That ausserordentliche, die nur 
durch einen Stab geübter Experimentatoren und mit den besten Instrumenten überwunden 
werden könnten. Und was würden die Resultate sein? Eine genaue Feststellung der 
Flugbahn mit ihren Hebungen und Senkungen in vertikaler Richtung und ihren Schwankungen 
in der Horizontalprojektion; endlich eine Bestimmung der Fluggeschwindigkeit und der 
Flugwindstärke in jedem Punkt des Trajektoriums. Aber über die Qualität dieser Bewe- 
gungen besteht schon heute kein Zweifel, sie sind durch direkte Beobachtungen längst 
festgestellt und täglich leicht ebenso in Einzelheiten zu verfolgen, denn die kreisende 
Bewegung geht — im Gegensatz zum Flügelschlag, für dessen Erklärung und Darstellung 
die Photochronographie sehr nützliche Dienste geleistet hat — besonders bei grossen 
Vögeln so langsam von statten, dass sie mit völlig genügender Klarheit beobachtet werden 
kann. Bleiben die genauen guantitativen Bestimmungen, die allerdings für den Einzelfall 
ein gewisses Interesse haben, von denen aber nicht abzusehen ist, wie sie uns über die 
allgemeinen, prinzipiellen Schwierigkeiten der Erklärung hinweghelfen sollen. Man würde 
auch wieder mit denselben allgemeinen Faktoren wie bisher zu rechnen haben. 

Wir sind am Ende unserer kritischen Betrachtungen angekommen. Das Resultat 
ist ein negatives. Keine der vorhandenen Theorien ist im Stande, eine mechanische Er- 
klarung für die »vollkommenste aller Flugarten«, den andauernden Flug ohne Flügelschlag 
zu geben. Und wenn man den Satz bewiesen hat, dass der andauernde Flug ohne Flügel- 
schlag in einem gleichmassig und horizontal bewegten Winde eine mechanische Absurditat 
sei von der Art des perpetuum mobile, so kónnen wir jetzt mit eben solcher, ja mit 
noch grósserer Bestimmtheit hinzufügen, dass die Theorien der aufsteigenden Luftstrome 
und die Theorien der Unregelmàssigkeit und Intermittenz des Windes als Ursache des 
Segelfluges nicht weniger den mechanischen Gesetzen widersprechen. 

Der Grund des Misserfolges liegt bei allen bisherigen Erklarungsversuchen daran, 
dass man — je nach dem Standpunkte des Autors — bald diese, bald jene charakteristische 
Erscheinung des Segelfluges als unwesentlich vernachlässigt hat, dass man nicht alle 
wesentlichen Momente erkannt und an der richtigen Stelle in die Kette der Schluss- 
folgerungen eingefügt hat. Eine Theorie des Segelfluges ist aber nur dann befriedigend, 
wenn sie alle charakteristischen Erscheinungen umfasst und in eindeutiger Weise mit Hülfe 
der mechanischen Gesetze erklart. Dass dies möglich ist, hoffe ich durch die folgenden 
Ausführungen zu zeigen. 


4. Analyse des Segelfluges. 


Die erste wichtige Thatsache, von welcher wir bei der Analyse des Segelfluges 
auszugehen haben, ist die, dass diese Art der Fortbewegung nur dann stattfindet, wenn ein 
aktiver, absoluter Wind die Luft in Bewegung hält. 


100 


Die Vogel, welche die Natur durch Körpergrösse und Flügelform für diesen Flug 
geschaffen zu haben scheint: sie ruhen, wenn der Wind ruht, und spielend erscheint thr 
Flug, wenn sie sich im Winde tummeln. Bei Windstille sind die Tiere, falls sie dann über- 
haupt zu fliegen im stande sind, auf Flügelschlag und intermittierenden Flug angewiesen, 
und wenn man von kreisenden Vögeln berichtet, die bei ruhiger Luft segeln auf spiraliger 
Bahn bis zur Weltenhöhe emporgestiegen sind, so darf man annehmen, dass dann auch 
in den Luftschichten, die die Vögel berührten, ein aktiver Wind vorhanden war, und dass 
die scheinbare Windstille nur in der unteren Luftregion bestand. Die Annahme findet 
eine Bestätigung in den Erfahrungen, die man durch die Ballonfahrten gewonnen, und in 
den Resultaten der in beträchtlichen Höhen ausgeführten anemometrischen Beobachtungen: 
die Geschwindigkeit des Windes nimmt nach oben hin zu. Die an der Erdoberflache 
vorhandenen Hindernisse der Luftbewegung, Hügel, Bäume, Häuser etc, wirken ver- 
zövernd auf den Wind ein und bewirken häufig, dass nahe der Erde Windstille ist, 
während schon in 20 bis 30 m Höhe ein deutlicher Wind weht. 

Man hat auf Grund dieser Thatsachen geschlossen, dass ein aktiver Wind die 
erste Vorbedingung für den audauernden Flug ohne Flügelschlag sei, und dass es die 
lebendige Kraft des Windes sein müsse, welche diesen Flug unterhalte. Daher hat man 
auch diese Flugart als ».Sege/fug« bezeichnet, weil hier, wie bei einem segelnden Schiff, 
der Wind die treibende Kraft liefere. In diesem Sinne wollen auch wir das Wort »Segel- 
fluge der Kürze wegen anwenden, ohne dadurch eine weitergehende Analogie zwischen 
einem segelnden Schiff und einem segelnden Vogel zum Ausdruck zu bringen. Denn die 
Bewegung eines Schiffes, dessen ganzes Gewicht von Wasser getragen wird, erfordert nur 
eine vortreibende Wirkung des Windes; ein Vogel dagegen, der nur mit einem Medium 
in Berührung ist, der frei in der Luft schwebt, bedarf ausserdem noch einer hebenden 
Wirkung des Winddruckes, die ihn gegen die Wirkung der Schwere schützt. 

Die Kardinalfrage ist nun, »awe macht es der Vogel, dass ihm die lebendige Kraft des 
Windes diesen Dienst leistel?« 

Die Beobachtung zeigt, dass der Segelflug stets nur auf kreisförmigen, elliptischen, schleifen- 
formigen, spiraligen oder sonst irgendwie gekrümmten Bahnen ausgeführt wird. Die äussere 
Arbeit, welche der Vogel zu diesem Zwecke aufwendet, ist nur eine minimale: durch ge- 
eisnete Einstellung seiner Flugflächen ändert er fortwahrend seine Flugrichtung, und mit der Flug- 
richtung ändert sich in gleicher Weise der relative Gegenwind, oder kürzer der Flugwind, den 
der Vogel empfindet und der ihn trägt und fortbewegt. 

Es ist ein Hauptgrund für das Fehlschlagen aller bisherigen Erklärungsversuche, 
dass keiner der früheren Autoren den Versuch gemacht hat, über diese fundamentalen 
Verhältnisse ins klare zu kommen. Man spricht davon, dass ein kreisender Vogel auf 
einem llalbkreise seiner Bahn dem Winde entgegenfliegt und dass er in dem anderen 
Halbkreise Rückenwind hat (Marey), aber über die genauere Richtung und Stärke des 
Flugwindes in jedem Punkte der Bahn glaubt man erst durch schwierige photochrono- 
graphische Aufnahmen des fliegenden Vogels Aufschluss erhalten zu können. Und doch 
handelt es sich nur um eine mechanische Analyse einfachster Art. 


IOI 


Wenn ein Vogel mit einer Geschwindigkeit c gegen einen Wind von der Stärke 
v anschwebt, so empfindet er einen gegen ihn gerichteten, positiven Flugwind von der 
Stärke c + v. Fliegt er mit dem Winde, so ist die Stärke des wirksamen Flugwindes 
— c — V; in jeder anderen, schräg zum Winde stehenden Flugrichtung ist sie gleich 
der geometrischen Summe beider Bewegungen und graphisch leicht nach dem Satz vom 
Parallelogramm der Kräfte und Bewegungen darstellbar. 

Gehen wir zunächst von der kreisförmigen Segelbahn aus, so zeigt die Beob- 
achtung zwar, dass namentlich bei kleineren Vögeln und grosser Windstärke die Flug- 
geschwindigkeit bedeutenden Schwankungen unterworfen ist, als würde der Vogel jedes- 
mal mit dem Winde schneller fortgerissen, während er die erlangte Geschwindigkeit gegen 
den Wind bald wieder einbüsst, allein bei grossen Vögeln und weniger starkem Winde 
treten diese Differenzen soweit zurück, dass sie kaum noch festzustellen sind. Es ist 
daher gerechtfertigt, wenn wir zunächst, vorbehaltlich späterer Korrektur, einmal die 
Fluggeschwindigkeit als eine gleichförmige annehmen. 

Hiernach ist es möglich, an jedem beliebigen Punkte einer kreisförmigen Bahn 
die Stärke und Richtung des Flugwindes aus der tangential gerichteten Flugbewegung 
und der nach Richtung und Stärke konstanten Grösse des absoluten Windes zu ermitteln. 

Dies ist in dem umstehenden Diagramm geschehen, und zwar für den Fall, 
dass die Fluggeschwindigkeit gleich der doppelten Stärke des absoluten Windes ist. Die 
dem Winde zugewandte Hälfte der Kreisbahn liegt hier oben, und die Flugbewegung 
möge im umgekehrten Sinne des Uhrzeigers, links herum, erfolgen. 

In dem Punkte A der Kreisbahn, den wir als den »Anfangspunkt« bezeichnen 
wollen, ist die Richtung des Flugwindes tangential. Von hier aus über den »Zuvpunkt« 
B bis zum »Kehrpunkte« K weicht die Richtung des Flugwindes luvwärts, nach aussen 
vom Kreise ab. Der Vogel empfindet also den Flugwind seitlich, hier von rechts (bei 
rechtsläufigem Segeln von links), und zwar zunehmend bis zum Luvpunkte, und darüber 
hinaus, dann wieder abnehmend bis zum Kehrpunkte. Hier hat der Flugwind wieder 
genau tangentiale Richtung. Wir werden hinfort den Halbkreis AK, in welchem der 
Vogel dem Winde am weitesten entgegengeht, als »Luvbogen« bezeichnen, und dem- 
entsprechend den anderen Halbkreis (KA) den »Zeedogen« nennen. Im Leebogen hat 
der Vogel den Flugwind von vorn und /in#s, (bei rechtsläufigen Flug von rechts). Die Seiten- 
abweichung ist in dem Quadranten vom Kehrpunkte C bis zum »Leepunkte« am stärksten. 

Was die Starke des Flugwindes anbetrifft, so hat sie bei gleichfórmiger Flug- 
geschwindigkeit im Anfangspunkte A ihr Maximum und im Kehrpunkte K ihr Minimum. 
Der Uebergang vom Maximum zum Mininum und wieder zum Maximum ist ein durch- 
aus allmählicher. 

Ist die Fluggeschwindigkeit grösser, als die doppelte Windstärke, wie wir für 
das Diagramm angenommen hatten, so nähert sich der Flugwind mit zunehmender Flug- 


102 


geschwindigkeit mehr und mehr der Tangente, die er im oberen Grenzfall erreichen 
würde, wenn Windstille wäre, oder wenn man den Wind vernachlässigen könnte. Ist 






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. 2l Leep. 
Fig. 47. 
Diagramm der Windverhältnisse auf einer stationären kreisförmigen Segelbahn. 
Es ist A der Anfangspunkt, K der Kehrpunkt, Luvp. der Luvpunkt, Leep. der Leepunkt der Bahn. Der gegen 
den Wind konvexe Bogen AK heiss; der Luvbogen, KA (im Sinne der Flugrichtung) der Leebogen. 
Ist c die als konstant angenommene Fluggeschwindigkeit und v die Geschwindigkeit des herrschenden Windes, 
so ist v-]- c der Flugwind und r die radiale, t die tangentiale Komponente desselben, 


dagegen die Fluggeschwindigkeit geringer, als im Diagramm angenommen, so weicht 
auch die den Flugwind darstellende Resultante mehr und mehr von der Tangenten- 





103 


richtung ab. Im unteren Grenzfall, bei Gleichheit von Fluggeschwindigkeit und Wind- 
stärke würde der Vogel im Kehrpunkte der Bahn einen Flugwind — o haben, und der 
Flug müsste demnach im Absturz ein Ende finden. 

Wenn, wie bemerkt, bei kleineren Vógeln oder grosser Windstürke sichtbare 
Anderungen der Fluggeschwindigkeit auftreten, so bestehen sie in einer Zunahme der 
Geschwindigkeit im Luvbogen und Abnahme derselben im Leebogen.*) Dadurch wird 
gegen Ende des Luvbogens der Flugwind schneller der Tangente zu gedreht, gegen 
Ende des Leebogens aber eine entsprechend stárkere Abweichung erfolgen. Unter allen 
Umstanden aber hat der Vogel den Flugwind im Luvbogen von vorn rechts, im Lee- 
bogen von vorn links, und es wird durch die bezeichnete Zu- und Abnahme der Flug- 
geschwindigkeit die Stärke des Flugwindes eine mehr gleichmässige, der Unterschied der 
Flugwindstärke an dem gegenüberliegenden Anfangs- und Kehrpunkte wird ein geringerer 
sein, als im Diagramm angegeben. 

Haben wir damit einen Einblick gewonnen in die Verhältnisse des Flugwindes, 
welche der Vogel auf seiner kreisfórmigen Bahn antrifft, so wissen wir damit doch noch 
nicht, unter welchen Winkeln der Druck des Windes auf die Flügel trifft, und von 
diesen Winkeln hängt, wie wir wissen, die Wirkung des Windes in erster Linie ab. 

Die Winkel, welche nach dem Diagramm der Flugwind mit den Kreistangenten 
oder der Bewegungsrichtung des Vogels bildet, sind natürlich nicht identisch mit den 
Winkeln, unter denen der Flugwind dic Flügcl trifft. Sie würden es nur dann sein, wenn die 
Ebene der Flügel mit der vertikalen Ebene der Tangente zusammenfiele, d. h. wenn 
der Vogel die Bahn in vollkommener Seitenlage durchflöge, so dass (bei linksläufiger 
Bewegung) sein linker Flügel nach der Erde, sein rechter senkrecht nach oben zeigte. 
Aber hierbei würde in dem einen Halbkreis, dem Luvbogen, die Unterseite, in dem 
anderen, dem Leebogen, die Rückseite der Flügel vom Winde getroffen werden. 

Es folgt hieraus, dass in dieser extremen Stellung ein Vogel nur in einem Luv- 
bogen fliegen kann, und da er hierbei keinen Luftwiderstand findet, welcher der Schwere 
entgegenwirkte, so kann ein solcher I.uvbogenflug immer nur auf kurze Zeit stattfinden 
und er muss stets mit einer sinkenden Bewegung verbunden sein. 

Die Reisenden berichten, das der Albatros, wenn er im Winde segelnd seine 
viel verschlungenen Wege ohne Flügelschlag entlanggleitet, oft eine solche seitliche 
Lage einnimmt. Aber auch unsere einheimischen Segler (Cypselus), Schwalben und 
Möven, also alle schmalflügeligen Segelvögel, bieten bei lebhaftem Winde an unzähligen 
Stellen ihrer Bahnen das Schauspiel einer seitlichen Neigung des Körpers, die leicht 


*; Ich sah in Wismar »jagendes, d. h. in horizontalen, cykloidischen Bahnen segelnde Störche, deren 
eigene Geschwindigkeit im Anfangspunkte A der Bahnen nahezu gleich Null war, so dass hier der Flugwind 


nicht grösser, als der absolute Wind war. 


104 


60— 80° erreicht. — Ein Flug in geschlossener kreisförmiger, elliptischer oder spiraliger 
Bahn ist in dieser Stellung des Vogels nicht möglich, da der Rückenwind im Leebogen 
unbedingt den Absturz und damit das Ende dieser Art Flugbewegung herbeiführen müsste. 

Es ist instruktiv, sich auch das andere Extrem der Flügelstellung vorzustellen, 
nämlich die horizontale. Hätte der Vogel die Möglichkeit, beim Kreisen seine Flügel 
in die horizontale Ebene einzustellen, so würde der gleichfalls horizontale Flugwind keine 
nennenswerte motorische Wirkung?) auf sie ausüben können, da alsdann ja der Neigungs- 
winkel des Windes gegen die Flügel gleich Null sein würde. 

In Wirklichkeit kommt diese theoretische Möglichkeit kaum in Betracht, da 
wohl alle Flügel, auch die langen, schmalen des Albatros und der Segler (Cypselus), 
eine, wenn auch oft nur minimale Wölbung besitzen, die das Einstellen der ganzen 
Flügelflächen in die Horizontalebene unmöglich macht. 

Im allgemeinen stehen auch die Winkel, unter denen 
beim Kretsfinge die Flügel der Flugwind auf die Flug- 
weder in der vertikalen Ebene flächen trifft, und um so grösser 
der Kreistangenten, noch in 
der horizontalen des  Flug- 
windes, sondern zwischen diesen 
beiden extremen Stellungen 


auch die auf die Flügel wir- 
kende Normalkomponente des 
Winddruckes. Da nach dem 
Flugdiagramm die seitliche 
in einer mehr oder weniger 
seitlich geneigten Lage. Fe 


Abweichung des Flugwindes 





von der Flugrichtung gegen 
grösser aber die seitliche P4 den Luvpunkt zunimmt, so 
Neigung der Flugflächen ist, = n : Rene A wird auch stets der Stoss- 
desto grösser sind im Luvbogen winkel des Flugwindes grösser, 
und demgemäss auch seine motorische Kraft. Über die Verhältnisse im Leebogen wird 
weiter unten die Rede sein. 

Mit Recht hat man diese schräge Haltung des kreisenden Vogels mit der 
bekannten, geneigten Lage eines Cirkusreiters verglichen. In beiden Fällen ist die Vertikal- 
achse des im Kreise bewegten Körpers gegen den Drehungsmittelpunkt geneigt. 

Der Schwerpunkt S (Fig. 48) des Reiters liegt bei schneller Gangart so weit 
centripetal vom Unterstützungspunkt U, dass das Gleichgewicht völlig aufgehoben sein 
würde, wenn nicht die Centrifugalkraft Cf wäre. 


Diese ergiebt mit der Schwere P eine schräg nach unten und aussen gerichtete 


*; Bet hinreichender Stärke könnte der Flugwind an den so gestellten Flügeln allenfalls das Herab- 
sinken verhindern oder verzögern, eine Wirkung, die besonders durch die Experimente Langley’s über die 
»soaring speede, d. h. diejenige Geschwindigkeit bewiesen ist, bei welcher die Fallbewegung einer frei 
schwebenden Scheibe verhindert wird. Die bald eintretende Abdrift des Vogels würde auch diese Wirkung 
schnell beendigen. 


105 


Resultante D. Das Pferd neigt seine Vertikalachse so zur Seite, dass sie mit der Richtung 
der Resultante zusammenfallt, denn nur so kann es durch den Druck seiner Schenkel 
gegen den Boden eine der Resultante gleiche und entgegengesetzte Kraft K hervor- 
bringen, welche es auf der Kreisbahn erhält. 

Ganz analog liegen die Verhältnisse bei dem im Bogen fliegenden Vogel (Fig. 49). 
Auch hier wirken Schwere P und Centrifugalkraft Cf mit einer nach unten-aussen 
gehenden Resultante D auf den Schwerpunkt, und die Masse des Vogels lastet also mit 
einem Druck D = (P -+ Cf) auf der Luft. Die Flügel sind so weit seitlich geneigt, dass 
der gegen ihre Unterseite gerichtete Gegendruck der Luft eine Resultante W liefert, 
welche dem Druck D gleich und entgegengesetzt ist. 

Es tritt nun die wichtige Frage auf, welche Kraft die zur Unterhaltung des 
Kreisfluges nötige Arbeit leistet. 

Aus didaktischen 
Gründen schicken wir der 


Heben genügenden Wider- 
stand hervorrief. Beginnt 


Beantwortung dieser Frage 
folgendes vorauf: Beim 
geradlinigen, horisontalen 
oder ansteigenden Schweb- 


ein Vogel ohne diese leben- 
dige Kraft seiner Masse 
aus der Ruhe einen gerad- 
linigen Schwebflug, so ist 


jiuge war es die vorher dieser stets ein sinkender. 
durch Fall oder Flügel- 
schlag erworbene Jedendige 
Kraft des Vogels, mit 


welcher er, gegen die Luft 


In diesem Falle ist es die 
Schwerkraft, die seiner 





Masse schnell eine so 


Fig. 49. 
System der Kräfte beim Flug auf 


grosse Fallgeschwindigkeit 


anschwebend, in dieser erteilt, dass der dadurch 


gekrümmter Bahn. 


einen zum Tragen oder hervorgerufene Luftwider. 
stand den Flug unterhält. 


stehenden Widerstand am Flügel wie durch einen Fallschirm gedämpft; da aber der 


Ganz im Anfang wird die Fallbewegung durch den ent- 


Flügel unsymmetrisch und elastisch biegsam ist, so bleibt er mit zunehmender Fall. 
geschwindigkeit nicht wie ein Fallschirm in horizontaier Lage, sondern er wird durch 
den Luftwiderstand gespannt und gerät so, namentlich an der Spitze, in eine vornüber- 
geneigte Stellung, in welcher er bis zur willkürlichen Änderung des Fluges verharrt. In 
dieser Stellung wird die Fallbewegung zwar immer noch durch den Flügel gedämpft, 
aber weniger, wie wenn er gleich einem Fallschirm alle Flächenteile horizontal oder 
nach unten gewölbt hätte. Durch das so ermöglichte gleichförmige, nicht beschleunigte 
Sinken wird der Luftwiderstand auf einer bestimmten, gleichmässigen Stärke erhalten, 
mit welcher er nun durch Drachenwirkung an der vornübergeneigten Flügelfläche auch 
einen gleichbleibenden Druck nach oben und vorn ausübt. Hier ist es also thatsächlich 
die Schwerkraft, welche die ganze Flugarbeit leistet. 


106 

Der physikalische Grundsatz der Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung hat 
auch für die eben besprochenen mechanischen Vorgänge der beiden einfachsten Flug- 
arten seine volle Gültigkeit. Die Wirkung der lebendigen Kraft des Vogels gegen den 
passiven Widerstand einer trägen Luftmasse ist dieselbe, wie wenn die Luft durch einen 
Wind gegen die träge, ruhende Masse des Vogels gedrängt wird. Die lebendige Kraft 
des Windes greift am Flügel an, trägt und hebt den Vogel, erteilt ihm aber gleichzeitig 
fortreissend eine Beschleunigung im Sinne der Windbewegung, die dem Fluge schnell 
ein Ende macht. Ebenso ist im zweiten Falle die Wirkung der nach unten gerichteten 
Schwerkraft gegen den passiven l.uftwiderstand dieselbe, wie wenn ein Wind von ent- 
sprechender Stärke von unten gegen die Flügel eines ruhenden Vogels trafe. Auch hier 
würde die lebendige Kraft des Windes eine tragende und vortreibende Wirkung auf den 
Vogel ausüben, zu welcher die Schwerkraft, wie beim Ruderfluge, den erforderlichen 
Widerstand lieferte. Ein Vogel könnte also sehr gut die lebendige Kraft aufsteigender 
Winde benutzen, und, wenn sie wirklich in genügender Stärke vorhanden wären, passiv 
mit ihnen geradlinig fortfliegen. Die Richtung der Winde brauchte nicht einmal vertikal 
zu sein, es genügte eine Steigung, bei welcher der Wind noch kräftig genug unter die 
gegen die Flugrichtung pronierten Flügelflächen fassen könnte. Jede vorhandene 
steigende Tendenz des Windes begünstigt die Flugbewegung jeder Art. 

Nach dieser Abschweifung, die uns das Spiel der Kräfte bei den früher erörterten 
Flugarten wieder in die Erinnerung gerufen hat, wenden wir uns wieder zu der Frage, 
durch welche Kraft der Segelflug unterhalten wird, welche Kraft dabei die Arbeit leistet, 

Die Centrifugalkraft ist bekanntlich keine Kraft in dem gewöhnlichen Sinne, 
die auf den Körper des Vogels wirken kann; sie ist nur passiver Art, ein Druck auf 
das Medium der Kreisbahn, mit welchem der Körper infolge seines Beharrungsvermögens 
der fortwährenden Änderung seiner tangentialen Bewegungsrichtung widerstrebt. Der 
centrifugale Druck der Masse ist also die Folge, nicht die Ursache der Kreisbewegung, 
und daher kann er auch nur einen passiven Widerstand leisten. 

Anders steht es mit der Schwerkraft. Sie wirkt unter allen Umständen auf 
den Körper ein und kann, wie wir eben gesehen haben, sehr wohl die Arbeit einer 
Flugbewegung, auch auf gebogener Bahn, leisten. Aber dies setzt voraus, dass sie auch 
wirklich in die Lage kommt, der Masse des Vogels eine Beschleunigung in ihrem Sinne, 
d. h. nach unten zu erteilen. Solange ihr durch eine feste Unterlage oder sonst durch 
irgend einen Widerstand das Gleichgewicht gehalten wird, kann sie selbstverständlich 
keine Arbeit leisten. Solange ein im Bogen fliegender Vogel nicht herabsinkt, sondern 
horizontal oder gar aufwärts bewegt wird, solange hat auch die Schwerkraft keinen 
Anteil an der Flugarbeit, sie wirkt vielmehr nur, wie die Centrifugalkraft, durch einen 
passiven Druck (das Gewicht) als Widerstand, den die aktive Flugkraft zu über- 
winden hat. 


oe 


Wir werden nun zwar sehen, dass wahrend des horizontalen und aufsteigenden 
Segelflugels auf gekriimmten Bahnen ein periodisches Sinken des Vogels eintreten kann, 
aber da dem Sinken an gewissen Stellen der Bahn ein stärkeres Steigen an anderen 
Stellen gegeniibersteht, so Zann auch — wie an anderer Stelle näher ausgeführt ist — 
die Arbeit, welche die Schwerkraft bet diesem Fluge leistet, nur von nebensächlicher 
Bedeutung sein. Die entscheidende Hauptarbert des Segelfluges muss also von einer 
anderen Kraft geleistet werden, und dies kann nur die lebendige Kraft des Windes sein. 
Ausser ihr und der Schwerkraft ist keine andere beim Segelfluge beteiligt; und die 
Beobachtung zeigt, dass ein echter Segelflug nicht ohne die Kraft eines absoluten Windes 
ausführbar ist. Ohne Mitwirkung der lebendigen Kraft bewegter Luft würde ein Bogenflug 
ohne Flügelschlag nur durch vorher erworbene lebendige Kraft der Masse des Vogels 
und durch Schwerkraftwirkung geleistet werden können; und er müsste unter allen 
Umständen eine sinkende Tendenz haben: es wäre ein Schwebflug, aber kein Segelflug. 

Wie wirkt die lebendige Kraft des Windes beim Segelfluge? — 

Die Diskussion der seitlichen Neigung des Vogels hat ergeben, dass die Masse 
des Vogels (während der Bewegung im Bogen) wu einem aus der Schwerkraft (P) und 
Centrifugalkraft (Cf) resultierenden Drucke (D) auf dem umgebenden Medium lastet. 
Die seitliche Neigung des Vogels ist das Mittel, durch welches dieser Druck vermittelst 
der Flügel auf die Luft übertragen wird, sie ist es auch, welche der Luft erlaubt, einen 
entgegengesetzten Druck /W) auf die Masse des Vogels auszuüben, durch welchen die 
Wirkung der Schwere und der centrifugale Druck neutralisiert werden. 

Ferner haben wir beim sinkenden Schwebfluge gesehen, dass allein durch die 
Wirkung der Schwerkraft (d. h. wenn die Schwerkraft die Masse des Körpers gegen 
das widerstehende flüssige -Medium drängt), der Flügel zum Teil in eine gegen die 
Richtung der Flugbahn vornübergeneigte, pronierte Lage gespannt wird (Fig. III. S. 73), 
‘so dass die entgegenstehende I.uft an ihm eine vortretbende Wirkung ausübt. Und diese 
Wirkung erfolgt, gleichviel ob die Arbeit im gleichförmig sinkenden Fluge durch die 
Schwerkraft gegen den passiven Luftwiderstand geleistet wird, oder durch einen ent- 
sprechenden, aufwärts gerichteten Luftstrom gegen den Widerstand der Schwere. 

Wenn nun schon der Druck der Schwere für sich genügend ist, an dem Flügel 
in der. Luft eine vortreibende Stellung und Wirkung hervortreten zu lassen, so folgt 
daraus, dass ein aus Schwerkraft und Centrifugalkraft zusammengesetzter Druck 
D = (P + Cf) hierzu in noch höherem Maasse geeignet ist. Ez» Flugwind also, der dem 
Drucke (D=(P+ Cf) das Gleichgewicht hält, leistet unter allen Umständen auch noch 
eine vortretbende Arbeit, weil schon durch eine geringere Spannung (P) am Flügel solche 
pronierte Widerstandsflächen geschaffen werden, durch welche die an ihnen angreifende 
Kraft eine vortreibende Komponente liefert. Diese aktive Triebkraft des Segelfluges, 
die der Segler so dem grossen Vorrat der lebendigen Kraft des Windes entnimmt, 

14* 





108 


beseitigt die Hemmungswiderstände und erteilt dem segelnden Vogel im Luvbogen die 
sichtbare Beschleunigung und lebendige Kraft, die ihm die Schwierigkeiten des Leebogens 
überwinden hilft, und ihm die Fortsetzung des Fluges ohne Flügelschlag ermöglicht. 

Durch dieses wichtige Ergebnis ist eine der Hauptschwierigkeit der Erklärung 
aller Segelflugerscheinungen beseitigt. Es ist weder ein Rückenwind, noch ein Herab- 
sinken, wodurch der Vogel im Segeln fortgetrieben wird, sondern ein durch die lebendige 
Kraft des Flugwindes bewirkter Antrieb, der genau in derselben Weise am Flügel 
zu stande kommt, wie jeder andere Vortrieb bei irgend einer anderen Flugart. 

Beim Auderfluge ist es die Kraft des Flugmuskels, welche, um das Gewicht, des 
Körpers zu tragen, den Flügel derart gegen die widerstandleistende Luft bewegt, dass er 
infolge seiner Biegsamkeit mit der Spitze in die vortreibende, pronierte Lage kommt und 
so dem Widerstande eine vorwärts gerichtete Komponente abgewinnt. 

Gleitet ein Vogel im sinkenden Schwebflug ohne Flügelschlag herab, so ist es dre 
Schwerkraft, welche die Flugarbeit verrichtet, indem sie, in ganz gleicher Weise wie 
die Muskelkraft, den Flügel in die vortreibende Lage spannt. 

Der Aorizontale und ansteigende Schwebflug erfordert für dieselbe Arbeit eine 
vorher erworbene /Jedendige Kraft des Vogelkörpers. Da diese immer schnell ver- 
braucht wird, so geht diese Flugart der Regel nach allmählich in die vorhergenannte, 
sinkende über, bei welcher die Schwerkraft die Arbeit leistet. 

Beim echten Segelflug endlich ist es die lebendige Kraft der bewegten Luft, die 
im Luvbogen als aktive Komponente des Flugwindes in Gemeinschaft mit dem passiven 
Luftwiderstande — den Flügel gegen den passiven Druck der Schwere und Centrifugal- 
kraft spannt und in die vortreibende Lage zwingt, so dass nicht nur jenem passiven 
Drucke das Gleichgewicht gehalten, sondern auch noch die Beseitigung der Flug- 
hemmungen und die Beschleunigung des Vogels bewirkt wird. 

Die Frage, warum der Segelflug immer nur in gekrümmten Flugbahnen erfolgen 
kann, ist zwar durch die vorhergehenden Ausführungen im Grunde genommen schon 
mit beantwortet. Der Uebersicht wegen wird jedoch die folgende kurze Zusammen- 
fassung am Platze sein. 

Infolge der seitlichen Neigung der Flügel wird mit der Fortbewegung des 
Vogels auf kreisähnlicher Bahn ein centrifugaler Druck erzeugt, welcher die Flugflachen 
gegen das umgebende Medium zu drängen strebt. Gleichzeitig entwickelt sich in dem 
beginnenden Luvbogen, wie ein Blick auf das Flugdiagramm (Fig. 47) zeigt, eine seitliche, 
centripetale Komponente des Flugwindes, die durch den herrschenden, aktiven Wind 
erzeugt wird. Durch diese aktive Komponente wirkt die lebendige Kraft des Windes 
in centripetaler Richtung jenem centrifugalen Drucke entgegen auf die Flügel. Dadurch 
wird nicht nur der centrifugale Druck neutralisiert und der Vogel auf die Kreisbahn 
gedrängt, sondern, wie immer, wenn der Flügel mit hinreichendem Widerstande seiner 


22, 


Fläche einer Kraft entgegentritt, auch die Flugbeschleunigung hervorgerufen, die den 
ganzen Segelflug unterhält. Die krummlinige Flugbahn ist hiernach das Mittel, durch 
welches der Vogel seinen Flügeln die horizontale (centrifugale) Widerstandskraft verleiht, 
die nötig ist, um die gleichfalls horizontale lebendige Kraft des herrschenden Windes 
lokomotorisch nutzbar zu machen. Ohne den centrifugalen Widerstand würde der Flügel 
nicht durch die seitliche Windkraft in die vortreibende Lage gespannt werden können; 
der Wind würde den Vogel nur aus der Flugrichtung schleudern und der Ortsbewegung 
hinderlich sein. Darum sind Flugbahnen, die gegen den herrschenden Wind konvex ge- 
krümmt sind, die unerlässlichen Grundbedingungen für die Ausnutzung der lebendigen 
Kraft der bewegten Luft zum Segelfluge. Der Segelflug ist nur auf so gekrümmten 
Dahnen in einem absoluten, herrschenden Winde möglich. 

Wenn wir somit die konvex gegen den Wind gekrümmten Luvbogen als die 
Flugstiecken kennen gelernt haben, in denen die lebendige Kraft des Windes die Arbeit 
des Segelfluges leistet, wenn wir gesehen haben, dass der lokomotorische Antrieb bei 
dieser Flugart das Erzeugnis der Wechselwirkung horizontaler Kräfte ist, welche als 
aktive, seitliche Komponente des Flugwindes und als Centrifugalkraft an den seitlich 
geneigten Flugflächen angreifen, so tritt nun die Frage auf, wie wirkt die Schwerkraft 
im Luvbogen, wodurch und wie weit wird thr das Gleichgewicht gehalten? 

Da die Schwerkraft nur bei sinkenden Bewegungen lokomotorische Arbeit leistet, 
der Segelflug aber im ganzen genommen eine horizontale oder ansteigende Bewegungsart 
ist, so kann auch die Schwerkraft hierbei nur insoweit aktiv beteiligt sein, als innerhalb 
des Fluges vertikale Schwankungen des Vogels stattfinden. Beim horizontalen und 
ansteigenden Fluge leistet die Schwerkraft nur passiven Widerstand, der durch andere 
aktive Flugkräfte beseitist werden muss, sei es durch die wie immer auch erworbene 
lebendige Kraft des Vogels, sei es durch die des Windes. Es gilt also für die Schwerkraft 
beim Segelfluge alles das, was über sie beim Schwebfluge gesagt wurde. 

In Luvbogen ist es besonders die in der Tangente des Kreises liegende, hori- 
zontale und zunehmend passive Komponente des Flugwindes (s. Flugdiagramm), die 
der Schwerkraft unter gleichzeitiger Hemmung des Fluges entgegenwirkt, wie beim 
Schwebfluge. Aber auch die centripetale Komponente des Flugwindes liefert einen Beitrag 
zum Tragen und Heben der Last. 

Ueber diese Verhältnisse erhält man eine klare Anschauung durch die folgende 
Figur. Dieselbe stellt eine Vertikalprojektion der Flugkraft auf die Radialebene dar, 
es erscheinen in ihr nicht die horizontalen und tangentialen Kräfte ‘des Vortriebes und 
die Flughemmungen, die ja für diese Betrachtung gleichgültig sind. 

Die gegen die seitlich geneigten Flugflächen gerichtete Flugwindkraft W hat eine 
Vertikalkomponente V, die im Falle des Gleichgewichtes das Gewicht P des Vogels trägt. 
Da W die rechtwinklig zur Flugfläche stehende, wirksame Komponente des Flugwindes 


IIO 


ist, so steigt und fallt, wie an anderer Stelle gezeigt wurde, ihr Gesamtwert mit dem 
Winkel der seitlichen Neigung der Flugflächen. Bei gegebener Grösse von W ist 
V = W.. cos a, und die centripetale Komponente Cp = W. sin a, wenn « den seitlichen 
Neigungswinkel der Flugflächen bedeutet. Der Flugwind wirkt also verhältnismässig 
mehr hebend als centripetal, wenn die Flugflachen mehr horizontal liegen; bei stark 
geneigter Seitenlage des Vogels aber kann theoretisch der Fall eintreten, dass der, absolut 
genommen, viel stärkere Flugwind doch nicht im stande ist, den Vogel zu tragen, da 
cr fast ganz, bei vollkommener Seitenlage ganz, in centripetaler Richtung für den 
lokomotorischen Antrieb eingesetzt ist. Daher hat 4/era//, wo die Seitenneigung des 
Vogels eine gewisse Grenze übersteigt, der Flug im Luvbogen eine sinkende Tendenz; 
oder mit anderen Worten, die Schwerkraft beginnt dann ihre aktive Wirkung. Wo 





Fig. 50. 
Das Gleichgewicht der Kräfte beim Kreisflug ist in Fig. 1 vorhanden, 
in 2 durch Verstärkung des Windes gestört und 
in 3 wiederhergestellt unter Vergrösserung des seitlichen Neigungswinkels. 


immer ein solches Sinken eintritt, bedeutet es eine vorübergehende Zunahme an Flug- 
geschwindigkeit, die der Vogel im Leebogen des Segelfluges mit sehr geringem Verluste 
wieder in Höhe umsetzen kann, und die ihn ausserdem schneller wieder an den nützlichen 
Wind im Luvbogen bringt. 

Die Schwankungen der seitlichen Neigung der Flugflächen beim Segeln sind 
von verschiedenen Bedingungen abhängig. Wenn im Falle des Gleichgewichtes der 
Kräfte, wie in Figur 50, I, die Resultante des Winddruckes W und die des Widerstandes 
D gleich und genau entgegengesetzt sind, so liegt auch der Angriffspunkt U des Wind- 
druckes und der Schwerpunkt S,*) in welchem D angreift, in der Richtung von D 
und W. Die Flugflächen stehen dann rechtwinklig zu US oder der Richtung der 


*) Durch diese Lage des Schwerpunktes unter dem Unterstiitzungspunkte wird das stabile Gleich- 
gewicht im Fluge hergestellt. Ein Vogel, der mit ausgebreiteten Flügeln wie immer herabgeworfen wird, muss 
stets nach kurzer Zeit wieder »in den Flügeln hängen«. 


III 


Krafte. Nimmt nun aber, z. B. gegen den Luvpunkt hin, die aktive, seitliche Komponente 
des Flugwindes zu, so erhält auch die Resultante W eine mehr centripetale Lage, und 
wenn -nicht gleichzeitig ein Ausgleich erfolgte, so würde vorübergehend das Gleichgewicht 
so gestórt werden, wie es Figur 5o, II zeigt. Die beiden Zugkráfte W und D drehen 
aber die starre Verbindung ihrer Angriffspunkte S und U so weit, bis die neue Gleich- 
gewichtslage hergestellt ist; und damit wird auch der seitliche Neigungswinkel der Flug- 


flächen vergróssert. (Fig. 50, III.) Dass nun auch D wieder T W geworden ist, ist 


gleichfalls die Folge der Zunahme der seitlichen aktiven Flugwindkomponente, die mit 
ihrem Wachstum die Fluggeschwindigkeit c vergróssert und eventuell auch den Krümmungs- 
radius der Bahn verkleinert hat. Sowohl durch die Geschwindigkeitszunahme, wie durch 
die Verengung der Flugkurve wird der centrifugale Flugwiderstand Cf vergrossert, denn 
die Centrifugalkraft ist ja dem Quadrat der Geschwindigkeit direkt, dem Radius indirekt 
proportional. Die Modifikation des seitlichen Neigungswinkels der Flugflächen vollzieht 
sich also automatisch infolge der Zu- und Abnahme der centripetalen Flugwind- 
komponente. Da diese durch den herrschenden Wind hervorgerufen wird, so ergiebt 
sich als weiteres allgemeines Resultat, dass auch Jede Zu- und Abnahme der Starke des 
herrschenden Windes eine Zu- und Abnahme der Seitenneigung des Seglers herbeiführen 
muss, dass gleichzeitig die Radien der kreisförmigen Flugbahnen kleiner und die Flug- 
geschwindigkeit grösser wird. 


Nun ist aber die Centrifugalkraft auch direkt von der Masse des segelnden 
Vogels abhängig. Sie ist daher bei einem grossen, schweren Vogel von Haus aus 
bedeutender, als bei kleineren Vögeln. Es bedarf also, um bei einem Anwachsen der 
Windstärke das Gleichgewicht zu bewahren, bei den grossen Vögeln einer geringeren 
Einengung der Kreise, einer geringeren Geschwindigkeitszunahme und auch einer 
geringeren Seitenneigung, als bei kleineren Vögeln. 


Darin liegt auch der Hauptgrund, warum kleine Vögel zur Ausführung eines 
vollkommenen Kreissegelns nicht befähigt sind, der Flug würde einer rapiden Wirbel- 
bewegung in minimalen Kreisen ähnlich werden müssen. 


Die Beobachtung bestätigt nun in vollkommener Weise alle Ergebnisse unserer 
Schlussfolgerungen. Wenn Vögel von verschiedener Grösse, wie Störche und Moven, 
bei demselben Winde kreisen, so haben die Störche in ihren grösseren Kreisen kleinere 
seitliche Neigungswinkel, als die in kleineren Kreisen segelnden Möven. Alle kreisenden 
Vögel beschreiben bei stärkerem Winde kleinere Kreise mit grösserer Seitenneigung. 
Die stärksten seitlichen Neigungen sind bei kleineren Vögeln (Cypselus) und grosser 
Windstärke (Albatros) zu beobachten. Die seitliche Neigung der Vogel hat in jedem 
Luvbogen bis zum Luvpunkte eine zunehmende Tendenz, um so mehr und um so 
deutlicher, je kräftiger der Wind weht. 


112 


Der Flug im zweiten Quadranten des gegen den Wind konvexen Luvédogens 
bietet der Erklärung keinerlei Schwierigkeit. Mit der Ueberschreitung des Luvpunktes 
hat der Vogel zwar bereits den stärksten lokomotorischen Antrieb gewonnen, aber seine 
Geschwindigkeit erfährt noch immer einen Zuwachs, der mit der Abnahme der aktiven 
Seitenkomponente des Flugwindes geringer wird und im Kehrpunkte der Flugbahn 
aufgehört hat. In diesem Punkte hat demnach der Vogel seine grösste Flug- 
geschwindigkeit erlangt; sie ist beträchtlich grösser, als die des herrschenden Windes, 
so dass er mit einem hinreichend starken, wenn auch passiven Flugwinde in den I.ee- 
bogen eintritt. 

Der Flug im Leebogen. Die analytische Untersuchung über die Wechselwirkung 
der Flugkräfte im Luvbogen hatte uns als wichtigstes Resultat die Antwort auf dic 
Frage gegeben, wie der lokomotorische Antrieb des Segelfluges zu stande gebracht 
wird. Eine nicht minder wichtige und interessante Frage ist aber die, wie es der 
Vogel anfängt, dass er einen Leebogen durchfliegen kann, ohne von dem seitlichen 
Drucke des herrschenden Windes zu Boden geschleudert zu werden. 

Der Leebogen wendet, wie das Winddiagramm (Fig. 47 S. 102) zeigt, dem Winde 
die konkave Seite zu, und der Flugwind, als Resultante der tangentialen Eigenbewegung 
des Vogels und des nach Lee strömenden Windes, weht dem Vogel mehr oder weniger 
seitlich aus dem Innern des Kreises entgegen. Wenn also der Vogel die Längsachse 
seines Körpers in der Kreistangente hält und dabei die Einwärtsneigung seiner Flug- 
flächen wie im Luvbogen beibehält, so muss der Flugwind mit mechanischer Notwendig- 
keit die Rückseite der Flügel treffen und jede Flugbewegung unmöglich machen. Trotzdem 
fliegt der Vogel anscheinend ohne irgendwelche Schwierigkeiten im Leebogen quer durch 
die bewegte Luft! — 

Zwei Mittel giebt es, durch welche der Vogel die Gefahr des Rückenwindes im 
Leebogen vermeiden kann. Das eine besteht darin, dass er versucht, serne Längsachse 
möglichst in die Richtung des Flugwindes einzustellen, statt in die der Kreistangente. 
Dies gelingt ihm leicht bei schwachem Winde, wenn er in grossen Kreisen mit geringem 
centrifugalen Schwunge fliegt, denn dann ist auch die centripetale Abweichung des 
Flugwindes von der Tangente nur eine geringe. 

Meine Beobachtungen an Störchen, die in mässiger Höhe über meinem Stand- 
punkte ihre Kreise zogen, bestätigen in vollstem Masse diese theoretische Überlegung. 
Der Flug ist bei mässigem Winde namentlich im zweiten Quadranten des Leebogens 
keine Frontalbewegung, sondern ein richtiges Seitwärtsziehen, das an eine jedem Reiter 
bekannte transversale Gangart des Pferdes (Traversieren) erinnert. Wie diese Gangart 
durch den Reiter erzwungen wird, so macht auch die eigenartige seitliche Bewegung 
des Vogels den Eindruck eines Zwanges, dem sich der Vogel vergeblich zu entziehen 
sucht. Man erwartet cine Bewegung in der Längsachse des Tieres, statt dessen gleitet 


es wie an einem unsichtbaren Hindernis seitwärts im Bogen entlang und gewinnt nur 
wenig Raum gegen den Wind. 

Diese Stellung des Vogels gestattet dem Beobachter, genau zu erkennen, aus 
welcher Richtung der Vogel den Flugwind empfindet. Da die seitliche Bewegung bei 
der Annäherung an den Anfangspunkt des neuen Kreiscs immer geringer wird, so lässt 
sich auch die Lage dieses Punktes dadurch feststellen, und damit kann man auch die 
Richtung des in der Region des Fluges herrschenden Windes feststellen. 

Für den Vogel hat die transversale Lage den grossen Vorteil, dass er den 
Wind immer in gewohnter Weise genau von vorn empfindet, dass der Schnabel also 
immer in den Wind zeigt, und dass cinseitige ablenkende Widerstände oder Druck- 
wirkungen der Luft gegen die nach unten hervortretenden Körperoberflächen ausgeschlossen 
werden. Der Vogel hat also gleichsam den Wind völlig in seiner Gewalt, wie bei jeder 
anderen Flugart, da derselbe nur an den Flügeln motorisch angreifen kann. 

Dies ist der Grund, warum auch im Luvhalbkreis der Vogel das sichtbare Be- 
streben hat, seine Längsachse nicht in die Flugrichtung, also tangential, sondern in die 
Richtung des Flugwindes einzustellen. Hierdurch vermindert er die Wirknng der seitlichen, 
centripetalen und aktiv vortreibenden Komponente des Flugwindes zu Gunsten der 
tragenden Wirkung und fliegt infolgedessen langsamer in etwas grösseren Kreisen. 
Ein stärkerer Wind erzwingt sich, wie gezeigt wurde, eine grössere Fluggeschwindigkeit 
auf kleinerem Kreise und veranlasst eine so starke Seitenneigung der Flugflächen, dass 
im Luvbogen ein merkliches Sinken des Vogels sich einstellt. 

Ich habe bereits darauf aufmerksam gemacht, dass der Vogel durch das Sinken 
im Luvbogen einen Vorrat von lebendiger Kraft gewinnt, die er im Leebogen wieder 
in entsprechende Hebung umsetzen kann. Natürlich erreicht der Vogel infolge der 
Hemmungswiderstände beim Emporgleiten die aufgewendete Höhe nicht vollständig 
wieder. Man würde daher die vertikale Schwankung des Vogels im Luv- und Leebogen 
nur als vielleicht unvermeidliche Nebenerscheinungen des Segelfluges ansehen können, die 
dem Fluge selbst eher nachteilig als förderlich wären, da sie den Weg verlängern und 
ermüdende Spannungsdifferenzen in den Flugmuskeln hervorrufen, ohne cinen nützlichen 
lokomotorischen Antrieb zu zeitigen. Allein, dem ist nicht so, diese Schwankungen 
haben da, wo sie auftreten, eine schr wichtige, geradesu überraschend praktische De- 
deutung für den Flug, ste sind das swerte Mittel, durch welches — bet stärkerem Winde 
— der Vogel dem gefährlichen Rickenwinde im Leebogen entgeht. Sobald der Vogel 
in den Leebogen eingetreten ist und beim Leepunkt die zunehmende seitliche Abweichung 
des Flugwindes zewahr wird, bringt er mehr und mehr die Längsachse seines Körpers 
in eine schräg ansteigende Lage. Dadurch wird der Neigungswinkel seiner Flugflächen 
gegen den Flugwind derart vergrössert, dass auch durch F.inwärtsneiren des Körpers 
der Wind immer noch mit der Unterscite der Flügel aufgefangen wird. So gewinnt 


15 


114 


der Vogel dem Flugwinde sicher die für die Kreisbahn notige centripetale Komponente 
ab und gleitet gleichzeitig auf der aufstrebenden Flügelfläche, wie auf einer schiefen 
Ebene empor und allmählich dem Winde entgegen. Diese für den Flug in Kreisen so 


Wachsende Fluggeschwindigkeit. 
Sinkende Tendenz der Flugbahn. 


Beschleunigung maximal. 


Untere Kulmination der Flugbahn. 
Fluggeschwindigkeit maximal. 
‘o = gunZiuno[qosog 
'euriutur. WLoyDtpurmyosagsany J 
'u(eqdnpgq Joep uvoneummpmy 319q() 


Beschleunigung = o. 





Pd , t A 
ia, a Le TT d 
~ 
—— M 


ae 


Fluggeschwindigkeit abnehmend, 
Flugbahn mit steigender Tendenz. 


lleminung maximal, 


Fig. 51. 
Diagramm des Segelfluges auf einer kreisförmigen Bahn. 
A. Anfangspunkt, K. Kehrpunkt der Bahn. 


sehr nützlichen Hebungen und Senkungen, ebenso wie die seitliche Neigung der Vögel 
sind hiernach die notwendigen Bedingungen, unter denen diese Art des Segelfluges £1 
bewegter Luft erfoleen kann. Die Thitigkeit der Flugmuskulatur kommt dabei gamt 
nicht in Frage, denn ob der Vogel den Kreis mit oder ohne I‘liigelschlag durchflies#, 
die centralen Kráfte der Kreisbewegung, welche jene Erscheinungen hervorrufen und 
notwendig machen, wirken im einen wie im anderen Falle ganz gleich. 


115 

Man braucht daher, um die Hebungen und Senkungen, sowie die seitliche 
Neigung zu verfolgen, nicht durchaus seye/ude Vögel zu beobachten, denn alle irgend- 
wie im Kreise fliegende Vögel unterliegen denselben Flugbedingunsen und zeigen in 
ganz analoger Weise, was die Theorie erfordert. 

Täglich habe ich die Freude, von meinem Arbeitsplatz aus einen Taubenschwarm 
zu beobachten, der unermüdlich in kleinen und grossen Kreisen über seinem nahen 
Schlage fliegt und oft kaum 10 m von mir vorüberstreift. Wenn dann ein Wind die 
Luft bewegt, dessen Richtung durch den Rauch der Schornsteine angegeben wird, so er- 
scheinen nicht nur die Hebungen und Senkungen an den vorher bestimmten Stellen: 
auch die seitliche Neigung und die Zunahme der Fluggeschwindigkeit erfolgen genau 
den theoretischen Folgerungen gemäss. 

Je stárker der Wind ist, um so schneller vollzieht sich die Umbiegung der Bahn 
im Luvpunkte. Die Tiere suchen, nachdem sie die IIóhe wiedergewonnen haben, einen 
Augenblick gegen den Wind mit sehr schwacher Flügelbewegung anzuschweben, dann 
erfolgt schnell unter ca. 60 —80? seitlicher Neigung und mit schnell hintereinander aus, 
geführten Flügelschlägen von geringer Amplitude das Abbiegen nach Lee. Ebenso- 
schnell nimmt die Zahl der Fliigelschlage gegen den Seiten- oder Kehrpunkt der Bahn 
ab, der mit minimaler Schlagírequenz in grosster Geschwindigkeit durchflogen wird. 
Dann beginnt im Leebogen mit zunehmendem Kraftaufwand und energischer Thätigkeit 
die Flugarbeit, die den Vogel wieder dem Luvbogen entgegenführt. Das geringe Gewicht 
der Tiere, der Mangel der Masse ihres Korpers hat das schnelle Umbiegen im Luv- 
punkte mit starker Seitenneigung und sinkender Tendenz des Fluges zur Folge. 

Das nebenstehende Diagramm des Segelfluges auf kreisförmiger Bahn veran- 
schaulicht den Verlauf der Bewegung gemäss den vorstehenden näheren Darlegungen. 


5. Von welchen körperlichen Eigenschaften hängt das Segelvermógen 
der Vögel ab? 


In dem Abschnitte über die Formen des Vogelfliigels wurde des näheren aus- 
geführt, dass die lange und schmale //Zrge/form vom Albatrostypus und nächst dieser 
die Flügel vom Adlertypus mit getrennten Handschwingen einen Vogel besonders zum 
Segeln geeignet machen. Wir können uns daher hier darauf beschränken, auf jene 
Mitteilungen und ihre aérodynamische Begründung zu verweisen. 

Aus dem A vanzini'schen Gesetz und den experimentellen a¢rodynamischen Nach- 
weisungen Langley's ergiebt sich, wie sehr die langen und schmalen Flügel. und 
Schwungfederformen zur Ausnutzung des Luftwiderstandes bei kleinen Neirungswinkeln 
geeignet sind. Da dic Segler keine oder nur vereinzelte Flügelschläge ausführen, und dadurch 


15* 


116 


den Stosswinkel der Luft gegen den Flügel vergrössern, so sind die Neigungswinkel ihrer 
Flugflächen thatsächlich erheblich geringer, als bei den Rudervögeln. Solche Neigungs- 
winkel haben aber den grossen Vorteil, dass der I.uftwiderstand, absolut genommen, 
zwar geringer ist, als bei grossen Winkeln, dass aber die nützliche Wirkung desselben 
am Flügel relativ günstiger ist, als dort, wie dies durch die Figur 1 veranschaulicht 


wurde. Der Angriffspunkt der Resultante des Luftwiderstandes liegt — zumal bei 
schmalen Flügeln —- während des Segelns nahe der Mitte der Flügellänge. Beim Flügel. 


schlag wirkt der Widerstand weit mehr gegen die Spitze, als gegen die Flügelbasis, 
und sein Angriffspunkt verschicbt sich daher gegen die Spitze; der Hebelarm des Wider- 
standes ist langer, als beim Segeln. Da nun die Flugmuskeln dem Luftwiderstande das 
Gleichgewicht halten müssen, so ergiebt sich, dass auch die Muskelkraft der Segler 
besser ausgenutzt und weniger zur Erzeugung und Beseitigung hemmenden \Viderstandes 
verwendet wird, als dies bei den echten Rudervögeln der Fall ist. 

Man kann hieraus a priori den Schluss ziehen, dass dre Segler eine relativ geringere 
Menge von Muskelkraft und Muskelsubstanz nötig haben und besitzen werden, als die Ruder- 
vögel. Die folgenden Mitteilungen werden diesen Schluss im vollen Umfange bestätigen. 

Will man die Flugmuskelmengen zweier Flugtiere miteinander vergleichen, so 
genügt es selbstverständlich nicht, die Muskelgewichte p einfach nebeneinanderzu_ 
stellen. Aber man erhält auch kein richtiges Bild des Verhältnisses, wenn man sie auf 


das ungleiche Körpergewicht P der Tiere bezieht und die Quotienten a bei den 


einzelnen Arten vergleicht, denn das Verhältnis zwischen Flugmuskulatur und Körper- 
gewicht ist nur ein Ausdruck für die ungleiche Belastung des Flugapparates der ver- 
schiedenen Arten der Flugtiere und giebt uns über die l'lugmuskulatur als wesentliches 
Glied innerhalb des Flugmechanismus keinen vergleich-fähigen Aufschluss. Um dies 
zu erreichen, hat man, wie ich in meinem »Flug der Fische«*) näher auseinandergesetzt 
habe (S. 14, 15), die l'lugmuskulatur p in ihrem Verhältnis zur Flugfläche f zu be- 
stimmen, ohne auf die verschiedene Belastung Rücksicht zu nehmen. Dieses Verhältnis, 
das ich als die »speszfische Flügelbespannungs bezeichnete, ist ein Mass für die auf 
die Flächeneinheit des Flügels durchschnittlich entfallende Muskelkraft, gestattet aber 
auch einen Schluss auf die Frequenz des Flügelschlages, zu welchem der betreffende 
Flugapparat fähig ist, denn die Anzahl der in gleichen Zeiten ausführbaren Flügelschläge 
steht im direkten Verhältnis zur Muskelkraft und in einem umgekehrten Verhältnis zur 
Grösse des Flügels. Da es nur Sinn hat, Grössen von gleichen Dimensionen zu ver- 


gleichen, so habe ich a. a. O. auch nicht das Verhältnis p : f, sondern das Verhältnis 
3 


Vp: Vf als spezifische Flügelbespannung bestimmt, wobei mir die Messungen von 


*; Programm des Realgymnasiums des Johanneums Hamburg. 1895. 


117 


Harting*) und Legal & Reichel**) in der von K. Mullenhoff***) reduzierten Form 


als Unterlage dienten. Die Ergebnisse dieser Berechnungen sind auszugsweise in der 


folgenden Tabelle wiedergegeben. 
Tabelle. 
Vs 


P roo bei der Heonighiene und den 
|f 

Vogeln, 
(? Gewicht der gesamten AN), 


t Flugtlüche der Flügel. 


des Verhältnisses der Flügelbespannung 






























































1 1 
NO. | Artnamen ! was No. : Artnamen (d P 100 
Ir i Ir 
| | | 
Honightene 395 16 Doite 16.0 
Apis meliifici j Corvus monedula i 
3 Rebhuhn 25.0 = Ak bits 15.0 
| Perdix cinerea ° d Vanellus cristatus ] 
Neidenschwanz 240 iS Scathrahe 15.0 
3 Bombycilla garrula Corvus frugilegus 
Jlänjfiing 23.0 19 Nuatenträrhe 14.0 
4 Frineilla cannabına ; Corvus cornix ` 
Sperling 23.0 20 Zurmtalk 14.0 
5 Passer domesticus ‘Falco tinnunculus n 
Stockente Fehtilerche 
6 EM 22.0 21 MT 14.0 
Anas boschas Alauda arvensis 
Star Storch 
x ' 20. 22 "EU 14.0 
7 Sturnus vulgaris 0.0 Ciconia. alba | 
Flaustaube P Gemeiner Aauz 
8 4 190 23 iis 13.0 
Columba domestica Syrnium aluco 
i Austernjischer 19.0 24 Seeaufer 12.0 
9 Haematopus ostralegus i Aquila hahactns | 
Brachvoscl i Graumöive 
IO x 19. 2 12.0 
, Numenius arquatus 0 5 Larus canus 
Grüunspeht | Lachmowe 
11 Es 18.0 26 | Me 12.0 
| Picus viridis 8 | Larus ridibundus 
E EN T 7 i m mE EE D^ i g nu 
i3. Schwarzdrossel | 180 am. Silber mowwe 130 
Turdus merula | j | Larus argentatus 
an -— - CREE REPRE! APRES. p 
Trapfec n i , | l 0 
13 Otis tarda 17.0 28 t Dessi. , 
í Kvohlmeise (60 3 Seeschwalbe 11.0 
i i Parus major | 9 Sterna hirundo ' 
eher. aan N ne 4c urat Meta MN PIE ER SENE: 
l Terchhunn Dussard 
I5 | 16.0 30 | |j 11.0 
| 


Fulica atra 


Buteo vulgarıs 


*) Harting, Observations sur l'étendue relative des ailes etc, Arch. Néerlandaises d, sc. nat. IV, 1869, 
g j 


**) Legal & Reichel. 
***) K, Müllenhoff. 


»Aus dem Anatomischen Instit. zu Breslau. 


Die Grösse der Flugfliichen, 


18582. 


(Pflügers Archiv. Bd. 35 1885. N. 407—453.) 


1138 


In dieser Tabelle sind die verschiedenen Flugtiere nach der Grösse ihrer spezz- 
fischen Flügelbespannung geordnet. Fin Blick auf die Reihe zeigt, dass die echten 
Ruderer, die sich ausschliesslich durch schnellen Flügelschlag fortbewegen und zum 
Segelfluge ungeeignet sind, die stärkst bespannten Flügel besitzen. Am obersten 
Ende und allen Vögeln voran steht die Honigbicne mit 32.5 als Vertreterin der rapide 
schwirrenden Insekten, dann folgt in weitem Abstande das Rebhuhn (25.0), das von 
allen Vögeln die stärkste Flugmuskulatur besitzt. Die übrigen Vögel ordnen sich in 
eine von 25.0 bis 11.0 fallende Reihe, an deren unterem Ende erst die echten Segler, 
die Raubvógel und Möwen, erscheinen. Æs 7s¢ also Thatsache, was wir oben aus den 
anatomischen und acrodynamischen Verhältnissen der Flügel a priori geschlossen haben, 
dass die segelnden Vögel eine geringere Flügelbespannung, eine relativ schwächere Musku- 
latur besitzen, als die echten Rudervögel. Die charakteristische Gestalt ihrer Flügel, 
welche ihnen gestattet, die Flugflachen unter kleinsten Neigungswinkeln dem Winde 
entgegenzustellen, macht sie dennoch zu den geschicktesten und besten Fliegern in der 
bewegten Luft. Je schmäler und flacher die Flügel sind, desto leichter und sicherer 
durchschneiden sie die Luft, desto vollkommener und mannigfaltiger ist die Segelfähig- 
keit, wie wir sie bei den Möwen und Sturmvögeln bewundern. Der breitere und mehr 
gewölbte Flügel der Raubvögel hat zwar den Vorzug der gleichzeitigen, besseren Ver- 
wendbarkeit zum Ruderflug, aber er ist weniger leicht lenkbar und verstellbar, als der 
Albatrosflügel, und daher ist auch das Segelvermogen dieser Tiere fast ganz auf das 
Segeln in kreisähnlichen Bahnen beschränkt, bei welchem keine, oder nur unbedeutende 
Aenderungen der Flügelstellung nötig sind. 

Neben der Anwendung kleiner Neigungswinkel kommt den Seglern noch zu 
statten, dass die Leistungen ihrer Muskeln gleichformig über die ganze Zeit des Fluges 
verteilt sind, statt, wie bei den Ruderern, in rhythmischen Kontraktionen zu bestehen. 
Die Arbeit des Flügelrückschlages, sofern eine solche damit verbunden ist, wird ihnen 
erspart; sie leisten überhaupt beim eigentlichen Segeln keine äussere, sichtbare Arbeit, 
sondern die Funktion ihrer Muskeln ist die Erzeugung einer Spannung, die den Flügel 
in der Segelstellung erhält; ihre Arbeit ist also nur eine innere, die in molekularen, 
chemischen Umsetzungen der Muskel- und Nervenmassen besteht und einen Ersatz durch 
Atmung und Ernährung erfordert. 

Mit der gleichformigen Beanspruchung der I*lugmuskeln steht offenbar eine 
andere, sehr merkwürdige, anatomische Thatsache in Einklang, welche von Marey*) 
(vol. d. ois. 5. 99) erwähnt wird, und auf die ich bereits in meiner Arbeit über den Flug 
der Fische besonders hingewiesen habe.**) »Wenn mane, so führt Marey aus, »Vögel 


*) Aus dem anatomischen Institut zu Breslau 1882. 


**) Flug der Fische. Programm des Realyymnasiums des Johanneums, Hamburg 1895. — S. 23 f. 


119 


verschiedener Typen hinsichtlich der mittleren Richtung der Fasern des grossen Brust- 
muskels vergleicht, so findet man sehr grosse Unterschiede. Allem Anscheine nach steht 
die Zugrichtung des grossen Brustmuskels in Beziehung zu der einer jeden Art eigenen 
Flugweise. Im allgemeinen haben die Rudervögel schräge Fasern des grossen Brust- 
muskels, während bet den Seglern diese Fasern sich mehr der Vertikalrichtung nähern. 
Worin nun die näheren Beziehungen zwischen der Anordnung der Muskeln und der Art 
zu fliegen bestehen, giebt Marey nicht weiter an. 

Es ist ohne weiteres klar, dass durch die Hauptrichtung der Muskelfasern auch 
die Zugrichtung bestimmt ist. Der Brustmuskel eines Rudervogels, der mehr schräg nach 
hinten gerichtet Fig.52. Esbraucht 
ist, wird daher am kaum gesagt zu 
Flügel einen mehr werden, dass der 
nach hinten ge- Hauptzug der 
richteten Zug aus- Flugmuskeln 
üben, als der mehr 
vertikal stehende 


Muskel eines 


immer dem Haupt- 
drucke des loko- 
motorischen Luft- 
Seglers, dessen widerstandes ent- 
Zug eine stärkere gegengesetzt ge- 
richtet ist. Hieraus 
unten hat. Beiden folgt, dass die 


Flugfischen geht Muskeln der Flug- 


Komponentenach 





Fig. 52. : 
der Zug der Mus- Schematische Darstellung der mittleren Zugrichtung fische nur einem 
keln, wie ihreRich- des grossen Flugmuskels: nach oben und 
tung, sogar nach a) Rudervogel, b) Segelvogel, c) Flughsch. hinten gehenden, 
vorn und unten. hebenden und 


hemmenden Widerstande das Gleichgewicht halten können, und dass sie zur Ausführung 
eines vorwärtstreibenden Flügelschlages nicht eingerichtet sind. Daher sind diese Tiere 
auch nur zum einfachen, passiven Gleitfluge ohne aktiven Flügelschlag befähigt. 

Bei allen Vögeln dagegen hat der Zug der Flugmuskeln auch eine nach hinten 
gehende Komponente, alle können daher durch ihren Flügelschlag auch einen nach vorn 
gerichteten, also vortreibenden Luftwiderstand ausnutzen, und so willkürlich einen loko- 
motorischen Antrieb für den Flug schaffen. Zwischen Seglern und typischen Ruder- 
vögeln besteht nur der Unterschied, dass die letzteren einen stärkeren Antrieb nach 
vorn hervorrufen können, als die ersteren, deren Muskelzug mehr der Schwere entgegen- 
gerichtet ist. Den Grund für dieses abweichende Verhalten glaube ich nun darin 
erblicken zu sollen, dass der Antrieb bei den Rudervögeln mit jedem Flügelschlage stoss- 
weise und daher mit starker Spannung erfolgt, während er sich beim Segeln gleich 


120 


mässiger über die ganze Zeit des Fluges im Luvbogen verteilt und somit auch nur eineschwächere 
Muskelspannung erfordert. Darum ist die Entwickelung der Flugmuskeln beiden Seglern mehr 
nach der zum Tragen und Heben günstigen Vertikalrichtung erfolgt, und bei den Ruderern 
sind die Muskeln nicht nur durch allgemeine Verstärkung, sondern auch durch teilweise mehr 
horizontale Lagerung zur Erzeugung eines stärker vorwärtstreibenden Zuges befähigt worden. 

So hängt das Segelvermögen der Vögel in entscheidender Weise von der 
Gestalt der Flügel und der Anordnung der mit ihnen verbundenen Muskeln, kurz von 
der Beschaffenheit des Flusapparates ab. Aber auch die Grösse der Vogel, das Gewicht, 
welches den Flugapparat belastet, ist von Bedeutung für den Verlauf des Fluges. Der 
Hemmungswiderstand, den ein Vogel im Fluge erfährt, ist zwar bei einem grossen Vogel, 
absolut genommen, grosser, als bei einem kleinen, relativ genommen stellt sich jedoch 
das umgekehrte Verhältnis heraus. Bei ähnlichen Körperformen ist der Widerstand von 
der Grösse der Oberflächen abhängig, welche die Luft streicht. Die Oberflächen 
nchmen nun aber nicht in demselben Grade zu, wie die Masse, das Gewicht des Körpers, 
denn wenn dieses im kubischen Verhältnis wächst, so vergrössert sich die Fläche erst 
im quadratischen Verhältnis. Aus diesem Grunde erfährt daher der grössere Vogel 
einen relativ geringeren Hemmungswiderstand, als der kleinere. Allein diese Hemmungs- 
unterschiede und ebenso diejenigen, welche von der ungleichen Fluggeschwindigkeit ab- 
hängen, sind für das Segelvermögen nicht von entscheidender Bedeutung, denn wir sehen 
die kleinen und schnellen Turmschwalben mit ebensogrosser Vollkommenheit segeln, 
wie die weit langsameren Möven und den Albatros. 

Weit wichtiger ist der Einfluss, den die grössere Masse, die stärkere Belastung 
des Flugapparates, auf den Gang des Fluges ausübt. Sie verleiht dem Vogel eine 
grössere Stabilität und eine grössere mechanische Trägheit, die ihn widerstandsfähig 
macht gegen die mancherlei unregelmässigen Nebenwirkungen des pulsierenden Windes, 
denen der kleinere Vogel nur durch geschickte Steuerung seiner Flügel entgeht; sie ver- 
zogert den Eintritt und das Ende der Flugbewegung, zu welcher die lebendige Kraft 
des Windes den Antrieb giebt, sie vergrössert die Radien der Luv- und Leebogen, welche 
cin zunehmender Wind verkleinert, und wirkt so passiv gestaltend auf den Verlauf der 
mannigfaltig wechselnden Flugbahnen ein. Die Schwalben und Segler kreisen nur bei 
schwachen Winden und gehen zum unregelmässigen Segeln über, wenn die Windstärke 
einen gewissen Grad übersteigt; denn wegen ihrer geringen Masse müsste die Kreis- 
bewegung bald in ein schnelles Herumwirbeln auf so engen, kleinen Bahnen übergehen, 
dass die Leitung des Fluges die physischen Kräfte des Vogels überstiege. Wenn aber 
einmal der Mensch die praktische Fähigkeit erworben haben wird, das Segeln der Vögel 
nachzuahmen, das unserem theoretischen Verständnis nun keine Schwierigkeiten mehr 
bietet, so werden ihn die schmalen Flügel seiner centnerweise belasteten Flugmaschine 


auch im starken Sturme in ruhigen, weiten Kreisen durch die Luft dahintragen, 


6. Die Arten des Segelfluges. 


Nachdem wir durch die bisherigen Betrachtungen über alle wesentlichen Fr- 
scheinungen des Segelfluges und ihre mechanischen Ursachen ins klare gekommen sind. 
erübrigt nun noch eine Besprechung der verschiedenen Abarten des Segelfluges. Als 
solche unterscheiden wir: 

I. das Segeln in Kreisen oder Ellipsen an einem Orte; 

2. den Kreisflug mit Abdrift oder den Driftflug; 

3. den ansteigenden Spiralflug; 

4. den unregelmässigen Segelflug der Móven, Sturmvógel und Segler. 

I. Der Segelflug in Kreisen oder Ellipsen. Da die geschlossenen kreisähnlichen 
Bahnen des stationären Rundfluges stets, besonders aber bei mittleren und starken 
Winden, eine geneigte Lage haben, die Luvbogen mit sinkender, die Leebogen mit 
steigender Tendenz, so werden sie bei genauerem Zusehen von unten oder von einem 
im Niveau liegenden Standpunkte — meist in einer mehr oder weniger deutlich ellip- 
tischen Gestalt erscheinen. Genaue Angaben über die Excentrizität der elliptischen 
Bahnen liegen nicht vor, doch scheint es sich immer nur um Ellipsen mit geringem 
Abstande der Brennpunkte zu handeln. 

