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Full text of "Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften in Berlin"

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Abhandlungen 


der 


Königlichen 


Akademie der Wissenschaften 


zu Berlin. 


1869. 


——aHDD>— 


Abhandlungen 


399 der 


Königlichen 


Akademie der Wissenschaften 


zu Berlin. 


=muunenooene 


1863. 


z=—uauauau—nanananannnennıın 


Berlin. 


Gedruckt in der Druckerei der Königlichen Akademie 
der Wissenschaften. 


1864. 


In Commission bei F. Dümmler’s Verlags -Buchhandlung. 


Harrwitz und Gossmann, 


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Inhalt. 


Historische Einleitung . » » 2.2... 
Verzeichnils der Mitglieder und Correspondenten 


H 


Er: Physikalische Abhandlungen. 
ETERS über die Säugethiergattung Solenodon. (Mit 3 Tafeln) 


ve. Rose: Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten auf Grund der Sammlung 


im mineralogischen Museum zu Berlin. (Mit 4 Tafeln) 


je Mathematische Abhandlung. 
HAGEN über die Wärme der Sonnenstrahlen . 


Philologische und historische Abhandlungen. 
eine. Friederich der Grolse und sein Grolskanzler Samuel von 
Cocceji. Beitrag zur Geschichte der ersten Justizreform und 
: des Naturrechts . 1% Sl Da ONE 
een Die Gehöferschaften (Erbgenossenschaften) im Regierungsbezirk Trier 
VPeERTZ über die Berliner und die Vaticanischen Blätter der ältesten Handschrift 
‚ des Virgil. (Mit 3 Tafeln) Br: 
om. Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets . 
ViWerzstein: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, gesammelt auf 
Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. (Mit 
1 Tafel) . ET WEN OO OR 
Buschmann: Das Lautsystem der sonorischen Sprachen. (Erste Abtheilung der 
p Grammatik der vier sonorischen Hauptsprachen) . 
vMonmmsen: Zwei Sepulcralreden aus der Zeit Augusts und Hadrians . 
VGeruARD über den Bilderkreis von Eleusis. I. . . 2.2.2.0. 


nun mann 


Seite 


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IX 


417 


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369 


491 


Jahr 1863. 


An 29. Januar beging die Akademie der Wissenschaften den Jahres- 
tag des Königs Friederichs des Zweiten durch eine öffentliche 
Sitzung, in welcher der an diesem Tage vorsitzende Sekretar Herr 
Trendelenburg die in diesen Band der Denkschriften aufgenom- 
mene Abhandlung „Friederich der Grolse und sein Grolskanzler 
Samuel von Cocceji. Beitrag zur Geschichte der ersten Justizreform 
und des Naturrechts’ der Akademie vorlegte und den Inhalt der- 
selben in eine Skizze zusammendrängte Nachdem hierauf derselbe 
Sekretar den Statuten gemäls die letztjährigen Personalveränderungen 
bezeichnet hatte, gab er über die Humboldtstiftung die jährliche 
Nachricht, welche in die Monatsberichte der Akademie aufge- 
nommen ist. 

Am 26. März hielt die Akademie zur Nachfeier des Geburts- 
tages Sr. Majestät des Königs eine öffentliche Sitzung. Der an diesem 
Tage vorsitzende Sekretar, Herr Haupt, eröffnete die Sitzung mit 
einleitenden auf die Feier bezüglichen Worten und gab dann in 
dem Jahresberichte über die Arbeiten der Akademie ausführliche 
Rechenschaft von dem akademischen Unternehmen des Corpus in- 
seriptionum Latinarum. Herr Mommsen schlofs die Sitzung mit 
dem Vortrag einer Abhandlung über die ständischen Unterschiede 


im römischen Freistaate. 


Am 2. Juli wurde die öffentliche Sitzung zur Feier des Leib- 
nizischen Jahrestages gehalten. Der an diesem Tage vorsitzende 
Sekretar Herr Ehrenberg leitete die Sitzung mit einigen den Leibniz- 
tag charakterisirenden Worten und einem Vortrag ein, über das 
unsichtbar wirkende Leben im Mittelmeere und in den sich an das- 
selbe ostwärts nach Central-Asien hin anschliefsenden Meeren und 
Seen. Die Monatsberichte enthalten einen Auszug. 

Hiernächst verkündete derselbe Sekretar, dals die 1860 für 
das Jahr 1863 aufgegebene Preisfrage, die Entwickelungsgeschichte 
der Entoconcha mirabılis betreffend, zwar ohne Bewerber geblieben, 
dals aber Beiträge zur Lösung derselben der Akademie vorgelegt 
worden seien, welche 1862 in den Monatsberichten gedruckt worden. 
Die neue aus dem von Cothenius gegründeten Legat gestellte 
Preisfrage der physikalisch-mathematischen Klasse für das Jahr 
1866 lautet: Unter den unorganischen Stoffen, welche die Vegeta- 
bilien dem Boden, auf dem sie wachsen, entnehmen, ist die Kie- 
selsäure ein sehr wichtiger. Sie macht den Hauptbestandtheil in 
manchen Theilen von GCulturpflanzen aus, wie in den Stengeln der 
Getreidearten. Es ist daher von grolser Bedeutung, dals die Kiesel- 
säure den Pflanzen so dargeboten wird, dals sie dieselbe leicht auf- 
nehmen und assimiliren können. Wir kennen die Kieselsäure in 
zwei Modificationen, die sich wesentlich durch specifisches Gewicht 
und chemische Eigenschaften unterscheiden. In der Natur findet 
sich vorzugsweise nur die eine Modification derselben, die krystalli- 
nische, welche sehr schwer durch Reagentien angegriffen wird, und 
eine grölsere Dichtigkeit besitzt, als die zweite Modification, die 
amorphe Kieselsäure, die weit weniger den Einwirkungen der Rea- 
gentien widersteht. Diese Modification findet sich indessen nur aus- 
nahmsweise in der Natur. Man hat bei der Bereitung der künst- 


lichen Düngerarten die Kieselsäure zu wenig berücksichtigt; es scheint 


III 


aber der Akademie von Wichtigkeit zu sein, diesem Gegenstande 
mehr Aufmerksamkeit zuzuwenden. Sie wünscht daher eine um- 
fassende Arbeit über den Einflufs der beiden Modificationen der 
Kieselsäure auf die Vegetabilien. Die Arbeit muls eine Reihe von 
vergleichenden Versuchen umfassen über das Wachsen gewisser 
Vegetabilien, namentlich der zu ihrer Existenz viel Kieselsäure bedürf- 
tigen Getreidearten, in emem Boden von bestimmter Zusammen- 
setzung, der aufser den andern zur Nahrung der Pflanzen noth- 
wendigen Bestandtheilen bestimmte Mengen von der einen oder der 
andern der beiden Modificationen der Kieselsäure enthält. Man kann 
zu den Versuchen einerseits sich eines reinen Sandes bedienen, der 
von fremden Bestandtheilen durch Säuren vollkommen gereinigt, und 
dann fein pulverisirt worden ist, oder des fein zertheilten Feuersteins, 
andrerseits vielleicht der gut gereinigten Infusorienerde aus der Lüne- 
burger Haide, die leichter in grolser Menge zu erhalten sein könnte, 
als die auf chemischem Wege dargestellte Kieselsäure. Die Akademie 
wünscht ferner, dals aulser den beiden Modificationen der Kiesel- 
säure einige von den sehr verbreiteten Silicaten im fein gepulverten 
Zustande angewendet werden, namentlich Feldspath und feldspath- 
artige Mineralien, so wie Thonarten. Die Arbeit kann in deutscher, 
lateinischer oder französischer Sprache abgefalst werden. Die aus- 
schlielsende Frist für die Einsendung der dieser Aufgabe gewidmeten 
Schriften ist der 1. März 1866. Jede Bewerbungsschrift ist mit einem 
Motto zu versehen und dieses auf dem Äulsern des versiegelten 
Zettels, welcher den Namen des Verfassers enthält, zu wiederholen. 
Die Ertheilung des Preises von 100 Ducaten geschieht in der 
öffentlichen Sitzung am Leibnizischen Jahrestage im Monat Juli des 
Jahres 1866. 

Herr G. Rose schlofs die Sitzung mit einem Vortrag über die 


mineralogische Beschaffenheit und Eintheilung der Meteoriten, indem 
b 


IV 


er eine Auswahl aus der Meteoriten-Sammlung des mineralogischen 
Museums vorlegte. 

Nähere Nachrichten über die Thätigkeit und die Beziehungen 
der Akademie geben die erschienenen Monatsberichte. An diesem 
Orte ist nur noch die bei ihr gegründete Steinersche Stiftung 
zu erwähnen. 

Professor Dr. Jacob Steiner, seit 1834 ordentliches Mitglied 
der Akademie der Wissenschaften, zu Bern verstorben am 1. April 
d. J., hat in seinem unter dem 12. März 1863 zu Bern errichteten 
Testament der Kgl. Akademie der Wissenschaften eine Summe von 
8000 Rthlrn. Pr. mit dem Ersuchen vermacht, „diese Summe auf 
pupillarische Sicherheit zinsbar anzulegen und den Reinertrag alle 
zwei Jahre zu Preisen zu verwenden für von ihr aufgestellte Auf- 
gaben in dem Bereiche der synthetischen Geometrie, hauptsächlich 
mit Berücksichtigung der von ihm aufgestellten Methode und Prin- 
eipien.” „Über diese Prämiirung,” wird hinzugefügt, „entscheidet 
endgültig die physikalisch-mathematische Klasse, welcher freigestellt 
ist, eine Hauptprämie allein oder eine Haupt- und eine Accessitprämie 
zu bestimmen.” Die Akademie, zur Annahme dankbar bereit und 
die Verpflichtung übernehmend, suchte unter dem 11. Mai d. J. durch 
die Vermittelung Sr. Excellenz des vorgeordneten Ministers, Herrn 
von Mühler, die landesherrliche Bestätigung nach, aber wünschte 
zugleich eine Ergänzung der letztwilligen Verfügung für den Fall, 
dafs eine Lösung der Preisaufgabe nicht erreicht werde. Hiernach 
ist dem Antrage der Akademie gemäls folgende Allerhöchste Ordre 
vom 1. Juni d. J. erlassen und der Akademie unter dem 8. d. M. 
von dem vorgeordneten Herrn Minister in beglaubigter Abschrift 
übersandt: 

„Auf Ihren Bericht vom 27. v. M. will Ich der Akademie der 


Wissenschaften zur Annahme des ihr von ihrem Mitgliede, dem 


IV 


Professor Dr. Jacob Steiner durch Testament vom 12. März d.)J. 
behufs Prämiirung der Lösung von Aufgaben aus dem Gebiet der 
synthetischen Geometrie unter vorzüglicher Berücksichtigung der 
Steiner'schen Methode und Principien zugewendeten Legats von 
Achttausend Thalern hierdurch Meine landesherrliche Genehmigung 
ertheilen, und die Akademie zugleich ermächtigen, diejenigen Summen, 
welche in Folge nicht bewirkter Lösung der den Stiftungs- Bestim- 
mungen gemäls gestellten Aufgaben zurückfallen, zu Preisen für ver- 
wandte Arbeiten in der Geometrie überhaupt zu verwenden. 
Berlin 4. Juni 1863. gez. Wilhelm. 
ggez. v. Mühler. 
An den Minister der geistlichen etc. Angelegenheiten.” 


