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Full text of "Abhandlungen - Bayerische Akademie der Wissenschaften Philosophisch-Historische Klasse"

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ABHANDLUNGEN 


DER 


PHILOSOPHISCH  -  PHILOLOGISCHEN  CLA88E 


DER  KÖNIGLICH  BAYERISCHEN 


AKADEMIE  der  WISSENSCHAFTEN. 


SIEBZEHNTER  BAND. 

IN  DER  REIHE  DER  DENKSCHRIFTEN  DER  LIX.  BAND. 


MÜNCHEN   1886. 
VERLAG  DER    K.  AKADEMIE 

IN  COMMISSION  BEI  G.  FRANZ. 


AS 

M8I75 
Bd.  17 

Akademische  Buchdruckerei  von  F.  Straub  in  München. 


Inhalt  des  XVII.  Bandes. 


I.  Abtheilung.  Seite 

Ueber  die  Beobachtung  des  Wortaccentes    in    der    altlateinischen  Poesie.     Von 

Wilhelm  Meyer 1 

Hi »mer  oder  Homeriden.     Von   W.  Christ 121 

Die   römischen  Ghrenzlager   zu   Paasau,    Ki'mzin^.  Wischelburg   und  Straubing. 

Von   F.  ()hlrnsrhhu/rr.     Mit  einer  Tafel 211 

II.  A  b  t  h  e  i  1  u  n  g. 

Anfang  und  Ursprung  der  lateinischen  und  griechischen  ryth mischen-  Dichtung. 

Von   Wilhelm   Meyer  ans  Speyer       265 

Platonische  Studien   von    W.   Christ        451 

III.  Abtheilung. 

Die  troische  Aera  des  Snidas.     Von  Georg  Friedrich  Unger 513 

Handelsvertrag  zwischen   der  Republik  Venedig  und   dem   Königreich  Granada 

vom  Jahre  1400.     Von  Georg  Martin  Thomas 607 

Ueber  die  Homerrecension  des  Zenodot.     Von  Adolf  Römer 639 

Philologische  Bemerkungen  zu  Aventins  Annalen  und  Aventins  Lobgedicht  auf 

Albrecht  IV.  von  1507.     Von    Wilhelm  Meyer  aus  Speyer 723 


Ueber  die 


Beobachtung  des  Wortaeeentes 


in  der 


altlatei ni sehen  Poesie. 


Von 

Wilhelm  Meye 


Abh.  il.  I.  CS.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  IM.  I.  Ahth. 


Ueber  die 

Beobachtung  des  Wortaccentes  in  der  altlateinischen  Poesie. 

Von 

Wilhelm  Meyer. 


Dir  Dichtungsformeu  der  romanischen  Völker  haben  sich  aus  der 
r\ finnischen,  d.  li.  nach  dem  Wortaccent  betonenden,  lateinischen  Poesie 
des  Mittelalters  entwickelt.  Ein  Hauptprinzip  derselben  war  gleiche 
Silbenzahl  in  den  entsprechenden  Zeilen,  während  es,  abgesehen  von 
kunstreichen  Strophen,  auf  gleichen  Tonfall,  also  gleiche  Zahl  der  Heb- 
ungen nicht  ankam.  Die  germanische  Dichtung  hat  in  der  ältesten  Form. 
die  wir  kennen,  die  Hebungen  des  Verses  an  die  betonten  Silben  gebunden 
und  nur  die  gleiche  Zahl  der  Hebungen,  nicht  der  Silben,  auch  nicht  die 
Gleichheit  des  Tonfalls  erstrebt.  Nachdem  schon  in  kunstreichen  mittel- 
hochdeutschen Strophen  Gleichheit  des  Tonfalls,  also  auch  der  Silbenzahl, 
durchgeführt  worden  war,  war  in  den  Zeiten  der  Verwilderung  das 
Prinzip  der  lateinischen  und  romanischen  Dichtung,  Gleichheit  der  Silben- 
zahl in  den  entsprechenden  Zeilen  ohne  Rücksicht  auf  den  Tonfall,  ziem- 
lich herrschend  geworden.  Opitz  stellte  nach  antikem  Muster  in  den 
Zeilen  die  Gleichheit  des  Tonfalls  her  und  setzte  an  die  Stelle  der  langen 
die  betonten,  an  Stelle  der  kurzen  die  unbetonten  Silben.  So  herrschte 
in  den  entsprechenden  jambischen  und  trochäischen  Zeilen  gleicher  Ton- 
fall und  also,  da  die  Hebungen  wie  die  Senkungen  gleich  waren,  auch 
Gleichheit  der  Silbenzahl. 


Das  erste  lateinische  Gedicht,  in  welchem  die  Vershebungen  an  die  be- 
tonten Silben  gebunden  sind,  der  Psalm  Augustins  contra  partem  Donati.  ist 
etwa  393  nach  Christus  verfasst  Demnach  kann  dieses  Dichtnngsprinzip 
nicht  aus  der  germanischen  Poesie  entlehnt  sein.  Allgemeinen  Beifall 
hat  nun  die  Ansicht  gefunden,  dass  die  Römer  ursprünglich  nur  nach 
dem  Wortaccent  gedichtet  hätten  und  dass  auch  in  der  Zeit,  wo  die 
Gebildeten  nur  die  quantitirende  Dichtungsform  der  Griechen  nachahm- 
ten, doch  der  gemeine  Mann  immer  noch  nach  dem  Wortaccent  gedichtet 
habe;  das  Christentimm  habe  sich  dann,  da  es  sich  gerade  an  den  armen 
Mann  wendete,  dieser  Dichtnngsform  bemächtigt  und  sie  zu  Minen  ge- 
bracht* Diese  Ansicht  sagt  dem  modernen  Geschmack,  der  sich  nur 
schwer  in  die  <|iiantitirende  Dichtungsart  denken  kann,  natürlich  sehr  zu 
und  desshalb  wurde  sie  mitunter  romantisch  ausgemalt. 

Allein  mit  den  Beweisen  steht  es  schlecht.  Vor  Augustin  i> ibt  es 
kein  Gedicht,  das  nicht  quantitirend  gebaut  ist  oder  wenigstens  so  gebaut 
sein  will;  selbst  Commodians  Verse  sind  in  bestimmten  Theilen  nur  quan- 
titirend gebaut.  Ueberall  werden  die  Silben  nur  nach  ihrer  Quantität 
gewogen;  die  entweder  von  Natur  gegebenen  oder  durch  das  Zusammen- 
stossen  von  Consonanten  oder  Vokalen  entstehenden  Längen  und  Kürzen 
sind  es,  aus  welchen  der  lateinische  Vers  aufgebaut  wird.  Dieses  Grund- 
gesetz sammt  fast  allen  Formen  ihrer  Dichtung  haben  die  alten  Lateiner 
von  den  Griechen  gelernt. 

Aber  vielleicht  haben  die  lateinischen  Dichter  doch  beim  Versbau 
neben  der  Quantität  auch  den  Wortaccent  beachtet,  und  das  vielleicht  in 
dem  Grade,  dass  auf  eine  ursprüngliche,  oder  auch  später  noch  vor- 
handene, und  nur  zufällig  durch  keinen  Ueberrest  uns  bezeugte  accen- 
tuirende  altlateinische  Volkspoesie  ein  Schluss  sich  ziehen,  oder  dass  das 
allmälige  Wachsthum  und  der  endliche  Sieg  der  nur  nach  dem  Wort- 
accent gebauten  Verse  sich  daraus  erklären  lässt? 

Nach  einigen  Bemerkungen  Bentleys  und  G.  Hermanns  hat  Fr.  Kitschi 
im  15.  Capitel  seiner  Prolegomena  zu  dem  Trinummus  des  Plautus  (184!). 
S.  206  —  250)  behauptet  und  ausführlich  zu  beweisen  gesucht,  dass  im 
jambischen  Trimeter  und  im  trochäischen  Tetrameter  die  lateinischen 
Dichter  den  Widerspruch  des  Versaccentes  und  des  Wortaccentes  mög- 
lichst vermieden  hätten.     Luc.   Müller  hat  dagegen  in  seinen  verschie- 


denen  Schriften  über  lateinische  Metrik  behauptet .  möglichst  starker 
Widerspruch  der  Yersaccente  und  der  Wortaccente  sei  ein  Hauptziel  der 
lateinischen  Dichter  gewesen,  und  W.  Corssen  hat  in  seinem  Werke 
'Ueber  Aussprache,  Vokalismus  und  Betonung  der  lateinischen  Sprache' 
(2.  Ausg.  II,  1870,  S.  948  —  1000)  Ritschi  zu  widerlegen  und  nachzu- 
weisen versucht,  dass  die  lateinischen  Dichter  zu  keiner  Zeit  sich  um 
den  Wortaccent  gekümmert  hätten.  Ritschi  gibt  dagegen  noch  in  der 
Einleitung  zum  2.  Bande  seiner  kleinen  philologischen  Schriften  (Leipzig. 
1868,  S.  XII)  eine  Charakterisirung  seiner  Widersacher  und  eine  kurze 
Darlegung  seiner  Ansicht  mit  folgenden  Worten  '  Was  ist  ihnen  ein  Her- 
mann! was  ein  Bentley!  die  uns  andern  erst  den  Blick  geöffnet  haben 
in  die  Geheimnisse  der  harmonischen  Disharmonie  von  Vers-  und  Wort- 
accent,  auf  welcher  der  Heiz  der  antiken,  in  besonders  eigentümlicher 
Mischung  aber  der  römische!)  Versknnst,  zu  einem  so  wesentlichen  Theile 
beruht.  Denn  es  ist  ja  hier  nur  eine  verschiedene  Stellung  der  beiden 
Elemente  (Consonanz  und  Dissonanz),  wenn  der  daktylische  Hexameter 
vom  Widerspiel  zwischen  Vers-  und  Wortaccent  in  der  eisten  Vershälfte 
übergeht  zur  Lösung  des  Zwiespaltes  in  der  zweiten,  und  wenn  ander- 
seits der  dramatische  Vers  das  Widerspiel  am  Anfang  und  Ende  dort 
gestattete,  hier  mit  Wohlgefallen  sucht»-,  die  Verschmelzung  dagegen  mit 
so  merkwürdiger  Consequenz  des  rythmischen  Gefühles  in  die  Mitte  des 
Verses,  zu  beiden  Seiten  der  Caesur  verlegte.  Hie  Ekodus,  hie  saUfi  darf 
man  jedem  Plautuskritiker  zurufen.'  Corssen  wird  dann  noch  als  der- 
jenige bezeichnet,  der.  selbst  ohne  Empfänglichkeit  für  die  'Musik  des 
Rhythmus',  sich  zum  ausgesprochensten  Anwalt  einer  rein  mechanischen 
Auffassung  gemacht  habe.  Da  die  Erörterung  dieser  Krage  bei  der 
Untersuchung  über  den  Ursprung  der  lateinischen  accent uirenden  l'oesie 
nicht  umgangen  werden  kann,  will  ich  versuchen,  sie  mit  möglichster 
Kürze  und  Nüchternheit  zu  erörtern. 

Wichtig  ist  der  I  instand,  dass  die  griechischen  und  lateinischen 
Rhetoriker,  insbesondere  Cicero  (Orator  c.  T>5,  56,  64  etc.)  und  Quintilian 
(IX  cap.  4)  da,  wo  sie  von  dem  Tonfall  innerhalb  und  insbesondere  am 
Schlüsse  der  Sätze  und  Reden  handeln,  nicht  die  geringste  Rücksicht 
auf  den  Wortaccent  nehmen,  sondern,  obwohl  nur  von  prosaischen  Reden 
gehandelt  wird,  dennoch  nur  die  Quantitate-Kürzen  und  Längen  ins  Auge 


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fassen.1)  Daraus  möchte  man  schliessen.  dass  die  Alten  sich  um  den 
Wortaccent  überhaupt  nicht  viel  kümmerten  und  dass  der  Unterschied 
zwischen  betonten  und  unbetonten  Worttheilen  weit  schwächer  war  als 
ihn  die  germanischen  Stämme  wenigstens  bei  der  Aussprache  des  Lateini- 
schen sein  lassen. 

Die  Betonung  der  lateinischen  Wörter. 

Haben  die  Betonungsgesetze  der  lateinischen  Wörter  das  Zu- 
sammenfallen von  Wort-  und  Versaccent  begünstigt  oder  beeinträchtigt? 
In  den  Sprachen,  welche  im  Versbau  nur  die  stärkere  oder  schwächen' 
Betonung  der  Silben  beachten,  muss  natürlich  bei  Beobachtung  eines 
bestimmten  Versschemas  stets  Wort-  und  Versaccent  zusammenfallen;  so 
in  den  modernen  Sprachen.  In  den  Sprachen  dagegen,  welche  beim 
Versbau  die  Quantität  der  Silben  berücksichtigen,  kommt  es  in  Betreff 
des  Wortaccentes  darauf  an,  ob  der  Wortaccent  irgendwie  an  die  Quantität 
der  Silben  gebunden  ist.  Wenn  der  Accent  der  Wörter  sich  nichts  um 
die  Quantität  der  Silben  kümmert,  so  wird,  wie  es  eben  der  Zufall  fügt, 
der  Versaccent  oft  auf  die  vom  Wortaccent  belegte  Silbe  fallen,  oft  nicht. 
So  in  der  griechischen  Sprache.  Denn  nach  dem  einen  sonderbaren  Ge- 
setz, dass,  wenn  die  letzte  Silbe  lang  ist,  die  drittletzte  nicht  betont  sein 
darf,  wird  der  Accent  nicht  auf,  sondern  neben  die  lange  letzte  Silbe  und 
zwar  ebenso  oft  auf  eine  kurze  als  auf  eine  lange  Silbe  gezogen,  liyovreg : 


1)  Georg  Wuest,  de  clausula  rhetorica  quae  praeeepit  Cicero  quatenus  in  orationibus  secutus 
sit   (Strassburger   Dissertation    von   1**1  Dissertation«?«    philol.   Argentor.  V   p.  227 — 828)    zeigt. 

dass  die  Rhetoriker  sich  in  ihren  theoretischen  Schriften  nur  um  die  Quantität  der  Silben  küm- 
merten, und  dass  Cicero  auch  in  der  Praxis  d.  h.  in  seinen  Reden  dieselbe  beachtet  hat.  S.  818 
bis  320  will  er  aber  wenigstens  in  den  Reden  des  Cicero  auch  einige  Rücksicht  auf  den  Wort- 
accent nachweisen :  mit  wenig  Glück,  wie  mir  scheint.  Cicero  meidet  die  steigenden  (jambisch- 
anapästischen),  sucht  die  sinkenden  (trochäischen)  Schlüsse.  In  den  letztern,  den  trochiiisch-spon- 
deischen  Schlüssen  stimmt  Wortaccent  und  Quantität  stets  überein.  Aber,  wenn  Cicero  auf  den 
Wortaccent  geachtet  hätte,  so  hätte  er  von  den  Schlüssen  mit  vorletzter  kurzer  Silbe  diejenigen 
am  ehesten  zulassen  müssen,  in  welchen  der  Wortaccent  auf  diese  Kürze  fällt  und  so  den  jam- 
bischen Schluss  einigermassen  dem  trochäischen  oder  spondeischen  nähert,  wie  ägit,  ägunt,  da- 
gegen die  am  meisten  meiden,  wo  die  vorletzte  Kürze  nicht  einmal  den  Wortaccent  hat,  wie 
exigunt,  exigit.  Allein  das  Umgekehrte  ist  der  Fall.  Die  Schlüsse  ägit,  ägunt  meidet  Cicero 
auch  in  seinen  Reden  ängstlicher  als  die  Schlüsse  exigunt,  exigit.  Auch  sonst  konnte  ich  keinen 
Anhalt  dafür  finden,  dass  Cicero  in  der  Theorie  oder  in  der  Praxis  sich  um  den  Wortaccent  ge- 
kümmert habe. 


UyovTwv.  ouiuaTo. :  aiDuarcoi',  so  dass  durch  dieses  Betonungsgesetz  die 
Häufigkeit  des  Zusammenfalls  von  Wort-  und  Yersaccent  nicht  beeinflusst 
wird.  In  den  griechischen  Versen  ist  also  das  Zusammenfallen  von  Wort- 
und  Versaccent  nur  ein,  nicht  gemiedener  nicht  gesuchter.  Zufall.  Wenn 
dagegen  in  einer  Sprache  der  Accent  des  Wortes  mehr  oder  minder  von 
der  Quantität  der  Silben  bedingt  ist,  so  kommt  es  darauf  an.  in  welcher 
Weise  dies  geschieht,  Würden  z.  B.  im  Verse,  wie  dies  die  Regel  ist, 
die  langen  Silben  betont,  die  kurzen  nicht,  in  der  Wortbetonung  gälte 
aber  das  Gesetz,  dass  die  kurzen  Silben  betont  würden,  die  langen  nicht,  so 
wäre  ein  Zusammenfallen  beider  Accente  fast  unmöglich;  wenn  dagegen 
auch  in  den  Wörtern  die  langen  Silben  den  Accent  auf  sich  ziehen,  die 
kurzen  von  sich  abstossen,  so  wird,  wenn  dies  Gesetz  ohne  Ausnahme 
gilt,  der  Versaccent  stets  mit  dem  Wortaccent  zusammenfallen,  sonst  wird 
von  der  grösseren  oder  geringeren  Herrschaft  des  Gesetzes  auch  das 
häufigere  oder  seltenere  Zusammenfallen  beider  Accente  abhängen;  jeden- 
falls aber  muss  dasselbe  hier  häufiger  stattfinden  als  in  den  Sprachen, 
wo  der  Wortaccent  sich  gar  nichts  um  die  Quantität  der  Silben  kümmert. 

In  der  lateinischen  Spracht'  sind  die  ein-  und  zweisilbigen  Wörter 
in  diese!'  Frage  ohne  Einfluss.  Denn  die  einsilbigen  Wörter  sind  theils 
lang  theils  kurz.  Die  zweisilbigen  sind  alle  auf  der  ersten  Silbe  betont; 
da  diese  bald  hing  bald  kurz  ist.  wie  esset  fäcit,  so  stellen  sie  zum  Vers- 
bau ebenso  gut  Wörter,  in  welchen  der  Versaccent  dem  Wortaccent  ent- 
sprechen kann,  als  solche,  in  denen  er  ihm  widersprechen  muss.  Da- 
gegen die  drei-  und  mehrsilbigen  Wörter  geben  den  Ausschlag.  Hier 
richtet  sich  der  Wortaccent  nach  der  Quantität:  wenn  die  vorletzte  Silbe 
lang  ist,  zieht  sie  den  Accent  auf  sich;  wenn  sie  kurz  ist.  stösst  sie  ihn 
ab,  so  dass  er  auf  die  drittletzte  Silbe  fällt. 

Da  wir  nun  annehmen  dürfen,  dass  die  Zahl  derjenigen  drei-  und 
mehrsilbigen  Wörter  und  Wortschlüsse,  deren  vorletzte  Silbe  lang  ist,  die 
Hälfte  von  sämmtlichen  beträgt,  so  folgt,  dass  erstens  in  dieser  Hälfte 
stets  der  Wortaccent  auf  eine  Silbe  fällt,  die  vom  Versaccent  getroffen 
werden  kann.  In  jener  Hälfte  der  drei-  und  mehrsilbigen  Schlüsse,  in 
welchen  die  vorletzte  Silbe  kurz  ist,  also  die  drittletzte  betont  wird,  darf 
man  die  Zahl  derjenigen  Wörter,  in  welchen  eben  diese  Silbe  lang  ist 
(fecerat),  für  ebenso  gross  veranschlagen,  als  die,  in  welchen  sie  kurz  ist 


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(fäciunt),  so  dass  also  die  eine  Hälfte  dieser  Hälfte  lange,  die  andere 
kurze  betonte  Silben  bietet.  Demnach  kann  in  drei  Vierteln  der  drei- 
und  mehrsilbigen  Wörter  und  Wortschlüsse  der  Versaccent  mit  dem 
Wortaccent  zusammenfallen,  und  auch  in  dem  letzten  Viertel,  dessen 
drittletzte  Silbe  kurz  ist.  wird  dadurch,  dass  auch  die  vorletzte  Silbe 
kurz  ist.  die  Möglichkeit  geboten,  beide  kurze  Silben  als  Auflösung  einer 
langen  zu  fassen  und  so.  im  dramatischen  Verse  wenigstens,  auch  die 
drittletzte  Silbe  mit  dem  Wort-  und  Versaccent   zugleich  zu  belegen. 

In  den  griechischen  Wörtern  fallt  also  der  Accent  willkürlich  bald 
auf  lange  bald  auf  kurze  Silben;  in  den  griechischen  Versen  fällt  der 
Accent  auf  lange  Silben,  folglich  fallen  in  den  griechischen  Versen  Wort- 
und  Versaccent  oft  zusammen,  oft  nicht,  wie  es  der  Zufall  fügt.  In 
einer  Menge  lateinischer  Wörter  fallt  der  Accent  ebenfalls  willkürlich 
bald  auf  lange  bald  auf  kurze  Silben,  in  der  andern,  ebenfalls  sehr 
grossen  Zahl  von  lateinischen  Wörtern  wird  der  Accent  von  den  langen 
Silben  angezogen,  von  den  kurzen  abgestossen;  in  den  lateinischen  Versen 
fällt  der  Accent  auf  lange  Silben;  folglich  muss  wegen  der  beson- 
deren Betonungsgesetze  der  lateinischen  Wörter  in  den 
lateinischen  Versen  der  Wortaccent  mit  dem  Versaccent 
viel  häufiger  zusammenfallen  als  in  den  griechischen. 
Diese  Thatsache  hat  Corssen  (2.  Ausgabe  II  S.  972 — 988)  auf  anderem, 
längerem   Wege  nachgewiesen. 

Der  Wortaccent  im  Schlüsse  des  Hexameters. 

Wie  Andere  (vgl.  Crain  im  Piniol.  X  p.  251,  252),  so  hat  auch  Ritschi 
(oben  S.  5)  sich  darauf  berufen,  dass  im  5.  und  6.  Fusse  des  Hexameters 
Wort-  und  Versaccente  zusammenfielen.  Wirklich  fallen  dieselben  z.  B.  in 
den  Schlüssen  der  756  Verse  des  1.  Buches  von  Virgils  Aeneide  stets 
zusammen:  primus  ab  öris;  iactätus  et  älto;  cönderet  ürbein:  linde 
Latinum;  adire  laböres;  Tiberinaque  lönge;  nur  in  12  Versen  schliesst 
1  einsilbiges  Wort  und  2  zweisilbige,  wie  rö  dea  certe;  aüt  ubi  flava'; 
dann  finden  sich  die  drei  Schlüsse:  praerüptus  aquae  mons;  forte  virum 
quem;  ätque  hominüm  rex.  Hier  ist  also  in  15  Fällen  der  Wortaccent 
verletzt;  die  eine  Art  des  Schlusses  'ö  dea  certe'  war,  wie  die  grosse 
Zahl  der  Beispiele  zeigt,  offenbar  gestattet;  die  andere  Art  'rüptus  aquae 


mons*  war.  wie  die  geringe  Zahl  der  Beispiele  zeigt,  offenbar  gemieden. 
Ist  diese  Art  von  Hexameterschluss  gemieden,  weil  hiebei  der  Wortaccent 
verletzt  wurde?  Die  Antwort  auf  diese  Frage  haben  schon  Luc.  Müller 
(De  re  metrica  p.  206 — 212,  218 — 222)  und  Corssen  (Ueber  Aussprache  etc. 
II,  p.  969—972,  980—982  2.  Ausg.)  gegeben.  Zunächst  ist  Ritschis  oben 
angeführte  Gegenüberstellung  vom  Einklang  der  Wort-  und  Yersaccente 
im  Ausgang  (nicht  auch  im  Anfang!)  des  Hexameters  und  in  der  Mitte 
des  Trimeters,  dann  vom  Widerstreite  beider  Accente  in  der  Mitte  des 
Hexameters  und  im  Anfang  und  Ausgange  des  Trimeters  zwar  rhetorisch 
hübsch,  aber  sachlich  unrichtig.  Denn  bei  den  alten  Dichtern  von  Hexa- 
metern, wie  bei  Ennius,  sind  die  einsilbigen,  den  Wortaccent  verletzenden, 
Schlüsse  so  häufig,  dass  ihre  Vermeidung  offenbar  noch  nicht  geboten 
war.  Dagegen  sind  dieselben  von  Virgil  und  noch  mehr  von  Ovid  und 
ihren  Nachfolgern  so  sehr  vermieden,  dass  hier  die  Vermeidung  der- 
selben offenbar  ziem  lieh  strenge  Regel  geworden  ist.  Es  hätten  also  nach 
der  Auffassung  Ritschis  die  alten  Dichter  den  Wortaccent  unbedenklich 
verletzt,  die  Dichter  des  augusteischen  Zeitalters  BOFgf&ltig  beachtet. 
Aber  von  dieser  Zeit  erklärt  Ritschl  selbst  (Proleg.  S.  207):  illic  accen- 
tus  vim  propemodum  nulluni  esse  constat,  eine  Thatsache.  welche  aller- 
dings aus  den  gracisirenden  Dichtungen  und  der  ganzen  Richtung  dieser 
Männer  sich  unzweifelhaft  ergibt.  So  geräth  Ritschl  in  einen  unlösbaren 
Widerspruch.  Dass  aber  wirklich  Virgil,  Ovid  und  ihre  Nachfolger  im 
Hexameterschluss  nicht  Uebereinstimmxing  der  Wort-  und  Yersaccente  er- 
strebten, gelit  daraus  hervor,  dass  sie  auch  Schlüsse,  wie  'res  reparäre; 
Tvndaridarum  :  ariiianinitis'.  obwohl  hier  der  Wortaccent  trefflich  gewahrt 
wurde,  dennoch  nicht  minder  gemieden  haben  als  jene  'aquae  mons'.1) 
Nur  rhetorische  Gründe  waren  es  also,  um  derentwillen  erst  diese  feinen 
Dichter  die  Regel  ausbildeten,  der  Hexameter  solle  weder  mit  einzelnen 
einsilbigen,  noch  mit  einem  vier-  oder  mehrsilbigen  Worte  schliessen 
(vgl.  bes.  Quint.  IX,  4  §  65).  Somit  hlieben  für  den  Hexameterschluss 
die  aus  zwei  oder  drei  Silben  bestehenden  Wörter.  Aber  ein  schliessen- 
des   dreisilbiges  Wort    muss    die   vorletzte   Silbe    lang,    also    auch    betont 


1)  Dagegen  kommen  z.  B.  in  den  200  ersten  Hexametern  des  Waltharius  13  viersilbige  und 
7  fünfsilbige  Schlusswörter  vor;  einzelne  einsilbige  Schlusswörter  mied  auch  das  Mittelalter. 
Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  I.  Abth.  2 


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haben,  und  das  ihm  vorangehende  Wort  nmss  ebenfalls  die  vorletzte 
Silbe  lang,  also  auch  betont  haben,  so  'deföesa  talenta'.  csäepe  libenter*. 
Ein  schliessendes  zweisilbiges  Wort  nmss  die  vorletzte  Silbe  lang,  also 
auch  betont  haben.  Gehen  demselben  drei  einsilbige  voran,  so  wird 
kein  Wortaccent  verletzt,  wie  hie  et  in  Acci;  geht  ein  drei-  oder  mehr- 
silbiges Wort  voran,  so  sind  dessen  zwei  Schlusssilben  kurz,  also  unbetont. 
die  drittletzte  Silbe  lang,  also  sowohl  vom  Wort-  wie  vom  Versaecent 
getroffen,  'cognöscere  poesis;  vehementibus  ira*.  In  all  den  bisher  be- 
sprochenen Fällen  ist  im  5.  und  6.  Fusse  des  Hexameters  das  Zusammen- 
fallen der  Wort-  und  Versaccente  eine  mechanische  Notwendigkeit, 
welche  die  lateinischen  Dichter  auch  beim  besten  Willen  nicht  hätten 
vermeiden  können.  Es  bleibt  noch  der  Fall  übrig,  dass  dein  schliessen- 
den  zweisilbigen  Worte  ein  zweisilbiges  vorangeht,  wie  at  memor  ille. 
Hier  wird  der  Wortaccent  dadurch  verletzt,  dass  'memor'  von  keinem 
Versaecent  getroffen  wird;  allein  da  kein  rhetorischer  Grund  solcher 
Bildung  des  Schlusses  entgegensteht,  haben  die  Dichter  sie  nicht  im  ge- 
ringsten gemieden.1)  Aus  all  dem  ergibt  sich,  dass,  (wie  sich  später  zeigen 
wird,  von  den  Lustspieldichtern  veranlasst)  erst  Virgil.  Ovid  und  ihre 
Nachfolger  im  Schlüsse  des  Hexameters  feine  Gesetze  über  den  Umfang 
der  dort  zu  verwendenden  Wörter,  aber  durchaus  nicht  den  Wortaccent 
berücksichtigt  haben. 

Der  Wortaccent  in  jambischen  und  trochäischen  Versen. 

In  den  Lustspielen  des  Plautus  und  des  Terenz  finden  sich  ab- 
gesehen von  selten  angewendeten  Zeilenarten  besonders  vier:  sehr  häutig 
der  jambische  Senar  (Plautus  über  8000  Zeilen,  Terenz  über  3000)  und  der 
trochäische  Septenar  (Plautus  über  8000,  Terenz  1200),  minder  häufig 
der  jambische  Septenar  (Plautus  über  1200,  Terenz  380)  und  der  jam- 
bische Octonar  (Plautus  300,  Terenz  800).  Die  drei  ersten  Zeilenarten 
sind  bei  den  Griechen  häufig,  die  vierte  ist  bei  den  Griechen  fast  un- 
bekannt und  erst  von  den  lateinischen  Dichtern  ausgebildet.  Nicht  nur 
diejenigen  Dichter,    welche  griechische  Schauspiele  übersetzten  oder  um- 


1)  Die   5.  Hebung  wird   dann  stets    durch   ein    einsilbiges  Wort   gebildet:    überhaupt    wird 
also  vermieden  die  5.  Hebung  durch  Wortende  zu  bilden. 


11 

arbeiteten,  sondern  auch  diejenigen,  welche  heitere  oder  ernste  nationale 
römische  Stoffe  für  die  Bühne  darstellten,  kannten  keine  anderen  Zeilen- 
arten als  jene  den  Griechen  abgelernten.  Mochten  die  Stoffe  und  die  Sprache 
der  Dichtungen  noch  so  volksthüinlich  römisch  sein,  von  besonderen,  natio- 
nalen römischen  Dichtungsformen  ist  hier  nichts  zu  finden.  Bentley, 
G.  Hermann  und  Ritschi  wollten  aller  doch  bei  den  alten  römischen 
Dichtern  ein  nationales  Element  finden,  nemlich  neben  dem  Alles  be- 
herrschenden, von  den  Griechen  entlehnten  Gesetze,  dass  die  Verse  nach 
der  Quantität  der  Silben  aufgebaut  werden  müssen,  eine  weitgehende  Be- 
achtung des  Wortaccentes.  Bentley  sagt  in  dem  Schediasma  de  metris 
Terentianis.  welches  er  seiner  Ausgabe  des  Terenz  (Cantabr,  1726)  voran- 
geschickt hat.  S.  XVII:  Id  Latin«  comicis,  qui  fabulas  suas  populo  placere 
cuperent,  niagnopere  cavendum  erat,  ne  contra  linguae  genium  ictus  seu 
accentus  in  quoque  versu  syllabas  verborum  ultimas  occuparent.  p.  XVIII: 
Totum  autem  hoc,  quod  de  ictu  in  ultimis  svllabis  cautum  misse  diximus, 
de  secunda  tantuin  trinietri  dipodia  capiendum;  Dam  in  prima  et  tertia 
semper  licuit :  riquidera  ista  sine  venia  conclamatum  actumque  erat  de 
comoedia  tragoediaque  laüna.  cum  igitur  hunc  versum  Bimüesque  apud 
nostrum  videris  Malüm  quod  i>ti  di  deaeque  omnes  duint1  cave  vitio  id 
poetae  verteris;  etsi  umbau  illud  et  omnis  >\  m  communi  quis  sermone 
sie  aeuisset.  deridiculo  fuiaaet  nimirura  aures  vel  invitae  patienter  id 
ferebant.  rine  quo  ne  una  quidem  in  tabula  Beaena  poterat  edolari  .  . 
In  seeunda  igitur  trimetri  dipodia  hoc  de  quo  agimus  non  licebat.  Der 
eine  Tlieil  dieser  Regel  ist  falsch,  der  andere  fast  selbstverständlich. 
Denn  bei  Caesar  im  dritten  Fasse  sehlirsst  die  2.  Dipodie  sein-  oft 
(104  Mal  in  den  680  Versen  des  Publilius)  mit  einem  jambischen  Worte, 
wie  in  Amare  et  sapere  vix  deö  conceditur;  Aegre  reprendas,  quod  sinüs 
consuescere;  Brevis  ipsa  vita  est.  sed  malis  tit  longior;  oder  bei  Auflös- 
ung der  Hebung  des  dritten  Fusses  wird  noch  dazu  die  viertletzte  Silbe 
vom  Versictus  getroffen,  wie  in  Avarus  ipse  w/.seriae  causa'st  suae;  Ex- 
celsis  mülto  fäcilius  casus  nocet.  Dann  ist  es  eine  stille  Voraussetzung, 
dass  in  Fällen  wie  in  'Anus  cum  ludit  mörti  delicids  facit'  oder  'Audendo 
virtus  crescit,  tdrdandö  timor'  der  Wortaccent  nicht  verletzt  werde.  Da 
aber  der  Wortaccent  auf  die  Silbe  dan  fällt,  so  ist  es  eigentlich  ein 
gleich  grosser  Verstoss  gegen  den  Wortaccent,    wenn  der  Versaccent  auf 


12 

die  unmittelbar  vorangehende  Silbe  feilt  Dass  abgesehen  von  diesen 
Fällen  der  Wortaccent  im  3.  und  4.  Fusse  mit  dem  Versaccent  zusammen- 
fällt, ist  nur  eine  mechanische  Wirkimg  der  Caesur.  Denn  nahezu  alle 
Verse  haben  Einschnitt  im  3.  oder  4.  Fusse.  sehr  viele  in  beiden,  wie 
'  Multoe  timere  debet,  quem  multi  timent'.  Es  steht  nun  hier  vor  den 
Einschnitten  stets  ein  Wort  oder  ein  Wortechluöe,  dessen  vorletzte  Silbe 
vom  Versaccent  getroffen  wird,  zugleich  aber,  da  sie  lang  ist.  wie  alle 
langen  vorletzten  Silben,  auch  den  Wortaccent  hat;  folglieh  müssen  die 
Wort-  und  Versaecente  vor  diesen  troehäisehen  Caesuren.  wie  überhaupt 
stets   in   trochäischen  Wortschlüssen,   zusammenfallen.1) 

Schärfer  hat  (i.  Hermann  beobachtet  in  seinen  Element.!  doctrinae 
metricae  (Leipzig  181(i».  Zunächst  S.  111:  Etomani  veterea  paulo  minus 
saepe  negligunt  eaesuram  eam.  qnae  est  in  medio  tertio  pede,  quam 
Graeci  comici.  quod  magia  a  natura  Linguae  Latinae  repetendum  videtur, 
quam  a  poetarum  diligentia,  non  enim  amant  Latdni  voces  in  ultima 
syllaba  ictu  notare.  nisi  in  primia  et  postremia  senarii  pedibus,  etsi  ne 
in  hac  re  ubique  nbi  eonstant.  sed  haec  pluribua  disputata  sunt  a  Bent- 
leio  .  .  Deinde  vero  spondeum  a  Latinis  veteribus  in  omnes  trimetri 
locos  praeter  ultimum  reeeptos  esse,  res  est  notiesima.  curarunt  tainen 
illi.  ut  plerumque  minus  durua  ad  aurea  acedderet  spondeus  iste.  lline 
illud  inprimis  caverunt.  ne  accentus  verborum.  in  quibus  spondeus  est  <ili- 
quem  e  parihua  locis  tenens.  tun/  ictu  pugnoret.  [taque  raro  invenias  ver- 
sum,  qualis  hie  Ennii  est 'Palam  miitire  ple&eio'  piaculum  est.  Seite  151 
bemerkt  dann  Hermann  von  dem  jambischen  Septenar:  et  spondeum  in 
paribus  locis  reeipi  et  anapaeatum  pro  iambo  poaitum  inveniri,  proceleus- 
maticum  quoque  pro  iambo  admitti,  modo  ista  omnia  pronunciationem 
liabeant  facilem  et  a  natundi  verborum  .sono  non  nimis  abhorrentem. 

Ritschi  hat  in  dem  15.  Kapitel  der  Prolegomena  zum  Trinuni- 
mus (1849.  S.  206  —  250)  Hermanns  Spuren  folgend  das  Verhältniss  der 
Wortschlüsse  zu  den  Versaccenten  im  jambischen  Trimeter  und  troehäi- 
sehen Septenar  genauer  untersucht.    Seine  Resultate  sind  im  Wesentlichen 


1)  Vgl.  die  häufigen  Verse,  wie  Peccäre  päuci  nölunt,  nülli  a&ciünl ;  Saec  sola  sanam 
mentem  gestat  meörum  familiarium.  Auch  bei  Daktylen  kommen  sie  vor:  Dfgmim  mente  domö- 
que  legentis  honesta  Nerönis. 


13 

folgende:  Jambische  Wörter  und  Wortschlüsse ,  deren  Schlusssilbe  vom 
Accente  getroffen  wird,  können  überall  stehen  mit  Ausnahme  des  vor- 
letzten Fusses.  Der  dem  schliessenden  Jambus  vorangehende  Jambus  darf 
nicht  durch  ein  einzelnes  jambisches  Wort  gebildet  werden  und  nur 
selten  durch  jambischen  Wortschluss;  vergl.  0.  Brugmann  über  den  jam- 
bischen Senar  (Leipziger  Diss.  1874,  S.  17  —  21).  Dagegen  sind  die 
spondeischen  und,  wie  Kitschi  hinzufügt,  die  anapästischen  Wörter  und 
Wortschlüsse  deren  letzte  Silbe  vom  Versaccent  getroffen  wird,  beson- 
dern Kegeln  unterworfen.  Sie  dürfen  im  1.  und  ">.  Kusse  des  jambischen 
Senars  stehen  und  stehen  hier  sehr  oft.  Dagegen  kommen  sie  fast 
niclit  vor  im  •_>.  Fasse  (S.  221—22:;).  fast  nicht  im  3.  (S.  218  u.  219), 
am  häufigsten,  aber  immerhin  noch  selten  im  4.  Fusse,  wo  wiederum 
die  auf  der  Endsilbe  vom  Versaccent  getroffenen  spondeischen  Wörter 
und  Wortschlüsse  seltener  sind  als  die  anapästischen  (S.  210  —  217);  am 
ehesten  sind  sie  noch  gestattet,  wenn  dem  1.  Posse  ein  viersilbiges  Wort 
folgt  (Brugmann  S.  32,  40  u.  49). 

Den  fcrocbäischen  Septenar  sieht  Ritsch)  nach  antiken  Metrikern  an 
als  bestehend  aus  einem  Cretictffl  und  einem  Trimeter.  Statt  des  Creticus 
kann  auch  Btehen  förtnnam,  concipinnt  (S.  232  u.  241).  Demnach  können 
jambische  Wörter  oder  Wortschlüsse,  deren  letzte  Silben  vom  Versaccent 
getroffen  weiden,  also  die  Senkung  des  einen  und  die  Hebung  des  näch- 
sten Trochäus  einnehmen,  überall  stehen,  nur  nicht  im  Uebergange  vom 
(i.  zum  7.  Fusse;  hier  dar?  wie  im  Trimeter,  vor  dem  schliessenden 
Jambus  kein  jambisches  Wort  und  nur  in  gewissen  Fallen  jambischer 
WOrtsehluss  stehen.  Spondeiscber  und  anapästischer  Uebergang  ist  ge- 
stattet vom  1.  zum  2.  und  vom  2.  zum  :'».  Fusse  (S.  241  u.  238):  Cög- 
natös  adfinitatem.  fflfugiäs  ex  ürbe  inänis;  Ego  te  cömplures  advorsum, 
Quid  faciam  mvenias  argentum;  vom  6.  zum  7.  Fusse  ist  er  nicht  nur 
gestattet,  sondern  sehr  häufig:  Dücent  ([(wun-ntüm  domüm;  Keniedium  in- 

.7  .       , 

venu  (Di  unser. 

Diese  Beobachtungen  Hermanns  und  Kitschis  sind  unbedingt  richtig. 
Denn  wer  z.  B.  die  grosse  Menge  von  Trimetern  bedenkt,  in  welchen 
der  2.  oder  4.  Fuss  durch  jambische  Wörter  oder  Wortschlüsse  gebildet 
wird,  wie  in  Plures  tegit  fortuna  quam  tutos  facit.  0  pesstmwm  periclum, 
quod  opertum  latet.    üccäsid  receptus  difficiles  habet;  Quauivis  non  rec- 


14 

tum,  quod  iuvät  rectum  putes.  Perpetuo  vincit  qui  ütitur  dementia. 
Quemcunque  querit  rnhuititas  facile  invenit  (solche  jambische  Wortschlüsse 
im  4.  Fusse  hat  z.  B.  Publilius  etwa  104  unter  680  Versen,  abgesehen 
von  allen  Versen  mit  Elisionen),  wer  anderseits  bedenkt,  wie  selten  bei 
Plautus  und  Terenz  an  diesen  Stellen  auf  der  letzten  Silbe  betonte  spon- 
deische  oder  anapästische  Wörter  und  Wortschlüsse  stehen,  der  begeht 
einen  schweren  Fehler,  wenn  er  die  F^xistenz  einer  Regel  leugnet,  wor- 
nach  solche  Schlüsse  an  diesen  Stellen  mehr  oder  minder  streng  verboten 
sind.  Die  Regel  gehört  bei  Plautus  und  Terenz  nicht  zu  jenen,  die  nie 
verletzt  werden,  wie  z.  B.  jene.  d;is^  ein  Senar  6  Füsse  oder  in  der  letz- 
ten Senkung  eine  kurze  Silbe  haben  muss,  sondern  zu  jenen,  die  hie  und 
da  verletzt  werden  können.  Regeln,  deren  es  beim  Versbnu  sehr  viele 
gibt.  Allein  mit  vollem  Rechte  wendet  sich  ltitschl  gegen  diejenigen. 
welche  der  wenigen  Ausnahmen  halber  die  Regel  selbst  nicht  anerkennen, 
und  Corssen  hat  seine  Bekämpfung  Ritschis  hauptsächlich  dadurch  kraft- 
los, gemacht,  dass  er  jene  Regel,  bei  der  die  Caesuren  unwesentlich  sind. 
fast  gar  nicht  berücksichtigt  hat  (S.  991  u.  992).  Die  Richtigkeit  jener 
Regel  wird  dadurch  bestätigt,  dass  die  Verletzungen  der  Regel,  die  bei 
Plautus  und  Terenz  vorkommen,  bei  den  Dichtern  späterer  Zeiten  ganz 
vermieden  werden.  Publilius  Syrus,  der  auch  in  seinen  etwa  680 
jambischen  Senaren  und  50  trochäischen  Septenaren  den  Versbau  der 
alten  Dichter  festhält,  hat  im  1.  und  5.  Fusse  des  Senars  viele  auf  der 
Endsilbe  vom  Versaccent  getroffene  spondeische  oder  anapästische  Wolter 
oder  Wortschlüsse,  aber  gar  keine  im  2.,  3.  oder  4.  Fusse.  Denn  der 
Vers  S  20,  in  dem  ich  diese  Ausnahme  nach  Naucks  Vorschlag  zuge- 
lassen habe  'Stultum  est  ulcisci  velle  aliüm  poena  sua',  lautet  in  den 
Handschriften  'Stultum  est  alium  ulcisci  velle  poena  sua'  und  ist  metrisch 
richtig  und  rhetorisch  besser  so  zu  stellen:  Stultum  est  ulcisci  velle 
poena  aliüm  sua.  Phaedrus,  der  nach  Luc.  Müllers  wahrscheinlicher 
Vermuthung  durch  das  Ansehen  der  publilianischen  Sprüche  zur  An- 
wendung derselben  Zeilenart  bewogen  wurde,1)  hat  nach  Langens  Unter- 


1)  Es  lohnte  sich  der  Mühe,  die  Verwandtschaft  beider  einmal  näher  zu  prüfen;  nicht  nur 
die  gleiche  Zeilenart,  die  oben  genannten  Eigentümlichkeiten  und  die  sparsame  Anwendung  des 
Anapästes    im    2.,   3.    und  4.  Fusse    sprechen  für   direkte   Nachahmung    durch   Phaedrus,    sondern 


15 

suchungen  (Rhein.  Mus.  1858.  S.  198)  ebenfalls  keine  der  Ausnahmen 
sich  gestattet,  die  Plautus  und  Terenz  sich  noch  gestattet  haben,  sondern 
im  2.,  3.  und  4.  Fusse  spondeische  und  anapästische  Wortschlüsse  mit 
dem  Versaccent  auf  der  letzten  Silbe  durchaus  .vermieden. 

Natürlich  fragt  Jedermann,  wie  kommen  die  lateinischen  Dichter  zu 
dieser  merkwürdigen  Regel?  Ritschi  antwortet  in  den  Prolegomena 
zum  Trinummus  S.  207 :  'Tanquam  acu  res  ita  demum  tangitur,  ut  etiam 
veteris  comoediae  tragoediaecjue  arti  metricae  pro  fundamento  fuisse 
quantitatis  observationem  intelligatur,  .  .  cum  quantitatis  autem 
severitate  summa  accentus  observationem,  quo  ad  eius  fieri 
posset.  conciliatam  esse,  prorsna  enim  utramque  rationein  ex- 
aequare  omnino  non  potuerunt  poetae.  si   modo  fieri  versus  vellent'. 

Ea  ist  das  die  bentleyische  Verlegenheitstheorie:  die  lateinischen 
Dichter  hätten  sich  Verletzungen  des  Wortaccentes  gestattet,  weil  sie 
sonst  keine  Verse  machen  konnten.  Welch  verschiedenartige  Dinge  muss 
derselbe  Grund  decken!  Bentley  machte  zwischen  jambischen  und  Bpon- 
deischen  oder  anapästischen  Wörtern  und  Wortschlüssen  keinen  Unter- 
schied und  behauptete,  im  3.  und  4.  Fusse  winde  der  Wortaccent  nicht 
verletzt,  d.  h.  käme  kein  zweisilbiges  Wort  vor,  das  auf  der  Endsilbe 
vom  Versaccent  getroffen  sei.  Hermann  und  Ritsch]  sehen  ein,  dass 
diese  Regel  unrichtig  sei.  Ritschi  gibt  zu,  dass  in  jedem  Fusse  des  Tri- 
meters  ein  jambisches  Wort  mit  dem  Versaccent  auf  der  Endsilbe  stehen 
könne,  dass  dagegen  ein  ganz  anderes  Gesetz  gelte,  neinlich  dass  im  2.. 
3.  und  4.  Fusse  nicht  spondeische  oder  anapästische  Wörter  und  Wort- 
schlüsse mit  dem  Versaccent  auf*  der  Endsilbe  stehen  dürften:  für  diese 
völlig  neue  Hegel  muss  auch  jene  Ausflucht  gelten,  die  Bentley  zur  Er- 
klärung seines  unrichtigen  Gesetzes  sich  erdacht  hatte.  Die  Brücke  dazu 
baut  Ritschi  sich  durch  die  S.  208  aufgestellte  Voraussetzung,  in  jambi- 
schen Wörtern  sei  die  Betonung  'videt'  'fidem*  viel  weniger  aufgefallen,  da 
die  Ohren  durch  Composita  wie  pervidet,  perfidäm  schon  daran  gewöhnt 
gewesen  wären,  dagegen  sei  die  in  mensäs,  animös  stattfindende  Verletz- 
ung des  Wortaccentes  viel  schwerer  in  das  Ohr  gefallen. 


auch  dessen   Haschen  nach  spruchartigen  Einzelversen  von  der  Art  der  publihanischen,  der  gleiche 
Gebrauch  det  Abstrakta  statt  der  cöncreten  Adjektiva,  wie  ayaritie  statt  avari,  und  Anderes. 


16 

Diese  Voraussetzung  erklärt  Corssen  (II  S.  992)  durchaus  für  falsch. 
Man  mag  Kitschi  zugeben,  dass  in  multos.  förtunae  die  Verletzung  des 
Wortaccents  schwerer  in  das  Ohr  fällt  als  in  erünt;  allein  in  anapästi- 
schen Wörtern  und  Wortschlüssen,  wie  animos.  perficiünt  verletzt  die  Be- 
tonung der  Endsilben  den  Wortaccent  jedenfalls  weniger  als  in  jambischen 
Wörtern,  wie  eränt,  da  jene  Endsilben  ohnedies  schon  einen  Nebenaccent 
tragen,  den  nemlichen  Nebenaccent,  der  die  Betonung  der  jambischen 
Wortschlüsse,  wie  pervident,  acceperant,  den  Oliven  Ritschis  und  seiner 
Anhänger  völlig  regelrecht  erscheinen  Hess.  Von  den  lateinischen  Dichtem 
aber  werden  an  bestimmten  Stellen  die  anapästischen  Wortschlüsse  ebenso 
vermieden  als  die  spondeischen.  So  steht  es  schon  mit  der  Voraussetzung, 
auf  die  Ritschi  seine  ganze  Theorie  aufbaut,  ziemlich  schlecht.  Kitschi 
schliesst  weiter,  spondeisehe  und  anapästische  betonte  Wortschlüsse 
konnten  die  lateinischen  Dichter  nicht  leicht  meiden,  wenn  sie  Verse 
bauen  wollten:  desshalh  Hessen  sie  dieselben  wenigstens  im  1.  und  5.  Fusse 
zu.  Nun  könnte  man  freilich  fragen,  warum  gerade  diese  IYisse  frei- 
gegeben wurden,  warum  nicht  z.  B.  bestimmt  wurde,  dass  in  einem  Tri- 
meter  vor  dem  6.  Fusse  nur  ein  oder  nur  zwei,  nicht  mehr,  spondeisehe 
oder  anapästische  Wortsehliisse  mit  Versaccent  auf  der  Endsilbe  vor- 
kommen dürfen,  gleichviel  in  welchem  Fusse.  Noch  anangenehmer  ist 
das  andere  Gesetze,  von  dem  die  Griechen  ebenfalls  nichts  wuseten,  dass 
nämlich  im  ä.  Fusse  ein  jambischer  Wortschluss  gar  nicht  stehen  darf, 
dagegen  spondeischer  und  anapästischer  nicht  nur  erlaubt,  sondern  sogar 
gesucht  ist,  dass  also  die  mildere  Verletzung  des  Wortaccents  hier  aus- 
drücklich verboten,  die  starke  sogar  beliebt  ist.  Wahrscheinlich  dess- 
wegen  hat  Ritschi  aus  der  Noth  eine  Tugend  gemacht  und  findet  in  der 
Vorrede  in  seinen  Opuscula  (II  p.  XII,  oben  S.  5)  eine  Schönheit  darin, 
dass  der  dramatische  Vers  das  Widerspiel  von  Wort-  und  Versaccenten 
am  Anfang  gestattete,  am  Ende  mit  Wohlgefallen  suchte,  die  Verschmelz- 
ung dagegen  mit  merkwürdiger  Consequenz  des  rhythmischen  Gefühls  in 
die  Mitte  des  Verses  zu  beiden  Seiten  der  Caesur  verlegte.  Aber  auch 
hiemit  ist  jene  merkwürdige  Regel  ebensowenig  erklärt. 

(Jorssens  Einwände  treffen  Bentley,  nicht  Ritschi,  wesshalb  ich  sie 
hier  nicht  näher  darlege.  Zunächst  ist  misslich,  dass  jene  Wahrung  der 
~Wortaccente  von  Publilius    und  Phaedrus    so  viel    genauer    durchgeführt 


17 

ist,  als  von  Plautus  und  Terenz,  während  doch  jene  Dichter  in  Zeiten 
lebten,  deren  Dichter  anerkanntermassen  den  Wortaccent  nicht  beach- 
teten. Dann  bleibt  es  eine  sehr  missliche  Sache,  dass  jambische  Wörter 
überall,  auch  in  der  Mitte  des  Verses,  den  Wortaccent  verletzen  durften, 
wie  in  Solet  sequi  laus  cum  viäm  fecit  labor,  oder  dass  in  der  Hebung  des 
3.  Fusses  die  erste  Silbe  eines  viersilbigen  Wortes  accentuirt  werden 
kann,  wie  in  Quemcunque  quaerit  cdlamitäa  facile  invenit.  Dann  unter- 
scheidet sich  der  jambische  Senar  vom  jambischen  Septenar  und  Octonar 
und  vom  trochäischen  Septenar  nicht  so  weit  wie  von  den  daktylischen  oder 
anapästischen  Zeilenarten;  ja  wir  werden  nachher  sehen,  dass  in  allen 
andern  Stücken  diese  vier  Zeilenarten  wie  über  einen  Leisten  gemacht 
sind,  weit  mehr  als  im  Griechischen.  Desshalb  ist  die  Forderung  unab- 
weisbar, dass  auch  in  Hinsicht  auf  Beobachtung  oder  Verletzung  des 
Wortaccentes  für  alle  Jamben  und  Trochäen  das  gleiche  Gesetz  gilt. 
Ritschi  hat  im  15.  Capitel  der  Prolegomtna  den  jambischen  Senar  und 
den  trochäischen  Septenar  untersucht :  im  trochäischen  Septenar  sind 
spondeische  oder  anapästische  Wörter  oder  Wortscldüsse  mit  dem  Yers- 
accent  auf  der  Endsilbe  allerdings  im  Uebergang  vom  1.  zum  2.  und 
vom  2.  zum  3.  Fusse  gestattet,  im  Uebergang  vom  6.  zum  7.  Fusse  so- 
gar sehr  beliebt,  dagegen  im  Uebergang  vom  3.  zum  4.,  vom  4.  zum  6. 
und  vom  5.  zum  6.  Kusse  fast  ganzlich  vermieden,  also  im  Anfang  und 
im  Schluss  der  Zeile  gestattet  oder  gesucht,  in  der  Mitte  vermieden; 
Elitschi  schliesst  cReli(| ua  metra  mitto  in  praesens  in  eo  solo  acquiescens. 
ut  iambicornm  trochaicorumque  in  observando  accentu  severitati  prorsus 
oppositam  esse  anapaesticorum  licentiam  dicam,  ut  pote  vix  ullis  in  eo 
genere  legibus  astrictam:  id  quod  etiam  de  iambicis  octonariifl  dictum 
esse  volo,  non  item  de  Beptenariis  Iambicis.1  Demnach  behauptet  Ritschi, 
in  dem  jambischen  Octonar  seien  seine  Regeln  über  die  Beobachtung  des 
Wortaccentes  bei  spondeischem  und  anapästischem  Wortschlusse  verletzt, 
im  jambischen  Septenar  eingehalten  worden.  Das  ist  aber  nicht  der 
Fall.  Beide  sind  sich  ja  gleich,  nur  fehlt  im  Septenar  die  letzte  Silbe. 
Wenn  beide,  wie  in  der  Regel  bei  Plautus,  nach  dein  vierten  Jambus 
Caesur  haben,  dann  ist  die  erste  Hälfte,  der  jambische  Dimeter.  in  beiden 
absolut  gleich;  und  in  der  zweiten  Hälfte  haben  dann  auch  die  beiden 
ersten  Füsse  wieder  gleiche  Gesetze.     Darnach  dürfen  dann  im   1.,   3.  und 

Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wi«s.  XVII.  Bd.  I.  Al.tli.  8 


18 

5.  Fusse,  im  Octonar  auch  im  7.  Fusse,  spondeische  oder  anapästische  Wort- 
schlüsse mit  starker,  im  2..  4.,  5.,  (8.)  jambische  Schlüsse  mit  leichterer  Ver- 
letzung des  Wortaccentes  eintreten.  Dimeter,  wie  Leges  ut  cönscrlbät  qui- 
büs  oder  Nümquam  bonae  frügi  sient.  und  dann  natürlich  auch  Octonare, 
wie  Amät:  sapit  recte  facit,  animö  quando  obsequitür  suö,  sind  unanfecht- 
bar. Was  will  aber  eine  solche  Beobachtung  der  Wortaccente  heissen? 
Jeder  Unparteiische  wird  zugestehen,  dass  sie  absolut  werthlos  ist.  Nie- 
mand kann  im  Ernste  behaupten,  dass  in  solchen  Dimetern  die  Zulass- 
ung der  leichten  Verletzung  des  Wortaccentes  in  2.  und  4.  und  der 
schweren  im  1.  und  3.  Fusse  unvermeidliche  Notwendigkeit  war,  oder 
dass  mit  ästhetischem  Sinne  in  der  Mitte  der  Reihe  beide  Accente  zu- 
sammen, am  Anfang  aber  und  am  Ende  auseinander  gingen.  Keine  der 
beiden  Erklärungen  IÜtschls  passt  hier.  Da  beiden  Erklärungen  auch  im 
jambischen  Trimeter  und  im  trochäischen  Septenar  gewichtige  Bedenken 
entgegenstehen,  so  muss  man  die  Lehre  von  der  halben  Beobachtung 
des  Wortaccentes  fallen  lassen.  Dadurch  wird  aber  nicht  im  Geringstes 
erschüttert  die  von  Hermann  und  Kitschi  gemachte  Beobachtung,  dass 
die  lateinischen  Dichter  sehr  vorsichtig  waren  in  der  Zulassung  von 
spondeischen  und  anapästischen  betonten  Wortschlüssen.  Diese  Beobacht- 
ung ist  durchaus  richtig,  und  ich  glaube,  wären  die  Meisten  bei  der 
«renaueren  Untersuchung  (Yu^rv  Falle  nicht  durch  Ritschis  Theorie  be- 
fangen  gewesen,  so  wäre  die  Erklärung  dieser  Thatsachen  hingst  ge- 
funden. Aus  der  Bemerkung  Luc.  Müllers  (Summarium  rei  metricae 
p.  47  und  Metrik  der  Griechen  und  Römer  S.  35)  'Um  den  ursprünglich 
jambischen  Charakter  seines  Verses  (des  Trimeters)  nicht  zu  verdunkeln, 
bildet  Phaedrus  den  2.,  3..  4.  Fuss  nie  durch  ein  auf  einen  Spondeus 
oder  Anapäst  ausgehendes  Wort'  leuchtet  kein  klarer  Grund  dieser  Regel 
hervor.  Denn  wenn  die  Griechen  im  1.,  3.  und  5.  Fusse  spondeische 
und  in  den  sämmtlichen  fünf  Füssen  (sogar  im  2.  und  4.)  anapästische 
auf  der  Endsilbe  vom  Versaccent  getroffene  Wortschlüsse  unbedenklich 
sich  gestatteten,  so  konnte  Phaedrus  im  3.  Fusse  und,  da  er  im  2.  und 
4.  auch  Spondeen  und  Anapäste  zulässt,  auch  im  2.  und  4.  Fusse  solche 
Wortschlüsse  unbedenklich  sich  gestatten. 


19 


Allgemeine  Gesetze  für  den  Bau  der  Jamben  und  Trochäen. 

G.  Hermann  urtheilt  (Elem.  doctrinae  metricae  S.  86):  veteres  Ro- 
manoruin poetae  quoniam  Graecos  in  re  metrica  magis  imitati,  quam 
aemulati  sunt,  propriam  quandam  illi  sectam  constituunt,  legibus  utentem 
similibus  quidem,  sed  multo  liberioribus.  Dieses  allgemein  ange- 
nommene Urtheil  ist  ungerecht  und  irrig.  Freilich  die  Bestimmungen 
darüber,  welche  Silben  der  lateinischen  Wörter  als  lang,  welche  als  kurz 
gelten  sollten,  welche  Silben  elidirt  werden  könnten,  welche  nicht,  konn- 
ten den  Griechen  nur  zum  geringen  Theile  nachgeahmt  werden,  und 
zwischen  der  Prosodie  des  Plautus  und  der  des  Ovid  mag  desshalb  ein 
Unterschied  sein,  wie  zwischen  der  des  Homer  und  der  des  Aeschylus: 
allein  die  Gesetze  der  Griechen  für  den  metrischen  Bau  der  jambischen 
und  trochäischen  Zeilen  konnten  nachgeahmt  werden  ohne  besondere 
Schwierigkeiten  anderer  Art,  als  sie  in  ihnen  selbst  lagen.  Gewöhnlich 
weist  man  auf  die  Längen  in  jenen  Senkungen  der  jambischen  und 
trochäischen  Dipodien  hin,  welche  die  griechischen  Tragiker  nur  mit 
einzelnen  Kürzen  gefüllt  hatten,  und  glaubt  damit  die  Nachlässigkeit  der 
altlateinischen  Dichter  bewiesen  zu  halten,  ohne  zu  bedenken,  dass  ja 
auch  die  griechischen  Komiker  jene  Senkungen  ganz  regelmässig  mit 
zwei  Kürzen  füllten. 

Die  hauptsächliche  Aufgabe  der  altlateinischen  Dramatiker  war. 
griechische  Lustspiele  der  späteren  Zeit  zu  übersetzen  oder  umzuarbeiten. 
Man  muss  also,  um  den  alt  lateinischen  Versbau  richtig  zu  beurtheilen, 
zum  mindesten  die  metrischen  Gesetze  der  griechischen  Tragiker  und 
Komiker,  ja  vielmehr  insbesondere  die  der  letzteren,  mit  den  altlateini- 
schen vergleichen.  So  kommt  z.  B.  der  jambische  Septenar  bei  den 
griechischen  Tragikern  gar  nicht  vor.  Die  Aufgabe  dessen,  der  zuerst 
die  Nachahmung  der  griechischen  jambischen  und  trochäischen  Dialog- 
verse versuchte,  war  eine  schwierige.  Gerade  in  der  gewöhnlichsten 
Zeilenart,  dem  jambischen  Senar,  hatten  die  griechischen  Dichter  das 
Meiste  gewagt;  in  den  fünf  ersten  Füssen  konnte  durch  Vertauschung 
des  Jambus  mit  Spondeus,  Anapäst,  Tribrachys  oder  Daktylus  der  ursprüng- 
liche Charakter  des  Verses  in  der  mannigfachsten  Weise  verändert  oder 
verborgen  werden.    Dann  hörte  der  Mann  wohl  von  einer  rein  zu  halten- 


20 

den  Senkung  in  jeder  Dipodie,  allein  bei  seinen  nächsten  Vorbildern,  den 
Lustspieldichtern,  sah  er  sie  ganz  regelmässig  mit  zwei  Kürzen  gefüllt; 
er  hörte  wohl  von  bestimmten  Caesuren  in  jeder  Zeilenart,  allein  ebenda 
fand  er  ausserordentlich  viele  caesurlosen  Verse.  Der  Mann,  welcher 
unter  diesen  schwierigen  Verhältnissen  die  Nachahmung  jener  griechisches 
Verse  unternahm,  wurde  so  von  selbst  dazu  gedrängt,  sich  seinen  Weg 
zu  suchen.  Er  war  offenbar  ebenso  praktisch  als  energisch.  Er  hat 
nicht  viele  und  einfache  Gesetze  aufgestellt,  in  denen  er  theils  eng  ;ui 
die  Griechen  sich  anschloss  theils  über  sie  hinausging,  theils  sich  engere 
Schranken  setzte.  So  sind  die  altlateinischen  Lustspieldichter  im  Bau 
dieser  Zeilen  nicht  zuchtloser  als  die  griechischen,  sondern  sie  haben 
strengere  Regeln  und  beobachten  sie  sorgfältiger.  Anderseits  sali  der. 
welcher  diese  Regeln  nach  der  gewöhnlichen  griechischen  Lehre  aufstellte. 
diese  in  seinen  besten  Vorbildern  oft  verletzt.  So  ist  es  völlig  natür- 
lieh,  dass  auch  er  seine  Regeln  nicht  als  absolut  unverletzliche  hinstellte, 
sondern  wenigstens  hie  und  da  eine  Ausnahme  gestattete.  Viele  von  unseren 
Philologen  haben  keinen  Sinn  für  solche  Regeln,  deren  Verletzung  mehr 
oder  minder  oft  ( nun<|uam  vel  raro'  sagt  Eberhard  Bethun.)  gestattet  sein 
soll;  allein  gerade  für  den  wohlklingenden  Bau  der  Verse  gibt  es  in  allen 
Dichtungen  viele  Regeln  der  Art.  So  steht  es  z.B.  mit  dem  Hiatus  bei 
den  lateinischen  rythmischen  Dichtern  des  ganzen  Mittelalters.  Nur  sehr 
wenige,  wie  der  Archipoeta,  haben  ihn  ganzlich  Gemieden;  die  meisten 
haben  ihn  Belten  zugelassen,  wie  Abaelard  2,  3  Mal  in  je  100  Zeilen; 
fast  keiner  aber  hat  ihn  so  oft  zugelassen  als  er  iu  der  Prosa  sich 
findet,  d.  h.  fast  keiner  hat  ihn  absolut  nicht  gemieden.  Auch  bei  Plautus 
und  noch  häufiger  bei  Terenz  finden  sich  hie  und  da  Ausnahmen  von 
den  sonst  bei  ihnen  geltenden  metrischen  Regeln.  Zu  wundern  ist  es 
nicht,  dass  spätere  Dichter,  welche  in  der  Zeit  der  höchsten  Kunstblüthe 
den  altlateinischen  Versbau  nachahmten,  wie  Publilius  und  Phaedrus, 
diese  Ausnahmen  von  der  Regel  seltener  und  seltener  zuliessen.  Wenn 
nun  auch  die  Perioden  der  lateinischen  Metrik  zum  grössten  Theil 
nur  Stationen  der  wiederholten  stärkeren  und  neuartigen  Nachahmung 
griechischer  Formen  sind,  so  haben  doch  da,  wo  die  altlateinischen 
Dichter  Etwas    verboten    hatten,    was  bei  den  Griechen  erlaubt  gewesen 


21 

war,  selbst  die  feurigsten  Puristen  fast  niemals  gewagt,    die    griechische 
Freiheit  wieder  herzustellen. 

Für  solche  Untersuchungen  bietet  Plautus  den  ältesten,  reichhaltigsten 
und  wichtigsten  Stoff;  leider  ist  es  nicht  so  gut  bestellt  mit  der  hand- 
schriftlichen Ueberlieferung  und  gelehrten  Bearbeitung  der  meisten  Lust- 
spiele. Von  Terenz  sagt  man,  er  biete  zwar  keine  grosse  Mannigfaltigkeit 
der  Formen,  dafür  sei  er  aber  im  Versbau  weit  sorgsamer  als  Plautus. 
Dieser  allgemeine  Glaube  ist  durchaus  unrichtig.  Der  reich  begabte 
Plautus  strebte  nicht  nur  nach  Mannigfaltigkeit,  sondern  ebenso  sehr 
nach  Schönheit  und  Reinheit  der  Dichtungsformen,  Terenz  dagegen  hatte 
dafür  wenig  Sinn.  Seine  Formen  sind  ärmlich,  deren  Bau  nachlässig 
und  die  Verletzungen  der  Regeln  bei  ihm  mindestens  doppelt  so  häutig 
;tls  bei  Plautus.  Dazu  kommen  noch  besondere  Eigenthümlichkeiten,  wie 
z.  II.  im  Bau  der  jambischen  Octonare.  Für  PubUUus  tit/rus  glaube  ich 
nach  Wolfflin  die  festen  Grundlagen  der  handschriftlichen  Ueberlieferung 
nachgewiesen  zu   haben.1)    Ziemlich  gut  ist  es  mit  dem  Texte  der  Fabeln 


li  Diese  Sprucbvene  sind  in  verschiedenen  Sammlungen  theila  ohne  Oeberschrifl  theila  mit 

falschen   öeberschrifben,   wie  Senecae  sententia ler  proverbia,  Sententiae   philosophorum,   uns 

tiberliefert.  Diese  ra  Schulswecken  gemachte«  Bammlongen  und  unter  sicli  verwandte  \uslesen 
ans  einer  ursprünglichen  reichhaltigen  Bammlang.     In  einer  Veroni  cptenhandschrifl    von 

'ml  auch  80  Spruchverse  eingesetzt,  die  nun  Theil  in  jenen  Bammlongen  vorkommen,  tlieils 
nicht;  diesen  60  Sprüchen  ist  bald  Ex  gententiia  Publii,  bald  Publina  Syrus,  bald  Pubhua  mimua 
vorgesetzt.  Da  in  jener  Veroneser  Handschrifl  auch  andere  «richtige  Bandschriften  mil  Sorgfall 
excerpirl  sind,  ao  erhellt,  data  l  >  daselbst  eine  Bammlung  ausgenützt  ist,  «reiche  vollständiger 
war  und  der  unprüngliches  naher  stand,  als  die  uns  erhaltenen,  und  dasa  2)  diese  Sammlung  den 
Titel  'Publilii  Byri  mimi  tententiae'  hatte.     Da   ferner  auch  von  20  Sentenzen,   «reiche  die  beiden 

Seneca  und  Oelbna  mit   dem  N. n  dea  Publiliua  citiren,  19  in  diesen  Sammlangen  vorkommen, 

so  müssen  wir  jene  in  den  Verone  .  >  E$xcerpten  benutzte  vollständige  Sammlung  und  die  erhal- 
tenen unvollständigen  dem  Publiliua  Syroa  zuschreiben, 

Elibbeck  meinte,  in  diese  SammlangeB  seien  Sprachverse  aaa  der  ganzen  dramatischen  Poesie 
der  Römer,  einschliesslich  der  Mimen  A<-<  Laberias,  auch  aus  verschiedenen  Jambendichtern  und 
Satirikern  zusammengetragen.  Wenn  dieselben  diese  bohe  Ehre  verdienten,  so  müsste  es  hier 
ähnlich  stehen,  wie  in  den  griechischen  Spnushsammlungen  dea  Menandtr,  Diese  verschiedenen 
eben&Ua  aus  einer  Ursammlung  sn  Schalswecken  aasgelesenen  Sammlangen  enthalten  etwa 
850  Sprachverse:  von  diesen  kommen  aber  124  theila  in  den  erhaltenen  Werken  verschiedener 
alter  Dichter  vor.  theila  werden  sie  von  Stobaeua  und  Andern  den  verschiedensten  Autoren  sage- 
schrieben;   (vgl.  meine  Abhandlung  'Die  orbinatische  Sammlang  von  SpruchverBen  des  Ifenander 

lüiripides    and    Anderer;     München    1880,    8.   7).      Wie    steht     es    hei    PubKÜUS?     Obwohl    uns    gut 

20,000  Senare  und  10,000  troehaische  Septenare  lateinischer  Dichter  erhalten  sind  und  das  ßän- 
Bchieben  in  unsere  Spruchsammlungen  sein-  leicht  war.  ao  findet  sich  doch  nur  in  emer  guten  Samm- 


22 

des  PJwedrus  bestellt.  Von  den  übrigen  jambischen  und  trochäischen 
Gedichten  der  alten  Zeit  sind  uns  nur  wenige  Bruchstücke  erhalten  und 
diese  fast  durchweg  in  unsicherem  Zustande. 

Ich  beschränke  mich  auf  den  metrischen  Bau  der  gebräuchlichen  jam- 
bischen und  trochäischen  Zeilen:  der  jambischen  Senare,  Septenare  und  Octo- 
nare  und  der  trochäischen  Septenare.  Voran  schicken  muss  ich  die  Bemerk- 
ung, dass  Wörter  lateinischer  Verse,  von  denen  eine  Silbe  in  die  Elision 
fällt,  weder  für  nocli  gegen  eine  Regel  beweisen.  Die  Griechen  schrieben  die 
elidirte  Silbe  nicht  und  verwendeten  den  Wortrest  meistens  ohne  andere 
Rücksicht  nach  den  gewöhnlichen  metrischen  Regeln.  Die  lateinischen 
Dichter  schrieben  diese  Silben,  und  eine  Menge  von  Versen  beweist,  dass 
sie  dieselben  auch  beim  Bau  der  Zeile  mitrechnen  konnten.  Denn,  wenn 
wirklich  bei  Elision  die  erste  Silbe  glatt   wegfiele,  so  wäre  jede  der  sonst 


lung  ein  Vers  des  Terens,  in  einer  anderen  stark  umgearbeiteten  Sammlung  drei  prosaische 
Sprüche  aus  Kirchenvätern  and  in  der  einen  i  nicht  in  der  andern)  Handschrift  derselben  Samm- 
lung ein  und  ein  balber  Vers  am  Terens  interpolirt.  Damit  rergleiche  man  die  Menandersamm- 
lungen !  Die  Aehnlickkeiten  mancher  Sprache  unter  sich  oder  mit  denen  anderer  Dichter,  welche 
Ribbeck  I  Fragin.  Comic  '-'.  ed.  p.  KUVilj  rinden  wollte,  sind  mit  sehr  wenigen  Ausnahmen  zufällig, 
und    selbst    wenn    sie    nicht     zufällig   waren,    beweisen    rie   nichts,    ila    mehrere   Menschen   oder  auch 

ein  Mensch  in  verschiedenen  Zeiten  Aehnliches  denken  und  aussprechen  können;  (vgl.  hierüber  die 
obige  Abhandl.  S.  18  EL).  l>ie  Sprache  pauuA  durchaus  in  die  Zeit  Ars  Pnblilius,  die  Troeodie  hat 
nur  wenige  Freiheiten  der  älteren  Dichter  nah  gestattet  und  der  Versbau  hat  die  Grundgesetze, 
aber  nicht  die  Freiheiten  und  Ausnahmen  des  Planta«  und  Teren/.  festgehalten.  In  all  dem  sind 
diese  Spruchverse  viel  regelmässiger  als  Piautas  and  Terens,  aber  ooeh  etwas  freier  als  Phaedrus. 

Diese  Thatsachen  habe  ich  früher  dargelegt  Die  Sammlungen  der  Spruchverse  d.  PuU.  8. 
Teubner  1877.  S.  47)  und  darnach  meine  Ausgabe  iTeuhner  1880)  gearbeitet,  Thatsachen.  welche 
für  diejenigen,  die  selbst  urtheilen,  nicht  erschüttert  werden  weder  durch  den  Inhalt  noch  durch 
den  Ton  der  Kecension,  mit  der  0.  Ribbeck  im  hiter.  Centralblatt  1880  S.  1044  gegen  mich  auf- 
zutreten für  nützlich  und  passend  erachtet  hat.  Ich  hatte  nicht  nur  viel  neuen  Stoff  gefunden. 
sondern  mir  auch  die  Thatsachen  reiflicher  überlegt  als  er. 

Da  der  Anfang  der  stark  entstellten  Zürcher  8ammlung  (Z,  zuerst  von  mir  edirt  in  den 
Sitzungsber.  unserer  Akad.  1872,  II.  4.  Heft)  nur  in  der  Münchener  Handschrift  (6869  =  M)  er- 
halten ist,  so  hoffte  ich  Hilfe  von  dem  Cod.  Vatic  h'egin.  17'i2  saec.  IX.  wo  ich  fol.  224h  den 
Anfang  dieser  Sammlung  wieder  fand.  Allein  nicht  nur  die  Ueberschrift.  sondern  auch  der  Text 
stimmt  durchaus  mit  M.  Die  sämmtlichen  Abweichungen  von  M  sind  in  A  :  10  Amici  uitia.  Nisi. 
47  uiuit  und  longiore  torpescit.  48  esse  reum.  51  esse  volet.  Die  Sentenzen  von  B  sind  =  il/:  von 
C  sind  erhalten:   15  (Cent.).  88.   17.  7  (inimico  in  gratis  M).  39  ( -■-   .1/).  40  (=  M).  27  (=  M: 

doch  possident  bene).  41  (—  M).  30.  Dann  folgt  nach  sechs  leeren  Zeilen  D  8  Diu  praeparandum 
est  de  bello.  ut  citius  (?)  uincas ;  dann  nach  zehn  leeren  Zeilen  in  der  untersten  Zeile  F  29  und 
9  Famulatur  dominus  ubi  tönet  quibns  imperat  prorsus  fatetur.  Damit  endet  diese  Abschrift,  die 
offenbar  mit  M  viel  mehr  als  mit  der  Zürcher  Handschrift  ( T  von  Buchstaben  C  an)  verwandt 
ist.    Die  Collation  dieser  Handschrift  verdanke  ich  der  Güte  des  Herrn  Generaldefinitors  Ph.  DeniHe. 


23 

giltigen  metrischen  Regeln  in  vielen  Fällen  verletzt.  In  Versen,  wie 
(Publilius  S  21,  M  19)  Sibi  priinum  •auxilium  eripere  est  leges  tollere. 
Mala  est  medicina,  ubi  aliquid  naturae  perit,  stünden  bei  Nichtrechnung 
der  elidirten  Silbe  die  sonst  gemiedenen  Wortschlüsse  auxili  und  ^  ^  -■- 
(medicin)  an  unrichtiger  Stelle.  Falsche  Wortschlüsse  und  Mangel  der 
Caesuren  würden  eintreten  in  Versen,  wie  (Publ.  N  28.  Trin.  95.  4('6.) 
Nisi  vindices  delicto,  impröbitatem  adiuves  Siquid  scis  nie  fecisse  inscite 
aut  improbe.     Exessum,  expötum,  exunctum,  elütum  in  balineis. 

Diese  Fälle  sind  häufig ;  besonders  häufig  sind  die  Verse ,  wo  die 
Caesur  fehlen  würde,  wie  in  (Publil.  C  5.  P  13.  Phormio  134.  349. 
597.  637.  Poen.  III,  4,  10).  Crudelem  medicum  intemperans  aeger  facit. 
Plus  est  quam  poew  iniüriae  succumbere.  lila  quidem  nostnt  erit.  Jocu- 
lüreni  audaciain.  Audistis  factem  iniüriain  quam  liaec  est  mihi.  Ubi 
Phaedriae  esse  ostenderet  nihilo  minus.  Si  tu  aUqaam  pär/ew  aequi  boni- 
<|iit'  dixeris.     Quin  sequere  nie  er/70  abdüc  intro:  addictum  tenes. 

Könnte  man  daran  denken,  die  1.  nicht  die  2.  Silbe  in  solchen  Eli- 
sionen mitzurechnen,  so  zeigt  die  allerdings  seltene  Art  der  Elision  in 
(Phormio  87)  Nos  osti<W  opcrian  dabamus  Phaedriae,  dass  wir  besser 
mit  Elitschis  treffendem  Ausdrucke  sagen,  in  Elisionen  der  Art  werde  der 
Wortschluss  verdunkelt,  nicht  aufgehoben;  (vgl.  Proleg.  zum  Trin.  S.  282. 
27-1.  217  und  220).  Solche  Elisionen  sind  bei  Plantus.  Teienx  und  Pu- 
blilius häufig,  bei  Phaedrus  (vgl.  L.  Müller  editio  maior  p.  XII)  selten; 
doch  sind  die  beiden  Verse  'Novissime  prolap*atN  effundit  sareinam.  Ipso 
\\idorum  ostenderet  sese  die'  nicht  mit  Luc.  Müller  durch  'Caesura  post 
praepositionem  verbi  couipositi'  et'  |  fundit  und  os  |  tenderet,  sondern  durch 
jene,  früher  durchaus  erlaubte  Verdunkelung  der  Caesur  zu  erklären; 
(vgl.  noch  Langen  im  l!h.  .Mus.  L858  S.  202).  Ich  gehe  also  bei  diesen 
Untersuchungen  stets  von  den  Fällen  ohne    lüision  aus. 

Beim  Bau  der  jambischen  und  trochäischen  Reihen  kommt  in  Be- 
tracht die  Bildung  der  Senkung,  die  der  Hebung  und  die  Verbind- 
ung beider. 


24 


Bildung  der  Senkungen  und  der  Hebungen. 

In  Betreff  der  Senkung  stiess  der  Organisator  der  lateinischen 
Metrik  auf  eine  merkwürdige  Ungleichheit  oder  Inconsequenz  seiner  grie- 
chischen Vorbilder,  der  Lustspieldichter.  Die  Senkung  verhält  sich  in 
Jamben  und  Trochäen  zur  Hebung  in  gleicher  Weise  wie  1 : 2.  Diese  1 
Kürze  der  Senkung  wurde  aber  in  bestimmten  Fällen  mit  einer  Länge  oder 
mit  2  Kürzen  vertauscht.  In  den  Jamben  waren  nun  die  beiden  Kurzes 
dadurch  vor  der  Länge  bevorzugt,  dass  sie  auch  im  2.  Fusse  der  jam- 
bischen Dipodie  die  Senkung  bilden  durften,  während  der  Länge  «lies 
untersagt  war.  Wiederum  waren  die  Jamben  dadurch  vor  den  Trochäen 
bevorzugt,  dass  in  den  Jamben  beide  Senkungen  der  Dipodie,  also  in 
einer  längeren  Reihe  B&mmtliche  Senkungen  mit  Ausnahme  der  letzten, 
durch  2  Kürzen  gebildet  werden  durften,  während  in  der  trochäischen 
Dipodie  nicht  einmal  die  2.  Senkung,  obwohl  sie  durch  eine  Länge  ge- 
geben werden  konnte,  geschweige  denn  die  1.  Senkung,  du  ich  2  Kurzen 
gebildet  werden  durfte:  so  dass  also  die  Bildung  der  Senkung  durch 
2  Kürzen  in  allen  Füssen  der  jambischen  Reihen  (mit  Ausnahme  des 
letzten)  erlaubt,  dagegen  von  den  trochäischen  Reihen  gänzlich  ausge- 
schlossen war. 

Da  nun  demjenigen,  der  zuerst  diese  jambischen  und  trochäischen 
Reihen  in  lateinischer  Sprache  nachbilden  wollte,  2  Kürzen  metrisch 
einer  Länge  gleich  galten  und  er  weder  einsah,  warum  die  beiden  Kürzen 
vor  der  Länge,  noch  warum  die  Jamben  vor  den  Trochäen  bevorzugt 
werden  sollten,  so  setzte  er  zunächst  überall,  wo  er  die  Senkung  durch 
2  Kürzen  gebildet  fand,  also  in  allen  Füssen  der  jambischen  Reihen  ausser 
in  dem  letzten,  statt  der  1  Kürze  nicht  nur  2  Kürzen,  sondern  ebenso 
gut  eine  Länge,  zweitens  behandelte  er  die  Senkung  der  Trochäen  ebenso 
wie  die  der  Jamben ;  also  ergab  sich  die  einfache  Regel,  sämmtliche  Senk- 
ungen jambischer  und  trochäischer  Zeilen  können  statt  durch  die  ursprüng- 
liche Kürze  ebenso  gut  durch  eine  Länge  oder  durch  2  Kürzen  gebildet 
werden.  Nur  die  letzte  Senkung  einer  jambischen  Reihe  darf  bloss  durch 
1  Kürze  gegeben  werden,  wobei  die  Senkung  des  7.  Jambus  im  jam- 
bischen   Septenare,    die    bei    den    Griechen  stets   1   Kürze  war,    von  dem 


25 

Lateiner  nicht  als  letzte  angesehen,  folglich  auch  durch  eine  Länge  oder 
2   Kürzen  gegeben  wurde.1) 

So  finden  sich  viele  Verse,  wie  die  folgenden  (Trin.  797.  Amph.  998. 
Phorm.  207)  Quämvis  sermones  possünt  longl  texier.  Jani  hlc  delüdetür 
spectätöres  vobls  inspectäntibus.  Quid  fäceres  si  aliud  quid  gräviüs  tibi 
nunc  fäciündüm  föret.  Si  istoc  exemplö  tu  omnibus  j  qul  quäerfmt  re- 
spöndebis. 

Die  Bildung  der  Hebung  ist  wie  bei  den  Griechen:  statt  einer 
Länge  dürfen  auch  zwei  Kürzen  stehen;  schliesst  aber  die  Hebung  die 
Zeile,  so  darf  statt  der  Länge  auch  1  Kürze,  doch  nie  2,  stehen.  Folgt 
der  letzten  Hebung  noch  eine  Senkung,  was  im  Schlüsse  des  jambischen 
Septenars  geschieht,  so  wurde  sie  von  den  griechischen  Lustspieldichtern 
nicht  aufgelöst;  der  Lateiner  aber  gestattete  es,  wahrscheinlich  aus  einem 
später  zu  erörternden  Grunde. 

Verbindung  der  Hebungen  und  Senkungen. 

Hebung  und  Senkung  können  nun  3  verschiedene  Verhältnisse  zu 
einander  einnehmen.  Entweder  füllt  die  Hebung  oder  die  Senkung  ein  ab- 
gesondertes Wort  aus,  oder  die  Senkung  bildet  mit  der  vorausgehenden 
Hebung  oder  mit  der  folgenden  Hebung  ein  Wort. 

Die  Senkung,  ob  lang  oder  kurz,  kann  ein  einsilbiges  Wort  ein- 
nehmen, z.  B.  Cui  plus  licet  quam  par  est.  plus  vult  quam  licet;  nur 
geschieht  dies  im  Schlüsse  einer  Zeile  oder  vor  der  Caesur  nicht  oft, 
ausser  wenn  auch  die  vorangehende  Hebung  ein  einzelnes  Wort  einnimmt, 
während  im  griechischen  Verse  wenigstens  das  letztere  oft  geschah.  Die 
durch  2  Kürzen  gebildete  Senkung  konnte  bei  den  Griechen  nur  im 
jambischen  Senar  und  Septenar  vorkommen,  also  in  der  Form  eines  Ana- 
pästes. Hier  galt  nun  als  Regel,  dass  die  beiden  Kürzen  des  Anapästes 
mit  der  folgenden  Hebung  ein  Wort  bilden.  Desshalb  bilden  die  wenigen 
Anapäste,  welche  in  den  Trimetern  der  griechischen  Tragiker  sich  finden, 


L)  So  erklärt  sich  die  Entstehimg  dieser  Regel  auf  natürliche  Weise;  sie  ist  nicht  entstü uden 
aus  irgendwelchen  Gewohnheiten  der  praehistorischen  Lateinischen  Volksdichtung,  wornach  die 
Senkungen  völlig  vogelfrei  gewesen  wären,  und  •/..  15.  ganz  wegbleiben  oder  durch  1  Kürze  oder 
Länge  "der  2   Kürzen   hätten  ausgedrückt    weiden   können. 

Abh.  d.  1.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wisi,  XVII.  Bd.  I.  Abth.  4 


26 

stets  ein  einziges,  drei  oder  mehrsilbiges  Wort.  So  stehen  im  1 .  Fusse 
bei  Aeschylus  etwa  60.  bei  Sophokles  etwas  mehr,  in  den  6  streng  ge- 
bauten Stücken  des  Euripides  (Alkestis,  Andromache,  Heraklidae,  Hippolyt, 
Medea  und  Rhesus)  etwa  30;  von  diesen  sind  nur  2  getheilt;  in  den 
freier  gebauten  Stücken  des  Euripides  finden  sich  im  1.  Fusse  sehr  viele 
Anapäste,  von  denen  nur  etwa  18  getheilt  sind.  Diese  wenigen  getheilten 
bestehen  stets  aus  eng  zusammengehörigen  Wörtern.  Ausserhalb  des 
1.  Fusses  hat  Sophokles  nur  etwa  10,  Euripides  in  den  freien  Stücken  weit 
mehr  Anapäste,  aber  nur  in  drei-  oder  mehrsilbigen  Eigennamen  zugelassen. 
Also  tritt  der  Anapäst  bei  den  griechischen  Tragikern  als  ungetheilter 
Fuss  auf.  Im  Kyklops  des  Euripides  finden  sich  ausser  dem  1.  Fusse 
nicht  nur  viele  durch  Eigennamen,  sondern  auch  etwa  20  durch  andere 
Wörter  gebildete  Anapäste,  von  denen  aber  nur  weniuv  aus  mehreren 
(eng  verbundenen)  Wörtern  gebildet  sind.  Auf  die  9000  Trimeter  des 
Aristophanes  treffen  etwa  3779  Anapäste;  im  1.  Fuss  482  ungetheilte, 
661  getheilte;  im  2.  Fuss  913  ungetheilte,  '2  70  getheilte;  im  3.  Fuss 
184  ungetheilte.  84  getheilte;  im  4.  Fuss  678  ungetheilte,  169  getheilte; 
im  5.  Fuss  257  ungetheilte,  81  getheilte.  Das  Uebergewicht  der  unge- 
teilten Anapäste  über  die  getheilten,  2514  gegen  1265,  bezeugt,  dass 
der  Anapäst  auch  bei  Aristophanes  ein  ungetheilter  Fuss  sein  will.  Denn 
im  1.  Fuss,  wo  die  Hälfte  der  1265  getheilten  Anapäste  steht,  verwischt 
die  Stimme  von  selbst  die  Theilung;  für  den  2.,  3.,  4.  und  5.  Fuss  aber 
haben  die  Untersuchungen  C.  Bernhardi's  (in  den  Acta  soc.  philol.  Lips.  I, 
245)  ergeben,  dass  die  getheilten  Anapäste  hier  aus  eng  zusammenge- 
hörigen Wörtern  bestehen.  Die  Theilung  selbst  konnte  in  verschiedener 
Weise  geschehen;  selten  bildete  jede  Kürze  ein  besonderes  Wort,  wie  in 
jiia  Ji  ovd\  oder  nur  die  1.  Kürze  ein  besonderes  Wort,  wie  in  ra 
jusyiaru;  meistens  nehmen  die  beiden  Kürzen  zusammen  ein  Wort  ein, 
wie  in  Iva  /utj. 

Der  Ordner  der  lateinischen  Jamben  und  Trochäen  hat  zwei 
Kürzen  in  jeder  Senkung  nicht  nur  der  jambischen  Senare,  Septenare 
und  Octonare,  sondern  auch  der  trochäischen  Septenare  zugelassen, 
natürlich  mit  Ausnahme  der  letzten  Senkung.  Dieselben  sind  sehr  oft 
getheilt,  wie  im  Griechischen:  selten  sind  die  beiden  ersten  Arten,  wie  Et 
is  hödie  apüd  me,  Ut  eum  advenientem,  In  amore;  sehr  häufig  die  letzte 


27 

Art  cMäla  mors,  Jacet  ömnis ;  Comes  est'.  Diese  getheilten  Anapäste  finden 
sich  bei  Plautus  und  Terenz  vor  Allem  im  1.  und  im  5.  Fusse,  aber 
(und  das,  wie    es  scheint,    bei  Terenz  mehr  als  bei  Plautus)    auch  im  2., 

3.  und  4.  Fusse.  Dass  sie  sich  im  5.  Fusse  so  oft  finden,  beruht  auf 
der  Behandlung  dieses  vorletzten  Fusses,  in  welcher  die  Lateiner  von 
den  Griechen  durchaus  abweichen.  Bei  der  Theilung  der  Anapäste  scheinen 
die  Lateiner  nicht  zu  verlangen,  dass  die  Theile  dem  Sinn  und  der  Con- 
struction  nach  mehr  zu  einander  als  zu  den  umliegenden  Wörtern  ge- 
hören. Schon  bei  Publilius  änderte  sich  der  Gebrauch.  Im  1.  und 
5.  Fusse  finden  sich  noch  viele  Anapäste,  darunter  im  1.  Fusse  sehr  viele, 
im  5.  Fusse  viele  getheilte,  wie  in  Bene  dormit.  qui  non  sentit,  quam  male 
dormiat.  Im  2.,  3.  und  4.  Fusse  finden  sich  überhaupt  nur  wenige  Ana- 
päste: ungetheilte  (maledictum,  benedicunt  mitgerechnet)  im  2.  Fusse  8 *), 
im  3.  Fusse  4,  im  4.  Fusse  5;  getheilte  keine  im  4.  Fusse;  im  3.  nur 
B  13  Beneficium  qui  dare  nescit  iniuste  petit  (so  die  codd.,  dare  qui 
die  Ausgaben  seit  Erasmus)  und  der  unsichere  in  N  13  Nuniquam  ubi 
diu  f'uit  ignis  defecit  vapor  und  der  wegen  der  bestrittenen  Theilung 
sehr  zweifelhafte  in  Q  52  Qui  pote  noce/v.  Hmetoar  (timeaa  Ribbeck),  cum 
etiam  non  adest;  vgl.  B  31  Bonnin  ad  virüm  cito  moritur  iracündia; 
im  2.  Fusse  ausser  dem  verzeihlichen  Etiam  sine  lege  und  Lucrum  sine 
damno  in  E  21  und  L  6  nur  M  24  -Male  secum  agit  aeger  medicum 
(med.  aeger  Spengel)  qui  heredem  facit  und  P  4!)  Probo  bona  fama 
niaxima  est  hereditas,  wo,  da  die  einzige  beachtenswerthe  Handschrift 
'Pro  bona  fama1  bat,  vielleicht  'Proboruin  fama'  zu  schreiben  ist;  vergl. 
H  15  Honestus  rumor  alterum  est  Patrimonium  und  B  40  Bene  audire 
alterum  Patrimonium  est.  Phaedrus,  der  im  1.  und  5.  Fusse  viele 
Anapäste  hat,  theilt  sie  im  1.  Fusse  oft,  aber  fast  immer  so,  dass  die 
beiden  Kürzen  ein  Wort  bilden;  im  5.  Fusse  kommt  auch  diese  Theil- 
ung (ohne  Elision)  wie  cruit  Iliuni'  nur  etwa  4  Mal  vor;    im    2.,   3.  und 

4.  Fusse  hat  er  mit  Ausnahme  von  I,  2,  23  'Inutilis  quoniam  esset'  nur 
ungetheilte  Anapäste  und  auch  deren  nur  sehr  wenige:  8,   11,   19. 


1)  S  44  stellte  ich  mit  Haupt  'Satis  est  superare  inimicum,  nimium  est  perdere" ;  da  die 
Handschrift  liai  'Satis  Ml  Inimictfm  mp.',  M  ist  die  fehlerhafte  Häufung  der  Anapäste  zu  ver- 
tneiden  durch  die  Stellung:  Satis  lniniicuin  Mi  superärc  n.  e.  p. 

4* 


28 

Die  durch  eine  Länge  gebildete  Hebung  konnte,  abgesehen  vom 
Zeilenschluss ,  ohne  weitere  Rücksicht  ein  einzelnes  Wort  einnehmen. 
Wenn  die  Hebung  durch  zwei  Kürzen  gebildet  wurde,  so  verbanden  die- 
selben bei  den  Griechen,  was  nachher  zu  besprechen  ist,  sich  bald  mit 
der  vorausgehenden,  bald  mit  der  folgenden  Senkung.  Wenn  dies  nicht 
der  Fall  war,  so  nahmen  sie  in  der  Regel  ein  zweisilbiges  Wort  ein,  was 
sehr  oft  geschah;  ausserdem  nahm  gewöhnlich  die  erste  (betonte)  Kürze 
der  Hebung  ein  einzelnes  Wort  ein,  die  zweite  war  ebenfalls  ein  einzelnes 
Wort  oder  die  erste  Silbe  eines  längeren  Wortes ;  äusserst  selten  war  bei 
den  Tragikern  die  erste  Kürze  der  Hebung  die  Schlusssilbe  "eines  zwei- 
silbigen, nicht  eines  drei-  und  mehrsilbigen  Wortes  (vgl.  Enger  Rh.  Mus. 
1864,  p.  133);  bei  Aristophanes  zählt  Rumpel  im  1.  Fusse  des  Trimeters 
71  Fälle  der  Art  im  2.  Fuss  28,  im  3.  Fuss  6,  im  4.  Fuss  25,  im 
5.  Fuss  1.  Verbinden  sich  bei  den  Lateinern  die  beiden  Kürzen  der 
Hebung  nicht  mit  der  folgenden  Senkung,  welcher  Fall  nachher  zu  er- 
örtern ist,  so  traten  dieselben  verschiedenen  Fälle  ein,  wie  bei  den 
griechischen  Lustspieldichtern,  wobei  auch  nicht  vermieden  wurde,  dass 
die  erste  betonte  Kürze  der  Hebung  durch  die  Schlusssilbe  eines  mehr- 
silbigen (meist  zweisilbigen  oder  tribrachyschen)  Wortes  gebildet  wurde; 
vgl.  Ritschis  Proleg.  S.  225  und  Wagner  Rh.  Mus.  1867,  S.  111.  Häufiger 
bildete  diese  erste  Kürze  der  Hebung  ein  einzelnes  Wort,  wie  in  Invidia 
tacite  sed  inimice  irascitur:  aber  sehr  gewöhnlich  nehmen  die  beiden 
Kürzen  der  Hebung  ein  zweisilbiges  Wort  ein,  wie  z.  B.  Mercedem  ddre 
lex  iübet  ei  atque  amittere  oder  Ubi  peccatum  cito  corrigitur,  fama  sölet 
ignoscere. 

Hebung  und  Senkung. 

Wenn  wir  die  Fälle  betrachten,  wo  die  Senkung  mit  der  vorangehen- 
den Hebung  sich  zu  einem  Wortschluss  verbindet,  so  kann  die  durch 
1  Kürze  oder  Länge  gebildete  Senkung  solche  Verbindung  stets  eingehen 
und  die  spondeischen  und  trochäischen  Wortschlüsse,  deren  vorletzte  Silbe 
vom  Versaccent  getroffen  wird,  haben  keine  weiteren  Regeln  zu  beachten. 
Die  griechischen  Tragiker  hatten  hier  eine  von  Porson  bemerkte  Regel, 
dass  nemlich  bei  jambischem  Schlüsse  der  Reihe  die  durch  eine  Länge 
gebildete  Senkung    des  vorletzten  Jambus   nicht   mit    der  vorangehenden 


29 

Hebung  zu  Wortschluss  gebunden  werden  solle,  dass  also  ngoaumov 
rovanaXiv  regelwidriger,  tiqqöwjiov  tjunahr  regelrechter  Versschluss  sei. 
Aber  schon  die  griechischen  Lustspieldichter  haben  diese  Regel  nicht 
beachtet,  und  noch  weniger  die  lateinischen. 

Ob  die  durch  zwei  Kürzen  gebildete  Senkung  von  den  griechischen 
Lustspieldichtern  ganz  oder  theilweise  mit  der  vorangehenden  Hebung 
verbunden  werden  durfte,  darüber  ist  viel  gestritten  worden.  Bernhardi 
(Acta  soc.  philol.  Lips.  I,  S.  285)  fasst  seine  eingehenden  Untersuchungen 
dahin  zusammen,  dass  die  Verbindung  der  beiden  Kürzen  oder  der  ersten 
mit  der  vorangehenden  Hebung  im  2.  und  4.  Fusse  bisweilen  zugelassen 
wurde,  in  den  übrigen  nicht:  Tdig  Ttevrt  ra'/Myroig,  olg  Klean'  i^fieaev. 
uäv&gumosi  ieQog.  oevQo  nakiv  ßadimtov.  *Eniaxojtog  rpcoa  dsvQO  tu)  zvaf.no 
ko.yo)v.  Kantet*  anodvntr  ivvia  naldatv  mjhya,  dass  dagegen  mit  Elision 
nach  der  1.  und  2.  Kürze  die  Verbindung  mit  der  vorangehenden  Heb- 
ung häufiger  sei  und  auch  in  den  andern  Füssen  vorkäme.  Also  sind 
derartige  Verbindungen  immerhin  Ausnahmen;  die  Regel  ist  auch  hier, 
dass  der  durch  zwei  Silben  gebildeten  Senkung  Wortschluss  voran- 
gehen soll. 

Da  der  Ordner  der  lateinischen  Jamben  and  Trochäen  solche 
Senkungen  von  2  Kürzen  auch  in  die  trochäischen  Septenare  zugelassen 
hatte,  so  war  die  Gelegenheit  zur  Verbindung  derselben  mit  der  voran- 
gehenden Hebung  eine  grosse.  Er  hat  aber  die  griechische  Regel,  nicht 
deren  feine  Ausnahmen,  befolgt  und  solche  Verbindungen  untersagt.  Schon 
Hermann  (Elem.  doctr.  metr.  S.  78  u.  87)  bemerkt  'Cavent  ne  quantum 
tieri  possit  cum  dactylo  etiam  vocabulum  finiatur',  Lachmann  hat  (zu 
Lucrez  S.  116)  die  einzelnen  widerstrebenden  Verse  besprochen.  Dass 
die  Verbindung  der  ersten  Senkungskürze  mit  der  vorausgehenden  Heb- 
ung, wie  in  Ibi  erat  bili&m  aquälis  sie  propter  cados  (oder  Miles  1288 
Inhonesta  propter  a  innrem  atque  aliena  a  bonis),  regelwidrig  sei,  hat 
Ritschi  (Praef.  Miles  Glor.  p.  XXII  und  Opusc.  II,  p.  399  und  684)  be- 
merkt. Dass  bei  Elision  auch  dies  Gesetz  nicht  beachtet  wird  oder  viel- 
mehr, dass  man  dann  an  keine  Verletzung  desselben  dachte,  ist  nach 
dem  früher  (S.  22)  Bemerkten  selbstverständlich. 


30 


Senkung  und  Hebung. 

"Wenn  die  Senkung  sich  mit  der  nachfolgenden  Hebung  zu 
einem  "Worte  verbindet,  so  kann  diese  vom  Versaccent  getroffene  Hebung 
Wortschluss  bilden  oder  nicht.  Da  die  Senkung  «,  --  oder  ~  «  und  die 
Hebung  —  oder  «  «    sein  kann,  so  haben  wir  die  Verbindungen  -     .  , 

,                          ,                                /                    •                       »j                            w                           w  y  ,  w      t  ,  W 

w     w  — '-•       «-<     w     w  .      —  w     w  .,       wwww        GIIIGI'SGITS,        ^  » j        w     w  —  y.    W    W    W  ,  ww  . 

M  w  «  w  "  anderseits  zu  betrachten.  Wenn  das  Wort  nach  der  Hebung  sich 
fortsetzte,  also  in  den  nächsten  Fuss  übergriff  und  die  Hebung  selbst 
durch  eine  Länge  gebildet  wurde,  so  waren  alle  Verbindungen  gestattet, 
also    «  - —  (amäbant).  -    (extorquent ),    »  v— *    (retinetis),  wesshalb   ich 

diese  nicht  weiter  berücksichtigen  werde.  Die  Verbindung  *  (amänt) 
ist  den  jambischen  und  trochäischen  Reihen  gebührend  und  eigen,  da 
ja  Senkung  sich  zur  Hebung  verhält  wie  1  zu  2;  dagegen  die  Verbind- 
ung — '-  (multöe)  und  «  «  (animöe)  sind  dem  Wesen  des  Jambus  und 
Trochäus  fremd,  so  dass  man  jene  Verbindungen  reine,  diese  unreine 
nennen  kann. 

Die  betonten  Wortschlüsse  bei  den  griechischen  Dramatikern. 

Da  wir  uns  hiemit  den  Thatsachen  nähern,  zu  deren  Erklärung  man 
die  Behauptung  aufgestellt  hat,  dass  die  altlateinischen  Dichter  neben 
der  Quantität  auch  den  Wortaccent  möglichst  berücksichtigt  hätten,  so 
ist  es  nothwendig.  zunächst  einen  Blick  auf  die  entsprechenden  Verbind- 
ungen in  den  vier  jambischen  und  trochäischen  Zeilenarten  des  grie- 
chischen Dramas  zu  werfen,  damit  klar  werde,  worin  die  Gesetze 
der  altlateinischen  Dichter  mit  den  griechischen  übereinstimmen,  und 
worin  sie  abweichen.1) 

Die  reinen,  jambischen,  durch  eine  kurze  Senkung  und  lange  Heb- 
ung gebildeten  Wörter  oder  Wortschlüsse  mit  dem  Versaccent  auf  der 
Schlusssilbe  waren  bei  den  Griechen    überall    zugelassen2):    Ji.Yfj'f/V  onws 


1)  Ich  habe  zu  dieser  Uebersicht  benutzt:  Rumpel,  der  Trimeter  des  Aristophanes,  Philo- 
logus  28  p.  599 — 627.  Carl  Friedr.  Müller,  de  pedibus  solutis  in  dialogorum  senariis  Aeschyli, 
Sophoclis,  Euripidis,  Berlin  1866.  Gunnar  Widegren,  de  numero  et  conformatione  pedum  solu- 
toruni  in  senariis  Aristophaneis,  Upsala  1868. 

2)  Man  entschuldige,  dass  ich  oft  die  Wortaccente  weglasse,  um  die  Versaccente  deutlich 
zu  geben. 


31 

jurj  aavTov  olmeig  tiotb.  Xcoysi  xaroj  oxslr]  de  xiqxcooov  ßia.  Ovxovv  ro 
ßayos  rov^  6  (jv  (ptQeig  ovos  cpeQti.  Ebenso  war  der  unreine  spondeische 
Wortschluss  überall    zugelassen ,    wo    er    überhaupt    möglich    war : 

Sfreweiv  ([i)mv&qü)jiov  de  Jiavsa&ai  tqottov.  Oovqio^  Ssq&js  y.evuaoag  Tiaaav 
fjTTttyov  nXaxa.  *AXV  tyio  as  ri)  ßoji  To.vrrj  <yt  n^una  T(teif.>ojucu:  also  in 
dem  1.  Fusse  der  jambischen  Dipodien  und  im  Uebergang  vom  2.  Fuss 
einer  trochäischen  Dipodie  in  den  1.  Fuss  der  folgenden.  Der  unreine 
anapästische  Wortschluss  u  w  war  bei  den  Komikern  theoretisch 
möglich  in  den  fünf  ersten  Füssen  des  jambischen  Trimeters  und  in  den 
sechs  ersten  des  jambischen  Septenars;  nur  wenn  nach  dem  4.  Fusse,  wie 
oft,  Caesur  eintritt,  so  hat  dieser  Fuss  fast  ausnahmslos  nur  eine  Kürze 
in  der  Senkung;  bei  den  Tragikern  war  der  Anapäst  nur  im  1.  Fusse 
des  Trimeters  möglich.  Von  den  etwa  150  Anapästen,  welche  bei 
Aeschylus,  Sophokles  und  in  den  sechs  streng  gebauten  Stücken  des 
Euripides,  und  von  den  sehr  zahlreichen,  welche  in  den  frei  gebauten 
Stücken  des  Euripides  im  1.  Fusse  sich  finden,  nehmen  die  meisten  ein 
dreisilbiges  Wort  ein,  bilden  also  den  unreinen  Wortschluss  «  „■-£-;  ebenso 
ein  grosser  Theil  der  Eigennamen,  welche  bei  Sophokles  (etwa  10)  oder 
in  den  freien  Stücken  des  Euripides  (hier  sind  es  sein-  viele)  im  2.  bis 
r>.  Posse  Anapäste  bilden.  Von  den  2f>14  ungetbeilten  Anapästen,  die 
sich  bei  Aristophanes  finden  (482  im  1.  Fuss,  913  im  2.,  184  im  3., 
678  im  4.  und  257  im  •"».  Posse),  bildet  im  2.,  3.  und  5.  Fusse  die 
3ere  Zahl  Wortanfang,  die  geringere,  aber  natürlich  immerhin  grosse 
Zahl  Wortschluss.  im  1.  Fusse  die  grössere  Zahl  Wortschluss.  Der  un- 
reine  anapastiscne  Wortschluss  war  also  bei  den  griechischen  Komikern 
durchaus  und  in  jedem   Fusse  erlaubt 

Die  Geschichte  der  durch  zwei  Kürzen  gebildeten  Hebung 
im  jambischen  Trimeter  ist  bei  den  griechischen  Dramatikern  ziemlich 
merkwürdig.  Ist  die  vorangehende  Senkung  kurz,  so  entsteht  Tribrachys, 
ist  sie  lang,  Daktylus.  Tribrachen  treffen  auf  die  4400  Trimeter  des 
Aeschylus  123,  auf  die  7600  des  Sophokles  1.97,  auf  die  18200  des 
Euripides  100  in  den  6  strenger,  gegen  1600  in  den  freier  gebauten 
Stücken;  auf  die  9000  Trimeter  des  Aristophanes  2600.  Daktylen 
haben  im  1.  Fuss  Aeschylus  12,  Sophokles  24,  Euripides  6  und  in  den 
freien    Stücken   mehrere    Hunderte,    im    3.  Fusse    Aeschylus   137,    Sopho- 


32 

kies  185,  Euripides  183  und  1400;  im  5.  Fusse  kommen  bei  den  Tra- 
gikern keine  Daktylen  vor.  Aristophanes  hat  458  im  1.,  851  im  3.  und 
156  im  5.  Fusse. 

Bei  den  Tragikern  nehmen  von  den  Tribrachen  im  1.  Fusse  (A.  24, 
S.  64,  E.  27  und  200)  die  meisten  ein  dreisilbiges  Wort  ein,  wie  apere, 
nareya  (A.  20,  S.  52,  E.  25  und  circa  140);  die  übrigen  Fusse  wurden 
anders  behandelt;  im  5.  Fusse  sollten  überhaupt  wenige  stehen  (A.  9, 
S.  10,  E.  3  und  40);  von  diesen  bilden  wenige  (A.  3,  S.  5,  Eur.  Cycl.  1) 
Wortende,  die  andern  folgen  der  Regel  des  2.,  3.  und  4.  Fusses.  Die 
ziemlich  grosse  Zahl  der  Tribrachen  in  diesen  3  Füssen  (etwa  A.  13,  43,  45; 
S.  50,.  50,  65;  E.  in  jedem  Fusse  mehrere  Hunderte)  zeigt  die  Regel, 
dass  vor  den  beiden  Kürzen  der  Hebung  Wortende  eintritt,  ferner  die 
Senkung  mit  der  Hebung  des  vorangehenden  Fusses,  die  aufgelöste  Heb- 
ung selbst  aber  in  dem  nicht  seltenen  Falle,  dass  sie  nur  ein  zweisilbiges 
Wort  einnimmt,  mit  der  Senkung  des  folgenden  Fusses  dem  Sinn  und 
der  Construction  nach  eng  graarnmengehört,  dass  also  bei  Auflösung  der 
Hebung  der  betreffende  Fuss  vor  der  Hebung  getheilt,  die  Theile  aber 
mit  den  vorausgehenden  und  folgenden  Füssen  enge  verkettet  sind.  Die 
Verletzung  dieser  Regel  war  in  mannigfacher  Weise  möglich;  zunächst 
dadurch,  dass  die  besonderen  Wörter,  welche  die  Hebung  oder  die  Senk- 
ung einnehmen,-  mit  den  nächstfolgenden  Stücken  nicht  mehr  eng  ver- 
bunden waren;  das  that  schon  Euripides  oft  in  den  freier  gebauten 
Stücken;  freilich  können  die  Ansichten  über  die  Zusammengehörigkeit 
der  Wörter  oft  verschieden  sein.  Unverkennbar  sind  die  stärkeren  Ver- 
letzungen der  Regel,  dass  zwar  die  zwei  Kürzen  der  Hebung  noch  mit 
der  folgenden  Senkung  zusammenhängen,  dass  aber  vor  ihnen  kein  Wort- 
ende eintritt,  sondern  die  Senkung  des  Tribrachys  mit  der  Hebung  ein 
Wort  bildet,  wozu  noch  kommen  kann,  dass  diese  Senkung  von  der  ihr 
vorangehenden  Hebung  getrennt  ist,  dass  also  der  Tribrachys  Mitte  oder 
Anfang  eines   in   den   nächsten  Fuss  reichenden  Wortes  bildet,  z.  B.  a§v- 

Uns  gehen  besonders  die  beiden  letzten  Arten  an.  Wird  die  Regel 
schon  dann,  wann  die  Senkung  des  Tribrachys  mit  der  Hebung  ein  Wort 
bildet  und  nach  diesen  zwei  Kürzen  Wortende  eintritt,  also  die  Verket- 
tung   mit    dem  nächsten  Fusse  gelöst  wird,  in  hohem  Grade  verletzt,    so 


33 

am  meisten  dann,  wenn  auch  die  Senkung  von  der  Hebung  des  voran- 
gehenden Fusses  getrennt  ist,  so  dass  die  drei  Kürzen  ein  Wort  bilden 
und  einen  Fuss  abschliessend  ausfüllen;  in  diesen  beiden  Fällen,  wo  der 
Tribrachys  Wortschluss  bildet  oder  ein  Wort  ausfüllt,  haben  wir  die  un- 
reine Verbindung  *  i  «,  wie  im  äiMpori-Qa,  yßovU.  Diese  Verletzung  der 
Regel  ist  bei  Aeschylus,  Sophokles  und  in  den  strenger  gebauten  Stücken 
des  Euripides  sehr  selten.  Im  zweiten  Fusse  bilden  bei  Sophokles  6  Tri- 
brachen Wortanfang.  dann  nehmen  2  bei  A.,  2  bei  S.  und  1  bei  E.  ein 
besonderes  Wort  ein.  Im  dritten  Fusse  bilden  bei  A.  und  S.  je  1  Tri- 
brachys Wortanfang,  1  Tribrachys  bei  S.  füllt  ein  Wort  aus.  Im  vierten 
Fusse  findet  sich  kein  Tribrachys,  welcher  den  Anfang  oder  die  Mitte 
eines  Wortes  bildet,  dagegen  bilden  bei  A.,  S.  und  E.  die  beiden  Kürzen 
der  Hebung  je  1  Mal  das  Ende  eines  dreisilbigen,  den  4.  Fuss  ausfüllen- 
den, dann  bei  A.  und  S.  je  4  Mal  das  Ende  eines  mehrsilbigen,  schon 
im  3.  Fusse  beginnenden  Wortes.  Die  Verletzungen  der  Regel  werden 
häufig  in  den  freier  gebauten  Stücken  des  Euripides,  wo  ja  auch  die 
Zahl  der  aufgelösten  Hebungen  erstaunlich  zunimmt.  Allein  die  Menge 
dieser  Verletzungen  in  den  freien  Stücken  des  Euripides  hält  genau  die 
Richtungen  ein.  welche  schon  die  geringe  Zahl  der  früheren  eingeschlagen 
hat  und  welche  die  naturgemässen  sind.  Im  dritten  Fusse  muss  regel- 
mässig Caesur  stattfinden,  also  jeder  Fuss  («—,—,««*,  «  «)  nach  der 
eisten  Silbe,  der  Senkung,  getheilt  sein;  also  ist  hier  die  Verbindung  der 
Senkung  mit  der  Hebung  am  wenigsten  zu  erwarten.  Diese  Senkungs- 
silbe des  3.  Fusses  verbindet  sich  naturgemäss  meistens  mit  der  Hebung 
des  2.  Fusses  zu  einem  Worte:  demnach  werden  die  in  sich  verbundenen 
Tribrachen  des  zweiten  Fusses  meistens  als  Wortanfang  oder  Wortmitte 
auftreten.  Nach  der  Hebung  des  vierten  Fusses  ist  (mehr  als  man  meistens 
beachtet)  Wortschluss  sehr  gesucht,  wie  ja  nach  Porsons  Beobachtung 
hier  ein  Wort  nur  mit  einer  schliessenden  Kürze,  nicht  Länge  in  den  5.  Fuss 
übergreifen  darf;  desshalb  ist  zu  erwarten,  dass  die  Tribrachen  des 
4.  Fusses  meistens  ein  Wort  oder  Wortende  bilden.  Wirklich  sind  auch 
in  den  freier  gebauten  Stücken  des  Euripides  die  sehr  zahlreichen  Tri- 
brachen des  3.  Fusses  stets  vor  den  beiden  Kürzen  der  Hebung  getheilt; 
im  2.  Fusse  füllen  nur  etwa  8  ein  dreisilbiges  Wort  und  nur  4  (in  Eigen- 
namen) den  Schluss  eines  längeren  Wortes,  dagegen  bilden  etwa  4  die 
Al.h.d.  I.Cl.d.k.  Ak.«l.  Wim.  XVII.  Bd.  I.  Al.th.  5 


34 

Mitte  und  80  den  Anfang  eines  in  den  3.  Fuss  sich  erstreckenden  Wortes. 
Im  4.  Fusse  dagegen  bilden  nur  3  Tribrachen  Wortanfang,  aber  12  füllen 
abgesonderte  dreisilbige  Wörter  und   15  das  Ende  längerer  Wörter. 

Daktylen  sind  im  strengen  Bau  des  Trinieters  im  ersten  Fusse 
selten  (A.  12,  S.  24,  E.  6);  von  diesen  füllen  nicht  viele  (A.  3,  S.  4,  E.  0) 
ein  dreisilbiges,  also  auf  der  vorletzten  Silbe  betontes  Wort,  wie  äotegag, 
fills.  In  den  freien  Stücken  des  Euripides  stehen  im  1.  Fusse  mehrere 
Hunderte  von  Daktylen,  von  denen  etwa  75  ein  dreisilbiges  Wort  fällen. 
Im  dritten  Fusse  der  streng  gebauten  Trimeter  stehen  oft  Daktylen 
(A.  137,  S.  185,  E.  183);  der  Caesur  entsprechend  sind  sie  stets  vor  den 
beiden  Kürzen  der  Hebung  getheilt.  nur  2  bilden  in  Eigennamen  wie 
EvQvoaxfg  Wortmitte.  Im  3.  Fusse  der  frei  gebauten  Trimeter  des 
Euripides  stehen  etwa  1400  Daktylen;  sie  sind  ebenso  getheilt,  indem 
nur  6  Daktylen  den  Anfang  und  2  die  Mitte  eines  Wortes  bilden,  wie 
in  \f)ivdofU&a  und  fiavTevufieira.  Im  fünften  Fasse  des  tragischen  Tri- 
nieters war  nach  langer  Senkung  die  Bildung  der  Hebung  durch  zwei 
Kürzen  überhaupt  nicht  gestattet. 

Für  unsere  Ziele  ergibt  sich  hieraus:  zwei  vom  Versaccent  getroffene 
Kürzen  im  Schlüsse  eines  Wortes  waren  im  1.  Fusse  des  tragischen  Tri- 
meters  gestattet.  Dass  sie  im  2.,  3.,  4.  und  ä.  Fusse  selten  waren,  be- 
ruhte darauf,  dass  eine  solche  aufgelöste  Hebung  stets  von  der  voran- 
gehenden Senkung  getrennt,  mit  der  folgenden  Senkung  aber  verbunden 
sein  sollte.  Dass  gegen  den  Wortschluss,  welcher  von  zwei  mit  dem 
Versaccent  belegten  kurzen  Silben  gebildet  wird,  keine  besondere  prin- 
zipielle Abneigung  bestand,  ergibt  sich  daraus,  dass  bei  der  eind längen- 
den Vernachlässigung  der  Hauptregel  solcher  Wortschluss  im  1.  Fusse  des 
tragischen  Trinieters  nicht  selten  war. 

Diese  Schlüsse  werden  durch  eine  Prüfung  des  komischen  Trinieters 
bestätigt.  Leider  hat  Kumpel  in  seinen  genauen  Zusammenstellungen 
mehr  darauf  geachtet,  wie  oft  vor  der  aufgelösten  Hebung  Wortende 
eintritt;  dagegen  nicht  immer  speciell  ausgeschieden,  wie  oft  mit  der- 
selben Wortende  eintritt.  Zunächst  entspricht  in  der  Bildung  des  ersten 
Fusses  der  komische  Trimeter  dem  tragischen.  Von  den  206  hier  stehen- 
den Tribracben  füllen  103  ein  besonderes  dreisilbiges  Wort  oder  den 
Anfang  eines  längeren;  von  den  460  hier  vorkommenden  Daktylen  bilden 


35 

60  Wortanfang,  33  füllen  ein  dreisilbiges  Wort.  Im  2.,  3.,  4.  und 
5.  Fusse  ist  die  strenge  Regel  des  älteren  Dramas,  dass  vor  der  auf- 
gelösten Hebung  der  Fuss  getheilt,  die  Theilstücke  aber  mit  den  nächsten 
Füssen  verkettet  sein  müssen,  wenig  beachtet,  ja  vielleicht  gar  nicht  an- 
erkannt. Denn  Aristophanes  hat  im  2.  Fusse  576  getheilte,  370  un- 
geteilte   Tribrachen;    im    3.    Fusse    270    getheilte,    30   ungetheilte;    im 

4.  Fusse  798  getheilte,  302  ungetheilte;  im  5.  Fusse  53  getheilte,  18  un- 
getheilte;   Daktylen  aber  im  3.  Fusse  770  getheilte,  81   ungetheilte;    im 

5.  Fusse,  wo  der  Daktylus  bei  den  Tragikern  gar  nicht  stehen  durfte, 
146  getheilte,  10  ungetheilte.  Die  Hebung  des  5.  Fusses  wird  also  auch 
bei  Aristophanes  nicht  gern  aufgelöst.  Die  geringe  Zahl  der  ungetheilten 
Tribrachen  und  Daktylen  des  3.  Fusses  gegenüber  den  getheilten  (1:10) 
ist  durch  die  Scheu  vor  der  Caesur  herbeigeführt.  Sonst  aber  ist  die 
Zahl  der  ungetheilten  Tribrachen  im  2..  3.  und  5.  Fusse  bis  zur  Hälfte 
<ler  getheilten  angewachsen,  so  dass  man  sagen  muss,  jenes  Gesetz  des 
tragischen  Trimeters  gilt  nicht  im  komischen. 

Was  nun  den  iiir  uns  wichtigen  Fall  betrifft,  dass  die  zwei  betonten 
kurzen  Silben  der  Hebung  den  Schluss  eines  drei-  oder  mehrsilbigen 
Wortes  bilden,  so  tritt  dasselbe  Verhältniss  ein,  wie  in  den  freier  ge- 
bauten Stücken  des  Euripides,  d.  h.  die  ungetheilten  Tribrachen  bilden 
im  3.  Fusse  der  Caesur  halber  nur  selten  solchen  Wortschluss  (unter  den 
30  füllen  5  ein  Wort,  wenige  das  Ende  eines  längeren  Wortes) ;  im  2.  Fusse 
bilden  sie  meistens  den  Anfang  eines  längeren  Wortes,  dessen  Ende  im 
3.  Fusse  Caesur  bildet,  minder  oft  füllen  sie  ein  besonderes  dreisilbiges 
Wort  oder  den  Schluss  eines  längeren,  während  sie  im  4.  Fusse  seltener 
den  Anfang  eines  in  den  5.  Fuss  reichenden  Wortes  bilden,  öfter  ein 
besonderes  dreisilbiges  Wort  oder  den  Schluss  eines  längeren  füllen;  im 
5.  Fusse  bildet  etwa  die  Hälfte  der  ungetheilten  Tribrachen  Wortende. 
Von  den  81  ungetheilten  Daktylen  im  3.  Fusse  bilden  die  meisten  den 
Anfang  oder  die  Mitte  eines  Wortes,  dessen  Ende  im  4.  Fusse  Caesur 
bildet,  nur  8  nehmen  ein  dreisilbiges  Wort,  nur  1  das  Ende  eines  mehr- 
silbigen Wortes  ein;  von  den  10  ungetheilten  Daktylen  im  5.  Fusse 
bilden  9  den  Anfang,  1  den  Schluss  eines  mehrsilbigen  Wortes.  Dem- 
nach war  es  im  jambischen  Trimeter  den  griechischen  Lustspieldichtern 
durchaus  gestattet,  ein  mehrsilbiges,  mit  zwei  Kürzen  schliessendes  Wort  so 


36 

zu  stellen,  dass  diese  beiden  Kürzen  die  Hebung  bildeten,  also  speziell  die 
vorletzte  Kürze  vom  Yersaccent  getroffen  wurde. 

Dieselbe  Freiheit  galt  auch  im  jambischen  und  trochäischen  Septe- 
nar,  nur  dass  hier  die  Auflösung  der  Hebung  überhaupt  minder  häufig  ist. 

Noch  eine  Möglichkeit  bleibt  übrig  für  den  jambischen  Trimeter 
und  Septenar,  nemlich  dass  mit  der  durch  zwei  Kürzen  gebildeten  Heb- 
ung eine  durch  zwei  Kürzen  gebildete  Senkung  zusanimenstiess.  Dieser 
Fall  kommt,  wenn  auch  selten,  wirklich  vor,  aber  in  der  Weise,  dass  die 
zwei  Kürzen  der  Senkung  vorangehen,  die  vier  Kürzen  also  einem  Ana- 
päst mit  aufgelöster  Hebung  entsprechen. 

Darnach  sind  im  griechischen  Lustspiele  die  Wortschlüsse    ^     . 
w  w—  mit  dem  Yersaccent  auf  der  Schlusssilbe  und    ^  »  ^    und       i  „    mit 
dem  Versaccent  auf  der  vorletzten  Silbe  im  Allgemeinen  erlaubt,  wo  sie 
überhaupt  möglich  sind. 

Die  betonten  Wortschlüsse  in  den  alt  lateinischen  Jamben  und  Trochäen. 

In  der  Behandlung  der  drei-  und  mehrsilbigen  Wörter,  deren  Schluss 
im  Verse  in  die  Hebung  fällt,  bestand  bei  den  griechischen  Lustspiel- 
dichtern fast  völlige  Ungebundenhrit.  bei  den  altlateinischen  Dichtern 
finden  wir  Gesetze.  Dieselben  sind  hauptsächlich  folgende:  1)  Die  zwei 
kurzen  Schlusssilben  eines  drei-  und  mehrsilbigen  Wortes  dürfen  nicht 
die  Hebung  bilden.  2)  Spondeische  und  anapästische  Wörter  und  Wort- 
schlüsse mit  dem  Versaccent  auf  der  letzten  Silbe  sind  an  manchen 
Stellen  der  Verse  gestattet,  an  manchen  verboten ;  ja,  es  ist  3)  sogar  der 
jambische  Wortschluss  von  einer  Stelle  fast  ausgeschlossen. 

Senkung  und  aufgelöste  Hebung. 

Die  aus  zwei  Kürzen  bestehende  und  den  Schluss  eines  längeren  Wortes 
bildende  Hebung  betrachten  wir  zuerst,  da  hier  der  Accent  nicht  auf  die 
letzte,  sondern  auf  die  vorletzte  Silbe  fällt.  Man  macht  öfter  einen 
Unterschied,  je  nachdem  die  Senkung,  welche  dieser  aufgelösten  Hebung 
vorangeht,  aus  einer  Länge  oder  einer  Kürze  besteht,  und  meint  der 
Schluss  L.  i  „    (turpia)    sei    einem    anderen   Gesetze    unterworfen    gewesen 


37 

als  der  Schluss  «  i  »  (genera).  Das  gründet  sich  darauf,  dass  bei  Plau- 
tus  und  Terenz  im  1.  Fusse  sich  einige  (bei  Plautus  43,  bei  Terenz  11 
nach  Brugman  S.  42)  daktylische  Wörter  finden,  aber  nicht  tribrachische. 
Allein  einmal  ist  die  Zahl  dieser  regelwidrigen  daktylischen  Schlüsse 
gegenüber  der  gewaltigen  Masse  der  regelrecht  gebildeten  Auflösungen 
der  Hebung  mit  vorangehender  Länge  so  winzig,  dass  auch  diese  nur 
als  starke  und  seltene  Ausnahmen  der  sonstigen  Freiheit  des  1.  Fusses 
aufgerechnet  werden  können;  dann  aber  ist  im  1.  Fusse  auch  der  regel- 
rechte Tribrachys  gemieden.  So  hat  Publilius  unter  fast  700  Anfängen 
zwar  sehr  oft  den  regelrechten  Daktylus,  wie  In  misero,  Lex  videt,  In- 
vidia,  aber  nur  10  regelrechte  Tribrachen  (A  2  Ab  alio.  F  15  Facilitas. 
F  32  Facilitatem.  J  7  Inöpiae.  M  29.  33  Malivolus.  M  55.  60  Malitia. 
M  59  Misericors.  R  14  Remedium);  auch  Phaedrus  hat  im  1.  Fusse  den 
regelrechten  Tribrachys  gemieden  (L.  Müller  edit.  major  p.  IX)  und  Se- 
neca  hat  hier  neben  740  Daktylen  nur  2!»  Tri  1  »rächen  zugelassen.  Wenn 
also  der  Tribrachys  im  1.  Fusse  überhaupt  viel  seltener  ist  als  der  Dak- 
tylus, so  ist  es  nur  natürlich,  dass  auch  der  regelwidrige  Tribrachys  im 
1.  Fusse  viel  seltener  ist  als  der  regelwidrige  Daktylus.  Demnach  können 
wir  jenen  Unterschied  fallen  lassen  und  die  Regel  aufstellen:  die  Hebung 
der  Jamben  und  Trochäen  darf  nicht  durch  zwei  kurze  Schlusssilben 
eines  drei-  oder  mehrsilbigen'  Wortes  gebildet  werden. 

Diese  merkwürdige  Thatsache  haben  diejenigen,  welche  den  Einflüss 
des  Wortaccentes  auf  den  Bau  der  altlateinischen  Verse  verfochten, 
ebenfalls  für  diese  Theorie  angeführt  (freilich  weniger  oft  und  weniger 
nachdrücklich  als  in  ihrem  Interesse  lag).  Sie  trauten  den  altlateinischen 
Dichtern  die  feine  Berechnung  zu,  dass  in  solchen  Schlüssen,  z.  B.  in 
aniinus.  die  Silbe  V  den  ganzen,  'inus'  den  halben,  'ni'  aber  weitaus  den 
schwächsten  Wortaccent  habe;  da  nun  durch  den  Versaccent  aniinus  der 
stärkste  "Widerspruch  zum  Wortaccent  geschaffen  worden  wäre,  so  sei 
nur  dieser  (nur  in  Jamben  und  Trochäen!)  verboten  worden.  Doch  der 
Theorie  von  der  Beobachtung  des  Wortaccentes  stehen,  wie  oben  ent- 
wickelt, überhaupt  starke  Gründe  entgegen.  Zudem  kommt  mau  gleich 
bei  Wörtern,  wie  retineat,  facilia  in  Verlegenheit;  denn  von*  retf,  fäcl 
hat  für  den  betreffenden  Dichter  doch  nur  eine  Silbe  den  Wortaccent 
gehabt,    den    Versaccent    kann    aber  jede    von    beiden    ohne    Unterschied 


38 

haben;    z.  B.  Fortunam    citius   reperiäs    quam  retineäs;    Invitum  cum  re- 
tineas  exire  incites.1) 

Mir  scheint  folgende  Erklärung  dieses  Gesetzes  die  richtige:  Der, 
welcher  zuerst  lateinische  Wörter  in  jambische  und  trochäische  Zeilen 
fügen  wollte,  hat  alle  Wörter,  welche  mit  zwei  reinen  Kürzen  schliessen. 
ob  diese  beiden  Kürzen  nun  eine  Senkung  oder  eine  Hebung  bilden,  auf 
die  nemliche  Weise  behandelt:  er  verbot  sie  in  beiden  Fällen;  wie  turpiä 
mültos  oder  fäciliä  multos,  so  war  auch  turpiä  multös  und  facilia  mültos 
verboten.  Diese  Regel  wird  von  den  alten  Dichtern  nur  sehr  selten  und 
nur  im  1.  Fusse  verletzt.  In  den  Anapästen  dagegen,  wo  die  Senkungen 
turpiä  mültos  und  facilia  mültos  erlaubt  waren,  waren  auch  die  Heb- 
ungen wie  turpiä  und  facilia  erlaubt. 

Die  durch  zwei  Kürzen  gebildeten  Hebungen,  deren  sich  bei  den 
alten  Dichtern  in  den  jambischen  und  trochäischen  Reihen  eine  gewaltige 
Masse  findet,  sind  demnach  hier  selten  auf  zwei  Wörter  vertheilt;  oft 
nehmen  sie  ein  besonderes  zweisilbiges  Wort  ein;  meistens  bilden  sie  den 
Anfang  oder  die  Mitte,  aber  nicht  den  Schluss,  drei-  und  mehrsilbiger 
W7örter;  z.  B.  Dulce  etiam  fügias,  fieri  quöd  amarum  potest.  Laus  novit 
nisi  öritur,  etiam  vetus  amittitur.  Nusquam  melius  mörimur  homines, 
quam    übi    libenter    viximus.     Qui    bene    dissimulat    citius    inimico    nocet. 

Der,  welcher  zuerst  dieses  Gesetz  aufstellte,  war  von  den  Griechen 
abgewichen;  aber  auch  die  späteren  Puristen  und  feurigen  Nachahmer 
der  Griechen  wagten  nicht  zur  Freiheit  der  Griechen  zurückzukehren. 
In  allen  Zeiten  galt  in  der  lateinischen  Dichtkunst  die  Regel,  in  jambi- 
schen und  trochäischen  Reihen  soll  die  Hebung  nicht  durch  die  beiden 
letzten  Kürzen  eines  drei-  und  mehrsilbigen  Wortes  gebildet  werden. 


1)  Nicht  genügend  scheint  mir  der  von  Luc.  Müller  beigebrachte  Grund  :  Knnius  S.  220  (vgl. 
De  re  metr.  S.  155)  Die  Römer,  welche  .  .  die  Metrik  von  Anfang  an  mehr  schulmäsaig  hand- 
habten, fühlten  immer,  dass  die  Auflösung  von  Naturlängen  doch  nur  eine  Licenz,  ein  Nothbehelf 
sei,  und  suchten  desshalb  mehr  als  die  Dramatiker  der  Griechen  sie  in  bestimmte  (Frenzen  zu 
bannen.  Daraus  erklärt  sich  die  merkwürdige  Thatsache,  dass  in  ihrer  Poesie  auf  einen  Tribrachys 
ausgehende  Wörter  nur  mit  der  ersten  und  zweiten  Kürze,  nicht  mit  der  zweiten  und  dritten  in 
die  Auflösung  treten  .  .  .  Die  Römer  meinten,  es  sei  genug,  wenn  an  einer  Stelle  die  Lösung 
gestattet  sei:  als  solche  aber  bot  sich  naturgemäss  der  Anfang  derselben! 


39 


Senkung  und  lange  Hebung. 

Wir  gelangen  nun  zu  jener  Verbindung  von  Senkung  und  Hebung, 
wo  die  Hebung  durch  die  Schlusssilbe  eines  Wortes  gebildet  ist,  wo  also 
die  vom  Versaccent  getroffene  Silbe  zugleich  ein  Wort 
ab  seh  li  esst.  Eine  derartige  Verbindung  fällt  kräftiger  ins  Ohr,  als 
wenn  die  Hebung  in  einem  einsilbigen  WTort  steht  oder,  den  Anfang  oder 
die  Mitte  eines  längeren  Wortes  bildend,  in  dem  Wortgefüge  sich  ver- 
steckt. Die  Griechen  haben  derartigen  Verbindungen  keine  besondere 
Aufmerksamkeit  gewidmet;  aber  in  der  altlateinischen  Poesie  ist  deren 
Zulassung,  wie  allgemein  anerkannt  wird,  besonderen  Regeln  unterworfen. 
Dieselben  sind  nach  meiner  Auflassung  folgende: 

Derjenige,  welcher  zuerst  sich  die  Aufgabe  stellte,  die  jambischen 
und  trochäischen  Zeilen  der  Griechen  nachzubilden,  liess,  weil  er  bei  den 
Griechen  auch  im  2.  Fusse  der  jambischen  Dipodien  so  oft  zwei  Kürzen 
sah,  die  für  ihn  gleich  einer  Länge  waren,  die  Rücksicht  auf  die  kurze 
oder  lange  Bildung  der  Senkung  an  und  für  sich  fallen;  dagegen  richtete 
er  seine  Aufmerksamkeit  auf  die  betonten  Wortschi  üsse.  Zwischen 
sporn  Irischen  und  anapästischen  Wortschlüssen  liKiehte  er  ganz  verstän- 
diger Weise  keinen  Unterschied,  dagegen  einen  grossen  Unterschied 
zwischen  den  jambischen  einerseits  and  den  spondeischen  oder  anapästi- 
schen andererseits.  Das  that  er  mit  vollem  Hechte.  Denn  jene  Ver- 
bindung ist  ja  die  dem  jambischen  und  troeliäisehen  Versmaasse  ureigene 
(1:2),  diese  eine  fremdartige.  Er  machte  dabei  keinen  Unterschied,  ob 
nun  diese  Verbindungen  als  selbständiges  Wort  auftraten  oder  das  Ende 
eines  längeren  Wortes  bildeten,  ob  sie  in  jambischen  Versen  standen,  wo 
sie  einen  Versfuss  füllten,  oder  in  trochäischen,  wo  sie,  Senkung  des 
einen  und  Hebung  des  folgenden  Fusses  begreifend,  den  Uebergang  des 
einen  Trochäus  in  den  andern  bildeten. 

Bildung  des  vorletzten  Jambus. 

Welche  besondere  Rücksicht  in  der  altlateinischen  Verskunst  auf  die 
vom  Versaccent  getroffenen  Wortschlüsse  genommen  ist,  zeigt  zunächst 
die  Bildung  des  vorletzten  Jambus.    Die  jambischen  Senare  und 


40 

Octonare  und  die  trochäischen  Septenare  haben  jambischen  Zeilenschluss, 
die  jambischen  Septenare  und  Octonare  haben  jambischen  Caesurschluss. 
Für  diese  gewaltige  Masse  gilt  die  Regel:  die  beiden  schliessenden  Jamben 
dürfen  durch  zwei  rein  jambische  Wörter  oder  Wortschlüsse,  wie  cäpüt 
lutö,  lentiör  cubes,  deligävmms  comas,  nicht  gebildet  werden.1)  Eine  Aus- 
nahme von  dieser  Regel  findet  sich  ziemlich  häufig  (etwa  50  Mal  im 
Schluss  des  Senars  nach  Brugman  S.  18),  wenn  nemlich  dem  vorletzten 
Jambus  in  demselben  Worte  noch  eine  Kürze  vorangeht,  welche  wie  in 
erüs  operäm  dare,  mit  einer  vorangehenden  Kürze  die  drittletzte  Hebung 
bildet.  Von  Brugman  angezweifelt  sind  die  etwa  10  Fälle,  wo  die  beiden 
Kürzen  der  drittletzten  Hebung  mit  dem  vorletzten  Jambus  ein  Wort 
bilden,  wie  in  legiones  reveniunt  (Immun. 

Von  den  Griechen  ist  diese  Regel  nicht  entlehnt,  denn  dort  können 
sich  im  Schlüsse  der  Zeile  jambische  Wörter  ohne  allen  Zwang  folgen.2) 
Es  liegt  also  auch  hier  eine  Neuerung  dessen  vor,  welcher  die  lateini- 
schen Jamben  und  Trochäen  einrichtete  und  dabei,  wie  wir  nun  sattsam 
gesehen  haben,  die  betonten  Wortschl üsse  besonders  ins  Auge  fasste.  Da- 
für, dass  er  im  5.  Fusse  des  Trimeters  jambischen  Wortschluss  verbot, 
gibt  Brugman  (S.  17)  die  Regel  rsi  ultima  versus  vox  est  iambica,  verba 
quae  praecedunt  non  ita  se  habere  licitum  est,  ut  iusta  iis  conclusio 
versus  formari  possit* ;  da  nun  kein  Vers  mit  cerüs  operäm1  hätte  schliessen 
dürfen,  wohl  aber  mit  'reveniunt'.  so  seien  Schlüsse  der  letzten  Art  im 
vorletzten  Fusse  verboten,  Schlüsse  der  ersten  Art  erlaubt  gewesen.  Mir 
scheint  der  Grund  folgender:  Zwei  völlig  gleiche  jambische  Wörter 
hintereinander,  wie  quis  potest  pati,  klingen  im  Versschluss  klappernd 
und    eintönig;    dasselbe    ist   der    Fall,    wenn    der    vorletzte    Jambus   nur 


1)  Bentley  (Hör.  Senn.  2.  5,  79)  raro  aut   nusquam   in  *fdt>  qmnta  iambum  pedem   usurpant. 

2)  Luc.  Müller,  De  re  metr.  p.  14!».  'regula  .  .  ut  paenultima  thesis  ne  umquam  constaret 
brevi  syllaba  (Diom.  507).  hoc  placitum  inoerto  tempore  ortum  ceterum  Graecis  poetis  incognitum 
omnino  observatur  a  Seneca,  id  quod  saeculi  XVI.  initio  Avantius,  mox  Laehmannus  (p.  180)  per- 
spexere'.  Dagegen  in  der  'Metrik  der  Griechen  und  Römer",  Teubner  1880,  S.  76  'Die  zu  Augustus 
Zeit  eifrig  cultivirte  Tragoedie  .  .  nahm  von  den  Alexandrinern  noch  die  Regel  an,  dass  der  den 
letzten  Jambus  vorangehende  Fuss  im  jambischen  Trimeter  und  catal.  trochäischen  Tetrameter 
nothwendig  ein  Spondeus  oder  Anapäst,  respektive  Daktylus  sein  müsse'.  Da  ich  kein  Zeugniss 
der  Art  kenne,  so  scheint  dieser  Satz  nur  auf  einer  Vermuthung  L.  Müllers  zu  beruhen:  welche 
unbegründet  ist,  da  wenigstens  in  den  Fragmenten  auch  der  spätesten  griechischen  Tragiker  oft 
genug  zwei  jambische  Wörter  Zeilenschluss  bilden. 


41 

Wortschluss  zu  einer  langen  Silbe  ist.  wie  in  änteä  fuit;  desshalb  wurden 
beide  Arten  untersagt,  dagegen  gestattet,  ja  gesucht  spondeische  und 
anapästische  Wörter  und  Wortschlüsse.  Für  die  Versschlüsse  aber,  wie 
Ne  ego  hodie  tibi.  Ex  hoc  die  in  aliüni  diem.  Erüs  operäm  dare.  mag 
vielleicht  die  Entschuldigung  gelten,  dass  sie  leicht  so  ins  Ohr  fielen,  als 
ob  das  anapästische  Wort  wirklich  einen   Anapäst  im   Verse  bildete. 

Der,  welcher  diese  Neuerung  ersann,  hatte  Glück  damit.  Denn 
nur  wenige  der  späteren  Puristen  wagten  zur  griechischen  Freiheit  zu- 
rückzukehren, wie  Catull,  welcher  in  den  13  jambischen  Septenaren  des 
25.  Gedichtes  die  Kegel  3  Mal  verletzte  durch  die  Schlüsse  länguidö 
senis,  türplter  tibi  und  pälliüm  mihi  und  Horaz  in  fast  allen  Epoden 
(nicht  in  der  17.).  Die  meisten  Dichter  hielten  die  Regel  fest,  wie  Pu- 
blilius  und  Phaedrus;  ja  viele  gingen  noch  darüber  hinaus.  Denn  während 
Schlüsse,  wie  rogässet  alter  am,  pötentior,  ursprünglich  nicht  verboten 
waren,  da  hier  jener  zweifache  gleichförmige  Wortschluss  von  'pötest 
patf  nicht  stattfand,  wesshalb  sogar  Publilius  und  Phaedrus  solche  Zeilen- 
schlüsse wenn  auch  selten  zuliessen,  sind  die  späteren  Dichter  wie  Seneca 
viel  weiter  gegangen  und  haben  bei  jambischem  Schlüsse  die  vorletzte 
Hebung  überhaupt  nicht  durch  eine  Kürze  gebildet,  so  dass  Diomedes 
die  Regel  aufstellte  'iambicus  tragicus,  ut  gravior  iuxta  materiae  pondus 
esset,  semper  quinto  loco  spondeum  reeipit*.  So  hat  Seneca  die  vorletzte 
Senkung  durch  eine  Kürze  gegeben  nur  in  den  zwei  Wörtern  'nepotibus. 
cacumine'  und  in  vier  ähnlichen  viersilbigen  Eigennamen.  So  waren  die 
lateinischen  Dichter  in  starken  Gegensatz  zu  den  griechischen  Dichtern 
gerathen.  Dort  wurde  im  fünften  Fusse  des  Trimeters  zwar  lange  Senk- 
ung gestattet,  aber  sonst  der  Fuss  Bohr  zart  behandelt.  Denn  ausser 
Jamben  und  Spondeen  findet  sich  bei  den  Tragikern  dort  die  geringste 
Zahl  von  Tribrachen  (9  bei  Aeschylus.  10  bei  Sophokles.  3  in  den  6 
strenger,  40  in  den  freier  gebauten  Stucken  des  Euripides),  Daktylen 
aber  und  Anapäste  gar  keine.  Selbst  Aristophanes  schonte  den  5.  Fuss 
sichtlich;  denn  er  hat  hier  weitaus  die  geringste  Zahl  von  Tribrachen  (71) 
und,  wenn  er  auch  die  Daktylen  zuliess.  so  sind  sie  doch  hier  viel  weniger 
(156)  als  im  1.  und  3.  Fusse.  Anapäste  hat  er  ebenfalls  im  5.  Fusse 
weit  weniger  (337)  als  im  1..  2.  oder  4..  und  dass  im  3.  Fusse  noch 
weniger  stehen,  kommt  nur  daher,  dass  der  Anapäst  ungetheilt  sein  will, 

Abh.  d.  I.  CL  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  I.  Abth.  6 


42 

der  3.  Fuss  aber  für  die  Caesur  Theilung  verlangt.  Die  lateinischen 
Dichter  dagegen  haben  nur  das  eine  angenommen,  dass  sie  die  5.  Heb- 
ung nicht  ebenso  oft  als  die  übrigen  auflösen.1)  Sonst  kamen  sie  durch 
Verdrehung  eines  ursprünglich  ganz  anders  gemeinten  Gesetzes  dahin. 
aus  dem  5.  Fusse  den  Jambus  und  Tribrachvs  ganz  zu  vertreiben  und 
ihn  mit  Spondeen  und  Anapästen  zu  füllen. 

Das  altlateinische  Dipodiengesetz. 

Die  Schwierigkeiten,  welche  Ritschi  zu  seiner  Theorie  von  der  Fest- 
haltung des  Wortaccentes  in  den  altlateinischen  Versen  führten,  lösen 
sich  zum  grössten  Theile  durch  die  richtige  Krkenntniss  des  altlateini- 
schen Dipodiengesetzes.  Gewöhnlich  wirft  man  den  altlateinischen  Dichtern 
vor,  in  ihren  Jamben  und  Trochäen  sei  die  dipodische  Gliederung  zer- 
stört und  der  Vers  in  die  einzelnen  Füsse  aufgelöst.  Das  ist  ungerecht. 
Allerdings  hat  der  Ordner  der  altlateinischen  Jamben  und  Trochäen  im 
zweiten  Fusse    der   jambischen  Dipodie    neben    den    vorgefundenen    zwei 


li  Genauere  Untersuchungen  verdienst)  diejenigen  jambischen  Schlüsse  am  Ende  des  Senars, 

Oetonars,  trochäischen  Septen&n  und  des  Dimeten  'im  Anfang  des  jambischen  Septenars  und 
Oetonars),  deren  vorletzte  Hebung  in  zwei  Kürzen  aufgelöst  ist.  Irr  fahren  kann,  was  Ritsch] 
il*r<d«'<r.  p.  287)  bemerkt:  proceleoanatici  vel  quarti  paftnnii  ipeciem  exitus  versuum  induit,  stw 
tum  brevi»  sirr  longa  sjfUäba  praecedU.  So  via]  ich  sah,  wird  bei  Auflösung  der  vorletzten  Heb- 
ung die  vorletzte  Senkung  bei  Plautus  und  leren»  selten  (aucb  die  bei  Mohr  S.  ;!1  aufgeführten 
Beispiele  haben  fast  alle  eine  Lange  in  der  Senkung),  bei  Publüiut,  Phaedrus  und  Seneca  nie 
durch  eine  Kürze  gebildet.  Publilius  S  :!  'Suadere  primum  de£o  eorrigere  benivoli  est'  ist  Con- 
jectur  von  Bothe;  da  die  einzige  Handschrift  hat  'suadere  primum  benivoli  est  dein  eorrigere.  so 
ist  richtig  zu  stellen:  'suadere  primum,  dein  eorrigere  est  benivoli".  Gegen  die  Kürzen  bei  Phaedrua 
hatte  schon  Langen  (Rhein.  Mus.  1858,  S.  208)  Einsprache  erhoben,  L.  Müller  früher  noch  manche 
zugelassen  (I,  5,  1.  19,  8.  IV,  19,  3.  App.  2,  10.  5,  6.  16,  6),  in  der  grossen  Ausgabe  aber  das 
Gesetz  anerkannt.  Dann  hängt  die  5.  Senkung  bei  Plautus  und  Terenz  selten,  bei  Publilius  und 
Phaedrus  sehr  selten  durch  Elision  mit  der  folgenden  1.  Kürze  zusammen.  Her  einzige  Kall  bei 
Publilius  (N  14  Necesse  est  minima  mäximorum  esse  fnitia)  ist  nicht  sicher ;  hei  Phaedrus  finden 
sich  nur  vier  Beispiele  (I,  4,  5.  III,  14,  10 V.  IV,  11,  16.  App.  _"».  8).  Minder  selten  bildet  die 
lange  Senkung  mit  den  folgenden  Kürzen  ein  Wort,  wie  ingenuitas.  Die  drei  oder  vier  schlies- 
senden  Kürzen  füllen  bei  Plautus  und  Terenz  meistens  ein  viersilbiges  Wort,  wie  mülierem;  in 
etwa  dem  fünften  Theil  der  Fälle  sind  sie  vertheilt  auf  zwei  zweisilbige  Wörter,  wie  bene  putas, 
viel  seltener  auf  ein  drei-  und  ein  einsilbiges  Wort,  wie  älia  res,  apage  te,  oder  ein  ein-  und 
ein  dreisilbiges  Wort,  wie  quid  igitur.  quid  agimus,  Formeln,  die  sich  bei  Terenz  meistens  mit 
vorhergehendem  Personenwechsel  finden ;  bei  Publilius  stehen  neben  'S  fünfsilbigen  Schlüssen,  wie 
aequänimitas,  nur  34  viersilbige,  bei  Phaedrus  neben  4  fünfsilbigen,  97  viersilbige  und  nur  die 
beiden  fsine  mora,  sätis  erit",  bei  Seneca  überhaupt  nur  viersilbige  Schlüsse  der  Art. 


43 

Kürzen  auch  eine  Länge  und  im  1.  Fusse  der  trochäischen  Dipodie  beides 
auf  eigene  Hand  zugelasssen  und  das.  wie  oben  bewiesen,  aus  einem  ganz 
vernünftigen  Grunde.  Allein  er  hat  wenigstens  den  Versuch  gemacht, 
die  alten  griechischen  Dipodien  auf  einem  anderen  Wege  zu  wahren. 
Er  Hess  die  2.  Senkung  der  jambischen  und  die  1.  Senkung  der  trochäi- 
schen Dipodie  mit  der  folgenden  Hebung  nur  reine,  nicht  unreine  Ver- 
bindung eingehen,  d.  h.  er  liess  die  2.  Hebung  der  jambischen  und  die 
2.  Hebung  der  trochäischen  Dipodie  nur  jambischen,  nicht  spondeischen 
oder  anapästischen  Wortschluss  bilden.  Se  sind  z.  B.  in  den  einfachsten 
jambischen  Reihen,  den  Dimetern,  Leges  ut  conscribät  quibüs.  Nfunquäm 
bönäe  frügi  sient.  Ämät  sapit  reete  facit,  änlmö  quando  öbsequltur  suö. 
die  betonten  Wortschlüsse  alle  am  richtigen  Platze,  wenn  sie  auch  in 
dieser  Häufung  weder  häufig  noch  schon  sind.  Durch  dieses  altlateinische 
Dipodiengesetz  erklärt  sich,  warum  im  2.  und  4.  Fusse  des  Senars.  im 
2.,  (4.)  und  6.  Fusse  des  jambischen  Septenars  und  Octonars  und  im 
Uebergang  des  3.  zum  4..  und  des  5.  zum  6.  Fusse  des  trochäischen 
Septenars  der  Regel  nach  nur  jambische,  nicht  Bpondeische  oder  ana- 
lgetische betonte  Wortschlüsse  Btehen. 

\'<m  diesem  Dipodiengesetz  gibt  es  »'ine  prinzipielle  und  manche 
vereinzelte  Ausnahmen.  Die  erste  Senkung  des  trochäischen  Septenars  geht 
ganz  gewöhnlich  mit  der  folgenden  2.  Hebung  unreine,  spondeische  oder 
anapästische,  Verbindung  ein.  wie  Quid  quassas.  Argenti.  Cum  pedibüs. 
KtYiigiäs,  so  dass  hier  offenbar  ein  grundsätzliches  Aufgeben  der  Regel 
vorliegt.  Dies  konnte  geschehen,  weil  der  1.  Fuss  aller  Zeilenarten  be- 
sondere Freiheiten  geniesst.  Die  griechischen  Tragiker  haben  z.  B.  nur 
im  1.  Fusse  des  Senars  den  Anapäst  zugelassen,  Plautus  und  Terenz 
haben  im  1.  Fusse  etwa  50  Mal  die  sonst  verbotene  Betonung  von 
zwei  kurzen  Endsilben,  wie  corpora.  gestattet.  So  hat  der  Ordner  der 
lateinischen  Jamben  und  Trochäen  auch  im  1.  Fusse  des  trochäischen 
Septenars  die  Neuerung  gemacht,  dass  das  Dipodiengesetz  stets  verletzt 
und  die  1.  Senkung  mit  der  folgenden  Hebung  auch  zu  unreinem,  spon- 
deischein  oder  anapästischem  Wortschluss  verbunden  werden  dürfe;  in 
den  folgenden  Dipodien  aber  hat  er  an  dieser  Stelle  nur  reinen  Wort- 
schluss gestattet. 

Sodann  wird  das  altlateinische  Dipodiengesetz  wie   die  Gesetze  über 


44 

die  Caesur  und  manche  ähnliche  bei  Plautus  und  Terenz  (nicht  bei  Pu- 
blilius  und  Phaedrus)  hie  und  da  verletzt.  Der  Grund  ist  bei  den  Aus- 
nahmen von  dieser  und  von  den  übrigen  Regeln  stets  der  gleiche,  da 
derjenige,  welcher  zuerst  auf  diese  Weise  die  griechischen  Dipodien  nach- 
ahmte, in  seinen  griechischen  Vorbildern  das  Dipodiengesetz  (durch  Ana- 
päste) ganz  gewöhnlich  verletzt  sah,  so  hat  er  auch  im  lateinischen  Ab- 
bild wenigstens  hie  und  da  eine  Verletzung  der  Regel  gestattet.1) 

Zeilen-  und  Caesurenschlüsse. 

Von  den  Thatsachen.  zu  deren  Erklärung  die  Theorie  Ritschis  er- 
sonnen ist,  bleiben  noch  wenige  zu  erklären.  Sie  drehen  sich  um  die 
Frage,  in  wie  weit  die  3.  Hebung  des  jambischen  Senars  und  die  5.  Heb- 
ung des  trochäischen  Septenars  durch  Wortende  gebildet  werden  können. 
Verse,  wie  in*  i$ßkio9nvtiv  wwfj  ras  otaßokag,  ait^ytti'  tpiXavS-^umov  ot 
nuv&a&ai  iyn.101 .  nnt  ihh.  n  uhj.u'  w  Ttavttoy  xaxiorä  fh^tiuy,  sind 
bei  den  griechischen  Lustspieldichtern  sehr  häutig,  bei  den  altlateinischen 
Dichtern  sehr  selten,  bei  den  späteren  fast   nicht  zu  finden. 

Diese  Thatsache  ist  die  natürliche  und  unvermeidliche  Folge  von 
zwei  Regeln,  auf  welche  die  altlateinische  Verskunst  viel  strenger  ge- 
halten hat  als  die  griechische:  1)  für  jede  Zeilenart  war  Caesur  an 
einer  bestimmten  Stelle  festgesetzt  und  wurde  dieselbe  sorgfältig 
beobachtet,  2)  einzelne  einsilbige   Wörter  oder  Wörter  mit  elidirten 


li  Kine  Spur   dieses   altlateinischen  Dipodiengesetzes   findet   sich   schon   bei  Bentley,   Sehe- 
diasma  de  metris  Terentianis  am  BchlOM:   In  rttbo  trisylUtbo  düOfl  total  reeipiente  (d.  h.  /..  B.  <;x- 

petdnt),  si  id  dipodiam  trochaicam  inchoat,  media  erit  ex  Arte  brevia.  Weiter  gekommen  ist 
Draheim  in  einem  Aufsätze,  auf  den  ich  erst  nach  Abschlags  meiner  Arbeit  aufmerksam  wurde 
(Hermes  XV,  1880.  p.  238 — 243):  conieetaram  faeimus:  dipndias  Ghraeoomm  esse  quodammodo  a 
Terentio  observatas,  nimirum  syllaham  Umgarn,  quae  accentum  ferat,  quoad  fieri  possit,  esse  evi- 
tiitiim  in  priore  thesi  dipodiae  trochaicae  sive  in  altera  dipodiae  iambicae.  Jambici  septenarii  et 
octonarii,  item  trochaici  legi  parent,  nisi  quod  septenarii  trochaici  primus  pes  suum  sibi  iudicium 
quaerit;  (auch  er  entschuldigt  die  Ausnahme  mit  der  Freiheit  des  1.  Fusses).  So  erfreulich  die.se 
Uebereinstimmung  unserer  Ansichten  mir  ist,  so  ist  Draheim  doch  auf  halbem  Wege  stehen  ge- 
blieben. Er  findet  das  Dipodiengesetz  nur  bei  »pondeischem  Wortschlusse  beobachtet,  dann  nur 
bei  Terenz  (welcher  nach  ihm  'artem  exhibet  simpliciorem  et  moderatiorem'  als  Plautus),  glaubt 
auch  daran,  dass  in  Wortschlüssen  wie  multös  der  Wortaccent  viel  schwerer  verletzt  werde  als  in 
Wortschlüssen  wie  amänt  und  kommt  nicht  los  von  dem  Satze  Ritschis  'poetae  accentum  .  .  neque 
prorsus  neglegebant  neque  antiquitus  neglegere  consuerant. 


45 

Silben  wurden  im  Zeilen-  oder  Caesurschluss  nur  unter  grossen  Be- 
schränkungen zugelassen.  Die  Untersuchung  dieser  beiden  Punkte  ist 
lehrreich  und  wichtig,  weil  sie  uns  auch  zeigt,  wie  einige  auffallende 
metrische  Gesetze  der  späteren  lateinischen  Dichter  ganz  natürlich  sich 
entwickelt  haben. 

Vor  den  einzelnen  Zeilenarten  habe  ich  nachgewiesen,  dass  bei  den 
Griechen  eine  Menge  von  Senaren.  jambischen  und  trochäischen  Septe- 
naren  jeder  bestimmten  Caesur  entbehrt,  dass  dagegen  bei  Plautus 
und  Terenz  jede  dieser  Zeilenarten  eine  oder  zwei  fest  bestimmte  Cae- 
suren  hat,  wie  der  Senar  entweder  nach  der  3.  oder  4.  Senkung,  und 
dass  Verse  ohne  eine  dieser  Caesuren  nur  in  sehr  geringer  Zahl  vor- 
kommen. Daraus  ergibt  sich,  dass  der  Ordner  der  lateinischen  Jamben 
und  Trochäen  für  jede  dieser  Zeilenarten  die  Caesuren  festgesetzt  und 
Verse  ohne  eine  solche  nur  selten  zugelassen   habe. 

Einzelne  einsilbige  Wörter  wurden,  wie  wir  schon  oben  ge- 
sehen, seit  Virgil  und  (Kid  vor  der  Caesur  und  im  Schluss  des  lateini- 
schen Hexameters  fast  gänzlich  gemieden.  Die  Prüfung  der  altlateinischen 
Jamben  und  Trochäen  lehrt,  dass  diese  Kegel  nicht  erst  von  jenen 
Dichtern  oder  ihren  nächsten  Vorgängern  ersonnen  wurde,  sondern  her- 
übergenommen  ist  aus  den  Kegeln  der  jambischen  und  trochäischen 
Verse. 

Bei  der  Untersuchung  sind  zu  scheiden  die  jambischen  und  die 
trochäischen  Schlüsse,  die  Schlüsse  vor  der  Caesur  und  die  am  Ende  der 
Zeile.  Jambische  Caesurschlüsse  konnten  bei  den  Griechen  nur  in  den 
seltenen  jambischen  Septenaren  vorkommen,  entziehen  sich  aber  hier 
wegen  der  Unsicherheit  der  Caesur  der  Untersuchung.  Die  lateinischen 
jambischen  Septenare  haben  fast  alle,  die  jambischen  Octonare  des  Plau- 
tus etwa  zur  Hälfte  die  Caesur  nach  dem  4.  Jambus.  Im  jambischen 
Caesurschlüsse  der  Septenare  finden  wir  oft  einsilbige  Wörter  mit 
oder  ohne  vorangehende  Elision,  wie  'Quor  nön  venisti,  ut  iüsseram, 
in  tonstrinam.  Hie  nie  morätust',  oder  'Proinde  istuc  facias  ipse,  quod 
faeiämus  nobis  suädes';  in  den  Octonaren  scheinen  sie  seltener  zu  sein, 
wie  fUt  filium  bonüm  patri  esse  oportet,  item  ego  süm  patri\  Der 
Grund  liegt  vielleicht  darin,  dass  der  nach  der  4.  Hebung  getheilte 
Octonar  in  zwei  völlig  gleiche  Theile  zerfällt,    so    dass    manche  Gelehrte 


46 

schon  versuchten,  statt  einer  Langzeile  zwei  Kurzzeilen  abzutheilen :  es 
ist  also  der  Schluss  im  4.  Jambus  dem  Zeilenschluss  sehr  genähert. 

Der  jambische  Zeilenschluss  dagegen  ist  bei  den  lateinischen 
Dichtern  sehr  strengen  Regeln  unterworfen.  Wie  die  Griechen  den 
jambischen  Zeilenschluss  behandelten,  mögen  die  ersten  1050  jambischen 
Schlüsse  in  der  Helena  des  Euripides  lehren.  Von  diesen  Zeilen  sind  85 
durch  ein  einsilbiges  Wort  geschlossen.  In  35  derselben  geht  dem 
schliessenden  einsilbigen  Wort  ein  anderes  einsilbiges  voran,  wie  $i  cJVj. 
im'  ov,  zdd'  av\  die  schliessenden  Wörter  sind  meistens  leichte  Wörter. 
wie  «V,  oui,  rin.  t)v.  ooh  wv,  rcV;  dann  finden  sich  <5V  yf,±.  fit  yir  n  (fu>. 
o  voOg.  ut  /<>/,.  <n  doä.  Von  den  50  mit  einem  einzelnen  einsilbigen 
Worte  geschlossenen  Zeilen  ist  in  16  die  Hebung  des  letzten  Jambus 
gebildet  durch  Wörtchen,  die  später  Enklitika  genannt  wurden,  in  J1* 
durch  mehr  oder  minder  leichte  Wörter,  wie  äv  yety  <h'  <V/,  ctv  vvv  via 
h  iti'  ov  9tܣ  r>oy.  in  3  durch  yot)  und  in  2  durch  yrjs>  Da  in  den 
lateinischen  Schlüssen  auch  die  Elision  eine  Rolle  spielt,  so  sei  bemerkt. 
«lass  abgesehen  von  der  Elision  vor  den  einsilbigen  Schlusswörtern  ov 
/r  u.  s.  w.  in  etwa  45  Schlüssen  dem  zweisilbigen  Schlusswort  Elision 
vorangeht,  wie  in  noodove?  tum-  oder  /',  n'  lxfffjy>  Demnach  war  es  den 
griechischen  Dichtern  gestattet,  in  den  jambischen  Schluss  1  oder-  2  ein- 
silbige Wörter  zu  stellen,  ohne  alle  Rücksicht  auf  Elision;  nur  scheinen 
sehr  schwere  einsilbige  Wörter,  wie  die  im  Prometheus  vorkommenden 
'  alnvufjra  nai.  naQovTa  vovv.  al&alovaa  (plo*,  im  jambischen  Zeilen- 
schluss nur  selten  gestattet  worden  zu  sein. 

Wie  ganz  anders  steht  es  bei  den  Lateinern!  Ich  nehme  zur 
Untersuchung  den  Miles,  Trinummus  und  Ainphitruo  von  Plautus,  den 
Phormio  und  die  Adelphoe  von  Terenz. 

Unter  den  etwa  1150  einsilbigen  Schlüssen  im  Miles  bilden  ein- 
silbigen Schluss  (abgesehen  von  1179  thalassicust  und  760  frigid ust): 
5  Mal  est,  4  es,  1  sum;  dann  ecce  me,  esse  te,  et  ego  vos,  certa  res,  lila 
vult;  dann  zwei  einsilbige  Wörter  in  4  Mal  rQuid  est'  und  1  Sat  est. 
Bei  der  sonstigen  Fülle  von  Elisionen  wird  man  Schlüsse,  wie  nülla  habet 
oder    ömnia    häec.1)    in  Menge    erwarten;    allein    nur  est  findet  sich  oft; 


1)  Luc.  Müller   de   re   metrica    p.  296:    Elisionem    in   ultima  versus  .syllaba  evenientem  nee 


47 

sonst  nur  der  unsichere  eine  Fall  canimo  bono  es'  und  etwa  8  sichere 
und  4  unsichere  Fälle,  wo  vor  einem  .zweisilbigen  Worte,  wie  ego  habet 
ei,  eine  Silbe  elidirt  ist.  Unter  den  über  1000  jambischen  Schlüssen  des 
Amphitruo    schliessen    5  mit  est,    2    quid  est,    2    quisquis  est;    1   swm, 

1  es,  1  sunt,  1  sis,  1  sint.  Elision  findet  statt  vor  8  -zweisilbigen  Schluss- 
wörtern, wie  uti  erae  agat,  und  '(abgesehen  von  est)  nur  vor  einem  ein- 
silbigen, prol.  91  proscenio  hie.  hu  Trinummus  finden  sich  Fälle 
ohne  Elision  ein  wenig  mehr:  4  est,  9  Mal  Schlüsse  wie  quid  est.  id 
est;  dann  3  sunt,  2  es,  1  sit.  2  te,  1  se,  1  nos,  2  gnate  mi;  dann  158 
unde  dem.  734  expectare  vis.  1182  esse  vis.  Sonst  findet  sich  kein 
Schluss,  der  aus  zwei  einsilbigen  Wörtern  besteht  und  nur  einer  (54  esse 
item),  wo  einem  -zweisilbigen  Schlusswort  Elision  vorangeht.  Demnach 
wird  der  jambische  Zeilenschluss  von  Plautus  oft  durch  est,  selten 
durch  die  übrigen  Formen  des  Zeitwortes  esse,  noch  seltener  durch 
andere  leichte  einsilbige  Wörter  gebildet.  Mit  vorangehender  Elision 
rindet  sich  bei  Plautus  im  jambischen  Zeilenschluss  oft  est.  selten  ein 
zweisilbiges  und  fast  nie  ein  einsilbiges  Wort 

Bei  Ter e  uz  sind  die  Fälle  ein  wenig  mehr.  Unter  den  830  jam- 
bischen Wortschlüssen  im  l'hormio  findet  sich  zunächst  tsi  nach  längeren 
Wörtern,  wie  tempus  est,  5  Mal ;  nach  den  einsilbigen  Wörtern  sat,  quod 
und  quid  7  Mal;  als  st  in  opüst  4  Mal  und  oft  nach  vokalischem 
Schlüsse.  Ausserdem  finden  sich  die  Schlüsse:  3  sunt,  2  es.  je  1  sit  und 
sint;    dann  mens  vis,  cüique  mos,  quid  ita  nön  und  der  eine  Schluss  mit 

2  einsilbigen  Wörtern  at.  Quid  Vit".  Häufiger  als  bei  Plautus  findet  sich 
besonders  Elision  im  letzten  Fuss;  es  ist  eine  Liebhaberei  von  Terenz, 
einsilbige  Interjektionen  mit  Elision  den  Schluss  bilden  zu  lassen;  so 
findet  sich  15  Mal  em,  oh,  ah  und  ohe  in  Schlüssen,  wie  öeeidi.  Hein: 
ausserdem  3  Mal  ömnia  haec,  je  1  Mal  crimine  hoc,  öbsecro  es,  animo 
<is  und  die  zweisilbigen  mültum  habet,  nössem.  Ita,  uerum  itäst,  venisse 
eäs.  tantündem  egö  und  ätque  egö.  Ebenso  findet  sich  unter  den  760 
jambischen  Zeilenschlüssen  der  Adelphoe  8  Mal  est  selbständig  nach 
"längeren,   7  Mal  nach  den  einsilbigen  Wörtern    is   id    quid  quod  ut  und 


l'lautus    adhitrail    nn€    cautionfi   et  Terentius    ita    tantum    ut   sequeretur   aut  interiectio  aut  pro- 
nomen    hie". 


48 

sat;  als  st  1  Mal  in  rectiüst  und  4  Mal  nach  schliessendem  m  und  na- 
türlich oft  nach  vokalischem  Schlüsse.  Ausserdem  finden  sich  nach 
längeren  Wörtern  2  es,  1  sunt,  1  sum  und  je  1  ille.  Phf,  hercle  vah, 
audiret  hdec,  cognätus  hdc,  ipsa  fert.  mitte  me  und  fäcile  fert.  Mit  Filision 
schliessen  wieder  12  Mal  hem,  ah  und  hui,  ausserdem  3  es,  1  aut;  dann 
idem  erit,  atque  ibi,  üsque  adhüc,  hie   rem  agit. 

Dass  diese  grössere  Zahl  der  Ausnahmen  bei  Terenz  nur  dessen 
Nachlässigkeit  zuzuschreiben  ist  und  dass  Plautus  die  reinere  Regel  zeigt 
beweist  die  weitere  Entwicklung.  Unter  den  über  700  jambischen 
Schlüssen  des  Publilius  findet  sich  oft  est  nach  Vokalen,  wie  vehiculo 
<>st.  3  Mal  nach  Consonanten  (C  42  prudentis  est).  H  18  donätus  est 
und  H  19  risus  est.  Ausser  dem  nicht  sicheren  Schlüsse  A  51  esse  vult 
(der  Vatic.  hat  cesse  volet\  vgl.  oben  S.  22)  findet  sich  bei  Publilius  nie 
im  Schlüsse  ein  einsilbiges  Wort,  weder  allein  noch  nach  einem  andern, 
und  findet  niemals  in  oder  vor  dem  schliessenden  Jambus  Elision  statt. 
Unter  den  1900  jambischen  Schlüssen  des  Phaedrus  findet  sich  oft  est 
nach  Vokalen.  7  Mal  selbständig  nach  längeren  Wörtern,  wie  confessus 
est  und  1  Mal  natus  es,  ausserdem  weder  1  noch  2  einsilbige  Wörter, 
und  nie  Elision  weder  in  noch  vor  dem  letzten  Jambus.  Unter  den 
über  300  jambischen  Schlüssen  in  den  Epoden  des  Horaz  finden  sich 
ausser  et  heu.  neque  est  und  in  hoc  nur  zweisilbige  Wörter  ohne  vor- 
hergehende Elision  oder  mehrsilbige.  In  der  Medea  des  Seneca  endlich 
steht  im  Zeilenschluss  oft  est  nach  Vokalen.  1  Mal  tempus  est  und  1  Mal 
in  hanc. 

Demnach  hat  der  Ordner  der  lateinischen  Jamben  und  Trochäen 
die  Regel  gegeben:  im  jambischen  Zeilenschluss  sind  abgesehen  von  est 
und  einigen  andern  Formen  des  Zeitwortes  esse  zu  meiden:  1)  einzelne 
einsilbige  Wörter.  2)  2  einsilbige  Wörter,  3)  zweisilbige  und  insbesondere 
einsilbige  Wörter,  deren  erste  Silbe  in  Elision  fällt.1) 


1)  Die  Gründe  für  diese  Thatsachen  mögen  folgende  sein:  1)  betonte  einsilbige  Wörter  im 
Zeilenschluss  fallen  zu  schwer  in  das  Ohr:  2)  in  dem  Falle,  den  wir  gewöhnlich  Elision  nennen, 
scheinen  die  Lateiner  dennoch  beide  Vokale  gesprochen  zu  haben  ;  durch  Elision  im  letzten  EHuse 
entstand  also  ein  Klang,  als  ob  dieser  Fuss,  der  absolut  rein  sein  sollte,  aus  drei  Silben  bestünde. 


49 


Trochäische  Schlüsse. 

Trochäische  Zeilenschlüsse  sind  bei  den  Griechen  selten,  da 
sie  nur  in  den  wenigen  jambischen  Septenaren  des  Aristophanes  vor- 
kommen. Hier  wird  der  Schluss  ziemlich  sorgfältig  gebildet.  Denn  in 
den  gut  330  jambischen  Septenaren  der  Vögel,  der  Frösche  und  der 
Wolken  finden  sich  nur  10  einzelne  einsilbige  Wörter  (2  aoi,  2  av,  je  1 
ye  nv  yovv  utv  vvv  mit  dem  einen  schweren  avxoipavriag  nvü)  und 
5  Mal  2  einsilbige  (niug  ovv.  h^  wv,  tu  Tay,  J//  juoi,  (pr^  ov).  Die  alt- 
lateinischen Dichter  sind  in  der  Bildung  des  trochäischen  Zeilenschlusses 
etwas  freier  als  die  griechischen  Dichter,  d.  h.  ein  einsilbiges  Schlusswort 
wird  nicht  gemieden,  einigermassen  ein  einsilbiges  Schlusswort  mit  vor- 
hergehender Elision. 

Von  den  etwa  1300  jambischen  Septenaren  des  Plautus  werden 
etwa  39,  von  den  380  des  Terenz  etwa  12  durch  ein  einzelnes  einsilbiges 
Wort  geschlossen,  von  denen  nur  sehr  wenige  (dort  5,  hier  ebenfalls  5) 
in  Elision  stehen.1)  Die  Bildung  des  trochäischen  Schlusses  durch  zwei 
einzelne  Wörter  aber  ist  häufig  und  frei  gegeben;  so  finden  sich  bei 
Plautus  etwa  50,  bei  Terenz  etwa  20  Schlüsse  der  Art,  wie  ad  me,  qui 
det,  in  eo,  cäve  sis,  id  nam  est,  von  denen  bei  Plautus  5,    bei  Terenz  3 


1)  Plautus  Asin.  411  ohsen-ö  te.  146  mtft  tu.  493  tarnen  me.  639  obsecrö  vos.  713  Salus 
suin.  Miles  375  obsecrö  te.  1227  Venös  mit.  1284  viderfl  me.  1238  pnlcridr  na.  L258  mutuüm  fit. 
1261  militem  pol.  Kud.  826  ariolüs  nun.  829  ampliüs  »dt.  342  obsecrö  te.  868  und  te.  1283  per- 
dittia  suin.  1801  tenuiiis  fit.  1882  adrogöt  te.  Poen.  1230  penös  nos.  1231  utri  det.  1256  enicäs 
me.  Cure.  493  voläm  te.  512  dic.ix  es.  520  vendidi  te.  Kj>id.  858  manet  nie.  Truc.  148  apiid 
vos.  220  pauperes  nos.  Most.  175  plackt  mi.  241  homö  sum.  Pers.  43  rogas  me.  Stich.  771  pa- 
päe  pax.  ('ist.  I.  2,  36  restigium  sed.  64  implicat  *e.  70  ubi  dt.  Von  diesen  (84)  Fällen  sind 
zu  scheiden  die  5  Falle,  in  «reichen  vor  dem  einsilbigen  Schlusswort  Elision  steht:  Asin.  383  evo- 
cäto  huc.  679  amplexare  hanc,  Kud.  891  babete  hanc.  (Poen.  1254  amäbo  est.  Cist.  4,  2,  75 
gratufta  est).  Terenz  hat  mir  Eon.  599  proruünt  se.  611  redierft  iam.  1012  oportuit  te.  Heaut. 
698  adhüc  est.  Phorm.  178  nuntiat  rem.  825  probrö  sim.  Hec.  255  aput  vos.  (Andr.  714  op- 
perire  hie.  Eun.  260  honorem  et.  1009  vidöbo.  Ah.  Phorm.  786  opitulata  es.  Hec.  252  adfini- 
tätem  hanc).  Da  die  Elision  im  troch&ischeti  Xeilenschluss  besonderes  Interesse  hat  wegen  der 
Verwandtschaft  mit  dem  Schlüsse  des  Hexameters,  so  sei  bemerkt,  das*  Schlosse,  wie  viciirio  ipsi, 
sehr  häufig  sind,  dagegen  unter  den  erwähnten  50  Schlüssen  bei  Plautus  sich  nur  die  5  finden: 
nöquam  es  (Asin.),  estne  hie  (Rud.),  servo  id  (Men.),  lürti  est  (Poen.)  und  id  nam  est  (Cist.). 
Zu  den  20  Schlüssen,  die  von  Terenz  aus  2  einsilbigen  Wörtern  gebildet  sind,  gehört:  (quid  nam  est 
Andr.),  omnem.  Hein  (Heaut.)  und  bina.   Hui  ( Ph.). 

Abb.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  I.  Abth.  7 


50 

Elision  vor  dem  letzten  Wörtchen  haben.  Die  angeführten  Stellen  legen 
auch  ein  anderes  Gesetz  klar.  Obwohl  der  7.  Fuss  des  Septenars  als 
der  1.  einer  jambischen  Dipodie  eigentlich  in  der  Senkung  auch  eine 
Länge  oder  zwei  Kürzen  haben  dürfte,  so  haben  doch  die  Griechen  offen- 
bar des  Zeilenschlusses  halber  diese  letzte  Hebung  nicht  aufgelöst  und  die 
vorangehende  Senkung  nur  durch  eine  Kürze  gebildet.  So  oft  die  letzte 
Silbe  mit  der  vorangehenden  Hebung  ein  Wort  bildet  kümmern  die  La- 
teiner sich  nichts  um  jene  Regel,  und  die  letzte  Hebung  wie  die  ihr 
vorangehende  Senkung  ist  freigegeben;  so  finden  sich  im  Schlüsse  des 
jambischen  Septenars  alle  möglichen  Variationen  (vgl.  Mohr  S.  29):  lo- 
quatur,  aetäte,  metüendus,  möpia,  efficeret,  huic  häbitam,  male  metuo. 
Sobald  aber  vor  einsilbigem  Schlusswort  der  betonte  Wortschluss  auftritt, 
gilt  hier  dieselbe  Regel  wie  beim  Dipodienschlusse :  war  bei  den  Griechen 
nur  die  reine  Senkung  erlaubt,  die  unreine  verboten,  so  ist  bei  den  La- 
teinern nur  der  reine  jambische  betonte  Wortschluss  erlaubt,  der  unreine 
spondeische  oder  anapastische  verboten. 

Der  trochäische  Caesurschluss  findet  sich  ebenso  massenhaft 
wie  der  regelmässig  ihm  folgende  jambische  Zeilenschluss.  Denn  schon 
die  Römer  haben  jenes  Princip  angebahnt,  das  in  der  mittelalterlichen 
und  modernen  Dichtung  immer  klarer  hervortritt,  dass  nemlich  der 
Caesur  und  Zeilenschluss  oder  die  Schlüsse  sich  folgender  Zeilen  abwech- 
selnd jambische  und  trochäische  sein  sollen.  In  den  jambischen  Septe- 
naren  und  Octonaren  sind  die  trochäischen  Caesuren  theils  selten  theils 
schwer  zu  prüfen;  dagegen  ist  ihre  Masse  in  den  Senaren  und  in  den 
trochäischen  Septenaren  gross.  Bei  der  Untersuchung  Hess  ich  zunächst 
in  den  jambischen  Senaren  die  zahlreichen  Verse,  wie  Necessitas  dat  legem 
non  ipsa  accipit,  bei  Seite,  da  ja  Niemand  a  priori  sicher  sagen  kann, 
ob  hier  die  Caesur  im  3.  oder  4.  Fusse  gedacht  war.  Geht  man  von 
den  Senaren  aus,  deren  Caesur  sicher  ist,  so  ergibt  sich,  dass  die  Griechen 
einzelne  einsilbige  Wörter  ohne  Bedenken  in  die  trochäische  Caesur  so- 
wohl des  3.  als  des  4.  Fusses  setzten  und  nur  schwere  Wörter,  wie 
y^au^iäja  ua&tiv  da  xai  [lad-orra  vovv  t%etr7  seltener  zuliessen,  dass 
dagegen  die  altlateinischen  Dichter  eine  Bildung  der  Caesur,  wie  in  Dis- 
cordia  fit  cärior  concordia,  sehr  gemieden  haben.  So  erklärt  sich,  warum 
die    3.  Hebung  des  Senars   bei    den    griechischen  Dichtern    oft,    bei    den 


51 

älteren  lateinischen  Dichtern  selten,  bei  den  späteren  fast  nie  betontes 
Wortende  bildet.  Denn  dies  kann  nur  geschehen,  wenn  im  4.  Fusse  die 
Caesur  ganz  fehlt  oder  vor  derselben  ein  einzelnes  einsilbiges  Wort  steht, 
wie  in  t(fmvr\  uiayd  yiyovaq  y.ay.wg  ayo^aiog  eV  oder  'oTtyytiv  ipilavd-Qwnov 
<fh  näveo&ai  tqotiov.  Da  aber  sowohl  caesurlose  Verse  als  trochäische 
Caesuren  mit  einsilbigem  Schlusswort  bei  den  Lateinern  regelwidrig  sind, 
so  kann  auch  der  Fall,  dass  die  3.  Hebung  des  Senars  betonten  Wort- 
schluss  bildet,  nur  als  seltene  Ausnahme  vorkommen.1) 

Im  trochäischen  Septenar  ist  die  regelmässige  Caesur  nach 
der  Senkung  des  4.  Trochäus.  Die  Frage,  ob  vor  dieser  ein  einzelnes  einsil- 
biges Wort  stehen  darf,  combinirt  sich  mit  der  oben  aufgeworfenen 
Frage,  ob  die  5.  Hebung  betonten  Wortschluss  bilden  darf.  Der  trochä- 
ische Septenar  hat  gewöhnlich  Caesur  nach  der  4.  Senkung,  wie  in  cFemi- 
nae  naturam  regere  desperare  est  otium,  selten  nach  der  5.  Senkung  (vgl. 
später),  wie  in  Heu  dolor  quam  miser  est  qui  m  tonnento  vocem  nön  habet. 
Unter  den  sicheren  Versen  der  zweiten  Art  sind  nur  sehr  wenige,  deren 
5.  Senkung  durch  ein  einsilbiges  Wort  nach  einem  längeren  Wort  ge- 
bildet wird,  wie  in  Faciet  o  vir  optume.  o  pater  mi  festivissime.  Ausser- 
dem gibt  es  viele  Verse,  deren  4.  Senkung  durch  ein  einzelnes  einsilbiges 
Wort  gebildet  wird;  allein  weitaus  die  meisten  haben  die  Caesur  nach 
der  5.  Senkung,  wie  Quid  id  est  quod  Bcis.  Tuos  pater  volt  vendere. 
Omnem  rem  tenes.  Selten  sind  auch  hier  die  Verse,  wo  nach  der 
5.  Senkung  keine  Caesur  steht,  also  dus  einzelne  einsilbige  Wort  in  der 
4.  Senkung  Caesurschluss  bilden  muss,  wie  in  Cingitur:  certe  expedit  se. 
Nön  feret  quin  va  pulet.  Demnach  wird  auch  im  trochaischen  Septenar 
der  trochäische  Caesursehluss  selten  durch  ein  einzelnes  einsilbiges  Wort 
gebildet  und  noch  viel  seltener  bildet  die   5.  Hebung  Wortschluss. 

So  erklären  sich  alle  von  Ritschi  und  seinen  Anhängern  durch  ein- 
gehende Forschungen  ermittelten  Eigentümlichkeiten  der  altlateinischen 


1)  Den  Grund,  dass  Verse,  deren  8.  Hebung  betonten  Wortschiusa  bildet,  wie  'Quem  video? 
Estne  hie  Crito  |  sobrinus  Chrysidis',  die  also  in  zwei  gleiche  Hälften  zerfallen,  wegen  des  üblen 
Klanges  gemieden  worden  seien,  möchte  ich  nicht  zu  sehr  betonen.  Denn  die  griechischen  Komiker 
hatten  doch  auch  metrisches  Gefühl  und  mieden  sie  nicht,  und  die  lateinischen  Dichter  Hessen 
wenigstens  Verse,  wie  .Qui  omnes  insidias  timet,  |  in  nullas  ineidit.  Amans  quid  cupiat  seit,  |  quid 

■apiat  non  videt,  unbedenklich  HL 

7* 


52 

Jamben  und  Trochäen  theils  aus  dem  altlateinischen  Dipodiengesetze  theils 
aus  den  Gesetzen  über  die  Caesuren  und  deren  Bildung,  insbesondere 
über  die  Vermeidung  von  einsilbigen  Wörtern  im  jambischen  Zeilen-  und 
trochäischen  Caesurschluss.  Dass  hiebei  die  Rücksicht  auf  den  Wort- 
accent  nicht  mitgewirkt  hat,  ist  offenbar.  Denn  gerade  bei  einsilbigem 
Zeilenschluss,  wie  esse  vult,  würde  der  Wortaccent  gewahrt:  aber  gerade 
dieser  Zeilenschluss  ist  am  meisten  verboten.  Vielmehr  hat  der  Ordner 
der  altlateinischen  Jamben  und  Trochäen,  wie  er  bestimmte  Caesuren 
eingeführt  und  deren  strenge  Beobachtung  geboten  hatte,  so  auch  in 
Nachahmung  und  Verschärfung  einer  Regel,  die  er  bei  den  Griechen 
z.  B.  am  Schlüsse  des  jambischen  Septenars  fand,  die  Vermeidung  ein- 
silbiger Wörter  besonders  im  jambischen  Zeilen-  und  im  trochäischen 
Caesurschluss  geboten.  Da  er  die  Regel  bei  den  Griechen  so  oft  nicht 
beachtet  sah,  hat  er  auch  hier  Ausnahmen  gestattet.  Seine  Nachfolger 
haben  diese  Ausnahmen  immer  mehr  vermieden  und  aus  der  jambisch- 
trochäischen  Verskunst  ging  die  Vermeidung  einsilbiger  Wörter  im  Schlüsse 
der  Zeilen  und  Halbzeilen  auch  in  die  daktylische  über. 

Caesuren  des  jambischen  Senars. 

Die  Caesuren  der  altlateinischen  Senare  scheinen  noch  nicht  mit 
derselben  Sorgfalt  untersucht  zu  sein,  wie  die  der  griechischen.1)  Gegen- 
über der  Freiheit  und  Regellosigkeit  der  Griechen  tritt  gerade  hier  die 
strenge  Regel  der  Römer  deutlich  hervor.  Zuerst  sind  zu  betrachten 
die  Verse,  welche  weder  im  3.  noch  im  4.  Fusse  die  gewöhnliche  tro- 
chäische Caesur  haben.'2)  Bei  den  Griechen  zählte  Röding  solcher  cae- 
surlosen  Senare  bei  Aeschylus  80,  Sophokles  70,  Euripides  150.  In 
noch  nicht  zehn  derselben  steht  der  3.  und  4.  Fuss  in  ein  und  dem- 
selben längeren  Worte,  in  fast  allen  schliesst  mit  dem  3.  Jambus  ein 
zwei-    oder    mehrsilbiges  Wort,    so    dass    die  Zeile   in  zwei  gleiche  Halb- 


1)  Der  Versbau  der  griechischen  Komiker  nach  Aristophanes  verdiente  schon  um  der  La- 
teiner willen  noch  eine  genaue  Untersuchung.  So  viel  ich  sah,  steht  er  dem  des  Aristophanes  an 
Freiheiten  und  Härten  gleich.  —  Hermann  Elem.  doctr.  metr.  S.  106  ffl.  nahm  so  viele  Caesuren 
an,  dass  alle  Regel  aufhört. 

2)  Vgl.  für  die  Griechen  Rud.  Roeding,  de  Graecorum  trimetris  iambicis  caesura  penth.  et 
hephthem.  carentibus.     Upsala  1874. 


53 

zeilen  zerfällt;  doch  steht  am  Ende  der  ersten  Halbzeile  in  der  Regel  eine 
elidirte  Silbe  (quasi-caesura,  Scheincaesur,  von  Porson  genannt)  'jivyog  ßyo- 
rolg  Üottiq'  6yc/.g  Hyofj.rjd-ea.  caÄÄ'  w  &V  iyfTevu)  o\  djiayyeiXov  rade.  Aristo- 
phanes  und  mit  ihm  die  übrigen  griechischen  Komiker  müssen  von  den 
Caesuren  ihres  jambisch-anapästischen  Senars  ganz  andere  Anschauungen 
gehabt  haben,  über  welche  wir  noch  keine  volle  Klarheit  haben.1)  Denn 
Röding  zählte  bei  Aristophanes  nicht  weniger  als  700  caesurlose  Verse, 
so  dass  etwa  1  auf  10  trifft.  Von  denselben  haben  über  100  den  3.  und 
4.  Fuss  in  einem  längeren  Worte  stehen  wie  sJaxeduiuoi'ioic,  570  haben 
nach  dem  3.  Jambus  Wortende  und  fast  stets,  ohne  dass  eine  Elision 
den  Einschnitt  zwischen  beiden  Halbzeilen  überbrückt;  z.  B.  Ritter  491 
alv'  k§oXiö&avuv  &wfl  rag  (haßoXag  und  218  <Pwvr]  iiiayä,  YGYOvag  xaxdig, 
dyoQaioa  h.  Also  sind  1)  Senare  ohne  Einschnitt  im  3.  und  4.  Fusse 
bei  den  griechischen  Tragikern  nicht  gar  selten,  bei  den  Komikern  ganz 
gewöhnlich;  2)  bildet  in  denselben  gewöhnlich  die  3.  Hebung  das  Ende 
eines  zwei-  oder  mehrsilbigen  Wortes,  seltener  stehen  der  3.  und  der 
4.  Fuss  in  ein  und  demselben  vier-  oder  mehrsilbigen  Worte. 

Ganz  anders  steht  es  bei  Plautus  und  Terenz.  Hier  sind  Verse 
ohne  Einschnitt  im  3.  oder  4.  Fusse  sehr  selten.  In  der  Mehrzahl  dieser 
wenigen  caesurlosen  Verse  bildet  der  3.  und  4.  Fuss  ein  Wort,  in  der 
Minderzahl  ist  die  3.  Hebung  der  Schluss  eines  zwei-  oder  mehrsilbigen 
Wortes.  Die  Verse  der  letzten  Art  haben,  der  Lehre  vom  Wortaccente 
zu  Liebe,  theils  Andere,  insbesondere  Brugman,  corrigirt,  während  die 
der  ersten  Art  meistens  unangetastet  blieben.  Von  den  Handschriften 
verbürgt  sind  bei  Plautus  S  Verse  der  ersten  Art 2)  Mil.  485  Certum  est 
nunc  öbservatiöni  operäm  dare.  Capt.  159  mültigeneribüs.  Rud.  525  veli- 
tatiönem.  Stich.  227  ac  perieratiunculas.  Pseud.  430  renuntiantur.  (Merc. 
prol.  58  diffiinditari  510  violärii)  Capt.  140  incömmodüm;  dann  5  Verse 
der    zweiten   Art    Persa    410    Procax    rapax    trahax :    trecentis    versibus. 


1)  Vielleicht  hängt,  diese  Missachtung  der  Caesuren  zusammen  mit  der  gesetzmässigen  Zu- 
lassung des  Anapästes  auch  im  3.  und  4.  Fusse,  da  dieser  Fuss  in  sich  keine  Caesur  duldet. 

2)  Ich  mache  hier  keinen  Unterschied  zwischen  zusammengesetzten  und  nicht  zusammen- 
gesetzten Wörtern..  Der  Caesur  zu  Liebe  ein  zusammengesetztes  Wort  zu  zerreissen  ist  nicht  nur 
geschmacklos,  sondern  nützt  auch  nur  um  die  Zahl  der  Ausnahmen  zu  verringern,  aber  nicht  um 
sie  aufzuheben.     Schon  das  beweist,  dass  die  Alten  nicht  daran  gedacht  haben. 


54 

Bacch.  344  utrum  velim.  Truc.  656  meo  periratus.  Amph.  137  donis 
donätus.  Rud.  1341  potestatern  mearn.  Diesen  wenigen  Ausnahmen  in 
den  über  8000  Senaren  des  Plautus  steht  in  den  gut  3000  Senaren  des 
Terenz  eine  grössere  Zahl  gegenüber;  zunächst  13  der  ersten  Art: 
Andr.  767  0  fäcinus  änimadvertendum.  Quid  clamitas.  Eun.  430  suspi- 
ciönem.  Phorm.  547  dehberändum.  Hec.  176  infirmitätis.  Ad.  57  libe- 
ralitäte.  Andr.  60  iniuriä.    737  intellego.    Eun.  929  dispendiö.  Heaut.  44  I 

3  V.  3  3  .  , 

mulierculäm.  776  intellego.  Phorm.  60  pecünia.  Hec.  508  renuntietquo. 
Ad.  973  aspexeräm;  dann  .9  (10)  Verse  der  zweiten  Art:  Andr.  801  Quem 
video?  estne  hie  Crito  sobrinus  Chrysidis.  Eun.  (415  quia  habes  Imperium). 
832  lup6  commisti.  190  Thais  vale.  Heaut.  64  pret'i  maiöris.  Andr.  64 
studiis  adversus.  (Eun.  836  comprendi  iube;  freilich  Bentley  mit  leichter 
Aenderung  cömprehendi  iübe).  Phorm.  609  noster  Chremes.  Hec.  177 
primos  dies.     Ad.  463  adöptandum  dedisti. 

Dass  hier  Plautus  die  gewöhnliche  Regel  sorgfältig  beobachtet,  die 
verhältnissmässig  vielen  Ausnahmen  bei  Terenz  aber  nur  seiner  gewöhn- 
lichen Nachlässigkeit  im  Versbau  zuzuschreiben  sind,  geht  daraus  hervor, 
dass  in  der  weiteren  P^ntwicklung  der  lateinischen  Dichtung  die  Senare 
ohne  Einschnitt  im  3.  oder  im  4.  Fusse  fast  verschwinden.  Unter  den 
680  Senaren  des  Publilius  finden  sich  N  49  Nil  aliud  seit  necisaitas 
quam  vincere.  C  33  Cicatrix  conscientiue  pro  vulnere  est.  (Q  3  Qui  metuit 
contumeliam  raro  aeeipit  ist  unsicher);  dann  M  53  Malam  rem  cum 
velis  honestare  (honestatem  codd.)  improbes.  Die  Worte  fpro  medicina 
dolor  est  qui  dolorem  necat'  hat  man  wohl  richtig  gestellt  zu  P  II 
'Pro  medicina  est  dolor  dolorem  qui  necat.  Unter  den  gut  300  Senn  reu 
in  den  Epoden  des  Horaz  sind  zwei  caesurlose:  1,  19  ut  assidens  im- 
plumibus  pullis  suis  und  11,  15  quodsi  meis  inahtuet  praecordiis.  Unter 
den  1900  Senaren  des  Phaedrus  findet  sich  kein  caesurloser;  ebenso- 
wenig in  den  Tragödien  des  Seneca. 

Während  also  die  Regel,  dass  der  Senar  im  3.  oder  im  4.  Fusse  einen 
Einschnitt  haben  soll,  von  den  griechischen  Tragikern  nicht  selten,  von 
den  griechischen  Lustspieldichtern  ausserordentlich  oft  missachtet  wurde, 
wird  dieselbe  von  den  lateinischen  Lustspieldichtern  sehr  streng  beob- 
achtet und  von  den  späteren  lateinischen  Dichtern  fast  gar  nicht  mehr 
verletzt.     Diese    strengere  Ausbildung    der    griechischen  Regel    kann   nur 


55 

auf  den  Mann  zurückgeführt  werden,  der  zuerst  diese  Zeilenart  für  die 
lateinische  Sprache  einrichtete. 

Nicht  minder  wichtig  ist  es,  die  Bildung  der  trochäischen 
Caesur  selbst  zu  untersuchen,  was  wenig  geschehen  ist.  Auf  diese 
Untersuchung  wurde  ich  geführt  durch  die  Thatsache,  dass  zwar  die 
Caesur  im  4.  Fusse  sehr  oft  vorkommt ,  dass  aber  solche  Verse ,  wie 
Adelph.  233  Nihil  est:  refrixent  res:  nunc  dem  um  venis,  äusserst  selten 
sind.  Bei  Plautus  finden  sich  in  den  Handschriften  folgende,  die  frei- 
lich von  Herausgebern  fast  alle  geändert  sind:  Amph.  912  inquies. 
Ego  expediam.  Merc.  692  malae  rei,  quod.  Bacch.  257  Archidemidem. 
(hem  add.  Hermann)  quam  /'wquam.  Archidemidem.  Capt.  667  häs  quidem 
vel.  Cas.  406  dies  iam.  Epid.  477  intus  iubes.  Haec.  Men.  300  qui 
amieam  habeas  eräm  meam  lninc.  Poen.  1091  tuae  sint.  Pseud.  454 
mala  re.  Trin.  402  dies  sunt.  Dann  Capt.  prol.  ">1  quanti  sunt.  Cas.  320 
süspendam  meam  operam.  Mil.  828  periisti  iam.  853  paulum  nimis  loculi. 
Persa  4">6  proventuram  bene  confido.  1344  multo  post.  Zahlreicher 
sind  wiederum  die  Ausnahmen  bei  dem  nachlässigen  Terenz:  Andr.  661 
dienern  me.  745  forum  quid  Uli  liominmn.  7  74  dnlnt.  tanto  hercle.  783 
Chremes  per.  Eun.  501  Chremes  hoc.  901  Pythias.  Non.  Eun.  160  ames 
quam.  Hec.  701  miser  sum.  770  midieres  sunt.  Ad.  233  refrixerit  res. 
470  amor  v'niunt  ädoleseentia.  Dann  Audi'.  116  etiam  mali.  Hem.  540 
gnatam  tuam  et.  718  unatorem  rirum  in.  Eun,  418  di  vosträm  fidem 
höminem.  Eun.  856  paulum  guiddam  eho.  Heaut.  147  tantisper  me. 
543  expeetat  Syre?  an.  (Hec.  192  inter  se.  Ad.  395  sineres  vero  illum). 
Bei  Publilius,  Horaz,  Phaedrus  und  Seneca  findet  sich  kein  Vers  der 
Art,  dass  die  3.  Hebung  betonten  Wortschluss  bildet  und  demselben  ein 
einzelnes  einsilbiges  Wort  folgt,  nach  welchem  dann  die  Caesur  im 
4.  Fusse  eintritt. 

Natürlich  fragt  man,  warum?  Gewöhnlich  lautet  die  Antwort:  solche 
Senare  wurden  vermieden,  weil  jambische  Wörter  oder  gar  spondeische 
und  an,-)] »astische  Wörter  und  Wortschlüsse  im  3.  Fusse  den  Wortaccent 
verletzen.  Allein  in  Caesuren.  wie  fecerant  me,  amäveränt  me,  wird 
nach  der  Ansicht  dieser  Theoretiker  der  Wortaccent  nicht  verletzt  und 
doeli  findet  sich  auch  diese  Art  der  Caesur  bei  Plautus  und  Terenz 
äusserst    selten,    später    gar    nicht.      Der    Grund    muss    also    ein   anderer 


56 

sein  (vgl.  noch  oben  S.  50/51.)  Er  besteht  darin,  dass  die  Bildung  der 
trochäischen  Caesur  durch  ein  einzelnes  einsilbiges  Wort  mit  vorangehen- 
dem betonten  Wortschi uss  bei  den  Römern  überhaupt  gegen  die  Regel 
war.  Bei  der  Untersuchung  müssen  die  zahlreichen  Verse,  wie  Cui  plus 
licet  quam  pär  est,  plus  vult  quam  licet  oder  Necessitas  dat  legem,  non 
ipsa  accipit,  einerseits  und  Verse  wie  cDiscordia  fit  cärior  conconlia' 
streng  auseinandergehalten  werden;  denn  in  Versen  der  ersten  Art,  die 
ich  mit  4  -j-  1  -f-  2  -f-  7  bezeichne,  können  die  Dichter  die  Caesur  im 
4.  Fusse  gewollt  haben,  in  Versen  der  zweiten  Art  (4-|-l-}-7)  aber 
kann  nur  die  unregelmässig  gebildete  Caesur  oder  gar  keine  gewollt  sein. 
Die  Griechen  haben  diese  Art  von  trochäischen  Caesuren  offenbar  nicht 
gemieden.  Ich  nehme  zur  Prüfung  die  500  ersten  Trimeter  des  Prometheus 
von  Aeschylus  und  der  Electra  des  Euripides  und  die  300  ersten  der 
Ritter  des  Aristophanes.  Unter  den  500  ersten  Trimetern  des  Prometheus 
haben  85  den  2.  Fuss  durch  ein  jambisches  Wort  oder  Wortschluss  ge- 
bildet; auf  diesen  2.  Fuss  folgt  1)  in  36  Versen  ein  dreisilbiges  Wort, 
wie  in  d?]oai  ßta  o?aoayyi\  2)  folgt  in  20  Versen  ein  ein-  und  ein  zwei- 
silbiges Wort  und  in  3  folgen  drei  einsilbige  Wörter,  wie  in  txdafiavri- 
vov  vvv  oqnjl'os  und  uoyttoig  tya>  yao  ot/r'  av.  3)  folgt  in  26  Versen 
nur  ein  einsilbiges  Wort  und  kein  Einschnitt  im  4.  Fusse,  wie  z.  B.  in 
c#fO(,-  &hov  yay  ov%  v7io7iT.itaoujv  yo).or  oder  "Otto  ryoiiü)  rrjao1  sxxvhi- 
G&tjoet  Tv/rjg'.  In  diesen  26  Versen  ist  also  sicher  in  die  trochäische 
Caesur  im  dritten  Fusse  ein  einzelnes  einsilbiges  Wort  gestellt;  in  15 
dieser  Verse  ist  dies  einsilbige  Wort  eines  von  denen,  die  später  Enklitika 
genannt  wurden,  r^  uoi  üb  aoi  ob-,  in  11  Versen  eines  von  den  Wört- 
chen yao  di  dt]  luv  und  je  1  Mal  ttJc.  und  xfp9*.  Auffallend  zahlreich 
ist  dieselbe  Bildung  dieser  Caesur  im  vierten  Fusse :  in  nicht  weniger  als 
21  Versen  unter  den  500  des  Prometheus,  und  zwar  in  8  Versen  nach 
jambischem  Wortschluss,  wie  t/  viv  OTvytig;  novwv  ya^  u>g  ajilq)  loyio, 
in  13  sogar  nach  spondeischem  Wortschluss,  wie  in  ürtqyttv  (pilav&yah 
Tiov  8b  naveaftai  roonov.  Auch  hier  stehen  in  9  Versen  Enklitika,  in 
den  andern  nur  yao  ob  iv  «V  vor  der  Caesur.  Von  den  500  ersten 
Trimetern  der  euripideischen  Elektro,  bilden  99  den  zweiten  Jambus  durch 
jambisches  Wort  oder  Wortschluss;  dem  folgt  in  20  Versen  ein  dreisil- 
biges Wort   mit   sicherer  Caesur    im    4.  Fusse,    in    36    ein    ein-   und    ein 


57 

zweisilbiges  Wort  und  in  4  drei  einsilbige  Wörter,  so  dass  hier  die 
Caesur  im  3.  oder  im  4.  Fusse  gewollt  sein  kann.  Aber  in  33  folgt  nur 
ein  einsilbiges  Wort  ohne  Caesur  im  4.  Fusse,  wo  also  sicher  die  von  uns 
gesuchte  Art  der  Caesur  angewendet  ist.  In  21  Versen  stehen  einsilbige 
Enklitika  oder  /utr,  ydy,  dt  vor  der  Caesur,  wie  wir  sie  schon  bei 
Aeschylus  fanden;  allein  in  12  Versen  finden  sich  hier  nicht  nur  Wört- 
chen wie  oa~),  rovgö\  ravr\  sondern  sogar  dovg,  xyrjv,  ßäo\  yfjg,  z.  B.  in 
wg  da&fvu  dovg  |  ao&evr}  kaßoi  (poßnv.  Demnach  hat  die  Entwicklung 
hier  denselben  Gang  eingeschlagen,  wie  bei  den  aufgelösten  Hebungen  im 
2.,  3.  und  4.  Fusse,  wo  nach  der  Regel  die  folgende  Senkung  mit  der 
vorangehenden  aufgelösten  Hebung  ein  Wort  bilden  oder  durch  ein  Wört- 
chen gegeben  sein  sollte,  das  eng  zu  dem  vorangehenden  gehörte,  wo 
aber  dafür  bei  Euripides  auch  schwerere  einsilbige  Wörter  sich  finden, 
die  sich  mit  der  vorangehenden  Hebung  nicht  enger  verbinden  als  mit 
der  folgenden.  Vor  der  Caesur  im  4.  Fusse  steht  ein  einsilbiges  Wort  bei 
Euripides  seltener  als  bei  Aeschylus,  nemlich  nur  in  9  Versen  unter  jenen 
500  und  zwar  in  5  nach  jambischem  Wortschluss,  wie  in  i/fi  usv  aafrt- 
vrjg  $t,  in  4  nach  spondeischem  Wortschluss,  wie  in  Toiavra  /uiotiral  yay ; 
die  Wörtchen  sind  hier  yt  iv  ydiQ  av  und  04,  Unter  den  300  ersten  Tri- 
metern  der  Ritter  des  Aristophanes  finden  sich  fabgesehen  von  26  Versen 
ohne  Einschnitt  im  3.  oder  4.  Fusse)  18,  in  welchen  die  Caesur  sicher 
im  3.  Fusse  stattfindet  und  auf  jambischen  (11)  oder  anapästischen  (7) 
Wortschluss  im  2.  Fusse  ein  einsilbiges  Wort  als  Senkung  vor  der  Caesur 
steht;  dann  12,  in  welchen  die  Caesur  im  4.  Fusse  stattfindet  und  auf 
jambischen  (4),  anapästischen  (1)  oder  spondeischen  (7)  Wortschluss  im 
3.  Fusse  ein  einsilbiges  Wort  vor  der  Caesur  im  4.  Fusse  folgt;  die  ein- 
silbigen Wörter  sind  sämmtlich  Enklitika  oder  die  oben  genannten  Par- 
tikeln und  ähnliche,  wie  [irj,  ov,  «/,  xai;  z.  B.  xai  tijg  dyoyag  xai  |  tujv 
hutviov  y.cti  rrjg  nvxvog.  7/  drjjuaywyid  yay  |  ov  nyog  uovaixov.  'Eycv  jlisv  ovv 
avxixa  fial''  |  4*  ßovlrjv  Iujv.  Demnach  war  es  sowohl  den  tragischen  als 
den  komischen  Dichtern  der  Griechen  stets  erlaubt,  die  trochäische  Caesur 
sowohl  im  3.  als  im  4.  Fusse  des  Trimeters  durch  jambische,  spondeische 
oder  anapästische  Wörter  oder  Wortschlüsse  mit  dem  Versaccent  auf  der 
Endsilbe  und  ein  folgendes  einsilbiges  Wort  zu  bilden;  nur  wurden 
schwere  einsilbige  Wörter  einigermassen  gemieden. 

Abh.  d.  I.  CL  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  I.  Abth.  8 


58 

Ganz  anders  steht  die  Sache  bei  den  lateinischen  Dichtern. 
Schon  oben  (S.  55)  ist  darauf  hingewiesen,  dass  ein  einsilbiges  Wort 
nach  betontem  Wortschluss  sich  vor  der  Caesur  im  4.  Fusse  des  Senars 
bei  Plautus  und  Terenz  nur  selten,  bei  späteren  Dichtern  gar  nicht 
findet.  Es  bleibt  die  Bildung  der  trochäischen  Caesur  im  dritten  Fusse 
zu  prüfen. 

Unter  den  2300  Senaren.  welche  die  6  Stücke  des  Plautus  Am- 
phitruo,  Asinaria,  Aulularia,  Menaechmi,  Mercator  und  Trinummus  ent- 
halten, sind  etwa  83,  in  denen  der  2.  Fuss  durch  ein  Wort  oder  Wort- 
schluss gebildet  ist;  darauf  folgt  in  14  Versen  ein  dreisilbiges  Wort  mit 
Caesur  im  4.  Fusse,  in  36  Versen  ein  einsilbiges  und  ein  zweisilbiges  Wort 
und  in  1 5  drei  einsilbige  Wörter,  wie  in  f  A  pröpitius  sit  pbtius.  Confido 
fore\  Ego  eo  ad  forum  nisi  quid  vis.  Ei  bene  ambula.  Dass  in  derartigen 
Versen  die  regelmässig  gebildete  Caesur  im  4.  Fusse  und  nicht  die  un- 
regelmässig gebildete  Caesur  im  3.  Fusse  anzunehmen  ist,1)  geht  daraus 
hervor,  dass  die  Zahl  der  sicheren  unregelinässig  gebildeten  Caesuren  der 
Art  im  3.  Fusse  eine  sehr  geringe  ist.  Unter  jenen  83  Versen  finden 
sich  16 — 18  der  Art:  Amph.  (74  magistratum  sibi  alterive).  922  scio 
quam  doluerit.    923  dexteram  tuam  te  Alcumena.    Asin.  16  Sicüt  tuum  vis 

.2  2 

ünicüm  gnatüm  meum.  52  scio  iam.  781  invocet  sibi  quam.  540  ni- 
tidior  sis.  Men.  45  idem  quod.  747  meum  qui  huc.  Merc.  311  movero 
me  seü  secari.  553  cönloces  dum.  Trin.  (186  propter  res).  397  animo  fit. 
490  divites  sunt.  497  scias  hie.  (582  Callicli  med).  788  epistulas  quando  6b- 
sign.  1094  0  Callicles,  o  Callicles,  o  Callicles.  Auch  in  den  übrigen  Stücken 
des  Plautus  sind  solche  Verse,  in  welchen  die  Caesur  nur  im  3.  Fusse 
stattfinden  kann  und  hier  durch  einen  betonten  Wortschluss  mit  einem 
einsilbigen  Wort  gebildet  ist,  nur  sehr  selten.  So  in  Bacch.  nur  143  An 
hoc  ad  eas  res  obsonatumst  öbsecro  und  123  I  stültior  es  barbaro  Po- 
ticio.  Unter  den  1150  Senaren,  die  Terenz  im  Eunuch  und  in  den  Adel- 
phoe  gedichtet  hat,  finden  sich  71,  deren  2.  Fuss  durch  ein  Wort  oder  durch 
Wortschluss  gebildet  ist.     In  28  fällt  nach  einem  dreisilbigen  Worte  die 


1)  Die  Zahl  der  Senare  mit  Caesur  im  4.  Fusse  wird  dadurch  beträchtlich  vermehrt.  Allein 
diese  Caesur  war  überhaupt  sehr  beliebt.  Hat  doch  Publilius  unter  seinen  ersten  100  Senaren  16, 
in  denen  diese  Caesur  unbestreitbar  ist,  wie  in  Amäntis  ius  iurändum  poenam  nön  habet. 


59 

Caesur  sicher  in  den  4.  Fuss,  in  34  ist  sowohl  der  3.  als  der  4.  Fuss 
getheilt,  in  nur  9  muss  die  Caesur  in  den  3.  Fuss  fallen,  steht  also 
sicher  vor  der  Caesur  ein  einzelnes  einsilbiges  Wort:  Eun.  331   liquet  mihi. 

2  2  2  2 

531  Chremes.  0.  834  tace  tace  öbsecro.  889  pater.  Quid?  934  fons 
sunt.  538  Döriäs  cito  hünc.  Ad.  486  miseram  me.  458  deseris  tu. 
469  amplius,  navn  hoc.  Es  steht  also  hier,  wie  in  den  verwandten  Fällen. 
Die  altlateinischen  Dichter  sollten  keinen  Vers  ohne  die  bestimmte  Cae- 
sur bilden,  sie  sollten  keine  jambische  Dipodie  mit  unreinem  betonten 
Wortschluss  endigen;  allein  da  bei  den  griechischen  Komikern  Verse  ohne 
jene  Caesur  und  mit  Anapästen  im  Schlüsse  der  jambischen  Dipodien  in 
Menge  vorkamen,  so  war  auch  den  altlateinischen  Dichtern  eine  Verletz- 
ung der  Regel  nicht  absolut  verboten.  So  stand  es  auch  mit  einsilbigen 
Wörtern  im  Schluss  der  trochäischen  Caesur;  sie  sollten  nicht  stehen, 
allein  da  sie  bei  den  Griechen  sehr  zahlreich  vorkamen,  so  war  hie 
und  da  eine  solche  Ausnahme  auch  den  altlateinischen  Dichtern  gestattet. 
Wie  dann  die  Caesuren  im  4.  Fusse  des  Senars  überhaupt  seltener  sind, 
als  die  im  3.,  so  sind  natürlich  auch  die  unregelmässig  gebildeten  im 
4.  Fusse  seltener  als  im  3. 

Wie  nun  in  den  übrigen  Fällen  die  den  altlateinischen  Dichtern  ge- 
statteten Ausnahmen  bei  den  späteren  mehr  und  mehr  verschwinden,  so 
ging  es  auch  mit  den  einsilbigen  Wörtern  im  trochäischen  Caesurschluss. 
Schon  oben  ist  erwähnt,  dass  eine  solche  Caesur  im  4.  Fusse  bei  den 
späteren  sich  nicht  mehr  findet.  Im  dritten  Fusse  verschwand  sie  lang- 
samer. So  hat  Fublilius  unter  680  Senaren  60,  deren  zweite  Hebung 
den  Schluss  eines  zwei-  oder  mehrsilbigen  Wortes  bildet;  in  38  folgt  ein 
dreisilbiges,  in  16  ein  einsilbiges  und  ein  zweisilbiges  Wort,  in  3  Versen 
folgen  drei  einsilbige  Wörter;  nur  in  3  Versen  dieser  Art  fällt  die  Caesur 
sicher  in  den  3.  Fuss:  D  9  Discordia  fit  carior  concordia.  N  43  Ne- 
cessitas  quam  pertinax  regnum  tenet.  S  34  Solet  sequi  laus,  cum  viam 
fecit  labor.  Unter  den  311  Senaren  in  den  P^poden  des  Horaz  ist  in  24 
die  zweite  Senkung  das  Ende  eines  zwei-  oder  mehrsilbigen  Wortes;  in 
8  folgt  ein  dreisilbiges,  in  1 0  ein  ein-  und  ein  zweisilbiges  Wort,  in  2 
folgen  drei  einsilbige  Wörter;  in  4  fällt  sicher  die  Caesur  nach  einem 
einsilbigen  Wort;  so   5,   5  per  liberos  te  si  vocata  partubus.     6,   11   cave, 

2  2 

cave  namque  in  malos  asperrimus.     7,   11    neque   hie   lupis   mos  nee  fuit 


60 

leonibus.  17,  25  urget  diem  nox  et  dies  noctem  neque  est.  Demnach 
ist  Horaz  im  Bau  der  Senare  wie  im  Bau  der  Hexameter  nicht  zu  den 
feinsten  Dichtern  zu  rechnen.  In  den  1900  Senaren  des  Phaedrus  (die 
Appendix  mitgerechnet)  finden  sich  wohl  50  Verse,  in  denen  die  2.  Heb- 
ung das  Ende  eines  zwei-  oder  mehrsilbigen  Wortes  ist  (darunter  38,  in 
denen  ein  dreisilbiges  Wort  folgt),  aber  kein  einziger,  in  dem  die  Caesur 
in  den  3.  Fuss  fallen  muss.  Unter  den  1600  Senaren,  welche  die  Medea  und 
Phaedra  des  Seneca  enthalten,  finden  sich  78  Senare,  deren  2.  Hebung 
das  Ende  eines  zwei-  oder  mehrsilbigen  Wortes  ist.  In  54  folgt  ein  drei- 
silbiges Wort,  nur  in  zweien  muss  die  Caesur  in  den  3.  Fuss  nach  einem 
einzelnen  einsilbigen  Worte  fallen:  Med.  245  hoc  est  penes  te.  siplacet: 
damna  ream.  Phaedr.  388  vestes  procul  sit  muricis  tyrii  rubor.  Schwere 
einsilbige  Worte,  wie  laus  bei  Publilius,  mos  und  nox  bei  Horaz,  finden 
sich,  wie  die  obigen  Beispiele  zeigen,  bei  Plautus  und  Terenz  sehr  selten 
vor  der  Caesur:  ob  aus  Absicht  oder  Zufall,  wird  schwer  zu  entscheiden 
sein.  Darnach  dürfen  wir  die  Voraussetzung  aufstellen,  dass  in  den  an  und 
für  sich  zweifelhaften  Versen,  wie  'Necessitas  dat  legem,  non  ipsa  accipit', 
die  altlateinischen  Dichter  nicht  die  unregelmässig  gebildete  Caesur  im  3., 
sondern  die  regelmässig  gebildete  im  4.  Fusse  gewollt  haben. 

Demnach  haben  die  altlateinischen  Dichter  nur  sehr  selten  Senare 
ohne  Einschnitt  im  3.  oder  4.  Fusse  gedichtet  und  haben  diese  Ein- 
schnitte nur  selten  so  gebildet,  dass  vor  der  Caesur  auf  einen  betonten 
Wortschluss  ein  einsilbiges  Wort  folgte.  Da  die  griechischen  Lustspiel- 
dichter beides  sehr  oft  thaten,  so  kann  jene  strenge  Regel  der  altlateinischen 
Dichter  nur  von  dem  Ordner  der  lateinischen  jambischen  und  trochäischen 
Zeilen  herrühren.  Seine  Regel  verschärften  die  Nachfolger,  indem  sie  die 
wenigen  Ausnahmen,  welche  jener  im  Hinblick  auf  die  zahlreichen  Aus- 
nahmen bei  den  Griechen  gestattet  hatte,  mehr  und  mehr  verboten  haben. 

Elision  in  der  Caesur  des  Senars. 

Ich  habe  bisher  alle  die  Verse  bei  _  Seite  gelassen,  bei  deren  Caesur 
die  Elision  irgendwie  mitspielt.  Die  Zahl  der  Senare  ohne  Caesur  wie 
der  Senare  mit  einem  einzelnen  einsilbigen  Caesurwort  wäre  beträchtlich 
grösser,  wenn  bei  Elision  stets  der  glatte  Wegfall  des  schliessenden  Vo- 
kals   angenommen  werden    müsste.     Allein    während   z.  B.  im  Senar    die 


61 

beiden  schliessenden  Kürzen  eines  längeren  Wortes  weder  als  Hebung 
noch  als  Senkung  verwendet  werden  dürfen,  also  Betonungen,  wie  im- 
iperat  Achilles  oder  invperat  Hercules,  verboten  sind,  sind  doch  Elisionen, 
wie  aspfcere  in  älienö  oder  conditio  optima  est  und  &vhritia  ömnia,  durch- 
aus erlaubt.  Diese  und  ähnliche  zahlreichen  Fälle  beweisen,  dass  der 
schliessende  Vokal  zum  mindesten  gesprochen  werden  konnte.  Wie  hierin 
einerseits  der  Grund  liegt,  wesshalb  in  dem  (durchaus  rein  zu  haltenden) 
jambischen  Zeilenschluss  am  allermeisten  ein  einsilbiges  Schlusswort  mit 
vorangehender  Elision,  wie  ömnia  häec,  vermieden  wurde,  so  werden 
anderseits  Verse,  wie  Cogäs  amantem  iräsci  amäre  si  velis,  hierdurch 
gerechtfertigt.  Sie  sind  nicht  caesurlos  (denn  die  regelmässige  Caesur 
ist  durch  amantem  gegeben),  nur  fällt  die  Caesursilbe  in  eine  harte  Eli- 
sion; denn  gewöhnlich  allerdings  sind  die  Elisionen  so  gesetzt,  dass  der 
schliessende  Vokal  nicht  gerechnet  wird.  So  ist  eine  Anzahl  von  Versen 
gerechtfertigt,  welche  diese  harte  Elision  im  3.  oder  im  4.  Fusse  oder 
in  beiden  zugleich  haben,  ebenso  ist  in  den  anderen,  wie  Menaechme 
amare  ait  te  mültum  Erotium,  nicht  die  regelwidrige  Bildung  der  Caesur 
im  4.  Fusse,  sondern  die  gewöhnliche  Caesur  im  3.  Fusse  mit  harter 
Elision  anzunehmen.  Dieser  Härte  aber  waren  die  Dichter  sich  bewusst; 
desshalb  sind  die  Verse  der  Art  nicht  sehr  zahlreich. 

Bei  Plautus  fand  ich  diese  in  harte  Elision  fallende  Caesur  im 
dritten  Fusse:  Amph.  94  1  Primum  cavisse  opörtuit  ne  diceres.  Aul.  352 
Tibicinämque  obsöniumque.  399  muräenam  exdorsu&.  Bacch.  597  uerba 
interpretör.  Cist.  2,  3,  56  est  qui  Alcesimarcho.  Poen.  435  hercle 
orationi.  Rud.  101  integündam  intellegö.  Pseud.  520  tibi  nie  abducitö. 
Trin.  121  tüte  accederes.  147  quäeso  identidem.  Von  den  Heraus- 
gebern meistens  geändert  sind  die  Fälle  der  folgenden  Art:  Mil.  484 
Nam  egomet  cubäntem  eäm  modo  öffendi  domi.  Cist.  2,  3,  16  Ne  de- 
serat  se  eam.  Epid.  422  amici  apud  forum  ägitur.  Men.  524  amare 
ait  te.  (Merc.  305  cäno  amäs  senex).  Most.  774  Ipse  aedificato.  Eon 
voco  hüc.  Poen.  729  quantum  ad  eum  erit  delätum.  Pseud.  29  hercle 
habent  quas.  Rud.  455  äram  uti  confügiamus.  Truc.  85  peregre;  eo 
nunc.  Zu  den  Fällen,  in  welchen  die  3.  Hebung  spondeischen  Wort- 
schluss  bildet,  braucht  man  nicht  zu  rechnen  Merc.  691  vero  istuc  eo 
und  Trin.   551   contra  istoc  detrüdi  oder  Mil.  139  üna  inter  se,  dagegen 


62 

Asin.  788  equidem  illam  moveri.  Aul.  16  prol.  observäre  ecqui  maiörem. 
Poen.  149  hercle  imino  mihi.  Istuc.  Poen.  711  ergo.  Abduc  intro:  ad- 
dictum.  Trin.  427  spopondi.  Immo  quas.  Auffallender,  doch  nicht  an- 
zuzweifeln (vgl.  bei  Terenz)  ist  Cure.  10  Egone  äpiculärum  opera  con- 
gestum  non  feram,  wozu  wohl  zu  stellen  ist  Trin.  114  Et  rem  suam 
omnem  et  illum  corrüptum  filium.  Häufiger  ist  bei  Plautus  die  harte 
Elision    bei    Caesur    im    vierten    Fusse,    wie    Most.    781     Ferrätusque    in 

3  3 

pistrmo  aetatem  conteras;  ebenso  Amph.  1135  Alcumenae  usüram.  1140 
inmortali  adficiet.  Bacch.  172  vicine  Apollo.  Cure.  242  intestina  ex- 
püteseunt.  668  liberali  adseruisset.  Mil.  137  consiliöque  adhörtatur. 
490  ludificatam  ingenuam.  512  pleniorem  erüm.  1119  persuadere 
amicos.  Most.  594  extentatum;  agäs.  1021  octogmta  argenti.  1015  dis- 
simulando  infectum.  Pers.  101  opportune  advenisti.  Poen.  74  liberorum 
osöri.  Pseud.  41  Calidoro  amatori.  68  horridulärum  oppressiuneulae. 
794  gloriosum  insülsum.  828  condimenta.  Audäcter.  Rud.  1239  tran- 
senna  aväritia.  Trin.  78  bonäsque  ad  curare.  95  fecisse  inscite.  167  in- 
sciente  incönsultu.  214  adulescentem  evörtisset.  745  ducendi  interea. 
Seltener  ist  bei  Plautus  harte  Elision  im  dritten  oder  vierten  Fusse: 
Bacch.  233  Ut  aurum  efficiam  amänti  erili  filio.  869  animam  amböruin 
exsörbebo.  Mil.  508  Quin  coneubinam  erilem  insimulare.  Pers.  408  in- 
honeste  iniure  inlex.  423  exigere  argentumV  argentum.  Trin.  406  Ex- 
essum  expotum  exunetum  elütum  in  balineis.  456  esse  amicum  inven- 
tum.     759  amico  alieunde  exörari. 

Bei  Terenz  findet  sich  Caesur  mit  harter  Elision  im  dritten  Fusse: 
Andr.  815  Me  sycophantem  hereditatem  persequi;  Eun.  981.  Heaut.  448. 
794.  Phorm.  349.  407.  597.  665.  887.  915.  Hec.  96.  Ad.  13.  (?  Heaut. 
282  dedit  tum  existumandi  ist  wohl  eher  caesurlos);  mit  anapästischem 
Anfang  nach  der  Caesur:  Andr.  156  Ea  primum  ab  lllo  animadvertenda 
iniuriast.  Dieselbe  harte  Elision,  doch  so  dass  die  3.  Hebung  Wort- 
schluss  bildet,  findet  sich  in  Andr.  717  Summum  bonum  esse  erae  pu- 
tavi  hunc  Pamphilum.  Phorm.  134  nostra  erit  ioculärem.  (Andr.  442  secum 

3  2  3  2  3 

eam  rem;  Eun.  97  sed  ita  erat  res;  852  quidem  quae  apud  me  est; 
921  non  sum  apud  me  können  nicht  mit  Sicherheit  hierher  gerechnet 
werden  und  haben  eher  die  Caesur  im  4.  Fuss);  dann  Andr.  526  pendo 
illud  mihi.    Heaut.  26  qua  re  omnes  vos.    495  sensisti  illos  me  ineipere 


63 

Ph.  637  pärtem  aequi  bonique.  644  magnum.  Immo  malum  hercle. 
Ad.  107  et  tu  illum  tuüm.  131  alterum.  nam  ambos  curare.  250  usum 
antehäc  amicitia.  833  Vitium  adfert  senectus;  (in  Andr.  220  inter  se; 
Hec.  635  inter  nos;  659  inter  nos;  486  erga  me  ist  eher  Caesur  im 
4.  Fusse  anzunehmen;  in  Ph.  307  Phormionem.  Istüm;  Ad.  450  paternum 
istuc  kann  auch  die  abgekürzte  Form  stum.  stuc  angenommen  werden). 
Am  auffallendsten  sind  solche  harte  Elisionen  im  3.  Fusse,  wenn  die 
3.  Hebung  anapästischen  Wortschluss  bildet:  Andr.  120  Adeö  modesto, 
adeo  venüsto,  ut  nihil  supra.  Heaut.  61  atque  hominum  fidem.  518  recte 
equidem  te.  752  hosce  aliquot  dies.  Ph.  87  otiösi  operam  dabänms. 
Im  vierten  Fusse  findet  sich  Caesur  mit  harter  Elision  in  Eun.  927  Ca- 
rissimum  ä  meretnce  avara  virginem;  Andr.  34.  123.  Eun.  819.  Heaut. 
512.  Hec.  59.  77.  Ad.  47.  109.  114.  355.  664  und  mit  anapästischem 
Anfang  Hec.  91  Quam  cupida  eram  hüc  redeundi  abeundi  a  milite.  Im 
dritten  oder  im  vierten  Fusse:  Heaut.  420  Aut  ego  profecto  ingenio  egre- 
gio  ad  miserias.  39  leno  adsidue  agcndi.  Ph.  691  Aut  nominare  uxörem. 
iniecta.     Hec.  54  Ne  eum  circumventum  inique  iniqui  inrideant.1) 

In  Betreff  der  übrigen  Elisionen  in  der  Caesur  ist  ebenfalls  der 
Unterschied  zwischen  Zeilenschluss  und  Caesurschluss  festzuhalten.  Im 
Zeilenschluss  soll  das  Metrum  möglichst  rein  zum  Vorschein  kommen, 
darum  wird  vor  der  Schlusssilbe  Elision,  d.  h.  wenigstens  scheinbare  Ver- 
mehrung der  regelrechten  Silbenzahl  gemieden;  dagegen  wird  im  tro- 
cliäischen  Zeilenschluss  betonter  Wortschluss,  wenn  er  nur  rein  jambisch 


1)  Schwierig  sind  die  folgenden  Verse,  in  denen  man  entweder  Mangel  der  Caeaur  oder  die  bei 
den  Lateinern  sonst  verbotene  Caesur  nach  einer  Senkung  von  zwei  Kürzen  annehmen  niuss:  Asin.  781 
ii.  782  Deam  invoctM  tibi  quam  lubebii  pröpitiam,  Deum  nulluni:  ti  wuujit  religio«!  fnerit.  Cure.  236 
Sed  quid  fcibfsl  r  Liet\  rnecat,  rpnes  dolent:  so  Varro,  lien  necat  die  Handschriften.  Eun.  452 
Ridiculam:  nön  enim  cögitaras:  ceterum.  Poen.  67  Sexenniö  prhis  quidem  quam  raoritur  pater, 
falls  man  nicht  misst  prius  quidem.  vgl.  noch  Miles  853,  Persa  456,  Andr.  74.  Dann  mit  Elision 
Cure.  65  Aequi  bonique  d>  tO  (npetrare.  Iniiirias.  217  Quando  Aesculapi  itn  sentio  sententiam. 
640  Serva  me,  quändo  ef/o  te  servävi  sedulo.  Trin.  181  Argentum  amanti  homini  adulescenti, 
animi  impoti.  Eun.  4i)0  Bomines:  nam  qui  hdic  ultimum  adBentari  indnxeris.  Ad.  512  Fac  con- 
sol^re.  ego  Micionem,  si  aput  forumst.  Asin.  116  Audin  tuV  Apud  Archibülum  ego  ero  ärgen- 
tariuin.  Ad.  82  Quid  tristis  es?  Rogäs  me,  mW  nöbis  Aeschinus.  Dann  Andr.  prol.  11  Non  ita 
sunt  dUsimili  argumento,  sdd  tarnen.  745  Quid  turbaest  apnd  forum?  quid  Uli  höminum  litigant. 
In  den  Fällen  mit  Elision,  wie  Cure.  217  Aesculapi  ita  sentio,  kann  man  auch  die  regelmässige 
Caesur  mit  harter  Elision  annehmen,  wie  oben  in  Andr.   156  ab  l'llo  animädvertenda. 


64 

ist.  wie  in  amät  nos.  gestattet;  denn  dass  nach  cnosJ  die  Reihe  zu  Ende 
ist,  hört  jeder.  Dagegen  tritt  in  einem  Caesurschlusse,  wie  Solet  sequi 
laus  cum  viam  fecit  labor,  Unsicherheit  ein,  wo  eigentlich  die  Stimme 
ruhen  soll.  Der  betonte  Wortschluss  'sequi*  scheint  das,  Ende  der  rvth- 
mischen  Reihe  zu  bilden.  Darum  werden  vor  trochäischer  Caesur  solche 
betonten  Wortschlüsse  vermieden.  Wenn  hier  nur  kein  betonter  Wort- 
schluss vorkommt,  so  ist  die  Bildung  des  betreffenden  Fusses  im  Uebrigen 
ziemlich  frei  gegeben.  Desshalb  finden  wir  dann  in  der  Caesur  die  ver- 
schiedenen Arten  von  Elision  bei  den  altlateinischen  Dichtern  oft  angewen- 
det. So  im  Anfang  des  Trin.  21  possidere  hanc  nömen.  23  castigare  ob 
meritarn.  43  inimici  atque  irati.  79  Suspicionem  et  cülpam.  89  amicum 
aut  familiärem.  Dann  110  filiam  esse.  398  senectuti  äcriorem.  403 
quadraginta  äccepisti.     408  myropoloe  äucupea     413  frudavi.  Eni. 

I 

Die  Nachfolger  der  altlateinischen  Dichter  verwendeten  besondere 
Aufmerksamkeit  auf  die  Elision  in  der  Caesur.  Publilius  hat  die 
harte  Elision  bei  Caesur  im   3.  Fusse   C  5  medicum  intemperans.    (0,   7). 

3  3 

P  13  pöena  iniüriae;  im  4.  Fusse:  B  9  peccanti  obsequiurn.  N  18 
delicta  impröbitatem ;  im  3.  oder  4.  Fusse:  All  homini  ingenio  acerba. 
B  14  numquam  erranti  obsequiurn.  C  22  amantem  irasci  amare.  28  saepe 
iräsci  iräscaris.  R  8  amico  excütere  amicum.  Es  kommen  also  weder 
harte  Elisionen  mit  anapästischem  Anfang  nach  der  Caesur  (wie  lllo 
animädvertendum)  noch  mit  betontem  Wortschluss  in  der  3.  Hebung  (wie; 
aram  uti  confügiamus)  bei  Publilius  vor.  Mit  den  übrigen  Arten  der 
Elision  in  der  Caesur  ist  Publilius  (abgesehen  von  est)  noch  sparsamer. 
So  10  Fälle,  wie  O  5  tormentum  übi  (0  8.  B  37.  C  2.  L  16);  B  38 
gaudiwm  übi  (J  59.  S  38);  F  23  difficilia  üt;  S  26  Solet  höra  quod  mulli 
anni  abstülerunt  reddere.  Mit  diesem  Verse  wäre  zu  vergleichen  Spengels 
P  28  Perfacile  quod  vota  imperant  felix  facit.  Da  jedoch  diese  Caesur 
ungewöhnlich  ist,  so  ist  die  Lesart  der  Handschrift  'Perfacile  felix,  quod 
vota  imperant  facit'  wohl  zu  lassen  und  der  fehlerhafte  jambische  Schluss 
des  5.  Fusses  zu  vermeiden  durch  die  Aenderung  timperitantJ ;  vgl.  z.  B. 
Plin.  Paneg.  82  his  validior  toto  corpore  animus  imperitet  und  das  un- 
sichere Tibull.  2,  3,  34  cui  tristi  fronte  Cupido  imperitat  (imperat  andere): 
aber  nur  die  Fälle  C  7  nemo  in  grätiäm.  (M  69  finopi",  ex  cöpia'  un- 
sicher); denn  Verse  wie  N  50  Nemo  timendo  ad  sümmum  pervenit  locum 


65 

können  die  Caesur  im  4.  Fusse  haben.  Horaz  ist  wenigstens  hierin 
sehr  vorsichtig,  da  in  den  über  300  Senaren  der  Epoden  sich  nur  findet 
16,  8  parentibus^we  abominatus  Hannibal.  dann  2,  35  pavidumque  lepo- 
rem  et  advenam  laqueo  gruem.  5,  37  exsucta  uti  medulfa  et  äridum 
iecur.  dann  5,  97  nos  turba  vicafa'm  hinc  et  hinc  saxis  petens.  Phaedrus 
hat  (vgl.  oben  S.  23)  zwei  harte  Elisionen  in  3,  15,  6  Novissime  pro- 
lapsam  e/mndit  sarcinam  und  5,  7,  19  ipso  ludorum  ostenderet  sese  die. 
Sonst   hat    er  —  von  Publilius    hierin  verschieden  —  in   der  Caesur  hie 

2 

und  da  Elisionen,  wie  z.  B.  2,  4,  11  terrore  offuso  et  perturbatis  sensi- 
bus.  2,  5,  10  Sicu/wm  et  despicit.  3,  6,  9  tricändwm  et  übi.  3,  8,  12 
utrumque  et  cärpens.  3,  2,  6  panem  ut  süstineret.  Dagegen  meidet  er 
nach  Luc.  Müller  (p.  XII  ed.  1877)  durchaus  Elisionen,  wie  mmcere  illiüs. 
Demnach  haben  die  späteren  lateinischen  Dichter  Elision  in  den  Caesuren 
selten  und  behutsam  angewendet,  die  alten  oft  und  ohne  besondere  Re- 
geln. Die  späteren  Dichter  haben  wahrscheinlich  die  bei  jenen  für  Elision 
im  Zeilenschluss  geltenden  Gesetze  auch  auf  den  Caesurschluss  übertragen. 

Betonte  Wortsehlösse  im  Senar.  *) 

Im  ersten  Fusse  des  jamb.  Senars  können  als  im  1.  Fusse  der  jamb.  Di- 
podie  reine  wie  unreine  Wortschlüsse  stehen,  im  zweiten  Fusse  nur  reine. 
Gleicher  jamb.  Wortschluss  in  beiden  ist  nicht  selten.  Jamb.  Wortschluss 
im  2.  Fusse  ist  selten,  wenn  im  3.  Fusse  die  Caesur  steht,  wie  in  Discordia  fit 
cäriör  concordia,  häufig,  wenn  sie  erst  im  4.  Fusse  eintritt,  wie  in  Habet 
suum  venenum  blanda  oratio.  Unreiner  Wortschluss  im  2.  Fusse  findet  sich 
bei  Plautus  und  Terenz,  doch  sehr  selten;  natürlich  noch  seltener  mit  ein- 
silbigem Caesurschluss  im  3.  Fusse,  wie  Trin.  398  Miser  ex  animo  fit  fäc- 
tius  nihilö  facit.  In  Versen,  wie  Nisi  quid  nie  aliud  vis,  Philto :  respondi 
tibi,  ist  die  Ausnahme  minder  hart,  da  hier  Caesur  im  4.  Fusse  anzu- 
nehmen ist.  Im  dritten  Fusse  ist  betonter  Wortschluss  nur  möglich, 
wenn  die  Caesur  ganz  fehlt  oder  im  4.  Fusse  ein  einzelnes  einsilbiges 
Wort  vor   derselben    steht.     Beide  Fälle  sind,   wie  oben  ausgeführt,    sehr 


1)  Vgl.  Ritschis  Prolegoruena  zum  Plautus  cap.  XV  und  0.  Brugmann,  (Bonn  1874,  Dissert.) 
Quemadinodum  in  iambico  senario  Roniani  veteres  verborum  accentus   cum   numeris  consociarint. 
Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  I.  Abth.  9 


66 

selten;  in  diesen  wenigen  Fällen  findet  sich  im  3.  Fusse  jambischer, 
spondeischer  oder  anapästischer  betonter  Wortschluss.  Im  vierten  Fusse 
steht  meistens  Caesur;  wenn  dies  nicht  der  Fall  ist.  so  kann,  als  im 
2.  Fusse  der  Dipodie,  regelrecht  nur  jambischer  Wortschluss  stehen  und 
dieser  steht  auch  sehr  gern.  Die  unreinen  Wortschlüsse  sind  hier  gegen 
die  Regel,  doch  ist  gerade  in  diesem  Fusse  die  Regel  am  häufigsten  ver- 
letzt, fast  stets  nur  so,  dass  der  5.  und  6.  Fuss  ein  Wort  oder  eine  eng 
verbundene  Wortgruppe  bildet,  wie  in  Trin.  410.  476  Quam  si  tu  obicias 
iornücis  papaverem.  Et  quod  Uli  placeat,  jyrncripirim  potissimum,  dagegen 
fast  nie,  wenn  die  Senkung  des  5.  Fusses  durch  ein  selbständiges  ein- 
silbiges Wort  gebildet  ist.  Im  fünften  Fusse,  dem  ersten  der  3.  Dipodie, 
sind  die  unreinen  Wortschlüsse  gestattet,  ja  sogar  gesucht,  dagegen  der 
reine  jambische  Wortschluss  vermieden;  derselbe  findet  sich  (vgl.  S.  40) 
noch  am  ehesten,  wenn  die  vorangehende  Hebung  aufgelöst  und  deren 
2.  Kürze  mit  dem  5.  Fusse  sich  zu  einem  anapästischen  Worte  verbindet, 
wie  in  erüs  operäm  dare.  Da  im  sechsten  Fusse  Schlüsse,  wie  amicus 
est,  selten  sind,  so  können  hier  überhaupt  nur  jambische  Wortschlüsse 
stehen.  Also  z.  B.  Publ.  P  47  Plures  tegit  fortuna  quam  tutös  facit. 
S   12  Sapiens  cum  petitur  si  tacet  graviter  negat. 


1)  Die  precatio  terrae  und  herbarum  (Baehrens  Poet.  min.  I,  138),  63  Senare  nach  Art  der 
altlateinischen,  übergehe  ich,  da  sie  zu  schlecht  gebaut  oder  zu  schlecht  überliefert  sind. 

Von  diesen  strengen  Gesetzen  des  altlateinischen  Senars  sind  manche  vielleicht  unter 
anderem  Einfluss  ausgebildet.  In  den  1474  Trimetern  der  Alexandra  des  Lykophron  treten 
merkwürdige  Gesetze  hervor.  1)  Er  meidet  alle  dreisilbigen  Füsse;  trotz  der  sehr  zahlreichen 
spröden  Eigennamen  finden  sich  nur  18  aufgelöste  Hebungen  (8  in  Eigennamen),  12  im  3.  und  3 
im  4.  Fusse  nach  der  Caesur,  3  im  2.  Fusse  vor  der  Caesur,  sämmtliche  aber  so  gesetzt,  dass  die 
beiden  Kürzen  die  Anfangssilben  eines  längeren  Wortes  sind.  Dann  findet  sich  nur  1  Anapäst 
im  4.  Fusse  (720  n«(j.9£yon>jy).  2)  Kein  Vers  kommt  vor,  der  nicht  nach  der  3.  oder  nach  der 
4.  Senkung  Caesur  hat.  3)  Die  Caesur  nach  der  4.  Senkung  ist  sehr  beliebt:  z.  B.  33  sichere  Fälle 
in  V.  1 — 100.  4)  Einsilbiger  Zeilenschluss  ist  sehr  gemieden,  neben  dem  einen  Fall  724  hißoog 
"Ig  kommen  nur  vor  die  4  Fälle  253  «Je  poi.  769  Se  nav  und  448.  1209  xs  y*jv.  5)  Einzelne  ein- 
silbige Wörter  vor  der  trochäischen  Caesur  sind  selten.  Denn  (abgesehen  von  9  Fällen,  wo  zwei 
einsilbige  Wörter  vor  der  Caesur  stehen,  wie  956  nokövxug  eig  y^v)  ist  in  9  Fällen,  wie  163  yptvot, 
xdv  Se  7.oio&ov,  und  in  19  Fällen,  wie  104  xcu  ötvxeQav  eis  aQxw  |  ö&ytiiov  ßgö^iuy,  die  beliebte 
Caesur  im  4.  Fusse  anzunehmen.  So  bleiben  22  Fälle,  wo  sicher  im  3.  Fusse  vor  der  Caesur  ein 
einsilbiges  Wort  steht  und  zwar  lae,  1  aov,  1  xig,  1  7ioS-\  4  xs,  1  |UeV,  8  &£;  dann  286  yi>uvv. 
912  yr±g.  1013  avv.  1370  Zeig.  1423  Syig.  Im  4.  Fusse  finden  sich  5  solche  unregelmässige  Schlüsse : 
398  fxvioig  Si.  742  xcaaßgogr]  viv.   924  OtQfXvdnov  «.1074  "Apcpioauv  xe.      1338  ccftvccfioig  xe. 

Offenbar  ist  sowohl  der  tragische  als  der  komische  Trimeter,  wie  er  sich  allmählich  ausge- 


67 


Die  Caesuren  des  jambischen  Septenars  und  Octonars. 

Von  dem  jambischen  Septenar  wird  nach  Reisigs  Vorgang  (Coniect.  in 
Aristophanem  S.  117  — 121)  gewöhnlich  gelehrt,  dass  die  griechischen 
Lustspieldichter  (denn  nur  bei  diesen  findet  sich  diese  Zeilenart,  nicht  bei 
den  Tragikern)    zwei  Caesuren  desselben    anerkannt   hätten,    die  gewöhn- 


bildet hatte,  von  Lykophron  verschmäht  worden.  Dagegen  findet  sich  derselbe  Bau  des  Trimeters 
bei  Archilochus  und  den  späteren  Jambo-  und  Choliambographen,  insbesondere  bei  Solon  und 
Simonides;  (aber  lInnwva'§  nok'kd  itaQEßri  rwv  to()i(j/utpu)v  iy  totg  idfjßotg  durch  aufgelöste 
Hebungen).  Die  Form  dieser  Dichter  kann  Lykophron  nicht  wegen  des  verwandten  Stoffes,  son- 
dern nur  wegen  der  gleichen  Dichtungsgattung  gewählt  haben.  Er  schrieb  kein  Drama,  also  ge- 
brauchte er  auch  nicht  den  dramatischen  Trimeter,  sondern  den  für  lyrische  oder  lehrhafte  Gedichte 
bestimmten.  Wenn  also  der  Scholiast  zu  Hephaestion  p.  152  W  (Christ  Metrik  §  377)  von  den 
drei  Gattungen  des  TQuyixng,  xujjuixdg  und  aaxvQixog  ia/ußoe  unterscheidet  o  ovtw  raus  iSiwg  teyo- 
/utvog  iapßLxög  und  erklärt  'iSiov  äi  in/ußixov  to  SiaavXdßovs  fxdvovg  eni6ex(o&ui  nodus  xui  /adhara 
tufxßov  olov  nuTto  Axxdfxßa,  nolov  t'cpgdauj  rodt,  so  hat  das  seine  Richtigkeit. 

Dieser  nicht  dramatische,  also  lyrische  Trimeter  mit  steter  Caesur  im  3.  oder  im  4.  Fusse 
und  mit  selten  verletzter  Vermeidung  der  aufgelüsten  Heilungen  und  noch  mehr  des  Anapaestes 
herrscht  auch  in  den  Epigrammen  aus  der  guten  Zeit;  so  in  den  etwa  74  Trimetern  des  Leonidas, 
Antipater,  Phaedimus,  Krinagoras,  Apollonides  und  Theokrit,  wo  die  Caesur  nie  fehlt  und  kein 
dreisilbiger  Fusa  vorkommt.  In  den  etwa  97  Trimetern  des  Philippus  Thessal.  finden  sich  6  auf- 
gelöste Hebungen  (5  im  3.  Fusse)  und  4  Anapäste  im  1.  Fusse;  allein  mit  Recht  hat  Dübner  (zur 
Anthol.  IX.  416,  7)  ihm  keinen  Anapäst  im  2.  l'u MC  zugetraut.  Von  den  heaehtenswerthen  Epi 
grainmen  hei  Kaibe]  sind  rein  die  63  Trim.  in  185.  '-'08.  (246).  258.  502.  549:  komische  sind  in 
236.  983.  1039.  So  erklärt  und  rechtfertigt  sieh  auch  die  Bildung  des  ln;.:<i>iti>iischr>i  Trimeters. 
Viele  dieser  gekünstelten  Dichter  hätten  den  Versbau  des  euripideischen  und  komischen  Trimeters 
nachahmen  können,  wenn  sie  gewollt  hätten.  Allein  ne  «raren  sich  des  Unterschiedes  zwischen 
dem  dramatischen  und  dem  lyrischen  Trimeter  bewusst.  Gefehlt  also  haben  nicht  diejenigen 
Dichter,  welche  die  dreisilbigen  Fasse  vermieden,  sondern  .jene,  welche  sie  zuliessen.  Ein  war- 
nendes Beispiel  sind  die  umfangreichen  ziemlich  alten  Diehtungen  des  Scrrilius  Damokrates  (aus 
Galen  in  den  Poetae  buc.  Didot  1851),  der  die  Mediein  in  komischen  Trimetern  darstellte,  wie 
Znipficaos  dyyt'ov  Tf  rdg  'iaag  dvd  Swöex«  '  'Kxxaidtxa  (j('£rj£  ^nxordrtjg  ßQVtuviag.  Durch  die  Lek- 
türe der  bewunderten  Komiker  sind  manche  der  gebildeteren  Dichter  angekränkelt  worden; 
so  ■/..  D.  Gregor  von  Nazianz,  der  nach  Paul  Stoppeis  (Rostock  1881)  Zusammenstellungen  in 
seinen  7500  Trimetern  neben  178  aufgelösten  Hebungen  272  Anapäste  und  noch  dazu  gerade 
viele  im  2.  und  4.  Fusse  (80  -f- 126)  gewagt  hat.  Palladas,  der  besonders  die  sogenannten 
Spruchverse  des  Menander  studirte,  hat  in  seinen  77  Trimetern  schon  11  Auflösungen  und  6  Ana- 
päste, davon  je  einen  im  2.  und  4.  Fusse.  Ja  Paulus  Silott.  hat  in  den  169  Trim.  27  Auflösungen 
u.  42  Anapäste  (20  im  2.,  14  im  4.,  6  im  1.,  je  1  im  3,  u.  5.  F.)  und  der  übergebildete  Agathias 
hat  in  den  46  Trimetern  der  Vorrede  zu  seiner  Anthologie  (IV.  3)  nicht  weniger  als  10  auf- 
gelöste Hebungen  und  9  Anapäste  (davon  7  im  2.  oder  4.  Fusse).  Diese  geistlichen  oder  lehrhaften 
Stoffe  in  den  Formen  der  Komödie  sind  geradeso  ein  Unding,  als  wenn  die  sogenannten  Spruch- 
verse des  Menander  eine  ursprünglich  so  angelegte  Dichtung  wären:  didaktisch-lyrischer  Stoff  in 
einem   Gemisch  von  Formen  des  tragischen  und  komischen  Dramas. 

Der  altlateinische  Senar  hatte  zu  Allem  gedient:  »her  CtttuU  und  die  Priapeia  sind  nur  das 

9* 


68 

liehe  nach  der  4.  Hebung,  die  seltenere  nach  der  5.  Senkung;  die 
Griechen  nachahmend,  hätten  die  altlateinischen  Dichter  dieselben  beiden 
Caesuren  angewendet,  Allein  Reisigs  Lehre  ist  irrig.  Nehmen  wir  die 
Ritter  des  Aristophanes  zum  Beispiel,  so  haben  von  den  147  jambischen 
Septenaren  110  die  regelmässige  Caesur  nach  der  4.  Hebung  '12  deiiiütarov 
xytag  |  oocpcvg  ye  tiqovvotjou).  In  den  übrigen  37  fällt  in  22  ein  Wort- 
ende nach  der  5.  Senkung  und  zwar  in  6  nach  —  ~  wie  dei  |  w,  in 
6  nach  -^-—  (rj  \  drj),  in  7  nach  -- —  (vnei  |  *tf,  /tiayei  |  yovg),  dann  in  2 
nach  w^-o  (keyov  \  rog,  xiTt*>  \  v°$\  und  in  1  nach  — «-: —  (xämfiei  j  y.vi  >); 
in  9  Versen  fällt  ein  Wortende  erst  nach  der  5.  Hebung  und  zwar  in  5 

nach  -* -  (frei)  |  micti*),    in  je    1   nach  -^-«^  (jatj  |  xavrju'')   und    i  w — t- 

(z«t«  |  Jiyoi&i),  in  2  nach  »- -  (ävcu  |  JWa,  7i£^  |  xiOfiolg);  in  6  end- 
lich reicht  das  Wort  über  die  5.  Hebung  hinaus,  so  in  <>  |  svyrjua ;  tibqi 
oizüvoi,  neyt  \  rjfAmoxtv,  d.io  y.ttivnar\  ßw  jxoXo%eviiaaiv\  xare  |  yXwni- 
a/usyrjy.  Von  den  37  Ausnahmen  haben  also  22  Wortende  nach  der 
5.  Senkung,  15  nicht;  demnach  ist  hier  von  einer  Regel  keine  Rede. 
Wie  wenig  auf  Reisigs  Gesetz  zu  geben  ist,  erhellt  auch  daraus,  dass 
man  gerade  so  gut  Caesur  nach  der  4.  Senkung  annehmen  könnte;  da- 
für hätte  man  doch  24  Beispiele  unter  den  37  Ausnahmen.  Allein  all 
das  ist  nur  ein  Spiel  des  Zufalls;  für  die  griechischen  Lustspieldichter 
gilt  nur  die  Regel:  im  jambischen  Septenar  ist  die  regelmässige  Caesur 
nach  der  4.  Hebung;  steht  dieselbe  nicht,  was  etwa  in  jedem  4.  Verse 
der  Fall  ist,  so  herrscht  Gesetzlosigkeit. 

Dieser  lockeren  Regel  der  Griechen  steht  besonders  bei  Plautus 
eine  strenge  Regel  gegenüber.  Die  fast  1300  jambischen  Septenare  des 
Plautus  haben  alle  ein  Wortende  nach  der  4.  Hebung,  mit  Ausnahme 
von  Rud.  318  Tortis  superciliis  contraria  frönte  fraudulentum.    Rud.  1296 


treueste  Abbild  des  lyrischen  Trimeters  und  Choliambs  der  Alexandriner.  Horaz  mischte  schon 
Lateinisches  bei  (mehr  Auflösungen;  Anapäste  im  1.  und  5.  Fusse;  im  5.  Fusse  der  17.  Epode  kein 
jambischer  Wortschluss).  Der  tragische  Senar  des  Seneca,  ein  Gemisch  des  tragischen  Senars  der 
Griechen  (2.  und  4.  Senkung  nur  eine  Kürze)  und  des  altlateinischen  Senars  (stete  Caesur,  viele 
Auflösungen,  viele  Anapäste  im  1.  und  5.  Fusse,  manche  im  8.,  in  der  5.  Senkung  nie  eine  Kürze) 
diente  auch  zu  nicht  dramatischen  Dichtungen  (Petron  89.  Martial  1,  49.  3,  14.  9,  77.  11,  59) ; 
und  seine  Freiheiten  wanderten  in  den  Choliamb :  Martial  hat  hier  viele  Anapäste  im  1.  Fusse 
und  viele  Auflösungen,  ebenso  der  Grieche  Babrius;  hatte  ja  auch  Phaedrus  wieder  den  freien 
altlateinischen  Senar  zu  Fabeln  missbraucht.     Vgl.  den  Nachtrag. 


69 

Ad  Gripum  ut  veniat.  non  feretis  ist  um,  ut  postulatis.  Cure.  526  Dum 
melius  sit  mihi  des.  Dabüntur.  eräs,  peti  iubeto;  wozu  noch  die  an- 
gefochtenen Asin.  556  cId  virtute  huius  conlegae  meäque  cömitate  fäctumst 
und  720  Opto  id  quod  ut  (om.  Bothe)  contingat  tibi  vis.  Quid  si  optaro. 
Eveniet1  gestellt  sein  mögen.  In  diesen  Versen  ist,  was  Terenz  wahr- 
scheinlich macht,  Caesur  nach  der  5.  Senkung  beabsichtigt.1) 

Bei  Terenz,  der  etwa  380  jamb.  Septenare  hat,  ist  die  regelmässige 
Caesur  viel  öfter  verlassen  als  bei  Plautus.  Dieser  Fall  ist  gegeben,  sobald 
der  4.  Jambus  nicht  dem  Jambus  im  Zeilenschluss  gleich  ist,  d.  h.  sobald  die 
4.  Hebung  mit  der  5.  Senkung  ein  Wort  bildet,  oder  die  4.  Senkung  durch 
1  Länge  oder  2  Kürzen  oder  die  4.  Hebung  durch  zwei  Kürzen  gebildet 
wird.  Dann  steht  bei  Terenz  regelmässig  Wortende  nach  der  5.  Senkung. 
Die  sicheren  Fälle  der  Art  sind  bei  Terenz:  Eun.  288  Facete  dictum  mira 
vero  militi  quae  placeant,  604  fätue  fateor.  Hec.  834  äliae  nolunt. 
Ph.  270  dum  aliud  aliquid.  Eun.  603  sint  video  esse,  606  pol  ego  is 
essem.  Hec.  252  perpetuam  esse,  254  aüt  purgando.  Heaut.  703  velle 
uxorem  hanc.  Ph.  754  habet  au  obsecro  ünam,  .759  üt  volebam,  777  tu 
Geta  abi  prae,    794  ne  te  adulescens.     Eun.   1009    stültiorem.     (Ph.  828 

l  4  4 

conveniundi.  Hec.  832  compressam  ab  eo  et.)  Hec.  250  illarüm  pote- 
state  esse.  Ad.  708  sodälis  esset.  Eun.  1021  pendebis  qui  stultum  adu- 
lescentulum.  Dieselbe  Caesur  ist  wohl  anzunehmen  in  Hec.  359  Pärmeno 
obviam  ätque,  833  gaüdia  llli;  durch  harte  Elision  ist  sie  verdunkelt  in 
Hec.  790  erünt  ubi  quamobrem  adveneris  und  Hec.  818  qui  paene  harum 


1)  Schon  oben  (S.  22)  ist  bemerkt,  dass  bei  Elision  die  gewöhnlichen  Gesetze  nicht  gelten. 
In  den  dort  citirten  Fällen  fiel  die  Senkung  in  Elision ;  bei  den  jambischen  Septenaren  und  Octo- 
naren  wird  die  Sache  verwickelter,  indem  die  4.  Hebung  in  Elision  fallen  kann.  Einfach  ist 
1)  die  Möglichkeit,  wie  pröxumo  hie  |  sceldste,  da  hier  der  glatte  Caesurabschnitt  doch  gegeben 
ist.  Schwieriger  sind  die  folgenden  Fälle:  2)  alteram  6r  |  go  in  ne'rvum  (etwa  17  Mal  bei  Plau- 
tus), 8)  lenönium  in  |  ter  hömines  (11  Mal),  4)  in  scapham  in  |  sulüimus  (7  Mal).  Krauss  hat  in 
den  Versen  der  dritten  Gattung  Caesur  nach  der  5.  Senkung,  in  denen  der  vierten  Ausnahmen 
angenommen;  Mohr  (S.  11 — 14)  sucht  beide  Fälle  zu  schützen  durch  jenes  Gesetz  Ritschis  (Proleg. 
p.  274)  'elisione  vocalis  non  impeditur  caesura,  sed,  si  illa  non  elideretur,  nihil  ad  legitimae  cae- 
surae  elegantiam  deesset'.  Jedenfalls  tritt  in  Fällen  der  2.  Art  nicht  d«r  glatte  Abschluss  ein 
und  in  den  auffälligen  Caesuren  der  3.  und  4.  Art  ist  zu  bemerken,  dass  die  zweite  Elisionssilbe 
stets  lang  ist,  als  wenn  sie  dazu  hergerichtet  wäre,  den  Versaccent  zu  tragen.  Auffallend  war 
mir,  wahrzunehmen,  dass  fast  in  allen  Fällen,  wo  die  regelmässige  Caesur  durch  Elision  der 
4.  Hebung  getrübt  ist,   Wortende  nach  der  6.  Senkung  eintritt,   wie   in  2)  dicito  ünde  argentum, 


70 

ipsi  üsque  opera.1)  Ich  habe  diese  Beispiele  ausgeschrieben,  damit  deut- 
lich werde,  wie  fast  in  allen  Fällen  die  41  2  Füsse  vor  der  nach  der 
5.  Senkung  stattfindenden  Caesur  gegliedert  sind  durch  eine  andere  Cae- 
sur  nach  der  3.  Senkung,  wie  z.  B.  im  Eun.  1009  Numquam  pol  homi- 
nem  |  stultiorem  |  vidi  nee  videbo  ah.2) 

Das  ist  klar,  dass  bei  Plautus  ausser  der  Caesur  nach  der  4.  Heb- 
ung keine  andere  anerkannt  ist,  dass  dagegen  bei  Terenz  ausser  jener 
gewöhnlichen  Caesur  die  Caesur  nach  der  5.  Senkung  anerkannt  ist.  Da 
bei  den  Griechen  neben  jener  Caesur  nach  der  4.  Hebung  nicht  jene 
nach  der  5.  Senkung  allein  zugelassen  ist,  so  kann  Terenz  jene  2.  Caesur 
nicht  von  den  Griechen  entlehnt  haben.  Er  hat  sie  vielmehr  aus  der 
nahe  verwandten  Gattung  der  jambischen  Octonare  entlehnt. 

Der  jambische  Octonar  kommt  bei  den  Griechen  so  gut  wie 
nicht  vor,  so  dass  die  Lateiner  die  Gesetze  für  seinen  Bau  selbst  machen 
mussten.  Es  zeigt  sich  denn  auch  hierin  zwischen  Plautus  und  Terenz  ein 
starker  Unterschied.  Plautus  hat.  selbst  viele  der  zerstreuten  mitgerech- 
net, nur  gegen  300,  Terenz  gut  800.  Plautus  baut  ihn  auf  zwei  ver- 
schiedene Arten;  entweder  theilt  er  ihn  in  zwei  völlig  selbständige 
Dimeter,  deren  erster  im  Schluss  die  Schranken  und  Freiheiten  des 
Zeilenschlusses    hat,    d.    h.    die    4.    Senkung    darf    nur    eine    Kürze,    die 


3)  custodia  esset  se'mper,  4)  in  scapham  lnsulüimus;  von  den  17  Fällen  der  2.  Art  ist  einer  aus- 
genommen (Cure.  511  frfgidam  e'sse  ita  vös  putätis  leges),  von  den  11  Füllen  der  8.  Art  drei 
(Asin.  469  te  aufe'r  domum  äbs  |  cede  hinc  molestus  ne  sis,  Rud.  349  periculo  <5r  |  bas  aiixilfquo 
opümque,  Epid.  361  adveniens  domi  ex  |  templo  üt  maritus  fias),  wo  dann  Caesur  nach  der  5.  Senk- 
ung anzunehmen  ist.  In  den  übrigen  Fällen  ist  vielleicht  Caesur  zugleich  nach  der  4.  und  6.  Senk- 
ung anzunehmen,  die  wir  bei  Terenz  ziemlich  häufig  finden  werden. 

1)  Da  an  einer  Caesur  nach  der  5.  Senkung  von  der  Form,  wie  Eun.  1007  quid  tibi  vis? 
quid,  Hec.  249  faceres  magis  in  |  rem  et  vestram,  kein  Anstoss  zu  nehmen  ist,  so  ist  auch  kein 
Grund  Eun.  261  'quaerere:  [ibi]  homo  coepit,  286  Parmeno  ?  [eho]  num  nam  hie,  1012  credere  [ea] 
quae  dfxi;  Hec.  343  ipsust  [eiim]  bis  fäcere'  die  hier  eingeklammerten  Wörtchen  zu  verdächtigen, 
wie  in  der  Regel  geschieht. 

2)  Wenn  die  4.  Hebung  in  Elision  fällt  und  nicht  die  Caesur  nach  der  5.  Senkung  anzu- 
nehmen ist,  so  findet  sich  fast  stets  ein  Wortende  nach  der  6.  Senkung.  So  in  den  Fällen,  wie 
Andr.  695  mihi  sciam  esse  inimicos ;  den  6  Fällen,  Andr.  686  Pämphile  öptume  mihi.  Eun.  275 
Thäidi»  arbiträre,  601  virginem  öbprimit  ego,  610  näm  domo  exulö  nunc.  Heaut.  704  öppido  l'm- 
peras  et,  753  aedium.  Äntiphönin,  steht  nur  der  eine  Phorm.  780  eodem  luto  häesitäs,  vorsüra 
sölves  gegenüber.  Da  Terenz  die  Caesur  nach  der  5.  Senkung  kannte,  so  ist  es  natürlich,  in  den 
wenigen  Fällen,  wie  Hec.  833  gaiidia  llli,  jene  Caesur  anzunehmen. 


71 

4.  Hebung  nur  eine  Silbe,  aber  kurz  oder  lang,  sein  und  nach  der  4.  Heb- 
ung kann  Hiatus  eintreten;  oder  er  lässt  Caesur  nach  der  5.  Senkung 
eintreten,    das   geschieht    also   in   all  den  Fällen,    wo   die  4.  Hebung  und 

5.  Senkung  in  einem  Worte  stehen  oder  wo  die  4.  Senkung  durch  eine 
Länge  oder  2  Kürzen  oder  die  4.  Hebung  durch  2  Kürzen  gebildet  ist.1) 
Diese  beiden  Caesuren  sind  nur  in  einem  Verse  nicht  beachtet:  Amph. 
257  Velätis  manibus  örant  ignoscamus  peccatüm  suum.2)  Octonare  der 
ersten  Sorte  hat  Plautus  etwa  180,  der  zweiten  etwa  120;  er  bildet  bald 
reine  Reihen  der  ersten  Sorte,  die  man  dann  auch  als  Reihen  von  Dime- 
tern  behandeln  kann,  wie  Amph.  153 — 157,  1053—1061,  1068  —  1075; 
selten  reine  Reihen  der  zweiten  Sorte,  wie  Amph.  1076 — 1085,  Capt.  909 
bis  921;  meistens  mischt  er  beide,  wie  Amph.  984 — 1005,  wo  993.  994. 
996.  997.  998  von  der  zweiten  Sorte,  984.  992.  1004  der  Elision  halber 
unsicher,  die  übrigen  von  der  ersten  Sorte  sind,  und  Amph.  248 — 261, 
wo  nur  250  und  254  von  der  ersten  Sorte  sind. 

Terenz  dagegen  hat  unter  den  800  jambischen  Octonaren  kaum  60 
mit  Caesur  nach  der  4.  Hebung.3)  Diese  in  zwei  völlig  gleiche  Theile 
zerfallenden  Langzeilen  scheinen  ihm  nicht  gefallen  zu  haben.  Dieselben 
sind  stets  zerstreut  unter  die  zahlreichen  Zeilen  der  zweiten  Sorte  mit 
Caesur  nach  der  5.  Senkung.4)  Terenz  hat  auch  hier  wieder  mehr  Aus- 
nahmen als  Plautus.  So  Andr.  261  Amor  misericordia  hüius  nuptidrum 
söllicitatio.      Andr.  650  Quantasque  hie  suis   consiliis   mihi  confldvit  solli- 


1)  Die  regelmässige  Caesur  steht  in  ungewöhnlicher  Elision  in  Amph.  183  Aliquem  hömi- 
nem  adlegent,  qm  mihi  |  advenienti  os  occille't  probe,  die  Caesur  nach  der  5.  Senkung  fällt  in  diese 
ungewöhnliche  Caesar  im  Capt.  589  ni'si  reperio  atröcem  und  Baecfa.  938  nön  in  busto  Achilli.  In 
Amph.  197  'quo  modo  üli  dicam  und  Men.  996  praOflto  ero  llli  quöm  venietis'  liegt  kein  Qrund 
vor,  Caesur  nach  der  4.  Hebung  und  nicht  vielmehr  nach  der  5.  Senkung  anzunehmen.  Dagegen 
ist  Pseud.  170  sowohl  die  Lesart  der  Handschriften  'I  puere  prae  ne  qnisqmUD  pertundat  crumf- 
nam  cautio  est',  als  Bothe's  Umstellung  'I  püere  prae:  cruminain  ne  (piisquäm  pertundat  cautiost 
gegen  die  Regel. 

2)  Vielleicht  ist  auch  Men.  995  Quid  stätis?  quid  dubitätis?  iam  si<l>lim<n  raptum  opörtuit 
hierher  zu  rechnen,  da  die  Verkürzung  von  tis  mindestens  ungewöhnlich  ist;  vgl.  jedoch  Mohr  S.  8. 

3)  Harte  Elision  in  der  4.  Hebung  scheint  anzunehmen  zu  sein  Andr.  181  Speräntis  iam 
amotö  metü  |  interea  öscitantis  öpprimi. 

1)  Harte  Elision  in  der  5.  Senkung  findet  statt  in  Ami.  s<>:!  me  mentftum  occiditö.  Heaut.  675 
«liii'ii  quaerendo  inrestigarL  Andr.  '.(4(5  Kx  fpsa  miliens  audfvi.  Omnis  nos  gaudere  hoc  Chremes, 
welcher  Vers  allerdings  durch  die  Verwandlung  in  einen  Vers  der  ersten  Sorte  (ex  fpsa  audivi 
miliens)  sehr  gewinnen  würde.     And.  504  tibi  narräre  oeeepi.     (i77  ät  iam  expediam  expddies. 


72 

citudines.  Eun.  294  Ubi  quaeram,  ubi  investigem,  quem  perconter,  quam 
insistam  viam.  Heaut.  202  Pateretur,  nam  quem  ferret,  si  par entern  nön 
ferret  suum.  208  Verum  ubi  animus  semel  se  cüpiditäte  devinxit  mala. 
585  Chremes,  vin  tu  homini  stülto  mihi  aüscultäre.  Quid  faciam.  Jube 
hunc.  In  diesen  6  Fällen  tritt  Wortende  zugleich  vor  der  4.  und  6.  Heb- 
ung ein,  so  dass  eine  wohlklingende  Dreitheilung  der  Langzeile  entsteht, 
die  besonders  in  Eun.  294  hervortritt,1) 

Die  Caesur  nach  der  5.  Senkung  ist  also  im  jambischen  Octonar  bei 
Plautus  fast  ebenso  häufig  als  die  nach  der  4.  Hebung,  bei  Terenz  ist 
sie  weitaus  die  häufigste.  Es  ist  das  natürlich.  Denn  durch  jene  Caesur 
wird  die  Langzeile  in  zwei  Theile  von  ähnlichem,  nicht  völlig  gleichem 
Umfange  zerlegt  und  der  trochäische  Caesurschluss  steht  in  gutem  Gegen- 
satz zum  jambischen  Zeilenschluss.  Durch  die  Vorliebe  für  diese  Caesur 
nach  der  5.  Senkung  wurde  wohl  Terenz  oder  ein  älterer  Dichter,  den 
er  nachahmte,  dazu  verführt  auch  in  dem  jambischen  Septenar,  der  ja 
hinten  nur  eine  Silbe  weniger  hat,  neben  der  gewöhnlichen  Caesur  nach 
der  4.  Hebung  auch  diese  zweite,  nach  der  5.  Senkung,  als  regelmässige 
zuzulassen ;  mit  Unrecht,  da  die  beiden  Stücke  zu  ungleich  sind  und  der 
trochäische  Caesur-  und  Zeilenschluss  nicht  mehr  im  nöthigen  Gegensatz 
stehen.  Daraus,  dass  bei  Plautus  unter  den  1300  Septenaren  nur  etwa 
6  jene  Caesur  nach  der  5.  Senkung  haben,  erhellt,  dass  für  die  älteste 
lateinische  Dichtung    das  Gesetz    bestanden    hat,    der  jambische  Septenar 


1)  Hierher  ist  auch  zu  rechnen  Phorm.  249  Molendum  usque  in  pistrino  väpulandum  haben- 
dae  compendes.  Dann  möchte  ich  von  den  durch  Elision  verdunkelten  Fällen  hierher  zählen 
Andr.  488  Cumque  huic  est  veritus  öptumae  ädulescenti  fäcere  iniuriam.  Ph.  742  nomine  appel- 
Idssis.  804  dictum  est:  Mc  tu  errästi.  Heaut.  189  iram  et  änimutn  amicae.  219  mihi  per  dliuni 
ostendit.  Eun.  368  capiet  cum  ea  inUrdum.  Eun.  1036  inve"ntam  civem.  Audivi.  Ph.  475  cessävit 
2>r6  te  eniti.  Hec.  860  ecästor  mörem  antiquum  atque  ingenium.  Ad.  308  pe"r  vim  Vitium  obtülerat. 
Ad.  539  nüsquam  tu  me:  audistin.  Hier  scheint  es  natürlicher,  die  Doppelcaesur  vor  der  4.  und 
6.  Hebung  und  nicht  Caesur  nach  der  4.  Hebung  oder  nach  der  5.  Senkung  mit  harten  Eli- 
sionen anzunehmen.  Andr.  596  sind  die  Worte  der  Handschriften  'ego  vero  solus.  Corrigere  mihi 
gnatum  porro  enitere'  von  Fleckeisen  umgestellt  zu  gnatum  mihi  corrigere.  Die  prosodische  Härte 
gnätüm  mihi  oder  der  falsche  Daktylus  fällt  weg  durch  die  ebenso  leichte  Umstellung  'ego  vero 
solus.  mihi  corrigere  gnatum  porro  enitere'.  Auch  Andr.  499  'Quid  credas.  quasi  non  tibi  re- 
nuntiäta  sint  haec  sie  fore'  ist,  da  einige  Handschriften  'sint'  vor  'ren/  haben,  wohl  zu  stellen: 
quid  credas?  quasi  non  sint  tibi  renüntiata  haec  sie  fore.  Falsche  Bildung  des  4.  Fusses  bleibt 
in  Andr.  949  possedi  nihil  |  mutat  (mütat  |  nihil  ?)  und  Andr.  239  nönne  prius  |  commünieätum 
(non  Spengel.) 


73 

soll  nur  nach  der  4.  Hebung,  der  jambische  Octonar  entweder  nach  der 
4.  Hebung  oder  ebenso  gut  nach  der  5.  Senkung  getheilt  sein.  Für  den 
jambischen  Septenar  können  nur  die  griechischen  Lustspieldichter  den 
altlateinischen  Vorbild  gewesen  sein;  es  bedarf  kaum  eines  Hinweises, 
in  welch  scharfem  Gegensatze  stehen  die  griechische  Freiheit  oder  Gesetz- 
losigkeit und  die  lateinische  eng  beschränkte  und  streng  beobachtete 
Gesetzmässigkeit,  wie  also  auch  diese  strengen  Gesetze  nur  von  dem  er- 
sonnen sein  können,  welcher  zuerst  jambische  Septenar e  und  Octonare  in 
lateinischer  Sprache  dichtete. 

Die  betonten  Wortschlüsse  im  jambischen  Septenar  und  Octonar.1) 

Wenn  die  Caesur  in  diesen  beiden  Zeilenarten  nach  der  4.  Hebung 
eintritt,  so  haben  wir  es  mit  zwei  jambischen  Kurzzeilen  zu  thun:  1)  dem 
jambischen  Dimeter,  aus  welchem  die  beiden  Hälften  des  Octonar  und 
die  erste  Hälfte  des  Septenar  bestehen,  2)  dem  unvollständigen  Dimeter 
(3x/2  Jamben),  welcher  die  zweite  Hälfte  des  Septenar  bildet.  Dieser  un- 
vollständige  Dimeter  entspricht  durchaus  dem  Anfange  des  Senars,  welcher 
erst  nach  der  4.  Senkung  Caesur  hat.  Für  den  5.  Fuss  dieses  jambi- 
schen Septenars  sind  also  reine  und  unreine,  für  den  6.  nur  reine  Wort- 
schlüsse gestattet.  Die  Bildung  des  7.  Fusses  ist  schon  oben  (S.  49) 
besprochen:  für  den  nicht  häufigen  Fall,  dass  im  Ende  der  Zeile  ein 
einsilbiges  Wort  steht  und  die  7.  Hebung  Wortende  bildet,  darf  dieser 
Wortschluss  nur  rein  jambisch  sein.  Im  vollständigen  Dimeter  dürfen, 
wie  schon  oben  (S.  43)  erörtert  ist,  im  1.  Fusse  reine  und  unreine,  im 
2.  nur  reine,  im  3.  unreine,  aber  nicht  reine,  im  4.  Fusse  nur  reine 
Wortschlüsse  stehen.  Sind  also  Dimeter,  wie  Laudem  lucrüm  ludüm 
iocüm.  Nam  illam  minie  olfm  decem.  Nam  si  sciät  noster  senex  fidem. 
Ulis  perlt  quidquid  datür.  Neuter  stupri  causa  capüt.  Noster  socer  videö 
venit,  auch  nicht  besonders  schön,  so  sind  sie  doch  vollkommen  regel- 
mässig. So  finden  sich  im  Amphitruo,  der  für  die  jambischen  Octonare 
hübsche  Beispiele  bietet,  ausser  den  zahlreichen  unreinen  Schlüssen   im  1. 


1)  Vgl.  Jos.  Kmitss  (Khein.  Mus.  1853  S.  531— 560)  Ueber  die  jambischen  Tetrameter  bei 
Terentins.  Paul  Mehr,  De  i;uubico  apud  Plautum  septenario,  Leipzig  1873.  Eine  genauere  Unter- 
suchung heider  Zeilenarten  wäre  wünschenswert!). 

Abb.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wias.  XVII.  Bd.  I.  Abth.  10 


74 

u.  7.  Fusse  solche  oft  im  3.  Fusse  (z.  B.  182.  190.  192.  195.  200.  201. 
202.  206.  208.  209)  und  im  5.  Fusse  (156.  180.  212.  217).  Ausnahmen 
sind  selten.  So  steht  unreiner  Wortschluss  im  2.  Fusse  Bacch.  968 
Eum  ego  ädeo  und  mendacio.  Dagegen  beruht  derselbe  im  2.  Fusse 
Capt.  519  Neque  auxilium  mi  est  neque  adeo,  im  6.  Fusse  Amph.  1061 
nam  ubi  ^krturiens  deos  invocat,  Epid.  329  quoi  divitiae  sunt  maxumae 
nur  auf  Conjekturen.  Reiner,  jambischer  Wortschluss  im  vorletzten  Fusse 
wird  Amph.  1058  animö  malest,  aquäm  velim  durch  die  Handschriften 
bezeugt,  Bacch.  974  filiös  habet  und  Epid.  335  gentium' st  neque  sind 
nur  Conjecturen. 

In  den  etwa  60  Octonaren  der  ersten  Sorte  bei  Terenz  sind  im 
3.  und  5.  Fusse  die  unreinen  Wortschlüsse  nicht  häufig;  im  3.  fand  ich 
sie  Andr.  583.  610.  612.  614.  Phorm.  719.  Ad.  255,  im  5.  Andr.  586 
und  Phormio   721. 

Findet  die  Caesur  erst  nach  der  fünften  Senkung  statt,  so  bleiben  die 
Verhältnisse  des  1.,  2.,  6.  und  7.  Fusses  des  Septenars  und  des  1.,  2., 
6.,  7.  und  8.  Fusses  des  Octonars  die  nemlichen.  Die  regelwidrigen  un- 
reinen Wortschlüsse  im  2.  und  6.  Fusse  sind  auch  in  den  Septenaren 
und  Octonaren  dieser  Art  selten.  Durch  die  Handschriften  beglaubigt 
sind  solche  Ausnahmen  im  6.  Fusse  bei  Plautus  Asin.  834  •ägitemus 
convivium.  Pseud.  158  prae/fcio  provinciae.  Capt.  915  cum  carni  carnarium ; 
dagegen  ist  Bacch.  950  mendicäns  paene  interit  nur  Conjectur.  Bei 
Terenz  finden  sich  abgesehen  von  jenen  Härten,  wie  Ph.  246  praeter 
spem.  Hec.  207  inter  nos.  Andr.  202  ipsäm  rem,  die  Ausnahmen  Ad.  174 
innuerdm.  279  Quamvis  etiäm  maneo.  Hec.  574  Ipse  eripuit  vi.  198  pro 
deum  atque  hominüm  fidem;  nur  Conjectur  ist  Ad.  262  Qui  ignominids 
sibi.  Im  6.  Fusse  ist  bei  Terenz  beglaubigt  Eun.  570  summonuit  me 
Parmeno.  Andr.  490  facto  esset  puerperae.  496  nüm  veritus?  quid  re- 
tulit.  Hec.  320  üxorem  Philumenam;  unsicher  ist  Heaut.  982  neque  me 
consiliö  quicquam  adiuvas  und  226  ignäram  artis  meretriciae. 

Dagegen  werden  in  dieser  zweiten  Sorte  der  Septenare  und  Octonare 
die  Verhältnisse  des  3.,  4.  und  5.  Fusses  wesentlich  verändert.  Im  4. 
und  5.  Fusse  tritt  dann  überhaupt  kein  betonter  Wortschluss  ein.  Der 
3.  Fuss  ist  nicht  mehr  der  vorletzte  der  Reihe;  so  fällt  der  Grund  hin- 
weg, welcher  im  Dimeter  an  dieser  Stelle  reinen,  jambischen  Wortschluss 


75 

verbot.  Darum  steht  in  den  zahlreichen  Octonaren  dieser  Sorte  nicht 
selten  jambischer  Wortschluss  im  3.  Fusse,  so  Capt.  521  und  522  Nee 
sycophantiis  nee  fucis.  Neque  deprecätiö  perfidiis.  Unreiner  Wortschluss 
im  3.  Fusse  dieser  Septenare  und  Octonare  ist  nicht  regelwidrig,  wie  in 
Amph.  194  Regique  Thebanö  Creoni.  Rud.  318-  Tortis  superci^es  con- 
traeta.  Hec.  250  Nunc  video  in  ülarum  potestate.  Eun.  1035  Inventor 
meeptör  perfector.  Eun.  379  Quo  trüdis?  iperculeris  iam  tu  me,  allein 
ziemlich  selten,  besonders  bei  Terenz.  Der  Grund  dieser  Erscheinung  ist 
mir  noch  nicht  klar.  Vielleicht  liegt  er  in  einer  zweiten  Caesur;  die 
lange  Reihe  von  41  2  Füssen  findet  sich  nicht  immer,  aber  sehr  oft  durch 
eine  zweite  Caesur  vor  der  3.  Hebung  gegliedert. 

Während  Ritschi  den  Bau  des  jambischen  Octonars  für  unregel- 
mässig erklärte,  erhellt  aus  diesen  Darlegungen,  dass  der  Bau  des  jam- 
bischen Septenars  und  Octonars  sich  in  gleicher  Weise  den  Gesetzen  der 
altlateinischen  Dipodien-  und  Caesurenbildung  fügt. 

Die  Caesuren  des  trochäischen  Septenars. 

Im  trochäischen  Septenar,  welchen  Plautus  sehr  gern,  Terenz  minder 
gern  anwendet  (Plautus  hat  8700,  Terenz  etwa  1200),  tritt  die  Eigenart 
der  Römer  zunächst  in  den  Caesuren  klar  hervor.  Die  griechischen 
Tragiker  theilen  die  Langzeile  stets  nach  dem  vierten  Trochäus:  a>  ßa&v'Qü)- 
vwv  ävaana  |  lltyoidwv  imeyraT?].  Dieselbe  Theilung  haben  die  griechi- 
schen und  lateinischen  Lustspieldichter,  aber  nicht  immer,  sondern  nur 
meistens.  In  den  Fällen  nun,  wo  nicht  jene  regelmässige  Theilung  ein- 
tritt, zeigt  sich  bei  den  Griechen  völlige  Freiheit,  bei  den  Lateinern 
ein  strenges  Gesetz.  Von  den  155  trochäischen  Septenaren  in  den  Vögeln 
des  Aristophanes,  welche  ich  zum  Beispiel  wähle,  sind  120  nach  dem 
4.  Trochäus  getheilt,  35  nicht.  In  diesen  35  Zeilen  finden  sich  nun  alle 
möglichen  Verbindungen  der  Silben  des  4.  und  5.  Fusses;  nemlich  273 
ßaßal  xa  |  log  ye.  1115  wg  v  |  juwv  ug.  282  aXV  ov  I  rog  juiv.  1079 
anivovg  nio  |  Itl  xctiP.  279  xareilrj  \  (patg  %ig.  297  ixeivoo  \  i  JV.  361 
77(>ofj  |  (h>v  laßwv.  294  oQqg  o  |  aov  ivvti'kr/.rai.  1071  fti)iihQq  fia  \  Xiai> 
mavayoysvfTai.  374  XQ1!**1  \  !ilov  foÖß&WV'  367  u)  nav  \  twv  zaxiöra. 
307  vwv  ot  |  fioi  xeyjivaaiv.  1076  änoxzei  |  /'//  jaka.vim'.  291  r\  lo  \  (pw- 
üig.     306    xai    r{)t  \  %ovot.      794    tF^    yv  |  vaücog.      372    (h€(/   r\  |  zovoiv. 

10* 


76 

799  el&  %nn  \  aq/og.  785  ov&  r{  \  dtov.  1117  xolg  hg  \  vtai.  791  ig 
&ui  |  uariov.  355  ywyw  dva  |  rr\vag.  383  %alav  u  |  gaaiv.  1080  xiylag 
fiel  |  y.vvai.  1101  ßovlo  \  juso&a.  1113  7i^r\yo  |  p«h'a£.  788  /](>/  |  öttjosv. 
798  tilt*  |  ra?«.  1086  r7f/A?y  |  (p&evreg.  1108  *«*Ä/  |  rpovöi.  1114  /«A- 
^£i;  |  «a^*.  286  TiQonexru  |  lovoir.  1106  smkei  |  ipovai.  299  nrjyeXotp 
i  |  xfivtjl  (Tf.  1110  olxiag  i  |  Q&ffOfiev.  Alle  denkbaren  Combinationen 
finden  sich  hier:  die  Hebung  des  5.  Trochäus  bildet  bald  den  Schluss 
eines  zwei-  oder  mehrsilbigen  Wortes,  bald  folgen  ihr  noch  eine,  seltener 
natürlich,  weil  dann  mindestens  viersilbige  Wörter  nöthig  sind,  zwei  oder 
mehr  zu  demselben  Worte  gehörige  Silben.1) 

Welche  Caesur  die  altlateinischen  Dichter  im  trochäischen  Septenar 
beobachtet  haben,  darüber  handelt  am  ausführlichsten  Ritschi  (Proleg.  274): 
1)  legitima  caesura  post  quartum  trochaeum,  2)  vicaria  post  quartam  arsim, 
cui  plerumque  accedit  post  quintani  thesim  caesura  podica  rüt  rein  patriam 
et  glöriam  maiorum  foedarim  meum\  3)  post  quintam  arsim,  adventiciam 
plerumque  habens  podicam  caesuram  post  tertiam  arsim.  Diese  3.  Art, 
zu  deren  Annahme  Ritschi  durch  den  Vers  Trin.  604  cQuoi  homini  de- 
spöndit.  Lysiteli  Philtonis  filio'  verführt  wurde,  beruht  nur  auf  einem 
Irrthum  Ritschis,  den  er  selbst  schon  anzudeuten  scheint  in  der  Note 
zum  Trin.  661  (2.  Ausg.)  cnon  satis  recte  de  hoc  genere  universo  statui 
Proleg.    149.   247.   275'. 

Die  zweite  der  oben  genannten  Caesuren,  die  nach  der  4.  Hebung, 
ist  wohl  angenommen  worden,  indem  man  Reisigs  Irrthum  bei  den  La- 
teinern nachahmte.  Diese  Caesur  wird  von  den  Metrikern  allgemein 
anerkannt:  allein  auch  diese  Caesur  existirt  nicht.  Eine  Caesur  besteht 
doch  nicht  blos  darin,  dass  an  der  betreffenden  Stelle  ein  Wort  aufhört, 
sondern  sie  erfordert  auch  eine  bestimmte  Bildung  der  vorangehenden 
Silben.  Die  Gesetze  für  diese  Bildung  der  Caesur  sind  nicht  die  nem- 
lichen,    aber    ähnliche,    wie    für    die    Bildung    des    Zeilenschlusses.      Bei 


1)  Ich  habe  die  Stellen  ausgeschrieben,  da  man  auch  hier  wiederum  bei  den  griechischen 
Komikern  Gesetzmässigkeit  finden  wollte.  Reisig  (Coniect.  in  Aristophanem  1816  p.  127)  und 
Andere  nach  ihm  wollten  neben  der  regelmässigen  Caesur  nach  der  4.  Senkung  noch  die  Caesur 
nach  der  4.  Hebung  als  regelmässige  nachweisen;  allein  die  Fülle  der  übrigen  Ausnahmen  (die 
natürlich  in  vielsilbige  Wörter  fallen)  beweist,  dass,  wenn  einmal  die  gewöhnliche  Caesur  nach 
der  4.  Senkung  aufgegeben  war,  überhaupt  keine  Regel  mehr  galt. 


77 

trochäischer  Caesur  ist  gestattet,  dass  die  letzte  Senkung  eine  Länge  sei, 
dass  die  vorangehende  Hebung  aufgelöst  werde,  auch  dass  verschieden- 
artige Elision  vor  oder  nach  der  Senkung  vorkomme;  gemieden  ist, 
wie  oben  (S.  50)  bemerkt,  der  Fall,  dass  die  Senkung  ein  einzelnes  ein- 
silbiges Wort  und  die  vorangehende  Hebung  Schlusssilbe  eines  längeren 
Wortes  sei;  verboten  aber  ist,  dass  die  Senkung  durch  zwei  Kürzen  ge- 
bildet werde.  Strenger  ist  die  jambische  Caesur  gebaut.  In  den  jambi- 
schen Septenaren  und  Octonaren  darf  die  4.  Hebung  durch  ein  einzelnes 
einsilbiges  Wort,  auch  mit  vorangehender  oder  folgender  Elision  gebildet 
werden,  sie  darf  sogar,  wie  der  Zeilenschluss,  durch  eine  kurze  Silbe 
mit  folgendem  Hiatus  ausgedrückt  werden.  Allein  weder  darf  die 
4.  Senkung  durch  zwei  Kürzen  oder  eine  Länge,  noch  darf  die  4.  Hebung 
durch  zwei  Kürzen  gebildet  werden.1) 

Unten  habe  ich  die  sämmtlichen  Verse  zusammengestellt,  in  welchen 
die  4.  Senkung  und  5.  Hebung  sicher  ein  Wort  bildet,  also  nicht  die 
regelmässige  Caesur  nach  der  4.  Senkung  stattfindet.  Von  diesen  haben 
allerdings  weitaus  die  meisten  nach  der  4.  Hebung  Wortende  (aus  einem 
nachher  darzulegenden  Grunde),  also  scheinbar  die  oft  angenommene 
Caesur.  Wenn  nun  die  4.  Hebung  Wortende  bildet,  so  muss  dieses  nach 
dem  Dipodiengesetze  jambisch  sein,  z.  B.  Trin.  364  Eö  non  multa  quäe 
nevolt  eveniunt,  nisi  fictör  malust.  Wenn  dagegen  die  4.  Hebung  durch 
ein  selbständiges  Wort  gebildet  wird,  dann  ist  sehr  oft  die  3.  Senkung 
durch  eine  Länge  gefüllt  oder  die  4.  Hebung  aufgelöst,  z.  B.  Trin.  1148 
conmentfws£.  Quin  conlaüdo.  Trin.  853  condüxit,  übi  condüxit.  Aul.  644 
fiet  nisi  fatere:  im  ersteren  Fall  kann  also  von  einer  jambischen,  im 
letzteren  kann  überhaupt  von  irgend  einer  Caesur  nach  der  4.  Hebung 
nicht  die  Rede  sein.  Da  aber  die  Zahl  solcher  Verse  sehr  gross  ist,  so 
ergibt  sich,  dass  in  den  trochäischen  Septenaren  eine  regelmässige  Neben- 
cäsur  nach  der  4.  Hebung  sich  nicht  nachweisen  lässt. 

Damit  ein  sicheres  Urtheil  möglich  wird,  stelle  ich  hier  die  sichern 
Fälle  zusammen,  in  welchen  bei  Plautus  und  Terenz  die  4.  Senkung  mit 


1)  Auch  vor  der  jambischen  Caesur  der  kretischen  und  bacchischen  Totrameter  (vgl.  später) 
darf  weder   die  Hebung   aufgelöst   noch  die  Senkung   durch  eine  Länge  oder  zwei  Kürzen  gefüllt 

werden. 


78 

der  5.  Hebung  ein  Wort  bildet  und  der  4.  Senkung  nicht  Elision  voran- 
geht, also  die  sämmtlichen  Fälle,  in  denen  die  regelmässige  Caesur  nach 
der  4.  Senkung  sicher  nicht  eingehalten  ist.  Dieselben  sind  bei  Plautus: 
Amph.  267  möresque  hüius  habere.  286  veni  huc  invenies.  297 
est:  nunc  propterea.  338  eri  perierunt.  616  mirä.  sed  vidistin.  655 
aino:  praesertim.  860  Naucrate  id  cognato  (cognato  id  codd.).  962  iam 
vos  redistis.  971  potest  parata.  (513  lectus  übi  cubüisti?)  Dann  356 
horunc  servüs  sum  (sum  servus  die  Ausgaben);  ferner  269  suo  sibi 
niahtia  a.  605  nescioquid  est  mali  mala  öbiectum.  707  salutare.  In- 
vitabis.  973  diligentem  ut.  1117  nimis  formidolosum.  Asin.  145 
fame  mansuetem.  233  perii:  est  relicuom.  255  vetus  versutum.  372 
imitabor  Sauream  caveto  (Sauream  imitabör  cav.  codd.)  378  scio  patiere. 
Aulul.    589    sententia    servire.     644  fiet,    nisi    fatere.  180    magister 

quem  dividere  argentum.  Bacch.  461   interest  aetatis.         Capt.   306 

insueram  nunc  alterius.  326  lucrum  lutulentos.  962  nam  in  rubörem. 
1032  suppositio  nee  argenti.  343  iusseris  mandata  ita  üt.  804  dorm 
prohibete  a.  316  filium  tuum,  tarn  pater  me.  580  ipse  neque  praeter 
se  umquam  ei.  (1007  Attat  sciö,  cur  te  patrem  ädsimules  esse  et  nie 
filium,    esse    ädsimules  Bentley).         Cas.    295    sortiendo   sörs.  Cure. 

342  novisse.  Quid?  lenonem.  (554  aegrota,  si  lubet,  per  nie  aetatem). 
604  soleo:  nam  propter  eas.  (537  non  edepol  nunc  ego  te  medioeri 
macto  infortünio  codd.,  n.  ed.  ego  nunc  med.  mäcto  te  inf.  edd.)  E  p  i  d. 
69  iussit.  eö  venturust.  239  exaudibam  nee  sermönis.  618  Quippe  ego 
quoi  libertas.     (626?)  673  llle  quidem  Volcani   irätist   filius.    (546?). 

Menaechmi  641  potes  celare.  825  Menaechme,  sätis  iocatus.  (827?) 
1086  lgitur  hüc  concede.  Merc.  216  dicebam,  mihi  credebat.  923 
patri    vehementer.  619    carnufex    quandoquidem    oeeepisti.  Miles 

208  incoctum  non  expromet.  604  resciverint  inimici.  (783  facetiarum 
<cör>  corpusque).     986  illiust,    quae  hinc  egreditur.  (193  confirmitä- 

tem).  223  Interclude  inimicis  commeätum,  tibi  muni  viam  codd..  (int. 
cömmeatum  inimicis  Ritschi).  966  Nüpta  et  vidua  esse  eadem.  Quia 
adulescens  nuptast  cum  sene.  Most.  306  gaudeant  perpetuo.  310 
sodalis,  qui  hüc  incedit.  376  exsurge:  päter  advenit.  830  quidem  ut 
conivent.  831  quidque  mägis  contemplor.  984  Herculi  conterere. 
812  inridere  ne  videare  et  gestire.  Persa  656    libera    eris   aetütum. 


79 

Poen.   856  male  mihi  est.     Memoradum.  888  Giddenemem  nutncem 

eärum    (cod.  A).  496    amanti,    qui    quicquid    agit    properat.  545 

respondere.  Rud.  423  illud  quidem  subäquilum.  646  aüdeat  violare. 
1049  sistam:  ne  timete.  574  da  mihi  vestimenti  äliquid.  660  pedi- 
bus  hüc  itidem  quasi  öccisäm.      1119   dicere,    eäm  senex,  te.  1103  si 

parum  intellexti.  Stichus  568  in  pyelum:  ibi  fovebo.  759  proinde 
ut  consuetus.  Trin.  364  nevolt  eveniunt.  370  prohibeas  accipere.  656 
glbriam  maiorum.  853  condüxit,  übi  conduxit.  1147  Megarönides  con- 
miinis.  1148  conmentust.  Quin  conlaudo.  (675  facis  incendio  mcen- 
des).  845  Seleücia  Macedonia  Asia.  646  honorem:  tii  fecisti  ut.  338 
mälitiäst  tolerare  ei  egestatem.  1049  quippe  eorum  ex  ingenio  ingenium. 
1145  posset  intellegere. 

Hiezu  kommen  bei  Plautus  die  scherzhaften  Verse  Capt.  285  Quid 
erat  ei  nomen.  Thensaürochrysonicochrysides  und  633  Füitne  huic  pater 
Thensaürochrysonicochrysides.  Dazu  Amph.  344  Ain  vero.  Aio  enim 
vero.  Verbero.  Mentiris  nunciain  liain  fehlt  in  den  codd.).  Trin.  604 
Quoi  homini  despondit.     Lysiteli  Philtonis  filio. 

Bei  Terenz  findet  in  folgenden  Versen  sicher  die  Caesur  nicht  nach 
der  4.   Senkung  statt: 

Andr.  358  vidisse  mihi  molestum.  364  neminem  matronam.  377 
iniüriüs  videatur.  896  fateor  si  id  peccarest.  907  insolens.  Evenit. 
326  nunc  te  per  amicitiam  et.  Eun.  1061  salvete  tu  fortasse.  1068 
aüdiamus.      Tu    concede.  704    virghuMn    \iti;it;un    esse.  Age.    762 

prospicere   quam    hünc    ulcisci    accepta.  Heaut.    599    meretrix.      Ita 

videtur.  883    Chremes    cessare.     Ehern  (Em?),   Menedeme.     961    feci, 

tibi  prospexi  et.  963  habere  neque  consulere  in.  1041  falläcias  addiicere 
ante.  Phormio  199  IIuius  patrem  vidisse.  535  quod  hie  si  pote 
fuisset.  551  «isportabitür  terrarum.  863  pallio:  resupmat.  1037  prius 
quam  huic  respöndes.  1045  videro:  eius  iudicio.  881  missüs  sum  te 
üt  requirerem  ätque.  1038  triginta  per  fallaciam  ab  illoc.  559  red- 
dam.     O    lepidum.     Aufer    te    hinc.  1042    quo  öre   illum    obiurgäbis. 

Hecyra  220  mirum,  et  ni  id  fecisset.  370  lllis  fors  optülerat.  379 
miseritümst.  profecto  hoc.  234  detrimenti.  Adelph.  627  credant: 
tot  coneürrunt.  972   Credo :  utinam  hoc  perpetuom.        591   sorbilans  pau- 


80 

lätim  hunc.  633  ubi  pultäre  hasce  öccipio.  967  psaltria  hac  emunda 
hie.  983  optume.    ()  pater  mi. 

Dazu  kommen:  Phorm.  327  Quöd  me  censes  hömines  iam  dever- 
berässe  usque  ad  necem  und  Ad.  700  Quid?  iam  uxorem.  Jam.  Jam? 
Jäm  quantum  potest  (potes  codd.).     Di  nie  pater. 

Diese  Zusammenstellung  spricht  selbst:  in  87  Versen  des  Plautus 
und  33  Versen  des  Terenz  findet  sich  keine  Caesur  nach  der  4.,  aber 
eine  feste  Caesur  nach  der  fünften  Senkung.  Diese  Caesur  ist  regelmässig 
gebildet,  indem  die  Senkung  niemals  durch  2  Kürzen  und  nur  sehr 
selten  durch  betonten  Wortschluss  mit  einem  einsilbigen  Wort  gebildet 
ist  (pater  mi.  senex  te  etc.  Amph.  605.  Capt.  316.  Cure.  554?  537? 
Rud.  1119.  Adelph.  983;  servus  sum  Amph.  356.  aufer  te  hinc  Phorm. 
559.  praeter  se  Capt.  580.  Capt.  1007?  itidem  quasi  öcc.  Rud.  660; 
propter  eas  Cure.  604.  quidquid  agit  Poen.  496);  am  Ende  des  fünften 
Fusses  findet  ziemlich  oft  Elision  statt,  allein  selten  harte  (Epid.  673 
Volcäni  iratist  filius;  Aul.  180.  Merc.  619;  Poen.  888;  Trin.  338?  1049. 
Eun.  762).  Ohne  Caesur  nach  der  4.  oder  5.  Senkung  wären  also  bei 
Plautus  4,  bei  Terenz  2  Verse.  Von  den  4  Versen  des  Plautus  sind 
Capt.  285  und  633  durch  das  scherzhaft  gebildete  überlange  Wort  völlig, 
Trin.  604  durch  die  beiden  Eigennamen  einigermassen  entschuldigt.  Die 
eine,  nicht  zu  entschuldigende  Ausnahme  Amph.  344  ist  unsicher;  wenn  die 
Ergänzung  des  Schlusses  richtig  ist,  dann  lässt  sich  vielleicht  durch 
Einschiebung  von  o  helfen:  Verbero.  (py  mentiris  nunc  ^iam^).1)  Die  bei- 
den Ausnahmen  bei  Terenz  scheinen  unanfechtbar. 

In  weitaus  den  meisten  der  oben  gesammelten  Stellen  tritt  nach 
der  4.  Hebung  Wortende  ein,  dem  ein  drei-  oder  mehrsilbiges  Wort 
folgt,  wie  habere,  invenies,  perierunt.  Das  ist  natürlich,  denn  wenn  auch 
noch  die  4.  Hebung  oder  gar  die  3.  Senkung  in  das  eine  Wort  fallen 
sollten,  mussten  sehr  lange  Wörter  stehen.  Diese  sind  aber  selten,  darum 
auch  jene  Fälle:  Amph.  707  mritäbis;  ähnlich  973;  Cas.  295.  Poen.  545. 
Rud.    1103.    Trin.    1145.     Amph.    1117    formidolosum.  Phorm.    1042 

obiurgäbis.     Hec.  234  detrimenti. 


1)  Trin.  329    'De  meo,    nam  quod  tuümst  meümst;   orane   meum   autem    tuumst'   ist   schon 
durch  die  Elision  in  'meum  est'  entschuldigt. 


Für  Plautus  und  Terenz  ergibt  sich  also  aus  den  obigen  Versen 
die  Regel:  der  trochäische  Septenar  hat  in  der  Regel  Caesur  nach  der 
vierten  Senkung;  wird  diese  Caesur  nicht  eingehalten,  was  aber  sehr 
viel  seltener  geschieht  als  bei  den  griechischen  Komikern,  so  tritt  nicht 
wie  bei  jenen  völlige  Freiheit  oder  Willkür  ein,  sondern  dann  ist  bei 
den  altlateinischen  Dichtern  nur  eine  andere  Caesur,  nach  der  fünften 
Senkung,  gesetzmässig. 

Die  Elision  in  der  Caesur  bedarf  auch  hier  besonderer  Be- 
handlung. Wie  in  den  Senaren,  so  sind  auch  in  den  trochäischen  Sep- 
tenaren  Caesurschlüsse,  wie  fortunam  hanc  oder  fortunae  hnperät,  nicht 
selten.  Dagegen  die  genauere  Untersuchung  der  Schlüsse,  wie  expectatum 
amicae,  in  denen  nur  durch  Annahme  der  harten  Elision  (vgl.  S.  23  u.  61) 
die  regelmässige  Caesur  gewahrt  würde,  ergibt  auffallende  Resultate.1)  Ich 
notirte  in  Plautus  etwa  204,  in  Terenz  61  trochäische  Septenare,  deren 
4.  Senkung  durch  einen  Schlussvokal  und  einen  anlautenden  Vokal  ge- 
bildet wird.  Bei  Plautus  bildet  dann  in  13  Fällen  die  5.  Senkung  und  6. 
Hebung  ein  Wort,  wie  in  Aul.  642  intemperiae  insäniaeque  (Amph.  [319]. 
Capt.  491.  Cist.  I,  1,  88.  Cure.  556.  Epid.  551.  Mil.  440.  [1208].  1359. 
Pseud.  1312.  Stich.  76.  Trin.  367)  und  in  dem  sehr  harten  Verse  Cist.  II, 
1,  41  iamdudum  omnern  meani  sententiam;  bei  Terenz  in  7  Fällen 
(Ht.  955.  Hec.  401.  407.  763.  Ad.  684.  705  und  Eun.  1092  quin  nie  om- 
nes  amärent.2)  In  diesen  Fällen  wuss  die  regelmässige  Caesur  nach  der 
4.  Senkung  mit  harter  Elision  angenommen  werden.  In  etwa  1  8  Versen 
des  Plautus  und  5  des  Terenz  (auch  Andr.  820)  hat  man  die  Wahl  harte 
Elision  nach  der  4.  oder  nach  der  5.  Senkung  anzunehmen,  wie  z.  B. 
Aul.  588  molestiaeque  imperium  erile;  Mil.  1360  Jäm  non  posssum : 
amisi  omnem  lubidinem ;  in  diesen  Fällen  wird  man  eher  die  gewöhnliche 
als  die  ungewöhnliche  Caesur  mit  harter  Elision  annehmen.  In  den 
übrigen    173  Versen    des    Plautus    und    49    des    Terenz    tritt    nach    der 


1)  Ritschi  Proleg.  p.  274  bemerkt  hierüber  'Non  in  nunierum  (septenariorum  caesuram  post 
quartam  arsini  habentium)  ea  exempla  veniunt.  cum  in  quarta  thesi  desinens  vocabulnm  elisione 
ultimam  syllabani  aniittit,  quae  si  non  elideretur,  nihil  ad  legitimae  caesurae  elegantiam  deesset. 
Er  nimmt  also  stets  Caesur  nach  der  4.  Senkung  an. 

2)  Trin.  982  (.'harniideni  dedisse  aurum  tibi.  Scriptum  quidem  scheint  einfacher  mit  lliatn-, 
vor   aurum'  erklärt  werden  zu  können:  dedisse  |  aurum  tibi. 

Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  I.  Abth.  1 1 


82 

5.  Senkung  entweder  glattes  Wortende  oder  eine  der  gewöhnlichen  Eli- 
sionen ein,  und  zwar  steht  glattes  Wortende  in  125  Versen  des  Plautus 
und  32  des  Terenz  z.  B.  futurum  accingar.  servitutem  imperiis,  didici. 
Indoctus.  Dazu  gehören  die  5  Verse  des  Plautus  Amph.  328  iumentuni 
önerandus,  As.  893.  Capt.  827.  Merc.  978.  Stich.  550.  In  folgenden  zwölf 
Versen  des  Plautus  und  Terenz,  deren  5.  Senkung  durch  ein  einsilbiges 
Wort  nach  betontem  Wortschluss  gebildet  ist.  cAmph.  303  factum  heri 
quod.  As.  900  cupio.  Amat  homo  hie.  Rud.  752  ergo  uter  sit.  Truc. 
300  perire  apud  nos  (cod.  A).  Adelph.  681  promerentem  ames  dum. 
Mil.  1334  capita  inter  se;  1433  amplexari  inter  se.  Stich.  727  amare 
inter  se.  Trin.  699  adfinitatem  inter  nos.  Amph.  44  7  certe  idem  sum. 
(Cist.  II,  2,  31  düxero  mihi  umquam  quam?).  Phorm.  559  lepidum. 
Aufer  te  hinc,J  kann  man  schwanken,  ob  man  Caesur  nach  der  4.  Senk- 
ung mit  harter  Elision  oder  Caesur  nach  der  5.  Senkung  mit  harter 
Bildung  des  Caesurschlusses  annehmen  soll.  In  den  übrigen  37  Versen 
des  Plautus  und  16  des  Terenz  fällt  die  5.  Senkung  in  Elision  und  zwar 
in  28  bei  Plautus  und  7  bei  Terenz  nach  Art  von  redibo  actutum  i<i 
und  in  9  Fällen  bei  Plautus  und  9  bei  Terenz  nach  Art  von  lavi.  Ac- 
cübuisti.    Eüge. 

Von  den  204  Versen  des  Plautus  und  Terenz  haben  also  13  und  7 
entschieden  Caesur  nach  der  4.  Senkung  mit  harter  Elision,  29  und  6 
entweder  nach  der  4.  oder  5.  Senkung  entweder  mit  harter  Elision  oder 
harter  Bildung  des  Caesurschlusses.  die  übrigen  162  und  48  haben  ent- 
weder Caesur  nach  der  4.  Senkung  mit  harter  Elision  oder  die  regelmässig 
gebildete  Caesur  nach  der  5.  Senkung.  Wenn  man  nun  bedenkt,  wie  oft 
sonst  die  5.  Senkung  durch  ein  zweisilbiges  Wort  gebildet  ist  und  wie 
viel  öfter  die  5.  Senkung  und  6.  Hebung  in  einem  Worte  stehen  z.  B. 
in  den  wenigen  Zeilen  Amph.  275  —  280  5  Mal:  275  neque  vergiliae, 
277  gere  patn,  278  das  datam,  279  me  vidisse,  280  quam  pependi,  so 
wird  man  zugeben,  dass  diese  merkwürdige  Ueberzahl  der  Verse,  in 
welchen  nach  der  5.  Senkung  Caesur  eintritt,  einen  Grund  haben  muss. 
Derselbe  kann  nur  sein,  dass  die  altlateinischeii  Dichter  die  harte  Elision 
sehr  mieden  und  dass  in  jenen  162  Versen  des  Plautus  und  48  des 
Terenz  nicht  die  mit  harter  Elision  verbundene  Caesur  nach  der  vierten 
Senkung,    sondern    einzig    und    allein    die    regelrechte    Caesur    nach    der 


83 

5.  Senkung  anzunehmen  ist.  Das  Ergebniss  dieser  Untersuchung  ist  dem- 
nach, dass  die  altlateinischen  Dichter  auch  in  dem  trochäischen  Septenar 
die  harte  Elision  nur  selten  angewendet  haben.1) 

Bildung  der  Caesur  im  trochäischen  Septenar. 

Ueber  die  Bildung  der  trochäischen  Caesur  nach  der  5.  Senkung 
ist  schon  im  vorigen  Abschnitte  bemerkt,  dass  dieselbe  nur  selten  durch 
ein  einzelnes  einsilbiges  Wort  mit  vorhergehendem  betonten  Wortschluss 
gebildet  wird.  Auch  bei  der  gewöhnlichen  Caesur  nach  der  4.  Senkung 
ist  fast  nur  der  Fall  zu  untersuchen,  dass  die  4.  Hebung  betonten  Wort- 
schluss bildet  (hier  des  Dipodiengesetzes  halber  rein  jambischen)  und  die 

4.  Senkung  durch  ein  einzelnes  Wort  gebildet  wird.  Dieses  einzelne 
Wort  besteht  nur  selten  aus  zwei  Kürzen:  in  den  ungefähr  1400  Versen 
des  Stichtag,  Mercator  und  Trinummus  zählte  ich  (die  Verse  mit  mihi 
und    neque    nicht    gerechnet)    etwa    19    Fälle.      In     13    tritt    nach    der 

5.  Senkung  Caesur  ein:  Stich.  547  filiam  bene  quicum,  612  foras.  Apud 
fratrem;  Merc.  202  est  tibi  credere  id,  456  rogo.  Prius  tu  emis  quam, 
917  est.  Cur.  Quia  non  est.  Trin.  (316  aegritudinem,  pater,  parerem), 
366  expetit:  sed  hie  admodum  adol.,  715  es  bene  quo  agis.  Stich.  74 
novi  ego  nostros.  \)'.\  sedete:  ego  sedero  in.  337  tenere.  Ita  celeri.  Merc. 
984  aetatem  aliani  aliud;  Trin.  1061  inperes.  Pol  ego  emi  atque.  In 
diesen  Versen  ist  die  Caesur  nach  der  5.  Senkung  gewollt,  Schwierig 
sind  die  Fälle,  in  denen  die  4.  Senkung  durch  ein  Wort  von  zwei  Kürzen 
gebildet  ist,  aber  die  Caesur  nach  der  5.  Senkung  nicht  sich  findet.  In 
jenen  1400  trochäischen  Septenaren  fand  ich  folgende:  Merc.  368  istüc 
quid  est  tibi  quod  commütatüst  color.  999  eventurum  üt  tibi  gratiäm; 
Trin.  630  facis.  Quid  id  est.  Amico,  888  alterum  quasi  vcsculuni;  dann 
Stich.  89  advorsum  homini  öecupemus,  760  cantionem  aliquam  oeeipito. 
In  den  ersten  vier  Fällen  bleibt  nur  die  Annahme  übrig,  dass  die  Caesur 
nach  den  zwei  Kürzen  der  4.  Senkung  falle  (vgl.  S.  63  Note). 

Viel  häufiger  ist  die  4.  Senkung  durch  ein  einzelnes  einsübif/es  Wort 


1)  Von  den  50  trochäischen  Septenaren  des  Publilius  sind  5  unsicher  (A  33.  F  30.  N  16. 
0  13.  15.),  37  haben  Caesur  nach  der  4..  8  nach  der  5.  Senkung  (in  torme'nto  H  9 ;  vgl.  Q  53. 
S  23.  H  10.  M  6*2.  V  34;  eönvemre  1)  28  und  das  unsichere  ciistodire  M  18). 

11* 


84 

gebildet.  Dann  tritt  in  der  bedeutenden  Mehrzahl  der  Fälle  die  richtig 
gebildete  Caesur  nach  der  5.  Senkung  ein,  so  Trin.  321  poenitet  quam 
pröbus  sit,  956  Calliclem  quoi  rem  aibat  (vgl.  322.  700,  708.  861.  913. 
929.  1039.  1057.  1062.  1083.  1141.  1143.  1162).  Caesur  nach  der 
5.  Senkung  ist  nicht  möglich  in  Trin.  333  quid  igitur.  Per  cömitatem 
(vgl.  661  simul  me  piget  parüm.  703  proterritum  te  meäque  avar.), 
unwahrscheinlich  in  1017  non  pudet  te?  tribusne  te  poteriis  oder  1064 
obnöxius  sum:  sin  secus  est.  Unter  den  1000  trochäischen  Septenaren 
des  Amphitruo  und  der  Asinaria  finden  sich  etwas  mehr  Verse,  in  denen 
vor  der  Caesur  ein  einzelnes  einsilbiges  Wort  steht:  Amph.  294  denuo 
volt  pälliüm,  308  expedit  se  nön  feret,  366  malo  tuo  cönpositis,  393 
licet  mihi  libere,  630  diligens  ut  qui  imperes,  765  obsecro  te.  Nimis 
demiror;  (vgl.  592.  751.)  Asin.  232  abis  quod  völo  loqui,  241  simillumae 
sunt  iänuäe;  (vgl.  529?  208). 

Das  Resultat  dieser  Untersuchungen  ist  also:  die  trochäischen  Sep- 
tenare  haben  die  gesetzmässige  Caesur  entweder  nach  der  4.  oder  nach 
der  5.  Caesur,  die  erstere  gewöhnlich,  die  letztere  selten.  Von  den  fast 
10000  trochäischen  Septenaren  des  Plautus  und  Terenz  haben  nur  etwa 
vier  keine  dieser  beiden  Caesuren.  Diese  trochäische  Caesur  ist  nur  selten 
durch  betonten  Wortschluss  mit  folgendem  einsilbigen  Worte  gebildet. 
Da  die  griechischen  Tragiker  stets  Caesur  nach  der  4.  Senkung,  dagegen 
die  griechischen  Komiker  etwa  in  jedem  5.  Verse  gar  keine  Caesur  be- 
obachten, so  kann  jene  strenge  Kegel  der  altlateinischen  Dichter  nur  auf 
den  Mann  zurückgeführt  werden,  welcher  zuerst  die  trochäischen  Sep- 
tenare  der  Griechen  in  lateinischer  Sprache  nachahmte. 

Betonte  Wortschlüsse  im  trochäischen  Septenar. 

Die  Zulassung  von  jambischen  oder  spondeischen  und  anapästischen 
Wörtern  und  Wortschlüssen  mit  dem  Versaccent  auf  der  Endsilbe  ist 
bestimmt  durch  die  Gesetze  über  die  Dipodien,  über  den  Ort  und  die 
Art  der  Caesur  und  die  Bildung  des  jambischen  Zeilenschlusses.  Die 
hier  zu  behandelnden  Thatsachen  sind  zum  grössten  Theil  zusammen- 
gestellt in  der  Dissertation  Heim*.  Köhlers  (de  verborum  accentus  cum 
numerorum  rationibus  in  trochaicis  septenariis  Plautinis  consociatione, 
Halle  1877,  84  pag.    Vgl.  A.  Lorenz  in  Bursians  Jahresbericht  XIV,  1878, 


85 

S.  13  — 19),  ich  sage  czum  grössten  Theile',  weil  Köhler  die  Wortschlüsse, 
in  denen  der  Wortaccent  ihm  mit  dem  Versaccent  zusammenzufallen 
schien,  also  die  jambischen,  nicht  notirt  hat;  er  gibt  also  z.  B.  an:  wann 
der  Uebergang  vom  3.  zum  4.  Fusse  durch  Wörter  wie  placet  me  ge- 
bildet wird,  aber  nicht  wann  durch  Schlüsse  wie  pöenitet  quam,  pärietem 
sunt.  Die  (von  ihm  vollständig  verzeichneten)  spondeischen  Wörter  und 
Wortschlüsse  einerseits  und  die  anapästischen  anderseits,  die  bei  Köhler 
geschieden  sind,  habe  ich  addirt,  da  sie  für  meine  Untersuchungen  den 
gleichen  Werth  haben. 

Jambische  Wörter  finden  sich  bei  Plautus  im  Uebergange  vom 
1.  zum  2.  Trochäus  770,  2/3  350,  3/4  162,  4/5  18,  5/6  516,  6/7  15; 
spondeische  Wörter  und  Wortschlüsse  im  1/2  Trochäus  390, 
2/3  518,  3/4  22,  4/5  9,  5/6  93,  6/7  2148;  anapästische  Wörter 
und  Wortschlüsse  im  1/2  Trochäus  432,  2/3  260,  3/4  18,  4/5  2. 
5/6   87,  6/7   720. 

Das  altlateinische  Dipodiengesetz  verlangt,  dass  im  Uebergang  vom 
1.  zum  2.  Fusse  der  Dipodie  nur  reiner  jambischer  Wortschluss  stehe, 
also  soll  die  2.,  4.  und  6.  Hebung  nur  die  Schlusssilbe  von  jambischen, 
nicht  spondeischen  oder  anapästischen  Wörtern  und  Wortschlüssen  bilden. 
Dass  dieses  Gesetz  im  Uebergange  vom  1.  zum  2.  Trochäus  prinzipiell 
nicht  beachtet  wird,  ist  schon  oben  (S.  43)  nachgewiesen  und  mit  der 
Freiheit,  welche  der  erste  Fuss  in  allen  Zeilenarten  geniesst,  ausreichend 
entschuldigt.  Dagegen  sind  im  Uebergange  vom  3.  zum  4.  und  vom  5. 
zum  6.  Trochäus  von  Plautus  und  Terentius  die  unreinen  spondeischen 
und  anapästischen  Wortschlüsse  prinzipiell  vermieden.  Der  Grund  für 
die  hie  und  da  vorkommenden  Ausnahmen  ist  oben  (S.  44)  nachgewiesen. 
Da  in  weitaus  den  meisten  Fällen  nach  der  4.  Senkung  Caesur  einge- 
halten ist,  es  aber  gemieden  wird,  in  die  Caesur  ein  einzelnes  einsilbiges 
Wort  und  vor  ihr  betonten  Wortschluss  zu  setzen,  die  4.  Hebung  also 
überhaupt  sehr  viel  seltener  betonten  Wortschluss  bildet,  als  die  6.,  so 
sind  auch  die  Ausnahmen  im  Uebergang  vom  3.  zum  4.  Trochäus  viel 
seltener  *)    als    im  Uebergange    vom   5.  zum   6.     Im  Uebergange    vom   5. 


1)  Köhler  S.  20 — 22,  25,  2'J>  u.  24.  Die  Zahl  der  anajiastis.  h..n  Wortschi üsse  ist  noch  ge- 
ringer als  Köhler  sie  angibt;  denn  in  allen  Fällen,  wie  ;id  alias  res,  findet,  wie  in  pariet^m  sunt, 
nur  jambischer,  nicht  anapästischer  Wortschluss  statt. 


86 

zum  6.  Trochäus  sind,  wie  im  4.  Fusse  des  jambischen  Senars,  unreine 
Wortschlüsse  meistens  nur  dann  zugelassen,  wenn  nach  denselben  ein 
vier-  oder  mehrsilbiges  Wort  den  Zeilenschluss  bildet,  z.  B.  Trin.  648 
virtuti  praepöneres,  1128  consulu?  fideliter.  Wenn  die  4.  Senkung  und 
5.  Hebung  ein  Wort  bilden,  so  bildet  bei  den  Griechen  die  5.  Hebung 
sehr  oft  jambischen,  spondeischen  oder  anapästischen  Wortschluss.  Da 
bei  den  Lateinern  dann  stets  Caesur  nach  der  5.  Senkung  eintritt,  so 
würde  durch  Wortschluss  in  der  5.  Hebung  regelwidrige  Bildung  der 
trochäischen  Caesur  eintreten;  desshalb  bildet  die  5.  Hebung  äusserst 
selten  jambischen,  spondeischen  oder  anapästischen  Wortschluss  (Köhler 
S.  62,   67   und  69). 

Da  der  jambische  Zeilenschluss  nur  äusserst  selten  durch  ein  ein- 
silbiges Wort  gebildet  wird,  so  muss,  wenn  die  vorletzte  Hebung  Wort- 
schluss bildet,  den  letzten  Fuss  ein  jambisches  Wort  einnehmen.  Da 
aber  am  Schlüsse  zwei  gleiche  Wortschlüsse  zu  monoton  klingen,  so  darf 
die   7.  Hebung  nur  unreinen,  nicht  reinen  Wortschluss  bilden  (S.  40). 

Demnach  haben  Plautus  und  Terenz  die  unreinen,  spondeischen  und 
anapästischen,  Wortschlüsse  gemieden  im  Uebergange  vom  3/4,  4/5,  5/6 
Fusse,  unbedenklich  zugelassen  im  Uebergange  von  1/2,  2/3,  6/7  Fusse,  die 
reinen  jambischen  gemieden  im  Uebergange  vom  4/5  und  6/7  Fusse,  un- 
bedenklich zugelassen  im  Uebergange  vom  1/2,  2/3,  3/4  und  5/6  Fusse.1) 

Ueber  einige  lyrische  Zeilenarten  des  Plautus. 

Ich  habe  bis  hierher  nur  die  Gesetze  der  gewöhnlichen  4  Dialog- 
verse untersucht,  da  nur  in  ihnen  eine  besondere  Festhaltung  des  Wort- 
accentes  behauptet  worden  war.  Es  ist  aber  natürlich,  dass  der  Dichter 
die  Mittel,  durch  welche  er  dem  einen  Theil  seiner  Verse  den  nöthigen 
Wohlklang  zu  verleihen  strebt,  in  dem  anderen  Theile  nicht  aufgibt. 
Ein  flüchtiger  Blick  auf  die  gebräuchlicheren  unter  den  übrigen  Zeilen- 
arten wird  zeigen,  dass  Plautus  hier  kein  anderer  ist  als  in  den  Dialog- 


1)  In  den  50  trochäischen  Senaren  des  Publilius  sind  die  jambischen  und  besonders  vor 
jambischem  Zeilenschluss  die  spondeischen  und  anapästischen  Wortschlüsse  häufig,  wie  in  I  24 
In  malis  sperare  bene  nisi  innocens  nemo  solet:  dagegen  findet  sich  ausser  im  Zeilenschluss  nur 
ein  unreiner  Wortschluss :  H  6  Habet  in  adversis  auxilia  quin  in  secundis  cömmodat. 


87 

versen.  Einen  guten  Schritt  zur  reineren  Erkenntniss  in  diesen  sehr 
schwierigen  Dingen  scheint  mir  Andreas  Spengel  in  seinen  Reform- 
vorschlägen zur  Metrik  der  lyrischen  Versarten  bei  Plautus  (Berlin  1882) 
gethan  zu  haben.  Ich  achte  besonders  auf  die  Einhaltung  bestimmter 
Caesuren,  die  Bildung  der  Caesur-  und  der  Zeilenschlüsse,  die  Gliederung 
in  Dipodien  und  die  Verwendung  der  betonten  Wortschlüsse. 

Trochäische  Octonare. 

Es  ist  natürlich,  dass  die  hier  vorkommenden  Trochäen  sich  den 
Gesetzen  der  trochäischen  Septenare  fügen.  Die  von  Spengel  S.  135 — 153 
zusammengestellten,  durch  häufigere  einsilbige  kurze  Senkungen  ge- 
sicherten trochäischen  Octonare  beobachten  jene  Gesetze.  Sie 
haben  fast  alle  Caesur  nach  dem  4.  Trochäus;  der  trochäische  Zeilen- 
schluss  wird  selten  —  seltener  als  in  den  jambischen  Septenaren  —  durch 
ein  einzelnes  einsilbiges  Wort  (dem  dann  rein  jambischer  Wortschluss 
vorangeht)  oder  durch  zwei  einsilbige  Wörter  gebildet.  Ist  die  4.  Senk- 
ung durch  ein  einsilbiges  Wort  gebildet,  so  findet  meistens  nach  der 
5.  Senkung  die  regelmässig  gebildete  Caesur  statt.  Im  Uebergange  vom 
1.  zum  2.  Trochäus  ist  unreiner,  spondeischer  oder  anapästischer  Wort- 
schluss häufig,  wie  im  trochäischen  Septenar;  im  Uebergang  vom  3.  zum 
4.  Trochäus  findet  er  sich  bei  Plautus  und  Terenz  nicht;  ebenso  im 
Uebergang  vom  5.  zum  6.  Trochäus  nur  bei  Terenz  Hec.  289  factae 
essent;  bei  Plautus  findet  er  sich  Capt.  929  ad  portum;  Cas.  V,  1,  5 
novoin  nuptum;  Epid.  77  te  cupio;  (Men.  594  quam  illum  ullum);  Pers. 
202  hoc  puero;  Stich.  276  laetitia.  An  dieser  Stelle,  im  Anfange  der 
3.  Dipodie,  sind  ja  auch  im  trochäischen  Septenar  manchmal  Ausnahmen 
zu  finden.  Von  der  Betonung  zweier  Kürzen  im  Wortschluss,  wie  Cor- 
pora, lässt  Spengel  (S.  154)  5  Fälle  bei  Plautus  zu.  Bei  Terenz  finden 
sich  keine  Beispiele  und  bei  Plautus  scheint  mir  theils  der  trochäische 
Charakter  der  betreffenden  Verse,  theils  die  betreffenden  Stellen  zu  un- 
sicher, als  dass  diese  Betonung  von  zwei  schliessenden  Kürzen,  die  in 
den  jambischen  und  trochäischen  Zeilen  nur  selten  im  1.  Fusse  gestattet 
ist,  gerade  in  den  troch.  Octonaren  des  Plautus  zugelassen  werden  sollte. 

Nun  gibt  es  bei  Plautus  viele  einzelne  Verse  und  einige  Reihen  von 
Versen,    die    keine    durch    eine    einzelne  Kürze    gebildete  Senkung  haben, 


88 

sondern,  so  zu  sagen,  spondeische  Octonare  bilden,  in  denen  oft  die  erste, 
oft  die  zweite  Länge  des  Spondeus  in  zwei  Kürzen  aufgelöst  ist.  Es 
sind  zwar  trochäische  Octonare  ohne  eine  kurze  Senkung  möglich,  wie 
Aul.  V,  1,  13  Ere  divitias  nimias.  Ubinain.  Quädrilibrem,  inquam,  aulam 
aüri  plenam,  allein  dass  mehrere  nacheinander  folgen,  ist  unnatürlich. 
Dann  werden  in  diesen  Versen  häufig  andere  Gesetze  der  übrigen  tro- 
chäischen und  jambischen  Verse  verletzt :  die  beiden  Kürzen  der  Senkung 
oder  die  erste  sind  durch  Wortschluss  gebildet,  wie  in  ömnia  nunc  oder 
mülta  gerünt,  oder  die  beiden  Kürzen  der  Hebung  fallen  in  Wortschluss, 
wie  in  omnia  nunc  oder  die  6.  Hebung  bildet  spondeischen  oder  ana- 
pästischen Wortschluss.  Derartige  spondeische  Octonare  hat  man  vielfach 
ebenfalls  als  trochäische  Octonare  angesehen  und  behauptet,  dass  eben 
für  diese  Zeilenart  viele  Freiheiten  gestattet  gewesen  seien,  die  für  die 
andern  trochäischen  und  jambischen  Zeilenarten  nicht  gestattet  waren.1) 
Diese  Sonderstellung  der  trochäischen  Octonare  ist  an  und  für  sich  un- 
natürlich. Ein  Hauptgrund  gegen  jene  Behauptung  scheint  mir  der  zu 
sein,  dass  in  den  trochäischen  Octonaren  des  Terenz  jene  Unregelmässig- 
keiten sich  so  gut  wie  nicht  finden,  aber  zahlreich  in  jenen  sogenannten 
trochäischen  Octonaren  des  Plautus,  Plautus  aber  im  Versbau  beträcht- 
lich genauer  ist  als  Terenz.  Schon  das  beweist,  dass  jene  Verse  des 
Plautus  keine  trochäischen  Octonare  sind. 

Anapästischer  Dimeter  und  Tetranieter. 

Die  besprochenen  falschen  trochäischen  Octonare  erklären  A.  Spengel 
und  Andere  für  Anapäste.  Wenn  auch  Ritschi  dies  entschieden  verwirft 
(Opusc.  3  S.  145),  so  sind  doch  auch  von  ihm  unzweifelhafte  anapästische 
Reihen  anerkannt  worden;  so  Miles  1011 — 1093  und  Bacch.  1076 — 1103 
Septenare  und  Octonare.  Stich.  18 — 33  Dimeter.  Bei  den  Griechen 
finden  sich  meistens  entweder  Ketten  von  fortlaufenden  Dimetern,  in  der 
Regel  abgeschlossen  durch  einen  Paroemiacus  zu  3*/2  Anapästen,  oder 
Reihen  von  Septenaren,  die  aus  je  einem  Dimeter  und  einem  Paroemiacus 


1)  Ritschi  Opusc.  4,  401  .  .  prosodische  Freiheiten  mit  sehr  grosser  Masshaltung  innerhalb 
des  jambischen  Senars  und  des  trochäischen  auch  des  jambischen  Septenars,  mit  steigender  Frei- 
heit in  allen  Octonaren  zumal  den  anapästischen.     Vgl.  dagegen  oben  S.  75. 


89 

mit  selten  verletzter  Caesur  nach  dem  Dimeter  bestehen.  Der  rythmische 
Bau  dreht  sich  insbesondere  darum ,  in  wie  weit  der  Anapäst  durch 
andere  Füsse  ersetzt  werden  kann.  Erstlich  wird  das  Zusammentreffen 
von  vier  Kürzen  vermieden;  desshalb  finden  sich  Proceleusmatici  gar 
nicht  und  das  Zusammenstossen  von  daktylischem  und  reinem  Anapäst 
(=  www^  )  nur  sehr  selten.  Im  Dimeter  kann  in  jedem  Fusse  ein 
Spondeus  statt  des  Anapästes  stehen;  in  zwei  Kürzen  aufgelöst  findet 
sich  sehr  oft  die  1.  und  3.  Hebung,  fast  nie  die  4.  Die  2.  wird  nicht 
oft  aufgelöst;  fast  stets  so,  dass  auch  die  1.  Hebung  aufgelöst  ist,  wie 
Aesch.  Agam.  62  Ztvg  noXvavoQog  <ui(fi  yvvaixoQ  und  63  nolla  Tiülaiauara 
y.al  yvioßoLQ/i}.  Der  1.  Fuss  des  Paroemiacus  =  dem  5.  des  Septenars 
kann  auch  durch  Spondeus  oder  Daktylus  gefällt  werden.  Der  2.  Fuss 
des  Paroemiacus  wird  durch  den  dritten  bestimmt  Wie  die  Griechen 
den  7.  Fuss  des  jambischen  Septenars,  obwohl  es  der  1.  Fuss  einer  jam- 
bischen Dipodie  ist,  dennoch,  weil  es  eben  der  letzte  vollständige  Fuss 
der  Zeile  ist,  stets  rein  bildeten.  ;ilso  die  7.  Senkung  nicht  durch  1  Länge 
oder  2  Kürzen  ersetzten  und  die  7.  Hebung  nicht  auflösten,  so  hielten 
sie  den  3.  Fuss  des  Paroemiacus  =  dem  7.  Fusse  des  anapästischen 
Septenars  sogar  völlig  rein,  bildeten  also  dessen  Senkung  nur  durch 
2  Kürzen  und  lösten  dessen  Hebung  nicht  auf.  Da  nun  dieser  Fuss  nur 
ein  reiner  Anapäst  sein  darf,  so  darf,  damit  nicht  4  Kürzen  zusammen- 
stossen,  auch  die  Hebung  des  2.  Fusses  des  Paroemiacus  =  der  des 
6.   Fusses  des  Septenars  nicht  aufgelöst  werden. 

In  den  anapästischen  Versen  desPlautus  finden  wir  theils  ähnliche 
Gesetze,  theils  neue.  Es  finden  sich  Paroemiaci,  Dimeter,  Septenare  und  die 
aus  der  Verbindung  von  je  2  Dimetern  entstandenen,  den  Griechen  fremden 
Octonare.  Die  Septenare  und  Octonare  haben  die  regelmässige  Cnesur 
nach  dem  4.  Anapäst;  die  wenigen  Ausnahmen  (Spengel,  Reform  vor- 
schlage S.  325)  haben  die  Caesur  in  oder  nach  der  Senkung  des  5.  Fusses. 
Merkwürdig  ist  der  überlegte  Plan,  der  im  Bau  der  Anapäste  zu  Tage 
tritt.  Die  prosodischen  Regeln  der  Anapäste  sind  von  denen  der  Jamben 
und  Trochäen  weit  verschieden,  wenn  auGh  die  Art  und  die  Grenzen  der 
in  den  Anapästen  gestatteten  Freiheiten  zum  Theil  noch  strittig  sind. 
Gar  nicht  vergleichen  lässt  sich  hiemit  die  unbedeutende  prosodische 
Eigenheit  der  griechischen  Anapäste,  wornach  hier  wie  in  den  Daktylen 
Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  I.  Abth.  12 


90 

lange  Vokale  oder  Diphthonge  vor  Vokalen  verkürzt  werden  können  z.  R. 
yjjvoiov  ovTog,  was  in  Jamben  und  Trochäen  nicht  die  Regel  ist.  (Porson, 
Praef.  Hec.  p.  58.) 

Auch  die  ryihmischen  Regeln  für  den  Bau  der  Anapäste  sind  weit 
verschieden  von  jenen  der  Jamben  und  Trochäen.  Gewöhnlich  findet 
man  den  Unterschied  darin,  dass  jene  strengen  Regeln  über  die  Bildung 
und  über  die  Verbindung  von  Senkung  und  Hebung,  welche  oben  für 
die  Jamben  und  Trochäen  nachgewiesen  sind,  in  den  Anapästen  nicht 
beobachtet  worden  seien.  Es  ist  wahr,  jede  mögliche  Bildung  und  Ver- 
bindung der  Senkung  ist  gestattet,  nicht  nur  die  in  den  Jamben  und 
Trochäen  erlaubte,  wie  Stulti  stolidi  fatui  fungi;  Operäm  date  dum  dum 
facta  itero  est;  Patere  ätque  astä  tibi  ego  hänc  do  operäm;  sondern 
auch  die  dort  verbotene,  wie  Quam  mägis  in  pecfore  meö  foveö;  Aequoni 
esse  puto.  Wenn  die  Hebung  durch  eine  Länge  gebildet  ist,  so  mag  sie 
mit  der  vorausgehenden  und  folgenden  Senkung  sich  verbinden  oder 
nicht,  wie  sie  will;  ist  sie  dagegen  in  zwei  Kürzen  aufgelöst,  so  treten 
bestimmte  Regeln  ein.  Das  von  den  Griechen  gemiedene  Zusammentreffen 
von  vier  Kürzen  ist  bei  Plautus  in  den  anapästischen  Reihen  nicht  ge- 
mieden; es  ist  sowohl  Proceleusmaticus  als  das  Zusammenstossen  von 
daktylischem  und  reinem  Anapäst  gestattet,  so  animüle;  bonum  habe  dni- 
mum  und  nullümst  hoc  stölidius  säxum;  sitis  et  hominem.  Wenn  ferner 
die  zwei  Kürzen  der  Hebung  Wortanfang  oder  Wortmitte  bilden,  oder 
ein  besonderes  zweisilbiges  Wort  oder  zwei  einsilbige  Wörter  einnehmen 
oder  Schluss  und  Anfang  von  zwei  längeren  Wörtern  bilden,  in  all  diesen 
Fällen  kann  durchaus  die  1.,  2.,  3.,  5.,  6.  und  7.  Hebung  der  Dimeter 
und  Octonare,  und  die  1.,  2.,  5.,  6.,  ja  sogar  die  3.  bezw.  7.  Hebung  der 
Paroemiaci  und  Septenare  aufgelöst  werden ;  denn  wie  in  den  jambischen 
Septenaren  die  Bildung  des  7.  Fusses  dieselben  Gesetze  und  Freiheiten 
hat  wie  die  des  2.  und  6.  Fusses  (vgl.  S.  50),  so  auch  in  den  anapästi- 
schen Septenaren.  Also  sind  erlaubt:  Omnia  me  mala  consectantür ;  Ita 
miles  memor&t  weVetricem;  Relicüom  id  auri  factum  quod  ego  ei  stultis- 
sumus  hömo  promisissem;  lila  omnia  sed  more  modesto;  buccones;  ex- 
crucior;  te  missast;  me  faciam;  tuos  digitos  decorat;  exörare  ex  te;  huc 
ad  nos;  sogar  inlicere  huc;  scire  puto  me;  abin  hinc;  ita  sum. 

Dagegen  ist  die  Auflösung  der  Hebung  in  2  Fällen  untersagt: 


91 

1)  die  Hebung,  welche  Zeilen-  oder  Caesurschluss  bildet,  also  die  4.  Heb- 
ung des  Dimeters  und  Octonars  wie  die  8.  des  Octonars  darf  in  keinem 
Falle  aufgelöst  werden,  ebensowenig  als  die  Zeilen-  oder  Caesurschluss 
bildenden  Hebungen  der  jambischen,  trochäischen,  kretischen  und  bacchi- 
schen  Reihen.  Desshalb  hat  Ritschi  mit  Recht  Bacch.  1197  die  Lesart 
der  Handschrift  censes  sumere  umgestellt  zu  sumere  censes  (vgl.  noch 
Spengel  Reformv.  S.  326).  Wenn  2)  die  beiden  Kürzen  der  aufgelösten 
Hebung  die  Schlusssilben  eines  längeren  Wortes  bilden,  wie  corpöra  und 
facilia,  so  darf  die  1.  und  3.  Hebung  der  Dirne ter,  Septenare  und  Octo- 
nare,  die  5.  und  7.  Hebung  der  Octonare  und  die  5.  Hebung  der  Sep- 
tenare so  aufgelöst  werden;  dagegen  die  2.  und  6.  Hebung  der  Paroemiaci 
und  Dimeter,  der  Septenare  und  Octonare  und  die  diesen  Hebungen 
gleichstehende  3.  Hebung  der  Paroemiaci  =  der  7.  Hebung  der  Septenare 
dürfen  nicht  durch  die  zwei  schliessenden  Kürzen  eines 
längeren  Wortes  gebildet  werden.  Es  finden  sich  die  beiden 
Schlusskürzen  eines  längeren  Wortes  als  1.  Hebung  in  etwa  24  sicheren 
und  7  minder  sicheren  Fällen;  als  3.  Hebung  in  18  sicheren  und  19  un- 
sicheren Fällen;  als  5.  in  20  sicheren  und  7  unsicheren  und  als  7.  Heb- 
ung in  12  sichern,  10  unsicheren,  also  im  Ganzen  in  74  sicheren  und 
43  unsicheren  Fällen.  Dagegen  sind  nur  etwa  7  Fälle  durch  die  Hand- 
schriften überliefert,  in  welchen  die  zwei  Schlusskürzen  eines  Wortes  die 
2.  oder  6.  Hebung  bilden:  Cure.  140  Quae  tuo  guttüri  sit  mönumentüm. 
Pers.  781  Ita  nie  Toxilus  perfäbricavit.  Poen.  V,  4,  14  per  quem 
vivimus  vitalem  aevöm.  I'seud.  177  multa  huc  ab  amatoribus  conveniant 
(multa  |  huc  ab  amatöribus  conveniant?).  Stich.  43  Et  si  illi  impröbi 
sint  ätque  aliter;  dann  die  schlimmen  Dimeter  Cas.  III,  6,  20  num  quid 
est  ceterum  quod  moräe  sit  und  Cure.  127  in  se  merum  avanter  faueibus 
plenis.  Ausserdem  finden  sich  bei  A.  Spengel,  der  die  meisten  Anapäste 
annimmt,  noch  an  etwa  26  (17 -[-9)  Stellen  zwei  Schlusskürzen  als  2. 
oder  6.  Hebung;  allein  entweder  ist  in  denselben  die  Lesart  oder  die 
Abtheilung  der  Verse  unsicher,  oder  (und  desswegen  ist  die  Zahl  dieser 
Stellen  ziemlich  gross)  es  ist  überhaupt  fraglich,  ob  wir  dort  Anapäste 
vor  uns  haben.1)    So  zeigen  die  vier  nahe  bei  einander  stehenden,  regel- 


1)  Von  den  Stellen,  in  welchen  in  regelmässiger  Weise  die  1.,  8.,  5.,  7.  Hebung  durch  zwei 

12* 


92 

widrigen  Dimeter  bei  Spengel.  Trin.  239  B\a,ndi\oquentülus  harpago  men- 
dax.  240  Cuppes  elegans  despöliator.  246  Et  istoc  si  amplius  vis  däri 
dabitür.  251  Nox  datür  ducitur  familia  totä,  dass  entweder  hier  über- 
haupt keine  Anapäste  vorliegen  oder  dass  Spengel  den  Text  nicht  richtig 
construirt  hat.1)  Das  ist  klar:  die  Rolle,  welche  in  den  jambischen  und 
trochäischen  Reihen  die  auf  der  Endsilbe  betonten  spondeischen  und  ana- 
pästischen Wörter  und  Wortschlüsse  spielen,  wird  in  den  anapästischen 
Reihen  von  den  Hebung  bildenden  Schlusskürzen  übernommen.    Wie  jene 


Schlusskürzen  ersetzt  ist,  scheinen  folgende  ziemlich  sicher:  Aul.  717  credere.  724  perdidi.  Bacch. 
1092  perditus  sum.  1093  omnfa  .  .  oninfbus  exit.  1094  Chrysalus  me  .  .  Chrylälua  nie.  1167  red- 
ditis  nobis.  1179  omni'a.  1180  neminem  det.  1181  victibus.  1183  Chrysalus.  1184  alterüm 
tant.  1185  redditur.  1194  äniiseris  post.  1197  Btamere.  Cas.  2,  2,  6  Murrina  (2,  3,  1  omnibus 
reb.).  2,  2,  4  utier  Omnibus  quod.  3,  6,  2  ihVö  .  .  ilüö.  Cure.  146  moribus.  Men.  353  sternite. 
358  plurümum.  361  animüle.  Mü.  1030  dem'que.  1076  vendere.  1088  dicitö.  Pers.  173  litteras 
sciret.  174  intärlm  tu.  181  libära  mea.  753  hostfbus  victis  civibus  salvis.  757  dividäm  praedam. 
761  facilia.  762  impröbus  .  .  reddäre.  76:>  Toxile.  766  omni'a  .  .  mutüa.  768  temperl  .  .  tempert 
769  ponite.  780  pessümus.  784  Toxilus.  787  redierit.  789  Dordalus.  790  Dordale  bomo  lepi- 
dissume  salve.  845  Dordalus.  Poen.  V,  4,  2  visere;  6  Arabius.  14  Jupiter  qui.  16  perdidi. 
18  oinnia  facie't  Juppiter  faxö.  Pseud.  177  mnnera.  230  Psendöle.  597  septümas.  598  Symbölum 
me.  948  savia.  Bud.  221  peetöre.  222  perdidi.  223  omni'a  .  .  omnibus.  224  quaereiv  .  .  aun- 
bus.  931  navibus.  934  oppidüm  magnum.  Trin.  821  fluetibus.  829  pareth-e.  835  turblnfta 
venti.  837  scindere.  Truc.  1,  2,  15  referimus  gratiani  forfbaa  nostris.  Mehr  oder  minder  un- 
sicher scheinen  die  betonten  beiden  Wortkürzen  in  folgenden  Stellen  (ich  zähle  die  siinuntlichen 
von  A.  Spenyel  Keformv.  angenommenen  anapästischen  Zeilen  durch):  im  1.  Kusse  von  Pers.  777. 
Rud.  933.  Stich.  12.  Trin.  250.  279.  28«.».  298;  im  dritten  Fusse  von  Bacch.  639.  Pers.  181.  Poen.  5, 
4,  4;  8;  10.  Pseud.  184.  603.  1323.  Stich.  11.  Trin.  239.  243.  249.  251.  277.  279.  283.  288.  297. 
Truc.  2,  7.  8.  im  fünften  Kusse  von  Bacch.  1151.  1159.  Pseud.  236.  1131.  Rud.  962.  im  .sieben- 
ten Kusse  von  Cas.  2,  2,  38.  2,  3,  1.  Pers.  774.  775.  Rud.  936.  Trin.  836.  Truc.  1,  2,  8j  16. 
2,  7,  7 ;  44.  Die  unsicheren  Stellen  mit  betonten  Wortkürzen  im  Schluss  der  anapästischen  Di- 
podie,  also  im  2.  oder  6.  Kusse,  sind  bei  Spengel  folgende :  Aul.  722  optülit  famem.  Cas.  2,  2, 
34  omni'a;  2,  2,  39  otium.  4,  4,  4  vestiat.  Cist.  2,  1,  8  appetit  raptat;  11  moribus;  12  perdito. 
4,  2,  33  attinet.  Most.  861  expe"tünt.  Pers.  779  miserrumus.  Poen.  5,  4,  10  cetdris.  15  sospitem. 
Pseud.  586  oppidum.  947  poeüla.  1134  commöror.  Rud.  926  conscius.  Stich.  13  impröbi  viri  offi- 
cio uti.  45  omnibus.  Trin.  239.  240.  246.  281  siehe  oben.  293  artibus.  295  vivito.  Truc.  1,  2, 
14  praedonibus.     2,  7,  19  impulit. 

1)  Ein  Theil  der  obigen  daktylischen  und  proceleusmatischen  Wortschlüsse  wird  von  Manchen 
aus  prosodischen  Gründen  nicht  als  solche  anerkannt  werden,  indem  dieselben  (vgl.  Christ  Metrik  §  286) 
z.  B.  pantices,  symbolüm  betonen  oder  in  Wörtern  wie  liberas,  neminem  vor  den  Buchstaben  1  m 
n  r  den  Ausfall  des  kurzen  Vokales  annehmen.  Es  ist  hier  nicht  der  Platz  zu  prosodischen 
Untersuchungen.  Ich  möchte  nur  darauf  hinweisen,  dass  jene  Schlüsse  wie  pänticös  und  liberas 
sich  nur  in  den  ungeraden  Küssen,  nicht  aber  im  Schlüsse  der  Dipodien,  geschweige  im  Schlüsse  der 
Zeilen  oder  Halbzeilen  finden.  Da  sie  sich  also  da  nicht  finden,  wo  Daktylen  verboten  sind,  da- 
gegen dort  finden,  wo  Daktylen  erlaubt  sind,  so  bleibt  der  Schluss,  dass  sie  als  Daktylen  und 
nicht  als  überall  erlaubte  Anapäste  und  Spondeen  behandelt  wurden. 


93 

Schlusssilben  von  spondeischen  und  anapästischen  Wörtern  und  Wort- 
schlüssen nicht  die  2.  Hebung  der  jambischen  und  trochäischen  Dipodie 
und  nicht  die  ebenso  behandelte  7.  Hebung  des  jambischen  Septenars 
bilden  durften,  so  dürfen  diese  zwei  Schlusskürzen  nicht  die  2.  und 
6.  Hebung  der  verschiedenen  anapästischen  Verse  und  nicht  die  3.,  re- 
spektive 7.  Hebung  der  anapästischen  Paroemiaci  und  Septenare  bilden. 
Damit  ist  auch  schon  der  Grund  dieses  Gesetzes  gegeben:  das  Dipo- 
diengesetz  der  anapästischen  Zeilen.  In  den  anapästischen 
Versen  gelten  dem  Plautus  daktylische  oder  proceleusmatische  Wörter  und 
Wortschlüsse  als  unrein;  diese  dürfen  daher  nicht  die  Zeilen  und  Caesur- 
schlüsse,  nicht  die  Schlüsse  der  Dipodien  und  nicht  den  wie  Dipodienschluss 
behandelten  3.,   respektive   7.  Fuss  der  Paroemiaci  und  Septenare  bilden. 

Seneca  hat  über  1600  anapastische  Dimeter.  Dieselben  haben 
sämmtlich  nach  der  2.  Hebung  Wortschluss,  so  dass  sie  ebensogut  als 
Monometer  angesehen  werden  können.  Das  mag  Seneca  so  eingerichtet 
haben  nach  dem  Vorbild  der  Griechen,  welche  gern  mit  der  2.  Hebung 
ein  Wort  abschlössen.  Ferner  wird  die  2.  Hebung  ebensowenig  aufgelöst 
als  die  4.  Das  ist  wohl  weder  eine  Nachahmung  der  Griechen,  die,  wie 
oben  erwähnt,  nicht  gern  die  2.  Hebung  auflösen,  noch  eine  Weiterbild- 
ung des  altlateinischen  Dipodiengesetzes,  sondern-  die  Folge  der  strengen 
lateinischen  Gesetze  über  die  Bildung  der  Zeilen-  und  Caesurschlüsse,  die 
natürlich  das  Ende  einer  rythmischen  Reihe  nicht  durch  eine  aufgelöste 
Hebung  bilden  lassen. 

Wenn  wir  auch  erst  anfangen,  den  Bau  der  plautinischen  Anapäste 
zu  erkennen,  so  viel  ist  doch  schon  jetzt  sicher,  dass  in  ihrem  Bau  ein 
ebenso  bestimmter  und  ein  ähnlich  ausgeführter  Plan  herrscht,  wie  in 
dem  Bau  der  altlateinischen  Jamben  und  Trochäen. 

Daktylen  bei  Plautus? 

Jamben  und  Trochäen,  Kretiker  und  Bacchien,  endlich  Anapäste 
kommen  anerkanntermassen  in  den  lyrischen  Theilen  der  plautinischen 
Lustspiele  ziemlich  viele  vor.  Manche  kleineren  Stellen  und  einzelnen 
Zeilen  sind  noch  strittig.  Diese  zum  Theil  als  Daktylen  zu  erklären,  ist 
so  gut  wie  niemals  versucht  worden  und  überhaupt  sprechen  die  Plautus- 
forscher  niemals  von  daktylischen  Reihen.     Rücksicht  auf  das  griechische 


94 

Vorbild  kann  das  nicht  bewirken.  Denn  zum  Aufbau  der  griechischen 
Cantica  sind  Daktylen,  wenn  auch  in  massigem  Umfange,  benützt  worden. 
Dann  ist  es  kaum  denkbar,  dass  Plautus,  welcher  offenbar  mannigfache 
Rythmen  liebte,  einen  der  wichtigsten  Versfüsse  gar  nicht  benützt  habe. 
Wahrscheinlich  hat  bei  Plautus  desswegen  Niemand  an  Daktylen 
gedacht,  weil  an  sehr  vielen  Stellen  Daktylen  mit  aufgelöster  Hebung  an- 
genommen werden  müssten.  Solche  finden  sich  allerdings  bei  den  Griechen 
nicht;  allein  ich  sehe  nicht  ein,  welchen  Anstoss  sie  bei  den  altlateini- 
schen Dichtern  geben  könnten.  Der  Bau  der  beiden  parallelen  Füsse, 
der  Jamben  und  Trochäen,  ist  bei  ihnen  völlig  ausgeglichen,  und  so  auch 
in  der  Senkung  der  Trochäen  zwei  Kürzen  zugelassen,  die  bei  den  Griechen 
verboten  waren;  in  den  Anapästen  ist  die  Aufeinanderfolge  von  vier 
Kürzen  gestattet,  die  in  den  anapästischen  Systemen  und  Septenaren  der 
Griechen  verboten  war.  Wurde  nun  auch  der  Bau  der  beiden  parallelen 
Füsse,  der  Anapäste  und  Daktylen,  ausgeglichen,  so  ergaben  sich  für  den 
Bau  der  Daktylen  die  Freiheiten  der  Anapäste,  also  freie  Bildung  und 
Verbindung  der  Senkung,  wie  mültä  timebunt,  ömnia  nunc,  facillä,  und 
die  Auflösung  der  Hebung.  In  den  erhaltenen  Hexametern  aus  den  An- 
nalen  des  Ennius  nehmen  manche  Gelehrte  einige  aufgelöste  Hebungen 
an  (vgl.  Hermann  doctrina  metr.  S.  347;  Christs  Metrik  §  183).  Wenn 
auch  Ritschi  (Opusc.  4  S.  107.  415)  leugnet,  dass  Ennius,  der  Schöpfer 
des  kunstmässigen  lateinischen  Hexameters,  solche  Abweichung  von  dem 
griechischen  Vorbild  sich  gestattet  habe,  so  nimmt  er  doch  selbst  in  den 
volksthümlichen  Hexametern  der,  Sortes  solche  Auflösungen  an,  wie  Post 
quam  cecidevunt  Diese  Freiheit  im  Bau  des  Hexameters  erklärt  sich  ;un 
einfachsten,  wenn  bereits  die  Dramatiker  daktylische  Reihen  mit  auf- 
gelösten Hebungen  kannten.  Demnach  liegt  kein  Grund  vor,  der  a  priori 
die  Anwendung  von  Daktylen  und  die  Auflösung  ihrer  Hebungen  bei 
den  altlateinischen  Dramatikern  unwahrscheinlich  machte.  Es  käme 
darauf  an,  Merkmale  zu  finden,  wann  solche  Reihen  von  Füssen,  deren 
Senkung  und  Hebung  sich  metrisch  gleich  sind  (~M  ")  und  die  jener 
bestimmten  Merkmale  entbehren,  welche  besonders  im  Anfang  und  Schluss 
der  jambischen  Senare,  Septenare  und  Octonare  und  der  trochäischen 
Septenare  gegeben  sind,  als  Daktylen  und  wann  sie  als  Anapäste  zu 
fassen  sind.    Wenn  der  obige  Satz,  dass  die  2.  Hebung  der  anapästischen 


95 

Dipodie  nicht  durch  die  Schlusskürzeri  eines  längeren  Wortes  gebildet 
werden  darf,  richtig  ist,  so  wäre  dies  ein  solches  Merkmal.  Gelingt  es 
andere  Merkmale  der  Anapäste  zu  finden,  so  wird  die  Unterscheidung 
anapästischer  und  daktylischer  Reihen  leichter  werden. 

Kretische  und  bacchische  Tetrameter. 

Von  den  lyrischen  Zeilenarten  des  Plautus  sind  die  gewöhnlichsten 
die  kretischen  und  bacchischen  Tetrameter.  W.  Christ  (Metrische  Be- 
merkungen zu  den  Cantica  des  Plautus,  Sitzgs.-Ber.  d.  Münchener  Akad. 
1871  I  p.  j67)  glaubt,  diese  bacchischen  und  kretischen  Tetrameter  des 
Plautus  nähern  sich  nur  dem  Begriff  eines  Verses;  mir  dagegen  scheint 
Plautus  diese  Zeilen  von  vier  Kretici  oder  Bacchien  als  ebenso  selbst- 
ständige Zeilen  behandelt  zu  haben,  wie  z.  B.  die  jambischen  Senare. 
Denn  ich  finde  hier  dieselben  festen  Caesuren,  wie  in  allen  andern  Zeilen- 
arten, und  dieselben  freieren  Gesetze  für  den  Caesur-  und  den  trochäi- 
schen Zeilenschluss  und  die  strengeren  Gesetze  für  den  jambischen  Zeilen- 
schluss. 

Von  dem  kretischen  Tetrameter  bemerkt  Spengel  S.  35,  er 
lasse  sich  wie  der  jambische  Octonar  nicht  selten  in  zwei  Dimeter  zer- 
legen; Das  ist  viel  zu  wenig.  Der  kretische  Tetrameter  hat  seine  not- 
wendige und  gesetzmässige  Caesur  in  der  Mitte  der  Zeile  nach  dem 
zweiten  Kretikus ;  diese  ist  durch  harte  Elision  in  sehr  wenigen  Ffl  Uen 
verdunkelt  (Asin.  128  optima  höcin,  Cas.  II,  2,  22  ancilluläm  ingratiis, 
Most.  106  fämiliä  inmundus,  733  öppidö  öccidimus);  an  ihre  Stelle  tritt 
selten  eine  Hilfscaesur  nach  der  1.  Hebung  des  dritten  Kretikus  (Amph. 
223  imperätor,  229  terra  clämörem  utrimque,  (Bacch.  fr.  27  suavitüdo), 
Cas.  II,  2,  18  quereläs,  III,  5,  6  Cleostrata  abscede  ab.  Cure.  118  gradum 
ergo,  Epid.  174  extulisti,  175  sepülehrum,  323  per  illam,  731  immo, 
Pseud.  926  explicatäm,  Rud.  250  persequämür,  671  sacerdötem  anum). 
Nur  ein  Vers  hat  weder  die  regelmässige  Caesur  nach  '  der  4.  noch  die 
Hilfscaesur  nach  der  5.  Hebung,  nemlich  Rud.  252  Hoc  quod  est  id 
necessariumst  perpeti,  doch  dieser  Vers  ist  nicht  völlig  sicher,  da  er  der 
letzte  der  Reihe  ist  und  ihm  andere  Zeilenarten  folgen. 