Nach den von Marey (vol. d. ois. S. 14—17) mitgeteilten Beobachtungen von 
E. J. Basté (L'Aéronaute 1887) sollen die Vögel, um gegen den Wind einen ebenso- 
langen Ellipsenbogen zurücklegen zu können, wie mz¢ dem Winde, auf dem Wege vom 
Leepunkte zum Luvpunkte eigenartige, regelmässige, vertikale Oscillationen ausführen, 
wie ein Schiff, das über die Wellen des Meeres hinweggleitet. Basté ist der Ansicht, 
dass ein Vogel durch abwechselnde Vergrösserung und Verkleinerung der Flugflächen, 
resp. ihres Neigungswinkels Fortschritte gegen den Wind machen könne. Bei jedem 
Oeffnen der Flügel soll der Vogel gehoben werden, bei jedem Schliessen oder Zurück- 
legen soll er durch Fallen vorwärtskommen. Diese Ansicht von dem Zustandekommen 
des lokomotorischen Antriebes beim Segelfluge ist im Grunde mit der des Lord 
Rayleigh, Langley’s und anderer Autoren identisch, nur dass sie die Intermittenzen 
des Luftwiderstandes durch aktive Thätigkeit des Vogels entstehen lässt, statt durch 
den Wind selber. Der Fehler liegt auch hier in der Vernachlässigung der Flughemmungen. 
Der Vogel wird mit seinen weiter entfalteten Flügeln nicht nur stärker gehoben, sondern 
noch mehr gehemmt, so dass er wie cin Drachen mit durchschnittenem Bande rück- 
lings zu Boden stürzen müsste. Das Nähere ist oben in der Kritik der Hypothese 
Langley's ausgeführt. Basté hat auch jene regelmässigen vertikalen Schwankungen 
gar nicht, wie man glauben könnte, selber deodachtet, aus dem einfachen, aber durch- 
schlagenden Grunde, weil sie gar nicht existieren. Denn, wo beim planement sur place 


die Künste des Vogels beschrieben werden, durch die er jene Schwankungen hervor- 
16 


122 


rufen soll, wird besonders hervorgehoben, dass dieselben wegen der bedeutenden Höhe 
des Vogels nicht zu sehen seien, dass der Vogel daher thatsächlich bewegungslos er- 
scheine. — Wir wissen, dass auf dem Wege gegen den Wind vertikale Schwankungen 
beim Segeln auftreten können, die nicht durch den Vogel, sondern durch Windstösse 
erzeugt werden. Solche Schwankungen sind aber, wie die Windstösse, ganz unregel- 
mässig, sie fördern nicht den Flug, sondern sie schaden ihm, und der Vogel sucht ihnen 
zu entgehen dadurch, dass er — umgekehrt wie Basté meint — die Flügel zurück- 
biegt und verkleinert, wenn der Windstoss und die stärkere Hebung und Hemmung er- 
folgt, und dass er die Flächen und Neigungswinkel zu vergrössern trachtet, wenn dem 
Stosse das Abflauen des Windes und die Senkung des Vogels folgt. 

Was hier von Basté’s Erklärung des Segelns auf kreisähnlicher, ellipitischer 
Bahn gesagt ist, gilt auch von seinen Angaben über das Schweben an einem Punkte 
(planement sur place), sowie über das Ansegeln gegen den Wind vermittelst vertikaler Oscil- 
lationen. Ohne Flügelschlag kann der Vogel nur durch Herabsinken oder echtes Segeln im 
Luvbogen neuen lokomotorischen Antrieb gewinnen. Jeder annähernd horizontale, gerade 
gegen den Wind gerichtete Schwebflug, möge er nun geradlinig oder auf welligen Bahnen 
stattfinden, wie es nach Basté beim Schwalbenweih sein soll, muss mit mechanischer 
Notwendigkeit alsbald sein Ende erreichen, da keine Kraft vorhanden ist, welche zur 
Beseitigung des hemmenden Luftwiderstandes aufgeboten würde. 

Die Grösse der kreisähnlichen Segelbahnen steht in einem gewissen direkten 
Verhältnis zur Masse des Vogels und in einem umgekehrten Verhältnis zur Stärke des 
herrschenden Windes. Je grösser der Vogel und je schwächer der Wind, desto grösser sind 
auch die Durchmesser der Kreise oder Ellipsen. Ausserdem ist auch die Grösse und Form 
der Flügel von wesentlicher Bedeutung. Lange und schmale Flügel, die säbelartig in die 
Luft einschneiden und die Benutzung kleinster Neigungswinkel gestatten, erlauben dem 
Vogel, auch grössere Kreise zu ziehen, als breitere Flügel, die für den Ruderflug be- 
stimmt sind. Bei starkem, böigem Sturme wird den breitflügligen Segelvögeln vom 
Typus des Adlers das Segeln sehr erschwert, da sie mit ihren gewölbten Flugflächen 
die kleinen Neigungswinkel nicht mehr herstellen können, welche nötig sind, um ohne 
Schaden und übermässige Anstrengung den heftigen Pulsationen des Windes zu begegnen. 
In solchen Stürmen erscheint der lebhafte Segelflug der Möwen und Sturmvógel wie 
ein munteres Spiel, denn leicht und sicher lassen sich ihre langen, schmalen Flügel im 
Winde regieren. 

Was die genaueren Formen der kreisähnlichen Segelbahnen anbetrifft, so müssen 
dieselben im Einzelfalle mannigfachen Abänderungen unterworfen sein, da sie von der 
Natur des Windes, den Formen des Flügels und dem Willen des Vogels abhängig sind. 
Es steht dem Vogel frei, die im Luvbogen gewonnene Geschwindigkeit und lebendige 
Kratt nach Belieben zu verwenden. Will er aber über einem bestimmten Orte ohne 


123 


Abdrift seine Kreise ziehen, so hat er allem Anscheine nach nur innerhalb sehr enger 
Grenzen die Wahl, seiner Bahn eine mehr elliptische Gestalt zu geben, da sonst eben 
Abdrift eintritt. Nur wenn die ganze Bewegung eine sinkende Tendenz hatte, würde 
der Vogel, theoretisch wenigstens, die Möglichkeit haben, ohne Abdrift elliptische Bahnen 
von grosser Fokaldistanz zu durchfliegen. 

2. Der Kreisflug mit Abdrift oder der Driftflug. Diese Art des Segelfluges 
vollzieht sich in annähernd horizontalen Schleifenlinien, welche durch allmähliche Ver- 
schiebung der Kreisbahnen in der Richtung mit dem Winde zu stande kommt. Die 
Störche z. B. wenden diesen Flug an, um sich vom Winde langsam forttragen zu lassen. 

Die im Luvbogen gewonnene Geschwindigkeit wird bei dieser Flugart dazu 
verwandt, um in der Gegend des Kehrpunktes der Bahn eine möglichst weite Strecke 
im flacheren Bogen dem Winde voraufzueilen; nur so viel wird von der lebendigen 
Kraft des Vogels diesem Zwecke entzogen, als zur Ausführung eines kurzen, natürlich 
ansteigenden Leebogens nötig ist. Es kommt hierbei nicht auf ein genau bestimmtes 
Mass von Kraft an, denn der Flug im Leebogen kann jederzeit, wenn die lebendige 
Kraft verbraucht ist, beendigt und in einen Luvbogen iibergeleitet werden. Wenn 
nämlich mit abnehmender Fluggeschwindigkeit der l'lugwind zunehmend in die Richtung 
des herrschenden Windes übergeht, so wird gleichzeitig der Vogel wie eine Wetterfahne 
gegen den Wind gedreht, so dass er mit dem Schnabel in den Wind zeigt. Ob diese 
Drehung aktiver oder passiver Art ist, ob sie durch Steuerung bewirkt wird, oder ob 
sie die Folge der vorhandenen Anordnung des Flugapparates ist, muss ich dahingestellt 
sein lassen, Ich vermute aber, dass die Drehung passiv erfolgt. Wie dem auch sei, 
jedenfalls wird der Vogel durch »Beidrehen« in die Windrichtung vor schadlicher Beein- 
flussung bewahrt, er behàlt den Wind unter seinen durch die Schwere gespannten 
Flügeln und kann sinkend die zur Einleitung des Fluges im neuen Luvbogen nótige 
lebendige Kraft erlangen. 

Ich hatte Gelegenheit, auf dem Exerzierplatze in Wismar die Einzelheiten dieser 
Flugart an einer Gesellschaft »jagender« Stórche zu beobachten, die in mässiger Hohe 
über meinem Standpunkte hinwegzogen. Die Tiere hatten, nachdem sie im Leebogen 
emporgeglitten waren, ihren ganzen Vorrat an lebendiger Kraft aufgezehrt; so standen 
sie im Anfangspunkte eines neuen Kreises jedesmal, von der vollen Kraft des herrschenden 
Windes getragen, scheinbar ruhig an einer Stelle. Dann gerieten sie langsam in eine 
horizontal drehende Bewegung, als ob das durch ihren langgestreckten Kórper und die 
querstehenden Flügel gebildete Kreuz um den Kreuzpunkt verschoben würde. Wahrend 
in dieser eigenartigen Drehung auf der Stelle der Wind mehr und mehr seitlich auf die 
Flugflachen traf, setzte die Fortbewegung mit zunehmender Geschwindigkeit gegen den 
Wind cin. Da die Drehung im Zenith stattfand, so musste die gleichzeitig sinkende 
Bewegung des Vogels, ohne welche er hätte zurücktreiben müssen, der Beobachtung ent 


16* 


124 


gehen; erst mit zunehmender seitlicher Entfernung im Luvbogen wurde die sinkende 
Tendenz des Vogels unverkennbar. Hier wurde offenbar ein beträchtliches Stück des 
ersten Quadranten vom Luvbogen gleichsam auf der Stelle durchflogen. Da in diesem 
Teile des Kreises der motorische Antrieb des Windes minimal anhebt, so genügte er 
zunächst nur, um die Flughemmung zu überwinden; und erst mit dem grösseren seit- 
lichen Stosswinkel und der grösseren centripetalen Windkomponente trat der sichtbare 
Antrieb ein. Nach meiner Beobachtung, der allerdings keine bestimmten Messungen zu 
Grunde liegen, hatte die Flugbahn der Störche in horizontaler Projektion die Gestalt der 
Figur 53, I, während die vertikale Projektion der abgewickelten Schleifenlinie etwa der 
Figur 53, II, entsprechen würde. 


3. Der an- nicht so ausschliess 
steigende Spiralflug K K K lich, wie beim Drift- 
unterscheidet sich fluge. Wenn der 
von dem Drififiug md, P y^ Vogel einen Teil der 
wesentlich dadurch, su Lu : lebendigen Kraft 
dassdie im Luvbogen 7 p noch mit in den Luv- 

gewonnene Ge- : bogen hinübernimmt 
schwindigkeit nicht M so kann es kommen, 
zur horizontalen Fort- Lu Le dass während der 
bewegung, sondern eis 2 I. ganzen Spiraltour 
zur Hebung des Driftflugbahn eines Storches Bach subjektiver Beobachtung. Steigung stattfindet, 
Vogels verwendet I. Horizontalprojektion. oder dass das Herab- 


wird. Die Hebung II. Die abgewickelte Bahn auf eine Vertikalebene projiciert. sinken des Vogels 
A Anfangspunkt der Luvbogen. 


erfolgt natürlich der . 
8 K Kehrpunkt oder Anfangspunkt des Leebogens. 


im Luvbogen er- 


Hauptsache nach im Lu Luvpunkt. mässigt und statt 
zweiten Quadranten Le Leepunkt, dessen eine mehr 
des Leebogens, aber horizontale oder 


schwächer ansteigende Fluglinie eingeschaltet wird. Im Grenzfall müssten die vertikalen 
Schwankungen im Luv- und Leebogen ganz verschwinden, und der Vogel müsste mit 
einem konstanten Erhebungswinkel seine Bahn nach oben verfolgen. 

In der folgenden Abbildung sind diese verschiedenen Möglichkeiten des Ver- 
laufes der ansteigenden Schraubenspirale in Form abgewickelter Kurven dargestellt. 
Die Schnittpunkte der Kurven mit den Transversalen A und K bezeichnen die Lage 
des Anfangs- und Kehrpunktes jedes Schraubenganges. Zwischen den Schnitten A und 
K liegt die Flugstrecke des Luvbogens, dahinter, zwischen K und A, der Leebogen. 
Die Zu- und Abnahme der Fluggeschwindigkeit ist durch Teilung der Kurve in Ab- 
schnitte, die in gleichen Zeiten durchflogen werden, veranschaulicht. Denkt man die 
Kurven als schmale Papierstreifen ausgeschnitten und um einen Cylinder geklebt, dessen 


125 


halber Umfang gleich dem Abstande der beiden Transversalen A und K ist, so ergiebt 
sich die spiralige Flugbahn. 

Nur eins ist noch hervorzuheben, dass namlich die Achse, um welche sich die 
Spirale dreht, niemals senkrecht steht, sondern immer vom Winde fortgeneigt ist. Der 
Vogel erfährt also auch bei dieser Art von Segelflug eine gewisse Addrift in der Wind- 
richtung; aber hier ist die Abdrift eine minimale, und der Vogel sucht ihr zu entgehen, 
während beim Driftfluge in horizontalen Schleifenlinien die Bewegung gleichsam auf 





Fig. 54. 
Abgewickelte spiralige Segelbahnen in Vertikalprojektion (schematisch). Die Kurve I 
zeigt das Sinken im Luvbogen AK. Im II. Fall wird der Luvbogen in der Horizontale 
durchflogen. Bei III steigt die Bahn auch im Luvbogen, wenngleich schwächer als 
im Leebogen AK. Die Linie IV stellt den Grenzfall dar ohne vertikale Schwankungen. 


maximale Abdrift eingestellt ist. So nähert sich nach meinen Beobachtungen die Grösse 
der Abdrift beim Driftfluge der Geschwindigkeit des herrschenden Windes, und beim 
ansteigenden Spiralfluge erlangt sie nur geringe Werte über Null. Setzt man die Wind- 
stärke gleich Eins, so liegt demnach die Abdrift zwischen den Grenzen Null und Eins. 
Es wäre in hohem Grade wünschenswert, dass genauere Messungen über die Grösse der 
Abdrift bei verschiedener Windstärke und verschiedenen Tieren durchgeführt würden. 
Es würde sich dadurch vielleicht erkennen lassen, von welchen mechanischen Faktoren 
die Abdrift abhängt. Einstweilen ist nur als Ergebnis der Beobachtung zu konstatieren, 
dass die segelnden Vögel ihre Schraubenspiralen niemals senkrecht oder gar, gegen den 


126 


Wind geneigt, vortreibend emporwinden, sondern dass immer eine unverkennbare Abdrift 
erfolgt. Und im Driftflug haben zwar die jagenden Storche in der Gegend des Kehr- 
punktes eines jeden Rundfluges eine beträchtlich grössere Geschwindigkeit, als der Wind, 
allein, da sie alsbald gegen den Wind umkehren und so eine bedeutende Strecke zuriick- 
fliegen, so schreiten sie allem Anscheine nach im ganzen doch langsamer iiber die 
Gegend fort, als der herrschende Wind. 

Wie beim Driftfluge, so kommt auch beim ansteigenden Spiralfluge die Abdrift 
dadurch zu stande, dass der Vogel auf dem vom Luvpunkte bis zum Leepunkte seiner 
Bahn reichenden Bogen mit grösserer Geschwindigkeit eine grössere horizontale Ent- 
fernung zurücklegt, als auf dem rückläufigen Bogen von Lee nach Luv, mit anderen 
Worten, dass die beiden seitlichen Halbkreise von ungleicher Länge sind: sie bilden zu- 
sammen keinen vollen Kreis, sondern einen Spiralgang. Beim Driftflug liegen die auf- 
einanderfolgenden Luvpunkte zwar in gleicher Höhe, aber horizontal weit voneinander 
entfernt; in der steigenden Spirale liegen sie horizontal näher zusammen, aber sie sind 
dafür vertikal gegeneinander verschoben, der folgende Luvpunkt liegt immer höher, als 
der vorhergehende. 

Ein Vogel, der stationär im Kreise segelt, erhält in jedem Luvbogen einen 
Antrieb, der zur Unterhaltung des Kreisfluges gerade hinreicht. Da die treibende Kraft 
des Windes in jedem Einzelfalle als konstant zu setzen ist, da ferner die Flugflächen 
und das Gewicht des Vogels unveränderlich sind, so wird im allgemeinen der Durch- 
messer des Kreises oder die Länge der Kreisbahn im wesentlichen von der jedesmaligen 
Windstärke abhängen. Bei stärkerem Winde wird ceteris paribus die Kreisbahn kleiner 
sein, als bei schwächerer Luftstrómung. Wenn nun der Vogel den erhaltenen Antrieb 
nicht benutzt, um zum Anfangspunkte der Kreisbahn zurückzukehren, sondern um sich 
forttreiben zu lassen oder emporzusteigen, so ist klar, dass er dann auch den Anfangs. 
punkt nicht erreichen kann, und dass er vielmehr eine grössere oder geringere Abdrift 
erfährt, da er ja einen Teil seiner lebendigen Kraft für eben diese anderen Zwecke 
verwendet. 

Beim Driftflug ist die Abdrift Flugzweck, aber beim Emporsteigen auf spiraliger 
Bahn ist sie jedenfalls eine Begleiterscheinung, welche an sich dem Zwecke der Hebung 
des Vogels nicht förderlich ist und die daher einen mechanischen Nachteil bedeutet. 
Man könnte daher fragen, warum der Vogel denn nicht im Luvbogen dem Winde so viel 
lebendige Kraft entnimmt, dass die Steigbewegung auf dem kürzeren Wege, d. h. mit 
senkrechter Spiralachse erfolgt. 

Um dieser Frage näherzutreten, hat man sich zu vergegenwärtigen, dass dem 
Vogel beim Segeln im Winde kein anderes Hülfsmittel zur Verfügung steht, als die 
Steuerung. Durch stärkere oder geringere seitliche Neigung seines Körpers im Luvbogen 
kann er willkürlich seine Klugflächen bald mehr, bald weniger der radialen Komponente 


127 


des Flugwindes aussetzen und so cinen grösseren oder kleineren lokomotorischen Antrieb 
auslösen. Allein zwei wesentliche Momente beschränken die Willkür des Vogels. Das 
eine ist, dass mit der Zunahme der seitlichen Neigung cine Verkürzung des Luvbogens 
und der Einwirkungsdauer der treibenden Windkraft Hand in Hand geht, das andere, 
dass bei jedem bestimmten Flugwind eine bestimmte seitliche Neigung nicht überschritten 
werden darf, ohne dass ein Sinken des Vogels erfolgt. Es giebt also für jeden Vogel 
von bestimmter Masse und Grösse und Form der Flugflächen ein bestimmtes Optimum 
der seitlichen Neigung, das er bei gegebener Windstärke nicht ohne Flugnachteil über- 
schreiten kann. Der segelnde Vogel kann durch willkürliche Steuerung bei jedem Winde 
wohl seine Fluggeschwindigkeit vermindern, aber er kann sie nicht beliebig steigern, 
sondern ist dabei vollkommen abhängig von der Stärke des herrschenden Windes, der 
allein die Flugarbeit leistet, und mit dessen Zu- und Abnahme auch die Fluggeschwindig- 
keit steigt und fällt. Mit der Fluggeschwindigkeit, mit dem Winde wachsen auch die 
Flugwiderstände, welche die Abdrift erzeugen. Wenn wir aber bei jedem steigenden 
Spiralfluge der Segler sehen, dass eine solche Abdrift erfolgt, so müssen wir doch an- 
nehmen, dass der Vogel den Zweck der Hebung bestmöglichst zu erreichen strebt, dass 
er mit dem günstigsten seitlichen Neigungswinkel segelt, den er bei dem herrschenden 
Winde anwenden kann, und dass er der bewegten Luft in jedem Luvbogen so viel 
lebendige Kraft entzieht, als ihm die Verhältnisse seines Flugapparates nur immer 
gestatten. Ist diese Annahme richtig — und es liegt kein Grund dagegen vor —, so 
bleibt es dabei, dass dre Abdrift eine unvermeidliche Begleiterscheinung des steigenden 
Spiralfluges ist, gleichsam ein notwendiges Uebel, wie die vertikalen Schwankungen beim 
Ruderfluge, ein kleines Opfer, welches der Vogel dem herrschenden Winde bringt, um 
sich von ihm ohne eigene Arbeit emportragen zu lassen. 

Beim stationären Kreisfluge erfolgt keine Abdrift, weil hier der Vogel die ganze 
im Luvbogen erworbene lebendige Kraft nur zum Tragen seines Gewichts, nicht aber 
zum Emporheben verwendet. Und wenn bei stärkerem Winde eine Hebung im Lee- 
bogen erforderlich wird, so entspricht ihr, wie wir gesehen haben, jedesmal im Luvbogen 
eine Senkung, durch welche der Geschwindigkeitsverlust wieder ausgeglichen wird. — 

Die letzten Betrachtungen haben ergeben, dass die lebendige Kraft des Windes 
einen segelnden Vogel wohl tragen oder mit sich fortführen und emporheben kann, 
dass sie aber nicht im stande ‚ist, ihn in der Richtung gegen den Wind, also gegen ihre 
eigene Richtung vorzutreiben. Will daher der Vogel gegen den Wind fortschreiten, so 
kann dies nur durch Uebergang zu einer anderen Flugart geschehen. In den meisten 
Fällen bedienen sich die Vögel hierzu des Ruderfluges oder des intermittierenden Ruder- 
schwebfluges. Man hat aber auch beobachtet, dass grosse Segler erst in ansteigender 
Spirale segelnd Höhe gewinnen, um dann schwebend ohne Flügelschlag beträchtliche Ent- 
fernungen gegen den Wind zurückzulesen. [és braucht nicht wiederholt zu werden, dass 


128 


es die Schwerkraft ist, welche den langsam sinkenden Vogel im Schwebfluge gegen die 
Richtung des Windes forttreibt. 

Um eine Vorstellung davon zu geben, wie grosse Strecken ein Vogel auf diese 
Weise zurücklegen kann, sei erwähnt, dass nach den Angaben von d’Esterno, Mouil- 
lard, Tatin und Bretonnière (vergl. Marey, vol. d. ois. S. 295—296) der Winkel, 
unter welchem die Bahn eines geradlinig herabschwebenden Vogels gegen den Horizont 
geneigt ist, 7° bis 10° beträgt, oder dass der Vogel für jedes Meter verlorener Höhe 
5 m in horizontaler Richtung zurücklegt. Hat also ein Adler kreisend und segelnd eine 
Hóhe von 1500 m erreicht, so kann er damit eine deutsche Meile weit horizontal fort- 
fliegen, ohne dabei einen Flügelschlag thun zu müssen. Wenn wir auch hinzufügen 
wollen, dass die Angaben der franzósischen Autoren allem Anscheine nach ohne Rück- 
sicht auf die Flughemmungen erfolgt sind, welche ein herrschender Wind notwendig 
hervorbringen muss, und dass daher, wenn der Gleitflug gegen einen lebhaften Wind 
gerichtet ist, die horizontale Wegstrecke wahrscheinlich erheblich kleiner sein wird, als 
eben angegeben, so ist doch unzweifelhaft der Raum, den der Vogel herabgleitend gegen 
den Wind gewinnt, unvergleichlich grósser, als die Abdrift, welche der Vogel erfuhr, 
als er segelnd die Höhe zu gewinnen suchte. Zin guter Segler kann somit sehr wohl 
ohne Flügelschlag auch gegen den Wind fortschreiten, indem er sich durch die lebendige 
Kraft des Windes kreisend emporheben und durch die Schwerkraft sinkend und gleitend 
vorwärts treiben lässt. 

Immerhin ist diese Art der Fortbewegung gegen den Wind sehr umständlich 
und zeitraubend und keineswegs ohne körperliche Anstrengung für den Vogel, denn, 
wenn er auch im Sinne des physikalischen Begriffes die Flugarbeit nicht (oder nur zum 
verschwindend kleinen Teile [Steuerung]) selber leistet, so muss er doch seine Flügel mit 
kräftiger Muskelspannung während der ganzen Dauer des Fluges festhalten. Er erleidet 
also im Innern seiner Flugmuskeln fortwährend Änderungen der Substanz, chemische 
Umsetzungen, er leistet innere Arbeit, für die er einen Ersatz durch die Ernährung nötig 
hat; und wenn auch diese innere Arbeit nicht ganz so gross ist, wie die äussere 
Arbeit der Muskeln beim Ruderfluge, so ist doch zu verstehen, wenn der Vogel, um 
schneller zu seinem in der Richtung gegen den Wind gelegenen Ziele zu kommen, es 
vorzieht, statt des zeitraubenden passiven Segelns und Schwebens den aktiven Ruderflug 
zur Anwendung zu bringen. 

4. Der unregelmässige Segelflug. Bei den bisher besprochenen drei Abarten des 
Segelfluges folgte regelmässig auf die Periode zunehmender Fluggeschwindigkeit eine 
Periode abnehmender Geschwindigkeit, auf den Luvbogen der Leebogen. Aber dieser 
regelmässige Wechsel von Luv und Lee ist keine unumgänglich notwendige Bedingung 
des Segelfluges. Gerade die besten Segler, die Sturmvögel, Möwen und Turmschwalben, 
lassen die einzelnen Luvbogen ganz unregelmassig aufeinanderfolgen, und füllen die 


129 


Zwischenpausen durch belicbige Schwebemanöver aus. Diese vierte Abart des Segelfluges 
wollen wir daher als den unregelmässigen Segelflug bezeichnen. 

Die vicl verschlungenen Bahnen einer Turmschwalbe (Cypselus) oder eines 
Albatros, der tagelang unaufhörlich und fast ohne jeden Flügelschlag ein Schiff um- 
kreist, haben vielfach das Interesse und die Bewunderung der Beobachter herausgefordert. 
Allein der oft äusserst verwickelte Gang der Fluglinien, die in jedem Augenblick schein- 
bar ohne jeden Grund und ohne erkennbaren Zweck von der eingeschlagenen Richtung 
bald seitlich, bald vertikal abweichen, scheint bisher die Autoren von jedem Versuche 
einer Erklärung abgeschreckt zu haben. Mir wenigstens ist nichts von einem solchen 
ernstlichen Erklärungsversuche bekannt. 

Nachdem wir oben gesehen haben, wie der Segler in jedem gegen den Wind 
konvexen Luvbogen seiner Flugbahn durch die lebendige Kraft des Windes einen Zu- 
wachs der Fluggeschwindigkeit erfährt, bietet die Erklärung des unregelmässigen Segel- 
fluges keinerlei Schwierigkeiten mehr. Die Beobachtung zeigt es, dass in die mannig- 
faltigen Schlingen und Schleifen einer solchen Fluglinie überall grössere und kleinere 
Luvbögen eingeschaltet sind, in denen der Vogel den vorher erlittenen Verlust an 
lebendiger Kraft immer wieder aus dem grossen Kraftvorrath des Windes ergänzt. Nur 
ab und an vervollständigt der Segler den Luvbogen zu einer geschlossenen Schleife, 
meist ändert er gegen Ende des Luvbogens die seitliche Neigung seines Körpers und 
seiner Flugflachen. Hat er den Luvbogen rechtsläufig durchflogen, d. h. so, dass der 
rechte, dem Krümmungsmittelpunkte der Bahn zugewandte Flügel tiefer lag, als der linke, 
so pflegt er oft beim Kehrpunkte den linken Flügel tiefer zu legen, als den rechten, und 
so den folgenden Leebogen, um einen in der Verlängerung des linken Flügels liegenden 
Mittelpunkt zu durchfliegen. Statt des Kreises entsteht so eine Wellenlinie, Luv- und 
Leebogen liegen nicht hintereinander in der Windrichtung, sondern nebeneinander. Der 
nächste Luvbogen liegt vielleicht bei unveränderter Seitenneigung des Vogels wieder 
vor dem letzten Leebogen; vielleicht ist er weit kleiner, als dieser, und der Vogel durch- 
fliegt ihn in fast vollständiger Seitenlage, vielleicht auch ist er grösser, als der Leebogen 
war, und der Vogel schwebt mit mehr horizontaler Flügelstellung dahin. 

Dazu kommt das aktive Eingreifen der Schwerkraft, oft wohl unbeabsichtigt 
und kaum bemerkt vom Vogel, wenn die llugveschwindigkeit im Leebogen mehr und 
mehr abgenommen hat, oft auch absichtlich herbeigeführt in allen Perioden des Segel- 
und Schwebfluges mit oder gegen den Wind. So sinkt der Vogel mit weit ausgebreiteten 
Flügeln, wenn er mit steiler Seitenneigung den Luvbogen durcheilt, so sinkt er, wenn 
er mit nur halb entfalteten Flügeln wie ein Pfeil vorwärtsschiesst, so senkt er sich 
schwebend herab, wenn er fast ohne Fluggeschwindigkeit die ausgespannten 
Flügel steil emporhält, als ob seine Muskeln im Beginn eines kräftigen Flügelschlages 
erstarrt wären. 

17 


Die Hebungen erfolgen in einzelnen l.ecbögen oder in Spiralen von mehrfachem 
Umlauf. Immer giebt dabei der Vogel den vorher in Luvbögen segelnd gewonnenen Vorrat 
lebendiger Kraft zur Hebung seines Körpers aus. Gelegentlich aber benutzt er auch 
die durch sinkenden Gleitflug erworbene Geschwindigkeit, um sich wieder emporzu- 
helfen (ressource). Wohl regelmässig erfolgen diese Hebungen auf Flugstrecken, die 
gegen den Wind gerichtet sind, aber sie sind immer nur von beschränkter Dauer, da 
der Vogel den Geschwindigkeitsverlust stets wieder durch Segeln im Luvbogen oder 
Herabgleiten ersetzen muss, um sich gegen das Mitgerissenwerden, die Abdrift durch 
den Wind zu schützen. Oft genug auch nimmt er seine Flugmuskeln zu aktiver Mithülfe heran, 
um durch Flügelschlag dem unbeabsichtigten Sinken in abflauender Boe zu entgehen, 
oder einem einseitigen, unregelmässigen Windstosse das Gleichgewicht zu halten, oder 
endlich, um bei schwachem Winde schnell auf geradem Wege sein Ziel zu erreichen. 

So erscheint denn der unregelmässige Segelflug als die komplizierteste aller 
Flugarten, bei welcher der durch seine schmalen Flügel zur Ausnutzung kleinster 
Neigungswinkel und zur geschicktesten, elegantesten Steuerung ausgerüstete Vogel alle 
Hülfsmittel und Kräfte des Fluges in vollendeter Weise anwendet und ausnutzt. Den 
Hauptantrieb leistet in den Luvbögen die lebendige Kraft des Windes. Daneben dient 
die Muskelkraft zur willkürlichen Steuerung und zur Ausführung gelegentlicher Flügel- 
schläge, welche die unregelmässige Struktur des Windes nötig macht. Endlich ist die 
Schwerkraft jederzeit bereit, dem Vogel (unter Einbusse von Höhe) neue Fluggeschwindig- 
keit zu verleihen, mit der er selbst gegen den Wind vordringen kann. Die viel ver- 
schlungenen Bahnen aber, welche für diese Flugart so bezeichnend sind, sind das Mittel, 
durch welches der Vogel sich die Kraft des Windes dienstbar macht und seine Herr- 
schaft über die Lüfte bethätigt. 

Diese Herrschaft auch für den Menschen zu gewinnen, ist das Ziel der höchsten 
Rangstufe der Flugtechnik oder der 47a. 


1. Schluss. 


Professor A. F. Zahm sagt in scinem am 5. Januar 1894 im Franklin Institute 
zu Philadelphia gehaltenen Vortrage (Journal of the Franklin Institute No. 826, 827:)*) 
Der Anblick eines im Sturme auf regungslos ausgebreiteten Flügeln gemächlich sich 
wiegenden Sturmvogels habe seit früher Jugendzeit für ihn etwas Packendes gehabt, das 
jeden Techniker in Entzücken versetzen müsse. Es gebe in der Natur kaum ein zweites 


*) Citiert nach Prof. A. Ritter: Über Luftfahrten und Windgeschwindigkeiten. Zeitschr. d, Vereins 
Deutsch. Ingenieure Bd. XXXIX. 


war 


Schauspiel, welches den Sieg und die Herrschaft der Intelligenz über die blind wütenden 
Naturkräfte in so schlagender Weise vor Augen führe. Die zweifellos unmittelbar bevor- 
stehende endgültige Lösung des Segelflugproblems werde dereinst als das grösste 
Wunderwerk des 19. Jahrhunderts gewürdigt werden. Aehnlichen enthusiastischen Aeusse- 
rungen begegnet man vielfach in der Fluglitteratur. Ob diese zuversichtlichen Prophe- 
zeihungen so schnell in Erfüllung gehen werden, muss die Zukunft lehren. Ich hoffe, 
durch die in der vorliegenden Arbeit entwickelte Theorie der Flugbewegung den 
Bestrebungen der Technik einen Weg gewiesen zu haben, auf dem man mit Mut und 
Ausdauer zum Ziele gelangen wird. 

An der Spitze der sog. passiven Aviatiker, d. h. derjenigen Flugtechniker, 
welche sich die Nachahmung des Segelfluges zur Aufgabe gestellt haben, steht heute 
unbestritten Herr Otto Lilienthal in Berlin. Er ist der erste und, soviel mir bekannt, 
einzige Techniker, der bisher persönlich den Segelflug auszuführen versucht hat. Schon 
hat er mit seinem »Fluggeschirr« die sehr ansehnliche Entfernung von mehreren hundert 
Metern gegen den Wind zurückgelegt. Aber die Flugbahnen, welche von dem Gipfel 
eines Hügels oder einer Anhöhe anhoben, haben immer noch eine sinkende Tendenz. Es 
sind keine Segelbahnen, sondern solche des Schwebfluges, und nicht der Wind, sondern 
die Schwerkraft leistet die Flugarbeit, soweit diese nicht durch den Vorrat lebendiger 
Kraft gedeckt wird, welchen L. durch energischen Anlauf zum Fluge gewinnt. 

Dass Lilienthal noch nicht bis zum echten Segelfluge vorgedrungen ist, liegt 
wohl daran, dass ihm die Bedeutung der kreisförmigen Segelbahnen noch nicht bekannt 
ist, wie sie sich aus der vorliegenden Arbeit ergiebt. In seinem Buche über den 
Vogelflug (S. 131, 132) bemerkt er zwar, es habe den Anschein, als wenn das Segeln 
in cykloidischen Kurven die am leichtesten ausführbare Form des Segelfluges sei, allein 
cr halt das Kreisen doch weiterhin für Nebensache, zumal die besten Segler ausser dem 
Kreisen auch jede andere Bewegung segelnd ausführen könnten. 

Wir wissen jetzt, dass es keinen Segelflug giebt ohne die immer wiederkehrenden 
Luvbogen, in denen der Wind den lokomotorischen Antrieb leistet. Daher wird auch 
der Flugkünstler erst dann triumphieren können, wenn es ihm gelungen ist, den ersten 
vollständigen Kreisflug auszuführen.* Es kommt darauf an, im ersten, quer zum Winde 
liegenden Luvbogen (unter möglichst geringem Sinken) so viel Fluggeschwindigkeit zu 
erwerben, dass sie ausreicht, um den nächsten Leebogen anstcivend gegen den Wind 
zurückzulegen. 


*) Die vorliegende Arbeit befand sich unter der Presse, als ich durch die Güte des Herrn 
O. Lilienthal dle Nummern 316, 322 und 323 der Zeitschrift »Prometheus« erhielt, in denen er in einem 
Aufsatze: »Fliegesport und Fliegepraxis« über seine neuesten Flugapparate mit zwei übereinanderliegen Flug- 
flächen sowie tiber die damit gemachten Erfahrungen berichtet, Bei der Lektüre dieser sehr interessanten Mit- 
teilungen War ich nicht wenig überrascht, einen Satz zu finden, der sich mit dem oben angemerkten Satze fast 


132 


An dem gut stabilisierten, frei schwebenden oder abwärtsgleitenden Apparat 
genügt, wie es Lilienthal gezeigt hat, eine geringe Verschiebung der Last oder des 
Schwerpunktes, um die zur Einleitung des Luvbogens erforderliche seitliche Neigung 
hervorzurufen. Je nach der Stärke der aktiven, radialen Komponente des Flugwindes 
wird diese Schwerpunktsverschiebung eine stärkere oder geringere Seitenneigung, einen 
kleineren, stärker gebogenen, oder einen grösseren, schwächer gekriimmten Luvbogen 
entstehen lassen. Hierbei überträgt sich, wie wir sahen, die lebendige Kraft des Windes 
mit mechanischer Notwendigkeit auf die Masse des segelnden, belasteten Apparates, der 
sich inzwischen mehr und mehr dem Kehrpunkte der Bahn nähert. Im Leebogen, 
besonders im Beginn desselben, ist die Hauptaufgabe des Flugkünstlers, die Längsachse 
des Apparates nahe an die Richtung des Flugwindes zu bringen und sie so weit empor- 
zurichten, als zur Vermeidung des Rückenwindes und zum Auffangen des Windes mit 
der Unterseite der Flügel nötig ist. Die Hebung des ganzes Apparates ist dann die 
Folge einer solchen zur Unterhaltung des Fluges unumgänglichen Steuerung. 

Ich zweifle keinen Augenblick, dass es einem Aviator von der zähen Ausdauer 
und der langjährigen praktischen Erfahrung Lilienthal’s gelingen wird, diese sicher 
zum Ziele führenden Flugmanöver mit bestem Erfolge durchzuführen. Ist man einmal 
im Besitz eines brauchbaren Fluggeschirrs, so ist es nur noch Sache der Uebung, die 
oben angegebenen Steuerungen oder Schwerpunktverschiebungen**) auszuführen, die mit so 
gut wie gar keinem Kraftaufwande verbunden sind. Die Ausführung des künstlichen 
Segelfluges wird keine Leistung der körperlichen Akrobatik sein, sondern cine Leistung 
der Intelligenz und des ruhigen, besonnenen Wagemutes. 

Die damit verbundenen Gefahren sind weit geringer, als sie auf den ersten Blick 
zu sein scheinen. Ein dem Vogel nachgebildeter Flugapparat, der in richtiger Weise 


wörtlich deckt. Es heisst daselbst (S. 170 der No. 323): „Sobald mir oder einem anderen Experimentator der 
erste volle Kreisflug gelungen sein wird, ist dieses Ereignis als eine der wichtigsten Errungenschaften auf dem 
llege zum vollendeten Fluge anzuschen," Freilich zeigte die dann folgende Begründung des Satzes auf dein 
Boden der Langley’schen Theorie, dass der Autor die wahre Bedeutung der gekriimmten Flugbahnen noch 
verkennt und demgemäss die mit der praktischen Ausführung verbundenen Schwierigkeiten überschätzt, Um 
so wertvoller sind aber die praktischen Erfahrungen, die ihn geradezu zum Versuch eines echten Segelfluges 
auf kreisfórmiger Bahn herausfordern: „Am Gip/elpunkte einer . . Fluglinie kommt der Apparat zuweilen längere 
Zeit zum Stillstand“ Ich fühle bei dieser Gelegenheit sehr deutlich, dass ich gehoben bleiben wirde, wenn ich 
mich etwas auf eine Seite legte, einen Kreis beschriebe und mit der hebenden Luftpartie fortschritte. Der Wind 
selbst sucht diese Beweyung einzuleiten.“ Dies alles bestärkt mich nur in der Meinung, dass es schwerer ist, 
beim praktischen l'luge die gerade Schwebbahn innezuhalten, als auf gekrümmter Bahn zu segeln. 

**) Eine weitere Vervollkommnung der künstlichen Flugapparate wird dahin führen müssen, dass statt 
einer Verschiebung der Last, wie sie Lilienthal bisher zur Steuerung angewandt hat, eine durch die Hand 
leicht und sicher zu beherrschende Vorrichtung zur Verschiebung und Einstellung der Flugflächen als aktives 
Steuer benutzt wird. Die Flugtiere steuern ausnahmslos durch Ändernng der Flugfläche; eine Verschiebung des 
Schwerpunktes ist ihnen nur in sehr untergeordnetem Masse möglich. 


133 


stabil belastet ist, bietet unter gewöhnlichen Verhältnissen völlige Sicherheit vor jahem 
Absturz. Denn wie er auch immer zur Seite geneigt wird, die Gefahr des völligen 
Kenterns ist eine verschwindend geringe, und im Fallen muss der Apparat immer wieder 
die normale Stellung einnehmen: die breiten Flugflachen werden in der widerstand- 
leistenden Luft dem Schwerpunkte gegenüber stets wie Fallschirme in der Fallbewegung 
zurückbleiben, so dass dieser stets in stabiler Lage unterhalb der Unterstützungsflächen 
liegen muss. 

Man hat einen fliegenden Vogel nur zu leicht im Verdachte, dass er besonder 
willkürliche Künste anwende, um die Stabilität beim Fluge zu bewahren, die doch ganz 
allein von der Lage des Schwerpunktes zur Unterstützungsfläche abhängt. Es war mir 
daher von ganz besonderem Interesse, als ich von Herrn Direktor Bolau gelegentlich 
einen natürlichen Flugapparat erhielt, bei dem die Möglichkeit einer willkürlichen 
Steuerung im Fallen gänzlich ausgeschlossen war. Es war ein geflügelter Same, allem 
Anscheine nach einer tropischen Bignoniacee aus der Gattung Pithecothenium (Affenkamm) 
angehórend. Die beiden breiten Flügel des münzenförmigen Samenkorns klafterten 
ca. 14 cm bei einer Breite von 7 cm. Der vordere Rand war nahezu halbkreisförmig 
und besass einen auffallenden, schräg nach unten hervortretenden Schrankenrand. Die 
zarten Hinterränder waren in ziemlicher Breite schwach emporgebogen; die Flügelspitzen 
lagen deutlich höher, als ihre Basis und das Samenkorn. Dieser Fliigelsame zeigte somit 
alle wesentlichen Merkmale des Flugapparates eines Flugtieres. In welcher Stellung man 
nun immer diesen Samen in der Luft sich selber überliess, ob in der Rückenlage, oder 

mit einer Flügelspitze, mit dem vorderen oder hinteren Rande senkrecht nach unten 
| gerichtet: er drehte sich augenblicklich mit der denkbar grössten Präzision in die richtige 
Flugstellung und legte so, langsam herabgleitend, auf gerader oder spiraliger Gleitbahn 
weite Strecken fliegend zurück. Aus hochgehobener Hand flog der Samen gelegentlich 
an I5 bis 20 m weit fort. 

Wie dieser pflanzliche, von keinem Willen regierte Flugapparat mit unfehlbarer 
Sicherheit stets in die rechte Lage zurückkehrte, so muss auch jeder zweckmássig gebaute 
und stabil belastete künstliche Flugapparat mit absoluter Zuverlässigkeit jede durch 
vorübergehende Windstösse verursachte Störung des Gleichgewichtes ohne besonderes 
Zuthun wieder beseitigen; und ein direktionsloses Kopfüber ist unmöglich, solange die 
Flügel stehen und keine die Stabilität völlig störende Verschiebung der Last eintritt. 

Wie ein Schiff auf freiem Ozean weit weniger gefährdet ist, als in der Nähe der 
Küsten und in engem Fahrwasser, so ist auch der Aviator so gut wie vollkommen 
ausserhalb jeder Gefahr, solange er in genügender Höhe in freier Luft dahingleitet. Die 
Schwierigkeiten treten gewöhnlich erst beim Landungsmanöver auf. Allein sie sind auch 
hier weit geringer, als z. B. bei der Landung eines Luftballons, sofern es nur dem Flug- 
künstler gelingt, Kollisionen mit hochragenden Gegenständen zu vermeiden und das Ende 


134 


des Fluges unter allen Umständen in der Richtung gegen den Wind auszuführen. Es 
ist eins der wichtigsten bisherigen Resultate der Flugversuche O. Lilienthal’s, dass 
er das Landungsmanöver Dutzende von Malen, ohne Schaden zu nehmen, ausgeführt und 
dadurch den Beweis geliefert hat, dass in dieser Beziehung der Vollendung der Aufgabe 
kein ernstes Hindernis im Wege steht. Es handelt sich darum, genau nach dem Beispiel 
des landenden Vogels im letzten Augenblick die Langsachse des Apparates etwas empor- 
zurichten, so dass der Flugwind hemmend gegen die Flügel trifft, darauf den Stoss gegen 
den Erdboden aufzufangen und eventuell den Flug mit kurzem, hemmenden Schlusslaufe 
zu beendigen. 

Wir haben somit jetzt die durch Theorie und praktische Erfahrung wohl begründete 
Aussicht, dass auch die langjährigen, unermüdlichen Versuche Lilienthal's in absehbarer 
Zeit von Erfolg gekrönt sein werden, und dass es ihm in der vorbezeichneten Weise 
gelingen wird, wic die grossen Segelvógel die lebendige Kraft des Windes der Kunst 
des Fliegens nutzbar zu machen, und damit auch die praktische Aufgabe der Aviatik 
zu lösen. 


ABHANDLUNGEN 


aus dem 


Gebiete der Naturwissenschaften 


herausyegeben vom 


Naturwissenschaftlichen Verein 


in Hamburg. 


—o XV. Band. =- 


INHALT: 


D Revision der Uropygi Thor. (Thelyphonidae auct) von Karl Kraepelin. 


Hi a. Der Schwebflug und die Fallbewegung ebener Tafeln in der Luft von Fr. Ahlborn. 
b. Uber die Stabilität der Flugapparate von Fr. Ahlborn. 


-— --- 99.9 - 


HAMBURG 
L. Friederichsen & Co. 
~ 1897. 


Druck von Grefe & Tiedemann, 


Revision 
Uropygi Thor. 


(Thelyphonidae auct.) . 


Von 


Karl Kraepelin. 


^» M -4e — 


JUN 2 1897 


Revision der Uropygi Thor. 


(Thelyphonidae auct.) 


Von 


Karl Kraepelin. 


Wenn Thorell (31*) pag. 359) von dem Studium der die Hauptmasse unserer 
Unterordnung bildenden Thelyphoniden sagt: ,,sensi me in questionem nodosissimam inci- 
disse", so wird man einer solchen Klage die Berechtigung schwerlich versagen können. 
Bei der ausserordentlich weitgehenden Gleichartigkeit der äusseren Strukturverhältnisse 
dieser Tiergruppe erweisen sich die Beschreibungen und namentlich die Abbildung der 
alteren Autoren als vollkommen unzulanglich, und selbst bei den jüngst beschriebenen 
Arten ist vielfach nur mit Hülfe des Originalexemplars ein sicheres Urteil über ihre 
Identitát mit einer neu zu bestimmenden Form zu gewinnen. In hohem Masse erschwerend 
bei der Sichtung der Arten wirkt des Weiteren der haufig sehr ausgepragte Dimorphismus 
der Geschlechter, mit dem eine oft bis ins Kleinste gehende Übereinstimmung des einen 
Geschlechts bei zwei vielleicht im andern Geschlecht deutlich unterscheidbaren Arten 
Hand in Hand zu gehen pflegt. Fügen wir hinzu, dass jugendliche Individuen jene 
zur Aufstellung schärfer begrenzter Gruppen fast allein geeigneten sekundären Geschlechts- 
charaktere noch nicht entwickelt zeigen und daher in kein Tabellenwerk sich einfügen, 
sowie, dass naturgemäss von vielen Formen bisher überhaupt nur das eine Geschlecht 
bekannt ist, wahrend bei anderen die zusammengehórigen Geschlechter als verschiedene 
Arten beschrieben wurden, so wird man es begreiflich finden, dass wir von einer end- 
gültigen Festlegung der Arten und Gattungen noch sehr weit entfernt sind, und dass 
auch die nachfolgende Studie vor so manchen Zweifeln Halt machen musste. 

Als Haupterfordernis, auf diesem schwierigen Gebiet einen Schritt weiter zu 
kommen, betrachtete ich von vornherein die Beschaffung eines möglichst reichhaltigen 
Materials. In liebenswürdigster Weise wurde meiner diesbezüglichen Bitte durch Zusendungen 
von den Museen zu Berlin, Bern, Calcutta, Dresden, Frankfurt a.M., Genua, 
Göttingen, Kiel, Kopenhagen, Lübeck, München, St. Petersburg, Stock- 
holm, Stuttgart, Wien, sowie von den Herren Dr. Zansen-Kopenhagen und 
Dr. £L. Koch-Nürnberg entsprochen. Allein die Zahl der Arten und Exemplare, welche 





*) Die cingeklammerten Zahlen verweisen auf das Litteraturverzeichnis am Ende der Arbeit. 


4 


mir auf diese Weise zu Gebote standen, war in vielen Fallen auch jetzt noch nicht aus- 
reichend, alle Fragen befriedigend zu lösen. Um so mehr musste ich es bedauern, dass 
gerade dasjenige Institut, welches neben dem reichhaltigsten Material auch die meisten 
Typen besitzt, das Britische Museum, nach wie vor auf Grund gesetzlicher Bestimmungen 
verhindert ist, wissenschaftliche Arbeiten ausserhalb seiner Räume durch Darleihung irgend 
welcher Objecte zu unterstützen. Nur der gütigen Beantwortung einiger auf Original- 
exemplare bezüglicher Anfragen hatte ich mich seitens des Verwalters der Arachniden- 
sammlung, des Herrn A. F. Pocock, zu erfreuen, wodurch ja aber in keinem Fale die 
Autopsie einer zweifelhaften Form ersetzt werden kann. Immerhin schulde ich demselben 
für sein freundliches Entgegenkommen nicht minder Dank, wie allen jenen Herren, welche 
mich durch Übersendung des ihnen zu Gebote stehenden Materials in so liebenswürdiger 
Weise unterstützt haben. — | 

Die älteste eingchendere Beschreibung eines Thelyphoniden verdanken wir Zzune (2), 
welcher im Museum Ludovicae Ulricae 1864 das bereits in der Editio X seines Systema 
naturae kurz erwähnte Phalangium caudatum von Java näher charakterisierte. 
Fabricius (4) reihte diese Form seiner Gattung Tarantula ein, während Lazrezée (6) 1804 
für sie den Gattungsnamen Thely phonus wählte Als erster Monograph der Gattung 
ist Lucas (9) zu nennen, welcher im Jahre 1835 sechs verschiedene Arten nach dem Material 
des Pariser Museums unterscheiden zu können glaubte, deren Wiedererkennung aber im 
Hinblick auf die völlig unzulängliche Beschreibung und Abbildung bei den 4 fundorts- 
losen Arten völlig unmöglich ist. C. L. Woch (10) führt im X. Bande seines Arachniden- 
werkes im Ganzen 8 Arten auf, denen Gerard (13), Doleschall (14, 15), Wood (16, 17, 18) und 
besonders 5/eZrcza (19, 23) eine Reihe weiterer Formen hinzufügten. 1872 erschien eine neue 
monographische Arbeit von /utler (20), in welcher dieser Autor nicht weniger als 21 
durch spätere Nachtrage (22) noch um weitere 5 vermehrte Species aufführt, dieselben 
dabei aber in so oberflachlicher und mangelhafter Weise beschreibend, dass wir erst durch 
die späteren Erläuterungen Z’ococks (36) über die Mehrzahl dieser Arten zur Klarheit 
gelangt sind. In demselben Jahre wurde durch Cazuóridye (21) unsere Kenntnis der Gruppe 
durch die Beschreibung der höchst eigenartigen Formen erweitert, welche er als Genus 
Nyctalops einer eigenen Familie der Tartarides einreihte. 

Das letzte Jahrzehnt hat uns. abgesehen von cinigen kleineren Beiträgen Simons 
(29, 30) und Aeyserlings (27), namentlich die verschiedenen Arbeiten Z70re//s (29, 31, 34), 
Oates (33), Zarnant s (32, 35, 37, 38) und Z’ococks (36) gebracht. Bereits im Jahre 1888 suchte 
Lhorell (31) die alte Gattung Thelyphonus durch Abspaltung der Gattung Tetrabalius 
einheitlicher zu gestalten und änderte den Gattungsnamen Nyctalops Cambridge, weil 
bereits vergeben, in Schizonotus um. In einer späteren Abhandlung (34) spaltet ZAorell 
die Thelyphonidengattung Hypoctonus ab und fasst Thelyphoniden und Tartarides 
denen er die neue Gattung Tripeltis hinzufügt, als Unterordnung der U ropy gi zusammen. 
Den verhältnismässig wenigen von TAore/l! beschriebenen neuen Arten fügte Oates (33) 
8 neue IIypoctonus hinzu, während Zarnani in seinen verschiedenen Abhandlungen 
(32. 35, 37, 38) uns mit 6 weiteren Thelyphonusarten bekannt macht. Z’ocock (36) endlich hat 


N 


nicht nur die alten Duler schen Arten einer dankenswerten Revision unterzogen, sondern 
neben einer Reihe neuer Arten auch 6 neue Gattungen aufgestellt (Thelyphonellus, 
Labochirus, Mimoscorpius, Typopeltis, Uroproctus, Mastigoproctus), deren Arten bisher 
unter dem Sammelnamen Thelyphonus vereinigt waren. — Da die Zeit noch nicht 
gekommen sein dürfte, über die Berechtigung dieser weitgchenden Spaltung der alten 
Gattung Thelyphonus ein endeültiges Urteil zu fällen, so sind die von Z%orell und Pocock 
aufgestellten neuen Gattungen in der vorliegenden Arbeit als solche fast unverändert bei- 
behalten, ja sogar noch durch eine weitere, auf denselben Prinzipien gegründete Gattung 
vermehrt worden. Da indess vielfach nur das eine Geschlecht die zu generischer 
Trennung benutzten Merkmale aufweist, so darf es jedenfalls nicht Wunder nehmen, wenn 


in den nachfolgenden Bestimmungstabellen die Genera häufig genug nur durch artliche 


D 


( 
< 


Merkmale von einander getrennt erscheinen. 


Wie schon aus der geschichtlichen Einleitung ersichtlich, zerfällt die Unterordnung 
der Uropygi oder der geschwänzten Geisselskorpione in 2#) scharf von cinander 
getrennte Gruppen, welche Z%orell als Tribus der Oxopoei und der Tartarides mit 
je einer Familie - Thelyphoniden und Schizonotiden — einander gegenüber- 
stellt. Die wesentlichsten Unterschiede beider Gruppen sind folgende: 

Cephalothorax oberseits aus einem Stück bestehend, alle 4 Beinpaare an dem- 
selben befestigt. Caudalanhang lang, gegliedert. Cephalothorax vorn am Stirnrande 
mit deutlichen, auf einem Augenhügel stehenden Mittelaugen (Fig. 3a u. b), an den 
Seiten mit je 3 Seitenaugen. Maxillen aus Coxa, Trochanter, Femur, Tibia und 
Hand gebildet (Pig. ra). Letztere mit zusammenschliessenden Scheerenfingern. 
Geissel des I. Beinpaares 9 gliedrig. Endtarsen nur mit 2 Krallen (Fig. za). 

Trib. Oxopoei Thor., pag. 6. 

Cephalothorax durch eine tiefe Gelenkfurche nahe dem Ilinterrande in 2 Ab- 
schnitten von ungleicher Grösse geteilt (Fig. 54a, b), 3. u. 4. Beinpaar an dem hinteren 
Abschnitte sich inserierend.  Caudalanhang ganz kurz, griffelartig und ungcgliedert, 
oder mit verdicktem Endknopf (ig. 56 a, b). Cephalothorax ohne Mittelaugen und 
Augenhügel (Fig. 5.4), meist auch ohne Seitenaugen (selten Jederseits ı Seitenauge). Maxillen 
aus Coxa, Trochanter, Femur, langer Patella, Fibia und Hand gebildet (Fig. 1 b). 


Letztere nur mit Endklaue (die gegen einen schwachen Dorn der Iland einschlagbar 
ist).  Geissel des TI. Beinpaares Sgliederig.  Endtarsen mit 2 dorsalen und 


I ventralen Kralle (Fig. 2b). 
Trib. Tartarides Thor, pag. 50. 


*) Die Zugehörigkeit der seltsamen Koenenia mirabilis Grassi (in Il Naturalista Siciliano 
IV. pag. 127, 1885 und Bull. della Soc, Entom, Ital. XVII. pag. 153, 1886) zur Unterorduung der Uropygi 
ist zum mindesten zweifelhaft. Der Cephalothrax zeigt Spuren einer Gliederung in 6 Segmente mit Scheidung 
von Kopf und Thorax, ein 13 gliedriger Schwanzanhang ist vorhanden, die Mandibeln endigen mit Scheeren, 


Die Masillen sind wahre Beine und endizen mit 3 Krallen. I. Beinpaar ohne Fühlergeissel, mit 3 Krallen endigend, 


6 


I. Trib. Oxopoei Thor. 


Fam. Thelyphonidae auct. 


Uropygen mit ungeteiltem Cephalothorax, an welchem sämtliche 4 Bein- 
paare sitzen. Caudalanhang lang, gegliedert. Cephalothorax vorn an 
der Stirn mit 2, meist auf einem Augenhiigel stehenden Mittelaugen 
(Fig. 3a,b), an den Seiten jederseits mit 3 Ocellen. Maxillen aus Coxa, Tro- 
chanter, Femur, Tibia und Hand gebildet (Fig. 1a); letztere mit zusammen- 
schliessenden Scheerenfingern. Geissel des I. Beinpaares neungliedrig 
(erstes Glied aber stets sehr kurz, ringartig). Endtarsen mit 2 Krallen (Fig. 2a). 

Die hierher gehörigen, bis zum Jahre 1888 in der einzigen Gattung Thely- 
phonus vereinigten Formen zeigen, trotz ihrer neuerlich erfolgten Zerlegung in 8 
verschiedene Genera und trotz ihrer Verteilung auf zwei weit auseinander liegende Ver- 
breitungsgebiete, in dem Gesammtaufbau ihres Körpers und seiner Anhänge eine ungemein 
weitgehende Übereinstimmung. Unter diesen Umständen sind denn Charaktere zu Gattungs- 
merkmalen erhoben worden, die in anderen Familien wohl kaum als solche Anerkennung 
finden würden. Hierher gehört unter anderen der Unterschied, ob von den Nebenaugen 
des Cephalothorax an den Seiten des letzteren ein scharfer Grat nach vorn verläuft, 
(Fig. 3 a), oder ob der Cephalothoraxrücken mehr gerundet nach den Seiten abfällt (Fig. 3 b). 
Ähnlich ist es mit dem Auftreten oder Fehlen eines dornigen Zahnes am Innenrande des 
Coxalfortsatzes der Maxillen, dem Vorhandensein von 0, 2 oder 4 Ommatiden, jenen 
kleinen augenartigen Flecken am 3. Gliede des Schwanzanhanges, die von Hansen 
(Entomologiske Meddelelser 1893 p. 175—177) als Leuchtorgane in Anspruch genommen 
werden, mit den Gruben und Furchen des ı. Bauchsegmentes etc. Mehr in die Augen 
fallend sind die Verschiedenheiten, welche in den sekundären Geschlechtscharakteren hervor- 
treten, die mannigfachen Modifikationen der Fühlergeissel des Weibchens, die seltsamen 
Ausgestaltungen des Tibialfortsatzes der Maxillen beim Männchen in allen den Fällen, 
wo derselbe mit dem beweglichen Scheerenfinger der Hand — unter Übergehung des ihm 
zur Seite liegenden unbeweglichen Scheerenfingers — zu einem zangenartigen Greifapparat 
zusammentritt. Allein an irgend welchem Criterium der systematischen Bewertung aller 
dieser beobachteten Verschiedenheiten fehlt es zur Zeit noch ganz, und es wird daran so 
lange fehlen, bis etwa durch eingehende anatomische Untersuchungen bestimmte, phyloge- 
netisch enger zusammenhängende Gruppen erkennbar werden. Vorläufig befinden wir uns 
noch in dem Stadium der reinen Formbeschreibung und Formunterscheidung, und dabei 
ist es denn am Ende gleichgültig, in wie weiten oder in wie engen Grenzen der Begriff 
der Gattung gefasst wird. 

Von den nachfolgenden beiden Tabellen giebt die erste lediglich eine Übersicht 
der zur Zeit angenommenen Charaktermerkmale der Gattungen, ohne Rücksicht auf 
Bestimmbarkeit, während in der zweiten der Versuch gemacht ist, die Auffindung des Namens 
irgend eines vorliegenden Exemplares zu ermöglichen. 


/ 


Tabelle I. Uebersicht der Gattungen. 
(Ohne Rücksicht auf Bestimmbarkeit). 


A) Von den Seitenaugen des Cephalothorax zieht eine deutliche scharfe Criste am Rande 


nach vorn gegen den Augenhiigel (Fig. 3a). 


I. Hand platt (beim allein bekannten d), doppelt so breit, als der Femur. Letzterer 


II. 


schlank, 4 mal so lang als breit (Fig. 4). Zwischen den Hauptaugen kein erhabener 
Wulst. Unbeweglicher Finger der Hand stark gekrümmt. Nur das IV. Beinpaar 
mit Tibialspornen. Mimoscorpius Poc. 
Hand oberseits convex, selten dicker als der Femur. Letzterer höchstens doppelt 
so lang als breit. Zwischen den Hauptaugen ein trennender erhabener Langswulst. 
Unbeweglicher Finger der Hand gerade. 

a. Coxalfortsatz der Kiefertaster am Innenrande ohne Zahn (Fig. 5 a). 

«) Apophyse der Hand beim & modifiziert, cylindrisch oder gekniet, aussen stets 
ganz unbedornt, ohne schneidende, bedornte Vorderkante und nicht gegen die 
Spitze allmählich in einen starken Dorn auslaufend, sondern hier oft etwas 
verdickt oder gerundet, mit mehreren kleinen Zinken, an seiner Spitze mit der 
Spitze des beweglichen Fingers zusammenschliessend (Fig. 11, 12, 13). 
I. Bauchsegmente nur am Hinterrande mit Medianfurche, 2tes kaum mit Andeutung 
eines Dorns. Fühler des Weibchens modifiziert oder nicht, seine Glieder 
gestreckt. Typopeltis Poc. 

5) Apophyse der Hand in beiden Geschlechtern anı Vorderrande zugeschärft, mit 
Sägekante, gegen die Spitze allmählich in einem starken spitzen Dorn aus- 
laufend, der nicht mit der Spitze des beweglichen Fingers artikuliert (Fig. 9, Fig. 44). 


ı) Ohne Ommatiden am 3. Caudalglied Abalius n. g. 
2) Mit 4 s Ac 3 5 (Fig. 6) Tetrabalius Thor. 
3) Mit 2 m ae 3 is 


«) I. Bauchsegment beim co mit durchgehender Medianfurche, II. in der 
Mitte des Hinterrandes mit kleinem spitzem Dorn (Fig. 7a). Fühler 
des 9 meist in einigen Segmenten umgeformt. Thelyphonus Latr. 
B) I. Bauchsegment beim & ohne durchgehende Medianfurche, II. höchstens 

mit Andeutung eines Dorns. Fühler beim 9 nie modifiziert. 
Mastigoproctus Poc. 
b) Coxalfortsatz der Kiefertaster am Innenrande mit je einem (selten 2) starken Dorn 
(Fig. 5b). Apophyse der Tibia beim d schlank, an der Vorderkante nur am 
Grunde und am Ende mit einigen Zähnen, an der Hinterkante unbewehrt, am 
Ende zugespitzt und sich mit den beiden Enden der Finger berührend (Fig. 41). 
I. Bauchsegment beim J ohne durchgehende Medianfurche. Fühlerglieder der 9 


. . € Y 
alle unmodifiziert. Uroproctus Poc. 


B) Der Cephalothoraxrand zwischen Ocellen und 5tirn ohne Andeutung einer Crista, die 


Dorsalflache völlig gerundet in die Seitenfläche übergehend (Fig. 3b). Fühler der 


$ nicht modifiziert. I. Bauchsegment beim J ohne Medianfurche. 


I. Ohne Ommatiden am 3. Caudalglied. Hauptaugen flach dem Cephalothorax auf- 


II. 


liegend. Apophyse der Tibien beim g nicht modifiziert. Thelyphonellus Poc. 
Mit 2 Ommatiden am 3. Caudalglied. Hauptaugen einem erhabenen Buckel anliegend. 
Apophyse der Tibien beim d cylindrisch oder am Ende verdickt, nicht allmählich 
in einen starken Dorn endigend und ohne geságte Vorderkante, mit der Spitze des 
beweglichen Fingers artikulierend (Fig. 43, Fig. 45—48). 

a) Coxalfortsatz der Kiefertaster am Innenrande mit starkem Dorn (selten 2). 
Coxalfortsatz beim d fast geweihartig lang (Fig. 42). GC mit verlängerten 
Schenkeln und Tibien der Kiefertaster. Hand flach, mit tiefer Grube (Fig. 43). 
Stirn namentlich beim J mit langem Hornfortsatz. Labochirus Poc. 

b) Coxalfortsatz der Kiefertaster am Innenrande ohne Dorn, beim d nicht lang 
zangenartig. Femur beim dc nicht vielmal länger als breit. Hand oberseits 
auch beim @ convex (Fig. 45, 47) Stirnvorderrand ohne langen kegeligen, 
schrág abwarts gerichteten Chitinfortsatz. Hypoctonus Thor. 


Tabelle II. Bestimmung der Gattungen. 


Von den Seitenaugen des Cephalothorax zieht eine deutliche, scharfe Crista am 
Rande nach vorn gegen den Augenhügel (Fig. 3aJ... . . . . . . . Rp ws 
Der Cephalothorax zwischen Ocellen und Stirn ohne Andeutung einer Crista: die 
Dorsalfläche des Cephalothorax völlig gerundet in die Seitenfläche überrehend 


(Pigs SD) "D ge eee a eh TX C 
Ohne Ommatiden am 3. Caudalsemmnenf: Rum orem m. Abaliz: n. g., p. 16. 
Mit M m 7x ^ dern wd i E mede de SR WEM OB ati 


Hand platt, doppelt so breit als der Femur. Dieser schlank, 4 mal so lang als 
dick (Fig. 4). Zwischen den Hauptaugen kein erhabener Wulst. Unbeweglicher 
Finger der Hand stark gekrümmt. Nur das IV. Beinpaar mit Tibialspornen 
Mimoscorpius Poc., p. 10. 
Hand oberseits convex, selten. dicker als der Femur. Zwischen den Hauptaugen 
ein trennender erhabener Langswulst. Femur höchstens doppelt so lang als breit. 


Unbeweglicher Finger der Hand gerade. . . . 2. . 2 . . . ........4 
Coxalfortsatz der Kiefertaster an der Innenkante mit starkem, gegen die Medianlinie 
vorspringendem Zahn (Fig. 5b) . . . . . . . . . 9. Uroproctus Poc., p. 40. 
Coxalfortsatz der Kiefertaster an der Innenkante ohne Zahn, höchstens geschultert, 
(ugs sn) 1x xtX. ox o9 Tr EE es RE T 


Apophyse der Hand cy indirekt ode en ohne eene, gesägte Vorderkante, 
am Ende gerundet oder verdickt, meist mit einigen kleineren Zacken, in welche die 
Endklaue des beweglichen Fingers passt, nicht allmählich in einen starken spitzen 
Dorn auslaufend (Fig. 11—-13) d. . . . . . 2: Typopeltis Poc. cmend., p. I1. 
Apophyse der Iland etwas platt, 2schneidig, mit sagezahniger Vorderkante, gegen 
die Spitze allmählich in einen starken spitzen Dorn auslaufend, der nicht mit der 
Klauenspitze des beweglichen Fingers zusammentrifit (Fig. 9) . 2... 2... 6 


6. 


NI 


IO. 


II. 


13. 


9 E 


Mit 4 Ommatiden am 3. Caudalsegment (Fig. 6). 4. Tetrabalius Thor.. p. 18. 
Mit 2 Ommatiden am 3. Caudalseement . 2. 2 0... 5... ls... 7 


I. Bauchsegment mit deutlicher, durchgehender Medianfurche. II. Bauchsegment in 
der Mitte des Ilinterrandes mit Dórnchen (Fig. 7a). g 
5. T hely phonus Latr., p. 19. 


I. Bauchsegment ohne deutliche, durchgehende Medianfurche. H. Bauchsegment 


ohne Dórnchen am Hinterrande (Fig. 7b) . . . . . . . L4 38 358 
3tes (und meist alle) Fühlerglied doppelt oder mehr als doppelt so lang als breit, 
meist keines derselben modifiziert (Fig. 34—36, Fig. go)... 222 .. ...9 


3tes Fühlerglied (und meist auch die nächstfolgenden) nicht oder kaum länger als 
breit, 5.—7. Glied oft (bei reifen 9€) modifiziert (Fig. 22---33) 
5. Thelyphonus, p. 19. 


Alle 3 Hinterbeinpaare am Ende der Tibia innen mit deutlichem Dorn (Fig. 8) . 10 


Nur das 4. oder das 3. und 4. Beinpaar mit endständigem Tibiendorn. . . . . 12 
Femur und Tibia der Kiefertaster glatt, nur sehr zerstreut nadelstichig. Abdomen 
der Lange nach oberseits mit deutlichem Medianstreif. . 5. Thelyphonus, p 19. 


Femur und Tibia der Kiefertaster ziemlich dicht raspelig oder dicht grob nadel- 


a 


stichig. Abdomen oberseits ohne Spur eines Medianstreifs . . . 2... . LI 
Truncus bis 60 mm lang. Fühlerglieder ziemlich grob gekornt; 3tes Fühlerglied 
viel kürzer als das 2te (Fig 10a). Seitencrista des Cephalothorax von den Ocellen 
nicht bis zum Augenhügel reichend. I. Bauchsegment nur mit 2 Seitengruben, 
II. mit einer einzigen oder 2 gegen die Mittellinie zusammen strebenden Depres- 
sionen. Ommatiden meist quer oval . . . . . 6. Mastigoproctus Poc., p. 36. 
Truncus nur bis 45 mm lang. Fühlerglieder glatt; 3tes Fühlerglied kaum kürzer 
als das 2te (Fig. 10b). Seitencrista des Cephalothorax von den Ocellen fast in 
voller Schärfe bis vor den Augenhiigel reichend. I. Bauchsegment oft in der Mitte 
mit tiefer querovaler oder yförmiger Grube, oder ausser den 2 Seitengruben noch 
mit medianer Depression am Hinterrande; II. mit 3 Querdepressionen. Ommatiden 
rund . . . . . .. oe oe cba eae oe « 2. Pypopeltis loc; p. fL 
Tibia der Maxillen dicht grob nadelstichig. Mandibeln aussen seitlich oberhalb des 
Grundes mit tief buchtigem Einschnitt (Fig 38a). Der Coxalfortsatz der Manillen 
gegen die Mundhöhle mit mehreren Langsreihen kleiner Zähne besetzt (Fig. 39) 

6. Mastigoproctus Poc., p. 36. 
Tibia der Maxillen nur zerstreut nadelstichig, oft fast glatt. Oberkiefer aussen seitlich 
nur etwas geschweift, ohne tiefen buchtigen Einschnitt (Fig. 38b). Coxalfortsatz 
der Maxillen gegen die Mundhöhle nur mit ı (oder 2) randständigen Reihe grober 
Aie uum uod xe dh xum hoe ee ERO ee d NR Re Xo we eS deck Rel 
2tes Fühlerglied 11 mal so lang als das 3te (lig. 40a). Truncus bis 60 mm lang. 
Grosse Tibialsporne stets am IV. und III. Beinpaare 

6. Mastigoproctus Poc., p. 36 


2 


10 


2tes Fühlerglied nicht deutlich länger als das 3te (Fig. 40b). Truncus 35- 50 mm 
lang. Tibialsporne meist nur am IV. Beinpaar . . . See eus fis ce x e A 
14. Caudalanhang ziemlich dicht mit langen steifen Borstén I Truncus bis 50 mm 
lang. 2tes Bauchsegment mit 2 schwachen Querdepressionen, die sich in der Mittel- 
linie zu vereinigen streben . . . . .. 6. Mastigoproctus Poc., pag. 36. 
— Caudalanhang nur hie und da mit einzelnen Borsten im Grunddrittel, sonst kahl. 
Truncus bis 35 mm lang. 2tes Bauchsegment jederseits der Mittellinie mit einer 
fast rundlichen Grube, die denen des IV.— VII. Bauchsegmentes entspricht 
5. Thelyphonus Latr., p. 19. 
15. Ohne Ommatiden. Hauptaugen dem Cephalothorax flach aufliegend. Tibienapophyse 
stets am Ende dornartig, nicht mit der Spitze des beweglichen Fingers zusammen- 
treffend. America ... . : 2... . Thelyphonellus, Poc., p. 41. 
— Mit Ommatiden. Haupinieen einem ehabenen Buckel eingefügt. Tibienaponi 
beim d ohne schneidende gesägte Vorder- und Hinterkante, nicht ganz allmählich in 
einen spitzen Dorn endigend, mit der Klauenspitze des beweglichen Fingers 
artikulierend (Fig. 43, Fig. 45—48). Ostasien. . . V we oa & LO 
16. Coxalfortsatz der Kiefertaster am Innenrande mit 1 Dons (selten 2), beim dg lang 
zangenartig (Fig. 42). Femur u. Tibia der Kiefertaster beim JS vielmal länger als 
breit. Hand oberseits flach, mit tiefer Grube (Fig. 43). 8. Labochirus Poc., p. 42. 
— Coxalfortsatz der Kiefertaster am Innenrande ohne einen gegen die Mittellinie 
vorspringenden Zahn. Femur u. Tibia beim d' nicht auffallend verlängert. Hand 
oberseits convex (Fig. 45, 47)... . : . 9. Hypoctonus Thor., p. 43. 