Zu wissenschaftlichen Zwecken hat die Akademie im Jahre 1863 
folgende Summen bewilligt: 

150 Rihlr. an Herrn Professor Gerhardt in Eisleben zur Her- 
ausgabe des 7. Theils der Mathematischen Werke von 
Leibniz. 

300  ,„ an Herrn Professor Steinthal in Berlin zur Aus- 
führung einer historischen und psychologischen Analyse 
einer afrikanischen Sprachfamilie. 

300  ,„ für eine wissenschaftliche Reise des Herrn Mommsen 
nach Paris. 

300 ,„ an Herrn Professor CGlebsch in Gielsen zur Heraus- 
gabe von Jacobi’s Vorlesungen über analytische 
Mechanik. 

1550 „ an Herrn Professor de Lagarde in Berlin zur Her- 
ausgabe einer Wiener Handschrift, eine arabische 


Evangelienübersetzung enthaltend. 
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VI 


480 Rthir. für 20 Exemplare der 7-9 Lieferung des 3. und 
4. Bandes von Gerhard's Etruskischen Spiegeln. 


Personalveränderungen ım Jahre 1865. 
Erwählt wurden: 


Herr Wilhelm Weber in Göttingen, correspondirendes Mitglied 
seit 1834, zum auswärtigen Mitgliede der physikalisch -mathe- 
matischen Klasse am 11. Juni, bestätigt durch Königl. Kabinets- 
ordre vom 14. Juli 1863. 

„ Victor Regnault in Paris, correspondirendes Mitglied seit 
4847, zum auswärtigen Mitgliede der physikalisch -mathema- 
tischen Klasse am 41. Juni, bestätigt durch Königl. Kabinets- 
ordre vom 11. Juli 1863. 

„ Charles Darwin in London zum correspondirenden Mitgliede 
der physikalisch-mathematischen Klasse am 26. Februar 1863. _ 

„ Heinrich Eduard Heine in Halle a. d.S., und 

„ Ludwig Seidel in München zu correspondirenden Mitgliedern 
der physikalisch-mathematischen Klasse am 16. Juli 1863. 

„ Louis Hippolyte Fizeau in Paris zum correspondirenden 
Mitgliede der physikalisch-mathem. Klasse am 6. August 1863. 

„ Karl Claus in Dorpat, und 

„ Henri Sainte-Claire-Deville in Paris zu correspondirenden 


Mitgliedern der phys.-math. Klasse am 19. November 1863. 


Herr Kummer wurde an Stelle des Herrn Encke, der aus dem 
Sekretariat ausgeschieden war, zum Sekretar der physikalisch- 
mathematischen Klasse am 9. November gewählt und durch 


Königl. Kabinetsordre vom 2. Decbr. 1863 als solcher bestätigt. 


Herr 


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vu 


Gestorben sind: 

Jakob Steiner, ordentliches Mitglied der physikalisch - mathe- 
matischen Klasse, am 1. April 1863. 

Eilhard Mitscherlich, ordentliches Mitglied der physikalisch- 
mathematischen Klasse, am 28. August 1863. 

Jakob Grimm, ordentliches Mitglied der philosophisch -histo- 
rischen Klasse, am 20. September 1863. 

Johann Friedrich Boehmer in Frankfurt a. M., auswär- 
tiges Mitglied der philosophisch-historischen Klasse, am 22. 
October 1863. 

Domenico, Herzog von Serradifalco in Palermo, Ehren- 
mitglied der Akademie, am 15. Februar 18693. 

Fürst di San Giorgio Domenico Spinelli in Neapel, Ehren- 
mitglied der Akademie, am 10. April 1863. 

Daniel Friedrich Eschricht in Kopenhagen, correspondi- 
rendes Mitglied der physikalisch-mathematischen Klasse, am 
22. Februar 1869. 

Giovanni Battista Amici in Florenz, correspondirendes 
Mitglied der physikalisch-mathematischen Klasse, am 10. April 
1863. 

Eduard Robinson in New York, correspondirendes Mit- 
glied der philosophisch-historischen Klasse, am 15. Januar 
1863. 

Peter von Chlumecky in Brünn, correspondirendes Mitglied 
der philosophisch-historischen Klasse, am 28. März 1863. 
Alberto della Marmora in Genua, correspondirendes Mit- 
glied der philosophisch-historischen Klasse, am 1. Mai 1863. 
P. A. Munch in Christiania, correspondirendes Mitglied der 
philosophisch-historischen Klasse, am 25. Mai 1863. 


VIII 


Herr Johann Wilhelm Loebell in Bonn, correspondirendes 
Mitglied der philosophisch -historischen Klasse, am 13. Juli 
1863. 

„ Johannes Voigt in Königsberg, correspondirendes Mitglied 
der philosophisch-historischen Klasse, am 23. September 1863. 

„ Joseph Arneth in Wien, correspondirendes Mitglied der phi- 
losophisch-historischen Klasse, am 31. October 1863. 

„ Louis Rene Villerme, correspondirendes Mitglied der phi- 
losophisch-historischen Klasse, am 16. November 1863. 


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Verzeichnifs 


der Mitglieder der Akademie der Wissenschaften 
am Schlusse des Jahres 1863. 


I. Beständige Sekretare. 


Herr Ehrenberg, Sekr. der phys.-math. Klasse. 
-  Trendelenburg, Sekr. der philos.-hist. Klasse. 
- Haupt, Sekr. der philos.-hist. Klasse. 
- Kummer, Sekr. der phys.-math. Klasse. 


1. Ordentliche Mitglieder 


der physikalisch-mathematischen der philosophisch-historischen Datum d. Königl. 
Klasse. Klasse. Bestätigung. 

m | u | Jen — 
Herr Böckh, Veteran . „. . 1814 Mai 14. 


-  Bekker, Netran „. . . 1815 Mai 3. 
-  Bopp, Veen .„ . . 1822 April 18. 
HerrWirckeit Veteran ». 10 SRRRENE T. .. .  1825Juni 2ı. 
Ssliihrenberg nn n ANOMER 0°... 0... 1827 Junils. 
-  Meineke Veen . . 1830 Juni 11. 
. . . 1832 Fehr. 13. 


Bar. Rose . » % Be St Reihe 
= Ranker. nn sanıssäikiebr. 13. 


ERICH MOSE nn on SEMEN 0. 1854 Juli’ 16. 
SGerhardn 2 251855! Märzil2. 

SU EISEN tee ee ee ee 1837 Jan. 

SA ODE ee 83T. Jan.d. 


=Z FOREeRGOH Se ee ne. 1soukebr.A. 

5 SON het Keule 1840 Jan. 27. 
Ze Schotb 2 7 sr aisarMärzig: 
= Dirksen 2 . 2. 2-8 März 9 
Sur Hager ee 1542 JUNT2S. 


- Magnus . 


der physikalisch -mathematischen der philosophisch -historischen 
Klasse. Klasse. 

KL N 

Herr-Riefs. 3.7 2 0 nern alte üe, (oenikueh ee ce 


Datum d. Königl. 
Bestätigung. 
— nn 
1842 Juni 28. 


Herr Pertz . . 


1843 Jan. 23. 


- Trendelenburg. . . 1846 März 11. 
- Lepsius . ... . 1850 Mai 18. 
- Homeyer . . . . 1850 Mai 18. 
- Petermann ...» 1850 Mai 18. 
du Bois-Reymond ..... ee SUSDLMarz 5. 
Pelersye. Mur en N ASS Marzib. 
Sn Prndersnn. 1851 Mai 24. 
- Buschmann. . . . 1851 Mai 24. 
SnRVedel et sHlnNlan2Ar 
Braun ara . ale Sea LEHRT ulı.16, 
- Haupt... .. . 1853 Juli 25. 
-. Riepett „... 1853 Juli 25. 
Beyrich ‘sell sllens ana sole led onen 1853 Aug. 15. 
Ewald sr : le Dress . 0. 1853 Aug. 1b. 
Rammelsberg . . ee S55AUs.mD: 
Kummer . . 5 steh SE. 1855'Dec.10. 
Borchardt . - we 1855 Dec. 10. 
Weierstraß . Rudy 0b. USERS > TESGENGESLIN. 
- Weber... ... ..- 1857 Aug..24. 
- Parthey . . . . . 1857 Aug, 24. 
-  Mommsen . . . . 1858 April 27. 
Reichert - een =, 1859 Apslal 
- Olshausen. . . . . 1860 März 7. 
- Rudorff . . . » ». 1860 März 7. 
- Kirchhoff . “0 . 1860 März 7. 
Pringsheim . eo. . 1860 Mai9. 
Kronecker 1861 Jan. 23. 
- Hanssen 1862 März 3. 


IM. 


der physikalisch - mathematischen Klasse. 


N 


Sir John Herschel in Hawkhurst 


Herr Michael Faraday in London . 


Sir David Brewster in St. Andrews . 


in der Grafschaft Kent . 


der philosophisch - historischen Klasse, 


Auswärtige Mitglieder 


ED N 


Herr Heinrich Ritter in Göttingen 


Herr J. Freiherr ». Ziebig in München. 


F. Wöhler in Göttingen . 
Franz Neumann in Königsberg 


Ernst Heinrich Weber in Leipzig. 


Karl Ernst v. Baer in St. 
Betersbure we. re: 
Robert Wilhelm Bunsen in 

Heidelberg 


Wilhelm Weber in Göttingen 
Victor Regnault in Paris . 


Victor Cousin in Paris 


Francois Guizot in Paris 


Friedrich Gottlieb Welcker 


in Bonn 


Henry Rawlinson in Teheran 


Karl Hase in Paris 


E. Curtius in Göttingen 
F. Miklosich in Wien 


Christian Aug. Brandis in 


Bonn 


Johann Martin Lappenberg 


in Hamburg 


XI 


Datum d. Königl. 
Bestätigung 
— 
1832 Febr. 13. 