Da  also  die  4.  Hebung  Caesurschluss,  die  8.  Zeilenschluss 
bildet,  so  folgt  daraus,  dass  dieselben  nicht  aufgelöst  werden  dürfen,  und 


96 

dass  die  ihnen  vorangehende  Senkung  nur  aus  einer  Kürze  bestehen  darf. 
Im  jambischen  Caesurschluss  darf,  wie  in  den  jambischen  Septenaren  und 
Octonaren,  ein  einsilbiges  Wort,  auch  mit  Elision,  oder  ein  zweisilbiges 
Wort  mit  Elision  stehen,  im  jambischen  Zeilenschluss  dieser  kretischen 
Verse  ist,  wie  bei  allen  jambischen  Zeilenschlüssen  (vgl.  oben  S.  48),  ein 
zweisilbiges  und  besonders  ein  einsilbiges  Wort  mit  vorangehender  Elision 
sehr  gemieden.  So  finden  sich  in  den  7  Kretici  Cure.  99 — 107  folgende 
5  Caesurschlässe  unguentum  odös,  stacte  tu,  naso  odös,  invergere  in,  duetim 
sed  häc;  dagegen  in  den  sämmtlichen  kretischen  Tetrametern  (abgerech- 
net die  unsichern  Reihen  Capt,  206 — 213)  nur  folgende  regelwidrigen 
Zeilenschlüsse:  Cure.  119  sicca  sum,  Epid.  322  necne  sit,  Men.  118  atque 
ago,  (Most.  114  magna  pars?),  Most.  741  isti  ero,  722  fieri  hie,  734  us- 
que  adhuc,  738  subdueta  erat.  Pseud.  261  aetam  agis,  Hud.  201  sola  sum, 
241  ecce  me,  270  ad  hoc,  276  servesque  nos,  664  atque  opum,  670 
nostro  ero,  Trin.  281   gnate  mi,  Truc.  4,  2,   13  quis  est. 

Der  Umstand,  dass  die  beiden  schliessenden  Kürzen  eines  längeren 
Wortes  hier  nicht  Hebung  bilden  dürfen,  zeigt,  dass  die  kretischen  Zeilen 
den  jambischen  und  trochäischen  verwandt  sind.  Aber  ihre  Gesetze  sind 
noch  strenger.  Die  Senkung  des  2.  und  4.  Kretikus  steht,  wie  oben  be- 
merkt, im  jambischen  Caesur-  und  Zeilenschluss,  darf  also  nur  durch 
eine  Kürze  gebildet  werden  und  mit  der  folgenden  Hebung  nur  jambi- 
schen Wortschluss  eingehen.  Die  Senkung  des  1.  und  3.  Kreticus  darf, 
wie  Spengel  S.  21  ausführt,  nicht  durch  zwei  Kürzen  gebildet  werden, 
(so  dass  also  derartige  Senkungen  überhaupt  von  den  kretischen  Zeilen 
ausgeschlossen  sind),  aber  durch  eine  Länge;  dies  jedoch  nur  unter  der 
Bedingung,  dass  diese  lange  Senkung  nicht  mit  der  folgenden  Hebung 
betonten  unreinen  Wortschluss  bildet,     Erlaubt  also  sind  Verse,  wie 

Disperditi  viri  |  disperditi  ordines. 

Ho.stes  crebri  cadunt  |  nostrl  contra  ingruunt. 

Certö  vöx  muliebris  |  aurls  tetigit  meas. 

Eine  Ausnahme  von  dieser  Regel  (vgl.  Spengel  S.  128)  scheint  nur 
sicher  in  Amph.  221  Nos  nösträs  more  nostro;  denn  dieselben  gesetz- 
widrigen Betonungen  im  1.  Fusse  Bacch.  fragm.  3  Fit  peiör  und  im 
3.  Fusse  Epid.  177    vivendö  sind  ganz  unsicher. 


97 

Da  also  im  1.  und  3.  Fusse  des  kretischen  Tetrameters  lange  Senk- 
ungen regelmässig  stehen  können,  aber  nicht  im  2.  und  4.  Fusse,  so  er- 
gibt sich  von  selbst  eine  Gliederung  in  Dipodien. 

Der  bacchische  Tetranieter. 

Für  den  bacchischen  Tetrameter  nahm  Studemund  (de  Canticis  Plaut. 
p.  33)    die  Caesur   nach    dem    zweiten  Bacchius   an;    allein  so  oft  ist  die 

4.  Hebung  der  Zeilen  durch  zwei  Kürzen  gebildet  und  so  oft  fehlt  über- 
haupt jeder  Einschnitt  nach  derselben,  dass  von  einer  regelmässigen 
Caesur  nach  dem  zweiten  Bacchius  keine  Rede  sein  kann. 

Es  ist  hier  ein  ähnlicher  Fall  wie  im  jambischen  Senar  und  trochäi- 
schen Septenar:  wie  im  Senar  die  Caesur  bald  nach  der  3.  bald  nach 
der  4.  und  im  Septenar  bald  nach  der  4.  bald  nach  der  5.  Senkung 
fällt,  so  im  bacchischen  Tetrameter  bald  nach  der  1.  Hebung  des  2.,  bald 
nach  der  1.  Hebung  des  3.  Bacchius;  wie  im  Senar  oft  sowohl  der  3.  als 
der  4.  Fuss  getheilt  ist,  so  bildet  hier  oft  sowohl  die  3.  als  die  5.  Heb- 
ung jambischen  Wortschluss;  z.  B.: 

At  haud  pol  nitent  sordidae  ambae  videntur. 

Yix  aegreque  amatorculos  invenimus. 

Jovi  dieque  ago  gratias  merito  magnaa. 

Senex  ipsus  ante  ostium  eccum  opperitur. 

Nee  fallaciam  astutiorem  ullus  fecit. 
Durch  harte  Elision  ist  diese  Caesur  verdunkelt  in  Cas.  3,  5,  29 
Viro  quae  suo  interminatur.  Quid  ergo.  Ah;  ebenso  in  Amph.  570  im- 
probe  etiam.  Capt.  786  ad  forum  advenero.  Cas.  3,  5,  41  minätur. 
tibi  infesta,  55  accedere.  Exoret,  56  alio  modo  ullo.  Men.  770  filia 
uniquam  patrem  accersit,  Merc.  357  invitum  domo  extrusit,  360  Nequi- 
quam  abdidi  abscondidi  abstrusum  habebam.  Poen.  1,  2,  9  Ex  industriä 
ambae.  In  manchen  dieser  Zeilen  kann  man  auch  die  folgende  Caesur  an 
nehmen.  Neben  der  regelmässigen  jambischen  (S.  77)  Caesur  nach  der  3.  oder 

5.  Hebung  kommt  nemlich  selten  eine  andere  in  der  Mitte  der  Zeile 
nach  dem  zweiten  Bacchius  vor.     So  Poen.  I,  2,   19;   11.  Merc.  351: 

Ornantur  lavantur  |  tergentur  poliuntur. 
Poliri  expoliri  |  pingi  fingi  et  una. 
Nunc  si  dico  ut  res  est  |  atque  illam  mihi  nie. 
Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  «1.  Wiss.  XVII.  Bd.  I.  Abth.  13 


98 

Diese  findet  sich  noch:    Aul.  2.  2,  2   fidei  |  tuaique.    2,  2,  5  loquaces  i 

3  i  3 

merito  omnes.  Capt.  226  agatur  |  docte  et.  Cas.  3,  5,  32  sub  arcis 
sub  lectis.  5,  1,  4  relicuomst  |  plus  risurum.  Cist.  1,  1,  36  blandhintur 
clam  si  occasio.  Most.  88  volutavi  |  et  diu;  93  videtur  |  veri.  Poen.  1, 
2,  15  negoti  |  quantum  in;  21  fricando  j  scimus;  45  et  celebrem  et  ! 
venustatis.  Pseud.  1265  odores  |  lemniscos.  Rud.  261  exsequuntur  |  be- 
nignamque.  Truc.  2,  5,  10  videtis  |  ut  ornata.  Durch  Elision  unsicher 
ist  Cas.  3,  5,  23  Tua  ancilla  hoc  pacto  exordiri  coepit;  beider  Caesuren 
entbehrt  Rud.  262  Jubemus  te  salvere  mater.  Salvete;  doch  ist  der  Vers 
der  letzte  der  Reihe  und  so  seine  Theilung  unsicher. 

Wie  in  den  jambischen  und  trochäischen  Reihen,  so  ist  auch  in  den 
bacchischen  verboten,  dass  die  beiden  kurzen  Endsilben  eines  längeren 
Wortes  eine  Hebung  bilden.  Das  lässt  weitere  Verwandtschaft  erwarten. 
Dieselbe  tritt  am  deutlichsten  hervor  in  der  schwierigen  Frage  über  die 
Bildung  der  Senkungen.  Gewöhnlich  zählt  man  ab,  wie  viel  reine  Senk- 
ungen in  der  Zeile  vorkommen  und  hält  die  Zeilen  ohne  auch  nur  eine 
reine  Senkung  für  falsch,  ein  Verfahren,  das  nicht  sehr  wissenschaftlich 
aussieht.  Zunächst  ist  im  allgemeinen  zu  bemerken,  dass  Plautus  die 
Senkung  der  Bacchien  nicht  häufig  durch  zwei  Kürzen  bildet  und  so  gut 
wie  nie  im  2.  Fusse,  sehr  oft  aber  durch  eine  Länge;  vgl.  Spengel  S.  273. 
Diese  langen  Senkungen  sind  in  allen  vier  Füssen  unbedenklich  zugebissen, 
sobald  sie  nicht  mit  der  folgenden  Hebung  Wortschluss  bilden,  also 

Induci  ut  putet  matri  ancülam  emptam  esse  illam. 

Neque  eis  ulla  ornandi  satis  satietas  est. 
Dagegen  gelten  zunächst  für  die  vierte  Senkung  dieselben  Regeln 
wie  für  den  trochäischen  Zeilenschluss  der  jambischen  Septenare.  Der 
Schluss  darf  wohl  durch  ein  einsilbiges  Wort  gebildet  werden,  allein  dann 
darf  ihm  nur  jambischer  Wortschluss  vorangehen;  so  finden  sich  z.  B. 
Amph.  551—571  die  Zeilenschlüsse  subsequör  te,  quam  id  ob  rem,  fides 
sit,  tüüs  sum.  (facta  sunt  hie),  praedicäre  id,  tüüs  sum,  simül  sit,  Juppiter 
te,  fäcis  me.  Wie  es  ferner  unnatürlich  wäre,  den  4.  Fuss  des  jambi- 
schen Octonars  spondeischen  oder  anapästischen  Wortschluss  bilden  zu 
lassen,  auch  wenn  nach  der  folgenden  Senkung  die  häufige  Nebencaesur 
einträte,  z.  B.  vineunt  nos  |  oder  faciunt  res  ,  ebenso  wäre  es  sehr  hart, 
die  3.  Hebung,  bei  der  gewöhnlich  Caesur  stattfindet,  spondeischen  Wort- 


99 

schluss  bilden  zu  lassen.  Darum  finden  sich  spondeische  Wörter,  welche 
die  Senkung  und  1.  Hebung  des  2.  Fusses  einnehmen,  so  gut  wie  nicht; 
vgl.  Spengel  S.  213;  denn  Pseud.  1334  (vgl.  Spengel  S.  408)  Verum  si 
voltis  ist  wohl  anders  zu  theilen;  die  einzigen  sicheren  Ausnahmen  sind 
Most.  121  Et  fundamentum  substruünt  liberorum  und  101  Aedes  quom 
extemplo  sunt  paratae  expolitae.  Dagegen  bildet  ein  spondeisches  Wort 
etwa  25  Mal  die  Senkung  und  erste  Hebung  des  ersten  Bacchius  z.  B. 
Perdät  quisquis  es.  Te  volo.  At  vos  ego  ambos.  Im  dritten  Bacchius 
sind  dieselben  seltener  (vgl.  Spengel  S.  213):  (Bacch.  1120  tanto.     Cist.  I, 

1,  12   semper).      Cure.  1,   2.    115  siccae.      Most,  93  veri  simile.     Poen.  1, 

2,  9  numquam ;  11  pingi.  21  seimus.  Truc.  2.  5.  4  quantum.  Zwei- 
silbige Senkungen  sind,  wie  oben  bemerkt,  überhaupt  selten.  So  ist  es 
natürlich,  dass  auch  anapästische  Wortschlüsse,  deren  betonte  Schluss- 
silbe die  1.  Hebung  des  Bacchius  bildet,  selten  sind.  Solche  finden  sich 
(vgl.  Spengel  S.  272)  im  ersten  Fusse:  Bacch.  1129  Vetulae  sunt,  (Cas. 
4,  4,  8  Facies  tu.)  (Pers.  810  Peru  perculit.)  Trin.  225  Egomet;  im 
dritten  Fusse  ist  theils  die  Lesart,  t  Heils  die  Umgebung  der  Verse  un- 
sicher: Aul.  2.  1.  1")  loquerer.  Cas.  3,  5,  53  adift  Cist.  1.  1.  22  meritö. 
Cist.  4,  2,  4  veniat :    15  praeterüt     Men.  765  litigiüm. 

Das  ist  klar,  dass  in  den  bacchischen  Tetrametern  dasselbe  Dipodien- 
gesetz  wie  in  den  Jamben  und  Trochäen  festgehalten  werden  kann:  im 
ersten  B'usse  jeder  Dipodie,  d.  h.  im  1.  und  3.  Bacchius  kann  die  Senk- 
ung mit  der  folgenden  Hebung  unreinen  betonten  Wortschluss  bilden,  im 
2.   Fusse  jeder  Dipodie,  d.  h.  im   2.  und  4.  Bacchius  nicht.1) 

Was  die  Bildung  der  Schlüsse  betrifft,  so  ist,  wie  oben  bemerkt,  der 
spondeische  Zeilenschluss  dem  trochäischen  Zeilenschluss  (S.  50)  völlig  gleich 
gebildet.  Es  darf  oft  ein  einsilbiges  Wort  stehen,  dann  aber  muss  jam- 
bischer Wortschluss  vorangehen ;  bildet  die  vorletzte  Hebung  nicht  Wort- 
schluss.  so  ist  die  Bildung  sowohl  dieser  Hebung  als  der  vorangehenden 


1)  Nicht   häufig  natürlich  sind  Verse,    in   denen  jede  Senkung  in  reinem  Wortschluss  steht, 
wie  Ampi..  556.  Aul.  -'.  1.  9.  Cas.  8,  •*».  61.  Most.  871 

Facta  ut  tu is  nulla  apüd  te  fides  sit. 
Tilu'  proxum&m  nie  mihique  esse  item  te. 
Haltet  seil  duöa  quid  duoi  alterö  te. 
Malüin  quom  Lmphrit  ceteris  ne  impluät  mi. 

13* 


100 

Senkung  freigegeben  z.  B.  Merc.  349  videtur.  345  incerti  certant.  348 
consilium.  350  esse  illam.  354  asportet.  Im  jambischen  Caesurschluss 
steht  meistens  Wortende;  es  dürfen  hier  aber  auch  einsilbige  Wörter  mit 
oder  ohne  Elision  stehen  (S.  45),  wie  Acceptae  bene  et  commode  eximus 
intus.  Neque  advorsa  quoi  plura  sint  sempiterna.  Is  rescivit  et  vidit  et 
perdidit  rae. 

Die  trochäischen  Octonare,  kretischen  und  bacchischen  Tetrameter 
des  Plautus  sind  also,  wie  zu  erwarten  ist,  durchaus  selbständige  Zeilen 
und  zeigen  in  Bezug  auf  Caesur,  auf  Bildung  der  Caesur  und  Zeilen- 
schlüsse und  auf  Betonung  der  Endsilben  theils  dieselben,  theils  noch 
strengere  Gesetze  wie  die  Dialogzeilen. 

Terenz. 

Terenz  hat  in  seinen  Lustspielen  fast  allein  jambische  und  trochäische 
Zeilen  verwendet.  Nur  in  der  Andria  und  in  den  Adelphi  hat  er  wenige 
Zeilen  in  anderen  Füssen  zu  dichten  gewagt.  Andria  635 — 638  und 
Ad.  610 — 616  sind  in  freieren  livthmen  gedichtet,  dagegen  enthält  Andr. 
481 — 484  vier  bacchische  und  626—634  neun  kretische  Tetrameter. 
Die  ersteren  sind  vollkommen  regelmässig   gebaut: 

Adhuc  Archylis,  quae  adsolent  quaeque  oportet 
Signa  esse  ad  salutem,  omnia  huic  esse  video. 

3  5 

Nunc  primum  fac  ista  ut  lavet:  post  deinde 
Quod  iussi  ei  dan  bibere  et  quantum  imperavi. 
So    regelmässig    diese    bacchischen,    ebenso    unregelmässig    sind    die 
kretischen  Tetrameter  gebaut,  die  in  den  Handschriften  lauten: 
(Hocinest  credibile  aut  memorabile,) 
626  Tanta  vecordia  innata  cuiquam  ut  siet, 
Ut  malis  gaudeant  ätque  ex  incommodis 
Alterius  sua  ut  cömparent  cominoda?     Ah 
Idnest  verum?  immo  id  est  genus  hominum  pessumum,  in 
630  Denegando  modo  quis  pudor  paulum  adest: 
Post  ubi  tempust  promissa  iam  perfici, 
Tum  coacti  necessärio  se  aperiunt: 
Et  timent  et  tarnen  res  premit  denegare 
Ibi  tum  eorum  inpuclentissuma  oratiost. 


101 

Diese  Theilung  der  Handschriften  muss  unrichtig  sein.     Denn  wenn 
auch    der  jambische  Zeilenschluss   cAhJ   bei  Terenz    öfter  vorkommt,    hie 
und  da  auch  der  harte  paulum  adest,    so  ist  der  Schluss  cpessumum,   in* 
oder    gar    die  Elision    des  schliessenden  e  in  'denegare'  unmöglich.     Der 
Vers  629  ist  verdorben,    von  den  8  übrigen   haben  3  entschieden  weder 
die    regelmässige    noch    die  Hilfscaesur,    im  Vers  626    müsste   man  harte 
Elision  in  der  Caesur  annehmen.    Eine  fortlaufende  Kette  von  32  Kretici 
ohne  Caesur    und  Zeilenabschnitte    anzunehmen,    ist   ein  Auskunftsmittel, 
das  man   bei    altlateinischen  Dichtern    nur  im   Falle   der  äussersten  Noth 
anwenden    darf.     Theilen    wir    dagegen    diese    Kretici    in    Hexameter,    so 
fallen  alle  diese  Schwierigkeiten  hinweg: 
Tanta  vecordia  innäta  cuiquam  ut  siet,  üt  malis  gaudeant 
Atque  ex  incommodis  alterius  sua  ut  comparent  commoda?     Ah. 
Idnest  verum  V  iinnio  id  hominümst  genus  pessumum  in  denegando  modo 
Quis  pudor  paulum  adest:  pöst  ubi  est  tempus  promissa  iam  perfici, 
Tum  coacti  necessärio  se  aperiunt:  et  timent  et  tarnen 
Res  premit  denegare:  ibi  tum  eorum  inpudentissuma  oratiost: 

Es    ist  wahr,    kretische  Hexameter  kommen    in  Reihen  sonst  gewiss 

v 

nicht  vor;  Spengel  (S.  242)  bestreitet  sogar,  dass  einzelne  vorkommen. 
Aber  gerade  so  steht  es  mit  den  bacchischen  Hexametern :  ob  einzelne  vor- 
kommen, ist  bestritten;  allein  Niemand  zweifelt  mehr  im  Amph.  633  ff. 
eine  längere  Reihe  von  solchen  anzunehmen. 

Die  Fragmente  der  übrigen  altlateinischen  Dramatiker  sind  zwar 
spärlich;  allein  sie  geben  genügende  Beweise,  dass  dieselben  an  lyrischen 
Zeilenarten  nicht  so  arm  waren  wie  Terenz,  wenn  auch  kaum  einer  sich 
zu  der  reichen  Mannigfaltigkeit  des  Plautus  mag  erhoben  haben.  Wenn 
wir  aber  sehen,  dass  in  den  Zeilen  des  Dialogs  bei  allen  altlateinischen 
Dichtern  die  gleichen  strengen  Grundgesetze  galten,  so  ist  es  natürlich, 
dass  es  ebenso  stand  in  den  lyrischen  Partien. 

Uebereinstimmung  Ton  Wort-  und  Versaccenten. 

Nachdem  so  die  metrischen  Gesetze  für  den  Bau  der  altlateinischen 
jambischen  und  trochäischen  Zeilen  dargelegt  sind,  ist  noch  zu  erwägen, 
warum  hier  die  Wortaccente  mit  den  Versaccenten  überhaupt  oder  an 
bestimmten  Stellen   der  Zeilen    ziemlich    oft   zusammenfallen,   jene  That- 


102 

Sachen,  zu  deren  Erklärung  zuerst  Bentley  in  der  altlateinischen  Dicht- 
ung ein  Stück  Accentdichtung  finden  wollte,  das  den  Griechen  gänzlich 
fehlt.  Ein  ollgemeiner  wichtiger  Grund  ist  der.  dass  im  Lateinischen  der 
Versaccent  stets,  der  Wortaccent  oft  an  die  lange  Silbe  gebunden  ist.  so 
dass  beide  oft  zusammenfallen  müssen.  Ein  anderer  allgemeiner  Grund 
ist  der,  dass  die  vorletzte  von  zwei  schliessenden  Kürzen,  wie  nie  von 
dem  Wortaccent.  so  auch  nie  von  dem  Versaccent  getroffen  wird.  Diese 
Regel,  dass  die  beiden  letzten  Kürzen  eines  mehrsilbigen  Wortes  nicht 
als  Hebung  verwendet  werden,  ist  nachgebildet  der  andern,  wornach  sie 
nicht  als  Senkung  stehen  sollen.  Was  nun  das  Zusammenfallen  des  Versr 
und  Wortaccentes  an  bestimmten  Versstellen  betrifft,  so  ist  zunächst  die 
Stelle  vor  der  Caesur  zu  betrachten.  Die  jambische  Caesur  im  4.  Fusse 
der  jambischen  Septenare  und  Octonare  ist  sehr  oft  durch  ein  jambisches 
Wort  gebildet,  dem  im  3.  Fusse  oft  spondeische  oder  anapästische  Wörter 
oder  Wortschlüsse  vorangehen,  wie  in  rimam  timet.  cönsiliüm  putat.  Vor 
der  jambischen  Coesur  wird  also  sehr  oft  der  Wortaccent  verletzt.  Da 
die  sehr  häufige  trochäische  Caesur  im  3.  und  4.  Fusse  des  Senars  und 
nach  dem  4.  Fusse  des  trochäischen  Septenars,  sowie  die  minder  häufige 
im  5.  Fusse  des  jambischen  Octonars  und  Septenars  und  nach  dem 
5.  Fusse  des  trochäischen  Septenars,  wie  oben  nachgewiesen,  nur  selten 
so  gebildet  wurde,  dass  auf  einen  betonten  Wortschluss  ein  einsilbiges 
Wort  als  Senkung  folgt,  so  steht  vor  dieser  Caesur  fast  stets  ein  zwei- 
oder  mehrsilbiges  Wort  mit  langer  Silbe  oder  zwei  kurzen  Silben  vor 
der  Senkung,  wie  natürae,  veniat.  consilium.  Diese  vom  Versaccent  ge- 
troffene Silbe  muss  aber  nach  den  Betonungsgesetzen  der  lateinischen 
Sprache  stets  auch  den  Wortaccent  haben.  Folglich  ist  vor  der  sehr 
häufigen  trochäischen  Caesur  das  Zusammenfallen  von  Wort-  und  Vers- 
accent unvermeidlich. 2) 

Zum  Andern  ist  die  Stelle  unmittelbar  nach  diesen  Caesuren  zu  be- 
trachten. Nach  der  jambischen  Caesur  der  jambischen  Septenare  und 
Octonare    folgt    im    5.  Fusse  jambischer    Anfang.     Dieser   ist    oft   durch 


1)  Die  Verletzung  des  Wortaccentes  war  möglich  bei  trochäischen  Schlüssen  in  griechischer 
Sprache;  da  kommt  sie  aber  auch  vor;  vgl.  Lucilius  (28,  4  ed.  L.  Müller):  Non  äderit  itQxaiq 
hominem  et  OTotxttois  simul. 


103 

jambische,  spondeische  oder  anapästische  Wörter  gebildet  wie  in  coperas 
aräneörum>  und  cliceät  deö  minitarier  ;  unmittelbar  nach  der  jambischen 
Caesur  ist  also  die  Verletzung  des  Wortaccentes  häufig.  Nach  den  tro- 
chäischen Caesuren  folgt  in  den  Senaren  mit  Caesur  im  4.  und  in  den 
trochäischen  Septenaren  mit  der  selteneren  Caesur  nach  dem  5.  Fusse  ein 
Stück  zu  2*2  Trochäen,  in  den  Senaren  mit  der  Caesur  im  3.  Fusse.  in 
den  trochäischen  Septenaren  mit  der  Caesur  nach  dem  4.  Fusse  und  in 
den  jambischen  Octonaren  (und  Septenaren)  mit  der  Caesur  im  5.  Fusse 
folgt  ein  Stück  zu  31  2  (3)  Trochäen.  Das  Schlussstück  zu  21  3  Trochäen 
darf  nicht  mit  zwei  jambischen  Wörtern  schliessen,  wie  cnön  amät  meüm* 
oder  'äccipit  meüm',  dagegen  schliesst  es  sehr  oft  mit  rquöd  multis  placet\ 
'pöriturüs  bonus'.  'cönsiliüm  refert' ;  folglich  wird  bei  diesem  Schlussstück 
unmittelbar  nach  der  trochäischen  Caesur  der  Wortaccent  meistens  ver- 
letzt. Viel  häufiger  ist  das  Schlussstück  zu  8l/>  Trochäen.  Da  bringt 
es  nun  das  Dipodiengesetz  mit  sich,  dass  im  Uebergang  vom  1.  zum 
2.  Trochäus  kein  Bpondeischer  oder  anapästischer,  wohl  aber  jambischer 
Wortschluss  stehen  darf;  Anfänge,  wie  nön  multös.  se  simulät,  förtunani. 
äccipiünt  sind  regelwidrig  und  selten,  nön  am.int.  rxcipit,  faciliüs  erlaubt 
und  nicht  selten;  also  ist  hier  nach  der  trochäischen  Caesur  Verletzung 
ilcs  Wortaccentes  bei  jambischem  Wortschlusse  richtig  und  häufig. 
Aeusserst  gewöhnlich  aber  ist  der  Anfang  wie  mültos  oder  änmios  oder  nön 
fert,  so  z.  B.  'esse  cum  tutüs  velis\  'mtinms  öculis  imperat'.  'cito  ßt  male 
dictum  önmium';  in  diesen  sehr  häufigen  Fallen  WIMS  der  Wortaccent 
mit  dem  Versaccent  zusammenfallen. 

Vor  und  nach  den  jambischen  Caesuren  widersprechen  sich  also  Wort- 
mul  Versaccent  oft;  vor  den  trochäischen  Caesuren  fallen  sie  fast  stets 
zusammen ;  nach  den  trochäischen  Caesuren  fallen  sie  meistens  zusammen. 
Die  Uebereinstimmung  von  Wort-  und  Versaccent  ist  demnach  äusserst 
mangelhaft  und  bietet  nicht  den  geringsten  soliden  Grund  für  die  Be- 
lla uptung,  dass  die  älteste  lateinische  Volksdichtung  nur  den  Wortaccent 
beobachtet  habe  und  dass  dami  nach  dem  Eindringen  der  quantitirenden 
griechischen  Dichtungsart  bei  den  Römern  eine  Verschmelzung  beider 
vor  sich  gegangen  sei.  Die  theil weise  Uebereinstimmung  beider  Accente 
in  den  lateinischen  Versen  erklärt  sich  auf  natürliche  Weise,  einerseits 
aus   dem  Betonungsgesetze    der  lateinischen  Sprache  überhaupt,    anderer- 


104 

seits  aus  den  Gesetzen,  welche  von  demjenigen,  der  die  jambischen  und 
trochäischen  Zeilenarten  der  griechischen  Lustspiele  zuerst  mit  Glück 
nachahmte,  in  Nachahmung  der  griechischen  metrischen  Gesetze  für  die 
lateinischen  Verse  aufgestellt  wurden. 

Wer  die  hiebei  sich  ergebende,  unvermeidliche  häutige  Ueberein- 
stimmung  von  Wort-  und  Versaccent  durchaus  als  Absicht  und  Kunst 
sich  ausdeuten  will,  mag  sich  dieses  Vergnügen  machen:  mit  derselben 
Sicherheit  kann  er  auch  behaupten,  dass  die  lateinische  Prosa  durchaus 
rythmisch  sei,  d.  b.  aus  Jamben  und  Anapästen  oder  Trochäen  und  Dak- 
tylen bestehe.  Denn  da  kein  Wort  auf  der  letzten  Silbe  betont  wird. 
so  können,  abgesehen  von  den  schweren  einsilbigen  Wörtern,  nie  2  be- 
tonte Silben  zusammenstossen;  wer  also  sein  Vergnügen  daran  hätte,  die 
Prosa  als  rythmische  Jamben  und  Anapäste  oder  Trochäen  und  Dakty- 
len zu  lesen  z.  B.  omnes  nomine«  qui  sese  stüdent  praestare  ceteris  ani- 
mälibus,  summa  ripe  niti  decet,  ne  vitam  silentio  tränseant  veluti  pecora 
quäe  natura  prona  ätque  ventri  oboediciitia  iinxit,  und  darin  Absieht 
und  Kunst  zu  finden:  dem  könnte  man  nur  jene  schweren  einsilbigen 
Wörter,  also  weit  weniger  Verstösse  entgegenhalten,  als  dem,  welcher  in 
den  jambischen  und  trochäischen  Versen  Festhaltung  des  Wortaccentes 
finden  will.  Allein  wie  jener  wohlklingende  Fluss  der  Prosa  nur  unver- 
meidliche Folge  der  Betonungsgesetze  der  lateinischen  Wörter  ist.  so  ist 
jenes  häufige  Zusammenfallen  der  WOrtaccente  mit  den  Versaccenten  nur 
eine  unvermeidliche  Folge  einiger  von  den  Gesetzen,  welche  den  Bau 
der  altlateinischen  jambischen  und  trochäischen  Reihen  beherrschen. 
Demnach  haben  die  quantitirenden  Dichter  der  Lateiner  zu  allen  Zeiten 
Uebereinstimmung  der  Wortaccente  mit  den  Versaccenten  weder  gesucht 
noch  gemieden,  sondern  sich  einfach  gar  nicht  darum  gekümmert. 

Ursprung  des  Versbaues  in  den  alt  lateinischen  Jamben  und  Trochäen. 

Ich  habe  oben  oft  gesprochen  von  dem  Ordner  der  altlateinischen 
Jamben  und  Trochäen:  ob  mit  Recht  oder  Unrecht,  mag  man  nach  fol- 
genden Erwägungen  entscheiden.  Insbesondere  2  Fragen  sind  zu  unter- 
suchen, 1)  ob  die  Neuerungen,  die  sich  in  den  oben  dargestellten  Gesetzen 
finden,  etwa  herübergenommen  sind  aus  der  alten  Dichtung,  welche  die 
Lateiner  gehabt  haben,  ehe  sie  die  Griechen  nachahmten,   2)  ob  jene  Ge- 


105 

setze,  sowohl  die  den  Griechen  nachgeahmten  als  die  neuen,  alle  auf 
einen  Mann,  den  oft  genannten  Ordner,  zurückzuführen  sind,  oder 
ob  das  eine  Gesetz  von  diesem,  das  andere  von  jenem  altlateinischen 
Dichter  ersonnen  und  den  Schulregeln  hinzugefügt  worden  ist.1) 

Nachahmung  der  Griechen  war  nicht  Schande,  sondern  Ruhm  für 
die  altlateinischen  Dichter.  Die  Lustspieldichter  nennen  ihre  griechischen 
Vorlagen;  die  Oertlichkeiten,  die  Eigennamen,  ja  manche  griechischen  For- 
meln haben  sie  mit  dem  Inhalte  herübergenommen.  So  haben  sie  auch 
alle  Versfüsse  und  alle  Zeilenarten  von  den  Griechen  herübergenommen, 
und  damit  feine  Gesetze  für  ihren  Bau.  Betonungen  wie  ömnia  nunc 
und  mülta  timent  würden  sie  in  den  Jamben  und  Trochäen  nicht  ver- 
meiden, wenn  nicht  die  Griechen  sie  hier  vermieden  hätten.  Anderseits 
aber  haben  sie  eine  Anzahl  von  Gesetzen  für  den  Bau  der  Jamben  und 
Trochäen,  welche  die  Griechen  nicht  haben.  Woher  stammen  diese?  Man 
leitet  sie  gewöhnlich  ab  aus  den  Gesetzen  der  lateinischen  Volksdicht- 
ungen jener  Zeiten,  wo  die  Lateiner  noch  nicht  daran  dachten,  die 
Griechen  nachzuahmen.2)  Das  hilft  nicht  weit;  denn  da  wir  von  den 
Dichtungsformen  jener  Zeit  so  gut  wie  Nichts  wissen,  so  soll  Dunkel 
durch  noch  dickeres  Dunkel  erleuchtet  werden.  Betrachten  wir  die  ein- 
zelnen Gesetze.  Das  altlateinische  Dipodiengesetz,  welches  verbietet  die 
kritischen  Senkungen  der  jambischen  und  trochäischen  Dipodie  in  un- 
reinen Wortschluss  zu  stellen,  ist  offenbar  nur  ein  Ersatz  für  das 
griechische  Dipodiengesetz,  das  freilich  von  den  griechischen  Komikern 
so  stark  verletzt  wurde,  dass  dessen  Aufgeben  bei  einem  Nachahmer 
mindestens  erklärlich  ist.  Diese  Neuerungen  stammen  also  von  dem 
Nachahmer  der  Griechen.  Das  altlateinische  Dipodiengesetz  beruht  ganz 
auf  der  Beachtung  der  betonten  Wortschlüsse.  Aus  dieser  aber  ist  her- 
vorgegangen auch  das  Verbot  von  2  gleichklingenden  reinen  jambischen 


1)  Denn  ich  halte  es  für  unnöthig  gegen  die  zu  sprechen,  welche  auch  hier  bewusste  Kunst 
leugnen  und  das  Festhalten  der  oben  dargelegten  Gesetze  nur  als  unbewusste  Folge  des  Formen- 
^rliihls  und  des  Gehörs  aller  altlateinischen  Dichter  ansehen  wollen. 

2)  Vgl.  Philol.  Anzeiger  1883  n°  9  u.  10  S.  430:  Die  älteste  römische  Poesie  ist  quanti- 
tirend  gewesen ;  es  folgt  dies  mit  Sicherheit  schon  daraus,  dass  das  Drama  die  griechischen  Metra 
nicht  wie  etwas  völlig  Fremdes  sklavisch  nachahmte,  sondern  prosodische  Eigenthümlichkeiten 
hineintrag,  die  nur  der  heimischen  quantitirenden  Poesie  entnommen  sein  können. 

Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  I.  Abth.  14 


106 

Wortschlüssen,  wie  capüt  meüm,  im  jambischen  Zeilenschluss  und  das  all- 
gemeine Verbot  von  2  betonten  sclüiessenden  Kürzen,  wie  omnia.  Für 
da  8  letztere  war  ein  Vorbild  gegeben  durch  das  Verbot,  zwei  schliessende 
Kürzen  in  die  Senkung  zu  stellen;  aber  für  die  andern  Fälle  bleibt  die 
Frage,  warum  richtete  der  Erfinder  des  altlateinischen  Dipodiengesetzes 
seine  Aufmerksamkeit  gerade  auf  die  betonten  Wortschlüsse.  Einen  Ein- 
fluss  der  urlateinischen  Dichtungsgesetze  anzunehmen,  dazu  sehe  ich  nicht 
nur  keinen  zwingenden,  sondern  nicht  einmal  irgend  einen  Grund.  Ander- 
seits ist  das  Gewicht  einer  Silbe,  die  zugleich  Wortschluss  bildet  und 
vom  Versaccent  getroffen  wird,  ein  so  schweres,  dass  schon  dieses  aus- 
reichend erklärt,  warum  ein  Mann,  der  fremde  Formen  einer  noch  un- 
gelenken Sprache  anpassen  wollte,  darauf  verfiel  gerade  diese  betonten 
Wortschlüsse  besondern  Regeln  zu  unterwerfen.  Die  Caesuren  waren  bei 
den  Griechen  ein  Stück  der  Schullehre;  das  zeigt  ihre  strenge  Beobacht- 
ung bei  den  Tragikern.  Wenn  die  altlateinischen  Dichter  nicht  nur 
strenger  sind  als  die  nachlässigen  Komiker,  sondern  auch  strenger  als 
die  Tragiker  der  Griechen,  und  wenn  sie  einige  neuen  Caesuren  eingeführt 
haben,  so  bleibt  dies  eben  doch  nur  Nachahmung.  Gleiches  ist  auch  zu 
sagen  von  der  Bildung  des  Caesur-  und  des  Zeilenschlusses.  Im  Zeilen- 
schluss wurde  vor  einem  einsilbigen  Wort  Elision  vermieden,  weil  reine 
Bildung  des  letzten  Fusses  ein  Gesetz  der  Griechen  ist.  Im  Zeilen-  und 
Caesurschluss  haben  die  Griechen  selbst  wenigstens  schwere  einsilbige  Wörter 
gemieden.  So  war  Veranlassung  gegeben  zu  der  weitergehenden  Regel 
der  Lateiner,  welche  überhaupt  in  den  jambischen  Zeilenschluss  sehr 
selten,  in  den  trochäischen  Caesurschluss  selten  ein  einsilbiges  Wort  setzen. 
Demnach  sind  die  Neuerungen  in  dem  Bau  der  altlateinischen  Jamben 
und  Trochäen  veranlasst  durch  Gesetze  der  griechischen  Dichter.  Nur 
die  Weiterentwicklung  oder  Verschärfung  jener  Regeln  ist  Eigenthum 
der  römischen  Dichtung. 

Die  zweite  Frage  ist,  ob  diese  Neuerungen  auf  einen  Mann  zurück- 
zuführen sind,  etwa  den,  dessen  Versuch  die  griechischen  dramatischen 
Formen  nachzuahmen  zuerst  Anerkennung  gefunden  hat,  oder  ob  von 
verschiedenen  lateinischen  Dichtern  erst  nach  und  nach  die  einzelnen 
Neuerungen  eingeführt  und  beliebt  gemacht  wurden.  Dabei  vergesse  man 
nicht,  dass  möglichste  Nachahmung  der  Griechen   der  Ruhm    der    römi- 


107 

sehen  Künstler  und  Dichter  anfänglich  war  und  nachher  stets  mehr 
wurde.  Wären  nun  lateinische  Lustspiele  vorhanden  gewesen,  in  welchen 
die  Freiheiten  oder  die  Gesetze  des  griechischen  Versbaues  festgehalten 
waren,  wem  hätte  es  einfallen  können,  dieselben  wieder  aufzugeben  und 
andere  Gesetze  aufzustellen?  Wenn  z.  B.  das  Dipodi engesetz  der  griechi- 
schen Tragiker  oder  das  nachlässige  der  griechischen  Komiker  bereits 
angewendet  und  durchgeführt  war,  wie  hätte  Jemand  auf  den  Einfall 
kommen  können,  das  altlateinische  auszusinnen?  Dagegen  erklärt  sich 
dieses  leicht  bei  dem,  welcher  zuerst  den  Widersprüchen  der  griechischen 
Tragiker  und  Komiker  sich  gegenüber  fand  und  eine  Wahl  treffen  musste. 
Ebenso  steht  es  mit  den  Betonungen  wie  omnia  und  den  zwei  betonten 
jambischen  Wortschlüssen  im  Zeilenschluss.  Hatten  die  Römer  einmal 
Dichtungen  gehört,  in  welchen  diese  Freiheiten  angewendet  waren,  so 
hatte  es  keinen  Sinn  mehr,  sie  zu  verbieten.  Zudem  wurzeln  diese  Re- 
geln in  demselben  Boden  wie  das  altlateinische  Dipodiengesetz,  in  der 
besondern  Beachtung  der  betonten  Wortschlüsse.  Sind  aber  diese  wichtigen 
und  kühnen  Neuerungen  auf  den  Mann  zurückzuführen,  dessen  lateinische 
Jamben  und  Trochäen  zuerst  durchschlugen,  so  ist  es  natürlich,  auch  die 
blossen  Verschärfungen  der  griechischen  Regeln,  die  Festhaltung  bestimm- 
ter Caesuren  und  die  Vermeidung  einsilbiger  Wörter  im  jambischen  Zeilen- 
schluss, auf  eben  denselben  zurückzuführen.  In  einzelnen  Dingen  mögen 
einzelne  Dichter  ihre  Liebhabereien  gehabt  haben  und  darin  Nachahmer 
gefunden  haben,  wie  wir  das  oben  an  der  bei  Plautus  und  Terenz  ver- 
schiedenen Caesur  des  jambischen  Octonars  gesehen  haben;  aber  die  Haupt- 
regeln des  altlateinischen  Versbaus,  welche  Plautus  Terenz  und  die  Reste 
der  übrigen  Dichter  zeigen,  scheinen  mit  Sicherheit  auf  den  Mann  zurück- 
geführt werden  zu  müssen,  der  zuerst  mit  dem  Beifall  seiner  Zeitgenossen 
lateinische  Jamben  und  Trochäen  dichtete  und  bei  diesem  schwierigen 
Werk  gezwungen  war,  den  schwankenden  griechischen  Kunstgesetzen 
gegenüber  sich  die  seinigen  festzusetzen. 

Schluss. 

Man  nennt  gewöhnlich  diese  Versgesetze  der  altlateinischen  Jamben 

und  Trochäen  roh    und  zügellos.     Ich  kann  nicht   finden,    weshalb.     Die 

einzige  scheinbare  Zügellosigkeit ,    die  Zulassung  von   1   Länge   oder  von 

14* 


108 

2  Kürzen  in  jegliche  Senkung  der  Jamben  und  Trochäen,  ist  zur  Hälfte 
durch  die  grichischen  Komiker  schon  gegeben  und  von  den  Lateinern 
durch  die  Regeln  über  betonten  Wortschluss  an  den  kritischen  Stellen 
der  Dipodien  wieder  in  Gesetzmässigkeit  verwandelt;  über  die  Elisionen  zu 
urtheilen  ist  schwierig,  da  wir  auch  über  die  Schönheit  oder  Unschönheit 
der  griechischen  Elisionen  noch  nicht  genügend  urtheilen  können.  Aber 
in  allem  Uebrigen  haben  die  Lateiner  entweder  die  nemlichen,  oft  feinen 
Gesetze  wie  die  Griechen  oder  noch  strengere  Gesetze  als  die  griechischen 
Komiker,  ja  zum  Theil  strengere  als  die  griechischen  Tragiker. 

Die  Gesammtzahl  dieser  Gesetze  entspricht  dem  Wesen  des  lateinischen 
Stammes:  sie  sind  verständig  und  einfach.  So  ist  es  auch  erklärlich,  dass 
der  Versuch  Beifall  fand  und  die  dort  angewendeten  Regeln  die  Schul- 
regeln wurden.  Wie  wir  trotz  aller  möglichen  ausländischen  Muster  von 
Dichtungsformen  doch  von  den  Grundgesetzen,  welche  Opitz  geschaffen 
hat,  uns  nicht  haben  losmachen  können,  so  blieben  auch  die  Neuerungen, 
welche  in  der  altlateinischen  Dichtung  sich  finden,  fast  alle  unerschüttert, 
ja  die  Ausnahmen,  welche  in  Hinsicht  auf  die  zahlreichen  entgegenstehenden 
Fälle  bei  den  Griechen  in  der  altlateinischen  Dichtung  noch  hie  und  da 
gestattet  waren,  verschwinden  später  mehr  und  mehr.  Selbst  den  eifrigsten 
Nachahmern  der  Griechen  gelang  es  später  nicht  mehr,  zur  Freiheit  oder 
Gesetzlosigkeit  der  Griechen  zurückzukehren  und  z.  B.  animus  zu  betonen 
oder  Verse  ohne  die  bestimmten  Cäsuren  zu  dichten  oder  Cäsurschlüsse 
wie  uo.fr üv  dsi  oder  Zeilenschlüsse,  wie  cäpüt  meum  oder  alnv/ur/Ta  nal, 
bei  den  Römern  einzubürgern.  Durch  Wiedereinführung  des  Dipodien- 
gesetzes  der  griechischen  Tragiker  geriethen  die  späteren  Puristen  in 
eine  Klemme,  indem  sie  die  Beweglichkeit  des  komischen  Trimeters  auf- 
gaben und  doch  wegen  der  Beibehaltung  von  Anapästen  und  wegen  der 
besonderen  Behandlung  des  5.  Fusses  den  Charakter  des  tragischen  Tri- 
meters nicht  wiedergaben,  so  dass  sie  nur  eine  neue  Gattung,  den  spät- 
lateinischen Senar,  schufen. 

Dagegen  hat  der  Mann,  welcher  im  Bau  der  Jamben  und  Trochäen 
die  geschilderten  Neuerungen  machte,  die  lateinischen  Dichter  auf  den 
Weg  geführt,  auf  dem  sie  eigenen  Ruhm  erwarben.  Er  hat  weit  mehr 
als  seine  griechischen  Vorbilder  auf  die  Verbindungen  geachtet,  welche 
Senkung  und  Hebung  miteinander  eingehen,  sowohl  im  Innern  der  Zeile, 


109 

als  insbesondere  im  Caesur-  und  Zeilenschluss.  Er  hat  damit  nicht  nur 
den  spätem  Dichtern  die  Regeln  für  den  Bau  jambischer  und  trochäischer 
Zeilen  geschaffen,  sondern  einen  Grundsatz  aufgestellt,  den  gewiss  einst 
jeder  Römer  schon  in  der  Schule  gelernt  hat,  dass  Jedermann,  der 
griechische  Versmasse  nachahmen  wolle,  gar  manche  Dinge  sorgfältig 
behandeln  müsse,  an  welche  die  griechischen  Dichter  noch  nicht  gedacht 
hätten,  insbesondere  die  Bildung  der  Caesur  und  des  Zeilenschlusses,  die 
Elisionen  und  Aehnliches.  So  wird  begreiflich,  wie  die  feinern  Regeln 
aufkommen  konnten,  welche  seit  Virgil  und  Ovid  den  lateinischen  Hexa- 
meter beherrschen,  wie  Horaz  dazu  kam,  in  den  Odenmassen,  die  er  zuerst 
in  lateinischer  Sprache  nachahmte,  bestimmte  Regeln  aufzustellen,  welche 
die  Griechen  nicht  gekannt  hatten.  Besonders  die  sorgfältigen  Unter- 
suchungen Lucian  Müllers  haben  gezeigt,  welch  ausserordentliche  Sorgfalt 
die  späteren  lateinischen  Dichter  auf  den  wohlklingenden  Bau  der  Vers- 
zeilen verwendet  haben.  Haben  die  Griechen  auch  weit  Grösseres  geleistet, 
indem  sie  die  wunderbare  Mannigfaltigkeit  ihrer  Dichtungsformen  schufen, 
so  haben  die  Lateiner  immerhin  einiges  Lob  verdient,  indem  sie  die 
nachgeahmten  Zeilenarten  im  Einzelnen  sorgfältiger  und  wohlklingender 
ausbauten.  Auf  diesen  Weg  aber  hat  die  lateinischen  Dichter  der  Mann 
gewiesen,  der  zuerst  die  einfachen  jambischen  und  trochäischen  Zeilen 
der  griechischen  Dramatiker  in  lateinischer  Sprache  nachgeahmt  hat. 

Damit  das  Ende  dieser  Untersuchung  zum  Anfang  zurückkehre,  so 
sei  hervorgehoben,  dass,  wie  vor  Augustin  kein  lateinisches  Gedicht  sich 
findet,  das  nur  nach  dem  Wortaccent  gebaut  ist,  so  auch  keines  sich 
findet,  bei  dessen  Bau  neben  der  Quantität  auch  noch  der  Accent  der 
Silben  mehr  oder  minder  berücksichtigt  wäre.  Der  Ursprung  der  ryth- 
mischen  Dichtung  der  Lateiner  bleibt  also  noch  immer  ein  Räthsel. 
Die  Lösung  dieses  Räthsels  wird  in  einer  andern  Abhandlung  versucht 
werden. 


110 


Nachtrag  zur  Note  auf  S.  66  —  68. 


Geschichte  des  griechischen  und  lateinischen  Trimeters 
in  den  späteren  Zeiten. 

Lykophrons  Alexandra,  die  Gedichte  der  Anthologie,  die  von  Kaibel  zusammen- 
gestellten Inschriften,  die  Nachahmungen  bei  Catull,  in  den  Priapeia  und  in  den  Cata- 
lecta  Vergiliana,  zeigen  den  streng  gebauten,  lyrischen  Trimeter  der  Alexandriner;  nur 
bei  Philipp  Thessal.  finden  sich  Freiheiten  (oben  S.  07),  die  an  die  Richtung  der  damaligen 
römischen  Poesie  erinnern.  Für  die  nächsten  Jahrhunderte  fehlen  mir  Beispiele.  Die 
etwa  38  Dimeter,  Trimeter,  Choliamben,  katalektischen  Trimeter  und  Tetrameter  des 
Diogenes  Lacrtius  (II,  58.  120.  IV,  27.  55.  V,  79.  VII,  104.  170.  184)  haben  regel- 
mässige Caesuren,  keine  Anapaeste  und  nur  5  aufgelöste  Hebungen,  folgen  also  dem  Ge- 
setze des  lyrischen  Trimeters. 

Dass  in  Verbindung  mit  dem  ithyphallischen  Verse  der  komische  Trimeter  bei 
Festgesängen  gebraucht  wurde  (Athen.  XIV  p.  (322  und  besonders  VI  p.  258),  be- 
fremdet nicht;  auffallend  ist  die  andere  —  oben  übersehene  —  Verwendung  des 
komischeu  Trimeters  zu  lehrhaften,  wissenschaftlichen  Darstellungen,  worauf  Meineke 
Com.  Hist.  crit.  p.  IX-XV  hinwies.  Zwar  die  philosophischen  Trimeter  des  Epicharmus 
stammen  wohl  nur  aus  Komödien ;  die  von  Meineke  dem  Aristo  Chius  zugeschriebenen 
Fragmente  sind  unsicher  und  die  dem  Krantor  zugeschriebenen  Trimeter  haben  keine 
entschiedene  komische  Färbung,  da  der  Anapaest  im  4.  Fusse  bei  Stob.  97,  0  <pQovif.iovg 
unsicher  ist.  Dagegen  sind  die  Verse  des  Kleanthes  (vgl.  C.  Wachsmuth  commentatio  II. 
de  Zenone  Cit.  et  Cleanthe  Assio,  Götting.  Index  1.  1874/75  p.  7)  entschieden  komische 
Trimeter;  freilich  sind  mehrere  Fragmente  sicher  Stücke  eines  Gedichtes  in  Dialog- 
form. Zur  trockensten  wissenschaftlichen  Darstellung  wurde  der  komische  Trimeter 
verwendet  von  Apollodor  von  Athen  in  seiner  grossen  Chronographie  (Fragmente  bei 
Gellius  17,  4,  Diog.  Laert.  8,  74.,  Roeper  im  Philol.  Anz.  II  p.  24  und  Gomperz 
Jen.  Literaturz.  1875  p.  604)  und  in  der  Geographie,  welche  von  Strabo  (14,  5,  22 
o  de  ^ÄTCoXKoöojQog  xai  x^QoyQcccpiav  i^tdcoxev  iv  xwfAixqi  ^ittQitJ  yrjg  jieqioöov  Ini- 
ygaipag)  dem  Apollodor,  von  Diels  (Rh.  Mus.  1876  S.  10)  einem  kurz  nachher  leben- 


111 

den  Griechen  zugeschrieben  wird.  Etwa  aus  dem  1.  Jahrhundert  vor  oder  nach 
Christus  stammen  die  etwa  970  komischen  Trimeter  der  Periegese  des  Skymnus  Chius 
und  die  150  des  Dionysius,  dann  die  etwa  1600  des  Mediciners  Servilius  Damokrates 
(vgl.  S.  67),  welche  Galen  (ed.  Kühn  vol.  XII.  XIII.  XIV)  in  den  Büchern  tteqi  avv- 
&eoewg  (paQf.iav.cov  und  neqi  dvTidoTOJv  einzusetzen  pflegte,  weil  so  die  Lehren  über- 
haupt, insbesondere  aber  die  wichtigen  Zahlen  sicherer  dem  Gedächtniss  eingeprägt 
würden.  Die  komischen  Trimeter  des  Apollodor,  Skymnus  und  Dionysius  sind  fein 
gebaut  (vgl.  Meineke's  Ausgabe  S.  44  und  66) ;  um  so  unglaublicher  sind  für  diese 
Zeit  die  schlechten  Trimeter  bei  Servilius  Damokrates  (z.  B.  Spondeen  im  2.  und 
4.  Fusse),  welche  sich  sogar  in  der  Ausgabe  Bussemakers  finden. 

Zu  solchen  wissenschaftlichen  Gedichten  wurde  gerade  der  komische  Trimeter 
wahrscheinlich  desswegen  gewählt,  weil  er  den  Eigennamen  und  technischen  Aus- 
drücken leichter  Unterkunft  bot,  mit  minderer  Mühe  zu  bauen  war  und  der  gewöhn- 
lichen Rede  sich  mehr  anschmiegte  als  der  tragische  oder  der  lyrische  Trimeter.  Das 
deutet  auch  Skymnus  an,  indem  er  seine  Geographie  beginnt:  IldvTiov  ävayxaiOTaTOv 
r[  xcüfAttjdia  .  .  tovt'  eyei,  to  xai  ßgayeiog  *x.aota  y.ai  (fqateiv  oacpcug,  und  dann  nach 
einer  Inhaltsangabe  der  Chronographie  des  Apollodor  bemerkt:  Merqiii  de  xavxrp 
exTiÖevai  hqoeiXeto,  Tot  xtü[Wt(p  de  Ttjg  oaqpijveiag  yuoiv,  Evtivrjf.i6ve.vTov  eoofnevrjv 
ovtioq  oqwv.  Hieraus  möchte  man  schliessen,  dass  schon  Apollodor  die  Anwendung 
des  komischen  Trimeters  zu  rechtfertigen  suchte,  und  dass  die  räthselhafte  Bemerkung 
des  Suidas  cL47roXl6dtooog  tjp^e  7TqcZtov  xtov  TQayia/ußcov    hieraus  ihren  Ursprung  hat. 

Aus  dem  2.  und  3.  Jahrhundert  nach  Christus  fehlen  mir  Beispiele  jambischer 
Dichtungen;  Babrius  behandle  ich  bei  den  Lateinern.  Die  aus  dem  4.,  5.  und 
6.  Jahrh.  oben  (S.  67)  angeführten  Beispiele  des  Gregor  Naz.,  Palladas,  Paulus  Silent. 
und  Agathias  zeigen,  dass  aus  dem  wissenschaftlichen  Gedicht  der  komische  Trimeter 
in  die  anderen  Dichtungsgattungen  eingedrungen  war.  Wie  im  Hexameter  im  5.,  so 
muss  hier  im  6.  Jahrhundert  ein  Rückschlag  erfolgt  sein. 

Das  späte  Scholion  zu  Hephaestioi)  (Script,  metr.  ed.  Westphal  I  p.  151,  Hoerschel- 
mann,  Scholia  Hephaest.  altera,  Dorpat.  1882  p.  18)  scheidet:  To  lafißixov  (xItqov 
diaigelrai  eig  ovo.  to  fiev  yaq  avrov  xaleirai  TQaytxov  re  xai  xiofttxov,  (p  xai  tcov 
TtaXauov  o\  rtolXoi  ly^aavxo  .  .  to  de  Vteqov  tov  lafißwov  fie'oog  xa?*elTai  na&aqöv 
re  xai  tqi/jetqov.  tovtoj  de  oXiyoi  tiov  agyicior  eygrjoavTO.  Mag  auch  das  Schwinden 
der  prosodischen  Kenntnisse  zur  Vermeidung  der  Auflösungen  und  Anapäste  getrieben 
haben,1)  so  haben  doch  die  Byzantiner  mit  Bewußtsein  den  alten  dramatischen  Tri- 
meter aufgegeben  und  den  lyrischen  eingeführt.  Denselben  finden  wir  ziemlich  rein 
zuerst  bei  Georg  Pisides;  z.  B.  in  den  252  Versen  der  1.  Acroasis  der  Expeditio 
Persica  kommen   2  aufgelöste  Hebungen,    3  Anapäste   im   2.  und  2  im  4.  Fusse  vor, 


l1  I  >ie  ebenso  frühe  als  merkwürdige  Missachtung  der  Prosodie  bei  Methodius  Pat.  hat  wohl 
andere  Gründe. 


112 

aber  in  den  541  Versen  des  Bellum  Avaricum  nur  1  aufgelöste  Hebung  und  1  Ana- 
päst (im  2.  Fusse).  Noch  reiner  sind  die  christlichen  Gedichte  der  Anthologie,  die 
freilich  meistens  schon  den  Accent  auf  der  11.  Silbe  haben.  In  diesen  Zwölfsilbern 
wurde  später  die  Prosodie  bisweilen  auf  das  greulichste  missachtet,  wie  in  den  Versen 
des  Pseudokallisthenes,  wobei  freilich  hie  und  da  falsche  Theorien  mitgespielt  haben 
mögen.  So  ist  jener  dorische  Trimeter  mit  Längen  auch  in  der  2.,  4.  und  6.  Senk- 
ung (vgl.  Tzetzes  in  Cramer  Anecd.  graeca  3  p.  308  und  Hart  de  Tzetzaram  no- 
mine etc.  p.  72)  nicht  nur  mit  Absicht  von  Teetzes  vor  seinen  Hesiodscholien  ange- 
wendet, sondern  vielleicht  von  manchem  andern  Dichter,  wie  von  den  Medicinern  bei 
Ideler  Physici  et  Medici  II  p.  328—352. 

Der  spätlateinische  Senar. 

Die  spätere  Geschichte  des  lateinischen  jambischen  Senars  ist  von  der  des 
griechischen  weit  verschieden.  Den  altlateinischen  Senar  finden  wir  abgesehen  von 
Phaedrus  und  den  S.  66  erwähnten  Gedichten  bei  Antonius  Musa,  Precatio  terrae 
und  Precatio  herbarum,  nur  bei  Apnleins  und  Ansonius  verwendet.  Die  24  Senare 
des  A  pul  ei  us  yiveyö(.ievog  ex  Menandro  (Bährens  Poet.  min.  IV  p.  104)  haben  20 
aufgelöste  Hebungen  (auch  Venus  und  fäcit),  3  Anapäste  im  1.,  je  1  im  4.  und  5.  Fusse, 
7  Spondeen  im  2.  und  10  im  4.  Fnsse,  wobei  nur  der  eine  Anapäst  im  4.  Fusse  regel- 
widrigen betonten  Worischluss  bildet.  Die  8  Senare  in  der  Apologia  cap.  6  haben 
5  aufgelöste  Hebungen,  1  Anapäst  im  1.,  4  Spondeen  im  2.  Fusxe.  Ausonius  hat 
in  seinem  Ludus  VII  Sapientium  (212  Senare)  ebenfalls  den  altlateinischen  Versbau 
angewendet,  was  Raehse  (de  re  metrica'Ausonii)  nicht  einmal  gemerkt  hat.  Er  hat 
56  aufgelöste  Hebungen ,  davon  16  in  zweisilbigen  Wörtern  und  V.  223  agere  im 
1.  Fuss,  3  Anapäste  im  1.,  5  im  5.  Fusse.  Im  2.  Fuss  stehen  5  Anapäste  und  15 
Spondeen,  im  4.  Fusse  6  Anapäste  und  48  Spondeen.  Regelwidrigen  betonten  Wort- 
schluss  (im  2.  oder  4.  Fusse)  bildet  wiederum  kein  Spondeus  (denn  118  ministrorüm 
ist  nur  Conjektur),  dagegen  1  Anapäst  (209)  im  2.  und  3  im  4.  Fuss.  Dazu  kommen 
die  falsch  gebildeten  Anapäste:  a)  V.  80  nöminä  serta  und  108  füneris  ipsum  (beide 
Conjekturen)  und  b)  132  manendö  Sölönem,  133  paücä  dm,  138  yvui&i  oeccvtov  und 
212  abire  mölestus.  10  Verse  haben  jambische  Wortschlüsse  im  5.  Fuss,  12  Verse 
die  Caesur  sicher  im  4.  Fusse,  V.  177  keine  Caesur.  Altlateinisch  ist  vielleicht  auch 
der  Bau  von  Auson's  trochäischen  Septenaren. 

In  allen  übrigen  Dichtungen  ist  der  spätlateinische  Senar  angewendet, 
welcher,  aus  dem  lyrischen  Trimeter  der  Alexandriner  hervorgegangen,  durch  selbständige 
Aenderungen  bei  Horaz  und  noch  mehr  bei  Seneca  als  eine  von  dem  tragischen, 
komischen,  wie  lyrischen  Trimeter  der  Griechen  und  von  dem  altlateinischen  Senar 
verschiedene,  eigene  Art  auftritt.  Das  Hauptmerkmal  ist,  dass  die  2.  Senkung  jeder 
Dipodie    nur  durch  1  Kürze  gebildet  wird ,    eine  Regel ,    die   nur    bei  Avien ,    Auson, 


113 

Paulinus  und  Capeila  verletzt  wird,  hauptsächlich  in  Eigennamen  und  Fremdwörtern. 
Im  übrigen  dreht  sich  die  Geschichte  des  spät-lateinischen  Senars  hauptsächlich  um 
die  aufgelösten  Hebungen,  die  Anapäste,  die  Caesur,  die  Bildung  des  vorletzten  Fusses 
und  des  Zeilenschlusses.  Die  meisten  Punkte  hat  Lucian  Müller  in  dem  Buche  de  re 
metrica  behandelt,  doch  wird  die  folgende  Darstellung  ihren  Nutzen  haben.  Ich  be- 
handle dabei  auch  die  übrigen  jambischen  Zeilen  und  (mit  Ausnahme  des  Terentianus 
Maurus)  auch  die  trochäischen  Septenare.  Zu  bemerken  ist,  dass  die  jambischen  Senare 
stets  mehr  Anapäste  und  aufgelöste  Hebungen  bieten  als  die  übrigen  jambischen  und 
trochäischen  Zeilenarten. 

Die  aufgelösten  Hebungen  sind  bei  Seneca  weitaus  am  häufigsten;  im 
Laufe  des  5.  Jahrhunderts  verschwinden  sie  fast  ganz.  Ein  einzelnes  zweisilbiges 
Wort  nehmen  sie  bis  Terentianus  nicht  selten  ein;  später  finden  sich  nur  sehr  wenige 
der  Art  bei  Paulinus  und  in  den  Trochäen  des  Ausonius  (viele  natürlich  in  den  alt- 
lateinischen Senaren  des  Ausonius).  Die  fünfte  IIr/<><i></  ist  nur  5  Mal  bei  Seneca  und 
1  Mal  bei  Prudentius  aufgelöst,  abgesehen  von  den  sogleich  zu  erwähnenden  Fällen. 
Die  Betonung  qualfa  im  1.  Posse  nennt  Zechmeister  (Wiener  Studien  I  p.  140)  eine 
abscheuliche  und  nicht  einmal  bei  Plautus .  ^»'schweige  denn  bei  Paulinus  von  Nola 
mögliche,  mit  Unrecht  (vgl.  S.  36);  denn  sie  findet  sich  bei  Seneca,  Petron,  Terentian, 
Avien .  Auson,  Paulin,  Prudentius  und  Capeila.  Wie  diese  Imrten  Betonungen  im 
1.  Fasse,  bo  dürfen  auch  die  im  5.  Fusse  bei  Avien  (stadfa.  tenüe),  Paulin  (deposita) 
und  Capella  (decipula)  zugelassen  werden ,  da  ja  auch  diese  beiden  Füsse  allein  den 
Anapäst  statt  des  Jambus  zulassen.  Der  Procefo><s)>ititi<ns  findet  sich  nur  bei  Teren- 
tianus 2  Mal  im  1.  Fusse. 

Anapaeste  linden  sich  bei  Seneca  und  Petron  sehr  viele,  im  5.  Fusse  mehr  als 
im  ].,  einige  sogar  im  3.  Fusse.  Dies  Verhältniss  änderte  sich  bald.  Im  dritten 
Fusse  findet  sich  nur  noch  1  An.  bei  Terentianus;  (mit  Flodoard  rechne  ich  natürlich 
nicht  mehr).  Der  Anapäst  im  vorletzten  Fusse  wurde  immer  seltener;  dagegen  der 
Anapäst  im  1.  Fusse  war  zu  allen  Zeiten  ziemlich  beliebt. 

Die  Caesur  im  3.  oder  4.  Fusse  fehlt  sehr  selten  bei  Horaz ,  Terentianus, 
Avien,  Paulinus,  Prudentius;  in  der  Caesur  findet  harte  Elision  sich  oft  bei  Avien, 
selten  bei  Horaz,  Auson,  Paulin;  Hiatus  ist  in  der  Caesur  nicht  selten  bei  Capella. 
Einsilbige  Wörter  vor  der  Caesur  im  '.\.  Fusse  sind  selten,  noch  viel  seltener  vor  der 
Caesur  im  4.  Fusse  (bei  Terentian  und  Prudentius).  Die  sichere  Caesur  im  vierten 
Fusse,  d.  h.  mit  vorangehendem  drei-  oder  mehrsilbigen  Worte,  ist  im  Anfange  ziemlich 
häufig;  später  verschwindet  sie  fast  gänzlich  (vgl.  besonders  Avien).  Dass  in  den 
Choliamben  Caesur  im  4.  Fuss  seltener  sich  findet,  scheint  natürlich;  aber  sonderbar 
ist  doch,  wie  selten  (10  -f-  6  Mal)  Martial  dieselbe  hier  anwendet;  denn  dass  die 
sümmtlichen  6  Zeilen  von  1 ,  77  die  Caesur  im  4.  Fusse  haben ,  bezeugt  gerade,  wie 
auffallend  sie  war. 

Im  vorletzten  Fusse  haben  Seneca  und  Petron  die  Regel  des  altlateinischen 
Senars  bis  dahin  übertrieben,  dass  sie  in  die  vorletzte  Senkung  überhaupt  keine  Kürze 
Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  I.  Abth.  15 


114 

setzten;  (vgl.  oben  Seite  41).  Aber  ihre  Nachfolger  lassen  alle  eine  Kürze  in  der 
vorletzten  Senkung  unbedenklich  zu,  dagegen  kommt  der  betonte  Wortschluss  wieder 
in  Frage.  Die  einen,  wie  Terentian  und  Avien,  lassen  ihn  unbedenklich  zu,  die  meisten 
aber  meiden  ihn,  ähnlich  wie  die  altlateinischen  Dichter  und  wie  Horaz  in  den  Dimetern. 
Zu  bemerken  ist  jedoch,  dass  in  den  spätesten  Zeiten  sich  im  letzten  Fusse  auffallend 
wenige  zweisilbige  Wörter  finden,  wohl  eine  Einwirkung  der  rythmischen  Poesie,  die 
ja  im  jambischen  Zeilenschluss  keine  zweisilbigen  Wörter  brauchen  kann.  Die  5.  Senk- 
ung der  Choliamben  ist  1  Kürze;  nur  bei  Babrius  und  Boetius  einige  Male  1  Länge. 
Die  letzte  Hebung  wird  zu  allen  Zeiten  selten  durch  ein  einsilbiges  Wort 
gebildet.  Ueber  Horaz  und  Seneca  siehe  oben  Seit«  48.  Ausser  est  finden  sich  bei 
Terentian  fit.  hie ,  bei  Avien  sunt,  se ,  bei  Auson  sunt.  hoc.  ut.  (et),  bei  Paulin  et, 
bei  Prudentius  nur  in  den  Dimetern  je  1  sunt.  est.  sit,  bei  Capeila  es. 

Die  lateinischen  Jambendichter  der  späteren  Zeit. 

Die  jambischen  "Verse  des  Ca  tu  11,  der  Priapeia  und  Catalecta  Virgiliana 
gehen  theilweise  noch  über  den  strengen  Bau  der  Alexandriner  hinaus  durch  die  Ver- 
meidung von  aufgelösten  Hebungen  (bei  Catull  nur  22,  19.  37,  5.  59,  3.  Priap.  51,  18. 
58,4.  Catal.  13  (5),  13.  36.  40)  und  von  Anapästen,  noch  mehr  durch  die  rein  jambischen 
Reihen,  von  denen  uns  kein  griechisches  Beispiel  überliefert  ist.  Horaz  hat  in  seinen 
Epoden  wieder  einige  Freiheiten  gewagt,  mehr  Auflösungen  und  einige  Anapäste 
(2,  35.  65;  2,  35.  5,  79.  11,  23),  sonderbar  gehäuft  in  Ep.  2,  35.  5,  15.  17,  12;  offenbar 
meidet  er  einigermassen  den  jambischen  Wortschluss  im  vorletzten  Fusse;  (vgl.  ferner 
oben  S.  41.  48.  54.  55.  59.  65.)« 

Der  Senar,  wie  er  bei  Seneca  und  Petron  (§  89)  auftritt,  ist  eine  Mischung 
des  griechischen  Senars  (Kürzen  in  der  2.  und  4.  Senkung)  mit  altlateinischen  Elementen. 
So  sind  sehr  viele  Hebungen  aufgelöst,  doch  nur  selten  im  5.  Fusse  (in  5  Versen  des 
Seneca),  nicht  selten  fallen  sie  in  zweisilbige  Wörter,  z.  B.  Phaedra  196  quöque,  232 
genus,  272  läbor,  483  niägis,  601  locus,  685  ego,  845  quöque,  (1067  mihi),  1111 
modo,  1180  Styga;  Petron  18  metus.  Im  1.  Fusse  kommen  Betonungen  vor,  wie 
die  des  Petron:  6  roböra,  24  altäque,  31  undäque.  Die  5.  Senkung  ist  so  gut  wie 
nie  durch  1  Kürze  gebildet  (vgl.  S.  41),  geschweige  dass  der  vorletzte  Fuss  jambischen 
Wortschluss  bilde;  (Vgl.  noch  S.  48.  54.  55.  60).  Für  Seneca  konnte  ich  nur  Hoche, 
die  Metra  des  Trag.  Sen.,  benützen.  Dieselbe  Häufung  der  aufgelösten  Hebungen 
und  Anapäste  zeigt  sich  bei  Persius,  Martial  und  dem  nach  römischer  Weise 
dichtenden  Babrius.  Auffallend  ist  bei  Martial,  dass  so  ausserordentlich  wenig  Choliam- 
ben die  Caesur  im  4.  Fusse  haben:  von  den  790  nur  10  ([3,  93,  20].  IV,  37,  4.  61, 
14.  V,  14,  8.  37,  13.  24.  VI,  74,  4.  VIII,  44,  3.  XH,  13,  2.  32,  11),  und  die  sämmtlichen 
6  Zeilen  von  I  77  (vgl.  Rossignol,  Fragments  d.  Choliambographes  p.  24):  während 
Babrius  gerade  durch  die  grosse  Zahl  dieser  Caesuren  (z.  B.  15  unter  111)  auffällt; 
dann  hat  B.  im  5.  Fuss  (selten)  einen  Spondeus,    im    6.  Fuss  fast  stets  Paroxytonon. 


115 

Für  das  2.  und  3.  Jahrhundert  fehlen  mehr  Beispiele;  die  17  Dimeter  bei  Grellius 
19,  11  lehren  wenig.  Terentianus  Maurus,  der  wohl  noch  in  das  3.  Jahrhundert 
fällt,  hat  ziemlich  rauhen  Versbau:  in  V.  1613  und  2308  steckt  der  3.  und  4.  Fuss 
in  dem  Wort  trisyllabis;  in  V.  1587.  1670.  1688.  1716.  2247  bildet  der  3.  Fuss 
jambischen  oder  spondeischen  Wortschluss  und  fehlt  auch  im  4.  Fusse  die  Caesur; 
noch  schlimmer  klingt  V.  2243  Aristophanis  ingens  micat  sollertia ,  und  schlecht  ist 
die  Caesur  im  4.  Fusse  2268  Carmen  per  ömne;  Zeilenschluss  bildet  fit  1678  u.  2425, 
hie  2361  und  oft  est.  Anapäste  stehen  wenige  im  5.  Fusse,  dagegen  1  im  3.  Fusse 
V.  2384  quia  prima  und  2  Proceleusmatici  im  1.  Fusse:  2226  quia  stölida  und  2357 
is  erft  anapaestus;  am  jambischen  Wortschluss  im  5.  Fusse  nahm  er  keinen  Anstoss. 
ImPervigilium  Veneris  stehen  sehr  wenige  aufgelöste  Hebungen  und  Anapäste ; 
der  1  jambische  Wortschluss  im  vorletzten  Fuss  89  venit  meüm  ist  unsicher.  Dagegen 
ist  der  jambische  Wortschluss  im  vorletzten  Fusse  bei  Tiberianus  (Bährens  Poet.  min. 
III  p.  264)  sicher.  Die  46  Senare  und  25  Choliamben  bei  Julius  Valerius  Res 
Alexandri  M.  habe  ich  nicht  benützen  wollen;  es  wäre  sehr  zu  wünschen,  dass  wenigstens 
diese  Stücke  mit  genügender  Vergleicliung  der  Handschriften  neu  edirt  würden. 

Der  Versbau  des  A  v  i  e  n  ist  ziemlich  rauh ;  er  vermeidet  es  zwar  (hierin  ist  er 
für  uns  der  Erste)  eine  aufgelöste  Hebung  durch  ein  zweisilbiges  Wort  zu  bilden, 
allein  er  hat  im  1.  Fusse  die  Betonungen  122  Adicit  et,  368  Agere  car.,  553  Popülus 
ag.,  601  Capita  iug.,  und  im  5.  Fusse  313  per  stadia  modo  und  335  Locös  utrosque 
intrr  fluit  tenüe  fretum  (L.  Müller  freilich  ändert  313  und  betont  335  tenue).  Auf- 
fallender Weise  fand  ich  kein  sicheres  Beispiel  für  Caesur  im  4.  Fusse;  dagegen  ist 
h&nfig  harte  Elision  im  3.  Fusse,  wie  wir  sie  eben  in  335  sahen,  (besonders  hart 
in  373);  in  V.  130.  167.  186  fehlt  die  Caesur.  Jambischer  Wortschluss  im  5.  Fusse 
ist  unbedenklich  zugelassen  und  der  Zeilenschluss  in  8  Versen  durch  est  ohne  Elision, 
in  5  durch  sunt,  in  2  durch  se  gebildet.  Dem  Eigennamen  zu  Liebe  scheint  V.  655 
ein  Anapäst  im  2.  Fusse  gewagt  zu  sein. 

Ausonius  meidet  ebenfalls  schon  die  Anapäste  im  5.  u.  die  Caesur  im  4.  Fusse; 
au  Hallender  sind  die  Spondeen  im  2.  Fusse  der  jambischen  Dipodie;  so  im  2.  Fusse 
des  Senars:  Prof.  16,  13  Et  Epirote,  im  4.:  Epist.  21,  23  salvere  und  39  cruci««^, 
dann  in  den  Dimetern :  Epist.  16,  22  Augiisti,  75  Ausonius  women,  74  apolo</os  en., 
Ephem.  Parecb.  10  Rei  divin&e,  17  Maiesfas  ünius  dei.  Cento  4,  2  laseim  Paule; 
dann  der  Anapäst  im  2.  Fusse  des  Dimeters  Epist.  16,  81  Fandi  Titidnus;  (falsch 
gebildet  wäre  der  Anapäst  Ephem.  Par.  20  Et  cögitätio  nüminis);  auch  der  Dimeter 
Epist.  16,  87  Silvios  Julis  miseuit  zeigt,  dass  insbesondere  der  Eigennamen  wegen  die 
strengsten  Versregeln  gebrochen  wurden.  Am  auffallendsten  ist  der  Bau  seiner  22 
trochäischen  Septenare,  wo  nicht  nur  1  Mal  (Prof.  12,7)  die  Caesur  in  harte  Elision 
fällt,  sondern  nicht  weniger  als  11  Mal  das  Dipodiengesetz  verletzt  ist.  Da  zu  alt- 
lateinischem Versbau  (worauf  freilich  auch  die  aufgelösten  Hebungen  lege  und  tibi 
deuten)  durchaus  kein  Anlass  vorlag,  anderseits  Auson  nicht  die  3.,  sondern  nur  die  1. 
und  5.  Senkung,  also  den  Anfang  jeder  Halbzeile  regelwidrig  gebildet  hat,  so  ist  das 

15* 


116 

vielleicht  eine  bewusste  Aenderimg  des  Auson  selbst.  Sonst  ist  zn  bemerken  der  1.  Fnss 
Epigr.  114,  28  Venfat  in  und  die  Schlüsse  est,  sunt,  hoc,  ut,  denen  wohl  in  Epist. 
16,  14  et  beizurechnen  ist,  damit  nicht  im  nächsten  Verse  cEt  mellifluentem  Nestora 
ein  Anapäst  im  2.  Fusse  steht.  (Vgl.  T.  Raehse,  de  re  metrica  Ausonii,  Rostocker 
Diss.  von  1868,  und  Schenkls  Index  metricus.) 

Der  Text  des  Paulin us  von  N o  1  a  ist  in  Migne's  Abdruck  leider  noch  sehr 
entstellt.  Senare  ohne  Caesur  finden  sich  Poema  7,  3;  24,  659.  895;  harte  Elision  in 
der  Caesur  Poema  10,  65.  11,  67.  24,  917.  Harte  Betonungen  im  1.  Fusse  cornfbus 
Poema  24,  883  und  qualia  24,  329  und  wohl  zu  halten  ist  auch  die  gleiche  Betonung 
im  5.  Fuss  P.  10,  75  vel  mage  deposita  sibi  (dagegen  Zechmeister  I  p.  140).  Auf- 
fällig sind  bei  Paulinus  die  unreinen  Senkungen  im  2.  Fusse  der  Dipodie.  Manche 
derselben  hat  Zechmeister  (Wiener  Studien  I  p.  139  folg.  II,  310)  beseitigt;  allein  er 
selbst  hat  im  4.  Fusse  der  Senare  2  Anapäste  gelassen  24,  413  nee  lapide  ärtus  und 
617  mört//»cäns,  denen  wohl  10,  24  nön  ope  sed  und  10,  75  vel  mage  deposfta  zuzu- 
zählen sind,  dann  24,319  Caligis  tarnen  iste  im  2.  Fuss  (dagegen  Zechmeister  I  p.  140 
und  II,  310);  der  Proceleusmaticus  in  24,  407  Parvö  breve  per  iter  aere  conduetum 
sedet  ist  vielleicht  durch  Umstellung  zu  entfernen  Breve  parvo  per  iter.  Wenn  dann 
auch  der  Dimeter  24,  820  Sic  mixtus  ut  non  mix<«5  sit  unmöglich  ist,  so  ist  doch 
der  andere  Dimeter  24,  364  Cui  Centumceüas  nomen  est  und  die  18  Spondeen  im 
4.  Fusse  des  Senars  bei  Zechmeister  1  p.  I  H  unbestreitbar.  Den  Zeilenschluss  bildet 
Paulinus  in  8  Versen  durch  et  (10,  »7.  24,  167.  4Ö2).  Ein  zweisilbiges  Wort  füllt 
die  aufgelöste  Hebung  in  24,  221.  (427).  657. 

Prudentius  hat  seine  Jamben  sorgfältig  gebaut.  Doch  ist  noch  ein  grosser 
l'nterschied  zwischen  der  langen  Erzählung  über  Romanus  (Perist.  X  ;  1 140  Senare)  und 
den  übrigen  jambischen  und  trochäischen  Zeilen.  Denn  während  in  jener  Erzählung 
ziemlich  viele  Anapäste,  manche  Auflösungen  (im  5.  Fusse  667  filiole  ait  und  im 
1.  Fuss  die  harten  Betonungen  675  genera,  791  und  841  talia,  788  novit  animator, 
1004  quaerit  alienus),  manche  Caesuren  im  4.  Fusse  (darunter  die  schlechten  809  in- 
belli  iäma  ac  und  842  tendebät  gub)  und  einige  caesurlosen  Verse  (12;  17.  108.  921) 
vorkommen ,  so  stehen  in  den  übrigen  jambischen  und  trochäischen  Zeilen  weniger 
Anapäste,  fast  gar  keine  Auflösungen  (nur  in  den  Dimetern  Cath.  12,  141  Sic  stulta 
Phäraonis  mali  und  Perist  2,  83  Et  summa  pieiva  creditur;  dann  in  den  trochäischen 
Septenaren  Cath.  9,  40.  103  und  Perist.  1 ,  72)  und  stets  die  Caesur  im  3.  Fu.- 
Vor  der  sicheren  Caesur  im  3.  Fusse  steht  nie  ein  einzelnes  einsilbiges  Wort. 

Von  Ambrosius  sicher  verfasst«  sind  die  vier  Hymnen  cDeus  creator  omnium. 
Aeterne  rerum  conditor'.  'Veni  redemptor  gentium'.  £Jam  surgit  hora  tertia  (nach 
Joh.  Kayser,  Beiträge  z.  Gesch.  u.  Erkl.  d.  ältesten  Kirchenhymnen.  2.  Aufl.  1881). 
Diese  120  Dimeter  sind  sehr  streng  gebaut;  (5  Elisionen  im  Ganzen).  Sowohl  die 
beiden  Anapäste  finden  sich  in  einer  Strophe  (cVeni  redemptor5  4,  2.  3)  als  die  beiden 
jambischen  Wortschlüsse  im  vorletzten  Fuss  (Main  surgit'  8,  2.    4).    Von  den  übrigen 


117 

von  Aurelian  vor  a.  555  genannten  Hymnen  sind  nur  2  ähnlich  rein :  'Ter  hora  trina 
volvitur'  24  Dimeter  und  'Hie  est  dies  verus  dei'  40  Dimeter. 

Martianus  Capella  (vgl.  F.  0.  Stange,  de  re  metrica  M.  C.  Leipzig  Dissert. 
1882  p.  20 — 31)  hat  mehrere  auffallende  Eigenthümlichkeiten.  Unter  den  wenigen 
aufgelösten  Hebungen  findet  sich  §  997  (Eyssenhardt)  Satüra  im  1.  und  §  423  deci- 
püla  im  5.  Fuss.  Die  Caesur  findet  sich  stets  im  3.  Fusse,  doch  10  Mal  mit  Hiatus. 
Während  Capella  sonst  nur  selten  wie  Paulinus  im  2.  oder  4.  Fusse  Spondeus  sich 
erlaubt  (im  4.  Fuss:  §  120  früctüs  aethram?  §  914  fescemrina;  im  2.  Fusse:  §  423 
soritas;  704  intrieänte.  volüptas  inquit.  üt  credätur),  so  sind  diese  Fehler  in  den 
27  Zeilen  von  §  997 — 1000  so  gehäuft,  das.s  man  wohl  an  Systemwechsel  denken  muss. 
Bei  Sidonius  (epist.  14),  Luxorius  und  Asmenius  (Bährens  Poet.  min.  IV 
p.  387.  400.  152)  sind  nur  die  Anapäste  im  1.  Fusse  geblieben,  alle  Auflösungen, 
Anapäste  im  5.  Fusse  und  Caesuren  im  4.  Fusse  geschwunden;  freilich  bekennt  Sidonius 
'metrum  diu  infrequentatum  durius  texitur\  Dagegen  Boetius  folgte  in  seiner  Conso- 
latio  Philos.  einem  freieren  Muster. 

Nach  dem  zufällig  benützten  Dichter  oder  Grammatiker  richten  sich  die  wenigen 
Dichter ,  welche  im  Mittelalter  Jamben  fabricirt  haben.  So  F 1  o  d  a  r  d  Rem.  (um 
950,  Migne  Patrol.  135),  der  in  seinem  Gedichte  De  triumphis  Christi  viele  Senare 
hat.  In  den  150  Versen  de  tr.  Chr.  Antiochiae  I  cap.  7 — 11  finden  sich  z.  B.  10  Verse 
mit  Caesur  im  4.  Fusse,  2  ohne  Caesur,  :'.  mit  der  schlechten  Caesur  im  4.  Fusse,  wie 
trusos  in    ünis;    dann    13  Anapäste  im    1.,    1  im  5.  und  bei.  Eigennamen  2  bis  3  im 

3.  Fusse;  Auflösungen  nur  2  (equüleo  and  sfbi);  im  Zeilenschluss  von  nur  8  Versen 
ein  zweisilbiges  Wort,  dem  in  einem  Verse  ein  jambischer  Wortschluss  vorangeht. 
In  den  70  Versen  de  Triumph,  apud  Italiam  XIII  cap.  26 — 30  finden  sich  10  Anapäste 
im    1.,    1    im    5.  Fusse    und    1    aufgelöste    Hebung;    8    Verse    haben    die    Caesur   im 

4.  P\isse,  1  V.  keine;  8  Verse  schliessen  mit  einem  zweisilbigen  Wort,  dem  in  2 
jambischer  Wortschluss  vorangeht. 

Dagegen  hat  Hermann  von  Eteichenau  a.  1044 — 104(5  (ed.  Dümmler  in  Zeit- 
schrift f.  deutsch.  Alterthum  13  (1865)  p.  385—434)  in  1162  Dimetern  keine  Auf- 
lösung, 34  Anapäste  im  ersten,  aber  keinen  im  3.  Fusse;  26  jamb.  Wortschlüsse  im 
3.  Fusse;  Elisionen  ziemlich  viele;  im  Zeüensehlusfi  nur  vis.  sis  und  sit.  Durch  die 
grossartigen  Schöpfungen  der  rythmischen  lateinischen  Dichter  seiner  Zeit  Hess  Metellus 
in  Tegernsee  a.  1167  sich  verführen,  in  seinen  Quirinalis  (ed.  Canisius-Basnage  111,2) 
die  Strophenarten  des  Horaz  und  ähnliche  nachzuahmen.  In  den  gewöhnlichen  Tri- 
metern  hat  er  keine  Anapäste  und  keine  Auflösungen,  aber  in  seinem  Metrum  jambicum 
Archilochium  S.  160  und  169  versucht  er  diese  Freiheiten  anzuwenden,  doch  in 
schrecklicher  Weise  z.  B.  Ubi  dum  populi  frequentia  se  densans  premit.  Von  Caesuren 
\viii-  in  seinem  metrischen  Handbuch  nicht  die  Rede,  also  finden  sich  auch  keine  in 
seinen  Senaren. 


118 


Catull*) 

rein  jambische  Senare 
Senare 
Chob'amben 
jambische  Septenare 

Priapeia 

rein  jambische  Senare 
Choliamben 

Catalecta  Virg 
rein  jambische  Senare 
Senare 
Dimeter 
Choliamben 

Horaz  Epoden 

rein  jambische  Senare 

Senare 

Dimeter 

Seneca  Tragödien 
Senare 

Petronitis 
Senare 
Choliamben 

Persius  Prolog 
Choliamben 

Martial 
Senare 
Dimeter 
Choliamben  in  den  ersten 

Babrius  Fab.  5  u.  95 
Choliamben 

Terentianus  Maurus 
Senare 
Choliamben 
3x/2  Jamben 


51 

4= 

126 

13 

66 

81 


40 
20 
20 

18 

33 

278 
226 

8511 

65 
8 

14 

28 

28 

110 

111 

300 
21 
30 


Kw) 


0 

22 +(4) 
3+d) 

3540 


33 -HD 

1 


5 
3 

25 +(4) 

9+d) 

25  +  (8) 

2  +  (l) 

0 


0 
0 
0 
0 

0 
0 

0 
0 
0 
0 

0 
2 
0 

1319 

10 

1 


25 
2 
0 


1846 
17 


1 

3(-l) 


w    5 

nur  "  — 


1 

0 

,v  5 


0         — 


17 
3 


0 

w  5 


iurw  — 

0 
0 

w    5 

lur  v  — 

auch 
ö 

20 


3V2+2V2 


12 

0 

8 

(4+3V2) 

14 

0 


11 
3 


1 
17 


oft 

6 

1 


3 

0 

15 

14 
1 


16,  8  Caes.  mit  harter  Elision 
1,  19  u.   11,    15  ohne  Caesur 


34  An.  im  3.  Fuss;  5.  Senk, 
stets  lang 


1   An.    im  3.  Fuss;    5.  Senk, 
stets  lang 


5.  Senkung  in  2  V.  kurz 
3.  Senknng  in  1  V.  kurz 
Caesur    sehr  selten  im  4.  F. 


in  1800  Chol,  etwa   250  Auf- 
lösungen 


1  An.  im  3.  F.  ;  2  Proceleusm. 
im  l.F.:6Sen.  ohne  Caes. 


*)  In  der  1.  Rubrik  sind  gezählt  die  Verse,  in  der  2.  die  Auflösungen,  wobei  die,  welche  ein 
zweisilbiges  Wort  einnehmen,  in  (  )  stehen;  in  der  3.  die  Anapäste  im  1.  Fuss;  in  der  4.  die  Ana- 
päste und  in  der  5.  die  jambischen  Wortschlüsse  im  vorletzten  Fuss  der  Senare  und  Dimeter;  in  der 
6.  die  Caesuren  im  4.  Fuss  der  Senare. 


119 


U     \j  

5 

w    w 

5 

KJ    

W     \J  

1 

w     w  

3 

3 

3V3+2V2 

(:  J 

Pervigüiuvi  Veneris 

trochäische  Septenare 

83 

5 

— 

— 

1? 

(4+3V2) 

3  Anap.  im  2/3,    1  im  67  F. 

Tiberianus 

trochäische  Septenare 

20 

2 

— 

— 

1 

(4+3V2) 

Amen 

Senare 

700 

88 

101 

72 

44 

0 

3  V.  ohne  Caesur,  viele  mit 
harter  Elision 

Ausonius  (ausser  Ludus) 

Senare 

205 

29 

24 

6 

5 

2 

_  *.  1  Mal ;       ,4.  2  Mal 

Dimeter 

346 

12 

26 

4 

2 

— 

_  _L  6  Mal ;     ^  o  f_  1  Mal 

Choliamben 

13 

1 

4 

— 

nur-A 

0 

1  V.  mit  harter  Elision 

trochäische  Septenare 

22 

3  +  (2) 

— 

— 

— 

(4+3V2) 

Dipodie  oft  verletzt 

Panlinus 

Senare 

754 

94  +  (3) 

112 

4 

5 

4 

3  V.  ohneCaes.,  3  mit  harter 

Dimeter 

522 

16 

57 

4 

3 

— 

Elision,-    _  J_    18    Mal; 
w  v_4    4  Mal 

Priuhnliiis 

De  Romano.     Senare 

1140 

88 

82 

38 

7 

13 

4  ohne  Caesur 

Senare  (sonst) 

432 

0 

16 

4 

5 

0 

Dimeter 

1723 

2 

77 

14 

13 

— 

5 1/2  Jamben 

51 

0 

0 

— 

nur"! 

(2V2+3) 

5.  Senkung  stets  kurz,    ohne 
Caes.  Epil.  8 

ß1/*  Jamben 

152 

0 

11 

— 

nur-1 

— 

3.  Senkung  stets  kurz 

trochäische  Septenare 

234 

3 

— 

— 

3 

(4+3V2) 

1  An.  im  6/7  Fuss 

AmbrosiiM,  4  Hymnen 

Dimeter 

124 

0 

1 

i 

1 

2 

— 

Martianus  Capeila 

Senare 

154 

9 

12 

0 

0 

0 

10  V.  mit  Hiatus  in  Caesur, 

l>iuieter 

28 

0 

0 

0 

— 

— 

2     u.         4      oft   in   § 

2    „  vr  i              1997-1000 
13  Mal 

Sidonius 

Senare 

55 

0 

20 

0 

1 

0 

nur  S  zweisilbige  Schlüsse 

Boetius 

Senare 

16 

5 

2 

4 

0 

0 

Dimeter 

39 

,0 

0 

1 

0 

— 

Choliamben 

25 

3 

2 

— 

auch 
ö 

0 

Luxorius 

Senare 

16 

o' 

0 

0 

2 

0 

Asilll  llillS 

Senare 

25 

0 

4 

0 

0 

0 

120 

Weil  der  Jambus  nicht  nur  mit  dem  Spondeus,  sondern  auch  mit  dem  Tribrachys, 
Daktylus,  Anapäst  und  Proceleusmatikus  vertauscht  werden  kann,  ist  er  ein  viel  sen- 
siblerer Fuss  als  der  Daktylus  und  bieten  die  jambischen  Zeilen  der  wissenschaftlichen 
Beobachtung  viel  mehr  Merkmale  als  die  daktylischen.  Leider  sind  aus  der  späteren 
Zeit  wenige  jambische  Dichtungen  erhalten.  Von  den  griechischen  Dichtern  um  Christi 
Zeit  wird  in  lyrischen  Gedichten  der  von  dreisilbigen  Füssen  fast  freie  lyrische,  in 
trockenen  lehrhaften  Gedichten  der  vielgestaltige  komische  Trimeter  angewendet;  im 
4.  bis  in  das  6.  Jahrhundert  herrschen  für  die  verschiedenartigsten  Stoffe  nur  komisehe 
Trimeter;  im  6.  Jahrhundert  kommt  in  allen  Dichtungsgattungen  der  von  dreisilbigen 
Füssen  freie  zwölfisilbige  Trimeter  zur  dauernden  Herrschaft.  Das  übertreue  Abbild 
des  lyrischen  Trimeters  der  Alexandriner,  welches  Catull  und  Zeitgenossen  von  ihm  zeigen, 
findet  sich  bei  Horaz  und  insbesondere  bei  Seneca  durch  eine  Reihe  von  Zuthaten  zu 
dem  von  jeder  Art  der  griechischen  Trimeter  verschiedenen,  eigenartigen  spätlateinischen 
Senar  umgestaltet,  welcher  im  Laufe  seiner  Entwicklung,  die  er,  von  dem  griechischen 
Trimeter  nicht  weiter  beeinfiusst.  selbständig  bis  in  das  6.  Jahrh.  durchmachte,  zu  einer 
Reibe  von  6  Jamben  wurde,  von  welchen  regelmässig  der  1.,  3.  und  5.  durch  einen 
Spondeus  und  der  1.  durch  einen  Anapäst  ersetzt  werden  konnte,  wobei  stets  der 
3.  Fuss  durch  Caesur  zerlegt  wurde.  Aus  dieser  Zeile  entwickelte  sich  der  vom  i>.  bis 
10.  Jahrhunderte  häutig  angewendete  rythmische  Senar,  der  aus  5  -j-  7  Silben  bestellt, 
von  denen  die  4.  und   12.  (also    1..    10.  und  12.)  den  Wortaccent  haben. 


Homer  oder  Homeriden 


von 


W.  Ohr  ist. 


AM»,  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wim.  XVU.  Bd.  I.  Abth. 


IG 


Homer  oder  Homeriden. 


S7ie%E    Tip    (MOTTO). 

Wie  viele  Tinte  ist  nicht  schon  geflossen,  wie  viele  Kräfte  sind  nicht 
schon  aufgewendet  worden  zur  Lösung  des  grossen  Problems  der  homeri- 
schen Frage,  und  wie  wenig  ist  die  Sache  vom  Fleck  gerückt,  wie  weit 
sind  wir  noch  entfernt  von  dem  Ziele,  von  der  allgemeinen  Verständi- 
gung auf  Grund  zwingender  wissenschaftlicher  Beweisführung?  Ich  selbst 
habe  es  geflissentlich  bisher  in  meinen  Homerarbeiten  vermieden,  den 
Kern  der  Frage  zu  berühren;  ich  habe  wohl  Wege  zur  Lösung  derselben 
zu  ebnen  gesucht,  habe  auch  hie  und  da  die  Frage  selbst  gestreift,  aber 
einer  eigentlichen  Besprechung  derselben  bin  ich  bisher  immer  mit  einer 
heiligen  Scheu  aus  dem  Wege  gegangen.  Doch  jetzt,  wo  ich  im  Be- 
griffe stehe,  in  einer  Ausgabe  der  Ilias  meine  Untersuchungen  zusammen- 
zufassen und  abzuschliessen,  gilt  es  auch  diesem  obersten  und  schwierigsten 
Problem  offen  in  die  Augen  zu  sehen.  Wohlan  denn,  so  wagen  wir  es 
in  dieser  Abhandlung,  gewissermassen  einem  Supplement  der  Prolegomena 
unserer  Ausgabe,  auf  das  erstrebte  Ziel  direkt  loszusteuern  und  die  ebenso 
hart  bedrängte,  wie  gut  verteidigte  Feste  endgültig  zu  nehmen! 


*)  Die  Abhandlung  wurde,  was  ich  um  Missdeutungen  zu  vermeiden  ausdrücklich  hier  be- 
merken will,  bereis  vor  mehr  als  Jahresfrist  der  Akademie  vorgelegt  und  erhielt  vor  dem  Drucke 
nur  noch  einzelne  Zusätze. 


16' 


124 


Die  yoralexandrinische  Phase  der  homerischen  Frage. 

Die  homerische  Frage  spielte  schon  eine  Rolle  in  den  Anfängen 
wissenschaftlicher  Kritik,  in  dem  5.  Jahrhundert  vor  unserer  Zeitrech- 
nung, in  den  Zeiten  des  Herodot  und  der  Sophisten.  Noch  Pindar  hatte 
anstandslos  die  Aithiopis1)  und  die  Kyprien2)  dem  Homer  beigelegt,  und 
schon  kurze  Zeit  nach  dem  Verfall  der  alten  epischen  Poesie  hatte  der 
Elegiker  Kallinos  nach  dem  Zeugnisse  des  Pausanias  IX,  9,  5  den  Homer 
für  den  Dichter  der  Thebais,  und  der  Jambograph  Archilochos  nach 
Eustratios,  im  Commentar  zu  Aristoteles  eth.  Nicom.  VI,  7  für  den  Verfasser 
des  Margites  ausgegeben.  Sodann  hatte  selbst  ein  so  klarer  Kopf  wie 
Thukydides  kein  Bedenken  getragen,  in  seinem  Geschichtswerk  III,  104  die 
Hymnen,  wenigstens  den  Hymnus  auf  den  delischeH  Apollo,  dem  alten  Homer 
beizulegen.  Ausser  jenem  Hymnus,  der  Aithiopis  und  kyklischen  Thebais. 
waren  aber  auch  die  Epigonoi3)  und  alle  Werke  des  epischen  Cyklus,  die 
Kvngia,  'Ifoao,  uixyd,  Nöaroi  etc.  dem  Homer  zugeschrieben  worden.  Denn 
um  von  den  naiyvia.  die  auch  noch  Suidas  dem  Homer  beilegt,  ganz  ab- 
zusehen, sagt  vom  epischen  Cyklus  ausdrücklich  der  gutunterrichtete  Pro- 
klos:  qi  aQ/aioi  xcrj  tov  xvklov  äwcupqpovaiV  tlg  'üurjyoi',*)  und  führen 
auf  das  Gleiche  die  Fabeln  der  unter  dem  falschen  Namen  des  Herodot 
laufenden  Lebensbeschreibung  Homers.  Denn  wenn  dort  Homer  bei 
Thestorides  in  Phokäa  die  kleine  Ilias,  bei  Chios  in  Bolissos  die  Kerkopes 


1)  Siehe  Pindar  Isthm.  II ,  5 ;  die  Worte  des  Dichters  a%X  "O/xtjqos  toi  ztrijuaxef  können 
selbstverständlich  nur  auf  den  unmittelbar  zuvor  erwähnten,  rieh  selbst  entleibenden  Aiaa  bezogen 
werden;  der  unsinnige  Zweifel  des  Commentators  Chrysippos  (s.  Schob  zu  V.  63),  ob  Aias  oder 
Odysseus  gemeint  sei,  rührt  eben  davon  her,  dass  der  Grammatiker  von  dem  Streit  um  die  Watten 
des  Achilleus  in  der  Ilias  <rar  nichts  und  in  der  Odyssee  nur  eine  kurze  Andeutung  (Od.  *  544 
bis  547)  fand.  Uebrigens  stund  die  Stelle,  auf  die  sich  Pindar  bezog,  nach  den  Schoben  zu  Y.  58 
in  der  Aithiopis,  nicht,  wie  man  nach  des  Proklos  Inhaltsangabe  erwarten  sollte,  in  der  kleinen  Ilias. 

2)  Siehe  Aelian's  Var.  hist.  IX  5  und  vergleiche  Welcker,  Ep.  Cykl.  II  97  u.  138  und 
Lübbert,  Ind.  lect.  Bonn.  1881/82  p.  14. 

3)  Siehe  Herodot  IV  32;  die  Echtheit  der  Stelle  bezweifelt  ohne  überzeugende  Gründe  Wolf, 
proleg.  c.  35  adn.  19;  hingegen  wollte  Grote,  history  of  Greece  II  173  auch  die  'Ofx^tia  enrj  des 
Herodot  V  67  auf  die  Thebais  und  die  Epigonoi  beziehen,  gewiss  mit  Unrecht. 

4)  Unter  jenen  Alten  scheint  sich  auch  Aischylos  befunden  zu  haben,  wenn  er  nach  Athe- 
naios  VHI  p.  347  E  seine  Tragödien  tt(iäxr\  twv  '0(x^qov  fxeytiXujf  dtinvuiv  nannte,  da  er  zu  den 
meisten  seiner  Stücke  den  Stoff  nicht  der  Ilias  und  Odyssee,  sondern  dem  epischen  Cyklus  ent- 
nahm ;  vgl.  Welcker,  Trilogie  S.  484. 


125 

und  die  Batrachomyomachia  schrieb,  und  wenn  die  Tradition  bei  Strabo 
p.  638  und  Proklos,  epic.  graec.  fragm.  p.  15  u.  60,  den  Homer  dem 
Kreophylos  aus  Samos  das  Gedicht  Ol/aXiag  aXwoig  zum  Lohne  für  die 
gastliche  Aufnahme ,  und  dem  Stasinos  die  Kvtiqio.  als  Mitgift  seiner 
Tochter  schenken  Hess,  so  ist  damit  in  mythischer  Umhüllung  angedeutet, 
dass  in  alter  Zeit  auch  mit  diesen  Dichtungen,  den  Kyprien,  der  Ein- 
nahme von  Oichalia,  der  kleinen  Ilias,  der  Name  Homers  in  Verbindung 
gebracht  worden  war. 

Jene  Vorstellungen  nun  aber  von  einer  die  ganze  ältere  epische 
Poesie  umfassenden  Thätigkeit  Homers  waren  bereits  vor  der  Zeit  der 
alexandrinischen  Grammatiker  geschwunden,1)  und  den  Grund  hievon 
müssen  wir  in  der  bald  nach  den  Perserkriegen  erwachenden  Kritik  der 
Sophisten  und  Historiker  suchen.  So  hat  schon  Herodot,  der  sonst  so 
leichtgläubige  Autor,  an  der  bekannten  Stelle  II  117,  die  zu  verdächtigen 
kein  genügender  Grund  vorliegt,  die  Kyprien  unter  Berufung  auf  Ilias 
Z  289  —  292  dem  Homer  abgesprochen,2)  und  kennt  nicht  bloss  Plato 
nur  die  Ilias  und  Odyssee  als  Werke  des  Homer,  sondern  stellt  auch 
Aristoteles  in  der  Poetik  c.  23  mit  aller  Bestimmtheit  den  Homer  den 
Verfassern  der  Kyprien  und  der  kleinen  Ilias  gegenüber,  wiewohl  merk- 
würdiger Weise  auch  er,  poet.  c.  4  u.  etil.  Nie.  VI  7,  noch  den  Margites 
und  die  Paignia  (ra  roiavia  poet.  c.  4,  vgl.  Bergk,  Gr.  Lit.  S.  775  An- 
merkung 87)    dem    Homer    beilegt.3 )     Die    hier    geübte  Kritik    war    eine 


1)  Gut  macht  kfahalrj  in  seiner  history  ol  classical  greek  Literatare  auf  die  Analogie  der 
Psalmen  Davids  aufmerksam,  von  denen  viele  ausgesprochener  Massen  von  anderen  Dichtern 
herrühren. 

Sj  Herodot  II  117:  x«r«  tavTu  de  rd  i'nta  [xae  toSt  to  /logtoy]  oix  rjxiaiu  dXkd  fidXior« 
drjXoi,  öii  ovx  'OfiriQov  id  Kvngiu  entd  touv,  dXX  aXXov  iiyös'.  «V  (A.£v  ydy  roh'  kvn^ioiai  iiQ^Tai 
WS  TQtraiog  ix  Zndftrris  'JXiEavSyog  dnixtio  e's  To"lhoy  aywv  'EXivtjv  fvait  zt  7tyfv/ucai  XQtjTdfityos 
xai  &aXd'jrjf)  "ktifi,  eV  6h  'IXtddi  Xeyfi  wg  e'n\d£(ro  dyaiv  uvujy.  Das  Urteil  Herodots  hat  Plato 
überzeugt,  der  in  dem  Batbyphro  p.  12  A  zwei  Vene  der  Kyprien  so  anführt,  dass  er  zwar 
keinen  bestimmten  Verfasser  nennt:,  aber  mit  ovrog  6  7toit]trjs  gewiss  nicht  deu  Dichterheros  Homer, 
B  indem  einen  anderen  unbekannten  Verfasser  bezeichnen  wollte. 

."»)  Nitzsch  de  historia  Homeri  1  107  stellt  die  Sache  auf  den  Kopf,  wenn  er  meint,  in  der 
älteren  Zeit  sei  <lem  Homer  nur  die  Ilias  und  Odyssee  zugeschrieben  worden,  und  erst  in  der 
spateren,  als  man  die  Fabel  über  das  Vaterland  und  Leben  des  Dichters  aufgebracht,  habe  man 
auch  seinen  Namen  mit  mehreren  Werken  verknüpft.  Schon  seit  dem  7.  Jahrhundert  hat  man, 
wenn  auch  eicht  allgemein.  Homer  als  Gesamtnamen  für  die  Dichter  der  älteren  Epen  ausgegeben. 


126 

durchschlagende,  so  dass  sich  ihr  die  Alexandriner  und  Grammatiker  un- 
bedingt anschlössen  und  nur  über  den  Namen  der  eigentlichen  Verfasser 
hie  und  da  einen  Streit  erhoben.  Leider  können  wir  aber  bei  dem 
Mangel  an  ausgiebigen  Zeugnissen  den  Gang  der  ablehnenden  Kritik 
nicht  verfolgen,  so  dass  wir  namentlich  darüber  im  Ungewissen  sind,  ob 
von  vornherein  neben  dem  Homer  in  den  Kreisen  der  Besserunterrichteten 
andere  Namen  genannt  waren,  oder  ob  erst  später  auf  Grund  irgend- 
welcher Combinationen  Lesches,  Stasinos,  Arktinos,  Kynaithos,  Kreophylos, 
Thestorides  an  die  Stelle  des  Homer  getreten  sind.  Jedenfalls  war,  wenn 
auch  zwei  Ueberlieferungen,  was  doch  immer  das  wahrscheinlichste  ist, 
schon  seit  Alters  nebeneinander  herliefen,  zur  Schlichtung  der  zwiespäl- 
tigen Ueberlieferung  die  innere  Kritik  hinzugekommen,  die  sich,  wie  wir 
aus  Herodot  und  Aristoteles  sehen,  auf  Spuren  widersprechender  An- 
schauung und  auf  Verschiedenheit  der  poetischen  Kunst  stützte.  Wir 
könnten  unsererseits  noch  die  Nachahmung  homerischer  Motive,  den 
jüngeren  Charakter  der  Sprache  namentlich  in  Bezug  auf  das  Digamma, 
und  die  entwickeltere  Stufe  der  Mythenbildung  hinzufügen.  Doch  wie 
sollten  wir  uns  noch  bemühen  aus  den  winzigen  Fragmenten,  die  uns 
der  Zufall  erhalten  hat.  den  Beweis  der  Unechtheit  zu  führen,  nachdem 
das  Altertum,  das  noch  die  ganzen  Gedichte  vor  sich  hatte  und  keines- 
wegs in  der  litterarischen  Kritik  eine  übergrosse  Kühnheit  zeigte,  so  ein- 
stimmig dem  ablehnenden  Urteile  beigetreten  ist? 

Die  Chorizonten. 

So  hat  also  die  homerische  Frage  ihr  erstes  Stadium  glücklich  und 
resultatvoll  durchlaufen.  Aber  gleich  auf  der  zweiten  Stufe  sollte  es  zu 
Zwiespalt  kommen  und  sollte  die  Feinheit  der  divinatorischen  Kritik  an 
der  Macht  der  Ueberlieferung  und  an  der  Autorität  der  Schule  scheitern, 
wenigstens  vorerst  nicht  zur  durchschlagenden  Geltung  kommen.  Zwei 
Gramatiker,  Xenon  und  Hellanikos,  die  schon  von  den  Alten  unter  dem 
Namen  ul  %(DQi£ovTeg  zusammengefasst  wurden,  sprachen  dem  Homer  die 
Odyssee  ab  oder  nahmen  für  Ilias  und  Odyssee  verschiedene  Verfasser  an. 
Die  Gründe,  welche  sie  für  ihre  Meinung  geltend  machten,  sind  uns  in 
den    Entgegnungen   Aristarchs    erhalten    und    neuerdings    eingehend   von 


127 

Geppert,  Ursprung  der  homerischen  Gesänge  (Bd.  I  S.  1 — 62)  besprochen 
worden1).     Sie  sind  danach  im  wesentlichen  folgende: 

1.  In  der  Ilias  2  382  ist  Charis  die  Frau  des  Hephaistos,  in  der 
Odysee  3-  267  Aphrodite;  als  Buhle  eben  dieser  Aphrodite  erscheint  an 
der  bezeichneten  Stelle  der  Odyssee  Ares,  während  derselbe  in  der  Ilias 
E  359   und  <P  416   als  Bruder  derselben  eingeführt  wird. 

2.  In  der  Ilias  A  692  hat  Nestor  11  Brüder,  in  der  Odyssee  A  286 
nur  2,  wenigstens  nur  2  von  derselben  Mutter  Chloris. 

3.  Die  Ilias  E  905  schildert  uns  Hebe  als  jungfräuliche  Dienerin 
der  Götter,  weiss  also  noch  nichts  von  dem  in  der  Nekyia  l  634  aufge- 
zeichneten Zuge  der  dorischen  Heraklessage,  wonach  Herakles  von  Zeus 
die  Hebe  zur  Frau  erhielt. 

4.  In  demselben  Gesang  der  Odyssee  l  634  treffen  wir  das  Haupt 
der  Gorgo  im  Hades,  in  der  Ilias  /?  741  trägt  es  die  Kriegsgöttin  Athene 
auf  ihrem  Schilde.  • 

5.  In  der  Odyssee  /.  21  ist  Aiolos  Herr  der  Winde  {rafiitjg  äi'tftuty), 
in  dessen  Behausung  sie  eingeschlossen  sind,  dem  Winke  ihres  Gebieters 
unterthan;  die  Ilias  W  200  ff.  weiss  von  jenem  Herrscher  der  Winde 
noch  nichts.  Die  Windgötter  sind  ganz  selbständig  (avrfgovoiot  schol. 
W  229)  und  finden  sich  im  Hause  eines  ihrer  Genossen,  Zephyros,  zu- 
sammen. 

6.  In  der  Odyssee  cV  259  ist  Helena  ein  leichtsinniges  Weib,  das 
gerne,  wenn  auch  durch  Aphrodite  verführt ,  dem  schönen  Paris  folgte, 
die  Ilias  H  356  =s  H  590  spricht  von  den  Seufzern  der  gewaltsam  ge- 
raubten Helena  (EJJri^  oy/urjuara  xal  arora/oi^,)2). 

7.  Die  Odyssee  lässt  ihre  Helden  Fische  essen  tf  368  f  und  u  330; 
in  der  Ilias  essen  die  Helden  nie  Fische,  erhält  sogar  der  Fisch  das  Epi- 
theton U(f6e  Ix&VS   n  407  :}). 


1)  Aus  den  Scholien  m  1*877  und  /:  741  ersehen  wir.  dass  schon  Aristoteles  Einwendungen, 
welche  gegen  die  Einheit  der  beiden  Dichtungen  erhoben  wurden,  besprochen  und  gelöst  hatte. 

2)  Wie  wenig  dieser  Einwand  begründet  ist,  hat  gut  Buttinann ,  Lexilogus  II  5  nach- 
gewiesen; statt  ofjpy ultra  schlägt  jetzt  Herwerden  &(jijfijuuTa  vor. 

3)  Dieses  ist  weitaus  der  schwächste  aller  Beweise,  dem  obendrein  von  G.  Curtius  in 
Kuhn's  Ztschr.  III  154  ff.  durch  eine  andere  Deutung  von  itgos  =  kräftig  zappelnd,  die  Grund- 
lage entzogen  ist. 


128 

8)  In  der  Ilias  B  649  heisst  Kreta  hundertstädtisch  (Ä^ir/?W*aro//.ToÄn), 
in  der  Odyssee  t  174  hat  Kreta  nur  90  Städte  (vgl.  Rohde  Rhein.  Mus. 
35,  430  f.) 

9)  Die  Ilias  und  Odyssee  unterscheiden  sich  von  einander  durch  eine 
Reihe  von  Eigentümlichkeiten  in  der  Sprache,  wie  dass  die  Ilias  TiQonäfjoifrf 
nur  in  lokaler  Bedeutung  gebraucht  (s.  schol.  K 476),  dass  ofiilog  in  der 
Ilias  das  Schlachtgetüinmel,  in  der  Odyssee  eine  friedliche  Versammlung 
von  Menschen  bedeutet  (s.  schol.  Ä  338),  dass  die  Figur  der  Analepsis 
häufig  in  der  Ilias,  nur  einmal  «23  in  der  Odyssee  gebraucht  ist  (s.  schol. 
M  96),  dass  die  Odyssee  mehrere  in  der  Ilias  noch  nicht  vorkommende 
Ausdrücke  des  gewöhnlichen  Lebens,  wie  "kvyvoi  t  34  und  yjni'ii  i  28, 
aufweist. 

Schwerlich  waren  dieses  alle  Momente,  welche  die  Chorizonten  vor- 
brachten. In  Bezug  auf  die  Anschauungen  vermisst  man  namentlich 
eine  Erwähnung  davon,  dass  in  der  Odyssee  Hermes  der  durchgängige 
Götterbote  ist,  während  in  der  Ilias  die  Iris  diesen  Dienst  versieht  und 
sich  nur  in  dem  letzten  Gesang  der  Ilias  mit  Hermes  in  die  Aufgabe 
teilt1),  dass  Poseidon  erst  in  der  Odyssee  den  Dreizack  als  Beherrscher 
des  Meeres  führt,  dass  "Olv/mos  in  der  Ilias  noch  immer  den  Grund- 
begriff des  Berges  durchblicken  lässt,  aber  in  der  Odyssee  £  42  —  7  ganz 
losgelöst  von  seiner  ursprünglichen  Bedeutung  den  mythischen  Göttersitz 
bezeichnet2),  dass  das  messenische  Pherai  in  der  Ilias  /  151  dem  Aga- 
memnon   dienstbar    ist,    in    der  Odyssee    y  488    hingegen  zur  Herrschaft 


1)  Eingehend  handelt  darüber  Jacob.  Kntstchung  der  Ilias  und  Odyssee  S.  71  ff.  Welche 
von  den  beiden  Anschauungen  wirklich  die  ältere  ist,  wird  man  schwer  ermitteln  können;  wahr- 
scheinlich haben  wir  hier,  wie  so  vielfach  in  der  Mythologie,  nur  die  abweichenden  Anschauungen 
verschiedener  Stämme  oder  Dichterkreise.  Iris  versah  eben  als  Repräsentantin  des  Regenbogens 
jenen  Dienst,  Hermes  hingegen  in  seiner  ursprünglichen  Eigenschaft  als  Regengott.  Die  Bedeutung 
der  ganzen  Beobachtung  von  der  Verschiedenheit  der  Götterboten  in  Ilias  und  Odyssee  suchte  Bern- 
hard Thiersch,  Zeitalter  und  Vaterland  des  Homer  S.  311  ff.  abzuschwächen,  da  auch  Eris  und 
Athene  von  Zeus  in  der  Ilias  zur  Ueberbringung  von  Botschaften  abgeschickt  werden. 

2)  Vergleiche  hierüber  Lehi-s,  de  stud.  Arist. 2  p.  164  ff.  Ob  aber  doch  nicht  die  Verse  £42 — 47 
eine  jüngei'e  Interpolation  sind,  wie  neuerdings  auch  Nauck  annimmt?  Dafür  scheint  nämlich  zu 
sprechen,  dass  auch  noch  in  der  Odyssee  x  307.  o  43.  v  73.  w  351  der  lauf  die  Bergnatur  des 
Olymp  bezügliche  Ausdruck  fMttQot  "OXvpnos  vorkommt  und  dass  Hesiod  in  der  Theogonie  f.  42. 
62.  113.  118.  391.  794.  842  ganz  deutlich  den  Begriff  des  Berges  festhält.  Freilich  lebte  Hesiod 
auf  dem  Festland  nahe  dem  Berge  Olymp,  der  Dichter  der  Odyssee  in  Kleinasien  im  fernen  Jonien, 
so  dass  hier  früher  wie  dort  eine  Verdunkelung  der  ursprünglichen  Bedeutung  eintreten  konnte. 


129 

des  Diokles  gehört,  dass  Pylos  in  der  Ilias  A  671 — 761  eine  Stadt  in 
Triphylien,    in  der  Odyssee  das  bekannte  messenische  Pylos  bezeichnet1). 

Weit  mehr  hätte  aber  noch  in  Bezug  auf  die  Abweichungen  des 
Sprachgebrauchs  von  den  Alten  bemerkt  werden  können;  so  hat  z.  B., 
um  von  dem  Gebrauche  einzelner  Wörter,  wie  ftiftts  fi  644.  1*0X1  o  328, 
vn/xh^ua  o  369.  a  361,  äyrog  q  343.  a  120,  oofaj  n  423,  /(tfjua,  Jieyt- 
(fQu)r.  fiopp]  ganz  abzusehen,  die  Ilias  immer  die  volle  Form  i&irjg,  die 
Odyssee  nur  die  kontrahierte  £&J6>  die  Ilias  nur  das  Medium  uyouai, 
die  Odyssee  auch  das  Aktiv  hqoj,  findet  sich  nur  in  der  Odyssee  der  in- 
transitive Gebrauch  von  rrjtti  (k  239.  ?y  130.  ß  295.  u  293.  401)  und 
IfißaUktiv  (i  489.  x  129),  gebraucht  erst  die  Odyssee  den  Optativ  in  der 
indirekten  Rede  (/;  17.  /  89.  x  110.  o  423.  (>  368  r  464).  und  gibt  dem 
instrumentalen  <foa,  dessen  Gebrauch  in  der  Ilias  noch  zweifelhaft  ist,  eine 
ziemlich  ausgedehnte  Anwendung  &  82.  520.  /.  276.  282.  437.  v  121. 
r  154.  523) 2).  Endlich  sind  auch  in  Bezug  auf  die  Verschiedenheiten 
des  Stils  die  neueren  Chorizonten  mehr  ins  Einzelne  eingegangen  und 
haben  z.  B.  nicht  zu  bemerken  unterlassen,  wie  arm  die  Odyssee  mit 
ihren  37  Gleichnissen  dein  reichen  Schmuck  der  Ilias  mit  ihren  203 
Gleichnissen  gegenüber  steht. 

Indes  waren  schon  die  erwiesmiT  Massen  von  den  alten  Chorizonten 
vorgebrachten  Argumente  wichtig  genug,  um  den  Glauben  an  den  gleichen 


1)  Das  wird  /.war  nicht  allgemein  anerkannt,  ist  aber  unbestreitbar  und  gut  begründet  von 
Nitzsch,  Beitrage  zur  Geschichte  der  epischen  Poesie  S.  161.  Sonstige  geographische  Verschieden- 
heiten betreffen  Dodona  .  «las  //  7-*>0  und  //  238  MOB  Thessalien,  wenn  aueli  irrtümlich,  '£  327 
r  29,6  Dach  ECpirus  in  die  Nahe  des  Thesproterlandes  verlegt  wird,  und  die  Stadt  Qtia  H 185, 
die  offenbar  mit  dem  4>nd  der  Odyssee  o  2'.t7  identisch  ist.  Ausserdem  vergleiche  über  die  ver- 
scliiedene  Beschaffenheit  der  Lyra  in  (p  408  und  I  180  W.  .Müller.  Homerische  Vorschule  S.  191 
und  MiilnitTv,  Ursprung  der  homerischen  Gedichte,  übersetzt  von   Lmelmann  S.  2  f. 

2)  Ueber  diesen  Punkt  handelt  einer  meiner  Zuhörer  Ansems  in  seiner  eben  erschie- 
nenen Dissertation  über  den  Gebrauch  der  Präposition  dtti  bei  Homer;  über  dieses  <fin  sowie  über 
n(»6s  c.  dat.  in  rrpöc  r»t»roif  'da/u'  x  68,  ti/uyi  c.  gen.  bei  fiv9iotuai  6  151,  nvä  c.  gen.  in  ß  416. 
/  177.  o  284  gibt  gttte  Beobachtungen  Monro,  Homeric  grammar,  B.  Index  Iliad  and  Odyssey, 
differences.  Viele  weilere  Diskrepanzen  des  Sprachgebrauchs  hat  Geppert,  Ursprung  der  ho- 
merischen Gesänge,  zusammengestellt,  freilich  ohne  gehörig  zu  beachten,  welche  Beweiskraft  seinen 
einzelnen  Observationen  innewohne;  einige  Hauptwörter  bespricht  G.  Hermann,  de  emendandi  rat. 
gramin.  gr.  p.  88,  I\\  y  n  e-  K  nigh  t  in  den  Proleg.  seiner  Ausgabe  c.  43 — 7  und  Bergk  in  seiner 
griei  bischen  Literaturgeschichte  B.  781.  Ein  paar  wichtige  Punkte  werde  ich  selbst  weiter  unten 
bei  Besprechung  des  jüngeren  Ursprungs  der  Odyssee  zur  Sprache  bringen. 

Abb.  d.  I.  Cl.  d.  k    Ak.  d.  Wiss.  XVIT.  Bd.  I.  Abth.  ,  17 


130 

Verfasser  der  Ilias  und  Odyssee  wenigstens  wankend  zu  machen.  Aber  auf 
Aristarch  wirkten  mächtiger  die  Eindrücke  der  Gleichheit  in  Sprache  und 
poetischer  Kunst,  die  Uebereinstimmungen  in  den  allgemeinen  Vorstellungen 
von  der  Götter-  und  Heroenwelt,  endlich  die  trotz  einzelner  Unterschiede 
doch  deutlich  hervortretende  Gleichheit  des  gesamten  Kulturzustandes, 
so  dass  ihm  die  kleinen  Abweichungen  zurücktraten  und  einer  anderen 
Erklärung  oder  Beseitigung  zu  bedürfen  schienen.  Den  Unterschied  im 
ganzen  Ton  wird  er  mit  Longin  7i«pt  vipovg  c.  9  so  erklärt  haben, 
dass  er  die  kriegerische  reckenhafte  Kraft  der  Ilias  mit  der  Jugendzeit, 
die  Vorliebe  der  Odyssee  für  Schilderungen  von  Reiseabenteuern  und 
idyllischen  Zuständen  des  privaten  Lebens  mit  der  erfahrenen  Ruhe  des 
Greisenalters  in  Verbindung  brachte.  Mit  jenen  schwerer  zu  beseitigenden 
Widersprüchen  der  Sprache  und  Sache  aber  fand  er  sich  so  ab,  dass  er 
einzelne  durch  schärfere  Interpretation  der  betreffenden  Stellen  zurück- 
wies, andere  durch  den  Nachweis  der  Unechtheit  des  letzten  Teiles  der 
Nekyia  und  des  24.  Gesanges  der  Odyssee1)  entkräftete,  andere  endlich  als 
irrelevant  bezeichnete,  denen  eine  so  weittragende  Beweiskraft  nicht  inne- 
wohne2). Es  fallen  damit  allerdings  die  oben  unter  3.  4.  7.  8, 
vielleicht  auch  die  unter  2.  6.  9  aufgeführten  Argumente;  aber  die  gegen 
1  und  5  erhobenen  Einwände  (s.  schol.  2  382.  </>  416.  V  229)  sind 
völlig  nichtig,  gar  nicht  der  Argumente  zu  gedenken,  die  noch  die 
neuere  Kritik  hinzugefügt  hat.  Widerlegt  hat  also  Aristarch  die  Chori- 
zonten  keineswegs,  so  beachtenswert  uns  auch  das  Urteil  eines  Mannes 
ist,  der  noch  aus  eigener  voller  Lektüre  den  Abstand  der  kyklischen  Dichter 
von  den  dem  Homer  beigelegten  Werken  ermessen  konnte.  Aber  so 
gross  war  das  Ansehen  des  Aristarch  und  so  gering  die  selbständige 
Forscherkraft  der  Nachfolger,  dass  diejenigen,  welche  sich  noch  mit 
einer  solchen  Frage  abgaben,  dem  Hohne  der  Spötter  verfielen,  wie  man 


1)  Darauf  beziehen  sich  die  Scholien  zu  X  362.  W  71.  H  335.  Dass  aber  Aristarch  und 
Aristophanes  mit  V  296  die  Odyssee  schlössen ,  darüber  haben  wir  das  Zeugnis  des  Eustathius  z. 
d.  S.  und  anderer  Scholien  und  Handschriften,  gesammelt  von  Spohn,  de  extrema  Odysseae 
parte  p.  2. 

2)  Vergleiche  das  Scholion  zu  S  365.  Im  wesentlichen  hat  sich  unter  den  Neueren  zu 
Aristarchs  Ansicht  Otfr.  Müller  Griech.  Lit.  I  104 — 7  bekannt,  der  höchstens  nur  zugeben  will, 
dass  der  Dichter  der  Ilias  die  Ausführung  des  Planes  der  Odyssee  irgend  einem  eingeweihten 
Schüler  überlassen  habe. 


131 

aus  Seneca  de  brev.  vitae  c.  13  und  Lukian  ney!  äfo]&ovg  iaroQiag  II  20 
sieht.  Erst  unsere  Zeit  ist  wieder  dem  Scharfsinn  jener  Chorizonten  ge- 
rechter geworden,  so  dass  auch  solche,  die  sonst  mit  Wolf  nicht  gehen 
wollten,  wie  Madvig,  Nitzsch  sich  für  Verschiedenheit  der  Verfasser  von 
Ilias  und  Odyssee  erklärten  und  nur  Otfr.  Müller  und  Bernh.  Thiersch 
unter  Berufung  auf  H  260  und  ä  353  ein  weites  Auseinanderfallen  der 
Ilias  und  Odyssee  bestritten1).  Von  Eindruck  wird  aber  auch  für 
die  Zweifelnden  das  Urteil  eines  Kritikers  der  Neuzeit  sein,  den  wir  kühn 
dem  Aristarch  des  Altertums  gegenüber  stellen,  das  des  grossen  G.  Hermann, 
der  in  der  Praefatio  ad  Od.  p.  VII  diesen  Punkt  als  extra  omnem  dubi- 
tationem  positum  bezeichnete.  Eines  möchte  ich  noch  hinzufügen  aus 
Grote,  hist.  of  Greece  II  269.  dass  zur  Zeit,  wo  die  Dichter  auf  münd- 
liche Fortpflanzung  angewiesen  waren,  die  Dichtung  zweier  Epen  von 
dem  Umfang  der  Ilias  und  Odyssee  jedenfalls  die  Kraft  eines  Einzigen 
überschritt.  Auch  die  Produktivität  hat  ihre  Schranken,  sie  ist  ver- 
schieden je  nach  den  Anforderungen,  die  Verfasser  und  Publikum  an 
die  Feile  (lima)  stellen,  und  je  nach  den  äusseren  Umständen,  welche 
die  Produktivität  hervorrufen  oder   lähmen,    begünstigen    oder    hemmen. 

Fr.  Aug.  Wolf  und  die  Liedertheorie. 

Ist  so  schon  auf  ihrer  zweiten  Stufe  die  homerische  Frage  auf 
Widerstand  und  Anstände  gestossen,  welche  die  Wahrheit  eine  Zeit  lang 
ganz  zurückdrängten,  und  auch  jetzt  noch  nicht  zur  allgemeinen  An- 
erkennung kommen  Hessen,  so  ist  sie  auf  ihrer  dritten  Stufe  so  viel- 
seitigen Schwierigkeiten  begegnet,  dass  sie  jeden  Schritt  vorwärts  mühsam 
erkämpfen  musste  und  sich  immer  noch  von  ihrem  Ziele  weit  entfernt 
sieht.  Diese  dritte  Stufe  datiert  natürlich  von  Fr.  A.  Wolf,  der  in 
seinen  weltberühmten  Prolegomena  ad  Homer  um  v.  J.  1795  den  Satz 
durchfocht,  dass  auch  jedes  der  beiden  grossen  Epen  Ilias  und  Odyssee 
nicht  das  Werk  eines  einzigen  Dichters,  sondern  mehrerer  Sänger  sei, 
und  dass  die  Zusammenfügung  der  alten  Gesänge  zu  einem  einheitlichen 
Ganzen  erst  viele  Jahrhunderte    später   von    unbedeutenden  Geistern,    im 


1)  Bern.  Thievsch,  Zeitalter  und  Vaterland  des  Homer  1832. S.  827:  eodem  tempore,  quo 
Ilias  orta  sit,  etiam  carmina  de  Telemachi  factis  componi  et  celebrari  coepta  esse. 

17* 


132 

wesentlichen  von  den  Redaktoren  des  Pisistratus  vollzogen  worden  sei 1). 
Die  Vordersätze,  auf  die  Wolf  seine  kühne  Hypothese  aufbaute,  waren 
zum  Teil  nicht  neu;  schon  die  Alten  und  insbesondere  Aristarch2)  hatten 
dem  Homer  den  Gebrauch  der  Schrift  abgesprochen,  und  Zweifel  an  der 
Einheit  der  Ilias  waren,  wie  man  jetzt  bequem  bei  Friedländer,  Die 
Homerische  Kritik  S.  6  und  Volk  mann,  Geschichte  und  Kritik  der 
Wolf  sehen  Prolegomena  Kap.  1  nachlesen  kann,  schon  in  den  Köpfen 
mancher  Gelehrten  vor  Wolf  aufgedämmert.  Aber  erst  Wolf  hat  die 
Zweifel  in  streng  wissenschaftlicher  Methode  begründet  und  zu  jenem 
grossartigen  Schlusssatz  zusammengefasst ,  der  den  zweitausendjährigen 
Glauben  an  die  Persönlichkeit  des  grössten  Dichters  aller  Zeiten  er- 
schütterte und  wie  kein  zweiter  die  Geister  mächtig  erregte.  Aber  mehr 
Zweifel  weckend  und  zu  weiterer  Forschung  anregend  als  dauernd  über- 
zeugend und  bekehrend  wirkten  die  Prolegomena  Wolfs.  Das  zeigte  sich 
in  der  ganzen  Literatur,  die  sich  an  jenes  epochemachende  Werk  an- 
schloss;  das  zeigte  sich  insbesondere  auch  in  den  Eindrücken,  die  dasselbe 
auf  die  hervorragendsten  Geister  der  Zeit  und  die  stimmberechtigsten 
Kritiker  machte.  Gleich  Goethe  brachte  unter  dem  frischen  Eindruck 
des  bahnbrechenden  Buches  ein  'Hoch  der  Gesundheit  des  Mannes,  der 
endlich  vom  Namen  Homeros  kühn  uns  befreiend  uns  auch  ruft  in  die 
vollere  Bahn',  wollte  aber  später  seinen  Homer  'lieber  als  Ganzes  denken, 
als  Ganzes  freudig  ihn  empfinden'.  Und  der  grösste  Philologe  unseres 
Jahrhunderts  G.  Hermann  stimmte  zwar  dem  Geiste  und  dem  Resultate 
der  Prolegomena  im  grossen  Ganzen  bei,  verlangte  aber,  um  das  Rätsel 
der  Einheit  des  aus  verschiedenen  Gesängen  zusammengefügten  Werkes 
erklärlich  zu  finden,  bestimmter  als  Wolf  einen  einheitlichen  Kern,  an 
den    sich    die    jüngeren    Erweiterungen    anschliessen    konnten.      Und    im 


1)  Hauptstellen  sind  prol.  c.  31:  Homeruni  non  universoruin  quasi  corporum  suorum  opi- 
ficem  esse,  sed  hanc  artem  et  strueturam  posterioribus  saeeulis  inditam ;  neque  enim  id  repente 
fortuito  factum,  verum  coniuneta  in  hoc  plurium  aetatum  hominumque  studia,  und  c.  33 :  collecta 
a  Pisistrato,  non  recollecta  carmina  et  adscitam  artem  coinpositionis,  non  critico  studio  revocatam. 

2)  Aristarch  setzte  in  diesem  'Sinne  kritische  Zeichen  in  seiner  Ausgabe,  worüber  man 
jetzt  Lehrs  nachsehe,  de  Arist.  stud.2  p.  95.  Dagegen  sucht  Volkmann,  Nachträge  zur  Geschichte 
und  Kritik  der  Wolf  sehen  Prolegomena,  Progr.  von  Jauer  1878  zu  erweisen,  dass  vor  und  nach 
Aristarch  der  Glaube  an  die  bis  in  die  graueste  Vorzeit  reichende  Schreibkunst  allgemein  ver- 
breitet war. 


133 

Ausland  hat,  um  von  Payne  Knight  und  Madvig  ganz  zu  schweigen,  der 
grosse  Historiker  Englands,  G.  Grote,  in  seiner  Geschichte  Griechenlands 
bei  aller  Anerkennung  von  Wolfs  glänzendem  Scharfsinn  es  doch  für 
eine  Ungereimtheit  erklärt,  ein  Werk  mit  faktisch  bestehender  Einheit 
aus  Atomen  von  nicht  auf  einander  berechneten  Liedern  entstanden  sein 
zu  lassen l.)  Und  in  der  philologischen  Fachliteratur  gar  gab  es  der 
Widersacher  fast  nicht  weniger  als  der  Verteidiger,  so  dass  sogar  der 
Verfasser  der  Geschichte  der  Wolfschen  Prolegomena,  Volkmann,  mit 
Sack  und  Pack  in  das  Lager  der  Antiwolfianer  überging.  Das  ist  nun 
freilich  noch  kein  Beweis  gegen  Wolf;  denn  jede  neue  Lehre  wird  an- 
fangs mit  dem  Widerstand  der  alten  Ueberlieferung  zu  kämpfen  haben 
und  an  Querköpfen,  denen  man  vergeblich  die  Wahrheit  predigt,  hat  es 
zu  keiner  Zeit  gefehlt  und  fehlt  es  am  wenigsten  in  der  unsrigen.  Aber 
hier  handelt  es  sich  doch  nicht  um  eine  Frage  der  Politik  oder  gar 
Religion,  in  der  nur  zu  gewöhnlich  Vorurteil  und  Willensschwäche  den 
Blick  für  das  Wahre  trüben,  und  finden  wir  unter  den  Widersachern 
Männer  von  unbefangenem  Urteil  und  klarem  Verstand,  wie  Otfr.  Müller, 
Madvig,  Bergk,  Lehrs,  Kammer2),  deren  ablehnende  Haltung  jedem  Ver- 
ständigen ein  Mahnzeichen  zur  wiederholten  Erwägung  sein  muss.  Ja, 
um  es  gerade  herauszusagen,  Wolf  selbst  hat  den  Zweifel  an  der  Festig- 


1)  Madvigs  scharfes  Urteil  in  der  Vorrede  von  Nutzhorns  übertrieben  gepriesenem 
Bliche,  Entstchungsweise  der  Homerischen  Gedichte  p.  VII  lautet:  'Die  homerische  Kritik  wurde 
von  F.  A.  Wolf  in  den  berühmten  als  Ferment  und  als  Zerstörung  einer  gar  zu  naiven  Tradition 
berechtigten  und  wichtigen,  jedoch  weder  Erscheinungen  und  Thatsachen  klar  und  übersichtlich 
<hi liegenden,  noch  in  der  Prüfung  konsequent  fortschreitenden,  noch  zum  Abschluss  gebrachten 
Prolegomena  in  ein  falsches  Geleise  geführt.'  Die  schwachen  Punkte  in  der  Wolfschen  Hypothese 
trifft  mit  richtigem  Urteil  Payne-Knight  in  den  Prolegomena  seiner  Ausgabe  cap.  9.  Die 
H.mptstelle  in  Grote  history  of  Greece  steht  II  232:  the  idea  that  the  poem  as  we  read  it  grew 
out  of  atomes  not  originally  designed  for  the  places  which  they  now  occupy,  involves  us  in  new 
and  inextricable  difficulties,  when  we  seeke  to  elucidate  either  the  mode  of  coalescense  or  the 
degree  of  eoristing  unity. 

2)  Madvigs  Urteil  ist  in  dem  oben  Anm.  1  citierten  Vorwort  von  Nutzhorns  Unter- 
suchungen über  die  Entstehungsweise  der  homerischen  Gedichte  enthalten.  Otf.  Müller  und  Bergk 
haben  ihre  Anschauungen,  auf  die  wir  noch  öfter  zurückkommen  werden,  in  ihren  Griechischen 
Literaturgeschichten  ausgesprochen.  Lehrs  gewichtige  Urteile  hat  man  jetzt  in  willkommenster 
Weise  zusammen  in  Kammers  Buch,  Die  Einheit  der  Odyssee,  S.  765 — 793.  Kammer  selbst  äussert 
rieh  S.  409  mit  feinem  Verständnis  also:  „ Hermann  und  Voss  gegenüber  muss  ich  betonen,  dass 
die  beiden  Epen  von  Haus  aus  nach  einem  umfassenden  Plane  angelegt  waren,  nur  so  erklärt  sich 
der  von  Abschnitt  zu  Abschnitt  ununterbrochene  Fortgang  und  der  behagliche  Ton  der  Erzählung." 


134 

keit  seiner  Ueberzeugung  hervorgerufen  und  verschuldet.  Einmal  nämlich 
spricht  sich  derselbe  nicht  mit  klarer  Konsequenz  über  seine  Vorstellung 
vom  Ursprung  der  homerischen  Gedichte  aus;  denn  während  er  an  der 
oben  citierten  Stelle  der  Prolegomena  gewissermassen  als  Vater  der  Lieder- 
theorie auftritt,  arbeitet  er  in  der  Praefatio  II,  p.  XII  sqq.  den  Anhängern 
der  Interpolationstheorie  vor,  indem  er  den  grösseren  Teil  der  Ilias  und 
den  Kern  der  Fabel  dem  Homer  selbst  und  nur  die  Weiterführung  und 
Ausschmückung  den  jüngeren  Homeriden  zuschreibt.  Sodann  hatte  er 
zu  wiederholten  Malen  bemerkt,  dass  seine  Beweise  zur  Ergänzung  und 
zum  Abschluss  noch  einer  detaillierten  Untersuchung  der  Verschieden- 
heiten in  Stil  und  Sprache  und  der  klaffenden  Fugen  zwischen  den  ein- 
zelnen Liedern  bedürfen *) ;  aber  trotzdem  er  nach  der  Herausgabe  der 
Prolegomena  noch  29  Jahre  gelebt  hat,  ist  von  den  in  Aussicht  gestellten 
Einzeluntersuchungen  nichts  an  das  Licht  getreten.  Kann  man  da  einem 
den  Verdacht  verwehren,  dass  Wolf  selbst  an  seiner  Hypothese  irre  ge- 
worden sei,  dass  sich  ihm  wenigstens  die  Ueberzeugung  aufgedrängt  habe, 
es  werde  eine  Untersuchung  der  Gedichte  im  Einzelnen  nicht  das  Resultat 
ergeben,  welches  er  allein  für  das  richtige  hielt?  In  der  That  hat  Wolf 
von  der  homerischen  Frage  fast  nur  die  äussere  Seite  berührt,  und  die 
hier  erreichten  Erfolge  müssen  wir  daher  noch  näher  besprechen,  ehe 
wir  auf  die  weitere  Entwicklung  des  aufgeworfenen  Problems  übergehen. 
Den  Hauptangelpunkt  der  Wolf  sehen  Theorie  bildet  die  Frage  nach 
der  schriftlichen  Aufzeichnung  der  Homerischen  Gedichte.  Wolf  leugnet 
den  Gebrauch  der  Schrift  durch  Homer,  indem  er  die  epischen  Lieder 
bis  herab  auf  Pisistratus  mündlich  durch  Aöden  und  Rhapsoden  fort- 
gepflanzt werden  lässt  und  stützt  darauf  den  Schlusssatz,  dass  mit  dem 
Mangel    der    schriftlichen    Aufzeichnung    auch    die    Dichtung    so    grosser 


1)  Siehe  Prolegomena  c.  27.  30.  31  und  die  Stellen  aus  Wolfs  Briefen  an  Heyne  bei  Volk- 
mann, Geschichte  der  Wolf'schen  Prolegomena  S.  95.  Von  ganz  besonderem  Interesse  aber  ist 
die  Stelle  in  der  praef.  II  p.  21 :  Nunc  quoque  usu  evenit  mihi  nonnunquam,  quod  non  dubito 
eventurum  item  aliis  esse,  ut  quoties  abdueto  ab  historicis  argumentis  animo  redeo  ad  continentem 
Homeri  lectionem  et  interpretationem .  .  .  quoties  animadverto  ac  reputo  mecum  quam  in  Uni- 
versum aestimanti  unus  hie  carminibus  insit  color  aut  certe  quam  egregie  carmini  utrique  suus 
color  constet,  quam  apte  ubique  tempora  rebus,  res  temporibus,  aliquot  loci  adeo  sibi  alludentes 
congruant  et  constent,  quam  denique  aequabiliter  in  primariis  personis  eadem  lineamenta  ser- 
ventur  et  ingeniorum  et  animorum:  vix  mihi  quisquam  irasci  et  succensere  grayius  poterit  quam 
ipse  facio  mihi. 


135 

zusammenhängender  Epen  falle,  prol.  c.  26:  tarn  magnorum  et  perpetua 
serie  deductorum  operum  formam  a  nullo  poeta  nee  designari  animo 
nee  elaborari  potuisse  sine  artificioso  adminiculo  memoriae.  Den  Vordersatz 
hatten,  wie  wir  oben  sahen,  bereits  die  Alten  und  unter  ihnen  Aristarch 
aufgestellt,  aber  es  fiel  ihnen  nicht  ein,  daraus  jenen  weitgehenden  Schluss 
zu  ziehen;  dazu  war  in  ihrer  Zeit  die  Kraft  des  Gedächtnisses  und  die 
Zahl  derjenigen,  die  anstandslos  einzelne  Gesänge  hersagten  und  den 
ganzen  Homer  auswendig  wussten ,  noch  zu  gross *).  Aber  auch  der 
Vordersatz  ward  in  unserer  Zeit  im  Gegensatz  zu  Wolf  bestritten,  am 
eingehendsten  von  G.  W.  Nitzsch  in  dem  ersten  Teil  seiner  historia 
Homeri,  und  da  schon  Archilochos  fr.  88  der  a%vviiivr\  oxvrakrj  ge- 
dachte, Palamedes  als  Erfinder  der  Schrift  in  den  Kyprien  eine  Rolle 
spielte,  endlich  die  vorpisistrateischen  Bleitafeln  der  '  Eyya  des  Hesiod 
gut  bezeugt  sind  (s.  Pausanias  IX  31,  4),  so  ist  schwer  einzusehen,  warum 
denn  gerade  die  Aufzeichnung  der  Gesänge  Homers  bis  auf  Pisistratus 
habe  warten  müssen.  Demnach  nehmen  denn  auch  selbst  zu  Wolf  hin- 
neigende Forscher ,  wie  Grote ,  Ritschi  und  Lehrs 2)  unbedenklich  an, 
dass  schon  mit  der  Mitte  des  7.  Jahrhunderts  die  Fixierung  des  Homer, 
wenigstens  einzelner  Gesänge  und  der  Liederanfänge  begonnen  habe,  und 
dürfen  unbedingt  die  Worte  des  Dichters  Z  168  n6q*v  (T  o  ye  or\^iaxa 
Xvyyd,  yyaii'ag  tV  nivay.i  nnxrin  ilvucxp&oya  nolka  dahin  gedeutet  werden 
dass  bereits  zu  Homer  eine  dunkle  Kunde  vom  Gebrauche  der  Schrift 
und  von  brieflichen  Mitteilungen  gedrungen  war.  Aber  von  da  zu  der 
Abfassung  umfangreicher  Bücher  ist  noch  ein  weiter  Weg  und  gar 
alle  Wahrscheinlichkeitsgründe,  insbesondere  auch  die  Gestalt  des  Textes, 
das  spurlose  Verschwinden  des  Digammas  und  die  Einführung  falscher 
Zerdehnungen,  wie  oov  Idteiv  epowg  sprechen  gegen  Nitzsch's  von  Volkmann 
S.  181  ff.  wiederholte  und  mit  lächerlichen  Gründen  gestützte  Behauptung, 


1)  Siehe  Xenophon,  sympos.  III  5  und  vgl.  Lehrs  de  Arist. 2  p.  439. 

2)  Grote,  hist.  II  200,  Lehrs,  de  Arist.2  p.  442,  Ritschi  opusc.  I  60  und  in  dessen 
Leben  II  27  Dagegen  hält  an  der  Ansicht  Wolfs  unbedingt  fest  Niese,  Die  Entwicklung  der 
homerischen  Poesie  S.  8,  und  Sengebusch,  diss.  Hom.  II  33.  Zu  den  oben  im  Texte  angeführten 
Zeugnissen  über  Anwendung  der  Schrift  im  7.  Jahrhundert  füge  man  noch  die  Angabe  des  Cert. 
Hom.  et  Hes.  p.  325  ed.  Göttl.  über  den  Hymnus  auf  den  Delischen  Apoll:  'Jrjhoi  yyäipavTts  ra 
tnrj  tis  "ktvxutfxn  äredtjxav  iv  rü  rrjs  'AfjrifiiSog  ieytö  und  die  doch  wohl  schon  in  den  Kyprien 
vorgetragene  Mythe  von  einem  Briefe,  den  Odysseus  zum  Verderben  des  Palamedes  schrieb,  in 
Hygin  fab.  105. 


136 

dass  Homer  selbst  die  Schrift  gebraucht  und  seine  Dichtungen  eigen- 
händig niedergeschrieben  habe.  Freilich  hat  sich  auch  neuerdings  Bergk 
in  seiner  griechischen  Literaturgeschichte  S.  530  jener  Behauptung  an- 
geschlossen, aber  auch  ein  scharfsinniger  Kritiker  kann  manchmal  fehl- 
schiessen,  namentlich  wenn  er  so  sehr  wie  Bergk  das  Paradoxe  liebt. 
Keineswegs  kann  aber  aus  den  paar  Schriftzeichen,  welche  Schi ie mann 
auf  troischer  Töpferwaare  (Ilios.  Nr.  1519.  1524.)  fand  und  deren  Schrift- 
charakter obendrein  Milchhöfer,  Allg.  Ztg.  1883  Beil.  Nr.  355  anzweifelt, 
auf  eine  weite  Verbreitung  der  Schrift  in  der  Zeit  Trojas  und  Homers 
geschlossen  werden. 

Der  zweite  Punkt,  auf  den  sich  Wolf  vornehmlich  stützte,  betrifft 
die  dem  Vortrag  epischer  Dichtungen  in  der  Zeit  Homers  gesetzten 
Schranken.  Wolf  weist  darauf  hin,  dass  Homer  wie  von  den  Agonen 
musischer  Künstler,  so  auch  von  einem  mehrere  Tage  hintereinander 
fortgesetzten  Vortrage  epischer  Dichtungen  noch  nichts  weiss,  dass  er 
immer  nur  erzählt  von  kleinen  Liedern,  wie  vom  hölzernen  Pferd  (#  492 
bis  520),  vom  Streite  des  Odysseus  und  Achilleus  (#  73 — 82),  vom  Abzug 
der  Achäer  von  Troja  (a  326).  vom  Liebesabenteuer  des  Ares  und  der 
Aphrodite  (#  266 — 366),  wie  sie  leicht  beim  Mahle  von  Sängern  oder 
in  Mussestunden  von  den  Helden  selbst  zur  Phorminx  gesungen  werden 
konnten.  Daraus  zieht  er  nun  prol.  c.  26,  indem  er  in  jenen  in  die 
heroische  Zeit  zurückverlegten  Schilderungen  nur  Abbilder  der  Ver- 
hältnisse seiner  Zeit  sieht,  folgenden  Schluss:  si  Homero  lectores  longorum 
poematum  deerant,  plane  non  assequor,  quid  tandem  eum  impellere 
potuisset  in  consilium  et  cogitationem  tarn  longorum  et  continuo  partium 
nexu  consertorum  carminum.  Auch  hier  wird  man,  wie  namentlich 
Welcker,  Ep.  Cyclus  I  316  ff.  in  dem  Abschnitt  über  den  Vortrag  der 
homerischen  Gedichte  gethan  hat,  den  Vordersatz  zugeben  können,  aber 
die  Berechtigung  zu  der  daraus  gezogenen  Folgerung  leugnen  dürfen, 
zumal  Homer  selbst  durch  die  Wendung  (pcävt  (V  aoidrjv  evStev  tlayv, 
cug  ol  fitv  evoatiuuji'  tnl  vr\wv  ßavrfg  äninkBov  klar  angedeutet  hat,  dass 
wenn  die  Sänger  auch  nur  ein  einzelnes  kleines  Lied  zum  Vortrage 
wählten,  dasselbe  doch  aus  dem  Zusammenhang  eines  grösseren  Gedichtes 
genommen  sein  konnte.  Ausserdem  beweist  die  Schilderung  Homers  im 
1.  Gesänge  der  Ilias  V.  601  ff. 


137 

('>»•    Turf-    iih'    nQtrnav    Jjfic/Q    is    rjfiLioy    y.ajadvvTa. 
()ai)'V)'j\    ovde    Tt   &vititg  tttevero   datrog  itöijs, 
ov   ii h'  ([(>()ii r/yog  Tityixa/JjtK-,   i)r  f%    'Anolhov, 
Movaaiuy  .9-',  ai   atidor  äimßotm'cu  oui  za'/.i], 
dass  man  selbst  den  Vortrag  grösserer  Epen  durch  mehrere  sich  gegenseitig 
ablösende  Sänger  für  die  homerische  Zeit  nicht  absolut  in  Abrede  stellen 
darf.    Denn  in  den  Olymp  übertrugen  die  Zeitgenossen  Homers    und  die 
Griechen    aller    Zeiten    die  Vorgänge    ihrer  Umgebung  und    der  mensch- 
lichen Wirklichkeit,  und  an  einer  Stelle,  Ilias  IX   189 — 191   lässt  Homer 
ja  auch  auf  Erden,  im  Zelte  des  Achilleus,  zwei  Heldensänger,    Achilleus 
und  Patroklos,  sich  in  dem  Vortrag  epischer  Lieder  einander  ablösen. 

So  werden  wir  denn  zugeben  müssen,  dass  Wolf  zwar  den  Glauben 
an  die  Dichtung  so  grosser  Epen,  wie  Hins  und  Oyssee,  durch  einen 
Dichter  stark  erschüttert  hat,  dass  er  aber  in  seinen  Schlussfolgerungen 
aus  gut  begründeten  Prämissen  entschieden  zu  weit  gegangen  ist  und 
Sätze  als  unanfechtbare  Wahrheiten  aufgestellt  hat,  die  in  das  Gebiet  der 
(toga  nicht  der  tmaTi'iiiij  gehören,  von  denen  es.  wie  Friedländer  sagt, 
thatsächliche  Beweise  weder  für  noch  wider  gibt.  Auf  der  anderen  Seite 
wird  auch  ein  vorsichtiger  und  ängstlicher  Forscher  aus  den  von  Wolf 
klargelegten  Verhältnissen  folgern  müssen,  dass  wenn  nun  einmal  zu 
Homers  Zeit  sich  nur  Gelegenheit  zum  Vortrag  kleinerer  Lieder  bot  und 
diese  selbst  nur  mündlich  fortgepflanzt  wurden,  sich  so  grosse  Epen,  wie 
Ilias  und  Odyssee,  nur  dadurch  erhalten  konnten,  dass  der  Dichter  einen 
Kreis  von  Jüngern  und  begabten  Sängern  um  sich  sammelte,  die  ihm 
seine  Lieder  ablauschten,  dieselben  in  weitere  Kreise  trugen  und  auf  die 
Nachwelt  verpflanzten.  Dann  kommen  wir  aber  notwendig  zur  Annahme 
einer  Sängerschule  und  einer  aus  Verwandten,  Schülern  oder  Freunden 
zusammengesetzten  Homeridenzunft.  Die  Glieder  dieser  Innung  aber  zu 
blossen  Rhapsoden  herabzudrücken,  dazu  hat  man  nicht  die  geringste 
Berechtigung;  vielmehr  entspricht  es  weit  mehr  den  Verhältnissen  einer 
schöpferischen  Zeit  und  eines  reichbegabten  Volksstammes,  dass  die  Jünger 
dem  Meister  auch  die  Kunst  des  Dichtens  ablernten  und  an  der  episoden- 
artigen  Erweiterung  der  ihnen  zur  Fortpflanzung  übergebenen  Werke  mit 
fortgewoben  haben. 

Aber  doch  nicht  ausschliesslich  war  Wolf  bei  den  äusseren  Momenten 
Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.d.  Wis«.  XVII.  Bd.I.Abth.  18 


138 

der  homerischen  Frage  stehen  geblieben  und  noch  weniger  haben  sich  seine 
Anhänger  auf  diesen  engen  Kreis  der  Untersuchung  beschränkt.  Von 
der  Dias  hatte  schon  der  Meister,  proleg.  c.  31  bemerkt:  in  Universum 
idem  sonus  est  omnibus  libris,  idem  habitus  sententiarum ,  orationis, 
numerorum;  quare  necesse  erit  excutiatur  aliquando  accuratissime,  quae 
insolentia  sit  in  vocabulis  et  locutionibus  et  qualis,  quid  diversum  et 
disparis  coloris  in  sententiis  etc.  Er  selbst  zwar  hat  diese  Untersuchungen, 
deren  Notwendigkeit  er  betonte,  nicht  angestellt;  aber  andere  sind  in 
seine  Stelle  eingetreten,  so  G.  Hermann,  der  in  seinem  Buche  de 
emendandi  ratione  gramm.  gr.  und  in  seiner  Ausgabe  der  Orphica  über 
den  Sprachgebrauch  einiger  Wortformen  und  gewisse  Eigentümlichkeiten 
der  Metrik  mehrere  treffliche,  nur  nicht  erschöpfende  Beobachtungen 
machte,  und  viele  andere  jüngere  Gelehrte,  welche  sich  die  Aufhellung 
hieher  gehöriger  Punkte  zur  speciellen  Aufgabe  machten,  wie  C.  Hoff- 
mann  in  den  Quaestiones  Homericae,  Friedländer  in  den  zwei  ho- 
merischen Wörterverzeichnissen,  Giseke  in  den  homerischen  Forschungen 
und  den  Untersuchungen  über  den  Unterschied  im  Gebrauche  der  Prä- 
positionen, Lehrs  in  dem  Aufsatz  über  die  Caesura  hephthemimeres, 
Harte  1  in  den  homerischen  Studien,  und  ich  selbst  in  meiner  in  den 
Stzb.  d.  b.  Ak.  v.  J.  1879  veröffentlichten  Abhandlung  über  die  Inter- 
polationen bei  Homer.  Das  Hauptaugenmerk  war  dabei  auf  den  Gebrauch 
des  Digammas,  die  Zusammenziehung  ehemals  getrennter  Vokale,  den  Bau 
des  Hexameters  und  die  Eigentümlichkeiten  in  der  Phraseologie  und  im 
Gebrauch  der  anal;  Ityojitva  gerichtet.  Die  Resultate  der  Untersuchungen 
waren  zum  grössten  Teil  negativer  Art  und  entsprachen  durchaus  nicht 
dem,  was  Wolf  von  ihnen  erwartet  hatte.  Bei  einigen  der  Forscher,  nament- 
lich bei  Hoffmann  zerbröckelte  die  llias  und  selbst  ihre  einzelnen  Rha- 
psodien in  kleine  Teilchen,  so  dass  selbst  die  Wolfianer  und  Lachmannianer 
eine  solche  Atomistik  perhorrescierten  und  vor  der  Auffassung  der  llias 
als  eines  buntzusammengesetzten  Mosaikwerkes  warnten.  Bei  andern 
führten  die  Zusammenstellungen  geradezu  zum  Bekenntnis  der  Unmög- 
lichkeit auf  diesem  Wege  die  Hypothese  Wolfs  von  einer  Mehrzahl  von 
Dichtern  und  einer  Arbeit  mehrerer  Jahrhunderte  zu  erweisen.  Es  er- 
gaben sich  nämlich  keine  grossen,  massig  wirkenden  Unterschiede,  und 
bei  den  kleinen  Differenzen  kann  zu  leicht  der  Zufall  mit  im  Spiele  sein, 


139 

als  dass  ein  besonnener  Kritiker  grosse  Schlüsse  auf  sie  bauen  dürfte. 
So  stellte  sich  heraus,  dass  in  allen  Gesängen  Homers  —  von  Inter- 
polationen kleineren  Umfangs  sehe  ich  hier  ab  —  das  Digamma  noch 
seine  Kraft  ausübte  und  dass  in  Bezug  auf  die  Festigkeit  dieses  bei  Kal- 
linos  und  Archilochos  schon  fast  ganz  hinfällig  gewordenen  Lautes  kaum 
ein  erheblicher  Unterschied  zwischen  den  als  alt  und  den  als  jung  an- 
genommenen Gesängen,  wie  etwa  der  'Ayau tuvovug  ayiOTtia  und  der  "Eztoqos 
XvxQa,  dem  Xostos  des  Odysseus  und  der  Telemachie  besteht.  Damit 
schwinden  aber  auch  fast  alle  Unterschiede,  die  man  in  Bezug  auf  die 
Häufigkeit  des  Hiatus  und  der  Silbenverlängerung  vermutet  hat,  und 
bleiben  nur  kleine  Divergenzen  in  Bezug  auf  die  Cäsuren  und  Versformen, 
die  gleichfalls  keinen  entschiedenen  Ausschlag  für  das  Alter  der  ein- 
zelnen Gesänge  bieten.  Ferner  erwies  Friedländer,  dass  an  dem  Schatz 
der  aiug  tl{>ttutya  alle  Gesänge  in  nicht  stark  abweichendem  Verhältnis 
participieren  und  dass  die  Wörter  und  Formen,  welche  man  als  hesio- 
deisch  (wie  ua/koavyfj  Li  30.  u<>{><f>'j  9  70.  Ä  367.  fjui&eog  M  23,  loyog 
Ü  393  a  56)  und  jungjonisch  {ngoßarov  I  124.  W  550,  Jijr«  I  258, 
oocph]  ()  412,  äxtUTj  K  173,  £q£oi  K  324.  I  344)  bezeichnen  könnte,  nicht 
zahlreich  genug  sind,  um  innerhalb  der  Ilias  und  Odyssee  einer  Scheidung 
zwischen  älterem  und  jüngerem  Epos  als  sicherer  Ausgangspunkt  dienen  zu 
können,  zumal  noch  hier  und  da,  wie  bei  umtzr  ^1  1 56,  und  fjvixa  %  198 
sich  der  Verdacht  eines  Textverderbnisses  aufdrängt.  Denn  bei  den  Formen 
der  Wörter,  namentlich  den  aufgelösten  und  kontrahierten,  hat  man  es 
geradezu  als  feststehenden  Grundsatz  erkannt,  dass  nur  jene  Stellen  als 
beweiskräftig  gelten  dürfen,  in  denen  die  überlieferte  Form  auch  durch 
das  Metrum  geschützt  ist,  während  an  allen  anderen  die  gerade  über- 
lieferte Form  ebenso  gut  von  den  Grammatikern  und  Rhapsoden  als  vom 
Dichter  selbst  herrühren  kann.  Dass  aber  überhaupt  ein  Schluss  auf 
Verschiedenheit  des  Dichters  aus  Verschiedenheit  der  Form  bei  Homer 
äusserst  bedenklich  ist,  muss  jedem  daraus  offenbar  werden,  dass  in 
Partien,  welche  offenbar  von  demselben  Dichter  herrühren  und  in  con- 
tinuo  gedichtet  sind,  sich  verschiedene  Formen  nebeneinander  finden,  wie 
Saqnridwa  M  292  u.  ZaQnijdorros  M  379,  ßrprp  W  685  u.  ßarrp 
V  710,  $ppe$«  K  49  u.  Ijp&  K  51,  eooercu  B  380  u.  iaaelrai  B  393, 
imaljuevog  U  15  u.  buxXfMvoi   H  260,    uuooat    I  271   u.  ouoasv    Z  280 

18* 


140 

'Aytlaog  %  241  u.  'Ayt/.Hug  /  247,  xoitwo  A  194  u.  xoukeov  A  220, 
mcfavoxuj  K  478.  502  u.  nltfttvaxm  Ä  202,  vdarog  <f>  300  u.  vdati 
<I>  258,  dvia'Covot  <T  598  u.  crj/lc£*<  J  460.  Unter  solchen  Umständen 
haben  selbst  Männer,  welche  sonst  auf  dem  Standpunkte  Wolfs  stehen, 
vor  verführerischen  Schlüssen  aus  sprachlichen  Eigentümlichkeiten  abge- 
raten, wie  Naber  in  seinen  Quaestiones  Homericae  p.  50  und  Lachmann 
in  einem  Brief  an  Lehrs  bei  Friedländer,    Kritik  p.  VII  *). 

Doch  so  rasch  wollen  wir  nicht  das  Kind  mit  dem  Bade  ausschütten; 
denn  einmal  lässt  sich  auch  mit  einem  stumpfen  Messer  etwas  ausrichten, 
und  lassen  sich  nicht  bloss  an  der  Hand  des  homerischen  Sprachgebrauchs 
kleinere  Interpolationen  mit  Sicherheit  ausscheiden,  sondern  gebe  ich 
auch  die  Hoffnung  nicht  auf,  dass  wenn  einmal  vermittels  anderer  Er- 
kennungszeichen verschiedene  Partien  der  Ilias  und  Odyssee  geschieden 
sind,  sich  auch  verlässigere  Merkmale  älterer  und  jüngerer  Diktion  auf- 
finden lassen.  Dann  haben  aber  auch,  was  weit  wichtiger  ist,  die  sprach- 
lichen und  metrischen  Untersuchungen  schon  jetzt  ein  grosses  Resultat 
geliefert,  nur  aber  nicht  zu  Gunsten  der  Wolfschen  Hypothese,  sondern 
zum  geraden  Gegenteil.  Denn  für  jeden  Unbefangenen  muss  es  jetzt 
feststehen,  dass  die  Ilias  und  Odyssee  auch  nicht  einmal  in  ihrer  Zu- 
sammenfügung  ein  Werk  des  Pisistratus  sind  —  sonst  müssten  sich 
grössere  Partien  finden,  welche  das  sprachliche  Gepräge  des  6.  Jahr- 
hunderts trügen  —  und  dass  höchstens  einige  kleine  Partien,  aber  kein 
einziger  ganzer  Gesang,  auch  nicht  der  Schiffskatalog  oder  die  letzte 
Rhapsodie  der  Odyssee  nach  Archilochos  und  Kallinos,  oder  nach  der 
Mitte  des  7.  Jahrhunderts  entstanden  ist.  Das  geht  unwidersprechlich 
daraus  hervor,  dass  auch  noch  in  dem  Schiffskatalog  und  in  der  Tele- 
machie  das  Digamma  fast  durchweg  und  nicht  bloss  an  gewissen  Vers- 
stellen und  in  bestimmten  Wortverbindungen  seine  Kraft  bewahrt  hat, 
dass  hingegen  bei  Archilochos  nur  vor  ul  fr.  28  u.  95  und  ävay.T.og  fr.  1 
ein  Hiatus  steht,  hingegen  von  olrog  fr.  3.  5.  79,  tyyov  fr.  4.  38.  87, 
u.GT.ü*  fr.  9.   65,  ävaxtog  fr.    10.   77.    79,    olxog  fr.   68.   96,   fjdv  fr.  76   sich 


1)  Die  ganze  Stelle  des  grossen  Kritikers  ist  sehr  lesenswert,  namentlich  für  die  statistischen 
Philologen  unserer  Tage,  die  mit  dem  Zählen  der  Formen  und  Wörter  wunder  was  zu  leisten 
glauben. 


141 

keine  Spur  mehr  der  labialen  Spirans  findet 2).  Denn  wenn  man  auch 
einen  Teil  dieser  Erscheinung  auf  Rechnung  des  Dialektunterschiedes 
von  Chios  und  Ephesos  und  der  Forterbung  alter  Sprachformen  in  den 
Rhapsodenschulen  bringen  will,  so  reicht  dieses  doch  keineswegs  aus, 
um  den  bedeutenden  Unterschied  im  Gebrauch  des  Digammas  zu  erklären, 
zumal  im  7.  Jahrhundert  selbst  bei  den  äolischen  Dichtern  Alkaios  und 
Sappho  ioog  tWog  idr/v  tQyov  t'ini^  schon  nicht  mehr  die  volle  Kraft 
des  anlautenden  Digammas  bewahrten.  Urteilsfähige  Leute  sollten  also 
endlich  aufhören,  grossen  Männern  die  Fabel  vom  Pisistratus  als  Schöpfer 
der  Ilias  und  Odyssee  nachzubeten. 

Mit  der  sprachlichen  Form  hängt  der  Stil  und  die  Kunst  der  Dar- 
stellung eng  zusammen.  Auch  sie  sind  in  die  Besprechung  der  homerischen 
Frage  vielfach  hereingezogen  worden;  man  hat  auf  die  Figur  der  Ana- 
diplosis  in  den  letzten  Büchern  der  Ilias  F371.  X  127.  V  641,  auf  die 
Häufigkeit  und  Schönheit  der  Gleichnisse  in  den  Büchern  B  E  A  M  und 
ihre  verhältnismässige  Seltenheit  in  der  Gesandtschaft,  in  den  letzten 
Büchern  der  Ilias  und  in  der  ganzen  Odyssee  hingewiesen 2) ,  man  hat 
einzelne  Partien,  wie  die  Hovlrj  ytyorrior  im  2.  Buch,  den  Kampf  des 
Aineias  und  Achilleus  im  20.,  sowie  das  ganze  7.  und  8.  Buch  der  Ilias 
als  Centonen  bezeichnet,  man  hat  in  den  letzten  6  Büchern  der  Ilias  ein 
autfälliges  Nachlassen  der  poetischen  Kraft  finden  wollen3).     Ich  bestreite 


li  Siehe  darüber  Kick  in  Bezxenbergers  Beitr.  VII  111  und  jetzt  in  seiner  homerischen 
Odyssee  p.  8,  dem  ich  aber  ans  naheliegendes  Gründen,  die  ich  in  meiner  Ausgabe  entwickelt 
habe,  nicht  beigetreten  bin,  wenn  er  daraus  eine  ftnlische  Ghrandform  der  ältesten  Gesänge  der 
Dias  ableiten  zu  dürfen  glaubte.  Wie  sehr  aber  in  dem  nachhomerischen  Epos  das  Digamma 
zurücktrat,  lehrt  Sayce,  Sprache  der  homerischen  Gedichte,  nach  dem  sich  verhält  beobachtetes 
und  vernachlässigtes  Digamma  in  Hesiod  wie  Styarl,  in  dein  Hymnus  auf  Hermes  wie  1  :  lV^, 
in  Empedokles  wie  1  :  3.  in  der  Batrachomyomachia  wie  1  :  G. 

2)  Wie  vorsichtig  man  sein  muss,  aus  der  geringen  Zahl  der  Gleichnisse  auf  verschiedene, 
minder  begabte  Verfasser  zu  schliessen,  dazu  mahnt  hauptsächlich  der  Mangel  der  Gleichnisse  in 
dem  Fundament  der  üias,  dem  unübertroffenen  1.  Ges&ng.  Nicht  aus  7nangelnder  Begabung  hat 
hier  der  Dichter  den  Schmuck  der  Gleiohnisse  weggelassen,  sondern  weil  Gleichnisse  nicht  in  eine 
Einleitung  passen,  wie  treffend   Nutzhorn  S.  140  bemerkt   hat. 

'■'<)  So  Wolf  prol.  <•.  ".1:  (jui'ties  in  continenti  lectione  ad  VI  postremas  rhapsodias  Iliadis 
deveni,  numquam  non  in  iis  talia  quaedam  sensi,  quae,  nisi  illae  tarn  mature  cum  ceteris  coa- 
luissent,  quovis  pignore  contendam  dndum  ab  eruditis  deteeta  et  animadrersa  f'uisse,  immo  multa 
eius  generis.  ut  cum  nunc  'Ouriotxwtuzic  habeantur.  ri  tantummodo  in  hymnis  legerentur,  ipsa  sola 
eos  Buspicionibus  ro&H'uc  adspersura  essent. 


142 

natürlich  nicht  die  Berechtigung  derartiger  Beobachtungen  und  verzichte 
noch  weniger  selbst  auf  den  Appell  an  das  ästhetische  Urteil  in  evidenten 
Fällen,  aber  eine  so  verwickelte  Frage  wie  die  homerische  mit  Gründen 
des  Stiles  und  mit  Berufung  auf  das  Schönheitsgefühl  entscheiden  zu 
wollen,  ist  äusserst  bedenklich.  Schilderungen  von  Kampfesscenen  laden 
mehr  zu  Gleichnissen  ein  als  Erzählungen  von  Gesandtschaften  und  Reise- 
erlebnissen; jeder  Dichter  —  und  Homer  wird  keine  Ausnahme  von  den 
Naturgesetzen  gebildet  haben  —  hat  seine  guten  und  seine  schlechten 
Stunden,  und  die  ästhetischen  Urteile  nicht  bloss  von  oberflächlichen 
Dilettanten,  sondern  auch  von  feinen  Kennern  weichen  nur  zu  häufig 
von  einander  ab.  Köchly  war  mit  seinem  Ausspruch  von  zusammen- 
gestoppelten Versen  sehr  rasch  bei  der  Hand,  Wolf,  wie  wir  sahen,  und 
mit  ihm  Lachmann  und  Köchly  haben  über  die  6  letzten  Bücher  der 
Ilias  ein  sehr  abfälliges  Urteil  gefällt,  aber  Schiller  pries  in  überschwäng- 
lichen  Ausdrücken  das  23.  Buch ]),  Otfr.  Müller  sagte  von  der  Scene 
der  Zusammenkunft  des  Achilleus  und  Priamos  im  letzten  Gesänge,  dass 
sie  mit  keiner  andern  in  der  ganzen  alten  Poesie  verglichen  werden 
könne2),  und  das  22.  Buch  mit  der  ergreifenden  Schilderung  von  Hektor, 
der  erst  wie  ein  edles  Wild  dreimal  um  die  Mauern  von  Achilleus  ge- 
hetzt wird  und  den  dann,  an  den  Wagen  des  Siegers  gebunden,  die 
jammernden  Eltern  von  dem  Thurme  der  Stadt  aus  zu  den  Schiffen 
der  Achäer  schleifen  sehen,  setze  ich  kühn  jedem  auch  der  gepriesensten 
Gesänge  der  Ilias  an  die  Seite.  In  anderen  Dingen  freilich  werden 
alle  übereinstimmen,  wie  dass  die  Götterschlacht  im  21.  Gesang  weit 
hinter  ihrem  Original  im  5.  zurücksteht,  dass  das  19.  und  20.  Buch 
viele  matte  und  langweilige  Partien  haben,  dass  in  dem  13.  Buche  die 
Handlung  einen  allzu  langsamen  Fortgang  nimmt,  dass  der  aufzählende 
Charakter  des  Kataloges  mit  seinen  fünfzeiligen  Strophen  nicht  zur  lebens- 
vollen Frische  des  übrigen  Epos  stimmt,  dass  viele  Verse  und  Gleichnisse 
an  der  zweiten  Stelle  minder  zutreffend  wiederholt  sind.  Aber  alle  diese 
Dinge  sind  mehr  wichtig,  um  den  früheren  oder  späteren  Ursprung  ein- 


1)  Siehe  Lehrs  de  Arist.2  p.  433. 

2)  Otf.  Müller,  Geschichte  der  griechischen  Literatur  I,  84;   über  die  abweichenden  Be 
urteilungen  einzelner  Bücher  überhaupt  vergleiche  Mahaffy  S.  18  f  und  Nutzhorn  S.  251. 


143 

zelner  Partien  zu  erweisen,  als  dass  sie  für  die  Annahme  verschiedener 
Verfasser  des  eigentlichen  Stockes  der  Ilias  ein  entscheidendes  Gewicht 
in  die  Wagschale  werfen  könnten.  Jedenfalls  dürfte  dem  Verlauf  der 
homerischen  Frage  kein  günstiges  Horoskop  gestellt  werden,  wenn  sie 
sich  auf  ästhetische  Urteile,  dem  Tummelplatz  der  subjektiven  Mei- 
nungen, stützen  oder  dieselben  gar  zum  Ausgangspunkt  nehmen  wollte. 
Den  Ausgangspunkt  müssen  vielmehr  die  Untersuchungen  über  den  in- 
neren Zusammenhang  der  Teile  der  Ilias  und  Odyssee,  über  die  Fugen, 
Risse,  Widersprüche  in  den  beiden  Dichtungen  bilden,  und  an  ihnen  hat 
sich  auch  thatsächlich  die  weitere  Entwicklung  der  homerischen  Frage 
seit  Wolf  fortgesponnen,  zu  deren  Beleuchtung  wir  nun  übergehen  wollen. 

Die  homerische  Frage  seit  Wolf. 

Gradlinig  ist  die  homerische  Frage  nach  Wolf  nicht  verlaufen,  viel- 
mehr führte  Wolfs  Kühnheit  wieder  zu  einer  rückläufigen  Bewegung, 
indem  sie  die  Classe  der  Unitarier  hervorrief,  als  deren  Fahnenträger 
von  Köchly1)  mit  Recht  G.  W.  Nitzsch  bezeichnet  wurde,  an  dessen  Werke, 
Meletemata  de  historia  Homeri,  1830  und  Sagenpoesie  der  Griechen,  1852, 
sich  die  Arbeiten  von  Bäumlein 2),  Nutzhorn,  Volkmann,  Kiene,  Gerlach 8) 
u.  a.  anschlössen.  Man  würde  unbillig  sein,  wollte  man  jenen  Unitariern 
alles  Verdienst  für  die  richtige  Erkenntnis  Homers  absprechen.  Sie  haben 
die  Kehrseite  des  Bildes  hervorgehoben,  indem  sie  den  Blick  auf  die 
Gleichheit  in  der  Charakterzeichnung  der  Hauptpersonen4),  die  Ueber- 
einstimmungen  in  der  Chronologie  und  Sage  5),  die  Conformität  in  Versbau 


1)  Köchly  in  seiner  prächtigen  dissertatio  III  de  Iliadis  carminibus,  jetzt  in  dessen  Opus- 
eula  philologica  I  49  sqq. 

2)  Bäum  lein,  commentatio  de  Homero  einsque  carininibus,  1847,  praefatio  der  Tauchnitzer 
lliasiiusgabe,   Philol.  XI  405—30  etc. 

8)  Nutzhorn  Entstehungswei.se  der  homerischen  Gedichte,  1869,  Volk  mann  Geschichte 
und  Kritik  der  Wolfschen  Prolegomena,  1874,  Kiene  die  Komposition  der  Ilias  des  Homer,  1864, 
Leop.  Gerlach,  Einheit  der  Ilias  im  Philol.  XXX.  Gegen  den  Kern  von  Wolfs  Hypothese 
lind  auch  die  einschlägigen  Abschnitte  in  Otfr.  M  ü  11  er's  Griech.  Literaturgeschichte  undMure's 
history  of  the  litterature  of  ancient  Greece  gerichtet. 

4)  So  Herakles  durchweg  gedacht  als  f*tif  ytvtß  twv  Tyuiixwv  nf/oyiyearfyoc  (vgl.  O  (i38  u. 
(f  21),  so  die  Vorstellungen  von  Laomedons  Söhnen  gleichmässig  festgehalten  in  V  237,  O  419 
526.  576,  Z  86  o.  a. 

5)  So  steht,  um  nur  einiges  hervorzuheben,  ngocpvytiv  Z  502.  //  309.  A  340.  *  107.  /  325  im 
Sinne  von  intxcpvyiir,  ist  im  Gegensatz    zum    späteren  Sprachgebrauch    iKviofua   i'x(o   veo/ucci    6{w 


144 

und  Sprache  *),  die  Aehnlichkeit  in  der  Kunst  der  symmetrischen  An- 
lage und  episodischen  Eindichtung  lenkten.  Sie  haben  ferner  eindring- 
licher auf  die  gegenseitigen  Rückbeziehungen ,  die  ausgesprochenen  wie 
die  versteckten 2) ,  aufmerksam  gemacht  und  die  Spuren  eines  einheit- 
lichen Planes  nachzuweisen  gesucht.  Aber  der  Zusammenklang  der 
Teile  der  Ilias  und  die  Gleichheit  der  Sprache  und  des  Stiles  war  auch 
Wolf  nicht  verborgen  geblieben;  sagte  er  doch  geradezu  cin  Universum 
idem  sonus  est  omnibus  libris,  idem  habitus  sententiarum  orationis  nu- 
meroruiu"  und  'testis  est  poeta  ipse  h.  e.  carmina,  in  quibus  tanta  con- 
spicitur  unitas  et  simplicitas  argumenti  et  dispositionis,  ut  de  re  quam 
quaerimus  pro  auctore  suo  responsum  dare  videantur .  Aber  Wolf  Hess 
sich  durch  jene  zutageliegenden  Einheitszeichen  nicht  täuschen  über  die 
offenbaren  Widersprüche  innerhalb  der  beiden  grossen  Dichtungen,  über 
die  vielen  unvermittelten  Uebergänge,  über  die  mangelnde  Harmonie  der 
Teile,  kurz  über  die  mannigfachen,  von  mir  in  den  Paragraphen  23 — 36 
meiner  Prolegomena  besprochenen  Mängel  in  der  Durchführung  desjenigen 
Planes,  der  von  dem  Dichter  selbst  in  dem  Proömium  ausgesprochen  zu 
sein  schien.     Wolf  war  ausserdem  ein  zu  klarer  und  unbefangener  Kopf, 


über  100  Mal  in  Ilias  und  Odyssee  mit  dein  reinen  kooauAn  verbunden,  ist  durchweg  utaavnng 
nach  der  2.  statt  urforvy  nach  der  3.  Decl.  gebraucht,  findet  sich  gleichmässig  in  Ilias  und  Odyssee 
der  später  erloschene  Oonjunctiv  mit  kurzem  Themavokal  u.  ;i. 

1)  Für  die  symmetrische  Anlage  verweise  ich  insbesondere  auf  den  l'arallelismus  der  l.V- 
tardierung  der  Handlung  um  12  Tage  im  ersten  und  letzten  besang  (-'  425  u.  il  :'>!),  des  Scenen- 
wechsels  im  Eingang  und  am  Schlüsse  der  Patrokleia  (ff  1  u.  £  1),  der  Ueberlegenheit  der  Achäer 
in  r  —  H  und  der  der  Troer  in  A — 0,  der  Flucht  der  Achäer  in  0  343 — 345  und  der  der  Troer  in 

0  1 — 3.  des  Grabenüberganges  von  Seite  der  Troer  in  M  84  und  von  Seiten  der  Achäer  in  a  47, 
der  Verdrossenheit  des  Aeneas  über  Hektor  in  N  459  und  der  der  Achäerfürsten  über  Agamemnon 
in  S  114,  des  Verbotes  des  Götterfürsten  sich  an  dem  Kampfe    der  Menschen    zu    beteiligen    in  O 

1  ff.  und  der  Aufforderung  desselben  an  dem  Kampfe  teilzunehmen  in  >'  1  ff.  Ebenso  zeigt  sich 
die  Kunst  der  episodischen  Einlage  unter  Benützung  eines  zeitlichen  Zwischenraumes  in  der  Haupt  - 
handlung  in  gleicher  Weise  in  der  Teichoskopie  r  121 — 244,  im  Waffentausch  des  Diomedea  und 
Glaukos  Z  119 — 236,  im  Kampfe  der  Wagenlenker  des  Patroklos  P  426—542,  in  der  Fahrt  nach 
Chryse  A  430-487,  in  der  Absendung  des  Patroklos  A  596—848  und  O  390—40".. 

2)  Von  diesen  Rückbeziehungen  hebe  ich  besonders  hervor  H  61  auf  '  650,  M  336.  N  521. 
O  469  auf  S  328,  *  5  auf  O  605,  O  110  auf  »  518.  Andere  stehen  im  4.  Kapitel  meiner  Pro- 
legomena. aber  überall  gilt  es  hier  erst  zu  untersuchen,  ob  die  betreffenden  Verse  echt  oder  unter- 
geschoben sind.  Denn  schon  der  Umstand,  dass  Homer  sonst  dem  cyklusartigen  Charakter  seiner 
Gesänge  entsprechend  Rückbeziehungen  meidet,  muss  gegen  die  Echtheit  der  betreffenden  Stellen 
von  vornherein  einnehmen. 


145 

um  in  der  Ilias  und  Odyssee  die  Verkörperung  grosser  sittlicher  Ideen 
zu  finden,  welche  theologische  Weisheit  in  die  einfachen  Produkte  ech- 
tester Volks-  und  Naturpoesie  hineingeheimselt  hat *).  Endlich  haben 
Wolf,  Bemhardy  und  andere,  welche  von  einer  homerischen  Sängerschule 
sprachen,  nicht  so  gering  von  dem  Talente  der  Jünger  gedacht,  dass  sie 
ihnen  die  Fähigkeit  absprachen,  sich  in*  den  Geist  der  alten  homerischen 
Dichtung  hineinzuleben  und  das  Werk  des  Meisters  in  dessen  Geiste 
weiterzuführen,  wie  dieses  ja  auch  geschichtlich  bezeugt  ist  von  den 
Vollendern  unserer  grossen  Dome,  welche  die  Entwürfe  der  ersten  Meister 
nicht  einfach  ausführten,  sondern  zum  Teil  auch  ausschmückten  und  er- 
weiterten. Mit  blossen  Lobreden  auf  die  glückliche  Einfügung  der  Pres- 
beia  oder  den  herrlichen  Abschluss  der  Ilias  durch  die  Leichenspiele 
und  die  Lösung  Hektors  ist  noch  nicht  viel  gethan,  da  eine  solche  Kunst 
auch  den  Homeriden,  den  Jüngern  des  Meisters,  zugetraut  werden  kann. 
Um  die  Einheit  des  Verfassers  zu  erweisen,  müssen  erst  die  Widersprüche 
und  die  Abweichungen  der  Sprache  beseitigt  werden,  die  jener  Annahme 
entgegenstehen.  Ich  halte  mich  daher  bei  jenen  Einheitsaposteln  hier 
nicht  länger  auf,  zumal  ich  unten  noch  Gelegenheit  haben  werde  auf 
einige  ihrer  Sätze  zurückzukommen,  und  die  einsichtsvollsten  unter  ihnen, 
insbesondere  Nitzsch  in  seinem  postumen  Werk,  Beiträge  zur  Geschichte 
der  epischen  Poesie,  durch  Annahme  grösserer  Interpolationen  ein  gutes 
Stück  den  Wolfianern  entgegengekommen  sind. 

Den  Gedanken  Wolfs  hat  am  konsequentesten  und  scharfsinnigsten 
K.  Lach  mann  in  seinen  Betrachtungen  über  Homers  Ilias,  1837 — 41, 
weitergeführt.  Er  hat  vor  allem  die  innere  Seite  der  Frage,  die  Wolf 
beiseite  gelassen  hatte,  von  der  aber  allein  eine  endgiltige  Lösung  des 
Problems  erhofft  werden  konnte,  scharf  ins  Auge  gefasst  und  durch  sorg- 


1)  Eine  sittlich  religiöse  Idee  suchten  in  der  Ilias  und  Odyssee  besonders  Nitzsch  und 
Bäamlein;  auch  Ritschi,  Alex.  Bibl.  p.  70  (Opusc.  I,  60)  nimmt  für  seine  zweite  Periode  der 
Entwicklung  des  homerischen  Epos  eine  sittliche  Idee  an,  und  mein  Freund  Carriere  führt  in 
dem  Werke,  die  Kunst  im  Zusammenhang  der  Culturentwicklung  I  50,  den  Gedanken  einer  sitt- 
lichen Grundlage  des  homerischen  Epos  so  schön  durch,  dass  man  fast  wünschen  möchte,  dass  er 
auch  wahr  sei.  Mit  Recht  hingegen  hat  sich  gegen  diese  ganze  Auffassung  Nutzhorn  S.  260 
ausgesprochen,  da  sie  der  einfachen  Natur  des  naiven  Volksepos  widerspricht.  Eher  wird  man 
in  den  homerischen  Epen  einen  historischen  Kern,  und  mit  Osk.  Meyer,  Quaest.  Homer.  1847, 
selbst  auch  einen  mythologischen  Hintergrund   suchen  dürfen. 

Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak  d.Wiss.  XVII.  Bd.  I.  Abth.  19 


146 

fältige  Analyse  der  Ilias  unter  Vergleicliung  ähnlicher  Erscheinungen  des 
deutschen,  altfranzösischen  und  altspanischen  Epos  1 5  alte  Lieder  heraus- 
gelöst, die  ursprünglich  selbständige  Schöpfungen  verschiedener  Dichter 
gewesen  sein  sollen  und  die  erst  ein  späterer  Ordner  benützt  habe,  um 
aus  ihnen  zusammen  mit  den  letzten  Rhapsodien  JT — 11  unsere  heutige 
Ilias,  die  Ilias  des  Pisistratus  zu  schaffen.  Jene  15  Lieder  hat  dann  der 
geistvollste  Anhänger  Lachmanns,  Arnim  Köchly,  auch  gesondert,  und 
zwar  scholarum  in  usum,  herausgegeben  in  seinen  Iliadis  carmina  XVI. 
Lipsiae  1861,  indem  er  seiner  kleinen  Ilias  das  stolze  Motto  vorsetzte 
vrfiioi  ovdi.  Loaaiv  ooqt  nliov  r[tut<Jv  .io.vt(k.  Er  ist  dabei  fast  durchweg 
in  die  Fusstapfen  Lachmanns  eingetreten  und  hat  den  15  Liedern  seines 
grossen  Vorgängers  nur  noch  den  letzten  Gesang,  die  aExT*^og  '/.irya,  als 
gleichfalls  altes  Lied  hinzugefügt.  Die  Begründung  seiner  Ansichten 
unter  schneidiger  Bekämpfung  der  Gegner  der  Liedertheorie  entwickelte 
Köchly  in  seinen  klassischen  dissertationes  de  Iliadis  carminibus,  de  Odys- 
seae  carminibus,  die  jetzt  in  den  1.  Band  seiner  Opuscula  philologica 
aufgenommen  sind  und  in  denen  Lachmanns  Theorie  auch  auf  die  Odyssee 
ausgedehnt  ist.  Ueberhaupt  aber  hat  der  divinatorische  Scharfsinn 
Lachmanns  einen  wahren  Bann  über  nah-  und  fernstehende  Geister  aus- 
geübt, so  dass  sich  eine  ganze  Literatur  an  die  Betrachtungen  anschloss 
und  der  von  dem  grossen  Forscher  betretene  Fusspfad  zur  wahren  Heer- 
strasse erweitert  wurde.  Im  weiteren  Verlauf  der  Besprechung  ward 
dann  die  Liedertheorie  auch  auf  die  Gesänge  £■ — A,  die  noch  Lachmann 
in  einem  Zug  hatte  gedichtet  sein  lassen,  ausgedehnt,  zuerst  von  Ad. 
Holm  in  seiner  Abhandlung,  ad  C.  Lachmanni  exemplar  de  aliquot 
Iliadis  carminum  compositione  p.  20  und  dann  eingehender  von  Mor. 
Schmidt  in  seinen  scharfsinnigen  Meletemata  Homerica  1878  u.  1879. 
Homer  selbst  aber,  dem  schon  von  Lachmann  Fleisch  und  Knochen  ge- 
nommen waren,  verflüchtete  sich  unter  den  Händen  seiner  Nachfolger  voll- 
ständig zu  einem  Phantom,  dem  vom  Zusammenfügen  der  Name  gegeben 
sei,  so  dass  sich  andere  noch  ein  Verdienst  um  den  guten  alten  Homer 
erwerben  konnten,  indem  sie  ihn  wenigstens  noch  als  'Gesell',  als  'Reprä- 
sentant einer  Dichtergenossenschaft'  gelten  Hessen  *). 


1)  So  G.  Curtius,  de  nomine  Homeri;  über  die  andere  zuerst  von  Holtzmann  aufgestellte  und 


147 

Würdigen  wir  unbefangen  Lachnianns  Betrachtungen  und  die  Schriften 
seiner  Anhänger  1j.  so  räumen  wir  gerne  ein,  dass  durch  den  glänzenden 
Scharfsinn  des  einzigen  Mannes  die  Risse  in  der  Erzählung,  die  ursprüng- 
lichen Grenzen  der  einzelnen  Gesänge,  der  lockere  Zusammenhang  ein- 
zelner Teile,  der  jüngere  Ursprung  des  Mauerbaus,  der  Gesandtschaft, 
der  Absend  ung  des  Patroklos  an  Nestor,  der  Leichenspiele,  der  Hoplo- 
poiie  mit  Sicherheit  aufgedeckt  und  für  alle  Zeiten  festgestellt  sind. 
Aber  gegen  den  Hauptsatz  seiner  Liedertheorie  von  der  ursprünglichen 
Selbständigkeit  der  alten  Lieder  bleiben  die  gegen  Wolf  erhobenen  Be- 
denken in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  fortbestehen.  Auch  mit  den  kleinen 
Modificationen,  wie  sie  insbesondere  Schömann  in  seiner  ausgezeich- 
neten Abhandlung  de  reticentia  Homeri,  185o  aufgestellt  hat2),  werden 
die  Haupteinwände  nicht  gehoben.  Homer,  den  die  Homeriden  als  ihr 
Haupt  verehrten,  braucht  nicht  der  Verfasser  der  ganzen  Ilias  und  Odyssee 
gewesen  zu  sein,  aber  er  muss  etwas  mehr  gewesen  sein  als  der  blosse 
Zusammenordner  alter  Lieder;  er  kann  auch  nicht  einfach  alte  Volks- 
lieder in  sein  neues  Werk  herübergenoinmen  haben,  ein  Dichtergenius, 
wie  den  Homer  die  Tradition  aller  Zeiten  auffasste,  war  kein  blosser 
Cniiipilator  und  Ordner,    er  hat,    wenn    er    auch    ältere    Lieder    benützte, 


durch  Vergleichung  mit  dem  indischen  Vjasa  gestützte  Deutung  des  Namens  siehe  jezt  Düntz er, 
Die  homerischen  Fragen  S.  13 — 33. 

1)  Ausser  Haupts  Zusätzen  na  Lachnianns  Betrachtungen^  zu  denen  jetzt  noch  die  be- 
treffenden, aber  wenig  relevanten  Abschnitte  in  Haupts  Leben  von  Beiger  treten,  erwähne  ich 
Köchlys  klassische  Dissertationen,  Wold.  Ribbecks  gehaltvolle  Aufsitze  im  Philologus, 
Fleckeisens  Jahrbüchern  und  Rhein.  Museum,  und  die  zahlreichen  Abhandlungen  des  betriebsamsten 
Lachmannianers  Beniokem,  dessen  soeben  erschienenen  und  vom  Verfasser  gütigst  mir  verehrten 
'Studien  und  Forschungen  auf  dem  Gebiete  der  homerischen  Gedichte  und  ihrer  Literatur',  zwar 
zunächst  nur  das  12.  u.  1"«.  Lied  znm  Gegenstand  haben,  aber  fast  alle  Seiten  der  Liedertheorie 
vom  Standpunkt  Lachmanns  aus  beleuchten.  Die  Anschauung  Lachmanns  auf  die  Spitze  treibend 
spricht  dieser  Gelehrte  neuerdings  geradezu  aus  jedes   Lied  habe  seinen  eigenen  Verfasser'. 

2j  Ausser  Schömann  verdienen  noch  hervorgehoben  zu  werden  die  in  dem  Geiste  von  Wolf- 
Lachmann  geschriebenen  Werke  von  Jacob,  Entstehung  der  Ilias  und  der  Odyssee,  1856,  Lauer, 
Geschichte  der  1k »nierischen  Poesie,  1851,  Cauer,  Urform  einiger  Rhapsodien  der  Ilias,  1850. 
Audi  Ritschi,  dessen  Unterscheidung  von  6  Perioden  in  der  Entwicklung  der  homerischen 
Poesie  (s.  Opusc.  1.  59)  überhaupt  nicht  viel  bedeuten  will,  geht  mir  nicht  weit  genug,  wenn  er 
im  Finklang  mit  Bernhardy,  Griech.  Lit.  I8,  130,  die  zweite  seiner  6  Perioden  folgendermassen 
besehreibt :  Aus  einer  reichen  Fülle  epischer  Einzellieder  wählt  der  hervorragende  Geist  Homers 
eine  Anzahl,  verschmilzt  sie  mit  eigenen  und  verknüpft  sie  kunstgemäss  zu  einem  Ganzen.  Ein 
blosses  Auswählen  alter  Einzellieder  mag  sich  für  einen  handwerksmässigen  Bänkelsänger  schicken, 
passt  aber  nicht  zur  Grösse  des  Vaters  der  griechischen  Poesie. 

19* 


148 

wie  dieses  nachweislich  die  Verfasser  der  kleinen  Ilias  und  der  Nostoi 
gethan  haben l) .  dieselben  umgegossen  und  mit  seinem  Geiste  beseelt. 
Von  dieser  uralten  Vorstellung  des  Dichters  Homer  dürfen  wir  nicht  ab- 
gehen, wenn  uns  nicht  dazu  die  Beschaffenheit  der  erhaltenen  Werke 
und  der  Verlauf  der  griechischen  Poesie  geradezu  nötigen.  Diese  aber, 
weitentfernt  die  Liedertheorie  zu  unterstützen,  führen  uns  umgekehrt 
ganz  deutlich  auf  einen  Dichter,  der  einen  grossartigen  Plan  zu  einem 
grossen  Epos  im  Geiste  entworfen  hatte  und  diesem  Plane  die  einzelnen 
Lieder,  denen  er  nur  wegen  des  oben  besprochenen  praktischen  Bedürf- 
nisses eine  möglichst  in  sich  abgeschlossene  Gestalt  gab,  als  Glieder  eines 
grösseren  Ganzen  unterordnete.  Denn  ein  grosser  einheitlicher  Gedanke 
zieht  sich  ganz  unverkennbar  durch  alle  Gesänge  der  Ilias  durch,  ein 
solcher  wird  aber  zu  allen  Zeiten  nur  durch  eine  grosse  Persönlichkeit 
ins  Leben  gerufen,  nicht  vom  Volke  erzeugt  noch  erst  hintendrein  in 
fertige  Lieder  hineingetragen.  Einen  solchen  Dichter  von  grossem  Schnitt 
und  kühner  Conception  setzt  aber  auch  der  ganze  weitere  Verlauf  der 
griechischen  Poesie  voraus.  Nur  einem  Homer,  der  nicht  alte  Lieder 
zusammengereiht,  sondern  ein  grosses  eigenes  Werk  geschaffen  hatte, 
konnte  sich  eine  Sängerschule,  und  konnten  sich  die  Dichter  des  epischen 
Kyklos,  Arktinos,  Lesches,  Stasinos  anreihen. 

Den  Gegensatz  zur  Liedertheorie,  die  getrennte  Lieder  an  den  Anfang 
und  die  Zusammenordnung  der  ursprünglich  selbständigen  Lieder  zu 
einem  grossen  Epos  an  den  Schluss  setzt,  bildet  jene  Auffassung,  welche 
von  einer  kleineren  Ilias  als  ursprünglichem  Kern  ausgeht  und  aus  dem- 
selben durch  Erweiterung,  Zudichtung,  Interpolation  allmählich  die  jetzige 
Ilias  entstanden  sein  lässt.  Es  hatte  diesen  Gedanken,  wie  bereits  oben 
angedeutet,  schon  Wolf  (Kleine  Schriften  I,  211)  ausgesprochen:  certum 
est  tum  in  Iliade  tum  in  Odyssea  orsam  telam  et  deducta  aliquatenus 
fila  esse  a  vate,  qui  primus  ad  canendum  accesserat.     Aber  deutlich  aus- 


1)  So  hat  z.  B.  der  Dichter  der  kleinen  Ilias  die  Erzählung  der  Odyssee  <5  240 — 258.  271 
bis  289.  X  508-537,  und  der  der  Nostoi  die  Erzählung  der  Odyssee  y  130—200.  254—312.  6  351 
bis  386  benützt,  wie  ich  in  meinem  Aufsatz,  Noch  eine  Art  von  Interpolationen  bei  Homeros, 
in  Jahrb.  f.  Phil.  1881  S.  434  ff.  nachgewiesen  habe.  Aehnlich  hat  Panyasis  des  Kreophylos 
Oi/uXiag  uXi^aig  und  Pisander  eine  ältere  Herakleis  ausgenützt,  worüber  man  sehe  Kinkel,  epic. 
poet.  fragm.  p.  249  u.  254. 


149 

gesprochen  und  zu  Faden  geschlagen  hat  ihn  erst  G.  Hermann  in  seiner 
klassischen  Abhandlung  de  interpolationibus  Homeri  a.  1832  (jetzt  im 
5.  Band  der  Opusc),  die  ich  als  das  Vernünftigste  und  Bestervvogene 
bezeichne,  was  je  über  die  homerische  Frage  geschrieben  worden  ist.  S.  70 
ist  die  Quintessenz  dieser  Auffassung  zusammengefasst  in  den  Worten: 
dissipari  dubitationes  et  solvi  ita,  ut  conciliari  cum  Wolfii  placitis  possint, 
si  statuamus  multo  antiquiore  tempore,  quam  visum  sit  Herodoto  II  53, 
ac  potius,  ut  Cicero  dixit  de  senect.  c.  15,  multis  ante  Hesiodum  seculis 
Homerum  duo  non  magni  ambitus  carmina  de  ira  Achillis  Ulixisque 
reditu  composuisse,  quae  deinceps  a  multis  cantata  paullatimque  aucta 
atque  expolita  Homeri  nomen  ad  posteros  ut  poetae  vetustissimi  propa- 
gaverint  Aber  wo  haben  wir  jenen  Kern  zu  suchen?  Ist  er  unter- 
gegangen unter  der  Fülle  der  Erweiterungen,  so  verliert  jene  ganze 
Hypothese  für  uns  ihren  Wort;  ist  er  aber  in  der  erweiterten  Ilias  er- 
halten geblieben,  dann  zeige  man  ihn  uns!  Darauf  hat  Hermann  keine 
Antwort  gegeben  weder  in  jener  Abhandlung  noch  in  dem  Aufsatz  über 
Homer  und  Sappho  (Opusc.  V,  79  sqq.),  wo  er  zwar  Homerica  Ante- 
homerica  und  Posthomerica  in  unserem  Homer  unterscheidet,  aber  doch 
keine  Sonderung  im  Einzelnen  vorzunehmen  unternimmt.  So  blieb  erst 
den  Nachfolgern  der  Versuch  vorbehalten,  jenen  Kern  aus  unserer  Ilias 
herauszuschälen;  aber  sobald  man  diesen  Versuch  zu  machen  begann, 
zeigte  es  sich,  dass  man  es  mit  dem  cnon  magnus  ambitus*  nicht  so 
genau  nehmen  darf,  dass  mit  anderen  Worten  selbst  die  ältesten  Partien 
der  Ilias,  um  von  der  Odyssee  ganz  zu  schweigen,  auf  eine  längere  Ex- 
position von  mehreren  Gesängen,  nicht  auf  eine  so  kurze  Zusammen- 
fassung wie  die  Meleagrossage  in  II.  IX  529  —  599  angelegt  sind. 
Darauf  sind  alle  hinausgekommen,  welche  die  alte  Ilias  oder  Odyssee 
aufzufinden  suchten,  Voss  *),  Grote,  Friedländer,  L.  Kayser,  Geppert,  Bern. 
Thiersch,  Bergk,  Naber,  Kirchhoff,  Kammer,  Niese,  Heimreich,  ja  ich  möchte 
fast  sagen,  alle  Homerforscher  mit  Ausnahme  der  eingefleischten  Lach- 
niannianer.     Denn  auch  mehr  nach  links  stehende  Unitarier  wie  Nitzsch, 


1)  J.  H.  Voss,  Antisymb.  II  234  ff.  nahm  eine  ursprüngliche  Ilias  von  6 — 8  Rhapsodien  an, 
mengte  aber  Abenteuerliches  hinzu,  indem  er  sie  nach  Thessalien,  statt  nach  Kleinasien  versetzte, 
während  heutzutag  wohl  darüber  Uebereinstimmung  herrscht,  dass  höchstens  die  Anfänge  der 
hexametrischen  Poesie  und  zwar  die  sakralen  von  den  Aeoliern  und  Thessaliern  nach  den  Kolonien 
Kleinuriens  mitgenommen  worden  waren. 


150 

Düntzer,  Minckwitz,  Virchow  und  mehr  nach  rechts  stehende  Wolfianer, 
wie  Schümann ,  Bernhard y,  Hiecke,  La-Roche.  G.  Curtius,  Bonitz  stimmen 
darin  überein,  dass  die  trotz  aller  Mängel  wunderbare  Einheit  der  Ilias 
und  Odyssee  ohne  einen  festen  einheitlichen  Kern  undenkbar  ist;  die 
meisten  erkennen  auch  offen  an.  dass  alle  oder  doch  fast  alle  Gesänge 
der  Ilias  nicht  erst  nachträglich  von  irgend  einem  Anordner  an  die  ihnen 
heute  zugewiesene  Stelle  gesetzt,  sondern  von  vornherein  von  ihren  Ur- 
hebern für  die  betreffende  Stelle  bestimmt  worden  sind.  Auseinander 
gehen  sie  nur  in  Bezug  auf  die  Grösse  jener  alten  Ilias  und  ihrer  Stellung 
zum  Mythus  oder  zur  Volkspoesie.  Es  ist  schwer,  unter  diesen  Vari- 
ationen bestimmte  Kategorien  zu  unterscheiden;  doch  will  ich  den  Ver- 
such wagen,  freilich  ohne  alle  Nuancierungen  erschöpfen  oder  überhaupt 
mehr  als  einige  Grundlinien  geben  zu  wollen. 

Am  wenigsten  entfernen  sich  von  der  Ueberlieferung  die  Vertreter 
der  Interpolationstheorie,  welche  annehmen,  dass  Ilias  und  Odyssee  von 
einem  Dichter  nach  einem  bestimmten  Plane  gedichtet  seien  und  dass 
jene  alten  einheitlichen  Werke  bloss  im  Laufe  der  Zeit,  von  Homer  bis 
Pisistratus,  eine  Reihe  massiger  Zusätze  und  Zudichtungen  erfahren  haben. 
Im  wesentlichen  war  dieses  die  Ansicht  von  Nitzsch,  wie  sie  uns  aus 
seiner  Sagenpoesie  und  seinen  Beiträgen  zur  Geschichte  der  epischen 
Poesie  entgegentritt.  Denn  er  nimmt  hier  keinen  Anstand  die  Herakles- 
episode T  95 — 133,  die  Erzählung  des  Nestor  sl  664 — 762,  einen  grossen 
Teil  der  Nekyia  X  565 — 627,  ja  die  ganze  Doloneia  als  späte  Zusätze 
zu  verwerfen  und  auch  sonst  starke  Verwirrungen  durch  jüngere  Inter- 
polationen anzunehmen.  In  ähnlicher  Gedankensphäre  bewegt  sich  auch 
mein  Freund  Jak.  La-Roche,  über  die  Entstehung  der  homerischen 
Gedichte  (Ztschr.  f.  östr.  Gymn.  1863  S.  161—202),  nur  dass  er  in  der 
Annahme  von  Zudichtungen  erheblich  weiter  geht.  Im  Grund  genommen 
war  dieses  aber  auch  schon  der  Standpunkt  von  Zenodot,  Aristophanes 
und  Aristarch,  von  denen  z.  B.  der  erstere  den  Schild  des  Achill 
JS"  483 — 608  verwarf,  Aristarch  das  letzte  Buch  der  Odyssee,  den  Schluss 
der  Nekyia  und  ausserdem  mehrere  Hunderte  von  Versen  der  Ilias  und 
Odyssee  als  unecht  nachwies  l).     Man  kann  nicht  leugnen,    dass  die  Aus- 


1)  Geppert,   Ursprung  der  homerischen  Gedichte  I  51    zählt  851  Verse   in   der   Ilias    und 
315  in  der  Odyssee,  welche  die  alten  Grammatiker  athetierten. 


151 

Scheidung   einzelner   Verse    das    leichteste  Mittel,    die    lenissima    medicina 
ist,  über  die  Schwierigkeiten    hinwegzukommen,    und    dass    die  Annahme 
erheblicher  Zusätze    namentlich    für    uns,    die  wir  eine   jahrhundertlange 
mündliche    Ueberlieferung    annehmen,    an    und    für    sich    ohne   jegliches 
Bedenken    ist.      Aber    bedenklich    wird    das    Mittel,    wenn,    wie    in    dem 
8.  Gesang  der  Ilias  oder  dem    13.  der  Odyssee  ein  Vers  über  dem  andern 
der  Interpolationstheorie    zum    Opfer    fällt    und    man    gar    keinen    Grund 
absehen  kann,  der  einen  Nachdichter  zum  Zusatz    jener  vielen  Dutzende 
von  Versen  habe  verleiten  können.     Namentlich  ist  der  eigentliche  Inter- 
polationsfanatiker   Düntzer    mit    den    Klammern    so    rasch    und    so    oft 
hintereinander  bei  der  Hand,    dass  man  sich  viel    leichter    zur  Annahme 
der  späteren  Zudichtung    eines  ganzen  Gesangs    als    zur    Billigung   jener 
massenhaften  Interpolationen  verstehen  wird.     Ausserdem  lassen  sich  mit 
der  blossen  Ausscheidung  einzelner  Verse  und  Versgruppen    die    grössten 
Anstände  nicht  beseitigen,  es  bleibt  die  verwirrte  Chronologie  der  Odyssee, 
die  Zusammenhäufung  der  massenhaften  Ereignisse  der  Bücher  ^84  — 
//  777   auf  die  paar  Stunden  des  Nachmittags,  die  Vernachlässigung  der 
Gesandtschaft  in  dem  Eingang  der  Patrokleia.  die  sich  widersprechenden 
Anschauungen  vom  Laufe  des  Skamander    und   der  Lage  Trojas    in    den 
verschiedenen    Partien    der    Ilias,    die  Vermengung    der    Lykier   des  Pan- 
da ros  und  des  Sarpedon  und  vieles  andere  der  Art.      Also    mit   der  An- 
nahme kleiner  Interpolationen  ist  uns  nicht  ausreichend  gedient,  so  wenig 
wir  auch  in  einzelnen  Fällen  auf  besagtes  Auskunftsmittel  verzichten  wollen. 
Mit  der  Verwerfung  des  ganzen   10.  Gesanges  der  Ilias  ist  eigentlich 
schon    Nitzsch    aus    dem    Kreis    der    Interpolationstheorie    herausgetreten. 
Denn  wiewohl  G.  Hermann  und  andere  nach  ihm  das  Wort  Interpolation 
auch  von  der  Zudichtung  ganzer  Gesänge  gebrauchten,    so  versteht  man 
doch  in  der  Regel  unter  Interpolation  nur  die  Zufügung  einzelner  Verse 
und  Sätze,  nicht    die    ganzer  Bücher,    und    wird    man   auch    in    der  Dar- 
stellung der  homerischen  Frage  gut  thun,  die  Einfügung  einzelner  Verse 
und  Verspartien  (Interpolation),  von    der  Zudichtung   ganzer  Lieder   und 
Liederkomplexe   (Erweiterung    der    alten    Ilias)   zu    scheiden.      Die  Aus- 
scheidung nun  solcher  später  eingedichteten  Lieder  bildet  das  eigentliche 
Tummelfeld  der  höheren  homerischen  Kritik  seit  Lachmann,  in  der  man  - 
von  der  Verwerfung    einzelner    Gesänge,    wie  der    beiden    letzten  Bücher 


152 

der  Hoplopoiie,  der  Presbeia  bis  zur  Ausscheidung  ganzer  Gruppen  von 
Gesängen  gegangen  ist.  Zugrunde  liegt  diesem  ganzen  Verfahren  die 
gewiss  richtige  Anschauung,  dass  die  Ilias  und  Odyssee  keine  eng  ge- 
schlossenen Einheiten  in  dem  Sinne  dramatischer  Dichtungen  oder  auch 
nur  moderner  Epen,  wie  der  Gerusalemme  liberata  und  der  Messiade, 
bilden,  sondern  vielmehr  aus  Cyklen  von  Liedern  bestehen,  welche  in 
freier  Folge  ohne  ängstliche  Rückbeziehung  einen  Grundgedanken  durch- 
führen, der  wie  ein  roter  Faden  durch  das  Ganze  hindurchgeht  und  dem 
Dichter  von  vornherein  vorschwebte,  dessen  Ausführung  im  Detail  aber 
sich  erst  im  Laufe  der  Zeit  ergab  und  von  mehreren  Dichtern  vollzogen 
werden  konnte.  Wie  z.  B.  der  Streit  zwischen  Achill  und  Agamemnon 
das  Grundthema  der  Ilias  bildet,  das  nirgends  ganz  verkannt  ist,  da  auch 
in  den  Gesängen,  in  welchen  der  Entschluss  des  Zeus  den  Achill  zu 
rächen,  ganz  vergessen  zu  sein  scheint,  in  den  Büchern  B—H  Achill 
sich  weder  an  den  Beratungen  noch  an  den  Kämpfen  beteiligt.  Ist  so 
aber  auch  die  Grundsituation  überall  beibehalten  und  hatte  gewiss  der 
Dichter  des  1.  Gesanges  gleich  im  Anfang  den  Plan,  auch  die  Conse- 
quenzen  des  Streites,  die  Niederlage  der  Achäer  in  Folge  des  Fernbleibens 
des  Achill  zu  besingen,  so  fragt  es  sich  doch,  wie  weit  der  Dichter  von 
vornherein  seinen  Plan  im  einzelnen  durchgedacht  und  dann  selbst  auch 
ausgeführt  hat.  So  wird  z.  B.  jedermann  geneigt  sein,  die  Aussendung 
des  Patroklos  noch  in  den  ursprünglichen  Plan  hineinzuziehen  und  die- 
selbe bereits  im  ersten  Gesang  A  307  durch  Erwähnung  des  Menoitiaden 
angedeutet  zu  sehen,  leicht  aber  zweifeln,  ob  Homer  auch  schon  Hektors 
Abschied,  den  Mauerkampf,  die  Ueberlistung  des  Zeus,  die  Lösung 
Hektors,  die  Waffenschmiedung,  die  Leichenspiele,  die  Gesandtschaft,  oder 
.auch  nur  AchilFs  Rache  in  seinem  Plane  gehabt  und  selbst  im  Laufe 
der  Ausarbeitung  hinzugedichtet  hat. 

Es  verträgt  sich  aber  auch  die  Theorie  von  einem  nach  und  nach 
erweiterten  Lydercyklus  recht  gut  mit  der  weiteren  Annahme,  dass  inner- 
halb jenes  Cyklus  wieder  einzelne  Lieder  enger  zur  Einheit  eines  kleineren 
Liederkomplexes  zusammenzufassen  sind.  Lag  es  doch  in  der  Natur  der 
Sache,  dass  die  Kunst  nicht  vom  Einzellied  gleich  zu  so  umfassenden 
Werken,  wie  die  Ilias  ist,  überging,  sondern  zuerst  mehrere  Lieder  zu 
einem    kleineren    Complexe    zusammenzuweben    begann.      Ganz    deutlich 


153 

treten  uns  aber  solche  Liedercomplexe  in  der  Odyssee  entgegen,  wo  sich 
ganz  offenbar  die  4  ersten  Gesänge  zu  einer  Telemachie  zusammenschliessen, 
und  die  Erzählung  von  den  Irrfahrten  des  Odysseus  ein  eigenes  Ganze 
bildet,  so  zwar  dass  die  Odyssee  weit  eher,  was  in  der  Hauptsache 
übereinstimmend  Düntzer  (Jahrb.  f.  Phil.  64),  126,  Hennings1),  Kirchhoff 
und  Fick  annehmen,  aus  mehreren  Epyllien,  dem  Nostos,  dem  Freiermord, 
der  Telemachie,  als  aus  einzelnen  Liedern  zusammengesetzt  zu  sein  scheint. 
Aber  auch  in  der  Ilias,  wiewohl  hier  die  offenbar  ältere  Form  von  Ein- 
zelliedern, mehr  zur  Geltung  kommt,  lassen  sich  leicht  mehrere  grössere 
Gruppen  unterscheiden.  Schon  der  Name  Patrokleia  führt  uns  auf  eine 
engere  Zusammenschliessung  des  16.,  17.  und  der  ersten  Hälfte  des  18.  Ge- 
sanges, woraus  sich  ein  geschlossenes  Epyllion  von  über  1900  Versen 
ergibt.  Sodann  hat  schon  Lachniann,  Betr.  S.  80  sich  dahin  ausge- 
sprochen ,  dass  die  5  Bücher  J£ — X  aus  einem  Stücke  seien  und  so  in 
allem  übereinstimmten,  dass  sie  deutlich  einen  einzigen  Dichter  verriethen. 
Aber  noch  viel  mehr  stimmen  mit  einander  überein  und  folgen  in  ge- 
schlossener Reihe  auf  einander  die  Bücher  vi  l  M  N  £  U.  Endlich  hat 
Grote2)  richtig  gesehen,  dass  die  Bücher  B—Hl  oder,  wie  Düntzer  vorzog3), 
/' — // '  ein  besonderes  Epyllion  bilden,  in  dem  die  Erzählung  der  Kriegs- 
thaten  mit  einem  Zweikampf  eröffnet  und  mit  einem  Zweikampf  ge- 
schlossen wird. 

Selbstverständlich   aber   ist    es    für    die    Anhänger   jener    Lehre    von 
einer   in    einem  Cyklus    von    Liedern    sich    abschliessenden   Einheit,    dass 


1)  Hennings  in  dem  scharfsinnigen  methodischen  Aufsatz  über  die  Telemachie  in  Jahrb. 
d.  Phil.  Suppl.  III,  besonders  S.  143  u.  205. 

2)  Grote,  history  of  Greece  t  II  in  dem  vortrefflichen  Abschnitt  Homeric  poems,  der  in 
Deutschland  durch  Friedländers  Büchlein,  die  homerische  Kritik  von  Wolf  bis  Grote,  1853, 
zur  allgemeinen  Geltung  gekommen  ist. 

3)  Düntzer,  das  dritte  bis  siebente  Buch  der  Ilias  als  selbständiges  Gedicht,  in  seinen 
gesammelten  Homerischen  Abhandlungen.  Die  Ansicht  desselben  ist  am  präcisten  ausgesprochen 
S.  241 :  'wir  nehmen  weder  die  Zusammensetzung  aus  einzelnen  umlaufenden  Liedern  an,  noch 
glauben  wir  die  ursprüngliche  Einheit  der  beiden  grossen  Gedichte  aufrecht  erhalten  zu  können, 
sondern  sind  der  Ansicht,  diese  seien  aus  einigen  grösseren  Gedichten  und  einzelnen  kleinen 
Liedern  gebildet,  die  wir  wieder  herzustellen  suchten,  so  weit  es  bei  den  durch  die  Zusammen- 
ordnung nötig  gewordenen  Umgestaltungen  und  den  Veränderungen  möglich  ist,  die  sie  in  der 
Ueberlieferung  der  Rhapsoden  erlitten  haben.  Schon  Nitzsch,  Sagenpoesie  S.  273  sprach  den 
allgemeinen  Gedanken  aus,  dass  Homer  innerlich  eng  verbundene  Gruppen  von  Liedern  albnäh  lieh 
gedichtet  habe. 

Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  I.  Abth.  20 


154 

wenn  auch  verschiedene  Dichter  die  einzelnen  Partien  dichteten,  doch 
dieselben  von  einander  Kenntnis  nahmen  in  der  Art,  dass  die  jüngeren 
unter  ihnen  ihre  neuen  Lieder  von  vornherein  zur  Einreihung  in  den 
bereits  bestehenden  Cyklus  an  einer  genau  bezeichneten  Stelle  bestimmten. 
Damit  aber  unterscheidet  sich  vornehmlich  diese  Klasse  von  Homerikern 
von  den  Wolfianern  und  Lachmannianern.  welche  eine  Wechselbeziehung 
der  einzelnen  Lieder  nicht  anerkennen  wollten  und  die  Zusammenordnung 
derselben  erst  einem  späteren  Redactor  zuschrieben.  Am  beredtesten  aber 
hat  jenen  Gedanken,  dass  der  Autor  jedes  späteren  Gesanges  Beziehungen 
zu  den  älteren  Gesängen  gesucht  und  für  sein  neues  Lied  eine  bestimmte 
Stelle  in  dem  Liedercyklus  ins  Auge  gefasst  habe,  neuerdings  Bernh. 
Niese  in  seinem  Buche,  Die  Entwicklung  der  homerischen  Poesie,  1882, 
ausgeführt  l).  Und  wie  dieser  Gedanke  zunächst  in  den  Untersuchungen 
über  die  Composition  der  Ilias  zur  Geltung  kam,  so  haben  sich  auch  in 
den  Analysen  der  Odyssee  die  neueren  Forscher2)  auf  einen  ähnlichen 
Standpunkt  gestellt,  wenn  sie  von  einem  jüngeren  in  den  alten  hineinge- 
dichteten Nostos  oder  von  einer  Fortsetzung  der  alten  Odyssee,  das  ist  eben 
jenes  alten  Nostos  durch  die  Dichtung  vom  Freiermord  reden.  Selbst  die 
vier  aetates,  welche  Naber  in  seinen  scharfsinnigen  Quaestiones  Homericae 
unter  Anlehnung  an  die  Lehre  von  den  geologischen  Schichten  annimmt, 
sind  von  ihrem  Urheber  so  gemeint,  dass  die  folgende  Periode  immer 
an  die  vorausgehende  anknüpft  und  auf  derselben  aufgebaut  ist.  Freilich 
machte  sich  auch  bei  den  Vertretern  dieser  Richtung  mehr  oder  minder 
der  Einfluss  Lachmanns  geltend,  indem  namentlich  Hennings  die  ein- 
zelnen Epopöen,  welche  später  die  Odyssee  bildeten,  ursprünglich  eine 
selbständige  Stellung  einnehmen  liess,  so  dass  bei  ihrer  Zusammenordnung 
bedeutende  umfangreiche  Zusätze  notwendig  gewesen  seien.  Dabei  hat 
aber  jener  Gelehrte,  wenn  er  erst  um  die  solonische  Zeit  die  einzelnen 
homerischen  Epopöen  durch  Ausfüllung  der  Lücken,  Einschaltung  von 
Zwischengliedern  und  Ausscheidung  des  Widersprechenden  zur  Einheit  ver- 
bunden werden  lässt,  es  unterlassen  nachzuweisen,  dass  die  vielen  Hunderte, 


1)  Aehnliche  Gesichtspunkte  hat  schon  zuvor  Kammer  in  seinen  trefflichen  Abhandlungen 
Zur  homerischen  Frage,  namentlich  I  31  ausgesprochen. 

2)  Kirchhoff,  die  homerische  Odyssee,  2.  Bearb.  1879,  dem  fast  durchweg  Fick  in  seiner 
homerischen  Odyssee,  1883  folgt,  und  Kammer,  Die  Einheit  der  Odyssee.  1873. 


155 

ja  Tausende  von  Versen,  die  er  erst  später  hinzugefügt  sein  lässt,  in  ihrem 
sprachlichen  Gepräge  eine  der  langen  zeitlichen  Kluft  entsprechende  Ver- 
schiedenheit tragen.  Aug.  Fick  aber,  der  allerneuestens  in  seinem  Buche, 
die  homerische  Odyssee  in  der  ursprünglichen  Sprachform  wiederherge- 
stellt, Göttingen  1883,  diesen  Punkt  nachzuholen  suchte,  hat  wesentliche 
sprachliche  Unterschiede  zwischen  dem  Gros  des  alten  Epos  und  den 
jungen  Verbindungsgliedern  wohl  aufgestellt,  aber  keineswegs  mit  ge- 
nügender Sicherheit  erwiesen.  Hingegen  haben  andere  und  so  auch  ich 
jüngere,  von  fremder  Hand  herrührende  Verbindungsglieder  nur  in  sehr  be- 
grenztem Umfange  aufzuspüren  vermocht,  so  dass  es  der  kritischen  Unter- 
suchung in  jedem  einzelnen  Fall  überlassen  bleiben  muss,  zu  prüfen,  ob 
erst  ein  späterer  Diaskeuast  verbindende  Verse  hinzugedichtet,  oder  ob 
schon  von  vornherein  der  Dichter  einer  erweiternden  Partie  dieselbe  nicht 
bloss  zur  Einlage  an  einer  festen  Stelle  bestimmt,  sondern  auch  für  die 
passende  Eingliederung  derselben  durch  Dichtung  von  Verbindungs- 
versen gesorgt  hat 1).     Endlich  will  auch  der  Diaskeuast  Bergks 2)  nichts 


1)  Von  Bedeutung  in  dieser  Frage  ist,  dass  sich  gerade  am  Schlüsse  oder  vor  dem  Anfang 
der  alten  Iliaslieder,  wie  ich  sie  in  meiner  Ausgabe  hergestellt  habe,  ganz  offenbare  Interpolationen 
finden,  wie  z.  B.  zweifellos  die  Verbindungs-  oder  Abschliessungsverse  2  356 — 368  (schon  von  den 
Alten  angezweifelt),  /'  400—423  (404—425  fehlten  bei  Zenodot),  O  367—414  (fast  von  allen 
Neueren  angezweifelt),  N  345 — 360  (hängen  mit  einer  alten  Teilung  des  allzu  langen  Gesanges 
iV  in  der  Praxis  der  Rhapsoden  zusammen)  nicht  vom  alten  Dichter  der  Ilias  herrühren.  Auch 
der  Eingang  des  2.  Gesanges  oder  der  'Ayogu,  wie  des  9.  Gesanges  oder  der  Presbeia,  scheinen, 
wie  ich  in  meiner  Ausgabe  auch  äusserlich  andeutete,  erst  später  zu  den  alten  Liedern  hinzuge- 
dichtet zu  sein  und  zwar  offenbar  zu  dem  Zweck  einen  engeren  Zusammenhang  der  einzelnen 
Lieder  herzustellen.  Aber  der  Dichter  der  Doloneia,  der  Leichenspiele,  der  Hoplopoiie,  des  zweiten 
Schlachttages  (0 — K),  der  Absendung  des  Patroklos  an  Nestor  und  wahrscheinlich  auch  der  Tele- 
machie  haben  schon  selbst  dafür  gesorgt,  dass  ihre  Zusätze  sich  gut  in  die  schon  fertigen  Gedichte 
einfügten,  haben  mit  anderen  Worten  auch  die  einleitenden  und  schliessenden  Verse,  wie  z.  B. 
H  313 — 482,  M  1 — 2  selbst  verfasst.  Von  besonderem  Interesse  ist  es  dabei  zu  beobachten,  dass 
der  Nachdichter  nicht  bloss  für  die  passende  Einfügung  seiner  Einlage  sorgte,  sondern  zugleich 
auch  an  anderen  Stellen  grössere  oder  kleinere  Partien  einfügte,  welche  auf  den  neuen  Zusatz 
Bezug  nahmen.  So  gehen  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  alle  Stellen  der  Odyssee,  welche  von 
dem  Seher  Theoklymenos  handeln,  wiewohl  sie  weit  auseinander  liegen  (o  221 — 286.  o  508 — 549. 
(j  52—56.  (>  61 — 166.  v  345 — 383),  auf  denselben  Homeriden  zurück,  und  hat  der  Dichter  des 
2.  Teiles  des  11.  Gesanges  von  der  Absendung  des  Patroklos  an  Nestor  {A  596 — 848)  zugleich 
auch  die  damit  zusammenhängenden  Partien  S  1 — 152  und  O  390 — 414  gedichtet,  wie  wir  ein 
ähnliches  Verfahren  im  Kleinen  an  der  Eindichtung  der  Phönixepisode  in  die  alte  Presbeia  be- 
obachten können. 

2)  Bergk,  Griechische  Literaturgeschichte   1872. 

20* 


156 

anderes1)  bedeuten,  als  dass  die  jüngeren  Partien  von  vornherein  be- 
stimmt waren  sich  an  die  älteren  an  bestimmter  Stelle  anzuschliessen, 
und  dass  dieselben  nicht  erst  hintendrein  von  Pisistratus  zusammenge- 
ordnet und  eingegliedert  wurden? 

War  so  allmählich  durch  die  Lehre  von  Liedercyklen,  deren  Glieder 
locker  an  einander  gereiht  waren  und  leicht  noch  andere  die  Kette  er- 
weiternde Glieder  zwischen  sich  nehmen  konnten,  ein  Boden  der  Verstän- 
digung gewonnen,  so  war  doch  damit  die  homerische  Frage  noch  lange 
nicht  abgeschlossen.  Denn  nun  galt  es  erst,  den  alten  Kern  aufzufinden 
und  die  späteren  Zudichtungen  im  einzelnen  nachzuweisen;  das  gab  sich 
schon  in  der  Odyssee  nicht  so  einfach,  rief  aber  namentlich  in  der  Ilias  die 
grössten  Widersprüche  hervor.  Denn  auf  dem  Boden  jener  Erweiterungs- 
theorie erwuchsen  die  üppigsten  Schösslinge  des  subjektiven  Beliebens: 
ein  Gesang  nach  dem  andern  erlag  dem  Verdammungsurteil,  selbst  die 
ältesten  Gesänge,  wie  die  äpiOTeia  Ayainurovog  und  die  ayiojeia  ./t<>- 
////Wc  wurden  angefochten2),  sogar  von  den  engst  zusammenhängenden 
Partien,  wie  von  dem  ersten  und  zweiten  Teil  des  ersten  Gesangs  (  /  1 
bis  305  u.  A  318  bis  fin.)  und  von  der  dritten  und  vierten  Rhapsodie 
scheute  man  sich  nicht  die  zweite  lieber  einem  späten  Nachdichter  als 
demselben  Dichter  zuzuschreiben.  Dazu  kam  denn  noch  die  Lehre  von 
der  Ueberarbeitung  älterer  Partien  und  des  Ersatzes  eines  älteren  Lied- 
anfangs oder  Liedschlusses  durch  jüngere  Umdichtung,  die  überall  der 
soliden  Forschung  den  Boden  unter  den  Füssen  wegzuziehen  drohte 3). 
Namentlich  hat  Bergk  mit  seinem  Aller weltsdiaskeuasten  das  schlechte 
Beispiel  subjektiver  Willkür  gegeben,  von  der  er  sicher  bald  zurückge- 
kommen wäre,  wenn  er  statt  eine  Literaturgeschichte  zu  schreiben,  einen 


1)  Naber,  Quaestiones  Homericae.    1877. 

2)  Die  Echtheit  der  Ueberlieferung  des  Gesanges  A  wird  verdächtigt  von  Geppert,  der 
»Schluss  des  Gesanges  E  für  eine  Nachbildung  des  Buches  0  erklärt  von  L.  Kayser,  die  schönsten 
Partien  des  ersten  Gesanges  einem  Interpolator  zugewiesen  von  Heimreich. 

3)  Auch  mit  der  Annahme  von  Lücken  hat  man  zu  operieren  versucht;  aber  diese  Hypothese 
entbehrt  von  vornherein  der  Wahrscheinlichkeit  und  hat  auch  bis  jetzt  zu  keinen  irgendwie  über- 
zeugenden Resultaten  geführt.  Noch  weniger  freilich  will  mir  der  Versuch  Lud.  Jeeps  ge- 
fallen, der  in  seinen  unlängst  erschienenen  und  mir  freundlichst  vom  Verfasser  zugeschickten  Quaes- 
tiones Fridericianae  die  Schwierigkeiten  des  ersten  Gesanges  durch  Umstellung  {A  317.  430 — 487. 
318—429.  493)  heilen  wollte,  wogegen  unbedingt  schon  das  Präsens  TtSfinovaiv  V.  390  spricht. 


157 

Text  seines  Homer  zu  bearbeiten  und  in  ihm  seiner  Lehre  von  der  Ueber- 
arbeitung  einen  festumrissenen  Ausdruck  zu  geben  versucht  hätte.  Wie 
in  Folge  dieses  leichtfertigen  Subjektivismus  das  Trümmerfeld  der  ho- 
merischen Kritik  aussieht,  kann  man  am  besten  aus  dem  Anhange  Hentzes, 
des  getreuen  Referenten  der  verschiedenen  Meinungen,  sehen,  bei  dem 
dann  aber  auch  schliesslich  alles  fraglich  wird  und  das  Heraklitische 
TiavTa  (>ei  von  neuem  auflebt.  Nüchterne  Männer  ziehen  unter  solchen 
Umständen  sich  lieber  auf  den  Standpunkt  eines  allgemeinen  Skepticismus 
zurück,  wie  der  grosse  niederländische  Philologe  Cobet,  wenn  er  in 
seinen  Miscellanea  critica,  die  im  übrigen  für  die  Kritik  des  homerischen 
Textes  so  vortreffliches  bieten,  sagt  p.  402 :  cquo  saepius  carmina  Jonica, 
quae  Homeri  nomine  feruntur,  relego  et  diligenter  omnia  considero,  eo 
magis  magisque  mihi  confirmatur  sententia  eorum,  qui  haec  non  unius 
doidov  carmina  esse  arbitrantur,  sed  a  compluribus  cantoribus  neque 
aetatis  eiusdem  neque  patriae  eis  /y  ovr^r  vnofreöiv  olim  composita  et 
cantata  fuisse,  deinde  in  unum  collecta  et  ordine  disposita,  ut  dg  tv 
aco/Ltariov  coalescerent*  und  dann  weiter  p.  403  'plura  non  addo,  quia 
talia  omnia  sentiri  possunt,  sed  demonstrari  non  possunt  et  nolo  videri 
ultra  Lycurgi  aetatem  indagando  procedere  velle' l)  Soll  die  homerische 
Frage  nicht  das  Schicksal  der  Frage  der  Echtheit  Ciceronischer  Reden, 
Plautinischer  Komödien,  Horazischer  Oden  teilen,  das  ist  schliesslich  in 
Sand  verlaufen,  so  bedarf  es  eines  grösseren  Respektes  vor  der  Ueber- 
lieferung,  sicherer  Kennzeichen  des  Alten  und  Jungen,  besonneneren 
Urteils  über  die  Tragweite  der  vorgebrachten  oder  vorzubringenden 
Beweise.  Es  ist  etwas  schönes  um  den  Satz  des  geistreichen  Emperius 2) : 
Homeri  carminum  qualis  fuerit  antiquissima  forma  quaeritur  et  quaeretur 
quousque  philologia  erit  inter  aequaW,  aber  man  will  mit  der  Unter- 
suchung doch  auch  etwas  vorwärts  bringen  und  wenn  auch  nur  schritt- 
weise aus  dem  Zweifeln  und  dem  Meinen  zum  Wissen  kommen.  Das 
war  mein  Ziel  in  meiner  Iliasausgabe  und  dem  sollen  auch  die  folgenden 
Kapitel  gelten. 


1)  Aehnlich  zweifelnd  äussert  sich  auch  M.  Haupt  in  der  Rede  auf  Lachmann:  'neque 
»•niin  sperare  licet  uraquam  futurum  esse,  ut  in  his  antiquissimis  carminibus  omnia  liquida  ex- 
plioentur.     Vgl.  Beiger  Mor.  Haupt.  S.  13<>  t. 

2)  Emperius  im  Rhein-Museum  N.  F.  I  447. 


158 

Chronologie  der  homerischen  Gedichte. 

Um  über  die  Autorschaft  der  homerischen  Gedichte  ins  Reine  zu 
kommen,  ist  es  vor  allem  notwendig  zu  ermitteln,  in  welcher  Reihen- 
folge dieselben  gedichtet  wurden.  Denn  das  wird  auch  der  eingefleisch- 
teste Unitarier  zugeben,  dass  wenn  der  Schiffskatalog  im  2.  Buche  steht, 
derselbe  nicht  nun  auch  vom  Dichter  an  zweiter  Stelle  gedichtet  zu  sein 
braucht,  oder  dass,  wenn  die  Doloneia  an  10.  Stelle  steht  und  auch  von 
vornherein  für  diese  Stelle  vom  Dichter  bestimmt  war,  dieselbe  doch 
erst  nach  dem  Mauerkampf,  der  Patrokleia  und  dem  Tode  Hektors,  die 
mehr  den  Kern  der  Handlung  der  Ilias  berühren,  entworfen  sein  kann. 
Auch  wird  es  jeder,  der  einmal  ein  grösseres  Werk  geschaffen  hat  oder 
nur  der  Arbeit  eines  anderen  nachgegangen  ist,  natürlich  finden,  dass 
der  Dichter,  wenn  er  hintendrein  an  vorderer  Stelle  einen  neuen  Gesang 
einlegte,  alsdann  sich  in  den  schon  fertigen  Partien  Aenderungen  und 
Zusätze  erlaubte,  welche  den  später  eingefügten  Gesang  mit  den  anderen 
Teilen  der  Dichtung  in  engere  Verbindung  brachten.  Man  nehme  nur 
an,  es  Hesse  sich  erweisen,  dass  Homer  oder  ein  Homeride  erst  später 
auf  den  Gedanken  kam,  eine  Gesandtschaft  an  den  erzürnten  Achill 
schicken  zu  lassen,  musste  er  dann  nicht  nachträglich  in  dem  Eingang 
der  Patrokleia  auf  die  hartnäckige  Weigerung  des  Helden  Rücksicht 
nehmen  und  die  ganze  Versöhnungsscene  zwischen  Achill  und  Agamemnon 
anders  gestalten?  Jedermann  sieht  aber,  wie  uns  ein  ganz  anderer 
Einblick  in  die  Werkstätte  Homers  und  die  Entstehung  der  grössten 
Dichtwerke  aller  Zeiten  vergönnt  wird,  wenn  wir  in  der  That  nachzu- 
weisen vermögen,  dass  der  eine  Gesang  vor  oder  nach  dem  andern  ge- 
dichtet ist.  Von  selbst  wird  sich  dann  auch  unsere  Anschauung  von 
dem  Verhältnis  der  einzelnen  Lieder  zu  einander  modificieren  und  wird 
der  Freiheit  der  Hypothesen  und  Vermutungen  eine  heilsame  Schranke 
gezogen  werden. 

Aber  ehe  wir  das  Lob  des  Werkes  singen,  ziemt  es  sich  zuerst  zu 
fragen,  ob  und  wie  denn  dasselbe  zu  Stande  gebracht  werden  könne. 
Denn  gar  viele  Fäden,  die  ich  in  Aussicht  auf  lohnenden  Gewinn  zu 
schlingen  versuchte,  sind  mir  im  Laufe  der  Arbeit  gerissen.  Namentlich 
kann  man  mit  einfacher  Zusammenstellung  von  Rückbeziehungen  in  dieser 
Untersuchung    am    wenigsten    vorwärts   kommen,    da    gerade    diejenigen 


159 

Stellen,  welche  eine  deutliche  Rückbeziehung  auf  einen  früheren  Gesang 
enthalten,  am  meisten  den  Verdacht  späteren  Interpolation  wachrufen. 
So  beziehen  sich  z.  B.  ganz  offenbar  die  Verse   ff  61  ff. 

r\  toi  ecprjv  ye 

ov  naiv  jtirjvi&ubv  xaranavoeuty  all'   bnox    äv   dr] 

vfjag  iuag  äcpixrjTai  avrrj  te  moXeiiog  tb 

auf  die  Rede  des  Achill  in  der  Gesandtschaft  /  650 

ov  yao  nolv  Tioksjtioio   uedrjooucu   aluaroeyrog, 
nolv  y    vibv  IJoiajuoio  daupüovog,  "Exrooa  diov, 
MvQuidovwv  tJii  it  xkiaiag  xal  vfjag  iyJa&ai. 

Aber  in  demselben  16.  Gesang  zeigen  nicht  minder  deutlich  die  Worte 
des  Achill  V.  72  Taya  y.tv  (pfvyot'jeg  tvavkovg  TtÄrjaeiav  vexvujv,  st  tun 
yoeitov  >AyafjLtf,ivujv  rpiia  ndeirj,  dass  der  Verfasser  derselben  noch  nichts 
von  einem  Ausgleichsversuch  des  Agamemnon  und  von  der  Bittgesandt- 
schaft an  Achill  wusste.  Es  folgt  daraus,  dass  wenn  das  Verbum  fyrjv 
der  ersten  Stelle  sich  doch  auf  die  Presbeia  bezieht,  die  betreffenden  Verse 
n  60 — 63  erst  später  in  die  alte  Patrokleia  eingesetzt  sein  müssen. 

An  anderen  Stellen  ist  es  geradezu  unmöglich  mit  Sicherheit  zu 
entscheiden,  welche  von  den  beiden  sich  scheinbar  aufeinander  beziehenden 
Versen  den  anderen  zum  Ausgangspunkt  gedient  haben.  So  rühmt  sich 
Menelaos  P  24  dem  Euphorbos,  dem  Sohne  des  Panthoos,  gegenüber 

oödi  uf-v  ovot  ßit]  'Yttsqijvooo^  innodafiow 

rjg  i'jßrjg  anovr]i9',  ote  /*'   divaro  aal   iC  vjitueu'EV 

yal   //'   t(fai'>  iv  JavaoXaiv  tlty/jarov  noXsjuiaTrjy. 

Da  nun  der  Tod  des  Hyperenor  durch  Menelaos  5  516  erzählt  ist,  so 
möchte  man  schliessen,  dass  die  letztere  Stelle  vor  der  ersten  und  des 
weiteren  die  17.  Rhapsodie  vor  der  14.  gedichtet  sei.  Aber  dieser  Schluss 
wird  wieder  dadurch  zweifelhaft,  dass  die  Stelle  im   14.  Gesang 

'ATütidr\g  J'  ä(?   knEtd*  'YnefffiVOQa  noiiitva  kaujv 
ovra  xara  kanaor^v,   dia  J1'   evTtocc  %ak/.og  oupvootv 
frflCOOagj   ifv/t)  ö*&  *ar'   (WTaatvi]v  ujteiItjp 
HKivr   t.inyouH'ij.   top  oe  axorog  öaoe  zakvifjev 

durchaus  nichts  von  einer  Prahlrede  des  Hyperenor  enthält  und  bei  der 


160   . 

eiligen  Flucht  der  Troer  auch  kaum  zu  einer  solchen  Platz  war,  so  dass 
sogar  umgekehrt  vermutet  werden  kann,  es  habe  sich  die  Stelle  in  P 
ursprünglich  auf  eine  andere  in  der  Ilias  nicht  erwähnte  Scene  des  troi- 
schen  Krieges  bezogen  und  es  habe  erst  hintendrein  der  Dichter  von  JT, 
von  der  Rede  des  Menelaos  in  P  ausgehend,  den  Tod  des  Hyperenor  in  die 
Ilias  hineingezogen. 

Trügerisch  und  schwankend  erweisen  sich  nur  zu  oft  auch  die  An- 
zeichen jüngeren  Ursprungs,  welche  die  Sprache  zu  bieten  scheint.  Glaubt 
man  z.  B.  in  der  ungewöhnlichen  Länge  der  vorletzten  Silbe  von  didovai 
12  425  ein  Zeichen  des  jüngeren  Ursprungs  der  Lösung  Hektors  gefunden 
zu  haben,  so  stellt  sich  dem  bei  näherer  Umschau  die  Länge  des  v  von 
Xjuvyvvpu»  in  der  alten  Patrokleia  77  145  entgegen;  und  glaubt  man 
die  Contraction  von  Ttfijjg  =  Tiuysig  I  605  und  rijufjyra  =  Tijurjsvra 
J5T  475  für  das  junge  Alter  der  Hoplopoiie  und  der  Rede  des  Phönix 
in  der  Gesandtschaft  verwerten  zu  können,  so  hält  einem  ein  Homer- 
kundiger die  kontrahierte  Form  XioTfvvra  s=  Itoroevra  in  der  alten  Teicho- 
machie  M  283  entgegen  und  die  ganze  Beobachtung  verliert  damit  an 
Bedeutung  wenigstens  an  zwingender  Beweiskraft. 

So  grosser  Umsicht  und  Unbefangenheit  es  aber  auch  zur  Fest- 
setzung der  Chronologie  der  homerischen  Lieder  bedarf,  an  der  Lösung 
der  Aufgabe,  wenigstens  ihrer  hauptsächlichsten  Punkte  braucht  man 
deshalb  noch  nicht  zu  verzweifeln.  Einmal  gibt  in  vielen  Fällen  die 
Gesamtsituation  eines  Gesanges  eine  ganz  bestimmte  Antwort.  Wenn 
z.  B.  in  M — 2  weder  Agamemnon  noch  Diomedes  noch  Odysseus  in  den 
schweren  Kämpfen  um  die  Mauer  und  die  Schiffe  irgend  eine  Rolle 
spielt,  so  ist  dieses  ein  sicheres  Zeichen,  dass  alle  diese  Gesänge  nach  A, 
wo  jene  drei  Helden  verwundet  wurden,  gedichtet  sind,  und  wenn  bei 
dem  Freiermord  der  heimgekehrte  Odysseus  von  Eumaios  und  Philoitios 
unterstützt  wird  und  an  dem  Tage  der  Vergeltung  v  162  Eumaios  unter 
der  Bezeichnung  fjlfrs  avßioT^g  als  eine  längst  bekannte  Persönlichkeit 
eingeführt  wird,  so  setzt  dieses  voraus,  dass  die  Gesänge  v  '%  n  q  gedichtet 
oder  wenigstens  im  allgemeinen  entworfen  waren,  ehe  die  Gesänge  vom 
Freiermord  (p  %  entstanden. 

Auch  die  Rückbeziehungen  behalten  in  unserer  Frage  ihre  hohe 
Bedeutung,    wenn    auch    bei    der    grossen   Anzahl    von    Interpolationen 


161 

oder  später  eingelegten  Versen  hier  mehr  wie  sonst  äusserste  Vorsicht 
not  thut.     So  nötigen  uns  die  Worte  des  Priamus  X  46 

y.ai  yao  vvv  dvo  nalde  Av/.aova  xal   TTo'kvifujoov 
ov  dvvauai  Whiv    Tüujujv  fiq  ccgtv  äXevTixtv 

und  die  ebenso  passende  als  ungesuchte  Gegenüberstellung  jener  beiden 
Söhne  und  des  Hektor,  des  Halters  der  Stadt  (X  52 — 55),  zur  Annahme, 
dass  die  Ma/jj  TiaocmoTauiog,  </>  1 — 227,  und  die  betreffende  Partie  des 
20.  Gesanges,  F407 — 418  oder  Y  381 — 494,  vor  dem  Lied  von  Hektors 
Tod  gedichtet  sei.  Ferner  lassen  sich  die  Worte  (■)  177  vrpiioi  dl  äya 
Jr/  Tctdt  jtl/ta  uriyavowvio  äßlri/jf  oixhvoaajQa  aus  dem  8.  Gesang  nicht 
herausnehmen,  ohne  dass  das  halbe  Gebäude  mit  zusammen  stürzt;  es 
bleibt  also  dabei,  dass  der  2.  Teil  des  7.  Gesanges  oder  H  313 — 482, 
so  sehr  derselbe  auch  das  abfällige  Urteil  Fäsis  (siehe  zu  H  324)  ver- 
dienen mag,  vor  dem  8.  Gesang  und  somit  vor  fast  einem  Viertel  der 
Verse  der  Ilias  gedichtet  worden  ist.  Des  weitern  versteht  einer  die 
Geheimnisse  der  Kunst  und  der  poetischen  Schöpfung  schlecht,  der  da 
meint  in  den  Versen  M  336  ff.  4"  <)'  tvbr\&  Atavre  dva>  noktfiov 
axoQTjTü)  eoxaorag  Tevxyov  rt  vhov  xhahi&ev  lovra  iyyv&tv  sei  so  ohne 
weiters  das  Wiederauftreten  des  Teukros  erwähnt  und  nicht  auf  die  Ver- 
wundung desselben  und  die  Zerschmetterung  der  Sehne  seines  Bogens 
im  8.  Gesang  (VIII,  328)  Rücksicht  genommen,  so  dass  für  den  Ver- 
ständigen nur  die  Alternative  übrig  bleibt,  entweder  sind  jene  Verse 
interpoliert,  oder  die  Bücher  M  bis  0  sind  erst  nach  dem  Buche  (■) 
gedichtet.  Keine  ernste  Berücksichtigung  verdienen  aber  in  dieser  ganzen 
Untersuchung  jene  Spiegelfechter,  die  bei  den  offenbarsten  Rückbeziehungen 
auf  frühere  Gesänge,  wie  bei  der  Erwähnung  des  durch  Zeus  vereitelten 
Vertrages  in  //  69  'oyxia  tuhr  Koovldrjs  vu>LL,vyog  ovx  frtlsoow3  statt 
an  den  erhaltenen  Gesang  der  Ilias,  hier  die  4.  Rhapsodie,  zu  denken, 
lieber  eine  Beziehung  auf  irgend  welches  Sonderlied,  von  dem  kein 
Mensch  etwas  weiss,  anzunehmen  die  Kühnheit  haben. 

Auf  der  entgegengesetzten  Seite  lässt  sich  annehmen,  dass  die  meisten 

Stellen  und  Partien,  welche  in  handgreiflicher  Weise    eine    spätere  Scene 

anmelden  und  motivieren,  erst  später  gedichtet  sind   als   diejenigen,    auf 

welche  sie  vorbereiten.      Es  widerspricht   nämlich    von    vornherein    ganz 

Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVIT.  Bd.  I.  Abth.  21 


162 

dem  oben  geschilderten  Charakter  der  homerischen  Poesie  und  insbe- 
sondere dem  oft  geradezu  unvermittelten  Uebergang  zu  einem  neuen 
Gesang,  dass  der  Dichter  seinen  Plan  bis  ins  einzelnste  ausgedacht  mit 
sich  herumgetragen  und  weit  auseinander  liegende  Scenen  schon  im 
voraus  mit  der  Kunst  eines  Sophokles  oder  Shakespeare  vorbereitet 
haben  soll.  Es  sprechen  aber  auch  gegen  eine  solche  Annahme  die  Ver- 
hältnisse und  die  äusseren  Anzeichen  der  betreffenden  Partien  und  Ge- 
sänge. So  dient  z.  B.  der  Mauerbau  im  zweiten  Teile  des  7.  Buches  und 
insbesondere  der  Groll  des  Poseidon  über  die  Vernachlässigung  der  Götter, 
H  445 — 465,  ganz  offenbar  zur  Vorausmotivierung  des  später  im  12.  Ge- 
sang erzählten  Kampfes  um  die  Mauern  und  der  dort,  M  13 — 33,  be- 
richteten Zerstörung  der  Mauer  durch  Apollo  und  Poseidon.  Während 
aber  im  12.  Gesang  alles  glatt  verläuft  und  die  spätere  Zerstörung  der 
in  Homers  Zeiten  nicht  mehr  sichtbaren  Mauer  ganz  passend  dem  Gotte 
des  Landes,  Apollo,  und  dem  Gotte  des  Wassers,  Poseidon,  zugeschrieben 
wird,  häuft  sich  in  jenem  Teile  des  7.  Buches  eine  Unzukömmlichkeit 
auf  die  andere,  die  Erbauung  eines  ausgedehnten  Werkes  in  einem  Tage, 
die  Befestigung  des  Lagers  im  10.  Jahre  des  Krieges  nach  einem  sieg- 
reichen Schlachttag,  die  feindselige  Gesinnung  des  Poseidon  gegen  seine 
eigenen  Schützlinge  die  Achäer  u.  a.  Ich  schliesse  daraus,  dass  der  2.  Teil 
des  7.  Buches  erst  später,  vielleicht  von  einem  ganz  anderen  Dichter 
eingelegt  wurde,  um  auf  den  Mauerkampf  vorzubereiten  und  die  Mauer, 
welche  der  geniale  Dichter  des  12.  Gesanges  mit  der  Kraft  der  Phantasie 
hervorgezaubert  hatte,  nun  auch  wirklich  vor  unseren  Augen  entstehen 
zu  lassen.     Ebenso  erregt  es  Verwundern,  dass  schon  in   E  674  f. 

ovd'  ätf  X)dvani[i  /utyahriroQi  juoyoiiuov  r\tv 
'{(pfrijiiov  Jiog  vlbv  dnoxia/uev  6§u  xukxq) 

der  Leser  auf  den  Tod  des  Sarpedon  durch  Patroklos  im  16.  Gesang 
vorbereitet  wird.  Aber  die  ganze  Kampfesscene  des  Sarpedon  und  Tlepo- 
lemos,  E  627 — 698,  gehört,  wie  fast  alle  anerkennen,  nicht  zum  alten 
Kern  der  Ilias,  welcher  die  Lykier  überhaupt  nicht  kannte  und  noch 
weniger  von  dem  Herakliden  Tlepolemos  und  der  Beteiligung  der  Rho- 
dier  am  Kampfe  gegen  Troja  etwas  wusste,  und  ist  entweder  erst  nach 
dem   16.  Buche  und  dessen  Sarpedonscene  (FT  419—  697)  oder  gleichzeitig 


163 

mit  der  letzteren  entstanden  *).  Ebenso  sind  in  der  Odyssee  die  Verse 
7i  281 — 298.  welche  die  im  19.  Gesang  geschilderte  Beiseiteschaffung  der 
Waffen  einleiten  sollen,  mit  Recht  schon  von  Zenodot  als  spätere  Ein- 
schiebung  athetiert  worden.  Die  Einschiebung  verrät  sich  hier  deutlich 
durch  die  abgeschmackte  Wiederholung  desselben  Formelverses  n  281 
u.  n  299  äklo  dt  rot  tQtio  av  d*  ivl  (pysot  ßakleo  affin',  und  es  ist  also 
auch  hier  die  Motivierung  oder  Einleitung  der  Handlung  jünger  als  die 
Handlung  selbst. 

Die  eigentlichen  Bausteine  aber  unserer  ganzen  Lehre  von  der  Chro- 
nologie der  homerischen  Gesänge  bilden  die  Nachahmungen  sowohl  ein- 
zelner Verse  als  auch  ganzer  Scenen.  Die  letzteren  anzuführen  und  zu 
besprechen  wäre  bei  dem  grösseren  Interesse,  das  jedermann  in  höherem 
Grade  den  grossen  Umrissen  als  den  kleinen  Strichen  entgegenbringt, 
lohnender  und  vielleicht  auch  überzeugender.  Und  leicht  wird  man  ja 
auch  darin  übereinstimmen,  dass  von  den  Partien,  die  ohnehin  an  zweiter 
Stelle  stehen,  die  rohe  Götterschlacht  in  «2»  383  —  525  dem  grossartigen 
Götterkampf  des  5.  Gesanges,  der  breite,  fast  ins  Komische  verzerrte 
Zusammenstoss  des  Achilleus  und  Aineias  in  Y  86 — 352  der  wundervoll 
anziehenden  Scene  vom  Zusammentreffen  des  Diomedes  und  Glaukos  im 
6.  Gesang  nachgebildet  ist.  Auch  dass  das  Göttergespräch  vor  dem 
Kampfe  des  Sarpedon  und  Patroklos  (77  431 — 461)  eine  Nachahmung 
vom  Göttergespräch  vor  dem  Tode  Hektors  (X  166  — 187)  ist,  hat  man 
allgemein  Lachmann  geglaubt,  wiewohl  die  nachgeahmte  Stelle  in  der 
Ordnung  der  Bücher  den  späteren  Platz  einnimmt.  Aber  ob  die  Ver- 
sammlung der  Troer  in  (•)  489  —  542  die  in  £  243 — 311  zum  Vorbild 
gehabt  habe,  oder  ob  das  gerade  Gegenteil  anzunehmen  sei,  darüber 
wird  man  schwer  mit  sich  so  ins  Reine  kommen,  dass  man  aus  der  bloss 
ästhetischen  Abwägung  der  beiden  Stellen  einen  sicheren  Schluss  auf  die 
chronologische  Folge  der  betreffenden  Bücher  abzuleiten  wagen  wird. 
Jedenfalls  viel  sicherer  und  leichter  zu  erkennen  sind  die  Nachahmungen 


1)  Auch  die  Stelle  M  113—7,  die  auf  S  384 — 393  vorbereitet,  ist  vielleicht  erst  später  ein- 
gefügt worden ;  doch  stehen  beide  Stellen  nicht  so  weit  auseinander  und  hängt  überdies  die  Frage 
der  Echtheit  jener  Verse  mit  der  anderen  verwickelten  Frage  von  dem  Verhältnis  der  Bücher 
M  und  N  zusammen. 

21* 


164 

einzelner  Verse  und  selbst  Versteile,  wenn  auch  hier  eine  Schwalbe  noch 
keinen  Sommer  macht  und  es  wenn  auch  nicht  zu  den  Wahrscheinlich- 
keiten, so  doch  nicht  zu  den  Unmöglichkeiten  gehört,  dass  einmal  dem 
Dichter  bei  Wiederholung  eines  früher  für  einen  anderen  Fall  gedichteten 
Verses  der  zweite  Wurf  besser  geglückt  ist.  Aber  um  bei  solchen  Ver- 
gleichen das  Richtige  zu  sehen,  bedarf  es  hier  so  gut  wie  in  der  Kunst 
einer  besonderen  Schärfung  des  Auges  und  gilt  es  nicht  bloss  auf  den 
Zusammenhang  scharf  den  Blick  zu  richten,  sondern  auch  das  Kleinste 
in  Sprache  und  Ausdruck  nicht  zu  übersehen.  Ich  gehe  hier  nicht  mehr 
auf  Einzelnes  ein,  da  ich  in  meinen  Prolegomena  auf  Grund  meiner 
früheren  Abhandlung  über  die  Wiederholungen  ähnlicher  und  gleicher 
Verse  in  der  Ilias  (Stzb.  d.  b.  Ak.  1880  S.  221—272)  die  einzelnen 
Stellen,  die  sicheren  wie  die  in  Frage  gestellten,  verzeichnet  habe  und  in 
Ergänzung  dazu  ein  Preisträger  unserer  Universität  Dr.  S  i  1 1 1  die  Wieder- 
holungen in  der  Odyssee  behandelt  und  neuerdings  Gern  oll  im  Hermes 
XVIII  34  —  96  die  gemeinsamen  Verse  der  Ilias  und  Odyssee  sorgfältig 
untersucht  hat.  Ich  bemerke  nur  nochmals,  dass  mein  ganzer  Versuch  die 
homerische  Frage  zu  lösen  wesentlich  auf  diesem  Fundamente  beruht  und 
dass  die  Versuche  Kayser's,  Lachmann's,  Geppert's,  Naber's  hauptsächlich 
daran  gescheitert  sind,  dass  sie  diesem  Punkte  nicht  die  notwendige 
Aufmerksamkeit  in  erschöpfender  Weise  zugewendet  haben. 

Ausserdem  habe  ich  nun  aber  auch  die  Sprache  und  selbst  die  Er- 
lahmung der  poetischen  Kraft  zur  Bestimmung  der  Abfassungszeit  der 
homerischen  Dichtungen  herangezogen,  aber  natürlich  mit  der  oben  be- 
gründeten Vorsicht  und  Rückhaltung  und  wesentlich  nur  mit  dem  Re- 
sultate, dass  wohl  einzelne  Interpolationen  Spuren  entschieden  jüngerer 
Sprachbildung  an  sich  tragen  *)  und  sich  auch  zwischen  Ilias  und  Odyssee 
ein  wenn  auch  kleiner  Unterschied  in  der  Sprachentwicklung  nachweisen 
lässt,  dass  sich  aber  die  Hauptpartien  der  Ilias  nach  Anzeichen  älterer 
oder  jüngerer  Sprachbildung  nicht  mit  Sicherheit  scheiden  lassen.  "Die 
Resultate  meiner  Untersuchungen  für  die  Ilias  habe  ich  in  meinen  Pro- 
legomena p.  55 — 78  und  in  den  ergänzenden  Epilegomena  zusammen- 
gestellt; hier  will  ich,  indem  ich  zugleich  über  die  Ilias  hinausgehe,  nur 
die  Hauptpunkte  hervorheben. 


1)  Vergleiche  meine  Prolegomena  §  18. 


165 


Verhältnis  der  Ilias  zur  Odyssee. 

Die  Odyssee  ist  jünger  als  die  Ilias,  nur  einige  Interpolationen  der 
Ilias,  wie  die  Erweiterungen  des  Schiffskatalogs  und  der  Leichenspiele 
(^  798 — 897),  sind  jünger  wie  die  Odyssee,  und  einige  nicht  zum  Kern 
der  Ilias  gehörige  Gesänge,  wie  die  Doloneia  und  Hoplopoiia,  sind  un- 
gefähr gleichzeitig  mit  ihr.  Die  "Wahrheit  des  ersten  Teils  der  aufge- 
stellten Sätze  wird  durch  die  Nachahmungen  ausser  Zweifel  gesetzt.  Von 
besonderem  Interesse  dabei  ist  es,  dass  selbst  Stellen  der  Doloneia  {K  243 
==  a  65,  AT  158  =  o  45),  des  Schlusses  der  7.  Rhapsodie  (H  421 — 3 
=  £  433—4)  und  des  Schiffskatalogs  (/i  581  =  r?  1)  dem  Dichter  der 
Odyssee,  oder  wenigstens  der  jüngsten  Partie  derselben,  der  Telemachie, 
zum  Vorbilde  gedient  haben  1).  Von  diesen  Stellen  muss  man  ausgehen. 
Denn  steht  bei  ihnen  die  Nachahmung  fest,  so  kann  ohnehin  keine  Rede 
davon  sein,  dass,  wie  noch  L.  Kayser  öfters  annahm,  Verse  der  Odyssee 
in  Rhapsodien  und  Versen,  welche  zum  Grundstock  der  Ilias  gehören, 
nachgeahmt  worden  seien.  Dass  auf  der  anderen  Seite  die  Doloneia  zur 
gleichen  Zeit  mit  der  Odyssee,  vielleicht  sogar  von  demselben  Dichter 
geschaffen  sei,  macht  nicht  bloss  die  grosse  Uebereinstimmung  in  Ton  und 
Sprache  wahrscheinlich,  sondern  erhellt  auch  bestimmt  daraus,  dass  auf 
der  einen  Seite  K  212  nach  i  264,  K  214  nach  n  122,  K  265  nach  v  1612), 
und  auf  der  andern  Seite  a  65  u.  o  45  nach  K  243  u.  158  gedichtet 
sind.  Aehnlich  ist  die  Stellung  der  Hoplopoiie,  in  der  die  Verse  -2"  487  —  9 
aus  b  273 — 5,  und  2  501  aus  y  344,  vielleicht  auch  2  510  aus  y  150 
herübergenommen  sind.  Von  sonstigen  Versen  der  Ilias,  welche  Versen 
der  Odyssee  nachgebildet  sind,  gehören  #629  =  o  254  und  B  774  = 
(>  168  zu  den  interpolierten  Stellen  des  Schiffskataloges;  von  dem  Verse 
T  83  —  n  72.  (p  133  ist  es  mindestens  zweifelhaft,  ob  er  als  ein  alter 
Bestandteil  der    Rede   des   Odysseus    in   dem    allerdings    jungen   Gesänge 


1)  Dass  Gemoll  mit  Unmht  auch  in  dem  interpolierten  Vers  T  333  das  Original  zu  Od. 
>i  225  u.  T  526  fand,  habe  ich  inzwischen  in  dem  Aufsatz,  Zur  Chronologie  des  altgriechischen 
Epos,  Stzb.  1884  S.  5  nachgewiesen. 

2)  Auch  die  Stelle  K  455—7  scheint  dem  Dichter  von  Od.  x  328—9  zum  Vorbild  gedient 
m  haben.  Doch  möchte  ich  lieber  den  überflüssigen  Vers  x  829  streichen,  womit  dann  der 
Beweit  einer  Nachahmung  wegfiele. 


166 

oder  vielmehr  als  ein  späterer  Zusatz  anzusehen  ist.  Am  meisten  Zweifel 
erregt  der  letzte  Gesang  der  Ilias,  da  zwar  auf  der  einen  Seite  ß  318. 
<T  113.  o  147  —  50.  v  364  nach  S2  92.  507.  283—6.  382  gedichtet 
sind,  auch  12  26.  33.  369  u.  359  nicht  nach  ß  433.  «118  n  72  u.  k  393 
gedichtet  zu  sein  brauchen,  aber  der  Vers  12  647  (=  r\  339.  <?  300)  di 
&  Xaav  ix  ueyctpoio  daos  (a*ra  yjQcsh'  i-'yovnai  offenbar  besser  in  die 
Odyssee  passt,  wo  nur  von  den  Dienerinnen  des  Hauses  die  Rede  ist,  als 
in  die  Ilias,  wo  der  kriegerischen  Umgebung  entsprechend  in  dem  voraus- 
gehenden Verse  12  643  neben  den  duconi  auch  die  frayot  genannt  sind. 
Aber  hier  gilt,  was  ich  oben  bemerkt,  dass  eine  Schwalbe  noch  keinen 
Sommer  macht,  und  zaudere  ich  bei  der  grossen  Zahl  entgegenstehender 
Momente  der  einen  Stelle,  zumal  ja  doch  auch  an  ihr  die  Nachahmung 
nicht  so  ganz  evident  ist,  so  viel  zuzuschreiben,  dass  ich  ihretwegen  die 
Lösung  Hektors  nach  dem  Gesänge  r\  oder  gar  r?  der  Odyssee  setzte ! ') 
Die  aus  den  Nachahmungen  geschöpften  Nachweise  des  jüngeren 
Ursprungs  der  Odyssee  bestätigen  nur  dasjenige,  was  sich  dem  vorurteils- 
freien Leser  schon  als  allgemeiner  Eindruck  aus  der  Lektüre  der  llias 
und  Odyssee  aufdrängt.  Denn  während  uns  die  Ilias  die  Griechen  noch 
im  harten  Kampf  mit  den  Barbaren  um  den  Besitz  des  Bodens  vorführt, 
entrollt  uns  die  Odyssee  Bilder  des  friedlichen  Genusses  und  lebhaften 
Seeverkehrs,  wie  sie  erst  nach  Jahrzehnten  gesicherten  Besitzes  denkbar 
sind 2).  Zutreffend  ist  auch  die  feine  Bemerkung  Niese's  Entwickelung 
der  homerischen  Poesie  S.  44,  dass  während  sonst  der  Dichter  der  Odyssee 
geflissentlich  jede  Gelegenheit  sucht  die  Thaten  des  Odysseus,  auch  wenn 
sie  nicht  in  den  Rahmen  der  Fabel  fallen,  zu  erwähnen  und  zu  preisen, 
er   keiner    der    Ruhmesthaten    des   Odysseus    gedenkt,    die    in   der   Ilias, 


1)  Bezeichnend  für  die  nahe  Berührung  der  jüngsten  Gesänge  der  Ilias  mit  der  Odyssee 
ist  auch  das,  dass  in  der  Doloneia  der  kluge  Odysseus  die  Hauptperson  spielt  und  in  Hektors 
Lösung  neben  Iris,  der  Götterbötin  der  Ilias,  auch  dem  Götterboten  der  Odyssee,  Hermes,  eine 
Rolle  zugewiesen  ist,  dass  endlich  das  Hauptepitheton  des  Odysseus  in  der  Odyssee  noXvx^ag  auch 
schon  in  den  jüngeren  Gesängen  der  Ilias  0  97.  /  676.  K  248.  (cf.  xl.rjfAwv  '06vatvg  K  231.  498) 
*'  729.  778  vorkömmt.  Ueber  das  Ziel  schiesst  durch  unechte  Verse  verführt  Peppmüller  in 
seinem  Commentar  des  24.  Buches  der  Ilias  hinaus,  wenn  er  jenes  Buch  nach  Vollendung  der 
Odyssee,  wenigstens  ihrer  besten  Teile  (p.  LXXXII)   und  selbst  nach  Hesiod   gedichtet  sein  lässt. 

2)  Freilich  haben  nicht  alle  sich  durch  diese  Verhältnisse  in  ihrem  Urteil  bestimmen  lassen; 
siehe  Seneca,  de  brev.  vitae  13  und  Lucian,  Ver.  hist.  II  20,  ferner  Bergk  Griech.  Lit.  S.  728 
Anm.  1  und  Friedländer  Hom.  Kritik  S.  71. 


167 

namentlich  im  2.,  3.,  10.,  11.  Buch  erzählt  sind,  offenbar,  weil  er  die- 
selben als  bereits  bekannt  und  genügend  gepriesen  voraussetzte  und  ihm 
das  cramben  recoquere  widerstrebte. 

Auch  die  Sprache  der  Odyssee,  wenngleich  sie  sich  nicht  wesentlich 
von  der  der  Ilias  unterscheidet  und  im  grossen  Ganzen  derselben  Epoche 
angehört,  zeigt  doch  vielfach  ein  entschieden  jüngeres  Gepräge,  auf  das 
ich  wiederholt  im  2.  Buch  meiner  Prolegomena  zu  sprechen  gekommen 
bin.     Ich  will  hier  nur  einige  Hauptpunkte  verzeichnen. 

Die  Kraft  des  Digammas  besteht  in  der  Odyssee  bei  den  meisten 
Wörtern,  namentlich  bei  dem  Pronomen  pers.  der  3.  Person,  ferner  bei 
földa.  fäva'§  dpeivog  ungeschwächt  fort;  aber  während  der  Annahme  eines 
Digamma  von  olvog  nur  4  Stellen  in  der  Ilias  (H  467 — 472.  /  224. 
-T  545)  oder,  wenn  man  ein  wenig  Freiheit  der  Conjecturalkritik  ein- 
räumt, nur  die  eine  Stelle  ^545  widerstrebt *),  ist  in  der  Odyssee  das 
Digamma  von  olrog  21  Mal  vernachlässigt  und  meistens  so,  dass  an  ein 
Wegemendieren  nicht  zu  denken  ist.  Aehnlich  steht  es  auch  mit  dem 
Digamma  von  ffftvg,  t^ya'Qouat,  k'nog,  nur  dass  bei  dem  letzten  Worte 
durch  die  Wiederkehr  des  Formel verses  ipwvipa.a'  ema  nieQoevTa  tiqo- 
arjvda  das  Verhältnis  etwas  mehr  zu  Ungunsten  der  Ilias  verrückt  ist. 

Die  Vereinigung  zweier  Vokale  durch  Contraction  oder  Synizese 
liebt  die  Odyssee  so  wenig  wie  die  Ilias;  doch  ist  die  Odyssee  auf  dem 
Wege  der  Vereinigung  etwas  weiter  vorgeschritten,  so  dass  z.  B  die  Ilias 
nur  die  volle  Form  efeirjg,  die  Odyssee  auch  die  contrahierte  i§ije  kennt 
und  dass  sich  nur  in  der  Odyssee,  wenn  auch  zum  grossen  Teil  erst  in 
jüngeren  Partien  die  Formen  tfltog  «9-  271  (sonst  fjefoog),  xouog  %  385 
(sonst  zoilog),  'Eyfirjg  f  54.  fr  334.  $435.  toi  (sonst  cE(jjLteiug)2),  t-'cog 
(3  148.  *  123.  [386.  (j  358]  t  530,  xiiog  [o  231].  w  162  (sonst  elog  u. 
relog),  frtyevg  r\  118,  ytvevg  o  535,  fra/tißevg  u)  394,  Wvaevg  co  398,  (sonst 


1)  Ich  habe  dabei  allerdings,  wozu  man  aber  auch  vollständig  berechtigt  ist,  die  Eigen- 
namen Otitis  und  Oiyöfxaog  aus  dem  Spiel  gelassen. 

2)  Fick  lässt  die  contrahierte  Form  'Eyfiijs  in  der  älteren  Odyssee  nicht  passieren,  und 
allerdings  stehen  9-  334  u.  w  1  in  jungen  Partien,  ist  f  54  überflüssig  und  schon  von  den  Alten 
verdächtigt  und  lässt  sich  £  435  einfach  emendieren.  Auch  das  einsilbige  ems  suchte  Fick  und 
schon  vor  ihm  Nauck  ganz  wegzuemendieren,  aber  mit  wenig  Glück ;  hingegen  lässt  sich  dasselbe 
an  der  einzigen  Stelle  der  Ilias  P  727  sicher  auf  Grund  der  Handschriften  entfernen. 


168 

Wvafjog,  yh'tog  etc.)  *)  ßdial  §  86,  (pdw/w  tt  383.  co  437,  (cf.  /  168. 
t   122.  (i  334.)  ß  358.  <p  218,  ßsßuiöa  v  14,  ts&vujti   r  331   finden. 

Einige  aus  falscher  Analogie  entstandene  Formen  finden  sich  nur 
in  der  Odyssee,  wie  r\r\v  r  283.  </>  316.  co  343,  udvrrjog  x  493,  ^cXcug 
#  343  u.  344 2)  uayjovinvov  l  403.  to  113.  ^(Twato  v  358.  u>  314, 
t/W  x  146.   274.  446.  »/>  370.  co   501  3),  ottöw    =   Mi>  o   196. 

Mehrere  altertümliche,  später  verschwundene  Wörter  finden  sich  nur 
noch  in  der  Ilias,  wie  (prj  =  ujg  B  144.  1  499,  t.wij  =  av  E  485, 
Z  262.  M  237.  77  64.  7'  10.  Q  465,  xQaiautTv  19  Mal,  /a£«ro  15  Mal, 
J^og  43  Mal,  eavog  9  Mal,  SQeßevvos  8  Mal,  ay<k  15  Mal,  wozu  noch 
log  =  elg  und  r\vxe  =  cot;  kommen,  deren  Gebrauch  in  der  Odyssee 
gegenüber  der  Ilias  auf  sehr  enge  Grenzen  reduciert  ist.  Umgekehrt 
stehen  nur  in  der  Odyssee  mehrere  später  weit  verbreitete  Wörter  und 
Formen,  wie  uoocpij  =  tldog  »9^  170.  I  367,  ßaoro%uj  k  594.  </  405, 
ojg  =  nQog  Q  218,  kvyvog  t  34,  äyiog  (>  343.  O  120,  rjfMQOg  o  162,  X(>'i,"<( 
14  Mal,  cü  rdlav  a  327.  t  68,  (po(tülrj  i  320,  vtot)  /  238,  wozu  noch  der 
häufige  Gebrauch  von  Abstrakten  auf  nj  kommt,  wie  dvayxau]  t  73, 
oolrj  n  423,  §svir\  to  286,  'QMpvylr}  77  119  und  besonders  dkrjäehj,  von  <h('> 
c.  acc.  in  instrumentalem  Sinne  #  82.  520.  k  276.  282.  437.  v  121. 
t  154.  523,  von  ovvexa  in  dem  Sinne  von  ort  t-  216.  v  309.  o  42. 
fi  330.  379,  die  Anwendung  des  Optativ  in  der  indirekten  Rede,  wie 
77  17.  189.  x  110.  o  423.  (>  368.  r  464,  die  Construction  von  fierd  mit 
dem  Genetiv  1  320.  n  140 4). 


1)  In  der  Ilias  findet  sich  allerdings  auch  £(>ißi*<;  0  368,  ddpoevs  P  573,  o^eve  r  10.  aber 
das  letztere  ist  nur  Variante,  das  erstere  ist  durch  den  prosodischen  Charakter  des  Wortes  tyeßtos 
entschuldigt  (s.  Pi-oleg.  §  103)  und  das  mittlere  in  &()ciaios  zu  bessern;  vgl.  Proleg.  p.  180.  Dass 
auch  bei  nalg  die  Contraction  in  der  Odyssee  vorgeschritten,  hat  an  der  Hand  älterer  Unter- 
suchungen neuerdings  Benick en,  Studien  u.  Forsch.  S.  1290  ff.  erwiesen. 

2)  Freilich  in  einer  interpolierten  Stelle;  die  Formen  auf  w?  statt  os  an  den  anderen 
Stellen  beruhen  auf  falscher  Ueberlieferung,  wie  schon  Bentley  erkannte. 

3)  Nauck,  Bull.  17,  214  bessert  yi«  oder  riiaav  statt  ffiov,  und  allerdings  ist  rjta  in 
x  309.  6  427.  433.  572  durch  den  Vers  gesichert  und  kann  der  Hiatus  dvyia  e's  (x  146  u.  274)  zur 
Not  durch  den  Einschnitt  nach  dem  4.  Fuss  entschuldigt  werden. 

4)  Die  gleiche  Construction  findet  sich  auch  2  Mal  in  der  Ilias  JV  700.  *  458,  aber  der 
erste  Vers  ist  interpoliert,  und  in  dem  zweiten  hat  das  den  Späteren  geläufige  v/nwv  das  ursprüng- 
liche yifiZv  verdrängt.  Hierher  gehört  auch  die  Beobachtung  von  Ph.  Weber  in  Schanz  Beiträgen 
zur  historischen   Syntax  der  gr.   Spr.   Bd.  IL,  5   S.  14  u.   223,   dass   sich  in   der  Odyssee    bereits 


169 

Wichtig  ist  dabei  für  das  Verhältnis  der  Odyssee  zu  den  jüngsten 
Partien  der  Ilias,  dass  im  jüngeren  Charakter  der  Sprache  sich  vielfach 
beide  begegnen.  So  z.  B.  stellen  sich  nebeneinander  die  kontrahierten 
Formen  Ti/ufig  TiurjvTa  Te%vfjöOou  xai(jovG08u)v  in  /  605.  -2*475  u.  1]  107. 
110,  vovg  in  12  354  u.  x  240,  zappt  in  0  75  u.  'C,  230.  tp  157,  kovorj 
in  ■  7  u.  i'  210.  216.  219,  rar  =  ramy  in  K  253  u.  a  64;  so  findet 
sich  ferner  der  Gebrauch  des  jungen  Wortes  loyog  für  uvfrog  oder  tnog 
an  einer  der  jüngsten  Stellen  der  Ilias  0  393  und  zugleich  in  der  Tele- 
machie  a  56,  ebenso  von  dtthog  in  Ä'  466  u.  v  333,  36§a  in  K  324  u. 
Ä  344,  vnvujovjtg  in  _r2  344  u.  t  48.  u>  4,  T.oladeoi  in  AT  462  u.  /?  47. 
165.  *  268.  v  258.  <?  93,  dydoou)  mit  dem  Genetiv  in  Ä  33  u.  Ä  276 
(Vgl.  Ellendt  Drei  hom.  Abh.  II  38),  die  figura  etymologica  ßovlrjv 
ßovlivuv  in  /  74.  K  147.  327.  415.  £1  652  u.  £  61,  ty^a  iQyd'Qea&ai 
in  12  733   u.   v  72.  /  422,  *rf^ß  zrepi'Qeiv  in  12  38  u.  a   291.  y  285  1). 

Zuletzt  gehe  ich  aber  noch  einen  Schritt  weiter  und  behaupte,  dem 
Verfasser  der  Odyssee  waren  nicht  bloss  die  Gesänge  der  alten  Ilias 
bekannt,  er  hörte  sie  auch  bereits  in  der  Ordnung,  wie  sie  durch  Pisi- 
stratus  auf  uns  gekommen  sind.  Ich  schliesse  dieses  aus  merkwürdigen 
Uebereinstimmungen  in  der  Disposition  der  beiden  Gedichte.  Schon  das 
Proömium  der  Odyssee  ist  eine  unverkennbare  Nachahmung  des  Pro- 
ömiums  der  Ilias;  da  aber  niemand  mehr  nach  dem  herrlichen  Aufsatz 
von  Lehrs  über  das  Proömium  der  Odyssee  in  Arist.2  p.  420 — 430  daran 
zweifeln  wird,  dass  beide  Proömien  nicht  für  ein  einzelnes  Lied,  sondern 
für  das  ganze  Gedicht,  hier  von  Odysseus  Irrfahrten  und  Heimkehr,  dort 
vom  Zorne  des  Achilleus  mit  seinen  tragischen  Konsequenzen,    bestimmt 


7  Beispiele  des  ornag  finale  Buden,  während  die  Elias  nur  mit  einem  einzigen  Beispiel,  *  547,  ver- 
treten ist,  und  dass  in  der  Odyssee  bereits  die  instrumentale  Partikel  u«  aus  der  Bedeutung 
'wo'  zu  der   wohin'  (tf  821.  {  55.  t  20)  vorgeschritten  ist. 

1)  Andere  mit  dem  jüngeren  Charakter  der  Sprache  nicht  zusammenhängende  Berührungs- 
punkte bilden  die  gleichen  Phrasen  und  Verse  fioiuu  rtttv/aint  S  53.  9  384,  dXrj&ttav  HMrr«2*fw 
£1  407.  v  297.  o  108.  122.  n  226.  <f  212.  /  420,  xuuuup  «<$>?xor«?  j6i  x«i  vnyy  K  98.  312.  399. 
471  und  ,u  281,  vixiu  öi'  ü/ißftoaitjy  K  41.  142.  2!>7.  .599.  i>  363  und  t  404.  o  8,  3toi  o?"0\v[i7ioi> 
eXoiai  Li  127.  V  299  (£  404)  und  C  240.  &  331.  /*  337.  {  394.  a  180,  unißr,  7i(t6s  ptatQor  "oXv/urroy 
£1  468.  694.  und  x  M07.  n  43,  ij\uog  eJ'  yoiylvnct  qraVij  $ododdxtvXog  ywg  £1  788.  A  477  u.  18  Mal 
in  Od.  Direkt  zu  der  uns  hier  berührenden  Präge  gehört  die  abgeschwächte  Bedeutung  von 
ßuoiXug  Grundherr,  Baron  2"  556.  V  84  und  «  394.  -'>  41.  390.  w  179,  Xaoi  =  Leute  2  497.  502. 
519.  ß  13.  y  155.  X  676.  v  156.  q  390  (s.  Geppert,  Urspr.  II  163),  nomviav  =  besorgen  £1  Alb. 
y  430,    dai(f(>uiv  =  verständig  £1  325.  o  :514.  356  (s.  Buttmann,  Lexil.  I  201). 

Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wim.  X  V I f.  Bd.  I.  Abth.  22 


170 

sind,  so  muss  auch  bereits  der  Dichter  der  Odyssee  die  Gesänge  der 
Ilias  oder  doch  wenigstens  die  hauptsächlichsten  derselben  als  einheit- 
liches Ganze  vorgefunden  haben.  Doch  mehr!  die  2.  Rhapsodie  der 
Ilias  führt  uns  die  Versammlung  der  Achäer,  die  2.  der  Odyssee  die  der 
Ithakesier  vor;  die  6.  der  Odyssee  das  Zusammentreffen  der  Nausikaa 
und  des  Odysseus,  die  6.  der  Ilias  den  Abschied  von  Hektor  und  Andro- 
mache ;  der  Schluss  der  Ilias  bringt  uns  die  friedlichen  Scenen  der  Ver- 
söhnung und  der  Bestattung  der  beiden  Haupthelden  Patroklos  und 
Hektor,  der  letzte  Gesang  der  Odyssee  erzählt  die  Aussöhnung  zwischen 
Odysseus  und  den  Angehörigen  der  Freier  und  führt  uns  die  Seelen  der 
Erschlagenen  im  Schattenreich  vor;  dem  versöhnenden  Abschluss  geht 
in  der  Ilias  unmittelbar  voraus  die  Vernichtung  der  Troer  und  die  Er- 
schlagung Hektors  durch  den  wiedererstandenen  Achill,  in  der  Odyssee 
schildern  die  Bücher  <p  u.  %  den  Mord  der  Freier  durch  den  aus  den 
Lumpen  und  Lappen  urkräftig  wieder  erstandenen  Odysseus.  Ist  das 
alles  zufällige  Uebereinstimmung?  gewiss  nicht;  aber  ich  wage  auch  zu 
behaupten,  indem  ich  einen  Gedanken  von  Otfr.  Müller,  Griech.  Lit.  1101 
weiter  verfolge,  dass  die  Zudichtung  der  Telemachie  in  der  Odyssee  mit 
der  Stellung  der  Gesänge  H — //  in  der  Ilias  sich  berühre.  Denn  offenbar 
dienen  beide  Partien  a — J  und  11 — J  dazu,  uns  eine  Exposition  der 
Verhältnisse  zu  geben,  in  der  Odyssee  von  dem  Unwesen  der  Freier  im 
Hause  des  Odysseus,  von  dem  aufwachenden  Mannesmut  des  Telemachos 
und  der  bedrängten  Treue  der  Penelope,  in  der  Ilias  von  der  Stimmung 
der  Achäer.  der  Grösse  der  beiden  Heere,  der  begonnenen  Reue  der 
Helena  und  dem  Charakter  ihrer  beiden  Männer,  der  Veranlasser  des 
Krieges,  Paris  und  Menelaos.  Zugleich  retardieren  beide  Partien  den 
im  Proömium  ausgesprochenen  Plan  der  Gesamtdichtung,  nur  dass  dieses 
in  der  Ilias  mit  Geschick,  wenn  auch  nicht  ohne  Anstoss  so  geordnet 
ist,  dass  wir  am  2.  Schlachttag  zu  jenen  Scenen  gewissermassen  zurück- 
kehren, welche  die  Verwirklichung  der  ßovXrj  Jiog  ausführen,  während 
der  minder  erfindungsreiche  Dichter  der  Telemachie  nichts  besseres  zu 
thun  wusste,  als  das  ursprünglich  für  den  Anfang  des  5.  Gesanges  be- 
stimmte Proömium  dem  ersten  Gesang  vorzusetzen  und  dann  im  Beginne 
des  5.  Gesanges  eine  ungeschickte  zweite  Auflage  der  Götterversammlung 
zu  bieten. 


171 

Eine  andere  bedeutungsvolle  Uebereinstimmung  im  Ausbau  der  Ilias 
und  Odyssee  zeigt  sich  in  der  Aehnlichkeit  der  Erweiterungen  des  alten 
Grundstocks  der  Dichtungen;  da  haben  wir  in  der  Ilias  die  Einlage  der 
Phönixrolle  in  die  alte  Presbeia  (/  168.  169.  432—622.  658—668. 
690 — 2),  in  der  Odyssee  die  der  Theoklymenosepisode  in  die  Teleinachie 
und  den  Freiermord  (o  221—286.  508  —  549.  (j  52  —  56.  61—166. 
v  345 — 383);  in  der  Ilias  die  Erweiterung  der  Schilderung  von  der 
Waffenfabrikation  des  Achill  ^"590 — 608,  in  der  Odyssee  die  Weiter- 
führung der  Beschreibung  von  den  Gärten  des  Alkinoos  ij  103 — 131; 
in  der  Ilias  T  91 — 136  sowohl  als  in  der  Odyssee  ip  15 — 41  die  Ein- 
flechtung  eines  Herkulesmythus;  in  der  Ilias  V  798 — 897  die  Zufügung 
weiterer  Kampfesspiele,  in  der  Odyssee  die%  Einlage  von  Wettspielen  in 
#  83  —  520;  endlich  in  der  Ilias  (X  482  u.  X  508,  iV  114  u.  IV  116. 
V  90  u.  T  137)  und  in  der  Odyssee  (//  184  u.  //  228,  &  83  u.  &  521, 
|  171  u.  £  185,  n  281  u.  n  299,  r  1  u.  r  51)  die  gleiche  Manier 
nach  Einlage  einer  Interpolation  wieder  zu  demselben  Vers  oder  Versanfang 
zurückzukehren,  und  somit  selbst  den  Weg  zur  Entlarvung  der  Inter- 
polation zu  zeigen.  Erwägt  man  dieses  alles  und  nimmt  die  grossen 
Uebereinstimmungen  hinzu,  die,  wie  wir  oben  ausgeführt,  zwischen  der 
Odyssee  und  den  jüngsten  Partien  der  Ilias  bestehen,  so  wird  man  in 
der  Tradition,  dass  Ilias  und  Odyssee  von  demselben  Dichter  Homer 
herrühren,  etwas  mehr  als  eine  Altweiberfabel  finden. 

Die  Telemachie  eine  spätere  Eindichtung. 

Dass  die  Telemachie  vom  Dichter  der  Odyssee  nicht  von  vornherein 
in  den  Plan  seiner  Dichtung  gezogen  war,  davon  ist  uns  bekanntlich 
in  der  Störung  der  Chronologie  ein  sicheres,  besonders  von  Hennings  ') 
scharfsinnig  verwertetes  Anzeichen  erhalten.  Der  Aufenthalt  des  Tele- 
machos  in  Sparta  berechnet  sich,  wiewohl  derselbe  <)  594 — 9  die  Ein- 
ladung des  Menelaos  noch  11  oder  12  Tage  bei  ihm  zu  bleiben  ent- 
schieden ausgeschlagen  hatte,  nichts  destoweniger  in  Folge  der  zwischen 
<y  und  o  geschobenen  Partien  der  alten  Odyssee    auf    31   Tage.      Das  ist 


1)  Hennings,    über   die  Telemachie,    ihre   ursprüngliche  Form    und    ihre   späteren  Verän- 
derungen, in  Jahrb.  f.  Phil.  Suppl.  III.  8.  198. 

22* 


172 

ein  Widersinn,  den  weder  Lehrs  und  Kammer  zu  entkräften  noch  Bergk 
durch  vage  Vermutungen  wegzuemendieren  vermochte1)  und  der  sich  nur 
auf  die  besagte  Weise  erklären  lässt.  womit  ich  aber  durchaus  nicht 
gesagt  haben  will,  dass  die  Telemachie  je  ein  Epos  für  sich  gebildet 
habe.  ,  Umgekehrt  haben  wir  bestimmte  Beweise,  dass  der  Dichter  jener 
Gesänge  a — d  u.  o  1  —  300,  die  wir  der  Bequemlichkeit  halber  unter 
dem  Namen  Telemachie  zusammenfassen,  die  eigentliche  Odyssee  gekannt 
und  schon  deshalb  auch  seine  neuen  Gesänge  zur  Einlage  in  die  alte 
Odyssee  bestimmt  habe.  Dass  ihm  der  Nostos  oder  die  Irrfahrten  des 
Odysseus  bekannt  waren,  geht  ohne  weiteres  aus  ß  19  hervor,  wo  der 
alte  Aigyptios  in  der  Volksversammlung  zu  Itliaka  den  Tod  seines  Sohnes 
Antiphos  durch  den  wilden  Zyklopen  erwähnt.  Dass  er  aber  auch  schon 
die  in  den  Nostos  eingeschobene  Nekyia  vor  sich  hatte,  erhellt  aus  den 
mit  Unrecht  verdächtigten  Versen  a  188 — 193  vom  Leben  des  Laertes, 
welche  aus  der  Nekyia  X  187 — 196  herübergenommen  sind.  Dass  er 
endlich  auch  schon  die  Gesänge  von  der  Rückkehr  des  Helden  und  dem 
Freiermord  kannte,  schliessen  wir  aus  folgenden  Nachahmungen  von 
Stellen  jener  Gesänge2):  v  405  Vorbild  für  o  39,  £  6  Vorbild  für  a  426, 
|  235  Vorbild  für  y  288,  £  188—90  —  n  57—9  Vorbild  für  a  171—3, 
q  592  Vorbild  für  a  157  u.  &  70,  t  138—156  Vorbild  für  ß  93  —  110, 
(fj  350—3  Vorbild  für  a  356—9,  x  331  Vorbild  für  a  154.  Bedenken 
können  nur  die  Verse  a  238—41  =  §  367  —  71  und  ß  310  =  tp  289 
erregen,  die  an  der  ersten  Stelle  mehr  am  Platze  zu  sein  scheinen. 
Aber  die  Verse  £  368 — 71  sind  eine  lästige  Interpolation,  wie  Kammer, 
Einheit  S.  561  richtig  erkannt  und  nachgewiesen  hat,  und  (p  289  ovx 
äya.7iq$  o  f&ttjXog  vne(j(piaXoiöi  [isd3  rjjLtlv  öaivvnai  braucht  nicht  not- 
wendig eine  Nachbildung  von  ß  310  ov  ncog  eotiv  VTieyipialoiat  <n,cP 
vpuv  daivvG&aL  %>  äy.tovxa  y.al  evipQairsa&ai  izrfkov  zu  sein,  zumal  an 
letzterer  Stelle  das  Digamma  von  %xr]io$  vernachlässigt  ist,  an  ersterer  nicht. 


1)  Siehe  Kammer,  Einheit  der  Odyssee  S.  233  f.,  Lehrs  Arist.  p.  424,  Bergk,  Griech. 
Lit.  658. 

2)  Siehe  darüber  Düntzer,  Bedeutung  der  Wiederholungen  für  die  homerische  Kritik,  in 
hom.  Abhdl.  S.  464  ff.,  Sittl,  die  Wiederholungen  in  der  Odyssee  S.  82  ff.  Dass  die  Verse  « 
171 — 3  u.  «  356 — 9  an  der  späteren  Stelle  besser  passen,  haben  bereits  die  alten  Grammatiker, 
speciell  Aristarch,  angemerkt. 


173 

Auf  das  Gleiche  führen  auch  die  oben  S.  165  besprochenen  Nach- 
ahmungen der  Ilias,  indem  die  Doloneia  auf  der  einen  Seite  die  alte 
Odyssee  nachahmt  {K  212  nach  /  264  K  214  nach  n  122  =  a  245, 
K  265  nach  v  161  =  \p  197),  und  auf  der  anderen  der  Telemachie 
zum  Vorbild  diente  (a  65  nach   K  243,  o  45  nach   K  158  '). 

Gegenüber  diesen  aus  den  Nachahmungen  geschöpften  Beweisen  fallen 
die  übrigen  Anzeichen  jüngeren  Ursprungs  der  Telemachie  weniger  ins 
Gewicht;  doch  will  ich  nicht  versäumen  zur  Ergänzung  des  Gesagten 
die  hauptsächlichsten  anzuführen.  Bekanntlich  ist  nach  Thukydides  im 
Eingang  seines  Geschichtswerkes  der  Name  'Elkae,  der  ursprünglich,  wie 
noch  77  595  u.  B  683.  /  395.  /.  496,  eine  Landschaft  in  Thessalien, 
nächst  Phthia  bezeichnete,  erst  allmählich  zur  Bezeichnung  von  ganz 
Griechenland  im  Gegensatz  zum  Lande  der  Barbaren  herangewachsen. 
Diese  allgemeine  Bedeutung  liegt  bereits  dem  Namen  ITaveXlrjveg  zu 
Grunde,  der  sich  in  der  jungen  Erweiterung  des  Schiffskataloges  B  530 
und  bei  Hesiod  in  einer  wahrscheinlich  gleichfalls  erst  später  zugefügten 
Stelle  der  "E(jya  528  findet.  Eine  Mittelstellung  behauptet  die  Rede  des 
Phönix,  indem  hier  'EXXdg  /  447  u.  478,  wenn  man  diese  Verse  mit 
A  266  in  Verbindung  bringen  darf,  in  einem  weiteren,  auch  Böotien 
mitumfassenden  Sinne  genommen  ist2),  und  die  Telemachie  mit  ihrem 
öfter  wiederholten  Versausgang  (a  344.  <f  726.  816.  o  80)  xa&  'EXka&a 
xal  uHioy  Ayyog,  da  hier  'EXXag  zusammen  mit  "Aijyog  ganz  Griechenland, 
also  für  sich  Nord-  und  Mittelgriechenland  bezeichnet. 

Sodann  hat  die  Telemachie  allein  die  harten  Synizesen  nUwv  a  183, 
(fi).Hi'  o  74,  vlng  o  248,  die  nach  falscher  Analogie  gebildeten  Con- 
junctive  itueiQsrat  a  41,  brQWOfMV  «85,  das  späte,  vielleicht  aber  weg- 
zuemendierende  indag  a  337,  und  den  Gebrauch  mehrerer  noch  nicht 
in   den    anderen  Gesängen    des    Homer ,    ganz    gewöhnlich    aber    in    der 


1)  So  lösen  sich  die  Controversen  über  das  Verhiiltni^  der  Doloneia  zur  Odyssee,  welche  in 
neuerer  Zeit  so  viel  Staub  aufgewirbelt  haben. 

2)  Siehe  Gladstone,  Homerische  Studien,  frei  bearbeitet  von  Schuster  S.  43.  Uebrigens 
gibt  es  auch  noch  zwei  andere  Wege  der  Erklärung  von  K  266  u.  /  447,  dass  man  nämlich  ent- 
weder beide  Stellen  verschiedenen  Verfassern  zuweist,  oder  annimmt,  dass  das  '.EAfwV,  welches 
K  266  als  Sitz  des  Amyntor  angegeben  wird,  von  der  im  SchifFskatalog  ß  500  erwähnten  böo- 
tischen  Stadt  'Eltaiy  verschieden  war,  und  dass  es  neben  dem  böotischen  Eleon  eine  gleichnamige 
Stadt  im  alten  Thessalischen  Stammsitz  der  Böoter  gab. 


174 

jüngeren  Sprache  vorkommenden  Wörter,  wie  'idtog  y  82.  d  314,  'Hlvaiov 
ntdiov  d  563,  JiQoßaaig  ==  ngoßara  ß  75,  &fjreg  d  644,  eimoyog  =  Pas- 
sagier ß  319.  w  300  *).  Das  Digamma  findet  sich  zwar  meistens  noch 
gewahrt  und  hat  namentlich  bei  dem  Pronomen  der  3.  Person  noch  seine 
volle  Kraft,  aber  der  Charakter  conventioneller  Vererbung  alter  Ver- 
bindungen, wie  xara  aaxv  ß  11  xarä  oixovg  a  375,  oaaa  wixe  a  278 
im  sGJifyor  iX3tlv  a  422,  rodV  üne  a  169  zeigt  sich  doch  darin,  dass 
daneben  dieselben  Wörter  sehr  oft  ohne  Digamma  gebraucht  sind,  wie 
eins  a  10.  37.  91.  ß  331.  y  427.  o  28.  682,  olxog  ß  52.  154.  ö  596. 
o  21,  und  der  Hiatus  überhaupt  eine  grössere  (s.  z.  B.  a  60.  134.  207. 
212.  225.  263),  nicht  mehr  durch  das  Digamma  entschuldigte  Ausdehnung 
genommen  hat. 

Aber  wenn  auch  die  Telemachie  jünger  ist  als  die  alte  Odyssee  und 
erst  später  in  dieselbe  hineingedichtet  wurde,  so  ist  doch  damit  noch 
nicht  ausgemacht,  dass  dieselbe  von  einem  verschiedenen  Dichter  herrühre. 
Dafür  bedarf  es  erst  neuer  Beweise ;  an  diesen  gebricht  es  aber  auch  nicht. 

Schon  der  chronologische  Anstoss,  von  dem  ich  oben  ausgegangen 
bin,  ist  mir  zu  gross,  als  dass  ich  die  beiden  Teile,  durch  deren  Zu- 
sammenfügung derselbe  entstanden  ist,  dem  gleichen  Dichter  zuweisen 
möchte.  Der  geniale  Dichter  der  Odyssee,  der  so  kunstvoll  die  früheren 
Abenteuer  seines  Helden  in  die  Schilderung  seines  Aufenthaltes  im  Plifi- 
akenland  einzuweben  verstanden  hat,  würde  wohl  aucli  hier  Mittel  ge- 
funden haben,  um  die  spätere  Erweiterung  des  Planes  mit  der  ursprüng- 
lichen Anlage  in  Piinklang  zu  bringen.  Ganz  und  gar  aber  verrät  sich 
das  Ungeschick  des  Nachdichters,  der  das  Werk  seines  grösseren  Vor- 
gängers wohl  zu  erweitern,  aber  nicht  umzugiessen  verstand,  an  der 
Stelle,  wo  die  alte  und  neue  Fassung  der  Begegnung  des  Odysseus  und 
Telemachos  im  Gehöfte  des  Eumaios  zusammenstösst  n  22 — 9 

y.ai  j5'   ö'/.o(pv()OjLi6Vog  s'jiea  nTt^oevra.  TiQoörjvda  (sc.   Ev/Liatog)' 
fll&eg,    Trj'ktuays,  y'kvy.tybv  yaog'   ov  a'   «V   iyw  ye 


1)  Ueber  diese  und  andere  sprachliche  Eigentümlichkeiten  der  Telemachie  siehe  Düntzer, 
Homerische  Fragen  S.  153  f.  und  Lauth,  Homer  und  Aegypten  S.  5.  Sachlich  wichtig  ist  die 
ganz  verschiedene  Vorstellung,  die  sich  der  Dichter  der  Telemachie  n  374  und  der  Dichter  der 
Verse  £  113  u.  /  579  von  der  Grösse  der  yvi],  eines  Flächenmasses,  gemacht  hat,  worüber  man 
Hultsch,  Metrologie2  S.  41  f.  nachsehe. 


175 

oiptad-ai   i(paut]v,   bttbi  (O'/bo   vrji    rivXovde. 

d'/.A>   ays  vvv  biöbX&b,  tpl'kov  TBXog,   6(pya   ob   ß-vtuu 

TBQl/JOUai    bI(70()010V     VBOV    akkO&BV    tvdoV    BOl'Ta. 

ov   iiBV  yay  ti   &afi'   äyybv   ineQ%ecu   ov(Jb   vourjag, 
aktf   BmdrjUBVBtg'   wg  yao  vv  toi   evade   9-vnu) 
avdQwv   uviqaTriQUDv  BOoyäv  aiorjXov  ofiilov. 

Es  war  eben  in  der  alten  Fassung  Teleraach  als  seltener  Besuch  zum 
Eumaios  aufs  Land  gekommen,  in  der  Telemachie  hingegen  bei  seiner 
Rückkehr  von  Pylos  auf  dem  Wege  zur  Stadt  bei  Eumaios  eingekehrt; 
aber  der  neue  Dichter  oder  der  jüngere  Redactor  Hess  aus  dem  alten 
Epos  die  drei  Verse  27 — 29  unberührt  stehen,  wiewohl  sie  nach  dem 
vorausgehenden  viov  älXo&ev  hrdov  ioirta  keinen  guten  Sinn  mehr  gaben. 
So  ungelenk  arbeitet  kein  einigeswegs  geschickter  Dichter,  geschweige 
denn  ein  Homer 2). 

Noch  an  einer  andern  Stelle  zeigt  sich  das  gleiche  Ungeschick  des 
Nachdichters  in  der  Verarbeitung  des  alten  Liederstoffes,  ich  meine  in 
ß  89—110 

rjoT}  yay  tqitov   icttlv   hrog}    rorga   'V*   bIcsi   iBrayrov, 
i§  ov  ärifißei  9-vfiby  ivi  onj&eaaev  'Ayaiwv. 
7ia.vT.ag  ubv  (Y  einet  xal  v.iia/BTai  ävdpi  ixaarqj 
äyyeliag  n(folelöa'  vooq  de  ot  älla  fievotvif. 
))  ()7  dolor  t(')V(V  a\h)r  ivi  (poeal  fieQturjgt§ev  .... 
u)g  TQiBTBg   uh'   Utjfh   doltp  xat   Hhei&ev  'A%aiovg' 
älX   otb   THtjeiov    rjltrev   frog  xat   Bmfkvfrov   woat, 
xat  totb   dr)   rig   ni.iB   yvi'atxtnr,    tj   aatpa   fj&et. 

Hier  haben  wir  nebeneinander  den  reinsten  Widerspruch:  das  eine  Mal 
stehen  wir  erst  im  3.  Jahre  der  Freiung,  und  das  andere  Mal  hören 
wir  bereits  von  dem  4.  Jahre,  in  dem  Penelope  ihre  List  gegenüber  den 
Freiern  aufzugeben  genötigt  wurde.  Zwar  sind  die  beiden  wider- 
sprechenden Partien  von  dem  Dichter  so  unterschieden,  dass  er  die  zweite 


1)  Kirchhoff  schreibt  bloss  die  beiden  Halbverse  e'nii  w/to  vr,i  llvlovSe  und  vbov  oik\o&ev 
iydov  iovr«  und  V.  131  xcu  ex.  flvXov  fiXr,kov9«  mit  kleinen  Buchstaben,  ohne  anzugeben,  wie 
denn  in  der  alten  Fassung  die  Verse  24  u.  26  gelautet  haben  sollen.  Mit  dieser  bequemen  Manier 
ist  uns  nichts  gedient.  Auch  Hennings  genügt  hier  nicht,  der  S.  222  einfach  die  Verse  23.  24. 
30—3!).  130—153  ausscheidet. 


176 

mit  c^o/oj/  tov&  akkov  als  eine  neue  List  bezeichnet;  aber  das  ist  eitel 
Blendwerk,  da  keine  List  vorausgeht  und  thatsächlich  auch  die  Sage  nur 
von  der  einen  List  der  in  der  Nacht  wieder  aufgelösten  Fäden  des 
Kleides  weiss.  Die  ganze  Verwirrung  kommt  aber  einfach  davon  her, 
dass  der  Dichter  der  Telemachie  zwei  sich  nicht  ganz  entsprechende 
Stellen  der  alten  Odyssee  v  377 — 82  und  %  138 — 156  herübergenommen 
und  in  kopfloser  Weise  mit  rj  dt  doXov  rovd'  alkov  ein  cp^toi  ueyiiißiitv 
verbunden  hat.  Der  Widerspruch  stand  so  allerdings  schon  in  der  alten 
Odyssee,  aber  was  dort  nicht  auffiel  und  kaum  bemerkt  wurde,  da  die 
beiden  Stellen  durch  mehrere  Tausende  von  Versen  getrennt  waren ]), 
das  wurde  unerträglich  dadurch,  dass  die  widersprechenden  Stellen  un- 
mittelbar nebeneinander  gerückt  wurden.  Von  demselben  Dichter  kann 
eine  solche  Verkehrtheit  unmöglich  herrühren.  Indes  ist  zuzugeben,  dass 
zur  Not  auch  auf  eine  andere  Weise  geholfen  werden  kann,  nämlich 
durch  Ausscheidung  der  Verse  93 — 110,  wie  thatsächlich  Kirchhoff  und 
nach  ihm  Nauck  vorgeschlagen  haben. 

Dazu  kommen  schliesslich  noch  zwei  Abweichungen  oder  Missver- 
ständnisse,    die    auf   verschiedene  Verfasser  hinweisen. 

Die  Insel  Ithaka  wird  bekanntlich  durch  einen  schmalen  Isthmus 
in  2  Teile  geteilt,  in  deren  jedem  sich  ein  hohes  Gebirg  bis  zur  Höhe 
von  670  und  807  Meter  erhebt.  Das  höhere  Gebirg  der  nördlichen  Hälfte 
der  Insel,  an  dessen  nordwestlicher  Abdachung  sich  die  Hauptstadt  der 
Insel  befand  und  Homer  sich  die  Stadt  des  Odysseus  gelegen  dachte 2), 
heisst  in  dem  Schiffskatalog  II  632  und  in  der  alten  Odyssee  /  22.  v  351 
NrjQuog  ivvoaupvllog.  In  der  Telemachie  hingegen  heisst  ^81  Ithaka 
vnovr\iog    und    lässt  Mentes    a   186,    ehe    er    zur    Stadt    ging,    sein    Schiff 


1)  Man  kOnnte  auch  daran  denken,  den  Widerspruch  durch  Conjeetur  zu  entfernen,  da  sich 
v  377  oi  6rj  TtzpdtTfs  fieyagoy  xdxa  xoigavkovoiv  statt  oT  Srj  toi  xgCsttg  lesen  Hesse ;  aber  das  über- 
lieferte tQifTfg  scheint  gerade  durch  ß  89  geschützt  zu  werden.  Weniger  störend,  aber  doch  auch 
bemerkenswert  ist  die  verschiedene  Stellung,  welche  Eurykleia  als  rafiiT;  in  der  Telemachie  ß  347 
et  n  152  und  in  der  alten  Odyssee  (cf.  g  495.  r  96  \p  154)  einnimmt,  worüber  Spohn,  de  extrema 
Odysseae  parte  p.  6  gehandelt  hat. 

2)  Ich  bin  nämlich  keineswegs  der  Ansicht  Hercher's,  dass  der  Dichter  der  Odyssee  gar 
keine  Kenntnis  von  Ithaka  hatte;  es  müssen  in  diesem  Punkte  sehr  die  verschiedenen  Teile  der 
Odyssee  unterschieden  werden.  In  Kürze  bemerke  ich  hier  nur,  dass  der  Dichter  der  Telemachie 
sehr  gute,   auf  Autopsie  beruhende  Kenntnis  der  Insel  gehabt  zu  haben  scheint. 


177 

zurück  iv  hufvi  cPti&Q(p  vno  NrjUo  vkrjtvri.  Ist  nun  etwa  mit  dem  Nfpog 
ein  anderer  Gipfel  des  Gebirges  gemeint,  so  dass  der  Ntjqitos  den  süd- 
licheren Gipfel  von  Anoi,  der  Nriiog  den  nördlicheren  von  Oxoi  be- 
zeichnet? Gewiss  nicht,  da  der  Dichter  immer  nur  von  einem  bewal- 
deten Berg  der  Insel  spricht;  weit  wahrscheinlicher  dünkt  mir  daher, 
dass  der  ältere  Dichter  den  Berg  Neritos.  der  Dichter  der  Telemachie 
hingegen  Neios  nennen  hörte. 

Die  andere  Abweichung  betrifft  einen  sprachlichen  Punkt.  In  dem 
14.  Gesang  der  Odyssee  V.  104,  wo  von  den  grossen  Herden  des  Odysseus 
die  Rede  ist,  lesen  wir  inl  (?'  avtQeg  ioS-lol  oyorrat,  das  heisst  doch  nichts 
anderes  als  cedle  Männer  führten  die  Aufsicht,  waren  iniovQoi  der  Herden  ; 
derselbe  Halbvers  kehrt  y  471.  wo  von  dem  grossen  Mahle  im  Hause 
des  Nestor  erzählt  wird,  in  folgender  Umgebung  wieder 

dalvvvS3  t'Coui-)'()i.  ent   'V*  ävig$s  so&Xol  opoyro 
olvov  ivoivoxöeCvTsg  svi  xqvoSuwI  9inaaai, 

Da  kann  doch  inl  oqovto  nicht  bedeuten  'hielten  die  Aufsicht',  sondern 
muss  von  dem  Dichter  im  Gegensatz  zu  s£6fisv(H  als  Plural  von  iü(no 
gefasst  worden  sein  im  Sinne  von  'erhoben  sich'.  Mit  diesem  Nachweis 
des  Missverständnisses  einer  nachgeahmten  Stelle  muss  die  Sache  als  ent- 
schieden gelten  und  verlohnt  es  sich  kaum  mehr  anderen  kleineren  Dis- 
krepanzen nachzugehen.  Wohl  aber  verdient  es  noch  Beachtung,  dass 
das  kyklische  Epos  Nostoi  einerseits  in  der  Telemachie  benützt  wird, 
und  anderseits  schon  den  Nostos  des  Odysseus  voraussetzt,  wie  ich  in 
dem  Aufsatz,  Zur  Chronologie  des  altgriechischen  Epos,  Stzb.  d.  b.  Akd. 
1864    S.   32 — 34    nachgewiesen   habe. 

Ich  habe  nur  die  eine  Telemachie  auf  die  Verschiedenheit  des 
Autors  hin  untersucht;  ob  nun  alle  übrigen  Teile  der  Odyssee  von 
einem  Dichter  herrühren,  oder  ob  man  nicht  auch  für  den  alten  Nostos 
auf  der  einen  Seite,  und  die  Nekyia  und  den  jüngeren  Nostos  auf  der 
anderen,  für  den  Freiermord  und  den  Schluss  der  Odyssee  verschiedene 
Dichter  annehmen  müsse,  und  ob  etwa  die  Dichter  jener  jüngeren  Partien 
mit  dem  Verfasser  der  Telemachie  identisch  seien,  das  mögen  andere 
prüfen:  mir  genügt  es.  für  die  Odyssee  die  Notwendigkeit  der  Annahme 
von  mindestens  zwei  Dichtern  erwiesen  zu  haben. 

Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k!.  AI  d.Wias.  XVII.  Bd.  I.  Abth  23 


178 


Die  Teile  der  Ilias. 

Drei  grössere  Liedergruppen  unserer  Ilias,  die  Bücher  M — O  591 
incl.,  //313 — K  incl.,  B — Hl  incl.  stunden  nicht  in  dem  ursprünglichen 
Plan  des  Dichters  und  sind  erst  später  zur  alten  Ilias  hinzugekommen. 
Die  drei  Sätze  sind  im  wesentlichen  schon  teils  von  Lachmann  und 
Köchly,  teils  von  Grote,  Friedländer  und  Düntzer  erkannt  und  nur  in 
etwas  verschiedener  Form  aufgestellt  worden.  Leicht  und  sicher  ist  der 
erste  und  zweite  zu  beweisen.  Im  Eingang  des  16.  Gesangs,  wo  Patroklos 
bittend  dem  Achill  naht,  erzählt  er  die  Niederlage  der  Achäer  in  offener 
Schlacht  und  die  Verwundung  der  vier  Fürsten  Agamemnon,  Diomedes, 
Odysseus,  Eurypylos,  erwähnt  aber  nichts  von  der  Erstürmung  der  Mauer 
und  vom  Kampfe  um  die  Schiffe,  wiewohl  sich  hierin  doch  die  grössere 
Not  der  Achäer  gezeigt  hatte.  Das  ist  nur  möglich,  wenn  damals,  als 
die  Patrokleia  gedichtet  wurde,  die  Bücher  M — 0  noch  nicht  bestanden 
und  die  darin  erzählten  Dinge  auch  noch  gar  nicht  vom  Dichter  in  den 
Plan  seines  Werkes  gezogen  waren.  Damit  steht  im  Zusammenhang, 
dass  in  unserer  Ilias  weit  mehr  Ereignisse  in  die  paar  Stunden  zwischen 
Mittag  A  84  und  Nachmittag  FF  777,  fallen,  als  je  ein  vernünftiger 
Dichter  beim  Entwürfe  seines  Planes  in  die  kurze  Zeit  von  11  bis  4  Uhr 
zusammengedrängt  hätte.  Das  konnte  nur  dadurch  kommen,  dass  die 
Erstürmung  der  Mauer,  der  Kampf  bei  den  Schiffen,  die  Einschläferung 
des  Zeus,  die  Verwundung  Hektors,  die  Heilung  des  Helden  und  das 
erneuete  Anstürmen  der  Troer  im  ursprünglichen  Entwürfe  keinen  Platz 
hatten  und  erst  später  zwischen  A  und   fJ  eingelegt  wurden. 

Der  zweite  Satz  von  dem  späteren  Ursprung  der  Gruppe  Hl — K 
lässt  sich  noch  leichter  erweisen  und  ist  bereits  so  sehr  anerkannt,  dass 
Köchly  in  seiner  Ausgabe  der  kleinen  Ilias  diese  Gesänge  ganz  und 
gar  aus  dem  Kreis  der  alten  Iliaslieder  ausgeschieden  hat.  Von  der 
Doloneia  haben  wir  das  bestimmte  Zeugnis  des  Eustathius  und  des  Victori- 
anischen Scholiasten,  dass  dieselbe  nicht  einmal  im  Altertum  allgemein 
unter  die  Gesänge  der  Ilias  recipiert  worden  war.  Die  Presbeia  wird 
in  der  alten  Ilias  und  speciell  in  77  72  völlig  ignoriert,  so  dass  dieselbe 
erst  später  eingelegt  oder  zum  Zwecke  der  Einlage  an  dieser  Stelle 
gedichtet  sein  muss;  das  Buch  ß  aber,  das  mit  dem  2.  Teil  von  H  enge 


179 

zusammenhängt,  enthält  so  offenbare  Nachahmungen  von  Stellen  späterer 
Gesänge,  dass  kein  urteilsfähiger  Mensch  daran  denken  kann,  dasselbe 
der  alten  ursprünglichen  llias  zuzuweisen.  Namentlich  liegt  es  auf  der 
Hand,  dass  die  Stelle  von  dem  Wägen  der  Todeslose  der  beiden  Völker, 
der  Achäer  und  Troer,  (■)  68 — 74,  eine  Nachahmung  und  eine  wenig 
geschickte  Nachahmung  des  Wagens  der  Todeslose  der  beiden  Helden 
Hektor  und  Achill  unmittelbar  vor  dem  grausen  Falle  Hektors,  X  209 
bis  213,  ist,  und  dass  somit  die  KoXog  tta/j,  oder  das  Buch  (■)  erst  nach 
dem  Gesänge  von  Hektors  Tod  oder  nach  dem  Buche  X  gedichtet  sein 
kann.  Zu  den  bezeichneten  Anzeichen  vom  jüngeren  Ursprung  der  Ge- 
sänge unserer  Gruppe  stimmt  nun  auch  die  Störung,  welche  durch  Ein- 
lage dieser  Gruppe  in  den  Plan  der  llias  und  in  den  Fortgang  der 
Handlung  gebracht  wurde.  Der  frohe  Kampfesmut  des  11.  Gesanges 
war  nach  dem  glücklichen  Ausgange  des  ersten  Schlachttages  /' — H  oder 
auch  beim  Beginne  des  ganzen  Kampfes  wohl  am  Platze,  nimmermehr 
aber  nach  der  schmählichen  Niederlage  des  8.  Gesanges  und  der  trotzigen 
Zurückweisung  der  Anerbietungen  des  Agamemnon  durch  Achill  in  der 
Presbeia.  Es  ist  wahr,  dass  durch  den  guten  Erfolg  des  kühnen  nächt- 
lichen Handstreiches  der  Doloneia  der  Uebergang  zur  kampfesmutigen, 
fast  siegesgewissen  Stimmung  im  Beginne  des  11.  Gesanges  etwas  besser 
vermittelt  wird,  aber  bei  unbefangener  Betrachtung  wird  man  nicht 
verkennen,  dass  dieses  nur  eine  Notbrücke  ist,  kein  in  dein  ursprüng- 
lichen Plane  gelegenes  Bindeglied. 

Am  schwersten  hält  der  Beweis  für  den  späteren  Ursprung  der 
ersten  Gruppe  0 — //-.  zumal  gerade  dieser  Teil  der  llias  wegen  des 
liederartigen  Charakters  und  der  einfachen,  fast  naiven  Natürlichkeit  den 
Eindruck  hohen  Alters  macht.  Auch  giebt  die  Vergleichung  der  dieser 
Gruppe  und  dem  11.  Buche  gemeinsamen  Verse,  so  gross  auch  ihre  Zahl 
ist,  keinen  festen  verlässigen  Beweis  an  die  Hand,  so  dass  wir  uns  fast 
mit  dem  Zugeständnis  begnügen  müssen,  dass  die  Vergleichung  der  ge- 
meinsamen Stellen  auch  nicht  für  die  umgekehrte  Annahme  von  der 
Priorität  der  Gesänge  li — // 1  gegenüber  den  Gesängen  A  fJ  mit  Erfolg 
verwertet  werden  kann.  Auf  der  anderen  Seite  aber  spricht  für  das  höhere 
Alter  von  A  die  grössere  Einfachheit  der  Verhältnisse,  die  sich  nament- 
lich darin  kund  gibt,  dass  die  Bundesgenossen  der  Troer  bei  dem  Auszug 

23* 


180 

und  bei  der  Aufzählung  der  Heerführer  A  56 — 60  ganz  zurücktreten, 
während  im  2.  Gesang  in  der  berühmten  Stelle  B  123 — 133  die  Bundes- 
genossen schon  das  Gros  der  troischen  Heeresmacht  bilden.  Auch  wird 
man  zugeben,  dass  die  troische  Sage  in  ihrer  alten  Einfachheit  weit  mehr 
dazu  führte,  den  Ruhmesthaten  des  Agamemnon,  des  gefeierten  Ober- 
königs, als  denen  des  Diomedes.  des  zwar  tapferen,  aber  doch  immer 
untergeordneten  Fürsten  einen  eigenen  Heldengesang  zu  widmen.  Am 
schwersten  aber  fällt  immer  für  unsere  Aufstellung  die  unbestreitbare 
Thatsache  ins  Gewicht,  dass  einerseits  jene  Gruppe  B — //  die  Ent- 
zweiung von  Agamemnon  und  Achill  oder  den  1.  Gesang  zur  Voraus- 
setzung und  zum  Hintergrund  hat,  und  dass  anderseits  der  durch  jene 
Entzweiung  hervorgerufene  und  mit  dem  ganzen  Plan  der  Ilias  innigst 
zusammenhängende  Entschluss  des  Zeus  den  Achill  zu  ehren  und  den 
Agamemnon  zu  demütigen  durch  die  Einlage  jener  Gruppe  ungebührlich 
lange  verzögert  wird.  Zu  solch  einer  Retardierung  konnte  sich  der 
Dichter  wohl  nachträglich  verstehen,  nachdem  sein  Gedicht  ins  Grosse 
ausgewachsen  war  und  auch  solch  eine  Retardierung  von  5  Gesängen 
gestattete;  schwerlich  aber  hat  dieselbe  von  vornherein  im  Plane  des 
Dichters  gelegen.  Wenn  aber  dann  trotzdem  jene  später  eingelegten 
Gesänge  das  Gepräge  hoher  Altertümlichkeit  zeigen,  namentlich  in  dem 
kleineren  Umfang  vieler  ihrer  Lieder,  wie  des  Zweikampfs  von  Menelaos 
und  Paris,  der  Teichoskopie,  der  Epipolesis  gegenüber  den  schon  mehr 
ins  Grosse  angelegten  Gesängen  des  1.  11.  u.  16.  Buches,  so  dürfte 
dieses  damit  zusammenhängen,  dass  der  Dichter  bei  jener  Einlage  mehrere 
Einzellieder  der  älteren  Epoche  des  Heldengesanges  mit  in  sein  neues 
grosses  Werk  hereingezogen  hat. 

So  haben  wir  also  zunächst  3  Gruppen  von  Liedern,  welche  sich 
an  den  alten  Kern  des  Epos  vom  Zorne  des  Achill  angeschlossen 
haben  Aber  in  diesem  Epos  selbst  scheiden  sich  bestimmt  2  Teile, 
ein  älterer,  welcher  die  Leiden  schildert,  die  in  Folge  des  Streites 
zwischen  Agamemnon  und  Achill  nach  Zeus  Willen  über  die  Achäer 
kamen,  und  ein  jüngerer,  welcher  von  der  Rache  handelt,  welche  Achill, 
nachdem  ihn  Patroklos  Fall  zur  Aussöhnung  mit  Agamemnon  bewogen 
hatte,  an  den  Troern  und  an  Hektor  nahm.  Jedem  drängt  sich  dabei 
die  Aehnlichkeit  mit   den    beiden  Bestandteilen  des  Nibelungenliedes  auf, 


181 

nur  dass  in  diesem  der  zweite  Teil  von  Krimhilds  Rache  nicht  so  eng 
mit  dem  ersten  verknüpft  ist.  Aber  man  kann  doch  auch  in  der  Ilias 
zweifeln,  ob  der  zweite  Teil  von  vornherein  im  Plane  des  Dichters  lag 
und  ob  derselbe  nicht  ursprünglich  mit  der  äussersten  Bedrängnis,  welche 
Patroklos  Tod  über  die  Achäer  brachte,  oder  mit  anderen  Worten  mit 
-T  242  sein  Gedicht  schliessen  wollte.  Wenigstens  ist  an  jener  Stelle 
alles  erfüllt,  was  der  Sänger  in  dem  Proömium  versprochen  hatte:  tausend 
Leiden  sind  über  die  Achäer  gekommen  {{iv^?  'A%ai6ig  ä'/.yea  &f\xsv), 
viele  Helden  sind  hinabgegangen  in  den  Hades,  der  Wille  des  Zeus,  der 
den  beleidigten  Achill  zu  rächen  versprochen  hatte,  ist  erfüllt  (Jwg  & 
freist  ero  ßuvkrj) *).  Jedenfalls  ist  der  zweite  Teil  der  Ilias  jünger  nicht 
bloss  als  der  alte  Kern  (1.  2.  18.  25.  27.  Lied  meiner  Ausgabe),  sondern 
auch  als  die  erste  (3.  5.  6.  7.  8.  9.)  und  wahrscheinlich  auch  als  die 
zweite  (20 — 24.  10.  11.  12.)  Erweiterungsgruppe.  Das  letztere  schliesse 
ich  schon  aus  manchen  ungeschickten  Nachahmungen  von  Stellen  des 
ersten  Teils  der  Ilias,  wie  P  414 — 5  nach  J  132 — 3,  Y  445 — 8  nach 
E  436  —  1).  Ü  53 — 8  nach  A  403,  mehr  noch  daraus,  dass  der  zweite 
Teil  die  Beraubung  des  Leichnams  des  Patroklos  durch  Hektor  und 
die  Schmiedung  neuer  Waffen  für  Achill  durch  den  Gott  Hephaistos 
voraussetzt,  diese  beiden  Voraussetzungen  aber  nicht  in  den  alten  Liedern 
der  Ilias.  sondern  in  deren  Erweiterungen,  namentlich  in  P  1 — 261  u. 
2  35  — 150  gegeben  sind.  Dieser  zweite  Teil  der  Ilias  hat  nun  aber 
in  ganz  ähnlicher  Weise  wie  der  erste  mannigfache  Erweiterungen  er- 
fahren, etwas  was  Wolf  und  Lachmann  nicht  beachtet  hatten,  von  den 
nachfolgenden  Kritikern  aber,  namentlich  von  Kammer  und  Mor.  Schmidt 
mit  Evidenz  nachgewiesen  ist. 

In  Bezug  auf  das  chronologische  Verhältnis  dieses  2.  Teiles  der 
Ilias  zu  der  erweiternden  Gruppe  M — O  des  1.  Teiles  bin  ich  somit 
etwas  von  meiner  früheren,  in  den  Prolegomenis  meiner  Ausgabe  auf- 
stellten Meinung  abgewichen.      Noch  in  einem  zweiten  Punkte  habe  ich 


1)  Die  Scheidung  dieser  beiden  Teile  habe  ich  in  dem  Texte  meiner  Iliasausgabe  durch- 
geführt, indem  ich  für  den  alten  Kern  des  ersten  Teiles  stehende,  für  den  des  zweiten  liegende 
Schrift  wählte.  Hingegen  war  mir  in  den  vor  dem  Text  gedruckten  Prolegomenis  das  richtige 
Verhältnis  noch  nicht  klar  geworden,  so  dass  ich  weniger  passend  beide  Teile  in  die  eine  Kate- 
gorie der  alten  Ilias  roaammenfSuste. 


182 

mich  inzwischen  entschlossen,  dem  Gewichte  der  meiner  früheren  Auf- 
stellung entgegenstehenden  Gründe  nachzugeben.  Es  stehen  nämlich,  wie 
ich  auch  bereits  in  meiner  Ausgabe  zugegeben  habe,  3  Verse  oder  Vers- 
teile, welche  das  5.  Buch  mit  jener  Gruppe  M — 0  gemeinsam  hat,  E  791 
=  N  107,  E  827  =  I  342,  E  706  =  M  140.  im  5.  Buche  minder 
passend  als  in  den  entsprechenden  Büchern  M  JV  Z.  Der  Beweiskraft 
jener  3  Stellen  möchte  ich  mich,  so  sehr  damit  auch  meine  Zirkel  ge- 
stört zu  werden  drohen,  nicht  länger  entziehen,  und  demnach  für  den 
2.  Teil  des  5.  Buches  nicht  mehr  die  Priorität  vor  den  Büchern  M — (J 
in  Anspruch  nehmen.  Nun  hängt  aber  der  zweite  Teil  jenes  Buches  so 
sehr  mit  dem  ersten  zusammen,  dass  beide  hintereinander  entstanden 
sind  und  der  Dichter  schon  gleich  im  Anfang,  als  er  den  Ares  von  der 
Athene  zur  Seite  führen  Hess  (E  29 — 36),  den  Zusammenstoss  der  beiden 
Götter  im  zweiten  Teile  vor  Augen  hatte.  Es  stellt  sich  demnach  die 
chronologische  Folge  der  40  von  mir  hergestellten  Lieder  der  Ilias  in 
folgender  Weise  '): 

A.  Aelteste,  locker  aneinandergereihte  Lieder  vom  Streite  des  Achill 
und  Agamemnon  und  seinen  verhängnisvollen  Folgen  für  die  Achäer: 

1.     2.      18.     25*.     27*.     28.     29*. 

B.  Alte  von  mir  in  meiner  Ausgabe  gleichfalls  noch  durch  grosse, 
stehende  Lettern  ausgezeichnete  Gruppe  von  Liedern,  bestimmt  zwischen 
den  Liedern  2   und   18  der  alten   Ilias  eingeschalten  zu  werden: 

3*.     5.     6.     7.     8. 

C.  Weitere  zusammenhängende,  durch  die  Hereinziehung  der  Lykier 
des  Sarpedon  und  der  Lagermauern  gekennzeichnete  Gruppen  von  Liedern. 
durch  liegende  Schrift  von  A  u.   11  in  meiner  Ausgabe  unterschieden: 

20.      21.      22*.      23. 

9.  10. 

11.      12.     13. 

24.     26. 


1)  In  dem  Verzeichnis  habe  ich  mit  einem  beigesetzten  Stern  die  älteren,  mit  zwei  Sternen 
die  jüngeren,  in  meiner  Ausgabe  durch  den  Druck  unterschiedenen  Partien  der  betreffenden  Lieder 
bezeichnet. 


183 

D.  Fortsetzung  der  alten  Ilias,  von  der  Rache  des  Achill,  durch 
liegende  Schrift  von  dem  anfänglichen  Kerne  und  dem  ersten  Teile 
unterschieden : 

29**.     30.     32*.     33.     35.     37.     38. 

E.  Beruhigender  Abschluss  der  Ilias  durch  Bestattung  der  Haupthelden : 

[38]  u.  40. 

F.  Jüngere,  durch  kleine  Schrift  von  mir  unterschiedene  Erweiterung 
des  ersten  Teiles  der  Ilias: 

14.      15.      16*      19*. 

G.  des  zweiten  Teiles   der  Ilias: 

22**.     34.     36. 
H.  Episodenartige  Zusätze  einzelner  Gesänge: 

17.     31*.     39*. 
4*. 
J.  Interpolationen  oder  kleinere  Einschiebungen  in  die  verschiedenen 
Gesänge  der  Ilias,  von  mir  mit  kleinen  liegenden  Lettern  gekennzeichnet, 
insbesondere : 

4  **      16**      19**     31**      39**      40** 

Die  Ilias  eine  Schöpfuug  mehrerer  Dichter. 

Die  Frage,  ob  Homer  oder  Homeriden,  ist  am  meisten  dadurch 
verwirrt  worden,  dass  kleine  Unebenheiten  der  Darstellung  und  Ab- 
weichungen von  der  uns  geläufigen  Form  einheitlicher  Epen  gleich  zu 
Beweisen  für  verschiedene  Verfasser  aufgebauscht  wurden  mit  Umgehung 
leichterer  und  einfacherer  Erklär ungs weisen  l).  Wenn  z.  B.  in  einzelnen 
Liedern  auf  die  vorausgehenden  Ereignisse  wenig  oder  nicht  in  dem  von 
uns  erwarteten  Umfange  Bezug  genommen  wird,  so  erklärt  sich  dieses 
vollauf  aus  der  selbständigen  Stellung,  die  der  Dichter  den  einzelnen 
Gesängen  gab  und  geben  musste,  wenn  er  dieselben  getrennt  von  den 
andern  als  Einzellieder  bei  einem  Gastmahl  oder  einer  Festversammlung 


1)  Dass  die  Ansicht  von  der  relativen  Selbständigkeit  <ler  einzelnen  Lieder  wohl  von  der 
Frage  nach  der  Zahl  der  Verfassen-  zu  trennen  sei,  ist  besonders  von  dem  Recensenten  der  Lach- 
mann'schen  Betrachtungen  in  den  Blättern  für  literarische  Unterhaltung  vom  Jahre  1884  Nr.  126 
hervorgehoben  worden,  wie  man  in  der  trefflichen  Orientierung  aber  den  Stand  der  homerischen 
Frage  von  <<.  Curtiua  in  Ztschr.  f.  östr.  Qymn.  V.  (a.  1854)  S.  100  ff.  nachlesen  kann. 


184 

vortragen  wollte !).  Unter  solchen  Umständen  reicht  es  selbst  zur  Be- 
gründung verschiedener  Verfasser  nicht  aus.  wenn  Sarpedon  am  ersten 
Schlachttage  in  £  660  ff.  schwer  verwundet  wird  und  am  überfolgenden 
Tage  in  M  u.  17  wieder  mit  ungebrochener  Kraft  am  Kampfe  sich  be- 
teiligt, oder  Deiphobos,  nachdem  er  am  2.  Tage  N  527 — 539  am  Arm 
verwundet  worden  war.  am  3.  Tage  seinem  Bruder  Hektor  in  der  Todes- 
stunde beizustehen  scheint  (X  227  ff.)  Denn  da  jene  Gesänge  nicht  un- 
mittelbar hintereinander  vorgetragen  wurden,  so  mochte  der  Dichter  es 
seinen  Zuhörern  überlassen,  sich  inzwischen  die  Helden  wieder  geheilt 
zu  denken.  Hatte  er  doch  geflissentlich  durch  Ausdrücke,  wie  navS*  vnb 
/UTjvi&jLioi'  (Ff  202)  rjjtuui  un  ort-  ((■)  475.  O  76)  nor'  äri1  Alvüav  skourjv 
((■)  108,  §  30)  und  ähnliche  (s.  Proleg.  §  30)  dafür  Sorge  getragen,  dass 
sich  die  Hörer  die  Ereignisse  der  einzelnen  Schlachttage  möglichst  weit 
auseinandergerückt  denken  konnten *-').  Ferner  darf  es  bei  der  leichten 
Aneinanderreihung  der  einzelnen  Gesänge  des  grossen  Epos  keinen  An- 
stand erregen,  wenn  nicht  alle  Teile  der  Handlung  gleich  ausführlich 
behandelt  sind  und  einzelne  Gesänge,  wie  die  ^Ayaßi/xvovog  dyioreia  und 
Jiog  cbiaxTj  mitten  im  Culminationspunkt  der  Handlung  abbrechen  (()  366 
u.  A  595),  so  dass  z.  B.  das  Zurückweichen  der  Achäer  hinter  die 
schützenden  Mauern,   das  zwischen  dem    11.  und   12.  Buch    stattgefunden 


li  Treffend  spricht  hierüber  »i.  Lange,  Dir  poetische  Einheil  der  lliade,  1826  S.  17:  l  >  *  - 1- 
rhapsodische  Vortrag  bewirkt*-,  dass  von  den  einzelnen  Gliedern  jedes,  wodurch  das  folgende  schon 
vorbereitet  wird,  selbständig  zu  sein  scheint  und  somit  alle  einzelnen  Glieder  selbständige  Kpopöen 
sein  könnten,  wenn  sie  nicht  wieder  auf  eine  wahrhaft  epische  Weise  mit  dem  grossen  Ganzen 
in  der  schönsten  Harmonie  stünden'  und  weiter  unten  S.  21 :  'ich  kann  nicht  begreifen,  wie  un- 
hellenisch und  deswegen  ungerecht  unsere  Kritik  verfahren  konnte,  indem  sie  an  eine  nach  ganz 
anderen  Gesetzen  schaffende  Zeit  Forderungen  machte,  welche  kaum  irgend  einer  der  sorgfältigsten 
neueren  Dichter  genügend  erfüllt'.  Es  verdienen  aber  diese  Bemerkungen  Lange's  um  so  mehr 
Beachtung,  als  durch  jenes  Buch  sich  Goethe  snr  l'alinodie 'Homer  wieder  Homer'  bestimmen  liess, 
was  ich  oben  S.  12  zugleich  mit  dem  Buche  Mich.  Bernays,  Goethes  Briefe  an  Fr.  A.  Wolf. 
1868,  hätte  erwähnen  sollen.  In  der  lichtvollen  Einleitung  jenes  Buches  S.  ti'l  hatte  seinerzeit 
der  Verfasser  die  Umkehr  Göthes  auf  Schubarths  klägliches  Buch  'Ideen  über  Homer  und  sein 
Zeitalter,  1821  zurückgeführt;  dass  aber  vielmehr  das  bedeutendere,  Göthe  selbst  gewidmete  Buch 
von  Lange,  die  Palinodie,  wenn  man  sie  so  nennen  darf,  veranlasste,  darüber  hat  mich  inzwischen 
mein  verehrter  College  und  Freund  selbst  aufgeklärt,  ist  aber  auch  schon  von  G.  Curtius  an  der 
a.  St.  S.  5  bemerkt  worden. 

2)  Beachtenswert  ist,  dass  sich  jene  Ausdrücke  gerade  in  den  späteren  Schichten  finden, 
wahrscheinlich,  weil  so  der  Diaskeuast  am  ehesten  die  einzelnen  Lieder  der  Cyklen  zu  einem  eng 
geschlossenen  grossen  Epos   zusammenfassen  zu  können  hoffte. 


185 

haben  muss,  nicht  geschildert,  sondern  im  Eingang  des  Mauerkampfes 
als  bereits  vollzogen  vorausgesetzt  wird.  So  darf  es  denn  auch  nicht 
übermässig  befremden,  wenn  in  meiner  alten  Ilias  wir  vom  Kampf  in 
der  Ebene  (yJ  1)  unmittelbar  in  den  Kampf  vor  den  Schiffen  (0  592  ff.) 
versetzt  werden  und  die  langweilige  Aussöhnungsscene  keine  ausführliche 
Darlegung  gefunden  hat. 

Auch  ohne  die  Entschuldigung  der  relativ  selbständigen  Stellung  der 
Einzellieder  im  alten  Epos  erklärt  es  sich  aus  der  Freiheit  dichterischer 
Schöpfungen  überhaupt,  wenn  die  Aufstellung  der  Achäer  in  der  Epi- 
polesis  oder  die  Fünfteilung  der  Troer  im  Beginne  des  Mauerkampfes 
nicht  genau  im  weiteren  Verlauf  des  Kampfes  gewahrt  wird  1).  Solche 
Dinge  schafft  der  Dichter,  der  ja  keine  Generalstabskarte  entwirft,  mit 
dem  Spiel  der  freien  Phantasie  und  lässt  sie  wieder  fallen,  wenn  er  sie 
für  seine  dichterischen  Zwecke  nicht  mehr  bedarf -J).  Nur  in  den  Haupt- 
linien und  in  den  feststehenden  Umrissen  des  Landschaftsbildes  wird  man 
billiger  Weise  Consequenz  und  Uebereinstiinmung  erwarten.  Noch  weniger 
darf  man  sofort  auf  zwei  verschiedene  Dichter  schliessen,  wenn  der  Klage 
des  Priamos  und  der  Hekabe  um  den  geschleiften  Sohn  am  Schlüsse  der 
22.  Rhapsodie  noch  ein  zweiter  Threnos  an  der  Bahre  des  Hektor  in 
dem  letzten  Gesänge  folgt.  Ein  so  dankbarer  Stoff  hätte  leicht  auch 
den  Dichter  eines  modernen  Epos  bewogen,  das  gleiche  Motiv  in  ver- 
änderter Form  nochmals  vorzubringen. 

Nehmen  wir  nun  noch  ferner  an.  dass  sich  Homer  eines  langen 
reichen  Lebens  erfreut  und  die  Gesänge  der  Ilias  nicht  in  rascher  Folge 
hintereinander,  sondern  in  langen  Zwischenräumen  gedichtet  habe  — 
und  diese  Annahme  setzt  ja  durchaus  nichts  unmögliches  oder  nur  un- 
walirschcinliclics  voraus  —  so  erledigt  sich  eine  weitere  Reihe  von 
Unebenheiten  und  Anständen,  welche  die  Wolfianer  für  die  Liedertheorie 
und  gegen  die  'Ammenfabel'  von  dem  einen  Dichter  Homer  in  das  Feld 
geführt  haben.     So  mochte  der  Dichter  nicht  von  vornherein  den  Fluss- 


1)  An  der  Aufdeckung  solcher  strategischen  Widersprüche,  die  man  allerdings  in  der  Schil- 
derung eines  Historikers  oder  Militärs  nicht  übersehen  dürfte,  hat  besonders  Wold.  Ribbeck 
seinen  Scharfsinn  versucht  und  in  Benicken  einen  gläubigen  Anhänger  gefunden. 

2)  Etwas  Richtiges  ist  so  selbst  au  dein  überschwenglichen  Preisse  der  poetischen  Freiheit 
von  L.  v.  Sybel,  Ueber  Schliemanns  Troja,  S.  8:  Jedem  Auftritt  gehört  seine  Coulisse;  die 
Coulisse  wird  eingesetzt  nach  Bedarf  und  nach  dem  Gebrauch    zurückgezogen. 

Aldi.  d.  I.  Gl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  1.  Abth.  24 


186 

kämpf,  den  Wolf  und  Lachmann  aus  dem  Kreis  der  alten  Lieder  aus- 
schlössen, in  den  Plan  seiner  Dichtung  gezogen  haben.  Aber  warum 
konnte  er  nicht  im  Fortgang  der  Arbeit,  um  mehr  Abwechselung  in  das 
Einerlei  der  Kampfesscenen  zu  bringen,  auf  den  Gedanken  kommen,  vor 
dem  Falle  Hektors  die  fliehenden  Troer,  von  Achill  verfolgt,  in  den 
Strudeln  des  angeschwollenen  Flusses  umkommen  zu  lassen?  Doch  den 
Fiusskampf  hat  überhaupt  nur  capricenhafte  Aesthetik  dem  Homer  ab- 
gesprochen; begründeter  ist  der  Anstoss,  den  das  Fehlen  der  Lagermauelf 
in  dein  einen,  das  Vorhandensein  derselben  in  dem  anderen  Teile  der 
Ilias  erregt  hat;  aber  die  Möglichkeit  muss  doch  auch  hier  offen  gehalten 
werden,  dass  derselbe  Dichter,  der  anfangs  das  achäische  Lager  gar  nicht 
oder  nur  durch  einen  Graben  befestigt  dachte,  später,  um  die  glänzenden 
Schilderungen  des  12.  und  13.  Gesanges  einzuführen,  das  Schiftslager  mit 
Mauern  und  Thürmen  umgürtet  sein  liess.  Auch  das  ist  leicht  denkbar, 
dass  derselbe  Dichter  Homer,  nachdem  er  als  fahrender  Sänger  mehr 
Land  und  Leute  gesehen  und  an  den  Höfen  der  Fürsten  mehr  Abstam- 
mungssagen kennen  gelernt  hatte,  noch  weitere  Könige  und  Helden  in 
sein  Lied  vom  Zorne  des  Achill  einnocht.  Ob  man  dahin  auch  die  süd- 
lichen Lykier  mit  ihren  Führern  Sarpedon  und  Glaukos  rechnen  darf? 
Das  ist  eine  schwerer  zu  entscheidende  Frage:  Diese  südlichen  Lykier 
am  Xanthos  kamen  nämlich  in  Collision  mit  den  nördlichen  Lykiern 
am  Aisepos,  deren  Führer  Pandaros  schon  in  der  alten  Sage  vom  tro- 
janischen Kriege  eine  vielbesungene  Rolle  gespielt  hatte,  so  dass  nun 
namentlich  in  das  5.  Buch  der  Ilias  durch  Verbindung  der  beiden  Lykier 
eine  störende  Unklarheit  kam.  Indess  wenn  ich  die  unübertroffene 
Schönheit  des  6.  und  12.  Buches  von  Hektors  Abschied  und  vom  Kampf 
um  die  Mauer,  in  welche  die  Lykierfürsten  Glaukos  und  Sarpedon  unlöslich 
verflochten  sind,  mir  vor  Augen  führe  und  wenn  ich  die  Geschicklichkeit 
erwäge,  mit  der  immerhin  im  5.  Gesang  die  neuen  Lykier  neben  den 
alten  eingeführt  sind,  so  hält  es  mir  doch  sehr  schwer  die  Partien,  in 
denen  Sarpedon  und  Glaukos  eine  Rolle  spielen,  dem  Homer  abzusprechen 
und  die  Möglichkeit  zu  bestreiten,  dass  auch  diese  Helden  noch  von 
demselben  Dichter  in  das  Nationalepos  verwoben  wurden  *). 


1)  Auch  noch  bei  anderen  Helden  ist  es  bestreitbar,  ob  sie  noch  von  demselben  Dichter  in 


187 

Endlich  kann  auf  solche  Weise  zur  Not  auch  der  kleine,  neuerdings 
von  Benicken,  Studien  S.  204  ff.  allzusehr  aufgebauschte  Widerspruch 
zwischen  A  193  f.  u.  0  232 —  5  und  die  anstössige  Häufung  der  zahl- 
reichen Schlachtengemälde  auf  die  paar  Stunden  des  3.  Schlachtentages 
erklärt  werden.  Denn  durch  die  Fortspinnung  des  Fadens  und  die  Ein- 
lage immer  neuer  Episodien  konnte  es  leicht  kommen,  dass  dem  Dichter 
unter  der  Hand  das  ursprüngliche  Gleichgewicht  der  Teile  seines  Planes 
gestört  oder,  wie  in  Folge  der  Eindichtung  des  "Ovuqos  im  2.  Gesang, 
der  ursprüngliche  Verlauf  der  Handlung  durchkreuzt  wurde,  ohne  dass 
er  es  der  Mühe  wert  erachtete,  nun  das  ganze  Gewebe  wieder  aufzulösen 
und  durch  mühsame  Umdichtung  und  Neuordnung  den  von  seinen 
Hörern  kaum  bemerkten  Fehler  zu  entfernen.  Denn  auf  der  anderen 
Seite  lassen  es  die  natürlichen  Verhältnisse  für  geratener  erscheinen, 
den  Bau  der  Ilias  lieber  von  demselben  Meister  als  von  verschiedenen 
Architekten  ausgeführt  und  erweitert  sein  zu  lassen,  sintemal  ein  begabter 
Dichter  eher  Neues  und  Selbständiges  schafft,  als  Werke  anderer  fort- 
führt und  überdies  die  Natur,  wie  Minckwitz,  Vorschule  zu  Homer  S.  308 
treffend  sagt,  nicht  leicht  viele  gleich  erste  Genies  auf  einmal  oder  kurz 
hintereinander  hervorzubringen  pflegt.  Insbesondere  erwartet  man,  dass 
ehe  die  Interpolationslust  der  Homeriden  ihre  Verzierungen,  Erker  und 
Thürmchen  anbrachte,  ein  grosser,  in  den  Hauptumrissen  bereits  fertiger 
Bau  vorhanden  war.  Einen  solchen  Kern,  an  den  sich  die  jüngeren 
Zusätze  anschliessen  konnten,  wird  man  aber  kaum  in  einer  aus  bloss 
drei  bis  vier  Gesängen  bestehenden  Epopöe  zu  finden  im  Stande  sein; 
der  alte  Homer,  der  dem  ganzen  Gedichte  den  Namen  gab,  wird  viel- 
mehr mindestens  auch  die  Hälfte  der  Verse  unserer  heutigen  Ilias  ge- 
dichtet haben. 

Man  wird  aus  dem  Vorausgehenden  sehen,  dass  ich  den  Anschau- 
ungen der  Unitarier  sehr  zugänglich  bin  und  denselben  vielleicht  sogar 
über  Gebühr  entgegen  komme.  Aber  ich  halte  es  für  geboten,  in  dieser 
verwickelten  Frage  strenge  zwischen  blossen  Hypothesen  und  zwingenden 
Beweisen  zu  scheiden  und  nicht  blossen  Einfällen  zulieb    den  Ruhm    des 


die  Ilia«  verflochten  worden  seien.     Namentlich  erregen  gerechte  Bedenken  die  beiden  Teilnehmer 
an  den  Leichenspielen  Eumelos  und   Kpeioa ;  vgl.  Proleg.  §  21. 

24* 


188 

grössten  Dichtergenies  zu  schmälern.  Weitaus  aber  das  Meiste,  was  man 
gegen  die  Einheit  der  Ilias  vorgebracht  hat,  gehört  in  das  Bereich  der 
Täuschungen  und  der  blossen  Möglichkeiten.  Zur  Annahme  mehrerer 
Verfasser  werden  uns  nur  zwingen  grelle  Widersprüche  in  hervorragenden 
Dingen,  grobe  Missverständnisse  der  eigenen  Worte,  unvereinbare  Ver- 
schiedenheiten im  Sprachgebrauch.  Wollen  wir  sehen,  ob  es  auch  solche 
Anstösse  gibt  und  ob  sich  dieselben  auf  keine  andere  Weise  wegräumen 
lassen ! 

Sachliche  Widersprüche  der  llias. 

Pylaimenes,  der  König  der  Paphlagonier,  erscheint  JV  658 — 9  wieder 
unter  den  Lebenden,  die  Leiche  seines  Sohnes  begleitend,  trotzdem  er 
ß  576  bereits  durch  Menelaos,  gegen  den  dann  in  N  der  Sohn  die  Waffen 
kehrt,  zusammen  mit  seinem  Wagenlenker  gefallen  war.  Das  ist  ein 
greller  Widerspruch,  der  sich  weder  mit  dem  oberflächlichen  Gerede  von 
Gerlach  im  Philol.  33,  23  beschönigen,  noch  mit  irgend  einem  Kunst- 
stück weginterpretieren  lässt.  Denn  von  einer  Homonymität,  zu  der  man 
leicht  bei  einem  miles  gregarius  seine  Zuflucht  nehmen  könnte,  kann 
hier  keine  Rede  sein,  da  Pylaimenes  an  beiden  Stellen  ausdrücklich  als 
König  der  Paphlagonier  bezeichnet  ist.  Eben  dieser  Umstand  lässt  aber 
auch  die  Lesart  des  Zenodot  Kv'kaiutvta  zu  E  576  als  leere  Ausflucht 
irgend  eines  sophistischen  Grammatikers  erscheinen,  da  es  sicher  nur 
einen  König  der  Paphlagonier  gab.  Endlich  lässt  sich  bei  der  sonstigen 
Bedeutung  von  elsly  (vgl.  E  37.  541.  A  457.  /7  306.  0  328)  und  bei 
der  Gefährlichkeit  einer  Verwundung  am  Schlüsselbein  (xara  xhrfida)  auch 
nicht  daran  denken,  dass  Pylaimenes  am  ersten  Schlachttage  bloss  ver- 
wundet und  inzwischen  geradeso  wie  der  ebenfalls  im  5.  Gesang  ver- 
wundete Sarpedon  wieder  geheilt  worden  sei.  Wenigstens  müsste  man, 
wenn  man  zu  dieser  bereits  in  den  Scholien  aufgestellten  Entschuldigung 
(elhrjv  ov  Tiarrwg  avti'kev)  seine  Zuflucht  nehmen  wollte,  auch  die  für 
die  Einheit  der  Ilias  gleich  bedenkliche  Consequenz  ziehen,  dass  der 
Dichter  von  N  die  Bedeutung  von  skelv  in  E  miss verstanden  habe.  Also 
der  Widerspruch  zwischen  den  beiden  Stellen  besteht  und  lässt  sich  in 
keiner  Weise  wegdisputieren  oder  entschuldigen.  Aber  wir  gewinnen  auch 
nicht  viel,    wenn  wir   für    beide  Stellen    verschiedene  Dichter   annehmen, 


189 

ausser  wir  dürfen  zugleich  annehmen,  dass  keiner  von  dem  anderen  etwas 
wusste,  und  dass  keiner  sein  Lied  zu  dem  des  andern  in  Beziehung 
setzen  wollte.  Nun  ist  aber  offenbar,  dass  der  5.  Gesang  so  gut  wie  der 
13,  dazu  bestimmt  war  ein  Glied  in  dem  Cyklus  der  Lieder  vom  Zorne 
des  Achill  zu  bilden;  denn  in  beiden  glänzt  Achill,  und  gewiss  nicht 
zufällig,  durch  seine  Abwesenheit,  und  dass  überdies  der  13.  Gesang 
auf  der  Voraussetzung  des  11.  und  12.  beruht,  bedarf  keines  weiteren 
Nachweises.  Eher  könnte  man  die  Vermutung  wagen,  dass  der  Dichter 
von  N  seinen  Gesang  nicht  mit  dem  Buche  E  oder  richtiger  mit  den 
Büchern  B — II  zu  einem  Cyklus  von  Gesängen  vereinigt  sehen  wollte; 
denn  auch  ohne  jene  Partie  Hess  sich  die  Mfjvig  j4%iXkfjog  recht  gut  durch 
Aneinanderreihung  der  Gesänge  A  A  M  N  etc.  darstellen.  Ansprechender 
und  einfacher  aber  erscheint  mir  auch  jetzt  noch  die  von  mir  an  einem 
andern  Orte  ausgesprochene  Vermutung,  dass  entweder  die  betreffende 
Partie  des  5.  Gesanges  E  508 — 593,  oder  die  strittigen  Verse  N  656 — 9 
oder  beide  zusammen  jüngere  Interpolationen  sind.  Damit  wäre  dann 
freilich  die  Verschiedenheit  der  Verfasser  von  JV  658  —  559  und  E  zu- 
gegeben, aber  für  die  Liedertheorie  nichts  oder  nicht  viel  gewonnen1). 
Ein  Sxe&iöf;  [Je(pfit]&eoQ  vios  ayyjtg  <fHDxywy  fällt  O  515  durch  Hektors 
Hand;  von  ihm  lebt  ein  Doppelgänger,  ein  2/Jdiog  usya&vaov  '/cplrov 
vlog  <Pwxqa)v  o/'  apurrog,  Herrscher  von  Panopeus,  wieder  auf  in  P  306, 
wobei  es  schwerlich  Zufall  ist,  dass  derselbe  gleichfalls  durch  Hektor 
fällt2).  Der  Anstoss  ist  ein  weit  geringerer  als  bei  Pylaimenes,  da  die 
beiden  Schedioi  durch  die  verschiedenen  Väter  ausdrücklich  von  einander 


1)  Mit  Streichung  der  Verse  N  658—9  halfen  sich  bereits  die  Alten  und  insbesondere 
Aristarch,  nur  dass  dieser  den  Zusatz  inachte  tl  «$*  fievouv  oi  aii^m  ovtot,  vorjrioy  o/xwfv/iiiaf  tlvai. 
Die  verschiedenen  Weisen,  auf  die  alte  und  neue  Kritiker  sich  mit  den  Versen  abgefunden  haben, 
hat  eingehend  Benicken  in  Z.  f.  ö.  G.  XXVIII  (a.  1877)  881 — 896  und  neuerdings  in  den  Studien 
und  Forschungen  p.  CXV  besprochen,  indem  et  als  Lachmannianer  die  Schwierigkeit  mit  der 
Annahme  von  verschiedenen  Dichtern  für  erledigt  hielt,  als  ob  nicht  auch  vom  Standpunkt  der 
Liedertheorie  zu  fragen  wäre,  ob  denn  nicht  auch  jene  Homeriden  ihre  Lieder  gegenseitig  gekannt 
hatten  und  in  eine  gewisse  Beziehung  zu  einander  gesetzt  wissen  wollten.  Allerneuestens  hat  K. 
Frey,  Jahrb  f.  cl.  Phil.  1883  S.  723  den  Widerspruch  zu  entschuldigen  gesucht  durch  einen 
ähnlichen  im  Rolandslied  XXX,  wo  der  Herzog  Othon  kurz  nachdem  er  unter  den  Gefallenen 
aufgezählt  war,  wieder  unter  den  Lebenden  gedacht  wird.  Aber  Homer  sicher  ist  sonst  nicht  so 
vergesslich. 

2)  Anstoss  an  diesen  doppelten  Schedioi  hat  zuerst  Spohn  in  seinem  Buche  de  agro 
Troiano  genommen. 


190 

unterschieden  werden.  Aber  störend  ist  es  doch,  dass  man  sich  entweder 
beide  zugleich  als  Heerführer  der  Phokeer  denken  müsste,  etwas,  was 
zwar  sprachlich  möglich  wäre1),  aber  doch  mit  dem  Schiffskatalog  B  51b, 
wo  nur  1  Führer  angeführt  ist,  in  Widerspruch  stünde,  oder  dass  man 
dem  zweiten  Schedios,  wiewohl  er  <Pa)xr]u)v  h/J  ägiOTog  heisst,  eine  unter- 
geordnete Stellung  zuwiese,  was  hinwiederum  wenig  zu  den  Sitten  des 
heroischen  Zeitalters  stimmen  würde,  wo  der  tüchtigste  auch  der  erste 
zu  sein  pflegt.  Ich  halte  es  daher  für  wahrscheinlich,  dass  in  den  Stam- 
messagen der  Phokäer  Kleinasiens  zwei  Schedioi  umliefen,  und  dass  der 
Dichter  der  ersten  oder  zweiten  Stelle  sich  des  Gegensatzes  wohl  be- 
wusst  war.  Aber  konnte  nicht  derselbe  Dichter,  wenn  später  besser 
unterrichtet,  auch  die  zweite  Gestalt  der  Sage  in  seinem  Epos  be- 
rühren, gewissermassen,  wie  später  Stesichoros,  eine  Palinodie  singen? 
Man  kann  das  je  nach  seinem  Gefühl  verneinen  oder  bejahen,  einen 
zwingenden  Beweis  für  die  Liedertheorie  daraus  aber  nicht  entnehmen  2). 

Auffällig  ist  ausserdem  erschienen,  dass  /7  694  ein  Adrestos  unter 
den  von  Patroklos  haufenweis  Getöteten  erscheint,  nachdem  Z  37 — 65 
bereits  ausführlich  und  drastisch  der  Tod  eines  Adrestos  geschildert 
worden  war.  und  dass  ebenso  zweimal  der  Tod  eines  Troers  Peisandros 
{A  122  und  N  601)  und  eines  Troers  Thoon  [A  422  und  N  545)  ge- 
meldet wird.  Aber  so  beachtenswert  auch  die  Sache  ist,  so  möchte  ich 
doch  hier  bei  untergeordneten  Persönlichkeiten  die  Ausrede  der  Namens- 
gleichheit nicht  für  ausgeschlossen  halten  und  würde  nur  dann  der  Sache 
eine  Bedeutung  beilegen,  wenn  auch  noch  andere  Momente  für  die  Ver- 
schiedenheit der  Verfasser    von   FT  und  Z,    wie  von   N   und  A  sprächen. 

Wie  bei  der  Pylaimenesstelle  so  lässt  sich  auch  in  dem  16.  Gesang 
der  grobe  Widerspruch  zwischen  77  793—804.  815.  846  und   P  122— 6. 