1. Gatt. Mimoscorpius Poc. 1894 


Thelyphoniden mit scharfer Randcrista des Cephalothorax von den Seiten- 
augen bis zur Stirn, ohne erhabenen Linegswulst zwischen den beiden Haupt- 
augen, beim (allein bekannten) & mit platter Hand, die doppelt so breit ist, 
als der schlanke, cylindrische, 4 mal so lange als breite Femur (Fig. 4). 
I. Bauchsegment ohne Medianfurche, II. ohne Dorn. 


1. Mimoscorpius pugnator (Butl.) 1872. 

1872 Thelyphonus pugnator Butler in: Ann. Mag. Nat. Hist. (4; x. p. 204. 

1894 Mimoscorpius pugnator Pocock ibid (6) XIV. p. 132. 

Färbung und Gestalt des Truncus wie bei den übrigen Thelyphoniden. Trochanter 
der Maxillen am Vorderrande mit 6 Zähnen; der schlanke cylindrische Femur nur unter- 
seits gegen das Vorderende mit kleinem Dorn. Tibia halb so lang als der Femur, mit 
langer, schlanker, ungezähnter (7) Apophyse. Unbeweglicher Finger der Hand breit zu- 
sammengedrückt und stark gekrümmt, beweglicher Finger fast gerade, am Ende 2spaltie, 
beidseitig gesägt. Schenkel der Beine runzelig körnig. Tibialsporne nur an den IV. Beinpaaren. 

Die Ileimat des Mimoscorpius pugnator sind die Philippinen. Bisher ist nur ein 
männliches Individuum (Brit. Mus.) bekannt. 


II 


2. Gatt. Typopeltis Poc. 1894 emend. 


Thelyphoniden mit scharfer Randcrista des Cephalothorax von den Seiten- 
augen bis zum Stirnrande, mit erhabenem Längstwulst zwischen den Stirn- 
augen, mit gewölbter Oberhandflache. Fühlerglieder sämtlich erheblich länger 
als breit. Tibialsporne an allen 3 hinteren Beinpaaren. Apophyse der Maxil- 
lartibia beim d modifiziert, d. h. ohne schneidende Vorderkante und nicht 
allmahlich dornartig zugespitzt, sondern lang cylindrisch oder gekniet, 
ohne schneidende gesägte Vorderrandkante, am Ende mit 2 oder mehreren 
kurzen Zacken und mit der Spitze des beweglichen oder mit dem unbeweg- 
lichen Finger sich zangenartig berührend (Fig. 11—13). I. Bauchsegment 
nur in der Hinterhalfte mit breit dreieckig sich erweiternder Median- 
furche, Hinterrand des II. Segments in der Mitte niit kaum merklichem 
Dornhócker. 9? ohne modifizierte Tibienapophyse, Fühlerglieder meist 
einfach cylindrisch, selten die letzten am Grunde buchtig eingekerbt 
oder unterseits verdickt und geschwürzt. I. Bauchsegment oft mit 
tiefer querovaler oder Y fórmiger Mediangrube (Fig 18, 19) 


Nur mit grossen Zweifeln wage ich es, die vorstehende Gattungsdiagnose aufzu- 
stellen. Pocock, der Begründer der Gattung, hat nur weibliche Exemplare zur Ver- 
fügung gehabt, und das einzige Weibchen, welches ich untersuchen konnte, entbchrt 
gerade der von Pocock in den Vordergrund gestellten Mediangruben des I. Bauch- 
segments. Wenn ich dennoch nicht zur Aufstellung einer eigenen Gattung für die mir 
vorliegenden Formen gelangt bin, sondern die letzteren unter Erweiterung der Gattungs- 
diagnose der Gattung Typopeltis einreihen zu dürfen glaube, so bestimmt mich hierzu 
einmal das allen Formen gemeinsame Vaterland — China und dessen Grenzgebiete —-, 
in dem die übrigen Gruppen der Thelyphoniden vóllig vermisst werden, sowie andererseits 
die Bemerkung Zocock's dass er selbst die Zugehörigkeit des mir vorliegenden 
Tarnani’schen Thelyphonus amurensis zu seiner neuen Gattung Typopeltis für 
wahrscheinlich halte (36. p, 126). 


Bei dem spärlichen Matcrial, das bis jetzt von dieser Gruppe zur Untersuchung 
gelangt ist, kann die Beschreibung und Charakterisierung der Arten nur eine durchaus 
lückenhafte sein. Wie es scheint, haben wir 5 verschiedene Formen auseinander zu 
halten, von denen 2 jedoch nur im männlichen, 2 andere nur im weiblichen Geschlecht 
bekannt sind. Bei der Verschiedenheit der secundären Geschlechtscharaktere ist es zur 
Zeit leider unmöglich zu sagen, ob vielleicht diese nur in einem Geschlecht bekannten 
Arten später als zusammengchörig sich erweisen werden. 


1. Tibienapophyse modifiziert, d. h. ohne scharfe gesägte Vorderrandkante, nicht all- 
mählich in einen spitzen Dorn auslaufend, sondern rundlich, cylindrisch (dann gegen 
das Ende allmählich sich verjüngend) oder gekniet, mit der Spitze des beweglichen 
Fingers oder der Seite des unbeweglichen Fingers zangenartig zusammenschliessend 
(Fig. 11—-13). Zweites Bauchsegment am Hinterrande mit winzigem Dórnchen. d. 2. 


2* 


— 


tà 


3. 


Car 


12 
Tibienapophyse von gewöhnlicher Form, mit schneidender, gesägter Vorderkante, 
gegen die Spitze in cinen starken, spitzen Dorn auslaufend, der nicht mit den 
Fingern der Hand zängenartig zusammenschliesst. II. Bauchsegment ohne 
Hinterrand-Dörnchen. Ç £04» & 4 eos ew ew dede ee dud 
Tibienapophyse durchaus gerade, sich langsam verjüngend, an der Spitze schwach 
2zähnig ausgerandet (Fig. ı1). Innenrand der Hand völlig geradlinig als Aussen- 
rand des unbeweglichen Fingers sich fortsetzend (Fig. ı 1). Seiten der Bauchsegmente 
dichtkörnig, raspelig . . . . .. . 0. . . L T. amurensis (Tarn), p. 13. 
Tibienapophyse winklich gekniet, gegen das Ende wieder klumpfussartig verbreitert 
und hier am gerundeten Vorderrande 3—-6zackig (Fig. 12, 13) Innenrand der 
Hand mit dem Aussenrande des unbeweglichen Fingers keine vollig gerade Linie 
bildend. Seiten der Bauchsegmente zerstreut kórnig . . . 2 2 2 nn s. s s «4B 
Trochanter der Maxillen unterscits mit 2 in verschiedener Höhe neben einander 
stehenden Dornen; seine vertikale Vorderkante nicht in starke, hahnenkammartige 
Zacken ausgezogen. Iter (äusserster) Randdorn der Trochanteroberfläche winzig, 
viel kleiner als der 2te, die Vorecke bildende (Fig. 14). Tibienapophyse am Ende 
nur mit 3 Zähnen (Fig. 12) Aussenrand des unbeweglichen Fingers nur ein wenig 
geschweift in den Innenrand der Hand übergehend.....2. T. niger (Tarn.), p. 13. 
Trochanter der Maxillen unterseits mit 3 übereinander stehenden Zacken, die 
zusammen mit dem ersten mächtigen Dorn der oberen Vorderrandzähne des 
lrochanters eine hahnenkammartig gelappte vertikale Vorderrandkante darstellen 
(Fig. 15). Der erste (äusserste) Randdorn der Trochanteroberseite viel grösser und 
dicker als die übrigen (Fig. 16). Tibienapophyse am Ende mit 6, durch eine tiefere 
Einbuchtung in 2 Partieen geteilten Zähnen (Fig. 13) Innenrand der Hand mit 
dem Aussenrande des unbeweglichen Fingers cinen stumpfen Winkel bildend 
3. T. formosanus n. sp., p. I4. 
Hinterrand des I. Bauchsegments in der Mitte bogig nach hinten vorgezogen, die 
Fläche nur mit 2 seitlichen, kurz strichförmigen Gruben (Fig. 17) aber ohne 
tiefe, mediane, querovale oder Y formige Grube unweit des Vorderrandes. Letzte 
Fühlerglieder ohne buchtige Finkerbung unterseits am Grunde 
. 1. T. amurensis (Tarn.), p. 13. 
Hinterrand des I. Bauchsegments gestutzt oder ausgeschweift, die Fläche ausser 
schwächeren seitlichen Depressionen mit einer tiefen, medianen, querovalen oder 
Y fórmigen Grube unweit des Vorderrandes (Fig. 18,19) 222 . nenn. 
I. Bauchsegment mit querovaler Mediangrube, am  Hinterrande beiderseits der 
Mittellinie seicht ausgeschweift (Fig. 18). Letzte Fühlerglieder einfach cylindrisch 
4. T. stimpsoni (Wood), p. 15. 
J. Bauchseement mit Y förmiger Mediangrube (Fig. 19), am Hlinterrande median 
bogig ausgerandet (sodass beiderseits der Mittellinie cine Ecke nach hinten vor- 
springt. 8. und 9 Hühlerglied unterseits am Grunde mit tiefer — buchtiger 
Einkerbung. 5. T. crucifer Poc., p. 15. 


13 


1. Typopeltis amurensis (Tarn.) 1889. 


1889 Thelyphonus amurensis Tarnani in: Zool. Anz. 1889 p. 119. 

1890 Thelyphonus amurensis Tarnanı in: Horae soc. ent. ross, Bd. XXIV, p. 519 TH. III f. 

3a und 3b, 

1504 Typopeltis amurensis Pocock in: Ann. Mag. Nat. Hist. (6) NIV p. 126. 

Färbung braun, Gliedmassen heller. Randcrista des Cephalothorax nach vorn bis 
zum Augenhügel ziehend, wie bei den übrigen Arten. Fläche des Cephalothorax vorn 
etwas runzelig kórnig, hinten zerstreut feinkörnig, dazwischen chagriniert, Abdomen 
oberseits ohne Medianlinie, unterseits glatt, glänzend, an den Seiten beim 9 etwas fein 
nadelstichig, im 5. und 6. Segment gekórnt, beim c grob raspelig kórnig, dazwischen 


nadelstichig. I. Bauchsegment grossbogig nach hinten vorgezogen, auf der Fläche nur 
mit je einer seitlichen strichförmigen (*) oder rundlichen (d) Grube und dreieckiger 
Depression in der Mitte des Hinterrandes (Fig. 17). II. Bauchsegment beim d' mit winzigem 


Hinterranddorn, beim 9. mit 3 queren Depressionen. Ommatiden rund, mässig gross. 


Coxalflache der Maxillen fein nadelstichig, dazwischen zerstreute Grübchen; Coxal. 
fortsatz innenseits nicht geschultert. Trochanter oberseits ziemlich dicht raspelig, beim 9 
fast quadratisch, mit 5 Randdornen, beim 0° rhombisch, mit grossem 2tem, die Vorecke 
bildenden Randdorn. Femur grob raspelie, an der oberen Innenkante ohne deutlichen Dorn. 
Tibia beim & grob raspelig, beim & raspelig-grubig oder nur am Grunde raspelig-grubig, 
nach vorn zerstreut grubig. Apophyse beim 9 mit schneidender gezähnter Vorderrand- 
kante, in einen spitzen Dorn auslaufend, längs der Hinterrandkante mit 1—3 Sägezähnen, 
beim oO rundlich cylindrisch, aber allmählich sich verjüngend, nur am Grunde des Innen- 
randes mit einigen Zähnen, am Ende kurzgabelig 2zahnig und hier mit der Spitze des 
beweglichen Fingers zangenartig zusammenschliessend (Fig. 11), am gerundeten Hinterrande 
ohne Zahnbildung. Hand grubig bis raspelig wie die Tibia. 

Glieder der Fühlergeissel sammtlich gestreckt (Fig. 10b), die des g mehr, als 
die des 9, alle einfach cylindrisch. Letztes Glied fast länger als 7. -+ 8. Körperlänge 
etwa bis 35 mm. 

Das Originalexemplar Tarnanı's (9) stammt aus der Nähe der Olgabay im 
Amurlande. Ein weiteres, diesem im Wesentlichen gleichendes Exemplar (nur die Tibia 
ist dichter raspelig-grubig) besitzt das Petersburger Museum von Sikiang bei Canton, 
von wo auch das mir vorhegende männliche Exemplar stammt, welches ich eben wegen 
dieser Gleichheit des Fundortes als zu T. amurensis gehórig betrachtet habe. 


2. Typopeltis niger (Tarn) 1894. 
1894 Thelyphonus niger Tarnani in: Zool. Anz. 1894 p. 30. 
1895 Thelyphonus niger Tarnani in: Horae soc, ent. ross; Bd. XXIX p. 112 Tfl. I. f. 5, 6. 11. 
Cephalothorax und Abdomen oberseits wie bei der vorigen Art, Färbung fast 
schwarz, Gliedmassen dunkelbraun. I. Bauchsegment beim (allein bekannten) & ohne 
seitliche Gruben, nur auf der Mittelflache etwas quer-nadelrissig und mit dreieckiger 
Depression am Hinterrande. IL. Bauchsegment in der Mitte etwas schwammig aufvetrieben, 


14 





am Hinterrande mit kaum merkbarem Dörnchen. Seiten der Bauchsegmente zerstreut 
kórnig, dazwischen einzelne eingestochene Punkte. Ommatiden ziemlich gross, rund. 

Coxalflache der Maxillen fein nadelstichig, dazwischen zerstreute Grübchen; Coxal- 
fortsatz innenseits nicht geschultert, mundwarts, wie bei T. amurensis, nur 1 Zahn sichtbar. 
Trochanter oberseits raspelig, fast glatt gegen den Vorderrand, der mit 5 Dornen besetzt 
ist, deren Iter (äusserster) winzig, deren 2ter grösster die Vorderecke bildet (Fig. 14). 
Trochanter unterseits mit 2 in verschiedener Hohe neben einander stehenden Dornen, 
seine vertikale Vorderkante nicht in starke, hahnenkammartige Zacken ausgezogen. 
Femur grob-raspelig, an der oberen Innenkante ohne deutlichen Dorn, Tibia am Grunde 
und an der Aussenseite gross-grubig, in der Mitte der Oberfläche fast glatt. Apophyse stumpf- 
winklig gekniet, nach vorn klumpfussartig verbreitert und hier am Innenrande mit 3 Zahnen 
(Fig. 12). Grundhälfte der Apophyse unterhalb des Knies am Vorderrande sägezähnig, 
Endhalfte am Vorder- und Hinterrande glatt. Hand gegen die Finger verbreitert, oberseits 
am Grunde grubig, ihr Innenrand nur wenig geschweift in den Aussenrand des unbeweg- 
lichen Fingers übergehend (Fig. 12). Beweglicher Finger mit seiner Spitze zwischen die 
Endzähnchen der Tibienapophyse passend. 

Fühlergeissel vermutlich mit gestreckten Gliedern, wie bei der vorigen Art (am 
Originalexemplar fehlend). Korperlange 32 mm. 

Fundort: »China« (Mus. Petersburg). 


3. Typopeltis formosanus n. sp. 

Das allein bekannte Männchen dieser Art ist braunschwarz mit helleren Glied- 
massen. Cephalothorax ahnlich dem der vorigen Arten. I. Bauchsegment ohne seitliche 
Gruben, nur mit medianer, sich dreieckig erweiternder Furche in der Hinterhälfte des 
Segments, auf der Fläche glatt, an den Seiten matt. II. Bauchsegment in der Mitte 
etwas gewulstet, mit deutlichem Dórnchen am Hinterrande. Seiten der Bauchsegmente 
fein nadelstichig, dazwischen zerstreut gekörnt, hintere auf der Fläche äusserst 
fein nadelstichig. 

Coxalfläche der Maxillen fein nadelstichig und runzelig; Coxalfortsatz innen kaum 
geschultert, mundwärts mit einem Zahn. Trochanter oberseits am Grunde raspelig, sein 
I ter (äusserster) Dorn vielmal grösser und dicker, als die 4 inneren, von ihnen entfernt 
(Fig. 16). Trochanter unterseits mit 3 fast in einer Linie übereinander stehenden Dornen, 
die zusammen mit dem ersten mächtigen Dorn des Oberrandes eine hahnenkammartig 
gelappte vertikale Vorderrandkante bilden (Fig. 15). Femur oberseits raspelig, ohne Dorn 
an der oberen Innenkante. Tibia gross-grubig, ihre Apophyse winklig nach vorn gekniet, 
am Ende etwas erweitert und hier mit 5—6 durch einen tieferen Einschnitt in 2 Partieen 
geteilten Zähnen, deren vordere sich mit dem Rande des unbeweglichen Fingers berühren 
(Fig. 13). Grundhälfte der Apophyse am Vorderrande nicht sägezähnig. Hand gross 
grubig, gegen die Finger auffallend verjüngt; ihr bogiger Innenrand im stumpfen Winkel 
in den gezähnten Aussenrand des unbeweglichen Fingers sich fortsetzend (Fig. 13). Be- 
weglicher Finger mit seiner Spitze nicht mit dem Ende der Tibienapophyse zangenartig 


zusammentreffend. 


15 
Glieder der Fihlergeissel gestreckt, wie bei T. amurensis. Truncuslange 26 mm. 
Bisher nur ein Exemplar (d) von Formosa bekannt (Wiener Hofmuseum). 


4. Typopeltis stimpsonii (Wood) 1862. 

1862 Thelyphonus stimpsonii Wood in: Proc. Acad. Philadelphia 1862 p. 312. 

1872 Thelyphonus sinensis Butler in: Ann. Mag. Nat. Hist. (4) X. p. 205, juv. (teste Pocock). 

1894 Typopeltis stimpsonii Pocock in: Ann. Mag. Nat. Hist. (6) XIV. p. 126, Tfl. II, f, 3, 3a. 

Das allein bekannte Weibchen ist schwarz. Cephalothorax wie bei den übrigen 
Arten. Ebenso Abdomen oberseits und Ommatiden. I. Bauchsegment etwas vor der 
Mitte mit einer sehr tiefen querovalen Mediangrube (Fig. 18); beiderseits derselben strich- 
förmige, gebogene, unter der Mediangrube genäherte Depressionen.  Hinterrand des 
I. Bauchsegments gestutzt und jederseits der Mitte ein wenig ausgerandet. II. Bauch- 
segment sehr schmal, mit geradem Hinterrand. 


Coxalflache der Maxillen fein und dicht nadelstichig, dazwischen zerstreute gróssere 
Grübchen, Coxalfortsatz innen nicht geschultert. Trochanter unterseits mit 2 Zahnen, 
oberseits mit 4 Randdornen, von denen der erste (äusserste) und der Eckdorn gross; 
Oberflache raspelig. Femur am oberen Innenrande mit kleinem Dorn, grob raspelig, 
Tibia ziemlich dicht grob-grubig, die Apophyse mit gesägter Vorderkante und spitzem 
Enddorn; ihre Hinterrandkante mit 1—2 Zähnen. Hand gross-grubig; unbeweglicher Finger 
auch am Aussenrande sägezähnig. 

Glieder der Fühlergeissel gestreckt, die Unterseite des 5.— 8. Gliedes schwärzlich 
und verdickt, die Endglieder ohne buchtige Einkerbung unterseits nahe der Basis. 
Körperlänge 47 mm. 

Bisher nur 2 Weibchen von den Liu-Kiu Inseln, ein Weibchen juv. (T. sinensis 
Butl.) von Hongkong und das Wood'sche Originalexemplar von Japan. 


5. Typopeltis crucifer Poc. 1894. 

1894 Typopeltis crucifer Pocock in: Ann. Mag. Nat. Hist. (6) XIV. p. 128, Tfl. II, f. 4, 4a. 

Der vorigen Art im Wesentlichen gleichend, aber das I. Bauchsegment mit einer 
tief Y formigen Grube, welche jederseits von einer flachen, geraden, bis zum Hinterrande 
reichenden Depression flankirt wird (Fig. 19). Hinterrand des I. Bauchsegments in der 
Mittellinie weit bogig ausgerandet, so dass der Vorderrand des II. Bauchsegments hier 
sichtbar wird. Trochanter-Innenrand oberseits mit 3 Zähnen, Tibienapophyse am Hinter- 
rande mit 3 Sägezähnen. 8. und 9. Segment der Fühlergeissel unterseits nahe dem 
Grunde mit tiefer buchtiger inkerbung; 5.—8. unterseits nicht verdickt und geschwärzt. 
Körperlänge 38 mm. 


Bisher nur 3 Weibchen bekannt, ohne Fundort (Brit. Museum). 


16 


3. Gatt. Abalius n. g. 


Telyphoniden mit scharfer Randcrist2 des Cephalothorax von den Seiten- 
augen bis zum Stirnrande, mit erhabenem Längswulst zwischen den Stirn- 
augen, mit gewölbter Oberhandfläche Fühlerglieder lang oder kurz, 
beim 9 modifiziert oder nicht. Die 3 letzten Beinpaare mit Tibialspornen. 
Ommatiden fehlend. Tibienapophyse der Maxillen bei g und 9 mit schneiden- 
der, geságter Vorderkante, allmahlich in einen Dorn zugespitzt. I. Bauch- 
segment beim g (juv) nur mit seichter Medianfurche, H. mit winzigem Dorn 
am Hinterrande. 

Da mir von dieser Gattung im männlichen Geschlecht nur ein jugendliches 
Exemplar zu Gebote steht, so vermag ich nicht mit Sicherheit anzugeben, ob die Median- 
furche des I. Bauchsegments und der llinterranddorn des II. ganz die Ausbildung erlangt, 
wie bei der Gattung Thelyphonus. Die Tibienapophyse der Maxille ist aber jedenfalls 
beim d nicht modifiziert, so dass der wesentlichste Unterschied von der Gattung Thely- 
phonus lediglich in dem Fehlen der Ommatiden zu erblicken ist. 

Bisher liegen 2 Arten vor, beide aus dem äussersten Südosten des Verbreitungs- 
bezirks der Familie. 

I. 3tes Fühlerglied 2—3 mal so lang als breit, alle folgenden mindestens 1} mal so 
lang als breit, alle cylindrisch, nicht modifiziert (Fir. 20); letztes (gtes) nur so lang 
als die Summe des 7. und 8. I. Bauchsegment dicht fein nadelstichig, dazwischen 
zerstreute gröbere Grübchen . . . . . . . . . . . r. A. Rohdei n. sp., p. 16. 


— 3tes Fühlerglied noch nicht ganz so lang als breit, 4. - 8. alle ganz kurz, doppelt 
so breit als lang (Fig. 21); letztes Glied lang elliptisch, seitlich. zusammengedrückt 
(9) und so lang als die 6 vorhergehenden zusammengenommen (Fig. 21). I. Bauch 
segment nur ziemlich dicht grob nadelstichig . . .2 A. samoanus n. Sp., p. 17. 


1. Abalius Rohdei n. sp. 


Färbung braun. Beine und Fühler heller, Cephalothorax vorn grob runzelig 
körnig, hinten grobkórnig. Augenhügel gegen den Stirnrand steil abtallend. Abdomen 
oberseits grobkörnig; Medianlinie meist nur in den vorderen Segmenten deutlich. I. Bauch- 
segment beim 9 bogig vorgezogen, auf den Seiten mit je einer grubigen Depression, dicht 
fein nadelstichig, dazwischen gröbere Stiche, beim g juv. ohne grubige Depression, mit 
zarter Medianfurche. Uebrige Bauchsegmente alle bis gegen die Mitte fein nadelstichig; 
If. beim g am Hinterrande mit winzigem Dorn. . 

Coxalflachen der Maxillen zerstreut grob | nadelstichig; Coxalfortsatz am Innen- 
rande stumpf zahnartig geschultert, mundwarts nur ein grösserer Randzahn deutlich. 
Trochanter unterseits mit 2 Dornen, oberseits grubig raspelig, mit 5 Randdornen, von 
denen die beiden äusseren fast gleich gross. Femur raspelig, mit winzigem Dorn am 
oberen Vorderrande. Tibia gross-grubig, Apophyse aussen mit 2—3 Zähnen, Hand 


zerstreut gross-grubig. 


E n 


3tes Glied der Fühlergeissel cylindrisch, gestreckt, 2—3 mal so lang als breit, 
die folgenden alle kurz cylindrisch, nicht modifiziert, etwa 14 mal so lang als breit; 
9tes so lang, als das 7. und 8. zusammen genommen (Fig. 20). Truncuslänge 35 mm. 

Bisher nur 4 Weibchen und 1 junges Männchen von Neu Guinea (Rohde leg.) 
die Eigentum des Berliner Museums sind. 


2. Abalius samoanus n. sp. 
Das einzige mir vorliegende noch ziemlich junge Weibchen ist hell gelbrot. 
Cephalothorax vorn grubig runzelig, hinten feinkórnig. Augenhügel weniger steil zum 
Stirnrande abfallend. Abdomen körnig, nadelstichig, mit durchgehender Medianlinie. 


I. Bauchsegment wie bei der vorigen Art, aber nur mit groben Nadelstichen mässig 
besetzt. Ebenso die übrigen Bauchsegmente. Keine Mittelnaht. 


Coxalfläche der Maxillen ziemlich dicht grob nadelstichig, Coxalfortsatz wie bei 
der vorigen Art. Trochanter oberseits gross-grubig, mit 5 Randdornen, von denen der 
2te, an der Vorecke stehende erheblich grösser ist, als die übrigen. Femur und Tibia 
dicht gross-grubig, Tibienapophyse am Aussenrande mit 2 — 3 undeutlichen Zähnen; 
Hand zerstreut grubig. 


Fühlergeissel sehr eigenartig, augenscheinlich anders gebaut, als beim co, an die von 
Thelyph. schimkewitschi 9 erinnernd: Nur das 2te Fühlerglied gestreckt, etwas 
verkehrt kegelförmig, 3tes bis 8tes ganz kurz, breiter als lang, verkehrt kegelformig; 
tes am Vorderrande mit kleinem seitlichem Fortsatz, 8tes mit 2 kleinen Zähnen am 
Vorderrande; gtes lang elliptisch, beidseitig plattgedrückt und so lang, als die 6 vorher- 
gehenden Segmente (Fig. 21). Truncuslänge bis 25 mm. 

Fundort: Upolu (Museum Hamburg). 

Es wäre nicht unmöglich, dass die hier neu beschriebene Art mit dem Thel. 
insulanus Keys. von Kandavu auf den Fidji-Inseln als identisch sich erweist. Leider 
sagt der Autor in seiner Beschreibung nichts über das Fehlen der Ommatiden, über 
welche auch die Abbildung keine Auskunft giebt. Der einzige Unterschied, der geltend 
zu machen wäre, ist das Auftreten eines deutlichen, dornartigen Höckers auf der cinen 
platten Seite des Fühlerendgliedes und eine etwas stärkere Anschwellung des 7. Fühlergliedes 
bei Th. insulanus, beides Merkmale, die sehr wohl als Zeichen grösserer Geschlechtsreife 
gegenüber dem mir vorliegenden jugendlichen Exemplar aufgefasst werden könnten. 
Unglücklicherweise scheint das dem Museum Godeffroy entstammende Keyserling sche 
Exemplar verloren gegangen zu sein, so dass sichere Schlüsse über die Stellung des 
Th. insulanus zur Zeit unmöglich sind, zumal auch der Thelyphonus schimkewitschi 
Tarn. in Frage kommen könnte. 


18 | 





4. Gatt. Tetrabalius Thor. 18838. 


Thelyphoniden mit scharfer Randcrista des Cephalothorax von den Seiten- 
augen bis zum Stirnrande, mit erhabenem Längswulst zwischen den Stirn- 
augen, mit gewölbter Oberhandflache. Fühlerglieder wenig länger als breit, 
beim 9 etwas modifiziert (zum Theil unterseits geschwarzt), Nur das 
IV. Beinpaar mit Tibialspornen. Ommatiden 4, zu je 2 jederseits des 3. Caudal- 
gliedes übereinander stehend (Fig. 6). Tibienapophyse der Maxillen bei g 
und $ mit schneidender, geságter Vorderrandkante, allmählich in einen Dorn 
zugespitzt. I. Bauchsegment beim & mit tiefer Medianfurche, die sich am 
Hinterrande dreieckig erweitert, II. am Hinterrande median mit deutlicher Spina. 


Bisher sind 2 Arten bekannt. 

I. Trochanter oberseits am Vorderrande mit 6 Dornen. Längswulst zwischen den 
Stirnaugen nicht über den Stirnrand verlängert. I. Bauchsegment nur 11 mal 
so breit als lang, so lang als das V. und VI. Segment zusammen. Schenkel der 
Beine braun . . . . 2.2 .. ... . . . . . L T. seticauda (Dol), p. 18. 


— Trochanter oberseits am Vorderrande mit 5 Dornen. Langswulst zwischen den 
Stirnaugen nach vorn weit bis über den Stirnrand verlangert. I. Bauchsegment 
doppelt so breit als lang, viel kürzer als das IV. + V. Segment. Schenkel der 
Beine schwarz. . . . 22 .. .. .... .. . 2. T. nasutus Thor., p. 19. 


1. Tetrabalius seticauda (Dol.) 1857. 

1857 Thelyphonus setieauda Doleschall in: Tijdschr v. Nederl. India XIII. p. 404. 

1859 Thelyphonus seticauda Doleschall ibid. 1859, p. 4. 

1888 Tetrabalius seticauda Thorell in: Ann. Mus. civ. Genova (2) VI. p. 395. 

Färbung braun. Cephalothorax vorn wulstig-buckelig, hinten gekörnt, dazwischen 
nadelstichig. Längswulst zwischen den Stirnaugen nach vorn nur wenig über die Augen 
verlängert, nicht den Stirnrand überragend. Abdomen oberseits mit Medianlinie, gekörnt, 
dazwischen nadelstichig. Ommatiden mässig gross, die oberen grösser als die unteren, 
rundlich. I. Bauchsegment beim & mit Medianfurche, beim 9 mit bogigem Hinterrande 
und 2 seichten Depressionen auf der Fläche, am Rande dicht gross-grubig, in der 
Mitte zerstreut grubig-nadelstichig. Uebrige Bauchsegmente dicht fein nadelstichig, in 
den Mitten auch mit zerstreuten Grübchen. Medianlinie bei jüngeren Individuen fast 
vollständig, bei älteren als feine erhabene Medianleiste im vorderen Drittel der Segmente. 


Coxalfläche der Maxillen unterseits ziemlich dicht grubig; Coxalfortsatz am Innen- 
rande fast zahnartig geschultert. Trochanter oberseits dicht raspelig, mit 6 Randdornen, 
von denen der dritte, die Vorderecke bildende, der grösste. Femur dicht raspelig, ein 
oberer Randdorn sehr winzig. Tibia dicht gross-grubig, ihre Apophyse am Aussenrande 
mit 3—5 Sägezähnen in beiden Geschlechtern. Hand oberseits ziemlich dicht grubig. 

Zweites Glied der Fühlergeissel gestreckt, doppelt so lang als breit, die folgenden 
kurz, nur so lang oder wenig länger als breit; otes so lang als 7. und 8. Beim reifen $ 


an 


ist das 6. bis 8. Fühlerglied unterseits geschwárzt und etwas wulstig. Körperlänge 
bis 33 mm. 
Heimat: Molukken (Amboina, Ternate, Halmaheira, Batjan). 


2. Tetrabalius nasutus Thor. 1888. 

1888 Tetrabalius nasutus Thorell in: Ann. Mus. civ. Genova (2) VI. p. 401. 

Der vorigen Art gleichend, aber der Längswulst zwischen den Augen nach vorn 
verlangert und ziemlich weit über den Stirnrand hinausragend. I. Bauchsegment fast 
doppelt so lang als breit. Trochanter oberseits mit nur 5 Randdornen. Schenkel der 
Beine schwarz. Körperlänge 27 mm. 

Bisher nur ein Exemplar von Borneo (Museum Stockholn). 


* 


5. Gatt. Thelyphonus Latr. 1806 emend. 


Thelyphoniden mit Randcrista in der Vorderhálfte des Cephalothorax, 
convexer Oberhand, 2 Ommatiden am 3. Caudalglied, ohne Innenranddorn 
am Coxalfortsatz der Maxillen. Tibienapophyse der Maxillen in beiden 
Geschlechtern mit geschärfter, gesägter Vorderrandkante, allmählich in einen 
spitzen Dorn auslaufend, der nicht mit der Endklaue des beweglichen 
Fingers sich berührt (Fig. 9. | d namentlich durch das mit tiefer, durch- 
gehender Medianfurche versehene grosse I. Bauchsegment und einen kleinen 
Dorn in der Mitte des Hinterrandes des II. Bauchsegments charakterisiert 
(Fig. 7a); 9 ohne Medianfurche im I. Bauchsegment und ohne Dorn im II. 
(Fig 7b), aber haufig (bei allen Formen mit kurzen Fühlergliedern) einige 
der mittleren Fühlerglieder eigentümlich modifiziert (schwarz gefarbt, 
aufgedunsen, zusammengedrückt, mit Ausbuchtungen, Höckern, Fort. 
sätzen und dergleichen). 


Der Gattungsname Thelyphonus, ursprünglich von Latreille für die Gesamt- 
formen der Familie angewandt, muss derjenigen Gruppe verbleiben, in welcher der 
erstbeschriebene Typus der Gattung, das Phalangium caudatum L. von Java, 
seinen Platz findet. Die Zahl der Arten in der etwa im Sinne Pocock’s von mir auf 
gefassten Gattung ist noch immer eine recht beträchtliche. Ihr Verbreitungsgebiet ist 
fast ausschliesslich das östliche Asien, von Vorderindien und den grossen Sundainseln bis 
Hinterindien, zu den Philippinen und Molukken. Vereinzelte Exemplare sind auf Neu 
Guinea und den Hebriden beobachtet worden. 


Bei der meist unzureichenden Beschreibung früherer Autoren ist es nicht möglich, 
alle aufgestellten Formen mit Sicherheit zu identifizieren. Solche Arten konnten daher in 
der nachfolgenden Bestimmungstabelle nicht berücksichtigt werden und sind nur später 
im Text an geeigneter Stelle eingefügt. 

I. 3tes Fühlerglied (und meist auch die nächstfolgenden) kürzer oder kaum länger als 
breit (selten bis 1} mal so lang als breit), deutlich kürzer als das 2te (Fig. 22— 33). 


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J 


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6. 


M] 


Beim reifen 9? einige der mittleren Fühlerglieder unterseits geschwarzt und 
modine ouo noms E. eode de cme um de 9 4 Am cu MR eleme cio desde ee exe Reds ie UA 
3tes Fühlerglied (wie auch die übrigen) gestreckt, fast doppelt bis mehrmal langer 
als breit”), meist länger als das 2te (Fig. 34—36). Fühlerglieder auch beim ¢ 
meist alle einfach cylindrisch und nicht modifiziert. Tibia und Hand stets nur 


zerstreut grubig oder nadelstichig. . . . . . . . "E ssi 2O 
Nur das IV. oder das III. und IV. Beinpaar am Ende der bien innenseits mit 
deutlichem Sporn... . .. TX" 
Alle 3 hinteren Beinpaare mit Tbaksorm u BEE Se — e. 15 
Nur das IV. Beinpaar mit Tibialsporn . . . 2... . . ee 535 d 
IIl. und IV. Beinpaar mit Tibialsporn . . . . | - 2 4 £d 


lrochanter der Maxillen am Vorderrande mit 5 Damen nebet Pentir und Tibien 
der Maxillen dicht grossgrubig-nadelstichig. 8. Fühlerglied etwa doppelt so lang 
als das 7. (Fig. 22a. b. Ommatiden gross, fast rund, nur etwa um ihren Durch- 
messer von einander entfernt. 9: 6tes Fühlerglied seitlich zusammengedrückt, 
ztes wulstig verbreitert, beide nebst dem 8. unterseits geschwarzt (Fig. 22 b) 

Th. candatus (L.), p. 24. 
Trochanter am Vorderrande mit 6 Dornen. 8. Fühlerglied nur so lang oder kaum 
länger als das 7te (Fig. 23-930). uo 2 be Ps 30 Wok od Rock») Xe 99 OW ue we FS 
ztes Fühlerglied lang gestreckt, mindestens doppelt so lang als breit, so lang oder 
länger als das Ste und mehr als 1 so lang als das gte Glied (Fig. 23a, b, c). Truncus 
bis 50 mm lang. Ommiatiden sehr gross, rund. 9: 6tes Fühlerglied verbreitert, 
7. und 8. kaum modifiziert, nur unterseits etwas grubig-wulstig und schwärzlich 


6. Th. doriae Thor., p. 27. 


ztes (und oft auch 8tes) Fühlerglied wenig oder nicht länger als breit, nicht halb 


so lang als das ote (Fig. 24—-26). Truncus nur bis 30 mm lang. Ommatiden 
meist queroval. €: 7tes Fühlerglied am meisten modifiziert (oft auch das Ote), 
unterseits verbreitert oder mit spiralig gedrehter Grube (Fig. 24—27). . . . . 6 
3 (L Bauchsegment mit rilliger durchgehender Medianfurche, II. in der Mitte des 
Hinterrandes mit zahnartigem Dorn) . . . . . EG TE EEE u; 
9 (L Bauchsegment ohne durchgehende Mediandille: II. ohne Dorn am Hinter- 
rande. Mittlere Fühlerglieder [bet reifen Exemplaren] modifiziert) . . . . . . 8 
Truncus bis 30 mm lang. 3tes Fühlerglied kurz cylindrisch, ziemlich so lang als 
das 4te (Fig. 24a). 7tes und 8tes Bauchsegment bei Erwachsenen mit tiefer Median- 
furche, in der eine feine erhabene Längsleiste deutlich ist.  Uebrige Bauchsegmente 
an den Seiten flach-rissig-grubig, auf der Fläche glatt und kaum nadelstichig 

Th. linganus C. Koch G, p. 25. 
Truncus nur bis 22 mm lang.  3tes lFühlerelied. zusammengedrückt kugelig, viel 
kürzer als das 4te (Fig. 25a). Letzte Bauchsegmente nur mit feiner Medianfurche. 


*) Bei ganz jungen Individuen weniger ausgeprägt. 


8. 


9. 


IO. 


II. 





Ale Bauchsegmente auf der ganzen Fläche dicht fein nadelstich, an den Seiten 


sehr dicht. . . . . . 2... s. 4 Th. klugii n. sp. d, p. 26 
7tes, oder 6tes und stes F ühle B ied unterseits n spiralig gedrehter Grube*) 
(Fig. 24c, 26b) . . . . .. UT "E "NP 
7tes, oder 6tes und 7tes Fühlerglied unterscits w ere Vet aber ohne tiefe 
Längsgrube (Fig. 25b, c, Fig. 27a, b). . .. 22 s... c.l... IO 


7tes und 6tes Fühlerglied mit Spiralgrube, 7tes mit vorspringendem Höcker am 
Innenrande (Fig. 24c). 3tes Fühlerglied viel breiter als lang (Fig. 24b). I. Bauch- 
segment auf der Fläche kaum dichter grubig-nadelstichig als die Coxenunterflache 
der Maxillen. Letzte Bauchsegmente mit Medianfurche 

2. Th. linganus C. Koch 9$, p. 25. 
Nur das 7te Fühlerglied unterseits mit Spiralgrube (Fig 26b), 6tes nicht modifiziert. 
3tes Fühlerglied länger als breit (Fig. 26a). I. Bauchsegment äusserst dicht grob 
grubig-nadelstichig, viel dichter als die nur zerstreut nadelstichige Coxalflache. Letzte 
Bauchsegmente ohne Medianfurche. . . . . . 3. Th. borneensis n. sp. 9, p. 26. 
Nur das 7te Fühlerglied unterseits schwarz und verdickt, nach der Innenseite vor- 
springend (Fig. 25b, c), 6tes flach seitlich zusammengedrückt. Coxalunterflache der 
Maxillen glatt, zerstreut nadelstichig. J. Bauchsegment ohne mediane Depression 
gegen den Hinterrand . . . . . 2... . 4 Th. klugii n. sp. 9, p. 26. 
Ausser dem 7ten auch das Ote Fühlerglied unterseits geschwärzt und verdickt 
(Fig. 27a, b), nicht seitlich zusammengedriickt. Coxalunterflache querrunzelig und 
ziemlich dicht nadelstichig. I. Bauchsegment gegen das Ende mit medianer Depression 

5. Th. celebensis n. sp. 9, p. 27. 
7tes Fühlerglied 2—21 mal so lang als breit, so lang oder lànger als das 8te 
(Fig. 23b, c), Truncus bis 50 mm lang. Trochanter-Vorderrand mit 5—-6 Dornen. 
Dorn des 2ten Bauchsegments beim &' schräg nach unten abstehend. 9: 7tes Fühler- 
glied am meisten modifiziert, fast wie gedreht, unterseits geschwärzt und wulstig, 
6tes ähnlich, aber weniger auffallend (Fig. 23b). . . .6. Th. doriae Thor., p. 27 
ytes Fühlerglied kurz, kaum so lang (9) oder wenig länger als breit, erheblich 
kürzer als das 8te (lig. 28, 29) Truncus nur 20—35 mm lang. Trochanter- 
Vorderrand mit 6 Dornen. Dorn des 2ten Bauchsegments beim J der 3ten Bauch- 
schiene anliegend. 9: Ausser dem 7ten Fühlerglied auch das 6te und Ste (zuweilen 
auch 5te) modifiziert, eins oder eifige derselben mit dornigen Fortsätzen . . . 12 
d (rtes Bauchsegment mit rilliger Medianfurche, 2tes mit Dorn am Ilinterrande) . 13 
9 (rtes Bauchsegment ohne rillige Medianfurche, 2tes ohne Dorn am Ilinterrande. 
Mittlere Fühlerglieder [bei reifen Exemplaren] modifiziert)... . . . . . . . . . 14 
4tes Fühlerglied fast doppelt so lang als breit, länger als das 3te (lig. 282). 
Truncus bis 32 mm lang. Voreckdorn des Trochanter-Vorderrandes (der Maxillen) 
über doppelt so lang als die inneren. ıtes Bauchsegment jederseits der Mittel- 


*) Nur geschlechtsreife Weibchen dürften sicher bestimmbar sein. 


14. 


linie meist mit flacher Grube; auf der ganzen Fläche, namentlich aber an den 
Rändern, dicht grob nadelstichig. . . . . . . . 7. Th. suckii n. sp. d, p. 28. 
4tes Fühlerglied nur so lang als breit, kaum langer als das 3te (Fig. 29a). Truncus 
nur bis 20 mm lang. Voreckdorn des Trochanter-Vorderrandes nicht oder kaum länger 
als die inneren. rtes Bauchsegment ohne seitliche Gruben, seine Fläche nur mit 
einzelnen obsoleten Nadelstichen besetzt. . . . 8. Th. semperi n. sp. C, p. 29. 
8tes Fühlerglied länger als 7 +: 6, oberseits tief bogig ausgebuchtet und am Grunde 
seitlich mit Dornfortsatz (Fig. 28b). 7tes Fühlerglied oben am Vorderrande mit 
ı—2 Zähnen, meist auch am Grunde mit Hocker. 6tes Glied nur seitlich wulstig- 
hóckerig. Truncus bis 32 mm. Ommatiden grösser als die Ocellen 


7. Th suckii n. sp. 9, p. 28. 


— Stes Fühlerglied kürzer als 7 + 6, cylindrisch, ohne Ausbuchtung und Grunddorn, 


-~ 


15. 


nur unterseits geschwarzt (Fig. 29b). 7tes Fühlerglied nur oberseits am Grunde 
mit kleinem Zahn, unterseits breit polsterartig-wulstig. 6tes seitlich zusammen- 
gedrückt, oben am Vorderrande mit kleinem Dornhöcker; die vorhergehenden Glieder 
unterseits dunkelbraun. Truncus nur 20 mm lang. Ommatiden kleiner als die 
Ocellen. Strichförmige Gruben des ıten Bauchsegments weniger scharf als bei der 
vorigen Art . . . 22.0. "m P . 8. Th. semperi n. sp. 9, p. 29. 
G (rtes Bauchsegment mit lies, nach hinten | formig verbreiterter Medianfurche ; 
2tes Bauchsegment mit Dorn in der Mitte des Hinterrandes; Fühlerglieder Sarah 
unmodifiziert).. . . . . l . ee gae db 


— 9 (1tes Bauchsegment Eins aisg Medänkliche: 2tes Bauchsegmnient ohne Hinter- 


16. 


17. 


randdorn; mittlere Fühlerglieder [bei reifen Exemplaren] modifiziert). . . . . 19 
Trochanter der Maxillen am Vorderrande mit 6 Dornen (selten der äusserste ver- 
kümmert), die gleich gross sind oder von denen der 3te (von aussen) grösser als 
die übrigen. Ommatiden gross, ihr Zwischenraum kleiner oder wenig grösser als 
eine Ommatide. Coxalunterfläche der Maxillen und ıtes Bauchsegment zerstreut 
obsolet nadelstichie. . . . . "E EE 
lrochanter der Maxillen am Vorderrände mit E st gieicitn Domen (oder die 
2 äusseren grösser). Ommatiden klein oder mässig gross (ihr Zwischenraum 1! bis 
4 mal so gross als eine Ommatide). Coxalunterfläche und rtes Bauchsegment oft 
dicht nadelstichig . . . . nog. s à & os 2. d 
Die den Mandibeln echt m nen dache ds nee neben den kleinen 
llóckern mit 2 stärkeren Dornen. Unbeweglicher Finger der Hand aussenseits 
gezühnt. Zwischenraum zwischen den Ommatiden kleiner als eine Ommatide. Hand 
sehr zerstreut nadelstichig. 3tcs bis 6tes Fühlerglied deutlich länger als breit. 
Stes Fühlerglied kürzer als das 7te (Fig. 30a); 4tes Bauchsegment mit grosser, 
behaarter Mediangrube. — Tibienapophyse aussen am Grunde mit Zahn 

9. Th. schimkewitschi Tarn. d, p. 29. 
Trochanteren-Innenfläche ohne stärkere, vor den übrigen hervortretende Höcker. 
Unbeweglicher Finger der Hand aussenseits fast wehrlos; ebenso aussenseits die 





Tibienapophyse. Zwischenraum zwischen den Ommatiden grösser als eine Ommatide. 
Hand dicht grob-grubig nadelstichig. 3tes bis 6tes Fühlerglied kaum so lang als 
breit, kurz, perlschnurartig gerundet, 8tes Fühlerglied länger als 7 (Fig. 31). Keine 
Mediangrube im 4ten Bauchsegment. Tibienapophyse aussen am Grunde ohne Zahn 

IO. Th. hansenii n. sp. d', p. 30. 


. Ommatiden klein, ihr Zwischenraum 3—4 mal so gross als eine Ommatide. Tro- 


chanter der Maxillen oberseits dicht grobkórnig. Tibia dicht grob-grubig nadelstichig ; 
ebenso meist auch die Hand. Unbeweglicher Finger fast so lang, als die Hand an 
seiner Anzatzstelle breit. 1tes Bauchsegment zerstreut nadelstichig, Coxalunterfläche 
dichter nadelstichig. Hand innenseits am Rande stark dornzahnig; Cephalothorax 
vorn und hinten grobkórnig. 3tes Fühlerglied nur so lang als das 4te (Fig. 324), 
otes kürzer als das 6. + 7. +8. . I1. Th. asperatus Thor. C, p. 31. 


Ommatiden mittelgross, ihr Zwischenraum 13 mal so gross als eine Ommatide. 
Trochanter oberseits glatt, netzfurchig, nur am Grunde kornig. Tibia zerstreut 
grubig, Hand glatt, sehr zerstreut grubig. Unbeweglicher Finger kaum länger als 
die halbe Breite der Hand an seiner Ansatzstelle. ıtes Bauchsegment dichter 
nadelstichig als die Coxalunterflache. Hand innenseits am Rande sehr feinzahnig. 
Cephalothorax vorn nur runzelig, hinten äusserst feinkórnig. 3tes Fühlerglied 
deutlich länger als das 4te, 9tes so lang als 6. + 7. + 8. (Fig 33) 

12. Th. sumatranus n. sp. d, p. 32. 


Trochanter der Maxillen am Vorderrande mit 6 Dornen. Ommatiden sehr gross, 
rundlich, ihr Zwischenraum kleiner als eine Ommatide. 8tes Fühlerglied beim reifen 
Q kurz, verdickt, vorn mit 3 kurzen spitzen Dornfortsätzen. gtes Fühlerglied so 
lang als die 4 vorletzten, gestreckt elliptisch,- fast gestielt, etwas zweiseitig platt- 
gedrückt und in der Mitte auf der oberen Flachseite mit dornigem Tuberkel (Fig. 30 b) 

9. Th. schimkewitschi Tarn. 9, p. 29. 


Trochanter am Vorderrande mit 5 Dornen. Ommatiden klein, ihr Zwischenraum 
3—4 mal grösser als eine Ommatide. 8tes Fühlerglied kurz, unterseits geschwärzt, 
kugelig, oberseits mit langem, spitzem bis zur Hälfte des 9. Segments reichendem 
Dorn; gtes Fühlerglied so lang als die 5 vorletzten, cylindrisch, mit gekriimmtem 
Stiel, nicht plattgedrückt, oberseits mit Höcker unterhalb der Mitte (Fig. 32 b) 

11. Th. asperatus Thor. 9, p. 31. 


Nur das IV. oder das III. und IV. Beinpaar am Ende der Tibien innenseits mit 
deutlichem Sporn. . . . . . nn nn 
Alle 3 hinteren Beinpaare mit deutlichem Tibialsporn 


t9 ON 


I 
4 
3 


. Trochanter der Maxillen am Vorderrande mit 5 Dornen. 3tes Fühlerglied kürzer 


als das 2te (Fig. 34). Ommatiden sehr klein. 3tes und 4tes Beinpaar mit Tibien- 
dornen. IV. Bauchsegment meist mit grosser flacher Mittelgrube. Abdomen ober- 
seits mit durchgehender Nahtlinie. . . . . 15. Th. manilanus C. Koch, p. 34. 


— 


t3 
td 


23. 


24 


Trochanter am Vorderrande mit 6 Dornen. tes Fuhlerghed länger als das 2te 
(Fig. 35, 36). Ommatiden massig gross. Nur das 4te Beinpaar mit Tibiendornen. 
IV. Bauchsegment ohne Mittelgrube . . . . 2. 2. nn s... l y 22 
Kiel des Augenhügels die Augen überragend, nach vorn verliheen ind dann 
senkrecht zum Stirnrand abfallend. 3tes Fühlerglied kaum doppelt so lang als 
breit, 5tes und 6tes Fühlerglied beim 9 modifiziert, unterseits geschwärzt; 6tes nur 
15 mal so lang als breit (Fig. 35). Abdomen oben auch im 7. und 8. Segment 
mit feiner Nahtlinie. Ommatiden gross, nur um ihren Durchmesser von einander 
entfernt. Neben der Seitencrista des Cephalothorax jederseits ein bohnenförmiger 
Langstwulst. Trochanter grubig-nadelstichig ; Coxalfortsatz am Innenrande geschultert, 
sein erster Mundzahn erst weit hinten auftretend 18. Th. anthracinus Poc., p. 32. 
Kiel des Augenhügels die Augen nicht überragend, allmählich bogig zum Stirn- 
rande abfallend. 3tes Fühlerglied 3—4 mal so lang als breit, 6tes doppelt so lang 
als breit (Fig. 36). Kein Fühlerglied beim 9 modifiziert. Abdomen oben im 7. 
und 8. Segment ohne Nahtlinie. Ommatiden mässig gross, um ihren doppelten 
Durchmesser von einander entfernt An der Seitencrista des Cephalothorax kein 
bohnenformiger Wulst. I. Bauchsegment am Hinterrande nicht lappenförmig vor- 
gezogen.  Trochanter oberseits grobkórnig. Coxalfortsatz kurz, dick, nicht ge- 
schultert, sein erster Zahn keine gróssere Lücke zwischen sich und dem Enddorn 
lassend . . . . b xu >... . 144 Th. schnehagenii n. sp, p. 33. 
Trochanter der Maxillen am Vorderände mit 5 Dornen, von denen der 2te (von 
aussen) fast doppelt so lang als die übrigen (Fig. 37a). 3. Fühlerglied deutlich 
kürzer als das 2te (Fig. 34). Femur am oberen Innenrande meist mit deutlichen 
Dorn. Ommatiden klein. Bauchsegmente glatt, glänzend oder an den Seiten 
nadelstichig . . . . 0... .. I5. Th. manilanus C. Koch, p. 34. 
Trochanter mit 6 Damen. die alle fast gleich gross sind (Fig. 37b). 3. Fühlerglied so 
lang oder länger als das 2te, alle unterseits dicht weissborstig. Femur am oberen 
Innenrande mit kaum merklichem Dorn. Ommatiden mässig gross, rundlich oder 
quer-oval. | Bauchsegmente beim reifen J dicht grob querrunzelig, beim Q glatt, 
sehr zerstreut punktirt. Hand beim d breiter als die Tibia. 

16. Th. sepiaris Butl, p. 35. 


1. Thelyphonus eaudatus (L.) 1758. 


1758 Phalangium caudatum Linné in: Syst. natur. Ed. X. pag. 619. 
? 1835 Thelyphonus eaudatus Lucas in: Mag. de Zool. de Guérin Cl. VIII, TA. IX. f. 1. 


? 1835 > rufimanus > ibid. Ti. X, f. 1. 5 
? 1835 » rufipes » bid, TH. IX, f. 2 
1813 : proscorpio C. L. Koch nee. Latr.; in: Arachn X, p. 26, f. 771, gf. 
1813 : rufipes C. L. Koch ibid. X, p. 23, f. 760, ©. 
1872 , > Butler in: Ann. Mag. Nat. Hist. (4). X, p. 202. 
1888 > candatus Thorell in: Ann. Mus. civ. Genova (2) VI p. 370. 
1890 , thorellii Tarnani in: Horae soc. ent. ross. XAIV, p. 629. 
Körper braunschwarz, Beine heller rotbraun. — Cephalothorax vorn runzelig- 


körnig, etwas glänzend, hinten zerstreut körnig; Gegend vor den Seitenaugen glatt, 


| 
Qı 


Mediangrube seicht. Abdomen oberseits ziemlich dicht gekörnt, dazwischen rauh fein- 
körnig, Medianlinie durchgehend oder nur im I1.—III. Segment angedeutet; Bauchseite 
glatt, obsolet zerstreut nadelstichig, ohne mediane Nahtlinie, an den Seiten etwas fein 
nadelstichig. I. Bauchsegment beim co mit tiefer Medianfurche, beim 9 mit 2 schwachen 
Gruben, wie bei den übrigen Arten. II. Bauchsegment beim & mit Hinterrand-Spina. 
Ommatiden gross, meist rundlich. 

Coxalfläche der Maxillen unterseits zerstreut nadelstichig, Coxalfortsatz bogig, mit 
vorwärts gerichteten Endspitzen, am Innenrande etwas geschultert. Trochanter unterseits 
mit 2 Dornen, oberseits dicht raspelig, mit 5 Randdornen, von denen die 2 äusseren 
die grössten. Femur dicht raspelig, mit kaum merklichem Dorn am oberen Vorderrande. 
Tibia dicht grob grubig, ihre Apophyse am Aussenrande mit 1—2 Sägezähnen. Hand 
zerstreut grubig (9) oder dicht grubig (d). 

3tes bis 7tes Glied der Fühlergeissel beim d wenig länger als breit (Fig. 22 a), 
beim 9 kürzer als lang, 8. und 9. Glied etwas gestreckter, fast doppelt so lang als breit. 
Beim reifen 9 das 6te Glied unterseits geschwarzt, 7tes fast wie verkrüppelt, ebenfalls 
nebst dem 8ten unterseits geschwarzt (Fig. 22b). 

Tibialsporne nur am IV. Beinpaar. Truncuslange etwa bis 32 mm. 

Heimat: Java. Der Fundort Sumatra (Hofmuseum Wien) dürfte zweifelhaft sein. 


2. Thelyphonus linganus C. L. Koch 1843. 


1843 Thelyphonus linganus C. L. Koch in: Arachn. X, p. 31, f. 774. 
1889 > johorensis Oates in: Journ. Asiat. Soc. Bengal LVIII, p. 11. 


Sowohl das Originalexemplar von Koch wie von Oates liegen mir vor. Beide 
erscheinen durchaus tibereinstimmend. 

Truncus dunkelbraun, Beine rotbraun. Cephalothorax wie bei der vorigen Art. 
Abdomen oberseits nur in den ersten Segmenten mit Nahtlinie, unterseits im 7. und 8. 
mit vertiefter Medianlinie, in der sich eine feine Längsleiste erhebt. I. Bauchsegment 
namentlich beim 9 ziemlich dicht grob nadelstichig, übrige Bauchsegmente sonst glatt, 
glanzend, kaum zerstreut punktirt, nur an den Seiten dicht fein nadelstichig. Unterschied 
der Geschlechter im I. und II. Bauchsegment wie bei der vorigen Art. Ommatiden 
massig gross, queroval, fast um ihre doppelte Breite von einander entfernt. 

Coxalfläche unterseits sehr dicht gross-grubig nadelstichig, auch der am Innenrande 
geschulterte Coxalfortsatz. Trochanter oberseits ziemlich dicht grubig, am Vorderrande 
mit 6 Dornen, von denen der 3te, voreckstandige der grósste. Femur dicht grubig 
raspelig, am oberen Vorderrande mit kaum merkbarem Dorn. Tibia dicht (dG') oder ziemlich 
dicht (9) grubig, ihre Apophyse aussenscits meist mit 2 Sägezähnen. Hand ziemlich 
zerstreut grubig. 

3.— 7. Fühlerglied in beiden Geschlechtern kaum so lang als breit, 3tes deutlich 
breiter als lang, 8tes kaum länger als das 7te, noch nicht } so lang als das ote (Fig 24a, b). 
6tes und 7tes Fühlerglied beim € modifiziert (Fig. 24c), beide unterseits geschwarzt und 

4 


26 
beide (oder doch das 7te) unterseits mit schräglaufender Längsgrube, 6tes etwas seitlich 
zusammengedrückt (Fig. 24b), 7tes innenseits mit vorspringendem Hocker. 
Tibialsporne nur am 4ten Beinpaar. Truncuslänge etwa 30 mm. 


Heimat: Linga, Sumatra, Pulo-Pinang. 


3. Thelyphonus borneensis n. sp. 

Das allein bekannte 9 dieser Art gleicht im Allgemeinen dem 9 von Th. linganus, 
unterscheidet sich von ihm aber durch folgende Merkmale: I. Bauchsegment äusserst 
dicht grob-grubig nadelstichig (fingerhutartig); übrige Segmente an den Seiten etwas 
raspelig-quergrubig. Ommatiden fast rund. Coxalflächen unterseits glatt, sehr zerstreut 
und obsolet nadelstichig. Tibia und Hand glatt, glanzend, nur sehr zerstreut und obsolet 
nadelstichig, Tibienapophyse aussenseits mit 3—4 Sägezähnen. 3tes Fiihlerglied fast 
länger als breit (Fig. 26a), 6tes Glied nicht modifiziert, cylindrisch, 7 tes etwas verbreitert, 
unterseits geschwärzt und hier mit breiter Schrägfurche (Fig. 26b,c). Truncus gegen 30 mm. 

Bisher nur ein 9 von Borneo (Museum Berlin). 

Es ist nicht unmöglich, dass der Th. lucanoides Butl als & zu dieser Art: 
gehort. Pocock (Ann. Mag. Nat. Hist. (6) XIV p. 122) vermuthet, dass derselbe von 
Borneo stamme und charakterisiert ihn durch 6 Trochanterdornen und die sehr lange 
Tibienapophyse, die bis zur Spitze des unbeweglichen Fingers reicht. Die Hand ist dicht 
grob-grubig. Nach brieflicher Mitteilung besitzt nur das 4te Beinpaar Tibialsporne wie 
die ganze linganus-Gruppe. 


4. Thelyphonus klugii n. sp. 

Färbung braun, Beine heller. Cephalothorax vorn erubig-runzelig, am Hinterrande 
feinkörnig; hintere mediane Längsgrube auffallend tief. Abdomen oberseits in allen 
Segmenten mit Andeutung einer Längsnaht, Bauchseite nur beim d in den letzten 
Segmenten mit feiner Medianlinie. I. Bauchsegment beim 9 mässig dicht nadelstichig, 
beim oc zerstreut, an den Seiten dichter. Uebrige Bauchsegmente entweder auf der 
ganzen Fläche äusserst fein nadelstichig (Z) oder nur an den Seiten bis über die 
Gruben, namentlich in den letzten Segmenten (9). Ommatiden mässig gross, quer-oval. 

Coxalflächen in beiden Geschlechtern sehr zerstreut nadelstichig, beim 9 weniger 
dicht, als das I. Bauchsegement. Trochanter und Femur der Maxillen wie bei Th. linganus. 
Tibia namentlich beim 2 kaum grubig, glatt, glänzend; Apophyse aussenseits mit 2 bis 
3 Zähnen. Hand glatt, glänzend, nur mit einzelnen Nadelstichen. 

Fühlerglieder 3—-7 kurz (Fig. 25a, b), 3tes deutlich kürzer als das 4te, (namentlich 
beim 9), 8tes so lang ($) oder kaum länger (7) als das 7te, etwa ! so lang als das gte. 
Beim reifen Weibchen 6tes Fühlerglied stark seitlich zusammengedrückt, unterseits kaum 
geschwarzt, 7tes stark verbreitert, unterscits mit breiter schwarzer Platte (Fig. 25c). 

libialsporne nur am 4ten Beinpaar. Truncuslänge bis 22 mm. 

Ein c und ein 9 von Sumatra (Museum Stuttgart), bezeichnet als »Thely- 
phonus rufipes Klug«. Zahlreiche © von Celebes (P. u. F. Sarasin leg.). 


UJ 
SI 


5. Thelyphonus celebensis 4. sp. 


Das allein bekannte 9 gleicht dem 9 der vorhergehenden Art sehr, unterscheidet 
sich jedoch von demselben in folgenden Punkten: Bauchseite des Abdomens fast in allen 
Segmenten mit feiner Mediannaht. I. Bauchsegment ziemlich dicht grob nadelstichig, 
etwa so dicht, als die vorn und an den Seiten querrunzelige Coxalflache. Übrige Bauch- 
segmente auf der ganzen Fläche äusserst fein, aber ungleichmässig (d. h glatte Stellen 
zwischen sich lassend) nadelstichig. Tibia dicht gross-grubig, Apophyse aussenseits mit vier 
Zähnen. 6. Fühlerglied nicht seitlich zusammengedrückt, fast kugelig, unterseits etwas 
dunkler, wie das 7te, ebenfalls kugelige (Fig. 27a,b). Tibialsporne nur am 4. Beinpaar. 
Truncuslänge etwa 22 mm. | 


Bisher nur ein 9 von Celebes (Museum Wien). 


6. Thelyphonus doriae Thor. 1888. 

1888 Thelyphonus doriae Thorell in: Ann. Mus. civ. Genova {2} VI. p. 361. 

1894 Thelvphonus tarnanii Pocock in: Ann. Mag. Nat. Hist. (6) XIV p. 125. 

Der Umstand, dass eins der Originalexemplare des Th. doriae, welches in den 
Besitz des Londoner Museums gelangte, auf der Unterseite des Trochanter nur einen 
Dorn statt der normalen, auch bei den übrigen Originalexemplaren vorhandenen zwei 
zeigte, hat Pocock veranlasst, seinen Th. tarnanii aufzustellen. Derselbe stimmt demnach, 
wie der Autor mir selbst brieflich mitteilte, mit den Typen des Th. doriae im Museum 
zu Genua völlig überein. ` 


Truncus braun, Beine rotbraun. Cephalothorax vorn fast glatt, etwas quer gewellt, 
dahinter gross-grubig runzelig, Seiten grobkórnig, Hinterende feinkörnig, fast wie geborsten- 
nadelrissig. Abdomen oberseits mit flachen Körnchen, dazwischen nadelstichig, vorn und 
auf den Endsegmenten mit Medianlinie.. I. Bauchsegment bei beiden Geschlechtern zer- 
streut gross-grubig auf der Fläche, dichter vorn und an den Seiten; übrige Bauchsegmente 
glatt, nur obsolet zerstreut punktiert, an den äussersten Seitenrändern dicht fein nadel- 
stichig, ohne Mediannaht. Ommatiden mittelgross, oval oder rundlich. 


Coxalflächen zerstreut gross-grubig, Coxalfortsatz am Innenrande stumpf geschultert. 
Trochanter unterseits mit 2 (seltener 1) Dornen, oberseits mit 6 (seltener 5) Randdornen 
und zerstreut grubiger, gegen den Rand fast glatter Fläche; Femur dicht erubig, mit 
winzigem Dorn am oberen Vorderrande. Tibia beim & dicht, beim 9 zerstreut gross- 
grubig, ihre Apophyse am Ilinterrande mit 2—3 Sägezähnen. Hand glatt, glänzend, 
beim G mässig, beim 9 sehr zerstreut grubig. 3tes Fühlerglied kürzer als alle folgenden, 
beim d bis 1ł mal so lang als breit (Fig. 23a), beim 9 kürzer als breit (Fig. 23b); 
4tes bis Stes beim d gestreckt, zum Teil doppelt so lang als breit, cylindrisch (Fig. 23 a), 
beim 9 4tes und 5tes so lang als breit, 6tes verdickt, unterseits geschwärzt, etwas länger 
als breit, 7tes über doppelt so lang als breit, ebenfalls unterseits geschwärzt, Stes nicht 
modifiziert, meist kürzer als das 7te (Fig. 23%). otes Glied in beiden Geschlechtern 
gestreckt cylindrisch, aber kürzer als 7. + 8. 


28 


Tibialsporne meist am 4ten und 3ten Beinpaare, seltener am 3ten Beinpaar nur 
einseitig entwickelt oder ganz fehlend. Truncuslänge bis 40 mm. 

Als Varietät der Hauptform möchte ich den Th. hosei Poc. (l. c. p. 125) 
auffassen. Derselbe unterscheidet sich von ersterer vornehmlich nur dadurch, dass das 
7. und 8. Fühlerglied gleich lang sind (Fig. 23c), der Cephalothorax vorn etwas mehr 
runzelig körnig und hinten etwas gröber gekörnt ist. Auch soll — nach Pocock der 
Augenhiigel etwas stärker hervortreten, als bei der Hauptform. 

Exemplare liegen mir vor von Central- und West-Borneo (von hier auch 
die Var. hosei), Billiton Island, Singapore und Java. Letzterer Fundort an einem 
Exemplar des Museums Stuttgart (Dr. Arnold leg.) erscheint jedoch nicht ganz einwandfrei. 





7. Thelyphonus suckii n. sp. 


Truncus oberseits ziemlich dunkel, Beine meist rotbraun. Cephalothorax fast auf 
der ganzen Fläche körnig chagriniert, hinten etwas feiner. Abdomen oberseits ziemlich 
dicht körnig, dazwischen nadelstichig, bei Erwachsenen nur in den letzten Segmenten 
mit Andeutung einer Mediannaht, bei juv. in allen. I. Bauchsegment bei beiden Ge- 
schlechtern auch auf der Fläche dicht gross-grubig punktiert, bei reifen g jederseits der 
tiefen Medianfurche meist mit zwei seichten bis strichförmigen Eindrücken. Die übrigen 
Segmente ziemlich zerstreut nadelstichig, beim co an den Seiten etwas flach-körnig und 
dicht fein nadelstichig. Medianfurche nur beim co im 7ten (oder 7ten und 8ten) Segment 
angedeutet. Ommatiden ziemlich gross, nicht um das doppelte ihres Durchmessers von 
einander entfernt, etwas quer-oval. 

Coxalflächen der Maxillen gegen die Mittellinie quer-runzclig, auf der Fläche 
zerstreut nadelstichig, Coxalfortsatz stark rechtwinklig geschultert am Innenrande. Trochanter 
unterseits mit 2 Dornen, oberseits dicht raspelig-grubig, namentlich beim co, mit 6 Rand- 
dornen, von denen der 3te, voreckständige, der grösste. Femur ebenfalls dicht raspelig- 
grubig, beim co mit winzigem, beim 9? mit grösserem Dorn an der oberen Vorderrand- 
kante. Tibia beim & dicht, beim 9 zerstreut grubig, ihre Apophyse am Aussenrande 
meist mit 2 stärkeren (9) oder schwächeren (3) Sägezähnen. Hand wie Tibia. 

3tes Fühlerglied etwa so lang als breit, kürzer als das 2te, beim JS kürzer 
(Fig. 28a), beim 2 so lang (Fig. 28b) als das 4te; 5.- 7. bei beiden Geschlechtern kurz, 
etwa so lang als breit, 6tes beim 9 unterscits geschwärzt und innenseits vorspringend, 
7tes verbreitert, unterseits geschwärzt und vorn am Innenrande mit starkem schwarzem 
Zahnfortsatz. 8. Segment bei beiden Geschlechtern gestreckt, cylindrisch und fast so 
lang als 6 + 7 beim d (Fig. 28a); oberseits etwas bogig ausgehöhlt, innenseits am 
Grunde mit starkem Dornzahn, unterseits geschwärzt und länger als 6 -+ 7 beim 9 
(Fig. 28b). otes Segment bei beiden Geschlechtern lang cylindrisch. 

Tibialsporne am 3. und 4. Beinpaare. Truncuslänge etwa 32 mm. 

Zahlreiche Exemplare, von Herrn Frite Suck für das Hamburger Museum in 


Südost-Borneo (Tandjong, Bendjermasin) gesammelt. 


8. Thelyphonus semperi ». sp. 


Truncus braun, Beine rot. Cephalothorax vorn runzelig, hinten zerstreut fein- 
körnig. Abdomen oberseits ziemlich dicht körnig, dazwischen nadelstichig, die Median- 
linie in allen Segmenten angedeutet. I. Bauchsegment nur obsolet zerstreut nadelstichig, 
beim 9 etwas dichter, als beim co. Bei letzterem jederseits der Medianfurche kein 
beuliger Eindruck. Uebrige Segmente glatt, sehr zerstreut punktiert, beim 9 an den 
Seiten fein nadelstichig, beim c hier auch etwas kórnig. Medianlinie nur beim G' in den 
3 letzten Segmenten angedeutet. Ommatiden mässig gross, schmal quer-oval. 

Coxalflächen auf der Mitte sehr zerstreut nadelstichig, beim co an den Seiten 
dichter. Coxalfortsatz am Innenrande rechtwinklig geschultert. Trochanter unterseits 
mit 2 Dornen, oberseits beim co auf der Fläche ziemlich dicht raspelig, beim 9 nur am 
Grunde (sonst fast glatt, nur etwas buckelig), in beiden Geschlechtern mit 6 Vorderrand- 
dornen, welche beim d alle fast gleich gross sind, während beim 9 der Voreckzahn an 
Grosse hervortritt. Femur in beiden Geschlechtern ziemlich dicht grubig-raspelig, nament- 
lich beim 9 mit erkennbarem Dorn am oberen Vorderrande. Tibia beim Gc ziemlich dicht 
aber fein nadelstichig, beim 9 fast durchaus glatt und glänzend, ihre Apophyse beim c 
schlank, sanft gebogen, mit 1---2 schwachen Sägezähnen am Aussenrande, beim 9 gerade, 
mit 4—5 Sagezahnen am Aussenrande. | Hand beim g ‘dicker, beim @ dünner als die 
Tibia, in beiden Geschlechtern glatt und glänzend, nur mit einzelnen Nadelstichen. 

3tes Fühlerglied beim & so breit als lang (Fig. 29a), kürzer als das 2te und so 
lang wie das 4te. 5.—7. ebenfalls kurz, etwa so lang als breit, 8tes etwas gestreckt, 
fast doppelt so lang als breit, cylindrisch. 3tes Fühlerglied beim 9 ganz kurz (Fig. 29b), 
mindestens doppelt so breit als lang, kürzer als das ebenfalls sehr kurze 4te, beide 
dunkelbraun unterseits. 5.—8. modifiziert, unterseits geschwärzt, und hier der Fühler 
seitlich ausgebogen, wie verkrüppelt. tes Glied ziemlich regelmässig, rundlich, so lang 
als breit, 6tes oberseits am Vorderrande mit kurzem Zahnfortsatz, seitlich zusammen- 
gedrückt, 7tes ebenfalls nur so lang wie breit, oberscits am Grunde mit winzigem Zahn- 
fortsatz, seitlich etwas erweitert, namentlich innenseits, 8tes Segment anderthalb mal so 
lang als breit, cylindrisch, aber unterseits geschwärzt. 

Tibialsporne am 3ten und 4ten Beinpaare. Truncuslänge nur bis 20 mm. 

Fundort: Zamboanga im äussersten Westen von Mindanao (C. Semper leg.) 
2 d und 1 9 im Museum Hamburg. 