1832 Mai 7. 


1839 Febr. 4. 
1840 Dec. 14. 
1842 Juni 28. 


1846 März 11. 
1846 März 11. 
1850 Mai 18. 
1850 Mai 18. 
1855 Aug. 15. 
1855 Aug. 15. 
1558 Aug. 18. 
1859 Aug. 5. 


1861 März 11. 
1862 März 3. 
1862 März 3. 
1862 März 24. 
1862 Mai 21. 
1862 Mai 21. 


1863 Juli 11. 
1863 Juli 11. 


Xu 


Herr Freiherr Anton von Prokesch-Osten in Konstantinopel 


IV. Ehren-Mitglieder. 


Herzog Honore de Luynes in Paris .... 
IDetera Merian ın  basell u. BEE re. 


Davoud-Pascha Garabed Artin zu Deir el Kamar im 


Libanon ; 
Prinz Maximilian zu Wied. N. 
Peter von T'schichatschef in St. ee 
Johannes Schulze in Berlin . 


Graf Rudolph von Stillfried-- Aaronad in Berlin ! 


Edward Sabine in London . 

William Hooker in Kew . : 5 
Fürst Friedrich von Salm-Horstmar in 1 Coesfeld 
Räja Rddhaäkanta Deva in Calcutta. 

Freiherr Helmuth v. Moltke in Berlin 

Don Baldassare Boncompagni in Rom 

August von Bethmann-Hollweg in Berlin . 


Datum d. Königl. 
Bestätigung. 
m 
1839 März 14. 


1840 Dec. 14. 
1845 März 8. 


1847 Juli 24. 
1853 Aug. 15. 
1853 Aug. 22. 
1854 Juli 22. 
1854 Juli 22. 
1855 Aug. 15. 
1855 Aug. 15. 
1556 März 19. 
1558 April 27. 
1860 Juni 2. 

1862 Juli 21. 

1862 Juli 21. 


V. Correspondirende Mitglieder. 


Physikalisch-mathematische Klasse. 


Herr Hermann Abich in St. Petersburg 


Louis Agassiz in Boston 
George Airy in Greenwich 


Friedrich Wilhelm August eelandenı in Ba 


Antoine Cesar Beequerel i in Paris . 
P. J. van Beneden in Löwen 
George Bentham in Kew 

Claude Bernard in Paris. 

Theodor Bischoff in München . 
Jean Baptiste Boussignault in Paris 


Johann Friedrich Brandt in St. Petersburg 


Adolphe Brongniart in Paris 

Ernst Brücke in Wien 

Karl Gustav Carus in Dresden 
Michel Chasles in Paris... . »- 
Michel Eugene Chevreul in Paris 
Karl Claus in Dormpat . . ye.- 


James Dana in New Haven, N. ER k 


Charles Darwin in London . 


Ernst Heinrich Karl v. Dechen in Bonn 
Jean Marie Constant Duhamel in Paris 


Jean Baptiste Dumas in Paris 


Jean Baptiste Elie de Beaumont in Paris 


Gustav Theodor Fechner in Leipzig. 
Louis Hippolyte Fizeau in Paris . 
Vincenzo Flauti in Neapel . . . 
Elias Fries in Upsala .... . 
Heinrich Robert Göppert in Breslan 
Thomas Graham in London 


Asa Gray in Cambridge, N. Amerika . 


Wilhelm Haidinger in Wien 


Sir William Hamilton in Dublin 
Herr Peter Andreas Hansen in Gotha 


Christopher Hansteen in Christiania 
Heinrich Eduard Heine in Halle 


Datum der Wahl. 
m —— 
1858 Oct. 14. 


1834 März 24. 
1834 Juni 5. 
1836 März 24. 
1835 Febr. 19. 
1855 Juli 26. 
1855 Juli 26. 
1860 März 29. 
1854 April 27. 
1856 April 24. 
1839 Dec. 19. 
1835 Mai 7. 
1854 April 27. 
1827 Dec. 13. 
1558 Juli 22. 
1834 Juni 5. 
1863 Nov. 19. 
1855 Juli 26. 
1863 Febr. 26. 
1842 Febr. 3. 
1847 April 15. 
1834 Juni 5. 
1827 Dec. 13. 
1841 März 25. 
1863 Aug. 6. 
1829 Dec. 10. 
1854 Juni l. 
1839 Juni 6. 


1835 Febr. 19. 


1855 Juli 26. 
1842 April 7. 
1839 Juni 6. 

1832 Jan. 19. 
1827 Dec. 13. 


1863 Juli 16. 
c2 


XII 


XIV 


Herr Hermann Helmholtz in Heidelberg 


Sir 


Sir 


Charles Hermite in Paris 

Otto Hesse in Heidelberg 

August Wilhelm Hofmann in London 
Joseph Dalton Hooker in Kew 
Joseph Hyrtl in Wien i 
Moritz Jacobi in St. Petersburg . 
Ludwig Friedrich Kämtz in Dorpat 


Gustav Robert Kirchhoff in Heidelberg. 


Gabriel Lame in Paris 
Emil Lenz in St. Petersburg . 
Urbain Joseph Le Verrier in Paris 
Graf Guiglielmo Libri in London . 
John Lindley in London ... 
Joseph Liowille in Paris 

Charles Lyell in London . . . . 


William Miller in Cambridge . . . 
Henri Milne Edwards in Paris . 
August Ferdinand Möbius in Leipzig 
Hugo v. Mohl in Tübingen .. . . 
Arthur Jules Morin in Paris . 
Ludwig Moser in Königsberg 
J. G. Mulder in Utrecht . . . 
Roderick Impey Murchison in Doadhn! 


Herr Karl Friedrich Naumann in Leipzig 


Richard Owen in London . . ... 
Francois Marie de Pambour in Paris 
Theophile Jules Pelouze in Paris 
Giovanni Plana in Turin . . . . 
Jean Victor Poncelet in Paris . . . 
George de Pontecoulant in Paris 
Johann Evangelista‘ Purkinje in Prag 


Lambert Adolphe Jacques Quetelet in Brüssel . 


Friedrich Julius Richelot in Königsberg 
Bernhard Riemann in Göttingen 
Auguste de la Riye in Guf .... 


Georg Rosenhain in Königsberg . . . 


Henri Sainte-Claire-Deville in Paris . 


Herr Karl Friedrich Philipp w. ertius in | München 


Datum der Wahl. 
a nen, 
1857 Jan. 15. 


1859 Aug. 11. 
1859 Juli 21. 
1853 Juli 28. 
1854 Juni 1. 
1857 Jan. 15. 
1859 April 7. 
1841 März 25. 
1861 Oct. 24. 
1838 Dec. 20. 
1853 Febr. 24. 
1846 Dec. 17. 
1832 Jan. 19. 
1834 Febr. 13. 
1839 Dec. 19. 
1855 Juli 26. 
1832 Jan. 19, 
1860 Mai 10. 
1847 April 15. 
1829 Dec. 10. 
1847 April 15. 
1839 Juni 6. 
1843 Febr. 16. 
1845 Jan. 23. 
1847 April 15. 
1846 März 19. 
1836 März 24. 
1839 Juni 6. 
1851 Febr. 6. 
1832 Jan. 19. 
1832 Jan. 19. 
1832 Jan. 19. 
1532 Jan. 19. 
1832 Jan. 19. 
1842 Dec.8. 
1859 Aug. 11. 
1835 Febr. 19. 
1859 Aug. 11. 
1863 Nov. 19. 


Herr Michael Sars in Christiania 


Dietrich Franz Leonhard v. Selena in } Halle 


Christian Friedrich Schönbein in Basel 
Theodor Schwann in Lüttich . ‘ 
Philipp Ludwig Seidel in München . : 
Karl Theodor Ernst v. Siebold in München . 
Japetus Steenstrup in Kopenhagen 

Georg Gabriel Stokes in Cambridge . 


Friedrich Georg Wilhelm Struve in St. Petersburg 


Bernhard Studer in Bern 

Karl Sundevall in Stockholm 

Ludolph Christian Treviranus in Bonn . 
Franz Unger in Wien. . 

Auguste Valenciennes in Paris 

Edouard de Verneuil in Paris 
Rudolph Wagner in Göttingen . 
Charles Wheatstone in London 

Adolph Wurtz in Paris. 


Philosophisch-historische Klasse. 


George Bancroft in New York . 
Heinrich Barth in Berlin 

Theodor Benfey in Göttingen 

Theodor Bergk in Halle . 

Gottfried Bernhardy in Halle 

Ludwig Konrad Bethmann in Wolfenbüttel . 
Samuel Birch in London 

Eduard Boecking in Bom. .... 
Otto Boehtlingk in St. Petersburg . 
Guiseppe Canale in Genua 

Celestino Cavedoni in Modena 

Charles Purton Cooper in London. 
Lorenz Diefenbach in Bornheim 
Friedrich Diez in Bonn . 

Wilhelm Dindorf in Leipzig . Se 
Heinrich Lebrecht Fleischer in Leipzig . 
Karl Immanuel Gerhardt in Eisleben 
Georg Gottfried Gervinus in Heidelberg 


Datum der Wahl. 
— nn 
1855 Juli 26. 


1834 Febr. 13. 


1856 April 24. 


1854 April 27. 
1863 Juli 16, 
1841 März 25. 
1859 Juli 21. 
1859 April 7. 
1832 Jan. 19, 
1845 Jan. 23. 
1862 Febr. 27. 
1834 Febr. 13. 
1855 Juli 26. 
1836 März 24. 
1858 Oct. 14. 
1841 März 25. 
1851 Mai $. 
1859 März 10. 


1845 Febr. 27. 


1855 August 9. 
1860 April 26. 


1845 Febr. 27. 
1846 März 19. 
1852 Juni 17. 
1851 April 10. 
1859 Juni 30. 
1855 Mai 10. 
1862 März 13. 
1845 Febr. 27. 


1836 Febr. 18. 


1861 Jan. 31. 


1845 Febr. 27. 


1846 Dec. 17. 
1551 April 10. 
1861 Jan. 31. 

1845 Febr. 27. 


xV 


xXVI 


Herr /Vilhelm Giesebrecht in München 


Konrad Gislason in Kopenhagen 

Karl Wilhelm Göttling in Jena. 

Carl Ludwig Grotefend in Hannover 
Aureliano Fernandez Guerra y Orbe in Madrid . 
Wilhelm Henzen in Rom 

Brör Emil Hildebrand in Sakhiolm 

Oito Jahn in Bonn . 

‚Stanislas Julien in Paris. i 
Theodor Georg v. Karajan in Wient 
Hermann Koechly in Zürich ......, 
Sigismund Wilhelm Koelle in London. 
J. E. Kopp in Luzern 

Christian Lassen in Bonn 

Konrad Leemanns in Leyden 

Karl Lehrs in Königsberg 

Adrien de Longperier in Paris 

Elias Lönnrot in Helsingfors . 