1)  So  heisst  "Odios  E  3J  «e/o?  '^Ai^tuVu»/,  wiewohl  er  im  Schiffskatalog  neben  Epistrophos 
als  Führer  der  Halizonen  aufgeführt  wird,  und  wird  O  337  vlaaog  ayxog  *A&t\v{xlmv,  O  51!)  'äroe 
d(>x°s  Enfiiüv  genannt,  wiewohl  doch  Menestheus  der  eigentliche  Führer  der  Athener  und  Meges 
der  der  Epeier  war,  zum  Beweise  dafür,  dass  bei  Homer  <<£>x6s  'Uuix^uji-  nicht  bloss  'der  Führer', 
sondern  auch  'ein  Führer  der  Phoker'  bedeuten  konnte. 

2)  Thatsächlich  sind  in  meiner  Ausgabe  die  beiden  Verse  O  515  und  P  306  mit  verschiedenen 
Lettern  gedruckt,  aber  es  waren  andere  Motive,  die  mich  zur  Sonderung  der  betreffenden  Partien, 
in  denen  jene  Verse  vorkommen,  bewogen  haben.  Ebenso  stehen  die  Verse  Z  421  f.  und  P  575, 
die  sich  widersprechen,  wenn  man  nicht  einen  Doppelgänger  Httiiuv  annehmen  will,  bei  mir  in 
Pai'tien,  welche  ich  aus  anderen  Gründen  mit  verschiedenen  Lettern  drucken  Hess. 


191 

186  —  210.  450.  472.  693.  2  188.  X  323  durch  Ausscheidung  einiger 
Verse  leicht  heben,  ohne  dass  man  zu  der  Annahme  mehrerer  Dichter, 
wozu  man  sich  begreiflicher  Weise  erst  in  letzter  Linie  entschliesst,  ge- 
nötigt wird.  Der  Widerspruch  liegt  allerdings  offen  zutag  und  lässt 
sich  mit  keinerlei  Kunststücken  der  Interpretation  wegdeuten.  Im  16.  Ge- 
sang zieht  Apollo  selbst  dem  sterbenden  Patroklos  den  Helm  und  den 
Schild  ab  und  zerbricht  ihm  den  langen  Speer  in  der  Hand;  an  den  be- 
zeichneten Stellen  des  folgenden  Gesanges  nimmt  Hektor  dem  Patroklos 
die  Waffen  ab  und  legt  sie  dann  selber  an.  Nun  hat  allerdings  Naber, 
Quaest.  hom.  p.  188  u.  195  wahrscheinlich  zu  machen  gesucht,  dass  der 
letzte  Zug  erst  durch  einen  Nachdichter  in  die  Ilias  gekommen  sei;  aber 
der  Verfasser  der  fraglichen  Verse  im  16.  Gesang,  namentlich  von  77  799 
tots  rj*  Ztvg  c'Exto()i  dxoXBV  fi  xkcpalfi  (poyteiv  setzt  deutlich  voraus,  dass 
Hektor  später  die  Waffen  des  Hektor  anlege.  Mit  der  Annahme  von 
der  späten  Zudichtung  jenes  Zugs  der  Patroklossage  kommt  man  also 
nicht  weit;  aber  ohne  Bedenken  lassen  sich  die  Verse  77  793 — 804.  815 
u.  846  als  junge  Interpolation  eines  ausschmückenden  Dichters  ausscheiden, 
und  selbst  Lachmann,  Betr  74,  hat  hier  die  Annahme  einer  Interpolation 
für  wahrscheinlicher  gehalten  als  die  Hypothese,  dass  mit  dem  17.  Buch 
eine  jüngere,  nicht  genau  ihrem  Vorbilde  folgende  Fortsetzung  beginne. 
Auch  aus  dem  Widerspruch,  der  zwischen  den  Versen  P  545 — 6 
und  P  592 — 6  besteht,  indem  an  der  ersten  Stelle  Zeus  schon  seinen 
Sinn  geändert  haben  soll  (fly  yay  vöog  bT^änef  avrov),  an  der  zweiten 
aber  derselbe  Gott  zornig  in  Nacht  den  Ida  hüllt  und  die  Achäer  in 
Furcht  jagt  {yixrp  -dt  Tyweaoi  didov  i(p6ßt]0€  <?'  'A%(uovs\  möchte  ich 
kein  Argument  für  Verschiedenheit  des  Verfassers  jener  beiden  Partien 
ableiten.  Jedenfalls  ist  es  eine  lenior  medicina  die  beiden  Verse  P  545 
bis  546  allein  als  späte  Interpolation  auszuscheiden.  Der  Fortgang  der 
Handlung  erleidet  damit  nicht  die  geringste  Unterbrechung  und  wir 
treffen  auch  sonst  (^  181  —  186.  2  356—368.  0  28—40)  Spuren  von 
einem  Interpolator,  der  eine  häufigere  Erwähnung  des  Eingreifens  der 
Götter  und  insbesondere  der  Abhängigkeit  der  übrigen  Götter  vom  Vater 
Zeus   in  der  alten  Ilias  vermisste  *). 


1)  Damit  füllt  ein   Hauptgrund  weg  die  Scene  P  423 — 592   der  alten  Ilias  abzusprechen,  so 


192 

Auch  in  IT  395  ff.  ist  die  Unklarheit,  ja  Verworrenheit  in  der  ganzen 
Situation  leicht  damit  zu  beheben,  dass  man  den  entbehrlichen  Vers  397 
vrjioi'  xoi  Tiorauoi)  y.al  reixsog  vifjrjkoio  als  späte  Interpolation  aus- 
scheidet. Hingegen  lässt  sich  nicht  mit  der  Ausscheidung  von  ein  paar 
Versen  der  Widerspruch  beseitigen,  der  zwischen  A  590  ff.  und  ^  395  ff. 
bezüglich  des  Grundes  der  Lahmheit  des  Hephaistos  besteht.  Die  Ver- 
schiedenheit des  Mythus  an  beiden  Stellen  beruht  wohl  auf  Verschieden- 
heit des  Verfassers  der  Hoplopoiie  und  der  alten  Ilias. 

Gleichfalls  mit  der  Annahme  einer  Interpolation  oder  der  Aus- 
scheidung der  Verse  H  334 — 5  suchte  Aristarch  den  Widerspruch  zu 
entfernen,  dass  hier  die  Asche  der  Toten  mit  nach  Hause  genommen, 
an  den  anderen  Stellen  in  troischer  Erde  bestattet  wird.  Aber  die  Verse 
geben  sonst  keinen  Anstoss  und  die  lokale  Bestimmung  in  Vor  dnonpb 
vnnr  passt  so  sehr  zur  Sache,  dass  es  geratener  scheint  nicht  bloss  die 
2  Verse,  sondern  die  ganze  Partie  einem  andern  Autor  zuzuschreiben. 

Einen  Hauptbeweis  für  die  spätere  Zusammenfügung  älterer,  von 
verschiedenen  Dichtern  herrührender  und  nicht  auf  einander  berechneter 
Lieder  hat  man  in  dem  Verse  ()  653  daumol  (V  lyivovxo  vsdav  ntyl 
<T  layefror  äxQCtt  yrjtg  zu  finden  geglaubt,  da  danach  erst  jetzt  die  Achäer 
der  Schiffe  ansichtig  würden,  wiewohl  schon  200  Verse  zuvor.  ()  415  ff., 
von  ihnen  erzählt  worden  sei.  wie  sie  von  den  Schiffen  herab  die  an- 
stürmenden Troer  abgewehrt  hätten  ').  Ich  habe  in  meinen  Prolegomena 
p.  41  ausgeführt,  dass  diese  Bemäckelung  auf  der  falschen  Verbindung 
der  Phrase  rtoionoi  iyivorro  mit  tlt;  (ona  yfrfn&ai  beruhe.  Zwar  haben 
schon  die  Alten,  wie  man  aus  der  Glosse  des  Suidas  flmonor  arriTiQoaujjwi 
ersieht,  beide  Phrasen    mit    einander   in  Verbindung    gebracht    und    liegt 


dass  ich  auch  in  meiner  Ausgabe  Bedenken  trug,  dem  Urteile  Köchly's,  Naber's  und  anderer  bei- 
zutreten. Denn  der  Vers  P  551  w?  rj  nofjtpvyifl  yt<piXt]  7ivxc!ono(t  <?  «vtijV  ävair''  'A^uiiäv  t'd-pog 
mit  seiner  einfachen  Construction  war  zweifelsohne  Vorbild  für  die  Verse  3  161  f.,  yds  Ss  ol  natu 
&v/u6v  aoiarrj  (paii/sro  ßovXy,  i"kStlv  ft's  "Idiv  t'v  ivxvvKaav  {ipzivaatt  Bentley)  t  «vziji',  in  denen 
entweder  das  Digamma  von  e  vernachlässigt  ist,  oder  die  Härte  der  Construction,  wenn  man  die 
Conjectur  Bentley's  annimmt,  Anstoss  erregt,  so  dass  man  jedenfalls  unsere  Scene  für  älter  als 
die  Jiog  dndrri  halten  muss.  Für  die  Ursprünglichkeit  derselben  spricht  aber  auch  sehr  der  Um- 
stand, dass  das  Eingreifen  des  Menelaos  in  dem  Schlussdrama  der  Patrokleia  am  besten  durch 
die  auffordernde  Anrede  des  Phönix  in  jener  Scene,  P  553  ff.  motiviert  wird. 

1)  Siebe  Lach  mann,  Betracht.  S.  67  und  Hentze  im  Anhang  zur  Stelle. 


193 

in  der  That  ihre  Verbindung  ausserordentlich  nahe,  aber  der  Dichter 
unseres  Verses  fand,  wie  man  aus  den  nachfolgenden  Worten  ntyl  <V  f-'o/efroy 
äxQu.i  rrjeg  ganz  deutlich  sieht,  in  dem  Adjektiv  datonog,  gleichgültig  ob 
mit  Recht  oder  Unrecht,  den  Begriff  innerhalb  der  Lucken  zwischen 
den  Schiffen'  oder  'e%oa>  onuw  tvüv  veuiv.  und  damit  reduciert  sich  der 
grelle  Widerspruch  unseres  Verses  mit  der  vorausgegangenen  Schilderung 
auf  ein  Minimum,  das  zum  zwingenden  Beweis  der  Dichterverschiedenheit 
nicht  mehr  ausreicht. 

Auch  ohne  Aufstellung  einer  anderen  Wortbedeutung  lässt  sich  der 
Versuch  zurückweisen,  aus  den  Worten  des  Achilleus  yl  609  vvr  otw 
Tieyl  yovvai''  lau.  mr^ead^nt  *A%aiovg  Xioaoutvovg  einen  Beweis  dafür  zu 
construieren,  dass  der  Dichter  dieses  Verses  die  Gesandtschaft  nicht  ge- 
kannt, der  9.  Gesang  also  eine  späte  Zuthat  eines  jüngeren  Dichters  sei. 
Allerdings  zeigt  sich  Achilleus  in  diesen  Versen  trotziger  und  hartnäckiger, 
als  man  nach  seinen  letzten,  schon  etwas  zur  Versöhnung  umschlagenden 
Worten  in  der  Presbeia  /  644 — 65ö  erwarten  sollte.  Aber  immerhin 
konnte  der  Trotz  und  Zorn  wieder  heftiger  aufwallen,  und  kann  aus 
jenem  Vers  ein  Beweis  gegen  die  Einheit  der  Dichtung  so  wenig  geführt 
werden,  dass  ein  feiner  Hoinerkenner,  Kammer  *),  gerade  umgekehrt  sagt : 
'Der  Achilles  des  elften  Gesanges  ist  nur  denkbar  nach  dem  vorausge- 
gangenen  neunten  Gesang,  ohne  ihn  bleibt  sein  Verhalten  völlig  Un- 
verstand licli.' 

Ganz  und  gar  kein  Gewicht  für  unsere  Frage  ist  dem  Worte  /#/£os 
in  7141  yßi'Qos  tri  zfooujoiv  vneoyjTO  dlog  X)üvaaev$  und  7' 195  xfrityr 
vnsarrj/Lisy  beizumessen.  Lachmann,  Betr.  S8,  wollte  bekanntlich  daraus 
schliessen.  dass  der  Dichter  jener  Verse  von  der  Folge  der  Handlungen 
der  Ilias  eine  ganz  andere  Vorstellung  hatte  und  nach  der  Verwundung 
der  drei  Helden  Agamemnon,  Diomedes  und  Odysseus  sich  die  Gesandtschaft 
an  Achill  gesetzt  dachte.  Aber  dann  wären  wir  zu  dem  Schlüsse  genötigt, 
dass  der  Autor  jener  Verse  unsere  Presbeia  oder  den  erhaltenen  9.  Gesang 
der  Ilias  nicht  gekannt  habe.  Denn  so  querköpfig  dürfen  wir  uns  docli 
auch  den  geringsten  der  Homeriden  nicht  denken,  dass  er  für  die  Situation 
unserer  Presbeia  die  Verwundung    des   als  Gesandten    an    den  Achill  ab- 


1)  Kammer,  Zur  homerischen  Frage  III,  Programm  von  Lyck  1S83  S.  10. 
Ahh.  d.  1.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  I.  Ahth.  25 


194 

geschickten  Odysseus  als  vorausgegangen  angenommen  habe.  Dass  es  aber 
ausser  unserer  Presbeia  noch  ein  anderes,  älteres  Lied  von  der  Gesandt- 
schaft gegeben  habe,  das  ist  eine  ganz  luftige,  unter  die  spanischen  Dörfer 
zu  verweisende  Hypothese  und  hilft  uns  jedenfalls  in  dem  vorliegenden  Falle 
nicht  weiter,  da  der  Dichter  von  T  sicher  keine  andere  Presbeia  als  die 
unsere  gekannt  hat;  stimmt  doch  alles,  was  er  von  dem  Sprecher  jener 
Gesandtschaft  und  von  den  Versprechungen  des  Agamemnon  erwähnt,  haar- 
klein mit  dem  überein,  was  wir  in  unserem  9.  Buch  der  Ilias  lesen.  Statt 
also  einen  so  gewagten  Schluss  zu  ziehen,  muss  vielmehr  eine  besonnene 
Kritik  nach  einer  solchen  Deutung  von  z&i±og  suchen,  die  sich  mit  den 
Verhältnissen  unserer  Ilias  verträgt;  die  lässt  sich  aber  einfach  dadurch 
gewinnen,  dass  wir  die  Nacht,  die  dem  gestrigen  Tage  vorausging,  im 
Gegensatz  zu  der  nächstvorangegangenen  als  die  gestrige  Nacht  be- 
zeichnet denken. 

Mit  jenem  x&lQ<>$  also  ist  gar  nichts  für  die  Liedertheorie  anzu- 
fangen; ebensowenig  mit  der  Ungenauigkeit  in  der  Rede  des  Zeus  0  475 
quari  tw  ot'  av  61  futv  inl  nyvjuvflöi  ua^cürrui  nrkivu  iv  alyoraru)  Tisyi 
fIar()6xloio  neowTog.  Denn  an  einen  Dichter  darf  man  nicht  den  Mass- 
stab gelehrten  Kleinkrams  legen,  ein  Homer  brauchte  sich  ängstliche 
Genauigkeit  in  Nebendingen  um  so  weniger  aufzuerlegen,  als  er  sicher  sein 
konnte,  dass  keiner  seiner  mit  Begeisterung  lauschenden  Zuhörer  solche 
Unebenheiten  bemerken  würde. 

Mehr  Bedeutung  hat  der  Umstand,  dass  die  Verwundung  des  Sar- 
pedon  im  5.  und  des  Teukros  im  8.  Gesang  in  den  Kämpfen  des  fol- 
genden und  nachfolgenden  Tages  ignoriert  wird;  aber  ich  habe  schon 
oben  S.  184  angedeutet,  dass  bei  der  relativen  Selbständigkeit  der  ein- 
zelnen Gesänge  ein  Schluss  auf  Verschiedenheit  der  Verfasser  oder  auch 
nur  auf  ehemaligen  Ausschluss  der  betreffenden  Gesänge  aus  dem  engeren 
Cyklus  der  Menislieder  aus  derartigen  Dingen  nicht  gewagt  werden  darf. 

Endlich  kann  auch  der  Widerspruch  zwischen  <P  86  und  Y  92, 
indem  nach  der  ersten  Stelle  der  Lelegerkönig  Altes  noch  lebt  und 
herrscht,  nach  der  zweiten  sein  Gebiet  bereits  von  Achill  erobert  ist, 
nicht  mit  Erfolg  zum  Beweise  verschiedener  Verfasser  verwertet  werden, 
da    diejenigen,    welche    die    Aeneasepisode    oder    das    Buch    Y  noch    dem 


195 

Homer  zuschreiben  wollen,  in  dem  Verse  <P  86  'AXthjo  dg  AstiytöGi 
(piloTiToXs/uoiotr  avaaaei  einfach  das  Präsens  avaoou  in  das  Imperfekt 
äi/aaaev  verändern  können. 

Sprachliche  Verschiedenheiten  in  der  Ilias. 

Homer  gebraucht  schon  häufig  statt  des  Dual  den  Plural,  aber  nicht 
umgekehrt  weder  in  der  Ilias  noch  in  der  Odyssee  den  Dual  für  den 
Plural.  Eine  Ausnahme  von  der  Regel  macht  die  Presbeia,  in  der 
wiederholt  (/  182.  183.  192.  196.  197.  198)  der  Dual  von  den  3  Ge- 
sandten, Odysseus,  Aias  und  Phönix  gebraucht  ist.  Die  Stellen,  an  denen 
sonst  der  Dual  für  den  Plural  gebraucht  scheint,  A  567.  J  407.  E  487. 
0  74.  186.  191.  405.  T  205,  lassen  alle  eine  annehmbare  Erklärung  zu, 
indem  die  Mehreren  in  2  Paare  oder  2  Abteilungen  zerfallen.  Eine 
solche  Erklärung  schliesst  aber  in  der  Presbeia  die  Dreizahl  der  Ge- 
sandten aus.  Mit  Recht  haben  also  Bergk  und  andere  in  dem  falschen 
Gebrauch  des  Dual  ein  sicheres  Anzeichen  gefunden,  dass  die  alte  Pres- 
beia dem  herrschenden  Brauche  gemäss  nur  2  Gesandten,  Odysseus  und 
Aias  gekannt  habe,  und  dass  die  Verse,  welche  von  Phönix,  dem  dritten 
Gesandten,  handeln,  insbesondere  die  lange  Rede  /  432 — 622,  erst  von 
einem  späteren  Dichter  hinzugefügt  worden  seien.  Die  Annahme  wird 
auch  noch  dadurch  unterstützt,  dass  der  Vers  /  223  rtvo'  A'iag  <t>oivixi, 
vorjat  <)V  &ioe  'Oövaatvg  eine  geradezu  komische  Situation  schafft,  und  dass 
man  von  vornherein  nicht  begreift,  wie  denn  Phönix  nach  der  Entzweiung 
des  Achill  und  Agamemnon  im  Lager  des  Agamemnon  hatte  zurück- 
bleiben können;  hier  haben  wir  also  festen  Boden  unter  den  Füssen  und 
können  mit  Zuversicht  für  die  verschiedenen  Partien  des  9.  Gesanges  oder 
die  Gruppen  F  u.  J  (S.   183)  zwei  Verfasser  annehmen. 

Die  2.  und  3.  Person  des  Dual  der  historischen  Zeiten  war  im  Alt- 
griechischen unterschieden,  wie  man  aus  der  gleichen  Unterscheidung  im 
Sanskrit  bestimmt  weiss.  Der  Unterschied  ist  bei  Homer  in  der  Regel 
gewahrt,  verwischt  ist  er  nach  attischer  Weise  in  ineiyBTov  K  361,  dtw- 
nsiw  K  364,  iiev/^ror'  iV  346,  layvoosrov  2  583,  und  in  den  Varianten 
Sw^aaea&or  IV  301.  /7  218,  irpixtafrov  Ar613,  rxta&ov  0  456,  nheafrov 
W  506.  Die  letzteren  Stellen  sind  ohne  Beweiskraft,  da  einesteils  eine 
andere    Lesart    daneben    existiert    und    anderteils    die    alte    Form    eaß-rjv 

25* 


196 

ohne  Schwierigkeit  hergestellt  werden  kann.      Anders    steht    es    mit   der 
aktiven  Endung  tTov  an  den  vier  voranstehenden  Stellen,  da  an  denselben 
die  überlieferte  Form  durch  das  Metrum  gesichert  ist.     Wir  müssen  also 
wohl  für  die  Doloneia,  die  Hoplopoiie  und  die  Interpolation  N  345 — 360 
einen  andern  Verfasser  als  für  die  alte  Ilias  und  Odyssee  annehmen. 
Ganz  verschiedene  Bedeutung  hat  dieselbe  Phrase   M  125 
HfavTü  (sc.    Totutg)  ya<j  ovy.fr'  Ayaiovg 
.     cf/ri(iea$\   ffJU5   h-   vr/vol   uü.c.iri^aiv  ntcsttoftai 

und    /  234 

ov()'   tri   ifaniv  (sc.    jTpeöts) 
ß/rjaeoiP,  a/./.'   «V  vrjvol   üeXaivitniy  Jitottofrai. 

An  der  ersten  Stelle,  mit  der  M  106  übereinstimmt,  bedeuten  die  Worte 
'die  Troer  glaubten,  dass  die  Achäer  nicht  mehr  standhalten,  sondern 
sich  fliehend  in  die  Schiffe  oder  in  das  Schiffslager  stürzen  würden,  an 
der  zweiten  hingegen  'die  Troer  gedachten  nicht  mehr  sich  zurückhalten 
zu  lassen,  sondern  den  weichenden  Achäern  nachdrängend  sich  auf  die 
Schiffe  zu  stürzen'.  Denn  die  Gesetze  der  Grammatik  dulden  nicht  an 
der  Stelle  des  9.  Gesanges  rjuäg  oder  'Ayaiovg  als  Subjekt  zu  ayJptoSai 
zu  nehmen;  das  müsste  nach  den  feststehenden  Regeln  der  griechischen 
Sprache  lauten  ov<P  tri  (paalv  fjuag  csyj](itfs9-ai  dkl'  sv  vtjvoIv  neatsa&at. 
Nicht  so  ganz  sicher  steht  die  Bedeutung  der  Phrase  an  der  dritten 
Stelle  P  637 

ol  nov  fifV(S  byöujVTtg  dxri/JaT\   ovo'   fri   (pctöiv  (sc.  Mv^juidoyi-g) 

"Eztoqos  avd()0(f>6voio   uwog  %ai  ytloag  danrovg 

fjyrjaeafr1,   dlk'  iy   yrjval   uslatyijmy  neafeo&ai. 

Denn  hier  kann  an  und  für  sich  juevog  und  yuyag  ebensogut  Subjekt 
als  Objekt  zu  oyriaeo&ai  sein  und  verstattet  auch  eher  die  Sprache  aus 
dem  vorausgehenden  dein?  oyoujyrsg  zu  den  Infinitiven  o-yrjofcf&ai  und 
jieo-fro&cu  ein  Subjekt  wie  rovg  devyo  iovrag  zu  ergänzen.  Sehen  wir 
deshalb  von  der  dritten  Stelle  als  einer  zweifelhaften  ganz  ab,  so  fragt 
es  sich  nun,  ob  es  überhaupt  denkbar  ist,  dass  derselbe  Dichter  der 
gleichen  Phrase  zwei  sich  geradezu  widersprechende  Bedeutungen  gegeben 
habe.  Vom  zweiten  Teil  derselben  dürfte  man  das  zur  Not  zugeben, 
da    das    neutrale   Wort    sumoha&ai    'hineinfallen,    darauflosstürzen'    mit 


197 

gleichem  Recht  von  den  Fliehenden,  wie  von  den  Verfolgenden  gesagt 
werden  konnte.  Auch  stehen  in  der  That  der  Mehrzahl  der  Stellen, 
wo  vr\vo\v  kiiJieoelv  von  den  Fliehenden  gebraucht  ist  (A  311.  823. 
Z  82  <t>  9.  B  175)  einige  andere  gegenüber,  wie  N  742  (interpoliert) 
und  A  297,  wo  nur  an  die  eindringenden  auf  die  Schiffe  oder  die 
Reihen  der  Gegner  einstürmenden  Feinde  gedacht  werden  kann.  Aber 
ganz  unglaublich  ist  es,  dass  derselbe  Dichter  in  der  gleichen  Verbindung 
—  denn  das  fällt  besonders  ins  Gewicht  —  a/j]aead-ai  das  eine  Mal 
im  Sinne  von  'standhalten,  Widerstand  leisten',  das  andere  Mal  in  dem 
entgegengesetzten  von  csich  zurückhalten,  vom  weiteren  Vordringen  ab- 
stehen gebraucht  habe *).  Ich  erkenne  also  in  der  verschiedenen  Be- 
deutung der  Phrase  an  den  beiden  Stellen  einen  Beweis,  dass  der  Ver- 
fasser von  /  und  M  oder  der  Gruppe  C  und  F  verschieden  war.  Wollte 
aber  wirklich  der  Dichter  der  Presbeia  nach  Analogie  der  Stelle  P  637 
zu  oyjfitCilYai  als  Subjekt  yfiäg  ergänzt  wissen,  so  muss  er  erst  recht 
vom  Dichter  der  beiden  anderen  Stellen  verschieden  gewesen  sein; 
denn  dann  sprachen  jene  hellenisch,  er  barbarisch. 

Eine  ähnliche  Bewandtnis  hat  es  mit  der  doppelten  Bedeutung  von 
arefpavoto&cu  in  der  Beschreibung  der  Aegis  E  739  ixlylda  (hivr/v  fjv 
ni(ji  fiiv  nai'rri  <Poßog  ioTs^aj/iorat  und  in  der  Beschreibung  des  Schildes 
des  Agamemnon  A  36  t/}  (sc.  aanldi)  snl  uiv  loyyü)  ßloavQiojiig  iaxt- 
([(xvcoto,  (htv(>v  dsQxofiivri,  ntyl  <ft  Jnuog  ts  <t>oßoi;  t.s.  An  der  ersten 
Stelle  nämlich  soll  offenbar  gesagt  sein,  dass  der  Phobos  wie  eine  Ein- 
fassung das  Rund  des  Schildes  ringsum  begrenzte,  an  der  zweiten  hin- 
gegen, dass  die  Gorgo  auf  der  Mitte  des  Schildes  oder  dem  Schildbuckel 
in  getriebener  Arbeit  wie  eine  Bekränzung  des  Schildschmuckes  sich  erhob2). 


1)  Es  sind  allerdings  die  beiden  Bedeutungen  von  s%o/uai  nachweisbar,  aber  doch  nur  in 
verschiedener  Umgebung.  Denn  <jf«o  heisst  'halte  stand'  in  dem  Verse  «**'  exf0  *QttitQ<*>s,  StQvre 
dt  X«oY  'ännvta  77  501  u.  P  559,  und  «x/fo  heisst  'halte  ein,  lass  ab'  in  der  Aufforderung  der 
Here  an  Hephaistos  *  379  "ll<pta<tTt  a/eo  t£<vov,  sowie  in  den  Wendungen  eV  $iv<ö  a%fro  ey/og 
77  248.  V  272,  l<T/*ro  tptuvrj  P  696.  '/'  397.  Meistens  aber  ist  ?x°Hfa  in  der  zweiten  Bedeutung 
mit  einem  Genetiv  verbunden,  wie  ia/mro  /lhixis  /'  84  und  penos  axyoto&Ki  P  504. 

2)  Franke  erklärt  die  2.  Stelle:  'das  Bild  der  Gorgo  ging  im  Kreise  umher,  d.  h.  es 
füllte  die  ganze  Rundung  des  Schildes";  aber  wo  sollen  dann  die  beiden  andern  Figuren,  Deimos 
und  Phobos  angebracht  gewesen  soinV 


198 

Die  erste  Bedeutung  ist  leicht  verständlich  und  stimmt  auch  mit  dem 
sonstigen  Gebrauch  des  Wortes  OT8(pavöeo&ai  bei  Homer,  wie  0  153. 
Jf  485.  y.  195,  überein;  aber  die  zweite  ist  so  verschwommen  und 
unklar,  dass  man  sie  schwer  demselben  Dichter,  der  eben  noch  so 
klar  und  anschaulich  gesprochen  hatte,  zuschreiben  wird.  Aber  hier 
ziehe  ich  nicht  den  gleichen  Schluss  wie  oben;  denn  da  die  beiden  Verse 
des  11.  Gesanges,  wie  schon  Jacob,  Entstehung  der  Ilias  und  Odyssee 
S.  242  dargethan  hat.  auch  sonst  begründeten  Anstoss  erregen,  indem 
man  sich  gar  nicht  vorstellen  kann,  wie  denn  neben  den  21  Buckeln 
die  Figuren  der  Gorgo,  des  Deimos  und  Phobos  angebracht  gewesen 
sein  sollen,  so  scheide  ich  lieber  die  Verse  A  36 — 7  als  Interpolation 
eines  ausschmückenden  Nachdichters  aus  *). 

Bei  den  letztbehandelten  Stellen  könnte  man  ebensogut  wie  von 
verschiedenem  Sprachgebrauch  auch  von  ungeschickter  Nachahmung 
sprechen.  In  dieser  Beziehung  begegnen  nun  zahlreiche  Stellen,  wo  die 
gleiche  Phrase  das  eine  Mal  sachgemäss  und  zutreffend,  das  andere  Mal 
ungeschickt  und  anstössig  angewendet  ist.  Aber  hier  thut  ganz  besondere 
Vorsicht  not.  ehe  man  sich  zum  Schlüsse  auf  verschiedene  Verfasser 
fortreissen  lässt.  Vor  allem  ist  an  vielen  derartigen  Stellen  der  An- 
stoss einfach  durch  Athetese  zu  entfernen,  in  der  an  den  meisten  schon 
Aristarch  und  die  Alexandriner  vorangegangen  sind.  Sodann  ist  es 
doch  auch  sehr  leicht  möglich,  dass  demselben  Dichter  die  gleiche 
Wendung  bei  einem  zweiten  Fall  minder  gut  glückte,  so  dass  es  oft 
schwer  zu  enstscheiden  ist,  ob  wir  einen  sich  unglücklich  wiederholenden 
Dichter  oder  einen  tölpelhaften  Nachdichter    vor    uns    haben.     Ich   habe 


1)  Zu  dem  gleichen  Auskunftsmittel  der  Athetese  griff  Aristarch,  indem  er  die  Verse  ii  20 — 1 
xccl  xfS-vrjöra  7i((J,  ntyi  <$'  atyiöct  iihvtu  xaXvnTtr 
/(tvtjtiyi,  ivn  firj   uii-  dnoSfivcpoi  fkxvnrä^iuv 

wegen  der  unhomerischen  Bedeutung  von  aiylg  verwarf;  und  allerdings  bezeichnet  das  Wort  sonst 
bei  Homer  eine  Waffe  und  speziell  einen  Schild,  während  in  der  fraglichen  Stelle  der  Lösung 
Hektors  nur  an  ein  um  den  Körper  gewickeltes  Fell  gedacht  werden  kann.  Das  war  nun  freilich 
auch,  wie  man  jetzt  allgemein  anerkennt,  die  ursprüngliche  Bedeutung  des  Wortes,  aber  der  alte 
Homer  hat  trotzdem  dieselbe  nicht  gekannt.  Man  könnte  also  darin*  leicht  ein  Anzeichen  des 
verschiedenen  Ursprungs  des  letzten  Gesanges  erblicken.  Mich  macht  nur  an  diesem  Schluss  die 
Wahrnehmung  irr,  dass  noch  in  der  jungen  Götterschlacht  <P  400,  verglichen  mit  P  43,  ulyig  einen 
Schild  bezeichnet. 


199 

in  diesem  Punkte  schon  viele  Erfahrungen  an  mir  selbst  und  an  anderen 
gemacht  und  weiss,  wie  oft  schliesslich  die  Entscheidung  von  dem  Urteil 
abhängt,  das  wir  aus  anderen  Gründen  über  die  betreffende  Stelle  gefasst 
haben.  So  trete  ich  z.  B.  mit  Zuversicht  dem  Urteil  des  Aristoteles 
poet.  25  bei,  dass  der  Eingang  der  Doloneia  eine  ganz  schlechte  und 
unwahre  Kopie  der  ersten  Verse  des  zweiten  Gesanges  ist  und  finde 
darin  nur  noch  weiter  die  Ueberlieferung  bestätigt,  dass  die  Doloneia 
nicht  ursprünglich  zu  den  Gesängen  der  Ilias  zählte.  Auf  der  anderen 
Seite  finde  auch  ich  in   Y  445 — 8 

roig   aiv  eneiz'    tnoyovos  nodaoxrig  dlog  A^iXkatg 
ifyX8^  %ttXxelip,  TQig  (P  rjega  rvipe  ßa&slav. 
dXV  oxe  di]  ro  Ttrayrov  enwovro  öaluoyt  loog, 
deiva  <?'  ouoxlrjaag  ensa  Jiieyosvra  TiQoorivda 
eine  sehr  ungeschickte  Kopie  von   E  436 — 9 

rylg  fikv  tntrf  tJioQovae  xajaxra/Litvai   utvsalvwv, 
rylg  d£  oi  iarvcpthie  (pani'^v  aonld'  'Anok'kujv. 
dl'/C  otb  (T17  xo  Ttrayrov  tntoovTo  oai/iovt   loog, 
deiva   (J'  buoxlr}Gag  Tiyoataprj  txctfyyog  'Anokkuov, 

entschliesse  mich  aber  doch  schwer  zum  Schlüsse  auf  Verschiedenheit 
des  Verfassers *).  Freilich  ist  dieses  nicht  die  einzige  Stelle  des  zweiten 
Teiles  der  Ilias,  die  nach  dieser  Richtung  Anstoss  erregt ;  auch  die  Verse 
Y  414  f.,  Y  495  ff.,  <£  53  f.,  12  222  fügen  sich  an  den  Originalstellen 
J  132  f.,  A  534  ff,  A  403  f.,  ZV  99,  R  81  weit  besser  in  den  Zusammen- 
hang, so  dass  derjenige,  welcher  für  die  Gruppe  D  einen  verschiedenen 
Verfasser  als  für  ABC  annehmen  will,  sich  nicht  ohne  Grund  auf  diese 
Stellen  wird  stützen  können 2). 


1)  Mit  Ausscheidung  des  Verses  447,   den    Khan    die    Alten   beanstandeten,   ist   in  unserer 
Frage  nichts  gethan,  da  dann  die  Ungeschicklichkeit  der  Nachahmung  noch  grösser  wird. 

2)  Eine  besondere  Gedankenlosigkeit  zeigt  sich  Y  413  ff.  in  der  Wiederholung  der  gleichen 

Windung: 

lov  ßiifa  fxiaaov  uxovrt  noSayy.rjs  diog  'J^iXkt-vss 

vwia  iittpaiaaoviog,   6&i  ^uiffrtjpo?  o/^f? 

XQvaeioi  avvtxov  xal  6nt\6og  rjvztio  &üi(Jt]£. 

Denn  während   in   der  Originalstelle   J  132  alles   in   bester   Ordnung   ist,   da  dort  Menelaos   von 
vorn   verwundet  wird,   haben   wir  in  V,    wo  Polydoros   am  Rücken  getroffen   wird,    einen  reinen 


200 

Heteroklita  und  verschiedene  Formen  der  gleichen  Namen: 

Uixtftoe   T  392.  12  474.   574  u.  Alxiutfior   IT  197.   P  467. 

XQOfUH  ß  858  u.  Xw*tos   P  218.  494, 

Ofjßai  X  479   u.   0jj/?i?  A  366.  Z  397, 

0)(jvog  li  592   u.   0p0M0<Fa     I  711, 

Mvv.r\vr\  A  52  .  .  .  u.    Mvxfjvai  J  376  .  .  . 

ßeprcrg   £  524.  0   171.    T  358  u.   Hoy^  I  5.    V  195. 

TQixri,   r  202  u.   7^enj   />*  729, 

JStfor*S  V  743  u.  ZuVtrun  Z  289.  z/  84  u.  618. 
Wer  voreilig  im  Schliessen  ist,  möchte  hier  leicht  Anzeichen  verschie- 
dener Verfasser  finden;  den  Vorsichtigen  hält  die  Beobachtung  zurück, 
dass  auch  innerhalb  desselben  Liedes  die  Formen  JScrp/ri^oj'CH,'  und  2iVo- 
Tir]dovTog.  naryozhw  und  /7«t(>o^ä//oc  wechseln.  Nur  da  wo  zur  Varietät 
des  Namens  auch  noch  die  Verschiedenheit  der  Quantität  wie  bei  ^Lidoveg 
W  743,  oder  der  Vorstellung  von  der  Lage  des  Ortes  tritt,  ist  ein 
kühnerer  Schluss  erlaubt.  Das  letztere  ist  aber  der  Fall  bei  der  Stadt 
Phere,  dem  Sitze  des  Diokles.  Diese  Stadt  heisst  E  543  4nj(tri  und  wird 
dort  mit  dem  Flusse  Alpheios,  dem  Grossvater  des  Diokles,  in  Verbindung 
gebracht,  woraus  man  entnehmen  darf,  dass  der  Dichter  sie  bei  seiner 
mangelhaften  Kenntnis  des  griechischen  Festlandes  an  dem  Alpheios  in 
Arkadien  oder  Elis  gelegen  dachte.  In  /  151  =  /  293,  sowie  in  der 
Odyssee  y  488.  a  186  finden  wir  hingegen  den  Plural  </>//(>«/,  und  sehen 
die  Stadt  dahin  verlegt,  wo  wir  sie  in  historischer  Zeit  wiederfinden,  an 
das  Meer  zuunterst  von  Pylos.  Die  Dichter  von  E  und  von  /  oder 
wenigstens  die  jener  beiden  Stellen  müssen  also  verschieden  gewesen  sein. 
Vielleicht  ist  auch  noch  an  einer  anderen  Stelle  mit  der  Ver- 
schiedenheit der  grammatischen  Determination  eine  Verschiedenheit  der 
sachlichen  Auffassung  verknüpft.     In  den  Versen  A  305  f. 

wg  onuTf  vixpta   Qipvyog  nrvips'kii^ 
ä^yyemäo  voroio  ßa&sifi   kai'kam   tvjiiwv 


Unverstand.  Indes  kann  hier,  wie  ich  in  meiner  Ausgabe  gethan,  damit  geholfen  werden,  dass 
man  die  Worte  «£t  £uj<ittJüos  o/?J«?  xgvanni  ovyf%ov  als  irrige  Interpolation  ausscheidet.  Auch 
die  anstössigen  Verse  am  Schlüsse  des  20.  Gesanges,  Y  49.r) — 503,  sind  schon  von  Früheren  und 
so  auch  von  mir  als  interpoliert  bezeichnet  worden. 


'      201 

verbinden  nämlich  die  Herausgeber,  offenbar  unter  dem  Eindruck  der 
Anschauung  einer  einheitlichen  Ilias,  doysoräo  votoio  mit  veipea.  Aber 
nimmt  man  auf  die  anderen  Stellen  keine  Rücksicht  und  folgt  lediglich 
dem  sprachlichen  Gefühl  und  der  natürlichen  Wortstellung,  so  wird  man 
weit  eher  ^tcpvQog  mit  dem  Genetiv  votoio  verbinden.  Dann  ist  ^ecpvyog 
als  nomen  appellativum  im  Sinne  von  'Sturmwind'  gefasst  und  noch  nicht 
als  nomen  proprium  zur  Bezeichnung  des  Sturmwindes  zar'  e£o%rjV,  des 
Westwindes,  genommen.  Dann  tritt  aber  unsere  Stelle  in  schwer  zu 
vereinbarenden  Gegensatz  zu  denen,  wo  'Ctipvyog  nicht  blos  spezielle  Be- 
deutung angenommen  hat,  sondern  auch  schon  anderen  Winden  entgegen- 
gestellt wild,  insbesondere  zu  <P  334  ZecpvQoio  xal  doysoräo  Notoio  &vella, 
sodann  zu  /  5.  W  195.  208.  t  332.  Doch  scheint  es  mir  geratener,  der 
Stelle  durch  die  in  schlechten  Handschriften  gebotene  Umstellung  vnpw. 
i&pvgog  aufzuhelfen,  und  dann  eine  doppelte  Bedeutung  von  'Cn/voog  ab- 
zulehnen. 

Sprachliche  und  sachliche  Missverständnisse  der  Ilias. 

Missverständliche  Formen  bilden  eine  besondere  Klasse  sprachlicher 
Anstände,  denen  mit  Hecht  von  den  Forschern  ein  erhöhtes  Gewicht  bei- 
gelegt wird.  Sie  würden  unbedingt  Verfasserverschiedenheit  beweisen, 
wenn  man  bei  Homer  absolute  sprachliche  Vollkommenheit  voraussetzen 
dürfte.  Da  aber  auch  Homer  von  menschlichen  Schwächen  nicht  frei 
zu  sprechen  ist,  so  bleibt  es  in  vielen  Fällen  doch  sehr  zweifelhaft,  ob 
die  Stelle  oder  die  Partie  mit  ihrer  sprachwidrigen  Form  nicht  zuletzt 
doch  noch  von  Homer  herrühren  könne  l).  Ich  stelle  zunächst  einige 
leichtere  Fälle  zusammen. 

Der  Aorist  dlro  lautet  im  Conjunctiv  regelmässig  dUr.at.  Diese 
Form  findet  sich  auch  bei  Homer  A   192   u.   207.      Dagegen    haben  wir 


1)  Natürlich  ist  die  Emendation  der  Stelle  immer  der  leichtere  Weg,  und  rate  ich  so  dem, 
der  die  Formen  uXi-nnSai,  atpvanciutvog,  v7tai£ti  (*  126)  beanstandet,  aXt^i'ftii'tti  u.  wpvaaö fisvos 
zu  schreiben  und  sieb  durch  eine  gelungene  Verbesserung  von  *  126  einen  besseren  Lorbeer  zu 
holen  als  durch  Einfallen  in  den  Chorus  der  Liedertheoretiker.  Auch  O  645  cV  äaniöos  uvxvyi 
nuXro  möchte  ich  lieber  die  Variante  3m<>  mit  entschuldbarem  Hiatus  billigen  oder  durch  Con- 
jectur  ttvtvy  ivüXio  herstellen,  als  eine  missverständliche  Auffassung  von  inn'kto  als  augmentierter 
Aorist  annehmen. 

Al.li.  d.  I.  CL  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Md.  I.  Abth.  26 


202 

<P  536  dtidta  yäy  ui)  ov'kog  dvrjQ  ig  rtlyog  aXrjTai  einen  falsch  ge- 
bildeten Conjunctiv  älrjzm,  der  obendrein,  da  kurz  zuvor  im  Vers  534 
avTay  eTiei  x*  ig  Tsl/og  dvaJivsvavDOtv  dXivteg  vorausgeht,  auf  einer  Ver- 
wechselung der  Wörter  ifdlrj  und  dlro  zu  beruhen  scheint.  Der  gerade 
umgekehrte  Fall  liegt  M  42  vor,  wo  sich  der  falsche  Conjunctiv  OTyecpezcu 
statt  des  sprachrichtigen  or()6(p?]Tai  eingeschlichen  hat. 

cfjielo  in  dem  Vers  K  285  Gneio  iiot,  ivg  oxe  nar^l  atf  eanso  Tudet 
diu)  erregt  in  doppelter  Beziehung  Anstoss.  einmal,  weil  die  Endung  der 
2.  Person  des  Imperativs  eoo  so,  nicht  sio  lautete,  sodann  weil  eaii6jLir]r 
aus  osaenoiuTjv  entstanden  zu  sein  scheint  und  demnach  das  anlautende  e 
auch  in  den  Nebenmodis  beibehalten  musste.  Der  zweite  Anstoss  ist  nicht 
stichhaltig,  da  sich  überall  bei  Homer  die  Formen  onea&ai  anouevog 
durch  andere  Wortteilung  herstellen  lassen,  so  dass  wahrscheinlich  auch 
im  Indikativ  Homer  iano/urjv  und  nicht  HJ.iomjy  sprach.  Aber  das  falsche 
tio  zu  gebrauchen  Hess  sich  der  Dichter  der  Doloneia  durch  die  Ana- 
logie von  aldüo  LI  503.  /  269  verführen,  das  selbst  indes  richtig  aus 
alöioso  gebildet  war. 

iol  statt  ol  steht  ausser  in  der  Telemachie  fi  38  nur  in  JV  495  und 
ii  statt  t. nur  V  171  il  134.  Der  erste  Vers  iV495  ist  mit  Recht  von 
Friedländer  und  Nauck  als  spurius  notiert  worden,  die  beiden  anderen 
Verse  der  Ilias  gehören  zu  den  entschieden  jüngsten  Partien  des  Gedichtes. 
In  der  That  scheint  hier  eine  falsche,  kaum  dem  echten  Homer  zuzu- 
trauende Analogiebildung  vorzuliegen,  indem  der  Nachdichter  das  t  von 
h<>  als  euphonischen  Vorschlag  fasste,  während  es  bekanntlich  gerade  so 
wie  in  aeo  und  iuto,  aus  ot-to  und  iut-io,  thematischer  Vokal  ist. 

rsolo  statt  Tto  in  (')  37  ojg  fir)  navreg  b'Kmvrai  odvoaautvoio  reoto 
ist  eine  Missgeburt,  entstanden  aus  der  Confundierung  des  Pronomen 
personale  mit  dem  Pronomen  possessiv  um,  die  allerdings  auch  in  dem 
lateinischen  mei,  nostri  und  im  deutschen  Genetiv  'meiner,  unser  des 
Personalpronomens  vorliegt,  von  der  sich  aber  bei  Homer  sonst  nirgends 
eine  Spur  findet. 

leu]  statt  tot  nach  der  Analogie  von  ttrj  und  hir\  findet  sich  nur 
in  dem  auch  aus  anderen  Gründen  als  Machwerk  eines  stümperhaften 
Nachdichters  anerkannten  19.  Gesang  T  209  nylv  J1'  ov  ntag  av  ijuol 
ys  tpilov  zarä  katudi'   letrj. 


203 

xparaoxpt  K  156,  gebildet  nach  der  falschen  Analogie  von  arri&tacpi 
oQtatpi,  in  denen  so  zum  Thema  gehört,  nicht  Genetivendung  ist. 

t'Qsa&sv  ungebräuchlicher  Aor.  pass.  von  e^o/ucu  0  74,  oder  wenn 
man  die  Lesart  t'Qeo&rjr  vorzieht,  unstatthafter  Gebrauch  des  Dual. 

vnvujovTeg  12  344,  sowie  in  der  Odyssee  *•  48  u.  io  4.  statt  vnvoovTeg 
fälschlich  gebildet  nach  der  nicht  zutreffenden  Analogie  von  ifigwovreg 
und  fjßtoovreg.  Die  falsche  Bildung  hat  indes  ihre  Entschuldigung  an  der 
Versnot  da  V7iv6ovreg  —  w—  nicht  in  den  daktylischen  Hexameter  zu 
bringen  war. 

7/./o(,-,  regelmässig  bei  Homer  Femininum,  ist  als  Neutrum  nach 
späterem  Sprachgebrauch  behandelt  in  der  Verbindung  "Ikiov  alnv  0  71. 
Damit  fällt  aber  nicht  der  ganze  Gesang,  sondern  ist  nur  ein  weiteres 
sprachliches  Motiv    für    die  Unechtheit    der   Stelle  ü  63  —  77   gewonnen. 

Ja$&avLa>veQ  H  414  u.  (-)  154  ist  eine  falsche  Bildung  statt  des 
sonst  üblichen  Jagdavoi.  Die  Bildung  ist  falsch,  weil  sie  die  Abstammung 
der  Dardaner  von  einem  Ahnherrn  Jaydavug  voraussetzt.  Ein  solcher 
findet  sich  nun  allerdings  auch  in  der  jungen  Aeneasepisode  V  215  an- 
genommen; aber  der  alte,  den  älteren  Gesängen  der  Ilias  allein  geläufige 
Namen  des  Volkes  Japflavot  weiss  offenbar  von  einem  solchen  Ahn- 
herrn nichts. 

rHtg  in  dem  Vers   /7  208 

(pvXomdos  utyv.  l'yyov.  ffyg  ro  Tiyiv  y  tyaanth 
ist  eine  entschieden  falsche  Bildung  für  rjg.  Veranlasst  ist  dieselbe  durcli 
die  Form  des  Masculinums  oov;  aber  Homer  selbst  hat,  wie  zuerst 
Buttmann  Griech.  Gramm.  I  299  nachgewiesen  hat,  nie  oov  gebraucht; 
dasselbe  ist  erst  durch  eine  missverständliche  Aenderung  des  ursprüng- 
lichen Halbverses  Zo  yjjog  ov  nor  öltlrai  in  den  Text  gekommen.  Aber 
so  gewiss  auch  tyg  falsch  gebildet  ist  und  nicht  vom  alten  Homer  her- 
rühren kann,  so  wenig  ist  doch  damit  ein  Beweis  für  verschiedene  Ver- 
fasser der  Bücher  H  und  17  geliefert.  Vielmehr  kann  jener  Vers  zugleich 
mit  den  Versen  /7  200  —  210  noch  recht  gut  zu  dem  Verzeichnis  der 
Schiffe  der  Myrmidonen  {IT  168 — 199)  gezogen  werden,  das  erst  später 
in  die  alte  Ilias  eingelegt  wurde. 

Die  überlieferte  Lesart  in   /'  3 

i)vTt  Tito  y.kayytj  ytuavojv  ntlti   ovyavuth   TIQO 

2(5* 


204 

beruht  auf  einem  alten  Irrtum;  tiqo,  das  nur  den  Genetiv  bei  sich  hat, 
konnte  unter  keiner  Bedingung  mit  einem  den  lokativen  Dativ  ver- 
tretenen Adverbium  auf  fri  verbunden  werden.  Der  treffliche  Ahrens 
hat  in  einem  berühmten  Aufsatz  des  Rheinischen  Museums  II,  166  ff.  den 
eingerosteten  Fehler  dadurch  beseitigt,  dass  er  das  einzig  in  den  Zu- 
sammenhang passende  Adverbium  ttouj  herstellte.  In  den  sachlichen 
Zusammenhang  der  Stelle  passt  dasselbe  vortrefflich,  da  der  Vers 
rjSQtat   d'äya  rat,  yt  xaxrjv  hgida  TiQotptQovTcu 

mit  seinem  rückbezüglichen  aga  eine  vorausgehende  Erwähnung  des 
Morgens  (ngw  und  fjqpcu)  fast  geradezu  erheischt.  Die  falsche  Lesart 
ovoavbfri  jioo,  die  in  allen  unseren  Handschriften  ohne  Variante  steht, 
stammt  aber  nicht  erst  aus  der  Zeit  der  Abschreiber  oder  des  Pisi- 
stratus,  sie  schwebte  bereits  den  Nachahmern  vor,  wenn  sie  0  561. 
K  12.   N  349.  .9-  581 

Tyiovjy  xuiovtüjv  nvoa  (paivsro  'Ikioß-t,  nyo' 
&avj[ta'Q€y  Jivyä  tjoXXcl,   ra  xalsro  *l3uo&i  n(fO' 
ij&sXe  labf  ukto&ai  'A%auxov  'Ikiofri   tiqo' 
T}  rig  toi  xai  nrjbg  antip&no  7/./o/>/   noo 

nach  dem  falschen  ovQavo&i  .tob  oder  nach  dem  gleichfalls  verderbten 
fjojfri  tiqo  A  50 ')  ein  'Ihbfri  tiqo  bildeten,  in  dem  nun  nicht  mehr 
durch  blosse  Aenderung  von  tiqo  in  tiqu)  das  Richtige  hergestellt  werden 
kann.  Freilich  hat  auch  dieses  'l'ub&i  tiqo  Ahrens  durch  die  Aenderung 
'tUoo  tiqo  in  Einklang  mit  der  Grammatik  zu  setzen  gesucht,  aber  das 
heisst,  fürchte  ich,  nicht  die  Abschreiber,  sondern  den  Dichter  selbst 
korrigieren.  Rührt  aber  die  Phrase  Tubd-i  tiqo  von  dem  Verfasser  jener 
Verse  selbst  her,  so  folgt  daraus,  dass  jene  Verse  und  somit  die  Gruppe  F 
und  die  interpolierte  Stelle  in  iV345 — 360  von  einen  anderen  Dichter  als 
die  Gruppe  B  oder  A  B  C  D  herrührt. 

Der  Dichter  der  Hoplopoiie  lässt,  nachdem  er  zuvor  verschiedene 
Metalle,  Erz,  Zinn,  Gold,  Silber,  in  den  Schmelzofen  gethan,  den  Schild 
aus  5  Lagen  mit  buntem  Zierwerk  bestehen  -2"  481   f. 


1)  Auch  in  jenem  rufri  ngo  A  50.  ^  36.  f  469  ist  zweifellos  tiqö  in  ngm  zu  bessern,  zweifel- 
haft ist  es  mir  nur,  ob  nicht  auch  noch  yw&i  in  wöd-ev  zu  korrigieren  ist. 


205 

Tif-rre   (T  ä$    avrov  koav  öaxeog  nrvyeg'  (xvtccq  ev  avrqj 
noiei  daidaXa  nolla   Idvlflöev  n^anidsooev. 

Er  dachte  sich  dabei  offenbar,  auch  wenn  die  Detailbeschreibung  der 
Kunstwerke  nicht  von  ihm  selbst  herrühren  sollte,  das  Gold  und  Silber 
zu  jenen  daldala  nolka  verwendet,  zumal  er  auch  nur  4  Metalle  nennt, 
aber  von  5  Schildlagen  spricht.  Anders  dachte  sich  die  Sache  der  Dichter 
der  Verse    Y  270—2 

71EVT8   nrvyag   TqkaOB  xvlloTiodiüJV, 
rag  dvo  yakxeiag,   dvo  cT  i'vdo&i  zaööirsyoio, 
ttjv  Jf   aiav  yj)vcfhr\v  r//   (>'   k'aysro  jusiforov  syyog. 

Das  ist  doch  ein  offenbares,  grelles  Missverständnis,  hervorgerufen 
durch  den  Vers  ov  (>fj§e  oaxog'  yQvobg  yao  iyvxcuee,  dujga  d-eolo.  Ich 
halte  es  daher  für  ausgemacht,  dass  jene  Verse  nicht  von  dem 
Dichter  der  Hoplopoiie  herrühren  können.  Aber  daraus  kann  man  noch 
nicht  auf  verschiedene  Verfasser  der  Hoplopoiie  und  der  Aeneasepisode 
schliessen,  da  sich  einfacher  mit  Ausscheidung  der  Verse  Y  269  —  272 
helfen  lässt.1) 

Ich  spiele  den  letzten  und  Haupttrumpf  aus:  im  Eingang  der  Mayr\ 
naQanoTafAiog  <P  1 — 7  heisst  es 

*A~Ü?  ore  $77  TtOQW  l§ov  tvoyetog  noiaixolo 
Zavd-ov  divr\tvT.og,  ov  ä&avaTog  rixero  Ztvg, 
i-)'f}a   (JiaTLiri§ag  rovg  jutv  Titdiovde   (hcozev 
jjQog  noltv,  ji  Jity  'Ayaioi  ärv^oiievoi  (poßeovro 
rjjuari  toj  nyoTtyip,   utb  /natveTo  ipaidiuog  "Extujq  • 
Tfj   (/   0%  ye   jiqo%6OVT0  7i€<pv£oregm  fjfiioetg  de 
ig  nora/ubv  bIXsvvto  ßad-voQoov  aQyvyodivrjv. 

Man  erklärt  die  Stelle  gewöhnlich  so,  dass  man  einen  Teil  der  von 
links  kommenden  Troer  über  die  Furt  hindurch  auf  das  jenseitige  Ufer 
nach  der  Stadt  gelangen  lässt,  während  die  anderen  oberhalb  oder  unter- 
halb der  Furt  in  den  Fluss  hineingedrängt  worden  seien.     Man  lässt  sich 


1)  Kiene,  die  Komposition  der  Ilias  S.  241,  nimmt  auch  daran  keinen  Anstoss,  aber  wer 
-ich  erlaubt,  ohne  dass  irgend  eine  Handhabe  vom  Dichter  gegeben  sei,  drei  Metallagen  sich 
decken,  zwei  sich  verengern  zu  lassen,  wird  mit  allen  Schwierigkeiten  leicht  fertig  werden. 


206 

zu  dieser  Noterklärung  verleiten,  weil  unten  <P  245  Achill,  um  die 
fliehenden  Troer  zu  verfolgen,  auf  das  andere  Ufer  übersetzt.  Aber  von 
einem  oberhalb  oder  unterhalb  ist  nicht  ein  Sterbenswörtchen  im  Texte 
zu  lesen,  und  Lykaon  müsste  geradezu  allen  Verstand  verloren  gehabt 
haben,  wenn  er  statt  aus  dem  Flusse  in  der  Richtung  der  Stadt  ost- 
wärts zu  fliehen,  westwärts  auf  dem  linken  Flussufer  dem  Achill  in  die 
Arme  gelaufen  wäre.  Nein,  so  widersinnig  kann  Homer  die  Dinge  nicht  ge- 
schildert haben.  Denken  wir  uns  aber  einmal  alles  nach  dem  Verse  <£>  227 
ajg  elnwv  Tyweamv  msaavro  daiuori  laog  weg,  so  kommen  die  Troer,  indem 
sie  auf  dem  rechten  Ufer,  wo  sich  der  Dichter  von  A  498  u.  E  355  das 
Lager  der  Achäer  zugleich  und  die  Stadt  des  Priamos  dachte,  vor  deip 
grimmen  Achill  fliehend  zur  Furt  des  Skamander  und  teilen  sich  hier 
so,  dass  die  einen  auf  demselben  Ufer  weiter  der  Stadt  zu  fliehen,  die 
andern  sich  in  den  reissenden  Fluss  zur  Rechten  drängen  lassen.  Das 
gibt  eine  einfache  und  klare  Vorstellung,  die  wir  ohne  Zaudern  dem 
alten  Dichter  des  Flusskampfes  beilegen  dürfen.  Die  Verwirrung  kam 
dann  erst  durch  den  Fortsetzer  in  unsere  Ilias,  indem  derselbe  von  der 
falschen  Ansicht  ausging,  dass  der  Skamander  zwischen  dem  Lager  und 
der  Stadt  fliesse,  so  dass  er  dann  naturgemäss  auch  den  Achill  erst  von 
dem  einen  Ufer  des  Flusses  auf  das  andere  übersetzen  Hess.1) 

Zu  den  drei  bis  jetzt  erörterten  Klassen  von  Beweisen  kämen  nun 
in  vierter  Linie  noch  jene,  welche  auf  die  Störungen  im  Plane  der  Ilias 
und  die  Dissonanzen  zwischen  den  einzelnen  Teilen  basieren.  Aber  so 
anziehend  auch  an  und  für  sich  die  Besprechung  dieses  Punktes  wäre,  so 
Hesse  sich  doch  von  derselben  kaum  ein  Druck  auf  die  Meinungen  der 
Gegner  erwarten.  Es  gehen  eben  die  Anschauungen  der  Leute  über  das- 
jenige,   was  man  dem  Dichter    in  dieser  Beziehung   nachsehen  dürfe  und 


1)  Diesen  Hauptpunkt,  die  verschiedene  Vorstellung  von  dem  Laufe  des  Skamander  im  Ver- 
hältnis zu  dem  Lager  und  der  Stadt,  habe  ich  zuerst  entdeckt  und  eingehend  besprochen  in  der 
Abhandlung,  Die  sachlichen  Widersprüche  der  Ilias,  in  Sitzungsbericht  der  b.  Akad.  1881,  1kl.  II 
S.  130  ff.,  und  finde  keinen  Grund  irgend  etwas  gegenüber  dem  wohlfeilen  Skepticismus  von 
Hercher,  Die  homerische  Ebene  von  Troja,  und  Wold.  Ribbeck,  Rhein.  Mus.  XXXV,  614 
zurückzunehmen.  Nur  so  viel  sei  hier  noch  zur  Sache  bemerkt,  dass  die  mit  dem  Eingang  des 
21.  Buches  übereinstimmenden  Verse  der  4u>s  änüir\  S  433 —  4  nicht  mit  gleicher  Sicherheit  für 
die  Annahme  verschiedener  Verfasser  verwertet  werden  können,  da  hier  der  Dichter  den  Hektor 
nur  ohne  Not  zur  Rechten  abbiegen,  nicht  eine  volle  Verkehrtheit  thun  lässt. 


207 

müsse,  zu  weit  auseinander.  Ich  selbst  bin  im  Hinblick  auf  die  Ent- 
stehungsweise des  alteD  Epos  von  der  Rigorosität  der  Liedertheoretiker 
weit  entfernt,  habe  aber  doch  auch  nicht  den  guten,  alles  verdauenden 
Magen  der  Unitarier.  So  stimme  ich,  um  wenigstens  einen  Punkt  zu 
erwähnen,  unbedingt  Kammer  bei,  wenn  er  in  dem  zweiten  Hefte  seiner 
Studien  zur  homerischen  Frage  behauptet,  dass  die  ganz  verschiedene 
Zeichnung  des  Achill  in  der  matten  Aeneasepisode  Y  79  —  352  nicht 
von  demselben  Dichter  herrühren  könne,  der  in  den  übrigen  Partien 
der  Ilias  den  Achill  so  grossartig  gezeichnet  hatte,  wie  er  nach  dem 
Tode  seines  Freundes  Patroklos  gleich  einem  alles  niederwerfenden  er- 
barmungslosen Dämon  auf  die  Troer  sich  stürtzte. 

Fassen  wir  schliesslich  die  besprochenen  Momente  zusammen,  so 
gehen  daraus  zwei  Sätze  mit  Sicherheit  hervor,  erstens  dass  eine  nicht 
unerhebliche  Anzahl  von  Versen  und  Verspartien  erst  in  späterer  Zeit 
von  unverständigen,  die  Verse  des  Homer  zum  Teil  missverstehenden 
Homeriden  oder  Rhapsoden  hinzugefügt  wurde,  zweitens  dass  die  von 
mir  in  meiner  Ausgabe  kleingedruckten  Gesänge,  oder  die  Gruppen  F  G 
H  I  einen  anderen  Dichter  zum  Verfasser  haben  als  die  alte  Ilias  oder 
die  Gruppen  A  B  C  D. 

Reichen  wir  nun  etwa,  wenn  wir  die  kleineren  Interpolationen  oder 
die  Gruppe  I  ganz  bei  Seite  lassen,  mit  zwei  Dichtern  aus?  Das  nicht,  da 
nichts  uns  nötigt  für  sämtliche  Partien  der  Gruppen  F  G  H  den  gleichen 
Verfasser  anzunehmen,  es  vielmehr  von  vornherein  weit  wahrscheinlicher 
ist,  dass  von  den  episodenartigen  Zusätzen  der  eine  von  diesem,  der  andere 
von  jenem  Homeriden  zugefügt  worden  sei.  Wer  wollte  z.  B.  auch  dem 
trockenen  phantasielosen  Schiffskatalog  denselben  Verfasser  geben  wie  der 
lebhaften  gehobenen  Schilderung  von  den  Leichenspielen  des  Patroklos? 
Aber  auch  von  den  in  Ton  und  Sprache  sich  näherstehenden  Partien  rühren 
mehrere  nachgewiesener  Massen  von  verschiedenen  Verfassern  her,  wie 
die  Phönixepisode  von  einem  anderen  Dichter  gedichtet  ist  als  der  Kern 
des  9.  Buches,  und  die  Doloneia  sich  nicht  bloss  nicht  an  den  Schluss  des 
vorausgehenden  Buches  anschliesst,  sondern  auch  mehrere  sprachliche  Be- 
sonderheiten hat.  Wir  nehmen  also  als  drittes  Resultat  unserer  Unter- 
suchung an,  dass  die  kleingedruckten  Partien  unserer  Ausgabe  oder  die 
Gesänge  der  Gruppen  F  G  H  nicht  alle  von  dem  gleichen  Autor  herrühren. 


208 

Aber  wie  steht  es  nun  mit  der  ersten  Hauptpartie  oder  mit  den 
Gruppen  A  B  C  D  E?  Können  wir  diese  alle  ein  und  demselben  Dichter, 
oder  mit  anderen  Worten  dem  einen  Vater  Homeros  beilegen?  Vieles 
spricht  dafür,  nicht  am  mindesten  die  gleiche  Höhe  der  Kunstvollendung 
von  Liedern  einer  jeden  dieser  vier  Gruppen.  Auch  kann  man  nach  dem 
Gesagten  über  die  erhobenen  Einwände  hinwegkommen,  wenn  man  sich  teils 
lieber  zur  Athetese  einzelner  widerstrebender  Verse  als  zur  Ausscheidung 
ganzer  Lieder  versteht,  teils  dem  Dichter  eine  grössere  Freiheit  in  der  An- 
einanderreihung der  einzelnen  Lieder  und  in  der  nachträglichen  Erweiterung 
des  ursprünglichen  Planes  zugesteht.  Aber  auf  der  anderen  Seite  wird  die 
Vermengung  der  beiden  Lykier  und  die  willkürliche  Abbeugung  vom  ge- 
raden Wege  zur  Furt  des  Skamander  in  I  433  f.  und  <P  1  f.  den  Gegnern 
der  Einheit  eine  gewichtige  Handhabe  bieten,  und  wird  überdies  der  Ver- 
teidiger des  zweiten  Teiles  der  Ilias  oder  der  Gruppe  D  keinen  leichten 
Stand  gegenüber  denjenigen  haben,  welche  einzelne  unleugbare  Schwächen 
dieser  Partie  betonen.  Insbesondere  aber  können,  und  ich  fürchte  mit 
Erfolg,  beim  letzten  Gesang,  oder  der  Partie  E,  die  grossen  Ueberein- 
stimmungen  mit  Versen  der  Odyssee  und  junger  Einlagen  der  Ilias,  sowie 
die  zwei  drei  sprachlichen  Missverständnisse  gegen  die  Annahme  aus- 
gebeutet werden,  dass  der  Schluss  der  Ilias  noch  vom  Dichter  des  alten 
Kernes  derselben  herrühre.  Doch  über  diese  Punkte  wird  wohl  die  fort- 
gesetzte Forschung  der  Zukunft  noch  sicherere  Aufschlüsse  bringen ;  vorerst 
wird  es  immerhin  ein  Gewinn  meiner  Arbeit  sein,  die  homerische  Frage 
über  den  Standpunkt  der  Lach  mannischen  Liedertheorie  und  die  vage 
Unbestimmtheit  der  Wolfischen  Hypothese  erhoben  zu  haben. 


209 


Nachträge. 

Nachträglich  stiess  ich  bei  der  Lektüre  von  Wilamowitz'  Buch 
über  Antigonos  von  Karystos,  Philol.  Untersuchungen  IV,  166,  auf  die 
Bemerkung,  dass  dem  Verfasser  des  Wunderbuches,  Antigonos,  Homer  noch 
der  Dichter  der  Thebais  und  des  Hermeshynmos  ist.  Der  scharfsinnige 
Forscher  hatte  hier  zweifelsohne  von  des  Antigonos  iaroyiaiv  nayadosuyv 
ovvaywyi]  die  Absätze  7  und  25  im  Auge.  An  der  ersteren  Stelle  wird 
Homer,  der  hier,  wie  noch  zweimal  in  dem  Büchlein,  kurzweg  onoirjrrjg  heisst, 
als  Verfasser  des  Hymnus  auf  Hermes  V.  51  aufgeführt;  an  der  zweiten 
wird  ihm  der  Vers  novXvnodog,  «5  ity.vov,  e%a)v  iv  GTrjd-eot  &v/uov  tolöiv 
8(pa(jju6^€iv  beigelegt,  der,  wie  bereits  Welker  Ep.  Cycl.  II  346  erkannt, 
in  neuerer  Zeit  aber  weder  Kinkel  noch  Keller  bemerkt  hat,  aus  der 
kyklischen  Thebais,  und  zwar  aus  dem  ersten  Gesang  oder  der  AiMpiaQew 
e&laoia  ig  Orjßag  stammt.  Die  Sache  hat  für  unseren  Gegenstand,  ins- 
besondere für  das  auf  S.  124 — 6  Bemerkte  insofern  eine  Bedeutung,  als 
man  daraus  sieht,  dass  erst  Aristarch  den  Namen  Homer  bestimmt  auf 
die  zwei  Werke,  Ilias  und  Odyssee  beschränkte,  und  dass  noch  ein 
Menschenalter  vor  ihm  ein  hervorragender  Pergamener  die  Hymnen  und 
die  Thebais  dem  Homer  zuzuschreiben  kein  Bedenken  trug.  Ich  füge 
daran  noch  die  Beobachtung,  dass  wenn  nun  auch  noch  Properz,  wie 
Welcker  Ep.  Cycl.  I  188  aus  eleg.  I,  7,  1  ff.  und  III,  33,  45  mit  Recht 
entnahm,  dem  Homer  die  Thebais  zuschrieb,  und  Suidas  oder  Hesychius 
von  Milet  geradeso  wie  Pseudoherodot  unter  den  Schriften  Homers 
'AjLHpiayea)  re  T.rjv  i&Xaaiav  t.t\v  ig  Orjßag  xai  xovg  vixvovg  rovg  ig  &eovg 
TienoiTj/uevovg  aufführt,  man  darin  einen  Fingerzeig  zur  Auffindung  der 
Quelle  der  Literaturkenntnisse  jener  Männer  erhält.  Und  zwar  dürfte 
es  nach  dem,  was  wir  in  neuerer  Zeit  über  die  Lehrmeister  der  Römer 
in  der  Grammatik  und  den  Ursprung  des  literarischen  Kanon  erfahren 
haben,  nicht  befremden,  wenn  der  römische  Elegiker  Properz  in  seinen 
Angaben  über  Homers  Werke  mit  dem  Pergamener  Antigonos  zusammen - 
Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  I.  Abth.  27 


210 

stimmt.  Für  den  Artikel  Suidas  weiss  ich  vorerst  nicht  mit  gleicher 
Bestimmtheit  eine  pergamenische  Quelle  anzugeben;  ob  nicht  Artemon 
aus  Klazomenai,  dessen  ßiog  'Ourjyov  citiert  wird,  dem  Kreise  der  Perga- 
mener  angehörte? 

Auch  erst  in  den  letzten  Wochen  kam  ich  dazu,  zu  meiner  Schande 
sei  es  gestanden,  die  Abhandlung  Robert' s  Bild  und  Lied  im  5.  Heft 
der  Philologischen  Untersuchungen  zu  lesen,  die  sich  vielfach  mit  den 
Dingen  berührt,  die  ich  in  meinem  Aufsatz,  Zur  Chronologie  des  alt- 
griechischen Epos,  Stzgsb.  d.  Akad.  1884  S.  1  ff.,  behandelt  habe.  Ich 
erwähne  dieses  indes  nicht,  um  die  dort  vorgetragenen  Resultate  meiner 
Untersuchungen  zurückzunehmen  oder  zu  modificieren;  wohl  aber  sehe 
ich  voraus,  dass  meine  Darlegungen  keinen  Glauben  in  den  Kreisen  zu 
erhoffen  haben,  die  sich  über  die  literarischen  Ueberlieferungen  der 
jüngeren  Grammatiker  als  Legenden  und  lediglich  aus  Compendien  und 
Hypotheseis  geschöpfte  Afterweisheit  leichten  Fusses  hinwegsetzen.  Aber 
was  bleibt  uns  noch  von  sicherem  Boden,  wenn  man  den  Lesches,  den 
Sohn  des  Aischylinos  aus  der  Stadt  Pyrrha  auf  Lesbos,  für  ein  aus  den 
in  der  Xeo/rj  erzählten  Fabeln  abstrahiertes  Gebilde  des  Lokalpatriotismus 
(S.  227)  erklärt,  wenn  man  aus  Dionysios  arch.  I  69,  wo  der  Aithiopis 
auch  nicht  einmal  andeutungsweise  gedacht  ist,  sich  Schlüsse  über  den 
wirklichen,  von  den  Grammatikern  verstümmelten  Inhalt  der  Aithiopis 
des  Arktinos  erlaubt  (S.  223),  wenn  die  Uebereinstimmungen  der  Odyssee 
mit  den  Nostoi  auf  Amalgamierung  des  Auszugs  der  Nostoi  und  der  er- 
haltenen Erzählung  der  Odyssee  zurückgeführt  werden  (S.  247)?  Behaupten 
freilich  lässt  sich  dieses  alles;  aber  bevor  die  Ueberlieferung  nicht  durch 
strenge  Beweisführung  widerlegt  wird,  verbleibe  ich  bei  den  Funda- 
menten unserer  Wissenschaft  und  überlasse  andern  den  Glauben  an  ihre 
Phantasien. 


Die  römischen  Grenzlager 


7A\ 


Passau,  Künzing,  Wischelburg  und  Straubing. 


Von 

F.  Ohlenschlager. 

(Mit  einer  Tafel.) 


Abh.  d.  1.  Cl.  d.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  I.  Al.th.  28 


Wenn  trotz  einer  ziemlich  umfangreichen  Literatur  über  die  römischen 
Anlagen  in  Bayern  Herr  Oberst  v.  Cohausen,  der  Altmeister  in  der  Kunde 
römischer  Befestigungen  in  Deutschland,  gelegentlich  der  Anthropologen- 
versammlung in  Trier1)  die  Aeusserung  thun  konnte,  „auf  der  ganzen  Länge 
des  rätischen  Limes  sind  bis  jetzt  keine  Castelle  nachgewiesen,  wie  sie 
der  rheinische  in  grosser  Regelmässigkeit  aufweist.  Die  Namen  der  wahr- 
scheinlichen castra  stativa  und  anderer  der  Form  nach  für  römische  An- 
lagen gehaltenen  Orte  gehören  Plätzen  an,  welche  2!/2,  4  bis  12  und 
13  km  hinter  dem  Limes  liegen,  also  nicht  zur  unmittelbaren  Besatzung 
des  Limes  gedient  haben  können",  so  musste  mir  dies  den  Gedanken  auf- 
drängen, dass  die  Arbeiten  der  bayerischen  Forscher  auf  diesem  Gebiete 
nach  aussen  nicht  genügend  bekannt  seien  und  die  gelegentlichen  in  der 
Tagesliteratur  eingestreuten  Erklärungsversuche  römischer  Oertlichkeiten 
überzeugten  mich,  dass  auch  im  Lande  selbst,  sogar  unzweifelhafte  Er- 
gebnisse der  neueren  und  zum  Teil  auch  der  älteren  Forschung  noch 
gänzlich  übersehen  werden. 

Es  scheint  mir  deshalb  notwendig,  zunächst  alles,  was  über  die  Haupt- 
platze der  römischen  Provinz,  d.  h.  die  grösseren  Lagerstellen  an  der 
Grenze  bis  jetzt  sich  feststellen  liess,  mit  Uebergehung  der  durch  neuere 
Funde  endgiltig  beseitigten  Streitpunkte  kurz  zusammenzufassen  und  damit 
die  Lokalforscher  der  Mühe  zu  überheben,  dass  sie  sich  durch  eine  ziemlich 
zerstreute  oder  auch  schwer  erreichbare  Literatur  durcharbeiten  müssen. 


L)  Correspondensblatt  f.  Anthropologie  1883.  S.  188.  Spalte  l. 

28 


214 

Ueberdies  sind  im  Laufe  der  Jahre  einzelne  Berichte  und  Pläne  in 
meine  Hände  gekommen,  die  zum  Teil  unvollständig,  zum  Teil  gar  nicht 
bekannt  sind  und  doch  zur  Klärung  und  Erklärung  der  Oertlichkeiten 
nicht  wenig  beitragen.  Ich  gerate  dabei  zunächst  auf  ein  Gebiet,  welches 
ich  nicht  wie  einen  grossen  Teil  der  römischen  bayerischen  Provinz  aus 
längerer  eigener  Anschauung  kenne,  doch  würde  ich  durch  blossen  Augen- 
schein auch  bei  längerem  Aufenthalt  nicht  zu  viel  anderen  Ergebnissen 
gekommen  sein,  denn  nur  die  Aufgrabung  kann  uns  diesen  neuen  Stoff 
liefern  und  wird  es  auch  sicher  thun  und  gerade  solchen  Untersuchungen 
vorzuarbeiten  und  bei  einzelnen  an  den  verschiedenen  geschichtlich  wich- 
tigen Plätzen  wohnenden  Liebhabern  die  Lust  zur  Durchforschung  der- 
selben zu  erwecken,  ist  einer  der  vornehmsten  Zwecke  vorliegender 
Arbeit.  Ermutigend  wirkt  dabei  in  erster  Linie  das  Beispiel  des  Herrn 
Kreisrichter  Conrady  in  Miltenberg,  welchem  wir  die  Aufdeckung  des 
römischen  Lagers  daselbst  verdanken  und  der  nun  um  dessen  Zweck 
und  Zusammenhang  mit  den  übrigen  Römerspuren  der  Umgegend  zu 
erklären  auf  Grund  von  Berechnungen,  alten  Sagen  und  der  wenigen 
bekannt  gewordenen  Mauerreste  im  Boden,  von  Walldürn  angefangen  bis 
zum  Miltenberger  Lager  den  Zug  des  Grenzwalls  durch  Aufgrabung  von 
etwa  20  Wachhäusern  feststellte  und  neuerdings  auch  von  den  Lagern 
zu  Wörth,  Trennfurt  und  Obernburg  die  Grundmauern  aufzufinden  wusste, 
obwohl  diese  an  der  Oberfläche  auch  nicht  im  Geringsten  mehr  sicht- 
bar waren. 

Ferner  der  Vorgang  des  Herrn  Pfarrer  Schreiner  in  Eining,  dessen 
erfolgreichen  Thätigkeit  im  Ausgraben  wir  die  Feststellung  der  römischen 
Station  Abusina  verdanken,  sowie  des  Herrn  Hauptmann  Wimmer,  welcher 
die  römische  Besatzung  von  Straubing  und  römische  Bauten  daselbst  er- 
mittelte. 

Die  Feststellung  auch  nur  eines  einzelnen  Punktes  hat  in  der  Regel 
schon  den  praktischen  Erfolg,  dass  auch  die  Auffindung  der  benachbarten 
Punkte  erleichtert  und  ermöglicht  wird;  so  ist  neuerdings  durch  Herrn 
Dr.  Eidam  in  Gunzenhausen  ein  Teil  der  Mauer  des  römischen  Lagers 
von  Theilenhofen  aufgedeckt  worden  und  die  in  Folge  dessen  auf  meinen 
Vorschlag  erfolgte  Untersuchung  des  Kastenfeldes  bei  Gnotsheim  hat  be- 
reits auch  dort  das  Vorhandensein  einer  Lagermauer  ergeben. 


215 

Nur  durch  solche  Untersuchungen  lassen  sich  die  sehr  dürftig 
fliessenden  Quellen  aus  dem  Altertum  ergänzen  und  die  Lösung  der 
Widersprüche  anbahnen,  welche  zwischen  den  einzelnen  Ueberlieferungen 
vorhanden  sind  und  die  zu  end-  und  ergebnisslosen  Federkriegen  führen 
und  geführt  haben,  bis  man  durch  zufällige  oder  beabsichtigte  Funde 
neue  und  unangreifbare  Gründe  ins  Treffen  führen  konnte. 

Bis  jetzt  hatte  man  sich  fast  überall  und  auch  in  unserem  Lande 
damit  begnügt  zufällig  aufgefundenes  weiter  zu  untersuchen  und  auch  das 
geschah  nur  in  wenigen  Fällen  aus  Mangel  eines  Landesconservatoriums; 
allein  selbst,  wenn  man  alle  zufälligen  Funde  verfolgt  hätte,  würde  dies 
zwar  unser  Wissen  bedeutend  bereichert,  unsere  Sammlungen  bedeutend 
vermehrt  haben,  aber  zu  einem  abgerundeten,  befriedigenden  Wissen  wären 
wir  auch  dann  nicht  gekommen.  Es  genügt  nicht,  dass  wir  die  Funde 
an  uns  herantreten  lassen,  wir  müssen  vielmehr  dieselben  in  ihrer  Ver- 
borgenheit aufsuchen,  sie  zwingen  ans  Tageslicht  zu  treten  und  uns  über 
ihre  Zeit  zu  belehren.  Der  Mangel  eines  derartigen  Vorgehens  hat  denn 
auch  die  Folge  gehabt,  dass  wir  über  manche  Strecken  bis  heute  noch 
nichts  besseres  wissen  als  vor  50  Jahren,  ja  dass  manche  der  damaligen 
Errungenschaften  ganz  der  Vergessenheit  anheimgefallen  sind. 

(lestatten  Sie  mir  also,  dass  ich  den  Versuch  mache,  die  Aufmerk- 
samkeit auf  einzelne  höchst  wichtige  Punkte  zu  lenken,  damit  so  in 
deren  Bewohnern  oder  Nachbarn  vielleicht  die  Neigung  erwacht  diese 
Plätze  zu  untersuchen  und  dadurch  der  Forschung  neue  Quellen  zu  er- 
schliessen  und  neuen  Stoff  zuzuführen. 

Batavis  und  Boiodurum.1) 

Nirgends  stellen  sich  der  Bestimmung  alter  Oertlichkeiten  so  grosse 
Schwierigkeiten  entgegen  als  an  denjenigen  Plätzen,  wo  eine  fortdauernde 


li  Hat ;ivis  schreibt  die  Notitia.  Batabis  appellabatttr  oppidum,  —  oppidum  Batabinum: 
Eugippius  in  «Irr  vita  S.  Severini.  Der  Lokativ  (?)  Batavis  wurde  also  in  nominativischer  Weise  als 
Ortsnamen  gebraucht,  während  der  Nominativ  ursprünglich  der  Volksname  Batavi  gewesen  zu  sein 
scheint;  wäre  Castra  zu  ergänzen,  so  würde  wahrscheinlich  Castra  Batavina  zu  lesen  sein,  denn 
diese  Form  des  Adjektivs  wird  von  Eugippius,  der  die  gebräuchliche  Form  noch  recht  gut  gehört 
haben  konnte,  ständig  angewendet. 

In  der  Notitia  dignitatum  erscheint  Batavis  ohne  Castra  depicta;  auch  Boiodurum  ist  mit 
einer  solchen  Abildung  nicht  bedacht. 


216 

Besiedelung  die  alten  Spuren  oft  bis  zur  Unkenntlichkeit  verwischte,  wie 
z.  B.  in  Augsburg,  Regensburg  und  Passau  und  gleichzeitig  die  jetzige 
Ueberbauung  eine  gewünschte  Untersuchung  entweder  ganz  unmöglich 
macht  oder  nur  an  ganz  kleinen  unzusammenhängenden  Plätzen  und  da 
oft  nur  in  weit  auseinander  liegenden  Zeiten  gestattet,  derart,  dass  die 
Erinnerung  an  die  früheren  Ergebnisse  ganz  erloschen  oder  bis  zur  Un- 
kenntlichkeit entstellt  ist. 

Wo  dann  noch  der  Zeiten  Not  und  Bedrängnis,  Brand,  Eroberungen, 
Wasserfluten  u.  dgl.  mehrmals  grosse  Verheerungen  anrichteten,  und  bei 
Wiederherstellung  der  Kirchen  und  Wohnstätten  ohne  Schonung  alles 
vorhandene  Baumaterial  benützt  werden  musste,  um  möglichst  rasch  den 
Schaden  wieder  gut  zu  machen,  da  finden  sich  solche  Reste  alter  Mauern 
und  Grundbauten  nur  in  so  geringer  Ausdehnung,  dass  eine  deutliche 
Darstellung  des  ältesten  Zustandes  fast  unmöglich  scheint. 

Am  schwersten  werden  diese  Uebelstände  empfunden  an  denjenigen 
Orten,  wo  die  natürliche  Lage  und  Beschaffenheit  den  alten,  wie  den 
neuen  Wohnstätten  nur  einen  beschränkten,  schwer  überschreitbaren  Raum 
zuwies  und  jeder  Neubau  den  Untergang  älterer  Bauwerke  mit  Not- 
wendigkeit voraussetzt. 

Diese  Schwierigkeiten  zeigen  sich  alle  in  vollem  Masse,  wenn  es  sich 
darum  handelt,  Stelle  und  Umfang  der  römischen  Befestigungen  und  Wohn- 
stätten in  und  bei  Passau  nachzuweisen1),  aber  gerade  deswegen  dürfte  es 
angezeigt  sein,  die  jetzt  vorliegenden  Nachrichten  über  dieselben  zusammen- 
zustellen, um  sie  dann  als  die  Grundlage  für  weitere  Untersuchungen  zu 
benützen. 

Die  Stelle,  wo  der  rasche  Inn  seine  grünen  Wellen  mit  der  Donau  ver- 
einigt, während  von  Norden  her  die  dunkeln  Wasser  der  Hz  dem  mäch- 
tigen Strome  zueilen,  scheint  sich  im  Laufe  der  letzten  zwei  Jahrtausende  in 
ihren  Umrissen  nur  wenig  verändert  zu  haben  und  die  kräftigen  Felsmassen, 
welche  die  Ufer  bilden,  haben  mit  wenig  anderem  Aussehen  wohl  schon 
zur  Römerzeit  sich  im  Flusse  gespiegelt.  Die  malerisch  schöne  Lage 
der  Landzunge,    auf  welcher    das  heutige  Passau   erbaut  ist2),    gleich  ge- 

1)  Siehe  Erhard  Dr.  Kleine  Beiträge  z.  älteren  Gesch.  Topogr.  u.  Statistik  d.  Stadt  Passau 
in  den  Verhandl.  d.  hist.  Ver.  f.  Niederbayern.     Bd.  IV  (1855)  S.  50. 

2)  Walther  in  seiner  topischen  Geographie   von  Bayern  sagt  Seite  125:     „Passau  findet  in 


217 

eignet  zu  raschem  Verkehr  auf  den  drei  Flüssen,  wie  zu  einem  sicheren 
schwer  angreifbaren  Zufluchtsort,  hat  sicher  schon  in  sehr  früher  Zeit 
Ansiedler  hiehergelockt  und  manches  Fundstück  deutet  auf  vorrömische 
Bewohner1),  ja  selbst  der  Name  Boiodurum2)  schon,  welchen  die  Römer 
für  ihre  am  rechten  Innufer  gelegene  Befestigung  beibehielten,  belehrt 
uns,  dass  eine  mit  diesem  Namen  versehene  Ansiedelung  von  ihnen  bereits 
vorgefunden  wurde. 

Schwerlich  blieb  der  wichtige  Uebergang  über  den  Inn,  welcher  einen 
Teil  der  grossen  Donaugrenzstrasse  bildete,  lange  Zeit  von  den  Römern 
unbesetzt  und  ebenso  sicher  dürfen  wir  annehmen,  dass  die  beiden 
Enden  des  Flussüberganges  sofort  von  ihnen  befestigt  und  ständig  be- 
wacht wurden. 

Gleichwohl  erscheint  auf  der  ältesten  Urkunde  über  diese  Gegend, 
in  welcher  man  das  Vorkommen  beider  Orte  erwarten  sollte,  nämlich 
in  der  Tabula  Peutingeriana.  nur  das  Castellum  Boiodurum3),  nicht  aber 
Batavis,    ebenso    nennt    das    Itinerarium   Antonini    auf    der    Strecke    von 


Deutschland  nur  eine  Stadi  ihres  Gleichen,  welche  die  drei  Flüsse  und  den  Thalkessel  mitten  im 
Gfobirgsdurchbruche  und  die  Bergfeste  mit  ihr  gemein  hat:  Passau  ist  nämlich  das  Donau-Coblenz 
(Confluens  wie  das  rheinische).  Wer  die  „ewigen"  Städte  in  Deutschland  kennen  will,  darf  nur  die 
Peutingeriana  nachschlagen;  jene  Römer  haben  die  Punkte  ausersehen,  sie,  deren  Name  noch  nach 
zwei  Jahrtausenden  ihrer  Niederlage  in  unserer  Geschichte,    in  unserer  Topographie  fortherrscht. " 

1)  Drei  Kelte  von  Bronze,  in  Passau  auf  der  Donaaseite  ''ei  Anlage  einer  Wasserleitung 
gefunden,  befinden  sich  in  der  Sammlung  des  historischen  Vereins  dir  Niederbayern  zu  Landshut 
(siehe  Verhandl.  d.  bistor.  \  er.  f.  Niederbayern  V  297  n.  394),  ebenso  eine  schöngeriffelte 

Schwertspitze  und  ein  Hohlkeit  von  Bronze,  gefunden  bei  h'analisierung  der  Stadt  Passau  1857. 
(a.  a.  0.  S.  2<)7  n.  2P<U 

—  >  Boiodurum  Boii  i nicht  Boiommi  castellum  (wegen  durum  s.  Zeus-,  Qranunatica  Celtica 
L858    |».  3u ;    1871  n.  24.),    wie   Epomanduodürum  ESpomandui    castellum    Itilück.   Gel.    Anz. 

München  1S">1  8p,  'J:'.  Xote  98).    Augustodürum  =  Angttsti  castellum,    (Erhard.  S.  144.) 

3)  JJoidöoiQot'  ichreibl  l'tolemaeus  2,  12,  2;  Boiodoro  das  hin.  Anton,  p.  249  (nach  dem  Cod. 
Escor.,  die  (Ihriges  Bandsohr,  haben  IJolodoro  od.  Bolodero)  Boiodoro  die  Notit.  dignit.  p.  100; 
Boiotro  Eugippius  c.  22.  '■'<*>.  statio  Boiod  (urensisi  ein..  Inschrift  im  C.  J.  L.  111.  5121  und  endlich 
Boiiduru  die  Inschrift  des  drei  Meilen  unterhalb  I  rbndenen  Meilensteins  (C.  J.  L.  III.  5755) 

aus  d.  Zeit  des  Caracalla  (M.  Aurellius  Antoninus  pius  Felix  A.ug.  l'arth.  maxim.  Brit.  max.  also 
aus  den  Jahren  nach  dem  Tode  seines  Vaters  211 — 217). 

WVnn  auch  die  Talmla  Peutingeriana  im  Original  und  nach  Desjardins  Ausgabe  ganz  deut- 
lieh die  Lesart  Castellum  Soloduruni  aufweist.  SO  fallt  diese,  beider  unzweifelhaften  Gleichheit  der 
Oertlichkeit  und  der  ziemlich  späten  Abschrift  der  Tabula,  gegenüber  den  anderen  Ueberlieferungen, 
namentlich  aber  gegenüber  den  oben  erwähnten  Inschriften  nicht  ins  Gewicht.  (Vgl.  Braunmüller, 
Bemerkungen  gegen  die  neuen  Petrensia  in  den  Verhandl.  d.  histor.  Ver.  f.  Niederbayern  Bd.  XVII. 
S.  :S77  und:  Seefried,  die  neuen  (iegner  von  Jovisara  und  Petrensibus  ebenda  Bd.  Will.  S.  435.) 


218 

Vindobona  nach  Brigantia  nur  Boiodorum,  nicht  Batavis,  das  auch  bei 
Ptolemaeus  nicht  vorkommt  und  zuerst  in  die  Notitia  utriusque  imperii 
finden  wir  neben  Boiodurum,  wo  ein  tribunus  einer  ungenannten  Cohorte 
seinen  Sitz  hatte1)  auch  den  tribunus  cohortis  novae  Batavorum.2)  Sollte 
Jemand  annehmen  wollen,  der  Tribun  von  Batavis  sei  derselbe  mit  dem 
von  Boiodurum,  so  verweisen  wir  darauf,  dass  der  Tribun  von  Boiodurum 
unter  dem  dux  Pannoniae  primae  et  Norici  ripensis  stand,  während  der 
Tribun  von  Batavis  dem  (lux  Kaetiae  primae  et  secundae  untergeben  war.8) 

Seither  war  man  nun  geneigt  aus  dem  Nichtvorhandensein  des 
Namens  im  Itinerarium  und  in  der  tabula  Peutingeriana  zu  schliessen,  es 
habe  zur  Zeit  der  Herstellung  dieser  beiden  Quellen  das  Lager  zwischen 
Inn  und  Donau  an  der  Stelle  des  heutigen  Passau  noch  nicht  bestanden 
und  die  castra  Batava  seien  erst  nach  dieser  Zeit  also  im  fünften  Jahr- 
hundert angelegt  worden.  Allein  wenn  wir  die  Natur  der  beiden  ge- 
nannten Quellen  ins  Auge  fassen,  wird  uns  dieser  Schluss  hinfällig  oder 
wenigstens  nicht  sicher  begründet  erscheinen.  Beide  Quellen  sind  nämlich 
Verzeichnisse  der  Haltstellen  für  die  im  Staatsdienst  reisenden  Offiziere 
oder  Beamten  und  für  diese  genügte  es,  wie  heute  bei  den  Haltestellen 
der  Eisenbahnen,  von  zwei  dicht  beisann umliegenden  Ortschaften  nur 
eine  genannt  zu  haben4). 

Für  das  frühere  Vorhandensein  eines  Lagers  am  linken  Innufer, 
Boiodurum  gegenüber,  spricht  dagegen  die  Lage  und  die  Notwendigkeit 
den  Innübergang  an  beiden  Enden  zu  decken,  und  dann,  wenn  auch  in 
weniger  dringlicher  Weise,  der  Umstand,  dass  die  Cohorte,  nach  welcher 
Passau  seinen  Namen  erhielt,    die  neunte  Batavische,   bereits  im  Regens- 


1)  Notitia  dignit.  occident.  ed.  Böcking  p.  100. 

2)  Ebenda  p.  102. 

3)  H.  Kiepert  (Lehrbuch  d.  alten.  Geographie  (1878)  8.  867.  Anm.  1.)  macht  bei  Erwähnung 
von  Boiodurum  und  Castra  Batava  folgende  Bemerkung:  „Die  beiden  Orte  sind  bekanntlich  durch 
den  Inn  (Aenus)  angeblichen  Grenzfluss  Rätiens  und  Noricums  getrennt,  was  nicht  so  wörtlich  zu 
verstehen  sein  kann,  dass  schon  die  Vorstadt  Boiodurum  einer  andern  Provinz,  der  norischen,  an- 
gehört hätte."  Diese  Vermutung  wird  meiner  Ansicht  nach  wenigstens  für  die  Zeit  der  Notitia 
entschieden  dadurch  widerlegt,  dass  die  Besatzung  von  Passau  unter  dem  dux  Raetiae  primae  et 
secundae  stand,  der  Tribun  der  Cohorte  zu  Boiodurum  aber  zu  den  Truppen  des  dux  Pannoniae 
primae  et  Norici  ripensis  gehörte,  eine  Angabe,  mit  welcher  die  Annahme,  dass  beide  Lager  zu 
einer  Provinz  (Raetia)  gehört  hätten,  sich  nicht  vereinen  liisst. 

4)  Auch  dpr  Meilenstein  C.  J.  L.  III  5755.  gibt  nur  Boiodurum,  nicht  Batavis  als  Strassen- 
endpunkt  an. 


219 

burger  Militärdiplom1)  vom  Jahre  166  einen  Bestandteil  des  rätischen 
Heeres  bildet. 

Unter  den  vorliegenden  Verhältnissen  haben  wir  es  also  sicher  mit 
zwei  daselbst  liegenden,  unter  verschiedener  Führung  stehenden  Ab- 
teilungen zu  thun  und  dürfen  also  auch  nach  römischer  Sitte  zwei  ver- 
schiedene Lager  erwarten,  denn  selbst  wenn  zwei  unter  verschiedenem 
Commando  stehende  Truppenkörper  neben  einander  lagen,  wurden  die 
Lager  getrennt,  nicht  innerhalb  desselben  Walles  geschlagen,  wie  wir  dies 
an  den  in  kurzer  Entfernung  von  einander  liegenden  Legionslagern  von 
Deisenhofen  noch  heute  sehen,  und  namentlich  an  den  beiden  Lagern 
von  Irnsing  und  Eining  (Abusina),  welche  die  Bestimmung  hatten,  den 
Uebergang  der  Grenzstrasse   über  die  Donau  zu  decken. 

Wollen  wir  nun  nach  den  Ueberresten  jener  langdauernden  Besetzung 
suchen,  so  ist  es  wichtig,  genau  den  Platz  zu  kennen,  an  welchem  die 
römischen  Lager  sich  befanden,  weil  nur  in  denselben  oder  deren  nächster 
Nähe  die  anzustellenden  Untersuchungen  uns  Inschriften,  gestempelte 
Ziegel  u.  dergl.  als  willkommene  und  untrügliche  Geschichtsquellen  zu 
liefern  versprechen.  Diese  Stellen  sind  nun  bis  jetzt  systematisch  noch 
nicht  gesucht  worden,  sondern  man  hielt  die  von  der  sogenannten  Römer- 
wehr eingeschlossene  Altstadt  für  die  Stelle  des  Castrums  der  Bataver, 
und  die  heutige  Innstadt  für  das  Lager  von  Boiodorum. 

Wenn  nun  auch  zugegeben  werden  muss,  dass  damit  im  allgemeinen 
das  richtige  getroffen  ist,  so  war  andrerseits  der  Umstand,  dass  man  sich 
damit  begnügte,  vielleicht  mit  Schuld  daran,  dass  bis  auf  den  heutigen 
Tag  so  wenig  römische  Fundstücke  aus  Passau  vorhanden  und  bekannt 
sind,  und  dass  man  versäumte  Nachforschungen  anzustellen,  um  an  die 
rechten  Fundplätze  zu  kommen  und  nach  der  Stelle  des  eigentlichen 
römischen  Lagers,  (der  Kasernen,  wenn  ich  so  sagen  darf,  nicht  bloss  der 
in  deren  Umgebung  entstandenen  Niederlassung)  zu  suchen.  Wir  wollen 
daher  in  folgendem  versuchen,  nachzuweisen,  dass  trotz  des  jetzigen 
Mangels  an  äusseren  Kennzeichen  die  Möglichkeit,  diese  Plätze  genau 
festzustellen,  noch  nicht  ganz  verschwunden  ist. 


1)  Ohlenschlager,  Das  römische  Militärdiploni  von  Regensburg  in  den  Sitzungsber.  d.  Akad. 
phil.-histor.  Gl.  1874.    S.  14:?  f. 

Abh.  d.i.  Cl.  d.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  f.  Abth.  29 


220 

Sehen  wir  zunächst,  was  bis  jetzt,  wo  auf  die  Trennung  zwischen 
dem  Lager  und  der  zugehörigen  Niederlassung  kein  Gewicht  gelegt 
wurde,  über  die  Lage  der  beiden  Orte  mitgeteilt  ist. 

Die  Geschichte  von  Bayern,  herausgegeben  von  der  Akademie  der 
Wissenschaften  zu  München   1785.  Bd.  I.  S.    12   sagt: 

„Beim  Zusammenflüsse  der  Donau  und  des  Inns  kamen  die  Bojer 
herüber.  Hier  erbauten  sie  eine  Stadt,  welche  sie  die  Inn-  öder 
bayerische  Wasserstadt  (Boiodurum)  nannten,  und  von  da  aus  ver- 
breiteten sie  sich  durch  Yindelizien  und  Norikum  bis  nach  Ober- 
pannonien,  und  zogen  südwärts  nach  dem  Lande  auf  und  über  den 
Gebirgen,  welches  Rhätien  hiess.  Und  bauten  Flecken  und  Städte  au 
den  Ufern  der  Flüsse  und  auf  den  Hügeln,  deren  Namen  noch  heut- 
zutage auf  „Dunum"   oder   „Durum"   oder   „Bona"   endigen." 

Buchner,  Geschichte  von  Bayern  Bd.   I.  S.   51.  sagt: 

„Die  wichtige  Stelle  bei  der  .Mündung  des  Inns  wurde  durch 
zwei  Castra  vertheidigt,  Batava  und  Bojodurum.  Jenes  an  der  Stelle, 
wo  die  heutige  Stadt  Passau  steht,  ward  gegen  das  Ende  des  4.  Jahr- 
hunderts erbaut  und  zur  Bewachung  der  neunten  (neuen?)  Batavischen 
Cohorte  anvertraut:  diesem  gegenüber  am  rechten  Ufer  gelegen,  war 
ein  altes,  wohlbefestigtes  Bergschloss  von  den  Bojern  angelegt  zur 
Zeit,  wo  sie  an  dieser  Stelle  zum  erstenmale  über  die  Donau  in  ihr 
bis  auf  unsre  Tage  noch  immer  glücklich  erhaltenes  Vaterland  ein- 
rückten (8  Jahre  v.  Chr.);  auch  hier  lag  ein  Tribun  mit  seiner 
Cohorte  in  Besatzung." 

Präsident  v.  Mulzer  setzt  dann  in  den  Niederbayer.  Verhandlgn.  I 
(1846)  S.  29  noch  hinzu:  „Buchner  denkt  sich  unter  Bojodurum  anfangs 
ein  Bergschloss,  woran  er  jedoch  die  Idee  von  Castra  knüpft,  während 
Zschokke  (der  bayerischen  Gesch.  1.  Band.  Aarau  1813  S.  20.)  das  alter- 
tümliche Bojodurum  tief  im  Thale  drei  zusammentretender  Flüsse  zwischen 
Strom  und  Fels  liegend  (Innstadt  des  heutigen  Passau)  beschreibt."  — 
Seite  30.  fährt  er  dann  fort:  ->,War  auch  in  den  ersten  Jahrzehnten  der 
neuen  Zeitrechnung  Boiodurum  nur  ein  Castell  auf  der  Höhe  oberhalb 
der  St.  Severinskirche,  oder  wenn  man  solches  dem  Ausflüsse  des  Inns 
noch  näher    setzen  will,    auf  dem   jetzigen  Hammerberge,    so    ist  solches 


221 

wahrscheinlich  bei  der  Ausdehnung  der  römischen  Befestigungswerke  nicht 
isolirtes  Castell  geblieben,  sondern  entweder  mit  grösseren  Befestigungs- 
werken auf  der  Seite  Noricums  oder  mit  Castra  batava  verbunden  worden." 

„Nachgrabungen  auf  diesen  genannten  Höhen  würden 
vielleicht  jetzt  noch  auf  Entdeckungen  führen." 

„Wenn  nun  das  Alter  von  Boiodurum  bis  zum  Ende  der  alten  Zeit- 
rechnung hinaufsteigt  —  so  ist  dies  allerdings  das  älteste  Werk  aus  der 
Römerzeit  im  Unterdonaukreise,  dessen  Lage  mit  Wahrscheinlichkeit  be- 
stimmt werden  kann.  Zur  Bestimmung  des  Punktes  jedoch, 
wo  das  älteste  Castellum  Boiodurum  gestanden  hat,  fehlen 
die  Spuren." 

Gerade  der  letzte  Satz  ist  es,  welcher  vielleicht  weitere  Nachfor- 
schungen verhinderte  und  wir  wollen  sehen,  ob  der  völlige  Mangel  an 
Spuren,  der  zu  Mulzer's  Zeiten  1846  vorhanden  war.  auch  jetzt  den  ge- 
steigerten Hilfsmitteln  gegenüber  besteht. 

Betrachten  wir  zunächst  die  Stelle  des  Innübergangs,  so  werden  wir 
zugestehen  müssen,  dass  dieselbe  zu  keiner  Zeit  beträchtlich  anders 
gewesen  sein  kann  als  heutigen  Tages  und  aus  der  Lage  der  Brücke 
können  wir  auch  auf  die  Lage  der  zu  ihrer  Deckung  dienenden  Castelle 
schliessen,  deren  eines,  das  westliche,  oberhalb  der  Brücke  zwischen  Inn 
und  Donau,  das  andere  unterhalb  der  Brücke  am  rechten  Inn-  oder 
Donauufer  so  angelegt  sein  müsste.  dass  von  demselben  aus  die  Brücke 
und  deren  Zugang,  die  Donaustrasse,  beherrscht  und  geschlossen  werden 
konnte. 

Noch  lange  nach  Mulzer's  Zeit  war  man  fast  überall  der  irrigen 
Meinung,  dass  die  Römer  für  ihre  Lager  die  Höhen  hätten  suchen  müssen, 
und  Niemand  hätte  in  der  Ebene  dicht  am  Fluss  eine  Lagerstelle  ver- 
mutet, am  wenigsten  aber  dann,  wenn  eine  benachbarte  Höhe  eine 
scheinbar  weit  günstigere  Stätte  bot. 

Allein  die  ausgedehnten  Funde  neuerer  Zeit  haben  in  der  Regel 
das  Gegenteil  als  Thatbestand  ergeben,  indem  die  Lager  von  Miltenberg, 
Pföring,  Künzing  u.  a.  in  der  Ebene  sich  vorfanden,  häufig  nur  so 
weit  von  benachbarten  Flüssen  entfernt,  dass  sie  gerade  beim  Hoch- 
wasser   noch    zugänglich    blieben    und    wie    das    Lager    von   Miltenberg 

29* 


222 

und  Enns-Lorch  (Lauriacum) !)  in  unmittelbarer  Nähe  von  beherrschen- 
den Höhen. 

Es  war  den  Römern  offenbar  mehr  daran  gelegen,  dass  die  Truppen 
leicht  und  schnell  nach  und  von  dem  Lager  gelangen  konnten,  als  diese 
selbst  vor  jedem  Angriff  an  einem  schwer  zugänglichen  Platze  gänzlich 
sicher  zu  stellen,  wodurch  aber,  falls  die  Truppen  in  der  Nachbarschaft 
verwendet  werden  mussten,  an  Schnelligkeit  der  Bewegung  etwa  eine 
halbe  Stunde  oder  eine  Stunde  eingebüsst  worden  wäre.  Wir  werden 
deshalb  nicht  notwendiger  Weise,  wie  man  früher  that,  das  Lager  auf 
der  Höhe  suchen,  sondern  am  Fusse  derselben,  aber  auch  von  der  jeden- 
falls mit  Wachen  versehenen  Höhe  nicht  weiter  entfernt,  als  dass  im 
äussersten  Falle  die  Höhe  noch  als  Stützpunkt  für  das  Lager  mit  benutzt 
werden  konnte,  und  dass  es  dem  Feind  schwer  möglich  war  sich  zwischen 
Höhe  und  Lager  einzudrängen.  Ein  solcher  Punkt  ist  aber  hart  an  der 
Donaustrasse  bei  der  sogenannten  Rosenau,  da  wo  die  im  Jahre  1160 
gegründete,  jetzt   zu   Wohnungen   eingerichtete    St.    Egidiuskirche    steht. 

„Dort  wurden  ums  Jahr  1840  im  (1  arten  des  ärarialischen  Baustadels 
unweit  des  Leprosenhauses  ein  Stück  Mosaik,  ein  Bruchstück  einer 
Urne  aus  roter  Siegelerde,  ein  Thränenf  laschen  und  ein  Sc  hm  in  k  - 
töpfchen,  welches  noch  etwas  rote  Schminke  enthielt,  ausgegraben. 
Ferner  hat  man  in  der  Nähe  der  ehemaligen  uralten  St.  Egidiuskirche 
römische  Münzen  gefunden  und  ist  bei  Ausgrabungen  an  mehreren 
Stellen  in  einer  Tiefe  von  6 — 8  Fuss  auf  ein  steinernes  Strassen  - 
p  f  1  a  s  t  e  r  gestossen. 2) u 

Ganz  in  der  Nähe  wurden  dann  im  Jahre  1869  wieder  Stücke  von 
römischen  Töpfen  aus  terra  sigillata  ausgegraben  und  von  Herrn  Dr.  Alex. 
Erhard  der  Sammlung  des  historischen  Vereins  zu  Landshut  übergeben.3) 
Auf  einem  mit  diesen  Fundstücken  dem  historischen  Verein  überschickten 
Blatte  bezeichnet  der  um  Passau's  Geschichte  hochverdiente,  leider  ver- 
storbene   Dr.  Erhard    eine  Stelle  unmittelbar  südlich  bei  der  ehemaligen 


1)  Gaisberger  Jos.,    Lauriacum    und  seine  römischen  Alterthümer,    in  dem  Bericht  über  das 
Museum  Francisco-Carolinum  1846.  8.  mit  8  Tafeln» 

2)  Erhard  Dr.  Alexand.,  Gesch.  d.  Stadt  Passau  II.  Bd.  (1864)  S.  198. 

8)  Verhandl.  d.  histor.  Ver.  f.  Niederbayern  Bd.   XV.  (1870)  S.  239  u.  577. 


223 

St.  Egidiuskirche  als  eine  „wallartige,  in  der  Mitte  vertiefte,  viereckige 
Erhöhung"  und  dort  müssen  sich,  wie  ich  sicher  glaube  die  Reste  des 
Lagers  von  Boiodurum  im  Boden  finden.  Dieser  Glaube  wird  noch 
durch  eine  Stelle  der  Monumenta  boica  !)  bestärkt,  nach  welcher  der  Platz, 
wo  die  Egidiuskircbe  gegründet  wurde,  früher  Biburch  hiess.  Der  Name 
„Biburg"  findet  sich  nämlich  in  gleicher  Weise  zur  Bezeichnung  einer 
römischen  Lagerstelle  verwendet  bei  dem  Limes-Castell  zwischen  Pföring 
und  Forchheim  und  neben  dem  Ausdruck  „Biber"  öfter  zur  Bezeichnung 
uralter  Befestigungen'2);  ich  erinnere  hier  nur  an  das  römische  Castell 
zu  Niederbiber. 

Nachgrabungen  an  dieser  Stelle  oder  auch  nur  Untersuchungen  mit 
dem  Erdbohrer  würden  darüber  bald  Gewissheit  verschaffen  und  die  dort. 
wie  in  allen  Grenzlagern,  sicher  vorhandenen  Ziegelstempel  würden  uns 
über  die  bis  jetzt  unbekannte  und  auch  in  der  Notitia  verschwiegene  Be- 
satzung jenes  Lagers  belehren,  denn  die  wenigen  sonstigen  l 1 eberbleibsel, 
welche  die  Innstadt  aufzuweisen  hat.  bestehen  nur  aus  einem  römischen 
Grabsteine  eines  gewissen  Faustinianus3),    der  schon    zu  Aventins  Zeit  in 


1)  Monum.  Boica  XXVIII.  t,  2.  p.  11">.  n.  W  u.  XVI:  fundum  cuiuadam  capelle  super 
ripam  eni  Bündnis  in  loco,  qui  Biburch  in  vulgo  vocatur,  Becus  pataviain  super  reliquias  beati 
Egidii  in  cuius  Imnore  eadem  basilica  a  duobus  fratribus  nostris  construeta  est. 

2)  Schon  F.  X.  Mayer  macht  in  den  Verhandl.  d.  bist.  Ver.  f.  Oberpfalz  Bd.  I.  8.  117  auf- 
merksam, „dass  eine  Menge  Ortschaften,  wo  man  Spuren  von  dagewesenen  Lagerplätzen  und  Ver- 
schanzungeu  antrifft,  diesen  Namen  fahren*,  setzt  aber  ganz  unbegründet  hinzu,  Biburg  oder  Biber 
bedeute  in  der  keltischen  Spracht;  einen  Lagerplatz.  Als  Beleg  für  das  Zusammentreffen  des 
Namens  Biberg  mit  (meist  römischen)  Schanzen  mögen  folgende  Beispiele  dienen:  Apian,  Topo- 
graphie von  Bayern  S.  69,  6  erwähnt:  Theining  pag.  tempi.  \restigium  antiqu.  nominatum.  Auf 
der  Biburch  (8W.  X.  S,  eine  der  Schanzen  bei  Deining.  Ohlenschl.).  —  Bei  Mendorf  1  St.  südl. 
des  Limes  liegt  Biber  mit  4  eckiger  Schanze.  N<  >.  XXXV.  1.  —  Nach  einem  handschriftlichen 
Diplomatarium  von  Niedermünster  ist  in  der  Gegend  der  Elingschanze  zwischen  Postsaal  und 
Abbach  ein  Gehölz  mit  Namen  Biber  in  alten  Urkunden  verzeichnet  (Schuegraf  in  den  Verhandl. 
d.  hist.  Ver.  f.  Oberpfalz  X.  S.  189.  Anm.).  —  Bei  Biberg  NO.  IX.  52.  ist  eine  römische  Befestigung 
nach  Lamprecht,  Karte  des  Matichgaus.  —  Nach  den  Katastern  und  Aufnahmen  finde  ich  noch: 
NO.  II.  12.  Biberg  heisst  die  4  eckige  römische  Schanze  bei  Forstinding.  —  NO.  VII.  1").  Biberg 
bei  Walpertskirchen  mit  einem  Schanzfeld  in  der  Nähe.  —  NO.  XXV.  16.  Biberg  mit  viereckiger 
Schanze.  —  NO.  XXXI.  27.  Römerschanze  im  Biburger  Holz  bei  Biburg.  —  NO.  XXXIII.  38.  Das 
Feld,  worin  die  römische  Schanze  südlich  von  Lohe  liegt,  heisst  Uihi-Hehl.  NO.  XXXVI.  2ü. 
liegt  eine  römische  Schanze  im  Hubinger  Bibergarten.  —  SO.  I.  34.  Biburg  (Bibing)  mit  dem 
Reste  einer  viereckigen  Schanze  xh  St.  westlich  von  Margarethenberg  a.  d.  Alz.  —  SO.  XX.  18. 
findet  sich  eine  Biber  bei  Brannenburg. 

3)  Die  Inschrift  ist  veröffentlicht  bei  5.  v.  Hefner.    Das    römische  Bayern    (3.  Aufl.)    n.  296, 


224 

der  St.  Severinskirche  zu  Passau  links  vom  nördlichen  Eingange  sich 
befand,  auch  heute  noch  dort  als  Weihwassergefäss  dient  und  die  In- 
schrift trägt : 

D  M 

F    AI    S   T    I   N   I 

A  N  0     •     1CT 

ILLYK    •    V  I  L 

I   N   G   E   N   V   S 

FIL    ET    FELIX 

>  •  SC  •    EX   •   VIK 

Kl  YS  .  B.MP-P 

Derselbe,  aus  dichtem  Kalkstein,  ist  120  cm  hoch,  die  Schriftfläche 
44  cm  breit,  die  Inschrift  sehr  gut  erhalten  und  mit  Auflösung  der  Ab- 
kürzungen folgendermassen  zu  lesen:  D(is)  M(anibus)  Faustiniano  vect(igalis) 
Illyr(ici)  vil(ico)  Ingenus  fil(ius)  et  Felix  (contra)  sc  (riptor)  exvik(ario) 
eins  b(ene)  m(erenti)  p(atri)  p(atrono).  Zu  Boiodurüm  befand  sich 
nämlich  ein  Zollamt  des  Illyrischen  Zolles  (statio  vectigalis  Illyrici). 
denn  Noricum  ripense  war  nach  der  Notitia  dignitatum  ed.  Böcking 
S.  10*  eine  der  sechs  Provinzen  von  Illyricum.  Hier  war  Faustinianus 
Zollbeamter  (vilicus,  Einnehmer)  und  Felix  sein  Gegenschreiber  (Con- 
troleur)  und  gewesener  Stellvertreter.  Diese  Statio  Boiodurensis  wird 
uns  ausdrücklich  bezeugt  durch  eine  zu  Hrastnik  in  Kärnten  gefundene, 
jetzt    zu    Laibach    im  Museum    befindliche    Inschrift    (G.   I.   L.  III.    r>121). 

DI     M 

e  v  t   y  c  h   e  s 
ivlioi; 

C-P.P  sei;  >  SCB 
statioMs    •    BOIOD, 
EX    \  IK    IJENIGNI  VIL 

8TAT  •  ATRAHTIN 

ARAMCVM  SIGNO 
LVNAE 

ex  vöto  posvtt 

P-RS-TCLASENILL 

doch  nicht  ganz  völlig  richtig  erklärt,  dann  im  C.  J.  L.  III.  •">691  ;  abgebildet  bei  Hefner  a.  a.  0. 
Taf.  IV.  Fig.  17.  und  mit  den  übrigen  römischen  Denkmälern  von  Passau  in  den  Verhandlungen 
dea  histor.  Vereins  f.  Niederbayern.    Md.  I  Hft.  I.  Taf.  II.  III. 


225 

deren  Wortlaut  unverkürzt  folgender  ist:  D(eo)  i(nvicto)  M(ithrae) 
Eutyches  Julior(um)  c(onductorum)  p(ortori)  p(ublici?)  ser(vus  contra) 
scr(iptor)  stationis  Boiod(urensis)  ex  vik(ario)  Benigni  vil(ici)  stat(ionis) 
Atrant(inae)  aram  cum  signo  Lunae  ex  voto  posuit  p(rocuratore)  r(ationum) 
s(uminarum)  T.  Cla(udio)  Senill(o?).  Mommsen  nimmt  mit  grosser  Wahr- 
scheinlichkeit an,  dass  dieser  Altar  von  Eutyches.  der  zum  Gegenschreiber 
nach  Boiodurum  befördert  worden  war.  vor  seinem  Abgang  von  seiner 
früheren  Stelle  (der  Statio  Atrantina,  jetzt  Trojana  bei  St.  Oswald)  gesetzt 
worden  sei. 

Dann  ein  Denkstein,  welcher  in  einer  Gartenmauer  vor  der  Innstadt 
in  Passau  eingemauert  war  und  dann  von  Bischof  Heinrich  heraus- 
genommen und  im  Domkreuzgang   aufbewahrt  wurde. 

Derselbe  zeigt  in  halnerhabener  Arbeit  drei  Brustbilder,  dem  Costüme 
nach  alle  von  Männern  und  darunter  eine  Anzahl  im  Zusammenhang 
unleserlicher  Buchstaben,  und  endlich  ein  steinernes  mörserartiges  Gefäss, 
oben  mit  4  Masken  verziert,  welches  in  der  Egidienkirche  aufgestellt 
war  und  sich  jetzt  in  der  Sammlung  des  historischen  Vereins  zu  Landshut 
befindet.  Man  hielt  dasselbe  früher  für  unbestritten  römisch,  während 
es  mir  eher  den  Eindruck  eines  alten  Taufsteins  machen  wollte. 

Der  Name  Boiodurum  ebenso  wie  das  Boitro  des  Eugippius  aber  hat 
sich,  wenn  auch  entstellt,  bis  auf  den  heutigen  Tag  erhalten,  denn  der 
Beiderbach,  welcher  das  an  die;  Innstadt  südwestlich  angrenzende  Thal, 
Beiderwiese  genannt,  durchfliesst,  kommt  1144  unter  den  Namen  rivulus 
Patera  vor1),  die  jetzige  Beiderwiese  wird  im  Jahre  1253  Boytra,  dann 
1431  in  der  peytra.  in  späteren  Urkunden  in  der  peuten  genannt,  ebenso 
das  Severinsthor  Peichterthor  und  noch  1499  die  Lederergasse 
Peichtergasse.2) 

Nicht  viel  besser  steht  es  mit  den  römischen  Resten  in  dem  gegen- 
überliegenden Passau.  Nur  eine  einzige  Inschrift  ist  uns  hier  erhalten, 
die  im  Hause  n.  238  am  Steinweg  in  Passau  eingemauert  war,  sich  jetzt 
in  der  städtischen  Sammlung  befindet  und  folgender  Massen  lautet: 


1)  Mon.  Boie.  IV.  p.  812. 

2)  Erhard,  (irs.l,.   v.   l'assan.   II.  S.    L98. 


226 

D  fifl 

IVL  •  PRIMITIVO 
VETERANO  •  VI 
XIT  •  A  •  LX  •  MEMO 
R  •  EIIVS  •  TITVLE 
NIA  •  IVSTINA  •  C 
ON1YXX  •  F  •  C 

Auch  diese  Inschrift  gibt  uns  über  die  Geschichte  von  Passau  nicht 
den  geringsten  Aufschluss  und  bekräftigt  nur  durch  ihre  Anwesenheit 
das  auch  sonst  genügend  überlieferte  Vorhandensein  einer  römischen  An- 
siedelung an  der  Stelle  des  heutigen  Passau,  als  deren  bedeutendster  Rest 
die  jetzt  sogenannte  Römervvehr  angesehen  wird. 

Von  dieser  gibt  uns  Dr.  Erhard1)  folgende  Beschreibung: 

Die  Römerwebr. 

„Wer  sich  vom  Neumarkte  oder  Graben  durch  das  Thor  bei  der 
Pfarrkirche  zu  St.  Paul  in  die  innere  Stadt  begibt,  wird  rechts  eine  hohe 
Mauer  bemerken,  welche  über  alle  Häuser  emporragt  und  schon  durch 
ihre  äussere  Gestalt  ihr  hohes  Altertum  beurkundet.  Schon  in  den  ältesten 
Urkunden  wird  ihrer  erwähnt  und  eine  uralte  Tradition  schreibt  ihre 
Erbauung  den  Römern  zu.  Dafür  sprechen  auch  ihre  kolossalen  Dimen- 
sionen, ihre  feste,  noch  vielen  künftigen  Jahrhunderten  trotzende  Bauart 
und  die  vielen  daselbst  gefundenen  römischen  Altertümer. 

Diese  noch  gut  erhaltene  Mauer  bildet  einen  Teil  des  römischen, 
von  der  batavischen  Cohorte  besetzten  Castells,  welches  hier  von  den 
Römern  zur  Verteidigung  der  Grenze  ihres  Reiches  angelegt  wurde. 

Die  Zeit  ihrer  ersten  Erbauung  ist  unbekannt,  fällt  aber  jedenfalls  in 
die  ersten  4  Jahrhunderte  der  christlichen  Zeitrechnung.  Megiserus  be- 
hauptet, sie  sei  unter  Philippus  Arabs  von  246  —  253  erbaut  worden. 
Nach  der  alten  Reimchronik,  welche  vor  mehr  als  200  Jahren  ge- 
schrieben wurde,  soll  an  der  Stelle  des  Paulusbogens  im  Jahre  305  das 
Stadtthor  gewesen  sein. 


1)  Erhard  in  den  Verhandl.  des  bist.   Ver.  f.  Niederbayera.  Bd.  IV.  (1855)  Hft.  §.  S.  69  und 
fast  gleich  in  der  Gesch.  von  Passau  II.  S.  89  f. 


227 

Als  das  Castell  um  das  Jahr  477  von  den  wilden  Thüringern  mit 
stürmender  Hand  erobert  und  nebst  den  Wohnungen  der  Colonisten  der  Zer- 
störung preisgegeben  wurde,  trotzte  sie  allein  der  feindlichen  Verheerung. 

Bischof  Erchenfried  von  Lorch,  welcher  sich  am  Ende  des  6.  Jahr- 
hunderts vor  den  Einfällen  der  Hunnivaren  nach  Passau  flüchtete,  und 
dort  viele  Jahre  lang  aufhielt,  soll  die  beschädigte  Römerwehr  und  die 
zerstörten  Häuser  der  Einwohner  restaurirt  haben.1) 

Unter  Bischof  Otgar  von  Lorch,  seinem  Nachfolger  (von  624 — 639), 
welcher  sich  ebenfalls  öfters  in  Passau  aufhielt,  kömmt  urkundlich  eine 
Kirche  des  hl.  Stephan  unterhalb  der  alten  Stadtmauer  zu  Passau  vor.2) 
Sie  schützte  die  Stadt  gegen  die  verheerenden  Streifzüge  der  Ungarn  im 
10.  Jahrhunderte,  konnte  aber  der  Belagerung  und  Erstürmung  durch 
Herzog  Heinrich  von  Bayern  um  das  Jahr  975  nicht  widerstehen,  wobei 
über   100  Bürger  ihr  Leben  verloren  haben  sollen. 

In  einer  Urkunde  Bischof  Berthold's  vom  Jahre  1252  wird  die  an 
den  Domplatz  grenzende  westliche  Stadtmauer  Dwer,  die  Wehr,  ge- 
nannt und  dabei  ausdrücklich  bemerkt,  dass  sie  schon  von  jeher  so 
genannt  wurde. 

Der  passauische  Bürger  Friedrich  der  Chamerer  schenkte  im  Jahre 
1360  sein  Haus,  „gelegen  im  Newnmareht,  niden  in  der  lantstrazz 
bei  der  Wermawer  und  den  Garten  dabei  zenaeehst  der  Wer- 
mawer"  dem  St.  Johannisspitale  am  llindermarkte. 

Bischof  Leonhard  Hess  im  Jahre  1432  die  Fleischhackerhütten  „an 
dem  Rindermarehte  unter  der  Wermawer"  abbrechen,  um  nun 
mehr  Raum  für  die  Strasse  zu  gewinnen.  Der  noch  gegenwärtig  be- 
stehende ansehnliche  Rest  der  Römerwehr  hat  eine  Länge  von  beinahe 
400  Schritten  und  erstreckt  sich  in  der  Richtung  von  Norden  nach 
Süden  vom  ehemaligen  Kirchhofe  der  Stadtpfarrkirche  bis  zum  Hause 
Nr.  5.  auf  dem  Domplatze.  Die  Mauer  ist  ungemein  fest,  durchaus  von 
Granitsteinen  erbaut,  hat  eine  Dicke  von  8  bis  12  und  eine  Höhe  40  bis 
50  Schuhen.  Gegen  Osten  begrenzt  sie  ein  sich  sanft  abdachender  Erd- 
wall,   auf  welchem    uralte  Linden    wachsen,    welche    schon    im   16.  Jahr- 


1)  Wigul.  Hund  metrop.  Salisburg.  I.  193. 

2)  Monum.  Boic.  XXVIII.  n.  2.  pag.  35. 

Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  I.  Abth.  30 


228 

hundert  urkundlich  genannt  werden;  nach  Westen  gegen  den  Neumarkt 
fällt  sie  steil  ab.  Die  an  ihren  Fuss  angebaute  Mauer  scheint  neueren 
Ursprungs  zu  sein. 

Von  den  angrenzenden  Gärten  der  ehemaligen  Domherrnhöfe  ist  sie 
durch  einen  freien  Platz  getrennt,  welcher  mit  Obstbäumen  bepflanzt  ist. 
Sie  war  früher  viel  höher  als  jetzt  und  mit  Zinnen  versehen,  welche  auf 
einer  Abbildung  der  Stadt  Passau  vom  Jahre  1576  noch  vollkommen 
erhalten  erscheinen.  Gegenwärtig  sind  nur  noch  wenige  Spuren  der- 
selben sichtbar. 

Es  dürfte  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  die  Römerwehr  vor 
vielen  Jahrhunderten  einen  viel  grösseren  Raum  einnahm,  als  gegenwärtig. 
Warum  sollte  der  Hügel,  auf  welchem  der  grösste  Teil  der  Altstadt  liegt 
und  welcher  gegen  Nord  und  Süd  gegen  beide  Ströme  ziemlich  steil  ab- 
fällt, nicht  auch  durch  eine  starke  Mauer  gegen  feindliche  Angriffe  ge- 
schützt gewesen  sein?  Viele  Schriftsteller  haben  daher  mit  Recht  ange- 
nommen, dass  sie  zur  Römerzeit  und  vielleicht  noch  später  die  ganze 
Stadt  umgeben  habe  und  erst  später  bei  der  allmähligen  Vergrösserung 
der  Stadt,  um  Raum  zum  Bauen  zu  gewinnen,  nach  und  nach  bis  auf 
den  gegenwärtigen  Ueberrest  demolirt  worden  sei.  Es  ist  höchst  wahr- 
scheinlich, dass  sie  noch  um  die  Mitte  des  12.  Jahrhunderts  sich  bis  zur 
Domkirche  erstreckte.  Denn  als  Bischof  Conrad  gemäss  vorliegender 
Urkunde  vom  30.  April  1155  aus  3  Höfen  und  einem  Garten  den  Dom- 
platz bildete,  schenkte  er  den  Kanonikern  den  ganzen  Grund,  welcher 
innerhalb  der  Mauer  lag,  die  sich  von  der  Ostseite  des  Domes  längs  der 
Nord-  und  Südseite  desselben  bis  zur  westlichen  Stadtmauer  erstreckten. 
Auf  der  schon  öfter  erwähnten  ältesten  Abbildung  der  Stadt  vom  Jahre 
1493  sieht  man  an  der  Stelle,  welche  heutzutage  das  Theater  und  den 
Redoutensaal  einnehmen,  noch  ein  grosses  Stück  der  Römerwehr,  welches 
sich  bis  zur  alten  bischöflichen  Residenz  erstreckt  und  einen  Ausläufer 
bis  zum  Innstrome  herabsendet. 

Es  ist  daher  gar  nicht  unwahrscheinlich,  dass  die  ganze  Häuser- 
reihe auf  der  Südseite  des  Domplatzes  und  der  nördlichen  des  Steinweges 
vom  Paulusbogen  bis  zur  Pfaffengasse  und  vielleicht  noch  weiter  hinein 
auf  römischen  Grundmauern  stehen." 

Wenn  durch  die  oben  gegebene  Schilderung  auch  keine  völlige  Ge- 


229 

wissheit  über  die  römische  Abkunft  der  Römerwehr  erbracht  ist,  so  ist 
dieselbe  durch  die  frühe  Erwähnung  doch  sehr  wahrscheinlich;  sehr 
fraglich  erscheint  mir  dagegen  Erhards  Behauptung,  „diese  noch  gut 
erhaltene  Mauer  bildete  einen  Teil  des  römischen  von  der  batavischen 
Cohorte  besetzten  Castells  u.  s.  w..  sowie  die  Aufstellung  Mulzers:  „Das 
alte  Batavis,  der  Sitz  des  Tribuns  und  einer  Cohorte,  lässt  sich  erst  in 
der  Gegend  der  Stadt  entdecken,  wo  die  Jesuitenstrasse  anfängt.  In 
diesem  Teile  der  Stadt  bis  zur  Landspitze  hin  finden  sich  bei  Nach- 
grabungen die  Spuren  des  römischen  Ursprungs."1) 

Betrachten  wir  zunächst,  ehe  wir  der  Frage  über  den  Platz  des 
römischen  Lagers  der  Cohors  IX.  Batavorum2)  nahe  treten,  welche  Funde 
sonst  noch  in  Passau  gemacht  worden  sind. 

Der  älteste  erwähnte  Fund  ist  derjenige,  welcher  unter  der  Re- 
gierung des  Fürstbischofs  und  Cardinais  Joseph  Dominikus  Grafen  von 
Lamberg  (1723  — 1761)  beim  Graben  eines  Eiskellers  auf  der  Römerwehr 
gemacht  wurde.3)  Bei  dieser  Arbeit  fand  man  viele  römische  Götter- 
bilder, Abbildungen  von  verschiedenen  Thieren.  Lampen,  Löffel,  Leuchter 
und  andere  Hausgeräte,  alles  von  Bronze;  ferner  die  Büste  eines  römischen 
Imperators  von  Marmor4),  einen  kleinen  metallenen  Opferaltar  mit  ver- 
schiedenen Opferwerkzeugen,  Münzen.  Waffen  u.  s.  w.5). 


1)  Verhandlungen  des  biftor.   Vereins  f.  Niederbayern.     Bd.  1.  H.  I.  S.  35. 

2)  Dass  Cohors  nona,  nicht  nova  Batavorum,  zu  lesen  sei,  ist  auf  Grund  des  Regensburger 
Militiiiliploms  durch  Herrn  Pfarrer  Dahlem  nachgewiesen  worden.  Ohlenschlager,  Die  römischen 
Truppen  im  rechtsrheinischen  Bayern.     Programm  d.  k.  Mnx.-i! vmn.  in  München  1884.  S.  66. 

3)  Erhard,  Gesch.  v.  Passau.  II.  S.  28;    vgl.  Verhandl.   des  histor.  Verein*   f.  Niederbayern. 

I.   II.   1.  S.  38. 

4)  Der  Zufall  brachte  die  Büste,  nachdem  sie  als  Privateigentum  mancherlei  Schicksal 
gehabt,  in  v.  Mulzers  Hände;  dieselbe  wird  jetzt  in  der  Sammlung  des  hist.  Vereins  zu  Landshut 
aufbewahrt  und  v.  Mulzer  bemerkt  dazu:  „Die  Büste  ist  aus  einem  einfarbigen  grauen  marmor- 
artigen Steine  gearbeitet,  war  früher  in  zwei  Stücke  gebrochen  und  ist  ziemlich  gut  wieder  zu- 
sammengesetzt. Sie  ist  eine  Arbeit  aus  guter  Zeit,  die  zu  irgend  einer  Verzierung  im  alten 
Batavia  gedient  haben  mag.  Aussser  dieser  Büste  ist  von  Kunstsachen  aus  der  Römerzeit  nach 
vierjährigen  Bemühungen  in  Passau  von  mir  nichts  aufgefunden  worden.  Mehrere  römische  sil- 
berne und  kupferne  Münzen,  welche  man  teils  in  der  Römerwehr,  teils  in  anderen  Gegenden  der 
Stadt  zu  verschiedenen  Zeiten  gefunden  hat,  waren  übrigens  das  Resultat  aller  Aufforderungen 
um  Nachforschungen.  Der  königl.  Ingenieur  Hofstetter,  welcher  durch  eine  lange  Dienstzeit  in 
Passau  ausgebreitete  und  verlässige  Kenntnisse  dieses  Platzes  hat,  versichert,  dass  bei  den 
vielen  Nachgrabungen    im   oberen   Teile  der  Römerwehr,   wo   jetzt  die  Wasser- 

30* 


230 

„Als  im  Jahre  1824  von  dem  k.  Regierangsgebäude  angefangen 
durch  den  Hofplatz  und  die  Jesuitengasse  eine  Wasserleitung  nach  der 
Bräuerei  des  Jakob  Härtl  geführt  wurde,  hat  man  bei  Einlegung  der 
Deichen  in  der  Tiefe  von  etwa  3  Fuss  obigen  Platz  und  Gasse  durch - 
graben  und  dabei  vom  Regierungsgebäude  Haus-Nr.  1*2  an  der  Zenger- 
gasse  dem  Dom  südlich  gegenüber  bis  zum  Anfang  der  Jesuitengasse 
Haus-Nr.  lf)5  lehmartige  Erde  ausgegraben.  Von  der  Mitte  des  besagten 
Hauses  angefangen,  wurde  längs  der  ganzen  Jesuitengasse  bis  zum  Hause 
Nr.  144  einschliesslich,  namentlich  aber  innerhalb  der  Strecke  von  Nr.  147 
bis  Nr.  155  ausgegraben:  Verwesene  Kohlen,  Aschen  und  schwarze  Erde, 
worunter  sich  verschiedene  Gegenstände  von  metallenen  Geschmeiden  und 
einigen  Münzen,  jedoch  sehr  verdorben  und  kaum  kennbar  befanden. 
In  der  Strecke  von  Nr.  144 — 146  wurden  bei  obiger  Erdart  mehrere 
Trümmer  von  gebrannten  feinem  rotem  Thon  an  einer  Seite  glatt,  an 
der  andern  mit  Figuren  geziert,  von  der  Form  einer  Urne  gefunden." 
Ueber  diese  Fundstücke,  welche  Ingenieur  Hofstetter  dem  Bierbrauer 
Härtl  übergeben  hatte,  wusste  letzterer  schon  1846  keine  Auskunft  mehr 
zu  geben.1)  Ferner  wurden  1848  bei  der  Ausgrabung  des  Fundaments 
zu  einem  neuen  Mautgebäude  am  Fischmarkt  in  einer  Tiefe  von  20  Schuh 


leitungen  durchlaufen,  seit  zwanzig  Jahren  nichts  von  römischen  Altertümern 
gefunden  worden  sei".  Verhandl.  d.  hist.  Vereins  f.  Niederbayern  Bd.  I.  H.  I  (1846)  S.  39. 
Die  Münzen  sind  zum  Teil  verzeichnet  in  den  Verhandl.  d.  hist.  Ver.  im  Unterdonaukreise  Bd.  T. 
(einzigen)  Hft.  :i  (1835)  S.  10—21. 

5)  Lenz  glaubt,  „dass  diese  Büste  mit  allen  im  fürstlichen  Archive  zu  Passau  verwahrten 
Altertümern  unter  der  Regierung  des  Kardinals  Kinnian  von  Passau  weggebracht  worden,  sowie 
allerdings  richtig  sein  mag,  dass  die  Armut*  an  römischen  Altertümern  in  Passau  zum  Teile 
dem  Umstand  zuzuschreiben  ist,  dass  der  fürstbischöfliche  Stuhl  und  das  Domkapitel  daselbst 
früher  grösstenteils  mit  Adeligen  aus  Oesterreich  und  Böhmen  besetzt  waren,  in  welche  Länder 
auch  ihr  Nachlass  mit  manchen  Altertumsschätzen  stetshin  ausgewandert  ist."  Siehe  Verhandl.  d. 
hist.  Ver.  f.  Niederbayern.  Bd.  I.  Hft.  I.  (1846)  S.  39.  Nach  Erhard,  Gesch.  v.  Passau  II.  (1864) 
S.  28.  Hess  Fürstbischof  Joseph  Maria  Graf  v.  Thun  alle  diese,  sowie  auch  die  unter  seinen 
Vorgängern  gefundenen  römischen  Altertümer  sammeln  und  in  einem  eigenen  Antiquarium  in 
der  bischöflichen  Residenz  aufbewahren,  welches  bei  der  Säkularisation  des  Fürstbistums  Passan 
1803  nach  München  gebracht  wurde,  und  daselbst  aus  212  Nummern  bestehend,  unter  dem  Namen 
Thun'sche  „ Sammlung"  einen  wertvollen  Bestandteil  des  k.  Antiquariums  (jetzt  zum  Teil  National- 
museums, Ohl.)  bildet. 

1)  Bericht  des  Ingenieurs  Hofstetter,  Passau  14.  Novbr.  1829,  im  hist.  Vereine  in  Landshut 
bei  Mulzers  Zeichnungen,  von  Mulzer  in  den  Verhandl.  des  hist.  Vereins  f.  Niederbayern.  Bd.  I. 
Hft.  I.  (1846)  S.  36. 


231 

mehrere  Silber-  und  Kupfermünzen,  ein  altdeutsches  (?)  Schwert  und 
mehrere  Schlüssel  von  ungewöhnlicher  Form  gefunden1),  welche  deutliche 
Spuren  der  Einwirkung  eines  Brandes  an  sich  trugen. 

Ausser  diesen  werden  von  Kleinfunden  nur  noch  einige  Penaten  er- 
wähnt, die  bei  einer  Ausgrabung  in  einem  Hause  von  St.  Nikola  bei 
Passau  zum  Vorschein  kamen.2) 

Keiner  der  bisherigen  Funde  lässt  voraussetzen,  dass  man  auf  die 
Stelle  des  römischen  Lagers  gestossen  sei,  zu  dessen  Umfassung  in  der 
Regel  lange  Mauern  angelegt  wurden  und  in  dessen  Innern  die  Ziegel 
mit  den  Stempeln  der  Abteilungen  nicht  gefehlt  haben  werden.  Wohl 
hat  hinter  der  Mauer,  welche  schon  seit  langer  Zeit  Römerwehr  genannt 
wird,  zur  römischen  Zeit  eine  Ansiedelung  gelegen,  aber  das  römische 
Lager  war  höchst  wahrscheinlich  nicht  innerhalb  dieses  Raumes,  sondern 
vor  demselben  im  Bereich  des  heutigen  St.  Nikola  oder  der  Gegend  des 
jetzigen  Exercierplatzes  und  Neumarkts. 

Zwar  heisst  der  Teil  von  Passau,  welcher  östlich  der  Römerwehr 
liegt,  die  Altstadt,  und  dieser  Name  deutet  an  vielen  Plätzen  die  Stelle 
des  früheren  Römerlagers  an,  z.  B.  bei  Miltenberg,  Rückingen  u.  a.  0., 
allein  die  Lage  auf  der  völlig  isolierten,  damals  wahrscheinlich  noch  durch 
einen  Donauarm  abgeschnittenen  Landzunge  wäre  nach  Analogie  der 
übrigen  bekannten  römischen  Lager  eine  ungewöhnliche,  da  die  Römer  in 
der  besseren  Zeit  sich  niemals  hinter  hohe  feste  Mauern  verkrochen,  denn 
auch  damals  schon  galt  der  Grundsatz,  dass  eine  Armee,  die  sich  ver- 
steckt, schon  so  gut  wie  besiegt  sei,  und  selbst  in  der  spätesten  Zeit 
erwarteten  die  römischen  Truppen  den  Feind  nicht  hinter  den  Mauern, 
sondern  zogen  ihm  vor  dieselben  entgegen,  wie  wir  dies  aus  der  Stelle 
bei  Eugippius,  vita  Severini  Cap.  XXVII  schliessen  dürfen: 

Eodem  tempore  mansores  oppidi  Quintanensis  creberrimis  Alaman- 
norum  incursionibus  iam  defessi,  sedes  proprias  relinquentes,  in  Batabis 
oppidum  migraverunt;  sed  non  latuit  eosdem  barbaros  confugium  prae- 
dictorum.     Qua  causa  plus  inflammati  sunt,  credentes,  quod  duorum  po- 


1)  Verhandl.   d.  histor.  Vereins  f.  Niederbayern.     IV.  Bd.    1855  S.  50  und   Erhard  a.  a.  0. 
II.  S.  31.  A.  9. 

2)  a.  a.  0-  Bd.  IL  Hft,  4.  S.  U.  n.  188. 


232 

pulos  oppidorum  imo  impetu  praedarentur.  Sed  beatus  Severinus  orationi 
fortius  iucumbens  Romanos  exemplis  salutaribus  multipliciter  hortabatur. 
praenuntians  hostes  quidem  praesentes  dei  auxilio  superandos,  sed  post 
victoriam  eos,  qui  contempnerent  eius  monita  perituros.  Igitur  Romani 
omnes  sancti  viri  praedictione  firmati,  spe  promissae  victoriae  ad  versus 
Alamannos  instruxerunt  aciem,  non  tarn  materialibus  armis,  quam  sancti 
viri  orationibus  praemuniti.  Qua  congressione  victis  ac  fugientibus  Ala- 
mannis,  vir  dei  ita  victores  alloquitur.  u.  s.  w. 

Ein  weiterer  Grund,  das  Lager  der  Bataver  westlich  der  Römerwehr 
zu  suchen,  besteht  in  der  frühen  Erwähnung  einer  Kirche,  wahrscheinlich 
an  der  Stelle  des  jetzigen  Domes  St.  Stephan.  Als  der  hl.  Severin,  ein- 
geladen von  den  Bewohnern  des  oppidum  Batabis,  dorthin  kam,  fand  er 
schon  zwei  Kirchen  mit  Priestern  und  den  Gottesdienst  in  schönster  Blüte; 
die  eine  dieser  Kirchen  stand  in  Passau  selbst,  die  andere  jenseits  des 
Innstroms  im  Orte  Boitro,  dem  alten  Boiodurum,  wo  noch  heute  die  den 
Namen  des  Heiligen  tragende  Pfarrkirche  steht,  und  wo  er  für  sich  und 
einige  Mönche  ein  kleines  Kloster  erbaute.1) 

Die  Errichtung  einer  Kirche  innerhalb  eines  römischen  Lagerplatzes 
war  aber  auch  in  so  später  Zeit  ungewöhnlich,  wenn  nicht  völlig  un- 
möglich, weil  aus  demselben  alles  fern  gehalten  wurde,  was  nicht  unmit- 
telbar zu  militärischen  Zwecken  notwendig  schien  und  wenn  wir  uns 
die  Kirche  ausserhalb  des  Lagerraumes,  und  die  Lagerstelle  trotzdem  in 
der  jetzigen  Altstadt  denken  wollen,  so  bleibt  neben  der  Kirche  kaum 
ein  Platz  übrig,  der  für  Anlage  eines  solchen  genügend  gewesen  wäre, 
denn  das  Lager  einer  Milliarcohorte,  und  eine  solche  war  die  batavische. 
bedurfte,  wie  uns  die  Lager  von  Pfünz  und  Pföring  belehren,  mindestens 
eines  Platzes  von  300  Schritt  Länge  und  220  Schritt  Breite,  ein  Raum, 
der  sich  nur  an  der  breitesten  Stelle  der  Altstadt  findet  und  selbst  da 
kaum  den  nötigen  Vorraum  zum  Kämpfen  bot. 

Wir  können  also  Dr.  Erhard  nicht  beistimmen,  wenn  er  (II.  S.  29.) 
„den  höchsten  Punkt  der  Stadt  als  die  Stelle  bezeichnet,  welche  das  be- 


1)  Siehe  Erhard,  Gesch.  v.  Passau.  Bd.  I.  S.  13  u.  Anm.  35.  und  Eugippius,  vita  s.  Severini 
C.  XIX.  C.  XXII.  und  Huber  A.,  Gesch.  d.  Einführung  u.  Verbreitung  des  Christenturas  in  Südost- 
deutschland.    Bd.  I.  S.  401. 


233 

festigte  Lager  Castra  batava  und  höchst  wahrscheinlich  —  wie  aus  Eu- 
gippius  zu  entnehmen  ist,  auch  eine  für  die  christliche  Einwohnerschaft 
erbaute  Pfarrkirche  einnahmen",  sondern  es  scheint  notwendig,  wenn  wir 
die  erwünschte  Gewissheit  über  die  Besatzung  und  Lage  des  Castells 
haben  wollen,  ausserhalb  der  Altstadt  im  Neumarkte  und  am  Fusse  der 
Höhen  des  Spitzberges  nach  den  Spuren  des  Lagers  zu  suchen. 

Ehe  ich  Passau  selbst  gesehen  hatte,  war  ich  geneigt,  den  heutigen 
kleinen  Exerzierplatz  bei  der  Kaserne  mit  Bestimmtheit  als  den  Platz 
des  römischen  Lagers  anzusehen.  Seit  ich  aber  in  diesem  Herbste  die 
Stätte  selbst  besichtigt,  sind  mir  darüber  einige  Zweifel  aufgestiegen. 
Zwar  wäre  die  Lage  des  Exerzierplatzes  zu  einem  römischen  Lager  sehr 
geeignet,  allein  dieser  Platz  wurde  beim  Eisenbahnbau  in  seiner  ganzen 
Breite  durchgraben,  ohne  dass  ein  Fund  von  Mauern  u.  dgl.  gemacht 
worden  wäre;  auch  sah  ich  selbst,  als  auf  diesem  Platze  im  September 
dieses  Jahres  die  Vorbereitungen  zum  landwirtschaftlichen  Feste  das  Ein- 
schlagen einer  grossen  Anzahl  Stangen  und  Pfähle  nötig  machten,  dass  an 
diesem  Platze  der  Lehm,  welcher  den  Boden  dort  von  Anbeginn  bedeckte, 
noch  fast  unberührt  unter  der  Rasendecke  liegt. 

Auch  bei  der  Anlage  des  Bahnhofes  sei  man,  wie  mir  versichert 
wurde,  auf  keine  römischen  Ueberreste  gestossen. 

So  bliebe  also  nur  der  Platz  des  heutigen  Neumarkt  als  ehemalige 
Lagerstelle  übrig,  doch  sind  bis  jetzt  keine  Funde  dort  gemacht,  welche 
diese  Annahme  bestätigen  oder  einen  Fingerzeig  für  weitere  Untersuch- 
ungen abgeben  könnten.  Möglicherweise  Hessen  sich  auch  hier  in  den 
Kellern  der  Häuser  ähnlich  wie  in  Regensburg  noch  Teile  der  alten 
Romischen  Mauern  als  Grundmauern  benützt,  wieder  auffinden,  wenn  man 
der  Mühe  des  Suchens  sich  unterziehen  wollte.  Jedenfalls  sollten  Ver- 
suche vorgenommen  werden,  die  alte  Lagerstelle  aufzufinden  und  nament- 
lich jede  Gelegenheit  bei  Tiefbau,  Rohrlegungen  u.  dgl.  ergriffen  werden, 
um  mit  verhältnismässig  geringem  Kostenaufwand  den  nicht  überbauten 
Stadtboden  in  der  Tiefe  zu  untersuchen. 

Dass  alle,  auch  die  kleinsten  Fundstücke,  Topfscherben,  Backsteine 
und  Bronzebruchstücke  an  einem  sonst  so  fundarmen  Platze  beachtet 
werden  müssen,  bedarf  keines  besonderen  Nachweises,  und  das  im  Anfang 
begriffene  städtische  Museum  wäre  die  geeignetste  Stelle,  wo  solche  Alter- 


234 

tümer  aufbewahrt  werden  und  zugleich  die  Besucher  belehren  könnten, 
auf  welche  Gegenstände  etwa  bei  vorkommenden  Bauten  u.  dgl.  ein 
Augenmerk  zu  richten  sei.  Dass  der  jetzige  Mangel  an  Funden  nicht 
vom  Nachsuchen  abschrecken  darf,  wird  am  deutlichsten  durch  die  Funde 
von  Künzing  und  Straubing  gelehrt,  wo  bis  vor  kurzem  ebenfalls  keine 
römischen  Funde  bekannt  waren. 


Quintanis. 

Sobald  wir  Boiodurum  verlassen  haben,  setzen  sich  dem  Weiter- 
gehen sofort  neue  Schwierigkeiten  ernstlicher  Art  entgegen.  Die  beiden 
Quellen,  in  welchen  die  rätischen  Ortschaften  mit  ihren  Entfernungen 
verzeichnet  sind,  weichen  erheblich  von  einander  ab  und  bieten  folgende 
Angaben : 


Tabula 

Peutingeriana :                            Itinerarium  Antoninianum : 

castellum  Boiodurum                                             Boiodoro 

XYIII 

XXIIII 

p.  rensibus? 

Quintianis 
XXXII 

XX 

Sorvioduro 

XXVIII 

Augustis 
XXIIII 

Regino 

Regino 

Der  erste  der  beiden  Strassenzüge  zeigt  eine  Gesammtsumme  von  78, 
der  zweite  eine  solche  von  68  milia  passuum. 

Nehmen  wir  nun  zunächst  an,  wie  man  das  bis  jetzt  zu  thun  gewohnt 
war,  Regino  sei  Regensburg,  und  die  beiden  als  Endpunkt  genannten 
Regino  bezeichneten  die  gleiche  Oertlichkeit,  so  ist  die  im  Itinerar  ange- 
gebene Gesammtentfernung  von  Boiodurum  nach  Regino  entschieden  zu 
kurz  angegeben,  denn  dieselbe  beträgt  in  der  Luftlinie  etwas  über  15 
geographische  Meilen,  also  schon  mindestens  75  milia  passuum.  Zieht 
man  aber  die  nötigen  seitlichen  Abweichungen,  sowie  die  namentlich 
gegen    Osten    zu    vorhandenen    bedeutenden    Hebungen    und    Senkungen 


235 

des  Weges  in  Betracht,  so  wird  auch  der  Ueberschuss  von  3  milia  pas- 
suum,  welchen  die  längere  Gesammtstrecke  aufweist,  knapp  ausreichen, 
um  diesen  Anforderungen  gerecht  zu  werden,  und  es  ist  deshalb  für  die 
eine  Strecke  sicher,  für  die  andere  mit  Wahrscheinlichkeit  eine  Aenderung 
der  Entfernungen  vorzunehmen. 

In  welcher  Weise  diese  Aenderung  vorgenommen  werden  muss,  lässt 
sich  bei  aller  Achtung  vor  den  von  Braunmüller  und  Seefried1)  gemachten 
Versuchen  durchaus  nicht  ermitteln,  ehe  wir  durch  weitere  Funde  sicher 
gestellt  haben,  ob  es  sich  um  zwei  verschiedene  Strassenzüge,  oder 
nur  um  verschiedene  Stationen  derselben  Strasse  handelt,  und  zu  diesem 
Beweis  reichen  unsere  jetzigen  Hilfsmittel  noch  nicht  aus;  doch  kann  ich 
nicht  unterlassen,  hier  aufmerksam  zu  machen,  dass  die  zwischen  Regino 
und  Boiodurum  angelegten  Stationen  gegenüber  den  Donau  aufwärts  und 
abwärts  liegenden  die  ungewöhnlich  grossen  Abstände  von  18 — 32  milia 
passuum  aufweisen,  während  auf  der  ganzen  übrigen  Strecke  von  Vindo- 
bona  bis  Aquileia  3  milia  passuum  den  geringsten  und  23  den  grössten 
Abstand  bildet,  so  dass  recht  gut  zwischen  je  zwei  der  hier  genannten 
Stationen  noch  eine  Zwischenstation  angebracht  werden  könnte 

Ich  will  aber  die  Zahl  der  Vermutungen  hier  nicht  noch  um  eine 
weitere  vorläufig  unfruchtbare  vermehren,  sondern  mich  dem  im  Itinerar 
genannten  Quintianis  zuwenden,  weil  dieses,  wie  ich  glaube,  jetzt  sicher 
bestimmt  ist. 

Ausser  in  dem  Itinerar  begegnen  wir  diesem  Namen  noch  bei  Eu- 
gippius,  vita  Severini  c.  15.  Quintanis  appellabatur  secundarum  muni- 
cipium  Raetiarum  super  ripam  Danubii  situm  huic  ex  alia  parte 
parvus  fluvius,  Quintana2)  nomine,  propinquabat  Is.  crebra  inundatione 
Danubii  superfluentis  excrescens  nonnulla  castelli  spatia,  quia  in  pla- 
num   fundatum    erat    occupabat,    ecclesiam    etiam    loci    eius  mansores 


1)  Braunmüller,  Der  Natternberg  I.  in  den  Verhandlgn.  d.  bist.  Vereins  f.  Niederbayern. 
Bd.  XVII  (1872)  S.  38  ff.  Nachträge  zu  Natternberg  I.  und  namentlich  genauere  Nachforschungen 
über  unsere  Römerstras9en ,  ebenda  S.  300.  Bemerkungen  gegen  die  neuen  Petrensia  auf  den 
Höhen  von  Pleinting,  ebenda  S.  370  f.  Seefried  J.  N.,  Das  municipium  Jovis  ara  in  den  Ver- 
handlungen d.  histor.  Ver.  f.  Niederbayern.  Bd.  XVII.  (1872)  S.  220  f.  Die  neuen  Gegner  von 
Jovisara  und  Petrensibus,  ebend  XVIII.  S.  429  f. 

2)  Einige  geringere  Handschriften  haben  Businca  nomine. 

Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  I.  Abth.  31 


236 

extra  muros  ex  lignis  habuere  constructam.  —  C.  27.  eodem  tempore 
mansores  oppidi  Quintanensis  creberrimis  Alamannorum  incursionibus 
jam  defessi,  sedes  proprias  relinquentes  in  Batabis  oppidum  migraverunt. 

Nach  der  Notitia  hatte  zu  Quintanis,  welches  auch  unter  den  castris 
depictis  erscheint,  der  praefectus  alae  primae  Flaviae  Raetorum  seinen 
Aufenthalt. 

Da  die  im  Itinerar  angegebene  Entfernung  von  Boiodurum  aus  mit 
24  römischen  Meilen,  gleich  93/ö  Stunden,  so  ziemlich  auf  Künzing  passt, 
da  zudem  die  Lage  in  der  Nähe  der  Donau  und  an  einem  Flüsschen 
(Quintana)  ebenfalls  vorhanden  ist  und  überdies  der  heutige  Name  Künzing 
mit  dem  alten  Namen  Quintanis  viel  Aehnlichkeit  hat,  so  wurde  schon 
ziemlich  früh  Künzing  für  den  im  Itinerar  genannten  Ort  gehalten,  wie- 
wohl es  auch  nicht  an  Stimmen  fehlte,  welche  Osterhofen,  Pleinting 
und  andere  benachbarte  Plätze  dafür  ausgaben.1)  Denn  ziemlich  lange 
Zeit  waren  von  Künzing  gar  keine  römischen  Funde  bekannt,  so  schreibt 


1)  Schon  Aventin  im  zweiten  Buche  seiner  Chronik  c.  49  (p.  701.)  verlegt  Quintana  aaofa 
Kintzen  und  Philipp  Apian    (f  1689)  spricht  rieb    im  Antdlläw    an  Aventin  folgendermassen  aus: 

Langen  Kyntzn  p.  Quintzen,  vulgo  Kyntzen  p.,  templ.  Eoque  loco  Quintianam  Rnmanorum 
coloniam  extitisse,  vetusta  et  perantiqua  numismata  Romana,  aurea,  argentea,  aerea  quoque 
plurima  ibi  inventa  testantur.  Supra  hunc  pagum  rivus  scaturit ,  Kintzenpach  dictus ;  is  per 
patentem  campum  delatus,  e  regione  vici  Hofkirchen  in  Danubium  labitur.  Ibidem  in  loco  palustri 
salsam  ebullire  aquam,  aecolae  aftinuant.  Apian,  Topographie  von  Bayern  im  Bd.  XXXIX.  des 
Oberbayer.  Archiv.  S.  231.,  vgl.  S.  352,24,  wo  derselbe  Bach  Quintianae  rivus  genannt  wird. 

Renner  und  nach  seinem  Beispiel  Mannert  (Geographie  der  Griechen  und  Römer.  Bd.  III. 
S.  699.)  nimmt  Osterhofen  an. 

Böeking,  Notitia  dignitat.  oeeident.  p.  782  f.,  nennt  ausser  den  vorstehenden  noch  ander.' 
Forscher,  deren  Angaben  aber  meist  sich  an  eine  der  vorgenannten  Vermutungen  anschliessen  und 
auf  denselben  beruhen. 

Buchner  Andreas,  Dokumente  zur  Geschichte  von  Bayern,  S.  45.  n.  99:  und  Reisen  auf  der 
Teufelsmauer,  III.  S.  5 —  9,  versetzt  Quintianis  merkwürdiger  Weise  nach  Wischelburg.  Er  sagt 
an  der  erstangeführten  Stelle:  „ Quintianis  im  Itin.  XX.  M.  P.  von  Augustis  und  XXIIII.  M.  1'.  von 
Bojoduro,  heutzutage  Wischelburg  an  der  Donau  4  —  5  Stunden  unterhalb  Straubing."  Die  Ent- 
fernung von  Wischelburg  nach  Passaü  (lnnstadt)  beträgt  aber  mindesten  15  lli  Poststunden  — 
39  römische  Meilen.  Da  Buchners  Massangabe  falsch  ist,  auf  dieser  allein  aber  seine  Vermutung 
beruht,  so  ist  auch  diese  selbst  unhaltbar.  Ebenso  scheint  auch  Erhard,  Kriegsgeschichte  von 
Bayern  S.  143,  durch  Buchners  Vorgang  zu  der  Angabe  verleitet  worden  sein:  „Quintanis, 
Künzing  —  noch  gegenwärtig  sind  mehrere  Bauernhöfe  „Wischelburg"  von  den  Bewohnern  ge- 
nannt, aber  nicht  zu  verwechseln  mit  der  gleichnamigen  Ortschaft  Wischelburg,  oberhalb  in  einer 
gut  erhaltenen  römischen  Schanze  nahe  dem  Strome  eingebaut."  Höfe  des  Namens  Wischelburg 
sind  in  der  Nähe  von  Künzing  überhaupt  nicht  vorhanden. 


237 

im  Jahre  1829  v.  Mulzer:  „In  Künzing.  als  ein  Hauptort  innerhalb  der 
Castra  Quintana  von  den  Geschichtsforschern  bezeichnet,  ist  jede  Spur 
von  römischen  Altertümern  verschwunden."1) 

Auch  Westenrieder  (1788)  sowie  Buchner  und  Pütter  (1819  und 
1820),  welche  die  Gegend  von  Künzing  selbst  durchsucht  haben,  be- 
richten gleichfalls,  dass  hier  nicht  die  geringste  Spur  vom  Aufenthalt  der 
Römer  übrig  geblieben  sei. 

Und  noch  1874  konnte  Spanfehlner2)  schreiben:  „Von  Schanzen  findet 
man  in  Künzig  selbst  keine  Spur." 

Doch  wird  schon  von  Westenrieder  eine  bedeutende  Münzsammlung 
der  dortigen  Pfarrer  erwähnt,  über  deren  späteres  Schicksal  Mulzer  nichts 
erfragen  konnte.3) 

Eine  römische  Inschrift  aber,  als  deren  Fundort  noch  J.  v.  Hefner4) 
Künzing  bezeichnet:  CES  .  ||  IARSE  VIX  |  ANN  .  L  .  P  .  IVL  SVCCESSA  . 
CON  j|  IVGI .  B  .  M  .  gehört  nach  Karansebes  (in  limine  claustri  Sebesiensis) 


1)  Verhandl.  d.  histor.  Ver.  f.  Niederbayern.     Bd.  I.  Hft.  1  (1846)  S.  50. 

2)  Verhandl.  d.  histor.  Ver.  f.  Niederbayern.     Bd.  XVII.  S.  204. 

:?)  Verhandl  d.  histor.  Ver.  f.  Niederbayern.  Bd.  I.  Hft.  I.  S.  51.  Präsident  v.  Mulzer 
legte  im  Jahre  1830  ein  Tagebuch  an  mit  der  Aufschrift:  lieber  geschichtliche  Forschungen  und 
Erhaltung  der  Altertümer  und  Kun^tdenkinäler  1830  fol.  87  Seiten,  1831  mehrere  lose  Blätter  (im 
histor.  Verein  in  Landshut),  dem  der  grösste  Teil  des  im  obengenannten  Bande  gedruckten  ent- 
nommen ist.     Kr  fährt  an  der  erwähnten  Stelle  fort: 

„ Westenrieder  in  seinen  Beiträgen  zur  vaterländischen  Historie,  München  1788,  Bd.  1.  S.  60. 
giebt  scbon  ein  Resultat  seiner  Nachforschungen,  woraus  zu  ersehen  ist,  dass  bereits  im' Jahre  1766 
keine  Altertumsreste  mehr  bei  Künzing  vorhanden  waren. 

Professor  Büchner  und  Professor  Kaspar  Pütter,  welche  in  der  Münchener  allgemeinen 
Literatiirzeitung  (Jahrg.  1819,  S.  80.  88.  112.  120,  dann  Jahrg.  1820  S.  831  ihre  Nachforschungen 
über  Castra  quintana  bekannt  machten  und  die  Gegend  von  Künzing  selbst  durchsucht  haben, 
sagen  gleichfalls,  dass  hier  nicht  die  geringste  Spur  von  dem  Aufenthalte  der  Römer  übrig  ge- 
bliebeo  sei.     Das  Nämliche  bestätigen  die  amtlichen  Berichte  des  Landgerichts  Vilshofen. 

I»a  jedoch  die  Sage  immer  noch  eines  Römerbades  in  den  Wiesen  bei  Künzing  erwähnte, 
so  wiederholte  ich  im  verflossenen  Sommer  die  Nachforschungen  an  Ort  und  Stelle,  welche  aber 
•/ihm  nemlichen  Resultate  führten,  dass  von  römischen  Altertümern  keine  Spur  sichtbar  sei.  Die 
Vernehmung  der  ältesten  Leute  in  Künzing  gab  nur  die  Bestätigung  der  früheren  Behauptung, 
dass  bei  dem  Umgraben  der  Felder  manchmal  alte  Münzen  gefunden  worden  waren,  sowie  ich 
denn  auch  einige  römische  Münzen  aus  dieser  Gegend  erhalten  habe. 

Wohin  die  von  Westenrieder  am  angezeigten  Orte  angegebenen  bedeutenden  Münzensamm- 
lungen der  genannten  Pfarrer  gekommen  seien,  konnte  durchaus  nicht  erfragt  werden,  jedoch  ist 
hOchst  wahrscheinlich,    dass  solche  sich  in  der  königlichen  Münzsammlung  zu  München  befinden/ 

4)  Das  römische  Bavern  in  seinen  Schrift-  und  Bildmalen.     3.  Aufl.  S.  222.  n.  271. 

31* 


238 

und  ist  nur  durch  einen  Irrtum  von  Lazius  in  seinen  commentarii  ed.  1598. 
p.   1060  nach   „Kuntzingen  supra  Pataviam"   versetzt  worden.1) 

Ferner  liegt  bei  den  von  Mulzer  in  den  Jahren  1829  —  30  gesam- 
melten Zeichnungen  von  allerlei  historisch  wichtigen  Gegenständen2)  ein 
von  dem  Ingenieur  Feigele  gefertigter  Plan  von  Künzing,  worin  er  einen 
4  Fuss  breiten  geraden  Strich  durch  des  Ammerbauers  Acker  bezeichnet, 
auf  welchem  das  Getreide  allezeit  schlechter  steht  und  vermuten  lässt, 
dass  eine  Mauer  in  der  Tiefe  sei.  „Vielleicht,  bemerkt  Feigele,  war  hier 
das  Kastell,  wenigstens  ist  dort  noch  ein  Graben,  auch  habe  man  beim 
Ackern  in  den  Kaltenbach-Aeckern  alte  Eisenstangen  und  andere  Ueber- 
bleibsel  gefunden." 

Gleichzeitig  mit  Mulzer  bemühte  sich  auch  v.  Mussinan3)  um  die 
römischen  Altertümer   des  Unterdonaukreises    und  erhielt  durch  Emeram 


1)  Corpus  Inscript.  Latinarum.  tom.  III.  n.    1554. 

2)  Dieselben  befinden  sich  in  2  Mappen  im  historischen  Verein  zu  Landshut. 

3)  Joseph  Ritter  v.  Mussinan,  Direktor  des  Appellationsgerichtes  für  den  Isarkreis;  Mitglied 
der  k.  Akademie  der  Wissenschaften,  früher  Justizrat  in  Straubing,  schrieb  im  Jahre  1830  eine 
Abhandlung:  Die  römischen  Alterthümer  in  und  um  Straubing.    Fol.  öl  Blätter  mit  28  Zeichnungen. 

Ein  Inhaltsverzeichnis  dieser  Abhandlung  hatte  ich  im  Kreisarchiv  Landshut  kennen  gelernt, 
einen  Auszug  davon  im  VI.  Bande  von  Starks  handschriftlichem  Nachlass  im  historischen  Verein 
für  Oberbayern  gefunden  und  suchte  mehrere  Jahre  lang  nach  der  Urschrift,  bis  sie  im  Jahre 
1880  in  der  Registratur  des  k.  Ministeriums  des  Aeussern  zum  Vorschein  kam  und  von  dort 
an  die  k.  Hof-  und  Staatsbibliothek  übergeben  wurde,  wo  sie  jetzt  als  Cod.  germ.  Mon.  5380 
sich  befindet. 

Die  Zeichnungen  sind  nicht  mehr  dabei,  auch  bis  jetzt  von  mir  nirgends  angetroffen  worden, 
doch  konnte  ich  aus  den  verschiedenen  Andeutungen  über  dieselben  folgendes  fast  vollständige 
Verzeichnis  der  Abbildungen  zusammenstellen : 

Nr.  1.     Karte,  Römerstrassen. 

Xr.  2.     Schnattinger  Schanze.     (Schneidinger  Schanze?    Ohlenschlager.) 

Nr.  3.  4.     Unbekannt. 

Nr.  5.  6.  7.     Schanzen  von  Oberau,  Zeitldorn  und  Rinkham. 

Nr.  8.     Perkham. 

Nr.  9.     Säule  zu  Mitterast. 

Nr.  10.  11.  12.  13.     Grundriss,   Aufriss  und  perspektivische  Zeichnung  von  Wischelburg. 

Nr.  14.    Grundriss  von  Künzen. 

Nr.  15.     Grundriss  von  Langenkünzen. 

Nr.  16.     Grundriss  von  Niederkünzen. 

Nr.  17.     Münzen,  zu  Künzen  gefunden. 

Nr.  18.     Zeichnung  einer  hölzernen  Tafel  mit   den  Worten:    Hie  olim  civitas  Quintiana 
nuneupata  renovierit.  1717.  P. 

Nr.  19.     Untersuchung  des  Sulzbrunnens  zu  Künzen. 


239 

Spielhofer,  ehemaligen  Prior  in  Niederaltaich ,  der  die  Gegend  genau 
kannte,  brieflich  eine  Reihe  von  Nachrichten,  die  hier  im  Auszuge  folgen 
sollen : 

„An  diesem  Orte,  schreibt  Spielhofer,  haben  die  Hirten  und  Acker- 
leute Münzen,  Ringe  mit  Edelsteinen  gefasst  gefunden,  aber  leider  sind 
dieselben  immer  nur  in  die  Hände  der  Goldarbeiter  oder  Gürtler  ge- 
kommen. Ich  selbst  fand  vor  mehreren  Jahren  zu  Künzen  einen  Grab- 
stein, auf  den  man  noch  lesen  konnte 

Miles  leg.  dec  :  II." 
Das  Uebrige  war  schon  zerstört.  Gerne  hätte  ich  diesen  Stein  mit  ins 
Kloster  genommen,  allein  feindselige  Hände  raubten  mir  den  aufgefun- 
denen Stein.  Der  verstorbene  Dechant  Klopfer  übergab  Herrn  v.  Stuben- 
rauch eine  Menge  hier  gefundener  Münzen.  Meine  hier  gesammelten 
Münzen  wurden  bei  unserer  Auflösung  alle  nach  München  geschleppt, 
und  was  ich  seitdem  sammelte,  überschicke  ich  Ihnen  (Mussinan)  hiermit. 
Es  sind  neunzehn  Stück,  von  denen  nur  zwei  von  Silber." 

In  einem  zweiten  Schreiben  teilte  Spielhofer  ferner  mit:  „Eine1  gute 
Viertelstunde  von  Künzing,  zu  Lamburg,  findet  sich  noch  der  römische 
Begräbnisort  (bustum),  der  von  den  dortigen  Ackersleuten  noch  immer 
unkultivirt  gelassen  wird.1)  Dass  die  Heerstrasse  von  Passau  über  Pfarr- 
kirchen und  Plainting  nach  Künzen  geführt  habe,  stütze  ich  darauf. 
Wäre  sie  von  Vilshofen  nach  Künzen  angelegt  gewesen,  so  würde  man 
sicher  bei  Anlegung  der  neuen  Landstrasse  Spuren  der  alten  Römer- 
strasse entdeckt  haben,  welches  aber  nicht  der  Fall  war." 


Nr.  20.     Profil,  Zeichnung  und 

Nr.  21.  22.     Perspektivische  Zeichnung  von  Oberpöring. 

Nr.  23.     Bogenberg. 

Nr.  24.     Boioaria  aetate  Romana. 

Nr.  25.     Beilage  dazu. 

Nr.  26.     Stein  von  Straubing  mit  Inschrift. 

Nr.  27.     Verzierte  Bruchstücke  römischer  Geschirre  von  Atzelburg. 

Nr.  28.     Schanze  bei  Tunzenberg  und  Grabhügel  bei  Heiling. 
Der  Verlust  von  einigen  dieser  Zeichnungen,  namentlich  n.  17  und  27  ist  sehr  zu  beklagen, 
und  es  würde  mich  freuen,  wenn  diese  Zeilen  etwas  zu  deren  Auffindung  beitragen  würden. 

1)  An  einer  andern  Stelle  von  Mussinans  Abhandlung  f.  46  sagt  Spielhofer  dagegen:  „Süd- 
lich von  Lamburg  zeigen  sich  mehrere  zerstreute  Hügel,  welche  ich  eher  für  den  Begräbnisort  der 
Deutschen  halten  möchte." 


240 

Die  erste  entscheidende  Entdeckung  aber  wurde  erst  im  Jahre  1830 
gemacht,  indem  Herr  Kreisbaurat  v.  Pigenot  auf  die  Mitteilung  des  Försters 
Donat  hin,  dass  in  dem  Holzgarten  des  Grafen  von  Preysing-Moos  an  der 
Chaussee  zu  Brück1)  Grundmauern  von  ungeheurer  Dicke  unter  der  Erd- 
schicht sich  befänden2),  daselbst  eine  Ausgrabung  vornahm  und  die  Grund- 
mauern eines  römischen  Gebäudes  biosiegte,  dessen  Grundriss,  soweit  er 
aufgedeckt  wurde,  nach  einer  Handzeichnung  v.  Pigenot's  und  deren  Ver- 
öffentlichung in  den  Verhandlungen  des  historischen  Vereins  für  Nieder- 
bayern hier  folgen  soll. 


Der  erste  Teil  v.  Pigenot's  Ausgrabungsbericht  wurde  nie  veröffent- 
licht und  deshalb  war  der  im  I.  Bande  der  Verhandlungen  des  historischen 
Vereins  für  Niederbayern  enthaltene  zweite  Teil  nicht  recht  verständlich. 
Der  erste  Teil,  dessen  Original  jetzt  im  Kreisarchiv  zu  Landshut  auf- 
bewahrt wird,  möge  deshalb  hier  seinen  Platz  finden: 

„Der  4 — 5  Fuss  unterdem  angrenzenden  Terrain  ausgegrabene  Raum 
beträgt,  in  seiner  Länge  78  Fuss  und  in  seiner  grössten  Breite  31  Fuss.  Die 
mit  A  bezeichneten  Grundmauern  haben  eine  Breite  von  3 — 4  Fuss  und  eine 
Tiefe  von  4  Fuss,  bestehen  aus  Bruchsteinen  von  Granit  und  das  Binde- 
mittel aus  gutem  Kalkmörtel  mit  klein  zerschlagenen  Stücken  von  Back- 
steinen vermengt.  Die  mit  B  bezeichneten  Mauern  aber  bestehen  aus 
Ziegelsteinen  und  zum  Teil  auch  aus  solchen  Platten.    Die  Mauerdicke  be- 


1)  Das  Dorf*  Brück  ist  westlich  an  Künzing,  ohne  Zwischenraum  angebaut. 

2)  Verhandl.  d.  histor.  Ver.  f.  Niederbayern.     Bd.  I.  Hft.  II.  (1847)  S.  2. 


241 

trägt  3  Fuss,  deren  Höhe  aber  nur  mehr  am  Tage  1  x/%  Fuss.  Die  einzelnen 
kleinen  Mauerteile  bei  C  und  D  bestehen  erstere  blos  aus  Ziegelsteinen, 
letztere  aus  Bruchsteinen  mit  kleinen  Ziegelplättchen  begränzt;  inwieweit 
diese  einzelnen  Mauerteile  mit  dem  Ganzen  zusammenhängen,  lässt  sich 
nicht  bestimmen. 

Die  Flächen  E  bestehen  blos  aus  fester  Erde,  die  Räume  F  aber 
sind  Estrichböden  von  rötlicher  Farbe,  jedoch  ist  es  auffallend,  dass,  wie 
sich  an  einigen  Stellen  durch  Aufgrabung  überzeugt  wurde,  l/%  Fuss  unter 
diesen  Böden  wieder  ein  Grundpflaster  von  Ziegelplatten,  und  so  ab- 
wechselnd bis  zu  2  Fuss  8  Zoll  Tiefe  befindet,  von  den  ausgegrabenen 
Platten  haben  einige  22  Zoll;  sie  bestehen,  und  zwar  besonders  jene, 
welche  eine  rötlicht  gelbe  Farbe  haben,  aus  sehr  feinem  gebranntem  Thon. 
Die  kleinen  mit  G  bezeichneten  Vierecke  sind  8  Zoll  im  Gevierte  und 
mit  Lehm  aufeinander  befestigte  Ziegelplatten,  wo  bei  den  meisten  nur 
mehr  drei,  bei  einigen  aber  noch  deren  sieben  aufeinander  lagen,  und 
sohin  kleine  Peiler  formiren,  welche  in  der  bezeichneten  Richtung  im 
Durchschnitt  10  Zoll  auseinander  stehen. 

H  ist  wieder  eine  Bruchsteinmauer  von  2  Fuss  Höhe,  welche  aber,  mit 
5  —  7  Zoll  breiten  Kanälen  durchschnitten  ist. 

An  bemerkenswerten  Gegenständen  wurde  Nichts  aufgefunden,  doch 
fand  sich  in  dem  Zwischenraum  J  K  eine  bedeutende  Masse  Asche  und 
Kohlen,  welche  sich  auch  an  mehreren  Stellen  untermengt  mit  der  den 
Estrich  bedeckenden  Erde,  vorzüglich  aber  zwischen  den  kleinen  Pfeilern  G 
vorfand,  in  welchen  auch  mehrere  Wärmerröhren  ausgegraben  wurden, 
die  sich  auch  in  der  Nähe  der  kleinen  Mauer  bei  C  zeigten;  auch  fand 
man  mehrere  Stücke  von  einzölligen  gemodelten  Ziegeltrümmern. 

Das  Ganze  zeigt,  dass  eine  gewaltsame  Zerstörung  stattfand,  indem 
mehrere  Ziegelplatten  und  Steine  in  ganz  schiefer  Richtung  sich  unter 
dem  Schutte  befanden,  und  auch  die  ungleiche  Höhe  der  stehengeblie- 
benen Mauern  nicht  eine  ruhige  Abtragung  derselben  vermuten  lässt. 
Am  24.  Mai  1831  wurde  die  Ausgrabung  fortgesetzt  und  Pigenot 
berichtet  darüber:  „Die  mit  0  bezeichnete  Grundmauer,  3  Schuh  in  der 
Breite,  scheint  die  Fortsetzung  der  schon  früher  mit  D  bezeichneten  zu 
sein,  und  so  würden  die  Flächen  P  für  sich  Quadrate  bilden  und  jedes 
Gemach  somit  von  dem  andern  getrennt  erscheinen. 


242 

Auf  der  Stelle  P  hört  der  geschlagene  Estrich  auf,  und  bei  einer 
Tiefe  von  1 \  a  Schuh  fängt  eine  Bruchsteinmauer  an,  deren  Breite  oder 
Tiefe  noch  nicht  bestimmt  werden  kann;  selbe  ist  mit  den  mit  H  be- 
zeichneten Mauern  in  Verbindung. 

Bei  Q1)  hat  benannte  Mauer  die  Höhe  des  Estriches,  dacht  sich  aber 
links  und  rechts  auf  %f%  Fuss  ab. 

Die  Mauern  H  gehen  noch  immer  fort,  bei  R  liegen  Ziegelplatten 
von  1  Fuss  im  Quadrat  5  —  6  Zoll  auseinander  auf  diesen  und  in 
Waaslehm  versetzt. 

Die  Fläche  S  wurde  bis  zur  Höhe  der  mit  G  bezeichneten  Pfeiler 
abgetragen,    übrigens    keine  Spur    von    einer  Plattenbedeckung  gefunden. 

Bei  der  Ausgrabung  wurde  nichts  Bemerkenswertes  gefunden." 

Durch  Auffindung  dieser  Grundmauern  war  der  Haupteinwand  be- 
seitigt, welchen  man  früher  gegen  die  Gleichstellung  von  Künzing  mit 
Quintana  vorgebracht  hatte,  dass  sich  nämlich  dort  noch  keine  römischen 
Bauüberreste  gefunden  hätten.  Trotzdem  waren  seit  dem  Jahre  1831 
keine  weiteren  Nachforschungen  gemacht  worden,  bis  im  Jahre  1874 
Herr  Joh.  Mich.  Schmid,  damals  Cooperator  in  Künzing,  jetzt  Expositus 
zu  Frohnstetten,  an  der  Südseite  des  Ortes  in  den  zum  Ammerhofe  ge- 
hörigen Feldern  nur  wenig  unter  der  Erde  verborgen  auch  die  Um- 
fassungsmauer des  ehemaligen  Lagers  auifand  und  darüber  im  XIX.  Band 
der  Verhandlungen  des  historischen  Vereins  für  Niederbayern  berichtete.2) 

In  nebenstehendem  Plan  zeigt  A  die  Stelle,  wo  das  vorher  be- 
schriebene Gebäude  ausgegraben  wurde;  B  die  Stelle,  wo  der  Volkssage 
nach  das  in  der  vita  S.  Severini  erwähnte  Kirchlein  stand ;  C  das  römische 
Lager,    dessen   Beschreibung   mit   Schmid's    eigenen  Worten   folgen  soll: 

„Das  Castell  selbst,  sowie  es  jetzt  noch  in  den  unter  der  Erde  be- 
findlichen, ununterbrochen  fortlaufenden  Grundmauern  erkenntlich  ist, 
bildet  ein  längliches  Viereck,  dessen  4  Enden  indessen  nicht  rechtwinklig, 
sondern  in  einer  Halbrundung  zulaufen.     Die  beiden    (östliche  und  west- 


1)  Dieser  Buchstabe  fehlt  in  der  Originalzeichnung. 

2)  Noch  Erhard,  Kriegsgeschichte  von  Bayern  1870,  schrieb  S.  143:  Die  vielen  Verschanz- 
ungen  (es  sind  drei.  Der  Verf.),  welche  Apian  hier  noch  angezeigt,  hat  seitdem  die  Donau  ver- 
schlungen. 


243 

liehe)  Langseiten  sind  jede  566  Fuss  ==  165,20  m  lang1),  die  beiden 
(nördliche  und  südliche)  Querseiten,  jede  483  Fuss  =  140,96  m  breit. 
zusammen  also  2098  Fuss   =    612  m  im  Umfang  haltend. 


Kiinzing 

M.  1:5000 


Die  Grundmauer  ist  nicht  überall  gleich  breit;  im  allgemeinen  hat 
sie  eine  Breite  von  5  —  7  Fuss.  Das  Material  besteht  meist  aus  kleinen 
Bruchsteinen  von  Gneis,  vermischt  mit  Kalk  und  Kieselsteinen;  häufig 
ist  noch  die  römische  Gussmauer  zu  finden;  die  äussere  aus  grösseren 
Stücken  bestandene  Umkleidung  (Stirnmauer)  fehlt;  diese  Steine  scheinen 
gleich  Anfangs  bei  der  ersten  Umgestaltung  des  Bodens  ausgegraben  und 
zu   den   Bauten   verwendet   worden    zu    sein.     Dort,    wo  das   nordöstliche 


1)  Auf  dem   zur  Abhandlung   gehörigen  Plan   gibt  Herr  Expositus  Schmid   als  Länge   des 
Castellfl  156  m,  als  dessen  Breite   135  m  an   (als  Umfang   demnach  582  m),    und   dieselben  Masse 
teilte  mir  auch  Herr  Bahngeometer  Maier  mit,  wesshalb  ich  diese  für  die  genaueren  halte. 
Abh.  d.  I.  CJ1.  d.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  I.  Abth.  32 


244 

Eck  des  Castells  zu  suchen  ist,  wurden  noch  vor  25  Jahren,  so  sagte 
mir  ein  beim  Baue  selbst  beschäftigt  gewesener  Maurer,  so  grosse  Steine 
zum  Wiederaufbau  des  abgebrannten  Ammerhofes  ausgegraben,  dass 
mehrere  Mann  dieselben  nicht  heben  konnten.  Die  Pfarrkirche  und  die 
Friedhofmauer  weisen  dieselben  Steine  (Gneis  und  Glimmer)  auf  und 
stammen  sicher  von  der  Mauer  des  niedergerissenen  Castells. 

Die  Mauer  liegt  meistens  nur  1  Fuss  tief  unter  dem  Boden  und 
reicht  3 — 4  Fuss  tief  hinab,  genau  bis  dahin,  wo  die  feste  Lehmschichte 
beginnt;  tiefer  hinein  geht  die  Grundmauer  an  keiner  Stelle.  Aussen 
an  der  Mauer  ringsherum  war  ein  breiter  Graben,  welcher  noch  jetzt 
in  der  auf  allen  Seiten  wahrnehmbaren  tieferen  Bodeneinsenkung  er- 
kennbar ist,  aber  allmählich  eingeebnet  wurde. 

Das  Castell  wird  von  der  von  Vilshofen  nach  Osterhofen  führenden 
Staatsstrasse  in  der  Richtung  von  Osten  nach  Westen  durchschnitten; 
diese  Strasse  wurde  aber  erst  vor  ungefähr  100  Jahren  von  der  Kapelle 
in  Künzing  angefangen,  durch  Brück  führend,  neu  gebaut  (vgl.  den  Plan) ; 
die  alte  Strasse  führt  durch  das  Dorf  (die  jetzige  Dorfstrasse). 

Mitten  durch  das  Castell,  in  der  Richtung  von  Norden  nach  Süden, 
führt  ein  Fussweg  von  Künzing  nach  Girching,  der  das  Ammerfeld  in 
zwei  Teile  trennt.  Mit  Sicherheit  ist  anzunehmen,  dass  dieser  Weg  schon 
von  jeher  bestand  und  wohl  durch  die  nördliche  und  südliche  porta  des 
Castells  entstanden  ist.  Innerhalb  der  Mauern  des  Castells  sind  in  heissen 
Sommern  noch  andere  Mauerspuren  sichtbar,  so  namentlich  auf  der  Ost- 
seite, fast  inmitten  derselben,  eine  in  das  Feld  sich  hineinziehende  Spur 
von  75  Fuss  Länge  und  30  Fuss  Breite. 

Römische  Münzen  wurden  in  Künzing  in  Menge  gefunden,  doch  von 
den  Landleuten,  welche  dieselben  nicht  kannten  oder  für  wertlos  hielten, 
häufig  wieder  verworfen  oder  verschleudert." 

Herr  Expositus  Schmid  teilte  dem  historischen  Vereine  für  Nieder- 
bayern ein  Verzeichnis  der  in  seine  Hände  gekommenen  27  Münzen  mit, 
(es  waren  17  aus  Kupfer,  9  aus  Silber  und  eine  silberplattirte),  welche  sich 
auf  die  einzelnen  Kaiser  folgendermassen  verteilen:  Nero  2,  Traianus  1, 
Hadrianus  4,  Antoninus  Pius  2,  Faustina  d.  ältere  1,  M.  Aurelius  1  (Silber), 
Septimius  Severus  2  (Silber),  Caracalla  2  (1  plattirte),  Alexander  Severus  3 
(Silber),  Constantius  IL  3  (Kupfer),   6  waren  unkenntlich. 


245 

Ueber  frühere  Münzfunde  zu  Künzing  geben  uns  die  Verhandlungen 
des  historischen  Vereins  für  Niederbayern  einige,  wenn  auch  spärliche 
Nachrichten,  So  wird  Bd.  I.  Hft.  2.  S.  1.  eine  Goldmünze  erwähnt,  aber 
nicht  beschrieben,  und  die  Jahresberichte  melden  als  Zugang  zu  den 
Sammlungen:  1  Vespasianus,  1  Traianus,  2  Hadrianus,  2  L.  Verus, 
1   S.  Severus,   1   Caracalla,   1   Diocletian,   1   Constantin.1) 

Ausser  den  Münzen  fand  Herr  Expositus  Schmid.  wie  er  mir  brief- 
lich mitteilte,  mancherlei  Gefässtrümmer,  meist  aus  terra  sigillata,  glatt 
oder  mit  dem  Eierstab  und  andern  Verzierungen,  auch  mit  Pflanzen-. 
Tier-,  Menschen-  und  Göttergestalten  versehen,  gut  lesbare  Töpferstempel, 
nur  3  S  3MTI .  IOLLIM  .  ITIVSFEC  f  und  einige  eingeritzte  Namen  und 
Buchstaben.  Ferner  einen  Schlüsselgriff  von  Bronze,  Schlüssel  von  Eisen, 
Nadeln  von  Bronze  und  Eisen,  Ringe,  mehrere  Lanzenspitzen,  Nägel, 
eine  (vielleicht  neuere)  Sphinx  von  Bronze,  auch  einige  Bruchstücke  von 
starkem  Glas,  dann  Dachziegel,  Fussbodenziegel,  leider  aber  keine  mit 
Legionsstempeln. 

Der  Mangel  der  Militärstempel  erklärt  sich  wohl  daraus,  dass  nur 
die  aus  Bruchsteinen  gebauten  Umfassungsmauern,  nicht  aber  Backstein- 
mauern aufgegraben  wurden,  in  denen  natürlich  allein  die  gestempelten 
Ziegel  vorkommen  können.  Dass  diese  Grundmauer  wirklich  einem 
römischen  Grenzlager  angehört  hat  und  nicht  etwa  die  Umfassung  eines 
grossen  Anwesens  ist,  erhellt  aus  den  Ausmassen,  welche  eine  Länge  von 
165  (resp.  156  m)  und  eine  Breite  von  140  (resp.  135  m)  ergaben,  also 
fast  genau  dieselben  Masse,  welche  das  Castell  zu  Wiesbaden  zeigt,  und 
deshalb  können  wir  diesen  Platz  auch  jetzt  schon,  noch  ehe  die  mili- 
tärischen Stempel  gefunden  sind,  als  das  Lager  der  ala  I  flavia  Rae- 
torum  betrachten. 

Der  Name  Quintanis  oder  Quintianis  kommt  nirgends  in  der  No- 
minativendung vor,  sondern  auch  da,  wo  man  den  Nominativ  erwarten 
sollte,  ähnlich  wie  Batavis,  im  Ablativ,  wie  dies  auch  mit  deutschen 
Namen  häufig  der  Fall  ist  (Z'eresingen),   auch  findet  er  sich  nirgends  in 


1)  Verhandl.  d.  hist.  Vereins  f.  Niederbayern.  Bd.  II.  Hft.  4.  S.  38  f.  n.  8,  11,  13,  17,  24, 
33,  43,  59,  70,  ferner  S.  59  f.  n.  4.  39,  51.  Dieselben  Münzen  nochmals  aufgezählt  im  Bd.  XII. 
S.  24  f.  n.  612,  616,  618,  622,  629,  636,  643,  664,  67:». 

32* 


246 

einer  Zusammensetzung  mit  castra,  wie  es  die  meisten  Schriftsteller  ge- 
brauchen; wollte  man  nach  Analogie  des  italischen  gleichnamigen  Ortes 
und  einiger  andern  vindelikischen  Orte,  z.  B.  ad  Novas  verfahren,  so 
hätte  man  im  Nominativ  Quintanae  zu  lesen,  denn  der  italische  Ort  heisst 
ad  Quintanas,  offenbar  mit  Auslassung  von  mansiones;  allein  mir  scheint, 
hier  haben  wir  eine  Namensbildung,  die  wie  Castra  Regina,  ihren  Ur- 
sprung dem  vorbeifliessenden  Gewässer  verdankte.1) 

Denn  wenn  wir  auch  von  dem  Flussnamen  Quintana  bei  Eugippius 
absehen,  weil  die  Lesart  nicht  sicher  steht,  so  gibt  uns  der  noch  be- 
stehende Name  des  Flüsschens  Kinze  ein  Recht,  an  diese  Ableitung  zu 
glauben,  die  auch  von  Mussinan  als  Quelle  für  den  Namen  des  jetzigen 
Dörfchens  Künzing  mit  Recht  annahm.2) 

Dieser  Bach  hat  seinen  Ursprung  in  der  Nähe  des  Damenstiftes 
Osterhofen,  südlich  in  den  Feldern.  Die  Hälfte  des  Wassers  treibt,  ab- 
geleitet nahe  dem  Dorfe  Brück,  eine  Mühle,  fliesst  dann  am  Dorfe  Künzen 
nördlich  vorbei   und  ergiesst  sich  eine  Viertelstunde  davon  in  die  Donau. 

Dieser  keltische  (?)  Flussname  findet  sich  noch  öfter  in  Deutschland ; 
ich  erinnere  hier  an  die  badische  Kinzig,  die  hessische  Kinzig  oder  Kinz 
und  unsere  schwäbische  Günz.3) 


1)  Schon  Welser,  Rerum  boicamm  Hb.  III.  (p.  90  der  Ausg.  v.  1682)  sagt  über  Regenslmrg: 
Hegen  fluvius  id  loci  manet  (sie),  in  castrorum  nomen  adoptatus,  cuiusmodi  ad  Quintana  Quin- 
tanica  etiain  amnii  i'uit. 

W.  v.  Christ:  Das  römische  Militärdiplom  von  Weissenburg  S.  44'2.  dachte  bei  der  Ableitung  des 
Namens  an  die  via  Quintana  eines  dort  befindlichen  Lagert,  andere  an  eine  Besatzung  durch  eine 
Cohors  Quinta  z.  B.  Bracaraugustanorum.  Härtl,  der  Quincingau  in  den  Verhandl.  d.  histor.  Ver. 
f.  Niederbayern.  Bd.  3.  Hft.  1.  S.  53.  wollte  den  Namen  herleiten  von  einer  „dort  stationirten 
legio  Quintana  oder  legio  Quintanorum" ! 

2)  Mussinan  Jos.  v. ,  Die  römischen  Altertümer  in  und  um  Straubing.  Handschrift  Cod. 
genn.  Mon.  5380  fol.  31  f.  Vgl.  auch  Klämpfl,  Jos.,  Der  ehemalige  Schweinach-  und  Quinzingau. 
II.  S.  10.  Anm. 

Den  Nachrichten  Apians,  Aventins  u.  a.  gegenüber  macht  Hr.  Expositus  Schmid  die  auffallende 
Bemerkung:  „Dieser  Bach  bildet  sich  oberhalb  Künzing  aus  zwei  Armen,  von  denen  der  eine  von 
Brück  („kalter  Bach*  genannt),  der  andere  von  Langenkünzing  herfliesst.  Er  wird  niemals  anders 
als  „Oh"  genannt.  Einen  Bach  oder  Fluss  mit  Namen  „Künzig",  wovon  Aventin,  Härtl  und  selbst 
noch  Spanfehlner  fabeln,  gibt  es  hier  nicht."  Ich  bin  nicht  im  Stande,  hier  diesen  Zwiespalt  zu 
lösen,  bin  aber  Apian  und  Klämpfl,  sowie  Eisenmann  gefolgt,  weil  dieselben  unabhängig  von  ein- 
ander mitteilen,  dass  der  Bach  Kinzig  heisse. 

3)  In  der  Erwartung,  vielleicht  irgendwo  einen  Nachweis  zu  finden  über  die  Bedeutung  des 
Namens,   dessen  Stamm   nach  Förstemann  noch   unerklärt  ist,    habe   ich   nach   ähnlich  lautenden 


247 

Seefried  hat  deswegen,  weil  Eugippius  und  die  Notitia  Quintanis 
lesen,  dagegen  im  Itinerar  Quintianis  sich  findet,  einen  Unterschied 
zwischen  beiden  angenommen;  wir  können  aber  diese  Annahme  über- 
gehen, weil  sie  auf  der  irrigen  Ansicht  beruht,  dass  die  Entfernung 
von  Boiodurum  bis  Künzing  nur  XX  mil.  pass.  betrage,  während  die- 
selbe auf  genauen  geometrischen  Karten  im  grossen  Massstabe  etwa 
33,7  km  beträgt,  also  nahezu  23  mil.  pass.,  die  sich  durch  Zurechnung 
der  zahlreichen  Hebungen  und  Senkungen  des  Weges  zwischen  Passau 
und  Pleinting  leicht  auf  24  mil.  pass.  und  darüber  erhöhen,  also  dieselbe 
Entfernung,  welche  im  Itinerar  für  Boiodurum-Quintianis  angegeben  ist.1) 

Wischelburg. 

Nehmen  wir  die  heutige  Richtung  der  Landstrasse  von  Künzing  nach 
Straubing  als  die  wahrscheinliche  Richtung  der  Römerstrasse  an,  so  ge- 
langen wir  mit  58  km  von  Boiodurum  aus  nach  Westen  zum  Ortsver- 
bindungsweg zwischen  Lohe  und  Gänsdorf  (Altenbuch),  wo  sich  der  Rest 
einer  Schanze  befindet,  die  der  Gestalt  nach  zu  den  römischen  Weg- 
schanzen gehört,  obwohl  sie  nach  einer  Tradition  erst  im  Jahre  1740 
soll  aufgeworfen  sein  und  sich  die  Bauern  mit  deren  Zerstörung  bereits 
1819  beschäftigten.2)  Doch  ist  von  dortigen  Funden  nichts  bekannt  ge- 
worden,   während    man    beim  Bau    des    Schulhauses    in    Lohe    auf  unter- 


Flnss-  und  Ortsnamen  gesucht.  Obwohl  ich  dabei  nicht  an  das  gewünschte  Ziel  gekommen  bin, 
sollen  doch  die  gesammelten  Namen,  die  sich  noch  vermehren  Hessen,  hier  Platz  finden:  die  Günz 
ist  ein  Nebenfluss  der  l'onau,  Gonsbach  ein  Weiler  bei  Regensburg,  Ginsbach  eine  Ortschaft  in 
Oesterreich  ob  der  Enns,  Künzbach  im  Wortemb.  Jaxtkreis  und  bei  Pah]  am  Ammersee,  Kinzen- 
bach  ein  Dorf  in  Preussen,  Kinzacb  eine  Mühle  bei  Hall  in  Tirol,  Kinsach  (Kymbsach)  ein  Fluss 
der  bei  Lennach  in  die  Donau  geht.  Bei  Apian  in  oberbayer.  Archiv  Bd.  XXXIX.  S.  343.  344. 
Kinsau  ein  Dorf  im  Landger.  Schongau,  Kinzelbach,  Bach  und  Weiler  bei  Erding,  Einzig,  ein  Neben- 
fluss  des  Mains,  ein  Nebenfluss  der  Mümling  im  Odenwalde  und  ein  Nebenfluss  des  Rheines,  dann 
ein  Dorf  in  Luxemburg  und  endlich  Einzen  ein  Weiler  bei  Sterzing  in  Tirol  und  eine  Einöde  im 
Landger.  Mühldorf. 

Unter  den  französischen  und  englischen  Orts-  und  Flussnaraen  habe  ich  bis  jetzt  vergeblich 
nach  einer  ähnlich  lautenden  Form  mich  umgesehen,  wesshalb  mir  die  Annahme  keltischer  Her- 
kunft für  den  Namen  immerhin  bedenklich  erscheint. 

1)  Niederb.  Verhandl.  Bd.  XIX.  S.  42. 

2)  Andreas  Buchner  in  der  Münchener  allgem.  Literaturzeitung  1819.  S.  104. 


248 

irdische  Gewölbe  stiess1)  und  bei  einem  Bauern  ein  Stein  mit  15  unge- 
formten  Menschengesichtern  war,  welcher  der  Sage  nach  als  Gefäss  beim 
Götzendienste  gebraucht  wurde.2) 

Etwa  eine  halbe  Stunde  von  dieser  Wegschanze  nach  Norden,  etwa 
10  Minuten  von  Lohe  entfernt,  liegt  eine  gewaltige  Schanze,  welche  bis 
jetzt  noch  sehr  wenig  bekannt  und  noch  gar  nicht  untersucht  ist,  die 
Wischelburg. 

Schon  Aventin  erwähnt  dieselbe  in  seinen  Annales3)  mit  den  Worten: 
„Agger  portae  moenia  integra  sunt  intus  villae  cubant  incolae  Wischel- 
burg appellant,  referunt  ponte  niarmoreo  ibi  Danubii  ripas  conjunctas 
fuisse  fornicumque  bases  adhuc  conspici  cum  aqua  plus  solito  brevior  est." 
Und  in  seiner  Chronik4)  erzählt  er:  „zwischen  Pogen  und  Meten  ist  auch 
ain  römisch  Reichtat  und  Besezung  gewesen  Pisonium  genant,  wie  das 
des  auch  zeugnus  geben  die  alten  brief  zu  Meten  im  closter;  haisst  der 
g'main  man  nun  Wischelburg,  der  aufgeworfen  graben  und  das  tör  sten 
noch  ligt  ein  dorf  darin:  Etlich  sagen  es  hab  alda  ain  mer  melstainene 
pruck  über  die  Thonau  gehabt  und  so  das  wasser  etwan  ganz  ciain  sei 
sech  man  noch  die  gruntvest  der  schwipogen. u  5) 

Apian  spricht  sich  ähnlich  aus  und  erwähnt  noch  eines  tiefen  Brun- 
nens daselbst.6)  Nach  ihm  hat  zunächst  wieder  Buchner7)  über  die  Wischel- 
burg geschrieben,  die  er  sonderbarer  Weise  für  Quintana  der  Römer  hielt, 
unter  der  Angabe,  sie  sei  XXIV  mil.  pass.  von  Boiodurum  entfernt,  ob- 
wohl diese  Strecke  thatsächlich  fast  44  römische  Meilen  beträgt. 

Auch  für  die  Wischelburg  hat  uns  Mussinan  unter  den  frühern 
Forschern  in  seiner  schon  mehrerwähnten  Handschrift8)  das  brauchbarste 
und  reichhaltigste  überliefert.     Hören  wir  ihn  selbst: 

„Die  an  einigen  Stellen   54  Fuss  hohen  Wälle  zwischen  welchen  das 


1)  Bemerkungen   über  Altertümer  etc.   im  Landgericht  Straubing;    handschriftl.  Bericht  im 
topogr.  Bureau  von  M.  Lori,  Cauierallandgeometer. 

2)  Verhandl.  des  hist.  Ver.  f.  Niederbayern.  Bd.  T.  Hft.  2.  S.  168. 

3)  Annal.  Hb.  II.  C.  V.  n.  21. 

4)  Chronik,  Buch  IL  Cap.  49. 

5)  Aventin,  Chronik,  Buch  IL  Cap.  49.  (S.  701.) 

6)  Apian,  Topograpie  von  Bayern  im  XXXIX.  Bd.  d.  Oberbayer.  Arch.  S.  227. 

7)  Buchner,  Reise  auf  der  Teufelsmauer.  III.  S.  7. 

8)  Mussinan  J.  v.,  Die  römischen  Altertümer  in  und  um  Straubing,  cod.  germ.  mon.  5380.  f.  27  f. 


249 


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250 

Dörfchen  liegt,  sind  noch  im  guten  Zustande.  Besonders  zeichnen  sich 
die  Stellen  an  der  Nordost-  und  Südwestseite  aus.  Der  Wall  an  der 
Donauseite  beträgt  in  der  Länge,  beiläufig  450  Schritte  und  ist  in  der 
Mitte  von  einem  Wege  durchbrochen,  der  vom  Dorfe  zur  Donau  führt, 
wo  noch  einige  Fischerhütten  stehen.  —  An  der  Westseite  macht  der 
Wall  verschiedene  Krümmungen,  indem  jener  an  der  Donauseite  in  gerader 
Richtung  fortläuft  und  windet  sich  zuletzt  südöstlich,  bis  er  mit  einem 
anderen  —  welcher  das  Dorf  auf  der  Ost-  und  Südseite  einschliesst  — 
in  einem  spitzigen  Winkel  endet. 

Jeder  Wall  hat  in  der  Mitte  seiner  Höhe  eine  kleine  Abstufung. 
wie  eine  Verschanzung,  die  gleichsam  mitten  an  dem  Walle  einen  Graben 
bildet.« 

Bei  einem  leider  nur  zu  kurzen  Besuche,  den  ich  diesem  weithin  sicht- 
baren und  eindrucksvollen  Befestigungswerke  in  diesem  Herbste  abstatten 
konnte,  fand  ich  im  Ganzen  Mussinans  Schilderung  zutreffend.  Da  seine 
Zeichnungen  verloren  sind,  so  gebe  ich  hier  die  Aufnahme,  welche  im 
Jahre  185()  Herr  Lieutenant  Heyberger  für  das  topographische  Bureau 
anfertigte,  nebst  vier  Profilen,  die  von  Herrn  Bauamtmann  Ponzelin 
herrühren. 

Im  Ganzen  lässt  sich  die  Verschanzung  als  ein  Viereck  bezeichnen, 
dessen  eine  nordwestliche  Seite  stark   nach   Aussen  gebogen  ist. 

Die  längste,  die  Donauseite  nach  NO  hat  auf  dem  Wallkamme  ge- 
messen etwa  270  m  (925  Fuss  =  370  Schritt).  Die  gekrümmte  NW- 
Seite  misst  in  der  Sehne  etwa  195  m  (c,  G70  Fuss  =  270  Schritt).  Die 
SW-Seite,  die  ebenfalls  leicht  nach  aussen  gekrümmt  ist,  etwa  22f>  m 
(c.  780  Fuss  =310  Schritten.)1)  Die  SO-Seite  hat  jetzt  noch  195  m.  war 
aber  früher  länger  und  ist  bei  Anlage  von  Gebäuden  und  neuerdings 
beim  Bau  der  gerade  durchgeführten  Strasse  nach  Stephansposching  ab- 
gegraben worden.  Von  der  SO-Seite  an  fehlt  der  Wall  etwa  60  m  lang 
bis  zu  der  durch  die  Schanze  führenden  Strasse. 

An  der  Stelle,  wo  der  Wall  abgegraben  ist  und  wo  er  im  grössten 
Teil  seines  Durchschnittes    vor  Augen    liegt,    sah   ich,    dass    derselbe    nur 


1)  Vgl.  auch  Braunmüller's  gute  Beschreibung  in    den  Verhandl.  d.  bist.  Vereins  f.  Nieder- 
bayern.    Bd.  XVIT.  S.  43. 


251 

aus  Lehmerde  mit  Kies  gemischt,  ohne  Mauerkern  bestand,  und  auch 
an  den  übrigen  Stellen,  längs  der  SW-Seite,  wo  der  Wall  durch  Anlage 
von  Sandgruben  leider  zerstört  wird,  Hess  sich  kein  Mauerrest  wahr- 
nehmen. 

Die  Schanze  ist  nicht  von  Menschenhand  aufgeworfen,  sondern  sie 
bildet  das  westliche  Ende  einer  niedrigen  Hochebene,  von  welcher  sie 
durch  einen  6 — 10  m  tiefen  sehr  breiten  Graben  abgetrennt  wurde. 

Die  übrigen  Seiten  der  Schanze  sind  durch  den  natürlichen  Abhang- 
gebildet,  der  nur  künstlich  abgeschürft  und  geglättet  und  mit  einer 
Mittelstufe  (Berme)  versehen  wurde,  um  das  Abrutschen  der  oberen  Erd- 
teile zu  verhüten.  Die  Schanze  wird  gleichlaufend  mit  ihrer  SO-Seite 
von  einem  breiten  Fahrweg  durchschnitten,  der  dieselbe  in  zwei  ungleich 
grosse  Teile  zerlegt  und  an  dessen  Hände  die  Häuser  des  Dorfes  stehen. 
Der  nicht  von  Haus  und  Hof  in  Anspruch  genommene  Innenraum  der 
Schanze  ist  als  Garten  und  Feld  angebaut.  Die  Brustwehr  der  Schanze 
hat  nur  nach  SO,  wo  der  künstliche  Graben  ist.  eine  beträchtliche  Höhe 
bis  etwa  5  m;  an  den  übrigen  Seiten  ist  dieselbe  kaum  1  m  hoch  oder 
ganz  unsichtbar  geworden. 

Die  Höhe  des  Walles  von  dessen  Fuss  bis  zur  Krone  ist  sehr  be- 
trächtlich, an  den  Seiten  mit  natürlichem  Abhang  12  —  14  m  hoch,  an 
der  Seite  des  künstlichen  Grabens  6  —  10  m  hoch.  Die  Böschungen  sind 
so  steil,  dass  man  an  den  meisten  Stellen  dieselben  nur  mit  Mühe  be- 
steigen kann,  an  ein  erfolgreiches  Bemmen  derselben  aber  in  voller 
Rüstung  mit  Schild  und    Lanze  kaum  zu  denken  ist. 

Mussinan,  der  recht  wohl  wusste,  von  welcher  Wichtigkeit  häufig 
örtliche  Sagen  selbst  in  ihrer  Kntstellung  durch  die  stets  umgestaltende 
mündliche  Ueberlieferung  für  die  späteren  Forscher  werden  können,  hat 
auch  diese  Ergebnisse  seines  Fleisses  aufgezeichnet  und  mitgeteilt. 

„Die  Bewohner  des  Dorfes  Wischelburg",  berichtet  er1),  erzählen 
verschiedenes  von  diesem  Orte,  dabei  immer  sich  auf  ein  Buch  berufend, 
welches  die  Schicksale  dieses  Ortes  enthalte." 

„Die  schon  achtzigjährige  Wirtin  von  Irlbach  erzählte  mir,  sie  habe 
in  dem  erwähnten  Buche  das  Lesen  gelernt    und  es  auf  Ansuchen  ihrem 


1)  Mussinan  a.  a.  <  >.  f.  27  f, 
Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wi*a.  XVII.  Bd.  I.  Abth.  •'  3 


252 

damaligen  Gutsherrn,  Freiherrn  v.  Leoprechting,  gegeben,  dem  es  1780 
beim  grossen  Brande  in  Straubing  zu  Grunde  ging."  !) 

„Einige  Dorfbewohner  sagen,  es  sei  früher  eine  bedeutende  Stadt 
gewesen,  die  den  Namen  Pisonium  führte  und  so  gross  war,  dass  das 
1  i  Stunde  von  Wischelburg  südöstlich  liegende  Dorf  Lohe  mitten  in  der- 
selben gestanden  habe.2)  Diese  Stadt  sei  von  den  Hunnen  zerstört  worden, 
und  als  sie  hierauf  zum  Teil  wieder  aufgebaut  und  Rosenbusch3)  genannt 
wurde,  wieder  neuerdings  von  einein  Grafen  zerstört  worden,  und  so  sei 
denn  endlich  das  Dorf  Wischelburg  entstanden." 

„Ausser  dem  Dorfe  Lohe  war  der  Marktplatz  gewesen,  auch  befindet 
sich  in  dieser  Gegend  ein  Acker  unter  dem  Namen  „alter  Markt"  (Markt- 
platz)4) und  von  diesem  östlich  ein  anderer,  wo  die  Gerichtsstätte  ge- 
standen, unter  der  Benennung  Galgenacker.  Die  Bewohner  von  Wischel- 
burg finden  an  jenem  Orte,  wo  sie  nur  immer  in  die  Erde  uralten. 
Bruchsteine,  Trümmer  alter  Gefässe,  auch  Eisen  und  Knochen 
von  ungewöhnlicher  Grösse." 

„Dem  Wirte  daselbst  fiel  erst  vor  ein  Paar  Jahren  ein  Bündel  läng- 
licher Eisenbleche  nach  der  Gestalt  der  Eisenschuppen  eines  Harnisches 
in  die  Hände,  die  er  unbeachtet  wegwarf." 

„Der  Benefiziat  von  Irlbach  fand  vor  15  Jahren  zu  Wischelburg 
eine  römische  Silbermünze  von  beträchtlicher  Schwere,  ebenso  ein  Bauer 
vor  einem  Jahre  eine  andere  von  gelbem  Erze  in  der  Grösse  eines  Zwölfers. 
Beide  gingen  wieder  verloren."  Nur  eine  bei  Wischelburg  gefundene 
Silbermünze  des  Geta  ist  näher  bekannt,  dieselbe  befindet  sich  in  der 
Sammig.  des  hist.  Ver.  zu  Landshut.5)     Auch  Graf  Hundt   sprach  einmal 


1)  Dürfen  wir  aus  den  Angaben  der  Dorfbewohner  sehlidMen,  so  scheint  dieses  Buch  Avcntins 
Chronik  gewesen  zu  sein,  worauf  namentlich  <He  Angabe  des  Namens  Pisonium  hinweist. 

2)  Andr.  Buchner  in  der  allgemeinen  Münchener  Literatur-Zeitung  L819  8.  '•">.  setzt  hinzu  : 
Tund  die  Einwohner  so  reich,  dass  einst  einer  mit  goldener  Pflugschar  die  Erde  brach." 

3)  Auch  an  einer  späteren  Stelle  äussert  sich  Mussinan  nochmals  ausdrucklich  und  gewiss  nicht 
ohne  triftige  Veranlassung:  „ Wischelburg  ist  hier  bei  den  ältesten  Menschen  unter  dem  Namen 
Rosenburg  bekannt."  Jetzt  scheint  dieser  Name  verschollen  und  selbst  der  beste  Kenner  der  dor- 
tigen Gegend,  der  geschichtskundige  Abt  von  Metten,  P.  Benedikt  Braunmüller,  konnte  mir  darüber 
keinen  Aufschluss  geben. 

4)  Der  alte  Markt  ist  das  Feld  unmittelbar  südlich  von  der  SOecke  der  Wischelburg. 

5)  Verhandl.  d.  histor.  Ver.  f.  Niederbayern  Bd.  IL  Hft.  4  S.  41.  n.  27  (=  Bd.  XII.  S.  24. 
n.  631).  Vorders.  GETA  CAESAR  PONT(ifex)  COS.  Rucks.  FELIC1TAS  AVGV.sti  Weibl.  Figur 
mit  Schlangenstab  und  Füllhorn. 


253 

„über  Auf  rindung  mehrerer  Römermünzen  in  der  Wischelburg"  doch  ist 
dieser  Vortrag  nicht  gedruckt  worden."  *) 

Herr  Steigenberg,  ehemaliger  Pfarrherr  von  Stephansposching,  will 
im  Kloster  Metten  erzählen  gehört  haben,  es  hätten  sich  schon  vor  dem 
bairischen  Kriege  in  den  Jahren  1740 — 1741  zu  Wischelburg  einige 
Spuren  von  altem  Gemäuer  und  Gewölbe  vorgefunden,  die  Ortsbewohner 
hätten  nämlich  den  Schutt  hinweggeräumt  und  den  öden  Platz  dann 
bebaut,  wobei  sie  Inschriften  ausgegraben,  welche  sie  beim  Aufbauen  der 
Backöfen  in  dieselben  vermauert  oder  aus  Unwissenheit  zu  allerlei  Sachen 
verbraucht  haben.2) 

Jetzt  ist,  mit  Ausnahme  eines  angeblich  römischen  Schlüssels,  kein 
Fundstück  aus  Wischelburg  in  einer  öffentlichen  oder  Privatsammlung 
und  was  etwa  in  Stephansposching  oder  Metten  gesammelt  worden  war. 
ging  dort  durch  die  Schweden,  welche  1632  alles  verbrannten,  zu  Grunde 
oder  wurde  bei  Gelegenheit  der  Säcularisation  verschleudert.  In  Folge 
dieses  Mangels  an  Fundstücken  sind  wir  nun  leider  auch  nicht  im  Stande 
die  Erbauer  und  Benutzer  der  Wischelburg  zu  bestimmen;  man  hat 
zwar  seither  ihre  Entstehung  ohne  weiteres  den  Römern  zugeschrieben, 
allein  es  sind  bis  jetzt  keine  Anzeichen  vorhanden,  welche  zu  dieser 
Annahme  zwingen;  denn  die  seither  beliebte  Behauptung,  dass  nur  die 
Römer  ein  solches  Werk  hätten  ausführen  können,  reicht  als  Beweis  für 
römische  Herkunft  nicht  aus,  seitdem  wir  grosse  und  wohlangelegte 
Werke  kennen  gelernt  haben,  die  nicht  von  den  Römern  herstammen 
können. 

Auch  die  wenigen  römischen  Münzen  liefern  keine  ausreichende  Be- 
gründung, unbestreitbar  ist  nur,  dass  die  Römer  auch  die  Gegend  der 
Wischelburg  in  ihrer  Gewalt  hatten. 

Die  Gestalt  der  Schanze  gibt  keinen  Anhaltspunkt,  da  sie  keine 
geraden  Seitenlinien    hat    und   sich  der  Bodengestalt    anschliesst.    und  ist 


1)  Jahresher.  d.  bist.  V.-r.  f.  Oberbayera  XXVIII.  (1865)  S.  41.  XII. 

2)  Mussinan  a.  a.  0.  Dagegen  versicherte  mir  Abt  Braunmüller:  .Mauern  sind  weder  in 
diesen  Willen  der  Wiacheltrarg,  noch  in  den  benachbarten  Wällen  gefunden  worden.  Ich  habe 
selbst  darnach  gesucht,  es  sind  nur  Erdwälle,  in  denen  sich  hie  und  da  ein  Granitstein  be- 
findet, sowie  auch  wieder  Holzstückchen.  Ueberhaupt  ist  mir  da  altes  Mauerwerk  nicht  bekannt 
geworden.11 

33* 


254 

überdies  an  Flächenraum  weit  grösser  als  die  sonst  bekannten  römischen 
Lager  von  Pföring,  Pfünz  u.  s.  \v..  wenn  sie  auch  hinter  Regensburg  und 
Augsburg  an  Grösse  zurücksteht.  Auch  der  Umstand,  dass  Heyberger 
auf  dem  Aufnahmsblatt  des  topographischen  Bureau's  zwischen  Wischel- 
burg und  Irlbach  die  Worte  einschrieb  „Römischer  Leichenacker",  was 
er  gewiss  nicht  gethan  hätte,  wenn  er  nicht  selbst  dort  entsprechende 
Funde  gemacht  oder  von  solchen  gehört  hätte,  ist  nicht  beweisend  für 
unsere  Frage  weil  man  zur  Zeit  der  Aufnahme  (1856)  noch  jeden  alten 
Fund,  jeden  Grabhügel  u.  s.  w.  mit  dem  Beiwort  romisch  zu  bezeichnen 
pflegte.  Mein  Wunsch,  über  die  Gräber  etwas  zu  erfahren,  ist  bis  jetzt 
unerfüllt  geblieben.  Dieselben  stehen  aber  vielleicht  im  Zusammenhang 
mit  einem  Schädelknochen  und  einer  Pfeilspitze,  die  einst  von  Irlbach 
aus  an  den  historischen  Verein  in  Landshut  eingeliefert  wurden.1)  Der 
angezeigte  Platz  selbst,  östlich  von  Irlbach,  wo  die  Wege  nach  Lohe  und 
Wischelburg  auseinandergehen,  wäre  für  lleihengräber  sehr  geeignet. 
Wir  werden  also  den  Beweis,  dass  Wischelburg  ein  römisches  Lager  war. 
noch  zu  erwarten  haben  und  auch  hier  wird  der  Spaten  allein  die  ent- 
scheidenden Funde  liefern  können. 

Schon  im  frühen  Mittelalter,  um  950,  hatte  Perahtold.  filius  Arnulfi 
in  Wisciliburg  dem  Kloster  Metten  eine  proprietas  gegeben  mit  Land 
und  Leuten;  da  aber  Bertholds  Schenkungen  durch  seine  Aechtung  un- 
giltig  geworden  waren,  so  wurden  dieselben  976  durch  Kaiser  Otto  regali 
potentia  ans  Kloster  zurückgegeben2)  und  daraus  ist  wohl  zu  schliessen, 
dass  Wischelburg  wahrscheinlich  Staatsgut  war,  also  aus  dem  römischen 
Staatsgute  in  das  bajuvarische  und  fränkische  übergegangen  war.3) 

Die  Quelle  des  von  Aventin  gebrauchten  Namens  Pisonium  ist  un- 
bekannt, wahrscheinlich  aber  ist  derselbe  wie  so  manche  andere  Namen 
von  Aventin  selbst  geschaffen  und  dem  benachbarten  Posching  entlehnt. 
Auch  der  Name  Wischelburg  ist  noch  nicht  überzeugend  erklärt,  denn 
die  Ableitung  aus  Castra  Visellii  (oder  gar  Vitellii)  bietet  mir  zu  wenig 
Wahrscheinlichkeit  dem  Umstand  gegenüber,  dass  noch  eine  Anzahl  anderer 


1)  Verhandl.  d.  histor.  Ver.  f.  Niederbayern.     Bd.  II.  Hft.  4.  (1852)  S.  24.  n.  56. 

2)  Mon.  Boica.  XI.  439. 

3)  Braunmüller,  im  XVII.  Bd.  d.  Verhandl.  d.  hist.  Ver.  f.  Niederbayern.  S.  44.  A.  1. 


255 

Ortschaften  ähnlichen  Namen  tragen  z.  B.  Wisselsing  bei  Osterhofen, 
Wisseisberg  im  Landgericht  Vilsbiburg,  Wiesel  bürg  (Zwieselburg)  Ortschaft 
in  Oestreich  u.  d.  Enns  und  in  der  Wieselburger  Gespannschaft  (Mosony) 
in  Ungarn.  Nicht  mit  Unrecht  erinnert  Braunmüller  an  den  Namen 
Viscellis,  der  auf  der  tabula  Peutingeriana  zwischen  Ovilia  und  Viruno 
zu  finden  ist,  zur  Zeit  aber  ebenfalls  noch  der  Deutung  entbehrt.1) 

Straubing.     Sorviodurum? 

Gehen  wir  von  Wischelburg  etwas  mehr  als  10  römische  Meilen,  etwas 
über  2  deutscheMeilen  nach  Westen,   so  erreichen  wir  Straubing. 

Diese  Stadt  wurde  schon  ziemlich  lange  mit  dem  Servioduro  der 
Tabula  Peutingeriana  in  Verbindung  gebracht,  wegen  der  daselbst  an- 
gegebenen Entfernung  von  XXVIII  römischen  =  53/s  deutschen  Meilen 
von  Kegino  (Regensburg),  eine  Entfernung,  die  mit  den  11  Poststunden 
der  jetzigen  Landstrasse  fast  völlig  gleich  ist2},  und  weil  auch  die  auf  50 
römische  Meilen  angegebene  Entfernung  zwischen  Sorviodurum  und  Boio- 
durum  (Innstadt  bei  Passau)  mit  den  21  Poststunden  der  jetzigen  Land- 
strasse nahezu  übereinstimmt.3) 

Diese  Vermutung    entbehrte    aber   bis  vor  zwei  Jahren    der  Bestäti- 
gung durch  Funde  von  römischen  Bauresten  innerhalb  des  Stadtgebietes. 


1)  a.  a.  0.  8.  42.  A.   1. 

2)  Schon  Cellarius,  Notitia  orfaü  antiqui  1731  tom.  I.  p.  419:  Sorviodurum  in  tabula  XXVIIL 
ab  Regino,  quod  intervallum  ducit  ad  nobilem  urbem  Straubingam. 

S)  Avrntin,  welcher  die  Tabula  Peutinger.  noch  nicht  kannte,  schuf  aus  der  östlich  der  Strau- 
binger Altstadt  liegenden  Azelburg  die  Castra  Acilia,  s.  Aventin  Chronik,  Buch  II.  c.  49  (p.  700.) : 
„Bei  Straubing,  <hi  die  Ala  in  die  Thonau  feit,  so  noch,  in  der  alten  stat  haist,  ist  auch  ain  alte 
römische  reichstat  gewesen,  mit  namen  Augusta  Acilia,  war  in  unser  Sprach  Azelburg,  alda  auch 
noch  ain  herrenheusl  und  schlos  den  Namen  behelt." 

Dieser  Name  Castra  Acilia  aber  entbehrt  jeder  urkundlichen  Begründung  und  erscheint 
Bttdem  ein  zweitesmal  bei  Aventin,  Chronik  Bd.  II.  c.  49  (p.  687)  als  Name  für  die  Altenburg  bei 
Neuburg  a/D. :  „Oberhalb  Neuburg  an  der  Thonau  sein  auch  zwai  alte  zerprochene  burgstal  ist  das 
erat  gnant  von  den  Kömern  Galeodunum  oder  Callatinum  (das  ander  Atilia)  nent  jetzt  der  gemain 
man  Calladin  oder  Keyserburg  und  Altenburg. " 

Braunmüller  glaubt  Serviodurum  in  Haindling  suchen  zu  müssen.  Verhandl.  d.  histor.  Ver. 
f.  Niederbayern.  XVII.  (1872)  S.  35. 

Man  vergleiche  auch  Schuegraf,  Urkundliche  Nachrichten  über  Straubing  und  Atzlburg  in 
den  erwähnten  Verhandlungen.  Bd.  VIII.  (1862)  S.  277  f.  und  Burger,  Ueber  die  Azlburg  (Castra 
Acilia)  bei  Straubing,  ebenda  Bd.  IV  (1855)  Hft.  1.  S.  59—64. 


256 

Zwar  hatte  schon  Buchner  mitgeteilt1)  ein  Gärtner  in  der  Altstadt 
Straubing  nördlich  vom  Kloster  Azelburg  habe  ihn  in  seinen  1813  er- 
bauten Keller  geführt  und  ihm  dort  die  starke,  dicke,  aus  gehauenem 
Granit  verfertigte  Grundmauer  des  ehemaligen  Castells  gezeigt,  allein  für 
die  römische  Herkunft  dieser  Mauer  wusste  und  brachte  er  keinen  Beweis. 

Auch  war  im  Garten  des  Elisabethiner-Nonnenklosters  zu  Azelburg, 
als  man  bei  Erbauung  eines  Waschhauses  nach  Sand  grub,  eine  Urne 
gefunden  worden,  die  auf  einem  Steine  stand  und  in  welcher  sich  Gebeine 
und  eine  Lampe  befanden.  Die  Urne  war  aus  grauem  Thon  und  hatte 
dreiHandhaben,  durch  die  sich  ebensoviele  Schlangen  wanden,  dazwischen, 
nahe  den  Handhaben,  bemerkte  man  hinaufkriechende  Frösche.  Die  Urne 
wurde  von  dem  Arbeiter  leider  zerschlagen,  die  Gebeine  zerstreut.  Die 
Lampe  war  sehr  gut  erhalten,  aus  rotem  Thon  und  trug  am  Boden  das 
Wort  „Fortis."2)  Man  hatte  hier  also  unzweifelhaft  ein  römisches  Grab 
gefunden  und  auch  römische  Münzen  kamen  nicht  allzu  selten  dort  und 
im   Bereiche  der  Stadt  zum  Vorschein.3) 

Eine  weit  reichere  Ausbeute  an  Fundgegenständen  aber  lieferte  das 
östlich  von  der  Stadt  liegende,  von  dieser  durch  das  Alatflüsschen  ge- 
trennte und  nach  Hofstetten  zu  sich  erstreckende  Osterfeld,  welches  un- 
mittelbar östlich  an  die  Azelburg  stösst.  Bei  einer  ganzen  Anzahl  der 
bei  Straubing  gefundenen  Münzen  wird  ausdrücklich  das  Osterfeld  als 
Fundort  genannt  und  ebenso  sicher  gehört  hieher  ein  grosser  Teil,  deren 
Fundstelle  „bei  Straubing"  gewesen  ist.  Diese  Münzen  reichen  von  Kaiser 
Otho  bis  auf  Gratianus  378,  während  eine  Münze  nicht  mit  Sicherheit 
dem  Kaiser  Justinus  zugeschrieben  wird.4) 


1)  Dokumente  zu  Büchners  Geschichte  von   Bayern.  I.  S.  45.  n.  98  h. 

2)  Mussinan,  Ritter,  Joh.  v.,  Die  römischen  Altertümer  in  und  um  Straubing.  Cod.  lat.  inon. 
5380.  fol.  17  f. 

3)  Nur  eine  Silbermünze  wird  bestimmt  mit  dem  Fundort  bei  Azelburg  bezeichnet:  Av  iL. 
Sept.  Sev.  Pe)rt  Aug.  Imp.  IL  Der  bärtige,  lorbeerbekränzte  Kopf  nach  rechts.  Rev.  P  .M  Tr .  P  .  IL  — 
Cos.  II.  P.P.  Stehende  kriegerische  Gestalt,  rechts  die  Lanze,  links  den  Schild.  Verhandl.  des 
hist.  Ver.  v.  Niederbayern.  Bd.  IV.  Hft.  2.  S.  23.  n.  273.  Im  Garten  der  barmherzigen  Brüder  in 
der  Altstadt  fand  sich  eine  Bronzemünze  des  Kaisers  Trajan,  die  im  J.  1880  in  die  städtische 
Sammlung  zu  Straubing  kam.  Av.  IMP  .  CAESAR  TRA1ANVS,  Kopf  nach  rechts.  Rev.  Opfernde 
Gestalt,  (Wimmer  Ed.,  Sammelblätter  z.  Geäch.  d.  Stadt  Straubing.  S.  91.  n.  73.)  Doch  mögen 
noch  eine  Anzahl  hier  gefundener  unter  den  b  e  i  Straubing  gefundenen  versteckt  sein. 

4)  Verhandl.  d.  histor.  Vereins  f.  Niederbayern.     Bd.  IL  Hft.  4.  S.  74.  n.  127. 


257 

Ausser  den  Münzen  wurden  auf  dem  Osterfelde  eine  grosse  Anzahl 
von  Gefässbruchstücken  gefunden  mit  und  ohne  Verzierung  mit  Figuren  von 
Menschen,  Thieren,  Bäumchen,  Blättern  und  sonstigen  Ornamenten,  dann 
Räucherschalen,  Lampen,  Urnen,  Töpfe,  Becher,  Mischkrüge,  Reibschüsseln 
und  Spinnwirtel,  aus  samischer  Erde,  mit  schwarzem  lackartigem  Ueber- 
zug,  aus  rotem  oder  gelbem  Thone,  sowie  aus  grauer  graphitreicher  Erde 
und  aus  Glas;  ferner  Ziegelplatteu,  worunter  einige  mit  Militärstempeln, 
Ziegel  mit  Rand,  Fussbodenplatten,  Hypokaustenziegel,  bemalte  Gesims- 
stücke, Mörtelbrocken,  Bruchstücke  von  Kalkschiefer,  die  als-  Dachplatten 
gedient  hatten,  dabei  Messerklingen  von  Eisen,  Nägel,  Ringe  und  sonstiges 
Eisenwerk,  Nadeln  von  Eisen  und  Bronze  und  Stücke  von  Bronzever- 
zierungen1). Diese  Fundstücke  im  Einzelnen  zu  betrachten,  würde  zu 
weit  führen,  nur  die  Namen  der  Töpfer,  welche  auf  den  Gefässen  sich 
finden,  sollen  unten  in  einer  Anmerkung  Platz  finden.2)  Die  Hauptfund- 
stelle auf  dem  Osterfelde  ist  ein  Platz  an  der  sogenannten  Kling  zwischen 
der  Altstadt  Straubing  und  Hofstetten  in  der  Nähe  der  Pilmosmühle,  wo 
in  einer  Kiesgrube,  die  im  Jahre  1879  wieder  in  Benützung  genommen 
wurde,  eine  etwa  1  m  starke,  weithinreichende  Schicht  von  aufgefahrenem 
Brandschutt  sich  zeigt.  Schon  Mussinan  und  Lori  hatten  dort  Funde 
gemacht,  von  denen  aber  nur  ein  Teil  sich  in  der  Landshuter  Sammlung 
befindet. 

Grundmauerreste  finden  sich  nicht  darunter  und  fast  der  erste  Blick 
lehrt  uns,  dass  die  Gefässreste  u.  s.  w.  nicht  an  der  Stelle  liegen,  wo  sie 
zuerst  als  unbrauchbar  weggeworfen  wurden,  sondern,  dass  wir  es  mit 
Brandschuttmassen  zu  thun  haben,  die  an  anderer  Stelle  weggefahren 
und  hier  abgelagert  sind. 


ll  Die  Fnndatücke  sind  ringln  genannt  in  den  Verhandl.  d.  hist.  Vereins  f.  Niederbayern. 
Bd.  II.  litt.  1.  s  23.  n.  45  —  61  und  Wimmer  Bd.,  8ammelblätter  /..  Qetch.  d.  Stadt  Straubing, 
S.  88.  124.  208.  413.  418.  Einige  der  gefundenen  Gfofaesbraehatflcke  sind  nach  einer  von  Herrn 
Pfarrer  Dahlem  gütigst  mitgeteilten  Zeichnung  auf  der  beigegebenen  Tafel  abgebildet. 

2)  Die  bis  jetzt  aufgefundenen  Töpferstempel,  welche  Herr  Hauptmann  Wimmer  in  den 
Sammelblattern  i.  öeteh.  d.  Stadt  Straubing  n.  23.  S.  89.  n.  104.  S.  413  und  n.  156.  S.  623  f.  mit- 
teilt.', Bindfolgende:  \1'1M*>  (Officina);  A.  ILLIVS;  CASSIVS  F;  CESORINVS  F;  CIAN  od.  CIANI 
Od.  CIAM;  <'l\T\i;\.\T\iS);  COCTLL  .  M;  DA.MINI  .  M;  fELICIS  MAN;  FIDIILIS  F;  FTI  .M; 
GERMAM;  1ANNV;  IANVS;  MAIANVS  FE;  MAM.MI:  MARCELLVS  F;  MATERNI;  MERCA ; 
MERC;  MONTANVS;  SECVNDINVS  SENAS ;  SILVINVS  F;  VAIEN(?);  VENICARVS;  VERVS 
(R  und  V  verbunden)  vKUVS  .  V  .  F  .  F:  VTEVOS  F;  ...  DVS;  .    .  DIANI;  .  .  VLTIO  F. 


258 

Diese  Schuttmassen  Hessen  nun  mit  Sicherheit  eine  grosse  Anzahl 
von  Gebäuden  in  der  Nähe  voraussetzen  und  mussten  die  Hoffnungen 
und  den  Eifer  des  Forschers  lebhaft  anregen 

Auch  war  bereits  im  Jahre  1812  in  der  Nähe  von  St.  Nikola1)  auf 
dem  Osterfelde  der  Bürger  Andre  Krieger  beim  Pflügen  auf  einen  Stein 
mit  Inschrift  gestossen,  den  der  Landgeometer  v.  Lori  herausnehmen 
und  aufs  Rathaus  bringen  Hess;  unter  demselben  fanden  sich  einige  rauhe 
Steine,  Ziegeltrümmer,  Mörtel  u.  s.  w.,  die  zuerst  den  Glauben  erweckten, 
man  werde  auf  die  Grundmauern  eines  Gebäudes  stossen,  was  sich  aber 
bei  weiterer  Nachgrabung  nicht  bestätigte.2) 

Der  Stein  war  das  Bruchstück  eines  Altars  aus  dichtem,  weissem 
Kalkstein  auf  2  Seiten  mit  Inschrift  versehen;  die  beiden  Inschriftseiten 
waren  etwas  über  23  Zoll,  die  inschriftlosen  18  Zoll  breit,  der  Stein 
2  Fuss  1  Zoll  hoch.  Auf  beiden  Seiten  waren  2  Zoll  breite  Lisenen.  Die 
Verzierung  des  Deckels  bestand  aus  einer  Kranz-  und  Riemleiste  und  einem 
Stäbchen.  Die  hintere  Seite  hatte  die  nämliche  Ansicht.  Auf  der  einen 
Nebenseite  war  eine  Füllung  jedoch  ohne  Inschrift  eingehauen,  die  andere 
hingegen  ganz  flach.3)  Die  Inschriften  waren  nur  noch  zum  Teil  erhalten 
und  lauteten: 

Erste  Seite.  Zweite  Seite. 

lichen  i  1  iii)  vsapr 

isalvt;  l  e  s  l  e  l  i  a 

3nvetk  .  nocosqvi 

icama  bvsprdt"° 

Der  Stein  selbst  wurde  im  Jahre  1819  wieder  mit  andern  Bruch- 
stücken zur  Ausfüllung  in  das  nördliche  Widerlager  der  Donaubrücke 
geworfen,  so  dass  bei  dem  Mangel  einer  genauen  Abschrift  auch  die  Er- 
gänzung der  nicht  zahlreichen  fehlenden  Buchstaben  sehr  erschwert  wird. 

Eine  Abschrift  des  Steines  bei  Stark,  Handschr.  VI.  fol.  468  gibt  von 
der  ersten  Seite    nur    die    drei  ersten  Zeilen.     Von    der  zweiten  deutlich 


1)  Straubinger  Wochenblatt  1824.  S.  182. 

2)  Siehe  Bericht   Lori's   in  Stark's  Nachlass.    Bd.  VI.  f.  468.     (Handschr.    im  histor.  Ver.  f. 
Oberbayern.) 

3)  Zschokke,  Miszellen  für  die  neueste  Weltkunde.  1812.    S.  331. 


259 

das  halbe  0  und  SALYTE,  von  der  dritten  NVETE,  vor  dem  N  noch  den 
Rest  eines  0  P  oder  R;  von  der  zweiten  Seite  ist  Zeile  2.  LELIA  (nicht 
wie  bei  Lori  AELIA)  gegeben. 

Die  auch  von  Hefner  benützte  Zeichnung  im  historischen  Verein  zu 
Landshut  gibt  auf  der  ersten  Seite  Zeile  2 :  sALVE  mit  Auslassung  des  T 
und  Zeile  3  NETE  mit  Auslassung  des  V  im  Ganzen  auch  nur  die  drei 
ersten  Zeilen ;  dagegen  zeigt  Seite  II  in  der  4.  Zeile  die  Buchstaben  BVS 
PR1^,  welche  Mommsen  im  C.  J.  L.  III  5973  zu  PRAest  (vielleicht 
besser  PREST)  meiner  Ansicht  nach  richtig  ergänzt.1)  Stichaner( — n — ) 
bei  Zschokke,  Miscellen  für  die  neueste  Weltkunde  1812.  S.  331.  gibt  II. 
Zeile  2.  LAELIA  und  I.  Zeile  3.  PNVETE.  auch  hat  er  zu  Seite  I  die 
vierte  Zeile  IC  mit  dem  Zusätze:  „die  weiteren  drei  Buchstaben  scheinen  ein 
AM  und  A  gewesen  zu  sein.  Wie  schon  gesagt  fehlen  jeder  dieser  Zeilen 
zwei  Buchstaben  am  Anfange."  Versuchen  wir  die  letzte  bis  jetzt  un- 
erklärte Zeile  zu  ergänzen.  Die  vorletzte  Zeile,  welche  mit  VETE 
(rani,  der  Plural,  weil  kein  Eigenname  vorausgeht)  endigt,  lässt  in  der 
folgenden  Zeile  den  Namen  einer  Heeresabteilung  vermuten  und  mit 
Ergänzung  von  COH  würde  sich  die  letzte  Zeile  zu  COHICAMA  gestalten, 
eine  Lesung,  bei  welcher  sich  uns  die  Cohors  I  Canathenorum  unwill- 
kürlich aufdrängt.  Die  Abänderung  des  M  in  N  ist  eine  sehr  gering- 
fügige, zumal  da  die  Buchstaben  der  4.  Zeile  nicht  sicher  und  deutlich 
erkennbar  überliefert  sind. 

Das  Consulat  des  (M.  Pontius)  Laelianus  fällt  in  das  Jahr  163  n.  Chr. 

Die  Inschrift  lautete  also  wahrscheinlich,  wenn  wir  in  jede  Zeile 
8  Buchstaben  setzen: 

I  •  o  •  M  •  IIIIDYSAPB 

DOLIGHEN  L  E  S  L  E  L  I A 

I»  R  <)  S  A  L  VE  N  0  C  O  s  Q  V  I 

I  M  PN  V  ET  E  B  V  SI'KEST 

COHICANA  


d.  h.  Jovi  optimo  maximo  Dolicheno  pro  salute  imperatoris  nostri  veterani 
cohortis  primae  Canathenorum.  III.  idus  apriles  (11.  April)  Leliano  consule 
(163  p.  Ch.)  quibus  praeest 


1)  Hefner  J.,  Dm  römische  Bayern.  8.848.  o.  iVCXV  wollte  Quintus  Vibius  praefectus?  lesen. 
Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  I.  Abtli.  34 


260 

Die  fünfte  Zeile  mit  dem  Namen  des  Präfekten  war  durch  den  Bruch 
des  Steines  unkenntlich  geworden  oder  stand  ausserhalb  des  Inschriftfeldes 
im  Gesimse. 

Das  Datum  des  11.  April  bietet,  auch  wenn  man  die  übrigen 
Dolichenusinschriften  zu  Rate  zieht,  keine  geschichtlichen  Ergebnisse, 
dagegen  möge  es  gestattet  sein,  zu  erwähnen,  dass  der  Aushebebezirk 
der  Canathener  (Canatha,  die  östlichste  unter  den  zur  Dekapolis  ge- 
hörigen Städten  der  Peraea)  nur  wenige  Stunden  südlich  von  Heliopolis  am 
Libanon  lag,  wo  Kaiser  Antoninus  dem  Sonnengotte  unter  Jupiters  Namen 
einen  prachtvollen  Tempel  errichtet  hatte1),  und  ein  Hauptplatz  des 
Dolichenuskultus  war,  den  gerade  die  Canathener  vielleicht  an  die  Donau 
gebracht  hatten. 

Zur  Heranziehung  des  Namens  der  Canathener,  bei  Erklärung  der 
vorliegenden  Inschrift,  berechtigt  uns  aber  nicht  blos  die  Gewissheit, 
dass  gegen  Ende  des  zweiten  Jahrhunderts  deren  Cohorte  in  Rätien 
lag2),  sondern  auch  die  wichtige  Thatsache,  dass  mehrere  Stempel  dieser 
Abteilung  auf  dem  Osterfelde  gefunden  wurden,  denn  im  J.  1879  grub 
Herr  Hauptmann  Wimmer3)  an  der  Kling  am  Schanzelwege  3  Ziegel- 
stücke aus  mit  dem  Stempel: 


.OH  ION 


d.  i.  Cohors  I.  Canathenorum  (die  Länge  der  Buchstaben  beträgt  3  cm, 
die  Breite  des  vertieften  Grundes  3,5  cm)  und  im  J.  1882 4)  fand  er  im 
Brandschutte  ebendaselbst  ein  Randziegelstück  mit  dem  Stempel: 

.  .  NAT  j 

I 

den  wir  unbedenklich  derselben  Cohorte  zuteilen  können. 

An  der  nämlichen  Stelle  lagen  auch  noch  Stempel   der  Legio  tertia 
Italica 


LEGIIIITAL 


1)  Seid],  lieber  den  Dolichenuskult,  in  den  Sitzungsber.  d.  philos.-histor.  Glasse  der  kaiserl. 
Akad.  d.  Wiss.  in  Wien.     Bd.  XII.  (1854)  S.  44. 

2)  Ohlenschlager ,    Die   römischen  Truppen   im    rechtsrheinischen    Bayern,    Programm    des 
k.  Maximilians-Gymnasium  in  München  1884.  S.  54. 

3)  Wimmer  E.,  Sammelblätter  z.  Gesch.  d.  Stadt  Straubing.    S.  88. 
41  Ebenda  S.  208. 


261 

(Höhe  der  Buchstaben  1,2  cm,  Länge  des  vertieften  Stempelgrundes  7,7  cm, 
Breite  desselben  1,7  cm1);  nicht  blos  ein  Beweis  dafür,  dass  Teile  dieser 
Legion  auch  hier  sich  aufgehalten  haben2),  sondern  auch,  dass  der  Brand- 
schutt in  der  Kling  erst  nach  170,  dem  Stiftungsjahr  der  Legio  tertia 
Italica  dort  abgelagert  sein  kann. 

Nicht  minder  erfreulich,  war  die  Auffindung  des  Stempels  einer 
Cohors  Raetorum  im  J.  1879,  weil  man  zwar  aus  dem  Weissenburger 
und  Regensburger  Diplom  wusste,  dass  die  I.  und  IL  Cohorte  der  Räter 
im  J.  107  und  166  n.  Chr.  dem  rätischen  Heer  angehörten,  ihre  Stand- 
orte aber  nicht  bekannt  waren.  Auch  der  erste  Stempelfund  gab  darüber 
noch  keinen  Aufschluss.  weil  ihm  die  Zahlbezeichnung  der  Cohorte  fehlte, 
und  erst  vier  Jahre  später,  im  J.  1883,  erschienen  endlich  bei  der  Azel- 
burg  vollständige  Stempel  der  Abteilung  und  zwar  der  Cohors  IL  Raetorum : 


|)j  IIRAET  (| 

In  einem  Garten  des  nordöstlich  der  Azelburg  gelegenen  Hauses 
Nr.  789  wurde  schon  im  Herbste  1882  ein  massiver  roter  Betonboden 
gefunden,  etwa  2  m  unter  der  jetzigen  Erdoberfläche  samt  ansehnlichen 
Resten  von  Grundmauern,  die  Brandspuren  zeigten.  Das  Haus  Nr.  789 
ist  höchst  wahrscheinlich  das  in  „Buchners  Dokumenten  zur  Geschichte 
von  Bayern"  I.  S.  45  n.  98b  gemeinte,  dies  dürfte  die  aus  massiven 
Kalksteinen  (nicht  Granit,  wie  Buchner  meinte)  gebildete  Kellermauer 
beweisen,  welche  Buchner  für  römische  Befestigungsüberreste  hielt.3) 
Im  November  1883  erbot  sich  dann  der  Besitzer  des  Hauses,  Hr.  Gärtner 
Söldner,  bei  Anlage  einer  Grube  zur  Ueberwinterung  der  Früchte  un- 
mittelbar neben  dem  erwähnten  Betonboden  mit  Sorgfalt  so  tief  zu 
graben,  bis  der  Anschluss  an  die  genannte  Grundmauer  wieder  gefunden 
wäre.  Nach  Wegräumung  vielen  Brandschuttes  trat  in  einer  Tiefe  von 
etwa  2  m  eine  von    der  Thür   des  Gärtnerhauses    17   Schritt   südlich  ge- 


il Wimmer  E.,  Sammelblätter  z.  Gesch.  d.  Stadt  Straubing.  S.  413. 

2)  Die  übrigen  bis  jetzt  bekannten  Stempelf'undstellen  der  leg.  III.  Ital.  sind:  Regensburg, 
Abbach,  Alkofen,  Eining,  Westbeim  b.  Augsburg,  Liezheim.  Siehe  Ohlenschlager,  Die  römischen 
Truppen.    S.  :>>1. 

8)  Wimmer,  Sammelblätt.-r.    S.  208. 


262 

legene,  von  Südwestsüd  nach  Ostnordost  laufende  110  cm  dicke  Mauer  von 
Kalktuffsteinen  zu  Tage.  Sie  ist  durch  eine  etwa  6  cm  dicke,  senkrecht 
aufgeführte  rote  Betonschicht  von  dem  etwas  tiefer  gelegenen  Beton- 
boden getrennt. 

Unter  den  im  Mörtel  äusserst  fest  gebetteten  Kalktuffsteinen  fand 
sich  längs  der  senkrecht  aufgeführten  Betonschicht  und  zum  Teil  als 
deren  Grundlage  verwendet,  eine  Reihe  von  grossen  Ziegeln  mit  Militär- 
stempeln. Sechs  derselben  wurden  sorgfältig  herausgestemmt.  Dieselben 
haben  eine  Länge  von  33 — 36  cm,  eine  Breite  von  17 — 18  cm,  die  Dicke 
beträgt  3  cm.  Parallel  zur  Langseite  ist  auf  jedem  Ziegel  einmal  der 
oben  erwähnte  Stempel  3 — 5  mm  tief  eingedrückt.  Der  Stempel  ist  1  7  cm 
lang,  5  cm  breit.  Die  Buchstaben  sind  3  cm  lang,  1  cm  breit  und  nicht 
ganz  3  mm  dick. 

Dieser  Fund  ist  von  höchster  Wichtigkeit  für  die  Frühgeschichte 
von  Straubing.  Wir  erfahren  dadurch  nicht  blos  den  Garnisonsort  der 
Cohors  secunda  Raetorum,  sondern  wir  haben  damit  den  ersten  festen 
Punkt  gewonnen,  von  wo  aus  nach  den  übrigen  Resten  römischer  Bauten, 
namentlich  aber  nach  der  Stelle  des  römischen  Lagers  mit  Erfolg  ge- 
fahndet werden  kann. 

Denn  das  gefundene  Gebäude  war  wegen  der  Verwendung  gestem- 
pelter Militärziegel  wahrscheinlich  ein  Militärgebäude  und  sicher  nicht 
sehr  weit  von  dem  römischen  Lager  entfernt. 

Ob  dasselbe  aber  bei  St.  Peter  in  der  sogenannten  Altstadt  gelegen, 
wie  manche  vermuten,  am  linken  Ufer  der  Alat,  oder  rechts  derselben 
östlich  von  der  Azelburg,  im  Osterfelde,  lässt  sich  noch  nicht  mit  Sicher- 
heit sagen.1) 

Für  die  Altstadt  und  zwar  den  Winkel  bei  St.  Peter  spricht  die 
günstige  Lage  mit  den  sturmfreien  Ufern  der  Alat  und  Donau,  ferner 
die  Auffindung  einer  Unzahl  von  Urnen,  Gefässen  mit  Kohlen  und 
Menschenknochenresten,  welche  beim  Bau  des  neuen  Schulhauses  in  der 
Altstadt  im  J.  1875  zwischen  der  Heer-  und  Donaustrasse  500  —  600  m 
südwestlich  von  der  Kirche  St.  Peter  ausgegraben  wurden;  (diese  Be- 
gräbnistätte    lag    etwa   1  l/%  m  tief),    und   endlich  der  Name  der  Altstadt 


1)  Wimmer  E.,  Sammelblätter  z.  Gesch.  d.  Stadt  Straubing.    S.  119. 


263 

selbst,  mit  welchem  in  mehreren  Fällen  die  Oertlichkeiten  genannt  wur- 
den, wo  römische  Lagerstellen  sich  befanden.1) 

Die  Annahme,  dass  das  Lager  auf  dem  rechten  Alatufer  bei  der 
Azelburg  gewesen  sei,  welche  auch  Hauptmann  Wimmer  jetzt  für  wahr- 
scheinlich hält,  stützt  sich  zunächst  auf  die  Funde  in  der  Kling  am 
Schanzelweg,  auf  die  obenerwähnten  Grundmauerfunde  und  dann  auf  eine 
alte  Sage,  dass  die  Stadt  viel  grösser  gewesen  sei  und  sich  bis  gegen 
den  Hofstetter  Hof  erstreckt  haben  soll;  auch  sollen  beim  Hofstetter  Hof 
beim  Ackern  mehrmals  Spuren  von  Mauern  sich  gezeigt  haben,  in  deren 
Nähe  ein  dumpfer  Widerhall  gehört  wurde,  als  wenn  Gewölbe  unter  der 
Erde  wären.2) 

Auf  Grund  der  Bodenbeschaflfenheit  spricht  Hr.  Hauptmann  Wimmer 
die  Vermutung  aus,  dass  in  der  Kling,  dem  ziemlich  hohen  und  steilen 
Abhang  des  Osterfeldes  gegen  die  Donau  die  nördliche,  in  dem  etwa 
410  Schritte  von  der  Ostfront  der  Azelburg  entfernten,  etwa  280  Schritte 
langen,  meist  über  2  m  betragenden  Terrainfalle,  der  sich  sodann  etwa 
210  Schritte  in  einem  Kreisbogen  südwärts  zieht,  die  östliche  und  süd- 
liche Begrenzung  des  Lagers  zu  suchen  seien.  Dieser  Terrainfall  führt 
überdies  den  auf  eine  Befestigung  deutenden  Namen  Burzelgraben  (d.  i. 
Burgstallgraben),  und  wurde,  wie  mir  Hr.  Hauptmann  Wimmer  mündlich 
mitteilte,   „sittlichkeitsh alber"   eingeworfen.3) 

Die  Westgränze  dürfte  parallel  zur  Ostfront  der  Azelburg  gedacht 
werden  und  das  entdeckte  römische  Gebäude  mit  den  Ziegeln  der  zweiten 
rätischen  Cohorte  entweder  zum  Lager  selbst  gehört,  oder  keinen  sehr 
grossen  Abstand  von  dessen  Westgränze  gehabt  haben.4) 


1)  Altstatt  heisst  die  durch  Altertümer  ausgezeichnete  Gegend  bei  Weissenburg,  wo  diese 
Stadt  ehemals  gestanden  haben  soll,  und  die  bedeutenden  Trümmer  einer  römischen  Niederlassung 
bei  Kottweil  liegen  auf  der  sogenannten  Altstatt.  Julius  Leichtlen,  Forschungen  im  Gebiete  der 
tb'si  lachte,  Altertums-  und  Sc Iniftenkunde  Deutschland«,  Kiste  Folge  1818.  S.  109.  Die  Stelle, 
wo  im  J.  1871'»  das  römische  Lager  bei  Miltenberg  aufgefunden  wurde,  hiess  seit  undenklichen 
Zeiten  die  Altstatt,  obwohl  dort  seit  Jahrhunderten  keine  Gebäudespur  mehr  zu  sehen  war,  und 
auch  zu  Rückingen  bei  Hanau  führte  das  Feld,  in  welchem  das  römische  Castell  lag,  seit  undenk- 
licher Zeit  den  Namen  „Alteburg. *  (Siehe  das  Römerkastell  und  das  Todtenfeld  in  der  Kinzig- 
niederung  bei  Rückingen.  1873.  S.  4.)  Ebenso  heisst  bei  Rottenburg  a.  N.  der  Platz,  wo  das 
Römerktutell  liegt  „auf  der  Altstadt."     (Allgemeine  Zeitung  1884.  n.  288.  S.  4247.) 

2)  Straubinger  Wochenblatt  1820.    S.  108. 

8)  Vgl.  auch  Straubinger  Wochenblatt  1820.    S.  HO. 

4i  Wimmer.  Sammelblätter  /..  Gteeeh.  d.  Stadt  Straubing.    S.  419. 


264 

Einstweilen  müssen  wir  uns  mit  der  neuen  und  wertvollen  Er- 
kenntnis begnügen,  dass  bei  Straubing  sicher  römische  Gebäude  und 
Gräber  vorhanden  sind,  und  dass  die  Legio  tertia  Italica.  die  Cohors  I. 
Canathenorum   und  die  Cohors  IL  Raetorum  hier  ihren  Aufenthalt  hatten. 

Eine  systematische  Aufgrabung,  vielleicht  nach  vorausgehender  Unter- 
suchung mit  dem  Bohrer  würde  hier  sicher  zum  Ziele  führen,  und  wenn 
diese  Zeilen  etwas  beitragen  können,  eine  solche  Untersuchung  herbei- 
zuführen und  zu  fördern,  so  ist  die  darauf  verwendete  Mühe  reichlich 
belohnt. 

Zum  Schlüsse  aber  fühle  ich  mich  verpflichtet,  allen  denen,  welche 
an  der  Förderung  vorliegender  Arbeit  lebhaften  Anteil  nahmen,  bestens 
zu  danken,  besonders  aber  den  Herren  Pfarrer  Dahlem  in  Regensburg. 
Abt  Braunmüller  in  Metten,  Bahngeometer  Maier  in  Landshut,  Haupt- 
mann Wimmer  in  Straubing  und  Expositus  Schmid  in  Frohnstetten  für 
Mitteilung  von  Material,  Herrn  Prof.  Ernst  Fischer  in  München  für  Unter- 
stützung   mit    Rat    und  That    bei   Anfertigung    der    nötigen    Zeichnungen. 


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Anfang  und  Ursprung 

der  lateinischen  und  griechischen 
rythmi sehen   Dichtung. 


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Wilhelm  Meyer 

;iu>  Speyer. 


Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  II.  Abth. 


35 


Die  Anfänge  der  lateinischen  rythmischen  Dichtung. 

Bei  der  Darstellung  der  Formen  der  lateinischen  Rythmen  des  Mittel- 
alters (in  den  Sitzungsberichten  unserer  Akademie,  philos.-philol.  Cl.  1882 
S.  1 — 192)  habe  ich  über  den  Ursprung  derselben  fast  nicht  gesprochen. 
Diese  Lücke,  welche  Gaston  Paris  mir  vorgehalten  hat  (Revue  critique 
1882,  11.  Sept.),  hatte  ich  mit  Absicht  gelassen.  Denn  ich  fühlte  zwar, 
dass  die  gangbaren  Ansichten  darüber  falsch  seien;  allein  auf  die  Frage, 
wie  kamen  die  Lateiner  dazu  die  Verse  nach  dem  Wortaccent  zu  bauen, 
fand  ich  keine  mich  befriedigende  Antwort;  darum  schwieg  ich  damals. 
Jetzt  glaube  ich  die  Antwort  gefunden  zu  haben. 

Die  Thatsachen.  dass  bei  Commodian  um  250  n.  Chr.  die  Quantität 
stark  missachtet  ist,  dass  aus  dem  1.  Jahrhundert  vor  Christus  bis  zum 
3.  Jahrhundert  n.  Chr.  einige  von  Soldaten  oder  von  gewöhnlichen  Leuten 
gesungene  trochäische  Septenare  sich  erhalten  haben,  in  welchen  der 
Wortaccent  meistens  mit  dem  Versaccent  zusammen  fällt,  bis  endlich  mit 
Augustins  Psalmus  contra  partem  Donati  das  erste  Gedicht  auftritt,  in 
welchem  die  Quantität  gar  nicht,  aber  der  Wortaccent  ziemlich  beob- 
achtet ist,  wurden  gewöhnlich  so  erklärt:  während  früher  bei  der  Aus- 
sprache der  lateinischen  Wörter  auf  2  Dinge  in  gleichem  Grade  Rück- 
sicht genommen  wurde,  1)  ob  die  Silbe  lang  oder  kurz  zu  sprechen  sei, 
2)  ob  die  Silbe  mit  starkem  oder  schwachem  Ton  zu  belegen  sei,  habe 
die  Menge  von  Barbaren  im  römischen  Reiche  im  Anfange  der  Kaiser- 
zeit eine  Verschlechterung  der  lateinischen  Aussprache  in  der  Richtung 
bewirkt,    dass    man    sich    nichts   mehr    darum    gekümmert  habe,    ob  die 

Silbe  lang  oder  kurz,    sondern  nur  darum,  ob  sie  mit  starkem  oder  mit 

35» 


268 

schwachem  Tone  zu  sprechen  sei;  dann  habe  man  im  Verse  an  die  Stelle 
der  vom  Versaccent  getroffenen  langen  Silben  die  mit  starkem  Wortaccent 
gesprochenen  Silben  gerückt  und  an  Stelle  der  nicht  vom  Versaccent  ge- 
troffenen langen  oder  kurzen  die  mit  schwachem  Wortaccent  gesprochenen 
und  habe  so  die  Zeilenarten  der  alten  quantitirenden  Dichtung  nach- 
gebildet. Gaston  Paris  (Lettre  ä  M.  Leon  Gautier  sur  la  Versification 
Latine  rhythmique,  1866  p.  23)  schildert  zunächst  jene  gewöhnliche 
Ansicht  cDonc.  pour  eux  aussi,  la  versification  rhythmique  est  une  de- 
formation  de  la  versification  metrique:  la  quantite  s'effacant  peu  ä  peu, 
ä  l'epoque  de  la  decadence.  et  son  affaiblissement  rendant  l'accentuation 
de  plus  en  plus  marquee,  on  imagina  de  faire  des  vers  oü  on  calquait 
les  vers  metriques  en  substituant  des  accentuees  aux  longues  (dans  les 
temps  forts),  et  ce  fut  grace  a  ces  essais  que  la  versification  nouvelle 
prit  conscience  d'elle-meme,  et,  se  degageant  de  ces  imitations  serviles, 
finit  par  se  creer  ses  propres  lois.'  Dieser  Ansicht  stellt  G.  Paris  seine 
eigene  mit  folgenden  Worten  entgegen:  Pour  moi,  je  pense  au  contraire 
que  la  versification  rhythmique  est  d'origine  toute  populaire,  qu'elle  n'a 
d'autre  source  qu'elle  meme,  qu'elle  a  existe  de  tout  temps  chez  les 
Romains,  qu'elle  ne  doit  rien  a  la  metrique,  et  quelle  est  avec  eile 
precisement  dans  le  meme  rapport  que  la  langue  populaire,  le  sermo 
plebeius,  avec  la  langue  litteraire  de  Rome.  Toutes  deux  ont  eu  la 
meme  destinee:  la  langue  lettree  et  la  versification  metrique,  mortes 
reellement  avec  l'empire,  ont  conserve  chez  les  savants  une  vie  artificielle 
qui  dure  encore;  la  langue  populaire  et  la  versification  rhythmique  ont 
continue  a  vivre,  et  se  sont  developpees  et  ramifiees  dans  les  langages 
et  dans  les  poesies  des  nations  romanes.  La  versification  populaire 
notamment,  meprisee  et  obscure  au  temps  de  la  grandeur  roinaine,  con- 
servee  a  peine  en  quelques  fragments  par  des  ecrivains  amateurs  d'anec- 
dotes  qui  ont  sacrifie  la  dignite  ä  la  curiosite,  acquit  avec  le  christia- 
nisme  un  domaine  immense  et  une  Inspiration  nouvelle,  et  produisit 
bientot  avec  une  richesse  inouie  de  quoi  porter  pendant  dix  siecles  toute 
la  poesie  de  plusieurs  grands  peuples:  c'est  veritablement  le  grain  de 
seneve  de  la  parabole,  vile  semence,  dedaigneusement  jetee  en  terre,  qui 
devient  un  arbre  aux  mille  branches,  verdoyant  et  touffu,  sur  lequel 
chantent  les  oiseaux  du  ciel.     G.  Paris'  These  ist  unstreitig  sehr  bequem. 


269 

Diese  verschiedenen  Ansichten  über  den  Ursprang  der  rythmischen 
Dichtungsform  der  Lateiner  sind  durchaus  ungenügend.  Mit  der  An- 
nahme von  G.  Paris,  dieselbe  sei  die  ursprüngliche  Form  der  lateinischen 
Volkspoesie  gewesen,  steht  in  Verbindung  die  Annahme  von  Bentley, 
Ritschi  und  von  Anderen,  in  dem  Bau  der  so  ausserordentlich  häufigen 
altlateinischen  jambischen  Senare  und  Septenare  und  der  trochäischen 
Septenare  oder  im  Schlüsse  der  Hexameter  Virgils  und  seiner  Nachfolger 
sei  neben  dem  herrschenden  Gesetze  der  Quantität  doch  in  gewissem 
Grade  auch  der  Wortaccent  berücksichtigt.  Diese  letztere  Annahme 
glaube  ich  in  der  Abhandlung  über  die  Beobachtung  des  Wortaccents 
in  der  altlateinischen  Poesie  (cf.  1883,  Abh.  17.  Bd.,  1.  Abth.)  genügend 
widerlegt  zu  haben.  Die  Annahme  von  G.  Paris  entbehrt  zunächst  völlig 
jeden  Beweises;  denn  vor  der  Kaiserzeit  findet  sich  auch  nicht  das  kleinste 
Bruchstück,  welches  nach  dem  Accent  und  nicht  nach  der  Quantität  der 
Silben  gebaut  wäre.  Das  ist  ein  sehr  gewichtiger  Grund  gegen  G.  Paris. 
Plautus  hatte  offenbar  Freude  an  den  mannigfaltigsten  Versarten,  und  es  wäre 
fast  unbegreiflich,  wenn  er  die  gangbare  Dichtungsform  des  niedrigen  Volkes 
nicht  nachgeahmt  hätte.  Das,  was  für  G.  Paris  spricht,  das  Gefühl  des 
modernen  Menschen,  der  sich  kaum  vorstellen  kann,  wie  ungebildete  Menschen 
ihre  Dichtungen  anders  als  nach  dem  gewöhnlichen  Wortaccent  betonen 
konnten,  wiegt  wenig  gegenüber  dein  gänzlichen  Mangel  an  Beweisen 
Doch  lassen  wir  den  Unterschied  zwischen  G.  Paris  und  den  übrigen 
Gelehrten  bei  Seite:  die  verschiedenen  Ansichten  vereinigen  sich  darin. 
dass  im  Laufe  der  Kaiserzeit  eine  Art  der  Dichtung  zur  Herrschaft  kam, 
in  welcher  an  Stelle  der  vom  Versaccent  getroffenen  langen  Silben  die 
vom  Wortaccent  getroffenen  traten.  Diese  Hegel  ist  ausserordentlich  ein- 
fach und  die  jambischen  wie  die  trochäischen  Zeilenarten  der  quanti- 
tirenden  Poesie  lassen  sich  so  auf  das  leichteste  nachbilden.  Allein  in 
den  Gedichten  selbst  stossen  wir  auf  höchst  befremdende  Erscheinungen. 
Erstlich  sind  jene  bis  zum  Ueberdruss  oft  citirten  wenigen  Verse  bei  Sueton 
nur  nach  der  Quantität  gebaut.  Drei  derselben  (Sueton.  Caesar  cap.  49 
milites  illud  vulgatissimum  pronuntiaverunt): 

(iallias  Caesar  subegit,  Nicomedes  Caesarem: 
ecce  Caesar  nunc  triumphat  qui  subegit  Gällias, 
Nicomedes  nön  triumphat,  qui  subegit  Caesarem. 


270 

sind  reine  spätlateinische  trochäische  Septenare  mit  nur  einer  Kürze 
in  der  1.  Senkung  jeder  Dipodie.  Die  andern  (bei  Sueton  Caes.  cap. 
51   und  80): 

Urbani,  serväte  uxores,  moechum  calvum  addücimus; 

aürum  in  Gallia  effutuisti,  hie  sumpsisti  mütuum. 
Gällos  Caesar  in  triumphum  dücit,  idem  in  cüriani; 

Gälli  bracas  deposuerunt,  lätum  clavum  sümpserunt. 
Brutus  quia  reges  eiecit,  cönsul  primus  fäctus  est: 

Hie,  quia  consules  eiecit,  rex  postremo  fäctus  est. 
sowie  die  Senare  im  Augustus  des  Sueton  (cap.   70) 
Pater  argentarius,  ego  Corinthiarius. 
Postquäm  bis  classe  victus  naves  perdidit, 
aliquändo  ut  vincat,  lüdit  assidue  äleam. 
sind  zwar  ausdrücklich  als  durchaus  volksthümliche  Spottverse  bezeichnet 
(Caes.  51    cdisticho    iaetato    a  militibus    per   triumphum'.     80  'illa  vulgo 
canebantur .   'subscripsere  quidam  statuae  Caesaris'.  Aug.   70  rad  statuam 
adscriptum  est*,    'epigramma  vulgatum  est'),    allein    es    sind    ganz  regel- 
rechte   altlateinische    quantitirende  Verse    mit   1   oder  2   Kürzen    oder    1 
Länge  in  jeder  beliebigen  Senkung,  mit  häufigen  Elisionen,  ja  sogar  mit 
aufgelösten  Hebungen.     Dass  die  meisten  derselben  trochäische  Septenare 
sind,    kann  nicht  auffallen,    da  ja  Plautus  selbst  ebenso  viele  trochäische 
Septenare   als  jambische    Senare    hat,    d.    h.    von    beiden  je    über    8000. 
Dass  der  Wortaccent  oft  (nicht  immer)    mit  dem  Versaccent    zusammen- 
fällt, ist  die  unvermeidliche  Folge  der  einförmigen  Betonungsgesetze  der 
lateinischen  Sprache.     So  finden    sich    auch    unter   den  Spruchversen  des 
Publilius  Syrus,  der  ebenfalls  zu  Caesars  Zeit  lebte,  eine  Reihe  von  troch. 
Septenaren.  in  denen  die  Wort-  und  Versaccente  zusammenfallen;  so  U  32. 
F  22.    I  22.    C  6.  41.    F   19.   20.     M  71.     N  5.  9.    0  4.    P   HO.    Q  61. 
S.   23.  48.    U  34: 

U'bi  peceätum  cito  corrigitur  fäma  sölet  ignöscere. 

Feminae  natüram  regere  desperäre  est  ötium. 

I  racündiäm  qui  vincit  höstem  süperat  mäximum. 
Bei  Publilius  wird  aber  Niemand  Stücke  accentuirter  Volksdichtung 
annehmen  wollen. 

Ebenfalls    kurz   nach  Caesars  Zeit   entstanden,    aber   ebenfalls  reine, 


271 

quantitirend    gebaute    altlateinische  troch.  Septenare    sind   die  Spottverse 
(Schol.  Juven.   5,   3  a  populo  dicta): 

'Aliud  scriptum  habet  Sarmentus,  aliud  populus  voluerat. 
digna  dignis:  sie  Sarmentus  häbeat  crassas  compedes. 
rüstici  ne  nihil  agatis,  äliquis  Sarmentum  älliget. 
Abgesehen   von   dem  reinen  troch.  Septenar   (Sueton  Calig.  cap.  6): 
€Sälva  Roma,  salva  patria,  sälvus  est  Germänicus* 
bleiben   also    nur   die    auf  Kaiser  Aurelian    gedichteten  Verse    (cantilena) 
bei  Vopiscus  cap.  6  u.   7: 

Mille  mille  mille  mille  mille  decollävimus. 
ünus  homo  mille  mille  mille  decollävimus. 
mille  mille  mille  mille  vivat,  qui  mille  öeeidit. 
tantum  vini  nemo  habet,  quantum  fudit  sanguinis. 
Mille  Sarmatas  mille  Francos  semel  et  semel  oeeidimus 
mille  mille  mille  mille  mille  Persas  quaerimus. 
Diese  Verse  sind  zunächst  unsicher,  da  die  schief  gedruckten  Wörter 
in  den  Handschriften  fehlen;    so  sehr  ferner   die  eine  Zeile  'tantum  vini 
nemo    habet   quantum    fudit  sanguinis'  den  Gesetzen    der    accentuirenden 
Poesie    entspricht,    so    wenig   die    andere   cmille    Sarmatas    mille    Francos 
semel  et  semel  oeeidimus1.     Die  bisher  besprochenen  Verse    ergeben  also 
keine    Stützen    für    die    gangbaren    Ansichten    über    die    Entstehung   der 
accentuirenden  Poesie. 

Commodian  (um  250)  hatte  schon  vor  jenen  Liedern  auf  Aurelian 
seine  Hexameter  gebaut.  Im  Anfang  der  Zeile  und  nach  der  Caesur  hat 
er  die  Quantität  der  Silben,  aber  ebenso  sehr  auch  den  Accent  derselben 
durchaus  vernachlässigt;  im  Caesurschluss  und  im  Zeilenschluss  beob- 
achtet er  Regeln,  aber  nicht  die  des  Accentes,  sondern  nur  die  der 
Quantität;  z.  B. 

ostendit  quae  pöterat       quoniam  deum  nemo  quaerebat. 

iam  paene  medietas       annorum  sex  milibus  ibat. 

pete  et  dabo  tibi       et  habebis  gentes  heredes. 

ut  exaltaretur       sola  sempiterna  maiestas. 

sit  licet  descrlptum       non  sit  nobis  cura  de  lllis. 

in  scelere  coepit       versari  gens  omnis  humäna. 


272 

Wie  war  ein  solcher  Versbau  möglich,  wenn  dem  Commodian  eine 
Dichtungsform  vor  Augen  stand,  in  welcher  die  quantitätslangen,  vom 
Versaccent  getroffenen  Silben  einfach  durch  die  vom  Wortaccent  ge- 
troffenen ersetzt  wurden? 

Betrachten  wir  nun  diejenigen  Dichtungen,  in  welchen  die  Quantität 
völlig  missachtet  und  der  Wortaccent  beachtet  ist,  so  müssen  zu- 
nächst diejenigen  trochäischen  Zeilen  ausgeschieden  werden,  in  welchen 
nach  jeder  Dipodie  Wortschluss  eintritt.  Da  es  nemlich  vermieden  wurde, 
den  Schluss  durch  ein  einsilbiges  Wort  zu  bilden,  so  müssen  hier  die 
Wortaccente  2  Trochäen  bilden;  z.  B.  äpparebit  repentina;  für  obscura 
velut  nocte;  ite  dicit  rex  ad  dextros.  Aber  in  denjenigen  trochäischen 
Zeilen,  welche  nicht  nach  jeder  Dipodie  Wortende  haben  und  in  allen 
scheinbar  jambischen  Zeilen  tritt  jene  sonderbare  Erscheinung  auf,  welche 
ich  an  anderer  Stelle  (Rythmen  S.  54.  55)  hervorgehoben  habe:  sobald 
man  die  lateinischen  Wörter  nach  ihrem  Accente  spricht,  hat  nur  der 
Zeilenschluss  den  gleichen  jambischen  oder  trochäischen  Tonfall,  dagegen 
die  Silben  vor  dem  Schlüsse  haben  jeden  beliebigen  oder  vielmehr  jeden 
möglichen  Tonfall.  So  stehen  sogleich  in  dem  ältesten  lateinischen  rvtli- 
mischen  Gedichte,  dem  Psalm  des  Augustin,  Zeilen  mit  dem  verschieden- 
sten Tonfall  nebeneinander:  Bonus  auditor  fortässe  quaerit  qui  ruperunt 
rete  Hömines  mültum  superbi  qui  iüstos  se  dicunt  esse  Ut  peius 
committant  scelus  quam  commiserunt  et  ante.  Bonos  in  väsa  miserunt 
reliquos  malos  in  märe.  In  dem  von  Aurelian  um  550  erwähnten  und 
von  Beda  als  Muster  eines  rythmischen  Gedichtes  citirten  Hymnus  'Rex 
aeterne'  finden  sich  die  Zeilen  Rerum  creätor  omnium.  Cüi  tüae  imagini. 
Vültum  dedisti  similem.  Nöstrae  videns  vestigia.  Wie  in  diesen  ausser- 
ordentlich zahlreichen  Gedichten,  so  ist  auch  in  den  seltenen  rythmischen 
Hexametern  keine  Rede  von  einer  Nachbildung  des  metrischen  Tonfalls: 

Cur  flüctuas  animä      moerörum  quassäta  procellis. 

nee  casus  honoris  j  sed  ruinas  änimae  plöra, 

'Ego  näta  düos  j  patres  habere  dinöscor 

nie  päter  ignitus  j   ut  näscar  creat  urendo. 
Im  Halbzeilen-    und  Zeilenschluss    ist   der  Wortaccent   stets  richtig; 
nur    Dichter,    welche    der    quantitirenden   Dichtungsweise    sehr    gewohnt 
waren,    haben   (äusserst   selten)    im    Schluss    der    accentuirten   Zeilen    ein 


273 

Wort  nach  der  Quantität  betont,  z.  B.  exitiüm  und  cor  piüm  gereimt 
(vgl.  Rythmen  S.  118),  und  in  (nicht  vielen)  Gedichten  der  rohesten  Art 
ist  auch  im  Zeilenschluss  nicht  auf  die  Gleichheit  der  Accente  geachtet 
(vgl.  Rythmen  S.  51);  so  lautet  in  der  Berner  Handschrift  no.  611  (saec.  8/9 
fol.  80)  die  erste  von   19  Strophen: 

'Agius  ätque  igneus       spiritüs  sanctissimus 
äntequam  fieret  mündus       patri  aequalis  filius 
trinum  refülgens  ünicus       ömoüsyon  kyrius. 
Das  sind  aber  nur   einzelne  Ausartungen;    im  Allgemeinen  steht  die 
Regel  fest:  im  Halbzeilen-  und  Zeilenschluss  wird  Gleichheit  des  Tonfalles 
beobachtet,    vor  demselben    aber  nicht.     Einen  Ausweg    allerdings  haben 
unsere  Gelehrten    gefunden:    die    sogenannte    schwebende  Betonung.     Sie 
nehmen  ein  metrisches  Schema  und  setzen  nun  in  den  rythmischen  Zeilen 
die  Accente  ebenso  wie  in  den  quantitirenden,  also  z.  B. 

östendit  quae  poterat  quoniam  deum  nemo  quaerebat 

in  scelere  coepit  versari  gens  ömnis  humana. 

Bonus  aüditör  fortässe.    Reliquös  malös  in  märe. 

Cui  tuae  imagini.    Vultüm  dedisti  similem. 

Cur  fluctuäs  animä  moerörum  quassäta  procellis. 

'Ego  nata  duös  patres  habere  dinöscor. 
So  brachte  man  der  lieben  Theorie  halber  ein  Ding  fertig,  wie  jenes 
Messer  ohne  Klinge,  an  dem  der  Griff  fehlt:  nach  dem  Wortaccent  ge- 
baute Verse,  in  welchen  der  Wortaccent  nicht  beachtet  wird  (vgl.  meine 
Rythmen  S.  56)  *).  Ob  man  es  wohl  wagen  wird,  diese  Theorie  auch  in 
die  griechischen  Rythmen  einzuführen  und  also  Zeilen,  wie  *ldun>  u  ß'ktnuw 


1)  Ernst  Voigt  ist  noch  weiter  gegangen.  Er  hat  in  der  deutschen  Literaturzeitung  (1883, 
17.  März)  meine  Ausgabe  des  Ludus  de  Antichristo  recensirend  von  den  4  Schemata,  welche 
ich  für   die  300  Dreizehnsilber  und   die   38  Elfsilber  aufgestellt   habe,    nur  2  anerkannt,   nemlich 

w  w  —  w  —  für  die  sechssilbigen  und  '  w  —  w  —  «  —  fttr  die  siebensilbigen  Halb- 
zeilen. Da  mir  nun  170  von  jenen  300  Versen  sich  in  dieses  Schema  nicht  zu  fügen  schienen, 
frug  ich  bei  Voigt  an;  seiner  Güte  verdanke  ich  die  Antwort,  dass  er  durchaus  nicht  jene  170 
Zeilen  für  falsch  erkläre,  sondern  dieselben  nur  nach  seiner  Art  betone,  also  z.  B.  Quös  volunt 
inimicf.  Venerunt  gentes  dei  (so  V.  131  nach  Voigts  Conjectur).  Ülciscatür  manüs.  Qua  fruentür 
mecüm.  Kömani  iiidicis.  Siib  forma  veritäs.  Descendit  de  caeh's.  fixcellens  est  in  annfs.  Die 
Meisten  werden  mir  verzeihen,  wenn  ich  diese  nagelneue  und  noch  nicht  begründete  Betonungs- 
weise der  lateinischen  Wörter  nicht  weiter  bekämpfe.  Ich  werde  hier  auch  keine  Rücksicht  nehmen 
auf  die  wissenschaftlich  begründeten  Theorien  von  Hadley  (in  Curtius  Studien  5  S.  409),  von 
Hilberg  (Das   Prinzip   der   Silbenwägung  1879   S.  273)   und   von    Hanssen   (Rhein.    Mus.  37,    1882, 

Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  II.  Abth.  36 


274 

navia  und  Mtya'kvrio  aov  oturty  und  AL&ip  rrjv  xecpafojv  fMV,  alle  in 
gleicher  Weise  zu  betonen? 

Nein,  das  Wesen,  die  Kraft  und  die  Schönheit  aller  accentuirenden 
Dichtung  besteht  darin,  dass  in  derselben  die  Wörter  ebenso  betont 
werden,  wie  in  der  täglichen  Rede  der  Menschen.  Dann  aber  nmss  für 
die  gesammte  lateinische  rythmische  Dichtung  von  ihrem  frühesten  An- 
fange an  die  Regel  anerkannt  werden,  dass  in  den  sich  entsprechenden 
Zeilen  sich  entsprechender  Tonfall  nicht  beobachtet  wird,  dass  also  auch 
in  den  rythmischen  Versen  der  Tonfall  der  metrischen  Vorbilder,  seien 
dieselben  nun  Hexameter  oder  Trochaeen  oder  Jamben,  nicht  festgehalten 
ist.  Daraus  folgt,  dass  das  Grundgesetz  der  lateinischen  Rythmik  mit 
der  gewöhnlichen  Ansicht,  wornach  an  Stelle  der  vom  Versaccent  ge- 
troffenen langen  Silben  die  vom  Wortaccent  getroffenen  Silben  getreten 
seien,  durchaus  in  Widerspruch  steht. 

Die  rythmische  Dichtung  der  Griechen  ist  zuerst  von  Pitra 
und  W.  Christ  in  den  Kreis  der  wissenschaftlichen  Untersuchung  einge- 
führt worden.  Wie  ist  dieselbe  entstanden?  Von  einer  ursprünglichen 
Existenz  derselben  als  Dichtungsform  des  ungebildeten  griechischen  Volkes 
kann  keine  Rede  sein,  da  auch  nicht  die  geringste  Spur  sich  davon  fand. 
Auch  die  andere  Hypothese,  mit  der  Ausbreitung  der  griechischen  Sprache 
über  fremde  Völker  sei  in  der  Aussprache  nicht  mehr  die  Länge  oder 
Kürze  der  einzelnen  Silben,  sondern  nur  noch  die  stärkere  oder  schwächere 
Betonung  derselben  beachtet  worden  und  sei  so  die  Dichtungsform  ent- 
standen, in  welcher  nur  die  vom  Wortaccent  getroffenen  Silben  an  Stelle 
der  vom  Versaccent  getroffenen  langen  traten,  auch  diese  Hypothese 
lässt  sich  bei  den  Griechen  nicht  festhalten.1)  Denn  jene  Verderbniss  der 
Aussprache  begann  schon  unter  den  Nachfolgern  Alexander  des  Grossen; 
die  Spuren  der  neuen  Dichtungsform  sind  aber  sehr  viel  später.    Babrius, 


S.  252)  über  die  Betonung  der  griechischen  Wörter.  H  a  d  1  y  meint,  die  griechischen  Accente 
hätten  nur  hohen  und  tiefen  Ton,  nicht  starken,  bezeichnet;  dazwischen  habe  es  einen  nicht  be- 
zeichneten mittelhohen  Ton  gegeben,  der  z.  B.  in  aw/uarte  cörpora  auf  jua  und  po  fiel ;  H  i  1  b  e  r  g 
folgt  Hadleys  Spur  und  nieint,  in  früheren  Zeiten  (d.  h.  vor  dem  Aufkommen  der  Accentpoesie) 
seien  die  griechischen  Wörter  wie  die  lateinischen  betont  worden,  d.  h.  nie  auf  der  letzten  Silbe, 
stets  auf  der  vorletzten  langen,  in  drei  und  mehrsilbigen  nie  auf  der  vorletzten  kurzen;  Hanssen 
endlich  stellt  die  Regel  auf:  ist  die  Ultima  lang,  so  hat  die  Ultima  den  letus  (den  verstärkten 
Wortaccent),  ist  die  Ultima  kurz,  so  hat  die  Paenultima  den  Ictus. 

1)  Vgl.  meine  Abhandlung   zur  Geschichte  des  alexandrinischen  und  lateinischen  Hexameters'. 


275 

wohl  im  Ende  des  2.  Jahrhunderts,  setzt  zwar  stets  auf  die  vorletzte  Silbe 
seiner  Verse  Paroxytonon.  aber  sonst  sind  seine  Verse  nach  den  fein 
beobachteten  Gesetzen  der  Quantität  gebaut.  Methodius  um  312  n.  Chr., 
welcher  nur  den  quantitirenden  Versbau  kennt,  hat  zwar  die  Gesetze  der 
Quantität  in  einer  für  seine  Zeit  unglaublichen  Weise  missachtet,  allein 
von  einer  Rücksicht  auf  den  Accent  der  Silben  ist  bei  ihm  keine  Spur. 
Erst  Gregor  von  Nazianz  hat  125  Zeilen  gedichtet  ohne  jegliche  Rück- 
sicht auf  die  Quantität  und  mit  dem  festen  Gesetze,  dass  die  vorletzte 
Silbe  den  Wortton  hat.  Nun  wäre  der  Zufall  fast  unbegreiflich,  dass 
erst  gegen  das  Ende  des  4.  Jahrhunderts  und  bei  Griechen  und  Römern 
gleichzeitig  in  Folge  der  verderbten  Aussprache  ein  so  merkwürdiges 
Ereigniss,  wie  der  Uebergang  der  quantitirenden  zur  accentuirenden 
Dichtungsform  es  ist,  sich  vollzogen  habe.  Dass  ferner  auch  bei  den 
Griechen  nicht  die  accentuirten  Silben  an  Stelle  der  vom  Versaccent 
getroffenen  langen  Silben  getreten  sind,  das  wird  später  gezeigt  werden. 
Demnach  ist  1)  durch  Nichts  wahrscheinlich  zu  machen,  dass  bei 
den  Griechen  oder  bei  den  Römern  die  rythmische  Dichtungsform  ur- 
sprünglich sei,  aber  in  den  Zeiten  vor  Christus  nur  noch  vom  gemeinen 
Mann  angewandt  worden  wäre;  ja  diese  Annahme  ist  fast  mit  Gewissheit 
als  falsch  zu  erklären,  da  in  den  so  vielartigen  und  zahlreichen  Resten 
der  alten  Literatur  sich  von  Dichtungen  jener  Art  auch  nicht  der  kleinste 
Rest  mit  Sicherheit  nachweisen  lässt.  Es  ist  2)  in  hohem  Grade  un- 
wahrscheinlich, dass  dadurch,  dass  die  Aussprache  verschlechtert  war 
und  nicht  mehr  die  Länge  oder  Kürze,  sondern  nur  die  starke  oder 
schwache  Betonung  der  Silben  beachtet  wurde,  im  Laufe  der  Kaiserzeit 
im  Versbau  die  stark  betonten  Silben  an  Stelle  der  vom  Versaccent  ge- 
troffenen langen  und  die  schwach  betonten  Silben  an  Stelle  der  vom  Vers- 
accent nicht  getroffenen  langen  oder  kurzen  gesetzt  worden  seien.  Denn 
nach  diesem  einfachen,  für  uns  Deutsche  zuletzt  von  Opitz  wieder  entdeckten, 
Gesetze  wäre  die  Nachbildung  der  jambischen  und  trochäischen  Zeilen 
sehr  leicht  gewesen.  Allein  da  in  den  frühesten  rythmischen  Dichtungen 
der  Griechen  und  Römer  kein  bestimmter  jambischer  oder  trochäischer 
Tonfall  festgehalten  ist,  so  erhellt,  dass  die  Dichter  jenes  einfachen  Ge- 
setzes sich  nicht  bewusst  waren.  Widerspricht  diese  eine  Eigentümlich- 
keit   der    rythmischen    Dichtung   geradezu    den    gewöhnlichen    Ansichten 

36* 


276 

vom  Ursprung  derselben,  so  haben  andererseits  die  alten  und  die  ältesten 
lateinischen  Rythmen  eine  Reihe  von  Eigenthümlichkeiten  gemeinsam, 
deren  Ursprung  sich  nach  jenen  Ansichten  nicht  erklären  lässt.  Da  ich 
den  Bau  der  Fünfzehnsilber,  der  Achtsilber  und  der  seit  1100  unter- 
gegangenen Zwölfsilber  mit  jambischem  Schlüsse  und  anderer  Zeilenarten 
schon  früher  ausführlich  dargelegt  habe  (Rythmen  S.  45 — 109),  will  ich 
hier  einige  seltnere  Arten  als  Beispiel  behandeln. 

Verschiedene  rythmisehe  Hexameter. 

Nicht  weit  verbreitet  und  früh  untergegangen  sind  die  rythmischen 
Nachbildungen  des  Hexameters  (vgl.   Rythmen  S.   190  — 192).     Eine  An- 
zahl von  Grabinschriften  longobardischer  Fürsten    und    hoher  Geistlichen 
aus  den  Jahren  700 — 750  ist  in  Versen  der  Art  geschrieben: 
Si  meritis  iacentum      piis  laus  datur  sepulchri 
hie  tumulus  laudandus      m&netque  (quem?)  funere  tanto 
inclitus  confessor  |  dei  Damianus  beavit 
civiumque  (qui)  lumen      extitit  et  gloria  vatum.     Oder: 
Hie  sacra  beati      membra  Cumiani  solvuntur 
cuius  coelum  penetrans  |  anima  cum  angelis  gaudet. 
Diese  Verse,    an  den  Hauptstätten   der   damaligen  Schulbildung  ver- 
fasst,     hätten    den    Todten    und    den    Dichtern    nur    Spott    und    Schande 
eingetragen,    wenn   sie    quantitirende  Hexameter   sein  sollten;    sie  können 
nur  das    sein,    als    was    eine  Handschrift    des    9.  Jahrhunderts    die  Grab- 
schrift   des    Damian    durch    den    Zusatz    RITHM .    bezeichnet ,     nemlich 
nach    dem  Wortaccent   betonte    Nachbildungen    des  quantitirenden  Hexa- 
meters.    Deren  Auftreten  erregt  keine  Verwunderung;  denn  es  herrschte 
damals    Freude    an    der    rythmischen    Dichtung    und    die    geschicktesten 
Dichter  machten  bald  rythmisehe  bald  quantitirende  Verse. 

Die  Dichter  der  rythmischen  Hexameter  geriethen  allerdings  in  be- 
sondere Schwierigkeiten.  Denn  das  Grundprinzip  der  rythmischen  Dichtung 
verlangt  Gleichheit  der  Silbenzahl  in  allen  sich  entsprechenden  Zeilen 
und  Halbzeilen:  der  Bau  des  Hexameters  verlangt  Ungleichheit.  Der 
Tonfall  des  Hexameters  Hess  sich  nicht  nachbilden;  denn  lauter  reine 
Daktylen  durften  nicht  genommen  werden   und  Spondeen  können  in  der 


277 

lateinischen  Rythmik  fast  nicht  gebildet  werden;  und  selbst,  wenn  sie 
die  Nachbildung  des  Tonfalls  auf  den  Schluss  der  Zeile  und  der  Halb- 
zeile beschränkten,  kamen  sie  nicht  durch.  Denn  die  männliche  Caesur 
wie  carma  virümque  canoJ  oder  Italiäm  fatö  kann  in  der  rythmischen 
Poesie  nicht  nachgebildet  werden,  da  jedes  lateinische  Wort  den  Haupt- 
accent  auf  der  vorletzten  oder  drittletzten  Silbe  hat,  nie  auf  der  letzten 
oder  viertletzten.  So  ist  es  nicht  zu  verwundern,  dass  fast  jeder  dieser 
Dichter  seine  besonderen  Eigenthümlichkeiten  hat,  je  nachdem  er  mehr 
die  Silbenzahl  oder  den  Tonfall  oder,  wie  einige,  gar  noch  die  Quantität 
im  Auge  behielt. 

(Silbenzahl.)  Die  longobardischen  Inschriften  haben  vor  der 
Caesur  nie  bloss  5  Silben,  sondern  meistens  6  oder  7,  selten  8;  nach 
der  Caesur  meistens  8  oder  9,  selten  7  Silben.  So  beträgt  die  Gesammt- 
zahl  der  Silben  meistens  15,  selten  14  oder  16  und  sehr  selten  13 
oder   17. 

Was  den  Tonfall  betrifft,  sind  zunächst  die  Schlüsse  zu  betrachten. 
Der  Zeilenschluss  Hess  sich  leicht  nachbilden,  und  so  haben  die  letzten 
5  Silben  aller  rythmischen  Hexameter  den  Tonfall  -'-  «  w  -l.  « ;  einsilbige 
Schlusswörter  sind  natürlich  auch  hier  gemieden.  In  der  Mitte  Hess  sich 
nur  der  seltene  weibliche,  nicht  der  regelrechte  männliche  Caesurschluss 
nachbilden;  dess wegen  gehen  hier  die  Gedichte  am  weitesten  auseinander; 
die  einen  schliessen  mit  '  *  mültos,  die  andern  mit  ^  •  hömines, 
die  meisten  wechseln  mit  beiden  Arten.  In  den  Stücken  vor  diesen 
Schlüssen  wird  der  Tonfall  des  Hexameters  nicht  mehr  nachgeahmt,  z.  B. 

inclitüs  confessor  i  dei  Dämianus  beavit 

sümpsit  sacerdotii'un   :  et  verba  mystica  plebi. 

In  grege  dominico  j  pascens  oviculas  Christi. 

Hie  säera  beäti  |  membra  Cümiäni  solvuntur. 
Nur  scheuten  manche  Dichter  in  diesen  Stücken  (durchaus  nicht  im 
5.  Fuss)  die  Verwendung  dessen,  was  ich  rein  daktylischen  Schluss  ge- 
nannt habe  (Rythmen  S.  123  — 128),  d.  h.  der  Wörter  die  mit  2  unbe- 
tonten Silben  schliessen.  Im  Gedicht  auf  den  heil.  Cumian  vom  Jahre 
736  ist  im  4.  Fuss  überhaupt  der  daktylische  Tonfall  vermieden,  indem 
von  den  1 6  Zeilen  (abgesehen  von  dem  unsichern  8.)  3  mit  «  -'-  «  ut  felix 
modo    credatur,    die    andern   12    mit    -  «   -    „    membra   Cümmm    solvuntur 


278 

beginnen.  In  den  meisten  Gedichten  geht  dem  5.  Fusse  wohl  eine  be- 
tonte und  2  unbetonte  Silben  voran,  allein  dieselben  sind  stets  auf  zwei 
Wörter  vertheilt,  wie  päscens  oviculas  Christi  und  nur  einmal  bilden  sie 
Wortschluss,  in  guberndcula  tenuit  regni. 

Im  Schlüsse  der  rythmischen  Hexameter  ist,  wie  bemerkt,  der  Ton- 
fall des  5.  und  6.  Fusses  nachgebildet,  wie  Matur  sepülchri  .  münere 
data  .  nimium  plüres  .  pläcidae  mänus\  In  manchen  Gedichten  wird  hier 
eine  sonderbare  Art  von  Quantität  beobachtet.  Denn  während  die 
Hebungen  des  5.  und  6.  Fusses  unbedenklich  mit  Kürzen  gefüllt  werden, 
wie  tenuit  aüdax  .  bellica  dücem,  sind  die  Senkungen  des  5.  Fusses  zwar 
durch  Naturlängen,  aber  nicht  durch  Positionslängen  gebildet,  also  wohl 
moribus  prudentiä  pollens,  praestantissimö  nato,  allein  nicht  cdatür  se- 
pülchri1 'nimiüm  plures\  Von  den  longobardischen  Inschriften  haben 
nur  die  kleinen  auf  Ansprand  von  712  und  auf  Audoald  von  718  diese 
halbe  Quantität  im  5.  Fusse  beobachtet;  allein  später  werden  sich 
andere  Beispiele  bieten1). 

Der  Versbau  der  seehszeiligen  Räthsel  (Beilage  No.  III). 

Mone,  Riese  und  K.  Schenkl  erkannten  nicht  den  Bau  dieser  Zeilen. 
Es  sind,  wie  M.  Haupt  kurz  sie  bezeichnete,  rythmische  Hexameter.  In 
Hinsicht  auf  die  Silbenzahl  hat  der  Dichter  die  Nachbildung  des 
quantitirenden  Hexameters  fast  ganz  aufgegeben  und  dem  Gesetz  der 
rythmischen  Dichtung  gehorcht:  Seine  Zeilen  haben  durchaus  gleich  viele 


1)  Dass  diese  besondere  Art  von  Metrik  weiter  verbreitet  war,  zeigen  die  Gedichte  Albars 
(um  850),  auf  die  L.  Traube  mich  aufmerksam  machte.  Albar  rühmt  seine  Verse  als  heroische  oder 
metrische,  nicht  rythmische;  allein  er  meidet  es  nur,  die  Kürzen  des  Daktylus  durch  Positions- 
oder Consonantenlängen  zu  füllen,  füllt  sie  aber  oft  genug  durch  Vokallängen ;  /..  B. 

Et  pedibus  metricis  rithmi  contemnite  monstni 

Que  segnis  harrans  floxus  sie  raneide  sannas 

Devio  mugitu  pangit  ut  cantica  turpet 

Ecclesiae,  plevis  quae  semper  fulgida  claret. 
Er  schreibt  oft  in  stärkster  Keimprosa.  Das  kann  er  aus  der  früheren  lateinischen  Literatur 
geerbt  haben;  er  kann  es  aber  auch  direkt  aus  dem  Arabischen  gelernt  haben;  denn  in  einer 
merkwürdigen  Stelle  (im  Indiculus  lumin.  bei  Migne  121,  556)  spricht  er  davon,  wie  ungeschickt 
die  Christen  Lateinisch  schrieben,  wie  geschickt  sie  dagegen  die  Reimkünste  (finales  clausulas 
unius  litterae  coartatione  decorent :  Tiradenreim  V)  der  Araber  nachmachten. 


279 

Silben,  6  in  der  1.,  8  in  der  2.  Halbzeile.  Wo  mehr  Silben  zu  stehen 
scheinen,  werden  2  Vokale  zusammengezogen;  so  in  dem  Stücke  zu 
G  Silben  28,  3  exiguos  conläpsa,  und  in  den  Stücken  zu  8  Silben:  14,  5 
sie  creant  iilii  nepotes".  19,  3  gi&dio  divellor  a  ventre.  25,  3  fades  et 
nomina  multa.  32,  3  si  non  absorbuero  matrem.  45,  5  miros  efficio 
sapores.  52,  3  concreseunt  filii  latebris.  57,  2  longa  per  ävia  iugiens. 
60,  5  fächern  sed  euneti  mirantur. 

Was  die  Hauptsache,  die  Betonung  betrifft,  so  ist  der  Dichter 
hierin  sehr  peinlich.  Die  Schlüsse  sind  streng  und  regelmässig  gebildet. 
Im  Zeilenschluss  haben  die  letzten  5  Silben  stets  den  Tonfall  —  «  v  -±.  ^: 
im  Caesurschluss  hat  der  Dichter,  wie  ich  schon  Rythmen  S.  192  be- 
merkt hatte,  für  nur  einen  festen  Schluss,  den  trochäischen  *),  sich  ent- 
schieden. Bücheier  und  Brandt  haben  das  nicht  beachtet;  denn  die 
Schlüsse  19,  3  dum  nascor  gladio.  54,  6  nam  stantes  minimum.  (59,  5 
imber  nix  glacies  Brandt  8.,  104)  sind  nur  ihre  irrigen  Vermuthungen. 
22,  3  ist  die  von  Brandt  angenommene  Lesart  der  Handschrift  B  modiws 
operans  eibos  egena  requiro  (vom  Schafe)  nur  ein  recht  ungeschickter 
Schreibfehler  für  das  richtige  oberrans  der  andern  Handschriften. 

Vor  diesen  gebundenen  Schlüssen  ist  der  Tonfall  frei  gegeben,  jedoch 
nur  unter  gewissen  Bedingungen.  Der  Anfang  der  1.  Halbzeilen  hat  in 
der  Regel  den  Tonfall  —  «  --,  wie  ego  nata  duos;  tertia  me  mater;  et 
in  nüllo  patris.  Aber  in  55  Versen  unter  den  372  ist  der  Ton  auf  die 
2.  Silbe  gerückt  und  zwar  so,  dass  in  etwa  26  Versen  ein  ein-  und  ein 
zweisilbiges  Wort  den  Anfang  bildet,  wie  me  päter  ignitus,  in  etwa  22 
ein  viersilbiges  florigeras  fero.  dissimilem  sibi,  nur  in  6  ein  ein-  und 
ein  dreisilbiges  11,  2  dum  iaeeo  multos  (vgl.  1.  4.  31,  4.  35,  4,  57,  4. 
59,  1).  Dagegen  sind  unmittelbar  im  Anfange  der  ersten  wie  der  zweiten 
Halbzeile  die  dreisilbigen  Wörter  merkwürdigen  Regeln  unterworfen. 
Im  Anfange  der  1.  Halbzeile  ist  ein  dreisilbiges  in  der  Mitte  betontes 
Wort,  wie  surreeta,  verboten,  im  Anfange  der  zweiten  Halbzeile  sind  nur 
diese  gestattet  und  die  dreisilbigen  daktylischen  Wörter,  wie  ömnia,  ver- 


1)  Ich  weiss  nicht,  ob  nicht  hieraus  entwickelt  ist  die  im  Grossen  und  Ganzen  mir  unver- 
ständliche These  von  Seb.  Dehner  (Hadriani  Reliquiae,  Bonner  Dissert.  1883  These  no.  7) :  Summa 
hexametri  vulgaris  lex  est  non  depravatio  heroiei  hexametri  sed  commixtio  rythrai  daetylici  (poste- 
riore hemistichio)    cum   rythmo  trochaico   (priore  hemistiehio)   simul   accedente  verborum  accentu. 


280 

boten.  Denn  im  Anfange  der  1.  Halbzeile  von  14,  2  und  15,  4  ist,  wie 
öfter,  zu  betonen  ännis  que  peractis;  nulluni  que  de  ramis;  der  Vers 
7,  3  impletus  invisis  domus  sed  vacua  rebus  ist  mir  überhaupt  unver- 
ständlich; in  16,  6  acetum  eructant  exta  (reclusa)  saporem  wird,  da  auch 
das  Metrum  dagegen  ist,  Niemand  mit  Brandt  acetum  =  acidum  nehmen, 
sondern  acidum  corrigiren.  So  bleibt  nur  33,  3  extremos  ad  brumae  me 
prima  confero  menses,  wo  zu  stellen  ist  ad  extremos  brumae. 

Im  Anfange  der  2.  Halbzeile  sind  nur  2  Silben  frei;  diese  haben 
bald  den  Tonfall  w  — ,  bald  -  « :  ut  näscar  creat  urendo ;  älter  qui  mörte 
finitur;  der  letztere  Tonfall  scheint  sogar  beliebter;  denn  ich  sehe  keinen 
andern  Grund  für  die  häufigen  sonderbaren  Stellungen: 

4,  4  plures  fero  libens,  ]  meo  dum  stabulo  versor. 

5,  4  vestibus  exutam  i  turpi  me  modo  relinquunt. 
11,   1   mortua  maiorem  |  vivens  quam  porto  laborem. 
20,   5  milia  me  quaerunt,  ;   dies  sed  invenit  una. 

Dagegen  dreisilbige  Wörter  mit  eben  diesem  daktylischen  Tonfall 
sind  an  dieser  Stelle  verboten:  Also  ist  27,  3  die  Lesart  der  Handschrift 
L  vestibus  sub  meis  |  non  queo  cernere  solem  (non  quero  A  V)  der  von 
B  nequeo  unbedingt  vorzuziehen.     Nur  in  den  Versen 

6,  6  et  amica  libens      öscula  pörrigo  cunctis 
28,  2  qua  repleta  parva  .  vellera  magna  produco. 
38,  6  et  aestivo  rursus  |  ignibus  trado  coquendos. 
hat  der  Dichter  sich  Ausnahmen  gestattet,    die   kaum  angetastet  werden 
dürfen,    wenn  auch  die  interpolirte  Handschrift   V  28,    2  produco  vellera 
magna    und  38,  6    den  quantitirenden    Hexameter  'rursus  et  aestivo    co- 
quendos ignibus  apto'  bietet. 

Höchst  merkwürdig  ist  die  Berücksichtigung  der  Quantität  im  5. 
und  6.  Fusse.1)  Die  fünfte  Hebung  ist  frei  gegeben,  also  findet  sich 
auch  creat  urendo.  conc/pio  prolem.  Dagegen  für  die  sechste  Hebung 
hat    der    Dichter    quantitätslange    Silben    gesucht.      Bei    den    dreisilbigen 


1)  Brandt  (S.  105)  drückt  sich  so  aus:  In  quinto  et  sexto  pede  legitimi  hexametri  valet 
memoria,  cuius  modo  procul  habeas  iustam  syllabarum  quantitatem,  illi  semper  referunt  speciem. 
sed  ne  illa  quidem  plane  neglecta:  paenultima  enim  versus  syllaba  semper  sive  natura  sive 
positione  longa  exceptis  his  locis  .  .  .  en  voces  dissylabas,  quales  maxime  inclinare  solebant  ad 
eam  licentiam. 


281 

Schlusswörtern  (vier-  oder  mehrsilbige  kommen  auch  bei  diesem  Dichter 
nicht  vor)  versteht  sich  das  von  selbst;  denn  wenn  sie  den  Wortaccent 
auf  der  vorletzten  Silbe  haben,  muss  dieselbe  auch  von  Natur  lang  sein ; 
allein  auch  unter  den  234  zweisilbigen  Schlusswörtern  finden  sich  nur 
folgende  mit  kurzer  vorletzter  Silbe:  4,  1  locis.  7,  2  vetor.  9,  1  ego. 
9,  6  loco.  10.  6  valet.  15,  5  edit,  16,  5  caro.  42,  4  cupit.  49,  4  vias. 
59,  5  nocent.  61,  1  locis,  während  im  Schluss  der  ersten  Halbzeile  unter 
270  zweisilbigen  Wörtern  105  mit  kurzer  vorletzter  Silbe  stehen.  In 
den  Senkungen  des  fünften  Fusses  wird  die  oben  (S.  278)  bezeichnete 
halbe  Quantität  beobachtet:  es  stehen  hier  naturlange,  aber  nicht  positions- 
lange Silben ;  so  sind  ganz  gewöhnlich  die  Fälle,  wie  morte  flnitur.  cunctl 
requirunt,  visu  mlrantur;  dagegen  die  Ausnahmen  sind  sehr  selten:  in 
5,  6  ist  die  Lesart  von  B  per  angu/os  versant  (statt  angula  der  übrigen 
Handschriften)  wohl  nur  Correctur  eines  ängstlichen  Grammatikers;  27.  2 
haben  statt  des  columna  virdisco  von  B  die  andern  Handschriften  c.  vir  e%co 
und  14,  6.  ist  statt  dolom  salutem  sicher  dolori  zu  lesen.  Dagegen 
müssen,  so  leicht  sie  auch  zum  Theil  zu  ändern  wären,  wohl  unangetastet 
bleiben  die  Ausnahmen  in  5,  5  pro  bonis  mala  ra/duntur;  23,  1  generat 
mater;  26,  6  produco  cordis  saporem;  maier  figuram;  (48,  1  gerens 
figuras);   61,  6  jmmqumu   videbit. 

Der  Hiatus1)  wird  von  diesem  Dichter  fast  gänzlich  gemieden 
(auch  9,  1  ist  wohl  aevo  Heva  statt  Eva  zu  schreiben);  doch  dürfen  die 
wenigen  überlieferten  Fälle  (47,  4  vocem  non  profero  ullam;  61,  2  sine 
radice  immensos.    61,  4  viae  ego)  nur    desshalb   nicht    geändert   werden. 

Diese  Gesetze  vermochte  ich  im  Bau  dieser  Zeilen  zu  erkennen. 
Gruppirt  sind  dieselben  so,  dass  immer  zwei  zusammengehören  und 
nach  jedem  2.  wie  4.  Verse  völliger  Sinneschluss  stattfindet,  welcher 
stets  durch  einen  Punkt  bezeichnet  werden  kann.  Durch  dieses  Paar- 
gesetz allein  schon  werden  manche  Versumstellungen  widerlegt,  die 
früher  versucht  worden  sind.  Ich  habe  die  rythmischen  Hexameter 
longobardische  genannt  (Rythmen  S.  190),  weil  ich  sie  nur  in  lom- 
bardischen Inschriften   von  700  —  750  n.  Chr.  fand.     Wie   später  gezeigt 


1)  D.  h.  schließender  Vokal  vor  anfangendem;  denn  schließendes  m  vor  Vokalanfang  wird 
von  keinem  rythm.  Dichter  vermieden. 

Abh.  d.  I.  Ol.  d.  k.  Ak.  d.  Wim.  XVII.  Bd.  II.  Abth.  37 


282 

wird,  weist  der  Inhalt  dieser  Räthsel  ebenfalls  in  die  Lombardei  und 
passt  die  Sprache  gut  in  das  8.  Jahrhundert;  in  diese  Zeit  passt  auch 
der  Versbau,  dessen  hervorstechendste  Merkmale  die  Gleichheit  der  Silben- 
zahl, die  Betonung  des  Schlusses  der  1.  Halbzeile,  die  Behandlung  der 
dreisilbigen  Wörter  im  Anfang  beider  Halbzeilen,  die  Beachtung  der 
Quantität  in  der  5.  Senkung  und  in  der  6.  Hebung  und  endlich  das 
Paargesetz  der  Zeilen  sind. 


Versbau  der  Exhortatio  poenitendi  (Beilage  No.  IV). 

Einfach  sind  die  Gesetze  dieser  rythmischen  Hexameter,  welche  auch 
Hanssen  (de  arte  metrica  Commodiani)  erkannt  hat.  Die  Langzeile  zer- 
fällt in  zwei  ungleiche  Halbzeilen.  Die  erste  zählt  entweder  6  oder  7, 
die  zweite  entweder  8  oder  9  Silben.  Wenn  die  erste  Halbzeile  6  Silben 
zählt,  so  hat  sie  trochäischen,  wenn  7,  jambischen  Schluss,  also  immo 
puniendo  oder  mens  confusa  taediis.  Die  letzten  5  Silben  der  zweiten 
Halbzeile  bilden  den  Tonfall  des  Hexameterschlusses  ~  «  —  «  nach, 
also  lüce  percurris.  Vor  diesen  Schlüssen  ist  der  Tonfall  frei  gegeben 
ohne  weitere  Feinheiten;  also  neben  'immo  puniendo'  auch  'abiecit  te 
mundus',  neben  mens  confusa  taediis'  auch  'cur  fluctuas  anima';  dann 
neben  'itinera  devia  carpens'  oder  cquae  impie  gesserat  diem'  auch  'shisus 
tui  cöllige  gressus',  aber  neben  'subdücta  lüce  percurrunt'  nur  'cörde  di- 
vülsa  propellas',  während  ein  rein  daktylisches  Wort,  wie  in  'dominus 
poenam  ininatur',  auch  in  diesem  Gedicht  nicht  den  Anfang  der  2.  Halb- 
zeile bildet. 

Hiatus  ist  wenig  gemieden;  8  Mal  findet  er  sich  zwischen  den 
Halbzeilen,  16  Mal  innerhalb  derselben.  Die  Quantität  der  Silben  ist 
nirgends  beachtet,  auch  nicht  im  5.  oder  6.  Fusse.  Die  Ungebundenheit, 
mit  welcher  dieser  Dichter  arbeitete,  zeigt  sich  auch  in  der  Gruppirung 
der  Verse.  Denn  unbestreitbar  herrscht  die  Regel,  dass  immer  2  Verse 
zusammengehören  und  nach  jedem  Paare  Sinnespause  stattfindet.  Dass 
dieses  Paargesetz  so  oft  verletzt  ist  (V.  28.  88.  102.  129.  142.  153.  158. 
161),  möchte  ich  nicht  der  Unsicherheit  des  Textes  zuschreiben,  so  gross 
diese    auch    noch    ist,    sondern   der    Ungebundenheit    des    Dichters.      Die 


283 

Bemerkungen  über  das  Gedicht  selbst  werden  ergeben,  das  Nichts  da- 
gegen spricht,  auch  dieses  Gedicht  in  die  Zeit  der  longobardischen  In- 
schriften zu  setzen. 

Lamentum  poenitentiae  (Beilage  No.  IV). 

Der  Bau  rythmischer  Hexameter  war  eine  Verirrung,  da  dieselben 
dem  Hauptgesetz  der  rythmischen  Dichtung,  der  Gleichheit  der  Silben- 
zahl, zu  sehr  widerstreben.  In  den  zahlreichen  rythmischen  Gedichten 
der  alten  Zeit  galten  die  strengen  Gesetze,  die  ich  an  anderm  Orte 
(Rythmen  S.  45  —  64)  dargelegt  habe.  Als  Beispiel  derselben  sei  hier 
kurz  das 'Lamentum  poenitentiae'  besprochen,  die  Fortsetzung  der 
Exhortatio  poenitendi  (Beilage  No.  IV). 

Diese  330  Zeilen  haben  stets  15  Silben,  die  in  2  Halbzeilen,  zu  8 
und  zu  7.  sich  scheiden.  Die  1.  Halbzeile  hat  stets  trochäischen,  die  2. 
jambischen  Schluss.  Vor  diesen  regelmässig  betonten  Schlüssen  ist,  dem 
Wesen  der  lateinischen  Sprache  gemäss,  der  Tonfall  meistens  trochäisch, 
allein  er  wird  auch  oft  genug  gewechselt,  und  zwar  in  allen  möglichen 
Spielarten  ohne  Vermeidung  daktylischer  Wörter  oder  Wortschlüsse.  So 
finden  sich  in  der  1.  Halbzeile  neben  den  (218)  regelmässig  betonten 
Fällen,  wie  pülso  rögans  töta  die,  die  Variationen:  accipite  dicens  Ulis 
(39  V.),  peccävi  tibi  peccavi  (10  V.),  hdbeant  milnere  tuo  (63  V.);  in  der 
2.  Halbzeile  findet  sich  neben  den  (241)  regelmässig  betonten  Fällen, 
wie  vöcem  fletus  elevans,  in  89  Versen  die  einzige  mögliche  Variation, 
wie  liquesco  formidine.  Hiatus  ist  auch  hier  wenig  gemieden;  er  steht 
zwischen  den  beiden  Halbzeilen  15  Mal,  innerhalb  einer  Halbzeile  21  Mal. 
Diese  fünfzehnsilbigen  Zeilen  sind,  wie  oft,  in  Strophen  von  je  3  Zeilen 
gruppirt  und  diese  Strophen  haben  die  fortlaufenden  Buchstaben  des 
Alphabets  als  Initialen,  hier  mit  der  seltenen  Häufung,  dass  mit  A 
60  Strophen,  mit  B  7,  mit  C  bis  L  je  2,  mit  M  3,  mit  N  7,  mit  0 
bis  R  je  2   und  mit  £  bis  Z  je  eine  Strophe  beginnen. 

Die  alten  rythmischen  Gedichte  in  lateinischer  Sprache  haben  also 
in  den  sich  entsprechenden  Zeilen  und  Halbzeilen  gleich  viel  Silben  und 
gleich  betonte  Schlüsse;  vor  diesen  Schlüssen  ist  der  Tonfall  frei,  d.  h. 
die  Silben  werden    nur   gezählt.     Die  Zeilen   sind    meistens    zu  Strophen 

37* 


284 

gruppirt;  die  Initialen  bilden  oft  das  Alphabet  oder  bestimmte  Wörter; 
die  Zeilenschlüsse  sind  oft  durch  allerdings  unvollkommenen  Reim  ge- 
bunden. 

Augustins  Psalm  contra  partem  Donati. 

Von  diesem  ältesten  Denkmal  der  lateinischen  rythmischen  Dichtung 
(vgl.  meine  Rythmen  S.  89)  sagt  Augustin  (Retractationes  I,  20)  selbst: 
Psalmus  contra  partem  Donati;  liber  unus.  Volens  etiam  causam  Dona- 
tistarum  ad  ipsius  humillimi  vulgi  et  omnino  imperitorum  atque  idio- 
tarum  notitiam  pervenire  et  eorum  quantum  fieri  posset  per  nos  in- 
haerere  memoriae,  Psalmum  qui  eis  cantaretur,  per  latinas  litteras  feci 
(a.  393^94),  sed  usque  ad  V  litteram.  tales  autem  abecedarios  appellant. 
tres  vero  ultimas  (d.  h.  die  nicht  lateinischen  X  Y  Z)  omisi;  sed  pro  eis 
novissinmm  quasi  epilogum  adiunxi,  tanquain  eos  mater  alloqueretur 
Ecclesia.  Hypopsalma  etiam  quod  responderetur  et  prooemium  causae 
quod  nihilominus  cantaretur,  non  sunt  in  ordine  litterarum:  earum  quippe 
ordo  incipit  post  prooemium.  ideo  autem  non  aliquo  carminis  genere  id 
fieri  volui,  ne  me  necessitas  metrica  ad  aliqua  verba  quae  vulgo  minus 
sunt  usitata  compelleret.  iste  psalmus  sie  incipit:  Omnes  qui  gaudetis  de 
pace  modo  verum  iudicate,  quod  eius  hypopsalma  est.    . 

Wegen  der  besonderen  Wichtigkeit  dieses  Psalmes  ist  ein  möglichst 
sicherer  Text  zu  wünschen.  Die  Benedictiner  hatten  ihn  herausgegeben 
cdenuo  recognitum  ad  antiquiores  editiones  Joannis  Amerbachii,  Des. 
Erasmi  ac  Lovaniensium  theologorum  et  ad  variantes  lectiones  veterum 
codicum  Belgicorum  Cambronensis  ac  Endoviensis'.  Du  Meril,  Poesies 
popul.  a.  1843  p.  120,  druckte  ihn  aus  der  Benedictinerausgabe  ab,  doch 
mit  Fehlern  (so  fehlen  in  Strophe  D  nach  der  5.  Zeile  Cum  Carthaginem 
venissent  episcopum  ordinäre  die  2  Zeilen:  Invenerunt  Caecilianum  j  iam 
ordinatum  in  sua  sede  Irati  sunt  quia  ipsi  |  non  potuerunt  ordinäre) 
und  mit  eigenen,  meist  unwahrscheinlichen  Aenderungen.  Ich  hätte  gern 
einen  möglichst  nach  Handschriften  gereinigten  Text  dieser  Abhandlung 
beigegeben,  allein  trotz  alles  Suchens  gelang  es  mir  nicht  eine  Hand- 
schrift dieses  Psalmes  zu  finden;  in  den  Catalogen  der  grossen  Biblio- 
theken  fand    ich  Nichts    und  spezielles  Suchen    in    den  Bibliotheken  von 


285 

Brüssel,  Paris,  Vatican  und  Montecassino  hatte  ebenfalls  keinen  Erfolg. 
Es  wäre  also  dringend  zu  wünschen,  dass  wo  auch  nur  immer  eine 
Handschrift  dieses  Stückes  gefunden  wird,  dieselbe  besonderer  Aufmerk- 
samkeit gewürdigt  werde. 

Die  Bestimmung  der  Silbenzahl  macht  hier  besondere  Schwierig- 
keiten. Die  durch  den  Reim  e  kenntlichen  Langzeilen  zerfallen  stets  in 
2  Halbzeilen.  Liest  man  dieselben  wie  die  übrigen  rythmischen  Zeilen, 
so  ergeben  sich  neben  der  Mehrzahl  zu  8  Silben  eine  grosse  Zahl  zu  9 
und  eine  kleine  zu  1 0  oder  gar  zu  1 1  oder  nur  zu  7  Silben.  Den  rich- 
tigen Weg  zeigt  die  Bildung  der  Schlüsse.  Dieselben  sind  fast  in  allen 
Zeilen  trochäisch;  in  einigen  neunsilbigen  finden  sich  Schlüsse,  wie  datum 
est;  in  etwa  22  neunsilbigen  Zeilen  finden  sich  die  Schlüsse  hödie,  veniat, 
nescio,  sententiae,  iudicio  etc.,  d.  h.  ein  (unbetontes)  i  mit  einem  andern 
Vokal.  Dagegen  findet  sich  kein  Schluss,  wie  efficit.1)  Hieraus  erhellt, 
dass  Augustin  sich  2  Freiheiten  gestattet  hat:  1)  Vocalverschmelzung, 
2)  Elision.  Durch  Anwendung  dieser  beiden  Freiheiten  werden  erstens 
alle  Schlüsse  trochäisch,  dann  von  jenen  Halbzeilen,  die  9,  10  oder 
11  Silben  zählen,  sehr  viele  achtsilbig.  Wir  müssen,  um  das  zu  er- 
reichen, etwa  120  Elisionen  annehmen,  von  denen  4  Mal  je  2  in  einer 
Halbzeile  stehen,  wie  B  10  factum  altare  contra  altare,  und  etwa  22 
mit  Vocalverschmelzung  in  demselben  Verse,  wie  E  9  inde  alios  infa- 
niaverunt.  H  5  sed  haec  tarn  iniusta  petitio.  F  8  fieri  altare  contra 
altare.  Vokalverschmelzung  ist,  um  achtsilbige  Halbzeilen  zu  ge- 
winnen, in  etwa  90  Fällen  anzunehmen.  In  etwa  13  Fällen  ist  e  oder  u 
(F  8  videamus,  N  4  gaudeamus,  0  12  palea,  S  4  ideo,  C  7  suis,  D  7 
potuerunt,  epil.  19  suum;  vgl.  I  6.  L  9.  M  9),  in  allen  übrigen  Fällen  i  mit 
einem  folgenden  Vocal  zu  verschmelzen.  Besonders  gehäuft  sind  diese 
Verschmelzungen  in  L  9  habeat  paleas  area  vestra,  M  9  et  postea 
moriatur  inde.  22  fallen,  wie  oben  erwähnt,  in  den  Zeilenschluss,  wie 
0  4  misit  in  messem  operarios,  R  4  vobis  communicant  hodie,  T  1  talis 
si  quis  ad  te  veniat.  In  19  Fällen  finden  sich  in  derselben  Halbzeile 
noch    1   oder  2   Elisionen,    wie  I   6    ut  quod    postea  iudicatum  est.     H  8 


11  l'enn  B  11  spem  ponunt  in  honüne,    R  6  Legite  quomodo  iululteri  ,  puniantur  in  sancta 
lege,  Epil.  12  JUttit  m<?  apostotas  >iixl  \v<>hl  verdorben. 


286 

Caecilianum  cum  illo  audire.  epil.  17  missuri  essent  dona  ecclesiae; 
die  contrahirten  Vocale  fallen  durch  Elision  weg  in  H  11  hie  petitio 
illa  probatur  und  S  6  quia  ipsam  formam  habet  sarmentum.  Zwei  Ver- 
schmelzungen  in  derselben  Halbzeile  finden  sich  M  7  quia  scriptum  est 
reconde  gladium. 

Durch  die  Annahme  der  Vocalverschmelzung  und  der  Elision  wird 
so  eine  grosse  Zahl  von  neun-,  zehn-  und  elfsilbigen  Halbzeilen  zu  acht- 
silbigen.  Anderseits  gibt  es  eine  Anzahl  achtsilbiger  Halbzeilen,  welche 
nur  dann  achtsilbig  bleiben,  wenn  wir  Vocalverschmelzung  oder  Elision 
nicht  annehmen.  So  etwa  22  Verse,  wie  A  2  voluit  nos  praemonere. 
A  11  quando  retia  ruperunt,  D  9  impii  fures  superbi.  Dieser  Fall  ist 
minder  auffallend,  da  ja  auch  in  den  altlateinischen  Versen  meus  tuus 
bald  ein-  bald  zweisilbig  ist.  Auffallender  ist,  dass,  um  den  achtsilbigen 
Vers  nicht  zu  einem  siebensilbigen  zu  machen,  in  etwa  11  Zeilen  die 
Elision  nicht  angenommen  werden  darf;  so  D  5  episcopum  ordinäre. 
D  7  irati  sunt  quia  ipsi,  K  9  quare  ergo  consensistis ;  vgl.  G  8.  M  11. 
Q  2.  R  10.   11.  S  6.  T.  8.  Epil.  3.1) 

Wenn  wir  aber  auch  All'  dieses  thun  zu  Gunsten  der  achtsilbigen 
Halbzeilen,  dass  wir.  um  9,  10  und  11  silbige  Zeilen  zu  vermeiden.  Eli- 
sionen und  Vokalverschmelzungen  annehmen,  und  wiederum,  um  7  silbige 
zu  vermeiden,  Elision  und  Vokalverschmelzung  nicht  annehmen,  selbst 
dann  kommen  wir  mit  der  gangbaren  Ansicht  nicht  durch,  dass  Äugustin 
achtsilbige  Halbzeilen  verfasst  habe.  Das  zeigen  die  Halbzeilen,  die  sicher 
9  oder  7  Silben  haben:  Die  Repetitio:  Omnes  qui  gaudetis  de  pace  (9). 
B  3  Sic  fecerunt  scissuram  (7).  B  11  spem  ponunt  in  nomine  (7,  wohl 
falsch).  E  1  Ecce  quam  bonum  et  quam  iueundum  (9  =  Psalm.  132.  1). 
E  10  Per  illos  caeteri  erraverunt  (9).  F  2  Non  iudices  sederunt  (7,  con- 
sederunt  Erasmus).  G  12  cum  totum  vellent  perturbare  (9).  I  2  Quod 
postea  fecit  (6,  sicher  falsch).  I  5  Quid  curritis  ad  schisma  (7).  19  Et 
nunc  et  vos  totum  nescitis  (9).  M  2  Vel  legem  regis  referebat  (9). 
N  5  Si  qui  mali  sunt  in  ecclesia  (9).    0  6  ecclesias  impleuerunt  caste  (9). 


1)  Zu  betonen  scheint,  um  einsilbigen  Schluss  zu  vermeiden:  0  3  Quod  illos  tamquain  aream 
suam  und  Epil.  4  Et  dieunt:  o  filii  mei.  J>  1  Pone  in  corde  areas  duas  ut  possis  quod  dico  in 
corde  videre  ist  wohl  zu  ändern  Pone  areas  duas  ut  possis  quod  dico  in  corde  videre. 


287 

P  2  Certe  et  priores  habebant  sanctos  (9).  Q  3  Habet  enim  domini  ex- 
emplum  (9).  Q  10  Ut  quando  non  possunt  excludi  (9).  R  6  Legite 
quomodo  adulteri  (9,  wohl  falsch).  T  12  Et  tarnen  Christianum  talem 
audes  rebaptizare  (8  -{-  7  oder  7  +  8).  Epil.  2  potestis  et  considerare  (9). 
12  Jussit  me  apostolus  |  pro  regibus  mundi  orare  (6  oder  7  -f-  8,  wohl 
falsch).  14  Si  filii  estis,  quid  invidetis,  quia  auditae  sunt  preces  meae? 
(9  -f-  8).  29  Cantamus  vobis,  fratres,  |  pacem  si  vultis  audire  (7  -f-  8). 
Das  sind  etwa  14  Halbzeilen  zu  9  und  7  zu  7  Silben,  wo  man  Zeilen 
zu  8  Silben  nicht  herstellen  kann,  wenn  man  nicht  zu  solchen  Mitteln, 
wie  considrare,  greifen  will.  Demnach  bleibt  der  Schluss,  dass,  obgleich 
viele  scheinbar  neun-,  zehn-  oder  elfsilbige  Zeilen  durch  Annahme  von 
Elisionen  und  zum  Theil  sehr  harten  Vokalverschmelzungen,  und  ziemlich 
viele  siebensilbige  durch  Annahme  von  Hiatus  oder  Nichtannahme  von 
Vokalverschmelzung  sich  als  achtsilbige  erklären  lassen,  dennoch  neben 
der  grossen  Ueberzahl  der  achtsilbigen  Halbzeilen  manche  neunsilbige  und 
einige  siebensilbige  von  Augustin  selbst  zugelassen  sind. 

Die  Anwendung  der  Elision  ist  bei  Augustin  nicht  auffallend,  da  ja 
die  Dichter  seiner  Zeit  sie  noch  häufig  anwendeten.  Sehr  auffallend  ist 
aber  die  übergrosse  Anwendung  der  Vokalverschmelzungen.  Da  dieselben 
in  dieser  Fülle  und  Härte  selbst  bei  den  altlateinischen  Dichtern  auf- 
fallend wären,  aber  bei  dem  seltenen  Gebrauche  der  Vokalschmelzung 
bei  den  spätlateinisclien  Dichtern  sich  durchaus  nicht  erklären  lassen,  so 
muss  ein  anderes  Beispiel  vorliegen,  das  Augustin  nachahmte.  Ver- 
gleichen wir  den  Gebrauch  des  Augustin  mit  den  Rythmen  der  älteren 
Zeit,  so  glaube  ich  (Rythmen  S.  51  u.  83)  nachgewiesen  zu  haben,  dass 
Elision  sich  in  denselben  nicht  beweisen  lässt;  dagegen  ist  Vokalver- 
schmelzung noch  in  der  Karolingerzeit  häufig  (vgl.  Rythmen  S.  50/51); 
nicht  selten  wird  die  regelmässige  Silbenzahl  überschritten  (ebenda  S.  50. 60), 
hie  und  da  vielleicht  nicht  erreicht  (ebenda  S.  60/61). 

In  Rücksicht  auf  den  Tonfall  ist  zunächst  der  Schluss  der  Halb- 
zeilen zu  betrachten.  Wie  oben  bemerkt,  steht  fast  immer  der  Accent  auf 
der  vorletzten  Silbe;  die  22  Schlüsse  wie  veniat  iudicio  stehen  in  neun- 
oder  mehrsilbigen  Zeilen,  sind  also  mit  Verschmelzung  der  beiden  letzten 
Vocale  zu  einer  Silbe  zu  lesen,  so  dass  hier  ebenfalls  trochäischer  Schluss 
entsteht.     Die  drei  Schlüsse  nomine,    adulteri  und  apostolus  (B   11.  R  6. 


288 

Epil.  12)  stehen  in  sieben-  oder  neunsilbigen  Halbzeilen,  sind  also  wohl 
falsch  überliefert;  L  4  Quibus  si  et  nos  non  credimus.  !  erit  rixa  sine 
fine  ist  wohl  credemus  zu  schreiben.  Vor  dem  trochäischen  Schluss  ist 
der  Tonfall  völlig  frei  und.  da  die  zahlreichen  in  Elision  oder  Vokalver- 
schmelzung stehenden  Silben  doch  auch  noch  gehört  werden  mussten,  muss 
die  Melodie,  nach  der  diese  Langzeilen  gesungen  wurden,  ziemlich  dehn- 
bar gewesen  sein.  Von  Beobachtung  der  Quantität  ist"  auch  im  Schlüsse 
keine  Rede .  höchstens  dass  die  zweisilbigen  Schluss  Wörter  mit  langer 
vorletzter  Silbe  bedeutend  zahlreicher  sind  als  die  mit  kurzer  (mare  oft, 
scelus,  reus,  erat,  mali,  vetet.  habet,  vocant,  cruce,  vale,  erant,  fide. 
datum,  dare,  bonum,  viros,  vide,  mei). 

Was  die  Gruppirung  betrifft,  so  bilden  je  2  Halbzeilen  eine  Lang- 
zeile,  deren  Schluss  mit  dem  der  andern  Langzeilen  reimt.  Der  Anfang 
des  Gedichtes  fehlt  uns  (prooemium  causae,  quod  nihilominus  canta- 
retur);  wir  haben  ausser  der  Refrainzeile  noch  266  Zeilen,  die  zusammen- 
gestellt sind  in  20  Strophen  zu  236  Zeilen  und  einen  Epilog  zu  30  Zeilen. 
Von  jenen  20  Strophen  bestehen  18  aus  12,  2  (C  und  Q)  aus  10  Zeilen, 
die  Initialen  dieser  Strophen  werden  durch  die  Buchstaben  A  bis  V  ge- 
bildet (Abecedarius).  Innerhalb  dieser  grossen  Strophen  vermochte  ich 
keine  weitere  regelmässige  Gruppirung  der  Zeilen  zu  erkennen. 

Fast  die  merkwürdigste  Eigentümlichkeit  dieses  Gedichtes  ist  der 
Reim:  alle  267  Langzeilen  endigen  auf  e  (oder  ae),  ohne  Rücksicht  ob 
dasselbe  lang  oder  kurz  ist. 

Der  Versbau  Commodians. 

Gennadius  (De  scriptoribus  ecclesiasticis  um  das  Jahr  500)  schreibt: 
Commodianus  dum  inter  saeculares  literas  etiam  nostras  legit,  occasionem 
accepit  fidei.  factus  itaque  Christianus  et  volens  aliquid  studiorum  muneris 
offerre  Christo,  suae  salutis  auctori,  scripsit  mediocri  sermone  quasi  versu 
librum  adversus  paganbs  .  .  vili  satis  et  crasso  ut  ita  dixerim  sensu. 
Wir  haben  von  Commodian  etwa  2000  Zeilen.  Das  eine  Tausend,  die 
Instructionen,  eine  Sammlung  kleinerer  Gedichte,  nach  Dombarts  Unter- 
suchungen (Hilgenfelds  Zeitschrift  f.  wissenschaftl.  Theologie  22,  S.  36) 
kurz    nach    250    veröffentlicht,    ist   seit    zwei    Jahrhunderten    (a.    1649) 


289 

bekannt,  das  andere  Tausend,  ein  etwa  249  n.  Chr.  entstandenes  zu- 
sammenhängendes Gedicht,  worin  die  Hauptlehren  der  Christen  dargelegt 
und  die  Lehren  der  Juden  und  Heiden  widerlegt  werden,  wurde  von 
Cardinal  Pitra  gefunden  und  im  1.  Bande  seines  Spicilegium  Solesmense 
1852  mit  dem  Titel  Carmen  apologeticum  zum  ersten  Male  veröffentlicht. 
Da  der  Text  der  Instructiones  sehr  schlecht,  dagegen  der  des  Carmen 
apologeticum  besser  überliefert  ist,  und  ich  durch  die  besondere  Güte 
des  künftigen  Herausgebers,  des  Herrn  Dr.  Bernhard  Dombart,  die  neue 
Vergleichung  der  einzigen  Handschrift  im  Midlehill  benützen  durfte,  so 
entschloss  ich  mich,  dieser  Untersuchung  über  Commodians  Versbau  nur 
das  Carmen  Apol.  (Vers  1  — 1020)  zu  Grund  zu  legen.  Für  die  Erklärung 
dieses  Gedichtes  ist  Besonderes  geleistet  in  Roensch's  Ausgabe  (Zeitschrift 
für  historische  Theologie  1872,  163 — 302),  für  den  Text  in  der  Ausgabe 
von  E.  Ludwig  (Teubner,  1877),  welche  ich  citire.  Die  meisten  Einzel- 
heiten des  Versbau's  hat  Friedr.  Hanssen,  de  arte  metrica  Commodiani, 
(Strassburger  Dissert.  1881  =  Dissertationes  philol.  Argentor.  V  p.  1  —  90) 
richtig  erkannt;  es  sind  aber  nach  meiner  Ansicht  nicht  nur  manche  Ein- 
zelheiten nachzutragen,  sondern  auch  die  Thatsachen  selbst  anders  zu 
erklären  als  sie  von  Hanssen  erklärt  sind.1) 

Die  Zeilen  Commodians  zählen  13  bis  17  Silben,  sind  also  eine 
Nachahmung  des  Hexameters;  'die  wenigen  Zeilen,  welche  weniger  oder 
mehr  Silben  enthalten,  sind  falsch;  so  231.  479  (circumveniamus  iusto 
si  qui  nobis  gravis  esse  videtur).  504.  643  (post  XXXVIII  annis  para- 
lyticum  surgere  iussit).  960;  oder  123.  421  (O  mala  progenies.  subdola 
fronte).  802  (ecce  ianua  pulsat  et  cogitur  esse).  In  der  weiteren  Nach- 
ahmung des  Hexameters  ist  nur  dessen  Hauptform  mit  Caesur  nach 
der  3.  Hebung  festgehalten  und  darnach  die  Langzeile  in  zwei  Halbzeilen 
getheilt.  Die  erste  Kurzzeile  zählt,  entweder,  den  Hexameter  mit  einer 
Länge    in   der    2.  Senkung  ( —  -~-   ■  ).    nachbildend,    5    (selten)    oder 

6  Silben  mit  vorletzter    langer  Silbe,    wie  Mactabant  iustos.    Nunc  exal- 


1)  Tiu  Jahresber.  d.  class.  Alterthumsk.  XI,  1883,  3.  451  bemerkt  Hanssen  'Fraglich  er- 
scheint mir  nur,  wie  weit  die  in  der  Natur  des  Vulgärlateins  begründeten  Regeln  durch  Unfähig- 
keit des  Dichters  gestört  worden  sind.  In  der  faktischen  Durchführung  der  Gesetze  mit  Hilfe 
der  Textkritik  mag  ich  zu  weit  gegangen  sein". 

Abb.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wias.  XVII.  Bd.  II.  Abth.  38 


290 

tabor.  Quis  poterit  unum.  Errabam  ignarus,  oder,  den  Hexameter  mit 
2  Kürzen  in  der  2.  Senkung  nachbildend  (  **  -  -  «  «  --),  6  oder  (häufiger) 
7  Silben  mit  vorletzter  kurzer  Silbe,  wie  Induxerat  eos.  Plus  eram  quam 
pälea.  Cui  summus  divitias.  Et  rüdes  edöceo.  In  der  Halbzeile  nach 
der  Caesur  kommt  es  auf  die  3.  und  4.  Senkung  an;  je  nachdem  beide 
mit  Längen,  oder  die  eine  mit  einer  Länge,  die  andere  mit  2  Kürzen, 
oder  beide  mit  je  2  Kürzen  gefüllt  sind,  —  - — ,  —  '.  «  «  oder  *  w  ■ 
«  «  -t-  „  „  ,  zählt  auch  das  Nachbild  bei  Commodian  8,  9  oder  10  Silben. 
Wäre  schon  in  rein  quantitirenden  Hexametern  diese  stete  Beobachtung 
der  nemlichen  Caesur  auffallend,  so  hat  Commodian  die  Theilung  der 
Langzeile  in  2  Kurzzeilen  dadurch  noch  schärfer  markirt,  dass  er  die 
letzte  Silbe  der  1.  Kurzzeile,  obwohl  sie  eine  Hebung  repräsentirt,  wie 
Zeilenschluss  behandelt,  d.  h.  ihre  Quantität  nicht  beachtet;  z.  B.  5  Plus 
eram  quam  paleä  levior  quasi  centum  adessent,  6  in  humeris  capita 
sie  praeeeps  quoeunque  ferebar.  652  Tunc  iussit  implere  |  hydrias  ve- 
locius  aqua,  653  quod  prius  gustavit      et  sie  ministrari  praeeepit. 

In  der  Prosodie  hat  Commodian  Manches  gemeinsam  mit  andern 
quantitirenden  oder  rythmischen  Dichtern,  Manches  ist  ihm  eigen.  Ge- 
meinsam ist  z.  B.,  dass  in  vielen  Eigennamen  die  Quantität  nicht  mehr 
beachtet  wird  und  in  den  semitischen  die  letzte  Silbe  betont  werden 
kann;  eigen  ist  ihm  der  Gebrauch  von  aqua  und  quöque  mit  vorletzter 
langer  Silbe  (Hanssen  S.  39);  deus  steht  im  V.  398  400  488  663  787 
954  984  am  Schlüsse  der  ersten  Halbzeile  so,  dass  die  vorletzte  Silbe 
lang  sein  müsste ;  wenn  nun  auch  &sog  bei  den  Griechen  und  deus  bei  den 
spätem  lateinischen  Rythmikern  öfters  die  Freiheiten  eines  Eigennamens 
geniesst,  so  ist  dieses  doch  bei  Commodian  nicht  wahrscheinlich,  da  sich 
deus  so  im  6.  Fusse  nicht  findet;  desshalb  ist  an  all  diesen  Stellen  an- 
zunehmen, dass  die  Abschreiber  ds  und  dns  verwechselt  haben  (vgl. 
Hanssen  S.  XX),  was  ja  noch  Pitra  passirt  ist,  z.B.  in  696  737  774  954. 
Hiatus  ist  durchaus  gestattet,  was  schon  Versschlüsse,  wie  Nomine 
adsit.  humilem  adsit.  cura  de  illis.  fallacia  hostis,  zeigen.  Elision 
kommt  nur  selten  bei  est  vor,  was  Versschlüsse  wie  fCausa  reseeta  est. 
Victus  a  summo  est'  zeigen.  Auch  Vokalverschmelzung  kann,  wenn 
nöthig,  angenommen  werden,  was  Versschlüsse,  wie  cproflüvio  sanata  est. 
filii  JudaeY    beweisen.      Die    rythmischen    Schulgesetze    für    den    Bau 


291 

des  Hexameters  (vgl.  meine  Abhandlung  über  die  Beobachtung  des  Wort- 
accents  S.  9)  hat  Commodian  gut  gekannt  und  besonders  im  Schlüsse  des 
Hexameters  genau  beobachtet.  Im  Zeilenschluss  hat  er  nie  1  einsilbiges 
Wort  und  nur  in  131  ardua  res  est  (und  124  quaerere  fas  est)  2  ein- 
silbige; nur  4  Verse  schliessen  mit  einem  viersilbigen,  8  mit  einem 
fünfsilbigen  Worte.  So  stehen  im  Zeilenschlusse  490  zweisilbige  und 
500  dreisilbige  Wörter.  Die  5.  Hebung  wird  nicht  durch  die  Endsilbe 
eines  Wortes  gebildet;  denn  971  'hymnos  per  iter  deo  cantant*  hat  die 
Handschrift  'hymnos  pariterque  decantant';  320  cmorimur  stirpis  eius  omnes 
Idein"  ist  mit  der  Handschrift  in  niorimur  sie  et  omnes  idemque*  zu 
ändern;  in  737  'dominum,  quem  gentes  adorabunt'  ist  entweder  orabunt 
(vgl.  Instr.  1,  41,  14  Christus,  quem  semper  oratis)  oder  gentes  quem 
adorabunt  zu  schreiben  und  in  66  recolligit  se  sub  antro  hat  man  schon 
sese  gebessert;  so  sind  regelmässig  die  22  Schlüsse,  wie  vox  mea  tantum. 
et  pedes  ipsi.  (pax  vobis  inqnit  550.  556),  und  die  einzelnen  422  qui 
nie  negarent.  608  si  quis  evitet. 

In  Rücksicht  der  Quantität  ist  die  Hauptfrage,  ob  Commodian 
dieselbe  genau  gekannt  hat.  Das  beweisen  die  zweisilbigen  Wörter  im 
Zeilenschluss.  Unter  den  65  zweisilbigen  Schlusswörtern  der  Exhortatio 
poenitendi  (vgl.  S.  282)  finden  sich  putes.  roga.  dies.  dei.  deus.  viros. 
cadunt.  bono.  erit.  student.  pigent.  amat.  pius:  ganz  anders  steht  es  mit 
den  490  zweisilbigen  Schluss Wörtern  des  Carmen  apologeticinn.  In  V.  16 
Nil  sibi  proponunt  cognoscere;  more  ferino  17  quaerunt  quod  rapiant 
aut  quorum  sanguinetu  bibant  hat  die  Handschrift  das  metrisch  noth- 
wendige  sanguine,  also  ist  quorum  sanguine  vivant  zu  schreiben.  V.  754 
Indisciplinati  clementiam  dei  ref'ugant,  755  Strenui  seetantes  |  quasi  sola 
vita  sit,  istam  (Strenia  und  ipsa  cod.)  ist  wohl  zu  schreiben:  Indiscipli- 
nati |  clementiam  dei  refutant,  Terrena  seetantes  |  quasi  sola  vita  sit  ipsa. 
V.  22  quod  promptius  edunt  ist  gänzlich  unsicher.  So  bleiben  nur  die 
2  Verse:  547  Et  quia  de  tumulis  |  resurgeret  tertio  die  und  390  Sed, 
quia  sunt  semper  |  spreti,  quod  cruenti  fuerunt,  391  contra  suum  do- 
minum I  rebellant  dicere  mag  um  (magnum  cod.  magum  dicentes  Ludw.). 
Da  Commodian,  der  doch  sonst  die  Quantität  der  Silben  so  gründlich 
missachtet,    unter    490    Fällen    nur    2    Mal    sie    vernachlässigt    hat,    so 

ergibt    sich,    dass    er    die  Quantitätsgesetze    sehr  wohl    gekannt  hat    und, 

38* 


292 

dass  da,  wo  er  dieselben  missachtete,  er  dies  mit  voller  Absicht  ge- 
than  hat. 

Im  Schlüsse  der  1.  Halbzeile  ist  die  letzte,  der  3.  Hebung  ent- 
sprechende, Silbe  dem  Zeilenschluss  gleich  behandelt,  d.  h.  nach  Belieben 
lang  oder  kurz;  dagegen  in  der  vorletzten,  der  Senkung  des  2.  Fusses 
entsprechenden,  Silbe  ist  die  Quantität  beobachtet.  Nach  dem,  was  vorher 
(S.  290)  bemerkt  ist,  kann  also  diese  Halbzeile  aus  5  oder  6  Silben  mit 
vorletzter  Länge  und  6  oder  7  Silben  mit  vorletzter  Kürze  bestehen; 
aber  Halbzeilen  zu  5  Silben  mit  vorletzter  Kürze  oder  zu  7  Silben  mit 
vorletzter  Länge  sind  ebenso  regelwidrig,  als  quantitirende  Hexameter- 
anfänge mit  -  -^  w  -l.  oder  —  «  w  -±-  «  — '-  unmöglich  sind.  Fünfsilbige 
Halbzeilen  mit  vorletzter  Kürze  kommen  keine  vor,  doch,  wenigstens  in 
den  Ausgaben,  manche  siebensilbige  mit  vorletzter  Länge.  Die  meisten 
derselben  sind  leicht  zu  beseitigen  oder  durchaus  unsicher:  so  ist  V.  78 
nee  aeeepit  easdem  nur  schlechte  Conjektur.  80  Qui  monetur  aut  ille: 
monet  codex.  277  Nee  pater  esset  dictus:  est  cod.  209  agonia  immittit: 
agoniam  mittit  cod.  257  Inventum  est  ut  ipse:  ventum  cod.  915  Vix 
tarnen  invenitur  |  illi  retributio  digna:  codex  adinvenit,  was  wohl  nach 
dem  V.  913  Nee  se  adinveniunt  verschrieben  ist  statt  Vix  tarnen  ad- 
veniet  i.  r.  d.;  vgl.  919  Et  merces  adveniet  (advenient  cod.)  meritis 
partita  locorum.  172  Nemo  deum  sciebat:  seibat  Hanssen,  vgl.  46 
Et  nemo  seibat  codex.  303  Aut  si  perseveraveris  horrescis  ipse  vivendo: 
wohl  Aut  si  persenueris.  Nur  in  2  Versen  spricht  Nichts  als  der  Vers- 
bau gegen  den  Wortlaut:  447  Et  in  libro  psalmorum  |  de  domini  morte 
clainatur  und  785  Quo  tempore  nos  ipsos  |  spero  iam  in  litore  portans. 
Aber  auch  wenn  Coinmodian  sich  diese  2  Ausnahmen  gestattet  haben 
sollte,  wird  durch  die  sämmtlichen  übrigen  Verse  die  Regel  genügend 
gesichert,  dass  Commodian  nur  die  männliche  Caesur  nach  der  3.  Hebung 
nachgeahmt  hat,  also  erste  Halbzeilen  zu  5  Silben  mit  vorletzter  Kürze 
und  zu  7   Silben  mit  vorletzter  Länge  vermieden  hat. 

Wenn  die  vorletzte  Silbe  der  1.  Halbzeile  kurz  ist,  so  müsste  eigent- 
lich auch  die  drittletzte  Silbe  kurz  sein,  da  auch  quantitirende  Anfänge, 
wie  --      -- —  »  —  oder    '   w  w  ~  — ,  unmöglich  sind.     Doch  hat  Com- 

modian sowohl  am  Schluss  der  ersten,  wie  der  zweiten  Halbzeile  ein 
merkwürdiges  Gesetz    beobachtet.     Während    nemlich    in    den   vorletzten 


293 

Silben  beider  Halbzeilen  die  Quantität  streng  beobachtet  ist,  hat  Com- 
modian  in  der  drittletzten  Silbe  der  ersten  und  in  der  dritt-  und  viert- 
letzten Silbe  der  zweiten  Halbzeile  die  Quantität  nur  halb  beachtet.  Es 
sind  hier  von  Natur  lange  Silben  unbedenklich  zugelassen,  dagegen  po- 
sitionslange Silben  fast  gänzlich  gemieden,  eine  Art  Prosodie,  die  wir 
oben  schon  (S.  278)  beobachtet  gesehen  haben  (vgl.  Hanssen  p.  48  und 
unten  bei  der  Geschichte  des  Reims  über  Pseudo-Cyprian  de  resurrectione). 
Durch  Position  lange  Silben  sind  aus  der  drittletzten  Silbe  der  ersten 
und  aus  der  dritt-  und  viertletzten  Silbe  der  zweiten  Halbzeile  von 
Hanssen  durch  künstliche  Mittel  beseitigt  worden  (S.  54 —  68),  durch 
Wegfall  von  schliessendem  s,  in,  n,  durch  Vokal  Verschmelzungen,  durch 
Ausfall  von  Vokalen  p  jedoch  Hess  er  selbst  S.  53  einige  Ausnahmen  zu. 
Gehen  wir  jedoch  die  Verse  im  Carmen  apol.  durch,  die  in  Ludwigs 
Ausgabe  in  den  Senkungen  des  5.  Fusses  positionslange  Silben  haben,  so 
brauchen  wir  jene  künstlichen  Mittel  Hanssens  nicht;  die  Verse  sind  fast 
alle  entweder  unsicher  überliefert  oder  schlecht  geändert  und  nur  in 
sehr  wenigen  Versen  muss  man  zugeben,  dass  Commodian  sich  die  Aus- 
nahme einer  positionslangen  Silbe  gestattet  hat.  So  ist  die  Lesart  der 
Handschriften  V.  47  Sed  deus  ut  vidit  hominum  nimis  ut  pectora  clausa 
in  Sed  deus  ut  vidit  |  hominum  nimis  pectora  clausa  zu  bessern.  V.  52 
Sed  multos  adhibuit  testes  qui  illud  declamant:  qui  de  illo  declamant 
codex.  164  sed  altera  clades  «ccessit:  ädhesit  codex.  206  Quid  foris 
egredimur  j  adulteri  pompam  sequentes:  pompa  sequentes  codex  richtig. 
245  und  246  sind  von  Hanssen  berichtigt:  Praedictum  fuerat  |  illis  ab 
Esaia  (Esaiam  cod.)  propheta  Et  Danihelo  |  similiter  perdere  (pendere 
cod.)  terram.  338  sed  erat  Deus  curans  pro  nobis:  cura  cod.,  caro  Pitra. 
389  sie  erit  et  falsum  de  illo:  falsa  cod.,  erunt?  391  Contra  suum  do- 
minum |  rebellant  magum  dicentes:  dicere  magnum  cod.,  dicere  magum 
oder  magnum  Pitra.  407  Ut  parvulus  lactans  |  sine  pugna  praedas  teneret. 
intre*  cod  ,  iniret  Pitra.  415  Et  in  vestimentis  |  meis,  dixit,  sortem 
miserunt:  sortemque  codex;  que  steht  bei  Commodian  öfter,  wo  es  kaum 
zu  erklären  ist.  417  Fuerunt  et  tenebrae  |  faetae  tribus  horis  ad  sextam: 
a  1.  Hand,  ad  Correctur  im  Codex,  a  sexta  Roensch.  479  Hat  die  Hand- 
schrift Circumveniamus  iusto  si  qui  nobis  gravis  esse  videtur,  also  vier 
Silben    zu    viel;    vielleicht    Circumveniamus;  I   nobis    gravis    esse  videtur. 


294 

507  Cum  iustum  tarn  clari  et  insigni  reges  bearunt:  cum  isti  tarn 
clari  et  insigni  reges  eorum  codex.  591  Uli  ferunt  laudes  |  et  .illi 
victoriam  damnis:  ille  und  victoria  codex,  vielleicht:  et  ille  victoria 
danma,  jene  tragen  durch  den  Sieg  Ruhm  und  dieser  Schaden  davon. 
688  iterum  tricesimam  quaerit:  tricesima  querit  codex.  696  Unum  quaere 
dominum  |  qui  quaerit  hostiam  nullam:  ostia  nulla  codex.  702  Semper 
homicidae  |  manibusque  semper  cruentis :  semper  manibusque  ruentis  codex. 
794  Cedet  dolor  omnis  |  a  corpore,  cedet  et  vulnus:  vulgus  codex,  ulcus 
Pitra.  856  Suscitatque  solo  [  immortales  factos  de  morte:  facti  codex, 
suscitanturque  Haussen.  877  Scrutanturque  diu  exsecratas  victimas 
ducunt:  scrutaturque . .  exsecratos  victima  codex  901  Ininites  et  agiles  | 
qui  nesciant  ullum  dolorem:  ulli  dolore  codex,  velli  dolore?  984  Ex- 
orant  deum  |  pro  mortuis  ut  resurgant:  uti  codex.  An  all  diesen  Stellen 
sprechen  schon  andere  Gründe  gegen  Zulassung  einer  positionslangen 
Silbe  in  den  Senkungen  des  5.  Fusses.  Anders  steht  es  mit  folgenden 
Stellen:  11  misero  vacillanti  tandem  adluxit.  33  quid  profuit  lucem  vidisse. 
94  Qui  pater  et  filius  |  dicitur  et  spiritus  sanctus,  184  Tempore  par- 
tito  miseratus  est  tandem  ablato.  264  gentes  sperabunt  in  ipsum. 
343  Non  erit  acceptum  |  mihi  sacrificium  vestrum.  445  fili  prophetae 
ascendo.  647  Et  quatuor  milia  |  iterum  de  VII  refecit.  Wenn  sich 
auch  264  leicht  durch  Umstellung  heilen  Hesse,  so  wird  man  doch  an- 
nehmen müssen,  dass  Commodian  das  Gesetz,  welches  er  in  1000  Versen 
beobachtete,  in  etwa  6  Versen  verletzte. 

Auch  in  der  drittletzten  Silbe  der  ersten  Halbzeile  ist  die  Kegel 
einige  Male  verletzt.  Nicht  zu  rechnen  sind  Eigennamen,  wie  287  Ex- 
urget  in  Israel.  341  Hoc  Malachiel  canit.  620  Et  canem  ut  Simoni; 
wohl  aber  437  Propter  vos  nomen  meum  |  blasphematur  in  gentibus  in- 
quit.  444  Nee  dabis  sanetum  tuum  |  interitum  quoque  videre.  634  Et 
ventis  inperat  \  placidum  ut  redderet  aequor.  853  Et  pereunt  ibi  |  ho- 
mines  Septem  milia  plena.  889  Et  si  quis  oecurrerit  |  illi  maetabitur  ense. 
Hier  wären  nur  V.  634  und  853  leicht  durch  Umstellung  regelrecht  zu 
machen.  Doch  scheint  vielmehr  Commodian  selbst  seine  Regel,  dass  in 
den  Senkungen  des  5.  und  in  der  1.  Senkung  des  2.  Fusses  keine  positions- 
lange Silbe  stehen  solle,  in  einzelnen,  allerdings  sehr  seltenen,  Fällen  nicht 
festgehalten  zu  haben. 


295 

Dagegen  hat  Commodian  an  den  bezeichneten  Stellen  von  Natur 
lange  Vokale  und  Diphthonge  zugelassen  und  zwar  in  den  Senkungen  des 
5.  Fusses  oft,  seltener  in  der  1.  Senkung  des  2.  Fusses;  so  in  häufigen 
Zeilenschlüssen,  wie  illos  eratus,  iustas  evadunt,  datas  a  summo,  universa 
quae  dixit,,  angelis  ipsis,  disciplinae  caelestis,  nesciebamus.  In  der  dritt- 
letzten Silbe  der  l.  Halbzeilen  wird  erstens  ein  schliessender  Vokal  mehr- 
silbiger Wörter  kurz  gebraucht,  nemlich  a  in  104  (in  primitiv  sua). 
566.  709.  925.  939,  e  in  597  (et,  si  pra^e  gerat),  ae  in  281  (quid  quod 
prophe^e  canunt)  und  in  664,  i  in  290  (manifestan  eum).  107.  344. 
441.  448.  576.  857.  895.  900,  o  in  115  (inde  pugil/o  suo).  323.  379. 
818.  998;  einmal  os  in  923  ad  seducendos  eos.  Dann  stehen  hier  statt 
Kürzen  die  einsilbigen  Wörter:  224  et  patitur  quo  modo,  254  quando 
et  quo  duce;  338  hie  homo  iam  non  erat;  389  quod  provenit  de  eis. 
(727  dividuntur  quae  bona);  vielleicht  auch  756  sie  recedunt  a  deo,  wo 
die  Handschrift  redunt  hat;  (vgl.  214  a  lege  dei  recedebat).  Endlich 
stehen  hier  statt  Kürzen  die  drittletzten  Silben  der  Wörter:  filius  94. 
516.  647,  milia  647,  cogitant  495,  nomine  296.  378,  finitimae  891. 

Hanssen  hat  nun  (S.  48)  für  diese  halbe  Prosodie  die  Regel  auf- 
gestellt, alle  von  Natur  langen  Vokale,  welche  nicht  vom  Wortaccent 
getroffen  werden,  gelten  als  kurz.  Dieses  Gesetz  wäre  für  den  Ueber- 
gang  von  der  quantitirenden  Dichtung  zur  accentuirten  so  wichtig,  dass 
man  natürlich  fragen  niiiss.  wie  es  mit  den  Gründen  steht.  Mit  diesen 
aber  steht  es  schlecht.  Zunächst  ist  die  Fassung  der  Regel,  dass  alle 
vom  Wortaccent  nicht  getroffenen  langen  Silben  für  kurz  gelten,  ent- 
schieden unrichtig,  wie  wir  unten  bei  Betrachtung  derjenigen  zweiten 
Halbzeilen  sehen  werden,  die  aus  8  oder  aus  10  Silben  bestehen.  Aber 
selbst  wenn  die  Regel  so  beschränkt  würde,  von  den  langen  Silben 
können  diejenigen,  welche  vom  Wortaccent  nicht  getroffen  werden,  als 
lang,  aber  auch  als  kurz  gebraucht  werden,  lässt  sie  sich  bei  Commodian 
nicht  durchführen.  Die  Senkungen  des  5.  Fusses  können  hiebei  Nichts 
beweisen.  Denn  da  seit  Virgil  und  Ovid  die  5.  Hebung  nicht  durch 
Wortende  und  die  6.  Senkung  nicht  durch  ein  einsilbiges  Wort  gebildet 
wurde,  so  fiel  im  5.  und  6.  Fusse  der  quantitirenden  Hexameter  fast  stets 
der  Wortaccent  mit  dem  Versaccent  zusammen.  Diesen  charakteristischen 
Tonfall  des  5.  Fusses  wollte  Commodian  in  seiner  Nachbildung  nicht  zer- 


296 

stören;  desshalb  sind  Hexameter,  welche  in  den  Senkungen  des  5.  Fusses 
eine  lange  und  zugleich  betonte  Silbe  haben,  wie  praebere  laudes.  augere 
quaerunt.  pax  vobis  inquit,  bei  ihm  äusserst  selten;  fast  immer  stehen 
auch  bei  ihm  in  diesen  Senkungen  Silben,  die  den  Wortton  nicht  haben. 
Dagegen  kann  die  erste  Senkung  des  2.  Fusses  beweisen.  Hier  fanden 
wir  oben  statt  einer  Kürze  gebraucht:  in  22  Fällen  Wortschluss  bildende 
lange  Vokale,  und  in  1  Fall  die  lange  Endung  os.  Diese  Fälle  stimmen 
zu  Hanssens  Regel.  Dagegen  lassen  sich  schon  die  kurz  gebrauchten 
Wörtchen  quo,  non,  de,  quae,  a  schwer  nach  derselben  Regel  erklären: 
entschieden  widersprechen  ihr  die  Wörter  filius,  milia,  cogitant,  nomine, 
finitimae,  von  denen  freilich  Hanssen  die  meisten  durch  Annahme  von 
filjus,  milja,  nomne  wegerklärt.  So  wenig  man  aus  dem  Umstände,  dass 
von  den  als  kurz  gebrauchten  langen  Endsilben  22  mit  einem  Vokal  und 
nur  1  mit  einem  Consonanten  schliesst,  die  Regel  folgern  dürfte,  dass 
nur  die  mit  offenem  Vokal  schliessenden  langen  Endsilben  kurz  gebraucht 
werden  durften  (vgl.  den  5.  Fuss).  ebenso  wenig,  ja  noch  viel  weniger 
darf  man  daraus  dass  von  diesen  als  kurz  gebrauchten  langen  Silben 
etwa  23  den  Wortton  nicht  haben  und  mindestens  8  ihn  haben,  die 
Folgerung  Hanssens  ziehen,  die  langen  Silben,  die  der  Wortaccent  nicht 
trifft,  gelten  dem  Commodian  alle  oder  doch  wenigstens  zum  Theil 
als  kurz. 