9. Thelyphonus schimkewitschi Tarn. 1394. 
1894 Thelvphonus schimkewitschi Tarnani in: Zool, Anz. 1894 p. 31. 
1895 > > Tarnani in: Horae soc, ent. ross. XXIX, p. 116. 
Truncus braun, Beine oft heller, rotbraun. Cephalothorax vorn querrunzelig, 
auf den Erhabenheiten grubig punktiert, hinten gróber oder feiner gekórnt. Abdomen 
dicht oder zerstreut körnig, dazwischen nadelstichig, Medianlinie fast in allen Segmenten 
angedeutet. I. Bauchsegment beim c fast glatt, nur sehr zerstreut punktiert, beim 9 
etwas dichter seicht raspelig-nadelstichig, tes Bauchsegment beim & mit grosser runder, 


30 
meist behaarter Mediangrube. Übrige Segmente glatt, nur sehr zerstreut nadelstichig, 
an den Seitenrändern meist dicht fein nadelstichig, aber nicht gekörnt; Medianlinie auch 
beim & nicht nachweisbar. Die 3 ersten Caudalsegmente auffallend gestreckt, gerade, 
tubusartig. Ommatiden gross, meist rundlich und dann kaum um ihren Durchmesser von 
einander entfernt. 

Coxalflachen beim g gegen die Mittelnaht quer-runzelig, in beiden Geschlechtern 
auf der Fläche nur schr zerstreut nadelstichig, am Rande dichter. Coxalfortsatz am Innen- 
rande fast rechtwinklig geschultert. Trochanter unterscits mit 2 Dornen, oberseits auf der 
Fläche beim dc höckerig-körnig, beim 9 höckerig-raspelig, am Vorderrande mit 6 Dornen, 
deren 3ter, voreckständiger bei beiden Geschlechtern der grösste. Die den Mandibeln 
zugekehrte Innenfläche des Trochanter zeigt beim Go zwei stärkere, die übrigen Buckel 
meist an Grösse übertreffende Dornen. Femur ziemlich dicht raspelig-grubig, kaum mit 
Dorn am oberen Vorderrande. Tibia und Hand glatt, glänzend, nur sehr zerstreut mit 
Punktgruben besetzt, namentlich beim 9. Apophyse der Tibia beim CG etwas gebogen, 
beim 9 gerade, am Aussenrande meist mit 2 stärkeren oder schwächeren (c) Sägezähnen. 
Apophyse der Hand aussenseits auch beim g gezähnt. | 

Fühlerglieder beim c alle etwas gestreckt und länger als breit (Fig. 30a). 3tes 
etwa 11—1} mal so lang als breit, aber kürzer als das 2te; ähnlich 4.—8. Glied, von 
denen das 7te das längste und oft über doppelt so lang als breit. gtes Glied sehr lang 
cylindrisch, länger als 7. + 8. Beim 9 sind das 3.—8. Fühlerglied kurz, kaum so lang 
als breit (Fig. 30b); 7.—9. modifiziert, geschwärzt, und zwar 7tes Segment aussen am 
Grunde etwas eingezogen, sonst fast cylindrisch, Stes am Vorderrande oberseits mit 2, 
unterseits mit einem Zahnfortsatz, zwischen denen das lang lanzettliche, auf der 
Mitte der platten, geschwärzten Oberseite mit kurzem starken Dorn versehenen gte Scg- 
ment fast gestielt, etwas schräg seitlich nach aussen heraustritt. Die Länge dieses oten 
Segments ist etwa so gross, als die der 4—5 vorhergehenden Glieder zusammengenommen. 

Tibialsporne an allen 3 hinteren Beinpaaren. Truncuslänge bis 25 mm. 

Die Hauptheimat der Art ist jedenfalls Siam (Bangkok), doch liegt mir auch 
ein Exemplar von Pulo Pinang in der Strasse von Malacca vor. 


10. Thelyphonus hansenii n. sp. 

Truncus und Beine braun. Cephalothorax und Abdomen wie bei der vorigen 
Art. Medianlinie namentlich im IL—IV. Rückensegment stark hervortretend. I. Bauch- 
segment beim (allein bekannten) glatt, glänzend, zerstreut obsolet nadelstichig, 
IV. Bauchsegment ohne behaarte Mediangrube; Medianlinie nur im letzten Segment 
angedeutet. Ommatiden mässig gross, queroval, um mehr als ihre Breite von einander 
entfernt. 

Coxa wie bei der vorigen Art. Ebenso Trochanter unter- und oberseits. Die 
den Mandibeln zugekehrte Innenseite der Trochanter aber ohne 2 stärkere Dornen. 
Femur dicht raspelig, ohne Dorn am oberen Vorderrande. Tibia dicht gross-grubig, thre 


‚\pophyse aussenscits nur an der Spitze mit schwachem Sägezahn, am Grunde unbewehrt. 


-= su —MÀÀ 00e 


Hand mässig dicht nadelstichig, etwas runzelig, am Innenrande nur mit einzelnen entfernten 
Zähnchen, von denen nur einer am Grunde des unbeweglichen Fingers steht. 

Fühlerglieder des č vom 3.- 6. Segment kurz perlschnurartig, fast kugelig 
(Fig. 31); 7tes Segment etwas gestreckter, Stes noch länger als das 7te, fast doppelt so 
lang als breit; gtes kürzer als 8 +- 7. Fühler des 9 unbekannt. 

Tibialsporne an allen 3 Hinterbeinpaaren. Truncus 24 mm lang. 

Nur 1 Exemplar (C) von Mindanao (Museum Kopenhagen). 


1. Thelyphonus asperatus Thor. 1888. 
1888 Thelyph. asperatus Thorell in: Aun. Mus. civ. Genova (2) VI p. 382. 


Truncus und Beine braun. Cephalothorax und Abdomen wie bei den vorigen 
Arten. Medianlinie sichtbar im I. bis III. Rückensegment, ebenso im VII. bis IX. 
I. Bauchsegment beim G zerstreut nadelstichig, nach vorn dichter, beim 9 dicht gross- 
erubig nadelstichig; die übrigen Bauchsegmente beim co an den Seiten dicht fein nadel- 
stichig, beim 9 an den Seiten glatt, nur mit einzelnen Punktstichen; IV. Bauchsegment 
beim d ohne Mediangrube. Medianlinie nicht erkennbar. Ommatiden klein, rundlich, 
um das 3—4fache ihres Durchmessers von einander entfernt. 


Coxalfläche quer-runzelig, namentlich gegen den Vorderrand und die Seitenflächen 
auch ziemlich dicht grubig; Coxalfortsatz am Innenrande etwas geschultert, oberseits 
gegen die Mundhöhle mit einem breiten Chitinhöcker, welcher die Kauzähne trägt. 
Trochanter unterseits mit 2 Dornen, oberseits dicht grobkörnig, am Vorderrande mit 
5 Dornen, von denen die beiden äusseren die grössten; auf der den Mandibeln zugewandten 
Innenfläche beim & mit 1—2 grösseren Dornen neben den Höckern. Femur in beiden 
Geschlechtern grob raspelig, beim 9 mit kleinem Dorn am oberen Vorderrande; Tibia 
beim d dicht, beim 9 zerstreut gross grubig, ihre Apophyse beim ð etwas gebogen, nur 
aussen am Grunde mit Zahn, sonst wehrlos, beim 9 fast gerade, auch an der Spitze mit 
2 kleineren Sägezähnen. Hand beim Gc ziemlich dicht gross-grubig, am Rande stark 
dornzähnig, beim @ sehr zerstreut grubig. Unbeweglicher Finger fast so lang als die 
Handbreite an seiner Ansatzstelle. 

2tes Fühlerglied beim c fast doppelt so lang als breit, 3.—8. kurz cylindrisch, 
wenig länger als breit, 3tes nur so lang als das 4te; otes fast so lang als das 6. — 7. : 8. 
(Fig. 32a). Fühlergeissel des 9 im 7.—9. Glied stark modifiziert (lig. 32b); 3tes 
Glied etwa so lang als breit, kurz cylindrisch, 4.—7. kürzer als breit, 7tes oberseits flach, 
unterseits am Grunde etwas ausgebuchtct; 8tes Glied unterseits geschwärzt, oberseits mit 
langem spitzem, bis zur Hälfte des 9. Segments reichendem Dorn, unterseits mit tiefer 
Ausrandung am Vorderrande; gtes Segment gestielt, langgestreckt, cvlindrisch, oberseits 
unterhalb der Mitte mit breitem Ilöcker, so lang, als die 5 vorletzten Glieder zusammen 
genommen (Fig. 32b). 

Tibialsporne an allen 3 hinteren Beinpaaren. Truncuslänge bis 28 mm. 

Fundorte: Java, Amboina. 


32 


12. Thelyphonus sumatranus n. sp. 

Nur ein 8 bekannt. Der vorigen Art sehr nahe stehend, aber durch folgende 
Merkmale unterschieden: Cephalothorax auf der Endhalfte kaum gekórnt, nur mit äusserst 
winzigen Körnchen besetzt; I. Bauchsegment auch auf der Fläche ziemlich dicht nadel- 
stichig, dichter als die Coxalflache. IV. Bauchsegment mit schwacher, matter, unbehaarter 
Mediangrube. Ommatiden mässig gross, quer-oval, nur das 1}—2fache ihres Durch- 
messers von einander entfernt. 

Trochanter oberseits kaum körnig, aber etwas  netzig-nadelrissig; von den 
5 Randdornen ist der äusserste der grösste und grösser als der Voreckdorn. Tibia nur 
zerstreut grob-grubig (d), ihre Apophyse auch an der Spitze des Aussenrandes mit 
2 schwachen Sagezahnen. Hand sehr zerstreut grubig. Der unbewegliche Finger kaum 
lànger als die halbe Handbreite an dessen Ansatzstelle. Von den Fühlergliedern ist das 
3te deutlich (etwa 1} mal) länger als das 4te (Fig. 33). Im Uebrigen wie vorige Art, 
so namentlich in Bezug auf die grösseren Dornen auf der inneren, den Mandibeln zu- 
gekehrten Fläche des Trochanter und den starken Mundhöcker der Coxen, auf dem 
die Kauzahne sitzen. 

Körperlänge bis 25 mm. — Erst der Bau der weiblichen Fühler wird erkennen 
lassen, ob es sich um eine zweifellos selbstandige Art handelt. 

Fundort: Sumatra (Museum Wien). 


13. Thelyphonus anthracinus Poc. 1894. 

1888 Thelyph. linganus Thorell (nee Koch) in: Ann. Mus. civ. Genova (2) VI p. 390. 

1894 Thelyph. anthracinus Pocock in: Ann. Mag. Nat. Hist. (6: XIV p. 125. 

Das Originalexemplar zu 7hore//s »Thel. linganus«, ein d, liegt mir vor; es 
unterscheidet sich durch die gestreckten Fühlerglieder sofort vom echten Th. linganus 
Koch und dürfte zu dem 9? gehören, welches /'evo& als Th. anthracinus von demselben 
Fundorte (Saravak, Borneo) beschrieben hat. | 

Truncus und Gliedmassen rotbraun. Cephalothorax vorn runzelig-körnig und nadel- 
stichig, hinten feinkórnig. Neben der Seitencrista jederseits ein glatter, etwas erhabener 
Wulst. Augenhügelcrista die Augen überragend, nach vorn steil abfallend. Abdomen 
ziemlich dicht feinkörnig, mit Medianlinie im I—III. und im VI.—IX. Segment. 
I. Bauchsegment bei beiden Geschlechtern ziemlich dicht grob nadelstichig (beim & nur in 
der Mitte etwas weniger dicht) übrige Segmente beim g an den Seiten dicht fein nadel- 
stichig, auf der Fläche mässig dicht obsolet nadelstichig, beim 9 dichter nadelstichig, 
namentlich auf dem IL, III. und VIII. Segment. Medianlinie fehlend oder nur im 
VIII. Segment eine feine Linie. Ommatiden gross, quer-oval, wulstig vorgequollen, ihre 
Entfernung fast kleiner als ihr Durchmesser. 

Coxalflächen glatt, glänzend, auf der Fläche kaum nadelstichig (2), Coxalfortsatz 
rechtwinklig geschultert, der erste Kauzahn auf der mundwärts gerichteten Fläche erst 
weit hinten auftretend. Trochanter unterseits mit 2 Zähnen, oberseits am Grunde der 
Flache grubig-raspelig, nach vorn zu fast glatt, amVorderrande mit 6 Dornen, von denen 
der 3te, an der Vorecke stehende, der grösste. Innenfläche (den Mandibeln zugekehrt) des 


—— en m 


G2 
"C22 


lrochanters ohne grössere Dornen. Femur ziemlich dicht grubig-raspelig, mit kleinem 
Höcker am oberen Vorderrande. Tibia glatt, glänzend, sehr zerstreut nadelstichig, ihre 
‚\pophyse aussen vorn mit 2.—3 Sägezähnen. Hand glatt, glänzend, kaum nadelstichig. 

Fühlerglieder fast sämmtlich gestreckt, das 2.—4. etwa doppelt so lang als breit 
(Fig. 35); 3tes beim g etwas länger als das 2., etwa so lang als das 4., 5.—8. etwas 
kürzer, nur etwa 14 mal so lang als breit, 9. so lang als 7.—+ 8. Beim 9 ist das 
3te Glied so lang als das 2te und ein wenig lànger als das 4.; 5. und 6. Glied etwas 
modifiziert, das 5te so lang als das 4te, oberseits und innenscits eingedrückt, 6tes so 
lang als das 2te, innenseits schwarz und flach, unterseits aufgeschwollen, 7.—9. unmodi- 
fiziert, letzteres so lang als das 7. — 8. 

Tibialsporne meist nur am 4. Beinpaar, oder auch wol an einem Beine des 
3. Paares. Körperlänge bis 29 mm. 

Fundort: Saravak in Nordwest-Borneo. 


14. Thelyphonus schnehagenii n. sp. 

Nur ein & bekannt. Truncus und Gliedmassen rotbraun. Cephalothorax vorn 
und an den Seiten ziemlich und mässig fein gekörnt, ohne glatten Wulst an der Seiten- 
crista. Augen (in der Seitenansicht) nicht vom Augenwulst überragt, letzterer ganz 
allmählich bogig zum Stirnrande abfallend. Abdomen ziemlich dicht und gleichmässig 
oekörnt, nur in den 3 vorderen Segmenten mit Medianlinie. I. Bauchsegment am Hinter- 
rande fast gerade abgestutzt, auf der Fläche neben den zerstreuten gröberen Nadelstichen 
auch dicht fein nadelstichig, namentlich auf den Seiten. Ebenso die übrigen Bauch- 
segmente alle dicht fein nadelstichig, ohne Spur einer Medianlinie. Ommatiden mássig 
gross, rund, etwa um ihren doppelten Durchmesser von einander entfernt. 

Coxalflächen glatt, sehr zerstreut nadelstichig; Coxalfortsatz nicht geschultert am 
Innenrande, der erste Kauzahn auf der mundwärts gerichteten Fläche nahe der Spitze 
und von unten her sichtbar. Trochanter unterseits mit 2 Zähnen, oberseits ziemlich grob- 
körnig, mit 6 Zähnen am Vorderrande, von denen der 3te, voreckständige, der grösste. 
Innenfläche des Trochanter (den Mandibeln zugekehrt) ohne grössere Dornen zwischen 
den Buckeln. Femur mässig dicht raspelig, mit deutlichem Dorn am oberen Vorderrande. 
Tibia sehr zerstreut grubie, etwas fein netzig-runzelig, ihre Apophyse gegen die Spitze 
am Aussenrande mit 2 starken Sägezähnen. Hand mässig dicht grubig, am Innenrande 
stark dornzahnig. 

Fühlerglieder sämtlich gestreckt (Fig. 36), eylindrisch, keins modifiziert, bei dem 
Originalexemplar links auf 8, rechts auf 7 Segmente reduziert. 2tcs Glied etwa 3 mal 
so lang als breit, 3tes noch etwas länger; 4tes noch über doppelt so lang als breit, 
5.—7. etwas kürzer; 8. fast kürzer als 6. -+ 7. 

Tibialsporne nur am 4. Beinpaar. Truncuslänge 32 mm. Caudalanhang fast 
ohne Borsten. 

Bisher nur en * aus Rangoon, von Herrn Capitain Schuehagen für das 
Hamburger Museum gesammelt. 


_ 34 


15. Thelyphonus manilanus C. L. Koch 1843. 

1843 'Thelypbonus manilanus C. L. Koch in: Arachn, X, p. 28, f. 772. 

1873 Thel. philippensis Butler in: Cist. entom. VI, p. 129—132. 

1888 Thel. papuanus Thorell in: Ann. Mus, civ. Genova .2) Vl, p. 385, & juv. 

1889 Thel, strauchii Tarnani in: Zool. Anz. 1839, p. 1, gf. 

1890 > » > in: Horae soc. ent. ross; XXIV, p. 523, ot. 

Truncus und Gliedmassen braun.  Cephalothorax grob buckelig-körnig, neben 
den Seitencristen glatt, hinten isoliert rundlich-kórnig. Augenhügel nach vorn steil 
abfallend. Abdomen vorn dichter, hinten zerstreuter gekörnt, Medianlinie beim & im 
I—III und im VII.--IN. Segment, beim 9 meist in allen Segmenten. I. Bauchsegment 
beim d glatt, glänzend, sehr zerstreut punktiert, beim 9 mit weit bogig nach hinten 
vorspringendem Hinterrande, in der Endhälfte mit seichter Mediandepression, auf den. Seiten 
mit je einer strichförmigen Langsgrube, namentlich in der Endhälfte in der Mitte mit 
eross-grubigen Nadelstichen. Übrige Segmente glatt, glänzend, an den Seitenrändern 
glatt oder fein nadelstichig; Medianlinie fehlend. Ommatiden klein, rundlich, das 3—4- 
fache ihres Durchmessers von einander entfernt. 

Coxalfläche matt, schr zerstreut nadelstichig, Coxalfortsatz am Innenrande geschultert, 
erster Kauzahn von unten her nicht sichtbar. Trochanter unterseits mit 2 Zähnen, ober- 
seits die Fläche beim 2 sehr zerstreut, beim C etwas dichter gekórnt, am Vorderrande 
mit 5 Dornen, von denen der 2te, voreckständige in beiden Geschlechtern, namentlich 
aber beim g, meist über doppelt lo lang als die übrigen (Fig. 37a). Femur beim 9 nur 
mit einzelnen Raspelpunkten, beim 0° sehr weitschichtig raspelig, am oberen Vorderrande 
mit deutlichem Dorn. Tibia bei beiden Geschlechtern nur obsolet zerstreut nadelstichig, 
ziemlich matt, ihre Apophyse am Aussenrande mit 3—4 Sagezahnen der Länge nach 
besetzt. Hand wie Tibia, am Innenrande dornzähnig. 

4), cylindrisch, auch beim 9 nicht 
| mal so lang als breit, kürzer als das 


Fühlerglieder sämtlich gestreckt (lig. 3 
modifiziert. 3. Glied bei Erwachsenen etwa 2—2 
2., ebenso 4. und 5.; 6., 7. und 8. etwas kürzer als die vorigen, aber noch fast doppelt 
so lang als breit. 9. ziemlich so lang als 7. -: 8. 

libialsporne an allen 3 hinteren Beinpaaren, bei einem mir vorliegenden Exemplar 
von den Philippinen jedoch nur an den 2 letzten Beinpaaren. Truncuslánge his 36 mm. 

Heimat: Philippinen. Das ZZeore// sche Originalesemplar von Th. papua- 
nus, welches mir vorliegt und sich in nichts vom typischen Th. manilanus unterscheidet, 
stammt von Neu-Guinea, wohin es vielleicht verschleppt wurde. 

Th. manilanus var. halmaheirae n. var. Als Varietat der vorstehenden 
Art möchte ich ein. Exemplar auffassen, welches Aawfenthal auf Halmaheira sammelte. 
Dasselbe, ein €, ist nur 20 mm lang, aber wol schon geschlechtsreif. Es gleicht in der 
Form der Fühler, der Zahl der Tibialsporne etc. durchaus der Hauptform, unterscheidet 
sich aber von derselben durch folgende Merkmale: 1) Der Augenwulst ist niedriger und 
ragt nicht über die Hauptaugen empor. 2) Das I. Bauchsegment ist ziemlich dicht nadel- 


stichig und zeigt eine. seichte durchgehende Medianfurche; die übrigen Bauchseemente 


sind sämtlich an den Seiten fast bis zur Mitte dicht fein nodelstichig. 3) Die kleinen 
Ommatiden sind dicht an die obere Medianlinie des Caudalsegments gerückt und daher 
nur um Augenbreite von einander entfernt. 4) Der 2te, voreckständige Trochanterdorn 
ist wenig grösser als die übrigen. 

Es ist nicht ausgeschlossen, dass es sich hier um eine selbständige Art handelt, 
doch erschien mir das einzige. vorliegende Exemplar zur Entscheidung dieser Frage nicht 
ausreichend, zumal gerade in Bezug auf die feine Punktierung der Bauchseitce auch die 
Exemplare der Hauptform variieren. 


16. Thelyphonus sepiaris Butler 1873. 

1873 Thel. sepiaris Butler in: Cistul. entom. VI p. 13]. 

1873 = nigrescens Butler ibid. p. 131. 

1873 > indicus Stolieza in: Journ, As. Soe, Bengal XLII p. 138. 

1873 >  beddomei id. ibid. p. 142. 

1894 =  sepiaris Pocock in: Ann. Mag. Nat. Hist. :6: XIV p. 122. 

Truncus rotbraun, Beine etwas heller. Cephalothorax vorn grubig-runzelig, hintere 
Hälfte matt, fein gekórnt. Abdomen matt, mässig dicht gekörnt. Medianlinie deutlich im 
[L—III. und in den Endsegmenten. I. Bauchsegment zerstreut punktirt, beim c glatt, 
beim 9 gegen den weit bogig nach hinten vorgezogenen Rand etwas quer-runzelig. Uebrige 
Bauchsegmente beim c ziemlich grob verworren runzelig, beim € nur mit zarten welligen 
Runzellinien. Medianlinie nicht sichtbar. Ommatiden ziemlich gross, rund oder quer-oval. 

Coxalflache der Maxillen gegen die Mittellinie quer-runzelig, zerstreut grubig- 
nadelstichig ; Coxalfortsaz am Innenrande nur etwas stumpfwinklig geschultert, mundwärts 
mit einer Reihe grober Zähne. Trochanter unterseits mit 2 Dornen, oberseits auf der 
Fläche mässig dicht gekörnt, am Rande mit 6 (--7) Dornen, von denen der vorcck- 
ständige beim & grösser als die übrigen, während die des g am halbkreisförmigen Rande 
alle ziemlich von gleicher Grösse sind (Fig. 37b). Femur auf der Fläche fast glatt, am 
Grunde etwas mehr raspelig oder dichter grubig, am oberen Vorderrande beim 9 mit 
kleinem Dorn, der beim g fast verschwindet. Tibia glatt, glänzend, zerstreut gross-grubig, 
namentlich beim 9, ihre Apophyse längs des Aussenrandes bei beiden Geschlechtern mit 
3—6 Sägzähnen. Handfläche wie Tibia. [fand beim © dicker als die Tibia, der be- 
wegliche Finger beim g gegen das Ende mit zahnartigem Vorsprung auf der Schneide. 

Fühlerglieder sämtlich gestreckt. 3tes Glied so lang oder länger als das 2te, 
21—3 mal so lang als breit, 4.—-7. ziemlich von gleicher Lange, kürzer als das 3te, nur 
etwa doppelt so lang als breit; 8tes kürzer als das 7te; otes meist kürzer als 7 -© 8. 
Alle Glieder unterseits sammtig kurzhaarıg. Fuhler des € nicht modifiziert. 

Tibialsporne an allen 3 Ilinterbeinpaaren. Körperlänge bis 40 mm. 

Die Heimath ist Ceylon und das Festland von Vorderindien (Madras, 
Tenasserim). 

Als vorläufig nicht zu identifizierende Species spuriae scien noch erwähnt: 

Thelyphonus spinimanus Lucas in: Mag. Zool Guerin Ch VIH pl. N f 3 und 
n angustus Lucas ibid. pl. N Fig. 2. 


36 


6. Gatt. Mastigoproctus Poc. 1894. 


Thelyphoniden mit Randcrista in der Vorderhalfte des Cephalothorax, 
convexer Oberhand, 2 Ommatiden am 3. Caudalgliede, ohne Innenranddorn 
am Coxalfortsatz der Maxillen. Tibienapophyse der Maxillen in beiden 
Geschlechtern mit geschärfter, gesägter Vorderrandkante, allmählich in 
einen spitzen Dorn auslaufend, der sich nicht mit der Endklaue des be- 
weglichen Fingers berührt. Geschlechter wenig verschieden. d nicht mit 
durchgehender Medianfurche im ersten Bauchsegment und ohne medianen 
Iinddorn im zweiten Bauchsegment. Glieder der Fühlergeissel beim € 
nie modifiziert, alle gestreckt. 


Die hierher gehörigen Formen gehören sämtlich der neuen Welt an, wo sie 
von Mexico bis Brasilien fast die ausschliesslichen Vertreter — nur Thelyphonellus 
gehört noch dem neotropischen Faunengebiete an — der Thelyphoniden sind. 


Nach den bisherigen Beobachtungen sind nur 4 Arten zu unterscheiden, deren 
Merkmale in folgender Tabelle einander gegenübergestellt sind: 


Alle 3 hinteren Beinpaare mit deutlichem Tibialsporn. Körper bis 65 mm. lang. 
Oberkieferklaue an der Aussenseite nur seicht ausgeschweift (Fig. 38b). Ommatiden 
klein bis mittelgross. 2tes Fühlerglied länger als das 3te (Fig. 10a). Trochanter, 
Femur, Tibia und Hand der Maxillen dicht grob raspelig bis dicht gross-grubig. 
Maxillarcoxa mundwärts am Innenrande meist nur mit einer Reihe grosser Kauziihne 
M. giganteus (Luc.), p. 37. 
— Nur das letzte oder die beiden letzten Beinpaare mit Tibiendorn . . . . Rus 
Oberkieferklaue aussen seitlich oberhalb des Grundes mit tiefem, buchtigem Einschnitt 
(Fig. 38a; deutlich bei geöffneter Klaue in der Oberansicht). Randcrista des 
Cephalothorax sich jenseits der Nebenaugen ein Stück nach hinten erstreckend. 
Coxalfortsatz der Maxillen mundwärts auf der Fläche mit mehreren Reihen kleiner 
Kauzähne (Fig. 39), selten fast glatt. Tibia der Maxillen auf der ganzen Oberfläche 
dicht gross-grubig. 2tes Fühlerglied etwas kürzer als das 3te. 


to 


2. M. proscorpio (Latr.), p. 38. 

-— QOberkieferklaue aussenseits nur seicht geschweift (Fig. 38b). Randcrista des Cephalo- 
thorax nur bis zum Hinterrande der Nebenaugen reichend. Coxalfortsatz der 
Maxillen mundwärts nur am Innenrande mit ı bis 2 Reihen grosser Kauzähne. 
Tibien der Maxillen oberseits wenigstens auf der Vorderflache fast glatt, oder die 
ganze Flache raspelo + oues. m # x a u XR RD seh 3e RAR X OX RB 


Ov 


2tes l'ühlerglied 1} mal so lang als das 3te (Fig. 40a). , Ommatiden meist quer- 
oval. Stirnrand glatt, eine scharfe Leiste, in eine starke Stirnspina ausgezogen. 
Coxalfortsatz der Maxillen mundwärts am Rande mit 2 Reihen von Kauzähnen. 
Hand und Tibia beim & fast glatt, nur obsolet punktiert, Tibienapophyse aussenseits 
mit 3—4 Zähnen. c unbekannt . . . . . . . 3. M. maximus (Tarn.), p. 39. 


-- 2tes Fuhlerghed nur so lang oder kürzer als das 3te (Fig. gob). Ommatiden rund, 
gross. Stirnrand körnig eingeschnitten, über den Grund der Stirnspina hinweg- 
ziehend. Coxalfortsatz der Maxillen mundwärts am Rande mit einer Reihe von 4 Kau- 
zähnen. Hand beim @ dicht gross-grubig, Tibia nur am Grunde gross-grubig, nach 
vorn fast glatt. Tibienapophyse aussenseits nur mit 1—2 Zähnen. (d: Hand und 
Tibia dicht raspelig, Tibienapophyse am Aussenrande ohne Zähne). 

4. M. brasilianus (C. L. Koch), p. 39. 


1. Mastigoproctus giganteus (Luc.) 1835. 


1835 Thelyphonus giganteus Lucas in: Mag. Zool. Guérin Cl. VIII pl. 8. 


1842 > > C. L. Koch in: Ar. X p. 21, f. 768. 
1853 > excubitor Girard in: Marey Nat. Hist. Red River p. 265 f. 17. 
` 1863 > giganteus Wood in: Journ. Ac. Nat. Se. Philadelphia 2. V p. 375. 
1872 > > 3utler in: Ann. Mag. Nat. Hist. <4) X p. 201. 
1872 ` mexianus Butl. ibid. p. 202. 
1872 > rufus Butl. ibid. p. 205 (teste Pocock’ Q. » 


1894 Mastigoproctus giganteus Pocock ibid. (6° XIV p. 130. 


Truncus dunkel rotbraun, ebenso die Beine.  Cephalothorax dicht körnig quer- 
runzelig bis grobkörnig, Stirnrand deutlich kerbig-körnig; Abdomen vorn ziemlich grob- 
körnig, nach hinten flachkorniger, alle Zwischenräume fein nadelstichig; Medianlinie nur 
in den ersten Segmenten sichtbar. Sternum breiter als lang. I. Bauchsegment mit 2 Seiten- 
gruben, beim &G vor denselben oft auch mit seichter kleiner Mediangrube, aber ohne 
Medianfurche; Hinterrand kaum bogig nach hinten ausgeschweift. II. Bauchsegment 
beim g mit erhabenem, gegen den Hinterrand spitz zulaufendem und hier rothaarig ge- 
franstem Dreieckswulst, beim 9 hinter einem schmalen, erhabenen Vorderrandwulst mit 
flacher Querdepression. Übrige Segmente glatt, glänzend, sehr zerstreut punktiert, nur 
an den Seiten etwas dichter, hier auch wol fein nadelstichig. Ommatiden meist mittel- 
gross, meist etwas quer-oval. 

Endklaue der Mandibeln am Aussenrande nur etwas geschweift (Fig. 38b), nicht 
mit tief buchtigem Einschnitt oberhalb des Grundes. Coxen der Maxillen etwas quer- 
runzelig, gegen die Mitte mässig zerstreut grob punktiert, Coxalfortsatz am Innenrande 
nicht oder kaum geschultert, mundwärts mit einer Reihe ziemlich grosser Kauzähne. 
Trochanter unterseits mit 2 Dornen, oberseits grob raspelig, am Vorderrande mit 5—7 
Dornen, von denen beim @ der voreckstandige weit grösser als die übrigen, während die 
des an dem mehr halbkreisformig gerundeten Rande in der Regel ziemlich gleichmässig 
und klein sind. Femur grob spitzkórnig bis grob raspelig, am oberen Vorderrande bei 
beiden Geschlechtern mit starkem Dorn. Tibia dicht gross-grubig, ihre Apophyse beim € 
meist mit 2 oder mehr, beim g meist ohne Sägezähne an der Spitze des Aussenrandes. 
Hand meist ebenfalls dicht gross-grubig. 

Glieder der Fühlergeissel sämtlich viel länger als breit. ztes Glied kürzer als das 
2te (Fig. 10a), etwa 21—3 mal so lang als breit; 4.-—8. kürzer, nur doppelt bis 21 mal 


so lang als breit. 


3 
Körperlänge bis 65 mm.  Tibiendornen an allen 3 hinteren Beinpaaren. 
Die Hauptheimat ist jedenfalls Mexico; doch liegen mir auch Exemplare. aus 
Texas und Arizona vor. 


2. Mastigoproctus proscorpio :Latr.) 1800. 
1806 Thelvphonus proscorpio Latr. in: Genera erustie; et meseet. Typ. 129. 
1843 antillanus C. L. Koch in: Arachn. X p. 29, f. 773. 
australianus id. ibid. N p. 33, f. 775. 


1890 3 eaudatus Tarnani in: Horae soc. ent. ross. XNIV. p. 529. 
1894 Mastigoprontus. proscorpio Pocock. in: Ann, Mag, Nat. Hist. (6: NIV. p. 130. 
1894 3 butleri Pocock. ibid. p. 130, cf. 


Cephalothorax braun, Abdomen meist gelbrot, Beine rotbraun. Cephalothorax 
mit rundlichen, isolierten Körnchen dicht besetzt, die nicht nadelstichig sind. Ebenso 
das Abdomen.  Seitencrista des Cephalothorax noch ein Stück jenseits der Ocellen nach 
hinten sich fortsetzend. Sternum langer als breit. IT. Bauchsegment glatt, glänzend, mit 
zwei flachen Seitengruben, beim 3 dazwischen zuweilen mit schmaler Mediangrube, Fläche 
sehr obsolet zerstreut nadelstichig. H. Bauchsegment beim @ wie bei der vorigen Art, 
beim Ẹ mit 2 flachen, in der Mitte oft fast zusammentliessenden Ouerdepressionen. Übrige 
Segmente giatt und glänzend, mit einzelnen gröberen Nadelstichen; daneben auf den 
Seiten äusserst fein dichter nadelstichig, beim €$ oft auch auf der Flache. Ommatiden 
äusserst winzig, kaum sichtbar. 

Endklaue der Mandibeln aussenseits oberhalb des Grundes mit tiefem, spitzbogigem 
Einschnitt (gut sichtbar bei seóoftneter. Klaue; Fig. 38a). Coxen der Maxillen glatt. 
mässig zerstreut nadelstichig, Coxalfortsatz am Innenrande nicht geschultert, mundwärts 
meist mit 3—4 Reihen kleiner Zahnchen (Fig. 39) auf der ganzen Fläche besetzt (selten 
fast glatt oder nur mit 2 Reihen von Zähnchen).  Trochanter unterseits mit 1—2 Dornen, 
oberseits dicht raspelig bis körnig, am Vorderrande beim 9 mit 5—7 Dornen, von denen 
der voreckstandige meist etwas grösser als die übrigen; beim c können die Vorderrand- 
dornen bis auf die 2 voreckständigen fast verschwinden. Femur dicht körnig-raspelig, 
am oberen Vorderrande beim ¥ ein. kleiner Dorn, beim g keiner oder nur ein kaum 
wahrnehmbares Ilöckerchen. Tibia bei Erwachsenen dicht gross-grubig, ihre Apophyse 
beim € mit 2—5, beim © meist ohne Zähne am llinterrande. Hand gross-grubig 


punktiert, bei jungen Exemplaren sehr zerstreut grubig. 

Glieder der Fühler alle gestreckt, viel länger als breit. — 3tes Fühlerglied etwas 
länger als das 2te, 3!-. 5 mal länger als breit, die folgenden bis zum 7. oder 8. an Länge 
allmählich abnehmend. 

Körperlänge bis 45 mm. Tibiensporn variabel; meist an den 2 hinteren Bein- 
paaren oder nur am ten, sehr selten einseitig auch am 2ten Beinpaar. 

Heimath: Westindien, namentlich Hayti. Ein (verschlepptes ?) Exemplar tragt 
die Etikette Mexico. Das Aochsche Originalexemplar von Th. australianus, 
welches mir vorliegt, und dass sich in nichts von einem typischen ¥ der Hauptform unter- 
scheidet, soll aus Neuholland stommen (Mus. Berlin). 


39 


Der Mastigopr. Butleri Poc. soll sich vornehmlich durch den Besitz von nur 
einem Dorn auf der Unterseite des Maxillartrochanters auszeichnen. Auch mir liegen der- 
artige Exemplare vor, bei denen dieses Merkmal zum Teil nur einseitig auftritt, woraus 
ich schliessen zu dürfen glaube, dass es sich lediglich um die individuelle Variation eines 
CO handelt. 


3. Mastigoproctus maximus (Tarn.) 1389. 


1889 Thelyphonus maximus Tarnani in: Zool. Anz. 1889,. p 121. 

1890 » > > in: Horae Soe. ent. ross. XXIV, p. 526, t. IIL f. 6a u. b. 

Bisher nur das 9 beschrieben. Truncus braun, Beine rotbraun. Cephalothorax 
vorn runzelig-körnig, hinten isoliert. körnig, die Körnchen nicht nadelstichig. Stirnrand 
eine. scharfe, dünne, nicht gekörnte, in die Stirnspina übergehende Leiste. Seitencrista 
des Cephalothorax sich nicht nach hinten jenseits der Ocellen fortsetzend. Bauchsegmente 
wie bei M. giganteus 9. Ommatiden mittelgross, etwas quer-oval. 

IEndklaue der Mandibeln am Aussenrande nur seicht geschweift. Coxen der 
Maxillen ziemlich dicht-grubig, namentlich an den Rändern; Coxalfortsatz am Innenrande 
nicht geschultert, mundwärts mit zwei Reihen ziemlich grober Zähne. Trochanter unter- 
seits mit 2 Dornen, oberseits zerstreut raspelig, nach vorn glatt, am Vorderrande meist 
mit 6 Dornen, von denen der voreckständige etwas grösser als die übrigen. Femur zer- 
streut fein raspelig, am oberen Vorderrande mit ziemlich starkem Dorn. Tibia glatt, matt, 
nur zerstreut obsolet nadelstichie, Apophyse am Hinterrande mit 3—4 Sagezahnen. 
Hand glatt, etwas glänzend und etwas stärker und dichter nadelstichig punktiert, als 
die Tibia. 

Glieder der Fühlergeissel gestreckt. 2tes Glied etwa 11 mal so lang als das 
3te (Fig. 40a), letzteres 2! mal so lang als breit; die folgenden Glieder an Grosse 
allmählich abnehmend bis zum 7. oder 8. 

Tibiendornen am 4ten oder einseitig auch wol am 3ten Beinpaar, am 2ten Bein- 
paar fehlend. Truncuslänge bis 56 mm. 

Fundort: Brasilien. Es haben mir ausser dem Originalexemplar (Museum 
Petersburg) noch 2 weitere Exemplare vorgelegen. 


4. Mastigoproctus brasilianus (C. L. Koch) 1843. 

1843 Thelyphonus brasilianus €, L. Koch in: Arachn.. X, p. 24, f. 770. 

1890 » > Tarnanı in: Horae soe. ent. ross; NNIV, p. 512, t. HI, f. Tau. b. 

1594 Mastigoproctus brasilianus Pocock in: Ann Mag. Nat, Hirt. (6. NIV, p. 139. 

Truncus braun, Beine rotbraun. | Cephalothorax vorn etwas kornig-runzelig, die 
Iörhabenheiten dicht nadelstichig, die Gegend innen von der Seitencrista matt, nur punk- 
tiert. Stirnrand kerbig-körnig.  Seitencrista nicht jenseits der Ocellen nach hinten verlängert. 
Abdomen vorn ziemlich dicht-körnig, nach hinten zerstreuter, dazwischen nadelstichig. 
I. Bauchsegment glatt, glänzend, zerstreut nadelstichig, mit 2 seitlichen Gruben, dazwischen 
beim JS eine kaum erkennbare mediane Längsdepression. II. Bauchsegment beim J mit 


40 


erhabenem, nach hinten spitzem und hier rothaarıg gefranstem Dreieckswulst, beim % mit 
2 Querdepressionen. Übrige Bauchsegmente glatt und glänzend, kaum ‚punktiert, an den 
Seiten äusserst fein und kaum sichtbar nadelstichig. Ommatiden ziemlich gross, rundlich. 

Endklaue der Mandibeln aussenseits kaum geschweift, ohne tiefe Einkerbung 
oberhalb des Grundes. Coxa zerstreut grubig, gegen die Mitte etwas runzelig; Coxalfortsatz 
am Innenrande nicht geschultert, mundwärts mit nur einer Reihe von Kauzahnen. Tro- 
chanter unterseits meist mit cinem grossen und einem sehr kleinen Dorn, oberseits 
buckelig feinkörnig auf der Fläche, am Rande mit 6—8 Dornen, von denen beim & der 
voreckständige erheblich grösser als die übrigen, während sie beim co am gerundeten 
Vorderrande weit kleiner und gleichmässiger sind. Femur mässig raspelig (€) oder dicht 
körnig-raspelig (C), am oberen Vorderrande bei beiden Geschlechtern mit kleinem Dorn. 
Tibia mässig dicht-grubig beim 9, namentlich am Grunde, dichter körnig-raspelig beim 
d, ihr Fortsatz am Hinterrande an der Spitze beim Y mit einem, beim c ohne Sägezahn. 
Hand beim 9 dicht gross-grubig, beim dicht grob kórnig-raspelig. 

Fühlerglieder sämtlich gestreckt. 2tes Füblerglied kaum länger als das dritte (Fig. 40b). 

Tibiendornen nur am 4. Beinpaar oder einseitig auch am dritten. Truncus- 
länge bis 46 mm. 

Fundort: Brasilien. 


7. Gatt. Uroproctus Poc. 1894. 


Thelyphoniden mit Randcrista in der Vorderhalfte des Cephalothorax. 
convexer Oberhand, 2 Ommatiden am 3. Caudalgliede, mit starkem 
Innenranddorn am Coxalfortsatz der Maxillen (Fig. sb. Tibienapophyse 
der Maxillen nur beim 9 mit geschärfter, gesägter Vorder- und Hinter- 
randkante, an der Spitze in einen spitzen Dorn auslaufend, beim g die 
Hinterrandkante gerundet, die Vorderrandkante nur am Grunde und am 
Ende gesagt und hier mit der Klaue des beweglichen Fingers sich be- 
rührend (Fig. 41). I. Bauchsegment des c ohne durchgehende Median- 
furche, H. mit kaum merklichem Dorn in der Mitte des Hinterrandes. 
Glieder der Fühlergeissel alle gestreckt, beim & nicht modifiziert. 
Bisher nur eine Art vom indischen Festlande. 
1. Uroproctus assamensis (Stelicza) 1869. 


1859 ‘Pelyphonus assamensis Stolleza in: Journ. Asiat. Soc, Bengal 38. II, p. 205. 


1873 > ; id. gdbid. n. s) 13. II, p. 133. 

1873 : scabrinus id. dbid, p. 130. teste Oates. 

1872 > rulimanus Butler (nee. Lucas; in: Ann, Mag. Nat. Hist. 4) N, p. 202 
teste Pocock. 

1872 proseorpio Butler nee. Latr) ibid. p. 202 teste Pocock . 

1873 > psittaeinus id. in: Cistula entom, VI, p. 129. 

] 884 ; assamentis Oates in: Journ, Asiat. Soe. Bengal 58, p. 8, t. IT. f£. 13. 


1894 Uroproctus assamensis Pocock. in: Amn, May. Nat. Hist. 6 NIV, p. 129. 

Färbung dunkelrotbraun bis schwarz. Cephalothorax vorn dicht gekórnt, hinten 
und an den Seiten zerstreuter und etwas feiner gekörnt, namentlich beim d. Abdomen 
oberseits flachkörnig, dazwischen fein nadelstichig, besenders beim €. Medianlinie nur 


1 


in den ersten Segmenten angedeutet. I. Bauchsegment beim c ohne stärkere De- 
pressionen, nur am gestutzten Hinterrande mit Andeutung einer Medianfurche, an den 
Seitenrändern körnig, am Hinterrande gross-grubig, sonst fast glatt auf der Fläche; beim 
$ auf der Fläche 2 schwache, zuweilen fast hufeisenförmig zusammenfliessende Quer- 
depressionen, glatt, an den Seiten gross-grubig und körnig. II. Bauchsegment beim J mit 
erhabenem, medianem Dreieckswulst, der hinten eine feine Dornspitze trägt, beim 9 mit 
2 schwachen Querdepressionen. Übrige Bauchsegmente bei beiden Geschlechtern glatt, 
glänzend, auf der Fläche kaum mit einzelnen Punktstichen, aber an den Seiten matt, fein 
und grob nadelstichig. Sternum länger als breit. Ommatiden mässig gross, quer-oval, 
weit auseinander gerückt. 


Endklaue der Mandibeln aussenseits am Grunde etwas ausgeschweift, aber nicht 
mit tief buchtiger Einkerbung, wie bei dem im 9 Geschlecht sehr ähnlichen Mastigoproctus 
proscorpio Latr. Coxen der Maxillen ziemlich dicht grob-grubig nadelstichig, Coxalfortsatz 
am Innenrande mit einem (selten 2) starken, seitlich vorstehenden Zahn (Fig. 6), dem 
mundwärts ein 2ter kleinerer folgt. Trochanter unterseits mit 2 Dornen, oberseits grob- 
körnig, am Vorderrande mit 5 Dornen, von denen der erste (äusserste) mehr isoliert steht. 
l'emur grobkörnig, am oberen Vorderrande beim c ohne, beim & mit deutlichem 
Dorn. Tibia grobkörnig bis raspelig. Ihre Apophyse beim co mit geradlinigem, gerun- 
detem und ungezahntem Hinterrande und etwas bovis geschweiftem, am Grunde und 
am Ende sägezähnigem Vorderrande, mit der Spitze des beweglichen Fingers sich be- 
rührend (Fig. 41); Apophyse des € zweischneidig zusammengedrückt, mit gezähntem 
Vorder- und Hinterrande und spitzem Iinddorn. Hand beim g gross-grubig, beim € 
etwas zerstreuter gross-grubig. 


Glieder der lFühlergeissel sämtlich viel länger als breit. ztes Glied länger als 
das 2te, 4tes 





Stes an Länge allmählich abnehmend, otes so lang als das 7. — 8. 
Truncuslänge bis 45 mm.  Tibiendornen an allen 3 Beinpaaren. 


Die Heimat ist das Gebiet. des Unterlaufes von Ganges und Brahmaputra 
(Assam, Bengalen, Calcutta etc.). 


Die schon oben angedeutete Ähnlichkeit der & dieser Art mit dem € von 
Mastigoproctus proscorpio ist eine ausserordentlich grosse, zumal bei letzteren häufig 
genug der Ite grössere Zahn am Mundrand des Coxalfortsatzes etwas nach innen seitlich 
heraustritt. Als Unterscheidungsmerkmale gebe ich daher für Mast. proscorpio noch an: 
1) Den tiefen buchtigen Einschnitt am Grunde des Aussenrandes der Mandibularklaue. 
2) Das Fehlen eines starken, vom Augenhügel rechts und links bogig vor den Augen 
hinziehenden Stirn-Wulstes, der höher ist, als die Augen. 3) Die feine nadelstichige 
Punktierung, die oft fast die ganzen. Bauchsegmente bedeckt. 


42 


8. Gatt. Thelyphonellus Poc. 1894. 

Thelyphoniden ohne Randcrista zwischen Ocellen und Stirn; 
Cephalothorax gerundet an den Seiten abfallend. Mittelaueen flach dem 
Cephalothorax aufliegend, nicht durch einen erhabenen Längswulst 
getrennt. Ommatiden fehlend. I. Bauchsegment in beiden Geschlechtern 
ohne Medianfurche. Apophyse der Tibia beim g nicht modifiziert, Fühler 
beim 9? nicht modifiziert. 

Bisher nur eine Art aus dem tropischen Südamerika. 


Thelyphonellus amazonieus (Butl.) 1372. 

1872 Thelyphonus amazonicus Butler in: Ann. Mag. Nat, Hist. “4 N p. 201, t. NHL f. 2. 

1894 Thelyphonellus amazenieus Pocock ibid. (65 NIV p. 133, 

Truncus schwarz, Gliedmassen rötlich. Cephalothorax schwach runzclig. Hinter 
den Medianaugen eine schwache Querdepression. I. Bauchsegment beim Gc in der Mitte 
veschwollen, glatt, ohne Furche oder Depressionen, mit convexem Hinterrande ; ähnlich 
beim 9, aber weniger geschwollen. Maxillen beim 9 verlängert. Trochanter oberseits 
glatt, am Vorderrande mit 5 kleinen Dornen. Femur, Tibia und Hand glatt, glänzend. 
Femur am oberen Vorderrande ohne Dorn. — Tibienapophyse in einen spitzen Dorn 
endigend, am Hinterrande nicht oder kaum gezähnt. 

Lange bis 25 mm. 

Fundorte: Nordostbrasilien (Santarem), British Guyana (Demerara). 


9. Gatt. Labochirus Pocock. 1894. 


Thelyphonidenohne Randcrista zwischen Ocellen und Stirnrand, Dorsal- 
flache des Cephalothorax gerundet in die Seiten übergehend. Haupt- 
augen einem erhabenen Buckel anliesend. Ommatiden 2. Coxalfortsatz 
der Maxillen am Innenrande mit starkem Dorn, beim Zg fast zangen- 
artig (Fig. 42. Femur und Tibia beim g verlängert, vielmal länger als 
breit, libienapophyse modifiziert, mit der Klaue des beweglichen 
Fingers sich berührend (Fig. 43) Hand beim c oberseits mit grosser 
runder Depression. lühlerglieder gestreckt, beim $ nicht modifiziert. 
Stirnrand in der Mitte namentlich beim g mit langem kegelförmigen 
l'ortsatz  Tibiendorn nur am letzten Beinpaar. 
Bisher nur eine Art von Ceylon. 


1. Labochirus proboscideus (Butl.) 1872. 
1572 Thelvphonus proboscidens Butler in: Ann. Mag. Nat, Hist. (1 N p. 203, t. NII f. 3. 
1513 | parvinianus. Butler in: Cist. entom Vl, p. 130, f£. 3, ©. 
1890. IIypoetonus proboscideus Tarnani in: Horae soc; ent; ross; NNIV, p. 533, t. III. f. 9h. 
1534 Laboehirus proboseideus Pocock in: Ann. Mag. Nat. Hist. 6) NIV. p. 132. 
Truncus und Arme dunkel pechbraun bis schwarz. Beine rotbraun, Tarsen heller 


gelbrot. Cephalathorax vorn runzelig, mit einem glatten Streifen jederseits, hinten fein-körnie. 


45 


Stirn ganz allmählich nach vorn abfallend, vorn in der Mitte beim g mit grossem, 
beim ? mit kleinerem kegelförmigen Fortsatz. Abdomen Nlachkörnig, nur in den ersten 
Segmenten mit Medianlinie. I. Bauchsegment am Ilinterrande etwas bogig vorgezogen, 
beim Oo glatt, fast ohne merkliche Depression, mit einzelnen Nadelstichen, beim & mit 
2 schwachen Depressionen. II. Bauchsegment beim < in der Mitte des Hinterrandes 


etwas weichdornig vorgezogen und hier braun gekornt.  Ubrige Bauchsegmente glatt, 
beim $ an den Seiten, beim co auch auf der Fläche fein nadelstichig. © Ommatiden 


massig gross, rundlich bis quer-oval. 

Coxen der Maxillen glatt, vereinzelt nadelstichig, Coxaltortsatz am Innenrande 
mit starkem Zahn, beim g fast geweihnrtig verlängert (Fig. 42). Trochanter unterseits 
mit 2 Dornen, oberseits auf der Fläche zerstreut körnig. am Vorderrande mit 5 Dornen, 
von denen der erste (äusserste) mehr isoliert steht und beim J gebogen ist. Femur 
beim dc lang gestreckt, quer-runzelig und etwas gekörnt, am oberen Vorderrande ohne 
Hocker, beim 9 viel kürzer, fast glatt, mit schwachem Dorn am oberen Vorderrande. 
Tibia beim c& aus schmalem Grunde allmählich kegelförmie verbreitert, stark quer-runzelig- 
körnig, fast 3! mal so lang, als am Ende breit. Tibienapophyse sich der Hand dicht 
anlegend, der ganzen Lange nach fast gleich breit, ihr Vorder- und Ilinterrand nicht 
sagezahnig, am Ende plötzlich durch Abrundung des [finterrandes in eine kurze, schnabel- 
förmige, schräg gegen die Finger gerichtete Spitze ausgezogen und mit der Klaue des 
beweglichen Fingers sich berührend (Fig. 43). Tibia des 9 kürzer, wenig verbreitert, 
etwas netzfurchig und zerstreut punktiert; ihre Apophyse von gewöhnlicher Gestalt, mit 
gesägtem Vorder- und Hinterrand und spitzem Enddorn  Hinterrand meist mit 2 Säge- 
zähnen. Hand beim c mit parallelen Seitenrändern, körnig-runzelie, mit grosser, tiefer 
Depression auf der Oberseite am Grunde der Finger. Beweglicher Finger viel länger, 
als der unbewegliche. Hand beim 9 glatt, glänzend, mit einzelnen grossen Gruben, mit 
kaum merklicher Depression am Grunde der Finger. 

Glieder der Fuhlergeissel gestreckt. 3tes Glied etwa 21-3 mal so lang als breit, 
und so lang als das 2te; 4tes bis Stes an Länge allmählich abnehmend; gtes so lang als 
das 7. + 8. 

Körperlänge bis 30 mm. Tibiendorn nur am letzten Beinpaar. 

Heimath: Ceylon. 


10. Gatt. Hypoctonus Thor. 1:389. 


Thelyphoniden ohne Seitencrista zwischen Seitenaugen und j5tirnrand, 
mit2O0mmatiden. Apophyse der Maxillartibia beim c modifiziert, nicht 
allmählich in einen Dorn zugespitzt, sondern mehr oder weniger parallel- 
seitig, am Ende gestutzt (Fig. 45 48) und hier mit kurzen Zacken, die mit 
der Spitze des beweglichen Fingers zusammentreffen. Unterseits nach 
innen trägt das Ende der Apophyse eine senkrecht auf ihr stehende, fast 
halbkreisformige Langsleiste (Fig. 45). Apophvse des © von gewöhnlicher 
Form, allmählich in einen Enddorn zugespitzt (Fig. 44) Trochanter der 


6* 


di 


Maxillen beim 9 meist mit 5 Dornen, die beim g sehr klein sind und 
oft zum Teil (am Innenrande) fast verschwinden. I. Bauchsegment beim 
S ohne Medianfurche, II. nicht oder kaum mit Dorn am Hinterrande. 
III. und IV. Beinpaar oder nur das IV. mit Tibiendornen. Fühlerglieder 
samtlich gestreckt, beim € nicht modifiziert. 


Bis zum Jahre 1889 war von dieser Gattung nur die eine Art H. formosus 
bekannt. In diesem Jahre aber beschrieb Oates nicht weniger als 7 neue Species, sämtlich 
aus Birma, die der Autor selbst zum Theil nur durch abweichende Farbung der Beine, 
etwas stärkere Verdickung der Tibienapophyse etc. zu charakterisieren vermochte. Ein 
Teil des von Oates zur Aufstellung seiner »Arten< benutzten Materials ist mir vom 
Museum in Calcutta in liebenswürdiver Weise zur Verfügung gestellt worden. Ein ein- 
gehendes Studium desselben ergab, dass es sich um eine Reihe einander ungemein nahe 
stehender, zum Teil allerdings wol nur als Lokalrassen aufzufassender Formen handelt, 
von denen einige jedoch — soweit das immerhin nur spärliche Material ein Urteil zulässt 
— möglicherweise als selbständige Species sich erweisen werden. In der nachfolgenden 
Tabelle, der noch eine weitere Art von Bornco beigefügt wurde, habe ich den Versuch 
gemacht, meine aus der Untersuchung der Oaes'schen Typen gewonnene Auffassung zum 
Ausdruck zu bringen, wobei ich nur noch bemerken will, dass mir die Mannchen von 
H. binghami und andersoni nicht vorlagen, und dass das Weibchen von H. sil- 
vaticus bisher überhaupt noch nicht, das von H. andersoni nur in einem ganz ver- 
stümmelten Exemplare bekannt ist. Übrigens dürften die beiden letztgenannten Formen 
kaum als selbstindige Arten anzusprechen sein. 

I. Nur das IV. Beinpaar mit Tibialsporn. | Bauchsegmente alle, mit Ausnahme des 
letzten, auch auf der Mittelläche dicht fein nadelstichie. I. Bauchsegment beim 
(allein bekannten) 9 am Hlinterrande nur schwach vorgezogen. Ommatiden knopf- 


formig vorgequollen. Aussenrand der Tibienapophvse nahe der Spitze nur mit 
o P 
einem (grossen) Sägezahn (Fig. 44) . . . . 1. H. gastrostictus n. sp.. p. 46. 


-— IV. und III. Beinpaar mit Tibialsporn. Bauchsegmente glatt oder nur an den 
Seiten dicht fein nadelstichiv, die Mittelfläche höchstens mit zerstreuten groberen 
Nadelstichen. Ommatiden flach, nicht buckelförmig aus der Fläche heraustretend. 
Aussenrand der Tibienapophyse nahe der Spitze mit 2 Sagezahnen beim @ .. 2 
G: Tibienapophyse modifiziert, am Ende gestutzt (Fig. 45.—48), mit der Spitze des 
beweglichen Fingers zusammenschliessend. Trochanterdornen amInnenrande undeutlich 3 
-- €: Tibienapophyse allmählich in einen starken spitzen Dorn auslaufend, am Vor- und 


Hinterrande sagezahnig, nicht mit der Spitze des beweglichen Fingers sich berührend. 


lo 


» 


Trochanter am Rande mit 5—6 deutlichen Zähnen. . . 2 2 2 nm nn nn. 
Tibienapophyse etwa in der Mitte bis auf die halbe Breite sich verjüngend und 
vegen die Spitze sich nicht wieder erweiternd (ig. 45). Unbeweglicher Finger am 
Aussenrande tief halbkreisformig ausgeschnitten (Fig. 45). Beine rot. Ommatiden 
mittelgross. — Bauchsegmente nur an den Seiten dicht fein nadelstichig : 

2. H. wood-masoni (Oates), p. 46. 


O 


"ar 


6. 


4 


ty 


— Tibienapophyse mit parallelen oder fast parallelen Rändern, am Ende oder etwas 


vor dem Ende oft nur etwas angeschwollen (Fig. 46--48). Unbeweglicher Finger 
am Aussenrande höchstens etwas geschweift, aber nicht durch einen tiefen Kreis- 
einschnitt: plotziéh verdünnt «ue as uode db ewe ELE ee a ne we sid 
Innenrand des Femur der Maxillen doppelt so lang als der Vorderrand des Tro- 
chanter. Beine rot.. . . . . 2s. s s s s 3. FH. binghami (Oates) p. 47. 
Innenrand des V onus der Mision nur so lang oder weniger langer als der Vorder- 
Fand des "Liochänter: s Seu Ep ue X E LE BOE UD wee Oe dec ehe b 
Coxen und Schenkel aller Beine lederbraun oder dunkel rotbraun, dunkler als die 
roten Tibien. Schenkel der Maxillen unterseits nur raspelig oder grubig. Handbeule 
am Grunde des unbeweglichen Fingers gross, halbmondformig, sich auch auf einen 
grossen Teil der Kinlenkungsstelle des beweglichen Fingers erstreckend (Fig. 49). 
Bauchsegmente glatt oder nur am äussersten Seitenrande dicht fein nadelstichig 
H. rangunensis (Oates), p. 49. 
Coxen und Schenkel der 3 hinteren Beinpaare rot oder gelbrot, von der Farbe der 
Tibien. Schenkel der Maxillen unterseits meist grobkörnig. Hand-Beule am Grunde 
des unbeweglichen Fingers undeutlich oder rundlich, fast auf den Grund des unbeweg- 
lichen Fingers beschränkt (Mig. 47). Bauchsegmente an den Seiten dicht nadel- 
stichig, und diese feine Punkticrung geht namentlich am Vorderrande der Segmente 
weiter gegen die Mitte, zuweilen bis über die Gruben hinaus . . 2 .2..2....060 
Auch die Schenkel des I. Beinpaares rot. Schenkel der Maxillen unterseits dicht 
grobkornig. Tibienapophyse vor dem Ende kaum angeschwollen, am Ende 3zackig 
oder mit einem breiten Zahn an der .\ussenecke (Fig. 46) 
4. H. formosus (Butl.), p. 48. 
Coxen und Schenkel des I. Beinpaares dunkel braunrot, weit dunkler als die der 
3 andern Beinpaare. Schenkel der Maxillen nur am áussersten Rande etwas kórnig, 
sonst raspelig. Tibienapophyse vor dem Ende deutlicher angeschwollen, am Ende 
nur in der Mitte mit kleinem Zahn (Fig. 47). . . 6. II. saxatilis (Oates), p. 49. 
Ommatiden sehr gross, nicht um ihre Breite von einander entfernt. Femur der 
Maxillen unterseits nur mit zerstreuten groben Kórnchen besetzt, nicht nadelstichig. 
I. Bauchsegment am Ilinterrande nur flachbogig vorgezogen, auf der Fläche mit 
2 ganz seichten seitlichen Längseindrücken und einer. schwachen medianen Depression 
am Hinterrande (Fig. 50). Letztes Bauchsegment auch in der Mitte fein m 
übrige Segmente nur an den Seiten., Beine gelbrot 3. H. binghami (Oates), p. 47 
Ommatiden mässig gross, weiter als ihr Durchmesser von einander entfernt. a 
der Maxillen unterseits grubig nadelstichig, nicht oder kaum obsolet gekörnt. I. Bauch- 
segment in der Mitte des Hlinterrandes fast halbkreisformig vorgezogen, nicht mit 
3 seichten Eindrücken. Letztes Bauchsegment auf der Fläche meist glatt. . . 8 
Coxen und Schenkel aller Beine oder doch des I. Beinpaares lederbraun bis tief 
rotbraun, dunkler als die Tibien. I. Bauchseement mit 2 tiefen halbmondförmigen 
oder rundlichen Gruben rechts und links von der Mittellinie (Fig. 511. . 2.0.09 


a 


— Coxen und Schenkel alle rot oder gelbrot wie die Tibien. I. Bauchsegment entweder 
nur mit flacher scheibenförmiger Depression auf dem Mittelfelde (Fig. 52), oder nur 
mit kurzer tiefer medianer Querfurche unweit des Vorderrandes (Fig. 53) . . . 10 

9. Alle Schenkel braun. Gruben des I. Bauchsegments halbmondförmig (Fig. 51), 
Fläche des Hinterrandbogens querrunzelig . . . . H. rangunensis (Oates), p. 49. 

— Nur die Schenkel des I. Beinpaares braun, die übrigen rot. Gruben des I. Bauch- 

segments rund, Fläche des IHinterrandbogens fast glatt 
6. H. saxatilis (Oates), p. 49. 

10. I. Bauchsegment nur mit flacher scheibenförmiger Depression, die das ganze Mittel- 
feld einnimmt (Fig. 52). . . . 2 . . . . . 2. H. wood-masoni (Oates), p. 46. 

— I. Bauchsesment auf der Fläche ohne scheibenförmige Depression, aber vor der 
Mitte mit einer kurzen tiefen, wie mit einer Nadel gerissenen Querfurche (Fig. 53) 

4., H. formosus (Butl.), p. 48 


1. Hypoctonus gastrostictus n. sp. 

Bisher nur 1 € bekannt. Truncus braun, Beine etwas heller rotbraun. Cepha- 
lothorax zwischen den Seitenaugen runzelig erubig, hinten, namentlich an den Seiten, 
dicht isoliert feinkórnig. Augenhugel niedrig, nach vorn allmählich abfallend, sein Median- 
wulst die Augen nicht überragend, vorderer Seitenrand des Cephalothorax glatt. 
Abdomen ziemlich dicht gekornt, auf den ersten 3 Segmenten mit Medianlinie. I. Bauch- 
segment ohne tiefere Eindrücke, Hinterrand etwas bogig nach hinten vorgezogen, Fläche 
mit einzelnen eingestochenen Punkten und mit gröberen Grübchen gegen den Hinterrand. 
Uebrige Segmente auf der ganzen Flache dicht fein nadelstichig mit Ausnahme des 
letzten, das in der Mitte fast glatt ist. Ommatiden gross, knopfformig vorstehend, kaum 
um ihre Breite von einander entfernt. 

Coxalflache der Maxillen glatt, glänzend, kaum durch einzelne Punkte nadelstichig. 
Trochanter oberseits glatt, glänzend, am Vorderrande mit 5 spitzen Zähnen, von denen 
der 2te, voreckständige, der grösste. Femur, Tibia und Hand glatt und glänzend, nur 
mit ganz vereinzelten Punktstichen. Femur auch unterseits glatt. Dornapophyse der 
Tibia am Ende des Aussenrandes nur mit einem starken Dorn (Fig. 44). 


Fuhlerglieder gestreckt. 3tes Glied etwas länger als das 2te, 4tes nur 5 so lang 
als das 3te; 4.—8. an Länge allmählich abnehmend. 
Tibialsporne nur am IV. Beinpaar. Körperlänge 18 mm. 


Fundort: Angeblich Borneo (llofmuseum Wien). 


2. Hypoctonus wood-masoni (Oates) 1390. 


1590 Theivphonus wood masoni Oates In: Journ. Asiat. Soe, Bengal LVIII 2, p. 12. 


Cephalothorax schwarzbraun, Abdomen heller, Beine lebhaft rot. Cephalothorax 
und Auvenhugel wie bei der vorigen Art. T.benso Abdomen oberseits. I. Bauchsegment 
beim 7 am Ilinterande gestutzt und hier mit dreieckiger Depression, auf der Fläche 
schwach quer-runzelig und zerstreut nadelstichig, IT. mit deutlichem Dorn in der Mitte des 


47 


Hinterrandes, auf der Fläche, gleich dem IH., grob quer-runzelig. Uebrige Segmente 
glatt, glänzend, auf den Mittelfeldern ziemlich dicht punkticrt, an den äussersten Seiten- 
rändern sehr dicht und fein nadelstichig, die Fläche aussenseits von den Gruben glatt 
und fast unpunktiert. I. Bauchsegment beim & nach hinten in der Mitte plötzlich fast 
halbkreisförmig vorgezogen, die Fläche mit einer grossen, flachen, medianen Beule (Fig. 52), 
an den Seiten zerstreut nadelstichie. Übrige Segmente glatt, zerstreut nadelstichig, an den 
äussersten Seitenrändern sehr fein dicht nadelstichig. Ommatiden mässig gross, nicht 
knopfformig vorgequollen, um mehr als ihren Durchmesser von einander entfernt. 

Coxalfläche der Maxillen glatt, schr zerstreut nadelstichig. Trochanter oberseits 
glatt und glänzend, beim 9 mit 5 spitzen Randdornen, welche beim g nur als kleine 
Hocker entwickelt sind oder zum Teil verschwinden. Femur oberseits glatt, glänzend, 
unterseits beim c grobkörnig, beim & glatt. Tibia und Iland in beiden Geschlechtern 
glatt und glänzend, nur mit einzelnen Nadelstichen. Apophyse der Tibia beim J gleich 
hinter der Mitte auffallend verjüngt, die aufrechte Bogenleiste am inneren Unterrande 
gross, Ende mit einem stärkeren Zähnchen in der Mitte der Endfläche (Fig. 45). Apo- 
physe des 9 am Aussenrande nahe dem Ende nut 2 starken Sagezahnen. Hand beim 
g dicker als die Tibia, am Grunde des unbeweglichen Fingers mit tiefer halbkreisförmiger 
Ausbuchtung, wie ausgebissen (Fig. 45), so dass der unbewegliche Finger hier plötzlich 
dunner wird. Hand beim 8 normal, dünner als die Tibia. 

Fühlerglieder bei beiden Geschlechtern gleich, ähnlich wie bei der vorigen Art, 

Tibialsporne am III. und IV. Beinpaar. Körperlänge bis 25 mm. 

Fundort: Tenasserim in Birma. 


3. Hypoctonus binghami (Oates) 1890. 


1890 Thelvphonus binghami Oates in: Journ, Asiat. Noe Benegal LVIII. 2, p. 15. 


Truncus braun, Schenkel der Beine gelbrot. Cephalothorax und Abdomen wie 
am llinterrande nur wenig weit- 





bei den vorigen Arten. I. Bauchsegment — beim € 
bogig vorgezogen, so dass der ganze Hinterrand an den Seiten nicht bogig ausgeschweift 
erscheint; Fläche mit 2 ziemlich schwachen Gruben, ausserdem cine unpaare Dreiecks- 
Depression in der Mitte des Hinterrandes (Fig. 50). Übrige Segmente nur an den 
äussersten Seitenrandern fein nadclstichig, auf der Fläche glatt, kaum mit einzelnen 
obsoleten Punkten. Ommatiden auffallend gross, nicht um die Hälfte ihres Durchmessers 
von einander entfernt, nicht vorgequollen. 

Coxalfläche und Trochanter wie bei der vorigen Art, aber auch das & mit 5 
deutlichen Dornen am Vorderrande, Femur beim © doppelt so lang an seinem Innen- 
O 


rande als die anstossende Trochanterlläche, oberseits glatt, unterseits körnig; beim ş 


kürzer, unterscits nur mit einigen obsoleten Kornchen besetzt. Tibia und Hand glatt, 
glänzend, mit einzelnen Stichpunkten. Apophyse der Tibia beim c mit fast parallelen 
Seiten, aber vor der Spitze etwas angeschwollen und am Ende mit stumpfem Dorn in der 


Mitte. Apophyse des & aussenseits mit 2 Dornen nahe der Spitze. Hand beim S am 
Grunde des unbeweglichen Fingers nicht halbkreisföornyg ausgebuchtet, dicker als die Tibia. 


4s 


Fühler wie bei den vorigen Arten. 
Tibialsporne am III. und IV. Beinpaare. Körperlänge etwa 30 mm. 
Fundort: Tavoy Fluss, Tenasserim in Birma. 


4. Hypoctonus formosus (Butl.) 1872. 
1872 Thelvphonus formosus Butler in: Ann. Mag. Nat. Hist. (4) X p. 201. 


1873 ; > Stolieza in Journ. Asiat. Soe. Bengal 1873 p. 137 t. XII f. 4. 
1873 | angustus Stolicza ibid. p. 134 t. XII f. 3 (teste Thorell). 

? 1889 Hypoctonus formosus Thorell in: Ann. Mus. civ. (2) VII p. 542 (wol nur zum Teil) 
1890 : Oates in: Journ. As, Soc. Bengal LVIII 2, p. 14. 


Cephalothorax dunkel rotbraun, Abdomen und Beine gelbrot. Cephalothorax und 
Abdomen wie die vorigen. Ebenso Abdomen oberseits. I. Bauchsegment beim C glatt, 
glänzend, an den Seiten schilferig-kórnig, am Hinterrande gestutzt und etwas ausgeschweift, 
beim 9 vor der Mitte mit einem kurzen schwarzen Querriss (Fig. 53), in der bogigen 
Ausbuchtung des Hinterrandes quer-runzelig, sonst glatt und sehr zerstreut punktiert. 
Übrige Segmente beim co von den Seiten bis über die Gruben dicht fein nadelstichig, 
beim 9 glatt, glänzend, nur an den äussersten Seiten etwas fein nadelstichig, sonst nur 
mit einzelnen gróberen Nadelstichen. Ommatiden mässig gross, um mehr als ihren Durch- 
messer von einander entfernt. 

Coxalfläche glatt, sehr zerstreut nadelstichig. Trochanter oberseits fast glatt, 
beim 9 mit 5 Randdornen, die beim co sehr winzig sind. Femur oberseits beim Gc zer- 
streut raspelig, beim 9 glatt, unterseits beim g grobkörnig, beim 9 obsolet körnig. 
Tibia und Hand glatt, mit einzelnen Grubenpunkten. Tibienapophyse beim G der ganzen 
Linge nach fast gleich breit, nur mit kleiner Anschwellung innenseits etwas vor dem 
Ende, am gestutzten Ende 3zackig (Fig. 46); beim 9 am Aussenrande mit 2 Sagezahnen 
vor dem Ende. Hand beim & am Grunde des unbeweglichen Fingers kaum ein wenig 
cingebogen, auf der Fläche ohne deutlich markierte Depression oder Grube am Grunde 
des unbeweglichen Fingers. 

Fühlerglieder wie bei den vorigen Arten. Körperlänge etwa 25 mm. 


Fundort: Tenasserim in Birma. 


Nahe verwandt und wol nur Lokalrassen dieser Art dürtten sein: 
1. Hypoctonus insularis (Oates) |^- Thelyphonus insularis Oates in: Journ. As. Soc. 
Beng. LVHI. 2, p. 13). Die mir vorliegenden Originalexemplare sind etwas grösser als 
die Hauptform (bis 30 mm) und dunkler, fast schwarz gefärbt, die Beine fast kirschrot. 
Die Bauchsegmente des © sind viel weniger fein nadelstichig (nur im IV. Segment bis 
an die Gruben tretend), während das I. Bauchsegment des 9 den charakteristischen Quer- 
riss vor der Mitte zeigt. Die Tibienapophyse des G trägt am gestutzten Ende nur einen 


starken Zahn, der als Fortsetzung des Aussenrandes erscheint. Am Grunde des 
unbeweglichen Fingers zeigt das 3 eine deutlichere, grubige Depression. — Double-Island 


an der Mündung des Moulmein River in Birma. 