Joaguim Jose da Costa de Macedo in De 


Johann Nicolas Madvig in Kopenhagen . . . 
Henri Martin in Rennes 

Georg Ludwig v. Maurer in München 
Giulio Minervini in Neapel. 

Julius Mohl in Paris "nal? 
Carlo Morbio in Mailand . . .. . 
August Nauck in St. Petersburg . . . 
Karl Friedrich Neumann in Berlin 
Charles Newton in London 

Julius Oppert in Paris 

Franz Palacky in Prag . 

Amadeo Peyron in Turin 


Sir Thomas Phillipps in Middlehill . 
Herr August Friedrich Pott in Halle . 


Karl Christian Rafn in Kopenhagen . 
Rizo Rangabe in Athen . 

Felix Rayaisson in Paris F 
Joseph Toussaint Reinaud in Paris 
Ernest Renan in Paris . . 

Leon Renier in Paris . 


Datum der Wahl. 
m men 
1859 Juni 30. 


1854 März 2. 
1844 Mai 9. 
1862 März 13. 
1861 Mai 30. 
1853 Juni 16. 
1845 Febr. 27. 
1851 April 10. 
1342 April 14. 
1853 Juni 16. 
1861 Jan. 31. 
1855 Mai 10. 
1846 März 19. 


. 1846 Dec. 17. 


1844 Mai 9. 
1845 Febr. 27. 
1857 Juli 30. 
1850 April 25. 
1838 Febr. 15. 
1836 Juni 23. 
1855 Mai 10. 
1854 Juni 15. 
1852 Juni 17. 
1850 April 25. 
1560 April 26. 
1861 Mai 30. 
1829 Dec. 10. 
1861 Jan. 31. 
1862 März 13. 
1845 Febr. 27. 
1836 Febr. 18. 
1845 Febr. 27. 
1850 April 25. 
1845 Febr. 27. 
1851 April 10. 
1847 Juni 10. 
1850 April 25. 
1859 Juni 30. 
1859 Juni 30. 


Herr Alfred v. Reumont in Aachen 


Friedrich Wilhelm Ritschl in Bomn . 

Georg Rosen in Jerusalem . 

Giovanni Battista de Rossi in Rom 

Rudolph Roth in Tübingen 

Vicomte Emmanuel de Rouge in Paris . 
Joseph Roulez in Gent 

Hermann Sauppe in Göttingen . oe 
Adolph Friedr. Heinr. Schaumann in Hannover 
Anton Schiefner in St. Petersburg - 
Georg Friedrich Schömann in Greifswald . 
Jared Sparks in Cambridge, N. Amerika 
Leonhard Spengel in München 

Friedrich Spiegel in Erlangen 

Aloys Sprenger in Bern 

Christoph Friedrich Stälin in Stuttgart . 
Heinrich v. Sybel in Bonn 

Andreas Uppström in Upsala 

Th. Hersart de la Villemarque in Paris 
Matthias de Vries in Leiden 

Wilhelm Wackernagel in Basel . 

Natalis de Wailly in Paris . 

Georg Waitz in Göttingen . : $ 
Jean N Marie Antoine de Witte in Me 5 
Ferdinand Wolf in Wien. 

Wuk Stephanowitsch ei in Wien 


———MMLELW II — 


Datum der Wahl. 
TTT m 
1854 Juni 15. 


1845 Febr. 27. 


1858 März 25. 
1853 Juni 16. 
1861 Jan. 31. 
1854 März 2. 

1855 Mai 10. 
1861 Jan 31. 

1861 Jan. 31. 


1858 März 25. 


1824 Juni 17. 


1845 Febr. 27. 


1842 Dec. 22. 


1562 März 13. 
1858 März 25. 


1846 Dec. 17. 
1859 Juni 30. 


1858 März 25. 


1851 April 10. 
1861 Jan. 31. 


1851 April 10. 
1858 März 25. 
1842 April 14. 
1845 Febr. 27. 
1860 April 26. 


1850 April 25. 


XVII 


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Physikalische 


Abhandlungen 


der 


Königlichen 
Akademie der Wissenschaften 


zu Berlin. 


mann 


anno 


Aus dem Jahre 
1863. 


.— mann nennnononnnnnnnnn 


Berlin. 
Gedruckt in der Druckerei der Königlichen Akademie 
der Wissenschaften. 


1864. 


In Commission in F. Dümmler’s Verlagsbuchhandlung 


Harrwitz und Gossmann. 


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En-haret 


PETERS über die Säugethiergattung Solenodon. (Mit 3 Tafeln) . . . . . Seite 1 
G. Rose: Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten auf Grund der Sammlung 
im mineralogischen Museum zu Berlin. (Mit 4 Tafeln) . . - 23 


an a unanu 


Über 
die Saugethiergattung S'olenodon. 


vr 


Hs WorB ET E:R:S. 


nn 


[Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 6. Juni 1861.] 


Ar 31. Januar d. J. hatte ich die Ehre, der Akademie eine kurze Mit- 
theilung (') über eine neue Art der Gattung Solenodon aus Cuba vor- 
zulegen, von der man bisher nur eine Art als einzigen westindischen 
Repräsentanten einer Ordnung von Säugethieren kannte, welche bei uns 
durch die Spitzmäuse, Igel und Maulwürfe vertreten ist. 

Die Gattung Solenodon ist bereits vor 31 Jahren von Hrn. Brandt(?) 
in einer vortrefflichen Abhandlung „De Solenodonte, novo mammalium ge- 
nere” aufgestellt worden. Das Exemplar des Museums der Akademie zu 
St. Petersburg, welches ihm zur Beschreibung seines Solenodon paradoxus 
diente, stammt aus Hayti und ist bis jetzt das einzige, welches nach Europa 
gebracht worden ist. Es war ausgestopft und mit einem nicht ganz vollstän- 
digen Schädel versehen. Erst vor zehn Jahren haben wir sodann durch den, 
wegen seiner Verdienste um die Naturgeschichte von Cuba, rühmlichst 
bekannten Hrn. F. Poey(°) in Habana sehr interessante Beiträge zu der 
Kenntnifs der Gattung Solenodon erhalten, über deren Vorkommen auf 
Cuba in den Gebirgen von Bayamo derselbe bereits im Jahre 1838 eine 
Notiz in der Zeitschrift „el Plantel” veröffentlicht hatte. 


(‘) Monatsberichte der K. Akademie der Wissenschaften zu Berlin. 1861. p. 169. 

(?) Memoires de l’Academie de St. Petersbourg 11. 1833. p. 459 (Gelesen am 19. Dec. 
1832). Separatabdruck: Mammalium exoticorum novorum vel minus cognitorum Musei 
Academici Zoologici descriptiones et icones. De Solenodente, novo mammalium genere, 
p- 1-20, taf. I. II. 

(?) Memorias sobra la historia natural de la Isla de Cuba. I. Habana. 1861. p. 23 
und p. 433. Taf. I. 

Phys. Kl. 1863. A 


[82] 


PeErers 


Durch die besondere Güte unseres Mitgliedes, des Hrn. Akademikers 
Brandt in St. Petersburg habe ich nun Gelegenheit gehabt, das Originalexem- 
plar seines Solenodon parado.xus mit dem Solenodon Cubanus, wel- 
cher von Hrn. Dr. Gundlach auf Cuba gefangen wurde und den ich der 
grofsen Liberalität desHrn. Geheimerath Sezekorn in Cassel verdanke, direct 
zu vergleichen und noch erheblichere Unterschiede zwischen beiden Arten zu 
entdecken. Aufserdem hat die seit meiner ersten Mittheilung ausgeführte 
genauere Untersuchung des vollständigen Skelets und der Weichtheile zu 
Resultaten geführt, welche von allgemeinerem Interesse sein dürften. 


SoLENoDoN, Brandt. 


Bye bau I re) ee B B 
Dentes — — —— — 7 = 40; incisivi superiores anleriores 


magni, recli, aculi: inferiores anteriores parvi, posleriores multo majores 
recurvali, sulco profundo interno exarati: canini ambigui:; molares veri pris- 
mate simplici. Rostrum in proboscidem elongatam porrectum; oculi parvi; 
auriculae mediocres; corpus pilis rigidis obtectum, prymna uropygioque 
calvis: mammae uropygü duae; cauda mediocris squamato-annulata, pilis 
brevissimis sparsis obsita. Pedes mediocres, plantigradi, palmis plantisque 
pentadactylis; ungues falculares, palmarum longissimi. Arcus zygomatici 
et intestinum coecum nulla. 


1. Solenodon paradoxus, Brandt. 


S. supra fuscus vel nigro-fuscus, lateribus, gastraeo pedibusque 
ochraceis; pilis incumbentibus. 


2. Solenodon Cubanus, nova spec. 

S. capite, collo, pectore, gastraei lateribus fulvis vel dilute ochraceis, 
corpore reliquo, siria longitudinali nuchae abdominisque fuseis vel nigro 
Juscis; pilis longissimis villosis. 

Etwa von der Gröfse eines Kaninchens und dem Ansehen eines Opos- 
sums mit ausnehmend langen Vorderkrallen und so langer Schnauze, dafs 
die Länge des Kopfes etwa zwei Drittel der Rumpflänge beträgt. 

Die Ohren ragen aus dem Pelze hervor, indem die Höhe derselben gleich 
ihrer Entfernung von den Augen ist. Sie sind abgerundet, kaum höher als breit, 
fast nackt, nur nach dem Rande, besonders nach dem innern hin, sparsam 


über die Säugethiergattung Solenodon. 3 


behaart, aufser dem Tragus und Antitragus im Innern jederseits mit zwei 
starken Vorsprüngen versehen, von denen der obere der Anthelix besonders 
entwickelt ist. Die Augen sind für ein so grosses Thier auffallend klein, 
indem die Augenlidspalte nur drei Millimeter lang ist. Das Maul ist tief 
bis unter die Augen gespalten (') und die Seitenränder der Maulspalte sind 
etwas concav. Der Rüssel ist ein wenig länger als die Maulspalte, an der 
Basis breiter als hoch, in der Mitte rund, unten mit einer vertieften, kurz und 
sparsam behaarten Längsfurche, an der Spitze mit einer nackten Muffel 
versehen, welche auf der Dorsalseite weniger deutlich begrenzt ist, als unten, 
wo sie ein langes spitzwinkliges Dreieck bildet. Die winklig sichellörmigen 
Nasenlöcher öffnen sich seitlich nahe der Rüsselspitze und sind unten nur 
durch eine schmale Scheidewand von einander getrennt (?). Die Seiten 
der Schnauze und des Rüssels sind mit langen starken Bartborsten versehen, 
welche Anfangs in sechs Längsreihen stehen. Schwächere Schnurrhaare fin- 
den sich in einiger Entfernung hinter dem Auge und dem Mundwinkel. Die 
Behaarung der Schnauze, des Rüssels und des Kinnes ist kürzer und abste- 
hend, so dafs die Haut mehr oder weniger sichtbar bleibt; die übrigen Theile 
des Kopfes sind mit ziemlich groben steifen, nach hinten gerichteten und 
nach dem Halse hin allmählig an Länge zunehmenden Haaren dicht bedeckt. 