Die  dargelegten  Thatsachen  erklären  sich  vielmehr  auf  eine  andere 
Weise.  Die  Bildung  des  Schlusses  war  Commodian  die  Hauptsache.  Die 
letzte  Silbe  der  beiden  Halbzeilen,  in  welche  er  sich  die  Langzeile  des 
Hexameters  zerlegt,  ist  von  ihm  als  Zeilenschluss  behandelt  und  frei 
gegeben.  Dagegen  ist  ihm  die  Bildung  der  vorletzten  Silbe  die  Haupt- 
sache. Diese  ist  so  gut  wie  immer  quantitirend  richtig  gebildet.  Was 
dieser  vorletzten  Silbe  unmittelbar  vorangeht,  wird  verschieden  behandelt. 
In  den  ersten  Halbzeilen,  deren  vorletzte  Silbe  lang  ist  also  die  ganze 
Senkung  des  2.  Fusses  repräsentirt,  wird  im  Vorangehenden  gar  keine 
Rücksicht  auf  Quantität  mehr  genommen.  In  jenen  ersten  Halbzeilen 
aber,  deren  vorletzte  Silbe  kurz  ist,  also  nur  die  2.  Senkung  des  2.  Fusses 
repräsentirt,  wird  die  dazu  gehörige  erste  Senkung,  also  die  drittletzte 
Silbe,  und  in  den  zweiten  Halbzeilen  werden  die  Senkungen  des  5.  Fusses, 
also    die  dritt-    und  viertlezte    Silbe    nur    noch    mit    der    halben  Strenge 


297 

behandelt,  wie  die  vorletzte  Silbe.  Für  diesen  halbstrengen  Bau  hat  sich 
Commodian  die  merkwürdige  Regel  erfunden,  dass  die  positionslangen 
Silben  nicht  statt  der  kurzen  stehen  dürfen,  wohl  aber  die  von  Natur, 
d.  h.  durch  den  Vokal  oder  Diphthong  langen.  Diese  merkwürdige 
Regel,  die  wir  schon  oben  (S.  278)  in  späteren  Gedichten  fanden,  erinnert 
an  jene  nur  für  das  Auge  berechnete  Prosodie  der  Byzantiner,  wornach 
alle  Silben  mit  a  i  v  lang  oder  kurz,  und  allein  f  und  o  oder  rj  und  to 
nur  kurz  oder  nur  lang  gebraucht  wurden.  Im  Lateinischen  hätte  diese 
Scheinprosodie  in  jenen  Zeiten  einen  Sinn  gehabt,  wo  die  Diphthonge  ae 
und  oe  nur  als  e  geschrieben  wurden;  bei  Commodian  aber  muss  sie  einen 
andern  Grund  gehabt  haben. 

Dieser  Regel,  wornach  die  Quantität  der  Silbe  desto  weniger  be- 
rücksichtigt wird,  je  mehr  die  Silbe  vom  Schluss  entfernt  ist,  ent- 
spricht es,  dass  in  den  Silben,  welche  den  besprochenen  vorangehen, 
dieselbe  fast  gänzlich  missachtet  wird.  Hanssen  meint,  in  den  ersten 
Halbzeilen  mit  vorletzter  Länge  sei  in  allen  der  vorletzten,  und  in  den 
ersten  Halbzeilen  mit  vorletzter  Kürze  sei  in  allen  der  drittletzten  Silbe 
vorangehenden  Silben,  also  in  den  Silben,  welche  den  1.  Fuss  und  die 
2.  Hebimg  des  Hexameters  repräsentiren.  die  Quantität  gänzlich  miss- 
achtet, ebenso  in  den  Silben,  welche  der  viertletzten  Silbe  der  2.  Halb- 
zeile vorangehen,  also  die  Senkung  des  3.  Fusses,  den  4.  Fuss  und  die 
5.  Hebung  repräsentiren.  Das  ist  irrig.  Betrachten  wir  zunächst  die 
fünfte  Hebung.  Dem  obigen  Gesetze,  wornach  in  den  Senkungen  des 
5.  Fusses  die  Prosodie  noch  halb  beobachtet  wurde,  entspricht  es,  dass 
auch  in  der  5.  Hebung  die  Länge  des  Hexameters  einiger massen  fest- 
gehalten wurde.  Unter  den  1020  Versen  finden  sich  nur  45,  deren 
5.  Hebung  durch  eine  Kürze  gebildet  ist  (7  Mal  Formen  von  deus,  5  Mal 
von  süus  und  meus.  dann  ödium.  hümilis.  datus.  düce.  tüba.  crüce.  mari. 
ibi.  üti.  ab.  lües.  genui.  gemere.  pätitur.  praepösuit.  Oceani.  sacrificia. 
miseria.  paenituit.  vituperatur.  prolöquia.  proflüvio  proficiet).  Dann  hat 
Commodian  auch  im  Anfange  der  beiden  Halbzeilen  offenbar  die  Quantität 
des  Hexameters  in  einigen  Fällen  nachzubilden  gesucht.  Die  erste  Halb- 
zeile beginnt  auffallend  oft  mit  einem  einsilbigen  Wort;  dann  herrscht 
keine  Regel.  Doch  etwa  400  Verse  beginnen  mit  mehrsilbigen  Wörtern; 
von  diesen  haben  aber  nur  27  die  1.  Silbe  kurz,  wie  Bonum.  Venite. 
Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  II.  Abth.  89 


298 

Aperiunt.  Das  kann  nicht  Zufall,  sondern  nur  Nachbildung  des  quanti- 
tirenden  Hexameters  sein. 

Noch  merkwürdigere  Gesetze  herrschen  im  Anfang  der  zweiten  Halb- 
zeile. Wenn  dieselbe  aus  9  Silben  besteht,  was  in  weitaus  den  meisten 
Versen  der  Fall  ist,  so  entspricht  sie  dem  schwankenden  metrischen  Vor- 
bild -  ~  ^ — ,  —  -  -  —  w  oder  — •-  «  o,  —  o  o  '-  w.  Diesem  schwankenden 
Vorbild  gegenüber  scheint  Commodian  jede  Rücksicht  auf  Quantität  auf- 
gegeben zu  haben.  Dagegen  die  2.  Halbzeilen  zu  8  und  zu  10  Silben 
können  nur  ein  festes  metrisches  Vorbild  haben.  Commodians  Carmen 
Apologeticum  hat  im  Ganzen  etwa  160  zweite  Halbzeilen  zu  8  und  etwa 
140    zu  10  Silben.     Nun    haben    von  jenen    160    achtsilbigen  Halbzeilen 

144  die  zweite  Silbe  lang,  von  diesen  140  zehnsilbigen  125  die  zweite 
Silbe  kurz.  Das  kann  kein  Zufall  sein,  sondern  fordert  zu  genauerer 
Prüfung  heraus.  Von  den  achtsilbigen  Halbzeilen,  deren  quantitirendes 
Vorbild  ist  — : — ,  —  ^  ^  —  _^>  beginnen  bei  Commodian  etwa  92  mit  drei 
Längen,  wie  mollescunt  sero  gehenna.  aut  quorum  sanguine  vivant.  ferrum 
non  püstula  surget.  qui  non  vult  dicto  parere,  21  mit  einer  Kürze  und 
2  Längen,  wie  honores  addidit  altos.  probetur  quis  deo  dignus.  ut  UU 
credere  possint,  26  mit  zwei  Längen  und  einer  Kürze,  wie  saevire  victus 
a  summo  est.  sed  tota  terra  gemebat.  tunc  sie  et  ipsa  maiestas.  tales 
docere  deberent.  Nur  sehr  wenige  und  fast  lauter  unsichere  beginnen 
mit  ^  — ^:  66  recolligit  se  (sese  edd.)  sub  antro.  357  cum  esset  invidus 
liostis.  561  Extendit  palmas;  |  at  (et  oder  ast  edd.)  ille  tangere  coepit. 
879  statuta  (statutaque?)  tempora  complet.  907  Cumque  (quo  oder  hoc?) 
redeuntes  |  in  urbe  (urbem?)  mente  mutata. 

Diesen  144  achtsilbigen  Halbzeilen,  in  denen  die  2.  Silbe  lang  ist, 
stehen  etwa  16  sichere  gegenüber,  deren  2.  Silbe  kurz  ist:  92  magnum  et. 
193   legem  in.    274    lignum  in.    716    illum  ex.    987  (quondam    advenit). 

145  tunc  erit.  196  depretiatur  (?).  435  unä  (his  una  edd.)  qui.  532  cre- 
dimus  dicto  (ex  dicto  edd.).  567  multä  quae.  594  vox  adornata.  697  sur- 
gere.  774  deus  in  terris.  858  sed  magis  intra.  911  eius  adpareat. 
920  victor  in. 

Stellen  wir  den  zweiten  Halbzeilen  zu  8  Silben  sogleich  die  zehn- 
silbigen gegenüber,  deren  quantitirendes  Vorbild  ist  u  ^  —  v  v. ,  —  ^  ^  - '  «.> , 
so  haben  von  140  Zeilen  der  Art  125  die  2.,  der  2.  Senkung  des  3.  Fusses 


299 

entsprechende,  Silbe  kurz.  Aber  auch  für  die  Silben,  welche  dieser  voran- 
gehen und  folgen,  zeigt  sich  eine  Regel.  Von  den  125  Halbzeilen  haben 
84  die  beiden  ersten  Silben  kurz  und  die  3.  lang  (^  u  — ),  wie  in  cupidi 
tota  mente  devoti.  fuerat  qui  praedictus  ab  illis.  quod  aves  sua  tempora 
norunt;  in  31  steht  statt  der  1.  Kürze  eine  Länge  (— w -4-),  wie  in  unus 
audit  et  excutit  alter,  viverent  donec  ipse  veniret.  sie  erat  modo  credere 
fas  est.  tunc  erit  nee  oblatio  Christo.  Dagegen  sind  die  Fälle,  in  denen 
statt  der  4.  Hebung  eine  Kürze  steht,  wenige  und  nur  zum  Theil  sichere; 
zuerst  («,  u  w):  2  tulerit  ab  errore  nefando.  152  diabuli  detergeret 
omnes  =  zabuli).  607  copria  iudicatur  ab  ipsis.  834  quoniam  illi  cre- 
dere nolunt;  zweitens  (,>!):  40  fortia  Pharaone  deeepto.  107  unica 
(unici?)  super  angelos  omnes.  (327  suavia  dei  summi  praeeepta:  suaviter 
cod.  richtig).  425  tangere  librum  Deuteronomum.  427  omnia  supra  dieta 
rebelles.  801   septima  persecutio  nostra. 

Diesen  125  Fällen  stehen  15  gegenüber,  in  denen  die  2.  Silbe  lang 
ist  und  zwar  1)  (^  — -*):  395  nee  intellegant.  415  meis  dixit.  927  pro- 
phetae.     2)  (  -  ):   370  et  praeter  te.    454  ignorantibus.    484  a  nobis. 

495  dueti  sunt.  535  pleni  iam  desperato.  (940  non  est  sed  neque). 
438  blasphematur.  900  Chaldaei  Babyloni.  3)  (w  —  l):  341  propheta 
qui.  369  tu  es  deus.  904  tres  Caesares;  4)  (-  i):  invisibilem  esse 
videndum. 

Demnach  hat  Commodian  die  zweiten  Halbzeilen  zu  8  Silben  so  ge- 
bildet, dass  die  2.  der  4.  Hebung  entsprechende,  Silbe  in  der  Regel  eine 
lange  war,  und  auch  die  1.  und  3.  Silbe,  welche  der  3.  und  4.  Senkung 
entsprechen,  meistens  lang  waren;  dagegen  die  2.  Halbzeilen  zu  10  Silben 
so,  dass  die  2.  und  3.  Silbe,  welche  der  2.  Kürze  des  3.  und  der  Hebung 
des  4.  Fusses  entsprechen,  in  der  Regel  durch  eine  Kürze  und  eine  Länge 
gebildet  wurden  und  auch  die  erste  der  1.  Senkung  des  3.  Fusses  ent- 
sprechende Silbe,  wenigstens  meistens  durch  eine  Kürze  gefüllt  wurde. 
Allein  diese  Regeln  sind  nicht  mit  der  Strenge  festgehalten,  wie  die 
andern,  dass  die  6.  Hebung  eine  lange  Silbe  sein  soll. 

Zudem    betragen    die    zweiten    Halbzeilen   zu    8    und    10  Silben,    in 

deren  Anfang  die  Quantität  einigermassen  beachtet  ist,  nur  300.     In  den 

über  700  zweiten  Halbzeilen  zu  9  Silben  vermochte  ich  in  den  4  ersten 

Silben  keine  Rücksicht  auf  die  Quantität  zu  erkennen;    so  wechseln  alle 

39* 


300 

Möglichkeiten,  z.  B.  vel  qualiter  singula  fecit.  prospicit  w&ique  de  coelo. 
hortor  ab  errore  recedant.  faciet  ut  muta  loquantur.  herbas  incaniimdo 
malignas.    conculcantur  neque  coluntur. 

In  der  ersten  Halbzeile  ist,  wie  oben  (S.  297)  bemerkt,  wenn  ein 
mehrsilbiges  Wort  den  Zeilenanfang  bildet,  die  1.  Hebung  meistens  durch 
eine  Länge  nachgebildet;  sonst  ist  auch  hier  vor  dem  Schlüsse  die 
Quantität  der  Silben  völlig  frei,  wie  in  Ipse  redit  iterum.  Sed  olera 
tantum.     Agricola    doctus.     Cui    summus    divitias.     Turbantur   caelicolae. 

Beobachtung  der  Wortaeeente  bei  Commodian. 

Commodian  hat  die  Quantität  der  Silben  an  einigen  Stellen  des 
Hexameters  streng,  an  andern  halb  nachgebildet,  etwa  an  ebenso  vielen 
aber  gar  nicht  beachtet.  Vielleicht  hat  er  das.  was  hier  fehlt,  auf  andere 
Weise  ersetzt.  Man  nennt  meistens  die  Hexameter  des  Commodian  ryth- 
mische  und  versteht  darunter  nach  dem  Wortaccent  gebaute.  Hanssen 
gibt  als  Resultat  seiner  Studien  (S.  23):  Magni  est  momenti  apud 
Commodianum  accentus  grammaticus,  quamquam  certis  legibus 
non  tenetur  nisi  quibusdam  in  sedibus;  ubi  vero  tenetur,  haud  quaquam 
semper  congruit  cum  ictu  metrico,  ita  ut  appareat  neque  accentus  gram- 
matici  rationem  successisse  in  locum  rationis  syllabarum  quantitatis,  ne- 
que in  accentus  gramuiatici  reverentia  sola  versum  positum  esse.  Sehen 
wir  zu! 

In  der  ersten  Halbzeile  sind  die  Versaccente  in  keiner  Weise  durch 
die  Wortaeeente  nachgeahmt;  ja,  da  diese  Halbzeile  fast  ausnahmslos 
durch  ein  mehrsilbiges,  also  auf  der  vorletzten  oder  drittletzten  Silbe 
vom  Wortaccent  getroffenes,  Wort  geschlossen  wird,  diese  Silben  aber 
stets  der  Senkung  des  zweiten  Fusses  entsprechen,  so  stehen  im  Schlüsse 
der  1.  Halbzeile  Vers-  und  Wortaccent  stets  in  scharfem  Gegensatz,  also 
Quis  poterit  unüm.  Plus  eram  quam  päleä.  Aber  auch  abgesehen  von 
einer  Nachahmung  der  Hexameterfüsse  lässt  sich  in  der  1.  Halbzeile 
nicht  irgend  eine  regelmässige  Setzung  der  Wortaeeente  nachweisen,  wie 
wir  sie  z.  B.  in  den  Räthseln  (vgl.  S.  279)  gefunden  haben. 

Gibt  vielleicht  die  zweite  Halbzeile  eine  accentuirte  Nachahmung  der 
Hexameterfüsse?     Hanssen    meint   'Accentus   grammaticus  in  quarto    pede 


301 

congruit  cum  ictu  metrico  in  eis  versibus,  qui  inciduntur  caesura  bucolica* 
z.  B.  quod  imminet  ante  videte  oder  traduntur  vivi  gehennae.  Diese  Regel 
ist  zum  einen  Theil  nutzlos,  zum  andern  Theil  falsch.  Denn  da  jedes 
lateinische  Wort  auf  der  vorletzten  oder  drittletzten  Silbe  betont  ist, 
so  muss,  wenn  vor  der  5.  Hebung  Wortende  eintritt,  ein  vorausgehendes 
mehrsilbiges  Wort  selbstverständlich  trochäischen  oder  daktylischen  Schluss 
haben;  z.  B.  criminösis  denique  Marsus.  nee  sufficit  vox  mea  tantum. 
aut  quorum  sanguine  vivant.  So  weit  sind  diese  Thatsachen  keine  Regel, 
sondern  nur  Notwendigkeit.  Falsch  aber  ist  die  Regel,  wenn  vor  der 
bukolischen  Caesur  ein  einsilbiges  Wort  steht  oder  zehnsilbige  Halbzeilen 
der  Art  sich  finden:  spätums  spe  captus  inani.  ferrüm  non  pustula  surget. 
dominus  vitae  nostrae  repertor.  tangere  librum  Deuteronomi  (so  betont 
Hanssen).  Ebenso  wenig  ist  eine  andere  Regel  für  die  Wortaccente  zu 
erkennen  für  jene  Fälle,  wo  vor  der  5.  Senkung  kein  Wortende  eintritt. 
In  all  den  Theilen  also,  welche  dem  5.  Fusse  vorangehen,  hat  Commodian 
sich  um  den  Wortaccent  durchaus  nichts  gekümmert. 

Anders  steht  es  im  fünften  und  sechsten  Fusse.  Hier  hat,  wie  oben 
(S.  290)  bemerkt,  Commodian  die  Schulregeln1),  welche  seit  Virgil  und 
Ovid  für  den  Bau  des  Hexameters  galten,  sorgfältig  beobachtet:  die 
5.  Hebung  wird  nicht  durch  Wortschluss,  sondern  höchstens  durch  ein- 
silbige Wörter  gebildet,  und  die  6.  Senkung  darf  nicht  durch  ein  ein- 
zelnes einsilbiges  Wort  gefüllt  sein.  Die  Folge  dieser  Regeln  ist,  dass 
in  dem  5.  und  6.  Fuss  stets  die  Wortaccente  mit  den  Versaccenten  zu- 
sammenfallen, abgesehen  von  den  nicht  seltenen  Schlüssen,  wie  ö  dea 
certe.  aüt  ubi  flavo,  wo  der  Wortaccent  in  den  Senkungen  verloren  geht, 
Schlüsse,  deren  sich  bei  Commodian  22  finden,  wie  vox  mea  tantum. 
quis  deo  dignus.  et  pedes  ipsi.  päx  vobis  inquit.  Bei  Virgil,  Ovid  und 
ihren  Nachfolgern  war  die  Wirkung  jener  Regel  über  die  Bildung  der 
5.  Hebung  und  der  6.  Senkung,  in  Folge  deren  im  5.  und  6.  Fusse  die 
Versaccente  stets  mit  den  Wortaccenten  zusammenfielen,  nicht  beab- 
sichtigt, sondern  zufällig.    Allein  wie  nach  der  Bemerkung  von  0.  Crusius 


1 1  Wie  diese  Regeln  über  den  Hexameterschiusa  bei  den  Lateinern  entstanden  sind,  ver- 
suchte ich  zu  entwickeln  in  den  Untersuchungen  zur  Geschichte  des  alexandrinischen  und  lateini- 
schen Hexameters. 


302 

Babrius  darauf  achtete,  dass  die  lateinischen  Choliamben  stets  den  Wort- 
accent  auf  der  vorletzten  Silbe  hatten  und  darnach  auch  in  seinen 
griechischen  Choliamben  nur  solche  Wörter  in  den  Schluss  stellte,  deren 
vorletzte  Silben  den  Wortaccent  hatten,  so  hat  auch  Commodian  stets 
in  die  5.  Hebung  eine  Silbe  gerückt,  welche  den  Wortaccent  hatte. 
Wenn  also  auch  die  für  die  Senkungen  des  5.  Fusses  geltende  halbe 
Quantität  Schlüsse,  wie  maturis  aevo.  humanae  gentes,  gestattet  hätte, 
so  hat  er  sie  vermieden,  weil  hiedurch  in  die  5.  Hebung  eine  Silbe  ohne 
Wortaccent  gerückt  worden  wäre  und  nur  in  37  praebere  laudes  und 
602  aügere  quaerunt  scheint  er  sich  solche  Ausnahmen  erlaubt  zu  haben. 
Demnach  findet  sich  bei  Commodian  nur  die  eine  Rücksicht  auf  den 
Wortaccent,  dass  er,  wie  die  quantitirenden  Dichter,  in  die  5.  Hebung 
stets  eine  Silbe  rückte,  welche  den  Wortaccent  hatte,  während  es  ihm 
nahe  lag,  das  nicht  zu  thun.  Dies  ist  der  einzige  Fall,  von  dem  man 
sagen  darf,  dass  Commodian  sich  um  den  Wortaccent  mehr  gekümmert 
habe  als  Virgil  oder  Ovid.  Aber  desswegen  dürfen  seine  Zeilen  nicht 
rythmische  genannt  werden,  wenn  dies  den  Sinn  haben  soll,  dass  in 
ihnen  die  Wortaccente  nach  bestimmten  Regeln  gesetzt  seien. 

In  Betreff  der  Aussprache  denkt  Hanssen,  wie  wahrscheinlich  die 
Meisten,  nur  an  die  6  Füsse  des  Hexameters;  darnach  betont  er  nicht 
nur  die  Verse  der  Exhortatio  poenitendi  (oben  S.  282),  sondern  auch  die 
Commodians.     Also 

Sed  perseverantiä  j  tartari  tormenta  formida. 

Jüdicem  futurum  j  time  perdentem  iniquos. 

Qui  paenituisse  |  mala  perpeträta  probäntur. 

Jäm  paene  medietäs  |  annorüm  sex  milibus  ibat. 

Non  natus  ante  patrem      moritür  ibi  neque  dolores 

Uno  volö  titulo  j  tangere  librum  Deüteronömum. 
Diese  geschmacklose  Betonung  darf  man  wieder  unsern  Theoretikern 
überlassen;  der  Dichter  der  Exhortatio  hat  nicht  daran  gedacht,  da  er 
sich  überhaupt  nicht  um  Quantität,  sondern  nur  um  Wortaccente  küm- 
merte, also  auch  nur  nach  diesen  seine  Zeilen  gesprochen  haben  wollte. 
Commodian  hat  sich  allerdings  nicht  um  den  Wortaccent  gekümmert, 
doch  auch  nur  wenig  um  Quantität.  Er  hat  sich  die  Langzeile  in  2  Kurz- 
zeilen zerlegt,  wobei  die  wichtige  3.  Hebung  zu  einer  gleichgiltigen  End- 


303 

silbe  wird;  diese  Kurzzeilen  sind  nur  gegen  den  Schluss  quantitirend  ge- 
baut; die  vorangehenden  Silben  sind  mit  wenig  Ausnahmen  nur  gezählt. 
Spondeen  oder  Daktylen  sind  keine  von  Commodian  gebaut;  was  be- 
rechtigt also,  solche  zu  sprechen  ? *)  Die  Silben  können  aber  auch  nicht 
in  gleichem  Ton  gesprochen  werden;  es  bleibt  also  nur  übrig,  dass  man 
sie  so  spricht  wie  gewöhnlich,  d.  h.  mit  dem  gewöhnlichen  Wortaccent. 
Dann  ist  allerdings  das,  was  von  Quantität  sich  noch  findet,  fast  nur 
todter  Zierrat;  allein  solche  Erscheinungen  sind  besonders  in  Uebergangs- 
Zeiten  nicht  selten.  Läuft  ja  auch  in  der  feinen  arabischen  Poesie  und 
nach  W.  Christ's  Wahrnehmung  in  den  Kanones  des  Johannes  Damascenus 
accentuirender  und  quantitirender  Bau  der  Zeilen  neben  einander.  In 
diesem  Sinne  kann  man  mit  Recht  die  Verse  Commodians  rythmische 
nennen:  sie  sind  nicht  nach  dem  Wortaccent  gebaut,  aber  sie  wurden 
nach  dem  Wortaccent  und  nicht  nach  dem  Versaccent  gesprochen. 

Akrosticha,  Reim-  und  Versgruppen  bei  Commodian. 

In  einem  jeden  Gedichte  der  Instructiones  ohne  Ausnahme  bilden 
die  Anfangsbuchstaben  der  Zeilen  Wörter  oder  Sätze,  welche  sich  auf 
den  Inhalt  des  Gedichtes  beziehen;  das  letzte  gibt  so  den  Namen  des 
Dichters  wieder.  Mit  diesen  Akrosticha  steht  in  engem  Zusammenhang, 
dass  in  zwei  Gedichten  jede  Zeile  auf  ein  und  denselben  Vokal  endet 
(Instr.  II,  8.  39).  Diese  Art  des  Reimes  findet  sich  ebenso  im  Psalm  des 
Augustin.     Gegenüber  dem  streng  durchgeführten  Gesetze  der  Akrosticha 


1)  Auch  im  Rhein.  Mus.  38  (1883)  p.  223  hält  Hanwrw  an  der  Betonung  fest  'vincTte 
mälignüm  ||  püdlcäe  |  femTnae  Christi*  oder  'In  dandö  dlvVtias  ||  vesträs  |  östendYte  cünctäs'  und 
stellt  die  Kegel  auf  'Vor  weiblichen  Caesuren  und  weiblichem  Versschluss  wird  Uebereinstimmung 
von  Accent  und  Versictus  gesucht,  vor  männlicheu  Caesuren  [und  männlichem  Versschluss]  ist 
Widerstreit  von  Accent  und  Versictus  Gesetz".  Dies  Gesetz  ist  allerdings  annmstoflslich.  Denn  da 
—  abgesehen  von  einsilbigen  Wörtern,  von  denen  natürlich  auch  Hanssen  absehen  muss  —  kein 
Wort  der  lateinischen  Sprache  mit  einer  betonten  Silbe  endigt,  so  kann  Hanssen  sein  Gesetz  auf 
die  gesammte  quantitirende  Poesie  der  Lateiner,  aber  ebensogut  auf  die  gesammte  Prosa  aus- 
dehnen. Da  kein  Wort  Oxytonon  ist,  so  wird  in  jedem  Worte,  das  den  Quantitätsictus  auf  der 
letzten  Silbe  hat,  Widerstreit,  in  jedem  Worte,  das  den  Quantitätsictus  auf  der  vorletzten  Silbe 
hat,  Uebereinstimmung  des  Wortaccents  und  des  Quantitätsictus  sich  finden.  Diese  Betonungs- 
verhältnisse der  lateinischen  Wörter  sind  also  pure  Naturnotwendigkeit  und  keine  mit  Bewusst- 
sein  geschaffene  Regel  dieses  oder  jenes  Dichters. 


304 

in  den  Instructiones  war  mir  die  Ungebundenheit  des  Carmen  Apolo- 
geticum  auffallend.  Endlich  fand  ich  das  Gesetz,  welches  Commodian 
hier  beobachtet  hat.  Es  ist  das  Paargesetz,  das  ich  dann  auch  in 
den  Räthseln  und  der  Exhortatio  durchgeführt  fand  (vgl.  S.  281  u.  282). 
Stets  sind  2  Langzeilen  durch  den  Sinn  zu  einem  zusammengehörigen 
Paar  verbunden,  nach  welchem  also  eine  stärkere  Pause  eintritt.  Dieser 
Parallelismus  ist  dem  ähnlich,  den  man  früher  in  den  Psalmen  annahm: 
Die  beiden  Zeilen  können  einen  Satz,  sie  können  zwei  verschiedene  Sätze 
bilden,  aber  immer  hängen  sie  enger  unter  sich,  als  mit  den  anstossenden 
Paaren  zusammen. 

Für  die  Richtigkeit  meiner  Beobachtung  hatte  ich  einen  auffälligen 
Beweis.  Ich  hatte  6  Stellen  des  Carmen  apol.  notirt,  wo  mir  ein  Vers 
fehlte  (nach  275.  387.  415.  561.  611.  645).  Als  ich  dann  Dombart  um 
Einsicht  in  die  neue  Collation  der  Handschrift  bat,  siehe,  da  hatte  Pitra 
an  4  Stellen  je  einen  Vers  ausgelassen  (nach  274.  279.  387.  611)  und 
an  einer  5.  einen  Vers  (412  steht  nach  563)  um  volle  150  Verse  ver- 
stellt.1) An  der  6.  Stelle  wird  Niemand  zweifeln.  Denn  wenn  es  bei 
der  Schilderung  der  Wunder  Christi  heisst: 

641  Mutum  loqui  fecit  |  et  surdum  audire  praesertim 
et  caecum  ex  utero      natura,  ut  videret  in  auras. 
Post  XXXVIII  annis  |  paralyticum  surgere  iussit, 
quem  admirarentur  |  grabatum  in  collo  ferentem. 
645  Cuius  vestimento  j  tacto  profluvio  sanata  est. 

Quinque  panes  fregit  |  horainum  in  milia  quinque 
et  quatuor  milia  |  iterum  de  Septem  refecit. 
so  ist  sicher    vor  645    ein  Vers  ausgefallen.     Verstösse   gegen   das  Paar- 
gesetz, wie  in   563 

561   Extendit  palmas;  |  at  ille  tangere  coepit 

et  manum  in  latere,  |  fuerat  quod  lancea  fixum, 
Misit  et  exinde  j  prostravit  sese  precando: 
tu  deus  et  dominus  |  vere  meus.  contra  quem  ille: 
Haec  quia  vidisti,  |  credidisti;  sed  illi  felices 
posteri  qui  credunt  I  audito  nomine  tantum. 


1)   Vgl.  jetzt  Dombart  in  Wiener  Stzber.  1884  S.  793.     Also  haben  die  Abschreiber  vom  3.  bis 
9.  Jahrhundert  1  Vera  ausgelassen,  der  des  19.  Jahrhunderts  4. 


305 

sind  mir  sonst  nicht  vorgekommen.  Dagegen  ist  dieses  Gesetz  ein  ebenso 
wichtiges  als  erwünschtes  Hilfsmittel  zum  Verständniss  dieses  schwierigen 
Dichters.  Es  zeigt  ohne  Weiteres,  dass  die  Umstellung  des  Verses  115 
Ubi  facies  aut  etc.  nach  118  falsch  ist;  ebenso  die  Umstellung  von  490 
morte.  Movebant  und  491  suspensa  dicentes;  ebenso  die  Flickversuche 
in  537  —  540: 

Si  nobis  obsistunt,      patet  et  resistere  istos 
Summo,  qui  voluit      nobis  bonus  esse.     Nee  illud 
Respiciunt  servi      cervicosi  setis  erectis 
Qui  semper  innoeuos      cruciarunt,  lege  vetati, 
wo    vielmehr    eine    Lücke    anzunehmen    und    mit    der    Handschrift    zu 
schreiben  ist: 

Si  nobis  obsistunt,  |  putant  et  resistere  summo, 
qui  voluit  nobis      bonus  esse  *  *  ? 
Nee  illud  respiciunt  !  cervicosi  setis  erectis 
quod  semper  innoeuos      cruciarunt  lege  vitata. 
(rectis,  quid,  innouos  codex). 
An  vielen  Stellen    ist    der    richtige  Sinn    nach    diesem  Gesetz  durch 
andere  Interpunktion  zu  gewinnen.     So  V.  215  —  218: 

Ad  quos  emundandos      saepe  deus  misit  alumnos, 
ut  illos  corrigerent  j  depravatos  denuo  summo. 
Excipere  nnmquam      voludnmt  dieta  divina, 
sed  voluntate  sua  ',  servierunt  semper  inepti, 
wo  die  Ausgaben 'depravatos.  Denuo  Sumini  excipere'  verbinden.  Dann  426 
Uno  volo  titulo      tangere  librum  Deuteronomum : 
in  caput  eritis,  |  gentes;  nam  increduli  retro. 
Si  respuunt  certe  |  omnia  supra  dieta  rebelles, 
scite,  quid  opponunt,   |  cum  res  tarn  aperte  dicatur. 
Hain    increduli    retro    respiciunt.    Certe'    haben    die    Ausgaben.      Ebenso 
scheinen,    um  nur  einige    der    schwierigsten  Fälle  zu  berühren,    folgende 
Stellen  behandelt  werden  zu  müssen:  V.  523  u.  524 
Infatuant  stultos      magis  evanescere  dictis, 
quod  crueifixus  [erat],  j  cum  sie  oporteret  eundem. 
infatuan  und  maius  cod.,  erat  fehlt.     Dann  V.  615  —  618 

Abh.  d.  I.  Gl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  IL  Abth.  40 


306 

Hie  crudele  nefas  |  imperat  de  unico  nato, 
ut  probaret  "Abraham,      cui  dixit  cparceJ  e  caelo. 
Angelus  et  deus  est      hominem  totidemque  se  fecit 
et,  quiequid  voluerit,      faciet  ut  muta  loquantur. 
Dann  V.   716 — 719  vom  entarteten  Sohn 

Nee  facit  heredem  |  illum  ex  asse  suorum, 
quem  (quae?),  si  prius  poterit  |  consumere,  gaudet  in  illo. 
Irapium  et  saevum      sobolem  reisve  tyrannum 
nee  obvium  patitur  |  genitor,  commotus  ab  illo. 
717    in    illum    codex.      719    nee   =   ne    obvium    quidem.      Dann   V.  751 
und  752  von  den  Kindern  der  Welt: 

Dicentes  adiciunt  |  'Nihil  est  post  funera  nostra; 
dum  vivimus,  hoc  est',  |  et  ineumbunt  more  suillo. 
Dann  836  und  837 

De  quibus  quam  multi  |  quoniam  illi  credere  nolunt, 
supplicat  iratus      altissimum,  ne  pluat  inde. 
inde   =   exinde  V.  885. 

Dieses  Paargesetz  ist  von  Commodian  auch  in  einigen  längeren  Ge- 
dichten der  Instructions  neben  den  Akrosticha  beobachtet. 


Die  Dichtungsformen  Commodians  haben  also  im  wesentlichen  fol- 
gende Eigentümlichkeiten :  Die  Langzeilen  der  quantitirenden  Poesie 
sind,  der  in  späten  Zeiten  streng  beachteten  Caesur  entsprechend,  in 
Kurzzeilen  zerlegt.  Die  sich  entsprechenden  Zeilen  sind  in  der  Weise 
gleich  gebildet,  dass  die  Zeilenschlüsse  die  bestimmte  gleiche  Bildung 
haben,  dagegen  in  den  vorangehenden  Theilen  fast  kein  Gesetz  beob- 
achtet wird  ausser  eine  bestimmte  Silbenzahl.  Dann  bilden  bald  die 
Anfangsbuchstaben  der  Zeilen  oder  Strophen  Akrosticha  oder  gar  (Irtstr. 
II,  8.  39)  die  Endvokale  Reimketten,  bald  sind  die  Zeilen  in  regelmässige 
Strophen  gruppirt.  Diese  Hauptmerkmale  von  Commodians  Dichtungs- 
formen sind  aber  zugleich  auch  die  Hauptmerkmale  der  ältesten  ryth- 
mischen  Dichtungen  in  lateinischer  Sprache. 

Die  Frage  ist  jetzt  natürlich:  woher  hat  Commodian  diese  Dicht- 
ungsformen?   Für   die  Akrosticha    gibt  es,    wie   später   auszuführen,    vor 


307 

Commodians  Zeit  nur  wenige  lateinische  Beispiele.  Zu  Strophen  wurden 
wohl  die  Verse  gleich  zeiliger  lyrischer  Gedichte  gruppirt,  in  späterer 
Zeit  auch  nach  jedem  Distichon  regelmässig  eine  stärkere  Sinnespause 
geschaffen,  allein  in  fortlaufenden  hexametrischen  Gedichten,  wie  das 
Carmen  Apolog.  eines  ist,  ist  eine  solche  Strophenform  ohne  Beispiel. 
Die  Spuren  also,  welche  vor  Commodian  sich  finden,  sind  so  schwach, 
dass  ihnen  gegenüber  das  breite,  auffällige  Auftreten  der  commodianischen 
Dichtungsformen  unerklärlich  ist,  zumal  Commodian  nicht  etwa  mit  Vor- 
liebe und  Gelehrsamkeit  die  heidnischen  Dichter  studirte  und  nachahmte, 
sondern  sie  verachtete. 

Doch,  auch  von  den  Akrosticha  und  der  Gruppirung  in  Strophen 
abgesehen,  bleiben  die  andern  Dichtungsformen  Commodians,  deren  Ur- 
sprung aus  der  älteren  lateinischen  Dichtung  nicht  erklärt  werden  kann. 
Vom  Beim  ist  nirgends  eine  Spur;  denn  Wilh.  Grimms  Sammlungen  be- 
ruhen nur  auf  Selbsttäuschung.  Der  Zeilenbau  des  Commodian  selbst 
ist  völlig  ohne  Beispiel.  Accentuirende  lateinische  Gedichte  mit  Silben- 
zählung aus  älterer  Zeit,  die  den  Commodian  zu  diesem  halbquantitirenden 
Zeilenbau  hätten  verlocken  können,  gibt  es  keine.  Woher  also  nahm 
Commodian  auch  nur  den  Gedanken  an  solchen  Versbau,  woher  die 
Kühnheit,  denselben  zu  wagen  und  in  2000  Zeilen  durchzuführen? 


40" 


Die  Anfänge 

der  rythmischen  Dichtung  der  Griechen. 


In  der  Entwicklung  der  rythmischen  Dichtung  der  Griechen  treten 
dieselben  Stufen  hervor  wie  in  jeder  Entwicklung,  zuerst  Unklarheit  und 
Unbeholfenheit,  dann  Feinheit.  Zwischen  den  Lateinern  und  den  Griechen 
herrscht  in  dieser  Hinsicht  im  Anfang  merkwürdiger  Parallelismus. 
Commodian  und  Methodius  haben  von  den  Gesetzen  der  Quantität  nur 
einige  festgehalten,  die  meisten  preisgegeben;  daneben  zählen  sie  haupt- 
sächlich Silben.  Augustin  (im  Psalm)  und  Gregor  von  Nazianz  (in  den 
2  nachher  zu  besprechenden  Gedichten)  haben  die  Gesetze  der  Quantität 
gänzlich  aufgegeben;  ihre  rythmischen  Dichtungsformen  sind  aber  noch 
sehr  unbeholfen.  Von  Nachahmung  bestimmter  metrischer  Füsse  ist  Nichts 
bei  ihnen  zu  merken.  Allein  von  da  an  ist  die  Entwicklung  der  lateini- 
schen Rythmen  weit  verschieden  von  der  Entwicklung    der  griechischen. 

Die  lateinische  Rythmik  vom  6.  bis  11.  Jahrhundert  beschränkt  sich, 
abgesehen  von  den  Sequenzen,  fast  durchaus  auf  die  Nachahmung  klassi- 
scher Zeilenarten  und  bringt  fast  nur  gleichzeitige  Gedichte  (Nachahm- 
ungen der  jambischen  Senare,  trochäischen  Fünfzehnsilber,  jambischen 
Achtsilber  u.  s.  w.)  und  die  einfachsten  Odenformen  hervor.  Dagegen 
sind  gleich  zeilige  rythmische  Gedichte  bei  den  Griechen  vor  dem  Jahre 
1000  sehr  selten;  so  die  beiden  Gedichte  des  Kaiser  Leo  und  des  Photius, 
wohl  Nachahmungen  anakreontischer  Zeilenarten.  Nach  dem  Jahre  1000 
kamen  dann  die  sogenannten  politischen  Verse,  wohl  eine  Nachahmung* 
des  jambischen  Septenars  in  Gebrauch  und  wurden  bald  das  Alles  be- 
herrschende Versmass.  Dagegen  war  vom  6.  bis  11.  Jahrhundert  die 
dichterische   Kraft    der   Griechen    besonders   gerichtet    auf   die   Dichtung 


309 

von  Hymnen,  welche,  ihrem  Ursprung  nach  lyrisch,  oft  durch  einge- 
flochtene  Gespräche  sich  dem  Drama  oder  durch  ausführliche  Erzählung 
dem  Epos  nähern.  In  ihrer  feinen  Ausführung,  welche  gewiss  von  der 
hohen  Kunstfertigkeit  der  spätgriechischen  quantitirenden  Dichter  beein- 
flusst  war1),  leuchtet  von  neuem  der  griechische  Geist  auf. 

Der  Hymnus  des  Methodius. 

Ein  merkwürdiges  Denkmal  der  christlichen  Poesie  der  Griechen  ist 
der  Hymnus,  welchen  Methodius  Martyr  (f  311)  in  das  11.  Buch  seines 
Symposiums  eingefügt  hat.  Leider  steht  es  mit  dem  Texte  sehr  schlecht. 
Zuerst  wurde  die  Schrift  fast  gleichzeitig  herausgegeben  von  L.  Allatius 
(Rom  1656)  und  von  P.  Possinus  (Paris  1657).  Seitdem  wurden  keine 
neuen  Handschriften  benützt  weder  von  Alb.  Jahn  (Halle  1865)  noch  von 
Christ  (Anthol.  S.  33),  und  auch  ich  suchte  umsonst  nach  besseren  Hand- 
schriften. Die  einzige  pariser  (Cgr.  946)  endet  nach  einer  gütigen  Mit- 
theilung von  Delisle  schon  mit  ya^  fri  mytleinovrcu  (ed.  Paris  1657 
p.  131);  die  Handschriften  in  Rom,  von  denen  mein  Freund  De  Boor 
mir  Nachricht  gab,  sind  alle  jung  und  werthlos  (Barb.  IV,  9  saec.  XVI 
in  4°:  li ;  Barb.  IV,  45  saec.  XVI  in  4°,  wohl  aus  Vatic.  1451  ab- 
geschrieben; Vatican.  graec.  1451  saec.  XVI:  V;  Ottobon.  135.  sehr  jung: 
0;  Ottobon.  59  ist  am  Ende  unvollständig).  Eine  bessere  Grundlage  des 
Textes,  als  diese  Handschriften  und  die  darnach  gemachten  Ausgaben  sie 
bieten,  wäre  dringend  zu  wünschen. 

Dem  Hymnus  schickt  Methodius  die  Worte  voran:  Tarnet  dnovaav 
eept]  xeXevaat  naaag  äveuJTfjvcu  lijv  ^(jsttjv  rj  Ofonarya  y.al  naoag  vno  ttjv 
äyrov  cv/aytcfTTjüto)'  VflVQV  .lyt.iorruag  dvantjupai  nfi  icugltp'  tsdy/sir  d* 
xr\v  SixXav  xai  7l(KW<pr]YeTo&at  '  tog  oöv  av£oTTjpav$  rrfv  SixXav  utorjy  utv 
nnr  71OQ&EV03V  h'cpT],  ix  dt£iwv  9i  TTJS  jäQeTTJs  nräaav  XOdflUoi  ipd/ltiv,  rat: 
dt  lomag  ir  xvxfap  xa&ariGQ  tr  X°9°^  (ixVftaTl  <ivoT.aa<x$  vncotoveiv  ami]. 
Thekla  singt  also  den  Hymnus,  in  welchem  bald  Christus  (der  Bräutigam), 
bald    die    Kirche    (die    Braut)    gepriesen    wird.     Der   Gesang   besteht    aus 


1)  Vgl.  die  Bemerkungen  über  die  vermeintlichen   Vorläufer  der  rythmischen  Dichtung  der 
Griechen  in  der  Abhandlung  zur  Geschichte  des  griech.  Hexameters. 


310 

24  Strophen,  deren  Anfänge  von  den  24  Buchstaben  des  Alphabetes  ge- 
bildet werden.  Der  Bau  der  Zeilen  war  lange  Zeit  unbekannt:  Pitra 
erkannte  nur,  dass  im  Refrain  jambischer  Rythmus  herrsche;  doch  schon 
vor  ihm  hatten  G.  F.  Rettig  und  A.  Jahn  gefunden,  dass  das  Gedicht 
nach  der  Quantität  der  Silben  gemessen  und  in  Jamben  geschrieben  sei, 
zu  deren  Herstellung  sie  mit  dem  überlieferten  Texte  allerdings  sehr  ge- 
waltsam umgingen;  (vgl.  S.  126  von  Jahns  Ausgabe).  Christ  folgte  dem 
Texte  Jahns,  leider  ohne  zu  wissen,  mit  welch  gewaltsamen  Mitteln  der- 
selbe hergestellt  war.  Die  Strophen  bestehen  meistens  aus  50  Silben, 
die  sich  in  3  Langzeilen  zu  14  und  1  Kurzzeile  zu  8  Silben  gliedern. 
In  einigen  Strophen  stehen  entschieden  mehr  Silben;  so  geht  in  A  und  M 
der  ersten  Langzeile  ein  Stück  von  8  Silben,  in  H  und  N  ein  Stück  von 
unsicherer  Länge  voran. 

Schon  die  Zeilenart  von   14  Silben  =  7   Jamben    ist  sehr   auffallend 

(vgl.  Christ,  Metrik  §  410).     Ich   finde  etwas  Aehnliches   nur  bei  Gregor 

von  Nazianz  in  dem  Gedicht    eis  iavxw  (Sectio  I,  30  Caillau  II  p.  870; 

Migne  vol.   37  p.   1290).    Dieses  Gedicht  besteht  aus  113  Langzeilen,  wie 

//  nokXa  noXXä  yiyvtiai        uaxyq)  ßiw  ßyorou 

'Eyd   yäy,  ag   ulv  hdyur   ky        ^Vr/y    nbkti   nuXag 

Diese  Zeilen  Gregors  zerfallen  stets  in  8  -\-  6  Silben.  Im  Dimeter 
ist  der  Dipodie  halber  die  2.  und  4.  Senkung  rein;  vgl.  31  rb  yvcagipov 
(FctTijLio}'  10g  tö  noXXa  rvy%aveiv.  In  der  Tripodie  ist  des  Zeilenschlusses 
halber  die  3.  Senkung  stets  rein,  desswegen  aber  die  2.  gegen  das 
Dipodiengesetz  hie  und  da  lang;  vgl.  56  äyior  faftoOfUray;  58;  60.  Die 
letzte  Silbe  des  Dimeters  wie  der  Tripodie  ist  frei;  vgl.  13.  95.  103.  130. 
177.  181.  Aus  der  trefflichen  Florentiner  Handschrift  (Plut.  VII,  10;  vgl. 
meine  Noten  zu  den  beiden  Gedichten  des  Gregor),  wohl  der  besten  Hand- 
schrift von  Gregor's  Gedichten,  hat  Herr  Dr.  A  Herzog  mir  folgendes 
Scholion  zu  diesem  Gedicht  mitgetheilt  c  Tovto  tö  jutryor  adiaipogov  tOTi 
laußizbv  fjuirroi  Tvy%avov.  zbv  /ut-vzoi  nytiuTov  r.bv  gtL%ov  (tujv  ozlycor?)  oixa- 
rakr\y.Tov  £%ov  tov  dt  dsvreyov  TfjixaraXrjxroy  rj/uia/ußor.  rbv  de  relevrelov 
(so)  ovXXaßrjr  eif?  exaregotg  rolg  arlyoig  adioapoQov  ri&rjöiv,  eire  iafißog  e'he 
TiVQQiyiog.  jurjTtg  ovv  jLiovormyiav  tovto  y^aipi]-  ocpaXXerai  yay  og  tovto 
TiotTjoei'.  Das  soll  wohl  heissen:  'Dieses  Versmass  bildet  gleiche  Zeilen 
und  hat  jambischen  Tonfall.     Der  ersten  Halbzeile  fehlen  2,  der  zweiten 


311 

3  Jamben  zu  einem  richtigen  Trimeter,  so  dass  hier  ein  halber  Trimeter 
bleibt.  Die  letzte  Silbe  beider  Halbzeilen  ist  frei.  Schreiben  soll  man 
das  Gedicht  in  Langzeilen,    nicht   in  Halbzeilen.1 

Diesen  Zeilen  Gregors  sind  die  Zeilen  verwandt,  in  denen  der  Hymnus 
des  Methodius  geschrieben  ist.  Als  Beispiel  will  ich  5  Strophen  geben, 
deren  Text  ich  nach  Kräften  hergestellt  habe. 

Ynaxorj.    Ayvevu)  aoi  xal  Xaunaoag  cpaeaipoyovg  xgaiovoa 
vvpap'n  vnavravu)  aoi. 

(xqccxovo'   |   inavTÜvto  aoi  yvfifpit.'i) 
AvUJ&SV    7ia()frtV0l    ßüfjS 

syeQaivtxoog  fj/og  ?)X9-t   vv/iupitp   Xtyujv 

naaavdl  *  vnaviavtiv  Xevxalaiv  kv  aroXalg 

xal  Xa/midai  jroog  dvroXag.    tyyta&s  tiqIv  qp&dar] 

lioXtlv  uau)  &vqu)v  äva£. 

'Ynaxorj.    Ayreva)  aoi  xal  Xaiur.  etc. 

1  Boiis  om.  ed.  Allatii.  3  Xevxcüaiy  B:  Xsvxeaty  VOAll.  Poss.  4  ivxoktis  0  <p9dof) 
B:  <f&aafi  VOAll.  Poss.      Bei  Jahn  und  Christ  lautet  die  Strophe: 

üvui&fy,  nao&evoi,  ßorjg  Syfyaivixoog  y/os 
qX&ty  vvfKfiia  naaauöi  inuvxdvtiv  Xtvxalaiv  (Xfvxnlai  xt) 
xal  Xuunüai  ngog  üvxoXcis.  lyQto&F  7ioiy  (p&äafi  fioXfiy 
t'iam  ftvQüjy  avalj. 

Rqotüjv  noXvan-'raxrov  oXßov  sxipvyovaa  xal 
ßiov  r(jv(ff)r  fjdvv  t'  tQwra  aalg  vn    dyxaXaig 
^ujijipoooig  tio&uj  axtnsaftai  xal  ßXfjietv  t6  aov 
xaXXog   (JiijVf-xCg   uaxao. 
'Ayvevuj  aoi  xal  Xaiin.  etc. 

2  tqvcpriv  rjövv  x'  egtoxa  Meyer,  xpv<prjs  dSovds  egiura  VB  et  (xQtxpijs?)  0,  XQv<pr]s  epwr« 
Jahn,  T()V(pr,s  iytuxa  (jlidqöv  Christ.       2.  3.  ayy.  £otj(p.   VO. 

rduu))'  Xinovaa   ftvriTa    XtxrQa  xal  **   do/Liov 

äva%,  (ha  ai-  JioXv/fjvaoy  r)Xd-ov  daniXoig 

iv  eiuaaiv  onwg  ipfraau)  xdyuj  navoXßiuJv 

&akauujv  tiauj  avv  aoi   uoXuv. 

'Ayveviv  aoi   xal  Xaiui.  etc. 

Jahn  und  Christ  theilen  ab:  1.  rdftiay  . .  «Va£  (14  Silben),  2.  <JW  . .  ft'paotv  (16  S.),  3.  onus  .  . 
SaXdfMmv  (13  S.),  4.  t'iaui  avv  aoi  fioktlv  (avul-  add.  Christ),  tipnai  codd. 

"Yfivotg,   adxaioa  freoyvjwpe,  &aXa/ur]7ioXot 
ai  aal  ytoaioouev  ae  vvv,  dß-ixte  nay&eve, 


312 

ty.yJ.itoio.  yioyoawue  yvaroßoorotye 
adnf()0))'  äiiatiC  tQaaaia. 
'Ayvsvio  aoi  y.al  ÄaiiTi.   etc. 

1  vtorvpqx  B  Poss.       2  ml  aal  Meyer,  ml  as   YOB  All.  Pos*. 

WcUKwv   cb  xaivov  aaua  vvv  %oqog  ae  Tia^&tva))' 
y.a&ioravei  nybg  ovyarovg.   avaoau,   (piog  o).in 
sortuiiH'og  kevxolg  xoivvjv  xdkvzt  y.al  cployag 
ytoal   ot't.aacfoüotg   (ftowv. 
'Ayrevou  not   y.a.i    )muji. 

2  (püjg  ölt]  Meyer  aagxos  oXy  co<hl.  All.  Poss.,  aacpws  okog  Jahn,  (piugcpöoog  (?)  Christ 
3  cpXiyoag  0. l) 

Wie  in  diesen  Strophen,  so  finden  sich  im  ganzen  Gedichte  unbe- 
greifliche Verstösse  gegen  die  anerkannten  Gesetze  der  quantitirenden 
Dichtung.  Der  ersten  Zeile  gehen,  wie  oben  erwähnt,  öfter  kleinere 
oder  grössere  Zeilenstücke  voran;  die  Zeile  von  14  Silben  hat  sehr  oft 
nicht  die  Caesur  nach  dem  4.  Jambus.  Dreisilbige  Füsse  sind  vielleicht 
anzunehmen  in  /'  4;  VI;  V  3,  sonst  werden  die  Silben  der  Zeilen  ge- 
zählt. Hiatus  und  eine  Länge  in  der  2.  Senkung  der  Dipodie  ist  zwar 
sehr  selten,  (denn  Messungen,  wie  ßiaung.  ^cotjzoxog  sind  wohl  auf  andere 
Weise  zu  entschuldigen);  allein  die  Hauptgesetze  der  Quantität  sind  stark 
verletzt,  indem  die  Hebung  sehr  oft  nicht  nur  durch  a  v  i,  sondern 
sogar  durch  f  und  o  gebildet  wird;  so  K  2  ovQavtov  böti  nojua,  M  3 
uxtqh  ßtaiujg.  r  2  (ha  oe  no'kvyovnov  etc.  Im  Anfange  des  4.  Jahr- 
hunderts kann  ein  so  hervorragender  Schriftsteller,  wie  Methodius,  so 
schwere  Fehler  gegen  die  Regeln  der  quantitirenden  Poesie  nicht  aus 
Unwissenheit  zugelassen  haben;  er  muss  sich  derselben  bewusst  gewesen 
sein  und  muss  sie  aus  einer  bestimmten  Ursache  mit  Absicht  gesetzt 
haben.  Von  irgend  einer  Rolle,  die  der  Wortaccent  in  diesem  Gedichte 
spiele,  ist  durchaus  Nichts  zu  merken.  Ich  finde  für  die  auffallenden 
Erscheinungen  im  Verbau  des  Methodius  keine  andere  Erklärung  als  für 


1)  Ausserdem  dürfte  noch  in  folgenden  Stücken  der  Text  von  Jahn  und  Christ  zu  bessern 
sein:  d  1.  2  JdXoig  öoaxovtog  [tjX&ov]  ixtpvyovaa  (tiolovSi  Maxag,  &eXxt7]oiovg.  etXrjy  de  xcd  nvydg 
cpXoya.  K  2  tilge  y«Q  mit  All.  A  1  slafinpäjg  aov  (aov  xöv  Poss.,  ae  xöv  All.)  9-üvatov 
AßeX  ■nootxxvnöjv.  M  1  Meyiaxov  ci&'kov  ayvtiag  j  c0  xaoitQÖg  aov  nalg,  Xöye,  'Iivarj<p  ävfiXfxo'  j 
rvyi]  yuQ  avxov  elf  a&eafxa  kexxga  ßiaiwg  Ei7.xtv  cpXoyovfiBvtj;  so  All.  Poss. 


313 

die  bei  Commodian.  Das  stolze  Bewusstsein,  dass  neben  dem  einheimischen 
Prinzip  der  quantitirenden  Dichtung  die  fremdsprachlichen  Christen  ein 
ganz  anderes,  kräftiges  Dichtungsprinzip  besassen,  führte  zunächst  zur 
Geringschätzung  und  zum  theilweisen  Aufgeben  der  Gesetze  der  quanti- 
tirenden Poesie.  Die  Stücke,  welche  solche  Dichter  aus  den  Gesetzen 
der  quantitirenden  Poesie  festhielten  "oder  welche  sie  im  Hinblick  auf 
jene  andere  Dichtungsweise  sich  neu  ersannen,  waren  natürlich  bei  den 
verschiedenen  Individuen  verschieden.  So  werden  die  Formen  des  Com- 
modian wie  die  des  Methodius  begreiflich. 

Die  beiden  rythmisehen  Gedichte  des  Gregor  von  Nazianz. 

Die  nächste  Stufe  in  der  Entwicklung  der  rythmisehen  Poesie  der 
Griechen  bilden  die  beiden  Gedichte  des  Gregor  von  Nazianz  (ge- 
storben 389),  welche  gewöhnlich  Exhortatio  ad  virginem  und  Hymnus 
vespertinus  betitelt  werden;  (siehe  Anhang  No.  I).  Was  den  Gregor 
bewogen  hat,  neben  der  gewaltigen  Masse  von  Trimetern,  Hexametern, 
Pentametern  und  mehreren  jambischen  und  anakreontischen  Zeilenarten 
diese  wenigen  Verse  ohne  Beobachtung  der  Quantität  zu  dichten,  darüber 
gibt  es  weder  eine  Nachricht  noch  eine  wahrscheinliche  Vermuthung. 
Ueber  die  Formen  des  Hymnus  hat  Santen  zu  Terentianus  Mauru* 
S.  165  u.  S.  185,  über  die  beider  Gedichte  Christ  Anthologie  S.  XIII— XV 
gehandelt. 

Meine  abweichende  Auffassung  gründet  sich  auf  die  Beobachtung 
folgender  Thatsachen:  Beide  Gedichte  lassen  sich  in  Langzeilen  abtheilen, 
von  welchen  jede  auf  der  vorletzten  Silbe  betont  ist  mit  Ausnahme  von 
Exhortatio  Vers  23  oyei  Zlivü  und  34  ur)  ar^krj  nayüs  akoa:  (den  1.  Fall 
entschuldigt  der  Eigenname,  den  2.  wohl  das  Citat);  dann  Hymnus  V.  1 
Kuyt  fteov.  4  ro  (pwQ>  13  octQXOf.  (und  24  nvtvuaTi.  25  'A/litjv:  Doch 
sind  solche  Schlussformeln  stets  frei  gebildet). 

Von  den  125  Langzeilen  zählen  75  je  14,  43  je  15,  7  je  16 
Silben.  Jede  Langzeile  lässt  sich,  was  schon  die  Handschriften  an- 
deuten, in  2  Halbzeilen  zerlegen  von  je  7  oder  8,  selten  von  9  Silben; 
die  erste  Halbzeile  endet  bald  mit  einer  betonten,  bald  mit  einer  unbe- 
tonten Silbe,  die  zweite  hat,  wie  erwähnt,   fast  stets  den  Accent  auf  der 

Abh.  d.  1.  Gl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  II.  Abth.  41 


314 

vorletzten  Silbe,  so  dass  sich  folgende  Verbindungen  ergeben,  7  „  _i_  -|-  7 : 
28  X  in  Exhortatio,  6  X  im  Hymnus;  7  —  „+7:  33  X  in  Exh.,  8  X 
im  H.;  8  ~  -  +  7 :  7  X  in  Exh.,  2  X  imH.;  8^-,  -f  7:  24  X  in  Exh.. 
4  X  im  H. ;  dann  von  den  seltenern  Arten:  7  v,  —  -f-  8:  in  Exh.  Vers  16. 
55;  H.  24;  7-  w  -f  8:  in  Exh.  V.  1.  43;  H.  11;  K-  +  9:  im  H.  12; 
8--- -«  -f  8:  in  Exh.  44.  54.  73;  9 -i- « .-f-7:  in  Exh.  9;  H.  5.  7:  also 
im  Ganzen  76  Verse  zu  7 -f  7.  37  zu  8  +  7,  3  zu  9  +  7;  6  zu  7  +  8, 
3  zu  8  +  8  Silben. 

Die  Quantität  der  Silben  wird  nirgends  beachtet,  der  Accent,  wie 
erwähnt,  nur  in  der  vorletzten  Silbe  der  Langzeilen;  sonst  fallen  die 
Accente  in  allen  möglichen  Spielarten;  ja  ziemlich  oft  stossen  schwere 
Accente  aufeinander,  wie  49  ayvr\v  Trjyei.  53  av/uijQay  xourjv.  55  xalbv, 
äv&og.  80  uixyä  oxtirrj.  Hymn.  5  cpiarl  XTiOflg  und  zwischen  den  Halb- 
zeilen 40  JiQooevxal  daxyua.     74  nariiQ  aXXog,    Hymn.   17   &Xct(p()6v   wivov. 

Hiatus  ist  innerhalb  der  Halbzeilen  selten:  in  Exh.  15  xf\  elxovt. 
55  7]  aldatg.  66  o  tkpig.  (72  xal  t.KU'c»).  94  ra  ayia;  zwischen  den 
Halbzeilen  finden  sich  5  (33.  43.  61.  77.  96);  dagegen  21  zwischen  An- 
fang und  Ende  der  Langzeilen.  Im  Hymnus  findet  sich  Hiatus  innerhalb 
der  Halbzeilen,  abgesehen  von  dem  formelhaften  Schlüsse  (V.  24  u.  25) 
in  2  nvsvixa  6£  11  xal  fjptQav.  20  xoirt]  evotßeig;  keiner  zwischen  den 
Halbzeilen,  aber  3  zwischen  den  Langzeilen. 

Christ  hat  schon  hervorgehoben,  dass  nach  jeder  Langzeile  eine 
gewisse  Sinnespause  eintritt;  es  ist  hinzuzufügen,  dass  in  der  Exhortatio 
nach  jeder  2.  Langzeile  eine  starke  Sinnespause  eintritt,  ebenso  wie  im 
Carmen  apologeticum  des  Commodian;  im  Hymnus  dagegen  scheint  nach 
jeder  dritten  Langzeile  eine  starke  Pause  stattzufinden.  Auch  Cosmas 
citirt  in  seinen  Erläuterungen  zur  Exhortatio  jedesmal  ein  vollständiges 
Verspaar:    23  und  24;  33  und  34;  47   und  48;  81  und  82;   85  und  86. 

Aus  diesen  Thatsachen  ergibt  sich,  dass  die  beiden  Gedichte  in  Lang- 
zeilen von  14 — 16  Silben  geschrieben  sind,  welche  in  2  Halbzeilen  zer- 
fallen, deren  erste  aus  7  oder  8,  selten  aus  9  Silben  besteht,  während 
die  2.  meistens  7,  selten  8  Silben  zählt.  Quantität  und  Tonfall  ist  durch- 
aus frei  gegeben,  nur  muss  die  vorletzte  Silbe  der  2.  Halbzeile  betont 
sein.  Fragen  wir,  ob  hier  eine  Zeilenart  der  quantitirenden  Dichtung 
nachgeahmt  ist,  so  könnte  nur  der  Hexameter  in  Betracht  kommen;  der 


315 

wechselnde  Schluss  der  1.  Halbzeile  würde  die  wechselnde  männliche 
oder  weibliche  Caesur  im  dritten  Fuss,  der  Paroxytonon  im  Schluss  der 
Langzeile  den  schliessenden  Spondeus  oder  Trochaeus  des  Hexameters 
nachbilden.  Dass  die  Silbenzahl  der  1.  Halbzeile  nicht  wie  im  quanti- 
tirenden  Hexameter  auf  5  oder  6  herab,  die  der  2.  nicht  auf  9  oder  10 
Silben  hinaufsteigt  und  die  Silbenzahl  der  ganzen  Zeile  nicht  sich  zwischen 
13  und  17  bewegt,  braucht  nicht  zu  befremden,  da  ja  die  Errichtung 
derartiger  Schranken  bei  den  rythmischen,  d.  h.  Silben  zählenden  Dichtern 
natürlich  ist.  und  desshalb  bei  den  lateinischen  Dichtern  von  accentuirenden 
Hexametern  verschiedene  Spielarten  gefunden  werden.  Die  Langzeilen 
treten  in  der  Exhortatio  in  Gruppen  von  2,  in  dem  Hymnus  in  Gruppen 
von  3  Zeilen  zusammen,  ein  Gesetz,  das  nur  durch  V.  16  des  Hymnus 
verletzt  wird.1)  Akrosticha  oder  Reime  binden  die  Zeilen  nicht.  Demnach 
ist  in  diesen  beiden  Gedichten  Gregors  die  Quantität  gänzlich  missachtet; 
sie  sind  also  der  rythmischen  Dichtung  zuzurechnen  und  als  deren  älteste 
Erzeugnisse  anzusehen.  Der  Accent  ist  nur  so  weit  beachtet,  dass  die 
vorletzte  Silbe  der  Langzeilen  accentuirt  ist,  sonst  sind  durchaus  keine 
metrischen  Füsse  durch  den  Wortaccent  nachgebildet,  also  auch  hier  ist 
es  Nichts  mit  jenem  erdichteten  Uebergange  der  quantitirenden  zur  accen- 
tuirenden Poesie,  in  welchem  die  accentuirten  Silben  an  die  Stelle  der 
vom  Versictus  getroffenen  langen  Silben  getreten  seien.  In  den  Lang- 
zeilen sind  die  Silben  gezählt,  die  Langzeilen  selbst  zu  bestimmten 
Gruppen  zusammengestellt.  Von  einem  Akrostichon,  wie  bei  Methodius, 
ist  hier  keine  Spur.'2) 


1)  Merkwürdig  ist  der  (auch  von  Christ  Anthol.  S.  23  gedruckte)  <|uantitirende  vpvog  tig 
XyioTr»'.  Hier  laufen  2  Regeln  nebeneinander:  1)  sind  die  Verse  in  Gruppen  von  je  3  zusammen- 
gestellt, 2)  wechseln  die  reinen  jonischen  Dimeter,  wie  <5o?  Kvv(j.vtlt'  66g  dtidtiv  und  die  ge- 
brochenen, wie  di  uv  äyyelwy  z0?*"'*  regelmässig  mit  einander  ab  in  den  Versen  1  —  7.  10 — 16. 
19  —  51,  so  dass  dies  offenbar  Absicht  ist.  V.  '•'  und  8  Hessen  sich  leicht  umstellen,  allein  bei 
V.  17  und  18  kann  so  nicht  geholfen  werden.  Es  ist  eben  hier  wie  im  Hymnus  vesp.  eine  Aus- 
nahme von  der  gewöhnlichen  Regel  gemacht. 

■_'i  Durch  diese  Resultate  wird  das  ulte  und  seit  Valckenaer  viel  besprochene  Scholion  der 
besten  Handschriften  Gregors,  eV  rovrw  rw  \öya>  tov  2'vQaxovfftoy  laicpQov«  /^lueirni.  ovrog  yd(> 
fiovog  noirjTwy  (>v&fioig  tuji  x<u  xwXoig  e/()ijaaTo  fttTQiXTJs  dvuXoyiag  xcauipQorqaag'  nicht  aufgeklärt. 
Allein  mir  wenigstens  ist  es  unmöglich,  in  den  Bruchstm  ken  des  Sophron  (zusammengestellt  von 
Botzon   im  Programm   des    städtischen  (lymnasiums    zu   Marienburg  1867)   bestimmte  Lang-    oder 

AI* 


316 


Ueber  die  gleiehzeiligen  rythmisehen  Gedichte  der  Griechen 
und  über  den  Taktweehsel. 

Obwohl  die  bis  jetzt  veröffentlichten  aus  gleichen  Zeilen  bestehenden 
Gedichte  nur  wenige  und  dazu  später  gedichtet  sind  als  die  meisten  der 
nachher  zu  besprechenden  Hymnen,  so  will  ich  sie  dennoch  schon  jetzt 
behandeln,  da  sich  mit  der  Untersuchung  derselben  leichter  die  wichtige 
Frage  verknüpfen  lässt,  in  wie  weit  in  den  rythmisehen  Gedichten  der 
Griechen  ein  bestimmter  Tonfall  beobachtet  ist. 

Das  '£lidai>i<>)  xazavvxTtxw  Aeovxog  tov  ßao ikewg,  bei  Matranga 
(Anecdota  graeca  II  p.  683)  und  Christ  (Anthol.  p.  48  vgl.  S.  XXVIII) 
gedruckt,  umfasst  bei  Matranga  189,  bei  Christ  150  Zeilen  zu  je  8  Silben, 
deren  vorletzte  stets  betont  ist.  Je  6  Zeilen  bilden  eine  Gruppe;  die 
Anfangsbuchstaben  der  Gruppen  werden  durch  die  Buchstaben  des  Alpha- 
betes gebildet.  Der  "Yuvog  ix  nQooamov  ßaotteiov  dson&rov  fpwriov  rov 
Traryiayxov  (bei  Christ  Anthol.  p.  50;  vgl.  S.  XXVIII  und  LXXXIX)  zählt 
100  Zeilen  von  je  7  Silben  mit  dem  Accent  auf  der  vorletzten  Silbe; 
je  4  Zeilen  bilden  eine  Gruppe;  die  Anfangsbuchstaben  der  Gruppen  sind 
auch  hier  durch  die  Buchstaben  des  Alphabetes  gebildet. 

Sowohl  die  achtsilbigen  Zeilen  des  Leo  als  die  siebensilbigen  des 
Photius  haben  stets  einen  Accent  auf  der  vorletzten  Silbe.  Wie  steht 
es  nun  mit  den  Accenten  auf  den  6  oder  5  vorangehenden  Silben?  Ist 
hier  ein  bestimmter  Tonfall  beachtet  oder  nicht?  In  der  lateinischen 
Kythmik  haben  wir  von  Anfang  bis  zu  Ende  die  auffallende  Erscheinung, 
dass,  wenn  man  die  Wörter  so  betont  wie  gewöhnlich  in  der  Prosa,  in 
den  sich  entsprechenden  Zeilen  zwar  die  Schlüsse  ( '  v  homines  — 
selten  fäctus  est,  noch  viel  seltener  ältus  mons,  —  oder  «  peccatöri: 
denn  andere  Schlüsse  gibt  es  in  der  lateinischen  Rythmik  nicht)  gleich 
betont  sind,  dagegen  die  vorangehenden  Silben  sehr  oft  verschiedenen 
Tonfall  haben.     Viele  unserer  Gelehrten  helfen    sich  über   die  Schwierig- 


Halbzeilen  nach  Art  der  gregorianischen  zu  entdecken;  ebenso  wenig  irgend  eine  Beachtung  der 
Wortaccente.  Das  eine  ist  sicher,  dass  auch  Sophron  um  die  Quantität  der  Silben  sich  Nichts 
gekümmert  hat.  Ausserdem  mag  in  den  Dialogen  eine  gewisse  Gleichförmigkeit  der  Reden  und 
Gegenreden  sich  ergeben  haben. 


317 

keit  hinweg  durch  die  Theorie  von  der  sogenannten  schwebenden  Be- 
tonung, d.  h.  sie  betonen  die  dastehenden  Silben  eben  nach  dem  Schema, 
ohne  Rücksicht  darauf,  dass  die  gewöhnliche  prosaische  Betonung  hiebei 
gänzlich  verletzt  wird.  Da  aber  ein  wichtiges,  ja  vielleicht  das  wich- 
tigste Merkmal  aller  rythmischen  Poesie  gerade  darin  besteht,  dass  die 
Wörter  hier  ebenso  betont  werden  wie  im  täglichen  Leben,  so  habe  ich 
diese  Annahme  als  unnatürlich  zurückgewiesen;  vgl.  die  lat.  Rythmen 
S.  56.  Dagegen  stellte  ich  die  Theorie  vom  Taktwechsel  auf,  d.  h.  ich 
behauptete,  vor  dem  Schlüsse  sei  die  Betonung  der  Silben  frei  gegeben, 
unter  der  einen  Bedingung,  dass  nicht  2  schwer  betonte  Silben  auf 
einander  stossen  dürfen.  Nun  ist  freilich  wahr,  nach  dem  einförmigen 
Beton ungsgesetze  der  lateinischen  Sprache  können  schwer  betonte  Silben 
überhaupt  nur  dann  zusammenstossen .  wenn  ein  schweres  einsilbiges 
Wort  vor  betonten  Wortanfang  zu  stehen  kommt,  wie  ältus  möns  im- 
minet,  ein  Fall,  der  sich  nicht  häufig  gibt.  Da  nun  die  Dichter  der 
Blüthezeit  der  lateinischen  Rythmik,  d.  h.  des  12.  und  13.  Jahrhunderts, 
diesen  Fall  theils  gänzlich,  theils  ziemlich  meiden,  da  sie  anderseits  ein 
feines  Bewusstsein  der  rythmischen  Vorgänge  zeigen,  indem  sie  z.  B.  den 
Taktwechsel  bal'd  überhaupt  meiden,  bald  nur  an  bestimmten  Stellen  zu- 
lassen, z.  B.  in  der  ersten  Hälfte  der  Vagantenzeile,  wie  ut  dicant  cum 
venerint,  aber  nicht  in  der  2.,  wie  ängelörum  chöri.  die  meisten  endlich 
die  beim  Taktwechsel  entstehenden  2  Kürzen  nicht  daktylischen  Wort- 
schluss  bilden  lassen,  also  wohl  ut  dicant  cum  venerint  oder  mons  ältus 
incüinbit  gestatten,  dagegen  ut  ängeli  dicerent  oder  angelici  chöri  ver- 
meiden, so  ist  offenbar,  dass  sie  sowohl  des  gesetzmässigen  Tonfalles  als 
auch  im  Gegensatz  dazu  der  Unregelmässigkeit  des  Taktwechsels  sich 
bewusst  waren,  und  wenigstens  wahrscheinlich,  dass  sie  jene  zusammen- 
stossenden  Hebungen  mit  Absicht  mieden.  Dagegen  die  Dichter  lateini- 
scher Rythmen  vor  dem  12.  Jahrhundert  zeigen  wenig  Sinn  für  feinere 
rythmische  Gesetze  und  jener  Fall,  dass  ein  schweres  einsilbiges  Wort  vor 
betontem  Wortanfang  steht,  ist  weniger  gemieden.  Wenn  also  Jemand 
behaupten  würde,  in  der  ersten  Periode  der  lateinischen  Rythmik  seien 
vor  dem  Schlüsse  die  Silben  nur  gezählt  worden,  und  meine  Beobachtung, 
dass    in    den   lateinischen  Rythmen    fast    nie    zwei  Hebungen    zusammen- 


318 

stossen,  sei  kein  mit  Absicht  festgehaltenes  Kunstgesetz,  sondern  nur  eine 
aus  dem  einförmigen  Betonungsgesetz  der  lateinischen  Sprache  unver- 
meidlich sich  ergebende,  allerdings  sehr  erfreuliche  Thatsache,  so  wüsste 
ich  kaum  einen  tüchtigen  Grund  dagegen  vorzubringen. 

Wie  steht  es  in  der  griechischen  Rythmik?  Werden  bestimmte  Füsse 
wie  in  der  quantitirenden  Dichtung  streng  festgehalten?  Auch  hier  lautet 
die  Antwort:  nein.  Christ  (Anthol.  p.  LXXXVIII.  LXXXIX  u.  XCVIII) 
bemerkt  hierüber:  pedum  divisionem  spernebant  .  .  haec  erat  praecipua 
lex  melodis  christianis  (graecis)  proposita  nee  umquam  violata,  ut  singula 
cola  uno  saltem  loco  syllabam  acutem  haberent;  neque  pauci  versiculi 
in  tropariis  byzantinis  oecurrunt.  quorum  accentus  uno  excepto  omnes 
fluetuant .  .  modorum  indoles  in  clausulis  colorum  maxime  conspicua  fit. 
Die  Thatsache  steht  fest,  dass  in  der  griechischen  Rythmik  nicht  wie  in 
der  quantitirenden  bestimmte  Füsse  festgehalten  sind.1)  Demnach  fallt 
auch  für  das  Gebiet  der  griechischen  Literaturgeschichte  jene  Theorie, 
wornach  die  rythmische  Poesie  sich  auf  dem  einfachen  Wege  gebildet 
habe,  dass  nur  an  die  Stelle  der  vom  Versictus  getroffenen  langen  Silbe 
die  vom  Wortaccent  getroffene  getreten  sei.  Die  Frage  bleibt  nur,  ob 
vor  dem  Zeilenschluss,  wie  bei  Gregor,  gänzliche  Freiheit  herrschte  und 
nur  Silben  gezählt  wurden,  oder  ob  gewisse  Schranken  beobachtet  wurden. 
Diese  Frage  kann  nur  durch  eine  genaue  Untersuchung  der  Gedichte 
beantwortet  werden.  Dieselbe  verspricht  bei  den  griechischen  Gedichten 
schärfere  Resultate  als  bei  den  lateinischen,  da  viele  Wörter  auf  der 
Endsilbe  vollen  Accent  haben,  so  dass  z.  B.  Hebungen,  wie  in  aexpog 
uyti,  leicht  zusammenstossen  können. 

Vorher  muss  auf  einige  allgemeine  Regeln  hingewiesen  werden.  In 
jedem  drei-  und  mehrsilbigen  Worte  kann  jede  Silbe,  welche  durch  1 
oder  durch  2  unbetonte  Silben  von  der  Silbe,  die  den  Hauptaccent  hat, 
getrennt  ist,  einen  Nebenaccent  bekommen;  diese  Regel  gilt  für  die 
lateinische  und  griechische  Rythmik  in  gleicher  Weise;  für  die  deutsche 
(wegen  der  Stammsilben)  nur  zum  Theil:  angelörum  chöri;  aui  fiöiuv 
ävaTitujiu).  höhere  Gewalten.  In  den  gleichzeiligen  Gedichten,  auch  in 
den  einfachsten  Strophenformen  der  Hymnen,  steht  an  derselben  Stelle 
bald  der  volle  Accent,  bald  der  Nebenaccent.     So   steht  z.  B.   yv%r\  lafinya 


1)  Mit  der  Theorie  von  der  schwebenden  Betonung  auch  alle  griechischen  Rythmen  in  das 
Joch  bestimmter  Schemate  zu  zwängen,  hat  bis  jetzt  noch  kein  Gelehrter  riskirt. 


319 

(piloxaXe  =  äoTtQa  dti^aq  os  "kafdJiQQV  =s  imtQTtQovoav  xa'kloi'aig  —  r^r 
xalXovrp'  ttjv  rxxgtrov  u.  s.  f.  In  den  künstlichen,  für  feinen  Gesang  be- 
stimmten Hymnenstrophen  wird  dagegen  fast  stets  ein  Unterschied  ge- 
macht, ob  die  Silbe  mit  dem  vollen  oder  mit  dem  Nebenaccent  belegt 
wird;  doch  ist  dieser  Punkt  noch  schärfer  zu  untersuchen  Desshalb 
theilen  die  Griechen  die  Schlüsse  sachlich  ganz  richtig  ein  in  oxytone, 
paroxytone  und  proparoxytone  (loyttifiog,  wyalov,  ftekovaa);  für  die  poli- 
tischen Verse  und  ähnliche  fällt  freilich  der  Unterschied  zwischen  den 
oxytonen  und  proparoxytonen  weg  und  der  Schluss  &rjnavyolg  steht  dem 
Schlüsse  teihjxe  gleich.  Das  Natürliche  ist,  dass  bei  jambisch-trochäischem 
Tonfall  volle  und  halbe  Accente  mit  einander  wechseln,  da  ja  in  allen 
drei-  und  mehrsilbigen  Wörtern  dieselben  ebenfalls  abwechseln,  dass  da- 
gegen bei  anapaestisch  -  daktylischem  Tonfall  die  Hebungen  durch  voll 
accentuirte  Silben  gefüllt  werden;  so  haben  in  dem  nachher  zu  be- 
sprechenden Gedichte  des  Romanos  die  5  Jamben  der  5.  Zeile  meistens 
die  Accente  «'«'«•-  w  ■«  •  oi  uh'  rqj  yaticp  inodvyovrai,  dagegen 
die  Anapaeste  meistens  volle  Accente  Toig  tov  ßiov  tegnroig  IvrpiviQov 
Aoyioiiin    'huj{)un'  ra  yivoutva. 

Sodann  können,  wie  in  der  rythmischen  Dichtung  anderer  Völker, 
die  Hilfswörter  der  Sprache  (Pronomina,  Conjunctionen,  Präpo- 
sitionen, Hilfszeitwörter)  als  unbetont  behandelt  werden;  der  griechischen 
Rythmik  ist  eigen,  dass  diese  Wörter  als  freies  Material  behandelt  und 
beliebig  accentuirt  werden  können,  z.  B.  auch  tovrcoy  dun  xara  u.  s.  f. 
Kbenso  können,  wie  in  der  lateinischen  Rythmik,  die  Eigennamen, 
besonders  die  fremder  Völker,  also  vor  allem  die  hebräischen,  ferner  in 
wissenschaftlichen  (medicinischen,  grammatischen)  Gedichten  die  be- 
sprochenen Wörter  und  Wortformen  ohne  Rücksicht  auf  den  Accent 
gesetzt  werden.  Endlich  kann  in  aller  Rythmik  bei  jambisch-trochäi- 
schem Tonfall  von  drei,  aufeinanderfolgenden  schwer  betonten  Silben  die 
mittlere  die  Stelle  einer  unbetonten  vertreten,  so  'Berg  Thal  Meer';  bei 
anapästisch -daktylischem  Tonfall  ist  es  in  der  deutschen  Rythmik  nicht 
sehr  selten,  dass  ein  einsilbiges  oder  ein  zweisilbiges  Wort  mit  einer 
schwer  betonten  Silbe  in  den  Senkungen  steht,  z.  B. 

Hört  wie  die  Wachtel  im  Grünen  schön  schlägt. 

Fliehet  von  einem  in's  andre  grün  Feld. 


320 

In  der  lateinischen  Rythmik  kommt  dieser  Fall  kaum  vor,  in  der  grie- 
chischen selten.  Die  meisten  Fälle  fand  ich  in  dem  alten  Grabgesang 
des  Romanos  (Pitra  Analecta  I  p.  44),  den  Pitra  leider  unglücklich  edirt 
hat.  indem  er  die  Lesarten  der  besten  Handschriften  A  B  (C)  nicht  in 
den  Text  gesetzt  hat,  ja  manche  weggelassen  zu  haben  scheint.  Diese 
durchaus  anapästisch  angelegte  Strophe  hat  für  die  Zeilen  1  —  4  das 
Schema  ~  ~  -  «  -  *.  ^  «  '  ^  '  z.  B.  rolg  rov  ßiov  re^nvolg  evrjTBVi^ov. 
Unter  den  vielen  regelmässigen  Zeilen  finden  sich  auch  folgende:  1)  Ovdi- 
f-'va  ßyoTUJV  evqov  akvnov  y.  "Iva  JV  avvt).o)v  etnio  anavra  ').  *Pvnov 
ßiov  xaldig  aneipvytTE  ly.  yleyti  nahv  :iong  a£'  ov  yaQ  dvvaaai  xß, 
2)  (KaTecf&ituv  avrov  Tiäaav  vnaQiiv  (T).  12g  sloto$  tag  yycupag  tjfce 
xavyrjua  /f.  (Ev36v  rov  au.i&j.ini'ug  o  xvqwq  xy).  3)  (reo  ivl  yay  slntov 
7i an iv  fyrjaev  ta).  Ti  ovv  ö  ähtvg  ffir^og  t-uru'hv  /f.  7 <h> v .  aXXog 
ui]  xauviov  ttqujtevei  aov  /#.  4)  ( '  tllov  xauvovrog  äXXog  evcpQäivsrm  (T.) 
[Twlf]<JOV  aov  to.  navra  xal  t-'.iur  uoi  ta.  %u)yav  nn  novfj{Hp  in) 
laQt/ETt  /..  TTeaot  i-gwthr  töutttHßfhpav  xa.  Das  Schema  der  6.  Zeile 
ist  w  w  -  w  w  —  ^  -'  w  k,  '  w  oder  w  <*  -*-  o  u  v  «  -^  v  —  w  ;  dafür  findet 
sich  T^ocpfjg  yaqiv  Xöi  'Z<ilitg  xctTCKpQovovoi  r  nach  den  besten  Hand- 
schriften und  TTtuj/ov  i&tt  y.o'i  nlovotw  rf,  (foni'/jijf-i  xrj.  Das  Schema 
der  7.  Zeile  ist  u  v  —  •>  w  —  ^  ^  '  »  w  ;  dafür  steht:  tg~  avrtuv  yay  eljtii, 
■/mv  firj&elg  Xty  /,  ftot.  ia.  (aXXog  xäuvn  uoy'/uiv,  äXXog  \paXXei  no&wv  tt-). 
Kai  rvcfÄoaag  avrovg  y*Xq  loiurog  avrog  ir\.  Eine  derartige  Missachtung 
betonter  Silben  ist  allerdings  so  häufig  wie  hier  sonst  in  der  griechischen 
Rythmik  kaum  zu  finden. 

Ueber  den  Tonfall  in  Leo's  und  Photius'  Gedicht  sagt  Christ 
p.  XXVIII  'Anacreonteorum  formam  accentibus  syllabarum  imitantur; 
tantum  autem  aberat,  ut  omnes  pedes  horum  carminum  auetores  accen- 
tibus exprimerent,  ut  inpaenultima  syllaba  nusquam  non  acu- 
enda  acquiescerent,  quod  similiter  Gregorium  Nazianzenum  in  hymno 
vespertino  instituisse  demonstravimus.  Eine  genaue  Prüfung  ergibt  andere 
Resultate. 

Zählen  wir  die  festen  Accente,  so  haben  von  den  150  Versen  Leo's 
(I)  29  Verse  das  Schema  u  u  ---  o  >.  -■-  w  yala  diyjj  (irjyvv/utvi]  (1.  8.  9. 
14.  18.  24  u.  s.  f.),  (II)  20  Verse  das  Schema  «  '  ^  -•-  w  w  '  o  W(ih> 
xolaaeig    d-yijvrjou)   (6.   7.   15.   19.   25.   31   u.  s.  f.).     Die   56   Verse,    welche 


321 

auf  den  beiden  ersten  Silben  unsichern,  auf  der  4.  Silbe  festen  Accent 
haben  —  •  ^—  w  ^  '  <*,  wie  tv  ovGTOoyi]  ue  Zecpvoov.  dxaoialcog  anoioi-i 
(2.  3.  4.  13.  16.  22.  u.  s.  f.)  können  nach  der  I.  oder  IL  Art  betont 
werden.  Dagegen  ist  von  den  150  Versen  kein  einziger  auf  der  dritten 
oder  fünften  Silbe  voll  betont,  ausser  dem  Verse  88  SidouEvov  vlrjg  dixrp*. 
Hieraus  ergibt  sich,  dass  Leo  der  betonten  7.  Silbe  stets  2  unbetonte 
voran  gehen  Hess.  Demnach  sind  die  39  Verse,  welche  nur  auf  der  2. 
und  7.  Silbe  volle,  auf  der  4.  und  5.  Silbe  unsichere  Accente  haben 
u        -  v  —  w    wie  cpützujdtig  d.ioyvui'üvaa,  6  äyyiog  aiuonoTfjg  (10.  20. 

20.  30.  34.  38  u.  s.  f.),  nach  der  IL  Art  auf  der  4.  und  nicht  auf  der 
5.  Silbe  zu  betonen,  und  ebenso  die  beiden  Verse,  welche  nur  auf  der 
1.  und  7.  Silbe  feste  Accente  haben,  nach  der  I.  Art:  11  ywQovg  rovg 
viiv  xexsv&juevovg  und  100  vexvag  dvcuHpaioiati.  und  in  dem  einen  Verse  5 
IV  uTicog  ut  rag  fitrouaag.  wo  nur  die  7.  Silbe  einen  festen  Accent  hat, 
muss  sicherlich  die  4.  betont  werden.  In  den  beiden  Versen  21  ß^v/ht 
uou/uq  auii'H  y.hiizw  und  23  xauxnulv  nixoog  oxu)htg  bilden  oaivti  und 
.nyong  die  unbetonten  Silben  des  Anapästes;  wenn  man  in  V.  88  nicht 
dieselbe  Ausnahme  mit  der  weiteren  unnatürlichen  Betonung  duhmtror 
vkrjs  jtixrjr  annehmen  will,  so  ist  zum  mindesten  die  Wortstellung  falsch. 
Leo    hat    also    2    Schemate    durch    die    Wortaccente    ausgedrückt: 

1  .  u  '  u,  II  v-  —  w  '  w  w  --  w.  Hiemit  hat  er  nach  meiner  An- 
sicht eine  bestimmte  Zeilenart  der  quantitirenden  Poesie  nachgeahmt.  In 
den  anakreontischen  Zeilenarten  ist  bei  den  Byzantinern  der  Wechsel  des 
Tonfalles  gewöhnlich.  In  den  Langzeilen  der  xovxovUua  steht  bald 
u^  ^  w  —.,  —  ^  v  —^,  bald  u  w  —  w  v  .  w  w  —  ^  ((Wa  vaoxiaao}' 
(■/u>r,  nws  xoytv  üiyov  und  /',  nagog  avdwpoQQQ  axfjipiv  BtpfVQeg).  So 
wechseln  in  dem  oben  (S.  315  Note  1)  besprochenen  Gedichte  Gregors 
von  Nazianz    regelmässig    die    2    Zeilenarten    w*  -    -  w  v— «  und    „  w 

u       u      -■    (JV    ov    alojyec,   anavoroi    und  dl    ov  rfkiog    nQoXäfinet).     Diese 

Zeilenart    u  w v  ^ hat    nach    meiner    Ansicht    Leo    nachgebildet; 

zunächst  hat  er  die  Umbildung  genommen,  die  in  den  xouxovüia  ganz 
gewöhnlich  war:  I  -^-*  « -^- «  w      *;   dann,  da  das  Zusammenstossen  von 

2  betonten  Silben  sich  in  der  rythrnischen  Poesie  nicht  in  ganzen  Gedichten 
durchführen  lässt,  worüber  später  zu  handeln  ist,  also  die  rythmische 
Nachbildung  von  regelmässigen  Jonici,  Bacchien  und  ähnlichen  metrischen 

Al.h.  <!.!.<  1.  «1.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVn.  Bd.  II.  Abth.  42 


322 

Füssen  unmöglich  ist,  die  Zeilenart   u  ^ ^  i.  —  —  mit   w  —  w  -^-  o  u^-v 

vertauscht.  Leo  hat  also  ganz  bestimmte  Füsse  gebildet  und  mit  den- 
selben wahrscheinlich  eine  bestimmte  metrische  Zeilenart  nachgeahmt.1) 
Anders  steht  es  bei  P  h  o  t  i  u  s.  Die  100  Verse  sind  auf  der  vor- 
letzten Silbe  voll  betont;  (V.  71  ftovkeveiv  ooi  (pvlagov  ist  natürlich  falsch). 
Da  von  diesen  100  Versen  (I)  3  dem  Schema  ^  —  *  -  „  -i-  *  folgen: 
ldan>  6  ß'ktjiüov  narret  (33.  53.  69)  und  66  dem  Schema  v  — «  — u-s-u* 
tfoi  fio|a>/  avanhimo  (2.  4.  6.  7.  11  — 18.  20 — 24  u.  s.  f.),  so  ist  unzweifel- 
haft das  nächste  Vorbild  des  Dichters  gewesen  die  gewöhnliche  ana- 
kreontische  Zeile  zu  w  —  w  —  v  —  (YV  aot  $4kAQ  yevfa&at:  Wvy^i-  tut)r 
{(jut)Tio).  Allein  hier  mischen  sich  fremde  Dinge  ein.  1 1  Verse  haben 
(II)  auf  der  1.  Silbe  schweren  Accent,  wie  Ba&og  oov  rijs  aacplag.  slitho 
ttjv  xsqnkfp  uov  (5.  8.  9.  25.  26.  28.  30.  41.  43.  85.  96),  so  dass  man 
von  den  9  Versen,  welche  nur  die  4.  und  7.  Silbe  stark  betont  haben, 
wie  C(J  ix  urjrpbg  aoiXlag.  Tdiy  ivrohwy  am  tfpißov  (1.  3.  35.  39.  62.  66. 
74.  97.  100),  nicht  entscheiden  kann,  ob  sie  nach  der  I.  oder  II.  Art  zu 
betonen  sind.  Ja  5  Verse  haben  sogar  (III)  auf  der  3.  Silbe  schweren 
Accent,  wie  Tb  abv  vtpinre  zydrog.  Jvyaorwy  <N  ev  ueacp  (10.  27.  29. 
45.  95),  so  dass  hier  also  weder  die  2.  noch  die  4.  Silbe  betont  sein 
kann.  Wir  sind  also  in  Ungewissheit,  nach  welcher  Art  die  6  Verse, 
welche  nur  auf  der  6.  Silbe  sichern  Accent  haben,  wie  c'()rav  ai\g  dvva- 
areiag.  "Oti  (hg  ävyatos  tun  (19.  32.  47.  57.  58.  77),  zu  betonen  sind. 
Kurz,  wir  sehen:  mit  dem  Streben  bestimmte  Füsse  der  quantitirenden 
Dichtkunst  durch  die  Accente  nachzubilden,  welches  bei  Leo  noch  völlig 
herrscht,  kämpft  bei  Photius  mit  ziemlichem  Erfolge  eine  fremde  Macht, 
die  von  dem  Festhalten  bestimmter  B'üsse  nichts  wissen  will.  Allein  so 
weit,  wie  bei  Gregor,  zum  blossen  Silbenzählen,  ist  es  bei  Photius  nicht 
gekommen.  Obwohl  in  den  hundert  Zeilen  bald  die  1.,  bald  die  2.,  bald 
die  3.,  bald  die  4.  Silbe  schweren  Accent  hat,  so  stossen  doch  nie- 
mals 2  schwere  Accente  auf  einander;  denn  V.  29  &ee  deonom 
ndvxoiv  bildet  keine  Ausnahme,  da  dsbg,  wie  yyiorog  und  ähnliche  Wörter, 
willkürlich  betont  werden  darf. 


1)  Die  bei  Matranga  mehr  stehenden  Verse  fügen   sich   alle   ebenfalls    den  beiden  von  mir 
aufgestellten  Schemata. 


323 

Das  häufig  dem  Johannes  Damascenus.  häufig  dem  Jüngern  Simeon 
Theolog.  zugeschriebene  Gedicht  Idno  (wiraocnv  yet'/Ao)'  (Daniel  Thesaurus 
III,  94  und  Migne  Cursus  96,,  853)  zählt  135  Zeilen  ohne  Akrosticha 
oder  Abtheilung  in  bestimmte  Gruppen.  Unter  denselben  ist  keine,  in 
welcher  die  2.  oder  4.  Silbe  vollen  Accent  hat  (in  22  not  <5V  Tiaüäoyt 
not  nouag  ist  jrayaayj  und  in  37  noiiJTa  uov  '/Lvtoiotcc  uov  ist  notifwä  zu 
schreiben),  dagegen  hat  bald  die  1.,  bald  die  3.,  bald  die  5.  vollen 
Accent  und  die  7.  stets,  so  dass  das  Schema  w  w  ' '^  —  w  sich  ergibt: 
Segen  oirpiv  yyinih  uov..  rjfiagxov  irnto  tt/v  7ioo}'i]v.  ui)  toug  z.oyovg  u>] 
rovs  TQorwvg.    rovrovg  rolurjoiug  dXeiipat.    ytyoauinva  aoi    Tvyyarbi. 

Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  hier  die  anakreontische  Zeile 
w  w  _!_  w  _l_  w  -  w  rythmisch  nachgeahmt  ist ;  die  schwere  Betonung  der 
1.  Silbe,  welche  in  17  Zeilen  sich  findet,  kann  nicht  sehr  befremden,  da 
auch  unter  die  quantitirenden  Zeilen  zu  u  »*.— -  »# -.—  w  —  w  (to  $6$oy  tu 
iu)}'  iüLUTVjy)  sich  andere,  wie  nivwjtuv  äßoct  yekcjyreg.  aritpov  uvv  fjte  zai 
ivoi'Qojy,  mischen.  Völlig  gleicher  Art  sind  die  bei  Matranga  Anecd.  II, 
675  gedruckten  2%i%ot  rov  kuiooy^  tls  ior  tv  ipiXonoyotg  (fitkoowpov  xal 
orjTooi/iunaTor  Nt/xpvxov  avaxyhoii nm\  219  Zeilen  der  Art:  FTenkaoinrc. 
JUtyxa  ((hon.  Tis  ovx  tlde  tujv  änccyrcov.  "Ev&ovg  ylvtrat  xai  yaioei. 
ßtoifiog  TiaOnr  6)y  navia.  Noch  strenger  sind  die  Zeilen  des  Xoiazo- 
tpogov  a.  orjxQttov  bei  Matranga  Anecdota  II  gebaut;  S.  667  100  Zeilen 
zu  o  -£.  «  ^-  «  _'-  u  darunter  nur  4  zu  -  -  v,  ■  ■ .  w  '~u  nqa&t  aal  ß-sutfjid). 
dann  47  zu  ,  "  ,-u-u,  darunter  nur  2  zu  ±-  u  —  —  ^  '■  «  (ti&pvg 
dcodeza  vuti). 

Um  diese  wichtige  Sache  näher  zu  beleuchten,  will  ich  noch  eine 
einfache  Strophenart  der  Hymnen  untersuchen.  Dieselben  waren  zum 
Gesang  oder  zu  gesangartiger  Recitation  bestimmt;  also  konnte  die  Melodie 
der  Betonung  gewisser  Silben  mehr,  der  Betonung  anderer  Silben  weniger 
Widerstand  leisten.  Pitra  Anal.  I  S.  419 — 431  gibt  119  Strophen,  welche 
alle  nach  folgender  Strophe  gebaut  sind: 

1)  Ohcoe  tov  'Eifoa&a  2)  fj  noXig  rj  ayla  3)  tojv  jjoooj^tujv  i)  dojja 
4)  BVtQBTiiaov  rov  olxov  5j  iv  (j>  to  ftiiov  rixTsrai:  also  119  (1.)  Zeilen 
zu  6  Silben  mit  oxytonem  Schluss,  357  (2.  3.  u.  4.)  Zeilen  zu  7  Silben 
mit  paroxytonem  Schluss  und  119  (5.)  Zeilen  zu  8  Silben  mit  propar- 
oxytonem  Schluss  oder  595  Zeilen,  deren  6.  Silbe  vollen  Accent  hat  und 

42* 


324 

bei  denen  nun  die  Betonung  der  4  ersten  Silben  in  Frage  steht.  Nun 
haben  weitaus  die  meisten  Zeilen  (325)  entschieden  (I)  jambischen  Ton- 
fall, wobei  die  2.  Silbe  festen,  die  4.  Silbe  selten  schweren,  meistens 
Neben-  oder  unsichern  Accent  hat.  also  selten  ^  ^  --  (-j-  w  —  3,  ^  —  u  13? 
w  -L-  0  J  14):  Byorog  <pavelg  fttog.  fpaidyar  hhh'  i^uepar.  Kai  'Cioi'iwf 
vnvov  vnvmoas;  meistens  u  -  w  ■  (-4-  „  -  48,  t  -'  w  183,  j  —  0  u  64): 
cO  arvXog  o  areggog.  JEaQxi  ityitTurj&rjg.  22g  niks^a  t.iH)\wu(-  Ein  wenig 
seltener  als  die  2.  und  4.  haben  (II)  die  1.  und  4.  zugleich  schweren 
Accent:  —  w  «  —  (-{-  u   '   1,    *  15,    v  — «  v  1):    ^cöy  &  cpcozog  %qiozoq. 

"Oyovg  'Qtofig  ävfrQcjnoig.  JVotiov  omäf  (finuZmia.  So  gehören  der  I.  oder 
der  II.  Art  die  (102)  Fälle  an,  in  denen  nur  die  4.  Silbe  festen  Accent 
hat  .       (-}-  o  —  0,    w  ~  o  82,    w  —  o  w  20):     4>ilav9-QU)niag    loye.     *0 

kvT(jü)Tijg  xal .  xvqios.  Nicht  zahlreich  (35)  sind  (III)  die  Zeilen,  deren 
3.  Silbe  vollen  Accent  hat;  selten  hat  dann  auch  die  erste  Silbe  vollen 
Accent  '  ^  —  w  (-4-  v,  —  2,  v.  —  w  0,  *  **  *  ■«.  1):  p.  419,  5  tloiov  tnopta  i] 
vovg.  21  yküma  i»'Twg  ßgartitv,  p.  424,  48  JLwaat  i'/Awc  roy  äv&pamov; 
meistens  geht  der  betonten  3.  Silbe  in  der  1.  Silbe  unsicherer  Accent 
voran        ~  —  ~  (-j-  u       U.    .        w  2  1.  ^  w  7):    rO    wepadavrog    nvqyog. 

öurpiokww  ro  xA«o&  HoifuvtzQX'P'  xai&r&IOi,  Nach  der  II.  oder  III.  Art 
sind  die  (67)  Zeilen  zu  betonen,  welche  zwar  in  der  1.  Silbe  vollen,  aber 
in  der  3.  und  4.  unsichere  Accente  haben  --  w— --(-f-  ^  -^-58,  *  -  5, 
o  -  w  v,  4):  &£Q€ts  nyuofit]}'.  Fj()0v  xal  YttQ  aov  owvsq.  Eldog  tu  naw- 
n't//Mu.i {)<>}'.  Demnach  sind  wir  über  die  Betonung  der  (38)  Verse,  deren 
4  erste  Silben  keinen  festen  Accent  haben,  wie  --  —  —  ~(-\-  «  —  8,  «  —  « 
27,  o  -L-  «  o  3):  ()  dt  divnvio&eis.  Tb  äjioxFXQvuuH'ar.  Jio  at  jiaxayi- 
Cotier,  gänzlich  im  Unklaren;  nur  dürfen  wir  nach  der  Thatsache,  dass 
die  meisten  Zeilen  entschieden  jambischen  Tonfall  haben,  als  wahrschein- 
lich folgern,  dass  auch  diese  unsicheren  Zeilen  jambisch  betont  werden 
sollten.  Immerhin  steht  die  Thatsache  fest,  dass  neben  den  Zeilen,  welche 
auf  der  2.  oder  4.  Silbe  feste  Accente  haben,  sicher  die  1.  Silbe  87  Mal 
und  die  3.  Silbe  35  Mal  mit  festen  Accenten  belegt  ist.  Demnach  ist 
nur  im  Schlüsse  ein  fester  Fuss  festgehalten  -  — ,  «JLUJ  v  —  «  J ;  da- 
gegen in  den  4  ersten  Silben  kann  keine  Rede  davon  sein,  dass  feste 
Füsse  wie  in  der  quantitirenden  Dichtkunst  eingehalten  wurden.  Allein 
desshalb  kehrt  dieser  Versbau   doch    nicht   zu    dem    blossen  Silbenzählen 


325 

des  Gregor  von  Nazianz  zurück.  Die  merkwürdige  Thatsache,  dass  in 
den  fast  600  Zeilen  nur  1  Mal  (p.  423,  47  yo^rog  wv  ov  to/U/cu  *  r/%* 
orjs  xoyvcpfjg  ipavoai;  denn  p.  428,  27  titoi'  yoQrog  und  67  y^iarhv  xvqiov 
sind  nicht  zu  rechnen)  schwere  Accente  zusammenstossen,  zeigt,  dass  diese 
Vermeidung  der  zusammenstossenden  -Hebungen  eine  absichtliche  und 
gesetzmässige  ist.  In  den  kunstreichen  Strophenformen  ist  aus  ver- 
schiedenen Gründen  der  Tonfall  der  einzelnen  Kurzzeilen  in  der  Regel 
streng  festgehalten  und  nur  an  bestimmten  Stellen,  zumal  solchen,  welche 
Namen  oder  lobende  Beiwörter  der  Besungenen  enthalten,  wird  wie  die 
Silbenzahl  so  auch  der  Tonfall  verletzt.  Die  letzte  Schöpfung  der  grie- 
chischen Rythmik,  der  sogenannte  politische  Vers,  ist  die  Nach- 
ahmung einer  Zeilenart  der  quantitirenden  Poesie,  des  jambischen  Tetra- 
meters w-_w_w_w  ,  *  .  M  _  w  _.  w  .  welche  seit  dem  Anfang  des 
11.  Jahrhunderts  sich  immer  mehr  verbreitete  und  bald  die  gesammte 
inittelgriechische  Poesie  beherrschte1),  da  sie  das  Bedürfniss  eines  epischen, 
für  längere  Gedichte  brauchbaren  Versmasses  bequem  ausfüllte.  Wer  auf 
dieses  Versmass  zuerst  verfallen  ist,  das  gehört  noch  zu  den  Räthseln  der 
Literaturgeschichte,  aber  jedenfalls  war  es  ein  Gelehrter.  Dess wegen  findet 
sich  in  den  gelehrten  Dichtungen  dieses  Versmass  durch  den  freien  Ton- 
fall der  rytlniiischen  Poesie  nur  an  einer  Stelle  regelmässig  beeinflusst, 
indem  im  Anfang  der  beiden  Halbzeilen  ebenso  oft  «  —  als  -i- «,  steht: 
S2g  h'h'f,  (fi'/.o noktftog,  (pikovexvos  tlg  Jialdag.  FTtQatjV  ooßei  rov  aoßayov, 
äqyji  iit}'  ßctßvXtiira.  Dies  sind  die  gewöhnlichen  Formen  bei  den  bessern 
Dichtern;  bei  wenigen  findet  sich  die  andere  Art  des  Taktwechsels 
M  w  _l.  w  -^j  oder  —  «  —  «  «  -  u  z.  B.  im  Lexicon  schediogr.  (Bois- 
sonade  Anecd.  IV  p.  366)  V.  26.   32.  96.   148.   187   etc.  und  25.  39.  44  etc. 


1)  Als  alter  Dichter  von  politischen  Versen  spukt  bei  manchen  Griechen  und  Deutschen 
(■/..  B.  Elhangabis,  JutpoQit  not^/tura  Athen  1891  S.  414;  bei  Mulhuh  (Jonject.  Byz.)  ein  'Pakr^c, 
der  um  10f>0  politische  Verse  gemacht  habe;  dahinter  steckt  Psellos,  der  in  politischen  Versen 
das  hohe  Lied  umschrieb.  Die  von  Vielen  nachgeschriebene  Verwechselung  stammt  wohl  aus 
Thierschs  Rede  'über  die  neugriechische  Poesie,  besonders  über  ihr  rhythmisches  und  dichterisches 
Verhältniss  zur  altgriechischen.  München  1828.  S.  18:  Von  jambischen  Versen  sind  die  ältesten, 
dem  jambischen  Tetrametron  entsprechend  und  gleich  mit  ihm  mit  dem  Einschnitt  nach  der 
8.  Silbe,  von  Psaltes,  am  1050  nach  Christas,  der  eine  Umschreibung  des  hohen  Liedes  in  ihnen 
liefert  oder  wie  er  es  ausdrückt  "B*  dnXovaxiffeut  Af|f<xt  xai  KetTtifia£tvft&rcuc'.  'üolirixots  dtfQiiafcfxtv 
w(  Svi'ttiöf  t'i'  aii%ois,' 


326 

z.  B.  'Ejiriyäro  ro  ^v/tro  i]ra  cpile  jucn)  yyaife:  der  Art  sind  die  meisten 
von  Henrichsen-Friedrichsen,  Ueber  die  sogenannten  politischen  Verse  bei 
den  Griechen  1839,  S.  65 — 71  angeführten  Ausnahmen.  In  den  volks- 
tümlichen Epen  aber  sind  oft  vor  dem  Schlüsse  alle  Rücksichten  auf 
bestimmte  Füsse  weggelassen,  nur  Silben  gezählt  und  oft  genug  schwer 
betonte  Silben  neben  einander  gesetzt.  So  finden  sich  in  den  48  politi- 
schen Versen,  welche  dem  Simeon  Metaphrastes  zugeschrieben  werden 
(Migne  Cursus  114  S.  132;  24  mit  den  Buchstaben  des  Alphabetes  an- 
fangende Paare),  mindestens  10  der  Art  Sfvxzos  ngaiug  rjydnrjoa,  (fwrog 
f'yya  /LUGr/oan;  dann  auch  fTorauui  ytvvi]frr\xo)aav  elg  zafrayau'  xaxtoy  uor. 
Demnach  ergeben  diese  Untersuchungen  über  den  Tonfall  innerhalb 
der  Zeilen  folgendes  Resultat:  in  der  ältesten  Zeit  werden  nur  die  Schlüsse 
der  Langzeilen  nach  einem  bestimmten  Tonfall  gebildet;  vor  diesen 
Schlüssen  werden  die  Silben  nur  gezählt;  die  Accente  mögen  fallen,  wie 
sie  wollen.  Für  den  feinen  Sinn  der  Griechen,  welche  Verszeilen  ohne 
bestimmte  Füsse  nicht  kannten,  war  es  natürlich,  dass  auch  in  der  ryth- 
mischen  Dichtkunst  bald  mehr  oder  weniger  bestimmte  Füsse  eingehalten 
wurden.  In  den  gleichzeiligen  Gedichten  waren  dies  besonders  die  Füsse 
bestimmter  nachgeahmter  Zeilen  arten  der  quantitirenden  Dichtung,  in  den 
Hymnenstrophen  waren  sie  durch  die  Melodie  der  meistens  sehr  kurzen 
und  scharf  zu  markirenden  Zeilen  gebunden.  Allein  auch  in  dieser  Zeil 
hoher  Formvollendung  bricht  je  nach  dem  Belieben  des  Dichters  jene 
alte  Freiheit  der  rythmischen  Poesie  wieder  durch,  welche  von  bestimmten 
Füssen  Nichts  weiss;  aber  der  strenge  Tonfall  der  quantitirenden  Dicht- 
ung hat  diesen  freien  Tonfall  der  rythmischen  Dichtung  dahin  verfeinert, 
dass  dann  wenigstens  gemieden  wird,  schwer  betonte  Hebungen  zu- 
sammen stossen  zu  lassen. 

Ueber  die  ungleiehzeiligen  Strophen  der  religiösen  Gesänge 

der  Griechen. 

Die  Zahl  der  erhaltenen  kirchlichen  Lieder  der  Griechen,  der  ge- 
druckten wie  der  ungedruckten,  ist  eine  sehr  grosse.  Die  alten  und 
neuen  Venediger  Drucke  der  verschiedenen  liturgischen  Bücher  der 
Griechen    enthalten    viele    Stücke    jener    Lieder,    jedoch    in    schlechtem 


327 

Texte.  Da  eine  Sammlung  der  griechischen  Lieder,  die  sich  mit  Mone's 
Sammlung  der  lateinischen  vergleichen  Hesse,  noch  nicht  vorhanden  ist, 
benutzte  ich  die  Anthologia  Graeca  carminum  Christianorum  von  W.  Christ 
und  M.  Paranikas  (Leipzig  1871)  und  den  1.  Band  der  Änalecta  Sacra 
des  Cardinais  J.  B.  Pitra  (Paris  1876).  Pitra  hat  ein  altes,  doch 
schon  frühzeitig  wieder  ausser  Gebrauch  gekommenes  liturgisches  Buch, 
das  Tyojzoiuyior,  eine  Sammlung  von  Liedern,  von  denen  sonst  theils 
gar  Nichts,  theils  nur  einzelne  Strophen  erhalten  sind,  wieder  gefunden. 
Wenn  auch  Pitras  Methode  und  Ausnützung  der  Handschriften  nicht 
genügt,  so  hat  doch  sein  Eifer  für  die  Sache  und  der  Reichthum  der 
ihm  zu  Gebot  stehenden  Handschriften  diese  Arbeit  zu  einer  grund- 
legenden gemacht.1) 

Die  Dichter  der  kirchlichen  Gesänge  nennen  sich  oft  in  den  Akro- 
sticha der  Strophen;  fehlt  dieser  Führer,  dann  lässt  sich  selten  der 
Dichter  bestimmen.  Schon  im  5.,  besonders  aber  im  6.  und  7.  Jahr- 
hundert blühte  diese  Dichtung. 

Von  den  vielen  Arten  von  Gesängen,  welche  der  vielgestaltige  grie- 
chische Ritus  sich  schuf,  sind  uns  besonders  2  wichtig.  Die  eine,  xov- 
tdxiov,  welche  ich  Hymne  nennen  will,  besteht  aus  einer  Reihe  von  oft 
20  bis  30  gleichgebauten  Strophen  (ryondyici),  denen  als  Einleitung  eine, 
seltener  2,  sehr  selten  3  kleinere  Strophen  von  verschiedenartigem  Baue 
vorangeschickt  werden;  alle  Strophen  haben  den  gleichen,  regelmässig 
1  —  2  Kurzzeilen  umfassenden  Refrain.  Eine  ähnliche  verschiedene  und 
kleinere  einleitende  Strophe  geht  auch  oft  in  den  altitalienischen  Laude 
einer  Reihe  von  kunstreichen,  unter  sich  gleichen  Strophen  voran.  Der 
I.  Band  von  Pitra's  Änalecta  enthält  fast  nur  alte  Lieder  dieser  Art. 
Die  Gesänge  der  andern  Art,  die  Kavovt^,  sind  aus  8  oder  9  verschie- 
denen Liedern  zusammengesetzt,  von  denen  jedes  seinen  besonderen  Bau 
hatte  und  ursprünglich  aus  mehr,  später  meistens  nur  aus  3  oder  4 
Strophen  bestand. 


1)  Vgl.  über  den  ganzen   von  Pitra  gebotenen  Stoff  die   eingehende  Abhandlung  von  J.  L. 
Jacobi  in  der  Zeitschrift  für  Kirchengeschichte  V,  1882,  S.  177—250. 


328 

Bau  der  Strophen. 

Uns  geht  hier  besonders  der  Bau  der  einzelnen  Strophe  (ryondyiov) 
an.  So  oft  eine  neue  Strophenart  beginnt,  wird  wie  noch  in  modernen 
Kirchen-  oder  Studenten -Gesangbüchern  mit  ttqos  to  die  Melodie  ange- 
geben, nach  welcher  die  Strophen  gebaut  sind,  der  eiyuog.  Mit  diesen 
citirten  Liedern  steht  es  wie  bei  uns:  meistens  werden  es  die  Lieder 
sein,  mit  denen  die  Melodie  neu  geschaffen  wurde,  allein  mitunter  nur 
das  berühmteste  Lied,  das  nach  dieser  Melodie  aufgebaut  ist.  Die  Freude, 
mit  dem  neuen  Liede  auch  eine  neue  Strophenart  zu  schaffen,  muss  be- 
sonders in  den  ersten  Jahrhunderten  rege  gewesen  sein;  später  begnügte 
man  sich,  aus  dem  vorhandenen  Reichthuin  zu  wählen. 

Da  der  musikalische  Vortrag,  wie  die  katholische  Kirche  zeigt,  sich 
im  Lauf  der  Zeiten  sehr  ändern  kann,  so  scheinen  Schlüsse  aus  der 
Vortragsweise  der  heutigen  Griechen  unsicher.  Die  musikalischen  Noten 
der  älteren  Handschriften  mögen  meistens  die  richtigen  und  ursprüng- 
lichen sein,  doch  wird  nach  der  Zeit  der  Entwicklung  und  nach  der 
wechselnden  Verwendung  in  der  Liturgie,  endlich  nach  der  musikalischen 
Begleitung  und  dem  Orte  der  Vortrag  sich  bald  der  Recitation,  bald  dem 
Gesänge  mehr  genähert  haben.  Da  jede  Strophe  der  Hymnen  einen 
Refrain  hat,  so  wurden  sie  jedenfalls  von  Einzelnen  vorgetragen,  denen 
ein  Chor  den  Refrain  wiederholte.  Untersuchen  wir  den  Wortlaut  der 
Gesänge  selbst,  so  zeigt  sich  ein  gewaltiger  Unterschied  vom  Strophenbau 
des  mittelalterlichen  lateinischen  und  des  neueren  protestantischen  Kirchen- 
liedes. Während  diese  in  sehr  einfachen  Formen  sich  bewegen  und  an 
bestimmte  überlieferte  Versfüsse  und  Zeilenarten  sich  binden,  sind  dort 
alle  Schranken  gefallen.  Selten  sind  einfache  Strophen,  häufiger  umfang- 
reiche, die  bis  zu  20  und  mehr  Kurzzeilen  steigen,  von  denen  wieder  jede 
wechselnden  Tonfall  haben  kann,  so  dass  man  diese  Formen  mit  den 
freien  Strophen  der  lyrischen  Dichter  des  12.  und  13.  Jahrhunderts, 
manchen  Opernarien  oder  auch  Goethe's  dithyrambenartigen  Dichtungen, 
wie  'Gränzen  der  Menscheit'  oder  'Der  Strom',  vergleichen  möchte.  Der 
Schöpfer  der  Melodie  wollte  nicht  bestimmte  Füsse  und  Zeilen  wieder- 
geben, sondern  er  folgte  frei  dem  musikalischen  Gefühle;  dies  allein  be- 
stimmte den  Tonfall  und  die  Länge  der  Kurzzeilen   und  die  Gruppirung 


329 


dieser  Kurzzeilen  zu  Langzeilen  oder  Absätzen  und  zum  ganzen  Gebäude 
(oixog)  der  Strophe. 

Von  der  richtigen  Untersuchung  dieser  Punkte  hängt  das  Verständnis« 
des  ganzen  Strophenbaues  wesentlich  ab.  Die  richtige  Erkenntniss  ist 
hier  viel  schwieriger  als  in  der  lateinischen  Poesie,  wo  der  Reim  das 
Zeilenende  klar  markirt.  Christ  hatte  in  der  Abtheilung  der  Strophen 
mehr  auf  die  Langzeilen  geachtet.  Pitra  hat  während  des  Druckes  des 
1.  Bandes  der  Analecta  mehr  und  mehr  erkannt,  welch  bedeutende 
Rolle  in  diesen  Strophenformen  die  Kurzzeilen  spielen;  vergl.  z.  B.  seine 
Abtheilung  von  \H  naoS-ivos  auf  S.  1  und  auf  S.  677.  Allein  es  ist 
natürlich:  wenn  man  sieht,  wie  in  20  bis  30  Strophen  desselben  Gedichtes 
genau  an  derselben  Stelle  Wortende  eintritt,  so  kann  dasselbe  nicht  Zu- 
fall, sondern  muss  Absicht  sein.  Als  Beispiele  mögen  die  beiden  zu 
Prooemien  verwendeten  Töne  7/  naQ&ivog  (Pitra  S.  1,  662  und  677)  und 
'0  vifjcofrtig  (Pitra  S.  507,  mein  Muster  S.  666)  dienen. 

1    7/  Tiaytttro*:  1    „    w  —  « 

tfrjßtegor  -l-  w  — 

i(»'  vntffavoiov  rixTBt  ^__^^_^w  w  _  w 

4   Kai   ij  yi{  4    w    w    ' 

tu  OTtTjXatw 

an   an (>(><> 1 1  <>>     inanoyti 

7  "Ayyü.oi  7 

nf-ra   noiUH'U))' 

oo§oXoyovotv 

10    May ot   <W  10 

n na  dare (tos 
bdotnoQoOtfiv 

13   di    fjuäg  yay  13    ~    «  —  « 

nmoiov   viov  «  —  w    '    ~ 

<)  7t pö  alwvuw  &eos,  J  _v  w  «i_  w   w  — 

Dieser  75  Silben   umfassende  Ton  ist  im    1.  Bande  von  Pitra's  Ana- 
lecta 21   Mal  angewendet.     Unter    diesen   21   Fällen  finden  sich  folgende 
mit    abweichenden    Theilungen:    Zeile    1   und  2    sind    getheilt    zu    -   « 
Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  II.  Abth.  43 


330 


_(-  w  -L-  w  _:  (H  (paidyä  navriyvQis  p.  630.  648.  668).  Zeile  4  und  5 
sind  sehr  oft  wie  oben  zu  3  -j-  4  getheilt,  seltener  zu  4  +  3  (~  w  —  „ 
*|-_£_^  _^:  rrjs  TQiadog  w&sog  p.  542.  666.  668.  669).  Zeile  13  und  14 
sind  verbunden  p.  461  zu:  (10)  "Huayror*  ircomov  aov*  Trarey  olxTiQiiuor 
(cf.  p.  462  yj)iar£  oIxtiqucov)  +*„,  (13.  14)  J&jat  ue  imnroovvra.  p.  666 
(13.    14)  .2*   cfvlai  hv  rolg  ä'vkoig.   p.   668   (13.    14)  Ä'iru   #«o>  Terv/i^ore^. 

1  "Or  ot  Jiyocpfjrcu   "Aal   Ma>ofjg  1   —  u.  «        „  -i.  «  — 

ij'  reo  roueo  ^   ^        « 

3    Mtoöiav  i'yQaxpav  tvQü)V  3        —  «  —  «  —  «  — 

fivoroX&XTa  w    «    '    - 

5  cF/o;/  #£o£  ixrjQvgag  5__w        w  _^  „  ^ 

TO*$   TitQaai  «  —  „  — 

7    Tläyiag  t-niarQti}iag  (5V  7   —  «  —  «  —  w  — 

j-'c  oJoi)  äofßtictg  w    ^  —  ^   «  —  « 

9    Tyißov  xaftv7if(Jeii;ag  9     '■    w  —  w  —  «  — 

t%  xakrjg   utravoiag  „    „  —  „    w 

1 1  'y/*'   diodsvocu  11  „    •    v, 

*ca    tjiielg  XCÜUOQ  „  —  ^  — 

J'/r)  tfjOTuas  —  —  w  -i-  « 

ixtitvs   (piXiTiiiB  u  j-  o    w        ~  — 

Dieser  86  Silben  umfassende  Strophenbau  findet  sich  bei  Pitra,  der 
ihn  nur  zum  Theil  erkannt  hat,  13  Mal.  Eine  solche  Menge  von  Kurz- 
zeilen, welche  allerdings  dem  Vortrage  des  Gedichtes  ein  eigentümliches 
Gepräge  gegeben  haben  muss,  oder,  vielleicht  richtiger,  durch  das  eigen- 
tümliche Gepräge  des  Vortrags  allmählich  ausgebildet  wurde,  hat  an 
und  für  sich  nichts  Auffallendes.  Bei  den  lateinischen,  romanischen  und 
deutschen  Dichtern  des  Mittelalters  finden  wir  eine  Fülle  von  ähnlichen 
Strophen.  Z.  B.  Carmina  Burana  No.  11  S.  8  und  No.  57  S.  149  (in 
Schindlers  Ausgabe). 


1   Vitae  perditae 
me  legi 
subdideram 


1 


331 


4  minus  licite  4  —  * 

dum  fregi  w  4, 

quod  voveram  *  -i. 

7  et  ad  vitae  vesperam  7  —  « 

corrigendum  legi 

9  quicquid  ante  perperam  9 

puerilis  egi. 

1   Dum  prius  inculta  1   («  —  ~)    w  —  w 

coleret  virgulta 
aestas  iam  adulta 
hieme  sepulta 

5  vidi  5 

viridi 

Phyllidem  sub  tilia 

8  vidi  8  -  - 

Phyllidi 

quaevis  arridentia 
10  Invideo  10    « 

dum  video 

sie  capi  cogit  sedulus 
13  me  laqueo  13    -  — 

virgineo 

cordis  venator  oculus 
Dass  in  unseren  Strophen  Kurzzeilen  beobachtet  sind,  mehr  als 
Christ  annahm,  ist  sicher.  Pitra  hat  ziemlich  viel  Mühe  darauf  ver- 
wendet, durch  Vergleichung  vieler  Strophen  desselben  Tones  die  Kurz- 
zeilen zu  erkennen.  Allein  er  ist  darin  stecken  geblieben;  die  Strophe 
ist  ihm  nur  aus  diesen  Kurzzeilen  zusammengesetzt;  vgl.  S.  LH  und  LXI 
seiner  Einleitung  'meminisse  iuvat  diu  me  colluctari  mecum,  ne  tot  breves 
versiculos  tragico  cothurno  aptarem  neu  praeterea  amplum  acathistum 
exiguas  in  lacinias  dispertirer.  stetisse  me  firmum  in  dispescendi  consilio 
laetor/  Auch  auf  S.  LXXXIV  —  LXXXVI  kommt  er  nicht  weiter.  Aber 
allerdings  wäre  die  Schönheit  dahin,  wenn  diese  Strophen  nur  aus  einer 

planlos  zusammengehäuften  Masse    von  verschiedenartigen  Kurzzeilen   be- 

43* 


332 

stünden.  Es  begriffe  sich  nicht  nur  schwer,  wie  hie  und  da  2  Kurzzeilen 
verbunden  sein  können,  sondern  man  stünde  auch  Strophen,  für  die  man 
nur  1  oder  2  Beispiele  hat,  wie  einem  Chaos  rathlos  gegenüber,  gleich  Pitra 
S.  LXXXIV:  canceps  ac  dira  crux  quemcunque  torquebit,  ubi  troparium 
per  se  stat,  ab  alio  quocumque  liberrimum,  uti  innumera  idiomela/  So 
schlimm  steht  es  nicht;  der  Aufbau  dieser  Strophen  ist  künstlerisch  voll- 
endet und  es  gibt  Wege,  sogar  ohne  Hilfe  der  musikalischen  Noten  diese 
vom  Dichter  gewollte  Gliederung  des  Strophenbaues  einigermassen  wieder 
zu  erkennen.  Wenn  Bickell,  (Zeitschrift  der  deutschen  morgenl.  Ges. 
1881  S.  416  u.  420)  von  den  hebräischen  Strophen  sagt  cder  hebräischen 
Poesie  ganz  eigenthümlich  ist  die  streng  durchgeführte  Verbindung  der 
metrischen  Form  mit  dem  Gedankengang,  indem  nicht  nur  die  Stichen 
mit  den  Sinnesabschnitten,  die  Strophen  mit  den  Ruhepunkten  der  Dar- 
stellung zusammenfallen,  sondern  auch  immer  je  2.  in  einem  bestimmten 
Falle  je  3,  Stichen  enger  zusammengehören  und  inhaltlich  eine  Parallele 
bilden'  oder  'Gruppen  zu  7  und  mehr  Zeilen  zerfallen  in  grössere 
Gruppen,  welche  in  jeder  Strophe  desselben  Liedes  und  in  allen  Liedern 
desselben  Schemas  an  der  gleichen  Stelle  wiederkehren  müssen,'  so  ist 
der  Ausdruck  cder  hebräischen  Poesie  ganz  eigenthümlich'  entschieden  un- 
richtig. Jede  Melodie  braucht  Ruhepunkte,  die  natürlich  in  allen  gleichen 
Strophen  die  gleichen  sind;  mit  denselben  muss  der  Dichter,  wenn  er 
nicht  allen  Gefühles  entbehrt,  Ruhepunkte  im  Sinne  seiner  Worte  ver- 
binden. Man  untersuche  irgend  ein  heiteres  oder  ernstes  Lied,  so  werden 
regelmässig  mit  den  Ruhepunkten  der  Melodie  auch  Ruhepunkte  des 
Sinnes  zusammenfallen,  und  so  innerhalb  des  Ganzen  der  Strophe  grössere 
Absätze  sich  ergeben,  deren  jeder  eine  Anzahl  Kurzzeilen  vereinigt. 
In  den  Strophen  der  mittelalterlichen  und  modernen  Dichter  markirt 
der  Reim  mehr  oder  minder  deutlich  diese  Absätze;  allein  Bickell  wird 
sie  ebenfalls  in  den  künstlicheren  Strophen  der  Syrer  finden,  und  in  den 
griechischen  Strophen  liegen  sie  so  klar  zu  Tage,  dass  schwer  zu  ver- 
stehen ist,  wie  Pitra  sie  so  sehr  übersehen  konnte.  In  den  obigen 
Strophenarten  11  nay&tvog  und  °Ov  ot  nQOiprpai  (=  '(J  vipio&slg)  sind 
diese  Absätze  deutlich.  Dort  bilden  die  Zeilen  1 — 6,  7  —  12,  13  —  16 
drei  grössere  Abschnitte,  innerhalb  deren  sich  kleinere  ergeben :  1  —  3 : 
4—6;   7—9:   10—12;   13—16.     Hier  1—6,   7  —  10,  1 1  —  1 4  mit  kleineren 


333 

Pausen  nach  Zeile  2,  4  und  8.  Pitra  wäre  durch  die  Erkenntniss  der 
kleineren  und  grösseren  Absätze  der  Strophen  vor  manchem  Missver- 
ständniss  und  vor  mancher  falschen  Interpunction  bewahrt  worden.  So 
bestehen  z.  B.  die  einfachen  Strophen  des  Grabgesanges  (S.  44)  aus 
4  Absätzen,  nach  Z.  2,  4  und  6.  Demnach  ist  z.  B.  die  6.  Strophe 
S.  45  zu  schreiben: 

(1)  'AIuvqo.  rfjg  &aXaoor]g  rd  vdar.a 

ykvxsyd  r/y  xoiXlq  rd  ßpcuiiara  t 

(3)   Piipoxlvdvvoi,  Tiltovoiv  ävfryianoi 

r\  yacnriQ  ydp  avrovg  y.arr\vdyy.aat  t 
(5)    Wvydg  öaviaiv  f-unicsrevaavreg 

r()0(pfjg  ya^iv  xal   'Cdkrjg  xaTcupQovovoiv  *s* 
(7)  3Al^  vjlwji'  f]  yakrjvrj  d%Euiaorog 
a>g  Xijutva  ydg  Xftiov  tyjre 
t<)  dk/.r]lovia. 
Einen  äusseren  Beweis  für  diese  Gliederung  der  Strophe  in  Absätze 
und  der  Absätze  in  mehrere  Kurzzeilen  giebt  das  alte  Gedicht  bei  Pitra 
Anal.  I  S.  476,  dessen  2.  Strophe  lautet: 

I    1      Eyaiyei'   r\  xrinig  im  ool*     &eov  oytona*     inl  tiuj'Kqv  xaS-rjjLievov. 
II   4    ZiByra  ydy  «V  evoeßsia*     rd  ß(*t(pr]  vjLivovoi  ae. 

III  6    c////f?s    &&  ßoinun'  ooi*     'llaai'vd   vli   Javid. 

IV  8     0b6q    mpfrrjg    ev    dyd-Qunoig*     Tidviwv    ßaailtvcov*     xal    Kriöv  slg 

rovg  aliuvag. 

X  w     I         w     w     — —     w     £  w     w     O 


D        u    —  -    o     I      v    —    \j    —  I        \j     \j    —    v 


IQ                                                          Q  1 
-*—     w     w     —      w     J 

I 

So  sind  es  6  Strophen  zu  je  4  Langzeilen,  deren  Anfänge  durch 
die  fortlaufenden  Buchstaben  des  Alphabets  gebildet  werden1);  vgl.  ähn- 
liche Gedichte  bei  Pitra  Anal.  S.  LXXVIII  und  Hymnographie  p.  18 — 20. 


1)  Die  8.  Zeile  aller  Strophen  ist  bei  Pitra  durch  Conjekturen  neunsilbig  gemacht;  auch  in 
Strophe  6  Zeile  9  6  ßaaiXttwy  ist  natürlich  nach  der  Handschrift  nuvtujv  ßua.  (=  Str.  2)  wieder 
herzustellen. 


334 

Diese  für  alle  Strophen  desselben  Schemas  giltigen  Pausen  können 
leicht  bestimmt  werden,  wenn  man  eine  Anzahl  Strophen  vergleichen 
kann;  stehen  aber  nur  wenige  oder  nur  einzelne  Strophen  zur  Ver- 
fügung, so  könnte,  wenn  die  einzelnen  Kurzzeilen  ziemlich  selbständige 
Sätze  bilden,  ohne  Kenntniss  der  Melodie  die  Bestimmung  der  Abschnitte 
schwierig  sein.  Es  gibt  nun  noch  ein  anderes  Hilfsmittel,  auf  das  aucli 
Christ  S.  CIV  —  CVII,  doch  nicht  mit  dem  gebührenden  Nachdruck,  hin- 
gewiesen hat,  so  dass  Pitra  auch  dieses  Mittel  nicht  einmal  erkannte. 
Die  natürliche  und  desshalb  auch  bei  allen  Völkern  zu  aller  Zeit  ge- 
wöhnlichste Art1)  eine  Strophe  aufzubauen  besteht  darin,  dass  ein  musi- 
kalischer Satz  wiederholt  und  dieses  Paar  von  gleichen  Sätzen  durch 
einen  dritten,  verschieden  gebauten,  zu  einem  harmonischen  Ganzen  ab- 
geschlossen wird,  was  man  mit  der  Figur  aa  b  ausdrückt.  In  dieser 
Weise  baut  sich  die  Melodie  unserer  meisten  Lieder  auf,  in  dieser  Weise 
gliederten  sich  schon  die  Chöre  des  griechischen  Dramas  in  Strophe. 
Antistrophe  und  Abgesang.  Diese  Grundfigur  aa  b  wird  natürlich  mannig- 
fach erweitert  und  verändert ;  gewöhnlich  zu  aa  bb  c  oder  aa  b  cc  d ; 
seltener  finden  sich  nur  die  wiederholten  Sätze,  ohne  den  abschliessenden 
Satz,  wie  in  dem  oben  ausgeschriebenen  Gedichte  der  Carmina  Burana 
'Vitae  perditae',  das  nur  aus  aa  bb  besteht.  In  den  meistens  gleich- 
zeiligen  Strophen  der  andern  Völker  ist  diese  Wiederholung  ohne  Kenntniss 
der  Noten  schwerer  zu  erkennen :  ziemlich  leicht  in  den  ungleichzeilisren 
Strophen  unserer  Hymnen.  Betrachten  wir  die  oben  citirte  Strophe 
1  7/  TiayiHi'og*  OtJfMQOV*  xbv  vjieyovaiov  rixrtit 
4  Kai  t[  yfj*  ib  anrfkaiov  *  t(ü  anyoGiTU)  Tiyoac/yei  *J|S* 
7  Ayytkoi*  /tiera  noiiitruov*  doSoloyovöivt 
10  Mayut  oi*  iura  äortyog*  bdoiJioQovoiv** 
13     Ji    fjuäg  ya{)*    tyevvrj&r]*    naidiov  viov*    6  tiqo  alatviov   friog. 

•*•  \J      W    VJ   )      — —     <u     }      _     V     — —     V      V     — —     v  a 

**         \s     \s   —!—l      \j    -!—    w    -L-  j     —1 1_    (_<    _L_    tu     \y    —L_    v  a 

•         — '—    \u    —I—  j     — !—  — '—    <u    —!—    \u  j     — - —    \s    — '—    v  " 

■1  "        -1—    v    — -  ;     — - —    v    -!—    vy   j     — —    t/    — -'—    \u  0 


13 


\j   5      v     v 


1)  Dagegen  Christ  Anthol.  S.  CVII:  haec  similitudo  versuum  non  tarn  de  graeco  fönte  quam 
de  hebraicorum  canticorum  parallelismo  quem  dicunt  derivanda  esse  videtur. 


335 

Hier  wird  offenbar  die  1.  Langzeile  in  der  zweiten,  die  3.  in  der  4. 
repetirt  und  die  beiden  Paare  durch  die  5.  abgeschlossen.  Eine  andere 
Wiederholung  bietet  die  Strophenart  "Ov  oi  7iQO(pfjrat  : 

1    \)v  ol  TryocpfiTcci  xal   Mwofjg*     iv  tu)  vouqy* 
3    Meooiav  t'yyaipav,  evycov*     uvGTo'/Jxra  t 

5    Ylov  freov  ixrjyvg'ag*    rolg  Tiffjaai  *Jfc* 
7    IJarrag   tntorQHpag  dt-  *     *i?  bdov  daeßelag  t 
9   TQißov  xa&VJii<feil;ag*     rr/g  xalfjg   asrayolagt 

11    r)y  dtodsvaat*  xal  fjueig  xakdg*  <5iä  vrjazeiag*  txerevs   (pilmne. 

i    _i_  _i_  w  -i—  »_/  _i_  \j  —!—  j    u  »^  _i_  \^      a 
3     .  /  »  n 

«-»      i_/     w     '_     J        V      w     — —     K  «* 

o       .     .  ,  -  •  ,  h 

#  '  W  |  V  '  W  *  ,  W  W  '  W  W        '_  w  C/ 

<t/  _   ' O  *  W  f  W  *         ,  W  W  '  W         1/  '  O  O 

Achten  wir  nur  auf  die  Silbenzahl  und  den  Schluss  der  Langzeilen, 
so  besteht  jene  Strophe  aus  15  '  «  -|-  15  ••  u  ;  13-^-w-|-13-^-«-|-20w  -, 
diese  aber  aus  12-  *  -f  12  ;-  «  +12  '-*-•;   14-  «  -f-  14-i-„  +  22^  w  -l. 

Diese  Wiederholung  findet  sich  in  den  grossen  zu  ganzen  Liedern 
verwendeten  Strophenarten  minder  häufig.  Geradezu  charakteristisch  aber 
ist  sie  für  die  einzelnen  einleitenden  Strophen,  ein  bemerkenswerther 
Umstand,  welcher  vielleicht  mit  dem  Vortrag  derselben  zusammenhing. 
Jedenfalls  gibt  die  Erkenntniss  der  Langzeilen  auch  die  Erkenntniss  der 
Hauptgliederung  der  Strophe.     So  Pitra  S.   101   (aa  b) 

Tbv  di    ftfiag  aravyiod-i-VTa*    devrs  jidvTeg*    vuvrjawjLiev  * 
Avxbv  yctfj  zaTthhv   Mayia*    im  §vloy*    xal  elsvgv  t 

El  xal  aravfjüv  vnouevtig  *    av   vnayyeig  * 

6  vibg  xal   &tog   uov. 

Da  die  beiden  ersten  Langzeilen  offenbar  gleich  sind,  ist  entweder 
die  erste  (dtd?)  oder  die  zweite  {ydy  del.?)  zu  bessern,  also  16  (oder  17) 
j_.  w  _•_  _|_  16(17)  -'~  u  —  -j-  19  -'-  v.  Auffallend  gross  ist  die  repetirte  Zeile 
bei  Pitra  S.  157,  was  schon  Pitra  durch  die  Worte  cgravitas  prooemii 
grandiusculo  metro  ordientis'  anzudeuten  scheint: 


336 

c'0t8  y.araßdg*    Tag  y'kvjoaag  aw6%€£*    ditutyi'Ctv   t&i'i,   o   vwinrogt 
an  t.ov  Tivyog*    rag  ykujooag  oieyeifiev*    tig  iy&trpra  Jiavrag  exalsoe% 
xai  ovucpatviog  do£aQ(x)iiev*    rb  Jiavayiov  nvsvua. 
also  23^„--j-23^-v,-4-8-w-  +  7^u. 

Da  viele  dieser  Prooemientöne  htiousla  sind,  d.  h.  nur  in  einer  ein- 
zigen Strophe  sich  finden,  es  also  oft  schwierig  ist,  ihren  Bau  zu  er- 
kennen, so  will  ich  eine  grössere  Anzahl  derselben,  welche  im  1.  Bande 
von  Pitras  Analecta  vorkommen,  hier  erklären,  indem  ich  zuerst  die 
Strophen  mit  einem  Paar,  dann  die  mit  zwei  Paaren  gleicher  Langzeilen 
aufzähle. 

Zwei  gleiche  Zeilen  zu  6  j_  v  —  eröffnen  die  kleine  Strophe  p.  178  ngi/rei. 
2  zu  8  w  -l  aa  p.  516  d<p3  ov,  wo  ptQog  und  nkeov  wiederum  2  gleiche  Langzeilen 
zu  beginnen  scheinen.  p.  671  bilden  Ol  iv  ßaoavoig*  dqioxevoavxeg*  und  xai  h 
oxeq>dvotg*  7iayxoo/.iioi  sicher  2  gleiche  Langzeilen,  so  dass  wohl  in  der  2.  eine 
Silbe  weggefallen  ist.  S.  367  2  Langzeilen  zu  1 1  jl.  ^  'Ex  xr\g  yrjg  aov  ngocpaveioa 
Tj  xdga  £   =   S.   369,  wo  wohl   Trtg  ooqpiag  xov  rcoixiXov  Xei^wva  zu  ändern  ist. 

S.  517  cog  noXvxifirjXov  12  u  jl.  aa.  13  Mal  findet  sich  der  Ton  ejcecpdvijg  12  jl  w  aa : 
vgl.  unten  rrp  &£<p  12  _i_  v  aa  -f-  bb.  19  Mal  der  Ton  xd  avto  13  w  aa: 
S.  316  ist  &elov  zu  tilgen;  S.  473  ist  wohl  neqxxvwiai  und  S.  588  kcpdvtooag  zu 
schreiben;  S.  480  xai  u  doXtog?;  S.  328  weicht  stark  ab.  11  Mal  der  Ton  vqv  h> 
nQEoßeiaig  13  ±.  ^  aa,  dessen  Schluss  dem  des  vorigen  gleicht,  ja  einige  Male  (p.  298. 
559.  527)  mit  denselben  Worten  gebildet  ist;  desshalb  ist  S.  532  xijg  im  Refrain  mit 
cod.  T  zu  tilgen;  S.  319  und  667  ist  der  Schluss  der  Strophen  wohl  stark  inter- 
polirt;  S.  555  ist  ixexqayev  richtig.  10  Mal  der  Ton  t<[>  (paeivt7j  14  _r_  w  jl.  aa; 
S.  663  ist  xov  xov  yQioxov  zu  ergänzen.  S.  535  nqooxaoia  IQt.jL.  «  —  aa.  S.  447 
ist  wohl  xai  zu  streichen  und  zwei  Langzeilen  zul4v_i_(u^^_w,  <^w* 
vj-vjl.jl.vsjl.)  herzustellen.  Die  Strophe  S.  92  deonoxov  beginnt  mit  2  Lang- 
zeilen zu  14  j-  w  ;  vielleicht  wird  auch  der  2.  Absatz  dXXd  xoiavxrjg  durch  die  wieder- 
holte Melodie  5  jl.  *->  bb  eröffnet.  S.  538  yiQyjoxQaxrjye  d-eov  *  Xeixovqye  Üelag 
dofyg*  xwv  dyytXwv  odrjyi*  xal  dqyrjyi  dow(.idxwv  (15  jl.  v  a:  14  _^  ^  a)  ist  xai 
entweder  in  der  1.  Langzeile  zuzusetzen  oder  in  der  2.  zu  streichen.  S.  186  ol 
xqeig  15  jl.  w  aa.  2  Langzeilen  zu  16  oder  17  jl.  v  jl.  S.  666  xd  xwv  ßXaoq)rj/.iwv, 
wo  entweder  dvianaoag  oder  eher  s^exdXvipag  falsch  ist. 

Häufiger  sind  die  Strophen  mit  zwiefach  wiederholten  Sätzen  nach  den  Figuren 
aa  b  cc  d ;    aa  bb  c  u.   s.   f.     So   S.    92   xw    9qovw    7  w_j_aab-f-8_i.w_^  ccc  -f-  d. 

Die  1.  Strophe  S.  499  ev  xoXrcoig  hat  9  jl.  w  .:  ccc;  auch  die  2.  Str.  S.  499  geht 
wohl  nach  demselben  Ton,  nur  hat  ZI.  b  2  Silben  zu  viel  und  die  erste  Zeile  c 
2  Silben  zu  wenig.  Die  grosse  Strophe  S.  646  dywvag  beginnt  mit  7  jL  *  aa  +  b : 
dann    eröffnen    nach   der  Moskauer  Handschrift  2  gleiche  Langzeilen    zu  17-^-^    _  cc 


337 

den  2.  Absatz  akXd  xal  vvv  wg  xdg  aigtoeig  *  xat  xwv  ey&qwv  xo  qpQvayita  *  ev  xolg 
neql  xwv  ßaaiHiov  *  vnoxayi\vai  nqeoßeve  *  Der  5  Mal  vorkommende  Ton  wg 
vuaoydg  S.  165  beginnt  mit  8^_  ^  _:_  aa  -f-  b;  dann  folgt  7^-oCc-}-6.j_^^_dd-J-e. 
Hübsch  ist  die  Strophe  S.  579,  die  zu  schreiben  ist  Tlioxiv  yqioxov  *  woel  i>wqay.a  * 
evdov  laßwv  *  ev  Y.aodiq  oov  *  rag  evavxiag  övvd/neig  *  y.axe7tdxrioag  *  rroXva&Xe *** 
xal  oxeyei  oigavlw*'  eoxeqp&rjg  cuwvlwg*  wg  avpxrfcog.  S.  493  beginnt  der  1.  Absatz 
xav  aTTOöxöfaöv  mit  9  _i_  ^  ^aa-J-b;  der  2.  besteht,  wenn  man  cpoqovoa  annimmt,  aus 
13^_  w  ccc.  d.  S.  140  beginnt  die  Strophe  xfj  q^dongay^ovi  mit  9  ^  _j_  aa  -f-  b;  auch 
der  2.  Absatz  scheint  mit  2  gleichen  Langzeilen  zu  beginnen  ovyy.exleiOLievwv  ydq 
xwv  övQiov*  wg  (ov?)  elofjX&eg  oiv  xolg  loinolg,  so  dass  die  1.  oder  2.  Zeile  zu 
ändern  ist.  S.  116  beginnt  der  1.  Absatz  mit  10  _£.  ^  ^_  Tftg  e'xfrgag*  iXv&r]*  xö 
xvgavvov  *  xrjg  evag*  erravitrj*  xo  ddv.ovov  *  öid  xov  nd&ovg  oov*  q^iXdv&QWTte* 
yqioxe  6  -tteög  ***  Der  gleiche  Parallelismus  der  Worte  zeigt,  dass  auch  der  2.  Absatz 
ev  avxu)  ydq  6  O-avwv  *  dvaTtexatvioxai  *  öl  avxov  de  6  Ajyarijg  *  elooiY.iL.exaL  %  tiovog 
yoqevei  6  l4däii  mit  2  gleichen  Langzeilen  zu  12  oder  13_^^^-,  je  nachdem  man 
avay.ev.aivioxai  oder  elooixt'Lexat  ändert,  zu  beginnen  ist.  S.  53  besteht  der  1.  Ab- 
satz tag  dlrjüiog  aus  10  ^  j~  aa  -f-  7  ^  jl  bb,  der  2.  aus  12  _i_  v,  —  cc  -j-  7  ^  jl  b.  S.  545 
Strophe  doxega  besteht  aus  11  j-  ^  _j_  aa  -f-  18  _i_  w  —  b;  13  -i_  w  _i_  cc  -j-  13  ^  .'_  d. 
S.  517  beginnt  die  Strophe  xifjiog  mit  ll_i_w  _l  aa,  wenn  in  der  2.  Zeile  o  getilgt 
wird;  der  2.  Absatz  beginnt  mit  10 j-^  cc,  wenn  tvr'  a/roazoÄttn'  apostrophirt  wird. 
S.  61  besteht  der  1.  Absatz  der  Strophe  /nerd  xXdöwv  aus  1 1  j-  w  _•_  aa  -f-  7  ^  'bb; 
der  2.  beginnt  ebenso,  wie  S.  517  mit  2  Langzeilen  von  je  2  Mal  5  jl.  ^ .  S.  165 
beginnt  der  erste  Absatz  mit  den  gleichen  Langzeilen  12-^w«_^aa  (ibg  ekeijjuwv* 
vrcaqywv  *  yqioxe  6  9eog  *  xdg  xwv  [.taqxvqwv  *  alxioeig  *  eöqooioag)  -\-  7  jl,  w  bb ; 
der  2.  beginnt  mit  18-i.wCC.  Mit  der  gleichen  Langzeile  zu  12  jl  w  aa  (5  j_  v 
+  7  _!_  ^  .j_)  beginnt  sowohl  die  1.  (et  x<u)  als  die  2.  (Kaxalaßovoäi)  Strophe 
S.  124,  während  das,  was  folgt,  verschieden  ist:  dort  beginnt  der  2.  Absatz  yvvai^l 
mit  14.'  w  cc  (7-i-v  -f~7  — w— )i  mer  derselbe  mit  18_^w^  (5^£a  fixÄcwi?*  6 
OvXy&eig  *  ex  tijs  a'ifioqqov  *  t^V  laa/v  *  a^a  yyeq&i]  *  6  7tQoeiTHov  *  xai  nqo  xov 
ndfrovg*  xrjv  eyeqoiv  *).  Die  2.  Strophe  S.  107  rcDy  (poßeqtov  und  die  3.  Str.  S.  141 
rip  «x  vfx^wv  aot>  sind  sich  im  Bau  fast  völlig  gleich;  nur  beginnt  S.  107  die  1.  und 
2.  Langzeile  mit  4^,  S.  141  mit  5  -l.  ^ ,  so  daga  <l<>it  11  «-  _^  aa,  hier  12  w  ^_  aa 
entsteht;  der  zweite  Absatz  beginnt  mit  2  Paaren  von  8  _'_  ^  ^_,  so  dass  S.  108 
Pitra's  Conjektur  ävaglwg  idedlaoa  sicher  falsch  ist.  Die  Strophen  S.  651  xoig  xwv 
a\pdxwv  und  S.  586  xfj  xov  d^ie/urcxov  gehen  nach  demselben  Tone,  der  durch 
2  Langzeileu  zu  12  -  ^  _•_  aa  eröffnet  wird;  während  der  2.  Absatz  S.  586  aus 
10  ^_  w  ^_  bb  -+-  12  jl.  w  -i-  c  besteht,  besteht  er  S.  651  aus  10  -£.  w  ^,  12  ^_  v,  .^, 
10*^_  *>  _i.,  so  dass  vielleicht  die  Zeile  avxfjg  yaQ  V7idgyec  xo  oxrjgiyfia  in  Parenthese 
vor  o  dovg  zu  stellen  ist.  Schön  baut  sich  die  Strophe  ij  xov  nQOÖQÖ^iov  S.  178  auf: 
Der  1.  Absatz  (zu  42  Silben)  besteht  aus  12  ^  aa  +  7  j-  «-  bb  +  4  _i_  w  _l.  c;  der 
Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  II.  Abth.  44 


2.  (ebenfalls  zu  42  Silben)  aus  17  .l.  ^  dd  (^q^veitiij  oiv  Floiodidg*  avouor  (pövov 
tdi^oaoa  *  ov  f.iovov  ydq  tov  tov  9eov*  LiZvza  ctiiovu  ftyd;irtOEv)  -j-  8  j-  «  —.  S.  '^70 
TTQog  roig  dv6f.iovg  beginnt  der  1.  Absatz  mit  12  jl_  -  aa  -f-  b;  der  2.  scheint  mit 
9  j-  «  zu  beginnen,  so  dass  der  Accent  von  iXdfUtfwag  falsch  wäre.  Die  Strophe 
yeiQoyQcupov  S.  185  und  490  beginnt  den  ersten  Absatz  mit  12  jl.  u  aa  -\-  b;  den  2. 
mit  11  j-  ~  cc  -j-  d,  so  dass  wohl  S.  490  /.al  /.Xctiovoai  zu  ergänzen  ist.  Die  Strophe 
S.  218  ol  rrp  ydoiv  beginnt  den  ersten  Absatz  mit  12  -  ^  aa  -f-  b;  den  2.  mit 
9  _i_  «  cc  -}-  d.  Die  16  Mal  vorkommende  Strophe  T(T>  i>E<7)  d;rd  urjTqag  besteht  aus 
12  _l_  «  aa  -f-  12  -l.  «  ^_  bb  -f-  c ;  der  Ton  ist  sehr  verwandt  mit  dem  e/i erpdr rtg  oben 
bei  aa  b  12  _i_  ^  ;  S.  577  und  615  ist  wohl  7rarrjQ  rMtor  zu  schreiben ;  in  der  Strophe 
S.  (308  roig  oieooovg  ist  xqiotov  zu  sehreiben.  Der  mit  12  _l_  -  aa  beginnende  Ton 
6  uil'iod-eig  ist  schon  oben  behandelt;  S.  275  ist  wohl  t^v  vor  ydqiv  zu  tilgen,  nach 
vteicj  stark,  vor  atTrj  (avti]?)  leicht  zu  interpungiren  :  8.  :>>94  'lEoccoytov  r.  #.  £.  richtig; 
S.  433  Kai  dylav  fjijTtQoc  richtig;  S.  507  iv  rgi  zu  tilgen;  S.  581  iteodwQrjTiog  richtig. 
Der  6  Mal  vorkommende  Ton  yoQog  dyyeXixog  besteht  aus  13_L-waa-J-7-i-«_i_b 
+  8  ^  «  ^_c;  der  2.  Absatz,  welcher  wiederkehrt  im  Ton  oTctv  eX&ijg  (22  _i_  «  jl.  aa) 
besteht  aus  13-^«dd-f-7^_«^e.  Die  2.  Strophe  S.  140  6  tov  Giofiä  beginnt 
offenbar  mit  2  gleichen  Langzeilen  zu  13  oder  14  _i_  «  —,  so  dass  wahrscheinlich 
6  tov  Qiof.ia  öiOTayixög  *  niaiig  dftopißoXog  (dvct(.i(fißoXog  Pitra)  %  Qwcovo/utjvhy, 
tfcjrrjp*  ovrcoc;  ßovXr\OEi  aov  zu  schreiben  ist.  Der  6  Mal  vorkommende  Ton  rrp 
vTttQ  yuiov  beginnt  den  1.  Absatz  mit  LS  ^_  ^  aa  (5  -f"  3  -f-  5),  den  2.  (ovda{.w&ev) 
mit  9  —  «  _^  ccc  (4-(-  5  cc  4-  9  c);  die  S.  600  zugesetzte  Langzeile  7iäoav  oiqu- 
näc*  tov  -KOOftov*  v.ctTctXin tvTeg  ist  gleich  den  beiden  ersten  Langzeilen;  S.  <iii7 
fehlt  in  ev  <<)doüg  /.al  i(.ivoig  und  r^  dea;iur};  xoctv/dCovieg  je  eine  unbetonte  Silbe. 
Der  Ton  to>  vHeoudyoi  kommt  bei  Pitra  S.  250.  263.  300.  613  vor;  da  Pitra  die 
schon  von  Christ  Anthol.  S.  140  richtig  gegebenen  Langzeilen  wieder  zerstört  hat, 
gebe  ich  die  Strophe  mit  den  Kurzzeilen 

Tijj  v7XEQi.idyiit*    GiQctxijv)*    tu  vr/.tlir'lQia 
wg  XvTQio&Eioa  *    Ttdv  öelviuv  *    EvyaQiozrjOia 

dvayod(fco  ooi*    i]  nuXig  o;;*    üeotoxe. 
IäXÜ  tag  tyovaa  xo  /.qutos  *    dnqooudyr^ov 
ex  nctvTouov  (.iE  -/.ivötviov  *    fXev&eqiüoov 
iva  ytQaCco  ooi 
yuioE  vvuqpr]  drvftg*vre. 
also    14^  -  _  aa  -4-  13^  *    b;    13  jl.  w  _  cc  -f-  13  _  -  —  d.      S.  300    hängt   die 

3.  und  4.  Zeile  dem  Sinne  nach  eng  zusammen ;  auch  die  5.  Zeile,  die  in  der  Hand- 
schrift den  richtigen  Tonfall  hat:  rrgög  Trjv  Xöt]v  dyioyr\v  avTOtg  '/al  ao/.rloiv,  entbehrt 
hier  der  Theilung;  S.  613  ist  in  Z.  4  wohl  rrgog  tov  kvqiov  zu  schreiben,  fehlt  Z.  1 
eine  Silbe;  sonst  ist  der  Strophenbau  richtig.  Der  bei  Pitra  7  Mal  vorkommende 
Ton  ra  i>EoßqvTa  beginnt  den  ersten  Absatz  mit  14^_  ~  aa  (5  +  5-4-4),  den  2. 
(■/.ai    oivXog)    mit    12  _'    «    bb    (3-4-2-4-7);    also    ist    richtig   S.  349   -/.aT^QÖEtoag 


339 

(=  Baotleis) :  354  v.al  oiilog  cpioiög ;  S.  583  ist  wohl  xrjv  xr,g  xgiddog  zu  stellen 
und  S.  655  xalg  vor  yvwftWQ  zu  tilgen.  Die  Strophe  'lioayeifx  S.  198  bildet  den 
ersten  Abstatz  aus  14 _i_  ^  aa  -j-  9  _l_  «  __  bb.  Die  3.  Strophe  S.  29  6  ^igav, 
verwandt,  aber  nicht  gleich  der  Strophe  yoqög  dyyeXt/.ög,  beginnt  den  ersten  Absatz 
mit  15  -L-  «  —  aa,  den  2.  (aXX)  mit  14  _j_  «  _:_,  so  dass  wohl  ßaoiXeag  (=  eV  noXi- 
f.ioig)  zu  schreiben  ist.  Die  Strophe  S.  514  6  7r^o  ecoocpoqov  scheint  den  1.  Absatz 
mit  15  «  '^aa  zu  beginnen  6  7106  twoyooov*  in  TtaxQog  d(.n)xioQ  yevvrt^eig%  Lri  (xtjg  del.?) 
yrjg  dnaxioq*  soaQ/.wfrrj  o^iaeqov  ix  ooi ',  den  2.  mit  12^.«  cc.  Die  Strophe 
rj  7iaQ&evog,  wo  auf  15  _i_  w  aa  der  2.  Absatz  13  _l.  v  bb  und  ein  dritter  zu  13  _l.  w  -j- 
Refrain  zu  6,  7  oder  8  Silben  folgen,  ist  schon  oben  behandelt;  demnach  ist  S.  202 
der  Refrain  Üeov  xr\g  ydqixog  richtig,  vgl.  S.  542 ;  S.  320  ist  andorjg  xqg  ?rgo(fi]xeiag 
zu  schreiben.  In  der  grossen,  gut  114  Silben  umfassenden  Strophe  S.  85  xaxayovoa 
beginnt  der  1.  Absatz  mit  16  _^  v  ^  aa  (xui  vor  eiöoxi  scheint  falsch);  der  2.  (niog 
aoi)  mit  21  '^  (6  -j—  4  -J-  7  -4-  4).  Fast  ganz  aus  Kurzzeilen  zu  «  j-  ~  baut 
sich  die  hübsche  Strophe  S.  76  ovv.txi  i/Xuyirtj  qo(.i(faia  auf;  der  1.  Absatz  besteht 
aus  18  w  _!_  aa;  der  2.  aus  16  ^_  ^  •  (dt  nach  hiionqg  ist  wohl  zu  tilgen)  nebst 
Refrain    zu   8  _l.  «  _.        In   dem    Tone   oxav   i7.it  fig   S.    35.    487.    604    beginnt   der 

1.  Absatz  mit  22  <  u  aa  (4  —  3  +  7  -f  8),  der  2.  mit  13  -  cc;  dieser  2.  Theil 
ist  dem  von  yoqog  dyytXr/.üg  (18  -  aa  bb)  gleich.  Die  Strophe  t^v  oio/aai r/.ir 
S.  2.5.  549.  666  beginnt  mit  25  -  *  aa  d  -j-  7  -f-  5  -f-  7) ;  der  2.  Absatz  besteht 
aus  12  •  >-  •  1)1)  (7  +  5),  der  8.  ans  :>1  Silben;  S.  549  wt  wohl  so  schreiben 
y/.iorZuv  drvf.ivovvxtg  oe. 

Wir  Jiaben  gesehen,  wie  sehr  das  Gesetz  der  wiederholten  Melodie  den  Aufbau 
der  Prooemien  beherrscht:  anderseits  lehren  einige  Blicke  in  den  ersten  Band  von 
Pitra's  Analecta,  wie  unsicher  der  Text  ist;  zum  Nut/m  künftiger  Forscher  seien 
einige  Vermuthungen  beigefügt:  S.  501  beginnt  der  2.  Absatz  (iVa  oxav)  sicher  mit 
12  ±.  -  —  cc  (8  +  4),  der  1.  wohl  mit  10  jl  -  aa  (5  -f  5).  Der  öfter  (S.  169.  459. 
589.  628.  644.  653.  665.  668)  Torkommende  Ton  xovg  dog?aXe"ig  beginnt  den  1.  Ab- 
satz mit  12  ^  u  „aa  (4  +  5  -f-  8),  des  2.  mit  12  «  .  (7  -f  5).  Die  Strophe 
S.  547  iog  avXog  beginnt  den  1.  Absatz  mit  13^  -  _aa.  Der  S.  177.  366.  438. 
582.  670.  (636  V)  befolgte  Ton  6  ooqploag  beginnt  den  1.  Absatz  mit  13  -  _i_  aa,  den 

2.  mit  13  oder  14  _i_  «  _^  cc  (7  oder  8  _i_  -  _  +  6  —  -  _).  Wenn  man  S.  373 
die  Strophe  im  Text  und  in  der  Note  verbindet,  ergibt  sich  für  den  Anfang  des 
1.  Absatzes  13  _i-  -  aa  [xöv  /.texaoxavxa  eioeßiog*  ex  xiov  iiQOO/.atQiov  *  iv  xalg 
oxqvalg  xiov  1/.Xeaxiov  *  (.uxd  ör/.aiiov  *  dvdnavoov  ygtoxi  6  iteog.  Die  Strophe 
S.  12  xyv  xiov  dvo^iov  scheint  mit  16  j_  »  aa  zu  beginnen.  S.  332  scheinen  die 
beiden  ersten  7iqwxog  zwei  gleiche  Langzeilen  von  vielleicht  22  _L  «  _i_  aa  zu  beginnen. 

Nach  den  gegebenen  Beweisen  ist  klar,  dass  der  Aufbau  der  Pro- 
oemienstrophen  hauptsächlich  durch  Wiederholung  von  Langzeilen  be- 
wirkt wird.     Die  Töne,  in  welchen  die  zahlreichen  Strophen  der  Hymnen 

44* 


340 

selbst  gedichtet  sind  *),  sind  meistens  umfangreicher  und  kunstvoller  auf- 
gebaut. Doch  auch  hier  spielt  die  Wiederholung  der  Zeilen  eine  grosse 
Rolle,  was  einige  Beispiele  beweisen  mögen.  Das  alte  Gedicht  auf  Adam, 
Pitra  S.  447,  besteht  aus  22  Strophen  nach  folgendem  einfachen  Ton: 
1     ^Lvva'kyrfiov*    naQaStios 

3      Tip    XTrjTOQl*      7lTU)"/(Vöa.VZl, 

5    xal  reo  tj/(p  aov  tujv  cpvkkcjy 
Ixixevaov  t(u  Trldorrj 
ur)  zXeior]  of. 
8    'Ekerjiwy*    i'/.iijaoi'*    rbv  jiayaneaovTa. 

j.     \j  -?—  w  ' '  ,   v  ■— «  yj  — ,        o    \j  -?—  u  — ,    <*>  -i-  \j  -^—         aaaa 

O       vw   —   v   — —   w   —   o  D       uw-^-«-»\w-—   u         7       v   —    v   —        DCä 


Refr.  8    w  —  ^— ,    v  —  v— ,—  —  —«  —  v,  aad 

Die  1.  Zeile  ist  selten  -_'_«_:_  vvv  ovv  oior^g  betont;  in  der  6.  Zeile  ist  Takt- 
wechsel gestattet :  denn  etwa  8  Strophen  haben  den  Tonfall  «  _*_  «  _i.  «  _♦_  «  bci- 
levoov  xiTt  TrXdoTg,  2  die  unsichere  _^w^-_j_«-!_w  (5  pe/rg  äveu)y[Abvog  und  23 
ndgide  afiaQTiag) ;  die  übrigen    -   «  _i_  «   «  _'_  -    dveoztva^e  [Atya. 

Sehr  häufig  angewendet  ist  der  Ton  t^p  *Edifi%  nach  welchem  auch 
folgende  Strophe  (Pitra  S.  9  Str.  21)  gebaut  ist. 

I.      1    'Ynb  rwv  dnlavüjv*    jLidyiov  Tavza  tXtysTO, 
3    vnb  dt  ttjq  aeiiyfjg*    navra  intaip^ayiQexo^ 

5    xvyovvTog  rov  ßynpovg*    %d  Tuiv  dfnpoTtyati'. 
II.      7    ttjq  fliv  dei/cvuvzog*    jtierd  %r\v  ytvvrjoiv*    rr)v  jurjr^ay  dfiLavTov, 
10    T(xiv    dt-    dec/.vvvzog*     jLieid    rr)y    tktvoiy*    äfio%&ov    rbr    vovv* 
tuGJify  rd  ßrjuara ' 

III.  14    ovdelg  yd(j  Tovrcov*    VTitairj  xotiov, 

16    d>g  ovx  suo%frr]0€}/  ek&wv*    6  'AitißaxovfA  fiybg  Javu]K' 

IV.  18    b  (parelg  yd(j  Jiyoiprjzaig*    b  avT.bg  kpdvi]   udyoig 
Refr.   20    naidiov  viov*    b  tiqo  alwvujv  frsog. 


1)  Aus  der  Liste  dieser  Töne,  welche  Pitra  S.  LV  gibt,  ist  Klasse  I  No.  14  Eliae  ovx  e&lupe 
S.  293  zu  streichen.  Pitra  hat  nicht  bemerkt,  dass  dies  Gedicht  des  Elias  S.  293  mit  seinen  2 
vorangehenden  (S.  289  u.  291)  wie  den  Bau  des  Prooemium,  so  auch  den  der  Strophen  gemeinsam 
hat,  nemlich  iwöriaov  Klasse  II  No.  11. 


341 


I.       1     <y  \ 
4 


0     w '  —  w    w  — 

-■'*      6    u  —  >. ■  w  —  w      bb. 

II.     7.«^!^, 

8  —  ^  ^  —  w  —       9    w-i-wu_^^^_     cde 

10    „  -  1    ^^-  „ 

11                                           1  9                 •           < 

13  -u  y-w*^       cd f  g 

III.   14    .   ^  1    w  ±-  w 

15,gii    v-w       hh 

16     ^  —  v  — 
IV.  18  «vUvwJ 

W     — j    J                                                                  U     —      o      —     w      —     J 

-v>            19«^  —  ^i—  ^-  —  w          Im 
w  -  °  } 

Refr.   20    „    '    w  ^-  . 

w       w       —     J 

21   —  —  «  —  *   «  -!-.                no 

Diese  schöne  Strophe  baut  sich  aus  Langzeilen  auf,  welche  theils 
aus  gleichen  Kurzzeilen  bestehen,  theils  unter  sich  gleich  sind.  Mit  dem 
Ende  der  Langzeilen  fallen  schwächere,  mit  dem  Ende  der  Absätze 
stärkere  Sinnespausen  zusammen,  so  dass  Inhalt  und  Form  sich  gegen- 
seitig beleuchten.  Besonders  Romanos  arbeitet  die  einzelnen  Stücke  alle 
kräftig  aus  und  achtet  genau  auf  alle  schwächeren  und  stärkeren  Pausen. 
Andere,  welche  grosse  schwungvolle  Perioden  lieben,  beachten  oft  die 
schwächeren  Pausen  weniger,  wie  z.  B.  Josephus  bei  Pitra  S.  382.  Allein 
auch  bei  diesen  sind  Theilungen  unmöglich,  wie  sie  Pitra  z.  B.  S.  326 
dem  Domitius  zutraut,  wo  es  von  Johannes  dem  Täufer  heisst  (21  Z.  10) 
xa\  hv  i ii  urjTyq*  tri  x^VTixo^ievog*  XQaQti  ov  (pvjvfj*  dXXa  ay.i^T^fiaöi^^ 
(III,  14)  i.r\v  xrlaiv  •  Ovtiü)*  iyü)  xaisidov*  xal  nyouipwio  ooi  tov  oov* 
drißtovQybv  xal  Xvtqu)ti)v  fsaltibus  convocat  creationein"),  während  natür- 
lich vor  ttjv  zt La iv  kräftig  eingeschnitten  und  rr)v  xrlaiv  ovtiü)  xcaeidov, 
wie  in  der  folgenden  Strophe  tov  xoauov  ovx  slät,  verbunden  wer- 
den muss. 


342 

Bemerkenswerte  ist  besonders,  wie  hier  im  Anfange  der  Langzeilen  halbbetonte 
Silben  oft  mit  voll  betonten  wechseln.  Eigentlicher  Taktwechsel  findet  sich  bei  Romanos 
nur  in  der  letzten  Zeile  (vor  dem  Refrain),  der  19.,  wo  selten  die  2.,  oft  die  3.  Silbe 
accentuirt  ist:  awr^ars  oti  toythj.  €yevvr\^r]g  evdoxrjOag.  Andere  haben  die  2.  und 
4.  Zeile  ebenso  behandelt  wie  das  1.  Stück    des   politischen  Verses,   indem   sie   neben 

~   w  <-_i_w_i_  auch    ^  w   w_l.w_^_  gestatteten ;    vgl.    z.    B.    Pitra    S.    202 

noiyiha  xai  didaoxalov.    tovg  agvag  /.aAead/uevog. 

Das  auffallendste  Beispiel  von  Wiederholung  der  Langzeilen  bietet 
der  berühmte  Ton  dyyelog  Tj^ioToaTarrjg.  Dieser  Ton  ist  am  feinsten  aus- 
gearbeitet in  den  13  Strophen  des  Akathistos  bei  Pitra  S.  263  —  272. 
Ich  setze  die  2.  Strophe  hierher: 

I.      1   Ayyekoi   ov(mvo&tv*    tfp  orp  y.viptv  ncdai*    dyvjtiyrjaur  na{j- 

&svb  diiwg' 
IL      4  xai   yvv    Ti)y    U(hxv    y.ai    öeTirrjV*     lieft*   fjjiiiöv  rcör  xaru)*    ev- 
otßwg  *    y.olf.ir\Giv 
8   doigaaovcn)'   tr  an  acta  iv*    y.Qavyd'CorTtg  nyog  ot  rotaCra: 

III.  10  xaiQb  yayag*    rwr  dr&yi  tuüv  ßywaig' 
11   %alye  dyäg*    ruiy  n^oyonov   'kvoig. 

IV.  12  XaL^B  äoyctTOV*    naryög  vv/LKpt]  oup9oye' 
13   yaiye  ovravdyxov*    vlov  ujjtbq  ävavdfie. 

V.    14  xai9B  xkluag  dvacpegovoa*    dnb  yfjg  tlg  ovQavov 

16  Xai9B  ytipvQct.   dodyovaa*    elg  Tiayadtioo}'  xbqjivov. 

VI.   18  xa^Qs  °Tl  X°Q°i  °B*  ävvjuvovaiv  ol  ävw 

20  Xa"*Q*  (,Tl  ßyoroi  os*    nQooxvvovaiv  oi  xdruj. 

VII.   22  xa^B  uyvil*    naQ&tvuJv  ro  xavyr\ua' 

24  yaXQt  oe/iivr]*    cseuvujv  dyalXiajua. 

VIII.   26  xaLifB  di    W*    (pakccyg'  (psvyei   dcuuovuw' 

28  x°ÜQB  di    rjg*    ipvaig  xa^Bl  oiv&^iojuay. 

Refr.  xai9B  yvjLMpr]  dvvjucpsvre. 


U     V 


IL     4  (~   «  —  w)l    u  —  «  v  —     5    o  ^ 

w     —     o      —     J 


343 


III.   10 

W        W           —      w      W                            9j 

11 

w        w      

W          W       V       w                                  cl 

IV.   12 

-C,     W     —    w     — 

13 

—      W      -—     VJ 

w                         w       w       w      w                            kj 

V.   14 

—    V      —     w      -^ 

O     w      w       w     —     w     w 

-ii 

1 __,_     \f     w       w 

-) 

16 

w      W 

w     — —     w     w       w     ^J     w 

— 

1 - —     w     . — -     w       w 

"'■) 

VI.   18 

— —      w W        W 

w                            w         w       W         W       W 

d 

20 

'           w       —       U         U 

* 

w                            W         W       W         W                     w 

d 

VII.   22 

W           W 

w     w       w     w     —                      & 

24 

w       w 

w www      — —                         G 

ffll.   26 

w        w      

f 

w        w      www                          X 

28 

;   * 

—      W        w     — — 

:|" -    f 

Refr. 

w     w       w 

— ) 

Das  bezeichnete  Gedicht  bei  Pitra  Anal.  I  S.  263  enthält  diesen  Ton  in  der 
reinsten  Form.  Denn  abgesehen  von  Z.  4,  welche  nur  bei  diesem  Dichter  jambisch 
anfängt  ^  i_  «  .jl  »»  .r.  »»  w  _»_  falso  ist  Str.  5  lara^evov  arvyvov  xarrjcprj  das  Rich- 
tige), ist  sowohl  die  Accentuirung  als  die  Theilung  der  Kurz/eilen  hier  am  reinsten 
durchgeführt.  Die  Zeilen  15  und  17  sind  frei  von  dem  sonst  vorkommenden  Takt- 
wechsel; Z.  22.  24.  26.  28  und  der  Anfang  von  10  und  11  haben  stets  den  vollen 
Accent  im  Schlüsse.  Am  merkwürdigsten  ist  dieser  Ton  dadurch,  dam  von  manchen 
Dichtern  die  Kurzzeilen  öfter  mit  einander  verbunden  werden.  Unser  Dichter  trennt 
stets  die  Zeile  5 — 9  (Str.  12,  7  ist  nQÖi>v^iog  zu  schreiben)  und  theilt  Z.  10  und  11 
stets  in  4  +  6,  Z.  12  und  13  stets  in  6  -j-  7  Silben.  Der  Reim  und  die  gleiche 
rhetorische  Gliederung  der  entsprechenden  Zeilenstücke  ist  auf  den  Höhepunkt  geführt. 
Dies  geht  so  weit,  dass  in  Z.  12  und  13  auf  %cüqe  stets  ein  Genitiv  folgt  (wie  doQciTOv 
2.  3.  6.  8.  10  — 13  oder  wie  alrj&eiag  4.  5.  7.  9),  in  Z.  14  und  16  ein  Substantiv 
im  Nominativ  wie  xliftat;  (mit  Ausnahme  von  Str.  6.  13  und  5),  Zeile  18  und  20 
stets  mit  xcüqe  ®%i  und  Z.  26  und  28  (mit  Ausnahme  von  Str.  5  und  7)  mit  ycäqs. 
SC  r\g  oder  nqög  rjv  beginnt. 

Die  Vergleichung  der  anderen  in  diesem  Ton  gedichteten  Hymnen  ist  besonders 
für  die  folgenden  Untersuchungen  über  die  Freiheiten  in  diesen  Dichtungsformen  wichtig. 
Weit  berühmt  ist  der  Akathistos  des  Sergius,  dessen  Anfang  äyyeXog  TtqioToaTat^g 
auch  dem  Ton  den  Namen  gab;  es  sind  24  Strophen,  von  denen  aber  12  nur  die 
Verse    1 — 9   umfassen;    bei    Pitra    Anal.  I    S.  250   und    Christ  Anthol.  S.  140.     Der 


344 

Unterschied  zeigt  sich  besonders  in  der  Accentuirung  und  in  der  Verbindung  der 
Kurzzeilen.  Die  4.  Zeile  besteht  stets  aus  3  Anapästen.  In  Z.  15  und  17  tritt  statt 
«-  ^  _l_  o  j_  «  ±_  auch  mit  Taktwecbsel  _^_i.  «  j-  -  «  jl  ein  (4,  15  <5t'  jyg  xarißi] 
9s6g.  20,  15  rorg  ovXrj&svtag  xbv  vovv;  17  rotg  ovXlijqp&evTag  aloygiog).  Viel  auf- 
fallender ist  die  Verbindung  der  Kurzzeile  5  mit  6  und  8  mit  9,  welche  sich  bei 
Sergius  allein  findet  und  die  Verbindung  der  Stücke  von  10  und  11,  12  und  13. 
welche  sich  noch  bei  Romanos  findet.  So  sind  5  und  (3  verbunden  zu  7  -f-  2  in  Str.  5 
tag  dygov  vrtäÖEi^Ev  fjdvv.  10  el  /.ai  dovlov  i'kaße  /.togrprjv,  zu  5  -f-  4  in  7  xat  xXsipi* 
ya/Ltov  vnovoiov;  Zeile  8  und  9  sind  statt  zu  8  -j-  9  Silben  zu  7  -j—  10  verbunden  in 
Str.  5  (rolg  SiXovoi  &Egi'?£iv  \  oioTrjgiav  sv  zw  xpaU.eiv  ovziog),  8  (del.  trjg?),  10. 
11,  12,  15  (ßovXouevog  tl/.voai  '  rrgog  to  vxpog  rovg  avrw  ßowiTag,  wo  to  natürlich 
richtig  ist)  und  16.  Z.  10,  11,  12  und  13  lassen  sich  in  keine  bestimmten  Kurz- 
zeilen zerlegen;  z.  B.  Str.  10,  10  yalgs  doTtgog  dövTov  [trJTEg,  11  ycfigE  avy-q  /uuffTtxijs 
rjf.itQag;  14,  12  yeägE  dvctOTCtoecog  Tvrrov  e/.Xdfxrrovaa,  13  yalgs  twv  dyytfaov  rov  ßiov 
if.icpaivovoa.  Hieraus  erhellt  zur  Genüge,  dass  der  oben  besprochene  Akathistos  (Pitra 
p.  263)  und  dieser  von  Sergius  verfässte  nicht  von  demselben  Dichter  herrühren  können, 

Merkwürdig  ist  das  Gedicht  des  Romanos  mit  den  Akrostichon  eig  tov  laxtrfip 
Piüf.iavov,  18  Strophen  bei  Pitra  Anal.  I  p.  68.  In  der  Theilung  der  Halbzeilen 
zeigt  sich  gegen  Sergius  ein  Fortschritt,  indem  zwar  noch  wie  bei  jenem  Z.  10  und  11, 
12  und  13  nicht  in  bestimmte  Kurzzeilen  zerlegt  werden  können  und  in  V.  15  und 
17  der  Taktwechsel  —.■  u  _^  «  -  ■  ziemlich  oft  eintritt  (15  in  Str.  3.  7.  8.  13.  16, 
17  in  3.  13.  16),  dagegen  die  Z.  5  und  6,  8  und  9  stets,  wie  bei  dem  Anon.  p.  2(>M 
und  sonst,  geschieden  sind.  Merkwürdig  ist  dieses  Gedicht  besonders  wegen  des  langen 
Refrains  (oti  nctvxct  eq>ogä*  to  äxotfAyrov  o(.if.ia)  und  des  Anfanges  der  Zeilen  10 — 28, 
welche  in  den  übrigen  Gedichten  dieses  Tones  alle  mit  ycfigE  anfangen,  bei  Romanos 
aber  mit  beliebigen  Wörtern,  so  dass  die  erste  Silbe  dieser  Zeilen  bei  Romanos  oft 
tonlos  ist.  Es  scheint  undenkbar,  dass  Romanos  das  Gedicht  des  Sergios  mit  dem  alle 
architektonischen  Glieder  so  scharf  kennzeichnenden  und  desshalb  von  den  übrigen 
Dichtern  festgehaltenen  Worte  ycfigs  gekannt  habe  und  dennoch  in  seiner  Nach- 
bildung diese  signifikante  Versstelle  so  gänzlich  bei  Seite  geschoben  habe. 

Das  Gedicht  bei  Pitra  Anal.  I  p.  300  (2  ganze  Strophen  und  1  unvollständige) 
stimmt  abgesehen  von  Z.  4  mit  dem  oben  gegebenen  Muster  des  Anonymus  S.  -•'>.">: 
Z.  15  und  16  haben  stets  den  Tonfall  «-■  *  jl.  w  „i_  «  ^  (so  Str.  4,  14  ycfigE  Öav- 
/uatiov  —  natürlich  ■fravfjaro:  —  nagddoBa  15  EVEgywv  KaivougEJCiog);  Z.  5  und  6, 
8  und  9  sind  geschieden;  Z.  10  und  11  in  4  -f-  6,  Z.  12  und  13  in  6  -f  7  zerlegt; 
in  Z.  12  und  13  folgt  ebenfalls  auf  ycügE  ein  Genitiv,  in  Z.  18  und  20  ebenfalls  oti. 

Die  1  vollständige  und  1  unvollständige  Strophe  bei  Pitra  S.  612  stimmt  mit 
dem  Muster  des  Anonymus  S.  263 ;  nur  die  5.  Zeile  scheint  abweichend  betont 
zu  sein. 

Die  Strophen  (2  vollständige  und  1  unvollständige)  bei  Pitra  S.  613  sind  sehr 
schlecht  erhalten  und  im  Bau  unregelmässig.     Abgesehen   von  andern  Unregelmässig- 


345 

keiten  fehlt  in  Str.  2  .die  11.  Zeile;  sonst  sind  hier  Z.  10  und  11  in  4  -f-  6  zerlegt, 
also  ist  in  Str.  4  %ct~tQe  nctxr\q  zu  accentuiren.  Z.  15  und  17  haben  keinen  Takt- 
wechsel (4,  15  accentuire  xai  TzaväyaaxE,  TtarriQ).  Die  Z.  18  und  20  beginnen 
ebenfalls  mit  yrnge  oti,  doch  die  Z.  19  und  2-1  haben  sonderbarer  Weise  die  Form 
der  Z.  15  und  17  erhalten. 

In  so  durchgreifender  Weise  wie  in  den  beiden  besprochenen  Strophen- 
arten Trjv  'E&ejli  und  "Ayytlog  TiQUJTOöT.aTijg  ist  die  Wiederholung  der  Zeilen 
allerdings  kaum  in  andern  Strophenarten  zum  Aufbau  des  Ganzen  benützt. 
Doch  von  allen  zu  Hymnen  benützten  Strophen  arten  haben  wir  ja  ziem- 
lich viele  Beispiele  zur  Untersuchung  und  können  so  aus  den  Sinnes- 
pausen leicht  die  grösseren  und  kleineren  Absätze  erkennen,  in  welche 
das  Ganze  der  Strophe  sich  gliedert.  Wenn  wir  überschauen,  wie  un- 
betonte, halbbetonte  und  vollbetonte  Silben  zu  Kurzzeilen,  die  Kurzzeilen 
zu  Langzeilen,  die  Langzeilen  zu  Absätzen,  die  Absätze  endlich  zu  dem 
Ganzen  der  Strophe  sich  harmonisch  vereinigen,  erst  dann  können  wir 
die  Kunst  des  Dichters  und  Componisten  gebührend  würdigen. 

Die  Freiheiten  im  Bau  der  Hymnenstrophen. 

Bei  den  Anmerkungen  zu  den  oben  erwähnten  Strophenarten  habe 
ich  öfter  Unregelmässigkeiten  erwähnt.  Dieselben  verletzen  entweder  die 
Silbenzahl  oder  den  Tonfall,  welcher  in  den  entsprechenden  Zeilen  ja 
gleich  sein  soll.  Am  wenigsten  auffallend  ist  eine  solche  Verschiedenheit, 
wenn  sie  durch  alle  Strophen  desselben  Gedichtes  festgehalten  ist,  wie 
z.  B.  die  4.  Zeile  des  Tones  ayyelog  ti^votwu'u  i^  in  dem  Gedichte  bei 
Pitra  Anal.  I  S.  263  stets  mit  3  Jamben  auffingt  {iarafitvw  arvyvov 
yjuitfii),  dagegen  in  den  übrigen  in  diesem  Ton  verfassten  Gedichten 
mit  zwei  Anapästen  (o  y.ui'  orag  (pavslg  ßaoilevg).  Solchen  Veränderungen 
waren  in  den  griechischen  Hymnen  besonders  der  Refrain,  dann  die  Zeilen 
ausgesetzt,  welche  den  Namen  des  Heiligen  und  Lobwörter  desselben  ent- 
halten. So  ist  z.  B.  die  Strophenart  Trjv  'FJhi  in  21  verschiedenen 
Gedichten  bei  Pitra  Anal.  I  angewendet;  10  Mal  ist  der  Refrain  sechs- 
silbig  mit  dem  Tonfall  u  •  M  •  -  w  •  (thou  rf^  /«(«rot,-),  8  Mal  sieben- 
silbig  mit  dem  Tonfall  -  v  —  ^  «  —  (Xau.i^vvojuevrj  (pajri),  2  Mal  mit 
dem  Tonfall  »  -  «  u  •  „  —  {aaffJVifoyv  tu  ar/Jo^/a),  1  Mal  achtsilbig 
(cog  $y(X  t(3y  fiio&iiov  auv).  In  dem  19  Mal  vorkommenden  Prooemiumston 
AMi.  .1.  l.ci.<l.k.Ak.d.  Wiss.  XVII.  Bd.  II.  AM h.  45 


346 

Tu.  äyio  lautet  eine  Begrüssungszeile  yfyovug  omt ;  dieser  Tonfall  ü  ~ 
'-  w  —  ist  häufig,  doch  daneben  findet  sich  auch  nicht  selten  — —  w  u 
oder  «  -i-  w  -i-  «  —  (to?  dwpjaouei'oi'.  Ttjv  atyXrjv  ooit.  io-&uov  del.  ?  — 
tyxuXkiomnua  p.  316),  doch  auch  refivofuvos  vot*  und  #o£»7g  xarifiiioan' 
kommt  vor  (S.  575  und  642).  In  der  letzten  Zeile  (vor  dem  Refrain) 
des  Prooemiumtones  u»  d-&p  dno  ut'^yiu  wechseln  Zeilen  wie  rsQarovQyf. 
^Itov  iidxay.  'llaQuay.  ouokoyrjTa.  aotpi  'EifQaiu.  'Avaaraoia.  'A&rjvoytveg  u.S.f. 
Diese  Fälle  geben  wenig  Anstoss;  der  nachgeahmte  Ton  ist  für  das  ganze 
betreffende  Gedicht  einfach  in  dieser  oder  jener  Silbe  abgeändert;  und 
wie  oft  und  wie  leicht  das  geschieht,  weiss  Jeder  von  unsern  Volks-  und 
Studentenliedern  her. 

Auffallender  ist  es,  wenn  innerhalb  desselben  Gedichtes  die 
nemliche  Zeile  in  verschiedener  Fassung  vorliegt.  Hiebei  wird  immer 
zuerst  nach  der  Richtigkeit  des  Textes  gefragt  werden  müssen.  Die 
meisten  dieser  Lieder  waren  weit  verbreitet  und  wurden  viel  gesungen. 
So  finden  sich  in  den  Handschriften  oft  mehrere  Fassungen  neben  ein- 
ander, von  denen  jede  dem  Sinn  und  der  Form  nach  möglich  ist;  oft 
aber  sind  auch  durch  die  Tradition  oder  die  Nachlässigkeit  der  Schreiber 
die  ursprünglichen  Worte  entschieden  verdorben. 

Die  Unregelmässigkeiten  im  Strophenbau,  an  deren  guter  Ueber- 
lieferung  nicht  zu  zweifeln  ist,  werden  selten  die  Silbenzahl  verletzen. 
Geschieht  dies  dennoch,  so  wird  in  vielen  Fällen  ein  Eigenname  oder 
ein  wörtliches  Citat  aus  der  Bibel  die  —  genügende  —  Entschuldigung 
bieten.  Sonst  ist  der  Fall  noch  der  häufigste,  dass  statt  des  daktylischen 
Schlusses  --  w  —  choriambischer  -£-  ~  «  —  eintritt,  so  dass  z.  B.  als  2  gleiche 
Zeilen  stehen  Flavayia  nayVn't  ttvvfjupitrte,  II  rtxovaa  tov  loyov  tv  dovXov 
fiofnpfi.  Freilich  wird  gerade  diese  Unregelmässigkeit  so  oft  durch  fjuarv, 
fjfiXVf  ftfiäSt  Formen  von  9-sbg,  %Qiozog,  7tarrj{),  äprjv  gebildet,  dass  man 
schliessen  möchte,  diese  Wörter  hätten  nicht  nur,  wie  oben  bemerkt, 
beliebig  accentuirt,  sondern  auch  im  Zeilenschluss  als  einsilbig  behandelt 
werden  können.1) 


1)  Eine  Ausnahme  macht  das  alte  Gedieht  bei  Pitra  S.  482  "Aqxovhs  'Eßpaliov  (vgl.  Beilage 
No.  II),  24  Strophen  zu  je  2  gleichen  Langzeilen.  Jede  dieser  48  Langzeilen  besteht  aus  2  Kurz- 
zeilen. Die  2.  Kurzzeile  besteht  fast  stets  (ausser  r  4.  P  4.  *  4)  aus  8  Silben  mit  dem  Tonfall 
^  <^_^u  v_^_v/_^,  welche  sich  fast  stets  in  4  -J-  4  zerlegen.     Dagegen  besteht  die  erste  Kurz- 


347 

Viel  häufiger  finden  sich  innerhalb  des  nemlichen  Gedichtes  ent- 
sprechende Silben  verschieden  accentuirt.  Die  einfachste  Art  ist 
die,  dass  halbbetonte  Silben  mit  vollbetonten  wechseln.  Im  politischen 
Verse  und  überhaupt  in  gleichzeiligen  Gedichten  ist,  wie  oben  S.  318 
gezeigt,  dieser  Wechsel  völlig  freigegeben.  Dagegen  in  den  Hymnen- 
strophen sind  feinere  Gesetze  beobachtet.  Im  Zeilenschluss  werden  dak- 
tylische Schlüsse,  wie  —  «  —  Xoyi'QsTai,  und  jambische  wie  y  —  w  —  ovl- 
'/.öyio&eig  oder  ^  ~-  ~  —  77«rr)(>  oo<p6s  sehr  selten  mit  einander  vertauscht; 
die  Dichter  und  Componisten  scheuten  sich  an  dieser  stark  in  das  Ohr 
fallenden  Versstelle  die  halben  und  vollen  Wortaccente  zu  tauschen. 
Dagegen  im  Anfange  der  Kurzzeilen  und  insbesondere  im  Anfange  jener, 
welche  eine  Langzeile  beginnen,  wechseln  oft  halb  mit  vollbetonten  Silben 
(  •  mit  _l_);  im  Innern  der  Kurzzeilen  geschieht  dies  seltener.  Im  All- 
gemeinen reihen  sich  die  halben  und  vollen  Accente  von  den  festen 
Accenten  des  Schlusses  rückwärts  gerechnet  nach  dem  Wesen  der  Sprache: 
bei  jambischem  und  trochäischem  Tonfalle  folgen  die  voll-  und  halb- 
betonten Silben  sich  abwechselnd  „  —  ^^_«^„  —  oder  i  *  -^  y  .^~  v  .+-  «  ^~, 
bei  anapästischem  und  daktylischem  Falle  stehen  vor  und  nach  den  zwei 
unbetonten  Silben  meistens  vollbetonte. 

Ein  besonderer  und  seltener  Fall  ist  der,  dass  statt  einer  sicher  unbe- 
tonten Silbe  d.  h.  statt  einer  solchen,  welche  unmittelbar  neben  einer  betonten 
steht,  eine  vollbetonte  gesetzt  wird.  Ich  rechne  nicht  den  Fall  hierher, 
wo  neben  der  ganzen  Schaar  von  Zeilen  mit  dem  Tonfall  ^  ^  -  ~  „  -l.  w 
sich  die  eine  fia&rpcai  rji&ov  ftfpva  findet:  hier  ist,  wie  oben  S.  320  nach- 
gewiesen, Tjldor  unbetont  zu  sprechen.  Mitunter  aber  wird  die  Zahl 
solcher  Fälle  grösser.  So  beginnt  in  dem  oben  besprochenen  Akathistos 
(bei  Pitra  S.  263)  die  2.  Hälfte  der  12.  und  13.  Zeile  in  8  Strophen 
mit  w  ,  w  w  xotvoü*  .'/(>(/;/•  TWQtVt.  ßf/aruiv*  iyxa'ikvjniaua,  und 
nur  in  5  Strophen  so.    wie  in  allen  andern  Gedichten   dieses  Tones,    mit 


zeile   /war  meutern    Ui   6  Silben   mit   dem  Tonfall  _j_  \j  j_  u  oder   v  jr,  w  ^  j_  <~  :    aber 

aus  7  Silben  mit  daktylischem  Schlüsse  in  /.  1.  1  1.  3.  //  l.  S  h  X  1  (vgl.  O,  2)  und  mit  trochäi- 
BChem  Schluss  in  Y  1,  ja  aus  8  Silben  in  7.  :!  und  Y  3.  Allein  dieses  Gedicht  ist  ein  gleichzeitiges 
und  gehört  nicht  zu  den  Hymnen.  Es  lässt  sich  also  ganz  mit  den  Gedichten  des  Gregor  Naz- 
vergleichen,  in  welchen  ja  auch  die  Silbenzahl  schwankt  und  nicht  der  Schluss  der  Langzeile, 
wohl  aber  der  Schluss  der  ersten  Halbzeile  freien  Tonfall  hat. 

45* 


348 

w  j-  u  u  -i-'w  ^i-  nvyiuoQcpoy  6/j]ua.  In  den  23  Strophen  des  Romanos 
bei  Pitra  Anal.  I  S.  92,  welche  nach  einem  seltenen  Tone  gehen,  ist  die 
5.  und  6.,  7.  und  8.  Zeile  siebenmal  so  gebildet  -  *  -  «  —  * -j-  w  -+. 
dvaidEöraze  (piXd(jyv()t.  aber  39  Mal  so,  dass  nach  der  3.  Silbe  Wortende 
eintritt,  die  3.  Silbe  stets  und  die  vierte  oft  schwer  accentuirt  ist  «  ^  — , 
j_  u  w  _i_  u  _i_  «V  /eqoIv,  k'ycov  tu  xQt'jiiara.  Diese  Erscheinung  ist  schon 
oben  erklärt.  Manche  Dichter  erlauben  es  sich  hie  und  da  zwei  sonst 
geschiedene  Kurzzeilen  zu  einer  einzigen  zu  verschmelzen;  so  haben  wir 
oben  gesehen,  dass  die  bestimmten  Theilungen  in  Z.  5  und  6,  8  und  9, 
10  —  14  des  Akathistos  von  Sergius  und  zum  Theil  auch  von  Romanos 
öfter  vernachlässigt  werden.  Ebenso  hat  der  Anonymus  im  Akathistos 
S.  263  ffl.  die  2.  Hälfte  der  12.  und  13.  Zeile  in  2  Kurzzeilen  «  * 
s.l.  u  _:_  w  _  zerlegt,  aber  diese  neu  eingeführte  Theilung  selbst  einige  Male 
vernachlässigt.  Dasselbe  ist  der  Fall  in  dem  Gedichte  des  Romanos  S.  92; 
denn  in  derselben  Strophenart  S.  285  (10  Strophen  eines  Kyriakos)  ist 
die  5.  und  6.,  7.  und  8.  Zeile  stets  so  getheilt  «  „  -i-*  <,  «  ■  u 
mit  Ausnahme  von  Strophe  7,  7  avv  Maoia  iog  cp&eyyouevai.  Dagegen 
hat  Romanos  die  13.  Zeile  derselben  Strophe  (mit  Ausnahme  von  Str.  22 
avT.ov  xai  '/ovdag  ityjlwoe)  stets  zerlegt  in  ~  —  «  ' ( «  —  «  -^-)  -f-  -  w  «  -t-  «  — 
avv  r/y  yjiyi*  Jiavra  avrb/ona.  während  Kyriakos  S.  285  keine  Scheidung 
beachtet  und  demnach  anderen  Tonfall  hat  o  -z.  M  -  M  —  u  j-  u  lu-ydlw 
(poß(p  avri-youtvog. l)  Diese  wechselnde  Theilung  und  Verbindung 
der  Kurzzeilen  bewirkt  dann  eine  Veränderung  des  Tonfalles,  wenn 
die  getheilten  Kurzzeilen  im  Schlüsse  der  ersten  und  im  Anfang  der 
zweiten    volle    Accente    haben,    wie  xoivov  fryovt   nvoive,    von    denen    bei 


1)  Die  reinere  Form  dieses  Tones  bei  Kyriakos  Pitra  Anal.  I  S.  284  lautet: 
I.      1   KXaiovaai  xai  ixirevocoat*    id  nfy!  Mdq&ay  TOf  oixn\jtuov«*    iqiaiayio*   ex&ujißoi  linavzis. 
II.     5  xai  rtioTws*    nXfiuj  sn^saßtioy 
7  w?  eixos*    xavxa  (fStyyöfityoi. 

III.  9  <pwg  rjfity*    eXafAipey  dngoauoy 
11   ßXenovtes*    Seiet  xai  napdSoga' 

13  6q<ä>vt(s  td  dvtx6i^ytjtcc. 

IV.  14  '0  ydg  tvcpXovs  (pivriaas*    xai  rovs  Xengoig  xa&dgag*    xai  ioviqv  ytxgwd-Evra* 

17  dvaxatyioag  ii<mXay%via 

18  onwg  rpayfij<i)S-Tj   ndoy  Tfj   yfi 
V.  19  KvQiog  äyiog  ävag%og*    Xdyog  S-fov 

Refr.  21   6  "Aid^y  /figwod/utvos*    22    <~>    •>    \j    ■    w    •    u    •  . 


349 
der   Verbindung    natürlich    einer    verschwindet:    TivQiaoycpov    o/^wa    oder 

TlVQl/UOQCpWV    h/jj/iia. 

Anderer  Art  ist  der  Fall,  dass  die  Silbe,  die  in  der  einen  Strophe 
betont  wird,  in  der  andern  unbetont  ist,,  dagegen  die  zunächst  stehende 
Silbe,  die  in  der  einen  Strophe  unbetont  ist,  in  der  andern  betont  wird. 
Ich  habe  diesen  Fall  Taktwechsel  genannt  und  sein  Vorkommen  in 
den  gleichzeiligen  Gedichten  oben  (S.  320  —  326)  besprochen.  Die  alte 
Freiheit,  dass  nur  der  Schluss  gleichförmigen  Tonfall  (_*_  w  oder  y  j_) 
hatte,  vor  demselben  aber  die  Silben  ohne  alle  Rücksicht  auf  den  Accent 
nur  gezählt  wurden,  ist  in  diesen  gleichzeiligen  Gedichten  meistens  bei- 
behalten und  nur  dadurch  beschränkt,  dass  nicht  2  vollbetonte  Silben 
zusammenstossen  dürfen.  In  den  Hymnen  kommt  der  Taktwechsel  ziem- 
lich selten  vor.  Von  den  Prooemienstrophen  sei  eine  erwähnt;  der 
2.  Absatz  von  ra  &eoß()VTa  beginnt  mit  2  gleichen  Zeilen  zu  12  j_  w  bb: 
3  -f-  2  -f-  7  _l_  ^   (xal  arv'/.og*   nvybs*    6()frodo$iag  kdfuiujy   ^    •__  ^  *  ^  _>_  * 


I.    1 


w  r         w  f         w     ) 

8      U        "         w       J±_  4        '         w       w  '  w  ' 

11.        O      w       w         f  1 1        '___     w       w         r         w         *  ft 

in.   y  _i_  «  _j_      io  _^_  -  ^_  w  _i_  «    •        i» 

11  _'     «  _j_         12  _!_  o     •_  w  _?_  w  _i_         b 

Xo      w       '*       w       *f        w        "        w        f        w 

1  V.       II-  u      _J_      W       _»_       yj  1">  •  _  I         «      _J_       w      _J_       u  16      _J 1_    |       W     J_     \J     _J_     W  CCC 

i"        )  '  "         l  ~       "         f 

V.   19  j_   ^     w   _>_   *    w   _L.   u  _J_  20     L.  v    w   _L_ 

Refr.  21    u     '     w     •     w     >     u     •  22    u     »     v     •     u     '     w 

Di€  einsige  von  Pitra  benutzte  Handschrift  ist  lückenhaft  und  verschrieben,  der  Text  von 
Pitra  selten  glücklich  hergestellt.  Die  23  Strophen  des  Romanos  (Pitra  Anal.  I  S.  92)  weichen 
von  dem  obigen  Schema  besonders  in  folgenden  Zeilen  ab:  Z.  2  hat  vorn  eine  unbetonte  Silbe 
zugesetzt,  also  \s  \j  t  o  •*  w>  •*  v  /  v  »  .  Z.  3  und  4  sind  in  Str.  10,  Z.  5  und  6  in  Str.  10. 
25.  17.  20,  Z.  7  und  8  in  Str.  10.  11.  17,  Z.  9  und  10  in  22  mit  einander  verbunden;  dagegen  ist 
Z.  13  in  4  -+-  6  zerlegt  (also  =  Z.  3.  4).  Die  Betonung  wechselt:  in  Z.  9  und  11  j_  w  ■__  und 
•_  ^  -  ,  in  Z.  13  w  j_  v  _j_  und  w  _^_  w  _»_  und  20  ^  _j_  ^  _£_.  Z.  14  beginnt  in  Str.  11  mit 
w    -     o    und  Z.  17  in  Str.  15  und  16  mit   wo    ■_  \j   ^    -  . 


350 

•  «■.  »  o'  t  ^j  t-  w);  hier  kann  7  _±_  v  ebenso  gut  durch  ^  w  »  w  ^  *  \j 
gebildet  werden;  so  schliesst  S.  346  die  1.  Zeile  mit  QQ&odogiag  laiuuov, 
die  2.  mit  sx  r^g  nkavrjg  'AqbIov,  umgekehrt  S.  583  die  1.  mit  irjg  zQtddog 
tt\v  tiigt  iv.  die  2.  mit  tW(ohxitv  IgaQag.  Von  den  eigentlichen  Hvmnen- 
strophen  hat  z.  B.  die  oben  S.  340  erwähnte  nur  in  der  vorletzten  Zeile 
bald  v_  ._'  „  ^  !__  w  bald  _i_  ^  j_  ^  w  _»_  ^  {ixhtvabv  tu)  nXaatj\  oder 
äveoTtvazf-  utya).  Der  ebenda  besprochene  Ton  //}»'  *ß#j(a  hat  nur  in 
der  19.  Zeile  bald  ^  <j  .  ^  ^  -  ^  bald  ^  -  -  •  ^  ^  («yevj'ff* 
&j]g  svdoxriaag  oder  avvrjxars  ort  axp&rj).  Der  Ton  ayy«Ä,og  nyojToardvrjg 
hat  nur  in  der  15.  und  17.  Zeile  statt  ^  ^  >  ^  ■  ~  >  auch  •  •  ^  - 
^  v^  •  (tovq  be  yffe  nffbs  ovqovov,  di  itg  xcrtfßf)  &*og)  und  das  nur  bei 
Sergius  und  Romanos;  vgl.  oben  S.  343  u.  344.  Die  (S.  348  in  der  Note 
besprochene)  Tonart  Tis  äxouoas  beginnt  die  1.  Zeile  statt  mit  -  ^  ^ 
-  l,  o  »  w  •  selten  mit  ^  _»_  w  ._l.  w  «  -  ^  (äfiuct  aarogye  äanov&i 
oder  t/c,-  f/()V  iwdas  vtnTo/uevor)  und  die  17.  statt  mit  •  •  u  -  «  •  u  .  -  * 
bei  Romanos  selten  mit    ^_  ^    > .  ^  «-»        .  (pvjLKpiovoufisyq)  molov/uevq) 

oder  ttTtfitfcov  nu/)  Xalfhai).  Diese  Thatsachen  sprechen  klar.  Die  Dichter 
waren  sich  der  Freiheit  des  Taktwechsels  völlig  bewusst;  sie  wendeten 
denselben  in  den  künstlichen  Hymnenstrophen  nur  selten  an  und  nur  in 
ganz  bestimmten  Theilen  derselben.  Diese  sind  stets  der  Anfang  einer 
Kurzzeile  und  zwar  meistens  einer  Kurzzeile,  welche  entweder  die  Strophe 
beginnt  oder  einen  Absatz  abschliesst. 

Die  geschilderten  Freiheiten  kann  man  den  Dichtern  nicht  als  Fehler. 
sondern  nur  als  Vorzüge  anrechnen.  Zu  grosse  Regelmässigkeit  wird 
leicht  eintönig.  Wie  die  Freiheiten  der  quantitirenden  Poesie,  die  Auf- 
lösung der  Hebungen,  die  Zusammenziehung  oder  Vergrösserung  der 
Senkungen,  die  verschiedene  Bildung  der  Caesuren,  von  den  alten  Dichtern 
verschieden  benützt  wurden,  in  den  gleichzeiligen  Stücken  der  Komiker 
fast  im  Uebermass,  in  jenen  der  Epiker,  der  Tragiker  und  Lyriker  mit 
weisem  Masse,  endlich  in  den  ungleichzeiligen  Stücken  der  Lyriker  und 
Tragiker  in  sehr  bescheidenem  Masse,  so  dass  Horaz  hier  fast  bei  der- 
gleichen Silbenzahl  der  entsprechenden  Stücke  angelangt  ist:  so  haben 
auch  den  Wechsel  des  vollen  und  halben  Accentes  und  die  Verschiebung 
des  Accentes  die  gleichzeiligen  rythmischen  Gedichte  der  Griechen  häufig, 
die  ungleichzeiligen  nur  selten  sich  gestattet. 


351 

Um  diese  Theorien   praktisch    zu    zeigen,    zugleich   auch    um    zu    beweisen,    wie 
schliinm  es  mit  Pitras  Methode  steht   und  mit  welch  umständlicher  Vorsicht  man  das 
von  ihm  Gebotene  und  Behauptete    aufnehmen  muss,    will   ich    eine  Strophenart    hier 
metrisch  interpretiren.     Bei  Pitra  S.   148 
I.      1     2   Ta  x^g  yrjg  Inl  zrjg  yrtg*    xaxaXinovxEg, 
3     4  ra  xrjg  xecpqag  xc?j  yot*    naqayioQOVvxEg, 

5  6  7  Öevxe,  dvav^ipiofxev  *  mal  elg  vipog  S7iaQWf.iev  *  ofif.taxa  mal  vot]f.iaxa. 
II.     8     9  7iezaoto[AEv  rag  oifjeig*    OfAOv  mal  rag  aladr\OEig 
10   11   S7tl  Tag  otgaviovg*    nvhxg,  oi  &vrjxoL. 

III.  12   13  vofiiacofAEv  Eivai*    xov  eXaicüvog  elg  oqog, 
14  15  mal  dievi&iv*  t<7>  XvxQOVfiivqt 

16   17  htl  vecpeXrjg*    htoyovnivio. 

IV.  18  19  exeI&ev  yccQ  6  mvgiog*    elg  ovgavovg  ävidga/.iev. 
20  21  evxev&ev  6  (piXodcooog*    reg  diooeag  ditveiutv 

22  xolg  drcooxoXoig  avxov, 
V.   23  24  moXamsvoag  eug  naxt^Q  *    mal  oxijQt'Bag  avxoi'x, 
25  26  odrjyr'ioag  w£  viovg  *    mal  XeSag  7igug  avxovg. 
VI.    Refr.  27  28  ov  yiogtCofiai  i;/.i(Zv*    eyio  tilfu  /jeP  v/aidv* 
29  v.al  ovöeig  xa#'  ifiuiv. 

Dieser  schön  aufgebaute,  180  Silben  umfassende  Ton  findet  sich  bei  Pitra 
S.  148—157  in  18,  S.  472  in  1,  S.  540  in  2,  S.  599  in  5  Strophen  befolgt.  Die 
18  Strophen  S.  148  bilden  das  Akrostichon  xov  xaitEivov  Pcoftavov,  geben  also  ein 
vollständiges  und  echtes  Gedicht  das  Romanos;  desshalb  behandle  ich  hauptsächlich 
dieses.  Zur  Ausgabe  benützte  Pitra  2  Handschriften,  eine  der  Corsinischen  Bibliothek 
(C)  und  eine  Turiner  (T).  Ich  übergehe  die  zahlreichen,  oft  -ehr  starken  Varianten 
der  Handschriften  unter  einander  und  berühre  nur  Pitras  klare  Fehler. 

I.    1  c'Oxe  xavxa  6  yqiaxog  1    u    w  —  «        u    ' 

Eins  xöig  rpiXotg,  —  —  | 


3  ötavEVEi  xö  Xouiuv  :',    «    «  — 

xoig  dqyayytXoLg,  \ 


I 


5  iva  exotf-iaocooi  ."»     '    w  —  « 

xöig  äyvölg  avxov  ßfj/uaotv  w    «  —  «    «  —  ^ 

avodov  ddioÖEvxov.  _i_w^__^w_L-„  — 

Zeile  2:  Der  Anfang  w  Li.  ist  sicher  in  Str.  4  und  17  (twv  Aoywv  xovxwv),  j_  w 
in  7,  10—13,  also  hat  in  19  Pitra  ovxio  (foovovvxEg  fälschlich  umgestellt.  Ebenso  ist 
in  Z.  4   der  Anfang    w  ---  sicher    in  Str.  6  naqlayE   Xvnrjv,  _l_  ^  v  in  4.  5,   also   ist 


352 


auch  in  15  Pitra's  Conjektur  v^vocvreg  elrtov  für  ifßakXovng  eittov  nnnöthig,  in  17  die 
Umstellung  dXXtyoig  einov  statt  Bi7rov  dXXrjXoig  falsch.  In  Z.  5  hat  auffallenden 
Accent  Str.  10  aa^a  xaivov  aaare ;  Pitra,  der  dies  nicht  änderte,  durfte  darum  auch 
nicht  17  ovtiog  vriarol  fjaQtvQsg  zu  6.  «.  n.  umstellen.  In  Z.  7  ist  wesentlich,  dass 
weder  die  3.  noch  die  4.  Silbe  vollen  Accent  erhalten  und  der  Schluss  daktylisch  ist ; 
es  ist  also  falsch,  wenn  Pitra  Str.  10  f-'ve/.ei'  r/uwr  yivezai  zu  Vveabv  yivtiai  i-f.ua  v 
umstellt.  Dieselbe  Zeile  hat  Pitra  in  Str.  15  verdorben,  wo  5.  6.  7  muh  den  Hand- 
schriften lauten  ovxwg  dvaßeßrjxev  *  6  tteog  sv  dXaXayfu^  *  xvgtog  sv  piavj}  odXyiiyyog ; 
das  stimmt  wörtlich  mit  Psalm.  46,  6  dvißrj  6  &edg  ev  dXaXay/u([t,  xvgwg  h>  cpwrfj 
odXniyyog,  und  dies  wörtliche  Citat  entschuldigt  völlig  in  Z.  6  den  Schluss  u  _■ 
statt  _l_  w  —  und  in  Z.  7  den  Zusatz  einer  Silbe  und  die  Nichtbeachtung  des  Accentes 
in  ff*&*%.  Pitra  citirt  die  Stelle,  scheut  sich  aber  dennoch  nicht,  zu  ändern  und  den 
falschen   Vers  v.iQtog  adhnyyog  ytüvß  zu  machen. 

II.  8  Idtpefo  '/<öc,  oixriQ/n()r,  w  -i_  w  —  w  J     ^ 

ywQiLj]  nov  (fiXovvTcn-  ■  «    '  .  v  —  w  —  w 

Tatra  yap  wg  odevtot'  —  -     I 

}■(({+{•/$(')  i] ulv  —  ~    I 

:    1  l  - 

Die  Z.  8  und  9  einerseits,  10  und  11  anderseits  gehören  dem  Sinne  nach 
meistens  enger  zusammen,  so  dass  sie  2  Langzeilen  füllen.  In  Z.  8  und  9  ist  der 
Anlang  u  ~-  «  selten,  so  17  ei  fit}  ydq  eldov  xovxov,  12  o'i  riäv  dyyeXcor  ,100,101, 
noch  seltener  der  Taktwechsel  18  «IWwaer  .laQQijOia;  ganz  nnnöthig  hat  Pitra  7 
6  7CQidvog  rtiiutv  TleTQog  umgestellt  und  1<>  statt  xat  dV  dndvxtov  rtXi}ov  (dtd  ndvxiov 
CT)  das  unnatürliche  öid  Kflri  rr,  ij.  gewagt.  In  Z.  10  ist  -  ■  •  «  -  ^  sicher 
in  4.  6.  12.  14.  19,  _i_  «  «  .»_  >-  _l_  «  in  5  oiveie  yvone  rottet  und  20;  demnach 
war  lö  das  handschriftliche  w/a  dyyäXiov  Ket'yXrj  nicht  anzutasten,  ebenso  nicht  17 
ovk  av  xazijXitov  -/.dito,  was  C  und  T  haben,  wenn  ich  l'itras  wirre  Angaben  richtig 
deute.  In  Z.  11  ist  der  Taktwechsel  ^  -  0  <.  j_  von  Pitra  selbst  gelassen  in  Str.  6 
(eepi^iy^co  r\fiiv).  7.  10.  17.  19,  also  ganz  unnöthiger  Weise  in  8.  11.  20  die  Ueber- 
liefernng  7CQoiy.qtvav  ae.  nag  xorrog  /aeaxog.    xovg  Xoyovg  atxiov  angetastet. 

III.   12  'Eidqaxe  rtvXctg  ^  —  ~    «    '    ~ 


xat  ixTiezdoaxe  ÜvQag 


1 


14  xdg  ovqaviovg 

v.cci  hxido^ovg ' 
16  6  ydg  öean6xrtg 

zftg  do£i]g  cpddvei. 

Die  Zeilen  12  und  13,  14  und  15,  16  und  17  sind    unter  sich  durch  den  Sinn 
stets  enger    verbunden,    so    dass   sie  3  Langzeilen  bilden.     In  Z.   13  ist  die  Betonung 


des  Anfangs  w  j_  v  sicher  in  19  ipwvdg  dq>rjxav  tv>  ooei,  in  (16?  und)  7  ovraiuwv 
oze  oe  eioe,  wo  Pitra  fälschlich  ae  ore  stellte.  Der  Anfang  o  _j_  u  ist  sicher  für  die 
Z.  15  in  Str.  (4.)  8.  9.  14  7igor]Xdev  avw,  für  Z.  16  in  14  yogcüv  jtvqiviov  und  für  17 
in  Str.   7.   12.    16  a/.ijvaiq  ör/.aiojv. 

IV.   18  NerpeAai  v7T00iQWGave  18    «  —  «  —  «  —  «  — 

j-cjra  ro">  kmßaivovti'  «  —  «  —  I 

-    f  °  —  "  — 

w       w     I 

20  al!)r]o  tSeviQE.iiottrzi  20    ^  —  «  —  w    '    w  _l. 

re/   (W   (TOr   OÖELOVli  '  «    —   °   —  I 

w        w       I 

22  dvoiyihjiE  ovQaroi '  11    -  —  ^  —  —  I 

Die  Zeilen  18  und  1!'.  20  und  21  treten  dem  Sinne  nach  zu  2  Paaren  zu- 
sammen, wesshalb  auch  der  Taktwechsel  nur  in  dem  2.  Stücke  jedes  Paares  erlaubt 
ist.  Derselbe  ist  sicher  für  Z.  19  <*  «  in  Str.  1.  5  aYveaig  *ai  ev/xQE7teia.  6.  (7?). 
12.  14  ttoifiog  ydq  6  ttgovog  aov.  15.  16  (llf.lug  uh  ro  txvqivov  19  a^/a  ETTixa&rj- 
fiet'og).  19.  20,  von  welchen  Versen  Pitra  •">.  II  und  10  lälschlich  geändert  und  19 
und  20  fälschlich  angezweifelt  hat:  ftbr  Z.  21  ist  der  Taktwechsel  jl.  w  w  sicher  in 
Str.  5  eXXapipiQ  y.aüwg  yiyqa.uai.  10  dUat  öi/.aiwv  ytiiovoai.  11  ovvwg  xat  ot'z 
rjU.oiwiiai.  \Ü  £(p£Qtn)v  ßaata^ovoav.  (17  roitor  idrjXow  dyyeloi),  welche  alle  Pitra 
geändert  hat  (13  /»j>  fypeQe  ßaaidiovauv !)}  in  Str.  2<»  ist  Pitra  das  Unglück  passirt, 
<lass  er  die  Z.  21  im  Text  ganz,  wegliess,  aber  in  den  Noten  als  Variante  aus  T  an- 
führte (:iQEoßetaig  crjg  Ttxovoijg  ae).  Die  Verbindung  der  Z.  22  ist  merkwürdig: 
oft  ist  sie  selbständig  (4.  6.  7.  v.  L2.  15.  17.),  oft  hängt  sie  mit  der  vorangehenden 
Zeile  zusammen  (3.  9.  10.  11.  18.  14.  16.  18.  19.),  selten  mit  der  folgenden  (5;  wo 
jedoch  die  folgenden  Zeilen  unsicher,  die  24.  und  26.  sicher  falsch  sind;  20).  Der 
Tonfall  -  j_  v,  ^.  v  v  _-  findet  sich  in  Str.  4.  7.  10.  11.  12.  15.  17.  18.  20; 
v  w  j_  w  <-  _•_  14  y.ai  ifüdoov  v.öhiovg  naTQÖg.  In  Str.  6  ist  der  richtige  Schluss 
«••/.  ydq  zov  7ivev(.iar6g  /.tot  (w  ^  )  von  Pitra  durch  fcx  y.  x.  /.wv  7cvev/naxog  ver- 
dorben  worden. 

V.   IX   Ocgavoi   iwr  ovqavwr  23    «    ~  « 

SY.dtZaotte  ui'iur.  w    ~         ^    \   ^ 

.  ■  .     | 

iiö  on  (püäru  rtQog  vftag  25    ^   ~ 

6  Itywr  lolg  aviol.  >-    «  —  -   ( 

.     .  ■■-]' 

Refr.    27   OV  ywoiioiutt    tuwr,  27    «    -     '     w  —  w 

syw  e^/  jU«#'  t/ttüv  v    -  '      -    —  «  — 

xat  or<5«t;  xa#    Vftwv,  «    ^         «    >-     ' 

Al)li.d.  I.n.d.k.  Ak.d.Wis8.  Wll,  IM.  IL  Ahth.  46 


354 

Die  Verse  23  und  24,  25  und  26,  und  der  Refrain  27.  28.  29  bilden  dem  Sinne 
nach  3  Gruppen.  In  Str.  19  ist  Z.  23  betont  ^  w  jl  w  _i_  \j  jl.  iv  e/.eirio  v6f.wg  t\v, 
dagegen  ist  in  Z.  25  der  richtige  Ton  aus  C  herzustellen  ?)  xat  nXaoaoa  Miooijv. 
In  Str.  20  ist  Pitra  verwirrt  gewesen  und  hat  den  völlig  richtigen  Text  der  Hand- 
schriften 25  dXXd  ooßrßov  avxöv*  o<jp'  fftitov  ö  ehnöv  verdorben.  Der  Taktwechsel 
tritt  auch  hier  je  im  Anfang  des  letzten  Stückes  der  Langzeile,  also  in  Z.  21.  _!•; 
(und  28)  ein.  So  lautet  Z.  24  «  ^  -l.  v  ^  j_  in  Str.  3  xcm  oxr^iZccg  avxovg.  7.  8. 
10.  15.  16  (corr.  xai  üeög  'HXiov).  18,  dagegen  ^  _r_  -  ■  ^  j_  in  Str.  4  xat  Xe^ag 
7rqög  avxovg.  6.  8.  9  (ioxrjOaro  &eog).  11.  12.  13.  17.  20.  In  der  entsprechenden 
Z.  26  hat  Pitra  die  Betonung  *  jl.  w  _i.  «  .*.  in  Str.  3.  6.  7.  9.  12.  16.  17.  19,  da- 
gegen hat  er  hier  die  Betonung  ^  w  _i_  ^  «  _i_  verfolgt  und  die  richtige  Ueberlieferung 
in  4  ayct7vr\oa.xb  fte.  10  xat  Ictfjßdvw  vfiag.  11  xai  £v  //«'ffw  u/uDv  getilgt,  in  13 
6  to/c:  (flXoig  elnwv  und  15  o  ßoijoag  VfttP  mit  unnützen  Conjekturen  belästigt. 

Also  ist  die  gleiche  Silbenzahl  der  entsprechenden  Kurzzeilen  stets  streng  fest- 
gehalten und  nur  einmal  (Str.  15,  7)  in  einem  wörtlichen  Citat  verletzt.  Die  Mehr- 
zahl der  sich  entsprechenden  Kurzzeilen  haben  gleichen  Tonfall;  hiebei  wird  in  den 
meisten  Stellen  der  Unterschied  zwischen  voll  und  halb  betonten  Silben  scharf  be- 
achtet. Taktwechsel  findet  sich  verhältnissmässig  oft,  doch  stets  in  der  Kurz/eile, 
welche  eine  Langzeile  schliesst:  meistens  im  Anfang  dieser  Kurzzeile,  wo  -  ^  mit 
yj  j-  wechselt  (vgl.  Z.  2.  4.  11.  19.  21),  seltener  so,  dass  das  Innere  des  Verses  er- 
griffen wird,  wie  in  24.  26  (und  29)  wo  u  y  -£-  w  ü  •£-  mit  ..,  ;  u  —  w  j~  wechselt. 
Am  Schlüsse  der  Langzeilen  werden  schwächere,  am  Schlüsse  der  Absätze  stärkere 
Sinnespausen  sorgfältig  beachtet,  so  dass  alle  die  kleinen  und  grösseren  Glieder  des 
wohlgebauten  Ganzen  deutlich  hervortreten.  Das  entspricht,  wie  oben  bemerkt,  dem 
Charakter  des  Romanos. 

Die  übrigen  Gedichte,  welche  diesem  Tone  bei  Pitra  Anal.  I  folgen,  werden  von 
ihm  demselben  Romanos  mit  mehr  oder  weniger  Bestimmtheit  zugeschrieben.  In  der 
S.  LIX  gedruckten  Strophe  ist  Z.  6  und  7  theils  in  der  Handschrift,  theils  durch 
Pitra  verdorben ;  Z.  22  ist  eng  mit  23  verbunden.  Z.  24  und  26  haben  den  Tonfall 
w  J-  v  —  %j  — !  29  hat  eine  Silbe  zu  viel,  was  in  solchen  Schlüssen  nicht  selten  ist, 
w  u  —  v  —  v  -i—  Pitra's  Note  zu  V.  24:  rJQ^djurjV  xov  {/.ivelv  cin  archetypo  ipso 
versus  variatur  ac  modo  sex  modo  Septem  syllabis  constat;  fort,  vvv  ag§of.tai  xov  vfx- 
veiv'1  ist  falsch.  Die  schwächeren  und  stärkeren  Pausen  sind  richtig  beobachtet.  So- 
mit weicht  dieser  Strophenbau  von  dem  des  Romanos  nicht  ab. 

Str.  S.  472.  Z.  8  iotüoaxo  7ieoövxag  ist  metrisch  vollkommen  richtig  (Pitra 
'laeso  rythmo').  Z.  28  weicht  in  Silbenzahl  und  Ton  ab  %aiQoig  oxavgi  twonoit, 
was  im  Refrain  erlaubt  ist.  In  den  Absätzen  I,  II  und  III  sind  die  richtigen  Pausen 
beachtet;  in  Absatz  IV  und  V  nicht,  indem  hier  Z.  20 — 24,  25—29  in  Gruppen  zu- 
sammentreten.    Dies  allein  spricht  gegen  die  Autorschaft  des  Romanos. 

S.  540  Str.  2  und  3,  von  Pitra  nach  2  Handschriften  (M  und  V)  edirt.  Z.  1 
schliesst  Pitra   in    beiden  Strophen    mit  jl.  ^  ;    dafür   werden    wir   später   ein   Beispiel 


355 

finden,  allein  hier  ist  die  Ausnahme  von  der  Regel  falsch.  Denn  in  Str.  2  axara- 
lijrtTog  ovoa  hat  Hscht.  V  äy.azält]7rrog  oacpiog  und  in  3  QCOf.it]  ovqccvov  &eia  hat 
Hscht.  M  Qcöfit]  &eiq  ovqccvÖv,  also  in  beiden  Fällen  richtige  Accente.  Z.  6  hat  in 
Str.  2  die  1.  Silbe  schwer  betont  cpcova  Sevteqcc  ßetxvvoi.  Z.  9  und  10  sind  in  beiden 
Strophen  unsicher.  Z.  11  in  Str.  2  öiö  top  Mr/at'tl  hat  eine  Silbe  zu  viel,  wie  es 
bei  Eigennamen  gestattet  ist,  Z.  12  Str.  3  abweichenden  Ton  ärttQQityEv  eig  yqv, 
Z.  15  den  Taktwechsel  '  «  ^  _j_  «  yfjv  /.ctreoSieiv.  Z.  20  Str.  3  fieP  ov  v.ai  oiqcx- 
revfiaia  ist  natürlich  rd  zu  ergänzen.  Z.  22  Str.  3  rov  /raQSfißaXelv  otsqqcoq  ist 
irctQEfißaXkEiv  zu  schreiben.  Z.  26  ist  in  beiden  Strophen  siebensilbig  tovg  xqccv- 
yatovxag  avro/.  Von  den  Pausen  des  Tones  ist  nur  die  hauptsächlichste  vor  Absatz 
IV  Z.  18  gewahrt,  die  andern  sind  öfter  verwischt.  Die  Autorschaft  des  Romanos 
ist  also   nicht  wahrscheinlich. 

S.  600 — 602  4j/j  Strophen  aus  der  Turiner  Handschrift.  Z.  1  und  3  haben  in 
allen  Strophen  abweichenden  Ton  im  Schlüsse  -^-  v  —  v,  ^  —  v  loycQol  Iv  TtoXtfioig. 
tjfaov  avaiillei.  Z.  7  in  Str.  12  die  seltene  Betonung  ^  ^  j-  ^  ^  j-  ^  —  roig  to 
y.Qiog  eviyxaoi.  Nicht  zu  begreifen  ist,  warum  Pitra  Z.  10  in  Str.  7  xat  xollco- 
tttvrctg  TviatEi  zu  xoAA.  xe  nioiet  änderte.  Z.  11  in  Str.  7  und  9  hat  eine  Silbe  zu 
viel  xi»  acorfiQi  t)uwr.  xot  xcov  oXcov  ÜEiji,  in  6  Wechsel  der  halben  und  vollen 
Accente:  avvaydXXExai  Z.  22  ist  in  allen  Strophen  unsicher  und  von  Pitra  gewiss 
nicht  richtig  verändert.  Z.  26  hat  ungewohnten  Taktwechsel  in  Str.  2  eöei^e  vixtjzdg. 
6  \>Eictg  fictQuaQvyag.  12  tQQHpav  7ioTctfuo\  falsch  ist  in  Str.  9  6  EVGEßiov  aQi&fiog 
von  Pitra  6  zugesetzt.  Die  Refrainzeile  28  öo§av  ix  tcZv  otQaviov  hat  ebenfalls  Takt- 
wechsel. Die  schwächerei)  und  stärkeren  Sinnespausen  am  Ende  der  Langzeilen  und 
Absätze  sind  alle  beachtet.  Gegen  die  Autorschaft  des  Romanos  spricht  also  haupt- 
sächlich die  starke  Verschiedenheit  der  1.  und  3.  Zeile,  minder  die  freie  Behandlung 
der  11.  und  26.  Zeile. 

Reim  und  Akrosticha  in  den  griechischen  Hymnen. 

In  den  früher  besprochenen  Gedichten  des  Methodius  und  Gregor, 
sowie  des  Photius  und  Kaiser  Leo,  endlich  in  den  mittelalterlichen  poli- 
tischen Versen  der  Griechen  findet  sich  der  Reim  nicht.  Aber  dass  in 
den  frühen  Zeiten  der  rythmischen  Poesie  den  Griechen  der  Reim  be- 
kannt war,  das  geht  aus  den  Hymnen  unbestreitbar  hervor.  Die  beiden 
Akathistoi  (Pitra  Anal.  I  p.  250  und  p.  263)  des  Sergius  und  des  Ano- 
nymus sind  von  Anfang  bis  Ende  voll  solcher  Reime,  wie  sie  die  oben 
(S.  342)  ausgeschriebene  Strophe  zeigt.  Auch  Romanos  bedient  sich 
gerne  des  Reimes;  ich  führe  aus  dem  Gedichte  bei  Pitra  S.  93  nur 
einige  Verse  an: 

46* 


356 


tov   i%9>QC>v*     trjs  evaniay/viag  aov 
xal  yvurbv*    Tr\g  tv'hoyiag  aov. 
vyionag*    tov  nnoybv  yaomiiaoir. 
rjvgrjOag*    xo¥  oIxtqov   diooriuacny, 
tn'/.ovrioag *    y.al  tuoy.aütaag. 
In  dem  alten  Gedichte  bei  Pitra  S.  447  heisst   z.  B.  die  8.  Strophe 
riaoa(hio(r*  naraotTs*  navaYie*  netvokßtt 

dl  A<hht  .iHfrif-ruH't*  rV  Evav  yt-yJ.tiauH'h, 
7t(Bg  xXavaio  at : 
damit  vgl.  S.  459  das  Prooemium,  S.  493  das  ganze  Gedicht.  S.  666 
(über  Gregor)  und  S.  678.  Der  Reim  ist  hier  zu  weit  gegangen;  er 
bindet  nicht  nur  die  Schlüsse  der  entsprechenden  Zeilen;  sondern  oft  ist 
er  in  die  Zeilen  eingedrungen  und  bindet  auch  die  Stücke  der  ent- 
sprechenden Kurzzeilen.  Er  ist  insofern  nur  ein  rhetorisches  Kunstmittel; 
allein  die  überwältigende  Fülle  der  Reime  zeigt,  dass  die  Dichter  sich 
desselben  wohl  bewusst  waren.  Sie  kamen  nicht  dazu,  denselben  nur  im 
Schlüsse  der  Zeilen  und  massvoll  anzuwenden.  So  starb  er  wieder  aus, 
wie  es  ja  auch  nicht  auffallend  sein  würde,  wenn  der  Reim  bei  den 
lateinischen  Dichtern  im  9.  und  10.  Jahrhundert  ausgestorben  wäre.  Erst 
seit  dem  15.  Jahrhundert  wurde  der  Heim  ;ius  der  romanischen  Dichtung 
wieder  in  die  neugriechische  eingeführt. 

Die  Akrosticha  spielen  in  dieser  Dichtungsform  eine  grosse  Rolle; 
sie  sind  vielfach  die  einzige  Quelle,  aus  welcher  wir  die  Dichternamen 
kennen.  Gewöhnlich  sind  es  keine  eigentlichen  Akrostichen,  sondern  die 
Anfangsbuchstaben  der  Strophen.  Dieselben  bilden  selten  die  Reihe  des 
Alphabets  von  A  bis  LI  oder  von  11  bis  /.  häufiger  den  Namen  des 
Dichters  oder  des  gefeierten  Heiligen  oder  Festes.  So  lauten  die  Akro- 
sticha, welche  die  Gedichte  des  Romanos  im  1.  Bande  von  Pitra's  Analecta 
geben:  Tov  muibivou  Pmfxavov  v^tvog,  Tovro  Pcouavov  to  tnog.  Tov  raneirov 
Piouavov  to  enog.  Tov  rantirov  Plouuvov  tpalaog  ovrog.  Eig  ra  ßaia  Pwuavov, 
Eig  tov  lojarjip  Pajuavov.  Tov  rctntivov  Puuitai'ov  Tioirjua.  Tov  raneirov 
Pwuavov  aivog.  Eig  to  na&og  ifmkaog  Pojaavov.  (J  aivog  Piouarov.  H  a>r)7/ 
Pcuuavov.  Aivog  y.ai  o  xpaluog  Ihouavov.  Avrrj  r\  ojdi]  tov  tlayiOTov  Puxiavov. 
Aivog  rantivov  Pojuavov  sig  ra  ytvfö'/.ta.  Selten  sind  die  Akrosticha  durch 
die  Initien  der  Langzeilen  gebildet;  vgl.  oben  S.  46.    Nur  Johannes  Damas- 


357 

cerms  hat  derartige  gebildet  in  seinen  Kanones,  die  in  Trimetern 
geschrieben  sind:  die  Anfangsbuchstaben  der  Zeilen,  aus  welchen  die 
9  Oden  des  ganzen  Kanon  bestehen,  bilden  oft  ein  Epigramm  von 
2   Distichen. 

In  der  oben  geschilderten  Weise  vereinigen  betonte  und  unbetonte 
Silben,  Kurzzeilen,  Langzeilen  und  Absätze  sich  zu  dem  Bau  der 
Strophe,  und  dieses  schöne  Ganze  wird  mit  strenger  Regelmässigkeit 
wiederholt,  so  dass  das  Ohr  immer  schärfer  die  Weise  auffasst  und 
an  der  Wiederkehr  der  einzelnen  Glieder  sich  erfreut.  Erwägen  wir 
die  Schwierigkeit  der  ganzen  Dichtweise  und  die  Strenge,  mit  welcher 
die  Gesetze  bewahrt  sind,  so  müssen  wir  gestehen,  dass  die  rythmischen 
Dichter  der  Kunst  der  quantitirenden  nicht  nachstanden,  ja  dass  sie  viel- 
leicht mit  denselben,  welche  damals  sich  neue  strenge  Regeln  geschaffen 
hatten,  zu  wetteifern  strebten.  Die  Anzahl  dieser  rythmischen  Dichtungen 
war  aber  eine  ausserordentlich  grosse,  wie  die  erhaltenen  gedruckten  und 
ungedruckten  Trümmer  beweisen.  Die  Byzantiner  ehrten  und  pflegten 
diese  Dichtungen  ausserordentlich.  Mir  scheint  dadurch  eine  Lücke  im 
geistigen  Leben  der  Byzantiner  einigermassen  ausgefüllt  zu  sein,  nemlich 
der  unerklärliche  Mangel  an  Poesien  von  dem  Anfang  des  7.  Jahrhunderts 
bis  zum  Ende  des  elften.  Diese  kirchlichen  Gesänge  scheinen  es  gewesen  zu 
sein,  in  denen  das  Volk  seine  dichterische  Kraft  zum  Ausdruck  brachte. 
So  viel  ich  urtheilen  kann,  brauchen  die  griechischen  Dichter  dieser 
Zeiten  den  Vergleich  mit  den  gleichzeitigen  lateinischen  Dichtern  der 
verschiedenen  abendländischen  Völker  nicht  zu  scheuen.  Um  so  mehr 
sollten  sie  erforscht  werden. 

Die  lateinischen  Sequenzen. 

Die  griechischen  Kirchengesänge  sind  auch  dadurch  besonders  wichtig 
geworden,  dass  sie  die  geistliche  Poesie  anderer  Völker  stark  beeinflusst 
haben.  Die  slavischen  und  russischen  Kirchenlieder  sind  zum  Theil  aus 
dem  Griechischen  übersetzt;  bis  wieweit,  das  wird  die  Aufgabe  einer 
ebenso  notwendigen  als  dankbaren  Untersuchung  sein.  Allein  ich  kann 
auch  für  die  lateinischen  Sequenzen  nur  diesen  Ursprung  annehmen.    Christ 


358 


hat  (Antholog.  S.  XXV)  auf  die  zahlreichen  Spuren  griechischen  Einflusses 
hingewiesen,  welche  in  der  lateinischen  Liturgie  und  Kirchenmusik  der 
Karolingerzeit  hervortreten.  Nachdem  zur  Zeit  Justinians  die  lateinische 
Welt,  besonders  durch  die  Gesetzgebung,  stark  auf  die  griechische  gewirkt 
hatte  (damals  besonders  entstanden  die  lateinisch-griechischen  und  griechisch- 
lateinischen Glossare),  kam  im  8.  und  9.  Jahrhundert  die  theologische 
Gegenströmung  aus  der  griechischen  in  die  lateinische  Welt;  die  Lateiner 
waren  sich  bewusst,  dass  die  Evangelien  griechisch  geschrieben  waren  und 
dass  die  frühesten  und  hervorragendsten  Kirchenväter  Griechen  gewesen 
seien;  sie  gingen  sogar  so  weit,  das  Vaterunser  und  einige  Hauptstücke 
der  griechischen  Liturgie  in  griechischer  Sprache  herüber  zu  nehmen 
und  die  damals  angesehensten  Schriftsteller  prunkten  wo  nur  möglich 
mit  griechischen  Brocken.  Die  Form  dieser  Sequenzen  erhellt  aus  fol- 
genden Beispielen: 

Petri    cantoris  Mettensis    circ.  790    'Metensis    minor  ;    verba  Notkeri. 
Schubiger  Exempla  No.   1  ex  Cod.  S.  Galli  546 
Prolog.     Laude  dignum 
Sanctum        cänat  Othmärum 

Talis  nati  profectu 

Hie  velut  sidus         eximius 
caligines 
praeeeptis 
subvenit 
vitae 
Debiles  curändo         atque 

Nunc      iam        cöetibus       coniünctum 
Ut  nos        fragiles        semper  conciliet 

Epil.  Qui  regnat  trinitas  summa. 

In  der  vorletzten  Zeile  ist  wohl  zu  stellen:  conciliet  semper. 
llomani  melodia cRomanaJ  circ.  790.  Verba  Notkeri.  Schubiger  Exempla 
No.  2  ex  Cod.  S.  Galli  546 
Prolog.     Johannes  Jesu  Christo  multum  dilecte  virgo 
Tu         eius         amöre  carnälem 

In  navi        parentem         liquisti 


Hie 
Hie 


Inter  fraternas 
Jesu       Christi 
eius       membris 
Nunc  suae      perfeetae 


Svevia 

ni.iter 

gratulans 

semper 

placidus 

deo 

rutilans 

micat 

päruit 

prompt  us 

minimis 

largus 

se  testem 

exhibet 

fovendo 

supplices 

sanetorum 

cüneti  precemur 

liet 

domino  deo 

359 

Tu         leve        cöniugis         pectus        respuisti         Messiam        secütus 
Ut  eius        pectoris         sacra  meruisses        fluenta  potare 

Tu  que  in  terra  pösitus         gloriam         conspexisti         filii  dei 

Quae  solum  sanctis        in  vita         creditur         contuenda  esse  perenni 

Te  Christus      in  crüce       triümphans      mätri        süae  dedit  custödem 

Ut  virgo  virginein       servares  atque        curam       suppeditares 

Tüte    cärcere      flägris  que    fräctus     testimönio        pro  Christo    es  gavisus 
Idera    mortuos    suscitas         inque       Jesu  nomine    venenum        forte  vincis 
Tibi         sümmus     täcitum     caeteris    verbum    süum     päter        revelat 
Tu  nos    omnes        precibus    sedulis      apud         deum     semper    commenda 
Epilog.  Johannes  Christi  chare. 

Romani  melodia  cAmoena'  circ.  790.  Verba  Notkeri.  Schubiger  Exempla 
No.  3  ex  codice  Einsiedl.  Fr.   1. 
Prolog.     Carmen  suo  dilecto 
Ecclesia  Christi  cänat  ob  quam       pätrem  matremque       deserens 

Deus  nostra      se  vestit  natura  et  synagogam  respuit 

Christe      tüo        säcro  latere      sacramenta       manarunt      illius 
Tui  ligni      adminiculo        conservatur      in  salo  saeculi 

Hanc   adamans    cöniugem    cläuderis  Gazae   sed  portas  effractürus   illius 
Hanc    etiam  hostibus       eruiturus  es  congressus  tyranno    Goliath 

Quem  lapillo  prosternens  unico 
Ecce    sub  vite      amöena        Christe     lüdit  in  pace      ömnis  ecclesia 

Tute     in  horto     resurgens     Christe      hortum      florentis      paradisi  tuis 
Epilog.     Obstructum  diu  reseras  domine  rex  regum. 
Sequentia  de  ascensione  domini.     Notkeri  Balbuli  melodia  'Dominus 
in    Syna    in    sancto'    et    verba.      Schubiger    Exempla   No.    21    ex 
codice  S.  Galli  546 
Prolog.  Christus  hunc  diem  iocundum  cunctis  concedat  esse  Christianis 
amatoribus  suis. 

1.  Christe  Jesu     fili  dei        mediätor  natürae  nostrae        ac  divinae 

2.  Ofßciis  te  angeli      atque  nubes     stipant  ad  patrem     reversurum 

1.  terras  deus  visitästi  aeternus  aethera     növus  hömo  transvolans 

2.  sed  qui  mirum    cum  lactanti    adhüc  Stella  tibi      serviret  angeli 


360 

Tu  hodie 

Terrestribus     rem  növam     et  dülcem  dedisti  domine    sperändi  coelestia 

Te  hominem    non  fictum      levando  super  sidereas     metas  regum  domine 

Quänta  gäudia  tüos  replent  apöstolos 

Quis  dedisti  cernere  te  coelos  pergere 

Quam  hilares       in  coelis       tibi  occürrunt        növi  ördines 

In  humeris           portanti        diu  dispersum       a  lupis  gregem 
Epilog.     Unum  quem  Christe  bone  pastor  tu  dignare  eustodire. 

Abgesehen  von  Prolog  und  Epilog  sind  es  Paare  von  gleichen  Lang- 
zeilen, zwischen  welche  selten  eine  einzelne  Zeile  eingeschoben  ist.  Die 
sich  entsprechenden  Langzeilen  haben  nach  der  Regel  nicht  nur  gleich 
viel  Silben,  sondern  auch  gleichen  Tonfall,  ja  sogar  gleiche  Wertformen; 
diese  wenig  beachtete  Gleichheit  der  Wortformen,  welche  an  die  Versus 
anacyclici  des  Porfyrius  erinnert,  ist  wenigstens  in  den  3  ersten  Ge- 
dichten, wo  Notker  frühere  Melodien  mit  Wörtern  füllte,  dann  auch  in 
manchen  seiner  eigenen  (vgl.  K.  Bartsch,  Die  lateinischen  Sequenzen  S.  71 
z.  B.  Psallat  ecclesia  (nur  vivunt  und  angeli  weichen  ab)  und  Cuius  pater 
(nur  in  secula  und  laudantes  weichen  ab)  noch  strenger  durchgeführt  als 
in  den  griechischen.  Notker,  der  912  in  St.  Gallen  starb,  und  als 
der  Schöpfer  dieser  wichtigen  Dichtungsgattung  angesehen  werden  muss. 
schreibt  in  der  Widmung  seiner  Sequenzen: 

cCum  adhuc  iuvenculus  essem  et  melodiae  longissimae  saepius  me- 
moriae  commendatae  instabile  corculum  aufugerent,  coepi  tacitus  mecum 
volvere,  quonam  modo  eas  potuerim  colligare.  Interim  vero  contigit.  ut 
presbyter  quidam  de  Gimedia  nuper  a  Nordmannis  vastata  veniret  ad 
nos,  antiphonarium  suum  secum  deferens.  in  quo  aliqui  versus  ad  se- 
quentias  erant  modulati,  sed  iam  tunc  nimium  vitiati.  quorum  ut  visu 
delectatus,  ita  sum  gustu  amaricatus.  ad  imitationem  tarnen  eorundem 
coepi  scribere  'Laudes  deo  concinat'. .  quos  cum  magistro  meo  Ysoni 
obtulissem,  ille  studio  meo  congratulatus  imperitiaeque  compassus,  quae 
placuerunt,  laudavit,  quae  autem  minus,  emendare  curavit,  dicens  'singuli 
motus  cantilenae  singulas  syllabas  debent  habere,  quod  ego  audiens  ea 
quidem  quae  in  ia  {vom  Alleluia)  veniebant  ad  liquidum  correxi.  quae 
vero    in  le  vel  in  lu  quasi  impossibilia  vel   attemptare    neglexi,    cum    et 


361 

illud  postea  usu  facillimum  deprehenderim1  etc.  Dann  heisst  es  in  Ekke- 
harti  (IV)  Casus  S.  Galli  cap.  47  (ed.  Meyer  von  Knonau  in  St,  Gallische 
Geschichtsquellen  Bd.  15  u.  16)  Fecerat  Petrus  ibi  iubilos  ad  sequentias. 
quas  Metenses  vocat,  Romanus  vero  Romanae  nobis  e  contra  et  Amoenae 
de  suo  iubilos  modulaverat,  quos  quidem  post  Notker,  quibus  videmus 
verbis  ligabat;  Frigdorae  autem  et  Occidentanae  quas  sie  nominabat 
iubilos  illis  animatus  etiam  ipse  de  suo  exeogitavit.  Demnach  waren  für 
die  iubili,  d.  h.  für  die  langgezogenen  Modulationen  des  Alleluia  vor 
Notker  verschiedene,  viel  verschlungene  und  schwer  zu  merkende  Melodien 
vorhanden,  von  denen  einige  von  2  römischen  Mönchen  Petrus  und 
Romanus  herstammen  sollten.  Notker,  der  jene  langen  Melodien  kaum 
im  Gedächtniss  festhalten  konnte,  sah  sie  einmal  mit  Worten  unterlegt 
und  versuchte  zuerst  eine  Modulation  des  ia  mit  Worten  zu  versehen, 
dann  ging  er  weiter.  Er  legte  nicht  nur  vorhandenen  Melodien  Texte 
unter,  so  denen  des  Petrus  und  Romanus,  sondern  ersann  neue  Modu- 
lationen, welchen  er  selbst  auch  wieder  Worte  beifügte.  Diese  ganz«' 
Procedur  ist  genau  so,  wie  bei  den  griechischen  Dichtern.  Bald  ersannen 
sie  neue  Texte  zu  alten  Melodien,  bald  neue  Melodien  und  den  Text 
dazu.  Dass  Notker  hiebei  nur  auf  den  Wortaccent  achtete,  dass  die 
Absätze  genau  in  die  gleichen  Wortgrössen  mit  den  gleichen  Accenten 
zerlegt  wurden,  das  entspricht  so  genau  der  griechischen  Art,  dass  es 
jener  nachgeahmt  sein  muss. 

Schwierig  ist  die  Frage  über  die  Form  der  Sequenzen.  Die  erste 
Frage  ist,  ob  schon  in  den  alten  textlosen  Modulationen  des  Alleluia 
vor  Notker  alle  einzelnen  kleinen  Sätze  doppelt  gesungen  wurden.  Das 
ist  wenig  wahrscheinlich.  War  es  wirklich  nicht  der  Fall,  dann  stammt 
diese  auffallende  und  folgenreiche  Aenderung  von  Notker.  und  es  ent- 
steht die  andere  Frage,  warum  er  diese  Neuerung  vorgenommen  habe. 
Bartsch  (S.  18)  sucht  den  Ursprung  dieser  Wiederholung  darin,  dass  die 
Sequenzen  von  verschiedenen  Chören  vorgetragen  wurden;  allein  das 
würde  weder  für  die  ursprünglichen  textlosen,  noch  für  Notkers  mit 
Text  unterlegte  Alleluiamodulationen  diese  merkwürdige  Einrichtung  er- 
klären. Möglich  wäre  auch  hier  griechischer  Einfluss,  auf  welchen  zu- 
nächst der  Name  einer  Melodie  'Graeca1  sowie  die  Sitte  deutet,  dass  der 
Anfang  der  befolgten  Melodie  vorangesetzt  wurde,  wie  bei  den  Griechen 
Al.h.  (I  l.Cl.d.  k.  Ak.  d.  Wim.  XVII.  Bd.  IF.  Al-th.  47 


362 

mit  nQOi  tu.  Hiebei  dürfte  man  weniger  an  die  Form  der  Kanones  denken, 
in  welchen  8  —  9  Abtheilungen  von  je  3  —  4  gleichen  Strophen  waren, 
sondern  vielmehr  an  Hymnenstrophen,  in  denen  sich  viele  Paare  gleicher 
Langzeilen  finden,  wie  in  dem  oben  behandelten,  weit  berühmten  Tone 
äyy&joQ  nyunoaTMTris  von  Z.  10  an  nur  solche  Paare  gleicher  Langzeilen 
vorkommen.  Nicht  befremden  könnte,  dass  nur  1  Strophe  dieser  Art 
gedichtet  wurde,  während  die  griechischen  Gedichte  bis  auf  30  Strophen 
steigen;  denn  von  diesen  sind  in  die  Menaeen  meistens  auch  nur  das 
Prooemium  und  die  1.  Strophe  aufgenommen.  Doch  wenn  auch  nicht 
hierin,  so  zeigt  sich  der  griechische  Einfluss  sicher  darin,  dass  man  es 
wagte  Gedichte  zu  schaffen,  welche  sich  nicht  in  den  wenigen  damals 
noch  gebräuchlichen  Zeilenformen  der  alten  lateinischen  Poesie  bewegten 
(vgl.  meine  Rythmen  S.  72.  79.  106),  sondern  dem  Tonfall  frei  aufge- 
bauter Melodien  sich  anschlössen,  und  die  Art  und  Weise,  wie  dies  ge- 
schah. Notker  war  hierin  ziemlich  streng;  doch  bald  ward  den  Abend- 
ländern die  Genauigkeit  lästig,  welche  die  Griechen  achtsamer  festhielten. 
In  den  spätem  lateinischen  Sequenzen  ist  nicht  nur  in  den  entsprechenden 
Langzeilen  die  Gleichheit  der  "Wortformen  vernachlässigt,  sondern  oft 
sogar  die  Gleichheit  des  Tonfalles  im  Innern  und  im  Schluss  der  Zeile 
und  die  Gleichheit  der  Silbenzahl.  Diese  Einführung  der  Sequenzenform 
war  von  dem  wichtigsten  Einfluss  auf  die  lateinische  und  so  auch  auf 
die  romanische  und  deutsche  Dichtung  des  Mittelalters.  Sie  forderte  zu 
freiem  Schaffen  von  Strophenarten  heraus,  und  wie  der  von  Notker  ge- 
legte Keim  aufblühte,  das  zeigt  die  wunderbare  Fülle  von  Formen,  welche 
die  abendländischen  Dichter  des  12.  und  13.  Jahrhunderts  schufen,  in 
welchen  zum  Theil  die  unmittelbare  Nachbildung  der  Sequenzendichtung 
zu  Tage  liegt. 


Der  Ursprung 

der  rythmischen  Dichtung  der  Lateiner  und 

der  Griechen. 

Der  Ursprung  der  griechischen  Hymnen-Strophen. 

In  den  Handschriften  wie  in  den  Drucken  wurden  der  Raumerspar niss 
halber  die  griechischen  Kirchengesänge  fortlaufend  geschrieben  und  die 
Zeilenschlüsse  durch  Punkte  markirt,  wie  Aehnliches  noch  in  unsern 
Gesangbüchern  geschieht.  Diese  Punkte  wurden  dann  oft  vergessen  oder 
versetzt,  und  so  kam  es.  dass  das  Bewusstsein,  die  Lieder  seien  aus 
Strophen,  die  Strophen  aus  Zeilen  mit  bestimmtem  Tonfall  zusammen- 
gesetzt, bei  den  Griechen  mehr  und  mehr  verschwand.  Cardinal  Pitra 
hat  in  seiner  Hymnographie  de  l'eglise  Grecque  (llome  1867)  S.  3  —  10 
eine  lange  Reihe  von  (h 'lehrten  aufgezählt,  von  denen  keiner  des  Baues 
der  Strophen  sich  bewusst  gewesen  sei.  Dann  schildert  er  in  dramatischer 
Weise,  wie  er  selbst  in  Moskau  entdeckt  habe,  dass  jene  Gesänge  aus 
Strophen  und  die  Strophen  aus  Zeilen  von  gleich  viel  Silben  beständen, 
und  dass  diese  Zeilen  durch  Punkte  in  den  Handschriften  gekennzeichnet 
seien.  W.  Christ  hatte  dann  entdeckt,  dass  die  entsprechenden  Zeilen 
nicht  nur  gleich  viel  Silben,  sondern  auch  gleichen  Tonfall  haben  (Antho- 
logia  Graeca  carminum  Christianorum  Leipzig  1871  S.  LXXVII — LXXX); 
worauf  Pitra  erklärte  (Analecta  Sacra  I,  1876,  S.  LH),  dass  auch  er  diese 
Entdeckung  selbständig  gemacht  habe.  Ich  bedauere,  den  Ruhm  dieser 
Entdeckungen  schmälern  zu  müssen  durch  den  Hinweis,  dass  manche 
Neugriechen  noch  in  unserem  Jahrhundert  der  Strophen,  der  Zeilen,  der 
gleichen  Silbenzahl  und  des  gleichen  Tonfalles  der  Kurzzeilen  sich  be- 
wusst waren.    Das  geht  ganz  klar  hervor  aus  dem,  was  der  hochgeachtete 


364 

griechische  Philologe  Konstantin  Oikononios  in  seinem  Werke  fltyl  zr$ 
yvqoiag  nQ<MpoQa$  rijs  'EXkrjytxrjs  y/.tuaorjg  (Petersburg  1830)  S.  667  —  669 
über  die  Strophen,  deren  Gliederung  und  Betonung  sagt.  Die  Freude 
über  die  vermeintliche  Entdeckung  hatte  aber  doch  die  besten  Folgen. 
Dieser  ungebührlich  vernachlässigte  Theil  der  Literatur  wurde  wenigstens 
von  einigen  Gelehrten  genauer  erforscht. 

Den  Ursprung  der  christlichen  Strophenformen  suchte  Christ  in 
den  lyrischen  Strophen  der  alten  quantitirenden  Poesie;  (vgl.  S.  88 — 90. 
95.  104).  So  sagt  er  S.  88  omnes  lyricorum  et  scenicorum  poetarum 
versus  byzantinis  modis  aptari  posse  confido.  neque  equidem  dubito,  quin 
veterum  cantilenarum  modos,  ut  qui  carminibus  ipsis  superstites  esse 
soleant,  byzantini  melodi  iniitati  eint,  et  servatorum  modorum  luce 
tenebrae  veteris  artis  si  minus  discutiantur,  at  certe  rarescant.  S.  95 — 97 
führt  er  eine  Reihe  von  Zeilen  an,  cut  byzantinos  melodos  veterum 
poetarum  versus  suo  more  imitatos  esse  demonstrarem.'  Doch  was  die 
byzantinischen  Strophen  mit  den  altgriechischen  lyrischen  gemeinsam 
haben,  das  haben  sie  mit  den  ungleichzeiligen  Strophen  aller  Sprachen 
gemein:  Hebungen,  die  bald  durch  1.  bald  durch  2  Senkungen  getrennt 
sind.  Dagegen  haben  sie  Vieles  mit  jenen  nicht  gemein;  sie  haben 
keine  zusammenstossenden  Hebungen,  also  keine  Füsse  wie  —  — ,  » 
_•._  „  „  -L.  x.  „  w  ->-  etc.,  keine  aufgelösten  Hebungen,  keine  zusammen- 
gezogenen Senkungen.  Dagegen  findet  sich  von  den  charakteristischen 
Eigentümlichkeiten  der  byzantinischen  Strophen,  den  Akrosticha,  den 
Refrains,  dem  hie  und  da  vorkommenden  Reime  nichts  in  den  alt- 
griechischen. Desshalb  ist  dieser  Ursprung  schon  an  und  für  sich  un- 
wahrscheinlich. 

J-itrrt  hatte  in  seiner  Hymnographie  1867  S.  33  bemerkt:  Ne  fau- 
drait-il  pas  penetrer  dans  l'hymnographie  des  Syriens,  des  Chaldeens,  des 
Armeniens,  des  Coptes,  qui  ont  pu,  si  non  preceder  les  melodes  Byzantins, 
du  moins  conserver  plus  fidelement  les  anciens  chants  de  Feglise.  Qui 
sait  si,  parmi  les  debris  des  liturgies  Nestoriennes  et  Jacobites,  la  science 
ne  decouvrira  pas  des  melodies  primitives,  enfouies  sous  l'epaisse  couche 
d'heresies  quinze  fois  seculaires?  Saint  Ephrem  n'est  sans  doute  pas  le 
seul  ni  le  premier,  qui  se  soit  empare  des  hymnes  de  Bardesane  et 
d'Epiphane,    pour    leur  opposer,    sur    le  meme    metre  et  le  meine    mode, 


365 

ses  poetiques  apologies.  II  importerait  enfin  de  se  rendre  compte  de 
l'hymnographie  biblique,  des  chants  de  l'antique  Israel,  auxquels  nos 
premiers  melodes  auront  fait  plus  d'un  emprunt.  N'est-ce  point  de  lä 
que  viennent,  non  seulement  les  acrostiches,  les  stances  alphabetiques, 
les  refrains,  les  alternances,  les  parallelismes,  mais  tous  les  secrets  de 
cette  prosodie  syllabique,  dont  nous  avons  parle?  N'est-ce  point  la  notre 
terrain  primitif,  dont  les  puissantes  assises  plongent  des  Macchabees  aux 
prophetes,  des  prophetes  a  David,  ä  Moyse,  aux  patriarches  ?  Et  avant 
les  cantiques  du  Pentateuque,  n'y  avait-il  pas  dejä  des  psaumes  et  des 
hymnes?  La  science  nous  dira-t-elle  un  jour  nettement  ce  qu'il  y  a  sous 
les  lettres  gigantesques  du  mont  Sinai  et  parmi  les  Hieroglyphes  de 
l'Egypte?  In  den  Analecta  Sacra  I,  1876,  S.  LIII  zählt  Pitra  die  von 
ihm  formulirten  Gesetze  des  Strophenbaues  auf  und  schliesst  'Quid  si 
cum  nostris  confertim  ea  omnia  connecterentur,  quae  proxima  et  gemina 
sunt  in  vicinis  Orientalium  unguis,  in  Syrorum,  Chaldaeorum,  Slavorum, 
Hebraeorum  fortasse  et  Armeniorum  carminibus?'  Wie  wenig  sicheren 
Boden  Pitra  bei  diesen  weitausschauenden  Vermuthungen  unter  sich  fühlte, 
zeigen  andere  Stellen,  welche  doch  wieder  die  altgriechische  Dichtung 
hereinziehen:  Anal.  S.  LXVII  Hactenus  selecta  hirmorum  paradigmata: 
nee  mirarer,  si  eadem  aut  similia  ab  omni  aevo  circumsonarent  inter 
Syros,  Chaldaeos,  Armenios,  Coptas,  Nestorianos  et  Jacobitas,  cum  hirmus 
sit  omnium  gentium  haud  cantu  niutaruin.  Etiara  Üoruisse  apud  veteres 
Graecos  et  inter  profana  theatra  palam  erit,  ubi  de  ephyinnio  dicemus. 
S.  LXXXI  spricht  Pitra  von  den  Prooemienstrophen  und,  da  er  keinen 
andern  Ursprung  dieser  Sitte  findet,  erklärt  cneque  id  peritum  fugerit 
lectorem,  stare  nos  in  vetustissimo  hellenicarum  Musarum  exordio,  cum 
primi  omnium  aoidoi  solemnem  hunc  morem  habuerint  praeludendi . . 
Nee  mirum,  si  tot  saecula  iungamus.  priscis  enim  Christianorum  aoedis 
haud  ingratum  neque  insuetum  fuit,  vetustissimas  veterum  melodias  suos 
in  usus  pios  parce  detorquere.  Also  haben  wir  die  Wahl,  wir  können 
die  byzantinischen  Strophen  von  den  verschiedensten  orientalischen  Völkern 
oder  von  den  alten  Hebräern,  aber  auch  von  den  alten  Griechen,  endlich 
auch  aus  der  Natur  alles  Gesanges  ableiten.  Solche  weitbauchischen  Ge- 
danken haben  selten  Kraft  und  Wirkung.  Hier  aber  fügte  es  der  Zufall. 
B  i  c  k  e  1 1 ,  der  gründliche  Kenner  der  altsyrischen  Poesie  und  durch 


366 

die  Ausgabe  des  Carmina  Nisibena  des  Ephrem  mit  den  Formen  dieser 
syrischen  Hymnen  genau  vertraut,  untersuchte,  durch  Pitras  Publikationen 
angeregt,  die  griechischen  Hymnen  und  erkannte  die  Verwandtschaft  der- 
selben mit  den  syrischen;  vgl.  auch  Gerbert  de  cantu  et  musica  sacra 
I,  200.  Diese  Entdeckung  schrieb  er  Pitra  zu;  z.  B.  in  den  Regulae 
metrices  Biblicae  Innsbruck  1879  S.  3:  rectam  viam  iam  a.  1868  Pitra 
in  libro  'HymnograplnV  demonstraverat.  Dum  enim  odas  Graecorum 
ecclesiasticas  metris  constare  et  a  madraschis  Syrorum  derivatas  esse 
probabat,  has  ipsas  e  sacra  Hebraeorum  poesi  ortum  habere  coniectavit. 
Bickell  war  es  hauptsächlich  um  ein  anderes  Ziel,  die  Erforschung  der 
hebräischen  Metra,  zu  thun;  desshalb  gab  er  sich  keine  Mühe,  den  Zu- 
sammenhang der  syrischen  und  griechischen  Hymnenstrophen  genauer 
darzulegen.  Seine  Ansichten  über  den  Bau  der  syrischen  Strophen  des 
Ephrem  sind  besonders  dargelegt  in  Ephrem,  carmina  Nisibena,  1866 
S.  32  und  39,  Regulae  metr.  bibl.  1879  S.  73  und  in  der  Zeitschrift  der 
deutschen  morgenl.  Gesellschaft  35,  1881,  S.  416.  418.  419.1)  In  Wahr- 
heit kann,  wer  die  Hymnenstrophen  des  Ephrem  mit  den  byzantinischen 
vergleicht,  an  der  engen  Verwandtschaft  nicht  zweifeln.  Natürlich  haben 
die  syrischen,  als  die  älteren,  einfacheren  Bau.  So  finden  sich  z.  B.  nach 
Bickells  Untersuchungen  in  den  Carmina  Nisibena  meistens  gleichzeilige 
Gruppen,  (so  Gruppen  zu  5  Mal  5  Silben,  6  X  5,  4  X  6,  5  X  7,  6  X  7, 
7x7,  8x7  und  10  X  7);  dann  einfach  zusammengesetzte  Strophen 
7  .  4.  7  .  4;  6  Mal  5  +  7  +  5  Mal  5;  endlich  künstlichere  wie 
567  44445;  44449  77774  7710;  7778  7774  77778;  6446444444 
558.  Im  1.  Bande  der  von  Lamy  edirten  Hymnen  und  Sermonen  des 
Ephrem  finden  sich  unter  anderen  Strophen  87748817.  8889555569. 
87748877  6  Mal  5  +  10  +  888.  Vor  dem  Gesang  ist  der  Ton,  nach 
welchem  er  geht,  angegeben,  wie  bei  den  Griechen  mit  /z^  to.  Alle 
Strophen  haben  den  gleichen  Refrain.  Die  Initien  der  Strophen  bilden 
das  Alphabet,  häufig  auch  den  Namen  des  Dichters,  selten  andere  Worte, 


1)  Den  Grund  zu  diesen  Forschungen  hat  Aug.  Hahn  gelegt :  vgl.  Bardesanes  Syrorum 
primus  hymnologus  1819  (S.  46);  Kirchenhistorisches  Archiv  182H  Heft  III  S.  52 — 106;  weiter  ge- 
führt hat  sie  besonders  Pius  Zingerle,  'Ueber  das  gemischte  Metrum  in  syrischen  Gedichten  , 
Zeitschr.  f.  Kunde  des  Morgenlandes  VII,  1  —  24.  185  — 196  und  Zeitschr.  d.  d.  morgenl.  Gesell- 
schaft X,  116  —  126. 


367 

wie  'Unsere  Stimme  seufzt  o  Nisibener';  vgl.  Geiger  in  der  Zeitschrift 
d.  d.  morgenl.  Ges.  21,  1867,  S.  469  u.  Bickell  ebenda  26,  1872.  S.  810. 
Regelmässiger  Reim  kommt  bei  den  Syrern  erst  nach  dem  Jahr  1000 
vor  und  ist  dann  aus  dem  Arabischen  eingeführt;  aber  der  oben  in  den 
griechischen  Hymnen  nachgewiesene  rhetorische  Reim  findet  sich  schon 
in  den  syrischen;  vgl.  Pius  Zingerle  in  Zeitschr.  d.  d.  morgenl.  Ges.  X, 
112  u.  115.  Der  Inhalt  berührt  sich  oft  nahe.  Pitra  kann  das  drama- 
tische Leben  in  den  byzantinischen  Gesängen  nicht  stark  genug  hervor- 
heben und  findet  hier  den  Ursprung  der  mittelalterlichen  geistlichen 
Spiele.  Nun,  dann  muss  er  bis  auf  die  Syrer  zurückgehen.  Schon  Aug. 
Hahn  hat  (im  kirchenhistorischen  Archiv  1823,  3.  Heft  S.  71)  in  den 
Hymnen  Ephrems  '2  Arten  Wechselgesänge  unterschieden,  eigentlich  so 
genannte,  dem  Carmen  amoebaeum  der  Griechen  und  Römer  verwandt, 
wo  wie  im  Drama  verschiedene  Personen  sich  aussprechen,  und  andere, 
die  im  weiteren  Sinne  zu  den  Wechselgesängen  gezählt  werden  können/ 
Im  Hymnus  (No.  31)  auf  den  Tod  einer  Hausmutter,  den  Aug.  Hahn 
und  dann  Zingerle  (Ausgewählte  Schriften  des  Ephrem  4.  Bd.  S.  61) 
übersetzt  haben,  werden  redend  eingeführt:  zuerst  wohl  ein  Klageweib, 
das  über  die  Leiden  des  Todes  und  die  Krankheit  der  Verstorbenen 
klagt,  dann  die  Todte  mit  ihrer  Rede  vor  dem  Sterben,  dann  die  Kinder, 
endlich  die  Verstorbene  aus  dem  Grabe;  mit  einem  Gesänge  der  ganzen 
Versammlung  schliesst  das  Gedicht.  Nacli  diesen  Merkmalen  ist  un- 
zweifelhaft, dass  die  griechischen  Hymnenstrophen  der  syrischen  Literatur 
oder  besser  den  Dichtungen  des  Ephrem  nachgebildet  sind. 

Dass  die  syrische  Poesie  ohne  Ausnahme  nicht  nach  der  Quantität 
gebaut  ist,  also  nach  dem  Wortaccent  gesprochen  wurde,  das  ist  sicher. 
Wichtig  wäre  es  nun,  den  Tonfall  der  Zeilen  zu  kennen,  z.  B.  ob  in  den 
Zeilen  bestimmte  Füsse  beobachtet  wurden,  oder  ob  wenigstens  im  Schlüsse 
ein  scharfer  Unterschied  zwischen  jambischem  und  trochäischem  Tonfall 
festgehalten  sei,  endlich  ob  vielleicht  in  den  sehr  zahlreichen  gleich- 
zeiligen  Gedichten  mehr  Freiheit,  in  den  ungleichzeiligen  Strophen  mehr 
Strenge  des  Tonfalls  herrschte.  Syrische  Handschriften  mit  musikalischen 
Noten  sind  bis  jetzt  keine  gefunden,  und  es  ist  auch  nicht  zu  hoffen, 
dass  noch  welche  gefunden  werden.  Somit  sind  wir  nur  auf  die  Aus- 
sprache angewiesen.     Von    einem  der   besten  Kenner   erhielt  ich  nun  die 


368 

Autwort,  wir  wüssten  nicht,  wie  die  damaligen  Syrer  ihre  Wörter  betont 
hätten.  Bickell  hat  auch  in  seinen  Carolina  Nisibena  noch  nichts  vom  Ton- 
fall gesprochen.1)  Dagegen  hat  Bickell  in  seinen  neueren  Schriften  über 
die  hebräische  Metrik  des  alten  Testaments  öfter  von  der  syrischen  (wie 
hebräischen)  Poesie  behauptet,  dass  stets  eine  betonte  Silbe  mit  einer 
unbetonten  wechsle,  dass  es  also  bei  den  Syrern  nur  Jamben  und  Trochäen, 
nicht  wie  bei  den  Griechen  auch  Anapäste  und  Daktylen  gebe  (Regulae 
1879  p.  4.  Suppl.  p.  73;  Zeitschr.  d.  d.  morgenl.  Ges.  35,  1881,  S.  416. 
418.  419).  Der  Weg,  auf  welchem  Bickell  zu  diesem  Resultat  gekommen, 
ist  bedenklich;  das  Resultat  selbst  ist  noch  bedenklicher.  Die  syrische 
Sprache  hat  viele  Hilfsvokale,  die  bald  Silbe  bilden  können,  bald  nicht; 
diese  bereiten  bei  der  Bestimmung  der  Silbenzahl  der  Zeilen  grosse  Un- 
sicherheit (Carm.  Nisib.  S.  33).  Die  Halbvokale  seien  zuweilen  ausnahms- 
weise silbenbildende;  er  nimmt  nun  dasjenige  Schema,  bei  welchem  diese 
ausnahmsweise  silbenbildenden  Halbvokale  in  die  unbetonte  Silbe  rücken. 
So  seien  die  letzten  Silben  in  der  Regel  unbetont,  nur  in  der  Verbindung 
von  7  -{-  4  Silben  überwiege  das  Stück  zu  7  Silben  «  _  *  _  «  _  u ,  so 
dass  auch  das  Stück  zu  4  Silben  jambischen  Tonfall  »  _  w  _  erhalte.  Noch 
bedenlicher  als  dieser  Weg  ist  das  Resultat.  Ich  will  nicht  besonders 
betonen  die  schreckliche  Einförmigkeit  eines  Gedichtes,  in  dem  betonte 
und  unbetonte  Silben  stets  im  gleichen  Takte  wechseln,  eine  Einförmig- 
keit, welche,  wie  später  zu  bemerken  ist,  in  gleichzeiligen  Gedichten  der 


1)  Auch  Zingerle,  Zeitechr.  d.  d.  morgenl.  Ges.  X  S.  111,  sagt  'über  den  Ton  im  Syrischen, 
so  viel  ich  wenigstens  weiss,  gibt  es  keine  sichern  Regeln'.  In  einer  Note  hiezu  bemerkt  Fleischer 
unter  Anderem  'mit  der  höchst  geringen  Anzahl  wirklicher  Kürzen  war  es  den  syrischen  l>ichtern 
unmöglich,  einen  prosodischen  Rythmus,  einen  trochäischen,  jambischen,  oder  gar  daktylischen 
und  anapästischen  Silbentanz  durchzuführen*.  So  herrsche  hier  Eintönigkeit  und  Schwerfälligkeit 
steter  Spondeen,  blosses  Zählen  gleichwiegender  Silben  und  Consonantenüberhäufung;  der  Rythmus 

syrischer  Verse  beruhe  ausschliesslich  auf  zweizeitiger  an-  und  absteigender  Silbenbetonung •_ 

und  j_ ;    die  absolute   oder   relative   Silbenquantität   und   der   gewöhnliche  Wortaccent  kämen 

dabei  ebenso  wenig  in  Betracht,  wie  z.  B.  in  französischen  Versen.  Es  ist  nicht  klar,  wesshalh 
Fleischer  im  Syrischen  einen  solchen  Mangel  an  Kürzen  annimmt.  Wenn  die  syrische  Sprache 
zu  den  musikalischen  gehört,  so  können  die  Stammsilben  den  Ton  verlieren,  wie  im  Lateinischen 
pello,  pepuli,  pellebam.  Aber  auch  von  der  Quantität  hängt,  wie  das  Lateinische  und  noch  mehr 
das  Griechische  zeigt,  der  Wortaccent  nur  zum  geringen  Theile  ab,  dagegen  zum  grössten  Theile 
von  Regeln,  deren  Grund  uns  z.  B.  im  Griechischen  nur  wenig  klar  ist.  Wenn  wir  nicht  aus  den 
Accenten  wüssten,  wie  das  Altgriechische,  oder  aus  der  festen  Tradition,  wie  das  Lateinische  be- 
tont war,  vermittelst  der  Theorie  könnten  wir  es  nicht  erkennen. 


369 

musikalischen  Sprachen  unausstehlich  wäre;  solche  Dinge  sind  zuletzt 
Sachen  des  Geschmackes  und  da  lässt  sich  stets  streiten.  Allein  Bickell 
nimmt  ja  selbst  an,  dass  die  griechischen  Strophenarten  aus  den  syrischen 
stammen.  Nun  sind  aber  doch  nicht  die  nach  Silben  gezählten  Schemate 
z.  B.  7  -|-  o  -f  3  -f  4  -f  6  Silben  von  den  syrischen  Dichtern  den 
griechischen  etwa  schriftlich  gegeben  worden,  sondern  die  Melodien. 
Wenn  wir  also  in  den  Hymnen  der  Griechen  keine  einzige  Strophe 
finden,  in  welcher  nur  Senkungen  von  einer  Silbe  angewendet  wären, 
so  ist  es  selbstverständlich,  dass  solche  auch  bei  den  Syrern  sich  nicht 
fanden.  Man  denke  sich  endlich  eine  reich  entwickelte,  nur  für  den 
Gesang  bestimmte  Poesie  in  ziemlich  frei  gebildeten  Strophen,  deren 
Melodien  die  Hebräer  und  das  syrische  Volk  lange  bezaubert  haben 
sollen,  die  aber  nur  in  dem  steifen  Tonfall  (u)_w_w__v_v  sich 
bewegt  und  nie  Senkungen  von  2  unbetonten  Silben  gehabt  haben  soll. 
Desshalb  scheint  Bickells  Lehre  über  den  Tonfall  in  den  syrischen  und, 
um  das  vorweg  zu  sagen,  in  den  hebräischen  Versen  vom  historischen 
und  sachlichen  Standpunkt  aus  höchst  unwahrscheinlich.  Die  Sache  selbst 
aber  scheint  wichtig  und  von  Seite  der  Kenner  des  Syrischen  und  Hebräi- 
schen ernster  Untersuchung  würdig.  Vielleicht  könnte  bei  diesen  Unter- 
suchungen die  syrische  Handschrift  des  Vatican  (No.  105)  wesentliche 
Dienste  leisten;  sie  enthält  Uebersetzungen  von  jambischen,  hexametri- 
schen, epigrammatischen,  auch  anakreontischen  Gedichten  des  Gregor  von 
Nazianz,  welche  jedenfalls  für  den  Text  dieser  Gedichte  wichtig  sind, 
aber  auch  rasch  Aufschluss  geben  könnten,  wie  sich  die  alten  Syrer  zu 
der  wechselnden  Silbenzahl  der  daktylischen  Verse  und  mancher  Trimeter 
stellten,  welche  dann  durch  Vergleichung  über  die  Stellung  oft  wieder- 
holter Wörter  vielleicht  auch  die  Frage  über  die  Betonung  dieser  Wörter 
und  über  Beachtung  oder  Nichtbeachtung  bestimmter  Füsse  in  den  gleich- 
zeiligen  Gedichten  der  Beantwortung  näher  bringen  könnten. 

Der  Ursprung  der  lateinischen  und  griechischen  Rythmik 

aus  der  semitischen. 

Das    syrische  Vorbild    der   griechischen    Hymnenstrophen    kann    nur 
Ephrem   gegeben  haben.     Allein   die   überraschende  Erscheinung,    welche 

Al.li.tJ.  I.H.  d.k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Md.  IL  Abth.  48 


370 

diese  Hymnen  plötzlich  im  6.  Jahrhundert  bieten,  —  ein  völlig  neuer, 
kühner  und  doch  feiner  Versbau,  in  dem  von  dem  antiken  keine  Spur 
zu  sehen  ist,  —  kann  nur  allmählich  sich  ausgebildet  haben.  In  der  That 
reichen  die  Anfänge  der  lateinischen  und  griechischen  Rythmik  in  die 
Zeiten  vor  Ephrem  hinauf.  Ueberblicken  wir  noch  einmal  die  Haupt- 
merkmale der  rythmischen  Gedichte  vor  Ephrem  und  aus  der  ihm  nahe- 
liegenden Zeit.  Die  Quantität  ist  bei  Commodian  und  Methodius  stark, 
bei  Gregor  und  Augustin  gänzlich  missachtet,  eine  Thatsache,  die  gerade 
bei  so  gebildeten  Männern  doppelt  unbegreiflich  ist  und  natürlich  nicht 
in  der  Ungeschicklichkeit  derselben,  sondern  nur  in  einer  bestimmten 
Absicht  ihren  Grund  haben  kann.  Diese  Verse  können  natürlich  nicht 
mehr  nach  der  Quantität,  sondern  nur  nach  dem  Wortaccent  gesprochen 
werden;  aber  dennoch  ist  nicht  der  Wortaccent  an  die  Stelle  der  Vers- 
accente  getreten;  im  Gegentheil,  bei  Commodian  und  Methodius  wird 
der  Wortaccent  gänzlich  missachtet,  bei  Gregor  und  Augustin  nur  in 
den  2  letzten  Silben  beachtet.  Dagegen  wird  die  Silbenzahl  der  Zeilen 
berechnet  und  mit  einigen  Schwankungen  eine  bestimmte  Zahl  festgehalten. 
Das  kann  nicht  aus  der  quantitirenden  Poesie  stammen.  Dann  finden 
sich  Akrosticha  bei  Commodian  in  überwältigender  Fülle  und  Abcdarien 
bei  Methodius  und  Augustin;  die  1000  Hexameter  in  Cominodians  apo- 
logetischer Schrift  oruppiren  sieh  paarweise,  ähnlich  die  Langzeilen  Gre- 
gors; in  grössere  Gruppen  treten  die  Zeilen  des  Methodius  und  Augustin 
zusammen;  endlich  tritt  bei  Commodian  und   Augustin  der   Reim  auf. 

Akrosticha  finden  sich  schon  früher  in  der  quantitirenden  Poesie. 
So  sagt  Cicero  (de  Divin.  II,  54,  111)  von  einem  Gedichte  der  Sibylla 
rNon  esse  Carmen  furentis  declarat  .  .  ea,  quae  dzyaorixig  dicitur.  cum 
deinceps  ex  primis  primi  cuiusque  versus ])  literis  aliquid  conectitur,  ut 
in  quibusdam  Ennianis  Q.  ENNIUS  P'ECIT.  Die  Worte  schon  zeigen, 
dass  die  Fälle  selten  waren2),  und  wie  sie  hier  in  Dichtungen  vorkamen, 


1)  Da  die  Akrosticha  hier  durch  die  ersten  Buchstaben  der  sich  folgenden  Zeilen  gebildet 
werden  und  die  guten  Handschriften  ex  primi  versus  literis  haben,  so  ist  wohl  die  alte  Aenderung 
cex  primis  versuum  literis'  richtig;  vgl.  Dümmler  Poet.  lat.  medii  aevi  I  p.  118:  tu  vero  meuin  .  . 
nomen  .  .  in  versuum  primis  litteris  lege. 

2)  Aurelius  Opilius,  etwa  100  vor  Christus,  nannte  sich  nach  Sueton  (grammat.  6)  in  para- 
stichide  libelli,  qui  inscribitur  Pinax. 


371 

in  denen  Nachahmung  fremdländischer  Art  sehr  erklärlich  ist.  so  kommen 
sie  dann  im   1.  Jahrhundert  nach  Christus  vor,  wo  solche  Einflüsse  leicht 
möglich  waren.     So  beginnt    das    in  Jamben    geschriebene  geographische 
Gedicht    mit    dem  Akrostichon  Jiovvouw  tou  xalXttpannog,    das  in  Hexa- 
metern geschriebene  hat  von  Vers  109   an  das  Akrostichon  sui]  Jtowatov 
Ttov  eyrog  <Pa(jov  und  von   513   an  &eog  tQiitjg  eni  adyiavov.    Eine  Reihe 
von  Argumenta  des  Plautus  geben    im  Akrostich  den  Namen  des  behan- 
delten   Stückes,    die    Ilias    Latina    beginnt    mit   dem  Akrostichon    Italicus 
und    schliesst    mit  Scripsit.     Doch    gegenüber    diesen    wenigen    Beispielen 
aus    einer  Zeit,    die   Künsteleien    hold    war,    ist    die  Ueberfülle    bei  Com- 
modian  räthselhaft;   Abcdarien  sind  in  der  früheren  quantitirenden  Poesie 
noch    keine    nachgewiesen;    ebenso  wenig    die    paarweise    Gliederung    der 
Hexameter  oder  ähnlicher  Zeilenarten;    unerhört   ist  der  Bau  der  Zeilen 
und  Strophen  bei  Methodius.     Der  Reim  endlich,  welcher  bei  Commodian 
und    Augustin    auftritt,    ist   ohne  Beispiel    in    der    quantitirenden    Poesie. 
Die  beiden  gangbaren  Ansichten  über  den  Ursprung  der  rythmischen 
Dichtung  der  Lateiner  oder  der  Griechen  sind  unhaltbar.     Wenn  in  den 
ersten  Jahrhunderten    der  Kaiserzeit    allmählich    die  Aussprache    so    ver- 
darb, dass  die  Quantität  der  Silben  nicht  mehr  beachtet  wurde    und  der 
Accent  allein  regierte,    so  mussten  die  Wortaccente    die  Stelle   der  Vers- 
accente  einnehmen;    allein    das    ist  in    keiner  Hinsicht  geschehen;    dabei 
blieben    noch    die    andern    neuen    Eigentümlichkeiten    der    rythmischen 
Dichtungen   unerklärt.     Die  andere  Ansicht    hat    man    nicht    einmal    mit 
aller  Entschiedenheit    durchgeführt,    dass   nemlich    die  rythmische  Poesie 
mit  den  dargelegten  Merkmalen  seit  Urzeiten  existirt  habe  und  aus  der 
Verborgenheit,    in   welche    sie    bei    den  Lateinern    durch  die  herrschende 
Poesie,  eine  Nachahmung  der  griechischen,  gedrängt  war,  in  der  Kaiser- 
zeit von  den  Christen  wieder    hervorgeholt   worden  sei.     Ich  habe  schon 
öfter  darauf  hingewiesen,    wie    unmöglich  es  sei,    dass  von    einer  solchen 
Volkspoesie  so  gar   keine  Spur  erhalten  sei,    dass  selbst  bei  Aristophanes 
und    bei    Plautus,    der    doch    sogar    punisch    sprechen    lässt,    nie    darauf 
angespielt  werde.     Aber  abgesehen  von  diesen  Unmöglichkeiten,  wie  wäre 
es    zu    erklären,    dass    diese  Formen    zuletzt    nicht  einfach    hervortraten? 
woher  diese  unbeholfenen  Versuche  auf  einem  unbekannten  Boden,  welche 
Commodian  und  Methodius  zeigen?     Endlich    wie    ging   es    zu,    dass    die 

48* 


372 

unbeholfenen  Anfänge  der  Rythmik  sich  bei  den  Griechen  und  Lateinern 
fast  zu  gleicher  Zeit  regten?  Die  Verse,  welche  Commodian  machte, 
waren  den  Griechen  kaum  bekannt,  und  selbst  wenn,  so  dachte  Nie- 
mand daran,  sie  nachzuahmen.  Ebenso  wenig  konnte  der  Zeilenbau  des 
Methodius  oder  des  Gregor  je  einem  Lateiner  den  Gedanken  einer  Nach- 
ahmung erregen.  So  lange  wir  also  einheimischen  Ursprung  der 
lateinischen  und  griechischen  Rythmik  annehmen,  kommen  wir  nicht 
heraus  aus  Räthseln,  Widersprüchen  und  Unmöglichkeiten. 

Die  rythmische  Dichtung  der  Lateiner  und  der  Griechen  ist  nicht 
im  eigenen  Lande  von  selbst  entstanden,  sondern  der  Dichtweise  eines 
fremden  Volkes  nachgeahmt.  Der  Weg,  auf  welchem  die  Strophenformen 
der  griechischen  Hymnen  eingewandert  sind,  ist  nicht  erst  in  dieser  ver- 
hältnissmässig  späten  Zeit  eröffnet  worden.  Die  pat ristischen  Studien  lehren 
ja  jeden  Tag  mehr,  in  welch  inniger  Verbindung  die  frühe  christliche 
Literatur  der  verschiedenen  Völker  stand,  und  wie  das  Christenthum  die 
Schranken  der  Nationen  und  der  verschiedenen  Sprachen  fast  nieder- 
gerissen hatte.  Von  den  semitischen  Christen,  welche  der  Quelle 
des  Christenthumes  näher  standen  als  die  Griechen  und  Lateiner,  ist 
mit  dem  Christenthum  die  rythmische  Dichtungsform  zu 
den    lateinischen    und    griechischen    Christen    gewandert. 

Das  wäre  Jedem  leicht  glaublich,  wenn  gewiss  wäre,  dass  die  poe- 
tischen Stellen  des  hebräischen  alten  Testamentes  in  bestimmten,  ver- 
wandten Dichtungsformen  geschrieben  waren,  und  dass  diese  Dichtungs- 
formen  in  den  ersten  Jahrhunderten  der  Kaiserzeit  noch  bekannt  waren. 
Leider  herrscht  hierüber  unter  den  Kennern  gerade  jetzt  heftiger  Streit. 
Durch  das  Alphabet  gebildete  Akrosticha  sind  in  der  hebräischen  Poesie 
sicher.  Durch  den  ganzen  Inhalt  der  Psalmen,  wie  durch  manche  An- 
gaben in  denselben  und  noch  mehr  durch  die  oft  vorgesetzten  Angaben 
über  die  musikalische  Begleitung  und  über  den  Ton,  nach  welchem  dieser 
oder  jener  Psalm  gehe,  fühlte  man  sich  auch  stets  gedrängt,  bestimmte 
Formen  in  demselben  zu  finden.  Am  ehesten  sind  natürlich  Strophen 
zu  erwarten.  Nach  Anderen  hatte  Merx  (Hiob  1871  S.  LXXV.  bes. 
LXXXIII— LXXXVIII,  dann  im  Liter.  Centralblatt  1876  S.  1050  u.  1051) 
hierüber  geurtheilt:  cLyrik  als  gesungen  bedarf  der  Strophe  . . .  Hiernach 
wäre  für  die  lyrische  Poesie    die  Form    die    der  Strophe,    bestehend    aus 


373 

Stichen  mit  bestimmter  innerhalb  elastischer  Grenzen  veränderlicher  Silben- 
zahl/  Die  Forschungen,  welche  durch  Merx  angeregt  Bickell  führte,  fasst 
er  so  zusammen:  'Die  hebräische  Metrik  beruht  auf  denselben  Grundlagen 
wie  die  syrische  und  die  aus  dieser  entstandene  christlich  -  griechische : 
nemlich  auf  Silbenzählung,  Nichtberücksichtigung  der  Quantität,  regel- 
mässigem Wechsel  betonter  Silben  mit  unbetonten,  Identität  des  metrischen 
und  grammatischen  Accentes,  Zusammenfallen  der  Verszeilen  (Stichen)  mit 
den  Sinnesabschnitten  und  Vereinigung  gleichartiger  oder  ungleichartiger 
Stichen  zu  regelmässig  wiederkehrenden  Strophen  . . .  Normalstrophe  in 
der  Ueberschrift,  Refrain,  alphabetische  u.  s.  f.'  Er  scheidet  1)  Gedichte 
ohne  Strophenbau  aus  gleichen  Zeilen  (zu  5.  6.  7.  8.  12  Silben)  bestehend, 
2)  Gedichte  in  bestimmten  Gruppen  von  2.  3.  4.  5.  6.  7.  8.  10  gleichen 
Zeilen  (zu  5.  6.  7.  8.  12  Silben),  3)  (ziemlich  wenige)  Gedichte  aus  un- 
gleichen Zeilen  zusammengesetzt,  oft  aus  den  Zeilen  zu  7.  5.  7.  5  oder 
7.  4.  7.  4  Silben,  selten  aus  andern.  Diese  Ansichten  hat  Bickell  in 
vielen  Abhandlungen,  Ausgaben  und  Uebersetzungen  der  poetischen  Stücke 
des  alten  Testaments  dargelegt.  Von  den  andern  Gelehrten,  welche 
Strophenbau  annehmen,  weicht  Bickell  besonders  in  2  Punkten  ab. 
Erstens  behauptet  er  auch  für  die  hebräische  Poesie,  dass  stets  eine 
unbetonte  Silbe  mit  einer  betonten  abgewechselt  habe,  will  also  ebenfalls 
diese  Gesänge,  die  mit  grosser  musikalischer  Begleitung  vorgetragen 
wurden,  in  denselben  einförmigen  Xonfall  zwängen,  wie  die  syrischen; 
vgl.  oben  S.  368.  Unnatürlich  ist  das  bei  den  Hebräern  ebenso  sehr, 
als  bei  den  Syrern;  ob  es  mit  dem  Sprachaccent  sich  vereinigen  lässt, 
haben  die  Sprachkenner  zu  entscheiden. 

Zum  andern  verlangt  Bickell  für  die  sich  entsprechenden  Zeilen 
völlig  gleiche  Silbenzahl,  und  gestattet  nicht  wie  Merx  Schwankungen 
um  1  oder  2  Silben  in  der  Zeile.  Die  Entscheidung,  wie  viel  Silben 
eigentlich  in  der  Zeile  stehen,  ist  im  Hebräischen  wie  im  Syrischen 
gleich  schwierig  wegen  der  Halb-  und  Hilfsvokale,  die  bald  Silben  bilden 
bald  nicht.  Es  ist  wahr,  eine  hoch  ausgebildete  Dichtkunst,  wie  die  der 
griechischen  Hymnen,  wird  völlige  Gleichheit  der  Silbenzahl  erstreben; 
aber  unbedingt  nothwen<li<;  ist  sie  nicht;  jeder  Sänger  der  kunstreichsten 
Opernarien  kann  1  oder  2  Silben  leicht  zusetzen  oder  weglassen;  auch 
in  den  Zeilen    der    silbenzählenden  Romanen    wird,    wie    unten    bemerkt, 


374 

durch  Kunstmittel  die  Silbenzahl  variirt  und  in  unsern  deutschen  Liedern 
steht  oft  in  der  einen  Strophe  eine  Senkung  von  2  Silben,  wo  in  der 
Senkung  der  andern  Strophe  nur  1  Silbe  steht. ')  Es  wäre  das  im 
Hebräischen  um  so  eher  möglich,  weil  die  von  Bickell  selbst  angenom- 
menen Strophenformen  sehr  einfach  sind  und  fast  alle  aus  gleichen  Zeilen 
bestehen.  Den  Hauptanstoss  aber  erregte  Bickells  Strophenherstellung 
hauptsächlich  desshalb,  weil  er  dieser  völligen  Gleichheit  der  Silbenzahl  zu 
Liebe  ziemlich  viele  Aenderungen  vornahm.  Diese  Fragen  zu  erledigen. 
ist  natürlich  Sache  der  Kenner  des  Syrischen  und  Hebräischen:  am  meisten 
zu  wünschen  wäre,  dass  die  Frage  über  die  Betonung  besonders  der 
Schlüsse  bereinigt  würde.  Im  Allgemeinen  scheint  die  Annahme  von  be- 
stimmten Zeilen  und  häufiger  strophischer  Gruppirung  derselben  sehr 
wahrscheinlich.  Ist  sie  richtig,  dann  müsste  sie.  wie  die  enge  Verwandt- 
schaft der  syrischen  Dichtungsformen  bewiese,  in  den  ersten  Jahrhunderten 
des  Christenthums  bekannt  gewesen  sein;  dann  aber  wäre  es  bei  der 
Autorität  der  viel  gesungenen  Psalmen  sehr  begreiflich,  dass  die  Christen 
Versuche  machten,  jenes  fremdartige  Dichtlingsprinzip  nachzuahmen.  Dass 
den  Juden  das  Bewusstsein  der  poetischen  Formen  ihrer  alten  Poesie 
später  abhanden  kam.  wäre  nicht  auffallend;  ist  es  ja  doch  den  Neu- 
griechen fast  geradeso  gegangen;  und  die  hebräische  Poesie  der  spätem 
Zeiten  hat  sich  so  sehr  den  poetischen  Formen  der  betreffenden  Zeiten 
und  Gegenden  angeschmiegt,  dass  sie,  mehr  als  jede  andere  Poesie,  sogar 
mehr  als  unsere  neuere  deutsche,  eine  bunte  Musterkarte  der  verschie- 
densten poetischen  Formen  bietet. 

Ueber  die  religiösen  Dichtungen  der  semitischen  Christen  aus 
früher  Zeit  haben  wir  nur  wenig  Nachrichten.  Von  Wichtigkeit  ist 
jedenfalls,  was  in  Philo's  Buch  De  vita  contemplativa  vorkommt.  Darin 
wird  das  Leben  einer  asketischen  Sekte,  der  Therapeuten,  geschildert. 
Nach  der  Auffassung  des  Eusebius  hat  Philo  unter  diesem  Namen  Christen 


1)  Auffallend  ist  die  Thatsache,  dass  in  den  frühesten  lateinischen  und  griechischen  Rythmen 
(bei  Commodian,)  Gregor,  Augustin  und  dem  oben  S.  346  erwähnten  Gedichte  bei  Pitra  Anal.  T 
S.  482)  die  Silbenzahl  der  Zeilen  ebenfalls  um  1 — 2  Silben  schwankt.  Es  hängt  das  wahrschein- 
lich zusammen  mit  der  stark  variirenden  Silbenzahl  der  quantitirenden  Zeilen,  allein  es  könnte 
auch  mit  Freiheiten  der  nachgeahmten  semitischen  Poesie  zusammenhängen.  Auch  in  den  lateini- 
schen Sequenzen  ist  nicht  selten  die  (regelmässige)  Gleichheit  der  Silbenzahl  vernachlässigt. 


375 

der  frühesten  Zeit  geschildert;  dagegen  Lucius  (die  Therapeuten,  Strass- 
burg  1880)  erklärt  die  Schrift  'als  eine  etwa  am  Ende  des  dritten  Jahr- 
hunderts unter  dem  Namen  Philo's  zu  Gunsten  der  christlichen  Askese 
verfasste  Apologie/  Ein  wenig  Romantik  ist  jedenfalls  dabei.  Dennoch 
müssen  in  der  folgenden  Schilderung  zum  grossen  Theil  Zustände  dar- 
gestellt sein,  welche  vor  Eusebius  wirklich  vorhanden  waren.  In  der 
Versammlung  o  ävaoza^  vfiwov  äfiu  nsnoirifiivoy  u^;  rov  &tbv,  rj  xaivbv 
avtos  nsTioiTjxibs  rj  a^yalLv  riva  rtov  lahu  .loirjTiöv  ahga  yay  y.al  uelrj 
xaraXelolnaai  tio'üm.  tJiwr  iQi/LttrQary,  nQooooUov,  uuvwv,  Tiayaonüpdeiatv, 
nayaßwuiiüv ,  aianiumv,  yo(jiza)i'  ar.yuipaig  noivaTyuyoig  ev  diaiitueTyrj- 
un'ujv.  tit-fr'  ov  xal  oi  ä'ü.oi  y.aia  ta£etg  tv  xoojttp  Tiyuat'jXovn,  .lävTiov 
y.arä  noXXijv  Ipvyiav  äzyotuutvwv,  nXrjy  imovi  r.a  äx^ortkevTia  xal  tcpvuvia 
qfieiv  dem'  rort  yu.y  $§rj%ovot  necvreg  7>  y.al  näaai. 

Besonders  bei  den  Gnostikern  scheint  die  geistliche  Dichtung  ge- 
blüht zu  haben;  vgl.  darüber  Gerbert,  de  cantu  et  musica  sacra  I  68; 
dann  Pitra  Hymnograpbie  S.  40  und  Christ  Anthol.  S.  XXI.  Die  glän- 
zendste Gestalt  war  Bardesanes,  der  etwa  von  150 — 220  n.  Christus 
lebte;  (vgl.  Macke  in  der  theol.  Quartalschrift  56,  1874,  S.  36—40  und 
Aug.  Hahn,  Bardesanes  Gnosticus  Syroruin  prinms  hvmnologus  1819  und 
Ueber  den  Gesang  in  der  syrischen  Kirche  im  Kiichenhist.  Archiv  1823, 
3.  Heft).  Von  ihm  singt  Ephrem  selbst  'Er  dichtete  Lieder  und  band 
sie  an  Töne,  Er  fertigte  Psalmen  und  fährte  ein  Maasse;  Nach  Längen 
und  Schweren  vertheilt  er  die  Worte,  Und  brachte  bei  den  Einfältigen  * 
das  Gift  mit  der  Süssigkeit,  Kranken,  die  nach  Speise  nicht  begehrten, 
die  gesund  ist.  David  wählt  er  sich  zum  Vorbild,  durch  seine  Schönheit 
sich  zu  schmücken,  durch  sein  Bild  sich  zu  empfehlen.  Hundert  und 
fünfzig  dichtete  auch  er  Psalmen;  Seine  (Davids)  Wahrheit  hat  er  ver- 
lassen, Brüder,  und  nachgeahmt  seine  Zahl/  Freilich  ist  noch  nicht 
klar  gestellt,  was  eigentlich  Bardesanes  erfunden  oder  geneuert  hat;  auch 
Bickell  scheint  die  Erörterung  dieser  für  ihn  wichtigen  Sache  unterlassen 
zu  haben.  Halm  und  Andere  lassen  von  Bardesanes  und  seinen  Nach- 
folgern die  poetischen  Formen  förmlich  ab  ovo  erfunden  werden.  Doch 
soll  denn  das  syrische  Volk  in  seinen  früheren  glänzenden  Zeiten  der 
eigenen  Dichtung  entbehrt  haben?  Und  wie  kann  dann  die  Ansicht,  dass 
die  Dichtungsformen  der  Syrer  von  den  Hebräern  stammen,  an  dem  Eck- 


376 

stein  des  Bardesanes  vorbeikommen?  Doch  wie  dem  auch  sei,  so  viel 
ist  sicher,  dass  die  Dichtungen  und  Melodien  des  Bardesanes  starken 
Eindruck  gemacht  haben.  Ephrem  selbst  ahmte  noch  Weisen  des  Barde- 
sanes nach  (wie  eine  Beischrift  besagt  finiti  sunt  septendecim  hymni  ad 
modos  Canticorum  Bardesanis,  Hahn  Bard.  p.  33).  Ja.  obwohl  fast  150 
Jahre  verflossen  waren,  so  waren  es  doch  die  Dichtungen  des  Barde- 
sanes, welche  die  Dichtungen  des  Ephrem  hervorriefen,  und  von  ihnen 
bekämpft  wurden.  Der  Biograph  des  Ephrem  berichtet  (bei  Hahn 
k.  Archiv  S.  63)  'Der  Streiter  Christi  waffnete  sich  und  kündigte  der 
Schaar  der  Gegner  Krieg  an,  vornehmlich  der  Gottlosigkeit  des  Barde- 
sanes und  seiner  Schüler.  Und  als  der  fromme  Ephrem  sah.  dass  alle 
Menschen  zum  Gesang  hingerissen  wurden,  da  erhob  sich  der  fromme 
Mann  gegen  die  Spiele  und  Tänze  der  jungen  Leute,  führte  herbei  und 
sammelte  Töchter  des  Bundes  (d.  h.  heilige  Jungfrauen,  die  das  Gelübde 
der  Keuschheit  abgelegt  hatten)  und  lehrte  sie  Lieder,  sowohl  Stufen  als 
Wechsel gesänge  und  verfasste  diese  Lieder  in  Worten  hohen  Sinnes  und 
geistlicher  Weisheit  auf  die  Geburt  und  Taufe  und  Feste  und  das  ganze 
(Erlösungs-)  Werk  Christi,  das  Leiden,  die  Auferstehung  und  Himmel- 
fahrt; und  auf  die  Märtyrer,  die  Busse  und  die  Hingeschiedenen  hat  er 
ebenfalls  Lieder  gefertigt.  Und  jedes  Mal  versammelten  sich  die  Töchter 
des  Bundes  in  den  Kirchen  an  den  Festen  des  Herrn  und  jedem  Sonn- 
tage und  den  Märtyrerfesten;  und  er,  wie  ein  Vater,  stand  in  ihrer  Mitte 
als  Lehrer  des  geistlichen  Citherspiels  und  ordnete  ihnen  die  verschie- 
denen Gesänge  und  zeigte  und  lehrte  ihnen  den  Wechsel  der  Gesänge. 
bis  dass  sich  zu  ihm  versammelte  die  ganze  Stadt  und  sich  schämte  und 
zerstreute  der  Haufe  der  Gegner.  Wer  möchte  nicht  erstaunen,  wenn  er 
diesen  Streiter  Christi  sieht  in  der  Mitte  der  Chöre  der  Töchter  des 
Bundes,  welche  erhabene  und  entzückende  geistliche  Lieder  aller  Gatt- 
ungen singen.  Und  Gott  hat  versenkt  das  ganze  Land  Syrien  in  Ephrems 
göttliche  Lehren/  Wie  verbreitet  der  Ruhm  des  Ephrem  selbst  war, 
zeigt  sich  darin,  dass  seine  Schriften  uns  ebenso  gut  griechisch  wie 
syrisch  erhalten  sind,  und  dass  seine  Dichtungen  noch  heute  die  syrische 
Kirche  beherrschen.  Die  kirchliche  Dichtung  und  der  Kirchengesang 
war  in  dem  religiösen  Leben  und  der  religiösen  Literatur  eine  solche 
Nebensache,    dass    wir    nur    wenige    Nachrichten    darüber    haben.      Diese 


3  77 

Bruchstücke  können  uns  aber  doch  einen  Begriff  von  dem  Ganzen 
geben. 

Als  ich  erkannt  hatte,  wie  ähnlich  die  ältesten  Rythmen  der  Lateiner 
und  der  Griechen  einander  in  vielen  innern  und  äussern  Stücken  seien,  wie 
aber  dennoch  weder  gleichzeitiger  einheimischer  Ursprung  noch  Uebergang 
der  rythmischen  Dichtung  von  den  Lateinern  zu  den  Griechen  oder  um- 
gekehrt angenommen  werden  könne,  war  ich  lange  in  peinlicher  Unruhe; 
endlich  bekam  ich  Licht,  als  ich  dieselben  Formen  in  den  Dichtungen 
der  semitischen  Christen  aus  frühester  Zeit  wieder  fand  und  mir  ver- 
gegenwärtigte, wie  lebhaft  in  den  ersten  Zeiten  der  geistige  Austausch 
der  Christen  der  verschiedenen  Nationen  war,  und  immer  fester  wurde  die 
Ueberzeugung,  dass  weder  die  lateinische  noch  die  griechische  Rythmik 
ein  einheimisches  Gewächs  sei.  sondern  dass  das  Grundprinzip  der  ryth- 
mischen Dichtung  nebst  manchen  auffallenden  Aeusserlichkeiten  mit  dem 
Christenthum  von  den  Semiten  zu  den  Lateinern  einerseits  und  zu  den 
Griechen  anderseits  übergangen  sei.  Durch  jenes  semitische  Vorbild  wurden 
diese  Völker  angeregt,  die  Quantität  der  Silben  nicht  mehr  zu  beachten, 
woraus  die  Aussprache  nach  dem  Wortaccent  sich  von  selbst  ergab,  da- 
gegen auf  die  Silbenzahl  zu  achten,  die  Zeilen  in  Gruppen  oder  Strophen 
zu  schliessen,  die  Gruppen  oder  Strophen  durch  Akrosticha  oder  Reim 
zu  binden.     Diese  Elemente    finden    wir  fast   alle  schon    bei    den  Syrern. 

Nur  der  Reim  macht  einige  Schwierigkeiten.  In  der  lateinischen 
und  griechischen  Literatur  liegen  folgende  Anfänge  vor:  bei  Commodian 
und  bei  Augustin  enden  Reihen  von  13,  26  und  267  Zeilen  mit  dem 
nemlichen  Vokal.  Dann  zeigte  sich  bei  den  Sammlungen,  welche  Wölfflin 
im  Archiv  für  lateinische  Lexikographie  I  S.  359 — 389  verwerthet  hat, 
dass  von  allen  andern  lateinischen  Schriftstellern  diejenigen  geschieden 
werden  müssen,  welche  aus  semitischen  Ländern  stammten,  insbesondere 
aber  diejenigen,  welche  für  das  Christenthum  schrieben.  Bei  diesen 
findet  sich  schon  in  früher  Zeit  der  Anfang  der  Reimprosa,  welche  dann, 
gepflegt  bei  den  Spaniern  und  Iren,  zuletzt  im  lateinischen  Mittelalter 
fast  ebenso  grosse  Ausbreitung  fand  als  bei  den  Arabern;  (vgl.  meine 
Rythmen  S.  64). 

Es  ist  nun  die  Frage,  ob  diese  Anfänge  des  Reimes  bei  den  Lateinern 
selbst  entstanden  sein  können,    ob  man  also,    wenn  es  gilt  den  Ursprung 

Al.h.  (I.  I.  Öl.  «I.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  II.  Abth.  49 


378 

des  mittelalterlichen  Reimes  nachzuweisen,  vielleicht  'mit  dem  Lateinischen 
allein  auskommen  kannJ,  wie  Wölfflin  für  möglich  hielt,  oder  ob  man  den 
auswärtigen  und  zwar  semitischen  Einfluss  annehmen  muss,  auf  welchen 
ich  Wölfflin  hingewiesen  hatte.  Für  diese  Frage  ist  ein  Blick  auf  die 
griechische  Literatur  entscheidend.  In  mehreren  -der  alten  Hymnen  des 
Romanos  sehen  wir  (oben  S.  356)  den  Reim  alle  Glieder  der  Zeile  in 
solcher  Fülle  durchdringen,  dass  dadurch  allein  schon  die  Kenntniss  dieses 
poetischen  Kunstmittels  bewiesen  ist.  Allein  der  Reim  war  den  Griechen 
schon  viel  früher  bekannt.  Im  Epilog  des  Briefes  ad  Diognetum.  welcher 
von  den  Theologen  später  als  der  Brief  selbst,  nemlich  in  das  3.  Jahr- 
hundert, gesetzt  wird,  finden  sich  neben  andern  folgende  Sätze: 

naoe/ovoa  rovv  (pavegovaa  uvoTTjota.  diayyel'kovcsa  xaioovg.  %aLoovöa 

BJll    JllGTOlg. 

ini^rjtovai   dwoovutvrj.  ol$ 

ogia  Tiioreuyg  ov   &gav  bt  ai.   ovdt   ooia  TiarBoior  TiaüooitsT  a  /. 

slra  (poßog  vojliov  äderen,   xal  TiQocpyjzdiy  x,aQig  yircjax  bt  ai. 

xal  svayyekiü)}'  nlarig  tdovrai.   xal  änoaroXwv  naoäöoaig  (pvkaaa bt  a  i. 
Dann  ganz  am  Ende: 

ujv  öfpig  ov%  am  bt  ai'  ovdh  n\avi\  avy  yoiDT  i'Q  b  t.  a  i. 

Ofödi  Eva  (ptrBLQBT  ai.  dkkä  nao&Bvog  tiiotbv  bt  ai. 

xal  aivTTjQioy  Übixvvt.  a  i.  xal  cctioötoXoi  avvBTiCpvT ai. 

xal  tu  xvoiov  naoya   nooBfjy  *  T  a  '• 

xal  xrjool  avray  ovzai.  xal  fiBrä  xoOfiov  aouoCor  i  oi. 

xal  didaoxatv  äyiovg  6  loyog  BvcpQaiv  bt  ai.  (JV  ov  naTrjQ  doia'QBT  ai. 

tu  ?)   ()'<>■:<(   eis    rovg   aitui'ag.  'Aurjv. 

Ich  bin  überzeugt,  wer  sucht,  wird  bei  den  griechischen  Kirchen- 
schriftstellern ähnliche  Reimprosa  oft  finden. 

Demnach  haben  die  Griechen  schon  in  sehr  früher  Zeit  den  Reim 
gekannt.  Nun  ist  es  nach  dem  ganzen  Gange  der  Literatur  unmöglich, 
dass  die  Griechen  den  Reim  von  den  Lateinern  angenommen  hätten. 
Ebenso  ist  es  fast  unmöglich,  dass  der  so  stark  ausgebildete  Reim  bei 
Commodian  und  Augustin  den  bescheidenen  Anfängen  des  griechischen 
Reimes  nachgemacht  sei. 

War  dagegen  die  semitische  Dichtweise  das  nachgeahmte  Vorbild, 
so  klärt  sich  Vieles  auf.     Dass    der  Reim    bei    den  Semiten  gekannt  und 


379 

beliebt  war,  daran  ist  kein  Zweifel.  Ebers  findet  (Zeitschrift  für  ägypt. 
Sprache  S.  45)  in  altegyptischen  Schriftstücken  cwirkliche,  übrigens  auch 
im  Hebräischen  (und  zwar  in  alten  biblischen  Texten)  nachweisbare  ReimeJ 
vgl.  ebenda  1878  S.  51  —  55,  wo  Ebers  einen  strophisch  angeordneten 
Text  von  einer  Mumienbinde  behandelt,  in  dessen  erstem  Abschnitt  cman 
selbst  an  ein  gewisses  Metrum  oder  doch  an  Silbenzählung  .denken  könnte/ 
Dann  haben  die  Araber  schon  um  500  n.  Chr.  den  Reim  ausserordentlich 
ausgebildet,  so  dass  z.  B.  in  einer  langen  Reihe  von  Versen  nicht  nur 
die  letzten,  sondern  die  3  letzten  Silben  gleichen  Klang  hatten.  Allein 
die  Araber  waren  damals  noch  so  isolirt,  dass  nicht  daran  zu  denken 
ist,  von  ihnen  hätten  Commodian  oder  Augustin  ihren  Tiradenreim  gelernt. 
Bei  den  Hebräern  (vgl.  Schlottmann  in  der  Zeitschr.  d.  d.  morg.  Ges.  33, 
268  und  Wölfflin  S.  362)  und  bei  den  Syrern  (vgl.  A.  Hahn.  Bardesanes 
S.  42  und  P.  Zingerle  in  der  Zeitschr.  d.  d.  morg.  Ges.  10,  110)  finden 
sich  Reime,  doch  nur  in  solcher  Ausdehnung,  dass  man  darnach  wohl 
die  Reimprosa  und  den  Reim  in  den  Hymnen  der  Griechen  sich  erklären 
kann.  Dagegen  kann  der  auffällige  Tiradenreim  bei  Commodian  und 
Augustin,  sowie  die  ziemlich  ausgebreitete  Reimprosa  der  Lateiner  aus 
den  geringen  Ansätzen  der  Hebräer  und  Syrer,  welche  wir  kennen,  nicht 
erklärt  werden.  Wir  können  uns  einstweilen  mit  der  Thatsache  begnügen, 
dass  der  Reim  den  Semiten  offenbar  sehr  bekannt  war,  und  können  es 
künftigen  Entdeckungen  überlassen,  nachzuweisen,  welches  Volk  —  am 
nächsten  liegt  der  Gedanke  an  die  afrikanischen  Provinzen  der  Römer  — 
dem  Commodian  oder  dem  Augustin  das  Vorbild  zu  ihrem  Tiradenreim 
bot.  Das  aber  ist  sicher,  dass  mit  der  silbenzählenden  Dichtweise  und 
ihren  übrigen  Merkmalen  auch  der  Reim  von  den  Semiten  zu  den 
Griechen  und  zu  den  Lateinern  übergegangen  ist. 

So  erklärt  der  Ursprung  der  lateinischen  und  griechischen  Rythmik 
sich  einfach  und  natürlich.  Das  Christenthum  brachte  dieselbe  herüber 
und  christlich  bleibt  ihr  Wesen.  Jahrhunderte  lang  findet  sich  kein 
rythmisches  Gedicht,  weder  bei  den  Griechen  noch  bei  den  Lateinern, 
welches  einen  weltlichen  Gegenstand,  geschweige  denn  einen  heidnischen, 
z.  B.  alte  Mythologie,  behandelte.  Die  Dichter  der  frühesten  Rythmen 
waren  Christen  und  waren  in  semitischen  Gegenden  geboren  oder  in 
solchen  ansässig. 

49* 


380 

Die  Entwicklung  der  rythmisehen  Diehtweise. 

Die  rythmische  Dichtung  wurde  nicht  mit  einem  Schlage  und  fertig 
von  den  Semiten  zu  den  Lateinern  oder  den  Griechen  verpflanzt,  sondern 
ihre  Geschichte  ist  bei  jedem  dieser  beiden  Völker  ein  Werden. 
Commodian  und  Methodius  tasten  noch  im  Dunkeln.  Bei  Com- 
modian  wird  die  Quantität  nur  noch  in  dem  Schlüsse  jeder  Halbzeile 
festgehalten,  sonst  ist  sie  so  gut,  wie  aufgegeben;  Silben  werden  gezählt, 
doch  schwankt  die  Zahl  bis  zu  den  Grenzen,  welche  der  Hexameter  lässt; 
die  Hexameter  der  Instructionen  sind  durch  auffallende  Akrosticha  und 
selten  durch  Reim  gebunden,  jene  des  Lehrgedichtes  stets  zu  Paaren  zu- 
sammen gestellt.  Noch  unklarer  ist  der  Versuch  des  Methodius:  die 
Quantität  ist  oft  und  an  jeder  Stelle  stark  verletzt,  noch  mehr  der  regel- 
rechte Bau  der  Zeilen  und  Strophen;  die  Strophen  haben  alphabetisches 
Akrostichon  und  Refrain. 

Gregor  und  A  u  g  u  s  t  i  n  sind  schon  viel  weiter.  Dass  diese  Männer 
sich  in  den  rythmisehen  Formen  versuchten,  hängt  wohl  zusammen  mit 
dem  glänzenden  Auftreten  Ephrems.  Augustin  (Confess.  IX,  7)  berichtet, 
im  Jahre  386,  als  für  die  Gemeinde  in  Mailand  sehr  schwere  Zeiten 
gekommen  waren,  habe  Ambrosius  die  Gläubigen  auch  des  Nachts  in 
der  Kirche  versammelt  gehalten;  cTunc  hymni  et  psalmi  ut  canerentur 
seeundum  morem  orientalium  partium,  ne  populus  meroris  taedio 
contabesceret,  institutum  est,  et  ex  illo  in  hodiernum  retentum,  multis 
iam  ac  paene  omnibus  gregibus  tuis  imitantibus/  'Quantum  flevi  in 
hymnis  et  canticis  tuis  suave  sonantis  ecclesiae  tuae  voeibus  commotus/ 
Darnach  Isidor  (off.  eccl.  1,  6)  c  hymni  Ambrosiani  vocantur,  quia  eius 
tempore  primum  in  ecclesia  Mediolanensi  celebrari  coeperunt,  cuius  cele- 
britatis  devotio  dehinc  per  totius  oeeidentis  ecclesias  observatur/  Wenn 
wir  das  oben  über  Ephrem  Berichtete  bedenken,  so  bleibt  kaum  ein 
Zweifel,  wo  die  orientales  partes  zu  suchen  sind,  aus  welchen  der  feurige 
Neuerer  Ambrosius  diese  neue  Art  von  Kirchengesang  entlehnt  hat;  vgl. 
Gerbert  de  cantu  et  musica  sacra  I,  199.  Ambrosius  dichtete  auch  selbst; 
doch  sind  die  Hymnen,  welche  mit  Gewissheit  ihm  zugeschrieben  werden 
können,  streng  nach  der  Quantität  gebaut  (vgl.  meine  Abhandlung  Ueber 
die   Beobachtung    des  Wortaccents    S.   116);    allein   jene  Nachricht    kann 


381 

für  die  Geschichte  der  Musik  wichtig  sein.  In  der  griechischen,  wie  in 
der  lateinischen  Kirchenmusik  sind  noch  manche  unverständliche  Partien- 
Da  nun  Ephrems  Lieder  von  den  Griechen  und  Lateinern  mehr  oder 
minder  genau  nachgeahmt  sind,  so  kann  damit  auch  ein  Stück  syrischer 
Musik  eingedrungen  sein.  Durch  Ephrem  wahrscheinlich  wurden  Gregor 
und  Augustin  veranlasst,  die  rythmische  Form  für  einige  Lehrgedichte 
zu  wählen.  Von  Quantität  ist  keine  Rede  mehr;  die  Silbenzahl  schwankt 
bei  Gregor  von  14  zu  16  Silben,  bei  Augustin  ist  sie  fester.1)  Gregor 
hat  Versgruppen,  Augustin  Strophen  mit  alphabetischem  Akrostichon 
und  mit  Refrain;  dazu  schliesst  Augustin  alle  Zeilen  mit  dem  gleichen 
Tiradenreim  e.  Der  Accent  wird  nur  im  Schluss  der  Langzeile  beachtet, 
wo  stets  die  vorletzte  Silbe  betont  ist. 

Damit  war  die  rythmische  Dichtung  bei  den  Lateinern  wie  bei  den 
Griechen  lebenskräftig  geworden.  Bei  den  Lateinern  entwickelte  sie 
sich  jetzt  weiter,  lange  Zeit  unabhängig  von  ausländischem  Einfluss. 
Wie  die  späte  quantitirende  Dichtung  der  Lateiner  an  Formen  arm  war, 
so  auch  die  frühe  rythmische.  Dazu  kann  fast  die  Mehrzahl  der  z.  B.  bei 
Boetius  de  consol.  Philos.  vorkommenden  quantitirenden  Zeilenarten  in 
der  rythmischen  Poesie  nicht  nachgebildet  werden.  Desshalb  plagten 
sich  die  rythmischen  Dichter  wenig  mit  Hexametern  und  bildeten  mehr 
die  bequemen  trochäischen  oder  jambischen  Zeilen  nach,  besonders  den 
trochäischen  Fünfzehnsilber,  den  jambischen  Senar  und  in  Hymnen  be- 
sonders eine  achtsilbige  Zeile  mit  jambischem  Schlüsse,  welche  in  der 
quantitirenden  Poesie  seltener  angewendet  wurden.  In  diesen  beachteten 
sie  nach  damaliger  Sitte  streng  die  Caesuren,  zerlegten  also  den  Fünf- 
zehnsilber in  8  -  -  7,  den  Senar  in  5  -j-  7  Silben,  beobachteten  die  ent- 
sprechenden Accente  im  Schlüsse  der  Halbzeilen,  mieden  auch  mehr  oder 
minder  den  Hiatus,  aber  im  Uebrigen  waren  sie  um  den  Tonfall  unbe- 
kümmert und  zählten  nur  Silben.  Die  Verse  bildeten  'regelmässige  Gruppen, 
sehr  oft  mit  alphabetischem  oder  anderm  Akrostichon. 


1)  Die  ausserordentlich  vielen  und  harten  Vokalverschmelzungen  bei  Augustin  (vgl.  S.  285) 
sind  parallel  den  vielen  Halb-  und  Hilfsvokalen  im  Syrischen  und  andern  semitischen  Sprachen, 
welche  ja  dort  auch  das  Silbenzählen  oft  unsicher  machen  (vgl.  S.  368  u.  373),  ja  vielleicht  ist 
hiedurch  Augustin  dazu  verleitet  worden. 


382 

Die  Fortentwicklung  des  Reims  in  den  lateinischen  Ländern. 

In  vielen  Gedichten  gesellte  sich  zu  den  übrigen  Merkmalen  der 
rythmischen  Dichtweise  noch  der  Reim.  Da  derselbe  damals  die  Bahnen 
einschlug,  auf  welchen  er  das  ganze  Mittelalter  hindurch  bis  in  die  neuere 
Zeit  immer  mehr  Herrschaft  gewann,  so  will  ich  dieselben  hier  kurz 
behandeln,  wobei  ich  jedoch  keinen  Unterschied  mache  zwischen  den 
Gedichten,  welche  nach  dem  Wortaccent,  und  denen,  welche  nach  der 
Quantität  gebaut  sind.  Beide  Wege  der  Entwicklung  treten  hervor  in 
dem  Gedichte  de  Resurrectione  mortuorum,  das  in  sehr  alten  Hand- 
schriften unter  dem  Namen  Cyprians  vorkommt;  (406  Hexameter,  am 
besten  im  Cyprian  von  Hartel  III  p.  308  edirt).  Es  ist  adressirt  an 
Flavius  Felix.  Die  alten  Handschriften  und  der  Inhalt  des  Gedichtes 
(V.  339  —  343)  machen  es  fast  sicher,  dass  dieser  Flavius  Felix  jener 
Dichter  der  Anthologie  ist,  welcher  um  500  bei  den  Vandalen  in  Afrika 
lebte  (Teuffei  R.  Lit.  §  476)  und  von  dem  wir  ein  Gedicht  haben,  in  dem 
die  Künstelei  des  Akrostich  im  Uebermass  (zugleich  im  Anfang,  in  der 
Mitte  und  im  Schluss  der  Zeilen)  angewendet  ist.  Unser  Gedicht  ist 
zunächst  merkwürdig  wegen  der  Scheinprosodie:  in  den  Hebungen 
und  Senkungen  können  von  Natur  lange  und  kurze  Silben  beliebig  stehen, 
z.  B.  Si  quis  humano  suäs.  Et  prohibent  seräs  paenitentiae  fündere  voces. 
Ditia  per  nemorä  semper  amöena  vireta,  dagegen  dürfen  positionslange 
Silben  nicht  in  den  Senkungen  als  kurz  gebraucht  werden1);  (vgl.  früher 
S.  278  u.  293).  Dass  der  Dichter  diese  Scheinprosodie  in  den  5  ersten 
Füssen  mit  Absicht  angewendet  hat  und  der  genommenen  Freiheiten  sich 
vollständig  bewusst  war.  zeigt  die  richtige  Bildung  der  6.  Hebung,  in 
welcher  nur  wirkliche  Längen  stehen. 

Wichtiger  ist  die  Beobachtung  des  Reimes.  Beliebig  grosse  Reihen 
von    Versen    haben    den    gleichen    Schluss.      Zu    diesem    gesellt    sich    oft 


1)  Die  wenigen  Ausnahmen  bei  Hartel  sind  Verderbnisse  oder  falsche  Conjekturen :  40  Si 
quts  velit  scheint  nur  Druckfehler  statt  qui.  75  Eva  persuäsa  male  ist  vielleicht  durch  den  Eigen- 
namen entschuldigt;  130  wohl  Solque  cadit  supero  se  refertque  lumine  claro  (superoreferique  codd.); 
296  u.  297  wohl :  Et  ideo  fructum  capitis  (capietis  codd.)  sementis  iniqui  Noscitis  (Non  scitis  codd.) 
ecce  diem  quem  vos  videre  soletis.  306  Atque  procellosas  ructabunt  (fluctuabunt  Hartel)  aequora 
flammas.  309  Atque  omnis  (omnibus  codd.)  facibus  torrens  armabitur  orbis.  396  Ac  vennun 
primis  suplices  (suppl.  codd.)  rogate  delictis. 


383 

Innenreim,  meistens  in  der  3.  Hebung,  oft  auch  in  der  2.  oder  4.  Hebung. 
So  schliessen  Z.  1  —  14  mit  as;  vor  diesem  Schlüsse  haben  die  meisten 
Zeilen  as  in  der  3.  Hebung,  (Z.  3  u.  12  in  der  2.,  Z.  14  in  der  4.,  Z.  11 
in  der  2.  u.  4.  Hebung)1),  nur  in  Zeile  7  fehlt  der  Innenreim  auf  as; 
dazu  haben  Zeile  1 — 6  in  der  4.  Senkung  und  Z.  7  in  der  4.  Senkung 
einen  2.  Innenreim  auf  i.  In  ähnlicher  Weise  haben  Z.  15  — 19  Caesur- 
und  Schlussreim  auf  o,  Z.  20  —  25  auf  is  (nur  in  25  fehlt  der  Caesur- 
reim),  Z.  43 — 54  Schlussreim  auf  um  oder  us  und  fast  alle  auch  diesen 
Caesurreim.  Dagegen  die  4  Verse  114 — 117  haben  nur  den  Schlussreim 
auf  is,  die  5  Verse   138  —  142  nur  den  Schlussreim  auf  i. 

Schon  bei  Commodian  waren  13  und  26  Verse  und  bei  Augustin 
267  Verse  durch  den  gleichen  Vokal  geschlossen.  Bei  Pseudocyprian  ist 
nicht  mehr  das  ganze  Gedicht  hindurch  stets  der  gleiche  Reim  fest- 
gehalten, sondern  Gruppen  von  beliebiger  Grösse  haben  denselben  Reim. 
Diese  Reimart,  der  Tiradenreim,  ist  demnach  die  älteste  Form  des 
latein.  Reimes;  sie  findet  sich  bis  in  das  11.  Jahrhundert  häufig  bei  den 
Völkern,  welche  den  Reim  besonders  pflegten,  bei  den  Spaniern,  Iren 
und  Franzosen.  Die  spanischen  Dichter  mögen  später  von  der  arabischen 
Reimkunst  beeinflusst  worden  sein  (vgl.  die  Bemerkung  des  Alvarus 
oben  S.  278  Note);  doch  schon  vorher  finden  sich  z.  B.  bei  Eugenius 
von  Toledo  und  in  der  im  7.  Jahrhundert  zusammengestellten  Liturgie 
der  Gothen  viele  Reime.  So  finden  sich  in  dem  Prolog  des  Mauricus 
zu  den  gothischen  Hymnen2)  5  Zeilen  mit  a.  5  mit  o,  3  a,  3  ens,  4  os, 
3  amus  im  Zeilenschluss  ohne  Innenreime,  und  grössere  Reimgruppen  in 
dem  Hymnus  S.  Mattei;  ja  die  40  Zeilen  des  Hymnus  de  nubentibus 
schliessen  alle  mit  a.  Die  Tiradenreime  bei  den  Iren  und  Franzosen, 
besonders  in  den  Gedichten  des  Gotschalk  und  seiner  Genossen,  habe 
ich  schon  an  anderm  Orte  (Rythmen  S.   68 — 70)  hervorgehoben. 

Von  den  wohl  im  7.  Jahrhundert  entstandenen  Formulae  Senonenses 
(jetzt  Monum.  Germ.  Formulae  I  S.   223)  zeigt  besonders  die  4.  grössere 


1)  Dm  ist  wichtig;  denn  es  beweist,  dass  in  den  vielen  Versen  vom  7.  — 11.  Jahrhundert, 
wo  die  2.  oder  4.  Hebung  oder  andere  Versstücke  mit  dem  Schlüsse  reimen,  der  Reim  beabsichtigt 
ist  und  dem  gewöhnlichen  leoninischen  Paarreim  in  der  3.  Hebung  und  im  Zeilenschluss  gleich  steht. 

2)  40  rythmische  Hexameter,  welche  an  die  formlosesten  der  longobardischen  Grabschriften 
erinnern. 


384 

Reimgruppen.  In  Deutschland  scheint  der  Tiradenreim  kaum  angewendet 
worden  zu  sein.  Denn  diejenigen  Gedichte  der  Cambridger  Sammlung 
(No.  8.  9.  19.  20.  25.  27.  29.  30  bei  Jaffe),  in  welchen  er  herrscht, 
können  auch  in  Frankreich  entstanden  sein. 

Dagegen  zeigt  schon  das  Gedicht  des  Pseudocyprian  eine  Verarmung 
der  Reime  nach  2  Richtungen.  Viele  Verse  haben  gar  keinen  Reim; 
Dem  entspricht  die  Thatsache,  dass  bis  zum  Schlüsse  des  XL  Jahrhunderts 
nur  sehr  wenige  Gedichte  sich  finden,  welche  in  allen  Zeilen  gereimt  sind, 
dagegen  fast  in  jedem  Gedichte  hie  und  da  ein  reimloser  Vers  unter- 
läuft. Zum  zweiten  finden  sich  beim  Pseudocyprian  viele  Verse,  wie 
392 — 394  Aeternisque  dewm  precibus  placate  treiwendum  Pessima  cuncta 
bonis  cedant  mortalia  \ivis  Conservate  novam  iam  iam  sine  crimine 
vitam,  d.  h.  die  Reimgruppe  ist  auf  den  geringsten  Umfang  herabgesetzt, 
der  möglich  ist,  nemlich  auf  zwei  Stellen.  Diese  Form,  der  Paarre  i  m . 
wurde  bald  zur  wichtigsten.  Denn  sie  war  vortrefflich  für  den  Hexameter 
geeignet,  wo  sie  den  Caesur-  und  Zeilenschluss  band:  die  eigentliche  leo- 
ninische  Form.  Ausserdem  wurden  besonders  Paare  von  Achtsilbern  mit 
jambischem  Schlüsse  durch  den  gleichen  Reim  gebunden;  (vgl.  meine 
Rythmen  S.  94 — 96).  Diese  Reimform  war  sehr  häufig  bei  den  übrigen 
Völkern,  und  in  Deutschland  wurde  sie  fast  allein  angewendet. 

So  erklären  sich  die  Reimformen,  welche  die  ältesten  Dichtungen 
der  Spanier,  Franzosen  und  Deutschen  an  sich  tragen.  Der  Tiradenreim 
der  Spanier  und  Franzosen  ist  nur  die  Fortbildung  der  ältesten  lateini- 
schen Reimform;  in  der  deutschen  Dichtung  wurde  der  Tiradenreim 
nicht  angewendet;  sondern  durch  Otfried,  dessen  Reimpaare  den  gewöhn 
liehen  Paaren  von  Achtsilbern  mit  jambischem  Schlüsse  sehr  ähnlich  sind, 
wurde  der  Paarreim  eingebürgert. 

Gegen  Schluss  des  11.  Jahrhunderts  regte  sich  der  Sinn  für  schöne 
Formen,  welcher  im  12.  und  13.  Jahrhundert  so  herrlich  sich  ausbildete, 
dass  eine  ähnliche  Freude  an  schönen  Formen  nur  bei  den  Griechen 
wieder  zu  finden  ist.  Damals  wurde  der  zweisilbige  Reim  gesetzmässig. 
In  der  Dichtung  äusserte  der  Formensinn  sich  besonders  in  dem  Schaffen 
von  Strophenformen;  (vgl.  meine  Rythmen  S.  178  ffl.).  Hiebei  spielte 
der  Reim  eine  Hauptrolle.  Oft  wurden  Reirnstrophen  gebildet,  d.  h. 
Reihen  von  gleichen  Zeilen  wurden  nur  durch  die  Reime  in  kunstreiche 


385 

Strophen  gegliedert1);  viel  häufiger  wurden  die  Strophen  aus  den  ver- 
schiedenartigsten Kurzzeilen  aufgebaut  und  die  Schlüsse  der  Kurzzeilen 
durch  die  mannigfachsten  Reimstellungen  geschieden  und  verbunden.  Mit 
dem  Tiradenreim  Avar  da  natürlich  so  gut  wie  nichts  zu  machen,  wenig 
mit  dem  Paarreim.  Diese  Formen  wurden  in  den  erzählenden  Dicht- 
ungen verwendet,  wo  die  Spanier  und  Franzosen  den  Tiradenreim  und  den 
Paarreim,  die  Deutschen  nur  den  Paarreim  verwendeten.  In  den  Strophen 
der  lyrischen  Dichtung  wurden  die  Reime  auf  das  mannigfaltigste  ge- 
kreuzt und  gewechselt  und  Strophen  der  Art  dann  auch  in  manchen 
erzählenden  Gedichten  angewendet.  Wie  in  der  lateinischen  Dichtung 
nur  der  zweisilbige,  so  wurde  besonders  in  der  deutschen  Dichtung  jener 
Zeit  der  Reim  oft  mit  einer  Reinheit  angewendet,  wie  seitdem  nicht  mehr. 
Diese  Anwendung  des  Reims  hat  ihren  natürlichen  Grund.  In  der 
quantitirenden  Poesie  der  alten  Griechen  und  Römer  waren  die  Dicht- 
ungen bis  in  ihre  kleinsten  Bestandtheile,  Silben  und  Füsse.  genau 
bestimmt  und  ausgearbeitet.  Dagegen  in  den  einfachen  Zeilen  der  ryth- 
mischen  Poesie,  wo  nur  Silben  gezählt  werden,  und  selbst  in  den  kunst- 
reichen Strophen,  wo  der  regelmässige  Bau  der  Füsse  doch  mehr  oder 
minder  oft  verlassen  wird,  sind  gewisse  Marksteine  der  Zeilen  fast  noth- 
wendig,  damit  die  Gliederung  des  Gedichtes  dem  Gefühl  des  Hörers 
fassbar  wird  und  nicht  Alles  in  einander  verfliesst  wie  in  der  Prosa.  Die 
Syrer  und  Griechen  banden  meistens  nur  die  Initialen  der  Strophen  durch 
Akrostichon;  desshalb  ist  auch  die  Gliederung  dieser  Strophen  nicht  immer 
klar;  ja,  ebendesswegen  hatten  die  späteren  Griechen  selbst  fast  gänz- 
lich den  kunstreichen  Bau  ihrer  Strophen  vergessen.  Für  silbenzählende 
Dichtweise  ist  also  der  Reim  ein  fast  nothwendiges  Hilfsmittel.  In  der 
Blüthezeit  der  mittelalterlichen  Dichtung  diente  der  Reim  allerdings  nicht 
nur  dazu,  die  richtige  Gliederung  des  dichterischen  Baues  klar  zu  machen2), 


1)  Im  Hexameter  konnte  das  Streben  nach  Mannigfaltigkeit  <l<>r  Formen  fast  nur  in  den  zahl- 
reichen .Spielarten  des  Innenreims  sich  zeigen;  den  ausserordentlichen  Reichthum  solcher  Formen 
habe  ich  in  der  Abhandlung  Ober  Radewini  Theophilus  und  die  gereimten  Hexameter  (Stzgsber. 
1873  1)  darzulegen  versucht. 

2)  In  der  quantitirenden  Dichtung  war  der  Reim  nicht  nur  unnöthig,  sondern  durch  die  zu 
starke  Betonung  einzelner  Verstheile  zerstörte  er  den  ursprünglichen  Charakter  der  Verse.  Dagegen 
war  der  Reim  seit  Beginn  des  12.  Jahrhunderts  ein  so  unfehlbares  und  in  den  frühern  Jahr- 
hunderten ein  so  häufiges  Merkmal  der  rythmischen  Dichtungen,  dass  schon  diese  Thatsache  die 
Ableitung  des  Wortes  Reim  von  rythmus  sicher  stellt. 

Abh.  d.  1.  ("1.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  II.  Abth.  50 


386 

sondern  auch  dazu,  den  Wohlklang  der  Worte  zu  erhöhen,  so  dass  mit 
seiner  Hilfe  die  mittelalterliche  Rythmik  Formen  von  ähnlicher  Vollendung 
schuf  wie  die  altgriechische.  In  der  silbenzählenden  französischen,  ita- 
lienischen und  spanischen  Dichtung  hat  sich  desshalb  der  Reim  bis  auf 
unsere  Tage  gehalten.  Er  hielt  sich  auch  in  der  deutschen  Dichtung,  so 
lange  sie  nur  Silben  zählte;  als  seit  Opitz  der  Bau  der  einzelnen  Füsse 
wieder  genauer  ausgearbeitet  wurde,  wurde  der  Reim  wieder  entbehrlich 
und  fehlt  desshalb  seit  Opitz  in  vielen  Gedichten. 

Fortentwicklung  der  griechischen  und  lateinischen  rythmisehen 

Dichtung. 

Die  rythmi8che  Dichtung  der  Griechen  entwickelte  sich  ganz 
anders  als  die  der  Lateiner.  Ephrems  Beispiel  wirkte  hier  kräftigst  ein 
und  seine  Strophenformen  wurden  für  die  einheimischen  Kirchengesänge 
zum  Vorbild  genommen.  Und  wie  die  quantitirende  Dichtkunst  damals 
auf  dem  Höhepunkt  der  Verfeinerung  stand,  so  wurden  die  übernommenen 
einfachen  Formen  in  überraschender  Weise  zu  jenen  vielgestaltigen  und 
bis  in  die  kleinsten  Theile  geregelten  Gebäuden  von  Strophen  und  Ge- 
dichten (vgl.  die  Kanones)  ausgebildet,  die  wir  oben  näher  betrachtet 
haben.  Diese  geistlichen  Gesänge  wurden  nicht  nur  in  die  Liturgie  zu- 
gelassen, sondern  ihnen  darin  sogar  eine  hervorragende  Stelle  gegeben. 
So  war  das  Schaffen  in  dieser  Art  von  rythmischer  Dichtung  Jahrhunderte 
lang  ein  sehr  reges.  Dabei  herrschte  darin  stets  die  feine  Schriftsprache. 
Zu  einfachen  gleichzeitigen  Gedichten  wurde  die  Rythmik  nur  selten 
benützt.  Was  wir  bis  jetzt  davon  kennen,  sind  Nachahmungen  kleiner 
anakreontischer  Zeilen.  Erst  nach  dem  Jahre  1000,  als  das  Reich  mehr 
und  mehr  aus  den  Fugen  ging  und  der  Occident  kräftiger  auf  die  ein- 
heimische Bildung  stiess,  regte  sich  die  Volkssprache  und  eine  Zeilenart 
kam  in  Gebrauch,  von  der  seit  der  altgriechischen  Komödie  nichts  mehr 
zu  sehen  war,  der  jambische  Fünfzehnsilber  mit  Einschnitt  nach  der 
8.  Silbe.  Diese  Zeilenart  beherrschte  nicht  nur  die  gelehrte  Poesie  der 
folgenden  Jahrhunderte  (in  dieser  stand  neben  ihr  noch  der  schlecht 
gebaute  quantitirende  Trimeter),  sondern  merkwürdiger  Weise  bis  in 
unser  Jahrhundert    sogar    die  lyrische    und    dramatische  Poesie.     Erst  in 


387 

unserem  Jahrhundert  begann  die  rythmische  Dichtung  der  Neugriechen 
altgriechische  oder  fremdländische  Zeilenarten  nachzuahmen.  Der  Reim 
ist  nur  in  den  ältesten  Hymnen  und  da  selten  angewendet,  später  gänzlich 
aufgegeben;  erst  seit  dem  16.  Jahrhundert  wurde  er  von  Nachahmern  der 
romanischen  Dichter  wieder  hie  und  da  gebraucht. 

In  den  Dichtungsformen  des  lateinischen  Occidents  war  unter- 
dessen eine  gewaltige  Umwälzung  vor  sich  gegangen.  Notker  und  seine 
Nachfolger  hatten  im  10.  Jahrhundert  begonnen,  in  den  Sequenzen  freie 
Strophen  nach  Art  der  Griechen  zu  dichten,  und  an  die  überlieferten 
Zeilen-  und  Strophenarten  sich  Nichts  zu  kehren.  Diese  Neuerung  gefiel. 
Die  Fesseln,  in  welchen  die  armseligen  und  wenigen  überlieferten  Zeilen- 
arten die  lateinische  Dichtkunst .  bisher  festgehalten  hatten,  wurden  zer- 
brochen und  sowohl  in  der  lateinischen  wie  in  den  nationalen  Sprachen 
allseitig  gewagt,  Neues  zu  schaffen.  So  haben  die  Dichter  des  12.  und 
13.  Jahrhunderts  einen  wunderbaren  Reichthum  von  schönen  Formen  ge- 
schaffen, die  sich  würdig  neben  jene  stellen  können,  welche  die  Bau- 
meister geschaffen  haben.  Den  übrigen  waren  die  Franzosen  und  die 
Deutschen  voran.  Das  Grundprinzip  der  rythmischen  Dichtkunst  wurde 
natürlich  festgehalten  und  verfeinert.  Die  entsprechenden  Zeilen  hatten 
gleich  viel  Silben;  die  zum  Singen  bestimmten,  aus  ungleichen  Zeilen 
bestehenden  Strophen  hatten  fast  in  allen  Silben  gleichen  Tonfall,  da- 
gegen die  in  längeren  Reihen  auftretenden  gleichen  Zeilen  hatten  nur  im 
Schlüsse  gleichen,  vor  demselben  angenehm  wechselnden  Tonfall.  Eine 
Hauptrolle  erhielt  der  Reim ;  er  wurde  wenigstens  in  der  lateinischen 
Dichtung  volltönend  und  beherrschte  stets  2  Silben  und  war  der  unent- 
behrliche Zierrat  der  rythmischen  Dichtung  in  allen  Sprachen. 

Fortentwicklung  der  romanischen  u.  deutsehen  Dichtungsformen. 

Nach  dem  13.  Jahrhundert  erstarb  dieses  freudige  Schaffen  neuer 
Formen;  es  folgte  eine  Verarmung,  und  heut  zu  Tage  haben  die  romani- 
schen wie  die  germanischen  Völker  nur  noch  einen  bescheidenen  Theil 
des  damals  erworbenen  Reichthums  im  Gebrauch.  Das  Aufblühen  der 
klassischen  Studien  veränderte  in  den  romanischen  wie  in  den  germani- 
schen   Ländern   gewaltig    den   Inhalt   der    Dichtungen.     Dagegen    wurden 

50* 


388 

durch  dieselben  in  den  romanischen  Ländern  die  Formen  der  Dicht- 
ungen wenig  beeinflusst.  Der  Bau  der  Zeilen  hatte  sich  schon  im  Mittel- 
alter unter  dem  Einfluss  der  damaligen  lateinischen  Rythmik  festgestellt 
und  blieb  wie  er  war.  Auch  darauf,  dass  von  den  verschiedenen  romani- 
schen Nationen  diese  oder  jene  Zeilen-  und  Strophenarten  besonders 
bevorzugt  wurden,  hatten  die  humanistischen  Studien  wenig  Einfluss  und 
nur  selten  veranlassten  sie  die  Nachahmung  antiker  Muster. 

Anders  ging  es  in  der  deutschen  Dichtkunst.  So  viel  bis  jetzt 
erkannt  ist,  wurde  in  der  deutschen  Dichtkunst  seit  den  ältesten  Zeiten 
der  Wortaccent  beachtet;  zuerst  wurden  in  die  entsprechendon  Zeilen 
gleich  viel  betonte  Silben  gesetzt,  ohne  Rücksicht  auf  die  Zahl  der  un- 
betonten, so  dass  also  die  entsprechenden  Zeilen  nicht  gleich  viele  Silben, 
aber  gleich  viele  Hebungen  zählten.  Zu  diesem  Zeilenbau  gesellte  sich 
bei  Otfried  der  Reim  und  blieb  von  da  an  bis  in  die  letzten  Jahr- 
hunderte ein  festes  Stück  der  deutschen  Dichtkunst.  Dieser  nur  Hebungen 
zählende  Zeilenbau  blieb  in  der  epischen  deutschen  Dichtung  des  Mittel- 
alters. Dagegen  die  zum  Gesang  bestimmte  lyrische  Dichtkunst  wett- 
eiferte mit  der  lateinischen  und  romanischen  lyrischen  Dichtung;  so 
galten  hier  dieselben  Gesetze  wie  dort:  Silben  wurden  gezählt  und  die 
entsprechenden  Zeilen  gleich  betont.  Das  Schaffen  von  neuen  Zeilen- 
und  Strophenarten,  welches,  durch  die  Sequenzen  angeregt,  auch  die 
deutschen  Minnesänger  fröhlich  geübt  hatten,  starb  zuletzt  ab  in  den 
pedantischen  Gebilden  der  Meistersänger.  In  den  folgenden  Zeiten  wurde 
die  Gleichheit  der  Silbenzahl  auch  auf  die  epischen  Gedichte  übertragen; 
dabei  wurde  aber  in  epischen  wie  in  lyrischen  Gedichten  der  Tonfall 
nicht  nur  im  Innern  der  Zeilen  (wie  'So  viel  Stund  in  der  Nacht,  =: 
So  oft  mein  Herz  erwacht1)  sondern  auch  im  Schlüsse  der  Zeilen  nicht 
mehr  beachtet,  so  dass  bei  dem  eigenthümlichen  Charakter  der  deutschen 
Sprache  die  Zeilen  allerdings  oft  schrecklich  klangen. 

Zur  Zeit  von  Opitz  vollzog  sich  der  Umschwung.  Es  wurden  be- 
tonte und  unbetonte  Silben  wieder  geschieden,  wie  im  Mittelalter,  und 
nach  dem  Muster  der  Alten  festgesetzt,  dass  jede  Zeile,  auch  in  epischen 
oder  dramatischen  Dichtungen,  bestimmte  Füsse  haben  müsse.  Damit 
war  ein  kräftiges  Dichtungsprinzip  gefunden:  das  urdeutsche,  die  Zählung 
der    Hebungen,    geregelt    dadurch,    dass    auch    die    Senkungen    berechnet 


389 

wurden.  Mit  diesem  Prinzipe  wurden  zunächst  für  die  dramatische  und 
epische  Poesie  nur  sehr  langweilige  jambische  oder  trochäische  Zeilen- 
arten geschaffen,  vermeintliche  Nachbildungen  romanischer  Muster.  Ein 
bischen  besser  stand  es  in  der  lyrischen  Poesie;  hier  wagte  man  es  dem 
natürlichen  Gefühl  so  weit  zu  folgen,  dass  man  auch  freiere  antike  Zeilen- 
arten, wie  die  daktylischen  Zehnsilber  (vgl.  Aennchen  von  Tharau)  oder  die 
von  den  alten  Melodien  gebotenen  freieren  Zeilen-  und  Strophenarten 
unserer  alten  Volkslieder  benützte.  Durch  Klopstock  wurden  jene  un- 
natürlichen Fesseln  durchbrochen,  und  seit  dieser  Zeit  hat  die  gewaltige 
Kraft  des  jetzigen  deutschen  Zeilenbaues  sich  frei  entwickelt  und  fast 
Nichts  unversucht  gelassen.  Es  ist  damit  hie  und  da  Regellosigkeit  ein- 
gerissen; allein  im  Ganzen  bietet  der  jetzige  deutsche  Versbau  den 
Dichtern  reichlich  die  Mittel,  ihre  Gedanken  und  Gefühle  zum  richtigen 
Ausdruck  zu  bringen.  Allerdings  ist  sowohl  der  Bau  der  Zeilen  neu 
geschaffen,  als  auch  die  Formen,  mit  Ausnahme  mancher  Volkslieder- 
strophen, von  auswärts  entlehnt.  Dem  Zeilenbau  der  alt-  und  mittel- 
hochdeutschen epischen  Gedichte  stehen  wir  beinahe  ebenso  fremd  gegen- 
über, wie  die  jetzigen  Griechen  und  Italiener  dem  quantitirenden  Zeilenbau 
der  alten  Griechen  und  Lateiner.  Die  romanischen  Nationen  dagegen 
erfreuen  sich  alter  Betonungsgesetze  und  Formen,  welche  im  Laufe  von 
6  oder  7  Jahrhunderten  zu  echt  nationalen  geworden  sind.  Wollten  wir 
desshalb  ebenfalls  zu  jenen  Formen  unserer  alten  Dichtung  zurückkehren, 
die  Senkungen  über  Bord  werfen  und  nur  Hebungen  zählen,  so  wäre  das 
ebenso  thöricht  wie  schädlich.  Wir  würden  doch  wieder  nur  Stückwerk 
erhalten;  denn  der  Zeilenbau,  den  Opitz  und  Klopstock  uns  geschaffen 
haben,  herrschte  schon  bei  den  Minnesängern.  Was  von  selbst  geworden 
ist,  hat  ein  Recht  zu  existiren,  und  die  grosse  Verschiedenheit  des  Zeilen- 
baus der  jetzigen  romanischen  und  deutschen  Dichter  hat  ihren  berech- 
tigten   Grund    in    den   verschiedenen    Betonungsgesetzen    dieser  Sprachen. 

Der  Versbau  der  musikalischen  und  der  logischen  Sprachen. 

Opitz  versuchte  Neuerungen,  weil  er  die  schönen  Formen  der  romani- 
schen Dichter  beneidete:  mit  Unrecht,  denn  der  damalige  deutsche  Zeilen- 
bau war  demjenigen  sehr  ähnlich,  welchen  die  romanischen  Dichter  damals 


390 

hatten  und  noch  heute  haben.  Wiederum  klagen  jetzt  Viele,  wenn  sie  z.  B. 
die  italienischen  Stanzen,  die  französischen  Alexandriner,  die  spanischen 
Achtsilber  und  ähnliche  Zeilen  in  deutschen  Uebersetzungen  anhören,  über 
die  ermüdende  Einförmigkeit  dieser  jambischen  oder  trochäischen  Zeilen. 
Daran  sind  aber  nicht  die  Dichter  der  Italiener,  Franzosen  oder  Spanier 
schuld,  sondern  unsere  deutschen  Uebersetzer.  Seit  Opitz  haben  wir  uns 
gewöhnt,  die  romanischen  Zeilenarten  vom  Schlüsse  aus  rückwärts  zählend 
sofort  als  Jamben  oder  Trochäen  uns  zurecht  zu  legen.  Die  romanischen 
Dichter  denken  nicht  daran;  für  sie  sind  es  nur  Zeilen  von  so  und  so 
viel  Silben;  sogar  diese  Gleichheit  der  Silbenzahl  besteht  nur  in  der 
Theorie;  denn  schliessender  und  anlautender  Vokal  zählen  theoretisch 
nur  als  eine  Silbe,  werden  aber  in  Wirklichkeit  doch  beide  gesprochen, 
und  im  Zeilenschluss  werden  die  Silben,  welche  auf  die  letzte  betonte 
folgen,  nicht  gerechnet,  so  dass  also  ley,  wie  dado  oder  varios  nur 
als  eine  Silbe  zählen;  der  Tonfall  dieser  Zeilen  ist  aber  völlig  frei 
und  durchläuft  alle  möglichen  Spielarten  in  fortwährender  und  er- 
frischender Abwechselung.  Würden  aber  die  romanischen  Dichter  in 
jenen  jambischen  oder  trochäischen  Zeilen  dichten,  in  welchen  die 
Deutschen  sie  übersetzen,  so  würden  die  gleichzeiligen  Dichtungen  jener 
nicht  nur  ebenso  eintönig  klingen  wie  die  deutschen  Uebersetzungen, 
sondern  noch  schlechter. 

Man  hat  nemlich  mit  Recht  gesagt,  die  deutsche  Sprache  sei  viel  ge- 
eigneter als  die  romanischen1)  zur  Nachahmung  der  antiken  quantitirenden 
Dichtungen.  -In  Wirklichkeit  haben  die  Dichter  der  romanischen  Sprachen 
nur  selten  versucht,  die  antiken  Dichtungen  mit  Beibehaltung  der  Füsse 
zu  übersetzen,  noch  seltener,  in  Zeilen  mit  festen  Füssen  zu  dichten.  Die 
Neugriechen  haben  aus  Patriotismus  seit  etwa  40  Jahren  viele  accentuirte 
Trimeter,  Hexameter  und  Aehnliches  geschaffen  und  sind  noch  nicht  im 
Reinen,  nach  welcher  Seite  (ob  zur  silbenzählenden  oder  zur  Füsse  bildenden 
Dichtweise)  sie  sich  wenden  sollen,  wenn  auch  die  meisten  volksthümlichen 
Dichter    durch    starke  Silbenverschmelzungen    sich  die  Sache    erleichtern. 


1)  Im  Folgenden  kommt  natürlich  die  französische  Sprache  wenig  in  Betracht.  Denn  wegen 
ihrer  eigenthümlichen  Betonung  ist  von  vornherein  an  die  Durchführung  bestimmter  Füsse  in  der 
französischen  Dichtung  gar  nicht  zu  denken. 


391 

In  Wahrheit  lehnt  das  Wesen  des  ganzen  Sprachengeschlechtes,  zu 
welchem  die  griechische  und  lateinische  und  die  romanischen  Sprachen 
gehören,  sich  dagegen  auf,  dass  längere  Reihen  von  gleichen  Zeilen  mit 
dem  gleichen,  jambischen  oder  trochäischen,  anapästischen  oder  daktylischen 
Tonfall  auftreten;  dagegen  vertragen  solche  Reihen  gleicher  Zeilen  von 
gleichmässigem  Tonfall  sich  gut  mit  dem  Wesen  jenes  Sprachengeschlechtes, 
zu  welchem  die  deutsche  Sprache  gehört.  Rhangabis  (Jiacpoya  novr^iaia 
1837  p.  416)  klagt,  die  Nachbildung  der  antiken  Metra  sei  so  schwierig, 
weil  die  modernen  Sprachen  viel  weniger  betonte  Silben  besässen,  mit 
welchen  die  Längen  der  antiken  Metra  nachgeahmt  werden  müssten. 
Das  ist  nicht  richtig.  Denn  wenn  wir  z.  B.  ein  Stück  der  Iliade  oder 
Aeneide  ryth  misch  lesen  und  die  nach  den  Gesetzen  der  ryth mischen 
Poesie  sich  ergebenden  voll-  oder  halbbetonten  Silben  zählen,  so  ist  deren 
Zahl  nur  um  wenige  geringer  als  die  Zahl  der  quantitätslangen,  und  in 
der  dramatischen  Poesie  kann  z.  B.  f/*re  nur  1  Länge  und  1  Kürze 
ersetzen,    während  es  in  der  rythmischen  Poesie  als  eyjTe  2  Längen  und 

1  Kürze  (-  u  • ),  oder  1  Länge  und  2  Kürzen  (-J-  v  ^)  ersetzt.  Also: 
besondern  Mangel  an  betonten  Silben  haben  diese  Sprachen  nicht.  Antike 
Metra  nachzubilden  und  überhaupt  Reihen  von  gleichen  Zeilen  mit  gleichen 
Füssen  zu  bilden,  ist  vielmehr  für  alle  jene  Sprachen  nur  desshalb  so 
schwierig,  weil  es  ihnen  schwierig  ist  zwei,  und  fast  unmöglich  drei 
betonte  Silben  zusammenstossen  zu  lassen.  In  all  diesen  Sprachen 
hat  ein  Wort  und,  mag  es  auch  gross  sein,  nur  einen  Hauptaccent  und 
die    möglichen  Nebenaccente    sind    vom  Hauptaccent    stets   durch   1   oder 

2  unbetonte  Silben  geschieden.  Der  Hauptaccent  haftet  nicht  an  der 
Stammsilbe,  sondern  er  wird  nach  andern  Gesetzen,  (grösstentheils  nur 
Gesetzen  des  Wohllauts,  wesshalb  diese  Sprachen  auch  musikalische  ge- 
nannt werden),  hin-  und  hergeschoben,  sowohl  in  abgeleiteten  Formen 
(ämo.  amämus,  amabämus,  amaverämus)  als  in  zusammengesetzten  Wörtern 
welche  ohne  Rücksicht  auf  die  Tonsilben  der  Stammwörter  ihren  Accent 
erhalten,  der  sofort  wieder  auf  andere  Silben  wandern  kann;  so  wird 
(tv&mxmo^  und  uofjcprj  zu  di'&yiojiojtwQfpoi;  und  dies  wieder  zu  ävftQumo- 
u6()(pov.  In  Folge  dieser  Wellenbewegung  der  Haupt-  und  Nebenaccente 
ist  es  in  diesen,  musikalischen,  Sprachen  unmöglich,  dass  im  Innern  eines 
Wortes  2  oder    mehr    betonte  Silben   auf   einander  stossen.     Dagegen    in 


392 

der  deutschen  und  in  den  verwandten  Sprachen l)  haftet  an  einer  Stamm- 
silbe unauslöschlich  ein  starker  Ton,  (wesshalb  diese  Sprachen  logische 
genannt  werden).  Dieser  starke  Ton  der  Stammsilbe  bleibt  auch  in  Zu- 
sammensetzungen z.  B.  Gebetläuten,  und  selbst,  wenn  3  oder  noch  mehr 
Stammsilben  zusammenstossen,  wird  die  mittlere  nie  so  gering  betont, 
wie  jene,  welche  man  unbetonte  zu  nennen  pflegt,  z.  B.  Gebetbuchblätter, 
Gebetbucheinband.  Demnach  können  in  diesen,  logischen,  Sprachen  inner- 
halb eines  Wortes  leicht  2,  ja  auch  3  und  mehr  starkbetonte  Silben  auf- 
einander stossen.  Die  nächste  Folge  davon  ist,  dass  in  den  musikalischen 
Sprachen  der  Unterschied  zwischen  den  betonten  und  unbetonten  Silben 
minder  gross  ist  als  in  den  logischen.  Damit  mag  zusammenhängen, 
dass  Romanen  die  unbetonten  Endsilben  der  deutschen  Wörter  für  unser 
Ohr  zu  sehr  betonen,  und  dass  in  unserer  Sprache  selbst  die  Endungen 
rasch  verwittern. 