49 


2. Hypoctonus andersoni (Oates) |= Telyphonus andersoni Oates in: Journ. Asiat. Soc. 
Bengal LVIII. 2, p. 11, t. i1 f. 12]. Soweit aus der Beschreibung von Oates zu ersehen, 
im mannlichen Geschlecht namentlich unterschieden durch die Tibienapophyse der Maxillen, 
welche im Endviertel sich etwas, fast quadratisch, erweitert und an seinem Ende einen 
einzigen rückwärts gerichteten Zahn trägt (Fig. 48). -— Ober-Birma. 


5. Hypoctonus rangunensis (Oates) 1890. 
1890 Thelvphonus rangunensis Oates in: Journ. As. Soc. Bengal Bd. LVIII. 2, p. 18. 


Truncus schwarz, Schenkel der Beine sämtlich tief braunrot, Tibien rot. Cephalo- 
thorax und Augenhiigel wie bei den vorigen Arten. Ebenso Abdomen oberseits. I. Bauch- 
segment beim Go am Hinterrande gestutzt, auf der Fläche mässig dicht punktiert, namentlich 
gegen den Hinterrand, beim 9 mit 2 tiefen halbmondförmigen Gruben (Fig. 51), an den 
Seiten ziemlich dicht grubig, Hinterrand fast halbkreisförmig vorgezogen. Übrige Segmente 
beim & namentlich auf der Mlittelfläche zerstreut aber regelmässig fein punktiert, an den 
Seiten matt, schwarz, aber kaum fein nadelstichig. Ähnlich beim 9, aber Fläche spar- 
samer punktiert. Ommatiden mässig gross, um mehr als ihren Durchmesser von einander 
entfernt. j 

Coxalflachen sehr zerstreut punktiert, beim co gegen die Mittellinie runzelig. 
Trochanter wie bei der vorigen Art. Femur oberseits namentlich am Grunde etwas 
gross-grubig, unterseits beim co etwas raspelig-grubig, beim 9 dicht gross-grubig. Tibien 
und Hand beim dc glatt, glänzend, schwarz, beim 9 mit einzelnen grösseren Grübchen, 
namentlich die Hand. Tibienapophyse bei c und 9 wie bei der vorigen Art. Hand 
beim & am Grunde des unbeweglichen Fingers mit einer ziemlich gut begrenzten 
halbmondförmigen Depression, die sich noch halb auf den Einlenkungsrand des beweglichen 
Fingers erstreckt (Fig. 49). Fühlerglieder wie bei den übrigen Arten. Körperlänge 
etwa 25 mm. 

Fundorte: Rangun, Palon in Birma. 


Von der Hauptform trennt Oas als besondere Species ab: 
H. silvaticus Oates (Journ. As. Soc. Beng. LVII. 2, p. 18), von dem bisher nur ein © 
bekannt ist. Es soll sich von H. rangunensis hauptsächlich durch stärkere Anschwellung 
der Tibienapophyse im Enddrittel unterscheiden. — Tharrawaddy-Distrikt in Birma. 


6. Hypoctonus saxatilis (Oates), 1890. 


1890 Thelyphonus saxatilis Oates in: Journ, As, Soc. Bengal LVII 2, p. 17. 


Truncus dunkel rotbraun, Abdomen meist etwas heller; Schenkel und Coxen des 
l. Beinpaares lederbraun bis rotbraun. die der übrigen Beine nebst den Tibien rot oder 
gclbrot. Cephalothorax und Abdomen oberseits wie bei den übrigen Arten. I. Bauch- 
segmente an den Seiten. beim Z gross-grubig-runzelig, auf der Fläche quer-runzelig, am 
Hinterrande gestutzt und etwas geschweift, vor demselben etwas dichter grob punktiert. 
I. Bauchsegment beim & auf der Fiche mit 2 grossen fast runden, runzeligen Kindrücken, 


50 
am LHinterrande in der Mitte fast halbkreisformig vorgezogen, auf der Fläche seitlich von 
den Gruben ziemlich grob und mässig dicht punktiert, unterhalb der Gruben etwas 
zerstreuter punktiert und kaum quer-runzelig. IV.—IX. Segment beim co auf der ganzen 
Fläche namentlich in der Mitte dicht ziemlich grob nadelstichig, an den Seiten matt, 
aber kaum fein nadelstichig, beim ¢ die Fläche mehr obsolet und zerstreut punktiert, 
die Seiten deutlicher fein nadelstichig. Ommatiden ziemlich gross, wenig mehr als ihr 
Durchmesser von einander entfernt. | 

Coxalflächen wie bei der vorigen Art. Trochanter oberseits beim 9 ziemlich 
dicht gekörnt, beim © fast glatt, die Randdornen wie bei den übrigen Arten. Femur 
in beiden Geschlechtern oberseits fast glatt, nur am Grunde aussen etwas dichter grubig, 
unterseits dicht gross-grubig bei g und 9. Tibia und Hand glatt, glänzend, sehr ver- 
einzelt nadelstichig, nur die Hand beim € etwas dichter grubig. Tibienapophyse beim cd 
vor dem Ende beidseitig angeschwollen, etwas stärker als bei H. rangunensis, am ge- 
stutzten Ende nur mit einem hóckerartigen Zahn fast in der Mitte (Fig. 47). Apophyse 
beim ? am Aussenrande mit 2 Zähnen. Hand beim co am Grunde des unbeweglichen 
Fingers mit deutlicher Depression, die aber nicht gestreckt halbmondformig ist, wie bei 
der vorigen Art. 

Fühlerglieder wie bei den übrigen Arten. Körperlänge bis 28 mm. 

Fundort: Thayetmyo in Birma. Der vorigen Art jedenfalls sehr nahe stehend. 


ll. Tribus Tartarides Thor. 


Fam. Schizonotidae Thor. 1888. 


Uropygi deren Cephalothorax durch cine tiefe quere Gelenkfurche nahe 
dem llinterrande in 2 Abschnitte von ungleicher Grösse geteilt wird 
(Fig. 54a, b; das 3. und 4. Beinpaar sind dem hinteren Abschnitte ein- 
gefügt. Cephalothorax ohne Stirnaugen und Augenhügel, mit spitzer 
Stirnspina (Fig 54), meist ohne Spur von Seitenaugen. Abdomen mit 
8 breiten Ringen und 3 schmalen. Auf der Bauchseite ein schmales, 
vestrecktes Sternum zwischen den Coxen des IV. Beinpaares Caudal- 
anhang kurz griffelförmig und ungegliedert (Fig. 56b) oder mit verdicktem 
Endknopf (Fig. 564). Mandibeln scheerenartig, aber weit klaffend, nur 
die Spitze des beweglichen Fingers gegen die Innenrandzähnchen des 
unbeweglichen treffend. Maxillen mit Coxa, Trochanter, Femur, langer 
Patella, Tibia (ohne seitliche Apophyse) und Hand (Fig. 1b). Letztere 
mit cinschlagbarer Endklaue sowie gegen den Grund der Klaue aussen- 
und innenseits je mit einem vorwärts gerichteten Dorn. Geissel des 


I. Beinpaares mit 8 Gliedern, von denen das 2te schaftartig verlängert 
ist (Fig. 55a, b. Coxen des II. Beinpaares mit Dornfortsatz, Patella und 
Tibia verhältnissmässig kurz, dagegen das Ite Segment des 4gliedrigen 
Tarsus*) tibienartig verlängert. Endtarsen mit 2 dorsalen und einer 
ventralen Klaue (Fig. 2b). 


Im Jahre 1872 wurden die ersten Formen dieser merkwürdigen Gruppe von 
Cambridge unter dem Gattungsnamen Nyctalops beschrieben, einem Namen, der, weil 
schon für einen Vogel von Wagler vergeben, später von Z%orell in Schizonotus 
umgewandelt wurde. Eine 2te hierher gehörige Gattung Tripeltis beschrieb dann 
Thorell (34; im Jahre ı889, während der erst ganz neuerdings von Cook in die Wissen- 
schaft eingeführte Artacarus liberiensis nach dem mir gütigst zur Verfügung 
gestellten Originalexemplar sich als ein des Caudalanhanges verlustig gegangener Schizo- 
notus tenuicaudatus herausstellen dürfte. Leider lässt das in Balsam eingebettete 
Präparat einige für die Entscheidung der Frage wichtige Punkte nicht deutlich erkennen, 
doch gelang es mir nicht, auch nur einen Differenzpunkt mit Schizonotus aufzufinden. 

Hinterer Abschnitt des Cephalothorax besteht aus einem Stück (Fig. 54a). 

3tes Fühlerglied breiter als lang, die folgenden kaum länger als breit (Fig. 55a). 

I. Schizonotus Thor., p. 51. 

Hinterer Abschnitt des Cephalothorax ist wieder durch eine Längsfurche in 2 Teile 

geteilt (Fig. 54b), so dass der Cephalothorax im Ganzen aus 3 Stücken besteht. 
3tes Fühlerglied so lang als breit, die folyenden länger als breit (Fig. 55b). 


2. Tripeltis Thor., p. 53. 


1. Gatt. Schizonotus Thor. 1888. 


Schizonotiden ohne Seitenaugen. Hinterer Abschnitt des Cephalothorax 
ungeteilt (Fig. 54a). Caudalanhang einfach griffelförmig oder am Ende 
herzförmig verdickt (Fig. 56a,b). Untere Klaue der Endtarsen senkrecht 
abwärts geschlagen (Fig. 2b). Hand ausser der Endklaue mit 2 Dornen 
(aussen und innenseits je cincr). Trochanter der Maxillen nach vorn in 
eine stumpfe oder gebogene, nach vorn gerichtete Spitze ausgezogen, die 
Einlenkung des Femur auf seinem Rücken tragend. 3tes Glied der Fühler- 
geissel kürzer als das 4te (Fig. 55a). 


Die 2 beschriebenen Arten sind voraussichtlich nur die 2 Geschlechter cin und 

derselben Species. 
I. Caudalanhang am Ende knopf- oder herzförmig verdickt (lig. 56a). Trochanter 
der Maxilen vorn mit starkem, gebogenem Dornfortsatz (Fig. 1b). Patella unterseits 


*) Cambridge hat die Gliederung in die 3 letzten Segmente übersehen, Z#ere// spricht von 5 Tarsen- 
gliedern, da er das basale, gestreckte wol für die Tibia hielt, 


ca 
t9 


mit starkem Dorn in der Mitte (Fig. 1b). Schenkel des 4. Beinpaares auffallend 
verdickt, dem Trochanter sich mit dick-kolbigem Grunde ansetzend (Fig. 57). 
I. Sch. crassicaudatus (Cambr.), p. 
— Caudalanhang kurz griffelfermig (Fig. 56b). Trochanter der Maxillen vorn nur in 
eine kurze stumpfe Spitze ausgezogen (Fig. 58a). Patella unterseits ohne Dorn. 
Schenkel des 4. Beinpaares am Grunde weniger dick-kolbig. 


2s 


Pa 


lo 


Ut 


2. Sch. tenuicaudatus (Cambr.), p. 


1. Sehizonotus crassicaudatus (Cambr.) 1372. 

1872 Nyctalops crassicaudatus Cambridge in: Ann. Mag. Nat. Hist. (4) X, p. 411, t. XXII. f. 1. 

1888 Schizonotus erassicaudatus Thorell in: Ann. Mus, civ Genova (2) VI, p. 558. 

Färbung hell gelbbraun, Cephalothorax etwas dunkler. Körperlänge etwa 6 mm. 
Der kurze Caudalanhang trägt am Ende eines winzigen Sticls cine herzförmige oder anker- 
schaufelartige Verdickung, die mit zarten Borsten besetzt ist (Fig. 56a). Trochanter der 
Maxilen vorn mit starkem, etwas abwärts gebogenem Dornfortsatz (Fig. 1b). Femur 
unterseits mit kurzem Dornhöcker (Fig. 1 b), Patella cylindrisch, mit starkem, gekrümmtem 
Dorn unterseits (Fig. 1b), Tibia cylindrisch, unterseits mit kleinem Dornhócker; Hand 
aussenseits mit starkerem, innenseits mit schwacherem Dorn auf der Unterseite vor dem 
Ansatz der Endklaue. 2tes Fühlerglied lang gestreckt, 3tes kurz, länger als breit, deutlich 
kürzer als die folgenden (Fig. 55 a). 

Fundort: Ceylon (Botan. Garten unter Pflanzenresten). 


2. Schizonotus tenuicaudatus (Cambr.) 1872. 
1872 Nvetalops tenuicaudata Cambridge in: Ann. Mag: Nat. Hist. i4: X, p. 411, t. XXH f. 2. 
1888 Schizonotus tenuicaudatus Thorell in: Ann, Mus. civ. Genova (2; VI, p. 358. 
? 1896 Artacarus liberiensis Cook in litt. 

Der vorigen Art in Färbung und Grösse gleichend — Caudalanhang einfach, 
griffelartig, ungegliedert, mit Borsten besetzt (Fig. 56b). Trochanter der Maxillen vorn 
nur mit kurzem, stumpfem Fortsatz (Mig. 58a). Femur unterseits ohne Spur eines Dorns, 
ebenso die Patella. Sonst wie vorige Art, wol nur 9$ derselben. 

Fundort: Ceylon, mit der vorigen Art. 2 Liberia. 


2. Gatt. Tripeltis Thor. 1889. 


Schizonotiden ohne Seitenaugen oder mit je einem (schwer erkenn- 
baren) kleinen Augenfleck an den Seiten des Cephalothorax. Hinterer 
Abschnitt des Cephalothorax durch eine Längsfurche in 2 seitliche, fast 
quadratische Platten zerlegt (lie. s4b). Untere Klaue der Endtarsen nach 
vorn gerichtet Caudalanhang einfach eriffelförmig. Fühlergeissel 
achtgliedrig,*) 2tes Glied schaftartig gestreckt (Fig. 55b). 3tes Fühler- 
glied so lang als breit, wenig kürzer als die folgenden. 


*) Zhorel! giebt irrthümlicher Weise 6—7 Fühlerglieder an, 


I. Völlig augenlos. Maxillen 1} mal so lang als der Cephalothorax. 
I. T. grassi1 Thor, p. 53. 
— Jederseits des Cephalothorax mit rundlichem Occllenfleck. Maxillen wenig länger 
der Cephalothorax . . . . .... . . .. . 2. T. cambridgei Thor., p. 53. 


1. Tripeltis grassii Thor. 1889. 
1889 Tripeltis grassii in: Ann. Mus. civ. Genova .2) VII, p. 554. t. V. f. 1. 

Truncus braun, Beine bleicher. Körperlänge 7 mm.  Cephalothorax vorn an 
den Seiten ohne Spur von Seitenaugen. Maxillen 11 mal so lang als der Cephalothorax, 
ihre Coxen mit langem Dornfortsatz, Trochanter der Maxillen nach vorn in einen kufen- 
artig gebogenen Fortsatz mit gerader Spitze ausgezogen (Fig. 58b). Schenkel und Patella, 
weniger deutlich die Tibia, unterseits mit einer Reihe starker Dornborsten. Hand ausser 
der Endklaue jederseits mit einem Dorn. Schenkel des 4. Beinpaares am Grunde kolbig 
verdickt. 

Bisher nur ein Exemplar von Teinzo in Birma (Museum Genua; Fea leg.). 


RN 


2. Tripeltis cambridgei Thor. 1339. 
1889 Tripeltis cambridgei Thorell in: Ann. Mus. civ. Genova (2) VII, p. 559, 

Das einzige bis jetzt bekannte, sehr jugendliche, nur 3,3 mm lange Exemplar 
gleicht der vorigen Art fast in allen Punkten, weshalb schon 7%orel/ die Frage aufwirft, 
ob es einfach als Jugendzustand zur vorigen Art zu ziehen sei, wofür die etwas hellerc, 
mehr grüngelbe Farbung und die geringere Lange der Maxillen sprechen würde. Lediglich 
der Umstand, dass das Exemplar jederseits am Cephalothorax einen rundlichen ocellen- 
artigen Fleck tragt, hat den Autor bestimmt, vorlaufig eine selbstandige Species aufzustellen. 

Fundort: Prome in Unterbirma (Museum Genua; Fea leg .). 


a 
~~ 


6) 


9) 


10) 


11) 


1797. 
1804. 
I 8906. 


1829. 


1559. 


1862. 


54 


Litteratur. 


Linné, C. v.: Systema naturae Ed. X p. 619. — Kurze Notiz über „Phalan- 
gium caudatum- von Indien. 

Linné, C. v.: Museum Ludovicae Ulricae p. 426. — Ausführliche Beschreibung 
des Phalangium caudatum- von Java. 

Pallas, P. S.: Spicilegia zoologica Fasc. IX p. 3o, TA. III f. 1. 2. — 
Phalangium caudatum. 

Fabricius, J. C.: Entomologia svstematica H p. 433. — Führt Gattungs- 
namen Tarantula ein. 

Herbst, J. F. W.: Natursystem der ungeflügelten Insekten. Heft I, p. 84, 


TA. V, Fig. 2. -- Phalangium caudatum von -Ostindien<. 

Latreille, P. A.: Histoire naturelle des Crustacés et des Insects Tom. VII, 
p. 132, TA. 60 f. 4. — Führt Namen Thelyphonus ein. Thelyphonus caudatus (L). 
Latreille, P. A.: Genera crustaceorum et insectorum I p. 129. — Thel. cau- 


datus, der in Amerika heimisch. 

Cuvier, G.: Le regne animal IIr®e Edit. von P. A. Latreille Tom. IV, 
p. 266. — Erwahnt in einer Anmerkung, dass 3 Formen zu unterscheiden 
seien, das Phal. caudatum L. von Java, der Thelyph. proscorpio von West 
indien und eine 3te Art vom Gangesdelta. 

Lucas, H.: Essai sur une Monographie du genre Thelyphone in Magas. de 
Zool. de M. Guerin 1835, Cl VIE, Tfl. VIII — X. — Beschreibt 6 Arten, 
darunter 5 neue. 

Koch, C. L.: Die Arachniden, Bd. X. .— Beschreibung von $8 Arten, 
darunter 5 neue. 

Gervais P.: Histoire naturelle des insectes. Apteres. Bd. III. p. 8— 14. — 
Aufzählung der Lucas schen. ‚Arten. 


Gervais P.: op. cit. Bd. IV., p. 566-3568. — Aufzählung der Koch schen 
Arten, 

Girard, C.: In Natur. History of the Red River of Louisiana. Reprint. from 
the Report of Cpt. R. B. Marcy, Washington. — Thelyph. excubitor. 
Doleschall, C. L.: Bijdr. tot de Kennis der Arachniden von den Indischen 
Archipel in: Tijdschr. v. Nederl. Indie NIIT. — Telyphonus seticauda. 


Doleschall, C. L.: Twede Bijdr. tot de Kennis d. Arachniden von den 


Indischen Archipel in: Act. soc. scient. Indo-Neerland V. 
Wood, IH. C.: Description of a new species of the genus Thelyphonus in: 
Proc. Acad. Natur. Sc. Philadelphia (1861) 1862, p. 312. — Th. stimpsonit. 


1862—63. Wood, H. C.: On the Pedipalpi of North America in: Journ. Acad. of 


1804. 


Sciences, Philadelphia (2) V, p. 373---74. — Thelyph. giganteus Luc. 
Wood, Hl. C.: Description of new species of North Amer. Pedipalpi in: Proc. 
Acad. Nat. Sc. Philadelphia (1863) 1864, p. 107—112. 


t3 


ın 
Lau 





Stolicza, F.; Contribution tow. our knowledge of Indian Arachnoidea in: 
Journ. Asiat. Soc. Bengal Vol. 38, P. II, p. 201—251. — Ih. assamensis. 
Butler, A. G.: A monograph of the genus Thelyphonus in: Ann. Mag. Nat. 
Hist. (4) X, p. 200—206. Mit 1 Tfl. — 21 Species, davon 8 neue. 
Cambridge, O. P.: On a new [family and genus and two new species of 
Thelyphonidea. Mit 1 Tfl in: Ann. Mag. Nat. Hist. (4) X, p. 126—143. 
Auch in: Ann. Soc. Ent. Fr. (5) U, p. 486—88. — Familie Tartarides, 
n. g. Nyctalops. 

Butler, A. G.: Description of several new species of Thelyphonus, mit 1 Tfl. 
in: Cistula entomol. VI. p. 129—132. — Th. psittacinus, parvimanus, philip- 
pensis, sepiaris, nigrescens. 

Stolicza, F.: Notes on the Indian Species of Thelyphonus in: Journ. Asiat. 
Soc. Bengal (n. s) XIII. P. IL, p. 126—143. Mit Tfl. XIL. -- Kritik der 
Butler schen Arten; 3 neue Species. 

Butler, A. G.: Answer to Dr. Stolicza s Notes on the Indian Species of 
Thelyphonus in: Ann. Mag. Nat. Histor. (4) XII, p. 114— 116. 

Gravere, C. de: Mededeeling over Thelyphonus proscorpio Latr., gevonden 
in the residentic Madioen in: Natuurk. Tijdschr. Nederl. Ind. 33. Deel. 
(7. ser. 3. D.) 1873, p. 512— 513. 

Simon, E.: Etud. arachn. 5. Mém. Part. IX. Arachn. recueil. aux Iles 
Philippines par M. M. Baer et Laglaise in: Ann. Soc. ent. France (5) VH, 


p. 92. — Thel. manilanus Koch. 

Keyserling, E. Graf: Arachniden Australiens von L. Koch, fortges. von 
Keyserling II, p. 42. — Thelyph. insulanus n. sp. 

Marx, Gco.: Notes on Thelyphonus Latr. mit ı Tafl. in: Entomologica 
americ. II, p. 38—40. — Th. excubitor Girard wol — c von Th. giganteus Luc. 
Thorell, T.: Descrizione dei aluni aracnidi inferiori dell’ Arcipelago malese 
in: Ann. Mus. civ. Genova XVIII, p. 35 — Bezeichnet die Thelyphoniden 


als Subordo Uropygi mit den beiden Familien der Thelyphonoidae und Nycta- 
lopoidae (= Tartarides Cambr.). 

Simon, E.: Etude sur les Arachnides de l'Asie merid. etc. I. Arachn. recueill. 
à Tavoy par Moti Ram in: Journ. Asiat. Soc. Bengal LVI, p. 111. -- Thelyph. 
formosus Butl. 

Thorell, T.: Pedipalpi e scorpioni dell Arcipelago malese conservati nel 
Museo civico d. Stor. nat. di Genova in: Ann. Mus. civ. Genova (2) VI, 
p. 327—428. — Thelyph. Doriae, asperatus, papuanus nn. spsp.; Tretrabalius 
n. g.; Uropygi in die beiden » Tribus: der Oxopoei (Fam. Thelyphoniden) und 
der Tartarides (Fam. Schizonotoidae in. n. für Nyetalopoidae! eingeteilt). 
Tarnani, J.: Sur les Collections des Thelvphonides de quelques Musces 
russes in: Zool. Anz. 1889, No. 301, p. 118—122. — Thelyph. amurensis 


n. sp, Ih. strauchi n. sp., Ih. maximus n. sp. 


56 


Oates, E. W.: On the species of Thelyphonus inhabiting continental India, 
Burma and the Malayan Peninsula in: Journ. Asiat. Soc. of Bengal LVII, 


p. 4— 19, mit Tfl. II. — 8 neue Species Thelyphonus (incl. 6 Hypoctonus). 
Thorell, T.: Aracnidi Artrogastri Birmani in: Ann. Mus. civico Genova (2) 
VII, p. 542 — 562. —  Hypoctonus formosus (Butl); Tripeltis n. g. 
Schizonotoidarum. 


Tarnani, J.: Ueber die Thelyphoniden aus den Sammlungen einiger Russi- 
scher Museen, mit 1 Tf. in: Horae Soc. ent. Ross. XXIV, p. 511—539. — 
Ausführliche Beschreibung der 1889 vom Verfasser aufgestellten Arten. Tabellen- 
Verzeichniss der bisher beschriebenen Arten. 

Pocock, R. J.: Notes on the Thelyphonidae contained in the Collection of 
the British Museum, mit Tfl. II in: Ann. Mag. Nat. Hist. (6) XIV, p. 120--134. 
— 6 neue Genera, 5 n. sp. Revision der Butler'schen Arten. 

larnani, J.: Quelques nouvelles especes de Thelyphonides in: Zool. Anz. 
1894, p. 30—32. — Thelyph. niger n. sp. Thelyph. Schimkewitschi n. sp. 
Tarnani, J.: Uber die Thelyphoniden aus den Sammlungen einiger russischer 
Museen II, mit 1 Tfl. in: Horae Soc. ent. Ross. XXIX, p. 111—121. — 
Weitere Ausführung der vorigen Arbeit. 


Index, 


(Die nicht gesperrt gedruckten Gattungs- und Artnamen sind Synonyme.) 


Abalius 16. 

amazonicus (Thelyphonellus) 42. 
amurensis (Typopeltis) 13. 
andersoni (Hypoctonus) 49. 
angustus (Thelyphonus) 35. 
angustus (Hypoctonus) 48. 
anthracinus (Thelyphonus) 32. 
antillanus (Mastigoproctus) 38. 
Artacarus 5I. 52. 

asperatus (Thelyphonus) 31. 
assamensis (Uroproctus) 40. 
australianus (Mastigoproctus) 38. 
beddomei (Thelyphonus) 35. 
binghami (Hypoctonus) 47. 
borneensis (Thelyphonus) 26. 
brasilianus (Mastigoproctus) 39. 
butleri (Mastigoproctus) 38. 
cambridgei (Tripeltis) 53. 
caudatus L. (Thelyphonus) 24. 


caudatus Tarn. (Mastigoproctus) 38. 


celebensis (Thelyphonus) 27. 
crassicaudatus (Schizonotus) 52. 
crucifer (Typopeltis) 15. 
doriae (Thelyphonus) 27. 
excubitor (Mastigoproctus) 37. 
formosanus (Typopeltis) 14. 
formosus (Hypoctonus) 48. 
gastrostictus (Hypoctonus) 46. 
giganteus (Mastigoproctus) 37. 
grassii (Tripeltis) 53. 
halmaheirae (Thelyphonus) 34. 
hansenii (Thelyphonus) 30. 


hosei (Thelyphonus) 28. 
Hypoctonus 43. 

indicus (Thelyphonus) 35. 
insulanus (Thelyphonus) 17. 
insularis (Hypoctonus) 48. 
johorensis (Thelyphonus) 25. 
klugii (Thelyphonus) 26. 
Koenenia 5. 

Labochirus 42. 

liberiensis (Artacarus) 52. 
linganusC.L. Koch (Thelyphonus) 25. 
linganus Thor. (Thelyphonus) 32. 
lucanoides (Thelyphonus) 26. 
manilanus (Thelyphonus) 34. 
Mastigoproctus 36. 

maximus (Mastigoproctus) 39. 
mexicanus (Mastigoproctus) 37. 
Mimoscorpius 10. 

nasutus (Tetrabalius) 19. 

niger (Typopeltis) 13. 

nigrescens (Thelyphonus) 35. 
Nyctalops 52. 
Oxopoei 6. 
papuanus (Thelvphonus) 34. 
parvimanus (Labochirus) 42. 
philippensis (Thelyphonus) 34. 
proboscideus (Labochirus) 42. 
proscorpio C. L. Koch (Thelyphonus) 24. 
proscorpio Latr. (Mastigoproctus) 38. 
proscorpio Butl. (Uroproctus) 40. 
psittacinus (Uroproctus) 40. 
pugnator (Mimoscorpius) 10. 


rangunensis (Hypoctonus) 49. 
rohdei (Abalius) 16. 

rufimanus Luc. (Thelyphonus) 24. 
rufimanus Butl. (Uroproctus) 40. 
rufipes Luc. (Thelyphonus) 24. 
rufipes C. L. Koch (Thelyphonus) 24. 
rufus (Mastigoproctus) 37. 

samoanus (Abalius) 17. 

saxatilis (Hypoctonus) 49. 
scabrinus (Uroproctus) 40. 
schimkewitschi (Thelyphonus) 29. 
Schizonotidae 50. 

Schizonotus 5I. 

schnehagenii (Thelyphonus) 33. 
semperi (Thelyphonus) 29. 
sepiaris (Thelyphonus) 35. 
seticauda (Tetrabalius) 18. 
silvaticus (Hypoctonus) 49. 


IWW MU SANANA NENANA NE LNE 


sinensis (Typopeltis) 15. 
spinimanus (Thelyphonus) 35. 
stimpsonii (Typopeltis) 15. 
strauchii (Thelyphonus) 34. 
suckii (Thelyphonus) 28. 
sumatranus (Thelyphonus) 32. 
tarnanii (Thelyphonus) 27. 
Tartarides 50. 
tenuicaudatus (Schizonotus) 52. 
Tetrabalius 18. 
Thelyphonellus 42. 
Thelyphonidae 6. 
Thelyphonus Ig. 

thorellii (Thelyphonus) 24. 
Tripeltis 52. 

Typopeltis ıı. 

Uroproctus 40. 
woodmasoni (Hypoctonus) 46. 


~. 


u 


» 


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2 


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Or 
S 
» 


II. 
12. 
I 3. 
I4. 
15. 
16. 
17. 
18. 
I9. 
20. 
21. 
22. 
23. 


59 





Figuren-Erklarung. 
Tafel I. 


Linke Maxille: a) von Thelyphonus sp., b) von Schizonotus crassicaudatus (Cambr.). 


I. 
2. Endtarsus: a) von Thelyphonus sp., b) von Schizonotus crassicaudatus (Cambr). 
3. Vorderteil des Cephalothorax: a) von Thelyphonus sp., b) von Hypoctonus sp. 
4. Linke Maxille von Mimoscorpius pugnator (Butl.), nach Butler. 

5. Coxalfortsatz der Maxille: a) von Thelyphonus sp., b) von Uroproctus assamensis (Stol.). 
6. | 

7 
8 
9 
IO 


Ommatiden von Tetrabalius. 


. Die 3 ersten Bauchsegmente: a) von Thelyphonus sp. g; b) È. 

. Bein-Tibia mit Endsporn von Thelyphonus sp. 

. Maxillar-Tibia mit Apophyse von Thelyphonus sp. 

. L—III. Fühlerglied: a) von Typopeltis amurensis (Tarn.); b) von Mastigoproctus 


giganteus (Luc.). 


 Maxillar-Tibia von Typopeltis amurensis (Tarn.), c. 


» » » » niger (Tarn.), c. 
» » » » formosanus n. sp.. d. 
Maxillar- Trochanter von Typopeltis niger (Tarn), C, von oben. 
» > » » formosanus n. sp., C, von unten. 
» » » » » » g ; » Oben. 
Vordere Bauchsegmente von Typopeltis amurensis (Tarn.), 9. 
» » » » stimpsonii (Wood.), 9, nach Pocock. 
» » » » crucifer (Poc.), 9 nach Pocock. 
Fühlergeissel von Abalius rohdei n. sp., 9. 
» » » samoanus n. sp. &. 
» »  Thelyphonus caudatus (L.), a) Gg, b) 9. 
> » » doriae Thor. a) d, b) 9, c) von var. hosei Poc. 
» » x linganus C. L. Koch a) d, b) $, c) VI. und 


VII. Glied des 9 vergr., Unterseite. 
Fühlergeissel von Thelyphonus klugii n. sp., a) g, b) 9, c) VI. und VII. Glied 
des 9 vergr., von der Seite. 


Tafel II. 


. Fühlergeissel von Thelyphonus borneensis n. sp., a) 9, b) VII. und VIII Glied 


von unten, c) von der Seite. 


. Fühlergeissel von Thelyphonus celebensis n. sp. &, b) VI. und VII. Glied vergr., 


von der Seite. 


. Fühlergeissel von Thelyphonus suckii n. sp., a) G, b) =. 


» » » semperi n. sp., a) G, b) 9. 
» > schimkewitschi (Tarn.), a) d, b) $. 
» » o hansenii n. sp, cd. 


60 


Fühlergeissel von Thelyphonus asperatus Thor., a) C, b) 9. 


» > i sumatranus n. sp., C. 

» > manilanus C. L. Koch, dc. 
> > » anthracinus Poc., d. 

» » » schnehageni n. sp., Co. 


. Maxillar-Trochanter a) von Thelyphonus manilanus C. L. Koch, gd, b) von Th. 
sepiaris Butl., C 

. Mandibel-Endklaue a) von Mastigoproctus proscorpio (Latr.), b) v. M. giganteus (Luc.). 
. Coxalfortsatz der Maxille von oben gesehen von Mastigoproctus proscorpio (Latr.). 
. Die 3 basalen Fühlerglieder a) von Mastigoproctus maximus (Tarn), b) von 
M. brasilianus (C. Koch). 

I. Apophyse der Maxillar-Tibia von Uroproctus assamensis (Stol.). 

. Coxalfortsatz der Maxille von Labochirus proboscideus (Butl.) c. 

. Linke Hand und Tibienapophyse von Labochirus proboscideus (Butl.), c. 

. Maxillar-Tibia von Hypoctonus gastrostictus n. sp., 9. | 

. Hand und Tibienapophyse von Hypoctonus woodmasoni (Oates), d. 

. Apophyse der Maxillar-Tibia von Hypoctonus formosus (Butl.), d. 

. Hand und Tibienapophyse von Hypoctonus saxatilis (Oates), c. 

. Maxillar-Tibia mit Apophyse von Hypoctonus andersoni (Oates), C, nach Oates. 
. Hand von Hypoctonus rangunensis (Oates), d 

. I. Bauchsegment von Hypoctonus binghami (Oates), 9. 


TE : > » rangunensis (Oates), 9. 
jd. ^ : » woodmasoni (Oates), €. 
Ask » » formosus (Butl.)., 9. 


54. Cephalothorax und Anfang des Abdomens a) von Schizonotus, b) von Tripeltis; 


von oben. 


55. Fühlergeissel a) von Schizonotus, b) von Tripeltis. 


tm 


yr 
AA N 


. Caudalanhang a) von Schizonotus crassicaudatus (Cambr.), b) von Sch. tenui- 

caudatus (Cambr.). 

. Schenkel des IV. Beinpaares von Schizonotus crassicaudatus (Cambr.). 

Maxillar-Trochanter a) von Schizonotus tenuicaudatus (Cambr.), b) von Tripeltis 
grassi. Thor. 


dbhandl d natu: Vereins Hamburg, Bd. 15, 1596. Araepelin, Thelyphon iden. Tat 1. 


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Abhandl. d nati Vereins Hamburg, Dd. 15, 1896 Araepeten, Thelyphoniden. Tat 4 








Der Schwebflug und die Fallbewegung 


ebener Tafeln in der Luft. 


Von 


Dr. Fr. Ahlborn 


in Hamburg. 


(Hierzu 2 Tafeln und 22 Figuren im Text.) 


Av pw 


oco 


13. 


INHALT. 


: Lg 


A. Fallbewegung ebener Tafeln mit centralem Schwerpunkt. 


Beobachtung eines fallenden Papierstückes................. 


Die Ursache der auffallenden Bewegung liegt nicht in Unregelmässigkeiten der 


Luft, sondern in gesetzmässigen Eigenschaften des Widerstandes . 


Die Avanzini'schen Versuche ............... 0.0.00 ce a L 


Hypothetische Wirkung gleichmässig verteilten Widerstandes................ 


Thatsächliche Wirkung der ungleichen Verteilung des Widerstandes.......... 


Verlauf der Fallbewegung bei wechselndem Neigungswinkel..... 


Bedeutung des Tragheitsmoments für den weiteren Verlauf der Fallbewegung . 


Fallbahnen und Geschwindigkeiten verschiedener ebener Tafeln..... 


DL 


B. Fallbewegung symmetrischer Tafeln mit excentrischem Schwerpunkt. 


Mouillard — Excentrische Anordnung des Schwerpunktes bei symmetrischer 


Bela Lund wer ee ae US tía dudes dos ne 


© 9 9 s s e 5 t$ 9 c5 1 


Abhängigkeit der Bewegungsform vom Absturzwinkel..............2.2..2.. 


Fallapparat und Methode des Versuchs... .. ........ 


I. Versuchsreihe bei mittlerer Excentricitat des Schwerpunktes .. 


II. Versuchsreihe bei geringer Excentricität des Schwerpunktes .. 


III. Versuchsreihe mit starker Excentricität .... 222222... 


Ergebnisse... v2. Jar vd d een qS dd hh 





. . >b e V č a s 


©. è è s è s ù 


or Te Te 


u. ao 


A. Fallbewegung 


ebener Tafeln mit centralem Schwerpunkt. 


Wenn man ein Kartenblatt, eine Postkarte oder einen ähnlichen, flächenhaft 
gestalteten rechteckigen Körper aus schräger Stellung durch die Luft herabfallen lässt, so 
zeigt sich, dass derselbe nicht in der Stellung, welche er unmittelbar vor Beginn der 
Fallbewegung hatte, auf senkrechter Bahn herabsinkt, sondern dass er während des Falles 
eigentümliche Schaukelbewegungen und Rotationen ausführt. 

In vielen Fällen sieht man, wie eine anfangs auftretende vor- und zurückschwankende 
Drehung schon nach einer Oscillation in eine gleichförmige Rotation der Karte übergeht; 
sehr oft rotieren die Körper von Anfang an während der ganzen Dauer ihrer Fallbewegung. 


A A 





Fig. I. 


Die Fallbahn, das Trajektorium des Schwerpunktes, ist wahrend der Rotation 
nicht geradlinig, sondern biegt in anscheinend parabolischer Kriimmung nach derjenigen 
Seite ab, nach welcher die Rotation im unteren Bogen gerichtet ist. Die Ablenkung der 
Bahn geschieht also, wenn das Auge des Beobachters in der Richtung der Rotationsachse 
sieht, bei rechtslaufiger Drehung nach links, bei linkslaufiger Drehung nach rechts hin. (Fig. I.) 


Der Leser wolle sich von der Richtigkeit dieser Thatsachen zuvor überzeugen. 
Eine Postkarte oder ein kleines Blatt Papier ist leicht zur Hand. Man lasse es das eine 
Mal aus mehr horizontaler, das andere aus mehr vertikaler Stellung fallen, und man wird 
nach einander die oscillierende und die rotierende Bewegung vor Augen haben. 


Auf den ersten Blick könnte man geneigt sein, die Ursache dieser merkwürdigen 
Bewegungen in den Schwankungen und Wirbelbildungen der Luft zu suchen, wie sie 
durch die Beobachtung der Sonnenstäubchen oder des Rauches einer Cigarre zu erkennen 
sind. Allein diese und andere durch Temperaturunterschiede veranlassten Luftbewegungen 
verlaufen im einzelnen ganz unregelmässig, wie die Diffusionsströmungen und Schlieren 
in Flüssigkeiten, während die Oscillationen und Rotationen der fallenden Körper durchaus 
regelmässig und jedenfalls auch in solcher Luft stattfinden, welche durch alle denkbaren 
Vorkehrungen vor jeder inneren Eigenbewegung möglichst geschützt ist. 


Es kann daher als feststehend betrachtet werden, dass die Arbeit dieser Bewegungen 
der fallenden Körper allein durch die Schwerkraft geleistet wird, ohne aktive Beteiligung 
der Luft. Da aber die Schwerkraft nur in der vertikalen Richtung wirkt, so muss die 
Ursache der Rotation in der Form des Luftwiderstandes liegen. Die Oscillation und 
Rotation kann a priori nur dadurch zustande kommen, dass der Angriffspunkt der Resultante 
des Luftwiderstandes nicht mit dem Angriffspunkte der Resultante der Schwerkraft, d. h. 
dem Schwerpunkte, zusammenfällt. Denn andernfalls würde der Luftwiderstand nur einfach 
verzögernd auf die im übrigen geradlinige Fallbewegung einwirken können. 


Dieser letztere Fall tritt dann ein, wenn nicht nur die Masse des fallenden 
Körpers, sondern auch der Widerstand der Luft symmetrisch um die durch den Schwerpunkt 
gehende Vertikale angeordnet ist. So beim vertikalen Fall einer Kugel, eines Fall. 
schirmes oder eines Kartenblattes in genau horizontaler oder vertikaler Lage, d. h., wenn 
seine Blattflächen genau horizontal oder vertikal stehen. Bei geringen Fallhöhen haben 
die Ungleichförmigkeiten der Luft keinen merklichen Einfluss auf den Gang der Fall- 
bewegung. Bei grösseren Fallhöhen dagegen wird in Folge von Ungleichformigkeiten 
der Luft und des Fallkörpers oder weil von Anfang an das Kartenblatt nicht genau die 
angegebene Lage inne hatte, nach einiger Zeit des Fallens diese Lage sichtbar gestört 
sein, was dann einen Uebergang der geradlinigen Fallbewegung in eine schaukelnde und 
drehende herbeiführt. 

Auch ein stabil belasteter Fallschirm, ein Luftballon, kann in freier Luft unregel- 
mässige Erscheinungen in der Fallbewegung zeigen. Jeder Wind bewirkt, seiner Stärke 
entsprechend, eine scitliche Ablenkung der Falllinie von der vertikalen Richtung. Jeder 
Windstoss verursacht ein gewisses Schwanken, da der voluminöse Ballon oder der Fallschirm 
leicht die Geschwindigkeit des Stosses aufnimmt, während die grössere, kompakte Masse 
der Gondel dagegen zurückbleibt, um alsbald wie ein Pendel unter Schwingungen wieder 
in die Lage unter dem Aufhangepunkte zurückzukehren. In den Berichten über Luftballon- 
fahrten sind viele ähnliche Erscheinungen mitgeteilt worden, die alle auf Wirbel und 
andere Unregelmässigkeiten in der Struktur des \Vindes zurückzuführen sind. Derartigen 


7 


zufälligen Störungen der Fallbewegung stehen nun die eingangs geschilderten durchaus 
regelmässig auftretenden Oscillationen und Rotationen gegenüber, die ihre Ursache in 
gesetzmassigen Eigenschaften des Luftwiderstandes haben, nämlich in der regelmässigen 
Verschiebung des Druckmittelpunktes, (d. h. Angriffspunktes der Resultante des Luft- 
widerstandes) bei geneigter Lage der Widerstandsflächen. 


Nach den hydrodynamischen Beobachtungen Avanzinz's*), die in ihrer allgemeinen 
Form — wie aus zahlreichen aerodynamischen Versuchen hervorgeht, auch für die Ver- 
hältnisse des Luftwiderstandes Gültigkeit haben, ist der Luftwiderstand nur dann auf eine 
Fläche gleichmässig verteilt, wenn dieselbe genau senkrecht zur Windrichtung steht, nur 
dann fällt der Druckmittelpunkt mit dem Schwerpunkte der Fläche zusammen. 


Sobald dagegen die getroffene Fläche gegen die Bewegungsrichtung**) geneigt ist, 
wird der Druckmittelpunkt gegen den voraufgehenden Rand der Fläche verschoben, und 
er entfernt sich dabei um so weiter vom Flächenmittelpunkte, je weiter die Fläche sich 
von der Stellung normal zur Bewegungsrichtung entfernt oder je kleiner der Neigungs- 
winkel der Fläche gegen die Stromrichtung ist, und je geringer die Windstärke ist. 


*) Avansini hat folgende Versuche angestellt. (Istituto nationale italiano, tomo I., parte I, citiert nach 
Duchemin, Experimentaluntersuchungen über die Gesetze des Widerstandes der Flüssigkeiten. Deutsch von 
Schnuse. Braunschweig 1844. S. 108). 


»Eine rechteckige Platte ab, durch welche quer eine Achse ging, die sucessive in verschiedene Punkte 
der halben Linge cb gebracht wurde und um welche sie sich frei drehen konnte, wurde nach der horizontalen 
Richtung cd in ruhendem Wasser durch eine constante, an der Achse e angebrachte Kraft in Bewegung gesetzt. 
Nach den Schwingungen, welche in den ersten Augenblicken der Bewegung stattfanden, stellte sich das Gleich- 
gewicht zwischen dem Gewichte der Platte und dem Widerstande der Flüssigkeit her, sodass sich diese 
Platte alsdann unter einem Einfallswinkel bcd, welcher von der Entfernung ce zwischen dem Mittelpunkte der 
Figur und der Achse abhing, fixierte. Einige der Folgerungen, welche sich aus diesen Versuchen ergeben, 
wollen wir hier anführen: 


I. wenn sich die Achse e im Mittelpunkte c befand, so war der Einfallswinkel be d ein rechter, Wenn 
also der Stoss ein direkter ist, so liegt der Impressions- oder Widerstandsmittelpunkt im Mittelpunkte 
der Figur der ebenen Fläche; 

2. wenn die Achse e zwischen c und b lag, so war der Einfallswinkel bcd immer spitz, und zwar 
desto spitzer, je grösser das Intervall ce war. Bei dem schiefen Stosse rückt also der Widerstands- 
mittelpunkt gegen die in der Richtung der Bewegung am meisten vorgerückte Seite der Platte fort 
und zwar um so mehr, je spitzer der Einfallswinkel ist; 

3. wenn das Intervall ce konstant ist, so wird der Einfallswinkel bcd desto spitzer, je grösser die 
Geschwindigkeit ist. Hieraus folgt, dass sich die Achse bei derselben Schiefe des Stosses dem Mittel- 
punkte der Figur der Platte desto mehr nähert, je grösser die Geschwindigkeit ist; 

4. wenn man die Dimensionen der Platte sich ändern lässt, ohne weder die Geschwindigkeit noch das 
Intervall ce zu ändern, so beachtet man, dass der Winkel bed mit der Zunahme der Länge ab 
grösser wird und dass das Gegenteil stattfindet, wenn die Preite der Platte vergrössert wird, Hieraus 
folgt, dass sich der Widerstandsmittelpunkt dem Mittelpunkte der Figur desto mehr nähert, je länger 
und je schmäler die Platte ist.« (Das »länger« bezieht sich hier offenbar auf die Erstreckung der 
Platte in der Richtung ihres Vorderrandes und nicht auf das oben als »Lánge« bezeichnete Profil ab). 


yc 


, genauer: Richtung des relativen Gegenwindes. 


Zur Bestimmung der Grósse der Verschiebung des Druckmittelpunktes hat Lord 
Rayleigh *) auf Grund der mit ebenen quadratischen Flächen angestellten Versuche die 
folgende empirische Formel aufgestellt: 

Bu 3 ° cosa 
ae 

Hierbei bedeutet x den Abstand des Druckpunktes vom Flächenmittelpunkte, 
wenn « der Neigungswinkel der Fläche, und b die Lange der Quadratseite der Fläche 
ist. Bei kleinen Neigungswinkeln rückt hiernach der Druckmittelpunkt nach und nach 
bis auf ,% b gegen den vorderen Flächenrand vor**) Der Einfluss der ungleichen 
Windstärke ist in dieser Formel mangels geeigneter Messungen nicht mit berücksichtigt. 

Für anders gestaltete, nichtquadratische Flächen lässt sich zwar die Verschiebung 
des Druckmittelpunktes einstweilen noch nicht durch eine bestimmte Formel ausdrücken, 
weil es an geeigneten, systematischen Untersuchungen über diesen Gegenstand fehlt; 
allein thatsächlich findet jedesmal, wie immer auch die Fläche gestaltet sei, eine 
Verschiebung des Druckmittelpunktes statt, sobald nur der Luftwiderstand irgend wie 
schräg zur Fläche gerichtet ist: der Druckmittelpunkt wird immer vom Schwerpunkte 
aus gegen denjenigen Rand der Fläche vorgeschoben, welcher auf der Seite des positiven 
Luftwiderstandes am weitesten voraus liegt. 

Diese Thatsache genügt zu einer befriedigenden Erklärung der in Frage stehenden 
Oscillationen und Rotationen fallender Körper. Es sei AB (Fig. 2) der Querschnitt 

eines rechteckigen steifen Kartenblattes, welches unter 
B einem Winkel « gegen die Vertikale geneigt ist und 
in dieser Stellung in ruhiger Luft der Einwirkung der 
Schwerkraft ausgesetzt wird. Die Schwerkraft kann 
dann als im Schwerpunkt S angreifend gedacht 
werden, und das Gewicht p mit welchem die materielle 
Fläche AB auf die Luft drückt, lässt sich in eine 
Normalkomponente q und eine parallel zur Fläche 
gerichtete Komponente r zerlegen. 

Der Komponente r steht bei freier Fallbewegung nur der sehr geringe und füglich 
zu vernachlassigende Stirnwiderstand entgegen, den die Luft bei A gegen die sehr schmale 
Randflache des Kartenblattes ausübt; gegen die Komponente q dagegen wirkt der ganze 
auf die Breitseite AB des Blattes gerichtete Luftwiderstand. 

Ware nun der Luftwiderstand symmetrisch über die Flache A B 
verteilt, hatten alle gleich weit vom Schwerpunkte 5 entfernten Flachenelemente gleich 
starken Widerstand zn erleiden, so liesse er sich zu einer im Flachenmittelpunkte S (Fig 3) 





Fig. 2. Fig. 3. 


angrcifenden Resultante w vereinigen, deren cine, normal zur Fläche gerichtete Komponente v 





*) Philosophical Magazin 1876, p. 430—441. 

**) Eine klare und eingehende Darstellung dieses Verhaltens giebt Zim. Gerlach in einem Vortrage: 
Ableitung gewisser Dewegungsformen geworfener Scheiben aus dem Luftwiderstandsgesetze. Z. f. Luftschiffahrt 
und Phys. d. Atmosph. V. Jahrg. 1886. S. 67 ff u. Fig. 22. 


9 


der Schwerkraftkomponente q entgegengesetzt gerichtet wäre, während die andere, parallel 
zur Fläche gerichtete Komponente u ohne nennenswerten Einfluss auf die Bewegung 
des fallenden Körpers bliebe. Der Widerstand der Luft nimmt mit dem Quadrat der 
Fallgeschwindigkeit zu, und wirkt somit zunehmend verzögernd auf die Fallbewegung ein. 
Diese verläuft demgemäss in der Luft mit anderen Geschwindigkeiten, als die für den 


luftleeren Raum gültigen | schleunigend auf die Fall- 
Fallgesetze angeben. So- F ^B bewegung einwirken, weil 
bald unter der obigen it hier, wie bemerkt, kein 
Annahme der Luftwider- i nennenswerter Widerstand 
stand in Folge der Zunahme pru der Bewegung entgegen- 
der Fallgeschwindigkeit so H gesetzt wird. Anders aus- 
gross geworden wäre, dass we gedrückt: die Fallbewe- 
seine Komponente v gleich 3 gung des Kartenblattes 
der Normalkomponente q Js würde sichdann zusammen- 
der Schwerkraft geworden "s setzen aus einer gleich- 
sel, würde die Fall . a : fórmigen Parallelverschie- 
bewegung in der Richtung £ bung in der Richtung 
von q keine weitere Be- E senkrecht zu A B und 
schleunigung erfahren, E aus einer  gleichfórmig 
sondern gleichfórmig mit ci beschleunigten, gleitenden 
der bis dahin erlangten a Bewegung in der Richtung 

Geschwindigkeit fort- Fi B A. Der Schwerpunkt S 
schreiten. In der Richtung FI würde sich daher auf einer 
ihrer Komponente r da- x P di : parabolischen Bahn F L 
gegen würde die Schwer- ~ L Fig; 4: (Fig. 4) bewegen, welche 
kraft noch weiter be- sich theoretisch (bei Ver- 


nachlässigung des Stirnwiderstandes), asymptotisch der Richtung von BA nähert. 
Thatsächlich ist aber der Luftwiderstand nicht, wie oben an- 
genommen, gleichmässig über die Fläche AB verteilt, sondern er ist 


auf der vorderen Hälfte ! beiden Normalkomponenten 
S A der Fläche stärker, i : q (der Schwerkraft) und v 
als auf der hinteren B (des Luftwiderstandes) haben 


Hälfte SB. Der Angriffs- 
punkt der Resultante des 
Luftwiderstandes fällt daher 
auch nicht mit dem Schwer- 
punkt S zusammen, sondern 
ist nach der Avansint schen 
é A 
Regel gegen den Vorderrand 
A verschoben, etwa bis zu 
dem Punkte P (Fig. 5) Die 


also in Wirklichkeit zwei ver- 
schiedene Angriffspunkte, sie 
bilden ein Kräftepaar, welches 
den zweiarmigen Hebel SP 
um eine freie Achse zu drehen 
strebt. Aber die beiden 
Y Kraftkomponenten v und q 
| abgesehen von ihren 





y m sind 
verschiedenen Angriffs- 





2 


10 


punkten und der entgegengesetzten Richtung — auch ihrem absoluten Betrage nach zunächst 





nicht als gleich zu betrachten. Über das Grössenverhältnis mögen die folgenden 
einfachen Betrachtungen Aufschluss geben. 


In jedem Moment der Fallbewegung, in welchem die Tafel AB den Winkel « 
gegen die Vertikale bildet, hat auch die Normalkomponente q der Schwerkraft denselben 
Wert. Dies ist auch im Anfangsmoment der Bewegung der Fall, wenn die Widerstands- 
komponente v erst im Entstehen begriffen ist. Wird die Lage AB der Tafel in einem 
späteren Moment der Fallbewegung erreicht oder wieder eingenommen, so ist v grösser als im 
Anfang, da nun schon eine gewisse Fallgeschwindigkeit vorhanden ist, von der ja die Grösse 
des Luftwiderstandes so wesentlich abhängt. Setzt man für den Grenzfall im Anfang v = o, 
so hat in diesem Moment die Bewegung der Tafel nur die Tendenz einer Parallelverschiebung 
im Sinne von g. Umgekehrt würde eine Parallelverschiebung im Sinne von v erfolgen müssen, 
wenn v >œ O wäre, und q— 0 sein könnte. Für den Fall, dass q = v > o ist, kann auch 
weder nach der Seite von q, noch nach der Seite von v eine Parallelverschiebung 
der Tafel stattfinden, beide Krafte haben als einfaches Kraftepaar nur eine rotierende, 
aber keine translatorische Wirkung. Ist endlich qœ v und v> 0, so wirkt die Kraft v 
in Gemeinschaft mit einem ihr gleichen Teilbetrage von q als Kraftepaar drehend auf die 
Tafel, wahrend der Rest von q, also die Kraft (q — v) gleichzeitig die rotierende Masse 
der Tafel im Sinne einer translatorischen Verschicbung nach der Seite von q beeinflusst. 
Da ausser der translatorischen Kraft (q — v) auch noch die Parallelkomponente r der 
Schwerkraft auf die Masse der Tafel einwirkt, so lassen sich diese beiden translatorischen 
Kräfte durch eine im Schwerpunkte eingreifende Resultante t = |(q — v) -+ r] ersetzen 
Die Masse der Tafel hat also in dem Moment ihrer Fallbewegung, in welchem die hier 
gestellten Bedingungen erfüllt sind, 1. die Tendenz einer Rotation und 2. einer gradlinigen 
translatorischen Bewegung, die im Sinne der Resultante t nach der Seite des Flächen- 
randes A von der vertikalen Richtung abweicht. 


Je mehr sich mit zunehmender Fallgeschwindigkeit die Komponente v dem abso- 
luten Betrage von q nähert, desto geringer wird der translatorisch wirkende Rest (q—v), 
welcher mit r zusammen die Resultante t liefert, und desto mehr geht daher diese 
Resultante in die Richtung von r oder BA über. Es wird daher auch, so lange die 
l'allgeschwindigkeit noch im Zunehmen begriffen ist, die translatorische Tendenz der Tafel 
in allen der Stellung A B entsprechenden Momenten mehr und mehr nach der Seite von A 
abweichen, bis die l'allgeschwindigkeit konstant geworden ist. Von diesem Zeitpunkte ab 
muss auch die translatorische Bewegung der Tafel AB nach Grösse und Richtung konstant 
bleiben. 


Mit der Zunahme der Fallpeschwindigkeit wird auch die Lage des Punktes P, 
so oft die Tafel bei ihrer Rotation die Stellung AB wieder erlangt hat, verändert. Denn 
nach der „lvansenz'schen Regel wird der Angriffspunkt P des Luftwiderstandes um so 
weiter gegen den vorderen Tafelrand (A) verschoben, je geringer die Fallgeschwindigkeit 
ist. Er liegt daher zum Beginn der Fallbewegung in grösserer Entfernung von S als später. 


Le eee 


LI 

Wir haben bisher nur die Gruppierung der Krafte am fallenden Kartenblatt in's 
Auge gefasst, wie sie sich in den Momenten der Fallbewegung darstellten, wo die Tafel 
unter dem Winkel « gegen die Vertikalrichtung geneigt ist. Dieselbe Anordnung liegt 
jedoch im wesentlichen bei allen spitzen Winkeln vor, nur mit dem einen Unterschiede, 
dass bei kleineren Winkeln (Fig. 6. I) 
die Parallelkomponenten r und u 
der beiden Hauptkrafte, sowie die 
translatorische Resultante t grösser 
sind, während bei grösseren Nei- 
gungswinkeln (Fig. 6. II) die Normal- 
komponenten (q und v) vor- 
herrschen und die Resultante t 
zurücktritt. Das Drehungsmoment 
des Kráftepaares v. P S kann hier- 
nach bei kleinen Neigungswinkeln 
geringer sein, als bei grösseren, 
allein es bleibt zu berücksichtigen, dass nach der Avansinz’schen Regel bei kleinen 
Winkeln P weiter von S entfernt liegt, als bei grösseren Winkeln, und dass daher das 
kleinere Kráftepaar einen làngeren Arm P S hat, als das gróssere. 





Fig. 6. 


In dem Grenzfall, dass der Neigungswinkel œ = o ist, dass also die Schwerkraft- 
richtung in die Ebene der fallenden Tafel fallt, ist der nur als Stirnwiderstand und seit. 
liche Flachenreibung auftretende Luftwiderstand minimal, und da er der Schwere genau 
entgegengesetzt gerichtet ist, so kann er auch nur schwach verzógerud, aber nicht im 
Sinne einer Drehung einwirken. Auch die Schwerkraft kommt in diesem Falle in vollem 
Umfange im Sinne der geradlinigen Fallbewegung zur Wirkung, ohne einen neuen Beitrag 
für die Rotation zu liefern. Würde man in absolut ruhiger Luft einen scheibenformigen 
Körper in der hier betrachteten Stellung herabfallen lassen, so würde derselbe eine grössere 
Fallgeschwindigkeit erlangen, als in irgend einer anderen geneigten Lage; die Geschwindig- 
keit würde auch hier zunehmen, bis die genannten Stirn- und Reibungswiderstande gleich 
dem Gewicht der Scheibe wáren, von da ab würde die Geschwindigkeit auf der senkrechten 
Falllinie eine gleichformige sein. 


Analog ist die Anordnung der Krafte und deren Wirkung in dem anderen Grenzfall, 
dass der Neigungswinkel « der fallenden Tafel gleich R ist, oder dass die Tafel senkrecht 
zur Schwerkraftrichtung steht. In diesem Falle ist der Luftwiderstand maximal, (aber 
anfangs kleiner, spáter hóchstens gleich dem Gewicht) sein Angriffspunkt fallt mit dem 
Angriffspunkt S der Schwere zusammen, die Fallbewegung erfahrt die maximale Hemmung, 
und das bei spitzen Winkeln stets vorhandene Drehungsmoment, das mit dem Grösser- 
werden der Winkel kleiner und kleiner geworden ist, ist jetzt vollig — o geworden. — 
Ein homogener scheibenförmiger, oder sonstwie gestalteter Körper von regelmässigem 
Umfang wird, wenn man ihn in dieser Stellung in ruhender Luft fallen lässt, schon nach 


28 


~ 


I2 


kurzer Fallzeit eine gleichförmige Geschwindigkeit annehmen, und diese Geschwindigkeit 
ist geringer, als die, welche er in irgend einer anderen konstanten Fallstellung erreichen würde. 

Hat die fallende Tafel eine Mittelstellung zwischen den beiden eben besprochenen 
Grenzfalen eingenommen, ist z. B. ihr Neigungswinkel « = 45°, so ist anzunehmen, 
dass auch der verzógernde Einfluss des Luftwiderstandes einen mittleren Wert haben 
wird, dass dagegen die Grösse des Drehungsmomentes jetzt ihr Maximum erreicht hat, 
weil dies Moment bei « := o und « -- 90° gleich Null ist.* 

Nach diesen analytischen Betrachtungen ist der Verlauf der Fallbewegung einer 


Tafel, welche während der Bewegung eine Drehung vom Neigungswinkel « = 0° bis 
@ -- gO” erfährt, mit hinreichender Klarheit zu übersehen. Die Fallbewegung wird 


während der Drehung zunehmend gehemmt. Die Drehung erfolgt in ihrer ersten Hälfte 
mit zunehmender, in ihrer zweiten Halfte mit abnehmender Beschleunigung. Ebenso ist 
auch der seitliche Antrieb, welcher den Körper von der Lotlinie nach der Seite des 
tiefer liegenden Flächenrandes A ablenkt, in der ersten Hälfte dieser Drehung ein 
zunehmender, in der zweiten ein abnehmender. 

Infolge der seitlichen Ablenkung der fallenden Tafel ıst das Drehungsmoment 
noch nicht gleich Null, wenn dieselbe die horizontale Stellung (Fig. 7 III) erreicht hat, 
denn sie erfährt auch jetzt noch keinen normalen, sondern aus der Richtung der schrägen 


Fallbahn , einen ! seit- 
lichen Widerstand, und 
der Angriffspunkt P des 
Luftwiderstandes liegt 
noch immer vor dem 
Schwerpunkt, solange 
bis endlich die Rich- 
tung der  translato- 
rischen Bewegung, die 
den Luftwiderstand be- 
stimmt, normal zur 
Flache steht. In- 
zwischen hat die Schwer- 
kraft bereits von dem 
Augenblick ab, wo die 
Tafel die .horizontale 
Lage überschritten hatte 
(Fig. 7 IV), eine negative 
Komponente r erhalten, 





welche in Verbindung 
mit dem  Teilbetrage 
(q—v), der nicht beim 
Kraftepaar beteiligt ist, 
eine nach rechts unten 
gehende Resultante A 
ergiebt. Diese wirkt 
zunächst verzögernd auf 
die vorhandene Seiten- 
bewegung der Tafel 
ein. 

Für den weiteren 
Verlauf der Bewegung 
ist das Trägheitsmo- 
ment und die kinetische 
Energie der fallenden 
Tafel von entscheiden- 
der Bedeutung. Wenn 
auch die Tafel schon 


normal zur Fallbahn gedreht ist (Fig. 7 V), sodass der gesamte Luftwiderstand senkrecht 
zur Fläche gerichtet ist und im Schwerpunkte angreift, so hört doch die Rotation der 
Masse in diesem Moment nicht auf; eben so wenig wie vom Augenblicke der horizontalen 


A ) a . N .. . x . . N S 0 . 
*; Nach Gerlach’s Fig. 22 1, c.) würde das Maximum des Dichungsmomentes etwa bei a — 35 liegen. 


13 
Stellung ab, die links seitwarts gerichtete translatorische Bewegung iiber einen Riickkehr- 
punkt in eine rechts seitwärts gerichtete Fallbewegung übergeht: beide Bewegungen setzen 
sich vielmehr, wie die Bewegung eines Schwungrades nach Aufhören des Antriebes, noch 
weiter fort, bis sie nach und nach innerhalb einer gewissen Zeit durch die entgegen- 
wirkenden Kräfte gehemmt, aufgehoben und in die umgekehrte Richtung übergeführt 
worden sind. 

Während somit die Gegenwirkung gegen die vorhandene linksseitige trans- 
latorische Ablenkung bereits einsetzt, sobald die fallende Tafel die horizontale Lage III 
überschritten hat, stellt sich die der Drehung der Tafel entgegengerichtete Kraft erst 
von dem Moment ab ein, wo die Tafel über die normal zur Richtung des Trajectoriums, 
des Gegenwindes, orientierte Lage V hinausgedreht ist. Der Angriffspunkt P des Luft- 
widerstandes entfernt sich alsdann vom Schwerpunkte in der Richtung nach dem Tafel- 
rande B. Die Normalkomponenten q und v der Schwere und des Widerstandes bilden 
aufs neue ein Kräftepaar, welches die noch vorhandene rechtsläufige Drehung in eine 
linksläufige umzuwandeln strebt. 

Es hängt nun alles davon ab, ob die Wirkung des neuen Kräftepaares stark 
genug ist, die vorhandene Drehung der materiellen Tafel völlig zum Stillstand zu bringen 
und umzukehren, bevor die Drehung die vertikale Ebene erreicht hat; denn in dem 
Augenblick, wo der Rand B der Tafel links von der Vertikalen erscheint, hat das 
hemmende Kräftepaar aufgehört, und es entsteht ein neues, welches wiederum nach rechts 
dreht und somit der noch vorhandenen anfänglichen Drehung neuen Antrieb giebt. 


Die Bedingungen, unter denen die Umkehrung der Rotation und der trans- 
latorischen Bewegung möglich ist, lassen sich leicht erkennen. In erster Linie kommt es 
darauf an, wie weit die Tafel schon über die horizontale Lage gedreht ist, wenn sie recht- 
winklig zu ihrer schrägen Falllinie und normal zur Richtung des Luftwiderstandes 
orientiert ist, denn in diesem Moment hort ja erst die Wirkung des ersten Kraftepaares 
auf. Die Fig. 8 stellt zwei verschiedene Fälle dar, aus denen die Bedeutung dieses 
Umstandes erhellt. Im ersten Falle liegt die Normalstellung der Tafel nahe an der Lot- 
linie, im zweiten liegt sie näher an der Horizontalen. 

Im ersten Falle braucht die erste Rotation mit dem vorhandenen Schwunge 
nur noch um wenige Grade fortzuschreiten, und der Tafelrand B wird, ohne dass die 
erste Rotation völlig zum Stillstand gekommen ist, jenseits (links) von der Lotebene 
erscheinen. Die Rotation wird dann in demselben anfänglichen Sinne fortgesctzt werden. 

Im zweiten Falle dagegen ist die Tafel noch weit von der Vertikalebene entfernt, 
wenn bereits das erste Kräftepaar seine Wirkung einstellt und das zweite, entgegengesetzt 
drehend, seine hemmende Wirkung beginnt. Offenbar ist jetzt die Möglichkeit eine viel 
grössere, dass das zweite Pair die erste Drehung zum Stillstand bringt und dafür eine 
rückläufige Rotation einleitet. 

Von der Tragheit der drehenden Masse, oder von der Grösse der Masse und 
der Rotationsgeschwindigkeit hängt es dann auch ab, ob die Umkehrung der Drehung 
durch das zweite Kräftepaar gelingt. 


d 


Bei gleicher Masse zweier rotierender Tafeln kommt es also auf die Rotations- 
geschwindigkeit an. Diese wieder ist von der Grösse des Luftwiderstandes, und der 
Luftwiderstand von der Fallgeschwindigkeit abhangig. Je lànger also die Tafel 
gefallen ist, bis sie in die Stellung normal zum Luftwiderstande gelangt, desto grösser 
wird ihre Rotationsgeschwindigkeit sein, und desto leichter wird sich auch die Rotation 
ohne vóllige Umkehr fortsetzen. Dagegen wird eine Tafel, welche schon nach kurzer 
Fallzeit durch geringen Widerstand der Luft langsam in die Normalstellung gedreht ist, 
um so leichter durch das zweite, dann auftretende Kraftepaar in ihrer Rotation gehemmt 
und nach der entgegengesetzten Richtung gedreht werden können. 


I 


horizontal 


EID 


jos 








Fig. 8. 


Es kommt noch hinzu, dass bei grösserer Fallgeschwindigkeit und demgemäss 
grosserem Luftwiderstande aus den oben eingehender geschilderten Gründen auch die 
Fall-Linie weiter und weiter von der Vertikalen abgelenkt wird, sodass dann die Tafel 
leichter die in Fig. 8. I angegebene Normalstellung erreicht, während bei geringerem 
Luftwiderstande die Ablenkung des Trajektoriums geringer, und aus diesem Grunde auch 
die Möglichkeit der Fortsetzung der ersten Rotation geringer ist. 

Man hat es nun offenbar in der Hand, bei jeder Tafel die Zeit vom Beginn 
der Fallbewegung bis zum Eintritt der ersten Normalstellung beliebig abzukürzen, wenn 
man nur statt des z. B. in Figur 8. I gezeichneten ersten Fallstudiums das von Fig. 8. II 
in den Anfang stellt, in welchem sich die Lage der Tafel mehr der horizontalen Ebene 
nähert, wenn man also den anfanglichen Neigungswinkel der Tafel gegen die Lotlinie 


entsprechend vergrössert. Der Versuch zeigt, dass in der That die Fallbewegung so 


- eee eee. 
s 2 * 


— t 


- -— ~ 
3 x 


r = 
ee aa Mia as A el En > a on 


pom — — 


15 
verlauft, wie wir vorausgesehen haben, namlich unter seitlicher Oscillation mit jedesmaliger 
Umkehr der Drehungen bei den Riickkehrpunkten des Trajectoriums. Genau auch, wie 
vorausgesehen, verläuft die Bewegung auf einseitig gekriimmter Fallbahn mit kontinuier- 
lichen Rotationen, wenn der anfängliche Neigungswinkel der Tafel genügend klein 
genommen wird. 

Ist die Masse zweier ähnlich gestalteter Tafeln verschieden, z. B. bei einer Papp- 
tafel und einer gleich grossen Schiefer- oder Metalltafel, so wird die leichtere Tafel bei 
geringerer Fallgeschwindigkeit die kritische Normalstellung früher als die schwerere 
erreichen, weil hier schon ein geringer Luftwiderstand genügt, um die geringere Masse 
in Rotation zu versetzen. Wegen des kleineren Gewichts ist hier auch die Normal- 
komponente der Schwere Normalstellung zum Trajek- 
kleiner, als bei derschwereren torıum erreicht hat, näher an 
Tafel, daher ist auch der die Lotlinie gelangt ist 
nicht mit im Kräftepaar be- (Fig. 8 I, als die schwerere 
theiligte ‚Rest dieser Kom- (Fig. 8 II); sie wird also auch 
ponente, der mit der Parallel- leichter in kontinuierliche 
komponente der Schwere Rotation versetzt werden, 
zusammen die translatorische als die schwerere Tafel, die 
Resultante bildet, in diesem auf einer weniger stark ab- 
Fall geringer, als bei der weichenden Bahn herabsinkt 
schweren Tafel und diese und dafür weit eher in ab- 
Resultante nähert sich somit wechselnd rechts und links 
auch um so mehr der rotierende Oscillationen über- 
parallelen, abgleitenden Rich- 
tung, die seitliche Ablenkung 
der leichteren Tafel wird also 
eine grössere sein, als die den Versuche bestätigen ın 
der schweren Tafel. Die . überraschender Weise die 
Folge davon ist, dass die ` Fig. 9. Richtigkeit dieser Schluss- 
leichtere Tafel, wenn sie die folgerungen. Eine Postkarte 
und ein gleichgeformtes Stück Pappe von 1 mm Starke wurden getrennt von einander aus 
einer Anfangsstellung von « — 30? Neigung die Lotlinie und aus einer Hohe von 1,50 m 
frei fallen gelassen. Das Gewicht der Postkarte betrug 2,8 gr, das der Papptafel 10,25 gr. 
Die Fallzeit bis zur Berührung mit dem Boden betrug bei der Postkarte ca. 2 sec, bei 
der Papptafel ca. 1 sec. 

Den Verlauf der Bewegung veranschaulicht die vorstehende Abbildung. (Fig. 9.) 

Die Papptafel oscillierte mit rechtslaufiger Drehung nach links, ihre Fallbahn 
erreichte etwa in halber Hohe einen Rückkehrpunkt, der bei handbreit (10 cm) links von 
der Lotlinie liegen mochte; unterhalb dieses Rückkehrpunktes kehrte das Trajektorium 
nach rechts um, die Drehung der Tafel wurde linksläufig, die Tafel schlug etwa 20 cm 
rechts von der Lotlinie auf den Boden. Geringe Abanderungen des Versuchs zeigten, 


geht. 
Die leicht und ohne be- 
sondere Sorgfalt anzustellen- 





16 





dass nahe am Boden der erste Umdrehungspunkt, d. h. Tangentialstellung der Tafel, 
liegen musste, denn die Tafel stiess nahezu senkrecht auf den Boden und fiel bald mit 
der einen, bald mit der andern Seite auf. Bei grösserer Fallhohe würde also nun die 
Bewegung eine gleichmässig rotierende geblieben sein, und die Fallbahn würde auch 
fernerhin (ohne Rückkehr) nach rechts fortgeschritten sein. 

Die Postkarte wurde aus einer Höhe von 1,50 m unter einem Neigungswinkel 
« — 30° (Fig. 1 Taf. I) gegen die Lotlinie fallen gelassen und bewegte sich unter rechts- 
läufiger Rotation schräg abwärts nach links. Die Stelle, wo die Karte den Boden berührte, 
lag 1,25 m seitwärts von dem durch den Anfangspunkt F gehenden Lot. Die Gestalt 
der Fallbahn FL wurde durch mehrfache Beobachtung von einer horizontal und vertikal 
liniirten Wand festgestellt. Sie ist, einem Hyperbelast ähnlich, im oberen Teile schwach 
gekrümmt und geht schon vor Beginn der Mitte in eine gerade Linie über. 