Der Hals erscheint wegen der langen Behaarung wenig vom Kopfe 
abgesetzt und die Behaarung des Körpers nimmt, namentlich auf dem Rücken, 
allmählig so an Länge zu, dafs die bis 75 Millimeter langen Haare die bis 
auf einen Zoll weit nackte hintere Kreuzgegend fast ganz verdecken (3). 
Auch die Mitte des Hinterbauches und der Steifs, auf welchem sonderbarer- 
weise die beiden einzigen Saugwarzen liegen, erscheinen ganz kahl. Indessen 
sind blofs die Saugwarzen und ihre Umgebung wirklich ganz nackt, während 


(') Dieses ist auch der Fall bei Solenodon paradoxus, so dals in dieser Beziehung 
die sonst vortre(fliche Abbildung bei Brandt mangelhaft ist. 

(*) Vielleicht ist dieses ein specifisches Unterscheidungsmerkmal von Solenodon para- 
doxus, bei welchem die Nasenscheidewaud sehr breit ist, vielleicht aber auch nur eine 
sexuelle Verschiedenheit, wie solche in Bezug auf die Nasenbildung auch bei anderen Insectivo- 
ren, z. B. bei den Maulwürfen und Igelu, schr merklich ist: Denn das Brandtsche Exempla- 
von S. paradoxus ist ein Männchen, während das vorliegende von S. Cubanus ein 
Weibchen ist. 

(°) Bei dem Brandtschen Exemplar von $S. paradoxus sind die längsten Rückenr 
haare höchstens 35 Mm. lang. 


A2 


4 PErTeErs 


die Kreuzgegend so wie die Basis des Schwanzes von sehr kurzer sparsamer 
sammetartiger Behaarung bedeckt ist, welche letztere aber nur deutlich her- 
vortritt, wenn man sie von der Seite betrachtet ('). Die Saugwarzen liegen 
ein wenig höher als der After, zwei Centimeter von demselben entfernt. 
Die Geschlechtsöffnung liegt ganz nahe vor dem After, so dafs beide Öff- 
nungen von gemeinsamen strahlenförmigen Hautfalten verdeckt werden. 

Die vordere Extremität ist bis zur Handwurzel lang behaart; die Rück- 
seite der Hand ist mit ganz kurzen anliegenden Haaren versehen, welche die 
Haut theilweise durchscheinen lassen und auf den Fingern sind die Haare 
noch sparsamer, so dafs das vorletzte Glied bis auf einen queren Streifen 
vorstehender kurzer Borsten ganz kahl erscheint. Die Hand- und Finger- 
sohle ist nackt mit sechs runden Wülsten, von denen zwei vor der Handwur- 
zel und vier an der Basis der Finger hervorragen. Die drei mittleren Finger 
sind fast gleich lang, doch ragt der mittelste ein wenig weiter vor; der 
Daumen steht etwas weiter zurück als der äufsere Finger. Alle sind mit 
starken, sehr zusammengedrückten, unten längsgefurchten gekrümmten Kral- 
len versehen, von denen die drei mittleren besonders lang, mehr als doppelt 
so lang wie die Zehenkrallen sind. Die Länge des Vorderarms und der Hand 
nebst dem Mittelfinger ohne den Nagel ist wenig geringer als die Entfernung 
der Rüsselspitze von den Ohren. 

Die hintere Extremität ist bis zum Knie in der Körperhaut versteckt 
und die äufsere und vordere Seite des Unterschenkels sind von langen Haaren 
bedeckt, während die innere Seite und das untere Drittel mit kurzen Härchen 
versehen sind, welche letzteren aber viel weniger dicht und anliegend sind, 
als die auf der Rückenseite des Fufses, die sich längs der Mitte des ersten 
Gliedes der Zehen fortsetzen. Auf der Mitte des zweiten Gliedes der Zehen 
steht ein Büschel langer borstiger Haare. Die Fufssohle ist ebenfalls mit 
Einschlufs des Hackens ganz nackt und ist durch fünf rundliche Wülste, 
eine unter der äufsern Seite des Mittelfufses und vier hinter der Basis der 
Zehen, ausgezeichnet. Die Zehen stehen auf einer bogenförmigen Basis, 
indem die äufsere und die innere Zehe nur ein wenig von den drei mittleren 
gleichlangen abgerückt sind; die äufsere Zehe ist nur wenig, die innere 


(') Schon diese feine Behaarung spricht gegen einen hier etwa befindlichen Drüsen- 
apparat, von dem ich auch eben so wenig wie Hr. Poey eine Spur finden konnte. Es mag 
vielleicht diese Kahlheit damit zusammenhängen, dafs die Jungen ungestört säugen, wäh- 
rend das alte Thier in der Erde nach der Nahrung sucht. 


über die Säugethiergattung Solenodon. 5 


um ein Drittel kürzer als diese. Die Krallen sind fast alle gleich lang, we- 
niger zusammengedrückt und unten flacher ausgehöhlt als die der Finger. 
Die Fufssohle mit den Zehen ohne die Nägel ist so lang wie der Vorderarm 
und um ein Sechstel kürzer als der Unterschenkel. 

Der Schwanz ist ungefähr dreimal so lang wie der Unterschenkel. An 
seiner verdickten conischen Basis ist er glatt und wie der angrenzende Theil 
der Kreuzgegend sparsam sammetartig behaart, der übrige Theil erscheint 
nackt und schuppig geringelt wie ein Rattenschwanz, allenthalben mit spar- 
samen kurzen Haaren versehen, welche an der unteren Seite des Schwanzes 
ein wenig länger sind und mehr anliegen. 

Die Farbe der Haare des Kopfes und Halses ist goldgelb oder hell- 
ocherfarbig. Der Rücken nebst einem bis zwischen die Ohren vordringen- 
den Nackenstreifen, die Körperseiten, die Aufsenseite der Extremitäten und 
die Mittellinie des Bauches, so wie die kurzen Haare der Hände und Füfse 
sind dunkelbraun. Die Seiten des Bauches und die hintere innere Seite der 
Vorderextremitäten sind schmutzig gelb. Unter den langen Rückenhaaren 
sind einige ganz schwarz, andere ganz gelb, die meisten aber gelb mit 
schwarzen Spitzen. Die Krallen haben eine hornbraune Farbe. 

Hr. Poey, welcher das Thier lebend zu beobachten Gelegenheit 
gehabt hat, gibt folgende Beschreibung von der Farbe: „Die Farbe des 
Haares ist schwarz bis zu dem Theil, der sich zwischen den Ohren befindet; 
der übrige Theil des Gesichtes und des Halses, so wie die Bauchseite sind 
schmutzig ochergelb. Der Schwanz ist blafs bläulichschwarz, an dem Ende 
bei beiden Geschlechtern weils, obgleich ein Männchen ihn ganz bläulich hatte; 
Nägel gelb. Mit dem Alter mehrt sich die Zahl der ocherfarbigen Haare.” 


Mafse eines ausgewachsenen Weibchens. 


Länge von der Schnauzenspitze bis zur Schwanzbasis nach der Rückenkrüimmung 0”,340 


" Wen „> in grader Linie bis zum After . . . 2... . 07,280 
Tanpe, desg Kopfes ng orader Linier one 0 ee ea Kann 07 
Breite? des"KopfestvorsdenWOhren». a. m), „Kath I AH 210,050 
Entfernung der Augen von der Rüsselspitze . © 2 = 2 2.2.2.2... "07,067 
Hangeuder? Nugenlidspaltegens re er 2.07,003 
INHstand' der) Augensvonmernanderi Me Mer em. euren, Ba Lese: 002 

des Anzeskvonsdem Ohripenen nee ee u 0028 
m rder basissfden Ohren yon emandenii. = a oa ee Ur 
klohendescanzena@hrsyz 22 7 Ze ur Mean. emeg on 2 20080 


raue ee OlEy ve TE Ra Re Be ee le 


6 PeErers 


Länge des Rüssels bis zu den Vorderzzähnen . . 2 2 2 2 0r 0202000. 09,035 
Breite‘.des. Rüssels 'angderr Basis > 14... nern) Erika), syn: ner Ze NE 
46 0, SInden@Niittewe.n 10.0 Se ae 

Höhe des Russels. andew@Basis au... 7.0. 00 Ss en ee En EHRE ENG 
9 a9 "R in der Mitte. . . s 2 a JORTRA IIERRIEE I UIOTEND 
Länge der Muffel an der untern Seite Air Rüsselspitze at ee Siewae IND 
Entfernung der Spitze der Unterlippe von den Mundwinkeln . . 2. 2... 0",031 
Entfernung der Mundwinkel von einander . » 2» 2 2 2 02 0.2.0202... 07,030 


Länge des Schwanzes . . TEEN EEE NEN ER SERIEN) 
Dicke des Schwanzes in der Mitte Apr: > ei, & ben ee 
Entfernung der Saugwarzen von der Mitte as Afters KUUTEEIV, TIERE IS EMUNDDIG) 
in ” ” von einander „aut 1 mna Paisz Tee Tesrst 200038 
Länger ders Saugwanzenı, = Wenckren sine aa, Aare en. 000 
Bänge Mes;Oberarmay.. ap vs ieattiäenre Mn Mirngaı) zeige rege ge 
3 .... Vorderarms, 2.» ae rege, 2 RR IBETE 
„ der Hand bis zur Spitze ie Mittelfingers ohne Nagel) Od NS, 
„» des 1. Fingers (ohne Nagel, der nach der Krümmung 0", 0095 lang ist) . 0=,0085 
” » 2. Fingers ( „ ” » 0» ” 0,029 5») . 0,016 
” » 3 Fingers ( „ ” af 37 DEE ” 0,026 „ .) . 0m,0175 
» m» 4. Fingers ( „ ” Be ” 0,028 5 9) . 0",017 
„ » 9. Fingers ( „ ” Sin 79al93 ” 07,016 „ ») . 0,012 
sa 0.93. OberschenkelsILIhRIIEIFICHER „OEIND NEUBEL EDER Rn AUESSLNE N ERURIUSU 
#9 5 ÜUnterschenkels . . - 0 WM... 00% 


» » Fulfses bis zur Spitze der Mireleehr aha Natel, u Ar Er 
„ der 1. Zehe (ohne Nagel, von 0”,008 Länge). ». » © © 2 2... . 07,010 


ee SET ENEN a ESEL N ee 
ae rg Oi) PN OR range ERSy AO E 
ehe ET RD u HE, rl 


ee MEERE nee 


Was das Gebifs anbelangt, so ist die Zahl der Zähne dieselbe wie bei 
Solenodon paradoxus, nämlich oben wie unten jederseits zehn. Hr. Brandt 
deutet die drei vordersten als Ineisivi, die drei folgenden als Molares spurii und 
die vier hintersten als Molares veri, so dafs die von ihm aufgestellte Zahn- 
formel folgende ist: 4:3 0 6% 3°, während Hr. Poey nach der äufsern Gestalt 


4.30 603.4 
die Zähne jederseits i in Incisivi —, CaniniZ, Mol. spurü— und Mol. veri 


(') Hr. Poey (l. c. p. 433) gibt von einem jüngeren Männchen folgende Malse an: 
Totalläinge 0”,450; Länge des Rüssels bis zu den Zähnen 0”,035; von der Basis der 
Schneidezähne bis zum After 0”,235; vom After bis zur Schwanzspitze 0”,180; vom Penis 
bis After 0”,025; vom Penis zu den Saugwarzen 0”,025. 