Dagegen  können  2  betonte  Silben  auch  in  der  Weise  zusammen- 
stossen, dass  ein  Wort  mit  einer  betonten  Silbe  schliesst  und  das  nächste 
mit  einer  solchen  anfängt,  wie  'Gebet  reinigt',  und  3  in  der  Weise,  dass 
ein  einsilbiges  Wort  dazwischen  tritt,  wie  'Gebet  hört  Gott/  Diese  Mög- 
lichkeit ist  in  den  musikalischen  Sprachen  an  und  für  sich  ebenso  gross, 
wie  in  den  logischen,  so  ao(pog  Xoyog.  ävdfjos  vovg  leyti.  Jedoch  ist  auch 
sie  in  Wirklichkeit  dort  vielfach  eingeschränkt.  So  am  meisten  in  der 
barytonen  lateinischen  Sprache,  wo  kein  zwei-  und  mehrsilbiges  Wort  den 
Accent  auf  der  Endung  hat,  also  nur  in  der  einzigen  Verbindung,  wie  nöbis 
mors  imminet  2  betonte  Silben  zusammenstossen  können.  Sie  ist  ferner 
dadurch  beschränkt,  dass  auch  in  den  meisten  andern  musikalischen 
Sprachen  die  Endungen  der  Nomina  und  Verba  meistens  volle  Silben 
sind  und  doch  selten  accentuirt  werden,  während  im  Deutschen  diese 
Endungen  vielfach  fehlen  oder  mit  der  Stammsilbe  verschmelzen  z.  B. 
gehört,  geschehn,  so  dass  im  Deutschen  sowohl  die  Zahl  der  einsilbigen 
schwer  betonten  Wörter,  als  der  Wörter,  welche  mit  betonten  Stamm- 
silben schliessen,  wie  Zeit,  flink,  fliegt;  Gethier,  gering,  gethan,  gegen- 
über den  musikalischen  Sprachen  eine  viel  grössere  ist. 

Demnach  können  in  den  musikalischen  Sprachen  nie  innerhalb  eines 


1)  Die  englische  zeigt  auch  hier  ihren  Charakter  als  Mischsprache. 


393 

Wortes  2  oder  3  betonte  Silben  zusammenstossen ;  dies  kann  geschehen, 
wenn  betonter  Wortschluss  und  betontes  Wort  oder  betonter  Wortanfang 
zusammenstösst,  doch  auch  hier  verhältnissmässig  selten.  In  den  logischen 
Sprachen  dagegen,  besonders  in  der  deutschen,  stossen  sowohl  innerhalb 
eines  Wortes  als  in  der  Verkettung  der  Wörter  sehr  leicht  2  oder  3 
betonte  Silben  zusammen.  Hierdurch  haben  die  musikalischen  Sprachen 
in  der  gewöhnlichen  Rede  und  in  der  Prosa  einen  grossen  Vorzug  vor 
den  logischen.  Die  regellos  zusammenstossenden  schwer  betonten  Silben 
sind  es  hauptsächlich,  welche  in  der  deutschen  Sprache  den  wohlklingenden 
Fluss  der  Rede  hemmen  und  zerhacken.  Ein  Beispiel  geben  auch  die 
zusammengesetzten  Bezeichnungen  technischer  Dinge.  Wir  pressen  meistens 
mehrere  schwere  Stammsilben  in  ein  Wort,  um  die  Sache  möglichst  voll- 
ständig zu  bezeichnen,  und  denken  dabei  nicht  an  den  Klang.  Dagegen 
die  entsprechenden  Wörter  der  romanischen  Sprachen,  mögen  sie  auch 
aus  ebenso  viel  Wörtern  zusammengesetzt  sein  und  mehr  Silben  zählen, 
haben  nur  eine  schwer  betonte  Silbe  und  die  Silben  mit  dem  Nebenton 
sind  durch  1  oder  2  unbetonte  Silben  von  der  schwer  betonten  getrennt, 
so  dass  das  ganze  Wort  wohlklingenden  Fluss  hat;  desshalb  ist  es  oft  nicht 
nur  üble  Vorliebe  für  das  Fremde,  wenn  solche  Fremdwörter  bei  uns  sich 
einbürgern.  Demnach  wird  der  Wohlklang  der  prosaischen  Rede  durch 
die  Betonungsgesetze  der  musikalischen  Sprachen  sehr  gefördert,  durch 
jene  der  logischen  Sprachen  sehr  beeinträchtigt. 

In  der  Dichtung  ändert  sich  dieses  Verhältniss.  Die  musikalischen 
Sprachen  können  nur  mit  Mühe  2,  fast  gar  nicht  3  betonte  Silben  neben- 
einander bringen.  Folglich  können  in  diesen  Sprachen  Zeilen  aus  den 
Füssen  ^  -'-  --,  —  --  ^  ,  v  -i-  -i-  v ,  ~  ~  :  ■  ,  _  «  «  —  *  w  so  gut  wie 
nicht  gebildet  werden,  da  stets  zwischen  die  beiden  Tonsilben  ein  Wort- 
ende fallen  müsste;  wer  möchte  solche  Cretici  wie  cperit  lex,  mänet  fex. 
bibit  greV  in  Reihen  anhören?  Sodann,  und  das  ist  die  Hauptsache,  ist 
es  unmöglich,  in  diesen  Sprachen  unter  die  Jamben  und  Trochäen,  Ana- 
päste und  Daktylen  Spondeen  zu  mischen;  denn  hier  müsste n  sich 
mindestens  3   betonte  Silben    folgen,    (z.  B.    Xfytt    oocpbe    voög  frtlog    rjfitv 

—  «" wo_);so  viele  können  aber  in  den  musikalischen  Sprachen 

so  gut  wie  nicht  zusammengebracht  werden.     Da  nun  die  alten  Griechen 
und  Römer    ihre   jambischen    und    trochäischen,    anapästischen   und  dak- 

Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  II.  Ahth.  .51 


/ 


394 

tylischen  Zeilen  stets  mit  vielen  Spondeen  gemischt  haben,  so  ist  klar, 
dass  in  den  musikalischen  Sprachen  auch  diese  quantitirenden  Zeilen- 
arten nicht  nachgebildet  werden  können.  Die  Alten  haben  aber  recht 
wohl  gewusst,  warum  sie  in  jene  Zeilenarten  viele  Spondeen  einmischten. 
Jene  reinen  Jamben,  wie  Phäselüs  ille  quem  videtis  hospites,  welche 
Catull  und  Genossen  in  wenigen  Gedichten  den  mit  allen  möglichen 
Füssen  überladenen  altlateinischen  Senaren  entgegen  stellten,  hatten  wohl 
bei  den  Griechen  kein  Vorbild  und  fanden  bei  den  Lateinern  keine  Nach- 
ahmer; denn  sie  klingen  schlecht  und  langweilig.  Schlecht  und  lang- 
weilig klingen  die  neugriechischen  Verse,  die  aus  gleichen  Füssen  be- 
stehen, wie 

£2   äfifXtprjs  'lotiTJvJig  iptii]  y.Hpali] 

f&fVQttQ   ih'it  tujv   üWinodög  xazivr 

h.il  ITtof/t;  uag  9iv  fiäg  tn6fttff€V  o  Zti>£.     oder 

WaXt  tov  civdya   Bf-a  tqv  Tio'kVTQonor  öar/c   roaovrovg 

yiüfjag  (Vtldtv  äi'fryuijitov  no'k'kag  x'ifdsXhffiSV   rjftrj 
a'ng  &aXaoa'iag  nXavtjottß  vnnpeüb  Ivtuxs  uvoiai; 

trt'kiÜV    UVTOS    VCL    (JÜ)&fl    Xal    TOVS    iptlüVQ    TOV    iTflOJl'    vä    nuiatj. 

Das  sind  reine  Jamben  und  reine  Daktylen;  denn  £(upag  ist  kein 
Spondeus,  sondern  ein  Trochäus,  also  ein  falscher  Fuss.  Ebenso  eintönig. 
wie  diese  neugriechischen  Reihen  von  reinen  Füssen,  würden  die  lateini- 
schen und  romanischen  klingen,  —  wenn  die  Dichter  sich  dazu  hätten 
verleiten  lassen. 

Ganz  anders  steht  die  Sache  in  der  deutschen  Sprache.  Opitz,  der 
die  Romanen  beneidete,  hat  unbewusst  den  deutschen  Versbau  über  sie 
hinausgeführt.  Die  deutschen  Zeilen  haben  nicht  nur  gleiche  Silbenzahl 
wie  die  romanischen,  sondern  auch  gleichen  Tonfall  und  bestimmte  gleich- 
förmige Füsse.  Da  in  der  deutschen  Sprache  leicht  2  und  '3  betonte 
Silben  zusammenstossen  können,  so  kann  die  ermüdende  Einförmigkeit 
fortlaufender  Reihen  von  Daktylen  oder  von  Anapästen  durch  die  ange- 
nehme Abwechselung  der  Spondeen  vermieden  und  die  schwächliche  Ein- 
tönigkeit reiner  Trochäen  oder  Jamben  durch  eingemischte  Spondeen 
gekräftigt,  können  endlich  auch  bacchische,  choriambische,  jonische  und 
ähnliche  Metra   gebildet   werden,    in    denen   2   betonte  Silben  regelmässig 


395 

zusammenstossen.  Das  Bedenken,  dass  z.  B.  in  Zickzackweg  die  mittlere 
Silbe  nicht  ganz  so  stark  betont  sei  wie  die  einschliessenden,  also  kein  voller 
Spondeus  entstehe,  widerlegt  sich  durch  den  Hinweis,  dass  zwischen  den 
quantitätslangen  Silben  der  antiken  Dichtung  noch  grössere  Verschieden- 
heit herrschte,  z.  B.  in  moestus  zwischen  moe  und  stus,  wenn  das  letztere 
durch  Position  gelängt  wurde.  So  ist  der  jetzige  deutsche  Zeilenbau. 
nach  welchem  die  Zeilen  aus  bestimmten  regelmässig  wiederkehrenden 
Füssen  gebildet  werden,  für  die  logischen  Sprachen  und  insbesondere  für 
die  jetzige  deutsche  Sprache  durchaus  geeignet.  Die  vielen  betonten 
Silben,  welche  in  der  Prosa  regellos  zusammenstossen  und  den  wohl- 
klingenden Fluss  der  Rede  zerstören,  werden  in  der  Dichtung  durch  die 
feste  Regel  der  Füsse  zu  einem  harmonischen  und  doch  kraftvollen 
Ganzen  gefügt. 

Dagegen  ist  klar,  dass  auch  der  so  stark  verschiedene  Versbau  der 
Romanen,  wie  er  sich  im  Laufe  vieler  Jahrhunderte  gebildet  hat,  in 
dem  Wesen  der  betreffenden  Sprachen  fest  begründet  ist.  Wollten  sie 
längere  Reihen  von  Zeilen  mit  gleichem  Tonfall  bauen,  so  sollten  es 
nur  solche  sein,  in  deren  Schema  wenigstens  Jamben  mit  Anapästen  oder 
Trochäen  mit  Daktylen  gemischt  wären,  wie  z.  B.  in  den  sapphischen 
und  alcäischen  Strophen.  Aber  alle  gleichzeiligen  Gedichte,  in  welchen 
nur  einer  dieser  Füsse  durchgeführt  würde,  wären  in  diesen  musikalischen 
Sprachen  eintönig  und  langweilig.  Das  ist  der  einfache  und  höchst  ver- 
nünftige Grund  dafür,  dass  in  den  romanischen  Dichtungen  keine  be- 
st in  unten  Versfüsse  eingehalten  werden,  sondern  der  Tonfall  frei  gegeben, 
d.  h.  der  Kunst  und  dem  Gefühl  des  Dichters  überlassen  ist.1) 

In  allen  meinen  mühsamen  Untersuchungen  über  die  lateinischen 
und  griechischen  Rythmen  habe  ich  nachgewiesen,  dass  von  Anfang  bis 
zu  Ende  dieser  Dichtungsweise  vor  dem  Schluss  der  Zeilen  keine  be- 
stimmten Füsse  beobachtet  wurden.  Ich  hoffe,  dass  jetzt  auch  die  ein- 
gefleischtesten Theoretiker  die  Lehre  von  der  schwebenden  Betonung  auf- 


1)  Sollten  deutsche  Uebersetzer  diesen  freien  Tonfall  der  romanischen  Dichter  nachbilden 
wollen,  so  iuüssten  sie,  um  den  wohlklingenden  Tonfall  der  romanischen  Sprachen  einigermassen 
wiederzugeben,  sich  wenigstens  die  Regel  aufstellen,  dass  nur  selten  schwer  betonte  Silben  auf- 
einander stossen  dürften;  vgl.  meine  Abhandlung  über  die  lateinischen  Rythmen  S.  134. 

51* 


396 

geben,  jene  Zeilen  nach  dem  Wortaccent  sprechen  und  den  Wechsel  des 
Tonfalls  nicht  als  Unregelmässigkeit  hassen,  sondern  als  Wohlklang  loben 
werden.  Denn  was  der  romanischen  Dichtung  gegenüber  billig  ist,  das 
ist  es  auch  gegenüber  derjenigen  Dichtung,  von  welcher  die  Romanen 
ihren  Zeilenbau  gelernt  haben.  Aus  demselben  Grunde  habe  ich  auch 
a  priori  die  Ueberzeugung .  dass  die  einförmigen  Reihen  von  Jamben 
oder  Trochäen,  in  welche  Bickell  die  ganze  alte  syrische  und  hebräische 
Dichtung  binden  will,  nicht  existiren  und  dass  in  jenen  gleichzeitigen 
Gedichten  dieselbe  Freiheit  des  Tonfalles  herrschte,  wie  in  denen  aller 
andern  musikalischen  Sprachen. 

S  c  h  1  u  s  s. 

In  den  ältesten  Zeiten  des  griechischen  Volkes,  als  in  der  Aus- 
sprache der  Wörter  die  Zeitdauer  der  Silben  mindestens  ebenso  sehr, 
vielleicht  noch  mehr  bemerklich  war  als  der  auf  sie  fallende  Ton.  ist 
entweder  ein  sinnreicher  Grieche  darauf  verfallen  oder  ist  von  einem 
fremden  Volke  her  die  Gewohnheit  angenommen  worden,  in  der  dich- 
terischen Rede  die  Zeitdauer,  nicht  die  Betonung  der  Silben  zu  berück- 
sichtigen. In  den  ältesten  Dichtungen  der  Lateiner  tritt  ebenfalls  nur 
dies  Gesetz  hervor,  die  Zeitdauer  der  einzelnen  Silben  zu  unterscheiden. 
Ob  sie  dasselbe  schon  in  den  frühesten  Zeiten  von  den  Griechen  oder 
anders  woher  bezogen  haben,  lässt  sich  kaum  entscheiden.  Darin,  wie 
diese  langen  und  kurzen  Silben  zu  Füssen,  die  Füsse  zu  Zeilen,  die  Zeilen 
zu  Strophen  oder  Gedichten  gefügt  wurden,  hat  sich  in  wunderbarer  Ent- 
faltung eben  so  sehr  die  Erfindungsgabe  als  der  Schönheitssinn  der 
Griechen  offenbart. 

Andere  Völker  waren  auf  eine  andere  Form  der  dichterischen  Rede 
verfallen.  Sie  suchten  die  Gebundenheit  und  Gleichmässigkeit,  welche 
die  Grundlage  der  Schönheit  sein  muss,  in  der  gleichen  Silbenzahl  der 
einzelnen  Zeilen.  Dies  Gesetz  drang  aus  den  semitischen  Ländern  unter 
dem  Schutz  des  Christenthums  im  3.  und  4.  Jahrhundert  in  die  Länder  ein, 
welche  von  der  aus  langen  und  kurzen  Silben  aufgebauten  griechischen  und 
lateinischen  Dichtweise  beherrscht  wurden.  Die  neue  Dichtweise  fand  den 
Boden  vorbereitet.    Denn  durch  die  Vermischung  mit  den  Barbaren  war  die 


397 

Aussprache  weit  und  breit  verdorben  und  das  Gefühl  dafür,  welche  Silben 
lang  und  welche  kurz  seien,  geschwächt  oder  geschwunden.  So  war  jenes 
Dichtungsgesetz,  wornach  die  Silben  nur  gezählt  zu  werden  brauchten, 
höchst  willkommen.  Gesprochen  mussten  diese  silbenzählenden  Zeilen 
werden;  sie  konnten  nur  nach  der  damals  herrschenden  Art  des  täg- 
lichen Lebens,  d.  h.  nach  dem  Wortaccent  gesprochen  werden. 

Doch  die  alten  Dichtungsformen  der  Griechen  und  Lateiner  waren  zu 
vollkommen,  als  dass  sie  sich  gänzlich  umstossen  Hessen.  Sie  nahmen  den 
Sieger  gefangen.  Die  lateinische  rythmische  Dichtkunst  bis  zum  12.  Jahr- 
hundert bewegte  sich  nur  in  Zeilenarten,  welche  der  alten  quantitirenden 
Dichtkunst  nachgeahmt  sind.  Die  Melodien  der  griechischen  Kirchen- 
hymnen sind  ursprünglich  den  Syrern  entlehnt;  allein  die  strenge  Beob- 
achtung des  Tonfalls  und  der  grosse  Reichthum  an  neugeschaffenen  Formen 
zeigen  den  Einfluss  der  quantitirenden  Poesie,  welche  damals  besonders 
strenge  Regeln  und  Formen  sich  geschaffen  hatte,  und  sind  so  das  letzte 
Aufleuchten  des  feinen  griechischen  Geistes. 

Mit  dem  Prinzip  des  silbenzählenden  Zeilenbaues  war  auch  der  Reim 
zu  den  Lateinern  gekommen.  Auf  diesen  zwei  Grundlagen,  der  gleichen 
Silbenzahl  und  dem  Reim,  beruht  die  wunderbare  Entwicklung  der 
Dichtungsformen,  welche  der  lateinische  Occident  im  zwölften  und  drei- 
zehnten Jahrhundert  zeigt.  Von  hier  haben  die  modernen  romanischen 
Nationen  die  Grundlagen  ihres  Zeilenbaues,  ihre  Zeilen-  und  Strophen- 
arten und  den  Reim  überkommen,  von  hier  haben  die  germanischen 
Nationen  wenigstens  beträchtliche  Stücke  ihrer  Dichtungsformen  erhalten. 

Denn  der  silbenzählende  lateinische  Versbau  war  bei  den  germani- 
schen Völkern  auf  ein  anderes  Prinzip  gestossen,  wornach  in  den  ent- 
sprechenden Zeilen  nur  gleich  viel  betonte  Silben  gesetzt  wurden,  ohne 
Rücksicht  auf  die  Zahl  der  unbetonten.  Das  lateinische  Prinzip  siegte 
in  der  lyrischen  Poesie,  so  dass  hier  die  deutschen  Minnesänger  mit  den 
lateinischen  und  romanischen  Dichtern  wetteiferten.  In  den  folgenden 
Jahrhunderten  gewann  auch  in  Deutschland  der  silbenzählende  Zeilenbau 
überhaupt  die  Oberhand,  bis  zur  Zeit  von  Opitz  nach  dem  Vorbild  der 
alten  Griechen  und  Römer  die  Silben  in  verschiedene  Arten,  aber  nicht 
nach  der  zur  Aussprache  erforderlichen  Zeitdauer,  sondern  nach  der 
Stärke    oder  Schwäche  des    auf  sie    fallenden  Tones,    geschieden   wurden. 


398 

Dabei  wurden  die  schwach  betonten  so  gut  wie  die  stark  betonten  ge- 
zählt und  berechnet.  So  wurde  dieser  jetzt  in  Deutschland  herrschende 
Zeilenbau  ein  Seitenstück  des  alten  quantitirenden. 

In  den  Zeiten  und  Gebieten,  welche  bei  diesen  Untersuchungen  in 
Betracht  kamen,  treten  also  3  Arten  des  Zeilenbaues  auf:  der  quantitirende, 
welcher  die  Länge  oder  Kürze  der  Silbe  abwägt,  der  rythmische,  welcher 
die  Silbe  einfach  zählt  und  der  in  den  romanischen  Ländern  den  quanti- 
tirenden schon  längst  verdrängt  hat,  endlich  der  germanische,  welcher  früher 
nur  die  stark  betonten  Silben  zählte,  jetzt  aber  die  stark  und  schwach 
betonten  Silben  unterscheidet  und  beide  berechnet;  diese  Art  findet  sich 
auch  bei  den  meisten  neugriechischen  Dichtern.  Neue  Zeilen-  und 
Strophenarten  wurden  besonders  in  zwei  Perioden  geschaffen,  bei  den 
Griechen  vor  Alexander  des  Grossen  Zeit,  dann  im  lateinischen  Occident 
im  12.  und  13.  Jahrhundert.  Von  dem  Reichthum  der  letzteren  Periode 
zehren  noch  heutzutage  die  romanischen  Literaturen;  die  deutsche  hat 
ihn  zum  grössten  Theil  verloren  und  durch  die  Nachahmung  der  alt- 
griechischen oder  fremdländischer  Formen  noch  keinen  befriedigenden 
Ersatz  gefunden. 

Die  Regeln  für  den  Versbau  sind  in  den  meisten  Zeiten  und  Völkern 
nur  Nachahmungen  fremder  Vorbilder,  die  bei  der  Nachahmung  oft 
sonderbare  Umgestaltungen  erleiden,  wie  z.  B.  der  altlateinische  sowie  der 
spätlateinische  Senar  oder  Hexameter  seinem  griechischen  Vorbilde  oft 
geradezu  widerspricht.  Allein  auch  in  den  Zeiten,  wo  neue.  Zeilen-  und 
Strophenarten  und  Regeln  dafür  geschaffen  werden,  wie  bei  den  Griechen 
vor  Alexander  und  in  der  lateinischen  Literatur  des  12.  und  13.  Jahr- 
hunderts, wirken  neben  dem  Schönheitsgefühl  andere  äussere  Dinge,  dann 
Mode  und  Zufall  viel  zur  Schaffung  der  Formen  und  Gesetze  mit.  Schon 
ein  berühmtes  Gedicht,  eine  glückliche  Melodie  kann  eine  Form  ein- 
bürgern, welche  sonst  bald  verschwunden  wäre.  Alle  Regeln  und  Vor- 
bilder geben  keine  Gewähr  für  die  Schönheit  einer  Dichtung.  Sie  sind 
eben  nur  Schranken,  innerhalb  deren  der  Dichter  sich  bewegen  muss, 
um  seinen  Zeitgenossen  verständlich  und  angenehm  zu  sein.  Wie  der 
Schriftzeichen,  so  gäbe  es  auch  der  Dichtungsformen  unzählige,  allein  Jeder 
muss  sich  derjenigen  bedienen,  welche  in  seiner  Umgebung  gebräuchlich 
sind.     Doch  da  ein  Volk  bei    der  Herübernahme  der  Formen  von  einem 


399 

andern  Volk  dieselben  oft  stark  verändert  und  in  Jahrhunderte  langer 
Weiterbildung  und  Ausbildung  derselben  seine  Eigenart  und  seine  Vor- 
züge zeigt,  so  ist  die  Erforschung  und  die  Geschichte  der  Dichtungs- 
formen ebenso  wichtig,  ja  wegen  des  edleren  Inhaltes  wichtiger,  als  die 
Geschichte  der  architektonischen  Formen. 

Eine  angenehme  und  für  die  Entstehung  der  modernen  Dichtungs- 
formen wichtige  Untersuchung  war  es  mir,  die  wundervolle  Mannigfaltig- 
keit und  Schönheit  der  mittelalterlichen  lateinischen  Rythmen  darzulegen.1) 
Allein  das  Wesen  einer  Erscheinung  kann  erst  gewürdigt  werden,  wenn 
der  Ursprung  klar  liegt.  Die  gewöhnlichen  Ansichten  über  die  Ent- 
stehung der  lateinischen  oder  der  griechischen  rythmischen  Poesie  schienen 
mir  unhaltbar.  Die  genauere  Erforschung  der  griechischen  Rythmen 
führte  mich  auf  den  richtigen  Weg.  Es  galt  zuerst  nachzuweisen,  dass 
weder  bei  den  Lateinern  noch  bei  den  Griechen  die  rythmische  Dichtung 
sich  von  selbst  aus  der  quantitirenden  entwickelt  habe,  was  ich  für  die 
Lateiner  in  der  Abhandlung  über  die  Beobachtung  des  Wortaccentes  in 
der  altlateinischen  Poesie2),  für  die  Griechen  in  der  Abhandlung  zur  Ge- 
schichte des  alexandrinischen  und  lateinischen  Hexameters  gethan  habe.3) 

Die  Aufgabe  der  vorliegenden  Untersuchungen  war,  die  Eigentüm- 
lichkeiten der  ältesten  lateinischen  und  griechischen  Rythmen  in  helles 
Licht  zu  setzen,  dann  zu  zeigen,  wie  die  wichtigsten  dieser  Eigentüm- 
lichkeiten und  das  ganze  Prinzip  des  Zeilenbaues  schon  früher  bei  den 
Semiten  vorhanden  waren,  dann,  als  die  christliche  Dichtung  in  semitischen 
Ländern  Auffallendes  geleistet  hatte,  unter  dem  Schutze  des  Christen- 
tums von  den  Lateinern  und  Griechen  nachgeahmt  wurden  und  im 
Kampfe  mit  der  quantitirenden  Dichtung  und  unter  dem  Einfluss  der- 
selben sich  als  christliche  Dichtungsformen  ausbildeten.  Ist  diese  Auf- 
gabe glücklich  gelöst,  dann  ergibt  sich  das  Resultat,  dass  wie  in  unserer 
ganzen  modernen  Kultur,  so  auch  in  den  Dichtungsformen,  die  jetzt 
Europa  beherrschen,  griechisch -lateinische  und  semitisch  -  christliche  Be- 
standteile gemischt  sind. 

1)  Sitzungsber.  der  Münchner  Akud.  philos.-philol.  CK  1882  I.  Heft. 

2)  Abhandl.  I.  Ol.  17.  Bd.  1.  Abth.   1884. 

:!|  Sitzungsber.  philos.-philol.  Ol.  vom  1.  Dez.  1884. 


Beilage  I. 


Die  rythmischen  Gedichte  des  Gregor  von  Nazianz. 

Die  beiden  folgenden  Gedichte,  in  denen  auf  die  Quantität  der  Silben  offenbar 
keine  Rücksicht  genommen  ist,  sind  verfasst  von  Gregor  von  Nazianz  (f  389); 
sie  sind  also  bis  jetzt  die  ältesten  griechischen  Gedichte  der  Art.  Ich  verwendete 
desshalb  ziemliche  Mühe  auf  die  Feststellung  des  Wortlautes.  Das  erste,  gewöhnlich 
Exhortatio  ad  virginem  betitelt,  ist  zuerst  gedruckt  in  Gregorii  Naz.  Opera  Basel  1550 
(ed.  Erasmus)  p.  187  als  Prosa;  in  Langzeilen  in  den  Opera  (ed.  Bill)  Paris  1611  II  p.  299; 
Paris  1630  II  p.  299;  Cöln  1690  II  p.  299;  bei  Caillau  Paris  1840  II  p.  378.  Migne 
Curs.  Patrol.  37  p.  632.  Christ  Anthol.  Gr.  p.  29.  Das  zweite,  der  Hymnus  vespertinus. 
wurde  zut-r-t  1696  in  J.  Tollii  Insignia  itinerarii  Italici  8.96  in  Halbzeilen  gedruckt; 
dann  ebenso  im  Persius  ed.  0.  Jahn,  Proleg.  p.  CI  nach  Tollius :  Caillau  tom.  II 
p.  290.  Migne  tom.  37  p.  511;  unvollständig  ist  das  Gedicht  gedruckt  in  Poetat ■  <4"r. 
1614  II  p.  189,  =  Daniel  Thesaur.  hymn.  III  p.  14  u.  Christ  Anthol.  p.  29. 

In  der  Beurtheilung  der  Handschriften  ging  ich  lange  irr;  denn  obwohl  ich 
durch  die  besondere  Güte  von  verschiedenen  Gelehrten ' )  die  Vergleichungen  sehr 
alter  Handschriften  erhielt,  so  fanden  sich  doch  in  den  meisten  dieselben  starken 
Fehler.  Endlich  sah  ich,  dass  die  Handschriften,  in  welchen  diese  beiden  Stücke 
unter  die  prosaischen  Predigten  gesetzt  sind,  allesammt,  mögen  sie  auch  noch  so  alt 
sein  (die  Pariser  P  ist  mit  Uncialen  geschrieben),  auf  ein  und  dieselbe  Handschrift 
zurückgehen,  in  der  schon  starke  Fehler  waren;  so  fehlt  hier  V.  84  ganz,  V.  24  das 
Wort  leiTovgytov ;  V.  23,  40,  52  und  andere  zeigen  starke  Interpolationen.  Dagegen 
ist  der  Text  in  den  Handschriften ,  in  denen  diese  2  Stücke  unter  den  Gedichten 
stehen  (iv  noklolg  ßißXioig  6  Xoyog  ovtog  tv  röig  ztteol  ytelrai  sagt  das  Scholion  im 
Codex   F,  der  offenbar  nach  einer  solchen  Gedichthandschrift   an    einigen  Stellen  ver- 


1)  Die  Vergleichung  der  pariser  Handschriften  danke  ich  den  Herren  Delixle  und  Omont, 
die  der  unter  A  zusammengefassten  Wiener  Hrn.  Prof.  Th.  Gomperz,  die  von  D  Hrn.  Joh.  Hurmer, 
die  der  Venezianer  Hrn.  Dr.  Marti»   Thomas  und  die  der  Florentiner  Hrn.  Dr.  Aug.  Herzog. 


401 

bessert  ist),  durchschnittlich  besser.  Die  Citate  des  im  8.  Jahrhundert  lebenden 
Scholiasten  Cosmas  stimmen,  wenn  man  dem  Texte  Mai's  hier  trauen  darf  (carminum 
fragin enta  sine  editionum  subsidio  vix  sanari  potuissent,  bekennt  er  selbst),  nur  in 
unwichtigen  Dingen  mit  den  Predigthandschriften  (v.  33.  87).  in  wichtigen  mit  den 
andern  (v.  23.  24.  87).  Die  Ausgabe  der  Exhortatio  von  1550  beruht  auf  dem  Text 
der  Predigthandschriften :  Bill  aber  benützte  eine  treffliche  Handschrift  der  Gedichte ; 
Combefis,  Caillau  und  Christ  haben  aus  schlechten  Handschriften  nur  wenig  Förder- 
liches in itth eilen  können :  ich  bin  fast  durchaus  zu  dem  schon  von  Bill  abgedruckten 
Texte  der  Gedichthandschriften  zurückgekehrt.  In  dem  Hymnus  war  wenig  zu  ändern, 
da  bereits  Tollius  die  treffliche  Florentiner  Handschrift  benützt  hatte. 

Ruf  in  us  Aquil.  schreibt  (Histor.  eccles.  2,  9):  Exstant  Basilii  et  Gregorii  in- 
genii  monumenta  magnitica  traetatuuni.  quos  ex  tempore  in  eeclesiis  declamabant.  ex 
quibus  noe  denas  fenne  singuloruni  oratiuneulas  transfudimus  in  Latinum.  Da  ich 
nun  in  drei  florentiner  Handschriften,  unter  den  Uebersetzungen  des  Rufinus  auch 
unser  Gedicht  ad  virgineui  fand,  bat  ich  meinen  Freund  Pio  Hajna  um  Abschrift 
und  setze  diesen  lateinischen  Text  unter  den  griechischen.  Diese  Uebersetzung  kann 
aber  nach  meiner  Ueberzeugung  nicht  von  Rutin  herrühren.  Denn  der  Text  schliesst 
sich  ganz  an  den  schlechten  Text  der  Handschriften  an,  in  denen  dies  Gedicht  unter 
den  prosaischen  Predigten  steht.  Doch,  wenn  dies  auch  schon  1<><>  Jahre  nach  der 
Abfassung  möglich  gewesen  wäre,  so  linden  sich  in  dieser  UebersetBUng  grobe  Fehler, 
deren  ein  Mann  wie  Kuhn  nicht  in  solcher  Menge  und  Stärke  fähig  war.  Endlich 
«reicht  diese  fasi  wörtliche  Uebersetzungswetse  von  der  [JebersetEungsarl  des  Rufin  ab, 
<\t'v  omschreibend  und  erklärend  üliersft/.t.  Darauf  fuhrt  auch  die  bandschriftliche 
Ueberlieferung.  Die  Handschrift  in  Bamberg  B.  IV.  LS  saec.  X  enthält:  Prol.  I 
oratio  apologetica.  II  oratio  in  Christi  nativitatem.  III  de  Bpiphania.  IV  de  Pente- 
coste.  V  Cum  rare  rediisset.  VI  ad  Nazianzenos  vel  ad  Imperatorem.  V  II  de  unitate 
monachorum.  VIII  de  grandine.  In  B  IV.  6  saec.  XI  fehlt  No.  IV  und,  wie  es 
scheint,  der  Prolog,  die  andern  Stücke  stehen  in  der  gleichen  Reihe.  In  Wien 
X,,.  759  =  Denis  I  No.  198  saec.  XI.  fehlt  Prol.,  steht  I  bis  VIII,  dann  folgt  IX 
de  Pascha.  In  Bern  374  saec.  XII  steht  No.  I.  VI.  VII.  VIII.  Kin  anderer  Zweig 
der  Ueberlieferung  liegt  vor  in  der  münchner  Handschrift  3787  (ehemals  in  Augs- 
burg) saec.  X:  Prol.  I.  II.  III.  III*  De  fide.  IIP  De  iide  Nicaena.  IV.  V.  VI. 
VII.  VIII.  VIII*  Contra  Arriam».  In  dieser  Handschrift,  mit  welcher  die  Ausgaben 
(zuerst  Argentinae  Knoblouch  1508)  völlig  stimmen,  steht  also  nicht  nur  nach  VIII 
die  Hede  contra  Arrianos  mein-,  sondern  auch  nach  III  «1er  lange  Tractat  de  fide 
und  der  kurze  de  fide  Nicaena.  Für  diese  Tractate,  in  denen  Bibelstellen  vom  Text 
der  Vulgata  abweichen,  ist  bis  jetzt  kein  griechischer  Text  gefunden,  und  sie  kommen 
fast  mit  demselben  Wortlaut  unter  dem  Namen  des  Phoebadius  vor  (Migne  Patrol. 
lat.  tom.  20  p.  81  u.  47),  dem  sie  auch  innere  Gründe  zusprechen.  Die  florentiner 
Handschriften  des  Gregor-Rufin  stammen  sämmtlich  aus  dem  XV.  Jahrhundert.    Plut. 

Abh.  d.  I.  OL  d.  k.  Ak.  d.  Wim,  XVII.  Bd.  II.  Abth.  52 


402 

'17,  31  (L)  enthält  Prol.  I  bis  VIII.  Dann  IX  (de  Pascha).  \  de  martyribus.  XI  Epist. 
adCledonium.  XII  ad  virginem :  Fesulanus  44  {F):  Prol.  I.  II.  III.  V.  VI.  IV.  VII. 
VIII.  III*  (nicht  IIP).  VIII'.  Anderes.  Dann  IX.  \.  XI.  XI"  ad  Cledonium  secunda. 
XII.  Aedili  VII  (E)  hat:  I.  II.  III.  V.  VI.  IV.  VII.  VIII.  III \  De  inventione  capitis 
Joannis  Bapt.  narrat  Josephus.  IX.  X.  XI.  XII.  Gadd.  113  hat:  I  bis  VIII  (=  Bam- 
berger). Die  lateinische  Handschrift  in  München  4t>:>  saec.  XV:  I  bis  IV.  III" 
V  bis  VIII.  VIII"  IIP. 

Daraus  scheint  hervorzugehen,  dasa  zu  den  von  I Jutin  gefertigten  Uebersetzungen 
gregorianischer  Predigten  von  Anderen  die  Uebersetzungen  einiger  anderen  Stücke 
zugesetzt  wurden.  Man  könnte  daran  denken,  dass  die  in  den  florentiner  Hand- 
schriften sich  mehr  findenden  Stücke  erst  in  der  Humanistenzeit  übersetzt  und  zuge- 
setzt worden  seien :  allein  der  Gebrauch  von  a  statt  quam  nach  dem  Comparativ 
(V.  4  und  96),  dann  die  gemeinsamen  Schreibfehler  der  Handschriften  deuten  auf 
frühere  Entstehung.  Dann  müssen  wir  wohl  auf  die  nächste  thätige  Uebersetzer- 
periode,  das  9.  und  10.  Jahrhundert,  zurückgehen.  Für  die  Uebersetzer  jenes  Schlages 
passen  auch  die  groben  Fehler. 

Ill.ni   /7.//W.7W  (2. 

IIctQÜeve  vüfKfij  Xqujiol-,      dutza'Ci  oov  ror  vv^nfiov 
2  dei  Y.äi>aiQB  oavirp  |  ev  Xöyio  v.cti  oofpt'q, 
'Iva  /.a^inqd  iw  kau.iptp      or'irjOTjg  ror  aiiövcf 


Beati  Gregorii  Nazanzeni  ad  virginem  (L  = 
Laurent.  Plut.  IT,  '■'<{  saec  XV  1.123);  Secunda 
epistola  Gregorii  Nazanzeni  ad  Cledonium  ex- 
plicit  felicitcr.  [ncipit  epistola  eiusdetn  ad  vir- 
ginem (7y'  =*  Laurent,  cod.  Fieaoi.  44  saeo.  XV 


t'ul.  287)j  Kxplicit  epistola  Gg.  Dedomuni.  In- 
■  ijiit  epistola  eiusdem  ad  virgineni  (  E  Laurent. 
Edil.  7.  p.  89). 

Virgo  sponsa  Christi,  glorifica  tu  um  (glori- 
licatum  LFE)  Bponramj    (2)  semper  mnnda  te 


Codices  F=  Laut.  Plut.  7,  10  /'.  165;  C  = 
Paris.  Coistin.  56  saec.  XIV  /'.  1926:  D  =  Vindnh. 
(jraec.  43  f.  109  =  101  theolog.  Lambec.  IV 
pag.  19.  P  =  Paris,  gr.  Ö10  f.  214  a  unciali 
charactere  scriptus;  V  =  Venet.  Marc.  gr.  70 
f.  435 ;  M  —  Ma  .  b  .  c;  Ma  =  Venet.  Marc, 
gr.  74  f.  303:  Hb  =  72  /'.  182;  Mc  =  75  f.  202; 
L  =  La  .  b;  La  =  Law:  Plut.  7,  22  /'.  420: 
Lb  =  Laur.  Plut.  7,  7  /'.  289;  A  =  Aa  .  c  .  d  .  c. 
Aa  =  Vindob.  graec.  16  f.  333,  Suppl.  Kollarii 
(tom.  I  p.  145):  Ac  =  theol.  79  /".  310;  Ad  = 
theol.  80  p.  327  ;  Ac  =  theol.  84  f.  255  numerus 
adscriptus  est  /u6  in  ]J,  KJ  in  P.  Sclioliasta 
Cosmas  exscripsit  versus  23.  24;  33.  34:  47.  48; 
81.  82;  85.  86;  87.  88:  Titulus:  nt(>i  7i«(>fr(- 
i'i'ag  FD  (Cosraas):    Hyng  nngd-ifoy  Tluouivutxög 


l'VLMA.  Hill.  7tqng  nuo&cvov  rtapauKZUtos  xai 
7t((H   ri«()&tyi((g   C. 

Scholin  praemissn :  TSv  rovrto  rw  ?.oyw  tor 
-iQaicoiaioy  SiuifQovu  ftlfUTrw.  ovTog  yu(j  ftorog 
noirti(Zr  (>r&i.tnig  ti<u  (mh  V,  Tt  Bill.)  xai  xu'ü.oig 
Sjfp^aaro  utr(jixrts  irioirjTtxrjg  (1)  (Bill.)  ayaXoylae 
XtttaftQOryOOC  FCV  (Bill.)  Ep  71  oWoig  ßifilfotg 
6  Xöyog  nvrog  tv  xulg  hntai  xtirca  V  In  codd. 
FC  (et  in  editione  Chrislii)  ab  hemistichio  quo- 
qae,  in  codice  D  et  in  editione  Billii  et  in  se- 
quentibus  a  versibus  meis  noca  linea  incipitur; 
in  ceteris  codieibus  (et  in  editione  a.  1550)  Otnnia 
nt  proaa  scripta  sunt.  se<l  noHnusquam,  ut  semper 
in  P,  versus  punetzs  distinguntur. 

1    aov    in  marg.    V.     2    'Ati    xaSieyt;    Bill., 
(hi.    Kti&uof   edd.   oavtqv  CDP;  Aa  m.  2:  Bill. 


403 


4  y.QEioocov  ydg  auirt  ;ioXv      zrjg  ipttaoxfjg  ovCvylag. 

'Ev  aiöuctxi  rag  voEodg  |   dvvdueig  Sfiifiijoto' 
6  dyyEXi/.rp  int  yr]g      usxfjX&Eg  ttoXixeiuv. 

^Jeo/.wg  IvxavÖa  -/.cd  Xioig  \  xai  oojf.iav    ht  ovjudzior. 
8  ovto  ö'i/.dox^  /.wvdg  |  ovttoxe  Xvof*tvr]. 

Ol  uqwioi  cpiqovaiv  dxi'iva  j  xr\g  /.aiyctodg  ovaiag, 
10  nvEi(.iaxa  /.al  7tvq,  XsixovQyoi  j  rwv  Üeov  7rQogTayf.idron'. 

"YXij  de  fil£ir  i^etQev,  |  dei  Qsoroa  (pvaig, 
12  y  (.itTQov  wQioe  !/Eog  j   ydf.iov  roftoöerijOag. 

2v  ö'tqyov  XXrtg  cpvyocoa  j   rolg  dvio  owrjQfiOOxhjg, 
14  log  voig  gq/uoCexcci  roi'  I  xrjv  &ei'av  dguoriar, 

Kai  ocxQ/.i  7Co'AEf.iotoa      ßo^öelg  Tg  etxoyi, 
16  (Vrj'OTJ  ydg  tcpvg  Öeov  \    i<[>  yeigovi  arvöei^eloa). 

"Ir    ix  ndXtjQ  /.cd  n'/.^g      ro  oiicpog  diroXdßrjg, 
18  avio  ÜeIoci  xai  xov  yovv  |  v.ctXwg  vnoxayivxa. 

AiveIoDw  ooi  xal  yduog,      7tq6  ydfiov  d'dcpöogicc 
20  yd/nog  ovyyviofit]  ndltoig.      dyvEut  di  Xa^jigon. 

rduog  .raxrjo  dyi'ojr,      dyvEict  öi  Xctxoticc 


(mundantem  LJPE)  •■(  ipeam  in  rerbia  h 
picntia .  (8)  ut  aplendidior  aplendidia  conviraa 
in  aeteraom;  (li  rerior  min  iata  mnlto  a  cor- 
ruptibiH  ooniunctioiic  i">i  intellectnalea  in  cor- 
pore virtutea  imitata  ea,  (6)  id  arigelicam  träne- 
lata  ea  super  terram  i  P)  coareraationem. 
(7)  et  ligatio  ei  aolntio  oorpora^ü  ei  corportun 

est  (V):  Ibl  sursuni  antem  ima<Miae<|iii'  unita< 
indiaaotabilia.  (9)  <|ui  primom  raatineni  radium 
mundissimae  trinitatia  P;  (10)  tpiritua  et  igma 

(=  J'\    tiTininata    i  minist ra?  i    sunt    dei    pra<- 

ceptionibua.  (11)  aemper  antem  efflnena  natura 
materiae  commixtionem  invenit,    (12)  cni  men- 

«Kirr/  F  ric.  :',  nävttt  fäoßt  Combefis.  4  Kgtts- 
«ov  FCD  no\v  FCD  Bill.:  nolXu  PVLMJ  rifc 
<p&.  noUff)  Lb.  6  int  yijs  (ttr.  FCI)  (SSI.): 
u. i  y.  /'I7..1/.I.  7  ouiuat'  IC  iJiill.\.  au'iu«j<c 
/' 1 7..1/.I.  otSfUtrof  1):  t'x  oiii.  Lb.  s  avoj 
<)' :  iJWr  /•',  (hu»  Si  /'.  M.  Acdc.  9  ol'  DMA 
(pfQoirj'  Bill.  9  ovofttf  FCD  Bill.:  tfutiog 
l'YLMA  cf.  2.  1,  45  yattfije  °Kkxay  ex  r(n«<5o? 
<j(7.tt(  SnXfroy.  10  TtyfvftctTtt  CD  PV  Bill.: 
rtrtvu«  FLMA:  nianw.  FC D :  h,il>n,l  l'YLMA 

Hill,  teintf?«  F(1  TlT,v  70,r  *f°r  Lh:  '/•  -•  li  32 
r6t$    iXn(f()oi    Uvq    xi</    rtvfvfiui«.  .  .    fityaXjjOiv 


rarem  dem  legem  statuit  oaptianim.  (l:i)  tri 
auti-ni  opna  materiae  ragiena  raperioribaa  co- 
aptate  (eoapta  fce?),  (14)  qnemadmodnm  mens 
aptatoa  mentf  divini  ebneeatna.  (15)  et  carni 
repognana  adinvaa  tmaginem,  (16)  flata  enini 
create  ea  dei  etiam  deteriori  ooüigata,  (17)  ut 
lactaminia  et  victoriae  coronam  poaiiia  aeeipere, 
(18)  sursuni  ponena  meutern  bene  rabieetam 
Bpiritm  ^  P).  (19)  proponantur  ti)>i  et  nuptiae 
laptiae  om.  LFF-.  tibi  om,  F)  et  (=  P) 
qoae  ante  nuptias  eal  incorruptio;  (20)  nnptiae 
tndnlgentu  paaaionia:  caatitaa  antem  splendor. 
(91)  onptiae   (nnptae   L)   parentea  sanetorum: 

t7Toi^990Wtt¥  £<ft1  iuris.      11  ££r}Z()tt>  P.  Md.  ACC. 

12  jfiirniov  F.  13  aov  FC  Sf  MA.  La,  om. 
D  vXVy  FCD.  14  roir  Bill.  17  \v  FCDV, 
"t-tt  Bill.,  t'iart  l'LMAcle  ünoläßrs  FCDV, 
ttnoXavflS  Bill.,  tiftoXaßeiv  PLjMA.  1^  xai  om. 
PLMA  inoxttyiwTtt  FCD  Hill..  inoTayiyra  roi 
Ttrtt'ßjatt  FLMA  et  (nf,  om.)  V.  19  rr(W  FCD. 
Bill.:  xai  n<>6  VYLMA  d'cupöooi«  Bill.:  Si- 
u(pOoQÜg  F.  (((fO-ofjtu  PLMA.,  Si'  ('ap&upaicts  C, 
di'fup&aoaiuy    D.    (<<f9«Qoiu    ]'.       20    ;'«,".    fyy. 

rtuO-.  i»  marg.  Y  «yviius  CD.  21  üyvtius  CD. 
Hill.  Xuryfi'tc  (sc.  rtvi'  tcyimv)  FCD.  Bill.:  brcta 


404 


22  TctvTijv  /.al  tote  xatgolg      iu'fuoy  er  Eifrärotg, 

viddii  h  jcagadsiao),      l\hooi]g  er  oqei  ~ivq, 
24  /.ticovQytZv  Za/agiag,  |  6  narrJQ  xov  jiQodoöuov. 

rditog  nett  7ruQ^eviag      yua  rijg  tte^  (piX^g, 
26  aklC  eoti  vouog  oao/.oq  j  /.al  [JQCcOfuctTOg  dovkEia. 

rQc    r\v  vouog  /.al  o/.icti      /.cd  rcQOßxaiQoi  Xcctoeicu, 
28  i6x    etye  :rQioza  Aal  yd(.iog  |  wg  Vv  %i  vq/iiiüdeg. 

"Oc    f^?jXx/s  id  yqäuiia,       cd  aveciici  d'di'ieto^y^tj., 
:>0  /.al   XgiOTOg  errate  aaq/.l      ttooeXüioi'  h.  ;iao&eroi: 

7'or'  $££Xafnfm»  ayveia  l   ocru'uvocoa  xov  v.öouor, 
'.\2  bi'  huii  Öei  uEiaßr)vai      ygioiot  (nraieX&övra. 

KaXiog  oÖEiEig,  naotttiE,      £ig  öoog  d/roawLov 
:>4  ur]  irqog  —ödo(.ia  ßXeil'ijg,      in]  an\ht     tayijg  aXog. 

Mrjös  Xiav  oe  oaq/.og      i)  tpvütg  faupoßsitta, 
36  fttjdi  l}aQQr\oi]g  uyav,   j  woie  ./oV  .-/./.r^ijrat. 

~/iiv!}ftQ  avmixEi  /.aXäuti.      nitvrvoi  ö^vöioo  tpkoya. 
38  t'/Eig  fpagiiaxa  ;ioXXd      cqg  osuvijg  7iaotrEviac. 

Oeov  oe  rpoßog  7Triyvvxio,      vroiEta  oe  /.evoiiio, 


«astitute  autem  ante  iadolgentiaan  pasflionii 

terpolirt  ?)  (22)  congruia  sunt  quidam  honorati 
temporibus  (28)  Adam  in  paradiso,  MoySM  legem 
rectitudinis  ponens  (— P),  (24)  Zachariaa  (=P) 
praecnrtoria   pater.   (25)  nuptias   et  rirginitatia 

radix,  dei  sponsae  (=  P).  (26)  seil  est  tarnen 
(=  P)  cooperimento  earnis  scivitiH.  (27)  quando 
erat  lex  et  umbra  et  temporales  dei  cultarae, 
(28)  tunc  (oultura  et  tunc  L)  habebant  primatum 
et  nuptiae  quemadmodum  adhue  (  =  P)  para- 
bolae:  (29)  quando  autem  explosa  est  litten  et 

PVLMA.  22  x«i:  6e  D  er  /•'.  CosvKis  adv.  28: 
rote  CD.  Bill.  PVLMA.  23  et  24  lautet  Comai 
sV'oTfMl  Ityfc  Co$M<U  FCI)  Hill.:  tofuo  nooadyiav 
PVLMA.  24  Ätdor^ywf  Gotma».  FCI).  V  [in 
wary.  Aa):  am.  PLMA  6  Zu%,  Bill.  2-r>  it«t>- 
9ni«g  FCI).  Bill.:  nun&eri«  PVLMA.  26  eart 
föpos  CD  Bill.,  eaxiv  vojaoi  F  (cf.  2,  1,  201 
aaoxog  dnineuipt  rofxovg):  eonr  outug  PVLMA. 
27  nrt  PVLMAcde  axid  F  xai  om.  La.  28  idrt 
PVM.  Lb.  Acde  &  u  rtftuSitg  FCD:  in  (ion  P) 
rt/mmSic  PVLMA.  Bill.  2)  oV  etfXOt  F:  Ure 
i'ifilSt  CD,  öre  AV«|fMl  PVLMA.  Bill,  to 
■nveifiii  6'dyT(taiix&Ti:  to  nvtv{iy üvx.  FCD.  Bill., 
«PTtiori / !; ri  de  to  nrtvu«  PVLMA.  31  rön- 
PVLMA  eXatutpey  Bill,  owrefiovact  F  rov  Koauov 


sul)iutnnlurtiis  Bpiritas  (30)  et  Christus  pertulit 
carnean  learne  oder  in  carnemV)  procedens  ex 
ex  virgine,  (81)  tunc  resplenduit  castitas  adbre- 
viiins  nninduni  soluni.  (uorov?)  (:>2)  ibi  tninsinu- 
t.iri  oportet  com  Christo  ascendentibue,  i-*>:>>)  bene 
iter  agens,  virgo,  in  montem  salvani  te  fac, 
(84)  non  ad  Sodommn  eoarteria,  ne  congelescaa 

in  statiiiiin  Balis.  (85)  non  valde  terreat  te  Carnii 
natura.  l-!6)  nee  multum  rursum  praesumas,  ut 
possifl  aliquando  dissorri.  (87)  Bcintilla  accendit 
eannetum,  extinguit  autem  flammaa  aqua.  (88)  lia- 

fjtrteturoiaa  i.e.  properans  ad  ornatum.  -!2  8* 
um.  LM.  Aace  awuvt'k&ovti  Bill.    33  et  34  laudai 

( 'osmux:  (cv(«Jiu£ov  C.  «Vw  aw£ov  Bill.  -oSa/*'  ü:io- 

ßXe'ipfis  FCD.  Bill,  (not  Comas  etc.)  cf.  2,  2,  58 

,w»/')f  .  .  eis  XoiofUt  ß'keibttug,  titei  "kiSog  tdlpa  ni<- 
yqOfl  .i'TJjAjj  xui  xnxir^g.  et  2,  6,  59  ftrj  lifrog  nnytjs 
ülog.  35  fiijdf  . .  urjde  FCD.  Bill.  jur,ie  .  .  /urje 
ceteri  ij  g>.  ixyoß.  FCD  et  (tfitpoß.)  Bill. :  tx<foß. 
ifvaig,  om.  r\,  J'VLMA.  36  dctQon'orjg  F  nott 
PVLMA  w'ffi'  ennTy  D  exnXij&r^ut  1),  exnkr- 
!)7ltxa  C,  exnXavtj&yai  Bill.  37  cf.  2,  2,  66  Ei 
lo'tuteig.  xakdfirty  ariivSijQ  öri  TvrSog  dttnixn, 
(■)i<oon.  o'ußyog  d'vio&tv  xuTU\p\£n  iflöyit  notärjv 
aßit'fiat  V  FCD.  V :  afrwin  de  PIjMA.  38  rr«(;- 
&nti«g  Bill.  39  40  äyffvrtvtat  CD  itooatv/«!  FCI). 


405 


40  dyQvnvia  jcoootvxcd  j   dä/.Qva  yauEiria, 

"Eocug  bXog  ngög  itedv      yrrtoltog  TEra/xtvog 
42  Ttävra  v.oiut'Ccov  7t6&ov      dX?>6iQiov  riov  dvw. 

'0  ;cegv)v  fiye/Qto&to,   !   6  vavayüv  ?X££i'oit(o, 
44  ov  d'evnXoei,  %6  'lon'or      ,\Exäoaoa  Tr^g  Ihridoq. 

Ov  ziov  y.arv)  r6  nutzet*,      tiäw  ö'dpco  (pegoiitviov 
46  oXiyot    iieooqqvovoiv,      oi  rrXeiovg  <V  Evdgouoiotv. 

lireaev  hüHHpoQog,      dlX  ovgavog  dyyi'Xiov 
48  'lotdag  r\v  7rqoö6xrlg,      oi  d1  l'rde/.u  Xau7rxttQ£g. 

Mörov  oArjV  OEauxrji'      dyvr^v  xjJqei,  7iaot}tv£, 
50  fit]   ,ior  öv7iioorjg   Xgioxov   \   xov  aoniXov  yixwvu. 

Ouua  oov  (JojfpQorEuiu,      yXcZooa  7iag<JEV£vixoj' 
')'!   urj   volg  7ioqvevoi,   urj  ytXwg,      ui]   rtovg  äxa/.xa  ßaivoir 

Trtv  rrivagdv  oxoXi\v  oov  |  v.ai  xr)v  avyu^gdv  -/.6urtv 
~>\  iiaXXov  aidotuai  uagydgvjv      v.ai  xi\g  —ijgöjv  Evy.oof.iiag. 

KuXov  dvfrog  7)   alöcug  |   xai  utyag  xoOftog  loygöi  i^ 
56  v.ai   7iXty(.ia  xaXov  7idoaig      doETaig  oiE(farovoi}ai. 
'^fXXi;  yinouaoiv  Ei/.öva      xr)v   Veov  voÖevetio, 


Urs  ( haben«  LFF>   multa   inedicanuna  pudicae 

virginitatis.  (89)  tinior  dei te  COrroboret,  itrinnia 
"vacuent,  (40)  congruae  atqnfl  aptM  |  /'l  rigi- 
liae,  lacrimae,  cnfaile  terrarnm.  (41)  amor  tüii 
~it  ratio  vigilans  (o  "köyog  statt  öäo??i  ad  deam 
apte  disposita  (42)  et  obdormisceiv  tat  dena  amo- 
rem  alieoum.  Bnriam  1 18)  qui  corraiJ  devetur.** 
(44)  tu  autem  bene  uariga  rein  spei  expandena. 
U>)  non  eorum  qui  deorram  sunt  qui  (quod?) 
decidunt:  sed  eorum  qui  raraum  ferontur.  i  l*ii  ad 
qaod  (om,  V)  reliquoram  (aliquorum?)  quidem 
pennae  deflnnnt,  multi  autem  protpere  currunl 
(percurrunt  Ja.    (47)    cecidit    Lueifer:    *r<l   non 

Bill.:  Kai  rtQootix^  V  Ad  (An  w.  2.),  rrpo  $•*«*(")<; 
I'I.MA  nee  xnlutvy'a  FV  Bill.:  gmftfvrltH  CD 
l'LMA.  41  cf.  2,  2,  69  A«/'  yv/i«'  fuU6mrm 
i(ioj(  <$'  ökos  rifiepi  uvuxrtt.  Tolrt  .  .  {puyflccXa. 
oXw?  V  Ttrayfievos  La  in  inrr..  J.h  ;//.  /..  M<i. 
An  in.  /.,  Ae.  43  7tHj«]r  l't'J).  Bill.:  nintwv 
PVLMA  <>  >«i .  sk.  suj>i>I.  i»  marg.  Vtltoiafrm  l>. 
44  <5i  C  ntxä(U<g  F,  ('(vanträauait  V  rrj  sXnt'Jt,  ('. 
''/s'  hs  xt.HaT^y  &niäoe  V.  Aa  m.  rec.  45  cf.  2, 
'_'.  'i7->  hoiov  Aiyouivwv  nfaoftoi'  -linrnv  rtväs  .  . 
rjt  X«juti£t  Miftvetv  duitöiag,  urj  nov  nifQov  eis 
X&fUtt  ofi'OTj.  ninrw  WD  «5/-  /M7..1/.I   u>f  ö"  D 


honio,  angehu  autem  erat  (der  Uebersetzer  las 
tiXX1    avx   avog    statt    <<AA'  ovyavog).     (48)    Judas 

traditot  t'uit.  aadeeim  autem  luminaria.  (49)  to- 
tani  tc  solummodo  castam  nntodit  vir<?o,  (öö  ne 
fnec  7'i  coiaqninel  CrW'  und  tnAniv^  las  der 
Heben.?)  immactüatam  dei  tunicam.  (;")1)  pudicoa 
(impndicos  L)  obtatoij  virginalis  sit  tibi  lingua. 
(52)  ne  mens  fornicans  (=  P),  ne  petulans  rirai, 
aa  pedum  mordinatai  ineetrae.  i-r)3i  magis  in  te 
revereor  laboriosani  vestem  et  siccam  atque  squali- 
ilam  ((iiuam  (54)  quam  gemmarnm  et  siricae  vestis 
ornatinn  f">">)  bonum:  flos  vereeundia  et  magnuä 
decor  est  pallor  (56)  et  ('>»'.  F)  magnam  si  qui- 

(pHjwuh'wv  I'\  46  nkfiois  FCD.  Bill.,  nktinxot 
PVLMA  de  PM.  Lb.  Acde.  47  et  48  landat 
Cosmas:  ,f.  2.  2.  680  —  683.  48  dt  PLMA. 
l'.l  um  7,r  übe  «Xwf  Ma  aavzrjr  PVLMA  dy- 
rtiy  l).  50  wo»  FCD.  Bill.:  w*(  PVLMA 
nirroinfjc  FCD.  Bill.:  artikaiaijs  PVLMA.  öl  oov 
FOD.  ndl.:  aoi  PVLMA.  52  /u^  otV?  cf.  2, 
2,  74—82;  2,  6,  32—36.  nopvfvo,  F,  nofrrii  0 
ndl..  noorttf,  D,  7t6gvos  PVLMA  cf.  2.  6.  35 
xktif  woi  xtiafrw  urfii  no^vfioi  yeXiag.  53  oioXijy 
<rov  FCD  Bill.:  oov  oroXtjv  PVLMA.  55  tjoxpo- 
ri;?   1).     56    naouts  «pfr««f  ortcpavovoftut  FCD. 


406 


58  niva%  8fHftoj[pQ  oiywi1      y.ctTrjyoQog   ctör  tröor. 

2v  (T  r)g  eyetg  euuoQcpiccg      vev.Qovaitio  aoi  ro  nXeiatov 
60  x.dXXei  de  Xdu/te  ilnyjg      r/.  Veov  xooftövpivij. 

"Oipiv  ö*'  (xqqevcov  <pevye,  \  ei  &euig  xcti  oioyqoviov, 
62  jutj  tzov  nX^Sfis  rj  7tXtyyr}g  \  ex  juw/ioi'  rov  BeXiov. 

"OfifiaT'  iiiuaoi  pr]  dovXov,  ]  f.tt]d'  eAxe  Xoyov  Xoyy 
64  .«rj  naqeid  nageiaig  |  didöta)  7taQQ^oi'ar. 

Mrtdev  aoi  xai  rg  yeiaei  j  §vXov  rov  xotraxo/ror, 
66  [trj  ae  BvXov  trjg  £wijg  j  o  ogifg  eifw  ßdXfl. 

Kai  zovio  neiitov,  zrao^eVe'  |  juij  avvoUei  TcgoaraTtj, 
68  Xqiotov  tyovoa  vifjrpiof  j  ^?;AoI  aor  r/]v  dyveiav. 

Tt  fuoi  aaQxag  (pvyoiaa  j  rcgog  aa^x«c  eniacQicprj; 
70  oi;  7/dvreg  ävÖQeg  xr]v  oi\v  !  dnXÖTijta  yioQOvair. 

(l2g  oööov  ev  dxdv&atg,   ■   ovztog  tv  iiolXdig  oiQttf  it 
72  xat  iudvtü  jiovrtqiov  I   nayiötov  ötaßaivetg. 

cO  fjev  iyeiQei  naozdöag,      rj  ö*'  s/ixopiCei  rvfupUn 


dam  (siquidem?)  coronam  plectunt  onirenae  vh- 
tutes  (=  P).  (57)  -adulterent  alii  (P)  coloribus 
irnaginem,  quam  ex  (P)  deo  habent.  (58)  ani- 
mata  ac  depicta  imago  horriliili<  1 1  * i  rst  rcruin 
presentium  accusatrix.  (50)  tibi  vero  etiam  eam 
quam  habe«  pulchritudinem  multum  mortihYari 
necesse  est.  (60)  splendifica  (P)  autem  pulchri- 
tudinem animae  a  deo  adornatac  (P).  (61)  faoiem 
virorum  fuge  si  possibile  est  etiam  castoruni. 
(62)  necubi  vulnereris  uel  ictus  sagicte  (L,  ictus 
agitate  FE;  ictu  sagittae?  BtXinv  =  ßtXovf? 
Webers.)  (63)  non  des  (P)   oculos   oculis.    neque 

Bill.:  nQtrni  nnaai  at  arfcpicvovaca  PVLMA 
(.serf  ttl  äytr.  Ad.,  at  om.  V,  ort(fnvovoi  Ma. 
ort<pavovotv  P.  La.  Mb.  Acde.)  57  äXXrj  FCD. 
Bill.:  u'XXog  ftif  PVLAM  (Mc.  om.  ptv)  tr]v 
ösot  FCD.  Bill.:  rrtv  ix  ,9 toi  PVLMA.  5*  <n- 
yÜv  FCD.  Bill. :  ala/ooS  PVLMA  ;  cf.  2,  %  87 
ttKÖvtg  aio%(>c<i  M(t^Xoovvr\g  nrr)Xai  rt  x«i  or 
laXiovrfs  tXfy%oi.  evoov:  Evictv&ct  La.  Mab.  Aace, 
ivztv&i  Lb  59  ai  PVMA.  La.  60  xäXhi  dt 
Xü/nnt  FCD.  Bill.:  xnXX.og  6t  Xdfingvrl  PVLMA 
{\ct(i.7iQtv£ofttu  Lb).  xoafioifiti't]  FCD.  Bill.:  xoa- 
(xovfiivrig  PVLMA.  61  otptig  Lb.  62  nXy£is  Mb 
y  7iXrjy(uv  D,  rj  nXrjytj  Bill,  ix:  xav  V  RtXiug  C 
[ex  hfXiov  La),  RtXict  Bill.  63  ofjfiai'  ofiuani 
FCD.  Bill.:   o>,u«  t'Sppaai   PVMAL   i«5c  Lb) 


protrahM  yerbis  verlia,  \f<l)  noc  genis  ad  genas 
Bdacism  praestes.  (65)  nihil  tibi  et  gusto  (gastu  F) 
ligni  adiudicati  66)  ne  (adiudicatione  LFJ2  b 
vita  te  serpeiM  forae  emittat.  (67)  illud  etiain 
tibi  persuadere  necesse  est,  virgo,  ne  cui  com- 
maneaa  quaoi  patrono  (68)  Christum  habetosspon- 
suni.  zelatur  etenim  tuam  castitotem-  (69i  quid 
(quod  L)  mihi  carnem  fugienti  ad  carnem  iterum 
retorqueri.  (70)  non  omnes  splendorem  (P)  tuum 
capiunt  (cupiunt  Fl.  (71)  sicut  rosa  in  medio 
«pinarom,  sie  intet  multoa  enutriria  {tqif>iir\ 
(72)  etsupra  dolosos  pertransis  laqueos.  (73)  aliw 

doiUv  FCD.  Bill.:  6iöov  PVLMA  ftrjd'  ilxt 
Xoyov  Xoyio  FCD.  Bill.:  fiij0'  *^*f  Xöyco  X6y»r  V, 
für]  vtXixt  Xoyut  Xoyov  PLMA  cf.  2,  2,  93  "Oft- 
jurern  d'o[Atua(H  (tlayt  Xöym  Xoyov.  2,  6,  33  Mi; 
ro  ßXtntcsÜ«i  rw  ßXintiv  fttjotvi  fiot.  64  naatittt 
:rcc(».  F,  nu(jin  nngiaic  V.  66  ro7<  om.  FD,  tvt 
£vXov  rov  PVLMA.  67  roitut  VMb  nti&ovacc 
CD,  nti&ov  av  Bill,  avvoixti  FCD.  Bill. :  avvoi- 
xf,(jcu  PVLMA  Ttooo-iärTjv  V.  68  £/*'?  CD  aoi  F. 
69  <s(i(>xcc  PVM.  La.  Acde.  cf.2,  2,  103  et  104. 
tptvyovna  CD  £7iior(tiopri  FCD:  iniQ-r(>i(pH£  Bill., 
vnoargiopus  PVLMA.  70  ardfjts  om.  PVLMA 
tinXorrjTu  FCD.  Bill.:  Xaft7iQ6xi]Ttt  PVLMA. 
71  cf.  2,  2,  809.  72  in.  rtov.  FCD.  Bill:  n.t. 
(rede?)  PVLMA  cf.  2,  2,  369.     73  (th  yttp  ey. 


407 


74  aXXog  ylvezai  7tctxi\Q,   \  aXXog  <T  anaig  ditgöcog. 

'Ooov  xaxdv  aöiveg  |  dreXeazoi  TtoXXd/.ig; 
76  oaog  de  trjXog  ovZvyov  j  vXanr^vai  nov  cpiXiav; 

'Ev.&Qtilicu  de  v.ai  naideiaai,   j  eneiz''  aTi/iiao&rjvai 
78  yiai  7ir*odg  dnoXaßeiv  j  xuiv  7toviov  avzidoaeig; 

~ ol  de  (.itqifxva  naoa  j  nqog  Üeov  /uovov  ßXeneiv 
80  rj  ygeia  (T  eaz'  dXtyq  j  [taLa  v.ai  /.tixgd  oxtnrj. 

viqf  y\g  neigav  xal  Xoiozio  \  ngogrjyay'  6  nsigatiov, 
82  Xl&ovg  alziov  elg  ägzovg  |   neiriövza  (.lezaargeipai 

ilv  ur\  noiF  Vv£/.a  /.irjöiv  j  tiov  aioxgiov  ino(.ieivrjg. 
84  ov  xeiQtov  el  7Tezbiviov  \  oyediiog  zgE(foutviov. 

Ol/.  EY-Xelifiei  ooi  Y.aiti>>dxT]g  \  eXaiov    'rioxevoxoiy 
80  Aogal;  oe  i/gtvpEi  Aa&djrEg  |  'HXtav  tv  eg^fit^). 

'Ooag  QexXav  ht  nvgog  |  xat  ÖrjgUüv  cpLyovoav, 
88  TlavXov  fityav  rieiviovta  |  xcri  giyovvza  7rgoitvfxojg, 

a[va  ov  jud&yg,  nagfrtvE,   \  icgog  9eov  /novov  ßXenetv, 
90  og  ev  egr\(.i^  Tgerpsiv      olöe  xai  uigiädag. 

MagaivEzai  to  xdXXog,   |  fj  döSa  nagazgexei' 


enini  erigit  thiihiiiniin.  altem  iungit  sponso  (?); 
(74)  alter  fit  etiam  pater  alter  avus.  (et  add 
inapice  (<"9qh  statt  «.^oiuf  ?j  (75)  quuntum  in  bis 
malum  sit.  imperfecta  frequenter  atque  infruc- 
tuosi  dolores  sunt.  (76)  oonibgiun}  (eoniuguiu'M 
/.rhiM  furori  (sorori  E,  ftirari?)  non  numquam 
iiiiicitias  (77)  enutrire  etiam  hlios  edocere  et 
postea  contemni  (78)  et  amaraa  recipere  dolorum 
retributionea.  (79)  tibi  autem  una  (P)  cogitatio 
est:  deum  semper  (P)  aspicere.  (80)  necessarius 
autem  modictu  rictna  el  parrnlum  operimentam 


(aper.  E).  (81)  per  haec  etiam  Christo  tenta- 
tionem  tentator  etiam  obiecit  (82)  petens  ab 
eminente  in  panes  saxa  converti.  (83)  nunquam 
preter  (propter?)  haec  aliquid  turpe  sustinens. 
(8-4  om.  =  P!  85)  Non  deficiet  tibi  credenti 
cappacü  olei  tui.  (86)  corvus  te  pascet  sicut 
rleliam  in  deserto.  (87)  novi  (P)  Teclam  (fecl- 
h.nn  LFE)  et  ignem  et  a  feris  effugisse.  88  disce 
J9)  Paulum  (paululum  LFE)  prompte  non 
solum  esurientem,  verum  etiam  algentem.  (89)  ad 
deum  tantuni  rirgo   aspice.    (90)  qui  (P)  in  he- 


Ad.  $y«m  F  n  ^txx.  PVLMA:  t  öUxx.  FC, 
4  dt  x.  I)  Pill.  74  d*om.  PVLMA.  76  öaov 
Bill.  6t  FC.  DV.  Hill.:  om.  PLMA  oiCvyov 
FC.  VP.:  oifiyov  D.  LMA  nov  om.  C  yih'ny 
VAc.  Bill. :  (ftliu  FCD.  PLM.  A  ade.  77  *>««' 
i'J>.  P  Lb.  Aa.  Bdl.:  inuru  Fete.  78  ürn'Au- 
ßeiv  D,  unolavut'  Bill.  79  dt  om.  C  nüa«  FD: 
ut're  PVLMA  Bill.:  nüatt  pia  C  fiövov  FCD: 
ritl  PVLMA  Hill.  ef.  r.  89.  bO  cf.  2,  4,  13 
M<i£a  ortt'T,  aoi  xt<i  (JXfnrj  to  (fooriov,  ioi'  FL): 
Axrw  0.  PVL.MA  Bill.  fAi'^ai  C;  V  in  mary. 
SffToc,  qpvfctpa.  81  et  82  laudat  Cosmas  nooGr^yity 
FC:  itQoarjyuyi  r  Cosmas.  PVLMA.  HUI..  tnrr 
yuytvD.  82  nnviortit  Cosm.  FCD.  Bill.  V:  nuvwv- 


tag  P,  7tniw,rt  LMA;  cf.  2,  2,  214  (ttxaiQixptu 
Cosmas.  Aa.  Bill.,  iia&yeipru  CD.  83  pn  no»'  D 
Bill. :  at.r  C,  7ioi'  1,  urt  nojt  PVMAL  (nor'  Lb) 
urjäe  Lb  rt  nÜy  PVLMA  vriofAeyßs  Bill.  84  haue 
rirsiim  halient  FCD.  Bill.:  omittunt  PVLMA. 
ed.  1550  %oi(jujv  ij  C  y  ntrtywy  D.  85  et  86 
laudat  Cosmas  xa/mpixris  D,  xuipdxtjg  PA.  La. 
Mab.  86  oi  6iK&()iipft  V,  tx&yetpfi  Bill.,  ögiipti 
ot  C;  cf.  2,  2,  172.  87  et  88  laudat  Cosmas; 
ef.  2.  2,  190.  »fäf  FCD.  Cosm.  Bill.:  ol6«s 
PVLjMA  &r)oi'  sxifvyovony  FC,  &nQV  i'xrf-tvyov- 
oay  D,  (non  Cosmas).  88.  cf.  2,  2,  202  piyay 
nur.  F  Cosm.:  ioy  peyay  nnv.  C  Bill.,  xov 
uiya  nur.  D,  nur.  jov  ufyav  PVLMA  (Jiyujyru 


408 


92  6  TckovTog  amaxov  öei/sa,  j  xo  SiraaS-ai  <$'  öXiycov. 

2v  de  tov  vrXdvov  KOöfiov  |  rag  OTQoepdg  exqpvyovoa, 
94  elor]X&eg  etg  rd  ayia  j  twv  dyiwv  yeXwoa, 

Kai  aiv  dyyiXoig  xooeueig      rijv  curavozov  xooelav, 
96  y.QEiaaova  xonov  Xa%ovoa      viow  *ai   irvyaziqiov. 

lAXÜ  10  TTCLQiTtVOl    Xqiocov      (.Uvoitb  yQrjyoQovaai 
98   Y.a.1  (paiÖQalg  cor  vv^tpiov  j  öt-Baoite  raig  Xafindoiv, 

"ha  ovveioeX&ovoai      to  KaXXog  tov  rv/urfiov 
100  l'dtje  y.al  uiyrJTe  !  röig  avio  itvocrjQtoig. 


vemo  pascere  milia  honiinum  novit.  (91)  mar- 
cesc-it  pulchritudo,  transcurrit  gloria.  (92)  «livitiae 
infideles  res  sunt,  potestas  ad  modicum  est. 
(93)  tu  autem  miserabili.s  (P)  mundi  deütiai 
(CD)  fugiens  (94)  intra  (P)  in  sancta  sanctorum 
exultans.  (95)  et  cum  angelis  choros  ducens 
(ducesV)  incessabile  tripudiuni.  ('.»»;)  melioreni 
sortita  locum  a  (et  E)  filiis  ei  Bliftbtu.  (97)  sed 

DP.  Lb.  Ma,  Vm.  1.  An  m.  1.  90  b(:  dtos 
VCD.  Bill,  oliiy  P  Mab.  Aar.  92  M  VLMA 
oXiyov  La.  93  nXävov  FCD.  Bill.:  Tarif  troZ 
PVLMA  aigotpag  FPVMA.  Lb.:  r(io<pt'<s  /•"■ 
TQvcpüs  CD.  Bill.  94  tieftet  VCD.  Bill.-. 
ttgtX&e  PVLMA.  $b  xoQfrfis  FCl>:  gwftwme  I 
/ooiians  LMA.  Bill.  P  corr..  /offfvais  P  unti 
COrr.  97  fxintt  VP,  fityfirt  D.  uivoia&t  La. 
juivijrt  Bill.  98  <paid(tüs  D  öi$aa»t  F('I>.  Bill.: 
di/Kj&f-  VP.  Lb.  Ae.  Mam.  1.  Aam.  1,  de/oio-ftt 
La.  Acd.  Mbc.  Ma  corr.  Aa  aorr.  9!>  wfuplm 
FCD.  Bill.:  *>vfi<putyoe  PVLMA.  100  fUmri 
P.    Aa.     Subscriptio   in   V  Uyog   nay'th'ov  na- 

Hymnus  extut  im  cmlidbm  PVLMA.  FCD. 
deinde  in  Ab  =  Vindob.  theol.  19  f.  95;  B  = 
Monac.  216  f.  336;  G  =  Monac.  416  f.  169. 
Exhorlatinnem  sequitur  nullit  tpattO  intn-va'sso 
in  PLMA;  exhortatio  neque  praecedit  neque  se- 
quitur in  Ab.  BG.  Jac.  Tollius  'Insignia  iti- 
tieris  Itidici'  1696  p.  96  primus  ex  codd.  F  et  D 
hymnum  edidit;  cf.  Santen  ad  Terentiamim  <</>. 


o  virgines  Christum  suetinete  vigilantes  (98)  et 
spleiKlitiratissponsumsiiscipite  lampadibus (99) ut 
(et  LFE)  ingredientes  cum  eo  decoreni  thalanii 
(P  100)  vidcatis  et  bin  <|iiae  sursum  sunt  pot- 
>iti>  mi8ceri  mysteriis.  Bxplicit  beati  Qregorii 
Nazanzeni  ail  virginein  L:  explioit  epistolff  G*. 
N.  ad  v.  /•'.  Beatisumi  Gr.  N.  explicii  opus- 
cula    I 

1633,   quem  $xcerptii    MüUach   Gramm.   i>.  71. 

In  'Poetae  ijriuri  rctrrrs  Colon.  Allobr.  1614 
tum.  II  p.  189,  in  7 heeauro  hymn.  Danielis  III 
p.  14  et  in  Änthologia   II'.  Christii  tantummode 

rrrsiis  I  —  14  nlili  9Unt;  cf.  coiliccm  Yiniloh. 
tluoloy.  101  No.  109  et  110  et  94.  Tititli: 
vtit'oe   §9H9qw6{  F.    vfivos  eantyuos   tjtoi   7i(>6<; 

UM  TfXfl  iipr/tit vos  öfiOiog  TW  7lt()l  7l«oftn'i(i<:  < 
vfifos  £o7it(jivo£  ort  n{><)$  to  zsXog  ei()t]/iSyog. 
ovtog  öfiotoc  tu»  ntqi  naQ&ivov.  D;  tov  kvtoi 
i'uroi  iont()tv6q.  ifiidfißoi  (rifiittfißot?)  G,  iifivos 
fantotvöc.  JofoXoyt'a  in!  xoirtjs ;  in  f'ine  Jogo- 
Xoyia:  itnn  in  imlirr  praemiSM  fol.4  Joiokoylu  V . 

uiii  imtio  Iti/Huii  adaeriphtm  est  »(jhttovos ,  de- 
inde  maiusculis  li&teris  xai  nviog  bfioios  seit  nn 
7t(jo  aiTov.  do^okoyia  B  tvg%  vvxreoiitj  Ah. 
Hymnus  ut  prosa  scriptus  e$i  m  PVLMA  {in 
P  venus  punetü  notati  sunt),  nova  Unat  in- 
rijiitur  ab  hemistichio  quoque  in  FC,  «  versibvt 
meis  in  BDG,  Ha  ut  etiam  fines  multorum  he- 
»listicliiorum  puncto  notati  sint. 


409 

YMN02  EZTIEPWÜ2:. 

2s  xal  vvv  evXoyov^iev,  j  Xqigts  fiov  Xoye  9eov, 

(füg  ex  g)(x)Tog  avaqyov  |  xal  7ivev\xa  et;  dvdqyov, 
3  zqittov  cpwzog  elg  ixlav      do^av  d&QoiConevov, 

Og  eXvoag  to.  oxorog,   j  og  VTrsorrjoag  xb  (füg, 

SV  sv  cptüTi  /.tiarjg  zd  nctvia      xal  xi\v  dararov  vXrjv 
6  ozrjOflg  (xoqcpiöv  elg  v.oofxov  [  xal  zr)v  vvv  evxoo~/,iiav, 

Og  voiv  scpwvioag  dvÜQionov  |   Xoyy  %e  xal  ooqtiq 

hxfxnQOTT]xog  xrjg  ava>  j  xal  xarw  #£t£  eixoya, 
9  Iva  (fü)ti  ßXsnrj  to  cpiog  |  xat  ysvrjTai  q><Zg  okov. 

2v  (pojozriqaiv  ovqccvov  \  xatrjvyaaag  noixiXoig, 

av  vvxxa  xal  fjuegav  |  d)Jkr\Xaig  elxeiv  ynlcog 
12  eta^ag  vo\iov  xi\xGiv  ]  döeXq:6zrjTog  xal  (ptXiag. 

Kai  rjj  f.iev  srcavaag  xonovg  |  Trjg  ixolxyioySov  Gaqxög, 

rjj  ö*1  rjyeigag  elg  tqyov  |  xat  Ttqä^etg  tag  aoi  q>lkag, 

%va  xo  axorog  (pvyövteg  |  cpitäaco/uev  elg  -^fjsgav, 
16  T^/xsQav  rrjv  ftrij  vvxzl  j  Tg  azvyvfj  Xvopsvqv. 

2v  /nsv  ßdkoig  sXacpgov      vrrvov  euoig  ßkeg>OQOig, 

wg  pr}  yAwaaa»'  v/uvt^dov  j  £7*  t  ttoAi)  vexQova&at 
19  /u^t'  dvTtffiovov  dyysliov  j  7tXdafua  aov  riavydCeiv. 

2vv  aol  ds  xoittj  evoeßelg  |  evvoiag  szaCszio 

jU*7<$'  ert  rcDv  ^tTraoa)»'      rjtisqag  vv§  sXsy^rj 
22  ju>;d€  Tiaiyvia  wxzog  \  evinvia   'jQoeltü). 

Novg  ds  xal  aw^iazog  öiya  j  ool,  &ei,  nQogfoxkeizio, 

r<£  7vatQL  xal  zot  t'i^  |  xal  tut  dyiift  nvevfjazi, 
25  Hj  zi^irj  doifa  xqdxog  I  elg  zovg  aliovag.   !Afxr\v. 

1    xai    om.   D    $*oC    ,uot>  V.      2    nvtvfia  e{  cibus  omnibus.  yfieyai'  om.  Lb.     17  ßäXXois  DV. 

«vüqx°v    (sc.   nvtvfiaxog)   F  (Poet.):    nytvfiuiog  Mc.  BG,   ßaktis   PL.   Ade.  Mab.     18   ifiptidöv 

üvüqxov    CD,    nvtvfiaros  tafxia   PVLMA  BG.  La.  Ae.  Aa.  m.  1;  P  m.  2.     19  [iiJTt  PL.  Mab. 

8  ^<V  fiittv:    üvüqxov  CD.      5   if   zip    (pu>ii   VB  Aacde,  fiq  6'  V    r\avx^tiv  DAb:  yavxäCoi  FC. 

rd   om.  D  nävta   Ktiajig  D,  ttfajc   dcl.    Christ.  BG.  PVLMAacde.     20  evorßtis  FC.  BG.  Abd: 

7  og:    tig  P.  Mab.  Aa  m.  1:    Ace.      8  tf^v  «Vo>  fvoeßtjg  D,    tvatßtiag  PVLMAace.     21  ju»j<5'  sie 

P.  Ma.  Ace.  Aa.  m.  1.     \)   ß\£nn  G;   ßXinrjTai  FDP,    ,urj6i   n    ceteri   ikiy^oi    B.     23    di   om. 

<pcog  V  öXog  Ab.      10   xairjvyavaag  Lb.     11  av  PLMAcde.   Aa  m.  1.  9-ttü  PLBMAce,    rw   *fw 

om.   PLMA.    habet  FCD.    Ab.   BG.   ijxtiy    G,  Ad   (Aa  m.  2.)     24  rw   ter  om.  PLBMAacde. 

f'ixtjy   P.      12    üSeXcpoTtjTi    D,    icdtX<pixrjg    (piXlag  25   o»  r.  d.   xgdtog   om.    PLBMA  aede   tig  r.  al. 

Christ.     13  to  /niy  D  noXvfx6()(pov  D.     14  ro  «}'  7)  xejp  aitövuiv.  'Jfirji'   V,    vvv    xai  «ei  xai  fig  tovg 

^f  PABM  fig  om.  B  eyya  Ab.     15  cp&äaofj.ti'  D.  aiwvag  tvSv  ultavtuv.  dfitjv  Ab. 
16  versus  delendus  esse  videtur;    adest  in  corfi- 


Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wisa.  XVII.  Bd.  II.  Abth.  53 


Beilage  II. 


Der  alterthümlichen  Formen  wegen  gebe  ich  liier  den  Gesang,  welchen  Pitra 
Analecta  Sacra  I  p.  481  ans  Cod.  Vatican.  771  fol.  183b  gedruckt  hat.  Pitra  be- 
merkt, dass  nach  jeder  Strophe  dieses  Gesanges  ein  Vers  des  118.  Psalmes  ge- 
schrieben sei.  Wenn  auch  die  Formen  (vgl.  oben  Note  zu  S.  346)  sich  mit  Gregor 
von  Nazianz  nicht  vergleichen  lassen,  indem  die  2.  Halbzeile  einen  festen  Tonfall  hat. 
so  herrscht  doch  so  viel  Freiheit,  dass  ich  es  nicht  wagte,  den  Text  aus  metrischen 
Gründen  zu  ändern.     Am  Schlüsse  jeder  Langzeile  steht  in  der  Handschrift:  -^ 


Kai  TtQOTi&etai   6  tipiiog  avavQog   xccl  nqooy.vvovvTeg    \pdXXofxev   tov  dXq>dßr}TOv 
tovzov.    tjx-  y  > 

(DctQlOCÜOl    JlCtqdvOfXOl  • 

novrjQa  eßovXevoavTO' 

oi  qpovelg  tov  o/nogpQOva' 
oxavQio&rjzto  exQavyatov. 
sxovolcog  uax()6ttc/.te' 


ol    ^Qx0VTeS  iEßQtxitov. 

XCCTCC    TOV    OlütrJQOQ' 

Baqaßßäv  iJTrjoavTO' 
tov1  de  eveQytTrjv 
riyovag  Kataga' 


iva2  i^ayoQaar^g'         fxs  zrjg  /.aräqag  tov  avd-Qto;rov. 
drtfiog  t&v  lEßQauov         o%avQio^iu)  e/.Qavya£ov. 
aov  äe  vipiofrtvvog'         ol  7teo6vTeg  dveoTrjoav. 
ß'     'Ev  (xeoio  dv6[iü)V         tov  tov*'  v6f.iov  qwXdfavTcc 
g~iXii)  7tQOorjXcoaav         'lovdaloi  7taodvo[iOi. 
Y^Xov  dvedrjoaro'         Kaidcpag  6  avo/uog' 
ßovXjj5  ov/ußovXevod/uevog'         dveXelv  oe  d&dvaie. 
c'HXoig  7tQoor]XüjfrrJg'         dveg~i7.cr/.E  Kvqie. 
6  6  taig  ocüg  naXa\iaig '         jiXaoTovqyr^oag  tov  dv&QCD7iov. 
QavaTOv  syevow  '         davccTwoag  tov  ftdvctTOv ' 
y.ai  Tovg  T6&veü>Tag'  wg  «£  wivov  dvloTrjaag. 


1  71qos  statt  tov  Pitra. 

2  iv   P. 

3  ex  del.  Pitra;  cf.  Strophe  P. 


4  tov  tov  hat  die  Handschrift. 

5  ßoiXfl  ist  vielleicht  zu  tilgen. 

6  o  Pitra  vgl.  Str.  5,  xai  Hdschr. 


411 


'6 


'lovdag  TqQvrjoocTO'         6  Xyoxrlg  wf.ioX6yt]Oe. 

yv(xvov  dsaoa/AEVog'         xov  xrjv  xxloiv  xoof.tr]oavxa. 

Ktioiq  idovslxo' 7         xal  xdg  TZtxoag  öleqq^e. 

fxrj  (ptqovoa  ßXiTVEiv         xov  ÖEonöxTqv  oxavgovf.iEvov. 

ytoyxy  xrjv  7cXevqov  oov         ol  Ttagdvo/uoi  evv^av. 

avxog  de  xdg  nvhxg'  Tzaoadeioov  dveoj^ag. 

Meoovorjg  ^fxegag-         ovveoxoxaosv  rjXiog. 

fxrj  qpeoojv  bgäv  oe'  hex''  dvo^itov  oxavooi  (.ievov. 

Naov  öiEQQayij  xö 8  opaidoov  xaxanexaofua. 


trtv  xbX\iav  eXiyypv 
BvXoj  TiQoorjlw&rjg' 
6  xcüg  oalg  naXd/uaig' 
0£og  sv  xu)  ouoyyoj- 
xov  iv  yy  dwöoiy 
IliXdxttj  7taotdtüxav  9 
xov  diöovxa  vo{iov' 

CPd7ltO[ACt    SÖt^OJ 

Iva  l  °  igayoodorjg 
2xavQ([)  oe  nqooi\kojaEV 
avxog  di  xd  y.Xei&qcc 


XüJV    OXaVQOVVZOJV    oe,    xvoie' 
dvsBixaxE  XIQIE. 

7iXaoxovQy^oag  xov  dvitoionov. 
xal  yoXr\v  oe  inoxioav. 
n  ozccfioig  dvaßXvoavxa ' 
9         xov  otoxf^a  ol  ävof.wt. 
fir\  qpovEVEiv  xov  öixaiov. 
Exovoliog  fiOXQodvfit. 

ex  xrjg  dovXetag  xov  dv&Qio;iov. 

6  Xaög  6  7taQavo/itog. 

xov  itavdxov  ovvtzoiipag. 


Ta<pr]v  xaxEÖi^W  hxovouog  ttaxQOÜv/ue. 

%va  ex  xov  xaq?ov'         acpaQ7taor]g  xov  avltqionov 
'Yiptültsig  i/rl  gvXov         iv  xqccvioj  ditdvaxE' 
hioo&rioag  xov  itdvaxov         xqj  &avdxoj  oov  hrott. 


&tug  xal  dqp&aooiav' 
(pvjxiCwv  xd  i'ihvtj' 

XoXlJV    OE12    E7X0XL0EV 

xov  avxo'ig  xd  [jdvva- 
Wevdovxai  lEßoaiof 
t]v  ndvxa  xd  e'O-vrj' 
'Qg1*  &sog  olxxiQfxojv 
owoov  xovg  iv  7tioxei 


6  oxavoög  oov  ißXdoxijOE. 
xov  1 1  dvvfxvElv  oe  d&dvaxe. 
b  Xaog  b  nagdvofiog. 
ev  eorifty  d/ußoioavxa. 
xrp  ix  xdcpov  oov  eyeooiv. 
doiyijxojg  öo^d^ofuev. ' s 
xal  qpiXdv&QOJ7tog  xiqie' 
dvvpvovvxag  xd  iid&t]  oov. 


7  töovttTo  Pitra,  söo/ifirut  Hdschr. 

8  tu  ist  verblichen. 

9  idwxav  Pitra. 

10  iv  schrieb  und  ex  tilgte  I'itra;  vgl.  Str.  /\ 


11  xov  tilgte  Pitra. 

12  ae  tilgte  Pitra;  vgl.  Str.  O. 

18  dofftfo/iev,  nicht  do£a£6(jit&<t  Hdschr. 

14  Vielleicht  ^ß. 


53' 


Beilage  HL 


Sechszeilige  Räthsel  in  rythmischen  Hexametern. 

Die  folgenden  Räthsel  sind  bis  jetzt  in  5  bis  8  Handschriften  gefanden  worden. 

B,  codex  Bernensis  (511  saec.  VIII,  eine  Sammelhandschrift,  enthält  auf  Bl.  92 
ein  Inhaltsverzeichnis,  in  welchem  vorkommt:  XVIII  de  olla  de  lucerna  de  sale  de 
mensa  de  calice  de  litteris  (Titel  von  Räthsel  1.  3.  2.  5.  6.  25);  auf  Bll.  73  —  78 
stehen  die  Räthsel:  3,  dessen  Anfang  noch  fehlt,  2.  5.  6.  8.  9.  12.  13.  11.  14.  15. 
17  —  27.  29.  30.  32.  34.  35.  36;  dann  fehlen  Blätter;  auf  Bll.  79  u.  80  steht  ein 
Stück  von  56,  dann  57—60.  62.  61.  Die  Räthsel  4.  7.  10.  16.  28.  31.  33  hat  also 
sicher  der  Schreiber  von  B  weggelassen.1)  Verglichen  von  Hagen  bei  Riese,  von  Usener 
bei  Brandt  und  von  mir. 

Z,,  die  Handschrift  Rep.  I.  4.  74  der  leipziger  Stadtbibliothek  saec.  X,  eine 
Sammlang  antiker  und  frühmittelalterlicher  Gedichte,  enthält  von  Bl.  15  an  die 
Küthsel  1  —  62,  dann  ein  prosaisches  Räthsel  De  ove  und  zum  Schluss  ein  sechs- 
zeiliges  De  vino,  von  ähnlichem  Bau,  wie  die  unseren.  Die  Handschrift  beschrieb 
M.  Haupt  (Ber.  d.  sächs.  Ges.  d.  Wissenschaften  1850  p.  3  u.  Opusc.  I,  286),  er- 
wähnte Riese  Anthol.  IL  p.  LXVII,  und  verglichen  C.  Schenkl,  H.  Zimmern  für 
Brandt  imd  ich.2) 

A,  Handschrift  des  Klosters  Admont  No.  277  saec.  XII,  enthält  vor  den  Origines 
des  Isidor   auf  Bll.  1  —  7  die  Räthsel  1—28.  30.  29.  31  —  62;    dann  das  prosaische 


1)  Die  30  Rubriken  Bl.  19  lCapitulacio  triginta  capitum.  I  qui  natus  fuerit  oitalis  erit. 
II  medioeris  erit.  III  morosus  erit.  bis  XXVIIII  bonus  et  providus  erit.  XXX  neglegentias 
multas  facit.  enthalten  nicht,  wie  Hagen  meint,  den  Kapitelindex  eines  Buches  'de  hominis  vitiis 
et  virtutibus",  sondern  eine  Tabelle  für  die  30  Monatstage  zum  Zwecke  von  Nativitätsbestimmung. 

2)  Vgl.  über  die  Handschrift  noch  L.  Müller  im  Rhein.  Museum  25  S.  453  und  Baehrens 
Poetae  lat.  minores  IV  p.  9.  Den  Werth  des  darin  enthaltenen  Fragmentes  von  Ovids  Metamor- 
phosen III,  131 — 252  hat  Cl.  Hellmuth  nachgewiesen  in  den  Sitzungsberichten  der  Münchener 
Akademie  vom  5.  Mai  1883. 


413 

Räthsel  de  ove  gleich  L;  das  halbpoetische  Räthsel  de  vino  fehlt,  dagegen  folgt  ein 
2.  prosaisches  'Est  res  aliqua  etc.  Die  Handschrift  wurde  verglichen  von  C.  Schenkl 
und  von  mir. 

V,  Handschrift  der  Wiener  Hofbibliothek  No.  67  saec.  XII,  enthält  nach  den 
Origines  des  Isidor  auf  Bll.  168  —  170  die  Räthsel  1—28.  30.  29.  31—62;  dann 
de  ove  gleich  LA;  de  vino  (L)  fehlt  hier  wie  in  A;  den  Schluss  bildet  wie  in  A  das 
prosaische  Räthsel  'Est  res  aliqua.'  Der  Text  ist  abgedruckt  von  Fr.  J.  Mone  in 
seinem  Anzeiger  1839  S.  219 — 229;  verglichen  wurde  die  Handschrift  von  C.  Schenkl, 
von  C.  Wessely  für  Brandt  und  von  J.  Hueiner  für  mich. 

v,  Handschrift  der  Wiener  Hofbibliothek  No.  2285  saec.  XIV,  stimmt  im  Inhalt 
durchaus  mit  V.  Erwähnt  ist  sie  von  Mone,  verglichen  von  Wessely  für  Brandt, 
theilweise  von  Huemer  für  mich. 

Par.,  Riese  Anthol.  1  p.  296  erwähnt  zu  Räthsel  2'.  5.  6  Lesarten  der  pariser 
Handschrift  8071  saec.  X.  fol.  57,  und 

P  Anthol.  2  p.  LXVI  zu  Räthsel  25.  50.  13.  6.  1.  5.  35.  (Bährens  Poetae  IV 
p.  16)  Lesarten  der  pariser  Handschrift  5596  saec.  IX.  fol.  165. 

C  No.  1825  der  Bibliothek  von  Thomas  Phillips  zu  Middlehill,  jetzt  in  Chelten- 
ham,  saec.  XI  enthält  nach  den  Instructionen  des  Commodian,  wie  Prof.  P.  Knoell  in 
Wien  mir  freundlichst  mittheilt,  zunächst  Gedichte:  Adam  et  Eva  cEva  columba'  (Migne 
Patrol.  60  p.  90,  61  p.  1075);  dann  In  aula  S.  Dei  genetricis  Mariae  'Hie  veneranda 
rudis  sacrantur  culmina  templi';  dann  62  lateinische  Räthsel;  dann  Eugenii  Toletani 
'Rex  deus  inmensus'  (Migne  87  p.  359);  ein  Gedicht,  das  beginnt  'Altithronus  sacra 
rutilans  de  sede  supernus'  und  schliesst  'Abluas  ut  noxas  probrosi  sanguinis  ostro. 
Von  den  Räthseln  hat  Knoell  die  3  ersten  abgeschrieben;  es  sind  No.  1.  3.  2 
unserer  Sammlung;  von  den  3  letzten  hat  er  notirt:  De  penna.  De  spongea.  De  speculo 
Nulla  mihi  certum  est.  Nulla  est  peregrina  figura.  Fulgor  inest  intus  divini  syderis 
inaestur.  nihil  ostendit  nisi  quod  viderit  ante.  Dies  letzte  Räthsel  ist  von  Symphosius 
(No.  69 ;  divini  sideris  instar  ebenso  in  der  historia  Apollonii  statt  radianti  luce  corus- 
cans)  und  es  ist  wohl  auch  de  penna  =  Symph.  85  de  perna  und  de  spongea  = 
Symph.  63.  Es  scheinen  also  Räthsel  unserer  Sammlung  und  des  Symphosius  gemischt 
zu  sein,  wie  oben  in  P  (Par.  5596),  wobei  nur  auffallend  ist,  dass  die  Zahl  dieser  ver- 
mischten Räthsel  62  betragen  soll,  genau  so  viel,  als  unsere  Sammlung  allein  zählt. 
Die  Stellung  von  Räthsel  3  vor  2  (=  B)  und  die  Lesarten  in  ll.itlisel  1  —  3  lassen 
eine  Untersuchung  der  Handschrift  wünschenswerth  erscheinen. 

Werth  der  Handschriften. 

Die  Handschriften  BLAV  gehen  auf  eine  verlorene  Handschrift  zurück,  welche 
schon  durch  Fehler,  wie  13,  3  *dum,  34,  3  parvus  in  genere  für  parvo  sim  genere, 
entstellt  war.  Aus  derselben  stammt  B  einerseits,  anderseits  das  verlorene  Original 
von  LAV. 


414 

Die  Berner  Handschrift  (B)  ist  nachlässig  geschrieben ;  das  zeigen  Fehler  der 
Art:  5,  4  turpiter  me  modo  für  turpi  m.  m.;  22,  3  operans  für  oberrans;  32,  5  gravis- 
simum  für  gravis  sum;  dann  ist  der  6.  Vers  von  R.  32  vor  den  4.  gestellt;  besonders 
oft  fehlen  Wörter:  so  11,  5  avis;  20,  3  semel;  26,  3  sublimi;  34,  5  utero;  35,  6  Signa; 
32,  4  hanc  ego  genero;  15,  6  der  ganze  Vers. 

In  dem  verlorenen  Original  von  LAV  stand  nach  R.  62  das  prosaische  Räthsel 
De  ove  <JInum  nomen  nuncupatur  (bei  Mone  gedruckt);  der  Text  war  schon  vielfach 
entstellt;  so  hatte  dasselbe  12,  4  simuUum  für  sejndtum  B;  12,  5  tumor  (L)  oder 
timor  (AV)  für  himulor  B;  19,  3  vale  (LA)  oder  valde  (V)  für  gladio  B;  21,  6  diid- 
tiarum  für  dulce  B;  34,  5  u.  6  doctorem  und  parturientcm  für  dolorem  und  parturioiti  Bi 
35,  5  donentur  für  figantur  B;  60,  3  tninintibu*  für  minnidas  B;  Wörter  fehlten  z.  B. 
20,  5.  41,  5.  43,  6;  schwanken  kann  man  3,  5  zwischen  nullus  (nullum)  me  continget 
von  B  und  nolo  me  contingat  von  LAV. 

Aus  dieser  verlorenen  Handschrift  stammen  einerseits  die  Leipziger,  ander- 
seits das  Original  von  A  V.  L  ist  zwar  an  manchen  Stellen  schlechter  als  das  Original 
von  AV;    z.  ß.  ist  verschrieben  2  Titel  lucerna  für  sale;    24,  3  falsa  für  tensa  BAV; 

29,  1  praelucem  für  praelucens  BAV;   29,  6  diverso  für  rfe  vero  BAV;  weggelassen   ist 

30,  5  w?o  (BAV)  und  14,  5  der  ganze  Vers  (BAV)-,  durch  Verschrei  bring  oder  grobe 
Interpolation  sind  Worte  zugesetzt  in  60,  2;  das  nach  dem  prosaischen  lllithsel 
De  ove  zugesetzte  Räthsel  De  vino  lPulchrior  me  nullus\  welches  nur  in  L  steht,  ist 
zwar  kaum  echt,  zeigt  aber  im  Bau  doch  noch  einiges  Bewusstsein  vom  Bau  der 
echten  Räthsel. 

Das  verlorene  Original  von  AV,  in  welchem  die  Räthselsammlung  in  der  Nähe 
der  Origines  des  Isidor  geschrieben  war,  hatte  nach  dem  ersten  prosaischen  Räthsel 
ein  zweites  prosaisches  lEst  res  aliqua;  dann  war  das  29.  Räthsel  nach  dem  30.  ge- 
setzt. Der  Wortlaut  selbst  war  in  dieser  Handschrift  schon  mehrfach  verdorben. 
So  12,  2  ethor  (A)  oder  et  teror  (V)  für  et  tormenta  BL;  17,  2  extra  (AV)  für  exta  L; 
26,  4  magnari  me  putant  (A)  oder  magnae  reputant  me  (V)  für  ignari  me  putant  BL; 
62,  3  paretur  (A)  oder  queat  (V)  für  conetur  BL.  8,  1  war  zu  7,  6  gezogen  und  der 
Titel  von  8  vor  8,  2  gestellt;  25,  2  war  nos,  46,  3  die  Worte  versa  mihi  pedum 
vice  (L)  weggelassen. 

Die  Admonter  Handschrift  ist  durch  mancherlei  Nachlässigkeiten  entstellt; 
so  12  tit.  urbano  statt  grano  BLV;  36,  3  ßut  verni  statt  aidumni  BLV;  18,  1  fehlt 
maneo  (BLV);  41,  5  ist  efficior  zugesetzt.  Allein  von  dem  sonst  ihr  nahestehenden 
Originale  von  Vv,  das  jetzt  verloren  ist,  trennt  sie  vor  allem  ein  Merkmal.  In  dieser 
Handschrift  waren,  wahrscheinlich  um  quantitirende  Hexameter  (vgl.  38,  6.  40,  (i. 
41,  5.  62,  5)  herzustellen,  die  Wörter  ausserordentlich  oft  umgestellt.  Auch 
sonst  finden  sich  in  Vv  die  Spuren  eines  kecken  und  nicht  ungeschickten  Umarbeiters; 
so  hat  er  z.  B.  12,  6  die  Lücke  von  IjA  richtig  erkannt  und  mit  fruetu  ausgefüllt; 
ebenso  kann  ich  die  mit  B  stimmenden  Lesarten  35,  1  u.  2  commendat  und  honesta 
nur   auf  Conjektur    dieses    Umarbeiters   zurückführen,    da    die   Lesart    commendet   und 


415 

onusta  in  L  und  A  beweist,  dass  schon  die  gemeinsame  Vorlage  von  LAV  diese  Les- 
arten gehabt  hat;  ebenso  steht  es  mit  aduror  19,  4  (BV)  gegen  adustor  (LA).  Von 
den  sonstigen  Fehlern  notire  ich  nur  den  ausgefallenen  Vers  53,  6. 

Die  beiden  Wiener  Handschriften  stehen  sich  ausserordentlich  nahe ;  die  Haupt- 
unterschiede haben  die  Hände  der  Correctoren  geschaifen;  so  hat  10,  6  V  valebit, 
v  auf  Rasur  valet;  13,  1  ist  una  in  V  und  v  zu  uno  gebessert;  50,  1  u.  3  u.  58,  5  hat 
in  v  der  Corrector  das  Richtige  an  den  Rand  geschrieben.  Sonst  halten  sie  sich  die 
Wage:  hat  v  z.  B.  die  schlechteren  Lesarten  in  1,  5  sum  statt  possum;  6,  2  nuros 
statt  mir os ;  7,  1  sequar  statt  sequor;  11,  1  vivo  portans  statt  vivens  porto,  so  hat  dafür 
an  andern  Stellen  V  die  schlechteren  z.  B.  14,  2  annis  superbos  peractis  statt  annisque 
peractis  superbos;  ist  z.  B.  39,  5  propriis  erecia  in  v  umgestellt  zu  erecta  propriis,  so 
ist  es  in  V  noch  verschlechtert  zu  surrecta  propriis.  Eine  glückliche  Conjektur  machte 
der  Schreiber  von  v  in  16,  3  constringo  statt  confrinyo. 

Schon  hieraus  erhellt,  dass  eine  Anzahl  von  Handschriften  verloren  oder  ver- 
schollen ist:  die  gemeinsame  Vorlage  von  B.  LAV,  dann  die  von  LAV,  die  von  AV 
und  die  von  Vv.  Hat  man  überhaupt  die  Gedichte  des  frühen  Mittelalters  bis  jetzt 
wenig  beachtet,  so  konnten  besonders  solche  anonymen  Stücke  leicht  übersehen  werden. 
Desshalb  ist  zu  erwarten,  dass  noch  ein  und  die  andere  Handschrift  auftaucht  und 
die  Verbesserung  des  Textes  ermöglicht.  Das  ist  zu  wfin  sehen ,  da  besonders  die 
Uäthsel,  welche  nur  in  den  Handschriften  LAV  überliefert  sind,  noch  viele  schwierige 
Stellen  bieten.  Ich  habe  die  Lesarten  der  2?erner,  -Leipziger  und  -4dmonter  Hand- 
schrift vollständig  mitgetheilt;  da,  wo  die  Berner  Handschrift  fehlt,  habe  ich  die 
Lesarten  der  Wiener  Handschriften  (Fund  v)  vollständig,  sonst  nur  in  Auswahl  notirt; 
dagegen  habe  ich  die  Umstellungen  der  Wörter,  welche  in  V  und  v  von  Anfang  bis 
l'iiide  äusserst  zahlreich  sich  finden,  fast  nirgends  angegeben,  da  dieselben  nur  müssige 
Erfindungen  dessen  sind,  der  das  Original  von  V  und  v  geschrieben  hat.  Wer  die 
siinimtlichen  Varianten  von  Fund  v  kennen  will,  kann  sie  in  Brandt's  Ausgabe  finde'n. 

Sprachgebrauch.    Ort  und  Zeit  des  Dichters. 

Ausser  Eigenthümlichkeiten,  welche  bei  lateinischen  Schriftstellern  der  spätesten 
Zeit  des  Alterthums  mehr  oder  minder  häufig  begegnen,  wie  z.  B.  patria  =  terra, 
finden  sich  in  diesen  Räthseln  entschiedene  Barbarismen.  Einige  seien  hier  hervor- 
gehoben. 

Von  den  Substantiven  ist  zu  bemerken  R.  1(5  cedria  =  italienisch  cedro;  28  de 
sirico  —  Seidenraupe;  31  nimpha  =  Röhrenbrunnen  mit  Drücker;  5,  6  per  angula; 
19,  6  plurem  lucrum  (?);  34,  1  angusto  alvo ;  36,  2  sub  tcllure.  Ausser  der  sonst  nicht 
seltenen  Comparativbildung  49,  2  maior  a  patre  und  9,  1  senior  ab  aevo  findet  sich 
26,  1  multo  sum  parvulo  parvus  und  57,  3  nulla  mihi  velox  avis  inventa  volatu.  Nullus 
hat  den  Genitiv  nulli  in  22,  2  opes  ego  nulli  quaero,  sed  'confero  eunetis  und  53,  3  eibum 
nulli  quaero;  den  Dativ  nullae  in  5,  5.     Nee  ullus  =  nullus  steht  2,  6.  42,  1.  43,  4. 


416 

nee  umquam  =  numquam  35,  3.  Von  den  Verba  scheint  gebraucht  12,  2  tris- 
tent  =  tristentur;  42,  1  me  durescere  valet  transitiv;  ebenso  44,  5  vilescit. 
In  42,  6  torpescere  pulchros  und  61,  5  pulchrior  torpentem  vultu  non  despicü  scheinen 
die  Stämme  torp  und  turp  verwechselt  zu  sein.  Von  den  Coniunctionen  ist  dum  fast 
überall  für  cum  gesetzt;  29,  5  schein  licet  mit  Indikativ  verbunden  zu  sein.  Post- 
quam  hat  die  Bedeutung  von  postea  und  steht  sogar  am  Ende  des  Satzes,  so  32,  4 
quae  me  coneepit,  hanc  ego  genero  postquam;  vgl.  24,  5.  52,  5.  Et  steht  oft  für  sed. 
Sed  und  nam  stehen  willkürlich  im  Anfang  der  Wörterreihe  oder  später,  nam  hat 
meistens  gar  keine  Bedeutung  wie  9,  5.  14,  5.  16,  3.  23,  2.  39,  2.  40,  6.  51,  I. 
wie  aidem  steht  es  in  19,  4  caesa  vivit  maier,  ego  nam  flamm is  aduror,  ähnlich  17,  5. 
5,  3;  unklar  ist  22,  6  und  24,  1.  Nee  ist  weggelassen  in  55,  5  anima  nee  caro 
nee  cetera  membra,  ebenso  in  41,  6  und  in  59,  5  imber,  ni.c.  pruhia.  glacies  nee  fidgora 
nocent.  Von  den  Präpositionen  ist  In  weggelassen  in  18,  1  u.  2  maneo  silvis  und 
habito  campis.  Infra  steht  wo  man  intra  erwartet;  so  in  53,  1  venter  mihi  nullus. 
infra  praecordia  mdla;  ebenso  8,  4.  19,  1.  36,  5.  52,  3.  Sub  findet  sich  neben  der 
gewöhnlichen  örtlichen  Bedeutung  in  den  Verbindungen  nidlo  sub  pondere  7,  4  u.  24,  •>: 
pondere  sub  magno  60,  4;  multo  sub  numero  54,  1;  nomine  sub  uno  54,  2;  mdla  sub 
arte  61,  3.  De  steht  besonders  bei  den  Ausdrücken  des  Erzeugers  (3,  1.  19,  2.  23,  2. 
38,  1.  50,  1.  51,  1.  52,  1),  dann  ähnlich  ex  (15,  3;  4.  16,  4.  20,  1.  24,  2.  33,  ... 
43,  2;  3.  47,  3);  endlich  in  den  Verbindungen  15,  5  de  meis  fructibus  edit;  44,  4  vacua 
de  luce  referta;  56,  6  teetos  de  peplo. 

Diese  Dinge  sind'  zum  Theil  der  Art,  dass  in  den  Zeiten,  wo  die  lateinische 
Sprache  noch  einigermassen  lebendig  war,  kein  Dichter  sich  dieselben  gestatten  konnte. 
Sie  verweisen  also  die  Entstehung  der  Räthsel  in  das  7.  oder  8.  Jahrhundert.  Die 
von  Brandt  S.  106 — 109  angeführten  Aehnlichkeiten  mit  den  Räthseln  des  Symposius. 
Anselm  und  Tatwin  geben  kein  Licht  für  die  Zeit  unseres  Dichters,  da  nicht  klar  ist, 
wer  Vorbild,  wer  Nachahmer  war.  In  die  Zeit  nach  Justiuiau  weist  die  genauere 
Kenntniss  von  den  Seidenraupen  in  Räthsel  28  und  43. 

Wenn  ich  also  in  der  Abhandlung  über  die  lateinischen  Rythmen  S.  192  die 
rythmischen  Hexameter  in  die  Lombardei  um  700  versetzt  habe,  so  stimmt  damit 
zunächst  die  Sprache  dieser  Räthsel,  dann  aber  auch  der  Inhalt.  Denn  mit  Ausnahme 
der  fruchttragenden  Palme  in  R.  15,  welche  nach  Afrika  (locis  desertis)  zeigt,  passen 
einerseits  die  Erwähnung  von  Schnee  und  Eis  (R.  38.  42.  59),  anderseits  die  genauere 
Schilderung  von  Pflanzen  und  Früchten,  wie  Reben  und  Wein  (R.  13.  50),  Oliven 
R.  14,  der  grossen  Citronen  (cedri)  R.  16,  Senf  R.  26,  Papyrus  R.  27,  Crocus  R.  36, 
süssen  Kastanien  R.  47 ,  sowie  der  Seidenraupen  R.  28  und  43 ,  durchaus  auf  das 
Land  zwischen  den  Alpen  und  der  Küste  von  Genua. 

Ueber  den  Versbau  siehe  oben  S.  278—282. 


417 


Die  Ausgaben. 

Zuerst  druckte  Mone  in  seinem  Anzeiger  für  Kunde  der  teutschen  Vorzeit  VIII, 
1839,  S.  219—229  den  Text  der  wiener  Handschrift  (V)  ab;  dann  notirte  M.  Haupt 
1850  das  Vorkommen  der  Räthsel  in  der  Leipziger  Handschrift  (L);  1869  gab  Riese 
in  der  Anthologia  lat.  I  p.  296  (praef.  p.  XLVI)  den  Text  der  Berner  Handschrift 
nach  der  genauen  Abschrift  H.  Hagen's  und  im  2.  Band  (1870)  p.  LXVI  Nach- 
träge nach  Mones  Abdruck.  1880  veröffentlichte  K.  Sehen  kl  im  2.  Bande  der 
Wiener  Studien  ausgewählte  Lesarten  der  Leipziger,  Admonter  und  Wiener  Hand- 
schriften. 1883  endlich  gab  P.  Brandt  im  Tirocinium  philologum  sodalium  r. 
seminarii  Bonnensis  p.  101  — 133  die  Räthsel  selbst  nach  der  Berner,  Leipziger 
und  den  beiden  Wiener  Handschriften  heraus.  Obwohl  er  die  Ausgabe  mit  Besonnen- 
heit gemacht  und  vielfach  dasselbe  gefunden  hatte  wie  ich,  hielt  ich  doch  die  Ver- 
öffentlichung meiner  Arbeit  für  nützlich.  Die  Berner,  Leipziger  und  Admonter  Hand- 
schriften habe  ich,  Dank  der  Güte  der  Bibliotheksvorstände,  selbst  vergleichen  können ; 
der  Güte  des  Herrn  Dr.  Joh.  Huemer  verdanke  ich  die  Vergleichung  der  Wiener 
Handschrift  No.  67  (V)  und  eines  Theils  von  No.  2285  (v).  Wie  oben  bemerkt, 
gebe  ich  sämmtliche  Lesarten  von  BLA;  die  Lesarten  von  V  sind  fast  stets  gleich 
denen  von  v;  ich  habe  sie,  da  wo  B  erhalten  ist,  nur  in  Auswahl,  sonst  vollständig 
notirt,  doch  fast  niemals  die  ftumrat  zahlreichen  Wortumstellungen. 

De  olla     Ego  nata  duoa      patres  habere  dinoscor; 

prior  semper  manet.      alter  qui  morte  finitur. 
Tertia  me  mater     duram  molleseere  cogit, 
et  tenera  gyro      formam  adeumo  decoram. 
Nulluni  dare  victum  |  frigenti  corpore  possam, 
Galida  sed  eunetis     Balaton  porrigo  pastus. 
2  De  sale     Me  pater  ignitus,  |  ut  nascar,  creat  urendo 
et  pia  defectu  |  me  mater  donat  abiqtte. 
Is,  qui  dura  solvit,  |  hie  me  constringere  cogit. 
nullus  nie  solutum.      ligatum  euneti  requirunt. 
Opem  fero  vivis  J  opemque  reddo  defunetis; 
patria  me  sine      uiiindi  nee  ulla  valebit. 

QUESTIONES  ENIGMATUM  RETHORICAE  ARTIS  L  Incipiunt  questiones  enigmatum 
rethoricae  artis  claro  ordine  dietatae  A  \'r.  [ud  artis  reth.  Vv,  dietante  A)  Enigmata  in  dei 
nomine  Tullii  C,  1  LA(V)P  2  prior  qui  s.  m.  a.  qui  mortem  f.  P  alterque  V  (Brandt)  morte : 
uita  C  3  duram  Endlicher  (in  cataloyo  codd.  Vind.J:  durum  C  dura  LAPV  coget  C  4  giro  APC 
formani  ex  formata  enrr.  L  adsummo  C,  assumo  A  V  formata  summo  figura  P;  cf.  3,  2.  5  nulli  P 
frigente  P  6  calida«  et  A,  calidos  et  iunetis  V  sed  om.  P  porrego  PC  pastos  PC.  2  BLA 
Par.  Atnigtna  9  pott  •?  ponit  BC  (Brandt)  tit.  De  lucerna  L  1  Me  mater  LC  ingenitum  L 
2  Epia  G      defectum  C      mater  me  A      mi  Par.  C    3  His  Par.      duram  Par.      soluet  A  dürfet 

Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVH.  Bd.  II.  Abth.  54 


418 


3  De  lucerna     Me  mater  novellam  j  vetus  de  germine  finxit 

et  in  nullo  patris  |  formata  sumo  figuram. 
Oculi  non  mihi  |  lumen  ostendere  possunt, 
patulo  sed  flauimas  |  ore  produco  coruscas. 
Nolo  me  contingat  |  imber  nee  flamina  venti, 
dum  amica  lucis  |  domi  delector  in  umbris. 

4  De  scamno     Mollibus  horresco  |  semper  eonsistere  locis; 

ungula  nani  mihi      firma,  si  caute  ponatur. 

Nulluni  iter  agens  |  sessorem  dono  lvquiro, 

plures  fero  libens,  |  meo  dum  stabulo  versor. 

Nolo  frena  mihi      mansueto  iuveni  pendas, 

calcibus  et  senem  j  nolo  ne  verberes  ullis. 
5  De  mensa     Pulchra  mater  ego,  |  natos  dum  colligo  multos. 

eunetis  libens  trado,  |  qnidquid  in  pectore  gesto. 

Oscula  nam  mihi  |  priüfl  qui  car»  dederunt, 

vestibus  exutam  j  turpi  me  modo  relinquunt. 

Nullae  sicut  mihi  |  pro  bonis  mala  redduntur; 

quos  lactavi,  nudam  |  pede  per  angula  versant. 
6  De  calice     Nullius  ut  meam  |  lux  Bplam  penetrat  umbram 

et  natura  vili  |  miros  postpono  lapillos. 

Ignem  fero  nascens,  |  natus  ab  igne  fatigor; 

nulla  me  putredo  |  tangit  nee  funera  turbant. 

Pristina  defunetus  |  BOapes   in    forma   lvsurgo 

et  amica  libens      oscula  porrigo  eunetis. 


solue  C  constringire  B  .  coget  Par.  C  4  Noli  C  solutum  ligatum  (de  nomim  wuucvHni  et 
neittrins  generis  genus  masculinum,  feminini  genus  feminin  um  in  aenigmate  adhibetur):  solutum 
legatum  Par.,  solutaiu   ligatam    (leg.  B)  BLA\<  1t )   eunetique  A     6   sine  me   patria  AV 

tine  Par.  mundus  L.  3  (B)LA(V)  Aen.  3  ante  .-'.'  habet  BC  (Brandt)  2  f'ormam  L;  cf.  1,  4 
3  miebi  A  hie  et  ulrique  mei  C  .  .  dire  possunt  codi  '  />'  indpü  possum  C  4  patulos  et  A, 
patulas  et  V  5  nolo  et  contingat  LAVC  (cf.  4,  5):  nullum  et  continget  B,  nullus  et  contingit 
Riese  hyniber  C  flamma  L,  flamine  AV  6  Sum  Riese  delegor  Hagen ;  cf.  30,  4  umbris  V 
(umbra  Brandt),  umbras  BLAC.  4  LA(V)  1  mollibus  Meyer  (Brandt):  mollior  LAV;  cf.  15, 
1.  61,  1.  2  nam  om.  AV  ponitur  L  5  mansuetudo  A  (v)  6  senem  A,  semen  L,  senum  V  ver- 
beres Meyer:  uerberer  LAV  (senex  ..  verberer  Gercke).  5  BLA  Par.  P  1  natus  A  collego 
B  Par.  Ego  mat.  ornata  d.  collego  multus  P  2  Cuctis  B  lib.  tr.  qu.  P V :  tr.  q.  1.  B  Par.  LA 
3  Oscola  B  3 — 6  Oscula  nam  quae  cara  expoliata  uestibus  quos  ego  lactaui  nuda  me  pede  per 
angula  uersant  P  4  turpi  (LAV):  turpiter  B  5  nullae  B  Par.,  nulli  LAV  redd.  m.  p.  l>.? 
reddunt  AV  6  nuda  me  p.  P,  L  m.  1;  nudam  pede  me  V  angula  LVP:  ungula  A,  angulo.s 
B  Par.  6  BLAP  Par.  De  vitro  P  1  nullius  Riese:  nullus  BLAVP  Par.  uti  V  Nulli 
sicut  Hagen  meam :  mea  P,  mequam  L  sola  A  V  Par.,  om.  L.  umbraignem  P  2  post  3  P 
naturali  uili  miri  Par.  bile  P  miror  B  labellus  P  3  ferro  P  faticor  Par.  4  putrido  B 
tegit  L  5  pristinam  defünetis  Par.,  prestinam  P  suspis  B,  suspes  P  formam  P  6  oscola  BP 
porrego  BP  Par.     7   LAfV)  aenigma  equidem  nondam  mteUeesi    1  uisica  A,  L  m.  1      2  uerbere  AV 


419 


7  De  vesica     Teneo  liquenteni,  |  sequor  membrana  celatum: 
verbero  nam  cursu,  j  visu  quem  cernere  vetor. 
Impletur  invisis  |  domus  sed  vacua  rebus 
permanet,  dum  vicem  |  nulluni  sub  pondere  gessi. 
Quae  dum  clausa  fertur,  j  velox  ad  nubila  surgit, 
patefacta  nulluni  j  potest  tenere  liquentem. 
8  De  ovo     Nati  mater  ego,  |  natus  ab  utero  meemii. 

prior  illo  non  sum,  j  semper  qui  mihi  coaevus. 
Virgo  nisi  manens,  numquam  concipere  poesam, 
sed  intacta  meam  |  infra  concipio  prolem. 
Post  si  mihi  venter  |  disruptus  ictu  patescit, 
moricns  viventera  |  sie  possum  fundere  foetuin. 
9  De  mola     Senior  ab  aevo      Eva  sum  senior  ego, 

et  seneetam  gravem  |  nemo  currendo  revincit. 
Vitam  dabo  eunetis,  |  vitam  si  tulero  multis. 
milia  prosterno,  |  manu  dum  verbero  nulluni. 
Satura  nam  victum,  |  ignem  ieiuna  produeo 
et  uno  vagantes  i  possum  conprendere  loco. 

10  De  scala     Singula  si  vivens  |  tinnis  eoiistiten»  plant is. 

viam  me  roganti  |  direetam  ire  negabo. 
Gemina  se  soror  |  meo  si  lateri  iungat, 
coeptuni   valet  iter  |  velox  percurrere  quisquis. 
Caput  pede  mihi  |  nisi  calcaverit  ille, 
manibua  quae  cupit ,     namqoam  contingere  valet. 

11  De  nave     Mortua  maioreni  |  vivens  quam  porfco  laborein. 

dum   iaeeo,  multos  |  servo.  -i  steten»,   paooos. 
Viscera  si  mihi  |  foris  detraeta  patescant, 
vitam  fero  eunetis  |  victumque  confero  multis. 
Bestia  defunetam  |  avisque  nulla  me  mordet 
et  onusta  currens  j  viam  nee  planta  depingo. 


3  sed:  si?  Brandt  4  uiceni  L.  cümihi  .IT  nullo  Brandt  sub:  de  V.  8  BLA(V)  v.  1 
priori  aeniymati  adiun.rit  ei  til.  ante  r.  %  poemi  AV (non  BL)  2  prius  B  que  L  m  2  coauus  AV 
i  coneipire  B  4  intaetam  A  intra  Hagen  5  patiscit  B  6  fundire  fetmn  B  9  BLA  tit.  om. 
A  (Ind)et  V)  1  aeuasuin  L,  euasvm  .1  ictiasi  \'l:  IlcvaV  2  seneeta  AV  3  multos,  i  supra 
0  scripta  A  5  uictu  L  fi  uacantes  BAV,  cauante.s  L  innprehendere  LAV,  conpraehendire  B 
loco  Riese:  locum  BLAV.  10  LA(Y>  tit.  om.  A  (habet  V)  tignifieaniut  scalae,  non  quae 
muro  arbori  etc.  apponuntnr,  $ed  duplicee,  nmu-  sihi  ip$ae  oppomuUur  1  Singula  AV:  singulis  L 
3  se  Meyer  Brandt:  sed  LAV  lateri  Meyer  (Brandt):  latere  LAV,  latera  Schenkt  5  Caput 
pede  mihi  Meyer:  subito  pedem  mihi  l-A  \\  subito  pede  nie  Brandt  (me  pede  poscit  rythmus) 
6  qui  A  capit  Schenkt  r. irrigere  A  V.  11  BLA  mtrr  13  et  14  potittm  Ut  in  B  3  viscera  = 
merces  patiscant  B  4  cf.  9,  3  5  bestea  B  defuneta  B,  deeunetis  L  m.  1  auis  om.  B 
quae  B      mordebit  V,  memordit  BL,  momordit  A.     12  BLA      tit.  De  urbano  A  (grano  V)    2  et 

54* 


420 

12  De  grano     Mortem  ego  pater  |  libens  adsumo  pro  natis 

et  tormenta  simul.  |  cara  ne  pignora  tristem. 

Mortuum  me  cuncti  |  gaudent  habere  parentes, 

et  sepultum  nullus  ■  parvo  vel  funere  plangit. 

Vili  subterrena  |  pusillus  tumulor  urna. 

sed  maiore  possum  |  post  mortem  surgere  forma. 
13  De  vite     Uno  fixa  loco      longinquis  porrigo  victum. 

caput  mihi  ferrum  |  secat  et  brachia  truncat. 

Lacrimis  infecta  |  phira  per  vincula  nector, 

simili  damnandos      nece  dum  genero  natos. 

Sed  defuncti  solent  !  ulcisci  liberi  matrem, 

sanguine  dum  fuso  |  lapsis  vestigia  versant. 
14  De  oliva     Nullara  ante  tempus  j  trilustri  genero  prolem 

annisque  peractis  |  superbos  genero  natos. 

Quos  domare  quisquis  |  valet  industria  parvus, 

cum  eos  marinus  |  iunctos  percusserit  imber. 

Aspen  HMD  lenes  |  sie  creant  filii  nepotes, 

tenebris  ut  lucem  |  reddant.  dolori  salutem. 
15  De  palma     Pulchra  semper  comis  |  locis  consisto  desertis, 

ceteris  dum  mihi      cum  lignis  nulla  figura. 

Dulcia  petenti  |  de  corde  poma  produeo 

nullumque  de  ramis      eultori  confero  fruetum. 

Nemo  qui  me  serit,  |  de  meis  fructibus  edit, 

et  amata  eunetis  |  flore  sum  socia  iustis. 
1<>  De  cedria     Me  mater  ut  vivara,  |  spinis  enutrit  iniquis, 

faciat  ut  dulcem,  |  inter  acumina  servat. 

Tereti  nam  forma  |  carnem  constringo  rubentem 

et  incisa  nullam  |  dono  de  corpore  guttau i. 

tormenta:  et  hör  A,  et  teror  V  nee  L  tristem  Hauen:  tristent  BAV,  tristant  L  8  parentem^lF 
4  simultura  LA  V  nullis  A  5  tumolor  B,  tumor  L,  timor  A  V  urita  A  6  maiori  LA  V  sur- 
gire  B  forma  om.  LA,  fruetu  V.  13  BLAP  uinia  P  1  Una  f.  lonim  lnnginquos  porrego 
uictos  P      Una  Vm.  1.      porrego  B.     2   ferum   seccat  P     3    infeetam  A      plorat  P      uincla  B 

4  simeli  damnanda  B,  siinile  damnandus  P,  simili  donandos  A  nee  L  natos  P  5  sed:  sique  P 
6  sanguinem  dum  furum  P  lapis  L  uersaret  L.  14  BLA  1  nullam  BV:  nulla  LA  tri- 
lustri vel  trilustre  Meyer,  lustri  B,  inlustrem  L,  illustrem  A  V  2  amnisque  L  3  donare  B  quis 
LA,  quiuis  V  parvus  Hagen:  paruos  BLAV  4  iunctos  Brandt:  iunetus  LAV,  iunetis  11 
F>  asperrimam  lenes  B  lenis  AV  filio  (o  erasa)  B  in  L  deest  5  versus,  cuius  loco  leguntur 
verba  Tenebris  ut  lucem  reddant  Herum  in  sequenti  versu  scripta.  6  dolori  Biese:  doloris  BLV, 
odoris  A.    15    BLA     2   ceteris  s.  I.  m.  1.  B    3  patenti  L    4  eultore  B,   nullo   et  eultore   Biese 

5  de  meis  BV,  meis  de  L,  de  om.  A  aedit  L  6  versum  om.  B  amita  A.  16  LAfVJ  cedri 
nee  pix  nee  fruetus  ullus  signifieari  potest;  significari  »ulii  videtw  pomum  citri  (citriae),  quod 
Itali  cedro  vocant;  cf.  Bapt.  Ferrarius,  Hesperides,  1646,  tab.  59 — 63.  73.     1  versum  priori  aenig- 


421 


Mellea  cum  mihi  |  sit  sine  sanguine  caro, 
acidum  eructant  |  exta  reclusa  saporem. 

17  De  cribro     Patulo  sum  semper  |  ore  nee  labia  iungo. 

incitor  ad  cursum  |  frequenti  verbere  tactus. 
Exta  mihi  nulla;   J  mann  si  forte  ponantur, 
quassa  mitto  currens,  |  minuto  vulnere  rupta. 
Meliora  eunetis,  |  mihi  nam  vilia  servans; 
vaeuumque  bonis  |  inanem  euneti  relinquunt. 

18  De  scopa     Florigeras»  fero  i  comas,  dum  maneo  silvis, 

et  honesto  vivo  |  modo,  dum  habito  campis. 
Turpius  me  nulla      domi  vernacula  servit, 
et  redaeta  vili      solo  depono  capillos. 
Cuncti  per  horrenda  |  me  terrae  pulvere  iaetant, 
sed  amoena  domus  |  sine  me  nulla  videtur. 
19  De  pice     Dissimilem  eibi  |  me  mater  coneipit  infra. 
et  nullo  virili  |  creta  de  semine  fundor. 
Dum  nascor  sponte,  |  gladio  divellor  a  ventre; 
caesa  vivit  mater,  |  ego  nun  flammis  aduror. 
Null  um  clara  manens  |  possum  concedere  quaestum, 
plurem  fero  lucrum,  [  nigro  si  corpore  mutor. 
20  De  melle     Lucida  de  domo  |  lapsus  diffundor  ubique, 
et  quali  tlimissus  |  modo,  non  invenit  ullus. 
Bisque  natus  inde  |  semel  in  utero  cretus. 
qualis  in  coneeptu,  |  talis  in  partu  renascor. 
Milia  me  quaerunt,      alos  sed  invenit  una 
iiureamque  mihi  |  domum  depingit  ab  ore. 
21  De  apibus     Masculus  ijui  nun  sinn,  |  sed  neque  femina,  coniux 
tilios  ignoto  |  patri  parturio  lnul 


mati  adiunxit  A  (non  V)  enutrit  V,  nutrit  LA  3  teretinam  LAV  forma  Brandt:  f'ormam 
LAV  carnem  Meyer:  ceratam  LAV,  ceram  Brandt  constringo  v:  confringo  IjAV  4  incisam  A 
6  acidum  et  reclusa  Meyer:  acetum  et  clausa  LAV  extra  AV;  exta  sed  Brandt.  17  BLA 
i  a<l:    in  LA      cursu   L      tactus:    ictus  L     3  extat  B,   extra  A      nullam  A      nianus  Bücheier 

4  quassa  mitto    Meyer:    quas    (quos    V)  amitto  BLAV      rupta    Meyer:    ruptus    BLV,    ruetus  A 

5  servo?  6  inane  B.  18  BLA  scupa  B  1  gero  B  maneo  om.  A  (non  V)  2  honesto: 
habito  A  3  seruis  L  4  et  om.  B  uile  B  5  horrendam  A  in  corr.  terra  B  per  horrendam 
me  terra  in  Hagen  puluire  B,  pulveraV  6  amenta  A  19  BLjA  coneepit  BL  intra  Hagen 
2  uirile  B  creata  B  3  Quae  dum?  nascor  om.  A  (non  V)  gladio:  uale  LA  (ualde  V) 
Dum  nascor  gladio  sponte  (contra  ri/lhmi/in)  liriunlt  a  matre  Hagen  4  aduror  BV,  adustor  LA 
5  concedire  B,  concere  X  6  plurimum  f.  lugrum  B;  lucrum;  Plurem  f.  quaestum?  cf.  24,  1.  3 
nigrum  LA  muto  L.  20  BLA  1  lapsu  V  3  idem  V  (ed.  Mone);  rede?  semel  in  om.  B 
4  concoeptu  X,  coneepto  B  parto  B  5  aus  IjA,  alis  s.  I.  m.  1.  B  sed  om.  LAV  21  BLA 
1  mascolus  B      qui  Hagen  (q:   B),  que  AV,   quoque  L    2  fillos  L      patre  B     3  tantum  BLAV 


422 


Uberibus  prolera  j  nullis  enutrio  tantam; 
quos  ab  ore  cretos  |  nulla  de  venere  sumpsi. 
Nomen  quibus  unum  |  natisque  conpar  iraago, 
meos  inter  cibos      dulci  conplector  amore. 
22  De  ove     Exigua  mihi  j  virtus,  sed  magna  facultas; 
opes  ego  nulli  |  quaero,  sed  confero  cunctis. 
Modicos  oberrans  j  cibos  egeua  requiro 
et  ieiuna  saepe  |  cogor  exsolvere  censum. 
Nullus  sine  meo  |  mortalis  corpore  constat 
pauperaque  murtum      ipsos  nam  munero  reges. 
23  De  igne     Durus  mihi  pater,  j  dura  me  generat  mater; 
verbere  nam   multo      huius  de  viscere  fundor. 
Modica  prolatus  |  feror  a  ventre  figura, 
sed  adulto  mihi      datur  inmensa  potestas. 
Durum  ego  patrem  |  duramque  mollio  matrem, 
et  quae  vitam  cunctis,  j  haec  mihi  funera  praestat. 
Lucrum  viva  manens  |  toti  nam  confero  mundo 
et  defuncta  niiruin      praesto  de  corpore  qnaestam. 
Vestibus  exuta      multoque  vinculo  tensa, 
gladio  sie  mihi  ,  deseeta  viscera  pendent. 
Manibus  me  postquam  |  reges  et  visu  niirantur, 
miliaque  porto  ;  nullo  eab  pondere  mult;i. 

25  De  litteris     Nascimur  albenti  |  loco  sed  nigrae  sorores; 
tres  unito  simul  j  nos  creant  ictu  parentee. 
Multimoda  nobis  j  facies  et  nomina  multa 
meritumque  dispar  |  vox  et  diversa  sonandi. 
Nuniquam  sine  nostra  |  nos  domo  detinet  ullus, 
nee  una  responsum  |  dat  sine  pari  roganti. 

26  De  sinapi     Me  si  visu  quaeras,      multo  sum  parvulo  parvus. 
sed  nemo  maiorum      mentia  astutia  vincit. 


24  De  membrana 


4  cretuö  LAV  nullo  de  uentre  (o  ex  am?  corr.  B)  BLAV;  sumsi  B\  n.  d.  viscere  8.  Brandt. 
n.  d.  ventre  resumsi  Biiclirhr.  nulla  de  venere  H.Hagen.  6  me  LAV  dulce  B,  diuitiarum  LA  V. 
22  BLA  2  nullius  AV  3  operans  contra  ri/thmxm  B  aegena  BL  4  sepem  A  exsoluire  B 
6  ante  3  jNttttd  Kiese  pauperaque  V,  paupera  quem  B,  pauper  atque  L  (Brandt),  pauperamque  A, 
pauper  ego  Hagen.  23  BLA  tit.  ante  22,  6  in  A  (non  in  V)  1  igni  7;  Durum  LA  (non  Vj 
germinat  L.  2  uerbera  li  uiscire  B,  uiscera  L  3  figuras  L  4  mensa  A  facultas  V.  24  BLA 
1  lugrum  B  viva  Biese:  uita  LV  rede  =  in  vitaV  cf.  18,  1,  uitam  BA  uianes  L  toto  L. 
tota  AV  3  tensa:  falsa  L  4  defeeta  A  pandent  A  5  vers.  ante  1  posuit  Riese  uiso  B, 
uisum  A.  25  BLAP  tit.  post  25,  1  ponit  A  1  albenti  loco  Meyer,  Brandt:  albentibus  locis 
BLAP      sororis  P    2  uniti  V,  uno  A      nos  om.  AV      icto  B     3   et  4  om.  P      multa  moda  A 

5  detenet  B  6  pari:  p  P.  26  BLA  tit.  om.  L  1  paruolo  paruus  B;  cf.  57,  3  2  astucia  B 
8  sublimi   om.  B       umnro  B,   humore  A     4   magnari    me   A ;    magnae    reputant   me  V     6   corde 


423 


27  De  papiro 


Cum  feror  sublimi 
sirnplicem  ignari  | 
Verbere  correptus 
protinus  occultum 
Amnibus  delector  | 
et  producta  levi  I 


[  parentis  huruero  vectus, 
me  putant  esse  natura. 
|  saepe  si  giro  fatigor, 
|  produco  cordis  saporem. 

molli  sub  cespite  cretus 
natus  columna  viresco. 


28  De  sirico 


29  De  speculo 


efferunt  et  reges 
Uterum  si   mihi 
proprio«  volenti 
Talis  ego  mater  I 
sed  petenti  vanas 


30  De  piscibut- 


Vestibus  sub  meis  j  non  queo  cernere  solem, 
alieno  tactus  |  possum  producere  lumen. 
Filius  profundi   |  dum  fio  lucis  amicus, 
sie  quae  vitam  dedit  j  mater  et  lumina  tollit. 
Arbor  una  mihi  |  vilem  quae  conferet  escam, 
qua  repleta  parva  j  vellera  magna  produco. 
Exiguos  conlapsa  |  foetos  pro  munere  fundo 
et  ales  effeeta  |  mortem  adsumo  libenter. 
Nobili  perfeetam      forma  me  Caesares  ulnis 
iniia  sapraque  mirantur. 
praelucens  texerit  umbra, 
devota  porrigo  vultus. 
I  vivos  non  genero  natos, 
ditfundo  visu  üguras. 
Exiguos  licet  I  mentita  profero  foetos, 
sed  de  vero  suas  |  videnti  dirigo  formas. 
Nullo  firmo  loco  |  manens  consistere  possum 
et  vagando  vivens  |  nolo  conspicere  quemquam. 
Vita  mihi  mors  est,  |  mortem  pro  vita  requiro 
et  volanti  domo  |  semper  amica  delector. 
Numquam  ego  leeto      rolo  iacere  tepenti, 
sed  vitale  mihi  |  torum  sub  frigora  condo. 


Brandt.  27  BLA  1  omnibus  A  cispite  B  2  leue  H  mrdiaoo  B  8  non  queo  L,  non  quero 
AV,  nequeo  B  cernire  B  4  tactus  Schenkt:  tectus  B,  testis  LAV;  aliena  tectus  Riese  pro- 
ducire  B  5  filios  B  prof'undo  Hagen  tior  B  (Brandt),  tigor  AV,  fio,  litera  post  o  erasa,  L 
(>  que  AV,  qui  BL.  28  LA  V)  serico  AV;  hoc  nomine  gen.  fem.  non  potest  non  sif/ni/icari 
liovibi/.r.  1  qui  L  conferat  V  (Brandt  |  S  parva  Meyer,  paruus  L,  paruis  A  V  (Brandt)  uellere  A 
produco  uellera  magna  V,  recte?  3  exiguus  LA  V  4  et  talis  V  5  perfeetam  Meyer  (Brandt), 
perf'ectus  LAV  formam  AV  0  etfertur  A  infem  L.  29  BLA  Aen.  29  post  30  ponant  AV 
(non  BL)  1  Utur  si  L  praelucem  L  ambram  AV  2  uolente  B  porrego  B  3  Tales  LV 
(Brandt)  5  Exiguus  LA  {non  V)  nuntia  L  faetos  B  6  Sed  diuerso  L.  30  BLA  praecedit 
aen.  28,  seipuitur  29  in  AV  pisce  L  (BrdneV)  1  Brno  LAV,  firmusV,  firma  B  (Brandt)  con- 
sistire  B  2  uacando  LA  V  nolo  Brandt  (Meyer) '.  nollo  B,  nulluni  LAV  conspicire  B  quae- 
que  AV  3  est  et  BLA  V,  et  (/(•/.  Riese  4  uoluenti  LA  V  (Brandt)  5  volo  om.  L,  uolo  lecto  A 
6  sed  om.  L  uictale,  c  deleta  B ;  vitalem  Sagen  bhorom  AV  frigora  LA,  figura  B,  frigore  V. 
31  LA(V)     De  nimfa  L,  DesiphoneV  Brandt;  nomine 'mmpha!  aiphohem  rignifieari  puto   2  ebrium 


424 

31  De  nympha     Ore  mihi  nulla  |  petenti  pocula  dantur, 

ebrius  nee  nulluni      reddo  post  inde  fluorem. 
Versa  mihi  datur  [  vice  bibendi  facultas 
et  vacuo  ventri      potus  ab  inia  defertur. 
Pollice  depresso  j  coneeptas  denego  limphas 
et  sublato  rursum  |  diffusos  confero  nimbos. 
32  De  spongia     Dissimilem  sibi  |  dat  mihi  mater  figuram: 

caro  nulla  mihi,  |  sed  f  viscera  vacua  latebris. 
Sumere  nil  possum,      si  non  absorbuero  matrem, 
et  quae  me  coneepit,  |  hanc  ego  genero  postquam. 
Manu  capta  levis,  |  gravis  sum  manu  dimis-a. 
et  quem  suni|)si  libens,  |  mox  cogor  reddere  sumptum. 
33  De  viola     Parvula  dum  nascor,  j  minor  effeeta  senesco 
et  eunetas  praecedo  I  maiori  veste  sorores. 
Extremos  ad  brumae  j  me  prima  confero  menses 
et  amoena  eunetis      verni  iam  tempora  monstro. 
Me  reddet  inlustrem  |  parvo  de  corpore  .sumptus 
et  viam  quaerendi  |  docet,  qui  nulli  videtur. 

34  De  rosa     Pulchram  in  angusto  |  me  mater  coueipit  alvo 

et  hirsuta  barbis  |  quinque  conplectitur  ulnis. 
Quae  licet  parentum  |  parvo  sim  genere  sumpfet, 
honor  quoque  mihi  |  concessus  fertur  ubique. 
Utero  cum  nascor,  |  matri  rependo  decorem 
et  parturienti  j  null  um  iufligo  dolorem. 

35  De  lilio     Nos  pater  oecultus      conmendat  patulae  matri 

et  mater  honesta  |  confixos  porrigit  hnota. 
Vivere  nee  omqnam      ralemna  tempore  longo 
et  leviter  tactos      ineurvat  aegra  senectus. 
Oscula  si   nobis  |  causa  figantur  amoris, 
reddimus  candentes      ngna  tiaventia  labris. 

nee  ullum  .  .  fluore  Schenkt  4  imo  V  5  pollice  L,  police  A,  poblice  V  6  diffuso  A  V  nymbos  A 
32  BLA  spungia  B  1  pater  LAV  2  sed  menibra  vacua V  vaga  Hagen,  vasta  Riese,  cava 
Schenkl;  sed  del.?  Brandt;  conferunt  Symphosii  63,  2  Viscera  tota  tument  patulis  diffusa  cavernis 
3  sumire  B  nihil  BLA  mater  L  4  hanc  ego  genero  om.  B  5  gravissiinum  B  deraissa  BA  V 
6  quem  Meyer,  quae  BLA  V  sumsi  B  reddire  sumptum  B.  33  LA(  V).  3  Ad  extremos  V 
prima  Meyer :  primo  LA  V  mensis  LA,  mense  V  4  uinetis  L  5  reddit  V  6  qui  (sumptus  V ) : 
qua  Schenkl,  quae  (via)?  34  BLA  1  pulchram  Meyer  Brandt:  pulchra  BLAV  coneepit  B 
conc.  mater  A  2  irsuta  A  3  parvo  sim  Hagen,  parvus  in  BLA  V  sumta  B  4  fertor  B  5  utero 
om.  B  dum  AV  doctorem  LAV  6  parturientem  LAV  nullo  B.  35  BLAP  de  liliis  Brandt 
1  commendet  LA  (non  V)  patola  matre  P  2  onusta  LA  (non  V)  confixos  Meyer  Brandt:  con- 
fixus  LAPV,  coniux  B  porregit  BP  3  uiuire  B  tempora  longa  P  4  in  B  vers.  6  ante  4 
positua  est.      leviter  et  ?     tactus  B    5  oscola  B     causa  figantur  B :  causa  donentur  A  V,  donentur 


425 


37  De  pipere 


38  De  glacie 


39  De  hedera 


36  De  croco     Parvulus  aestivas  |  latens  abseondor  in  umbras 
et  sepulto  mihi  |  membra  sub  tellure  vivunt. 
Frigidas  auturani  j  libens  adsuesco  pruinas 
et  bruma  propinqua  |  miros  sie  profero  flores. 
Pulchra  mihi  domus      manet,  sed  pulchrior  infra 
modicus  in  forma      clausus  aromata  vinco. 
Pereger  externas      vinetus  perambvilo  terrae 
frigidus  et  tactu  |  praesto  sumenti  calorem. 
Nulla  mihi  virtus,      sospes  si  mansero  semper; 
vegeo  nam  caesus,  |  confractus  valeo  multum. 
Mordeo  mordentem,  |  morsu  nee  vulnero  dentum. 
lapis  mihi  finis,      sinml  defectio  lignum. 
Corpore  formata  |  pleno  de  parvulo  patre, 
nee  a  matre  feror,  |  nisi  feratur  et  ipsa. 
Nasci  vetor  ego  |  nisi  *genito  patre 
et  creata  rursus  \  ego  coneipio  matrem. 
Hieme  coneeptos  |  pendens  *servo  parentes 
et  aestivo  rursus  j   ignibus  trado  coquendos. 
Arbor  mihi  pater,  |  mim  et  lapidea  mater; 
corpore  nam  mollis  |  duros  disrumpo  parentes. 
Aestas  me  nee  ulla,  |  nee  ulla  frigora  vineunt. 
bruma  color  unus  |  vernoque  siinui  et  aestu. 
Propras  ereeta  |  vetor  consistere  plantis, 
manibus  sed  alta  |  peto  cacumina  torti>. 
Vinculis  extensa  |  multos  conprendo  vagantes 
et  soluta  nullum  |  queo  eonprendere  pustum. 
Venter  mihi  nullus,  |  quo  possint  capta  reponi, 
sed  multa  pro  membris  ,   formantur  ora  tenendi. 
Opes  mihi  non  sunt,  j  sursum  sed  pendor  ad  aorae. 
nam  fortan*  mihi      manet,  si  tensa  dimittor. 

causa  L  amori  AV  Osculum  in  nol>is  fenmtor  oaoHM  amorei  P  (i  reddemus  P,  sed  red- 
dimus  AV  signa  om.  B  in  labris  P  36  JiLA  1  parvolus  B  2  sepultum  LAV  tellore  B 
tollere  L  'S  autumni :  uut  uerni  A  (tum  V)  pruinas:  brumas  B  4  brumae  codd.;  propinquam  AV; 
bruma  aut  propinquus3/c//<r;  abtat,  seil,  aetate  Brandt  5  iatra  Kagtn  6  modicus  LA  V,  modicosB; 
BMMfiefl  sul>  I.  9  claüsos  B,  clausis  AV.  37  LA(  V)  2  frigidis  A  -\  sospes  om.  V  4  vigeo  V 
•r>  uulnere  A  dentum  Schenkl:  dentem  LAV:  <■/'.  8ymfK>»i*m  de  cepa  (44)  Nemo  timet  morsum, 
dentes  quia  non  habet  ullos.  6  Lapsis  Jj.  38  LA{  V)  formatam  AV  plena  L  (Brandt) 
3  congenita V,  post  gen.  Brandt  4  creata  Biese,  creatam  IjAV  5  coneeptos  V':  concoeptis  L, 
coneeptis  A  conservo  V  6  coquendis  L ;  coquendos  ignibus  apto  V.  39  LA(  V)  edera  LV 
1  pater  manet?  Hpidea  L  2  dirumpo  AV  'S  nee  ulla,  nee  ulla  Mri/er:  n.  u.  ulla  nee  LA, 
n.  u.  dura  nee  Brandt;  Nee  ei  me  ulla  nee  uinc.  fr.  dura  V  4  calor  A  aesto  LAV  5  Surreeta 
propriis  V  (ereeta  pr.  r).  40  LA(V)  1  conprehendo  LA  varantf.s  IjAV  2  conprehendere  LA  V 
Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiw.  XVII.  Bd.  II.  Al.lh.  55 


40    De  muscijuila 


426 


41  De  vento 


Velox  nascens  curro 
deprimo  nam  fortes, 
Os  est  mihi  nullum, 
mordeo  sed  cmictos  I 


grandi  virtute  sonorus; 
|  iniirmos  allevo  sursum. 
|  dente  nee  vulnero  quernquam, 
silvis  campisque  morantes. 


Cernere  me  tiequit  |  quisquam  nee  tendere  vinclis, 
Macedo  nee  Liber  |  vincit  nee  Hercules  umquam. 
42  De  glacie     Arte  nie  nee  ulla  I  valet  durescere  quisquam; 
efficior  dura,  |  multos  quae  facio  mollcs. 
Cuncti  me  solutam      cara  per  oscula  gaudent 
et  nemo  constrietam  !  manu  vel  tangere  cupit. 
Speciem  *mihi  |  pulchram  dat,  riget  et  auetor, 
qui  saevus  f  abire  |  iubet  torpescere  pulchros. 
Innumeros  f  coneipi  amitto  de  nido  volatus 
corpus  et  immensum  |  parvis  adsumo  de  membris. 
Mollibus  de  plumis  |  vestem  contexo  nitentem, 
et  texturae  sonum  |  aure  nee  coneipit  ollus. 
Si  quis  forte  meo  |  videtur  vellere  tectus, 
*  *  *  excussam  |  vestem  reicere  temptat. 
Conspicuum  corpus  |  arte  mirifica  sumpsi; 
multis  cava  modis  j  gemmarum  ordine  nector. 
Publicis  coneepta  |  locis  in  abdita  nascor. 
vacua  de  luce  |  referta  confero  lucrum. 
Nullum  mihi  frigus  j  valet  nee  bruma  vilescit, 
sed  calore  semper  |  mollis  sopita  fatigor. 
Os  est  mihi  patens;  j  crebro  si  tunditur  ictu, 
reddo  libens  omnes  |  escas,  quas  sumpsero  lambens. 


43   De  vermiculis 
siricis  for- 
matis 


44   De  margarita 


45  De  terra 


3  Verter  A  nulus  A  possint  Riese:  possim  LAV  4  firmantur  AV  5  sed:  si  Brandt  tendor? 
6  n.  mihi  f.  remanet  dim.  si  modo  tensa  V.  41  LA(  V)  1  curro  nascens  A  sonorum  L,  sonos  A  V 
2  reprimo  V  relevo  V  3  dentem  A  4  eunetos:  plures  V  5  nequit  Schenkt,  Bücheier:  om.  LAV; 
cernere  nee  quisquam  valet  Brandt  quisquam  efficior  nee  A  ex  42,  1  et  2  quisquam  vinclis 
quoque  neque  tenere  V  tendere  Meyer  (Brandt):  tenere  LAV;  cf.  24,  3  vineula  tensa;  40,  1.  6. 
6  Herculis  LA.  42  LA( V)  Item  de  glacie  LV  1  mea  nulla  L.  m.  1.  decrescere  L  2  quae 
Mone:  qui  LAV  3  id  est  bibunt  4  contristam  A  5  Speciem  qui  mihi?  pulchram  pater  dat 
Bücheier  rigor  V;  rigor  et  äuget  Brandt  6  seuos  V  saevos  havere  Bücheier  cf.62,  5.  43  LA(V) 
sericis  A  1  coneepi  A  V;  In.  ego  mitto  Brandt  2  paruius  A  3  et  vestem  e  plumis  V  4  auro  A, 
auribus  V  5  videtur  Meyer  (Brandt):  uideatur  LAV  textus,  c  super  x,  A  vellere  tectus  om.  L, 
in  margine  &  tectus  L  6  Protinus  suppl.  Meyer,  Brandt  excusam  L  vestem  statim  reic.  V. 
44  LA(V)  tit.  om.  AV  3  concoepta  L  abdito  Brandt  {Meyer)  5  umbra  L  vigescit  Riese; 
vilescit,  seil,  me  ? ;  cf.  42,  1  durescere  6  molli  V  (Brandt).  45  (44  A)  LA(  V)  Brandt :  Hit. 
falsus,  de  mortario  vel  coticulo  conlato  Aldhelmi  pentast.  de  coticulo  (cf.  Plin.  N.  H.  31,  100; 
IsidorlV,  11,  7)'.  1  cf.  patulae  matri  35,  1  si  Meyer:  qui  LAV,  que  Brandt  3  sitim  quoque  V 
sentio:  sitio  L  (Brandt)      nulla  A    5  effeeta  A;  per  miros  effeeta  V    6  quaeque  mihi  gelidum  V. 


427 


Nulla  mihi  fames  |  sitimque  sentio  nullam, 
et  ieiuna  mihi  |  semper  praecordia  restant. 
Omnibus  ad  escam  |  miros  efficio  sapores 
gelidumque  mihi  |  durat  per  secula  corpus. 
46  De  malleo     Una  mihi  toto  |  cervix  pro  corpore  constat 
et  duo  libenter  |  nascuntur  capita  collo. 
Versa  mihi  pedum  ;  vice  dum  capita  currunt, 
lenes  reddo  vias,  !  calle  quas  tero  frequenti. 
Nullus  mihi  comam  |  tondet  nee  pectine  versat ; 
vertice  nitenti   |  plures  per  oscula  gaudent. 
47  De  castanea.     Aspera,  dura  nascor,  |  cute  produeor  a  matre 
et  adulta  crescens  |  leni  circumdor  araictu. 
Sonitum  intaeta  |  magnum  de  ventre  produeo 
et  corrupta  tacens  |  vocem  non  profero  ullam. 
Nullus  in  araore  |  certo  me  diligit  uraquam, 
nudam  nisi  tangat  |  vestemque  tulerit  omnera. 
48     Quattuor  has  ego  |  f  clausa  gerens  figuras, 
pandere  quas  paucis  |  deposcit  ratio  verbis. 
Humida  sum  sicca,  |  subtili  corpore  crassa, 
dulcis  et  amara,  |  duro  gestamine  mollis. 
Dulcis  esse  nulli  |  possum  nee  crescere  iuste, 
nisi  *  amaro  |  duroque  carcere  nascar. 
49  De  pluvia     Mirantibus  eunetis  |  nascens  infligo  querelas; 
efficior  statim  |  maior  a  patre  qui  nascor. 
Me  gaudere  nullus  |  potest,  si  terrae  coaequor; 
superas  me  euneti      laetantur  carpere  vias. 
Improbus  amara  |  diffundo  pocula  totis, 
et  videre  quanti  |  volunt  tantique  refutant. 
50  De  vino     Innnmeris  ego  |  nascor  de  matribus  unus 

genitusque  uiilluiii   I  vivum  relinquo  parentem. 


46  (45  A)  LA{V)  cf.  53;  Brandt:  '///.  malm  de  pistillo  eonl,  8ymposii  87'  2  libenter  =  saepeY 
3  Versa  mihi  pedum  v.  habet  L,  om.  AV  vice  Meyer,  Brandt:  nitae  L  capita  Meyer:  capiti 
LAV,  capite?  Brandt  pedum..  curro  an  pedes..  currunt?  Brandt.  47  (46-4)  LA(V)  2  vigens  V 
3  In  tactu  son.  de  v.  profero  magnum  V  4  et  V,  sed?,  om.  LA  vocem  quoque  prof.  nullam  V 
nee  ullam  prof.  vocem  Brandt  6  et  vestem  V  48  LA(V)  tit.  <t  mumeram  om.  LAV;  de  nuce 
coni.  Meyer,  Brandt  1  has,  eupra  li».  en  istas  V,  enixas  v  sum  clausa  gerens  figuras  Meyer-, 
Quattuor  clausa  gerens  enixas  ego  figuras  Brandt  2  verbis  Meyer,  Bücheier:  bis  L,  lambis  A. 
breuis  V  3  et  (=  etiam)  om.  V  6  nisi  sub  amaro  Meper,  In  amaro  nisi  Brandt  renascar  A. 
49  (47  A)  LA{V)  1  infligo  V,  infligor  LA  quaerelas  L  2  deficior  A,  deficio  V  a  =  quam 
quo  (caelo)?  3  quo  aequor  J>  4  eunetis  A  5  Inprobis  v  in  ras.  6  vol.  quanti  V.  50  (48  A) 
LA{  V)P  De  vinum  P  1  ergo  P,  om.  V  2  et  genitus  V  qui  P  vivum  Riese :  uiuo  P,  uiuentem 
LAV     nullam  vivamV    Meyer      relinco  P,    linquo  V     parentum  P.     3  multae  nascentes  V,   nas- 

55* 


428 

Multa  ine  nascente  |  subportant  vulnera  matres, 
quarum  mihi  mors  est  |  potestas  data  per  omnes. 
Laedere  non  possum,      nie  si  quis  oderit,  umquam 
et  iniqua  reddam  |  me  quoqne  satis  amanti. 
51     Multiplici  veste  |  natus  de  matre  producor 

nee  habere  corpus  |  possum,  si  vestem  amitto. 
Meos,  ubi  nascor,  |  in  ventre  fero  parentes; 
vivo  nam  sepultu«,  |  vitam  et  inde  resumo. 
Superis  eduetus  |  nee  umquam  crescere  possum, 
dum  natura  corpus  |  facit  succedere  plautis. 
52  De  rosa     Mollis  ego  duros  |  de  corde  genero  natos; 

in  coneeptu  numquara  |  amplexu  viri  delector. 
Sed  dum  infra  meis  |  concreseunt  tilii  latebris, 
meum  quisque  nascens  |  disrumpit  vulnere  corpus. 
Postquam  decorato  |  velantes  tegmine  mativm 
saepe  f  diligati  |  frangunt  commune  fortes. 

53  Venter  mihi  nullus,  |  infra  praecordia  nulla. 
tenui  nam  semper  |  feror  in  corpore  siecus. 
Cibum  nulli  quaero,  |  eiborum  milia  servans. 
loco  currens  uno  j  lucrum  ac  confero  damnum. 
Duo  mihi  membra  |  tantum  in  corpore  pendent, 
similemque  gerunt  |  caput  et  planta  figuram. 

54  Duo  generarunt  |  multos  sub  numero  fratres, 
nomine  sub  uno  |  divisos  quisque  naturam. 
Pauper  atque  dives  |  pari  labore  premuntur. 

centem  P  matris  P  4  morte  mihi  pot.  ScMenkl  omnis  P  5  oderam  L  6  me  quoque  Meyer, 
Bücheier:  meoque  LA;  meo  reddam  quoque  V.  51  (49  A)  LA(V)  tit.  om-  LAV;  De  ovo 
Meyer  (cf.  8),  De  cepa  Brandt  1  uestem  A  a  V  3  meos  ubi  Gercke:  meo  subito  LA  V  4  nam- 
que  L  5  deduetus  V;  Utero  produetus?  6  succendere  V  planctis  A.  52  (50  A)  LA(V)  lil. 
om.  L.  Item  de  rosa  V  1  molles  . .  duro  (Brandt)  de  corpore  L  4  hascens  L  disrumpit  vulnere 
Mone:  disrumpo  (dirurapo  AV)  uulnera  LAV  6  diligati  L,  deligati  A,  religati  V  frangant  A 
comne  L  Saepe  delicati  frangunt  acumine  fortes  =  vulnerant  spinis  (cf.  16,  2)  Bücheier;  si 
significatur  frutex  rosae,  ex  quo  spinne  erumpunt,  in  v.  5  velantem  (floribus  et  foliis)  scribendum 
esse  videtur.  53  (51  A)  LA(V)  tit.  om.  LAV;  De  libra  Brandt;  Meyer,  De  pistillo,  de  quo  cf. 
Symposii  aen.  87  Vna  mihi  cervix,  capitum  sed  forma  duorum.  Pro  pedibus  caput  est:  nam  cetera 
corpore  non  sunt.  2  siecus  Brandt:  siecum  LA,  sicco  V  3  quero  L  5  pendent  V,  pendunt  LA 
(Brandt)  6  versum  om.  V.  54  (num.  om.  A)  LA(V)  tit.  om.  LAV;  De  librae  laneibus  Brandt, 
qui  tit.  minime  placet  1  Quo  A  generarunt  Meyer,  generantur  LA  (Brandt),  generant  V  multo 
Brandt  2  divisus  Brandt  natura  Meyer,  Brandt:  naturam  LAV  3  Prospere  atque  A,  pauper 
ac  V  4  Pauper  Meyer,  Brandt:  pauperes  AV,  pauperes  et  L  habet  V:  habent  A,  habeant  L 
dives  quaeilfei/er:  diues  que  L A  (Brandt),  diuites  quam  V  requirit?  6  cf.  11,  2  Minimum  nam 
stantes  M.  Bottmanner  amicus,  Nam  stantes  minimum  (contra  rythmum)  Bücheier  portent  A  cf.  11,  2. 
55   (num.  om.  A)     LA(V)     1   Nemine  A     concreta  V     creatus  enascor?     3  Verberibus  Bücheier 


429 

pauper  semper  habet,  J  dives  quae  saepe  requiret. 
Caput  Ulis  nullum,  |  sed  os  cum  corpore  cingunt. 
uam  stantes  f  enim  |  iacentes  plurima  portant. 
55  De  sole     Semine  nee  ullo  |  patris  creata  renascor, 

ubera  nee  matris      suxi,  quo  crescere  possem. 
Uberibus  ego  |  meis  reficio  multos. 
vestigia  nulla  |  figens  perambulo  terras. 
Anima  nee  caro  |  mihi  nee  cetera  membra. 
aligeras  tarnen  |  reddo  temporibus  umbras. 
56  De  verbo     Una  mihi  soror,  |  unus  et  ego  sorori. 

coniux  illa  mihi,   |  huius  et  ego  maritus. 
Numquam  uno  simul  |  toro  coniungimur  ambo, 
sed  a  longe  meam  |  pregnantem  reddo  sororem. 
Quotquot  illa  suo  |  gignit  ex  utero  partus, 
eunetos  uno  reddo  |  tectos  de  peplo  nepotes. 

57  De  igne     Prohibeor  solus  |  noctis  videre  tenebras 

et  absconse  dueor  |  longa  per  avia  fugiens. 
Nulla  mihi  velox  |  avis  inventa  volatu, 
cum  videar  nullas  |  gestare  corpore  pennas. 
Vix  auferre  praedam  |  me  coram  latro  valebit, 
publica  per  diem  |  dum  semper  competa  curro. 

58  De  rota     Assiduo  multas  |  vias  itinere  currens, 

corpore  defeeta  |  velox  conprendo  seneetam. 
Versa  vice  rursuni  |  conpellor  ire  deorsum 
et  ab  ima  redux  j  trahor  conscendere  sursum. 
Sed  cum  mei  parvum      cursus  conplevero  tempus, 
infantia  par  est  |  simul  et  curva  senectus. 

59  De  luna     Quo  movear  gressu  |  nullus  cognoscere  temptat, 

cernere  nee  vultus  |  per  diem  signa  valebit. 

egro  A  uberibusque  niei.s  e.  gaepe  cef.  V  5  de  voce  nee  omissa  cf.  41,  6;  Non  caro  nee  an. 
mihi  sunt  V  6  Attamen  V.  56  (»um.  om.  A)  (B)  LA(V)  iihihim  falsum  putantes  coni.  (De 
vernoV),  De  anno  Hagen,  De  sole  (anno)  et  luna  (mensibus)  Bücheier,  De  caelo  et  terra  Brandt; 
dl  rtrhiuii  Hominis  soror  et  nmritus  est  et  connrvlit  snujulas  roces  sententiarum,  (substantiva,  adicc- 
firn,  jiroinoiiina  etc.)  2  cuius  V  8  Numquam  uno  simul  toro  Meyer,  Brandt:  Nam  numquam 
(Non  nunquam  A)  uno  sed  multorum  LAV  4  de  longe  V  a  voce  reddo  redit  codex  B  5  suo 
Hagen,  suos  B,  suus  LA  gingit  B  partos  B  6  uno:  meo?  peblo  L.  07  BLA  igni  L; 
Brandt  'tit.  falsiis.    De  luce'.    De  igne  solis?    2  (longe  Brandt)    peruia  fugens  L    fulgens  Brandt 

4  uidar  L  corpori  pinnas  B  6  conpeta  B,  competo  L  versus  posuit  Riese  57,  5.  58,  2  ||  58,  1. 
y.  4.  5.  57,  G.  5«,  0.  8chenkeii  diepositionem  non  intellego.  58  BLA  cf.  ad  57,  6.  1  itinere  B 
2  uelux  eonpraehendo  B:  conprehendo  LA    3  rerum  LA  V    iure  L    4  reduxi  Av     conscendire  B 

5  mein  L  cursus  B :  cursum  LA  V  conpl.  temp.  s.  I.  m.  1.  B  6  par  Brandt :  pars  BLA  V  est 
om.  B.     59    BLA     1  quomodouear  L    gressu  V:  gressum  BLA  (Brandt)    cognuscire  B(V):  ag- 


430 

Quotidie  currens  |  vias  perambulo  multas 
et  bis  iterato  |  cunctas  recurro  per  annuni. 
Imber  nix  pruina  |  glacies  nee  fulgora  nocent, 
timeo  nee  ventum  |  forti  testudine  teeta. 
60  De  caelo     Promiscuo  per  diem  |  vultu  dum  reddor  amictus, 
pulcher  saepe  est,  sed  |  turpis,  qui  semper  habetur. 
Innuraeras  ego  J  res  eunetis  fero  mirandas, 
pondere  sub  magno  j  rerum  nee  gravor  onustus. 
Nullus  mihi  dorsum,   |  faciem  sed  euneti  mirantur, 
et  meo  cum  bonis  |  malos  reeipio  tecto. 
61  De  umbra     Humidis  delector  |  semper  consistere  locis 
et  sine  radice  |  inmensos  porrigo  ramos. 
Mecum  iter  agens  |  nulla  sub  arte  tenebit, 
comitem  sed  viae  |  ego  conprendere  possum. 
Certum  me  videnti  |  demonstro  corpus  a  longe, 
positus  et  iuxta   j  totam  me  numquara  videbit. 
62  De  stellis     Milia  conclusae  |  domo  sub  una  sorores. 

minima  non  crescit,  |  maior  nee  aevo  senescit. 
Et  cum  nulla  parem  |  conetur  adloqui  verbis, 
suos  moderato  |  servant  in  ordine  cursus. 
Pulchrior  torpentem  |  vultu  non  despicit  ulla 
odiuntque  lucem,  |  noctis  secreta  mirantur. 

noscere  LA  2  cernire  B  uelebit  L  3  cottidie  BA  V  5  frigora  A  6  forte  B  teeta  B(  V) : 
tectus  LA.  60  (58  A)  BLA  1  promiseuos  LAV  uulto  B,  uultus  LAV  vultu  per  diem  errore 
transposuit  et  diem  monosyüabmn  putavU  Brandt  2  pulcher  Hagen:  pulchrum  BLAV  est  add, 
Meyer:  om.  B  {qui  lud»!  sed  fcnrpu);  lepfl  qm  AV,  sepe  reddet  amictus  qui  L;  l'ulchrum  saepe 
reddo,  (seil,  noctis  mit  um)  turpis  qui  Brandt  :\  mirantil-us  LAV  6  me  B  maus  L  tectu  B. 
61  (59  A)  BLA  in  B  (Brandt)  61  post  62  jwsitum  est  1  l'medis  B.  humili  ..  locoV  con- 
sistire  B  2  radices  B  (Brandt)  porrego  B  4  ego  viae  Brandt  conprehendere  LA,  conprae- 
hendire  B  6  numquam  BLA,  neque  V,  nemo  Brandt?  62  (60  A)  BLA  62  ante  Cl  i>nsnit  />' 
(Brandt)  stillis  B  2  seniscit  B  3  partemJL  paretur  A,  queat  V  alloqui  B  4  moderatos  LAV 
5  'pulchrior  L  turpentem  LA,  turpem  V  vultum  LAV  dispicit  B,  displicit  L  ullam  LA. 
(pulchrior  et  vultum  turpem  non  despicit  ullum  V  metrice)  6  nocte  B  secreta  seeuntur  V. 
In  codieibus  LA  V  seqnitxr  aenifjma  prnsaicinn  edUum  a  Mone  Anzeiger  1839  p.  228.  De  oue  A. 
Item  de  oue  LV  (multos  vestit:  plures  v.  L;  fortitudinem  LAV).  Deinde  in  L  scriptum  est 
aenir/wa,  <p(od  simili,  non  eodem  quo  cetera  rythmo  compositum  ext: 

Item  de  vino     Pulchrior  me  nullus  versatur  in  poculis  umquam, 

Ast  ego  primatum  in  omnibus  teneo  solus, 

Viribus  atque  meix  possum  deeipere  multos. 

Leges  atque  iura  per  me  virtutes  amittunt. 

Vario  me  si  quis  haurire  voluerit  usu, 

Stupebit  ingenti  mea  percussus  virtute. 
Huius   aenigmatis   Inco   in   codd.  A   et   V  alterum  pros.   additum  est,    a  Moneo  editum  (ad 
nulluni  gignitur  A  eibum  edit  A     tota  uia  sua  A     capiat  quam  non  potest  Ä). 


Beilage  IV. 


Exhortatio  poenitendi. 

Die  hier  zu  behandelnden  rythmischen  Hexameter  haben  in  neuerer  Zeit  ein 
ungünstiges  Schicksal  gehabt.  Pitra  fand  in  einer  Handschrift  zu  Laon  ein  Gedicht, 
welches  in  einer  jetzt  in  Madrid  befindlichen  Handschrift  den  Namen  des  Verecundus 
tril^t ;  es  beginnt  'Quis  mihi  moesta  dabit  lacryrnosis  imbribus  ora.  Diesem,  in  quanti- 
tirend  gebauten  Hexametern  geschriebenen  Gedichte  des  Verecundus  geht  in  der  Hand- 
schrift zu  Laon  unsere  Exhortatio  poenitendi  voran.  Da  in  deren  Schluss  sich  die 
Verse  finden 

Sequentia  vero  [  carmina  constructa  lamentis 
suspirando  lectita,  |  nonnunquam  plorando  decanta, 
da  ferner  Isidor  in  dem  Buche  De  viris  illustribus  berichtet:  'Verecundus  Africanus 
episcopus  (circ.  550  nacli  Christus)  studiis  liberalium  litterarum  disertus  edidit  carmine 
dactylico  duos  modicos  brevesque  libellos,  quorum  primum  de  resurrectione  et  iudicio 
scripsit,  alterum  vero  de  poenitentia.  in  quo  lamentabili  carmine  propria  delicta  de- 
plorat',  so  schloss  Pitra  unbedenklich,  dass  die  beiden  Gedichte  der  Laoner  Handschrift, 
erstens  die  Exhortatio  poenitendi,  dann  das  in  der  Madrider  Handschrift  bezeugte  'Quis 
mihi  moesta  dabit'  die  von  Isidor  bezeichneten  beiden  Gedichte  des  Verecundus  seien, 
und  hat  dieselben  unter  dessen  Namen  in  dem  S|iicilegium  Solesmense  IV  p.  132 — 143 
gedruckt. 

Diese  Hypothese  Pitras,  der  Baehr  gefolgt  ist,  ist  durchaus  unrichtig.1)  Denn 
den  Ausdruck  'carmine  dactylico'    hätte  Isidor   kaum   gemeinsam    gebrauchen    können 


1)  Damit  diese  Erörterung  nicht  ohne  Nutzen  auch  für  Verecundus  sei,  bemerke  ich,  dass  in 
der  Berliner  Abschrift  (vgl.  Neues  Archiv  v.  Wattenbach  VI,  1881,  p.  316)  der  Madrider  Hand- 
schrift am  Schlüsse  des  Gedichtes  'Quis  mihi  moesta  dabit'  folgende  echte  Verse  stehen,  die  in 
Pitras  Ausgabe,  ich  weiss  nicht  durch  wessen  Versehen,  fehlen: 

facta  gravant  curaeque  homines  et  verba  caducos. 

Sordida  peccandi  triplex  via  panditur  usu. 

Eu  mihi  pervigiles  avertunt  somnia  curae 

Atque  per  occultos  nocturna  silentia  planctus 

Increpo  perpetuas  cupiens  extinguere  flammas 

Nullam  palpebris  requiem  delicta  ministrent 

Innuet  infundens  resoluto  corpore  membra 

Ante  fugit  pressos  requies  quam  tangat  ocellos. 

Espliciunt  versi  penitentie. 


432 

von  den  so  verschiedenen  rythniischen  und  quantitirenden  Hexametern.  Dann  mag 
wohl  das  2.  Gedicht  dem  von  Isidor  gegebenen  Inhalt  entsprechen,  allein  das  erste 
handelt  nicht  de  resurrectione  et  iudicio,  sondern  enthält  nur  eine  Ermahnung  zur 
Busse.  Den  Hauptbeweis  gegen  Pitras  Hypothese  gibt  die  Gewissheit,  dass  die  Ex- 
hortatio  poenitendi  zu  andern  Schriften  gehört.  In  den  Isidorausgaben  (seit  Du  Breul. 
Paris  1601)  stehen  drei  Schriftstücke  hintereinander.  1 .  die  Exhortatio  poenitendi  in 
rythniischen  Hexametern,  2.  das  Lamentum  poenitentiae  in  rythniischen  Trochäen, 
3.  die  Oratio  pro  correptione  vitae  et  propter  flerida  seinper  peccata  in  Prosa.  Diese 
3  Stücke  stehen  in  Du  Breuls  Ausgabe  und  in  der  St.  Gallener  Handschrift  269  zusammen 
am  Ende  der  Synonyma  des  Isidor.  Dass  diese  handschriftliche  Tradition  die  richtige 
ist,  ergibt  vor  Allem  der  Inhalt  der  Gedichte.  Die  Exhortatio  enthält  eine  an  einen 
Sünder  gerichtete  Ermahnung  Busse  zu  thun  mit  der  Versicherung  der  Gnade  Gottes. 
Dem  am  Schluss  angekündigten  Gedichte 

Sequentia  vero  |  carmina  constructa  lanientis 
suspirando  lectita  j  nonnnmqnam  plorando  decanta 
entspricht  genau  das  folgende  Gedicht,  dessen  Stropheninitialen  das  Alphabet  bilden, 
das  Lamentum  poenitentiae,  wo  stets  ein  Sünder  zu  Gott  seine  Sünden  bekennt  und 
beklagt.  In  dem  3.  Stück,  der  prosaischen  Oratio  pro  correptione,  wird  auf  die  beiden 
vorangehenden  Gedichte  Bezug  genommen:  1)  Auf  die  Exhortatio  in  den  Worten 
'dum  in  grabato  multorum  peccatorum  Baecati  huius  mortifero  qaodam  iacerem  sopore 
depressus,  misisti  gratiam  tuam  cum  flagellorum  strepitu  suscitare  damnabili  torpentem 
segnitia,  ut  apertis  oculis  expergefactus,  dum  nihil  in  ine  victus  boni  operis  recognos- 
cerem,  venirem  ad  te';  dann  2)  auf  das  Lamentum  in  den  sich  anschliessenden  Worten 
'Idcirco  consurgens  lamentationum  clamoribus  prece  multifaria  pietatis  tuae  pulsaus 
(pulsavi?)  auditus  per  alphabetum,  quod  praemisi  singulas  eins  literas  rigans  flumine 
lacrimarum>.  Dasselbe  bezeugen  die  gleichen  Ausdrücke,  welche  sich  in  den  3  Stücken 
finden  und  die  ich  zu  Theil  in  den  Noten  zur  Exhortatio  und  zum  Lamentum  notirt 
habe.  Demnach  ist  es  zweifellos,  dass  diese  3  Stücke  von  einem  Verfasser  herrühren. 
und  dass  die  Exhortatio  nicht  von  Verecundus  gedichtet  sein  kann,  wie  Pitra  meint. 
In  den  Handschriften,  in  welchen  diese  drei  Stücke  den  Synonyma  des  Isidor 
angehängt  sind,  werden  sie  auch  dem  nemlichen  Verfasser  zugeschrieben.  Bei  Arevalo. 
Isidoriana  cap.  81,  19  ffl.,  ist  die  Streitfrage  über  die  Autorschaft  des  Isidor  ohne 
festes  Resultat  erörtert.  Einigen  Anhalt  gewährt  die  Eigenthümlichkeit  des  Stiles. 
Bei  der  Lektüre  der  rein  grammatischen  Zusammenstellungen  in  den  Synonyma  Ciceronis 
kam  dem  Isidor  der  Gedanke,  hiernach  ein  neues  rhetorisches  Kunstmittel  zu  bilden, 
nemlich  den  gleichen  Gedanken  3  und  4  Mal,  nur  jedes  Mal  mit  andern,  doch  ver- 
wandten Wörtern  auszudrücken.  So  beginnt  also  die  Schrift  cAnima  mea  in  angustiis 
est,  spiritus  meus  aestuat,  cor  meum  fluctuat.  Angustia  animi  possidet  nie,  angustia 
animi  affligit  me.  Circumdatus  sum  omnibus  malis,  circumsaeptus  aerumnis,  circum- 
clusus  adversis .  Dieses  geschmacklose  rhetorische  Gesetz,  wodurch  wahrscheinlich  die 
ein /einen  Gedanken  den  Hörenden  fester  eingeprägt  werden  sollten,  die  Vorstufe  zum 


433 

Litanei-  und  Rosenkranzbeten,    findet    sieh    auch    in    der  Exhortatio,    dem  Lamentum 
und  der  Oratio  pro  correptione.      \rgl.  Exhort.  100  ffl. 

Sic  denique  poteris  j  evadere,  quidquid  exoptas, 
quidquid  claudit,  obligat,  |  officit,  affligit,  obumbrat; 
et  ad  dei  gratiam  |  hoc  modo  redire  gaudebis. 
Quamvis  sis  peccator  |  impius,  malignus,  iniquus 
criminis  omnigeni  |  contagio  dudum  pollutus  etc. 
Ebenso  finden  sich  in  dem  Lamentum  und  der  Oratio  so  viele  synonyme  Wörter 
oder  Sätze,    dass    man   trotz  der  sonst    gedrungenen  und  bilderreichen  Sprache    dieser 
Stücke  bei  Lektüre  derselben  wegen  der  Wörtermassen  fast  keine  Gedanken  festhalten 
kann.      Allein    während   jenes   rhetorische    Gesetz   in    den    Synonyma    des   Isidor   von 
Anfang  zu  Ende  beständig  durchgeführt  wird,  ist  es  in  diesen  3  Stücken  in  manchen 
Partien  beobachtet,   in   vielen    aber   nicht.     Darnach   ergibt  sich    der  wahrscheinliche 
Schluss,  dass  diese  Stücke  nicht  Arbeiten  des  Isidor  selbst,  sondern  eines  Nachahmers 
sind.     So  erklärt  sich  einerseits  die  Stellung  dieser  Stücke  als  Anhang   zu  den  Syno- 
nyma des  Isidor,  andererseits  steht  nichts  im  Wege,  die  hier  angewendeten  rythmischen 
Hexameter   den    rythmischen    Hexametern    auf  den    longobardischen    Inschriften,    also 
dem  Anfange  des  8.  Jahrhunderts,  nahe  zu  rücken 

Handschriften  und  Ausgaben.  Du  Brcul  (Paris  1601)  sagt,  er  habe 
eine  Abschrift  benützt  'quam  ex  codice  bibliothecae  S.  Mauri  Fossatensis  quondam 
regularis  Nie.  Faber  transcribi  curavit'.  Pitra,  Spicilegium  Solesraense  IV  p.  132 — 137, 
gab  die  Exhortatio  heraus  'Ex  codd.  Duac.  240,  Paris.  S.  Mart.  82,  Montepessul.  137, 
collatis  cum  cod.  S.  Mauri  Fossat.  penes  Breulium;  singulis  assignata  sunt  A,  B,  C,  D\ 
Darnach  sollte  man  meinen,  die  Reihenfolge  der  Buchstaben  entspräche  der  Reihe  der 
genannten  Handschriften;  allein  Pitras  Note  zu  120  Sicque  Cyprianus:  'Surius  Cy- 
prianus  C\  wo  bei  Du  Breul  der  bekannte  Legendensammler  Surius  in  den  Text  ge- 
rathen  ist,  zeigt,  dass  Pitra  mit  C  den  Text  Du  Breul's  bezeichnet.  Wiederum  gibt 
die  Vergleichung  Du  Breul's  mit  Pitra's  Text  den  Beweis,  wie  nachlässig  Pitra's 
kritische  Noten  sind.  Das  ist  zu  beklagen,  weil  die  von  ihm  benützte  Handschrift  A 
offenbar  manche  richtige  Lesarten  allein  enthält.  Mir  blieb  nichts  übrig,  als  Pitra's 
Noten  ihrer  Unsicherheit  willen  nur  in  Klammern  anzuführen.  Hanssen  (Dissert. 
philol.  Argentor.  V  p.  75 — 84)  wurde  zwar  durch  Pitras  kritische  Angaben  zu  irrigen 
Ansichten  über  die  Handschriften  verleitet,  hat  aber  die  meisten  Gesetze  des  Vers- 
baues erkannt  und  darnach  manche  Stellen  gebessert.  Ich  habe  mit  Benützung  dieser 
Vorarbeiten  und  mit  Hilfe  zweier  alten  Handschriften  den  Text  nach  Kräften  sicher 
gestellt.  Doch  sind  noch  manche  Stellen  unsicher  und  es  bleibt  zu  wünschen,  dass 
dieselben  durch  Benützung  weiterer  Handschriften,  deren  sicherlich  noch  manche  zu 
finden  sind  *),  hergestellt  werden,     lieber  den  Versbau  der  Exhortatio  siehe  oben  S.  282. 


1)  Die  von  Gesner  Bibliotheca  unter  Isidor  erwähnte  Züricher  Handschrift  findet  sich  nicht 
mehr  in  Zürich. 

Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  II.  Abth.  56 


434 

Das  Lamentum  poenitentiae  füge  ich  bei,  weil  es  die  Fortsetzung  der  Exhortatio 
ist  und  mit  dieser  enge  zusammenhängt,  und  weil  es  ein  belehrendes  Beispiel  für  den 
Bau  der  alten  Rythmen  bietet;  vgl.  über  seinen  Zeilenbau  oben  S.  283. 

EXHORTATIO  P0EN1TENDI  cum  eonsolatione  misericordiae  dei  ad  animam 

futura  iudieia  formidantem. 

Cur  fluctuas  anima      merorum  quassata  procellis? 
2     usque  quo  multimoda      cogitatione  turbaris? 

Mens  confusa  taediis  j  itinera  devia  carpens 
4     tramites  caliginis  I  subducta  luce  percurrit. 

Non  ablatas  reculas  |  mundi  fascesque  suspires, 
6     nee  casus  honoris  |  sed  ruinas  animae  plora. 

Non  haec  defunetoria  |  doleas  exitia  carnis, 
8     sed  perseuerantia  |  Tartari  tormenta  formida. 

Nee  aerumnas  carceris  |  ambigas  qua  fine  carebis, 
10     sed  iuges  Averni  |  miserias  prospeetans  evita. 

Quae  hie  quidem  redimi  j  facili  compendio  possunt, 
12     si  mundi  atfectus  |  in  amorem  Christi  conuertas, 

Et  tete  non  neglegas  i  ab  iniquitate  priuari, 
14     euneta  peccatoria  |  corde  diuulsa  propella<. 

<,|uae  penitus  respoe      saltimque  percussus  abhorre, 
lt)     ut  sinceritate  rudi  |  uel  sero  nitawas. 

Abiecit  te  mundus,  |  percussit  proscripsit  derisit: 
18     quare  non  consideras,  |  quid  a  te  Christus  exquirit? 

Non  humana  manu  |  talia  te  perpeti  putes: 
Jt)     >ed  haec  provenisse  |  diuino  iudicio  crede. 

Inritasti  contra  te      dominum  offensa  delicti, 

E  —  Cod.  lat.  monac.  14843  saec.  IX  fol.  63 —  08  post  Lamentum  sine  titulo.  Q  —  (Jod. 
S.  Gcdli  No.  269  pag.  130—149,  ex  quo  cod.  S.  Galli  223  f.  87—94  saec.  XII  et  cod.  Vindob.  7.14 
f.  17  mec.  XII  descriptos  esse  vidi,  titulum  om.  E.  poenitentis  E.  et  misericordia  E,  ex  miseri- 
cordia  Xicol.  Antonius. 

1  Quur  E  anima  abtotivtu,  non  voeaÜ9U9.  3  itineris  Br.  Fi.  4  tramitem  {A)  percurris 
G.  Pi.  -r>  res  cellulas  E.  Br.  7  defectoria  G  deleas  G.  E  exitio  carnis :  et  ista  non  carnis  (B.  D). 
'••  aerumnis  E  abigas  Br.  qua:  quas  G.  E,  {A),  quibus  {B)  Br.,  quae  Pi.  carebunt  (A.)  Pi. 
10  lugens  inferni,  s.  1.  vel  Averni  (.1).  11  hie  OM.  G.  quidem  om.  Br.  facile  E.  12  amore  G.  E. 
13  tete  E  (.4)  Pi.:  ut  te  G,  te  Br.,  aeterna  {B.  D)  aequitate  (B.  D)  piari  G.  14  peccata  a  Br., 
peccatori.  a  E  corda  (C)  procellas  G,  propelles  (A).  15  quae  (ABD)  Pi. :  quas  E,  quasi  G,  re* 
iniquas  Br.  penitus  (A-.)  Br.  Pi:  spernatus  (B.  D),  penatus  E,  pennatus  G  respue  (A)  Pi. :  renue  G 
(B.  D),  rennue  E,  remove  Br.  perculsus  E.  16  ut:  et  (AB)  Pi  nitescas  (A)  Pi:  renitaseas  E, 
renitaseis  G,  reniteas  Br.;  sine,  eruditus  vel  serenus  eas  (B.  D).  17  proscripsit  (A)  Pi:  que  pro- 
scripsit  (2?),  que  rescripsit  E.  G.  Br.      18   ad  te  E.     19  te  peip.  talia  G.     20  pervenisse   (A)  Pi 


435 

22     qui  te  flagris  arguens  |  corripit  coercet  affligit. 

Flagelli  irapendio      monet  ut  errata  cognoscas 
24     et  agnita  penitens  j  corrigas  distringas  emendes. 

Hoc  sentire  debes,      quod  instans  verbere  plagae 
26     pulsat,  ut  benivolus  *         *         *         * 

*  *  *  *        nialo  segregatus  existas 

28     et  perniciosa  j  respuens  innoxia  quaeras. 

Vult  contritionis      nunc  examinare  Camino, 
30     quo  conflatus  pristinas  j   vitiorum  Bordes  amittas. 

Cur  ergo  perquaquam  j   diffusus  mente  vagaris? 
32     ad  callem  examinis      sensua  tui  collige  gressus. 

Discute  cor  tuum,      cautius  interroga   meutern : 
34     quid  ludibriosum  |  retinet  vel  gessit,  exponat: 

Quid  saevuin,  quid  noxium  j  concepit  vel  operit.  pandat: 
36     et,  dum  est  licentia,      totum  praedamnare  festina. 

Ecce  perpetrata  i  cuncta  coram  oculis  ndstani 
38     et  secreto  mnrnrare     mens  anireraa  proponit. 

Quid  admissa  crimina      nisi  lamenta  requirunt? 
40     quid  vult  facti  vulnus      nisi  malagmata  fletus  V 

Nulluni  scelus  aliter  j   nisi   poenitendo   piatur. 
42     immo  puniendo,      ne  .-it   jain  ultra,  deletur. 

Ergo  si  ruisse     nequiter  vivendo  diaplicet, 
44     Bürgere  decenter  j  melius  agendo  percurre. 

Judicem  futurum      times  perdentem   iniquos: 
46     nunc  illum  post  crimina  |  opere  iustitia»'  placa. 

Atros  ignes  inferi,      quod  est  mon  Beounda,   pavescis: 
48     sed  admissa  poenitens  j  puni  peccatum  et  fires, 

In   DM   vita   laerimis      extingue  tartari  flammt* 

21  te  om,  G  deum  G.  22  flagris  urgens  Itoensch,  Piniol.  Anzeiger  XII  p.  309  coercit  E.  24  distin- 
guas  E  (A)  emendas  G.  85  instant!  \H.  C]  plagae  (vi):  om.  cet.  26  pulsat  in  fine  V.  25  Pf. 
instant!  verbere  pulsatus,  ut  ben.  a  uialo  Br.  ben.  ut  Fi.  (A.  B.  C?);  b.  malo  ut  Haussen.  27  cf.  Oral . 
j>ro  corrept.  42  segregasti  me  B  peccatis.  88  perneciosa  G.  29  nunc  te  Br.Pi.  exam.:  exaestuare 
(JB.  D),  cf.  Orat.  pro  corrept.  33  proba  nie  in  Camino  lnmiiliarionis,  quo  diutius  indignum  examinas. 
30  quo  conflata  sentinas  vitiorum  sordesque  amittas  Pi .  (BD).  31  Quur  E  perquaquam:  pio  qua- 
que  {A)  diffusa  PL  (B.  D)  uagaris:  uacua  curris  EG  Br.  (BC);  cf.  Idimentum  219  Vagus  per- 
quaquam defluxi,  cueurri  per  avia.  32  collem  (BD),  calcem  Br.  tui  sens.  G,  sensum  tuum  (D). 
33  sie  EG.  Br.  at  PUra  'cautius;  mens,  interroga  malum'  cum  nota  'Interroga,  mens,  quid  BD. 
aliquid  deest  in  AC.  Legesis:  Mens  interroget'.  34/  et  •'!■">  Inen  , pii<l  irr  habet  quiequid  E  ludi- 
brium  PL  coneipit .PL  :'>7  konstant  Br.  3^>  amissa  G.  40  Quic  uul  G.  41  expiatur  EG  Br.  (BD). 
42  cf.  v.  48  Orat.  pro  eorrept,  rap.9  homo  poenitendo  punit  quod  male  commisit.  43  se  ruisse  (D), 
servisse  (B).  44  surgere  E:  surge  G  Br.  PL  percurre  G  (AB):  precurre  E  Br.  PL  45  timens  Br., 
time  PL  (D).  46  hunc  illum  post  saeculi  crimina  Br.  47  pauescis  (Ä):  pauesces  (BC)  pauesce  EG 
Br.  Pi.     48  admissum  G  peccata  Br.  Pi.  (BC);  cf.  Orat.  pro  corrept.  10  punire  peccatum..  poeni- 

56* 


436 

50     et  necando  crimina  |  vires  evacua  mortis. 

Mors  illic  non  repetit,  |  quos  hie  viventes  amittit; 
52     nam,  qui  se  peccato  j  dirimit,  iustitiae  iungit. 

Et  spiritus  vitae  |  obsequens  mandata  custodit, 
54     peccata  repudians  j  morti  servire  contempsit, 

Ultra  iara  non  moritur  j  nee  mors  dominabitur  illi 
56     neque  eum  tartarum  |  excipiet  in  morte,  sed  caelum. 

Nullatenus  dubites  |  in  hoc  nee  umquam  diffidas; 
58     nam  sie  protestantia  |  divina  dieta  decernunt. 

Ad  regnum  profecto  |  transient  cum  Christo  victuri, 
60     qui  penituisse  |  mala  perpetrata  probantur. 

Nulla  te  res  dubium  !  de  misericordia  reddat. 
62     nam  parcere  deus  |  promptus  est  clementer  indignis, 

Atque  poenitentibus  |  veniam  libenter  donare; 
64     tantum  sie  poeniteas,  |  ne  iam  poenitenda  committas. 

Et  ob  hoc  irrisor  |  atque  subsannator  vocatus 
«')<)     vertas  poenitentiam  |  in  punitionem  pericli. 

Labor  sine  fruetu  est  |  et  spes  vanissima  valde 
68     sie  peccata  plaugere,  j  ut  non  desinatur  peccare; 

Quasi  quis  iustrueta  |  destruat,  diruta  reformet; 
70     si  quod  lavat  hodie,  |  polluat  et  sordidet  item. 

Sic  enim  non  lotus  |  habetur  sed  semper  inmundus. 
72     nee  capit  huiusmodi  !  veniam,  sed  provocat  iram, 

quoniam  non  diluit,  |  sed  dilatat  criminum  gesta. 
74     tu  denique  cautius  |  talium  exempla  declinans 

et  peccasse  poenite  |  et  iam  peccare  desiste. 
7<>     dissipa  praeteritas  |  lacrimarum  opere  eulpas. 

Data  elemosyna,  |  si  habes,  redime  probra 
78     et  sequi  vanissima      respue,  contemne,  recusa. 

Sit  iam  abdicabile,  |  sit  abominabile  semper 

tendo  punit.  49  ad  flammas  PL  adn.  'Extrema  tartari  A'.  52  iungit:  vincit  (BD).  53  et  spir. 
obs.  vitae  qui  m.  e.  ? ,  mandata  qui  cust.  (BD),  in.  c.  qui  pecc.  G.  54  qui  peccato  repugnans  G 
mortis  opera  contemnit  (BD),  contendit  (C).  55  Ille  jam  ultra  (BD),  jam  om.  PL  dorn,  mors  G, 
illi  (om.  A).  56  tartarus  et  mortem  (BD).  57  dubites  reeipi  et  in  hoc  (BD).  58  sit  E  protestantia 
E  PL  (AB):  protestanda  Br.  (CD),  protestantur  G.  59  transient  PL  (ABD?):  transierunt  G  Br., 
transierint  E.  60  qui  perp.  mala  poenit.  PL  (ex  B?).  61  dubiam  (B).  63  libenter  om.  G.  64  sie 
(ABD):  si  EG  Br.  PL  penitens  (A)  ne  Pi.  (AB?):  nee  EG  Br.  65  ob:  ab  G,  om.  E  atque: 
et  G  vocatur  ( A).  66  uertis  G  punitione  PL  (A)  periculi  EG.  69  quod  si  PL  (A  ?)  diruta  EG  Br. : 
direeta  PL  (AB?)  reformet  EG  Br.  (BC):  deformet  PL  (A?).  70  si  EG  Br.:  et  Pi.  (AB?)  lauet  G 
item  PL  (AV):  cras  EG  Br.  (BC).  72  non  Pi.  (A?)  hoc  modo?  74  declinans  EG  Br.  (AC) :  declina 
PL  (B?).  75  Et  iam  p.  Br.,  Sed  p.  BD  penitet  jam  PL  (ex  codd.?),  penitere  Br.  76  operi  E. 
77  Da  EG  Br.  elemosinam  EG  Br.     78  contempnere  cura  E  Br.  (curam)  G.     79  sit  iam  abom.  (A). 


437 

80     peccatura,  quod  caelo  |  distrahit,  inferno  deponit. 

Melius  sit  regni  |  gloriam  nitore  capere, 
82     quam  regni  iacturam  |  sordium  horrore  perferre. 

Conversus  ad  dominum  j  post  tenebras  arripe  lucem 
84     amplectensque  vitam  j  mortalia  facta  relinque. 

Uli  confitere ;  |  conipungere,  plangito,  roga ; 
86     die    peceavi  nimium';  |  cparce,  miserere'  proclama. 

Curva  cordis  genua      prostratus  corpore  terrae, 
88     obsecrans  assidue  |  profusis  lacrimis  ora, 

lenias  ut  humilis,  ;  quem  exasperasti  superbus. 

Nam  dei  clementiam  |  huiniles  et  flentes  acquirunt, 
91     non  ridentes  impetrant      neque  contumaces  exorant. 

Certo  te  poeniteant,  |  perpere  quaecumque  gessisti, 
93     ut  odiens  horreas,  j  quidquid  indecenter  amabas. 

Quod  pudore  congruo  |  rubor  vereeundus  aspernit, 
95     rite  demum  veniam  |  lacrimaruui  prece  requiras. 

Bis  namque  fomentis  j  animae  peccata  medentur 
97     et  omnia  vulnera  j  priscam  sanitatem  reeeptant. 

Sic  namque  divinum      sedabia  cito  furorem; 
99     sie  profecto  capies,  |  quidquid  lacrimando  deposcis; 

Sic  denique  poteris  |  evadere,  quidquid  exoptas, 

quidquid  claudit,  obligat,  |  officit,  affligit,  obumbrat; 
102     et  ad  dei  gratiam  j  hoc  modo  redire  gaudebis. 

Quamvis  sis  peccator  |  inipius.   malignos,  iniquus, 
104     criminis  omnigeni  |  contagio  dudum  pollutus, 

Pete  deo  veniam   |   haesitans  nequaquam  in  fide, 
106     qui  omni  peccamine  |  eunetos  poenitentes  expurgat. 

Omne  demit  facinus  |  vera  poenitudo  delicti. 
108     nee  est  crimen  ullum,  |  quod  nequaquam  lacrimae  tergant. 

Quamvis  de  iustitia  |  terreat  iudicii  dies, 

80  in  infemum  EG  Br.  81  carpere  Br.,  captare  Hanssen,  habere  ?,  cupire  Roensch.  82  errore  E 
perferre  EG  Br.:  praeferre  Pi.  (ex  ABD?).  83  deum  G  corripe  G  lucem  EG  Br.  (D):  lumen  Pi. 
(ex  AB?).  85  illi  conf.  (AB):  conf.  illi  EG  Br.  Pi.  roga  om.  E.  86  peccaui  domine  nimium  G. 
87  Cordis  gemitu  curva  c.  g.  G  terrae  Pi.  (ex  A) :  terram  (B),  in  terra  EG,  in  terram  Br.  88  ob- 
secrans Pi.  (ex  ABD?):  obsecra  EG  Br.  profusis  EG  Br.:  perfusis  Pi.  (ex  ABD?);  obsecra  ass. 
perfusus  lacrimis  ora?  89  linias  EG  exasperasti  EG  Br.  {B):  exaeerbasti  PL  (ex  A?)  90  hu- 
milis E.  91  non  rid.  non  imp.  (^1).  92  te  (om.  A)  poeniteant  Pi.  (ex  AB):  poeniteat  EG  Br. 
perperam  Br.,  perpetrasti  G.  93  indecent  2£„  94  rubor  (om.  B)  aspernit  Br.:  aspernetis  (AB), 
aspernens  EG  (D).  95  deum  (B).  96  medetur  Br.  97  pristinam  G.  98  sedabis  Pi.  (ex  A?): 
sedas  EG  Br.  (B).  100  quidquid  exoptas  om.  Br.  103  iniq.  mal.  G.  104  criminosus  G  omni 
genere  EG  Br.  dudum:  que  Br.  105  a  deo  EG  Br.  106  purgat  (B).  107  demit  Pi.  (ex  A?): 
dimittit  EG  Br.   (B)  'vere   penitendo   A.   certa   poenitendo   A',   sie  Pi.   (cf.   v.  110).     108   ullum 


438 

110     nunc  misericordiam  i  certa  poenitudo  potitur. 

Nulluni  delinqueutem  |  deus  de  praeterito  damnat. 
112     si  bonus  ex  malo      fuerit  extremo  repertus; 

Ut  dicitur  impio,      81  impietates  relinquens 
114     opera  iustitiae      faciat  extremo  conversus, 

Impietas  illius      omnis  oblita  dematur 
116     mortique  sublatus     aeterna  per  saecula  vivat. 

Sic  denique  Paulus  I  fidelis  ex  infido  factus 
118     cuncta  caret  crimina,  |  quae  impie  geawrat  olim. 

Sic  ex  publicano      tit  evangelista   Matthacus. 
120     sicque  Ciprianus      ex  mago  Bacerdoe  ei   niartyr. 

Sic  et  Augustinus      ardentior  earnis  amator 
122     fit  ex  manichaeo  j  mundi  probatu.s  magister. 

Sic  et  Ninivitae  |  impia,  obscena,  uefanda 
124     deflentes  flagitia      vitam  poenitendo  nierentur. 

Manage-,  quj   iilolis  |  teinpluiu   repleverat  dei 
120     et  de  caelo  pridem  |  datam  prot'anawrat  legem, 

Post  amisso  regno  |  captivus  et  ferreis  multis 

vinculis  ligatus      deum  poenitentia  plarans 

129  regno  restitutio  est  |  nexibu-  culpinque  solutus. 

130  David  stupri  culpam  |  honikidiique  redemit. 
et  Achab  similiter      caelitus  pendentem  evasit 

132  iram,  de  quo  cominus  j  dixerat  ulciscere  deus. 

133  Petrus  fide  lapsus  |  rursus  poenitendo  icsurgit. 
Sic  et  evangelii  j  meretrix  ac  publicanus 

135     parvis  fusis  lacrimis  |  multo  sc  piaculo  niundant. 

Et  plurimi  porro  j  quos  dein  scripturae  declarant 
137     post  crimina  caelites  j  factos  poenitudine  viros. 

Sic  e  contra  polo  |  labentes  tartaro  cadunt, 
139     qui  bona  priora      malum  adpetendo  relinquunt. 

Ut  dicitur  iusto:  |  si  ab  aequitate  digressus 

iniquus  extiterit,      omnis  iustitia  eius 

crimen  G  lacr.  non  tergant  G.  109  diera  (AB).  110  misericordia  GBr.(B).  111  nulluni  om.Br. 
112  po8tremo  G.  113  relinquas  Br.  11-i  operas  E,  operatus  iustitiam  (A).  115  abolita  G  de- 
matur EG  (BD):  demitur  Br.  (A).  118  cuncta  c.  crimina  Pi.  (ex  ABD?):  cunctis  c.  crimini  E, 
tunctis  c.  criminum«  G  Br.  119  fit  Pi.  (ex  A?):  venit  EG  Br.  (B).  120  ex:  et  (AB).  122  pro- 
batus  mundi  G.  123  et  om.  Pi.  (cum  D?).  125  manaaes  E  dei  repl.  G.  127  ferr.  vinc.  mult.  Br. 
128  dominum  Br.  130  Sic  David  omnes;  sie  dei.  Hansse»:  stupri  culpam  sie  David?  131  Ahab 
(AB),  Achaz  Br.,  Acaph  G.  132  comminus  E  Br.,  se  comminus  G  ulcisci  Br.,  ulcisci  se  (B)  com- 
minans  dixerat  ulciscere  (=  ulcisci  se)?  133  rursum  EG.  134  euangelica  G.  136  porro:  alii  Br. 
dein  Pi.  (ex  A?),  olim  E  Br.,  dei?  137  caelites  E,  caelitus  G  (A),  caelibes  Br.,  coelitas  Pi. 
(ex  BD?).     138  tartaro  EG  (B),  tartara  Pi.  (ex  AT),  polum  habentes  ad  tartara  c.  Br.     139  non 


439 

142     oblita  depereat  j  et  ipse  raorte  damiietur. 

Sic  et  Judas  olira  |  subito  maliguus  effectus 
144     orane  bonum  perdidit,  |  quod  dudum  beate  peregit. 

Sic  et  Salomoni  |  nihil  inputatur  ex  bono, 
146     quod  antea  gessit,      sed  extrem o  malo  damnatur. 

In  qua  voluntate  |  quispiam  postremo  vel  actu 
148     fuerit  inventus,  [  in  hac  iudicandus  et  erit. 

Sicut  de  hoc  ipso      dominus  locutus  est  dicens: 
150     in  quo  te  invenero,  |  in  hoc  *  te  iudicabo. 

Et  si  credis  amplius  j  hos  ipsos  diligit  deus, 

qui  post  pravitates  |  esse  rectiores  studebunt 
153     ac  sese  post  vitia  j  virtutibus  magnia  exercent, 

Quam  qui  mala  graviä  j  numquam  perpetrasse  noscuntur 
155     et  bona  praecipua      torpentes  agere  pigent. 

Sicut  quispiam  dominus  |  illum  magis  servuni  amplectit, 

qui  post  damna  quaedam  \  potiora  lucra  reportat, 
158     quam  qui  nihil  perdidit  I  et  nihil  fecit  augmenti. 

Sicut  imperator  |  illum  magis  militem  amat, 

qui  post  fugam  remeans  j  hostem  prosequendo  prosternit, 
161     quam  qui  aumquam  fugit  |  et  nil  umquam  fortiter  fecit. 

Sicut  et  agricola  |  illam  terram  amplius  amat, 
163     qnae  aberes  illi      post  spinas  aiferet  fruges, 

Quam  illam,  qua«-  tribuloe  |  vel  spinas  numquam  nutrivit 
IÖ5     et  fertilem  messem      numquam  aliqoando  produxit. 

Non  desperes  veniam,  |  sed  potius  spera  salutem, 
167     si  facturus  optima      pessima  damnare  decernes. 

Corrige  delictum,  |   muta  mores,  renova  vitam, 
169     et  nulla  te  plecti  j  dolebis  postea  poena. 

petendo  G.  140  Ut  EGBr.(B):  Et  Pi.  (eu •  A?)  iniquitate  egressus  Br.  141  iniquis  (A).  142  ob- 
lita PL  (ex  AB):  om.  EG  Br.;  cf.  Ezechiel  33,  18  omnes  iustitiae  eius  oblivioni  tradentur  et., 
morietur;  cf.Orat.  pro  eorrept.  ca/i.  20.  14:'»  sie  et  Pi.  \<-.r •  A?):  sicut  EG  {BD),  sie  Br.  145  Sicut 
et  (BD),  ex  om.  G  Salonion  E.  146  male  G  (B).  147  In  EG  Br.:  ex  PL  (ex  codd.t)  post. 
quisp.  Br.  148  et  PL  (ex  codä.f):  om.  EQ  Br.  149  hoc  om.  G.  150  te  ante  inv.  om.  E  hoc 
enim  te  EG,  hoc  et  te  Hannen.  151  Ut  PL  (e.c  eodd.f)  hoc  G.  152  rectores  (A)  studebunt 
Haussen:  student  codrf.  edd.  153  ac  sese  (AD),  ac  sie  se  EG  Br.,  ac  sie  sese  Pi.  (ex  BS) 
155  praeeipue  EG  Br.  piget  Br.  156  qtrisn&m  Bö  deo  minus  (A)  servuin  magis  G  amplectitur 
EG  Br.  157  quaedam  om.  AriWJto  ti  Pi,  158  nihilum  perdidit  et  nihilum  (c.  161)  fortiter  fecit, 
omissis  ceteris  (A)  fecit  augm.  Hangen,  augm.  fec.  codd.  edd.  augmentum  E.  159  sie  Br.  magis 
illum  PL  (ex  codd.?).  160  fugans  E.  161  numquam:  nihil  G  fort  umq.  G  fecit:  egit  G.  162  Sicut 
et  Haussen:  sicut  EG  (B)  sie  Br.  sie  et  Pi.  (ex  ADf)  ampliui  PL  (ex  ABD?):  plus  EG  Br. 
163  quae  illi  post  sp.  huberes  G  affert  G  Br.  (B)  fruetus  Pi.  (ex  A?).  165  perduxit  Pi.  (ex  ABD) 
166   disperes  E.      167   decernis  Pi.    (er  eodä\f):    discernas  G       169   nulla:    multa  Pi    (ex  codd.?) 


440 

Non  erit  in  crimine,   i  quem  poenitet  ante  fnisse, 
171     nee  dicetur  impius,  !  qui  fuerit  denuo  pius. 

Sequentia  vero  j  carniina  construeta  latuentis 
173     suspirando  lectita,  |  nonnumquam  plorando  decanta. 

Nam  potens  est  dominus  j  transferre  in  gaudio  luctum 
175     et  adversa  omnia  j  in  prosperitate  mutore. 

Quem  aeternis  laudibus  j  glorificant  incolae  caeli 
177     et  summis  honoribus  j  eultores  eifern nt   mundi. 

170  crimini  E.     171  quia  (D)  denuo  om.  E.     174  polest  et  gaudium  Br.     175  prosperitatem  Br.(B). 
176  ine.  glorif.  G  incolae:  in  coelo  Br. 


Ineipit  LAMENTUM  POENITENTIAE  duplici  alfabeto  editum  exeeptis  tribus 
litteris  AB  et  N,  in  quibus  aliquantis  versibus  multiplicatur,  ubi  exoravit 

pro  indulgentia  peccatorum. 

Audi,  Christe,  tristem  tietum  |  amarumque  cantieum, 

quod  perculsus  et  contritus  |  modulatur  spiritus. 
3     cerne  lacrimarum  fluetus  !  et  ausculta  gemitus. 

Ad  te  multum  vulneratus  |  vocem  fletus  elevans 

alta  de  profundo  cordis  |  emitto  suspiria, 
6     preeibus  si  forte  velis  |  placätus  ignoscere. 

Alleva  calamitatis  |  importunae  pondera, 

quae  me  diütius  premit  J  et  elidit  impie 
9     nee  discedit,  ut  resumam  |  vitae  respiraculum. 

Abläto  consolatore  |  quadro  clausus  lapide, 

gemo  lugens  et  suspiro  |  'miserere'  clamitans. 
12     pulso  rogans  tota  die,  |  sed  tu  semper  dilatas. 

Ad  iuventütis  delictum  |  et  ad  ignorantiae 

non  me  teneas,  exoro;  |  sed  misericorditer 
15     praetermissum  hoc  dispone  |  iam  indigno  parcere. 

Ab  antiqua  pietate  |  ne  declines,  obsecro. 

nam  iustitiae  rigorem  |  si  me  sequi  iubeas, 
18     mille  sum  debitus  poenis.      mille  dignus  mortibus. 

Aspice  iam,  deus  clemens,  |  aerümnas  quas  tolero; 

remove  contritiones  |  et  flagella  prohibe, 

E  =  Cod.  Monac.  (S.  Eminerami)  14843  f.  54—63.  G  =  Cod.  S.  Galli  269  pag.  130—149. 
Br.  =  Isidori  opera  ed.  Du  Breul  Paris  1601  p.  336. 

Lamentatio  E  alfebeto  G  id  est  AB  Br.  E  super  lin.  ubi :  tibi  G  exorabit  G,  exorat  Br. 
1    triste  EG.     2    percussus   G   modulatus  G.      3    fluxus  E.      7    inportuna  G.      15    praetermisso  ? 


441 

21     ne  me.  precor,  indignatus  i  opprimas  et  conteras. 

Annos  meos  in  dolore  i  vitam  in  gemitibus 

vilis  factus  consummavi;  j  parce  mihi,  deprecor. 
24     iam  non  possum  sustinere;  j  da  dextram  et  eripe. 

Adgravasti  manuin  plagae  j  super  me  validius 

carnem  dira  flagellorum      ultione  contereus 
27     caede  ferro  sorde  [teste      tenebrarum  carcere. 

Auges  tempora  pressurae.      luctus  addis  onera, 

differens  afflicto  valde  j  dare  milii  requiem. 
30     contra  quod  grates  rependo,  j  non  resultans  murmuro. 

Abes,  dico  veritatem,      ut  occidas  impium, 

sed,  rögo,  post  disciplinani      da  placatus  veniam, 
33     quia  non  mortem  iniqui  |  sed  vitam  <h\sideras. 

Acciho  me,  non  exciiM»      landaus  te,  quod  mitis  es; 

iuxta  modum  delictorum      parva  dator  ultio: 
36     haec  et  ampliora.  clanio,      dignus  sinn   excipere. 

Ad  remedium  malorum      aeterni  indicii 

satius  est  nunc  flagello  \  temporal i  percoti 
39     quam  perennilms  f'uturo  J  dari  cruciatibus. 

Adhibe,  si  placet,  adhuc      tormentoruin  stimulos, 

quibus  defluant  veterna  j  putridaque  crimina: 
42     salus  tantuni,  vita  demom      subsequatur  morbidum. 

Adhibe,  sed  non  i latus,      ut  sit  tolerabile, 

quod  nie  propter  mea  iubes  |  perpeti  facinora, 
45     quatenus  correpto  rursum      sis  mitis  post  verbera. 

Auiiirum  est  hoc,  sed  leve,      quia  pertranaibile; 

sed  amarius  et  grave,  j  quod  inrevocabile, 
48     quo  poenarum  non  est  finis  j  nee  dolori  requies. 

Ardens  illic  urit  Üainnia      (laiu])uatoruni  corpora. 

ultra  redituni   non  sperat,      quem  lila  suseeperit. 
51     cuius  pavöre  tabesco,      liquesco  tormidine. 

Arbiter  et  testis  aequus  |  ipse  dum  adveneris 

iustam  reddere  niercedem      Bingaloram   uitM-itis. 
54     quo  me  salvare  decernas,  |  opus  non  invenies. 

Adeo  districtum  cernens  |  examen  indicii 

dueo  vitam  in  moerore      iugiter  et  gemitu; 
57     iustum  iudicem  visurus  \  iam  pavesco  territus. 

17  rigore  E.  18  debitor  Br.  24  dextcnun  EG,  L}">  nalidus  /•.'.  88  augis  E  honera  E.  'SO  re- 
pendo: refero  G.  31  Halx's  (i.  :\:\  iniquo  E.  38  satis  (r  nunc  [est]  Arcrulo.  41  aeterna  E. 
45  quatinus  G  uulnera  G.  46  hoc  est  et  leve  Br.  47  amarus  E.  48  quod  EG.  l;>  illa  G. 
55  A  Deo  Arev.  61  A:  EG.  65  dextram  &.  69  periineri*  E.  71  perdebia  VGi  tu  perdea  Br.. 
Abh.d.  I.Cl.d.k.  Ak.d.  Wiaa.  WH.  Bd.  II.  Abth.  57 


442 

Amärus  et  pavidus  tone  j  vultus  tuus  impiis, 

per  quem  nullus  inpunitus  |  erit  babens  crimina. 
60     nisi  qui  läcrimis  illa  j  nunc  vivens  absterserit. 

A  tranquillitate  tua      tu  nümquam  mutaberis; 

sed  mitis  parebis  iustis.  |  terribilis  impiis, 
63     quos  babuerit  de  culpa  |  reos  conscientia. 

Ab  iniquis  iustos  omnee      segregans  velociter 

pones  haedos  ad  sinistram      et  agnos  ad  dexteram. 
66     hos  aeternae  hui  dabis.      illos  autem  tenebris. 

Ab  ira  fnroris  tui      quis  non  conturbabitur? 

quae  a  nulla  creatura  \  coliiberi  poterit, 
69     cum  peremeris  ini<|Uo.s      oris  tui  gladio. 

Amputans  verbo,  non  ferro      cervices  peecantinm 

perdebis  in  tempestate  |  festinanter  impios. 
72     vitae  sempiternae  iustis      conlstoraa  praemia, 

'Aetipite'.  dicens  illis.     'regnom  quod  parafom  est 

vobis  pro  fructibus  iustis  |  et  misericordiae'; 
75     his  et  illis.  quae  fecerunt.  j  cimcta  tu  testificane. 

Adstabunt  ante  tribuual   j  tuum  omnefl  aiiimae, 

quidquid  in  carne  gesserunt,  ;  narrantes  ad  singula. 
78     quid  pro  tain  aeftndtt  miser      t  i-riminibus  respondeaiuV 

Assertio  falrrata      iustuin  nulluni  faciet; 

actus   boni  tantum  facta  |  non  verba  recipies, 
81     data  singulis  talenta  |  cum  usuris  expetens. 

Abactis  et  refutatis  j  excusationibus 

en  hömo  tantum  dicetur  |  et  6pera  illius: 
84     quae  praecernens  ut  meretur      confestim  recipiet. 

Arcäna  tunc  secretoruui      omnk  conscientiae 

sie  lustrabis,  velut  vultus      cernitur  in  speculo. 
87     heü  mihi,  qui  parebo  |  peior  omni  pessimo! 

Ad  personam  non  convertes  |  visum,  sed  ad  merita 

nee  natalibus  insignem,  J  sublimem  prudentia 
90     facies  tibi  consortem,  \  sed  insontem  opere. 

Abominabilis  erit  |  coram  te  iniquitas; 

nullus  enim  inniundoruni      tibi  sociabitur. 
93     quomodo  tunc  fetens  hircus  I  mundis  iungar  ovibus? 

disperdes?  featinantes  Br.  73  dicet  Br.  quod  om.  Br.  iustitiae  Br.  75  fecerunt  G:  feeistis  E  Br. 
testificasV  77  gesserit  Br.,  gesserint  in  carne  Arecalo.  78  tarn  pro  G  Br.  nefanda  m.  crimina  K. 
79  nulluni  iustura  G.  84  qua  G  percernens  E.  86  vultum  EG  qui  cernitur  G  convertens  Br. 
88  ad  {ante  merita)  om.  E.  89  praesentia  E.  93  tunc:  te  G.  96  qui  nee  ipsi  EG,  qui  n 
iusto  Br.,   etsi  iustus  forte   Areral.     97   decernens  KG.      101   cogitatiönesque  Meyer,  cogitationes 


443 

Ante  te  iusti  nee  erit  j  secüra  iustitia. 

quam  si  districte  perquiras,  j  et  ipsa  peccatum  est: 
96     quin  et  ipsi  nisi  parcas,  j  vae,  periclitabitur. 

Arguens  in  veritate  J  decernes  iudicium, 

et  in  aequitate  tua      iustus  vix  salvabitur. 
99     ubi  tunc  ego  parebo,      peccator  et  impius? 

Annalibus  reseratis      nudabuntur  publice 

omnium  hörainum  facta      cogitationesque : 
102     in  statera  tu  librabie      <»nmia  in  pondere. 

Adpenso  bono  vel  malo.   |  pars  haec  operarium 

vindicabit,  quam  momenti      lances  declinaverit. 
105     quid  agam.  si   pondoa  niali      bm  laeva  iactaveritV 

A  iustitia  diverti      nullo  mod  >  poteris 

nee  personam  aeeeptabis      nee  Ulla  munuscula, 
108     sed  reddes  uuicuique      iuxta  sua  opera. 

AspiVicnt   niali   iustos.      COOl   beatitudinem 

gloriae  promeruerunt,      et  dolebunt  acriter. 
111     quod  non   vixciini   sie  in>t<\      ut  sie  essent  liberi. 

A  dolore  in  dolorem      nequiorem  transient, 

•  Ulli  'abitc   maledicti'      illis  ips»>  dixeris, 
114     'in  igneni.  <pii  est   paratofl      rofaifl  et  dialx>lo. 

A  requie  beatoruin.      vita  vel  consortio 
iiblatos  tnfaentea     ianotosqiie  diabolo 
117    ut  aetemis  enm  sofern     dentnr  cruciatilni-. 

Adlevaliunt    ululatuin   |  et  rugitum  f  imnaiiciii 

planctum  magnum  facienta,      aiu;inmi  et  validum, 
120     quäle  nuin<|uani   t'uit   factum      n»'<-  dictum  vel  visum  est. 

Ad  gentem   gena,   vir  ;nl   viriini       ßectora   percutient, 

tribus  ad  tribum  et  regnum      contra  regnum  ferient, 
123     viri  denique  seorsuni      et  BeDream   faminae. 

Angeli  tunc  copulabunt  |  scelere  consimiles. 

<|iin.s  cürsim  praeeipitantes      dabunt  flammis  inferi, 
126     ut  par  poena  semper  urat,  j  quos  par  culpa  sociat. 

Abibunt  vita  praeeisi      snblatique  gaudio 

quo  perennis  erit  luctus  |  dolorque  perseverans 
129     et  consolatio  nulla      nee  ümquam  reversio. 

IM  iuslitiac  Q  el  (iustitia  i  /•.'.  cogitatus  impii  Br.  102  in  mite  stat.  <»n.  G.  104  qua  O  lance  Br. 
declinaverint?  107  persona  E  ullius  munera  Br.  108  sed  unic.  reddes?  HO  proineruerint  EG  Br. 
112  transeunt  G.  IV)  malcdictis  G  dixerit  Br.  117  cum  eodein  aet.  G.  118  ululatu  E  in- 
iuane  CE.  120  neque  Br.  uel:  noc  G  est  om.  Br.  122  contra  regnum  0m.  E.  124  scelera  E. 
126  par  (bM)j    per  E.      127    abetrani   E.  Habebunt  Br.   uitae   E  Br.     130  resolvet?   ploratum  E. 


444 

A  le  quisquam  non  revolvet  j  prolätum  iudicium 

nee  ab  illo  requiretur,  j  quem  ipse  perdideris, 
132     ultione  sempiterna      pravos  oinnes  puniens. 

Adeo  praerogativa  j  mitto  preeuni  commoda 

fundens  lacrimas,  dura  vivo,  |  rögans,  dum  intellego, 
135     ne  me  iuxta  mala  mea      condempnandura  censeas. 

Aspera  sunt,  quae  peregi,  |  acerba  et  gravia; 

propter  quae  si  persequi  me      iustius  decreveris, 
138     morti  debitus  et  poenae  j  novi  quod  repperiar. 

Ad  iniquitatem   meam  |  si  convertas  oculos. 

facto  poenaque  condignum      neminem  reppevies, 
141     cum  quo  me  cremandum  putes,      conburendum  censeas. 

Ad  *  scelerum  mensuram      criminumque  copiam 

ipsae  poenae  tartarorura  |  vix,  credo,  suflicient, 
144     dum  nee  talia  nee  tanta  |  quis  iniquus  fecerit. 

Anxius  ob  hoc  suspiro,  |  quod  impie  gesserini ; 

pessimorum  peccatorum  j  saucius  sum  vulnere; 
147     difficile  tantis  raalis  j  esse  salvus  arbitror. 

Artor  undique  pressuris,  j  conprimor  angustiis; 

fluetuat  mens  in  moerore,  j  cor  natat  in  lacrimis; 
150     nee  ulla  timore  raulto  |  requies  est  aninii. 

Arvi  polique  marisque  j   non  tutabor  sinibus. 

quin  et  haec  l'gnis  ardore  j  resoluta  defluent, 
153     ubi  nie  miser  abscondam?  |  quo  ante  te  fugiam? 

Ab  inmensitate  tua  |  mundi  girus  clauditur. 

caelum  terramque  tu  reples  |  et  sine  te  nihil  est. 
156     qui  ])lacatum  te  non  habet,  j  iratum  quo  fugiet? 

Agitur  mens  aegra  passim  |  diversa  considerans 

nee  elucet  evadendi  |  uspiam  effugium, 
159     sed  abs  te,  dömine,  t'uga  |  et  ad  te  reversio. 

Arma  suniens  poenitentis,   ■  saecum  et  cilicium, 

pulso  pietatis  aures,  |  viscera  clementiae, 
162     verba  fletus  et  doloris  |  ingerens  cum  lacrimis. 

Audi  preces,  et  placare,      mens  quas  aegra  parturit, 

consideransque  dolores  j  inpende  malagmata, 

131  ullo  G  requiretur  om.  Br.  quem  tu  ipse  iudicans  perdideris  Br.  133  A  Deo  Br.  136  quae 
egi  G.  acerua  E.  137  iuste  Br.  138  debitor  0  Br.  reperies  Br.  140  que:  quae  Br.  142  Ad 
hancscel.?  mensura  E  Ad  delictorum  mensuram  Br.  143  tartarum  E  sufficiant  E.  145  Ab  hoc  E. 
147  salvus  esse  G.  150  ulla  Arevalo:  ullo  EG  Br.,  multa  E.  151  Arua  E,  arue  G  maris,  om. 
que,  G  tutabor  EG :  turbabor  Br.  153  ubi  ego  miser  me  absc.  G.  154  girum  E,  gyrum  Br., 
girus  G  Arevalo.     155  reptes  Br.,  forte  regis  Aren.     156  quos  E.     158  elucet:  aluce  G  effugiam  G- 


445 

165     quia  tua  sum  factura      tuaque  plasmatio. 

Adhibe,  precor,  medelam      pessimis  vulneribus, 

profluentia  praestringens  |  vitiorura  ulcera, 
168     corrüpta  redintegrando  !  sanitate  perpeti. 

Aufer  me  de  luto  faecis  J  peccatorum  omnium ; 

emundare  non  contempnas,  |  antequam  discutias, 
171     et  non  ero  tunc  inmundus,      si  me  nunc  piaveris. 

Accipis  et  peccatores,  j  sed  quos  nunc  iustificas; 

respicis  raültos,  ut  Petruni,  !  si  deflentes  poenitent, 
174     sicque  lapsos  ad  interna      revehis  ad  aethera. 

Apud  te  redemptio  est  |  et  misericordia ; 

qua  nisi  propitiatus  I  parcere  decreveris, 
177     vae  mihi,  quod  malos  omnes  |  praecedam  ad  victimam. 

Ac  per  hoc  öpto  misellus,  |  nee  fuissem  genitus, 

quia  et  lux  ipsa  praesens  (  iam  mihi  tenebrae  sunt, 
180     aeternae  dampnationis  I  pavendo  pernitiem. 

Boni  nihil  habiturus,  |  quod  mälis  obiciam, 

poenarum  metu  quassata  |  tremit  conscientia, 
183     dum  formidat  infinita      subire  discrimina. 

Bone  deus,  perituro  |  nunc,  exoro,  subveni, 

nunc  et  ab  ira  perenni  |  et  a  morte  libera, 
186     ut,  quem  iustitia  punit,  I  tu  sälves  dementia. 

Benigne  pater,  ignosce,      quod  agnoscens  fateor; 

pronüntio  malum  meum,  |  non,  vindex,  operio; 
189     excipe  professionem  i  et  da  indulgentiara. 

Bonitatis  pietate  |  multis  non  merentibus 

gratis  pecc&a  diniittens  |  indulsisti  veniam. 
192     mihi  non  defraudes  uni,      quod  dedisti  plurimis. 

Blanditus  confessione  |  placaris  humilium 

et  ad  ignoscendum  cito  |  flentis  voce  flecteris, 
195     poenitentis  adsuetus  |  consülere  lacrimis. 

Brevis  non  est  manus  tua,  |  ut  praestare  neejueat; 

multus  es  ad  ignoscendum;  |  hinc  indulge,  clamito. 
198     miserere,  ne  disperdas:  |  parce,  ne  interimas. 

Biplici,  quaeso,  flagello  j  noli  me  percutere; 

l")(.t  et  a  te  G.  165  tuque  (r.  167  perstringes  E.  168  redi  integrando  E  sanitati  E  pei-petim  G. 
169  me  de  luto:  niedulato  E.  170  et  inundare  G.  174  ad:  ab  E.  176  qua  nisi:  quasi,  ni  s.l.E, 
quia  nisi  G,  quam  nisi  Br.  177  piaec.  omn.  E.  178  nee  (=  ne  quidem?)  EG,  ne  Br.  179  prae- 
sens om.  G  sunt  om.  G.  180  'paveo  fttfte'  Arrvalo  pernetiem  G.  182  tremet  E,  treme  G  in  ras. 
184  subv.  exoro  Br,  186  tua  E.  190  pietatem  Br.  moerentibus  Br.,  mer.  Arevalo.  191  grauia  G, 
192  mihi  om.  Br.  quod  tu  iledi.sti  quam  plurimis  Br.     194  et  om.  Br.  citius  Br.  flentes  (1.     196  ne- 


446 


suspende  paülulum  iram;  i  habe  patientiam. 
201     quia  multum  ego  miser.  j  sed  tu  plus  misericors. 

Conversus  ad  pietatem      restitue  gratiam: 

vitam  cum  peccato  simul      ne  veli>  extingueiv: 
204     serva  benedictionem  j  receptandae  veniae. 

Carnem  pro  peccato  suo,  |  quantum  placet,  adtere; 

piagas  enim  temporales      libenter  excipiani: 
207     precor  tantuni,  ne  perenncs      indignatus  inferas, 

Dolöribus  hie  afflige,  I  moeröribus  affice; 

per  flagella  modo  purga,      ne  futuro  punias: 
210     carnis  poena,  quae  deliquit,  |  redimatur  aninia. 

Decerne  clementer  pie      perditum  reqtrirere, 

mira  qui  benignitate     abio*ctoa  recolügu 
213     et  aversos  reconvertis,  |  aberrantes  corrigis. 

Errässe  me  dudum  plango      prof&mta  et  prodigus, 

meretricio  amore     bona  perdeu  patria; 
216     hinc  ad  te  vilis.  egenua  |  et  percussu-  remeo, 

Ego  me  indignum  loco      filiorum  clamito. 

quod  paternitati>  tna<'  |   renuens  admonita 
21D     vagus  perqMa<|uai)i   detluxi.   |  cueürri  per  avia. 

Feci  malum  miser  ego  j  in  insipientia: 

provoeavi  te  ad  iram      (Iuris  facinoril>i^. 
222     quibus  rite  consternatus      magno  luctu  coutcror. 

Fletibus  taiiiin  revertor  |  confitendo  poenitens; 

aufer  indignationt'iu      culpac  i'aetus  inmeiuor 
225     et  paterna  pietate      sume,  precor,  erruhun. 

Grassari  si  tarnen  adhuc      plagis  me  diiudita>. 

feri  me,  sicut  quos  amas,  |  castiga  et  argue. 
228     sed  clementer  ut  emendes,  |   non  ut  interficias. 

Graves  ut  cülpae  merentur,  j  non  ita  desaevias ; 

tempera  severitatem.      desine  percutere, 
231     iugi  ne  pläga  contritus  |  desperem  et  peream. 

Hoc  interdum  te  deposco,  |  ne  temptationibus. 
quibus  subinde  pervertor,  j  violenter  obruar; 
234     vietns  ne  miser  suecumbam,      da,  precor,  auxilium. 


queas  Br.  197  hinc  om.  G.  199  iblici  G.  203  uita  E.  209  ne  in  fut.  Br.  218  que  EG  aversos 
Areralo:  aduersos  EG  Br.  oberrantes  G  Br.  214  prophanus  G,  pollutus  Br.  216  vilis  et  egenus 
remeo,  perc  om.  G.  218  rennuens  E  monita  G.  219  perquaqua  E,  per  quaequam  Br.  220  in- 
sipientiam  E.  222  rite  EG :  digne  Br.  225  precor  erruluni  E,  pater  erulum  G,  precor  erro- 
neum  Br. ;  errulum  coniecit  Arevalo.  226  Grassari:  punire  Br.  227  feri:  fer  Br.  amas:  diligis  Br. 
228  ut  non  interf.  E.     230  serenitatem  G.     231  iugi:  usque  Br.     233  obruat  EG.     234  auxilium 


447 

Herudiri  me  tantundem,  j  non  permittas  decipi; 

nara  sufferre  temptamenta      daemonum  non  potero, 
237     si  desieris  eorum  |  frenäre  malitiam. 

Inde  te,  benigne  deus,  |  adclinis  efllagito, 

quantulum  cümque  placare,  j  ut  et  hie  indulgeas : 
240     nara  longa  pöena  subactus      niiser  valde  factus  suni. 

In  dolore  sempiterno  j  carnem  ne  constituas. 

ut  crudeliter  exire  |  conpellatur  anima. 
243     da  erneiiitibus  finem,  |  requiescat  Spiritus. 

Karpe  moras,  visita  me,  |  imrao  veni,  libera. 

'sarge    dicito  captivo,  |  'prodi  foras'  misero. 
24b'     revela  cärcere  trusum,  j  pande  iara  absconditum. 

Kaput  et  reliquos  artus  j  aqua  munda  diltw 

atque  internus  squalores  j  gratia  purihYa. 
249     eunetis  ut  abire  rinM      defectura  feraeibus. 

Lugeo  confusus  mala,      quae  gessisse  memoro: 

t'undo  preces  et  lamenta  |  contristatus  animo. 
252     precor,  optatani   ne  iirges      poenitenti   veniam. 

Lacrimae  contra  peccatum      mm  quidrin  sulticiunt, 

sed  quod  non  TÜ60  parvis  |  expiare  fletibus, 
- .")."»     oro,  pietate  demas,  |  abluas  dementia. 

Miseratione  tua  |  fac  iüstum  ex  irapio, 

fulgidimi  da  tenebroso,  !  nitentan  ex  horrido, 
258     innocentem  ex  iniquo,  |  viventem  ex  raortuo. 

Mi-i  ratus  iara  omitte  j  noxas  mihi  criminis, 

erfpiens  plasma  tnnm  I  de  manu  diaboli; 
261      nifnn;nt(i  figmenti  tui  j  et  est«)  placabilis. 

Manns  tuae  me  fecerunt,  J  formATenini  digiti; 

corpus  in   rentn  materno  j  per  membra  delineas, 
2<>4     tua  virtüte  ereatani      quo  clausisti  aniniain. 

Ne  des  in   rninani  mortis  J  opus  tuum,  domine, 

propter  caiD&le   peccatum,      qiiod  lamentis  elui. 
2<i7     possibile  praeduristi     atqne  reniabile, 

Nulluni  perfre  proteetans,     (|uanivis  gravi  crimine 

E St. :  u.iiiaiii  &,  _':!•*»  Bemdire  (--erud.?)  nie  tantundem  non  A',  lierudire  (re  eras.)  me  tandem 
non  Q  heu  dire  me  tandem  precor  ne  Br.;  tantundem  =  tantuin  ?  _:57  Desiderii  eorum  malitiam 
refrena  Br.  238  adclines  S,  aeclivis  Br.  240  nam  et  sinn:  ne  et  sim  Br.  242  ut:  et  EG.  ne  Br. 
OOmp.  i'xin'  fr.  244.  Carpe  mores  Br.  246  releva  Br.  247  Kapud  IM.  248  atque:  et  EG. 
porif.  gr.  Br.  249  abira  E  fer  actibus  G.  250  memoror  G  Br.  252  oblatam  Br.  ne  rat  E. 
258.  contra:  propter  G.  254  non  oh.  F..  2öl  de  om.  G.  259  mihi  noxas  E.  263  dilanipns  »i.  1. 
dilfaeai  m.  '.'  /•'.  delinieni  <•■    264  qood  B  nrimwa  Q.    265  ruina  E.    267  atque  rae  norabile  Br. 


448 

carnäliter  polluatur;  j  si  redeat  poenitens 
270     et  non  haesitet  in  fide.      sumi  posse  veniam. 

Nuntians  per  te  et  tuis  '  missis  et  discipulis : 

cpoenitemini,  caelorum  j  prope  regnum  factum  est 
273     et  ömnis  peccati  datur  |  in  Christo  remissio\ 

Non  in  multis  iustis  ita  j  te  gaudere  perhibes, 

ut  in  uno  poenitente  j  peccätis  erroneo 
276     'veni  quaerere,  salvare\  |  dicens,  'quod  perierat'. 

Nulla  taui  grändis  est  culpa,      cui  non  sit  venia. 

omne  facinus  peccati  |  delet  poenitentia. 
279     si  reiectis  malis  quisquam      saaue  hanc  peregerii 

Nulluni  est  mäluni  quod  nequit      alioleri  lacriniis. 

omne  peccatum  dixisti  j  dinn'tti  hominibus 
282     spiritus  *  tantum  sancti  |  excepta  blasphemia. 

Numquid  fixum  verbi  tui  |  solvetur  propositumV 

absit  hoc,  dömine  deus,  |  ut  repellas  quempiam, 
285     qui  post  malum  resipiscens  |  te  conversus  sequitur. 

Obice  benignitatem  |  et  vince  malitiani : 

praebe  moram  poenitendi,  j  tempus  mortis  dilata : 
288     fac,  ut  salus  subsequatur,  |  non  töllat  interitus. 

Omnino  confidens  credo,  j  quod  nölens  perire  me 

subiecisti  nie  flagellis,  j  quibus  resipiscerem, 
291     ut  abominando  culpam  |  redirem  a<l  gratiam. 

Placeat,  Christe,  dampnatum      reparare  naufragum ; 

de  interitus  errore  |  te  quaerente  redeam 
294     atque  de  maligno  dignus  j  efficiar  famulus. 

Peccävi  tibi  peccavi  j  et  deliqui  nequiter, 

sed  conversum  noli  perdas  |  et  quae  posco  tribuas, 
297     ut  me  muudes  ante  mortem  |  et  dum  vivo  redimas. 

Quis  füerim  ne  requiras,      sed  quis  esse  cupio; 

veteri  culpa  ne  quaeso  j  reputes  dampnabilem; 
300     cerne  corrigendi  votum  |  et  relaxa  debitum. 

Quamquam  de  reatu  facta  j  sit  mihi  confusio, 

novi,  quod  de  fine  quemquam,  |  at  non  de  principio 
303     aut  pro  bono  tu  corones  |  aut  pro  malo  iudices. 

Recipe,  domine  pater,      fuga  lapsum  servulum; 

270  summi  E.  271  pro  Br.  et  post  missi.s  nm.  E.  275  in  ununi  uno  m.  1.  E  penitentem  peccätis 
erroneura  EG.  in  uno  erroneo  peccätis  erroneo  turpissimo  Br, ;  cf.  orat.  pro  corrept.  fin.  276  ve- 
nires  G  v.  quaerere  et  salv.  EG  Br.  dolens  Br.  279  haec  G.  282  deest  syllaba;  'forte  In  spiritum 
tantum  sanctuin'  Arevalo  blasfemia  G.  283  tui  om.  G.  286  bonitatem  G  Br.  290  nie  om.  Br. 
296  nolo  Br.     301  facta  G:   facti  E  Br.     302   at:    iam  E,  nam  Gr.     303   Aut:  Ut  G  tu  om,  EG 


449 

tolle  mortem  poenitenti,  |  te  precantem  libera, 
306     et  cum  electis  ad  vitam  |  agni  libro  renota. 

Reprobari  nie  ne  sinas,  |  quem  pro  meis  meritis 

ingenti  pressura  polis  |  et  limas  diutius, 
309     sed  quem  viventem  castigas,  |  recipe  post  obitum. 
.    Solve,  Christe,  vinela  pedum,   ;  ligamenta  criminum: 

resera  Innen  obscurum  j  tenebrosi  carceris; 
312     redde  iam  liici  sepultuni,   !   peregrinum  patriae. 

Tolle  furörem  perennem  j  ab  änimo  principis; 

te  propitiante  fiant  |  iam  mihi  placabiles, 
315     quos  adversos  diuturna  j  miser  ira  tolero. 

Veni,  Jesu,  ne  tarderis,  |  mors  äntequam  rapiat, 

fessum  de  pulvere  leva,  |  tibi  reconcilia: 
3 IX     lacrimas  iuges  absterge,  |  cor  triste  laetifica. 

Christe,  qui  diversitate  |  gratiarum  Aires  08, 

f'ructum  et  meritum,  precor,  j  ut  viventi  tribuas, 
321     ne  me  sterilem  praecernens  |  succidas  in  poeterum. 

f  Vacare  post  malum  bonuni  |  me  permittas,  obsecro; 

liabeam   inünere  tuo  j  conlata  quae  offerain 
321      quibtlfl  a   lat-va  subhitus      fcraoseam   ad  dexteram. 

Zabulo  me  ne  coniungas      ad   mortem  cum  impiis 

nee  in  tartari   baratro  |  patiaris  obrui, 
327     qui  venisti  te  credentes  j  de  mörte  rediraere. 

Gloriam  iam  vigil  canam  j  alfabetum  finiens 

tibi  patri   tilioque  |  inclito  paraclito 
330     cui  laus  est  et  potestas  |  per  aeterna  saecula.     Amen. 

coronas  K  iadicaa  E.  804  tamuhun  Br.  305  morti  poenitentem  E  prec.  te  G.  300  revoea  B>". 
307  non  E.  309  fatigas  B  Br.  Nfi06  /-'.  311  lumen  E.  313  principis  —  diaboli;  CM  scrib. 
daemonnmV  814  mihi  iam  E.  815  miseria  G.  317  tibi:  et  me  Br,  320  ut  om.  Br.  uiuentem  E. 
contiilmas  Br.  :521  percerneas  G,  proc.  Br.  322  bono?,  Yacera  post  multa  bonum  ne  G, 
Bfaeerari  me  i>ost  mala  ne  Br.  324  a:  e  E  dextram  G.  325  non  Br.  320  banitrum  E.  327  in 
te  (•.  -'>2H  (iluria  E.  330  est:  erit  Br.,  om.  GE  per:  in  G.  Amen  om.  G.  In  E  $eqwtW  K\- 
hortatio  sine  litida:  in  Q  sequitur:  Incipit  Orat.  cuius  supra  pro  correptione  vitae  et  propter 
flenda  semper  peccata.    Deus  omnium  mirabilium  etc. 


Abb.  d.  1.  Cl.  d.  k.  Ak.  «1.  Wiss.  XVII.  Bd.  II.  Abth.  58 


Uebersicht. 


I.  Die  Anfange  der  lateinischen  Rythmik  S.  267—307:  Die  gewöhnliehen  Ansichten  Eiber 

die  Entstehung  der  lat.  Rythmik  S.  267.  In  den  quantitirend  gebauten  Spottversen  ist  der  Wort- 
accent  nicht  beachtet  S.  269.  In  den  alten  Rythmen  fällt  der  Wortaccent  nicht  mit  den  betonten 
Stellen  des  quantitirenden  Schemas  zusammen  S.  271.  Bau  der  longobardischen  rythm.  Hexa- 
meter S.  276,  der  sechszeiligen  Räthsel  S.  278  und  Beilage  III,  der  Exhortatio  poenitendi  und  des 
Lamentum  S.  282  und  Beilage  IV,  von  Augustins  Psalm  S.  284,  endlich  von  Comiuodians  Carmen 
apologeticum  S.  288  —  306  (Silbenzahl  und  Halbzeilen  S.  289,  Prosodie  und  Hiatus  etc.  S.  290, 
Quantität  S.  291,  Scheinprosodie  S.  295,  Schlüsse  der  Halbzeilen  S.  296.  Anfänge  der  Halbzeilen 
S.  297,  Beobachtung  des  Wortaccentes  S.  300,   Akrosticha  und  Reim  S.  303,   Paargesetz   S.  304). 

II.  Die  Anfänge  der  griechischen  Rythmik  S.  808-  362:  Hymnus  des  Methodius  S.  309. 
Die  beiden  rythm.  Gedichte  Gregors  von  Nazianz  S.  313  und  Beilage  No.  I.  Die  gleich zeil igen 
rythm.  Gedichte  der  Griechen  und  der  Taktwechsel  S.  316 — 326  (die  Betonung  der  Silben  8,  ">18. 
Gedicht  des  Kaiser  Leo  S.  320,  des  Photius  S.  322.  Andere  gleichzeilige  Gedichte  S.  323.  Poli- 
tische Verse  S.  325).  Ueber  die  künstlichen  Strophen  der  griech.  Kirchenlieder  S.  326 — 357:  Die 
Kurzzeilen  S.  329.  Die  Langzeilen  und  Absätze  S.  332.  Wiederholung  der  musikalischen  S&ttt 
S.  334,  besonders  in  den  Prooemien  S.  336,  dann  in  den  Hymnen  selbst  S.  339.  Freiheiten  im 
Bau  der  Strophen  S.  345—350  (in  der  Silbenzahl  S.  346  und  Beilage  II,  in  der  Betonung  S.  347, 
in  der  Verbindung  der  Kurzzeilen  S.  348).  Beispiel  für  diese  Regeln  S.  351.  Reim  und  Akrosticha 
in  den  griech.  Strophen  S.  355.     Die  darnach  gebildeten  lateinischen  Sequenzen  S.  357 — 362. 

III.  Ursprung  der  lateinischen  und  der  griechischen  Rythmik  S.  363— 399:  Ursprung  der 
griech.  Hymnenstrophen  S.  363—369  (ihr  Bau  nicht  erst  von  Pitra  oder  Christ  entdeckt  S.  363, 
ihr  Ursprung  nicht  altgriechisch  S.  364,  sondern  syrisch  S.  366.  Betonung  der  syrischen  Verse 
S.  367).  Ursprung  der  gesammten  latein.  und  griech.  Rythmik  aus  der  semitischen  S.  369 — 379 
(die  Formen  sind  nicht  einheimischen  Ursprungs  S.  370,  sondern  semitischen  S.  372.  Versbau  der 
Psalmen  S.  373.  Bardesanes  S.  375  und  Ephrem  S.  376.  Ursprung  des  Reims  S.  377).  Die  erste 
Entwicklung  der  latein.  und  griech.  Rythmik  S.  3S0.  Die  Fortentwicklung  des  Reims  in  den  latein. 
Ländern  S.  382.  Fortentwicklung  der  griechischen  und  lateinischen  S.  386,  der  romanischen  und 
deutschen  Rythmik  S.  387.  Zusammenstossende  Hebungen  in  den  musikalischen  und  in  den  logi- 
schen Sprachen  S.  391,  Folgen  hievon  für  die  prosaische  und  für  die  dichterische  Rede  S.  393. 
Schluss  S.  396. 

Beilagen.  I.  Die  rythmischen  Gedichte  des  Gregor  von  Nazianz  S.  400  (vgl.  S.  313). 
II.  Altes  griech.  Kirchenlied  S.  410  (vgl.  S.  346).  III.  Sechszeilige  Räthsel  in  rythm.  Hexametern 
S.  412  (vgl.  S.  278).     IV.  Exhortatio  poenitendi  und  Lamentum  S.  431  (vgl.  S.  282). 


Platonische  Studien 


von 


W.  Christ. 


Abh.  d.  L  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  II.  Abth. 


;.9 


Platonische  Studien. 

Ich  liebe  es  sonst  ohne  langes  Vorspiel  direkt  auf  die  Sache  loszu- 
steuern; dieses  Mal  aber  möge  es  mir  gestattet  sein  meine  Untersuchungen 
mit  einigen  persönlichen  Bemerkungen  einzuführen.  Ich  bin  nicht  als 
Platoniker  in  der  philologischen  Literatur  bekannt,  und  manche  meiner 
Freunde  werden,  wenn  sie  überhaupt  von  meinen  Arbeiten  Notiz  nehmen, 
bei  der  heutzutag  ins  Ungemessene  gehenden  Arbeitsteilung  sich  ver- 
wundernd fragen,  wie  ich  denn  von  Homer  und  Metrik  und  Sprachver- 
gleichung nun  plötzlich  zu  Plato  komme.  Nun  so  ganz  fremd  ist  mir  seit 
den  Studentenjahren  der  erhabene  Begründer  der  idealen  Weltanschauung 
nicht  geblieben,  wenn  ich  auch  bisher  über  denselben  noch  nichts  ge- 
schrieben habe.  Spengel,  Prantl  und  Trendelenburg  haben  auf  der 
Universität  mich  zum  Studium  der  griechischen  Philosophie  begeistert, 
und  wenn  ich  mich  auch  zunächst  an  Aristoteles  hielt,  dessen  nüchterne, 
fast  möchte  ich  sagen  radikale  Strenge  der  Beweisführung  mich  in 
höherem  Grade  fesselte  und  mir  überdies  ein  ergiebigeres  Feld  eigener 
Forschungen  zu  bieten  schien,  so  habe  ich  doch  darüber  den  göttlichen 
Plato  keineswegs  ganz  vernachlässigt.  Später  freilich  führte  mich  das 
Streben  das  Altertum  nach  den  verschiedensten  Seiten  kennen  zu  lernen, 
auf  andere  Gebiete  der  philologischen  Thätigkeit,  so  dass  ich  Jahrzehnte 
lang  nur  vorübergehend  bei  Plato  einkehrte  und  da  nur  einzelne  Schriften 
des  grossen  Philosophen  las.  Erst  vor  anderthalb  Jahren  brachte  mich 
meine  akademische  Lehrthätigkeit  wieder  mit  Plato  in  nähere  Berührung, 
so  dass  ich  seit  dem  meine  volle  Mussezeit  dem  Studium  der  Schriften 
und  des  geistigen  Entwicklungsganges  Piatos  widmete.     Ein  Amerikaner 

59* 


454 

Namens  Shorey  kam,  von  einem  meiner  älteren  amerikanischen  Schüler 
Dr.  Sterett  empfohlen,  hieher,  um  mit  meinem  Beirat  eine  bereits 
entworfene  Dissertation  über  den  ontologischen  Gehalt  der  platonischen 
Ideenlehre ')  zum  Abschluss  zu  bringen.  Ich  ersah  bald,  dass  der  junge 
Mann  in  ganz  anderem  Grade,  als  wie  wir  es  an  unseren  deutschen 
Studenten  zu  erleben  gewohnt  sind,  in  seinen  Klassikern  zu  Hause  war, 
und  dass  er  insbesondere  jede  Schrift  des  Plato  und  fast  jede  Stelle 
derselben  im  Geiste  gegenwärtig  hatte.  Da  galt  es  denn  für  mich  selbst 
wieder  fleissig  den  Plato  zu  lesen  und  auch  vor  dem  Dornengestrüppe 
der  dialektischen  Dialoge  Parmenides  und  Sophistes  nicht  zurückzu- 
schrecken. Und  als  ich  dann  in  den  verflossenen  Herbstferien  auf  meinem 
Tusculum  in  Agatharied  wieder  ganz  mir  und  meinen  Studien  zurückge- 
geben war,  las  ich  in  der  Züricher  Ausgabe  den  ganzen  Plato  in  einem 
Zuge  durch  und  setzte  darauf  an  der  Universität  in  Vorlesungen  über 
Plato  und  Aristoteles  und  in  Interpretationsübungen  über  Phädrus  und 
Theätet  meine  platonischen  Studien  fort.  War  nun  dabei  auch  mein 
Streben  zunächst  darauf  gerichtet,  den  Plato  selbst  genauer  kennen  zu 
lernen  und  im  Verkehr  mit  dem  erhabensten  und  feinstgebildeten  Denker 
aller  Zeiten  geistigen  Genuss  zu  finden,  so  konnte  es  doch  bei  einem 
Philologen,  wie  ich  nun  einmal  einer  bin,  nicht  fehlen,  dass  auch  allerlei 
philologische  Späne  mitabfielen  und  ein  und  der  andere  Excurs  in  die 
speciell  literargeschichtliche  Seite  der  platonischen  Schriftstellerei  gemacht 
wurde.  Einige  Ergebnisse  dieser  philologischen  Nebenthätigkeit,  die  mir 
der  Veröffentlichung  nicht  unwert  schienen,  habe  ich  auf  den  folgenden 
losen  Blättern  zusammengestellt  und  zwar  im  Gegensatz  zu  der  gerade 
bei  Plato  Mode  gewordenen  Breite  in  knapper  einfacher  Form.  Diese 
Einleitung  aber  habe  ich  vorausgeschickt,  damit  die  Kenner  Piatos  mich 
entschuldigen,  wenn  sie  die  platonische  Literatur  nicht  in  genügender 
Weise  berücksichtigt  finden  und  vielleicht  auch  auf  Dinge  stossen,  die, 
als  neu  von  mir  vorgetragen,  ihnen  selbst  längst  bekannt  sind. 


1)  Dieselbe  ist  inzwischen  unter  dem  Titel  erschienen,  de  Piatonis  idearum  doctrina  atque 
mentis  humanae  notionibus.     Monachii  1884. 


455 
1.    Thrasylos  und  Derkyllides. 

Wir  haben  bekanntlich  bei  Diogenes  III  56  ff.  die  Notiz,  dass  die 
Schriften  Piatos  zuerst  von  dem  alexandrinischen  Grammatiker  Aristo- 
phanes  von  Byzanz  nach  Trilogien,  dann  von  einem  gewissen  Thrasylos 
nach  Tetralogien  geordnet  wurden.  Wer  dieser  Thrasylos  gewesen  sei 
oder  wann  er  gelebt  habe,  sagt  uns  weder  Diogenes  noch  sonst  ein  alter 
Schriftsteller.  Gewöhnlich  (und  so  auch  C.  Fr.  Hermann  in  dem  bekann- 
ten Buche,  Geschichte  und  System  der  platonischen  Philosophie  S.  358 
und  560)  versteht  man  unter  jenem  Thrasylos  den  Astrologen  Thrasullus, 
der  allen  aus  der  Geschichte  des  Tiberius  bei  Tacitus  ann.  VI  20  bekannt 
ist.  Aber  Tacitus  spricht  nur  von  einem  Astrologen,  der  den  Tiberius 
in  Rhodos  in  die  scientia  Chaldaeorum  artis  eingeweiht  habe,  und  seine 
ganze  Erzählung  lässt  uns  an  alles  andere  eher  als  an  einen  platonischen 
Philosophen  oder  Grammatiker  denken.  Auf  Identificierung  des  Ordners 
der  Schriften  Piatos  und  des  Astrologen  Thrasylos  führt  nur  eine  Notiz  in 
den  alten  Scholien  zu  Juvenal  sat.  VI  576:  Thrasillus  multarum  artium 
scientiam  professus  postremo  se  dedit  Platonicae  sectae  ac  deinde  mathesi, 
in  qua  praecipue  viguit  apud  Tiberium,  cum  quo  sub  honore  eiusdem 
artis  familiariter  vixit.  Aber  das  ist  immerhin  eine  untergeordnete  Quelle, 
und  jedenfalls  kann  ich  das  bestimmt  beweisen,  dass  die  dem  Thrasylos 
zugeschriebene  Einteilung  der  Werke  des  Plato  schon  über  60  Jahre  vor 
Tiberius  existierte.  Bei  Varro  de  ling.  lat.  VII  37  lesen  wir:  Plato  in 
quarto  de  fluminibus  apud  inferos  quae  sint,  in  his  unum  Tartarum 
appellat.  Hingewiesen  ist,  wie  man  längst  gesehen,  auf  den  Phaidon  des 
Plato  p.  112  sq.;  aber  was  soll  das  Plato  in  quarto?  Scioppius  griff 
frischweg  zur  Emendation  und  schrieb,  da  es  4  Flüsse  der  Unterwelt  bei 
Plato  gibt,  Plato  in  quatuor  fluminibus;  ihm  ist  neuerdings  Otfr.  Müller 
gefolgt.  Ich  bin  in  der  neuesten  Ausgabe  der  varronischen  Schrift,  welche 
unser  A.  Spengel  nach  den  Papieren  seines  Vaters  besorgt,  für  die 
Ueberlieferung  in  IUI  o,  d.  i.  in  quarto  sc.  libro  eingetreten.  Denn  sie  ist 
nicht  bloss  erklärbar,  sondern  gibt  uns  auch  einen  wichtigen  Fingerzeig  für 
die  Ordnung  der  platonischen  Schriften  in  der  Zeit  Varros  an  die  Hand. 
In    unseren    Handschriften J)    und    Ausgaben    nämlich    folgen   die    Werke 


1)  Siehe  darüber  Schanz,  Studien  zur  Geschichte  d.  platonisch.  Textes,  Würzburg  1874,  S.  13  ff. 


456 

Piatos  in  folgender  Reihenfolge  aufeinander :  Evfrixfycov ,  anoXoyia. 
JZioxyazovg,  Kyirwv,  <Paida)v  etc..  nimmt  also  der  Phaidon  die  4.  Stelle 
ein.  Dieselbe  Stelle  hatte  dieser  Dialog  aber  auch  bei  Thrasylos  nach 
dem  Zeugnis  des  Diogenes,  während  er  bei  Aristophanes  erst  an  14.  Stelle 
stund.  Varro  folgte  also  einer  Ausgabe  des  Plato,  in  der  die  Schriften 
in  derjenigen  Reihenfolge  geordnet  waren,  welche  Diogenes  dem  Thrasylos 
zuschreibt,  und  nannte  dabei  die  einzelnen  Dialoge  ganz  sachgemäss 
Bücher.1)  Demnach  war  entweder  der  Platoniker  Thrasylos,  der  die  Werke 
Piatos  in  Tetralogien  teilte,  verschieden  von  dem  Astrologen  Thrasullus 
unter  Tiberius,  oder  es  war  Thrasylos  nicht  der  erste,  der  jene  Einteilung 
vornahm  und  speciell  den  Phaidon  an  vierte  Stelle  setzte.  Für  die  letz- 
tere Annahme  spricht,  worauf  mich  mein  Freund  Meiser  aufmerksam 
machte,  dass  der  Commentator  Albinus,  isag.  c.  4,  die  tetralogische  Gliede- 
rung der  Dialoge  Piatos  auf  zwei  Gewährsmänner,  Thrasylos  und  Derkyllides, 
zurückführt  und  dabei  den  Derkyllides  vor  dem  Thrasylos  nennt.  Billigt 
man  also  den  zweiten  Teil  der  Alternative,  so  erhält  man  zugleich  ein 
erwünschtes  Zeugnis  für  die  Lebenszeit  des  Derkyllides,  der  demnach  vor 
Yarro  müsste  gelebt  haben. 

2.    Aristoteles  und  die  alte  Unterscheidung  platonischer  Schriften. 

Diogenes  III  49  berichtet  uns  auch  von  einem  alten,  dem  Thrasylos 
offenbar  schon  vorliegenden  Versuche  die  Werke  Piatos  nach  ihrem  Inhalt 
und  ihrer  Darstellungsform  zu  charakterisieren  und  zu  scheiden.  Das  dort 
angegebene  Schema  ist: 

dtciXoyoi     v<pr\yr(uxoi  diak.     £rjrijTixoi 

/\  /\ 

/      \  /      \ 

9-eiDQtjTiKoi  nnaxnxoi  yvftvccarixoi  äyioviatixoi 

/\  /\  /\  /\ 

/  \     ,        ./  \        ,  /  \  ,         /    ,      S 

rpvatxoi       Xoytxoi       rj&txoi       itoXttixoi  fxaievxtxoi     ntiQuatuoi         evöfixrixoi     avaxQtnxixoi 


1)  Nachträglich  sehe  ich,  dass  meine  Weisheit  sich  nur  den  Neueren  gegenüber  mit  dem 
Schein  der  Neuheit  umkleiden  kann,  dass  aber  von  den  älteren  Gelehrten  schon  Victorius  var. 
lect.  XVIII  2  und  nach  ihm  Wyttenbach  im  Commentar  zu  Piatos  Phaidon  p.  313  in  ganz  gleicher 
Weise  das  Plato  in  quarto  auf  die  4.  Stelle,  welche  der  Dialog  Phaidon  in  den  tetralogisch  geord- 
neten Werken  Piatos  einnahm,  gedeutet  haben. 


457 

Auf  eine  Kritik  dieser  durch  Thrasylos  Ausgabe  auch  auf  unsere 
Handschriften  übergegangenen  Gliederung  der  platonischen  Dialoge  wollen 
wir  nicht  eingehen ;  wir  wollen  nur  anführen,  was  bisher  scheint  übersehen 
worden  zu  sein,  dass  sich  die  Anfänge  jener  Einteilung  bis  auf  Aristoteles 
hinauf  verfolgen  lassen,  nur  dass  dieser  für  wprjyrpcixrj  einen  anderen 
synonymen  Ausdruck,  yvwQiorueri,  gebrauchte  und  den  später  zur  Be- 
nennung einer  Species  angewendeten  Namen  neiQaojixrj  zur  Bezeichnung 
der  Gattung  hinaufzog.  Ich  beziehe  mich  dabei  auf  die  Stelle  in  der 
Metaphysik  III  2  p.  1004b  25:  TUpt  rb  avrb  yerog  OTQtipSTai  f]  ootpiOTtxr] 
xal  tj  oialeXTixt]  vfj  tpiXoaofpiq,  aXXa  diacpegst  rrjg  utv  rat  tqottü)  rfjg 
dvvauewg,  zfjg  dt  rov  ßiov  tFj  Tigoaiytöti ,  hiti  <Jt  fj  dtalexrixr]  7isi()a- 
or,ixr\,  nsyl  u)V  r\  cpiloao(pia  yvcoyiar  ixtj,  r\  dt  ooipiarixrj  <paivouevr], 
ovaa  (Tov.  Den  Ausdruck  miQaoTixrj  gebraucht  der  Stagirite  überdies 
noch  öfters  in  der  Topik  teils  synonym  mit  dialtxjrxrh  wie  p.  172a  31 
und  183a  39,  teils  zur  Bezeichnung  einer  Art  der  Dialektik,  wie  p.  165a 
39,   169b  25,   171b  4. 

Es  dürfte  aber  diese  Unterscheidung  der  fjie&odog  yvvjQimixri  und 
TieifjaoTixrj  bei  Aristoteles  um  so  mehr  auch  für  platonische  Lehre  und 
Schrift  Bedeutung  haben,  als  auch  sonst  sich  viel  mehr  unter  der  Ober- 
fläche liegende  Beziehungen  zwischen  den  zwei  grossen  Philosophen  finden, 
als  man  gemeiniglich  annimmt.  Ich  will  auf  die  Gefahr  hin,  der  Kleinig- 
keitskrämerei geziehen  zu  werden,  auf  ein  paar  übersehene  Aeusserlich- 
keiten  aufmerksam  machen. 

Bonitz  in  dem  trefflichen  Index  Aristotelicus  bemerkt  zu  Koylaxog 
usitatum  nomen  ad  significandum  quemlibet  hominem ,  so  dass  Koriskos 
eine  ähnliche  Bedeutung  bei  Aristoteles  wie  Gaius  bei  den  römischen 
Juristen  gehabt  zu  haben  scheint.  Aber  beachtet  man  die  Verbindung 
von  Koriskos  mit  Sokrates  de  gen.  p.  768a  1  und  met.  p.  1037a  7,  das 
Beispiel  der  Physik  p.  219b  20  oi  aocpiaxal  la/ußarovaiv  treyov  rb  Koyiaxor 
iv  yJvxeiip  slvai  xal  rb  Koylaxov  ir  äyoya  und  den  wiederholten  Gebrauch 
von  Koriskos  zur  Bezeichnung  eines  äv&Qwnog  aovaixbg  (anal.  p.  84a  24, 
met.  p.  1015b  17,  1026b  18),  so  scheint  jenes  Phantom  eines  unbestimm- 
ten Beispielsnamen  doch  schon  bestimmtere  Umrisse  anzunehmen.  Die 
Sache  hellt  sich  vollständig  auf,  wenn  wir  den  6.  Brief  des  Plato  heran- 
ziehen, wonach  Koriskos  zum  Kreise  der  Schüler  Piatos  gehörte  und  mit 


458—460 

Hermeias,  dem  Freunde  und  Gönner  unseres  Aristoteles,  enge  befreun- 
det war. 

In  der  Metaphysik  IV  5  p.  1015a  25  gebraucht  Aristoteles  für  das 
dvayxaiov  ov  ävsv  rb  dya&bv  ut]  ivötyiTcu  i]  sh'at  tj  yei'tafrai  als  Beispiel 
rb  nXevaai  eig  Äiyivav  %v*  dnoi.aßrj  rct  /yrjuaTa.  Wie  kommt  hier 
Aristoteles  dazu,  Aigina  als  den  Ort  zu  bezeichnen,  wo  man  Geld  in 
Empfang  nimmt?  Vielleicht  hängt  damit  eine  Stelle  aus  den  Politien 
des  Aristoteles  fr.  436  zusammen,  die  uns  durch  den  Lexikographen 
Pollux  IV  174  und  IX  80  erhalten  ist,  wonach  1  äginäischer  Obol  das 
Aequivalent  zu  einer  sikilischen  Litra  war. l)  Aber  damit  ist  doch  noch 
nicht  der  eigentliche  Grund  jener  Anführung  des  Beispiels  gegeben,  son- 
dern höchstens  nur  ein  Wink,  der  uns  auf  das  Richtige  führen  kann. 
Der  Wink  führte  mich  auf  den  13.  Brief  des  Plato,  der  uns  einen 
Aegineten  Andromedes  nennt,  welcher  so  eine  Art  Banquier  des  Königs 
Dionysios  von  Syrakus  gewesen  zu  sein  scheint,  und  zu  dem  Plato  zu 
schicken  pflegte,  wenn  er  in  Geldnöten  war,  um  mit  dem  auf  Dionysios 
gezogenen  Wechsel  der  Ebbe  in  seiner  Kasse  abzuhelfen. 

Ist  es  endlich,  um  einen  dritten  Beleg  anzuführen,  reiner  Zufall, 
dass  Plato  seinen  Schüler  auf  dem  Throne,  den  jüngeren  Dionysios,  zur 
Gründung  neuer  Städte  in  Sikilien  anspornte,  offenbar  um  in  den  neuen 
Gründungen  seine  politischen  Ideale,  wie  er  sie  in  der  Republik  und 
besonders  in  dem  zweiten  Teile  der  Gesetze  (Buch  3  — 12)  entworfen 
hatte,  zur  Verwirklichung  zu  bringen,  und  dass  auch  dem  Aristoteles  in 
dem  Verzeichnis  des  Diogenes  eine  Schrift  'Altiavdfjog  t)  vnty  dnoixidv 
beigelegt  wird? 

3.    Die  Trilogien  und  Tetralogien  des  Plato. 

Wie  bereits  im  1.  Kapitel  angeführt,  hat  der  alexandrinische  Gram- 
matiker Aristophanes  von  Byzanz  die  Werke  des  Plato  nach  Trilogien, 
der  Platoniker  Thrasylos  hingegen,  und,  wie  wir  oben  S.  456  sahen, 
schon  vor  ihm  Derkyllides,  nach  Tetralogien  geordnet.  Da  wir  noch 
öfters  im  Verlaufe  dieser  Abhandlung  auf  diese  Klassifikation  zurück- 
kommen müssen,  wird  es  sich  verlohnen,  hier  gleich  die  vielbesprochene 


1)  Siehe  Hultsch  Metrologie  2.  Aufl.  S.  192  und  660. 


461 

Einteilung  beider  Herausgeber  zusammenzustellen.    Aristophanes  also  nahm 
5  Trilogien  an: 

1)  Politeia,  Timaios,  Kritias, 

2)  Sophistes,  Politikos,  Kratylos, 

3)  Nomoi,  Minos,  Epinomis, 

4)  Theaitetos.  Euthyphron,  Apologia, 

5)  Kriton,  Phaidon,  Briefe. 

Die  übrigen  Dialoge  ordnete  er  nicht  zu  Trilogien  zusammen,  son- 
dern Hess  sie  gesonderte  Werke  für  sich  bilden  (t«  d'ä'/.Xa  y.a.3-'  h>  xal 
draxTiug   Diog.   III    62). 

Thrasylos  legte  der  Einteilung  Tetralogien  zu  gründe  und  fügte  — 
damit  als  den  späteren  Ordner  sich  kundgebend  —  alle  von  ihm  als 
echt  anerkannten  Werke  des  Plato  in  dieselben  ein   auf   folgende  Weise: 

1)  Euthyphron,  Apologia,  Kriton.  Phaidon, 

2)  Kratylos,  Theaitetos,  Sophistes,  Politikos, 

3)  Parmenides,  Philebos,  Symposion,  Phaidros, 

4)  Alkibiades  I.  Alkibiades  II,  Hipparchos,  Anterastai. 

5)  Theages,  Charniides,  Ladies,  Lysis, 

6)  Euthydemos,  Protagoras,  Gorgias,  Menon, 

7)  Hippias  mai..  Hippias  min..  Ion,  Menexenos, 

8)  Klitophon,  Politeia.  Thnaios,  Kritias, 
!))  Minos,  Nomoi.  Epinomis,  Briefe. 

Vieles  ist,  was  uns  in  diesen  Anordnungen  verdächtig  erscheinen 
muss  und  was  uns  bestimmen  könnte  das  ganze  System  der  Ordnung 
der  Werke  Piatos  nach  Trilogien  und  Tetralogien  für  die  klügelnde 
Erfindung  späterer  Grammatiker  anzusehen.  Die  Briefe,  selbst  wenn  sie 
echt  sind,  wollte  Plato  selbst  gewiss  nie  mit  Dialogen  zu  einem  grösseren 
Ganzen  zusammengefasst  wissen.  In  beiden  Einteilungen  finden  sich 
Werke,  wie  Minos  und  Epinomis,  die  zweifelsohne  nicht  von  Plato  her- 
rühren und  erst  von  den  Nachfolgern  dem  Haupte  und  Stifter  der  Schule 
untergeschoben  worden  sind.  Und  schon  der  Umstand,  dass  der  eine  der 
Herausgeber  oder  Pinakographen  ])  von  Trilogien,  der  andere  von  Tetra- 


1)  Diese  Alternative  muss  ich  nämlich  gelten  lassen,  so  gerne  man  auch  gerade  hei  einem 
Grammatiker  wie  Aristophanes  an  die  grammatische  Thätigkeit  eines  Herausgebers  ausschliess- 
lich denken  möchte. 

Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Witt.  XVI!.  Bd.  II.  Abth.  60 


458—460 

Hermeias,  dem  Freunde  und  Gönner  unseres  Aristoteles,  enge  befreun- 
det war. 

In  der  Metaphysik  IV  5  p.  1015a  25  gebraucht  Aristoteles  für  das 
avayxaiov  ov  ävev  rb  dya&bv  ur)  ivde%6rai  rj  streu  rj  yertafrai  als  Beispiel 
rb  nkevaai  elg  Äiyivav  %v*  anokaßr]  ra  yj}7]aara..  Wie  kommt  hier 
Aristoteles  dazu,  Aigina  als  den  Ort  zu  bezeichnen,  wo  man  Geld  in 
Empfang  nimmt?  Vielleicht  hängt  damit  eine  Stelle  aus  den  Politien 
des  Aristoteles  fr.  436  zusammen,  die  uns  durch  den  Lexikographen 
Pollux  IV  174  und  IX  80  erhalten  ist,  wonach  1  äginäischer  Obol  das 
Aequivalent  zu  einer  sikilischen  Litra  war. l)  Aber  damit  ist  doch  noch 
nicht  der  eigentliche  Grund  jener  Anführung  des  Beispiels  gegeben,  son- 
dern höchstens  nur  ein  Wink,  der  uns  auf  das  Richtige  führen  kann. 
Der  Wink  führte  mich  auf  den  13.  Brief  des  Plato,  der  uns  einen 
Aegineten  Andromedes  nennt,  welcher  so  eine  Art  Banquier  des  Königs 
Dionysios  von  Syrakus  gewesen  zu  sein  scheint,  und  zu  dem  Plato  zu 
schicken  pflegte,  wenn  er  in  Geldnöten  war,  um  mit  dem  auf  Dionysios 
gezogenen  Wechsel  der  Ebbe  in  seiner  Kasse  abzuhelfen. 

Ist  es  endlich,  um  einen  dritten  Beleg  anzuführen,  reiner  Zufall, 
dass  Plato  seinen  Schüler  auf  dem  Throne,  den  jüngeren  Dionysios,  zur 
Gründung  neuer  Städte  in  Sikilien  anspornte,  offenbar  um  in  den  neuen 
Gründungen  seine  politischen  Ideale,  wie  er  sie  in  der  Republik  und 
besonders  in  dem  zweiten  Teile  der  Gesetze  (Buch  3  — 12)  entworfen 
hatte,  zur  Verwirklichung  zu  bringen,  und  dass  auch  dem  Aristoteles  in 
dem  Verzeichnis  des  Diogenes  eine  Schrift  'AltiavdQog  rj  vntQ  anotxiuv 
beigelegt  wird? 

3.    Die  Trilogien  und  Tetralogien  des  Plato. 

Wie  bereits  im  1.  Kapitel  angeführt,  hat  der  alexandrinische  Gram- 
matiker Aristophanes  von  Byzanz  die  Werke  des  Plato  nach  Trilogien, 
der  Platoniker  Thrasylos  hingegen,  und,  wie  wir  oben  S.  456  sahen, 
schon  vor  ihm  Derkyllides,  nach  Tetralogien  geordnet.  Da  wir  noch 
öfters  im  Verlaufe  dieser  Abhandlung  auf  diese  Klassifikation  zurück- 
kommen müssen,  wird  es  sich  verlohnen,  hier  gleich  die  vielbesprochene 


1)  Siehe  Hultech  Metrologie  2.  Aufl.  S.  192  und  660. 


461 

Einteilung  beider  Herausgeber  zusammenzustellen.    Aristophanes  also  nahm 
5  Trilogien  an: 

1)  Politeia,  Timaios,  Kritias, 

2)  Sophistes,  Politikos,  Kratylos, 

3)  Nomoi,  Minos,  Epinomis, 

4)  Theaitetos.  Euthyphron,  Apologia, 

5)  Kriton,  Phaidon,  Briefe. 

Die  übrigen  Dialoge  ordnete  er  nicht  zu  Trilogien  zusammen,  son- 
dern Hess  sie  gesonderte  Werke  für  sich  bilden  (t«  d'akla  xa&*  tr  xal 
araxTiug  Diog.  III  02). 

Thrasylos  legte  der  Einteilung  Tetralogien  zu  gründe  und  fügte  — 
damit  als  den  späteren  Ordner  sich  kundgebend  —  alle  von  ihm  als 
echt  anerkannten  Werke  des  Plato  in  dieselben  ein   auf   folgende  Weise: 

1)  Euthyphron,  Apologia,  Kriton.  Phaidon, 

2)  Kratylos,  Theaitetos,  Sophistes,  Politikos, 

3)  Parmenides,  Philebos,  Symposion,  Phaidros, 

4)  Alkibiades  I.  Alkibiades  II,  llipparchos,  Anterastai, 

5)  Theages,  Charmides,  Ladies,  Lysis, 

6)  Euthydemos,  Protagoras,  Gorgias,  Menon, 

7)  Hippias  mai..  Hippias  min..  Ion,  Menexenos, 

8)  Klitophon,  Politeia,  Timaios,  Kritias, 

9)  Minos.  Nomoi.  Epinomis,  Briefe. 

Vieles  ist,  was  uns  in  diesen  Anordnungen  verdächtig  erscheinen 
muss  und  was  uns  bestimmen  könnte  das  ganze  System  der  Ordnung 
der  WTerke  Piatos  nach  Trilogien  und  Tetralogien  für  die  klügelnde 
Erfindung  späterer  Grammatiker  anzusehen.  Die  Briefe,  selbst  wenn  sie 
echt  sind,  wollte  Plato  selbst  gewiss  nie  mit  Dialogen  zu  einem  grösseren 
(Ganzen  zusammengefasst  wissen.  In  beiden  Einteilungen  finden  sich 
Werke,  wie  Minos  und  Epinomis,  die  zweifelsohne  nicht  von  Plato  her- 
rühren und  erst  von  den  Nachfolgern  dem  Haupte  und  Stifter  der  Schule 
untergeschoben  worden  sind.  Und  schon  der  Umstand,  dass  der  eine  der 
Herausgeber  oder  Pinakographen  l)  von  Trilogien,  der  andere  von  Tetra- 


1)  Diese  Alternative  muss  ich  nämlich  gelten  lassen,  so  gerne  man  auch  gerade  bei  einem 
Grammatiker  wie  Aristophanes  an  die  grammatische  Thätigkeit  eines  Herausgebers  ausschliess- 
lich denken  möchte. 

Abh.  d.  1.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wis>.  XVII.  Bd.  II.  Abth.  60 


462 

logien  ausging,  scheint  gegen  die  Echtheit  der  beiden  Einteilungsgründe 
zu  sprechen.  Und  doch  kann  kein  Zweifel  darüber  bestehen,  dass  schon 
Plato  mehrere  Dialoge  zusammen  herausgab  oder  zu  einem  grösseren 
Ganzen  verbunden  wissen  wollte.  Denn  ganz  unzweideutig  hat  der  Philo- 
soph selbst  durch  den  inneren  Gedankengang  und  die  äussere  Form  der 
Einkleidung  angedeutet,  dass  er  den  Theaitetos  mit  dem  Sophistes  und 
Politikos,  und  ebenso  die  Politeia  mit  dem  Timaios  und  Kritias  zu  einem 
grösseren  Ganzen  vereinigt  und  den  Schülern  zum  Lesen  hintereinander 
empfohlen  wissen  wollte.  Die  Sache  ist  so  evident  und  schon  so  vielfach 
besprochen,  dass  es  nicht  notwendig  ist  hier  noch  ein  Wort  des  Beweise«! 
hinzuzufügen.  Nur  das  möchte  ich  einschränkend  bemerken,  dass  deshalb 
die  drei  von  Plato  zu  einem  Ganzen  vereinigten  Dialoge  nicht  auch 
unmittelbar  hinter  einander  geschrieben  zu  sein  brauchen.  Umgekehrt 
hat  es  grosse  Wahrscheinlichkeit,  dass  die  Abfassung  der  Politeia  und 
vielleicht  auch  die  des  Theaitetos  von  ihren  zwei  Genossen  durch  die 
Kluft  eines  längeren,  mehrere  Jahre  umfassenden  Zeitraumes  geschieden 
sind.  Aber  das  vermag  ja  natürlich  nicht  die  offenbaren  Zeichen  des 
engen  inneren  und  äusseren  Zusammenhanges  umzustossen :  Plato  schrieb 
nicht  in  einem  Zuge  und  erhielt  sich  wesentlich  auch  dadurch  frisch, 
dass  er  nicht  immer  an  .demselben  Strange  zog,  sondern  eine  belebende 
Abwechselung  zwischen  die  verschiedenen  Seiten  seiner  literarischen  Thätig- 
keit  treten  Hess. 

Auch  den  Euthyphron,  die  Apologie,  den  Kriton  und  Phaidon  wollte 
Plato  zweifelsohne  zu  einem  Ganzen  verbunden  wissen;  das  hat  er,  wie 
bereits  Albinus  isag.  c.  4  treffend  bemerkt,  durch  die  Scenerie  sattsam 
angedeutet,  indem  er  den  Euthyphron  vor  dem  Gerichtssaal  der  Stoa,  die 
Apologie  in  dem  Gerichtssaal,  den  Kriton  im  Kerker  und  den  Phaidon 
unmittelbar  vor  dem  Tode  des  Sokrates  spielen  Hess.  Die  4  Dialoge 
bilden^  offenbar  die  4  Scenen  eines  der  ergreifendsten  und  erhabensten 
Dramen  der  Welt,  des  tragischen  Geschickes  des  weisen  und  edlen  Sokrates. 
Auch  das  ist  gewiss  nicht  zufällig,  dass  der  erste  jener  vier  Dialoge  sich 
um  die  Gottesfurcht  (jieyi  tvotßeiag)  dreht,  auf  dass  die  Tetralogie  und 
die  ganze  Reihe  der  platonischen  Werke  nach  altem  frommen  Brauche 
mit  der  Spende  an  die  Gottheit  beginne. 

Weniger  eng  zusammengekettet  sind   die   3  kleineren  Dialoge  Char- 


463 

mides  Ladies  Lysis,  indem  hier  die  Scenerie  nicht  auf  dieselbe  Zeit 
verlegt  ist  und  nur  die  Aehnlichkeit  der  Form  und  die  Verwandtschaft 
des  Inhaltes  auf  eine  engere  Zusammengehörigkeit  hinweisen  *).  Wahr- 
scheinlich ist  hier  der  Grund  der  Zusammenordnung  ein  äusserlicher, 
ein  buchhändlerischer.  Jeder  der  3  Dialoge  ist  zu  klein,  als  dass  er  für 
sich  passend  ein  Buch  gebildet  hätte;  alle  3  zusammen  sind  nicht  viel 
grösser  als  der  Phaidros  und  Protagoras  und  stehen  sogar  an  Umfang 
dem  Gorgias  und  Timaios  nach.  Das  mochte  der  Anlass  sein,  dass  die- 
selben frühe  und  wohl  schon  zu  Piatos  Zeit  zu  einem  Bande  vereinigt 
wurden2),  wie  das  gleiche  nachweislich  auch  bei  den  Reden  des  Lysias 
und  Demosthenes  geschehen  ist3).  Vermutlich  hatte  derselbe  äussere 
Umstand  die  Vereinigung  des  Euthyphron,  der  Apologie  und  des  Kriton 
zu  einem  Buche  herbeigeführt,  noch  ehe  Plato  in  gereifterem  Alter  jener 
Trilogie  als  viertes  Stück  den  Phaidon  zufügte.  Das  letztere  Verhältnis 
lässt  uns  denn  auch  die  Bedenken  zerstreuen,  die  uns  aus  dem  Wider- 
streit der  beiden  Systeme,  der  Ordnung  nach  Trilogien  und  der  nach 
Tetralogien,  zu  entstehen  schienen.  Plato  hatte  offenbar  anfangs  nur  die 
Apologie  und  den  Kriton  kurz  nach  einander  zum  ehrenden  Andenken 
an  den  grossen  Lehrer  und  zur  Verteidigung  desselben  gegenüber  den 
gottlosen  Anklägern  und  den  sophistischen  Verteidigern  des  Justizmordes 
geschrieben.  Später  fügte  er  den  Euthyphron  hinzu  und  schuf  so 
die    erste    geschlossene    Trilogie;    noch    später   als   er   sich   bereits   über 


1)  Dem  Inhalt  nach  berührt  sich  mit  dem  Charmides  und  Laches  auch  der  Theages,  indem 
alle  drei  Dialoge  den  Eltern  die  Schule  des  Sokrates  für  ihre  Söhne  empfehlen  wollten.  Wenn 
derselbe  aber  erst  von  Thrasylos  mit  jenen  drei  Dialogen  zu  einem  Ganzen  vereinigt  wurde,  so 
lag  der  Grund  davon  wohl  darin,  dass  *  i  i  *  -  älteren  Kritiker  den  läppischen  Dialog  nicht  für  echt 
hielten. 

2)  Wenn  Plato  selbst  jene  3  Dialoge  in  der  feststehenden  Reihenfolge  Charmides  Laches 
Lysis  zu  einem  Buche  vereinigte,  dann  i~t  freilich  schwer  zu  erraten,  was  ihn  gerade  zu  dieser 
Ordnung  bewog.  Die  Abfassungszeit  schwerlich;  da  die  grössere  Ungelenkigkeit  der  Darstellung 
im  Lache*  uns  vielmehr  vermuten  lässt,  dass  derselbe  vor  dem  Charmides  und  Lysis  mit  ihrer 
wundervollen  scenischen  Einkleidung  verfasst  wurde.  Auch  die  Aehnlichkeit  der  Scenerie  hätte 
eher  zu  einem  engeren  Anschluss  des  Charmides  an  den  Lysis  geführt.  Vielleicht  wollte  Plato 
dem  Charmides,  seinem  schönen  und  liebenswürdigen  Vetter,  den  Ehrenplatz  geben;  vielleicht 
bewog  ihn  auch  der  Umstand,  dass  der  Laches  auf  eine  jüngere  Heldenthat  des  Sokrates  in  der 
Schlacht  bei  Delion,  der  Charmides  auf  eine  ältere  in  dem  Feldzug  gegen  Potidäa  Bezug   nimmt. 

3)  Siehe  darüber  Blass,  Geschichte  der  attischen  Beredsamkeit  I  371  und  meine  Abhand- 
lung, die  Attikusiui8gabe  des  Demosthenes  S.  77  ff. 

60* 


464 

den  engen  Gesichtskreis  der  kleinen  Dialoge  erhoben  und  über  Sokrates 
hinausgehend  die  Lehre  der  Pythagoreer  in  sein  philosophisches  Denken 
aufgenommen  hatte,  fügte  er  zum  Abschluss  noch  einen  vierten  Dialog, 
den  Phaidon,  hinzu  und  erweiterte  so  die  Trilogie  zur  Tetralogie.  Zu 
Tetralogien  sollten  aber  auch  die  beiden  anderen  Trilogien,  Theaitetos 
Sophistes  Politikos,  und  Politeia  Timaios  Kritias,  erweitert  werden  und 
schwebte  dieser  Plan  dem  Philosophen  schon  vor,  als  er  an  die  Ausarbei- 
tung des  zweiten  Stückes  jener  beiden  Gruppen  schritt.  Denn  im  Eingang 
des  Sophistes  kündigt  er  als  viertes  Stück  den  Philosophos  und  im  Timaios 
in  ähnlicher  Weise  den  Hermokrates  an.  Warum  der  Plan  nicht  zur 
Ausführung  kam,  ist  eine  andere  Frage,  die  uns  hier  zunächst  nichts 
angeht.  Bezüglich  des  Hermokrates  scheint  der  Tod  oder  die  unerwünschte 
Wendung  in  den  Verhältnissen  Sikiliens  !)  einen  Strich  durch  die  Rechnung 
gemacht  zu  haben,  da  selbst  das  dritte  Stück  jener  Tetralogie,  der  Kritias, 
unvollendet  blieb 2).  Auf  den  Philosophos  werden  wir  unten  noch  einmal 
in  einem  eigenen  Abschnitt  zurückkommen. 

Diese  tetralogische  Composition  der  Dialoge  Piatos  haben  nun  bereits 
die  Alten,  wie  man  aus  Diogenes  III  56  sieht,  mit  den  Tetralogien  des 
Dramas  in  Verbindung  gebracht.    Und  was  war  auch  natürlicher  als  dies,  da 

1)  Siehe  darüber  die  Vermuthungen  von  Zeller,  Gesch.  der  Phil.  IP  467.  Nicht  erwiesen 
ist  die  Annahme  Schaarschmidts,  die  Sammlung  der  platonischen  Schriften  S.  158,  dass 
der  Kritias  dem  Verfasser  des  Politikos  vorgelegen  habe.  Die  beiden  Stellen  Kritias  p.  109  C 
und  Politikos  p.  272  E  berühren  sich  nur,  eine  gegenseitige  Entlehnung  ist  unerweisbar. 

2)  Da  der  Kritias  zwar  nicht  mitten  im  Satze ,  aber  doch  unmittelbar  vor  einer  mit  x«i 
girc<yn'()(es  ttntv  angekündigten  Rede  des  Zeus  abbricht,  so  könnte  man  leicht  auf  die  Vermutung 
kommen,  das«  an  der  Unvollständigkeit  dieses  Werkes  nicht  eine  Verhinderung  des  Verfassers, 
sondern  ein  Unfall  der  Ueberlieferung  schuld  trage.  Die  handschriftliche  Ueberlieferung  seh  Messt. 
die  Annahme,  dass  der  zweite  Teil  des  Dialoges  durch  Wegfall  der  letzten  Blätter  des  Archetypus 
zu  gründe  gegangen  sei,  zwar  nicht  aus,  ist  ihr  aber  auch  nicht  günstig,  insofern  die  beiden 
Stämme  unserer  Handschriften  des  Kritias,  der  cod.  Paris.  A  und  ein  cod.  Vindob.  als  Vertreter 
der  zweiten  geringeren  Klasse,  wie  mir  Professor  Schanz  auf  meine  Anfrage  in  zuvorkommendster 
Weise  mitteilte,  mit  demselben  Worte  tlntv  schliessen.  Jedenfalls  müsste  der  Schluss  schon  frühe 
verloren  gegangen  sein,  da  bereits  Plutarch  nur  noch  den  Torso  des  Buches  vor  sich  hatte ;  s.  Plut. 
vit.  Sol.  32:  6\pt  de  (i^^dfierog  (sc  HXdruji'  Kqitioi)  :i(jox«Tel.vof  toZ  EQyov  roV  ßiov,  oout  fxü'kXoi> 
fifpQuivn,  tu  tt Qoyty(jceu /ueya,  Toaovrw  fiüXXof  rolg  äno'kurf&elaiv  üvuiac«;.  Auf  die  Anführung  de« 
Rhetor  Menander,  der  mgi  t'ntättxrtxwv  c.  5.  (rhet.  gr.  ed.  Spengel  III  337)  einen  in  unserem 
Kritias  nicht  enthaltenen  Ausspruch  anführt,  lege  auch  ich  unter  solchen  Umständen  keinen  Wert; 
s.Hermann  System  d.  plat.  Phil.  An.  709.  Eher  könnte  die  unten,  Kapitel  10  angeführte  Angabe 
des  Platonikers  Krantor  über  den  Kritias  zur  Annahme  berechtigen,  dass  jener  Platoniker  von 
dem  Kritias  noch  mehr  als  unser  Fragment  besessen  habe,  was  indes  gleichfalls  Suckow,  Form 
der  plat.  Schriften  S.  159  bestreitet  und  wohl  mit  Recht. 


465 

die  einzelnen  Dialoge  selbst  dramatische  Kunstwerke  sein  wollten  und  im 
vollendetsten  Masse  auch  sind?  Mit  der  Vereinigung  mehrerer  Dialoge 
zu  Trilogien  und  Tetralogien  aber  ist  Plato  noch  eine  Stufe  höher 
gestiegen  und  hat  in  glücklichem  Wetteifer  mit  Aischylos  die  grandiose 
Kunst  der  älteren  attischen  Dramatik  auf  die  Philosophie  übertragen. 
Ja  leicht  wird  man  dem  Plato  selbst  vor  Aischylos  die  Palme  reichen, 
wenn  man  den  Abschluss  der  Oresteia  durch  die  Eumeniden  mit  dem 
Schlussdialog  der  platonischen  Sokrateia  vergleicht.  Denn  so  versöhnend 
und  reinigend  auch  die  Lösung  des  tragischen  Conflictes  durch  die  Frei- 
sprechung des  Orestes  und  den  Abzug  der  zu  Eumeniden  umgewandelten 
Rachegötter  auf  unser  Gemüt  wirkt,  mehr  doch  werden  wir  zu  Thränen 
des  Mitgefühles  und  der  Bewunderung  zugleich  gerührt  durch  die  ergrei- 
fende Weise,  mit  der  Plato  seinen  Helden  gelassen  und  gefasst  voll  guter 
Hoffnung  aus  dem  Leben  scheiden  lässt. 

Dass  also  Plato  mit  dieser  Compositionsart  die  Kunst  des  attischen 
Dramas  nachahmte,  um  auch  nach  dieser  Richtung  hin  für  die  aus  dem 
Philosophenstaat  verbannte  Tragödie  einen  höheren  Ersatz  zu  bieten, 
muss  ohne  Zaudern  anerkannt  werden.  Aber  ich  gehe  noch  einen  Schritt 
weiter.  Ist  in  der  Literatur  die  Tragödie  dem  prosaischen  Dialoge  vor- 
angegangen, so  ist  umgekehrt  der  Name  Tetralogie  von  den  Dialogen 
des  Plato  erst  auf  die  Dramen  des  Aischylos  übertragen  worden.  Das 
beweist  das  zweite  Element  des  Wortes  TtT{)a\uyLu\  denn  loyoi  JZioxyanxoi 
hiessen  bekanntlich  die  Dialoge  des  Plato,  während  die  Tragödien  wohl 
koyovg  enthielten,  selbst  aber  nie  loyot  genannt  wurden.  Es  könnte  also 
nur  ein  Zweifel  darüber  aufkommen,  ob  das  Wort  Tetralogie  zuerst  von 
den  Dialogen  des  Plato  oder  den  Redeentwürfen  des  Antiphon  gebraucht 
worden  sei;  aber  wer  möchte  den  unbedeutenden  Reden  des  untergeord- 
neten Rhetor  einen  gleichen  Einfluss  beilegen  als  den  bewunderten  Werken 
des  vielgelesenen  Philosophen? 

4.     Unausgeführte  Tetralogien. 

Drei    grosse    Trilogien    oder   Tetralogien  hat  also  Plato  geschrieben 
Euthyphron,  Apologie,  Kriton,  Phaidon, 
Theaitetos,  Sophistes,  Politikos,  (Philosophos), 
Politeia,  Timaios,  Kritias,  (Hermokrates). 


466 

Denn  die  Reihe,  Charmides  Laches  Lysis,  bildet  keine  Trilogie  im  höheren 
Sinne  des  Wortes,  sondern  beruht  nur  auf  einer  durch  den  Seitenumfang 
bedingten  buchhändlerischen  Zusammenfassung,  so  dass  man  mit  dem 
gleichen  Rechte  auch  die  3  olynthischen  Reden  des  Demosthenes  als  eine 
Trilogie  bezeichnen  könnte.  Diese  Aussonderung  ist  von  Wichtigkeit. 
weil  sich  aus  den  3  echten  Tetralogien  ergibt,  dass  die  Kunstform  der 
tetralogischen  Komposition  dem  höheren  Alter  des  Philosophen  angehört. 
Denn  zählen  auch  die  Apologie  und  der  Kriton  zu  den  frühesten  Schriften 
Piatos,  die  nicht  lange  nach  dem  Tode  des  Sokrates  oder  nach  399  abge- 
fasst  sind,  so  fällt  doch  der  Phaidon,  der  erst  die  Tetralogie  schuf,  in 
eine  weit  spätere  Zeit 1).  Dass  sodann  der  Timaios  dem  hohen  Alter  des 
Plato  angehört  und  in  die  Zeit  nach  der  zweiten  sikilischen  Reise  des  Philo- 
sophen fällt,  ist  gut  bezeugt  und  wird  von  niemanden  bestritten  2).  Endlich 
reift  jetzt  immer  mehr  die  Einsicht,  dass  die  beiden  dialektischen,  des  Glanzes 
der  künstlerischen  Darstellung  fast  ganz  ermangelnden  Dialoge  Sophistes 
und  Politikos  dem  Greisenalter  des  Plato  angehören3),  jener  unerquicklichen 
Zeit  der  geistigen  Verschrumpfung  des  grossen  Philosophen,  aus  welcher 
der  Dialektiker  und  Logiker  Aristoteles,  der  eben  von  367 — 347  den 
Plato  hörte,  hervorgegangen  ist. 

Wird  nun  zugegeben,  dass  die  tetralogische  Form  dem  höheren  Alter 
Piatos  eigen  war4),  so  ergeben  sich  daraus  kritische  Ausblicke  nach 
vorwärts  und  nach  rückwärts.  Sehen  wir  von  Thrasylos,  der  alle  Dialoge 
Piatos  in  die  tetralogische  Jacke  zwängte,  ganz  ab,  so  hat  schon  Aristo- 
phanes  ausser  den  von  uns  bezeichneten  Dialogen  auch  noch  den  Kratylos 
zusammen  mit  dem  Sophistes  und  Politikos  zu  einer  Trilogie  verbinden 
wollen.     Wir    müssen    diese   Kombination    schon    deshalb    abweisen,    weil 


1)  Auf  die  Abfassungszeit  des  Phaidon  werden  wir  unten  zurückkommen. 

2)  Zwischen  die  2.  und  3.  sikilische  Reise  oder  zwischen  368  und  361  setzt  den  Timaios 
und  den  Beginn  des  Kritias  Zeller  Philosophie  der  Griechen  IP  467. 

3)  Auch  darauf  werden  wir  unten  in  Kap.  8  zurückkommen. 

4)  Dieser  Satz  vereinigt  sich  auch  recht  wohl  mit  der  abnehmenden  Kraft  scenischer  Erfin- 
dungsgabe im  höheren  Alter  des  Plato.  Denn  worin  die  platonischen  Dialoge  so  ganz  unübertroffen 
geblieben  sind,  besteht  ja  in  der  mimetischen  Scenerie,  wie  wir  sie  zumeist  im  Protagoras  und 
Symposion  bewundern.  Solche  Proömien  zu  allen  Dialogen  zu  schaffen,  mochte  eine  übergrosse 
Aufgabe  sein,  zumal  für  den  alternden  Plato;  die  tetralogische  Form  überhob  den  Autor  der 
Notwendigkeit  zum  zweiten  und  dritten  Stück  neue  Prologe  zu  dichten. 


467 

Plato  selbst  im  Eingang  des  Sophistes  ganz  unzweideutig  den  Theaitetos 
und  nicht  den  Kratylos  als  denjenigen  Dialog  bezeichnet,  der  mit  dem 
Sophistes  und  Politikos  zu  einer  grösseren  Einheit  zu  verbinden  sei 1). 
Aber  auch  alle  Versuche  der  Neueren  andere  Dialoge  wie  den  Phaidros, 
das  Symposion  und  den  Phaidon 2),  oder,  was  man  mit  grösserer  Plausi- 
biiität  ausführen  könnte,  den  Gorgias,  Menon  und  Protagoras  zu  einer 
Trilogie  zu  vereinigen,  werden  wir  ohne  Umschweif  auf  sich  beruhen 
lassen. ' 

Wichtiger  ist  eine  andere  Frage,  die  sich  nach  den  vorausgegangenen 
Erörterungen  von  selbst  aufdrängt.  Dürfen,  ja  müssen  wir  nicht  auch 
von  den  anderen  Werken,  welche  Plato  gleichfalls  nachweisbar  im  höheren 
Alter  schrieb,  annehmen,  dass  sie  ursprünglich  darauf  angelegt  waren, 
Glieder  einer  grösseren  Untersuchung  zu  bilden,  so  dass  sie  nunmehr  in 
ihrer  Vereinzelung  nur  halbwegs  verständlich  sind,  jedenfalls  nur  mit 
Rücksicht  auf  die  zu  ihrer  Ergänzung  in  Aussicht  genommenen  Dialoge 
erklärt  werden  müssen?  Bezüglich  einer  hier  in  Betracht  kommenden 
Schrift  haben  wir  für  unsere  Auffassung  geradezu  das  Zeugnis  der 
nächsten  Schüler  Piatos.  Die  Gesetze  hat  Plato  selbst  mit  keinem  ande- 
ren Werke  zu  einem  grösseren  Ganzen  verbunden;  aber  schon  bei  Aristo- 
phanes  erscheinen  dieselben  als  Glied  der  Trilogie  Minos  Nomoi  Epinomis. 
Als  Verfasser  der  Epinomis  aber  wird  uns  ein  Schüler  Piatos,  Philippos 
von  Opus  genannt 3),  dem  zugleich  von  der  Tradition  die  Herausgabe  der 
unvollendet   hinterlassenen    Gesetze    zugeschrieben   wird 4).     Entfernt  sich 


1)  Wahrscheinlich  war  es  das  Interesse  der  Grammatiker,  das  den  Grammatiker  Aristophanes 
bestimmte,  das  erste  Werk  über  Sprachphilosophie  in  die  bevorzugte  Klasse  der  trilogisch 
geordneten  Bücher  Piatos  autzunehmen.  In  ähnlicher  Weise  mochte  das  Interesse  der  Literar- 
historie  für  die  Aufnahme  der  Briefe  bestimmend  gewesen  sein. 

2)  Diese  Zusammenstellung  hat  Steinhart  aufgestellt;  gegen  dieselbe  spricht  Rettig  in 
seinem  Commentar  zum  Symposion  S.  42. 

3)  Dieses  wird  uns  bezeugt  von  Diogenes  III  :>  und  Suidas  unter  (p&6ao<pos ;  vgl.  Her- 
mann System  S.  422  f.  und  Zeller  Gesch.  d.  Phil.  II3  898.  Den  Minos  setzt  Usener  in  dem 
trefflichen  Aufsatz,  Organisation  der  wissenschaftlichen  Arbeit  S.  20  nach  einer  im  Dialog  selbst 
enthaltenen  Andeutung  in  das  Jahr  339. 

4)  Zweifellos,  worüber  alle  einig  sind,  gehören  die  Gesetze  dem  höchsten  Alter  unseres  Philo- 
sophen an.  Die  Anspielung  auf  die  Vergewaltigung  der  epizephyrischen  Lokrer  durch  den  jüngeren 
Itioiiysios  in  den  Gesetzen  p.  638  A  zusammen  mit  der  Nachricht  des  Athenaios  XII  p.  541  über 
jenen  Vorfall  führt  uns  in  die  Zeit  nach  886.  Dass  das  Werk  aber  nicht  vollendet  ist  und  Plato 
durch  den  Tod  verhindert  wurde  die  letzte  Hand  an  dasselbe  zu  legen,  darüber  herrscht  so  allge- 
meine Uebereinstimmung,   dass  sich  die  neueren  Untersuchungen  von  Bruns,   Piatos  Gesetze  vor 


468 

nun  auch  die  Epinomis  und  der  Minos  weit  von  dem  Geiste  und  der 
Kunst  des  göttlichen  Plato,  so  wäre  es  doch  immerhin  leicht  denkbar, 
dass  die  Verfasser  dieser  Dialoge  insofern  den  Plan  des  Plato  selbst 
ausführten,  als  derselbe  die  Nomoi  nicht  für  sich  herausgeben,  sondern 
mit  anderen  Dialogen  zu  einer  Trilogie  verbinden  wollte. 

Ausser  den  Gesetzen  kommen  aber  hier  noch  zwei  andere,  gleichfalls 
in  das  höhere  Alter  Piatos  fallende  Dialoge,  Philebos  und  Parmenides, 
in  Betracht.  Von  diesen  lasse  ich  hier  den  ersteren  beiseite,  gehe  aber 
des  Näheren  auf  den  Parmenides  ein,  weil  sich  vielleicht  auf  unserem 
Wege  die  grossen,  gegen  seine  Echtheit  erhobenen  Bedenken  lieben  und 
richtigere  Einblicke  in  das  Wesen  und  das  Ziel  des  Dialoges  gewinnen 
lassen.  Im  ersten  Teil  des  Parmenides  nämlich  wird  bekanntlich  die 
Ideenlehre  von  dem  italischen  Philosophen  auf  das  schärfste  bekämpft, 
und  weicht  nicht  bloss  Sokrates  vor  den  einzelnen  Angriffen  zurück,  son- 
dern wird  auch  im  weiteren  Verlaufe  des  Dialoges  kein  Versuch  gemacht 
die  Fundamente  der  Ideenlehre,  jener  Grundsäule  der  ganzen  platonischen 
Philosophie,  zu  retten.  Denn  selbst  wenn  es  gelänge  den  zweiten  Teil 
des  Dialoges  oder  die  dialektische  Begründung  der  Einslehre  für  die 
Sicherung  der  Ideenlehre  zu  verwerten,  so  muss  doch  jedenfalls  zuge- 
geben werden,  dass  Plato  selbst  keinerlei  aufklärende  Andeutung  über 
eine  solche  Wechselbeziehung  der  beiden  Teile  gegeben  hat1).  Die  Sache 
ist  aber  um  so  fataler,  je  schwerer  wiegend  die  von  Parmenides  gegen 
die  Ideenlehre  erhobenen  Einwände  sind.  Zum  grössten  Teil  eignet 
bekanntlich  Aristoteles  in  der  Metaphysik  sich  dieselben  unbedingt  an, 
ohne  aber  zu  erwähnen,  dass  dieselben  schon  in  jenem  Dialoge  von  Plato 
selbst  vorgebracht  worden  seien2).  Aristoteles  also,  der  scharfe  Denker,  hielt 

und  nach  ihrer  Herausgabe  durch  Philippos  von  Opus  1880,  und  Bergk,  Piatos  Gesetze,  in  fünf 
Abhandlungen  zur  griech.  Philosophie  und  Astronomie  1883,  nur  um  die  Ermittelung  der  dem 
Philippos  vorliegenden  Bestandtheile  des  platonischen  Manuskriptes  und  der  Thätigkeit  des  Redac- 
tors  drehen. 

1)  Vollständig  unterschreibe  ich  die  Einwände,  welche  P  e  i  p  e  r  s ,  ontologia  Platonica  p.  356 
gegen  Zell  er  erhoben  hat,  namentlich  den  Satz:  dubito  num  satis  explicatum  sit,  quomodo 
unitas  altera  dialogi  parte  ita  probaretur,  ut  prioris  partis  dubitationes  evanescerent. 

2)  Erwägung  verdient  dabei  auch  noch  der  Umstand,  dass  die  Bekämpfung  der  Ideenlehre 
im  ersten  und  vorletzten  Buch  der  Metaphysik  teilweise  nur  eine  Wiederholung  der  von  Aristoteles 
schon  in  einem  Jugendwerk,  in  dem  Dialoge  ntgi  tfikoaoipiag  vorgebrachten  Argumente  ist,  etwas 
was  nach  den  Andeutungen  des  Aristoteles  p.  1076a  28  der  Commentator  Alexander  p.  86,  32  und 
756,  17  bezeugt  und  neuerdings  Blass  im  Rh.  M.  XXX  481  ff.  näher  ausgeführt  hat. 


469 

die  Gegengründe  für  durchschlagend  und  glaubte  damit  die  ganze  Ideen- 
lehre über  den  Haufen  werfen  zu  können.  Aber  auch  uns  wird  es  schwer 
fallen  die  Einwände  zu  widerlegen  oder  auch  nur  die  Kraft  derselben 
abzuschwächen;  ich  wenigstens  gestehe  offen  mein  Unvermögen  ein,  habe 
aber  auch  noch  keinen  andern  kennen  gelernt,  dem  eine  volle  Wider- 
legung der  gemachten  Einwürfe  gelungen  sei.  Hat  nun  vielleicht  auch 
Plato  an  die  Wahrheit  der  Gegengründe  geglaubt  und  in  höherem  Alter 
mit  jenem  Dialoge  selbst  die  Ideenlehre  aufgegeben?  Das  gewiss  nicht; 
aus  Aristoteles  sehen  wir  sonnenklar,  dass  Plato  bis  zu  seinem  Ende  und 
ebenso  seine  nächsten  Nachfolger,  Speusippos  und  Xenokrates,  unverbrüch- 
lich an  der  Ideenlehre  festhielten.  Und  dann  hat  Plato  im  Parmenides 
selbst  durch  sein  ooiog  und  (palvstai  genügend  angedeutet,  dass  er  den 
Einwänden  wohl  einen  grossen  Schein  der  Wahrscheinlichkeit,  aber  doch 
keine  innere  Wahrheit,  keine  obsiegende  Kraft  beilege.  Er  hat  aber  zu 
gleicher  Zeit  p.  133  B  ausgesprochen,  dass  die  Widerlegung  nur  einem 
Behr  geschickten  Dialektiker  und  diesem  nur  vermittels  weitausgreifender 
Deduktionen  gelingen  könne:  tl  ///}  noilaxig  tv/oi  t/HTUiyos  vjv  6  auxpi- 
oßrpdiv  xal  ui)  ä(pvrjg,  ifrikoi  öi  navv  nplla  xc'i  noQQto&w  :i yuy u arevouerov 
tüv  tvdtixvviitrov  tTita&ai.  Hat  nun  Plato  sich  jener  Aufgabe  unter- 
zogen und  durch  eingehende  Beweisführung  das  Unrichtige  an  jenen 
Einwänden  nachgewiesen?  Im  Parmenides  selbst  nicht,  aber  auch  in 
keinem  anderen  Dialoge.  Nicht  blos  wiederholt  Plato  in  der  Republik 
die  Begriffe  fit&eHts  und  elxatv,  ohne  auch  nur  im  geringsten  auf  die  im 
Parmenides  gegen  dieselben  vorgebrachten  gewichtigen  Bedenken  Rück- 
sicht zu  nehmen;  auch  in  dem  Timaios  und  selbst  im  Philebos  sehen  wir 
keinen  ernstlichen  Anlauf  zur  Widerlegung  der  Angriffe  des  Parmenides 
gemacht.  Was  folgt  daraus?  Bekanntlich  haben  nicht  blos  tumultuarische 
Skeptiker,  wie  Schaarschmidt  und  Krohn,  sondern  hat  selbst  ein 
so  feiner  und  behutsamer  Kritiker  wie  Ueberweg  in  seinen  Unter- 
suchungen über  die  Echtheit  und  die  Zeitfolge  platonischer  Schriften 
S.   176  ff.  die  Echtheit  des  Parmenides  angefochten1).     Aber  so  auffällig 


1)  Die  sprachlichen  Einwände,  die  Dittenberger  im  Hermes  XVI  324  gegen  die  Echtheit 
des  Parmenides  erhoben  hat,  sind  vorläufig  noch  viel  zu  irrelevant  als  dass  sie  zum  Beweise 
ausreichten;  auch  ist  es  gewiss  minder  kühn  du  falsche  ytprj&riatiai  p.  141  E  in  yevijotTKt  zu 
korrigieren  als  daraus  auf  nichtattischen  (!)  Ursprung  zu  schliessen. 

Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  II.  Abth.  61 


470 

es  auch  ist,  dass  Aristoteles  den  Parmenides  ignoriert *) ,  so  spricht  doch 
Sprache,  Kunst  der  Dialektik,  und  vor  allem  der  bestimmte  Hinweis  des 
Plato  selbst  im  Sophistes  p.  217  C  unwiderleglich  für  die  Echtheit  des 
Dialoges.  Für  mich  bleibt  daher  nur  ein  Erklärungsweg:  Plato  wollte  den 
Parmenides  nicht  allein  für  sich  stehen  lassen,  er  gedachte  in  einem  oder 
zwei  nachfolgenden  Dialogen  die  Einwände,  die  im  Laufe  der  Zeit  gegen 
die  anfangs  allzu  naiv  aufgestellte  Ideenlehre  vorgebracht  worden  waren, 
in  streng  dialektischer  Beweisführung  zu  widerlegen.  Unser  Parmenides 
mit  anderen  Worten  ist  entweder  der  Torso  einer  nicht  ausgeführten 
Trilogie  oder  es  sollte  auf  ihn,  der  nur  ein  Nebenwerk  zum  Sophistes 
war,  im  Philosophos  geantwortet  werden2). 

5.    Die  alphabetische  Anordnung  in  dem  Verzeichnis  des  Thrasylos. 

Aristophanes  stund  der  echten  und  guten  Ueberlieferung  in  jeder 
Beziehung,  nicht  blos  zeitlich,  sondern  auch  sachlich  näher  als  Thrasylos. 
Er  hat,  von  dem  Kratylos  und  den  Briefen  abgesehen,  nur  solche  Schriften 
in  das  trilogische  Verzeichnis  aufgenommen,  welche  vom  Autor  selbst  und 
seinen  unmittelbaren  Nachfolgern  zur  trilogischen  oder  tetralogischen  Ver- 
bindung bestimmt  waren;  er  hat  dabei  nur  durch  Hereinziehung  zweier 
fremder  Bestandteile,  des  Kratylos  und  der  Briefe,  die  Ordnung  in  kopf- 
loser Weise  verwirrt.  Thrasylos,  indem  er  Tetralogien  statt  Trilogien 
zu  gründe  legte,  hat  gleich  im  Anfang  in  der  ersten  Reihe,  Euthyphron 
Apologie  Kriton  Phaidon,  die  Hand  Piatos  hergestellt.  In  der  2.  Reihe 
ist  er  dem  Vorgange  des  Aristophanes  in  der  Art  gefolgt,  dass  er  dem 
Theaitetos  Sophistes  Politikos  noch  den  verwandten,  wenn  auch  nicht 
zum  tetralogischen  Zusammenhang  bestimmten  Dialog  Kratylos  zufügte. 
Aehnlich  ist  er  bei  Nr.  5  und  8  verfahren,  indem  er  die  alten  Gruppen, 
Charmides  Laches  Lysis  und  Politeia  Timaios  Kritias,  durch  Zufügung 
zweier  verwandten,    aber  unechten  Dialoge,    des  Theages  und  Klitophon, 


1 )  Vielleicht  hat  Aristoteles  nur  deshalb  diesen  Dialog  ignoriert,  weil  er  ihm,  oder  vielmehr 
seinem  Hauptteile  keinen  Gefallen  abgewinnen  konnte.  Dafür  könnte  man  nämlich  die  Stelle  in 
der  Metaphysik  p.  1089a  1  geltend  machen,  wo  er  das  Zurückgehen  auf  die  Einslehre  des  Parmenides 
als  etwas  altfränkisches  (änoQ^aai  «(/^«/xw?)  bezeichnet. 

2)  Eine  ähnliche  Gedankencombination  scheint  Bergk,  Fünf  Abhandlungen  zur  griech. 
Philosophie  und  Astronomie  S.  9  geleitet  zu  haben,  wenn  er  den  Parmenides  eine  unvollendete 
Arbeit  nannte. 


471 

zu  Tetralogien  erweiterte.  Auch  bei  der  letzten  Tetralogie  half  er  sich 
auf  ähnliche  Weise,  nur  dass  die  angehängten  Briefe  weder  nach  Form 
noch  nach  Inhalt  etwas  mit  den  gesetzgeberischen  Dialogen  Minos  Nomoi 
Epinomis  zu  thun  haben. 

Bis  dahin  ist  Thrasylos,  wenigstens  in  der  Hauptsache,  alten  und  rich- 
tigen Schultraditionen  gefolgt.  Er  ging  nun  aber  über  seinen  Vorgänger 
Aristophanes  und  über  die  Wahrheit  dadurch  in  verkehrter  Weise  hinaus, 
dass  er  auch  die  übrigen  Dialoge  zu  Tetralogien  verband,  wiewohl  die- 
selben vom  Verfasser  selbst  nicht  zu  solcher  Verbindung  angelegt  waren. 
Was  hatte  er  nun  hiebei  für  Gesichtspunkte?  Es  wird,  um  sich  das  klar 
zu  machen,  gut  sein,  nochmals  die  betreffenden  unechten  Tetralogien  des 
Thrasylos  herzusetzen: 

3)  Parmenides,  Philebos,  Symposion,   Phaidros, 

4)  Alkibiades  I,  Alkibiades  II,  Hipparchos,  Anterastai. 

6)  Euthydemos,  Protagoras,  Gorgias,  Menon, 

7)  Hippias  mai.,  Hippias  min.,  Ion,  Menexenos. 

Am  ehesten  möchte  man  hier  bei  der  6.  Reihe  einen  sachlichen  Ge- 
sichtspunkt vermuten,  da  die  vier  Dialoge  Euthydemos  Protagoras  Gorgias 
Menon  sämtlich  gegen  die  Sophisten  gerichtet  sind  und  überdies  der 
Menon  gleich  im  Eingang  an  die  Lehrthätigkeit  des  Gorgias  in  Thessalien 
anknüpft,  so  dass  sich  so  auch  einfach  zu  erklären  scheint,  warum  Thra- 
sylos den  Menon  auf  den  Gorgias  und  nicht  umgekehrt  den  Gorgias  auf 
den  Menon  folgen  liess.  In  der  3.  Reihe  wird  man  nur  zwischen  dem  Sym- 
posion und  Phaidros  einerseits,  die  beide  den  Eros  zum  Gegenstand  haben, 
und  dem  Parmenides  und  Philebos  anderseits,  die  beide  die  dialektische 
Methode  teilen  und  von  Plato  im  hohen  Alter  geschrieben  sind,  eine  innere 
Beziehung  erkennen,  aber  kaum  begreifen,  was  die  Vereinigung  der  beiden 
Paare  zu  einer  Tetralogie  veranlasste.  Vollends  wird  man  keinen  Ausweg 
finden,  wenn  man  bei  der  4.  und  7.  Tetralogie  den  Faden  eines  inneren 
Zusammenhanges  aufzuspüren  sich  bestrebt.  Stellt  man  sich  aber  einmal 
die  Namen  der  Dialoge  griechisch  zusammen  'Alxißiadijg  a\  ^Ixtßiadrjg  ß , 
"inna^og,  [AvTtyaarai],  'Inniag  juei'Qwv,  'inniag  /aeiivv,  'Iwr,  Meye&rog,  so 
springt  einem  sofort  die  alphabetische  Ordnung  in  die  Augen.  Nur  die 
'AvTtQctarai  fallen  aus  der  Reihe  heraus,  und  man  wird  nun,  nachdem 
einmal  der  Faden  gefunden,    auch  leicht  zugeben,    dass    die  Ai'TeyaOTai, 

61* 


472 

ein  unechter  Dialog,  in  dem  Original,  dem  Thrasylos  folgte,  vielleicht  in 
der  Tafel  des  Derkyllides  noch  nicht  unter  die  Schriften  Piatos  aufge- 
nommen war.  Noch  evidenter  aber  wird  es  jedem  erscheinen,  dass  die 
Ordnung  der  Reihen  oder  der  dieselben  enthaltenen  Volumina  gestört  ist, 
und  dass  ehedem  Nr.  7  auf  Nr.  4  folgte  und  beide  noch  nicht  durch 
Nr.   5  und   6  von  einander  getrennt  waren  *). 

Ich  hatte  mir  ehedem  viele  Mühe  gegeben,  den  Grund  zu  erraten, 
warum  in  den  zur  3.  und  6.  Tetralogie  vereinigten  Gruppen  die  Folge 

IlaQun'idijg  <Pilrjßog 

^vu  Tiomo}'  <f>al(V()og 

Eu&vtirjfiög  fT(JU)ray6()ag 

Ib(jyiag  Mh'ior 

eingehalten  sei.  Ich  dachte  an  eine  chronologische  Anordnung  und  hoffte 
daraus  Kapital  für  Aufhellung  dunkler  Punkte  der  Abfassungszeit  plato- 
nischer Schriften  zu  schlagen.  Bedenken  erregte  mir  jedoch  der  Umstand, 
dass  der  Phaidros  nach  dem  Symposion  steht,  während  doch  selbst  ein 
Blinder,  wenn  ihm  nicht  durch  grammatische  Statistik  der  Blick  getrübt 
wird,  sehen  muss,  dass  das  Symposion  erst  nach  dem  Phaidros  ge- 
schrieben sein  kann.  Später  nachdem  ich  in  den  7  Dialogen  der  4.  und 
7.  Tetralogie  die  alphabetische  Ordnung  entdeckt  hatte,  gab  ich  alles 
weitere  Nachsinnen  auf,  und  erkannte  auch  in  der  Ordnung  jener  4  Paare 
die  alphabetische  Folge  als  leitendes  Motiv  des  Thrasylos  oder  seiner 
Vorgänger. 

Die  Leser  werden  sich  wohl  mit  mir  des  Lichtstrahles  freuen,  der 
so  über  die  Anordnung  des  Thrasylos  ergossen  ist.  Leider  fällt  das 
Licht  nur  auf  die  äusserliche  Thätigkeit  eines  grammatischen  Akademi- 
kers, nicht  auf  das  innere  Wesen  der  platonischen  Philosophie.  Aber 
wir  Philologen  müssen  froh  sein,  wenn  uns  auch  nur  der  Ueberlieferung 
Dunkel  aufzuhellen  gelingt. 

6.     Die  Bucheinteilung  bei  Plato  und  Aristoteles. 

Die  Werke  des  Plato  ähnelten  einander  auch  äusserlich  in  den  ver- 
schiedenen   Perioden    seiner    Schriftstellerei.     Anfangs   schrieb  er  Dialoge 


1)  Beachtenswert  ist,    dass   die   anderen   von   Diogenes  a.  a.  0.   angeführten   Einteilungen 
gleichfalls  auf  Verkehrung  der  Reihen  hinauslaufen. 


473 

von  massigem  Umfang,  so  dass  später  leicht  mehrere  derselben,  wie  wir 
dieses  vom  Charmides  Laches  Lysis  sahen  und  von  anderen,  wie  Apologia 
Kriton  Euthyphron  Ion  Hippias  min.,  vermuten  dürfen,  zu  einem  Buche 
verbunden  wurden.  Später  vom  Menon  an,  also  etwa  seit  395  liebte  es 
Plato,  seinen  Dialogen  neben  einem  grösseren  Gesichtskreis  der  Unter- 
suchung auch  einen  grösseren,  etwa  dreimal  so  grossen  äusseren  Umfang 
zu  geben,  natürlich  jedoch  so,  dass  er  nicht  nach  der  Elle  schrieb  und 
sich  nicht  an  ein  festes  Mass  band.  Nur  wird  man  bei  allem  Schwänken 
des  Umfanges  und  selbst  wenn  der  Autor  manchmal  auf  die  Hälfte  herab- 
ging !),  ein  gewisses  Gleichmass  zwischen  dem  ersten  und  letzten  derartigen 
Dialoge,  dem  Menon  und  Philebos,  nicht  verkennen  dürfen.  Nur  in  2  Dialo- 
gen ging  er  weit  über  dieses  Mass  hinaus,  in  seinem  letzten,  unvollendet 
hinterlassenen  Werke,  Nomoi,  und  in  der  Politeia,  Dabei  ist  es  aber 
bezeichnend,  dass  eben  diese  Politeia  erst  aus  mehreren  Teilen  zu  ihrem 
grossen  Umfang  angewachsen  ist.  Denn  diese  Thatsache  ist  nicht  blos 
durch  die  bekannte  Ueberlieferung  des  Gellius  noct.  att.  13,  3,  wonach 
Plato  die  Republik  zuerst  in  2  Büchern  herausgab 2) ,  verbürgt,  sondern 
noch  entschiedener  durch  die  viel  besprochenen  Fugen  in  dem  erhaltenen 
Werke  selbst  bestätigt 3).  Nicht  ohne  Interesse  ist  es  dabei,  dass  derjenige 
Bestandteil,  der  sich  am  leichtesten  als  eine  spätere  Erweiterung  nach- 
weisen lässt,  Buch   5.   6.   7,  mit  3664  Zeilen,  ungefähr  dem  Umfang  des 


1)  Genaue  Angaben  gibt  Birt,  Das  antike  Buchwesen  S.  440:  danach  hat.  um  nach  der 
mutmasslichen  Zeit  der  Abfassung  zu  gehen,  Menon  1656  Zeilen,  Gorgias  3734,  Phaidros  2516, 
Kratylos  2932,  Euthydemos  1684,  Protagoras  2360,  Symposion  2356,  Phaidon  3002,  Theaitetos  3737, 
Rophistes  2998,  Politikos  3034,  Parmenides  1862,  Timaiot  8484,  Philebos  3132. 

2)  Sehr  schwer  ist  es  freilich  zu  sagen,  welche  Teile  unserer  Politeia  unter  jenen  duobus 
fere  libris,  qnj  primi  in  volgus  exierant,  zu  verstehen  seien.  Schon  das  fere  indes  zeigt,  dass  man 
an  ein  volles  Zusammenfallen  mit  unseren  2  ersten  Büchern  nicht  zu  denken  hat.  Am  meisten 
Wahrscheinlichkeit  hat  mir  immerhin  noch  die  Ansicht  Krohn's,  Der  platonische  Staat  73  f. 
384  f.,  dass  jene  erste  Ausgabe  im  wesentlichen  die  4  ersten  Bücher  unserer  Politeia  enthalten 
habe,  ohne  dass  deshalb  nicht  manches  erst  später  hinzugekommen  und  überarbeitet  worden  wäre. 
Es  wird  eben  der  Hauptinhalt  jener  vier  Bücher  in  der  ersten  Ausgabe  beiläufig  2  Bücher  umfasst 
haben.  Nusser,  Piatons  Politeia  S.  103  nimmt  doch  die  Sache  zu  leicht,  wenn  er  in  der  Notiz 
des  Gellius  nur  eine  oberflächliche  Vermutung  der  späteren  Zeit  erkennen  will. 

3)  Ich  weiss  nicht,  ob  schon  jemand  zur  Widerlegung  der  Meinung,  dass  die  Verspottung 
der  Weiberherrsehaft  in  den  Ekklesiazusen  des  Aristophanes  nicht  auf  Plato,  sondern  irgend 
welchen  anderen  Idiologen  gehe,  auf  die  Stelle  im  Timaios  j».  1^  C  hingewiesen  hat,  wo  das  «5t« 
rrjy  dt'i&fiav  tüv  "ktx&ivtwv  evfjtv^/xovtvTop  sc.  to  nepi  t»js  nai6onouas  deutlich  zeigt,  dass  Platc- 
der  eigentliche  Erfinder  der  Weibergemeinschaft  war. 


474 

Theaitetos  gleichkommt  und  die  beiden  Dialoge,  mit  denen  man  den- 
selben in  Verbindung  bringen  wollte,  den  Sophistes  und  Politikos,  nicht 
erheblich  an  Grösse  übersteigt. 

Jene  beiden  Werke  nun,  Staat  und  Gesetze,  sind  wegen  ihres  über- 
mässigen Umfangs  in  Bücher  geteilt,  die  Politeia  in  10.  die  Nomoi  in  12. 
Die  Einteilung  fand  bereits  Thrasylos  nach  Diogenes  III  57  vor;  sie  lag 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  auch  der  Attikusausgabe  unseres  Philoso- 
phen zugrunde,  auf  die  unsere  Handschriften  mit  ihren  stich ometrischen 
Angaben  zurückzugehen  scheinen.  Aber  von  wem  ist  sie  ausgegangen? 
ßirt  in  seinem  trefflichen  Buche  über  das  antike  Buchwesen  spricht  sie 
nicht  blos  dem  Plato  ab,  er  bestreitet  auch  S.  477  die  Richtigkeit  der 
Ueberlieferung  bei  Suidas  s.  v.  (filoaocpos,  dass  Piatos  Schüler,  Philip]  >os 
der  Opuntier,  die  Nomoi  in   12  Bücher  eingeteilt  habe,    und  geht  sogar 

5.  447  so  weit,  aus  den  obenbesprochenen  Nachrichten  über  die  Eintei- 
lung der  Werke  des  Plato  nach  Trilogien  durch  Aristophanes  von  Byzanz 
zu  schliessen,  dass  jener  Grammatiker  noch  die  Politeia  und  die  Nomoi 
als  je  1  Buch  angesehen  habe.  Die  letzte  Annahme  steht  auf  sehr 
schwachen  Füssen  und  geht  entschieden  zu  weit;  aber  das  andere  ist 
richtig,  dass  weder  Plato  noch  Aristoteles  selbst  ihre  Werke  in  Bücher 
eingeteilt  haben.  Das  geht  unwiderleglich  aus  den  störenden  Fehlern 
der  überlieferten  Buchteilung  hervor 1).  Ich  vermag  dafür  drei  sichere 
Fälle  anzuführen.  Vor  allem  sind  die  Bücher  der  Politeia  Piatos  so 
grundverkehrt  abgeteilt,  dass  die  Abteilung  unmöglich  von  Plato  selbst 
herrühren  kann.  Ich  spreche  das  nicht  zuerst  aus,  den  Nachweis  haben 
bereits  Hermann,  Steinhart  und  andere  mit  zutreffender  Sachkennt- 
nis gegeben.  Das  6.  und  7.  und  ebenso  das  8.  und  9.  Buch  hängen 
auf  das  allerengste  miteinander  zusammen,  indem  im  ersten  Falle  der 
Vergleich   der   Wahrheit   mit    der    Sonne    schon    vor    dem    Schlüsse    des 

6.  Buches,  und  im  zweiten  Falle  die  Schilderung  des  Tyrannenlebens 
schon  vor  dem  Ende  des  8.  Buches  begonnen  hatte.  Plato  selbst  hätte 
nimmermehr    durch    Buchtrennung    die    Darstellung    an    diesen    Stellen 


1)  Ohne  Beweiskraft,  aber  doch  nicht  ohne  Bedeutung  ist  der  Umstand,  dass  die  Grösse  der 
einzelnen  Bücher  der  Politeia  und  Nomoi  mit  ca.  1150  Zeilen  erheblich  hinter  der  Grösse  der  je 
1  Buch  bildenden  Dialoge  zurückbleibt.  Schon  dies  weist  auf  verschiedene  Grundsätze  oder 
Uebungen  bei  der  Bucheinteilung  und  somit  auf  verschiedene  Zeiten  hin. 


475 

zerrissen.  Auch  das  3.  Buch  beginnt  nicht  an  rechter  Stelle,  da  ein  neuer 
Abschnitt  vielmehr  vor  dem  Schlüsse  des  2.  Buches  p.  3  7  6  E  anzunehmen  war, 
an  welcher  Stelle  die  naidtia  (pvlaxwv  beginnt.  Endlich  hängt  auch  das 
5.  und  6.  Buch  so  zusammen,  dass  kein  Anlass  zur  Bildung  eines  neuen 
Buches  gegeben  war.  Kurzum  unsere  Einteilung  in  10  Bücher  ist  von 
einem  Librarius  gemacht,  dem  es  wenig  auf  den  Sinn,  um  so  mehr  aber 
auf  gleichen  Umfang  der  einzelnen  Bücher  ankam. 

Aus  Aristoteles,  dessen  Bücher  indes  im  allgemeinen  viel  zweck- 
mässiger abgeteilt  sind,  führe  ich  zuerst  einen  Fehler  der  Metaphysik 
an.  Die  letzten  Bücher  dieses  Werkes  M  N  bilden  eigentlich  ein  Ganzes 
und  würden  am  besten  gar  nicht  geteilt  worden  sein.  Sollte  aber  geteilt 
werden,  so  musste  das  Buch  N  bereits  vor  dem  Schlusskapitel  des  Buches 
M  p.  1086a  18  begonnen  werden,  wie  bereits  der  alte  Commentator 
Syrianos  unter  Zustimmung  von  Bonitz  richtig  bemerkt  hat.  Denn  an 
dieser  Stelle  geht  der  Philosoph  von  der  Untersuchung  der  Ideen  und 
der  mathematischen  Dinge  an  sich  zur  Erörterung  der  Elemente  und 
Anfänge  derselben  über.  Noch  nicht  bemerkt  ist,  dass  auch  in  der 
Schrift  von  der  Seele  das  3.  Buch  an  unrichtiger  Stelle  beginnt,  so  dass 
die  überlieferte  Abteilung  der  von  Aristoteles  selbst  aufgestellten  Dispo- 
sition entschieden  widerspricht.  Denn  die  Darstellung  der  sinnlichen 
Wahrnehmung  (aiaO-rjOia)  greift  aus  dem  2.  Buch  in  das  3.  über;  der 
neue  Abschnitt  von  der  denkenden  Seele  beginnt  erst  mit  dem  3.  Kapitel 
des  3.  Buches,  weshalb  ich  auch  vor  2  Jahren  mit  diesem  Kapitel  im 
philologischen  Seminar  die  Interpretation  beginnen  Hess.  Der  Grund  der 
falschen  Teilung  ist  aber  auch  hier  in  der  Rücksicht  auf  möglichste 
Gleichheit  der  Bücher  zu  suchen.  Nach  Birt  hat  das  erste  Buch  846 
Zeilen,  das  zweite  1074,  das  dritte  895.  Wäre  also  das  zweite  bis  zu 
seinem  richtigen  Ende,  bis  III  3  ausgedehnt  worden,  so  hätte  es  noch 
unverhältnismässiger  das  erste  und  dritte  an  Umfang  überragt. 

Ein  zweiter,  aber  minder  durchschlagender  Beweis  für  den  spä- 
teren Ursprung  der  Bucheinteilung  liegt  in  den  Zeugnissen  über  die 
verschiedene  Zahl  der  Bücher  ein  und  desselben  Werkes.  Bei  Plato 
gibt  es  keinen  derartigen  Zwiespalt.  Denn  alle  Angaben  stimmen  in 
der  Zehnzahl  der  Bücher  der  Politeia  und  der  Zwölfzahl  der  Bücher 
der    Nomoi    überein.       Aber    zahlreich    sind    die    Abweichungen    bezüg- 


476 

lieh  der  Einteilung  von  Werken  des  Aristoteles.  Dieselben  bat  Birt 
S.  453  ff.  zweckmässig  zusammengestellt.  Ich  will  hiezu  zwei  Nachträge 
oder  vielmehr  Berichtigungen  anderweitiger  Angaben  geben.  Unsere 
erste  Analytik  umfasst  2  Bücher;  dagegen  führt  das  Verzeichnis  bei 
Diogenes  V  1.  23  an  nQortfMOV  ävakvrtxwv  a  ß'  y  d'  e  g  £  ij  *), 
hiezu  fügt  dann  noch  Heitz  Griech.  Lit.  II  2  S.  284  eine  Angabe  von 
ava.kvTiv.uSv  Ti  ßtßUa  bei  Joannes  Philoponos  in  cat.  p.  39a  20.  Diese 
Divergenz  aber  muss  durch  eine  paläographisch  sehr  leichte  Correctur 
beseitigt  werden,  da  it  einfach  aus  /,  verlesen  oder  verschrieben  ist,  wie 
uns  diese  Verwechselung  zu  hundert  Malen  in  griechischen  Minuskel- 
handschriften des  Mittelalters  begegnet.  Ebenso  ist  das  Verzeichnis  des 
Diogenes  mit  ntyi  nQoßlijfiiaztov  a  (unmittelbar  nach  den  Analytiken). 
uefrodizd  r;  und  neyi  tyiOTizwv  ß  mit  unserem  Bestände,  der  bekannt- 
lich 10  Bücher  lonv/.ä  oder  9  Bücher  Topika  und  1  Buch  ootpiOTiicol 
eXtyyjn  aufweist,  sicher  in  Einklang  zu  bringen.  Denn  einmal  ist  u (■')<>- 
öixd  nur  ein  Doppeltitel  für  Toniad,  wie  man  längst  aus  Aristoteles 
selbst  rhet.  1  2  p.  1356b  19  erkannt  hat,  wo  auf  unsere  Topik  mit  den 
Worten  utoney  iv  tolg  ut&odiy.ou  &%(jrp:ai  Bezug  genommen  wird.  Sodann 
ist  von  irgend  einem  Grammatiker  nach  einer  von  Aristoteles  selbst 
angedeuteten  Gliederung  das  1.  Buch  der  Topik  als  allgemeiner,  die 
logischen  Probleme  einleitender  Teil  unter  dem  speciellen  Titel  ntyi 
nyoßXrjuaTOJv  abgesondert  worden.  Endlich  überschreiten  die  ooqtiOTixol 
tltyyoi  erheblich  den  Umfang  der  Bücher  der  eigentlichen  Topik  und 
konnte  ein  Grammatiker  sehr  passend  mit  dem  16.  Kapitel  einen  anderen 
Abschnitt  oder  ein  neues  Buch  beginnen,  wie  denn  auch  thatsächlich  in 
dem  cod.  Laurent.  89  und  in  älteren  Ausgaben  die  Schrift  in  2  Bücher 
geteilt  ist. 

Zum  Schlüsse  will  ich  noch  auf  einen  Punkt  aufmerksam  machen, 
den  ich  gelehrteren  Mitforschern  zur  Beachtung  und  Lösung  empfehle. 
Bei  der  Zählung  der  Bücher  des  Plato  ist  von  dem  c  Gebrauch  gemacht 
worden;  ebenso  in  dem  von  Diogenes  verzeichneten  Index  der  Werke 
des  Aristoteles.  In  unseren  Handschriften  und  Ausgaben  des  Aristoteles 
und  ebenso  im  Kommentar  des  Alexander  Aphrodisiensis  zur  Metaphysik 

1)  Eine  sehr  ansprechende  Vermutung  über  jene  Einteilung  in  8  Bücher  oder  vielmehr 
Abschnitte  (rfj^uura)  gibt  Birt  S.  454. 


477 

wird  gleich  von  E  zu  Z  übergegangen;  von  Alexander  wird  die  Bezeichnung 
des  10.  und  11.  Buches  als  Buch  K  und  A  ausdrücklich  als  die  bei  den 
Peripatetikern  übliche  hervorgehoben  *). 

7.     Der  13.  Brief  des  Plato  echt. 

Seitdem  Bentley  mit  unübertroffenem  Scharfsinn  die  Unechtheit 
der  phalerideischen  Briefe  nachgewiesen  hat,  ist  auf  dem  Gebiete  der 
griechischen  Brief  litteratur  mit  dem  Messer  der  Kritik,  das  der  grosse 
Britte  geschliffen  hatte,  viel  Missbrauch  getrieben  worden.  "Weil  die 
Fälschung  und  Unterschiebung  von  Briefen  im  Altertum  in  unverschäm- 
ter Weise  betrieben  wurde,  war  man  nur  zu  rasch  bei  der  Hand  auch 
ohne  den  Scharfsinn  und  die  Gelehrsamkeit  von  Bentley  die  über- 
kommenen Briefe  griechischer  Redner  und  Philosophen  zu  verdächtigen 
und  alles  ohne  Unterschied  in  einen  Topf  zu  werfen.  Das  gilt  nicht 
zum  wenigsten  auch  von  den  Briefen  des  Plato,  auf  denen  jetzt  so  allge- 
mein in  Deutschland  das  Anathema  der  verwerfenden  Kritik  liegt,  dass 
man  seinen  Ruf  riskiert,  wenn  man  an  i lirer  Unechtheit  nur  zu  zweifeln 
wagt.  Und  doch  müssen  bei  der  Frage  nach  der  Echtheit  die  einzelnen 
Bestandteile,  aus  denen  unsere  Sammlung  von  13  Briefen  besteht, 
strenge  von  einander  geschieden  werden,  und  bedarf  die  ganze  Unter- 
suchung einer  einschneidenden  Revision.  Was  Steinhart,  dessen  Ein- 
leitung zu  den  Briefen  die  jetzt  herrschende  Meinung  repräsentiert,  von 
den  Brieffälschungen  in  den  Schulen  der  Sophisten  und  den  unplatoni- 
schen Charakter  der  überlieferten  Briefe  spricht,  gehört  teils  nicht  zur 
Sache,  teils  beruht  es  auf  Verkennung  des  Briefstiles  und  auf  unkriti- 
schem Vorurteil  über  den  persönlichen  Charakter  des  Philosophen.  Aristo- 
phanes  von  Byzanz.  um  200  vor  Christus,  hatte  bereits  die  Briefe  in 
seine  Ausgabe  oder  seinen  pinakographischen  Abriss  aufgenommen2), 
und  alle  Declamationen  über  die  Schul  Übungen  der  Sophisten  fallen 
damit  als  fremdartiger  Aufputz  weg.  Im  übrigen  brachte  Steinhart 
zu    derartigen    Fragen    nicht    die    nötige  Unbefangenheit    mit.     Ich  liebe 


1)  v.  Wilamowitz,  curae  Thucydideae  p.  8  belehrt  mich,    dass   auch    noch   der   einzige 
Codex  des  Clemens  bei  der  Buchzählung  das  Stigma  oder  Vau  übergeht. 

2)  Ob  alle  13  Briefe,  ist  freilich  von  Diogenes  nicht  gesagt,  aber  ebensowenig  ist  das  Gegen- 
teil gesagt  oder  auch  nur  wahrscheinlich. 

Abb.  (1. 1.  Ol.  d.  k.  Ak  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  II.  Abth.  62 


478 

und  bewundere  den  Mann;  solche  Männer  von  flammender  Begeisterung 
und  Liebe  für  das  Grosse  im  Altertum  bedarf  unsere  griesgrämige,  im 
literarischen  Kleinkram  sich  gefallende  Zeit.  Aber  ein  Kritiker  bedarf 
vor  allem  Unbefangenheit  und  darf  auch  vor  der  Aufgabe  eine  bewun- 
derte Grösse  von  der  Höhe  ihres  Piedestals  herabzuziehen  nicht  zurück- 
scheuen. Steinhart  war  zu  sehr  von  Bewunderung  der  idealen  Grösse 
Piatos  durchdrungen,  als  dass  er  noch  ein  Auge  gehabt  hätte  für  die 
Niedrigkeit  der  Lebensbedürfnisse  und  die  Lappalien  des  täglichen  Lebens, 
über  die  auch  der  idealst  angelegte  Mensch  sich  nicht  immer  wegsetzen 
kann.  Die  schweren  Anklagen,  welche  bereits  das  Altertum  gegen  den 
persönlichen  Charakter  des  Philosophen,  gegen  seine  malignitas  und 
dicacitas  erhoben  hatte,  fanden  ohnehin  bei  ihm  keinen  Glauben,  kaum 
nur  Gehör.  Und  doch  wäre  Plato  ja  nicht  der  erste,  der  in  seinen 
Schriften  anders  erschiene  als  in  dem  tagtäglichen  Leben.  Gibt  man 
aber  zu,  dass  ein  Mann,  der  in  seinen  Dialogen  nur  in  der  Welt  der 
Ideale  lebte,  im  Leben  sich  auch  mit  Geld  und  Aussteuer  und  Ver- 
wandten befassen  musste  und  in  seiner  einflussreichen  Stellung  zu  einem 
mächtigen  Könige  weder  Zudringlichkeiten  von  Empfehlung  suchenden 
Hofleuten,  Gelehrten  und  Künstlern  sich  entschlagen,  noch  über  Rück- 
sichten der  höflichen  Aufmerksamkeit  gegen  den  königlichen  Freund  und 
seine  Familie  sich  wegsetzen  konnte,  so  fallen  alle  oder  doch  nahezu 
alle  Einwände,  die  man  gegen  die  Echtheit  des  13.  platonischen  Briefes, 
zu  dem  wir  uns  nun  speciell  wenden,  erhoben  hat.  Nichts  hat  dieser 
Brief,  was  auf  Schul machwerk  und  Sophistenweisheit  hinwiese,  nichts  von 
Gemeinplätzen,  nichts  von  Verbrämung  historisch  berühmter  Persönlich- 
keiten, nichts  von  politischen  oder  literarischen  Tendenzen,  nichts  endlich  von 
philosophischer  Geheimniskrämerei.  Dieses  sind  Dinge,  welche  auf  den  ersten 
Blick  den  Briefwechsel  des  Plato  mit  Dion  und  seinen  Anhängern,  den 
grossen  7.  und  8.  Brief  nicht  ausgenommen !),  verdächtigen.  Unser 
13.  Brief,  der  auch  äusserlich  durch  seine  Stellung  am  Schlüsse  ge- 
trennt von  den  übrigen  Briefen  an  Dionysios  auf  das  bestimmteste  von 
jener  Briefsammlung  sich  abhebt,  hat  einen  ganz  anderen  Charakter: 
gewöhnliche  Dinge  des  Privatlebens  im  reichsten,    kaum    zu  erfindenden 


1)  Diese  beiden  war  Böckh  de  graec.  trag,  princ.  p.  163  geneigt  für  echt  zu  halten. 


479 

Detail  bilden  seinen  Inhalt;  wer  und  in  welcher  Absicht  sollte  dieselben 
fingiert  haben?  Sehr  gut  sagt  der  von  deutschem  Hyperkriticismus  nicht 
angekränkelte  Engländer  Grote  in  seinem  Buche  über  Plato  I  220: 
nor  does  it  surprise  nie  to  find  Plato  in  epist.  13  alluding  to  details 
which  critics,  who  look  upon  him  altogether  as  a  spiritual  person, 
disallow  as  mean  and  unworthy.  his  recommendation  of  the  geometer 
Helikon  of  Kyzikus  to  Dionysius  and  Archytas  is  to  me  interesting:  to 
make  known  the  theorems  of  Eudoxus,  through  the  medium  of  Helikon, 
to  Archytas,  was  no  small  service  to  geometry  in  those  days.  i  have  an 
interest  in  learning  how  Plato  employed  the  money  given  to  him  by 
Dionysius  and  other  friends:  that  he  sent  to  Dionysius  a  statue  of 
Apollo  by  a  good  Athenian  sculptor  named  Leochares,  and  another  statue 
by  the  same  sculptor  for  the  wife  of  Dionysius  in  gratitude  for  the  care 
which  she  had  taken  of  him  when  sick  at  Syracuse;  that  he  spent  the 
money  of  Dionysius  partly  in  discharging  his  own  public  taxes  and  litur- 
gies  at  Athens,  partly  in  providing  dowries  for  poor  maiden  among  his 
friends;  that  he  was  too  beset  by  applications,  which  he  could  not  refuse, 
for  letters  of  recommendation  to  Dionysius,  as  to  compel  him  to  signify 
by  a  private  mark  to  Dionysius,  which  among  the  letters  he  wisched  to 
be  most  attended  to.  Wenn  dagegen  Hermann,  System  d.  plat.  Phil. 
S.  591,  in  den  Commissionen,  Einkäufen  und  Geldgeschäften,  von  welchen 
unser  13.  Brief  handelt,  nur  eine  affektierte  Vertraulichkeit  finden  will, 
so  ist  das  eitel  Gerede  ohne  Beweis  !);  einem  gesünderen  Urteil  folgte 
Bentley,  der  in  den  Remarks  upon  a  late  discourse  of  free  thinking 
ebenso  wie  später  W  e  s  s  e  1  i  n  g  in  epist.  ad  Venemam  und  Wyttenbach 
zum  Phaidon  p.  108  gerade  unseren  13.  Brief  für  echt  hielt.  Kein 
Moment  der  Sprache  und  Geschichte  spricht  für  die  Unechtheit  des 
Briefes,  umgekehrt  dient  manches  der  Bestätigung  der  Echtheit. 

Der  Brief  ist  geschrieben  nicht  lange  nach  der  Rückkehr  Piatos 
von  seinem  ersten  Besuche  am  Hofe  des  Dionysios  II,  also  entweder  noch 
in  der  103.  oder  doch  in  den  ersten  Jahren   der  104.  Olympiade,    etwa 


1)  Mehr  Beachtung  verdient  Hermann,  wenn  er  zwischen  Teilen  unseres  Briefes  einen 
Unterschied  macht.  Namentlich  möchte  man  gern  den  Absatz  p.  858  b  13 — 18  der  Züricher 
Ausgabe  von  der  besonderen  Marke  für  die  ernstlich  gemeinten  Empfehlungsbriefe  in  dem 
Schreiben  des  Philosophen  missen.     Doch  wage  ich  nicht  die  Scheere  anzusetzen. 

62* 


480 

ol.  104,  1  oder  364  v.  Chr.  Wenn  nun  Plato  in  demselben  von  einer 
Apollostatue  des  Leochares,  eines  vsov  aal  aya&ov  drjpiovQyov,  spricht,  so 
stimmt  das  so  gut,  wie  man  nur  verlangen  kann,  mit  Plinius,  der  hist. 
nat.  XXXIV  50  den  Leochares  in  der  102.  Olympiade  leben  (florere) 
lässt 1).  Die  kleine  Abweichung  ist  um  so  weniger  relevant,  als  Leocha- 
res, worauf  mich  Herr  Professor  Brunn  aufmerksam  machte,  noch 
in  den  letzten  Jahren  Alexanders  thätig  war,  also  auch  noch  ol.  104,  1 
ein  junger  Künstler  genannt  werden  konnte.  Wenn  sodann  in  unserem 
Briefe  Plato  den  Erasos  nach  Aigina  schickt,  um  von  einem  gewissen  Andro- 
medes  Geld  holen  zu  lassen,  so  stimmt  das,  wie  ich  bereits  oben  S.  458 
ausgeführt  habe,  merkwürdig  zu  einer  von  Aristoteles  in  der  Metaphy- 
sik p.  1015 a  25  vorgebrachten  Angabe.  Auch  dass  die  Mutter  Piatos 
noch  am  Leben  ist,  ihrer  Auflösung  aber  entgegengesehen  wird,  schliesst 
nichts  unmögliches  in  sich.  Die  Mutter  muss  danach  allerdings  ein  sehr 
hohes  Alter  erreicht  haben;  aber  nehmen  wir  an,  dass  sie  den  Ariston 
in  ihrem  16.  Lebensjahre  heiratete,  und  geben  wir  zu,  dass  von  den  drei 
Geschwistern  des  Plato  der  eine,  Adeimantos,  älter  als  Plato  war  2),  so  war 
sie  zur  Zeit  des  Briefes  ca.  80  —  85  Jahre  alt;  kann  man  da  sagen,  die 
Mutter  des  Plato  müsste  steinalt  geworden  sein?  Ebensowenig  ergibt 
sich  eine  Schwierigkeit  aus  der  Erwähnung  der  Schule  des  Bryson  noch 
daraus,  dass  der  von  Plato  empfohlene  Geometer  Helikon  ein  Schüler 
des  Astronomen  Eudoxos  war  und  auch  mit  einem  Schüler  des  Isokrates 
Verkehr  gepflogen  hatte.  Umgekehrt  stimmen  die  Personen  und  Zeiten 
ganz  vortrefflich  zur  Situation  des  Briefes  und  der  platonischen  Akademie, 
in  die  um  diese  Zeit  Eudoxos  seinen  Einzug  hielt.  Wenn  es  dann  gegen 
Schluss  von  einem  Syrakusaner  Tison  heisst  o*,*  tüt.6  oft'  rjuelg  anenliofitv 
tJiohavojAti,  so  sehen  wir  hier  eine  Sachkenntnis,  die  bei  einem  Fälscher, 
wie  wir  einen  in  den  Urkunden  der  Kranzrede  des  Demosthenes  kennen 
lernen,  geradezu  zu  verwundern  wäre.  Denn  das  Amt  eines  nuliavoLiog 
treffen  wir  speciell  in  Unteritalien  und  Sikilien,  wie  bereits  der  Epigra- 
phiker  Keil  aus  den  Tafeln  von  Heraklea  erwiesen   hat.     Endlich    auch 


1)  Siehe  Brunn,  Geschichte  der  griech.  Künstler  I  386  f. 

2)  Das  schliesst  man,  und  so  auch  Steinhart,    Platon's  Leben  S.  42,  aus  dem  Verhältnis 
der  beiden  Brüder  in  der  Apologie  p.  34  A. 


481 

die  Sprache ,  die  schon  im  Altertum ,  wie  wir  aus  Olympiodor  sehen  *), 
am  meisten  Verdacht  gegen  die  Echtheit  der  Briefe  erregte,  zeigt  gerade 
in  diesem  Briefe  am  meisten  platonisches  Colorit.  So  hat  z.  B.,  um 
Einzelnes  zu  erwähnen,  der  ungewöhnliche  Genet.  partitivus  twv  FFvfrayo- 
ysicuv  na  [Anw  ooi  seine  Analogie  an  der  Stelle  in  der  Republik  p.  485  B, 
und  kehrt  die  kühne  dem  Homer  nachgebildete  Ellipse  p.  363  C  av 
tüv  &ü)(jaxa  rj  äXXo  ri  (bv  smoTth'/.a)  Tiaujiflg,  av  utv  avrog  zip  ßovhj, 
sl  dt  /lctj  ,  TrjQLÜdp  dog  in  ähnlicher  Fassung  wieder  im  Protagoras 
p.  311  D.  Aber,  wird  man  mir  zuletzt  einwenden,  ein  direktes  Zeugnis 
aus  dem  Altertum,  ein  Scholion,  das  am  Schlüsse  des  12.  Briefes  steht, 
aber  auf  unseren  oder  den  nachfolgenden  13.  Brief  bezogen  wird, 
'avxütyetai  wg  ov  ülaTOJvog  spricht  gegen  die  Annahme  der  Echtheit. 
Aber  auch  wenn  jenes  Scholion  mit  Recht  auf  den  13.  Brief  bezogen 
wird  und  auch  in  das  Altertum  zurückdatiert  werden  muss,  da  es  sich 
schon  in  dem  cod.  Paris.,  einer  Handschrift  des  10.  Jahrhunderts,  findet, 
so  ist  doch  in  demselben  nichts  anderes  als  das  Urteil  eines  Grammatikers 
oder  Akademikers  enthalten,  der  dem  mysteriösen  philosophischen  Brief- 
wechsel mit  Dion  und  seinen  Verwandten  den  Vorzug  gab  vor  diesem, 
der  einfachen  "Wirklichkeit  sich  anschmiegenden  Briefe.  Ein  gesundes 
Urteil   wird    gerade    nach  der  entgegengesetzten  Seite  hin  entscheiden2). 

8.     Schlüsse   aus   dem    13.   Briefs  auf  die   Abtassuugszeit  platonischer 

Schritten. 

Ist  nun  der  13.  Brief  echt  und  ca.  364  geschrieben,  so  ergeben  sich 
daraus  die  belangreichsten  Schlussfolgerungen  für  die  Abfassungszeit  pla- 
tonischer Dialoge.  Ausdrücklich  ist  in  dem  Briefe  des  Phaidon  oder  des 
Dialoges  über  die  Seele  Erwähnung  gethan  p.   363  A:    yeyyajLiu  wog  ydy 


1)  Siehe  Olympiodor  prol.  26  6  &tios  HyöxXos  xal  r«?  dniaroXag  ixßä'k'kii  dut  to  än'kovv 
l*i£  if'Qfiatuig. 

2)  Bezüglich  der  übrigen  Briefe  will  ich  hier  in  den  Noten  gelegentlich  die  Vermutung 
iiussprechen,  dass  vielleicht  schon  Antigonos  von  Karystos  den  5,  Brief  kannte;  was  nämlich 
Athenaios  XI  p.  506  E  und  508  E  an  Antigonos  über  das  Verhältnis  des  Perdikkas  und  Euphraios 
berichtet,  steht  mit  dem  Empfehlungsbrief,  den  Plato  dem  Euphraios  an  Perdikkas,  den  König 
von  Makedomen,  mitgab,  in  Zusammenhang.  Umgekehrt  hat  Aristoteles  den  zweiten  Brief  noch 
nicht  gehabt,  da  sonst  nicht  Alexander  Aphrosisiensis  im  Commentar  zu  Arist.  met.  p.  48,  1 1  und 
45,  10  die  Darstellung  des  Aristoteles  unter  Berufung  auf  die  Briefe  bekämpfen  könnte. 


482 

iori  Ktßqg  iv  T.olg  ^wxQarfloig  loyoig  fitrct  ZEiuuiov  JEfOXQatet  r?m- 
Xtyouevog  sv  rip  ttsqI  yv%rjg  loycp1).  Im  Jahre  364  war  also  der  Dialog 
bereits  ediert  und  in  aller  Hände,  so  dass  uns  ein  fester  terminus  ante 
quem  für  die  Abfassungszeit  gegeben  ist.  Zugleich  ersieht  man,  wie  die 
Wahl  des  Kebes  als  Sprecher  des  Dialoges  mit  freundschaftlichen  Be- 
ziehungen zusammenhängt,  welche  Plato  mit  demselben  unterhielt  und 
auch  auf  die  Töchter  desselben  ausdehnte. 

Weit  wichtiger  aber  ist  eine  andere  Stelle  des  Briefes  p.  360  B, 
welche  von  zwei  neuen  Werken  eine  leider  nur  dunkel  gehaltene  Anspie- 
lung gibt.  Nachdem  nämlich  Plato  im  Eingange  des  Briefes  den  Dionysios 
an  einen  Ausspruch  erinnert,  worin  derselbe  die  geistige  Förderung,  welche 
er  durch  den  Verkehr  mit  Plato  in  der  Philosophie  erfahren  habe,  dankbar 
anerkannte,  fährt  er  also  fort  xal  eyu)  vvv  to  avrb  naQaaxeva'Qun'  riov  ts 
Ilv&ayoQbi(i)v  Tit/miu)  ooi  xal  jujv  diaiytatatv  xal  äi'd{>a}  üjhtisq  idoxsi  rjjiuy 
tote,  (p  ys  aij  xal  'Ayyvrrjg,  einey  r\xu  naqa  ae  'AyyvTijg.  yj))]a&ai  dvvatatVa)' . 
Fragen  wir  zuerst,  was  hat  er  unter  Abschnitten  aus  dem  rivthayoQi-ic 
verstanden?  Dachte  er  vielleicht  an  ein,  wenn  auch  apokryphes  Buch  des 
Pythagoras  selbst?  Gewiss  nicht;  denn  abgesehen  davon,  dass  wir  von 
einem  solchen  Buche  aus  der  alten  Zeit  nichts  wissen2),  wäre  es  doch 
auch  sonderbar,  wenn  sich  Dionysios  ein  Buch  des  Italikers  Pythagoras 
auf  dem  Umweg  über  Athen  hätte  kommen  lassen,  und  sich  nicht  wegen 
eines  solchen  Buches  an  den  Pythagoreer  Archytas,  der  mit  den  Königen 
von  Syrakus  in  nicht  minder  vertraulicher  Beziehung  wie  Plato  stund 
und  dessen  Besuch  am  fürstlichen  Hofe,  wie  man  aus  dem  Briefe  sieht, 
schon  angemeldet  war,  gewendet  hätte.  Aber  überhaupt  erwartet  man 
dem  ganzen  Zusammenhang  nach  kein  fremdes  Buch,  sondern  ein  Buch 
des  Plato  selbst;  das  war  von  vornherein  das  natürliche  und  darauf 
weist  bestimmt  die  Anerkennung  hin,  welche  Dionysios  dem  persönlichen 
Verkehr  mit  Plato  zollte.    Ich  gebe  mir  daher  keine  Mühe,  die  Vermutung, 


1)  In  dem  Ausdruck  nigl  tpvxns  hat  Steinhart  S.  323  ein  Zeichen  der  Unechtheit  finden 
wollen,  weil  Plato  und  Aristoteles  den  Dialog  nach  der  Hauptperson  4>cci6(uv  betitelten.  Aber 
wer  sagt  ihm,  dass  der  Sachtitel  nt^i  ipvxrje  erst  lange  nach  Piatos  Zeit  aufgekommen  ist? 