Die Karte gelangt während der rotierenden Fallbewegung sieben mal in die 
Normalstellung zur Bahn (ni bis n: Fig. 1 Taf. I), sechs mal in die tangentiale Lage 
(tı bis te) und gleitet unmittelbar vor der 7. Tangentialstellung auf den Boden. Zwischen 
je zwei aufeinander folgenden Tangential- oder Normalstellungen dreht sich die Tafel um 
180°, sie erfährt daher zwischen nı und nz drei volle Umdrehungen. 

Die Fesstellung dieser Thatsachen erfordert bei der grossen Geschwindigkeit, mit 
welcher die Fall- und Rotationsbewegung von statten geht, einige Uebung im Beobachten, 
allein mit etwas Ausdauer gelangt man bald zu befriedigenden Ergebnissen. Zunächst 
zählt man, wie oft die farbige Freimarke der Karte auf der Oberseite erscheint. Diese 
Zahl giebt die Anzahl der vollen Umdrehungen. Indem man nun den Versuch immer 
genau an derselben Stelle der Wand wiederholt, kann man nach und nach den Ort der 
ersten Normalstellung, der ersten Tangentialstellung etc. ermitteln; man darf nur nicht 
versuchen, die ganze Bewegung mit dem Auge verfolgen zu wollen, das wäre vergeblich, 
sondern man richtet das Auge fest auf einen bestimmten Punkt der Fallbahn und wartet 
das Vorübergehen der Karte über den beschränkten Teil des Gesichtsfeldes ab. So macht 
man gleichsam Momentaufnahmen mit dem Auge, die in graphischer Zusammenstellung 
ein vollständiges Bild des Verlaufs der Fallbewegung ergeben. 

Noch zuverlässiger und ohne grosse Uebung im Beobachten der Bewegung lassen 
sich die Fallbahnen ermitteln, wenn man die Tafeln erst aus geringer Höhe fallen lässt 
(auf den Tisch) und zusieht, welche Stellung dieselben in dem Augenblick des Auftreffens 
auf den Boden einnehmen. Steigert man dann in den aufeinander folgenden Versuchen 
nach und nach die Fallhóhe, so erhält man jeden wünschenswerten Einblick in den 
Verlauf der Fallbewegung und kann durch Abmessen und Aufzeichnen der Entfernung 
des Berührungspunktes am Boden vom Fusspunkte des Anfangslotes die Trajektorien 
entwickeln. 

Nach Ablauf der ersten vollen Umdrehung, also gleich hinter der zweiten Tangential- 
stellung, wird die Flugbahn geradlinig und die Bewegung des Schwerpunktes gleichförmig, 
Die Lage der ferneren Tangential- und Normalstellungen lässt sich daher graphisch durch 
Einteilung des Restes der Bahn in eine den Umdrehungen entsprechende Anzahl gleicher 


I 


Teilstrecken bestimmen, nachdem zuvor noch die Stellung der Karte bei der Berührung 
mit dem Boden ermittelt wurde. 


Es kommt nun darauf an, die cykloidischen Trajektorien zu bestimmen, auf denen 
sich der vordere und hintere Rand der Karte während des Falles bewegen. Der erste 
Eindruck, den die Bewegung auf den Beschauer macht, ist, dass die Kartenränder cykloidische 
Schleifenlinien beschreiben. Allein man überzeugt sich leicht, dass die hier allein aktiv 
wirksame Schwerkraft keine Schleifenbildung zulässt, da diese nur durch eine periodisch 
aufwärts gerichtete Bewegung bestimmter Areale der materiellen Karte zustande kommen 
könnte. Man erhält die Trajektorien durch Eintragen der Kartenprofile an den Punkten 
n und t der Fallbahn FL und durch geeignete krummlinige Verbindung der aufeinander 
folgenden Punkte A resp. B. Die Kurven (A..A) und (B..B) müssen offenbar so 
beschaffen sein, dass sich durch jeden Punkt der Fallbahn FL eine Strecke von der 
Länge des Kartenprofils AB legen lässt, deren Halbierungspunkt mit dem betreffenden 
Punkte von FL zusammenfällt, und deren Endpunkte auf den Kurven liegen. Die 
Zeichnung (Fig. I. Taf. 1.) ergiebt Cykloiden von der Form derjenigen, welche ein in der 
Nähe des Halbierungspunktes des Radius (r = 8,28 cm) liegender Punkt eines auf fester 
Unterlage rollenden Kreises beschreibt. 


Vergrössert man den Neigungswinkel der Postkarte gegen die Vertikale auf etwa 
das Doppelte, also auf etwa 60°, so beschreibt sie im Fallen eine Bahn (Fig. 2, Taf. I) 
mit einem Rückkehrpunkte (Rp) links, um dann unter gleichmässiger Rotation in dem- 
selben Verhaltnis wie im ersten Versuch seitwárts, aber nach rechts fortzufliegen. Die 
leichte Karte vollführt also jetzt im Prinzip dieselben Bewegungen, wie die Papptafel beim 
ersten Versuch. 


Verringert man umgekehrt den anfänglichen Neigungswinkel der Papptafel um 
die Hälfte (Fig. 3 Taf. I), stellt sie also auf etwa 15° ein, so rotiert sie von Anfang an 
gleichmässig nach links und fällt nach ca. 14 vollen Umdrehungen in einer Entfernung 
von 0,4 m vom Anfangslot auf den Boden. Die schwere Papptafel vollführt also jetzt 
ebenfalls im Prinzip dieselben Bewegungen, wie die fallende Postkarte im ersten Versuch. 


Unschwer gelingt es die Papptafel aus horizontaler Anfangsstellung so fallen zu 
lassen, dass sie so gut wie geradlinig und senkrecht zu Boden fällt. Geringe oscillatorische 
Schwankungen der Tafel treten auf, sobald die Anfangsstellung nicht genau horizontal ist. 
Bei der Postkarte sind derartige Schwankungen viel leichter und deutlicher zu beobachten, 
als bei der Papptafel; bei genügender Fallhóhe gehen sie nicht selten sogar schliesslich 
in einseitige Rotationen über. Es ist eben schwer, das biegsame Papier ohne besondere 
Hiilfsmittel nach Augenmass genügend scharf in die horizontale Anfangslage zu bringen, 
und die geringe Masse der Karte wird auch bei geringer Neigung leicht durch das 
Kraftepaar in ergiebige Rotation versetzt. Ist aber einmal eine wenn auch geringe 
Oscillation vorhanden, so wird sie schliesslich durch den mit der Fallgeschwindigkeit im 
quadratischen Verhältnisse wachsenden, exentrisch angreifenden Luftwiderstand bis zur 
vollen einseitigen Rotation gesteigert. 


Ga 


18 





Auch über die Fallgeschwindigkeit giebt die Analyse der in Rede stehenden 
Bewegungen bemerkenswerten Aufschluss. Erstens nimmt die Fallgeschwindigkeit offenbar 
so lange zu, bis die erste Tangentialstellung der Tafel eintritt, gleichviel, ob der ersten 
Wendung der Karte eine oder mehrere seitliche Schwankungen voraufgegangen sind, oder 
nicht. Denn wenn immer auf eine anfängliche Oscillation eine Revolution folgt, so ist 
diese die Folge des inzwischen verstärkten Luftwiderstandes, und dieser wieder wird ja 
nur durch Zunahme der Fallgeschwindigkeit vergrössert. 

Aber die Bewegung ist noch keineswegs nach Eintritt der ersten Revolution eine 
gleichförmige, die Geschwindigkeit nimmt auch dann noch zu. Dies zeigt sich an dem 
Verlauf der Fallbahn, da auch nach der ersten Tangentialstellung die seitliche Abweichung 
des fallenden Körpers von der Lotlinie eine Zeit lang zunimmt, sodass die Bahn eine 
parabolische Gestalt hat. Erst von dem Augenblick ab, wo die Seitenabweichung konstant 
wird, wo also in der seitlichen Richtung keine Beschleunigung mehr erfolgt, ist 
anzunehmen, dass auch in vertikaler Richtung die Bewegung nicht weiter beschleunigt 
wird, dass also nun der rotierende Körper eine konstante Geschwindigkeit erlangt hat. 
Der Gesamtbetrag des Luftwiderstandes ist jetzt gleich dem Gewicht des fallenden Körpers 
und die Schwerkraft wird völlig zur Beseitigung dieses Widerstandes verbraucht, ohne 
dass sie auf den Körper noch weiter beschleunigend, einwirken kann. 

Demgemäss ist auch die schliessliche, konstante Geschwindigkeit der schwereren 
Papptafel eine grössere, als die der Postkarte, und die Papptafel muss daher auch bis 
zum Eintritt dieser konstanten Geschwindigkeit einen grósseren Fallraum zurückgelegt 
haben, als die Postkarte, deren Richtung weit schneller als die der schwereren Tafel seit- 
warts abgelenkt und in die schrage und geradlinige Bahn mit konstanter Geschwindigkeit 
übergeführt wird. 

Was endlich die Geschwindigkeit anbetrifft, mit welcher sich der vordere und 
hintere Kartenrand (A und B) auf den zugehörigen Trajektorien (Fig. 1, Taf. I) bewegen, 
so sieht man leicht, dass dieselbe an den Anfangs- oder Rückkehrpunkten der Cykloiden 
am geringsten, an den Kulminationspunkten am gróssten ist. In den Normalstellungen 
ist daher zwischen den Geschwindigkeiten von À und B eine gewisse Differenz vorhanden, 
in den Tangentialstellungen sind beide gleich. 


B. Fallbewegung symmetrischer Tafeln 
mit excentrischem Schwerpunkt. 


Die eben besprochenen Oscillationen und Rotationen fallender Tafeln und Karten- 
blatter hatten ihre Ursache in dem Umstande, dass bei nicht normalem Auftreffen des 
Luftwiderstandes der Angriffspunkt des letzteren nicht mehr mit dem Schwerpunkte der 
Widerstandsfläche zusammenfiel, sondern gegen den tiefer liegenden Rand der Fläche 
verschoben wurde. In Folge dieser Trennung der Angriffspunkte des Luftwiderstandes 


A. Er OE Een ems cm -—- a 


19 
und der Schwerkraft liessen sich diese beiden Kräfte nicht mehr in eine einfache 
Resultante zusammenfassen, sondern es entstand ausser der translatorischen Resultante 
noch ein Kräftepaar, welches jene Oscillationen und Rotationen veranlasste. 


Die drehenden Bewegungen liessen sich nur dadurch vermeiden, dass man die 
Tafeln genau aus horizontaler Anfangsstellung fallen liess, denn alsdann fielen auch die 
bezeichneten beiden Angriffspunkte wieder zusammen und das Kräftepaar verschwand. 
Bei allen diesen Versuchen war es also der Angrifispunkt des Luftwiderstandes, dessen 
Lage im Verhältnis zu dem fest im Flächenmittelpunkte liegenden Schwerpunkte willkürlich 
geändert wurde. Umgekehrt liegt nun der Gedanke nahe, die Lage des Schwerpunktes 
einer willkürlichen Änderung zu unterwerfen, und zuzusehen, wie die Fallbewegungen 
verlaufen, wenn der Schwerpunkt nicht mehr mit dem Mittelpunkte der Hauptwiderstands- 
fläche zusammenfällt. 

Die Verschiebung des Schwerpunktes kann natürlich an einer starren Platte nicht, 
wie Moutllard* zur Erklärung der Rotation eines fallenden rechteckigen Kartenblattes 
irrthümlich annimmt, von selbst während der Fallbewegung geschehen, sie muss vielmehr 
vorher in bestimmter Weise durch excentrische Belastung der Falltafel vorgenommen 
werden. Dies kann in Hinblick auf die Gestaltung der Kraftsysteme in zweierlei Weise 
geschehen. : Die excentrische Belastung kann in einer Symmetrieebene der Tafel, oder 
ausserhalb derselben angebracht werden. | 

Bei einer kreisförmigen Platte liegt jede beliebige excentrische Belastung in einer 
durch den Kreismittelpunkt gehenden Symmetrielinie der Fläche. Eine quadratische 
oder sonst regelmässig polygonale Fläche ist symmetrisch belastet, wenn der Schwerpunkt 
der hinzugefügten Masse auf einer der Diagonalen oder auf einem der Lote liegt, welche 
vom Flächenmittelpunkte auf die Seiten gefällt werden können. Dagegen ist eine recht- 
eckige Platte nur dann symmetrisch belastet, wenn der bezeichnete Schwerpunkt auf den 
die Seitenmitten verbindenden Normalen liegt. Eine beliebig gestaltete Fläche, die nur 
eine Symmetrielinie besitzt, wie z. B. die Flugfliche eines Vogels, kann auch nur in 
dieser einen Linie symmetrisch belastet werden. Eine ganz unsymmetrische Fläche gestattet 
keine symmetrische Belastung. 

Es sollen zunächst nur symmetrisch belastete Flächen betrachtet werden unter 
der ferneren Voraussetzung, dass auch der Luftwiderstand, den dieselben beim freien Fall 
erfahren, auf beiden Symmetriehälften nach Richtung und Stärke symmetrisch angeordnet 
ist, sodass auch die Resultante des Widerstandes in die Symmetriecbene fällt. Dies ist stets 
unter der Bedingung der Fall, dass die Fläche keine seitliche Neigung hat, oder dass die 
beiden symmetrischen Ilalften, wie Keilflachen die gleiche aber entgegengesetzt gerichtete 
Neigung gegen die Symmetricebene besitzen. Unter diesen Voraussetzungen fallen die 
Resultanten der Schwerkraft und des Luftwiderstandes in dieselbe vertikale Symmetrie- 
ebene des Systems, und in dieser Ebene muss daher auch die Fallbewegung erfolgen. 


*) L'Empire de l'air, S, 210: »(Juand un corps se meut, son cente de gravité se déplace, et se 


transporte en arriére du sens du mouvecment«. 


20 

Betrachten wir die Ebene dieses Papiers senkrecht gehalten als die Symmetrie- 
ebene eines solchen Systems, so erscheint der Durchschnitt der Falltafel, die wir in einer 
horizontalen Anfangslage der Einwirkung der Schwere anheim geben, in Gestalt der 
Strecke AB (Fig. 10). Der Mittelpunkt der Widerstandsflache liegt in M, der gegen den 
Rand A verschobene Schwerpunkt im Punkte S. Da der Luftwiderstand im Anfangs- 
moment der Fallbewegung rechtwinklig zur Flache gerichtet ist, so greift seine Resultante 
win M an und bildet mit einem gleich grossen Teil des Tafelgewichts p ein Kräftepaar, 
das die Tafel im linksläufigen Sinne dreht, während der Rest der Schwere (p — w) die 
translatorische Fallbewegung bewirkt. 

Nach Verlauf eines kurzen Zeitabschnitts ist die Drehung der Tafel so weit fort- 
geschritten, dass AB einen spitzen Winkel œ mit der Richtung der Schwere bildet (Fig. 11). 
Der Luftwiderstand ist nicht nur mit der Zunahme der Fallgeschwindigkeit in gesetz- 





Fig. 10. Fig, 11. 


mässiger Weise gewachsen, sondern sein Angriffspunkt P ist auch mit dem Kleinerwerden 
des Winkels a, unter dem er die Fläche trifft, vom Punkte M aus mehr und mehr gegen 
den Vorderrand A der Fläche vorgerückt. 

Solange der Punkt P den Punkt S noch nicht erreicht hat, erfährt auch die 
Drehung der Tafel neuen Antrieb und Beschleunigung, und diese Beschleunigung nimmt 
ab mit dem Abstande PS, wie sie gleichzeitig mit dem Grösserwerden des Luftwiderstandes 
zunimmt. Dieser ist im wesentlichen von dem Quadrat der momentanen Fallgeschwindig- 
keit und einer gewissen Funktion des Neigungswinkels « abhängig. 

Die Anordnung der Kräfte gestaltet sich, wie in Fig. 11, sie ist wie in Fig. 6, 
nur dass P und S entgegengesetzt liegen, und daher die Drehung des Kräftepaares im 
anderen Sinne erfolgt. Die translatorische Resultante t= ([(q—v] + r) zeigt, dass die 
Bewegung nicht in der Lotlinie, sondern links seitwarts erfolgen muss. 

Eine wesentliche Anderung in dem System der Kráfte tritt in dem Moment ein, 
wo infolge der fortschreitenden Drehung*) der Angriffspunkt des Luftwiderstandes so weit 
nach vorn verschoben ist, dass er mit S zusammenfallt. . 


*) Es sei nebenbei bemerkt, dass die Verschiebung durch die Zunahme der Fallgeschwindigkeit und 
des Luftwiderstandes nicht direkt beschleunigt, sondern verzögert wird, wie es der Avanzini schen Regel entspricht. 


21 


In diesem Augenblick verschwindet das Kräftepaar, und es bleibt nur die trans- 
latorische Resultante t in Wirksamkeit. (Fig. 12). 


Allein die Bewegung der Tafel ist dennoch von diesem Augenblick ab noch keine 
geradlinige, wie man erwarten könnte, denn wenn auch die von dem eben verschwundenen 
Kraftepaare erzeugte Drehung der Masse jetzt keine weitere Beschleunigung erfahrt, so 
ist die Drehung doch noch vorhanden und muss also in Folge des Beharrungsvermögens 
mit der erlangten Winkelgeschwindigkeit gleichformig fortlaufen, bis sie durch ein entgegen- 
gesetzt drehendes Kraftepaar gehemmt und aufgehoben ist. 


Ein solches Kräftepaar tritt nun in dem folgenden Zeitabschnitt sofort in die 
Erscheinung, denn sobald die Tafel über die eben innegehabte in Bezug auf die Drehung 
neutrale Stellung hinausgedreht wird und ihr Neigungswinkel æ fortfährt kleiner zu werden, 
wandert auch der Angriffspunkt P 
des Luftwiderstandes (Fig. 13) weiter 
gegen den Flächenrand A und damit 
ist ein neues, nunmehr rechts drehendes 
Kräftepaar geschaffen, welches die 
vorhandene Drehung der Masse zu 
hemmen und umzukehren bestrebt 
ist. Ueber die Art der Verzögerung 





“ 


der Drehung gilt sinngemáss, was A t (m) 
vorher über die Art der Beschleunigung 4 
derselben gesagt wurde. Die durch p 

die erste Drehung bewirkte fort- 
schreitendeVerringerung desNeigungs- Fig. 12. 





winkels « begünstigt die Zunahme der 

Fallgeschwindigkeit; da der Gesamtbetrag des Widerstandes den die Luft der Fallbewegung 
entgegensetzt, mit dem Neigungswinkel der Fläche abnimmt. Demgemäss nimmt auch 
die Komponente v des Widerstandes, welche die eine Seitenkraft des neuen, hemmenden 
Kräftepaares bildet, solange ab, als die erste Drehung noch fortschreitend den Winkel « 
verkleinert. Der mechanische Wert des Kraftepaares, das Moment, wird aber nicht in 
demselben Maasse verringert, weil ja gleichzeitig eine fortschreitende Verschiebung des 
Punktes P erfolgt, die einer Verlangerung des Hebelarmes des Paares gleichbedeutend ist. 
Der weitere Gang der Fallbewegung hangt nun allein davon ab, wie weit das erste 
Kräftepaar die Tafel herumgedrcht hat, bevor die Wirkung des zweiten Paares die innere 
Drehung ausführt. Unschwer ist zu erkennen, das dies in erster Linie — ceteris paribus — 
von dem Winkel abhängt, den die Tafel im Beginn der Bewegung gegen 
die Vertikale bildet, dem Absturzwinkel oder anfänglichen Neigungswinkel «. 


Zur Feststellung dieser Abhängigkeit habe ich eine Reihe leicht zu wiederholender 
Versuche gemacht, in denen der besagte Neigungswinkel innerhalb der Grenzen von o? 
bis 180? variiert wurde. 


7? 





Als Falltafeln dienten ausgesuchte neue deutsche Postkarten.*) Der Schwerpunkt 
wurde möglichst genau durch den Schnittpunkt der Diagonalen und Balancierprobe auf 
der Nadelspitze bestimmt. Dann wurde in der kurzen Symmetrieachse, d. h. in der 
Mittelsenkrechte der längeren Seitenstrecke der Karte, die excentrische Belastung angebracht 
durch Aufkleben eines abgewogenen rechteckigen Stückes von verzinktem Eisenblech in 
geeigneter Entfernung vom Schwerpunkt der Karte. Die Lage des neuen Schwerpunktes 
liess sich leicht im Voraus durch Rechnung oder nachtraglich empirisch bestimmen, und 
so die Excentricitat des Massenmittelpunktes gegenüber dem Flächenmittelpunkte ermitteln. 

Sofern es sich nur um orientierende Versuche handelt, kann man die eiserne 
Belastung durch einen in der Nähe des vorderen Tafelrandes angebrachten etwa bohnen- 
grossen Siegellacktropfen ersetzen. Man wird dann, wenn man die Karte unter verschiedenen 
Neigungswinkeln fallen lässt, leicht die auffälligen Unterschiede erkennen, die dadurch 
sowohl in der Gestalt der Fallbahnen, als auch in den Drehungen der Karte hervorgerufen 
werden. Aber es wird nicht immer mit genügender Sicherheit gelingen, eine bestimmte 
einmal beobachtete Bewegungsform gleich wieder hervorzurufen, weil man den dazu 
gecigneten Neigungswinkel aus freier Hand nicht leicht wieder trifft. 

Für die genaueren Versuche wählte ich, um diese Unsicherheiten zu vermeiden, 
eine elektromagnetische Aufhängung der Karten. Am Ende des Querarmes eines festen 
Stativs (Fig. 4 Tafel I) wurde ein Gradkreis (mit Fadenlot) drehbar angebracht und mit 
diesem ein kleiner Elektromagnet fest verbunden. Die Endfläche der Polschuhe des 
Magneten ist parallel zur Basis des Gradkreises orientiert und, um die schädliche, störende 
Wirkung des remanenten Magnetismus zu beseitigen, mit dickem Karton überklebt. 

Die an der Fallkarte als excentrische Belastung fest angebrachte kleine Eisen- 
blechplatte diente gleichzeitig als Anker des Magnets, der somit auch die Falltafel unter 
dem bestimmten Neigungswinkel festhielt. War einige Zeit nach dem Aufhängen der 
Tafel die Luft wieder ziemlich beruhigt, so wurde die elektrische Leitung unterbrochen, 
der Anker löste sich, und die Fallbewegung erfolgte mit der gewünschten Regelmässigkeit. 
Bei gewissen kritischen Grenzwinkeln war der Einfluss auch geringer Luftbewegungen 
unverkennbar, und es bedurfte einer längeren Beruhigungspause für die Luft, um die 
typische Bewegung genügend sicher wiederholt zu sehen. 


I. Versuchsreihe. 
I. Die Tafel fällt aus senkrechter Stellung herab. 
Ist sie vollkommen cben auf beiden Seiten und auch sonst regelmässig gebaut 
und belastet, sodass die Schwerkraft in die Mittelebene der Tafel fallt und senkrecht im 
Mittelpunkte der normal abgeschnittenen Stirnfläche steht, so wird sie sich in ruhiger Luft 
auf einem vertikalen Trajektorium abwärts bewegen, und der minimale Luftwiderstand 
wird nur wenig verzögernd auf die Fallgeschwindigkeit einwirken. Je grösser die Masse 





*) Unsere Postkarten sind nicht alle gleich gross und schwer, auch nicht alle genau rechteckig geschnitten, 


daher empfahl sich die Auswahl. 


und je näher der Schwerpunkt an dem voraufgehenden Tafelrande liegt, desto stabiler 
wird die Bewegung verlaufen. _ . . der beiderseits entlanggleitenden 
Je mehr der Schwerpunkt aber | |  Luftmassen aus dem Gleich- 
gegen den hinteren Rand ver- gewicht und aus der vertikalen 
schoben und je geringer die 
Masse ist, desto leichter wird 
die Tafel durch die stets vor- 


Lage verdrängt werden, und 
dann muss auch die Bewegung 
der Tafel in anderer Weise 





handenen Ungleichförmigkeiten Fig. 14. erfolgen. 
Deutsche Postkarte 
Gewicht der unbelasteten Karte — 2.81 g; Belastung L-. 1,277 g; Gesamtgewicht p... 4,087 g 
Seite a _ rjomm; b — 91,5 min, 


1 


Abstand des Schwerpunktes S vom Flächenmittelpunkt M: 7,0 mm ._ 20a = ‘sb. 


2. Die Tafel (Fig. 14) hat eine anfängliche Neigung von «—0? bis 15°. 


Als Neigungswinkel wird immer derjenige Winkel bezeichnet, welchen die vom 
Flächenmittelpunkt M über den Schwerpunkt S zum vorderen Tafelrande gehende Hälfte 
der Symmetrielinie gegen die 
von M aus abwärts gerichtete B B 
Lotlinie bildet. 

Die Fallbahn I 
(Fig. 3 Tafel II) wendet sich 
zunehmend vorwärts von der 
Lotlinie ab unter gleichmässig 
andauernder Rotation der 
Tafel. Die Erscheinung unter- 
scheidet sich bis auf ein ge- 
wisses, später zu besprechen- Fig. 15. 
des Pulsieren*) der Rotation 
nicht wesentlich von der Fall- 





bewegung einer unbelasteten 
Karte bei kleinen Neigungs- 
winkeln (Fig. 1 Tafel I). Die 
stelle Anfangsstellung der 
Tafel (Fig. 15 I) bedingt 
eine schnelle Zunahme der 
Geschwindigkeit und eine 
starke Verschiebung des A 





Fig. 16. 


Widerstandspunktes über den 
*) In Fig. 5 und 6 :Tafel ID sind die Tanzentialstellungen ohne Berücksichtigung der Pulsationen 
zunächst so eingetragen, wie sie bei völlig gleichförmiger Rotation liegen würden, Diese Figuren bedürfen daher 


einer Korrektion nach den genaueren Angaben von Fig. 7 Taf. II. 


x 24 


Schwerpunkt hinaus gegen den Vorderrand der Tafel. Das entstehende Kräftepaar dreht die 
Tafel mit dem Vorderrande empor, bis der Widerstandspunkt wieder mit dem Schwerpunkte 
zusammenfällt (Fig. ı5 II). Dann tritt zwar ein neues hemmendes Kräftepaar auf (Fig. 15 III), 
allein die Drehung ist stark genug, um das völlige, wenn auch verzögerte Durchschlagen der 
Tafel zu bewirken, wie es bei der Besprechung der Fallbewegungen einfacher unbelasteter 
Tafeln des näheren erörtert wurde. Die excentrische Lage des Schwerpunktes hat zur 
Folge, dass das Zurücktreten des Widerstandspunktes hinter den Schwerpunkt hier schon 
erfolgt, bevor die Tafel die volle Querstellung zum Trajektorium erreicht hat (Fig. ı5 III). 
Es setzt also auch das hemmende Kräftepaar eher ein, als bei der unbelasteten Tafel 
(Fig. ı5 III), und das Rotieren der Tafel kann daher hier auch nur bei steilerer Anfangs- 
stellung und rapidem Absturz erfolgen, während die unbelastete Tafel auch noch bei 
erheblich grösseren anfänglichen Neigungswinkeln in kontinuierliche Rotation versetzt wird. 


3. Die Karte fällt unter Absturzwinkel von 15° bis 40°. 


Die Fallbahn II (Fig. 6, Tafel II) hat einen Rückkehrpunkt Rp, den die Tafel mit 
einer Oscillation vorwärts erreicht. Der rücklaufende Ast der Bahn wird rotierend zurück- 
gelegt. Auch hier ist der Gang der Bewegungen wie bei einer unbelasteten oder central- 
belasteten Tafel, mit dem Unterschiede, dass bei excentrischer Belastung die Oscillation 
bereits bei kleineren Winkeln auftritt, wo die central belastete noch rotiert. Eine unbelastete 
Postkarte fällt bei 17° bis 40° Anfangsneigung überhaupt noch nicht oscillierend, sondern 
von Beginn ab rotierend (Fig. 1, Tafel I). Es zeigt sich somit auch hier, wie in der ersten 
Versuchsgruppe, dass die excentrische Belastung verzögernd auf das Eintreten 
der vollen Rotation einwirkt. 

Bei den Versuchen mit unbelasteten Karten liessen sich unschwer gewisse grössere 
Neigungswinkel auffinden, bei denen auf die erste Oscillation nach vorne noch eine zweite 
Öscillation rückwärts erfolgte, bis punkt P (Fig. ı7) weit ab vom 
dann die Rotation nach vorne ein- A Schwerpunkt, nahe dem hinteren 
setzte. Diese Erscheinung wurde Tafelrande. Es bedarf daher einer 
bei excentrisch belasteten Karten grösseren Drehung, bevor P die 
seltener beobachtet. Der Grund Strecke über M nach S zurück- 
dafür ist leicht einzusehen. Sobald verschoben ist, und die Tafel muss 
nämlich beim Rückkehrpunkte (Rp weit über die Stellung normal zum 
Fig. 6, Tafel II) die Tafel beginnt, Trajektorium fortgedreht werden, 
mit dem vom Schwerpunkte entfernt bevor P jenseits von S auftritt und 
liegenden hinteren Rande vorauf, damit das neue Kräftepaar einsetzt, 
welches die vorhandene Drehung 
Neigung der Tafel gegen das Fig. 17. hemmt. Durch die excen- 
Trajektorium, der Widerstands- trische Lage des Schwer- 
punktes ist also das vorwartsdrehende Kräftepaar, das die einmalige Oscillation 
nach vorne bewirkte, zu Gunsten des rückwärtsdrehenden Paares eingeschränkt 
worden, und es ist klar, das daher die Ucberlegenheit des letzteren auch in der Bewegung 





rückwärts zu gehen, liegt bei steiler 


r 25 


der Tafel zum Ausdruck kommen muss. Für einen anfänglichen Neigungswinkel 
& — 30° habe ich — durch zahlreiche Einzelbeobachtungen unter allmahlicher Vergrösserung 
der Fallhöhe — den Verlauf der Fallbewegung der Postkarte (Fig. 14) mit möglichst grosser 
Genauigkeit festgestellt. Die Fig. 7, Tafel II, veranschaulicht den Vorgang und zeigt, dass 
die Fallbahn des Schwerpunktes zwei Riickkehrpunkte (Rp: und e) besitzt. Der erste liegt 
bei ca. 60cm Fallhöhe etwa 30 cm vorwärts vom Anfangslot. Der zweite liegt auf 
150 cm Höhe nahe hinter dem Anfangslot. 

Der Verlauf der Randtrajektorien lässt nun mit grosser Deutlichkeit die eben ab- 
geleitete Wirkung der excentrischen Schwerpunktslage erkennen. Nachdem die Tafel 
kurz vor dem ersten Rückkehrpunkte die erste Normalstellung überschritten hat, bewirkt 
das nun auftretende rückwärtsdrehende Kräftepaar schnell die Hemmung und Umkeh- 
rung der rechtsläufigen Rotation. Diese Wirkung ist eine so kräftige, dass in der rück- 
läufigen Bewegung schnellstens die zweite Normallage erlangt wird, und dass auch das 
nun wieder erscheinende rechtsdrehende Kräftepaar den alsbaldigen Eintritt der Karte in 
die erste Tangentialstellung (tı) nicht wesentlich verzögern kann. Die Drehung der 
Karte wird nun zwar in demselben linksläufigen Sinne fortgesetzt, allein in der trans- 
latorischen Bewegung geht jetzt wieder der belastete Vorderrand A vorauf, und das 
bis zur dritten Normalstellung (ns) wirkende linksdrehende Kräftepaar kann daher 
wieder als ein vorwärtsdrehendes bezeichnet werden, das in seiner Wirkung durch die 
excentrische Belastung wiederum beeinträchtigt ist. Daher geht nun auch zwischen tı 
und ns die Drehung der Tafel so langsam von statten, dass die cykloidischen Trajektorien 
zwischen nə und ns eine völlig unsymmetrische Gestalt besitzen. Die Tangentialstellung 
t; liegt nicht in der Mitte von ne und ns, sondern erheblich näher an ne. Hinter ns 
erscheint wieder ein starkes rückwärts- (hier rechtsläufig-) drehendes Kräftepaar, das die 
Linksrotation der Karte schnell hemmt und gleich darauf in Rp» umkehrt. Hinter dem 
zweiten Rückkehrpunkte beginnt die Rotation rückwärts (d. h. mit dem Hinterrande B 
vorauf) unter ganz ähnlichen Verhältnissen wie hinter dem ersten Riickkehrpunkte. Die 
ungleiche Rotationsgeschwindigkeit während der einzelnen Phasen der Drehung lässt sich 
direkt beobachten und giebt der rotierenden Fallbewegung einer excentrisch belasteten 
Tafel einen gleichsam pulsierenden Charakter. 

Dass die I. Fallbahn (Fig. 5, Tafel II) in die II. (Fig. 6, Tafel II) und 
die II. in die Bahn III (Fig. 7, Tafel II) übergeht, wenn der anfängliche 
Neigungswinkel der Tafel zunimmt, bietet der mechanischen Erklarung 
keinerlei Schwierigkeiten. Während nämlich, wie in der ersten Versuchsgruppe 
gezeigt, bei kleinen Absturzwinkeln das anfangliche Kraftepaar stark genug ist, um sofort 
die volle Rotation der Tafel durchzusetzen, vermag es bei dem grósseren Winkel (Fig. 18, I) 
die Tafel nicht so weit zu drehen, denn es ist hier kürzere Zeit auf kleinerem Fallraume 
bei geringerer mittlerer Fallgeschwindigkeit wirksam, als im ersten Fall. Immerhin ist 
der Absturz noch steil genug, um die angefangene Drehung der Tafel über die horizontale 
Stellung (Fig. 18, II) hinausschlagen zu lassen, sodass der vordere Tafelrand über, der 
hintere unter der wagcerechten Ebene liegt (Fig. 18, IID. In dieser Stellung erfährt die 


4 


26 


Tafel einen beträchtlichen translatorischen Widerstand, da sie nahezu normal zur Bahn 
steht. Zugleich hat mit dem Ueberschreiten der Horizontalstellung der Tafel die trans- 
latorische Resultante der Schwerkraft sich gegen den hinteren Tafelrand gewendet. Daher 
kann die Bewegung nicht die anfangliche Richtung nach vorn beibehalten; sie wird in 
die riickschreitende Richtung der neuen translatorischen Resultante hiniibergelenkt, wobei 
gleichzeitig das neue Kräftepaar die Drehung der Tafel bewirkt. Hatte das erste Kräfte- 
paar bei steilem Absturzwinkel die Tafel weit über die Horizontalstellung gedreht, so ist 
auch Arm und Moment des zweiten Paares, dem Avanzini'schen Gesetz entsprechend, 
wirksam genug, um nun die an- 
dauernde Rotation der Tafel nach 





A rückwärts einzuleiten. Ist dagegen 

S ^ die Rotation. des ersten Kráfte- 

v/ NS paares bei weniger steilem Absturz 

t B (oder starker Excentricität) der 

Tafel nur wenig über die Hori- 

XH u zontalebene gediehen, so ist auch 


die Wirksamkeit des entgegen- 
arbeitenden zweiten Kräftepaares 
geringer, und es kann der Fall eintreten, dass die angefangene rückläufige Drehung der 
Tafel nicht voll gelingt, sondern, wie in Bahn III, alsbald von einer wieder nach vorn 
gehenden Oscillation oder dauernden Rotation abgelöst wird. 

Die Drehung, welche das erste Kräftepaar der excentrisch belasteten Falltafel 
erteilt, braucht nicht notwendig immer bis in die horizontale Ebene oder darüber hinaus 
zu gehen, wie es bei den Fallbahnen I, II und III geschieht. 

Eine central belastete wenn diese Normalstellung erreicht 
und in Folge des Beharrungs- 
vermögens überschritten ist, gelangt 
das hemmende, zweite Kräftepaar 
zur Wirkung, erst dann erreicht 
und überschreitet der Widerstands- 
welche sie über die horizontale punkt den im Flächenmittelpunkte 
Lage und selbst über die normal liegenden Schwerpunkt, 
zum Trajektorium orientirte Stellung Fig. 19. Bei einer Falltafel mit excen- 
hinausführt (Fig. 19). Denn erst, trischer Lage des Schwerpunktes 
erreicht der während der Drehung (Fig. 20, I- III) zurückwandernde Widerstandspunkt P den 
Schwerpunkt S natürlich um so früher, je näher dieser dem vorderen Tafelrande liegt. Daher 
kann hier die Drehung des ersten Kräftepaares bereits zum Stillstand kommen, bevor die hori- 
zontale Stellung erreicht ist. Für den weiteren Verlauf der Fallbewegung ist dies von funda- 
mentaler Bedeutung, denn, wie man sicht (Fig. 22, HI), behält alsdann die translatorische 
Resultante t ihre Richtung nach der Seite des vorderen Tafelrandes, obgleich 
der Wechsel der Kraftepaare eingetreten ist. Die Fallhöhe erhält unter diesen Verhältnissen 


Fig. 18. 


Tafel, die unter irgend einem 
spitzen Absturzwinkel der Fall- 
bewegung überlassen wird, erfahrt 
unter allen Umstanden durch das 
erste Kráftepaar eine Drehung, 





to 
DN] 


keinen Rückkehrpunkt wenn die Kraftpaare wechseln, die Falltafel bewegt sich vielmehr 
lortschwebend auf einer wellenförmigen Kurve vorwärts und abwärts. Diese ist steiler 
geneigt, wenn der Neigungswinkel der Tafel gegen die Vertikale kleiner ist, und sie 
verläuft mehr horizontal, Winkel. Ist dagegen bet 
transversaler Tafelstellung 
(zum Trajektorium) der 
Betrag des Luftwider- 
standes ein grosser, so ist 
der translatorische Rest 
der Schwerkraft ein ge- 
ringerer und die ihn dar- 
stellende Resultante bildet 
gróssere Winkel gegen die 
Ebene der Tafel. Die 
regelmässig auftretenden 
Beschleunigungen und Ver- 


wenn dieser Winkel grösser 
ist. Jenach dem Neigungs- 
winkel der Tafel gegen 
das Trajektorium ist der 
Luftwiderstand, den die 
fallende Tafel erfährt, 
grösser oder geringer, 
daher wird auch die Be- 
weeung bald mehr, bald 
weniger verzögert. Die 
translatorische Resultante 
erlangt bei steiler Tafel- 





stellung und geringem Luft- Fi zogerungen der Fall. 
widerstande ihren gróssten d | bewegung flächenhafter 
Wert, ihre Richtung bildet L Heas Körper sind damit hin- 
mit der Tafel kleine spitze reichend erklärt. 


Nach diesen Ausführungen lassen sich die Ergebnisse der folgenden Fallversuche 


voraussehen. 


4. Die Karte fällt unter Absturzwinkel œ .- 40° bis 90°. *) 

Die Fallbahn (IV) (Fig. 8, Tafel II) führt wellenförmig vorwärts und abwärts. 
Sie hat bei 2,5 m Fallraum zwei sehr deutliche Undulationen, deren erste erheblich 
schwächer ist als die zweite (Fig. 8, IV- VII, Tafel II). Die Bewegung ist ein echtes 
Schweben, eine Flugbewegung, wenn auch die Falltafel entsprechend den Undulationen 
der Bahn bestimmte schwankende Drehungen erfährt. Der Teil der Bahn, welcher auf 
den Gipfel der zweiten Welle führt, wendet sich dabei weit seitwarts und bewirkt zumeist 
das seitliche Fortschreiten der Tafel bis über Fallhohe (bei h -- 2,25 schwebt die Tafel 
wenn « =: 60°, 2,60 m seitwärts). Der Verlauf dieses Teiles der Fallbahn zeigt in seinem 
wechselnden Gange mancherlei interessante Kigentümlichkeiten So kann es kommen, 
dass die Bahn hier nicht nur nahezu horizontal fortschreitet, sondern dass sogar ein Auf- 
steigen. der Tafel über einen vorher erreichten tiefsten Punkt stattfindet (Fig. 8, VII, Taf. II). 
Es ist dieses eine Flugart, wie sie vielfach von stossenden Raubvögeln ausgeführt wird, 
die von oben auf eine Beute herabschiessen und mit dem so gewonnenen Schwunge wie 
auf einer Bergbahn emporgleiten. Auch die Falltafel bestreitet ihre horizontale oder gar 


*) Nach neuerdings angestellten Kentrollversuchen will es mir scheinen, als seien die beobachteten Absturz- 
winkel unter und über go" nicht unwesentlich durch die Einwirkung des remanenten Magnetismus beeinflusst, 


d. h. vergrössert worden. Ich gebe daher die Absturzwinkel mit Vorbehalt 


4* 


28 


aufsteigende Bewegung nur aus dem Vorrate von kinetischer Energie oder lebendiger 
Kraft, die sie durch die vorhergehende sinkende Fallbewegung erworben hat. Sobald 
aber dieser Vorrat erschöpft ist, folgt auch die translatorische Bewegung der Tafel wieder 
allein dem Triebe der Schwere, die im horizontalen und ansteigenden Teile der Bahn nur 
verzögernd gewirkt hat. Ist in Folge dieser Verzögerung und der Hemmung des Luft. 
widerstandes die Fluggeschwindigkeit ganz oder nahezu gleich Null geworden, so beginnt 
eine neue Fallbewegung, die nun natürlich so verläuft, wie es der im Einzelfall zuletzt 
erreichten Neigung der Tafel gegen die Lotlinie entspricht. Hiernach ist es zu verstehen, 
wie es kommt, dass die nach vorn gerichtete Schwebebahn bei manchen Versuchen 
plötzlich abbricht, um in eine rückläufige Oscillation oder Rotation überzugehen (Fig. 8, 
V-VII), oder sonst eine Gestalt anzunehmen, die den Fallbahnen mit kleinen anfänglichen 
Neigungswinkeln gegen die Lotlinie der Tafel cigentiimlich ist (VIII). 


Nur auf sinkender Fallbahn FL (Fig. 21) kann die schwebende Tafel (I) 
einen spitzen Neigungswinkel « gegen die Lotlinie p bilden. Eine horizontale Lage (Il) 
kann die schwebende Tafel gleichfalls nur auf sinkender Bahn erreichen. Auf horizontaler 
Bahn (III) kann die 
F Tafel nur schweben, 
wenn sie einen kleinen 
spitzen Winkel gegen 
das Trajektorium und 
einen stumpfen gegen 
die Vertikale bildet. 
Und ebenso kann der 
Neigungswinkel œ der 
Schwebetafel IV 
(Fig. 21) auf ansteigen- 
der Bahn nur ein 
stumpfer sein. Büsst nun eine Tafel auf horizontaler oder ansteigender Bahn schwebend ihre 
Geschwindigkeit ein, so beginnt sie mit dem erlangten stumpfen Neigungswinkel eine neue 
Fallbewegung, deren Bahn von der voraufgehenden so gänzlich verschieden sein kann. 





Unter allmählicher Vergrösserung des Absturzwinkels der Fallkarte wurden zahl- 
reiche Versuche angestellt und so innerhalb der Winkel von 40? bis 80? eine grosse 
Reihe verschiedener Fallbahnen beobachtet; deren bemerkenswerteste in Fig. 8 Taf. II. 
skizziert sind. Zwischen 40 und 70° ergaben sich die Bahnen IV-VII, auf denen die 
Karte bis zu einem Rückkchrpunkte herabschwebte. Unterhalb des Rückkehrpunktes, der 
um so früher erreicht wurde, je grösser der Neigungswinkel war, traten Oscillationen ver- 
schiedenen Grades, zuletzt Rotationen auf. Oft ergaben sich bei gleicher Einstellung des 
Fallapparats Bahnen, die zwar im ersten Abschnitt einander sehr ähnlich waren, aber 
schliesslich in verschiedene oscillatorische und rotatorische Bahnen übergingen. Diese 


Unregelmässigkeiten haben vielleicht ihren Grund in kleinen Erschütterungen des Apparats 


29 

im Moment des Absturzes, oder in geringen, unvermeidlichen Verbiegungen der Karte, 
oder auch im Zustande der Luft. 

Die Bahn VIII (Fig. 8, Taf. II) erhielt ich bei 75° anfanglicher Neigung der 
Karte; schon nach 1,5m Fallhöhe und kaum ı m seitlichem Fortschweben begannen Os- 
cillationen, unter denen die Karte wankend herabsank. Bei 80° schwebte die Tafel nur 
noch etwa 0,5 m vorwärts und fiel dann unter steilen Oscillationen zu Boden, oder geriet 
in konstante Rotation nach vorn. Fig. IV Taf. II. 


5. Die Karte fällt unter Absturzwinkeln «---90° bis 180? 


Die Fallbahnen zeigen durchwe® stark oscillatorischen und rotatorischen Charakter. 
Bei 110? wurde eine Bahn X Fig. 8 Tafel II beobachtet, die mit einer Oscillation rück- 
wärts und vorwärts anfing, darauf Oscillation zurück und dauernde Rotation nach vorn. 
In einem anderen Falle (XI) erfolgte auf eine Oscillation riickwarts dauerndes Rollen 
vorwarts. Endlich stellen sich Bahnen (XII) ein, die nach kurzem Absturz sofort in 
nahezu geradlinige rückläufige Rotation übergehen. Die mechanische Erklärung aller 
dieser verschiedenen Bewegungen ergiebt sich leicht aus dem mehr oder weniger grossen 
Schwunge den zu Beginn des Falles das einseitige Uebergewicht der Tafel mitteilt, bevor 
das II. Kräftepaar die zum Stopfen erforderliche Grösse erreicht. War für kleine 
Neigungswinkel die excentrische Belastung ein Hemmnis für die Oscillationen und Rota- 
tionen, so wirkt sie hier entschieden im Sinne derselben, eben des grösseren Schwunges 
wegen, den die Masse beim Absturz erhält. 


II. Versuchsreihe. 


Dieselbe lallkarte wie in der ersten Versuchsreihe (Fig. 14), aber mit nur halb 
so grosser Excentricität des Schwerpunktes. Die Belastung wurde so weit gegen den 
Flächenmittelpunkt der Karte verschoben, dass der Abstand des Schwerpunktes vom 
Flächenmittelpunkte nur noch 3,5 mm betrug. 

Die Versuche wurden mit 2,5 m Fallhöhe und mit von 10 zu 10 Grad steigenden 
Absturzwinkeln ausgeführt. Es ergaben sich Fallbahnen, die im Prinzip mit den in der 
vorigen Versuchsreihe näher besprochenen übereinstimmen. 

Von besonderem Interesse ist nur, dass die schwebenden Fallbewegungen hier 
erst bei Absturzwinkeln von ca. 80° bis 9o" stattfinden, während sie vorher zwischen 
40° und 60° auftraten. Die Schwebbahnen sind hier steiler, und die Fluggeschwindigkeit 
ist augenscheinlich geringer, als bei den Versuchen mit weiter vorgeschobenem Schwer- 
punkt; sie nähern sich also der vertikalen Bahn, auf welcher eine Tafel mit centraler 
Schwerpunktslage herabschwebt, wenn sie in genau horizontaler Stellung der freien Ein- 
wirkung der Schwere und des Luftwiderstandes überlassen wird. Das Umgekehrte ist 
der Fall, wenn man, wie in einer 


30 


III. Versuchsreihe 
geschehen, den Schwerpunkt noch weiter gegen den vorderen Kartenrand verlegt, als in 
der I. Reihe. Dann zeigt sich, wenn z. B. bei sonst gleichen Verhaltnissen der Schwer- 
punkt 10mm vor dem Flachenmittelpunkte liegt, dass die Flugbewegung bei kleineren 
Absturzwinkeln, sehr schön bei 25° erfolgt, dass sie schneller von statten geht und er- 
heblich weiter seitwärts führt, als in der I. und II. Versuchsreihe. 

Es leuchtet ein, dass das Flugvermögen einer Karte durch weitere Verschiebung 
des Schwerpunktes gegen den Vorderrand noch weiter gesteigert werden kann. Allein die 
Verschiebung ist doch nur innerhalb der durch das Avanzini'sche Gesetz gezogenen Grenzen 
möglich. Niemals darf der Schwerpunkt weiter vorgerückt werden, als nach dem 
Avanzini'schen Gesetz der Widerstandspunkt vortücken kann. Sobald dieser Grenzpunkt 
überschritten wird, fällt die Karte in stabiler Stellung senkrecht herab mit dem Vorder- 
rande vorauf; jede etwa auftretende seitliche Neigung der Karte muss sofort durch das 
entstehende Kräftepaar wieder in die Vertikale eingerichtet werden. Eine schwebende 
Flugbewegung kann nur dann stattfinden, wenn der Schwerpunkt hinter der vorderen 
Grenze des Widerstandspunktes liegt. Nur dann ist die Möglichkeit gegeben, dass der 
Widerstandspunkt noch vor dem Schwerpunkte auftaucht, um bei eintretender Schwankung 
die Fallkarte vorn immer wieder aufzurichten und vor dem Absturze zu schützen. Sind 
die Schwankungen nur geringe, so genügt offenbar auch ein kleiner Abstand des Schwer- 
punktes von der äussersten Vorderstellung des Widerstandspunktes. Der Schwerpunkt 
kann dann sehr nahe an den letzteren Punkt heranrücken. Bei stärkeren Schwankungen 
wird sich dagegen empfehlen, den Schwerpunkt vorsichtshalber etwas weiter zurück- 
zunehmen, damit der Widerstand genügend weit vorwärts vom Schwerpunkte einsetzen, 
und so die Kontinuität der Flugbewegung erhalten werden kann. 


Fassen wir die wichtigsten Ergebnisse der vorstehenden Versuche — 
soweit sie sich auf die passive, schwebende Flugbewegung bezichen .— zusammen, so 
erhalten wir die folgenden Sätze: 

1. Die passive Flugbewegung ist eine specielle Form der Fallbewegungen flachenhafter 
Körper durch die Luft. 

2. Dieselbe ist in erster Linie abhängig von der Lage des Schwerpunktes in der Flug- 
fläche, resp. dem Abstande des Schwerpunktes vom Flächenmittelpunkte. Fallen beide 
Punkte zusammen, so schwebt der Flugkórper mit minimaler Geschwindigkeit senkrecht 
herab. Ist der Schwerpunkt in der Symmetrieebene der Flugflächen gegen den einen 
Rand derselben vorgeschoben, so schwebt der Flugkörper mit diesem Rande vorauf 
um so schneller und weiter zur Seite, je grösser die Excentricität d. h. die Entfernung 
des Schwerpunktes vom Flächenmittelpunkte ist. 

3. Die Excentricität des Schwerpunktes kann nur innerhalb der durch das Avanzini'sche 
Gesetz über die Verschiebung des Widerstandspunktes gezogenen Grenzen variiert 
werden. Ist für eine Flugfläche die vordere Grenze bestimmt, bis zu welcher der 


yı 


31 


Widerstandspunkt bei kleineren Neigungswinkeln vorrücken kann, so ist damit auch 
annähernd die Grenze der Verschiebbarkeit des Schwerpunktes festgestellt. Der Schwer- 
punkt muss von dieser vorderen Grenze stets eine gewisse, genügend lange Strecke 
entfernt bleiben, damit der Flugkórper bei den unvermeidlichen Schwankungen hin- 
reichend gegen Oscillationen, Rotationen oder gradlinigen Absturz gesichert bleibt. 
Da an rechteckigen und ähnlich gestaltete Flächen der Widerstandspunkt annähernd 
um ®/ıs der Flachenbreite — in der Symmetrieebene gemessene Dimension — vom Mittel. 
punkt fort gegen den Vorderrand vorrücken kann, so dürfte es sich empfehlen, bei 
der Herstellung künstlicher Flugapparate den Schwerpunkt S (Fig. 22) etwa in einem 
Abstande von ?/,« = !/s der Breite vor dem Flächenmittelpunkte anzuordnen. Für 
anders gestaltete Flug- pirisch zu ermitteln und eben- 
flachenhattemanzunachst — 4 y 2 x B so den Flàchenmittelpunkt. 
die vorderste Lage des Fig. 22. Darauf wäre für praktische 
Widerstandspunktes em- Flugzwecke der Abstand 
beider Punkte, der „Schwankungsraum“ MP in drei gleiche Teile zu zerlegen 
und dann der Apparat so in's Gleichgewicht zu bringen, dass der Schwerpunkt in 
der Nähe des vorderen Teilpunktes der Strecke, also beim Anfang ihres vorderen 
Drittels läge. 

Liegt der Schwerpunkt S mehr nahe der Mitte. des Schwankungsraumes MP, so 
wird dadurch das Flugvermögen in seitlicher Richtung weniger ergiebig gemacht. 
Ist der Schwerpunkt nahe bei den extremen Punkten P und M, so ist der Flug nur 
innerhalb geringer Schwankungen der Neigungswinkel möglich; er ist daher durch die 
Unregelmässigkeiten der Bewegung freier Luft gefährdet. 

Jeder Flugapparat mit ebenen Flächen schwebt nur dann ohne in Oscillationen oder 
Rotation überzugehen, wenn er beim Beginn der Bewegung unter gewissen, von der 
Schwerpunktslage abhängigen Neigungswinkeln stand. 


Tafelerklärung. 


Tafel I. 


Fallbewegung einer Postkarte AB, die unter einem anfänglichen Neigungswinkel 
« — 30° gegen die Lotlinie aus einer Höhe FO — 1.50 m herabfallt. FL Tra- 


jektorium des Schwerpunktes. A...A cykloidische Bahn des anfangs abwärts 
gerichteten Vorderrandes; B...B Bahn des Hinterrandes. nı bis nz Stellungen 


der Karte normal zum Trajektorium; ti bis ts Tangentialstellungen. 

Fallbewegung einer Postkarte bei « = 60° anfänglichem Neigungswinkel. Be- 

zeichnungen wie Fig. 1. 

Fallbewegung einer ca. 8,5 g schweren Papptafel von der Grösse einer Postkarte. 
-() 


Anfanglicher Neigungswinkel & = 15°. n Normal, t Tangentialstellungen. 
Apparat für die Fallversuche mit electromagnetischer Aufhängung der Falltafeln. 


Tafel II. 


Fallbewegung (Bahn I) der excentrisch belasteten Postkarte, Fig. 14 des Textes 
Anfangsneigung 15°. 

Wie vorstehend, jedoch mit 25" Anfangsneigung (Bahn IT). 

Wie vorstehend, aber mit 30° anfänglicher Neigung (Bahn III). 

Weitere Fallbahnen (IV bis NI) bei anfänglicher Neigung von 40° bis 120°. 
Näheres 5. 27—29 des Textes. 











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Ueber die 


Stabilität der Flugapparate. 


Von 
Dr. Fr. Ahlborn 


in Hamburg. 


t3 


C» 


DES 


6. 


INHALT. 


mus X, conatum 
Frühere Versuche mit Schwebapparaten....0................. OW ERE 
Ueber das Wesen der Schwankungen passiver Flugkórper ........ S 


Einfluss der mehr oder weniger tiefen Lage des Schwerpunktes beim [luge 


einfacher, ebener Flugkórper .... aoaaa aoaaa ee 
Mechanik doppelflächiger Flugapparate..... 2l liil ee 


Einfluss der Excentricitat des Schwerpunktes resp. des Epicentrums auf den 


Verlauf des Lluees. cin verraten EXE 

Bedeutung der Flugflächenform, Verhältnis der Länge und Breite....... 
Frontalprofile der Flugflächen..............22..2 2.2... ee 
Ghierprohle der FF luenachen. vun. 2.20% Rin aoa pressed eee drehe 


Einfluss des Flachenquerschnitts auf die Schwankungen beim Fluge 
3) konkave Flache e 21, traue mars Ts 
b) konvexe Flächen ....... SAGE. Beye Eden abe dba. ee 
Die Vorderrandkonturen der Flugflache 


Verhaltniss des Flügelgewichtes zum Gesamtgewicht des Flugkörpers .. 


Plüeapparat der Zanonia Mace CAES vus quu asp idee 
EFOCOUISSS incluse Seien ee REITER 


bo 
13 


tot 
N + 


Ueber die Stabilitat der Flugapparate. 


1. Friihere Versuche mit- Schwebapparaten. 


In der vorhergehenden kleinen Arbeit über den Schwebflug und die Fallbewegung 
ebener Tafeln durch die Luft wurden am Schluss auf experimenteller Grundlage die 
mechanischen Bedingungen festgestellt, unter denen ebene Tafeln, Karten und dergleichen 
eine möglichst ruhige und möglichst schwankungsfreie, schwebende Flugbewegung aus- 
führen können. 

Dahingehende Versuche sind früher bereits von verschiedenen Autoren angestellt 
und vielfach wiederholt worden, nachdem einmal als Hauptbedingung für das Schweben 
erkannt worden war, dass der Schwerpunkt des Flugkörpers vorwärts von dem sogenannten 
Schwerpunkte der Flugflächen, dem Flächenmittelpunkte, liegen muss. So baute — wenn 
wir von den Flugversuchen des Mechanikers Dante in Perugia (1460) und des Nürnbergers 
Vorsinger vom Ende des 15. Jahrhunderts absehen — der Engländer Cayley einen grossen 
Schwebapparat, von ihm ,,Aeroplane*" genannt, der mit einem Gewicht von 200 Pfund 
belastet war und von einem Hügel in die Ebene schwebte unter einem Winkel von 10° 
Neigung gegen den Horizont. In Frankreich fertigte ¥. Pline (Marey, Vol. d. ois. p. 302) 
kleine, leichte Apparate in Form von Schmetterlingen und Vogeln an, die bei geringen 
Aenderungen der Lage des Schwerpunktes und leichten Drehungen der Flügelflächen die 
verschiedenartigsten Bahnen durchschwebten. Bei uns hat Lz/entha/ in den verschiedenen 
Vorstudien zu seinen Flugversuchen zahlreiche Schweber hergestellt, um die Bedingungen 
zu ermitteln, unter denen die schwebende Bewegung am vollkommensten und gleich- 
formigsten ist. Ferner haben die Herren Riedinger, von Siegsfeld und von Parseval in 
Augsburg mit Aufwand bedeutender Kosten umfangreiche Arbeiten ausgeführt, um auf 
empirischem Wege praktisch brauchbare Schwebmodelle zu ermitteln, die sich selbstthätig 
auf geradliniger Bahn in stabiler Lage erhalten. Alle diese Versuche haben aber nur 
gezeigt, dass der Herstellung solcher idealen Modelle grosse Schwicrigkeiten im Wege stchen. 

Lilienthal hatte früher auf Grund seiner Versuche daran gezweifelt, dass ein 
lebloser, schnell vorwárts schwebender Flugkórper ein gutes Gleichgewicht in der Luft 


6 


finden könne. Er bildete jedoch in den letzten Berichten über seine Flugversuche (in 
„Prometheus“, Jahrg. VII. II, 1895 5. 169, Fliegesport und Fliegepraxis) einen 
Flugkörper ab, von dem er mir auf meine Anfrage schrieb, derselbe sei „absolut stabil“. 
Dieser Apparat besteht im wesentlichen aus zwei übereinander angebrachten Flugflächen, 
die in geeigneter Weise starr miteinander verbunden sind, ähnlich wie die drei Flächen 
der Stringfellow'schen I’lugmaschine, welche Pr/rgreze abgebildet hat. (Ortsbeweg. d. 
Tiere. Internat. Bibl. Bd. X. S. 184.) Die Idee der übercinanderliegenden Aeroplane 
rührt nach Pettigrew von F. M. Wenham her, der sie in seinem Aufsatze „Arial 
locomotion“ (World of Science, 1367) mitgeteilt hat. Zzlienthal hat nach dem Muster 
dieses seines Flugmodells seinen letzten Flugapparat hergestellt. Die damit unternommenen 
Flugversuche führten zu vielverheissenden und ermutigenden Ergebnissen, und Lz/enthal 
hoffte, damit den Beweis geliefert zu haben, dass das Problem der Konstruktion von 
brauchbaren Apparaten für den persönlichen Schweb- und Segelflug gelöst sei. 

Das traurige Geschick, das den kühnen Versuchen Zz/enthals im vorigen Sommer 
cin so jähes Ende machte, hat leider gezeigt, dass er sich bezüglich der Stabilität seiner 
Apparate in einem verhängnisvollen Irrtum befand. Lange Zeit hindurch hatte cr versucht, 
die besten Formen für seine künstlichen Flügel zu ermitteln. Als solche betrachtete cr 
diejenigen, die cinen möglichst grossen tragenden Luftwiderstand ergaben. Das waren 
die hohlen, unterwärts konkawen Formen, die er fortan ausschliesslich für seine Zwecke 
verwandte. Aber schon die ersten Flugversuche, die er mit solchen hohlen Flügeln 
anstellte, führten ihm die damit verbundene Absturzgefahr in so unverkennbarer Weise vor 
Augen, dass er fernerhin nur mit ganz flachen Wolbungen experimentierte. Dadurch wurde 
denn zwar die Gefahr erheblich verringert, aber keineswegs vollkommen beseitigt; und die 
‚\pparate blieben daher noch immer weit entfernt von dem Grade der Sicherheit und 
Stabilität, den man unbedingt von einem Flugkörper verlangen muss, wenn demselben 
ein Menschenleben anvertraut werden soll. Es war das Verhängnis Zz/enthals, dass cr 
durch seine Widerstandsmessungen die Entdeckung der Ueberlegenheit der hohlen Flug- 
flächen über die anders gestalteten (bezüglich des tragenden Widerstandes) gemacht hatte. 
Er erblickte daher in den Fliigelwolbungen das wichtigste Merkmal eines guten Flug- 
apparats; und die Natur, welche derartige Wolbungen in den Flugorganen der klein- 
flügelisen Rudervögel (z. B. der Hühner) in so auffälliger Weise entwickelt hat, schien 
ihm Recht zu geben. So schritt er als Mann der That zu persönlichen Flugversuchen, 
in der Ueberzeugung, dass nur durch praktische Erfahrung weitere Fortschritte in der 
Konstruktion der Flugapparate erzielt werden könnten. Und doch waren die Fragen der 
Stabilität, insbesondere die Frage über den Einfluss der Flächenformen auf den Gang der 


Flupbewegung in bewegter Luft — teils noch nicht befriedigend beantwortet, teils nicht 
einmal gestellt Die Nachfolger Zzizenthals — und an solchen wird es trotz alledem 
nicht fehlen — werden die gewonnenen Erfahrungen zu beherzigen, und mit Vorsicht 


die Lösung des praktischen Flugproblems weiter zu verfolgen haben. Ihnen werden 
die folgenden rein wissenschaftlichen Untersuchungen von Interesse und hoffentlich auch 
von Nutzen sein. 


/ 


2. Uber das Wesen der Schwankungen passiver Flugkorper. 


Die unvermeidlichen Schwankungen, welche ein mehr oder weniger tafelförmiger 
Schwebapparat während der translatorischen Flugbewegung ausführt, sind den stationären 
Schwankungen cines Wagebalkens vergleichbar. Beide kommen in gleicher Weise dadurch 
zu stande, dass der Schwerpunkt und der Unterstützungspunkt ihre Lage zu einander 
wechseln. 

Bei der Wage pendelt der nahe unter dem Aufhängepunkte (Widerstandspunkte) 
legende Schwerpunkt des beiderseits gleich belasteten Wagebalkens abwechselnd nach 
rechts und nach links aus der Vertikalebene des Aufhängepunktes hinaus, sodass nun 
aus Schwerkraft und Widerstand das drehende Kräftepaar entsteht. Mit dem Fortschreiten 
der Drehung gelangt der Schwerpunkt wieder unter den Aufhängepunkt. Damit ver- 
schwindet das Kräftepaar, nicht aber die Drehung, die in Folge des Beharrungsvermögens 
fortdauert, bis sie durch cin neues, entgegenecsetztes Kräftepaar aufgehoben wird. Dieses 
Kräftepaar erscheint mit dem Auftauchen des Schwerpunktes jenseits der Vertikalebene 
des Aufhangepunktes. Dasselbe beseitigt aber nicht nur die vorhandene Drehung, sondern 
bewirkt auch jedesmal eine gleichstarke Drehung im entgegengesctzten Sinne. Daher 
kommen bekanntlich die Schwankungen ciner Wage oder eines physischen Pendels erst 
nach mehr oder weniger langer Zeit in Folee von Reibungswiderstinden an den Auf. 
hängepunkten, sowie wegen des Luftwiderstandes zur Ruhe. Von der Empfindlichkeit 
der Wage hangt es ab, ob die durch irgend eine Stórung des Gleichgewichts, etwa durch 
cin einseitiges Übergewicht, veranlassten Schwankungen mit grossem oder kleinem 
Ausschlagswinkel erfolgen, ob sie lange Zeit andauern, oder schnell abnehmen und 
aufhören. Eine Wage mit kurzem, schweren Wagebalken und tiefliegendem Schwerpunkt 
des letzteren schwankt weniger stark und kommt schneller zur Ruhe, als eine andere mit 
langem und leichtem Balken, dessen Schwerpunkt nahe unter dem Unterstiitzungspunkt 
liegt. Überempfindlich ist eine Wage, wenn der Schwerpunkt zu nahe am Unterstützungs- 
punkt liegt, oder mit ihm zusammenfällt. Das geringste Übergewicht bewirkt dann ein 
Herabsinken der einen Wagschale, ohne nachfolgende Rückschwankung. 

Bei der Falltafel oder dem Schwebapparat liegen die Verhältnisse allerdings 
zum Teil anders. Wenn bei der Wage Unterstützungspunkt und Drehungspunkt zusammen 
fallen, während der Schwerpunkt seine Lage zur vertikalen Ebene der Drehungsachse 
ändert, so fällt hier der Drehungspunkt mit dem Schwerpunkte zusammen und der 
Unterstützungs- oder Widerstandspunkt wechselt die Lage. Ausserdem erfolgt hier die 
Drehung um eine freie, nicht im Achsenlager ruhende, dort um eine feste Achse. Die 
Schwankungen eines Schwebapparates werden also auch nicht, wie die einer Wage, 


gehemmt. 


durch Reibungswiderstiinde der Achsen 
Von diesen nebensächlichen Unterschieden abgesehen, sind aber die mechanischen 
Bedingungen der Stabilität und Empfindlichkeit bei der Wage und den Schwebekörpern 
Im Prinzip identisch. Von beiden verlangt man Stabilität. Tine gute Wage muss 
empfindlich sein, von einem guten Schwebapparat hat man das Gegenteil zu fordern. 


8 


Wie die Unempfindlichkeit und Stabilität einer Wage durch Tieferlegung des 
Schwerpunktes gesteigert wird, so lässt sich auch bei den Schwebapparaten durch 
möglichst tiefe Anordnung der Last unterhalb der Flugflache der gleiche Erfolg erzielen. 
Bei den excentrisch belasteten Flugkörpern, an denen die Schwerkraft ausser der vertikalen, 
auch eine horizontale Bewegung hervorruft, bleibt jedoch zunächst zu beachten, dass 
durch die starren Verbindungen zwischen Last- und Flugflache der hemmende Stirn- 
widerstand nicht zu sehr vergrössert werde. 

Die älteren Schwebapparate Zilenthals verdankten offenbar ihre geringe 
Stabilität — abgesehen von der später zu betrachtenden gefahrvollen Konkavitat — 
in erster Linie der nicht hinreichend tiefen Lage des Schwerpunktes. Es war dafür ohne 
Zweifel das Muster der schwebenden Vögel massgebend gewesen, deren Schwerpunkt 
beim mehr horizontalen oder ansteigenden Schweben stets ziemlich nahe unter den Flug- 
flächen liegt. Diese Lage hat aber zur Voraussetzung, dass unbeabsichtigte, momentane 
Verschiebungen des Widerstandspunktes, wie sie durch jede Intermittenz der bewegten 
Luft erzeugt werden, durch ebenso prompte aktive Gegenmassregeln des Fliegenden in 
ihrer Wirkung ausgeglichen werden. Der segelnde Vogel vollbringt dies durch gelegent- 
liche Flügelschläge, und mehr noch durch geeignete Aenderung der Grösse, Form und 
Stellung seiner I’Jugflächen. Hierzu besitzt er neben einer angeborenen, durch die 
Eleganz des natürlichen Mechanismus bedingten Fähigkeit, eine durch fortwährende 
Übung bis zur höchsten Vollkommenheit gesteigerte Geschicklichkeit, und die Bewegungen, 
welche er zur Vermeidung von Schwankungen vollführt, machen durchaus den Eindruck 
des anstrengungslosen Spiels automatischer Reflexe, welche durch die Ursachen der 
entstehenden Schwankungen selbst veranlasst werden. 

Auch O. Lilienthal hatte durch besonnenes, schrittweises Vorgehen in seinen zahl- 
reichen Versuchen eine grosse Flugecwandtheit erlangt, wie er denn mit vollem Recht die 
Ausführung des persönlichen Fluges als eine Aufgabe der turnerischen Geschicklichkeit 
betrachtete und betrachtet wissen wollte. Aber das Mittel, das er zur Stetigung der 
Flugbewegung im unsteten Winde benutzte, war unvollkommener, als die bezeichneten 
Mittel, deren sich die grossen Segler unter den Vögeln bedienen. Zzlenthal steuerte 
nicht durch die Änderung beweglicher Flugflachen, sondern durch Verschiebung des 
Schwerpunktes unter unverändcrlicher Fläche, er suchte den eintretenden Verschiebungen 


des Widerstandspunktes — hervorgerufen durch Anderung der Intensität und Richtung 
des Flugwindes — durch Änderung der Stellung seines eigenen, im Apparat hängenden 


Körpers und einzelner Teile desselben zu begegnen. Der Erfolg zahlloser glücklich 
verlaufener Flugversuche bestätigte, dass diese Steuerungsart für die bei Windstärken bis 
7 m auftretenden Schwankungen des Flugwindes wohl ausreichte. Aber darüber hinaus 
ergaben sich Schwierigkeiten, und erst durch Ticferlegen des Schwerpunktes konnte die 
obere Grenze der Lenkbarkeit etwas weiter hinaufgeschoben werden. Dies geschah 1895 
durch die Benutzung von Apparaten mit zwei übereinander liegenden Flächen. Zikenthal 
war überrascht und entzückt von dem ruhigen Verlauf des Fluges und der hohen Stabilität 
solcher Flugkörper, ohne jedoch die tiefere Lage des Schwerpunktes unter den Flugflächen 


9 


als wesentliche Ursache des Fortschrittes hervorzuheben. Wir haben auf die Flugmechanik 
solcher doppelflächigen Apparate weiter unten näher einzugchen. Hier soll zunächst 
erörtert werden: | 


3. Der Einfluss der mehr oder weniger tiefen Lage 
des Schwerpunktes beim Fluge einfacher, ebener Flugkórper. 


1. bei central belasteten Flugflächen oder Fallschirmen. 


Es seien in Fig. 1, J und II AB zwei gleich grosse, gleich gestaltete Flugflachen, 
beide seien gleich stark central belastet, jedoch so, dass bei I der Schwerpunkt S mit 
dem Flächenmittelpunkte M zusammenfällt, während er bei II unterhalb desselben liegt. 


Lässt man diese Körper aus gleicher I A 
horizontaler Lage in völlig ruhiger Luft T = 
herabsinken, so kommen beide ohne A— ———n ar re. 
Schwankungen, (gleichzeitig und mit p > 
gleicher Geschwindigkeit) unten an. Die V : 
verschiedene Lage des Schwerpunktes Fig. 1. : 


ist also unter diesen, allerdings praktisch kaum innezuhaltenden Bedingungen vollig gleich 
gültig. Da die Resultanten der Schwerkraft p und des Luftwiderstandes w in derselben, 
durch M gehenden Vertikalen liegen, so lassen sich beide zu der Kraft (p- w) vereinigen, 
welche die Abwärtsbewegung im Medium beschleunigt. Ein Kraftepaar, das eine drehende 
Wirkung auf das System ausüben kónnte, kommt dabei nicht zu stande. 

Diese Verhältnisse ändern sich in dem Augenblick, wo aus irgend einem äusseren 
Grunde der Luftwiderstand nicht mehr gleichfórmig über die Flugflüche verteilt ist, 
mit anderen Worten, sobald P, 


der Angriffspunkt des Wider- ú E ven 
standes, seitlich von der durch aT B An TR 
5 gehenden Vertikalen liegt. Pipi.t " i 

In diesem Falle ergiebt sich d | ; p-w-t 

(Fig. 2) ausser der trans- Fig. 2. 


latorischen  Resultante 

t = (p— w) ein Kräftepaar, 
dessen Moment (= w - P M) 
und drehende Wirkung seinem 
Arme, d. h., dem Abstande 
PM proportional ist. 