über die Säugethiergattung Solenodon. 7 


vertheilt. Nach meiner Ansicht sind dagegen die Zähne noch anders zu 
vertheilen. Obgleich beide Schädel ausgewachsenen Thieren angehören, so 
ist doch mit einiger Aufmerksamkeit der Verlauf der Nähte zwischen Ober- 
kiefer und Zwischenkiefer zu erkennen und man sieht deutlich, dafs der 
dritte obere Zahn mit seinem Halse aus den aneinanderstofsenden Theilen 
beider Knochen hervorkommt, seine Wurzel aber ganz im Oberkiefer steckt. 
Man kann daher nicht umhin, ihn als Eckzahn zu betrachten, obgleich er 
der kleinste von allen ist, ein Verhalten, welches ja übrigens dem Bau des 
typischen Inseetivorengebisses entspricht, das sich eben durch aufserordent- 
liche Entwickelung der Schneidezähne und Verkümmerung der Eckzähne 
characterisirt. Ebenso erscheinen nur die drei hinteren Backzähne als wahre 
Mahlzähne, während der vorhergehende, dem Reifszahne der Carnivora ent- 
sprechende, noch so viele Ähnlichkeit mit dem vor ihm liegenden zeigt, dafs 
Hr. Brandt und Hr. Poey verleitet wurden, auch diesen letztern noch zu 
den Mahlzähnen zu zählen. Hiernach würden bei dem erwachsenen Thiere 
die Zähne sich so vertheilen, wie ich es vorher in der Diagnose angegeben 
habe; bei ganz jungen Thieren werden ohne Zweifel noch zwei Schneide- 
zähne mehr vorhanden sein. 

Was nun die Gestalt des vordersten Zwischenkieferzahnes betrifft, so 
ist er sehr hoch und zugespitzt, fast dreiseitig, mit einer hintern graden, 
oder flach concaven, einer innern und einer äufsern convexen Fläche, welche 
letzteren unten durch eine vordere abgerundete Kante in einander über- 
gehen; die obere Hälfte der innern Fläche ist abgeflacht, so dafs dieser Zahn 
hier von dem der andern Seite absteht und sich erst unter der Mitte seiner 
Höhe durch einen innern Absatz mit dem der andern Seite verbindet. 
Dieser Zahn hat, verglichen mit dem anderer Insectivoren, am meisten Ähn- 
lichkeit mit dem von Scalops (aquaticus), weniger mit dem von Myogale 
und Chrysochloris. Durch einen Abstand, welcher der Basis dieses Zahnes 
gleich kommt, von ihm getrennt, folgt der zweite ebenfalls einwurzelige 
Schneidezahn, welcher ungefähr halb so hoch, zusammengedrückt, innen 
und aulsen convex ist, eine etwas gekrümmte Spitze und hinten einen 
schwachen Absatz hat. Diesem folgt nun der eben so gestaltete, aber nur 
halb so grofse einwurzelige Eckzahn, welcher der Lage und Entwickelung 
nach auch dem falschen Eckzahn (dem dritten Zahn) von Scalops und Myo- 
gale entspricht. Der erste falsche Backzahn wird durch eine etwas gröfsere 


8 Perers 


Lücke von dem Eckzahn als von dem zweiten falschen Backzahn getrennt ; 
er ist zweiwurzelig, doppelt so grofs wie der zweite Schneidezahn, und ab- 
gesehen von dem gänzlichen Mangel eines hinteren Absatzes, wodurch er von 
der Seite betrachtet mehr regelmäfsig dreieckig erscheint, von ähnlicher Ge- 
stalt wie dieser; er ist nächst dem vorderen Schneidezahn der höchste 
aller Zähne. Der zweite zweiwurzelige falsche Backzahn ist dem vorherge- 
henden ganz ähnlich, aber um zwei Fünftel kleiner. Der dritte falsche Back- 
zahn ist dreiwurzelig und bat eine sehr grofse Ähnlichkeit mit dem hintersten 
falschen Backzahn von Myogale moschata; er ist im horizontalen Quer- 
durchschnitt dreieckig mit convexer äufserer und innerer und flach concaver 
hinterer Fläche, einem hinteren äufseren spitzen, einem vorderen und einem 
hinteren inneren mehr abgerundeten Winkel; die Krone geht in eine fast 
conische Spitze aus, an deren Basis das Cingulum aufsen und hinten einen 
stärkeren, innen einen schwächeren Absatz bildet. Der hintere falsche Back- 
zahn, welcher dem Reifszahn der Raubthiere entspricht, steht demgemäfs in 
seiner Form zwischen dem vorhergehenden und dem folgenden wahren Back- 
zahn; er ist dreiwurzelig, um ein Fünftel breiter als lang, an der äufseren 
Seite fast doppelt so lang wie an der inneren; seine Krone bildet eine etwas 
zusammengedrückte dreiseitig pyramidale Spitze, das sehr entwickelte Cin- 
gulum an der äufsern Seite drei unregelmäfsige und an der inneren Zahnseite 
zwei, einen vorderen gröfseren und einen hinteren kleineren undeutlichen 
Lappen. Dieser Zahn würde dem entsprechenden bei Centetes ecaudatus ganz 
ähnlich sein, wenn bei diesem letzteren nicht die äufsere vordere Spitze so 
ungemein lang ausgezogen wäre. Die drei folgenden Zähne betrachte ich nun 
allein als wahre Backzähne. Sie kommen in der Gestalt durch ihre, ein einfaches 
Prisma bildende Krone bemerkenswerther Weise am Meisten mit denen der 
Chrysochloris, Centetes, Ericulus und Echinogale aus Africa und Madagascar 
überein. Der erste derselben ist der grölste; er ist doppelt so breit wie 
lang, aufsen winkelig ausgeschnitten, im Allgemeinen etwas bogenförmig 
gekrümmt, mit vorderer Convexität; er hat eine mittlere mehr nach innen 
gebogene Spitze, zwei kleinere zweilappige äufsere Zacken und an dem in- 
wendig vorspringenden Cingulum zwei, einen vorderen stärkeren und einen 
hinteren schwächeren, Höcker. Der zweite wahre Backzahn ist ähnlich, aber 
kleiner und an seinem äufseren Rande schräg nach hinten und innen abge- 
stumpft. Der dritte ist nur halb so grofs wie der erste, noch mehr an der 


über die Säugethiergattung ‚Solenodon. 9 


äufsern Fläche abgestumpft, so dafs die Kaufläche des Zahns ein unregel- 
mäfsiges querstehendes Dreieck mit hinterem sehr stumpfen Winkel darstellt; 
auch sind die beiden äufseren Zacken nicht zweilappig und das Cingulum 
bildet inwendig nur einen einzigen Höcker. 

Die unteren Schneidezähne zeigen in Bezug auf ihre relativen Gröfsen- 
verhältnisse zwar einige Ähnlichkeit mit denen von Mpyogale, aber viel gröfser 
ist ihre Übereinstimmung mit denen von Scalops. Der vordere ist klein, aber 
hoch und gegen seine Spitze hin etwas verbreitert, mit einem deutlichen 
äufseren und einem weniger deutlichen inneren Nebenlappen. Der zweite 
Schneidezahn ist bedeutend gröfser und höher, bogenförmig nach hinten 
gekrümmt, nach hinten und innen mit einem flachen, höckerartigen Absatz 
und inwendig mit einem tiefen, nach der Basis immer breiter werdenden 
Halbcanal versehen. Einen ganz ähnlichen Bau hat der entsprechende Zahn 
bei Scalops aquaticus, nur ist der Halbcanal nicht so tief und nicht nach 
der Basis hin erweitert ('). Der nun folgende untere falsche Eckzahn liegt 
dicht an dem Furchenzahn an und deckt mit dem vorderen Theil seines Cingu- 
lums sogar noch ein wenig die Basis des letzteren. Er ist länger als hoch und 
seine einfache Spitze geht aus seiner vordern Hälfte hervor, indem das 
Cingulum hinten einen gröfseren höckerigen Absatz bildet. Der unmittelbar 
auf den Eckzahn folgende erste falsche Backzahn hat ganz dieselbe Gestalt 
wie jener, ist aber doppelt so grofs. Der zweite ist in Form und Gröfse 
dem entsprechenden Oberkieferzahn täuschend ähnlich und der dritte unter- 
scheidet sich von ihm nur durch die Anwesenheit eines kleinen deutlichen, 
hinteren, inneren Höckers des Cingulums. Der vierte untere falsche Back- 
zahn, dem Reifszahn der Raubthiere entsprechend, ist dagegen merklich 
gröfser und höher und von eigenthümlicher Gestalt, indem seine Krone sich 
in zwei neben einander liegende Spitzen theilt, von denen die innere 


(') Bei anderen Arten von Scalops, z. B. Sc. argentatus, bei welchem dieser Zahn conisch 
zugespitzt und sehr dick ist, ferner bei Sc. (Scapanus) latimanus et Townsendii finde ich dagegen 
keine solche Furche, während sie an den Eckzähnen von Cenzetes und namentlich von Nasua 
sehr auffallend ist. Diesen Zahn von Solenodon daher als Giftzahn zu betrachten, wie es von 
Hrn. Poey geschehen ist, dazu liegt kein hinreichender Grund vor. Dafs Bilswunden auch 
von anderen nicht giftigen Thieren oft schwären und nicht sogleich heilen, ist ja bekannt 
genug. Aufserdem ist zu bemerken, dals kein gefurchter Zahn einer Schlange giftführend 
ist, wenn er nicht zugleich von einem Canal durchbohrt wird. Von einem Gift erzeugenden 


Apparat findet sich auch bei Solenodon keine Spur. 