2)  An  die  xyvaa  tny  Tlv&ayoQov  wird  wohl  niemand  denken,  auch  wenn  er  sich  nicht 
durch  die  gelehrten  Untersuchungen  Nauck's  in  der  eben  erschienenen,  von  dem  Verfasser  mir 
gütigst  zugeschickten  Ausgabe  des  Jamblichus  vita  Pythagorica  p.  201—242  von  dem  Ursprung 
dieser  Spruchsammlung  aus  dem  4.  Jahrhundert  n.  Chr.  überzeugen  Hess. 


483 

dass  vielleicht  das  Buch  TIvd-ayoQeia  des  Xenokrates,  eines  Schülers  des 
Plato,  von  dem  wir  durch  Diogenes  IV  2,  13  Kenntnis  haben1),  gemeint 
sei,  ernstlich  zu  erwägen  und  zurückzuweisen.  Vielmehr  gehe  ich  un- 
mittelbar davon  aus,  dass  jene  IJvd-ayo^tia  unter  den  Werken  Piatos 
selbst  zu  suchen  seien.  Bedenken  wir  nun,  dass  Plato  diejenigen  Dialoge, 
in  denen  die  Lehre  des  Sokrates  vorgetragen  wird  und  Sokrates  der 
Träger  des  Dialoges  ist,  lÄJOxgazelovg  koyovg  nennt,  so  konnte  derselbe 
leicht  ein  Werk,  in  welchem  eine  von  Sokrates  beiseite  gelassene  Sparte 
der  Philosophie  von  einem  Anhänger  der  pythagoreischen  Schule  vor- 
getragen wird,  IIvfrayoQaiov  Xoyov  oder  Tlvdayo^eia  nennen;  das  war  aber 
natürlich  kein  anderes  Werk  als  der  Timaios  mit  seiner  Darlegung  der 
pythagoreischen  Kosmogonie.  Ich  erinnere  dabei  besonders  an  Gellius 
noct.  att.  III  17:  Timon  Platonem  philosophum  contumeliose  appellat, 
quod  impenso  pretio  librum  Pythagoricae  disciplinae  emisset  exque  eo 
Timaeum,  nobilem  illum  dialogum,  concinnasset.  Bei  der  ganzen  Weise 
aber,  mit  der  Plato  seine  Schriften  und  Meinungen  in  ein  gewisses  Halb- 
dunkel zu  kleiden  und  seine  Person  hinter  die  fremden  Leiter  des  Dialoges 
zu  verstecken  liebte,  darf  es  uns  gar  nicht  wundern,  wenn  er  in  einem 
Briefe  an  Dionysios,  den  Freund  des  Pythagoreers  Archytas,  seinem 
Timaios  den  Namen  llv&ayoQeioi  loyos  beilegte.  Aber  warum  schickte 
er  dem  Fürsten  nicht  den  ganzen  Timaios,  sondern  nur  Teile  daraus? 
Darauf  ist  die  Antwort  einfach;  weil  er  im  Jahre  364  noch  mit  der  Aus- 
arbeitung jener  Schrift  beschäftigt  war  und  erst  einzelne  Partien  vollendet 
hatte.  Das  wenigstens  ist  die  nächste  und  natürliche  Lösung;  es  gibt  indes 
auch  noch  einen  andern  Ausweg.  Den  fürstlichen  Dilettanten  mit  den 
Tiefen  der  Kosmogonie,  die  ja  auch  uns  noch  so  viel  Kopfzerbrechen 
machen,  zu  befassen,  wäre  gewiss  übel  angebracht  gewesen.  Dagegen 
enthält  der  Timaios  auch  einige  Stellen  allgemeiner  Weisheit  und  erhabener 
Sittenlehre,  wie  über  die  Erziehung  p.  87  C — 90  D,  über  die  Erschaffung 
des  Kosmos  durch  den  Weltschöpfer  p.  29  E — 34  B,  über  die  Schöpfung 


1)  Was  der  Inhalt  dieser  Hv&ayofjfia  gewesen  sei,  erfahren  wir  nicht;  vielleicht  enthielten 
sie  die  Kosmologie  des  stark  an  Pythagoras  anstreifenden  Akademikers  (s.  Zeller  Gesch.  d.  Phil. 
II3  872)  und  berührte  sich  so  inhaltlich  mit  dem  Timaios  des  Plato.  Dieses  Buch  scheint  Jam- 
blichus  vit.  Pyth.  II  7  benützt  zu  haben,  über  welche  Stelle  sich  der  neueste  Herausgeber  Nauck 
allzu  skeptisch  ausdrückt. 


484 

des  Menschen  p.  42  E — 47  D.  Diese  mochte  Plato  für  besonders  geeignet 
zur  Lektüre  eines  philosophisch  gebildeten  Königs  halten  und  für  den 
Dionysios  gesondert  abschreiben  lassen,  wie  denn  auch  später  ein  gekrön- 
ter Autor,  der  Kaiser  Julian,  in  seiner  Schrift  gegen  die  Christen  p.  172 
sqq.  ed.  Neumann  gerade  solche  Partien  des  Timaios  wegen  ihres  allge- 
meineren Interesses  heraushob. 

Grössere  Schwierigkeiten  bereitet  der  zweite  Buchtitel  dtatotaetg,  der 
uns  auf  ein  viel  umstrittenes  Gebiet  drängt1).  Es  fragt  sich  nämlich 
hier,  ob  man  bei  den  diatüfatig  jenes  Briefes  an  uns  erhaltene  Dialoge 
Piatos  denken  muss  —  ist  dieses  der  Fall,  so  bieten  sich  von  selbst  zwei 
Dialoge  dar,  deren  ganzer  Gang  auf  der  Begriffsteilung  (divisio  (ftaiytatg) 
beruht  und  die  daher  passend  unter  dem  Titel  diaiytoeig  zusammengefasst 
werden  konnten,  der  Sophistes  und  Politikos  —  oder  ob  man  berechtigt 
ist  anzunehmen,  Plato  habe  in  jenem  Briefe  ein  Werk  im  Auge  gehabt, 
das  den  speciellen  Titel  öiaiQWSiQ  führte,  nicht  aber  auf  uns  gekommen 
ist  und  schon  im  2.  Jahrhundert  unserer  Zeitrechnung  durch  ein  unechtes, 
nun  gleichfalls  verloren  gegangenes  Machwerk  ersetzt  worden  war2).  Zur 
Entscheidung  dieser  Frage  muss  zunächst  auf  die  Deutung  dreier  Stellen 
des  Aristoteles  eingegangen  werden.  Zweimal  nämlich  spricht  der  grosse 
Schüler  Piatos  von  den  diaiütoftg  seines  Lehrers:  de  gen.  et  corr.  II  3 
p.  330  b  15:  ujnavrujg  JV  y.al  oi  TQia  Xiyovreg,  xa&ajifQ  fTkarojv  tv  Talg 
diaiütataiv  rb  yay  utaov  filytia  jioih  y.al  ayt<)ov  ravra  Xtyovaiv  di  Tfi 
dvo  y.al  oi  TQia  noiovvTtg,  nlrjv  oi  utv  (sc.  oi  dvo  Xtyovrtg)  rifivovoiv  elg 
<Jvo  (sc.  atQa  y.al  vÜioq)  rb  utaov,  oi  JV  (sc.  oi  rgia  tiyoi'rtg)  h'  abvov 
Tioiovoiv  (i.  e.  «V  ri  ig  ätQog  y.al  vdarog  uiyror),  met.  IV  11  p.  1019  a  4  ra 
ut-v  drj  ovtu)  keyt-rai  nyortija  y.al  vareya,  ra  (57  yara  (pvotr  y.al  ovaiai', 
ucsa  tvdtytTai  elvcu  ävtv  aXlujv,  syriva  ()V  avev  ixeivwv  [ir'i,  i)  diaiotati 
ixQrjoaro  flJLaTwv    wozu  dann    noch  eine  dritte  Stelle   kommt:    de    part. 


1)  Zuletzt  haben,  soweit  mir  bekannt,  von  den  6iaipEoe<s  gehandelt:  Ueberweg,  Unter- 
suchungen platonischer  Schriften  S.  155  f.,  Susemi  hl,  Genetische  Entwicklung  d.  plat.  Phil.  II 
546  ff.  und  Zell  er  Phil.  d.  Griech.  II3  380  ff. 

2)  Nach  Philoponos  zu  Aristoteles  de  gen.  et  corr.  II  3  p.  330  b  15  behauptete  Alexander 
von  Aphrodisias,  dass  die  zu  seiner  Zeit  unter  Piatos  Namen  in  Umlauf  gesetzte  Schrift  diaiysofig 
unecht  war;  und  bei  der  Umsicht  und  Sachkenntnis  dieses  trefflichen  Erklärers  dürfen  wir  vollständig 
der  Richtigkeit  seines  Urteils  in  dieser  Sache  vertrauen. 


•    485 

anim.  I  2  p.  642  b  10  kaußavovoi  d'ivioi  rb  xaS^  i'xaoTor  dicuoovueyoi 
to  ytvog  tlg  dvo  diacpoyag.  tovto  d'tOTi  tij  utr  ov  (xxdior,  rfj  d:advvaTor. 
tv'iwv  yay  e'orai  diacfooa  uia  juovtj,  to.  d'äkka  TieoUaya,  o\ov  vmmovv 
dinovv  oyj'QoTiovv  anovv.  avjr\  yo.Q  iiovi]  xi'Qia.  eti  J1*-  TiQoarixei  u?) 
diaünäv  exaorov  vevos,  oiov  rovg  oori&ag  rovg  uh'  &v  TftOty  rovg  &%v 
allrj  diaiatoei,  xa&aneo  i'yovoiv  oi  yeyyaujLitvcu  diatoeoeig.  exel  yao  rovg 
utv  fiera  idv  ivvdQwv  ovußairei   dir^G&ai,  rovg  d'tv  aXlm  yerei. 

Gehen  wir  von  der  letzten  Stelle  aus,  so  muss  man  aus  dem  Zusatz 
yiyyaiijLiEt'cu  dio.iQtoeig  notwendig  schliessen,  dass  es  neben  schriftlich 
abgefassten  Teilungen  {diaiotattg)  auch  noch  mündlich  überlieferte  gab, 
woraus  aber  natürlich  noch  nicht  folgt,  dass  an  den  beiden  anderen 
Stellen,  weil  der  Zusatz  yty^uaatvai  fehlt,  nun  notwendig  an  blos  münd- 
liche Traditionen  zu  denken  sei.  Aber  an  der  zweiten  Stelle  ist  doch 
diese  Deutung  nicht  blos  zulässig,  sondern  wenn  man  von  der  Lesart 
iX(fflT°  des  c°d-  Par-  E  ausgeht,  geradezu  notwendig.  Indes  hat  der  cod. 
Ab,  mit  dem  vielleicht  auch  der  Commentator  Alexander  von  Aphrodias 
übereinstimmt,  den  Aorist  t/j)i\aaio,  so  dass  es  gut  sein  wird,  diese  Stelle 
wegen  der  zwiespältigen  Ueberlieferung  ganz  ausser  Spiel  zu  lassen. 
Hingegen  führt  uns  an  der  1.  Stelle  die  ganze  Fassung  und  insbesondere 
das  Präsens  noiel  wieder  auf  eine  schriftliche  Ueberlieferung,  auf  ein 
Buch  Piatos  hin,  in  welchem  jene  Lehre  von  3  Elementen  verzeichnet 
war  *).  Können  nun  diese  beiden  Stellen,  de  gen.  II  3  und  de  part.  an.  I  2, 
auf  die  uns  erhaltenen  Dialoge  Sophistes  und  Politikos  bezogen  werden? 
Die  letzte  legt  von  vornherein  eine  Bezugnahme  auf  unsere  Dialoge 
nahe,  da  in  denselben  immer  von  der  Dichotomie  oder  der  Teilung  des 
ytvog  in  2  diaipoyai  ausgegangen  wird.  Aber  auch  der  von  Aristoteles 
speciell  gerügte  Fehler,  dass  die  Anhänger  der  dichotomischen  Teilung- 
genötigt  würden,  von  den  Vögeln  einige  in  die  Klasse  des  ytrog  x&v 
ivxdqwv  'Cvkuv  zu  stellen  und  dort  weiteren  Proceduren  dichotomischer 
Teilung  zu  unterziehen,  andere  einem  ganz  anderen  ytvog,  dem  der  Erd- 
und  Lufttiere  zuzuteilen  und  hier  auf  das  Prokrustesbett  der  Dichotomie 
zu  spannen,  passt  so  gut  nur  immer  möglich  auf  die  beiden  von  Plato 
im  Sophistes  p.  220  und  Politikos  p.  264  ff.  versuchten  äiatQtösie  'Cintoy- 

l)  Hierin  muss  jeder  Unbefangene  Zeller  im  Streite  gegen  Ueberweg  an  den  genannten 
Stellen  beistimmen. 

Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  II.  Abth.  63 


486 


Sophistes  p.   220. 


fwa 


/      \ 

xfCri  vtvarutx  oder  ewyQ« 


Politikos  p.  264  sqq. 

/  \ 

,   /  \ 

El  idfj«  gr,ooß<cTiX(e 


IX  tf« 


/' 


/     \ 


dinod« 


ltT(l(<7to6(t 


/ 

Denn  nach  der  ersten  Teilung  fällt  ein  Teil  der  Vögel  unter  die  f-fvy^a, 
wofür  Aristoteles  nach  seinem  Sprachgebrauch  tvvdya  sagt,  nach  der 
zweiten  wird  ein  anderer  Teil  der  Vögel  unter  die  ^rj^oßarixa  gestellt. 
Zell  er,  der  den  Fehler  bei  Plato  nicht  finden  will,  hat,  wie  es 
scheint,  zu  frühe  aufgehört,  die  Stelle  des  Politikos  zu  vergleichen;  sonst 
müsste  er,  wenn  er  den  Abschnitt  von  p.  264  bis  p.  267  herangezogen 
hätte,  auf  denselben  gekommen  sein.  Ich  lege  dabei  aber  auch  noch 
Wert  auf  die  vorausgehende  Bemerkung  des  Aristoteles,  dass  es  aller- 
dings nur  1  richtige  Teilung,  vnlmovv  änovv,  gebe  und  dass  die  Teilung 
\moiiow  dinovv  o/i'Qojiov}'  änovv  ungehörige  {ntyitoyo.)  Glieder  enthalte. 
Denn  Plato  ist  eben  im  Politikos  in  dieser  Beziehung  richtig  verfahren 
und  hat  den  Fehler,  in  den  andere  gefallen  zu  sein  scheinen,  geschickt 
vermieden,  indem  er  zuerst  die  Tiere  in  nt'Qa  und  mr\vä  (d.  i.  änoda) 
teilte  und  dann  erst  unter   den    nt'Qä    teils    dinoda   und    Tsryanoda ,    teils 


487 

[iwrwya  und  ayiord  unterschied.  Ich  halte  es  nach  allem  dem  für  aus- 
gemacht, dass  Aristoteles  de  part.  an.  I  2  unter  den  yty^aauhai  öiai- 
Qtotig  die  uns  erhaltenen  Dialoge  Sophistes  und  Politikos  gemeint  hat. 
Nicht  so  glatt  läuft  die  Sache  mit  der  zweiten  Stelle  de  gen.  II  3 
ab.  Verständigen  wir  uns  zuerst  über  die  Sache,  so  kann  es  auch  nicht 
einen  Augenblick  zweifelhaft  sein,  dass  Aristoteles  an  jene  Lehre  Piatos 
von  den  Elementen  gedacht  hat.  die  wir  im  Timaios  p.  31  B  und  53  A 
vorgetragen  finden.  Denn  dort  wird  den  2  zuerst  aufgestellten  Elementen, 
Feuer  und  Erde,  ein  drittes,  welches  zu  jenen  zweien  das  geometrische 
Mittel  bilden  soll  {tivq  :  tqitov  =  roizov  :  yt])  hinzugefügt;  jenes  dritte 
aber  ist  Wasser  —  Luft  als  ein  Ganzes  gedacht,  so  dass  sich  diese  Lehre 
thatsächlich  nicht  von  der  des  Parmenides  und  anderer  unterschied, 
welche  zwischen  Feuer  und  Erde  zwei  mittlere  Elemente,  Wasser  und 
Luft,  annahmen.  Hätte  also  Aristoteles  y.a&dntfj  FI'/miwi'  iv  tg5  Tiuaiq) 
statt  iv  ralg  diaiQtotoi  gesagt,  wie  er  de  coelo  I  10  p.  28 0a  28  mit 
tü07if(j  iv  tu)  Tiuo.uo  sich  auf  jenen  Dialog  bezieht,  dann  wäre  alles  in 
Ordnung.  Kann  nun  aber  Aristoteles  mit  iv  xaig  (haiytowi  den  Timaios 
meinen,  oder  gibt  es  auch  eine  Stelle  im  Sophistes  oder  Politikos,  in 
der  jene  Lehre  vorkommt?  Das  erstere  scheint  mir  Zeller  mit  Recht 
in  Abrede  zu  stellen;  dachte  Aristoteles  wirklich  an  die  angeführten 
Stellen  des  Timaios,  so  wäre  ich  eher  geneigt  zu  einem  Gedächtnisfehler 
des  Philosophen  oder  einer  Verwechselung  des  Timaios  mit  dem  Sophistes 
meine  Zuflucht  zu  nehmen.  Nun  ist  aber  ein  solcher  Notbehelf  über- 
haupt nicht  notwendig,  da  es  wirklich  eine  Stelle  im  Sophistes  p.  242  C 
gibt,  auf  die  schon  von  Bournot  —  ich  entnehme  dieses  aus  Susemihl  — 
die  Stelle  des  Aristoteles  bezogen  wurde  und  auch  wirklich  bezogen 
werden  kann:  fiv&ov  tiva  ry.aoTog  (sc.  ITaQu  triftig  y.al  nag  vorig  niunoit 
im  y.oioiv  WDfiTjOt  tov  zd  üvtcl  öiooioao&ai  nboa  rs  y.al  ndid  ior.iv)  qpat- 
vtzai  juoi  dmytloftai  naiolv  wg  ovotv  ijfiiv,  6  uiv  wg  ryia  zd  ovza,  TioXe/utl 
dt  dllrjlotg  irioTt  avidiv  dzza  7lfl,  roxi  di  y.al  (pikt  yiyvbutva  yduovg  rt 
y.al  zoxovg  xal  zouydg  zojv  ixyovwv  naotyjrai.  ()io  di  treoog  ilnarv,  vyobr 
y.al  Srßov  .  .  .  to  di  nag'  fjuti/y  *Ekeartx6v  i&vog,  dnb  Ztvo<pdvovg  ze  y.al  tri 
TiQuOihv  do§Bft(VOV  tos  sVoß  bvrog  rd>r  navTUjy  xahnuH'tov  ovzoj  duitoytrai 
roig  uvfroig.  Der  Sinn  der  Stelle  würde  uns  zwar  ohne  die  ausführliche 
Erörterung  im  Timaios  nie  klar  geworden  sein;    nun    aber,    wo  wir  den 

63* 


488 

Timaios  daneben  haben,  werden  wir  einsehen  müssen,  dass  die  i.Qia  des 
Sophistes  mit  den  3  Elementen  des  Timaios  identifiziert  werden  können 
und  müssen.  Ebenso  wird  uns  aber  auch  eine  Betrachtung  des  ganzen 
einschlägigen  Kapitels  des  Aristoteles,  namentlich  der  Stelle,  wo  die  Ver- 
treter zweier  und  dreier  Elemente  nebeneinander  gestellt  werden,  begreif- 
lich machen,  dass  Aristoteles  recht  wohl  die  Stelle  des  Sophistes  im  Auge 
haben  konnte  und  wohl  auch  gehabt  hat. 

Unter  den  yeyyauun'ai  diaiytatt*  des  Plato  im  Gegensatz  zu  den 
mündlich  in  der  Praxis  der  Schule  fortgepflanzten  diaiyeotig  verstand 
also  Aristoteles  die  beiden  Dialoge  Sophistes  und  Politikos,  und  an  sie 
und  an  nichts  anderes  dachte  Plato,  wenn  er  in  unserem  13.  Brief 
Abschnitte  aus  den  (?/a/pfa»£  für  den  König  Dionysios  dem  Briefe  beizu- 
legen verspricht.  Dann  ist  die  Folge,  dass  im  Jahre  364  Plato  mit 
jenen  beiden  Dialogen  beschäftigt  war  oder  sie  eben  damals  zum  Abschluss 
brachte. 

Aber  gegen  diese  Datierung  scheint  eine  andere  Combination  zu 
sprechen,  die  wir  jedenfalls  noch  zur  Sprache  bringen  müssen.  Leon. 
Spengel  hat  zuerst  in  einer  Recension  von  Rettigs  Prolegomena  in 
rempubl.  in  Münchener  gelehrte  Anzeigen  1846  S.  653  und  später  in 
dem  Aufsatze,  Isokrates  und  Piaton  im  Philologus  XIX  595,  die  Vermu- 
tung ausgesprochen,  dass  Plato  den  im  Eingang  des  Sophistes  und  Poli- 
tikos ausgesprochenen  Plan,  auf  den  Sophistes  und  Politikos  einen  dritten 
Dialog  Philosophos  folgen  zu  lassen,  später  nur  insofern  aufgegeben  habe, 
als  er  in  anderer  Form  eine  Darstellung  des  Philosophen  zu  geben  suchte, 
nämlich  ohne  die  dürre,  ermüdende  Dichotomie  der  Eleaten  in  der  phanta- 
sievollen Weise  des  wahren  Philosophen,  des  Sokrates,  in  dem  5.,  6.  und 
7.  Buche  der  Politeia.  Die  Ansicht  Spengels  hat  von  vornherein  sehr 
viel  bestechendes,  namentlich  da  man  noch  deutlich  erkennen  kann,  dass 
jene  Bücher  erst  nachträglich  zu  dem  früher  entworfenen  und  ausgeführten 
Werke  vom  Staate  hinzugekommen  sind.  Ich  mache  auch  kein  Hehl  daraus, 
dass  sie  nicht  blos  beim  ersten  Lesen  mich  vollständig  gefangen  nahm,  son- 
dern mir  auch  noch  lange  nachher  als  fester  Anhaltspunkt  in  der  Chrono- 
logie der  platonischen  Dialoge  gegolten  hat.  Aber  auf  der  anderen  Seite 
muss  doch  zugegeben  werden,  dass  man  eine  ganz  andere,  viel  strengere  und 
nüchternere  Darstellung  des  Gegenstandes  erwartet  als  sie  in  den  Büchern 


489 

der  Republik  gegeben  ist.  Sodann  ward  es  mir,  je  mehr  ich  mich  in  die 
letzte  Geistesrichtung  Piatos  hineinlebte,  desto  zweifelhafter,  ob  dem 
Philosophen  zur  Zeit,  als  er  den  Sophistes  und  Politikos  schrieb,  noch 
eine  mehr  poetisch  schöne  als  beweisstarke  Darstellung,  wie  sie  die  Politeia 
bietet,  genügt  hätte.  Dazu  kam  mir  noch  der  Zweifel,  ob  der  Parme- 
nides,  der  im  Sophistes  p.  217  C  in  Aussicht  gestellt  wird  und  damals 
gewiss  bereits  entworfen  war,  vor  der  Politeia  mit  ihrer  unbedingten 
und  unbeschränkten  Ideenlehre  könne  geschrieben  sein  (s.  oben  S.  469). 
So  war  schon  mein  Vertrauen  auf  die  Hypothese  Spengel's  stark  ins 
Wanken  gekommen;  da  kam  noch  die  aus  dem  Verhältnisse  des  13.  Briefes 
zu  jenen  Dialogen  resultierende  chronologische  Schwierigkeit  hinzu.  Denn 
die  Politeia  war  schon  vor  der  Reise  Piatos  an  den  Hof  des  jüngeren 
Dionysios  abgeschlossen;  die  Dialoge  Sophistes  und  Politikos  sind  erst 
einige  Zeit  nach  der  Rückkehr  Piatos  ausgegeben  worden.  Also  kann 
der  im  Sophistes  in  Aussicht  gestellte  Dialog  Philosophos  nicht  in  einer 
Einlage  der  Politeia  gesucht  werden.  Damit  sage  ich  mich  von  der  geist- 
vollen Hypothese  meines  verehrten  Lehrers   und  Meisters  definitiv  los  *). 

9.    Historische  Bezugnahmen  in  der  Politeia  und  dem  Phaidon  und  Theätet. 

Ich  habe  bei  meinen  platonischen  Studien  neben  Plato  auch  Xeno- 
phon  gelesen,  um  durch  gleichzeitige  und  zusammenhängende  Lektüre 
mir  über  das  Verhältnis  der  beiden  Geister  zu  einander  und  über  den 
historischen  Hintergrund  der  platonischen  Dialoge  ein  eigenes  Urteil  zu 
bilden.  Dabei  glaube  ich  einiges  bisher  Uebersehene  erkannt  zu  haben, 
was  der  Beachtung  nicht  unwert  sein  dürfte. 

Das  5.  Buch  der  Politeia  enthält  p.  471  einen  schönen  und  kräftigen 
Mahnruf  an  die  Hellenen,  Krieg  nur  gegen  die  Barbaren  zu  führen,  es 
aber  nicht  so  zu  machen  wie  jetzt,  wo  sie  sich  unter  einander  bekrieg- 
ten, Hellas  mit  ihren  eigenen  Waffen  verwüsteten,  die  Häuser  in  Brand 
steckten  und  die  Bewohner  eingenommener  Städte  alle  insgesamt,  Männer 

1)  Dabei  sei  noch  der  Wunsch  ausgesprochen,  es  möge  von  der  neu  gewonnenen  Grundlage 
aus  das  Verhältnis  der  Politeia  zum  Politikos  einer  erneuten  Untersuchung  unterzogen  werden. 
Interessant  ist  mir  in  dieser  Frage  von  vornherein,  dass  ein  tüchtiger  Forscher  Hirzel  im  Her- 
mes VIII  (1874)  von  ganz  anderem  Ausgangspunkte  aus  auf  das  gleiche  Resultat,  dass  der  Politi- 
kos auf  die  Politeia  folgte,  gekommen  ist. 


490 

Frauen  Kinder,  als  Feinde  behandelten:  ovy.ovv  t?)v  ~iybg  rovg  aElh]rag 
diayogav  vbg  olzeiovg  oraoiv  r\yi)GovTai  y.al  ovd'f  bvouaaovoi  nokeuor .  .  . 
tvjuevaig  drj  owipQoviovoiv  ovx  ml  dov'ktiq  yola'Correg  oih}1  in1  öXtftyü), 
oaxpQOinöTal  bvreg  ov  noXeuioi.  ovd*  äya  t?)v  "^EXkäöa^EXh^rtg  brreg  zeyuvat}., 
ovdt  oly.rjoug  iunyrjoovoir  ovdt  b^ioXoyipovair  $v  r/.ami]  nbkei  narrag 
t%&Qovg  avTolg  tlvai,  y.al  ävdyag  y.al  yvraly.ag  y.al  naldag,  alt  oliyovg 
del  t%fr(>ovg  rovg  alriovg  rfjg  diacpoyäg.  y.al  dtd  raöra  nävra  oi'Tf  //y; 
yijv  i&elrjoovoi  y.ti(jeiy  avzwv  ibg  ipiltov  rwv  nokktuy ,  oi/tt  olxiag  ävctTQS- 
ntiv  .  .  .  tyd  fiev ,  h'<pi],  buokoyu)  ovra)  düv  nybg  rovg  trarriovg  taug 
rjjLierefJOvg  nolirag  TiQoaqtQtö&ai,  Tiybg  (Jt  Tuvg  ßagßaQovg  eng  vvv  Ol 
"Eklrjveg  nybg  dlkrjlovg.  Das  sieht  nicht  aus  wie  ein  Gemeinplatz,  das 
sind  Töne  und  Farben,  wie  sie  die  Gegenwart  und  die  Wirklichkeit  an 
die  Hand  gibt.  Sieht  man  sich  nun  in  der  Geschichte  nach  einer  Zeit 
um,  auf  die  jene  Schilderung  passt,  so  war  der  Krieg  der  Hellenen 
unter  einander  durch  den  Frieden  des  Antalkidas  i.  J.  387  beigelegt 
oder  doch  auf  einige  Zeit  sistiert  worden;  von  da  an  war  im  wesent- 
lichen Ruhe  bis  zum  gewaltsamen  Ausbruch  der  Streitigkeiten  zwischen 
Theben  und  Sparta  oder  bis  zum  Jahre  376.  Auch  dann  blieben  Athen 
und  Attika,  wenigstens  in  den  ersten  Jahren,  von  den  Leiden  des  Krieges 
unberührt,  doch  spielten  die  Kämpfe  an  ihrer  Grenze  und  traten  bald 
Ereignisse  ein ,  welche  die  grösste  Aufregung  in  Athen  hervorriefen 
und  zu  Vermittlungsversuchen  zwischen  den  streitenden  Staaten  führten. 
Die  Athen  befreundeten  Städte  Platäa  und  Thespiä  nämlich  wurden  von  den 
Thebanern  eingenommen  und  mussten  die  ganze  Härte  und  Grausamkeit 
ihrer  gefühllosen  Feinde,  der  araia&i]Toi  Orjßaloi,  fühlen.  Die  von  Haus 
und  Hof  verjagten  Platäer  und  Thespieer  flüchteten  nach  Athen  und 
baten  schutzflehend  ihre  alten  Bundesgenossen  um  Hilfe.  Diese  ent- 
schlossen sich  zwar  noch  nicht  zum  Kriege,  schickten  aber  Gesandt- 
schaften nach  Theben  und  Sparta,  um  den  Frieden  zwischen  den  Käm- 
pfenden zu  vermitteln  und  dem  Kriege  der  Hellenen  untereinander  ein 
Ende  zu  machen  *).  Das  ist  genau  die  Situation ,  auf  welche  die  ange- 
führten Worte  des  Plato  passen  und  aus  der  heraus  sie  geschrieben  sind. 
Im  Jahre  374  also  —  denn  in  dieses  Jahr  fiel  die  Einnahme  von  Platäa  — 


1)  Siehe  Xenophon  hell.  VI  3,  Diodor  XV  41.  46,  Pausanias  IX  1,  3. 


491 

schrieb  Plato  am  5.  Buche  der  Politeia,  also  an  jenem  Abschnitt  des  Werkes 
(Buch  5,  6,  7),  welcher  zugleich  mit  dem  Schlüsse  zuletzt  vom  Philosophen 
ausgeführt  wurde  und  in  welchem  L.  Spengel  den  Ersatz  für  den  ver- 
sprochenen Dialog  Philosophos  finden  wollte. 

Im  Eingang  des  Phaidon  lesen  wir:  xal  yäy  ovtb  twv  noXnüv 
<P"/.iaoiwv  ovdelg  narv  tl  l7ii%(x>Qia'Qei  rä  vvv  "A&rjvaCe ,  ovre  rig  §evog 
ätpixrat  yj)ovov  ov/yov  ixeZ&sv,  uazig  av  r\alv  aacptg  n  äyyelXai  olog  xr\v 
Tieyl  TovTOJv,  nlVjV  ys  drj  ort  (paQueacO*  niwv  anofravoi.  In  welche  Zeit  führen 
uns  diese  Worte?  Das  natürlichste  scheint  zu  sein  an  die  nächste  Zeit 
nach  Sokrates  Tod  zu  denken  und  das  y^orov  av/vov  auf  den  Zeitraum  von 
ein  paar  Monaten  oder  Jahren  zu  deuten,  die  sich  Plato  seit  dem  tragischen 
Ereignis  verflossen  dachte.  Aber  in  so  früher  Zeit  ist  der  Dialog  nicht  ge- 
schrieben —  das  bedarf  keines  Beweises  —  es  könnte  daher  bei  dieser  Deu- 
tung nur  davon  die  Rede  sein,  dass  Plato  nicht  blos  den  Dialog  selbst,  sondern 
auch  die  Einkleidung  desselben  in  eine  frühere  Zeit  verlegt  wissen  wollte. 
Mit  dieser  Annahme  können  wir  uns  auch  zur  Not  bei  diesem  Dialoge  so 
gut  wie  beim  Theätet  beruhigen.  Aber  dann  müsste  sich  doch  Plato 
einen  grossen  Anachronismus,  einen  fast  noch  grösseren  wie  in  der  Poli- 
teia, erlaubt  haben.  Denn  davon  kann  ja  keine  Rede  sein,  dass  damals 
schon,  kurz  nach  399  Echekrates  gelebt  und  den  nach  Phlius  gekom- 
menen Sokratiker  Phaidon  nach  den  letzten  Stunden  des  grossen  Toten 
gefragt  haben  kann.  Derjenige  Echekrates  nämlich,  von  dem  allein  wir 
Kenntnis  haben  und  den  schon  Wyttenbach  in  seinem  vortrefflichen  Com- 
mentar  des  Phaidon  p.  110  sq.  unter  dem  Echekrates  unseres  Dialoges 
verstand,  wird  im  Jahre  399  schwerlich  nur  geboren  gewesen  sein.  Denn 
derselbe  gehörte  zu  den  jüngsten  Pythagoreern,  welche  nach  Dioge- 
nes VIII  46  der  Aristoteliker  Aristoxenos  noch  gesehen  hatte,  und  wird 
im  9.  Briefe  des  Plato  an  Archytas,  der  sicherlich  erst  nach  der  Rück- 
kehr Piatos  von  seiner  1.  Reise  nach  Sikilien  geschrieben  ist,  ausdrücklich 
ein  Jüngling  {veavioxoe)  genannt 1).  Will  man  aber  auch  diesen  Brief 
für  unecht  erklären,  so  wird  man  doch  immerhin  zugeben  müssen,  dass 
sein  Verfasser  über  die  Zeitverhältnisse  und  das  Alter  des  Echekrates 
besser  als  jeder  von  uns  unterrichtet  war.      Nötigt  uns  nun  die  Herein- 

1)  ' ExfXyciTovs  6i  Kfti  vlv  tTttfitleiav  t^o/ufy  xai  tlf  toV  7.oin6v  /(töyvv  l'!-o(Atv  xal  6id  ak 
xai  di<<  röy  7iaxi(j(t  hvtov   4>Qvviiuy(t  xal   diu  avrov  xov  vtttviaxov. 


492 

ziehung  des  Pythagoreers  Echekrates  zur  Annahme,  dass  Plato  Personen 
und  Ereignisse  weit  auseinander  liegender  Zeiten  in  seinem  Phaidon 
zusammenzuführen  sich  erlaubte,  so  dürfen  wir  doch  noch  einmal  fragen, 
auf  welche  Zeit  die  Bemerkung  über  den  jetzt  (t«  vvv)  unterbrochenen 
Verkehr  zwischen  Phlius  und  Athen  am  besten  passe.  Es  waren  aber 
vernehmlich  zwei  Zeitpunkte,  in  denen  der  Verkehr  zwischen  den  beiden 
Städten  eine  Störung  erlitt;  einmal  im  korinthischen  Kriege,  in  dem 
Phlius  eine  neutrale,  zuwartende  Haltung  einnahm,  und  dann  bei  der 
langen  Belagerung  und  schliesslichen  Unterwerfung  der  Stadt  Phlius 
durch  den  spartanischen  König  Agesilaos  im  Jahre  379,  von  der  uns 
Xenophon  in  den  Hell.  V  3,  21  ff.  erzählt.  Die  zuvor  angedeute- 
ten Lebensverhältnisse  des  Pythagoreers  Echekrates,  der,  nachdem  er  in 
Folge  der  Auflösung  und  des  Verfalls  der  Schule  der  Pythagoreer, 
Italien  und  Rhegium  verlassen  hatte,  nach  Phlius  seiner  Heimat  zu- 
rückgekehrt zu  sein  scheint  *),  werden  uns  von  vornherein  der  zweiten 
Annahme  günstiger  stimmen,  so  dass  wir  im  Eingang  des  Phaidon 
eine  Anspielung  auf  die  durch  den  Zug  des  Agesilaos  herbeigeführt e 
dauernde  Entfremdung  von  Phlius  und  Athen  erblicken  und  die  Abfas- 
sung des  Dialoges  in  die  Zeit  nach  379  verlegen.  Auf  diese  Zeit  führt 
uns  aber  auch  noch  eine  andere  Stelle,  die  uns  zu  einer  grösseren 
Digression  nötigt. 

Im  Eingang  des  Theätet  begründet  der  Autor  die  neue  Methode, 
das  Gespräch  unmittelbar  vorzuführen  und  nicht  durch  langweilige 
Zwischensätze  zu  unterbrechen,  auf  folgende  Weise:  fy(Hxrf>duTjv  <ft  <h) 
oVTioal  jov  hoyov,  OUtt  tuol  2lujzqc(ti]  <hi]yovuu'(>v  mg  ditjytiTO,  dXkd  dia- 
ktyuiitvov  otg  i'(prj  dia'Aty,'h]i'«i  .  .  .  7ra  ovr  tv  xfi  yyu<ffj  UTj  miytyoier 
jiQayuaza  ui  utra^v  twv  t.oyiov  dirjy?]Ottg  TieQi  avrov  rt  onoTt  Xeyot  u 
2EkßM(/«x?ffa  olor.  xq.yd  Hfrjv  rj  xal  iycv  tinor,  i)  av  ntyl  rov  änöXQiPOft&ou, 
ort  ovve<pr]  rj  ov%  wuokoyei,  Tovru)y  hvr/.o.  cbg  avxov  avroTg  dialeymievov 
i'yQaifjcc  t&liuv  rd  roiavra.  Aus  diesen  Worten  könnte  man  schliessen, 
dass  alle  Gespräche  mit  den  Zwischensätzen  ty»;r,  xal  tyw  elnov,  avviipi], 

1)  Jedoch  nur  scheint,  da  von  den  beiden  Schriftstellern,  die  gemeinsam  aus  dem  Berichte 
des  Aristoxenos  schöpften,  Diogenes  VIII  46  darüber  nichts  bestimmtes  überliefert,  und  Jamblichus 
vit.  Pythagorae  c.  35  nur  im  allgemeinen,  wenn  wir  der  Verbesserung  der  Stelle  durch  Roh  de 
und  Nauck  folgen,  angibt,  dass  die  Pythagoreer,  nachdem  sie  sich  anfangs  nach  Rhegium 
zurückgezogen,  später  auch  diese  Stadt  und  Italien  überhaupt  verlassen  haben. 


493 

ovx  ojjuoXoyti  vor  dem  Theätet  geschrieben  seien,  und  diesen  Gedanken 
hat  in  der  That  bereits  Schleier m acher  in  seiner  Uebersetzung"  zu 
Theätet  S.  489  gefasst  und  neuerdings  Teichmüller  in  Reihenfolge 
der  platonischen  Dialoge  1879  und  Literarische  Fehden  I  10  als  eine 
grosse  neue  Entdeckung  aufgestellt 1).  Aber  derselbe  wird  schwerlich 
so  unbedingt  durchzuführen  sein,  da  selbst  im  Parmenides  noch  Plato 
jene  anführende  Gesprächsform,  wenn  auch  in  sehr  beschränktem  Masse 
anwendet.  Auch  war  es  gewiss  in  erster  Linie  der  besondere  Charakter 
der  Dialektik  mit  ihren  kurzen  Fragen  und  Antworten,  welche  den 
Philosophen  bestimmte  im  Theätet  sowie  im  Sophistes  und  Politikos 
die  Sprechenden  direkt  einzuführen.  Aber  derselbe  muss  sich  doch  im 
Eingang  des  Theätet  auf  lästige  Unbequemlichkeiten  beziehen,  welche 
die  andere  Form  mit  sich  gebracht  hatte,  vielleicht  auch  auf  tadelnde 
Aeusserungen,  welche  von  Seiten  der  literarischen  Kritik  gegen  dieselbe 
gefallen  waren.  Lästigere  Störungen  brachte  aber  jene  Form  zumeist 
in  jenen  Werken  mit  sich,  in  denen  das  eigentliche  Gespräch  in  ein 
anderes  einleitendes  Gespräch  eingerahmt  war.  Nun  hat  Plato  diese 
künstlichere  Form  von  Dialogen  mit  einleitendem  Prolog  in  seinen  früheren 
Werken  noch  nicht  gekannt.  Im  Ladies  Kriton  Euthyphron  Ion  Alki- 
biades  Menon  Gorgias  Kratylos  haben  wir  kein  Vorspiel,  und  beginnt 
gleich  direkt  der  eigentliche  Dialog.  Im  Phaidros  geht  allerdings  eine 
Art  von  Prolog  voraus,  der  uns  zu  jener  wundervollen  Scene  am 
Kephissosbach,  zum  Quell  unter^der  beschattenden  Platane  führt,  aber 
deshalb  beginnen  doch  gleich  im  Anfang  Sokrates  und  Phaidros  direkt 
mit  einander  zu  sprechen  und  der  Unterschied  besteht  nur  darin,  dass 
sie  plaudernd  erst  zu  der  Stelle  kommen,  wo  der  eigentliche  Dialog 
gehalten  wird.  Die  indirekte  Form  begegnet  uns  zum  ersten  Mal  in 
den  kleinen  Dialogen  Lysis  und  Charmides,  und  dann  in  dem  Hauptwerk 
des  Plato,  in  der  Politeia,  und  ich  muss  sagen,  dass  mir  das  ewig  wieder- 
kehrende Hftt)'  tyv>.  )]  ()'  og  schon  in  diesen  sonst  so  formvollendeten 
Büchern  immer  als  etwas  anstössiges  erschienen  ist.  Aber  diese  Dialoge 
hatte    schwerlich  Plato    im    Theätet    speciell   im    Auge.     Denn  abgesehen 


.1)  Dieses  Verhältnis  richtig  gestellt  von  Schanz  im  Jahresbericht  der  Altertumswissen- 
schaft 1879  S.  197.  Vergleiche  auch  Rieh.  Schöne:  Geber  Platona  Protagons  S.  8  ff.,  und  was 
unten  im  10.  Kapitel  darüber  von  mir  bemerkt  wird. 

Abh.  d.  I.  Gl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  II.  Abth.  64 


494 

davon,  dass  der  Lysis  und  Charmides  einer  erheblich  früheren  Periode 
anzugehören  scheinen,  entbehren  auch  sämtliche  eben  genannten  Schriften 
des  dialogischen  Vorspiels,  das  erst  die  Inkonvenienzen  der  indirekten  Erzäh- 
lungsform des  Hauptdialogs  grell  hervortreten  Hess.  In  die  Klasse  dieser 
letzteren  Art  von  Dialogen  fallen  nun  aber  bekanntlich  das  Symposion,  der 
Protagoras,  der  Euthydemos  und  der  Phaidon,  und  auf  sie  wird  Plato  im 
Theätet  speciell  Bezug  genommen  haben.  Im  Protagoras  aber  und  Sym- 
posion fällt  jene  Form  mit  Zwischensätzen  weniger  auf,  da  der  lange  Vor- 
trag des  Protagoras  und  die  langen  Reden  der  Tischgenossen  im  Symposion 
aus  dem  Rahmen  des  Gesprächs  überhaupt  herausfallen.  Es  bleiben  also 
der  Euthydemos  und  der  Phaidon;  von  diesen  aber  hat  der  letztere  ent- 
schieden die  grössere  Verwandtschaft  mit  dem  Theätet.  Beide  Gespräche 
versetzen  uns  in  die  letzte  Lebenszeit  des  Sokrates,  der  Phaidon  in  den 
Sterbetag  selbst,  der  Theätet  in  die  Zeit  unmittelbar  vor  Einbringung 
der  Klage  des  Meletos  (s.  p.  210  D).  Beidemal  auch  wird  das  Haupt- 
gespräch referiert  von  einem  Schüler  des  Sokrates,  der  die  Kunde  von 
der  Weisheit  des  Meisters  nach  aussen  trägt.  Wahrscheinlich  endlich 
knüpfen  beide  Dialoge  auch  an  die  Gründung  von  Philosophenschulen 
durch  Schüler  des  Sokrates,  hier  in  Phlius,  dort  in  Megara,  an,  und 
enthalten  zugleich  Reminiscenzen  des  Plato  an  die  traurige  Zeit,  die  er 
nach  dem  erschütternden  Tode  des  Sokrates  fern  von  der  Vaterstadt 
Athen  zubringen  musste.  Also  der  Phaidon  und  der  Theaitetos  stehen 
in  naher  Beziehung  zu  einander  und  der  letztere  ist  nach  dem  ersteren 
und  wahrscheinlich  nicht  lange  nach  demselben  geschrieben.  Wer  diesen 
Schluss  billigt,  wird  aus  der  Abfassungszeit  des  Theätet  sich  zugleich 
einen  Rückschluss  auf  den  Phaidon  erlauben  dürfen.  Für  den  Theätet 
aber  hat  man  in  unserer  Zeit  zwei  historische  Thatsachen  zu  verwerten 
gesucht.  Zuerst  stellten  Ueberweg,  Untersuchungen  über  die  Echtheit 
platonischer  Schriften  S.  229,  und  Th.  Bergk,  in  der  ersten  der  nach  seinem 
Tode  von  Hinrichs  herausgegebenen  fünf  Abhandlungen  zur  griechischen 
Philosophie,  indem  sie  einen  Gedanken  von  Munk  aufgriffen,  die  Ver- 
mutung auf,  dass  die  im  Eingang  des  Dialoges  erwähnte  Verwundung 
des  Theätet  in  der  Schlacht  bei  Korinth  sich  nicht  auf  die  berühmte 
Schlacht  im  korinthischen  Krieg  des  Jahres  394,  sondern  auf  das  sieg- 
reiche Treffen    der    mit    den  Lakedämoniern    verbündeten  Athener   unter 


495 

Chabrias  im  Jahre  369  beziehe.  In  der  That  scheint  der  Ausspruch 
des  Eukleides  p.  142  C,  der  Theätet,  der  sich  bei  Korinth  so  herrlich 
als  Mann  bewährte,  sei  bei  dem  Tode  des  Sokrates  oder  im  Jahre  399 
noch  ein  Knabe  (ixti^axiov)  gewesen,  besser  auf  eine  Zeit  zu  passen,  die 
vom  Tode  des  Sokrates  32  Jahre,  als  eine,  die  nur  5  Jahre  entfernt 
lag.  Aber  auf  der  anderen  Seite  lässt  der  Optativ  sXneg  slg  fjhziav 
kl&oi  durchblicken,  dass  Theätet  nicht  alt  geworden  sei,  und  erregt  der 
Umstand  Bedenken,  dass  im  Jahre  394  eine  grosse  Schlacht  bei  Korinth, 
im  Jahre  369  nur  ein  kleines  Scharmützel  stattfand,  das  allerdings 
Diodor  XV  69  grösser  aufbauscht,  aber  Xenophon  hei).  VII  1,  19  nur 
einer  ganz  beiläufigen  Erwähnung  wert  erachtet 1).  Jedenfalls  blieb  es 
daher  sehr  erwünscht,  dass  noch  ein  weiterer  und  sicherer  Anhaltspunkt 
für  die  Abfassungszeit  des  Theätet  aus  der  Geschichte  gewonnen  würde; 
den  haben  aber  in  neuester  Zeit  unabhängig  von  einander  zwei  um  die 
griechische  Literaturgeschichte  gleich  verdiente  Männer  gefunden,  Rohde 
Abfassungszeit  des  platonischen  Theaitetos  in  Jhrb.  f.  Phil.  1881  S.  321 — 
326 2)  und  Bergk  in  der  oben  citierten  Abhandlung.  Beide  wiesen 
nämlich  mit  glänzendem  Scharfsinn  nach,  dass  unter  den  p.  175  A 
bespöttelten  Lobreden  auf  Könige,  welche  ihr  Geschlecht  durch  25  Stufen 
auf  Herakles  zurückführten,  Enkomien  auf  den  spartanischen  König  Agesi- 
laos,  der  nach  Herodot  VIII  131  und  Pausanias  III  7  in  23.  Linie  von 
Herakles  abstammte,  zu  verstehen  seien  und  dass  demnach,  da  Isokrates  in 
dem  im  Jahre  374  geschriebenen  Euagoras  c.  8  sich  rühmte,  die  erste  Lob- 
rede auf  einen  berühmten  Mann  der  unmittelbaren  Gegenwart  geschrieben 
zu  haben,  der  Theätet  erst  einige  Jahre  nach   374  geschrieben  sein  könne. 


1)  Im  Eingang  unseres  Dialoges  wird  offenbar  von  der  Situation  ausgegangen,  dass  der 
verwundete  Theätet  bis  Megara  zu  Schiff  transportiert  und  von  da  aus  erst  nach  Athen  zu  Land 
weiter  gebracht  wurde.  Das  muss  in  den  Stellungen  der  beiden  feindlichen  Heere  begründet 
gewesen  sein  und  ich  stellte  daher  in  diesem  Jahre  die  Sache  zur  Diskussion  im  philologischen 
Seminar.  Einer  der  Commlitonen,  K.  Dahl,  wies  hübsch  nach,  dass  der  Landtransport  von  Korinth 
nach  Megara  i.  J.  394  mehr  gehindert  war  als  i.  J.  369,  indem  nach  Xenophon  IV  5,  19  die 
Lakedämonier  auch  noch  nach  der  Schlacht  bei  Korinth  die  Plätze  Sidus  und  Krommyon,  welche 
den  längs  der  Küste  von  Korinth  nach  Megara  führenden  Weg  beherrschten,  mit  starken 
Besatzungen  besetzt  hielten. 

2)  Einen  Nachtrag  dazu  gab  Rohde  im  Jahrb.  f.  Phil.  1882  S.  81 — 90  und  in  Göttingische 
gelehrte  Anzeigen  1884  S.  13  ff. 

64* 


496 

Der  Beweis  bis  zu  diesem  Punkt ])  ist  evident  und  verspricht,  wenn  auch 
noch  einige  Nachteulen  dem  Lichte  der  Wahrheit  sich  verschliessen,  ein 
neuer  Grundpfeiler  in  der  Chronologie  des  Plato  zu  werden2).  In  meine 
eigenen  Combinationen  passt  der  Beweis  nach  allen  Seiten.  Der  Sophistes 
setzt  den  Theätet  unmittelbar  fort  und  zwar  so,  dass  die  Fiktion  aufge- 
stellt wird,  der  Dialog  über  den  Sophisten  und  Politiker  sei  an  dem 
Tage  darauf  gehalten  worden.  Das  ging  doch  kaum  an,  wenn  einerseits, 
wie  wir  oben  nachwiesen,  der  Sophistes  im  Jahre  364  und,  der  Theätet, 
wie  man  gewöhnlich  annimmt,  schon  schier  30  Jahre  früher,  bald  nach 
394  geschrieben  und  veröffentlicht  worden  wäre.  Ich  hatte  daher  früher, 
als  mir  die  Abhandlungen  von  Rhode  und  Bergk  noch  nicht  zu  Gesicht 
gekommen  waren,  an  eine  doppelte  Redaktion  des  Theätet  gedacht,  so 
dass  der  Dialog,  wie  wir  ihn  heute  lesen,  erst  in  jener  späteren  Zeit, 
als  Plato  demselben  den  Sophistes  und  Politikos  anfügte,  entstanden  sei. 
Da  uns  dazu  aber  sichere  Anhaltspunkte  fehlen,  so  gebe  ich  jetzt,  wo 
uns  Rohde's  Nachweis  gestattet,  ja  zwingt  mit  dem  Theätet  so  weit 
herab  zu  gehen,  gern  jenen  früheren  Einfall  auf.  Um  dann  nochmals 
auf  den  Dialog,  von  dem  wir  ausgegangen  sind,  den  Phaidon,  zurückzu- 
kommen, so  verweise  ich  noch  auf  die  Stelle  im  10.  Buch  der  Politeia 
p.  608  D,  wo  Glaukon  sich  so  gebärdet,  als  habe  er  noch  nie  etwas  von 
einer  Unsterblichkeit  der  Seele  gehört;  denn  unter  solchen  Umständen 
kann  ich  unmöglich  glauben,  dass  damals  bereits  der  eigentliche  Unsterb- 
lichkeitsdialog geschrieben  und  schon  von  den  Komikern,  wie  Theopomp, 
auf  die  Bühne  gezogen  worden  war3).    Alles  aber  geht  gut  zusammen  und 

1)  Bergk  geht  nämlich  noch  weiter  und  verlegt  den  Theätet  in  die  Zeit  nach  dem  Tode 
des  Königs  Agesilaos  oder  nach  d.  J.  357;  aber  von  Anspielungen  auf  den  Agesilaos  des  Xenophon 
findet  sich  bei  Plato  keine  Spur,  und  Lobreden  auf  Agesilaos  konnten  auch  zu  dessen  Lebzeiten 
geschrieben  werden,  wenn  gleich  dieselben  erst  nach  dessen  Tod  wie  Pilze  emporschössen.  Xu 
den  von  Rohde  in  Gott.  gel.  Anz.  gegen  Bergk  vorgebrachten  Einwänden  kommt  auch  noch 
die  oben  von  mir  im  8.  Kap.  über  die  Abfassungszeit  des  Sophistes  und  Politikos  ermittelte 
Thatsache.  Denn  da  beide  Dialoge  um  364,  jedenfalls  vor  der  3.  Reise  des  Plato  an  den  Hof 
des  jüngeren  Dionysios  geschrieben  wurden,  so  kann  der  ihnen  vorausgehende  Theaitetos  nicht 
erst  357  geschrieben  sein. 

2)  Die  Einwände  Teichmüllers  gegen  Rohde  und  seine  eigenen  phantastischen  Deutungen 
der  fraglichen  Stelle  des  Theätet  auf  den  sikilischen  Historiker  Philistos  im  2.  Bande  seiner  literari- 
schen Fehden  S.  328  ff.  sind  zu  luftig,  als  dass  sie  mich  zur  eingehenden  Widerlegung  und  Anfügung 
eines  neuen  Excurses  veranlassten. 

3)  Nach  Diogenes  III  26.  Nie  aber  hätte  man  bezweifeln  sollen,  dass  die  Verse  «V  yu{> 
iuxiv  oi'Si  i'y,   xu  St  6i>o  fxoXis    'iv  iaxiv   wg  (prjoiv  nxdtwy   sich   auf  eine  andere   Stelle   als   auf 


497 

auch  die  Lebenszeit  des  Theopomp  macht  keine  Schwierigkeit,  wenn  wir 
den  Phaidon  in  das  dritte  Jahrzehnt  des  4.  Jahrhunderts  v.  Chr.  zu 
setzen  berechtigt  sind. 

10.    Abfassungszeit  des  Protagoras. 

Die  sämtlichen  vier  im  vorausgehenden  Kapitel  wegen  ihres  einlei- 
tenden Vorspiels  besprochenen  Dialoge,  Protagoras  Symposion  Euthydemos 
Phaidon,  werden  voraussichtlich  nicht  blos  in  der  Form  der  Gesprächs- 
einkleidung sich  gleichen,  sondern  auch  der  gleichen  Periode  schriftstelleri- 
scher Thätigkeit  Plato's  angehören1),  und  somit,  da  das  Symposion  um 
384  fällt,  in  dem  nächsten  Jahrzehnt  nach  Rückkehr  des  Plato  von  seiner 
ersten  Reise  nach  Italien  und  Sikilien  geschrieben  sein,  also  in  einer  Zeit, 
in  der  Plato  auf  der  Höhe  der  Kunstvollendung  stund.  Dieser  Annahme 
steht,  so  viel  ich  sehe,  in  keinem  der  bezeichneten  Dialoge  etwas  ent- 
gegen. Wenn  viele  den  Protagoras  früher  augesetzt  und  einige  sogar 
denselben  unsinniger  Weise  —  welcher  Unsinn  ist  aber  nicht  all  bezüg- 
lich der  Chronologie  der  platonischen  Dialoge  vorgebracht  worden?  — 
in  die  Zeit  vor  dem  Tode  des  Sokrates  zurückdatiert  haben 2),  so  sprechen 
dagegen  schon,  um  von  dem  grossen  Fortschritt  in  der  künstlerischen 
Anordnung  und  der  zielbewussten  planmässigen  Diskussion 3)  ganz  zu 
schweigen,  historische  Beziehungen  und  literarische  Anspielungen. 


Phaidon  p.  96  E  beziehen,    wie   Meine  kr  com.  graec  fragui.   I  288   und  II  2,  7;i7    richtig   nach- 
gewiesen  bat.    Auch  die  Zeit  macht  selbst  bei  unserer  Annahme  keine  Schwierigkeit,   indem  der 

Komiker  Theopomp   nach   Meineke's  Nachweisen   über  Ol.  100  hinaus   gelebt   uud   geschrieben 
haben  muss. 

1)  Dieses  hat  zuerst  Rieh.  Schöne  in  der  gleich  näher  zu  besprechenden  Schrift  über 
Protagoras  S.  11  ausgesprochen. 

2)  Sauppe,  auf  deu  man  sich  gerne  bezüglich  der  frühen  Abfassung  de*  Dialoges  bezieht, 
hat  doch  nur  so  viel  festgestellt,  dass  die  Politeia  mit  ihrer  entwickelten  Theorie  von  den  vier 
Cardinal  tagenden  .später  als  der  Protagoras  geschrieben  ist.  Damit  ist  uns  aber  noch  ein  weiter 
Spielraum  gegeben,  wenn  man  nicht  mit  Teichmüller  Liter.  Fehden  I  die  5  ersten  Bücher 
der  Politeia  um  392  abgefasst  sein  lässt. 

3)  Schon  Bonitz,  Plat.  Studien  S.  250  hat  diese  Vorzüge  des  Protagoras  richtig  hervor- 
gehoben, wenn  er  sich  auch  noch  nicht  von  der  herkömmlichen  Meinung  über  die  frühe 
Abfassungszeit  des  Dialoges  losmachen  konnte.  Vortrefflich  durchgeführt  hat  sie  Rieh.  Schöne 
in  der  für  das  Verständnis  der  stilistischen  und  künstlerischen  Seite  der  platonischen  Schrift- 
stellerei  mustergiltigen  Schrift,  Ueber  Piatons  Protagoras,  1862.  Was  dort  über  die  höhere  Reife 
des  Protagoras  gegenüber  dem  Gorgias,  in  dessen  Verurteilung  der  leitenden  Staatsmänner  noch  stark 


498 

Die  besondere  Erwähnung  der  Peltasten  in  unserem  Dialoge  p.  350  A 
weist,  wie  bereits  andere  gesehen  und  erörtert  haben  *),  auf  die  Zeit  hin, 
in  der  im  griechischen  Heerwesen  durch  Einführung  der  leichtbewaffneten 
Peltasten  ein  vielgepriesener  Umschwung  bewirkt  worden  war.  Derselbe 
war  aus  dem  Reformwerk  des  genialen  Feldherrn  Iphikrates  hervor- 
gegangen, und  zeigte  sich  zum  ersten  Mal  in  glänzender  Weise  im 
Feldzug  des  Jahres  392,  wo  die  athenischen  Peltasten  den  peloponnesi- 
schen  Hopliten  so  gewaltigen  Schrecken  einjagten  (s.  Xenophon  hell.  IV 
4,  16).  Demnach  kann  der  Protagoras  nicht  vor  dem  Jahre  392 
geschrieben  sein  2). 

Noch  weiter  herab  führt  uns  die  Schilderung  der  Lakonentümelei 
im  Protagoras,  welche  sich  in  der  Nachäffung  spartanischer  Lebensweise 
und  Tracht  kundgab.  Diese  steht  nämlich  im  besten  Einklang  mit  dem 
grossartigen  Aufschwung  Spartas  und  des  lakedämonischen  Einflusses 
nach  dem  Frieden  des  Antalkidas  (387),  wie  ihn  uns  Xenophon  in  den 
Hellenicis  schildert.  Man  stelle  nur  einmal  nebeneinander  Xen.  hell.  V  1,  36 
oi  Aay.tSaiiiövioi  no'kv  tmxvdeOTiüoi  iytvovTo  tx  rfjg  en  Avzahcloov 
elüTjvrjg  xalovutyrjg.  TiQüOTarcti  yay  ytruuevoi  ttjs  vttu  ßaotlnog  xara- 
7iejLi(pfreior]g  elorjvrjg  xal  iijv  avTorouiav  Talg  TioXeoi  TiaarTOVTfg  TiQootlaßov 


die  Verstimmung  über  die  Tötung  des  Sokrates  durchklingt,  und  über  den  Fortschritt  dos  Prota- 
goras gegenüber  dem  Menon  nicht  blos  in  stilistischer  Beziehung,  sondern  auch  im  philosophischen 
Ideengang  bemerkt  ist,  ist  mir  ganz  aus  der  Seele  gesprochen,  so  dass  ich  jeden  nur  auf  die  Lektüre 
jener  trefflichen  Schrift  selbst  verweisen  kann.  Auch  die  dort  aufgestellte  chronologische  Reihenfolge 
Protagoras  Symposion  Parmenides  Politeia  Phaidon  stimmt  im  wesentlichen  zu  meinen  eigenen 
Ermittelungen.  Schöne  hat  nur  dadurch  seine  Untersuchungen  in  starken  Misskredit  gebracht, 
dass  er  nicht  3,  sondern  nur  2  Arten  der  stilistischen  Composition  Piatos  annahm  und  so  sonder- 
barer Weise  die  Nomoi  an  den  Anfang  statt  an  den  Schluss  der  literarischen  Thätigkeit  Piatos 
stellte. 

1)  Zuerst  hat  dieses  Moment  geltend  gemacht  Kroschel  in  der  Anzeige  von  Cron's 
Ausgabe  des  Protagoras  in  der  Zeitschrift  für  das  Gymnasialwesen  1866  Bd.  20  Heft  5;  neuer- 
dings ist  dasselbe  ausführlich  hervorgehoben  worden  von  Teich müller,  Literarische  Fehden 
I  20  ff. 

2)  Mein  verehrter  Freund  Christ.  Cron  wendet  dagegen  in  seiner  Entgegnung  auf  Kroschel 
in  Z.  t.  G.  1867  Bd.  21  S.  403  und  in  seiner  Ausgabe  des  Protagoras  ein,  dass  in  der  angeführten 
Stelle  des  Protagoras  eine  bestimmte  Beziehung  auf  die  Reformen  des  Iphikrates  nicht  notwendig 
gefunden  werden  müsse.  Ich  muss  das  'nicht  notwendig'  zugeben,  begnüge  mich  aber  auch  mit 
dem  Zugeständnis  grösster  Wahrscheinlichkeit;  über  diese  werden  wir  aber  in  den  meisten 
literarhistorischen  Fragen,  wo  uns  kein  Geburtstagsschein  vorgelegt  werden  kann,  überhaupt  nicht 
viel  hinauskommen. 


499 

jutr  Zv/u/Lia/oi'  Koqiv&ov,  avToro/Liovg  dt  dnb  twv  (-hjßaiwv  rag  BoiWTidag 
noXtig  tTioirjoav,  ointy  naXai  tnt&vjuovv,  tnavaav  dt  xal  'AyytLovg  Koqlv&ov 
ocptTtQi'Qofitrovg,  und  Plat.  Prot.  p.  342  C:  ol  ev  Talg  noktoi  Xaxwvi&yTtg  ol 
/utv  u)Ta  xt  xazayvvvTca  /uijLiovjLttvoi  avTOvg  xal  iuavrag  TitQitikiTTOVTai  xal 
qpiXoyvjLivaozovoi  xal  ßya%tLag  dvaßoXdg  (poQovoi,  wg  drj  rovroig  XQaTOVv- 
rag  twv  cE'kkrjvwv  rovg  Aaxtdaiuovlovg.  Jeder  wird  da  geneigt  sein  in 
jener  Lakonentümelei  des  Protagoras  nur  eine  Wirkung  des  von  Xeno- 
phon  geschilderten  Ansehens  der  Lakedämonier  nach  dem  Frieden  des 
Antalkidas  zu  finden.  Dazu  kommt  nun  noch  als  dritter  Moment  die  ver- 
steckte Kritik  einer  Schrift  des  Xenophon  im  Protagoras  p.  347  C:  xal 
ydg  doxtl  fioi  xb  nsyl  noirjoswg  diaXtyta&ai  buoiuxaTov  th'ai  zolg  ov/Linoaloig 
rolg  twv  (pavkwv  xal  äyoyaiwv  dv'hywjiwv.  xal  yay  ovtol  did  rb  iirj 
dvvao&ai  dXXrjXoig  di  iavTwv  oweivcu  tv  rw  jiotw  urjdt  did  Ttjg  tavTWV 
(fwvrjg  xal  twv  Xoywv  twv  iavrwv  vnb  dnaidtvoiag ,  nuiag  ttoiovoi  tag 
avlr[T()idag  noXXov  /uta&ovjLitvoi  dkXoTQiwv  (fwvr)v  ttjv  twv  avkwv  xal  did 
Ttjg  ixtivwv  (pwvrjg  dXXrfkoig  ovvtiaiv.  onov  dt  xaXol  xdya&ol  avumrcai 
xal  Titnaidtvjutvoi  elaiv ,  ovx  dv  idoig  ovt  avXrjT()ldag  ovtb  ÖQ/rjOTyidag 
uvTt  ipakTQiag  x.  t.  X.  Ganz  passend  verweist  Cron  zur  Erläuterung  der 
Stelle  auf  die  Flötenspielerin  und  Tänzerin  im  Gastmahl  des  Xenophon 
und  fügt  zugleich  bei,  dass  Plato  in  seinem  Gastmahl  p.  176  E  diese 
Art  der  Gelage  als  eine  niedrige  und  der  Gebildeten  unwürdige  bekämpfe 
unter  Wiederholung  der  Worte  des  Protagoras:  ti]v  jtiv  clqti  tlatX&ovaav 
avXrjxyida  /aiytiv  iäv  .  .  t]uag  dt  did  Xoywv  dXXr(koig  avvtTvai  ro  ttjueqov. 
Nun  wird  heutzutage  so  ziemlich  allgemein  zugegeben,  dass  Plato  mit 
seinem  Gastmahl  ein  Gegenstück  zu  dem  des  Xenophon  habe  schreiben 
wollen  *),  um  zu  zeigen,  wie  man  einen  solchen  Gegenstand  in  einer  des 
Philosophen  und  Sokrates  würdigen  Weise  behandeln  müsse.  Wir  gehen 
nur  einen  kleinen  Schritt  weiter ,  wenn  wir  behaupten,  Plato  habe,  bevor 
er  im  Symposion  ein  wirkliches  Gegenstück  gegeben  habe,  schon  im 
Protagoras  seine  abfällige  Kritik  über  die  Behandlung  des  Themas  durch 
seinen  Rivalen  vorausgeschickt,  wobei  es  vielleicht  auch  nicht  Zufall  ist, 
dass  das  Gastmahl  des  Xenophon  und  der  Protagoras  des  Plato  im  Hause 
des  reichen  Kallias  spielen.    Wir  glauben  daher  den  Protagoras  möglichst 


1)  Ueber   den   Stand  dieser  Streitfrage  siehe  jetzt   A.  Hug  in  der  2.  Auflage  von  Piatons 
Symposion  p.  XXV  sqq. 


500 

nahe  an  das  Symposion  heranrücken  zu  müssen  und   etwa  auf  385  fest- 
setzen zu  dürfen  *). 

Ueber  das  zeitliche  Verhältnis  des  Protagoras  zum  Euthydemos 
wage  ich  keine  Vermutung;  nur  sei  eine  kleine  Aeusserlichkeit  erwähnt. 
nämlich  die,  dass  im  Protagoras  p.  329  A  und  Euthydemos  p.  300  B  der 
langanhaltende  Ton  der  Schellen  zum  Vergleiche  herangezogen  wird,  wohl 
weil  dieselben  gerade  damals  in  Athen  aufgekommen  und  in  den  Läden  der 
Metallfabrikanten  zur  Schau  aufgestellt  worden  waren.  Dieselben  sind  im 
Euthydemos  von  Eisen,  im  Protagoras  von  Kupfer  oder  Bronze;  in 
welchem  der  Dialoge  die  richtigere  Angabe  enthalten  ist,  der  ist  offenbar 
der  spätere;  aber  welche  Ansicht  ist  die  richtigere  und  welche  korrigiert 
die  andere?  Ganz  nichtig  aber  sind  die  Gründe,  die  neuerdings  Bergk, 
Fünf  Abhdl.  S.  27  ff.  vorgebracht  hat,  um  den  Euthydemos  dem  Ja  lue 
365  oder  ol.   103,  4  zuzuweisen. 

11.    Zeit  des  Phaidros  und  Euthydemos. 

Die  Meinungen  über  die  Abfassungszeit  und  die  Reihenfolge  der 
platonischen  Dialoge  bilden  ein  solches  Chaos,  dass  nur  durch  Fixierung 
einzelner  fester  Stütz-  und  Anhaltspunkte  eine  allmähliche  Verständigung 
erhofft  werden  kann.     Einen  solchen  Punkt  festgestellt  zu  haben  ist  das 


1)  Die  Abhandlung  war  abgeschlossen,  als  mir  der  2.  Band  von  Teichmüller's  Literarische 
Fehden  im  4.  Jhrh.  v.  Chr.  zukam.  In  demselben  wird  S.  126  f.  und  218  ff.  der  Versuch  gemacht, 
einen  neuen  Anhaltspunkt  für  die  Abfassungszeit  des  Protagoras  zu  gewinnen.  Der  Verfasser  de* 
sophistischen  Schrift  dtccXi^ng,  welche  in  unserer  Zeit  Blass  und  Bergk  zugleich  mit  überzeu* 
genden  Beweisen  aus  der  Umgebung  pythagoreischer  Schriften  losgerissen  und  der  Zeit  der 
Eristiker  des  4.  Jhrh.  zugewiesen  haben,  soll  nämlich  im  (J.  Abschnitt  auf  den  Protagoras  des 
Plato  Bezug  genommen  haben,  und  es  soll  sich  demnach  für  die  Abfassungszeit  der  öutligtis  das 
Jahr  392  und  für  die  des  Protagoras  das  Jahr  394  ergeben.  Aber  abgesehen  davon,  dass  von  der 
Zeit  jener  nunmehr  dem  4.  Jhrh.  vindicierten  Schrift  sich  nur  so  viel  mit  Bestimmtheit  sagen  lässt, 
dass  sie  nach  der  Schlacht  von  Aigospotamoi  und  nicht  lange  nach  derselben  abgefasst  sei,  sind 
auch  die  Sätze  über  die  Lehrbarkeit  der  Tugend  so  allgemeiner  und  trivialer  Natur  und  stimmen 
zum  grösseren  Teil  so  wenig  zu  den  Beweisen  im  Protagoras  des  Plato,  dass  man  sich  in  den 
beiderseitigen  Schriften  nur  auf  den  gleichen  Boden  der  Streitfragen  jener  Zeit  versetzt  fühlt,  ohne 
bei  nüchterner  Betrachtung  eine  direkte  Bezugsnahme  auf  der  einen  oder  anderen  Seite  zu  finden. 
Es  ist  aber  reine  Taschenspielerei,  wenn  Teichmüller  seinen  Schuster  Simon  in  dem  Satze 
toi  de  TnZxa  "keyovrts  raiaSs  änoöeigtoi  ^(>w»T«t,  lag  ov%  olöv  t  etrj,  uv  uXXw  Tiafjudoi'tjg,  tovio 
avro  eri  £x*p  auf  Plato  Prot.  319  E  «XA«  idtq  17^/V  ot  oocpwTcaoi  xai  uqiotoi  twv  tioTlitwv  tavrrjf 
r»jV  apfrifv  tp  exoiaiv  ov%  oioi  rf  «AAot?  7i«Qa5i66r(u  bezug  nehmen  lässt  und  dann  das  Kunst- 
stück, das  in  der  Verkehrung  der  gleichen  Worte  oiöv  xt  und  i%ovot  nugnöidorat  bestehen  soll, 
in  weitschweifiger  Breite  auseinandersetzt. 


501 

anerkannte  Verdienst  Leonhard  Spengels  in  der  Abhandlung.  Isokrates 
und  Piaton  (Abhdl.  d.  bay.  Akad.  1.  Cl.  VII.  Bd.  v.  J.  1855).  Aus  der 
Vergleichung  des  Schlusses  des  Phaidros,  wo  Plato  noch  die  besten 
Hoffnungen  auf  den  jungen  Isokrates  setzt  und  ihn  noch  ganz  für  die 
Philosophie  zu  gewinnen  hofft,  mit  dem  Schlüsse  des  Euthydemos,  wo 
der  nicht  mit  Namen  genannte,  aber  deutlich  gekennzeichnete  Isokrates 
schon  offen  seine  feindselige  Stellung  gegen  die  Philosophie  kund  gibt, 
von  Plato  aber  mit  gerechtem  Stolz  in  das  Nichts  seines  aufgeblasenen 
Halbwissens  zurückgewiesen  wird,  zieht  Spengel  den  unanfechtbaren 
Schluss,  dass  der  Euthydemos  nach  dem  Phaidros  geschrieben  sei,  nach- 
dem inzwischen  Isokrates  sein  kleinliches  Wesen  enthüllt  und  seine 
politische  Rhetorik  als  die  eigentliche  Weisheit  auszugeben  die  Stirne 
gehabt  hatte.  Weiter  spricht  sich  der  vorsichtige  Mann  nicht  aus;  er 
deutet  nur  noch  an,  dass  das  günstige  Urteil  über  Isokrates  und  die 
auf  ihn  gesetzte  Hoffnung  in  sehr  frühe  Zeit  falle  und  dass  also  eine 
geraume  Zeit  zwischen  den  beiden  Dialogen  verflossen  sein  müsse.  Wenn 
dagegen  Ueberweg,  Untersuchungen  S.  258  einfach  meint,  'bald  schon 
nach  Herausgabe  des  Phaidros  mag  Plato  sich  überzeugt  haben,  dass 
seine  idealistische  Voraussetzung  einer  philosophischen  Anlage  bei  dem 
ganz  unphilosophischen  Isokrates  ihn  getäuscht  hatte',  so  setzt  dieses 
entweder  eine  ganz  oberflächliche  Kenntnis  des  Isokrates  von  Seiten  des 
Plato  oder  einen  auffälligen  Mangel  an  Scharfblick  des  Philosophen 
voraus.  Davon  ist  das  eine  mit  den  Nachrichten  über  die  nahe  Be- 
kanntschaft des  jungen  Plato  und  Isokrates  (Diogenes  III  8)  und  mit 
der  ganzen  Darstellung  im  Phaidros  unvereinbar,  und  schlösse  das  andere 
einen  Tadel  der  geistigen  Befähigung  des  Philosophen  in  sich,  zu  dem  uns 
nichts  berechtigt,  alles  Einsprache  erhebt. 

Auf  der  anderen  Seite  hat  es  seine  Schwierigkeit  den  langen  Zwischen- 
raum zu  finden,  namentlich  wenn  man  von  der  Voraussetzung  ausgeht, 
der  Euthydemos  gehöre  zu  den  'früheren  Erzeugnissen  der  platonischen 
Muse'  (Hermann,  System  S.  452)  und  sei  jedenfalls  vor  der  ersten 
Reise  des  Plato  nach  Sikilien  geschrieben.  Auf  solche  Weise  liess  sich 
neuerdings  mein  lieber  Freund  Usener  in  dem  nicht  minder  durch 
Feinheit  als  Kühnheit  der  Schlüsse  bemerkenswerten  Aufsatz  über  die 
Abfassungszeit  des  platonischen  Phaidros,  im  Rh.  M.  XXXV  131  — 151 
Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  if.  Abth.  65 


502 

unter  lebhafter  Zustimmung  von  Wilamowitz  in  Phil.  Unt.  I  38  und 
213  ff.  zu  der  Annahme  verleiten,  dass  der  Phaidros,  den  allerdings 
schon  die  Alten  für  ein  Jugendwerk  des  Philosophen  ausgegeben  hatten,1) 
schon  vor  dem  Tode  des  Sokrates  im  Jahre  402  geschrieben  und  heraus- 
gegeben worden  sei.  Diese  Hypothese  aber  steht  nijtt  allem,  was  man 
von  dem  geistigen  Entwicklungsgang  Piatos  bisher  angenommen  hat,  in  so 
grellem  Widerspruch,  dass  die  Fäden  der  literarhistorischen  Combinationen 
sehr  stark  sein  müssten,  wenn  sie  mich  zu  der  neuen  Meinung  herüber- 
ziehen sollten.  Nun  aber  kann  ich  keinem  der  vorgebrachten  Beweise 
eine  überzeugende  Kraft  beimessen,  und  finde  mich  darin  einmal  in 
gleicher  Gesellschaft  mit  Susemihl,  die  Abfassungszeit  des  plat.  Phaidros, 
in  Jahrb.  f.  Phil.  1880  S.  707 — 724,  und  Teichmüller,  Literarische 
Fehden  I  57  ff.  und  296  f.,  zusammen.  Wenn  Antisthenes  seine  Polemik 
gegen  Isokrates  an  einen  Process  des  Jahres  403,  in  welchem  sich  Lysias 
und  Isokrates  als  Logographen  gegenüber  stunden,  anknüpfte,  so  lässt 
sich  daraus  nur  durch  ein  Ahnen,  wie  Usener  selber  sagt,  etwas  für 
die  Abfassungszeit  des  platonischen  Phaidros  gewinnen2).  Wenn  sodann 
sich  die  abfällige  Aeusserung  eines  Staatsmannes  im  Phaidros  p.  257  C 
wirklich,  wie  Sauppe  ep.  crit.  p.  128  zuerst  erkannt  hat  und  auch  mir 
glaublich  ist,  auf  die  Verhandlungen  über  das  Bürgerrecht  des  Lysias 
im  Jahre  403  bezieht,  so  ist  damit  nur  ein  Anzeichen  für  die  Zeit  der 
Scenerie,  nicht  auch  der  Abfassung  gegeben3).  Endlich  über  die  Zeit, 
in  der  Lysias  seine  Lehrthätigkeit  und  seine  epideiktische  Schriftstellerei 
aufgab,  sind  wir,  wie  Susemihl  des  genaueren  ausführt,  nicht  genau 
genug  unterrichtet,  um  darauf  sichere  Schlüsse  bauen  zu  können,  und 
würden  daraus,  selbst  wenn  wir  es  wären,  nur  für  die  Zeit  der  Scenerie 


1)  So  Diogenes  III  38  koyog  öe  npiöxov  yqüipiu  avxov  xov  <t>aiä(Joy.  xcä  ycl(j  i'/ti  /uttyKxitSÖBs 
xt  xo  7i(j6ß}.rjua.  JixaiuQ^og  öl  xtd  xov  xgönov  r?j?  yQK<pi}£  oXov  eniixi/ucpfXfei  w?  (fOQXixöv.  Aber 
dass  hier  keine  reine  Quelle  der  Ueberlieferung  fliesse,  sondern  nur  eine  Folgerung  aus  dem 
Inhalt  und  Stil  vorliege,  hat  Usener  selbst  bemerkt  und  durch  die  wiederhergestellte  Lesart 
löyog  de  {Xöyov  alii)  erklärt. 

2)  Dabei  will  ich  noch  gar  nichts  davon  sagen,  dass  wenn  Isokrates  den  löyos  djudpxuQos  im 
Jahre  403  für  seinen  Klienten  schrieb,  er  denselben  noch  nicht  in  demselben  Jahre,  oder  unmittel- 
bar danach  herausgegeben  zu  haben  braucht. 

3)  Auf  dieselbe  Zeit  der  Scenerie  weist  der  meines  Wissens  noch  nicht  beachtete  Hinweis 
p.  244  D  auf  die  unlängst  erfolgte  Neuerung  in  der  Schreibweise  oder  die  Einführung  des  joni- 
schen Alphabetes  unter  dem  Archon  Eukleides  hin. 


503 

einen  strikten  Beweis  ziehen  können.  Solchen  feingesponnenen  Combi- 
nationen  gegenüber  wiegen  bei  mir  mehr  die  grossen,  wenn  auch  groben 
Umrisse  der  Verhältnisse  des  Dialoges  selbst,  die  entschieden  auf  eine 
spätere  Zeit  hinweisen.  Ich  will  dabei  nicht  des  weiten  und  breiten  auf 
die  schon  viel  besprochenen  Spuren  ägyptischer  und  pythagoreischer 
Weisheit  zurückkommen,  nicht  auch  nochmals  des  näheren  die  weit  über 
Sokrates  hinausgehende  Entwicklung  der  Ideenlehre  und  die  höhere 
Vollendung  der  künstlerischen  Darstellung  hervorheben,  ich  betone  nur, 
dass  Plato  rücksichtslos  und  feige  zugleich  gewesen  wäre,  wenn  er  seine, 
offenbar  von  persönlicher  Feindschaft  beeinflusste  Abkanzelung  des  Lysias 
seinem  Lehrer  Sokrates  zu  dessen  Lebzeiten  in  den  Mund  gelegt  hätte, 
zumal  wenn  die  Frage,  ob  Lysias  selbst  das  erbärmliche  Machwerk  über 
den  Eros  geschrieben,  oder  es  ihm  nur  Plato  nach  unverlässigen  Diktaten 
von  Schülern  untergeschoben  habe,  noch  als  eine  offene  betrachtet  werden 
muss.  Das  stellte  sich  aber  gleich  ganz  anders,  wenn  der  Dialog  erst 
nach  dem  Tode  des  Sokrates  und  mehrere  Jahre  nach  demselben  ge- 
schrieben ward.  Dann  gehört  Sokrates  nur  zur  künstlerischen  Staffage 
des  Dialoges,  und  tritt  Plato  mit  seiner  eigenen  Person  voll  und  ganz 
für  den  Inhalt  des  Dialoges  und  speciell  für  die  Polemik  gegen  Lysias 
ein1).  Auf  der  anderen  Seite  hat  in  den  Bemerkungen  von  Wilamowitz 
das  eine  Eindruck  auf  mich  gemacht,  dass  Plato  nach  dem  tragischen 
Ende  des  Lehrers  10  Jahre  das  Lachen  verlernt  habe.  Ja  gewiss  eine 
Lobrede  auf  den  Eros  mit  dem  erotischen  Sokrates  im  Hintergrund  und 
ein  Dialog,  in  dem  keine  Verbitterung  nachklingt,  über  den  die  ganze 
Heiterkeit  einer  wonnevollen  Empfindung  ausgegossen  ist,  konnte  von 
Plato  nicht  geschrieben  werden,  so  lange  er  sich  das  Bild  seines  Lehrers 
nicht  zurückrufen  konnte,  ohne  dass  ihn  Schmerz  und  Ingrimm  über 
das  demselben  angethanene  Unrecht  übermannte;  und  dieser  Schmerz 
wird  sobald  nicht,  sicher  nicht  bevor  er  ihm  in  der  Apologie,  dem 
Kriton,  Menon  und  Gorgias  Worte  lieh,  aus  dem  Gemüte  des  Plato 
gewichen  sein.     Aber  müssen  wir  deshalb  bis  vor  den  Tod  des  Sokrates 


1)  Wer  durch  Aeusserlichkeiten  Useners  Meinung  stützen  will,  den  verweisen  wir  auf 
die  vielen  Varianten  und  Fehler,  welche  auf  Verwechselung  der  Buchstaben  t  und  »?,  o  und  tu 
zurückgehen.  Verlohnen  würde  sich  eine  darauf  gerichtete  Vergleichung  des  Phaidros  mit  anderen 
Dialogen  jedenfalls. 

65* 


504 

oder  vor  399  zurückgehen?  Der  von  Spengel  gelegte  Boden  wird 
gewahrt,  wenn  wir  zwischen  die  beiden  Dialoge  die  erste  Reise  Piatos 
nach  Unteritalien  und  Sikilien  legen  und  annehmen,  Isokrates  habe 
inzwischen  eine  eigene  Schule  errichtet  und  sei  mit  seinem  Programm 
der  von  Plato  vertretenen  Richtung  der  reinen  Philosophie  in  den  Weg 
getreten.  Steht  dem  etwas  entgegen?  Es  kommt  hier  vor  allem  die 
Rede  des  Isokrates  y.ara  tujv  ooqtcnujv  in  Betracht,  in  der  derselbe  sein 
Programm  darlegte  und  seiner  Schule  vor  der  des  Eristikers  Antisthenes 
und  versteckt  auch  vor.  der  seines  ehemaligen  Freundes  Plato  den  Vor- 
zug zu  verschaffen  suchte.  Dieselbe  muss  nach  dem  Phaidros  geschrieben 
sein;  selbst  wenn  man  sich  sträubt  in  §  17  und  18  der  Rede  mit  Usener 
eine  direkte  Entlehnung  aus  Phaidr.  p.  269  D  anzuerkennen1).  Denn  nach 
dem  Bekanntwerden  jener  Rede  konnte  sich  selbstverständlich  Plato  keiner 
Täuschung  mehr  über  die  Richtung  des  Isokrates  hingeben2).  Sie  ist 
aber  auch  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  vor  dem  Euthydemos  geschrie- 
ben, da  dieser  Dialog  gewissermassen  die  Antwort  auf  die  Angriffe  ent- 
hält, welche  der  Rhetor  von  dem  Wortgezänk  der  Eristiker  {t.wv  neyl  ra^ 
(Qidas  diaTQißovTUJv  §  2)  und  der  Grosssprecherei  der  Tugendlehrer  (tujv 
T.r)v  a^txr\v  xal  tvdaiuot'iav  nayadidoi'rujv  §  6  und  7)  ausgehend  gegen 
die  Philosophie  selbst  erhoben  hatte3).  Denn  indem  Plato  die  Klopf- 
fechter ei  der  Eristik  des  Antisthenes  in  ihren  zwei  älteren  Vertretern 
Euthydemos  und  Dionysodoros  in  köstlichster  Weise  verhöhnt,  zeigt  er 
zugleich,  wie  deshalb  noch  nicht  die  Redemeister,  welche  wie  Isokrates 
in  jener  Rede  gegen  die  Sophisten  sich  in  das  Gewand  der  Staatsweis- 
heit kleideten  und  Redner  und  Philosophen  zugleich  sein  wollten,  das 
Recht  hätten,  sich  über  die  wahre  Philosophie  wegzusetzen.  Nun  nötigt 
uns  nichts  den  Euthydemos  vor  die  sikilische  Reise  zu  setzen,  umgekehrt 
führt  uns  schon  der  in  den  beiden  vorausgehenden  Kapiteln  besprochene 
Zusammenhang  mit  den  Dialogen  Phaidon  Protagoras  Symposion  auf  die 


1)  Das  Verhältnis  ist  in,  fast  möchte  ich  sagen  querköpfiger  Weise  umgekehrt  von  Bergk, 
Fünf  Abhandlungen  S.  32. 

2)  Nicht  davon  überzeugten  sich  Schultess,  Platonische  Forschungen,  und  Suse  mihi, 
Jahresbericht  der  Altertumswissenschaft  v.  J.  1875  S.  300. 

3)  Freilich  spricht  Isokrates  auch  später  noch  und  später  schärfer  seine  Antipathie  gegen 
die  reine  Philosophie  aus,  aber  der  gleich  zu  besprechende  Logograph  Isokrates  hindert  uns  an 
spätere  Reden  des  Isokrates  zu  denken, 


505 

Zeit  nach  der  Rückkunft.  Auch  ist  mit  dieser  Zeit  der  Umstand  ver- 
einbar, dass  Isokrates  im  Euthydem  (s.  p.  304  D)  noch  als  Logograph 
und  Verfasser  von  Gerichtsreden  einen  Namen  hatte.  Denn  die  Thätig- 
keit  des  Isokrates  als  Verfasser  von  Gerichtsreden  reicht  nachweisbar 
bis  mindestens  in  das  Jahr  390  herab  *),  und  erst  nach  der  Herausgabe 
des  Panegyrikus  oder  nach  380  konnte  Isokrates  nicht  mehr  als  Schreiber 
von  Gerichtsreden  bezeichnet  werden,  wäre  wenigstens  die  Vernachlässigung 
der  neuen  und  bedeutenderen  Richtung  der  Redeschreiberei  des  Isokrates 
eine  grosse  Ungerechtigkeit  gewesen.  Von  der  Rede  des  Isokrates  gegen 
die  Sophisten  sagt  der  Autor  selbst  neyl  ävndoa&ag  §  195,  er  habe  sie 
in  der  Blütezeit  des  Lebens  (dxuaCiüv)  als  jüngerer  (vstureQog,  nicht 
peos)  Mann  verfasst.  Bedenkt  man,  dass  er  zur  Zeit,  wo  er  die  Rede 
über  den  Vermögenstausch  schrieb,  82  Jahre  alt  war,  so  wird  man  der 
Annahme,  der  Rhetor  habe  jene  Programmrede  gegen  sein  40.  Lebens- 
jahr oder  um  387  geschrieben2),  nicht  die  vorbezeichneten  Ausdrücke 
entgegenhalten.  Was  endlich  den  Phaidros  anbelangt,  so  muss  uns  jede 
Möglichkeit  denselben  näher  an  das  Symposion  und  weiter  ab  von  dem 
Tode  des  Sokrates  rücken  zu  dürfen  erwünscht  sein,  und  werden  wir 
uns  zufrieden  geben,  wenn  wir  zwischen  Phaidros  und  Euthydemos  nur 
einen  und  den  anderen  Dialog  einschieben  können.  Nun  zwingt  uns 
zunächst  der  Charakter  der  Apologie,  des  Kriton,  Menon  und  Gorgias, 
die  noch  von  Erbitterung  über  die  ungerechte  Verurteilung  des  Sokrates 
und  von  Zorn  über  die  Verteidiger  jenes  Justizmordes  überströmen,  mit 
dem  Phaidros  unter  jene  Schriften  oder  mindestens  unter  das  Jahr  395 
herabzugehen.  Auf  der  anderen  Seite  zieht  nicht  blos  die  von  uns  oben 
besprochene  Rede  des  Isokrates  gegen  die  Sophisten,  sondern  auch  der 
im  Jahre  388  gehaltene  hoyog  X)lvjLtniaxos  des  Lysias  eine  Grenze.  Denn 
mit  den  Worten  dieser  Rede  §  3  tyd>  feiern  ov  [iiXQoloyipofievog  oixJ*  jieyi 
tu»'  ('»'ouar,a)v  iua%()ijU€i'()g.  riyovuai  yay  xaviu  tyya  utv  uvcu  oocpinzwy 
Uav  dx()rjOTU)y  scheint  Lysias  den  Spott  des  Plato  und  speciell  den  Vor- 
wurf,   als  ob  er  sich  nur  um  die    uröuaxu    bemühe    (Phaedr.  234  C  und 

1)  Siehe  Blass,  Attische  Beredsamkeit  II  15  und  215. 

2)  Auf  390  setzt  sie  Usener  und  sein  Schüler  Dr.  Reinhardt,  de  Isocratis  aemulis 
p.  6  an,  was  ich  gleichfalls  gelten  lassen  kann;  ich  meine  nur,  dass  die  neue  Aera  des  Friedens 
der  Eröffnung  einer  Schule  günstiger  war.  Auch  erklärt  sich  für  das  Jahr  387  Sauppe,  Ztschr. 
f.  Alt.  1835  S.  407—8. 


506 

257  A),  zurückgegeben  zu  haben.  Also  die  Jahre  394  bis  389  werden 
uns  zur  Wahl  frei  stehen.  Auf  diese  Zeit,  etwa  das  mittlere  Jahr  391, 
passt  nun  auch  noch  das  Verhältnis,  in  das  unsere  beiden  Redemeister 
als  Schreiber  von  Gerichtsreden  zum  Hause  des  Alkibiades,  des  mächtigen 
Freundes  des  Sokrates  und  seiner  Genossen,  getreten  waren.  Isokrates 
hatte  um  398  mit  der  Rede  Tieyl  tov  tevyovg  imiy  'Alxißtadov  den 
jüngeren  Alkibiades  verteidigt,  und  Plato  war  gewiss  von  der  glänzenden 
Schilderung  der  Verdienste  des  Vaters  des  Angeklagten  sympathisch  be- 
rührt worden.  Dagegen  war  Lysias  dreimal,  mit  2  Reden  i.  J.  395/4 
gegen  den  jüngeren  Alkibiades  aufgetreten  l)  und  hatte  bei  dieser  Gele- 
genheit die  heftigsten  Vorwürfe  auch  gegen  den  alten  Alkibiades  erhoben, 
wie  sie  besonders  I  30  zu  lesen  sind.  Nicht  lange  Zeit  wohl  nach  diesem 
Prozesse,  nachdem  inzwischen  auch  noch  Lysias  in  eitler  Selbstüberhebung 
der  Apologie  des  Plato  seinen  Xoyov  vntQ  ^Eujx^ärovg  nyug  IToXvxQarr)V 
entgegengestellt  und  so  den  Rivalen  zur  vergleichenden  Kritik  der  Imbe- 
cillität  des  Redekünstlers  und  der  Hoheit  des  Philosophen  herausgefordert 
hatte,  tauchte'  Plato  den  Griffel  in  das  Gift,  mit  der  im  Phaidros  die 
Polemik  gegen  Lysias  geschrieben  ist. 

Bei  der  ganzen  Besprechung  über  die  Abfassungszeit  des  Phaidros 
habe  ich  die  feinen  sprachlichen  Bemerkungen  Dittenbergers,  die 
Chronologie  der  platonischen  Dialoge,  im  Hermes  XVI  321  —  345  unbe- 
rücksichtigt gelassen.  Nach  ihnen  soll  der  Phaidros,  namentlich  weil  in 
ihm  die  von  Plato  in  den  früheren  Dialogen  gar  nicht,  in  den  späteren 
häufig  gebrauchte  Wendung  rl  jlitjv  1 1  Mal  vorkommt,  der  zweiten  Periode 
der  platonischen  Schriftstellerei  oder  der  Zeit  nach  der  ersten  sikilischen 
Reise  angehören  und  nach  dem  Symposion  geschrieben  sein.  Aber  so 
fein  auch  die  Beobachtungen  Dittenbergers  über  den  Gebrauch  von 
/lltjv  xa&äntQ  i'tog  sind  und  so  sehr  auch  denselben,  wenn  andere  Momente 
hinzutreten,  Beachtung  gebührt,  so  wenig  kann  ich  solchen  sprachlichen 
Eigentümlichkeiten,  wenn  sie  nicht  auf  der  naturgemässen  Fortbildung 
der  Sprache  beruhen,  sondern  auf  stilistische  Angewöhnungen  und  unbe- 
wusste  Liebhabereien  zurückgehen,  ein  höheres  Gewicht  beilegen  als  den 
Gründen,    welche  aus -der  gesamten  geistigen  Entwicklung  einer  Person- 


1)  S.  Blass,  Att.  Beredsamkeit  I  485. 


507 

lichkeit  und  aus  seinen  Beziehungen  zu  den  feststehenden  Thatsachen 
der  Geschichte  genommen  sind.  Und  in  dieser  Beziehung  ist  mir  eine 
Theorie  gerichtet,  die  wegen  des  Gebrauches  einer  Partikel  den  Phaidros 
nach  das  Symposion  oder  gar  den  Euthydemos  vor  den  Phaidros  setzt. 
Wie  unsicher  aber  auch  an  und  für  sich  derartige  Beweise  aus  dem 
Gebrauche  einzelner  Partikel  sind,  hat  sehr  belehrend' A.  Frederking 
durch  den  Hinweis  auf  den  Gebrauch  anderer  Partikeln  bei  Plato  nach- 
gewiesen in  Jahrb.  f.  Phil.  1882  S.  534  ff.  Auch  Roquette,  der 
neuerdings  seine  übrigens  vortreffliche  Darstellung  der  vita  Xenophontis 
wesentlich  auf  Grund  des  Gebrauchs  der  Partikeln  aufbaut,  muss  doch 
selbst,  so  sehr  er  sonst  dem  Boden  der  Dittenb  erger 'sehen  Methode 
vertraut,  hin  und  wieder  zu  weit  gehenden  Schlussfolgerungen  ent- 
gegentreten. 

12.    Allerlei  zu  Plato. 

Um  das  Dutzend  voll  zu  machen  will  ich  schliesslich  in  einem 
12.  Kapitel  noch  ein  paar  literarhistorische  Kleinigkeiten  zu  Plato's 
Leben  und  Schriften  zusammenstellen. 

Der  Kritias  ein  historischer  Roman.  Ueber  die  Quelle  der 
Erzählung  des  Kritias  ist  ausser  der  Angabe  des  Autors  eine  merkwürdige 
Notiz  des  Platonikers  Krantor  im  Commentar  des  Proklos  zum  Timaios 
p.  24  auf  uns  gekommen:  i6y  neyl  rivy  Ai'kaviivojv  ov/nTiayra  r.ovxov 
koyov  oi  iin'  iaroffiav  ifiki))'  slyai  cpaotr ,  wantq  o  n^inrog  tou  TTkaTUJvog 
^,i/''in)^  hyavxujo,  ug  (5^  xal  oxivnTEO&ai  flfo  ipctoiv  avrov  vnb  tuji'  tots 
v>g  ovx  avTOV  vvra  rfjg  noknüag  evfjtriiv  d'k'kd  /neTayyaipayra  rd  AiyvTuiüJv, 
ihv  oi  tooothov  noitjoao&ai  top  t.wv  oxomrovrcov  koyov,  iuots  inl  Alyvn- 
xiovg  draneuipai  xr\v  neyi  Aß-rjvaiuj)'  xal  Axkaviivuiv  xavxr]v  ioToyiav; 
ujg  tüjv  'A&rivauov  xard  ravTt]v  'C^ndrrcop  nort  xr\v  no'kixuav.  juayivouvoi 
oi  xal  oi  uqpofffftat  tlüv  Alyvmiojv  iv  aj.rfkaig  rats  6TI  (Juj^ojiievaig  ravra 
ytyodcp&ai  fo'yoru-g.  Die  nächsten  Nachfolger  Piatos  in  der  Akademie 
nahmen  also  die  Angabe  des  Plato,  dass  sein  Ahne  Solon  jene  Märe  von 
der  Atlantis  aus  dem  Munde  ägyptischer  Priester  in  Sais  vernommen 
habe,  für  bare  Münze  und  beriefen  sich  dabei  auf  das  Zeugnis  ägyp- 
tischer Priester,  welche  die  "Wahrheit  jener  Erzählung  aus  noch  erhaltenen 
Urkunden  nachwiesen.     Unsere  skeptische  Zeit  hat  von  jener  Ueberliefe- 

/ 


508 

rung  ein  Steinchen  nach  dem  andern  abgebröckelt,  bis  zuletzt  Susemi  hl, 
Gen.  Entw.  II  473  f.  und  Roh  de,  Der  griech.  Roman  S.  199  in  der 
Erzählung  von  der  Atlantis  nur  noch  reine  Fiction  und  freieste  Dichtung 
erkennen  wollten.  Das  ist  wohlfeile  Weisheit;  hätten  die  Skeptiker  die 
Berichte  über  Funde  ägyptischer  Papyri  verfolgt,  sie  wüssten  den  Lesern 
mehr  als  harten  Stein  zu  bieten.  Jenes  in  Prosa  geschriebene  Epos 
nämlich  von  der  Invasion  Attikas  und  der  Binnenländer  des  Mittelmeeres 
durch  ein  mächtiges  Volk,  das  weit  im  Westen  auf  einer  grossen  Insel 
des  atlantischen  Oceans  seinen  Stammsitz  hatte,  ist  allerdings  wie  jedes 
Epos  in  der  Ausschmückung  des  Einzelnen  ein  Produkt  poetischer  Phan- 
tasie, hat  aber  ebenso  wie  jedes  echte  Volksepos  einen  historischen 
Hintergrund;  den  haben  wir  erst  durch  die  Hieroglyphentexte  des  Denk- 
mals von  Karnak,  publiciert  von  Du  mich  en,  Hist.  Inschr.  I  1 — 5,  kennen 
gelernt,  welche  de  Rouge  in  der  Revue  archeologique  1867  und  sodann 
Chabas  in  den  Etudes  sur  l'antiquite  historique  p.  191  ff.  übersetzt  und 
erläutert  haben,  und  von  denen  ich  selbst  zuerst  durch  einen  Vortrag  des 
Herrn  Professor  L  a  u  t  h  Kenntnis  erhielt.  Keiner  aber  von  den  genannten 
Gelehrten  hat  dabei  an  die  Atlantis  im  Kritias  des  Plato  und  die  ägyp- 
tischen Stelen  des  Krantor  gedacht,  offenbar  weil  ihnen  dieselben  nicht 
gegenwärtig  waren;  aber  jene  Berichte  von  einer  grossen  Conföderation  der 
Völker  des  westlichen  Libyens  (Lebus)  und  der  Inseln  des  westlichen  Mittel- 
meeres (Schekulsha  =  Siculi  und  Schardana  =  Sardones),  welche  Aegyp- 
ten  mit  Krieg  überzogen,  aber  nach  heftigen  Kämpfen  total  geschlagen  und 
vernichtet  wurden,  waren  gewiss  1000  Jahre  später  noch  den  Priestern 
Aegyptens  bekannt,  und  konnten,  dem  Solon  oder  Plato  erzählt,  recht 
wohl  den  Hintergrund  bilden,  auf  dem  der  Dichterphilosoph  sein  poeti- 
sches Gemälde  aufbaute. 

Eratosthenes  der  grosse  Polyhistor  Alexandriens  hatte  nach  Suidas 
die  Beinamen  /?//r«,  devTeyog  rj  vtog  niaivw,  Tltviad^lov.  «Den  Grund 
des  ersten  Beiwortes  gibt  Suidas  selber  an  <T*a  ro  ötvre^eveiv  Iv  navrl 
iidsi  Tiaideiag,  von  der  Bedeutung  des  dritten  Beiwortes  ntvTa&lov 
schweigt  er,  und  weder  er  noch  einer  der  Neueren,  so  viel  mir  bekannt, 
weiss  etwas  von  dem  Zusammenhang  jener  Beiwörter  mit  einem  Dialoge 
Piatos;  und  doch  ist  derselbe  evident.  In  den  Anterastai  nämlich  lesen 
wir    mit    Bezug    auf   die   Verwechselung   des  Philosophen  mit  dem  Viel- 

\ 


509 

wisser  p.  135  E  sq.  doxtlg  uot,  ktysiv  tuv  (pihooocpov  oiov  sv  tt\  aywviq 
tlalv  oi  Tievxa&XoL  noog  r.ovg  dooutag  r/  Tovg  Tialaiarag.  xal  yao  sxrivoi 
tovtujv  jLitv  Xflnovrai  xaTa  ra  tovtujv  a&'ka  xal  dtvrtüoi  eIol  nyog  rovrovg, 
TÜJv  dl  öXkojv  ä&Xrjrcuv  jtüujtoi  xal  vixwOtV  avrovg.  iay*  av  Xoojg  toiovtov 
tl  ktyoig  xal  to  <ftXooo(pelv  mitoya'Qea&ai  rovg  emrrjdsvovTag  tovto  to 
iJiiTrjdevjLia'  tvSv  fiiy  ttüujtiov  slg  Svveaiv  Titol  Tag  Ttyvag  ikktinta&ai,  T.a 
ök  dtvrtütia  d't%oi'Tag  tojv  ak'kuiv  Titoielvai,  und  p.  139  D  noreoov  ouv 
xal  Tieol  T.avxa  )Jyamev  ntvT.a&'kov  avior  deZv  iivai  xal  imaxoov ,  to. 
dtvztotia  l'yoi'Ta  navTuw  tov  cpt'/.6ao(for :  der  Zusammenhang  der  beiden 
Stellen  mit  dem  dritten  Beinamen  des  Eratosthenes  liegt  auf  der  Hand, 
zugleich  aber  auch  wird  man  zugeben,  dass  der  Beinamen  nach  dem 
Dialog  erfunden,  und  nicht  der  Dialog  aus  Anlass  des  Beiwortes  ge- 
schrieben worden  ist.  Demnach  war  der  Dialog  Anterastai,  von  dem 
wir  oben  S.  471  nachgewiesen  haben,  dass  er  erst  nachträglich  den 
anderen  Dialogen  Piatos  zugefügt  worden  ist,  schon  in  der  Zeit  des 
Eratosthenes  und  somit  vor  Aristophanes  in  Umlauf. 

Lebensalter  des  Plato.  Hauptquelle  dafür  ist  Diogenes  III  2: 
ylverat  ffkanin',  u>g  lyrfliv  *AnoXkodwQo$  iv  yo'»ixou.  oy&6fl  xal  öydoij- 
xoOTfi  ofojfimadi  ßaoyrjkiwvog  eßdopfl,  xaiV  )]v  Jfjkiot  xov  'Anokkiura  ycvfofrai 
(fcah'.  relevrq  o,  wg  (pTjoir  ' ''/^oui.i.-mg.  tv  yajuoig  demvojv,  tv>  .iochco  $ru 
vf\g  oyfioqg  xal  ixaroorrje  okupmadog  ßtavg  hos  IV  nipos  roig  üydorpcovsa. 
Neav&Tii  <)Y  <f ^nw  avxov  ihnaoiov  xal  oyöorjxövrQ  TeXevrfjoai  hdiv.  hjiu' 
ovv  'looxQaiovg  veanegog  faeotv  i$.  6  fiir  yay  bu  (vaifidxov ,  TlXarotv 
<)"  in  'EnajiHvovog  ycyovsv.  Diels  in  dem  gelehrten  und  scharfsinnigen 
Aufsatz,  Chronologische  Untersuchungen  über  Apollodors  Chronika,  im 
Rh.  M.  XXXI  41  f.  schreibt  dem  Neanthes  den  Ansatz  der  Lebensdauer 
unseres  Philosophen  auf  81  Jahre  zu  und  ändert  demnach  frischzu  das 
überlieferte  TeiTaoujy  xal  öydorpcovxa  in  trog  xal  oyöorjxovta,  Dass  der 
doppelte  Ansatz  von  81  und  84  Lebensjahren  Piatos  auf  eine  Verwech- 
selung der  Zahlzeichen  77  A  und  77  J  zurückgehe,  ist  auch  mir  nicht 
verborgen  geblieben.  Aber  deshalb  darf  doch  nicht  an  unserer  Stelle 
TSTTaowy  in  ivog  korrigiert  werden,  da  Diogenes  offenbar  den  Ansatz  des 
Neanthes  der  geläufigen  und  unmittelbar  zuvor  gegebenen  Ueberlieferung, 
dass  Plato  8 1  Jahre  alt  geworden  sei,  entgegensetzen  will.  Ob  nun  aber 
Neanthes  selbst  den  Irrtum  begangen  habe  oder  ob  derselbe  erst  durch 
Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVIL  Bd.  II.  Abth.  66 


510 

einen  Fehler  der  Abschreiber  und  Excerptoren  in  sein  Werk  gekommen 
sei,  das  muss  ich  dahin  gestellt  sein  lassen.  Auf  der  anderen  Seite  steht 
mir  nicht  so  sicher,  wie  D  i  e  1  s ,  Steinhart  und  anderen,  dass  in  unserer 
Stelle  des  Diogenes  die  Angabe  über  das  Todesjahr  des  Plato  von  Her- 
mippos  herrühre.  Vergleiche  ich  die  parallele  Stelle  des  Diogenes  V  9 
über  die  Lebensjahre  des  Aristoteles,  wo  alle  Zahlenangaben  dem  einen 
Apollodor  zugeschrieben  werden,  und  ziehe  ich  den  anekdotenmässigen 
Charakter  der  Biographien  des  Hermippos  in  Betracht,  so  deucht  es  mir 
viel  wahrscheinlicher,  dass  von  Hermippos  nur  die  Notiz  über  den  Tod 
des  Philosophen  bei  einem  Hochzeitschmause  (e?  yauoig  dsinvwv)  her- 
stammt. 

Reiterdienst  des  Plato.  Reisen  nach  fernen  Ländern,  myste- 
riöse Zusammenkünfte  und  wunderbare  Ereignisse  werden  erdichtet,  nicht 
regelmässige  Erfüllungen  bürgerlicher  Pflichten.  Es  zeugt  daher  von 
unkritischer  Skepsis,  wenn  man  die  Nachricht  von  der  militärischen 
Dienstleistung  des. Plato  bei  Diogenes  III  8  und  Aelian  var.  bist.  VII  14 
verwirft,  zumal  dieselbe  auf  einen  so  verlässigen  Gewährsmann  wie 
Aristoxenos  zurückgeführt  wird.  Freilich  scheint  sich  in  dem  Bericht 
y.al  avtov  tprjoiv  'AyiOToievog  rylg  böTQartvafrai ,  unaz  fttv  eig  Tuvayfjav, 
dtvreyov  d*jtg  KoQirdvy,  rptrop  htl  fitÜi»  Wahres  mit  Falschem  gemischt 
zu  haben.  Denn  schon  die  abweichende  Form  tni  JrjXltp  —  sonst  rich- 
tiger sg  c.  acc.  —  macht  den  letzten  Absatz  verdächtig  und  legt  die 
Vermutung  nahe,  dass  derselbe  aus  der  Erzählung  von  dem  Heldenmut 
des  Sokrates  bei  Delion  herrühre.  Aber  richtig  wird  es  sein,  dass  Plato 
in  den  Jahren  395  und  394  seine  Bürgerpflicht  bei  den  Auszügen  nach 
Böotien  und  Korinth  erfüllt  habe.  Wenn  ich  nun  die  Vermutung  bei- 
füge, er  habe  in  der  Reiterei  diese  Feldzüge  mitgemacht,  so  stütze  ich 
mich  dabei  auf  die  ausserordentliche  Pferdekenntnis,  die  Plato  im  Phai- 
dros  p.  253  E  bei  der  Beschreibung  des  guten  und  schlechten  Pferdes 
zeigt.  Einer  der  nicht  viel  mit  Pferden  umgegangen  ist  —  davon  habe 
ich  mich  im  Wintersemester  bei  der  Interpretation  der  Stelle  im  Seminar 
überzeugt  —  kann  nicht  so  sachkundig  die  guten  und  schlechten  Eigen- 
schaften eines  Pferdes  herausfinden.  Schade  dass  der  Hermannus  eques 
philologus  nicht  mehr  lebt;  dem  würde  ich  am  liebsten  diese  und  die 
anderen  Fragen  der  Abhandlung  zur  Entscheidung  vorlegen. 


511 

Ergänzend  zu  Seite  461  sei  noch  bemerkt,  dass  für  die  Weise, 
wie  Aristophanes  und  Thrasylos  die  Werke  Piatos  aufgeführt  und  geord- 
net haben,  uns  das  im  cod.  Par.  gr.  1853  erhaltene  Scholion  zum  Frag- 
mente der  Metaphysik  des  Theophrast  (bei  Brandis  in  der  Ausgabe  der 
Metaphysica  Aristotelis  et  Theophrasti  p.  323)  einen  wichtigen  Fingerzeig 
gibt.  Dasselbe  lautet:  tovto  io  ßtßkiov  'Av&qovixoq  fiev  xal  "EyuiTiTiog 
üyvoovaiv  o&oe  yuy  [ivtiav  c/.vtov  oltog  nt7io'ir]VT  ai  iv  rfj  ävayyu(pfi  twv 
(-)f-o(f(jaOTOv  ßtßXiwv.  Eine  solche  ävayQcupi)  itov  *A(jiOTOTt\ovg  ßißliiov 
werden  also  auch  Aristophanes  und  Thrasylos  verfasst  und  dabei  der 
Aufzeichnung  die  Zusammengehörigkeit  einzelner  Werke  zu  Trilogien 
und  Tetralogien  zu  gründe  gelegt  haben.  Denn  der  Umfang  der  meisten 
hieher  gehörigen  Dialoge,  wie  insbesondere  der  Politeia  und  der  Nomoi, 
war  doch  zu  gross,  als  dass  man  füglich  an  eine  Vereinigung  derselben 
in  einer  nach  Trilogien  angelegten  Ausgabe  der  Werke  Piatos  denken  dürfte. 


Noch  gerade  vor  Thorschluss  kommt  mir  das  4.  Heft  der  Jahrbücher 
für  Phil.  1885  zu  Gesicht,  welches  ein  Aufsatz  von  H.  Sieb  eck,  zur 
Chronologie  der  platonischen  Dialoge,  eröffnet.  Ich  hebe  aus  demselben 
nur  3  zur  vorstehenden  Abhandlung  direkt  gehörige  Punkte  hervor: 
1)  Das  10.  Buch  der  Politeia  lässt  Siebeck  mit  Zeller  und  Schultess 
nach  dem  Phaidon  geschrieben  sein,  da  die  Worte  <>  äf/ri  ioyog  y.nl  ol 
ciXkoi  Xoyoi  (p.  611  B)  und  ht*  noktmdty  ttn  [torosidrjg  (p.  612  A)  eine 
Rückbeziehung  auf  den  Phaidon  enthalten,  wohl  richtig.  2)  Die  Worte  im 
Protagoras  p.  361  E  eloavfris  mav  ßovlfi  (Jit^iusy  sollen  den  Menon 
und  Gorgias  ankündigen;  mir  nicht  überzeugend,  da  die  beregten  Fragen 
auch  in  jenen  Dialogen  nicht  zum  Austrag  kommen  und  jene  Worte 
Protagoras  nicht  Sokrates  spricht.  3)  Der  Phaidros  soll  nach  der  Rede 
des  Isokrates  gegen  die  Sophisten  geschrieben  sein,  da  Plato  in  dem- 
selben eine  Berichtigung  und  vornehme  Zurechtweisung  einiger  Sätze  der 
Programmrede  des  Rhetor  gegeben  habe.  Die  neu  zugefügten  Wechsel- 
beziehungen beider  Schriften  sind  teils  zu  unbedeutend  teils  zu  unsicher; 
eine  wenn  auch  wohlmeinende,  so  doch  zurechtweisende  Kritik  des  Isokrates 
passt  nicht  in  einen  Dialog,  der  am  Schlüsse  eine  so  glänzende  Lobprei- 
sung des  Isokrates  gegenüber  dem  Lysias  enthält. 


Register. 


Aegyptische  Nachrichten  in  Piatos  Kritias  S.  507  f. 

Aristophanes,  Anordner  der  Werke  Piatos:  S.  461. 
470.  511. 

Aristoteles,  Beziehungen  zu  Plato :  S.  457  f.,  be- 
kämpft die  Ideenlehre  ohne  Berücksichtigung 
des  Parmenides:  S.  468  f.,  seine  Werke  später 
in  Bücher  geteilt:  S.475f.,  falsche  Buchteilung 
in  Metaphysik:  S.  475,  de  anima:  S.  475,  ver- 
schiedene Buchteilung  der  Analytik  und  Logik 
S.476;  met.  III 2  p.  1004b  25:  S.  457,  met.  IV  5 
p.  1015»  25=   S.  458,  met.  IV  11  p.  1019»  4 
S.  484  f.,   de   gen.  et  corr.  II  3   p.  330^  15 
S.  484  f.  u.  487  f.,  de  part.  anim.  I  2  p.  642*>  10 
S.  484  f. 

Uerkyllides  vor  Thrasylos:  456. 

Jtcc}.i£tte   Beziehungen    zu    Piatos    Protagoras: 
S.  500  An. 

Diogenes  Laert.  III  2:  S.  509,  111  38:  S.  502, 
III  49:  S.  456  f.,  III  56:  S.  455  f. 

Echekrates  aus  Phlius  Pythagoreer:  S.  491  f. 

Kratosthenes,  Deutung  seiner  Beinamen:  S.  508  f. 

Ionische  Schrift,  ihrer  Einführung  gedacht  im 
Plato:  S.  502  An.  3,  503  An.  1. 

Isokrates  Beziehungen  zu  Plato:  S.  501  f.,  Rede 
gegen  die  Sophisten  nach  Piatos  Phaidros: 
S.  504  f.  u.  511. 

Koriskos,  Schüler  des  Plato  und  Genosse  des 
Aristoteles:  S.  457. 

Leochares,  seine  Lebenszeit:  S.  480. 

Lysias  Beziehungen  zu  Plato:  S.  502  ff. 

Plato  diente  in  der  Reiterei:  S.  510,  seine  Werke 
in  Trilogien  und  Tetralogien  geteilt :  S.  455  f. 
458  ff.  470  f.,  Trilogien  zu  Tetralogien  erwei- 
tert: S.  464,  alphabetische  Anordnung  eines 
Teiles  der  Dialoge:  S.  470  f.,  Form  der  Dia- 
loge: S.  492  ff.  497  An.  3,  sprachliche  Indicien 
der  Zeitfolge  der  Dialoge :  S.  506  f. 
Anterastai  unecht:  S.  471  f.,  Beziehung  zu 
Eratosthenes :  S.  508  f. 


Briefe  nicht  alle  unecht:  S.  477  ff.,  13.  Brief 
echt:  S.  477  ff.  458,  geschrieben  ca.  364: 
S.  479  f.,  5.  Brief:  S.  481  An.  2,  9.  Brief: 
S.  491. 

Euthydemos  nach  Phaidros:  S.  501. 

Kritias  unvollendet:  S.  464  An.  '_'.  ein  histo- 
rischer Roman:  S.  507  f. 

Nomoi:   S.  467  An.  4. 

Parmenides  Fragment  einer  Trilogie:  S.  46S  ff 

Phaidon  im  13.  Brief  erwähnt:  S.  481  f.,  nach 
379  geschrieben:  S.  491  f.  511. 

Phaidros  vor  Euthydemos  geschrieben:  S.  501, 
nicht  vor  Piatos  Tod:  S.  501  f.,  ca.  891  g*- 
schrieben:  S.  506.  511. 

Politeia  allmählich  erweitert:  S.  473.  später  in 
Bücher  geteilt:  S.  474  f.,  Buch  V  p.  171  geht 
auf  die  Ereignisse  d.  J.  374:  8.  488  f..  Bücher 
V — VII  sollten  nicht  den  Dialog  Philosophen 
ersetzen:  S.  488  f. 

Protagoras,  Mine  Abfeuumngszeit:  8. 497  ff.  411. 

Sophistes  und  Politikos  hatten  auch  den  Titel 
öuaQiattc.   S.  482  f.  484    ff. 

Theages  unecht:  S.  463  An.  1. 

Theätet  nach  :!74  geschrieben:  S.  495  f..  der 
Eingang  nimmt  auf  Phaidros  Bezug :  S.  500  f., 
bezieht  sich  auf  korinthischen  Krieg:  8.  495. 

Timaios  vertasst  ca.  364:   S.  482  f.,  auch  "koyog 
II i •9«yt>(ittoc  genannt:  S.  482  f. 
Tetralogien   von    den  Dialogen    Piatos    auf  die 

Dramen  übertragen :  8.  465. 
Theopomp  der  Komiker  bezieht  sich  auf  Phaidon: 

S.  496  f. 
Thrasylos,  Ordner  der  Werke  Piatos  nach  Tetra- 
logien: S.  455.  461.  466.  470  f. 
Varro  de  ling.  lat.  VII  37:    S.  455. 
Xenophon  hell.  V  1,  36  hat  Beziehung  zu  Piatos 
Protagoras:  S.  498,    sein  Convivium  berück- 
sichtigt in  Piatos  Protagoras  und  Symposion: 
S.  499. 


Die 


troische  Aera  des  Suidas, 


Von 


Georg  Friedrich  Unger. 


Abh.  d.  I.  Ol.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  III.  Abth. 


67 


Die  troische  Aera  des  Suidas. 

In  fünf  literargeschichtlichen  Artikeln  des  Suidas,  unter  'Ayxrlvog, 
Avy.ovQyog  o  ^Jia()TiaTi]g,  ^ißvXXa  'AnoXXatvog  y.al  viaiuag,  ^ijuiorld^rjg 
Kyivtio  'Auoyylvog,  (pcoxvkidrjg  wird  die  Blüthezeit  dieser  und  anderer 
Schriftsteller1)  durch  Zählung  der  seit  Troias  Fall  verflossenen  Jahre 
bestimmt  und  so  eine  Anzahl  von  Daten  überliefert,  deren  Besitz  bei 
der  Mangelhaftigkeit  der  andern  uns  noch  über  sie  zu  Gebote  stehenden 
Zeitangaben  von  hoher  Wichtigkeit  wäre,  wenn  man  wüsste,  welche  von 
den  vielen  Zeitbestimmungen  der  troischen  Epoche  den  Daten  des  Suidas 
oder  vielmehr  seiner  literarhistorischen  Quelle,  des  Hesychios  von  Miletos 
zu  Grunde  liegt.  Man  hat  sich  gewöhnt  das  durch  Apollodoros  zu  weiter 
Verbreitung  gebrachte  eratosthenische  Datum  1183  bei  Suidas  voraus- 
zusetzen, um  so  mehr  als  in  dem  Artikel  "OurjQog  6  notTjrifc  MikrjTOs  das 
Ereigniss  in  der  That  407  Jahre  vor  Olymp.  1  gesetzt  wird;  zu  dieser 
Voraussetzung  durfte  man  sich  indess  nur  so  lange  berechtigt  glauben, 
als  man  noch  nicht  begonnen  hatte,  die  hesychischen  Stücke  auszu- 
scheiden und  von  den  Zusätzen  sei  es  des  Suidas  oder  seiner  Abschreiber 
zu  sondern.  Gerade  das  grosse,  von  fori  dt  fj  rov  ytvovg  Taftg  bis 
EvQV(puiy  xal  Oeokaug  reichende  Stück  jenes  Homerartikels,  welches  die 
Worte  ET.tftri  (5V  am  >/  uu<)  r/V  Tyoiag  aXioini'  h'iavroig  vateyov  vQ  ent- 
hält, wird  von  Flach  (Hesychii  Milesii  quae  supersunt  1882  p.  152)  als 
nicht  hesychisch  eingeklammert  und  die  Richtigkeit  seines  Urtheils  er- 
hellt ausser  den  von  ihm  im  Rhein.  Mus.  XXXV  198  dargelegten  Gründen 
auch    aus    einer  Vergleichung    mit    dem    Inhalt    der    ächten   Partien    des 


1)  Verfasser  einer  schriftlichen  Gesetzgebung  wird  Lykurg  a.  a.  0.  genannt. 

67' 


516 

Artikels.  Eine  solche  gleich  hier  am  Anfang  anzustellen  veranlasst  mich 
die  grundlegende  Wichtigkeit  dieser  Frage;  ihr  weiteres  Ergebniss  wird 
sein,  dass  das  eingelegte  Stück  nicht,  wie  Flach  meint,  aus  Porphyrios 
und  andern  Schriftstellern  zusammengestellt,  sondern  ein  der  ächten 
Partie  so  gut  es  gieng  angepasster  Auszug  aus  Charax  ist,  was  zu  er- 
kennen man  nur  durch  unrichtige  Bestimmung  der  Zeit  dieses  Historikers 
verhindert  worden  ist. 

Die  unächte  Einlage  besteht  aus  fünf  Theilen.  Der  erste  gibt  einen 
langen,  14  Glieder  aufzählenden  Stammbaum  des  Dichters  xara  rar  la- 
toqixov  Xayaxa,  welcher  sicher  nicht  von  Hesychios  mitgetheilt  war: 
denn  in  der  ächten  Partie  ist  schon  Charax  citirt,  dort  aber  dem  Plan 
des  Hesychios  gemäss  nur  das  letzte  Glied,  die  Aeltern  genannt.  2)  Die 
Heimat  des  Dichters.  Während  Hesychios  nur  vier  Varianten  über  die 
Aeltern  und,  da  zwei  von  jenen  nach  Miletos  weisen,  drei  über  das  Vater- 
land Homers  kennt  oder  erwähnenswerth  findet,  werden  hier  der  letzteren 
nicht  weniger  als  20  aufgeführt  und  nachdem  Hesychios  bereits  beide 
Kategorien  auf  einmal  angegeben  hatte,  weil  mit  den  Aeltern  ja  schon 
die  Heimat  angezeigt  wird,  macht  der  Auszügler,  um  die  Hinzufügung 
jener  Variantenmenge  zu  rechtfertigen,  den  Uebergang  zu  ihr  mittelst 
der  spitzfindigen  und  verkehrt  begründeten  Scheidung:  ofwivos  tf«  y-ai 
%r\v  nar^ida  a/uapißo'Kog  diä  tu  ämOTTj&rjvai  o'Kuj^  slvcu  Svtjtop  n»  ut-yt'hi 
rfjs  cpvaeojg.  3)  Diejenige  von  den  20  Varianten,  welche  er  selbst  billigt, 
ist  eben  die  des  Charax:  denn  der  ursprüngliche  Name  des  Dichters  war 
dem  Glossem  zufolge  Melesigenes,  wegen  seiner  Geburt  am  Flusse  Meles 
y.ara  rovg  JEuvqvcuov  awov  yBvea'Koyovvras;  nach  Charax  war  er  in  der 
That  ein  Smyrnaier,  aber  nicht,  wie  Hesychios  sagt,  ein  Sohn  des  Fluss- 
gottes Meles,  sondern  des  Maion,  also  nur,  wie  bei  dem  Auszügler,  am 
Meles  geboren.  4)  Geburtszeit  57  Jahre  vor  Ol.  1,  nach  Porphyrios  da- 
gegen 132  vor  Ol.  1,  anderen  zufolge  160  nach  Troias  Fall.  Porphyrios 
ist  also  nicht  die  sei  es  einzige  oder  Hauptquelle  der  Einlage,  sondern 
in  jener  nur  citirt  gewesen  und  zwar,  wenn  Charax  später  geschrieben 
hat,  von  diesem.  Derselben  Hauptquelle  des  Glossems  gehört  auch,  weil 
sie  als  Ansicht  des  Schreibers  auftritt,  die  Datirung  der  troischen  Epoche: 
407  Jahre  vor  Ol.  1 ;  dass  diese  auch  von  Porphyrios  anerkannt  war, 
kann   bei    der  weiten  Verbreitung   derselben    nichts   beweisen.     5)  Gattin 


517 

und  Descendenz  des  Dichters.  Damit  wird  der  aus  Charax  mitgetheilte 
Stammbaum  nach  unten  fortgesetzt.  Der  Schwiegersohn  Stasinos  gehört 
als  cyklischer  Dichter  frühestens  dem  achten,  Euryphon,  Homers  Sohn, 
als  Urgrossvater  des  Terpandros  keinem  späteren  als  demselben  Jahr- 
hundert an:  beides  passt  zu  dem  in  Nr.  4  vorgezogenen  Geburtsdatum 
833   v.  Ch. 

Die  Ansicht,  dass  der  Historiker  Charax  mit  dem  von  Marc  Aurel 
erwähnten  Philosophen  Charax  aus  Pergamon  identisch  sei  (Müller  fr. 
hist.  III  636)  beruht  lediglich  auf  der  Autorität  des  Hesychios  Milesios, 
der  aber  keine  Angabe  über  das  Zeitalter  des  Geschichtschreibers  vor- 
gefunden und  ihn  mit  dem  Philosophen  nur  aufs  Gerathewohl  identificirt 
hat.  Bekannt  ist  ihm  bloss  das  Werk  des  Historikers,  keine  Schrift  oder 
Lehre  des  Philosophen,  Suidas  Xayaz]  f-'yyaipev  ' EXXi jyaaSv  ts  Hai  f  laTo^ttm' 
ßißlia  Li':  von  der  Existenz  des  letzteren  wusste  er  nur  aus  dem  Buch 
eines  andern  Schriftstellers  und  die  Gleichnamigkeit  verführte  ihn  zur 
Identification,  Suidas  Xaya'i  Ue^yaut^'b^  Uptvg  xal  <ptlooo(pog}  rüg  evQOV  sv 
(}{tyaiip  ßißüip  tniyyajLLiia  OVTtDg  tyov  Elul  Xiiyai  ieyevg  yt^a^fjg  anb 
/Jeyyduov  äxyrjg;  in  jenem  Buch  war  derselbe  offenbar  als  Philosoph  be- 
zeichnet. Um  das  ihm  nicht  genannte  Zeitalter  des  Mannes  aufzufinden, 
las  er  das  Geschichtswerk,  machte  aber,  da  sämmtliche  40  Bücher  durch- 
zunehmen zu  viel  Zeit  und  Mühe  gekostet  haben  würde,  der  Lektüre  vor 
dem  VIII.  Buch  ein  Ende,  ohne  ans  Ziel  gekommen  zu  sein,  Suid.  fori 
&i  zwv  y.ai''  AvyovoTov  TtolXq)  vsanßfpos'  inur^tci  yovr  ir  tu)  ß'  rtor 
ßiß'üatv  Avyovarov  wg  nakai  yerofitvöv  Kaiaapog  xai  6v  t<u  £'  NtQtavog 
xal  nur  ßjttr  avrbv  ßaoüwaavnoy.  Charax  schrieb  in  der  zweiten  Hälfte 
des  IV.  oder  der  ersten  des  V.  Jahrhunderts,  ein  bis  zwei  Jahrhunderte 
nach  Porphyrios.  Zuerst  citirt  ihn  das  geographische  Onomastikon  des 
Stephanos  von  Byzantion  und  er  kennt  bereits  die  neue  Reichshauptstadt 
Constantinopolis:  denn  die  Benennungen,  welche  sein  18.  Fragment  (bei 
Malala  p.  175)  den  einzelnen  Theilen  des  Circus  gibt,  sind  dem  von 
Constantin  d.  Gr.  geschaffenen  byzantinischen  Hippodrom  entlehnt:  dort 
hiess  wie  in  dem  Bruchstück  der  Platz  wo  die  Meta  stand  oysvSbvr\  und 
der  weiche  Boden  der  Pferdebahn  JtUfta,  s.  Ducange.  Constantinopolis 
Christiana  II  1,  9.  Aecht  neubyzantinisch  ist  die  Einmischung  lateinischer 
Fremdwörter  in  das  Griechische,  fr.  14  bei  Eustathios  zu  Dionys.  Per.  689 


518 

/Lieft ßyai'aig  und  fr.  18  rä  tTiiä  anaria  (die  VII  spatia  des  Circus),  mit 
welcher  Eigenthümlichkeit  auch  die  vorgebliche  Kenntniss  des  Altitalischen 
in  fr.  22  (Etymol.  M.  25)  zusammenhängt:  rovg  yeuipyovg  oi  'Irakol  (zur 
Zeit  des  Gottes  Dionysos)  xohovovg  ixdlow.  Eine  andere  Eigenthümlich- 
keit der  Byzantiner  ist  die  geschmacklose  Allegorisirsucht,  welche  in  fr.  18 
den  Circus  auf  das  Weltgebäude,  seine  12  Thüren  auf  die  12  cHäuser' 
des  Zodiakus,  das  Pelina  auf  die  Erde,  die  Wendestelle  an  den  Thüren 
auf  den  Aufgang,  die  an  der  Sphendone  auf  den  Untergang  der  Sonne, 
die  7  Spatien  auf  die  Bahn  der  7  Planeten  bezieht;  ebenso  albern  und 
alles  geschichtlichen  Sinnes  baar  zeigt  sich  die  Deutung  des  Zieles  der 
Argonautenfahrt  auf  die  Absicht,  die  Pergamentgoldschrift  in  ihrer  Heimat 
kennen  zu  lernen. 

Das  eratosthenische  Datum  der  troischen  Epoche  in  dem  Homer- 
artikel des  Suidas  gehört  also  dem  Charax,  nicht  dem  Hesychios  an; 
was  auch  aus  seiner  Fassung  hervorgeht.  Die  troischen  Data  des  letzteren 
haben  dreimal  die  Form  uua  (Tfr^axuma)  tni  rt3v  '/'(jioixuir,  einmal  nnr 
T(Jü)iaiui'  fjurä  sttj  r.,  einmal  rijg  T^wixfjg  aXwatatg  usxa  hrj  t.;  dagegen 
in  dem  Glossem  heisst  es  /tierä  rr\v  Tijoiag  akwaiv  tvtavr.olg  vare^ov  v'Q'  und 
nur  der  Abwechslung  wegen  dann  usra  y$  sriavTorg  rijs  *lUou  akcuaeiog. 
Dass  aber  Hesychios  ein  andres  als  das  eratosthenische  Datum  der  troischen 
Epoche  im  Auge  hat,  folgt  schon  aus  den  unüberwindlichen  Schwierig- 
keiten, welche  bei  der  herkömmlichen  Voraussetzung  entstehen:  es  ist 
noch  Niemand  gelungen,  seine  Jahrzahlen  mit  den  anderweitigen  An- 
gaben oder  Anzeichen  über  die  Zeit  der  treffenden  Personen  ohne  Text- 
änderung in  Einklang  zu  bringen.  Nur  jene  Voraussetzung  trägt  aber 
die  Schuld,  dass  man  eine  von  Hesychios  selbst  gegebene  Andeutung 
verkannt  hat:  er  setzt  Arktinos  410  Jahre  nach  Troia  und  in  Olymp. 
9  =  744/0  v.  Ch.;  sein  troisches  Datum  fällt  also  1154/50.  Ebendahin 
führen  aber,  wie  unten  gezeigt  wird,  die  Ergebnisse  der  Untersuchung 
bei  den  anderen  Daten.  Theognis,  welcher  mit  Phokylides  von  Suidas 
647  nach  Troia  gesetzt  wird,  hat,  wie  aus  einer  seiner  Elegien  hervor- 
geht, 507  oder  506  v.  Ch.  geschrieben.  Simonides  von  Amorgos  (und 
Archilochos),  490  nach  Troia,  blühte  der  besten  Ueberlieferung  zufolge 
664  v.  Ch.  Die  Sibylle,  483  n.  Tr.,  durfte  einem  ihrer  Orakel  zufolge 
672,   671   oder  670  v.  Ch.  gesetzt  werden. 


519 

Diesen  Paralleldaten  zufolge  fiel  die  troische  Epoche  des  Hesychios 
auf  1154  oder  1153.  Um  das  Vorhandensein  einer  solchen  nachzuweisen, 
musste  die  Untersuchung  auf  alle  im  Alterthum  gangbar  gewesenen  Data 
der  Zerstörung  Troias  ausgedehnt  werden;  ihre  Ergebnisse  und  deren 
Begründung  sind  vollständig  mitgetheilt,  nicht  nur  weil  die  chronologische 
Behandlung  das  erfordert,  sondern  weil  auch  die  Textfrage  bei  Lykurg 
nur  auf  diesem  Wege  erledigt  werden  kann.  Eines  von  jenen  Daten  fiel 
in  der  That  auf  das  attisch  gerechnete  Jahr  1154/3:  Hesychios  setzte 
demnach  Theognis  und  Phokylides  507,  Simonides  und  Archilochos  664, 
die  Sibylle  671,  Arktinos  744  v.  Chr.;  für  die  corrupte  Zahl  des  Lykurgos 
wird  sich  bei  diesem  troischen  Datum  eine  gefällige  und  mit  den  besten 
Zeugnissen  harmonirende  Verbesserung  finden  lassen. 

Theognis. 

Suidas:  <f>ioxvXid 'qg  MiXrjaiog  (piXocrocpog,  auyxyovog  totuyvidog'  i)i'  JV' 
ixarepog  ju&rä  %uC,  tüv  Tquhy.wv,  okv^imadi  yeyovoreg  vfr'.  Derselbe: 
Oioyvig  Mtya^tvg  zwv  h'  —ixi-'/m/.  Mtyaywi',  yevorcog  hr  1 1]  vß-  okVfLimadi. 
Die  647  Jahre  nach  Troia  würden  nach  Eratosthenes  das  J.  537  v.  Ch. 
ergeben;  um  Ol.  59  =  544/0  zu  gewinnen,  hat  Rohde  Rh.  Mus.  XXXIII 
170  ///',  Gutschmid  bei  Flach  yjiy'  zu  schreiben  vorgeschlagen.  Hesychios 
denkt  aber,  wie  Rintelen  de  Theognide  p.  13  erkannt  hat,  bei  yeyovvreg 
und  demgemäss  auch  bei  yeyovcug  an  die  Geburt,  sonst  würde  ysyovortg 
neben  rjy  zwecklos  dastehen;  Suidas  selbst  mag  immerhin  das  Particip 
in  der  anderen,  häufigeren  Bedeutung  aufgefasst  haben.  Neben  dem 
Datum  647  nach  Troia  =  507/6  v.  Ch.  für  die  Blüthezeit  lässt  sich  Ol.  59 
gar  nicht  anders  als  auf  die  Geburt  beziehen:  denn  an  eine  Contamination 
verschiedener  Quellen,  hervorgegangen  aus  gedankenloser  Uebertragung 
ihrer  Data,  ist  desswegen  nicht  zu  denken,  weil  wir  bei  Hesychios,  dem 
Verfasser  eines  grossen  geschichtlichen  Werkes,  dessen  erste  Abtheilung 
bis  zur  Einnahme  Troias  reichte.  Sicherheit  in  chronologischen  Dingen 
und  ein  festes  Datum  der  troischen  Epoche  annehmen  müssen.  Wohl 
aber  ist  denkbar,  dass  er  das  ytyove  einer  literarhistorischen  Quelle, 
welche  beide  Dichter  in  die  Zeit  des  Harpagoskrieges  setzte,  in  jener 
Weise  umgedeutet  hat,  um  es  mit  dem  andern  Datum  in  Einklang  zu 
bringen. 


520 

Ueber  die  Zeit  des  Phokylides  geben  seine  Fragmente  keinen  Auf- 
schluss:  vielleicht  hatte  Theognis  ihn  oder  er  diesen  als  Zeitgenossen 
bezeichnet;  davon  dass  Isokrates  II  43  und  Theophrast  b.  d.  Schol.  zu  Ar. 
eth.  Nikom.  V  1  (bei  Rose,  Hermes  V  356),  wie  Flach  Gesch.  d.  gr.  Lyrik 
p.  391  behauptet,  beide  als  Zeitgenossen  betrachten,  ist  im  Texte  jener 
Stellen  nichts  zu  lesen.  Die  zeitliche  Scheidung  der  zwei  Dichter  im 
Kanon  des  Eusebios  fällt,  wie  aus  Suidas  hervorgeht,  erst  dem  Kirchen- 
vater oder  seinen  Abschreibern  zur  Last;  sie  erklärt  sich  daraus,  dass  die 
Anmerkungen  eine  ganze  Reihe  berühmter  Männer,  ausser  jenen  beiden 
noch  Pherekydes,  Simonides,  Xenophanes  u.  a.  mit  dem  Harpagoskrieg 
verbinden  mussten.  Er  setzt  Phokylides  in  Ol.  58  (so  Kyrillos,  der  älteste 
Ausschreiber  des  Eusebios)  oder  59,  1,  Abrah.  1473  (die  Hdschr.  SMP  des 
Hieronymus  und  der  armenische  Uebersetzer),  den  anderen  Dichter  in  Ol.  59 
(Kyrillos,  =  Abr.  1476  P  und  Armen.),  indem  er  offenbar  einem  Literar- 
historiker folgte,  welcher  beide  dem  ionischen  Krieg  des  Harpagos  gleich- 
zeitig dachte  und  auf  diesen  Theogn.  775  myaTov  vß{)i(niir  M?JJW  antQvxt 
und  764  tov  Mrjdwv  J^/^otk  Tiokenoy  bezog.  Man  konnte  freilich,  wie 
Hiller  Jahrbb.  1881  p.  456  richtig  bemerkt,  diese  Stellen  auch  auf  einen 
späteren  Perserkrieg  beziehen  und  es  ist  daher  wahrscheinlich,  dass  sich 
in  dem  vollständigen  Werke  des  Theognis  noch  andere  Stellen  fanden, 
welche  bestimmter  auf  den  Harpagoskrieg  zu  führen  schienen,  z.  B.  kann 
der  Dichter  an  das  Schicksal  solcher  Städte  erinnert  haben,  welche  wie 
Phokaia,  Teos  von  jenem  Kriege  hart  betroffen  wurden,  während  er  von 
Miletos,  Eretria  und  anderen  in  den  Perserkriegen  des  V.  Jahrhunderts 
eroberten  schwieg.  Eine  zwingende  Beziehung  jedoch  auf  jenen  Krieg, 
in  dessen  Zeit  die  meisten  Neueren  Theognis  setzen,  hat  sicher  keine 
Stelle  desselben  enthalten:  vielmehr  führen  die  thatsäclilich  vorhandenen 
Andeutungen  in  eine  spätere  Zeit. 

Die  in  den  angeführten  Versen  ausgesprochene  Furcht  vor  einem 
Angriff  der  Perser  auf  Megara  lässt  sich  aus  den  politischen  Verhält- 
nissen vor  dem  letzten  Decennium  des  sechsten  Jahrhunderts  nicht  be- 
greifen. Als  Kyros  Sardes  eroberte,  baten  die  hellenischen  Städte  des 
kleinasiatischen  Festlandes  Sparta  um  Hülfe,  dagegen  in  Samos,  Chios, 
Lesbos,  Tenedos  herrschte  keine  Furcht  vor  den  Persern  (Her.  1151)  und 
auch  der  Fall  Joniens   bewog   sie   nicht    an  Ergebung    zu  denken.     Was 


521 

Herodot  I   169  in  dieser  Beziehung  von  den  Sauriern  und  Chioten  meldet, 
mag    seine  Geltung  von  den   festländischen  Besitzungen  derselben  haben; 
die  Inseln  selbst  blieben  selbständig,  Her.  III  90.   139.  Thuk.  113,  unter 
Kyros  und  Kambyses  beherrschten  die  Inselionier  das  Meer,  Thuk.  I   13, 
und  erst  517   wurde,    nachdem  526  vorübergehend  Polykrates   die  Ober- 
hoheit des  Kambyses  anerkannt  hatte,  Samos,  493  Chios,  Lesbos,  Tenedos, 
492  Thasos  unterworfen,  während  die  Cykladen  ihre  Unabhängigkeit  bis 
490  behaupteten.     So  lange    diese  Inseln    frei  waren    oder  wenigstens  so 
lange    die  Samier    das  Meer   beherrschten,    bis  517  sicher    fiel    es   keiner 
Stadt    von  Althellas    ein,    einen  Angriff   der  Perser    auf   ihre  Freiheit  zu 
besorgen.     Selbst  diesen  ganz  unwahrscheinlichen  Fall  aber  angenommen 
lassen  sich  die  Worte  des  Theognis  auch  dann  nicht  auf   den  Harpagos- 
krieg    beziehen.     Wären    die  Megarer  wirklich    so    feige  Seelen   gewesen, 
wie    wir    dann    annehmen   müssten,    so    hatten    sie   ja    ein  ganz  einfaches 
und  leichtes  Mittel  in  der  Hand,  ihre  Existenz  und  persönliche  Freiheit, 
ihre  Habe    und   sogar   die  Autonomie    zu   retten:    sie  durften    nur  thun, 
was  das   stolze  Miletos    und  viele    andere   der   ihrigen   mindesten   gleich- 
stehende Städte  gethan  hatten,  nämlich  Erde  und  Wasser  geben,  und  alle 
Furcht    war    gehoben.     Eben    dieser  Umstand    lehrt   aber,    dass    auch    an 
keinen    spätem  Rache-    oder    Eroberungskrieg    der    Perser,    an    den    von 
498,  492,  490  oder  480  zu  denken  ist:  Megara  hatte  sich,  nachweislich 
wenigstens,    in   keiner  Weise  gegen   die  Perser   vergangen,    keinen  Abfall 
von   denselben    begünstigt,    keinen    Herold    vergewaltigt,    keinerlei  Feind- 
seligkeit begangen;    alle  Städte,    welche   sich    gutwillig    ergaben,    wurden 
nach  den  Gesetzen  des  Völkerrechts  behandelt;  wofür  und  wovor  sollten 
sie   denn    die  Angst  hegen,    welche   die  Verse   des  Dichters   aussprechen. 
Diese  Besorgnisse  erklären  sich    einzig   aus  den  besonderen  Verhältnissen 
der  Zeit,  in  welche  das  Gedicht  durch  eine  andere  Stelle  gewiesen  wird. 
Diese  für  die  Zeitbestimmung  des  Theognis  massgebende  Stelle  lautet 
891   ff.    oi   uoi  dvalyMrtg'    dno    uiv   KTfQiv&ot;  okuj'ktv  vlrfkavxiw  d'  aya&ov 
xtiysrai  oIj/o/thJW,    oi   d'äya&oi  (pevyovoi  ndhv  JV  xaxol   ditnovoiv.  (bg  (h) 
Kvifithönor  Zevg  ulsotu  yhog.     Sie  bezieht  sich,  wie  Hertzberg  in  Prutz 
liter.  Taschenbuch   1845  p.  354  zuerst  erkannt  hat,    auf  den    berühmten 
Freiheitskrieg  der  Athener  im  J.  507  oder  506,  welcher  den  Chalkidiern 
das  lelantische  Gefilde  kostete,  Herod.  V  77.  Diodor  X  24,  3.  Aelian  var. 
Abh.d.I.Cl.d.k.  Ak.d.Wiss.  XVII.  Hd.  III.  Abth.  68 


522 

hist.  VI  1.  Die  von  Vischer  Götting.  Gel.  Anz.  1864  p.  1361  ff.  erhobenen 
Einwände  sind  zum  Theil  schon  von  Duncker  VI  576  widerlegt,  hier  ist 
nur  nöthig  von  Kerinthos  zu  sprechen.  Dass  dieser  im  Norden  der  Insel 
auf  der  Ostküste  gelegene  Ort  seit  lange  oder  von  jeher  zu  Histiaia, 
nicht  zu  Chalkis  gehört  habe,  geht  aus  Strab.  445  keineswegs  hervor: 
dort  heisst  es  nur,  dass  Ellops  der  Gründer  von  Ellopia  auch  Histiaia, 
Perias,  Kerinthos,  Aidepsos  und  Orobiai  erworben  habe;  dagegen  wird 
von  Skymnos  576  (d.  i.  von  Ephoros)  vorausgesetzt,  dass  Kerinthos  der 
grösste  Ort  des  chalkidischen  Gebiets  war.  Führer  der  ionischen  Gründer 
von  Chalkis  war  nach  Strab.  445  (vgl.  Plutarch  quaest.  graec.  22)  Kothos; 
wenn  Skymnos  von  ihm  Kerinthos  gründen  lässt,  so  erklärt  sich  dies 
daraus,  dass  er  die  Gründung  der  Stadt  Chalkis  selbst  in  eine  frühere  Zeit 
versetzt,  indem  er  sie  einem  Sohne  des  Erechtheus  beilegt:  als  Schöpfung 
jenes  Oikisten  nennt  er  daher  den  bedeutendsten  Ort  ihres  Gebiets.  Dunkel 
bleibt  nur,  aber  auch  bei  jeder  andern  Auslegung,  die  Erwähnung  der 
Kypseliden  und  jedenfalls  hat  man  keinen  Grund,  mit  K.  F.  Hermann 
Rh.  Mus.  1832  p.  94  unsere  Stelle  auf  den  zwischen  Eretria  und  Chalkis 
um  das  lelantische  Gefilde  geführten  Krieg  zu  beziehen  und  sie  desswegen 
dem  Theognis  abzusprechen.  Dass  Periandros  oder  ein  anderer  Kypselide 
an  demselben  theilgenommen,  ist  weder  bezeugt  noch  wahrscheinlich:  die 
Betheiligung  anderer  Staaten  war  nach  Thukydides  115  nur  verhältniss- 
mässig  eine  starke,  und  aus  Herodot  V  99  ist  zu  schliessen,  dass  ausser 
den  beiderseitigen  Colonien  und  einzelnen  Freiwilligen  wie  dem  von  Plut. 
amatorius  17  genannten  Thessaler  nur  Miletos  den  Eretriern,  Samos  den 
Chalkidiern  zu  Hülfe  gekommen  war.  Aus  der  Theilnahme  der  thrakischen 
Colonien  hat  Hermann  den  triftigen  Schluss  gezogen,  dass  jener  Krieg 
frühestens  in  den  letzten  Decennien  des  VIII.  Jahrhunderts  gespielt  hat; 
der  bei  seinem  Anfang  abgeschlossene  Vertrag,  sich  ferntragender  Waffen 
zu  enthalten  (Strab.  448),  fällt  geraume  Zeit  vor  Archilochos,  welcher 
diese  Enthaltung  bereits  als  Sitte  der  Euboier  ansieht  und  jene  Ursache 
ihrer  Entstehung  gar  nicht  kennt,  fragm.  3  bei  Plutarch  Theseus  5. 
Der  Krieg  hat  demnach  um  700  v.  Ch.  stattgefunden.  Nachkommen 
des  Kypselos  in  weiblicher  Linie  gab  es  auch  in  Athen:  der  Philaide 
Miltiades,  Sohn  des  Kypselos,  ist  wohl  ein  Enkel  oder  Urenkel  des  Ty- 
rannen gewesen,  vgl.  Herodot  VI  35  mit  VI   128.     An  seinen  Stiefneffen 


523 

Miltiades,  den  Marathonsieger,  erinnert  Gutschmid  bei  Flach,  Lyrik  S.  410; 
freilich  Hess  sich  dieser  erst  beim  Misslingen  des  ionischen  Aufstandes  in 
Athen  nieder.  Man  könnte  etwa  an  Isagoras,  den  Urheber  des  von 
Theognis  gemeinten  Krieges  denken:  der  Name  seines  Vaters  Tisandros 
kehrt  im  Philaidenhause  wieder  (Herod.  VI  128);  gehörte  er  durch  seine 
Mutter  zu  diesen,  so  würde  sich  auch  seine  hervorragende  Stellung  in 
Athen  während  der  Abwesenheit  des  Miltiades  passend  erklären. 

Die  Hertzbergsche  Deutung  hat  ausser  Duncker  und  Gutschmid  nur 
wenig  Anhänger  gefunden,  offenbar  dess wegen,  weil  die  auf  einen  drohenden 
Perserkrieg  hinweisenden  Stellen  nicht  zu  ihr  zu  passen  schienen.  Und 
doch  fehlte  gerade  damals  nicht  viel,  so  wären  die  Perser  den  Megarern 
feindlich  ins  Land  gekommen.  Als  der  König  Kleomenes  Ol.  73,  1.  508/7 
mit  Schimpf  und  Schande  aus  der  Akropolis  Athens,  welche  ihm  Isagoras 
in  die  Hand  gespielt  hatte,  abziehen  musste,  da  wussten  die  Athener, 
schreibt  Herodot.  V  73,  dass  ihnen  ein  schwerer  Krieg  mit  Sparta  bevor- 
stand; sie  mussten  sich  auf  den  Heranzug  des  peloponnesischen  Bundes- 
heeres gefasst  machen,  ja  die  Spartaner  knüpften  auch  mit  Boiotien  und 
Chalkis  Unterhandlungen  an,  welche  zu  einem  gleichzeitigen  Angriff  auf 
Attika  von  drei  Seiten  her  führen  sollten.  Aus  solcher  Noth  glaubten 
die  Athener  nicht  anders  Rettung  zu  finden  als  durch  Eingehung  eines 
Bundes  mit  den  Persern.  Eine  Gesandtschaft  gieng  nach  Sardes  zu  dem 
Bruder  des  Grosskönigs,  sie  erhielt  das  Versprechen  der  Hülfe,  aber  nur 
unter  der  Bedingung,  dass  sie  Erde  und  Wasser  reichten.  Schweren 
Herzens  sagten  nach  gepflogener  Berathung  die  Botschafter  zu.  Heim- 
gekehrt ernteten  sie  schwere  Vorwürfe,  Her.  V  73  nlria^  jLisyala^  uyov; 
dies  mag  geschehen  sein,  nachdem  die  Athener  gerettet  waren,  ohne  die 
persische  Hülfe  zu  bedürfen;  möglich  auch,  dass  bei  der  Heimkehr  der 
Gesandten  Athen  schon  geborgen  war.  Im  andern  Fall  haben  die  Athener 
gewiss  nicht  verfehlt,  nach  aussen  sich  des  mächtigen  Bundesgenossen 
zu  rühmen  und  vielleicht  war  auch  die  Absendung  der  Botschaft  mit 
Ostentation  betrieben  worden.  Die  Feinde  Athens  mussten  jetzt  fürchten, 
dass  die  asiatischen  Barbarenhorden,  dass  die  Meder,  deren  blosser  Name 
damals  schon  hinreichend  war,  Hellenenherzen  zittern  zu  machen  (Herod. 
VI   112),    mit    den   Athenern   in    das    Bundesgebiet   einfallen    und    Greuel 

aller   Art    verüben    würden:    welche    Stadt   des    peloponnesischen  Bundes 

68* 


524 

würde  dann  eher  den  Anprall  solcher  Feinde  zu  fühlen  bekommen  als 
Megara,  das  an  Athen  unmittelbar  angrenzte  und  nicht  wie  die  andern 
den  korinthischen  Isthmus  zur  Deckung  nehmen  konnte.  Die  Gefahr  war 
um  so  grösser,  als  selbst  innerhalb  des  Bundes  Athen  gegenüber  keine 
Einhelligkeit  der  Absichten  bestand,  wie  denn  eben  durch  das  Wider- 
streben der  Korinther  der  Feldzug  des  Kleomenes  ins  Stocken  gerieth. 
Auf  diese  doch  wohl  schon  vorher  sich  verrathende  Gesinnung  und  auf 
die  zwischen  den  zwei  Spartanerkönigen  bestehende  Uneinigkeit  einerseits, 
auf  das  unbillige  und  zugleich  unpolitische  Vorgehen  des  Kleomenes  andrer- 
seits lässt  sich  Theogn.  780  beziehen:  /}  /ap  tycoye  de&otx*  äippadirpt  eooyäiv 
xal  üTftaiv  'Ekfajvtov  Xaoif.S-oQoy . 

Die  Zeit  des  Einzugs  der  Spartaner  in  die  Akropolis  Athens  und 
ihrer  Capitulation  steht  dadurch  fest,  dass  Isagoras  das  Amt  des  ersten 
Archonten,  welches  ihm  Gelegenheit  gab,  die  Burg  zu  verrathen,  Ol.  73,  1. 
508/7  bekleidet  hat,  Dionys.  Hai.  ant.  V,  1.  Dem  nächsten  Jahre  ver- 
mutlich gehören  die  von  Theognis  berührten  Verhältnisse  und  Vor- 
gänge an:  dieses  aber  liegt  genau  647  Jahre,  wie  Suidas  angibt,  nach 
der  troischen  Epoche  1154/3.  Hiezu  stimmt  auch,  was  sich  über  die 
Zeit  einer  andern  Schrift  des  Theognis  mit  Wahrscheinlichkeit  annehmen 
lässt,  Suid.  tyyatfjsv  iXtyiiav  tlg  rovg  niofth'Tag  iüv  2&VQaxovoiwv  h>  i  fi 
noXioQxiq.  Aus  jenen  Zeiten  ist  nur  eine  Belagerung  von  Syrakus  be- 
kannt, veranstaltet  durch  Hippokrates,  welcher  498  —  491  über  Gela 
herrschte  und  sich  viele  Sikeliotenstädte  unterwarf,  Herod.  VII  154.  Sie 
mag  495  oder  494  stattgehabt  haben:  der  spätere  Tyrann  Gelon,  welcher 
sich  bei  ihr  und  anderen  ähnlichen  Gelegenheiten  als  Leibwächter  des 
Hippokrates  ausgezeichnet  hatte,  erfuhr  die  Beförderung  zum  Hipparchen, 
welche  er  diesen  Leistungen  verdankte,  nicht  lange  nach  der  Thron- 
besteigung desselben,  Her.  VII   154  fitra  ov  nolXbv  yj)6vor. 

Simonides  I  und  Archilochos. 

Suid.  ^ifALovidrig  KyLveu)  l4/uo(rylvog]  ytyovt  d*  uera  vq  for/  rwy  Tqidixwv. 
Aus  den  vorherg.  Worten  ev  reo  anoixiaaip  T.rjg  'Af.ioQyov  taxa).?]  xal  avrug 
riytuiov  vnb  Süftiiov  zieht  Gutschmid  bei  Flach  Hesych.  p.  LXXI  den 
triftigen  Schluss,  dass  in  der  Quelle  auch  von  Archilochos  (über  welchen 


525 

Suidas  keinen  Artikel  bietet)  und  seiner  angeblichen  Gründung  auf  Thasos 
die  Rede  gewesen  war;  ohne  Zweifel  war  wie  Theognis  mit  Phokylides, 
so  Archilochos  mit  dem  älteren  Simonides  in  gleiches  Jahr  gesetzt,  was 
bei  Eusebios  wirklich  der  Fall  ist,  und  Clemens  ström.  I  333  andeutet: 
JZiuiovidris  xar  Ayyuoyoy  (ptyerai ;  eben  desswegen  wollte  Volkmann 
avyyyoyog  'J Q'/jlöyov  nach  avrog  einsetzen.  Die  troische  Epoche  des 
Eratosthenes  bei  Suidas  voraussetzend  vermuthet  Rohde  Rh.  Mus.  XXXVI 
559  vqz  oder  vqe,  woraus  die  500  Jahre  anderer  abgerundet  seien, 
Tatian  35  ett{fOi  ovv  'Ayyi'/.oyct)  yeyoyfyai  rar  'Oui^xir.  o  öe  'Ayyjioyog 
rjxfiaoe  ntyi  ulvfimaott  Tglnpf  xal  elxoarrjy  y.aia  Twrp  roy  ylvduy  riöy 
'IXtaxwy  vorepjv  mvraMooiotg;  Eusebios  can.  Abr.  914;  Synkellos  p.  339: 
denn  von  1183  habe  Niemand  mit  500  Jahren  auf  Ol.  23  as  688/4  v.  Ch. 
gelangen  können.  Doch  war  dies  in  der  That  möglich  bei  inclusiver 
Zählung,  oder  wenn  man,  was  auf  dasselbe  hinausläuft,  mit  Hieronymus 
(quingentesimum  annuuij  das  letzte  Jahr  unvollendet  nahm,  auch  schreibt 
Synkellos  vorsichtiger  Weise  uutt  hnt  cp  nov:  das  500.  Jahr  seit  1184/3 
ist  Ol.  23,  4.  685/4,  vgl.  den  Schluss  dieses  Abschnitts.  Es  sind  also 
eigentlich  499  Jahre  gemeint  und  mit  diesen  lassen  sich  die  490  sehr 
wohl  in  Einklang  bringen.  Die  erwähnten  Bibelgelehrten  haben  den 
Anfangsterminus  missverstanden:  Theopompos.  welcher  unter  den  St«(nn 
zu  verstehen  ist,  gewann  die  runde  Zahl  500  dadurch,  dass  er  statt  der 
Eroberung  Troias  den  9  volle  Jahre  früheren  Anfang  der  Belagerung 
zum  Ausgangspunkt  nahm,  Clemens  ström.  I  389  ßtonopnoe  h'  tfi  naoaga- 
yjxn ft  r(HTfl  Tiöy  <$>iXmmxmv  uuu  hij  myTaxvota  ru>y  int  "litcv  (vulg. 
'Iliit))  aT{tain'(u'iyu»y  ytyovkvai  r<»'"Uuito(»'  'kiiooh.  Theopompos  gebrauchte 
also  die  nämliche  Aera  und  folgte  in  Betreff  des  Archilochos  der  näm- 
lichen Quelle  wie  Hesychios;  doch  ist  die  Aera  nicht  die  eratosthenische 
gewesen:  die  alten  Bibelforscher  haben  hier  und  anderwärts1)  bei  Er- 
wähnung der  troischen  Epoche  vorschnell  das  ihnen  geläufige  Datum 
1184/3  vorausgesetzt  und  hienach  theilweise  auch  die  ihnen  vorliegenden 
Angaben  umgeändert. 

Bei   der   Epoche    1154/3    bringen    die    490    Jahre    die    Blüthe    des 
Simonides    und    Archilochos    in    Ol.    29,    1.    664/3    =   Abrah.    1353    des 


1)  Vgl.  Ober  Arktinos  und  zu  Epoche  1096. 


526 

Eusebios:  in  dieses  Jahr  setzt  Hieronymus  (MPR)  die  eusebische  Notiz, 
deren  griech.  Text  bei  Synkellos  *jäQX&°X°G  yMl  ^itiwyiätjg  xal  'AyiOToiti'og 
oi  uovoixoi  tyvcool^ovTo  lautet;  die  Varianten  1351  AF  Armen,  und  1352  B 
widerlegt,  der  älteste  Ausschreiber  Kyrillos,  da  er  Ol.  29  angibt.  Dasselbe 
Datum  hatte  vermuthlich  auch  Nepos  im  Sinn.  Gellius  XVII  21  Archi- 
lochum  Nepos  Cornelius  tradit  Tullo  Hostilio  regnante  fuisse  poematis 
darum:  Tullus  regiert  nach  ihm  669—637,  s.  Rh.  Mus.  XXXV  20.  Es 
ist  wohl  zunächst  aus  Eratosthenes  oder  Apollodoros,  den  Nepos  auszu- 
schreiben pflegt,  geflossen;  seine  erste  Quelle  aber  ist  jedenfalls  Aristoxenos, 
der  Schüler  des  Aristoteles,  eine  literarhistorische  Autorität  ersten  Rangs : 
denn  die  letzten  Worte  der  Notiz  sind  offenbar  mit  Gutschmid  bei  Flach 
in  yMT  'AQiöTo£evov  rbv  uovoixov  zu  verbessern,  woran  schon  Karl  Müller 
gedacht  hatte:  Iambographen  werden  nicht  als  Musiker  bezeichnet,  ebenso 
wenig  Komiker  wie  Aristoxenos  aus  Selinus,  auf  welchen  man  die  Notiz 
hat  beziehen  wollen;  auch  ist  Selinus  erst  626  (nach  Diodor  650)  ge- 
gründet worden,  und  der  Komiker  wahrscheinlich  mit  Flach  Gesch.  d. 
Lyrik  253  fg.  in  das  VI.  Jahrhundert  zu  setzen.  Gyges,  ein  Zeitgenosse 
des  Archilochos  nach  fragm.  25  bei  Aristot.  rhet.  III  17  und  Plutarch  de 
tranquill.  10  ov  uoi  rä  Ivytio  rov  ttoXv/qvoov  iiuti,  regierte  nach  Herodot 
716  —  678,  nach  Julius  Africanus  in  den  Excerpta  Barbari  697  —  661, 
nach  Eusebios  im  Kanon,  welcher  wahrscheinlich  dem  Eratosthenes  folgt 
(Kyaxares  und  Astyages  p.  13),  699 — 663;  dass  Euphorion  bei  Clemens 
ström.  I  389  seinen  Anfang  708  setzt,  erklärt  sich  daraus,  dass  Archilochos 
irrig  zum  Gründer  von  Thasos  gemacht  wurde,  s.  Geizer  Rh.  Mus.  XXX  251. 
Alle  diese  Ansätze  erscheinen  zu  hoch:  laut  der  Keilinschrift  bei  Geizer 
a.  a.  0.  231  empörte  sich  Gugu,  König  des  Landes  Ludi  im  Bund  mit 
Pisamilki,  König  von  Muzur  (Aegypten)  gegen  die  Oberherrschaft  Assur- 
banipals  von  Ninive;  dieser  regierte  668 — 626,  Psammetich  aber  wurde 
im  Jahr  664,  welches  in  den  niedrigsten  der  obigen  Ansätze  schon  in  das 
Ende  des  Gyges  fällt,  erst  Herrscher  eines  kleinen  Theils  von  Aegypten, 
und  mit  Recht  vermuthet  Geizer  einen  Zusammenhang  jener  'Empörung1 
mit  dem  mehrjährigen  Aufstand,  welcher  um  650  im  assyrischen  Reiche 
stattfand.  Die  Sonnenfinsterniss  endlich,  welche  Archilochos  fr.  14  bei 
Stob.  flor.  110,  10  Zevg  TiarrjQ  'Ohvuniujv  ix  jLi&Grj/Lißülrjg  t&rjzs  vvxx 
änozQvipag    cpaog   rjklov    lafxnovTog    erwähnt,    kann    nach    Oppolzer    Akad. 


527 

Sitzungsb.  Wien  1882.  Bd.  86,   1  ff.  keine  andere  als  die  vom  6.  April  648, 
nach  seiner  Berechnung  um  9  Uhr  Morgens,  gewesen  sein. 

Die  Blüthezeit  des  Archilochos  fällt  hienach  um  645,  womit  das 
Datum  des  Aristoxenos  664  keineswegs  in  Widerspruch  steht.  Aus  der 
Gleichzeitigkeit  mit  Gyges  Hess  sich  ein  bestimmtes  Jahrdatum  für  die 
Blüthe  des  Archilochos  nicht  gewinnen;  nur  als  Nothbehelf,  wenn  kein 
anderes  Anzeichen  vorlag,  würde,  wie  das  in  andern  Fällen  geschehen 
ist,  die  Versetzung  des  Dichters  in  das  erste  Jahr  des  Königs  gedient 
haben;  für  dieses  ist  aber  664  doch  wohl  zu  spät.  Dagegen  besass  man 
bei  Simonides  ein  sicheres  Datum  seiner  Thätigkeit:  das  der  Samier- 
wanderung  nach  Amorgos,  welches  ohne  Zweifel  in  den  Jahrbüchern 
(ioqoi)  der  Samier  verzeichnet  war  und  den  aus  ihnen  gezogenen  Werken 
eines  Eugaion  u.  a.  entnommen  werden  konnte.  Mit  Bergk  sehen  wir 
daher  das  Blüthenjahr  beider  Dichter  für  das  Datum  jener  Gründung  an. 
Nur  scheinbar  verschieden  ist  das  Datum  beider  bei  Proklos  in  Photios 
cod.  239  lajußwv  Tioirjrai  Ayyi '/.o/og  xal  Sipuoriot^  xal  Innwi'as,  wv  ö  jiiv 
7i()wzog  toll  Ivyov  o  dt  tot  Avav'uw  tov  Mttxsooyoß  c/.inuji'ct$  dt  xaxa 
Jaynov  ijxua'Qe.  Unter  den  makedonischen  Königsnamen  des  VIII.  und 
VII.  Jahrhunderts:  Karanos,  Koinos,  Tyrimmas,  Perdikkas,  Argaios,  Phi- 
lippos, Aeropos  kommt  dem  corrupten  'Avavuw  der  fünfte  am  nächsten, 
und  ist  daher  mit  Clinton  toi  'Ayyaiov  zu  schreiben.  Die  von  Manchen 
befremdlich  gefundene  Nennung  eines  makedonischen  Königs,  mit  welchem 
Simonides  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  persönlich  nichts  zu  schaffen  ge- 
habt hat,  lässt  sich  blos  daraus  erklären,  dass  in  der  von  Proklos  be- 
folgten Zeittafel  das  Blüthenjahr  des  Archilochos  mit  dem  Regierungs- 
anfang desselben  zusammenfiel.  Letzteren  setzt  Julius  Africanus  und  der 
falsche  Eusebios  bei  Schoene  I  app.  90  in  Ol.  23,  4.  685  (Eusebios  ein 
Jahr  später);  dies  ist  aber  nach  eratosthenischer  Aera  das  500.  Jahr 
nach  Troia,  in  welches  die  Späteren  Archilochos  und  ohne  Zweifel  auch 
Simonides  gesetzt  haben. 

Sibylla. 

Suid.  lEißvXXa  AnoXXoivog  xal  Aauiag  —  iog  dt  "Eyiimnos,  Otodiugov 
'Eyv&yaia  —  aXXoi  JSäfuar  sdogaaav.  yt'yove  dt  Tolg  xyovoig  rrjg  TfHtyxrfg 
aXumtutg   uträ  hrj  vny    xal  avveT.a§aro  ßißXla  zavra-  neyl  TiaXtiivv,    fitXrj, 


528 


* 


XQrjauovg.  Derselbe:  'Hyocpika  i)  xal  SißvlXa  'EQV&yaia.  Otodibgov  d^vyaTi^. 
Wie  die  483  Jahre  mit  der  troischen  Epoche  1183  in  Einklang  ge- 
bracht werden  können,  hat  Niemand  gezeigt;  die  Epoche  1153  führt  auf 
Ol.  27,  2.  671/0.  Dieses  Datum  hat  wohl  auch  Eusebios  vorgefunden,  ob- 
gleich die  Varianten  seiner  Ueberlieferung  auf  einige  Jahre  später  führen: 
AF  Abr.  1349  (=  Ol.  28,  1.  668/1),  B  1350,  MPR  1351,  Armen.  1353. 
Aus  Julius  Africanus  gibt  Leon  bei  Cramer  Anecd.  Par.  II  264  unter  König 
Josias  672 — 641:  xara  Toviovg  rovg  yyovovg  ^ißvXla  iv  ^ait(p  tyvioyi'QeTo 
xal  to  BvQäviiov  ixxia^r\%  also  zwischen  672  und  dem  Gründungsjahr  von 
Byzantion  661.  Die  Erklärung  des  Datums  suchen  wir  bei  Solinus  2,  18: 
hanc  Herophile  Erythraea  insecuta  est  Sibyllaque  appellata  est  de  scientiae 
parilitate,  quae  inter  alia  magnifica  Lesbios  amissuros  imperium  maris 
multo  ante  praemonuit  quam  id  accideret.  Nur  das  Ende,  nicht  den 
Anfang  der  lesbischen  Seeherrschaft  hatte  sie  vorausgesagt,  lebte  also  zur 
Zeit  derselben  und  zwar,  weil  sie  das  Ende  sehr  früh  verkündet  hatte, 
am  Anfang;  da  durfte  die  Sitte,  einen  Schriftsteller  nach  dem  ersten 
Jahr  einer  zeitgenössischen  Herrschaft  zu  datiren,  wohl  angebracht  er- 
scheinen. Die  lesbische  Thalassokratie  dauerte  nach  dem  armen.  Eusebios 
96  Jahre;  die  69  des  Hieronymus  sind,  wie  das  Datum  der  nächsten 
lehrt,  verschrieben.  Ihren  Anfang  setzen  die  Varianten  um  Abr.  1346  = 
Ol.  27.  2.  671,  nämlich  F  1344,  B  Armen.  1345,  A  1346,  MPR  1347; 
ein  Vergleich  mit  den  Daten  und  der  Dauer  der  vorhergehenden  und 
nachfolgenden  Thalassokratien  lehrt,  dass  1345,  1346  oder  1347  das 
Ursprüngliche  gewesen  ist. 

Arktinos. 

Suid.  yiQXTlvog  Ti]Xeo)  jov  Navrtü)  dnuyovog,  MiXrjatug,  hnojioiog,  jLtafrrjrrjg 
'OuijQou  wg  keyet  6  KÄal^ojLievtog  l4(rrtjLiu)i'  iv  tuj  neyl  'Ojutjqov,  yeyovwg  xard 
tt\v  #  okviimada  ^itra  itrQaxoaia  hrj  tiuv  Tycutxcijv.  Statt  Tti^axonia 
schreibt  E  vi ;  V,  die  eine  der  zwei  besten  Hdschr. ,  vi  und  über  der 
Zeile  X.  Um  die  Olympiadenzahl  mit  der  troischen  Epoche  1183  in 
Uebereinstimmung  zu  bringen,  schreiben  Rohde  und  Bergk  vtu  faq; 
Sengebusch  hatte  a  oXvfimada  und  vr\  ht]  verlangt.  Denselben  Zweck 
verfolgte  wohl  schon  der  Schreiber  des  V,  wenn  er,  wie  vermuthet  werden 
darf,    die   30  zu  410  addirt  wissen  wollte;    um  so  gewisser    ist  es  dann, 


529 

er  in  seiner  Vorlage  vi  gefunden  hat.  Die  Wahrscheinlichkeit 
spricht  hier  wie  überall,  wo  Versehensfehler  vorliegen,  dafür,  dass  die 
einfache  Ziffer  aus  der  zusammengesetzten,  v  aus  vi  hervorgegangen  ist; 
bestätigt  wird  es  dadurch,  dass  die  eusebische  Notiz  Hgxrtrog  Mitijaiog 
enoTioiog  in  den  besten  Hdschr.  (AMP  nebst  R)  der  besseren,  d.  i.  der 
lateinischen  Uebersetzung  bei  Abr.  1242  =  Ol.  1,  2.  775/4  steht1): 
offenbar  hat  Eusebios  oder  sein  Vorgänger  dies  Datum  gewählt,  weil  es 
dem  410.  Jahr  nach  der  troischen  Epoche  des  Eratosthenes  entspricht; 
vgl.  p.  525.  Hesychios  meint  410  Jahre  nach  1154  3,  also  Ol.  9,  1.  744/3. 
In  oder  um  diese  Zeit  setzt  Eusebios  den  von  Suidas  nicht  behandelten 
Eumelos:  Eumelus  Corinthius  versificator  agnoscitur,  Armen.  1272,  MR 
1273  (=  Ol.  9,  1.  744),  APBF  1275;  die  9.  Olympiade  steht  aus  Kyrillos 
fest.  Eumelos  wurde  aber  mit  Arktinos  in  gleiche  Zeit  gesetzt,  Euseb. 
zu  1257  (Var.  1254  1255)  Eumelus  poeta  qui  Bugoniam  et  Europiam, 
et  Arctinus  qui  Aethiopida  composuit  et  Iliu  persin,  agnoscitur.  Eumelos 
war  der  Dichter  des  Processionsliedes,  welches  der  Messenierkönig  Phintas 
zu  Ehren  des  Gottes  von  Delos  singen  liess,  Pausan.  IV  4.  33.  V  19; 
unter  dem  Sohn  und  Nachfolger  desselben,  Androklos  brach  743  der 
messenische  Krieg  aus.  Auf  die  Abfassungszeit  jenes  TiQoaodiov  aaua  könnte 
sich  das  frühere  eusebische  Datum  des  Eumelos  beziehen,  763/760  v.  Ch. 
Das  andere  bezeichnet  wohl  sein  spätestes  nachweisbares  Auftreten;  er 
erlebte  noch  die  Thaten  des  Archias,  Clemens  ström.  I  338  EvjLtrjlos 
0  KoqLv&ios  (htyercu)  inißißlTjxirai  'Ayyjtf  io>  J^v^anovaag  xtioavri.  Damit 
ist  nicht  nothwendig  gesagt,  dass  er  noch  während  der  Gründung  von 
Syrakus  (Ol.  11,  4.  732)  oder  bei  ihr  thätig  gewesen  ist:  der  angebliche 
Sturz  der  Bakchiaden,  welchen  der  Frevel  des  Archias  an  Aktaion  herbei- 
führte, bestand  in  der  Aufhebung  des  Bakchiadenkönigthums  (Philologus 
XXVIII  414  ff.),  diese  aber  fällt  nach  Ephoros  (s.  Epoche  1136)  90  Jahre 
vor  Kypselos,  also  Ol.  8,  2.  746.  Bei  diesen  Wirren  könnte  Eumelos  eine, 
vielleicht  vermittelnde  Rolle  gespielt  haben;  ihre  schliessliche  Lösung 
fanden  sie  in  der  Auswanderung  des  Archias  und  Chersikrates. 

Ueber  die  Zeit  des  Arktinos  besitzen  wir  ausserdem  nur  ein  Zeugniss, 
aber  das  eines  Schülers  des  Aristoteles,  Clem.  ström.  I  338  <Pav8iag  tjqo 
Tf-ynavdyov    ziO-ng   Atw/riv    %ov    Atcsßiov    'Aq/iIo/ov    vetüTs^ov    (peyei    röv 

1)  BF  Armen.  1241;  Kyrillos  Olymp.  I. 
Abb.  d.  l.Cl.d.k.  Ak.d.  Wiss.  X\  II.  IM.  III.  AUb.  69 


530 

Teyjiavdyov,  (hrj/uiXlfjod-cu  d£  tov  Asayrjv  Aqxtivü)  xal  vevtxrjxevai.  Ter- 
pandros  siegte  in  dem  ersten  musischen  Agon  der  lakonischen  Karneien 
Ol.  26.  676/3;  nach  der  parischen  Chronik  wäre  er  sogar  noch  644 
thätig  gewesen;  Phaneias  müsste  demnach  zu  denen  gehört  haben,  welche 
die  Epoche  des  Gyges  und  mit  ihm  des  Archilochos  in  die  letzten  De- 
cennien  des  VIII.  Jahrhunderts  versetzt  haben.  Doch  fragt  es  sich,  ob 
der  Text  des  Clemens  in  Ordnung  ist.  Wirkte  Lesches  ttqö  TeQnavdQov, 
so  war  dieser  nicht  bloss  AyyiXoyov,  sondern  auch  Am%ov  vtujreyog,  und 
umgekehrt:  war  Terpandros  AoyiXoyov  veunt-yog.  so  durfte  Phaneias  nicht 
bloss  den  Lesches,  sondern  musste  auch  Archilochos  ti qo  Te^uainJ^ov 
setzen:  warum  drückt  Clemens  oder  Phaneias  zwei  identische  Begriffe  in 
so  abweichender  Form  aus,  anstatt  sie  zu  coordiniren?  Das  formale  Ver- 
hältniss  der  Prädicate  zu  einander  passt  nur,  wenn  ihre  Bedeutung  ver- 
schieden ist;  wir  vermuthen  daher  Ayyihtyov  v&wtbqov  <fh\>ti  tov  7V(>- 
navdyov.  Dann  erhalten  wir  die  Aufeinanderfolge,  welche  den  besten 
Zeugnissen  entspricht:  Lesches  und  Arktinos  (744)  vor  Terpandros  (676), 
dieser  vor  Archilochos  (664  oder  später). 

Lykurgos. 

Suidas:  yJvxovyyog  JZjiayriaTrjg,  vofW&iTTfi,  og  ytyove  tojv  Tqioixwv 
fisra  ezrj  v  .  r\v  dt  S-nog  Ttffbg  naryog  XaytXaov  tov  ßaaiXsvaavrog  JZnaQrrjg, 
Evvouov  ädeX(pog,  xal  txyaTrjOE  tojv  SnayTictTiov  hrj  aß ,  ote  xal  rovg 
votiovg  k'freTO,  eniTQomvojv  tov  ädfXcpuJovv.  xal  avTogY)  oi  EßaalXevasv  ettj  irj , 
JUS&'  ov  Nixavü^og  hr]  Xrj '.  h'yyaips  vouovg.  Statt  des  troischen  Datums  v 
gibt  cod.  V  vermöge  einer  häufig  vorkommenden  Verwechslung  vj ',  der 
aus  gleicher  Quelle  schöpfende  Scholiast  Piatons  (VI  359  Herrn.)  schreibt 
Avxoiyyog  ytyove  tojv  Tqojixiöv  tuTa  h.i]  vfr'.  Die  eratosthenische  Epoche 
voraussetzend  vermuthet  K.  F.  Hermann  vfr',  weil  von  1184/3  aus  bei 
inclusiver  Zählung  Ol.  1,  1.  7"  6/5  das  409.  Jahr  ist;  jedoch  hat  Nie- 
mand die  Olympienstiftung,  an  welcher  Lykurgos  betheiligt  war,  zur 
Bestimmung  seines  Blüthenjahrs  benützt,  und  gerade  der  Buchstabe  v, 
welchen  Hermann  ändert,  wird  durch  die  Uebereinstimmung  beider  Les- 
arten geschützt.  Eine  andere,  zur  eratosthenischen  Epoche  besser  passende 
Conjectur  ist  von  Niemand  aufgestellt  worden,  auch  schwerlich  eine  solche 

1)  D.  i.  ovrog,  wie  Suid.  'Egaioa&iy^,  Stob.  serm.  84,  9  u.  a. 


531 

ohne  Gewaltsamkeit  zu  erzielen.  Die  Ziffer  des  Jahrhunderts  ist  aus- 
gefallen. Mit  259  359  459  würden  wir,  die  Epoche  1183  vorausgesetzt, 
die  Jahre  925  825  725  erhalten,  von  1153  aus  die  Jahre  895  795  695. 
Offenbar  ist  nur  rvS-'  zulässig:  die  höchsten  Datirungen  des  Lykurgos 
reichen  nicht  bis  895  hinauf  und  die  niedrigsten  nicht  herab  bis  725. 
Das  Datum  825  fällt  zwar  in  die  Zeit,  welche  manche  ihm  angewiesen 
haben,  entspricht  aber  keinem  Epochenjahr  desselben;  dagegen  zu  795 
stimmt  die  Notiz  des  lateinischen  Eusebios  Abr.  1221  =  796/5  v.  Chr.: 
Lycurgi  leges  in  Lacedaemonem  juxta  sententiam  Apollodori  hac  aetate 
susceptae.  Dass  die  Variante  1223  (BFR  Armen.)  falsch  ist,  beweist  der 
Text  des  Armeniers:  Lycurgi  leges  Lacedmone  apud  Apollodorum  XVIII 
anno  Alceminis  und  die  auf  uf  zurückgehende  Corruptel  bei  Synkellos 
'ATio'kloduiQog  AvxovQyov  voiuua  iy  to>  ?/  *AhuxfAtvov$:  denn  das  18.  Jahr 
des  Alkamenes  trifft  im  Kanon  eben  auf  Abr.  1221.  Um  die  1  Jahr 
betragende  Abweichung  des  Hesychios  (795/4)  zu  erklären,  würde  es  an 
sich  genügen,  das  18.  Jahr  vollendet  zu  nehmen;  doch  findet  sich  die- 
selbe Abweichung  bei  dem  Ende  der  42  Jahre  des  Lykurgos  und  ist 
die  Ursache  beider  in  Vertauschung  der  lakonischen  Jahrepoche  mit  der 
attischen  zu  suchen. 

Dass  Apollodoros  die  Gesetzgebung  Lykurgs  90  Jahre  nach  seinem 
ersten  Auftreten  gesetzt  haben  soll,  hat  viel  Anstoss  erregt,  aber  ändern 
lässt  sich  an  dem  Zeugniss  nichts;  es  fragt  sich  nur,  wie  das  Datum  zu 
erklären  ist.  Dieses  muss  sehr  gut  verbürgt  gewesen  sein,  wenn  es  Auf- 
nahme in  ein  System  finden  konnte,  mit  welchem  es  sich  ohne  eine 
künstliche  Hypothese  nicht  vereinbaren  lässt:  vielleicht  half  man  sich 
mit  der  Annahme,  die  endgültige  Anerkennung  der  Gesetze  sei  erst  nach 
oder  (wofür  sich  einiges  vorbringen  Hess)  bei  dem  Tode  ihres  Schöpfers 
erfolgt.  In  Wahrheit  entspricht  dasselbe  lediglich  der  älteren,  bis  in  den 
Anfang  der  Diadochenzeit  alleinherrschenden  Chronologie  des  Lykurgos, 
welche  zu  Gunsten  neuer  über  die  Epoche  seines  Zeitgenossen,  wofür 
Homeros  galt,  aufgekommenen  Ansichten  zuerst  von  Ephoros,  dann  von 
Sosibios  und  später,  nachdem  inzwischen  Timaios  mit  der  Unterscheidung 
eines  älteren  und  jüngeren  Lykurgos.  Kallimachos  aber  mit  der  einer 
ersten  und  zweiten  Olympienstiftung  (828  und  776)  Vermittlungswege 
eingeschlagen  hatten,  unter  Modifikation  der  Hypothesen  des  Ephoros  und 

69* 


532 

Kallimachos  von  Eratosthenes  um  fast  ein  Jahrhundert  erhöht  worden  ist. 
Ob  bei  dem  Leobotes,  dessen  Vormund  Lykurgos  von  Herodot  genannt 
wird,  an  den  vierten  König  der  älteren  Linie  zu  denken  ist,  steht  dahin1); 
sicher  ist  nur,  dass  die  Einsetzung  der  Ephoren,  welche  Herodot  dem 
Gesetzgeber  zuschreibt,  der  Mitte  des  VIII.  Jahrhunderts  angehört; 
Thukydides  118  stellt  die  Einführung  der  neuen  Ordnung  kurz  vor  804, 
d.  i.  von  den  zwei  Ansichten,  welche  über  ihre  Zeit  bestanden,  theilt  er 
die,  welche  sie  in  den  Anfang  der  Vormundschaft  verlegten,  während 
das  Datum  795  an  die  Heimkehr  Lykurgs  von  der  grossen  Reise  an- 
knüpft. Zu  denen,  sagt  Plut.  Lyk.  1,  welche  Lykurgos  als  Genossen  des 
Iphitos  in  der  Gründung  der  olympischen  Spiele  bezeichneten,  gehört  der 
Philosoph  Aristoteles,  welcher  zum  Beweis  den  seinen  Namen  aufzeigenden 
Diskos  zu  Olympia  anführt2).  Diese  Scheibe  wurde  noch  zu  Pausanias 
(V  20,  1)  Zeit  dort  vorgezeigt  und  alle  auf  uns  gekommenen  Schrift- 
steller, welche  den  Iphitos  erwähnen,  erklären  ihn  für  den  Schöpfer  der 
Ekecheirie  und  der  Spiele  des  Jahres  776;  desgleichen  meldet  der  viel- 
belesene Athenaios  p.  635,  dass  Lykurg  und  Iphitos  nach  allgemeiner 
Angabe  die  erste  gezählte  Olympienfeier  abgehalten  hätten. 

Der  Diskos  allein  war  es  nicht,  was  den  Philosophen  in  seiner  An- 
sicht bestärkte;  seinem  Geist  schwebte,  wie  die  Andeutungen  in  der 
Politik  II  6,  8  u.  a.  lehren,  ein  Gesammtbild  der  Geschichte  vor,  die 
sich  in  der  Peloponnesos  um  die  erste  Hälfte  des  .achten  Jahrhunderts 
abgespielt  hatte;  von  dem  chronologischen  Rahmen  derselben  hat,  aller- 
dings unverstanden  und  entstellt,  Hesychios  ein  Stück  erhalten.  18  Jahre 
regierte  Charilaos,  42  Lykurgos.  Dies  sind,  wie  Rhode  Rh.  Mus.  XXXVI  540 
bemerkt,  zusammen  die  60  Jahre,  welche  in  Diodors  Liste  Charilaos 
allein    hat;    der    Scholiast    Piatons    gibt   die    18  Jahre    dem    Lykurg   als 

1)  Auch  von  den  Königen  der  jüngeren  Linie  Anaxandrides,  Archidamos,  Anaxilaos,  Leo- 
tychides,  Hippokratides,  Agis  bei  Herodot  VIII  131  wissen  die  anderen  Verzeichnisse  nichts. 

2)  Dass  das  später  zu  Olympia  aufgestellte  Bildwerk  nur  den  Iphitos  von  der  Ekecheiria 
bekränzt  zeigte  (Pausan.  V  10,  10),  beweist  nichts  gegen  die  Theilnahme  des  Lykurgos ;  als  Gesetz- 
geber war  er  laut  der  grossen  Rhetra  (Plut.  Lyk.  6)  wie  Solon,  die  Decemvirn  u.  a.  zugleich 
Regent  des  Staates  und  Träger  seiner  Hoheit;  dass  erst  716  ein  Stadionike  aus  Sparta  genannt 
wird,  beweist  nicht,  dass  vorher  kein  Spartaner  an  den  Spielen  theilgenommen  hat,  und  es  erklärt 
sich  zum  Theil  daraus,  dass  die  776  behauptete  Hegemonie  ihnen  bald  nachher  von  Pheidon  ent- 
rissen wurde,  während  des  messenischen  Krieges  aber  sie  mit  anderen  Dingen  beschäftigt  waren, 
varl.  Philol.  XXIX  245  ff. 


533 

Vormund,  was  Rohde  vorzieht  und  zu  einer  gewaltsamen  Transposition 
im  Texte  des  Suidas  benützt;  der  Scholiast  vergass  aber,  dass  die  Jahre 
der  Vormundschaft  nicht  dem  Vormund,  sondern  dem  Mündel  zählen. 
Gutschmid  bei  Flach  Hesych.  p.  LXX  rechnet  die  42  Jahre  auf  die  Vor- 
mundschaft und  Gesetzgebung  Lykurgs  und  lässt  sie  wegen  Thukyd.  I  18 
und  Eusebios  Abr.  1197  im  J.  819  beginnen;  Thukydides  hat  aber  ein 
späteres  Jahr  im  Sinn,  wenn  er  die  Gesetzgebung  wenig  über  400  Jahre 
vor  dem  Ende  des  peloponnesischen  Krieges  setzt:  419  würde  dem  An- 
fang desselben  näher  gewesen  sein  als  dem  Ende,  und  Eusebios  hat  nur 
den  von  einem  Vorgänger  ausgesprochenen  Synchronismus  Lykurgs  mit 
dem  Ende  des  assyrischen  Reichs,  welches  Velleius  I  6  in  das  J.  843 
setzt,  auf  sein  Datum  dieses  Ereignisses  übertragen.  Nicht  besser  be- 
gründet ist,  was  Gutschmid  hinzufügt:  z.  B.  dass  Ephoros  Lykurgs  Gesetz- 
gebung in  das  J.  870  verlegt  habe,  s.  unten  zu  Epoche  1136.  Von  den 
18  Jahren  des  Charilaos  kommen  im  Sinn  der  älteren  Ueberlieferung 
nur  die  ersten  auf  die  Vormundschaft  des  Lykurgos:  als  Lykurgos  von 
der  grossen  Reise  zurückkehrte,  fand  er  den  Charilaos  als  Tyrannen  vor, 
Aristot.  pol.  V  10,  3;  dieser  war  also  der  Unmündigkeit  bereits  ent- 
wachsen. Lykurg  stürzte  denselben  vom  Thron,  schreibt  der  Compilator 
des  Aristoteles,  Herakleides  pol.  24  TVQCfrvixivg  aQ%orra  miHirrjae;  dann 
wurde  ihm,  fügen  wir  ergänzend  hinzu,  mit  Genehmigung  des  delphischen 
Gottes  die  Regierung  auf  unbestimmte  Zeit  als  yoptofreniQ  übertragen. 
Erst  die  Späteren  haben  ersonnen,  dass  Charilaos  beim  Tode  seines  Vaters 
noch  nicht  geboren  war:  so  konnte  das  Königsregiment,  welches  Lykurg 
ausgeübt  hatte,  wenigstens  auf  8  Monate  (Plut.  Lyk.  3)  ihm  zukommen, 
ohne  dass  er,  das  Ideal  eines  gerechten  Mannes,  Jemandes  Rechte  verletzte, 
und  da  auch  18  Jahre  später  Charilaos  zwar  Vater  (Plut.  Lyk.  3  extr.) 
aber  noch  nicht  mündig  war,  der  zurückkehrende  Oheim  wieder  als  Vor- 
mund die  Regierung  ohne  den  bei  Aristoteles  vorauszusetzenden  Bürger- 
krieg übernehmen. 

Das  Datum  795  (lakonischen  Stils,  anfangend  mit  Oktober  796)  ent- 
spricht ohne  Zweifel  dem  ersten  der  42  Regierungsjahre  Lykurgs:  die 
Gesetzgebung  wurde  verschieden  bestimmt.  Der  Anfang  des  Charilaos 
und  damit  der  Vormundschaft  Lykurgs  fällt  dann  813;  dies  ist  also 
wohl    das    von  Thukydides    gemeinte  Jahr.     Die    42  Jahre    seiner  Wahl- 


534 

regentschaft  endigen  753,  genauer  in  dem  mit  Oktober  754  beginnenden 
Olympiadenjahr  6,  4  lak.  Stils:  wer  diese  Olympiadenzählung  annahm, 
ohne  die  9  Monate  betragende  Verschiedenheit  der  vulgären,  nach  atti- 
schem Kalender  berechneten  Olympiadenjahre  zu  beachten,  dem  gestal- 
tete sich  für  die  Gesammtrechnung  das  Datum  in  753  2  um;  wer  auf 
jenen  Unterschied  achtete,  aber  gewohnt  war,  die  attische  Jahrform  zu 
Grund  zu  legen,  der  durfte  es  vorziehen,  die  Olympiadenjahrzahl  6,  4  durch 
6,  3  zu  ersetzen.  Jenes  Jahr  bezeichnet  den  Abschluss  der  lykurgischen 
Regierung  und  Gesetzgebung  mit  der  Einführung  der  Ephoren.  Diese 
wurden  nach  Plut.  Lyk.  7  hstfi  nov  ualtara  TQtaxovra  xal  ixarw  juetä 
Avxovyyov  eingesetzt,  also,  da  Plutarch  (Lyk.  1)  dem  Eratosthenes  und 
Apollodoros  folgt,  um  Ol.  6,  2.  755/4  oder  6,  3.  754/3,  je  nachdem  man 
ihr  Datum  der  Vormundschaft  (885/4)  oder  der  Gesetzgebung  (884/3)  zu 
Grund  legt.  Das  Datum  des  Eusebios  ist  unsicher  und  wie  viele  andere 
verschoben:  Abr.  1260  =  Ol.  5,  4.  757/6  gibt  ABR(M?).  1259  P(M?) 
Armen.,  1257  F;  doch  ist  ein  Anzeichen  vorhanden,  welches  auf  das 
Richtige  führt.  Hieronymus  fügt  hinzu:  fuit  autem  sub  regibus  Laee- 
daemon  annis  CCCL,  eine  Bemerkung,  welche  der  Armenier  nach  dem 
letzten  Jahr  des  letzten  von  Eusebios  verzeichneten  Königs  Alkamenes, 
also  scheinbar  richtig  unter  Abr.  1241  =  Ol.  1,  1.  776  anbringt,  eben 
dadurch  aber  sich  der  eigenmächtigen  Aenderung  überführt;  wie  Hiero- 
nymus dazu  gekommen  wäre,  sie  von  dort  zur  Ephorenepoche  zu  ver- 
schieben, ist  nicht  zu  ersehen.  Eusebios  hat  diese  zu  seinem  System 
(dorische  Wanderung  1101  v.  Ch.)  nicht  passende  Notiz  schlechtweg  aus 
Eratosthenes- Apollodoros  übernommen:  von  der  Wanderung  1104  3  führen 
350  Jahre  in  Ol.  6,  3. '754/3;  das  Vollkönigthum  von  Sparta  aber  wurde 
in  dem  Augenblick  definitiv  in  die  Erbfeldherrnschaft  verwandelt,  welche 
wir  in  späterer  Zeit  vorfinden,  als  die  Regierung  des  Staats  an  die 
Ephoren  übertragen,  die  Datirung  der  Ereignisse  an  den  Namen  ihres 
Vorstandes  geknüpft  wurde.  Das  Richtige  findet  .sich  insofern  bei  Syn- 
kellos  (s.  zu  Epoche  1171),  als  er  den  letzten  König  Alkamenes  bis  754/3 
regieren  lässt  und  dort  die  Bemerkung  über  die  350  Jahre  anbringt;  in 
ihrer  Versetzung  auf  776  oder  775  ist  dem  armenischen  Uebersetzer  aus 
gleichem  Grunde  bereits  Africanus  vorangegangen. 

Die    Einführung   des    Ephorats    ist    nominell    ein    Werk    des    Königs 


535 

Theopompos,    die  Initiative  aber  sicher  nicht  von  ihm  ausgegangen:  ab- 
gesehen von  der  Unwahrscheinlichkeit  einer  spontanen  Selbsterniedrigung 
für  jenen  bildet  sie    den  von  Lykurgos  vorgesehenen  Schlussstein  seines 
Gebäudes;    seine  ganze  Verfassung  ist  ohne  jene  Behörde  nicht  denkbar. 
Wer    dem    Königthum    die    Regierung    abnimmt    und   seinen    Einfluss    in 
dem  Inneren  auf  die  Mitgliedschaft  im  Rathe  beschränkt,  der  muss  noth- 
wendig  eine  andere  Regierungsgewalt  einsetzen.     So  lange  Lykurgos   als 
Gesetzgeber  wirkte,  war  er  selbst  Regent  des  Staates:   die  grosse  Rhetra 
(Plut.  Lyk.   6)  beauftragte  ihn,    von  Sommer    zu  Sommer  (ujoag  ig  (üyag) 
Volksversammlung  abzuhalten  und  dort  Anträge  zu  stellen  auf  Einführung 
oder  Abschaffung  von  Einrichtungen;  die  Einberufung  und  Leitung  dieser 
Versammlungen  setzt    schon  voraus,    dass    er  Inhaber   der  Regierung  ge- 
wesen ist,  und  an  einer  ausserhalb  des  später  zurechtgemachten  Systems, 
welches  Plutarch    im  Lykurgos   vorträgt,    stehenden    Stelle    im  Solon   16 
heisst   er    auch    bei    diesem    ßeßatnXevxwe    fcnj     nüJ.u    r^g    .laxtfiainoviK. 
Erst  durch  die  Fälschung,    welche   den  Gesetzgeber    tun    fast   ein  ganzes 
Jahrhundert    zu    früh    ansetzte,    eine    Verschiebung   welche    das    Ephorat 
wegen  der  chronologischen  Fixirung  seiner  datumgebenden  Inhaber  nicht 
mitmachen  konnte,  erst  dadurch  ist  es  von  Lykurgs  Gesetzgebung  abgelöst 
und  diese    in  einen  lebensunfähigen  Torso,    die  Ephorenschöpfung    in  ein 
unverständliches    Fragment    verwandelt    worden.      Weder    bei    Aristoteles 
pol.  V  9,  1   noch  bei  Piaton  leg.  692   wird  durch  die  Zurückführung  des 
Ephorats  auf  Theopompos  der  innere  Zusammenhang  mit  dem  Plan  der 
lykurgischen  Gesetzgebung    ausgeschlossen    und  Herodot  I  65,   Xenophon 
Laced.  8,   3,  Satyros  bei  Diog.  La.  131,  [Piaton]  ep.  8  erklären  geradezu 
Lykurgos  für  den  Schöpfer  jener  Behörde;    sie  meinen  auch   nicht  etwa, 
was  in  der  Geschichtsfälschung  des  Kleomenes  bei  Plut.  Kl.  10  der  Fall  ist, 
ein    am   Anfang    untergeordnetes    und    unbedeutendes    Amt,    sondern    das 
Regierungscollegium  geschichtlicher  Zeit.     Dem  wahren  Sachverhalt  ent- 
sprechend schreibt  Aristoteles  II  6,  15  vom  Ephorat:  avvt%u  tt\v  noknelar 
to  dy/Hoi'    tovto'    riav/aQei    yay    o   &i}fiQg    dia    to    fMX&%HV    ri/tf    utyinn^ 
dQ%7JQ,   war    utb   dia  t.ov   VOfio&fjfjv  situ   diä  %v%t]v  tovto  ovfintTiTvüxt, 
(wiHpeyovTUjg    tyei    Tolg    nydyuaai:     Lykurgos    ist    ihm    der    eigentliche 
Schöpfer  der  Behörde,    ungewiss   lässt    er  nur,    ob    auch    die    angegebene 
Wirkung    ihres  Bestehens    von    ihm    geplant    und  vorgesehen  war.     Und 


536 

unter  den  lakonischen  Einrichtungen,  welche  II  7,  1  als  jüngere  Seiten- 
stücke der  kretischen  bezeichnet  und  aus  dem  Aufenthalt  des  Lykurgos 
in  Kreta  erklärt  werden,  wird  §  3  auch  das  Ephorat  genannt.1) 

In  die  Lücke,  welche  durch  den  Zurücktritt  Lykurgs  von  der  früher 
dem  Königthum  zukommenden  und  von  jenem  thatsächlich  in  könig- 
licher Weise  geführten  Regierungsgewalt  entstand,  trat  die  neugeschaffene 
Ephorenbehörde  ein:  nachdem  zuerst  die  Könige  und  andern  Geronten, 
dann  das  Volk  die  ganze  Verfassung  beschworen  und  die  Pythia  der- 
selben die  göttliche  Sanction  ertheilt  hatte,  trat  er  ab  (Plut.  Lyk.  29): 
er  konnte  auf  die  Macht  der  Erziehung  vertrauen,  welche  auf  mehr  als 
eine  ganze  Generation  umbildend  eingewirkt  hatte.  Jetzt  war  der  junge 
Theopompos  König:  er  erhielt  und  vollzog  den  Auftrag,  für  die  zur  Nach- 
folge in  der  Regierung  ausersehene  Behörde  die  seinerzeit  auch  bei  Ly- 
kurgs Einsetzung  eingeholte  Empfehlung  des  pythischen  Gottes  zu  erwirken. 
Lykurgos  hätte  das  vor  seinem  Abgang  noch  selber  thun  können;  es 
lag  aber  für  die  Zukunft  viel  daran,  dass  jener  das  Vollkönigthum 
definitiv  beseitigende  Akt  von  einem  Könige  selbst  vollzogen  worden  war. 
An  dem  jungen  Theopompos,  dessen  Familienoberhaupt  überdies  eben 
Lykurgos  war,  fand  er  offenbar  ein  willigeres  Werkzeug  als  an  Alkamenes. 
An  die  Stelle  seines  abgesetzten  Grossvaters  Charilaos  war  795  sein  Vater 
Nikandros  getreten,  welcher  den  Titel  eines  Königs  38  Jahre  lang  führte, 
also  757  (Ol.  5,  4  lakonisch  =  Okt.  758  bis  Okt.  757)  abgieng,  so  dass 
Theopompos  bei  Einsetzung  des  Ephorats  seit  4  Jahren  König  war.  Als 
später  die  einer  Tyrannis  stark  ähnelnde  Regierung  Lykurgs  auf  die  Vor- 
mundschaft beschränkt  und  seine  Epoche  zurückgeschoben  wurde,  fügte 
man  seine  42  Jahre  zu  den  18  des  Charilaos,  behielt  aber  trotzdem  die 
38  des  Nikandros  bei;  die  64  Jahre  des  Charilaos  bei  Sosibios  beruhen 
vielleicht  auf  Zusatz  der  4  Jahre,  welche  von  Nikandros  Tod  bis  zum 
Abgang  Lykurgs  vergangen  waren,  also  auf  Verdopplung.  Wenn  somit 
die  Regierung  des  Theopompos  durch  die  ihm  in  unserer  Ueberlieferung 
beigelegten  47  v.  Chr.  auf  757  —  710  Jahre   zu   stehen  kommt,    so   ent- 


1)  Für  Sokrates  bei  [Plat.]  Minos  318  d  sind  Lykurgs  Gesetze  ovSenw  (nalmöraTcc),  latus 
irr]  TQiaxdoia  ?  oliyw  xovrtuv  riteiiu.  Vom  Abschluss  der  Gesetzgebung  (754/3)  bis  zum  Verkehr 
des  Alkibiades  mit  Sokrates  (c.  434/3)  verlaufen  320  Jahre.  Der  Dialog  wird  von  Boeckh  dem 
ältesten  Sokratiker,  Simon  zugeschrieben. 


537 

spricht  das  den  besten  Nachrichten,  welche  wir  über  ihn  besitzen.  Er 
wohnte  dem  ganzen  messenischen  Krieg  743  —  724  bei,  dessen  glückliche 
Beendigung  sein  Verdienst  gewesen  ist;  an  dem  Kampfe  um  Thyrea 
nahm  er  nicht  mehr  theil,  wegen  hohen  Alters  und  noch  mehr  aus 
Kummer  über  den  Tod  seines  Sohnes  Archidamos,  dessen  Sohn  sein  Nach- 
folger wurde  (Pausan.  III  7).  Eusebios  setzt  diesen  Krieg  Abr.  1298  = 
Ol.   15,  4.   717  (nach  PB  Armen.)  oder   1297   FR(M),   1296  A(M). 

Zeitgenossen,  auch  Freunde  Lykurgs  nannte  die  gute  Ueberlieferung 
zwei  Dichter:  Homeros,  dessen  Geburt  die  ältesten  Chronologen  in  das 
J.  833  verlegten  (s.  Epoche  1059)  und  den  hie  und  da  mit  dem  Milesier 
Thaies  oder  mit  Thaletas  verwechselten  Kreter  Thaies  (Demetrios  Magnes 
bei  Diog.  I  38.  Strab.  482.  Plut.  Lyk.  4.  Sextus  Emp.  p.  239),  dessen 
Datum  Ol.  7  =  752/48  von  Phlegon  bei  Suidas  und  seinem  Nachtreter 
Eusebios  missverständlich  auf  die  Blüthe  bezogen  worden  ist:  es  geht, 
wie  uns  Leon  d.  i.  Africanus  b.  Cramer  An.  par.  II  263  bezeugt,  seinen 
Tod  auf  Tenedos  an.  Andrerseits  erhellt  die  Unrichtigkeit  der  von 
Ephoros  und  seinen  Nachfolgern  aufgestellten  Königsdata  aus  der  auch 
von  ihnen,  wie  aus  Diodors  Geschichtserzählung  und  den  Notizen  des 
eusebischen  Kanons  hervorgeht,  anerkannten  Zeit  des  ersten  messenischen 
Kriegs  (743 — 724),  dessen  Theilnehmer  Alkamenes  seinen  Anfang,  Theo- 
pompos  sein  Ende  nach  ihrer  Rechnung  nicht  mehr  erlebt  haben  würden. 

Die  Data  der  troischen  Epoche. 

Die  Einnahme  Troias  wurde  in  den  vorletzten  oder  letzten  attischen 
Monat,  also  in  den  Mai,  Juni  oder  spätestens  Mitte  Juli  gesetzt1);  daher 
bei  der  Reduction  auf  Jahre  vor  Christi  Geburt  das  Datum  (z.  B.  1183) 
mn  eine  Einheit  niedriger  fällt  als  der  Anfang  des  attischen  Jahres 
(Juli  1184),  der  bei  kurzer  Ausdrucksweise  auch  die  Zahl  (1184)  für 
das  ganze  (1184/3)  zu  liefern  pflegt.  Den  8.  Thargelion  nannten  'einige' 
bei  Kallisthenes,  s.  Schob  Eur.  Hek.  892;  den  12.  Thargelion  unser  ältester 
Zeuge  für  das  Tagdatum,  Hellanikos  nebst  Duris  bei  Tzetzes  Posthorn.  778, 
derselbe  Hellanikos  und  der  Argiver  Dionysios  bei  Clemens  ström.  I  321, 
Lysimachos  nach  Schob  Eur.  a.  a.  0.  Für  den  23.  Thargelion  stimmen 
Kallisthenes  ebend.,  einige  Atthidenschreiber  bei  Clemens  a.  a.  0.,  ferner 

1)  In  die  Mitte  Novembers  von  Aischylos  Agam.  800. 
Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  VVwt.  XVII.  Bd.  III.  Abth.  70 


538 

Dionysios  Hai.  ant.  I  63;  für  den  24.  Thargelion  die  Chronik  von  Paros, 
für  denselben  oder  einen  ihm  entsprechenden  nichtattischen  Monatstag 
Damastes,  Kallisthenes,  Ephoros  und  Phylarchos  nach  Plutarch  Caniill.  1!), 
doch  ist  dies  in  Betreff  des  Kallisthenes  zufolge  der  Auseinandersetzung 
desselben  bei  dem  Scholiasten  ein  Irrthum.  Andere  bei  Clemens  nannten 
den  23.  Skirophorion.  In  den  Anfang  des  attischen  Jahres  scheint  das 
einzige  nichtattische  Datum  zu  fallen,  der  23.  Panemos  der  Argiver  Agios 
und  Derkylos  bei  Clemens,  sofern  der  argivische  Panemos  gewöhnlich 
dem  Hekatombaion  entsprach,  Akad.  Sitzungsb.  München  1879,  U  186; 
doch  konnte  im  attischen  Schaltjahr  der  Skirophorion  mit  ihm  zusammen- 
treffen und  ein  solches  ist  wenigstens  bei  Dionysios  v.  Halik..  d.  i.  in  der 
troischen  Epoche  des  Eratosthenes  vorausgesetzt,  da  er  den  23.  Thargelion 
sehr  spät,  nur  17  Tage  vor  der  Sonnenwende  setzt.  Wie  man  zu  dem 
23.  (oder  24.)  Monatstag  gekommen  ist,  offenbart  Kallisthenes  bei  dem 
Scholiasten:  nach  der  kleinen  Ilias  wurde  die  Stadt  eingenommen,  als 
der  Mond  um  Mitternacht  aufgieng;  also  beim  letzten  Viertel,  welches, 
wie  er  hinzufügt,  am  achtletzten  Monatstag  eintrifft. 

An  Jahrdaten  sind  überliefert:  1333  für  Timaios  und  Duris,  1290  (?) 
für  Aretes,  1270  Pseudoherodot,  1207  parische  Chronik,  1193  Thrasyllos, 
1183  Eratosthenes,  1171  Sosibios;  von  Clinton,  Boeckh,  Fischer,  Karl 
Müller  u.  a.  wird  Herodots  Epoche  auf  1263  (oder  1256  1254),  die  des 
Demokritos  um  1150  gesetzt  und  durch  Hinzufügung  von  80  Jahren 
zu  den  Daten  der  dorischen  Wanderung  eine  Reihe  anderer  troischer 
Epochen  für  Isokrates  (1146  1136  1120),  Ephoros  (1170  1150),  Phaneias 
(1129)  aufgestellt.  Die  nachstehende  Untersuchung  kommt  zu  anderen 
Ergebnissen.  Die  niedrigsten  und  daher,  insofern  nur  sie  zur  Generationen- 
zahl der  bis  zur  dorischen  Wanderung  und  weiter  zurückreichenden  Stamm- 
bäume passen,  ältesten  Data  sind  1059  (Pherekydes)  und  1096.  Frühzeitig 
aber  wurde,  besonders  unter  dem  Einfluss  auswärtiger  Scheinsynchronismen, 
die  Epoche  in  höhere  Zeit  verlegt:  auf  1 147  schon  vor  Demokritos,  1153  von 
Hellanikos,  auf  1236  vor  Herodotos,  1231  von  Ktesias,  1136  wählte  Ephoros, 
1197  Manetho,  1171  Sosibios,  1333  Timaios,  1207  die  Chronik  von  Paros. 
Alle  diese  Epochen,  auch  die  am  meisten  verbreitete  von  1153,  wurden 
in  den  Hintergrund  gedrängt  durch  die  des  Eratosthenes,  weil  seine  Zeit- 
tafel   in  Apollodoros,    Dionysios  u.  a.  einflussreiche  Bearbeiter    und  Fort- 


539 

setzer  erhielt;  doch  haben  viele,  besonders  die  von  1153  1171  1096 
noch  in  römischer  Zeit  ihre  Liebhaber  gefunden.  Neue  wurden  jetzt 
wenige  mehr  aufgestellt:  die  des  Thrasyllos  geht  vielleicht  auf  Aretes 
zurück  und  die  von  Orosius  vertretene:    1167  ist  unbekannten  Ursprungs. 

1333  Timaios. 

Von  Troias  Fall  bis  zum  Uebergang  Alexanders  nach  Asien  unter 
Archon  Euainetos  Ol.  111,  2.  335/4  zählte  Duris  1000  Jahre.  Clemens 
ström.  I  337.  Zum  Vorgänger  hatte  er  seinen  älteren  Zeitgenossen 
Timaios.  Diesem  fiel  die  Ansiedlung  der  Korinther  unter  Chersikrates  auf 
Kerkyra  fieza  f-nt  i-iaxorsta  ithv  7\m)ixujr,  Schol.  Apollon.  Rhod.  IV  1216; 
die  Gründung  von  Syrakusai  aber  durch  Archias,  welcher  mit  Chersikrates 
auswanderte,  fällt  um  oder  in  Ol.  11,  4.  732.  Bis  zum  Ende  des  heiligen 
Krieges  346  v.  Ch.  zählte  er  fast  1000  Jahre,  8.  zu  Epoche  1236,  und  von 
der  dorischen  Wanderung  bis  Archon  Euainetos  820  Jahre,  Clemens  a.  a.  O. 
Diese  bringen  (inclusive  gerechnet  wie  gewöhnlich  bei  Clemens)  die  Wander- 
ung in  1 154/3  und  lassen  von  den  1000  Jahren  180  als  Entfernung  derselben 
vom  Falle  Troias  übrig;  das  sind  die  180,  welche  nach  Clemens  a.a.O. 
manche  auf  diese  Entfernung  rechneten.  Ueber  die  Entstehung  des  Datums 
1333  s.  zu  Epoche   1236;  über  anderes  zu   1290  und   1153. 

1290  Aretes  (?). 

Censorinus  20,  8  aus  Varro:  ad  olympiadem  primam  (ab  excidio 
Troiae  annos)  Sosibius  scripsit  esse  CCCXCV,  Eratosthenes  autem  septem 
et  quadringentos,  Timaeus  CCCCXVII,  Aretes  DXIIII.  Timaios  zählte  in 
Wahrheit  557  Jahre;  an  der  Zahl  417  ist  trotzdem  nichts  zu  ändern: 
das  ihr  entsprechende  troische  Datum  1193  v.  Ch.  findet  sich  wirklich 
vor,  bei  Thrasyllos;  nur  konnte  Varro  es  diesem  nicht  beilegen,  weil 
Thr.  erst  nach  ihm  unter  Augustus  und  Tiberius  blühte.  Dagegen  die 
Zahl  514  lässt  sich  nicht  belegen  und  ist  auch  wegen  ihrer  Höhe  auf- 
fallend, s.  zu  1270.  Beide  Schwierigkeiten  werden  gehoben,  wenn  man 
annimmt,  dass  die  Zahlen  des  Timaios  und  Aretes  mit  einander  ver- 
tauscht sind,  und  DXIIII  in  DLVII  verwandelt:  die  massgebende  Hand- 
schrift verwechselt  oft  V  mit  II  (z.  B.  p.  40,  13.  43,  14  Hultsch),  auch 
L  mit  X  (p.   33,   19). 

70* 


540 


[1270  Herodotos]. 

Der  vorgebliche  Herodot,  welchem  wir  die  längste  unter  den  Bio- 
graphien Homers  verdanken,  zählt  c.  38  130  Jahre  von  dem  Troerkrieg 
(ajio  T7jc  f/5c  7ä/oj'  oryaTeiag)  bis  zur  Gründung  der  Städte  auf  Lesbos, 
von  da  20  zu  der  von  Kyme,  18  weitere,  im  Ganzen  168  bis  zur 
Geburt  Homers  bei  der  Gründung  von  Smyrna,  von  da  622  bis  zum 
Uebergang  des  Xerxes  über  den  Hellespont,  also  bis  Ol.  74,  4.  481/0. 
Die  angegebenen  Zeitabstände  sind,  den  letzten  ausgenommen,  unver- 
dächtig: die  Lesbierstädte  waren  in  der  That  die  ältesten,  Smyrna  eine 
der  jüngsten  Colonien  in  Aiolis,  und  der  Abstand  130  für  Lesbos  lässt 
sich  nachweisen,  s.  zu  Ep.  1153.  Aber  die  Zahl  622  ist  viel  zu  hoch:  die 
Data  1270  für  Troia,  1140  Lesbos,  1120  Kyme,  1102  Smyrna  wider- 
streiten der  allgemeinen,  auch  von  dem  Verfasser  (c.  7.  16.  17  u.  a.) 
getheilten  Voraussetzung,  dass  die  aiolische  Wanderung  mit  der  ionischen 
ungefähr  gleichzeitig  gewesen  sei,  da  die  ionische  von  Niemand  höher 
als  in  die  Mitte  des  XI.  Jahrhunderts  gesetzt  wurde  und  der  Abstand  von 
130  Jahren  zwischen  Troia  und  Lesbos  zu  dieser  Voraussetzung  stimmt: 
die  Wanderungen  nach  Kleinasien  konnten,  weil  sie  die  letzten  waren, 
nicht  so  stark  von  ihrer  ursprünglichen  Zeit  entfernt  werden  wie  die 
dorische  und  boiotische  oder  gar  der  Troerkrieg:  wer  diesen  auf  1270 
stellen  wollte,  hätte  den  Abstand  von  ihm  bis  zur  Gründung  der  Lesbier- 
städte um  ein  ganzes  Jahrhundert  erhöhen  müssen.  Je  höher  das  troische 
Datum,  desto  grösser  seine  Entfernung  von  der  dorischen  Wanderung 
und  das  Intervall  von  dieser  zur  ionischen,  z.  B.  von  Troia  bis  zur 
dorischen  Wanderung  zählte  Timaios  (tro.  Epoche  1333)  180,  ein  anderer 
120,  Eratosthenes  (Epoch.  1183)  80,  Sosibios  (1171)  und  Ephoros  (1136)  67, 
Pherekydes  (1059)  10  Jahre;  von  Troia  bis  zur  ionischen  Philochoros  180, 
Eratosthenes  140,  Ephoros  und  Sosibios  127,  der  Schöpfer  der  Epoche 
1096   100,  Pherekydes  (1059)  63  Jahre. 

Als  angeblicher  Herodot  musste  der  Biograph  das  herodotische  Datum 
der  Einnahme  Troias  seinen  Daten  zu  Grund  legen:  diese  setzt  der  Ge- 
schichtschreiber II  145  wenig  über  800  Jahre  vor  seiner  Zeit  (ig  i/tii). 
Eusebios  erwähnt  Herodots  Blüthe  zu  Abr.  1549  ==  Ol.  78,  1.  468;  ähn- 
lich Hesychios  (Suidas),    wenn    er  Herodot   vor  dein  Tyrannen  Lygdamis 


541 

nach  Samos  fliehen  und  dort  sein  Werk  abfassen  lässt,  die  Blüthe  seines 
Vetters  Panyasis  aber,  welcher  Lygdamis  ermordete,  in  Ol.  78  setzt. 
Mit  802  oder  inclusiv  zählend  803  Jahren  von  da  bekam  er  1270.  Wie 
die  Data  gelautet  hatten,  welche  er  auf  diese  neugeschaffene  Epoche  um- 
setzt, verräth  Hieronymus  (der  Armenier  hat  hier  eine  Lücke)  zu  Abr. 
1031  =  986/5  v.  Chr.:  Samus  condita  et  Smyrna  in  modum  urbis  am- 
pliata1).  Die  letzten  Worte  sollen  wahrscheinlich  zur  Uebersetzung  von 
Sfivqva  ino'kiö&ri  dienen:  Smyrna  wurde  von  den  Aiolern  nicht  erst  ge- 
gründet, sondern  den  Barbaren  (nach  Aristoteles  Lydern)  entrissen;  bis 
dahin  war  es  also  ein  offener  Flecken  (/w«)|)  gewesen,  denn  zu  den 
Unterscheidungsmerkmalen  zwischen  Barbaren  und  Hellenen  gehörte,  dass 
diese  in  Städten,  jene  in  Flecken  und  Dörfern  wohnen.  Von  986/5  mit 
168  Jahren  zurückzählend  erhalten  wir  aber  die  troische  Epoche  1154/3. 
Diese  also  hat  der  falsche  Herodot  vorgefunden  und  es  ergeben  sich 
daraus  die  Gründungsdata  1024  für  Lesbos  und  1004  für  Kyme,  deren 
späte  Zeit  auf  eine  gute,  alte  Quelle  des  Biographen  hinweist  und,  da 
die  aiolische  Wanderung  bei  den  besten  Schriftstellern  für  älter  galt  als 
die  ionische,    für  diese    ein  nach   1024  liegendes  Datum  vermuthen  lässt. 

1236  bei  Herodot. 

Von  Troias  Fall  bis  zur  Abfassung  seines  Werks  zählt  Herodot  über 
800,  unter  810  Jahre,  II  145  Tlarl  np  tx  fT/ti'f-).<>i/^  wotl  'Ejpflito  Hanau) 
ttsct  htti  tww  '/'ou)izinr,  xcträ  rdt  dxrctxooia  fiaXtata  ig  tut.  Die  Geburt 
Pans  von  Penelope  wurde  in  die  Zeit  der  Irrfahrten  des  Odysseus  ver- 
legt; frivoler  Witz  erfand  auch  die  Namensableitung  von  der  Vaterschaft 
'aller*  Freier.  Kirchhoffs  Hypothese  von  der  successiven  Entstehung  des 
herodotischen  Werkes  ist  von  vielen,  zuletzt  von  Rühl  Philologus  XLI 
H.  1  mit  guten  Gründen  bestritten  worden;  die  schliessliche  Redaction 
setzen  wir  in  87,  4.  429/8.  Grosskönig  ist  Artaxerxes  I  (Her.  I  130. 
VI  98.  VII  106),  gestorben  März  424;  die  Battosdynastie  in  Kyrene  be- 
reits untergegangen  (IV  163),  bestanden  hatte  sie  200  Jahre  lang  (Schol. 
Tind.  pyth.   4,   1)    seit  632    (Eusebios);    der    Ueberfall    Plataias  (VII  233) 


1)  Der  syrische  Auszügler  Dionysios  von  Telmahar:  anno  MX  XX  urbs  Samos  condita  est  et 
Snivrna  condita  est  anno  MX XX IV.     Bei  Hieronymus  datirt  M  1030,  R  1032. 


542 

und  die  Vertreibung  der  Aigineten  (VI  91)  ist  431,  die  Hinrichtung- 
spartanischer  Sendlinge  in  Athen  (VII  137)  September  430  geschehen. 
Andrerseits  weiss  Herodot  V  3  noch  nichts  von  der  Herrschaft  der 
Odrysen  über  ganz  Thrake  samnit  den  Nachbarstaaten  und  ihrer  furcht- 
baren Machtentfaltung,  welche  im  Herbst  429  alles  Volk  bis  zu  den 
Thermopylen  in  Angst  und  Schrecken  versetzte;  er  kennt  IX  73,  wie 
der  Aorist  lehrt,  nur  eine  einzige  Verheerung  von  fast  ganz  Attika: 
aiveouEvrjv  xr\v  alXr\v  ^rrixrjv  Aaxedatuoviov*  anoo/Hifrai,  also  die  von 
430,  nicht  die  zweite  dieser  Art  im  Juni  428,  geschweige  denn  die  voll- 
ständige von  427.  —  Demnach  setzte  er  die  Geburt  Pans  auf  1228,  die 
des  Herakles  (900  Jahre  vor  seiner  Zeit)  1328.  Nach  Eusebios  zu  Abr.  823 
erreichte  Herakles  ein  Alter  von  52  (nach  andern  82)  Jahren,  Velleius  I  2 
setzt  seinen  Tod  40  Jahre  vor  Troias  Fall  (andere  53  oder  24),  welcher 
auf  diese  Weise  92  Jahre  nach  Herakles  Geburt  =  8  vor  Pan,  d.  i.  auf 
1236  gebracht  wird. 

Die  herrschende  Ansicht  geht  von  Herodots  Angaben  über  die  Lyder- 
könige  aus,  obgleich  von  ihnen  kein  bestimmtes,  noch  weniger  ein  sicheres 
Ergebniss  zu  erwarten  ist.  Er  gibt  den  Mermnaden  170  Jahre,  setzt  also, 
da  die  Einnahme  von  Sardes  dem  Spätjahr  546  angehört,  den  Anfang 
des  Gyges  716;  den  Herakleiden  gibt  er  505  Jahre,  der  Anfang  des 
Agron  fällt  hienach  1221.  Gibt  man  nun  den  Ahnen  desselben,  Herakles, 
Alkaios,  Belos,  Ninos,  je  33  l/a  Jahre,  so  kommt  der  Anfang  des  Herakles 
auf  1354,  und  hieraus  hat  man  die  Data  1254  für  Pans  Geburt  und 
1262  für  Troia,  in  ähnlicher  Weise  die  verwandten  bekommen.  Dabei 
wird  aber  die  Blüthenepoche  (bei  Königen  der  Regierungsanfang)  mit  der 
Geburt  verwechselt  (denn  jene,  nicht  diese,  ist  bei  dem  Datum  1221  des 
Agron  gemeint)  und  man  hätte  vielmehr  auf  ein  um  zwei  oder  mehr 
Jahrzehnte  höheres  Datum  für  Herakles,  Troia  und  Pan  kommen  müssen, 
was  freilich  aus  anderen  Gründen  nicht  statthaft  war.  Ob  Herodot  bei 
seinen  Angaben  über  die  Lyderkönige  auch  an  jene  mythischen  Data 
gedacht  hat,  wissen  wir  nicht;  that  er  es,  so  konnte  er  z.  B.  folgender- 
massen  rechnen.  Während  jener  505  Jahre  regierten  22  Herakleiden 
nach  einander,  immer  der  Sohn  Nachfolger  des  Vaters  (I  7),  jeder  also 
durchschnittlich  23  Jahre,  ein  Durchschnitt,  welcher  billiger  Weise  auch 
ihren  Ahnen    beigelegt    wird.     Dann    begann    die  Reife    des  Ninos   1244, 


543 

des  Belos  1267,  Alkaios  1290,  Herakles  1313  und  sie  war  von  diesem 
(1328  geboren)  im  16.  Lebensjahr  erreicht  worden:  gewiss  nicht  zu  früh 
für  ihn,  dessen  Hand  schon  in  der  Wiege  Schlangen  zerdrückt  hatte. 

Dass  Herodot  einen  Theil  seines  Werkes  schon  454  geschrieben  und 
seine  meisten  Reisen  vor  diesem  Jahr  oder  wenigstens  vor  448  gemacht 
habe,  ist  nicht  wahrscheinlich.  Der  ägyptische  Aufstand,  nach  welchem 
er  Aegypten  bereiste,  ist  erst  453  beendigt  worden  (Philologus  XLI  117); 
auch  nach  dieser  Zeit  durfte  Herodot,  der  Angehörige  eines  zu  Persien 
in  Kriegverhältniss  stehenden  Reiches,  welches  noch  449  den  Empörer 
Amyrtaios  in  Aegypten  zu  unterstützen  suchte,  in  persisches  Gebiet  sich 
nicht  eher  wagen,  als  bis  der  Friede  geschlossen  war,  dessen  Verhand- 
lung frühestens  Winter  449/8  begonnen  und,  da  Kallias  mehrmals  hin- 
und  herreisen  musste,  kaum  vor  Winter  448/7  geendigt  hat.  Ob  er  erst 
bei  der  Gründung  von  Thurioi  Ol.  84,  1.  444  oder  schon  zwei  Jahre 
früher  bei  dem  Wiederaufbau  von  Sybaris  nach  Unteritalien  gewandert 
ist,  bleibt  zweifelhaft;  einige  Jahre  brauchte  er  doch  wohl,  um  sich  dort 
einzuleben,  und  hat  seinen  Besitz  nicht  eher  auf  Jahre  hinaus  verlassen, 
als  bis  die  Verhältnisse  desselben  festgegründet  waren.  Wir  halten  es 
daher  für  das  Wahrscheinlichste,  dass  seine  Reisen  dem  letzten  Jahrzehnt 
vor  dem  peloponnesischen  Krieg  angehören. 

Die  troische  Epoche  Herodots  scheint  nicht  von  ihm  selbst  herzu- 
rühren: er  bezeichnet  sie  nicht,  was  er  in  solchen  Fällen  zu  thun  pflegt, 
als  sein  geistiges  Eigenthum,  gibt  auch  die  Rechnung  nicht  an,  auf  welcher 
sie  ruht,  setzt  also,  da  er  von  ihr  wie  von  einer  feststehenden  Thatsache 
spricht,  Bekanntheit  ihrer  Elemente  voraus;  überhaupt  haben  wir  die 
Urheber  neuer  Data  der  troischen  Epoche  nur  in  Schriftstellern  zu  suchen, 
welche  das  Ereigniss  im  Rahmen  geschichtlicher  oder  wenigstens  chrono- 
logischer Darstellung  behandelt  haben.  Nachweisbar  ist  sie  bloss  bei  ihm; 
denkbar  wäre  indess,  dass  die  wunderliche  Epoche  des  Timaios  durch 
ein  naheliegendes  Missverständniss  aus  ihr  hervorgegangen  ist.  Den  Troer- 
krieg fast  drei  ganze  Jahrhunderte  früher  zu  setzen  als  es  die  Generationen- 
rechnung (angewandt  auf  den  Stammbaum  der  angeblichen  Nachkommen 
seiner  angeblichen  Theilnehmer)  erlaubt,  war  eben  nur  er  im  Stande,  ver- 
möge einer  Schwäche,  welche  ihm  nicht  ohne  Grund  im  Alterthum  nach- 
gesagt worden   ist,    seiner  deiaifiaiumda:    ein  Ausspruch    des   delphischen 


544 

Orakels  z.  B.  musste  ihm  für  unfehlbar  gelten  und  ein  auf  das  Datum 
des  Troerkriegs  bezüglicher  wird  in  der  That  gerade  von  ihm  angeführt. 
Wie  Timaios  bei  Tzetzes  zu  Lykophron  1141  erzählt,  war  3  Jahre 
nach  der  Einnahme  Troias  und  dem  Schiffbruch  des  Aias  Seuche  und 
Hungersnoth  in  Lokris  (dem  östlichen)  eingetreten  und  als  die  Notb 
nicht  wich,  in  Delphoi  die  Weisung  erholt  worden,  der  Pallas  in  llion 
zur  Sühne  der  Schändung  Kassandras  1000  Jahre  lang  zwei  Mädchen 
alljährlich  zu  schicken;  beim  Ablauf  des  Jahrtausends,  nach  dem  phoki- 
schen  Kriege  wurde  diese  Opfersendung  eingestellt  (in  Wirklichkeit  war 
die  Sitte  1 — 2  Jahrhunderte  vorher  eingeführt  worden,  FTeQOdiv  rflr^ 
t.-zixyaTovi'Tiov,  Demetrios  von  Skepsis  bei  Strabon  601).  Der  göttliche  Be- 
fehl hatte  hienach  verlangt,  die  Sendung  bis  zum  1003.  Jahre  seit  Troias 
Fall  zu  machen.  Flüchtigkeit  des  Auszüglers  gibt  sich  daran  zu  erkennen, 
dass  beim  Ende  des  phökischen  Kriegs,  Spätsommer  346,  noch  nicht,  wie 
er  voraussetzt,  1003  sondern  erst  987  Jahre  seit  Troias  Fall  verflossen 
waren.  Vielleicht  hat  Tzetzes  auch  über  die  3  Jahre  nicht  genau  be- 
richtet. Das  Motiv  ihrer  Erfindung  erscheint  bei  ihm  unverständlich; 
die  ausserordentliche  Härte  der  Sühne,  welche  auferlegt  und  willig  über- 
nommen wurde,  setzt  eine  ebenso  ausserordentliche  Landesnoth  voraus; 
der  geschichtliche  Hintergrund  jener  3  Jahre  ist  wohl,  dass  dies  der 
Betrag  ihrer  Dauer  gewesen  war,  und  die  Mehrung  von  1000  auf  1003 
Jahre  erklärte  man  daraus,  dass  der  mit  dein  Eintritt  der  Noth  ange- 
kündigte göttliche  Zorn  3  Jahre  lang  unbeachtet  geblieben  war.  Im 
Sinn  des  Timaios  würde,  wie  sein  troisches  Datum  lehrt,  das  Ende  der 
Opfersendung  Ol.  112,  1.  332/1  eingetreten  sein;  beim  Aufhören  der- 
selben fehlten  noch  14  Jahre  und  es  fragt  sich  nun,  wie  die  vorzeitige 
Einstellung  zu  erklären  ist. 

Bei  der  grossen  Werkfrömmigkeit  und  Götterfurcht  der  alten  Völker 
ist  es  sicher,  dass  dieselbe  nicht  eigenmächtig  sondern  auf  Grund  gött- 
licher Genehmigung  geschehen  ist:  hatten  die  Lokrer  das  Opfer,  wenn 
auch  nicht  986,  aber  doch  immerhin  fast  200  Jahre  lang  bringen  können, 
so  würden  sie  sich  der  Last  um  blosser  14  Jahre  willen  nicht  leicht- 
sinniger und  frevlerischer  Weise  entledigt  haben;  sonst  hätte  der  göttliche 
Zorn  von  neuem  und  in  solcher  Weise  ausbrechen  können,  dass  die  ganze 
frühere    Leistung   vergeblich    gewesen    sein    würde.     Die    14    Jahre    sind 


545 

ihnen  geschenkt  worden,  zum  Lohn  für  ihre  Gottestreue.  Sie  waren  vom 
Anfang  bis  zum  Ende  des  heiligen  Krieges  die  eifrigsten  Vertheidiger 
des  delphischen  Heiligthums  gewesen,  dabei  aber  ungleich  stärker  als 
ihre  Verbündeten  geschädigt  worden:  zu  der  allgemeinen  Einbusse  an 
Gut  und  Blut  war  bei  ihnen  der  Verlust  mindestens  des  halben  Gebietes 
gekommen.  Wurden  nach  dem  Ende  des  Krieges  die  Missethäter  aufs 
Härteste  bestraft,  so  war  es  wohl  auch  billig,  den  am  schwersten  mit- 
genommenen Getreuen  eine  Schadloshaltung  zu  gewähren:  sie  bestand  in 
dem  Erlass  der  noch  schuldigen  Mädchensendungen;  man  konnte  ihn 
sogar,  obgleich  es  nicht  nöthig  ist,  das  anzunehmen,  damit  begründen, 
dass  die  Lokrer  zuerst  3  Jahre  durch  die  Seuche  und  Hungersnoth,  und 
zuletzt  11  (nach  der  längsten  Berechnung.  Diod.  XVI  14)  durch  die  Leiden 
des  heiligen  Krieges  bereits  verbüsst  hätten.  Sollten  nun  aber  die  Exe- 
geten  der  göttlichen  Offenbarung  wirklich  vorausgesetzt  haben,  dass  Troia 
schon  1333  zerstört  worden  war?  Gewiss  nicht;  vielmehr  wird  das  Orakel, 
wie  viele  andere,  einen  zweideutigen,  leicht  irre  leitenden  Ausdruck  ent- 
halten haben.  Das  Bussjahr,  welchem  wir  im  Mythus  z.  B.  des  Apollon 
nach  dem  Morde  Pythons,  des  Kadmoi  nach  der  Erlegung  des  Drachen 
begegnen,  war  ein  sog.  grosses  Jahr.  d.  i.  eine  Ennaeteris  (Censorin  18), 
weil  das  Mondjahr  erst  nach  achtmaliger,  von  3  Schaltmonaten  begleiteter 
Wiederholung  zur  dnoxataotaoig,  rar  Wiederkehr  seines  ursprünglichen 
Verhältnisses  zur  Sonne  gelangt,  s.  Apollodor  bibl.  III  4,  2.  Plutarch 
defect.  oracul.  21.  Das  Mondjahr  ist  Mensehenwerk:  Selene  schafft  bloss 
den  Monat;  Gottesjahr  (srog  y.au>  ,'hor)  ist  bloss  das  solare,  welches  aber 
in  Hellas  nicht  eingeführt  war;  die  Erneuerung  des  8jährigen  Schalt- 
kreises bedeutete  also  eine  Wiederkehr  des  Jahres  zur  Gottheit.  So  wird 
auch  durch  die  Busse  des  Mörders  sein  früheres  Verhältniss  zu  den  Göttern 
wiederhergestellt.  Also  14  grosse  =112  gewöhnliche  Jahre  nach  108, 3.  346/5 
waren  gemeint  und  die  1003  würden  Ol.  136,  3.  234/3  zu  Ende  gegangen 
sein;  ihr  Anfang  war  mithin   1237/6. 

1231  Ktesias. 

Die  Verzeichnisse  assyrischer  Könige  von  Ninos  bis  Sardanapallos, 
welchen  der  Meder  Arbakes  stürzte,  gehen  sammt  den  Listen  welche  das 
Königthum  der  Meder  mit  diesem  beginnen,  alle  auf  Ktesias  zurück,  ob- 

Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  III.  Abth.  71 


546 

wohl  sie  über  die  Dauer  beider  Reiche  und  das  Datum  ihrer  Anfangszeit 
in  mannichfachster  Weise  von  einander  abweichen.  Trogus  bei  Justinus  I  2 
gibt  den  Assyrern  1300  Jahre,  ebenso  'andere1  bei  Eusebios  I  67;  man 
hält  diese  Zahl,  betreffs  der  letzteren  wenigstens  sicher  mit  Unrecht,  für 
Abrundung  wegen  Diod.  II  28  ftrij  nHiüi  iwv  yi'/.ixor  xal  r^iaxooiioy  und 
zwar  aus  1306  wegen  Agathias  II  25  &  Saydavanaklov  e§  rt  xal  iyta- 
xooiwv  i]di]  nyog  rolg  yikioig  xal  uXtyq)  nistovmy  trinr  tkxqcoxtjxotiov  i§  ov 
ra  Tiyiöra  u  Nirog  rcor  ixsl  xaiHiyt  :iyayi(ara))'.  outiü  yay  Kit^iia  Tip 
Kvidiü)  rovg  yjjoi'uvg  dray^aipauH'io  xal  JiootOQog  ivfuprjütv  o  ^ixeXuozrjv. 
Seltsamer  Weise  wird  dabei  sowohl  der  Zusatz  xal  6'liyq)  nketovatv,  welcher 
deutlich  auf  Fehlerhaftigkeit  des  i'i  und  Entstehung  aus  einem  Zehner 
(f-if'ixot'Ta  =  £')  hinweist,  missachtet  wie  der  Text  des  Originals,  in  wel- 
chem dieser  Zehner  wirklich  steht:  Diod.  II  21  hij  nlfliv  luv  yilicov 
xal  Tfjiaxoaiun'  i-ii  tP  i£r}xovra,  xattamy  (pijol  KrTjaiag  6  Kvldtog.  Diese 
mehr  als  1360  Jahre  lassen  sich  auch  noch  nachweisen:  es  sind  1366 
oder   1365. 

Bis  zum  Falle  Troias  und  dem  Ende  des  Königs  Teutamos  verlaufen 
1012  Jahre.  Mindestens  1010  verflossen  bis  zur  troischen  Epoche  nach 
Diod.  II  22  Thvräuov  ßaaihtvomug  (paot  tavg  uu'  'Ayafjiifivovos  "Ellrjyas 
im  Tyoiar  rnfjarti/oai  rrjr  ffyefioviav  iyoi'rwv  rfjg 'Aoiag  x&v  ^Aaav^iixtr  t-'r  )t 
TzXeiw  TiiJv  yiüü)i>.  Die  bestimmte  Zahl  liefert  Kephalion  bei  Euseb.  I  64 
postea  singillatim  refert  (Ctesias),  quomodo  Teutamus  auxilii  ei  suppetias 
miserit  ducemque  exercitus  Memnonem  Tithoni  filium,  quem  Thettalii 
insidiis  factis  occiderunt.  deinde  singulatim  dicit:  Millesimo  decimo  tertio 
anno  fit  rex  Assyriorum  Sardanapallus.  Im  letzten  Satz  ist  mit  Brandis 
rerum  Assyriarum    tempora    p.  58,  da   nach    Teutamos   noch    10   Könige 

folgen,    eine  Lücke    anzunehmen :    anno  fit  rex  Assyriorum  { anno 

fit  rex  Assyriorum)  Sardanapallus.  Hienach  ist  in  Kephalions  Angabe 
b.  Eus.  I  62:  eis  a  frwv  ägid-itoy  hätten  23  Könige  nach  einander  ge- 
herrscht, ohne  irgend  eine  kriegerische  Unternehmung  auszuführen,  deren 
Namen  man  bei  Ktesias  selbst  nachlesen  möge,  zu  schreiben  eis  TT*'  eräw 
aQt&fiov:  er  meint  die  unkriegerischen  Könige  von  Ninyas  bis  Teutamos 
excl.,  deren  wirklich  23  sind:  zieht  man  von  1012  die  52,  42,  32  des 
Ninos,  der  Semiramis  und  des  Teutamos  ab,  so  bleiben  886  =  an  (sig)  900. 
Derselbe    Fehler    noch    einmal  a.  a.  O. :     a    c)V  ircuv  dno  JZeuiydjLieiog    tlg 


547 

MiTfjcüov  ßaoitia  avaQi&uovvri  l)  nsfHTSJÄnttivwv  Mf}(Jeia  Kokyjg  avsyioQtjaer 
Alyttos;  Mitraios  ist  der  Vorgänger  des  Teutamos,  seine  35  (Exe.  Barb.; 
27  die  andern,  mehr  verkürzten  Listen)  Jahre  nebst  den  52  des  Ninos 
und  32  des  Teutamos  von  1012  abgezogen  ergeben  893  Jahre  von 
Semiramis  bis  zum  1.,  900  bis  zum  8.  Jahr  des  Mitraios,  in  welches 
Ktesias  (falls  die  Zahl  35  nicht  auch  verkürzt  ist)  die  Flucht  der  Medeia 
setzte.  Die  Summe  1012  verhilft  uns  auch  zum  Verständniss  einer  An- 
gabe des  Thallos.  Um  zu  beweisen,  dass  die  ältesten  Götter  der  Griechen 
gar  nicht  sonderlich  alt  seien,  verweist  Theophilos  an  Autolykos  III  29 
auf  das  Epochendatum  des  Belos,  dessen  Zeitgenosse  Kronos  gewesen  sei, 
bei  Thallos:  TiyoyhVHiTtyoc  ev(uaxsreu  rov  'IXtaxov  uoXhiov  freoi  txß> ;  die 
Zahl  322  wird  von  Lactantius  inst.  I  23  bestätigt  und  als  Termin,  wie 
das  folg.  rijg  7//W  äXcooetog  lehrt,  die  Zerstörung  Troias  verstanden. 
Dieser  Belos  ist  in  Wahrheit  kein  anderer  als  der  18.  König  des  Ktesias, 
der  von  Kephalion  Biki/uts,  von  Bion  und  Alexander  Polyhistor  bei 
Agathias  BsXeovg,  von  Synkellos  Brjlo%og,  von  Pseudeusebios  -)  Br)l6%oog 
genannt  wird;  die  Uebersetzer  des  Eusebios  und  Africanus  geben  Belochus 
(armen.  Belokhus).  Die  Menge  der  Namensformen  rührt  zum  Theil  daher, 
dass  derselbe  auch  bei  Schriftstellern  welche  von  Ktesias  unabhängig 
waren  (z.  B.  Bion)  vorkam;  unter  seiner  Regierung  lässt  Ktesias  den 
Perseus  in  das  assyrische  Reich  kommen,  Kepheus  aber,  dessen  Tochter 
Andromeda  von  diesem  gerettet  wurde,  ist  bei  Herodot  VII  61  u.  a.  ein 
Sohn  des  Belos.  Von  jenem  schreibt  Kephalion  a.  a.  0.:  fotwv  J7  ovtmv 
ttoactQaxovra  ior  y.<u  y'  BeXiftos  ißaoilevcw  *AoavQtoiv  xal  ouptxvHrai 
Hsqogvq.  Die  640  Jahre  sind  wie  bei  Mitraios  von  Semiramis  ab  ge- 
rechnet und  ergeben  mit  den  52  des  Ninos  692:  nimmt  man  sowohl  bei 
640  wie  bei  den  322  des  Thallos  inclusive  Zählung  an,  so  erhält  man 
(691  und  321  =)  1012  Jahre  bis  zur  Zerstörung  Troias,  welche  dem- 
nach ebenso  in  das  letzte  (32.)  Jahr  des  Königs  verlegt  ist,  wie  (in  der 
Regel)  in  das  letzte  des  Agamemnon  und  Menestheus. 

Von  Teutaios.  dem  Nachfolger  des  Teutamos,  bis  Sardanapallos  zählt 


1)  So  schreibe  ich  statt  uv  <<(ji9j*oiio. 

2)  X(joyoyQ{<(ptiov  avvxnpLov  ex  luv  Evfftßiov  tov  fla/ucfi^ov  noytjuctrwy  bei  Mai  scriptorum 
veterum  nova  collectio  I  2.  1  ff.  und  aus  diesem  bei  Schoene  Euseb.  I  App.  63  ff.;  geschrieben 
im  J.  854  und  von  Eusebios  unabhängig. 

71* 


548 

Eusebios  im  I.  Buch  356,  im  Kanon  355  Jahre:  mit  1012  verbunden 
würde  dies  die  Summe  13(i7  oder  1368  ergeben;  der  Barbarus  (s.  zu 
Epoche  1197)  ergibt  363,  hat  aber  einen  Textfehler,  bei  dessen  Hebung 
353  bleibt;  Synkellos  362.  nach  der  Schlussdatirung  in  358  zu  verbessern; 
Pseudeusebios  364.  Man  sieht,  dass  die  grosse  Verkürzung,  welche  sich 
die  Chronographen  erlaubt  haben  (z.  B.  Eusebios  auf  1240  Jahre),  an 
dieser  Partie  nicht  vorgenommen  worden  ist:  die  ächte  Gesammtsumme 
1360  mit  einem  Uebersehuss.  um  1012  vermindert,  laset  349  —  357  er- 
warten. Ausser  der  Verkürzung  haben  jene  nämlich  auch  noch,  um  ihre 
troische  Epoche  zu  gewinnen,  das  Ende  Sardanapals  mehr  oder  weniger 
bedeutend  herabgesetzt:  ebendadurch  aber  wurde  es  ihnen  möglich,  die 
ächte  Summe  der  nach  Troia  verlaufenen  Jahre  wenigstens  im  Ganzen 
und  Grossen  beizubehalten  oder  gar  zu  erhöhen;  der  Kanon  des  Eusebios 
schiebt  auch  noch  die  troische  Epoche  vom  32.  Jahr  des  Teutamos  in 
das  25.  zurück.  Die  Bezugnahme  des  Schlusstermins  auf  diese  Epoche 
erlaubt  einen  Schluss  auf  die  wahre  Zahl  dieser  Theilsunnne.  Von  1197, 
der  troischen  Epoche  des  Manetho  verfliessen  354  Jahre  bis  843,  in 
welches  Jahr  Abydenos  bei  Euseb.  I  53  und  der  Barbarus,  wahrscheinlich 
auch  Velleius  I  6,  1  das  Ende  Sardanapals  setzen  (67  Jahre  vor  Ol.  1), 
ebenso  der  Gewährsmann  des  Synkellos,  welcher  283  Jahre  der  Meder- 
könige  zählt  (560  v.  Ch.  -f-  283  =  843).  Von  der  eratosthenischen 
Epoche  1183  führen  354  Jahre  bis  829.  Anfangsjahr  des  Arbakes  bei 
Africanus.  Von  der  troischen  Epoche  des  Sosibios  und  Kastor  1171 
erhält  man  mit  354  Jahren  817  v.  Ch. :  Eusebios  im  1.  Buch  setzt  Ar- 
bakes 8 IG,  im  II.  Buch  auf  819,  Orosius  64  J.  vor  Rom  =  818/7,  der 
Chronist  von  886 l)  auf  818.  Hat  Dikaiarchos  die  Zerstörung  Troias 
1211  gesetzt,  so  ist  mit  ihr  das  Datum  des  Arbakes  858  bei  Euseb.  I  67 
(298  Jahre2)  der  Meder)  zu  verbinden:  Abstand  353. 

Die  ächte  Summe  des  Ktesias  ist  hienach  1365  oder  1366  und  hie- 
mit  Aemilius  Sura  im  Text  des  Velleius  I  6 — 7  zu  vergleichen,  wo  von 
Ninos  bis  zur  entscheidenden  Niederlage  des  Antiochos  Megas  bei  Magnesia, 
d.  i.  bis  varr.  565,  v.  Ch.  189  (Proconsulat  des  Scipio  Asiaticus)  1995  Jahre 


1)  'ExXoyrj  toiogiüv  bei  Cramer  Anecd.  Paris.  II  165  ff. 

2)  Aehnlich  Alexander  Polyhistor  bei  Agathias  a.  a.  O.  300  Jahre 


549 

gezählt  werden.  Dies  ergibt  für  Ninos  Anfang  2183  v.  Chr.  und  für  die 
troische  Epoche  des  Sura  1171  (=  2183  —  1012).  Ktesias  selbst  zählte 
den  Mederkönigen  von  Arbakes  bis  Astyages  excl.,  wie  die  Posten  bei 
Diodor  II  32 — 34  ergeben,  282  Jahre;  die  fehlenden  des  Astyages  dürfen 
wir,  weil  Diodor  II  35  bei  diesem  auf  die  hellenische  Ueberlieferung, 
d.  i.  nach  II  32  Herodot  verweist,  aus  diesem  auf  35  ergänzen.  Dann 
hat  Ktesias  das  Ende  der  Assyrer  317  Jahre  vor  560,  also  877,  den 
Anfang  desselben  2143  oder  2142,  die  troische  Epoche  1231  oder  1230 
gesetzt.  Hiefür  gibt  es  eine  Bestätigung.  Nach  Clemens  ström.  I  320, 
wiedergegeben  von  Eusebios  praep.  X  12  fiel  Mosis  Auszug  und  die 
E poche  des  Inachos  bei  Ktesias  in  das  402.  (sehr.  302.)  Jahr  des  Assyrer- 
reichs,  das  32.  des  8.  Königs  Beluchos.  Letzteres  ist  in  allen  Listen  das 
302.  seit  Ninos  und  gleicht  sich  nach  Obigem  mit  1942  oder  1941  v.  Ch. 
Die  Zeitbestimmung  hat  Clemens  wahrscheinlich  aus  Dionysios  v.  Hai. 
oder  Apollodoros,  d.  i.  aus  Eratosthenes:  bei  diesem  begann  Inachos 
1942  oder   1943.     Dies  entscheidet  bei  Ktesias  für  2143  und   1231. 

1211  Dikaiarchos? 

Dikaiarchos  bei  Schol.  Apoll.  Rhod.  IV  276  ylvetai  and  JZtaoyxwoEiDs 
im  Tiir  NeiXav  ßaoikeiav  i-'rr]  ßcp,  (djio  fit  r/}*,-  NsiXou  ßaaiXeiag  knl  rrjv 
'I/jqv  aXuxJiv  Htt  '«',)  c?7i«  dt  xijg  'IXiuu  aXiuaeiog  inl  xr)v  a  oXvLimada 
vXc .  o/nov  ß^u-y'  (laur.  ßXuy).  Das  Eingeschlossene  ist  ein  scharfsinnig 
erdachter  Zusatz  Heinr.  Keil's,  welcher  die  troische  Epoche  auf  1212/1 
att.  Stils  bringt,  vgl.  S.  548.  Nur  ist,  da  der  Dichter  bloss  von  Seson- 
chosis  und  Neilos  spricht  und  der  Zweck  der  Zeitbestimmung,  welcher 
allein  die  Erwähnung  des  troischen  Ereignisses  veranlasst  haben  könnte, 
schon  durch  die  Angabe  des  Abstands  von  der  1.  Olympiade  erreicht 
wird,  nicht  zu  begreifen,  warum  der  Erklärer  auch  noch  von  Troia 
spricht,  zumal  bei  einem  so  winzigen  Abstand  von  7  Jahren  neben  2500 
und  436.  Es  bleibt  daher  die  Frage  offen,  ob  nicht  ßcp  aus  ß(p'C'  und 
'IXiov  äX(jjoeu)g  aus  NtiXov  ßaaiXeiag  verdorben  ist:  war  einmal  NiiXov  in 
*lXlov  übergegangen,    so  lag  es  nahe,  ßaoiXeiag  in  äXwaswg  zu  verändern. 


550 


1207  in  der  Chronik  von  Paros. 


Die  Maraiorchronik *)  von  Paros  setzt,  wie  Lydiatus,  Boeckh,  Karl 
Müller  u.  a.  erkannt  haben,  für  die  attischen  Könige  vor  Troias  Fall  die  von 
Eusebios  angegebene  Regierungsdauer  voraus,  datirt  sie  aber  um  25  Jahre 
höher.  Die  ihr  zu  Grunde  liegende  Liste  lautete  also:  1581  Kekrops  50. 
1531  Kranaos  9.  1522  Amphiktyon  10.  1512  Erichthonios  50.  1462  Pan- 
dion  40.  1422  Erechtheus  50.  1372  Kekrops  II  40.  1332  Pandion  II  25. 
1307  Aigeus  48.  1259  Theseus  30.  1221  Menestheus  23.  1206  Demophon. 
Troias  Einnahme  setzt  sie  nicht  wie  Eusebios  in  das  letzte,  sondern  in  das 
22.  J.  des  Menestheus  (1208/7)  und  zählt  von  ihr  945  J.  bis  Diognetos. 
Die  Fortsetzung  dieser  Liste  glauben  wir  bei  Pseudeusebios  zu  erkennen, 
welcher  ihr  eine  verkehrte  Datirung  gegeben  hat  (vgl.  zu  Epoche  1171): 
1206  Demophon  33.  1173  Oxyntes  31  (sehr.  10).  1163  Thymaites  10. 
1153  Melanthos  37.  1116  Kodros  (ergänze:  21.  1095  Medon)  20.  1075 
Akastos  38.  1037  Archippos  16.  102-1  Thersippos  41.  980  Phorbas  33. 
947  Megakles  30.  917  Diognetos  26.  891  Pherekles  19.  872  Ariphron  33. 
839  Thespieus  40.  799  Agamestor  21.  778  Aischylos  23.  755  Alkmaion  2. 
(753  die  10  jährigen  Archonten  bis  683).  Die  parische  Chronik  stimmt 
insofern  nicht  hiezu,  als  sie  Pheidon  894  unter  Pherekles  setzt;  wahr- 
scheinlich hat  der  falsche  Eusebios  oder  sein  Abschreiber  einen  bei  ihm 
und  bei  dem  Barbarus  häufig  vorkommenden  Doppelfehler  begangen, 
indem  er  einen  aus  der  angegebenen  Summe  erkannten  Postenfehler  an 
unrechter  Stelle  zu  verbessern  suchte.  Vielleicht  hatte  ursprünglich 
Diognetos  23  und  Agamestor  24  Jahre.  Die  verstümmelte  Zahl  der 
ionischen  Wanderung  kann  auf  813  oder  763  ergänzt  werden;  die  kleinere 
Zahl  (=:  1026  v.  Ch.)  ziehen  wir  vor,  weil  die  von  den  Herausgebern 
gewählte  grössere  einen  bei  dem  hohen  Datum  der  troischen  Epoche  zu 
geringen  Abstand  von  dieser  (nur   132  Jahre)  ergeben  würde. 

1197  Manetho,  Africanus. 

Das  von  Manetho  gemeinte  Jahrdatum  ist  des  Genaueren  nur  aus 
dem  System  zu  erkennen,    welches  Julius  Africanus    auf   dasselbe  gebaut 


1)    Ihre  Jahrzählung   ist  bekanntlich   bis   zum   Tod   des  Sokrates    inclusiv    (das  Schlussjahr, 
Ol.  129,  1.  264  Arch.  Diognetos  also  mitgerechnet),  nachher  exclusiv. 


551 

hat;  die  von  mir  bereits  in  der  Chronologie  des  Manetho  p.  224,  jedoch 
mit  dem  Fehler  eines  Jahres  (1198)  aufgestellte  Epoche  hat  Geizer  Afric. 
p.  138  ff.  verworfen  und  mit  Boeckh  das  eratosthenische  Datum  für 
Africanus,  ja  auch  für  Manetho,  obgleich  dieser  vor  Eratosthenes  schrieb, 
angenommen;  dies  nöthigt  mich  hier  ausführlicher  auf  diese  Frage  einzu- 
gehen. Ueber  andere  Differenzen  grundlegender  Natur  s.  meine  Anzeige 
des  Gelzerschen  Buchs  Philol.  Anz.  XI  82  fg. 

1.  Africanus.  1.  Seine  jüdische  Rechnung.  Die  Auszügler  setzen 
den  ganzen  Troerkrieg  unter  Eli,  welcher  bei  ihm  1210 — 1190  regiert. 
Geizer  gibt  dies  zu,  verweist  aber  auf  die  Latinerliste  der  Excerpta 
Barbari  (in  Schoene's  Eusebius  1):  regnavit  Eneas  nono  et  decimo  post 
vastationem  Solis  (HXi&v  statt  *flJov)  in  diebus  Heli  sacerdotis  et  Samuhelis 
prophetae,  indem  er  (ohne  weiteren  Anhalt)  die  Hypothese  aufstellt,  Afri- 
canus habe  während  der  ersten  20  Jahre  1190  — 1170  diesen  neben  Eli 
regieren  lassen,  so  dass  auf  letzteren  im  Ganzen  40  Jahre  gekommen 
wären.  Dies  ist  unrichtig,  s.  Nr.  5;  aber  auch  die  Richtigkeit  ange- 
nommen, würde  damit  nichts  bewiesen  sein,  weil  das  J.  1164  oder  1165 
(=  19  Jahre  nach  1184/3)  nicht  mehr  in  die  Zeit  der  angenommenen 
Mitregentschaft   fällt.     Zur   jüdischen  Richterliste    vgl.    Nr.    2    am    Ende. 

2.  Attische  Liste.  Die  des  Barbarus  ist  nach  sicheren  Anzeichen, 
wie  auch  anerkannt  wird,  aus  Africanus  entlehnt.  Die  Posten  liefern 
von  Kekrops  bis  zum  Ende  des  Troiakämpfers  Menestheus  384  Jahre; 
mit  den  9,  welche  der  ausgefallene  Kranaos  überall  hat,  erhalten  wir  393. 
Somit  fällt  das  Ende  des  Menestheus  1197:  denn  Kekrops  beginnt  nicht 
1596  wie  G.  behauptet  sondern  1590,  nämlich  wie  der  Barbarus  schreibt 
907  Jahre  vor  dem  ersten  jährigen  Archonten  (683,  s.  zu  Ep.  1153) 
und  814  Jahre  vor  Olymp.  1,  1;  die  907  bezeugt  Jo.  Malala  p.  62  aus- 
drücklich für  Africanus.  Demnach  ist  das  208.  Jahr  nach  dem  Auszug 
Mosis  (1796/5  Ch.),  welches  er  gleichfalls  als  Datum  des  Kekrops  gibt, 
in  206  zu  verwandeln  und  der  Weise  des  Barbarus  entsprechend  vollendet 
zu  nehmen:  bei  Joannes  Antioch.  fr.  16  zählt  Africanus  206  Jahre  von 
von  Ogyges  bei  Kekrops;  die  ogygische  Fluth  setzte  er  aber  in  dasselbe 
Jahr  wie  den  Auszug.  In  Geizers  Rechnung  stellt  Africanus  das  Ende 
des  Menestheus  22  Jahre  vor  Ausgang  des  troischen  Kriegs,  in  dessen 
letztem  Jahr  Homer  ihn    noch  auftreten    lässt;    die  Ausflucht,  Afr.    habe 


552 

in  seiner  redlichen  Weise  eine  zu  seinem  System  nicht  passende  Liste 
wiedergegeben,  kann  über  diesen  Widerspruch  nicht  weghelfen.  Mit 
solcher  Redlichkeit  hätte  jener  kein  System  zusammenbringen  können 
und  eine  Gedankenlosigkeit  dieser  Art  lässt  sich  ihm  nirgends  nach- 
weisen; von  ihr  kann  bei  dem  Schöpfer  eines  Systems  nur  da  die  Rede 
sein,  wo  er,  wie  Africanus  die  Bibel  und  Manetho,  eine  Quelle  citirt. 

Seine  attische  Liste  ist  aus  dem  Barbarus  folgendermassen  herzu- 
stellen: 1590  Kekrops  50.  (1540  Kranaos  9).  1531  Amphiktyon  40 
(sehr,  mit  allen  Listen  10).  1521  Erich thonios  10  (sehr.  50).  1471  Pan- 
dion  50  (sehr.  40).  1431  Erechtheus  40.  1391  Kekrops  II  53.  1338 
Pandion  II  43.  1295  Aigeus  48.  1247  Theseus  31.  1216  Menestheus  19. 
1197  Demophon.  Um  1197  fällt  also  die  Einnahme  Troias,  denn  sie 
wurde  in  das  vorletzte  oder  letzte  Jahr  des  Menestheus  oder  in  das  erste 
Demophons  gesetzt.  Als  Jahrsumme  der  Könige  gibt  der  Barbarus  492 
an,  ebenso  Africanus  bei  Malala  62,  Jo.  Antioch.  16  und  Kedrenos  I  145; 
das  Ende  des  Kodros  und  der  Anfang  des  Medon  fällt  also  in  1098  und 
von  Demophon  bis  dahin  sollen  99  Jahre  verlaufen,  die  Posten  ergeben 
jedoch  18  mehr.  Die  Zahlen  der  zwei  letzten  Könige  sind  durch  die 
Uebereinstimmung  mit  fast  sämmtlichen  andern  Listen  gesichert,  die  1 
und  9  des  Apheidas  und  Thymaites  kehren  bei  Synkellos  (s.  zu  Epoche 
1153)  wieder,  auch  der  in  der  attischen  Liste  am  meisten  zu  Africanus 
stimmende  Pseudeusebios  spricht  dafür,  sofern  er  zwar  Apheidas  weg- 
lässt,  aber  dem  Thymaites  10  gibt.  Wir  geben  daher  dem  Demophon  21 
(bei  Synkellos  23)  statt  35  und  dem  Oxyntes  10  wie  bei  Synkellos  und 
Pseudeusebios  statt  14,  welches  wie  Barb.  p.  41a  18  Dittogramm  aus 
dem  darauffolgenden  XIV  ist.  Also:  1197  Deniophon  35  (sehr.  21).  1176 
Oxyntes  14  (sehr.  10).  1166  Apheidas  1.  1165  Thymaites  9.  1156  Me- 
lanthos  37.  1119  Kodros  21.  —  Lebenslängliche  Archonten:  1098  Medon  20. 
1078  Akastos  39.  1039  Archippos  (19  nach  den  andern  Listen.  1020 
Thersippos)  40.  980  Phorbas  33.  947  Megakles  28.  919  Diognetos  28. 
891  Pherekles  15.  876  Ariphron  30  (zu  ändern  nach  Synkellos:  xara 
$s  'AipQtxavbv  hi)  ka).  845  Thespieus  40  ( =  Synk.  xara  dt  ällovg  u'). 
805  Agamestor  26  (zu  ändern  nach  der  dritten  und  letzten  Variante  des 
Synkellos:  xara  ds  aüovs  *£).  778  Aischylos  22  (=  Afric.  im  Chron. 
pasch,  p.  193;  der  Barb.  schiebt  hier  den  oben  ausgefallenen  Thersippos 


553 

ein).  In  seinem  2.  (vollen)  Jahr  die  1.  Olympienfeier.  755  Alkmaion  10 
(Dittogramm  statt  2).  753  der  erste  von  den  sieben  10  jährigen  Ar- 
chonten;   683   der  erste  jährige. 

Andere,  wie  sein  Citat  lehrt  aus  Philochoros  entlehnte  Ansätze  gab 
Africanus  im  III.  Buch,  s.  Euseb.  praep.  X  10.  Synk.  131.  Kedr.  I  26, 
nämlich:  von  der  ogygischen  Fluth  (1796)  189  jährige  Oede  bis  Kekrops, 
dieser  regiert  50,  Kranaos  9  Jahre;  Summe  248;  ebenso  viele  von  Mosis 
Auszug  bis  Deukalions  Fluth.  Also  1607  Kekrops,  1557  Kranaos,  1548 
Amphiktyon.  Ferner  setzen  viele  Auszügler  Kekrops  in  das  50.,  die 
deukalionische  Fluth  in  das  77.  Jahr  des  Richters  Aod;  indem  Geizer 
mit  einigen  von  ihnen  dem  zweiten  Vorgänger  desselben,  Gothoniel  ge- 
mäss einer  Lesart  der  Septuaginta  50  Jahre  als  Zahl  des  Afr.  gibt, 
während  Kedrenos,  der  einzige  der  bei  Aod  die  richtige  80  st.  50  über- 
liefert, und  Pollux  mit  der  besseren  Ueberlieferung  der  LXX  40  schreiben, 
erhält  er  eine  dritte  attische  Rechnung  des  Africanus:  1597  Kekrops  50; 
1547  Kranaos  9.  Dies  streitet  aber  doch  gegen  alle  Wahrscheinlichkeit. 
Allerdings  scheinen  10  von  den  490  Richterjahren  des  Afr.  zu  fehlen, 
wenn  Gothoniel  bloss  40  bekommt;  aber  Afr.  hatte  auch  den  Samegar 
in  die  Richterliste  aufgenommen,  für  welchen  eine  besondere  Regierungs- 
zeit im  Deborahlied  Rieht.  5,  6  ausdrücklich  anerkannt  und  Rieht.  3,  31 
stillschweigend  vorausgesetzt  wird:  eine  Spur  des  Sachverhalts  findet  sich 
in  der  confusen  Angabe  des  Synkellos  p.  331,  Afr.  habe  das  an  den 
450  Richterjahren  des  Ap.  Paulus  fehlende  Jahr  dem  Samegar  gegeben. 
Er  gab  es  vielmehr  dem  Samanes,  einem  Lückenbüsser  der  letzten  Richter- 
zeit, welchen  Synk.  mit  Samegar  verwechselt  hat.  Die  Auszügler,  welche 
Samanes  mit  1  J.  gegen  Africanus'  bloss  auf  Erklärung  gerichtete  Ab- 
sicht in  dessen  Liste  aufgenommen  haben,  bringen  in  Folge  dessen  die 
Anzahl  der  Richterjahre  unrichtig  auf  491.  Vielmehr  setzte  Africanus: 
1692  Gothoniel  40.  1652  Eglon  18.  1634  Aod  80.  1554  Samegar  10. 
1554  Jabin  u.  s.  w.,  so  dass  Aod  27  bei  ihm  auf  1607  =  Kekrops  1 
bei  Philochoros  fiel,  und  während  in  dieser  Rechnung  er  die  Fluth 
Deukalions  an  das  Ende  des  Kranaos  brachte,  hat  er  in  der  von  Philo- 
choros abweichenden  Hauptrechnung  den  Namen  Deukalions  bei  dieser 
Fluth  gestrichen  (Chron.  d.  Manetho  187.  Geizer  Afr.  128)  und  sie  als 
thessalische  Fluth  in  das   1.  Jahr  des  Kranaos  gestellt. 

Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  III.  Abth.  72 


554 

3.  Die  Liste  der  peloponnesischen  Könige,  a.  Die  von  Argos,  später 
von  Mykenai.  Aus  dem  Barbarus  erhalten  wir:  1901  1)  Inachos  50;  unter 
ihm  Moses  geboren.  1851  Phoroneus  60;  in  seinem  (vollendeten)  55.  Jahr 
Mosis  Auszug  (=  Africanus  bei  Synk.  118,  und  zwar  1020  Jahre  vor 
Olymp.  1.  s.  u.).  1791  Apis  35.  1756  Argeios  70.  1686  Kriasos  56. 
1630  Phorbas  35.  1595  Triopas  66.  1529  Krotopos  31  (XXXI,  das 
erste  X  von  gleicher  Hand  getilgt).  1498  Sthenelos  11.  —  1487  Danaos  50. 
1437  Lynkeus  41.  1396  Abas  23.  1373  Proitos  27  (sehr.  17).  1356—1325 
Akrisios  31.  Proitos  hat  in  allen  Listen  17  Jahre:  der  Schreiber  er- 
kannte an  der  Summe,  welche  im  Original  angegeben  war,  dass  er 
10  Jahre  zu  viel  gegeben  hatte,  und  strich  sie  am  unrechten  Ort,  bei 
Krotopos.  Dass  es  sich  so  vorhält,  lehren  die  Summen  der  Inachiden 
und  Danaiden,  Synk.  234  ifan  (xQovog)  xena  rov$  noXXovg  dnb  inr  tov 
tiqujtov  'Ivayov  Heg  tov  ivarov  2&tvtkov  triöv  viy '.  xbv  dt  2l\lh'rt-)j»' 
Javabg  kxßaltbv  ixoan/n  tov  "Ayyovg,  ug  uaQTVQouot  .idvrtg  ioroQiXol, 
ovv  Tülg  dnoyuroig  l'n;  Q§p.  QfMoG  CT  //  tpo*  OOlb  'Ivayov  inl  'Axpioiov 
718U71TOV  dno  Javaov  ßaaikfiog.  Diese  ganze  Stelle  ist  aus  einem  älteren 
Chronographen  von  Synkellos  gedankenlos  abgeschrieben:  sein  eigener 
Kanon  zählt  den  Danaern  nicht,  wie  man  wegen  fiafpvoovm  jiavT6& 
ioTOQizoi,  erwarten  sollte,  162  sondern  178  Jahre;  aber  Kastor,  Euseltins. 
Pseudeusebios  und  (laut  der  angegebenen  Correction  im  Barbarus)  Afri- 
canus geben  162.  Von  den  Hauptquellen  des  Synkellos  ist,  da  auf  Pano- 
doros  vermuthlich  sein  Kanon  zurückgeht  und  mit  Kastor  Eusebios  die 
Inachiden  anders  behandelt,  zunächst  an  Africanus  zu  denken;  für  diesen 
beweist  die  Fortsetzung  über  Oinomaos,  ferner  der  Schluss  von  Abschn.  b 
oder  3,b  und  die  Summe  575.  Die  Inachiden  haben  bei  Kastor  und  Euse- 
bios 382,  bei  Pseudeusebios  312,  bei  Synkellos  selber  372,  mit  der  in  dem 
Excerpt  angegebenen  Summe  413  lässt  sich  bloss  die  bei  obiger  Cor- 
rection aus  dem  Barbarus  hervorgehende:  414  vereinigen;  dasselbe  Ver- 
hältniss  findet  sich  bei  der  Jahrsumme  aller  Argoskönige:  544  geben 
Kastor  und  Eusebios,  478  Pseudeusebios,  550  Synkellos,  dagegen  574  die 
Posten  des  Barbarus.    nur    um   1   Jahr  verschieden  575    das  Excerpt  des 


1)  Am  Schluss  werden  718  und  407,  also  im  Ganzen  1125  Jahre  von  Inachos  bis  Olymp.  1 
gezählt. 


555 

Synkellos.1)  Diese  Abweichung  erklärt  sich  aus  einem  bekannten  Dualismus 
des  Africanus,  der  aber  nicht,  wie  bisher  angenommen  worden  ist,  2  Jahre, 
sondern  eines  beträgt.  Bei  Eusebios  praep.  X  10  gibt  er  von  der  Ogyges- 
fluth  bis  zur  1.  Olympiade  1020,  von  da  bis  Kyros  und  Ol.  55,  1.  560  217, 
von  Ogyges  bis  Kyros  1237  Jahre,  dagegen  bei  Synkellos  p.  118  —  120 
(ebenso  Jo.  Antioch.  fr.  1  ohne  Quellenangabe)  von  Ogyges  bis  Kyros  1235. 
Die  1237  beruhen,  wie  die  Zahl  217  beweist  und  Trieber  (den  Geizer 
mit  Unrecht  tadelt)  erkannt  hat,  auf  inclusiver  Zählung  statt  1236.  Die 
um  1  Jahr  höhere  Rechnung  ist  auch  beim  Barbarus  vorausgesetzt;  in  der 
von  Synkellos  vorgezogenen  setzte  Africanus  die  Fluth  1795,  Inachos  1 
also  auf  1900;  in  den  Posten  ist  die  Differenz  vielleicht  bei  Kriasos 
zum  Vorschein  gekommen,  dem  Synkellos  in  seiner  eigenen  Rechnung 
55   Jahre  gibt. 

Die  Fortsetzung  des  Barbarus  ergibt  auf  den  ersten  Anschein  fol- 
gende Data:  1325  Pelops  38.  1287  Atreus  und  Thyestes  45.  1242  Aga- 
memnon 33;  in  seinem  18.  Jahr  Troias  Fall.  Dieser  würde  somit  in 
1224,  nicht  weniger  als  27  Jahre  vor  1197  liegen,  oder  es  sind,  da  sich 
das  nicht  annehmen  lässt,  inzwischen  27  Jahre  ausgefallen.  Letzteres 
ist  in  der  That  der  Fall.  Synkellos,  welcher  mit  der  oben  ausgeschrie- 
benen Stelle  offenbar  eine  Darstellung  nicht  seiner  eigenen,  sondern 
älterer  Rechnungen  beginnt,  spricht  in  der  Fortsetzung  zunächst  von 
dem  Dynastie  Wechsel  und  von  Pelops,  dann  schreibt  er  p.  235  iv  &i 
ioii;  lyo  avrov  nun  diaifmvtTrai  tii,  /'l .  xara  Olvouaov  lacog  vnovoov/Litya, 
ueraTefreiarjg  i rjg  äpxys  tig  \ivxr\vag  nu'  'Axqiöiov  hn\  EÖQVO&ews.  Eine 
solche  Lücke  ist  nach  Akrisios  auch  in  Synkells  eignem  System,  aber  sie 
betragt  nur  3  Jahre  (s.  zu  Ep.  1171),  ferner  in  dem  des  Eusebios  eine 
solche  von  6  Jahren  (Abr.  705  —  711),  auch  erwähnt  keines  von  beiden 
den  Oinomaos;  wohl  aber  schreibt  der  Barbarus  nach  Akrisios:  post 
hunc2)  Pelops  regnavit  cum  Nomaura  ann.  XXXVIII.  Den  verdorbenen 
Namen  hat  Scaliger  richtig  hergestellt,  aber  den  Sinn  der  Stelle  nicht 
verstanden,  wenn  er  cum  Oenomao  corrigirt:  Pelops  hat  ja  dem  Mythus 
zufolge  nicht  mit  Oinomaos  zusammen  regiert,  sondern  durch  Besiegung 

1)  Eratosthenes  gab  den  Tnachiden  und  Danaiden  572  Jahre  (1942  Inachos  bis  1370  Perseus) 
oder  ähnlich. 

2)  Verkehrter  Zusatz  wie  p.  38  a  16.    Vgl.  S.  560. 

72* 


556 

desselben  im  Wettkampf  die  Regierung  gewonnen.  Das  Original  hatte 
also  per  Olvoaaov  gelautet,  was  der  Uebersetzer  in  seiner  Weise  ganz 
richtig  wiedergegeben  hat:  so  schreibt  er  auch  p.  16  Froneus  regnavit 
cum  Inachum  (ust  'Ivayov),  vgl.  p.  41  Latinus,  cum  quibus  (ftsP  ihr 
st.  jLtefr'  üi')  regnavit  Eneas.  Africanus  meinte  also,  dass  die  leeren 
27  Jahre  mit  Oinomaos  als  Vorgänger  des  Pelops  in  Pisa  ausgefüllt 
werden  könnten,  setzte  aber  Oinomaos  nicht  in  die  Liste  ein  sondern 
erwähnte  ihn  (wie  Nr.  3  b  Aristodemos)  bloss  nebenbei.  Die  Fortsetzung 
des  Barb.  ist  demnach  so  zu  datiren:  1325  (Lücke  27).  1298  Pelops  3-8. 
1260  Atreus  und  Thyestes  45.  1215  Agamemnon  33;  1197  in  seinem 
18.  Jahr  Troias  Fall;  nachher  regierte  er  noch  15.  1182  Aigisthos  7. 
1175  Orestes  28.  1147  —  1125  Penthilos  22.  Auf  diese  200  Jahre 
1325  — 1125  des  Africanus  beziehen  wir  Synk.  334  /,  rmv  Mvxrpaimv 
v.(>"/J]  xctTelvfrij  d\a(jyJaaaa  X9oyovS  a  y.aia  ttvagt  xtrra  <)V  ällovs  fjrrovtig. 
Der  Barbarus  oder  vielmehr  der  von  ihm  übersetzte  Chronist  folgte 
für  seine  Person,  wie  aus  seiner  biblischen  und  italischen  Rechnung  be- 
kannt ist,  nicht  dem  Africanus,  diesem  entlehnte  er  nur,  nicht  ahnend, 
dass  er  zwei  grundverschiedene  Systeme  contaminire,  die  auswärtigen 
Dynastien;  seine  troische  Epoche  ist  die  des  Eratosthenes  (s.  Nr.  5), 
welche  er  denn  auch,  wo  Africanus  den  Fall  Troias  erwähnt  oder  an- 
deutet, gewaltsamer  Weise  auf  dessen  Rechnung  zu  übertragen  sucht,  so 
hier  und  Nr.  4;  während  in  Nr.  2,  wo  eine  solche  Andeutung  fehlt, 
die  Rechnung  des  Africanus  unangetastet  geblieben  ist.  Demgemäss 
fügt  er  bei  Agamemnon  die  Bemerkung  ein:  colliguntur  nunc  ab  Ichano 
(d.  i.  Inacho)  rege  usque  ad  desolationem  Solis  quod  est  octavodecimo 
Agamemnonis  anni  septingenti  XVIII.  a  Solis  devastatione  usque  ad 
primam  olympiadam  anni  CCCCVII.  et  Porfyrius  autem  in  historia  philo- 
sofiae  sie  dixit.  Von  Inachos  1  =  1901  v.  Ch.  sind  in  der  That  718  Jahre 
bis  1183  und  von  da  407  bis  Olymp.  1:  hierauf  stützt  sich  die  Ansicht, 
welche  dem  Africanus  die  troische  Epoche  des  Eratosthenes  und  Por- 
phyrios  beilegt;  dass  jedoch  die  Zahl  718  eine  Fälschung  ist,  geht  aus 
ihrem  verkehrten  Ergebniss  hervor.  Vom  Falle  Troias  bis  zum  Ende  der 
Dynastie,  d.  i.  bis  zur  dorischen  Wanderung  liefern  die  Posten  72  Jahre 
und  dass  sie  kritisch  unantastbar  sind,  lehrt  der  Schluss:  colliguntur  vero 
Argiorum  regna  simul  anni  septingenti  XC:  denn  jene  718  werden  durch 


557 

die  72  auf  790  erhöht.  So  wird  denn  die  dorische  Wanderung  auf 
1111  und  ihr  Abstand  von  Troia  auf  7  2  Jahre  gebracht,  während  Por- 
phyrios  jene  auf  1103  gestellt  und  einen  Abstand  von  80  Jahren  ange- 
geben hat.  —  Geizer  ändert  bei  Pelops  38  in  59,  bei  Penthilos  22  in 
32  um,  beides  ohne  Gewähr  für  Africanus  und  das  zweite  auch  in  un- 
gelöstem Widerspruch  mit  der  Postensumme   72. 

3,  b.  Die  Könige  von  Sparta.  Sie  beginnen  nach  dem  Barbaras 
im  20.  Jahr  Sauls,  als  ihre  Jahrsumme  gibt  er  325  an,  ihr  Ende  fällt 
in  prima  olympiada,  in  primo  Achaz  regi  Judae  in  quo  tempore  prima 
olympiada  a  Grecis  adducta  est.  Bei  Africanus  regiert  Saul  von  1120 
an  und  Olymp.  1,  1  ist  ihm  =  Achaz  1 ;  die  Dynastie  regiert  demnach 
in  moderner  Weise  ausgedrückt  1100 — 775,  nicht  1101  —  776:  denn  das 
20.  Jahr  Sauls  und  das  1.  des  Achaz  ist  dem  Sprachgebrauch  des  Bar- 
baras gemäss  vollendet  zu  nehmen  und  den  Schluss  einer  Dynastie  be- 
zeichnet er  mittelst  Angabe  ihres  letzten  vollen  Jahres:  das  325.  Jahr 
ist  Ol.  1,  1  =  Achaz  1.  So  lässt  er  p.  45  a  Astyages  und  die  Meder 
Ol.  54,  4  endigen,  nicht  55,  1,  wo  Kyros  anfängt,  indem  er  nach  antiker 
Weise  bloss  mit  ganzen  Jahren  rechnet:  54,  4  ist  das  letzte  des  Astyages, 
55,  1  das  erste  des  Kyros;  nach  moderner  Datirungsweise  herrscht 
Astyages  bis  in  55,  1.  So  regieren  die  Lyderkönige  a  principio  primae 
olympiadis  und  man  sollte  daher,  weil  er  ihnen  232  Jahre  gibt,  als  ihr 
Ende  Ol.  59,  1  (544)  genannt  zu  finden  erwarten,  er  setzt  es  aber  in 
olympiada  LVIII.  Vgl.  ferner  p.  45  a  21.  42  a  12.  41a  27.  Die  Datirung 
im  Einzelnen  ist  also:  1100  Eurysthenes  42.  1058  Agis  2  (sehr.  1). 
1057  Echestratos  34  (Compensationsfehler  st.  35).  1022  Labotas  37. 
985  Doryssos  29.  956  Agesilaos  [30.  Cemenelaus]  44.  912  Archelaos  60. 
852  Teleklos  40.  812  —  775  Alkamenes  27  (sehr.  37).  Die  behufs  Her- 
stellung der  Summe  325  gemachten  Aenderungen  beruhen  zunächst  auf 
den  Listen  des  Eusebios  und  Synkellos,  welche  ebenfalls  die  Summe  325 
haben,  wie  auch  nicht  bloss  sie  sondern  alle  Königsverzeichnisse  von 
Sparta  Archelaos  zum  unmittelbaren  Nachfolger  seiner  Vaters  Agesilaos 
machen.  Zur  Bestätigung  dient  Malala  p.  90  tßaoikfvat  rwv  slaxedai- 
uoiivjv  nQÜTog  EvQvnfttvi;  (Barb.  Erystheus)  hrj  tuß'  xal  älloi  ßaailelg 
uet  avjov  r{.  ojliov  ißaalltvöav  kxr\  oii<  xal  u  "AXx^iaivog  (Barb.  Alca- 
manus)  I'tj]  ä£'.    y.oI  xcnifMivw  fj  ßaaüela  Aaxtdaiyioviitiv    za.  navxa    tri] 


558 

T%t  (42  -f-  246  -f~  37  =  325),  ojg  'Aq-ytxarbg  6  üoipwxaxog  oweyQcnfjaro. 
Um  die  andere  Summe  350  (s.  u.)  herauszubringen  und  den  Cemenelaue 
zu  retten,  erklärt  Geizer  die  Zahlen  246,  37  und  325  für  falsch  und 
verwandelt  die  27  des  Alkamenes  bei  dem  Barbarus  mit  ßrandis  in  32. 
beruft  sich  aber  doch  wieder  auf  Malala's  rf  als  Beweis  der  Aechtheit 
jenes  eingeschobenen  Königs,  ohne  welchen  der  ungenannten  Könige  bloss 
7  sein  würden.  Malala  hat  nur  den  Fehler  begangen,  den  letzten  König, 
welcher  in  seiner  Vorlage  mit  eingezählt  war,  von  seinen  Vorgängern 
zu  sondern,  weil  er  dessen  Regierungsjahre  besonders  vermerkt  fand  und 
das  tujg  derselben  missverständlich  im  exclusiven  Sinn  nahm:  jene  hatte 
wahrscheinlich  ähnlich  gelautet  wie  Mal.  161  eV  Maxsdoviq  n Quito g  tßaat- 
Asvoev  b  Koavabg  xal  hnnov  tßaattevoay  äk'koi  xy  (ohne  Philippos  nur  22) 
tcog  <f>iXi7i7wv ;  68  tw¥  JEucwoviar  ißaoilevot  .iou>r<>*  6  Alyia/.f-rg  in 
xal  jo  kombv  ak'koi  ßaoi/.hlg  xz  (ohne  Zeuxippos  25)  hik  Zev^innov  n>r 
ßaaiuvGavTog  avruiv  kß' ;  indem  er  in  Folge  dessen  die  Zahl  37  des 
Alkamenes  von  283  abzog,  erhielt  er  246.  Genau  denselben  Fehler 
macht  er  p.  90  tiuv  Koqiv&Lojv  eßaoikevas  totb  jiXrjrrjs  &rt)  Xb  xai  c/jjh 
ßaoiktlg  m  (vielmehr  10)  Irij  areif  (sehr.  o~n£)  xal  votsqov  ißaoilevotv* 
(Avrofievrjg  einzusetzen)  $rog  o.  .  xaTeo%t  &i  i,  ßaotXeia  fCoQtv&iojv  rä  iiavTa. 
hrj  Tiy  (sehr.  rxy').  Audi  diese  Zahlen  stammen  aus  Africanus.  Nach 
dem  Barbarus  bestand  die  Dynastie  323  Jahre  lang  vom  21.  (so  Geizer, 
die  Hdschr.  31.)  Jahr  Sauls  bis  zum  15.  (Geizer  statt  16.)  Jothams;  es 
regierten  also  1099  Aletes  35.  1064  Ixion  37.  1027  Agelas  37  (cod.  33). 
990  Prymnis  35.  955  Bakchis  35.  920  Agelas  II  30  (cod.  34,  com- 
pensirend).  890  Eudemos  25.  865  Aristomedes  35.  830  Agemon  16. 
814  Alexandros  25.  789  Telestes  12  (cod.  9,  compensirend).  777  Auto- 
menes  1  (cod.  4).  776  die  jährigen  Prytanen.  Summe  und  Posten  wie 
bei  Eusebios.  Geizer  behält  die  Fehler  des  Barbarus  bei  und  fügt  am 
Schluss  noch  den  spartanischen  Automedos  (s.  u.)  mit  seinen  25  Jahren 
hinzu,  um  entsprechend  den  350  der  Spartaner  348  für  die  Korinther 
zu  gewinnen. 

Der  Cemenelaus  des  Barbarus  ist,  wie  Scaliger  gesehen  hat,  aus  xal 
Mevilaog  hervorgegangen  und  von  Brandis,  Geizer,  Rohde  in  verschie- 
dener Weise  benützt  worden,  um  die  vermeintliche  Lücke  in  Diodors 
Liste,  welche  irrig  (s.  zu  1183  und   1136)  auf  Apollodoros  zurückgeführt 


559 

wird,  zu  ergänzen,  obgleich  sich  nicht  leicht  annehmen  lässt,  dass  ein 
alter  Chronograph  zwischen  der  60  jährigen  Regierung  des  Archelaos 
und  der  44-  oder  30  jährigen  seines  Sohnes  noch  einen  König  mit  30 
(44)  Jahren  eingeschoben  haben  würde.  Die  Unächtheit  dieses  Postens 
geht  schon  aus  seiner  Form  hervor:  die  ächten  Regenten  werden  in  den 
Listen  des  Barbaras  in  derselben  Weise  wie  in  andern  Tabellen  asyn- 
detisch ohne  Conjunction  angeschlossen,  deren  Dienste  durch  die  Eröff- 
nung einer  neuen  Zeile,  in  vielen  zugleich  durch  den  Vortritt  einer 
Ordinalzahl  überflüssig  gemacht  werden.  Der  Interpolator  erinnerte  sich 
in  seiner  Afterweisheit,  dass  auch  der  Gemahl  der  Helena  König  von 
Sparta  gewesen  war,  und  schrieb  daher  den  vermissten  am  Rande  hinzu, 
ausgestattet  mit  der  runden  Regierungsjahrzahl  30,  welche  der  letzte 
Schreiber  mit  der  des  Agesilaos  (44)  vertauscht  hat,  ein  Versehen  welches 
ihm  öfter  begegnet  ist,  vgl.  Nr.   2. 

Zwischen  dem  Ende  der  Mykenaier  (1125)  und  dem  Anfang  der 
Spartaner  (1100)  klafft  nunmehr  eine  Lücke  von  25  Jahren.  Hiemit 
hängt  es  zusammen,  dass  der  Barbaras  am  Schluss  noch  eine  zweite 
Dynastiesumme  bringt,  welche  gerade  um  25  Jahre  höher  ist  als  die 
erste  (325):  simul  reges  Lacedemoniorum  permanserunt  in  regno  annos 
CCCL,  ferner  dass  ihr  als  angeblich  eilfter  und  letzter  König  ein  Auto- 
medua  mit  abermals  25  Jahren  voraufgeht.  Die  älteren  Chronologen 
haben,  wie  zu  1136  1171  1183  1096  gezeigt  wird,  die  dorische  Er- 
oberung der  Peloponnesos  nicht  auf  einen  Schlag  vor  sich  gehen  lassen : 
mit  gutem  Bedacht  nahmen  sie  an,  dass  der  Landvertheilung  und  da- 
mit den  neuen  Städte-  und  Dynastiegründungen  ein  langer  Krieg  voraus- 
gegangen war,  während  dessen  die  Eroberung  in  successiver  Weise  er- 
folgte; die  Dauer  dieser  Uebergangszeit  wurde  verschieden  bestimmt; 
25  Jahre  finden  wir  zuerst  von  Sosibios  ihr  beigelegt.  Africanus  setzte 
also  1125 — 1100  den  dorischen  Krieg;  im  Text  wird  er  ähnlich  wie  in 
der  argivisch  -  mykenäischen  Liste  eine  Lücke  von  25  Jahren  gelassen 
und  zuletzt  in  einer  Anmerkung  wie  dort  Oinomaos  so  hier  Aristodemos, 
den  Vater  des  Eurysthenes  und  Prokies,  als  Lückenbüsser  vorgeschlagen 
haben. 

4.  Die  Assyrerliste  des  Barbarus  enthält  kein  sicheres  Anzeichen 
africanschen   Ursprungs;    da   aber   von    den   in   der  jüdischen,    dem  Ex- 


560 

cerptor  eigenen  Chronographie  wiederkehrenden  Listen  abgesehen  alle 
bloss  in  der  Dynastien tafel  vorkommenden  Verzeichnisse,  deren  Ursprung 
sich  nachweisen  lässt,  auf  Africanus  zurückgehen,  so  entsteht  die  Prä- 
sumption,  dass  dies  auch  bei  den  andern  der  Fall  sei.  Die  angegebene 
Jahrsumme  1430  ist  verdorben;  die  Posten  ergeben  1377  oder  vielmehr, 
da  Atossa,  welche  im  Barbarus  23  Jahre  hat,  von  Eusebios  als  Mit- 
regentin  ihres  Vaters  Belochos  II  bezeichnet  und  diese  Eigenschaft  auch 
in  Kephalions  Auszug  aus  Ktesias  (Euseb.  I  62,  16)  und  von  Synkellos. 
wie  wir  aus  ihrer  Nichteinzählung  schliessen,  vorausgesetzt  wird,  nur 
1354;  dass  der  Barbarus  sie  besonders  zählt,  ist  ähnlich  zu  erklären 
wie  sein  post  hunc  (S.  555).  Ferner  sind  bei  den  letzten  Königen,  wie 
Brandis,  de  temporum  graec.  antiquissimorum  rationibus  p.  34  gezeigt 
hat1),  10  Jahre  abzustreichen,  um  den  zwischen  der  troischen  Epoche 
1183  und  dem  Schlussjahr  843  nöthigen  Abstand  von  340  Jahren  zu  er- 
reichen, wodurch  sich  die  Postensumme  auf  1344  verringert.  Statt  1430 
ist  also  mit  Karl  Müller  und  Brandis  1340  zu  schreiben  und  zu  diesem 
Behuf  noch  irgendwo  ein  Abstrich  von  4  Jahren  zu  machen.  Bei  Afri- 
canus beginnt  der  Meder  Arbakes,  welcher  das  assyrische  Reich  stürzte. 
829  (Barb.  45  a);  hat  jener  1340  Jahre  gezählt,  so  setzte  er  den 
Anfang  des  ersten  Königs  Belos  auf  2169;  die  Posten  des  Barbarus  er- 
geben von  ihm  bis  zum  Ende  des  Königs  Tautamos,  in  dessen  letztes 
Jahr  Ktesias  die  Eroberung  Troias  verlegte,  972  Jahre,  wodurch  sie  in 
1197  v.  Ch.  gebracht  wird,  also  genau  in  das  Epochenjahr  des  Africanus. 
Die  erwähnte  Präsumption  erscheint  hiemit  gerechtfertigt  und  das  Zuviel 
von  4  Jahren  ist  bei  einem  König  nach  Tautamos  zu  suchen. 

Die  Erwähnung  der  troischen  Epoche  veranlasste  den  Excerptor 
wieder  zu  einer  auf  Herstellung  des  Datums  1183  berechneten  Inter- 
polation. Die  zu  Tautamos  gehörende  Note:  anno  isto  tricensimo  seeundo 
(Tautamos  regierte  32  Jahre)  confixus  est  Sol  ab  Acheis  schob  er  um 
eine  Stelle  herab,  zum  nächsten  König  Teutaios  (mit  40  Jahren);  eine 
offenbare  Fälschung,  denn  die  Assyrerlisten  gehen  auf  Ktesias  zurück  und 
dass  Tautamos  der  König  war,  welcher  sich  durch  ein  Entsatzheer  am 
Troerkrieg  betheiligte,    stand    aus    ihm    ebenso    fest  wie    die  Theilnahme 


1)  Er  gibt  dem  Sardanapallos  mit  den  andern  Listen  '20  Jahre  statt  30. 


561 

Agamemnons  aus  Homer.  Dadurch  rückte  die  Epoche  zunächst  um 
32  Jahre  herab,  d.  i.  um  18  Jahre  zu  tief,  von  1197  auf  1165.  Andrer- 
seits entnahm  er  aus  einem  andern  Chronisten  das  Datum,  welches  er 
dem  Ende  der  Assyrerdynastie  gibt,  67  Jahre  vor  Ol.  1,  das  jener  z.  B. 
bei  Eusebios  I  53.  189  finden  konnte;  es  liegt  14  Jahre  vor  dem  des 
Africanus.  Damit  war  sein  Zweck  bereits  erreicht:  denn  ein  König  hatte 
in  Folge  eines  von  ihm  vorgefundenen  Fehlers  4  Jahre  zu  viel,  z.  B.  der 
von  Africanus  aus  Kastor  entnommene  letzte,  Ninos  IL  kann  statt  19 
ursprünglich  15  gehabt  haben:  E  und  (■)  tauschen  oft  miteinander.  Statt 
368  Jahre  (1197 — 829)  erhielt  er  dann,  da  10  ein  Schreiber  aus  Ver- 
sehen hinzugefügt  hat,  340  (1183—843). 

Ninos  I  beginnt  in  dieser  Rechnung  2107,  also  311  Jahre  vor  der 
Ogygesfluth  und  dem  Auszug  Mosis,  übereinstimmend  mit  Africanus  bei 
Synkell.  119  ngtSroß  T)Q&  Nirog  anaarig  r^g  Aoiag  nh)r  *ivddry  treoi  jyia- 
xooiotg  ov  nokv  nfpnsQOv  'Llyvyov:  denn  der  corrupte  Text  dieser  Stelle 
meint  doch  wohl:  nicht  viel  über  300  J.  früher  als  Ogyges;  nach  ryta- 
xoaioig  ist  xctl  einzusetzen.  Mit  Unrecht  schliesst  hieraus  Geizer.  Afr. 
habe  mit  Ninos  angefangen  und  den  Belos,  welchen  der  Barbarus  mit 
62  Jahren  vor  ihm  nennt,  nicht  oder  wenigstens  ohne  Jahrzahl  genannt: 
er  bezeichnet  Ninos  nicht  als  ersten  Assyrerkönig  überhaupt  sondern  als 
ersten  Eroberer  und  Weltherrscher.  Unbrauchbar  ist  Synk.  23(i  oft  1101 
ffoxel  xaXdis  0  *A(pQueavos  "'  y  i-oyw  rcöv  uJTOQtdw  avrov  ipayat  rrjv  'Aq- 
yeuov  ßaciifoiav  T(p  o  i-rtt  //„•  '.■JaavQiujv  ßaaütiag  ay^aoftai  inl  'A^tiov 
niiiTov  ßaaiktujg  'Aacivy'uxiv .  Das  200.  Jahr  der  Assyrer  fällt  allerdings, 
den  Belos  mitgezählt,  in  die  Zeit  des  5.  Königs  Areios;  aber  dieser 
regiert  nach  obiger  Rechnung  1975 — 1945,  nicht  1901,  wo  Inachos  an- 
fängt. Dieses  Jahr  ist  das  270.  seit  2169;  Africanus  hat  also  00  ge- 
schrieben, Synkellos  aber  den  Fehler  a  schon  vorgefunden  und  während 
Afr.  bloss  die  Jahrzahl  angegeben  hatte,  Namen  und  Zahl  des  Königs 
selbst  hinzugefügt. 

Geizer  sucht  bei  dem  Barbarus  Kastors  Rechnung  (über  diese  s.  zu 
1171),  die  des  Africanus  aber  bei  Pseudeusebios ,  welcher  ebenfalls  den 
Ninos  II  hinzufügt.  Auf  Grund  der  eben  angeführten  corrupten  Synkellos- 
stelle  lässt  er  Ninos  I  2100  v.  Ch.  beginnen,  1271  Jahre  vor  dem  Ende 
der  Dynastie  (829)  und  gewinnt  diese  Summe  aus  dem  falschen  Eusebios, 
Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  III.  Abth.  73 


562 

indem    er    die   1196    Jahre    der    von    diesem    angegebenen  Posten    durch 


Ö~tV 


Hinzufügung  nicht  blos  der  in  der  That  ausgefallenen  Könige  Armamithres 
mit  38  und  Sosares  mit  20  sondern  auch  der  Mitregentin  Atossa  mit 
17  Jahren  (so  Eusebios  im  I.  Buch)  auf  1271  bringt.  Der  Ausfall  beträgt 
jedoch  nicht  75  sondern  100  Jahre:  die  Posten  liefern  1441,  die  an- 
gegebene Summe  ist  1541  Jahre,  welche  durch  das  Anfangsdatum  des 
ersten  Königs  Belos,  Weltjahr  3239  und  die  Datirung  des  letzten,  Asar- 
haddon  gesichert  ist;  aus  den  Synchronismen  dieses  Königs  und  der 
andern  Nachfolger  des  Ninos  II  mit  den  Königen  Juda  und  Israel  bei 
Pseudeusebios  geht  mit  Sicherheit  hervor,  dass  jene  100  Jahre  zwischen 
Belos  und  Ninos  II  ausgefallen  sind.  Ueberhaupt  ist  es  nicht  erweislich, 
dass  dieser  Chronograph  auf  Africanus  fusst:  was  Gutschmid  in  diesem 
Sinn  anführt,  die  Gleichung  von  Ol.  1,  1  mit  Weltj.  4725  (bei  Afr.  viel- 
mehr 4727)  beruht  auf  den  vom  Vf.  selbst  zur  Begründung  beigebrachten 
Elementen:  Christi  Tod  Weltj.  5533  (Afr.  5532)  und  Ol.  202,  4  (Afr.  2-02,  2); 
das  letzte  Jahr  voll  nehmend  erhielt  er  202  Olympiaden  =  808  Jahre, 
welche  von  5533  abgezogen  4725  ergaben.  Ebensowenig  stammt  seine 
Rechnung  der  letzten  jüdischen  Könige  aus  Africanus:  dieser  zählt  dem 
Herodes  34,  Pseudeusebios  26  Jahre. 

5.  Die  italische  Rechnung.  Nach  Synkellos  p.  400  hätte  Afr.  von  Brutus 
bis  zu  den  Consuln  von  221  n.  Chr.  725  Jahre  gezählt,  also  die  ersten 
Consuln  504  v.  Chr.  gesetzt,  was  zu  seinen  Angaben  über  die  römischen 
Könige  nicht  passt.  Geizer  corrigirt  727,  aber  ein  zweiter  gegen  504 
sprechender  Grund  trifft  auch  das  Jahr  506:  die  unverdächtigen  Consuln- 
listen  bringen,  je  nachdem  sie  2  oder  3  Decemvirn  — ,  4  oder  5  Anarchie- 
jahre zählen,  das  erste  Consulat  nur  in  510,  509  oder  508.  Aus  paläo- 
graphischen  Rücksichten  empfiehlt  es  sich,  eine  Vertauschung  von  E  und  (■) 
anzunehmen:  mit  729  Jahren  erhalten  wir  508  v.  Chr.  Den  römischen 
Königen  geben  die  Auszügler  theils  245  Jahre,  so  Leon  und  Theodosios, 
welchen  G.  folgt;  theils  243:  so  Symeon  Logotheta  in  der  Pariser  Hds. 
fol.  70  b  laut  Mittheilung  des  der  Wissenschaft  vor  der  Zeit  entrissenen 
Ad.  Laubmann,  Kedrenos  u.  a.  Auszügler.  Da  die  Listen  der  guten  Ueber- 
lieferung  239 — 244  Jahre  bieten,  so  ziehen  wir  243  vor  und  erhalten 
für  Roms  Gründung  751  v.  Ch.  Von  Aineias  bis  dahin  waren  xar  'Aipyi- 
y.avov    xai    Kaoro^a    xal   (Evrjtßiov)    röv    FTaiMptiov    stt]    'Q'   aal    i     xal   v 


563 

verflossen,  Laur.  Lydus  de  magistrat.  I  2.  Diese  Zahl  gehört  (was  G. 
wegen  seiner  Ansicht  von  dessen  troischer  Epoche  bezweifeln  musste) 
dem  Kastor,  s.  zu  1171;  Eusebios  gibt  im  I.  Buch  427,  im  Kanon 
426  Jahre;  auch  Africanus  muss,  weil  er  Troias  Fall  viel  früher  setzte 
als  Kastor,  eine  höhere  Zahl  als  417  gehabt  haben.  Vielleicht  stimmte 
sie  mit  Eusebios  und  zwar  mit  dessen  erster  Zahl,  so  dass  ihm  der  An- 
fang des  Aeneas  1178  v.  Ch.  fiel,  was  im  Datum  auch  zum  Kanon 
stimmt  (Abr.  839).  Dann  zählte  er  von  Troia  (1197)  bis  dahin  19  Jahre. 
So  viele  gibt  in  der  That  der  Barbarus;  seine  Rechnung  freilich  ist  nicht 
die  des  Africanus,  aber  auch  keiner  anderen  Ueberlieferung  entlehnt, 
sondern  willkürlich  auf  die  troische  Epoche  1183  zugestutzt,  um  von 
ihr  auf  das  verkehrte  Datum  des  Brutus  512  v.  Ch.  (so  Hieronymus  zu 
Abr.   1507,  Malala  p.   188,  Kedrenos  I  289)  zu  gelangen. 

Der  Barbarus  gibt  den  Latinern  402,  den  Römern  251,  zusammen 
653  Jahre,  welche  mit  Ol.  66,  d.  i.  in  Ol.  67,  1.  512  ablaufen  und 
Aeneas  auf  1165,  llomulus  auf  763  bringen.  Diese  Rechnung  bringt  er 
sowohl  in  der  Dynastientafel  als  in  der  jüdischen  Chronographie,  die 
Zahlen  der  letzteren  aber  entsprechen  dem  bis  Africanus  herrschenden 
System,  welches  die  im  1.  Jahr  Kyros'  ablaufenden  70  Jahre  der  baby- 
lonischen Gefangenschaft  mit  der  Zerstörung  Jerusalems  anneng  und  diese 
demgemäss  auf  630  v.  Chr.  stellte;  mit  den  in  der  Bibel  angegebenen 
475 — 476  Königsjahren  brachte  sie  Davids  Anfang  auf  1105  oder  1106. 
Dem  entspricht  es,  dass  Barb.  27  a  mit  Olymp.  1,  1  das  11.  (Africanus 
das  1.)  Jahr  des  Achaz  gleicht;  die  Abweichungen  von  der  Bibel,  welche 
manche  seiner  Königszahlen  aufzeigen,  sind  als  Schreibfehler  zu  behandeln; 
von  der  Heil.  Schrift  abzuweichen  erlaubte  sich  kein  Chronist.  Sauls 
20  Jahre  beginnen  also  1125  oder  1126,  die  20  des  Samuel  1145  (1146), 
die  gleichen  des  Eli  1165  (1166).  Desswegen  konnte  er  in  der  Dynastien- 
tafel (vgl.  Nr.  1)  schreiben:  regnavit  Eneas  nono  et  decimo  post  de- 
vastationem  Solis  in  diebus  Heli  et  Samuhelis;  das  (vollendete)  19.  Jahr 
seit  1183  ist  1164;  von  den  38  Jahren,  welche  er  Aeneas  gibt,  kommen 
also  18  —  19  auf  Eli,  die  übrigen  auf  Samuel.  Wenn  er  gleichwohl  in 
der  jüdischen  Chronographie  die  Zerstörung  Troias  unter  Eli  setzt,  welchen 
er  doch  erst  17 — 18  Jahre  nach  1183  zur  Regierung  kommen  lässt,  so 
erhellt,    dass  er  diesen  Synchronismus    blindlings    einem  fremden  System 

7-".* 


564 

entlehnt  hat;  er  kannte  aber,  wie  seine  gedankenlose  Entlehnung  der 
Nebendynastien  aus  Africanns  beweist,  ausser  dem  in  seiner  Hauptrechnung 
adoptirten  kein  anderes  als  eben  das  des  Africanus.  Daraus  schliessen 
wir,  dass  er  die   19  Jahre  diesem  entnommen  hat. 

IL  Die  Epoche  1197  befolgte  der  Chronograph,  welchem  Velleius. 
Abydenos  u.  a.  das  Datum  848  für  den  Ausgang  der  Assyrer  und  den 
Anfang  des  Arbakes  verdanken  (S.  548).  Ferner  vielleicht  Trogus  Justin. 
XVIII  3  Tyron  urbem  ante  annum  Troianae  cladis  constituerunt,  vgl.  zu 
1153  und  1096.  Carthagos  Gründung,  38  J.  vor  Ol.  1  nach  Timaios  bei 
Dionys.  ant.  Rom.  I  74,  fand  144  1)  Jahre  8  Monate  nach  der  Betheilii>iun; 
des  Königs  Hirom  von  Tyros  an  Salomos  Tempelbau,  diese  240 2)  Jahre 
nach  der  Gründung  von  Neutyros,  letztere  also  1198  v.  Chr.  statt. 
Josephos  antiq.  VIII  3,   1;  g.  Apion  I   17  —  18.     Vgl.  zu  Ep.   1147. 

Manetho  erklärte  Thuoris,  den  letzten  König  der  XIX.  Dynastie  und 
des  IL  Tomus  für  den  Polybos  der  Odyssee,  dessen  Gastfreund  Menelaoa 
wurde,  und  Hess  ihn  1202  — 1195  regieren.  Um  auch  bei  ihm  die  (von 
Eratosthenes,  vgl.  S.  539,  also  erst  nach  Manethos  Zeit  geschaffene)  Epoche 
1183  nachweisen  zu  können,  lässt  Geizer  den  III.  Tomus  trotz  der  über- 
einstimmenden Ueberlieferung  beider  Zeugen,  des  Africanus  und  Eusebios 
mit  Dyn.  XIX  beginnen  und  sucht  auf  diese  Weise  die  handschriftliche 
Jahrsumme  dieses  Tomus:  1050,  bei  welcher  sein  Anfang  auf  1395  v.  Chr. 
zu  stehen  käme,  gegen  Boeckh's  Verbesserung  850  zu  schützen.  Er  ver- 
gisst  jedoch,  dass  diese  Aenderung  durch  den  cyklischen  Charakter  der 
ganzen  Rechnung  noth wendig  gemacht  wird  (Chronol.  d.  Man.  64)  und 
kann  auch  nach  Einbeziehung  der  XIX.  Dynastie  in  diesen  Tomus  die 
Summe  1050  nur  dadurch  erreichen,  dass  er  der  XXI.  Dynastie  auf 
Grund  der  zum  Theil  verdorbenen  Posten  114  Jahre  gibt,  während  die 
Angabe  der  Summe  bei  Africanus  und  Eusebios  übereinstimmend  auf  130, 
bei  Pseudeusebios  auf  131  lautet.  Und  auf  welchem  Zeugniss  beruht  jene 
Verlegung  der  XIX.  Dynastie  in  den  dritten  Tomus?  Lediglich  auf  den 
Worten  des  Barbarus:  usque  ad  septimam  decimam  potestatem  secundum 


1)  143  J.  8  M.  zählt  Josephos,   aber   beim  12.  Jahr  Hiroms;    hiezu  ist  eines  zu  fügen,  weil 
die  240  vom  1 1 .  Jahr  Hiroms  zurückzahlen. 

2)  Nur  cod.  N  der  armen.  Uebers.  des  Eusebios  (Abr.  745)  241 ;  Chron.  pasch,  p.  148  khc- 
xooioig  nsrre  y.ai  tvi  scheint  verschrieben  aus  dtaxoolois  nevtrixovxu. 


565 

scribitur *)  tomum,  ut  docet  numerum  habentera  annos  mille  quingentos  XX, 
welche  nach  Geizer  auf  das  Ende  des  ganzen  zweiten  Tomus  gehen,  ob- 
gleich für  diesen  die  Jahrsumme  2121  feststeht,  von  der  XVII.,  nicht 
der  XIX.  oder  XVIII.  Dynastie  die  Rede  ist  und  die  Form  der  Schluss- 
bemerkung zum  ersten  Tomus  (hec  finis  de  primo  tomo  Manethoni  habens 
tempora  annorum  duo  milia  C)  von  der  hier  vorliegenden  verschieden  ist. 
Die  auffallende  Thatsache,  dass  der  Barbarus  den  dritten  Tomus  gar  nicht 
hinzugefügt  hat,  wird  erst  daraus  begreiflich,  dass  auch  der  zweite  nicht 
zum  Ende  geführt  ist.  Jene  1520  Jahre  führen  in  der  That  bis  zum 
Ende  der  XVII.  Dynastie  (Chron.  d.  Man.  70)  und,  da  der  zweite  Tomus 
und  Dyn.  XII  im  J.  3314  anhebt,  bis  zum  Jahr  1795,  dem  Anfangsjahr 
des  Amosis,  zugleich  dem  Jahr  der  ogygischen  Fluth  und  nach  Africanus 
auch  des  Auszugs  Mosis.  Mit  diesem  grossen  Epochenjahr  der  ägyp- 
tischen, hellenischen  und  biblischen  Geschichte  begann  er,  laut  seiner 
eigenen  Erklärung  bei  Euseb.  praep.  X  10,  die  synchronistische  Behand- 
lung der  jüdischen  Geschichte,  indem  er  von  hier  an  die  profanen  Gleich- 
zeitigkeiten an  Ort  und  Stelle  beifügte;  die  früheren  Data  der  auswärtigen 
Geschichte  fand  sein  Leser  in  den  vorher  mitgetheilten  Dynastieverzeich- 
nissen. Der  vom  Barbarus  übersetzte  Excerptor  hat  nur  die  an  einem 
Ort  zusammengestellten  ägyptischen  Dynastien  I— XVII  ausgezogen;  die 
Mühe,  von  1795  ab  an  13  verschiedenen  Orten  die  späteren  zusammen- 
zusuchen, hat  er  sich  erspart.  Weiter  hat  G.  weder  die  Beweise  (Man.  169  ff.), 
welche  den  Anfang  der  XVIII.  Dynastie  auf  1795  bringen,  berücksichtigt 
noch  den  Umstand,  dass  jenes  auffallend  hohe,  von  Africanus  nur  durch 
gewaltsame  Hypothesen  erzielte  Datum  des  Auszugs  Mosis,  sich  eben  nur 
aus  seinem  Synchronismus  mit  dem  Untergang  der  Hyksosherrschaft, 
welche  den  Uebergang  von  der  XVII.  Dynastie  zur  XVIII.  und  zu  Amosis 
bildet,  erklären  lässt,  und  wenn  er,  um  diesem  Einwand  zu  entgehen, 
meint,  Africanus  habe  auf  Manetho  gar  keinen  sonderlichen  Werth  ge- 
legt, so  setzt  er  sich  nicht  nur  mit  aller  Wahrscheinlichkeit  sondern  auch 
mit  seinem  eigenen  Versuch,  für  Manetho  dieselbe  troische  Epoche  zu 
erweisen  wie  für  Africanus,  in  Widerspruch  und  muss  trotzdem  auch  im 
concreten  Falle  (Afr.  207)  zugestehen,  dass  bei  Africanus  die  Könige  der 


1)  D.  i.  tov  SevrtQov  Kviiyouipirtu  röfxov,  näml.  6  '/tcpgixapog. 


566 

XVIII.  Dynastie  in  der  von  mir  bezeichneten  Zeit  angesetzt  sind,  was 
bei  der  'redlichen  Weise  des  Africanus  eben  doch  nur  aus  Vorgang  des- 
jenigen Aegypters  erklärt  werden  kann,  von  dessen  Werk  allein  er  einen 
Auszug  veranstaltet  hat. 

Zum  Schluss  noch  eine  Probe.  Armais,  welchen  Eusebios  u.  a.,  ohne 
Zweifel  nach  dem  Beispiel  des  Africanus,  mit  Danaos  identificiren,  regiert 
nach  dem  Manetho  des  Africanus  (in  d.  Chron.  d.  Man.  157  fg.  mit  C 
bezeichnet)  1496 — 1491;  dazu  stimmt,  dass  Danaos  bei  Africanus  1487 
bis  1437  in  Argos  regiert1);  ähnlich  Eusebios,  bei  welchem  die  Zeit 
zwischen  seinem  Sturz  in  Aegypten  und  der  Thronbesteigung  in  Argos 
9  Jahre  ausmacht.  Bei  Geizer  wird  Armais  1410  gestürzt,  66  Jahre 
vorher  aber  Danaos  in  Argos  zum  König  erhoben. 

1193  bei  Thrasyllos. 

Eine  Reihe  Data  von  1533  bis  776,  welche  auf  dem  troischen 
Datum  1193  beruhen,  verzeichnet  Clemens  ström.  I  335,  vgl.  Müller 
fr.  hist.  III  502    und  oben  zu  Epoche   1290.     Ueber  Kastor    s.  zu   1171. 

1183  Eratosthenes,  Apollodoros. 

Bei  Clemens  ström.  I  336  zählt  Eratosthenes  von  Troias  Einnahme 
(1184/3)  bis  zur  Herakleidenheimkehr  80  Jahre  (1104/3);  von  da  bis  zur 
Gründung  Joniens  60  (1044/3);  weiter  bis  zur  Vormundschaft  Lykurgs 
159  (885/4);  bis  zum  Vorjahr  der  ersten  Olympienfeier  108  (777/6). 
Yon  dieser  Olympienfeier  (1,  1.  776/5)  bis  zu  Xerxes  Heerfahrt  297 
(75,  1.  480/79);  von  dieser  zum  Anfang  des  peloponnesischen  Krieges 
48  (87,  1.  432/1),  zu  seiner  Beendigung  und  der  Niederlage  der  Athener 
27  (93,  4.  405/4),  zur  Leuktraschlacht  34  (102,  2.  371/0);  nach  ihr  zum 
Ende  Philipps  35  (111,  1.  336/5),  darnach  zum  Abscheiden  Alexanders 
12  (114,  1.  324/3).  Die  zu  Grunde  gelegte  Jahrform  ist  die  attische: 
nur  bei  ihr  konnten  auf  Alexanders  Regierung  (12  Jahre  10  '/a  Monate. 
Philol.  XLI  83)  12  statt  13  Jahre  gezählt  werden.  Die  den  Alten  ge- 
läufige inclusive  Zählungsweise,  welche  beide  Grenzjahre  einrechnet,  lässt 


1)  Dadurch  bestätigt  sich  die  Theilung  der  576  (575)  Jahre  in  414  (413)  der  Inachiden  und 
162  der  Danaiden,  s.  I  3,  a. 


567 

sich,  wenn  wie  hier  eine  ganze  Reihe  von  Abständen  vorgeführt  wird, 
nur  bei  dem  ersten  anwenden;  die  auffallende  Erscheinung,  dass  sie  hier 
vielmehr  bei  dem  fünften  Intervall  (776 — 480)  angewendet  wird,  erklärt 
sich  daraus,  dass  die  alten  Chronologen,  wie  Varro  bei  Censorinus  21 
angibt,  zwei  grosse  Zeiträume  unterschieden:  einen  mythischen  und  einen 
historischen;  ihre  Grenze  bildete  die  erste  Olympienfeier.  Troias  Fall 
war  nur  eine  späte  Epoche  des  ersteren,  Eratosthenes  verzeichnete  auch 
die  fabelhaften  Könige  aller  Reiche,  welche  lange  vor  jenem  anhoben; 
das  troische  Datum  bildet  also  nur  eine  Fortsetzung  und  ist  daher  in 
exclusiver  "Weise  berechnet. 

Zuerst  benützt  findet  sich  das  neue  System  in  der  bis  144  v.  Chr. 
geführten  Chronik,  von  welcher  Skymnos  23  ff.  spricht,  für  die  troische 
Epoche;  dann  von  Aristarchs  Schüler  Aristodemos  aus  Elis  und  von 
Polybios  für  die  Behauptung,  dass  die  Olympienstiftung  Lykurgs  884 
falle,  Synkell.  370.  Um  70  (Philologus  XL!  602  ff.)  schrieb  der  Gram- 
matiker Apollodoros  aus  Athen  eine  metrische  Bearbeitung  desselben 
(Plutarch.  Lyk.  1.  Solinus  1).  welche  selten  (nachweislich  nur  in  Ansehung 
Homers)  Abweichungen,  wohl  aber  Zusätze  und  eine  Fortsetzung  bis  in 
seine  Zeit  enthielt  und  selbst  wieder  von  Cornelius  Nepos  und  Diodoros 
ausgeschrieben,  von  Lutatius  Daphnis  (bei  Solin.  1),  Cicero,  Plutarchos, 
Clemens  von  Alexandreia,  den  zwei  pseudoplutarchischen  Homerbiographien, 
Proklos  u.  a.  benützt  wurde1).  Als  Anhänger  (ant.  rom.  I  73),  dann  als 
Bearbeiter  und  Fortsetzer  der  eratosthenischen  Chronographie  trat  unter 
Augustus  Dionysios  von  Halikarnassos  auf2),  der  auch  die  Fortsetzung 
Apollodors  nicht  verschmähte.  Manche  haben  die  drei  Hauptepochen  der 
halbhistorischen  Zeit:  Troias  Fall,  die  dorische  und  ionische  Wanderung 
nach    Eratosthenes    oder   Apollodoros    bestimmt,    im    Uebrigen    aber   sich 


1)  Wie  Eusebios  dazu  gekommen  \<t.  das  Datum  von  1184/3  auf  1182/1  zu  bringen,  erklärt 
Gutschmid,  de  temporum  notis  quibus  Eusebius  utitur  in  chron.  can.  1868. 

2)  Da  er  I  63  das  Jahr  der  troi.schen  Epoche  als  ein  Schaltjahr  behandelt  (S.  358),  so  haben 
manche,  Metons  Cyklus  voraussetzend,  dasselbe  für  1185/4  erklärt;  das  Richtige  gibt  Em.  Müller 
Jahrbb.  1859  S.  390.  Eratosthenes,  gestorben  um  194,  verbesserte  die  Oktaeteris,  ist  also  wahrschein- 
lich Schöpfer  des  (oder  eines)  Schaltkreises,  welcher  durch  Weglassung  eines  Schaltmonats  in  je 
160  Jahren  die  Oktaeteris  auf  Jahrhunderte  hinaus  lebensfähig  machte:  in  diesem  musste  1184/3 
mit  224/3  correspondiren,  weil  die  Entfernung  6  mal  160  Jahre  beträgt;  in  letzterem  Jahre  aber 
fiel  bei  richtigem  Kalendergang  der  23.  Skirophorion  auf  den  9.  Juni  223,  welcher  genau  wie  das- 
selbe attische  Datum  bei  Dionysios  17  Tage  vor  der  Wende  lag. 


568 

freie  Hand  behalten:  so  z.  B.  Velleius1),  welcher  den  Tod  des  Herakles 
nicht  mit  letzterem  53  sondern  40  Jahre  vor  Troias  Zerstörung  setzt. 
Wenn  Varro  bei  Censorinus  21  von  Troia  bis  Olymp.  1  paulo  plus 
CCCC  (annos)  zählt,  so  geht  offenbar  auch  er  von  dem  Datum  des  Era- 
tosthenes  aus,  doch  liegt,  was  gewöhnlich  verkannt  wird,  dem  Intervall 
CCCCVII,  welches  er  ebend.  als  das  von  Eratosthenes  aufgestellte  be- 
zeichnet, eine  andere  als  die  attische  Jahrform  zu  Grunde.  Von  1184/3 
bis  776/5  sind  attisch  408  Jahre,  408  gibt  auch  Diodoros  1  5  und  der- 
selbe bei  Euseb.  I  221  aus  Apollodoros  an.  Wer  aber  nach  römischer 
Weise  das  Jahr  mit  dem  1.  Januar  oder  auch  mit  Roms  Grimdungstag 
21.  April  anfieng  und  jene  Epochendata  auf  dasselbe  übertrug,  der  er- 
hielt von  (Juni)  1183  bis  (August)  776  nur  407  Jahre.  Dieselbe  Zahl 
erhielten  diejenigen,  welche  wie  die  Bewohner  Syriens  und  Kleinasiens 
das  Jahr  nach  makedonischer  Weise  im  Herbst  (um  1.  Oktober)  odet 
wie  später  die  Byzantiner  mit  dem  1.  September  anfiengen.  Daraus  er- 
klärt es  sich,  dass  Tatianus  41,  Porphyrios  bei  Eusebios  I  189  und 
andern,  Charax  bei  Suidas  c'ü,urjQog  und  der  Chronist  von  886  bei  Cramer 
An.  par.  II  188  ebenfalls  407  angeben,  Porphyrios  sogar  unter  Berufung 
auf  Apollodoros:  Tatian  war  laut  seiner  eigenen  Erklärung  (c.  41)  yevnf- 
{}tls  ir  T/}  Tuiv  'Aaavyuoi'  yfiy  Porphyrios  ein  Tyrier,  die  zwei  zuletzt 
genannten  citiren  den  Porphyrios  und  schreiben  zur  Zeit  des  September- 
neujahrs. Aus  der  syromakedonischen  Jahrepoche  erklärt  es  sich  auch, 
dass  Porphyrios  bei  Eus.  I  249  die  Thronbesteigung  des  Seleukos,  ge- 
schehen im  Frühjahr  312  nach  der  Schlacht  bei  Gaza,  in  Ol.  112,  1 
(ihm  Oktober  313  bis  Oktober  312)  und  ebend.  I  231  die  Regierung  der 
Olympias,  Herbst  317  bis  Frühj.  316,  in  Ol.  116,  1  =  Kassanders  erstes 
Jahr   setzt.2)     Jedoch   ist   solche    Rücksicht    auf   die  Verschiedenheit  der 


1)  Er  setzt  die  dorische  Wanderung  80  Jahre  nach  Troia;  da  er,  wie  Kritz  erwiesen  hat, 
II  49,  2.  65,  2  u.  a.  für  Roms  Gründung  Ol.  7,  2.  751  voraussetzt  und  seine  Handschrift  viele 
Zahlenfehler  enthält,  so  ist  unbedenklich  in  seinem  Datum  des  Romulus  I  6  septiina  (statt  sexta) 
Olympiade  post  V  (st.  II)  et  XX  annos  und  post  Troiam  annis  CCCCXXXIII  (st.  CCCXXXVII) 
zu  schreiben. 

2)  Gleiches  gilt  aus  gleichem  Grunde  für  Phlegon  (Akad.  Sitzungsb.  München  1882.  I  302) 
und  Kastor  (s.  zu  1171):  die  dorische  Wanderung  setzt  dieser  und  Porphyrios  1103  (d.  i.  1104/3 
beginnend  mit  Oktober),  Eratosthenes  1104  (d.  i.  1101/3  beginnend  mit  Juli),  die  ionische  fällt 
bei  jenen  1043,  bei  diesem  1044.     Vgl.  über  Ephoros  zu  1136. 


569 

Jahrepoche  nicht  von  allen  Römern  und  Asiaten,  auch  meist  nur  da 
geübt  worden,  wo  das  Monatsdatum  eines  Ereignisses  beachtet  wurde: 
in  anderen  Fällen  ist  Porphyrios  von  der  Olympiadenzählung  älterer 
Schriftsteller  wohl  ebenso  wenig  abgegangen,  als  dies  Africanus  und 
Eusebios  gethan  haben,  welche  für  ihre  Person  und  in  der  von  ihnen 
selbständig  bearbeiteten  Geschichte  ebenfalls  das  syromakedonische  Jahr 
voraussetzen. 

Den  Anfang  des  Inachos  setzte  Eratosthenes,  wie  p.  549  aus  Clemens' 
Angabe  über  Ktesias  geschlossen  wurde,  auf  1942  oder  1941.  Eben- 
dahin verlegt  Clemens  a.a.O.  den  Auszug  Mosis;  und  der  nämliche  schreibt 
ström.  I  321  =  Eus.  praep.  X  12:  'Moses  findet  sich  604  Jahre  vor  der 
Gott  werdung  des  Dionysos,  wenn  anders  diese,  wie  es  in  Apollodors 
Chronik  heisst,  in  das  32.  Jahr  des  Perseus  fällt.  Von  Dionysos  bis  zu 
Herakles  und  den  Argonauten  ergeben  sich  63  Jahre;  von  der  Argo- 
fahrt ])  des  Herakles  bis  zu  seinem  und  des  Asklepios  Gottwerden  38 
nach  dem  Chronographen  Apollodoros.  Von  hier  bis  zu  Kastors  und 
Polydeukes  Apotheose  53  Jahre;  hier  ungefähr  (tvTav&a  tjov)  auch  die 
Einnahme  Ilions/  In  der  Ilias  /'  243  glaubt  Helena  irrig,  ihre  Brüder 
seien  noch  am  Leben;  Apollodoros  setzte  also  ihren  Tod  in  den  Anfang 
von  1184/3  oder  in  1185/4,  das  32.  Jahr  des  Perseus  154  Jahre  vorher 
auf  1338  oder  1339,  Mosis  Auszug  und  Inachos  604  Jahre  früher  bei 
inclusiver  Zählung  auf  1941  oder  1942,  bei  exclusiver  auf  1942  oder 
1943;  wegen  Ktesias  ist  1942  vorzuziehen.  Perseus  beginnt  dann  1370 
und  dazu  passen  die  vorhandenen  Zahlen  der  Könige,  deren  Namen  aus 
dem  eratosthenischen  System  Tatianos  und,  mit  wenigstens  den  meisten 
Zahlen  Pseudeusebios  überliefert:  1370  Perseus  59.  1311  Sthenelos  32. 
1279  Eurystheus  45.  1234  Atreus  und  Thyestes  33.")  1201  Agamemnon  18 
(so  auch  Tatian  39.  Clem.  ström.  I  321).  1183—1176  Aigisthos  7.  Wie 
Eratosthenes  die  noch  übrigen  72  Jahre  bis  zur  dorischen  Wanderung 
berechnet  hat,  ist  nicht  bekannt.3)  Die  53  Jahre  von  Herakles  Tod  bis 
1185  oder  1184  vereint   mit  den  80  oder  81  von  da  bis  zur  dorischen 


1)  äno  r»J?  'llyux'ktovs  iv  'AyyoZ  i'uvriXias  schreibe  ich  statt   dno  x,  'Hq.    iv  "jQyti  ßccaiXticcs. 

2)  So  Synkells  Kanon;  Pseudeusebios  mit  Kastor  65.    Malala  und  Kedrenos  geben  Atreus  12, 
Thyestes  20  Jahre,  aber  Eratosthenes  Hess  sie  gemeinschaftlich  regieren. 

3)  Velleius  gibt  dem  Orestes  70,  seinen  Söhnen  2—8  Jahre. 

Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  III.  Abth.  74 


570 

Eroberung  ergeben,  wie  Rohde  gesehen  hat,  gerade  4  Generationen, 
133  — 134  Jahre;  diese  werden  vertreten  von  den  Herakleiden  Hyllos, 
Kleodaios,  Aristomachos  und  dessen  Söhnen  Temenos,  Kresphontes  und 
Aristodemos.  Wer  zuerst  so  rechnete,  dem  endigten  die  1331/»  Jahre 
seit  Herakles  Tod  =  80  seit  Troias  Fall  mit  dem  Ende  der  Temenos- 
generation,  also  nicht  mit  der  dorischen  Einwanderung  d.  i.  dem  Anfang 
des  dorischen  Krieges  (p.  559)  sondern  mit  seinem  Abschluss,  dem  Ent- 
stehen der  Städte  und  Dynastien  Korinth,  Sparta  und  Argos;  den  Fehler, 
die  dorische  Wanderung  mit  der  späteren  Gründung  von  Sparta  und  dem 
Anfang  des  Eurysthenes  in  gleiches  Jahr  (1104)  zu  setzen,  hat  wahr- 
scheinlich Eratosthenes  zuerst  begangen. 

Africanus  und  Eusebios  setzen  das  Ende  des  neunten  Spartakönigs 
älterer  Linie  Alkamenes  in  Olymp.  1,  1;  dasselbe  hatte  schon  Eratosthenes 
gethan:  denn  Agesilaos,  der  sechste,  regierte  nach  Apollodor  bei  Clemens 
ström.  I  327  zur  Zeit  Homers  (944)  100  Jahre  nach  der  ionischen  Wan- 
derung, wurde  also  von  ihm  ganz  oder  fast  ganz  so  datirt  wie  von 
Eusebios:  947  —  903  v.  Chr.  Ferner  das  18.  Jahr  des  Alkamenes  fiel 
nach  Apollodoros  wie  bei  Eusebios  auf  796  (p.  531).  Die  328  Jahre  von 
1104  bis  776  bedeuteten  in  diesem  System  wohl  ziemlich  die  ganze 
Regierungsdauer  der  9  ersten  Könige:  322  gibt  ihnen  Ephoros,  325 
Africanus  und  Eusebios.  Die  Unrichtigkeit  dieser  Datirung  leuchtet  von 
selbst  ein:  denn  Alkamenes  starb  erst  im  messenischen  Kriege.  —  Die 
Königszahlen  der  jüngeren  Linie  bei  Diodoros  (s.  Eusebios  I  223)  gehören 
sammt  denen  der  älteren  dem  Ephoros;  die  eratosthenischen  lassen  sich 
aber  vielleicht  mit  Hülfe  derselben  wiederherstellen,  weil  wir  sein  An- 
fangsdatum des  Lykurgos,  d.  i.  des  Charilaos  besitzen.  Dieses  setzte  er 
um  2,  das  des  Prokies  aber  um  35  Jahre  früher  als  Ephoros,  zählte 
also  hier  33  Jahre  mehr;  diese  Generationszahl  wird  er  dem  von  Ephoros 
übergangenen  Soos  gegeben  haben.  Also  1104  Prokies  41.  1063  Soos  33. 
1030  Eurypon  51.  979  Prytanis  49.  930  Eunomos  45.  885  Polydektes 
und  in  demselben  Jahr  Charilaos.  Hier  kam  wohl  die  Zählungsdifferenz 
zwischen  der  attischen  und  der  römisch  -  makedonischen  Jahrform  zum 
Austrag.     Sowohl   Cicero1)   rep.  II  10    als    Tatianos  41 2)   stellt  Lykurgs 


1)  Dass  er  die  apollodorischen  Data  aus  Nepos  hat,   lässt   sich  nicht  erweisen:    ep.  ad  Att. 


571 

Gesetzgebung  108  Jahre  vor  Olymp.  1:  für  Cicero,  d.  i.  Apollodoros  ist 
dies  das  zweite  Jahr  des  Charilaos  und  Lykurgos,  für  den  syrischen 
Gewährsmann  Tatians  aber  das  erste,  von  Oktober  885  bis  Oktober  884 
laufend;  eben  in  dieses  Jahr  aber  setzt  der  Apollodoros  des  Porphyrios 
bei  Euseb.  I  189,  d.  i.  Apollodors  auf  makedonische  Jahrform  umge- 
setzte Rechnung  den  Anfang  der  Vormundschaft  Lykurgs.  Da  in  dem 
attischen  Jahr  885/4  zuerst  Polydektes  regiert  hatte,  so  musste  die  dem 
Charilaos  gehörende  spätere  Hälfte  desselben  in  das  makedonische  Jahr 
fallen,  welches  im  Oktober  885  anfieng. 

Das  troische  Datum  des  Eratosthenes  liegt  500  volle  Jahre  vor  dem 
Anfang  der  attischen  Jahresarchonten.  Seine  dorische  Epoche  1104/3 
ist  dem  Sosibios  entlehnt;  dadurch,  dass  er  nicht  wie  dieser  67  Jahre 
(2  Generationen)  sondern  mit  älteren  Vorgängern  79  von  Agamemnons 
Ende  bis  dahin  zählte,  erhielt  er  für  Troias  Fall  1184  3.  Indem  er  die 
dorische  Einwanderung  mit  dem  Ende  des  von  ihr  eingeleiteten  Kriegs 
zusammenwarf,  dem  Ephoros  und  Sosibios  aber  die  Zurückschiebung 
Lykurgs  entlehnte,  verdarb  er  die  spartanische  Rechnung  noch  ärger 
als  diese  und  gab  zu  dem  Irrthum  Anlass,  das  Jahr  776  habe  nicht 
bloss  chronologisch  sondern  auch  geschichtlich  Epoche  gemacht. 

1171  Sosibios,  Kastor. 

I.  Nach  Varro  b.  Cens.  21  hat  Sosibios  395,  dagegen  Eratosthenes 
407  Jahre  von  Troia  bis  Olymp.  1  gezählt;  nach  attischer  Jahrform 
fiel  ihm  die  Epoche  in  1172/1.  Clemens  ström.  I  327  schreibt:  cder 
Lakone  Sosibios  *)  setzt  in  seiner  Chronik  ($v  yyoviov  avayyaipfi)  Homeros 
in  das  8.  Regierungsjahr  des  Charilaos,  Polydektes'  Sohnes  (866);  nun 
regiert  Charilaos  64  Jahre  (873  —  809),  nach  ihm  sein  Sohn  Nikandros 
39  (809  —  770);  in  dessen  34.  Jahr  wurde  die  1.  Olympiade  gefeiert/ 
Wenn  Cato  von  Troia  bis  Roms  Gründung  432  Jahre  zählte,  so  folgte  er, 
da  letztere  ihm  in  739  v.  Chr.  fällt,    dem    troischen  Datum  des  Sosibios, 


XII  23   will   er    auf   Apollodoros    selbst   zurückgehen    und    den   Archilochos    bestimmt   er    anders 
als  Nepos. 

2)  Seine  Handschriften  und  Eusebios  ixaiov,  der  ältere  Ausschreiber  Clemens  Ixntov  ntvrrr 
xovtk;  aus  H  ist  wie  sonst  oft  N  geworden  und  dies  vor  vofio&txti  ausgefallen. 

1)  Er  schrieb  unter  Ptolemaios  II  Philadelpho.s. 

74* 


572 

s.  Rom.  Gründungsdata.  Rh.  Mus.  XXXV  30.  Dasselbe  gilt  vermuthlich 
von  Aemilius  Sura  (p.  548)  und  von  dem  Chronisten,  nach  welchem  Strabon 
p.  239  vom  Antritt  des  Ascanius  bis  zur  Geschichte  von  Amulius  und 
Numitor,  d.  i.  bis  zur  Geburt  des  Romulus  400  Jahre  verlaufen  Hess; 
wie  Eusebios  in  den  Notizen  zum  Kanon  so  setzt  jener  die  Gründung 
von  Alba  longa  in  den  Anfang  des  Ascanius:  xal  tovtov  (tov  Aaxivov) 
rtXtvxriöavTOQ  xal  tov  naryög  tov  liaxavtov  A'kßav  xtiocu.1)  Ferner  von 
Lactantius  instit.  I  23  ab  excidio  Troianae  urbis  colliguntur  anni 
MCCCCLXX  sr  epit.  24  sunt  ab  Ilio  capto  anni  MCCCCLXX.  Er  schrieb 
298  oder  299,  epit.  43  Christus  ante  annos  CCC  natus  (nämlich  2  v.  Chr.), 
vgl.  inst.  IV  10,  18,  und  um  dieselbe  Zeit  wie  sein  Lehrer  Arnobius, 
der  ebenfalls  300  Jahre  seit  Christus  zählt  (I  13.  II  71);  wozu  es  stimmt, 
dass  er  dessen  Werk  nicht  kennt:  er  citirt  es  nirgends  und  gibt  eine  im 
apologetischen  Interesse  zugestutzte  Zeitbestimmung  des  Gottes  Saturnus, 
in  welcher  er  sich  auf  Theophilos  beruft,  über  die  in  gleicher  Absicht 
von  Arnobius  gegebene  aber  nichts  zu  sagen  weiss.  Die  Epoche  1171 
setzt  ferner  Joannes  Antioch.  fr.  72,  15  voraus:  elal  dt  anb  tujv  Tytoixwv 
inl  'lovkiov  KaioaQa  iviavTol  yjXtoi   yxd . 

Synkellos  setzt  Troias  Einnahme  auf  Weltjahr  4331  =  v.  Chr.  1171 
und  zählt  von  da  bis  zur  Gründung  Roms  Ol.  8,  1.  747  424  Jahre,  s.  Rom. 
Gründungsdata  p.  5.  Hiezu  stimmt,  ein  paar  leichte  Aenderungen  voraus- 
gesetzt, auch  seine  Peloponnesierliste:  1810  (Weltj.  3692)  Inachos  56. 
1754  Phoroneus  60.  1694  Apis  35.  1659  Argos  70.  1589  Kriasos  55. 
1534  Phorbas  25.  1509  Triopas  30.  1473  Krotopas  24.  1459  Sthenelos 
11.— 1438  (Weltj.  4064)  Danaos  58.  1380  Lynkeus  35.  1345  Abas  37. 
1308  Proitos  17.  1291  (Weltj.  4711)  bis  1260  Akrisios  31.  Wenn  Syn- 
kellos p.  294  als  das  letzte  Jahr  des  Danaos  unrichtig  4743  statt  4741 
nennt,  woraus  ein  Scholion  mit  einem  neuen  Missverständniss  (4743  als 
erstes  Jahr  des  Nachfolgers  nehmend)  die  falsche  Jahrsumme  551  seit 
Inachos  ableitet,  so  hat  er  vergessen,  dass  zwischen  Akrisios  und  dem 
ersten  Mykenaier  eine  Lücke  liegt  (p.  555),  welche  bei  ihm  2,  eigentlich 
aber  3  Jahre  beträgt:  er  setzt  erst  Weltj.  4244  Pelops  35.  4279  Atreus  33. 

1)  Vgl.  Arnob.  II  71  apud  Albam  regnatum  est  annis  CCCC  et  prope  bis  denis.  Roma 
ducit  annos  L  et  M  aut  non  multum  ab  his  minus.  Beide  datirten  etwa:  1164  (p.  576)  Ascanius 
und  Alba's  Gründung,  764  Romulus  Geburt,  747  Roms  Gründung. 


573 

4312  Agamemnon  18.  4330  Aigisthos,  erhält  aber  dadurch  4330  statt 
4331  für  Troias  Fall.  Der  ihm  vorliegende  Kanon  hatte  die  Zahl  4245 
(v.  Chr.  1257)  für  Pelops,  welche  wegen  der  vorhergehenden  Lücke,  wenn 
deren  Betrag  nicht  angegeben  war,  leicht  verdorben  werden  konnte. 
Wir  setzen  also  1257  Pelops  35.  1222  Atreus  33.  1189  Agamemnon  18. 
1171  Aigisthos.  Hier  begeht  Synkellos  einen  neuen  Fehler,  indem  er 
Aigisthos  bloss  5  Jahre  gibt  und  so  für  Orestes  den  nunmehr  doppelt 
falschen  Anfang  Weltj.  4335  (statt  4338)  erhält.  Das  Richtige  ist:  1171 
Aigisthos  7.  1164  — 1141  Orestes  23.  Die  Nachfolger  des  Orestes  hat 
Synkellos  übersprungen;  es  folgt  gleich  von  Weltj.  4423  ab  die  ältere 
Herakleidenlinie  von  Sparta  mit  derselben  Jahrsumme  325  und  denselben 
Posten  wie  bei  Africanus  und  Eusebios:  1079  Eurysthenes  42.  1037  Agis  1. 
1036  Echestratos35.  1001  Labotes  37.  964  Doryssos  29.  935  Agesilaos  44. 
891  Archelaos  60.  831  Teleklos  40.  791—754  Alkamenes  37.  Vom  Ende 
Agamemnons  bis  zur  dorischen  Epoche,  dem  Anfang  des  Eurysthenes  in 
Sparta  verlaufen  hier  92  Jahre  (1171  —  1079),  ein  befremdlich  scheinender 
Abstand,  der  aber  seine  Erklärung  darin  findet,  dass  Synkellos  p.  334 
neben  jenen  325  Jahren  gerade  so  wie  Africanus  und  Eusebios  noch  eine 
zweite  Jahrsumme  350  für  das  Königthum  von  Sparta  (und  Korinth)  gibt: 
das  Mehr  von  25  Jahren  ist  vor  Eurysthenes  und  Aletes  einzustellen 
(p.  559),  es  entspricht  der  Dauer  des  dorischen  Eroberungskrieges.  Dass 
er  sie  weder  aus  Africanus  noch  aus  Eusebios  sondern  aus  einem  besseren 
System  entlehnt  hat,  erhellt  aus  der  Güte  seiner  Datirung.  Nimmt  man 
die  25  Jahre  von  den  92  weg,  so  verbleiben  für  den  ungestörten  Bestand 
der  Mykenaierherrschaft  nach  Agamemnon  67  Jahre  ss  2  Generationen, 
derselbe  Zeitbetrag  wie  bei  Ephoros,  und  das  Datum,  welches  sich  für 
den  Anfang  des  Dorierkriegs,  die  Einwanderung  ergibt,  ist  (1171 — 67 
oder  1079  -[-25=)  1104  v.  Chr.1).  Damit  wird  Sosibios  als  Vorgänger 
des  Eratosthenes  in  Aufstellung  dieser  dorischen  Epoche  erwiesen;  zu- 
gleich erhellt,  dass  dieses  Datum  derselben  von  Sosibios  richtig  auf  die 
dorische  Einwanderung  beschränkt  worden  war;  während  ferner  bei  Era- 
tosthenes, Africanus,  Eusebios  das  Ende  der  350  Jahre  unrichtig  auf  einen 
früheren  Zeitpunkt  fällt  als  das  Ende  des  letzten  Vollkönigs  Alkamenes, 


1)  Vgl.  zu  Epoche  1153. 


574 

ist  die  ursprüngliche  und  ächte  Gleichzeitigkeit  beider  Schlusstermine  nur 
hier  zu  finden:  im  attischen  Jahre  754/3  endigen  die  350  Jahre  und  die 
Herrschaft  des  Alkamenes. 

IL  Kastor  (61  v.  Chr.)  hat  Troias  Eroberung  weder,  wie  früher  Gut- 
schmid  wollte  und  jetzt  noch  Geizer  behauptet,  auf  1193  noch,  wie  Brandis 
und  jetzt  Gutschmid  will,  auf  1 183  gestellt  sondern  das  Datum  des  Sosibios 
angenommen,  im  Uebrigen  aber  sich  ziemlich  selbständig  verhalten. 

1.  Seine  Peloponnesierliste  gibt  Eusebios  I  177  ff.  Die  Jakrsummc 
der  Inachiden  und  Danaiden  von  Argos  gibt  er,  übereinstimmend  mit  den 
Posten,  auf  382  und  162,  zusammen  544  an;  die  der  Pelopiden  105  ist 
verdorben  und  in  160  zu  verbessern:  ein  Abschreiber  verwechselte  PJT 
mit  PE.  Auf  den  letzten  Argiver  Akrisios  folgt  bei  ihm  sogleich  dessen 
Ururenkel  (zur  Motivirung  vgl.  Cramer  Anecd.  par.  II  191)  Eurystheus 
mit  45  J.,  dann  Atreus  und  Thyestes  65,  Agamemnon  30,  Aigisthos  17, 
Orestes  Tisamenos  Penthilos  und  Kometes  58  bis  zur  Eroberung  der 
Peloponnesos  durch  die  Herakleiden  (1103  v.  Chr.),  von  da  60  zur  ioni- 
schen Wanderung  (1043),  von  dieser  267  bis  zur  1.  Olympiade.  Hienach 
würde  die  Jahrsumme  der  Pelopiden  170  betragen  haben  und  Aga- 
memnons  Ende  in  1178  v.  Chr.,  die  Einnahme  Troias  aber,  wenn  wir 
das  18.  Jahr  Agamemnons,  in  welches  Eusebios  a.  a.  O.  dieselbe  setzt, 
mit  Gutschmid  für  eine  Angabe  Kastors  halten,  in  1191  oder  (18  voll 
genommen)  1190  gefallen  sein.  Mit  Recht  erklärt  Gutschmid,  wie  andere 
vor  ihm,  die  Zahl  17  des  Aigisthos  für  einen  Textfehler  statt  7:  an 
dieser  von  Homer  überlieferten  Zahl  konnte  ein  Grieche  ebenso  wenig 
rütteln  wie  ein  Jude  oder  Christ  an  den  Zahlen  der  Bibel.  Indem  Gut- 
schmid weiter  die  30  Jahre  Agamemnons  in  33  verwandelt  und  den 
Zusatz  des  Eusebios:  cuius  tempore  anno  XVIII  Ilion  captum  est  für 
Ueberlieferung  Kastors  hält,  gewinnt  er  für  diesen  das  troische  Datum 
1184/3.  Gegen  die  Aenderung  33  spricht  jedoch  der  Umstand,  dass  die 
Jahrsumme  der  Pelopiden  durch  sie  auf  163  kommen  würde,  eine  Zahl 
aus  welcher  105  schwerlich  verdorben  ist;  auch  konnte  die  Behauptung, 
dass  Agamemnon  nach  der  Einnahme  Troias  noch  15  oder  (bei  der  über- 
lieferten Zahl  30)  12  volle  Jahre  gelebt  habe,  wohl  später  ein  Bibel- 
gelehrter wie  Africanus  oder  Eusebios  aufstellen,  nicht  aber  der  Rhetor 
von  Rhodos;  muss  dieser  um  Homers  willen  dem  Aigisthos  7,   nicht   17, 


575 

Jahre  gegeben  haben,  so  kann  er  aus  demselben  Grund  auch  dem  Aga- 
memnon nicht  mehr  Jahre  nach  Troias  Fall  gerechnet  haben  als  es  die 
Odyssee  erlaubt.  Jene  Notiz  ist  vielmehr  ein  Eigenthum  des  Eusebios. 
Was  dieser  aus  Kastor  im  Wortlaut  mittheilt,  sind  fast  bloss  die  Sum- 
marien:  diesen  wörtlichen  Auszügen  lässt  er  in  der  Regel  eine  Andeutung, 
dass  sie  das  sind,  vorausgehen  oder  nachfolgen,  s.  I  53,  35  —  55,  26. 
173,  22.  177,  10.  183,  10;  bei  der  Aufführung  der  einzelnen  Könige, 
welche  den  Summarien  von  Sikyon,  Athen,  Argos  -  Mykenai  folgt,  thut 
er  das  nicht,  hier  lassen  sich  mit  Sicherheit  bloss  die  Posten  auf  jenen 
zurückführen,  während  die  synchronistischen  Zusätze  von  Eusebios  her- 
rühren: z.  B.  die  Regierung  Josephs  in  Aegypten  unter  Apis,  der  Auszug 
Mosis  unter  Triopas  waren  offenbar  nicht  von  Kastor  angegeben;  diese 
wie  alle  anderen  Synchronismen  treffen  zum  Kanon  des  Eusebios,  sind 
demselben  entlehnt  und  dort  steht  auch  die  Notiz  vom  18.  (bei  Hieron. 
verdorben    15.)  Jahr  Agameinnons  als  Datum  der  Einnahme  Troias. 

Die  peloponnesische  Rechnung  Kastors  lautete  also:  1852  Inachos  50. 
1802  Phoroneus  60.  1742  Agis  35.  1707  Argos  70.  1637  Kriasos  54. 
1583  Phorbas  35.  1548  Triopas  46.  1502  Krotopas  21.  1481  Sthenelos 
11.  —  1470  Danaos  50.  1420  Lynkeus  41.  1379  Abas  23.  1356  Proitos  17. 
1339  Akrisios  31.  —  1308  Eurystheus  45.—  1263  Atreus  und  Thyestes  65. 
1198  Agamemnon  30.  1168  Aigisthos  7.  1161  Orestes  und  Nach- 
kommen 58.  1103  Eroberung  der  Peloponnesos.  1043  ionische  Wan- 
derung. Das  Datum  1103  (und  1043),  statt  wie  bei  Synkellos  1104, 
erklärt  sich  daraus,  dass  bei  diesem,  nach  der  Uebereinstimmung  mit 
Eratosthenes  zu  schliessen,  die  attische  Jahrform  zu  Grunde  liegt,  während 
Kastor  im  Gebiet  des  makedonischen  Kalenders  schreibend,  Ol.  1,  1  vom 
Herbst  777  bis  Herbst  776  laufen  lässt:  sein  Jahr  der  dorischen  Er- 
oberung beginnt  demnach  Okt.  1104,  vgl.  p.  568.  Bei  Josephos  g.  Apion 
1  22  setzt  er  die  Schlacht  von  Gaza,  welche  um  März  312  geschlagen 
wurde,  in  das  11.  Jahr  seit  Alexanders  Tod  und  in  Ol.  117,  1,  rechnet 
also  wie  Porphyrios  dieses  Jahr  makedonisch  vom  Okt.  313  bis  Okt.  312. 
Die  Frage,  wie  sich  sein  Todesdatum  Agamemnons  1168  mit  der  troischen 
Epoche  1171  verträgt,  wird  in  Nr.  5  beantwortet. 

2.  Der  falsche  Eusebios  nennt  wie  Kastor  bei  Euseb.  I  55  als  Nach- 
folger Sardanapals  einen  zweiten  Ninos   und  legt  damit  die  Vermuthung 


576 

nahe,  dass  er  auch  in  andern  Punkten  jenen  benützt  habe.  Seine  Assyrier- 
liste ist  durch  Lücken  und  andere  Verderbnisse  unbrauchbar  gemacht 
(p.  562);  bessere  Dienste  leistet  der  Anfang  seiner  Latinerdynastie :  Weltj. 
4273  ]),  v.  Chr.  1235  Faunus  29.  1206  Latinus  27.  1169  Aeneas  5. 
1164  Ascanius  39.  Kastor  rechnete  417  Jahre  von  Aineias  bis  zur 
Gründung  Roms  (s.  Epoche  1197  I  5)  und  setzte  diese  Ol.  7,  1.  752 
(Okt.  753  bis  Okt.  752):  Eusebios  I  295  zählt  von  Brutus  bis  Caesar 
460  Jahre  oder  95  Olympiaden,  beginnend  nach  Ablauf  von  Ol.  67 
(  =  508  v.  Chr.)  und  endigend  mit  Ol.  183,  1.  48,  den  Königen  aber  gibt 
er  244,  beiden  Zeiträumen  zusammen  704  Jahre  =176  Olympiaden  und 
beruft  sich  dann  auf  die  Uebereinstimmung  mit  Kastor;  in  dem  Sum- 
marium  desselben,  welches  er  dann  ausschreibt,  stehen  richtig  244  Jahre 
der  Könige;  dagegen  die  460  Jahre  der  Republik  sind  von  einem  Ab- 
schreiber, welcher  nicht  bedachte,  dass  Kastor  bloss  bis  61  v.  Chr.  ge- 
gangen war,  an  Stelle  der  ächten  447  gesetzt.  Aineias  begann  demnach 
bei  ihm  genau  in  dem  Jahre  1169,  welches  der  falsche  Eusebios  an  die 
Hand  gibt.     Weiteres  unter  Nr.  5. 

3.  Das  post  bellum  Troianum  (Euseb.  I  5)  beginnende  und  mit  Xerxes 
Heerfahrt  endigende  Verzeichniss  der  seebeherrschenden  Völker,  welches 
Diodoros  bei  Euseb.  1  225  mittheilt,  pflegt  man  auf  Kastor  zurück- 
zuführen, welchem  Suidas  eine  eigene  Schrift  solchen  Titels  beizulegen 
scheint;  sein  Text  enthält  jedoch  einen  Fehler,  welcher  folgendermassen 2) 
zu  verbessern  ist:  ty^aipe  dt  avay^a(p]v  ßaoiltwr  (die  Hdschr.  Baßvliovog) 
xal  tvjv  S-alaaaox^arrjodvTcov  iv  ßißkioig  ß' .  Unter  ävayQcupi]  Baßvlwro^ 
könnte  nur  etwa  ein  Stadtplan  von  Babylon  verstanden  werden;  bei 
Clemens  ström.  I  336  haben  aber  die  Hdschr.  zweimal  Baßvhovog  statt 
ßaoiUujv.  Kastor  gestaltete  den  Titel  seiner  Chronik  desswegen  so  weit- 
läufig,   weil  die  meisten  Rubriken  ihres  Kanons  Königsnamen  aufzählten, 


1)  Die  Weltjahre  des  Pseudeusebios  vorchristlicher  Zeit  sind  durch  Subtraction  ihrer  Zahl 
von  5508  auf  modernes  Datum  zu  reduciren :  Arbakes  beginnt  Weltj.  4692  =  v.  Chr.  816,  ent- 
sprechend den  256  Jahren,  welche  er  den  Medern  gibt;  Kyros  4948  =  Ol.  55,  1.  560;  Alexander 
regiert  12  Jahre  5172—5184,  d.  i.  Ol.  111,  1.  336—114,  1.  324.  Die  Jahrform  ist  aber  die  byzan- 
tinische, so  dass  der  vorherg.  1.  September  die  Epoche  bildet:  erstes" Jahr  des  Seleukos  d.  i.  der 
Seleukidenära  5197  =  Ol.  112,  2.  311,  genauer  Sept.  312  bis  August  311. 

2)  Die  Verbesserung  ist  schon  von  Gutschmid  bei  Flach  zu  Hesych.  Knarw{>  vorweggenommen; 
statt  ß'  schreibt  er  ?'. 


577 

eine  aber,  die  Liste  der  Seeherrscher,  nur  Namen  von  Völkern  enthielt, 
vgl.  Ausonius  profess.  22,  7  quod  Castor  cunctis  de  regibus  ambiguis, 
quod  —  ediderat  Rhodope,  nota  tibi.  Das  erste  seeherrschende  Volk, 
die  Lyder,  stellt  der  armenische  Uebersetzer  des  Kanons  unter  1169 
(Abr.  948),  Hieronymus  dagegen  unter  1177  v.  Chr.  ein.  Die  Abweichung 
zwischen  beiden  Uebersetzern  wird  bei  der  Datirung  der  folgenden  Thalasso- 
kraten  noch  grösser,  nur  ihre  Dauer  an  sich  ist  textkritisch  sichergestellt. 
Mit  den  92,  85,  79,  23,  25  (zusammen  304)  Jahren  der  Lyder,  Pelasger, 
Thraker,  Rhodier,  Phryger  erhalten  wir  für  den  Anfang  der  Kyprier,  je 
nachdem  wir  das  eine  oder  das  andere  Datum  der  Lyder  zu  Grund  legen, 
entweder  865  oder  873  v.  Chr.;  im  armenischen  Kanon  fehlen  die  Kyprier, 
aber  Hieronymus  bringt  sie  unter  865,  d.  i.  unter  dem  Datum,  welches 
genau  dem  armenischen  der  Lyder  entspricht.  Dies  scheint  dafür  zu 
sprechen,  dass  um  1169  das  ächte  Datum  derselben  fällt,  Kastors  troische 
Epoche  also  auf  oder  kurz  vor   1169  gestellt  war. 

4.  Die  Athener.  Das  Suinmarium  Kastors  bei  Euseb.  I  181  fg.  gibt 
den  Erechtheiden  von  Kekrops  an  450,  dem  Melanthos  und  Kodros  52, 
den  lebenslänglichen  Archonten  209  Jahre.  In  der  darauffolgenden  Auf- 
zählung  der  einzelnen  Archonten  finden  diese  Summen  keine  Bestätigung, 
obgleich  wir  erwarten  müssen,  dass  wie  in  dem  sikyonischen  und  argivisch- 
mykenaiachen  Verzeichniss  so  auch  in  diesem  zwar  die  beigegebenen  Syn- 
chronismen von  Eusebios  selbst,  die  Königsnamen  mit  ihren  Ilegierungs- 
zahlen  aber  von  Kastor  herrühren.  Diese  Abweichung  erklärt  sich  der 
Hauptsache  nach  daraus,  dass  an  vielen  Stellen  die  Abschreiber  die  ihnen 
aus  dem  Kanon  als  eusebisch  bekannten  Zahlen  an  die  Stelle  der  bei 
Kastor  anders  lautenden  gesetzt  haben;  die  attische  Liste  war  solcher 
Verderbniss  am  meisten  ausgesetzt,  weil  sie  den  bekanntesten  und  vor- 
nehmsten griechischen  Staat  betraf  und  daher  grössere  Beachtung1)  fand 
als  die  anderen.  Bei  den  lebenslänglichen  Archonten  jedoch  ist  auch  die 
Zahl  des  Summarium  verdorben:  der  erste  von  ihnen,  Kodros'  Sohn  Medon 
würde  dadurch  erst  in  962  v.  Chr.  zu  stehen  kommen.  Man  verwandelt 
209  in  309;  aber  diese  Summe  lässt  sich  mit  den  Posten  ohne  Gewalt- 


1)  Tatianos  39  nTtoöfixyviKi   tovto  ovrwg   f"xoy  "rro    xe  rVS  W»»»   'Attixwv    ßnoiXetov  SiaSo/t,? 
Mcexf&ovtxwv  re  xai  llroXtuctixtöv  in  6e  xai  '^frio/ixwr ;    Afrieanus  bei  Euseb.  praep.  X  10,  4  —  5. 