Mit dem Beginn der 
Drehung ändert sich an 
beiden Fallkörpern Arm und | I n 





Moment des Kraftepaares, | Fig. 3 


IO 


da nach dem Avanizni schen. Gesetze. der Widerstandspunkt P in der Richtung nach dem 
nun in der Bewegung voraufgehenden Flächenrande A vorrückt. Hat sich nach Verlauf 
einer gewissen kleinen Zeit der Widerstandspunkt von P nach P; verschoben, so ist in 
Fig. 3 bei I das Moment nur noch w (PM-PPi) = w. Pi M; bei II aber ist es noch 
kleiner geworden, da wegen der tiefen Lage von S die durch S gehende Vertikale nicht 
mehr durch M geht, sondern durch den näher bei Pi liegenden Punkt E, den wir „Epı- 
centrum“ oder Gleichgewichtspunkt nennen wollen. Das Moment ist hier also nur 
noch w.(MP-PPi- ME) = w. le Pi. 

Daher ist auch die Drehung, welche ein excentrisch auftreffender Windstoss 
an einem Fallschirm mit tiefliegendem Schwerpunkte hervorruft, unter allen Umständen 
geringer, als an cinem solchen, dessen Schwerpunkt in (oder gar über) der Fläche liest. 
Wie bei der Wage wirkt auch hier die tiefere Lage des Schwerpunktes dämpfend auf 
die Schwankungen ein. Uebrigens ist das Zusammenfallen des Schwerpunktes S mit dem 
l'làchenmittclpunkte M bci weitem nicht so verhängnisvoll, wie wenn bei der Wave 
Schwerpunkt und Aufhängepunkt einander decken, denn bei den Flugkörpern wandert 
der Angriffspunkt P des Widerstandes, der die Drehung verursachte, mit zunehmender 
Neigung leicht über M hinaus gegen den vorangehenden Flächenrand A hin, und es cnt- 
steht dadurch cin entgegengesetztes Kräftepaar, welches die anfängliche Drehung hemmt 
und umzukehren sucht. Liegt der Schwerpunkt tiefer als die Fläche (II), so braucht P nicht 
einmal bis M, sondern nur über das Epicentrum E hinaus zu wandern, um das hemmende 
Kräftepaar zu erzeugen. Die tiefere Lage des Schwerpunktes wirkt also nicht 
nur hemmend auf eine begonnene Schwankung, sondern beschleunigt auch 
die Wiederherstellung des gestörten Gleichgewichts, kurz, erhöhet die 
Stabilität der in Rede stehenden Flugkörper. 


2. Für exentrisch belastete Flugkörper, deren Bahn seitlich fortschreitet, 
gilt im wesentlichen, was eben über die lFallschirme gesagt wurde. Die nebenstehende 
Figur 4 stelle eine Flugflàche AB dar, an welcher ausserhalb des Fláchenmittelpunktes M 
im Punkte L cine Last starr befestigt ist, sodass der Gesamtschwerpunkt S des Apparats 


von der Flugfläche in L den Störung des Gleichgewichts 
Abstand d hat. Befindet sich \ B kann nur dadurch herbeigefuhrt 


der Körper während des werden, dass in Folge von 


yıssiven Fluges im Gleich- Uneleichformiekeiten der Luft 
D5 D D 


gewicht, so ist die Flugfläche der Widerstandspunkt P von E 





mit ihrem Vorderrande gc- aus gegen A oder B ver- 


neigt, und der Angrifispunkt : schoben wird.  Wendet er sich 
der Resultante des Luftwider- P; gegen A, (Fig. 5) so hat 
standes w fallt mit dem Fpi- puo dies eine Drehung der Flug- 

da T° E 
centrum 1% zusammen. — line fläche in eine mehr horizontale 


Lage zur Folge, wandert er aber gegen den Ihnterrand B, (Fig. 6) so wird die Fläche 
steiler aufrrerichtet. In beiden Fallen bewirkt die Drehung der Flugthiche nicht allein nach 


II 


dem Avanzinischen Gesetz eine Rückwärtsbewegung des Widerstandspunktes P gegen das 
I-picentrum, sondern auch das Epicentrum wandert dem Punkte P entgegen. Dadurch 
wird somit das Zusammenfallen von E und P, die Gleichgewichtslage, schnell herbei- 
gefuhrt, schneller, wie wenn der Schwerpunkt S in der Flugfläche läge und daher die 
Wanderung des Epicentrums nicht hinzukäme. 





B 
y: P: 
Y M 
Fig. 5. Fig. 6. 


Liest S in der Flugfläche, so fallen S und E zusammen und die Lage von E ist 
unveranderlich; ein gestörtes Gleichgewicht kann dann nur durch Verschiebung des 
Widerstandspunktes P wieder hergestellt werden. Befindet sich dagegen S in einem 
Abstande SL .-d unterhalb der Flugfläche, so erkennt man leicht aus der Beziehung 
LE d.» tge, wie sich die Lage des Epicentrums mit dem Abstande d und dem 
Neigunyswinkel der Flugfläche gegen die Horizontale ändert. Bei vorhandenem Gleich- 
gewicht (im Fluge) kann ohne Störung der translatorischen Bewegung cine Verschiebung 
des Schwerpunktes in der Geraden ES erfolgen. Nähert sich der Schwerpunkt dem 
Gleichgewichtspunkt K, so wird die Stabilität verringert, entfernt er sich, so wird sie ver- 
grossert. Eine willkurliche Aenderung der Lage von S in einer anderen Richtung, etwa 
in der Geraden L S, bewirkt eine Verschiebung des Epicentrums E gegen den vorderen 
resp. hinteren Flueflichenrand. und ist mit ciner entsprechenden Aenderung des Neigungs- 
winkels der Flächen und der Flugbahn verknüpft. So wusste Zzöenthal durch Verschiebung 
seines Schwerpunktes bestimmend auf den Verlauf des Fluges einzuwirken. Die 
Vogel, welche mit hochgehobenen Flügeln steil. herabschweben, verringern durch diese 
Flugelhaltung nicht nur den tragenden Widerstand, sondern verschieben auch durch die 


gegen die Mitte der llugtlachen, 


l 


relative Senkung des Schwerpunktes ihr Epicentrum 
wo bei steilem Flug auch der Angrifispunkt des Widerstandes der Luft sich befindet. 


4. Mechanik doppelflächiger Flugapparate. 
1. Über den Abstand der Flugflächen. 
Die Anwendung von Flugwerkzeugen mit zwei oder mehreren über einander 


liegenden Flugflächen hat zur Voraussetzung, dass die Wirksamkeit der einen Fläche nicht 


durch die andere gestört werde. Die Flugllächen müssen daher entweder -- ber Fall- 
schirmen -— so weit von einander abstehen, dass die Luft, welche auf die untere der 


Flächen cingewirkt hat, bereits wieder so gut wie vollständig zur Ruhe gekommen ist, 


5f 


12 
wenn die obere Fläche mit ihr in Berührung kommt, oder die Anordnung muss cine 
solche sein, dass jede Flache beim Fluge eine eigne, freie Bahn durch vorher unbeeinflusste 
Luftmassen durchschreitet. Sind diese Bedingungen nicht erfüllt, so sind die Widerstande 
an den beiden Flächen verschieden, wie an zwei Segeln, von denen das eine im Wind- 
schatten des andern stcht*). 

Wie weit der störende Einfluss der vom Winde zuerst getroffenen Fläche nach 
rückwärts wirksam ist, hängt von der Grösse ihres Areals, ihrer Fluggeschwindigkeit und 
dem Neigungswinkel gegen die Richtung des Flugwindes ab, mit andern Worten, von der 
Grosse ihres Luftwiderstandes. Es lässt sich voraussehen, dass von zwei ungleich grossen 
Fallschirmen, welche mit derselben Geschwindigkeit unabhängig und getrennt von einander 
herabsinken, der grössere eine breitere Zone schwach widerstehender Luft hinter sich her- 
ziehen wird, als der kleinere. Lässt man zwei gleich grosse Fallschirme mit ungleicher 
Belastung niedergehen, so wird der schwerere und daher schneller fallende vermutlich 
eine stárkere und weiterreichende Stórung der Luft an seiner Rückseite haben, als der 
leichtere. Hat ein Flugapparat eine scitlich fortschreitende Bewegung, sind seine Flachen 
unter einem spitzen Winkel gegen den Flugwind geneigt, so wird mit dem Neigungs- 
winkel auch die ungünstig beeinflusste Luftschicht hinter der vorderen Fläche kleiner 
werden. Verlauft endlich die Richtung des Flugwindes +) mit den Flugflächen parallel, so 
wird mit dem Widerstande auch der stórende Einfluss minimal, den die Flachen auf die 
Struktur der seitlich vorüberziehenden Luftmassen ausüben. 


Lilienthal wählte als vertikalen Abstand der Flugflachen ?/, der Flachenbreite. 
Dies Verhältnis hatte sich ihm bei kleinen Flugmodellen als günstig erwiesen. 

An genaueren, systematisch durchgeführten, experimentellen Bestimmungen uber 
die Grösse und Abhängigkeit dieser Störungen besitzen wir bis jetzt nur die Versuche 
Langley's, die er mit dem ,,Plane- Dropper ausftihrte**). Er benutzte Flächenpaare von 
1474 Zoll (= 38,1 » 10,2 cm), die er in einem Abstande von 2, 4 und 6 Zoll (= 5,1. 
10,2 und 15,2 cm:) untereinander befestigte und dann unter Neigungswinkeln von + ro" 
bis — 7° auf dem Rundlauf seitlichen Winden bis zu 26 m Starke aussetzte. Das Ergebnis 
war, dass die Luft nur in sehr geringem Abstande von der voraufgehenden Tafel gestort 
wird. Die Dicke der gestörten Luftschicht war bei den Versuchen durchschnittlich geringer 
als 4 Zoll. Im Abstande von 2 Zoll war der Luftwiderstand an dem übereinander stehenden 
Tafelpaare wesentlich kleiner, als er bei gleichem Areal in ungestórter Luft gewesen ware. 


Sehr interessanten Aufschluss über die Erstreckung und Eigenart der Störungen, 
welche ein widerstehender Kórper in einem Luftstrome hervorruft, geben die im Juniheft 1896 
*) Sehr anschaulich wird dies durch einen von Dr. W. Linss (Uber die Entstehung der Wolkenstreifen, 
Z. d. Oest. Ges. f. Meteorol. XVIII. S. 81- 89) angegebener Versuch demonstriert. Lässt man zwei aus feinem 
Seidenpapier angefertigte hohle Kegel in geringem Abstande die Spitze vorauf niederfallen, so vergróssert sich 
die Geschwindigkeit des oberen Kegels, er nähert sich dem unteren und legt sich endlich in den Innenraum 
desselben hinein, 

**) Langley: Experiments im Aerodynamics. — Smithonian Contrib, 1891. S. 26—47. 


7) Relativer Gegenwind. 


vu 
» 


[d 





` 


der Zeitschrift für Luftschitfíahrt und Phys. d. Atmosph. mitgeteilten Experimente von 
Dr. Ludwig Mach in Wien. Dieser Forscher machte die Luft direkt sichtbar, indem er 
sie, vor dem Eintritt in ein der Quere nach durchsichtiges Rohr, durch eine Heizvorrichtung 
erwärmte. Es entstand so ein Gemisch von warmerer und kälterer Luft, welche wegen 
ihres an den verschiedenen Stellen ungleichen Brechungsexponenten die bekannten sicht- 
baren und photographisch fixierbaren Schlieren bildete. In diesen Strom wurden dann 
verschieden gestaltete Körper gebracht und bei Magnesiumblitzlicht photographiert. Obgleich 
die Aufnahmen in erster Linie nur dazu bestimmt sind, die Feinheit und technische Durch- 
führbarkeit der Methode zu beweisen, so geben sie doch schon einen trefflichen Einblick 
in den Verlauf der Luftströmungslinien und lassen erkennen, wie weit auf beiden Seiten 
der Hindernisse die Bewegung der Luftteilchen gestört ist. Eine weitere Ausnutzung 
dieser photographischen Methode wäre nicht nur für die in Rede stehende Frage sehr 
erwünscht, es würden sich auch weitere, für die Theorie des Luftwiderstandes sehr wertvolle, 


ja entscheidende Resultate dadurch erzielen lassen.*) 


2. Ueber Gleichgewicht und Stabilität doppelflächiger Flugapparate. 


Für die einflächigen Flugapparate galt als wesentliche Bedingung für das Gleich- 
gewicht beim Fluge: das Zusammentallen des Widerstandspunktes P mit dem Schwerpunkte 


resp. dem Epicentrum. Bei den doppelflächigen Apparaten — wenn wir zunächst solche 
mit einem Paare gleichgrosser, paralleler Flächen ins Auge fassen (Fig. 7) — ist diese 


Bedingung nur für Fallschirme mit 
centraler Lage des Schwerpunktes 





resp. der Epicentren beider Flächen cm D 

und vertikaler Flugbahn crfüllbar. | 

Sobald solche Apparate in Folge seit- 4 (E B 

licher, excentrischer Lage des Schwer- ] S 

punktes auch cine seitliche trans- 

latorische Bewegung erfahren und Y T 
daher schrag gegen die Schwerkratt- ae Fig. "i 


richtung geneigt sind (Fig. 8), liegen 

die beiden Epicenten nicht mehr in homologen Punkten der Flachen, sondern um so mehr 
dem hinteren Flächenrande genähert, je weiter die betreffende Fläche vom Schwerpunkt 
entfernt ist. Da nun die Widerstandspunkte in homologen Flächenpunkten liegen, so 
können sie nicht an beiden Flächen mit den Epicentren zusammenfallen. Die Gleichgewichts- 
bedingungen müssen daher hier andere sein, als bei einflächigen Körpern. 

*) So wird z. B. schon durch J/ach’s Fig. 8 die mit so grossem Fleisse ausgearbeitete Lufthügeltheorie 
des Herrn von Loessl (Die Luftwiderstandsgesetze, Wien 1896? über den Haufen geworfen. Diese eire 
Figur giebt über das Verhalten der Luft an einer widerstehenden Fläche mehr Auskunft, als alle die phantasie- 


vollen Konstruktionen ZoessZ5: sie zeigt, dass ein Lufthügel von der Art der Z.'schen Theorie gar nicht existiert, 
und dass es unstatthaft ist, die Verhältnisse an der Rückseite so zu vernachlissgen, wie es durch vom Loc. 


geschah, in dem Bestreben, einfache mathematische Formeln für den Luftwiderstand abzuleiten. 


14 

Um diese Bedingungen zu ermitteln, hat man sich zunächst vorzustellen, der 
Widerstandspunkt P falle mit dem Epicentrum E der unteren Fläche (lig. 8) zusammen. 
Durch das Zusammenwirken des Gewichtes p und des Luftwiderstandes w kommt alsdann an 
der unteren, für sich im Gleichgewicht befindlichen Fläche nur eine translatorische Resultante 
t = (p—w) als geometrische Differenz von p und w zur Geltung. An der oberen Fläche 
dagegen hat zwar der Widerstandspunkt Pı denselben Abstand vom vorderen Flächen- 
rande, wie der Widerstandspunkt P der unteren Fläche, aber Pi deckt sich nicht mit 
dem oberen Epicentrum, und es gelangt daher an der oberen Fläche ein Kräftepaar 
we (Pi Ei) zur Wirkung, das den Flugapparat im rechtslaufigen Sinne zu drehen strebt. 

Nimmt man umgekehrt an, cs falle an der Oberfläche der Widerstandspunkt Pı 
mit dem Epicentrum E: zusammen (Fig. 9), so entsteht an der unteren Fläche ein links- 
drehendes Kraftepaar w. (P E). Dieses Kräftepaar dreht den Apparat in eine steilere 
Stellung. Dabei werden die Epicentren weiter gegen die hinteren Flächenränder ge- 
| schoben. Zugleich aber wandern 
die Widerstandspunkte nach dem 
Avanzinischen Gesetze weiter nach 
vorn und gelangen so auch in die 
Lage der Punkte P und Pi (Fig. 10) 
deren Abstände von den vorderen 
llächenrändern die Mitte halten 
zwischen A E und C Ei... Hier ist 
also P E = Di Ei, die Widerstands- 





fies: Feio: punkte liegen auf beiden Flächen 

: gleich weit von den Epicentren und 

zwar an der oberen davor, an der unteren dahinter. Unter diesen Verhältnissen ergeben 

sich oben und unten zwei gleich grosse, entgegengesetzt drehende Kraftepaare wi © Pi Fi 

und we» PE, welche sich, da sie an dem starr verbundenen Flüchenpaare in einer 

(vertikalen) Ebene liegen, das Gleichgewicht halten. Verschiebt man nämlich die Seiten- 

kräfte wi und (--wı) des oberen Kraftepaares in ihrer Richtung, sodass (—wi) in T und 

Wi mit w zusammen in P angreift, so sieht man, dass in der That an dem System E P T 
die vier Kräfte der beiden Kräftepaare im Gleichgewicht stehen. 

Ist p das Gewicht des ganzen Apparats, so bleibt als translatorische Resultante 
nur die geometrische Differenz A > p = (w 5 wi) übrig. 

Ist allgemein die Summe der Widerstände w + wi gleich der ganzen normal 
zu den Flugfliächen gerichteten Komponente EN (Fig. 11 I.) der Schwere, so erscheint 
die translatorische Resultante t als ın der Richtung der Fläche nach vorn wirkende 
Komponente der Schwerkraft, und die Bewegung ist ein Gleiten in der Richtung von 
B nach A. Ist dagegen (w= wi) kleiner als die Normalkomponente EN (Fig. 11 IL), so ist die 


Resultante t entsprechend abwärts gerichtet. Ist endlich bei vorübergehender Zunahme des 
Widerstandes (w 4 wi) grösser als EN, (Fig. 11 HLA, so weicht die Richtung von t nach oben 
hin von der Flueflache ab, und die Bewegung des Ganzen geht schräg nach vorn und aufwärts. 


pma 
tA t 


Das Hauptergebnis der vorstehenden Betrachtungen ist, dass ein Flugapparat, 
der zwei gleichgrosse, gleichgestaltete und in hinreichendem Abstande parallel über- 
einander befestigte Flächen besitzt, unter der Bedingung im Gleichgewicht schwebt, dass 
die Angrifispunkte P und Pi des Widerstandes von den zugehörigen Epicentren E und Eı 
gleichen Abstand haben. Dies setzt voraus, dass die Luft völlig homogen, und die 
Widerstandsverhaltnisse an beiden Flächen genau übereinstimmend seien. In Wirklichkeit 
ist dies jedoch nicht der Fall, die Struktur der Luft ist vielmehr um so ungleichförmiger, 
je mehr sie durch herrschende Winde erregt ist. Jede Schwankung der Intensität und 
Richtung des Luftwiderstandes ist aber auch im allgemeinen mit entsprechenden Ver- 
schiebungen der Angriffspunkte P und Pi verbunden. Dadurch wird bald das obere, 


A 


| ww) 





Fig. 11. 
bald das untere Kraftepaar vorherrschend, und der Apparat wird bald in dem Sinne 
des oberen, bald in dem des unteren Kraftepaares gedreht, wie ein einflächiger Apparat, 
bei dem aus gleicher Veranlassung der Widerstandspunkt um den Schwerpunkt resp. das 
Epicentrum schwankt. Was aber der zweiflächige Apparat vor dem einflächigen voraus 
hat, ist dass durch die Teilung der Flugflache das Moment des aufkippenden Kräftepaares 


verringert wird. Fur zwei in einer Ebene liegende. und durch ein Intervall von einander 
vetrennte Flachenhalften ist dies bereits durch Ædm. Gerlach nachgewiesen. (Ableite. 
gewisser Bewegungsformen geworfener Scheiben ete. Z. f. Luftschitf. 1886, S. 71). Für 
solche Flächenpaare ist danach der Luftwiderstand gegen jeden lMächenteil nur halb so 
gross, die Verschiebung des Widerstandspunktes wegen der halben Breite nur halb so 
oross, das Moment des aufkippenden Kräftepaares also ein Viertel, für beide Teile 
zusammen wieder halb so gross; als bei der ungeteilten Scheibe. Nach. den Versuchen 
Avanzinis, die damals Gerlach noch nicht bekannt waren, ist zwar die Verschiebung 
grösser, als Gerlach annimmt, allein. sie ist jedenfalls geringer, als bei der ungeteilten 
Fläche, und darum ist auch das Moment des Paares an der ganzen Fläche grösser, als 
an der geteilten. Was Gerlach über die Vergrösserung des Trägheitsmomentes geteilter 
Platten sagt, gilt nicht für unsere übereinander liegenden. Platten, denn das Trägheits- 
moment wird durch diese Anordnung der Flächenhälften nicht vergrössert, sondern ver- 
ringert. Allerdings würde eine Vergrösserung des Tràgheitsmomentes den ‚Apparat un- 
empfindlicher machen gegen die Wirkung des Kräftepaares, aber, einmal in Schwankungen 
versetzt, was ja in freier Luft unvermeidlich ist, wird mit dem Tragheitsmoment auch die 


Gefahr. des vollen Ueberschlseens vergrössert sein. Wenn. ausser der Verringerung des 


16 


Moments des Kräftepaares noch eine andere Ursache die Stabilität der doppelflächigen 
Apparate erhöht, so kann es nur die tiefere Lage des Schwerpunktes sein, die an der 
oberen Fläche so beträchtliche Verschiebungen des Epicentrums verursacht. 

Wir haben bei der Besprechung der einflächigen Flugkörper gesehen, wie die 
Verschiebungen des Epicentrums mit dem Abstande des Schwerpunktes von der Flugfläche 
und der Tangente des Neigungswinkels zunchmen und wie dadurch im gleichen Maasse 
die Wiederherstellung des etwa gestörten Gleichgewichts beschleunigt wird. 

Dasselbe gilt auch für die zweiflächigen Apparate. Jede Änderung der vorhandenen 
Gleichgewichtslage, jede geringe Drehung des Apparats ist von einer Verschiebung der 
Epicentren begleitet, welche das Moment des die Drehung bewirkenden Kräftepaares 
abschwächt, dasjenige des in E und Eı, sondern in E 
und Er. Man sieht, dass 
dadurch der Arm des unteren 
Kraftepaares, das die Dre- 
hung bewirkt hatte, um das 
Stück E E verkürzt ist, 
wahrend zugleich. der Arm 


entgegengesctzt drehenden, 
also hemmenden Paares da- 
gegen verstärkt. Dies ist 
leicht zu zeigen. Es sei in 
Folge einer Gleichgewichts- 
störung der Apparat AB CD 
(Fig. 12) um einen kleinen € 
Winkel e gedreht, soschneidet 
die durch den Schwerpunkt 
gezogene Schwerkraftrichh- 
tung die Flachen nicht mehr 
Lage der Schwerpunkt nicht unter, sondern in der unteren Flugebene, etwa in 


des zweiten, vorher schwäche- 
ren hemmenden Paares um 
. ~ FN = Li ae 

die Strecke Ei Eı vergrössert 





ist. Wie die Arme, ändern 


Fig. 12. 


sich die Momente. 


E, so würde bei eintretender Drehung cine Verschiebung. des I;picentrums nur an der 
oberen Fläche eintreten, die beginnende Schwankung würde also nicht ganz so prompt 
gehemmt werden, wie im vorigen Falle, wo das aktiv drehende, untere Paar gleichzeitig 
abgeschwächt wurde. 

Noch geringer ist die llemmung, wenn der Schwerpunkt S über der unteren 
Fugfläche liegt (Fig. 13). Eine durch das untere Kräftepaar bewirkte Drehung des 
Systems vergrössert zwar Moment des aktiven. Paares 
noch durch die Wanderung vergrossert und dadurch der 
des oberen Epicentrums Arm Erfolg der Hemmung ver- 
und Moment des hemmenden, zögert. 
oberen Paares, aber da das Liegt der Schwerpunkt 
untere Epicentrum, | jetzt genau in der Mitte zwischen 
den beiden gleichwertigen 


Flugflachen, so wird der 


besser Hypocentrum H zu 
nennen, gleichzeitig in ent- 





gecgengesctzter Richtung Vorteil der Wanderung des 
wandert, wie das obere, so A Epicentrums aufgehoben, und 


wird auch zugleich Arm und die Stabilität des zweiflächi- 


gen Apparats ist dann keine grössere, als die eines einflachigen, dessen Schwerpunkt 


> 


in der Fläche liegt, und dessen Stabilität allein durch die Verschiebungen des Wider- 
standspunktes nach Massgabe des Avanzini'schen Gesetzes bedingt wird. Diese Ver- 
schiebungen finden ja immer statt, sobald der Neigungswinkel der Flugflächen gegen 
den Flugwind sich ändert; je kleiner dieser Neigungswinkel, desto weiter wandert der 
Widerstandspunkt gegen den ruft also regulierend und 
vorderen Flachenrand. Hat selbststeuernd eine Schwä- 
z. B. (Fig. 14) das untere chung des drehenden und 
Kräftepaar eine Drehung des 
Apparats bewirkt, so ist da- 
durch der Neigungswinkel 
gegen den Flugwind ver- 
kleinert, und die Angriffs- 
punkte P und Pı sind gleich- 
zeitig nach P und Pi! vor- 


eine Verstärkung des hem- 
menden Kräftepaares hervor. 
Innerhalb welcher Grenzen 
die Verschiebung des Wider- 
standspunktes allein genügt, 





den Apparat während des 
Fluges aufrecht zu erhalten 


^ : : Fig. 14. 
gerückt. Die Drehung allein und vor starken Schwankun- 


gen, Oscillationen und Rotationen zu sichern, haben die eben mitgeteilten Versuche mit 
den verschiedenen Fallkórpern dargethan. 

Denkt man sich den Schwerpunkt aus der indifferenten Mittellage noch weiter 
gegen die obere Flugflache verschoben, so ist die Stellung positiv nachteilig für die 
Stabilität, denn die Drehung des unteren Kraftepaares wird durch die dann eintretende 
Verschiebung des unteren Epicentrums noch verstärkt, während doch nur eine geringe 
Vergrosserung des Momentes des oberen, hemmenden Paares eintritt. Der Apparat hat 
daher die Tendenz überzukippen und oscillatorisch mit der oberen Fläche nach unten 
fortzuschweben oder zu rotieren. 





^ 
« 


Die obigen Mitteilungen über doppelflächige Flugkórper bezogen sich zunächst 
auf solche Apparate, deren Flächen gleichgross und senkrecht übereinander befestigt waren. 
Die ermittelten Bedingungen des Gleichgewichts und der Stabilität haben aber ganz all- 
gemeine Gültigkeit für jeden beliebigen, symmetrisch gestalteten Flugapparat. Immer ist 
für das ruhige Schweben erforderlich, dass die Summe der Momente der vor der Epi- 
centrale — d. h. Lotlinie durch den Schwerpunkt — liegenden Kráüftepaare gleich ist der 
Summe der Momente der hinter der Epicentrale angreifenden Paare; und die Stabilität 
ist um so grösser, je tiefer der Schwerpunkt unterhalb des mittleren Fláchenniveaus liegt. 

Sind die Luftwiderstände, welche zwei mit einander verbundene Flugflüchen 
erfahren, von verschiedener Grösse, — sei es, weil die Flächen ungleich gross, verschieden 
geformt oder geneigt sind, oder weil der Zustand der durchschnittenen Luft veränderlich 
Ist, — so stellt sich der Apparat durch eine entsprechende Drehung so in die Gleich- 
gewichtslage cin, dass, wie in Fig. 15, die Abstände der Widerstandspunkte von den 
Epicentren sich umgekehrt verhalten, wie die zugehörigen Widerstände: w:wi == PE PL, 
woraus dann folgt: wie PiE -w- PE, das ist die Gleichheit der Momente der entgegen- 


gesetzt wirkenden Kraftepaare, das Gleichgewicht. 


e. 
vw 


18 


Vorausgesetzt ist bei allen diesen Betrachtungen, dass die Flugapparate in 
seitlicher Richtung völlig symmetrisch gebaut, oder dass doch die Luft. 
widerstände an den gegeniiberliegenden Hälften gleichwertig und symmetrisch sind. Ist 
diese Bedingung wegen mangelhafter Konstruktion oder wegen der Ungleichförmigkeiten 
der bewegten Luft nicht erfüllt, so liegt auch die Resultante des Widerstandes nicht 
mehr in der durch den Schwerpunkt gehenden vertikalen Symmetrieebene, sondern seitlich 
davon. Daher ergeben sich jetzt aus Widerstand und Schwerkraft Kräftepaare, welche 
den Apparat auch in seitlicher Richtung (frontal) zu drehen streben. Der Apparat wird 





Fig. 15. Fig. 16. 


dadurch nicht nur in der Richtung von vorn nach hinten, sondern auch seitlich geneigt, 
und die translatorische Resultante ist alsdann nach vorn und seitlich gerichtet. Letztere 
erteilt dem Apparat eine seitliche Beschleunigung, die ihn fortwährend aus seiner Richtung 
ablenkt, sodass er auf spiraliger Schraubenbahn fortschreitet. 


e 
Um diese Verhältnisse im einzelnen näher zu verfolgen, hat man das Kraftepaar 
we P E (Fig. 16), zu zerlegen in ein seitlich drehendes wi» IE und ein in der Symmetrie- 
ebene wirkendes wke KE. 


Bezeichnet man dann den Arm PE mit a, und den Winkel PEK, den diese 


Strecke mit der Symmetriecbene bildet mit 9, so erhalt man, da I E = a sin 3 und 
wi — we. sin 3: 

wie [E ma-wesin ? 3 und ebenso wk. EK =a. w. cosp 
als Momente der beiden Kräftepaare, deren Summe =a. w ist. 





Die Herstellung des Gleichgewichts vollzicht sich für beide Kräftepaare genau 
in der Weise, wie es oben fur die in der Symmetriecbene lievenden Paare eingehender 
besprochen wurde. Die Drehung, welche die Kräftepaare bewirken, hat zur Folge, dass 
das Epicentrum E und der Widerstandspunkt P einander. enteegen wandern, bis sie bei 
einflächigen Apparaten schliesslich beide zusammentallen, und somit die Kräftepaare selbst 
verschwinden. Bei doppelflachigen Apparaten geht die Drehung nur so weit, dass die 
Kräftepaare beider Flachen symmetrisch um die Epicentrale — d. i. die durch den Schwer- 


19 


punkt 5 gehende Vertikale — angeordnet sind und sich paarweise das Gleichgewicht 
halten. Dies ist der Fall, wenn die Widerstandspunkte P und Pi (Fig. 17 mit den Epi- 


centralen E E, in einer Ebene 
liegen, und wenn die Ent- 
fernungen der Widerstands- 
punkte von den Lpicentren 
im umgekehrten Verhältnis 
zu einander stehen, wie die 
zugehörigen Widerstände. 
Um die translatorische 
Resultante zu bestimmen, 
denken wir die Resultante p 
der Schwerkraft in ihrer 
Richtung, — der Epicentrale — 
verschoben, und von ihrem 
Betrage soviel in E und Eı in 
Anspruch genommen, als zur 
Bildung der Kräftepaare des 


Fig. 17. 





P 


Luftwiderstandes erforderlich 
ist. Wieaus nebenstehender, 


in der Ebene der Krafte- 
paare ausgeführten Kon- 


struktion (Fig. 18) ersichtlich, 
ist dieser Anteil von p am 
Epicentrum E gleich 

: we 

E OQ = -—- 


sin «. 


Bildet man ihre geome- 


trische Differenz mit — w, 
so erhält man als trans- 
latorische Seitenkraft der 
Schwere: 
En 
COS (t. 


Dieselbe liegt in der Flugflache in der Richtung des Armes PE des Kraftepaares 
und ist nach vorn und seitwarts gerichtet. 


E: Ti ergiebt sich event. an der 
oberen Flugfläche des Apparats. 
Beide wirken neben dem Rest der 
Schwere (p-2EQ) beschleunigend 
auf den Korper ein, oder halten, 
sofern der Flug mit gleichfórmiger 
Geschwindigkeit — fortschreitet, den 
hemmenden Luftwiderständen das 
Gleichgewicht. 

Die letzteren sind bei allen natür- 
lichen und guten künstlichen Flug- 
apparaten minimal, solange die Rich- 
tung der Fortbewegung in die Sym- 


samtheit als horizontale Steuerflächen bezeichnen. 


in der Symmetriecbene hinten 
angebrachte 
Trifft nun ein seitlicher Wider- 
stand diese Fläche z. B. im 
Punkte M (Fig. 19), so bildet 
er mit dem seitlichen Teile der 
in der 


vertikale Fläche. 


Flugflache liegenden 


Fig. 18. 


Line gleich starke und gleichgerichtete Kraft 





P 





metricebene des Körpers fällt, d. h. 
solange die Bewegung im Medium 
Sobald 


aber die Bewegungsrichtung mit der 


geradcaus nach vorn geht. 


Symmetrieebene einen Winkel bildet, 
oder der Flugwind schräg seitlich 


auf den Apparat trifft, nimmt der 


nicht tragende seitliche und der 
hemmende, oder  Stirn-Widerstand 


zu, da die Luft nun gegen alle nach 
unten und oben vortretenden, nicht 


tragenden Flächen einwirkt. Man 
kann diese Flächen in ihrer Ge- 


Lilienthal ersetzte sie durch eine 


_ translatorischen Komponente ET 

ein Kraftepaar, welches den 
ganzen Apparat um cine vertikal 
zur Flugfläche stehende Achse 
dreht, bis derselbe die Stellung 
des geringsten Widerstandes 
angenommen hat. DieseStellung 


ai 
, 


x 


20 


aber kann den Apparat nicht erreichen, so lange der tragende Widerstand unsymmetrisch 
auf die Flugflachen verteilt ist. So lange dies der Fall ist, findet daher auch die Drehung 
der Flugflächen statt. Wie diese fortwährend und ebenmassig ihre Richtung ändern, 
so auch die Flugbahn, die daher den spiraligen Verlauf einer Schraubenlinie an- 
nehmen muss. 

Ein wichtiges Glied im System der Flugkräfte bedarf noch einer näheren Be- 
leuchtung. Es ist die Frage, wie der Schub der translatorischen Komponente E T auf 
den Schwerpunkt wirkt, oder welchen Einfluss die Höhe des Epicentrums über 
dem Schwerpunkt auf den Gang der Flugbewegung ausubt. 


Da die translatorische Komponente E T nicht im Schwerpunkte S selber, sondern 
in dem oberhalb desselben liegenden Epicentrum E angreift, so muss sie eine Drehung 
des ganzen Systems um den Schwerpunkt bewirken, wie eine seitliche Kraft, die ein 
stabförmiges Pendel in Bewegung setzt. Die Intensität dieser Drehung ist offenbar von 
der Entfernung des Epicentrums vom Schwerpunkte dem Epicentralabstande oder der 
epicentrischen Höhe — ab- | Zeit wird die Kraft ET ge- 
hangig. Je weiter diese beiden : | 





brauchen, um die Masse des 


Punkte auseinander liegen, oder p AE p JE T LS ganzen Systems in Bewegung 
je tiefer der Schwerpunkt liegt zu setzen, desto langsamer, 
(Fig. 20 IL, IL), desto energi- S ruhiger wird also die drehende 
scher und schneller wird auch S = Bewegung verlaufen. Nur für 
die Drehung erfolgen; und je p den Fall, dass der Schwer- 
dichter der Schwerpunkt unter I H ag punkt in der Flugfläche liegt 
dem Epicentrum resp. der P ER (Fig. 20 HI), S und E also zu- 
Flugflache liegt, desto mehr EE sammenfallen, würde die Kraft 


E T nicht drehend, sondern rein translaturisch wirken. Dieser Fall ist aber, wie. weiter 
oben des Näheren gezeigt wurde, mit dem Nachteil verbunden, dass die auf andere Weise, 
durch Unregelmassigkeiten des Luftwiderstandes erzeugten Schwankungen leicht zu einem 
vollen Umkippen der Flugflächen führen, und zu einem Übergang der Flugbewegung in 
Rotation und Absturz. 

Die Drehung des Systems, welche die epicentrische Triebkraft ET hervorruft, 
hat nicht notwendig eine volle Rotation zur Folge. Denn mit der beginnenden Drehung 
wird ja der Neigungswinkel der Flächen gegen den Flugwind verkleinert, und daher die 
Resultante des Luftwiderstandes zwar verringert, aber auch vom Epicentrum fort nach 
vorn verschoben, während zugleich das Epicentrum nach der entgegengesetzten Seite 
wandert. So entsteht denn schnell ein energisch wirkendes Kräftepaar, das die begonnene 
Drehung hemmt und umkehrt, und so statt der Rotation eine oscillatorische Schwankung 
in die Erscheinung treten lässt. Auch das zurückdrehende Kräftepaar wirkt um so 
kraftiger und schneller, je tiefer S unter E liest, da dann die Verschiebungen des 
-picentrums um so ergtebiger sind. 

Es zeigt sich also, dass die unvermeidlichen Schwankungen eines Flug- 
apparates um so kürzer und heftiger sind, je tiefer der Schwerpunkt unter 


+ 


21 
dem Epicentrum liegt; gerade so wie die Schlingerbewegungen eines Schiffes, deren 
Schwingungsdauer verkürzt wird, wenn der Abstand des Metazentrums vom System- 
schwerpunkte zunimmt. *) 

Die Schwankungen der Flugapparate hängen übrigens nicht ausschliesslich von 
der epicentrischen Höhe ab. Auch solche Flugkörper, deren Epicentrum und Schwerpunkt 
in der Flugfläche zusammenfallen, deren epicentrische Höhe daher gleich Null ist, 
erleiden regelmässig Schwankungen, wenn sie aus dem Zustande der Ruhe in den des Fluges 
— (bis zur annähernd konstanten Geschwindigkeit) — übergehen, und umgekehrt; oder 
mit andern Worten: solange die Fluggeschwindigkeit zu- oder abnimmt. Denn da nach 
den Avansint schen Versuchen der Widerstandspunkt mit der Geschwindigkeit der Flug- 
bewegung oder der Stärke des Flugwindes seine Lage ändert, so kann kein ruhiges, 
schwankungsfreies Gleichgewicht bestehen, solange die Fluggeschwindigkeit keine kon- 
stante ist. 

Praktisch ist eine solche konstante Fluggeschwindigkeit, ein gleichförmiger Flug- 
wind (= relativer Gegenwind der Autoren) überhaupt nicht erreichbar, da es eine völlig 
ruhige Luft im Freien nicht giebt, und die unregelmässige Struktur der bewegten Luft 
stets Schwankungen des Flugwindes und der Flugapparate hervorrufen muss. Die Ursachen 
der Schwankungen liegen also nicht in irgend welchen Eigenschaften des Apparats, sondern 
in der Natur des Luftwiderstandes. Die Lage des Schwerpunktes, die epicentrisclfe Höhe, 
ist nur, wie wir sahen, von Einfluss auf die Form, den Verlauf der Schwankungen, denn, 
sobald die Drehung beginnt, wird bei tiefer Schwerpunktslage durch die Verschiebung des 
Epicentrums schnell die Hemmung und Umkehr der Schwankung eingeleitet. Liegt dagegen 
der Schwerpunkt in der Fläche, so kann auch eine Hemmung nicht mehr durch Verschiebung 
des Epicentrums, sondern nur durch Wanderung des Widerstandspunktes bewirkt werden, 
da dann eben nur der letztere, nicht aber das mit dem Schwerpunkte zusammenfallende 
Epicentrum seinen Ort wechseln kann. 


Für die rationelle Konstruktion von passiven Flugkörpern sind diese Verhältnisse 
von Bedeutung. Soll ein solcher Apparat für steile, ungünstige Absturzwinkel (die leicht 
Rotationen hervorrufen können) und in freier, bewegter Luft Verwendung finden, so wird 
man der möglichen Katastrophe durch tiefere Anordnung des Schwerpunktes innerhalb 
gewisser Grenzen vorbeugen können. Freilich wird man dabei unter Umständen energische 
Schlingerbewegungen, wie bei ,steifen'* Sceschiffen mit in den Kauf nehmen müssen. Für 
ruhigere Luft und günstige Abflugwinkel wird man dagegen die epicentrische Hóhe ohne 
Gefahrerhóhung verringern dürfen und damit dem Fluge einen gleichformigeren, ruhigeren 
Charakter verleihen. Die folgenden Untersuchungen werden übrigens zeigen, dass die 
Schwankungen auch noch durch andere konstruktive Mittel wesentlich zu beeinflussen sind. 


*) Nach einem Vortrage über :Stabilitit von Schiffens (Annalen der Hydrographie und marit. Meteoro- 
logie, November 1896), den Herr Prof. Flamm (Charlottenburg) in der Mathematischen Gesellschaft zu 
Hamburg hielt, beträgt die Entfernung des Metazentrums vom Systemschwerpunkte ca. 400 bis 800 Millimeter, 
Bei Kriegsschiffen wird sie manchmal aus besonderen Rücksichten grösser gewählt, Die Schlingerbewegungen 


sind daher auf Kriegsschiffen oft heftiger, als auf Kauffahrteischiffen, 


>>) 
a Ao 


o. Einfluss der Excentricität des Schwerpunktes resp. 
Epicentrums auf den Verlauf des Fluges. 


Wenn man zwei gleich grosse und gleichbelastete freischwebende Tafeln unter 
gleichem Neigungswinkel einem und demselben Luftstrome aussetzt, so erfahren beide 
denselben \Viderstand und dieselbe Drehung, solange die Schwerpunkte resp. Epicentren 
dieselbe Lage haben. Denn bei gleich grossem Widerstande ist das Moment des drehenden 
Kräftepaares allein von dem Abstande des Widerstandspunktes P vom Epicentrum abhängig. 


Liegt nun das Epicentrum der ersten Tafel näher nach der Tafelmitte, also weiter 
von P entfernt, während es bei der zweiten Tafel mehr excentrisch, dem Vorderrande 
und dem Punkte P näher liegt, so ist auch das Moment und die Drehung des Krafte- 
paares der ersten Tafel stärker, als bei der zweiten. Die erste Tafel wird demnach in 
heftigere Schwingungen geraten, als die zweite, und wir erhalten damit das weitere 
wichtige Ergebniss, dass die Schwankungen der Schwebkórperabnehmen, 
wenn die Excentricität des Epicentrums zunimmt (innerhalb der unten zu 
bestimmenden Grenzen seiner Verschiebbarkeit). 

Die Excentricitit des Epicentrums lässt sich dadurch steigern, dass man den 
Schwerpunkt näher gesen den Vorderrand der Fläche verschiebt. Es fragt sich nun, wie 
weit? — Die folgenden Betrachtungen, die zugleich die experimentelle Bestätigung des 
letzten Ergebnisses enthalten, mögen darüber Aufschluss geben. 

Ein einfaches Stück steifes Papier oder Karton schwebt nur dann im Gleichgewicht, 
wenn cs aus genau horizontaler Lage in ruhiger Luft genau der Lotlinie folgen kann. 
Das Epicentrum fällt hier mit dem Schwerpunkte und Flächenmittelpunkte zusammen. Die 
Excentricität des Epicentrums ist also gleich Null und die Empfindlichkeit eines solchen 
Flugkórpers für Schwankungen muss die denkbar grösste sein. Die Versuche bestätigen 
dies. Die geringste Abweichung des Neigungswinkels, sowie jede auf andere Weise 
entstehende ungleiche Verteilung des Luftwiderstandes ruft Schwankungen hervor, die im 
Verlauf der Fallbewegung nicht wieder zur Ruhe kommen, sondern schliesslich in starke 
Oscillationen und Rotationen übergehen. In der freien, stets bewegten Luft ist es daher 
ganz unmöglich, cin Stück Karton aus grösserer Höhe ohne alle Schwankungen herab- 
schweben zu lassen. Durch Tieferlegen des Schwerpunktes unter die Fläche lässt sich 
die Stabilität so weit herstellen, dass keine Rotationen mehr eintreten; aber die Schwankungen 
werden dadurch doch nicht völlig aufgehoben, da ihre äussere Ursache bestehen bleibt. 

Ein flugartiges, scitliches Vorwartsschweben findet erst statt, wenn der Schwer- 
punkt und das Epicentrum seitlich vom Flachenmittelpunkte liegen. Ist die Excentricität 
eine geringe, so zeigen die Versuche, dass das Schweben auch nur (innerhalb enger 
Grenzen). bei einem bestimmten anfänglichen Neigunewinkel erfolgt, d. h. dass schon 
geringe Widerstandsditterenzen hinreichen, Schwankungen von grosser Intensität zu erzeugen. 
Leicht. treten Oscillationen auf, die, wie bei den vorigen Versuchen, in dauernde Rotationen 
übergehen. 


to 
4 


Steigert man die Excentricitat des Schwerpunktes, so zeigt sich, dass das Fort. 
schweben ergiebiger wird und dass es innerhalb eines weiteren Spielraumes der anfanglichen 
Neigungswinkel stattfindet. Eine grössere Stabilität der Bewegung ist die unverkennbare 
Folge der weiteren Verschiebung des Schwerpunktes. Mit der Verringerung des Winkels, 
den die schwebende Tafel mit der Flugbahn bildet, nimmt die Fluggeschwindigkeit zu, 
der Flugwind wird stärker, und die durch die herrschenden Luftströmungen hervorgerufenen 
Unregelmässigkeiten üben einen relativ geringeren Einfluss auf den Flug aus. 

Da somit für das schnelle und möglichst horizontale und stabile Schweben 
möglichst kleine Neigungswinkel der Tafel gegen die Bahn anzuwenden sind, so ist aus 
diesem Grunde eine Verschiebung des Schwerpunktes bis zu derjenigen Entfernung vom 
Flachenmittelpunkte geboten, bei welcher der Druckmittelpunkt alsdann seine Stelle hat. 

Allein die Verschiebung des Schwerpunktes hat ihre Grenze, die nicht ohne 
Störung des Fluges überschritten werden darf. | 

Diese Lage ist wenigstens für quadratische Flächen nach der Formel Lord 
Rayleigh’s zu bestimmen. Für anders gestaltete Flächen fehlt es an experimentellen 
Bestimmungen, bis auf die Angabe Avansznz’s, dass der Druckmittelpunkt um so weiter 
nach vorn wandere, je grösser der vordere Flächenrand im Verhältniss zur Flächenbreite ist. 


Verlegt man nun aber den Schwerpunkt bis an die Verschiebungs- 
grenze, und übergiebt die Tafel der Fallbewegung, so zeigt sich, dass überhaupt kein 
Schweben stattfindet, sondern die Karten fallen steil zu Boden, wie wenn der Schwerpunkt 
ganz an dem voraufgehenden Rande lage. 

Warum schwebt die Tafel nun nicht mehr? — Weil bei dieser extremen Lage 
des Schwerpunktes der Widerstandspunkt nur noch einseitig zwischen dem Flächen- 
mittelpunkte und dem Schwerpunkte wandern kann, ohne den letzteren nach vorn über- 
schreiten zu können. Daher entsteht jetzt, wenn mit zunehmender Fallgeschwindigkeit 
der Widerstandspunkt von seiner äussersten Stelle ein wenig gegen den Flächenmittelpunkt 
hin zurücktritt, wohl ein vorwärts drehendes Kräftepaar, welches die Tafel in die vertikale 
Ebene einzustellen strebt, aber es kann kein zweites entgegengesetztes Paar zustande 
kommen, das die Rückwärtsdrehung vollführte, weil eben der Widerstandspunkt nicht 
weiter als bis zum Schwerpunkte vorwärts kommen kann. 

Es folgt aus diesen Betrachtungen, dass ein Schwebapparat mit unveränder- 
lichen Flugflächen nur dann seinen Zweck erfüllen kann, wenn der Schwer- 
punkt nicht bis in die extreme vordere Lage des Widerstandspunktes 
vorgeschoben ist. Der Schwerpunkt muss vielmehr einwenig hinter diesem Orte 
zurückbleiben, wenn nicht statt des Fluges ein Absturz erfolgen soll. 

Da diese Bedingung durchaus zwingend ist, so folgt wieder, wie schon früher, 
dass kein Schwebapparat mit festen Flächen denkbar ist, der nicht auf 
Änderungen der Intensität des Widerstandes mit dynamischen Schwankungen 
antwortete. Die Schwankungen sind also unvermeidlich, sie lassen sich aber durch 
geeignete Anordnung des Schwerpunktes soweit einschränken, dass sie nur noch mit 
minimalem Nachteil fur den Flug verbunden sind. 


2d 


Am vollkommensten gclingt dies allerdings erst, wenn während des Fluges der 
Abstand des Schwerpunktes vom Flächenmittelpunkte geändert werden kann, sei es durch 
Verschiebung der Belastung, wie bei O. Lifenthal’s Flugversuchen und den Vögeln, die 
durch ungleiches Ausstrecken des Halses und der Beine das Gleichgewicht ihrer Langsachse 
beeinflussen können, sei es durch steuernde Einstellung der Flugflächen. Die Flugtiere 
bedienen sich meist des letzteren Mittels. Wenn sie mit kleinstmóglichen Neigungswinkeln 
und grosser Fluggeschwindigkeit die Luft durchschneiden, so pflegen sie die Flügel caudal- 
würts zurückzunehmen und zu verkleinern. Der Widerstandspunkt wird dadurch so dicht 
an den Schwerpunkt gerückt, dass die Schwankungen leicht und gleichsam in statu nascendi 
durch die Reflexbewegungen des Schwanzsteuers etc. unterdrückt werden können. Bei den 
grossen Schwebern und Seglern kommt hinzu, dass sie schon vermöge der Trägheit ıhrer 
grösseren Masse und der Kleinheit ihrer. Flugfläche unempfindlicher gegen geringere 
Intensitätsschwankungen des I‘lugwindes sind. 

Endlich bleibt die Elasticitat des Materials aller natürlichen Flugapparate hervor- 
zuheben. Dies Material, das die Natur mit einer ans Wunderbare grenzenden Biegsamkeit 
und ElJasticitat ausgestattet hat, wird durch die normale Belastung keineswegs bis zur 
Elasticitatserenze beansprucht. Jeder Luftstoss, den der Vogel künstlich durch seinen 
Flügelschlag hervorruft, bewirkt vorübergehend cine weit stärkere elastische Spannung des 
Apparats, als die beim ruhigen Herabschweben allein wirksame Schwerkraft. Und wenn 
das Schweben in der bewegten freien Luft erfolgt, so bringt jede der unregelmässigen 
Verstärkungen des Widerstandes, welche die Folgen der böigen Struktur des Windes sind, 
cine analoge Erhöhung der elastischen Spannung hervor, wie cin Flügelschlag (nur mit 
dem Unterschiede, dass hier, beim Flügelschlag, die Flugmuskulatur aktiv und der I.uft- 
widerstand passiv ist, während beim Scgeln im Winde der Luftstoss aktiv gegen die 
widerstandleistende Muskulatur einwirkt), Wie der Rückschlag des Flügels die elastische 
Spannung herabsetzt, so geschieht es auch durch das Abflauen der Böen, ohne dass 
deshalb der ruhige Gang der Flugbewegung durch auffällige Schwankungen gestört würde. 


6. Bedeutung der Flugflächenform für den Gang der Bewegung. 


1. Verhältnis der Länge und Breite der Flugflächen. 

Von ähnlicher Bedeutung wie die I:xcentricitat des Epicentrums ist das Verhältnis 
der Länge und Breite der Flugflächen. Nach den Versuchen Arvanzın!'s haben lange 
und schmale Flächen, deren langer Rand bei der Bewegung voraufscht, die Eigenschaft, 
dass mit abuchmendem Neigungswinkel der Widerstandspunkt bei ihnen weiter gegen 
den Vorderrand wandert, als bei quadratischen oder anders orientierten rechteckigen 
Flächen. Es kann daher auch der Schwerpunkt resp. das Epicentrum an solchen Flächen 
weiter nach vorn verlegt werden, ohne dass dadurch die Gefahr des Absturzes erhöht 
wird. Die Versuche Zaug/ej's haben gezeigt, dass solche Flächen bei kleinen Neigungs- 
winkeln gegen den L.uftstrom einen grösseren nützlichen Luftwiderstand erfahren, als 


ty 


(Jt 


anders gestaltete oder orientierte Flächen. Schmále, excentrisch belastete Flugflächen 
werden also auch noch bei solchen kleinen Neigungswinkeln schwebend getragen, bei 
denen breitere bereits abstürzen, und wenn durch Schwankungen cine Verkleinerung des 
Neigungswinkel erfolgt, so wird dies bei der schmalen Fläche zu weniger empfindlichen 
Flugstórungen führen, als bei der breiten, die schmale wird sich aus der gefährlichen, 
steilen Stellung eher wieder aufrichten, als die breitere. Der Widerstand greift eben bei 
der schmalen Fläche stärker und weiter vorn an, als bei der breiteren, daher kann auch 
das den Vorderrand aufwärts drehende Kräftepaar leichter und stärker hervortreten, als 
bei den breiten Flugflächen. 


Meine Versuche mit excentrisch belasteten Falltafeln bestätigen dies Ergebnis in 
vollem Umfange. Die langen und schmalen Tafeln zeigten eine auffallend grössere 
Gleichförmigkeit der Flugbewegung, und führten diese Bewegung ohne Rückschlag oder 
Rotation innerhalb eines doppelt bis dreifach weiteren Spielraums der anfänglichen 
Neigungswinkel aus, als die breiten Tafeln. Die lange und schmale Form der 
Flugflachen ist daher besondes gecignet, den schädlichen Einfluss der 
Schwankungen herabzumindern. 


Die Natur hat diese Flügelformen den Vögeln vom Albatrostypus, den Möven 
und Sturmvögeln verlichen, die dadurch befähigt sind, in der von Sturm und Wind 
erregten Luft über den Oceanen ihre viel bewunderten Ilugmanöver auszuführen, wo 
selbst die besten breitflügelisen Ruder- und Segelvögel, wie die Adler, den Schwankungen 
unterliegen. 


Die langen Flügel haben jedoch auch ihre Nachteile, die hier nicht übergangen 
werden können. Zunächst kann die grosse Klafterweite langflügeliger Apparate leicht zu, 
Havarien führen, wenn beim Ab- und Anflug der Apparat bei geringer seitlicher Neigung 
den Boden mit den Flügelspitzen berührt, oder wenn beim Fluge der freie Luftraum 
nicht die nötige Breite hat. Dass die langen Flügel sich für die Ausführung activer 
Flügelschläge weniger gut, als zum Schwebefluge eignen, möge hier nur nebenbei bemerkt 
sein. Für grössere Neigungswinkel (Flügelschlag) liefern die schmalen Formen nicht mehr 
den genügenden Widerstand. 


Nicht zu unterschätzen sind auch die konstruktiven Schwicrigkeiten, den langen 
Flügeln die nötige Festigkeit zu geben. Man denke nur an die im proximalen Teile 
fast armartig runden Flügel des Albatros. 


Die oben eingehend besprochenen doppelflächigen Apparate verbinden den 
Vorteil der grossen Vorderrandlänge mit dem der geringen Klafterweite, sind aber dafür 
stärkeren (epicentrischen) Schwankungen ausgesetzt, wenn der Schwerpunkt nicht weit 
genug über die untere Fläche gerückt wird. 

Jalousieartiee Änderungen von schmalen Flueflächen, wie sie sich an den Spitzen 
der Flügel von grossen Raub- und Stelzvögeln finden, liefern beim Flügelschlag guten 
Antrieb nach vorn, bei geringer Tragfähigkeit, und spielen beim Segeln die Rolle kleiner 


4 


20 


Sonderflügel von grosser Vorderrandlange. Da sie mit ihren Spitzen leicht empor 
gekrümmt sind, so tragen sie, wie sich aus dem Folgenden ergeben wird, auch nicht 
unwesentlich dazu bei, seitliche Schwankungen zu dämpfen, und die Gleichförmigkeit des 
Fluges in diesem Sinne zu erhalten. 


7. Frontalprofile der Flugflächen. 


Die vorangegangenen Untersuchungen bezogen sich auf solche Flugapparate, deren 
symmetrische Flachenhalften Ebenen waren, die zur Symmetrieebene senkrecht standen, 
Es soll nun die Frage erörtert werden, wie sich die mechanischen Verhältnisse gestalten, 
wenn die Flächenhälften Winkel bilden, die von go° abweichen. 

a. Die beiden symmetrisch geformten Flugflächenhälften liegen mit ihren freien 
Enden höher, als mit ihren Basen und bilden somit gegen die vertikal gedachte Symmetrie- 





ebene einen spitzen ersichtlich, dass der Ge- 
Winkel « (Fig. 2ı). Da A | B samtwiderstand, den sie 


beim Fluge in der Luft 
erfahren, geringer ist, als 
wenn sie beide in einer 
horizontalen Ebene lagen, 


die beiden Flachen einen 
mit der Schneide nach 
unten gerichteten Keil 
bilden, so ist zunächst 
denn mit der Grösse des Keilwinkels 2 « wird auch in irgend einer gesetzmassigen Weise 
der Widerstand abnehmen. Auf den absoluten Betrag kommt es an dieser Stelle nicht an. 

Bezeichnen wir mit P den Angriffspunkt der Resultante des Widerstandes an 
jeder Flache, so stellt die gerade Verbindungslinie PP die mathematische Lànge beider 
Flugflachen dar. Die durch den Schwerpunkt S gehende Senkrechte (lipicentrale) halbiert 
die Strecke PP im Epicentrum E. 

Wie der Gesamtwiderstand, den solche Flachen erfahren, so steht auch die epi 
centrische Höhe SE in einer gewissen Abhängigkeit von dem Keilwinkel «. Denn mit 
der Abnahme dieses Winkels müssen auch, nach den Versuchen Avanzini's, die Widerstands- 
punkte P in bestimmter oder bestimmbarer Weise gegen die Keilschneide S vorrücken. 
Ohne diese sekundare Verschiebung 
wurde die Hohe ES einfach mit 
dem cos « wachsen und abnehmen : 
Ecce cos NE 


Die Verschiebung. der Wider- 





standspunkte lasst erkennen, dass 


IF ` 


die Verringerung des Widerstandes 
solcher Keilflächen, besonders durch 





eine Entlastung der distalen Flügelareale, der Flugelspitzen, bewirkt wird. Die Flugbahn 
so gestalteter Schwebkorper ist natürlich bei kleinem Keilwinkel steiler, der Flug, ent- 
sprechend der epicentrischen Flöhe, steifer, als bei zur Ebene ausgebreiteten Flügeln. 


Die Tauben sieht man oft mit hochgchobenen Flügeln (auf kurze horizontale Entfernung) 


to 


M 


steil herabschweben; bei bewegter Luft treten dann heftige, kurze Schwankungen auf, 
die der Vogel anscheinend nur mit Mühe beherrscht. Die Taubenflügel sind im ganzen 
platt, und ihre Frontalprofile weisen daher Typen auf, wie Fig. 22, I und IH. Solche 
Formen ergeben in der Keilstellung immer noch geringe epicentrische Höhe und daher 
auch erträgliche Schwankungen. Sind aber die Flügel unterseits hohl oder gar geknickt, 
(Fig. 22 HI und IV), so haben sie in der Keilstellung stets erhebliche epicentrische Höhe 
und demnach auch starkes Schlingern beim Herabschweben. Diese Unsicherheit scheint 
die meisten Vögel an der Ausführung des steilen Ilerabschwebens zu verhindern. Man 
sicht cs nur selten. 

Symmetrische Verschiebungen der Widerstandspunkte gegen den vorderen Flügel- 
rand rufen an keilförmigen Flugflächen ganz analoge Schwankungen hervor, wie an den 
früher betrachteten ebenen Flächen. Man kann in dieser Beziehung die keilformig 
gestellten Flügel durch eine aequivalente ebene FIngfliche ersetzt denken, die durch die 
beiden Widerstandspunkte P geht und die dasselbe Epicentrum E hat. 

Ist dagegen der Widerstand unsymmetrisch auf die beiden Flügel verteilt, so 
erweist sich die keilförmige Anordnung der Flugflächen wesentlich zweckmässiger, als die 
einfache, einheitliche Ebene. Sobald nämlich in Folge eines vorübergehenden einseitigen 
Luftstosses der Apparat eine seitliche Neigung erleidet, ändern sich die Neigungswinkel 
der beiden keilförmig stehenden Flügel gegen die Flugrichtung, während bei der gestreckten 
lFlugflache beide Ilalften stets die gleiche Neigung gegen den Flugwind beibehalten. So 


a 





IV V W 


Fig. 23. 


€ 


kann es kommen, dass der linke Flügel horizontal steht, (Fig. 23 I, der andere dagegen 
einen spitzen Winkel gegen den Horizont bildet. Es bedarf nur dieses Hinweises. um 
erkennen zu lassen, wie dadurch das rechts drehende Moment des Widerstandes an dem 
linken Flügel erheblich grösser werden muss, als das links drehende des rechten. schräg 
stehenden Flügels Die normale, symmetrische Stellung des Apparats wird also schnell 
wieder hergestellt werden, schneller als bei einheitlich ebener Flugfläche, wo an dem linken 
Flügel mit der seitlichen Neigung keine so wesentliche Verstärkung des Widerstandes stattfindet. 

Sind die Flügel an der Unterseite hohl (Fig. 23 H) oder mit der Spitze (Schwinge) 
abwärts geknickt (IID, so wird dadurch der Vorteil ihrer keilfórmigen Stellung wieder 
aufgehoben oder wenigstens eingeschränkt. Denn in demselben Masse, wie mit der 


* 


4 


29 


steileren Stellung der Widerstand an der Spitze des tiefer liegenden Flügels abnimmt, 
wird er an der Spitze des höher liegenden verstärkt, da dieser Flachenteil sich der 
vorteilhaften Horizontalstellung nähert. Der Widerstandspunkt des tieferen Flügels 
wandert daher gegen dessen Basis, der des höher liegenden gegen die Spitze. Es liegt 
somit hier die Möglichkeit vor, dass das Kräftepaar, welches die seitliche Drehung des 
Apparats verursacht hatte, durch die Drehung selber soweit verstärkt wird, dass eine 
ernstliche Störung der Flugbewegung, ein seitliches Ueberschlagen oder Kentern erfolgt. 
Diese Gefahr ist gering, solange die umgelegenen Spitzen klein sind (Fig. 23 IV), sie 
wird aber um so grösser, je grösser die nach unten gebogenen oder geknickten Areale 
der Flügelspitzen sind (Fig. 23 V), und sie erreicht ihr Maximum, wenn endlich die 
ganzen Flugflächen abwärts gerichtet sind (Fig. 23 VI), und die Schneide des Keiles, den 
sie bilden, nicht nach unten, sondern nach oben sieht, oder wenn endlich die ganze 
Flugfläche eine einheitliche Konkavität nach unten besitzt. Derartige Flugflächen sind 
somit für den Schwebflug durchaus ungeeignet, da sie die Tendenz haben, sich umzudrehen 
und mit?der konvexen Seite vorauf die Fall- und Flugbewegung fortzusetzen. Liegt bei 
ihnen der Schwerpunkt dem Scheitel nahe, so befinden sie sich im labilen Gleichgewicht, 
und die Drehung erfolgt momentan, sowie man sie zum Fluge freigiebt. Verlegt man 
aber den Schwerpunkt soweit abwärts, dass er im Epicentrum oder darunter liegt, so 
bleibt doch immer eine grosse Empfindlichkeit des Apparates gegen Widerstands- 
schwankungen bestehen, da sich, wie gezeigt, mit jeder begonnenen Schwankung die 
Widerstände zu Gunsten des drehenden Kräftepaares ändern. Und eine sehr tiefe An- 
ordnung des Schwerpunktes, die dem allein entgegenwirken könnte, bringt den weiteren 
Nachteil epicentraler Schwankungen des Apparats hinzu. 

Aber alle Nachteile der unterwärts konkaven Flugfläche verwandeln sich ın 
cbensogrosse aviatische Vorteile, sobald der Apparat die Drehung nach der Seite des 
geringsten Widerstandes ausgeführt hat und nun die Konvexität seiner Flächen nach 
unten kehrt. Und mehr noch, stand finden, werden in un- 
gleichem Masse beansprucht, 
sobald durch einseitigen Ueber- 
druck eine Schwankung ein- 


als die einfach — keilfórmig 
stehenden Flügel, gewinnen 


dadurch die gewölbten Flug- 


flächen (Fig. 24). Ihre aufwärts 
cekrümmten Spitzen, die in 
normaler Flugstellung jederseits 
den gleichen, schwachen Wider- 





ocleitet ist. An dem höher 
chenden Flügel wendet sich 
dann die Spitze vom Wider- 
stande fort, am tieferen Flügel 


tritt sie aus ihrer Reserve hervor und bietet sich dem widerstandleistenden Medium dar. 
So wird mit der Fläche des tieferen Flügels auch ihr. Widerstand vergrössert, wie er an 
der Gegenseite verringert wird. Da zugleich auch die Angriffspunkte des Widerstandes 
an beiden Flügeln nach der tieferen Seite verschoben werden, so folgt, dass das Kräfte- 
paar am höheren Flügel, welches die Schwankung einleitete, schnell abnimmt, während 
das hemmende Paar am tieferen Flugel ebenso schnell zunimmt und so die weitere Drehung 


erfolvreich zu verhindern im Stande ist. 


20 

Wenn somit über die hohe Bedeutung der emporgekrümmten Flügel für den 
gleichformigen Verlauf des Schwebefluges kein Zweifel mehr bestehen kann, so ist 
andererseits doch auch nicht zu vergessen, dass die Flugflachen in erster Linie zum 
Tragen einer Last bestimmt sind. Bei der Konstruktion künstlicher Flugapparate ist 
daher wohl zu beachten, dass es sich bei der Krümmung der Flügelspitzen nur um einen 
allerdings wichtigen Nebenzweck handelt, und dass die Tragfähigkeit des Areals durch 
Emporbiegen der Flügel geschwächt wird. Man wird also bei rationeller Anordnung 
immer nur soviel von der Flügelspitze emporbiegen lassen, als zur Erreichung des Neben- 
zweckes erforderlich ist, und im übrigen die Tragfähigkeit zu erhalten suchen. Ebenso 
wird man der epicentralen Schwankungen wegen, (die eintreten müssen, wenn ein grósserer 
Teil der Flugflachen wesentlich höher liegt als der Schwerpunkt,) die Krümmungen auf 
das notwendige Mass zu beschränken haben. 


Diesen Ansprüchen genügen auch die natürlichen Schwebapparate der grossen 
Raubvögel und Störche u. a., deren meist aus getrennten Schwungfedern gebildete Flügel- 
spitzen unter der Last des Körpergewichts emporgebogen sind. Bei den Sturmvögeln, 
Móven und anderen Seglern mit unzerteilter Flügelspitze ist die Erscheinung zwar nicht 
so auffällig, aber sie ist doch fast überall deutlich zu beobachten, und wo sie bei grosser 
Steifheit der Flügelspitzen nicht, oder doch nicht in hinreichendem Grade auftritt, wird 
dafür durch leichtes Anheben der ganzen Flügel in die Keilstellung Ersatz geschaffen. 


Die glatte, nicht unterwärts konkave Form ist längst als ein Charakter des Segel- 
flügels bekannt. Wo dennoch vor der emporgebogenen Spitze leichte Hohlungen der 
Vorderkante auftreten, deuten sie auf eine Verstärkung des Widerstandes und auf die 
Verwendung des Flügels zum Ruderfluge. Im Interesse der Vermeidung seitlicher 
Schwankungen beim bestem Erfolge auszu- 
Segeln liegen diese führen, so liegt das 


Höhlungen aber ganz daran, dass ihr ungün- 





gewiss nicht, da sic i stiger Einfluss ganz 
dieselben wcit eher be- , : nach Bedarf durch die 
günstigen, als abschwi- 7 n jederzeitaktionsberciten 
chen. Wenn solche E l'lugmuskeln unter- 
schwache Konkavitiiten a Em drückt werden kann. 

bei den grossen Vógeln Ba v. Wo indessen bei 
kein ernstliches Hinder- P * rein passiven Flugappa- 
nis sind, den Segel- _ N raten die Möglichkeit 
und Schwebflug mit Fig. 25. fehlt, die beginnenden 


seitlichen Schwankungen durch reflexartige, zweckmässiwe Verkleinerungen oder Vergrösse- 
rungen der Tlugflächen, oder auch durch gelegentliche ‚Flügelschläge im Keime zu 
ersticken, da können auch die ventralen Konkavitäten der Ilügcllängsachsen auf die Dauer 
nicht ohne Nachteil bleiben. Man vermeidet daher bei manchen Formen von Papier- 
drachen die unterseitisen Hlöhlungen und sorgt dafür, dass durch die Biegsamkcit 


30 


der Querstützen ein Emporbiegen der seitlichen Spitzen und Flächenteile ermöglicht 
wird (Fig. 25 I). In anderen Fallen, wo das Material diese Biegung nicht gestattet, 
pflegt man die Ränder zu seitlichen Schranken emporzuknicken (Fig. 25 II), um so die 
seitliche Bewegung, das sogenannte »Schiessens, zu hindern. Wo diese Bewegung trotz 
der Vorbeugungsmassregeln eintritt, wird sie durch unvollständige Symmetrie der Flug- 
fläche oder durch ungleiches Gewicht der beiden seitlichen Drachenhälften zn erklären sein. 


Lilienthal verwendete bei doppelflächisen Flugkörpern (Modellen) gleichfalls 
vertikale Flächen, um seitliche Abweichungen von der geraden Fluglinie zu verhindern. 
In der Fig. 26, welche nach einer Abbildung in »Prometheus« Jahrgang 1895 angefertigt 


ist, sind diese Flächen schraffiert _ flächigen Apparats, dessen sich 
l > + Mn 

gezeichnet. Dieselbe Nummer ee” Lilienthal damals bei seinen 

des »Prometheus« bringt auch —— aes persönlichen Flugübungen be- 





zu dem Lilienthal schen Auf. cn 


dient. Man sieht den Apparat 


rn 
satz: »Fliegesport und Fliege- ee in Ruhe und in den ver- 
. . re, TS YU s E 
praxis« eine Anzahl guter schiedensten Stellungen 
Fig. 26. 


Ansichten des grossen doppel- wahrend des Fluges. Es ist 
daran nur eine vertikale Fläche vorhanden, aber diese ist weit hinter den Flugflächen 
angebracht, sodass sie den Apparat wie eine Windfahne in der Richtung des Flugwindes 
festhält. Gegen seitliche Schwankungen ist der Apparat durch schwache Keilstellung der 
Flügel, die Spitze höher als der Flügelgrund, geschützt. Da aber zugleich die Längs- 
rippen der Flügel eine wenn auch nur geringe ventrale Krümmung aufweisen, so ist 
dadurch der Vorteil der Keilstellung wieder eingeschränkt. In ihrer äusseren Gestalt 
erinnern die Flugflächen an den Fledermausflügel; das Vorbild war aber der Flügel des 
Storches gewesen, den /zzenthal so oft mit Bewunderung betrachtete und studierte. 
Warum nun Zrienthal nicht auch die aufsebogene Spitze des Storchfltigels nachbildete, die 
er noch in einem seiner letzten »Prometheus -Artikel so genau in ihrer Form beschreibt, 
entzieht sich meiner Kenntnis; jedenfalls würden wohl dadurch die seitlichen Neigungen 
seines Apparates, die auf den Momentphotographien so deutlich hervortreten (No. 4 
Tf. IV Prometh.), besser vermieden sein, als durch die angewandte Massregel der schwachen 


Keilstellung unterwärts konkaver Flugel. 


8. Querprofile der Flugflächen. 


Die Betrachtungen über die Frontalprofile der Flugflachen lassen sich sinngemäss 
erweitern auf die Quer- oder Sagittalprofile. Diese letzteren sind bekanntlich bei den 
natürlichen und künstlichen Schwebapparaten keineswegs immer gerade Linien, wie wir 
bisher der Einfachheit halber angenommen haben, vielmehr erscheinen sie in ebenso 
mannigfachen Formen, wie die Frontalprotile, und bei der hohen Bedeutung, welche sic 
fur die Art der Flugbewegune haben, ist das Studium der Querprofile von grosster 
Wichtigkeit für die wAviatik, 


Lilienthal hat sich mit der Frage nach dem vorteilhaftesten Flügelquerschnitt 
wiederholt und eingehend beschäftigt. In seinem Buche über den Vogelflug stellt er 
Seite 75 als Kriterium für die beste Form der Flugfläche die Bedingung auf, dass sie 
„in einer gewissen Lage, unter möglichst spitzem Winkel zum Horizont bewegt, eine 
möglichst grosse hebende, das Gewicht tragende, und eine möglichst kleine, die Flug- 
veschwindigkeit wenig hemmende Luftwiderstandskomponente« ergäbe. Von diesem Stand- 
punkte aus hat er Flügelformen von verschiedenartig konkaven und konvexen Querprofilen 
der aérodynamischen Prüfung unterworfen und gefunden, dass unter allen diesen Versuchs- 
flächen die einfach, schwach ventral-konkave Form in hervorragender Weise die gewünschten 
Eigenschaften besitzt. Die Vorzüge dieser Querschnittsform bestehen nach Lihenthal 
nicht nur darin, dass sie eine maximal hebende und eine minimale, hemmende Widerstands- 
komponente liefert; unter Umständen könne an solchen Flächen die hemmende Kompo- 
nente ganz verschwinden und statt ıhrer eine der Bewegung voraufeilende, treibende 
Komponente entstehen. 