Phys. Kl. 1863. B 


10 Peters 


schwächer und niedriger als die äufsere ist; vorn und innen bildet das Cin- 
gulum einen sehr kleinen, hinten und innen einen sehr deutlichen Basal- 
höcker. Die beiden folgenden wahren Backzähne sind von gleicher Gröfse 
und Gestalt; sie sind nicht höher und nur wenig gröfser als der vorher- 
gehende Zahn. Die Spitze ihres Dreiecks ist nicht wie an den oberen Back- 
zähnen schräg nach innen und vorn, sondern nach aufsen und hinten ge- 
richtet; sie haben daher auf der Kaufläche eine äufsere und zwei innere 
Spitzen, von denen die vordere die kleinste ist; hinten und innen an ihrer 
Basis bildet das Cingulum einen Höcker, in ähnlicher Weise, wie an dem vor- 
hergehenden falschen Reifszahn. Der hinterste Backzahn unterscheidet sich 
von den vorhergehenden nur dadurch, dafs er schmäler, aber zugleich ein 
wenig länger ist und dafs der aus dem Cingulum hervorgehende hintere 
Basalhöcker sich zu einem spitzen Zacken entwickelt. 

Wenn daher in dem Bau der unteren Schneidezähne Solenodon die 
auffallendste Übereinstimmung mit. Scalops zeigt, so ist in Bezug auf den Bau 
der hinteren Backzähne die Übereinstimmung mit Centetes, Ericulus und 
Echinogale eine nicht minder bemerkenswerthe. 

Was die Unterschiede anbetrifft, welche sich an dem Gebisse des So- 
lenodon Cubanus, im Vergleich mit dem von Solenodon paradoxus bemerken 
lassen, so sind sie nicht unbedeutend und würden von noch gröfserer Wich- 
tigkeit sein, wenn sie sich als unabhängig von der Geschlechtsverschiedenheit 
der Exemplare ergeben sollten. Auffallend ist zunächst bei unserer Art, bei 
ganz gleicher Gröfse beider Schädel, die verhältnifsmäfsig geringere Gröfse 
der wahren Backzähne und die gröfsere Länge der von den falschen Back-, 
Eck- und Schneidezähnen gebildeten Reihe. Der vordere obere Schneidezahn 
ist ferner kleiner, schlanker und langspitziger; der zweite und der falsche 
Eckzahn haben keinen vordern Höckeransatz; der erste grofse zweiwurzelige 
falsche Backzahn ist beträchtlich gröfser, aber weder vorn noch hinten mit 
einem Höckeransatz versehen und aufserdem durch viel gröfsere Zahnlücken 
von seinen Nachbarn getrennt; der zweite falsche Backzahn ist eben- 
falls gröfser und ohne vorderen und binteren Höckeransatz; auch der 
dritte falsche Backzahn ist gröfser und hat ein weniger entwickeltes Cingu- 
lum; der falsche Reifszahn und die drei hinteren Backzähne sind sämmtlich 
kleiner, haben ein viel weniger entwickeltes Cingulum, auch einen weniger 
gelappten äufseren Rand und weniger spitze Höcker. Bei den Unterkiefer- 


über die Säugethiergaltung Solenodon. 11 


zähnen finden dieselben Unterschiede statt: die Reihe falscher Eck- und 
vorderer Backzähne ist gröfser, der falsche Reifszahn und die wahren Back- 
zähne sind kleiner und an allen Zähnen ist das Cingulum weniger entwickelt, 
als bei den entsprechenden von Solenodon paradoxus. Eine Vergleichung 
der auf Tafel III. gegebenen Abbildung des Gebisses von S. Cubanus mit 
der ganz naturgetreuen meisterhaften Darstellung von S. paradoxus (Brandt 
l. c. Taf. II.) wird diese hervorgehobenen Unterschiede sogleich erkennen 
lassen. 

Aus den vergleichenden Mafsen der Zahnreihen werden diese Unter- 
schiede ebenfalls leicht ersichtlich sein. 


S. CubanusQ. S.paradoxus J. 


Länge der ganzen oberen Zahnreihe . . . . . 0,039 0”,039 
Länge der vier oberen hinteren Backzähne zusammen 0,0122 0",0153 
Länge der ganzen unteren Zahnreihe . . . . . 0m,0305 09,033 
Länge der vier unteren hinteren Backzähne zusammen Um,015 0”,017 


Der Schädel des Solenodon paradoxus ist so ausführlich von Hrn. 
Brandt beschrieben worden, dafs ich mich füglich auf die Angabe der 
Unterschiede beschränken kann, welche der des Cubanischen Thiers dar- 
bietet. Ein besonderer unterer Rüsselknochen fehlt ganz, indem die ganze 
untere Wand des Rüssels knorpelig ist. Der ganze Schädel ist bei gleicher 
Länge (bis zu den Foramen oceipitale gemessen) breiter; die Foramina in- 
cisiva sind kleiner; das kleine in dem Gaumentheil der Ober- und Zwischen- 
kiefernaht befindliche Gefäfsloch liegt nicht an der innern Seite des Eck- 
zahnes, sondern weiter vorn, dem zweiten Schneidezahn gegenüber; der 
Endtheil des Oberkieferjochfortsatzes ist fast eben so hoch wie seine Basis, 
während er bei S. paradoxus um die Hälfte niedriger ist und einen schmalen 
gekrümmten Bogen bildet; die obere Wurzel dieses Fortsatzes ist dagegen 
beträchtlich schmäler als bei jenem; die Gegend über dem Foramen lacrymale 
ist sehr vertieft, hinten, oben und unten scharf begrenzt, während diese 
Gegend bei S. paradoxus flach concav und ohne bestimmte Abgrenzung ist. 
Der hintere Rand des harten Gaumens ist breiter und anstatt eines Aus- 
schnittes findet sich jederseits ein von dem Öberkiefer und Gaumenbein 
umschlossenes Loch. Die Fossa interpterygoidea ist viel tiefer und breiter, 
indem die Processus pterygoidei viel höher und in der Mitte nicht einwärts 
gebogen sind. Der Processus zygomaticus ist viel breiter und bietet daher 


B2 


12 PETERS 


aufsen neben der Gelenkgrube eine viel gröfsere Fläche dar, als bei S. para- 
doxus. Was den Unterkiefer anbelangt, so ist die Verbindungsnaht der 
Unterkieferhälften beträchtlich länger und der Winkel, in welchem sie hinter 
dieser Naht zusammenstofsen, viel spitzer; der Processus coronoideus ist 
höher und die innere Grube unter dem Gelenkfortsatz tiefer und gröfser, 
auch der hintere Rand unter dem Gelenkfortsatz zugeschärft und nicht ver- 
dickt. Ich erlaube mir noch zu bemerken, dafs, wie in der Regel bei den 
Insectivora zum Unterschiede von den Ferae, die Gelenkgruben zusam- 
men Theile eines nach vorn convexen Bogens bilden und dafs demgemäfs 
auch die queren Gelenkköpfe des Unterkiefers mit ihrem inneren Ende 
etwas nach vorn gerichtet sind. Der obere Theil des Hinterhauptbeines 
bildet, sich an die Parietalia anschliefsend, ein nach hinten vorspringendes 
zweilappiges Dach, wodurch der Schädel noch mehr Ähnlichkeit mit dem 
von Centetes erhält. Eigenthümlich für Solenodon ist die (im Vergleich zu 
anderen Insectivoren) geringe Entwicklung des hinteren Grundstücks des 
Keilbeines und der Mangel seitlicher Flügelfortsätze, welche sonst die Trom- 
melhöhle nach innen begrenzen, so dafs auch der Boden der Fossa inter- 
pterygoidea mit der unteren Fläche der Basis oceipitalis eine ununterbrochene 
Ebene bildet, ferner ein sehr starker Fortsatz unter dem Unterkieferrande, 
auf dessen Anwesenheit bei den Bären man, als ein verwandschaftliches 

Merkmal mit den Seehunden, ein so grofses Gewicht gelegt hat. 
Da von den übrigen Theilen des Skelets des S. paradoxus Nichts 
bekannt ist, so lasse ich hier gleich die Mafse der Schädel beider Arten folgen: 
S. Cubanus Q. 8. EROBRENT 


Gröfste Länge des ganzen Schädels - » » 2 2.0... 07,087 
Vom Foramen magnum bis zum vordern Rande der Zwischenkiefer 0”,0737 N 
Vom hinteren Rande des harten Gaumens bis zum vord. Rande 
der Ziwischenkieferu 0. 2 nee 000% 07,044 

Breite zwischen den Jochfortsätzen des Schläfenbeins . . 0,0335 0”,0303 

3 hy . Er E, des Oberkieferss . .. . 0,0347 0”,0315 
BreitesyorsdenBickzähnenierse 0 sea er 2 ,00009A 0”,0087 
Breite der Interorbitalgegend . . . . . 3 ar 0”,0177 
Breite des Cerebraltheils über den Schläfenjochfortsätzen .. 07,026 0”,0242 
Höhe des Schädels mit den Processus pterygoidei. . . . 0m,024 0”,0184 
Tiefe der Fossa interpterygoida -. » » 2 2.2.2.2... 00,007 0",004 
Gröfster Abstand der Processus pterygoidei. . - .  0m,0065 0",0035 
Gröfster Abstand der Aulsenseiten der drittletzten ORTEN 07,022 0,023 


Grölste Höhe des Unterkiefers mit dem Proc. coronoideus . 07,028 0”,0255 


über die Säugethiergattung Solenodon. 13 


Mit anderen Gattungen der Insectivora verglichen zeigt Solenodon im 
Schädel- und Zahnbau die meiste Ähnlichkeit: 1.durch dieForm des Schnauzen- 
endes, der Foramina incisiva und der vorderen Zähne mit Scalops (weniger 
mit Myogale);, 2. durch die Bildung des harten Gaumens und die allgemeine 
Form des Unterkiefers mit Scalops und Centetes; 3. durch die allgemeine 
gestreckte Form mit Centetes, Sorex und Myogale;, 4. durch den Mangel der 
Jochbogen, die Bildung der Fossa interpterygoidea und die einfach ring- 
förmige Bildung der Ossa tympanica mit ‚Sorex und Centetes; 5. durch die 
Bildung des Oberkieferjochfortsatzes, der wahren Backzähne, des Schläfen- 
jochfortsatzes, der Gelenkgruben und der Hinterhauptschuppe mit Centetes; 
6. durch die Bildung der Pars basilaris des Keilbeins mit Sorex. 