Abb.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVn.  Bd.  III.  Abth.  75 


578 

anwendung  nicht  in  Einklang  bringen.  Ebenso  sanft  wie  309  ist  die 
Aenderung  290:  wie  bei  Kekrops  (Eus.  I  183,  1)  5  aus  50  geworden  ist, 
so  kann  9  aus  90  entstanden  sein.  Und  diese  Summe  ergibt  sich  in  der 
That,  wenn  man  bei  jeder  Verschiedenheit  zwischen  der  armenischen 
Uebersetzung  und  den  griechischen  Excerpten  die  zum  eusebischen  Kanon 
stimmende  Lesart  als  gefälscht  verwirft.  Dann  erhält  man  folgende 
Datirung:  1043  Medon  8  (armen.  20,  nach  Zohrab  jedoch  9,  über  der 
Zeile  20).  1035  Akastos  36.  999  Archippos  19.  980  Thersippos  4L 
939  Phorbas  30.  909  Megakles  30.  879  Diognetos  28.  851  Pherekles  19. 
832  Ariphron  20.  812  Thespieus  7  (griech.  27).  805  Agamestor  17. 
788  Aischylos  23;  in  seinem  (vollen)  12.  Jahr  die  1.  Olympienfeier. 
765  Alkmaion  12  (armen.  2).  753  die  sieben  zehnjährigen  Archonten  70. 
683  Kreon  der  erste  jährige  Eponymos.  —  Bestätigung:  nach  Pausan. 
VII  2.  Aelian  var.  VIII  5  u.  a.  veranstaltete  Neileus  die  ionische  Aus- 
wanderung schon  unter  Medon  und  zwar  desswegen  weil  dieser  ihm  als 
Nachfolger  des  Kodros  vorgezogen  wurde;  dieselbe  fällt  demnach  in  den 
Anfang  des  Medon.  In  vorstehender  Liste  trifft  Kastors  Datum  der  ioni- 
schen Wanderung  1043  genau  auf  das   1.  Jahr  Medons. 

Die  Zahlen,  welche  Kastor  den  (eigentlichen)  Königen  gegeben  hat, 
lassen  sich  im  Einzelnen  aus  Eusebios  nicht  herstellen,  weil  alle  Ab- 
weichungen vom  eusebischen  Kanon  durch  die  Abschreiber  verwischt  sind. 
Geizer,  Kastors  attische  Königs-  und  Archontenliste  (in  der  Festgabe  an 
E.  Curtius,  Histor.  u.philol.  Aufsätze  1884)  hat  die  450  Jahre  der 
Erechtheiden  treffend  gegen  die  Abweichungen,  welche  das  Summaritnn 
in  der  Ueberlieferung  des  eus.  Kanons  aufzeigt,  vertheidigt,  hätte  aber 
consequenter  Weise  auch  die  52  des  Melanthos  und  Kodros  der  aus 
Eusebios  eingeschwärzten  Variante  58  vorziehen  sollen;  freilich  braucht 
er  die  58,  um  sein  troisches  Datum  Kastors,  1193  v.  Chr.,  zu  gewinnen. 
Die  450  findet  er  bei  Pseudeusebios  wieder,  dessen  Königszahlen  von 
Kekrops  bis  Melanthos  exclusive  zwar  nicht  die  Summe  450  sondern 
449  ergeben,  bei  Einsetzung  des  fehlenden  Apheidas  aber,  der  überall 
1  Jahr  regiert,  in  der  That  auf  450  kommen.  Dieser  Einsatz  ist  jedoch 
keineswegs  so  sicher  und  noth wendig,  wie  er  glaubt:  nach  Nikolaos  von 
Damaskos  fragm.  50  (d.  i.  nach  Ephoros)  ist  Apheidas  der  ihm  gebühren- 
den Nachfolge  nicht  theilhaftig  geworden.    Immerhin  könnte  er  bei  Pseud- 


579 

eusebios  ausgefallen  sein;  aber  die  Summe  450  würde  dabei  doch  nicht 
erreicht:  denn  dann  ist  sein  Jahr  in  einem  andern  Posten  mitgezählt. 
Die  Posten  der  attischen  Liste  des  Pseudeusebios  stimmen  nämlich  genau 
mit  der  Summe  849  zusammen  und  diese  wird  dadurch  bestätigt,  dass 
als  Anfang  der  Dynastie  und  des  Kekrops  das  10.  Jahr  der  Moabiter- 
herrschaft,  als  Ende  aber  Weltjahr  4812  und  (dazu  stimmend)  das  32.  Jahr 
des  Manasse  angegeben  ist:  das  10.  Jahr  der  Moabiter  entspricht  nach 
der  trefflichen  Ergänzung  der  jüdischen  Rechnung  des  Pseudeusebios, 
welche  Gutschmid  geliefert  hat,  dem  Weltj.  3963,  von  wo  849  Jahre  bis 
4812  verlaufen.  Diese  Summe  849  ergibt  sich  vollkommen  genau  auch 
aus  den  Posten,  wenn  man  die  3  Jahre  des  Erechtheus  und  die  17  des 
Archippos  im  griech.  Texte  Mai's  als  Druckfehler  ansieht  und  mit  dessen 
Uebersetzung  50  und  16  an  ihre  Stelle  setzt.  Es  dürfen  also  nur  solche 
Aenderungen  vorgenommen  werden,  welche  an  der  Summe  keine  Aen- 
<]< Tung  hervorbringen:  wenn  z.  B.  Apheidas  wirklich  ausgefallen  sein 
sollte,  dann  ist  sein  Jahr  in  den  10  seines  Nachfolgers  untergebracht, 
welchem  andere  Listen  9  Jahre  geben.  Eine  Compensation  dieser  Art 
ist  nachweislich  bei  Kodros  und  Medon  vorgekommen.  Keiner  von  beiden 
kann  in  der  Liste  gefehlt  haben;  diese  gibt  aber  bloss  Korax  (d.  i.  Kodros) 
mit  20  Jahren,  d.  h.  die  21  des  Kodros  und  der  Name  dea  Medon  sind 
ausgefallen,  die  21  finden  sich  aber  bei  Oxyntes  wieder,  dein  Pseudeu- 
sebios 31  Jahre  gibt:  er  hat  bei  Synkellos  und  wahrscheinlich  bei  Afri- 
canus  10,  bei  Eusebios  12;  der  Abschreiber  vereinigte  offenbar  die  10 
mit  den  21  zu  31.  Hieraus  folgt,  dass  Pseudeusebios  den  Erechtheiden 
weder  mit  Kastor  \b0  noch  auch  449  sondern  428  Jahre  gegeben  hat, 
eines  weniger  als  Eusebios;  seine  attische  Liste  ist  in  Wahrheit  von 
Demophon  ab *)  dieselbe,  welche  in  der  Chronik  von  Paros  vorausgesetzt 
wird,  s.  unter   1207. 

Der  Gedanke  Geizers  ist  an  sich  gut,  nur  zu  weit  ausgedehnt:  die 
Zahlen  der  Könige  vor  Demophon  bei  Pseudeusebios  stimmen  nicht  zu 
den  Daten  der  parischen  Chronik  und  würden,  Demophons  Anfang  auf 
1206  gestellt,  den  des  Kekrops  auf  1602  bringen.     Dass  sie  von  Kastor 


1)  Der  Uebergang  zu  einer  andern  Liste  und  der  Abstrich  eines  Jahres  (Nr.  5)  hängt  wohl 
mit  dem  Datum  der  Zerstörung  Troias  zusammen. 

75* 


580 

herrühren,  beweist  das  Datum,  welches  er  dem  Kekrops  gibt:  Weltj. 
3963,  v.  Chr.  1545.  Hat  Kastor  den  Anfang  der  lebenslänglichen  Ar- 
chonten  auf  1043  gestellt,  so  muss  ihm  Melanthos  (52  Jahre  früher) 
1095,  Kekrops  aber  (450  Jahre  vorher)  1545  v.  Chr.  begonnen  haben. 
Aus  Pseudeusebios  gewinnen  wir  dann  folgende  Datirung:  1545  Kekrops  30. 
1515  Kranaos  9.  1506  Amphiktyon  10.  1496  Erichthonios  53.  1443 
Pandion  40.  1403  Erechtheus  50.  1353  Kekrops  II  43.  1310  Pandion 
II  29.  1281  Aigeus  48.  1233  Theseus  34.  1199  Menestheus  29.  1170 
Demophon. 

5.  Die  Troiafahrer  Agamemnon  und  Menestheus  endigen  bei  Kastor 

1168  und  1170;  Aineias,  der  bald  nach  dem  Falle  Troias  in  Italien 
landet,  wird  bei  ihm  1169  Latinerkönig;  die  erste,  ebenfalls  bald  nach 
jenem  Ereigniss  entstandene  Thalassokratie    scheint  er  auf  dasselbe  Jahr 

1169  gestellt  zu  haben.  Das  alles  führt  darauf,  dass  er  sich  in  Beziehung 
auf  jene  Epoche  an  Sosibios  angeschlossen  hat.  Die  5  Jahre  (1169  bis 
1164),  welche  Pseudeusebios  d.  i.  Kastor  dem  Aineias  als  Latinerkönig 
gibt,  finden  wir  bei  Dionysios  ant.  I  64  fg.  insofern  wieder,  als  dort  Aineias 
in  Latium  2  Jahre  über  die  Troer,  3  nach  Latinus  Tod  über  beide 
Völker  regiert,  und  schon  vor  diesem  bei  dem  Annalisten  Cassius  Hemina 
(Solinus  2,  14),  welcher  ihn  2  Jahre  mit  Latinus,  3  allein  regieren  Hess. 
Bei  Cassius  und  bei  Dionysios  landet  Aineias  2  Jahre  nach  Troias  Fall: 
wenden  wir  diese  auf  das  Datum  Kastors  für  seine  Landung  an  (1169), 
so  erhalten  wir  für  Troia  wirklich  1171.  Das  nämliche  Datum  ergibt 
sich,  wenn  Kastor  den  Fall  Troias,  was  die  parische  Chronik  wirklich 
thut,  nicht  in  das  letzte  sondern  vorletzte  Jahr  des  Menestheus  =  1171 
gesetzt  hat.  Diese  Abweichung  von  der  herrschenden  Ansicht  rührt  viel- 
leicht davon  her,  dass  man  neu  entstandene  Sagen  berücksichtigte,  nach 
welchen  Menestheus  von  Troia  weg  vor  seinem  Tode  noch  verschiedene 
Städte  gegründet,  hatte:  Elaia  im  nachmaligen  Aiolis  (Strab.  632),  Sky- 
lakion  in  Unteritalien  (Strab.  261);  manche  Hessen  ihn  auf  Melos  sterben 
andere  führten  ihn  bis  nach  Hispanien.  Aehnliches  gilt  von  Agamemnon: 
auf  Kreta  stiftete  er  nach  Velleius  I  1  die  Städte  Mykenai,  Pergamon, 
Tegea,  nach  Zenobios  V  50  und  Steph.  Byz.  Lappa.  Hiezu  würde  an 
sich  ein  Jahr  genügt  haben,  aber  bei  Kastor  fällt  Troias  Eroberung  in 
das  drittletzte  Jahr  Agamemnons.     Dies    beruht    auf  einigen  Stellen  der 


581 

Odyssee,  welche  in  Widerspruch  mit  anderen  die  Ermordung  des  Aigisthos 
durch  Orestes  nicht  7  sondern  9  — 10  Jahre  nach  Troias  Fall  setzen. 
Im  10.  Jahr  der  Irrfahrten  des  Odysseus  wird  in  der  Götterversammlung 
dieses  Ereigniss  als  die  Neuigkeit  des  Tages  besprochen,  a  43  vvv  <Y  afryoa 
navT  anhiaev,  vgl.  die  Erklärer  über  a  35  wg  xal  vvv  AiyioS-og  u.  s.  w. 
Menelaos,  der  am  Tage  der  Ermordung  heimkam,  ist  in  demselben  1 0.  Jahr 
so  eben  eingetroffen,  y  318  xiivog  yäy  akkod-ev  elkrjlov&ev.  Da  die  wider- 
strebenden Stellen  keine  ausdrückliche  Angabe  entgegensetzen,  so  hat 
man  wohl  auch  sie  in  diesem  Sinn  interpretirt,  z.  B.  die  7  jährige  Raub- 
fahrt des  Menelaos  (<J  80.  ^305),  in  deren  Zeit  Agamemnons  Ermordung 
fiel  (y  303.  (?  90),  konnte  man  mit  einem  gewissen  Schein  nach  seinem 
kretischen  Aufenthalt  anfangen  lassen,  wofür  die  Erzählung  y  291 — 301 
im  Zusammenhalt  mit  der  Aufzählung  der  geplünderten  Küstenländer 
<?  83 — 85  einigen  Anhalt  bot,  und  (?  82  fyayojirjv  musste  dann  im  Sinn 
von  mecum  portavi,  nicht  von  reportavi  erklärt  werden. 

Wie  Sosibios  so  zählt  auch  Kastor  68  Jahre  vom  Jahr  der  Ein- 
nahme Troias  bis  zur  dorischen  Epoche1):  zu  den  65  nach  Agamemnon 
kommen  jetzt  noch  die  drei  letzten  desselben.  Auch  die  25  des  dorischen 
Krieges  bei  Sosibios  finden  wir  vielleicht  bei  ihm  wieder.  Den  Karneios- 
priestern  von  Sikyon  zählt  er  33  Jahre,  den  Betrag  einer  Generation, 
1161 — 1128,  Euseb.  I.  176  fg.,  und  schreibt  von  Charidemos,  dem  letzten: 
ot'y  vnojUBiyag  n]r  danavrjv  Jkpvyi.  Wenn  dessen  Vorgänger  den  Auf- 
wand 1,  1,  4,  6,  9,  12  Jahre  lang  hatten  aushalten  können,  warum  nicht 
auch  er,  da  doch  für  den  einen  wie  für  den  andern  durch  Zuweisung 
eines  rtuevog  gesorgt  sein  musste.  Es  war  eben  die  Stadt  jetzt  in  die 
Hand  der  Dorier  gefallen,  deren  Führer  Phalkes  Temenos'  Sohn  sich  dem 
König  Lakestadas  als  Mitregent  aufdrängte  (Pausan.  II  6);  die  fürstliche 
Ausstattung  desselben  kam  dann  wohl  zum  grösseren  Theil  auf  Kosten 
des  Hohenpriesters  zu  Stande.  Hienach  entfällt  bei  Kastor  1171  die 
Zerstörung  Troias,  1128  die  dorische  Einwanderung,  1103  der  An- 
fang der  Könige  von  Sparta;  wie  bei  Eratosthenes  kommt  bei  ihm 
dann  der  Tod  des  Alkamenes  in  eine  frühere  Zeit  als  die  Einführung 
des  Ephorats. 

1)  Nur  dass  diese  (1104/3)  bei  Sosibios  den  Anfang,  bei  Kastor  das  Ende  des  Dorierkrieges 
bildet. 


582 

1168  bei  Orosius. 

Rom  Ol.  6  gegründet,  414  Jahre  nach  Troia,  Oros.  II  4;  Roms  Ein- 
nahme durch  Alarich  (24.  Aug.  410)  im  1164.  Stadtjahr,  Or.  II  3.  VII  40. 
Die  Gründung  also1)  Olymp.  6,  2.  755/4  (21.  Aprilis),  der  Fall  Troias 
1169/8  und  Helenas  Raub  (430  Jahre  vor  Rom,  Or.  I  17)  1185,  genauer 
gesprochen  1185/4.  Dieser  war  nach  Homer  £1  765  im  20.  Jahre  vor 
Troias  Fall  geschehen,  das  Intervall  von  bloss  16  Jahren  bei  Orosius 
setzt  einen  Gewährsmann  christlicher  Zeit  voraus,  vgl.  das  13  jährige  des 
Chronisten  von  886  bei  Cramer  An.  par.  II  197.  Die  zahlreichen  Data 
mythischer  Zeit,  welche  Orosius  beibringt,  haben  viel  Aehnlichkeit  mit 
den  eusebischen,  sind  aber  keineswegs  mit  diesen  identisch  oder  aus  ihnen 
entstellt,  vgl.  zu  1059.  Die  Ogygesfluth  1040  Jahre  vor  Rom  (I  7),  also 
1795  wie  bei  Africanus;  das  Ende  Sardanapals  64  vor  Rom  (I  19),  d.  i. 
819  wie  im  eusebischen  Kanon.  Das  troische  Datum  entspricht  dem 
Todesjahr  Agamemnons  bei  Kastor. 

1153  (Hellanikos). 

Aus  dem  Kanon  des  Synkellos  gewinnen  wir  folgende  Liste  attischer 
Regenten:  1539  Kekrops  50.  1489  Kranaos  9.  1480  Amphiktyon  10. 
1470  Erichthonios  50.  1420  Pandion  40.  1380  Erechtheus  50.  1330 
Kekrops  II  40.  1290  Pandion  II  25.  1265  Aigeus  48.  1217  Theseus  31, 
1186  Menestheus  33.  —  1153  Demophon  23.  1130  Oxyntes  10.  1120 
Apheidas  1.  1119  Thymaites  9.—  1110  Melanthos  37.  1073  Kodros21.— 
1052  Medon  20.  1032  Akastos  35.  997  Archippos  19.  978  Thersippos  40. 
938  Phorbas  30.  908  Megakles  28.  880  Diognetos  28.  852  Pherekles  19. 
833Ariphron  20.  813  Thespieus  27.  786  Agamestor  17.  769  Aischylos  14. 
755  Alkmaion  2.  —  753  die  10  jährigen  Archonten  70.  683  Kreon  der 
erste  jährige  Archon.  Das  letzte  Jahr  des  Menestheus,  in  welches  Syn- 
kellos (p.  325)  die  Zerstörung  Troias  setzt,  ist  1154,  genauer  1154/3. 
Die  Datirung,  welche  er  den  Königen  gibt,  ist  verkehrt  (s.  u.);  die  obige 
beruht  darauf,  dass  die  Jahresarchonten  Ol.  24,  2.   683  eingesetzt  worden 


1)  Wie  bei  Vergilius  u.  a.,  s.  zu  1096.  Nach  Obenstehendem  sind  die  p.  539.  54S  auf  Grund 
der  varronischen  Gründungsepoche  Olymp.  6,  3  angesetzten  orosischen  Data  um  1  Jahr  hinauf- 
zurücken. 


583 

sind.  Dieses  bisher  allgemein  anerkannte  Datum  wird  von  Geizer  (Kastors 
att.  Königs-  und  Archontenliste,  1884)  in  Frage  gestellt  und  nur  für  die 
parische  Chronik  (420  Jahre  von  Kreon  bis  Diognetos  incl.)  und  Eusebios 
(Abrah.  1334)  anerkannt,  ein  besonderes  Gewicht  aber  darauf  gelegt,  dass 
Synkellos  nur  Ol.  19  und  25,  nicht  Ol.  24  als  Varianten  für  Kreons  Zeit 
anführt;  diesen  habe  Pausanias  687,  Dionysios  v.  Halik.  und  Africanus  682, 
Kastor  681  gesetzt.  Wir  finden  keine  andere  Abweichung  von  683  als 
die  des  Synkellos  und  wie  wenig  diese  selbst  im  Sinn  Geizers  werth  sein 
kann,  geht  daraus  hervor,  dass  auch  die  angeblichen  Data  687,  682  und 
681  weder  in  Ol.  19  noch  Ol.  25  fallen.  Die  attische  Liste  des  Africanus 
im  Barbaras  gibt  907  Jahre  von  Kekrops  bis  zum  Ende  des  letzten 
10  jährigen  Archonten,  den  Kekrops  aber  setzt  sie  1590  (p.  551);  bei 
Synkellos  p.  400  ferner  zählt  Africanus  903  Archonten  von  Kreon  bis 
zu  Philinos,  unter  welchem  er  schrieb,  und  zum  Consulat  des  Gratus  und 
Seleucus  (221  n.Chr.).  Philinos  regierte  aber  220/1,  nicht  221/2:  Geizer 
hat  übersehen,  dass  Afr.  zugleich  das  dritte  Jahr  Elagabals  angibt,  welches 
vom  16.  Mai  220  bis  15.  Mai  221  läuft,  und  die  250.  Olympiade,  auf 
welche  sich  G.  beruft,  fängt  bei  Africanus,  dessen  Jahrform  die  syro- 
makedonische  ist  (Philol.  Anzeiger  XI  83)  im  Oktober  220,  nicht  Juli 
•221  an.  Nicht  berücksichtigt  hat  er  den  von  Africanus  und  Eusebios 
unabhängigen  Chronisten  von  886,  welcher  Kekrops  155S  stellt  und  von 
da  775,  von  Olymp.  1  aber  83  Jahre  bis  Kreon  zählt,  Cramer  II  188. 
Wenn  Dionysios,  ohne  Zweifel  nach  Eratosthenes  Vorgang,  den  Anfang 
der  10  jährigen  Archonten  nicht  753  sondern  752  setzt,  so  folgt  daraus 
nicht,  dass  bei  ihm  Kreon  682/1  regiert  sondern  dass  einer  der  10  jährigen, 
Hippomenes  nach  Nikol.  Dam.  fr.  51,  (1  Jahr)  vor  Ablauf  seiner  Zeit 
abgesetzt  worden  ist.  Pausanias,  der  wie  bekannt  viele  falsche  Data 
gibt,  hat  aus  Flüchtigkeit  oder  in  Folge  von  Benutzung  einer  fehler- 
haften Liste  die  4  Archonten  einer  Olympiade  zweimal  gezählt:  Chionis, 
dreimal  Stadionike  Olymp.  29,  30  und  31,  siegt  bei  ihm  (IV  23,  5) 
Ol.  29  zum  zweiten  und  (III  14,  3)  Ol.  31  zum  vierten  Mal.  Endlich 
Kastors  Rechnung  wendet  G.  unrichtig  auf  die  älteren  Archonten  des 
Pseudeusebios  an  (p.  579)  und  bringt  auch  hiebei  Kreon  nur  dadurch  auf 
681,  dass  er  das  Ende  des  Menestheus  (in  Wahrheit  1170)  auf  die  ver- 
meintlich kastorsche  Epoche  Troias   1193  stellt. 


584 

Synkellos  setzt  den  Anfang  des  Kekrops  auf  Weltjahr  3945,  d.  i. 
1557  v.  Chr.:  denn  das  Weltjahr  1  der  vorchristlichen  Zeit  fällt  ihm, 
wie  schon  Boeckh  sah,  auf  5501  v.  Chr.  und  Olymp.  1,  1  vergleicht  er 
mit  dem  50.  Jahr  des  jüd.  Königs  Ozias  (Usia)  4726.  Mit  den  786  Jahren, 
welche  er  den  lebenslänglichen  Regenten  zählt,  kam  er  daher  für  die 
zehnjährigen  auf  Weltj.  4731  und  mit  den  70  Jahren  derselben  für  Kreon 
auf  4801  (die  Hdschr.  falsch  4804),  d.  i.  auf  701  v.  Chr.,  was  der  von 
ihm  angegebenen  19.  Olympiade  (704 — 700)  entspricht.  Wenn  er  dazu 
als  Variante  Ol.  25  anzugeben  scheint,  so  ist  das  als  Schreibfehler  st.  24 
anzusehen:  denn  selbst  wenn  es  Varianten  gegeben  hätte,  würde  er  doch 
Ol.  24  als  die  am  stärksten  vertretene  genannt  haben,  um  so  mehr  als 
er  diese  in  mindestens  zwei  seiner  Hauptquellen  (Africanus  und  Eusebios) 
vorfand.  Zu  seiner  falschen  Datirung  ist  Synkellos  dadurch  gekommen, 
dass  er  seinen  Kanon  aus  Listen  verschiedenen  Ursprungs  zusammen- 
setzte, ohne  zu  erkennen  dass  die  Schöpfer  derselben  nicht  die  gleiche 
troische  Epoche  voraussetzen:  indem  er  die  für  Ilions  Fall  massgebende 
Liste,  die  argivisch-spartanische  dem  Sosibios  entlehnte,  dessen  troisches 
Datum  1171  er  richtig  mit  Weltj.  3331  gleicht,  dem  entsprechend  aber 
auch  das  Ende  des  attischen  Königs  Menestheus  auf  Weltj.  3331  (statt 
3349,  v.  Chr.  1153)  brachte,  bekam  er  für  diesen  und  damit  für  die 
ganze  attische  Liste  eine  um  18  Jahre  zu  hohe  Datirung,  Kekrops  kam 
auf  1557  und  Kreon  auf  701   v.  Chr. 

Im  VI.  Jahrhundert  n.  Chr.  fanden  wir  die  Epoche  1153  von  Hesy- 
chios,  etwa  im  IL  von  dem  falschen  Herodot  benützt;  die  nächste  sichere 
Spur  derselben  bietet  Trogus  Pompeius  bei  Jordanes  Get.  1 0,  nach  welchem 
vom  Tode  des  Telephos.  d.  i.  vom  letzten  Jahr  des  troischen  Krieges  bis 
zu  dem  unglücklichen  Massagetenkrieg  des  Kyros  fast  630  Jahre  ver- 
flossen sind.  In  der  Phoinikergeschichte  des  Trogus  ist  eine  zweite 
troische  Epoche  (1197),  in  der  latinischen  ein  drittes  Datum  (1096)  vor- 
ausgesetzt; letzteres  scheint  sein  eigenes  zu  sein,  die  zwei  andern  sind 
der  jeweiligen  Quelle  entlehnt.  In  seiner  Persergeschichte  ist,  wie  Wolff- 
garten  gezeigt  hat,  Deinon  mindestens  stark  benützt;  die  Meinung,  dass 
Ephoros  dort  seine  Hauptquelle  sei  (Otto  Neuhaus,  Progr.  Höllenstein 
1882  und  1884),  passt  nicht  zu  dessen  troischer  Epoche.  Deinons  Zeit- 
genosse Theopomps  bedient  sich,  wie  bei  Archilochos  gezeigt  wurde,  eben- 


585 

falls  der  Epoche  1153;  vielleicht  auch  Deinons  Sohn  Kleitarchos.  Nach 
Clemens  ström.  I  337  hätte  dieser  mit  Timaios  820  Jahre  vom  Hera- 
kleidenzug  bis  Archon  Euainetos  (111,  2.  335/4)  gezählt,  also  vielmehr 
die  dorische  Epoche  auf  1154/3  gesetzt.  Das  ist  von  Kleitarchos  nicht 
glaublich.  So  hoch  hinauf  konnte  diese  bloss  setzen,  wer  wie  Timaios 
dem  Falle  Troias  das  unsinnig  frühe  Datum  1333  gab;  dieses  ist  von 
Timaios  zuerst  und  wahrscheinlich  nur  in  Folge  Missverstands  aufgestellt 
worden,  Kleitarchos  aber  schrieb l)  vor  Timaios.  Auch  ist  schwer  zu 
begreifen,  wie  er  dazu  gekommen  sein  soll,  die  Heerfahrt  Alexanders 
mit  der  dorischen  Wanderung  zu  vergleichen.  Clemens  will  das  hohe 
Alter  der  jüdischen  Geschichte  gegenüber  der  hellenischen  verweisen, 
insbesondre  das  ihres  staatlichen  Anfangs,  der  Wanderung  unter  Moses, 
gegenüber  dem  Anfang  der  dorischen  Geschichte.  Das  Datum  des  letzteren 
gibt  er  in  der  Form  seines  Abstandes  von  Alexanders  Zug,  gleichfalls 
dem  Ursprung  eines  neuen  Weltreichs,  aus  vier  Schriftstellern,  deren  ge- 
schichtliche oder  chronologische  Werke  mit  oder  vor  dem  Dorierzug  an- 
fiengen:  aus  Ephoros  und  Timaios,  Phaneias  und  Eratosthenes.  Wenn  er 
den  Duris,  welcher  doch  die  Jahrrechnung  des  Timaios  angenommen 
hätte,  nicht  in  Verbindung  mit  diesem  sondern  als  Zeugen  für  die  Ent- 
fernung des  Troerkriegs  von  Alexanders  Heerfahrt  anführt,  so  erklärt 
sich  diese  auffallend  erscheinende  Abweichung  offenbar  daraus,  dass  Duris 
nur  die  Geschichte  von  370  bis  in  seine  Zeit  beschrieben  und  beim 
Jahr  334  den  Alexanderkrieg  passend  mit  dem  Troerkrieg  in  Parallele 
gesetzt  hatte.  Nach  dem  Heereszug  des  Xerxes,  welchen  Herodot  und 
andere  als  einen  grossen  Völkerkampf  zwischen  Europa  und  Asien  mit  dem 
in  gleicher  Weise  vom  Schiffkatalog  aufgefassten  Troerkrieg  verglichen 
hatten,  war  jetzt  ein  dritter  Weltkrieg  dieser  Art  geführt  worden,  der 
aber  dem  troischen  noch  näher  kam  als  der  Perserkrieg,  weil  in  jenen 
beiden  Europa  der  angreifende  Theil  war.  Kleitarchos  beschrieb,  die 
Persergeschichte  seines  Vaters  gewissermassen  fortsetzend,  die  Geschichte 
Alexanders;    auch    er    hatte  keinen  Anlass,    die  Dorierwanderung,    um  so 


1)  Nach  304,  wie  aus  Arrian  anab.  VI  11,  8  erschlossen  worden  ist,  und,  wie  aus  derselben 
Stille  wahrscheinlich  wird,  ehe  die  von  König  Ptolemaios  I  verfasste  Geschichte  der  Feldzüge 
Alexanders  erschienen  war;  Timaios  schrieb  nach  264,  dem  Schlussjahr  seines  Werks. 

Ahh.d.I.Cl.  d.k.  Ak.d.Wiss.  XVII.  Bd.  III.  Abth.  76 


586 

besseren  aber,  den  Troerkrieg  in  Vergleich  zu  ziehen.  Die  820  Jahre 
aber,  welche  von  der  troischen  Epoche  1153  bis  334  verflossen,  hat 
Clemens,  getäuscht  dadurch  dass  820  Jahre  auch  Timaios,  aber  von  dem 
Herakleidenzug  bis  dahin  gezählt  hatte,  irriger  Weise  auf  denselben  Aus- 
gangspunkt übertragen;  auch  die  774  Jahre,  welche  er  den  Eratosthenes 
von  der  Wanderung  bis  Alexanders  Zug  rechnen  lässt,  beruhen  wohl  auf 
einer  Verwechslung  dieses  Ereignisses  mit  der  alles  entscheidenden  Arbela- 
schlacht  (1104—331   incl.). 

Bei  Thukyd.  V  116  weigern  sich  Sommer  416  die  Dorier  von  Melos 
die  Freiheit  ihrer  Stadt,  TtuXtcog  bixctxaoia  h  rj  it(h;  olxav/ueytjg,  an  Athen 
preiszugeben ;  hienach  hätte  der  Geschichtschreiber  die  Gründung  von 
Melos  in  oder  (die  700,  zumal  in  einer  Rede  als  runde  Zahl  genommen) 
um  1115  gesetzt.  Die  Auswanderung  nach  Melos  wurde  in  der  dritten 
Generation  seit  dem  Dorierzug  in  dem  nämlichen  Jahre  wie  die  ionische 
Wanderung  und  die l)  der  Dorier  nach  Rhodos  ins  Werk  gesetzt,  Konon  47 
bei  Photios  cod.  186.  Hienach  würde  Thukydides,  da  er  I  12  die  dorische 
Eroberung  der  Peloponnesos  wie  Eratosthenes  in  das  80.  Jahr  nach  Troias 
Fall  und  wohl  auch  wie  Ephoros.  Eratosthenes  und  Kastor  60  Jahre 
später  die  ionische  Wanderung  setzt,  die  troische  Epoche  auf  1254  ge- 
bracht haben;  was  wir  nach  dem  unter  1270  Gesagten  für  durch- 
aus unwahrscheinlich  halten  müssen.  Thukydides  hat,  wie  uns  scheint, 
tiuxoaia  geschrieben,  was  auch  an  andern  Orten,  z.  B.  bei  Plutarch. 
Agesil.  31  in  sTiraxonia  verdorben  ist.  Dann  liegt  auch  bei  ihm  die 
troische  Epoche  1153  zu  Grunde  und  ist  für  die  dorische  das  Jahr  1074, 
für  die  ionische  1014  vorausgesetzt.  Auch  Isokrates  scheint,  wenn  er 
im  Archidamos  c.  4  von  dem  &y  iiiTaxoaioig  k'reot  erworbenen  Ruhm  und 
in  der  Rede  vom  Frieden  c.  32  von  dem  intaxoaioig  treni  genossenen 
Glücke  Spartas  spricht  und  beidemal  die  leuktrische  Schlacht  zum  End- 
punkt nimmt,  also  die  Gründung  des  spartanischen  Staates  um  1071 
setzt,  für  die  dorische  Eroberung  das  Jahr  1074  ins  Auge  zu  fassen; 
doch  könnte  er  auch  an  1069  (troische  Epoche  1148)  gedacht  haben. 
Uebrigens  vgl.  zu   1096. 

Wem  verdankt  Thukydides  die  oben  erwähnten  und  die  andern  Data 


1)  Diese  galt  wie  die  ionische  für  eine  Folge  der  Aufopferung  des  Kodros,  Strab.  653. 


587 

der  älteren  Geschichte,  welche  er  in  der  Einleitung  seines  Werkes  vor- 
trägt? Nach  U.  Köhler,  Archaiologie  des  Thuk.  (Commentatt.  in  hon. 
Mommseni  1877)  dem  Hellanikos,  dessen  Atthis  er  I  97  citirt.  Seinen 
Hauptgrund  zwar  vermögen  wir  nicht  stichhaltig  zu  finden:  wenn  I  8 
die  Erklärung  der  Atreidenherrschaft  über  Mykenai  mit  Xtyovöi  xai  ol 
to.  auifwraja  fTtluTioryrjatwv  fivrjurj  naga  nhv  HQtnBQOv  fitdeyiievoi  ein- 
geleitet wird,  so  scheint  hier  nicht  ein  Lesbier  wie  der  Vf.  der  Uyeiat 
rfjg  "l/yag  sondern  ein  Peloponnesier,  am  ersten  ein  Argiver  und  zwar 
Akusilaos  gemeint  zu  sein1);  indess  der  Umstand,  dass  nur  hier  die  Quelle 
angedeutet  wird,  während  über  andere  von  Thukydides  als  unbezweifelte 
Thatsachen  behandelte  Punkte  z.  B.  über  das  Datum  der  Wanderungen 
die  stärksten  Differenzen  bestanden,  scheint  darauf  hinzuweisen,  dass  er 
seiner  gewöhnlichen  Quelle  hier  untreu  geworden  ist  und  sich  daher 
mit  einer  betreffs  dieses  Punktes  höheren  Autorität  zu  decken  sucht.  So 
citirt  er  auch  den  Hellanikos  I  97  nur,  weil  er  dort  von  ihm  abweicht2), 
und  lässt  uns  vermuthen,  dass  in  anderen  Dingen  ihm  sein  Ansehen  um 
so  höher  stand.  Jedenfalls  hat  Hellanikos3)  die  Zerstörung  Troias  in  die 
Mitte  des  XII.  Jahrhunderts  gesetzt:  in  dieses  fällt  die  Epoche  des  Phi- 
listos,  welche  der  seinigen  nahe  stand  oder  gar  mit  ihr  identisch  war 
(6.  zu  1147),  und  die  Ansiedlung  der  Aioler  auf  Lesbos  setzte  er  100  Jahre 
nach  dem  Tode  des  Orestes,  fr.  114  bei  Tzetzes  zu  Lykophr.  1374.  Diese 
geschah  dem  Schöpfer  der  Epoche  1153  zufolge  130  Jahre  nach  der- 
selben, 1024  v.Chr.,  und  es  ist  schon  p.  541  bemerkt  worden,  dass  dieses 
Datum  sammt  den  verwandten  der  andern  aiolischen  Stadtgründungen 
einen  guten  Gewährsmann  verräth;  man  darf  auf  einen  Aioler  rathen, 
einen  Vorgänger  des  Ephoros,  welcher  ihm  zu  Gunsten  Kymes  Opposition 
zu  machen  scheint.  Aigisthos  regierte  7,  Orestes  nach  Synkellos  (wahr- 
scheinlich Sosibios,    p.   573)  23  Jahre,    dazu   die   100    bei  Hellanikos  von 


1)  Ueber  ihn  vgl.  C.  Frick,  Beiträge  zur  griech.  Chronologie.  Progr.  Höxter  1880.  Die 
Ogygesfluth  hat  er,  wie  eine  genauere  Betrachtung  von  Euseb.  praep.  ev.  X,  4 — 5  lehrt,  entweder 
gut  iiii  lit   oder  anders  als  Hellanikos  (1020  J.  vor  Olymp.  1)  datirt. 

2)  Die  Quellen  anzuführen  hatte  er  dort,  in  der  Geschichte  der  Pentakonteteris,  keinen  Anlass. 

3)  Die  Aufstellungen  von  ßrandis,  teuip.  ant.  gr.  rat.  12  sqq.  über  Hellanikos  und  Philo- 
choros  ermangeln  einer  bezeugten  Grundlage  und  die  hiefür  verwendete  attische  Rechnung,  welche 
er  dem  Barbarus  beilegt,  ist  unrichtig. 

76* 


588 

seinem    Tod    bis    zur    Landung    des    Gras    auf   Lesbos,    so    erhalten    wir 
die   130.1) 

Das  Datum  dieser  Epoche  liegt  400  Jahre  vor  Einführung  der 
Ephoren  in  Sparta  Ol.  6,  4  lakon.  Stils  z=s  Okt.  754  —  3,  durch  welche 
die  Beschränkung  des  Herakleidenkönigthums  verewigt  wurde,  und  dem 
ähnlichen  Vorgang  Ol.  6,  4  att.  St.  =  753/2,  welcher  die  lebenslängliche 
Regierung  der  Kodriden  in  eine  zehnjährige  umwandelte. 

1147  (1148)  bei  Eutropius. 

Eutr.  I  1  Romulus  urbem  constituit  olympiadis  sextae  anno  tertio, 
post  Troiae  excidium2)  trecentesimo  nonagesimo  quarto.  Philistos  setzte 
in  der  ersten,  bis  303  reichenden  Abtheilung  seiner  Geschichte  Siciliens 
die  Gründung  Carthagos  50  Jahre  vor  Troias  Einnahme,  Appian  Pun.  1 
(ohne  Angabe  des  Gewährsmannes,  welchen  Eusebios  zu  Abr.  803  nennt). 
Das  wahre  Datum  der  Gründung,  38  Jahre  vor  Olymp.  1 ,  hat  erst 
Timaios  ermittelt.  Chronol.  d.  Man.  214;  der  Irrthum  des  Philistos  er- 
klärt sich  (Rh.  Mus.  XXXV  31)  aus  der  Bedeutung  des  Ortsnamens:  er 
verwechselte  die  'Neustadt'  bei  Utica  mit  der  Neustadt  von  Tyros  und 
dass  diese  gemeint  ist,  beweisen  die  Gründernamen:  Zoros  (Zor  =  Tyros) 
und  Karchedon  bei  Appianus  und  Eusebios:  diese  werden  überall  durch 
Personification  nicht  der  Metropole  sondern  der  neuen  Niederlassung  her- 
gestellt. Neutyros  wurde  1199  oder  1198  gegründet  (p.  564).  Wer  wie 
Ephoros  die  dorische  Epoche  1069  setzte,  von  ihr  zurück  zu  Troias  Fall 
aber  mit  Thukydides  das  80.  Jahr  zählte,  der  kam  mit  jenem  Ereigniss 
in  1148.  Nach  Philistos  bei  Dionys.  ant.  I  22  wanderten  die  Sikeler 
im  achtzigsten  Jahr  vor  dem  Troerkrieg  aus  Unteritalien  nach  Sicilien; 
also  in  der  dritten  Generation  vorher,  in  welche  diese  Wanderung  aus- 
drücklich von  Hellanikos  versetzt  wird,    s.  Dionysios  ant.  a.  a.  O.     Ohne 


1)  Melanthos  siedelte  nach  Hellan.  fr.  10  bei  Schol.  Plat.  p.  376  'HQccxXtiöüjv  iniovxwv  aus 
Messene  nach  Athen  über,  während  bei  Synkellos  er  schon  1110,  also  36  Jahre  vor  der  dorischen 
Wanderung  (1074)  hier  König  wird.  Man  kann  indess  an  einen  der  früheren  Herakleidenzüge 
gegen  die  Peloponnesos  denken. 

2)  Er  setzt  hinzu:  ut  qui  plurimum  minimumque  tradunt,  d.  i.  nicht  mehr  und  nicht  weniger 
vgl.  X  18  Jovianus  decessit  aetatis,  ut  qui  plurimum  minimumque  tradunt,  tertio  et  trigesimo  anno. 


589 

Zweifel1)  haben  beide  Schriftsteller  das  gleiche  Datum  im  Auge;  war 
dies  der  Fall,  so  lag  auch  die  troische  Epoche  des  Philistos  nicht  weit 
von  der  des  Hellanikos  oder  sje  war  mit  ihr  identisch.  Das  älteste  von 
Philistos  erzählte  und  datirte  Ereigniss  lag  über  800  Jahre  vor  der 
Eroberung  von  Akragas  (Ende  406),  Diod.  XIII  103,  also  vor  1206; 
dies  ist  aber  wahrscheinlich  die  Sikelerwanderung  gewesen:  denn  die 
der  Sikaner  scheint  nicht  genauer  bestimmt  gewesen  zu  sein,  manche 
hielten  sie  für  Autochthonen.  Das  80.  Jahr  vor  Anfang  des  Troerkriegs 
wäre  dann  1237.  Bedenklich  erscheint,  dass  die  Notiz  des  Eusebios  und 
Synkellos:  Kay/tfiova  (pr/nl  <PlhaTog  xria&rjrai  vnb  Zwyov  zal  Kay%r]dovo$ 
Twy  TvfjLiav  von  Hieronymus  (der  Armenier  hat  sie  nicht)  unter  Abr.  803 
=  1214  v.  Chr.  (bei  dem  Syrer  Dionysios  unter  802)  steht;  doch  ist 
hier  jedenfalls  eine  der  zahlreichen  Verschiebungen  anzunehmen:  denn 
50  Jahre  nach  1214  findet  sich  keine  troische  Epoche  und  die  nächste 
Notiz  (Olympienstiftung  430  Jahre  vor  Ol.  1,  1)  steht  bei  Abr.  805 
ebenfalls  am  unrechten  Orte. 

Möglicher  Weise  gehört  hieher  die  dorische  Epoche  des  Isokrates 
(1069?  p.  586),  und  wahrscheinlich  die  troische  des  Demokritos,  welcher 
laut  Diog.  La.  IX  41  seinen  kleinen  Diakosmos  730  Jahre  nach  Ilions 
Einnahme  verfasst  zu  haben  versicherte.  Hat  Hellanikos  die  Epoche  1153 
geschaffen2),  so  lässt  sich  an  diese  nicht  denken,  obgleich  sie  ein  pas- 
sendes Abfassungsjahr  (424)  ergeben  würde:  denn  das  hier  einschlagende 
Hauptwerk  des  Hellanikos,  die  Herapri esterinnen  von  Argos,  reichte  min- 
destens bis  429  einschl.,  vgl.  fr.  52  bei  Steph.  Xaovia  mit  Thuk.  II  80, 
Midier  fr.  bist.  IV  635.  Zu  der  Lebenszeit  des  Demokritos  (493—404) 
passt  aber  ausser  jener  Epoche  nur  noch  die  von  1148,  welche  die  Ab- 
fassung des  Buchs  in  418  bringt. 


1)  Thukydides  VI  2  setzt  die  Wanderung  um  1CW3. 

2)  Schon  vorgefunden  hat  er  sie  schwerlich:  es  stehen  ohnehin  für  die  sehr  alten  Epochen 
1096,  1147,  1236  nur  wenig  Schöpfernamen  zur  Verfügung;  einer  von  ihnen  ist  jedenfalls  Hippys 
von  Rhegion  als  Vf.  der  ältesten  allgemeinen  Chronik;  auf  Hekataios  könnte  die  von  12:36  zurück- 
gehen; von  Akusilaos,  den  Localchronisten  und  älteren  Homerforschern  wissen  wir  nicht,  ob  sie 
eine  neue  troische  Epoche  geschaffen  haben.  Um  so  wahrscheinlicher  ist  letzteres  von  Hellanikos 
dein  ersten  Verfasser  einer  Art  von  allgemeiner  Weltgeschichte. 


590 


1136  Ephoros. 

Ein  Ungenannter  (Poseidonios?)  bei  Appianos  Mithrid.  53  setzte  die 
Zerstörung  Ilions  durch  Fimbria,  geschehen  Ol.  173,  4.  85  v.  Chr.,  un- 
gefähr 1050  Jahre  nach  der  alten;  ein  Excerpt  bei  Synkellos  p.  501, 
welches  800  Jahre  von  Troia  bis  Alexanders  Anfang  111,  1.  336  zählt, 
ist  auf  Ephoros  zurückzuführen,  Philolog.  XLI  85.  Er  rechnete  2  Ge- 
nerationen von  da  zur  dorischen  Epoche  und  67  Jahre  liegen  zwischen 
1136  und  1069;  in  dieses  Jahr  aber  setzt  Diodors  Liste  der  Herakleiden 
Sparta's  bei  Euseb.  I  222,  welche  man  irriger  Weise  aus  Apollodoros 
statt  aus  Ephoros  abzuleiten  pflegt,  den  Anfang  derselben,  Philol.  XL  95. 
Das  Jahr  fieng  bei  ihm  nach  lakonischem  und  makedonischem  Stil  im 
Herbst  an,  ebend.  XL  48  ff. 

Diodors  Verzeichniss  der  jüngeren  Königslinie  Sparta's  ist  lückenhaft 
und,  wie  die  Uebereinstimmung  der  Summe  290  mit  den  Posten  lehrt, 
in  diesem  Zustande  schon  von  Eusebios  (I  222.  224)  vorgefunden  worden. 
Bei  Gutschmids  scharfsinniger  aber  apollodorischen  Ursprung1)  voraus- 
setzender Ergänzung  lautet  es:  Prokies  (41.  Soos  34.  Eurypon)  51.  Pry- 
tanis  49.  Eunomos  45.  Charilaos  60.  Nikandros  38.  Theopompos  47, 
wodurch,  das  10.  Jahr  des  Theopompos  mit  Diodor  auf  Ol.  1,  1  gestellt, 
der  Anfang  des  Prokies  auf  1103  kommen  würde.  Anzuerkennen,  weil 
Cicero  de  divin.  II  91  dem  Prokies  1  Jahr  weniger  gibt  als  dem  Eury- 
sthenes  und  die  Dynastiestifter  gewöhnlich  in  allen  Listen  gleiche  Jahr- 
zahl  haben,  sind  die  41  Jahre  des  Prokies;  aber  das  Anfangsdatum  miiss 
dasselbe  sein  wie  das  des  Eurysthenes  und  daraus  folgt,  dass  Soos  gar 
nicht  einzusetzen  ist;  dann  aber  stimmt  alles:  1069  Prokies  (41.  1028 
Eurypon)  51.  977  Prytanis  49.  928  Eunomos  45.  883  Charilaos  60. 
823  Nikandros  38.  785  —  738  Theopompos;  sein  10.  Jahr  776.  Wie 
Soos  zwischen  Prokies  und  Eurypon  von  Herodot  VIII  131  nicht  an- 
erkannt wird  und  Piatons  Kratylos  412  b  von  ihm  wie  von  einem  Privat- 
mann spricht,  so  schreibt  Strab.  366  "E(po()Oi;  (prjCFi  zahtioih/t  rov^  Evqv- 
nuiVTidag  ani)  EuQimiövTOg  tov  FIqoxIhws;  er  fand  ihn  bei  Ephoros  (s.  u.) 
nicht  als  König  aufgeführt. 


1)  Gegen  diesen  zeugt  die  Abweichung  der  zwei  vorhandenen  Data  (p.  570). 


591 

Nach  Ephoros  bei  Strab.  482  ging  Lykurgos  vor  Ablauf  der  Vor- 
mundschaft auf  Reisen  und  traf,  äg  cpaol  Ttveg  (was  aber  auch  seine 
eigene  Ansicht  ist1,  auf  Chios  mit  Homer  zusammen.  Damit  vgl.  Hiero- 
nymus  zu  Abr.  1104:  in  latina  historia  haec  ad  verbum  scribta  rep- 
perimus:  Agrippa  apud  Latinos  regnante  Homerus  poeta  in  Graecia 
claruit,  ut  testantur  Apollodorus  grammaticus  et  Ephorus  (die  Hdschr. 
Euphorbus)  historicus,  ante  urbem  Romain  conditam  ann.  CXXIIII  et  ut 
ait  Cornelius  Nepos  ante  olympiadem  primam  ann.  C.  Nepos  setzte 
Roms  Gründung  Ol.  7,  2.  751  0;  die  124  Jahre  sind  also  entweder  dem 
Gründungsdatum  des  unbekannten  Chronisten  oder  dem  des  Hieronymus, 
welches  in  der  That  auf  7,  1.  752/1  traf,  entnommen.  Apollodoros  war 
von  Nepos,  Ephoros  vielleicht  von  Apollodoros  citirt;  dieser  wich  in 
Betreff  Homers  von  Eratosthenes,  welcher  ihn  1084  setzte,  ab  und  hatte 
daher  Grund  genug  eine  Autorität  anzurufen.  Auf  944  (100  Jahre  nach 
der  ionischen  Wanderung)  stellte  er,  wie  Tatianos  31  (rjxfiaxh'äi)  und 
aus  gleicher  Quelle  Eusebios  zu  Abr.  915  (fuisse  =  Synkell.  339  ytyo- 
rn'c.i.  dies  nach  dem  Zusammenhang  —  floruisse)  behaupten,  die  ßlüthe, 
in  Wahrheit  aber  die  Geburt  Homers,  Clemens  ström.  I  327  wäre  em- 
ftaketv  avTin  Avxovqyov  tu  viav  bvra.  Clemens  las  den  Apollodoros  selbst, 
Tatianos  und  Eusebios  compiliren  nur  einen  Leser  desselben  und  ytyo- 
vh'ci  konnte  leicht  missdeutet  werden.  Zu  Clemens  stimmen  zwei  Be- 
nutzer Apollodors:  Nepos,  der  die  Blüthe  des  Dichters  bei  Solinus  40,  17 
138  Jahre  l)  vor  Ol.  1  (914  =  30  Jahre  nach  944)  und  bei  Gellius  XVII  21 
ungefähr  (circiter)  160  Jahre  vor  Roms  Gründung  setzt,  und  Cicero  (vgl. 
p.  570)  de  rep.  II  10  Homerum  qui  minimum  dieunt  Lycurgi  aetati  tri- 
ginta  annis  anteponunt  fere  (914 — 885  =  29),  qu.  Tuscul.  V  3  Lycurgus, 
cuius  temporibus  Homerus  etiam  (=  etiamtunc)  fuisse  dicitur.  Das  Jahr  876, 
in  welches  Ephoros  Homers  Blüthe  setzte,  ist  nach  obiger  Rechnung  das 
achte  des  Charilaos  (883 — 876):  eben  in  dieses  achte  setzte  aber  ISosibios 
den  Dichter  und  meinte,  wie  Rohde  Rh.  Mus.  XXXVI  525  bemerkt  hat, 
das  Jahr  seiner  Zusammenkunft  mit  Lykurgos. 

1)  Die  272  Jahre  nach  Troia  (=912/1),  welche  Solinus  beigibt,  sind,  wie  Rohde  erkannt 
liat,  aus  bestimmter  Auffassung  der  160  Jahre  vor  Rom  (752/1)  unter  Missachtung  des  circiter 
berechnet.  Welcher  troischen  Epoche  Euthymenes  und  Archeraachos  huldigten,  welche  bei  Cleni. 
ström.  327  Homer  einen  Zeit-  oder  Altersgenossen  (ai  yax/udaayia)  Hesiods  nennen  und  seine  Geburt 
oder  seine  Blüthe  (yu'£o&ut)  um  das  200.  Jahr  seit  Troia  setzen,  ist  gänzlich  unbekannt. 


592 

In  dem  Dialog  tjqioixos  p.  318  schreibt  Philostratos:  'Homeros  sang, 
wie  einige  behaupten,  24  Jahre1)  nach  dem  Troerkrieg;  wie  andere. 
127  Jahre  nach  demselben,  als  die  Athener  die  Ansiedlung  in  Ionien 
gründeten;  manche  setzen  ihn  und  Hesiodos  160  Jahre  nach  dem  Troer- 
krieg, als  beide  am  Wettgesang  in  Chalkis  theilnahmen.'  Diese  Stelle 
pflegt  beachtet  zu  werden,  nicht  aber  die  parallele,  in  welcher  dieselbe 
Person  (der  Winzer)  spricht,  also  keine  abweichende  Ansicht  ausgesprochen 
sein  kann,  p.  287  oi  jutv  Tyolag  alovarjg  oi  dt  6'Aiyaig  oi  <V  bxxw  ytvtalg 
voTtQov  Em&tafrai  airov  tFj  txoitjgbi  tiyovoiv.  Die  erste  dieser  Varianten 
ist  offenbar  dieselbe  wie  die  erste  p.  318  (24  Jahre  nach  Troia),  auch 
die  zweite  hier  dieselbe  (127  Jahre  =  fast  4  volle  Generationen  oder 
133  1/s  Jahre)  wie  die  zweite  dort  (wenige  Generationen);  also  müssten 
auch  die  8  Generationen  den  160  Jahren  entsprechen,  was  aber  nicht 
der  Fall  ist.  Aus  acht  Generationen  fünf  (160  Jahre  =  fast  5  volle  Gen. 
oder  167  Jahre)  zu  machen  ist  wegen  oXiyaig  unmöglich:  bei  nur  einer 
Generation  Abweichung  konnte  nicht  bloss  auf  der  einen  Seite  von  wenig 
gesprochen  werden,  wodurch  auf  der  andern  der  Begriff  der  Vielheit 
hervorgebracht  wird.  Vielmehr  ist  p.  318  statt  160  zu  schreiben  260: 
acht  volle  Generationen  sind  267  Jahre.  Zu  denen,  welche  Hesiod  einen 
obzwar  älteren  Zeitgenossen  (avyxüovov)  Homers  nannten,  gehörte  Ephoros 
(fr.  164)  und  der  von  ihm  etwas  modificirte  älteste  Stammbaum  beider 
setzte  sie  8  Glieder  nach  den  Zeitgenossen  des  Troerkriegs  (s.  zu  1059): 
von  1136  bis  876  verlaufen  aber  genau  260  Jahre.  Philostratos  hat  also 
die  dritte  Variante  dem  Ephoros  entnommen,  1136  als  dessen  troische 
wie  876  als  seine  homerische  Epoche  ist  dadurch  bestätigt;  auch  die 
127  Jahre  dürfen  nunmehr  auf  Ephoros  zurückgeführt  werden:  mit 
67  Jahren  von  Troia  bis  zur  dorischen  Epoche  und  60  von  da  zur 
ionischen  erhalten  wir   127,    die  ionische    hat   er    also    auf  1109  gestellt. 

Den  mit  cpaol  eingeleiteten  Bericht  über  die  Aiolerwanderung  bei 
Strabon  582  leiten  wir  ebenfalls  aus  Ephoros  ab.  Den  Aioler  verräth 
die  Behauptung,  die  aiolische  Colonie  sei  ganze  4  (der  Amplification 
wegen  inclusive  gezählt  statt  3)  Generationen  älter  als  die  ionische:  um 
diese  Prahlerei  wahrscheinlich  zu  machen  wird  die  bereits  von  Hellanikos 


1)  Vgl.  zu  1059. 


593 

aufgestellte  Behauptung  aufgewärmt,  schon  Orestes  habe  sie  unternommen, 
im  Unterschied  aber  von  jenem,  welcher  Orestes  auf  Lesbos  landen,  sein 
Unternehmen  aber  folgenlos  verlaufen  liess,  angegeben,  Orestes  sei  auf 
dem  Weg  in  Arkadien,  ebenso  sein  Sohn  Penthilos  60  Jahre  nach  Troia 
in  Thrake  gestorben,  dessen  Sohn  Archelaos  bis  in  die  Gegend  von 
Kyzikos  und  erst  der  jüngste  Sohn  des  Archelaos,  Gras  (der  wahre 
Auswanderer  der  älteren  Tradition)  nach  Lesbos  gekommen.  Schon  zur 
Zeit  des  Penthilos  aber  hätten  auch  Kleues  nnd  Malaos,  gleichfalls  Aga- 
memnoniden  (welche  aber  sonst  nicht  als  Söhne  des  Orestes  bekannt  sind) 
ein  Heer  zusammengezogen,  nur  sei  der  andere  Heereszug  dess wegen  eher 
in  Asien  angelangt,  weil  sie  in  Lokris  und  am  Gebirge  Phrikion  zu  lange 
blieben;  später  übergefahren  hätten  sie  (dies  wieder  in  Uebereinstimmung 
mit  der  älteren  Ueberlieferung)  Kyme,  das  so  zum  Beinamen  Phrikonis 
gekommen  sei,  gegründet.  Diese  Version  will  offenbar  Kyme,  die  Heimat 
des  Ephoros,  älter  machen  als  Lesbos,  dessen  Städte  dem  Lesbier  Hella- 
nikos,  aber  auch  den  andern  als  die  ältesten  der  Aiolis  galten.  Die 
Berichte  Strabons  über  die  Gründung  der  hellenischen  Staaten  und  Wan- 
derungen sind  betreffs  Althellas  wenigstens  durchweg  dem  Ephoros  ent- 
lehnt; der  unsrige  aber  hängt  auf  das  Engste  mit  dem  des  Ephoros  bei 
Strab.  401  —  2  über  die  Aiolerwanderung  nach  Boiotien  zusammen. 

Schwierigkeit  macht  in  dieser  Darstellung  eine  Jahrzahl,  Str.  582 
Utv&iXov  ngotk&Hv  fitXQ1  ^V(!'/Ji>  B&jxovTa  hhii  Tihv  TtMDtxtißv  varegov 
vn*  avrijv  iitv  rvov  'ffQaxktiötBv  flg  FleXtmowtjoory  xafrooov,  sofern  Nie- 
mand sonst  zwischen  der  troischen  und  dorischen  Epoche  60,  Ephoros 
vielmehr  67  Jahre  ansetzt,  vno  aber  als  circiter  zu  nehmen  durch  avrrjy 
verboten  wird.  Aber  in  Verbindung  mit  Begriffen  von  längerer  Dauer 
kann  es  vom  Eintritt  während  derselben  angewendet  werden,  z.  B.  vno 
vuxra  im  Laufe  der  Nacht,  und  so  ist  es  hier  zu  verstehen:  7  Jahre 
vor  Abschluss  des  Krieges  (p.  559),  welcher  die  Wiedereinsetzung  der 
Herakleiden  in  alle  einst  von  Herakles  erworbenen  Theile  der  Pelopon- 
nesos  herbeiführte.  Nur  daraus,  dass  Ephoros  den  Abschluss  desselben, 
die  Landvertheilung  mit  den  Staaten-  und  Stadtgründungen  eine  Reihe 
von  Jahren  später  setzte  als  die  Landung  am  Rhion,  erklärt  sich  die 
auffallende  Erscheinung,  dass  Soos  nicht  als  König  anerkannt  wird.  Das 
p.  590  angeführte  Citat  des  Ephoros  bei  Strab.  366  ist  ungenau:  im 
Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  III.  Abth.  77 


594 

Stammbaum  erkannte  er  (und  wahrscheinlich  auch  Herodots  Vorgänger) 
Soos  an  als  Sohn  des  Prokies  und  Vater  des  Eurypon,  aber  nicht  als 
König:  bei  Strab.  482  setzt  er  Lykurgos  in  das  sechste  Glied  seit  Prokies 
(2.  Soos,  3.  Eurypon,  4.  Prytanis,  5.  Eunomos  Vater  des  Polydektes  und 
Lykurgos).  Soos  war  also  der  älteren !)  Version  zufolge  (die  jüngere  bei 
Plutarch,  d.  i.  Eratosthenes  nennt  ihn  König)  im  Mannesalter  vor  seinem 
Vater  Prokies  gestorben,  und  zwar  nach  bedeutenden  Thaten:  zu  den 
berühmten  Männern  zählt  ihn  Piatons  Kratylos,  bei  Polyainos  steht  er 
unter  den  Schöpfern  von  Kriegslisten,  in  Plutarchs  Agesilaos  wird  er 
geradezu  der  grösste  Held  der  jüngeren  Linie  vor  Agesilaos  genannt  und 
von  seinen  Thaten  Bericht  erstattet.  Hieraus  folgt,  dass  Ephoros  die 
41  Regierungsjahre  seines  Vaters  Prokies  und  die  42  des  Eurysthenes 
nicht  von  dem  Tode  des  Aristodemos,  welcher  unmittelbar  vor  der  Ein- 
schiffung in  Naupaktos  und  gleich  nach  ihrer  Geburt  gestorben  war 
(Herod.  VI  52  Pausan.  II  1),  sondern  erst  von  der  Gründung  Spartas  und 
der  spartanischen  Dynastie  ab,  die  vorausgegangene  Vormundschaft  des 
Theras  aber  auf  die  Dauer  des  langen  Eroberungskrieges  gerechnet  hat. 
Auch  Agis  der  Sohn  des  Eurysthenes  ist  wenigstens  nur  1  Jahr  lang 
König  gewesen,  hat  also  die  von  Ephoros  bei  Strab.  365  ihm  beigelegten 
Thaten  zum  Theil  unter  seinem  Vater  vollbracht.  Die  Gründung  von 
Sparta  und  Argos  geschah  erst  lange  nach  der  dorischen  Einwanderung 
durch  die  mündig  gewordenen  Zwillinge  und  den  Sohn  des  Temenos, 
Ephoros  bei  Strab.  483  Kinaov  rov  rb  "Ayyog  xxiaavxog  tibqI  tov  avrbv 
/qovüv  r\viy.a  fT()oxkfjg  (nur  dieser  wird  genannt,  weil  von  seinem  Nach- 
kommen Lykurgos  die  Rede  ist)  r/}r  I.«';»//  ovv(pxi£e;  Temenos  lebte 
zwar  damals  noch2),  hatte  aber  den  Kissos  zum  Mitregenten  angenommen 
(Ephoros  bei  Strab.  389),  nachdem  sein  Schwiegersohn  Deiphontes,  der 
für  ihn  Krieg  geführt  hatte  (Pausan.  II   19),  getödtet  worden  war. 

67  Jahre  nach  Troias  Fall  fand  also  bei  Ephoros  nicht  die  dorische 
Wanderung  sondern  das  Ende  des  dorischen  Krieges  statt  und  von  hier  aus 


1)  Die  aus  guten  Quellen  geschöpfte  Geschichte  der  dorischen  Spartakönige  bei  Pausanias  III  7 
lässt  nicht  erkennen,  ob  Soos  König  war  oder  nicht. 

2)  "Wie  gegen  die  Aioler  von  Korinth  die  Dorier  des  Äletes  von  Solygeia  aus  (Thuk.  IV  42) 
den  Krieg  vermittelst  eines  mirfixtapös  führten,  so  Temenos  gegen  die  Mykenaier  des  Tisamenos 
vom  Temenion  aus,  wo  er  auch  begraben  wurde  (Pausan.  IV  38). 


595 

ergibt  sich  die  Möglichkeit  den  Widerspruch,  welcher  über  seine  dorische 
Epoche  zwischen  Diodor  und  Clemens  besteht,  besser  zu  lösen  als  das 
im  Philologus  XL  99  versucht  worden  ist.  Die  dorische  Einwanderung 
mittelst  der  Landung  am  Rhion  geschah  ungefähr  oder  fast  {oyjdor, 
Diod.  XVI  76)  750  Jahre  vor  der  Belagerung  von  Perinthos  340  (incl.) 
also  1089  oder  um  dieses  Jahr;  dagegen  die  von  Clemens  str.  I  337 
angegebenen  735  Jahre  bis  111,  2.  335/4  incl.  sind  auf  die  Gründung 
der  dorischen  Dynastien  1069  zu  beziehen.  Ephoros  hat  wohl  20  Jahre 
auf  den  Krieg  gerechnet,  die  Dauer  der  Regierungsunfähigkeit  des  Zwil- 
lingspaares: 20 jährig  trat  man  zu  Sparta  wie  zu  Athen  in  das  Heer 
und  die  Bürgergemeinde  ein,  so  alt  war  Telemachos  als  er  die  Zügel 
der  Regierung  in  Haus  und  Staat  ergriff,  so  alt  wird  ohne  Zweifel  auch 
Orestes  zu  der  Zeit  gedacht,  als  er  mit  der  Rache  an  Aigisthos  die 
Pflichten  und  Rechte  des  Haus-  und  Staatsoberhauptes  auszuüben  anfieng 
(50  Vell.  I  2).    Zu  den  47  und  20  Jahren  1136—1089  —  1069  vgl.  p.  598. 

1096  bei  Isokrates. 

Gades  war  nach  Pomponiufl  Mola  III  46  während  des  Troerkrieges 
gegründet  worden:  annorum  queis  manet  ab  Iliaca  tempestate  principia 
sunt;  dieser  setzt  also  ein  späteres  Datum  der  troischen  Epoche  voraus 
alfl  Strabon  p.  48,  nach  welchem  die  Phoinikerstädte  jenseit  der  Herakles- 
saulen und  an  der  Mitte  der  libyschen  Küsten  uixyor  twv  Tquhxiüv  va- 
ttfföv  entstanden  waren.  Utica  287  Jahre  vor  Carthago  (814/3)  gebaut, 
Mirab.  auscultat.  134,  also  1101/0;  zur  Zeit  des  Plinius  (hist.  XVI  216), 
77  n.  Chr.  stand  Gades  1178  Jahre,  also  seit  1102  oder  1103/2.  Velleius 
I  2  ea  tempestate  Tyria  classis  Gadis  condidit,  ab  iisdem  post  paucos 
annos  Utica  condita  est  denkt  bei  ea  tempestate  an  die  Gründung  von 
Megara  nach  dem  vergeblichen  Angriff  der  Dorier  auf  Attika;  diesen 
aber  setzt  er  eodem  fere  tempore  mit  der  vorher  angeführten  dorischen 
Wanderung  (1104/3,  p.  556).  Hienach  fällt  Gades' Gründung  1103/2  und 
bei  Mela  das  Ende  des  troischen  Kriegs  frühestens  1102,  spätestens  1094. 

Nach  Trogus  stand  Alba  300  Jahre  an  der  Spitze  von  Latium, 
Justin  XU II  1;  Livius  I  3  setzt  ungefähr  30  Jahre  zwischen  Laviniums 
und  Albas  Gründung  und  gibt  I  29  dieser  Stadt  400  Jahre  bis  zu  ihrer 
Zerstörung  durch  Tullus  Hostilius,   zählt  also  ebenfalls  300  bis  zur  Ent- 

77* 


596 

stehung  Roms,  von  welcher  100  bis  zu  ihr  gerechnet  wurden  (Rhein. 
Mus.  XXXV  8).  Mit  Varro  gibt  er  den  römischen  Königen  244  und  der 
Anarchie  5  Jahre,  aber  den  Decemvirn  3  statt  2,  das  Gründungsdatum, 
welches  die  von  ihm,  Trogus  und  Mela,  auch  (s.  u.)  Vergilius,  vorge- 
fundene Rechnung  voraussetzt,  war  also  um  1  Jahr  höher  als  das  var- 
ronische:  wenn  Livius  gleichwohl  nicht  Ol.  6,  2.  755/4  sondern  7,  2.  751  o 
(Momui8en  röm.  Chronol.  121)  zu  Grund  legt,  so  kommt  dies  daher,  dass 
er  die  4  Dictatorjahre  missverständlich  ausgemerzt  hat.  Die  Gründung 
von  Alba  setzen  wir  daher  im  Sinne  seines  Gewährsmanns  auf  1085/4. 
Das  Intervall  von  Troia  bis  dahin  lernen  wir  aus  Vergilius  kennen. 
Auch  dieser  zählt  Aen.  I  265  von  Lavinium  und  dem  Ende  des  Aeneas 
bis  zur  Gründung  Albas  30,  von  da  bis  Romulus  300  Jahre;  jenes  Inter- 
vall aber  berechnet  sich  aus  ihm  auf  12.  Nach  der  Eroberung  zieht 
sich  Aeneas  in  die  Berge  zurück  (II  804);  dort  sammelt  er  allmählich 
einen  grossen  Theil  der  Entronnenen,  holt  Göttersprüche  ein  und  baut 
eine  Flotte  (III  5 — 8);  mit  Frühlings  Anfang  sticht  er  in  die  See,  III  8 
vix  prima  inceperat  aestas.  Bei  Dido  erscheint  er  von  Sicilien  kommend 
6  volle  Jahre  später,  I  755  te  iam  septima  portat  omnibus  errantem 
terris  et  fluctibus  aestas,  also  im  8.  Jahr  seit  Troias  Fall.  Bei  ihr  bringt 
er  den  Winter  zu  (IV  193);  als  er  dann  zum  zweiten  Mal  auf  Sicilien 
landete,  war  ein  volles  Jahr  seit  der  Abfahrt  von  der  Insel  verflossen 
(V  46.  III  710),  woraus  hervorgeht,  dass  V  626  septima  post  Troiae 
excidium  iam  vertitur  (läuft  ab)  aestas,  cum  freta  cum  terras  omnes 
emensae  ferimur  nicht  septima  post  sondern  septima  cum  —  ferimur 
unmittelbar  zu  verbinden  und  aestas  als  poetischer  Ausdruck  für  annus 
zu  nehmen  ist.  In  Latium  landet  Aeneas  zur  Zeit  der  Obstreife  (VII  111), 
also  im  Juli  oder  August,  im  Anfang  eines  neuen  attischen  Jahres.  Von 
hier  bis  zur  Gründung  von  Lavinium  und  zu  Aeneas  Tod  sind  3  Jahre 
(I  265).  So  zählt  auch  Synkellos  9  Jahre  von  Troia  bis  zur  Landung 
in  Latium  (Weltj.  4331  —  4340)  und  3  Regierungsjahre  des  Aineias. 
Die  Zerstörung  Troias  fällt  hienach  in  das  attische  Jahr  1097/6. 

Isokrates  legt  im  Panathenaikos  eine  niedrigere  troische  Epoche  zu 
Grund  als  in  den  p.  586  citirten  Reden;  ihre  Erkenntniss  ist  durch  einen 
groben  Textfehler  verdunkelt,  c.  59  (paivtrai  6  dfiaog  xavrr\  (rfj  nolirsia) 
XQWfisrog  ovx  fkaTjov  xi'kLwv  htiiv  jU8%()i   Trjs  ^okcorog  fxtv  fjlixiag  IJeiai- 


597 

axQurov  dt  dvvaoTeiag.  Hienach  würde  Theseus  die  Republik  im  XVI.  Jahr- 
hundert eingeführt  haben,  ein  halbes  Jahrtausend  vor  der  Wanderung  der 
Herakleiden,  deren  flüchtigen  Urgrossvater  er  in  Attika  aufgenommen 
hat!  Statt  yjuuov  ist  UsaxooUov  zu  lesen:  die  zwei  Bedeutungen  der 
Ziffer  X  sind  wie  bei  Josephos  g.  Ap.  I  16  mit  einander  verwechselt 
worden,  vgl.  Chronol.  d.  Man.  172.  Gutschmid  zu  Euseb.  ehr.  I  160. 
Die  Willkürherrschaft  des  Peisistratos,  an  welche  laut  den  Worten  noüa 
Tt]v  noXir  Ivfiipraptvoi  xal  r.ovg  ßtuiann^  iinv  .lo'/.iruj)'  szßaXiov  gedacht 
ist,  begann  (de  bigis  c.  10)  55 15  Jahrbb.  1883  p.  384;  zu  dieser  Zeit 
denkt  auch  Herodot  I  29  und  Herakleides  bei  Plut.  Sol.  32  den  Gesetz- 
geber noch  lebend.  Die  Einführung  der  Volksfreiheit  wurde  von  denen, 
welche  sie  dem  Theseus  zuschrieben,  in  den  Anfang  seiner  Regierung  ver- 
legt, Plut.  Thes.  22,  was  trotz  panath.  50  >-/u)r  i itv  ßaoiXeiav  b>  it  jwlka  y.c.l 
y.u'ka  $temt7tQctY[i£yoe  rp  auch  für  Isokrates  anzunehmen  ist:  die  Herakles- 
söhne nahm  Theseus  lange  vor,  den  Adrastos  kurz  vor  dem  Troerkrieg 
auf,  paneg.  §  54,  vgl.  panath.  c.  70;  Theseus  hat  also  lange  Zeit  regiert. 
Von  1151  — 1145  bis  1097  verfliessen  48 — 54  Jahre:  die  parische  Chronik 
zählt  54  von  Einführung  der  Volksfreiheit  bis  zum  Falle  Troias;  auf  die 
Regierung  des  Theseus  und  Menestheus  zusammen  rechnet  Synkellos  64, 
Kastor  63,  Africanus  50,  Eusebios  53.  —  Während  in  den  zwei  andern 
Schriften  Isokrates  darauf  ausgeht.  Sparta's  Glück  und  Ruhm  durch 
Hervorhebung  seiner  langen  Dauer  zu  verherrlichen,  verfolgt  er  hier  den 
entgegengesetzten  Zweck;  daher  schreibt  er  c.  82,  mit  Bezug  auf  das 
Abfassungsjahr  HO,  1.  339:  ^na^Tiära^  hnav&a  zarrotxiiv  ov  nktico  if>r\- 
aovniv  hwv  imcueooitov,  setzt  also  die  Gründung  des  dorischen  Staates 
Sparta  frühestens  in  1039/8;  höher  zu  gehen  verbietet  der  Ausdruck 
uv  :i'/.hu>:  auch  an  ein  niedrigeres  Datum  ist  kaum  zu  denken,  weil  in 
diesem  Fall  der  Effect  durch  Wendungen  wie  'nicht  einmal  700*  noch 
hätte  gesteigert  werden  können.  Die  57  Jahre  1096  — 1039  entsprechen 
den  57  bei  Africanus  vom  Tod  Agamemnons  bis  zum  Ende  seiner  Dynastie. 
15  Jahre  später  liegt  das  Datum  der  Gründung  von  Lesbos  1024;  dazu 
trifft  (durch  Zufall?)  Velleius  I  2  exclusi  ab  Heraclidis  Orestis  liberi  quinto- 
deeimo  anno  sedem  cepere  circa  Lesbum. 

Phaneias,  Schüler  und  Freund  des  Aristoteles,  zählte  715  Jahre  von 
dem  Herakleidenzug  bis   111,  2.   335/4,  s.  Clemens  str.  I  337,  setzte   also 


598 

den  Zug  1049.  Mit  diesem  Datum  hängt  wohl  die  abgerissene  Notiz  dos 
Eusebios  zu  Abr.  869  =  1148  v.  Chr.:  secundum  quosdam  Heraclidarum 
descensus  zusammen;  den  vollständigen  Text  hat  Synkellos  gerettet,  welcher 
p.  334  an  chronologisch  gleicher  Stelle  schreibt:  'HfxacXsifiarv  xa&wtos 
c'Yklov  rov  TzyeoßvTJ-fjov  naidog  'Hyax'/Jovg  rjyovabvov  rfjg  xara  Uskmw- 
r?]öiwv  [ia%i]g.  qTig  87iex(jaT?]Otv  Ixavoig  treoi  fittaSv  Ftskmowr\<iLaw  xat 
tcüv  cHpaxkei&(3v;  die  100  Jahre,  welche  nach  Herodot  IX  26  von  dem 
unglücklichen  Kampf  des  Hyllos  auf  dem  Isthmos  bis  zu  der  glücklichen 
Landung  am  Rhion  verflossen,  sind  hier  auf  1148 — 1049  gestellt.  Von 
1049  bis  zur  Gründung  des  dorischen  Sparta  verlaufen,  wenn  wir  Phaneias 
mit  Isokrates  verbinden,  10  Jahre:  1049  — 1039;  sie  erinnern  an  die 
10  Jahre,  auf  welche  bei  Apollodoros  bibl.  II  8,  3  der  Herakleidc 
Hippotes  bei  der  Landung  verbannt  wurde.  Sein  Sohn  Aletes  gründete 
im  Sinne  dieser  Sage  ohne  Zweifel  nach  Ablauf  des  10jährigen  Exils 
Korinth,  dessen  Entstehung,  ursprünglich  gleichzeitig  mit  der  von  Sparta, 
dann,  als  diese  mit  der  dorischen  Wanderung  zusammengeworfen  ward, 
1  —  2  (bei  Velleius.  6)  Jahre  nach  ihr,  immer  aber  geraume  Zeit  später 
als  die  Wanderung  gesetzt  wurde.  Die  10,  nach  Didymos  bei  Schol.  IM  ml. 
ol.  13,  17  30  Jahre  sind  nur  Varianten  der  20  und  25,  p.  595.  573;  die 
47  Jahre  1096—1049  entsprechen  den  47  des  Ephoros  1 136  —  1089  p.  59"). 
Aristoteles *)  hat  die  ionische  Wanderung  ungefähr  ein  Jahrzehnt  vor 
Smyrnas  Colonisirung  gesetzt.  Zur  Zeit  da  Neleus  die  Wanderung  leitete, 
so  meldet  die  erste  der  zwei  pseudoplutarchischen  Homerbiographien  aus 
Arist.  neyl  jiotrjTixfjg,  wurde  ein  Mädchen  aus  los,  Namens  Kritheis  von 
einem  Dämon  schwanger;  von  Seeräubern  dem  Lyderfürsten  Maion  in 
Smyrna  zugeführt,  welcher  sie  heirathete.  genas  sie  eines  Knaben,  wel- 
chen jener  adoptirte  und  aufzog.  Bald  starb  Maion;  die  Lyder  aber, 
von  den  Aiolern  bedrängt,  beschlossen  auszuwandern  und  als  der  Herold 
männiglich  zum  Auszug  einlud,  da  rief  der  Knabe  (üri  rrjmog  wv),  er 
wolle  auch  mitgehen  (ojur^elv);  davon  wurde  er  Homeros  statt,  wie  bis- 
her, Melesigenes  genannt.  —  Smyrna  wurde  von  den  Aiolern  nach  guter 
Ueberlieferung  (s.  zu   1270)  986  gegründet;    das  kürzeste    unter  den  auf 

1)  Er  und  Aristoxenos,  vielleicht  auch  Phaneias  setzte  Troia's  Fall,  wie  uns  scheint,  1059, 
jedenfalls  hatte  die  dorische  und  die  ionische  Wanderung  bei  dieser  Epoche  dasselbe  Datum  wie 
bei  der  Ep.  1096. 


599 

uns  gekommenen  Intervallen  zwischen  Troias  Fall  und  der  ionischen  Wan- 
derung ist  das  von  Aristarchos  bei  Euseb.  zu  Abr.  915  =  Synkell.  339 
überlieferte:  100 !)  Jahre.  Diese  reichen  von  1097/6  bis  997  6,  dem 
niedrigsten  und  damit  besten  Datum  der  Ionierwanderung,  welches  sich 
ermitteln  lässt;  aus  ihm  ist  wohl  auch  die  tr.  Epoche  1096  (3  Genera- 
tionen vorher)  gebildet  worden.  Vom  letzten  Jahr  des  Menestheus,  in 
welches  den  Fall  Troias  die  meisten  setzten2),  bis  zum  Anfang  des  Medon. 
in  welchem  nach  der  älteren  Ueberlieferung  die  Wanderung  vor  sich 
gieng,  verlaufen  bei  Africanus  (p.  552)  100,  bei  Synkellos  (p.  582)  102  Jahre. 
Nach  Kreophylos  bei  Athenaios  VIII  361  hatten  die  Ionier,  welche  Ephesos 
gründeten,  vorher  21  Jahre  lang  auf  Samos  gehaust;  nach  Malakos  bei 
Athenaios  VI  2ü7  waren  es  Unterthanen  (fJoOÄoe)  der  Samier,  welche 
von  ihren  Herren  abfielen,  sich  in  den  Bergen  der  Insel  festsetzten  und 
dort  einen  Raubkrieg  führten,  bis  sie  im  6.  Jahr  einem  Orakel  folgend 
vertragsmässig  abzogen  und  Ephesos  besetzten.  Unter  den  Samiern  ver- 
steht er  offenbar  die  Einwanderer,  welche  der  Ionier  Prokies  aus  Epi- 
dauros  dahin  geführt  hatte:  die  neuen  Ephesier  wandten  sich  nach 
Pausan.  VII  2  und  4  unter  Androklos  gegen  Leogoras,  den  Sohn  des 
Prokies,  und  verjagten  ihn  sammt  seinem  Volk;  ein  Theil  desselben  wan- 
derte nach  Samothrake,  mit  dem  andern  setzte  sich  Leogoras  in  Anaia 
fest  und  gewann  10  Jahre  später  die  Insel  den  Ephesiern  wieder  ab; 
darnach  zog  Androklos  zum  Entsatz  von  Prione  gegen  die  Karier  und 
fand  dort  in  siegreichem  Kampfe  den  Tod.  Samothrake  wurde  nach 
Apollodoros  bei  Schol.  AD  zu  IL  N  12  uerä  ütaxocnoozby  xal  i-'yarov 
(D  bloss  diaxoatoorov)  foog  tvjv  TouHXvSfy^  also  975/4  gegründet. 

Wir  datiren  demgemäss:  1039  Gründung  von  Sparta,  Argos,  Korinth, 
1024  von  Lesbos,  1004  von  Kyme;  997  Wanderung  der  Ionier,  von 
welchen  sich  ein  Theil  unter  Androklos  auf  Samos  niederlässt;  986  wer- 
den diese  von  den  Epidauriern  unterworfen,  aus  Smyrna  von  den  Aiolern 


1)  Die  140,  welche  Tatianus  31  und  Clemens  ström.  I  327  statt  100  angeben,  sind  aus  ihrem, 
dem  eratosthenischen  System  interpolirt:  Ähnlich  haben  sie  dem  Homerdatum  des  Philochoros  mit- 
gespielt, vgl.  p.  525. 

2)  Die  parische  Chronik  in  sein  vorletztes,  Dionysios  von  Argos  bei  Clemens  ström.  I  821 
in  das  erste  Demophons  und  dieses  ist  auch  in  dem  Citat  des  Schol.  Eur.  Hek.  892  aus  Lysimachos 
anstatt  des  vierten  herzustellen. 


600 

die  Barbaren  vertrieben;  981  empören  sich  die  Ionier  des  Androklos. 
gründen  976  Ephesos  und  werfen  975  die  Epidaurier  aus  der  Insel,  die 
965  von  diesen  wiedergewonnen  wird;  Samothrake  975  gegründet. 

1059  (Pherekydes). 

'Die  Pythagoriker  Androkydes  in  dem  Buch  tisqI  tch-  ov/uß6Xa>y  und 
Eubulides,  ferner  die  Biographen  des  Pythagoras  Aristoxenos,  Hippobotos 
und  Neanthes  bestimmen  die  Dauer  einer  Seelenwanderung  auf  216  Jahre1) 
als  den  Kubus  der  seelenzeugenden  Zahl  6:  nach  so  viel  Jahren  sei  Pytha- 
goras wiedererstanden;  dem  entspricht  die  Zeit,  nach  welcher  er  die 
Seele  des  Euphorbos  erhalten  hat:  fast  genau  (tyyioia)  514  Jahre  zählt 
man  von  den  Troika  bis  zu  dem  Physiker  Xenophanes  und  den  Zeiten 
des  Anakreon  und  Polykrates,  ferner  der  Belagerung  und  Auswanderung 
der  Ionier,  bei  welcher  die  Phokaier  Massalia  besiedelten;  welchen  allen 
Pythagoras  gleichzeitig  war.  Nimmt  man  die  216  doppelt,  so  bleiben 
die  82  (=  514  —  432)  Lebensjahre  desselben/  So  schreibt  Iamblichos 
theologum.  arithmet.  40;  seine  unmittelbare  Quelle  ist  wohl  Androkydes, 
die  älteste  der  mittelbaren  Aristoxenos,  Schüler  des  Aristoteles.  Die  an- 
gegebenen Synchronismen  sollen  offenbar  alle  einem  und  demselben  Jahre 
angehören,  Ol.  58,  3.  546/5,  von  wo  514  Jahre  in  1060/59  führen.'-') 
Etwa  im  November  546  eroberte  Kyros  Sardes,  zog  nach  kurzem  Ver- 
weilen wieder  ab,  indem  er  dem  Mazares  die  Unterwerfung  der  noch 
unabhängig  gebliebenen  Theile  des  Lyderreiches  auftrug,  und  schickte, 
als  dieser  gleich  im  Beginn  des  Feldzugs  starb,  als  Nachfolger  den  Har- 
pagos  (Herod.  I  162);  letzteres  ist  wohl  im  Frühling  oder  Sommer  545 
geschehen.     Polykrates  Regierung    begann  58,  2.   547/6,    Diog.  La.  II   2. 


1)  Vom  Tod  des  Vorgängers  bis  zur  Geburt  des  Nachfolgers,  Diog.  La.  VIII  14  aitos  iv 
rtj  yoa<pji  <ft]ai  di'  enra  (xaidexa)  x«i  Sirjxoaiuuy  eiiiuv  ff  di'dtw  nfe^aytytvija&ai  e?  ävÜQtaTtorg  (das 
Vorhergehende  laut  Citat,  das  Nachfolgende  laut  Porphyr.  Pyth.  22  aus  Aristoxenos).  Diese  Lehre 
konnte  zwischen  Euphorbos  und  Pythagoras  nur  ein  Glied  annehmen;  was  jene  angeblich  von 
Pyth.  verfasste,  gewiss  aber  sehr  alte  Schrift  wirklich  that,  s.  Schol.  Apoll.  Rhod.  I  645.  Sie  und 
Aristoxenos  setzten  vermuthlich:  1060  Tod  des  Euphorbos;  844 — 784  Sohn  des  Hermes  und  einer 
samischen  Nymphe;  568 — 494  (493)  Pythagoras. 

2)  In  die  10.  Generation  nach  den  Troika  wurde  die  Gründung  der  ersten  Hellenenstadte 
Siciliens  (Ol.  11,  3.  733)  nach  Strab.  267  von  Ephoros  gesetzt  (vgl.  Skymn.  272),  was  zu  dessen 
Epoche  1136  nicht  passt;  vielleicht  hatte  Ephoros  nur  die  Meinung  des  Antiochos  von  Syrakusiu 
angeführt.     Die  10.  Generation  nach  1060/59  umfasst  die  Jahre  760—727. 


601 

Aristoteles  erkannte  Melanthos,  den  Vater  des  Kodros,  nicht  als 
König  Athens  an,  polit.  V  8  hvyyavov  rfjg  (ßaatleias)  ol  uiv  xara  noltuov 
y.io'kvoavT.eg  dovltveiv  ajOJiep  Kodyog,  vgl.  Plutarch  exil.  18  Kodyog  rivog 
v)v  eßaoiXevoev;  ov  MeXavfrov  (fvyadog  £y.  Meoarjvrjg :  streicht  man  die 
37  Jahre,  welche  Africanus,  Eusebios,  Pseudeusebios  (mit  der  parischen 
Chronik,  s.  zu  1207)  und  Synkellos  (Hellanikos)  d.  i.  alle1)  bekannten 
Listen  ihm  geben,  so  sinkt  die  Epoche  von  1096  auf  1059  herab  und 
Kodros,  nicht  Melanthos  erwarb  den  Thron  der  Erechtheiden  1018  durch 
die  siegreiche  Abwehr  der  Boioter. 

Homer  kennt  während  des  Troerkrieges  und  noch  im  10.  Jahr  nach 
diesem  keine  Dorier  in  der  Peloponnesos;  dagegen  die  Boioter  sitzen  dem 
Schiffkatalog  zufolge,  wie  auch  iV  683  vorausgesetzt  wird,  spätestens  seit 
dem  Jahr,  das  dem  Troerkrieg  vorausgieng,  bereits  in  dem  nach  ihnen 
benannten  Lande.  Die  Hypothese,  welche  Thukydides  I  12  zu  Hülfe 
nimmt,  um  Homers  Darstellung  mit  der  Ansicht,  welche  den  Fall  Troias 
59 — 60  Jahre  vor  der  Boioterwanderung  setzte,  in  Einklang  zu  bringen, 
ist  offenbar  eine  Ausflucht  der  Verlegenheit;  wer  Homers  Angaben  für 
historisch  hielt,  musste,  wenn  er  wie  Thukydides  20  Jahre  zwischen  der 
boiotischen  Wanderung  und  der  dorischen  zählte,  jene  unmittelbar  vor 
den  Anfang  des  Troerkriegs  und  diese  gleich  nach  der  19  Jahre  späteren 
Heimkehr  des  Odysseus  setzen2);  wenn  die  ersten  Chronologen  die  dorische 
Wanderung  1049,  die  boiotische  also  1069  setzten,  so  dauerte  ihnen  der 
troische  Krieg  1068 — 1059.  Diese  Rechnung  ist  vielleicht  vorausgesetzt, 
wenn  Diodor  IV  58  nicht  wie  Herodot  100  sondern  nur  50  Jahre  von 
dem  unglücklichen  Kampfe  des  Hyllos  bis  zum  Einzug  der  Dorier  in 
die  Peloponnesos  verlaufen  lässt.  Ein  guter  Theil  der  50  Jahre  geht  dem 
Troerkrieg  voraus:  geraume  Zeit  nach  jenem  Kampf  (fma  nie*  yjjovovg) 
wird  Likymnios  der  Oheim  und  Tlepolemos  der  Sohn  des  Herakles  in 
Argos  aufgenommen;  später  tödtet  dieser  den  Likymnios  und  flieht  nach 
Rhodos;  dort  gastlich  aufgenommen  hellenisirt  er  die  Barbaren  der  Insel, 

1)  Nur  bei  Kastor  hat  er  möglicher  Weise  32;  doch  kann  das  Weniger  von  6  Jahren  (p.  577) 
statt  seiner  den  Kodros  getroffen  haben. 

2)  Der  Entstehungsgang  hat  wahrscheinlich  den  umgekehrten  Weg  eingeschlagen:  die 
dorische  Wanderung  wurde  20  Jahre  nach  der  boiotischen  gesetzt,  weil  dies  das  kürzeste  mit 
den  19  für  den  Troerkrieg  und  Odysseus  Irrfahrten  von  Homer  vorausgesetzten  Jahren  verein- 
barliche  Intervall  war. 

Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  III.  Abth.  78 


602 

gründet  mit  ihnen  drei  Städte  und  wird  zum  König  erhoben;  endlich 
xara  rovg  vöteqov  xyovovg  betheiligt  er  sich  an  Agamemnons  Heerfahrt 
gegen  Ilion  Aehnliche  Verkürzung  des  Intervalls  zwischen  Hyllos  und  der 
Dorierwanderung  zeigt  die  verwandte  Darstellung  des  jüngeren  Apollo- 
doros  bibl.  II  8,  3,  wo  Dymas  und  Pamphylos,  die  Söhne  des  Aigimios. 
welcher  Hyllos  den  Sohn  seines  Freundes  Herakles  adoptirt  hatte,  bei 
der  Einwanderung  im  Kampfe  mit  Orestes'  Sohn  Tisamenos  den  Tod 
finden.  In  ihrer  ursprünglichen  (von  Diodor  und  Apollodor  bereits  con- 
taminirten)  Fassung  hatte  diese  Version  vielleicht  Pherekydes  gegeben: 
bei  ihm  ist  nicht  Theseus  sondern  sein  Sohn  Demophon,  der  in  den 
Listen  ein  paar  Jahrzehnte  vor  der  Dorierwanderung  stirbt,  der  Beschützer 
und  Bundesgenosse  des  Hyllos  und  der  andern  Heraklessöhne  gegen 
Eurystheus,  nach  dessen  Niederlage  und  Tod  Alkmene  in  Theben  aus 
dem  Leben  scheidet  (fr.  39  bei  Anton.  Liberalis  33,  vgl.  Apoll.  II  8,  1); 
auf  ihn  geht  wohl  auch  die  Angabe  des  Trogus  zurück,  Demophon  sei 
der  (unmittelbare)  Nachfolger  des  Theseus  gewesen,  Justin.  II  6,   15. 

Pherekydes,  Hellanikos  und  Damastes  gaben  nach  Proklos,  vita 
Homeri,  dem  Dichter  folgenden  Stammbaum:  1.  Orpheus,  2.  Dorion, 
3.  Eukles,  4.  Idmonides,  5.  Philoterpes,  6.  Chariphemos,  7.  Epiphrades, 
8.  Melanopos,  9.  Apelles,  10.  Maion,  sein  Bruder  Dios,  11.  Homeros,  sein 
Vetter  (Dios'  Sohn)  Hesiodos.  Denselben,  mit  unwesentlichen  Abweich- 
ungen (2.  Dres,  6.  Euphemos)  überliefert  Charax  bei  Suid.  ^(JfiTjQog,  welcher 
Hesiods  Linie  seines  Zweckes  wegen  übergeht,  vor  Orpheus  aber  noch 
dessen  Ahnen  anbringt:  1.  Linos  Sohn  der  Thrakerin  Aithusa,  2.  Pieros, 
3.  Oiagros.  Die  volksthümliche  Sage  hielt  Orpheus  für  einen  Zeitgenossen 
der  Argonauten,  manche  rechneten  ihn  auch  zu  denselben;  aber  die  or- 
phische  Mystik  fand  es  in  ihrem  Interesse  gelegen,  ihn  in  eine  frühere 
Zeit  zu  versetzen,  daher  schon  Herodoros,  Zeitgenosse  des  Sokrates,  zwei 
Orpheus  unterschied;  den  älteren  setzt  Hesychios  11  Generationen  vor 
dem  Troerkrieg  und  hält,  was  der  Schöpfer  obigen  Stammbaums  schwer- 
lich gethan  hat,  ihn  für  den  Sohn  des  Oiagros,  Suid.  Xjycp.  udeißTj&(KDV ; 
andere  ebenda  gaben  Orpheus  eine  so  lange  Lebensdauer,  dass  die  Trenn- 
ung in  zwei  Personen  unnöthig  wurde.  Rohde  Rh.  Mus.  XXXVI  384  ff. 
benützt  die  Meinung  des  Hesychios  für  seine  Ansicht,  dass  die  ältesten 
Homerbiographen    den   Dichter    in    die    Zeiten    des    Troerkriegs    gesetzt 


603 

haben,  legt  solche  Datirung  des  Dichters  auch  dem  Urheber  des  Stamm- 
baums bei  (der  im  Sinne  des  Hesychios  ihn  freilich  noch  eine  Generation 
vor  dem  Troerkrieg  bringen  würde),  lässt  aber  bloss  Hellanikos,  welcher 
neben  dem  späten  Kleanthes  allein  als  Vertreter  jenes  Stammbaums  im 
Certamen  Homeri  et  Hesiodi  genannt  wird,  als  Zeugen  gelten:  die  Nen- 
nung des  Damastes  werde  durch  vita  Homeri  VI:  dtxaxov  avrov  dno  Mov- 
aaiov  (prjol  ytyovwai  JauaoTrjg  als  unrichtig  erwiesen,  dadurch  aber 
auch  die  des  Pherekydes  mindestens  zweifelhaft  gemacht.  Diese  Athe- 
teee  scheitert  an  dem  Umstand,  dass  von  den  zwei  im  Alterthum  unter 
Damastes  Namen  gehenden  Schriften,  in  welchen  Homers  Abkunft  be- 
handelt gewesen  sein  kann,  die  eine  von  der  Mehrzahl  —  wie  hier  sich 
zeigt  mit  Recht  —  dem  Polos  beigelegt  wurde,  Suid.  ITwlog]  tyyaipB 
ysvsalovUxv  tcjv  sni  "IXiov  OTfparevOttVTtoW  EXhjrwv  re  xal  ßa^ßa^iov  xal 
nwg  bxaarog  &nt]lXa§s'  tiytg  «W  avio  .feuöcnuv  imy$a(povot.  Der  Sophist 
Polos  von  Akragas  war  ein  Schüler  des  Gorgias  (Plat.  Gorg.  448  u.  a.), 
dieser  aber  hatte  Homeros  von  Musaios  abgeleitet,  Proklos  a.  a.  0.:  /bp- 
yiag  (5V  o  Aturüro^.  tlg  Movnaloy  amor  ärayu,  eine  Meinung,  welche 
sich  demnach  auch  sein  Schüler  angeeignet  hat.  Der  ächte  Damastes 
folgt,  wie  seine  Fragmente  lehren,  meistens  dem  Hellanikos:  das  hat  er 
also  auch  in  seiner  Schrift  ntgl  notrjrtBr  xu\  ooytöTti&v  ^ethan. 

Schöpfer  des  auf  Orpheus  zurückgehenden  Stammbaums  ist  hienach 
Pherekydes,  der  1 — 2  Generationen  vor  Hellanikos  geschrieben  hat; 
weder  er  noch  seine  Nachfolger  hatten  Anlass  einen  Stammbaum  auf- 
zustellen, in  welchem  nicht  nur  Homer  sondern  auch  sein  gleichaltriger, 
nach  manchen  älterer  Vetter  Hesiodos,  wie  Rohde  annehmen  muss,  in 
die  Zeiten  des  Troerkriegs  gestellt  war:  weniger  als  160  Jahre  nachher 
hat  diesen  Niemand  gesetzt;  wer  Homer  jenem  Kriege  nahebrachte,  dachte 
sich  denselben  viel  älter  als  Hesiod  und  verwarf  den  genannten  Stamm- 
baum. Orpheus  wurde,  wenn  wir  von  den  Neuerungen  der  Orphiker 
und  ihrer  Nachbeter  absehen,  2  Generationen  vor  dem  Troerkrieg  ge- 
setzt, Suid.  Ü(Hjp«t)g  hixoralog]  <Yvo  yevealg  7j()OTS(jog  tvjv  Tgametdv;  dess- 
wegen  Hessen  die,  welche  demselben  ein  ungewöhnlich  langes  Leben  bei- 
legten, ihn  9  Generationen  hindurch  wirken,  wodurch  der  11  Menschenalter 
vor  dem  Troerkrieg  lebende  mit  dem  nur  2  Generationen  vor  diesem,  was 
die    Zeit   der    Argofahrt   ist,    thätigen    vereinigt    werden    konnte.      Zeit- 


604 

genösse  des  Troerkriegs  ist  also  der  Enkel  des  Orpheus,  Eukles,  dieser 
steht  aber  um  8  Glieder  höher  als  Homeros  im  Stammbaum ;  die  Glieder- 
zahl hat  später  Ephoros  um  eine  vermindert,  aber  den  alten  Zeitbetrag 
mit  260  Jahren  (p.  592)  ungefähr  beibehalten.  Wie  sich  Pherekydes  die 
Geburt  eines  Sängers  thrakischer  Abkunft  in  Smyrna  erklärte,  lehrt 
Charax  bei  Suidas  'ÜjLirjyog,  indem  er  zu  Maion  bemerkt:  og  r]X&ev  aua 
ralg  'Aua^oöiv  iv  JZuvqvu  y.ctl  yrjuag  Ev^irßiv  ttjv  Evenovg  rov  MsX?]Oi- 
yivovg  inoir\otv  "Outjqov.  Wie  dieser  Zusatz  mit  Recht  von  Rohde  auf 
die  älteste  Darstellung  des  Stammbaums  zurückgeführt  wird,  so  gehört 
ihr  auch  das  Geburtsdatum  des  Dichters  bei  Charax  a.  a.  0.  an:  ytyovt 
7i()6  t.ov  Te&rjvai  ttjv  a  oXvumada  nyo  tviavrwv  v^\  also  833/2. l)  Setzte 
Pherekydes  seine  Blüthe,  für  deren  Bestimmung  man  keinen  geschicht- 
lichen Anhalt  hatte,  40  Jahre  nach  der  Geburt,  so  fiel  sie  793/2:  von 
da  aber  sind  267  Jahre,  also  genau  8  Generationen  bis  1060/59.  Nahm 
Pherekydes  wie  Ephoros  260  Jahre,  so  kam  er  auf  800/799,  wo  Homer 
33  Jahre  alt  war.  Auch  diese  Zeit,  die  Generationsdauer,  ist  zur  hypo- 
thetischen Bestimmung  des  Blüthenjahrs  verwendet  worden.  Wer  Homers 
Blüthe  24  Jahre  nach  Troias  Fall  setzte  (p.  592),  dem  fiel  seine  Geburt 
offenbar  auf  den  Anfang  des  Krieges.2) 

Die  Amazonenzüge  in  Asien  hängen  mit  den  Zügen  der  Kimmerier 
zusammen:  weil  die  Zerstörung  des  Artemisheiligthums  in  Ephesos  bald 
den  Amazonen  bald  den  Kimmeriern  zugeschrieben  wurde,  werden  beide 
von  Eusebios,  Orosius,  Synkellos  als  Bundesgenossen  vereinigt,  vgl.  Geizer 
Rh.  Mus.  XXX  258.  Rohde  ebend.  XXXVI  393;  die  Amazonen  unter  Sinope 
gründen  die  Stadt  gleichen  Namens,  Skymn.  941,  nach  Herodot  IV  12 
wohnten  zuerst  die  Kimmerier  dort.  Vor  den  bekannten  Zügen  der  letz- 
teren im  VII.  Jahrhundert  findet  sich  ein  einziger  genannt,  in  der  Zeit 
der  Gründung  Sinopes  durch  die  Milesier,  Skymn.  948;  er  ist  wahr- 
scheinlich derselbe,  welcher  zur  Zeit  des  Gyges  ein  Gegenstand  künst- 
lerischer Darstellung  war,  Nikol.  Dam.  fr.  62.  Eusebios  setzt  756  v.  Chr. 
die  Gründung  von  Trapezunt,  welche  von  Sinope  ausgieng;  die  von  Sinope 

1)  Von  Sosibios,  um  das  Blüthendatum  zu  bestimmen,  um  33  Jahre  erhöht  (866). 

2)  Der  Chronist  von  886,  der  einzige  welcher  Homers  Lebensdauer  angibt,  lässt  ihn  unter 
Berufung  auf  Diodor  bei  der  dorischen  Wanderung  1103  im  90.  Lebensjahr  sterben,  der  Troer- 
krieg beginnt  ihm  also  1192  im  Geburtsjahr  des  Dichters. 


605 

selbst  führt  er  nicht  an,  sie  hat  jedenfalls  erheblich  früher  stattgefunden.1) 
Die  alten  Chronographen  hatten  ohne  Zweifel  sowohl  die  Gründung  von 
Sinope  als  den  mit  ihr  zusammenhängenden  Zug  der  Amazonen-Kimmerier 
nach  Westkleinasien  verzeichnet.  Manche  setzten  Homers  Geburt,  andere 
seine  Blüthe  in  die  Zeit  desselben,  Strab.  p.  20  ort  oldtv  (cÜtut](tog  rovg 
Ki/uutüiovg),  oi  yj)oroyya(poi  orjloöotv  //  mxobv  ji(jo  avrov  ttjv  tujv  Kiu- 
ueoicov  Hpodov  i)  xax  avrov  avayqaufom sg;  zwischen  beiden  Ansichten 
schwankt  Strabon  selbst,  p.  149  und  p.  6  y.ax  airbv  fj  uizoov  ti(jo  avrov 
itt/ot  'Itoi'iag  tntdyauov  rrjv  yf\v.  Zu  den  ersteren  gehört  Pherekydes,  zu 
den  andern  Herodot  II  53.  Durch  Pherekydes,  Hellanikos,  Damastes  und 
die  von  Strabon  gemeinten  Schriftsteller  war  dieser  Zug  so  eng  mit  dem 
Namen  Homers  verknüpft,  dass  manche,  die  Homer  in  eine  andere  Zeit 
setzten,  auch  den  Heereszug  in  diese  verlegten.  Daher  kommt  es,  dass 
Eusebios  um  1146  v.  Chr.  die  Verbrennung  des  ephesischen  Tempels 
durch  die  Amazonen,  um  1077  den  Heereszug  der  Amazonen  mit  den 
Kimmeriern  in  Kleinasien  setzt:  einige  Zeit  vor  jenem  Datum,  um  1160 
merkt  er  Homers  Blüthe  an  und  nicht  lange  vor  dem  andern,  1084 
setzte  Eratosthenes  dieselbe.  Orosius  I  21  geht  noch  weiter:  30  Jahre2) 
vor  Roms  Gründung,  also  785/4  setzt  er  einen  Kampf  zwischen  Pelopon- 
nesiern  und  Athenern,  dessen  Ausgang  unentschieden  blieb,  ferner  die 
Verheerung  Asiens  durch  Amazonen  und  Kimmerier.  Der  Kampf  ist 
kein  andrer  als  der  durch  Kodros  Opfertod  zu  Ende  gebrachte,  welcher 
in  den  Notizen  des  eusebischen  Kanons  jener  Verheerung  voraufgeht; 
Orosius  (oder  sein  Vorgänger)  verlegt  diese  auf  785,  weil  er  den  von 
Tatianos  39.  Euseb.  Abr.  915  u.  a.  Erwähnten  folgt,  welche  den  Dichter 
400  Jahre  nach  Troia,  wenige  Jahre  vor  Olymp.  1,  also  784  (785)  setzten; 
in  seiner  Unwissenheit  lässt  er  auch  den  Kampf  der  Peloponnesier  und 
Athener  mit  dahin  wandern,  obgleich  er  ihn  schon  vorher  (I  18)  an 
seinem  Orte  erwähnt  hat. 


1)  Vor  776:  die  fortlaufende  Reihe  seiner  Notizen  beginnt  mit  Olymp.  1. 

2)  Der  Laur.   von  erster  Hand  300,    eine  Verwechslung  von   trecentesimo   mit  tricensimo; 
die  Ordnung  der  Ereignisse  verlangt  30. 


Handelsvertrag 


zwischen  der 


Republik  Venedig  und  dem  Königreich  Granada 


vom  Jahre  1400. 


Eingeleitet  und  herausgegeben 


von 


Georg  Martin  Thomas. 


Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  III.  Abth.  79 


Vorgetragen  in  der  Sitzung  der  philos.-philol.  Classe  am  4.  Juli  1885. 


Einleitung. 

Wenn  man  die  Bewegung  des  Handels  und  den  Gang  des  Verkehrs 
verfolgt,  welchen  im  Mittelalter  der  Westen  nach  dem  Osten  genommen 
und  bis  zu  einer  weltgeschichtlichen  Ausdehnung  und  Bedeutung  ent- 
wickelt hat  —  eine  der  mächtigsten,  recht  ernster  Einschau  und  genauer 
Erfassung  würdigen  Wirkungen  der  Kreuzzüge,  Wirkungen,  deren  Kraft 
und  Grösse  noch  lange  sich  zu  erkennen  gab,  nachdem  gewaltige  Ereig- 
nisse und  Umgestaltungen  im  Osten  und  gleichzeitig  neuentdeckte  See- 
wege, wie  eine  neue  kaum  geahnte  Welt,  den  Eifer  und  die  Gewinnsucht 
der  arbeitenden  Menschheit,  des  rastlosen  Occidents  allmählich  auf  andere 
Bahnen  des  Handels  und  der  Schiffahrt  ablenkten  —  so  tritt  uns  in  dem 
Verhältniss  und  in  den  Wechselbeziehungen  der  christlichen  Handelsstaaten 
des  Westens,  vornehmlich  der  italienischen  Städte  oder  Republiken,  zu  den 
muslimischen  Herrschern  in  Asien  und  Afrika  eine  beachtenswerthe,  für 
Handels-    und  Völkerrecht   stoff-    und    lehrreiche  Erscheinung   entgegen. 

Es  lag  diesen  thätigen  und  aufstrebenden  See-  oder  Handels-  und 
Fabrikplätzen,  früher  Amalfi,  dann  Pisa,  Genua,  Venedig,  dazu,  aber  etwas 
später,  Florenz  in  grossem,  erst  in  neuester  Zeit  wieder  bekannterem  Um- 
fang, sehr  viel  daran,  mitten  im  religiösen  und  bald  mehr  weltlichen 
Ansturm  des  christlichen  Abendlandes  auf  das  vom  Islam  rasch  und  tapfer 
gewonnene,  und  muthvoll  und  sicher  behauptete  Morgenland,  dem  eigenen 
Leben  und  natürlichen  Drang  des  Schaffens  und  Wirkens,  dem  freien  oder 
möglich  ungehinderten  Verkehr  und  Austausch  von  Boden-  und  Kunst- 
erzeugnissen, dem  Handel  und  der  Schiffahrt  gesicherte  Wege,  festen 
Anhalt  und  geschützte  Stätten  im  ganzen  Bereich  des  Mittelmeerbeckens, 
dieses  uralten  Trägers  des  Verkehrs,  der  Bildung  und  Gesittung,  an  seinen 

79* 


610 

Küsten  und  durch  seine  Hinterländer  zu  gewinnen,  nicht  durch  Gewalt- 
tätigkeit und  feindlich-störenden  Eingriff,  sondern  auf  dem  Wege  fried- 
licher Abmachung  und  gegenseitiger  Anerkennung. 

Es  ist  für  denjenigen,  welcher  in  der  Geschichte  den  Geist  der 
Nationen  herausfühlt,  und  die  Natur  der  Kräfte,  welche  dieselben  ins 
Spiel  bringen  oder  zu  bringen  sich  anstrengen,  zu  erkennen  strebt,  ein 
fesselnder,  ermunternder  und  lohnender  Anreiz,  Schritt  für  Schritt  auf 
historischer  Grundlage,  d.  h.  in  den  Quellen,  nachzugehen,  nachzusehen, 
wie  jene  italienischen  Handelsstädte,  voraus  Venedig,  gleichsam  ausser- 
halb des  politischen  Kreises,  in  welchem  sie  eine  grosse  und  tiefe  allge- 
meinere Bewegung  gebannt,  gebunden  oder  beschränkt  hält,  gleichzeitig 
Mittel  und  Wege  suchen  und  solche  auch  finden,  um  auf  anderer  Seite, 
frei  und  selbständig,  die  Ziele  ihrer  eigenen  nothwendigen  Entwicklung 
zu  ihrem  besonderen  Nutzen  und  Vortheil  und  ohne  sich  und  anderen 
dabei  wiederum  untreu  zu  werden,  klug,  wachsam  und  sicheren  Blickes 
zu  erreichen. 

Man  begegnet  daher  schon  in  den  ersten  Jahrzehnten  des  dreizehnten 
Saeculum  —  für  Venedig  unter  dem  Dogen  Pietro  Ziani  (1205 — 1229), 
welcher  die  Erbschaft  seines  Vorgängers  des  grossen  Heinrich  Dandolo, 
des  Begründers  venezianischer  Herrlichkeit,  venezianischer  Weltherrschaft, 
mit  Würde,  Kraft  und  Klugheit  antrat  —  und  dann  immer  häufiger  und 
in  stetiger  Folge  im  vierzehnten  und  fünfzehnten  Jahrhundert  einer  An- 
zahl von  Handelsverträgen,  welche  die  christlichen  Staaten  des  Westens,  — 
wie  früher  mit  den  lateinischen  Feudalstaaten  in  Syrien  oder  den  Königen 
von  Armenien  (Cilicien)  — ,  so  mit  den  Gewalthabern  von  Aegypten 
(Babylon),  von  Tunis  und  Tripolis,  und  den  Beherrschern  Asiens,  mit 
Arabern,  Persern,  Mongolen  abschlössen,  von  Privilegien,  worin  ihnen  be- 
sondere Gunst  oder  Freiheit  im  Handel  und  Wandel  zugestanden  wurde. 

Diese  merkwürdigen  Zeugnisse  eines  grossen  und  lange  währenden 
internationalen  Verkehrs,  von  den  Häfen  des  tyrrhenischen  und  adria- 
tischen  Meeres  nach  den  Gestaden  der  Levante  und  von  diesen  aus  land- 
einwärts nach  Innerasien,  hat  ein  frischer  und  reger  Forschungseifer  in 
neuester  Zeit  aus  den  öffentlichen  Archiven  und  aus  Einzelnsammlungen 
der  betheiligten  Staaten  und  Städte  hervorgezogen  und  zur  Unterlage  einer 
geschichtlichen  Darstellung  dieser  hohen  Bildungsepoche  der  menschlichen 


611 

Gesellschaft,  dieser  Völkerbündnisse  des  späteren  Mittelalters,  ans  Licht 
gefördert  und  bereit  gestellt. 

Die  Erkenntniss,  dass  eben  in  jenem  internationalen  Völkerleben,  in 
jenem  durch  Recht,  Sitte  und  Vertrag  gesicherten  Handelswesen  des 
Mittelalters  eine  der  vorzüglichsten  Vorbereitungen  zu  demjenigen  Stand 
der  menschlichen  Gesellschaft  gelegen  sei,  welchen  wir  die  „Neue  Zeit" 
zu  nennen  gewöhnt  sind,  hat  treffliche  Männer  der  Wissenschaft,  Philo- 
logen, Orientalisten,  Historiker,  Geographen  —  rfjg  yewyyacpiag  rb  nleov 
tail  nyog  rag  /yeiag  rag  TToforizäg  sagt  schon  Strabo,  gleichsam  der  Vater 
dieser  Studien  —  zu  schönem  Wetteifer  angespornt  und  in  ausharrender 
Thätigkeit  gehalten. 

Die  Archive  von  Paris,  von  Montpellier  und  Marseille,  die  von  Pisa 
und  Genua,  von  Florenz  und  Neapel  wurden  zu  diesem  Zweck  durch- 
sucht und  ausgebeutet,  die  Urkundensammlungen  von  Amari,  von  Mas- 
Latrie,  von  Joseph  Müller  in  Turin  liegen  neben  den  grossen  Veröffent- 
lichungen akademischer  Anstalten  als  rühmliche,  reichhaltige  Werke  vor 
Augen,  und  haben  in  einem  gewissen  Sinn  so  zu  sagen  eine  halbvergessene, 
lange  vergrabene  Welt  wieder  aufgeschlossen  und  ins  Leben  der  Gegen- 
wart zurückgerufen. 

Mit  vollem  Recht  müssen  hier  noch  die  ausgezeichneten  Leistungen 
besonders  angeführt  werden,  mit  welchen  gleichzeitig  und  in  naher  Ver- 
wandtschaft und  inniger  Beziehung  zu  besagten  Erforschungen  die  Societe 
de  V Orient  Latin  unter  Leitung  des  Grafen  Riant  die  wissenschaftliche 
Welt  erfreut  und  bereichert  und  die  Kunde  jener  Jahrhunderte,  des  Zeit- 
alters der  Kreuzzüge,  glänzend  erweitert:  noch  wirkt  der  Geist  des  grossen 
Du  Cange  mächtig  fort. 

Für  Venedig,  für  die  grösste  und  mächtigste  Handelsrepublik,  die 
besagten  wissenschaftlichen  Forschungen  und  Arbeiten  zu  unternehmen, 
dazu  hatten  wir,  Gottlieb  Lucas  Friedrich  Tafel  und  ich  vor  fünfund- 
dreissig  Jahren  uns  entschlossen,  nachdem  uns  bei  einem  Besuche  Wiens 
Joseph  von  Chmel  die  Reichthümer  des  dortigen  Archivs  für  diese  Pro- 
vinz gezeigt  und  zur  Ausführung  des  angeregten  Planes  durch  die  Aus- 
sicht auf  Mitwirkung  der  Kais.  Akademie  der  Wissenschaften  ermuntert 
hatte.  Diese  wurde  denn  auch  damals  raschen  Entschlusses  und  in  Wür- 
digung der  Angelegenheit  freimüthig  zugesagt.    Von  dem   „  Urkundenbuch 


612 

zur  älteren  Handels-  und  Staatsgeschichte  der  Republik  Venedig,  mit  beson- 
derer Beziehung  zur  Levante*  erschienen  in  Wien  drei  Bände,  den  Zeitraum 
vom  9.  bis  13.  Jahrhundert    umfassend,    in   den  Jahren  1856  und   1857. 

Nach  einer  längeren  Unterbrechung  nicht  sowohl  der  Studien,  als 
der  zur  Vollendung  je  eines  Theiles  unerlässlichen,  in  die  Ferne  und 
Weite  gehenden  Nachforschungen  —  eine  Unterbrechung,  welche  durch 
den  Tod  des  eigentlichen  Trägers  des  stets  wachsenden,  an  Stoff  an- 
schwellenden Planes  {Tafel,  unersetzlich  als  Gelehrter  und  als  Genosse, 
starb  schon  1860)  veranlasst,  und  alsdann  durch  persönliche  Umstände 
und  Verpflichtungen,  noch  mehr  aber  durch  den  Strom  der  Ereignisse 
geboten  war  —  übernahm  die  „Deputazione  Veneta  per  gli  studi  di 
storia  patria"  die  Drucklegung  des  Urkundenwerks,  von  welcher  sich 
die  Wiener  Akademie  glaubte  zurückziehen  zu  müssen,  zu  dürfen.  — 

So  erschien  denn  der  4.  Band  unter  dem  Titel  „  Diplomatarium  Veneto- 
Levantinum  sivc  Acta  et  Diplomata  res  Venetas  Graecas  atque  Levantis  illu- 
strantia  a.  1300  —  1351"  im  Jahr  1880,  und  nunmehr  ist  es  mir  geglückt, 
im  heurigen  Frühjahr  den  5.  oder  Schlussband,  vom  Jahre  1351  — 1453 
reichend,  druckfertig  zu  stellen.  Dieses  Ziel,  die  Einnahme  von  Con- 
stantinopel  durch  die  Osmanen,  war  von  uns  gleich  anfangs  als  der  Ab- 
schluss  dieses  Diplomatariums  festgestellt  worden;  mit  dem  Einzug  des 
Grossherrn  in  die  Kaiserpaläste  von  Blachernae  und  Bukoleon  war  ein 
grosses  Geschick  erfüllt  und  ein  grosses  Geschick  vorbereitet: 

n n  grand  destin  s'acheve 
un  grand  destin  commence. 

Der  29.  Mai  des  Jahres  1453  ist  die  Peripetie  im  grossen  welt- 
geschichtlichen Widerspiel  zweier  grundverschiedener  Welten,  des  Orients 
und  des  Occidents,  als  eine  solche  gleich  damals  durchgefühlt  bis  ins 
Herz  Europas,  und  seit  dem  vier  Jahrhunderte  lang  diesen  Erdtheil 
bewegend,  erschütternd,  durchzitternd,  ein  Drama,  welches  eben  in  un- 
seren Tagen  zu  einer  neuen,  wer  kann  es  voraussagen,  zu  welcher  Ent- 
wicklung sich  anschickt. 

Ich  sagte  „es  ist  mir  geglückt",  denn  ich  fragte  mich  gar  oft,  ob 
ich,  seit  zwanzig  Jahren  ganz  auf  mich  allein  gestellt,  ohne  jede  Unter- 
stützung von  aussen  her  und  ohne  das  geringste  Entgelt  für  allen  Auf- 
wand an  Zeit,    Kraft  und  Anstrengung    und  klingenden  Auslagen   würde 


613 

im  Stande  sein,  zu  leisten  und  zu  vollenden,  was  ich  der  wissenschaft- 
lichen Welt  mit  versprochen,  was  ich  für  eine  abzutragende  Schuld  an- 
gesehen hatte. 

Es  ist  mir  gelungen,  —  eine  Lebensaufgabe  ist  im  wesentlichen  er- 
füllt, und  ich  darf  dabei  ohne  Erhebung  bekennen,  dass  gerade  unser 
Beginnen  vornehmlich  dazu  beigetragen,  den  Eifer  solch  historischer 
Forschungen  zu  erwecken,  namentlich  in  Venedig  selbst  die  Grossthaten 
der  Ahnen  frisch  und  seelenvoll  ans  Licht  zu  stellen,  und  die  rüstigen 
Genossen  zu  vermehren,  so  zwar  dass  ein  Mitglied  unserer  Akademie, 
aus  den  reichen  Quellen  schöpfend  und  mit  langjährigem  sicheren  und 
umfassenden  Fleisse  sammelnd  und  sichtend  uns  in  der  „Geschichte  des 
Levantehandels  im  Mittelalter"  ein  Werk  zur  Verfügung  vorgelegt  hat, 
welches  den  besten  Hervorbringungen  der  Zeit  beizuzählen  ist  und  dem 
deutschen  Namen  weithin  Ehre  und  Ansehen  erworben  hat. 

Wenn  gleich  nach  Erscheinen  des  ersten  Bandes  der  vornehmste 
Gewährsmann  in  diesem  Bereich  vor  30  Jahren  aussprach:  „Wir  wissen 
wahrhaft  nicht,  bedarf  es  noch  eines  besonderen  Fingerzeigs,  oder  weisen 
die  hier  zusammengestellten  Documente  über  die  Ausbreitung  des  alt- 
venezianischen Handels  und  über  die  Wege,  die  derselbe  in  kluger  Wahl 
getroffen,  nicht  gleichsam  von  selbst  auf  die  Bahnen  hin,  in  welche  sich 
die  stürmische  Thätigkeit  der  Europäer  in  dem  sich  neu  erschliessenden 
Orient  auch  künftig  wieder  drängen  wird  ?  *  —  so  hat  der  Drang  der 
Begebenheiten,  deren  Zeugen  wir  seit  jenem  Zeitpunct  gewesen  sind,  mit 
ehernem  Griffel  das  volle  „Ja"  in  die  Tafeln  der  Geschichte  eingegraben, 
und  die  altvenezianische  Handelspolitik,  das  einzige  Vorbild,  ist,  mit  Stolz 
und  Ruhm  sei  es  gesagt,  vom  Friedensgenius  des  neuen  deutschen  Reiches 
kräftig  und  herrlich  vor  allen  anderen  Gewaltigen  vertreten  und  sieg- 
reich behauptet. 

Ich  habe  oben  ausgesprochen,  Verträge  zwischen  den  christlichen 
Handelsstaaten  mit  den  Moslimen  am  libyschen  Nordrand,  am  Nil  und 
in  Asien  seien  in  stattlicher  Anzahl  vorhanden;  das  gleiche  hatte  mit 
den  Türken  statt,  als  dieselben  von  Kleinasien  aus  mehr  und  mehr  sich 
des  illyrischen  Dreiecks,  des  byzantinischen  Reichs  und  der  in  demselben 
gegründeten  lateinischen  Theilfürstenthümer  bemächtigten. 

Es  ist  bekanntlich  Venedig  gewesen,  welches  den  wilden  Kriegszügen 


614 

der  furchtbaren  Eroberer  am  meisten  zu  trotzen  hatte,  es  hatte  auch 
am  meisten  zu  leiden  und  zu  verlieren;  das  eigensüchtige,  sich  selbst 
bekämpfende  Abendland  brachte  es,  wie  man  weiss,  nie  mehr  zu  einem 
entscheidenden  und  gemeinsamen  Vorgang  gegen  die   „Ungläubigen". 

„II  Signor  castiga  i  maligni,  sono  1000  anni  la  fede  nostra  — 
e  mai  cristiani  ha  potuto  far  nulla  ne  unir  una  lega  di  cristiani;  sappi 
Dio  ha  dato  la  spada  in  man  al  nostro  profeta;  si  lege  in  le  scriture 
vechie:  pocho  numero  di  gente  ha  frachassato  gran  numero  quando  e  il 
voler  de  Dio"  —  so  ein  Muselmann  zum  venezianischen  Bailo  Piero 
Bragadin  in  Constantinopel  am  30.  März  1525  —  Marino  Sanuto  Diarii 
t.  XXXVIII  Manuscript. 

Ebendesswegen  hielt  man  in  Venedig  an  den  alten  Grundsätzen  der 
Vorfahren,  auch  gegenüber  den  Türken  fest;  man  suchte  ein  gerechtes 
und  friedliches  Abkommen  zu  treffen,  um  dem  Lebensquell  der  Republik 
den  Zufluss  möglich  zu  erhalten:  der  venezianische  Bailo  am  goldenen 
Hörn  war  ein  erlesener  Vertrauensmann  bei  den  Kaisern  und  nachher 
bei  den  Grossherrn  —  in  ihren  Berichten  liegt  auch  ein  kostbarer  Stoff 
der  Geschichte  geborgen.  Der  Schlussband  des  Diplomatars  wird  alle 
Türkenverträge  aufführen,  welche  bis  zum  Fall  von  Constantinopel  ab- 
geschlossen worden  sind. 

Nun  aber  hatte  Venedig  nicht  bloss  seine  orientalischen  Linien, 
welche  in  regelmässiger  Ausrüstung  befahren  wurden,  die  nach  Alexan- 
dria, nach  Beirut,  nach  Constantinopel  und  den  Pontus  Euxinus,  sondern 
auch  eine  westliche,  das  berühmte  Viagium  Flandriae;  die  Schiffe  dieses 
Geschwaders  berührten  ausser  anderen  Ländern  auch  die  spanischen  Häfen; 
so  mussten  gewiss  auch  die  Verhältnisse  zu  den  maurischen  Königen  von 
Granada  in  bestimmter  Weise  geordnet  sein.  So  gut  als  uns  mit  den 
Königen  von  Aragonien  Verträge  vorliegen,  ebenso  ist  es  zu  erwarten, 
dass  mit  den  Nasriden,  mit  dem  lange  Zeit  glänzenden  Hof  der  Alhambra, 
welchem  die  andalusischen  Seeplätze  gehörten,  sichere  Abmachungen  statt- 
gehabt haben. 

Um  einiges  aus  meinen  Auszügen  betreffs  des  ersteren  Punctes  anzu- 
führen, gewährt  ein  Patent  Johanns  I.  König  von  Aragonien  —  13.  Januar 
1390  —  den  Venezianern  freien  Zugang  in  seinen  Staaten  des  Handels  wegen 
(Commemoriali  VIII,   148);  ein  Salvoconductus  von  Valencia  —    1422  — 


615 

Freiheit  von  allem,  was  andere  Itali  bezahlen  cob  vetustam  amicitiam* 
(Commemoriali  XI  85);  ein  Salvoconductus  des  Königs  von  Portugal 
Johann  —  18.  Juni  1399  —  welchem  ein  Schutz-  und  Gunstbrief  vom 
28.  Mai  1396  vorausgeht  —  erhöht  diese  Gunst  und  sichert  den  Galeren 
Flanderns  für  Personen  und  Waaren  Recht  und  Freiheit  (Commemoriali 
IX,  30).  Von  Seite  Frankreichs  erlässt  König  Karl  V.  —  19.  Februar 
1377  —  und  Karl  VI.  —  1.  Juli  1395  und  3.  Februar  1401  —  zu 
Gunsten  der  Signoria  und  des  venezianischen  Handels  im  Lande  bestimmte 
Verordnungen  (Commemoriali  VIII,  13;  IX,  16,  130.)  Auch  Englands  Könige 
bleiben  nicht  zurück,  Richard  IL  —  17.  September  1399,  sein  Nachfolger 
Heinrich  IV.  —  4.  October  1399,  4.  August  1400,  3.  December  1400  — 
erweisen  sich  den  Venezianern  gewogen,  und  öffnen  ihnen  ihr  Reich  (Com- 
memoriali  IX,  93.  96.   111.   152). 

Dagegen  ist  mir  während  meiner  langen  und  eingehenden  Forsch- 
ungen in  den  archivalischen  Sammlungen  Venedigs  doch  nur  ein  authen- 
tischer Handelsvertrag  zwischen  der  Republik  und  dem  Königthum  von 
Granada  aufgestossen ,  gerade  aus  dem  Beginn  des  fünfzehnten  Jahr- 
hunderts, und  zwar  in  den  grossen  Copialbüchern  der  Commemoriali,  im 
IX.  Band.  Ich  habe  mir  von  dem  merkwürdigen  Stück  gleich  beim  ersten 
Begegnen  selbst  Abschrift  genommen,  obwohl  es  ausser  den  Rahmen  unseres 
Urkundenbuchs  fällt,  aber  eine  gewisse  innere  Verwandtschaft  machte  mir 
doch  den  Besitz  dieser  Verträge  werth. 

Es  mag  nun  an  der  Zeit  sein,  dieses  Document  zu  veröffentlichen, 
zumal,  nachdem  die  Regesten  der  Libri  Commemoriali  mit  dem  jüngsten 
Band  bis  zu  diesen  Jahren  vorangeschritten  sind  und  zur  allgemeineren 
Kenntniss  vorliegen.  Dieselben,  von  Herrn  Professor  R.  Predelli  mit  löb- 
lichem Fleiss  und  braver  Sachkunde  ausgearbeitet,  erscheinen  unter  den 
'Documenta  der  Deputazione  Veneta  di  storia  patria. 

Ich  habe  meine  vor  mehr  denn  zwanzig  Jahren  gemachte  Abschrift 
im  heurigen  Frühjahr  nochmals  verglichen,  und  dabei  noch  eine  andere 
Copie  des  Privilegiums  in  einem  Codex  der  Marciana  beigezogen,  auf 
welche  ich  mittlerweile  durch  eine  Hinweisung  bei  Romanin  (III,  335)  auf- 
merksam gemacht  worden  war.  Es  ist  dieses  die  sogenannte  'Cronaca  Magno' 
aus  dem  16.  Jahrhundert,  der  cod.  ital.  DXVIII,  classe  VII,  cod.  618,  reich 
an  verschiedenen  geschichtlichen  Auszügen,  aber  nicht  leichthin  zu  lesen. 
Abh.  d.  1 .  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  X Vn.  Bd.  III.  Abth.  80 


616 

Dem  Pact  selbst  geht  im  Liber  Commemorialis  ein  Schreiben  des 
Königs  an  den  Dogen  voraus;  gleichenfalls  im  Codex  Marcianus;  abge- 
schlossen wurden  die  Verträge  Ende  Mai  des  Jahres  1400,  durch  Bernardo 
Contarini,  damaligen  Consul  von  Malaga  und  zugleich  Bevollmächtigten 
der  Republik,  namens  des  Dogen  Antonio  Venier  mit  Muhammed  VII., 
König  von  Granada  (1392-1408). 

Antonio  Venier  (October  1383  bis  November  1400),  ein  altrömischer 
Charakter,  „der  standhafteste  Patriot  und  der  eifrigste  Verehrer  der  Ge- 
setze", führte  in  schweren  Zeitläuften.  —  man  denke,  dass  damals  Bajasid 
der  „Blitzstrahl"  Sultan  war,  man  denke  an  Nikopolis  —  ein  kräftiges 
heilsames  Regiment;  er  wusste  vornehmlich  auch  dem  Handel  nach  der 
Levante  neue  Sicherung  zu  geben,  förderte  den  Verkehr  mit  Deutsch- 
land und  errichtete  neue  Handelsconsulate.  Er  hatte  auch  seine  Augen 
nach  dem  Westen  gewendet:  dieses  bezeugen  die  oben  angeführten  kurzen 
Auszüge,  dieses  bezeugt  in  hervorragender  Weise  der  hier  besprochene 
Vertrag. 

Im  Codex  der  Marciana  oder  der  Cronaca  Magno  sind  aber  ausser 
diesen  beiden  Stücken  noch  zwei  Briefe  Bernardo's  Contarini  an  den  Dogen, 
in  seiner  Eigenschaft  als  Consul  und  Geschäftsträger  der  Signoria  an  den 
König  von  Granada  überliefert;  auch  diese  sind  an  sich  schätzbar:  sie  geben 
ein  beredtes  Zeugniss  von  der  Stellung,  welche  Venedig  damals  überall 
behauptete  und  von  der  Achtung,  mit  welcher  seine  Sendung  in  diesem 
Falle  aufgenommen  wurde,  und  schildern  uns  zugleich  eine  Seite  des 
Hoflebens  und  Ceremoniels  von  Granada. 

Im  ersten  Brief,  welchen  Bernardo  Contarini  aus  Malaga  am  1.  Mai 
1400  schreibt  und  durch  den  Capitaneo  der  Flandrerfahrer  Pietro  de 
Viderio  bestellen  lässt,  meldet  er  kurz,  er  sei  am  letzten  April  des  Jahres 
1400  in  Malaga  gelandet  und  vom  Admiral  der  Stadt  gütig  aufgenommen 
worden.  Er  werde  nach  Abgang  der  venezianischen  Galeren  seine  Reise 
nach  Granada  beschleunigen,  um  die  ihm  übertragene  Gesandtschaft  aus- 
zurichten. 

Zwischen  diesem  Brief  und  dem  andern  vom  6.  Oktober  1400  — 
welchen  der  nämliche  rückkehrende  Geschwaderführer  zu  Händen  erhält  — 
liegt  der  bald  erfolgte  Abschluss  des  diplomatischen  Geschäftes  Contarini's, 
die  Unterzeichnung  des  Ende  Mai  abgefassten  Handelsvertrags. 


617 

Bernardo  Contarini  war,  wie  er  schreibt,  am  4.  Mai  von  Malaga 
gegen  Granada  aufgebrochen  und  kam  am  7.  vor  dieser  Stadt  an.  Noch 
bevor  er  diese  betrat,  kam  ihm  ein  Alcalde  zur  besonderen  Begrüssung 
namens  des  Königs  entgegen,  mit  dem  Auftrag  den  venezianischen  Ge- 
sandten sofort  bei  der  Majestät  einzuführen. 

Contarini  machte  dagegen  Vorstellung;  er  sei  erstlich  wegen  der 
gebirgigen  und  rauhen  Wege  reisemüde,  dann  aber  auch  nicht  in  pas- 
sendem Anzug;  er  erbitte  sich  den  Einlass  zum  König  für  den  mor- 
gigen Tag. 

Es  gereicht  dir,  erwiderte  der  Alcade,  zu  grosser  Ehre  sogleich  vor 
des  Königs  Angesicht  zu  treten,  denn  andere  Gesandte  müssen  mehrere 
Tage  verziehen,  ehe  sie  das  Antlitz  des  Herrschers  schauen  dürfen. 

Daraufhin  entschloss  sich  Contarini,  in  Würdigung  der  Venedigs 
Regierung  zugedachten  Ehre,  ohne  Verschub  vor  dem  König  zu  er- 
scheinen; das  Gepäck  wurde  auf  der  Strasse  geöffnet  und  Contarini  mit 
seinem  ganzen  Gefolge  kleidete  sich  in  Staatsgewand.  Mit  dem  Vollmachts- 
brief des  Dogen  gieng  nun  Contarini  geraden  Weges  zum  königlichen 
Schloss;  dort  fand  er  den  König  mit  drei  seiner  Grossen. 

Nach  schuldiger  Ehrenbezeugung  überreichte  er  die  Vollmacht  und 
überbrachte  die  Begrüssung  seiner  Herrschaft.  Beides  nahm  der  König 
freundlich  entgegen  und  begehrte,  der  Gesandte  solle  sofort  seine  Auf- 
träge auseinandersetzen.  So  geschah  es.  Der  König  bezeugte  durch  Miene 
und  Heiterkeit  sein  Wohlwollen  und  hörte  alles  gelassen  an,  was  der 
Gesandte  zu  sagen  hatte. 

Contarini  schliesst  mit  der  Bemerkung:  es  habe  ihm  geschienen,  als 
hätte  der  König  eine  gewisse  Vorliebe  für  das  'idioma  latinum'.  Damit 
bricht  die  Copie  des  Briefes  im  Codex  ab,  das  weitere  fehlt. 

Ich  lasse  nun  die  beiden  Briefe  des  Consuls,  welche  das  Actenstück 
schicklich  beleuchten,  diesem  selbst  hier  vorangehen,  und  bemerke  nur 
hinsichtlich  des  überlieferten  Textes  des  letzteren,  dass  die  Libri  Com- 
memoriali  als  solche  von  historischem  Werth  und  weil  dem  beglaubigten 
Original  entnommen  voranstehen;  nichtsdestoweniger  hat  die  spätere  Ab- 
schrift im  Codex  Marcianus,  welche  auch  im  Dialect  gewisse  Aenderungen 
aufweist,  ihre  eigene  Geltung,  indem  dem  Abschreiber  der  Commemoriali 
einigemal    durch    offenbares    Versehen    Auslassungen    untergelaufen    sind. 

80* 


618 

Manchmal  möchte  man  fast  annehmen,  es  sei  der  Copie  des  Codex 
Marcianus  eine  andere  Uebertragung  der  arabischen  Urschrift  vorgelegen, 
als  jene  in  den  Libri  Commemoriali.  Es  erschien  mir  desswegen  noth- 
wendig,  die  wichtigeren  Abweichungen  unter  dem  Text  anzugeben. 


Die  Zugeständnisse  des  Königs  zu  Gunsten  der  Venezianer  sind  in 
folgende  Hauptsätze  zusammengefasst : 

1.  Die  Venezianer  erhalten  einzig  für  ihren  Gebrauch  vom  König 
ein  Fondaco  in  Malaga,  mit  gleichem  Vortheil  wie  die  Fondachi  der 
anderen  Christen,  als  sichere  Wohn-  und  Aufenthaltsstätte,  sowohl  für 
ihre  Personen  als  für  ihre  Habe,  sammt  allen  jenen,  welche  mit  ihnen 
kommen  oder  von  ihnen  abgehen. 

2.  Der  venezianische  Consul  in  Malaga  empfängt  vom  König  als  be- 
sonderen Ehren-  und  Standesgehalt  jährlich  zweihundert  Doppel-Ducaten. 

3.  Die  Venezianer  können  alle  Bedürfnisse  an  Speisen  und  Trank 
ohne  jede  Gebühr  in  ihr  Fondaco  bringen,  sowie  es  den  Genuesen  ge- 
bräuchlich ist, 

4.  Alle  venezianischen  Kauf  leute,  welche  in  das  Königreich  kommen 
oder  es  verlassen,  geniessen  an  jedem  Ort,  wo  sie  absteigen,  vollen  Schutz 
und  volle  Obhut;  keiner  darf  ihnen  zuwider  sein.  Kauf  und  Verkauf 
derselben  geht  nach  dem  Brauch  vor  sich. 

5.  Verschuldet  ein  Venezianer  irgendwo  im  Königreich  ein  Uebles, 
so  darf  kein  anderer  als  dieser  allein  zur  Busse  stehen;  man  darf  sich 
an  keinen  anderen  als  an  den  Schuldigen  halten,  keiner  hat  für  das 
Vergehen  anderer  zu  leiden. 

6.  Alle  Venezianer,  welche  mit  Waaren  ins  Land  kommen,  mögen 
sie  verkaufen,  an  wen  es  beliebt,  ohne  jede  Belästigung;  die  mit  den 
Mauren  abgeschlossenen  Verkäufe  sind  giltig  und  einzuhalten. 

7.  Gibt  es  zwischen  einem  Venezianer  und  einem  Mauren  einen 
Streit  auszutragen,  so  hat  niemand  über  die  Venezianer  die  Zuständig- 
keit, als  der  Alcalde  der  Burg,  der  Hafiz  oder  Oberaufseher  und  der 
Alcalde  der  Dogana. 


619 

8.  Alle  venezianischen  Schiffe  sind  in  allen  Häfen  des  Königreichs 
beschützt  und  gesichert. 

Leidet  ein  Schiff  im  Hafen  oder  vor  dem  Hafen  Schiffbruch,  so 
bleiben  Menschen  und  was  sich  daraus  rettet,  geborgen  und  geschützt; 
keiner  darf  sie  vergewaltigen.  Alle  Sachen,  welche  im  Fahrzeug  gewesen 
sind,  sowohl  Kaufgüter  als  andere  Habe,  werden,  wenn  sie  gerettet  sind, 
dem  Schiffsherrn  und  den  Kaufleuten  zurückgegeben. 

Zur  Ausbesserung  der  beschädigten  Schiffe  dürfen  die  Venezianer 
von  allen  Eisen,  Holz,  Pech  und  Werg  einkaufen. 

9.  Hat  ein  Maure  oder  sonst  ein  anderer,  wer  immer,  Streitigkeit 
mit  einem  Venezianer,  so  ist  der  Consul  allein  der  Richter,  und  ent- 
scheidet  den   Streit   nach  Massgabe   dessen,    was    ihm   gerecht  erscheint. 

10.  Stirbt  ein  venezianischer  Kaufmann  im  Königreich,  so  kommt 
der  Nachlass  desselben  in  die  Hände  des  Consuls  oder  dessen  Stell- 
vertreters; niemand  darf  von  dem  Gute  des  Verstorbenen  sich  etwas 
aneignen. 

11.  Abgaben  an  den  König  haben  die  Venezianer  die  gleichen  zu 
leisten,  wie  die  Genuesen;  d.  h.  —  ausgenommen  von  Gold,  Silber,  Perlen 
und  Juwelen,  sind  zwei  Procent  zu  zahlen  und  das  Herkömmliche  für 
die  Dragomanen. 

12.  Kommt  ein  venezianisches  Schiff  in  einen  Hafen  und  ladet  die 
Waaren  aus,  so  braucht  die  Gebühr  nicht  eher  bezahlt  zu  werden,  als 
bis  die  Waare  verkauft  ist;  mit  dem  Verkauf  aber  tritt  die  Zahlung  ein. 

Uebrigens  sind  die  Kaufleute  nicht  gehalten,  ihre  Waaren  zu  ver- 
kaufen und  können  innerhalb  zehn  Monate  dieselben  wieder  frei  rück- 
verladen; ist  aber  diese  Frist  vorüber,  so  muss  die  Abgabe  bezahlt 
werden,  als  wären  die  Sachen  verkauft  worden. 


Urkunden. 


1 .  Schreiben  Bernardo's  Contarini,  Consuls  in  Malaga  und  Gesandten  der  Republik 
Venedig,  an  den  Dogen  Antonio  Venier.  d.  d.  1.  Mai  1400. 

_\    Schreiben  ebendesselben  an  ebendenselben,  d.  d.  6.  October   1400. 

3.  Brief  Muhammed  VII.,  Königs  von  Granada,  an  den  Dogen  und  die  Gemeinde 
von  Venedig,  d.  d.  28.  des  Ramadan  (Ausgangs  Mai)   1400. 

1.  Verträge  zwischen  dem  König  von  Granada  und  der  Gemeinde  von  Venedig, 
abgeschlossen  durch  Bernardo  Contarini,  d.  d.  des  letzten  Ramadan  (Ausgangs 
.Mai)  1400. 


623 


1. 

Litera  misa  Venctijs  per  galeas  partis  Flandrie  eapitaneo  doiniiio  Petro  de  Vidorio 
1400  ultimo  aprilis  screnissimo  doinino  duci. 

Supra  scriptio: 
Serenissimo   et   excellentissimo    domino    domino   Antonio    Venerio    dei   gratia 

inclito  duci  Venetiarum. 

Serenissime  et  excellcntissime  domine  mi, 

per  presentes  significo  dominationi  vestre  tue  Malicham  aplicuise  ultimo 
Aprilis,  et  ob  reverentiam  dominationis  vestre  ab  armirato  civitatis  fui  benigne 
acceptus.  Serenissimus  dominus  rex  est  in  civitate  sua  Granata.  Separatis 
galeis  vestris  acelerabo  viam  meam  versus  Granata )n  pro  expeditione  lega- 
tionis  mihi  imposita  per  excellentiam  vestram. 

Ad  presens  nil  habeo  dignum  relatu  dominationi  vestre  cui  me  humi- 
litir  recomando. 

Bernardus  Contärenus 

de  vestro  ducali  mandato  ambasiator  et  consul  Maliche, 

ibi  data  primo  madij   1400. 

Estratto  dalla  Cronaca  Magno.    Parte  VI.   (It.  Cl.  VII.  Cod.  no.  DXV11I.  carte  131.) 


2. 

Litera  misa  Venetijs  dominatioiii  per  galeas  Flandrie  ad  suam  patriam  remeantes, 
capitano  domino  Pcro  de  Vidorio  die  6.  octobris  1400. 

Serenissime  et  excellentissime  domine  mi, 

per  unam  aliam  missam  per  viam  Flandrie  dominationi  vestre  significavi 
de  aplicatione  mea  Malicha,  que  fuit  ultima  die  mensis  Aprilis.    De  Malicha 
Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wias.  XVII.  Bd.  III.  Abth.  81 


624 

vero  die  quarto  Madij  pro  eundo  versus  Granatam  pro  expeditione  lega- 
tionis  mee  discesi  et  ante  non  potui  me  expedire  propter  tres  festivitates 
tunc  hocurentes. 

Aplicui  Granatam  die  septimo  mensis  Madij,  et  antequam  civitatem 
intrarem,  pro  parte  Serenissimi  regis  obviam  mihi  venu  quidam  arcluiitus, 
nominatus  Alolash,  super  forensis  deputatus  et  pro  parte  regis  mihi  retulit, 
quod  Serenissimus  rex  miserat  eum,  ut  deberet  me  introducere  ad  pre- 
sentiam  regia m. 

Ego  vero  dum  essem  in  venire,  recusabam  Ire  ad  presentiam  serenis- 
simi  regis,  quia  fesus  eram  propter  montuoxa  et  aspera  itinera,  et  etiain 
quia  tunc  male  indutus  eram,  aserens,  me  die  crastina  ad  presentiam  regia m 
accedere;  de  vero  archaitus  mihi  dicebat:  honor  magnus  tibi  est  statim  de- 
cedere ante  conspectum  regis,  quia  alij  ambasiatores  trahunt  moram  per 
multos  dies,  ante  quam  accedant  ad  videndum  conspectum  regium. 

Ego  vero  his  auditis  honorem  dominationis  vestre  perpendens  disposui 
sine  intervalo  ire  ad  presentiam  serenissimi  regis,  et  in  itinere  aperire  feci 
valigias  meas  et  indui  me  vestimenta  splendida  cum  omnibus  de  societate 
mea,  et  acepta  litera  credulitatis  ivi  recto  tramite  ad  castrum  regium.  ubi 
inveni  serenissimum  regem  cum  tribus  suis  magnatibus. 

Feci  reverentiam  debitam  serenissimo  regi  et  ei  presentavi  literam  cre- 
dulitatis, salutans  eum  pro  parte  dominationis  vestre;  qui  benigne  recepit 
literam  et  salutationem  vestram,  et  voluit,  quod  statim  exponere  deberem 
legationem  meam.     Et  ego  sie  feci. 

Vere,  domine  mi,  Serenissimus  rex  leto  animo  et  ioeunda  fatie  vidit 
me  et  audivit  paeißce  omnia  que  dicere  volui;  mihi  vero  videbatur,  quod 
Serenissimus  rex  aliquantulum  diligeret  idioma  latinum  et  ...  . 

Bernardus  Contarenus 
de  vestro  ducali  mandato  ambasiator  et  consul  Maliche. 

Estratto  dalla  Cronaca  Magno  (It.  Cl.  VII.  Cod.  DXVIII.  carte  131  e  132.) 


625 


3. 

Copia  litere  serenissimi  regis  Granate  Scripte  in  arabico  in  papiro  rubeo  translate 

de  arabico  in  latiiium. 

In  nome  de  dio  sia. 

De  lo  re  de  i  Mori,  seruo  de  dio  e  quelo  che  crede  in  dio,  Mahomet 
fio  del  signor  di  Mori  ßo  de  Josep  ßo  de  lo  re  de  i  Mori,  fio  del  re 
Abdely  ßo  del  re  de  i  Mori  Josep  ßo  del  re  de  i  Mori  Ismayl  ßo  de  Naser 
—  dio  lo  defenda  —  scriue  a  lo  doxe  de  Veniesia  che  e  forte  caualier 
e  rico  t  de  gran  sangue  grando  como  christiano  che  sia  al  mondo  homo 
de  veritade  in  diu  e  fati 

el  nobele  Anthonio  Venier  el  comun  de  Veniesia  e  i  zentilomeni  che 
xe  in    Veniesia  —  dio  i  guarda  e  defenda  tuti  — 

al  doxe  e  a  la  comunita  saludi  assai. 

Na  ve  scriuemo  de  lambra  alta  de  Granata  —  dio  la  defenda  e  guarda 
da  tuti  pericoli  —  gratia  sia  dada  a  dio  e  diu  gratia  a  nu  altri  — 

In  nie  tegno  contento  de  vu  altri  e  per  questo  \rendo\  gratia  al  doxe, 
grau  signor  e  al  nobele  comun  de  Veniexia,  che  le  vegnudo  ad  nu  el  vostro 
ini  sä  zier  el  vechio  [e  lo  honorado]  e  nobele  e  lial  de  tute  cortesie,  miser 
Bemardo  Contarini  —  dio  lo  defenda  —  de  la  carta  de  la  veritade1,  che 
el  doxe  el  comun  de  Veniexia  a  dado  che  se2  diebia  presentar,  —  man- 
dassemo  che  vignisse  in  le  nostre  man,  el  a3  dito  tute  cose  che  vu  man- 
daese4  a  <lir,  e  tute  cose  che  vu  aue  ordenado,  e  no  a  manehado  niente. 

El  ne  a  dito  de  la  amistade,  che  vu  aue  con  nu  e  io  el  credo  de  la 
vostra  cognosanta  e  amistade* 

Nu  semo  contento  de  zo fi  che  vu  dise  e  nu  re  me  tegno  contento  de 
lu  vostra  amistade,  e  si  o  fato  tuto  quelo  che  vu  aue  domandado  per  el 
uostro  ambasador  de  tute  cose  che  la  dito  dauanti  di  nu. 

Io  digo1  a  vu  altri  che  me  mande  a  dir  de  tute  cose  che  vu  aue  di 
hisogno  in  tuto  el  mio  regno,  e  tute  cose  che  vu  aue  de  mestier,  per  vostro 
amor  io  el  fare,  che  dio  ve  lassa  auer  ben. 


1  verita  Lib.  Comrnem. 

2  chel  ne  cod.  Marc. 
:!  el  de  a  L.  Conmi. 

4  riij  hure  memdado  cod.  Karo. 


r>  amittarua  e  cognotatua  cod.  Marc. 

6  quello  cod.  Marc. 

7  io  ve  dico  L.  Comm. 


81 


626 


El  re   saluda  el  doxe  el  comun  di   Veniexia  cum  tuti  i  zentilomeni. 
Fata  di  .  XXVIII.  de  la  nostra  quarexema  in  GRANATA. 


a  tergo: 

AI  doxe  de  Veniexia  grande  e  hon  Anthuonio  Venier  e  cd  comun  de 
Veniexia  e  a  i  grandi  e  a  i  boni  zentilomeni  —  che  dio  dia  sanita  e  ale- 
areza  a  tuti  e  dio  del  cielo  sia  cum  elli.   — 


4. 

Copia  pactorum  inter  serenissimum  regem  Granate  et  comtine  Venetiarum  trans- 

latorum  de  arabico  in  latinuin. 

In  nome  de  dio  sia. 

Sapia  zascun    che  vedera  questa    carta,    e  ein  la  vedera   e  oldira)    che 

Nu  re  de  Granata,  seruo  de  dio  che  crede  in  dio 

El  re  Machomet  ßo  del  nostro  signor  Josef  fio  del  re  Machomet  fio 
del  re  signor  Josef  e  fio  del  re  Ismail,  fio  de  Naser,  re  de  Granata  e  de 
Malicha  e  de  Ronda1  e  de  Zabeltar2  e  de  Almeria  e  de  Bera  e  de  Basta 
e  de  Godis,  re  de  Granata  e  re  de  i  Mori, 

chel  vene  a  nu  el  mesazier  del  doxe  de  Veniexia,  gran  signor  nobele 
e  ben  vouido  da  tuta  la  zente  e  quelo  che'6  tuto  el  mondo  parla  ben  per 
elo,  misier  Antuonio  Venier,  doxe  de  Veniexia  e  vardaor  de  tuta  soa  zente, 
el  mesazier  del  comun  de  Veniexia  Bernardo  Contarini,  a  portado  carta 
del  doxe  e  del  comun  de  Veniexia,  scrita  in  latin  con  el  so  segno  su  la 
soa  letera, 

el  fo  dauanti  da  nu,  per  le  parole  chel*  ne  voleua  dir  per  parte 
vostra,    e  credessemo    a  la  parola    del   vostro  mesazier  Bernardo  Contarini, 

el  domanda  da  nu  la  paxe  e  la  amistade  entro  vu  e  nu,  e  fi  con  elob 
la  paxe  bona  e  ferma  per  sempre,  e  cosa  veriteuele6  che  no  i  se  puo1 
mudar.  e  vegna8  seguri  tuti  i  Venetiani  in   nostra  terra  e  in  tuto  el  nostro 

1  Eomda  cod.  Marc.  5  esso  cod.  Marc. 


2  Zubeltar  cod.  Marc. 

3  e  quelo  per  el  quäl  cod.  Marc. 

4  el  cod.  Marc. 


6  veriteuel  cod.  Marc. 

7  non  se  puo  cod.  Marc. 

8  e  pero  vegna  cod.  Marc. 


627 

regno,  per  mare  per  terra,  e  con  le  persone  e  con  lauer,  e  con  tute  merca- 
dantie,  e  con  tuti  i  vostri  nauilij,  e  con  tuti  compagni  vegnira  cum  vostri 
nauilij  de  vostra  terra  e  de  terra  stranziera,  che  sia  suxo  i  vostri  nauilij 
de  tute  cose  che  entro  vu  e  nu. 

El  vostro  mesazier  ne  a  dito1  tute  cose  che  vu  domande  e  domanda 
nostra  cognosanza.  e  nu  credemo  le  parole  che2  ne  a  dito  e  credemo  chel 
dixe  veritade,  e  auemo  fato  con  esso  la  paxe,  e  con  vu  doxe  e  con  et 
comun  de  Veniexia  e  con  i  zentilomeni,  e  con  tuta  vostra  zente  e  con  tuto 
zo  che  sia  da  vostra  parte. 

Nu  lauemo  fato  per  nu  e  per  nostra  zente  e  per  tuti  queli  che  xe  de 
soto  del  nostro  regno.  e  che  non  sia  algun  che  osa  dir  contra  vu  altri. 
e  comandassemo  chel  se  fesse  questa  carta. 

E  nu  receuemo  le  cose  vostre  soura  de  nu,  come  receue  Bernardo 
Contarini  vostro  mesazier  le  nostre  cose  soura  de  lu. 

E  questo  fato  xe  soura  de  nu  re  e  de  vu  altri,  io  lo  receuudo  e  fato 
intro  nu  e  vu  altri!6 

1.  La  prima  cosa  che  vu  domande,  sie  che  nu  debiemo1  far  un  fon- 
tego  in  Malicha  a  pruo  de  li  fontegi  de  li  altri  Christian**,  che  sia  per 
Venetiani  sola  mente,  e  chi  i  stia  e  habita  segura  mente  la  soto  lombra  de 
lo  re,  e  tuti  sia  seguri  de  le  persone  e  de  lauer,  e  con  tuti  queli  che  sera 
con  vu,  o  che  se  partira  da  vu,  tuti  sia  seguri  per  la  parte  del  re  e  de 
li  pati  che  entro  vu  e  nu.& 

2.  E  volemo  chel  consolo  che  sera  qua  per  vu,  habia  CC  doble  doro 
da  nu  per  cadauno  anno  1,  e  questo  femo  per  honor  e  cortesia. 

3.  E  volemo  che  tute  cose  che  ve  besogna  per  vostro  manzar  e  per 
vostro  ber,  vu  le  posse  meter  intro  lo  vostro  fontego  senza  pagar  alguna 
cosa,  como  e  usanza  de  i  Zenouesi 


1   clta  dito  cod.  Man-. 

•_'  rhi'l  cod.   Marc. 

3  e  questo  fato  se  furo,  de  nu  re  et  de  vu 
altri  n  che  lo  receuudo  e  fato  tuto  intro 
VU  et  nu  (dtri  in  ijuaito  modo  cod.  Marc. 

I  itu  ce  debiemo  cod.  Marc. 


5  a  pruo  di  altri  fontegi  di  altri  cristiani 
cod.  Marc. 

6  e  questo  e   di  pati  entro   cu  e  nu   cod. 
Marc. 

7  habia   al   anno   da   nuj   doble   200  doro 
cod.  Marc. 


628 

4.  E  tuti  i  mercadanti  che  vegna  o 1  vada  per  lo  nostro  regno,  che 
sia  defendudi  e  guardadi  in  ogno  luogo  lache  i  desmonta,  e  non  sia  nesan2 
che  i  ofenda  e  che  i  venda  e  compra'6  segondo  usanza. 

5.  E  sei  sera  algun  di  vostri  che  faza  mal  in  tuto  el  mio  regno,  che 
non  sia  dada  pena  a  altri  cha  lug  solo,  e  che  non  possa  domandar  a  altri 
cha  a  colui*  che  auera  fato  el  mal,  e  che  algun  non  habia  mal  per  lo 
pecado  de  altri. 

6.  E  tuti  queli  che  vignera  con  mercadantia ,  possa  vendere  a  chib 
i  plaxera  senza  algun  inpazo.  e  che  i  mercadi  fati  con  i  Mori  sia  con- 
seruadi. 6 

7.  Anchora  sei  vegnira  alguna  deferentia  tra  Moro  e  Venetian,  diel 
non  sia  algun  che  habia  libertade  soura  i  Venetiani,  excepto  lo  archaytö 
del  castello,  e  lafizo,  e  lo  archaytö  de  doana. 

8.  E  che  tuti  vostri  nauilij  sia  guardadi  e  defexi  in  tuti  nostri  porti 
E  se  algun  vostro  nauilio  naufragasse  in  porto  o  fuor  de  porto,  che  le 

persone  e  zo  che  se  recatasse,  sia  salue  e  segure,  e  che  algun  non  faza  forza. 
E  tute  cose  che  fosse  in  nauilio 1,  cussi  de  mercadantia,  como  de  auer, 
tute  cose  che  se  recatasse,  sia  dade  al  paron  e  a  i  mercadanti.  e  che 
i  possa  comprar  da  tuti  feramenta.  ligname,  2)ef}°l('  e  stopa  per  reparation 
de  i  suo  nauilij. 

9.  E  se  algun  Moro  ouer  altri,  che  se  sia,  auera  deferentia  con  algun 
Venetian,  diel  consolo  solo  sia  zudexe,  e  debia  defenir  le  diferentie,  como 
i  parera  che  sia  zusto. 

10.  E  volemo,  che  se  algun  mercadante  Venetian  morira  in  lo  nostro 
regno,  che  i  beni  del  morlo  peruegna  in  man8  del  consolo,  ouer  cht  sera 
per  lo  consolo,  e  che  algun  non  possa  pr ender  de  i  beni  del  morto. 

11.  E  volemo,  debie  pagar  el  nostro  dreto  como  paga  i  Zenouesi,  ex- 
cepto de  oro,  arzento,  perle  e  zöge  —  2  per  cento  debie  pagar  del  dreto, 
e  la  usanza  de  l«  turzimania.9 


1  orer  cod.  Marc. 

2  algun  cod.  Marc. 

3  e  che  i  possa  vender  e  comprar  cod.  Marc. 

4  a  quello  cod.  Marc. 

5  vendere  quell a  a  chi  cod.  Marc. 


6  obseruadi  cod.  Marc. 

7  in  el  nauilio  cod.  Marc. 

8  in  le  man  cod.  Marc. 

9  trucimanaria  cod.  Marc. 


629 

12.  E  volemo  che,  sei  vegnira  algun  nauilio  al  porio  che  descarga 
de  le  mercadantie,  chel1  non  sia  tegnudo  a  pngar  el  dreto  infina  che2  non 
auera  vendudo  la  mercadantia,  e  se  el  vende  el3  paga. 

E  che  i  mercadanti  non  sia  streti  a  v ender,  e  possa  recargar  le  soe 
mercadantie  infina  .  x .  mexi*,  e  da  puo  passado  el  dito  termene,  debia 
pagar  el  dreto,  como  se  le  cose  fosse  vendude. 

E  al  doxe  e  al  comun  de  Veniexia  dixe,  che  questi  e  li  pati°,  che 
e  fati  con  lo 6  vostro  mesazier,  zentilomo  Bernardo  Contarini  — 

e  auemo  receuudo  questo  e  soura  questo  e  fato  la  paxe,  e  femola  con 
tuti  del  nostro  regno1,  e  soura  questos  demo  nostra  veritade,  e  nu  otigne- 
remo  ben  e  guardaremo  la  pixe,  e  semo  certi  di  questo,  e  hauemo  fato9 
scriuer  a  questi  testimonij  in  .  2  .  carte  scrite  in  arabesco,  e  in  tute.  do. 
auemo  scrito  de  nostra  man,  e  femo  testimonianza  per  nu  medemi,  e  in 
cadauna 10  de  le  nostre  carte  auemo  messo  la  nostra  bola  — 

e  si  lauemo  fate  con  testimonianza11  e  scrite  con  testimonianze  del  cadi, 
che  e  suora  tuti  i  cadi  del  nostro  regno. 

E  una  de  le  carte  saluemo  per  nu  e  laltra  demo  al  vostro  mesazier. 
e  per  questo  sia  seguro  cadaun  vostro  che  vora  vegnir  al  mio  regno. 

dcrüa  questa  carta  del  nostro  comandamcnto  in  L AMBRA  12  de  GRAN  ATA 
del  tempo  che  le  fata  a  ultimo  divi  del  nostro  ramadan  in  anno.  802. u 
segondo  usanza  di  Mori.  e  testimonij10  de  nu  e  del  vostro  mesazier  Ber- 
nardo16 Contarini,  siando  turzimano11  veriteuole  entro  nu  ells  vostro  mesa- 
zier, e  a  testimoniado  qua  Laguzi,19  grando  homo  apresso  el20  re. 


1  el  ood.  Marc. 

2  fina  chel  cod.  Marc. 

3  chel  cod.  Marc. 

4  mexi  .  10 .  cod.  Marc. 

5  se  puol  dire  che  questi  e  i  juiti  ood.  Marc. 

6  el  cod.  Marc. 

7  e  auemo  receuudo  questo  soura  de  >n<  <■ 
hauenw  fato  la  pa.ce  cum  ruj  inij  re  cum 
tuti  queli  che  soto  el  nostro  regno  cod.  Mar. 

8  soura  di  questo  cod.  Marc. 

9  e  acio  che  vu  sie  piu  certi  di  questo,  hauemo 
fato  cod.  Marc. 


10  zascuna  cod.  Marc. 

11  CO»t  tcstimmiinnza  0111.  cod.   Mniv. 

12  in  lalta  amhra  cod.  Marc. 

13  yiorno  cod.  Marc. 

14  ai  omni  del  profeta  802  cod.  Marc. 

15  e  siando  testimonij  cod.  Man-. 

16  el  honorado  B.  cod.  Marc. 

17  tnicimmm  cod.  Marc. 

18  entro  vu  e  nu  el  cod.  Marc, 
li)  lagrizi  cod.  Man. 

20  del  cod.  Marc. 


630 

E  testimonij  se  di  questo  Abenasym.1  e  testimonia  sora  questo  el  tesorier 
del  re  che  nome  Anbesuba.2  e  testimonia  Mahomet  Alcm/sy3,  codi  sora  i  codi, 
e  lo  re  scriue  cum  sua  man*,    tuto  esser  vero  como  e  scrito. 


I  sourascriti  pati  fo  fati  in  Granata  in  lanno  de  Christo  1400  adi  ultimo  mazo.6 


1  Abenasim  cod.  Marc. 

2  Anbensuba  cod.  Marc. 

3  Älchaisi  cod.  Marc. 


4  cadi  sora   i  cadi  del   nostro   regno,   el   re 
scriue  de  sua  man  cod.  Marc. 

5  hoc  addit  cod.  Marc. 


631 


Erläuterungen. 

Der  König  von  Granada  gibt  sowohl  in  seinem  Briefe  an  den  Dogen  von 
Venedig  als  in  der  Einleitung  zum  Text  des  abgeschlossenen  Vertrags,  wie  es  Her- 
kommen war,  seinen  Stammbaum  an.     Man  hat  dabei  Zweierlei  zu  beobachten: 

a)  Die  in  Granada  herrschende  Dynastie  heisst  die  der  Nasriden,  weil  der  Gross- 
vater des  ersten  Königs  Nasr  hiess;  jeder  einzelne  Fürst  dieses  Hauses  nannte  sich 
ibn  Nasr,   „den  Nasriden"; 

b)  von  den  zwölf  Fürsten  Granadas  (1237  —  1492),  welche  Muhammed  hiessen, 
führte  jeder  den  Beinamen  Abu  Abdullah  , Vater  des  Abdallah*,  weil  es  in  der 
Familie  herkömmlich  war,  dass  jeder  Muhammed  seinen  Erstgebornen  Abdallah  nannte, 
während  jeder,  welcher  Jüsef  hiess,  den  Beinamen  Abul-Haggäg  führte,  weil  er 
immer  seinen  Erstgebornen  el-Hag-giig  nannte.     Kommt  also  in  einem  Document  Abü- 

Uxlallafa  als  Nanu-  eines  Pursten  von  Grenada  vor,  so  mnsi  dessen  wahrer  Eigen- 
name Muhammed  sein. 

Im  ersten  Schreiben  nennt  sich  Muhammed  (der  VII.  dieses  Namens  und  der 
12.  König  in  der  Reihe  der  Herrscher  Grenadas)  den  Sohn,  beziehungsweise  den  Ab- 
kömmling der  vier  Könige  Jüsef  II.,  Abdaly,  d.  h.  Abü-Abdallah,  d.  i.  Muhammed  (V.) 
und  also  .steht  im  Eingang  des  Vertrages  —  Jüsef  I.  and  Ismail  I.  Weitere  Ahnen, 
die  wirkliche  Könige  waren,  hatte  Muhammed  VII.  nicht;  um  nun  alter  wissen  zu 
lassen,  da<s  weder  er  noch  seine  Väter  Usurpatoren  waren,  sondern  Glieder  des 
Herrscherhauses  der  Beni  Nasr  „der  Nasriden fc,  nennt  er  sich  schliesslich  in  beiden 
Schriften  noch  cfio  de  Nasr'  „den  Nasriden"  ;  er  sagt  nicht  'fio  del  re  Nasr',  wie  bei 
den  vorausgehenden  Ahnen,  denn  ein  König  dieses  Namens  war  keiner  seiner  Vor- 
fahren. Zwar  hiess  der  vierte  König  von  Granada  auch  Nasr  mit  dem  Beinamen 
Abül-Gujüs  (Djujüsch),  aber  dieser  gehörte  einer  Nebenlinie  an. 

Diese  und  andere  Weisungen  verdanke  ich  einein  stets  bereiten  und  treiflichen 
Genossen,  einem  lieben  ehrlichen  Freund. 

Es  erscheint  mir  statthaft,  sowohl  die  Reihe  der  Könige  von  Granada  als  den 
Stammbaum  der  Nasriden  bis  auf  Muhammed  VII.,  den  Urheber  dieser  Schriftstücke, 
in  einer  Beilage  am  Schlüsse  anzufügen,    weil   unsere  Urkunden  daraus  sich  anschau- 

Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wis*.  XVII.  IM.  III.  Abth.  82 


632 

lieber  erklären,  die  einschlägigen  Bücher  aber  nicht  jedem  zur  Hand  sind.  Ich  benütze 
dazu  „Makkari  the  histoiy  of  the  Mohammedan  Dynasties  in  Spain  by  Pascual  de 
Gayangos  Vol.  II  p.  XCV  (Appendix"),  woselbst  ein  „Genealogical  tree  of  the  Ben 
Nasr,  kings  of  Granada "  gegeben  ist  und  „Inscripciones  ärabes  de  Granada  par 
D.  Emilio  Lafuente  y  Alcäntara",  welche  p.  78  ff.  sowohl  „la  cronologia  y  örden 
de  sucesion  de  los  reyes  de  Granada "  als  ein  „Cuadro  genealögico  de  la  familia 
Nasrita  "  enthalten. 

Wenn  sich  Muhannned  VII.  im  Pactum  selbst  König  von  Granada,  von  Malaga 
und  Ronda,  von  Gibraltar  und  Almeria,  von  Berja  und  Bazah  und  von  Cadix  nennt, 
so  haben  wir  damit  eine  geschichtliche  Ummarkung  des  damaligen  maurischen  König- 
reichs, welches  schon  zur  Zeit  Abulfedas  auf  die'  südlichen  Theile  von  Granada  und 
Andalusien  zwischen  den  Gualdaquivir  und  die  Meeresküste  zurückgedrängt  worden  war. 

„En  ce  moment  la  plus  grande  partie  de  l'Andalos  est  sortie  des  mains  des  musul- 
mans,  et  les  chretiens  s'en  sont  rendus  les  maitres.  .  .  II  ne  reste  plus  au  pouvoir 
de  l'Islamisme  que  le  royaume  de  Grenade  et  ses  dependances,  telles  qu'  Algeciras  et 
Almeria.  Le  roi  de  Grenade,  connu  sous  le  surnom  de  Ibn-Alahmar,  est  vivement 
presse  par  les  Francs,  et  il  n'a  de  secours  ä  attendre  de  personne. "  Geographie 
d'Aboulfeda  .  .  par  M.  Reinand  tome  II.  p.  240. 

Von  Malaga  berichtet  ebenderselbe  (p.  250) :  Malaga  .  .  dans  la  partie  meri- 
dionale  de  l'Andalos.  .  .  La  province  de  Malaga  est  entre  Celles  de  Seville  et  de 
Grenade,  sur  les  bords  de  la  mer  du  Detroit ;  eile  abonde  en  figues  et  en  amandes.  — 

Von  Almeria  und  Bera  (p.  254):  Almeria  est  une  ville  .  .  de  l'Andalos,  entre 
les  provinces  de  Malaga  et  de  Murcie.  C'est  une  ville  muree  et  situee  sur  les  bords 
de  la  mer  du  Detroit.  On  peut  dire  qu'elle  est  (pour  le  commerce)  la  porte  de  la 
partie  Orientale  de  la  presqu'ile  et  la  clef  d'abondance.  Elle  a  un  territoire  d'argent, 
une  cöte  d'or  pur  et  une  mer  d'emeraude.  Ses  murs  sont  eleves,  sa  citadelle  est  haute 
et  d'un  acces  difficile,  son  air  est  tempere.  La  soie  qui  entre  dans  ses  fabriques  de- 
passe tout  ce  qui  est  employe  dans  les  autres  villes. 

Au  nombre  de  ses  dependances  sont  .  .  .  .  la  ville  de  Berja  (Berdje)  et  la  ville 
Andarax  (Andarakä). 

„All  authors  agree  in  saying  that  the  inhabitants  of  Almeria  were  at  one  time 
the  wealthiest  people  in  all  Andalus,  and  those  who  carried  on  the  most  extensive 
trade."  Makkari  (by  Gayangos  I,  50).  „Some  of  the  districts  surrounding  Almeria 
deserve  mention.  One  of  them  is  that  of  Berjah  (Berja),  when  lead  is  to  be  found 
in  great  abundance.  Its  capital  Berja  is  situated  on  a  very  pretty  river  —  whose 
banks  are  covered  with  trees  and  flowers."     (Ebendort  I,  53). 

Basta  (Baza)  wird  von  Abulfeda  unter  den  von  Granada  abhängigen  Städten  auf- 
geführt (p.  254):  nous  citerons  .  .  parmi  les  dependances  de  Grenade,  la  ville  de 
Baca  (Bägha)  qui  abonde  en  eaux  ayant  le  propriete  de  se  petrifier;  le  territoire 
de  Baca  est  riche    en   safran   et  en  raisins.     Wegen   der  Umgestaltung    von  Basta   in 


633 

Baza  s.  Gayonyos  zu  Makkari  I,  p.  345  Note  64 :  the  change  of  st  in  z  is  fre- 
quent  in  Spanish;  so  from  Basta,  Castulo.  Sarakosta,  Castalla,  were  made  Baza, 
Cazlona,  Zaragoza,  Cazalla. 

Honda  zählt  Abulfeda  zu  den  Bezirken  von  Sevilla  (p.  235) :  Seville  a  sous  sa 
dependance  un  grand  norabre  de  cantons,  dont  la  plupart  sont  situes  au  midi  du  Gua- 
dalquivir  .  .  Parmi  ces  cantons  sont  ...  5°  celui  de  Ronda.  Nach  Makkari  (by 
Gayanyos  I,  42)  gehörte  Ronda  früher  zur  Gerichtsbarkeit  von  Cordova:  „the  cities 
formerly  belonging  to  the  Jurisdiction  of  Cordova  were  Ezija,  Bolcun,  Ronda"   etc. 

Der  Brief  des  Königs  an  den  Dogen  trägt  das  Datum  „fato  di  XXVIII.  de  la 
nostra  quarexema  in  Granata",  das  Pactum  ist  ausgestellt  „a  ultimo  di  del  nostro 
ramadan  in  anno  802  segondo  usanza  di  Mori" ;  der  28.  de  la  quaresima  ist  der  28. 
des  muselmännischen  Fastenmonats  Ramadan  der  ultimo  del  Ramadan  ist  der  29. 
oder  30.  dieses  Monats;  die  zweite  Urkunde  ist  also  um  einen  oder  zwei  Tage  später 
gesell  rieben. 

Nach  Dr.  Ferdinand  Wüstenfelds  Vergleichungstabellen  der  muhammedanischen 
und  christlichen  Zeitrechnung  p.  34  fällt  das  Jahr  802  Muhammeds  /.wischen  den 
3.  September  1399  und  26.  Mai  1400;  die  Urkunden  von  Granada  würden  demnach 
auf  die  Tage  des  24.  und  25.  Mai  zu  setzen  sein.  Dazu  stimmt  freilich  die  Note 
des  Codex  Marcianus  am  Schlüsse  des  Vertrages  nicht  ganz,  welche  aussagt:  i  soura- 
scriti  pati  fo  fati  in  Granata  in  lanno  de  Christo  1400  adi  ultimo  mazo.  Es  wäre 
denkbar,  dass  das  Datum  ca  ultimo  di  del  .  .  Ramadan'  diese  Uebertragung  auf  den 
christlichen  Monat  veranlasst  hat. 

Was  die  im  Vertrag  gegen  den  Schluss  vorkommenden  Eigennamen  anlangt, 
so  ist  der  Nanu'  des  I »et heiligten  Dragoman  Laguzi  —  der  Codex  Marcianus  bietet 
Lagrisi  —  zweifelhafter  Natur;  die  Zeugen  Abenasym  und  Anbesuba  sind  wohl 
ehrende  Beinamen  Abi  (=  Abu-)  Nasim  und  Abi-Subäh  „Vater  des  Nasim  und 
Vater  des  Subah."  Mahomet  Alcaysi,  der  dritte  Zeuge  und  ccadi  sora  i  cadi'  ist 
Muhammed  al-Kaisi,  „Muhammed  der  Kaisid"  (aus  dem  Geschlecht  Kais).  Die 
Familie  'Kais'  wird  viel  in  der  Geschichte  dieser  Dynastie  erwähnt:  vielleicht  war 
sie  dem  Herrscherhause  selbst  verwandt;  denn  in  der  Geschichte  des  lbn - el - Chatib 
war  Kais  der  Vater  des  Nasr,  des  Stammvaters  der  Dynastie.  Auch  hatte  der  König 
Jüsef  I.  zwei  Söhne  Isina'il  und  Kais,  von  welch  letzterem  wohl  auch  dieser  Ober- 
richter oder  Justizminister  Muhammeds  VII.  abstammen  konnte. 

Archayto  im  Artikel  7  ist  venezianisch  statt  alca'ito,  das  spanische  alcalde, 
arabisch  al-käi'd  dux  exercitus,  Heerführer;  dann  überhaupt  Präfect.  Lafizo  ist  das 
arabische  häfiz  der  Autbewahrer,  Oberaufseher:  „afice,  Zollaufseher  auf  Seide,  arabisch 
U4-lt  alhäfiz  Bewahrer,  Aufseher."  Marc.  Jos.  Müller,  die  aus  dem  Arabischen  in  das 
Spanische  übergegangenen  Wörter,  Sitzungsberichte  unserer  Akademie  1861.  II  p.  97. 
„Ilafiz  (haiz,  afice)  inspecteur  le  l'impöt  sur  la  soie  ä  Grenade,  de  JüLä.  (häfidh) 
qui  signifie  eil  general  inspecteur."     Glossaire  des  mots  espagnols  et  portugais  derives 

82* 


634 

de  l'Arabe  par  R.  Dosy  et  W.  H.  Engelmann  p.  283.  Lehrreiche  Bemerkungen  über 
die  Namen  der  Würdenträger  bei  den  maurischen  Herrschern  Spaniens  gibt  die  Ein- 
leitung p.  1  und  p.   129  der  Artikel   „Alguacil  .  .  vizir"  im  genannten  Werk. 

In  anderen  Documenten  mit  Tunis  und  anderen  Staaten  heisst  der  Aufseher  der 
Dogana  meistens  näzir,  bisweilen  auch  moscerif;  vgl.  Amari  diplomi  arabi  p.  401, 
p.  483. 

Der  diplomatische  und  Handelsverkehr  zwischen  Granada  und  Genua,  auf  welchen 
in  einzelnen  Sätzen  unseres  venezianischen  Vertrages  Rücksicht  genommen  wird,  reicht 
gut  auf  ein  Jahrhundert  früher  hinauf;  einen  Friedens-  und  Handelsvertrag  zwischen 
Abgesandten  der  Republik  Genua  und  dem  zweiten  König  von  Granada  aus  dem 
Stamme  Nasr,  Muhammed  II.  vom  Jahre  1278  hat  Silvestre  de  Sacy  bereits  1827 
in  den  Notices  et  Extraits  vol.  XI,  p.  26  —  32  veröffentlicht.  Unter  den  Artikeln 
dieses  sehr  ausführlichen  Instruments,  welches  mehrfach  mit  dem  venezianischen  zu- 
sammenzuhalten ist,  gibt  folgender  Satz  zu  den  Artikeln  7  und  9  einen  Anhalt, 
er  lautet: 

Si  Sarracenus  conquereretur  de  Januense  vel  dicto  Januense  seu  qui  pro  Januense 
se  distringat,  quam  vis  in  Janua  non  habitaret,  debeat  cognosci  et  diffiniri  questio 
per  consules  Janue; 

et  si  Januensis  seu  qui  pro  Januense  se  distringat,  conquestus  fuerit  de  Sarra- 
ceno,  forum  rei  sequi  debeat  coram  Caito  doganae.  ita  quod  questiones  diifinientur  et 
diffiniri  debeant  infra  dies  quindecim  a  die  litis  motae  seu  lamentationis  factae  (p.  28). 

Diese  auf  einen  unparteiischen  Entscheid  einer  Klage  abzweckende  Rechtsaimnl- 
nung    zieht  sich    durch  viele  Verträge  zwischen   den  Christen    und  Moslims  hindurch. 

In  einem  Vertrag  zwischen  Pisa  und  einem  König  von  Fez  und  Marocco  vom 
Jahre  i358  findet  sich  folgendes  merkwürdige  Capitel : 

e  questo  e  il  capitolo  undecimo,  lo  quäle  havete  domandato: 

che  se  alcuno  mercatante  pisano  habesse  quistione  con  un  altro  Cristiano  d'altra 
lingua,  che  sia  la  quistione  dinanzi  del  vostro  consolo ;  salvo  che  se  la  quistione  fusse 
grande  che  portasse  pondo,  che  vengha  a  sententiarla  al  cadi  della  terra. 

E  quando  nel  luogo  non  havesse  consolo  e  la  detta  quistione  fusse,  che  la  veggia 
tra  loro  lo  aveli  (i.  e.  il  wäli)  de  la  terra,  e  sino  lo  signore  del  castello.  Et  habbia- 
movelo  conceduto  questo. 

E  quando  la  quistione  fusse  dal  Saracino  al  Cristiano,  che  torni  alla  ragione 
de'  Saracini  e  de'  loro  cadi. 

Amari  p.  311  und  die  Noten  p.  476,  welcher  hervorhebt,  dass  dieses  das  ein- 
zige Diplom  der  Meriniten  von  Fez  sei,  welches  sich  gefunden  hat. 

Schon  im  Vertrag  Venedigs  mit  dem  ersten  Mamlukensultan  Aegyptens,  Melek 
Moys,  im  Jahr  1254,  tritt  die  obige  Rechtszuständigkeit  klar  und  kurz  hervor: 


635 

Capitulum.  Itern  quod,  si  aliquis  Sarracenus  claniaverit  se  de  aliquo  Veneto, 
diffiniatur  causa  ante  consulem  Venetorum. 

Et  si  aliquis  Venetus  proclarnaverit  se  de  aliquo  Sarraceno,  diffiniatur  ratio  ante 
illum  qui  fuerit  loco  Soldani;  et  potestatem  habeat  consul  faciendi  rationem  inter  ipsos. 

Urkundenbuch  von  Venedig  II,  p.  487. 

In  besonderen  Fällen  steht  der  Beschwerdeweg  zum  Sultan  selber  offen :  gleich  das 
nächste  Capitel  des  angezogenen  Vertrages  von  Venedig  mit  Melek  Moys  sagt  daher: 

Item  si  aliquis  Venetus  receperit  tortum  aliquod  in  terra  Alexandriae,  consul 
Venetorum  habeat  potestatem  mittendi  suas  litteras  ad  Soldanum  de  clamore.  Et  ipse 
Soldanus  praecipiet  fieri  inde  rationem. 

Aehnlich  bestimmt  ein  Vertrag  zwischen  Venedig  und  dem  Sultan  Melek  Nasser 
vom  Jahre  1302: 

Item  si  alicui  Veneto  fieret  tortum,  et  consul  Venetiarum  mittere  vellet  ad  Sol- 
danum, quod  Cadhy  dare  debeat  ei  ductorem  et  litteras,  ut  consequi  valeat  rationem 
suam.  —  Diplomatarium  Veneto-Levantinum  p.  <*>. 

Noch  ausführlicher  gibt  dieses  ein  Vertrag  vom  J.  1345  mit  dem  Sultan  Ismail: 

Item,  si  aliqua  moleetda  seu  tortum  aliquod  in  Alexandria  fieret  Venetis,  tunc 
ille,  qui  tenebit  dominationem  ibi  pro  Soldano  seu  vicarius  suus,  ad  requisitionem 
consulis  Venetorum  seu  mercatorum,  qui  molestiam  substinerent,  dare  teneatur  con- 
ductorem  eidem  consuli  seu  mercatoribus,  qui  conducat  ipsos  coram  domino  Soldano, 
ut  ipsi  valeant  consequi  rationem:  qua  coneequuta  per  dictum  conductorem  reduci 
debeant  in  Alexandriam;  et  si  praedicti  vellent  tantum  litteras  suas  domino  Soldano 
mittere,  similiter  dare  eisdem  portitorem  teneatur.   —   Ebendort  p.  293. 

Eine  besondere  Begünstigung  der  Venezianer  enthält  der  zweite  Satz  des  Ar- 
tikels 12,  in  Betreff  der  Frist,  wonach  ausgeladene,  und  binnen  zehn  Monaten  nicht 
verkaufte  Waaren  abgabenfrei  rückverfrachtet  werden  können. 

Eine  ganz  gleiche  Bestimmung  steht  mir  aus  keinem  Vertrag  zu  Gebote ;  obwohl 
über  das  'caricare  et  discaricare    naturgemäss  vielfach  und  allgemein  verhandelt  wird. 

Doch  kann  zuvörderst  beigezogen  werden,  was  den  Venezianern  in  einem  Capitel 
des  oben  angeführten  Vertrags  mit  Melek  Moys  (p.  487)  zugestanden  ist: 

Item,  eri  aliquod  navigium  Venetorum  devenerit  in  terram  Aegypti  et  totum 
suum  regnum,  ubi  dominatur  Soldanus,  et  habuerit  mereimonia,  de  eo  quod  ven- 
diderint,  solvant  inde  dricturam. 

Et  si  vendere  noluerint,  potestatem  habeant  eundi ;  et  non  tollatur  eis  drictura 
aliqua  nee  ulla  ratio,  si  ipsi  non  vendiderint. 

Am  nächsten  alsdann  möchte  kommen,  wenn  es  in  einem  Vertrag  der  Floren- 
tiner mit  dem  Sultan  von  Aegypten  vom  J.   1422  also  heisst: 

.  .  i  mercatanti  fiorentini  .  .  possino  carichare  et  nullo  possa  ritenere  lo  caricho 
delle  mercatantie. 


636 

Et  che  delle  navi  che  vengono  nelli  porti  del  soldano  carichate,  possino  schari- 
care  quello  ch'elle  vogliono.  Et  di  quello  che  non  volessono  scharicare,  non  sieno 
tenuti  ne  sforzati  di  scharicare. 

Et  che  delle  mercatantie  che  scharichano,  non  sieno  tenuti  di  pagare  lo 
comerchio,  insino  che  non  anno  venduto. 

Amari  p.  341. 

Es  dünkt  mir  eine  ebenso  anziehende  als  fruchtbare  Aufgabe  für  den  Fachmann, 
den  Kenner  des  Handelsrechts,  wie  Herrn  Goldschmidt,  die  verschiedenen  Satzungen 
der  gesammelten ,  gesammten  Handelsverträge  zwischen  Christianern  und  Moslims 
sowohl  ihrem  Inhalt  nach  unter  sich  zu  vergleichen,  als  nach  dem  Geist  des  inter- 
nationalen Verkehrs  und  dem  Inbegriff  des  allgemein  giltigen  Handelsrechts  zu  be- 
urtheilen  und  einzuordnen;  ich  meinte,  aus  einem  solchen  Studium  müssten  Ergebnisse 
hervorgehen,  welche  heute  noch  schätzbar  und  verwendbar  erscheinen  würden. 


637 


Beilagen. 


1. 

Die  Dynastie  el-Ahmar  oder  Ifasr  nach  dem  Ahnherrn  Okail  ihn  Nasr 

el  Ahmar. 

1.  Muhammed  I.  Abü-Abdallah  1238  (1232  ausgerufen)  —  1273. 

2.  Muhammed  II.  Abü-Abdallah  el-Fakih  1273—1302. 

3.  Muhammed  III.  Abü-Abdallah  1302—1309. 

4.  Nasr  Abul-Djujüsch  1309-1314. 
*5.  Ismail  Abul-Welid  1314—1325. 

6.  Muhammed  IV.  Abü-Abdallah  1325—1333. 
*7.  Jüsef  I.  Abul  Haggag  1333—1354. 

8.  Muhammed  V.  Abü-Abdallah 

das  erstemal  1354—1359. 
das  zweitemal  1362-1391. 
dazwischen 

9.  Imail  II.  1359—1360  und 

10.  Muhammed  VI.  Abü-Abdallah  1360— 13HJ. 
•11.  Jüsef  II.  Abul-Haggäg  1392. 
♦12.  Muhammed  VII.  Abü-Abdallah  1392  —  1408. 

13.  Jüsef  III.  Abul-Haggag  1408—1417. 

14.  Muhammed  VIII.  Abü-Abdallah  1417-1427 

und  wiederum  1429—1432 

und  zum  drittenmal  1432 — 1445. 

15.  Muhammed  IX.  (As-saquir)  1427—1429. 
1(3.  Muhammed  X.  ibn  Osman  1445 — 1454. 

17.  Saad  Abu  1454—1465. 

18.  Ali  Abul-Hasan  1465—1482. 

19.  Muhammed  XI.  Abü-Abdallah  1482—1483. 

20.  Muhammed  XII.  Abü-Abdallah  1483-1492. 


Bemerkung:    Die   mit   *  bezeichneten  Fürsten   erscheinen   in   den  Urkunden  als  Ahnen  Königs 
Muhammed  VII. 


638 


2. 

Stammbaum  der  Nasriden  von  Granada  bis  auf  Miihammed  VII. 


Nasr 
Jfisef 


1  Muhammed  I.  Abu  Abdallah 

I 

2  Muhammed  IT   Abu   Abdallah 

el-Fäkih 
I  


Ismail 


3  Muhammed  III.  Abu  Abdallah 


Faraj 

I 
I 
10  Muhammed  VI. 

Abu  Abdallah 


4  Nasr  Abul- 
Djujüsch 


Abu  Said 
Faraj 

i 

*5  Ismail  1.  Abul- 
welid 


0  Muhammed  IV 

Abu  Abdallah 


*7  Jtisef  I. 
Abul-Haggäg 


v    Muhammed  V. 
Abu  Abdallah 

I 

*11  Jüsef  IL 
Abül-Haggat; 


*12  Muhammted  VIT. 

Abü-Abdallah. 


9  Ismail  II. 


Kais 


Ueber  die 


Homerrecension  des  Zenodot. 


Von 


Adolf  Römer. 


Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  III.  Abth.  83 


Ueber  die  Homerrecension  des  Zenodot. 

Eine  neue  zusammenfassende  Untersuchung  und  Beleuchtung  der 
ersten  Homerrecension  im  Altertum  dürfte  vielleicht  nach  den  bereits 
vorliegenden  teilweise  sehr  tüchtigen  Vorarbeiten  ein  sehr  gewagtes  Unter- 
nehmen sein.  Wenn  nun  auch  die  gegenwärtige  Arbeit  nicht  gerade  eine 
fühlbare  Lücke  in  der  philologischen  Litteratur  ausfüllt,  so  waren  doch 
manche  Gründe  für  mich  bestimmend,  dieselbe  gerade  in  dem  jetzigen 
Zeitpunkt  aufzunehmen  und  zu  veröffentlichen.  So  zuerst  und  zunächst 
die  unverrückbar  in  mir  feststehende  Ueberzeugung ,  dass  eine  kritische 
Untersuchung  und  historische  Würdigung  der  Bedeutung,  Wirkung  und 
Nachhaltigkeit  der  philologischen  Tätigkeit  Aristarch's  ganz  notwendig 
basirt  sein  muss  auf  einer  genauen  und  gründlichen  Kenntniss  der  Leist- 
ungen seiner  beiden  Vorgänger  sowohl  in  Kritik,  wie  Exegese.  Nicht  als 
ob  die  Missgriffe,  Irrtümer  und  Fehler  derselben  die  Richtung  der  Studien 
Aristarch's  allein  und  ausschliesslich  bestimmt  hätten :  Seine  Tätigkeit  war 
ja  eine  viel  umfassendere;  wohl  aber  wurde  er  durch  dieselben  zu  vielen 
guten  und  erfolgreichen  Untersuchungen  angeregt,  wovon  heute  die  Scholien 
des  Aristonicus  an  so  vielen  Stellen  ein  beredtes  Zeugniss  ablegen.  Ja 
auch  da,  wo  dieser  Bezug  nicht  ausdrücklich  angegeben,  müssen  wir  in 
mancher  anscheinend  unbedeutenden  und  auf  den  ersten  Blick  trivial 
klingenden  Bemerkung  uns  bemühen,  den  leitenden  Gedanken  aufzusuchen 
und  werden  da  mehr  wie  einmal  auf  Zenodot  geführt.  Aber  die  Er- 
reichung dieses  Zieles  ist  nur  dann  möglich,  wenn  wir,  soweit  es  die 
Lückenhaftigkeit  unseres  Quellenbestandes  gestattet,  uns  eine  genaue  Kennt- 
niss von  den  Vorzügen,  wie  den  Mängeln  der  Ausgabe  des  Zenodot,  sowie 
von  den  ihn  bei  der  Fertigung  derselben  leitenden  Grundsätzen  verschaffen. 

Aber    auch    den    zweiten ,    weit    wichtigeren    Vorteil    gewährt    eine 

kritische  Durchmusterung  sämmtlicher  uns  überlieferter  Lesarten,    Athe- 

83* 


642 

tesen,  Interpolationen  Zenodots,  dass  wir  nämlich  bei  unbefangener  Prüfung 
und  Vergleichung  der  Lesarten  desselben  mit  denen  Aristarch's  viel  eher 
und  leichter  ein  sicheres  und  bestimmtes  Urteil  gewinnen  über  die  hand- 
schriftliche Autorität  und  diplomatische  Beglaubigung,  die  den  beiden  sich 
entgegenstehenden  Varianten  zugesprochen  werden  muss;  denn  darüber 
lässt  sich  durchaus  nicht  sicher  von  Fall  zu  Fall  entscheiden,  sondern 
nur  von  der  Höhe  eines  Standpunktes,  der  die  ganze  Methode,  das 
ganze  System  der  kritischen  Tätigkeit  beider  Männer  immer  im  Auge 
behält  und  dabei  immer  erwägt  und  sich  vergegenwärtigt,  wie  sich  die- 
selben gleich  von  Anfang  an  der  handschriftlichen  Ueberlieferung  gegen- 
über gestellt  haben.  Da  nun  über  diesen  letzteren  Punkt  in  neuerer  Zeit 
Ansichten  aufgestellt  und  auch  verbreitet  worden  sind,  die  den  klar  zu 
Tage  liegenden  Tatsachen  gröblich  ins  Gesicht  schlagen,  so  hielt  ich  eine 
neue  Untersuchung  um  so  mehr  am  Platze,  als  Laien  oder  doch  solche 
die  den  grammatisch-kritischen  Studien  ferne  stehen,  an  dieses  neue  Evan- 
gelium glauben  und  diesen  untrüglichen  Glaubensartikel  gottbegeistert  ver- 
künden und  in  die  Welt  schicken.  Bekanntlich  hat  ja  Nauck  seinen 
Feldzug  gegen  Aristarch  damit  inaugurirt,  dass  er  der  philologischen 
Welt  ein  gar  feines  Mährchen  auftischte,  in  welchem  der  Vater  der  ersten 
Homerausgabe  im  Altertum  die  Rolle  eines  engelreinen,  aber  dummen 
und  unfähigen  Librarius  spielt,  in  welchem  derselbe  bis  zur  ruhigen  und 
sicheren  Höhe  der  philologischen  Unschuld  eines  Gulielmus  de  Moerbecke 
verklärt  ist.  „Es  ist  bekannt,  bemerkt  Nauck  in  den  Melanges  Greco- 
Romains  II  p.  323,  dass  unter  den  Schreibern  der  Codices  diejenigen, 
welche  gedankenlos  den  ihnen  vorliegenden  Text,  auch  wo  er  sinnlos 
entstellt  war,  wiederholten,  im  Allgemeinen  eine  bessere  Grundlage  für 
die  Kritik  bieten,  als  halbunterrichtete  Verbesserer,  die  auf  eigene  Hand 
zu  helfen  suchten  und  durch  Uebertünchung  der  Fehler  die  Auffindung 
der  ursprünglichen  Textesgestaltung  in  den  meisten  Fällen  unmöglich 
machten.  Ganz  ähnlich  ist  das  Verhältniss  zwischen  Zenodot  und 
Aristarch." 

In  der  Homerlitteratur  ist  man  sowohl  in  der  sogenannten  höheren, 
wie  in  der  niederen  Kritik  an  starke  Stücke  gewöhnt,  ich  muss  aber 
gestehen,  dass  ich  doch  seit  Jahren  einer  stärkeren  Leistung  nicht  be- 
gegnet war.     Ich    bebe    noch    ganz    von    dem    niederdrückenden  Gefühle, 


643 

das  der  krasse  Subjektivismus  des  Zenodot  auf  mich  gemacht  hat.  Darum 
will  ich  vorgreifend  nur  so  viel  sagen  und  ich  denke  im  Folgenden 
dafür  die  Beweise  zu  erbringen:  Bei  entgegenstehenden  Lesarten  der 
beiden  Kritiker  mag  vielleicht  an  einem  Dutzend  von  Stellen  die  bessere 
handschriftliche  Beglaubigung  mit  aller  Mühe  und  Not  für  Zenodot  nach- 
gewiesen werden  können.  Aber  sonst  —  und  hier  stelle  ich  mich  so 
gut  wie  Nauck  auf  den  Standpunkt  der  modernen  Philologie  —  taucht 
aus  der  Masse  der  verfehlt  abcorrigirten  und  überdreist  geänderten  Les- 
arten, aus  der  Menge  der  mit  maassloser  Kühnheit  ausgesprochenen 
Athetesen,  aus  dem  Wüste  höchst  ungeschickter  Interpolationen,  aus  dem 
krankhaften  und  höchst  unglücklichen  Gedanken  der  Verkürzung  und 
Zusammenziehung  der  schönsten  homerischen  Verse,  kurz  aus  dem  ganzen 
philologischen  Treiben  Zenodot's  steigt  ein  ganz  anderes  Bild  vor  unseren 
Augen  auf:  das  Bild  der  ungesundesten  und  kühnsten  Hyperkritik,  die 
im  Altertume  an  den  Werken  des  göttlichen  Sängers  geübt  wurde.  Und 
diesen  Mann  stellt  man  also,  um  einigen  wirklich  guten  Lesarten  desselben 
Eingang  zu  verschaffen,  auf  gleiche  Linie  mit  einem  dummen  einfältigen 
und  darum  glaubwürdigen  Abschreiber,  den  Mann,  der  schon  das  ganze 
philologische  Rüstzeug  mit  einer  Kühnheit,  einer  Vermessenheit,  einem 
Selbstbewusstsein  handhabt,  die  dem  Texte  unseres  Dichters  die  tiefsten 
Wunden  geschlagen.  Ich  muss  gestehen,  ein  Philologe,  der  es  heute  so 
machen  würde,  wie  Zenodot  es  in  einer  geradezu  erdrückenden  Ueberzahl 
von  Fällen  gemacht  hat,  er  hätte  das  Recht  verwirkt,  in  unserer  Wissen- 
schaft ernst  genommen  zu  werden1).    Und  dennoch  —  wir  finden  heute 

1)  Wenn  wir  auch  nicht  alle  Urteile,  wie   sie  im  Altertum   gegen  Zenodot   laut  geworden 

sind,  unterschreiben,  so  muss  man  doch  gestehen,  dass  die  Alten  von  seiner  ganzen  Art  und  Weise 

eine  viel  vernünftigere  und  richtigere  Anschauung  gehabt  haben,  als  sich  in  dem  Urteile  von  Nauck 

manifestirt.     Schlagender  und  treffender  ist   sein   Verfahren   aber   nicht  gekennzeichnet   worden, 

als  durch  die  boshafte  Parodie  von  Dionysius  Thrax  zu  n  94.    Statt  der  schönen  warnenden  Worte 

des  Achilleus: 

(Ay  Tis  B*'  OvXvfinoio  &ec5t>  dtiytvtxäoiv 

e/ußr^j '  [xülct  rovg  yt  (pitei  kxdfgyos  'AnoXkwv  ' 

aXXd  nd~Kiv  T(JU)7tdfj&ai,  intjv  (pdos  «V  vqtootv 

&yfl$,   rot??  6s  r'  idv  ntbiov  xdta  drigidao&ai. 

Statt  dieser  schönen  durchaus  tadellosen  Worte  schrieb  Zenodot: 

[Ar]  <r'  änofAovvuiS-fvxa  {dnoyvfAvuj&Evral)  Xußfl  xoQv&aiokos  "Exnu(t 

und  da  war  denn  Dionysius  Thrax  der  Meinung,  er  hätte  gleich  schreiben  können: 
firj  ff'  dnofAovviu&ivxu  tfntxp  xoQV&ciio^og   Exjüj(». 


644 

seinen  Namen  in  jeder  adnotatio  critica,  die  auf  wissenschaftlichen  Wert 
Anspruch  erhebt.  Nun,  ich  denke,  das  mit  vollem  und  gutem  Rechte: 
Zenodot  ist  ja  der  erste  eigentliche  Philologe  gewesen,  er  hat  die  philo- 
logische Kritik,  möchte  ich  sagen,  aus  der  Taufe  gehoben,  in  ihm  erlebt 
die  schönste  und  höchste  Seite  unserer  Wissenschaft  —  die  Kritik  —  ihre 
Sturm-  und  Drangperiode.  Also  fort  mit  dem  ebenso  unwahren,  als  unglück- 
seligen Vergleich  mit  einem  armen  und  verkümmerten  Librarius,  dem  seine 
Dummheit  das  Recht  auf  Glauben  erwirkt:  Zenodot  ist  Zenodot,  eine  feste, 
ausgeprägte,  bestimmt  niarkirte  Persönlichkeit,  mit  Verstand,  mit  Fleisch 
und  Blut  begabt  —  und  keine  Schreibmaschine.  Und  wären  seine  Fehler 
und  Missgriffe  auch  Legion,  Zenodot  ist  doch  der  Mann  gewesen,  der 
Schäden  der  Ueberlieferung  zuerst  erkannt  und  aufgedeckt,  wenn  auch 
meistenteils  höchst  unglücklich  geheilt,  der  sich  zuerst  auf  dem  schwierigen 
Felde  sprachlicher  Beobachtungen  versucht  und  gewisse  Normen  und 
Grundsätze  aufgestellt  hat,  nach  denen  er  seine  Ausgabe  eingerichtet. 

Diese  leitenden  Principien  und  Gedanken,  soweit  sie  noch  aus  unserem 
ziemlich  traurigen  Quellenbestande  zu  erkennen  sind,  herauszufinden,  und 
darnach  sowohl  Lesarten,  wie  Athetesen  zu  ordnen,  habe  ich  als  meine 
Hauptaufgabe  betrachtet.  Einzelnheiten,  die  da  nicht  unterzubringen 
waren,  konnten  entweder  nur  gelegentlich  zur  Besprechung  kommen  oder 
mussten  in  einem  eigenen  Kapitel  abgehandelt  werden.  Auf  Vollständig- 
keit konnte  ich  um  so  eher  verzichten,  als  mein  Hauptbestreben  ja  dahin 
ging,  die  kritischen  Grundsätze  des  Zenodot  aufzufinden,  so  dass  ich  genug 
getan  zu  haben  glaubte,  wenn  dieselben  durch  einige  schlagende  Beispiele 
«rläutert  waren. 

Doch  bevor  wir  zu  unserer  eigentlichen  Aufgabe  übergehen,  müssen 
wir  einige  Worte  über  unsere  Quellen  vorausschicken,  die  Werke  des 
Aristonicus  und  Didymus.  Beide  Grammatiker  participiren  jedoch 
nicht  mit  gleichen  Teilen  an  dem  Quellenbestande,  sondern  die  weitaus 
überwiegende  Mehrzahl  der  Nachrichten  verdanken  wir  dem  Aristonicus. 
Mit  diesem  haben  wir  uns  also  zuerst  und  vorwiegend  zu  beschäftigen 
und  dürften  daher  folgende  Sätze  zur  besseren  Orientirung  am  Platze  sein. 

1)  Gestützt  auf  die  Commentare  Aristarch's  übt  Ari- 
stonicus eine  strenge,  scharfe,  manchmal  sogar  unge- 
rechte Kritik  an  Zenodot.    Der  Ton  der  Polemik  ist  kein  besonders 


645 

höflicher.  Wie  begegnen  da  Ausdrücken  wie  yelolog  /'  74  yelolov  A  100 
yeloiiog  ß  42  tvrj&ayg  ß  404;  ganz  gewöhnlich  ist  der  Ausdruck  xaxüjg 
A  80  y  362  £  162  (?)  £  137  /  249  etc.;  äjiifravwg  A  129  #  299  cmi&avov 
H  55  sind  noch  gnädig.  Seine  wirkliche  oder  vermeintliche  Ignoranz 
und  Ungeschicklichkeit  wird  mit  folgenden  Prädikaten  bedacht:  ayvoü 
A  56  iV^  610  77  243  697,  äyvoiuv  B  634  i"  274  ^  222,  ijyv6?iö£  /'458 
iV  148  <T  379,  fyvorjxe  ^  158  163  O  138,  ot;  vorjaag  J  123  u  297,  jlitj 
rorjoag  ^98,  ov  avvtig  y  229,  ov  awidiuv  y  400 2);  adiavorj.ov  wird 
seine  Lesart  genannt  H  153  J  413  FT  202  P  51.  «Äo;w  P  153.  Lobend 
erwähnt  meines  Wissens  Aristonicus  den  Zenodot  niemals,  nur  gelegent- 
lich greift  die  Polemik  einmal  zu  einem  milderen  Ausdruck  wie  J  339 
äövjuqMH'üjg  r5V  Tfj  sniTilrj^ei  cpaidiuog  av  vvv  keyoiro,  £128  N  68  oi 
(fsüVTUog,  IT  748  ßtliiav,  a  337.  Ganz  vereinzelt  ist  der  Fall,  dass  ein- 
mal zur  Stütze  einer  Athetese  Aristarch's  Aristonicus  die  Autorität  des 
Zenodot  angerufen  hat,  wie  (■)  535  .  .  .  o  dt  Zr\vodo%og  rovg  nQurrovg 
TQelg  ovdl  f-yyayev,  wenn  uns  hier  der  Epitomator  keinen  Streich  gespielt, 
cf.  0)  528. 

Schon  längst  hat  man  erkannt,  dass  an  manchen  der  hier  aufge- 
zählten Stellen  dem  Zenodot  bitteres  Unrecht  getan  wurde,  und  es  war 
daher  nicht  schwer,  denselben  gegen  diese  harte  Polemik  in  Schutz  zu 
nehmen  und  das  Unzutreffende  derselben  nachzuweisen. 

Und  wer  wird  denn  dem  Aristonicus  im  Ernste  glauben,  dass  Zenodot 
nicht  gewusst  haben  soll,  dass  bei  Homer  der  Infinitiv  für  den  Imperativ 
eintreten  kann,  wie  er  rj  222   /'45b  bemerkt,  dass  Zenodot  über  die  Be- 


2)  Zu  dm   Versen  y  400 

nag  «J'ap'  tvfXfAt'kirjf   IItiaioT()C(Tor,  ou^a/uot'  uyi)ri'iy. 
o?  oi  £t'   Tji&tos  7t uidioi'   rty  iy  fxtyüyoiGiv 

wird  in  den  Scholien  bemerkt  und  auch  von  Lud  wich  geschrieben:  ol  «M.oi  yvyaixug  t%ovaiy. 
6iont{)  ov  <Jvyi6o)f  o  Zrjvödoroe  to  (fikötmi-ov  tov  noi^iov  rovs  dvo  ari^ovs  ntQiiyoctiptv.  Wie 
kann  der  Umstand,  dass  der  Dichter,  um  dem  Telemachus  den  richtigen  und  passenden  Begleiter 
zu  geben,  den  Sohn  des  so  hochbetagten  Nestor  unvermählt  darstellt,  (piköxtxvov  genannt  werden? 
Das  ist  doch  ganz  unmöglich,  richtig  scheint  dagegen,  was  hier  in  unseren  Codd.  gelesen  wird: 
(piXore/yof.  Nämlich  der  glückliche  Gedanke,  die  glückliche  Fiction  von  Seite  des  Dichters,  alle 
andern  Söhne  verheiratet,  nur  den  Peisistratos  unvermählt  darzustellen.  Das  kann  doch  kaum 
anders  gegeben  werden  als  mit  dem  Ausdruck  <fik6xtxvov ,  der  in  den  Scholien  des  Aristonicus 
durchaus  nicht  vereinzelt  ist  und  auch  an  einer  andern  sehr  bezeichnenden  Stelle  gegen  Zenodot 
ins  Feld  geführt  wird  U  681  .  .  .  tov   'O/xjqov  tpi"koxixv<»s  löantf)  nf>ooifxia^ofievov  .  .  . 


646 

deutung  von  avTwg  2  584  nicht  im  Klaren  gewesen  sein  soll,  dass  er 
nicht  gewusst  haben  soll,  was  cu&ovaa  ist  Y  11  y  399.  Ich  könnte  da 
noch  eine  ganze  Reihe  von  Bemerkungen  aufzählen,  die  beweisen,  welch 
niedriger  Standpunkt  ihm  in  dieser  Kritik  angewiesen  worden  ist.  Nichts 
ist  stärker,  als  der  folgende  Fall.     Zenodot  liest  nämlich: 

iV"  609   ty%og  '  o  fit  (pgtalv  fjcfi  %aQrj,   utya  fi'rjkmro  vixrjv 
O  377   wg  k'qxxr'  tv%6uevog,   ixtya  fi1  talvt   urjTitTa  Zevg. 

Wenn  also  dem  Zeugnisse  des  Didymus  zu  trauen  ist,  liest  er  in 
beiden  Versen  utya.  beidemal  falsch  nach  unserem  Ermessen;  denn  ho- 
merisch müsste  es  ja  uala  heissen.  Und  nun  hören  wir  einmal  Dionysius 
Thrax  bei  Didymus  H  1 1 1  .  . .  tv  yay  tw  nt yl  nooomftwv  xa.franTST.ai  Zt^o- 
fioTov  wg  fjyvurjXOTog  oti  t.(ü  nuiyau  ayxl  toö  utyakujg  UfiTjQOQ  dnoyjjfjTai. 
na^  o  fii]  y.aTa  Tiva  tu»'  vnofiyijfUttCOV  utiti'/.^ftha  r<>  „utyau  ävrl  tov 
fuyak&g.  Also  entweder  Didymus  hat  uns  an  den  beiden  Stellen  voll- 
ständig falsch  berichtet,  zu  welcher  Annahme  aber  durchaus  kein  Grund 
vorliegt,  oder  aber  Aristarch  oder  vielmehr  seine  Schüler  haben  sich 
die  Sache  sehr  leicht  gemacht. 

Wie  weit  sich  Aristarch  selbst  diesen  Ton  angeeignet  und  damit 
seinen  Schülern  voranging,  lässt  sich  bei  der  Mangelhaftigkeit  unserer 
Quellen  kaum  mit  Sicherheit  nachweisen.  Pluygers  (De  Zenodoti 
carminum  Homericorum  editione,  Programm  v.  Leyden  1843)  p.  4  hat 
sich  wenigstens  bemüht,  denselben  von  aller  Schuld  frei  zu  sprechen  und 
die  scharfen  und  teilweise  ungerechtfertigten  Ausdrücke  aus  der  ganzen 
Anlage  der  Arbeit  des  Aristonicus  zu  erklären:  „Quae  vero  argumenta 
Aristarchus  e  diligenti  Homerici  sermonis  observatione  petita  attulerat, 
ut  lectionem  firmaret,  quam  e  pluribus  ejusdem  fortasse  auctoritatis 
elegerat,  rationemque  daret,  quare  a  Zenodotea  recensione  recedendum 
esse  censeret,  ea  Aristonicus,  quae  quodammodo  adversus 
Zenodotum  proposita  essent,  orj/uelov  Aristarchi  explicans 
retulit,  et  brevitati  studens  solenni  quasi  formula  Zr\vo- 
fioTog  yyaipsi  .  .  .  .  äyvorjoag  .  .  .  .  comprehendit."  Gerne 
wollen  wir  diese  Möglichkeit  zugestehen,  und  es  soll  auch  nicht  ge- 
läugnet  werden,  dass  wir  doch  auch  wenigstens  einige,  wenn  auch  wenige 
Anhaltspunkte    aus    unsern    Scholien  dafür    anführen   können.    Allerdings 


647 

liegt  dabei  der  missliche  Umstand  vor,  dass  wir  auch  hier  nicht  mit 
absoluter  Sicherheit  über  die  mehr  oder  minder  wortgetreue  Wiedergabe 
aus  einem  Commentare  Aristarch's  entscheiden  können. 

So  77  507:   itutvovg  ipoßteo&ai,  ensl  Uttsv  of^aar'  avaxTUJv 

a)  Didymus:  dia  tov  e  „Iittsv",  eneidij  ra  aQuara  tvjv  avaxrujv 
tXa'cpd-rjaar,  r)(jrjjuujtTrjaar.     ZrpoüoTog  r)V   diä  tov  o    ntinoru :  — 

b)  Ariston. :  ort  Zrjvodorog  yyaqpei  „inel  unoru,  ayvoujv  ort  to  „liney" 
vvv  ovx  WTiv  ivixov,  dkXd  dvakoyov  rat  sleiqp&rinay  ra  ayuaTa ,  tunney 
nxonuri&ivu  (/'  1)  xai  „Tiotfievos  cupQixdiißi  dthuayti'"  (77  354),  dvrl  tov 
(htT.fiayiioav. 

Freilich  ist  das  Scholion  des  Didymus  ein  Textscholion ,  also  ver- 
kürzt, aber  es  ist  doch  bezeichnend,  dass  das  Prädikat  dyroiöv  nicht 
gewählt  ist. 

Auch  in  dem  ausführlichen  Scholion  des  Didymus  zu  K  349  hören 
wir  kein  Wort  des  Tadels;  leider  können  wir  das  daselbst  erhaltene 
Scholion  des  Aristonicus  nicht  heranziehen,  weil  es  zu  sehr  verkürzt  ist; 
hier  hätte  er  wohl  eher  Recht  gehabt,  ein  o7/f(>  äyvorjaavvte  etc.  anzu- 
bringen, und  so  mag  er  auch  anderwärts  einen  viel  energischeren  und 
kategorischeren  Ton  angeschlagen,  ein  xaxwg,  oC  xalujg ,  yüoiatg  hinzu- 
gesetzt haben ,  wo  in  seiner  Vorlage  in  ruhigem  und  gemessenem  Tone 
die  abweichende  Lesart  mitgeteilt  und   widerlegt  worden  war. 

Aber  wie  dem  auch  sein  mag,  wir  dürfen  kaum  dem  Zenodot  einen 
so  niedrigen  Standpunkt  anweisen  und  müssen  uns  daher  von  dieser  Art 
der  Kritik  freimachen  und  uns  immer  nach  andern  Gesichtspunkten  um- 
schauen, die  vielleicht  an  solchen  Stellen  für  ihn  maassgebend  und 
entscheidend  waren. 

2)  Ein  zweiter  hochwichtiger,  aber  ketzerischer  und  verpönter  Satz 
muss  zur  Orientirung  hier  ebenfalls  hervorgehoben  werden:  Aristarch 
war  über  die  Lesarten,  Athetesen,  Interpolationen  des 
Zenodot  vollständig  genau  unterrichtet  und  wie  mir 
scheinen  will,  durch  Autopsie,  da  er  die  Ausgabe  des 
Zenodot  „gewiss  nicht  bloss  von  Hörensagen"  gekannt 
hat.  Demnach  hat  derselbe  auch  in  seinen  vjio  iivt'j  uara 
genau  darüber  referiren  können.  Daher  verdient  Aristo- 
nicus,   wenn    er   diese  vjiojLLVTjjuaia  des  Aristarch  als  seine 

Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  III.  Abth.  84 


648 

Hauptquelle  betrachtet  und  secundäre  Quellen  nicht 
heranzieht,  mehr  Glauben,  als  die  Berichte  anderer,  die 
sich  nicht  auf  diese  Hauptquelle  allein  stützen,  sondern 
noch  andere  aus  andern  weniger  verlässigen  Quellen  ge- 
schöpfte Mitteilungen  geben. 

Es  muss  in  der  Tat  eine  etwas  eigentümliche  Auffassung  ganz  selbst- 
verständlicher Dinge  herrschen,  wenn  man  nur  mit  einer  gewissen  Scheu 
einen  Satz  auszusprechen  wagt,  der  sich  so  von  selbst  versteht,  wie  das 
schwarz  schwarz,  und  weiss  weiss  ist.  Leider  muss  ich  zu  meiner  Be- 
schämung gestehen,  dass  ich  selbst  durch  einen  Mann,  der  diesen  Studien 
vollständig  ferne  stand .  zum  Glauben  an  das  Mögliche,  Natürliche  und 
Vernünftige  bekehrt  werden  musste.  Dieser  Mann  war  der  alte  Spengel. 
Bekanntlich  gab  er  sich  in  den  letzten  Jahren  seines  Lebens  viel  und 
gern  mit  der  Lektüre  des  Homer  ab.  Er  gebrauchte  da  die  wunder- 
schöne Ausgabe  Wolfs  in  Grossfolio.  Ueber  die  Maassen  köstlich  waren 
seine  Notamina  über  die  homerische  Frage.  Ihn,  den  genauen  Kenner 
der  Rhetorik,  interessirte  und  begeisterte  vor  allem  die  nytaßtia.  Ich 
weiss  nicht,  was  der  alte  Herr  getan  hätte,  wenn  ich  eine  andere  Rede 
als  die  dem  ri&og  des  Ajas  so  wunderbar  angepasste  für  die  beste  erklärt 
hätte.  Diese  Rede  musste  einem  Manne,  wie  er  nun  einmal  war,  weitaus 
am  meisten  gefallen.  Das  Gespräch  wendete  sich  bald  auf  alte  und  neue 
Commentatoren.  Da  war  Spengel  nicht  wenig  überrascht,  von  mir  zu 
hören,  dass  weder  Aristonicus  noch  Didymus  das  Original  der  Ausgabe 
Aristarch's  in  Händen  hatten,  obwohl  er  es,  wie  er  sagte,  in  seinen  Vor- 
trägen immer  so  genommen.  Aber  da  war  Spengel  nun  auch  rasch  re- 
solvirt:  „Wenn  nun  dem  so  ist,  so  sind  Sie  so  vernünftig  und  nehmen  den 
ganzen  Plunder  und  werfen  ihn  in's  Feuer;  denn  mehr  ist  er  nicht  wert". 
Das  Urteil  ist  allerdings  rasch  und  hart.  Die  kaum  geniessbaren  Ari- 
stotelescommentare  mögen  Spengel  auch  vorgeschwebt  sein,  aber  es  ist 
doch  durch  und  durch  gesund  und  vernünftig!  Anders  stellt  sich  aber  die 
Frage  bei  Aristarch  selbst!  Dass  er  nämlich  den  Zenodot  falsch  ver- 
stellt, ist  möglich,  dass  er  ihn  gar  nicht  versteht,  ist  auch  möglich,  dass 
er  ihn  aber  in  allem  Ernste  nicht  ordentlich  kennt  und  über  seine 
Lesarten  nicht  genau  und  sicher  unterrichtet  ist  —  und  sich  dennoch 
abmüht   und  abringt  mit  der  Widerlegung  derselben,   ist  eine  reine  Un- 


649 

möglichkeit.  Dieses  Opfer  des  Verstandes  kann  ich  nicht  bringen  und  bin 
demnach  der  Ansicht,  dass  Aristarch  im  Besitze  der  Ausgabe  des  Zenodot 
vollständig  genau  über  seine  Arbeit  unterrichtet  war,  gegenteilige  Nach- 
richten oder  Mitteilungen,  woraus  man  das  Gegenteil  schliessen  könnte, 
sind  als  unverbürgt  und  apokryph  abzuweisen.  Vergleichen  wir  daher 
einmal  die  Ueberlieferung,  wie  sie  in  unsern  beiden  Quellen  vorliegt    zu 

Z37: 

tu)  (i   o%  '/oiptiofTf-g  ävrijs  *f'<   nokifMHO, 

Dazu  bemerkt  Aristonicus:  ort  Ztjvo&vtog  yocufti  oipa  i  oyr  sg .  ehe  d?f 
gieret  Tiokuv  yoovov  7100t  voutvoi  tj&sXev  axoveiv  nre  uerä  noXvv  yoovo)' 
üy.ovovitg,  iptvüog'  mfritog  yc.o  azovaai'Tfs  löou^actv .  xal  to  „oiftd*  dj'eklt]- 
vtoxov .  ovrw  yao  tunth  Xtyeiv  „oW  fö  ()xt)  fier&ms*  (ff  399).  Nach 
diesem  Berichte  stellt  sich  die  Sache  also:  demnach  sah  Aristarch  im 
Originale  der  Ausgabe  des  Zenodot  die  Buchstaben:  OWAIONTR^,  Spiri- 
tus- und  Accentzeichen  fanden  sich  an  dieser  Stelle  nicht;  denn  sonst 
wäre  Aristarch  über  die  Deutung  nicht  im  Zweifel  gewesen;  wenn  er 
gerecht  war  und  das  war  er  hier,  so  gab  es  für  die  Erklärung  dieser 
Buchstaben  nur  2  Möglichkeiten,  entweder  oipa  lovtts  oder  «»//'  äiovrss, 
beide  sind  von  Aristarch  versucht  und  beide  als  unzulässig  abgewiesen 
worden.  Und  dabei  könnten  wir  uns  auch  beruhigen.  Da  kommt  uns 
aber  das  Scholion  des  Didymus  in  die  Quere:  'AoiaraoyjK  (f/^rt  Zrpodoray 
yoacftiv  „oipcuovtee* ,  o  (N  *Ent&Hrp  iJroXifiatög  „T(j)  §'  o%  y*  ov  \pav- 
oiwfs'".  xal  Aoy<n'  (prjaiv  t/m'  i i)r  yQtuprjy,  Also  da  hören  wir  auf 
einmal  von  einer  ganz  anderen  Variante,  von  einem  wahren  Kleinod  „ov 
ipavovree*.  Da  giebt  sich  also  der  arme  unglückselige  Aristarch  alle 
erdenkliche  Mühe,  aus  den  Buchstaben  des  Zenodot  Worte,  aus  den 
Worten  Sinn  zu  ermitteln;  und  nun  stellt  sich  auf  einmal  heraus 
—  o  Jammer  —  das  war  vergebliche  Liebesmühe:  Zenodot  hat  ja  gar 
nicht  so  geschrieben  und  gelesen,  sondern  ov  tf/avorttg.  Ich  will  mich 
darüber  nicht  lange  aufhalten  und  bemerke  daher: 

1)  Aristarch  hat  ganz  gut  gewusst  und  wie  man  hier  sieht,  aus 
Autopsie  gewusst,  was  Zenodot  las.  Das  waren  die  Buchstaben  oder  Worte, 
die  uns  Aristonicus  überliefert;  die  zweite  Variante  ov  ipavovree  hat  dieser 
bestimmten  Nachricht  gegenüber  keine  Gewähr.  Denn  wenn  Aristarch 
nicht  von  vornherein  in  der  glücklichen  Lage  gewesen  wäre,  sich  über  die 

84* 


650 

Lesarten  seines  Vorgängers  genaue  und  richtige  Kenntniss  zu  verschaffen, 
dann  wäre  er  auch  von  Anfang  an  so  vernünftig  gewesen,  eine  so  ver- 
zweifelte Arbeit  wie  die  Widerlegung  derselben  nicht  in  Angriff  zu  nehmen. 

2)  Die  Variante  ov  ipavoneg  können  wir  uns  mit  der  grössten  Wahr- 
scheinlichkeit erklären.  Wenn  Zenodot  in  der  oben  angegebenen  Weise 
von  Aristarch  widerlegt  war,  blieb  den  Feinden  des  Aristarch  nichts 
anderes  übrig  —  und  Ptolemäus  führt  ja  den  bezeichnenden  Beinamen 
6  *Em&£njs  —  als  zu  Erdichtungen  zu  greifcn  und  sie  möglicherweise 
auch  in  einige  Exemplare  der  zenedoteischen  Recension  einzuschmuggeln : 
eine  solche  und  nichts  anderes  ist  das  ov  yjavorrsg, 

3)  Ich  habe  viele  schlechte  Sachen  von  Zenodot  gelesen;  allein  das 
ov  xpavovTti;  traue  ich  ihm  doch  nicht  zu;  denn  es  ist  homerisch  ganz 
unerhört,  und  wenn  der  edle  Ptolemäus  diese  Lesart  mit  der  Bemerkung 
begleitet :  y.al  tityov  tyei ,  so  dürfen  wir  uns  nicht  wundern .  wenn  der 
Vater  sein  Kind  nicht   wrläugnet. 

4)  Wenn  Aristonicus  dieser  verlogenen  Schulweisheit  keinen  Zutritt 
in  sein  Werk  gestattete,  dann  ist  das  nur  zu  loben,  weil  er  schon  eine 
sehr  vernünftige  und  anerkennenswerte  Kritik  geübt  hat. 

Darum  macht  er  auch  seine  Mitteilungen  über  Zenodot  mit  aller 
Bestimmtheit,  wir  lesen  immer,  in  Ilias  wie  Odyssee,  ganz  bestimmt,  ort 
Zrjyodozoq  yQaqjei,  fj&fotptev)  nur  eine  einzige  Stelle  scheint  dem  zu  wider- 
sprechen E  249  250  .  .  .  doxti  &&  Tfyyodortog  tovrcv  y.al  jov  s§fjg  f]thTrj- 
xivai,  aber  ich  möchte  hier  für  den  Auszug  nicht  einstehen;  denn  in  der- 
selben unbestimmten  Weise  spricht  sich  Didymus  aus  zu  S  500  ...  6  fit 
'AolaTaü/og  .  .  .  <h>xfl  a&tTBiy  luv  tit-vitoov  ariyov,  während  Aristonicus 
auch  an  dieser  Stelle  mit  aller  Bestimmtheit  spricht. 

Indem  wir  also  daran  festhalten,  dass  Aristarch  vollständig  genau 
über  Zenodot's  Ausgabe  unterrichtet  war,  so  dass  uns  Aristonicus  mit 
einer  Bestimmtheit,  die  jeden  Zweifel  ausschliesst ,  über  dieselbe  be- 
richten konnte,  müssen  wir  als  dritten  wichtigen  Satz  hervorheben: 

3)  Wenn  auch  Aristarch  über  den  wirklichen  und  vor- 
liegenden Tatbestand  vollständig  im  Klaren  war,  so  war 
er  über  die  Gründe,  die  seinen  Vorgänger  zu  Aender- 
ungen,  Athetesen,  Interpolationen  bestimmten,  fast  voll- 
ständig   im    Dunkeln    und    musste    dieselben    meistenteils 


651 

durch  Combination  zu  eruiren  suchen  und  hat  da  auch 
manchmal,  wie  wir  sehen  werden,  fehl  gegriffen. 

Die  Sache,  so  auffallend  sie  scheinen  mag,  erklärt  sich  aus  folgenden 
aus  unseren  Quellen  sich  ergebenden  unläugbaren  Tatsachen:  Zenodot 
hat  nämlich  ausser  seiner  Ausgabe  und  seinem  Glossenwerke  Nichts 
Schriftliches  hinterlassen,  das  Aristarch  und  anderen  Grammatikern  als 
sicherer  Führer  hätte  dienen  können.  Dieselben  waren  daher  bei  der 
Eruirung  der  Gründe  so  gut,  wie  wir.  auf  Vermutungen  angewiesen, 
deren  Stichhaltigkeit  zu  prüfen  unser  Recht,  ja  unsere  Pflicht  ist.  Das 
erkennt  man  leicht,  wenn  man  folgende  Stellen  des  Aristonicus  einer  ge- 
naueren Betrachtung  unterzieht:   //  127 

us  nuii  pt  elgofievog   tity1  iyrjfreei'  w  srl  uixw 
TiavTüJV  'AQytiwv  eqiujv  ywar/v  t.b  ruxur   rt 

las  Zenodot  statt  pity''  iyrid-ttv  ueyaV  earevev  ([itya  ^sarevev  A,  aber 
schon  Spitzner  vermutete  richtig:  ueyak')  und  nun  fährt  Aristonicus  fort: 
«£  uv  (paveyiK  icmv  avtyvujxuK  „u  f  t  qu  u  t- r  ugu^  oluv  nTfQOjtievog.  6  fit 
"O/uriQog  tu  ue  iyecr  &  a  t  uvx  stiI  tov  ort^cs&ai  ii&rpi,  dlV  inl  rov  fisQi- 
fya&ai  „xal  rjuiav  utt'yt-o  Ti/Ltfjsu  (/  616).  &£ov  OVV  nooiin'og,  squjtujv. 
Daraus  ersieht  man,  dass  Accent-  und  Spirituszeichen  an  dieser  Stelle 
fehlten,  und  dass  also  erst  durch  einen  Schluss  von  dem  fttyaX  tmevev 
die  von  Zenodot  angenommene  Lesart  utiQuuti'og  ermittelt  werden  musste. 
Nicht  anders  ist  die  Sache   M  295  ff. 

avrixa   (V  donUJa  /uiv  ttqimJi)3   haytro  uäviuc?   üarpv 
xaXr\v  ya'hxbn^'  iStflcnov,   Ytr  <'i>c  yakxevg 
ijlaöev 

Hier  las  Zenodot  statt  r/kaofr  f!£/Ä«rj'  und  da  ist  bei  Aristonicus  weiter 
bemerkt:  e§  ov  opai'toog  tmi  tu  TiQoxtiutvov  ipiliög  dvfyrwxujg  egtjlaTov. 
(hl  (W  daatuts*  %va  dyifruog  tirßjatfrj'i.  Demnach  musste  auch  hier  erst 
durch  Combination  eruirt  werden,  wie  er  das  EZHslATON  gefasst  wissen 
wollte  und  man  kann  sich  da  nur  freuen,  dass  er  es  nicht  so  gefasst 
hat,  wie  Aristarch.     Dasselbe  ist  auch  der  Fall  mit  0  335 

unufjai  «£  dkoS-ev  yaXmr\v  h^novaa   frvellav 

Yj  y.tv  drju    Tqujiov  xt(paXag  xal  T.ev%ea  xrjai 

(pktyita  xaxuv   (poytovaa. 


652 

Hier  schrieb  Zenodot  statt  oooovaa  ooaarsa.  Daraus  schliesst  nun  Ari- 
starch  mit  Recht:  hx  dV  tovtov  tpmviffog  icfTi  dtdeyuh'og  to  eiaouai 
yvomoiiai  xal  to  r]  xsv  d  n  6  Tytoiov  WiMog  dveyvujxwg.  ov  ßovkfrai  oV 
yvöjvai.   dl'ka  nooev&fjvai   xaxaaxsvaaovaa. 

Indem  ich  auf  M  346  und  £"37  verweise,  will  ich  noch  Y  114  zur 
Besprechung  heranziehen : 

r)  8*    aiivSig  arrjüaaa   d-tovg  fifra    uvihoy   fomtV 

las  Zenodot  &sov$  §ela  £(6ovrag.  Daraus  schloss  nun  Aristarch:  &£ 
ov  qpaveoog  iari  xaxd  xb  ntQWTm  iitvov  dvtyru)xa>g  r)  <T  ä  ii  vdig,  IV  /,'  h/>;. 
ujg  ixel  f)  xal  x v aviji ai  v  (A  528).  fyvotpct  o£}  011  ini  xioi  nQoeigrjfiivois 
xi&txai  natf  'Oiiriüüj  rb  i),  ovx  h'  f'oyi]  loyov.  Der  Schluss  ist  ganz  richtig 
und  unabweisbar,  noch  wichtiger  aber  ist  die  Tatsache,  dass  Aristarch  einen 
solchen  Schluss  machen  musste.  Man  ist  daher  nicht  wenig  überrascht, 
bei  Didymus  zu  lesen  .  .  .  „Zrjvodoxog  <)7  nfoiniTjant  xal  iipiXwötv,  ffjfjia 
ix&t§ctfuvoQ j  unoiu)*:  un  „/,'  y.c}  xvavtflotv*  (A  528);  die  Sache  kommt 
allerdings  auf  dasselbe  heraus,  aber  der  Bericht  ist  doch  mindestens  in- 
sofern ungenau,  als  er  in  uns  eine  falsche  Vorstellung  erweckt  von  der 
Ausgabe  des  Zenodot,  wie  sie  Aristarch  vorlag.  Auch  Herodian  spricht 
/V/295  in  derselben  Weise,  wie  Aristonicus:  o  dt  Zrjvo&orog,  (prjoiv  (näm- 
lich 'Aoiaxaoyog),  k'oixe  tfnkiog  Tiooopeoeairai .  ix$6%ouevos  rfjv  i£rjXaojLi£vf]V, 
ovx  sv.     So  las  Zenodot  y  444: 

Fleycitvg  äapvior  «I;p*. 

Wenn  Aristarch  nur  die  Ausgabe  Zenodot's  hier  ansah,  so  konnte  er 
gar  nicht  wissen,  wie  derselbe  las,  ob  d*  aiiviov  wie  wir,  oder  dauviov. 
Darum  musste  er  sich  nach  einer  anderen  Quelle  umsehen,  von  der  uns 
Aristonicus  berichtet:  Zrjvbdoxog  dt-  tv  xalg  cltio  d  yknoaaig  ti&rjot  ii)r 
Xt§iv.  Wenn  nun  also  Aristarch  an  diesen  und  ähnlichen  Stellen  durch 
die  Einrichtung  der  Ausgabe  Zenodots  gezwungen  war,  erst  durch  Con- 
jectur  zu  ermitteln,  wie  und  was  er  gelesen  wissen  wollte,  so  werden  wir 
uns  dementsprechend  nicht  wundern  dürfen,  wenn  an  einer  grossen  An- 
zahl von  Versen,  die  Gründe,  die  Zenodot  etwa  bestimmt  haben  können, 
nur  vermutungsweise  von  Aristonicus  mitgeteilt  werden,  wie  A  63  B  553, 
641  J  104,  548,  ^230  etc.  Im  Gegenteil  könnte  man  eher  auffallend 
finden,  dass  an  anderen  Stellen  wieder  mit  aller  Entschiedenheit  und  Be- 


653 

stimmtheit  gesprochen  wird,  wie  A  117  B  532  579  580  /'27  98  J  88 
/'  423  etc.  Darf  man  da  auch  manchmal  misstrauen,  so  muss  doch  mit 
W.  Ribbek  (Philol.  VIII  p.  653)  mit  allem  Nachdruck  daran  erinnert 
werden,  dass  Aristarch  vermöge  der  Ueberlieferung  durch  Aristophanes 
denn  doch  besser  über  manche  Gründe  und  Motive  des  Zenodot  unter- 
richtet sein  konnte,  als  wir  heut  zu  Tage.  Eine  so  maasslos  kühne 
kritische  Tätigkeit,  wie  sie  durch  Zenodot  besonders  in  dem  Kapitel  der 
Athetesen  und  Zusammenziehungen  inaugurirt  worden  war,  musste  ja 
von  sich  aus  schon  zur  Forschung  nach  den  Gründen  reizen,  ein  so  ent- 
schiedenes und  eingreifendes  Auftreten  geriet  nicht  so  leicht  in  Vergessen- 
heit, es  muss  weite  Kreise  gezogen  haben;  und  unter  solchen  Verhält- 
nissen ist  eine  Tradition  durch  Aristophanes  sehr  wohl  denkbar  und 
erklärlich.  Darum  müssen  wir  auch  an  manchen  solcher  Nachrichten 
festhalten,  weil  ihnen  eben  noch  eine  gute  Tradition  zur  Seite  stehen 
kann.  Wer  könnte  heute  die  Aenderung  Zenodots  «93  285  /?  359  r?  702 
Kqtjttjv  für  ^nayTrjv  erklären?  kein  Mensch!  Schwerlich  auch  Aristarch, 
wenn  er  darüber  nicht  eine  Art  Ueberlieferung  gehabt  hätte,  die  es  ihm 
eher  möglich  machte.  So  hören  wir  darüber  bei  Aristonicus  zu  y  313, 
wo  Nestor  zu  Telemachus  spricht 

xal  av)   (plkog,   urj  (hfia   (Tortur  äno  if\V  akah^io 

mit  einer  Bestimmtheit,  die  jeden  Zweifel  auszuschliessen  scheint  ovrog 
o  rojiog  ävinuos  Zijvooacay  ir  iolg  nul  tfjg  a7io(fr]tuiag  Trßj6fUt%pu  (holov 
n)r  Ä  (>/,//,/'  tvaVTi  rfjg  JZjidüTrjg  noielv.  oteiai  ydo  ix  toi  tujv  tcw>  koyioy 
xaTa  70  oiu)7iu.)uti'()v  (?)  äxTjxofvai  tov  NtdTooa  naod  tov  TijXsua%ov ,  oti 
xal  aXla/oae  neyl  toC  TiaToog  nevao/nevog  jiaoeay.evaoTo  nlciv.  fiio  xal  iv 
i fl  a  yaxpwdlq  (93)  eyyaifje  „TTfiapio  <¥  ig  Kütjttjv  tb  xal  ig  flvlov  r\^ia- 
S-oevTa"  xal  f]  l4&rjrä  dlXa/ov  n7iou)Ta  uiv  ig  IJvXov  ikd-f,  xe Iftev  (!)  d*  ig 
KorjTTjy  tb  7icfo'  'l&ofuvija  ävaxTa,  bV  ydo  ö^evraTog  fjX&tv  *A%aiiXiV  %ahto- 
XiTU)vu)vu  (a  284) 3).     So    hätte   ich    auch    aus   diesem  Grunde  nicht  den 


3)  Wenn  Zenodot  nun  «  284.  285  las : 

xtl&fv  <$'*?   K(jijit)v  re  nccy'  'Ido/utyrju  avitxta ' 

o  e  yap  6  (v  tat  os    %\&tv   *A  %  ai  w  v  xaXxoxit(6ra>y 

so   steht   man   geradezu  vor  einem  Rätsel  und  ist  sprachlos  vor  Staunen  über  die  Kühnheit  einer 
solchen  Aenderung.  Auch  alle  Versuche,  auf  eine  andere  Art,  als  die  Alten  die  Sache  zu  erledigen, 


654 

Mut,  den  von  Aristonicus  so  bestimmt  angegebenen  Grund  zu  der  Athetese 
von  0  538   539 

al   JV   Titraa&tlcfai   rsv^ay  (fctog  '  avräy  'Amihkuiv 

dvriog  i^ffrooe,    Tqwujv  riva  koiyhv  äkakxoi 

als  unzutreffend  abzuweisen,  so  sehr  man  sich  auch  sträubt,  seiner  An- 
nahme zu  folgen:  oti  Zrjvodorog  rovg  mi^ovg  rj&fatjxs,  ysXöiop  ityovuiryog 
diä  Tivkrjg  (piori^ecfftai  Trjv  nokiv  tov  navT.bg  xonov  kvaid-yLov  ovrog.  Ityti 
dt  „Ttviav  (paogu  ayrl  tov  rr)v  öWTTjoiai'  toTg  (pevyovoi  inoirjOav  u)g  tr  T(j) 
„(focog  (V  iraooicfD'  tSrpeer  avoga  ßakun,u  (Z  6).  Dabei  ist  doch  auch  zu 
bedenken,  dass  Zenodot  gleichfalls  die  Worte  in  77  95 

dk'kä  nakiv  roumaaftai.  inrjv  (paog  iv  ytjsaai 

gestrichen  hat. 

Wenn  wir  nun  auch  daran  festhalten  und  die  Bestimmtheit  der  Mit- 
teilungen uns  aus  dem  angegebenen  Grunde  erklären,  so  verhehlen  wir 
uns  aber  durchaus  nicht,  dass  wieder  an  anderen  Stellen  Aristarch  resp. 
Aristonicus,  wo  sie  eben  rein  nur  auf  Vermutungen  angewiesen  waren, 
entschieden  fehl  gegriffen  haben  und  das  selbst  an  solchen,  wo  man 
ihren  Ansichten  meines  Wissens  bisher  auch  nicht  den  leisesten  Zweifel 
entgegengesetzt  hat  Nichts  ist  bekannter,  Nichts  ist  sicherer,  als  dass 
Zenodot  flta  ro  angsnig   eine    ganze  Reihe    der    allerschönsten  Verse    ge- 


erwiesen  sich  uns  trotz  wiederholter  Bemühungen  als  erfolglos,  bis  mir  eine  überraschend  ge- 
scheite Antwort  eines  meiner  Schüler  eine  Handhabe  bot.  Ja  wie  kam  denn  Zenodot  nur  dazu, 
den  Idomeneus  als  „den  allerletzten*  von  Troja  heimkehren  zu  lassen?  Diese  Frage  habe  ich 
mir  oft  vergeblich  gestellt.  Und  nun  bin  ich  auch  überzeugt,  dass  man  an  eine  „Cretica  editio" 
(cf.  Düntzer  p.  104)  nicht  denken  darf,  die  Lösung  ist  vielmehr  eine  viel  einfachere  und  mir  auf 
folgende  Weise  ermöglicht  worden.  Ich  stellte  nämlich  an  meine  Schüler  die  Frage,  was  in  der 
fingirten  Erzählung  des  Odysseus  v  256  —  286  besonders  auffallend  erscheinen  müsse.  Da  wurde 
dann  sofort  hervorgehoben,  dass  nach  der  Schilderung  269  und  270  die  Flucht  des  Odysseus  rein 
unbegreiflich  sei !  Ein  anderer  aber  bekämpfte  die  Fiction ,  die  in  259  ff.  gegeben  ist  und  zwar 
sehr  geschickt  und  durchaus  logisch.     Odysseus  also  tötet  den  Sohn  des  Idomeneus 

ovvfXci  fit  artQfaui  rlqq  "krjtdog  yj&tXt   näoris 
T  gut  i  ad  o  j 

Wie  kann  das  passen  —  und  diese  Argumentation  ist  schlagend  —  nachdem  bereits  10  Jahre 
nach  dem  trojanischen  Kriege  verflossen  sind?  Und  das  und  Nichts  Anderes  hat  sich  auch 
Zenodot  vorgehalten:  um  nun  Uebereinstimmung  zu  erzielen,  den  Idomeneus  als  den  StvTaros  von 
Troja  zurückkehren  lassen. 


655 

strichen  hat.     Aristonicus  giebt  diesen  Grund  auch    an   und    die    meisten 
Neueren    haben   sich    ebenfalls   seiner  Ansicht  in  Betreff  Zenodot's   ange- 
schlossen an  folgenden  2   Stellen.  J  88  ff.   /'  423  ff. 
Die  Verse  //  88  von  Athene 

IJavdayov  ärri&fov   di^rjjLih'rj,    ti  nov  tiptvyoi. 

tvQt  Avxaovoo.   viov  diw/tiora  t€  xyaTeyov  n- 

hat  Zenodot  zu  folgendem  Verse  zusammengezogen 

FTavdaQov  avri&tov   di'Qrjutrrj,    ev(je   JV  rovde. 

Der  Grund  wird  von  Aristonicus  angegeben:  doxwv  avfryümivo)'  ri> 
£r]THv  elvai  '  xaraXtkomt  dt  xo  tdttyifAevr}* .  Aber  das  ist  rein  unmöglich. 
Das  Scholion  hebt  ja  mit  den  Worten  xarulekouis  fit  rb  „di^/uffi]"  selbst 
richtig  hervor,  dass  mit  der  Aenderung  der  genommene  Anstoss  durchaus 
nicht  entfernt  ist.  Darum  ist  es  also  ganz  sicher  falsch,  hier  als  Grund  ein 
dnQtms  anzunehmen;  denn  dann  hätte  Zenodot  das  (fi^rjutyrj  ganz  gewiss 
entfernt  oder  entprechend  geändert.  Anstössig  war  ihm  entweder  die 
Wiederholung  des  tvye  in  so  unmittelbarer  Nähe  von  ecptvyoi  oder,  wie 
wir  später  sehen  werden,  dass  dasselbe  Wort  icpeuyoi,  nicht  ganz  unver- 
ändert in  der  indikativischen  Form  kpevfp  aufgenommen  wird.  Aber 
Alles  eher  als  ein  —  dnQeneg] 

Aber  vielleicht  hat  es  auch  mit  dem  von  Aristonicus  zu  /'423  so 
sicher  statuirten  eine  ganz  andere  Bewandtniss.     Die  Verse: 

äfsupinokoi    uh'   tnena   &od)g  tul  t^ya   Tyctnovro, 
rj  frtlg  vip6(Jo<pov   fraXa/Liov  /.n   <57a  yvvaixuiv. 
rfj  d^a(ja   diipQov  ilovoa   (pikofijueidrjg  'Acpyodi  i  pj 
avrl''  'Alt$avd{)ou)  ftta  xari&tjxt  cptQovaa. 
tvS-a  xaftl'Q  'EXhnjf  xov(jtj  Jiog  alyio%oio 

hat  Zenodot  zu  folgenden  Versen  zusammengezogen: 

äjLupinoloi  jiifv  tneira   &oiog  im  i-yya  ryanorro. 
avrrj   iVavrlov  YQtv  sD.e$avd()oio  ayaxrog 
oaaf  nahv  xlivaaa  nuaiv  d^i)ri7iam   uv&w 

der  Grund  wird  angegeben:  anyaits  yct{>  amu)  iipaivtro  rb  tFj  'Ektvij  ir\v 
*A(pQod  Lttjv   diqiQov  ßaaraQuv.   imXfXrjüTai    (Ji    ort  yyat  tixaaiai  xal  ravrij 
rfj    fxoQipfj    ra    TiQoarjxovTa    nQaaaei.       Ich    frage    mich    und    andere,    was 
Abh.  d.  I.  OL  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  III.  Abth.  85 


656 

muss  dieser  Zenodot  für  ein  kurzes  Gedächtniss  gehabt  haben !  Ich  frage 
ferner,  was  wird  der  gute  Zenodot  mit  den  Versen  in  der  Odyssee  und 
besonders  im  zweiten  Teile  derselben  angefangen  haben,  wo  die  Athene  so 
vielfach  die  Rolle  einer  Dienerin  übernimmt!  Das  kann  also  unmöglich  der 
Grund  zu  dieser  kühnen  Aenderung  gewesen  sein.  Nun  ich  möchte  ihr 
auch  nicht  das  Wort  reden,  aber  die  Gedanken,  von  denen  Zenodot  aus- 
gegangen ,  sind  andere  und  wenn  mich  nicht  Alles  trügt ,  ganz  aus- 
gezeichnete. Von  der  in  eine  Alte  verwandelten  Aphrodite  lesen  wir 
/'385  ff.: 

v<}/tjt  oi  uw  iixvia  naXcuyh't'i   nQoawntv 

uooxonq),   r\  oi  Aaxtdaipovi   yaterouKTn 

r\G'/.tiv  uyia  xaka,   nähmet  d(  niv  (pikhaxt)'. 

Sie  hat  also  die  Gestalt  einer  Dienerin  angenommen;  wenn  nun  der 
Dichter  sagt  V.  423 

d  u  (f  in  oXoi    ni-r   t.iuut.    frows  inl   t'uya   roanoiio 

was  hat  denn  da  —  so  argumentirt  Zenodot  ganz  verstandesmässig  scharf 
—  die  Alte  noch  zu  thun,  ihre  Rolle  ist  ausgespielt  und  sie  soll  dem- 
nach thun,  was  die  andern  änipinoloi  eben  auch  thun,  gar  nicht  zu  reden 
davon,  dass  sich  vielleicht  nach  der  Ansicht  Zenodot's  die  nun  folgende 
so  einzige  und  so  eigenartige  Scene  besser  ohne  Zeugen  abspielt.  Ein 
äjiQtntg  war  es  aber  sicherlich  nicht,  das  denselben  zunächst  zu  dieser 
Aenderung  veranlasste. 

Indem  wir  uns  also  immer  gegenwärtig  halten,  dass  zwar  die  Alten 
über  manche  Punkte  genauer  unterrichtet  sein  konnten,  wie  wir,  aber  bei 
dem  gänzlichen  Mangel  von  erläuternden,  von  Zenodot's  Hand  geschriebenen 
Commentaren,  eben  so  gut  wie  wir  der  Gefahr  des  Irrtums  ausgesetzt 
waren,  werden  wir,  so  gut  es  geht,  entweder  an  der  Hand  der  Alten, 
oder  durch  eigene  Combination  die  Gründe  und  Motive,  die  für  Zenodot 
bei  der  Gestaltung  des  Textes  maassgebend  gewesen  zu  sein  scheinen,  zu 
eruiren  und  unter  allgemeinen  Gesichtspunkten  zu  betrachten  und  zu  be- 
leuchten suchen.  Doch  müssen  wir  vorher  noch  einige  Worte  über  unsere 
zweite  Quelle,  über  D  i  d  y  m  u  s ,  vorausschicken.  Ich  bin  nun  gerade  kein 
besonderer  Verehrer  dieses  Heiligen  —  es  sollte  mich  ganz  besonders 
freuen,    wenn    ich    ihn    wirklich   „entdeckt"    haben  sollte  —  und  meine 


657 

sogar  mit  Härtung,  „wenn  es  bereits  im  Altertum  Zöpfe,  Perrüken  und 
Haarbeutel  gab,  so  hat  Didymus  welche  getragen"  (Vgl.  Härtung  p.  145 
zur  Androm.  329).  Aber  gerecht  müssen  und  wollen  wir  ihm  doch 
werden  und  setzen  darum  auch  hier  einige  Hauptsätze,  die  hauptsächlich 
den  Unterschied  unserer  beiden  Hauptquellen  erläutern  sollen,  zur  Orien- 
tirung  der  Leser  voraus. 

Während  also,  wie  oben  bemerkt,  Aristonicus  den 
Zenodot  nie  lobend  erwähnt,  ja  manchmal  eine  Kritik 
an  ihm  übt,  gegen  die  wir  Einsprache  erheben  müssen, 
ist  Didymus,  „frei  von  jedem  blinden  Autoritätsglauben", 
gescheit  und  vernünftig  genug,  auch  die  Verdienste  des 
Zenodot  lobend  anzuerkennen  und  wir  sind  ihm  dafür  ausser- 
ordentlich dankbar.  Manchmal  hat  er  ja  wohl  auch  ein  böses  und  ver- 
urteilendes xaxtög  hinzugefügt,  ja  sich  sogar  einmal  zu  einem  yeloioy 
verstiegen  (iV423),  aber  dafür  hat  er  auch  wieder  an  anderen  Stellen 
mit  seinem  Lobe  nicht  gespart.  Dieselben  verdienen  daher  unsere  be- 
sondere Beachtung.     So   meint  er  zu  *  70 

tos  i<pct[iT)v  [lahxxoiot  xa&anrofitvog,  ineeoaiv 

wo  Zenodot  „uahr/.ohin'  äfi6ißofi$VOfiu  schrieb:  aal  hui  /a^iHirarr}  fj 
yycKp/j-  od  zathaTiTerai  yay  avrov,  dk'/C  Ixtrsvet,  Mit  einem  solchen  Schüler- 
urteile meinte  der  „grosse"  Grammatiker  die  Sache  abgetan:  und  der 
soll  eine  Ahnung  gehabt  haben  von  der  conservativen  und  bedeutenden 
Kritik  Aristarch's?  Der  letztere,  welcher  das  xa&dmousvog  gewiss  in 
seinen  maassgebenden  Handschriften  fand  und  darum  ganz  natürlich  vor 
einer  Aenderung  zurückscheute,  hatte  xattamouai  bei  Homer  als  eine 
vox  mediae  significationis  statuirt.  Cf.  Carnuth  (3  39  Note  und  /  345.  In 
der  späteren  Zeit  wird  aber  xccftanreaftat  fast  immer  int  xaxov  gebraucht 
und  von  dieser  falschen  Voraussetzung  ausgehend  änderte  Zenodot  nicht 
bloss  an  *  70,  sondern  auch,  wie  wir  hier  sicher  vermuten  dürfen,  auch 
an  anderen  Stellen  und  eine  solche  durch  und  durch  unzulässige  Aender- 
ung nennt  der  heilige  Didymus  gar  noch  eine  %a  yt  tmaTi]  yyacprj. 

Ü  306   307 

Todfos  dt  TiQomvipai'  äohkttg,   fjQ/t  fr&fp  "Extloq 

uaxya   ßiftcu 

85* 


658 

hat  aus  irgend  einem  Grunde  (/'  2  ff?)  dem  Zenodot  missfallen  und  er 
schreibt  dafür  naxod  ßoiui'.  Aus  dem  Zusammenhange  (nQovcvii'av)  erkennt 
man  jedoch  klar,  dass  ßißdg  das  einzig  richtige  und  mögliche  ist.  Aber 
diesmal  müssen  wir  uns  beugen  vor  dem  Genie  des  Didymus;  derselbe 
empfiehlt  das  ßoiuv  mit  den  Worten:  intl  xeti  igrjg  tprjoiv  „enl  d'awog 
ävoe  fuaXa  utya"  (321).  Als  ich  dieses  las,  habe  ich  mir  an  den  Kopf 
gegriffen.  Was  heisst  denn  avrog  an  der  angeführten  Stelle?  Verstand 
Didymus  am  Ende  gar  darunter  den  Hektor?  Das  wäre  wirklich  ein 
starkes  Stück!  Oder  soll  nur  ein  entsprechender  Parallelismus  der  Dar- 
stellung hergestellt  werden?  Ich  weiss  es  nicht.  Nur  soviel  ist  klar, 
dass  eine  unzulässige  Lesart  mit  einem  solchen  Citate  zu  stützen,  ein 
Unsinn  ist. 

Anerkanntermaassen  ist  eine  der  grössten  Sünden,  die  Zenodot  be- 
gangen, sein  Hang,  die  angeblichen  dnotnfj  im  Homer  durch  Athetesen 
zu  entfernen.  Aus  diesem  Grunde  mussten  auch  /7  667 — 683  fallen.  An 
vielen  Stellen  hat  Aristarch  gegen  diese  falsche  und  im  Homer  durchaus 
unberechtigte  Auffassung  protestirt.  Aber  für  einen  Kopf  wie  Didymus 
hat  der  grosse  Philologe  vergeblich  gelebt.  Man  lese  allen  Ernstes: 
jlltjtiots  dt  Zf]vodorog  uyß-ojg  fjd-fri]ze  rovrovg'  nayaXoyov  yay  rov  dntvd-i) 
Toiavra  diaxovtloß-ai. 

Ein  arges  Armutszeugniss  desselben  müssen  wir  auch  P  149  con- 
statiren : 

nojg  xt  ov  yvtioova  (purra  aacontiag  jLitd3  ojluXov 

dazu  lesen  wir:  did  rov  v  »fitd3  oluiXovu.  napa  dt  ZrjvodoTOj  „jutf}'  o/ul- 
Xovu,  xal  Xoyov  t/ji,  avxi  xov  e'gio  6/liiXov.  Aendert  man  und  liest  mit 
Lud  wich :  did  xov  v  „/utfr'  o/uiXovu  xal  Xoyov  tyti ,  avxi  xov  t§vo  bulXov. 
nayd  dt  Zrjvodoxqj  niut&'  ouiXov",  so  ist  es  doch  auch  unerhört,  dass  das 
juttf  ofiiXov  durch  i§0)  erklärt  werden  sollte.  Lässt  man  die  Worte  in 
unveränderter  Stellung,  so  zeugen  sie  wieder  gegen  die  Auffassung  des 
Didymus.  Zenodot  hat  ja  bekanntlich  gar  keine  Erklärung  gegeben, 
wenn  er  aber  ued3  b^iiXov  schrieb,  so  kann  er  es  doch  kaum  anders  er- 
klärt haben  als  „mit  einem  Heerhaufen"  „cum  tuo  agmine",  wie  es 
Spitzner  genommen. 


659 

O  342   wird  von  Paris  gesagt,  der  den  Deiochos  getroffen: 
(pevyovr'  iv  Troofia/oiai,   dtä  tiqo  dt  %akxbv   eXaooev 

Hiezu  ist  die  Bemerkung  erhalten  ztveg  niv  Tivudrotot".    Wenn  man  nur 
wüsste,  wer  die  nveg  sind.     Aber  Ehre  macht  es  dem  Didymus,  und  er 
könnte  wirklich  die  Empfehlung  einer    so    unerhört  dummen  Aenderung 
geschrieben  haben:  xal  olxelov  jovto  Fla^idi. 
Zu   V461 

eßkaßtv  iv  nedicp,  ai  xelot  yt  (ptyreyai  rjoav 

hat    sich  doch    auch    kein  Mensch  von  seiner  Weisheit  imponiren  lassen, 
die    sich    in    folgenden  Worten    vernehmen    lässt:    Ztjvo&ozos   xal  'Aoioto- 
(pavrjs   „dl  xel&i  ytu.     xal  tortv  äva'koyuntQov. 
Dass  -2  492 

vv/ucpag  <Fex  ß-aldjuwy  datdatv  vno  Xa/LinojutyaLov 

riyivtov  ava  ärsTV 

die  Lesart  Zenodot's  „eg  &akduovgu  von  dem  Brauche  der  späteren  Zeit 
diktirt  und  ungehörig  in  den  homerischen  Text  eingeführt  wurde,  hat 
man  längst  erkannt,  trotz  der  weisen  Bemerkung  des  %aXxtyTs ()ug :  xal 
mj.iv  ovx  ani&avog  f)  VQCUpq. 

Und  so  wird  man  sich  auch  noch  lange  besinnen,  die  Lesarten  Zeno- 
dot's .£499 

dvo  frävdfjtg  tvtixmv   h'ivtxc.  noivr\g 

avdobg  äno(p&itutvov 

wo  er   »anoxjautvov  und  ^565 

xaaaiTtQov  ■  /nia  d'öXrj  äjagntjog  fjey  irf  avjrjv 

wo  er  „tg  avjt]vu  las,  auf  die  Empfehlung  des  Didymus  hin  in  den  Text 
zu  setzen.  Bei  der  ersteren  heisst  es  bei  ihm  .  .  .  xal  iv  jaig  nleiazaig. 
xal  sOTiv  ovx  anl&avog  f}  yyacprj  und  bei  der  zweiten  meint  er  xal  s%€i 
loyov  7]  y(ja(prj.  Eines  aber  ist  vor  Allem  klar,  dass  Didymus  unmöglich  so 
urteilen  konnte,  wenn  er  einen  genauen  Einblick  in  das  gegenseitige  Ver- 
hältniss  der  kritischen  Methode  der  beiden  Grammatiker  gehabt  hätte. 
Davon  ist  an  allen  diesen  Stellen  aber  auch  keine  Spur,  sondern  das 
gerade  Gegenteil.  Hält  man  nun  diese  Urteile  zusammen  mit  denen,  die 
ich   in  meinem  Aufsatze  „Zu  Aristarch   und  den  Aristonicusscholien  der 


660 

Odyssee"  (Blätter  f.  d.  bayr.  Gymnasialsch.  XXI  p.  273—280,  390  ff.)  ver- 
öffentlicht habe,  dann  kann  ich  allerdings  nicht  in  das  alte  Lied  von 
der  diligentia,  subtilitas,  doctrina  des  Didymus  einstimmen,  werde  aber 
kaum  mehr  die  Zeit  erleben,  wo  man  sich  eingesteht,  von  wem  man  sich 
hat  eigentlich  imponiren  lassen. 

Auch  noch  in  einem  zweiten  Punkte,  der  oben  schon  teilweise  be- 
rührt worden  ist,  contrastirt  Didymus  ziemlich  scharf  mit  Aristonicus, 
indem  er  stellenweise  nur  mit  einer  gewissen  Vorsicht 
und  Behutsamkeit  die  Lesarten  des  Zenodot  mitteilt.  So 
A  97  .  .  .  wiztr  ovr  it  i-ihijc  X^i'ixhirov  tlrai  rj  „ovo*  oys  7i()lv  '/.oiuolo 
ßagnag  /tlpcr*,*  a(pei€iu  J  3  oi  <5V  ipaat  Zr\}>odoTfiov  tlvai  ttjv  yQa<ftr(V.  Ist 
diese  Vorsicht  von  einer  gewissen  Kritik,  die  ja  durch  das  vorliegende 
Material  geboten  schien,  diktirt,  so  ist  sie  nur  zu  loben,  hat  er  sich  aber 
durch  sekundäre  und  inferiore  Quellen  zu  dieser  Unbestimmtheit  verleiten 
lassen,  wie  in  dem  oben  angeführten  Falle  pag.  649,  dann  war  sie  über- 
flüssig und  durchaus  nicht  angebracht. 

Als  letzter  bemerkenswerther  Unterschied  der  beiden  Quellen  sei 
noch  der  folgende  hervorgehoben :  Während  Aristonicus  auch 
nicht  an  einer  einzigen  Stelle  irgend  ein  Urteil  oder  Aus- 
spruch des  Zenodot  zu  citiren  weiss,  ist  Didymus  glück- 
licher und  weiss  sogar  direkte  Zeugnisse  desselben  bei- 
zubringen. 

Allerdings  geschieht  das  nicht  häufig;  aber  man  ist  doch  überrascht 
bei  ihm  zu  lesen  IT  667  fj&hst  Zijvo&aros,  ärojiov  yag  cprjai  (?)  tov 
antvd^i  roiavxa  äicaeoveZy.  Befremdlich  klingen  auch  die  letzten  Worte 
-^39:  o  tujv  NriQrjidiov  /oyog  (39 — 49)  nyorjd-trrßcu  xal  Tra^u  Zr)vofioi:<p, 
ws  cHo todei ov  b^idv  xayaxifjya.  Aber  gern  wollen  wir  zugeben, 
dass  das  vielleicht  auf  die  Schuld  der  Abschreiber  zu  setzen  ist,  so  gut 
wie  bei  den  Scholien  des  Aristonicus  ^353  ry  13  #22  23,  über  die  man 
jetzt  Ludwich  vergleichen  kann.  Anderes  derart  erklärt  sich  wieder 
leicht  aus  einem  Missverständniss,  wie  der  Bericht  des  Eustathius  H  475 
bei  Lud  wich4). 


4)  Bei  Aristonicus  würde  £  256  eine  einzige  Ausnahme  machen,  wenn  man  mit  M.  Schmidt 
statt   ini  nvüiv  entTcfiuit'  lesen  würde.     Ich  kann  mich  nicht  genug  wundern,  dass  diese  falsche 


661 

Also  die  Auszüge  aus  den  Werken  dieser  beiden  Grammatiker  sind 
unsere  Hauptquelle  für  die  Darstellung  der  Leistungen  Zenodot's.  Einige 
markante  Unterschiede  glaube  ich  im  Vorausgehenden  genugsam  hervor- 
gehoben zu  haben.  Doch  muss  hier  noch  eines  weiteren  sehr  bedeutenden 
Umstandes  gedacht  werden,  der  die  Beurteilung  der  Arbeit  Zenodot's 
manchmal  sehr  schwierig  macht.  Wie  hat  man  sich  nämlich  zu  ent- 
scheiden, wenn  Aristonicus  und  Didymus  in  ihren  Berichten  sich  direkt 
widersprechen?  Zum  Glück  tritt  der  Fall  nicht  gar  zu  häufig  ein;  doch 
liegt  ein  eklatanter  Widerspruch  an  einigen  Stellen  vor  und  kann  da 
kaum  durch  Emendation  entfernt  werden.  So  £734-736,  wo  von  Ari- 
stonicus bemerkt  ist:  oi  doTtyiazoi.  ort  ivravda  f/Uv  xahug  ztlrrat,  ev  r)V 
i ft  xo'/m)  iM'/ii  ((')  385)  fiij&t/itäg  cpaivounn^  ftQiOTeiag  ov  (?*wtcü>.  6  &i 
Zt)voÜotoq  lovrovg  juh'  äfhTti,  ixeivovg  (5V  xatateinei  .  .  .  Verschieden 
davon  ist  nun  das  Urteil  des  Didymus  zu  0  385 — 387  .  .  .  tföhei  (57 
aal  !A()ifJTO(partl>-'  ZTjvodarog  <)V  ovo*  fy(MX(pev.  Auf  Grund  dieser  Nachricht 
vermutete  Ludwich  und  man  kann  ja  auch  sehr  leicht  darauf  kommen, 
im  Scholion  des  Aristonicus  sei  .ic/Qa).n.in  zu  schreiben  für  xaraUinti. 
Dagegen  muss  man  sich  aber  immer  vorhalten,  wie  auch  anderwärts 
Widersprüche  zwischen  den  beiden  Grammatikern  sich  finden ,  die  un- 
möglich durch  Emendation  entfernt  werden  dürfen,  sodann  bildet  aber 
doch    das    d'hrsl    und    nayafaijjtt    kaum    einen    richtigen  Gegensatz,    gar 


Conjectur  auch  von  Ludwich  aufgenommen  wurde.  Die  Sache  verhält  sich  nämlich  gewiss  ganz 
anders.     Zu  dem  Verse 

naryog  ifiov   ngog  dw/ucc  da'i'cpgofog 

bemerkt  nämlich  Aristonicus:  ön  iv  nävt  qpe'(>fr«<  „e^of",  u\X  ovx.  „e/Aev*.  bfiivg  ini  tiviop <&t*p4- 
doxog  ini  tu  xtigov  utTari&rjni.  Nach  dem  Berichte  des  Didymus  las  nun  Aristarch  £"118  nttQiog 
s'fioio  naziJQ,  Zenodot  natgog  eptio  nairjQ,  Aristarch  Ü  486  fivijoai  naigog  ooio,  Zenodot  firrjoai 
natgog  atio,  ebenso  <T  290  Aristarch  nargog  ifxoio,  Zenodot  dagegen  natgog  tpeio.  Beachtet  man 
nun  die  von  Aristonicus  hier  versuchte  Argumentation,  so  sagt  er  doch  genau  nur  das  folgende: 
In  allen  Ausgaben,  auch  in  der  Zenodot's  steht  £  256  ganz  richtig  ifiov,  das  Pronom.  possessivum, 
das  Aristarch,  wie  es  scheint,  Zenodot  gegenüber  an  vielen  Stellen  festhielt,  auch  Zenodot  las 
hier  nicht  sein  sonst  übliches  Sfitio,  gar  nicht  zu  reden  von  t'f*tv,  das  Aristonicus  mit  den  Worten 
«W  ovx  „^utt)"  ganz  direkt  abweist.  Wenn  nun  —  so  ist  doch  der  Gedankengang  desselben  — 
die  Schreibweise  des  Zenodot  an  den  anderen  Stellen  berechtigt  wäre,  so  müsste  er  auch  hier  der 
Consequenz  wegen  t'/utv  lesen,  da  iptio  gar  nicht  in  den  Vers  geht.  Darum  kann  er  streng  logisch 
nur  fortfahren  ö/*<og  int  uviuv,  „ dennoch  ändert  Zenodot  an  einigen  Stellen".  Und  wie  sollte 
denn  Aristonicus  das  „an  einigen  Stellen"  anders  ausdrücken,  als  auf  die  angegebene  Weise  ?  oder 
höchstens  ini  n<u\  Es  ist  nichts  anderes,  als  eine  Schlagstelle,  die  gegen  Zenodot  ins  Feld  geführt 
wird,  wie  so  oft  bei  Aristonicus,  cf.  Ludwich  T,  p.  178,  25  ff. 


662 

nicht  zu  gedenken  des  wichtigen  Umstandes,  dass  naQatelnei  in  den 
Scholien  schwer  nachweisbar,  zuletzt  aber  das  allergewichtigste  Bedenken, 
dass  eben  Aristarch  auch  anderwärts,  wie  wir  sehen  werden,  in  der 
Kritik  der  dupoQovfievoi  von  seinem  Vorgänger  abweicht,  Gründe  genug, 
die  uns  TiayakeiTiti  bedenklich  erscheinen  lassen.  Allerdings  ist  und  bleibt 
es  schwer  zu  entscheiden,  wer  uns  hier  die  richtige  Ueberlieferung  bietet; 
ein  sicheres  und  bestimmtes  Urteil  wird  erst  eine  genaue  Untersuchung 
über  die  wiederkehrenden  Verse  ermöglichen. 

Aber  das  schwierigste  und  ein  fast  unlösbares  Problem  in  einer  Unter- 
suchung über  Zenodot's  Homerrecension  ist  und  bleibt  wohl  immer  die 
Handschriftenfrage.  Sind  wir  ja  doch  nicht  einmal  über  den  Bestand 
seines  kritischen  Apparates  in  hinreichender  Weise  unterrichtet,  ganz 
abgesehen  von  dem  anderen  hochwichtigen  Umstand,  dass  wir  über  das 
Alter  der  etwa  von  ihm  benützten  Handschriften  gar  nichts  oder  soviel 
wie  gar  nichts  wissen.  Auch  ein  anderer  Ausweg,  aus  den  sammtlichen 
bei  den  griechischen  Klassikern  vor  Zenodot  erscheinenden  Citaten  durch 
Vergleich  den  Wert  oder  Unwert  seiner  Ausgabe  zu  ermitteln,  erweist 
sich  insofern  als  trügerisch,  als  die  meisten  Citate  bei  den  Klassikern  aus 
dem  Gedächtnisse  gemacht  zu  sein  scheinen  und  demnach  kaum  ein  stich- 
haltiges Urteil  auf  die  Güte  des  ihnen  vorliegenden  Textes  gestatten.  So 
sind  wir  also  hier  so  ziemlich  durchaus  auf  das  schwankende  und  trügerische 
Gebiet  der  Vermutungen  gewiesen  und  seit  den  Zeiten  von  Fr.  A.  Wolf 
ist  man  auch  gar  nicht  sparsam  damit  gewesen.  Wir  verzichten  daher  von 
vornherein,  aus  einigen  kurzen  Notizen  bei  Didymus  den  eventuellen  Be- 
stand seines  kritischen  Apparates  zu  reconstruiren  und  wenden  uns  lieber 
einmal  den  Varianten  zu,  wie  sie  in  den  Ausgaben  xaia  noleig  uns  über- 
liefert werden.  Ja  wie  klingen  doch  diese  Namen  wie  fj  Ma.aoahujTiy.ri, 
t)  3A(tyoXtxTj  etc.  durch  die  Weihe  der  Jahrhunderte  empfohlen  heilig  und 
ehrwürdig,  wenn  man  sie  in  laienhafter  Unschuld  zum  ersten  Male  in 
seinem  Leben  hört.  Wie  würde  —  so  ruft  man  sofort  —  unsere  heutige 
Philologie  diese  heiligen  Urzeugen  für  den  homerischen  Text  ausgeforscht 
und  ausgenützt  haben!  Sieht  man  aber  ihre  Aussprüche  etwas  genauer 
an,  so  verschwindet  der  Respekt,  den  das  Unbekannte  in  der  Regel  her- 
vorbringt: insbesondere  aber  kommt,  je  länger  man  sich  mit  denselben 
beschäftigt,  der  Glaube  an  ihr  ehrwürdiges  Alter  immer  mehr  und  mehr 


663 

ins  Wanken;    und  die  Urteile  der  Alten,    die    wir    hin   und  wieder  über 
dieselben    lesen,    sind    auch    nicht   derart,   dass   sie   den   ins  Wanken   ge- 
kommenen Glauben  wieder  aufrichten  könnten. 
So  lesen  wir  heute  in  unserem  Texte  N  363 

nkpi's  yd(j  'Oftyvovfja   Kaßrpu&tv   svoov   eovra. 

Wir  sind  über  den  Vers  vollständig  im  Klaren,  nur  können  wir  nicht 
näher  bestimmen,  wo  nach  Homer  die  Stadt  Kabesos  zu  suchen  ist.  Aber 
da  kommt  uns  zur  rechten  Zeit  die  'A^yolixi)  zu  Hilfe,  jene  Ausgabe,  die 
/' 51   bei  Didymus  neben  den  ya^itniarai  genannt  ist  und  liest: 

TiMpvt  ya(j  '(JftQvoi'fja  'ExaßrjQ   vo&ov   vibv  hovra 

Da  brauchen  wir  also  Kabesos  nicht  mehr  länger  zu  suchen  —  es 
ist  glücklich  entfernt,  ganz  ähnlich,  wie  unsere  librarii  unverständliche 
Eigennamen  entweder  bis  zur  Unkenntlichkeit  entstellen  oder  einfach  ganz 
weglassen;  denn  um  kein  Haar  besser  ist  dieses  Prachtstück  von  einer 
Variante!  Um  von  andern  sehr  gewichtigen  Dingen  zu  schweigen,  wenn 
Homer  in  dem  gleich  darauf  folgenden  Verse  von  Othryoneus  sagt 

os  (>t<   v£ov   tiqXb/mho    und  y.'ktog  ti'krfkov&ei 

so  wird  doch  jeder  so  vernünftig  sein  und  fragen,  ja  woher  ist  er  denn 
gekommen?  Das  musste  der  Dichter  sagen  und  das  hat  er  auch  gesagt 
KaßrjOoSsy  evöov  Unna.  Das  und  nichts  anderes!  Und  wie  urteilten  die 
Alten  über  diese  Lesart:  xal  rd/a  av  urt  dudyrrjiia  zar'  äyvoictv  Ttjg 
Kaßijoov. 

So  bieten  die  Städteausgaben  zu  den  Versen  </>  454  X  45 
ftrjOttv,  xal  7if(jacxv  vr\awv  fjii  Tijkeoajiawv 

die  Variante:  Prjotop  tm  ft  fj/.vr  e  ydwr.  Dieselbe  klang  Lehrs  so  diu  um 
und  unverständlich,  dass  er  fragend  rrjli •u-ticiujy  vermutete.  Aber  sie  muss 
gewiss  mit  Ludwich  gehalten  werden  und  Kallimachus  scheint  am  Ende 
etwas  Aehnliches  gefunden  zu  haben;  denn  wir  lesen  bei  ihm  frijlvzaror 
ntdiov.  Schon  die  Alten  haben  sich  vergeblich  über  das  itrilvreycum' 
den  Kopf  zerbrochen.  Eine  Vermutung  derselben  ging  dahin  dia  ru 
Ar\uv()v  xal  "fußQov  vnh  ih}i6idh>  ßaoiXevto&ai.  Demnach  wäre  eine 
spätere  und  dem  Homer  durchaus  unbekannte  mythologische  Version  in 
den  Text  hineingetragen  worden,    ähnlich    wie  Zenodot    vielleicht  gerade 

M.h.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  III.  Abth.  86 


664 

hier  auf  Handschriften  fussend  den  Orestes  zu  seinem  Rächeramte  nicht 
mit  dem  Dichter  aus  Athen,  sondern  nach  den  Späteren  a\p  an  6  <£>toxi'juj}' 
erscheinen  lässt  y  307.  Richtig  ist  dagegen  auch  von  den  Alten  bemerkt: 
du?  ovx  slg  Tavrag  fiovov  inw'kovrTo.  Eine  zweite  etwas  stichhaltigere 
Vermutung  derselben  fasst  das  &r]'kvTeQdiov  als  svyeiütv;  vortrefflich  ist 
nun  dieser  Auffassung  die  homerische  Vorstellung  von  der  Unfruchtbar- 
keit der  Inseln  entgegengehalten:  dlV  »ov  rig  [ou  yay  Tig  (T  607]  vrpHav 
in7ir)X(XTog  ovo1  evkeiuujv  "  Dennoch  werden  sie  es  kaum  anders  als  so 
verstanden  haben  und  heranziehen  kann  man  höchstens  nur  Srjlvs  ifgaij 
(«  467). 

Eine  der  allermerk  würdigsten  Nachrichten  hören  wir  über  die  Aus- 
gabe von  Argos  zu  er  424,   wo  es  von  den  Freiern  heisst: 

dr)  tot«  xmaeeiovtts  tßav  olxov  <)Y  ÜxtutTog. 

Dazu  lautet  das  Scholion:  s'vioi  „dr)  tot«  xoiiirjoavTo  xai  vnvov  $äi(fdv 
tkovTo" .  jLu-raTwiTjS-rjvai  öV  (paaiv  vjjo  'AyiöToipavovg  xbv  arl%ov.  sv  JV  /// 
'ÄQyolixfi  77 QooTtfrtnai.  Schon  längst  hatte  ich  mir  in  meiner  Ausgabe 
die  Sache  ebenso  zurecht  gelegt,  wie  jetzt  Ludwich.  Aristophanes  muss 
die  Vulgata  di)  tot*  xaxxtlovTeg  —  i'xaaTog  umgeändert  haben  in  0*17  tot? 
xouu'iaavTo  xai  vnvov  dwyov  ilovTo  und  dabei  ging  er  wohl  von  der  Vor- 
stellung aus,  dass  man  von  den  Freiern,  die  auch  auf  den  umliegenden 
Inseln  wohnten,  nicht  wohl  annehmen  könne,  dass  sie  jeden  Abend  nach 
Hause  fuhren,  mindestens  hätte  der  Dichter  erwähnen  müssen,  dass  sie 
in  die  Stadt  gingen,  wie  ß  397.  Gegen  diese  Annahme  sind  nun  ver- 
schiedene Diplen  gerichtet  wie  ß  397 

ol  (Vsvdeiv  wqvvvto  xaxa  mo'kiv 

ort  ovx  iv  Tfj  '(Jdvaatujg  olxla  ixoiiiwvTo.  Die  Worte  aber  sv  t/)  'Ayyokixfj 
nyoGTt&snai  können  doch  kaum  anders  heissen  als  „in  der  argolischen 
Ausgabe  ist  der  tisTanoiri&tig  axiyog  hinzugesetzt".  Aber  da  werden  wir 
ja  zu  ganz  eigentümlichen  Schlüssen  geführt.  Demnach  müssen  doch 
diese  Ausgaben  der  alexandrinischen  Philologen  rasch  in  Griechenland 
Ruf  bekommen  haben.  In  Städten,  die  schon  Exemplare  aus  früherer 
Zeit  hatten,  beeilte  man  sich,  davon  Abschriften  nehmen  zu  lassen  oder 
die  eigenen  Exemplare  darnach  zu  revidiren?  Ferner  ist  doch  höchst 
bezeichnend,  dass  man  in  der  Ausgabe  nicht  den  alten  guten  Vulgärtext 


665 

entfernte,  als  man  eine  Revision  vornahm,  sondern  den  von  Aristophanes 
umgebildeten  Vers  beischrieb.  Also  müssen  sie  doch  2  Verse  gelesen 
haben,  etwa,  wie  Ludwich  p.  518  die  Sache  angenommen  hat?  Oder  kann 
man  Tiyomtfrsirat  vom  Räude  verstehen?  Was  hätte  aber  Aristophanes 
zu  diesem  Verfahren  gesagt,  das  seinem  Gedanken  durchaus  nicht  gerecht 
wurde?  Mögen  darüber  scharfsinnigere  Köpfe  entscheiden:  ich  vermag, 
wie  ich  die  Sache  auch  wende,  aus  diesem  Berichte,  wenn  er  anders 
authentisch  und  unanfechtbar  ist,  nicht  herauszulesen,  dass  diese  Aus- 
gabe durch  besondere  Qualitäten  oder  durch  ihr  hohes  Alter  empfohlen 
wird. 

Damit  möchte  ich  nun  noch  eine  andere  Variante  zusammenstellen, 
die  zu  Li  30  erhalten  ist: 

tt\v  frjjvrjif  T[  oi  7io(jf   uayh)aTuvi]v  akhytivr\v 

Dazu  ist  nun  von  Didymus  folgendes  überliefert:  ncttf  'AQiözoyävei  xai 
riai  Tiöv  nohir/Aur  „//  oi  y.tyauiouh'a  duj(/  dro/urpe*.  Wenn  die  Nach- 
richt also  zu  a  424  richtig  ist,  so  dürfte  unter  den  nokxtxcU  sicherlich 
auch  die  'Ayyohxri  gewesen  sein;  denn  wie  es  scheint,  ist  sie  auch  hier 
wieder  dem  Aristophanes  gefolgt.  Nimmt  man  aber  das  umgekehrte  Ver- 
hältniss  an  und  folgte  Aristophanes  der  Aoyolixrj,  so  wäre  schon  in  dieser 
Ausgabe  das  anstössige  Wort  entweder  entfernt  worden  oder  hätte  viel- 
leicht von  Anfang  an  gar  nicht  darin  gestanden.  Wäre  die  letztere  An- 
nahme zutreffend .  dann  bleibt  schwer  zu  erklären .  dass  sich  Aristarch 
dabei  nicht  beruhigt  hat.  Daher  kann  er  dieser  Ausgabe  kaum  einen 
bedeutenden  Wert  für  die  Gestaltung  des  Textes  zugesprochen  haben. 
Wenn  man  bedenkt,  wie  tief  und  lebhaft  Homer  die  Tier-  und 
Menschenwelt  erfasst  und  schildert  und  wie  oft  wechselseitige  Uebertrag- 
ungen  von  einer  in  die  andere  stattfinden,  da  wird  man  doch  gegenüber 
dem  Verse  LI  82 

(■'(jyjrcu   ajuTjOTfjOiv  faf  lyS-voi   xf/fja  cptyovöa 

die  Lesart  der  tvtai.  tujv  xona  noleig  „tVr'  ly&vGi  nfjjua  (ptyovaa"  durchaus 
matt  und  unzutreffend  finden  müssen. 

Die  bisher  besprochenen  Varianten  können  kaum  ein  günstiges  Urteil 
erwecken  weder  für  den  Wert  noch  für  das  Alter  dieser  Städteausgaben 
und  wenn  wir  einige  andere  significante  Abweichungen  von  der  Vulgata 

86* 


666 

in  den  Ausgaben  von  Massilia  oder  Chios  einer  genaueren  Prüfung  unter- 
ziehen, so  wird  man  unwillkürlich  viel  mehr  zu  der  Vermutung  gedrängt, 
dass  wirkliche  oder  vermeintliche  Philologen  bei  der  Fabricirung  derselben 
Pathen  gewesen,  als  dass  sich  dieselben  durch  ungekünstelte  Ursprüng- 
lichkeit und  würdig  durch  die  Weihe  des  Alters  einführen. 

So  wird  die  Ausgabe  von  Massilia  von  Didymus  29  mal  erwähnt, 
aber  nur  in  5  oder  6  Fällen,  in  welchen  durchaus  keine  bezeichnenden 
Verschiedenheiten  in  Frage  stehen,  ist  Aristarch  ihr  gefolgt.  Die  Ab- 
weichungen von  unserem  heutigen  Texte  sind  an  manchen  Stellen  be- 
deutend, wie  B  865  Jvyairj  ).mr>,  77  59  jieravdaTiv  127  syiorjr  JT  502 
äucpoTtyototv  inoinvvov  etc.,  und  doch  haben  sich  von  jeher  die  Heraus- 
geber der  Ilias  gesträubt,  mit  solchen  Lesarten  ihren  Text  zu  zieren. 
Leider  lassen  sich,  soviel  ich  bis  jetzt  sehe,  nur  3  Stellen  für  unsere 
Frage  verwerten  12  304   T  76  77    W  870. 

Könnte  also  dieser  Ausgabe  von  Massilia  vermöge  ihres  hohen  Alters 
ein  ganz  besonderer  Wert  zugesprochen  werden,  dann  müssten  die  alexan- 
drinischen  Kritiker,  dann  müssten  unsere  Handschriften,  dann  müssten  die 
Versuche  der  modernen  Philologie  vollständig  schweigen  und  wir  hätten 
nichts  zu  thun,  als  die  Erlösung,  welche  uns  diese  Ausgabe  gebracht, 
dankbarlichst  anzuerkennen.  Untersuchen  wir  demnach  einmal  die  Variante 
derselben  zu  12  304 

Xeyvtßov  diupinoXog  7iQo%oov   ffidfia  ye^alv   e'^ovaa 

der  Vers  wurde  bekanntlich  von  Aristarch  athetirt  und  Aristonicus  be- 
richtet uns:  d&tTsiT.ai  </zi  Jiaya  tu  avvri&tg  aiTW  xeyv i ß ov  ro  dyyüov 
to  VTiod £%6utvov  to  vdo)(j,  wg  faltig'  tovto  J7  aviog  tiuj&e  xalelv  lißrjra, 
to  dt  xard  tujv  yjifjojy  didb/iievov  vdiuy  ytovißa.  Statt  der  Vulgata  bietet 
aber  die  Ausgabe  von  Massilia  einen  ganz  anderen  Text: 

yjyvißa.  diupinoXog  rauirj  juerd  ysoalv  8%ovoa 

So  hätten  wir  also  einen  alten  ehrwürdigen  Zeugen!  Lassen  wir  also 
unsere  anderen  Zeugnisse  bei  Seite  und  sehen  einmal  diesem  etwas  ge- 
nauer ins  Gesicht:  ich  fürchte,  seine  Bürgschaft  dürfte  nicht  allzuhoch 
anzuschlagen  sein.  Es  ist  demnach  hier  ein  Anstoss  entfernt,  der  in 
yjqvißov  als  axsvog  liegt  und  an  dessen  Stelle  ytQvißa  gesetzt  in  dem 
Sinne,  wie  es  sonst  bei  Homer  vorkommt  to  xard  tujv  yeiQcjv  dido/usrov 


667 

vdwfy  also  das  Händewaschwasser.  Leider  ist  dieser  Versuch  durch  und 
durch  unbrauchbar  und  verstösst  in  eklatanter  Weise  gegen  die  anschau- 
liche Plastik  der  homerischen  Schilderung,  und  darum  dürfen  und  müssen 
wir  in  demselben  durchaus  nicht  eine  Variante  erkennen,  die  aus  reiner 
uralter  Ueberlieferung  stammt,  sondern  es  scheint  der  missglückte  Versuch 
eines  philologunculus ,  der  auf  diese  unzulässige  und  unglückliche  Weise 
den  Dichter  mit  sich  in  Uebereinstimmung  bringen  wollte.  Einen  solchen 
Versuch  dürfen  wir  kaum  zu  weit  zurückdatiren,  dieser  Variante  wenigstens 
kann  schwerlich  das  Gepräge  ungesuchter  und  ungekünstelter  Ursprüng- 
lichkeit zugesprochen  werden.  Reicht  aber  die  Ausgabe  weit  über  Zeno- 
dot  und  die  Alexandriner  hinauf,  dann  ist  eben  nur  zu  constatiren,  dass 
wir  die  ersten  philologischen  Versuche  in  ihr  zu  erkennen  haben,  die 
darum  aber  auch  einer  ganz  besonders  genauen  Prüfung  zu  unterziehen  sind. 
So  hat  man  auch  an  einer  anderen  Stelle  diesem  Zeugen  kein  Gehör 
geschenkt,    wo  die  Vulgata  einen   ganz  anderen  Text  aufweist    7' 76  77: 

roloi  d*  xal  /uerhinev  äva'S  ävdyur  'AyajUBjLivwv 

ai)T.o&ev  e§  ed()T]g  ovfr  tv  tutaaoioit'  avaarag 
dafür  bietet  nun  die  Ausgabe  von  Massilia: 

zolai  tfaviOTautvog  utrtifjt]  xytluov  jiyafispywy 

jufjyiv  ävaorsvaxwv   xal  vq?  tlxeog  akyta  naa%u)v 

Nach  meinem  Gefühle  sind  die  Worte  unseres  Textes  der  Situation 
vollständig  entsprechend.  Nur  leere  Allgemeinheiten  und  sonst  gar  nichts 
kann  ich  dagegen  in  den  Worten  der  Ausgabe  von  Massilia  finden,  ganz 
abgesehen  von  dem  wichtigen  Umstände,  dass  sie  die  Anfangsworte  der 
Rede  ihrer  guten  Beziehung  berauben  dio  imcptyei  vnoTiuiofisi'og ,  xaXbv 
fitr  tcsriv  tartura  driprjfyoQ&v,  wg  d^Xovott  xa&rjfitvoQ.  Hat  man  am  Ende 
gar  ein  angenfg  entfernen  wollen,  wie  in  der  Chia   T  96? 

Mehr  Anspruch  auf  Originalität  könnte  vielleicht  die  Ausgabe  bean- 
spruchen zu   W  870,  dort  lesen  wir  heute  in  unserem  Texte: 

G7i£Q%ujjievog  ffäya   MqffioVTjg  tzeiyvoe  xtiyög 

to^ov  '   dra(j  (Jrj  uioröv  t%ev  nakai  wg  X&vvev 
wozu  dieselbe  die  Variante  bietet: 

ontQx outvog  d'apa   Mrj()i6v7]g  mi&r\y.a.T>  olaxov 

t.o§u)  '   ev  yay  naoiv  e%ev  nakai,   a>g  Xd-vvsv 


668 

Für  uäair  bieten  andere  Codd.  /fpaiv,  aber  am  Ende  lässt  sich  das 
naoiv  doch  halten  „vor  allen,  vor  aller  Augen"?  Mögen  nun  auch  die 
Varianten  zu  dieser  ganzen  Stelle  aus  alter  Ueberlieferung  geflossen 
sein;  aber  an  Vorzüglichkeit  steht  diese  Gestaltung  des  Textes  der  von 
Aristarch  gewählten  weit  nach  eneiyousvov  ßovXsrai  rbv  Mr\Qibvitv  tzonaoai 
rfjg  rov  Tevxpov  yjtybg  to  to^ov.  Und  da  ist  am  Ende  das  i&iyvoF,  was 
Anstoss  erregte  und  auf  die  angegebene  Weise  entfernt  wurde. 

Der  1 3  mal  von  Didymus  erwähnten  Ausgabe  von  Chios  ist  Aristarch 
nicht  ein  einzigesmal  gefolgt.  Ueberblicken  wir  die  bezeichnenderen 
Varianten,  die  hier  in  Frage  kommen  können,  so  bemerken  wir  einmal 
zunächst  an  2  Stellen-  ein  acuftanitw  unserer  heutigen  Vulgata,  £"349, 
wo  sie  für  das  so  sehr  bezeichnete  wffotf  hgyB  unseres  Textes  das  schlechte 
und  matte,  aber  allerdings  deutlichere  t»i/>oo-'  %xuve,  und  12  332,  wo  sie 
für  lg  Tiedior  7iQO(pavtm  das  matte  xaiaßarrs  bietet.  Nichts  anderes 
aber  als  eine  ganz  ungeschickte  und  willkürliche  Aenderung  dia  tu 
djiQtnig  scheint  mir   T  96.     Hier  wird  von  der  'An\  gesagt: 

xal  yay  dt]  vv  tiotb  Zrjy  äaaTo,  rov  Ttey  äotOTOV 
avdyujv    rfti   frediv  apaa7  tujLttvai 

Dieses  (paat  muss  hier  Anstoss  erregt  haben  und  ist  demnach  durch 

eine    nichts   weniger   als   schöne    Aenderung   in   (pautv    entfernt  worden. 

Die  allermerkwürdigste  Nachricht  über  diese  Ausgabe  treffen  wir  aber 

zu  den   schönen  homerischen  Versen  P  134  — 136,    wo  von  dem  Löwen 

gesagt  ist : 

o)  §a  rs  vr\nC  ayovTi  avvavTr\GU)VT.ai  iv  vhA 
äi'dyeg  inaxrfjfjfg'  b  oV  tf  aftti/t'C  ßlefjLtaivei 
7i äv  rJV  tHtugxvyiov  y.arw  ilxETat   oaas  xaXvnTiov 

in  folgender  Ueberlieferung:  Tia^a  Zr\vo8oTU)  xal  ev  vjj  Xia  ovx  ipav  ot 
y  citL'/oi.  Xaujg ,  ipaalv  svioi ,  Ott  ot  äyoeveg  Isovreg  ov  axvjtivayojyovaiv, 
akla  d-rjltiai  /uovai.  xarä  dt  xb  aoatvixbv  xal  inl  rfjg  &r]leiag  reiaxrat  o 
Xtujv.  xal  h'anv  snixoivov.  Ja  wenn  man  nur  wissen  könnte,  warum  in 
der  Chia  die  schönen  Verse  fehlten.  Auch  die  Alten  werden  da  kaum  über 
Vermutungen  hinausgekommen  sein.  Ist  die  oben  geäusserte  Vermutung 
zutreffend,  dann  wäre  damit  das  ziemlich  junge  Alter  der  Ausgabe  con- 
statirt.    Denn  die  alte  Zeit,  die  naiv  die  Dichtungen  Homers  genoss,  dürfte 


669 

doch  kaum  an  den  citirten  Worten  Anstoss  genommen  haben.  Nur  ein 
Zeitalter,  wo  die  auf  wissenschaftlicher  Basis  allmählig  sich  aufbauenden 
naturwissenschaftlichen  Beobachtungen  schon  Einfluss  gewonnen  hatten, 
konnte  sein  Verdikt  sprechen  über  die  schönen  homerischen  Verse  aus 
einem  Grunde,  dessen  Stichhaltigkeit  zu  prüfen  ich  nicht  in  der  Lage  bin. 

Bei  der  Dürftigkeit  unserer  Nachrichten  und  bei  der  geringen  Anzahl 
der  uns  aus  diesen  Städteausgaben  erhaltenen  bedeutenderen  Varianten 
können  wir  diese  Ansichten  nur  mit  aller  Reserve  vortragen  und  haben 
auch  einen  schweren  Stand,  wenn  wir  nun  von  ihnen  aus  einen  Schluss 
auf  die  Arbeit  Zenodot's  machen  wollen.  Wissen  wir  ja  doch  nicht  ein- 
mal ,  ob  sich  alle  diese  Städteausgaben  in  seinem  kritischen  Apparate 
befanden,  und  es  ist  ja  an  sich  schon  einleuchtend,  dass  sich  die  hand- 
schriftlichen Hilfsmittel  im  Verlauf  von  100  Jahren  bis  zu  Aristarch  be- 
deutend vermehrt  haben  konnten.  Doch  dürfen  wir  vielleicht  in  Betreff 
Zenodot's  an  folgenden  Sätzen  festhalten:  Von  den  Städteausgaben  scheinen 
sich  in  seinem  Apparate  befunden  zu  haben  die  Ausgabe  von  Massilia, 
der  er  7'  76  gefolgt  ist;  vielleicht  auch  die  Ausgabe  von  Chios,  die  ihm 
in  der  Athetese  von  P  134  — 136  vorangegangen  zu  sein  scheint.  So 
vielleicht  auch  die  Argolike  2  39 — 49. 

Diesen  Ausgaben  gegenüber  ist  er  aber  doch  mit  Kritik  verfahren; 
so  ist  er  zwar  T  76  in  Constituirung  seines  Textes  den  Ausgaben  von 
Massilia  und  Chios  gefolgt;  hat  aber  den  folgenden  Vers,  wo  beide 
Ausgaben  mit  einander  übereinstimmten,  nicht  nach  ihnen  gelesen,  und 
lieber  zur  Athetese  gegriffen.  Insbesondere  scheinen  aber,  wie  wir  viel- 
leicht später  noch  ausführlicher  darzulegen  Gelegenheit  haben,  manche 
dieser  Ausgaben  für  ihn  bestimmend  gewesen  zu  sein  zu  mehr  oder  minder 
umfangreichen  Athetesen,  wie  zur  gänzlichen  Weglassung  von  Versen,  wie 
P  134 — 136  2  39 — 49,  o.  97  98:  Jiyori&tTovvTO  xolt'  evia  twv  dvriy^dqxov 
üi  (TTi%ot,  xazd  (?/•  ttjv   Maoa all  cur  iy.r\v  OV&   r\aar. 

Man  würde  sich  daher  eine  durchaus  falsche  Vorstellung  machen 
von  der  Arbeit  Zenodot's,  wenn  man  annehmen  würde,  dass  er  überall 
nur  aus  rein  subjektiven  Belieben  den  müssigen  Eingebungen  seines 
Geistes  bei  der  Constituirung  des  Textes  gefolgt  sei.  Dagegen  sprechen 
die  eklatantesten  Tatsachen. 


670 

Für  die  handschriftliche  Beglaubigung,  wenn  auch  nicht  für  die 
Richtigkeit  seiner  Versuche  scheinen  mir  folgende  Gesichtspunkte  maass- 
gebend  zu  sein. 

1)  Sowohl  im  Altertume,  wie  in  der  neueren  Zeit  hat  man  bei  Be- 
urteilung der  Lesarten  Zenodot's  mit  gutem  Grunde  auf  die  älteren 
griechischen  Dichter,  auf  Stesichorus,  auf  die  Tragiker  und  andere 
hingewiesen,  die  an  gewissen  Stellen  denselben  Homertext,  wie  Zenodot 
vor  sich  gehabt  zu  haben  scheinen.  Indem  ich  in  diesem  Betreff  auf 
Düntzer  pag.  45  ff.  und  auf  die  vortrefflichen  Aufsätze  von  W.  Rib- 
beck Philologus  8  und  9  verweise,  will  ich  hier  nur  einige  wenige 
Fälle  zur  Besprechung  heranziehen:  Herodian  bezeichnet  <£  575  als 
Lesart  Zenodot's  xvwXayfxor,  und  dann  fährt  er  fort:  zal  ^T.rjai- 
Xoyog  dt  eotxev  ovriog  ävvyrar/Jyai  '  (pi]Oi  yovv  „djisi^eaioio  y.vrvlay- 
uoiou  (frag.  85  Bgk.).  So  schrieb  Zenodot  für  OÜUt's  an  allen  Stellen 
'llsvg,  Hesiod  (frag.  771)  und  Stesichorus  (82  Bergk.)  und  andere  Dichter 
scheinen  ihm  hier  vorangegangen  zu  sein.  Nun  hat  man  Wunder  ge- 
meint, welch  einen  kolossalen  Vorwurf  gegen  Aristarch  erheben  zu  können, 
dass  er  an  solchen  oder  ähnlichen  Stellen  seinem  Vorgänger  nicht  ge- 
folgt, sondern  seinen  Text  anders  constituirt!  Darüber  ist  doch  wahrhaftig 
kaum  ein  Wort  zu  verlieren.  Einmal  wird  die  Nachricht  nur  unbe- 
stimmt gegeben  {k'oixev  etc.)  und  war  an  dem  Homerexemplar  des  Stesi- 
chorus, Sophokles  etc.  nicht  mehr  zu  controliren.  Desswegen  war  in 
solchen  Dingen  die  grösste  Vorsicht  nötig,  ganz  abgesehen  davon,  dass 
die  Homertexte  dieser  älteren  Dichter  am  Ende  an  Güte  denen,  welchen 
Aristarch  glaubte  folgen  zu  müssen,  weit  nachstanden.  Noch  gefähr- 
licher aber  war  dagegen  die  zweite  Klippe,  indem  man  dadurch  sehr  leicht 
der  Gefahr  ausgesetzt  war,  Umbildungen  und  Umformungen,  neue  Wend- 
dungen ,  die  diese  Dichter  rein  de  suo  gegeben,  nun  in  den  Homer  ein- 
zuschwärzen. 

Ich  bin  nun  seit  Jahren  der  Debatte  über  A  5  oIujvoZöi  re  daira  ge- 
folgt und  zwar  offen  gesagt  mit  Widerwillen!  Denn  ich  musste  mir  sagen 
und  sage  mir  heute  noch,  dass  der  Nachweis  durchaus  nicht  zu  er- 
bringen ist,  dass  Aeschylus  in  seinem  Homertexte  dalra  gelesen,  ein 
Aeschylus,  ein  Sophokles,  ein  Euripides  —  die  sind  natürlich  nicht 
im    Stande    gewesen,    bei  Leibe   nicht,    an  einer  solchen  Stelle  aus  ihren 


671 

eigenen  Köpfen  ein  dalra  zu  produciren!  Ganz  besonders  treffend  will  mir 
das  bei  Aeschylus  scheinen!  Warum  gehen  wir  denn  nicht  gleich  so 
weit  und  versuchen,  mit  Hülfe  ihrer  homerischen  Phrasen  uns  ihre 
Homerexemplare  zu  reconstruiren ,  eine  schönere  Variantensammlung 
könnte  man  sich  gar  nicht  träumen  lassen.  Gut  hat  denn  auch  Düntzer 
p.  111   auf  Sophocles  Ajas  verwiesen  830 

(>iq&üj  y.volv  itQoßXrfcog  olcovotg  &31'\ioq 

Also  schon  der  arme  Sophocles  hat  einen  so  erbärmlichen  Homer- 
text gehabt,  wie  wir  und  das  schöne  dalra  nicht  gelesen!  Auf  diesem 
Wege  ist  wohl  auch  das  so  unhomerisch  als  möglich  klingende  iwyog 
äv&og  von  einigen  in  den  Text  eingeschmuggelt  worden.  /  212  bemerkt 
Aristonicus:  ort  tr  r.iai  yqcuperai 

avTUQ  inu  nvyog  äv&og  animajo,  navoaro  c)7   (f).og' 

Nach  der  Bemerkung  Aristarch's:  y  dolor  dt  nvyog  äv&og  tug  (SocJW 
av&og  tov  nonijov  ro  tiv(j  ()tii'07ioirjaarTog  ist  doch  wohl  darüber 
kein  Wort  zu  verlieren. 

2)  Ferner  scheint  sich  aber  auch  noch  aus  einem  zweiten  Grunde 
die  Annahme  handschriftlicher  Autorität  für  Zenodot  zu  rechtfertigen, 
nämlich  aus  seinen  vermeintlichen  Interpolationen.  Hier  muss  man  meines 
Erachtens  genau  scheiden  zwischen  solchen,  zu  denen  er  durch  seine 
minder  verlässigen  Quellen  verleitet  wurde  und  denen,  zu  welchen  ihn 
seine  Beobachtungen  und  seine  Ansichten  von  der  homerischen  iojAtjveia 
geführt  zu  haben  scheinen.  Zur  Erläuterung  des  zuletzt  Gesagten  wähle 
ich  £"136,  wo  es  von  Poseidon  heisst: 

ak'ka.   [Att*  avrovg  fjl&f   nakano  (fcorl  iotxojg 

dazu  fügte  Zenodot  noch  den  Vers: 

ävTi&(ü)   &HHVIXI   imaovi    flrjleicovog. 

Handschriftliche  Autorität  vermag  ich  dem  Verse  nicht  zuzu- 
sprechen, glaube  dagegen,  dass  er  einer  sehr  guten  Beobachtung  und 
einem  teilweise  sogar  berechtigten  Gedanken  Zenodot's  sein  Dasein  ver- 
dankt. Derselbe  erinnerte  sich  eben,  wie  in  den  meisten  dieser  Fälle 
der  Dichter  nach  einer  bestimmten,  mehr  oder  minder  bekannten  Persön- 
Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  III.  Abth.  87 


672 

lichkeit  greift  und  er  könnte  demnach  in  der  überwiegenden  Mehrheit 
der  ähnlichen  Fälle  eine  ganz  gute  Stütze  finden.  Nichtsdestoweniger 
müssen  wir  uns  doch  sträuben,  dem  Verse  einen  Platz  in  unserem  Texte 
zu  gönnen;  er  verdankt  seine  Existenz  eben  doch  nur  einem  Einfalle, 
wenn  auch  einem  guten;  denn  der  Gebrauch  des  Dichters  ist  in  dieser 
Beziehung  doch  kein  durchgängiger  und  mit  gutem  Grunde  wurde  schon 
von  den  Alten,  die  Zenodot's  Gedankengang  ganz  gut  errieten,  ihm  ent- 
gegenhalten: tOTtv  ovv  cog  *0  „ävdyi  dijiOQ  sbcvla*  («9-  194)  xal  „fieuag 
ijtxro  yvvaixi*  (i>  31  cf.  v  288  n  157).  Aber  was  für  einen  Grund  sollte 
er  gehabt  haben,  iV  805  den  Vers  hinzuzufügen: 

kirjv  yag  ocpiv  Tiäoiv  ixixotro  &d(jati  nokUp? 

Ich  wusste  keinen  aufzufinden,  so  sehr  ich  mich  auch  bemüht  habe ; 
darum  dürfen  wir  vielleicht  hier  annehmen,  dass  er  einer  minder  zu- 
verlässigen Quelle  gefolgt  ist,  in  welcher  der  für  mich  total  unverständ- 
liche Vers  enthalten  war. 

3)  Zu  einer  solchen  Annahme  wird  man  aber  auch  noch  aus  einem 
dritten  Grunde  gedrängt,  nämlich  durch  die  genauere  Betrachtung  seiner 
Athetesen,  worauf  im  Vorausgehenden  schon  einmal  hingewiesen  worden 
ist.  Dieselben  sind  uns  allerdings  nur  durch  Didymus  bezeugt,  nichts- 
destoweniger scheinen  sie  aber  Grund  zu  haben.  So  hören  wir  über  den 
Vers  #  142 

avTog  vvv  nyoxaltoaai   Icüv  xai  nnf^aÖE  jjivd-ov 

uvtb  'AyLoraQ/og  ome  l4()iaTO(payt]g  ovre  Zfjyo&btös  ininiavTai  tovtov  tov 
(ni%ov.  Nun  kann  es  aber,  wie  Lehrs  3  p.  86  richtig  gesehen  hat,  durchaus 
kein  sprachlicher  Grund  gewesen,  warum  speciell  Zenodot  den  Vers  ent- 
fernte. „Nain  Zenodotus  certe  ad  vim  vocis  (jiHpyadt)  ne  attender"at 
quidem."  Darum  bleibt  doch  da  nichts  übrig,  als  mit  Lehrs  seine  Zu- 
flucht zu  den  Handschriften  zu  nehmen.  Aber  dieser  Fall  ist  durchaus 
nicht  vereinzelt.  So  lesen  wir  zu  M  175 — 180:  ri&erovvjo  dt  xal  nct^ä 
'AQiOToipavsi '  naget  ZrjvodoTcp  J7  ovfit  ty^cupovro.  Die  Gründe ,  warum 
Aristarch  die  Verse  verwarf,  kann  man  bei  Aristonicus  lesen:  einer  war 
sicher  auch  der,  dass  Aristarch  nur  eine  iinrjlarog  nvlrj  annahm.  Nun 
mag  ja  wohl  auch  Zenodot  seine  Gründe  gehabt  haben,  aber  der  soeben 
erwähnte  war  sicherlich  für  ihn  nicht  maassgebend;  denn  M  340  liest  er 


673 

ja  iiaoag  stjw/jto  und  nahm  doch  damit  mehrere  Thore  an.  Darum 
wird  man  wohl  auch  bei  dieser  Athetese  sich  zu  der  Annahme  hand- 
schriftlicher Autorität  verstehen  müssen. 

Aber  auch  eine  genauere  Betrachtung  einiger  Lesarten  ist  vielleicht 
geeignet,  uns  zu  derselben  Anschauung  zu  bringen.  Einer  Reihe  von 
Varianten  begegnet  man  bekanntlich  bei  den  Einleitungsversen  einer  Rede 
(vgl.  Aristarch  a,  a.  0.  p.  280).  Dass  Aristarch  hier  willkürlich  vor- 
gegangen und  Aenderungen  vorgenommen  hat,  scheint  mir  aus  den  dort 
entwickelten  Gründen  unmöglich. 

Nun  hören  wir  von  Zenodot,  dass  er  M  230  anstatt  der  Lesart 
unseres  Textes 

zov  (Yilunßti'>  i-.mui  utyag  xofpv&aiolos  ' F.xtujq  las  (vgl.  auch  Friedländer 
zu  A  148).  Man  hat  auch  nach  Gründen  sich  umgesehen,  aber  dieselben 
wollen  mir  kaum  stichhaltig  erscheinen.  Vielmehr  will  es  mir  scheinen, 
dass  hier  und  an  ähnlichen  Stellen  Zenodot,  der  doch  sonst,  wie  wir 
sehen  werden,  eine  sehr  grosse  Neigung  zu  dem  ifitponnixaneffoy  hatte, 
weniger  zuverlässigen  Quellen  gefolgt  ist;  denn  das  dürfen  wir  denn 
doch  von  vorn  herein  annehmen  —  die  Neigung  desselben,  der  nachdrucks- 
volleren Lesart  vor  der  ihm  matt  erscheinenden  den  Vorzug  zu  geben, 
berechtigt  uns  dazu  —  dass,  wenn  ihm  an  den  angeführten  Stellen  die 
bezeichnendere  Variante  vorgelegen  wäre,  er  sicher  dieselbe  in  seinen 
Text  wurde  eingeführt  haben.  An  solchen  Stellen,  an  denen  wir  uns  von 
vornherein  vielleicht  sehr  stark  variirende  Ueberlieferung  denken  müssen, 
mag  also  Aristarch  besseren  Quellen  gefolgt  sein.  Daneben  kann  aber 
auch  nicht  in  Abrede  gestellt  werden,  dass  wir  umgekehrt  wieder  an 
anderen  Stellen  die  bessere  handschriftliche  Beglaubigung  in  der  Lesart 
des  Zenodot  anerkennen  müssen.  Leider  kann  ich  die  rein  formalen 
Varianten  beider  Grammatiker  nicht  in  die  Untersuchung  ziehen,  weil 
dieselben  besser  in  einer  Schematologie  des  Aristarch  eine  Stelle  finden. 
Aber  auch  bei  anderen  abweichenden  Lesarten  werden  wir  mit  Not- 
wendigkeit zu  dieser  Annahme  gedrängt.  Von  diesem  Standpunkte  aus 
wollen  wir  einmal  A^423  einer  genaueren  Betrachtung  unterziehen.  Von 
dem  durch  Deiphobos  getöteten  Hypsenor  sagt  der  Dichter: 

87* 


674 

tov   uev  enei^   vnodvvre   dvct)  iQirjyeg  faalüoi 
Mr^iOTevg  'Eyioio  Tiaig  xal  dlog  'AXccotojq 
vr/ag  ml  yXcupvyag  (feQhrjv  ß  aysa  OTeva^ovra 

In  einem  kürzeren  Scholion  des  Aristonicus  ist  dazu  bemerkt:  ort 
Zr\v6doTos  ypacpti  „OTSvayoi'Tau  erixöbg.  Didymus:  ovToyg  dia  tov  e  „meva- 
yovTeu,  ov  dm  tov  a  ml  tov  vexoov  —  ysloiov  yay  —  all1  ml  toSv 
ßaoTaXovTiov.  Betrachtet  man  nun  die  hier  vorliegende  Ueberlieferung 
frei  von  allen  falschen  Voraussetzungen,  so  ergiebt  sich  doch  für  die 
Entscheidung  der  angeregten  Frage  soviel :  cst sv ä yov  t a  ist  die  allein 
handschriftlich  beglaubigte  Lesart.  Das  wissen  wir  mit  einer  jeden 
Zweifel  abschliessenden  Sicherheit  daraus,  weil  die  ganze  Stelle  wort- 
wörtlich, wenn  auch  vollständig  unpassend  aus  (•)  331 — 334  übertragen 
ist.  Unbekümmert  nun  um  den  Sinn  liess  Zenodot  die  handschriftlich 
beglaubigte  Lesart  stehen.  Ich  denke  nun,  es  macht  dem  Aristarch  alle 
Ehre,  wenn  er  diesen  Unsinn  zuerst  erkannte;  denn  onväyovTa  von  einem 
Toten  gesagt  —  ist  doch  ein  Unsinn.  Aber  hier  vergriff  er  sich  in  dem 
Mittel  der  Heilung,  indem  er  nun,  um  der  Stelle  aufzuhelfen,  das  ganz 
unzulässige  ctThvayovTs  emendirte.  Denn  eine  Aenderung,  eine  Verschliinni- 
besserung  ist  dieser  ungehörige  Dual,  das  zeigt  uns  klar  die  aus  0)  an- 
geführte Stelle:  darüber  wird  und  .kann  man  also  nicht  hinaus  kommen. 
Merkwürdig  bleibt  dabei  allerdings  immer  das  eine,  dass  Aristarch  hier 
nicht  zu  dem  einzig  richtigen  Mittel,  mit  dem  er  ja  sonst  gar  nicht 
sparsam  gewesen  ist,  gegriffen  hat,  nämlich  zur  Athetese.  Ich  sehe  mich 
also  ausser  Stande ,  den  Satz ,  dass  Aristarch  nie  sich  Aenderungen .  des 
Textes  erlaubt  hat,  vollständig  aufrecht  zu  erhalten  und  bis  zu  seinen 
letzten  Consequenzen  zu  verfolgen:  im  Gegenteil,  betrachtet  und  über- 
denkt man  einige  seiner  überkühnen  und  gewaltsamen  Athetesen,  so  wird 
man  ja  von  selbst  zu  einem  Vergleiche  und  einem  analogen  Schlüsse  in 
Betreff  seiner  Textesgestaltung  geführt:  insbesondere  scheinen  mir  aber 
gerade  diejenigen  Lesarten  desselben,  die  bei  Aristonicus  mit  dem  festen 
und  ständigen  Ausdruck  aQiiüQei  empfohlen  werden,  wie  A  204  212  tovto 
dt  Tfi  'Afrrjvq  clquo'Qei  diaßeßatovv,  H  448  oTiey  ovy  ayuo'Qei  ml  a&a- 
va.TU)v  etc.  einer  erneuten  kritischen  Untersuchung  gerade  von  diesem 
Gesichtspunkte  aus  zu  bedürfen. 


675 

Da  hätten  also  auch  wir  das  Nauck'sche  Ungeheuer,  den  Sünder  und 
Textverderber  Aristarch  glücklich  herausgeklügelt.  Nun  in  so  starken 
Ausdrücken  wird  man  der  Sache  nicht  gerecht.  Aber  ich  habe  nie  be- 
griffen und  begreife  wohl  auch  niemals,  dass  ein  Philologe  von  der  Grösse 
und  Bedeutung  Aristarch's  auf  die  conjecturalis  emendatio  sollte  gänz- 
lich verzichtet  haben.  Ich  weiss  auch  nicht,  welche  Beglaubigung  das 
schöne  Wort,  das  uns  Porphyrion  (ep.  2,  1,  257)  von  Aristarch  überliefert 
hat  „Et  hoc  vetus  esse  dictum  Aristarchi  ferunt,  qui  cum  multa  reprehen- 
derit  et  in  Homero,  ajebat  neque  se  posse  scribere,  quemadmodum 
vellet  neque  velle,  quemadmodum  posset"  in  Anspruch  nehmen  kann; 
aber  ein  Aristarch,  der  auf  die  Conjekturalkritik  gänzlich  verzichtet,  ihr 
überall  und  überall  aus  dem  Wege  geht,  ist  mir  undenkbar.  Den  maass- 
los kühnen  Versuchen  des  Zenodot  und  den  wenig  glücklichen  Gedanken 
des  Aristophanes  gegenüber  ist  seine  Kritik  allerdings  eine  durchaus 
conservative,  ja  selbst  wenn  man  sie  nicht  im  Gegensatz  zu  seinen  beiden 
Vorgängern  und  für  sich  allein  betrachtet,  muss  sie  auch  im  Grossen 
und  Ganzen  als  eine  durchaus  conservative  bezeichnet  werden.  Aber  das 
giebt  uns  denn  doch  noch  lange  nicht  das  Recht,  zu  behaupten,  dass  jeder 
und  jeder  Lesart  seiner  beiden  Vorgänger,  über  die  er  ein  hartes  Verdikt 
gefällt,  das  Gewicht  der  handschriftlichen  Beglaubigung  fehlt.  Allerdings 
ist  es  ein  eigenes  schweres  und  schlüpfriges  Feld  das  Kapitel  über  die 
Codicum  auctoritas  bei  den  alexandrinischen  Philologen!  Stillschweigend 
setzen  wir  da  immer  2  Dinge  voraus,  deren  Richtigkeit  noch  lange  nicht 
erwiesen.  Unter  dem  Eindruck  der  Schilderung  von  den  reichen  und  vorher 
nie  gesehenen  Schätzen  der  alexandrinischen  Bibliothek  werden  wir  nur 
zu  leicht  zu  dem  unumstösslichen  Glaubensatz  verführt,  dass  die  Voll- 
ständigkeit, Zuverlässigkeit  des  handschriftlichen  urkundlichen  Apparates, 
wie  er  den  alexandrinischen  Philologen  und  Halbphilologen  vorlag,  wohl 
niemals  mehr  erreicht  worden  ist.  Allerdings  ein  Ziel  „aufs  innigste  zu 
wünschen".  Aber  wenn  nur  diese  Schilderung  nicht  übertrieben!  Ich 
fürchte  und  fürchte  immer,  dass  ihnen  am  Ende  doch  das  eine  und 
andere  hochwichtige  monumentum  gefehlt  hat,  gar  nicht  zu  gedenken 
des  anderen  Unistandes,  dass  die  „Graecia  mendax"  den  reichen  Königen 
von  Alexandria  manches  zweifelhafte  Gut  um  schweres  Geld  mag  auf- 
gebunden   haben.     Sodann    huldigen   wir,    von   einer   zweiten    kaum    zu- 


676 

lässigen  Voraussetzung  ausgehend,  dem  Glauben,  dass  auch  schon  die 
ersten  alexandrinischen  Philologen,  so  gut  wie  nach  einer  Arbeit  von 
Jahrhunderten  heute  die  Koryphäen  unserer  Wissenschaft  sich  unfehlbar 
sicher  auf  dem  so  schwierigen  und  schlüpfrigen  Gebiete  der  Beurteilung, 
Wertschätzung  und  Kritik  der  Handschriften  bewegen  konnten.  Aber 
ob  denn  diese  Voraussetzung  so  selbstverständlich  und  also  unser  Glaube 
berechtigt  ist,  dürfte  doch  noch  sehr  die  Frage  sein.  Wir  kämen  vielleicht 
einen  Schritt  weiter  in  dieser  schwierigen  Frage,  wenn  nicht  das  Werk 
des  Didymus  in  einer  so  trostlos  jämmerlichen  Gestalt  überliefert  wäre. 
Heute  können  wir  mit  den  kurzen  und  leider  nur  vereinzelt  erscheinenden, 
den  Wert  oder  Unwert  der  Ausgaben  höchst  summarisch  abschätzenden  und 
rubricirenden  Urteilen,  wie  al  yauitaraxai,  al  tl/.aibxtyai,  so  viel  wie  gar 
nichts  anfangen.  Ja  manchmal  wird  man  ganz  irre  an  denselben!  Wer 
hat  sie  mit  diesen  Prädikaten  qualificirt?  Kann  und  muss  sein  Urteil  als 
ein  zutreffendes  anerkannt  werden?  Und  das  sind  Haupt-  und  Principien- 
fragen,  vor  denen  Alles  andere  zurücktreten  muss,  von  denen  Alles  ab- 
hängt. Wir  müssen  schweigen  dazu  und  müssen  uns  auf  gut  Glück  dem 
getroffenen  Entscheid  unterwerfen.  Aber  auf  einen  Punkt  will  ich  doch 
aufmerksam  machen,  vielleicht  regt  er  scharfsinnige  Köpfe  an,  welche 
möglicherweise  die  Frage  dem  Entscheid  näher  bringen.  Wenn,  wie  wir  an- 
nehmen, so  reiche  und  uuschätzbare  Urkunden  in  den  Hallen  der  alexandri- 
nischen Bibliothek  aufgestapelt  waren,  so  würde  doch  damit  die  moderne 
Philologie  in  anderer  Weise  manövrirt  haben,  wie  Aristarch  nach  dem  Be- 
richte unserer  Quellen,  vorausgesetzt,  dass  dieselben  wenigstens  im  Grossen 
und  Ganzen  seinen  Gedanken  gerecht  geworden  sind.  Betrachten  wir 
z.  B.  das  Kapitel  der  Athetesen.  Greifen  wir  nun  eine  heraus,  die  von 
der  gesammten  modernen  Philologie  anerkannt  ist,  wie  A  78 — 83,  zu 
der  Aristonicus  bemerkt:  ä&txovvxai  aiiyjn  i§,  oxi  xptvdog-  ov  ydo  dvvav- 
xai  navxtg  xbv  dla  alxiäo&ai  ßorj&ovvxa  xolg  TüudcsLv,  dk'/C  oi  xwv  'Ehlrjvwr 
ßorj&ol.  y.a\  xb  „o  dt  roocpi  liaofrtlg  xdv  afJkujy  änavevvfrt  xad^tQtxou  cbg  inl 
xavxb  (Jvvrj&yoiautviov  avxujv  ktysi.  nootiorjxE  dt  „ol  (V akloi  ov  acpiv  na- 
Qtoav  &toiu  (75)"  ii.no  xe  xov  'Qlvunov  ov  naoeioaytxai  &tu)ou)V  xr\v  inl 
xfjg  Toolag  /Ltayrjv,  dXV  änb  xrjg  '/drjg,  o&tv  did  xujp  i§rjg  (183)  /utxaßaivti 
tlg  avxöv.  Diese  von  Aristarch  hier  entwickelten  Gründe  waren  für 
alle  Herausgeber  überzeugend  und  soweit  kann  man  sich  dabei  beruhigen. 


677 

Aber  der  Einspruch  Heyne's  zu  den  citirten  Versen  bleibt  doch  bestehen 
und  verlangt  auch  eine  Antwort  „Caussae  memorantur  in  Schol.  A  non, 
quas  velles :  rhapsodorum  pannum  esse,  ab  aliis  ignorari, 
nee  in  bonis  exemplaribus  esse  scriptos".  Wenn  wir  eine 
Antwort  auf  diesen  berechtigten  Wunsch  versuchen,  so  sehen  wir  uns 
vor  die  Alternative  gestellt:  Entweder  war  Aristarch  nicht  im  Stande, 
mit  Handschriften  zu  operiren,  weil  er  ihre  Bedeutung  für  die  Kritik 
nicht  recht  erkannte  und  würdigte,  oder  aber  er  konnte  nicht  mit  ihnen 
operiren,  weil  keine  solchen  vorhanden  waren,  in  denen  die  citirten 
Verse  fehlten  mit  Ausnahme  etwa  der  Ausgaben  des  Zenodot  und  Aristo- 
phanes.  Um  also  bei  dem  ersten  Falle  zu  bleiben,  wenn  die  Verse  in 
maassgebenden  Handschriften  fehlten,  so  hätte  ein  moderner  Philologe 
kaum  sein  Hirn  zermartert,  um  sie  mit  Gründen  aus  dem  Felde  zu 
schlagen:  ihm  hätte  ein  desunt  in  X  oder  in  libris  genügt  und  alle 
Achtung  vor  den  mit  solchem  Scharfsinn  eruirten  Gründen:  aber  in  der 
diplomatischen  Kritik  ist  doch  ein  solches  Zeugniss  viel  bedeutender 
und  vollwichtiger,  als  eine  ganze  Legion  von  Gründen,  wenn  sie  auch 
noch  so  geistreich  und  scharfsinnig  ausgeklügelt  sind.  Aber  vielleicht 
führt  uns  hier  ein  anderer  Weg  zu  dem  hochwichtigen  Zeugniss  hand- 
schriftlicher Beglaubigung  der  Athetese.  Zu  den  Versen  lesen  wir  näm- 
lich bei  Didymus:  rovrovg  xai  'AyinriKpavris  rjO-frei  •  na^a.  dt  Zrjvod6rq> 
ovdt  iyQacpovTo.  Nun  mag  der  eine  und  andere  Grund  auch  schon  für 
Zenodot  und  Aristophanes  entscheidend  gewesen  sein:  aber  oben  S.  672 
haben  wir  gesehen,  dass  wenigstens  Zenodot  gewisse  Verse  aus  demselben 
Grunde,  wie  Aristarch,  nicht  kann  athetisirt  haben  und  mussten  uns 
auch  da  für  die  Annahme  handschriftlicher  Autorität  entscheiden.  So 
kann  man  sich  am  Ende  auch  erklären,  dass  sich  Aristarch,  wenn  wir 
anders  recht  berichtet  sind,  in  diesem  Sinn  auf  seine  beiden  Vorgänger 
beruft  wie  bei  Aristonicus  0)  535  .  .  .  6  dt  ZrjrodoTos  rovg  n^i'rovs  rytlg  ovdt 
tyyacptv,  //528  o  91  Zrjrodorog  ovdt  lygatpsv  <xvtov.(?)  Unter  dieser  Voraus- 
setzung nun,  dass  das  wichtige  diplomatische  Zeugniss  dem  Urteile  seiner 
Vorgänger  zur  Seite  steht,  hat  es  dann  sicher  nichts  befremdendes,  wenn 
sich  Aristarch  auch  nach  Gründen  umsieht,  um  die  handschriftlich  gut 
beglaubigte  Athetese  auch  philologisch  gründlich  zu  rechtfertigen,  so  gut 
wie  wir  etwa  heute  sagen,    diese  und  diese  Worte  fehlen  in  der  Haupt- 


678 

handschrift ,  sind  darum  unecht,  aber  auch  an  und  für  sich  betrachtet, 
sind  sie  null  und  nichtig.  So  kann  man  sich  ungefähr  diese  höchst 
problematische  Sache  zurechtlegen  und  Niemand  ist  mehr  überzeugt,  als 
der  Verfasser,  damit  nur  eine  Vermutung  ausgesprochen  zu  haben. 

Aber  auch  sonst  —  und  das  ist  nicht  weniger  merkwürdig  —  hören 
wir  bei  allen  Widerlegungen  unglücklicher  und  verfehlter  Lesarten  Zeno- 
dot's  nie  auch  nur  eine  leise  Andeutung  oder  einen  kurzen  Hinweis  auf 
eine  Sünde  gegen  die  maasgebenden  Handschriften,  sondern  es  sind  immer 
mehr  oder  minder  gewichtige  andere  Gründe,  die  gegen  ihn  in's  Feld 
geführt  werden :  an  manchen  Stellen,  wenn  auch  nicht  an  allen,  will  uns 
dünken,  hätte  ein  solcher  kurzer  Hinweis  vollständig  seinen  Dienst  getan. 
Wenn  sich  dieses  Verfahren  aber  unter  gewissen  Voraussetzungen  auch 
leicht  erklären  lässt.  so  muss  doch  auch  daran  festgehalten  werden,  dass 
es  Aristarch,  wie  es  scheint,  unmöglich  war,  überall  auf  Grund  von 
Handschriften  gegen  Zenodot  zu  operiren,  weil  er  sich  seine  eigene  und 
selbständige  Meinung  von  der  Textgestaltung  gebildet  und  dann  auch 
unverbrüchlich  und  consequent  daran  festgehalten  hat.  So  ist  es  ge- 
kommen, dass  die  moderne  Philologie  einige  wenige  Lesarten  des  Zenodot 
mit  guten  Gründen  als  die  ursprünglichen  und  handschriftlich  besser 
beglaubigten  nachzuweisen  im  Stande  war. 

Aber  das  ist  gewiss  nur  in  den  allerseltensten  Fällen  vorgekommen; 
Dem  sonst  von  Zenodot  regelmässig  eingehaltenen  Verfahren  gegenüber 
hatte  Aristarch  eine  ganz  andere  bestimmt  vorgezeichnete  Aufgabe:  die 
Aufgabe  einer  gesunden  vernünftigen  conservativen  Kritik.  Mit  so  leichtem 
Blute,  wie  Zenodot,  hat  er  sich  nicht  über  die  Handschriften  weggesetzt 
und  denselben  vielfach  mit  schlagenden  Gründen  zu  ihrem  Rechte  ver- 
holfen.  Denn  Aenderungen,  nichts  als  willkürliche  Aenderungen  oft 
einer  Einbildung  oder  Schrulle  zu  liebe  gemacht  oder  dictirt  von  einer 
unzutreffenden  Vorstellung  von  der  homerischen  Sprache  und  Darstellung 
muss  man  doch  in  den  meisten  der  Lesarten  Zenodot's  erkennen.  Kühn- 
heit, Gewaltsamkeit,  der  krasseste  Subjectivismus  ist  die  Signatur  seiner 
Kritik.  Als  einem  snonoiog  ist  ihm  ja  wohl  auch  viel  eingefallen  und 
war  er  um  dichterische  Phrasen  durchaus  nicht  verlegen;  nur  zu  oft 
hat  er  in  diese  Schatzkammer  gegriffen  und  daraus  voll  und  reich  ge- 
geben.   Dass  aber  die  meisten  seiner  Lesarten  nicht  von  Seite  der  hand- 


679 

schriftlichen  Ueberlieferumg  empfohlen  werden,  wird  sich  uns  am  deut- 
lichsten zeigen,  wenn  wir  die  Gründe,  die  für  ihn  bestimmend  waren, 
mit  ziemlicher  Sicherheit  ermitteln  können,  nicht  an  einigen  wenigen 
Lesarten ,  sondern  gleich  an  einer  ganzen  Reihe .  die  darum  aber  auch 
geeignet  ist,  die  kritischen  Grundsätze  desselben  in  gehöriger  und  zu- 
treffender Weise  zu  beleuchten. 

So  hat  den  Zenodot,  um  damit  zu  beginnen  und  sein  kühnes  Ver- 
fahren zu  kennzeichnen,  selbst  die  Notwendigkeit,  wegen  einer  Conjectur 
auch  an  einer  zweiten  Stelle  zu  ändern,  was  doch  für  den  modernen 
Philologen  in  der  Regel  ein  sicheres  Kriterium  ist,  von  einer  Aenderung 
abzusehen,  durchaus  nicht  abgehalten,  auch  an  einer  zweiten  Stelle 
seine  Weisheit  unterzubringen.  Nur  einmal  finde  ich  dieses  Verfahren 
von  den  Alten  hervorgehoben,  nämlich  bei  Aristonicus  zu  77  677:  ort 
Ziji'oüüTos  xal  tovtov  ntQijjQtpet  ttjgav  to  avuxfwvov  tavrip  (666).  Dass 
damit  Aristonicus  die  Athetese  Zenodot's  bezeugt,  wie  das  Ludwich  an- 
genommen hat,  I  p.  414,  vermag  ich  nicht  einzusehen.  In  Misskennung 
eines  sehr  wichtigen  Kunstgesetzes,  von  dem  uns  Aristonicus  mit  den 
Worten  berichtet:  ov  vevorjxtv  ovi.  oti  r.ä  roiadra  xara  to  oiiomouevov 
svsoyovfitva.  dti  Tiaoadtyjaftai .  xa&aiifo  xal  iv  Tolg  tnavu)  Titol  rfjg 
"II nag  (432)  schrieb  er  666 

xal  toi'  äo'  f'c  "toqs  ngootq /,  Zevs  dp  <(ih»'  vlov 

consequenter  Weise  musste  er  nun   77  677 

ßfj  fit  xar'  'idaiatv  ootujv  tg  (pvlomr  aivrjv 

streichen,  das  ist  das  ntfpuiv  to  avucfwvov  kwun.  Oben  666  heisst  es 
bei  Aristonicus  öieoxtvaxt  und  nun  in  demselben  Gedankenzusammen- 
hang: xal  tovtov  TitQif'iürjxt.  Aber  wenn  dies  Verfahren  meines  Wissens 
auch  nur  an  dieser  Stelle  von  den  Alten  hervorgehoben  worden  ist,  wir 
müssen  es  auch  in  manchen  anderen  Lesarten  erkennen,  mit  welchen 
man  bisher  nicht  fertig  geworden  ist. 

Beginnen  wir   nun  mit  <)'  162,   wo  Peisistratus  zu  Menelaus  spricht: 

avTau  ifii  7iQo4rjXt    1'tüTjViog  innora   JYwtüjü 
Tip  aua  TiojLMibv  tnto&ai '   etkdsTo  yao  ot  löta&ai. 
Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  III.  Abth.  88 


680 

Für  das  unzweifelhaft  richtige,  gute,  allein  handschriftlich  be- 
glaubigte ieXderu  hat  Zenodot  die  rätselhafte  Lesart  utero.  Wir  glauben 
es  gern,  wenn  es  im  Scholion  heisst  xa'xujg.  Aber  was  soll  die  Variante 
bedeuten?  Wie  kam  er  dazu?  Das  ist  nun  höchst  merkwürdig:  Er  wurde 
dazu  geführt  durch  eine  schon  früher  gemachte  kühne  Aenderung,  die 
oben  berührt  wurde,  zu  a  93  etc.,  wo  er  für  ^Tidorrjy  regelmässig  KorjTTjv 
schrieb.    Aristonicus  bemerkt  zu  y  3 1 3,  wo  Nestor  zu  Telemachus  spricht : 

xal  öv,  (plXog,   urj  drjfrä   douan'  äno  t^ä'   äXdXrjGo 

.  .  ,  oterai  ydo  (nämlich  Zenodot)  ix  tovtlov  rwr  Xoyiov  (besonders  tu) 
ö*T]&ä)  y.axa  tu  oiuj.iiuuevuv  axrpeoevat  naod  tov  TrjXeudyov  ort  xal  ctXXa- 
%oae  neol  tov  Tiaryög  nevouue^ug  naoeaxevaOTo  nXelv  .  .  .:  darum  ändert 
er  «  93  und  284  Ko^TTjr.  Wenn  nun  Zenodot  eine  solche  Vorstellung 
von  der  äjiodrjuia  des  Telemachus  hatte    und    nun  von  Nestor  las  y  317 

aXX  ig  uiv   MeveXaov  iyio  xeXojtiai  xal  ävujya, 

so  stand  für  ihn  fest,  dass  Telemachus  nicht  freiwillig  und  schon  von 
vornherein  zu  Menelaus  gehen  wollte,  sondern  von  seinem  ursprüng- 
lichen Plane  abwich  und  erst  auf  den  Rat  des  Nestor  die  Reise  zu 
Menelaos  machte,  und  wenn  er  nun  gar  von  Telemachus  hörte  im  Be- 
richte an  seine  Mutter  o  116: 

dXXa   iC  ig  'AToeidrjv,    dovul  xXenov   MeveXaov, 
Xnnoioi  TiQovne fzxp b  xal  aou am  xoXXtp olm v 

so  war  es  ihm  klar,  dass  das  ieXderu  „er  (Telemachus)  drückte  den  Wunsch 
aus"  unter  diesen  Verhältnissen  unmöglich  stehen  und  richtig  sein  könne; 
denn  Nestor  war  es  ja,  so  argumentirt  er,  der  ihm  diese  Reise  empfahl 
und  das  ist  es  und  nichts  anderes,  was  er  mit  seiner  Aenderung  utero 
bezweckte,  Zenodot  muss  demnach  folgenden  Sinn  darin  gefunden  haben 
„er  (Nestor,  der  auch  im  Vorausgehenden  Subject  ist)  war  der  Meinung, 
dass  er  (Telemachus)  dich  besuchen  sollte".  Das  ist  nun  allerdings  xa- 
xwg,  ja  meinetwegen  sogar  xuxiotov  —  aber  ztjqsZ  tu  ovfiqxovov  eavrw. 
So  hat  man  auch  A  404  zu  beurteilen.  Bekanntlich  hat  man  sogar 
gezweifelt,  ob  nicht  der  Lesart  des  Zenodot,  der  A  400  für  ITaXXdg 
'ASrivrj  4>uißug  AjiuXXlov  schrieb,  eine  alte  sagenhafte  Ueberlieferung  zu 
Grunde    liegt.     Ich    glaube  das   nicht  und  schliesse  es  aus   einer   zweiten 


681 

Aenderung,  die  er  desswegen  am  Texte  vornehmen  musste.  Nämlich  404 
schrieb  er  an  Stelle  unseres  heutigen  Verses,  wo  es  von  Aegaeon  heisst: 

Alyaiwv\   6  yu.Q  avrt  ßifl   ov  Tionobg  äutivcor 
die  Verse 

A\yuiu.)v\  6  ya^  avrt  ßifj  nokv  cptürarog  ä)Moi' 
bnnooooi   vaiovd'   vnb    Ta^ra^or   tVQiutVTü. 

Das  ist  aber  ganz  sicher  eine  willkürliche  Aenderung,  die  sich  sehr  leicht 
erklärt.     Wenn  er  nämlich  Vers  400  las 

"//yt]  r'rjdt   IToo eid aivv  kdl   <i>olßogl47iuXXa)v, 

so  war  Vers  404  ov  Trarobg  absolut  unverständlich ;  denn  es  sind  ja  in 
dem  Verse  zwei  eventuelle  patres  erwähnt.  Darum  rr^tl  rb  avucpojvor 
£avroj\ 

i 

Dass  seine  Lesart  zu  A  439 

yruj  d'Xjdvootvg,  o  oi  ovri  tiXog  xara  xaiytov  rjk&tr, 

wo  er  für  rtkog  ßtkog  schrieb,  trotz  der  Einsprache  Aristarch's  Verehrer 
und  Anbeter  gefunden  hat,  ist  nicht  wunderbar.  Dennoch  ist  sie  nichts 
als  eine  falsche  und  willkürliche  Aenderung;  das  erkennt  man  aus 
Vers  451,  wo  Zenodot  für 

(pftij  at  rtXog   S-avaroin  /.i'/j^itvor.   oi'fV    vnalv&XQ 

schrieb  ßtlog  S-avarow,  „eine  ganz  unhomerische  Redeweise",  dieses 
„Todesgeschoss",  wie  W.  Ribbeck  ganz  gut  Philol.  IX,  p.  47  bemerkt, 
aber  ein  sicherer  Fingerzeig,  dass  wir  es  auch  an  der  ersten  Stelle  mit 
einem  unzulässigen  Einfall  zu  thun  haben  —  Ttjfjtl  to  ovfiqxovov.  tctvTti. 
Und  das  könnten  wir  noch  weiter  verfolgen,  wir  verweisen  aber 
nur  auf  y  216  217  und  wenden  uns  lieber  zu  y  230  und  231 

Tijltuayt.  ndiov  06  tnog  upvytr  toxog  bdovTUjr 
(>h<x   &tog  y  tfrtlan'  y.ui  Tifkb&tv  ävdqa   natoaai 

Darüber  hören  wir:  ol'Tog  b  oriyog  (230)  iayayog  tan.  dib  (?  kaum!) 
Zi]rodoTog  iavjg  jLiertyycHpt  „TtfktuayJ  vipayo^^  ittya  vrfiit,  Tiolov  itiTitg"  ; 
rbv  dt  dtVTtoov  7it{)i{i(j€i  rtXtwg  dia  tu  uaybutvov  avruj  rb  „tl  ur)  &toi 
ajg  iüt'koiti'"  (228).    Nun  es  ist  nicht  wunderbar,  wenn  er  der  Consequenz 

halber  zur  Athetese  greift,  wie  oben  /7  677.    Aber  das  will  mir  durchaus 

89* 


682 

nicht  einleuchten,  dass  der  Vers  (231),  wie  wir  ihn  heute  lesen  und  auch 
Zenodot  ihn  "wohl  gelesen  hat,  einen  Widerspruch  enthalten  soll  gegen 
el  ur)  titoi  ug  i&ilotir'i  Auch  in  der  Fassung  ovo''  d  &eoi  wg  ttHloiev 
vermag  ich  einen  Widerspruch  nicht  einzusehen!  Allerdings  liegt  aber 
ein  starker,  ja  sehr  starker  vor  zu  den  Versen  y  216  217,  wie  sie  in 
unerhörter  Aenderung  von  Zenodot  constituirt  wurden: 

lig  (^'o/cT'   d  xe  tiots  ocpi  ßiag  dnoT io eai  i'k&ujv 
rj  av  ye  jnovvog  iiuv  //  xai  ovuiarrfg  'Ay^moi 

Mit  diesen  Versen  kann  doch  der  Wortlaut : 

oHct   &tug   y1  £&tlw  xal  irfko&tv  ävdya  oawoai 

nicht  Btimmen.     Darum  rr^d  to  ovpqmvov  iavr(p\ 

Und  das  ist  das  Verfahren  eines  engelreinen  Librarius,  der  durch 
seine  Dummheit  und  Unfähigkeit  vor  den  gewöhnlichen  Abwegen  ein- 
gebildeter Gescheitheit  geschützt  war. 

Prüft  man  ferner  vom  modernen  philologischen  Standpunkte  aus 
die  von  ihm  in  den  Text  aufgenommenen  Lesarten  in  Beziehung  auf 
ihre  buchstabenmässige  Aehnlichkeit  und  Möglichkeit  mit  den  im  Alter- 
tum uud  auch  jetzt  gangbaren,  so  ist  er  allerdings  manchmal  dem  ductus 
litterarum  gerecht  geworden,  die  meisten  seiner  Lesarten  aber  entfernen 
sich  soweit  vom  Texte,  dass  man  zu  der  Annahme  gedrängt  wird,  dass. 
Zenodot  mit  diesem  in  der  modernen  Conjecturalkritik  so  hochwichtigen 
Gesichtspunkt  gar  nicht  gerechnet  hat.  Beispiele  der  ersten  Art  sind: 
So  y  217  Z  yt  =  av  ye,  276  a/na  =  dvd,  A  34  äxiutv  =  äxeiov,  H  299 
ejii  =  tri,  S  37  dipeiovreg  =  oxpuiovxeg ,  P  595  ri)y  =  yfjv,  y(  439  451 
reXog  =  ßtXog,  N  71  'i^via  =  Y/j^ara ,  N  643  FTvlai  u  ivtjg  =  Kvlai- 
utvr\g,  O  207  d(\fj  =  djir],  fl  515  nävT-orf  dxovuv  =  narr'  iauxoveiv. 
Vielleicht  sind  auch  manche  dieser  Lesarten  in  den  von  ihm  befolgten 
Codices  gestanden,  wie  z.B.  P  595  THN  =  IHN.  Schwerlich  aber  die 
folgenden,  in  denen  keine  Spur  von  Aehnlichkeit  mehr  zu  erkennen  ist.  So 
schreibt  er  für  eneaßoliag  cT  159  emOTouictg ,  für  ärsQ  nov  Z  285  (pilov 
i]t.oq,  für  dalfioya  dwauj  0  166  nor/uoy  ecprjOü),  für  Ayreuig  loyjaiya  E  53 
d-avaxoio  Titkcoya  für  TiyoGGofrev  %7inovg  ^f»  533  vbxictg  mnovg,  für  svfjytg 
eQ6TUov  ft  15  %va  ofj/Lia  tiHolto ,  für  &eujv  dexrjn  avaxratv  fl  290  (piliov 
äexr/Ti    haiycuv,  für  äcptleo&s  ye  dovreg  A  299   s9eleig  acpelto&cu  etc.      In 


683 

den  letzten  Fällen  hat  er,  wie  man  sieht,  meistenteils  die  Heilung  in 
der  Herübernahme  anderer  homerischer  Wendungen  versucht;  aber  auch 
sonst  hat  derselbe  an  die  Stelle  von  ihm  missbilligter  Lesarten  andere 
Halbverse  gesetzt,  ein  auch  von  Düntzer  p.  144  entschieden  verurteiltes 
Beginnen,  wie  M  444,  N  148,  P  456  0  501  etc.  Also  vom  Standpunkte  der 
Buchstabenähnlichkeit  geprüft  haben  diese  Lesarten  absolut  keine  Wahr- 
scheinlichkeit; ja  auch  sonst  müssen  in  dieser  Beziehung  sehr  starke 
Missgriffe,  die  auf  das  gröblichste  sowohl  gegen  die  Sprache,  wie  den 
Geist  der  homerischen  Dichtung  Verstössen,  constatirt  werden. 

So  schrieb  er  B  60 — 70  in  den  3  von  ihm  hergestellten  Versen 
T^üjoI   uayrjaao&cu   tj^jotI  "IltpV 

ähnlich  wie  ^210    für  äartog  ix  ocptTeyov  aarv  jiotl  aiptrs^ov  —  durch 
und  durch  unhomerisch,  da  ud/so^ai  tiqoq  ti  nicht  vorkommt. 
In  den  von  ihm  /'334  heillos  misshandelten  Versen  las  er: 

dfjLCfi  J'ot(>'  vjuoiaiv  ßake^  danUJa  S-vaaavoenaav 

&vaavv6eoaa  ist  absolut  unmöglich,  es  wird  vom  Dichter  nur  von  der 
Aegis  gesagt. 

Nicht  besser  ist  das  aus  77  422  entnommene  &ooi  zu  Z  112  und 
von  dem  duvveTov  äarü  iv)fir\v  bemerkt  Düntzer  ganz  richtig  „ab  Homeri 
usu  abhorret"  p.  147.     So  ist  zu  seiner  Lesart   lr114 

tj  <$'  äuvdig  xaltaaaa  &fovg  (tela  'Qcuovrag 

sehr  fein  und  geistreich  von  Düntzer  bemerkt  p.  150  „non  sollicitus  de 
epitheto  (>tla  ^wovrag,  quod  hie,  quum  de  parte  tantum  deorum  agatur, 
minus  aptum  videtur." 

Höchst  unglücklich  ist  auch  seine  Lesart  X  378 

'Ar(i,eidrj  xe  xal  akloi  dyiorijeg   flarayctimy 

und  gut  zurückgewiesen  von  Düntzer  „at  non  vidit  illum  versum  (H  327, 
^  236)  non  nisi  in  prineipum  contione  locum  habere".    D.  p.  150. 
K  306 

amovg,   dl  (poytovoiv  d/Livuova   Hqleicova 

hat  schon,  wie  es  scheint,  Aristophanes  an  dem  ungehörigen  avrovg  An- 
stoss  genommen  und  dasselbe  durch  xalovg  ersetzt. 


684 

Dass  IV  609  iitya  d'rjXjreTo  vimp  und  O  377  uiya  fr'&xivB  das  uiya 
ganz  ungehörig  für  fiala  gebraucht  ist,  wurde  bereits  oben  hervor- 
gehoben. 

Auch  die  banale  Lesart  0  207  fforjj  schlägt  dem  regelmässigen  Ge- 
brauche bei  Homer  in's  Gesicht. 

So  ist  auch  seine  Aenderung  B  55 

avTaQ  tTiti  <>'   itytQ&ti'  ouijytQteg  i^  ky  fror  jo 

von  der  ßovh)  ytyovTixyv  gesagt,  durchaus  unhomerisch. 

Dass  seine  Lesart  /  88 

H'fra   ftt  nvy  xrjavro,   Tithrro  rT/-   d aTr  a   &dkttar 

auch  dem  Gedanken  nach  durchaus  unzulässig  ist,  wurde  schon  im  Alter- 
tume  richtig  hervorgehoben:  Sronor  yay  S-ahw^ftv  t&us  ti£v&m  arfajtq} 
rtjv  ipvyjjv  ßtßhjuti'ovg. 

Dergleichen  willkürliche  und  ungeschickte  Aenderungen  sind  natür- 
lich nicht  geeignet,  Vertrauen  zu  Zenodot  zu  erwecken.  Allein  dem 
gegenüber  muss  hervorgehoben  und  anerkannt  werden,  dass  Zenodot 
denn  doch  der  erste  war,  der  vermöge  seines  klaren  und  scharfen  Ver- 
standes Schäden  der  Ueberlieferung  entdeckte  und  ihnen  vom  philologisch- 
kritischen Standpunkte  aus  zu  Leibe  ging.  Wenn  nun  die  Nachwelt 
seinem  grossen  Gegner  mit  wenigen  unbedeutenden  Ausnahmen  Recht 
gegeben  hat  und  Recht  geben  musste,  so  ist  es  doch  in  vielen  Fällen 
weit  weniger  das  positive  Resultat,  das  damit  seine  Anerkennung  fand, 
als  sie  vielmehr  bei  den  total  von  einander  abweichenden  Wegen  der 
beiden  Kritiker  denjenigen  für  den  richtigen  halten  musste,  den  Aristarch 
der  Ueberlieferung  gegenüber  eingeschlagen  hat.  Darum  müssen  wir 
an  einigen  schlagenden  Beispielen  zu  zeigen  suchen,  wie  ganz  verschieden 
der  Standpunkt  Aristarch's  von  dem  seiner  Vorgänger  war  und  wählen 
dazu  0  166  und  il  30. 

In  der  so  manches  Auffallende  enthaltenen  Rede  des  Hektor  0  161  ff. 
lesen  wir  unter  anderen  den  Vers 

ovdt  yvvaly.ag 
ak~£tg  Iv  vi]SOOt.   Tiayog  toi   daij.wra   du.ouj 


685 

Zenodot  ist  der  erste  gewesen,  der  den  höchst  auffallenden  Aus- 
druck bemerkt  hat:  daiuova  dwoa>  und  das,  denke  ich,  macht  ihm 
doch  alle  Ehre.  Er  war  nun  der  Ansicht,  dass  hier  durch  Emendation 
zu  helfen  sei  und  schrieb  dafür  novjuov  eapr/aa).  Anders  Aristophanes 
und  anders  Aristarch.  Sie  griffen  zur  Athetese.  Mit  der  Emendation 
Zenodot's  ist  allerdings  ein  Anstoss  entfernt,  aber  auf  eine  Weise,  die, 
wenn  man  ihr  beistimmt,  den  Charakter  der  ganzen  mehrfach  anstössigen 
Stelle  vollständig  alterirt,  die  uns  ferner  auch  vollständig  darüber  im 
Unklaren  lässt,  wie  das  merkwürdige  und  auffallende  daiuova  dioaai  in 
den  Text  gekommen  ist.  So  muss  denn  auch  die  moderne  Philologie, 
mag  sie  nun  die  Athetese  anerkennen  oder  nicht,  dem  Verfahren  des 
Aristophanes  und  Aristarch  insofern  beistimmen,  als  sie  in  ihm  eher  den 
richtigen  Weg  und  die  bessere  Methode  erblicken  muss.  Aber  auch  von 
Aristophanes  ist  Aristarch  bei  Behandlung  ähnlicher  Stellen  abgewichen; 
das  sehen  wir  deutlich  11  30  bei  der  Kritik  des  famosen  Parisurteils 

i /)>'   d,jjvrjd'  r\  ol  noQt   iiay'koavvijv  aktytivi]V 

Das  Wort  fiay'koovvij  war  für  Aristarch  mit  ein  Grund,  warum  er 
über  die  ganze  Stelle  die  Athetese  aussprach:  y.ul  „>)  /Liaykoovvr]"  xoivwg 
tnl  ywuixog  aavia'  ototüXt  iTamib  ov  Tavir\v ,  d'k'kd  ir\v  zaXliozrjv  tojv 
tote  'E'ktvrp'.  'jHotofieiQjf  (T'fcVmj/  fj  2i£l£(  txuvog  yä{t  tiqu)t.o<;  t/j)t]aaro  inl 
j.ihv  [Iqoitov  &vyar{{)(x)i'  Aristonicus.  Aber  Aristarch  ist  nicht  der  erste 
gewesen,  der  an  dem  Worte  Anstoss  nahm,  schon  Aristophanes  fand  den 
Ausdruck  durchaus  ungehörig  und  setzte  an  dessen  Stelle  „//  oi  xtyayia- 
utva  dwtf  vv6/irjvt.u  Damit  wäre  nun  allerdings  wieder  Heilung  geschafft. 
Hätte  aber  dieselbe  Eingang  gefunden,  dann  wäre  unser  Urteil  über  die 
ganze  Stelle  vollständig  verwirrt  worden  und  so  muss  man  auch  hier  dem 
Verfahren  Aristarcfrs,  der  über  die  sechs  Verse  die  Athetese  aussprach, 
als  dem  besseren  und  vernünftigeren  beistimmen,  mag  man  sonst  auch 
über  die  Athetese  denken,  wie  man  will,  und  wir  werden  uns  dabei  auch 
nicht  durch  das  Urteil  und  die  Weisheit  des  Didymus  beirren  lassen,  der 
sich  hier  in  bekannter  geistreicher  Weise  über  die  Lesart  des  Aristo- 
phanes äussert:  xal  rdya  uäXlov  ovrujg  av  tyoi'  d&erel  ycc(J  Aql- 
orayyog  fiia  rr\v  juaykoovvtiv  t.ov  oriyov.  Und  Aristarch  sollte 
nicht  vergeblich  gelebt  haben  für  einen  solchen  Helden! 


686 

So  stellt  also  Aristarch  gleich  von  Anfang  ganz  anders  dem  Texte 
gegenüber,  als  Zenodot  und  auch  Aristoplmnes ,  und  das  muss  uns  ein 
wichtiger  Fingerzeig  sein,  ihn  von  jedem  pruritus  conjectandi  frei  zu 
sprechen. 

Auch  sonst  sehen  wir  das  Verfahren  beider  Kritiker  total  verschieden. 
Ein  klarer  Beweis  ist  die  Stelle  von  Pylaemenes  N  643  656 

tvfra  oi  vlög  inälro   [Tvkai/Liivsog  ßaaikrjog  ff. 

Der  offenbare  Widerspruch  mit  E  576  ist  Zenodot  nicht  entgangen. 
Er  entfernte  ihn  durch  Emendation,  indem  er  E  576  Kvlcu/uevea  schrieb, 
ein  Verfahren ,  das  nahe  lag,  das  wir  aber  am  allerwenigsten  aus  den 
oben  entwickelten  Gründen  gut  heissen  können.  Auch  hier  wich  sowohl 
Aristophanes,  wie  Aristarch  von  ihm  ab  nach  dem  Berichte  der  Scholien : 
sfyiOTocpavrjg  ä&fTtl  ....  d&tjovvTai  äiupoTtüoi  (658  —  659)  ....*!  oi 
/Liavoisv  ol  ozi/ot  ovtoi,  vor\xiov  Oficowfiiav  ti)'ai  (E  576). 

Wir  müssen  also  daran  festhalten,  als  einem  für  Zenodot  ausge- 
machten und  feststehenden  Satze,  dass  vielen  wirklich  oder  angeblich  ver- 
dorbenen Stellen  des  Homertextes  nur  allein  auf  dem  Wege  der  Emen- 
dation zu  helfen  sei,  und  nun  werden  wir  uns  auch  nicht  mehr  wundern, 
wenn  derselbe  von  dieser  Voraussetzung  ausgehend  viel  mehr  als  nach 
unseren  Begriffen  nötig  scheint,  seine  rein  subjektiven  Meinungen  in 
denselben  hineingetragen  hat. 

Indem  wir  nun  an  den  von  den  Alten  schon  aufgestellten  Gesichts- 
punkten teilweise  festhalten,  teils  uns  auch  nach  neuen  umsehen,  um 
unter  dieselben  die  Lesarten  Zenodot's  einzuordnen  und  so  eine  orien- 
tirende  Betrachtung  zu  ermöglichen,  stellen  wir  denjenigen  Gesichts- 
punkt voran,  der  den  Zenodot  vielfach  zu  kühnen  und  falschen  Aender- 
ungen  geführt  hat,  aber  doch  noch  den  Glauben  an  eine  im  Laufe 
der  Jahrhunderte  stattgefundene  sehr  starke  Corrumpirung  des  Homeri- 
schen Textes  durch  die  ovyij&sia  gestattet.  Bei  Aristonicus  finden  wir 
diesen  Gesichtspunkt  betont  in  Ausdrücken,  wie  ov  Xeyet  de,  tag  fjfi iTg 
B  56.  ov  leyei  dt  ovvt]&iog  r[iuv  /'200  o  fit  Zrivodoiog  avrrjd-wg  i\uiv 
Ttzaytv. 


687 

So  las  Zenodot 

K  10      vtiofrtv  ix  y.Qadirjg,   cpoßtovTO  dt  ol  (pgi-veg  ivrog 
£  247   t'Qta&ai'  navTag  yag  tys  (poßog,  ovre^  IdyiXXevg 
T  14      Mvyuidovag  J1'  aya  naviag  eltr  (poßog 
An  diesen    3  Stellen    ist  (poßtla&ai  und  (poßog  unrichtig  und  in  un- 
homerischer Weise    gebraucht,    wie    man    aus   Aristonicus    ersehen    kann. 
Aber  gerade  solche  Stellen  lassen  doch  am  leichtesten  den  Glauben  auf- 
kommen,   dass    wir  es   hier  nicht  mit  willkürlichen  Aenderungen  zu  tun 
haben,  sondern  dass  sich  in  die  vom  Zenodot  befolgten  Codices  eben  der 
Gebrauch  der  owri&eia  eingeschlichen  hat,  der  von  Aristarch  entweder  auf 
Grund  besserer  Quellen  oder  glücklicher  Untersuchung  und  Beobachtung 
entfernt  wurde. 

Zenodot  las  li  56 

xXvrt,  (flkoi,  ß-tlov  fi-oi  ivvnv iov  i)Xfr&r  T)vetQog 
So  hat  er  hier  das  Wort  evvnvioy,  das  nach  Ausweis  unserer  Lexica 
bei  den  Späteren  sowohl  in  Poesie  wie  in  Prosa  das  gewöhnliche  ist, 
ganz  unrichtig  in  den  homerischen  Text  hineingetragen,  wenn  man  nicht 
vielleicht  auch  hier  annehmen  will,  dass  das  Gewöhnlichere  aus  der 
späteren  Sprache  Eingang  gefunden  hat  in  seine  Codices. 
Wenn  er  /  447   las 

rolov  ort  nyonov  Xinov  'EXXcaJa  xaXXiyvvatxa, 
so  hat  ihn  zu  dieser  Aenderung  unzweifelhaft  die  falsche  Auffassung  des 
i'HH'  in  dem  vorausgehenden  Verse  bestimmt,  zu  der  er  durch  die  avrvr 
&eta  verführt  wurde. 

Wenn  man  die  Lesart  desselben  zu  N  627 

/Liail>  oi yt  o  $■  o  v  u  VOVT  t  >  ,  tun  (fiktfO&i  nsy  cti'  r ;] 
betrachtet,  so  ist  man  anfangs  vollständig  im  Unklaren,  warum  er  an 
Stelle  der  durchaus  tadellosen  Vulgata  oXytad3  aväyovihg  nun  dieses 
zweifelhafte  Gut  in  seinen  Text  eingeführt  hat.  Rechnet  man  aber  mit 
dem  von  uns  hier  behandelten  Gesichtspunkte,  so  wird  wohl  die  Ver- 
mutung das  Richtige  treffen,  dass  er  auch  hier  der  ovmfötia  gefolgt  ist, 
äyeiv  und  (ptQtiv  ist  hier  das  Gewöhnliche,  und  Zenodot  konnte  sich  dabei 
auch  auf  homerische  Stellen  berufen,  wie  v  216 

fit]  rl  juoi   oiywyrai  xoiXr\g  inl   vr\og  ayorreg. 
Al.h.  (1.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  III.  Abth.  89 


638 

Wenn  er  ^  492  schrieb 

i'vuipag  ig   fta  kau  ovg   datdwv  vno  kaunouerdwv, 
so    ist    längst    erkannt  worden,    dass    ilm  zu  dieser  Lesart  der  Gebrauch 
der    späteren    Zeit    bestimmt    hat,    in    welcher    ja    das    die    allgemeine 
Sitte   war. 

Wir  werden  darum  auch  nicht  überrascht  sein ,  wenn  die  gewöhn- 
licheren Formen  von  Nomina  wie  B  658  cHyaxkriog,  von  Verben,  wie  das 
in  der  späteren  Zeit  durchaus  übliche  (pQctooy  A  83,  wenn  /  9  ßfßlrjaro 
für  ßt-ßolrjaro  Eingang  in  seinen  Text  gefunden  haben.  Dasselbe  lässt 
sich  constatiren  bei  dem  Pronomen  tutie  M  346  348  359,  bei  xufti 
V461  etc.  Auch  die  von  Aristonicus  A  24,  E  146  156  329,  /'  211  ge- 
tadelten Constructionen  lassen  sich  unter  diesem  Gesichtspunkt  begreifen. 
Ebenso  die  von  ihm  #187,  Z  34,  #172,  i"  169  gewählten  Verbindungen. 
Dahin  dürfte  am  Ende  auch  A  251  ai  ul  und  /7  281  iXnouevai  zu 
rechnen  sein. 