Was zunächst den letzten Punkt betrifft, so muss es in hohem Grade überraschen, 
dass eine Fläche, wie immer auch ıhre Form sein mag, eine gegen den Flugwind 
gerichtete Widerstandskomponente ergeben soll, wenn sie wie ein Drachen dem Luftzuge 
ausgesetzt wird. Dass hier ein 
Irrthum vorläge, ist mir keinen 
Augenblick zweifelhaft gewesen. 
Lilienthal hat auch die vor- 
treibende Komponente nicht 
beobachtet, sondern ist nur durch 
eine mechanisch nicht statthafte 
Konstruktion zu ihrer Annahme 
verleitet worden. In seiner 
Fig. 27 (l. c. Seite 78) die in 
nebenstehender Figur 28 wieder- 
vegeben ist, zeichnet er richtig 
als Resultat seiner experi- i 
mentellen \WViderstandsbestim- as f 
mung eine tragende Komponente e ED a 
ph und eine in der Bewegungs- Fig. 28. Fig. 29. 
richtung hemmende pf. Beide 
liefern durch geometrische Addition die Resultante : pf: ph = pk. In Fig. 29 
ist dann pk wieder in zwei andere Komponente pm und pq zerlegt, die aber warnicht 
auf die Bewegungsrichtung rcsp. deren Normale bezogen sind, sondern auf die für die 
Bewegung gleichgültige Schne des bogenförmigen l'lügelquerschnitt. Auf diese Weise 
ergiebt sich dann zwar eine kleine, gegen den Vorderrand des F lügels gerichtete, treibende 
Komponente pm, aber in der normal zu ihr stehenden Komponente pq steckt dafür eine 
die Bewegung hemmende Teilkomponente, die genau um den Betrag von pm grösser ist, 


ala PON de 


Non 





32 


als der gemessene Hemmungswiderstand pf. Der nur konstruierten Antriebskomponente 
pm steht also eine ebenso grosse konstruierbare Hemmungskomponente gegenüber, ohne 
dass dadurch der thatsächlich gemessene Hemmungswiderstand pf verringert, oder gar 
beseitigt worden wäre. Hiernach kann keine Rede mehr davon sein, dass an den unter- 
wärts flach konkaven Flugflächen in gewöhnlicher Drachenstellung eine treibende Widerstands- 
komponente zur Wirkung gelange. 

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch A. von Obermeyer in einem im flug- 
technischen Verein zu Wien gehaltenen Vortrage (Z. f. Luftsch. u. Phys. d. Atmosph. 
Jahrg. 1896. Heft 4/5. — Die ausführlichere Arbeit befindet sich in den Sitzungs-Berichten 
der Wiener Akademie. Bd. CIV. Abth. IIa. Okt. 1895. S. 963). Dieser Autor führt 
aus, dass der Angriffspunkt der Resultante des Widerstandes nicht notwendig im Mittelpunkt 
der gewolbten Flache zu liegen brauche und berechnet dann unter der Annahme, dass 
der Punkt näher dem hinteren Flächenrande liege, wie die Beträge der wahren Vertikal- 
und Horizontalkomponenten einer gewölbten Fläche sich den einer ebenen, nach Lilienthal 
nicht »vortreibenden« Fläche nähern. Die Einwendung betreffs des Widerstandspunktes 
ist zweifellos am Platze, aber man sieht nicht ein, warum bei der schwachen Wolbung 
die Verschiebung nicht, gemäss dem Avanzini' schen Gesetze, gegen den vorderen Flächen- 
rand erfolgen soll, sondern nach hinten. Liegt aber, was mir wahrscheinlicher ist als die 
Annahme des Autors, der Widerstandspunkt auf der vorderen Hälfte der flachgewolbten 
Fläche, so entfernen sich die Widerstandskomponenten in ihrer Richtung noch mehr von 
denen der ebenen Flache, und es ist demnach der Betrag der wahren Hemmung noch 
kleiner, als Lilienthal angiebt. Wie klein indessen die hemmende Komponente auch sein 
möge, sie wird immer ein positives Hindernis der Fortbewegung bilden, niemals aber 
einen Antrieb nach vorn auslösen können. -. Besonders wertvoll ist der Hinweis 
von Obermeyer's, dass bei nicht centraler Lage des Widerstandspunktes an den von 
Lilienthal und Wellner zur Bestimmung der Widerstandsresultante verwendeten Apparaten 
Drehungsmomente auftreten können, welche die wahre Richtung der Resultanten nicht 
unerheblich zu verschleiern vermögen. 

Von dauerndem Werte sind enthal s Untersuchungen über den absoluten Betrag 
des Widerstandes an gewölbten Flächen. ds ist dadurch der positive und bis jetzt 
unangefochtene Nachweis geführt, dass der Widerstand an einer unterseits, d. h. gegen 
den Wind hohlen Fläche bei Neigungswinkeln bis ca. 60° erheblich stärker und günstiger 
ist, als der Widerstand einer ebenen Fläche bei gleicher Neigung. Als Neigungswinkel 
der gewölbten Fläche ist dabei der Winkel angenommen, den die Schne des bogenförmigen 
Querschnitts der Fkiche mit der Horizontalebene bildet. 

Zur theoretischen Begründung dieses wichtigen Beobachtungsergebnisses fuhrt 
Lilienthal aus (Vogeltlug S. 89—86), dass die ebene Fläche in dem Luftstrome, dem sie 
Widerstand leiste, sowohl vorwärts wie rückwärts allerlei Wirbel und sonstige Unregel- 
miassivkeiten und Störungen hervorrufe, durch welche gleichsam ein Teil der lebendigen 
Kraft der Luftströmung ohne aviatischen Nutzen verbraucht werde. Die gewölbte Fläche 
dagegen, zumal wenn deren Vorderkante genau in die Windrichtung einschneide, lasse 


4 


C3 
ws 


die Luft möglichst glatt und ohne Wirbel vorbeistreichen. So beschreiben die Luftteilchen 
hier eine der Flächenkrümmung entsprechende \Vellenbahn nach unten, und je reiner und 
vollkommener diese Wellenbewegung sei, desto vollkommener werde auch ihre Reaktion 
auf die wellenerzeugende gekrümmte Fläche sein. 

Diese Ausführungen sind im Prinzip durchaus anzuerkennen, wenn auch im 
einzelnen das Bild, welches Zz/enthal von dem Gange der Luftbewegung an den 
Widerstandsflachen sich machte, wie er selbst voraussah, der Abänderung und Berichtigung 
bedarf. Es soll hier jedoch nicht näher auf diese sehr interessante Frage eingegangen 
werden. Bei allen Flugapparaten wird das Gleichgewicht in der Richtung der sagittalen 
Ebene des Querprofils dadurch erhalten, dass die auf das Epicentrum bezogenen Momente 
der Widerstandskráfte vor und hinter dem Epicentrum einander gleich. sind. 

Bei gleichmássiger Verteilung des Widerstandes über die Flugfläche, bei Fall- 
schirmen oder wenn sonst der Flugwind rechtwinklig zur Tluetliche steht, ist das Gleich- 
gewicht vorhanden, wenn die vor und hinter dem Epicentrum liegenden Areale gleich 
gross sind. 

Ist dagegen bei seitlich fortschreitender Flugbewegung der Widerstand ungleich- 
mässig verteilt, ist er beim vorderen Rande grösser, als am abwandten, hinteren Flächen- 
gebiete, so kann auch das oder als ungleichschenklig 
Gleichgewicht nur bestechen, | 
wenn bei excentrischer Lage 
des Epicentrums das vor 
demselben liegende Arcal 
entsprechend kleiner ist, als 
das dahinterliegende. 


gebrochene Linie. Die beiden 
so hintereinander liegenden 
l'làchenteile bilden dann einen 
gewissen Winkel gegen ein- 
ander, und daher ist auch 
der Winkel, unter dem sie 

Ist nun die Flache 
eckrummt oder geknickt, so 
erscheint sie im Querprofil 
als parabelähnliche Kurve 


sich dem widerstandleistenden 
Medium darbieten, an beiden 





Teilen ein verschiedener. 


Fig. 30. 


Es ist klar, dass dieser Unterschied von wesentlichem Einfluss auf die Grösse des 
Widerstandes ist, den beide Teile erfahren, wenn auch dieser Einfluss wegen des Zusammen- 
hanges der Teile sich nicht ohne weiteres nach den Widerstandsformeln getrennter Flächen 
rechnerisch bestimmen lässt. Im allgemeinen wird man immerhin annehmen können, dass 
der Widerstand an den hintereinanderliegenden Ylächenhälften mit deren Neigungswinkel 
gegen den Flugwind zu- und abnimmt 

Wenn AB (lig. 30) das Profil einer schwebenden, ebenen Flugfläche darstellt, 
deren Epicentrum I5 ist, so ist der Widerstand, den der Flugwind W erzeugt, auf dem 
zugewandten Flächenstück A E ebenso gross wie auf dem grösseren Areal E B. Denken 
wir uns nun die Fläche AE in die Lage von Ay E gebogen, sodass sie nun mit der 
Flugwindrichtung cinen grösseren Winkel bildet als vorher”), so würde sie nun auch einen 

* Dies gilt aber nur innerhalb der Grenzen von o" bis zo", darüber hinaus würde der Widerstand 
von Aı E wieder abnehmen. 


fat 


34 


grösseren Widerstand erfahren, als vorher, und wenn man verhindern wollte, dass dadurch 
das Gleichgewicht der metameren Widerstände gestört werde, so könnte dies durch eine 
entsprechende Flächenverkleinerung geschehen, wie es in der Zeichnung ANE < AE 
schematisch dargestellt ist. Der Gesamtwiderstand der Keilfläche Aı EB würde dann, 
sofern diese theoretischen Überlegungen den Gegenstand erschöpfen, gleich dem Gesamt- 
widerstande der ebenen Fläche AB sein, womit natürlich nicht gesagt ist, dass er nicht 
kleiner sei, als der der ebenen Grundfläche Aı B des Keiles, mit welchem gewöhnlich 
der Widerstand der Keilseiten (Aı Eund EB) verglichen zu werden pflegt. 

Was für die geknickte Fläche Aı EB gilt, lässt sich näherungsweise auch für die 
konvex gewölbte Fläche Aı EB als gültig annehmen. Dass die Resultante des Wider- 
standes in beiden Fällen im hemmenden Sinne etwas von der Richtung abweichen wird, 
die sie an der ebenen Fläche AB hat, ist möglich und wahrscheinlich, stört aber nicht 
wesentlich den Gang des Fluges. 

Analog gestalten sich die Verhältnisse, wenn man annimmt, es werde die vordere 
aequivalente Flächenhälfte in die Richtung der Geraden As E gebogen. Sie würde dann 
gegen den Flugwind einen kleineren Neigungswinkel bilden als vorher, und ihr Widerstand 
würde somit geringer werden, als er war. Um das Gleichgewicht der metameren Wider- 
stände zu erhalten, hatte man also nötig, dies Areal von As E passend zu vergrössern, 
sodass also As E > AE würde. Wiederum wäre der Widerstand der bei E geknickten 
oder konkav gekrümmten Fläche Az E B gleich dem der ebenen Fläche A B; aber freilich 
auch grösser und weniger hemmend, als der der ebenen Fläche As B, wie dies Lifenthal’s 
Beobachtungen erwiesen haben. 


TSE 
HE N 
HEEN \ — 


10 











Das Ergebnis dieser theoretischen Spekulationen scheint auf den ersten Blick die 
merkwürdige aerodynamische Überlegenheit der gewölbten Flächen aufzuklären. That- 
sächlich ist dies aber nur in beschränktem Masse der Fall, wie der Vergleich mit den 
direkten Messungen zeigt. Nimmt man z. B. an, der Winkel A B As sei 10°, so würde 


35 

das einer Pfeilhöhe der konkavgewölbten Fläche von ca. !/ız Ae B ergeben. Auf Lzlenthal’s 
Tafel VII sind die Widerstände einer so gewölbten Fläche mit denen der Ebenen graphisch 
zusammengestellt, und man findet leicht, dass der Widerstand der gewölbten Fläche Az EB 
nicht nur dem der ebenen Fläche Az B, sondern auch dem der um 10° stärker geneigten 
gleich gross genommenen Fläche AB immer noch sehr bedeutend überlegen ist. Immerhin 
sind die Widerstandsdifferenzen zwischen der gewölbten Fläche Az B und der ebenen AB 
geringer, als die zwischen der gewölbten und der ebenen Az B: bei o° sind sie nur halb 
so gross, bei 15° sind sie um '/3 bis !/ı verringert, bei 50° wieder um die Hälfte und 
bei 60° sind sie erst völlig ausgeglichen. Unsere Fig. 31 giebt ein ungefähres Bild hier- 
von, wobei als Widerstandskurve unserer parabolischen Fläche As B die Lzlenthal’sche 
Kurve für kreisbogenformiges Profil (/ız Länge als Pfeilhóhe) angenommen wurde. 


Das Herabbiegen eines vorderen Areals der ursprünglich als eben angenommenen 
Flugfläche hat also jedenfalls keine Verminderung, sondern eine Vergrösserung des Wider- 
standes zur Folge, ohne dass es dazu einer Flächenvergrösserung bediirfte. Die Ursache 
dieser scheinbar paradoxen Thatsachen wird sich vielleicht einmal durch eingehende Unter- 
suchungen über die Verteilung des Luftdruckes an den Flugflächen aufdecken lassen. 
Einstweilen wissen wir nicht, ob die Zunahme des Widerstandes über alle Flächenteile 
eine gleichförmige, oder ob dabei etwa das herabgebogene Stück besonders bevorzugt ist, 


während an dem nicht ver- 
änderten, hinteren Areal mehr 
die alten Verhältnisse be- 
stehen bleiben. Die Angabe 
Lzltenthal's, dass die Resul- 
tante des Widerstandes ge- 





nach vorn gerichtet ist, als 
die einer ebenen (A: B), deutet 
aber bestimmt darauf hin, 
dass das  herabgebogene 
vordere Areal thatsächlich 
begünstigt wird. Nehmen 


wölbter Flächen (Az E B) mehr wir dies als das Wahrschein- 
lichere an, so wird mit Bezug auf das Gleichgewicht des Widerstandes die folgende 
Betrachtung zutreffen: Wenn man an einer ebenen Flugflache AB (Fig. 32) während 
des Schwebens einen vorderen Flachenanteil A E innerhalb gewisser Grenzen in dic 
Lage von AB herabbiegt, so wird der Widerstand an der vorderen Flächenhälfte 
dadurch verstärkt, und es erfolgt somit eine Drehung des Apparats in dem Sinne, dass 
der hintere Flächenrand B abwärts bewegt wird. Eine Verschiebung des Epicentrums 
nach vorn und eine Zunahme der Geschwindigkeit des mehr horizontalen Fluges ist 
die weitere Folge davon. — Ist das vordere Areal nicht herab-, sondern emporgebogen, 
und dadurch die Fläche nach unten konvex, so ist nach Analogie der konkaven Flächen 
wahrscheinlich, dass der Gesamtwiderstand dadurch verringert wird, im besonderen der 
Widerstand an der vorderen Flüchenhálfte. Daher würde durch die Biegung der 
Fläche eine Drehung des schwebenden Apparats bewirkt werden im entgegengesctzten 
Sinne wie bei der konkaven Flugfläche, und die Konsequenz wäre: langsamer, weniger 
horizontaler Flug mit mehr centraler Lage des Epicentrums. 

So scheint denn durch die Untersuchungen Zrlenthals die Frage nach dem 
aviatisch zweckmässigsten Querprofil. der Flugflächen endgiltig zu Gunsten der schwach 


TOR 
2 


N 


konkaven Form entschieden zu sein. Keine andere Form liefert so grosse hebende und 
so kleine hemmende Widerstandskomponenten. Allein dies setzt voraus, dass mit den 
bezeichneten Eigenschaften der gewölbten Flächen auch alle Bedingungen erfüllt sind, die 
an die Flugflächen eines guten Flugapparates zu stellen sind, und dass es ausser dem 
oben erwähnten Kriterium der guten Tragwirkung keine anderen Eigenschaften giebt, die 
für die Unterhaltung einer guten und sicheren passiven Flugbewegung wesentlich und 
unerlässlich sind. 

Aber nicht minder wichtig als die grosse Tragfähigkeit der Flächen, ist der 
Einfluss, den sie auf die Stabilität der fliegenden Apparate ausüben: ihr Verhalten gegen 
die Schwankungen, denen jeder Flugapparat unterworfen ist. Bei dem lebenden Vogel 
zwar kommt es hierauf weniger an, denn die Natur hat ihn im reichen Masse mit Hilfs- 
mitteln ausgestattet, durch die er aktiv den möglichst gleichmässigen Gang scines Fluges 
erzwingen kann, selbst wenn dies vorübergehend durch die Form seines Flügelprofils 
erschwert sein sollte. Sobald es sich aber um rein passive Schwebapparate handelt, etwa 
wie diejenigen, mit denen Lilienthal seine Flugübungen anstellte, tritt die Frage der 
Stabilität unbedingt in den Vordergrund, und man wird es vorzichen, die tragende 
Wirkung des Luftwiderstandes, wenn nötig, z. B. durch Flächenvergrösserung zu steigern, 
statt durch Anwendung der konkaven Flächen, wenn sich zeigen sollte, dass die Erhaltung 
des Gleichgewichts im Fluge durch die Konkavität der Flächen erschwert würde. Was 
würde es schaden, wenn schliesslich auch die Fluggeschwindigkeit etwas stärker gehemmt 
wird, wenn dadurch nur die Stabilität des Apparats und die grössere Gleichförmigkeit 
der Flugbewegung bis zur unbedingten Zuverlässigkeit gesteigert. werden könnte. Unter 
diesem Gesichtspunkte wird die Frage unaufschiebbar nach dem 


9. Einfluss des Flächenquerprofils auf die Schwankungen 
beim Fluge. 


a. Konkave Flächen. 

Es wurde bereits bemerkt, dass der Schwerpunkt hohlflachiger Schwebapparate 
nicht in der Flugfläche liegen darf, denn die Angriffspunkte Pi und P» (Fig. 33) der 
Resultanten des Widerstandes vor und hinter dem Schwerpunkte — würden dann tiefer 
liegen als der Schwerpunkt, und ihre Verbindungslinie Pi P2 würde daher von der durch 
den Schwerpunkt gehenden Lotlinie in einem unter dem Schwerpunkte, also gleichsam 
negativ liegenden. Epicentrum (Hypocentrum) geschnitten werden. Es gelingt nie, einen 
solchen Apparat zum freien Schweben zu bringen, denn da er günstigstenfalls im labilen 
Gleichgewicht ist, so genügt die geringste der unvermeidlichen dynamischen Schwankungen. 
um den Apparat in die stabile Gleichgewichtslage umkippen zu lassen, sodass er seine 
Konkavitat nach oben kehrt. Vor dieser Katastrophe kann der Apparat —- für doppel- 
fichive gilt dasselbe — nur durch tiefere Anordnung des Schwerpunktes geschützt werden. 


37 


Der Schwerpunkt S (Fig. 34) muss unterhalb der Geraden Pi P» liegen. Ist der Apparat 


in dieser Weise stabilisiert, so erfolgt bei eintretender Schwankung eine. Verschiebung 
des Epicentrums stets nach derjenigen Seite der Flugfläche, an welcher der Luftwiderstand 
momentan stärker war: also in einer Drehung, bei welcher der vordere Rand A sich senkt, 
nach hinten, wenn er sich hebt, nach vorn. Das Areal, an dem der stärkere Widerstand 
angreift, wird dadurch verkleinert, das des schwächeren Widerstandes vergrössert, und 
da mit dem Wachsen und Abnehmen des Areals auch die Widerstände zu und abnehmen, 





Pigs 38; Ei. 34. 


so wirken demnach die Verschiebungen des Epicentrums eines. stabilen Hohlflüglers im 
Sinne eines Ausgleichs der Gegensätze. Wie an ebenen Flächen, so werden hiernach 
auch an konkaven Flächen die Schwankungen des Apparats durch die Verschiebungen 
des Epicentrums automatisch gehemmt. 

Es fragt sich nun, ob diese Ilemmung genügt, das Überkippen des Apparats 
nach vorn oder hinten unter allen Umständen zu verhindern. 

Die Frage ist zu bejahen, wenn die Flugflache die Form einer Kugelkappe hat, 
und ihre Belastung central unter dem Flächenmittelpunkte angebracht ist. Der Apparat 
ist dann ein Fallschirm, seine Flugbahn die Vertikale, und der Druck der widerstand- 
leistenden Luft ist von unten her unter maximalen Winkeln gegen die hohle Fläche 
gerichtet. Da der beliebige tiefen Anordnung des Schwerpunktes bei Fallschirmen keine 
theoretischen Bedenken entgegenstehen, so lassen sich die Verschiebungen des Epicentrums 
für den Fall scitlicher Schwankungen des Widerstandes so weit verstärken, dass die 
Hemmung mit jeder wünschenswerten Energie erfolgt. (cfr. Fussnote S. 39.) 

Anders liegt aber die Sache, wenn dem Apparat durch parabolische Wolbung 
und excentrische Belastung eine mehr oder weniger stark seitlich ausschreitende Flugbahn 
vorgeschrieben ist. Der Druck des Luftwiderstandes trifft dann unter entsprechend 
kleineren Winkeln auf die Flugflächen. Der Schwerpunkt kann der epicentrischen 
Schwankungen wegen nicht mehr beliebie tief gelegt werden; die automatische Hemmung 
bleibt daher weniger energisch. Wird nun eine Schwankung des Apparats dadurch 
verursacht, dass ecin einmaliger Luftstoss den Widerstand der vorderen Jlächenhälfte 
überwiegen lässt, so hebt sich der vordere Tlächenrand, und die Verschiebung des 
Epicentrums wird leicht cine genüzende THemmung bewirken können, da gleichzeitig das 
grösser werdende hintere. Areal der Fläche unter grösseren Neiguneswinkeln dem Flug- 
winde entgegenvewandt wird. Allein diese Begünstigung der zurückdrehenden Widerstands- 


kräfte kann verhangnisvoll werden, wenn dieselben nun auch noch zufällig durch einen 


30 
konkaven Form entschieden zu sein. Keine andere Fow 
so kleine hemmende Widerstandskomponenten. Allein 
bezeichneten Eigenschaften der gewölbten Flächen auch 
an die Flugflächen eines guten Flugapparates zu stoli 
oben erwähnten Kriterium der guten Tragwirkung keno 
für die Unterhaltung einer guten und sicheren pi - 
unerlässlich sind. 

Aber nicht minder wichtig als die gros-c 
Einfluss, den sie auf die Stabilität der fliegenden -\,- 
die Schwankungen, denen jeder Flugapparat unte 
zwar kommt es hierauf weniger an, denn die Nat: 
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erschwert sein sollte. Sobald es sich aber um rei: 
wie diejenigen, mit denen ZzZemikal seine Flu. 
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statt durch Anwendung der konkaven Flachen, wen: 
des Gleichgewichts im Fluge durch die Konkavi: « 
würde es schaden, wenn schliesslich auch die Fiu. 
wird, wenn dadurch nur die Stabilität des 3; 
der Flugbewegung bis zur unbedingten Zuverlic.- 
diesem Gesichtspunkte wird die Frage unaufschie. 


9. Einfluss des Flächenquerpro! 
beim Flue 


a. Konkave Fis. 

Es wurde bereits bemerkt, dass der = 
nicht in der Flugfläche liegen darf, denn dic ` 
Resultanten des Widerstandes vor und hinter de: 
liegen als der Schwerpunkt, und ihre Verbindung | 
den Schwerpunkt gehenden Lotlinie in ein 
negativ liegenden Epicentrum (Hypoce 
solchen Apparat zum freien Schw‘ 
Gleichgewicht ist, so genügt die : 
um den Apparat in die stabil 
Konkavität nach oben kehrt. 
flächige gilt dasselbe — nur C 








E 30 


-— —— — TTT s sti (durch Aufrollen) eine flache cylindrische 


ave Flugfläche, (Höhlung nach unten) zu ver- 
wenn man die Flache nicht seitlich neigt und 
n herabgebogenen Rändern den Schwerpunkt in 
z kippt fast augenblicklich nach vorn oder hinten 
| zurück mit der konvexen Seite vorauf. 

= — xe Fläche mit der konvexen Seite nach unten durch 
oem Abfluge in jede beliebige Neigung nach vorn 
awar in Schwankungen, aber niemals in volle Rotation. 




















Wee tische und experimentelle Beweis erbracht, 
E. der Flugflachen allein die konvexen eine 
unbedingte Stabilitat der Apparate, dass 

"noch starkerem Grade die konkaven Flächen 
.—. aus den unvermeidlichen Schwankungen in 





= waren durchweg mit unterseits konkaven Flugflächen 
weder in ihren Frontal- noch in ihren Sagittalprofilen 
A Stabilität, und es ist zu vermuten, dass das tragische 
e unglückseligen Mangel zuzuschreiben ist. Die mit der 
oen Gefahren konnten Lz/zenthal nicht verborgen bleiben. 
e anfing, derartige Flügelformen praktisch zu verwenden. 
Aufsätze (Jahrg. VII. S. 148) sagt er darüber folgendes: 
oahi den frelschwebenden Flugkörper umherzuschleudern, 
Murze Zeit eine Stellung des Apparats entsteht, bei welcher 
e oben trifft, so schiesst der Flugkórper pfeilschnell herab 
^en, bevor es gelingt, eine günstigere Stellung herbei- 
| wieder tragend wirkte. Die Gegenmassregeln aber, die er 
sehen, scheinen für stärkere Winde, denen er sich zuletzt 
Parate anzuvertrauen wagte, nicht hinreichend gewesen zu 
Wege, als er die Wolbungen seiner Flügel abflachte. 
ihm zwar solche gewölbte Flügelformen als die 
hohe t/ie der Profillänge betrug, allein bei seinen 
sich die Wölbung, soweit sich aus den Moment- 
nehmen lässt, kaum die Hälfte des Betrages. Die 

; der ebenen Form. 
die Ilemmung der sagittalen Schwankungen war 
Schwanz der Schwalben ähnlichen Steuerfläche. 
cerung der hinteren Flächenhälfte, sondern in 


| konvexe Fallschirmflächen von engler empfohlen 
-atz von A, Mewes, Z. f. Luftsch 1886. S. 252. 





38 





erneuten Windstoss verstärkt werden. Es liegt dann die grosse Gefahr vor, dass die 
Rückschwankung nach vorn zu stark wird, und dass der vordere Flächenrand erheblich 
über die Richtung des Gegenwindes hinaus nach unten gedrängt wird. Der Widerstand 
trifft nunmehr die vordere Flächenhälfte von oben und drückt sie hinab, während das 
hintere Flächenareal noch eine Weile gehoben wird. Der Eintritt einer vollen Rotation 
des Apparats ist unter diesen Umständen unvermeidlich, ja, es lässt sich erwarten, dass 
der Apparat überhaupt nicht wieder zum ruhigen Fluge kommt, sondern andauernd 
rotierend herabsinkt, wie es schon bei Falltafeln so leicht zu beobachten. Die konkave 
Fläche ist also für die Erhaltung einer möglichst gleichförmigen, schwankungssicheren 
Flugbewegung noch weniger geeignet, als die ebene Fläche, weil der Flugwind die 
Rückenseite der konkaven Fläche leichter trifft, als die der ebenen. Den Gegensatz dazu 
bilden 


b. Konvexe Flächen. 


Hier kann der Schwerpunkt ohne Störung der Stabilität in der Flugfläche liegen. 

Die Angriffspunkte Pı und Pe (Fig. 35) des Widerstandes liegen dann höher als der 
Schwerpunkt. Ihre Verbindungslinie Pi Ps enthält das Epicentrum E über dem Schwer- 
punkte, gemäss den Anforderungen des stabilen Gleichgewichts. Die Verschiebungen 
des Epicentrums während einer Drehung des Apparats um S geschehen auch hier nach 
derjenigen Seite der Flugfläche, an welcher der 

B Widerstand, welcher die Drehung hervorrief, der 
stärkere war. Es wird zwar dadurch keine 
Verkleinerung des Areals bewirkt, an dem der 
stärkere Widerstand angriff, aber das Drehungs- 
moment dieses Widerstandes wird doch durch 
Kürzen des Hebearmes E P geschwächt, wie das 

des schwächeren Widerstandes durch Verlängerung des zugehörigen Hebearmes verstärkt 
wird. Dazu kommt, dass durch die Drehung die Fläche des stärkeren Widerstandes der 
Einwirkung des Flugwindes abgewandt wird, während die andere Flächenhälfte sich dem 
Drucke des Mediums stärker aussetzt. Jede Drehung ruft also auch bei den konvexen Flächen 
eine wirksame automatische Hemmung hervor. Was aber diese Flächen besonders vor den 
konkaven auszeichnet, ist, dass bei ihnen cin verhängnisvoller Rückenwind vollkommen aus- 





Fig. 55. 


geschlossen ist. Selbst wenn in Folge stärkster dynamischer Schwankung die konvexe Fläche 
steil aufgerichtet ware, sodass der Flugwind positiv in die dorsale Stellung drückte, so würde 
dies nicht den Übergang vom Schweben zur Rotation bedeuten, sondern dieser Rücken- 
wind würde in energischer Weise das Zurückdrehen des Apparats in die normale Flug 
stellung erzwingen.. 

ls ist leicht, sich von der Richtigkeit dieser Ableitungen durch den Versuch zu 
überzeugen. Man lasse ein ebenes rechteckiges Stück Papier aus steiler Stellung herab- 
fallen. Die Zunahme der Fallgeschwindigkeit und des Luftwiderstandes erzeugt eine 
Schwankung des Flugkörpers, die unbedingt sofort in dauernde Rotation übergeht. 


39 


Nun erteile man demselben Papierstück (durch Aufrollen) eine flache cylindrische 
Wölbung und versuche, dasselbe als konkave Flugflache, (Höhlung nach unten) zu ver- 
wenden. Der Versuch gelingt nicht, auch wenn man die Fläche nicht seitlich neigt und 
durch Anbringen von Gewichten an den herabgebogenen Rändern den Schwerpunkt in 
die Stabilitätslage bringt. Die Fläche kippt fast augenblicklich nach vorn oder hinten 
herum und legt den Rest der Flugbahn zurück mit der konvexen Seite vorauf. 

Lässt man endlich die gewölbte Fläche mit der konvexen Seite nach unten durch 
die Luft fliegen, so kann man sie beim Abfluge in jede beliebige Neigung nach vorn 
oder hinten bringen; sie gerät dann zwar in Schwankungen, aber niemals in volle Rotation. 


Damit ist der theoretische und experimentelle Beweis erbracht, 
dass von allen Sagittalprofilen der Flugflächen allein die konvexen eine 
sichere Gewähr bieten für unbedingte Stabilität der Apparate, dass 
dagegen die ebenen und in noch stärkerem Grade die konkaven Flächen 
der Gefahr ausgesetzt sind, aus den unvermeidlichen Schwankungen ın 
Rotation überzugehen‘). 

Lilienthal’s Flugapparate waren durchweg mit unterseits konkaven Flugflächen 
ausgestattet. Sie genügten daher weder in ihren Frontal- noch in ihren Sagittalprofilen 
den Bedingungen einer flugsicheren Stabilität, und es ist zu vermuten, dass das tragische 
Ende des kühnen Mannes diesem unglückseligen Mangel zuzuschreiben ist, Die mit der 
Konkavität der Flügel verbundenen Gefahren konnten Zikenthal nicht verborgen bleiben. 
Er musste sie bemerken, sobald er anfıng, derartige Flügelformen praktisch zu verwenden. 
In einem der letzten »Prometheus«-Aufsatze (Jahrg. VII. S. 148) sagt er darüber folgendes: 
»Der wild anstürmende Wind sucht den freischwebenden Flugkörper umherzuschleudern, 
und wenn hierbei auch nur für kurze Zeit eine Stellung des Apparats entsteht, bei welcher 
der Wind die Flügelflächen von oben trifft, so schiesst der Flugkörper pfeilschnell herab 
und kann an der Erde zerschellen, bevor es gelingt, eine günstigere Stellung herbei- 
zuführen, in welcher der Wind wieder tragend wirkts. Die Gegenmassregeln aber, die er 
traf, um dieser Gefahr zu entgehen, scheinen für stärkere Winde, denen er sich zuletzt 
mit seinem doppelflächigen Apparate anzuvertrauen wagte, nicht hinreichend gewesen zu 
sein. Er war auf dem richtigen Wege, als er die Wölbungen seiner Flügel abflachte. 
Die Widerstandsbestimmungen hatten ihm zwar solche gewölbte Flügelformen als die 
besten erscheinen lassen, deren Pfeilhöhe !/ız der Profillänge betrug, allein bei seinen 
grossen Apparaten erreichte schliesslich die Wölbung, soweit sich aus den Moment. 
photographien des »Prometheus« entnehmen lässt, kaum die Hälfte des Betrages. Die 
Flügelflächen näherten sich also bereits der ebenen Form. 

Nicht weniger zweckmässig für die Hemmung der sagittalen Schwankungen war 
die Verwendung einer horizontalen, dem Schwanz der Schwalben ähnlichen Steuerfläche. 
Dieselbe stand nicht einfach in der Verlängerung der hinteren Flächenhälfte, sondern ın 





*) Wie ich nachträglich sche, sind schon 1832 konvexe Fallschirmfláchen von Z/ergler empfohlen 
und mit Erfolg benutzt worden. Vergl. hierüber den Aufsatz von A, Alcwes, Z. f. Luftsch 1886. S. 252. 


40 
einer dazu pronierten Stellung. Hätte er die ganze erweiterte hintere Flächenhälfte in 
die Richtung dieser Steuerflache emporgebogen, so wäre dadurch eine unterseits konvexe 
Fläche geschaffen, und ein Absturz, wie er ihn schilderte, wäre unmöglich gewesen. Die 
kleine und schmale Steuerfläche genügte trotz ihres weiten Abstandes vom Schwerpunkte 
nicht, einem vorn auf die Oberseite der Flügel treffenden Windstosse das Gleichgewicht 
zu halten und die zum Absturz führende Drehung des Apparats im Keime zu ersticken. 


Die dritte Gegenmassregel war die Anordnung der Flugflächen übereinander. 
Lilienthal empfand dies als einen grossen Fortschritt, denn die Flugbahn wurde dadurch 
sichtlich gleichförmiger, und die Windstösse schienen weniger Macht über diesen Apparat 
zu haben, als über die älteren mit ihren langen Flügeln. Wir haben oben des näheren 
gesehen, dass in der That die dynamischen Schwankungen solcher Flugkörper geringer 
sein müssen, da die Verschiebungen des Epicentrums, namentlich an der oberen Fläche, 
den Schwankungen automatisch entgegenwirken. Allein das Wiederaufrichten des Apparats 
aus der einmal erreichten steilen Absturzstellung kommt doch immer erst zustande, wenn 
der Flugwind durch die erlangte Fallgeschwindigkeit des Flugkörpers soweit nach unten 
abgelenkt ist, dass er wieder gegen die Unterseite der Flugfläche trifft. Es muss also 
auch bei den doppelflächigen Apparaten — sobald einmal bei einer Schwankung der 
Flugwind vorn auf die Oberseite der Flügel trifft — ein Absturz erfolgen, bevor die 
richtige Flugstellung wieder eingenommen werden kann. Die beim Vorwärtsschwanken 
des Apparats eintretende Verschiebung des Epicentrums nach hinten wirkt nur hemmend 
auf diese Schwankung ein und beseitigt dadurch gewiss in vielen Fällen die Gefahr, dass 
der Wind die Oberseite der Flugflachen trifft. Sobald dies aber einmal bei stärkeren 
Windstössen eingetreten ist, schützt auch die Doppelflachigkeit nicht mehr vor dem 
Absturz. Wirklich sicher sind eben unter den passiven Flugkórpern nur solche, die nach 
dem Prinzip der Konvexitit gebaut sind: deren vordere Flachenhalfte durch Supination 
dem dorsalen Auftreffen des Windes entzogen ist, wahrend das hinter dem Epicentrum 
liegende Areal in schwach pronierter Stellung als stets wirksames Horizontalsteuer fungiert. 
Dass der Vogelflüpel diese wichtige Bedingung der Stabilität nicht oder doch nur zum 
Teil erfüllt, kann nicht Wunder nehmen, da er doch kein passiver, sondern ein aktiver 
Apparat ist, der auch beim Segelfluge nicht völlig erstarrt, vielmehr ganz nach Bedarf 
und Zweckmassigkeit dem Muskelzuge und dadurch dem Willen des flugerfahrenen Tieres 
folet. Ein aktiver Flügelschlag im rechten Augenblick genügt, um der Bewegung Einhalt 
zu thun, die den passiven Ilohlflügel abstürzen lassen würde. Und für den Flügelschlag 
sind konvexe Flügel durchaus ungeeignet, da sie beim Tiefschlag weniger Widerstand 
in der Luft finden würden, als beim gleich schnell geführten Rückschlag. ^ Ein solcher 
rein passiver Apparat, der dem Vogel nur gestattete, bei vorhandenem Winde von einem 
hochgelegenen Punkte aus die Luftreise anzutreten, würde mit seinen grossen und daher 
schwer zu unterhaltenden Flugflächen doch nur eine mehr als zweifelhafte Waffe im Kampf 
um's Dasein vorstellen, da er weder für den aggressiven Nahrungserwerb, noch für die 
Flucht im Falle der Gefahr cin jederzeit brauchbares und zuverlässiges Hülfsmittel 


sein konnte. 


41 


10. Die Vorderrandkonturen der Flugflächen. 


Durch die Ermittelung der zweckmässigsten Längs- und Querprofile ist über die 
stabile Form der passiven Flugkórper im Prinzip entschieden. In einzelnen bleiben jedoch 
noch verschiedene Fragen zu beantworten, deren Bedeutung nicht zu unterschátzen ist. 
Die erste dieser Fragen bezieht sich auch die Gestalt des vorderen Flachenkonturs: soll 
er geradlinig sein, oder sollen die Flügespitzen über diese Linie hinaus nach vorn vor- 
gezogen erscheinen, wie bei den Schmetterlingen, oder endlich sollen sie hinter der Linie 
zurückbleiben, wie bei den Móven? — Der einzige mechanische Unterschied, der durch 
die verschiedene Stellung der Flügel bedingt wird, scheint in dem ungleichen Abstande 
des Schwerpunktes resp. Epicentrums vom Vorderrande zu liegen, denn mit den Ver- 
schiebungen des Areals der Flügelspitzen nach vorn cder nach hinten muss eine 
entsprechende Änderung der Schwerpunktslage Hand in Hand gehen, wenn nicht der 
Flugcharakter geändert werden soll. Beim Vogelflug, wo der Schwerpunkt cine nahezu 
unveränderliche Lage hat, ist die aktive Verschiebung der Flügelspitzen das wirksamste 
Mittel der vertikalen Steuerung. Zrienthal pflegte umgekehrt mit unveränderlichen Flug- 
flächen durch aktive Verschiebungen des Schwerpunktes zu steuern. Es kommt aber 
für die Steuerung wesentlich nur darauf an, wie viel Arcal vor der Frontalebene des 
Schwerpunktes liegt und wie viel dahinter. Irgend ein besonderer mechanischer Einfluss 
der Gestalt des Randkonturs ist dabei nicht abzusehen, sofern es sich nicht etwa um 
erhebliche Änderungen des Verhältnisses der Länge und Breite der Flugfläche handelt, 
worüber bereits die Rede war. Nur in einer Beziehung kann vielleicht die Stellung 
der Flügelspitzen und der Vorderrandkontur an sich eine aviatische Bedeutung haben, 
wenn nämlich der Flug in erregter Luft stattfindet. Bei vorgezogenen Flügelspitzen 
treffen dic Luftwellen zuerst auf die seitlichen Areale der Flugfläche, bei zurückgezogenen 
auf die Mitte der Fläche. Die dem Winde zugekehrten Flügel werden den Anprall der 
Welle mehr als Stoss empfinden, die abgewandten mehr als Druck, da der Widerstand 
an dem hinteren Flächenareal immer weniger intensiv ist, als an dem Areal vor dem 
Schwerpunkte. Bei unsymmetrischer Verteilung des Widerstandes, wenn cin Windstoss 
die eine Seite des Apparats stärker trifft als die andere, würde vermutlich die darauf 
folgende seitliche Schwankung (Schlingenbewegung) heftiger an den Apparaten auftreten, 
deren vorgezogene J ligelspitzen einen nach vorn konkaven, einspringenden Randkontur 
bilden, als an den Flugkörpern mit konvexer Randlinie, weil eben bei diesen letzteren 
das vordere llächengebict, das den Stoss empfängt, verhältnismässig mehr central liegt, 
als bei den ersteren, während die abgewandten Fliigelspitzen den Druck der Luftwelle 
weniger hart erfahren. Die Schwankungen müssen um so heftiger sein, je intensiver 
die veranlassenden Windstésse sind und je weiter sich der Angrifispunkt ihrer Resultante 
vom Epicentrum entfernt. Apparate, die vermöge ihrer Form geeignet sind, den excen- 
trischen Luftstoss abzuschwächen und den Hauptwiderstand möglichst nahe um das 

6 


42 





Epicentrum zu vereinigen, entsprechen am besten den Anforderungen der Stabilität und 
der Gleichförmigkeit des Fluges. Das Zurücktreten des vorderen Randes der Flügelenden 
gegenüber der Flugflächenmitte scheint mir hierzu wesentlich mit beizutragen. 

Nicht unerheblich für den Gang des Schwebens ist auch das 


11. Verhältnis des Flügelgewichts zur Gesamtmasse 

des Flugkörpers. 

Sind die Flächen allein schwer, im Verhältnis zum Gesamtgewicht, oder ıst die 
Excentricität des Epicentrums durch ein geringes Übergewicht im weiteren Abstande 
vom Schwerpunkte hergestellt, so werden die Schwankungen des Apparats anders ver- 
laufen, als wenn das Flächengewicht gegenüber der Belastung zurücktritt und somit nabezu 
die ganze Masse im excentrischen Schwerpunkt liegt. Die Vereinigung der Masse nahe 
beim Schwerpunkte bietet den Vorteil, dass die Tafel leicht in jede neue Gleichgewichts- 
lage übergeht, während träge peripherische Massen dieser Wiederherstellung des Gleich- 
gewichts erst widerstehen, dann aber in Folge des beim Schwanken erhaltenen Schwunges 
leicht über die Gleichgewichtslage hinwegdrehen. 


12. Flugapparat der Zanonia macrocarpa. 


Für das Studium der Eigenschaften cines guten Schwebapparates hat uns dic 
Natur die zahlreichen Muster der Schweb- und Scgelvögel, sowie der Flugfische gegeben. 
Allein die Flugflächen dieser Tiere stehen unter der Gewalt stets aktionsbereiter Muskeln, 
sie sind verstellbar, beweglich, und man hat nur zu leicht die Vögel in Verdacht, dass 
sie ihren Flugflächen Bewegungen erteilen, die sich durch ihre Schnelligkeit unserer 
Beobachtung entziehen. 

Darum ist es um so wertvoller, dass wir aus dem Pflanzenreiche Vorbilder von 
passiven Aeroplanen besitzen, bei denen die Möglichkeit aktiver Flugthätigkeit gänzlich 
ausgeschlossen ist und die doch in vollkommenster Weise die Schwebbewegung voll- 
führen. Es sind dies die ähnlich wie die Flugfrüchte unserer Ulmen gebauten Samen 
der zu den Bignoniaceen gehörigen tropischen Pithecoctenium-Arten, und namentlich die 
Samen der in Java heimischen Cucurbitacee Zanonia macrocarpa. Diese letztere Pflanze 
hat kopfgrosse, hartschalige Früchte, die sich bei der Reife zu einem Becher öffnen. Der 
Inhalt des Bechers besteht aus vielen Dutzenden der herrlichsten Acroplane, die zur 
Verbreitung der Samen bestimmt sind.*) 

Die Flugbewegungen des Zanonia-Samens machen durch ihre geringe Geschwindig- 
keit und ausserordentliche Gleichförmigkeit einen geradezu entzückenden Eindruck auf 
jeden, der sie sieht. Erstaunlich ist, mit welcher Präzision diese Acroplane ihre normale 
Gleichgewichtslage einnehmen, wenn sie durch Zufall aus einer verkehrten Lage zum Fluge 
loseelassen werden; ja, ob man sie in der Rücken- oder Seitenlage, mit dem vorderen 


*, Müllenhoff hat über diese und andere Flugsamen bemerkenswerte Mitteilungen gemacht, die sich 


auf die Grösse der Flugllächen, das Gewicht und die Fluggeschnwindigkeit beziehen. Z. f. Luftsch, 1886, S. 224. 


43 


oder hinteren Rande vorauf in die Luft fallen lasst: die stabile Gleichgewichtslage wird 
momentan auf dem kürzesten Wege und nahezu ohne jegliche Schwankungen wieder- 
hergestellt. Die Flugbahn verläuft auf schwach welliger Linie geradeaus, oder führt in 
weiten Spiralen abwärts. 

Die Flugfläche eines solchen Samens (Fig. 36) klaftert bis zu 15 cm, bei einer 
grössten Breite von 5—7 cm. In der Mittellinie, nahe dem Vorderrande, trägt sie die 
einem Kürbiskern ähnliche, platte, annaherhd kreisrunde Samenkapsel, von welcher ein 
kurzer, äusserst spröder und an seinem Ende eigenartig verdickter Stiel frei den Vorder- 
rand des Flugapparats erreicht. Wo die Samenkapsel einen unsymmetrischen Umfang hat, ist 
auch der ganze Flugapparat unsymmetrisch, so, dass immer an der kleineren Hälfte des 





Fig. 36. 


Samens auch ein kleinerer Flügel sitzt und umgekehrt. Der vordere Umfang der Flug- 
fläche hat die Gestalt eines Kreisbogens. Man kann je drei Exemplare dieser Aeroplane 
so aneinanderlegen, dass sie mit ihren Vorderrändern den Umfang eines Kreises von IO cm 
Radius einnehmen. Der äusserst zarte Hinterrand ist nur schwach und unregelmässig 
gebuchtet. Der Flächeninhalt beträgt nach Müllenhoff 46— 47 qcm, das Gewicht ca. 0,16 g. 

Legt man die Flugsamen mit der Seite, die beim Fluge die Unterseite ist, auf 
eine ebene Unterlage, so sieht man, dass die Flugfläche eine ausgesprochene, nach unten 
konvexe Wölbung besitzt. Die Flügelspitzen erheben sich von der Samenkapsel aus 
allmählich bis zu 2 cm, der ganze 2—3 cm breite Hinterrand um etwa ı cm aus der 
Ebene der Unterlage, auf welcher das Samenkorn als tiefliegender Teil des ganzen 
Apparats ruht. 

Der ca. 0,5 cm breite vordere Rand läuft zwar in einen schr feinen, elastisch 
biegsamen Saum aus, ist aber im ganzen sichtlich kräftiger gebaut, als der empfindliche 
Hinterrand, und wenn dieser aus der Ebene emporgebogen ist, so zeigt der Vorderrand 
um so mehr die Tendenz einer Krümmung nach unten. Der Grad der Umbiegung des 

6* 


44 


Vorderrandes wechselt. Kin Same, den ich durch Herrn Direktor Dr. Dolau erhielt, zeigt 
sie in solchem Grade, dass die Randlinie etwa 4 mm tiefer liegt, als die anstossende 
Flugflache. Dagegen sah ich später an den im botanischen Museum zu Hamburg 
befindlichen, vielleicht nicht völlig vereiften Samen nur schwache Neigungen des vorderen 
Flächenrandes. — Beim Anblasen gerät der Rand des l'lugapparates in schnelle Vibrationen: 
der Ausdruck von Spannungsdifferenzen, die durch die strómende Luft an der elastisch 
biegsamen Kante hervorgerufen werden. 

Diese Erscheinung kann an den Rändern aller elastischen, körperlichen Flächen 
um so leichter zu stande kommen, je weicher diese sind. Gute Beobachter haben sie an 
den Brustflossen fliegender Fische beobachtet; an den Flossen des Flughahns (Dactylopterus) 
sind sie zu Beginn des Fluges so stark, dass sie ein hörbares Geräusch hervorrufen. Man 
hat sie vielfach für aktive Flügelschläge gehalten. 

Durch früher mitgeteilte Versuche konnte ich zeigen, dass diese Vibrationen anfangs 
mit der Windstärke an Schwingungsweite zunehmen. Bei weiterer Steigerung der Stärke 
eines schräg seitlichen Windes erfahren die elastischen Gebilde eine zunehmende cinscitige 
Spannung, welche zwar eine Verringerung der Schwingungsweite, aber auch eine Steigerung 
der Schwingungszahl zur Folge haben muss. Daher hört man das Fluggeräusch bei den 
Fischen vornehmlich zu Beginn des Fluges, wenn sie, aus dem Wasser hervorschiessend, 
die grösste Geschwindigkeit und den stärksten Gegenwind haben. Das Rauschen der 
Schwingen ist bei den Vögeln am deutlichsten während der energischen Abwärtsbewegung 
der schlagenden Flügel, ja, man kann aus dem An- und Abschwellen dieses Geräusches 
die Zu- und Abnahme der Winkeleveschwindigkcit während eines Flügelschlages deutlich 
erkennen. Bei schr starker einseitiger Spannung (durch den Wind) werden die Schwin- 
gungen für das Auge unerkennbar. Die elastische Fläche nähert sich dann einer extrem 
gckriimmten oder gewölbten Form, die sich bis zur oberen LElasticititsgrenze nicht mehr 
wesentlich verändert. Je weicher das Material, um so früher wird, mit steigender Wind- 
stärke, diese Grenzform der Fläche erreicht. 

Die zarte Beschaffenheit der Flüzelránder des Zanonia-Samens erinnert an die 
weichen, fransenförmigen Fiederenden der freistehenden vorderen Barte an den Hand- 
schwingen der Eulen. Der Flügelschlag dieser Tiere wird dadurch geräuschlos gemacht, 
wie umgekehrt das schnarrende Schwirren des aufthiegenden Rebhuhns durch die schnellen 
elastischen Schwingungen der straffen, scharfen Federränder hervorgerufen wird. Ein Woll- 
faden cignet sich — abgesehen von seiner geringeren Zugfestigkeit — auch aus dem 
Grunde nicht zur Erzeugung musikalischer, reiner Tone, weil die abstehenden Wollharchen 
dämpfend auf seine Schwingungen einwirken. 

Für den Flug sind die Randschwingungen sicherlich von durchaus untergeordneter 
Bedeutung. Die zu ihrer Erregung und Unterhaltung. erforderliche lebendige Kraft ist 
verschwindend gegenüber der Gesamtheit der Flugkräfte. Die Schwingungen des Vorder- 
randsaumes sind völlig unregelmássig, es ist daher ausgeschlossen, dass sie etwa regelnd 
auf den Gang der gleichfalls unregelmassig strömenden Luft. einwirken könnten, wie die 


rhythmischen Schwingungen der Zunge in einer. Orgelpfeife. Von Vorteil für die Flug- 


45 


bewegung könnten die Randschwingen nur sein, wenn durch sie etwa der unregelmässig 
pulsierende Luftstrom in einen gleichförmig fliessenden verwandelt würde, was nicht 
abzusehen. 

Wichtiger als die Vibrationen sind jedenfalls die erwähnten Formänderungen, 
welche der Druck der entgegenkommenden Luftströmung an den elastischen Flugflächen 
hervorruft. 

Blast man die Luft in derselben Richtung gegen den vorderen Rand des Zanonia- 
Samens, wie der relative Gegenwind beim Fluge auf denselben stösst, so biegt sich der 
zarte Saum des abwärts die ihre konvexe Seite 


geneigten — Randstreifens dem Winde  zukehrt, 


leicht in die Richtung der 
Luftstrómung um (Fig. 37) 


und gestaltet so am Vor- 
derrande eine eigenartig 





während die Höhlung nach 
unten und hinten gewandt 
Ist. 

Der Flugapparat cr- 
halt dadurch eine zwar 


rinnenformige Wölbung, 
weniger scharfe, aber um so festere Stirnflache, die bei stärkerem Anblasen ihre Form 
nicht mehr merklich ändert, und die einen mechanischen Ersatz für die sonst bei den 
Flugapparaten allgemein vorhandenen Randverstarkungen (durch Einlagerung von Skclet- 
teilen) bilden. 

Für den Fall einer Kollision des Flugapparates mit einem festen Fremdkörper, 
wird durch die elastische Wölbung des Vorderrandes der Stoss derart abgeschwächt, dass 
jede Verletzung der Flugfliche ausgeschlossen scheint. Nur da, wo in der Mitte des 
Randes diese elastische Prellvorrichtung fehlt, statt ihrer aber der äusserst spröde Stiel 
(funiculus) des Samens in den Vordergrund tritt, ist auch die Möglichkeit einer für das 
weitere Schicksal des Keimes vielleicht bedeutungsvollen Verletzung der Samenschale 
gegeben. 

Man kann den vorderen Rand der Flugfläche, soweit er nur schwach herabgebogen, 
mit den schneidenartigen Schranken vergleichen, welche an den Flügeln und einzeln- 
stehenden Schwungfedern der Ruder- und Schwebvógel während der Ausführung energischer 
Fliigelschlage entstehen. Die aërodynamische Bedeutung derartiger Schneiden habe ich 
an anderer Stelle (Z. Mechanik d. Vogelfluges. S. 28—38 u. ff.) dargelegt. Die Luft- 
massen, welche auf die Unterseite der Flugflächen treffen, werden dadurch gezwungen, 
auch über die Unterseite abzufliessen und nicht, wie bei ebenen Flächen, zum Teil vor- 
warts um den Vorderrand flugschädlich zu entweichen. 

Diese Wirkung liegt auch hier vor. Allcin wo die Schranke stärker entwickelt 
und weiter herabgebogen ist als zur Erreichung dieses Zweckes erforderlich, schneidet 
sie auch nicht glatt in der Richtung der sehr schwach geneigten Fallbahn voraus, sondern 
bietet dem Flugwinde die Oberseite der schrägen gewölbten Stirnflache dar. Auf diese 
konvexe Fläche übt der Luftwiderstand einen nach unten gerichteten Druck aus, 
während gleichzeitig an der konkaven Unterseite hinter der Schranke ein im gleichen 
Sinne saugend wirkendes Druckminimum entsteht. 


ue 


Die Folge dieser Einrichtung würde ein abwärts gerichtetes Rotieren des Vorder- 
randes sein, wenn nicht gleichzeitig am hinteren Rande der Flugfliche eine automatisch 
entgegenwirkende Steuervorrichtung vorhanden wäre. Der ganze breite hintere Teil der 
I‘lugfliche ist nämlich so weit emporgekrümmt, dass der Flugwind leicht gegen die Ober- 
seite trifft So entstehen vor und hinter dem Schwerpunkte abwärts gerichtete Kräfte, 
durch Pfeile in Fig. 37 angedeutet, die sich gegenseitig die Wage zu halten suchen. 
Steigert sich der Druck an der Schranke, so nimmt er auch entsprechend hinten am 
Steuer zu, und der ganze Schwebapparat wird so durch das Spiel dieser antagonistischen 
Kräfte selbstthätig in der Gleichgewichtslage festgehalten, die ihm unter den obwaltenden 
Widerstandsverhältnissen zukommt. Naturgemäss hat auch hier jede Änderung der 
Intensität und Richtung des Luftwiderstandes, jede Verschiebung des Widerstandspunktes 
eine neue Einstellung des Apparates in die Strömung zur Folge, aber diese Einstellung 
vollzieht sich nicht unter dem Einflusse des Beharrungsvermögens in oscillatorischen 
Schwankungen, sondern als einfache, einmalige Bewegung, welche durch die vordere und 
hintere Steuervorrichtung leicht und sicher gedämpft wird, sobald die erforderliche Drehung 
vollzogen ist. Gänzlich ausgeschlossen, mechanisch unmöglich ist es, dass ein so gestalteter 
Apparat aus der Schwebbewegung in volle Rotation übergehen könnte, wie es bei ebenen 
Schwebtafeln so leicht zu beobachten ist; denn mit den Oscillationen werden auch die 
Rotationen gleichsam im Keime erstickt. 

Die am vorderen und hinteren Rande des Flugapparats auftretenden Neben- 
widerstände sind also dazu bestimmt, die Stabilität und Flugsicherheit, die mechanische 
Unempfindlichkeit gegen Schwankungen des Druckes zu erhöhen. Da die Resultanten 
dieser Nebenwiderstinde der Hauptsache nach vertikal abwärts gerichtet sind, so fällt ihre 
motorische Wirkung auch grösstenteils mit derjenigen der Schwere zusammen; sie wirken 
herabdrückend und flugbeschleunigend, wie eine dem Gewicht des Apparats hinzugefügte 
Belastung. Die Steigerung der Stabilität kann als eine Folge dieses Verhältnisses der 
Nebenwiderstände zum Gewicht betrachtet werden, denn je grösser das Gewicht eines 

gegen Schwankungen des Luftwiderstandes, 
wie das Beispiel der grossen Segelvögel zeigt. Auch bei einer Wage kann man die 
Unempfindlichkeit dadurch steigern, dass man das Gewicht des Wagebalkens vergrössert. 


Flugapparats, desto unempfindlicher ist er 


Nur eine kleinere Komponente der Nebenwiderstände wirkt als hemmender Stirn- 
widerstand verzögernd auf den Fortgang der llugbewegung ein. 
Die interessanteste Eigenschaft des Zanonia-Samens ist nun aber die unter- 
scitige Konvexität seiner Flugfläche. Die seitlichen Areale oder Flügel sind vom 
Samen ab allmählich emporgebogen, wie es das 
^ Abbild 38 darstellt. Die Pfeilhöhe der Wölbung 
beträgt '/1o bis !/s der Klafterweite. Die geringe 
Konkavität der Fläche hinter dem Vorderrande tritt 
gegen diese vorherrschende Konvexität gänzlich 


Fig. 38. 


zurück Mit dieser Eigenschaft genügt die Zanonia, wie ihr idealer Flug beweist, in 
vollkommenster Weise dem theoretischen Stabilitätserfordernis, welches wir oben auf 


47 


induktiven Wege abgeleitet haben. Der natürliche Flugapparat der Zanonia 
ist daher der beste Beweis für die Richtigkeit unserer Ansicht, dass die 
Flugflächen passiver Flugapparate aus Gründen der Stabilität unbedingt 
unterwärts konvex gestaltet werden müssen. 

Das beweist auch der Vergleich mit den Flugapparaten der Tiere. 

Für die aerodynamische Analyse kommt nur die während des Fluges vorhandene, 
nicht die Ruheform der Flugfläche in Betracht. Wenn wir finden, dass von den kurz- 
flügeligen echten Rudervögeln ab bis zu den Flugfischen und der Zanonia alle Übergangs- 
formen gewölbter Flügel vorhanden sind: unterseits konkave, ebene und unterseits 
konvexe — so erklärt sich dies durch den mehr oder wenigen aktiven Gebrauch 
der Flügel. 

Uber die Wölbungen am Vogelflügel habe ich gezeigt, (Mech. d. Vogelfl. S. 28 
u. ff), dass sie im wesentlichen abhangig sind von dem Winkel, unter dem der relative 
Gegenwind oder llugwind auf die untere Flugflache trifft. Je mehr eine Fläche beim 
I‘luge senkrecht vom Winde getroffen wird desto hohler ist sie im allgemeinen an der 
Unterseite. Bei den Ruderern und besonders beim Abflug trifft die Luft infolge der 
grossen Winkelgeschwindigkeit der bewegten Flügel unter steileren Winkeln auf die 
Flächen derselben, als bei den langsameren Flügelschlägen im vollen Fluge oder beim 
Schwebfluge. Daher sind an den hubkraftigen Flügeln der Ruderer die automatisch 
wirkenden Einrichtungen vorhanden, die ich als Schranken bezeichnet habe, durch welche 
innerhalb erreichbarer Grenzen der Grad der Wölbungen dem jedesmaligen Stosswinkel 
des Windes angepasst wird. Wo bei langen, schmalen Flügeln (Albatros) diese Ein- 
richtungen fehlen oder nicht in genügendem Grade entwickelt sind, da fehlt auch das 
Vermögen, den Körper durch Flügelschläge vom Boden zu erheben, denn hierbei sind 
grosse Stosswinkel anzuwenden, und für diese sind ebene, nicht gewölbte oder »geschránkte« 
Flügel ungeeignet. Umpgekehrt ist die platte Flügelform überall im Vorteil, wo es sich 
um schnellen Schweb- und Segelflug handelt, weil hierbei die Stosswinkel des Flugwindes 
nur wenige Grade betragen. Für ein möglichst langsames und steiles Herabschweben 
würden natürlich wieder stark gewölbte, womöglich halbkugelige hohle Flugflächen am 
Platze sein, wie sic ja auch bei den echten Fallschirmen angewandt werden. 

In der Emporbiegung der Flügelspitzen der Zanonia erkannten wir das wirksame 
Mittel gegen seitliche Schwankungen bei zufällig eintretender unsymmetrischer Druck- 
verteilung; und die Aufbicgung der hinteren Partie der Flugflache erschien uns als eine 
Steuervorrichtung, durch welche, im Verein mit dem schrankenartigen Vorderrande, alle 
vertikalen Schwankungen verringert und auf das absolut notwendige Mass eingeschränkt, 
die Rotationen aber, die sonst so leicht bei passiven Schwebapparaten auftreten, unmöglich 
gemacht werden. Dass die hintere Steuereinrichtung so sehr viel umfangreicher ist als 
die vordere Schranke, erklärt sich aus dem Umstande, dass ja beim Schweben der Luft- 
widerstand vorn weit stärker ist, als hinten an der Fläche, und dass daher auch die 
vordere Angriffsfläche nur gering zu sein braucht. Dem entspricht auch der zarte Bau 
der hinteren Flürclränder. Durch die beträchtliche Aufkrummune des Steuerrandes und 


48 


der Flügelspitzen kommt die unterseitige Konvexität zu stande. Zugleich wird dadurch 
erreicht, dass der Schwerpunkt des ganzen Apparats die genügend tiefe Lage erhält, da 
ja die Last des Samenkorns an der tiefsten Stelle der Wölbung angebracht ist. 


Wie die Vereinigung fast der gesammten Masse, des ganzen Gewichts des Flug- 
apparats in der Nähe des Schwerpunktes ein Haupterforderniss für den ruhigen, stabilen 
Verlauf des Fluges ist, weil peripherische Massen bei eintretenden Stellungsänderungen 
ein starkes, schwer zu hemmendes Schwungmoment ergeben, so ist es offenbar für diesen 
Zweck auch nicht gleichgültig, wie der Luftwiderstand über die Fläche verteilt ist, ob er 
mit seinem Haupbetrage zwar symmetrisch, aber in einiger Entfernung vom Schwerpunkte 
angreift, oder ob er einheitlich, in der Nähe des Schwerpunktes zusammengedrängt auf 
den Apparat einwirkt. Denn jede eintretende geringe Unsymmetrie des Widerstandes 
wird den Apparat in stärkere seitliche Schwankungen versetzen, wenn der Angriffspunkt 
der unsymmetrischen Kräfte weiter entfernt liegt (längerer Arm), als wenn die Differenzen 
nahe beim Drehungs- und Schwerpunkte liegen. Hierin liegt einer der Hauptvorzüge 
einer Flächenanordnung, wie sie der Zanonia-Flugapparat zeigt, ein Vorzug, der zwar 
einen entsprechend grösseren Aufwand an Areal der Flugflächen erfordert, der aber dem 
toten Flugapparat die jederzeit aktionsbereite Muskelkraft eines lebendigen Flügels ersetzt. 





I 





Fig. 39. 


Die vorstehenden Figuren sind dazu bestimmt, eine annähernde Vorstellung von 
der Verteilung des Luftwiderstandes an der Zanonia zu geben. ligur 39 I stellt einen 
frontalen Querschnitt durch den Apparat dar. Die punktierten Linien sind die untere, 
positive, und die obere, negative Druckkurve. Das Flächenstück zwischen beiden stellt 
den gesamten Widerstand des Querschnitts dar und zeigt die Abnahme des Druckes gegen 
die Flügelspitzen hin. Figur 39 H zeigt die Druckverhältnisse im Längsschnitt des 
Apparats. Bei a und b erzeugt der Gegenwind an der Oberseite einen positiven Druck, 
an der Unterseite einen negativen, saugenden Widerstand; beide wirken als steuernde 
Nebenwiderstánde in a wie in b nach unten. Bei c liegt der Hauptwiderstand, der in 
seiner Wechselwirkung mit der Schwerkraft die Flugbewegung unterhalt. 

Man wolle die Druckkurven und Flachen als einen ersten Versuch betrachten, 
die Druckverteilung im ganzen qualitativ graphisch darzustellen. Auf irgend welche 
quantitative Genauigkeit erheben dieselben keinen Anspruch. Sie sind ursprünglich aus 
rein theoretischer Ueberlegung hervorgegangen und werden durch sehr merkwürdige 
hydrodynamische Analogien in überraschender Weise bestätigt. Die bezüglichen Unter- 
suchungen sind jedoch nicht abgeschlossen und sollen einer späteren Mitteilung vor- 
behalten bleiben. 


49 


Eine besonders interessante Beobachtung am Zanonia-Samen bleibt noch hinzu- 
zufügen. Als ich nämlich mein erstes Exemplar desselben, das flugunfähig geworden war, 
nach mehreren Monaten durch Beseitigung des etwas gequollenen Keimlings aus der 
Samenschale erleichterte, zeigte sich das überraschende Phänomen, dass der leere Apparat 
jetzt wieder fliegen konnte, und zwar besser als im Anfang, denn er hielt sich weit länger 
in der Luft, die Bewegung war erheblich langsamer, die Bahn weniger geneigt, ich konnte 
im Schritt neben dem fliegenden Körper einhergehen. Aber der Apparat flog jetzt 
in der Rückenlage und nahm diese aus jeder beliebigen Anfangsstellung mit ebenso 
grosser Präzision ein, wie er anfangs die normale Lage gefunden und innegehalten hatte. 

Die Verlangsamung der Flugbewegung ergab sich als eine Folge der Gewichts- 
verminderung, die durch die Beseitigung des schweren Keimlings herbeigeführt war. 
Die Rückenlage schien mir anfangs durch eine Verschiebung des Schwerpunktes 
verursacht zu sein, die in Folge der Beseitigung des Keimlings eingetreten war. Der neue 
Schwerpunkt lag jetzt 0,5 bis 1,0 mm hinter dem des intakten Samens. Allein das vor 
dem Schwerpunkte liegende Flugareal blieb immer noch beträchtlich grösser, als das hinter 
demselben liegende. Der Übergang in die Rückenlage aus normaler Anfangsstellung 
erfolgte auch nicht durch Überschlagen nach rückwärts, sondern durch Überstürzen nach 
vorn. Demnach blieb nur die Möglichkeit, dass entweder der herabdrückende Neben- 
widerstand des Vorderrandes durch stärkere Flächenwölbung vergrössert war, oder dass 
der Nebenwiderstand des hinteren Flugareals durch Abflachung der Fläche verringert war. 
Es zeigte sich, dass die gewölbte Flugfläche, die längere Zeit auf ebener Unterlage geruht 
hatte und durch ein Stück Kartenpapier belastet gewesen war, in der Symmetrielinie einen 
tiefen Einschnitt erhalten hatte, der von hinten her bis an die Samenkapsel reichte. Der 
Spalt klaffte, die Wölbung der hinteren Flugflächenhälfte war also etwas abgeplattet, und 
der an ihr beim Fluge entstehende Nebenwiderstand konnte seinem Gegenpart am Vorder- 
rande nicht mehr das Gleichgewicht halten. So erfolgte bei vollem Samen der Absturz, 
bei leerem in Folge hinreichender Verschiebung des Schwerpunktes das Wiederaufrichten 
und der Flug in der Rückenlage. 

Der Gegenversuch beweist die Richtigkeit dieses Ergebnisses. Ein Samen mit 
intakter Flugfläche wurde in gleicher Weise, wie der erste entleert, und es zeigte sich, 
dass der Flug zwar langsamer, aber in normaler Lage erfolgte. 


13. Ergebnisse. 


I. Von zwei ähnlichen und gleichschweren Flugkörpern zeigt derjenige die grösseren 
Schwankungen, welcher die grösseren Flugflächen besitzt; und bei gleichem Areal 
der Flugflächen zeigt die Bewegung des schweren Körpers die geringeren Schwankungen. 

2. Da die stärkere Belastung eines Flugkörpers eine Vergrósserung der Fluggeschwindigkeit 
zur Folge hat, so muss für langsamere Fahrt das Flugareal auf Kosten der Unempfind- 
lichkeit des Apparats gegen Schwankungen des Widerstandes vergrössert werden. 


50 

3. Der Schwerpunkt liegt für senkrechten Flug im oder unter dem Mittelpunkte der 
Fallschirmflache. Bei anderen, seitwärts fortschreitenden Flugkörpern liegt er mehr 
oder weniger vorwärts vom Flàchenmittelpunkte in der Symmetrieebene. Er darf 
jedoch niemals den vorderen Grenzpunkt erreichen, bis zu welchem der Widerstands- 
punkt bei kleinen Neigungswinkeln der Fläche vorrücken kann, sondern muss um eine 
genügend grosse Strecke hinter diesem Punkte zurückbleiben, damit bei Vorwärts- 
schwankungen ein rückwärtsdrehendes Kräftepaar entstehen kann. Je weiter der 
Schwerpunkt nach vorn liegt, desto grösser die Fluggeschwindigkeit, desto geringer 
im allgemeinen die Schwankungen. ' 


4. Der Schwerpunkt muss jedenfalls so tief liegen, dass sich eine positive epicentrische 
Höhe ergiebt, d. h. die Verbindungslinie der Widerstandspunkte des vor und hinter 
dem Schwerpunkte liegenden Flächengebiets muss sich oberhalb des Schwerpunktes 
mit der Lotlinie schneiden, welche durch den Schwerpunkt geht. Diese Anordnung 
wirkt hemmend auf eine begonnene Schwankung und beschleunigt die Wiederherstellung 
des einmal gestörten Gleichgewichts. Je grösser die epicentrische Höhe, desto 
energischer und kürzer die Schwankungen. Für starke Böen muss der Apparat 
steifer sein, d. h. eine tiefere Schwerpunktslage haben, als bei ruhiger Luft. 


5. Die Gestalt der Flugfläche richtet sich nach der Flugart. Für den senkrechten 
Schwebflug ergiebt sich die kreisformige Gestalt des Fallschirmes. Bei seitlicher 
Flugbewegung tritt nach den Aransin!schen Versuchen eine Verschiebung des 
Widerstandspunktes gegen den vorderen Flächenrand auf, d. h. eine stärkere Be- 
anspruchung der vorderen Flachenhalfte. Diese muss daher kleiner und stärker gebaut 
sein, als das dahinter liegende Areal. So ergiebt sich die zweiseitig symmetrische 
Gestalt der Flugflächen, die lange, schmale Flügelform bei stark excentrischer 
Schwerpunktslage. | 


6. Von allen Frontalprofilen der Flugflächen eignen sich diejenigen am besten für den 
passiven Flug, bei denen die Flügelspitzen emporgebogen sind, da hierdurch seitliches 
Kentern der Flugkörper am sichersten vermieden wird. 

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7. Von den sagittalen Querprofilen ergeben zwar nach den ZL/Zes£Aal schen Untersuchungen 
die unterseits konkaven l'ormen die grössten tragenden Widerstände, allein hinsichtlich 
der Stabilitat und Flugsicherheit bieten derartige Flugflichenformen die geringste 
Gewahr: in dieser Beziehung stehen sie noch hinter den ebenen Flugflachen. 


8. Eine unbedingte Sicherheit vor plötzlichem Uberschlagen und Abstürzen des Apparats 
bieten allein solche Flugflächen, die auf der Unterseite eine konvexe Wolbung besitzen, 
nicht die unterseits konkaven Flachen Zz/ZenfAtais. 


9. Für den passiven Schwebflug scheinen solche Vorderrandkonturen der Flugflachen die 
geeienetsten zu sein, bei denen die dem Schwerpunkt nahcliegende Mitte am 
weitesten hervortritt, während die Flügelspitzen mässig kaudal zurückgelegt sind. 


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10. Bei allen Flugapparaten ist die Masse möglichst in der Nähe des Schwerpunktes zu. 
vereinigen. und alle peripherischen Teile, die Flugflächen, sind aus möglichst leichtem, 
aber doch hinreichend festem Material herzustellen. Zur Abschwächung der Wind- 
stösse empfiehlt sich die Verwendung eines Materials, das an Biegsamkeit und 
Elasticitat den natürlichen Flugorganen nahe kommt. 


Hamburg-Uhlenhorst 


10. Marz 1897. 











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