Unter  diesem  Gesichtspunkte  ist  es  auch  begreiflich  und  sehr  wohl 
zu  verstehen,  wenn  wir  vielfach  an  Stelle  poetischer  und  gewählter  Aus- 
drücke bei  Zenodot  die  gewöhnlichen  und  prosaischen  finden.  Mag  man 
auch  u  209  streiten  über  die  Berechtigung  von  tnti  oder  sm ,  die 
Lesart  Zenodot's 

ov   utv  dt]  Tüdt   uh'Q)V  t/tt  xaxov,  rj  uts  Kvxhioip 
will  mir  doch  durch  und  durch  prosaisch  erscheinen. 

So  darf  man  wohl  auch  bei  der  Variante  B  299 

T'kfiT.e,  cpikoi,  xal  f.ttivai^  er  i  %qovov  '  dXXa.  xal  tjLinrjg 
ganz  abgesehen  von  der  Unzulässigkeit  der  Bedeutung  das  er*  aus  der 
Vulgärsprache  erklären,  wo  es  gerade  in  dieser  Verbindung  eine  Rolle 
spielte.  Doch  lässt  sich  auch  hier  bei  der  Leichtigkeit  der  Verschreibung 
für  in  l  an  die  Autorität  von  Handschriften,  aber  allerdings  von  schlechten 
denken. 

Eine  Vereinfachung  und  Erleichterung  der  Construction  soll  es  am 
Ende  auch  sein,  wenn  er  H  153 

d'kV  ine   &v]Libg  dvfjxs  nokvTXrjLiwv  noXsfii'Qeiv 
frayo  s  i   i  u  (p.   ytvbfi   dt  veiorarog  eoxov  anavriuv 
für  &CLQOH  w  las  und  es  natürlich  mit  noXtui'Qeiv  verband. 


689 

So  würde  man  kaum  glauben,  wenn  es  uns  nicht  ausdrücklich 
überliefert  wäre,  dass  Zenodot   IT  697  in  allem  Ernste  las: 

rovg  e'Xeg'   oi   $' äXloi   cpvyadt   uvujovto  i'y.aOTog. 

Aber  im  Zusammenhalt  mit  ähnlichen  von  ihm  bevorzugten  Wend- 
ungen   finden    wir    eine  solche  Lesart  sowohl  glaublich,    wie  begreiflich. 

So  ist  auch  F114  die  von  Aristarch  und  den  meisten  Ausgaben 
festgehaltene  Vulgata 

tj  d1'  äjuvdig  arrjoarfa   9-tuig  utia  /uv&or  keiner 

aus  diesem  und  kaum  einem  anderen  Grunde  durch  Zenodot  verdrängt 
und  dafür  das  gewöhnlichere  hergestellt  worden: 

Tj   (?'  QjUVOlS  y.a'ktaaaa   fttovg  (>tla   Ccouyrag 

Ganz  vulgär  und  trivial  will  uns  klingen,  wenn  an  Stelle  des  bei 
Homer  regelmässig  stehenden  tldi]  von  ihm  unn  gelesen  wird  in  der 
Verbindung  0  207 

iafrluv  y.al  tu  TtTVxrai,   or'  ayyt'Kug  a'ioiua  tinjj. 

Wie  es  scheint,  ist  auch  ^841   durch  seine  Lesart 

all1  oi'(T   ujg  Tity  O ei1  d  utlrjn  uj  T.eiQo/ntyoio 

der  gewähltere  und  poetischere  Ausdruck  ttelo  fUi&Tjoaa  verdrängt  worden 
und  auch  im  Altertum  war  man  dieser  Meinung:  noir]Tiy.ujTtüov  dt  xb 
treyov.  Der  Grund  mag  vielleicht  für  Zenodot  gewesen  sein,  dass  uffryauj 
mit  einem  persönlichen  Object  vereinzelt  ist.  Denn  gerade  in  der- 
gleichen Dingen  scheint  derselbe  ausserordentlich  streng  und  rigoros 
gewesen  zu  sein.     So  hat  er  ß  404 

all'  loutv,  fit]  dr)&d   diaT{)ißa)uti'   büdio 

athetirt:  ZrjyodoTog  evrj&ujg  d&trtl  Schol.  M.  Ich  habe  mich  lange  ver- 
geblich hin  und  her  besonnen,  was  wohl  der  Grund  mag  gewesen  sein. 
Mit  ziemlicher  Sicherheit  möchte  ich  ihn  jetzt  dahin  feststellen,  dass 
der  Genet.  bei  diaTüißtiv  bei  Homer  gar  nicht  und  auch  sonst  selten 
vorkommt. 

So  ist  er  auch   M  340   mit  der  Vulgata 

y.al  nvltujv '   näaat  yay  tno)yaro,   zol  dt 

89* 


690 

durchaus   nicht    in's   Reine    gekommen.     Es   ist   ganz   schlechte  und  ver- 
werfliche Prosa  das  naaag  yuy  tnwytro,  das  er  an  die  Stelle  gesetzt. 

Unter  diesem  Gesichtspunkt  betrachtet,  gewinnen  nun  folgende 
kritisch  vielfach  behandelte  Stellen  ein  erhöhtes  Interesse.  So  /'  206, 
wo  Zenodot  las 

afjg  s'yex'  dyyf-lirjg,  ovv  d(frji(pU(p   MsveXaq*, 

Aristarch 

ö€V  tvty?  dyyt*k'u]g,   ovv  äftrjtqUltp    Mtitlam 

Man  hat  in  neuerer  Zeit  keinem  von  beiden  geglaubt  und  atV  i-'ri-S 
ayytkirp  geschrieben.     Ich  habe  dagegen  Folgendes  zu  bemerken: 

a)  Nach  dem  obigen  von  mir  dargelegten  kritischen  Grundsat/o 
besteht  kaum  ein  Zweifel,  dass  Zenodot  auch  hier  in  der  Herstellung 
des  Gewöhnlichen,  der  ovvi^hiu  sich  vergriffen  hat;  er  wusste  und  kannte 
nichts  anderes  als  ayytlh]  und  nur  dieses  wollte  er  bei  Homer  gelten 
lassen.  Die  Lesart  otV  trr^  ayytu^v  hat  als  homerische  oder  besser  ge- 
sagt urhomerische  auch  nicht  einen  Schein  von  Wahrscheinlichkeit;  denn 
hätte  dieselbe,  wie  jetzt  angenommen  zu  werden  scheint,  in  irgend  einem 
Codex  oder  Urcodex  gestanden,  dann  hätte  sie  Zenodot,  vorausgesetzt 
allerdings,  dass  er  im  Besitze  dieses  Kleinodes  war,  ganz  sicher  acceptirt. 
Das  erhellt  sehr  einfach  daraus,  dass  er  0  640  las 

dyyfkirjv  diyvtaxt  ßifl  'HgaxXtjtifi 

also  mit  diesem  Sprachgebrauch  vollständig  vertraut  ist. 

b)  Ferner  will  mir  scheinen,  dass  denn  doch  an  solchen  Stellen,  wie 
7'  206,  besonders  aber  sl  140  diese  Eigenschaft  als  dyyeloi,  dieses  schwere 
persönliche  Gewicht,  ähnlich  oder  doch  vergleichsweise  wie  bei  den 
späteren  nysoßeig  vom  Dichter  hervorgehoben  werden  konnte. 

c)  Hat  nach  den  guten  Ausführungen  von  Autenrieth  zu  T  206 
und  Anhang  bei  Hentze  /'206  die  Form  dyytlirig  ihre  ganz  gute  ho- 
merische Analogie  in  ruuirjg,  y8rjrii]g.  (Man  vergleiche  auch  Lud  wich  II 
p.  164  ff.) 

Auch  die  nun  vielfach  von  den  Herausgebern  gebilligte  Form  iolo 
für  ifjog  O  138,  A  393,  T  342,  12  550  bekommt  unter  diesem  Gesichts- 
punkt  betrachtet    eine  andere  Beleuchtung   „ifjog  war,    um  mit  Hartl  zu 


691 

sprechen,  ein  verschollenes,  der  Sprache  so  unbekanntes  Wort,  dass  selbst 
die  gelehrten  Epiker  es  wieder  aufzunehmen  Scheu  trugen."  Hält  man 
damit  zusammen  die  Art  des  Zenodot,  das  Ungewöhnliche  durch  Be- 
kanntes zu  verdrängen,  so  wird  man  kaum  das  iolo  als  die  ursprüng- 
liche handschriftliche  Lesart  statuiren  können.  Ausserdem  klingen  an 
2  Stellen  die  Zeugnisse  des  Aristonicus  so  bestimmt,  dass  kaum  ein 
Zweifel  gerechtfertigt  sein  dürfte,  0  138  rjyvorjxe  J*  i.r\v  kt§tv  und 
11  528  <)id  di  äyvoiav  6  Zr\v6doT.og  „iolou  yyäysi.  Zu  bedenken  ist 
ferner  auch,  dass  sich  o  450,  c  505  die  Bedeutung  des  iolo  gar  nicht 
aufrecht  halten  und  verteidigen  lässt.  Kein  Gewicht  will  ich  auf  den 
Umstand  legen,  denselben  jedoch  nicht  ganz  übergehen,  dass  wenigstens 
an  einer  Stelle  IV  246  der  Nominativ  ivg  von  ihm  getilgt  wurde,  wo  er 
für  &6ya7iujv  ivg  dovQueltnOf:  geschrieben  hat,  auch  ein  i)v  ist  von  ihm 
einmal   durch   eine  andere  Wendung  entfernt  worden,   P456,  wo  er  für 

üg  tijiujy  Itmiouhv  ivmvevosv   uirog  rjv 
„juivog  nolv&ayoig  brfpttv*    gelesen   hat. 

Gerade  diese  Kunst,  den  gewählteren  und  wenn  auch  etwas  dunkleren 
poetischen  Ausdruck  durch  einen  gewöhnlichen  Kalibers  zu  verdrängen, 
diese  Kunst,  die  ja  auch  heute  bei  uns  so  sehr  im  Schwünge  ist,  hat 
Zenodot  mit  Meisterschaft  geübt.  Das  ist  denn  auch  der  Fall  gewesen 
t  132  und  rj  250,  wo  er  für  Haag  die  gewöhnliche  Lesart  ilaaag  {y  164) 
herstellte;  dieselbe  ist  schon  im  Altertum  im  Gegenhalt  gegen  die  andere 
verurteilt  worden:  oi  di  „tloagu  •  noirtTixvjit{toi'  yay.  Demnach  kann  ich 
dem  iläaag  auch  nicht  die  Spur  handschriftlicher  Beglaubigung  bei- 
messen   und  erkläre    mir    seine  Entstehung  in  der  angegebenen  Weise4). 


4)  Schwieriger  scheint  mir  dagegen  der  Entscheid  zu  F  138 

ti  de  x'  "Aur\g  uq/ivoi  [iä/rg  rj  <Poi ßog  'Ano'k'kiuv, 
wo  wir  bei  Aristonicus  lesen:  öit  Zrjvodotos  yyut/u  „«(^#01".  6  6f  Ourj^ng  ro  xfrr'  äficpoTiyiov  tiZv 
nyofxiiiwv  ttStfitfoy  §rjpu  t'i.o9£  :ioit,  16  ertQor  7T(»or«f«f  oro/ua,  fXhra^ii  lüaaiiv  „#/<  Qoug  2i- 
fxoetg  avfxßnXkuop  ijdi  Ixüfiaydyos*  (E  744)  xul  TeySn  utr  ti'g  'A%£Qovia  II H>i(p\ty£&u>v  re  Qeovni 
Kwxvtos  ie  (x  513)'  «et  i<n<rtn  nt:t}.K'>vux.k>'  'AXxfxnv,  610  xul  AXxuaytxöy  xaXtizai  ov%  ort  TiQwtoi 
civriü  i)r(jri<ictTo.  x  513  wird  aus  Alkinan  citirt  „KäaiwQ  wxitoy  :iwXiov  eXairj^fs  xiü  flo^vdt vxrjs ". 
Aber  diese  Beispiele  beweisen  doch  gegen  Zenodot  soviel  wie  gar  nichts ;  es  müsste  doch  hier 
mindestens  ein  Beispiel  aus  Alkman  angeführt  werden,  wodurch  der  Plural  auch  bei  der  disjunk- 
tiven Verbindung  statthaft  wäre.  In  der  citirten  Stelle  der  Odyssee  wird  unsere  Stelle  mit  dem 
Plural  (((j/iuat  neben  den  anderen  angeführt.  Waren  vielleicht  die  Alten  glücklicher  wie  wir 
und  konnten  Beispiele  für  die  disjunktive  Verbindung  anführen? 


692 

Mit  diesem  Bestreben  des  Zenodot,  das  Ungewöhnliche  und  Auf- 
fallende zu  entfernen  und  dafür  geläufigere  entweder  bei  Homer  oder 
auch  anderswo  vorkommende  Wendungen  zu  setzen,  hängt  wieder  eine 
andere  Neigung  desselben  zusammen,  an  die  Stelle  von  anai  slyrjui-'i'a 
üblichere  Worte  einzuführen.  Leider  gestattet  uns  die  Mangelhaftigkeit 
unserer  Quellen  nicht  zu  beurteilen,  bis  zu  welchem  Grade  Zenodot  dieses 
gefährliche  Verfahren  in  Anwendung  gebracht  hat.  Heute  liegt  aber 
dasselbe  doch  unläugbar  sicher  in  folgenden  Fällen  vor. 

So  hat  ihn  gewiss  das  im  Homer  vereinzelt  stehende  Desiderativum 
S  37  uiptiovTeg,  zu  der  von  Aristonicus  allein  uns  verbürgten  Aenderung 
in  oxpaiorreg  vermocht.  Zenodot  mag  es  wohl  eher  für  o»/''  aiomeg,  als 
für  <npa  lovrsg  genommen  haben;  hören  wir  doch  auch  ß  42,  wenn  anders 
die  Scholien  zu  der  Stelle  uns  richtig  berichten:  ydoiiog  yycupti  Ztjvo- 
doTog   „7]'ioru,    am>  tov  aitir.  o  eariv  dxovfir. 

So  steht  in  dem  Verse  O  470 

vsvqt]V  (Pe&Qyrjs't   vtociTQoipov,  ijv  tvtdijaa. 
Tiyioiov,  «(/)(>'  avt%ouo  fra/tiä   i}(ju>axovTag  oiarovg 

nQimov  an  dieser  Stelle  ganz  vereinzelt  und  ist  gut  verteidigt  bei  Aristo- 
nicus „ro  dt  TiQiviov  san  nyatiag'  y.al  yäy  ytyovtv  ovriog'  T/y  u qu  rav- 
r.r\g  rjlutQq  »(rfZ*  ^*  0l  vfVQrjv,  vayy.riat  d£*  ((•)  328).  wart  svkoyov  ifj 
t£rjg  exsivT]g  nymlag  (i.  e.  mane)  tvrjcpfrai" .  Das  Wort  wurde  ersetzt  von 
Zenodot  durch  das  sonst  beim  Dichter  vorkommende  TrQcprjv  (E  832, 
S2  500). 

Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  hat  auch  das  in    Y  1 1 
<tf!Tfig  mfhovaijaiv  ivi^avov,   ag  Jtl  nar^i 

ganz  vereinzelt  stehende  ivi'Qavov  aus  diesem  Grunde  ihm  Anstoss  erregt 
und  darum  scheint  er  es  durch  iyi'Qavov  ersetzt  zu  haben,  wenn  am  Ende 
auch  zugegeben  werden  kann,  dass  die  hier  von  Aristonicus  an  ihm  ge- 
übte Kritik  kaum  eine  zutreffende  ist. 
Manches  mag  ihm  auch    ^  533 

tky.wv  (XQuaTa  zala,   tXavviuv  nQoaao&tv  tnnovg 

anstössig  gewesen  sein,  aber  das  ganz  unerhörte  nQoooo&iv  muss  doch 
sein  ganz  besonderes  Missfallen  erregt  haben;  es  ist  wenigstens  in  der 
ungehörigsten  Weise  ersetzt  durch   „tkavvcov  atxfag  ci7iTwvgu . 


693 

Vielleicht  ist  das  von  ihm  in   ^  551 

namaivinv    Treues  J*  ntpuSTCtOuv  äXXo&tv  ä'M.og 

durch  TiayaoTadov   verdrängte    schon    in    seinen  Codices  gestanden ;    aber 
jityioradov,    das  nur  an  dieser  Stelle  vorkommt,    ist  ihm  möglicherweise 
auch  aus  einem  andern  Grunde  anstössig  gewesen. 
Darum  würde  ich  auch   Bedenken  tragen  J£  34 
duStg  ycty,   jlitj  Xattuör  diiauriaeig  Oidrtfxp 

das  nur  noch  cp  303   in   tmesi  vorkommende  dnaurjaete  durch  die  Lesart 
Zenodot's  dnoTurjieit  zu   ersetzen. 

Leicht  könnten  diese  Fälle  noch  vermehrt  werden ,  aber  ich  denke, 
sie  werden  genügen,  um  uns  diesen  bedenklichen  kritischen  Grundsatz 
des  Zenodot  hinreichend  zu  illustriren.  Leider  bemerken  wir  ja  auch 
sonst  an  anderen  Stelle  —  und  deren  sind  gar  viele  —  diese  Kritik  des 
OCMpeorsQOV  im  schlimmen  Sinn  in  einem  solchen  Uebermaasse 
von  ihm  geübt,  dass  wir  hier  von  einer  ihn  etwa  annähernd  oder  hin- 
länglich entschuldigenden  Autorität  der  Handschriften  vollständig  ab- 
sehen und  mit  einer  höchst  unglückseligen  und  eingebildeten  Schrulle 
desselben  rechnen  müssen.  In  dieser  Beziehung  muss  man  sich  auf  starke 
Dinge  gefasst  machen  und  wenn  man  auch  anfangs  den  von  den  Alten 
geäusserten  Urteilen  mit  dem  grössten  Misstrauen  gegenüber  steht,  schliess- 
lich sieht  man  sich  durch  die  Menge  der  einschlägigen  Fälle  gezwungen, 
denselben  zuzustimmen  und  sie  als  wohlbegründet  anzuerkennen. 

So  überliefert  uns  Aristonicus  zu  dem  Halbverse  iV"  148 

oti  Zrptod&ZQfi  yyacptt   nu  dt  ^aaaaro  TtoXXov   uiii<7GU)u .    rjyvorjos   JV'   oxi  rd 
tunmriyoTa  döyara.  zjj   äamdi   dva%u){MVVT.ig  tiiaTivaGOovoiv,    %va  djiojiearj. 
Ganz  ähnlich  ist  der  Fall   fl  160 

xai   r'  dyt'kriduv  taatv  dno  X(f9jVtJ£   ut\avvd^uv 
Xaiporreg  ylwoorjaiv  dyaifjOiv  fitkav   £(5Yu(> 

ort  Z/jVodorog  yydcpEi  „XdiftapTtg"  diä  rov  ä .  wovxai  JV  rfir\  nenwxorfg, 
xal  ixkilvrai  tj  tuipaoig '  oi  fitv  ydo  ai'uatog  ijbtTiecpo^rjueyot  xal  did  dLyav 
o(>uiövt€q    STil     ri)i'    xorjvrjy    oioQovai    ro    7ia(jdoTijfia .     enlav  r\a  c     de    rov 


694 

ZrivoSorov  ro  e£fjg,  uelgBftfvov  änu  zorji'rjg  iaoiv  ovx  l'dbi  <5V,  d'kk  tu 
xqtjvijv  mouei'ot  Tiooevorrai.  Zwar  wundert  man  sich  anfangs,  dass  die 
Alten  dem  Zenodot  Missverständnisse  derart  zutrauen;  aber  wenn  sie 
nun  vor  dergleichen  Aenderungen  standen,  so  blieb  eben  kein  anderer 
Erklärungsgrund  übrig  und  wir  können,  wenn  wir  anders  die  Neigung 
desselben  zu  möglichster  Verdeutlichung  der  Worte  des  Dichters  richtig 
beobachtet  haben,  ihnen  nur  beistimmen. 

So  lesen  wir  Z  5 1 1   in  dem  schönen  Vergleiche  vom   Pferde 

u   (V  dykai'rjcpi   7tf7lOtSwg, 
(tlu(pa  £  yovva  (ftyti   ima  t'  ij&fa  y.cu   vofwv   Y.iitor. 

Die  Worte,  die  allerdings  an  einer  Anakolouthie  leiden,  waren  dem 
Zenodot  unerträglich,  und  sofort  ist  er  mit  einer  Besserung  bei  der  Hand, 
wodurch  das  aacf^aregoy  allerdings  glücklich  erreicht  ist  „<//<"/'  ict  yovva 
(psoti*  und  der  Mann  ist  auch  kühn  genug,  diese  Aenderung  zu  wagen, 
trotzdem  dass  es  einige  Verse  darauf  heisst 

rayjtg  (5V  Tiodeg  <fto<»' 

Und  so  ist  von  ihm  an  einer  ganzen  Menge  von  Stellen  Structur 
wie  Periodisirung  des  Dichters  in  ganz  eigenmächtiger  und  willkürlicher 
Weise  gemeistert  und  corrigirt  worden  und  diesem  Principe  der  Verdeut- 
lichung im  schlimmen  Sinne  bat  er  die  grössten  Opfer  gebracht.  Ich 
hebe  aus  einer  reichen  Sammlung  nur  die  schlagendsten  Fälle  hervor 
und  kann  dabei  die  Vermutung  nicht  unterdrücken,  dass  er  an  manchen 
Stellen,  nur  um  seine  eigene  Auffassung  und  Erklärung  zu  sichern,  dem 
Dichter  etwas  nachgeholfen  zu  haben  scheint.  Darauf  wird  man  geführt, 
wenn  man  Lesarten  betrachtet  wie  die  zu  yi  413 

h'Lciov   9* kv   uwaoioi,  juträ  ocpiai   Tifjua  Tt&svtfg. 

Die  von  Aristonicus  vertretene  Erklärung  wird  man  kaum  billigen 
können:  ov  ydo  Xtyet  tavrolg  nfjua  Tifrfvreg  ol  Tyuies,  dkld  toj  X)(Jvöoh. 
Man  wird  vielmehr  dem  Zenodot  beistimmen  müssen,  wenn  er  nfjfia  von 
Odysseus  versteht.  Dieser  Sinn  schien  ihm  aber  in  der  vom  Dichter  ge- 
wählten Ausdrucksweise  nicht  recht  zum  Vorschein  zu  kommen,  darum 
seine  Schreibweise 

u.aav   (Vir   utoaoini    utra  o(fioi,  tit/uü.   dt  Haar 


695 

und    nun  war  es  doch  Jedem  klar,  wie  allein  nur  das  nr)ua  hier  gefasst 

werden  konnte.    Von  der  Eigentümlichkeit  einer  solchen  Structur  schreckt 

Zeuodot  durchaus  nicht  zurück,   wie  man  aus  N  609  erkennen  kann,  wo 

er  las: 

ty/og '   o  dt   (potolv   1)01  /«p?/,   iitya   d'rjkJitTO  vixTp 

Aus  demselben  Grunde  möchte  ich  auch  der  von  ihm  M  444  ge- 
gebenen Lesart  nicht  einen  Schein  von  handschriftlicher  Autorität  vindi- 
ciren.  Sehr  lehrreich  ist  aber  ihre  Entstehung.  Doch  da  müssen  wir 
etwas  weiter  ausholen.     Vers  437  heisst  es: 

tiüiv  yoTt  dr)  Ztvg  xvdog  vniffTSQOV  "Extoqi  diöxt 

FTyiajLiidri,  dg  nyatTog  iorjXctTo  Ttl/og    'Ayaiujv. 

rjvotv   dt   dian^voiov    Tyujtooi  ytyiovujg' 

„OQwa&f   innodauoi    Toiutg,    (>r]yvvotTt   dt  Ttl%og  440 

läyyeicov,  xai   vr\vo\v  untre   irtomdaig  7ivy.u 

wg  (far1  in<)T(Jvyu)i',  oi   <V  ovaai  navrtg  äxovov, 

l&vaar   d'  im  Ttl/og  äoXXitg.  oi    uiv   tutna 

XQoaaawv  inißairor    u/.ic/utvv   dmoai'   tyovrtg. 

Da  kann  nun  bei  y  439  ein  Zweifel  entstehen,  wer  denn  eigentlich 
ruft,  Zeus  oder  Hektor,  wer  in  dem  Satze  als  Subject  genommen  werden 
muss.  Wir  besinnen  uns  nicht  lange  und  entscheiden  uns  kurzweg  ge- 
wiss im  Sinne  des  Dichters  richtig  für  Hektor.  Anders  die  Alten,  von 
denen  uns  Aristonicus  berichtet  439:  du  im  tov  Jibg  tovto  <pt]Oiv,  ovx 
im  tov  "ExTOffOg"  dib  xai  ini]vtyy.tv  „ujg  (par'  inoTQvvLOV,  oi  (Vovaat 
navrtg  äxovov",  442:  oti  dia  tovto  tvxoii'ig  yivtTai  t6  Trjg  n^oxsifitvt]g 
djU(pißollag-  ov  yäo  <h)  aXXiog  idvravio  navTtg  axuitiv.  tl  uij  6  Ztvg 
fozeoHovrjoev.  So  suchten  sich  also  die  Alten  zu  helfen  bei  einer  Sache, 
die  eigentlich  für  uns  gar  keine  Frage  ist.  Nun  ist  es  aber  interessant 
zu  beobachten,  dass  Zenodot  der  erste  war,  dem  ein  Zweifel  an  dieser 
Stelle  aufgestiegen,  und  das  muss  man  sagen,  er  hat  für  alle  Zeiten 
gründlich  jedem  Missverständniss  vorgebeugt,  wenn  er  nun  las: 

oi  fxiv  snena 
ZQoaaaujv  inißouvov,  tu  ti  &sov  i'xXvov  avd r\v. 

Aber    das    müssen    wir    doch    als    eine    falsche  Auffassung   und   eine 
traurige  Verirr ung    der    Kritik    bezeichnen    und    werden  darum  auch  bei 
Abh.d.  l.Cl.  d.k.Ak.d.Wiss.  XVII.  Bd.  III.  Abth.  90 


696 

der  Beurteilung  ähnlicher  Fälle  uns  vor  einem  rasch  zustimmenden  Ur- 
teile hüten  müssen;  denn  diesem  ncKfWTegov  im  schlimmen  Sinn  hat  er 
ja  auch  anderwärts  seinen  Tribut  gezollt.  So  in  der  schon  oben  be- 
sprochenen Stelle  A  439 

yva>  iV  'Odvoaevg,   o  vi  ovn  xikoQ  xara  xaiyiov   r)X&ev. 

Aus  seiner  Lesart  zu  451  erkennt  man  klar,  dass  es  eine  willkürliche 
Aenderung  ist.  Der  Grund  ist  wohl  jetzt  auch  leicht  einzusehen :  die  Un- 
klarheit und  Zweideutigkeit  des  Ausdruckes  rikog  xara  zaiyioi>  sollte  durch 
die  Lesart  ß&og  glücklich  beseitigt  werden. 

Aus  diesem  Grunde  mag  er  auch  die  in  ^485  begegnende  Con- 
struction  nicht  geduldet  haben.     Dort  lesen  wir  ohne  jeden  Anstoss: 

iv  dV   rä   ri-ioHc  nävxa,    ta  t'  ovyavug  iaTetfavüJT.ai. 

Dem  Zenodot  muss  aber  diese  Verbindung  unerträglich  gewesen  sein,  er 
schrieb  darum   „ovyavbv  iorri()ixxaiu . 

So  möchte  ich  auch  an  2  Stellen,  wo  man  dem  Zenodot  unbedenk- 
lich gefolgt  ist,  Einsprache  erheben  gegen  die  Ursprünglichkeit  und  Be- 
rechtigung seiner  Lesart.     Zuerst  Z285: 

(pairjv  xev  ypfV  äxey  nov  ui'Qvog  sxlela&taftai. 

In  diesem  Verse  müssen  nämlich  2  Dinge  den  Anstoss  Zenodot's 
erregt  haben,  einmal  die  vereinzelt  stehende  Ausdrucksweise  äxey  uov, 
sodann  aber  auch  der  Verstoss  gegen  die  Analogie,  wenn  er  das  Wort 
vielleicht  axiynov  gelesen,  da  es  beim  Dichter  dxefjjirjg  heisst.  Aber  haupt- 
sächlich muss  es  die  Unklarheit  der  ganzen  Phrase  gewesen  sein,  die  ihn 
zur  Emendirung  eingeladen,  und  das  oaipiar.hQov  war  nun  auch  hier  glück- 
lich hergestellt  mit  den  Worten: 

(pairjv  xev  (pikov  tfxoy  oi^vog  tx'kela&bofrai. 

Gegen  die  Unzulässigkeit  dieser  Schreibweise  scheinen  mir  hauptsäch- 
lich zwei  Gründe  zu  sprechen.  Einmal  entfernt  sich  diese  „Emendation" 
doch  zu  sehr  buchstabenmässig  betrachtet  von  der  anderen  Variante  „äxfQ 
tiovu,  und  leider  mussten  wir  im  Vorausgehenden  constatiren,  dass  dieser 
hochwichtige  Umstand  nur  in  den  seltensten  Fällen  von  Zenodot  berück- 


697 

sichtigt  wurde.  Der  Hauptgrund,  der  dagegen  spricht,  scheint  mir  aber 
der  zu  sein:  Wäre  die  Lesart  iplXov  i)to(j  von  Seite  der  handschrift- 
lichen Autorität  empfohlen  worden,  so  wäre  auch  Aristarch  so  vernünftig 
gewesen,  ihr  zuzustimmen.  Nimmt  man  sie  heute  in  den  Text  auf,  so 
ist  man  sich  doch  wohl  klar  darüber,  dass  man  eine  Conjectur  zu 
Gnaden  aufgenommen  hat. 

So  kann  ich  mich  unter  diesem  Gesichtspunkte  auch  an  einer  zweiten 
Stelle  nicht  für  Zenodot  entscheiden  und  bin  kühn  genug,  nach  dem 
Digamma  gar  nichts  zu  fragen.  Es  ist  dies  die  vielbesprochene  Stelle 
0  526 

tv/o/Liat  ikno/usrog  du  t'  aXXoioiv  ts  &folotr, 

die  in  -dieser  Fassung  dem  Zenodot  anstössig  war  und  der  sie  desswegen 
also  gestaltete: 

h'Xnouai   evyojutvog    fti  t    aXXoioiv  Tt   tteolaiv. 

Dagegen  habe  ich  aber  Folgendes  einzuwenden: 

1)  Wenn  wir  £  366  von  Poseidon  lesen,  wo  er  den  Argivern  zuruft: 

'Ayyüoi,  xai  (T/}  avTs  ue&iefiev  "Exroyt  vixrjy 
IlQiauUhj.  %va   vfjag  eX{j  xai  xvdog  äyrjTat; 
aXV   o   iitv  ovtuj  (pi]ai  xai  svyerai,  ovvtx?  'AyjXXtvg 
vrjvalr  Mm  yXa(fV(ji]ai   uevet  xtyoXujuH'og  tjtoq, 

so  sind  die  Worte  ohne  Anstoss  und  für  Jeden  leicht  verständlich.  Man 
kann  in  der  Tat  gar  nicht  begreifen .  wie  sie  nur  jemals  zu  Bedenken 
Anlass  gaben.  Doch  hören  wir  Aristonicus:  ori  Zi]vl)doiog  yoa<pfi  „xai 
eXti  fr  a  i.u  aouoQft  (5V  ttp  TjyoaioTiu)  ru  fvyfrai,  xavyujrai.  Demnach  liest 
also  Zenodot: 

ati*    6   ii h  ovtu)  (prjal  xai   f'Xifrat,  ovvtx?  'AyiXXfvg. 

Aber  das  ist  doch  ganz  unerhört,  schlägt  jeder  gesunden  und  ver- 
nünftigen Auffassung  in's  Gesicht,  so  kann  Homer  an  dieser  Stelle  in 
diesem  Zusammenhang  unmöglich  gesprochen  haben.  Desswegen  ist 
das  „&7TfTf//"  nichts,  gar  nichts  als  eine  willkürliche  und  durchaus  un- 
statthafte Aenderung  des  Zenodot!  Darüber  wird  nun  wohl  bei  Niemanden 
auch    nur  der  leiseste  Zweifel   herrschen.     Warum  machte  aber  Zenodot 

eine  solche  Aenderung?    Das  ist  auch  klar,  wenn  wir  das  oben  dargelegte 

90* 


698 

Tripel  %o  GVLnpujvov  eavTcp  beachten.  Einfach  dessvvegen,  weil  er  oben  gegen 
die  Handschriften  gelesen  und  geändert  hat: 

e  1 77  o  fi  a  i   sv/u/Lisvog, 

darum  muss  es  auch  hier  von  demselben  Hektor  heissen  und ,  wenn 
wir  das  traurige  Kapitel  von  der  durch  Zenodot  in  den  Homer  einge- 
führten Gleichmässigkeit  in  billige  Berücksichtigung  ziehen,  kann  es  nach 
Zenodot  gar  nicht  anders  heissen,  als  elnouat  evxojiisvog.  So  gut  aber, 
wie  an  der  zweiten  Stelle,  ist  es  auch  an  der  ersten  eine  durchaus  un- 
gehörige Aenderung,  die  wir  nicht  des  Digamma's  wegen  in  den  Text 
einführen  dürfen.  Für  mich  —  und  hoffentlich  nicht  für  mich  allein  — 
ist  aber  diese  durch  den  verhängnissvollen  Laut  hervorgerufene  Kritik 
gerade  an  dieser  Stelle  ein  schlagender  Beleg,  mit  welcher  Vorsicht  man 
dieses  zweischneidige  Schwert  gebrauchen  muss;  denn 

2)  dass  Zenodot  mit  dem  Gespenste  nicht  gerechnet  hat,  ist  ja  von 
vornherein  klar,  lässt  sich  aber  zum  Ueberflusse  noch  erhärten  aus  seiner 
Lesart  N  609 

3)  Gegen  „ekno/iai  ei>x6iuvogu  spricht  aber  auch  die  von  den  Alten 
bemerkte  und  mehrfach  hervorgehobene  Fiction  des  Dichters,  die  sich 
durchaus  nicht  abläugnen  lässt,  von  der  Aristonicus  auch  zu  den  Versen 
5  45  46  spricht: 

ditöa)  jLiij   dt]  fioi  rekwij   enug  oßyiitng   "Extujq, 
wg  7i oi'   inr\nuk7)(ibv  ivX    Tywtaa'  ayo^tvwv 

Sri  lavTa  ai'aiptQrpai  «V  ixtlva  „tknouai  ivyouevog  Juu  (gegen  die 
falsche  Lesart  Zenodot's)  y.ai  „uvquoovvr]  rig  ejisira  nvybg  dr/toio 
yevtoS-w,  wg  tjvqI  vrjagu  {(■)  181).  lioxavcsra  $6  lytveio  Tiaya.  rolg  noke- 
aioig ,  wg  xal  ra  TTfot  'Oftyvovta  (Ar  375).  Vgl.  auch  Aristonicus  /  700. 
Diese  eigentümliche  Gestaltung  und  Fiction  des  Dichters  ist  aber  nicht 
aufrecht  zu  erhalten,   wenn  man  mit  Zenodot  liest   „iknoj.iai  evxojtieyog". 

4)  Wie  diese  Fassung  der  Worte  dem  im  stolzen  Siegesbewusstsein 
sich  erhebenden  Hektor  gerecht  werden  soll,  „ich  hoffe,  zu  den  Göttern 
betend,  dass  ich  .  .  .  von  hier  vertreiben  werde",  vermag  ich  nicht  ein- 
zusehen.    Hektor   ist  doch  jetzt   in   einer  Stimmung,   wo  ihm  am  Ende 


699 

das  Gebet  des  alten  Dessauer  viel  näher  läge  „die  Götter  möchten  neutral 
bleiben".  Und  nun  vergleiche  man  einmal  mit  diesem  lahmen  und 
zahmen  Ausdruck  seine  die  stolzeste  Siegeszuversicht  atmenden  Worte 
in  der  prächtigen  Rede  0  175  ff.  Darum  muss  ich  auch  dem  Urteile 
des  Aristarch  einen  sehr  vernünftigen  und  guten  Sinn  zusprechen 
.  .  .  ilno/Liai  tvyouevog  ov  y.ar.a  rov  "Europa  xbv  ovrwg  inrj^usvov 
/Jyei ,  hlnL'Qu)  tvyuutvog  rolg  &tolg'  imtixtg  ydy  jovvavxiov  yäy  olxelov 
tvyojuai  slnoibitvog ,  xavyujuai.  Ob  man  auch  tknouei'og  Jii  t'  älkoioiv 
rt  frsoloiv  mit  Aristarch  fassen  muss  „blTiidonoioviLitvog  vno  zov  Jibg  xal 
Tujy  äkkcov  frecüv"  will  ich  dahingestellt  sein  lassen.  Diese  Fassung  und 
Deutung  klingt  uns  allerdings  anfänglich  sehr  befremdlich.  Aber  ho- 
merisch lässt  sie  sich  durchaus  rechtfertigen,  man  denke  nur  an  ß  91 
von  der  Penelope  „TidvTog  uh'  (  Unit*  und  die  Dativverbindung  bei 
Passiven  ist  ja  auch  nicht  so  selten  bei  dem  Dichter.  Vor  allen  Dingen 
wird  aber  diese  Auffassung  der  Entschiedenheit  und  Energie  des  Hektor 
gerechter,  als  die  gewöhnliche.  Wenn  er  bereits  oben  so  unzweideutig 
gesprochen  175  ff. 

yiyvujoxio   d\  on  fioi  JiQocpywy  xaitvtvot  Kyoricjov 
vixijv  xal  fitya  xvdog,   diay  Javauhii  yt   ntj/ua, 

so  kann  man  sich  doch  nicht  so  leicht  mit  der  gewöhnlichen  Auffassung 
abfinden.  So  erkläre  ich  mir  also  die  Aenderung  des  Zenodot  und  halte 
sie  aus  den  angegebenen  Gründen  für  durchaus  verwerflich. 

Neben  diesen  hier  hervorgehobenen  und  besprochenen  Fällen  be- 
gegnet man  noch  einer  Menge  von  Lesarten,  die  sich  vielleicht  auch 
unter  diesem  Gesichtspunkte  betrachten  lassen  /Vi  161  246(?),  iV198(?), 
0  134,  £"340,  P  2 1 4  (?)  etc.  Auch  das  Gegenteil  lässt  sich  an  manchen 
Stellen  constatiren  wie  0  587  und  an  den  von  den  Alten  hervorgehobenen 
Lesarten  mit  atöiaroqrop  H  153,  yl  413,  FT  202,  7J  51  etc.  Aber  die 
Fälle,  wo  er  vermöge  dieses  Grundsatzes  glaubte,  den  Dichter  verbessern 
zu  müssen,  sind  doch  die  häufigeren,  und  es  scheint  mir  ganz  selbst- 
verständlich, dass  er  noch  viel  mehr,  als  wir  heut  zu  Tage  nachzu- 
weisen im  Stande  sind,  diesem  falschen  Grundsatze  seinen  Tribut  gezollt. 
Würden  uns  das  auch  nicht  unzweifelhaft  überlieferte  Lesarten  bezeugen, 
wir   hätten    auch    sonst   noch  Anhaltspunkte    genug,    um    dies    sein  Ver- 


700 

fahren  erklärlich  zu  finden.  So  dürfte  sich  gewiss  manches  erklären  aus 
dem  von  ihm  vielfach  und  mit  Entschiedenheit  festgehaltenen  Gesichts- 
punkte genauer  wörtlicher  Auffassung  und  Interpretation, 
welche  die  Worte  und  ihren  Zusammenhang  aus  sich  selbst  erklärt,  ohne 
sich  der  bequemen  Hilfsmittel  der  Ellipse,  Ergänzung,  metaphorischer 
Deutung  etc.  zu  bedienen.  In  dieser  Richtung  ist  ja  auch  Aristarch  be- 
merkenswert und  von  den  vielen  hier  einschlägigen  Stellen  zeigt  uns 
kaum  eine  besser  seine  Art,  als  die  von  ihm  A  133  134  vorgenommene 
Athetese.     Dort  spricht  Agamemnon 

ri  i&ekeig,  o(p{?  avTog  f/flS  yf^ccg,   avräy  tV   avnog 
fjofrcu   devuueyor.  xiktcu   di  ut  rr^V'  anodovrar, 

Die  Gründe  der  Athetese  lauten  bei  Aristonicus:  on  hvxelüg  i)\  avv- 
i9easi  xal  tij  (harolq  xal  u /}  ayu  o'Covt eg  'Ay  a  fxt u  v  ov  i.  Die  letzten 
Worte  wollen  uns  nun  gar  nicht  in  den  Kopf.  Aber  das  ist  leicht  er- 
klärlich ,  weil  wir  von  Jugend  auf  an  eine  ganz  andere  Interpretation 
der  Stelle  gewöhnt  sind,  die  auch  jetzt  noch  in  den  meisten  Ausgaben 
—  Franke  ausgenommen  —  gehalten  ist.  Man  ergänzt  nämlich  aus  dem 
Nominativ  ytyctg  den  Genitiv  des  Wortes  und  erklärt  demnach  „der 
Ehrengabe  oder  derselben  beraubt".  Das  konnte  aber  kaum  einem  Griechen, 
das  konnte  nimmermehr  Aristarch  einfallen;  denn  dsvo/tievog  ist  ihnen 
ein  so  fester  und  bestimmter  Begriff  „dürftig",  dass  es  ihnen  gar  nicht 
beikam,  hier  an  eine  Ergänzung  zu  denken.  Wenn  nun  Agamemnon  im 
Sinne  Aristarch's  sprach  „aber  dass  ich  nur  so  dürftig  dasitze",  so  kann 
man  sein  Urteil  „xal  m)  afjuoQovTtg  'Aya/Lituvori"  ganz  wohl  begreifen. 
Aber  Zenodot  scheint  doch  hierin  viel  weiter  gegangen  zu  sein  und 
diesen  an  sich  gesunden  Grundsatz  durch  ängstliche  Uebertreibung  viel- 
fach zum  Schaden  des  homerischen  Textes  in  Anwendung  gebracht  zu 
haben.  Beginnen  wir  mit  einem  locus  classicus,  /  131,  dort  spricht 
Agamemnon 

dioau)  d'  em.a  yvvaixag  auvnova   tyya   hJviag 
yltoßidag,   ag,  ots  Atnßov  ivxTijLievrjr  Her  atirug 
t£eXou?]v,  di  xaXXti   irixwr  qvla  yvvaixwv. 
rag  fiev  ul  (Tcoaco,    uera  &   i'natrai,  rjv  tut'  anriv^wv, 
X.OVQT]   ßyinrjog. 


701 

Nun  versteht  Zenodot  das  ,«*r«  J1'  sootrat  „darunter,  dabei 
wird  sein"  nämlich  unter  den  tma  yvvaixtg,  ohne  zu  bedenken,  dass 
auch  noch  eine  andere  Auffassung  möglich  ist,  die  dem  Dichter  wohl 
gestattet,  die  höchste  und  wichtigste  Gabe  in  dieser  selbständigen  und 
bedeutungsvollen  Weise  hervorzuheben.  Allerdings  bei  dem  ersten  An- 
blicke muss  man  es  am  Ende  oder  kann  es  doch  wenigstens  so  fassen, 
wie  Zenodot.  Dadurch  kam  ♦  er  aber  nun  in's  Gedränge  mit  77245,  wo 
es  in  unserem  Texte  heisst: 

tx  cT'  avov  cuipa  yvvolxag  duvuova  eyya  idviag 
t7ir\   (xtcIq  öydoajrji'   B(jiartida  xalXina^ov. 

Diese  Worte  konnten  nun  bei  der  oben  besprochenen  Auffassung 
des  Zenodot  nicht  bestehen,  darum  änderte  er 

e%   drdy  ipooftaTTjV   /lyinrjida  zcdhjidyuov 

und  vom  Standpunkt  Adam  Riese's  ist  dagegen  auch  gar  nichts  einzu- 
wenden, aber  das  ist  denn  doch  ein  trauriger  Beleg  für  den  krassen 
Subjectivismus  des  Vaters  der  ersten  Homerausgabe,  wenn  er  unbekümmert 
um  Stellen  wie  /  271,  638,  wo  Aristonicus  zu  vergleichen  ist,  nun  einer 
reinen  Schrulle  zu  liebe  in  so  rigoroser  Weise  den  Dichter  glaubte  meistern 
zu  dürfen.  Und  das  Letztere  hat  er  nur  zu  oft  getan  und  leider  ist 
dieses  Beispiel  nicht  vereinzelt.  Denn  dieselbe  Wahrnehmung  können  wir 
auch  machen  0  139,  wo  wir  in  unserem  Texte  lesen: 

Tudtidt],  äye  <)/)  cttlw  tpoßoy  (V   t/t   uv'wv/^ag  %7i7iovg 

Zenodot  sagt  sich  hier,  wie  kann  an  der  Stelle  der  Ausdruck  aurt 
gerechtfertigt  sein!  Nestor  wie  Diomedes  sind  ja  bisher  immer  siegreich 
vorgedrungen,  darum  ist  das  Wort  avre  „wieder"  unstatthaft  und  zu 
lesen: 

dys  vm   (poßov  dt 

was,  wie  Aristonicus  bemerkt,  sprachlich  durchaus  unstatthaft  ist. 

Dieselbe  Beobachtung  können  wir  bei  avrs  machen,  A  93.  Dort 
spricht  Teiresias  zu  Odysseus 

t/tit'  olvt\  «5   dvorrive,  kuiwv  (pdog  fjshiuio 
jjku&tg; 


702 

Auch  hier  fasst  Zenodot  das  aiTt  wörtlich,  aber  da  ist  es  unzulässig, 
weil  Odysseus  früher  nicht  in  die  Unterwelt  gekommen  ist,  darum  änderte 
er  auf  gut  Glück  t/ttt'  avrcog  .  .  .  rjlvfreg,  eine  Aenderung,  die  nicht 
besser  ist,  als  die  zuerst  genannte. 

Nicht  anders  wird  auch  ^230  zu  beurteilen  sein 

trfro.    dt  xai  tot'   ölovro  dviodexa  cpujTsg  äptoroi. 

Auch  hier  muss  er  xal  tote  ganz  wörtlich  genommen  haben  und 
da  Nichts  im  Vorausgehenden  der  genauen  Angabe  entsprach,  so  änderte 
er,  indem  er  sich  ziemlich  weit  von  unserm  Texte  entfernte: 

ti'fta   dt  xovgot    okovxo  dvujdtxa  Tiarrtg  aQiaroi. 

Anders  wird  man  sich  auch  kaum  seine  Lesart  K  98  erklären  können 

/lit)  rot  fxtv  xauarü)  adrjxoreg  r)dt  xai  vtivu) 
stoiiiTjOwi'Tai.  dra{t  tfvXaxrjg  tnl  ndyy^v  Xd&wrai. 

Der  Ausdruck  ist  durch  Aristarch  gut  und  vollständig  richtig  erklärt 
„tri  dt  xal  vvv  kfyojusy  vrtvov  jmotov  ov  zw  tivTirioxma,  dkkd  rov  jrokv 
rb  vnvumxuv  tr  avun  t/orra.  Das  hätte  sich  Zenodot  auch  sagen  sollen; 
dann  hätte  er  die  Lesart  der  Handschriften  gewiss  nicht  angetastet  und 
geändert  in 

xaiidrqj  ddijxoreg  rjdti   V7i)'(n 
xoiuijaajyrai. 

Aus  demselben  Grunde  müssen  wir  auch  seine  Schreibweise  zu  A  299 
erklären.     Dort  spricht  Achilleus: 

%tyai   utr  oi)  roi  iyw  ye   ua/^aouai   ti'vtxa  xovQrjg 
ovrs  aol  ovre  Tto  äkktp,  tritt   iCdcptkta&t  yt  dorreg', 

die  Worte  inet  u1  dqpt'ktafrt  ytdovrtg  waren  ihm,  wie  es  scheint,  an- 
stössig,  wenn  er  sie  mit  den  Versen  verglich  /  366  ff. 

fVifouor/,  crW'   tkayov  yt '  ytyag  dt   uoi,  og  ney  tdtoxtv, 
avTig  tqpvßyi^ujv  tktro  xpeitov  Idyajueuvwr 

und  darnach  musste  constatirt  werden,  was  auch  die  Alten  getan 
„rd  fuv  ydy  dkka  xar.d  xkf^ov  tkaße ,  rr\v  dt  Byiorjida  tiaiQtrov  7ia(f 
sfyauutiworog"   Aristonicus.    Darüber   war  sich  auch   Zenodot  vollständig 


703 

klar  und  nun  konnte  der  Halbvers  gegenüber  der  klaren  Wahrheit  nicht 
bestehen    und   musste  einer  ganz  unerhört  schlechten  Correctur  weichen: 

Aber  so  darf  man  einen  Dichter,  wenn  er  seinem  Helden  die  Sprache 
der  Leidenschaft  in  den  Mund  legt,  nicht  meistern  und  richtig  ist  bei 
Aristonicus  dagegen  bemerkt  .  .  .  oyyfi  (5V  xoivonoiel  dg  anarrag,  <cog  d> 
TOP   aXtiov   tfje   ä(fat(JtcffU)*   äyvmhv. 

Darum  kann  man  auch  Düntzer  beistimmen,  wenn  er  die  Lesart 
des  Zenodot  erklärt  N  546 

üvraa7   inat$ag.   dia   &i   (flhßa   näaar   fateposv 

für  ü.jio  o*7  cpUßa  „cum  vena  non  a b scinderetur ,  sed  dissecaretur" 
D.  p.  137.    (Vgl.    M  79   ^210?) 

Daraus  erklärt  sich  sehr  natürlich  und  wird  begreiflich,  dass  Zeno- 
dot aus  demselben  Grunde  auch  dem  Principe  huldigte,  der  Dichter 
müsse  „Alles"  sagen,  eine  Annahme  des  xard  to  o itontojusvor 
sei  unzulässig  und  abzuweisen.  Wenn  diesem  gefährlichen  Inter- 
pretationsgrundsatze eine  Ausdehnung  gegeben  wurde,  dass  man  sich 
leichten  Herzens  über  die  schwierigsten  Probleme  damit  hinweghalf, 
dann  hat  Zenodot  nur  Recht  getan,  mit  demselben  nicht  zu  rechnen, 
sondern  ihn  mit  aller  Entschiedenheit  abzuweisen.  Anders  stellt  sich 
dagegen  die  Sache,  wenn  derselbe  im  Interesse  der  Textkritik  ange- 
nommen und  in  bescheidenen  Grenzen  gehandhabt  wird.  Dess wegen 
verdient  auch  Aristarch  durchaus  keinen  Vorwurf,  wenn  er  diesen  Inter- 
pretationsgrundsatz zuerst  aufstellte  und  gegen  die  Willkürlichkeiten  des 
Zenodot  in  Athetesen  und  Lesarten  ausspielte.  Es  berichtet  uns  darüber 
Aristonicus  zu  0  17 

avräy  o  otoytvrja  ooffV   uh'  iintr  avtoC  irt  oyJhtl 

Ott  cmmifttTai  uiv  to  dooi'  (n/riog ,  dvakaußai'ti  oV  ov  xara  to  <>',">/', 
dkiC  vor* yor  (67)  (xvtw  (paivtrat  %oo>/Lieros .  t]  &i  di'cupoyä  nyög  ZijrodoTor 
dyv oovvt  a,  ot  i  Jiolhä  cJfl  Jiooadtyta&ai  xard  to  aiion  co- 
li f  v  o  r    tv  t  (jy  0  v  n  f  v  a. 

Das  Sündenregister  Zenodot's  in  dieser  Richtung  ist  bereits  von 
Anderen  verfertigt  worden,    doch  müssen  wir  der  Vollständigkeit  halber 

Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  III.  Abth.  91 


704 

hier  noch  einiges  hinzufügen.  So  führte  ihn  dieser  Grundsatz  zur  Athe- 
tese  von  77  432  —  458  .  .  .  ovx  alnfrouerog.  bemerkt  Aristonicus,  ort 
Tiokla  zctTa.  ovunt-yaaua  Xtyti  6  Jioujrrjg  niajniouu'iog  yeyoroTa  xal  ov  (Jior 
imtypelv,  Tiiug  i]  utxybv  eujiQunß-ei'  (P  79)  $n\  rov  'ÜXvutiov  TiaQaxBXfogfjxvXa 
vvv  im  rrjg   "idrjg  ioriv. 

Zu  einer  ungeschickten  Aenderung    und  Athetese  wurde    er   geführt 
77  666,   wo  er  schrieb: 

y.al  Tor'   ä(/   i$   "idtfi  nyootqi,   ZtVS  ov,   (pihxv    vlov 

iV  ix  ttjs  7fV/yt,'  ftQooqxovfl  rbv  ir  Tip  ieoi(p  *A7toXXa)va.  vsXolov  fii  xoav- 
ydl^uv  dnb  r^g  'I(h]g  ibv  Jia.  ov  vtvorpav  ovv,  ort  ja  romvia  xard 
rb  aiLOJHO/Litvoi'  ivfQyovutru  du  nciyadi/tattai,  zafrd.ny  xal  ir  rotg  faiavo) 
m(pl  rfjg  "Hyag  (432)  Aristonicus.  Es  war  nur  Consequenz  dieser  Aender- 
ung, wenn  Zenodot,  wie  wir  oben  gesehen  haben,  den  Vers  677  strich. 

Aus  diesem  Grunde  erkläre  ich  mir  auch  seine  Aenderung  von  </>  335 
tiöotiai    f£  ('('/.n'hi'   y('j.nit)'    OQflovoa    x)vtü.av. 

wo  Zenodot  schrieb:  ttaojuat  i£  oHo&ev  '/(ü.b.itjv  bynaau  ftvtlkar.  Dazu 
bemerkt  Aristonicus:    ix    <)V   uwiov  qtavtffog  i<>u   öedey/uivos  ro  ßioopai 

yi'ujnouai.  Der  Grund  scheint  mir  einzig  und  allein  der  gewesen 
zu  sein,  dass  Zenodot  vom  Dichter  nun  auch  forderte,  dass  dieser  Gang 
der  Hera,  der  wirklich  auffallend  genug  bei  uns  fehlt,  nun  auch  von 
ihm  angegeben  und  geschildert  werden  sollte. 

Aus    demselben    Grunde    wurde    er    zu    einer    Interpolation    geführt, 
P  456 

wg  elmbv  %7\7ioioi    ijitvog  Tio'kvfrayaig  ivijxtv 
avrbg  OvlvjjLnovdt  ju.tr3  dfravaroiat  (?)  ßtßfjXH 

denn  der  zweite  Vers  scheint  auf  keiner  handschriftlichen  Autorität  zu 
beruhen  und  nur  von  Zenodot  allein  aus  dem  angeführten  Grunde  hinzu- 
gesetzt 'worden  zu  sein.  In  dieser  Beziehung  sind  auch  einige  andere 
Lesarten  desselben  bemerkenswert,  in  welchen  mir  auch  dieser  Grundsatz, 
dass  der  Dichter  Alles    sagen    müsse,    noch  erkennbar  scheint.     So  ß  55 

avrctfj  inti  $'  rjyeyfrev  6/Ltrnr€Q€€g  t'   iytvovro 

toIoi   (V   dv  inr.a  fLtsvog  juertcpr]  xyeiiov  slyauiiivuiv. 


705 

Auch  /  23  —  31 

ijroi   o  Y  u>g  tlnun'  WOti3   «(>'   i'QeTo   9-vubv  dyjviov 
joiai   $'   dv  igt  u  (i  e  v  <>  g   utrecpr]  XQttreQog  Jiourfirig. 

Darum,  denke  ich,  hätte  Zenodot,  wenn  er  auch  nicht  das  Zeugniss 
der  Ausgabe  von  Massilia  und  Chios  für  sich  gehabt  hätte,  schon  aus 
diesem  Grundsatze  geschrieben   T  76: 

rolai   (T'  dviaraiiBvog   utre(pr]  xqeiujv  Ayaiihivwv. 

Auch  an  zwei  anderen  Stellen  muss  man,  wie  ich  glaube,  mit  dieser 
Art  der  Auffassung  des  Zenodot  rechnen.  So  an  einer  der  Odyssee,  wo 
schon  von  den  Alten  darauf  hingewiesen  wurde,  nämlich   #  22  23 

öeivbg  t'  aifiolog  re  xal  ixzeleotitv  deß-kovg 
nolXovg,   ruvg   <f>airjxeg  ineiQi]aavT'>  X)$VOTJoq. 

Wenn  Aristarch  den  zweiten  Vers  athetirte,  so  ist  das  eine  Todsünde 
gegen  Homer.  Halten  wir  aber  den  Grundsatz  des  Zenodot  fest,  so  werden 
wir  keinen  Zweifel  in  das  Scholion  des  Aristonicus  setzen:  d&siel  Zrjro- 
dorog'   uv  ydy    „JloXXovg*    tteksoev   iv   <I>aiaxiq,   oM?   ioiüXSVOl    uovov. 

Dass  es  aber  nach  Zenodot  auch  sonst  bei  Homer  ganz  genau  nach 
dem  Striche  gehen  müsse,  sieht  man  klar  an  einer  anderen  Stelle,  nämlich 
A  225  ff.  Die  Verse  nämlich  A  225 — 234,  in  welchen  sich  der  Zorn  und 
die  Leidenschaft  des  Achilleus  in  den  stärksten  Ausdrücken  Luft  macht, 
wurden  von  ihm  unbarmherzig  mit  dem  Obelus  versehen,  wie  uns  Ari- 
stonicus berichtet:  ort  Zi}vuöoTog  xovxov  tov  zonov  rjfrfrrjxsv  tiog  rov  „vai 
uu   i (')()(■  axij7tTQoyu   (234). 

Ich  selbst  war  auch  früher  mit  Düntzer  der  Ansicht  (D.  p.  180), 
Zenodot  sei  durch  die  starken  Ausdrücke  dazu  veranlasst  worden.  Weit 
gefehlt!  Es  muss  nämlich  nach  ihm  genau  nach  dem  Striche  gehen. 
Wenn  daher  Athene  —  so  argumentirt  Zenodot  —  zu  Achilleus  sagt 
Vers  A  211 

dktf  r\  xoi   k'ntaiv  fiiv  ovtloioov,  ujg  toexal  n  s  o , 

so  kann  und  darf  dieser  nichts  anderes  sprechen  als 

vai   ud  TO(Jt  axrjJiTyov  etc. 


tj  ttot'  'Axii-lfjog  no&fj  Xigtrai   Viag  *A%ai(Ji)V. 

91 


706 

Wenn  wir  nun  in  der  oben  angegebenen  Weise  diese  Kritik  des 
oa(ptOT(()t>v  im  schlimmsten  Sinne  von  Zenodot  geübt  sehen,  so  begegnet 
anderwärts  wieder  ein  Verfahren,  das  man  füglich  gut  daran  anreihen 
und  im  Zusammenhalt  damit  betrachten  kann.  Denn  nicht  bloss  Deut- 
lichkeit und  Klarheit  war  es,  was  Zenodot  zu  Aenderungen  oder  Bevor- 
zugung dieser  oder  jener  Lesart  bestimmte,  sondern  ihm  war  es  auch 
vielfach  darum  zu  thun,  Kraft  und  Nachdruck  —  das,  was  die 
Alten  iinpavT  ix  v')t  t  (>(>Y  nannten  —  in  der  Sprache  des  Dichters  zu 
ihrem  Rechte  zu  verhelfen. 

Beginnen   wir  mit  ()  44 

ruyoutvovg  (T'  inl  vrjvalv  Idiuv   kkirflty  'A/aiovi;. 

Dazu  berichtet  uns  Didymus:  „tv  ji)  *A(tiOTO<pavovs  xal  Maoaahwux^ 
xal  'Ayyohxfi  ovruog  i<ptQ*ro  „x  r  1 1 )' <>  u  tvova  (V  fall  vtjvoiv  loo)vu.  Ver- 
gleichen wir  beide  Varianten  mit  einander,  so  müssen  wir  dem  Urteile  des 
Didymus  unbedingt  beipflichten,  das  er  dahin  abgiebt:  xal  i-nrw  su<pavri- 
xioreQor  rotf  9?ttQ0fifv<tog* .  Aber  dennoch  werden  wir  Bedenken  tragen, 
die  Lesart  in  den  Text  aufzunehmen,  wenn  sie  auch  durch  die  zweifel- 
hafte Autorität  der  McnaalnüTixi]  und  'Ayyohxi)  empfohlen  ist.  Denn 
wenn  nicht  Alles  trügt,  lässt  sich  mit  ziemlicher  Sicherheit  erweisen,  dass 
sie  nichts  weiter  ist,  als  eine  des  grösseren  Nachdrucks  wegen  gemachte 
Aenderung  und  dass  Zenodot  gerade  in  dieser  Richtung  dem  Aristophanes 
vorangegangen  ist. 

Man  betrachte  daher  einmal  unter  diesem  Gesichtspunkte  folgende 
Stellen  mit  den  Lesarten  des  Zenodot.     So  lautet  unser  Text  /  594 

rrxva   dt   r'   äXloi   äyovai  ßa&v£u>VOty   r«  yvvaXxa^. 

In  dieser  Fassung  hat  den  Vers  auch  Aristoteles  gelesen,  Rhet.  I,  7, 
1365a  15,  und  er  ist  durch  Düntzer  gut  verteidigt  worden  mit  dem 
Hinweise  auf  /'  301 

äko/ot   (?'   akkotot    dctjueltv. 

Zenodot  ist  der  einzige  gewesen,  der  hier  Anstoss  genommen  und 
zwar  an  äkkui.  Das  Wort  muss  ihm  zu  schwach  und  matt  erschienen  sein 
und  darum  ersetzte  er  es  mit  einem  signifikanteren  Begriffe  und  las 
jrxva   dt-   dreien    äyovai. 


707 

Vom  dem  mächtigen  zu  Thal  eilenden  Bergstrom  singt  Homer 
A  492 

cot;   c?'   onors  nfaq&üiv  noraubg  Tiedlovdt  xareiai 
yjiua()Qovg  y.ax>    "oQtrupiv.   öjia^outvog  Jiog  hußyip. 

Damit  konnte  sich  Zenodot  nicht  zufrieden  geben,  und  es  unterliegt 
kaum  einem  Zweifel,  dass  ihm  für  die  hier  geschilderte  Situation  das 
xartiot  zu  schwach  erschienen  ist.  Er  forderte  einen  stärkeren  und 
kräftigeren  Ausdruck  und  glaubte  denselben  gefunden  zu  haben  in  X  456 
und  darnach  las  er  auch  hier 

nEÖLovdt  dirpai. 

So  sollte  auch  die  Schilderung  noch  mehr  Farbe  und  Leben  be- 
kommen  P  595 

xal  tot'   «oa    Kqoviotjs  f'/.fz'   alyida    frvanavoeooav 
jLMxyuayeijp,    'ldt]v  dt  xaia   vsiphaai  xaXvipev, 
amyaipag  dt    uaka   utyd'tJ   exrvTif,  rr/y  <5V  Tivaii-v. 

Das  tt\v  os  liva&v  schien  ihm  nach  den  vorausgegangenen  Worten 
einmal  unnötig,  dann  aber  auch  viel  zu  schwach  zu  sein.  Mit  leichter 
Aenderung  stellte  er  daher  hier  yipr  her,  das  nach  jeder  Richtung  un- 
gehörig ist  und  schon  treffend  von  Aristarch  widerlegt  wurde. 

Anders  kann  ich  mir  auch  nicht   <P  2  erklären 

Zavd-uv  öivrjevTOg,   ov  a&avarog  T&eero  Ztvg. 

Das  äfravaTog  bei  Zeus  schien  ja  selbstverständlich;  wenn  damit 
etwas  gesagt  werden  sollte,  musste  es  auf  Xanthos  bezogen  werden, 
darum  schrieb  er  hier  ähnlich  wie   R  741   aO-avarov. 

So  muss  ihm  wohl  auch  ^  34  von  Chryses 

ßfj   fraximv  Tiaya  &lva  no'kvtphnaßoio  &aXanar}g 

das  äxiwv,  welches  bei  richtiger  Interpretation  ganz  einzig  angemessen 
erscheint,  zu  schwach  und  nichtssagend  erschienen  sein.  Darum  änderte 
er  und  las:  ayjujv. 

So  werden  wir  uns  am  Ende  auch  entscheiden  müssen  0  501,  wo 
Hektor  spricht 

dXkct  tiqIv  xvecpag  ffifre,  to  vvv  saaiooe   ualiaxa 

'Aqytwvg  xal  vfjag  im  §r)y/Luvi   ß-alaaarjg. 


708 

Bezeichnender  schien  ihm  wenigstens  das  entschuldigende  Hemi- 
stichion,  welches  Agamemnon  gebraucht  K  45  und  darum  übertrug  er 
es  auch  an  unserer  Stelle  und  las 

'Aqytiovg  ttai   rf/ag,  ejiei  diog  itganeto  ([{>>,>' 

Man  vgl.  noch  H  161  (?)  667  (?),  (■)  207(?),  A^  702.   JT229(?).   T331(?). 

So  wird  es  nach  dieser  Darlegung  nichts  Auffallendes  mehr  haben, 
wenn  wir  Zenodot  kennen  lernen  als  einen  abgesagten  Feind  wirklicher 
oder  vermeintlicher  Tautologieen  und  wenn  wir  ihn  demgemass  be- 
strebt sehen,  mit  allen  erlaubten  und  unerlaubten  Mitteln  der  Kritik  sie 
aus  dem  Felde  zu  schlagen.  Auch  die  Alten  haben  das  sehr  richtig 
erkannt  und  angemerkt.     So  E  194 

xa).ol  7J()ü)T.ona>ytl(;  vtoin  yttg,   ouifi   dt-   nenhn 

oti  Zr\vo8oT.og  fiiTB&tpcey  (^&erijxty)  wg  TavTohtymi  *rog  „JTQUJT.ojTctyug 
vsoTev%ttgu  t  ayvouiv  oti  tviati  nayakkrjkwg  raanfi  rag  loodwctfiovoctQ 
ks&ig.     Ueber  die  Verse  selbst  vergleiche  man  Ludwig  I  p.  253. 

Das  scheint  mir  der  Grund  gewesen  zu  sein  zu  seiner  kühnen  und 
unglücklichen  Aenderung  H  127 

og  TioTt  ;/'  tlooutvog  juey*  iyr)&ttv  ip  ivl  o'ixoj 
navroiv  'Ayytiujy  ifjtujv  yfi'erjv  ts  toxov  t.b, 

wofür  er  schrieb 

0$   .loif-    utiQoutyog   ueyaX   JSottvty   ip   tvi   or/jn. 

Dem  Zenodot  müssen  //'  uooun'og  und  iutujv  als  tautologische  Begriffe 
unerträglich  gewesen  sein  und  darum  seine  Lesart  utioouevog,  die  in  der 
von  ihm  angenommenen  Bedeutung  bei  Homer  nirgends  eine  Stütze  hat. 

In  dieser  Beziehung  ist  mir  auch  immer  aufgefallen  seine  Schreib- 
weise /  537 

ohj   ft   ovx  f(>(>f|*   Jwg  xovfjtj   ueyakow 
rj  Xa&eT1  rj  ovx  evorpev 

„tx'kä&rt  ovo*7  irorjotv".  Er  meinte  doch  wohl,  so  jzwei  naheliegende,  fast 
tautologische  Begriffe  Xa&tTo  und  svoipev  könnten  unmöglich  durch  rj  —  rj 
auseinander  gehalten  werden  und  eher  sei  der  positive  und  der  negative 
Ausdruck  mit  derselben  Bedeutung  zu  erwarten.     An  dieser  Art  der  bei 


709 

den  griechischen  Dichtern  so  gewöhnlichen  Tautologie  muss  er  demnach 
keinen  Anstoss  genommen  haben. 

Ob  wohl  die  mir  unbegreifliche  Lesart  0  587  rj  ßovxolov  ducpi  ol 
avToj  diesem  Grundsatze  ihr  Dasein  verdankt,  wird  sich  wohl  schwerlich 
mit  Sicherheit  ausmachen  lassen. 

Unter  diesem  Gesichtspunkte  werden  wir  es  auch  natürlich  finden^ 
wenn  er  den  Wechsel  im  Ausdrucke  liebte  und  bevorzugte  und 
ihn  durch  Aenderungen  oder  Aufnahme  passender  Lesarten  zu  erreichen 
suchte.  Wir  gemessen  mit  voller  Freude  und  Hingabe  die  schönen 
Verse  I  177 

nn   <>'    i\yt:  yjjoa   XaXbv   ri/.H »/'(/// /•»'/,.    l&i   yairag 
ne^afiev7jf  /£(><>*  n/.nxauovg  gjiX&g  ipativovg 
xalovg  d/Lißpooiovg   ix  xgaaTos  n&avttrpto. 

Nicht  so  der  Grammatikerwitz  der  Alexandriner  Zenodot  und  Aristo- 
phanes,  von  denen  uns  Didymus  berichtet:  ZijvoJtorog  xal  'A^irsToifävrjg 
„xaXovg  xitl  /usyakovg*.  Was  mag  diese  Variante  in's  Leben  ge- 
rufen haben?  Darauf  haben  uns  die  Alten  eine  Antwort  und,  wie  mir 
scheint,  auch  eine  richtige  gegeben:  Iva  utj  kvnfj  ro  nd/iißy6aiovu  owsxh 
ov  V.  Sapienti  sat! 

Aus  keinem  anderen  Grunde  wüsste  ich  mir  die  von  ihm  beliebte 
Lesart  JT  155  zu  erklären.     Dort  lesen  wir 

"Extujo  rt    fToiöuoto  naig  cphoyl  etxelog  äkxrjv. 

ryig   uh'    uir   [Attomo&t  nodiüv  laße  (paldtuog  "Extcoq. 

Dafür  hat  nun  Zenodot  gegeben: 

"ExTcoy  Tf   FTyidiioio  nötig  avt  eixekog  dXxr\v, 

og   uir  T()lg  fjLBToma&e  Tiodiuv  laße  xal   uty'   dvrsi. 

Ich  kann  mir  nichts  Anderes  denken,  als  dass  ihm  die  Wiederholung 
von  aExra){)  am  Anfange  des  ersten  und  am  Schlüsse  des  zweiten  Verses, 
also  in  so  unmittelbarer  Nähe  anstössig  war. 

So  wird  man  auch  versucht,  die  merkwürdige  und  kaum  verständ- 
liche Lesart  desselben  zu   E  53  zu  erklären,  wo  er  für 

dXX1  oy  ol  tot«  ye  yyala/j?    'Apre/Lug  loyeaipa 


710 

schrieb:  y^auunr  d-avaroio  7ieku)(ja:  denn,  wie  es  scheint,  war  ihm  auch 
hier  die  Wiederholung  nach  51  "A^Ttutg  avir\  anstössig  und  er  entfernte 
sie  desswegen  durch  die  angeführte  Lesart. 

Liest  man  den  Vers  J^  576  in  seiner  jetzigen  Fassung 

nag  TiOTauov  Xfladovra,  naya.   {iodavbi'   (Jovaxfja, 

so  würde  man,  wäre  es  uns  auch  nicht  ausdrücklich  überliefert,  schon 
unter  diesem  (Gesichtspunkt  begreifen  können,  dass  die  Wiederholung  des 
nayä  in  so  unmittelbarer  Nähe  dem  Zenodot  Anstoss  erregen  musste 
und  er  dafür  dia  setzte. 

Unter  diesen  Umständen  möchte  ich  auch  für  die  Ursprünglichkeit 
der  Lesart  des  Aristarch  7/12  eintreten 

av%tv>  vnu  OTecparrjg  tvy/u.xov.   /.Cito  (57  yvla} 

welcher  Xvos  (57  yvla  gegenüber  steht.  Ich  glaube  nämlich,  dass  hier 
nicht  der  Wechsel  des  Subjectes  Anstoss  erregte,  sondern  die  Wieder- 
holung derselben  Worte  Vers  16  Xvvto  J7  yvla.  Dort  aber  liess  sich 
kvas  dt  yvla  nicht  anbringen,  weil  unmittelbar  vorausgeht  b  (V  e|  Xnnwv, 
yapadig  neos. 

Wenn  nun  auch  in  solchen  Fällen  Zenodot  im  Ausdrucke  den  Wechsel 
liebt,  so  ist  er  doch  weit  entfernt,  ihn  überall  mit  Gewalt  herstellen  zu 
wollen.  Aber  nach  einer  Richtung  ist  er  ganz  unerbittlich.  Mit 
unnachsichtiger  Strenge  huldigt  er  dem  Principe  der  unbedingten 
Gleichmässigkeit  des  epischen  Stiles  einerseits,  andererseits 
aber  auch  der  Uebereinstimmung  des  Dichters  mit  sich  selber, 
und  ich  stehe  nicht  an,  zu  behaupten,  dass  die  allermeisten  seiner  Aender- 
ungen  ihm  von  diesem  Gesichtspunkte  dictirt  wurden. 

So  will  er  doch  wohl  zunächst  den  Dichter  mit  sich  selbst  in  Ueber- 
einstimmung bringen   £809,  wenn  er  liest  von  Tydeus 

xovyovg   Kadpeliov  7iQOXal£Onot   navTa   (Pivlxu 
Qriidiujg '   Toltj  oi  iycjv  tmT.aQQo&og  r\a. 

Aristonicus  bemerkt  unter  anderem  über  den  zweiten  Vers:  ubt^x^U 
vv  ötovxüjg  ix  rov  'AyajjLtfuivovog  ibyov  (J  390).  Gewiss,  aber  für  Zenodot 
war  bestimmend,  dass  uns  über  dieselbe  Sache  von  demselben  Dichter 


711 

auch  in  gleicher  Weise  sollte  berichtet  werden.  Aber  das  sieht  doch 
jeder,  dass  der  Vers  an  dieser  Stelle  sowohl  nach  Gedanken,  wie  nach 
Ausdruck  unmöglich  ist.  In  letzterer  Beziehung  ist  ganz  ausgezeichnet 
im  Scholion  A  bemerkt  .  .  .  xai  ou%  olör  re  em<ptQ€iv  „not  fr  ijxoi  utv 
iyaj  jiaga  &'  Xarauai  f[dh  q)vldaau)u.  Dass  der  Vers  aber  ein  willkür- 
licher, durch  keine  handschriftliche  Autorität  geschützter  Zusatz  des 
Zenodot  ist,  scheint  sicher  geschlossen  werden  zu  müssen  aus  der  Nach- 
richt im  Venetus  A:  tovtov  %bv  ari'/ov  (808)  ovy  &vq?jö&cu  xaS-okov  apaolv 
iv  ralg  'AyiGTaQ/ov.  Denn  wäre  er  durch  irgend  eine  gute  oder  auch 
mittelmässige  Handschrift  verbürgt  gewesen,  dann  hätte  ihn  Aristarch 
sicherlich  nicht  weggelassen,  sondern  nur  mit  dem  Obelus  versehen. 

Ganz    besonders  lehrreich  scheint  mir  in  dieser  Beziehung  2  155  ff. 

c'Extuj(j  Tt    [JfJiauoio  naig,   (p'koyl  uy.t'/.og  d/.yf]r. 

T()ig  flBV   uir    utruniafte  tzqowv  kaße  (paiihttog    'Extüjq 

iXxiflBVm    utuaujg,    utya   Ot    T(fO)SOOlV   ouoxka. 

Mit  dieser  Fassung  gab  sich  aber  Zenodot  durchaus  nicht  zufrieden 
und  schrieb: 

"Extcdo   ih    floid/uoio  (ndig)  ovt  tixt'kog  d'hy.^v, 
üg  juiy  T()lg   utuKiia&e   nodujj'  kaße  xai   nty'   dvrst, 
t'kztutvai   ueuaiog,  XHpalrjV  (5V  *   dvfjLOQ  dvutyti 
Tifj^at  dvd  axokoneoai   jaiiovO^   dna'kf}g  dnb  deiyfjg. 

Meiner  Ansicht  nach  war  es  kein  anderer  Grund,  warum  Zenodot 
der  Stelle  diese  Fassung  gab,  als  weil  er  nun  einmal  der  fixen  Idee 
huldigte,  der  Dichter  müsse  nun  ein  für  allemal  über  dieselbe  Sache  in 
derselben  Weise  sich  aussprechen.  Einen  Anhalt  dafür  fand  er  in  P  126, 
wo  es  von  Hektor  heisst: 

"F.yuno   unr   FTdTyox'/.oi'.  hin   xkvrct    Tti/h    änrjVQa, 

£'/./',  IV   an'  ujjtioity  yKfa'/.tjt'  xttfiok   6$ei  xakxq. 

Das  war  der  Grundgedanke,  der  ihn  zu  dieser  Fassung  veranlasste, 
der  Ausdruck  desselben  im  Einzelnen  stammt  allerdings  aus  der  von  ihm 
an  diese  Stelle  versetzte  Rede  der  Iris.  Es  sind  wahrhaft  goldene  Worte, 
die  Aristarch  gegen  ihn  angeführt:  ov  ydy  vnb  tovtov  tov  xaiQov  6 
"Extujo  tkxvoai  tu)'  ndrQox'kov  tßov'ktzo ,  %va  ttlxioijtai,  dkk'  y^n^oaiTBV 
Abh.  d.  I.  ÖL  d.  k.  Ak.  d.  Wiw.  XVII.  Bd.  III.  Abth.  92 


71  2 

(P  125).  ots  oi  D.avxog  (P  140  ff.)  wv*idi<n  tw  ngotekomou  t<)  möita  rov 
^ayjitidorog  rolg  'Ayatolg,  tot*  u.xvaai  qtüoTiutlrai  to»'  UazQOxkov  elg  dvri- 
xaTakXa&y  tov  JLayjirjdovog,  o  i •/.  bIq  cüxicw.  utav  uh'  ovv  votbqov  //  V^/s* 
h.ii,  t(o  'Ayi'kkhi,  an  ßov'Atrai  o  c'Extio(j  toi-  iTarQaxkoy  uixioaa&at,  vatfidm 
urj  T<xkrjd-fg  (avrrjvy  VTiocfaivetv,  a'k'kct  TiaQoyufjaai  avrov  elg  r/}r  y.aiu  i vn- 
ßayßayior   oyyrjv. 

Darum  drängt  sich  auch  der  Gedanke  auf,  dass  nicht  bloss  wegen 
des  tiHfcn'Tizcnn-yur  (■)  501  in  dieser  Fassung  von  ihm  gegeben  wurde. 
Agamemnon  spricht  nämlich   A  42 

%qhü  ßovlrjg  ifti  xai   at.   &unQS(f>&$  10   Mtvhiae, 
xtydaiftjg.    tj    rt*   y.tv   tyiacffTcu    rj&t   aaoxftt 
*A(yytiovg  xal  vfjag,  snel  Jio-:  Hfftmtrb  <fi>*]v. 

Da    nun    auch    Hektor    in    ähnlicher    Wendung    von    einer    Rettung 

spricht  ^>  501 

to  ri>i'  induuat-   uahaTu, 

so  ist  es  nicht  undenkbar,  dass  er  dieselbe  Sache  auch  hier  in  denselben 
Ausdruck  kleiden  wollte  und  darum  auch  schrieb: 

'Ayytiovg  xal  vrjag,   t-.m     In  ~   kock-io  <iyr]v. 

Knüpfen  wir  daran  nun  auch  einige  Beobachtungen  und  Bemerk- 
ungen über  die  von  ihm  verfolgte  Gleichartigkeit  des  epischen  Stiles. 
Als  schlagendes  Beispiel  präsentirt  sich  uns  da  /  660,  wo  unsere 
Fassung  lautet: 

al  d    imna&ofMSvat  aroyeoav  tiyog,  cug  ixtXsvoev. 

So  spricht  der  Dichter  aber  sonst  nie  von  den  das  Lager  bereitenden 
Mägden,  sondern  immer  arofttaai'  Jj%os  tyxoreovacu  12  648,  rj  340,  </'  291 
und  darum  schrieb  Zenodot  auch  hier: 

ai  (V  intnei&ofisyai  nrügtaav  fSyog  hyxovkwoai. 

Vielleicht  war  das  auch  der  Grund  zu  seiner  schon  von  den  Alten 
gerügten  Aenderung  ß  81 

daxyv  ävanyrjoag  •  olxTog  $'    8Ä*   kaov  anavr.a, 

wofür  er  schrieb:  üaxQva  fteyua  yjojy,  was  das  gewöhnlichere  ist 
#426,  77  3,  ^  17  235,  tf  523,  io  46.    Aber  wohl  auch  /  433  geändert? 


713 

Möglicherweise  wollte  er  aber  auch  die  Trauer  des  in  seinen  Hoff- 
nungen so  bitter  getäuschten  Telemachus  mit  einem  stärkeren  Ausdruck 
bezeichnet  wissen. 

Der  Act  der  Betenden  wird  bei  Homer  geschildert  mit  dem  regel- 
mässig wiederkehrenden  yu^a^  dvaoyujv  A  450,  /  275.  E  174,  -Z  75, 
T254,  v  355,  (>  239,  v  97  (in  anderer  Versstelle  x$i(t  uQtyiov  O  371, 
i  527,  y  366).  Darum  ist  es  mir  schwer  glaublich,  dass  Zenodot  das 
vereinzelte  dvanrdg  ^351  sollte  geschrieben  haben  und  bekommt  von 
dieser  Seite  die  Vermutung  Ludwich's,  dass  er  auch  hier  avaayiüv  ge- 
geben, die  schönste  Bestätigung. 

So  möchte  ich  auch  vermuten,  dass   />'  435 

urjxfai  vvv  9t\9*   av\}i    '/.tyojiiffta 

das  av&t    ihm    anstössig  war    und  er  darum  die  Worte    in  der  Fassung 
schrieb,    wie  sie  sonst  gewöhnlich  ist    „utjxfri  vvv  dri  ravra  leyat/uefra". 

Wenn  die  Lesart  des  Zenodot  zu  /'  100  nicht  die  ursprüngliche 
war,  woran  man  allerdings  sehr  wohl  denken  kann: 

ui'h/  ifirjg  BQtäog  xai  s4Xt£xtv&Qov  $yat  djrjg. 

so    wurde    gewiss   das    doyrjg   von  ihm    vertrieben    in    Rücksicht  auf  den 
Wortlaut  von  Z  356,  LI  28. 

So  möchte  ich  mir  auch  die  Variante    zu  u  422  erklären,    wo  Ari- 

starch  mit  den  meisten  Ausgaben  las: 

ix  0%  Ol    ioiov  äyazt   norl  TQOJtw 

und    Zenodot    $a$«    (liyf«?)    schrieb    gewiss    im    Hinblick    auf   f  316,    wie 
Düntzer  p.  128  richtig  gesehen: 

uhoov  9i  fH  laxop  $a£e, 

Vielleicht  war  das  auch  der  Grund  zu  seinen  Lesarten  IT  SOI,  ¥*  527, 
/'28,  N  610,  £"310.  Ueberrascht  ist  man,  das  Gegenteil  beobachten  zu 
können,  wie  Y  273,  li  484,  E  53(?),  Z  112  und  an  einigen  anderen  Versen. 
Die  interessanteste  Stelle  aber,  wo  er  zu  unserer  grössten  Ueberraschung 
von  diesem  sonst  so  strenge  eingehaltenen  Principe  abweicht,  ist  unstreitig 
/'  334  335,  wobei  Aristonicus  gegen  Zenodot  ausdrücklich  darauf  hin- 
weist:   ujOTf  ivavTiiog  rm  'Ouijyixip  onltauip  {yl  30  32,  U  480)  tyeiv  nyö  Tfjg 

92* 


714 


aöJildog  ydp  (parrjöerai  avaXaiLißaviav  rrjv  nepizecpakaiav  xai  iiifog  ur)  hytov. 
Die  Verse  nämlich,  die  uns  die  Rüstung  des  Paris  schildern,  hat  derselbe 
folgenderaiaassen  gestaltet:  Nachdem  er  334  335 

aiKfl   (P  ätf   üHtoiaiv  ßahsvo  ^Kfog  d^yvQorj'kov 
yd'/.xtov,   civtciq  STieira  aaxog   aiya  t.b  arißa^or  je 

athetirt,  Hess  er  die  Worte  folgen: 

xqoltI  (V  £tt'  hp&iuxp  xvvhjv  bvtvxtov  $%hyxut  (336) 

XnnovQir  ■   dtivbv  dt  loipog  xa&vntyihi'   ifvatsy. 
H/.fT(>  (V   a'/.yiutty  eyyog,   o  oi   nakdui^f w   ('((j/^er 
ducfl  (V  ä(>'  (xtuoiaiv  ßaker'  äwiida  dvooavosaoav. 

Das  ist  nun  ein  überkühnes  und  verwegenes  Umspringen  mit  dem 
Texte  und  um  so  bemerkenswerter,  als  es,  wie  gesagt,  von  dem  sonst  von 
ihm  eingehaltenen  Verfahren  so  auffallend  abweicht.  Zenodot  muss  daher 
einen  guten  Grund  gehabt  haben,  wenn  er  glaubte,  den  homerischen  Versen 
diese  Fassung  geben  zu  müssen.  Ich  kann  Düntzer  nicht  beistimmen, 
wenn  er  p.  184  bemerkt:  „Quum  Zenodotus  /'  18  Alexandri  gladium 
tollendum  putaret,  hunc,  altero  etiam  loco,  ut  sibi  constaret,  removendum 
putavit,  unde  /'  334  335  proscripsit " .  Das  ist  unmöglich;  denn  hier 
handelt  es  sich  ja  um  eine  vollständige  Neubewaffnung  und  da  konnte 
und  musste  ja  notwendig  von  der  früheren  abgesehen  werden.  Hält 
man  sich  aber  gegenwärtig,  wie  „scharf  verstandesmässig"  Zenodot  auch 
sonst  geurteilt  hat ,  dann  ist .  ein  Anstoss  schon  zu  finden.  Und  den 
hat  auch  Zenodot  gefunden,  nämlich  in  der  nun  im  Folgenden  sich  ab- 
spielenden Kampfscene.  Ist  es  denn  nicht  höchst  merkwürdig  und  auf- 
fallend, dass  wir  360  lesen: 

*Ai  qs'lÖ 't]g  r57   tyvaaaittvog  §i(pog  ayyvQorfkov 

nkfj§sy  ävaayoutvog  xoyvfrog  ipd'kov  ■   äjucpi  <¥  ä(f  amfi 

ryiy&a  T€  xai   iSTQvy&a   diarQViptv   txneae  ytiQog 

und  kein  Wort,  keine  Silbe  hören,  dass  sich  nun  auch  Paris  mit  einem 
Schwerte  verteidigt.  Ist  es  nicht  noch  weit  auffallender,  dass,  wenn 
wir  von  Menelaus  hören 

i]  xai  ina'fcg'ag  xoyv&og  kaßtv  injiodaoeirjg, 
ilxs  ftemorytipag   uex'  ivxvrjUKJag  Ayaiovg 


715 

in  einer  solchen  Situation  Paris  nicht  zu  seinem  Schwerte  greift?  Das 
und  nichts  Anderes  hat  sich  also  Zenodot  „scharf  verstandesmässig "  vor- 
gehalten und  da  stand  es  für  ihn  fest:  Paris  hat  kein  Schwert  gehabt. 
Darum  also  diese  kühne  und  vermessene  Aenderung,  wodurch  er  sich 
von  seinem  sonst  energisch  festgehaltenen  Principe  lossagte. 

Diese  Beobachtung  von  der  durch  Zenodot  verfolgten  Gleichmässig- 
keit  des  Stiles  ist  vielleicht  auch  insofern  von  Wichtigkeit,  als  man  von 
derselben  ausgehend  nicht  bloss  /'364.  0  192  uvgavov  bvqvv  als  seine 
Lesart  annehmen  darf,  sondern  auch  an  anderen  Stellen  wird  er  diesem 
Grundsatze  zu  liebe  tvgvv  statt  alnvv  geschrieben  haben. 

Noch  ein  paar  Worte  möchte  ich  an  dieses  Kapitel  anreihen,  um 
eine  andere  Art  des  Zenodot,  die  vielleicht  damit  im  Zusammenhang 
steht,  zu  beleuchten.  Leider  sind  die  Varianten  nicht  zahlreich  genug, 
um  mit  Sicherheit  urteilen  zu  können.    So  wird  uns  zu  dem  Verse  8  370 

r\  ob  fiev  äy/i  aiäaa  snog  (paro  (pujvrjoev  re 

als  Lesart  Zenodot's  mitgeteilt  r\  dV  /uoi  ävrofiivri.  Das  könnte  ja  mög- 
licherweise eine  alte  Variante  sein;  allein  man  merkt  doch  die  Absicht, 
nämlich  dasselbe  oder  doch  ein  ganz  ähnliches  Wort  sollte  das  vorauf- 
gehende: 

r\   i/.'   uiw  ?${iuvTt   OWT/VTSTO  vooipiv  haiyiov 

wieder  aufnehmen  und  aus  diesem  Grunde  könnte  es  eben  gerade  so 
gut  eine  von  diesem  Gesichtspunkt  aus  dictirte  Aenderung  sein.  Be- 
gegnen doch  ähnliche,  gegen  die  schon  Aristarch  sich  gesträubt  hat, 
auch  sonst.     So  hören  wTir  zu  /  16 

wg  o  ßd(tv  aieva%u)v  me'  'Afyyeioiai  jusTrjvda 

die  Variante  eye;  o  ys  daxyvyjwv ;  ich  glaube  dieselbe  verdankt  ihr  Dasein 
demselben  Grundsatze,  der  daran  festhielt,  dass  der  Vers  14 

tarttro  daxgvxsatv  äs  ft  xqtjvt]  jusXdvvdyos 

nur  in  der  angegebenen  Weise  aufgenommen  werden  könne.  Also  unter 
den  rivfg,  von  welchen  uns  Aristonicus  berichtet,  könnte  auch  Zenodot 
gewesen  sein,  wenn  er  nicht  die  Verse  gänzlich  entfernt  hätte.  So  ist 
mir  auch  aufgefallen  ry  13 

f/  ol  iivy  ävfxaie  xal  uguj  doynov  ixoOfMi, 


716 

"Wir  hören  darüber:  d,9frel  Zqvo&orrogt'  tjo^rj  ydo  tlnt  „de.h  iff  oi 
jivyu  (7).  Das  mag  seine  Richtigkeit  haben;  denn  auf  Tautologieen  ist 
Zenodot  eben  nicht  besonders  gut  zu  sprechen.  Aber  vielleicht  war  er 
auch  der  Meinung,  das  obige  fiale  3t  oi  tivq  müsse  in  derselben  Weise 
wieder  aufgenommen  werden  und  da  er,  wie  es  scheint,  das  nicht  durch 
eine  Aenderung  bewerkstelligen  konnte,  griff  er  zur  Athetese. 

So  bekommt  vielleicht  Licht  eine  der  allerkühnsten  Lesarten  Zeno- 
dot's,  die  mir  aufgestossen  ist.  Es  wird  uns  nämlich  zu  dem  Verse 
a  349 

nvxvov  xal   ualaxov.  og  cctio  yttoi'og  vtpo&   eepye 

die  Lesart  Zenodot's  überliefert 

nvxvov  xal  juakaxov,   IV   dnb  x&ov6g  äyxatya'h,!- . 

Ich  möchte  vermuten  und  glauben ,  dass  Zenodot  zu  dieser  Lesart 
geführt  wurde  durch  denselben  Grundsatz  gleichmässiger  Entsprechung, 
dass  er  aber  hier  nur  umgekehrt  verfahren  ist  und  aus  dem  Verse  353 

vnvip  xal  (pikuzrjTi  da/uti^,  f/f   r?'   dyxag  äxomt' 

die  betreffenden  Worte  glaubte  heraufnehmen  zu  müssen.  Vgl.  noch 
M  295. 

Eines  der  allertraurigsten  Kapitel  in  der  Kritik  Zenodot's  ist  seine 
höchst  unglückselige  Einbildung  der  an ysTifj.  Eine  ausführliche  Behand- 
lung derselben  müssen  wir  uns  für  die  Beurteilung  seiner  Athetesen  auf- 
sparen; denn  leider  hat  er  dieser  eingebildeten  und  nur  zu  zäh  fest- 
gehaltenen Schrulle  zu  liebe  viel  mehr  zu  Athetesen,  wie  zu  Aenderungen 
gegriffen.  Doch  sind  die  letzteren  auch  nicht  gerade  selten  und  wir 
wollen  dieselben  hier  zusammenstellen,  ohne  sie  jedoch  weiter,  wie  sie  es 
wohl  verdienten,  zu  beleuchten.  Beginnen  wir  demnach  mit  denjenigen 
Stellen,  in  welchen  Zenodot  die  eigentümliche  Darstellung  griechischer 
oder  trojanischer  Helden  glaubte  von  diesem  Gesichtspunkte  aus 
bekämpfen  zu  müssen.     So  kann  ich  mir  seine  Lesart  /7  7 1 0 

Ss  (pdco,   I7dz(jox'/Lng  ave%aQeTo  noX'kov  oniaauj, 

wo  er  no'k'Kov  in  rvxd-ov  umänderte,  aus  keinem  anderen  Gesichtspunkte 
erklären,  wie  aus  diesem.  So  beschränkt  und  einfältig  ist  doch  Aristarch 
nicht,    wenn    er    auch    in    dieser   Beziehung    kaum    von    Missgriffen   frei- 


717 

gesprochen  werden  kann,  sondern  richtig  bemerkt  er  bei  Aristonicus: 
o  dt  avrog  GTi%og  xal  eni  tov  Jiour\dovg  zslrai  (£  443).  xal  svkoywg  ixsl 
ixtv  yodoptTai  tvt&ov  ov  una^tm  i  ydo  r)  A&rjvä  nyoTQsnouevr}  &eo- 
/uayjlv  '  ivxradt  dt  no'k'kov.  nüosvTtTakrai  ydy  b  'Ayjkktvg  „uala  tov  ye 
opi'ktl  txatoyog  Ano'k'kujv" . 

Sonnenklar  ist  wohl  auch,  dass  er  aus  diesem  Grunde  si  123  138 
geschrieben  hat 

vitag  'AvTiiiayoio  xaxoipqovog,  og  §a  jtiahara 
tl   utv  dt)  AvTijLiaxoio  xa  xocpyov  og  viesg   botov. 

Auch  die  Lesart,  die  uns  O  342  von  Paris  einer  Tat  überliefert  wird 

ipevyovT^   iv  7i  v  u  ar  oi  o i ,   did  7i(jb  dt  yakxbv  elaöoev, 

die  an  Stelle  des  homerischen  tv  nooiiayoioi  getreten  ist,  könnte  man 
wohl  dem  Zenodot  zutrauen.  Abwarten  muss  ich  freilich,  bis  man  dem 
Manne,  der  diese  Dummheit  mit  den  Worten  empfiehlt:  xal  olxelov  tovto 
TTduidi   „eine  Bildsäule,  und  zwar  eine  eherne  errichtet". 

Wenn  nicht  Alles  trügt,  muss  aus  diesem  Principe  auch  die  Lesart 
desselben  zu  77  202  erklärt  werden.  Dort  spricht  Achilleus  zu  seinen 
Myrmidonen : 

ndvW    vno  jui^'t'hinv.  xai    */'   fjttactO&l   txaaTog. 

Aristonicus  schreibt  nun  über  Zenodot:  ZyvodoTog  tv  noiwv  ygaipsi 
%ü)üig  tov  t  „jLirjTiaaa,l)tu .  kaußdvujv  and  Ttje  ftffridog)  olov  Bßov'kevsaS-e. 
yirtTai  dt  ddiavbrjTov.  Gut  hat  dazu  schon  Spitzner  bemerkt:  „Vere- 
cundiae  militaris  esse  putavit  urfiidao&e,  sed  Homeri  milites  libera  vocis 
contumacia  utuntur". 

Blasphemien  gegen  die  Götter  muss  er  gefunden  haben  in  Aus- 
drücken, wie  ^228 

ovx  dv  ifioi  ye 

e'knojüitvq)  rd  yivoiT*,  ov  d'  bI  &8ol  wg  iß- e'koi  bv 

und  von  diesem  Gesichtspunkte  aus  finden  wir  seine  Lesart  „ei  /llt]  &eol 
djg  k&eXotev*   sehr  wohl  begreiflich. 

Auch  die  Umänderung,  die  er  an  dem  Verse  (U  290 

rj  votov  rj  'C.expvyoio  dvaaeog,  o%  ts   ixaliOTa 
vrja   diaoalovrfi  O-bwv  dsxrjTi  dv  axT  u>  v, 


718 

wo  er   „(puuur  ar/.r\ii  sTaiQwy"  glaubte  herstellen  zu  müssen,  mag  einmal 
unter  diesem  Gesichtspunkt  betrachtet  werden. 

Auch  seine  Lesart  Z  135 

d-eiyoiitrat   ßovjilfjyi  '   JicjvvGog  dt  %oXw  fr  £  lg 

für    „(poßrjd-eig"    scheint    ihm    von    diesem    Gesichtspunkt    dictirt   worden 
zu  sein. 

Erklären  können  wir  diese  Art  der  Auffassung  viel  eher,  als  ent- 
schuldigen. War  ja  von  den  Zeiten  Plato's  an  gerade  gegen  diese  beim 
Dichter  hervortretenden  angeblichen  Ungehörigkeiten  ein  heftiger  Feld- 
zug eröffnet  worden,  und  das  Neue  bei  Zenodot  ist  nur  das,  dass  er 
ebenfalls  im  Banne  dieser  verfehlten  Vorstellungen  nun  mit  den  Mitteln 
der  Conjecturalkritik  und  der  Athetese  sie  womöglich  aus  dem  Dichter  zu 
entfernen  sucht.  Aber  auch  nach  einer  anderen  Richtung  scheint  er  mir 
zum  Schaden  der  homerischen  Gedichte  einen  durchaus  nicht  löblichen 
Tribut  demselben  Zeitgeiste  entrichtet  zu  haben.  Wenn  wir  nämlich  aus 
dem  später  von  Eratosthenes  geführten  Streite,  wie  er  heute  in  den  ersten 
Büchern  von  Strabo  vorliegt,  uns  einen  Rückschluss  auf  eine  frühere 
Zeit  erlauben  dürfen,  so  ist  dieser  Kampf  nicht  entbrannt  von  heute 
und  gestern,  sondern  diese  Fragen  von  der  nolvjia&ia  Homer's  müssen 
schon  vorher  aufgetaucht  und  vielfach  ventilirt  worden  sein  und  gerade 
leider  in  dem  Sinn,  dass  man  dem  Dichter  es  nicht  verzeihen  konnte, 
wenn  eine  bei  Späteren  begegnende  mythologische  Version  bei  ihm  nicht 
zu  Tage  trat.  Und  es  schienen  dann  alle  Mittel  der  Interpretation  wie 
der  Kritik  erlaubt,  dieselbe  nun  dem  Dichter  aufzuoktroiren.  So  hat 
sich  denn  auch  Zenodot  nicht  auf  die  Höhe  des  Standpunktes  von  Era- 
tosthenes aufgeschwungen,  vielmehr  treten  uns  Lesarten  desselben  ent- 
gegen, aus  denen  man  mit  gutem  Grunde  eher  auf  die  entgegengesetzte 
Auffassung  schliessen  darf.  Leider  sind  dieselben  so  vereinzelt,  dass  man 
nur  mit  der  grössten  Vorsicht  urteilen  darf.  Wir  lesen  heute  bei  Homer 
ohne  allen  Anstand   /7  233 

Zev  ava  Jwdwvah,    Ht'kaciyiy.z,  ttjIo&i  vaiüiv. 
Es  ist  doch  ganz  gewiss  nichts  Anderes,  als  die  fixe  Idee,  Homer 


719 

müsse  auch  schon  Kenntniss  haben  von  der  Vorstellung  und  Version  der 
späteren  Mythologie,  wenn  Zenodot  schrieb 

Ztv  ava,    <Prjyu)vafe 

tnsl   tv  Jwdavf}  TTQuroy  (prjybg  tjuctVTtvero. 

Derselben  Vorstellung  der  Späteren  huldigt  er  auch  bei  Gestaltung 
von  <t>  194  ff. 

rw  ovdt  Xfjtiujv  'AytXiviog  laoipaQiQti, 
195   ovdt  ßaftvQQeiTao   uiya  o&tvog  'Qxtavolo, 

i(;  iw  nty  navrtg  Tiorauol  xal  näaa  &a.Xa.ooa, 

worüber  uns  Aristonicus  berichtet:  ort  Zr\vb8oTog  avrur  (195)  ovx  tyQayt' 
yirtrai  dt  6  AytXwog  nrfyr\  t.ujv  ak'kwv  navTiav.  toxi  dt  xa^  "O^irjQov 
o  '£2xtavbg  6  imdidoitg  naoi  ra  ytvuara'  dib  xal  xara  riurjv  ipi]Oiv  „ovrt 
rig  ovv  TtorctjLiuJv  äntrjv,  vootf  TQktctroio*  (Y  7). 

So  hat  er  auch  die  spätere  Vorstellung  in  den  Dichter  hinein- 
getragen, wenn  er  I  259 

tl  [IT]  iVi)|  djurjxtiya   &tcuy  toaiuot  y.al  ävdyujv 

änderte  in  IVvi  u^rtiya,  wie  sie  erst  bei  Hesiod  begegnet  (vgl.  W.  Ribbeck 
IMiilol.  VIII,  p.  685). 

Anders  wird  man  sich  auch  kaum  erklären  können  ^307,  wo  es 
von  Orestes  heisst 

rqj  ()t   oi    bydoaiuj  xuxbr   ijhvfrt  olug  'Oytarrjg 
aip  ärf  'Afrijvaujv. 

Denn  wenn  er  „axfj  anb  <Pu)xr]ujyu  schrieb,  so  wollte  er  doch  ganz 
sicher  der  später  allgemein  acceptirten  Vorstellung  auch  bei  Homer  zu 
ihrem  Rechte  verhelfen. 

Vielleicht  haben  wir  mit  dieser  Annahme  zu  rechnen  auch  A  400, 
wo  Zenodot  schrieb: 

"J-tyrj  r'   fjdt    fJootidaujy  xal   4*oißog  AttoKKujv. 

Dass  es  eine  Aenderung  des  Zenodot  ist,  wurde  schon  früher  be- 
merkt. Der  Grund  zu  derselben  ist  an  der  Hand  der  Scholien  ebenfalls 
leicht  zu  finden.  Wenn  wir  nämlich  4»  444  bei  Aristonicus  lesen:  oxi 
c()/ut]()og  ov  na^adiöujoir  alxiav,  8C  rjy  ityr/xtvoav  ovxoi  vi  &tol  AaojLttdovxi, 

Abh.  d.  I.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  III.  Abth.  93 


720 

so  muss  diese  Mitteilung  eine  polemische  Spitze  haben,  die  wir  wohl  mit  V 
zu  <£>  444:  i]&t'krßav  yctQ  ovi'dfjöcu  tov  Jia  »noötidaujv  xal  <Polßus  Anok- 
hovu  mit  der  ersten  Stelle  in  Verbindung  bringen  dürfen.  Zenodot 
wollte  also  die  Strjttia  der  beiden  Götter  damit  motiviren  und  wurde 
dazu  vielleicht  durch  eine  Vorstellung  der  Späteren  verleitet. 

Vielleicht  war  es  ein  anderer  Grund,  der  ihn  bestimmte  .T  1 1 4 

TvdtoG,   uv   OrjßfjOi  %vt?]  xarä  yaXa  xakvif'ev 

zu  athetiren;  doch  will  ich  wenigstens  nicht  verfehlen,  darauf  hinzu- 
weisen, dass  bei  den  Späteren  eine  andere  Version  der  Sage  im  Gange 
war,  von  der  uns  V  berichtet:  ort  ov  xara  roi/g  r^ayixoih;  iv  'Etevolvt 
utT^rhy&rioav  ol  ntyl   Kanavia. 

Sicherlich  aber  sind  die  Varianten  $  366  EuQWO/it],  wie  77  175 
KXtod(6(p}  unter  diesem  Gesichtspunkte  zu  beurteilen.  Das  wie  war, 
wie  es  scheint,  schon  für  die  Alten  ein  Rätsel  {ö  3(56)  und  wir  sind 
auch  nicht  in  der  Lage,  zu  der  Lösung  desselben  etwas  beitragen  zu 
können.     (W.  Ribbek,  Philol.  IX,  p.  73  Anm.) 

Es  würde  nun  noch  erübrigen,  eine  Reihe  von  Lesarten  Zenodot's 
hier  zusammenzustellen,  wo  nachweislich  nur  ein  Anstoss  ihn  zu  Aender- 
ungen  veranlasste,  wie  P  153,  12  725,  f  137.  /  641,  J  339  und  andere. 
Doch  finden  diese  besser  Platz  am  Schlüsse  des  Ganzen.  Viel  wichtiger 
wäre  hier  das  Kapitel  der  Athetesen;  denn  dasselbe  muss  gewissermaassen 
die  Probe  bilden  von  den  im  Vorausgehenden  aufgestellten  Gesichts- 
punkten. Ist  es  ja  doch  ganz  selbstverständlich,  dass  dieselben  Principien, 
welche  Zenodot  manchmal  zu  unglücklichen  Aenderungen  führten,  ihn 
auch  zur  Annahme  von  Athetesen  oder  Tilgung  von  Versen  veranlassten. 
Leider  muss  ich  wenigstens  jetzt  auf  diese  Darstellung  verzichten,  so 
glänzend  ich  auch  meine  Aufstellungen  bestätigt  gefunden  habe.  Denn 
zuerst  muss  man  der  Lösung  einiger  Vorfragen  näher  treten,  die  man 
entweder  bis  jetzt  nur  ganz  kurz  berührt  oder  überhaupt  gar  nicht  auf- 
geworfen hat.  Und  doch  hängt  von  denselben  so  unendlich  viel  ab  für 
die  richtige  Darstellung  dieser  Seite  der  philologischen  Thätigkeit  Zeno- 
dot's. Ist  es  ja  doch  gar  nicht  ausgemacht,  ob  wir  den  uns  von  Didy- 
mus  überlieferten  Athetesen  desselben  so  unbedingt  Glauben  schenken 
dürfen!    Denn    es    tritt    uns    hier    in    unseren  Quellen    ein    Problem    ent- 


721 

gegen,  das  mir  eines  der  schwierigsten  zu  sein  scheint,  die  in  diesen 
Scholien  begegnen.  Nur  um  scharfsinnige  Köpfe  zum  weiteren  Nach- 
denken zu  veranlassen,  soll  es  hier  am  Schlüsse  noch  zur  Mitteilung: 
kommen. 

Während  wir  nämlich  in  den  ersten  Büchern  fast 
durchaus,  etwa  nur  mit  Ausnahme  von  7 '  1 8 ,  bei  Aristoni- 
cus  von  Athetesen  Zenodot's  hören,  die  mit  ganz  ge- 
ringen Ausnahmen  totale  Miss-  und  Fehlgriffe  sind  und 
darum  mit  aller  Entschiedenheit  von  Aristarch  bekämpft 
werden,  tritt  uns  plötzlich  zu  unserer  grössten  Ueber- 
raschung  mit  77  195  — 199  eine  höchst  befremdliche  Er- 
scheinung entgegen:  da  hören  wir  auf  einmal  und  von  hier 
auch  fast  ganz  regelmässig  durch  die  Ilias  hindurch  von 
Athetesen  und  Tilgungen  des  Zenodot  und  Aristophanes, 
welche  die  Billigung  und  den  vollen  Beifall  Aristarch 's 
gefunden.  Die  Quelle,  der  wir  diese  überraschende  Mitteilung  ver- 
danken, ist  Didymus  und  nur  er  allein  verbürgt  uns  hier  die  durch- 
sei i lugenden  kritischen  Leistungen  der  beiden  Vorgänger  Aristarch's. 
Wenn  es  mir  auch  hier  hauptsächlich  nur  um  die  Constatirung  der  Tat- 
sache zu  thun  ist,  so  kann  ich  mich  doch  nicht  enthalten,  sie  mit  einigen 
Bemerkungen  zu  begleiten.  Mir  scheint  es  nämlich  absolut  ungereimt 
und  ganz  unbegreiflich,  dass  nun  plötzlich  mit  dem  siebenten  Buche 
der  Ilias  die  Erleuchtung  über  den  Zenodot  gekommen  sei,  die  es  ihm 
möglich  machte,  hier  seinen  beiden  Nachfolgern  die  Fahne  voraus  zu 
tragen.  Bekanntlich  geschahen  ja  im  Altertume  viele  Zeichen  und 
Wunder  und  ich  habe  auch  nichts  dagegen,  wenn  man  zu  solchen  auch 
hier  seine  Zuflucht  nehmen  will.  Versuchen  wir  rationell  uns  diesen 
Tatbestand  zu  erklären,  so  wird  es  doch  wohl  das  Nächstliegende  sein, 
eine  Nachlässigkeit  unserer  Epitomatoren  anzunehmen,  die  es  versäumten, 
auch  in  den  ersten  6  Büchern  der  Ilias  die  Athetesen  Aristarch's  mit 
dem  hochwichtigen  Begleitschein:  fjfrfrrjvro  xal  naga  'AyiorocpavH  xai 
Zrjvofitnqt,  6  fie  ZTjVüdorog  ovdt  fyycuper  avrov,  6  3t  ZrjvodoTog  tovq  nyw- 
rovg  z(jEig  ovdt  hygaiptv.  Ja  es  kann  sogar  da  manchmal  der  sündhafte 
und  verpönte  Gedanke  aufsteigen,  das  bei  Aristonicus  so  oft  begegnende 
ä&eteiTai,    d&sTovvrai  sei  von  dem  ganzen  Triumvirat  zu  verstehen.     Es 


722 

ist  auch  oben  ein  Ausweg  versucht  worden,  der  uns  dahin  führen  könnte, 
das  wichtigere  Zeugniss  der  handschriftlichen  Beglaubigung  gerade  bei 
den  beiden  Vorgängern  Aristarch's  zu  suchen.  Aber  das  hilft  uns  Alles 
Nichts,  gar  Nichts.  Die  Tatsache  ist  nicht  aus  der  Welt  zu  schaffen: 
den  ausgezeichnetsten  nach  dem  Zeugniss  des  Didymus  von  Zenodot  vor- 
genommenen Athetesen  steht  eine  ganz  lange  Reihe  solcher  gegenüber, 
verbürgt  von  Aristonicus,  die  damit  absolut  nicht  stimmen  wollen,  die 
uns  den  klaren  Beweis  liefern,  dass  hier  Zenodot  weder  philologisches 
Wissen  oder  Können,  noch  Respect  vor  der  Ueberlieferung  gezeigt  hat. 
Bleibt  hier  auch  der  Ausweg  übrig,  dass  Zenodot  etwa  mit  dem 
siebenten  Buche  der  Ilias  bessere  handschriftliche  Quellen  hatte,  so  lässt 
sich  doch  vielleicht  mehr  erhoffen  von  einer  kritischen  Zerlegung  der 
uns  überlieferten  Scholien  K  397 — 399,  Ä'  240  und  anderer,  die  uns  den 
Beweis  erbringen  muss,  wo  bei  abweichender  Ueberlieferng  die  Wahrheit 
zu  suchen  ist.  Wenn  auch  eine  solche  Untersuchung  mit  den  grössten 
Schwierigkeiten  verbunden  ist  und  in  der  Regel  nur  mit  Illusionen  endet, 
so  muss  sie  doch  im  Interesse  Aristarch's  versucht  werden;  denn  der- 
jenige Mann,  der  den  in  dieser  Untersuchung  entwickelten  Missgriffen 
und  Verkehrtheiten  seines  Vorgängers  mit  solchem  Glück  und  solcher 
Energie  im  Interesse  des  homerischen  Textes  entgegen  trat,  hat  immer 
Anspruch  auf  unsere  Anerkennung,  mag  man  sich  auch  in  der  neueren 
Zeit  noch  so  sehr  von  seiner  Textesgestaltung  entfernen  und  die  leichte 
Waare  unbedeutender  Quisquilien  als  den  Ausfluss  der  höchsten  Weisheit 
in  der  übertriebensten  Weise  anpreisen.  Die  Gerechtigkeit  erfordert  den 
leichtfertigen  Urteilen  der  Gegenwart  gegenüber,  die  nur  immer  eine 
Seite  des  grossen  Philologen  im  Auge  behält  und  sie  ausschliesslich  vom 
modernen  Standpunkte  aus  beurteilt  und  bekritelt,  eine  strenge  historische 
Würdigung  desselben  seinen  Vorgängern  gegenüber  und  wenn  sich  die- 
selbe dazu  noch  vergegenwärtigt,  was  Aristarch  für  die  Erklärung 
des  Dichters  geleistet,  dann  dürfte  eine  ganz  andere  Beurteilung  und 
Abschätzung  derselben  angezeigt  erscheinen. 


Philologische  Bemerkungen  zu  Aventins  Annalen 

und 

Aventins  Lobgedicht  auf  Albrecht  IV. 

von  1507 

zum  ersten  Male  herausgegeben.    ■ 


Von 

Wilhelm  Meyer 

Mia  Speyer. 


Abh.  d.  I.  Gl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  III.  Abth.  94 


Philologische  Bemerkungen  zu  Aventins  Annalen. 

Die  neue  Bearbeitung  des  1.  Theiles  unseres  Catalogs  der  lateinischen 
Handschriften  führte  mich  auch  zu  den  beiden  Handschriften  Nr.  219 
und  220.  Dieselben  sind  in  dem  gedruckten  Cataloge  von  1868  so 
beschrieben:  219  et  220  in  2Ü.  saec.  XVI.  587  et  362  fol.  Joannis 
Aventini  Annalium  Boiorum  libri  VII.  Auch  in  den  handschriftlichen 
Catalogen  der  Bibliothek  sind  sie  unter  Aventin  vorgemerkt.  Um  mich 
über  den  Werth  der  Handschrift  rasch  zu  unterrichten,  wollte  ich  in  der 
neuen,  von  Riezler  besorgten,  Ausgabe  nachsehen,  welche  den  2.  und 
3.  Band  von  Aventins  Werken  ausmacht.  Doch  ich  sah  nur,  dass  die 
Handschrift  nicht  zur  Kenntniss  des  Herausgebers  gekommen  war. 

Das  ist  auch  kaum  ein  Verlust  für  diese  Ausgabe  der  Annalen  gewesen. 
Denn  eine  Prüfung  zeigte,  dass  diese  beiden  Bände  Anfangs  aus  dem  Auto- 
graph Aventins  (A),  weiterhin  aus  der  Stuttgarter  Copie  (B)  abgeschrieben 
sind,  also  zu  einer  Zeit,  wo  A  und  B  noch  beisammen  waren,  d.  h.  wohl 
noch  zu  Aventins  Lebzeiten.  Mindestens  6  verschiedene  Hände  haben 
daran  geschrieben,  offenbar  in  ziemlicher  Eile.  Denn  die  Nachträge, 
welche  in  der  Handschrift  A  am  Rande  und  auch  in  B  stehen,  haben 
einige  der  Schreiber  ganz,  die  andern  zum  Theil  weggelassen;  und  im 
Texte  selbst  haben  sie  hie  und  da  gekürzt.  Kluge  Leute  sind  diese 
Abschreiber  gewesen;  das  verräth  die  Art  dieser  Kürzungen  und  Einzel- 
heiten, wie  die  folgende.  Am  Schlüsse  des  4.  Buches  werden  geistlichen 
Fürsten  Vorwürfe  gemacht,  von  denen  einer  nach  Riezler  (S.  674,  12) 
lautet,  quod  inter  eos  sit  inexplebilis  honorum  cupido,  certamen  gloriae 
et    honoris,    splendoris.    cupidinis    atque    ambitio    potentiae.      Da    Riezler 

94* 


726 

hiezu  nur  bemerkt  'cupidis  B',  so  muss  man  meinen,  in  der  Handschrift  A 
stünde  das  freilich  ebenso  unverständliche:  cupidinis.  Das  ist  irrig;  auch 
in  A  steht:  cupidis;  nur  ist  das  schliessende  s  ein  wenig  erhöht;  cupi- 
dinis bezog  Riezler  aus  den  alten  Ausgaben.  Der  Schreiber  unserer 
Handschrift  hat  das  richtige  'cupiditas'  gefunden;  vgl.  im  Anfang  des 
5.  Buches  (S.  3,  5):  Studium  pecuniae,  potentiae,  splendoris  cupiditas 
cuncta  regna  evertunt. 


Um  diese  neugefundene  Handschrift  von  Aventins  Annalen  genauer 
zu  bestimmen,  untersuchte  ich  die  ersten  Seiten  des  2.  Buches  der  Annalen 
in  Riezlers  Ausgabe.  Ich  stiess  da  auf  Folgendes:  S.  116.  2  Hugo., 
iussu  Georgii  ducis  latine  perscripsit  Boios;  dazu  notirt  Riezler  'scripsit 
principes  Boiorüm  A\  Allein  Aventins  Autographe,  sowohl  das  münchener 
(A)  als  die  wolfenbüttler  Concepte  (C).  haben  cscripsit  principes  Boios;'  das 
gehört  in  den  Text,  da  auch  der  Titel  von  Hauers  Buch  lautet  'Gesta 
illustrium   ducum  Wawariae'.  Z.   3    beginnt   die  Aufzählung   der  aus- 

wärtigen Quellen  bei  Riezler  cLatini  veteres:  vitae  divorum'.  Es  muss 
heissen  cLatini:  Veteres  vitae  divorum':  'Die  Lateinischen.  Die  alten  legend 
und  leben  der  heiligen',  übersetzt  die  Chronik.  Z.  12  schreibt  Rr.  von 
Ammian  Marcellin  'sub  imperatoribus  Constantio  Juliano  et  Valentiniano 
vixit,  equo  meruit',  dazu  in  der  Note  cnach  Juliano  folgt  in  B:  Juviano'. 
Das  ist  nicht  nur  unbedingt  richtig  (Aventin  schreibt  stets  Juviano  statt 
Joviano)  sondern  es  steht  auch  in  A,  wo  Riezler  es  übersehen  hat. 
vixit  ist  in  A  radirt,  also  aus  dem  Text  zu  streichen.  Z.  19  liest  man 
mit  Verwunderung  cEugypius  . .  vixit . .  Inpertuno  consule  romano'  und 
dazu  die  Note:  Inportuno  consule  B.  Hieher  scheint  sich  zu  beziehen 
die  Randbemerkung  in  A:  is  fuit  annus  Chr.  quingentesimus  supra  octa- 
vum.  Wenn  Riezler  sich  Z.  10  erkühnte  Diocletianum  zu  schreiben, 
während  doch  beide  Handschriften  Dioclitianum  haben,  so  musste  er  auch 
hier  das  nur  durch  eine  Handschrift  gebotene  Inpertuno  aufgeben;  denn 
es  ist  gerade  so  unmöglich,  als  DiocHtianum.  Freilich  steht  es  nicht 
einmal  in  A,  wenn  man  genauer  zusieht.  Auch  im  Folgenden  hätte  es 
sich  gelohnt  zu  notiren,  dass  octavum  in  A  durchgestrichen  und  septimum 
beigeschrieben    ist;    dann    verstünde    man    auch,    warum    in   der  Chronik 


727 

steht  cda  burgermeister  zu  Rom  was  Importunus:  das  ist  nach  Christi 
gepurt  507  jar\  In  der  Abschrift  von  Cassiodors  Chronik,  welche  Aventin 
benützte,  (sie  ist  den  Stuttgarter  Bruchstücken  der  Annalen  hinten  bei- 
geheftet), sind  diese  Zahlen  ebenfalls  corrigirt.  S.  118,2  wird  geschildert, 
wie  ein  Stück  des  römischen  Reiches  nach  dem  andern  verloren  ging. 
c Vandali  Aphricam,  Franci  Burgundiones  Gallias  occuparunt'  u.  s.  w.  Das 
steht  in  den  Ausgaben  und  in  der  Stuttgarter  Abschrift  (B).  In  dem 
Autograph  Aventins  (A)  steht  ein  Stück  mehr  c Vandali  Aphricam,  Alani 
Suevi  Goti  Navarri  Hispanias  abstulerunt,  Franci1  etc.  und 
ebenso  in  der  Chronik  cdie  Wandler  haben  dem  alten  roemischen  reich 
Africam ,  die  Alan  der  Schwaben  Gutten  und  Navarn  His- 
paniam..  abgedrungen. 

Bei  diesen  Stellen  schien  mir  das  Verfahren  des  Herausgebers  bedenk- 
lich. Er  bevorzugt  in  unverständlicher  Weise  bald  die  Lesart  der  einen 
bald  die  der  andern  Handschrift  (vgl.  116,  2  perscripsit  Boios  und 
19  Inpertuno);  er  hat  Aventins  Autograph  nicht  genau  verglichen 
(vgl.  116,  2  Boios.  12  Juviano.  13  vixit.  19  octavum:  septimum  u.  118,2); 
er  stellt  die  Copie  B  auf  gleiche  Stufe  mit  A.  während  dieselbe  doch 
an  keiner  Stelle  besser,  aber  an  etlichen  schlechter  ist  als  die  (genau 
verglichene)  Handschrift  A.  Der  hier  geweckte  Argwohn  veranlasste  mich 
zu  grösseren  Untersuchungen.  Hiefür  wählte  ich  grössere  Stücke  des 
2.  Buches,  weil  wir  hier  Bruchstücke  von  Aventins  Concept  in  der  wolfen- 
büttler  und  Stuttgarter  Handschrift  (C  und  D) ,  dann  die  ausführliche 
deutsche  Uebersetzung  in  der  Chronik  zur  sichern  Controle  der  Hand- 
schriften A  und  B  benützen  können.  In  den  Büchern  1.  3  und  4  habe 
ich  nur  einzelne  Punkte  untersucht.  Bei  all  diesen  Untersuchungen  wurde 
mein  Verdacht.  Riezler  habe  sich  bei  der  Ausgabe  der  Annalen  des 
Aventin  von  falschen  Voraussetzungen  leiten    lassen,    durchaus    bestätigt. 

Riezler  hat,  nach  meiner  Ueberzeugung,  sich  durch  die  Stuttgarter 
Handschrift  viel  zu  sehr  beherrschen  lassen.  Dies  in  Einzelheiten  nach- 
zuweisen, ist  eben  keine  erquickliche  Aufgabe;  allein  es  werden  dabei 
manche  Schnitzel  zur  Besserung  des  aventinischen  Textes  abfallen  und  im 
Ganzen  eine  richtigere  Würdigung  des  aventinischen  Werkes  erreicht  werden.1) 


1)  Ich  benützte  bei  diesen  Untersuchungen  Aventins  Autograph  (A)  in  München;   dann  die 
Stuttgarter   und    wolfenbüttler  Handschriften    des   Entwurfes  (C  und  D   bei   Riezler)    und   von    der 


728 

Ein  Herausgeber  der  Annalen  des  Aventin  steht  vor  einer  Aufgabe, 
wie  sie  den  Herausgebern  neuerer  Schriftwerke  öfter  sich  bietet:  er  hat 
nicht  zu  wenig,  sondern  zu  viel  Stoff.  Für  die  Annalen  des  Aventin 
haben  wir,  ausser  verschiedenartigen  früheren  Entwürfen  und  Studien,  in 
einer  wolfenbüttler  und  einer  Stuttgarter  Handschrift  grössere  Bruch- 
stücke des  Conceptes,  welches  Aventin  vom  5.  Februar  1519  bis  zum 
Mai  1521 *)  in  Abensberg  ausarbeitete.  Da  Riezler  auf  die  Benützung 
dieser  Concepte  gänzlich  verzichtete  —  ob  mit  Recht,  werden  wir  später 
sehen  — ,  so  beschränke  ich  mich  hier  auf  die  Betrachtung  der  beiden 
Handschriften,  welche  er  seiner  Ausgabe  zu  Grunde  legte.  Die  eine  ist 
von  Aventin  selbst  geschrieben,  jetzt  in  München  Cod.  latin.  282 — 287, 
von  Riezler  mit  A  bezeichnet;  Aventin  hat  diese  Handschrift  aus  jenen 
Concepten  rein  geschrieben  in  der  kurzen  Zeit  von  kaum  2  Monaten, 
im  Juni  und  Juli  1521.2)  Die  andere  Handschrift  ist  die  Stuttgarter 
(Hist.  fol.  407* — 407g).  von  Riezler  mit  B  bezeichnet:  eine  Abschrift  in 
grossen  deutlichen  Buchstaben,  wie  sie  jetzt  im  diplomatischen  Verkehr 
gebräuchlich  sind,  mit  Correkturen  von  Aventins  Hand.  Die  Herzoge 
Wilhelm  und  Ludwig  Hessen  am  24.  September  1524  an  Aventin  den 
Befehl  ergehen,  Mass  die  bairisch  Chronigkhn . .  auf  unser  costung  lautter 
abgeschrieben  und,  so  die  allso  abgeschriben  und  beieinander  ist,  alsdann 


Stuttgarter  Copie  der  Annalen  (B)  den  2.  Band,  welcher  das  2.  Buch  enthält.  Die  Benützung  der 
Stuttgarter  und  wolfenbüttler  Handschriften  ward  mir  durch  die  Güte  der  Bibliotheksvorsiiiiide 
ermöglicht. 

Collations-  oder  Editionsfehler  gewöhnlichen  Schlages,  welche  ich  nicht  berücksichtigen 
werde,  fehlen  natürlich  auch  bei  Riezler  nicht.  So  haben  II  S.  140,  24  beide  Handschriften  A 
und  B  Pisae  nach  Perusia;  also  gehört  es  auch  im  Druck  dahin.  S.  217,  5  verschwören  sich 

gegen  Commodus  natürlich  nicht  'tandem  electus  cubicularius  Q.  Aelius  Laetus,  praefectus  prae- 
torio',  sondern  'tandem  Electus  (Eclectus)  cubicularius,  Q.'  etc.  291,  2  verwüsten  die  Germanen 

nicht   'Graecias,   Thessaloniam,   Macedoniam",   sondern  Thessaliam.  2'M>,  7   werden  die   Bela- 

gerten, welche  sich  Auslass  erkaufen  wollen,  nicht  'spoliati  rursus  Romam  traduntur',  sondern 
truduntur.  Oder   im  Anfang  des   6.  Buches  (III,  169,  12):   Has   ultimas  tris   rationes  (contra 

imperatorem)  Hyldebrandus  in  vulgus  edidit,  reliquas  sibi  quidem  perceptas.  nequaquam  imperita 
multitudo,  . .  astu  lactata,  aures  arrigebat.  Es  muss  natürlich  heissen  'reliquas  sibi  quidem  per- 
ceptas nequaquam  (edidit).  Imperita  multitudo  eto.  Wie  hier,  hat  Riezler  sich  leider  oft  durch 
die  alte  Ausgabe,  welche  er  für  den  Neudruck  abcorrigirte,  irre  führen  lassen. 

1)  Das  2.  Buch  begann  er,  wie  die  wolfenbüttler  Handschrift  Bl.  97  bezeugt  'Annalium 
Boiorum  liber  secundus,  6.  Kai.  Julii  incepi  Abusinae',  eine  Notiz,  welche  ich  bei  Riezler  nicht  finde. 

2)  Den  Einband  hat  schon  Aventin  machen  lassen;  ebenso  hat  er  die  Bände  foliirt. 


729 

zu  unsern  Händen  geantwort  werd,  auch  die  in  ander  frembd  Hende  nit 
khomen  noch  druckhen  lassen  on  unser  beder  sonder  Vorwissen,  Willen 
und  Zuelassen'.  Aventin  bemerkt  in  seinem  Hauskalender1)  zu  Ende 
März  1525  'magister  Stephan us  Gärtner  de  Bathavia  rescribit  chronica 
sumptu  principum  in  horto\  Dann  zum  23.  December  cfinivit  (nicht 
finivi)  chronicam\  So  ist  allerdings  die  Vermuthung  Riezlers  sehr  wahr- 
scheinlich, dass  die  Stuttgarter  Handschrift  diese  von  Gärtner  im  Jahre  1525 
für  die  Herzoge  geschriebene  Copie  sei. 

In  der  Stuttgarter  Conceptenhandschrift  (D)  befinden  sich,  was  Riezler 
nicht  bemerkte,  2  Blätterlagen,  welche  von  derselben  Hand  (Gartner's?) 
geschrieben  sind,  wie  jene  Copie  B.  Da  dieselben  auch  das  gleiche  Format 
haben  und  ebenfalls  von  Aventin  corrigirt  sind,  so  sind  es  wohl  zeit- 
weilig verlorene  und  inzwischen  ersetzte  Bogen  jener  Reinschrift.  Die 
Ausgaben  erschienen  erst  nach  dem  Tode  Aventins  und  hängen  alle 
von  dieser  Stuttgarter  Copie  ab.2) 

Man  hatte  erwartet,  aus  den  Handschriften  der  Annalen  Aventins 
würden  neue  pikante,  in  den  Ausgaben  unterdrückte  Stücke  von  beträcht- 
lichem Umfang  zum  Vorschein  kommen.  Diese  Erwartung  zeigte  sich 
als  nichtig.  So  hatte  der  Herausgeber  die  Aufgabe,  den  Text  der  Annalen 
in  möglichster   Reinheit  zu  geben. 

Dazu  bedarf  es  ein  richtiges  Urtheil  darüber,  wie  es  mit  dem  hand- 
schriftlichen Material  steht. 

Riezler  hat  seine  Ansichten  hierüber  in  dem  Nachwort  zu  seiner 
Annalenausgabe  (Aventins  Werke  III,  S.  536 — 545)  und  schon  vorher  in 
der  Abhandlung  über  cein  verlorenes  bairisches  Geschichtswerk  des  8.  Jahr- 
hunderts' (Sitzungsberichte  d.  münch.  Akad.  phil.-hist.  1881,  bes.  S.  251) 
dargelegt.     Ich  gebe  hier  die  Hauptpunkte: 


1)  Das  Original  ist  verloren;  ich  benützte  die  Abschrift  (Cod.  lat.  27228),  welche  Halm  bei 
der  Ausgabe  noch  nicht  kannte.  Halm  hat  aus  diesem  Calender  die  sorgfaltigen  Witterungs- 
angaben Aventins,  der  viel  Mühe  auf  solche  Dinge  verwandte,  weggelassen.  Sie  sollten  von  einem 
Sachverständigen  geprüft  werden;  vielleicht  beweisen  sie,  dass  die  gewöhnliche  Meinung,  ehemals 
sei  unser  Klima  rauher  gewesen,  nicht  richtig  ist. 

2)  In  Betreff  der  früheren  Ausgaben  schliesst  sich  Riezler  (Nachwort  S.  545)  an  Wiede- 
mann  S.  257  fgd.  an.  Dieser  lässt  die  erste  Ausgabe  von  1554  aus  dem  Autograph  A  geflossen 
sein.  Das  ist  falsch.  Schon  diese  Ausgabe  ist  aus  der  bequemen  Stuttgarter  Reinschrift  B 
abgedruckt;  nur  in  den  Inhaltsangaben  und  Autorenregistern  vor  den  einzelnen  Büchern  ist  hie 
und  da  A  benutzt. 


730 

„8.  542  Unserer  Ausgabe  waren  die  Handschriften  A  und  B,  das  Autograph  im 
engeren  und  das  im  weiteren  Sinne,  zu  Grunde  zu  legen.  Nur  eine  gleichmässige 
und  durchgehende  Berücksichtigung  dieser  beiden  Handschriften  gestattet  die  letzte 
Redaktion  festzustellen,  in  welcher  der  Verfasser  sein  Werk  hinterlassen  hat.  Denn 
sowohl  in  A  als  in  B  hat  Aventin  hie  und  da,  wiewohl  nicht  häufig,  Verbesserungen 
und  kleine  Zusätze  eingetragen,  die  er  in  der  andern  Handschrift  nachzutragen  unter- 
liess.  Auch  nachdem  B  schon  geschrieben  war,  nahm  er  in  A  noch  vereinzelte 
Aenderungen  vor,  die  sich  in  B  nicht  nachgetragen  finden.  Bis  in  die  letzten  Jahrs 
hat  der  Verfasser  an  dem  Werke  nachgebessert ;  eine  Randbemerkung  (III  S.  504,  29) 
zeigt,  dass  er  die  Handschrift  A  noch  1530  in  Händen  hatte." 

„Wo  A  und  B  von  einander  abweichen,  erkennt  man  fast  ohne  Ausnahme 
leicht,  ob  die  Aenderung  bei  Gelegenheit  der  Abschrift  von  Aventin  selbst  oder  ob 
sie  nur  durch  Schreibverstoss,  Missverständniss  oder  Unkenntniss  des  Copisten  herbei- 
geführt ward.  Magister  Stephan  Gärtner  hat  im  grossen  und  ganzen  sehr  sorgfältig 
copirt,  scheint  aber  trotz  seiner  Magisterwürde  nur  eine  mangelhafte  Kenntniss  des 
Lateinischen  besessen  zu  haben.  Die  groben  Fehler,  die  diess  verrathen,  in  den 
Varianten  zu  verzeichnen,  habe  ich  nicht  für  nöthig  gefunden,  sowie  ich  diess  meistens 
auch  bei  Schreibverstössen  unterliess,  die  auf  den  ersten  Blick  als  solche  erscheinen. 
Gärtner  schrieb  augenscheinlich  zuweilen  nach  Diktat,  sicher  des  Verfassers  selbst. 
zuweilen  jedoch  ohne  solches.  Auf  Diktat  deuten  Varianten  wie:  vibratisque  A. 
fibratisque  B;  inter  Oenum  A,  inter  Rhenum  B,  auch  Aenderungen,  die  ein  Copist 
nicht  leicht  eigenmächtig  vornimmt,  wie  divinarum  humanarumque  B  statt  huma- 
narum  divinarumque  A.  Dagegen  verrathen  ebenso  entschieden  das  Abschreiben 
mehrere  Stellen,  wo  undeutlich  geschriebene  Buchstaben  der  Vorlage  A  in  B  nicht 
richtig  aufgefasst  sind.* 

„Aus  dem  Dasein  zweier  Autographe  ergibt  sich  ferner,  dass  wo  beide 
übereinstimmen  auch  Sonderbares,  ja  Fehlerhaftes  im  Texte  beizubehalten  war,  wofern 
dadurch  nur  der  Sinn  nicht  geradezu  aufgehoben  wird  oder  aus  anderen  Gründen 
eine  hohe  Wahrscheinlichkeit  vorliegt,  dass  der  Verfasser  in  A  nicht  mit  Wissen  und 
Willen  so  geschrieben  und  in  B  nur  die  Correktur  übersehen  hat.  Je  mehr  Eigen- 
tümlichkeiten Aventins  Latein,  je  mehr  Seltsames,  auch  Ungenaues  gegenüber  den 
Quellen  insbesondere  seine  Eigennamen  aufweisen,  desto  mehr  schien  es  gerathen,  an 
einem  durch  doppeltes  Autograph  gesicherten  Texte  nur  in  den  allerdringendsten 
Fällen  Verbesserungen  vorzunehmen.  In  der  Regel  habe  ich  ganz  ungewöhnliche 
und  fehlerhafte  Formen  durch  ein  sie  unter  dem  Texte  gegen  den  Verdacht  von 
Druck-  oder  Editionsfehlern  zu  sichern  gesucht.  Vielleicht  hätte  dies  noch  etw;is 
häufiger  geschehen  sollen;  wenigstens  hat  mein  Recensent  v.  Oefele  in  der  Historischen 
Zeitschrift  auch  einige  Lesarten,  die  durch  beide  Autographen  als  richtig  gesichert 
sind,  als  Druck-  oder  Editionsfehler  bezeichnen  zn  müssen  geglaubt ;  sowohl  A  als  B 
hat  Bd.  II,   158,  8  Arcdata,    nicht  Aredata;    480,  38   celeberrime   (erst  von  jüngerer 


731 

Hand  mit   verblasster    Tinte   corrigirt    in    celeberrimo)    paschalium    festo   die;    436,  4 
deditios,  nicht  dediticios. " 

„Die  Orthographie  wird  man  in  meiner  Ausgabe  vielfach  schwankend  finden. 
Ich  folge  darin  nur  Aventin,  dessen  Schreibweisen  nicht  nur  zwischen  A  und  B, 
sondern  auch  innerhalb  derselben  Handschrift  häufig  wechseln.  Hat  der  Herausgeber 
in  Fällen,  wo  die  Grundlagen  der  Edition  weniger  sicher  sind,  das  Recht,  ja  die 
Pflicht  eine  einheitliche  Rechtschreibung  durchzuführen,  so  befindet  er  sich  doch  in 
anderer  Lage  gegenüber  zwei  Autographen  des  Autors ;  durch  eigenmächtige 
Durchführung  einer  einheitlichen  Rechtschreibung  würde  er  in  diesem  Falle  leicht  zu 
grundlosen  Folgerungen  Anlass  geben." 

Ich  füge  hiezu  noch  eine  Stelle  aus  Riezlers  Abhandlung  (Münch.  Sitzungsber. 
vom  7.  Mai  1881,  S.  251):  „Die  Stuttgarter  Handschrift  (B)  ist  eine  unter  Aventins 
Aufsicht  gefertigte,  hie  und  da  mit  Einträgen  und  Correkturen  von  seiner  eigenen 
Hand  versehene  Abschrift  eines  Schreibers,  der  entweder  gar  keine  oder  nur  höchst 
mangelhafte  Kenntniss  der  lateinischen  Sprache  besass,  aber  ziemlich  sorgfältig  arbeitete. 
Diese  Copie  sollte  allem  Anschein  nach  den  definitiven,  bei  einer  etwaigen 
Publikation  zu  gründe  zu  legenden  Text  bieten:'"  hiemit  vgl.  ebenda 
S.  255.  256. 

Dies  sind  Riezlers  Ansichten  über  die  Handschriften  von  Aventins 
Annalen.  Die  meinen  beruhen  auf  folgenden  Hauptpunkten:  die  Stutt- 
garter Copie  B  ist  werthlos;  sie  ist  nachlässig  und  ungeschickt  abgeschrieben, 
von  Aventin  ein  Mal  nachlässig  durchgelesen  und  corrigirt,  dann  nicht 
weiter  von  ihm  beachtet.  Dagegen  ist  die  münchner  Handschrift  A 
durchaus  von  Aventin  im  Jahre  1521  selbst  geschrieben  und  war  von 
1521  an  sein  Handexemplar,  in  welches  er  Alles  eintrug,  was  er  an 
seinen  Annalen  zu  bessern  hatte,  und  aus  welchem  er  auch  den  Wortlaut 
der  deutschen  Chronik  gearbeitet  hat.  Für  die  Veröffentlichung  oder 
für  den  Druck  fertig  waren  also  Aventins  Annalen  nur  ein  Mal,  im 
August  1521,  bei  Vollendung  der  Reinschrift  A.  Von  da  an  hat  Aventin 
stets  für  seine  Annalen  geforscht,  aber  deren  Fassung  niemals  wieder 
abgeschlossen.  Weder  im  Jahre  1525,  als  auf  Befehl  des  Herzogs,  was 
eben  in  Aventins  Autograph  stund,  abgeschrieben  wurde  (B),  waren  sie  druck- 
fertig, noch  (A)  bei  seinem  Tode;  diejenigen  begehen  also  ein  Unrecht  an 
Aventin,  welche  ihn  verantwortlich  machen  für  die  Mängel,  welche  die 
Form  des  gedruckten  Textes  entstellen,  oder  für  die  Widersprüche,  welche 
zwischen  dem  Inhalt  der  Annalen  und  der  Chronik  vorhanden  sind. 

Abh.d.I.Cl.  d.k.  Ak.l.Wiss.  XVII.  Bd.  III.  Abth.  95 


732 


I. 

Zwei  Grundsätze  sind  es,  welche  Riezler  bei  der  Feststellung  des 
Textes  hauptsächlich  geleitet  haben :  1)  dass  die  AbschriftB  einem 
Autograph  gleich  zu  achten  sei,  2)  dass  dieselbe  den  definitiven, 
bei  einer  Ausgabe  zu  gründe  zu  legenden  Text  biete. 

Dem  ersten  Satze  gegenüber  behaupte  ich :  die  Stuttgarter 
Abschriftist  eine  ungeschickte  und  nachlässige  Abschrift, 
ist  von  Aventin  nachlässig  durchcorrigirt  und  verdient 
neben  dem  Autograph  A  keine  Beachtung.  Ein  Blick  in  die 
Stuttgarter  Copie,  von  der  ich  das  270  Blätter  starke  2.  Buch  der 
Annalen  vor  mir  habe,  genagt  zu  dem  Beweise,  dass  der  Copist  zwar 
schön,  aber  thöricht  und  nachlässig  schrieb;  so  schrieb  er  auf  einer 
Seite  madere,  ignolatibus,  idfio  für  invadere,  ignorantibus,  adfici.  Latein 
muss  nach  den  damaligen  Verhältnissen  ein  Schreiber,  der  für  den  Herzog 
ein  lateinisches  Werk  von  7  Bänden  abschrieb,  verstanden  haben.  So 
fallen  diese  zahlreichen  Fehler  seiner  Nachlässigkeit  zur  Last. 

Nun  ist  die  wichtige  Frage,  ob  Aventin  diese  schlechte  Abschrift 
so  sorgfältig  durchcorrigirt  habe,  dass  sie  einem  eigenen  Auto- 
graph gleich  stehe.  Diese  Frage  ist  entschieden  zu  verneinen.  Das 
beweisen  schon  die  groben  Fehler  von  B,  welche  Riezler  S.  542  erwähnt, 
ohne  sie  in  der  Ausgabe  zu  verzeichnen.  Dass  Aventin  diese  stehen  Hess, 
ist  kein  gutes  Zeichen.  Dann  hat  Riezler  unter  dem  Texte  eine  Reihe 
von  Fehlern  notirt,  welche  der  Copist  in  B  geschrieben,  Aventin  aber  nicht 
corrigirt  hat.  Endlich  hat  Riezler  bei  seiner  Ueberschätzung  von  B  die 
Handschrift  A  nicht  genau  verglichen;  an  den  nicht  umfangreichen  Stellen, 
welche  ich  nachverglich,  fand  ich  überall  Spuren  davon. 

Die  Versehen  auf  S.  116  und  118  sind  oben  notirt;  von  S.  120  und  127  werde 
ich  unten  handeln:  hier  haben  der  Schreiber  und  Riezler  öfter  Wörter,  ein  Mal 
einen  Satz  in  A  übersehen.  S.  73,  29  Alpes.,  insuperabiles :  inexuperabiles  A.  C. 
74,  0  Bononia :  .  ipsis  Boiobonia  dicta:    ab  ipsis  A.C.  74,  9    canitur  Brennum  .  . 

belligeratum :    esse    hat   A    mehr.  (74,    10    hat    A    inhabitaruntque ,    was    also 

nicht  nur  in  die  Note,  sondern  in  den  Text  gehört).  213,  33  uti  pecudes  et  oves 

deprensi   in    cavea   niulti    a  multitudine    hostiura    trucidarentur  (!)   B  Er:    inulti    A. 

215,  34  nequaquam  loqui,  quae  sentiebas,  at  (!)  sentire,  quae  loquebare,  licebat 
B  Er:  aut  A  D.         217,  4  proditus  a  suis  occubuit  B  Er:  sociis  A  D.         288,  8  inanis 


733 

gloriae  B  Rr:    gloriolae  A  D.  S.    289/90    wird    das  Verkommen    des   römischen 

Heeres  geschildert:  romanorum  militum  numerum  deminuere;  in  demortuorum  locum 
tirones  non  sufficere;  cum  hostibus  pacisci,  quibus  tarnen  promissa  praemia  negabant. 
ut  in  romanas  provincias  illi  incursarent:  so  vollkommen  richtig  die  beiden  Auto- 
graphe  D  und  A ;  der  Copist  von  B  Hess  nicht  nur  cin'  nach  ut  weg  sondern  auch 
ctironesJ,  und  schrieb  den  Unsinn  cinde  mortuorum  locum  non  sufficere',  den  Riezler 
nachdruckt,  während  Aventin  selbst  in  B  wenigstens  in  demortuorum5  gebessert 
hat.  292,  14  duas  filias  suas  Honorio  imperatori  despondet  B  Rr:  suas  deinceps  AD. 
292,  20  Vessogetae  primi  foedus  exuunt,  relicta  Thracia  .  .  rectam  in  Italiam  tendunt 
B  Rr:  relictaque  A  D;  recta  in  in  It.  A,  recta  in  It.  D  richtig.  562,  31  Mogonciaci  .  . 
terrae  motus  extitit,   templo  divi  Urbani  et  muris  prostratis  B  Rr:    divi  Albani  A  D. 

Im  Anfange  des  6.  Buches  hat  Aventin  öfter  mit  Uncialschrift  geschrieben 
(Conpendium)  Conmentaria  rerum  Germanicarum',  wodurch  er  offenbar  nachträglich 
das  Wesen  dieses  Buches  bezeichnen  wollte.  S.   169    (ti.  Buch)  hat  Riezler  Z.   12 

treis,    Z.  .17    tres    geschrieben:    A    hat    an    beiden    Stellen    'tris'.  (170,  14  Contra 

Caesar  et  alii  .  .  nitebantur  nee  aninii  tarnen  romanorum  pontificum  frangebantur, 
quominus  maiores  necessitudines  conpararent,  quibus  cogi  possent  imperatores  etc,  so 
Riezler;  A  dagegen  vollkommen  richtig:  frangebantur,  sed  admonebantur,  quo  maiores. 
In  B  ist  wahrscheinlich  'sed  admonebantur'  vergessen  und  dann  'minus  zugesetzt 
worden.)  170,  24  et  A:  ac  Riezler.  172,  9  nemo  huic  quisquam  A:  quisquam 

übersah    Riezler.  1 75,  25    ibidem   A:    ibi    Riezler.  175,  28    Chunegundae   A. 

175,  32  absque  liberis  ante  matrein  anno .  .  quinto  absque  liberis  obiit;  das  erste 
absque  liberis  ist  in  A  unterstrichen,  war  also  wegzulassen:  Riezler  hat  das  zweite 
weggelassen.  L76,  5    institutus  est    A:    est   fehlt    bei    Riezler.         Im  Schluss   des 

6.  Buches  S.  236,  29  prineipes  Boiariae  .  .  ad  Danubii  Rhenique  confluenta  (!)  domin- 
antur  Riezler:   fluenta  A.  Im   Anfang    des    7.  Buches   S.   239,  29    errant   longe: 

longe  übersah   Itiezler.  241,  9  divoque  A:    que  fehlt  bei  Riezler.  242,  2  hat 

auch  A  Volophyldae  (nicht:  da).  242,  15  hat  A  wie  B  Manogoldi.  26  annalis  A, 
30  ducatuum  A.  243,  10  Oto  A.  243,  17  Ranios  18  Raniorum  25  Raniis  A: 
Riezler  17  Ranos  und  25   Ranis,    1*  Raniorum.  244,  8  Sabinensis  A,  ebenso  der 

von  Riezler  selbst  citirte  Hansitz.  245,   1    ist  minore  nach  Otone  zugesetzt  in  A. 

246,  4  Gariotruda  A.  246,  15  Christi  servatoris  et   liberatoris  A :    servatoris 

übersah  Riezler.  246,  23  Adolaeda  A,  31  Lambacum  A.  Diese  Beispiele  von  wenigen 
Seiten  des  3.  Bandes  der  riezlerschen  Ausgabe  beweisen,  dass  er  auch  in  diesem  Bande 
«las   Autograph  A  geringschätzig  behandelt  und  nicht  genau  verglichen  hat. 

Daraus  mag  bemessen  werden,  wie  Viel  der  Copist  bei  der  Abschrift 
und  auch  Riezler  noch  bei  der  Vergleichung  von  A  übersehen  hat.  Wie 
wenig  Aventin  an  der  völligen  Correktheit  der  Abschrift  B  lag,  mögen 
noch  folgende  Thatsachen  beweisen. 

95* 


734 

In  A  steht  nach  166,  17  eine  genealogische  Tafel  der  Maria;  der  Copist  in  B 
hat  sie  weggelassen,  aber  wenigstens  eine  halbe  Seite  leer  gelassen;  Riezler  druckt 
sie  aus  A  ab.1)  Dann  steht  in  Aventins  Autograph,  nach  S.  168,  32  mortiilium,  eine 
Tafel  der  Könige  Judäas  bis  zu  dessen  Untergange,  mit  historischen  Notizen.  Schon 
ursprünglich,  (also  sicher  als  B  abgeschrieben  wurde)  stand  sie  da;  das  beweist  der 
Umstand,  dass  sie  eine  ganze  Seite  in  A  einnimmt,  Aventin  aber  in  diesem  Bande 
der  Annalen  keine  leeren  weissen  Seiten  gelassen  hat.  Der  Copist  in  B  lässt  sie 
spurlos  weg,  Riezler  lässt  sie  auch  weg  und  bemerkt  nur  in  der  Note  'In  A  folgt 
hier  mit  der  Randbemerkung  cEx  Josepho,  Philone,  Maccabae  p.,  Eusebio'  eine  theil- 
weise  sehr  wirr  durcheinandergeschriebene  Reihenfolge  jüdischer  Hohepriester  und 
Könige,  welche  in  B  nicht  aufgenommen,  für  welche  dort  auch  kein  Raum  offen 
gelassen  ist/  Aventin  bemerkt  in  der  Abschrift  B  bei  keiner  von  beiden  Lücken 
auch  nur  ein  Wort.  Er  hat  aber  beide  Tafeln  gewollt,  und  Riezler  hätte  sich  die 
Mühe  nehmen  sollen,  auch  die  zweite  zu  entziffern.  Das  beweist  auch  der  D  instand, 
dass  die  zweite  Tabelle  in  der  Chronik  verarbeitet  ist:    S.  731—735,  744,  762,  770. 

Mit  welchen  Augen  Aventin  die  Copie  B  ansah,  das  zeigen  auch  die  Inschriften, 
die  sich  in  grosser  Zahl  z.  B.  im  5.  Kapitel  des  2.  Buches  finden.  Bei  diesen 
Inschriften  ist  es  von  Wichtigkeit,  die  Zeilenabtheilung  zu  kennen.  Wie  Riezler 
hierüber  denkt,  erkenne  ich  nicht;  z.  B.  bei  der  grossen  Inschrift  S.  150,  10  (Momm- 
sen  5890)  setzt  er  gar  keine  Zeilenstriche,  bei  einer  andern  S.  151,  29  (Mommseo  5906) 
nach  jedem  Worte;  bei  einer  dritten  S.  153,  8  (Mommsen  5936,  Chronik  S.  702,31; 
also  fehlt  sie  nicht  in  den  Annalen,  wie  Lexer  meint)  nur  einen,  nach  den  ersten 
2  Buchstaben,  während  es  doch  gerade  hier  wichtig  ist  die  Zeilentheilung  der  Hand- 
schriften zu  kennen,  da  die  Inschrift  sonst  verloren  ist;  wesshalb  auch  Mommsen  im 
Nachtrag  S.  1050  die  Zeilentheilung  von  A  notirt  hat.  In  diesem  Nachtrag,  der 
Riezler  entging,  hat  Mommsen  auch  mit  richtigem  Gefühl  von  der  münchner  Hand- 
schrift (A)  geurtheilt  'ex  quo  descriptus  est  moderante  auctore  Stuttgartiensis  (B),  ut 
hie  (A)  in  Aventinianis  fundamentum  crisk  primarinm  habendus  sit\  Doch,  wie  auch 
Riezler  über  die  Wichtigkeit  der  Zeilenabtheilung  denke,  das  ist  sicher,  dass  Aventin 
dieselbe  erkannt  hat,  und  diese  Erkenntnis.-;  sowie  die  Genauigkeit  seiner  Angaben, 
wie  sie  bis  zu  den  Inschriftenforschern  unserer  Zeit  selten  war,  gereicht  ihm  zu 
besonderem  Lobe.  So  weit  wir  seine  Abschriften  mit  den  Originalen  vergleichen 
können,    sehen  wir    ihn    in    seinem   Autograph  A    bemüht,    die    Zeilenabtheilung   der 


1)  Chronik  S.  729,  29  'damit  ditz  verstentlicher  sei,  folgt  hernach  der  stam":  so  schrieb 
Aventin  a.  1527.  Später  setzte  er  zu  'Ist  iezo  druckt  und  im  latein  ausgangen  zu  Augspurg; 
man  hat  in  liberal  fail,  dörft  vil  müe  hir  in  wider  abzumalen".  Diesen  Druck  glaube  ich  in 
München  gefunden  zu  haben.  Es  ist  eine  Tafel,  deren  Oberstück  fehlt,  jetzt  1,10  Meter  hoch, 
0,525  breit,  ein  kräftiger  Holzschnitt.  Unten  liegt  Adam  und  aus  ihm  erhebt  sich  der  Stamm- 
baum. Links  unten  der  Titel  'Arbor  genealogiae  Christi.  I.  B.  E.  H.  A.',  rechts  'Aug.  Vindel.  ex 
officina  Alex.  Weyssenhorn  MDXXIX.'     Das  Blatt  scheint  unbekannt  zu  sein. 


735 

Originale  getreu  einzuhalten;  dagegen  in  der  Copie  B  ist  hievon  keine  Spur. 
Diesen  grossen  Fehler  der  Abschrift  hat  Aventin  natürlich  erkannt;  er  hat  aber 
keinen  Versuch  gemacht,  denselben  zu  verbessern.  Das  beweist  einmal,  wie  wenig 
ihm  an  dieser  Abschrift  lag,  dann  aber,  um  hierauf  vorzugreifen,  dass  er  nicht  daran 
dachte,  seine  Annalen  in  der  Stuttgarter  Abschrift  drucken  zu  lassen. 

Wie  nachlässig  Aventin  die  Abschrift  B  durchcorrigirte,  dafür  ein  Beispiel. 
Aventin  hat,  sonderbarer  Weise,  auch  abgesehen  von  der  eigentlichen  Thätigkeit  auf 
dem  Feld  der  Geschichte,  mehrfach  dieselben  Stoffe  angefasst,  wie  Mommsen ;  so  die 
Inschriften ;  dann  fand  er  die  zuletzt  von  Mommsen  edirte  Chronik  Cassiodors  in  der 
regensburger  Handschrift  14C>1 31)  und  überliess  die  Ausgabe  seinem  Lehrer  Joh.  Cus- 
pinian,  vgl.  Werke  I,  S.  604  und  048 ;  das  Stück  einer  Abschrift  dieser  regensburger 
Handschrift  (etwa  a.  400  bis  zu  Ende)  mit  Noten  Aventins  findet  sich  jetzt  noch  am 
Ende  der  Stuttgarter  Conceptenfragmente.  Auch  auf  das  Verzeichniss  der  Provinzen 
des  römischen  Reiches,  das  Mommsen  bearbeitet  hat,  richtete  Aventin  sein  Augenmerk 
und  wollte  es  nach  der  Freisinger  Handschrift  (Clm.  6243;  vgl.  Werke  I,  S.  640.654) 
herausgeben ;  der  Entwurf  zu  dieser  Separatausgabe  findet  sich  in  unserer  latein.  Hand- 
schrift 281 2)  von  Bl.  8  an  mit  dem  Titel:  Romani  imperii  descriptio  atque  regiones 
et  provinciae  harumque  urbes  insignion-s  es  libro  secundo  annalium  Boiorum  Joannis 
Aventini.  Dieses  Verzeichniss  hat  er  in  dem  4.  Kapitel  des  2.  Annalenbuches  ver- 
arbeitet (S.  137  ffl.).  Daselbst  heisst  es  S.  142,  32,  dass  Carl  IV.  und  Sigmund  die 
Dauphin^  <i),*'lll<,oem^0  re£Ps  Francorum  dono  dederunt.  tabulas  legi  Luthetiae  Parisi- 
orum  in  coenobio  divi  Victoris';  dazu  schrieb  Aventin  an  den  Rand  (von  A)  Codicillos  et; 
dann  schrieb  er  einen  anderen  Nachtrag  ;in  den  Band,  die  Worte  S.  143,  7  Novem 
populorum  provincia  cuius  et  hieronymus  meminit  eius  urbes  ausci  elusates  convennae 
consoranni  meminit  et  marcellinus.  Diese  Worte  sind  um  die  Worte  'Codicillos  et* 
so  herum  geschrieben,  dass  convennae  mit  codicillos  et  eine  Zeile  bildet.  Dann  sah 
Aventin,  dass  die  Worte  'Novem..  marcellinus'  weiter  hinunter  passten:  S.  143,  6 
zwischen  Cadurci  und  Britannia,  und  deutete  das  durch  ein  Zeichen  an.  Der  Schreiber 
von  B  fügte  die  Randnote  dem  Zeichen  folgend  richtig  S.  143,  7  ein,  schrieb  aber 
die  Worte  codicillos  et  ruhig  zwischen  convennae  consoranni,  obwohl  jene  2  Worte 
in  A  mit  ganz  anderer  Tinte  geschrieben  sind.  Wie  Aventin  das  las,  blieb  er  an 
dem  thörichten  codicillos  hängen.  Hätte  er  in  seinem  Autograph  nachgesehen,  so 
hätte    er    gesehen,    dass    die   beiden   Wörter   codicillos    et    hinaufgehörten  vor  tabulas 


1)  Er  hat  also  jedenfalls  auch  den  hierin  erhaltenen  Hermannus  Contractus  und  die  Breves 
notitiae  S.  Emmerami  benützt. 

2)  Daselbst  S.  13  sind  Notizen  über  Ereignisse  der  Jahre  1527  und  1529;  solche  über  1528 
sind  in  der  Stuttgarter  Concepthandschrift  (D)  Bl.  200.  Diese  hat  Riezler  nicht  gedruckt,  ähnliche 
aus  A  und  der  wolfenbüttler  Concepthandschrift  hat  er  gedruckt  (Werke  III,  S.  531).  Die  erwähnte 
lat.  Handschrift  281  enthält  dann  noch  besonders  auf  Bl.  16  einen  Entwurf  zu  einem  Leben  von 
Sand  Hainrich,  Bl.  22  zu  einer  Geschichte  der  Grafen  von  Abensberg. 


736 

S.  142,  32.  Dazu  war  er  aber  zu  bequem;  darum  radirte  er  einfach  codieillos  aus. 
So  fehlt  jetzt  in  B  codieillos  ganz  und  zwischen  convennae  und  Consoranni  steht 
et.  Riezler  hat  den  Text  noch  weiter  verschlechtert,  indem  er  den  Provinznamen 
Novem  popuiorum  nicht  erkannte  und  drucken  Hess  'in  seeunda  Aquitania  numerantur 
Averni  (so  B  und  Rr. ! ,  A  und  Cod.  281  richtig  Arverni)  Rutheni  Cadurci,  novem 
popuiorum  provincia,  cuius  et  Hieronymus  meminit. 

Demnach  hat  Aventin  im  Schluss  des  Jahres  1525,  wo  er  mit  Eifer 
den  Homer  im  griechischen  Texte  las,  nicht  eben  viel  Mühe  auf  die 
Correktur  der  schlechten  Reinschrift  B  verwendet.  Dieselbe  war  voll 
thörichter  Wortformen,  viele  einzelne  Wörter  und  Satztheile  fehlten. 
Aventin  las  lässig;  hiebei  entgingen  ihm  viele  auffallende  Thorheiten; 
die  meisten  merkte  er  und  besserte  sie.  Wenn  er  an  ganz  unverständ- 
liche Wörter  kam,  schaute  er  meistens  in  sein  Autograph  und  sah  dann, 
dass  Wörter  gänzlich  entstellt,  oder  Randnoten  an  der  falschen  Stelle 
eingesetzt  oder  gar  ganze  Satzstücke  ausgelassen  waren;  das  besserte  er 
dann  nach  seinem  Autograph.  Oft  sah  er  aber  auch  in  seinem  Auto- 
graph nicht  nach,  sondern  half  sich,  wie  an  der  besprochenen  Stelle  mit 
Tilgung  des  unverständlichen  Wortes.  Dann  blieben  Wörter  weg,  weicht1 
er  aus  seinem  Autograph  ergänzt  hätte,  wenn  er  sich  eben  die  Mühe 
genommen  hätte,  dort  nachzusehen. 

So  steht  es  mit  der  Abschrift  B,  dem  sogenannten  zweiten  Auto- 
graph. Sie  ist  leichtsinnig  geschrieben  und  flüchtig  von  Aventin  corrigirt. 
Mir  ist  unverständlich,  wie  Riezler  daran  denken  konnte,  sogar  in  ortho- 
graphischen Dingen  auf  diese  Abschrift  auch  nur  Rücksicht  zu  nehmen, 
geschweige  ihr  zu  folgen  und  z.  B.  S.  137,  19  simulachraque  oder 
142,  2.  28  sepulchro  zu  schreiben  (nach  B)  mit  der  Note  'simulacraque'  A, 
sepulcro  A  u.  s.  w.  Das  sind  Kleinigkeiten,  aber  sie  Verstössen  gegen 
die  'ratio1. 

Allein  die  Abschrift  könnte  doch  Vorzüge  vor  dem  Autograph 
besitzen.  Wenn  wir  Druckbogen  unserer  eigenen  Schriften  lesen,  fällt 
uns  hie  und  da  Neues  ein  und  wir  setzen  es  noch  ein;  so  könnte  Aventin 
in  der  Abschrift  hie  und  da  interessante  Zusätze  gemacht  haben;  diese 
müssen  dann  natürlich  von  seiner  Hand  geschrieben  sein.  Für  eine 
andere  Art  von  Vorzügen    der    Abschrift    öffnet    Riezler    die    Pforte    mit 


737 

der  Bemerkung  cGartner  schrieb  augenscheinlich  zuweilen  nach  Diktat,1) 
sicher  des  Verfassers  selbst'.  Für  den  Zusatz  c  sicher  des  Verfassers  selbst3 
gibt  es  nicht  nur  keinen  sichern,  sondern  gar  keinen  Grund.  Für  das 
Abschreiben  wurde  Gärtner  vom  Herzog  bezahlt  und  er  fertigte  dieselbe 
'in  horto*  Aventins.  Aventin  hatte  genug  Aerger  mit  der  Correktur, 
zum  Diktiren  war  seine  Zeit  zu  kostbar.  Doch  das  sind  alles  nur  Wahr- 
scheinlichkeitsgründe. Mit  der  Hypothese  von  etwaigen  mündlichen  Mit- 
theilungen  Aventins  an  den  Schreiber  könnte  viel  Missbrauch  getrieben 
werden.  Dieselben  müssten  natürlich  in  dem  Autograph  A  fehlen  und 
in  B  von  der  Hand  der  Copisten  geschrieben  sein.  Ich  will  zur  Probe 
die  Stellen,  an  denen  schon  der  Copist  in  B  das  Richtige  haben  soll, 
während  im  Autograph  A  das  Unrichtige  stünde,  im  2.  Buche  sämmtlich 
durchgehen,  so  viele  ihrer  Riezler  zu  den  212  Druckseiten  notirt,  und 
so  weit  ich  sie  nicht  schon  oben  behandelt  habe.  Man  beachte  bei  diesen 
Stellen  besonders,  wie  Riezler  das  Autograph  A  zurücksetzt  und  die 
Copie  B  begünstigt. 

Einige  Stellen  will  ich  vorweg  nehmen.  S.  300,  8  heisst  es  in  B  und  bei 
Kiezler  'flaensericus  cum  Yandalis  C&rtbaginem  invadit  capitque.  Franci  traiecti  (Clo- 
done  regulo)  Rheno  Belgicam  secundam  vastant,  patentes  Atrebatum  terras  quoque 
pervadunt,  Tornacum  et  Cameracum  urbes  diripiunt :  Saxones  Britanias  incursant'. 
Dazu  gibt  Kiezler  die  Noten  'Clodone  duce  A*  und  'patentes  .  .  pervadunt  fehlt  in  A\ 
Wenn  das  wahr  ist,  dann  ist  die  unbedingte  Herrschaft  für  A  verloren;  denn  da  die 
Worte  in  B  von  der  ersten  Hand  geschrieben  sind,  so  müsste  der  Copist  eine  andere 
Quelle  als  das  Autograph  A  gehabt  haben,  und  das  könnte  nur  Aventin  selbst  sein. 
Allein  Riezlers  Angaben  sind  falsch.  Allerdings  lautet  der  Columnentext  in  A  (fol.  •>) 
nur:  Franci  traiecto  |  rheno  belgicam  secundam  vastant  Tornacum  |  et  cameracum 
urbes  diripiunt,  S.  Br.  ine.  Aber  an  den  Rand  neben  traiecto  hat  Aventin  ein  Zeichen 
gemacht  und  dazu  geschrieben  csupra  pag.  5  Clodone  duce'.  Auf  Bl.  5m  steht,  eben- 
falls am  Rande,  'infra  pag.  6  clodo  francorum  regulus  patentes  attrebatum  (so  schreibt 


1)  Riezler  (Nachwort  S.  542)  schliesst  dies  aus  Varianten  wie  vibratis :  tibratis ;  inter  Oenum: 
inter  Rhenum.  Die  Philologen  wissen,  dass  solche  Dinge  doch  trügen  können.  Wenn  wir  schreiben, 
arbeitet  neben  dem  Auge  oft  das  Ohr  mit  und  passiren  uns  solche  Fehler.  Wer  z.  B.  liest  lDa 
Aventin  weder  Copist  noch  bloss  trockener  Analyst  sein  wollte  oder  konnte  etc.",  der  würde 
wetten,  das  könne  nur  ein  Hörfehler  für  Annalist  sein,  also  müsse  dieser  Text  diktirt  sein: 
und  würde  sich  doch  irren.  Denn  diese  Stelle  in  Riezlers  Nachwort  (S.  598)  ist  aus  Döllingers 
Rede  (wo  das  richtige  'Annalist'  steht)  von  Riezler  copirt  worden  und  ist  von  seiner  Feder  weg 
vor  die  Augen  des  Setzers  gewandert. 


738 

Aventin  öfter)  terras  quoque  pervaserat'.  Diese  Worte  wollte  also  Aventin  im  Ablativ 
absolutus  auf  Bl.  6  eingefügt  haben.  Dem  Fingerzeig  folgte  der  Copist;  doch  hätte 
Aventin  selbst  wohl  duce  statt  regulo  festgehalten.    Also  hier  bewahrt  A  seinen  Rang. 

An  einer  andern  Stelle  250,  2  ist  Galerius  von  den  Persern  geschlagen,  'lvparatis 
tarnen  ex  Germanis  et  limitaneis  Histri  exercitibus  copiis,  rursus  Persas  adoritur.  ipse 
in  Armenia  maiore  cum  duobus  equitibus  (Zeile  5)  exploravit  hostes  et  cum  viginti 
milibus  militum  supervenit  castris  hostium:  subito  innumera  Persarum  agmina  adgressua 
Narseum  regem  turpi  fuga  salutem  quaerere  cogit;  uxore  eius  ac  filiabus  potitur.  . 
haec  pacis  conditio  (ZI.  11)  .  .  duravit.  ita  terra  marique  parta  victoria  etc.  Riezler 
bemerkt  'ZI.  4  In  A  ferner  fundit,  superat,  ad  internecionem  delet'.  Hier  scheint 
also  ein  Unsinn  der  Handschrift  A  in  B  gebessert  zu  sein,  'wohl  nach  dem  Diktat 
des  Verfassers  selbst'.  Doch  ein  Blick  in  die  Handschrift  A  gibt  derselben  vollkommen 
Recht.  Der  Columnentext  lautete  ursprünglich  nur:  rursus  Pereas  adoritur,  fundit, 
superat.  Ita  terra  etc.  (Z.  4  und  11).  Da  kommt  das  Breviarium  des  Rufos  in 
Aventins  Hände.  Daraus  schreibt  er  rechts  an  den  Rand  von  A  die  Worte  Ipse  .  . 
adgressus'  und  schiebt  sie  durch  Zeichen  vor  'fundit  superat'  ein.  Dann  schiebt  er 
nach  superat  aus  Rufus  'ad  internecionem  delet  ein  und  schreibt  links  an  den  Rand 
wieder  aus  Rufus  die  folgenden  Worte  'Narseum  .  .  duravit'.  Die  Worte  'fundit 
superat  ad  internecionem  delet'  gehören  also  in  die  Z.  6  nach  aggressus,  wo  sie  sogar 
noth wendig  sind  und  natürlich  auch  in  der  Chronik  stehen  (kam  .  .  mit  20000  über 
die  Persier,  so  on  zal  waren,  griff  ir  wagenpurg  an,  schlueg  si,  erleget  si,  gewan  die 
wagenpurg  .  .  Narseus  entran  kaum).  Der  leichtsinnige  Copist  übersah  diese  Worte, 
Aventin  merkte  beim  flüchtigen  Durchlesen  nicht  ihr  Fehlen,  Riezler  bemerkte  sie  in  A, 
wusste   aber  nichts  damit  anzufangen.  Leicht  erklärt  sich  der  wirkliche  Vorzug 

der  Abschrift  vor  dem  Original  an  zwei  andern  Stellen.  S.  159  hat  B  drei  Inschriften 
und  S.  253,  29  eine  Inschrift,  welche  in  A  fehlen.  Allein  an  beiden  Stellen  hat 
Aventin  in  A  so  viel  an  den  Rand  und  zwischen  die  Zeilen  zugeschrieben,  dass  er 
sich  selbst  durch  Zahlen  zu  helfen  suchte;  diese  Inschriften,  welche  er  auf  der  ent- 
sprechenden Seite  seines  Handexemplars  nicht  mehr  unterbringen  konnte,  hatte  er, 
wie  er  das  auch  sonst  that,  auf  Blättchen  beigelegt,  welche  jetzt  verloren  sind.  Also 
auch  hier  ist  die  Copie  nicht  besser  als  das  Original. 

Jetzt  will  ich  die  übrigen  vermeintlichen  Fehler  von  A  im  2.  Buche  rasch,  aber 
sämmtlich    durchgehen.      lieber    S.   116    vgl.    oben    S.  726.  116,  30    inlustris  A: 

richtiger  Accusativ;  vgl.  Aventins  Werke  I,  S.  400,  35.  117,  4    rerum   divinarum 

humanarumque  B  Rr:  r.  hum.  divinarumque  A;  der  Copist  hat  in  B  entweder  aus 
Leichtsinn   oder    Frömmelei   umgestellt.  121,  22    licet   in    A    halb    durchstrichen; 

darum  hat  der  Copist  in  B  zuerst  nichts,  dann  als  er  bei  legatur  die  Notwendigkeit 
einer  Conjunction  einsah,  quamvis  über  die  Zeile  geschrieben.  122,  28  muneribus 

B  Rr:  m.  quippe  A,  richtig.  123,  3  Marobudum .  .  nunc  Pragam  dicimus  B  Rr: 

Marobodum  A;  aber  Riezler  selbst  druckt  III,  p.  367,  27  Praga  .  .  quondam  Marobodum 
vocata.  141,  6    Bergamum,   Comum  B  Rr :    Comum   Bergomum  A;    Stellung  gut, 


739 

Bergomum  auch  sonst  bei  Av.  142,  20  Chatalauni  Rr,  Cathalauni  B:  Cathelauni  A, 

ohne  Anstand.  148,29  quos  Horatius  Gelonos  appellant  A :  adpellat  B  Rr;  selbst- 

verständliche Correktur  des  Schreibers.  153,8  'D  M'  B  Rr:  'M  D'  A  ;  leichte  Correktur 
des  Schreibers.  154,  26  CP  AEL'  B  Rr:    so  auch  A,   nicht   PLAEL,    wie  Riezler 

sagt.  172,  33    Marcum  .  .    Paulus   collegam  vocat  B  Rr ,   schlechte   Correktur   des 

Schreibers:  adiutorem  A;  ad  Philem.  24  'Marcus.,  adiutores  mei'.  173,  21  Vinde- 
licorum  et  Boiariae  (urbes)  fuisse  reperio  Bathaviam;  Aureatum  in  vicum  abiit,  Augusta 
Vindelicorum  interiit:  A  hat  (in  der  Zeile,  nicht  am  Rand)  nach  Bathaviam  Augustam 
Tiberii,  Fruxinura  quae  extant'.  Diese  Wörter  sind  richtig  und  sachlich  noth wendig; 
vgl.  Chronik  S.  792,  7;  der  Copist  Hess  sie  aus  Leichtsinn  weg;  Riezler  fehlte,  dass 
er  sie  nicht  in  den  Text  setzte.  175,   11  peroranti .  .  sententiae  suppetebant  A  D: 

suppeditabant  B  i?r,  überflüssige  Aenderung  des  Copisten.  180,  7  setzte  Rr  antea, 

210,  27  und  224,  19  ante  aus  B  in  den  Text:  an  der  ersten  Stelle  hat  A  ante,  an 
den  beiden  andern  antea,    ebenso  gut.  192,  34    redigere  statum  B  Rr:    A   ebenso 

gut  cst.  red.J  196,  37  subsecuta  B  Rr:    subsecuta  est  A,  richtig.  198,  27  sie 

Rr  richtig:  si  A  falsch,  doch  auch  in  B  hat  erst  Aventin  das  c  zugesetzt.  214,36 
timebat   B    Rr:    tim.  Marcus   in    A   ist  unbedenklich.  215,  19    quae  mihi  aperte 

nominare  religio  est  B  Rr  statt  des  ebenso  guten  cq,  nom.  ap.  mihi  rel.  est1  in  A. 
219,  10  uti  B  Rr  statt  ut  A.  224,  36  oratores.  quos  venales  linguae  non  esse, 
sed  gratis  agere  constitit  so  Rr  mit  B,  falsch:  venalis  A  richtig.  226,  21  rescripsit 
B  Rr:  rescr.  Caesar  A  ebenso  gut.  238,  7  ut  B  Rr:  uti  A.  242,  18  sepulchra 
B  Rr:    sepulcra  A.  255,  7    sub    pallio   et   capillis    (gleich    Lactanz  V,  2)  A,  am 

Rande  barba:  s.  p.  et  barba  ac  c.  B  Rr.  263,  31    hat  A  Arbitione  (nicht  Arbi- 

trone)  =  B  Rr.  268,  2  hat  der  Copist  Litodoru-  so  gut  wie  A;  erst  eine  spätere 
Hand  schrieb  Vitrodorus  an  den  Rand.  Aventin  übersetzt  aber  noch  in  der  Chronik 
Leitdurn  kunig  Widwers  sun\  S.  269    und    270    die    verschiedenen    Formen    von 

Hariobandes  schrieb  der  Copist  aus  A  ab;  erst  Aventin  machte  in  B  Ringeln  über 
die  n.  285,  6  hat  B  Rr  Francorora  richtig:  A  das  falsche  Franconam;  die  Correctur 
lag  dem  Copisten  sehr  nahe,  da  Franoofl  voran  geht  und  folgt.  300,  30  steht 
Arleato  in  B  so  gut  als  in  A:  erst  Aventin  hat  in  B  Arelato  gebessert.  804,  21 
scheint  auch  B  vor  der  Correctur  das  falsche  tuis  (A)  gehabt  an  haben.  314,  2 
Litomarus  Raenomarus  et  Richarius  Rr  nach  B:  Raenarius  A,  richtig,  da  auch  in  der 
Chronik  steht  cLeutner,  Rainer,  lieicher'.  818,  33.  34  schrieb  der  Copist  dasselbe, 
was  in  A  steht;  erst  Aventin  eorrigirte  in  B  das.  was  Rr  druckt. 

Demnach  hat  der  Copist  von  B  neben  Aventins  Autograph  keine 
weiteren  schriftlichen  oder  mündlichen  Mittheilungen  von  Aventin  erhalten 
oder,  mit  anderen  Worten,  Alles,  was  in  der  Stuttgarter  Reinschrift  von 
der  Hand  des  Copisten  geschrieben  steht,  ist  für  uns  neben  Aventins  Auto- 
graph A  völlig  werthlos,    und    Riezler    hätte    aus  B    nichts    in  den   Text 

Aldi,  d.i.  d.d.  k.  Ak.d.  Wiss.  XVII.  Bd.  III.  Abth.  96 


740 

setzen,  nichts  in  den  Noten  erwähnen  sollen,  was  nicht  Aventin  mit 
eigener  Hand  hineincorrigirt  hat.  Allein  Riezler  ist  von  dem  Nebelbild 
des  'zweiten  Autographs  oder  des  Autographs  im  weitern  Sinne1  (B)  so 
befangen,  dass  er  selten  unterscheidet,  ob  Etwas  in  demselben  von  der 
Hand  des  Copisten  oder  erst  von  Aventin  geschrieben  ist. 

Bieten  nun  Aventins  eigenhändige  Bemerkungen  in  der  Reinschrift  B 
Etwas,  was  nicht  schon  in  seinem  Autograph  steht?  Zum  ganzen  2.  Buche 
der  Annalen  sind  es  folgende  Dinge :  S.  201  hatte  der  Copist  ZI.  1  Traianus . . 
3  urbes  ausgelassen;  Aventin  merkt  die  Lücke,  schreibt  aus  seinem  Auto- 
graph die  übersehenen  Zeilen  an  den  Rand  und,  da  ihm  ein  Uebergang 
hübsch  erschien,  setzt  er  nachträglich  noch  cPorro'  in  B  vor  die  mit 
Trajanus  beginnende  Zeile.  182,  15  Nero  in  Todesgefahr  ruft  cQualis 

artifex  pereo\  Obwohl  ihm  der  schimpflichste  Tod  droht,  ist  er  doch 
zu  feige,  sich  selbst  zu  tödten.  und  ruft  bei  Sueton:  Vivo  deformiter  ac 
turpiter.  Aventin  schrieb  'segnitiem  suam  his  verbis  increpat:  vivo 
deformiter  turpiter',  mit  einer  Lücke  nach  turpiter  sowohl  in  seinem 
Concept  (D)  als  in  der  Reinschrift  A.  Diese  Lücke,  welche  sogar  noch 
der  Copist  in  B  festhielt,  füllte  Aventin  beim  Durchlesen  von  B  aus  mit 
pereo.  Das  liegt  allerdings  so  nahe,  dass  Aventin  auch  in  der  Chronik 
auf  dieselbe  Füllung  der  Lücke  in  A  verfiel  'ich  leb  in  grossen  Schanden 
und  sterb  schendlich\  Die  dritte  Stelle  ist  178/9:  beim  Durchlesen 
von  B  schien  Aventin  ein  Zusatz  gut.  Er  schrieb  also  an  den  Rand 
von  B  calii  Babyloniam  Aegypti  intelligunt,  quae  nunc  Alchairum  est, 
antiquis  Memphis'.  Da  ihm  dieser  Zusatz  wichtig  schien,  trug  er  ihn 
auch  in  seinem  Handexemplar  A  am  Rande  nach,  mit  einer  freien 
Aenderung  calii  Babyloniam  Aegypti  intelligunt,  quae  nunc  Alchairum 
vulgo   est,    vetustis    Memphis'.  Dazu    mag    man   noch  rechnen  206,   2 

wo  Aventin,  statt  des  guten  'enecavit'  in  A,  in  B  das  ebenso  gute  cenecant' 
corrigirt  hat.  In  der  Chronik  übersetzt  er  enecavit  'Barcobab . .  erwürget  si\ 

Diese  4  Stellen  sind  die  einzigen,  welche  ich  als  Herausgeber  aus 
dem  270  grosse  Blätter  enthaltenden  2.  Bande  der  Stuttgarter  Copie 
anführen  würde,  und  auch  diese  nicht  im  Texte,  sondern  in  den  Noten.1) 


1)  Wie  erwähnt,   enthält  die   Stuttgarter  Conceptenhandschrift  (D)  im  Anfang  zwei  Lagen, 
welche  von  der  nemlichen  Hand   geschrieben   sind,   welche  ß  schrieb,  und   welche   ebenfalls   von 


741 

Statt  dessen  ist  Riezler  in  wer  weiss  wie  vielen  orthographischen 
Dingen  der  nichtsnutzigen  Copie  gefolgt,  hat  viele  Fehler  derselben  in 
den  Noten  angeführt,  welche  er  alle  hätte  weglassen  können,  hat  an 
Stellen,  wo  man  schwanken  kann,  meistens  die  Lesart  von  B  in  den 
Text,  die  von  A  in  die  Noten  gesetzt  und  hat  aus  Ueberschätzung  der 
Copie  das  Original  nicht  mit  der  entsprechenden  Genauigkeit  verglichen. 

Diese  Vorliebe  für  die  Copie  kann  bei  Riezler  nur  aus  der  Ansicht 
entsprungen  sein,  Mass  diese  Copie  den  definitiven,  bei  einer 
etwaigen  Publikation  zu  gründe  zu  legenden  Text  bieten 
sollte'.  Für  diese  Ansicht  gibt  es  absolut  keinen  Grund,  gegen  dieselbe 
genug,  wie  den  S.  735  erwähnten,  dass  Aventin  sich  geschämt  hätte,  die 
Inschriften  so  drucken  zu  lassen,  wie  sie  in  B  geschrieben  sind  und  wie 
er  sie  selbst  dort  gelesen  hat.  Die  Stuttgarter  Abschrift  ist  eine  schlechte 
Copie  des  Autographs,  welche  von  Aventin  ein  Mal  nachlässig  durch- 
gelesen und  nachlässig  corrigirt  ist.  Er  hatte  sie  ja  nicht  aus  eigenem 
Antrieb  oder  für  sich  fertigen  lassen,  sondern  auf  Befehl  der  Herzoge 
und  für  dieselben,  welche  dabei  ausdrücklich  verboten,  diesen  Text  ohne 
ihre  besondere  Erlaubniss  durch  Abschrift  oder  Druck  weiter  zu  ver- 
breiten.    Doch  wenn  auch  Aventin  überhaupt    um   solche  Textesverderb- 


Aventin  selbst  durcheorrigirt  sind.  Dieses  von  Riezler  übergangene  Parallelstück  zu  B,  welches 
S.  80,  5 — 43,  15  des  1.  Buches  enthält,  bestätigt  die  obigen  Schlüsse  über  B.  Es  ist  wiederum 
direkt  aus  A  abgeschrieben,  hat  aber  nicht  die  Varianten  von  B,  sondern  andere.  Der  Umstand, 
dass  Aventin  auch  dieses  Stück  durchcorriirirt  bat,  mflnte  dasselbe  in  Riezlers  Augen  zum  3.  Auto- 
graph inachen,  wobei  er  freilich  noch  mehr  ins  Gedränge  kommen  möchte.  Mir  scheinen  daraus 
nur  folgende  eigenhändige  Bemerkungen  Aventins  in  die  Noten  zu  gehören:  S.  34,  3  setzt  Aventin 
Hu  li  nusquam  'id'  zu.  Eine  interessante  Stelle   ist   34,  30.     Aventin  eifert   gegen   die   Form 

Bavarus:  eo  nomine  proavos  nostros,  tanquam  infausto  omine  ignominiaeque  nota,  quae  et  in 
proverbium  cesserit,  abstinuisse  compertum  habeo;  so  haben  die  Wolfenbüttler  Concepte,  und  der 
Columnentext  von  A  und  unser  Fragment.  Dann  schrieb  Aventin  an  den  Hand  dieses  Fragmentes 
und  den  der  Bandschrift  A  'omnis  bavarus  avanis":  endlich  mit  anderer  Tinte  in  A  lb  nimirum  avaro 
additum  emptum  a  Boiis  esse";  nur  diesen  2.  Zusatz  schrieb  der  Copist  in  B  ab  (nach  cesserit) 
und  nur  diesen  hat  Aventin  in  die  Chronik  genommen:  sam  -i  das  l>  kauft  haben  zu  dem  'Avarus' 
so  im  latein  geitig  baist.  37,  9   hat  Riezler   mit    B  in  Alpibus    Transnostoni   geschrieben;   in 

unserm  Fragment  hatte  der  Copist  in  seinem  Leichtsinn  diese  Wörter  vergessen;  Aventin  ergänzt 
'i.  A.  Tranostoni";  da  nun  derselbe  Aventin  in  dem  Concept  (D)  und  in  dem  Autograph  A  Tra- 
nostoni  geschrieben  hat,  so  wird  wohl  auch  Riezler  diesen  drei  wirklichen  Autographen  mehr 
Recht   geben  als   seinem  'Autograph   im   weitern   Sinn'.  40,  3   zu   der   Charakterisirung  der 

Baien)  als  'agri,  pecoris  raagis  quam  belli  cultores'  schreibt  Aventin  an  dem  Rand  unseres  Frag- 
mentes die  schmeichelhafte  Bemerkung  'quos  optimos  etiam  Aristoteles  censet". 

96* 


742 

nisse,  wie  sie  die  Copie  entstellen,  sich  nicht  viel  gesorgt  hätte,  so  ist 
doch  sicher,  dass  er  sich  um  diese  Copie    nicht   weiter    gekümmert    hat. 

Auf  die  Einlieferung  des  Annalentextes  hin  (Anfang  1526)  erhielt 
Aventin  ein  halbes  Jahr  später  den  herzoglichen  Befehl,  eine  deutsche 
Uebersetzung  des  Annalentextes,  die  Chronik,  auszuarbeiten.  Noch  im 
Jahre  1526  begann  er  und  bis  Ende  1527  war  das  1.  und  2.  Buch  fertig, 
deren  Reinschrift  im  Januar  und  April  1528  an  den  Hof  abgeliefert 
wurden.  Der  Text  der  Chronik  weicht  häufig  stark  von  dem  der  Annalen 
ab.  Zu  den  zahlreichen  Zusätzen  und  Aenderungen  ist  das  Autograph  A 
benützt.  Die*  Copie  und  die  darin  enthaltene  Fassung  des  Textes  hat 
also  Aventin  schon  1  —  1 '  i  Jahr  nach  ihrer  Entstehung  nicht  im  geringsten 
berücksichtigt.  Demnach  ist  gar  nicht  daran  zu  denken,  dass  Aventin 
in  dieser  Abschrift  den  endgiltigen  oder  zu  veröffentlichenden  Wortlaut 
seiner  Annalen  anerkannt  hätte.  Also  dürfen  auch  wir  es  nicht  thun. 
Für  uns  hat  diese  Copie  fast  nur  den  Werth,  dass  wir  unterscheiden 
können,  welche  Aenderungen  und  Zusätze  im  Autograph  vor,  und  welche 
nach   1525  entstanden  sind. 

So  können  wir  uns  endlich  von  der  Abschrift,  welche  in  der  Aus- 
gabe von  Aventins  Annalen  viel  Schaden  gestiftet  hat,  zum  Autographe 
Aventins  selbst  wenden. 

II. 
Wie  Aventin  zur  Darstellung  der  bairischen  Geschichte  kam. 

Die  6  Bände,  in  welche  Aventin  anno  1521  seine  Annalen  rein 
geschrieben  hatte,  waren  sein  grosser  Schatz.  Sie  enthielten  das  Werk 
seines  Lebens,  in  strengerem  Sinne  als  man  gewöhnlich  meint.  Denn 
darüber  herrscht  noch  sonderbare  Unklarheit,  wann  und  wie  Aventin 
dazu  gekommen  ist,  die  Geschichte  Baierns  zu  schreiben.  Vogt  in 
der  Biographie  Aventins  (Werke  I,  S.  XV)  schreibt  den  guten  Gedanken 
eigentlich  den  bairischen  Herzogen  zu,  indem  er  sagt  'Aus  diesen  (ver- 
schieden grammatischen  und  ähnlichen)  Arbeiten  wurde  Aventin  durch 
seine  Ernennung  zum  bayrischen  Historiographen  (im  Jahre  1517)  her- 
ausgerissen, die  ein  verdienter  Lohn  für  seine  Treue  und  Hingebung 
als  Erzieher  gewesen  ist  und  ihn  als  Schriftsteller  auf  eine  Bahn 
geführt  hat,  welche  seiner  ganzen  Anlage  und  geistigen  Richtung  am 


743 

meisten  entsprach1.  Dass  das  ein  grober  Irrthum  ist,  hat  schon  Riezler 
gesehen.  Derselbe  schiebt  den  Beginn  dieser  Arbeiten  weiter  hinauf 
(Werke  III,  S.  546):  „Schon  in  Paris  (a.  1503)  hatte  Aventin  nach  dem 
Zeugnisse  Michael  Hummelbergers  lebhafte  Theilnahme  für  historische 
Studien  bewiesen;  er  selbst  erwähnt,  dass  er  auf  der  dortigen  Bibliothek 
Urkunden  gelesen.  Der  Beginn  einer  entschiedenen  Richtung  auf  histo- 
rische Thätigkeit  fällt  jedoch,  soweit  wir  sehen  können,  erst  mit  seiner 
Anstellung  als  Prinzenerzieher  zusammen.  Als  er  mit  seinen  Zöglingen 
in  Burghausen  weilte  (1509  — 1511),  spürte  er  mit  Eifer  und  Erfolg 
geschichtlichen  Aufzeichnungen  und  Alterthümern  nach  . . .  Diese  Anführ- 
ungen genügen,  um  zu  zeigen,  dass  Aventin  schon  vor  dem  Antritt  seiner 
in  offiziellem  Auftrage  unternommenen  Forschungsreise  (1517  und  1518) 
mehrere  Jahre  hindurch  aus  Klöstern  und  Städten  des  Baierlandes  reichen 
Stoff  zusammengetragen  hat,  wobei  ihm  seine  Stellung  am  Hofe  gewiss 
auch  schon  förderlich  war."  Auch  hier  kommen  wir  also  nicht  hinaus 
über  den  'Beginn  einer  entschiedenen  Richtung  auf  historische  Thätigkeit 
erst  in  der  Zeit  seiner  Anstellung  als  Prinzenerzieher\ !) 

In  Wahrheit  haben  wir  aber  die  deutlichen  Beweise,  dass  Aventin 
bereits  in  der  Zeit,  wo  wir  überhaupt  zuerst  mit  seiner  schriftstellerischen 
Thätigkeit  Fühlung  bekommen,  nicht  nur  Neigung  für  historische  Studien, 
sondern  den  ausgesprochenen  Plan  zur  Geschichte  Baierns  in  sich  trug, 
und  wir  dürfen  schliessen,  dass  zur  Förderung  dieses  Planes  er  mit  festem 
Willen  in  die  Nähe  der  Fürsten  zu  kommen  suchte.  Das  Glück  war 
allerdings  seinem  Streben  ausserordentlich  hold;  allein  Aventin  durfte 
sagen,  er  sei  seines  Glückes  Schmied  gewesen.  Die  Bewunderung  für 
den  Mann  muss  wachsen,  wenn  wir  erkennen,  dass  er  selbst  in  seiner 
Jugend  den  Plan  zu  dem  Werke  entworfen  hatte,  dessen  Vorbereitung, 
Ausführung  und  Weiterfuhr ung  dann  den  Hauptinhalt  seines  Lebens 
gebildet  hat. 

Nicht  äusserliche  Zufälle  bestimmten  Aventin  zur  Wahl  dieser  Lebens- 
aufgabe, sondern  die  Wurzeln  seines  gewaltigen  Strebens  gehen  tiefer,  in 
den  damaligen  deutschen  Humanismus.  Das  Wiederaufleben 
der    klassischen    Bildung   hatten    die    europäischen  Völker    unstreitig  den 


1)  Auch  Wegele,  Geschichte  d.  deutschen  Historiographie,  1885,  S.  263  kommt  nicht  weiter. 


744 

Italienern  des  14.  und  15.  Jahrhunderts  zu  danken.  Um  so  merkwürdiger 
ist  die  Erscheinung,  dass  im  Schluss  des  15.  Jahrhunderts  manche  deutsche 
Humanisten  die  italienischen  gering  schätzten  und  verkündeten,  wie  das 
Imperium,  sei  auch  die  höhere  geistige  Bildung  auf  die  Deutschen  über- 
gegangen. Demgemäss  verachteten  sie  Land  und  Leute  Italiens,  lobten 
Griechenland  und  dessen  Sprache  und  Literatur  —  ein  nicht  zu  unter- 
schätzender Umstand  für  die  Entwicklung  der  griechischen  Literatur-  und 
Sprachstudien,  —  priesen  aber  vor  Allem  Deutschland  und  kamen  so 
nothwendiger  Weise  dazu,  auch  die  Vergangenheit  Deutschlands  zu  erheben. 
Wäre  es  damals  überhaupt  in  der  Mode  gelegen,  Hermann  der  Cherusker 
hätte  schon  damals  sein  Denkmal  im   teutoburger  Wald  erhalten  können. 

Diese  sonderbare  Richtung  der  Geister,  deren  Schirmherr  Kaiser 
Maximilian  wurde,  hatte  die  segensreiche  Wirkung,  dass  die  deutsche 
Geschichte  eifrig  erforscht  wurde.  An  der  Spitze  dieser  Richtung  stand 
Conrad  Celtes  und,  mit  welchem  Eifer  und  Stolz  er  die  Vergangen- 
heit des  deutschen  Volkes  erforschte,  könnten  schon  seine  Arbeiten  über 
die  Germania  des  Tacitus,  seine  Ausgaben  der  Roswitha  und  des  Guntherus 
Ligurinus  zur  Genüge  darthun.  Er  rühmt  sein  deutsches  Vaterland  und 
seine  eigene  Kenntniss  desselben  und  schildert  es  gern  in  Vers  und  Prosa. 
In  einem  grossen  epischen  Gedichte  wollte  er  die  Thaten  des  Theoderich, 
in  einem  grossen  historisch-topographischen  Werke,  der  Germania  illustrata, 
Deutschland  schildern.  Für  unsere  Zwecke  ist  es  besonders  belehrend 
zu  betrachten  seine  Panegyris  ad  duces  Bavariae.  d.  h.  ein  Gedicht  und 
eine  Rede,  welche  er  1492  beim  Antritt  seiner  Professur  in  Ingolstadt 
vortrug.  In  einem  Gedichte  in  Hexametern  lobt  er  Baiern,  und  ver- 
spricht die  Geschichte  der  bairischen  Fürsten  zu  besingen: 

Sed  sua  gesta  canam  totum  Ventura  sub  orbem, 
dum   mihi  victuro  concedant  fila  sorores 
et  mea  Maeonio  resonabunt  carmina  plectro. 
Tunc  atavos  proavosque  canam  clarosque   parentes 
felicemque  Palatina  cum  prole  Philippum. 

Weiterhin  lobt  er  den  Eifer  des  Fürsten  für  die  Pflege  der  Wissen- 
schaften und  der  Poesie  und  verkündet,    dass   die   deutsche  Jugend  bald 


745 

nicht    mehr    in    Italien,    sondern    die  Jugend  Italiens    in  Deutschland  die 
höhere  Bildung  suchen  werde: 

nunc  invenile  decus  non  nostra  relinquet 
regna  nee  Italicas  olim  migrabit  in  oras 
ob  studia  et  mores  legumque  agnoscere  nexus 
morborumque  lues.  fato  poscente  sed  ultro 
Italicus  properet  Germanas  visere  terras. 

Die  Rede  beginnt  er  mit  der  Erklärung,  er  würde  lieber  nicht 
lateinisch  sprechen,  wenn  in  Deutschland  noch,  wie  in  Urzeiten,  Griechisch 
gesprochen  würde;  wie  er  zum  Studium  des  Griechischen  auch  weiterhin 
auffordert.  Später  erklärt  er,  die  deutschen  Gelehrten  sollten  sich 
schämen,  dass  sie  die  griechischen  und  lateinischen  Geschieh ts werke  nicht 
kennen,  aber  vor  Allem  desswegen,  dass  Land  und  Leute  und  Geschichte 
ihres  eigenen  Vaterlandes  ihnen  so  fremd  seien,  während  auswärtige 
Historiker  dieselben  mit  erstaunlichem  Fleisse  erforscht  hätten.  Diese 
Worte,  welche  genau  auf  Aventin  passen,  lauten:  Magno  vobis  pudori 
ducite  Graecorum  et  Latinorum  nescire  historias  et  super  omnem  im- 
pudentiam  regionis  nostrae  et  terrae  nescire  situm  sydera 
homines  montes  antiquitates  nationes  denique,  und  später : 
Pudeat . .  neminem  inter  vos  hodie  inveniri  qui  res  Germanica  virtute 
gestas  aeternitati  commendet.  Weiterhin  ruft  er  die  Deutschen  auf,  die 
von  fremden  Völkern  zerstückten  oder  geraubten  Grenzprovinzen  wieder 
zu  erobern.  Die  Rede  schliesst  mit  der  Aufforderung  an  die  studirende 
Jugend,  das  Studium  der  edeln  Wissenschaften  eifrig  zu  pflegen,  auf  dass 
sie  selbst  schaffen  könnten  und  als  Geschichtschreiber  oder  Dichter  sich 
Ruhm,  ihrem  Vater  lande  Ehre  erwürben. 

Das  ist  der  Boden,  aus  welchem  Aventins  Geist  seine  erste  Nahrung 
gesogen  hat,  und,  wenn  wir  Aventins  früheste  Thätigkeit  genauer  be- 
trachten, so  ist  kein  Zweifel,  dass  Conrad  Geltes  sein  geistiger  Vater  war. 
Kaum  20  Jahre  alt,  hörte  ihn  Aventin  an  der  Universität  Ingolstadt. 
Dann  während  des  dreijährigen  Aufenthaltes  an  der  wiener  Universität 
pflegte  er  mit  ihm  den  engsten  Verkehr.  So  schreibt  er  in  sein  Tage- 
buch ca.  1500  Viennae  literis  operam  dedi  contuberntdis  Chunradi  Celtis> 
und  'a.   1502   7  Decemb.    Venit    Chunradus    Celtis   ad    me    Apsbergunum. 


746 

equitavi  cum  eo  . .  et  Radesbonnam.  28.  Dec.  Angylostadium  equitavimus". 
Die  frühesten  Gedichte  Aventins  sind  ganz  nach  der  Art  und  in  den 
Dichtungsformen  des  Celtes,  und  noch  die  letzte  That  seines  Lebens,  die 
Ausarbeitung  der  Germania  illustrata,  ist  nur  die  Ausführung  eines 
von  Conrad  Celtes  entworfenen  Planes.1) 

Daran  kann  kein  Zweifel  bestehen,  dass  Aventin  die  ganze  Richtung 
seines  Geistes  dem  Conrad  Celtes  verdankt.  Ja,  ich  glaube,  wir  müssen 
weiter  gehen  und  annehmen,  dass  er  mit  ihm  schon  den  Plan  entworfen 
hat,  den  er  dann  sein  Leben  hindurch  verfolgte,  die  Darstellung 
der  Geschichte  Baiern s.  Denn,  wo  wir  zuerst  auf  eigene  Thätig- 
keit  Aventins  stossen,  tritt  uns  dieser  Plan  in  voller  Ausbildung  entgegen. 
In  Paris  1503  studirt  er  schon  Urkunden  der  Kaiser  Karl  IV.  und  Sig- 
mund. Kaum  in  seine  Heimath  zurückgekehrt,  sammelt  er  schon  1507 
eifrig  römische  Inschriften  in  Baiern2)  und  richtete  in  demselben  Jahre 
ein  grosses  Gedicht  an  den  Hof,  worin  er  die  Urgeschichte  Baierns  und 
einzelne  Stücke  der  spätem  Geschichte  berührt  und,  wie  oben  Celtes,  dem 
Herzog  verspricht,  wenn  ihm  nur  so  viel  Leben  gegönnt  sei  'quantum 
sat  facta  tuorum  (maiorum)  dicere,  perpetuas  aequabunt  carmma  laudes'. 
Noch  deutlicher  enthüllt  er  diesen  Plan  in  einem  andern  Gedicht  (Nr.V, 
S.  623  im  1.  Band  von  Aventins  Werken),  dessen  ursprüngliche  Fassung 
Halm  nicht  der  Angabe  werth  fand.  In  dem  Autograph  Aventins,  der 
lat.  Handschrift  1138  in  München,  beginnt  dies  Gedicht:  Alberto  mea 
principi  Thalia  |  perfer  vota  tui  brevis  poetae  . .  weiterhin  soll  die  Muse 
dem  Fürsten  erzählen,  welche  Länder  Aventin  gesehen  (brevis  Naus  visus 
ist  wohl  die  Nahe)  und  welche  Wissenschaften  und  Sprachen  (gleich  Celtes 
Latein,  Griechisch  und  Hebräisch)  er  studirt  habe.  Dann  schliesst  Aventin 
cTenes  favorem  |  promissum.   teneris  ducein  canenti  |  Musis  hoc  satis  est; 


1)  Wie  alles  Andere,  so  hat  Aventin  auch  die  Abneigung  gegen  die  Geistlichkeil  von 
Celtes  gelernt.  Die  conservativen  Scholastiker,  deren  Stützpunkt  Italien  war,  konnten  den 
Neuerern,  welche  in  den  Wissenschaften  und  schönen  Künsten  Griechenland,  in  der  Geschichte 
Deutschland  weit  über  Italien  stellten,  nur  als  Gegner  erscheinen.  Den  Angriffspunkt  für  ihre 
Feindschaft  fanden  sie  in  der  Sittenlosigkeit  der  damaligen  Geistlichkeit.  Wie  bei  Celtes  finden 
wir  desshalb  auch  bei  Aventin  schon  in  seiner  ers!en  Schrift  einen  heftigen  Angriff  auf  die  Geist- 
lichen: in  den  späteren  werden  sie  immer  schärfer. 

2)  In  Fr.  v.  Oefele's  Annalen  von  1511  sind  den  vorangehenden  Inschriften  die  Jahre  bei- 
geschrieben, in  welchen  Aventin  eine  jede  gefunden  hat. 


747 

levi  susurres  |  flatu  principis  auribus  sereni:  |  Si  dux  annuet,  acta  Nori- 
corum  cum  terris  referam  ducum  disertis  |  victuris  quoque 
praeparabo  chartis . .  Joannes  Aventinus  cecinit  Ingolstadii  MD VIII  divo 
Maximiliano  a  deo  coronato  feliciter  imperante'.  Also  schon  im  Jahre 
1507  und  1508,  in  den  ersten  Schriften  Aventins,  tritt  sein  Vorsatz,  die 
Geschichte  Baierns  nebst  der  Beschaffenheit  des  Landes  darzustellen,  klar 
zu  Tage.  Erlaubt  ist  der  Schluss,  dass  Aventin  diesen  Plan  schon  von 
Wien  mitgenommen  hatte;  sicher  aber  ist,  dass  er  schon  1507  den  Plan 
zu  seinem  Lebenswerke  entworfen  hatte. 

Aventins  Annalen  von  1500  und  1511. 

Aventin  war  a.  1507  unstreitig  der  tüchtigste  Humanist  in  Baiern. 
Er  hatte  in  Wien  gesehen,  wie  seine  Lehrer  Celtes,  Cuspinian  und  der 
Hofhistoriograph  Stabius  am  Hofe  Maximilians  für  ihre  Forschungen  zur 
deutschen  Geschichte  glänzende  Anerkennung  und  Hilfe  fanden.  Desshalb 
scheint  er,  damals  noch  Privatgelehrter,  direkt  nach  der  Stelle  als  Er- 
zieher der  Söhne  des  Herzogs  Albert  gestrebt  zu  haben,  weil  er  so  seinen 
Plan,  die  bairische  Geschichte  zu  bearbeiten,  am  besten  verwirklichen 
konnte.  Dies  Mal  war  das  Glück  dem  Würdigen  günstig.  Im  Jahre  1509 
wurde  er  wirklich  Erzieher  der  Prinzen  und  lebte  mit  denselben  1505) 
und  1510  hauptsächlich  in  Burghausen;  1511  zog  er  mit  ihnen  nach 
München,  bald  nach  Ingolstadt.  In  diesen  Jahren  hat  er  nicht  nur 
Inschriften,  Urkunden,  Chroniken  und  andere  historische  Schriften  ge- 
sammelt, sondern  schon  seinen  Plan  zum  ersten  Male  ausgeführt.  Diesen 
ersten  Versuch  finde  ich  in  einem  Concept,  welches  der  1.  Band 
seiner  Adversarien  enthält.  Auf  dem  ersten  Blatt  standen  ursprünglich 
nur  die  Worte  'Annales  Bavariae  ducum  |  et  Caesarum  Germaniae  |  In 
arce  Burghausen  collecti.  |  Joannis  Aventini  sum.  |  'Arr/ov  xal  antyov. 
Contine  et  Patere.  |  Die  Blätter  2  —  6a  enthalten  eine  Topographie  und 
Urgeschichte  Baierns  bis  530,  welche  der  nüchterne  Entwurf  zu  dem 
hochtrabenden  Text  der  nächsten  Ausarbeitung  von  1511  sind.  Auf  der 
Rückseite  des  6.  Blattes  steht  'hos  annales  in  coenobio  Monosenensi  inveni 
diligentissimos  omnium  quos  unquam  legerim'.  Sie  beginnen  mit  508 
und    scheinen    dazu    bestimmt    gewesen    zu    sein,    die    Fortsetzung    der 

Al.h.,1.  I.ci.d.k.  Ak.d.Wiss.  WM.  Bd.  III.  Abth.  97 


748 

Annalen    zu    bilden.     Dieser    erste    Versuch    ist    also    1509   oder   1510  in 
Burghausen  gearbeitet. 

Wie  eifrig  Aventin  seinen  Plan  verfolgte,  zeigt  das  nächste  Werk, 
in  welchem  er  denselben  verwirklichen  wollte.  Dasselbe  ist  jetzt  im 
Besitze  des  Freiherrn  Edmund  von  Oefele,  welcher  in  Aventins  Werken 
III,  S.  554 — 556  darüber  berichtet  und  auch  mir  freundlichst  die  Be- 
nützung desselben  gestattet  hat.  Dasselbe  hat  den  Gesammttitel  'Vetustates 
Romanae  annalesque  ducum  Bavariae  |  A  Joanne  Aventino  philosopho1)  | 
Conlectae\  Hierauf  enthält  die  Handschrift  prächtig  geschriebene  Copien 
römischer  Inschriften  in  Baiern;  dann  4  Bücher  bairischer  Geschieht^ 
mit  den  Buchtiteln  cAnnalium  ducum  Bavariae  liber  V  etc. ;  die  Erzählung 
ist  hier  so  viel  als  möglich  annalistisch.  An  den  Rand  der  prächtigen 
Reinschrift  sind  die  darin  benützten  Quellen  geschrieben.  Auf  Bl.  10b 
und  17b  sind  2  Gedichte  geschrieben;  Bl.  17b  das  schon  oben  (S.  746) 
erwähnte  Gedicht  über  seine  Reisen,  Studien  und  sein  Vorhaben,  die 
bairische  Geschichte  zu  schreiben,  doch  in  der  Fassung,  wie  sie  von  Halm 
gedruckt  ist;  fol.  10b  das  Lobgedicht  auf  den  Herzog  Wilhelm  (Werke  I, 
S.  623  Nr.  VI)  mit  anderm  Titel  'Vialmo  Bavariae  atque  Rheni  prineipi 
clarissimo  Joannes  Aventinus.  Am  Schlüsse  steht  in  der  Handschrift 
eine  Strophe  mehr: 

Externos  soliti  vincere  tarn  diu, 
Fatali,  metuo,  fine  quieseimus: 

(Vanus  sim  precor  augur) 
Jam  nostris  premimur  malis. 
*Avtyov  xal  ant'/ov. 

Da  diese  Strophe  in  dem  Einblattdruck  von  1511  fehlt,  es  aber 
schwer  zu  denken  wäre,  warum  Aventin  diese  Unglückstrophe  nachträg- 
lich sollte  zugesetzt  haben,  so  wird  wahrscheinlich,  dass  die  Reinschrift 
der  Annalen  vor  diesem  Einblattdruck  von   1511   gefertigt  ist. 

Auf  der  Rückseite  des  1.  Blattes  steht  das  noch  nicht  veröffentlichte 
Widmungsgedicht,  welches  ich  mit  der  gütigen  Erlaubniss  des  Freiherrn 
Edmund  von  Oefele  hier  mittheile. 


1)  Auch  Celtes  nannte  sich  gern  einen  philosophus. 


749 

Vialmo  principi  Bavariae  atque  Rheni 

clarissimo  Joannes  Aventinus. 
Adfero,  Germanis  princeps  clarissime  terris, 

Bavarico  reperi  quae  monumenta  solo. 
Romula  quingentos  gens  hie  dominata  per  annos 

Haec  posuit  regni  maxima  signa  sui. 
Mox  fera  dux  Theodo  conmittit  proelia  Boius 

Vindelico  Latios  pellit  ab  orbe  viros. 
Bavariamque  vocant,  quam  Martia  Roma  diserta  et 

Graecia  Vindelicum  dixerat  ante  diu. 
Hie  decies  centum  iam  Saxones  atque  Suevi 

Regnarunt  annos  indigenaeque  duces. 
Quattuor  haec  obiter  deduximus  usque  libellis 

Et  brevius  quam  res  dicier  illa  queat. 
Ocia  sed  nobis,  dux  optime,  qualia  Flacco 

Fecerat  Augustus  Vergilioque  suo: 
Experiar  vires;  plenis  tunc  aequora  velis 

Sulcabo,  toto  tunc  Helicone  fruar. 
TeXog.    'Avhyov  xai  ant%ov. 

Dieses  Gedicht  ist  wichtig;  minder  weil  es  die  Theilung  dieses 
Werkes  in  2  Abschnitte,  Inschriften  (V.  1 — 4)  und  Geschichte  (V.  5 — 12), 
klar  ausspricht;  vielmehr,  weil  Aventin  selbst  diese  Darstellung  für  zu 
kurz  erklärt  und  verspricht,  die  ihm  jetzt  gegönnte  Zeit  zu  eifrigen 
Studien  und  ausführlicher  Darstellung  der  bairischen  Geschichte  auszu- 
nützen, ein  Versprechen,  das  er  vollauf  erfüllt  hat.  Die  Zeit  dieser 
Schrift  ist  bestimmt  durch  Aventins  Worte,  welche  sich  gegen  den  Schluss 
(Bl.  184)  finden  'anno  salutis  1511   hos  annales  Monachi  perscribebamus'. 

Wie  Aventin  seinen  Stoff  sammelte. 

Diese  Annalenversuche  waren  treffliche  Vorübungen.    Aventin  konnte 

dabei  schon  an  vielen  Punkten  wahrnehmen,  wo  es  fehle  und  worauf  es 

ankomme.     Jene   Jahrzehnte    waren    sehr   wichtig    für   die    Erschliessung 

des  klassischen  Alterthums.     Aus  den   europäischen  Bibliotheken  wurden 

zahlreiche    Schriften    des  Alterthums    ans    Licht    gezogen,    darunter    auch 

97* 


750 

manche  Geschichtswerke,  wie  z.  B.  ein  Theil  des  Tacitus.  Dieser  reiche 
Stoff  wurde  eifrigst  durchforscht  und  speciell  die  Darstellung  der  alten 
Geschichte  führte  dazu,  die  Nachrichten  der  einzelnen  Schriftsteller  zu 
sammeln,  zu  sichten  und  ordnen,  die  widersprechenden  zu  prüfen  und 
gegen  einander  abzuwägen. 

Das  rege  Schaffen  im  Gebiete  der  klassischen  Literatur  machte 
Aventin  klar,  wie  die  mittelalterliche  Geschichte  anzufassen  sei.  Diese 
Erkenntniss  ergriff  den  rechten  Mann  zur  rechten  Zeit.  War  seine  frühere 
eifrige  Beschäftigung  mit  den  römischen  Inschriften  eigentlich  nur  eine 
gelehrte  Spielerei  gewesen,  welche  er  in  den  Annalen  von  1511  höchstens 
zu  dem  kurzen  Satze  verwerthen  konnte,  dass  die  Römer  einst  lange  in 
diesen  Gegenden  sassen,  so  hatte  sie  doch  seinen  Sinn  rege  gehalten  für 
reine  Quellen  der  Geschichte.  Seine  Stellung  und  seine  Aufenthaltsorte 
machten  es  Aventin  leicht,  Urkunden  und  Quellenschriften  der  deutschen 
und  bairischen  Geschichte  in  Archiven  und  Bibliotheken  zu  sehen.  Auf 
diese  Weise  wurde  Aventin  immer  mehr  zu  jener  Art  und  Weise  der 
Forschung  geführt,  welche  ihm  den  Beinamen  des  Vaters  der  neueren 
Geschichtsforschung  verschafft  hat.  Seine  Annalen  und  seine  Chronik 
sind  erst  lange  nach  seinem  Tode,  1554  und  1566,  veröffentlicht  worden; 
zu  seinen  Lebzeiten  hat  er  nur  kleine  Schriften  veröffentlicht,  deren 
meistens  unbedeutender  Inhalt  wenig  wirken  konnte.  Allein  der  weit- 
verbreitete Ruf,  dass  da  ein  Geschichtsforscher  lebe,  welcher  es  für  nöthig 
halte,  Urkunden  und  Quellenschriften  aus  den  Bibliotheken  zu  sammeln 
und  auf  diese  erst  die  Darstellung  der  mittelalterlichen  Geschichte  zu 
begründen,  dieser  Ruf  hat  für  die  Entwicklung  der  modernen  Geschichts- 
forschung mehr  gewirkt. 

Eine  Anzahl  kleiner  Arbeiten,  welche  Aventin  in  den  Jahren  1512 
bis  1517  beschäftigten,  geben  einmal  den  Beweis,  dass  er  sein  Versprechen, 
die  bairische  Geschichte  ausführlich  darzustellen,  im  Geiste  festhielt  und 
dass  er  die  Aufspürung  von  Inschriften,  Urkunden  und  historischen  Quellen- 
schriften aller  Art  immer  eifriger  verfolgte,  d.  h.  dass  seine  Methode  der 
Geschichtsforschung  sich  immer  deutlicher  ausbildete.  Das  Jahr  1517 
brachte  die  entscheidende  Wendung.  Seine  Thätigkeit  als  Erzieher  ging 
zu  Ende,  und  er  verschaffte  sich  die  Ernennung  zum  Hofhistoriographen, 
zugleich  aber  einen  Einlassbefehl  für   die  Bibliotheken  des  Herzogthums. 


751 

Aventin  stand  jetzt  am  Ziel  seiner  Wünsche.  Es  war  ihm  die  Möglich- 
keit geboten,  für  seine  Lebensaufgabe,  welche  er  liebte  und  durch  die 
früheren  Versuche  aufs  genaueste  kennen  gelernt  hatte,  reichen  neuen 
Stoff  zu  durchsuchen  und  dann  das  Gefundene,  frei  von  andern  Ver- 
pflichtungen wie  von  Geldsorgen,  in  Ruhe  zu  verarbeiten.  Das  Suchen 
in  den  Bibliotheken  dauerte  bis  Ende  des  Jahres  1518.  Im  Februar  1519 
begann  Aventin  die  Verarbeitung  des  bisher  gesammelten  Stoffes,  welche 
bis  in  den  Mai   1521   währte. 

Die  An nal cii  von  1521:  Concepte  und  Reinschrift. 

Die  Vorbereitung  der  neuen  Bearbeitung  der  bairischen  Annalen  ist 
zu  finden  in  den  Verweisen,  welche  den  Rand  seiner  Annalen  von  1511 
bedecken.  Da  ist  eine  Menge  von  Schriften  notirt,  welche  für  den 
betreffenden  Gegenstand  auszunützen  seien.  Auch  sind  an  diesen  Rändern 
schon  eine  Anzahl  Stellen  der  Annalen  im  ersten  Entwurf  geschrieben. 
Seinen  eigentlichen  Entwurf  arbeitete  Aventin  auf  Bogen  von  der 
jetzt  noch  üblichen  Grösse  aus.  Bruchstücke  dieses  Entwurfes  fanden 
sich  bis  jetzt  in  Wolfenbüttel  und  in  Stuttgart.  Das  wolfenbüttler  Bruch- 
stück (Sign.  19.  22.  fol.,  von  Riezler  mit  C  bezeichnet)  umfasst  das  ganze 
erste  Buch  und  den  Anfang  des  zweiten,  d.  h.  S.  1 — 121  von  Riezlers 
Ausgabe  (nicht  S.  34 — 121,  wie  Riezler  sagt).  Die  Stuttgarter  Hand- 
schrift (Hist.  fol.  404,  von  Riezler  mit  D  bezeichnet)  umfasst  Stücke 
des  2.,  3.  und  4.  Buches.  Diese  wichtige  Handschrift  verdient  genauere 
Beschreibung,  als  sie  bei  Riezler  im  Nachwort  S.   538  gefunden  hat. 

I.  Fol.  1  — 14  enthalten  ein  Verzeichniss  der  von  Aventin  benutzten 
Quellen,  hauptsächlich  der  handschriftlichen,  da  z.  B.  die  antiken  Schriftsteller 
nicht  erwähnt  sind. 

Dieses  Verzeichniss  sollte  gedruckt  und  commentirt  werden ;  denn  es  ist  nicht 
nur  wichtig  für  die  genauere  Kenntniss  Aventins,  sondern  auch  für  die  Kunde  unserer 
mittelalterlichen  Geschichtsquellen.  Dasselbe  ist  allerdings  erst  nach  151)1)  in  Com- 
burg  geschrieben,  (vielleicht  von  Erasmus  Neustetter;  vgl.  Heyd's  Notiz  in  Aventins 
Werke  III,  S.  541),  allein  der,  welcher  es  ausarbeitete,  benützte  dabei  einen  etwa 
34  Blätter  starken  Index,  hinter  welchem  wahrscheinlich  eine  wichtige  Schrift  Aventins 
verborgen  ist.  Denn  am  Schluss  dieses  Quellen  Verzeichnisses  sind  einige  andere,  nicht 
n linder  wichtige  Verzeichnisse  beigefügt  cAb  Aventino  libri  editi  et  promissf,  -dann 
\\b  Avmtino  praestita\     In  diesen  letzten  Abschnitt    ist    genannt   'Index    Germanicus 


752 

eorum ,  quae  Aventinus  mandato  ducum  Bavariae  conquisivit.  Wahrscheinlich  ist 
dieser  Index  in  dem  vorliegenden  benützt.  Aus  Riezlers  Ausgabe  und  besonders  aus 
seinem  Nachworte  kann  man  sehen,  wie  schwierig  es  oft  ist  Aventins  Quellen  zu 
finden,  wie  wichtig  anderseits  manche  dieser  Quellen  sind :  um  so  willkommener  muss 
ein  so  sicherer  Führer  sein.  Dann  hatte  der  Verfasser  die  Collectaneenbände  Aventins 
vor  sich,  welche  sich  nicht  in  München  befinden,  und  eine  Reihe  von  Schriften,  welche 
Aventin  verfasst  oder  besessen  hatte.  Die  Wichtigkeit  dieser  Notizen  beweise  nur 
ein  Beispiel.  Riezler  hat  (in  den  Sitzungsberichten  der  münchner  Akademie  1881 
und  Aventins  Werke  III,  S.  576)  ausführliche  Untersuchungen  angestellt  über  ein 
von  Aventin  benutztes ,  jetzt  verlorenes  Geschichtswerk  des  8.  Jahrhunderts  von 
einem  gewissen  Creontius.  In  unserm  Verzeichniss  steht  S.  7a  'F.  4.  p.  I;  F.  31. 
p.  1.  (d.  h.  Bl.  4a  und  31a  des  benützten  Index)  Vita  Thessaloni  III  scripta  a  Creontio, 
qui  Thessalono  fuit  ab  epistolis,  incipit  ab  anno  Christi  771  usque  ad  annum  796'. 
Dieser  scharf  begrenzte  Titel  scheint  mir  der  richtige  zu  sein.  Die  Erwähnung  der 
sonst  fehlenden  Collectaneenbände  lässt  hoffen,  dass  dieselben  sich  in  Comburg  befanden 
und  dass  bei  einigem  Suchen  diese  Miscellaneenbände  oder  andere  Manuskripte  Aven- 
tins sich  noch  finden,  am  ehesten  in  der  Stuttgarter  Bibliothek. 

II.  Bll.  17-32  enthalten  das  oben  (S.  729  u.  741)  besprochene  Stück  der 
Annalen  (Buch  I,  S.  30,  5—43,  15);  Bl.  29  gehört  vor  25,  Bl.  28  nach  32,  da  das 
äusserste  Doppelblatt  der  Lage  zum  innersten  geworden  ist. 

III.  Bll.  33  — 138  enthalten  die  Bruchstücke  des  wichtigen,  eigenhändigen  Ent- 
wurfes Aventins  zur  Chronik  (von  Lexer  mit  0  bezeichnet),  und  zwar  Bl.  33  —  68  aus 
dem  zweiten,  Bl.  69  —  76  aus  dem  vierten,  Bl.  77  — 138  aus  dem  ersten  Buche. 

IV.  Bll.  139 — 194  enthalten  die  Bruchstücke  des  Entwurfes  der  Annalen  und 
zwar  Bl.  139-148  (5  Doppelblätter)  =  Buch  II,  S.  169,  11—183,  26;  dann  Bl.  149 
bis  158  (5  Doppelblätter)  und  159—166  (4  Doppelblätter)  =  Buch  II,  S.  207,  20 
bis  238,  33;  dann  Bl.  167-174  (4  Doppelblätter)  =  Buch  IV,  S.  561,  14-570,25; 
dann  Bl.  175-182  (4  Doppelblätter)  =  Schlau  des  III.  Buches  408,  11—418;  dann 
Bl.  183—188  (3  Doppelblätter)  =  Buch  II,  S.  284,  15—294,  29;  endlich  Bl.  189 
bis  194  (3  Doppelblätter)  =  Buch  II  und  III,  S.  324,6—332,  1. 

V.  Bll.  195-200  (3  Doppelblätter)  Cassiodors  Chronik,  vom  Jahr  385  an  bis 
zu  Ende  mit  dem  Zusatz,  den  Mommsen,  (Ber.  d.  sächs.  Ges.  VIII,  1861,  S.  571) 
gedruckt  hat.  Der  Text  ist  aus  der  Regensburger  Handschrift,  welche  Aventin  ent- 
deckt und  seinem  Lehrer  Cuspinian  zur  Herausgabe  überlassen  hatte  (vgl.  oben  S.  735) 
von  einem  Andern  abgeschrieben,  doch  von  Aventin  mit  Noten  versehen.  Auf  Bl.  200 
sind  chronologische  Notizen  und  eine  lange  Notiz  über  Ereignisse  in  Ungarn  a.  1528 
von  Aventin  geschrieben. 

VI.  Bll.  201—206  und  207  und  208  (3+1  Doppelblätter)  Auszüge  aus 
Heiligenleben  besonders  der  Merovinger-  und  Karolingerzeit  mit  einem  Index  der  hier 
vorkommenden  Namen.     Bl.  207  Genealogische  Tafel  der  ältesten  Witteisbacher. 


753 

In  diesem  Entwürfe  hatte  Aventin  natürlich  vielfach  geändert  und 
zugesetzt.  So  war  es  natürlich,  dass  er  nach  Beendigung  des  Entwurfes 
sofort,  im  Juni  1521,  die  Reinschrift  begann,  welche  er  schon  am 
1.  August  1521  beendete.  Schon  die  Kürze  der  auf  diese  Reinschrift 
verwendeten  Zeit  lässt  keine  grossen  Aenderungen  erwarten.  In  der 
That  stimmt  der  Wortlaut,  welchen  man  aus  dem  Entwürfe  zusammen- 
stellen kann,  ziemlich  genau  überein  mit  dem  Wortlaut,  welchen  die 
Reinschrift,  unsere  münchner  Handschrift,  A  =  Cod.  lat.  282 — 287, 
ursprünglich  enthält.  Diesen  Text  kann  man  den  Columnentext  von  A 
nennen,  im  Gegensatz  zu  den  zahlreichen  spätem  Randnoten. 

Bei  diesem  schnellen  und  langweiligen  Abschreiben  würden  jedem 
Menschen  Versehen  passirt  sein.  Auch  Aventin  sind  nicht  eben  wenige 
derselben  passirt,  welche  der  Copist  in  der  Stuttgarter  Handschrift  B 
meistens  getreu  nachgeschrieben  hat.  Riezler  lässt  sich  nun  bald  vom 
richtigen  Gefühle  leiten  und  corrigirt  sie.  wie  Buch  II,  145,  19  Justi- 
nianus  statt  Rust.  (AB),  249,  33  intra..  flumina  statt  fluminibus  (AB), 
279,  20  armis  victricibus  statt  victribus  (AB),  bald  lässt  er  sich  von 
Beinern  unglückseligen  Prinzipe,  die  Copie  als  zweites  Autograph  zu  ver- 
ehren, dazu  verleiten,  solche  groben  Schreibfehler  festzuhalten,  nur  dess- 
halb,  weil  sie  eben  nicht  allein  in  A.  sondern  auch  in  B  stehen;  (vgl. 
Werke  III,  S.  543  =  oben  S.  730/1).  während  es  eigentlich  eine  Beleidigung 
Aventins  ist,  wenn  man  Fehler  wie  Arcdata  statt  Aredata  (Chronik), 
Quintili  Varre,  in  celeberrime  (statt  celeberrimo)  paschalium  festo  die, 
deditios  (statt  dedititios)  seinem  Unverstände,  und  nicht  seiner  irrenden 
Hand  zuschreibt.  Hie  und  da  freilich  corrigirt  Riezler  sogar  vollkommen 
richtige  Wörter,  welche  in  beiden  Handschriften  stehen,  wie  Buch  III, 
S.  376,  3  duos  filios,  während  A  und  B  duo  haben  (vgl.  Werke  I,  410,  28). 

Solche  Irrthümer  des  Autographs  A  leichter  zu  erkennen,  dazu 
kann  sowohl  die  Vergleichung  der  Concepte  C  und  D  als.  die  der  deutschen 
(  inarbeitung  in  der  Chronik  helfen,  von  welchen  beiden  Hilfsmitteln 
Riezler  keines  benützt  hat.  Dieselben  können  auch  sonst  auf  die  richtige 
Spur  führen.  So  hat  Riezler  S.  178,  31  has  ego  pugnas  ad  contentiosos 
in  palestram  relego,  coniecturas  humanas;  certi  nihil  adferre  possem.  Im 
Concept  D  steht  Ego  nach  relego;  des  Übeln  Klanges  willen  hat  Aventin 
in  A  es  weggestellt;    dieser  Umstand  schon,    wenn    nicht    der    Sinn    und 


754 

die  Interpunktion  in  A,  hätte  Riezler  zeigen  können,  dass  cconiecturas 
mit  adferre'  zu  verbinden  ist:  relego.  Coniecturas  humanas,  certi  nihil 
adferre  possem. 

Natürlicher  Weise  hat  Aventin  bei  der  Reinschrift  von  A  auch  hie 
und  da  Wörter  vergessen,  deren  Fehlen  nicht  gerade  einen  Unsinn 
erzeugt,  also  von  ihm  weder  beim  spätem  Durchlesen  von  A  noch  bei 
der  Uebersetzung  gemerkt  wurde. 

So  berichtet  Aventin  (Buch  II.  S.  211,  33)  Chatti  ac  Chauci . .  Gallias  inrum- 
punt..,  Rhetos  . .  pervagantur.  Britani  qnoque  rebellant;  contra  hos  Agricola  missus 
est.  in  Gallias..  proficiscitur  Didius  Julianus,  qui  post  imperavit.  Noricorum..  duces  . . 
ab  hostili  incursatione  Rhetias . .  vindicaruut :  so  schreibt  Aventin  in  A  und  darnach 
in  der  Chronik.  Im  Concept  steht  nach  imperavit  der  Satz  tumultuariis  auxüüs  pro- 
vincialium  hostibus  restitit;  Chattos  Chaucosque  debellavit,  welcher  Satz  auch  in  der 
Vita  Didii  steht,  aus  der  auch  das  Uebrige  entnommen  ist.  S.  214,  22  verum  in 

Oriente  Avidius  Cassius  rebellavit,  coactus  Marcus  orientem  petiit:  so  A  und  die  Chronik. 
Im  Concept  steht  (aus  derselben  Quelle  mit  abgeschrieben)  nach  rebellavit  'seque 
ituperatorem  adpellavit'.  Beide  Sätze  hat  Aventin,  nach  meiner  Deberzengung ,  beim 
flüchtigen  Abschreiben  übersehen  und  hätte  de  gewiss  ergänzt,  wenn  er  das  gemerkt 
hätte.  Allein,  da  durch  diese  Versehen  kein  Unsinn  entsteht,  gehören  solche  Dinge 
nur  in  die  Noten. 

Buch  II,  S.  2ss,  1.")  wird  Theodosius  geschildert,  irascebatur  sane  facile  rebus 
indignis,  sed  cito  flectebatur.  in  enmma..  vivum  christiani  principis  exemplar  mit; 
so  Riezler.  In  dem  Concepte  D  folgt  auf  flectebatur  'Corrigi  se  atque  adytu  (—  adyto, 
nicht  aditu)  arceri  a  divo  Ambrosio  summa  civilitate  pertulit'.  Dieselben  Worte  hat 
Aventin  in  der  Reinschrift  A  geschrieben,  doch  die  Worte  atque  bis  summa  unter- 
strichen. Das  Unterstreichen  der  Wörter  bedeutet  bei  Aventin  bald  Tilgung,  meistens 
Hervorhebung  oder  Zusammengehörigkeit.  Der  Copist  in  B  nahm  es  hier  für  Tilgung 
und  schrieb  nur  ab  'corrigi  se  civilitate  pertulit'  was  dann  Aventin  durchstrich,  wess- 
halb  Riezler  Alles  ohne  jegliche  Bemerkung  weglässt.  Dagegen  übersetzt  Aventin 
selbst  in  der  Chronik  'lit  gar  gern,  das  in  sand  Ambrosius  in  etlichen  dingen  straft 
und  änderst  underricht'  und  beweist  damit,  dass  er  den  vollen  Wortlaut  des  Coneeptes 
und  des  Autographs  haben  wollte  und  dass  Riezler  denselben  in  den  Text  hätte 
setzen  sollen. 

So  lassen  sich  die  Concepte  vielfach  verwerthen,  um  den  Text  von 
Aventins  eigenhändiger,  am  1.  August  1521  vollendeter  Reinschrift  zu 
controliren.  Aber  die  Fehler,  welche  Aventin  bei  dieser  schnellen  Rein- 
schrift unterliefen,  sind  nicht  besonders  viele. 


755 


Wetterführung  der  Annalen  von  1521. 

Diese  Reinschrift  bot  einen  abgeschlossenen  Text;  allein  Aventin 
ruhte  nicht.  Neue  Drucke,  neue  Funde  boten  ihm  in  den  nächsten 
Jahren  neuen  Stoff.  Diesen  verarbeitete  er  in  seinem  Handexemplar  A, 
indem  er  Manches  änderte,  sehr  Vieles  zusetzte.  Die  Zusätze  in  A 
sind  im  ersten  Buche  nur  bei  der  Eigennamenliste  sehr  zahlreich,  sonst 
spärlich;  im  2.  und  3.  Buche  massenhaft;  im  4.,  5.,  6.  und  7.  Buche 
wenige.  An  manchen  Stellen  ist  ein  förmliches  Wirrwarr  von  solchen 
Zusätzen  entstanden,  und  das  Einzige,  was  ich  an  dem  Copisten  der 
Handschrift  B  lobenswerth  finde,  ist  das,  dass  er  sich  in  diesem  Wirrwarr 
meistens  zurecht  fand  und  selten  einen  Zusatz  an  der  unrechten  Stelle 
einschob. 

Riezler  ist  an  solchen  Stellen  hie  und  da  ein  Unglück  passirt:  so  führt  er 
z.  B.  zu  352,  2()  in  der  Note  die  Worte  'fuere  autem  Cucullae  Norici  superioris 
oppidum'  als  neue  Randnote  von  A  an,  während  er  dieselben  Worte  bereits  im  Text 
gedruckt  hat,  und  dieselben  auch  in  A  natürlich  nur  ein  Mal  stehen.  S.  74  mtifiBen 
die  Zeilen  1  (>  —  1 8  inhabitaruntque . .  Senegallica  nach  Z.  7  reliquerunt  stehen;  dann 
folgen  Z.  7  in  Suevorum  —  15  refert.  Hierauf  folgt,  wie  Aventin  durch  den  Beisatz 
'causa'  nach  refert  bezeichnet  hat,  Z.  19  Causa.  Mir  ist  auch  nicht  wahrscheinlich. 
dass  '/..  16  18  in  der  Handschrift  B  wirklich  fehlen,  wie  Wiezier  angibt,  da  der  Satz 
in  den  alten  Ausgaben  steht,  welche  aus   H  abgedruckt   sind. 

Die  A  und  B  gemeinsamen  Besserungen  und  Nachträge. 

Das  Schicksal,  welches  den  Annalentext  in  den  Ausgaben  betroffen 
bat.  zwingt  uns,  diese  Randeinträge  in  Aventins  Handexemplar  für  die 
Betrachtung  in  2  Klassen  zu  sondern.  Die  Ausgaben  vor  Riezler  sind 
eigentlich  nur  Abdrücke  der  Copie  B,  und  auch  Riezler  setzt  Alles  das 
in  den  Text,  was  die  Copie  B  hat.  Der  Copist  hat  aber  alle  Correkturen 
und  Randeinträge,  welche  er  in  A  vorfand,  einfach  in  den  Text  genom- 
men, und  desshalb  stehen  jetzt  alle  Einträge,  welche  damals,  als  B  ab- 
geschrieben wurde,  schon  an  den  Rand  von  A  geschrieben  waren,  auch 
bei  Riezler  einfach  im  Text.  Nach  Riezlers  Worten  (Werke  III,  S.  545) 
'Soweit  Randnachträge  der  Handschrift  A  in  B  in  den  Text  aufgenommen 
sind  (ein  seltener  Fall),    waren  sie    selbstverständlich    auch  von  mir 

Al.h.d.  I.C1.  d.k.  Ak.d.Wi.s.  XVII.  Bd.  III.  Abth.  !)8 


756 

in  den  Text  einzureihen,  sollte  man  meinen,  die  Zahl  dieser  Randeinträge 
sei  gering.  Allein  das  ist  nicht  richtig;  im  2.  und  3.  Buche  sind  diese 
Randeinträge,  welche  schon  der  Copist  vorfand  und  einschob,  sehr  zahlreich. 
Wenn  ein  Wort  oder  Satz  einmal  in  der  Copie  steht,  so  kümmert 
sich  Riezler  nichts  darum,  ob  dieselben  erst  durch  Correktur  oder  Nach- 
trag in  Aventins  Handexemplar  gekommen  sind.  Und  doch  zeigt  reiflichere 
Ueberlegung  oft,  dass  eine  Nachricht  davon  sehr  nützlich  wäre. 

Schon  die  erste  Seite  der  Annalen  gibt  ein  deutliches  Beispiel  hievon.  Unter 
den  Authores  domestici  sind  hier  genannt  'Frethulphus  et  Sehritovinus,  antiquissimi 
Boiorum  historiographi\  Diese  Autoren  werden  in  den  Annalen  nur  noch  ein  einziges 
Mal  genannt:  S.  63,  4  'Sehritovinus  et  Frethulphus  tribuunt  eum\  Ueber  diese  beiden 
Autoren  stellt  Riezler  selbst  (  Werke  III,  S.  561— r  "»72)  lange  Untersuchungen  au  und 
findet  selbst  hier  'schwierige,  wiederholt  erwogene,  noch  nie  befriedigen«!  beantwortete 
Fragen'.  Er  kommt  zu  dem  Resultat,  dass  mit  Fretulphus  der  um  1481  schreibende 
Füetrer,  mit  Sehritovinus  der  wenig  ältere  Schreitwein  gemeint  sei,  dass  also  der 
Ausdruck  'antiquissimi  historiographi  fast  Schwindel  sei;  freilich  findet  sich  auch  die 
Angabe,  welche  S.  63,  4  denselben  zugeschrieben  wird,  Dicht  in  denselben.  Nun  bemerkt 
Riezler  selbst  in  dem  Nachwort  S.  561  'Aventin  scheint  hier  bezüglich  seiner  Quelle 
keine  ganz  sichere  Erinnerung  gehabt  zu  haben.  Darauf  deutet,  dass  er  in  der  Hand- 
schrift A  zuerst  schrieb:  Albertus  Boiemus  euni  tribuit;  dies  ist  durchstrichen  und 
am  Rande  corrigirt:  Sehritovinus  et  Fretulphus  tribuunt  eum'.  Riezler  macht  damit 
weiter  nichts,  weil  in  der  von  ihm  bevorzugten  Copie  B  alles  in  Ordnung  scheint; 
jene  Correktur  fand  er  nicht  einmal  würdig,  in  den  Noten  unter  Aventins  Text 
erwähnt  zu  werden.  Nun  stehen  aber  auch  jene  Worte  im  Anfang  der  Annalen  in 
Aventins  Autograph  erst  am  Rand;  in  der  Colunine  bietet  dafür  sowohl  das  Con- 
eept  (C)  als  das  Autograph  A :  Albertus  Boiemus  decurio  Laureacensis  et  Bathavensis 
a  consiliis  Otonis  primi  praefecti  praetorio  Rheni  ducisqufe  Boiorum.  Also  an  den 
beiden  Stellen  der  Annalen,  an  denen  allein  die  riithselhaften  antiquissimi  Boiorum 
hi-toriographi  vorkommen,  hatte  Aventin  ursprünglich  den  Albertus  Boiemus  genannt; 
Von  diesem  kannte  er  Schriften,  die  uns  verloren  sind;  so  nennt  er  unter  den  Schriften, 
welche  er  entdeckt  habe,  (Werke  I,  S.  640)  Mordanus  episcopus  integer  cum  adnotar 
tionibus  et  coramentariis  Alberti  Boemi' ;  (dieser  Jordanus  kann  nur  der  alte  Gothen- 
geschichtschreiber  sein;  vgl.  Chronk  IV,  S.  674  Jordanus  der  bischof).  In  der  Zeit 
Albert  des  Böhmen  muss  Aventin  sich  geirrt  haben;  hier  und  in  jenem  Brief  an 
Leonhard  v.  Eck  schreibt  er  Otonis  primi,  in  der  Vorrede  zum  7.  Buch  hat  er  zuerst 
geschrieben  Otonis  quarti,  dann  quinti  corrigirt.  Vielleicht  hat  ihn  später  die  Erkenntniss 
dieses  Irrthums  veranlasst,  den  Albertus  aus  der  älteren  Geschichte  ganz  zu  streichen 
und  dafür  kurzweg  den  Fretulphus  und  Sehritovinus  zu  setzen,  welche  er  für  die 
deutsche    Chronik    ausnützte.     Wie    dem    auch    sei,    jedenfalls   sind    die    angeführten 


757 

Correkturen  für  die  Entscheidung   dieser   Frage  wichtig;    aber   aus   Riezlers   Ausgabe 
erfährt  man  davon  so  viel  wie  Nichts. 

In  der  Vorrede  zum  6.  Buch  der  Annalen  bekämpft  Aventin  die  Habsucht  der 
Kirchenfürsten  und  bringt  S.  171,  9  vor  'Xistus  quartus  pontifex  maximus'  habe 
Albrecht  dem  IV.  und  dem  Lande  unentgeltlich  gestattet,  auch  am  Freitag  Eier, 
Käse  und  Milch  zu  geniessen.  Dann  heisst  es  bei  Riezler  cextat  diploma,  cur  Regino- 
burgensium  personatus  vicarius  contra  edictum  summi  pontificis ,  non  veritus  eius 
fulmen,  illa  nos  a  se  emere  cogit  atque  nostra  nobis  vendit  hasque  nundinas  demum 
ante  triennium  abhinc  instituit\  Was  soll  das  heissen?  Die  ganze  Kraft  der  aven- 
tinischen  Rede  ist  so  dahin.  Aventin  wirft  vielmehr  den  Satz  hin  'extat  diploma' 
(nemlich  Xisti  pontificis);  dann  fährt  er  mit  der  unwilligen  Frage  weiter:  Cur  Regino- 
burgensium  personatus  vicarius .  .  illa  nos  a  se  emere  cogit  atque .  .  vendit  ?  Da 
'instituit'  in  A  zu  'instituere'  corrigirt  ist,  so  ist  mit  'Hasque'  ein  neuer  Satz  zu  be- 
ginnen. Aber  der  Anfang  dieses  Satzes  ist  nur  durch  Correktur  hergestellt;  zuerst 
hatte  Aventin  geschrieben:  Cur  Xistus  Prisingius  (ein  Sixtus  Preysing  war  um  1521 
Vicar)  Reginoburgensium  personatus  pontificulus  illa  nos  a  se  emere  cogit?  Dieses 
beissende  Wortspiel  hätte  zum  mindesten  ein  Plätzchen  in  den  Noten  verdient. 

Durch  Kenntniss  der  Zusätze  wird  das  Verständniss  von  Aventins 
Worten,  seiner  Quellen  und  damit  seiner  Verarbeitung  dieser  Quellen  oft 
deutlich.     Das  ist  aber  eine  wichtige  Sache. 

So  druckt  Riezler  S.  118,  11  einfach:  postremo  omnium  demum  ad  Germanos, 
gentem  fidei  conmissae  (sicuti  ait  Tacitus)  patientiorem,  terrarum  dea  gentiumque, 
Koma,  cui  par  est  nihil  et  nihil  stvundum,  cum  fascibus  et  aquilis  conmigravit. 
Hier  merkt  der  Philologe  vielleicht  Etwas  von  Versen;  der  Historiker  merkte  sie 
nicht,  obwohl  Aventin  in  der  Columne  geschrieben  hatte  caput  mundi  roma,  dann 
in  2  Zeilen  an  dem  Rande  nacht  rüg:  Terrarum  dea  gentiumque  Roma  |  Cui  par  est 
nihil  et  nihil  ><;cundum,  ein  Citat  aus  Martial,  das  ihm  so  sehr  gefiel,  dass  er  es 
wieder  in  der  Chronik  (S.  620)  nicht  nur  deutsch,  sondern  sogar  lateinisch  ausschrieb. 

Belehrend  ist  auch  folgendes  Beispiel.  S.  172,  21  berichtet  Aventin  von  den 
ersten  Glaubensboten: 

I  II 

Lucius  Cyrenensis  in  Vindelicia  et  Rhetiis  Lucius  Cyrenensis  in  Vindelicia  et  Rhetiis 

provineiisque     Histro     conterminis    chri-  provineiisque     Histro     conterminis    chri- 

stianae    pietatis    sementem    fecit,    quae    3     stianae    pietatis    sementem    fecit,     quae 
paulatim   radices  egit  atque  suecrevit  oc-  paulatim    radices    egit    ac    suecrevit    oc- 

culto  velut  arbor  aevo.  5     eulto  veiut  arbor  aevo  'crescens  in  Gala- 

thiam  hoc  est  Gallias  Germaniasque.  Ti- 

7     tus    in    Dalmatiam,    ita    divus    Paulus 

narraty  profectus   est\     „Thomam    Ger- 

9     manis  et  Scythis  praedicasse,   testis  est 

98* 


758 


opidatim  tum  conmuni  omnium  suffragio   1 1 
delecti  sunt  sacerdotes,  qui  populum  quis- 
que  suuni  docerent.  verum  postea  ob  dis-    13 
cordiam  et  impostorum  fraudem,  qui  sub 
obtentu    ceremoniarum    religionem    nun-    15 
dinabantur,    complacitum    est    caput    et 
unum    qui  eaeteris   praeesset  constituere.    17 
maiorum  itaque  civitatium  sacerdotes  ponti- 
fices,     Aquileiae      patriarches     Laureaci    19 
archimystes  creatus  est.  In  actis  divorum 
et    pontificum    Laureacensium    scriptum   21 
lego,  divum  Marcum, 

as 

25 
primo  Aquileiae  et  in  finitimis  provinciis 
rudimenta    disciplinae    christianae    tradi-   27 
disse   ipsumque    postea  Alexandriam  Ae- 
gvpti  c  im  migrasse   relictis   in  nostris   29 
regionil>us    Hermagora  Fortunatoque   in- 
digenis,  qui  posthac  philosophiae  nostrae  31 
nivsteria  interpretarentur. 


(Dorotlieus  et.  getilgt  in  A)  Sophronius." 
opidatim  tum  communi  omnium  suffragio 
delecti  sunt  sacerdotes,  qui  populum  quis- 
que  suum  docei'ent.  verum  postea  ob  dis- 
cordiam  et  impostorum  fraudem,  qui  sub 
obtentu  cerenmniarum  religionem  nun- 
dinabantur  complacitum  est  caput  et 
unum  qui  eaeteris  praeesset  constituere. 
maiorum  itaque  civitatium  ponti- 
fices .  Aipiileiae  patriarches  Laureaci 
archiinvstes  creatus  est.  in  actis  divorum 
et  pontificum  Laureacensium  scriptum 
lego,  divum  Marcuni.  'quem  divus  Putdus 
adiutorem  suum  vocat  euiusque  men- 
tioiiem  et  in  epistola  ad  Timotheum  et 
Phüemenem  scripta  faeif,  „tM  Xorico 
Laureaci'' 


philosophiae  nostrae 

mytfceria  ' nitt >pn tat  um  f'uisse. 


Was  hier  unter  I  steht  ist  der  Wortlaut  des  Conceptes  (D)  von  1519  und  des 
Columnentextes  der  Reinschrift  A  von  1521 ;  nur  steht  in  der  letzteren  Z.  4  ac. 
fehlt  Z.  12  sacerdotes,  steht  Z.  29  concessisse.  Nach  dem  Jahre  1521  hat  Aventin 
die  Zusätze  Z.  5,  8,  22  gemacht,  dann  in  seinem  Handexemplar  /.  litl  primo  bis  30 
regionibus  unterstrichen,  Z.  30  Hermagora  bis  31  posthac  durchstrichen  und  Z.  25 
in  Norico  Laureaci  sowie  interpretatum  fuisse  an  den  Rand  geschrieben.  Die  Zusätze 
Z.  5,  8,  22  sind  ohne  Belang;  ich  führte  sie  nur  an,  damit  man  sehe,  dass  die  von 
dem  Copisten  B  in  A  vorgefundenen  Zusätze  nicht  selten  sind,  wie  Riezler  sagt.  Da- 
gegen bemerkenswerth  war  die  Aenderung  in  Z.  26 — 32.  Wäre  die  hier  genannte 
Quelle  verloren  oder  ihre  Kenntniss  sonst  wichtig,  so  würden  wir  durch  den  abge- 
kürzten Text  der  IL  Spalte  ganz  irre  geführt  werden.  Nur  diesen  letzteren  Text 
aber  (dazu  Z.  23  collegam  und  eiusque)  geben  die  Copie  B  und  die  Ausgaben  ohne 
irgend  eine  Bemerkung. 

Aventin  bietet  uns  freilich  schon  jetzt  wenige  Notizen,  die  uns 
anderweitig  nicht  besser  überliefert  wären.  Die  Zahl  derselben  und 
somit   der    sachliche  Werth   seiner  Geschichtswerke  wird    sich  von  Jahr- 


759 

zehnt  zu  Jahrzehnt  noch  vermindern.  Dagegen  werden  seine  Werke  als 
wichtigste  Glieder  in  der  Entwicklung  der  deutschen  Geschichtsschreibe- 
kunst  schon  jetzt  hoch  geschätzt  und  immer  beachtet  werden.  »  So  ist 
das  zweite  Buch,  worin  das  römische  Kaiserreich  im  Kampfe  mit  den 
Germanen  geschildert  wird,  abgesehen  von  einigen  jetzt  verlorenen  In- 
schriften, sachlich  schon  jetzt  werthlos,  und  doch  ist  und  bleibt  diese 
Erforschung  und  Verarbeitung  des  riesigen  Material  es  eine  denkwürdige 
That  der  deutschen  Geschichtschreibung.  Will  man  aber  Aventins  Kunst 
richtig  beurtheilen,  so  ist  nichts  nothwendiger  als  die  Kenntniss  der  von 
ihm  verarbeiteten  Quellen.  Kellerbauer  hat  zum  2.  Buch  der  Annalen 
hiezu  Vieles  beigetragen;  allein  er  arbeitete  mit  unnöthigen  Schwierig- 
keiten. Er  hatte  dabei  offenbar  nur  die  Ausgaben  zur  Hand.  So  citirt 
er  viele  überflüssige  Stellen,  und  die  richtigen  sind  in  Riezlers  Ausgabe 
nicht  immer  am  richtigen  Platze  notirt.  Mit  dem  Handexemplar  Aventins 
vor  Augen  lässt  sich  diese  Arbeit  richtiger  und  leichter  machen.  Wer 
z.  B.  sieht,  dass  im  Autorenregister  des  1.  Buches,  S.  2  Z.  18  —  25,  die 
Stelle  über  Velleius  erst  später  eingesetzt  worden  ist,1)  dass  also  Aventin 
den  Velleius  bei  der  Reinschrift  des  Columnentextes  von  A  noch  nicht 
kannte,  der  wird  bei  sehr  vielen  Zusätzen  des  1.  und  2.  Buches  der 
Annalen  einen  sichern  Führer  haben;  vgl.  unten  die  Stelle  über  Varus. 
Oefter  schützt  nur  die  Untersuchung  von  Aventins  Autograph  davor, 
ihm  Unrichtigkeiten  oder  Widersprüche   zuzuschreiben. 

S.  152,  17  sah  auch  Flieder  ein,  dass.  wenn  man  der  Copie  B  folge,  1  oder 
2  Inschriften  fälschlich  in  das  Praetorium  Aetolingonum  verlegt  würden.  S.  246,  27 
schrieb  Aventin  zuerst  nur  eine  Mün/insi  htit't  (Z.  28)  ohne  weitere  Notiz,  dann 
schrieb  er  an  den  Hand  Caspar  Vinozero  ex  Strubiis  attulit  nebst  einer  andern  Münz- 
insclirif't  (Z.  29).  Der  Copist  von  B  und  nach  ihm  die  Ausgaben  machen  die  Sache 
so,  als  ob  Caspar  Yinozero  beide  Münzen  Aventin  gebracht  hätte.  S.  124,  5  schrieb 
Aventin  zuerst:  Sycambri  .  .  M.  Lollium  cum  copiis  profligant  incremantque,  in  igno- 
ininiaiii  populi  roniani  viginti  centuriones  crucibus  adhgunt.  Hier  hatte  er  zwei 
Stellen  vereinigt:  Florus  4,  12  Sicambri .  .  viginti  centurionibus  incrematis  (jetzt  liest 
man  da:  in  crucem  actis)  und  Üio  54,  20  Sicambri  .  .  quosdam  Romanontm  In  crucetn 
egerant.     Später  las  Aventin  im  Velleius  'clades  sab  Lollio  .  .    amissa  legionis  quintae 


1)  Zeile  24  daselbst  schreibt  Riezler,  ich  weiss  nicht  wesshal!>,  praeieeti  fabruin,  tributn, 
castronnn,  legati  statt  de.s  richtigen  praefecti  fabrum,  trihiaii  castroruiu,  legati,  was  Handschriften 
und  Ausgaben  haben. 


760 

aquila\  Er  unterstrich  nun  'incrernantque'  und  schrieb  an  den  Rand:  aquila  quintae 
legionis  potiuntur.  Der  Copist  schrieb  und  alle  Ausgaben  drucken:  profligant,  aquila 
qnintae  legionis  potiuntur  incremantque,  in  ign.  etc.,  obwohl  das  eine  grosse  Thorheit 
der  Sigambrer  gewesen  wäre.  Aventin  selbst  zieht  sich  in  der  Chronik  so  aus  der 
Verlegenheit  'erlegten  den  .  .  Lolliuru  mit  seinem  volk  und  versprenten  ihn;  gewunnen 
ein  adler  .  .  hingen  an  einen  galgen  . .  20  haubtleut';  das  hat  wenigstens  Sinn. 

Die  Correkturen  und  Zusätze,  welche  der  Copist  von  B  schon  in  A 
vorfand,  sind  also  in  manchen  Theilen  der  Annalen  sehr  viele.  Schon 
die  angeführten  Gründe  beweisen.  *dass  die  Kenntniss  dessen,  was  im 
Autograph  A  vor  der  Correktur  stand,  oder  dessen,  was  erst  nach  1521 
zugesetzt  wurde,  nicht  nur  für  den  Herausgeber,  sondern  oft  auch  für 
den  Leser  wichtig  wäre.  In  der  Copie  B  steht  aber  überall  ein  glatter 
Text  und  demnach  auch  in  den  Ausgaben. 

Die  nur  in  A  erhaltenen  Nachträge  und  Besserungen. 

Ich  gehe  jetzt  zu  den  Aenderungen  und  Zusätzen  über,  welche 
Aventin  erst  dann  in  sein  Handexemplar  eintrug,  als  die  Copie  B  schon 
abgeschrieben  war,  von  denen  also  in  B  und  in  den  Ausgaben  vor 
Riezler  keine  Spur  ist.  Riezler  hebt  im  Nachwort  zuerst  den  Werth 
dieser  Randeinträge  hervor  und  schliesst  S.  545  cMit  Ausnahme  der 
ganz  unbedeutenden,  die  im  Verhältniss  zu  den  übrigen  spärlich  sind, 
wurden  desshalb  diese  Randeinträge  in  die  Noten  unter  dem  Texte  auf- 
genommen'. Leider  hat  Riezler  sich  hier  beträchtlich  geirrt.  Das  Auto- 
graph A  enthält  zum  2.  und  3.  Buche  sehr  viele  längere  Einträge,  wie 
Riezler  nur  einen  zu  Bd.  II,  Seite  220  abdruckt.  Schon  im  Anfange  hatte 
Riezler  die  Geduld  verloren  und  bemerkt  S.  239  Z.  21  'Am  Rande  in  A, 
wie  in  der  Folge  häufig  kirchengeschichtliche  Nachrichten,  die  nichts 
Eigentümliches  bieten',  wozu  zu  ergänzen  ist  'und  desshalb  weggelassen 
wurden'. 

In  Wahrheit  hat  Riezler  noch  nicht  die  Hälfte,  vielleicht  nur  ein 
Drittheil    der    betreffenden    Randeinträge    mitgetheilt.  *)      Nur  ein  kleiner 


1)  Sogar  im  8.,  9.  und  10.  Capitel  des  3.  Buches,  wo  Riezler  in  diesen  Randnoten  den 
Spuren  des  Creontius  nachging,  hat  er  manche  weggelassen;  so  gibt  er  von  den  beigesetzten 
Jahreszahlen  einen  Theil  an,  einen  Theil  nicht.  Dann  fehlen  bei  ihm  kleine,  aber  interessante 
Einträge,    wie   z.  B.  (bei   S.  379,  25)    716   Theodo   Romam.  inundatio   cometae  fames   pesti- 


761 

Theil  davon  betrifft  reine  Kirchengeschichte;  sehr  viele  behandeln  die 
allgemeine  Geschichte ;  so  z.  B.  Stücke  über  den  Kampf  zwischen  Maxentius 
und  Constantinus,  im  3.  Buch  fast  der  ganze  Schluss  von  Beda's  Chronik. 
Dem  Anfang  des  Capitel  53  des  2.  Buches  (S.  297)  sind  z.  B.  Bemerk- 
ungen beigeschrieben,  welche  alle  in  der  Chronik  übersetzt  sind  und 
dort  füllen  S.  1135,  17  —  27;  1127,  16—20.  26  —  32;  1126,  19  —  25 
und  29;  1118,  12 — 21.  Auch  Correkturen  finden  sich,  von  denen  in  B 
keine  Spur  ist,  welche  doch  sehr  Beachtung  verdienen.  So  wird  z.  B. 
S.  209  der  Scheiterhaufen  eines  Kaisers  geschildert.  Da  ist  zunächst  ein 
mächtiger  Quadratbau,  aussen  mit  Gemälden  und  Statuen  geziert,  innen 
mit  Brennstoffen  gefüllt.  Nun  fährt  Aventin  fort  'infra  vero  alterum 
minus  positum,  forma  et  ornatu  persimile  erat,  tercium  itein  et  quartum 
semper  superiore  contractius  ac  deinceps  alia,  donec  ad  extremum,  quod 
est  omnium  brevissimum,  perveniatur.  Die  ganze  Schilderung  ist  ent- 
nommen aus  der  von  Ang.  Politianus  gefertigten  lateinischen  Uebersetzung 
des  Herodian  (4,  2).  Nachträglich  merkte  Aventin  das  Thörichte  dieser 
Schilderung,  änderte  infra  zu  supra,  superiore  zu  inferiore  und  strich  ac 
bis  perveniatur  durch;  in  der  Chronik  hält  er  die  Besserungen  supra 
und  inferiore  fest,  übersetzt  aber  die  durchgestrichenen  Worte.  Aventin 
hat  so  schon  den  richtigen  Sinn  gewonnen,  den  Scaliger  später  im  Text 
des  Herodian  dadurch  herstellte,  dass  er  statt  vri  txttrin  (infra)  corrigirte 
wr  ixeivip  (supra).  Uiezler  gibt  den  falschen  Text  und  notirt  nicht,  dass 
infra  zu  supra  corrigirt  ist.  Hier  kann  doch  Niemand  zweifeln,  dass 
der  Wortlaut  von  A  und  nicht  der  von  B  als  endgiltige  und  gegebenen 
Falles  zu  druckende  Fassung  anzusehen  ist. 


lentia.  Terrae  motu»  crebri  Cometae  duo  mense  Januario  15  dies  . .  sarraceni.  S.  382,  16 — 18 
Pluthruda . .  concitahat  steht  am  Etande,  dazu  der  weitere  Nachtrag  'cum  Sweinhylda  nepte',  der 
bei  Kiezler  fehlt,  aber  in  der  Chronik  rerwerthei  Zu  s.  885,  27  "729  Cometae  duo  appa> 

ruerunt'  (vgl.  Chronik  S.  88?).  S.  395,  27  Bonifacius  Gebolibum  Siogontinam  pontificem  tribn 
saoerdotam  movet.  pater  huius  Geroldus  itidetn  Mogonciaci  episcopus,  occisus  praelio  a  Saxonibus 
I  ila/u  notirt  liiezler  nur  *Ä> f Mogondtui)  B ;  i»  A  neben  durchstrichenem  Mogonciaci:  Vangv 
onum  avohiepiscopns'.  Aber  Aventin  hat  ausserdem  beigeschrieben  'Geroldus  archiepiscopus 
Wormatiae  sub  se  habuit  XU  episcopatus",  und  vernünftiger  Weise  auch  zu  'Mogontinum'  die 
Correktur:  Vangionum.  Dass  das  seine  endgiltige  Textesfassung  ist,  also  unbedingt  in  den  Text 
der  Annalen  gehört,  beweist  die  Chronik  'die  8axen . .  crschluegen . .  Gerold,  den  erzbischof  von 
Wormbs".  404,  14   depopulatur:   tributum  ab   uniuscuiusque   capite   exigit  setzt  Aceat  in  m  \ 

zu.  417,  20  uxor  (Thessaloni)  Litopyrga  in  Baoratarum  foeminaram  coetu  degere  iussa  est: 
cum  filiabus  sagt  Aventin  am  Bond  von  A. 


762 


Die  Quellen  der  Kandeintriige. 

Ich  habe  bis  jetzt  einen  Unterschied  festgehalten  zwischen  den  Nach- 
trägen, welche  der  Copist  von  B  schon  a.  1525  abschrieb,  und  jenen, 
welche  er  noch  nicht  vor  sich  hatte,  also  zwischen  denen,  welche  bei 
Riezler  im  Texte  stehen,  ohne  dass  der  Leser  weiss,  dass  sie  in  dem 
Autograph  erst  nach  dem  Jahre  1521  nachgetragen  sind,  und  jenen, 
welche  Riezler  unter  dem  Texte  abgedruckt  oder  ganz  mit  Stillschweigen 
übergangen  hat.  Für  Aventin  gab  es  natürlich  diese  Scheidung  nicht. 
Nach  Vollendung  der  Reinschrift  trug  er  alle  ihm  gut  dankenden  Bes- 
serungen in  sein  Handexemplar  A  ein:  Anfangs  versuchte  er  noch,  alle 
dem  Columnentexte  einzugliedern,  nachher  wenn  die  Masse  zu  sehr  wuchs, 
that  er  dies  nicht  immer.  Beispiele  von  solchen  roh  eingeflickten,  ja 
der  Umgebung  widersprechenden  Randeinträgen  aus  dem  Texte  von  B 
und  von  Riezler  werde  ich  unten  vorbringen;  wollte  man  die  übrigen 
Randbemerkungen  von  A  in   den    Text    einschieben,    gäbe  es  noch  mehr. 

Wie  wichtig  diese  Randeinträge  sein  können,  hat  Riezler  im  Allge- 
meinen (S.  544  seines  Nachwortes)  und  in  der  Abhandlung  über  das 
bis  jetzt  verlorene  Geschichtswerk  des  Creontius,  dessen  genaueren  Inhalt 
ich  oben  (S.  752)  glaube  ermittelt  zu  haben,  an  einem  besonderen  Bei- 
spiele gezeigt.  Schwierig  zu  lesen  sind  diese  Nachträge  allerdings 
oft;  so  hat  Riezler  die  wichtige  Stelle  aus  Creontius  2  Male  gedruckt 
(in  den  Sitzungsberichten  S.  254  und  S.  410  der  Ausgabe),  und  doch 
hat  er  nicht  Alles  richtig  gelesen;  so  ist  enecant  statt  enecavit  zu  lesen, 
dann  iustum  ita  acceptum  statt  etiam;  tulere  ist  sicher  und  keine  Lücke 
folgt;  nach  excitavit  folgt  'victi  sunt  Longobardi  a  Venedis,  deinde  et 
Carolo\  In  der  Nähe  beginnt  S.  404  die  Note  mit  eundem  imperator 
(pater  Riezler)  und  S.  412  ist  procuratorem  zu  lesen. 

Riezler  hat  die  Entzifferung  dieser  Randeinträge  sich  dadurch  er- 
schwert und  jedes  Reizes  beraubt,  dass  er  die  zwei  Hilfsmittel  nicht 
benützte,  welche  er  hätte  benützen  sollen.  So  ist  z.  B.  die  fast  1  Seite 
lange  Note  zu  S.  220  im  Ganzen  und  im  Einzelnen  bei  Riezler  gefälscht. 
Der  ganze  Streit  ging  gegen  die  Christen,  welche  Ostern  '14  luna  mensis 
Martii'  feiern  wollten,  wesshalb  die  ganze  Sekte  den  Namen  Quarto- 
decimaner  erhielt;  allein  an  den  beiden  Stellen,  wo  Aventin  diese  wichtige 


763 

Zahl  14  schrieb,  druckt  Riezler  c9',  während  er  nur  die  von  ihm  selbst 
citirten  Schriftsteller  nachschlagen  durfte,  um  die  richtige  Zahl 
zu  finden;  von  den  Einzelheiten  will  ich  nur  die  eine  erwähnen,  dass 
Riezler  den  Johannes  mit  einem  raureum  luminar  (durfte  ein  Prinzen- 
erzieher einen  solchen  Sprachfehler  machen?)  in  fronte'  aufmarschiren 
lässt,  während  Aventin  selbst  ihm  Mas  gülden  plech  an  sein  gestirn' 
setzt,  und  Riezler  mit  Hilfe  der  citirten  Quellen  auch  in  A  das  richtige 
cauream  laminam'  hätte  lesen  können. 

Die  Entstehung  der  Chronik. 

Diese  letzte  Stelle  führt  uns  hinüber  dazu,  dass  Riezler  bei  der 
Bearbeitung  des  lateinischen  Annalentextes  sich  gar  nichts  darum  geküm- 
mert oder  gar  nicht  daran  gedacht  hat,  ob  und  wie  Aventin  selbst 
seinen  Annalentext  in  der  Chronik  übersetzt  habe.  Das  ist 
nach  meiner  Ansicht  die  Hauptursache  der  Ueberschätzung  der  Copie  B 
und  der  übrigen  Fehler,  welche  Riezlers  Ausgabe  der  Annalen  im  Grossen 
und  Kleinen  entstellen. 

Ehe  ich  auf  das  Verhältniss  der  Annalen  zu  der  Chronik  näher 
eingehe,  muss  zuerst  die  Entstehung  der  Chronik  näher  beleuchtet 
werden,  wie  die  Notizen  im  Hauskalender,  der  Wortlaut  und  die  Unter- 
schriften der  Chronik  sie  ergeben.  Anfang  des  Jahres  1526  wurde  die 
von  den  Herzogen  geforderte  Copie  der  lateinischen  Annalen  fertig.  Die 
Wirkung  deutet  an  die  Notiz  des  Hauskalenders1):  1526  5.  Juni  Mona- 
chium  equitavi  vocatus  a  duce  Ludovico.  10  iussus  vertere  in  vernaculam 
linguam  chronica'.  Die  Reinschrift  des  1.  Buches  hat  die  Ueberschrift 
'angefangen  zu  Abensperg  zue  sunnabenden  a.  1526'  und  die  Unterschrift 
'beendet  zu  Abensberg  am  suntag  vor  dem  neuen  jar  am  30.  tag  des 
christmanets  im  jar  1527'.  Die  Notizen  des  Hauskalenders  c1528  Jan.  1 
Erasmus . .  2  Landesutam  cum  lib.  10  Abusinam  redeo'  sind  also  wohl 
so  zu  deuten:  am  1.  Januar  übergab  Erasmus  Prims  Aventin  die  voll- 
endete Reinschrift;  mit  dieser  reiste  Aventin  am  2.  Januar  an  den  Hof, 
von  wo  er  am   10.  zurückkehrte.     Die  Monate  September   bis    December 


1)  Die  Notiz  '1522  Nov.  coepi  annales  vertere  in  vernaculam'  kann  sich  auf  unsere  Ueber- 
setzung  nicht  beziehen. 

Abb.  d.i.  Cl.  d.  k.  Ak..l  Wim.  XVII.  Bd.  III.  Abth.  99 


764 

des  Jahres  1527  hatte  Aventin  im  Hause  des  Georg  Prima  in  Regens- 
burg mit  der  Bearbeitung  der  Chronik  zugebracht  (verto  in  Germanicam 
linffuam  chronica).  Da  nun  auch  das  2.  Buch  der  Chronik  im  Jahre  1527 
entstanden  ist  (vgl.  S.  830,  31.  694,  13.  706.  21.  711,  30),  so  sind  die 
Notizen  des  Hauskalenders  €1528  April  23  Schirlingam  peto.  praesentatus 
scriptus  lib.  ab  Erasmo  Prims'  wohl  dahin  zu  deuten,  dass  Prims  bis 
dahin  das  2.  Buch  rein  geschrieben  hatte  und  Aventin  es  den  Herzogen 
überreichte.  Die  folgenden  6  Bücher  der  Chronik  sind  nach  dem  Zeug- 
niss  der  Ueber-  und  Unterschriften  in  der  Reinschrift  erst  in  den  Jahren 
1531 — 1533  fertig  geworden. 

Die  Ausarbeitung  der  beiden  ersten  Bücher  der  Chronik  ist  zeitlich 
wie  formell  von  jener  der  übrigen  Bücher  weit  geschieden.  Jene  2  Bücher 
umfassen  1184  Druckseiten,  diese  6  Bücher  nur  603  Seiten.  In  den  Jahren 
1527  — 1530  hatte  eben  Aventin  den  Plan  zu  einer  allgemeinen  deutschen 
Geschichte  gefasst  und  beschränkte  desshalb  in  den  Büchern  der  Chronik, 
welche  er  nach  dieser  Zeit  bearbeitete,  die  Erzählung  so  viel  als  möglich 
auf  die  bairische  Geschichte. 

Verhältniss  der  Annalen  zur  Chronik. 

Vergleichen  wir  nun  den  Wortlaut  der  Chronik  mit  dem  der 
Annalen,  so  ist  zunächst  klar,  dass  Aventin  sich  um  den  Wortlaut 
der  Stuttgarter  Copie  B  aus  dem  Jahre  1525  absolut  nichts  kümmert; 
diese  war  für  ihn  verschollen  und  vergessen.  Dagegen  war  offenbar  das 
Autograph  A  sein  Handexemplar  und  aus  ihm  stellte  er  den  deutschen 
Text  der  Chronik  her.  So  erst  gewinnen  alle,  auch  ganz  kleine  Notizen, 
in  denen  Riezler  nur  Spielereien  oder  Federproben  finden  kann,  ihren 
wahren  und  beträchtlichen  Werth.  Z.  B.  S.  118,  30  hat  der  Columnen- 
text  von  A,  dann  B  und  Riezler:  ortus  Alba  Atys,  Aty  Capys,  Capy 
Capetus.  Lexer  gibt  S.  587,  2  nach  seinen  Handschriften  'von  künig 
Alba  künig  Atys  oder  Egyptus,  von  künig  Aty  künig  Capys,  von  künig 
Capy  künig  Calpetus*  und  bemerkt  dazu  cEpitis  Handschrift  D';  dann 
cCapetus  Annalen;  er  war  also  im  Unklaren,  warum  Aventin  in  der  Chronik 
andere  Formen  setze.  Das  Räthsel  löst  A,  wo  am  Rande  steht  cEpytus 
Ovid/,    darunter  cegy.\    dann   'Calpetus  Ovid/    und    an    der    andern    Seite 


765 

'Ovidium  in  Fastis  lege';  dort  (4.  44)  steht  cProximus  est  titulis  Epytos, 
Alba,  tuis'  und:  Et  tuus  est  idem.  Calpete,  factus  avus.  Wie  hier  im 
Kleinen,  so  oft  im  Grossen.  Das  ist  sicher:  wollen  wir  die  Grundlagen 
der  aventinischen  Chronik  genau  kennen,  so  müssen  wir  zunächst  die 
Handschrift  A  der  Annalen  genau  kennen.  Das  ist  aber  aus  den  bis- 
herigen Ausgaben  nicht  möglich. 

Nur  eine  auffällige  Thatsache  tritt  hiebei  ans  Licht.  Die  Entstehung 
des  breit  ausgeführten  zweiten  Buches  und  der  kürzer  gefassten  folgenden 
6  Bücher  der  Chronik  können  wir  begreifen,  wenn  wir  uns  dieselben  un- 
mittelbar aus  Aventins  Handexemplar  A  gearbeitet  vorstellen.  Im  2.  Buche 
hat  Aventin  die  massenhaften  Randbemerkungen  breit,  im  3.  Buche  kurz 
verarbeitet  und  noch  manches  Neue,  was  seine  unermüdlichen  Forsch- 
ungen boten,  hineingearbeitet.  Das  erste  Buch  der  Annalen  hat  in 
Aventins  Handexemplar  nur  in  der  Namensliste  viele,  sonst  wenige  Nach- 
träge. Diese  wenigen  sind  freilich  in  der  Chronik  verwerthet;  so  z.  B. 
die  von  Riezler  S.  59  gedruckte  Note  bei  Lexer  S.  128,  10—17  (122,25), 
woraus  Riezler  hätte  sehen  können,  dass  in  A  ftotho  statt  Botho  und 
termaximua  statt  tum  maximus  geschrieben  ist.  Allein  im  Grossen  und 
Ganzen  ist  der  Wortlaut  des  1.  Buches  der  Annalen  in  dem  1.  Buche 
der  Chronik  so  umgestaltet,  dass  dieser  letztere  nicht  unmittelbar  aus 
Aventins  Handexemplar  der  Annalen  entstanden  sein  kann.  Auch  Aven- 
tins eigenhändige  Concepte  des  1.  Buches  der  Chronik  (0)  zeigen  zwar 
viele  Correkturen,  doch  nicht  so  viele,  wie  eine  solche  Umformung  sie 
veranlassen  musste.  Es  niuss  noch  ein  Zwischenglied  gegeben  haben,  in 
welchem  Aventin  in  lateinischer  oder  deutscher  Sprache  die  neue  Fassung 
des   1.  Buches  der  Chronik  entworfen  hatte. 

Aventin  als  Darsteller. 

Ehe  ich  die  letzten  Schlüsse  ziehe,  seien  einige  Vorbemerkungen 
gestattet.  Aventin  besass  nicht  nur  ausdauernden  Fleiss  im  Sammeln, 
sondern  starken  künstlerischen  Sinn  für  die  Sichtung  des  Stoffes,  und  nicht 
mindern  Eifer  für  den  künstlerischen  Aufbau  seines  ganzen  Werkes  als 
für  den  künstlerischen  Ausbau  der  einzelnen  Theile.  Er  war  nicht  einer 
jener  geschmacklosen  Spiessbürger,  welche  in  der  mittelalterlichen  Ge- 
schichtschreibung   und    besonders    in    den    Städtechroniken,    vor  allem  in 

99* 


766 

den  nürnberger!!,  sich  so  lästig  machen;  sondern  gebildet  in  dem  Kreise 
der  feurigsten  Humanisten  lehrte  er  persönlich  und  in  Schriften  die 
Regeln  der  Grammatik  und  Rhetorik.  Aber  ein  gründlicher  Leser  der 
Annalen  könnte  oft  bezweifeln,  ob  Aventin  wirklich  ein  Künstler  der 
Darstellung  gewesen  sei.  Denn  Geschmacklosigkeiten,  Unklarheiten,  ja 
Widersprüche  der  Darstellung  finden  sich  in  den  Annalen  nicht  selten. 
An  manchen  dieser  Geschmacklosigkeiten  sind  freilich  nur  der  Copist 
von  B  und  die  von  ihm  abhängigen  Herausgeber  Schuld;  so  391,  7: 
regulus  Boiorum  Septem  aedes  atratis  druidibus  construxit;  unum  propter 
Menenlacum  Noricorum,  sex  in  inferiore  Boiaria  iuxta  Danubium  con- 
struxit. Bathaviae  etc.  Aber  Aventin  hat  in  seinem  Autograph  nur  das  erste 
construxit,  dann  darüber  ein  V  geschrieben  und  ein  anderes  V  zwischen 
Danubium  und  Bath.  gesetzt,  d.  h.  er  wollte  das  Verbum  construxit  an 
die  letztere  Stelle,  an  den  Schluss  des  Satzes,  versetzen;  der  Copist 
schrieb  es  thörichter  Weise  auch  an  der  ersten  Stelle. 

Besonders  sind  öfter  einzelne  Sätze  geschmacklos  eingeflickt.  So 
erklärt  Aventin  S.  295,  1  nach  einer  Abschweifung  csed  ad  Vessogetas 
et  Alaricum  et  historiam  redeundum  est*.  Doch  erst  3  Zeilen  weiter 
beginnt  die  Geschichte  Alarichs  cAlaricus  arcta  Romam  obsidione  claudit'; 
dazwischen  stehen  in  der  geschmacklosesten  Weise  die  Notizen:  moritur 
inter  haec  Arcadius  imperator  orientis,  frater  Honorii,  relicto  successore 
filio  Theodosio  haerede  imperii  orientalis;  decedit  ab  orbe  servato  anno  411 
Basso  et  Philippo  consulibus.  Ein  würdiges  Seitenstück  dazu  bietet 
S.  360,  27  Eodem  tempore  imperator  Justinianus  morbo  adfectus,  non 
compos  mentis,  Byzantii  obiit,  declarato  prius  Justino,  nepote  ex  filia, 
Caesare.  Herminigyldus  Vessogotorum  rex,  filius  Levigyldus,  Richaretus, 
alter  filius,  ab  Leandro  ab  Arrhiana  impietate  convertuntur  ad  pietatem 
veram.  apud  novum  principem  (d.  h.  Justin)  —  uti  fit  in  aula  —  Narses 
eunuchus  authoritate,  qua  valuit  apud  Justinianum,  caruit  etc.  Durch 
die  Bemerkung,  dass  die  thörichten  Einschiebsel  im  Autograph  am  Rand 
stunden,  hätten  die  Herausgeber  an  beiden  Stellen  die  Schuld  Aventins 
wenigstens  mildern  können.  In  der  Chronik  sind  diese  Geschmacklosig- 
keiten beseitigt. 

Ein  sprechendes  Beispiel,  wie  es  mit  den  Quellen  und  dem  Geschicke 
des  Annalentextes  steht,  bietet  das  Stück  der  Annalen,  worin  Aventin  den 


767 

germanischen  Krieg  und  die  Niederlage  des  Varus  geschildert  hat.  Dess- 
halb  sei  mir  zum  Schlüsse  noch  gestattet,  dieses  Beispiel  ausführlich  zu 
behandeln. 

Zu  diesen  2l/a  Seiten  (Buch  II,  S.  125,  32  — 128,  15)  bemerkt  Riezler  nur, 
dass  die  Copie  B  S.  126,  5  Vellius  und  S.  128,  5  induxit  statt  des  richtigen  Velleius 
und  indixit  habe;  dann  dass  Aventin  (in  A)  S.  127,  4  magnae  nicht  habe  und 
S.  128,  13  inestom  habe,  wo  er  selbst  dem  Copisten  von  B  zu  Liebe  magnae  und 
moestum  annimmt.  Wenn  wir  diese  Kleinigkeiten  gelesen  haben,  meinen  wir,  im 
Uebrigen  gäbe  uns  Kiezlers  Text  einen  ebenso  glatten  als  festen  Boden.  In  Wahr- 
heit ist  derselbe  ganz  anders. 

S.  125,  33  steht  das  thörichte  nam  wohl  in  B,  aber  nicht  in  A  und  ist  zu 
streichen.  I2<>.  4    hat  Aventin  imminere,    der   Copist   und  Riezler  inminere. 

126,  11  intra  Italiam  Aventin:  inier  der  Copist  und   Rr.  126,  15  victores  Germani 

Aventin  in  A  aus  Sueton  Tib.  16  (vgl.  Chronik  607,  28):  der  Copist  und  Rr.  über- 
sahen victores.  126,  26  ist  zu  theilen  datur  Tiberio  tribunicia  potestas  in  quin- 
quennium,  delegatur  et  Germaniae  pacandae  status:  Riezler  setzt  das  Komma  nach 
'potestas.  126,  20    schrieb   Aventin  in    A    nach   Sueton  parcmque:   der  Copist  und 

Riezler  übersahen  das  que.  126,  31    ist  zu  theilen:    saepius  revocatus  perseveravit 

tarnen,  metuens  ne  etc.  (vgl.  Sueton):   Rr.  setzt  das  Komma  vor  'tarnen'.  127,  21 

Aventin  hat  an  den  Rand  geschrieben  'Duysburg  cum  daventria  urbes  liberas  tribuit 
Rudolphus  imperator  (?)  theoderico  clevensi  eoniiti',  was  er  in  der  Chronik  (S.  605,  10) 
übersetzt:    Riezler   schweigt   davon.  128,  3    Aventin  'adhuc\    der  Copist   und  Rr. 

'aduc.  128,  12  hat  allerdings  Aventin  sich  verschrieben:  Qnintili  Varre,  während 
er  sonst  natürlich  Varus  und  auch  in  der  Chronik  'Qnintili  Varc'  schreibt;  dass  der 
Copist  Varre  nachschrieb,  ist  nicht  zu  verwandern,  wohl  aber,  dass  Riezler  ao  Etwas  in 
den  Text  setzte.  Warum  hat  er  denn  S.  169,  21  signa  cum  Varo  amissa  geändert, 
WO  doch  Mich  seine  beiden  Handschriften   Vario  haben?  128,    14  schreibt  Riezler 

BOgar  'cum  hoc  ad  oeeidentem..  geruntur'  mit  dein  Copisten,  während  Aventin  richtig 
kaec  schrieb.  Diese  Dinge  finden  sich  auf  21/»  Seiten  nachzutragen.  Sie  bestätigen 
mein  oben  ausgesprochenes  l'rtheil,  dass  der  Copist  der  Handschrift  B  sehr  ungeschickt 
und  nnanfmerksani  allgeschrieben,  dass  Aventin  diese  schlechte  Abschrift  nachlässig 
durchgelesen,  und  dass  Riezler  in  übermässiger  Hochsehäfczung  dieser  schlechten  A 1  »— 
schritt  das  Handexemplar  Aventins  A,  welches  hier  allein  zu  berücksichtigen  ist, 
nicht  genau  genug  verglichen   hat. 

Doch  das  mag  man  philologischen  Kleinkram  nennen!  Allein  das  ganze  Stück, 
wie  es  bei  Riezler  steht,  ist  nicht  nur  Aventins,  sondern  jedes  tüchtigen  Historikers 
unwürdig.  S.  126,  4  steht  'fuitque  tum  sub  Tiberio  in  Germania  juaefectus  equitura 
P.  Velleius  Patenulus,  scriptor  historiarum'  und  nur  1 l/a  Zeilen  später  schon  wieder 
'Paterculus  annalium  scriptor  qnaestor  partem  exercitus  a  Koma  traditi  ab  Augusto 
ad  Tiberram  perduxit\     Dann  heisst  es  Z.  14   Pannonii  reltellarunt,  nemine  dubitante, 


768 

quin  victores  Germuni  iuncturi  se  Pannoniis  fuerint,  nisi  prius  Illyrieum  debellatimi 
esset;  Z.  23  ad  tutelam  ripae  Rheni.,  servi  nianumittuntur ;  Z.  "2(i  Tiberio  delegatur 
et  Germaniae  pacandae  status:  allein  im  Vorausgehenden  hat  Aventin  weder  von 
Siegen  der  Deutschen  noch  von  einer  Bedrohung  des  Rheines  gesprochen.  Diese 
Stücke  sind  also  unverständlich  und  desshalb  thörieht.  Prüft  man  Aventins  Hand- 
exemplar, so  wird  Alles  klar  und  Aventins  Ehre  einigermassen  gerettet. 

In  Aventins  Handexemplar  folgte  ursprünglich,  im  Columnentext  S.  125,  32 
nach  'Defuncto  Druso'  sofort  mit  127,  3  Germaniae  magis  vietae  bis  128,  13  lugubrem 
die  Schilderung  der  Niederlage  des  Varus.  Mit  dem  Uebergange  cSub  idem  tempus 
cum  haec  ad  occidentem  inter  Rhenum  Albimque  geruntur  orientis  ab  ora  non  minus 
ferociter  Danubius  Sausque  saeviunt'  folgte  dann  126,  9 — 16  esset  und  2'-)  ad  — 
127,2  redegit,  d.  h.  die  Schilderung  des  pannonischen  Krieges.  Wir  wissen  jetzt,  dasa 
die  Ereignisse  sich  anders  folgten:  allein,  da  der  pannonische  Krieg  sieh  durch  mehren' 
Jahre  hinzog  und  die  Nachrichten  über  denselben  ziemlich  wirr  sind,  so  konnte  Aventin 
leicht  zu  jenem  chronologischen  Irrthum  kommen.  Wie  er  die  Thatsachen  gruppirt 
und  die  Quellenstellen  verwerthet  hatte,  das  war  ganz  geschickt;  insbesondere  die 
berührten  Stellen  von  den  Germani  victores,  der  tutela  Rheni  und  der  pacanda 
Germania  waren  am  vernünftigen  Platze,  da  vorher  der  Sieg  des  Arminias  geschil- 
dert war. 

Diese  Fassung  hatte  Aventin  im  Jahre  1519  concipirt  und  dann  im  Jahre  1521 
in  der  ersten  Hälfte  des  Juni  reingeschrieben,  (Columnentext  in  A).  Nachher  machte 
er  sich  daran,  den  im  Jahre  1520  erschienenen  Velleius  für  seine  Annalen  zu  ver- 
werthen.  Hieraus  -ah  er,  dass  nach  dem  Tode  des  Drusus  zunächst  Tiberius  gegen 
Marbod  in  Böhmen  kämpfte,  dann  sich  gegen  die  Pannonier  wenden  musste,  welche 
sich  in  seinem  Rücken  empört  hatten,  und  dass  der  Kampf  des  Arminius  und  Varus 
ziemlich  spät,  in  das  Ende  des  pannonischen  Krieges,  fiel.  Also  schrieb  er  aus 
Velleius  eine  Reihe  Zusätze  an  den  Rand,  zunächst  die  Schilderung  des  Kampfes 
gegen  Marbod  (8.  125,  32  fratre . .  126,  9  fuit),  dann  stellte  er  in  seinem  Columnen- 
text den  l'amionierkrieg  vor  den  des  Varus  (S.  126,  9  orientis  bis  127,  2  redegit 
vor  127,  3  Germaniae  etc.)  und  schrieb  zu  beiden  Stücken  wiederum  Zusätze  aus 
Velleius  an  den  Rand  (S.  126,  16  occupata..  23  militem,  127,  19  totidem  alae  sex 
cohortes  und  30  atrocissima  bis  34  contrucidatus). 

Es  ist  wahr,  nimmt  man  das  Alles  zusammen,  so  entsteht  der  thörichte  Text, 
wie  er  in  B  rein  geschrieben  und  bei  Riezler  gedruckt  steht.  Nun  ist  die  wichtige 
Frage,  ob  Aventin  diese  Fassung  hätte  drucken  lassen.  Gelesen  hat  er  sie  allerdings 
in  der  Reinschrift  B;  dass  er  aber  das  Ungeschickte  dieser  Fassung  eingesehen  hat 
und  sie  vor  dem  Drucke  umgearbeitet  hätte,  das  zeigt  die  Art  und  Weise,  wie  er 
dieses  Stück  in  der  Chronik  gefasst  hat.  Dort  wird  der  Kampf  gegen  Marbod  und 
der  Ausbruch  sowie  der  erste  Schrecken  des  pannonischen  Aufstandes  geschildert, 
dann  aber  sofort  der  Kampf  des  Varus  mit  seinem  schrecklichen  Ausgang,  wobei  die 
beiden  Notizen  über  Velleius  an  ganz  passenden  Stellen  untergebracht  werden  (S.  601,  28 


769 

und  603,  21).  So  findet  Aventin  einen  trefflichen  Uebergang  zur  weiteren  Schilderung 
des  pannonischen  Krieges,  wobei  sogar  jene  Stelle  des  Sueton  'nemine  dubitante,  quin 
victores  Germani  iuncturi  se  Pannoniis  fuerint,  nisi  prius  Illyricuni  debellatum  esset1 
(eigentlich  'Niemand  zweifelte,  dass  die  siegreichen  Deutschen  sich  mit  den  Pannoniern 
verbündet  haben  würden,  wenn  diese  nicht  schon  vorher  vernichtet  gewesen  wären') 
durch  eine  falsche  Uebersetzung  (Niemant  zweiflet  daran  und  besorgten  es  auch  die 
Roemer,  die  Teutschen  umb  den  Rein,  so  nun  das  roemisch  reich  geschlagen  heften, 
würden  zu  den  an  der  Thonau  stossen,  wo  nit  e  iezgenante  land  und  leut,  umb  die 
Sau  Drä  und  Thonau  ligend,  bestritten  würden)  zwar  auf  den  Kopf  gestellt,  aber  eben 
damit  gut  verwerthet  wird. 

Hiebei  ist  allerdings,  wie  wir  jetzt  wissen,  die  richtige  Reihenfolge 
der  Thatsachen  mehrfach  verkehrt;  allein  Aventin  konnte  nicht  bei  jeder 
Thatsache  von  Neuem  die  Quellen  untersuchen;  er  arbeitete  eben  mit 
dem  Stoffe,  den  er  in  seinein  Handexemplar  der  Annalen  sich  zusammen- 
geschrieben hatte.  Aber  die  Kunst  des  Meisters,  w.elcher  das  riesenhafte 
Material  gesammelt  und  zu  dem  grossen  Bau  gefügt  hatte,  zeigt  sich 
auch  in  der  Art,  wie  er  diesen  Baustein  in  der  Chronik  behauen  und 
dem  Ganzen  eingefügt  hat.  Wäre  er  dazu  gekommen,  selbst  seine  Annalen 
drucken  zu  lassen,  so  hätte  er  die  Ungeschicklichkeiten  des  in  der  Copie 
und  jetzt  in  den  Drucken  gegebenen  lateinischen  Textes  ebenso  gewiss 
weggeräumt,  als  er  sie  in  der  Chronik  weggeräumt  hat. 


Die  Annalen  sind  kein  druckfertiges  Werk. 

Damit  tritt  die  Frage  vor  uns,  gibt  es  eine  endgiltige,  so  zu 
sagen,  eine  druck  fertige  Fassung  des  Annalentextes?  Auf 
diese  Frage,  welche  bis  jetzt  noch  Niemand  gestellt  hat,  lautet  die 
Antwort:  nein.  Nur  noch  ein  Einzelbeweis  sei  hier  angereiht.  S.  392,  13 
lässt  Riezler  Aventin  schreiben:  Theodericus  quoque  rex  tum  obiit,  Hyl- 
dericus  frater  eius  a  Carolomano  et  Pipino  substituitur,  und  l*/2  Seiten 
nachher  schon  wieder:  393,  39  Moritur  eodem  tempore  Theodericus  rex 
Francorum..  Hyldericus  frater  eius  regio  nomine  donatur  a  Carolomano 
et  Pipino  ducibus  Francorum.  Diese  selbst  eines  mittel  massigen  Schrift- 
stellers unwürdige  Tautologie  hat  Aventin  bemerkt,  denn  er  schreibt 
zur  2.  Stelle  an  den  Rand  csupra\  Hätte  er  seinen  Annalentext  end- 
giltig  feststellen  wollen,  so  hätte  er  oben  oder  unten  gestrichen.     Da  er 


770 

dies  nicht  that,  so  ist  klar,  dass  er  selbst  nicht  daran  dachte,  die  Fassung 
seiner  Annalen,  wie  sie  in  A  vorliegt,  sei  abgeschlossen. 

Bis  jetzt  habe  ich  zu  Beweisen  Stellen  gewählt,  welche  in  der  Ab- 
schrift B  und  in  Folge  dessen  im  Texte  aller  Ausgaben  stehen.  Doch 
um  diese  Fassung,  welche  Aventin  in  der  Copie  durchlas,  kümmerte  er 
sich  selbst  Nichts,  wie  oben  sattsam  bewiesen  ist.  Ihm  waren  die  weiteren 
Ergänzungen  in  seinem  Handexemplar  sehr  wichtig.  Sollten  aber  diese 
sämmtlich  in  den  Columnentext  von  A  eingereiht  werden,  so  würde 
jeder  Leser  bekennen,  es  könne  keine  Rede  davon  sein,  dass  ein  halb- 
wegs vernünftiger  Schriftsteller  die  Form  einer  solchen  Darstellung  für 
fertig  und  abgeschlossen  gehalten  hätte. 

Zu  demselben  Ergebniss  führen  andere  interessantere  Betrachtungen 
über  den  Inhalt.  Wir  haben  oben  gesehen,  wie  Aventin  mit  eisernem 
Fleisse  sein  Leben  hindurch  seine  Erkenntniss  der  bairischen  Geschichte 
erweiterte  und  berichtigte  und,  wie  er  öfter  darnach  rang,  seine  Gedanken 
und  Kenntnisse  in  die  richtige  Form  zu  giessen.  Dem  ersten  Entwürfe 
in  Burghausen  folgte  die  Ausarbeitung  von  1511  in  München.  Die  Ränder 
dieses  Schriftstückes  sind  bedeckt  mit  Vorstudien  zur  nächsten  Ausarbeitung 
von  1519 — 1521.  Die  Reinschrift  der  hier  geschaffenen  Fassung  ist 
wiederum  mit  mehr  oder  weniger  Nachträgen  und  Aenderungen  angefüllt 
worden  in  den  Jahren  1521  bis  1526,  resp.  bis  1531.  Was  war  denn 
die  Chronik  für  Aventin  Anderes  als  eine  neue  Fassung  seines  Lebens- 
werkes? Und  was  Anderes  ist  der  Columnentext  des  Autographs  A  mit 
all  seinen  Nachträgen  und  Aenderungen  als  das  Concept  für  diese  Fassung 
der  bairischen  Geschichte,  welche  uns  in  der  Chronik  vorliegt?1)  Nicht 
die  Annalen,  sondern  die  Chronik  Aventins  enthält  für  uns  die  letzt- 
willige Fassung  seiner  bairischen  Geschichte.  In  allen  Fällen,  wo  die 
Chronik  den  Annalen  widerspricht  oder  mehr  gibt  als  jene,  haben  wir 
in  der  Chronik  Aventins  wahre  Ansicht  zu  erkennen.  Wäre  Aventin 
dazu  gekommen,  nach  der  Chronik  seine  Annalen  druckfertig  auszuarbeiten. 


1)  Man  vergesse  doch  nicht  den  Schluss  der  Annalen  'Ego,  usus  consilio  Horatii  Quintilia- 
nique,  ne  editio  praecipitetur  decimumque  prematur  in  annuni,  opus  inchoatum  diligentius  repetitum 
tanquam  lector  perpendero  atque  arbiter  honorarius  diiudicaro  (dafür  hatte  Aventin  zuerst  ge- 
schrieben: emendaro  cognovero).  Diese  Worte,  mit  welchen  Aventin  im  Jahre  1521  die  Reinschrift 
seiner  Annalen  schloss,  hat  er  später  nicht  durchgestrichen  oder  gehindert. 


771 

so  wäre  diese  Fassung  nicht  auf  das  Handexemplar  A,  sondern  zunächst 
auf  die  Chronik  fundirt  worden.1) 

Entwürfe  und  unfertige  Schriften  herauszugeben  ist  freilich  keine 
angenehme  Sache.  Allein  wer  einmal  die  unfertigen  Annalen  Aventins 
aus  seinem  Handexemplare  herausgeben  wird,  kann  einen  Trost  darin 
finden,  dass  eben  dadurch  Aventins  Ehre  als  Darsteller  gewahrt  bleibt, 
und  dann  vor  Allem,  dass  so  erst  die  nothwendige  und  die  beste  Grund- 
lage geschaffen  wird  für  die  richtige  Erkenntniss  der  Chronik.  Denn 
die  Chronik  ist  nicht  nur  die  Blüthe  von  Aventins  historischem  Schaffen, 
sondern  sie  wird  auch  immer  mehr  als  Sprachdenkmal  geschätzt  werden. 
Die  Erforschung  der  Chronik  muss  aber  stets  von  einer  vollständigen 
Kenntniss  des  Annalentextes  ausgehen,  wie  er  in  Aventins  Autograph  (A) 
vorliegt. 

Ergebnisse. 

Meine  Untersuchungen  ergeben  also  Folgendes:  Die  Stuttgarter  Ab- 
schrift B  ist  sehr  nachlässig  abgeschrieben  und  von  Aventin  nachlässig 
durchcorrigirt.  Durch  ihre  Bevorzugung  hat  Riezler  den  Wortlaut  der 
Annalen  vielfach  geschädigt.  Dieselbe  kann  bei  einer  Ausgabe  gänzlich 
bei  Seite  gelassen  werden,  da  selbst  einzelne  hier  vorkommende  Bemerk- 
ungen  Aventins   nicht   mehr  Werth    haben    als    einschlägige  gelegentliche 


1)  In  der  Geschichte  der  deutschen  Sprache  bezeichnet  «Ins  1(5.  Jahrhundert  einen 
gewaltigen  Umschwung  und  Aufschwung.  Die  Ursache  liegt  nicht  in  Luther,  sondern  in  dem 
oben  (8.  744  u.  745)  gezeichneten  sonderbaren  Wesen  der  deutschen  Humanisten.  Die  Begeisterung 
für  die  Gegenwart  und  Vergangenheit  Deutschlands  fahrte  sie  dazu,  auch  die  deutsehe  Sprache 
zu  pflegen.  Aventin  ist  im  Kleinen  ein  Beispiel  des  Grossen.  Bis  1519  hat  er  sich  der  deutschen 
Sprache  in  seinen  Schriften  nicht  bedient,  von  da  an  immer  mehr,  so  dass  er  das  Lateinische 
last   autgab.  Der  damalige  Umschwung  der  deutschen  Sprache  ward  neben  andern  durch  eine 

Kraft  bewirkt,  welche  mir  noch  nicht  genügend  erkannt  zu  sein  scheint.  In  den  deutschen 
Schriften  des  IC.  Jahrhunderts  tritt  uns  eine  Fülle  von  bildlichen  Ausdrücken  und  packenden 
Redewendungen  entgegen,  von  denen  sich  in  den  früheren  deutschen  Schriften  keine  Spur  findet. 
I>as  ging  nach  meiner  Ansicht  SO  zu.  Wie  OB  im  17.  und  18.  Jahrhundert  gestatte!  wurde,  an- 
dern Italienischen  oder  Französischen  beliebig  viele  Ausdrücke  herüberzunehmen,  so  wurden  im 
16.  Jahrhundert  ausserordentlich  viele  auffallende  Bilder  und  Redewendungen  der  lateinischen 
und  griechischen  Sprache  wörtlich  übersetzt  und  vom  damaligen  Zeitgeist  als  berechtigte 
Neuerung  zugelassen.  Während  nun  die  im  17.  und  18.  Jahrhundert  eingeführten  Fremdwörter 
itets  als  Fremdlinge  erkannt  und  so  beim  Umschwung  des  Zeitgeistes  leicht  ausgegossen  werden 
konnten,  sind  jene  wörtlich  übersetzten  Redewendungen,  Bilder  und  Sprüchwörter  uns  so  in  Fleisch 
und  Blut  übergegangen,  dass  sie  jetzt  als  urdeutsch  gelten. 

Ahh.d.I.  Cl.d.k.  Ak.d.  Wiss.  XVII.  Bd.  III.  Abth.  100 


772 

Notizen  seiner  Collektaneen,  die  er  in  sein  Hauptwerk  nicht  aufnahm. 
Eine  abschliessende,  gegebenen  Falls  zum  Druck  bestimmte  Fassung  des 
Annalentextes  enthält  diese  Copie  durchaus  nicht. 

Dagegen  kann  durch  eine  genaue  Ausnützung  der  von  Aventin  selbst 
geschriebenen  und  benützten  münchner  Handschrift  A  der  Wortlaut  der 
Annalen  an  vielen  Stellen  berichtigt  und  um  viele  Zusätze  bereichert 
werden.  Aber  auch  der  Annalentext,  welcher  sich  so  zusammenstellen 
lässt,  ist  nicht  abgeschlossen  oder  druckfertig.  Allein  derselbe  ist  die 
wichtige,  nächste  Vorstufe  zu  dem  Hauptwerke  Aventins,  der  Chronik. 
In  der  Chronik  hat  uns  Aventin  nicht  nur  die  letzte  und  reifste,  sondern 
auch  die  einzige  formell  abgeschlossene  Fassung  des  Werkes  hinterlassen, 
zu  welchem  er  in  seiner  Jugend,  wahrscheinlich  im  Verein  mit  Celtes, 
sicher  aber  vor  1507  unter  dem  Einflüsse  der  für  Deutschland  begeisterten 
Humanisten,  den  bestimmten  Plan  entworfen,  und  an  welchem  er,  ebenso 
sehr  von  der  Kraft  seines  Willens  getrieben  als  von  der  Gunst  des  Ge- 
schickes gefördert,  sein  Leben  lang  geschaffen  hat.  Diese  in  frühen 
Jahren  von  ihm  selbst  gewählte  Lebensaufgabe  war  die  Geschichte  des 
bairischen  Volkes  und  Landes;  seine  übrigen  Schriften  sind  nur  Beiwerk 
hiezu  gewesen. 

Aventins  Wesen  und  Schaffen  ist  hier  theilweise  anders  als  bisher 
dargestellt  worden.  Ich  hoffe,  dass  dieses  Bild  sich  als  richtig  und  wahr- 
heitsgetreu bewähren  wird,  und  freue  mich,  dass  die  stärkere  Beleuchtung 
das  Bild  dieses  bedeutenden  Meisters  der  Geschichte  schöner  und  bewun- 
derungswürdiger erscheinen  Hess. 


Aventin's  Lobgedicht  auf  Albrecht  IV.  von  1507, 

zum  ersten  Male  herausgegeben. 

Die  oben  (S.  725)  genannte  Abschrift  der  Annalen  Aventins  ist  für 
die  Annalen  fast  werthlos;  allein  sie  birgt  doch  einen  Schatz,  den  wir 
jetzt  heben  wollen.  Dem  ersten  Bande  derselben,  Cod.  lat.  219  (Buch  I — IV 
der  Annalen  enthaltend),  ist  am  Schlüsse  nach  dem  4.  Buche  noch  eine 
Blätterlage  beigeheftet,  in  welcher  das  nachstehend  gedruckte  Gedicht 
geschrieben  steht,  und  zwar  von  einer  Hand,  welche  auch  sonst  in  diesen 
zwei  Bänden  vorkommt.  Demnach  ist  auch  diese  Blätterlage  vor  Aven- 
tins Tod  und  wohl  in  seinem  Hause  abgeschrieben. 

Dieses -bis  jetzt  übersehene  Gedicht  ist  wichtig.  Es  ist  ein  Werk 
Aventins1)  und,  da  es  in  den  Hundstagen  des  Jahres  1507  abgeschlossen 
ist,  überhaupt  die  älteste  Schrift,  welche  wir  bisher  von  ihm  kennen. 
Es  ist  ferner  das  weitaus  grösste  Gedicht,  welches  wir  von  Aventin  be- 
sitzen, das  einzige  in  Hexametern  geschriebene  und,  von  dem  Uebrigen 
abgesehen,  für  die  Erkenntniss  seines  Geistesganges  (vgl.  oben  S.  746) 
wichtig  durch  das  Versprechen,  die  hier  gegebene  kurze  Skizze  der 
bairischen  Geschichte  sei  er  gewillt  durch  eine  ausführliche  Darstellung 
zu  ersetzen.  Der  Geist,  welcher  in  diesem  Gedichte  waltet,  zeigt  durchaus 
den  Schüler  des  Conrad  Celtes. 

Der  Inhalt  dieses  Gedichtes,  sowie  der  übrigen  kleineren  Gedichte 
aus  dieser  Zeit  (in  dem  1508  geschriebenen  Heftchen,  Clm.   1138,  finden 


1)  Erwähnt  finde  ich  dasselbe  nirgends  bei  Aventin.     Nur  hat  er  einige  Verse  daraus  (vgl. 
zu  V.  268)  an  dem  Rand  seiner  Annalen  von  1511  citirt. 

100* 


774 

sich  5  ==  Werke  I,  S.  617 — 623,  Nr.  I — V)  ergab  sich  aus  dem,  was 
kurz  vorher  in  Baiern  geschehen   war. 

In  den  vorangehenden  Jahrhunderten  war  Baierns  Kraft  hauptsäch- 
lich durch  wiederholte  Theilungen  und  die  Kämpfe  um  solche  gebrochen 
worden.  Von  den  drei  Staaten,  welche  bei  der  letzten  Theilung  1430 
sich  ergeben  hatten,  Baiern- Ingolstadt,  Baiern  -  Landshut  und  Baiern - 
München,  war  Baiern  -  Ingolstadt  1447  durch  Heinrich  den  Reichen  von 
Baiern  -  Landshut  besetzt  worden.  Sein  Enkel,  der  letzte  männliche 
Sprosse  der  Linie  Baiern  -  Landshut ,  Georg  der  Reiche,  hatte,  gegen 
frühere  Verträge,  in  seinem  Testamente  sein  Land  dem  Ruprecht  von 
der  Pfalz,  dem  Manne  seiner  Tochter  Elsa,  verschaffen  wollen.  Nach 
dem  Tode  Georgs  (1503)  brach  nun  zwischen  Baiern  -  München  und  der 
Pfalz  der  Krieg  um  Baiern  -Landshut  aus.  der  mit  seinen  Schrecken  an 
dem  letzten,  aber  deutlichsten  Beispiele  Allen  zeigte,  welches  Unheil  aus 
diesen  Theilungen  und  Erbfolgestreitigkeiten  erwachsen  könne.  Nachdem 
Ruprecht  und  Elsa  gestorben  waren,  gelang  es  endlich  Albrecht  im 
Frieden  1505  die  drei  Theile  für  immer  zu  vereinigen.  Das  schmerz- 
liche Andenken  an  die  Greuel  dieses  Krieges  wurde  damals  in  München 
durch  die  Freude  über  diese  endliche  Vereinigung  der  getrennten  Theile 
weit  überboten. 

Werden  von  Aventin  schon  in  den  erwähnten  kleineren  Gedichten 
besonders  die  Greuel  des  Krieges  und  im  Gegensatze  die  Segnungen  des 
ruhmvollen  Sieges  und  Friedens  geschildert,  so  bilden  dieselben  ganz 
den  Stoff  unseres  grossen  Gedichtes. 

Im  ersten  Theile,  V.  1 — 226,  werden  die  Schrecken  des  Erb- 
folgekrieges geschildert.  Nach  einer  Anrufung  der  Muse  (1 — 10)  wird 
erwähnt  die  Ursache  des  Krieges:  die  Dreitheilung  Baierns  von  1430 
(11  —  22);  die  Wegnahme  Baiern- Ingolstadts  durch  Heinrich  den  Reichen 
von  Landshut  1447  (23 — 31)  und  das  gesetzwidrige  Bestreben  seines 
Enkels,  Georg  des  Reichen,  die  Linie  Baiern -München  von  der  Nachfolge 
in  Baiern  -  Landshut  zu  verdrängen  (V.  32 — 67).  Natürlich  ist,  dass 
hiebei  die  LancTshuter  Fürsten  nur  von  ihren  schlechten  Seiten  dar- 
gestellt werden. 

Dann  wird  geschildert,  wie  nach  Georg  des  Reichen  Tod  (1503)  der 
Krieg   ausbricht    und    Ruprecht    von    der    Pfalz    den    grössten    Theil    von 


775 

Baiern -Landshut  besetzt  (V.  68—80).  Der  greuelvolle  (V.  81  —  85)  Krieg 
wird  genährt  durch  den  thörichten  Wankelmuth  des  Volkes  (V.  86 — 115) 
und  auch  nach  dem  Tode  Ruprechts  (V.  116  — 143)  und  Elsas  (V.  144 
bis  149)  dauert  er  noch  fort.  Auf  dem  Reichstage  zu  Augsburg  wird 
Albrecht  dem  IV.  das  Land  zugesprochen  (V.  150  — 167)  und  aus  allen 
Theilen  Deutschlands  sammelt  sich  ein  Heer  (V.  168 — 200),  um  die  Pfalz 
zu  züchtigen  (V.  201 — 209).  Doch  glückt  es  Albert,  glücklichen  Frieden 
und  Sieg  zu  erlangen  (V.  210 — 228). 

Dichterische  Abschweifungen  erlaubt  sich  hier  Aventin  besonders 
V.  90  — 115,  wo  er  die  unstete  Volksgunst  in  gehäuften  Bildern  malt; 
dann  in  V.  116  — 143,  wo  er  schildert,  wie  der  Schatten  Ruprechts  nur 
unter  der  Bedingung  Einlass  in  die  Unterwelt  erlangt,  dass  ein  Anderer 
für  ihn  Bürgschaft  leistet,  er  werde  nicht,  wie  Herkules  und  Andere, 
Unfug  in  der  Unterwelt  anstiften;  endlich  in  V.  168 — 200,  wo  die  einzelnen 
deutschen  Stämme  ausführlich  aufgezählt  werden. 

Im  zweiten  Theile.V.  22 7—4 1 3,  werden  die  Ahnen  Albrechts  und 
er  selbst  gepriesen.  Nach  einer  Einleitung,  in  welcher  Aventin  verkündet, 
ein  anderes  Mal  wolle  er  die  Thaten  der  bairischen  Fürsten  ausführlich, 
jetzt  nur  in  Kürze  darstellen  (229-249),  schildert  er  einzelne  Helden 
des  bairischen  Fürstenstammes:  Theodo  (250  —  253),  Thessolo  (254 — 257), 
Heinrich  den  Heiligen  (277 — 300),  Ludwig  den  Bayern  (302  —  312)  und 
endlich  Albrecht  den  III.  (313  —  318). 

Albrecht  den  IV.  rühmt  Aventin  besonders  wegen  seiner  feinen 
Bildung  (326 — 330)  und  wegen  des  Eifers,  mit  welchem  er  Wissenschaft 
und  edle  Künste  in  Baiern  verbreite  (331  —  380),  wobei  Aventin  sich  eine 
ausführliche  Aufzählung  der  '9  Musen  und  ihrer  Obliegenheiten  gestattet 
(333 — 377).  Dann  rühmt  er  noch  Albrechts  Regententugenden  (381 — 396), 
seine  keusche  Gemahlin  (397 — 399)  und  seine  Kinder  (400)  und  schliesst 
das  Lobgedicht  mit  einem  Segenswunsche. 

Die  Sprache  des  Gedichtes  ist  dem  Stande  des  Adressaten  gemäss 
ziemlich  hochtrabend  und  machte  das  Verständniss  des  Gedichtes  und 
die  richtige  Interpunktion  für  die  erste  Ausgabe  ziemlich  schwierig. 
Desshalb  schien  es  gut,  Erläuterungen  beizufügen.  Der  Text  selbst  scheint 
nur  an  wenigen  Stellen  verdorben  zu  sein.  Natürlich  hat  Aventin  seine 
Ausdrücke    aus    den    alten  Klassikern    entlehnt;    doch    das    thun    unsere 


776 

heutigen  Latinisten  ja  auch;  es  schien  also  zwecklos,  den  Ursprung  ein- 
zelner Phrasen  oder  Versstücke  zu  notiren.  Bei  den  Mühen  der  Ausgabe 
hat  mir  mein  Freund  Dr.  Ludwig  Traube  gute  Hilfe  geleistet. 

FELICITATI  DOMVS  BAVARIAE  CONSECRATVM 

INVICTI  INVICTO  PRINCIPIS  et  Domini,  Domini 

Alberti,  Comitis  Rheni  Palatini,   Inferioris  ac 

superioris  Bavariae  Ducis  Genio,  eiusque  Sobolis 

generosae  felici  indoli  dedicatum. 

Principis  invicti  Saturnia  dicere  versu 

Saecula,  fert  animus:  quantum  prudentia  magnis 

Divitiis  praestet  sanctaeque  superbia  paci 

Caedat,  et  infandi  fuerit  quae  causa  doloris. 
5    Gratior  haut  motos  potuit  componere  fluctus. 

Ne  fragiles  tanto  succumbant  pondere  vires, 

Musa,  precor,  coeptis  faveas.  procul  este  prophani; 

Lingua  nocens  rabidum  digitis  conpesce  labelluin 

Vipereoque  vomens  vulpinum  pectore  virus. 
10    Pythius  ecce  sacerdotis  quatit  incola  meutern. 

Facta  tribus  Dominis  communis  Norica  tellus 

Principium  belli,  civilis  origo  tumultus 

Prima  fuit,  caeco  praebens  alimenta  furori. 

Una  satis  lux  est,  unus  videt  omnia  Phoebus; 
15    Triplex  infernas  deterret  Cerberus  umbras; 

Dissidet  infami  dilapsus  degener  uno 

Augurio  numerus:  canos  sors  altera  tinxit. 

Nulla  movet  vetulos  pacis  reverentia  gallos; 


Mit  M  bezeichne   ich   die   Handschrift.     Im  Celtes ;  später  thut  er  dies  nicht  mehr  und  nennt 

Titel  ist  der  Stil  der  römischen  Inschriften  nach-  Noricum  nur  das  Land  jenseits  des   Inn:    Oest- 

geahmt.         4   caedat  schreibt  Aventin   oft  statt  reich,  Steiermark,  Kärnten,  Tirol.    Auch  von  den 

cedat.        5  haut  schrieb  ich,  aut  M;   d.  h.  haud  umgeformten  Eigennamen,    wie   Honoricus  statt 

potuit  gratior  quam  Albertus   lites    componere.  Hainricus,  deren-  er  später  viele  hat,  finden  sich 

11  durch  den  straubinger  Vertrag  von  1430.  hier  natürlich  nur  wenige.         16,   17    Was  hier 

11  'Norica'  nennt  Aventin    Baiern    hier   und   in  gegen    die   Zahl  '3'    gesagt    wird,    verstehe    ich 

den   Gedichten    von    1508    nach    der    Mode    des  nicht.     Mit  sors  altera  bezeichnet  Ovid  Metam. 


777 


Foedera  nulla  ligant,  septo  quos  clauseris  una; 

20    Improba  spectantum  stimulis  atque  ore  voluptas 
In  fera  sollicitat  resides  adsumere  vires 
Proelia,  non  animos  mittit  requiescere  fessos. 
Protinus  arcanis  sortitus  nomina  nummis 
Polluit  Hainricus  cognato  sanguine  pactum 

25    Foedus  et  in  celsa  patruelem  durior  arce 
Detinuit  clausum,  misero  dum  serius  aequo 
Stamina  lanificae  ruperuut  pulla  sorores 
Umbra  et  ad  Elysios  aufugit  libera  campos. 
Empta  dolo  iustam  fecit  victoria  causam. 

30    Purpura  fit  proprio  nimium  satiata  cruore, 

Et  soror  et  coniunx  Jovis  est  Juno  addita  Teucri>. 
Inviso  peior  succedit  saepe  tyranno 
Haeres,  et  veterem  vincunt  praesentia  ludum 
Crimina,  venturos  cumulat  fortuna  dolores. 

85    Inpia  barbaries  caecique  superba  nepotis 
Nescia  mens  veri.  Veneris  nmlcsana  libido 
Ambitione  nova  niniimn  vetitisque  Hymenaeis! 
Invidia  vexante  ducem,  superaret  avitum 
(Fata  vetent!)  facinus  (quid  non  sibi  dira  cupido 

40    Permittit?),  gelido  üavos  Aquilone  Boemos 
Armat,  et  bis  rosea  Titanis  iungit  in  ora 
Sarmatiae  claros  reges  Hunnique  ferocis, 
Principis  Austriacae  magni  quoque  Cassiomiri 
Progeniem,  gener  atque  adfinis  stemmatis  huius. 

45    (Ipse  sed  uxorem,  sacra  cui  dedit  unctio  nomen, 


9,  676  das  weibliche  Geschlecht;  canos  tinxit  =  und   die   Vermählung  seiner  Tochter   Elsa   mit 

färbte   die   grauen   Haare V        23   Heinrich   der  Ruprecht;   'nepos  (Georgii)   ex  sorore   et   gener 

Reiche  von  Landshut  hielt  Ludwig  den  Gebarte-  Rupertus,  pontifex  antea  Frisingensis'  nennt  ihn 

ten  in  Burghausen  gefangen,   wo  derselbe  1447  Aventin   im   Kalender  (35 — 37);   dann:    da   der 

im  Alter  von  81  Jahren  starb.    Hierauf  besetzte  Neid  Georg   antrieb,   die   Unthat   Heinrich   des 

Heinrich   Baiern -Ingolstadt.  35    So   glaube  Reichen   zu   überbieten  (38 — 39),   so   verschaffte 

ich  interpungiren  zu  sollen :  zuerst  ein  unwilliger  er   sich   viele   Bundesgenossen   (40 — 65) ,    damit 

Ausruf  über  die  Treulosigkeit  Georg  des  Reichen  Albrecht  der  IV.  von  der  Erbfolge  ferngehalten 


778 


Non  Cytherea  Venus,  divum  ceu  sacra  prophanus, 
Antiquos  veterum  mores  imitatus  avorum, 
Deserta  viduam  conclusit  adulter  in  arce, 
Dignam  connubio,   dignam  meliore  marito: 

50    Huius  erat  genitrix,  toto  qua  niaior  in  orbe 
Foemina  nulla  fuit,  Romano  sanguine  creta. 
Sextus  ab  Haynrici  numeratur  stipite  ramus. 
Septimus  Ausonia  fuerat  qui  Caesar  in  aula. 
Rex  quoque  frater  erat,  felix  diademata  regum 

55    Vidit  et  ipsa  trium  partu  regina  beatn 
Quos  peperit,  reges  licuit  sperare  nepotes). 
At  Venetos  dites  pluvio  sibi  destinat  austro. 
Hesperio  tepidus  qua  surgit  vesper  Olympo: 
Praecipitem   Rhodanum   Rhenique  fluenta  superbi 

60    Atque  Ararim  socio  perdentem  nomen  in  amne 
Et  tacitum   Matronam,  cuius  Sequana  nigris 
Tardus  adauctus  aquis  Nortmanni  fertur  in  aequor 
Teutonis  a  bimari  Cymbrum  regione  profecti, 
Protenus  averso  violenter  fönte  retorquens, 

65    Et  pecus  et  dominos  insanis  obruit  undis. 
Tantum  irae,  tantum  bilis  conceperat  atrae, 
Legitimos  solio  reges  turbare  paterno. 
Perpetua  at  mundi  series  maiorque  potestas 
Illusere  minas,  subito  repulere  nefandam 

70    Villi,  raptore  truci  tenebrosa  in  tartara  merso. 
Fit  gemitus;  terror  campani  personat  aeris. 
Ictibus  assiduis  horrendum  mugit  inane 
Mobile  pulsatum  longoque  volumine  tractum. 
Supremos  nondum  cineres  absconderat  urna, 

75    Nondum  animam  Maiae  praescripta  sede  locarat 


würde  (67).        46   Georg  der  Reiche,  vermählt  61   Caesurlose  Hexameter  kommen  in  diesem 

mit   Hedwig,    der   Tochter  Casimirs   von   Polen  Gedichte  Aventins  einige  vor;   vgl.  86,  98,  86$, 

nnd  Elisabeths,   Kaiser   Albert   des  II.    Tochter,  374,  396.    Der  Schluss  ist  regelmässig  d.  h.  nur 

hielt   diese   in   Burghausen   eingeschlossen,   wie  durch  Wörter  von  2  oder  8  Silben  gebildet,  und 

bei  Oefele  Script.  II,  568  Sunthemius  berichtet.  die  wenigen  Schlusswörter  von  4  oder  5  Silben 


779 

Filius  aut  virga  meritis  addixerat  umbris: 

Callidus  incautas  astu  gener  occupat  urbes 

Continuo  praesul  Boiorum  Phrysius  olini, 

A  requie  fracta  dictum  cui  nomen  adhaeret, 
80    Invisor  superum,  pacis  contemptor  et  aequi. 

Dum  sibi  spem  falsus  perituro  firmat  in  auro, 

Deminuit  vires,  invitat  praeda  latronem, 

Et  profugus  gladios  innoxia  vibrat  in  ora 

Ruris,  adusta  procul  villarum  culmina  fumant: 
85    In  lucos  fugitivis  squalent  arva  colonis. 

Fusilis  in  duplicem  decrevit  cantharus  ansam. 

Et  res  in  geminas  partes  diducitur  anceps. 

Victrix  causa  deis  placuit  rigidoque  Catoni, 

Addidit  invalidae  robur  sed  inertia  causae. 
90    Candida  mentitur  vultus  cerussa  venustos, 

Rugosamque  cutem  faciunt  caerometa  möllern, 

Unctus  et  ingrato  properat  sine  murmure  currus: 

Sic  etiam  (magnis  liceat  componere  parva) 

Mobile  funesto  semper  corrumpitur  auro 
95    Vulgus  et  incautum,  volucris  ceu  carmine  linguae 

Decipitur  blandae,  crassis  obtutibus  haerens 

Vertere  in  absentes  oculos  sortisque  futuras 

Atque  agilis  secretos  mentis  adire  recessus 

Nescit  et  arcanis  rationes  promere  rebus, 
100    Callidus  ut  varias  pictor  simulare  figuras. 

Mortales  caeci  fabro  peiore  creati 

Prima  quidem  laeti  coelum  clamoribus  implent, 

(Haud  aliter  quam,  si  ruri  conspectus  in  agris 

Forte  lupus,  serös  vicinia  tota  molossos, 

sind  Kigennamen  (37,  43,  183,  229,  275).       79 'Ru-  hat  zwei  Handheben"  scheint  soviel  zu  bedeu- 

pertus,  Georgii  gener,  pontifex  antea  Frisingen-  ten   als   87  'Jede   Sache   hat   zwei   Seiten*, 

eis,  vi  et  dolo  Landeshutam  . . .  occupavit'.  Aven-  89   ordne:  sed   inertia   addidit   robur    invalidae 

tin    im    Kalender.  Ruetprecht,    qui    ocium  causae.        91  d.  h.   ceromata.         100  'nt'  oder 

quietemque   frangit:   Aventin  Annalen   Buch  I,  lat"  ist  zu  schreiben  und  'est'  zu   ergänzen;   die 

S.  2i»,  19.         85   das  Feld   liegt  brach,   da   die  Handschrift  hat  'auf  und  'pictore'.       104  lupus 

Bauern  in  die  Wälder  fliehen.        86   'Der  Kessel  sc.    est;    serös    =    noctu;    oder    ist   'saevos'    zu 

Abh.  d.  1.  Cl.  d.  k.  Ak.  d.  Wiss.  XVII.  Bd.  III.  Abth.  101 


780 

105    Nomine  quenque  vocans,  praedonem  hortatur  in  unum), 

At  postquam  scopulis  abies  illisa  pependit 

Navis  et  humores  haurit  superata  nocentes, 

Stat  pecus  attonitum,  cupiunt  dare  vela  retrorsum. 

Coguntur  pavidi  cursus  iterare  relictos 
HO    Et  nimium  spretos  gaudent  contingere  portus. 

Instabilis  veterem  tollit  fortuna  favorem, 

Inclyta  et  infando  sordet  cognomine  virtus. 

Tanta  fides  vulgi,  tanta  est  constantia  plebis, 

Praecipue  fortis  bitiae  dum  pocula  libat. 
115    Quin  referam  pagi  ludibria  vana  iocosi  ? 

Venerat  ad  Ditis  proscripti  claustra  Ruperti 

Umbra  levis  precibus  quae  aditum  poscebat  amicis. 

Pallida  cui  Stygii  commissa  est  porta  tyranni, 

Et  genus  et  nomen  vitamque  priorem 
120    Portitor  inquiritque  Charon.  ubi  singula  dicta, 

cMaxima  venisti  Jovis  aequus  ad  atria  nostri* 

Janitor  'hospes*  ait  csine  fraude  doloque  maligno? 

Nota  fidem  faciat  securo  sponsio  tutam. 

Haud  alia  ad  manes  descendes  lege  profundos. 
125   Est  satis  (audisti)  Aleiden  timuisse  furentem; 

Aeneamque  pium  saevi  Hyppolitique  parentem 

Thesea  tartaream  audaces  turbasse  quietem/ 

lila  refert  contra:  cNulli  o  violanda  per  aevum 

Numina  mortali,  timidos  deponite  vultus. 
130   Debetur  vobis,  vestrum  est,  quodeunque  sub  orbe 

Nascitur  aethereo;  vos  mundi  vera  potestas." 

Vos  stabili  rerum  longissima  regna  tenetis 

Lege,  tarnen,  senior,  mi  sit  tua  certa  voluntas. 

schreiben?         114   d.  h.  viciae.         115    Näher  ausgefallen.         125    Zu   timuisse   ergänzt   mein 

liegt   es   zu  schreiben  'quid  referam',   als   quin  Freund   Meiser   me    und    verweist   auf    V.    129 

mit  'um  nicht'  zu  übersetzen.        116  cproscriptus  timidos    deponite  vultus    und  Servius    zu  Virgil 

Rupertus  cum   suis'  und  'in  Augusto  (19.)  Ru-  Aen.   6,  392    quando    Hercules    ad   inferos   des- 

pertus    cum    filio    Georgio    moritur   dissenteria  cendit,  Charon  territus  eum  statim  suseepit. 

Aventin   im  Kalender   a.    1504.         117   besser:  133   misit  M. 
preeibusque.         119    Ein  Wort,  wie  cposcit',  ist 


781 

Dives  Lethaea  residet  Georgius  aula. 
135    Inter  Germanos  sacro  ditissimus  auro 

Qui  fuit  ac  facili  Boios  ditione  beatos 

Pressit  et  ad  Stygias  fatis  urgentibus  undas, 

Heu  citius,  supera  nuper  correptus  ab  aura: 

Hunc,  precor,  admoneas  titulis  et  nomine  nostro, 
140    Creditor  an  genero  fido  charoque  nepoti 

Unus  adesse  velit.  superos  narrabo  relictos 

Tristitiamque  animi  grata  novitate  morabor/ 

Cardo  patet  facilis;  socer  est  et  avunculus  auctor. 

Sed  defuncta  brevi  fatum  comitata  mariti 
145    Uxor  adest,  quae  cum  nulla  mercede  recepta  est; 

Nee  vir  nee  genitor  voluit  spondere  rogatus. 

Ora  deae  summit,  facta  et  letalis  Enyo 

Tentat  pacatos  passim  fera  praelia  miscens 

Sollicitare  duces  sancitam  frangere  pacem. 
150    Caesaris  hos  magni  nunquam  contempta  potestas 

Inpune,  ante  diem  morti  devoverat  atrae. 

Sollicitae  curaeque  charae  natique  labores. 

Exitus  acta  probat;  dominae  contemptor  habenae 

Felici  raro  sua  claudit  funera  fato. 
155    Cura  deum  mundus;  Jovis  est  quaeeunque  potestas. 

Qui  sua  communi  mensura  vendere  poscit, 

Non  cupit  emptores  iniusta  fallere  libra. 

Est  locus  Almanno  Latus  notissimus  orbe 

Cladibus,  (Augustam  nostri  dixere  parentes), 
160    Qua  Lycus,  Hunnorum  maduit  qui  sanguine  Vinda, 

Vindelicus  Rhetho  qua  distat  flumine,  quaque 

Bellatura  suam  cogit  Germania  pubem. 

Sen^sibus  hie  imis  legum   veneranda  potestas 

Concilio  procerum   Romano  iure  peritis 

140   nepoti:   vgl.  zu  V.  86.         144   'Elsa  mori-      tentia   Augustae  pro   Albeito    quinto    Monachii 

tur   in   Septembri    (17)':    Aventin    im    Kalender       duce    data'    Aventin  im  Kalender   a.  1504;   vgl. 

a.  1504.        147    summere  schreibt  Aventin  häufig.       den  Einblattdruck  in  München  (Einbl.  V,  16  = 

152  curae  et  labores  nati  sunt.         158  'sen-      Weller  Repert.  301)  Roem.  küngl.  Majestät  ur- 

101* 


782 

165    Pluribus  est  versata  diu;  sed  iusta  triumphum 
Causa  dedit  iustum;  melior  sapientia  nunimos 
Vicit,  et  Alberto  consensit  curia  iusto. 
Mox  iuvenes  lectos  animosa  Suevia  mittit 
Coniurata  aniiuos  hostis  frenare  superbos. 

170    Vindelicis  iuncto  properavit  milite  Rhetus, 
Doctus  Amazonias  humero  librare  secures, 
Eminus  ut  dubium  nee  quiequam  tale  timentem 
Torta  teres  (callet)  subvertat   fraxinus  hostem. 
Noricus  Eoo  duplex  cum   Pannone  venit. 

175    Impiger  annosas  fagos  contempsit  et  Elsani 
Vitiferum  Tribochus  campique  reliquit  aprici 
Jugera,  Gallorum  pingui  madefaeta  cruore, 
Dum  furit  ingratus  Friderico  Caesare  Narbo 
Atque  Arelas  speetare  argentea  lilia  nummo. 

180    Nigra  sed  in  mortem  formata  est  luna  virilem, 
lila  Sigesmundus  commisit  regna  futuro 
Franeigenum  regi;  signis  Delphina  vocamus. 
Audax  flavorum  venit  genus  Usipiorum. 
Ferratas  acies  miratur  Neccare  Bacchus, 

185    Deseruitque  Rhenum  viridi  parvum  incola  valle. 
Ambiguus  siccam  Santho  despexit  arenam. 
Pauper  et  incomptus  torvo  cum  Hessone  über 
Francus  adest,  aquilas  primo  qui  funditus  oris 
Germana  Latus  pilo  virtute  refixit 

190    Signaque  perpetuas  Manni  Romana  parentis 

teil.         168  'Alberto    foedere   iuneti    erant   im-  dine  obruit  et  longe  pluribus  amissis  contrueidat, 

perii  cives ,    Wirtinburgensis    dux ,    landgravius  dumque  douium  reduces  Galli  repetunt,   a  Sile- 

Hassiae,   qui  muletavit   Rbenum;  opj)ida  Hasso  stadiensibus  gravi  c] ade  adfecti  sunt.       181  Vgl. 

omnia  combussit.     Caesar  Hagenau  imperio  re-  Annal.  Buch  II,  142,29  regnunf  Arelatense,  nunc 

cuperavit'  Aventin    im    Kalender   a.  1504;   vgl.  Delphinatus,  Carolus  IV,  filius  eius  Segimundus 

den  Einblattdruck   in   München  'Vermerckt  die  primogenito    regis    Francorum    dono    dederunt. 

hilf    herezog    Albrechten    und    h.   Wolfgangen  codicillos   et   tabulas    legi   Lutetiae   Parisiornm 

v.  bairn  zu  gut'.        178   Zu  vergleichen  scheint  (a.    1503).         187    Die    Hscht.    hat   'incompto', 

Annal.   VII,   523,  23    Litavicus    delphinus    cum  dann   nach   einer  Lücke  cvo'.         188   d.  h.    qui 

Armeniacis  et  Delphinis   Elisatium   intrat,    Sui-  primo  pilo  (Allen  voran)  Germana  virtute  aquilas 

tonum  cohortem,   non  tarnen   inultam,   multitu-  Latus  oris  funditus  refixit  et  signa  Romana  ad 


783 

Atque  Tuisconis  supplex  suspendit  ad  aräs. 

Cum  Belgis  Celtas  Almannae  subdidit  aalae, 

Ausonio  Galli  maduerunt  sanguine  campi. 

Hoc  vocat  imperium  Francorum  Gallica  rura 
195    Francigenasque  suos  adsertor  Teuto  nepotes. 

Fulgentes  armis  equites  venere  Cherusci, 

A  quibus  Augusto  respublica  Caesare  magnum 

Accepit  vulnus:  triplici  legione  perempta 

Cum  duce  Plutonis  stiparunt  atria   mortes. 
200    Cum  Tungris  Sorabes  festinavere  Salonae. 

Altus  amor  recti.  magnaa  respectus  honesti 

Omnibus,  ingenuus  praodonis  fastus  iniqui 

Nee  mansura  diu  invitis  possessio  divis 

Barbara  tantuni   animos  movit;   mens  omnibus  una 
205    Justitia  stabili  fidei  duce  et  auspice  sacro 

Propulsare  nefas,  ferro  rescindere  acuto 

Foemineum  dedecus,  facinus  muliebre,  Leoni 

Rhenano  digitis  cornu  resecare  protervuni 

Et  caveae  clatros  rhombia  signare  vetustis. 
210    Sed  Ducis  Alberti  probitas  super  aethere  nota 

Casibus  et  subitis  rerum  prudentia  velox, 

In  sua  seeptra  solo  Boium  meliore  redacto, 

Postquam  est  et  clypeis  exuta  Boemia  pictis, 

Innocui  sortem  populi   miserata  malignain. 
215    Militibus  tantum  bonitas  lieuisse  perosa : 

Perpetuae  mites  pacis  divertit  ad  artes, 

aras  Manni  suspendit.      202  ingenuos  M,  welche  Fusi  Hoenii  prope   Ratisbonam  a  Caesar«  Maxi* 

NoiniiKitivtonii   ich  Aventin   nicht   zutraue.  niiliano'  Aventin  im  Killender.    Diesen  Sieg  hat 

VJU*    Dem   rheinischen   Löwen    die    mit   Krallen  Celtes   in   einem   Musenspiel  gefeiert,    das  1504 

üppigen  Ballen   zu   beschneiden  und  das  Gitter  zu  Wien  deklamirt  wurde.   Auf  dem  vorgesetzten 

des    Käfigs    mit    den    altbairischen  Wecken    zu  Holzschnitte  'Strategemi    regram    contra    Boe- 

versiegcln.     'Leo   lihenanus   domitus  a  Caesare'  mannos   tragen  nur  die  Böhmen  grosse  Schilde 

Aventin   Kalender  a.   1504.  20!)   clatres   M,  und   im   Texte  werden  sie  genannt  'gens  clypi- 

doeh   caveae .  .   clathros   Horaz  Ars   P.  473.  feris   male   sana   in   armis'.     Demnach   galt   es 

212  vgl.  den  Kalender  in  Werke  I,  S.  661,  18 — 19,  als  sonderbare  Eigenthümlichkeit  der   Böhmen, 

wo   Z.  17   in  der   ersten   Abschrift  'Vilispirom'  dass  sie   sich    noch   der  Schilde    bedienten. 
(Vilsbiburg)    steht.          213    'Sept.    12   a.    1504 


784 

Maior  et  exiguis  cessit  victoria  nummis. 

Quae,  nisi  vana  fides  vatum,  meliore  sonori 

Nominis  auspicio  semper  fataliter  haeret. 
220    Rhene,  quid  insanis.  alienas,  improbe,  rippas 

Inpetis  et  domino  cupis  esse  iniurius  Hystro? 

Bavvarae  Abudiaco  vetus  extat  regia  gentis: 

Te  rnoveat  pietas,  nostris  es  fontibus  ortus. 

Noricus  austriacis  Isarus  te  sustulit  undis. 
225    Jam  tibi  parce,  precor.  tellus  diis  sancta  supremis 

Bavvara.  conversa  nocuit  sibi  fraude  voluptas. 

Semper  ab  excelso  venit  victoria  coelo 

Principibus  Bois,  patrum  tutella  nepotes. 

Laudabunt  alii  claram  Rhodon  aut  Mytilenen 
230    Albanosque  patres  atque  altae  moenia  Romae, 

Dura  licet,  patriae  celebremus  nomina  terrae 

Laudibus  exiguisque  feremus  ad  astra  parentes. 

Gratus  ad  Albertum  descendet  carmine  vates 

Et  calamo  rerum  properabit  carpere  summa. 
235    Si  superos  hedera  tempus  vinxisse  iuvabit 

Castalidumque  gregem  lauro  donasse  virenti 

Et  sinet  exilis  casa  paupertasque  maligna 

(Antra  Camoenarum  tenui  sunt  clausa  poetae) 

Spiritus  ante  diem  fragiles  nee  deseret  artus: 
240   Maior  ab  aeternis  nascetur  gloria  Musis 

Et  maiora  dabunt  maiores  carmina  vires. 

Nanque  sacro  nusquam  Phoebus  deest  rite  vocanti 

Numine  tarn  praesens;  faciles  pietate  coacti 

Ingenio  superi  tribuunt  sua  munera  pigro. 
245    0  tantum  illa  dies,  quae  nil  nisi  corporis  huius 

Jus  habet,  expectet,  quantum  sat  facta  tuorum 

Dicere :  perpetuas  aequabunt  carmina  laudes. 

Haec  scripta  interea  Musis  et  Apolline  nullo 

Carmina  certa  pii  reverenter  pignora  sunto. 

217    d.  h.    exiguis   divitiis   Alberti.       218    d.  h.         bei  Kelheim.       232  d.  h.  mit  unserm  schwachen 
quae    sequitur    nomen   sonorum.       222   Abach        Lobe.       244   ingenuo   M.       249   d.   h.   pietatis 


785 

250    Fortis  ab  Almanno  ducens  genus  Hercule  darum 

Hercyniae  saltus,  genitorem,  flumina  liquit 

Cum  iuvenum  lecto  superans  examine  fauces 

Danubii  Theodo.  Latium  concusserat  orbem. 

Clara  viri  soboles  fatis  maioribus  aptus 
255    Thessolo  Romanos  victricibus  exuit  armis, 

Et  liquidas  rutilo  tinxerunt  sanguine  rippas 

Apsus  et  Ausoniis  demissus  ab  Alpibus  Oenus. 

Norica  quae  quondam,  depulsis  terra  colonis, 

Bavvara  dicta  fuit,  penitus  quod  faucibus  imis 
260   Verba  trahens  oris  vasto  producit  hiatu. 

Unde  caput  gentis  facto  cognomine  dixit 

Hos]>es  Hiantopolim  Latius,  quam  cardine  verso 

Forte  Ratispontem  mutata  voce  vocamus. 

Nobile  Francorum  meruit  victoria  sceptrum. 
265    Magna  quod  Ausonii  Germania  libera  semper, 

Aerius  Arsacidum  regno  Parthique  ferocis, 

Inperii  repulit  vires  alto  obiiee  Rheno 

Danubioque  vago  (peregrinus  quatenus  onus 

Claudit  et  Euxenio  mutat  septemfluus  undas 
270    Aequore  Romanos  riserunt  arva  minaces), 

Francia  mutato  veteri  cognomine  facta  est. 

Magnus  in  Almanna  regum  fortissimus  aula 

Carolus  unde  satus  Germano  semine  surgit 

meae.  251    flumine    M.         257    Apsus,    die  plaribus  literis  legibus   tabulis  invenio.  semper 

Abens.        258    In   den   Annalen   von   1511   (im  Boioarios,  aliquando  et  Boiarios   scriptum  lego. 

Besitze  des  Freiherrn  E.  v.  Oefele,  vgl.  oben  748)  In  bibliotheca  annalibusque  Regioburgorum  tradi- 

hat    Aventin     nachträglich    im   Anfange    diese  tur,   eam   urbem  Gynostadium   hoc   est  Hiatus- 

3   Verse    258  —  260   an    den    Rand    geschrieben  polim  oppidanosque  Wawaros   quondam   cogno- 

nebst  einer  Note  über   den   Ursprung  des    Na-  minatos    esse    ob    hiatum    oris    hiulcamque    ac 

mens    Bavarus ,    welche    zur   Erklärung    dieser  barbaram  praeeipue   duarum   particularum  Wie 

Verse   und   zum   Vergleiche   mit   Aventins    spä-  Wo   pronunciationem,   id   quod   nostro  aevo   in 

teren  Ansichten   (Ann.  Buch  I,    S.  34)  dienlich  ea  urbe  crebrum  est.  ita  certe  Wawariae  voca- 

ist :  Quomodo  a  veteribus  Bavari  adpellati.   Ba-  bulum  in  monumento  divi  Hemerami  insculptum 

varus  nomen  futile  ac  vanum,   semidocto   vulgo  videmus.         266   feroeeis  M;    Germania   repulit 

protritum,  nee  latinum  nee  germanicum,  recens  vires  acrius  quam  regnuin  Arsacidum.      270  arva 

est   nuper   ab   imperitis  usurpari  coeptum.  nus-  riserunt  =  nationes  contempserunt. 
quam  apud  veteres,   nusquam  in  vetustis  exem- 


786 

Et  duo  Bavaricae  praesentia  numina  terrae 
275    (Sancta  Radesbonnae  monstrantur  Mausolaea): 

Regius  Arnolphus,  magni  quoque  frater  Othonis 

Haimricus,  tumidas  Hystri  quem  fecit  ad  undas 

Francorum  primi  Chunradi  filia  regis 

Gentili  faustum  nato  generosa  parentem. 
280    Qui  procerum   primus.  tanti   non  Hominis  haeivs. 

Francophora  fasces  suscepit  sorte  Latinos. 

Omnipotens  iustos  meruit  fortuna  triumphos: 

Appula  cum  Daunis.  Calabri  loca  culta  Galaesi 

Sycanias  urbes  Ethnaeaque  regna  Pelasgis 
285    Abstulit  ac  dictis  iussit  parere   Latini. 

Albis  ubi  magnus  saevit,  (quo  Limite  beilax 

Semper  in  ambiguas  scissa  est  Germania   partes), 

Cominus  est  Getici  perpessus  frigora  coeli; 

Victor  et  in   Biedio  posuit  tentoria  campo, 
290    Vistula  qua  lentus  rapidusque  Suevus  oberrant. 

Pannonas  inmites  demissa  grandine  coelo 

Terruit  et  domitos  Romana  lege  coegit. 

Ilujribus  a  Scythiae  profugos  Hunnosque  palantcs 

Summovet  atque  statas  compellit  figere  sedes, 
295    Calvus  ubi  late  sinuoso  flexus  in  austrum 

Caecius  anfractu  socio  curvatur  ad  Eurum 

Danubio  (Augustae  procerum  fortissimus  aulae 

Suscipit  Albertus  gentis  genus  unde  vetustum 

Austriacae),  Phoebi  radiis  quae  matutinis 
300    Proxima  Teutonico  signata  est  meta  colono. 

276   Aventin  ( Werke  J,  129):  Arnulphus,  herzog  ist  sowohl  der  Grossvater,    der    Kaiser,   als   der 

in  Bairn,  937,  ligt  zue  Regenspurg.       276 — 278  Vater  begraben;  vgl.  Aventins  Werke  I,  129. 

Hier  hat  Aventin,  wie  ich  glaube,  zwei  Heinriche  277   Aventin   Annal.  Buch  V,   S.  26:   natus  est 

noch  zusammengeworfen,  welche  er  später  richtig  —  Heinricus  imp.  —  Abudiaci  (vicus  est  et  arx 

unterschied;  vgl.  z.  B.  Ann.  Buch  V,  S.  26,18:  Boiariae  inferioris  in  ripa  Danubii).        284  d.h. 

Divus  Honoricus  secundus   imperator  Pius  felix  Aetnaeaque.  285    Latinix?  290    Aventin 

caesar  augustus  regulus  Boiorum,  filius  Honorici  Ann.   Buch   I,   46    Gutallus,    qui    et   Suevus    et 

secundi   et   Gisalae,   filiae  Chunradi   regis  Bur-  Odera.       295    Annal.  IV,  p.  450 :  supra  Caecium 

gundionum,    nepos  Honorici   primi,    fratris   ger-  montem,    qui    Calvus    (Kahlenberg)   est,   reperio 

mani  imperatoris  Otonis  Magni.    In  Regensburg  Hunniam  proprie  nominari,   infra   Avariam. 


787 

Innumeros  taceo;  tenui,  die,  tibia  flatu. 

Die  Hludvicum  atavum,  felicis  gnata  Rudolphi, 

(Qui  tumidos  iusto  devicit  Marte  Boemos 

Caesar  et  Austriacae  reparavit  stamina  gentis), 
305    Quem  peperit.  dominae  maior  qui  gloria  Romae. 

Legibus  augustis  firmans  populariter  orbem. 

Inperiosa  senis  violenti  fortiter  ora 

Fert  hylaris;  tumidas  fregit  dementia  bullas. 

Pannonas  edomuitque  ferum  Rhenique  leonem 
310    Egit  ad  extremos  fugitivum  enare  Britannos; 

(A  victore  duplex  suseepit  Saxone  nomen 

Anglia  cum  Pictis  tellus  divisa  colonis). 

Quid  patrem  Albertum?  cui  cinetus  ubique  uivosis 

Montibus  Hercyniae  pugnax  diadema  Boemus 
315    Detulit  et  solio  dignum  meliore  probavit; 

Sed   pia  nobilitas  non  capta  cupidine  caeco 

Se  speetans  vicit,  tenui  prudentia  regnat. 

Itarior  aeternam  peperit  victoria  famam. 

Cliara  duci  soboles,  genitorem  nomine  maior 
320    Victrici  referens,  (praestanti  corpore  vires 

Pectoris  ingenuas  iunxit  Venus  alma  nepoti; 

Non  speciem  fallax  peregrinam  foenerat  auruni). 

Dum  iuvenis  dulces,  rerum  meliora  secutus, 

Inlecebras  patriae  linquit,  non  degener  agris 
325    Incubuit  notis,  excelsas  ocyus  Alpes 

Nobilitas  superans.  sapientis  tendit  ad  urbes 

Italiae  eultas;  duplicem  seetatur  Ulyxem. 

Sanctus  Aventino  iuvenem  de  colle  Senatus 

Extulit  et  dominae  decoravit  gratia  Romae. 
0    Unde  sacras  patriam  secum   deduxit  ad  urbeni 

308   Annal.    VII.    888,  26:    Mathylda  (Rudolphi  327  vgl.  Avoiti»  Anna!.  VII.  530  'Nicolaus  Cusa 

iinp.  filin)    peperit  Litavicum   IV   Caesarein  au-  Alberto,  parenti  heroum  nostrorum,  tum  in  Italia 

gustuin,  unde  Originell]  paternam  daetmt  nostri  et  Romae  literis  studenti   opus   de   globo  dedi- 

regali  305    =    qui,    major    <jlori;i    dominae  ravit'.     Chronik   im   "Ende  'Albrecht . .    war    der 

Homae,    fert.         308    tumidos    \1.         315   vgl.  lateinischen  Sprach  vor  andern  teutschen  fürsten 

Chronik  VIII,  S.  572.        317  d.h.  tenui  loco.  wol    kündig.      Man    hat    in   für   den    witzigsten 
Abh.  d.  I.CI.d.k.  Ak.  ,1.  Wiss.  XVII.  Bd.  111.  Al.th.  102 


788 

Pyerides,  aris  Phoebum  temploque  dicavit, 

Herculeos  comites,  magnarum  numina  rerum. 

08  tenerum  Clio  culto  sermone  figurat, 

Scabricie  linguam,   dentes  rubigine  purgat. 
335    Euterpe  vacuo  tenuis  quae  notio  spectro 

Conponit,  penitus  sensu  sie  exuit  omni 

Et  duplici  metas  inquirit  calle  latentes. 

Fecundo  memori  iungit  Polymneia  vultu 

Connubio  sacris  numeris  dominantia  verba, 
340   Ore  regit  populum,  dictis  et  pectora  fingit. 

Ut  solet  indomitum  magnetis  carmine  ferruni 

Omnipotenti  trahi,  domino  velociter  haeret 

Quodque  suo,  celeris  damnat  plebs  inscia  cursus. 

Melpomene  Samiis  abacos  onerasse  figuris 
345    Gaudet  et  humores  rimoso  condere  cribro. 

Omnia  posthabet,  ut  numeris  conponat  Olympum. 

Terpsichore  gemino  Septem  discrimina  vocum 

Parnasso  condit,  plausus  imitata  sororuni: 

Et  8pacium  numeris  signans  arguta  sonoris 
350    Doria  separat  a  Phrygiis  et  Lydia  miscet. 

und  weisisten  fürsten  im  teutschen  Land  gehal-  Muse  von  der  Philosophie.  Darnach  sind  Aven- 
ten.  332  Herculeos  comites,  nicht 'Herculeas',  tins  Worte  vielleicht  so  zu  deuten:  E.  erfasst 
da  auch  Phoebus  mitgerechnet  wird.  '■•'■'>■> — 377  das  flüchtige  Wesen  der  unfaßbaren  geistigen 
Die  Namen  und  die  Geschäfte  der  neun  Musen  Vorstellungen  (Phantasiebilder),  löst  von  allem 
sind  schon  von  den  antiken  Dichtern  und  Kunst-  Sinnlichen  los  und  erforscht  geheime  Dinge  auf 
lern  verschieden  ausgetheilt  worden.  Leider  zwiefachem  Wege  (der  reinen  und  der  Natur- 
konnte ich  nicht  finden,  welcher —  wahrschein-  philosophie).  338  Die  Poesie?  Polymnia,  be- 
lich  modernen  —  Darstellung  Aventin  hier  ge-  gabt  mit  gedächtnissreichem  Blicke,  bindet  zu 
folgt  ist.  Jene  Lehre  von  der  Musik  des  Welt-  fruchtbarer  Ehe  gebietende  Worte  in  heilige 
alls,  der  Harmonie  der  Sphären,  welche  beson-  Rythmen  (d.  h.  der  Text  ist  die  Hauptsache, 
ders  bei  Martianus  Capella  Buch  II,  §  117 — 126  die  Melodie  Nebensache).  Wie  der  Zauber  des 
mitspielt,  klingt  auch  hier  durch.  333  ge-  Magnets  Eisen  fesselt,  so  hält  sie  die  Menge 
schrieben  ist  in  der  Zeile  latio,  darüber  culto  M.  von  unbedachtem  Handeln  zurück.  344  Die 
334  scabriciae  M ;  vgl.  über  diese  Reinigung  höhere  Mathematik.  Sie  bedeckt  Tafeln  mit 
des  Mundes  Martianus  Cap.  §  226.  335  'Eu-  pythagoreischen  Figuren,  kann  Flüssigkeiten  in 
terpe  gestaltet  im  wesenlosen  Scheine,  was  duf-  einem  Sieb  festhalten  und  die  Himmelsräume 
tiges  Bild  ist,  so  beraubt  sie  gänzlich  allen  berechnen.  346  conponit  M.  347  Die  eigent- 
Sinnes  und  sucht  auf  zwiefältigem  Pfad  (Doppel-  liehe  Musik.  Auf  den  zwei  Höhen  des  Parnass 
flöte)  verborgene  Ziele  (Wirkungen)  zu  erreichen'  lauscht  sie  auf  die  Gesänge  der  Schwestern, 
Traube.     Bei   Capella  II,  §.  125   handelt   diese  unterscheidet  die  7  Töne  und  die  verschiedenen 


789 


Ipsa  graves  primum  monachi  resonare  peduin  vi 
Nervös  et  peregrinas  distraxisse  per  urbes 
Edocuit  vacuasque  argenti  inflare  cicutas 
Ignotos  cantus,  qui  solo  Caesare  digni. 

365    Utilior  cunctis  elementa  Thalia  Camoenis 

Commodat,  omne  suis  speculis  mensurat  et  umbra 
Instituitque  globuui  manibus  parere  peritis. 
Cuncta  probans  mentem  sibi  consentire  superbam 
Cogit  et  a  propriis  inimicus  luditur  arniis. 

360    Terapla  deum  certo  lucentis  Urania  arces 
Describit  radio  varios  coelique  labores 
Spectat  et  humanoe  casus  solatur  ab  astris 
Aetheris  antiquos  renovans  post  saecula  mundos. 
Sublimes  Herato  rutilanti  vertice  tangit 

365    Ignes,  sed  medio  figit  sub  pondere  plantain : 
Quis  volucris  pigruni  stabili,  scrutatur,  Olympi 
Lege  polum  vertat,  speciosa  singula  niente 
Quisquis  continuet,  tristisve  Diespiter  alto 
Nubila  concutiat.  nubes  sie  igne  chorusco 

370    Dividat  atque  cavas;  cum  terris  aethera  miscet, 
Secernens  dominis  moriturum  sensile  divis; 
Quicquid  agit  toto,  spectat,  rex  Juppiter  orbe. 
Optima  Calliope  mortales  temperat  actus. 


Tongeschlechter.       351  Aventin  Annal.  Buch  III,  las^ung  ist  Thalia  auch  hier  als  Muse  des  Schau- 

S.  404,  20:  Constantini  Copronymi  imperatoris . .  spiels    geschildert:    Nützlicher   als    die    andern 

ad   Pipinuiu    Humus:    organon.    cicutis   ex   albo  Musen  verbreitet  Thalia  die  Bildung  und  misst 

plumbo  conpactum  est,  simul  et  follibos  intlatur  alles  in  zutreffendem  (suis)  Lichte  und  Schatten- 

i't    liianuum    pedumque    digitis    pulsatur.     lSie  bild  und  lehrt  die  Welt   sich    lügen   erfahrener 

lehrte  zuerst,   starke  Saiten  (am  Pedal)  ertönen  Hand.     Da  sie  alles  aufweist,   zwingt  sie   über- 

zu  lassen  unter  dem  kräftigen  Kusse  des  Mönches,  mütliigcn  Siinn    ihr  beizupflichten  und  (so)  wird 

sie  in   fremde  Städte  zu   verbreiten   und  hohle  der  Böse   mit   eigner  Waffe  geschlagen.     Diese 

Silberröhren  zu  erfüllen  mit  nie  gekanntem,  nur  Erklärung  hat  mich  nicht  befriedigt;   vielleicht 

des   Kaisers   würdigem   Behaue*.               I    vanos  ist  doch  an   eine   mathematische  Disciplin,  wie 

argentique  M,  variasque  schrieb  Traube  in  Hin-  die  Geometrie,  und  an  Kunststücke,  wie  die  des 

blick    auf   die    verschiedene   Grösse   der   Orgel-  Archimedes,  zu  denken.        360  Astronomie, 

pfeifen;  ich  zog  vacuasque  vor.    Vgl.  Lucrez  V.  364   Physik.         365    aber  ihre  Sohle  heftet  sie 

1379  Zephyri  . .  ribila  .  .  Agrestes  docuere  cavas  auf  die  in  der  Mitte  befindliche  Erdenmasse. 
inflare  cieutas.        355 — 359   Nach  Traube's  Auf- 


790 


Ipsa  sui  spectatrix,  vultu  semper  eodem, 

375    Laeta  sibi,  summam  censet  doluisse  malorum 
Seque  polo  dignam  fingens  virtutibus  ambit 
Imperiosa  deum  atque  animis  coelestibus  infert. 
In  medio  recubans'  divinum  conspicit  orbein 
Phoebus  et  aetbereos  inspirat  in  arte  furores 

880    Magnanimosque  duces  factis  extendere  famam. 
Principis  Alberti  tantis  formata  magistris 
Haesit  ubique  comes  pietas  generosa  parenti. 
Lcniter  et  viduani  Boium   nutrivit  in  oris. 
Fraternos  niitis  tribuit  prudentia  fasces. 

385    Et  misero  facilis  dementes  commodat  aures, 

Semper  ubique  suis  praesens,  non  scriba  potentes 
Vexat  avarus  opes;  dotales  non  habet  arcas 
Maior  amica;  deum  non  auspex  com  parat  aras 
Foedus  adulterio.  (mystae  sibi  cuncta  raperbi 

390    Indulgere  solent;  vertunt  in  Candida  nigrum). 
Nata  domi  sordent;  Scythicis  celebratus  ab  arvis 
Princeps  Albertus,  procerum  meliore  senatu 
Nobilior,  tenui  vixit   prudenter  in  aula, 
Pectore  non  lnunili  sortem  perpessus  atramque. 
(Difficile  non  est  sapienter  vivere  magnis 
Divitiis;  inclusam  possidet  arca  Minervam). 
Sancta  duci  coniunx  Augustis  edita  divis 
(Est  scelus  infami  castos  laudarier  ore 
Mores):  fatalis  vivunt  concorditer  annos 

400    Et  ducibus  Boiam  replent  feliciter  aulam. 
Non  alias  voluit  deus  et  fortuna  coire 


374  Philosophie?       378  orbem  d.h.  der  Musen.  Herrschaft.        388   Diese  Erbitterung   über  die 

380  vielleicht  ist  hier  ein  Vers  ausgefallen.  verdorbenen  Sitten  der  Geistlichen  drückt  Aven- 

383    Aventin   Chronik  VIII,   596:    Anna   von  tin   in    seinen    spätem   Schriften  immer  stärker 

Braunschweigk,  so  ain  lange  zeit  hernach  gelebt,  aus.     Conrad  Celtes   hatte  die  gleiche  Ansicht, 

zu  Münichen  gehaust  hat  und  gestorben  ist.  397  'uxor  Kunegundis,  filia  Friderici  et  Leo- 

384  Albrecht  hatte  anfänglich  wegen  der  Herr-  norae    Caesaris    et    soror    Maximiliani    Cuesaris 

schaft  ziemlich  viele   Streitigkeiten   mit  seinen  ingressa  est  coenobium'  Aventiv  im  Hauskaien- 

Brüdern;    a.   1467    überliess    ihm    Sigmund    die  der  a.  1508.        401  vgl.  V.  1— 5.  Mit  der  V  nter- 


791 


Norica  regna  sibi.  ßoio  sub  praeside  tali 

Saecula  neverunt  Parcae  meliora  peractis; 

Largior  et  cupidi  satiatis  undique  votis, 
405    Tempore  quae  longo  fruges  inviderat  agris, 

Agricolae  pleno  respondet  Copia  cornu. 

Mitior  aethereos  animat  modo  Spiritus  orbes. 

Martia  cum  Phrygiis  alternant  Doria  Musae 

Atque  pii  sacro  recinunt  Helicone  poetae, 
410    Norica  dictatis  comitantur  saxa  iocosis: 

"Maximus  Albertus  numerosa  prole  beatus 

Nestoreos  videat  felix  cum  coniuge  soles 

Et  soboli  rerum  generosae  tradat  habenas." 

Divo  Maximiliano  a  Deo  Coronato   imperante  aerae  Christianae 

anno  MDVII. 

Ad  patrios  Norici  Apsi  tumulos  cecinit  Joannes  Aventinus. 

Exacuat  radios  Phoebi  dum  Syrius  ardens 
Atque  calor  uimius  corpora  nostra  gravat. 


.schritt  Tgl.  die  oben  (S.  747)  eitirte:  Joannes       'Exacuat   etc.':    AvenHn   im  Kalender:    a.  1507 
Aventinus   cecinit  a.    1508  divo   Maximiliano  a      Juni  Abensperg;  Juli  Abensperg.      ExacuitV 
deo  coronato  teliciter  imperante.       Unterschritt 


o 


5JNDINGSECT.  0CT9   1973 


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182  Munich.     Philo sophisch-Hi sto- 

M8175  rische  Abteilung 

Bd. 17  Abhandlungen 


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