Das Zungenbein zeigt am meisten Übereinstimmung mit dem von 
Erinaceus Europaeus;, Körper und untere Hörner bilden ein einziges bogen- 
förmiges Stück ; das erste Glied der oberen Hörner ist sehr kurz, das zweite 
an Länge etwa gleich dem halben Zungenbeinkörper und das dritte Glied 
mehr als doppelt so lang wie das vorhergehende. 

Die Wirbelsäule wird zusammengesetzt aus 7 Halswirbeln, 
15 Rückenwirbeln, 4 Lendenwirbeln, 5 Kreuzbeinwirbeln und 23 Schwanz- 
wirbeln. Der Bildung nach hat sie, namentlich durch die Entwickelung des 
ungeheuren Dornfortsatzes des zweiten Halswirbels, die allmählig sich in 
die langen dünnen vorderen Rückenwirbeldornfortsätze entwickelnden Dorn- 
fortsätze der hinteren Halswirbel und die sehr platten und hohen Dornfort- 
sätze der Lendenwirbel am meisten Ähnlichkeit mit der von Centetes ('), 
während das Kreuzbein sich dem der Tupayas und Macroscelides (Rhyn- 
chocyon ete.) durch die beträchtliche Entwickelung der Quer- und Gelenk- 
fortsätze am nächsten anschliefst. 

Von den 15Rippenpaaren verbinden sich 8 mit dem Brustbein; durch ihre 
breite Gestalt stimmen sie am meisten mit denen von Galeopitheeus, Scalops(?) 
und Erinaceus überein und weichen eben dadurch von denen der Centetes ab. 

Das Brustbein besteht aus 7 Stücken und unterscheidet sich gleich 
dadurch sehr von dem der Centetes und Sorex, dafs die Mittelstücke nicht 
zusammengedrückt, sondern abgeplattet sind, wie bei Erinaceus. Das Manu- 
brium hat fast die Form eines Kreuzes mit verlängerter Basis und am meisten 


(') Echinogale und Ericulus, welche sich hier anschlielsen, kann ich leider nicht vergleichen. 
(*) 


Abgesehen von den vorderen, bei Scalops ganz verschieden gebauten Rippen. 


14 PETERS 


Ähnlichkeit mit dem der Galeopithecus und der Tupayas; das vierte und 
fünfte Mittelstück sind durch eine feste Naht mit einander verbunden: das 
knöcherne Endstück ist, wie bei Sorex fodiens, gabelförmig gespalten und 
bildet mit einer breiten viereckigen, vorn tief ausgerandeten Knorpelplatte 
ein längliches eiförmiges Loch. 

Das Schulterblatt ist breit und nähert sich am meisten dem von 
Centetes, mit Ausnahme des unter der Spina liegenden Theils, welcher mehr 
dem entsprechenden der Tupayas ähnlich ist. Auch die schlanke, starke, 
Sförmig gebogene Clavicula hat noch mehr Ähnlichkeit mit der der Tu- 
payas als mit der von Centetes. 

Was das Becken anbelangt, so verbinden sich die drei vorderen 
Kreuzbeinwirbel mit den Darmbeinen, welche, wenn auch mehr gestreckt, 
durch ihre dreieckige und zusammengedrückte Gestalt sich am meisten denen 
von Erinaceus nähern, sich aber sehr von den entsprechenden platten 
Knochen der Centetes entfernen, während die Scham- und Sitzbeine wieder 
am meisten mit denen dieser Gattung übereinstimmen. 

Der Oberarm stimmt in seinen Proportionen am meisten mit dem 
von Centetes überein und über dem Condylus internus befindet sich ein Loch, 
wie solches bekanntlich bei Centetes, Sorex, Cladobates, Macroscelides, 
Rhynchocyon u.a. ebenfalls vorhanden ist. Die beiden Vorderarmknochen 
sind, wie bei allen Insectivora (mit Ausnahme von Galeopithecus) getrennt 
und frei beweglich; die Ulna ist der von Erinaceus, der Radius dem von 
Centetes am ähnlichsten, aber beide Knochen, namentlich der Radius, sind 
mehr zusammengedrückt, als bei diesen beiden Gattungen. 

Die Handwurzelknochen der ersten Reihe, das Os naviculare, lu- 
natum, triquetrum und das aufserordentlich entwickelte Os pisiforme stimmen 
in ihrer Bildung am meisten mit denen von Centetes überein; das Os inter- 
medium, das Multangulum majus und minus, so wie das Os capitatum 
und hamaltum, welche letzteren beide durch ihre Länge ausgezeichnet sind, 
zeigen in ihren Proportionen am meisten Ähnlichkeit mit denen von Centetes, 
sind aber mehr entwickelt. Neben der inneren Seite der Handwurzel be- 
findet sich noch ein platter griffelförmiger Sehnenknochen. In Bezug auf 
die Mittelhand- und Fingerglieder dürfte nur die den Krallen entsprechende 
starke Entwickelung und zusammengedrückte Gestalt der Krallenglieder her- 
vorzuheben sein. 


über die Säugethiergatiung Solenodon. 15 


Der Oberschenkel stimmt der Gestalt nach am meisten mit dem 
von Centetes und Sorex (fodiens) überein, zeichnet sich aber aus durch 
eine flache dreieckige, unter dem Kopfe des Oberschenkels zwischen den 
beiden Trochanteren gelegene Vertiefung, welche mit einer tiefen Grube an 
der inneren Seite des grofsen Trochanter zusammenhängt. Die beiden Unter- 
schenkelknochen, welche den Oberschenkel um ein Sechstel ihrer Länge 
überragen, sind gestreckter als bei den Centetes und Tupayas, mit denen sie 
sonst besonders auch dadurch übereinstimmen, dafs sie, wie auch bei den 
Galeopithecus, nicht mit einander verwachsen sind, was bei allen anderen 
Insectivoren der Fall ist. Die Fufswurzelknochen sind von der gewöhn- 
lichen Zahl und etwas gestreckt, so dafs der Calcaneus dem Metatarsus der 
Mittelzehe an Länge gleichkommt. An der innern Seite des Os cuneiforme 
primum befindet sich ein ähnlicher platter griffelförmiger Sehnenknochen, 
wie an der Handwurzel. 

Von dem Muskelsystem führe ich hier nur die Hautmuskeln an, 
unter denen zu erwähnen sind: 1. breite, durch eine obere breite Sehne 
verbundene platte Muskeln, welche den Kopf und die Schnauze umgeben; 
2. das sehr ausgedehnte, Hals und Schultern bedeckende, Platysma myoides; 
3. zwei grofse seitliche Hautmuskeln des Rückens und der unteren Extremi- 
täten, welche unter einander durch eine breite Dorsalsehne verbunden sind, 
sich nach hinten und aufsen von dem Pectoralis major an den Oberarm- 
knochen befestigen und ein plattes Fascikel absenden, das neben der Mit- 
tellinie des Bauches bis zu der Gegend hinter dem After herabsteigt. 

Die Zunge ist langgestreckt, dick, an der Spitze abgerundet, dicht 
mit feinen schuppenförmigen Wärzchen bedeckt, unter denen zerstreute 
gröfsere linsenförmige oder pilzartig gestielte hervorragen; auf der Wurzel 
bemerkt man drei Papillae circumvallatae, eine mittlere kleinere runde 
und zwei seitliche, etwas weiter vorn stehende, ovale gröfsere. Die Unter- 
zunge ist kurz und breit. Die Gaumenhaut bildet zwischen den beiden 
Gruben, welche zur Aufnahme der Furchenzähne dienen, eine knotige Wulst, 
darauf neun bogenförmige Querfalten und am hinteren Rande des harten Gau- 
mens eine quere Wulst. Die Speicheldrüsen sind sämmtlich sehr entwickelt. 

Der weiche Gaumen steigt tief hinunter und ist in der Mitte bogen- 
förmig ausgeschnitten. Die Speiseröhre erscheint am Anfange und am Ende 
etwas dickhäutiger als in der Mitte und geht in einen grofsen runden, etwa 


16 PErErs 


0,06 langen sackförmigen Magen über, an welchem rechts neben der Cardia 
der Pförtner liegt. Der Darm ist, wie bereits Hr. Poey angegeben, ganz 
einfach; sein Anfangstheil ist erweitert, wie man es aufser bei den Inseeti- 
vora auch bei den Chiroptera findet und am Rectum konnte ich eben so 
wenig wie Hr. Poey besondere Drüsen finden. Die Darmlänge beträgt an 
diesem Exemplar 1",720. Die Leber besteht, wie bereits Hr. Poey anführt, 
aus drei Hauptlappen, von denen der linke gröfsere den Magen deckt, und 
weniger tiefere Einschnitte zeigt, als die beiden rechts liegenden. Die läng- 
lich runde Gallenblase liegt unter dem mittleren Lappen und der Ductus 
eysticus vereinigt sich mit zwei Hauptlebergängen. Das Pancreas ist dünn 
ausgebreitet und verästelt. Die Milz ist platt, langgestreckt, am unteren 
Rande concav, am oberen Rande convex, mit einer bogenförmigen Verbrei- 
terung nach ihrem rechten Ende hin; sie hat eine Länge von 0",067 und mifst 
an der breitesten Stelle 0",028. 

Das Herz hat eine Länge von 0”,025 und eine Breite von 0”,018. 
Die Vertheilung der grofsen Gefälsstämme ist ganz so, wie ich sie bereits von 
Rhynchocyon (') dargestellt habe. Wie bei dem Menscheu gehen die 
rechte Carotis und Subelavia aus einem gemeinsamen Stamm, die der linken 
Seite getrennt aus der Aorta hervor und zwei obere, eine rechte und eine 
linke, Hohlvenen führen das Blut von den vorderen Körpertheilen nach dem 
Herzen zurück. 

Der Kehldeckel ist breit und in der Mitte des vordern Randes durch 
einen kleinen vorspringenden spitzen Zapfen ausgezeichnet. Der Schild- und 
Ringknorpel haben ähnliche Proportionen wie bei dem Menschen. Die Luft- 
röhre wird bis zur Theilungsstelle von 21 Knorpelringen gestützt, von denen 
die ersten 9 ganz geschlossen, die folgenden hinten gespalten sind, wobei 
die Spalte bis zu den untersten Halbringen hin immer breiter wird (?). Beide 
Lungen sind durch tiefe Einschnitte in drei Lappen getheilt. Die Schild- 
drüse besteht aus zwei seitlichen ganz von einander getrennten Lappen, so 
dafs es mir Anfangs den Anschein hatte, als sei sie gar nicht vorhanden (°). 


(') Reise nach Mossambique. Säugethiere. p. 106. Taf. XXIV. Fig. 9. 
(?} Bei Centetes, Cladobatus, Macroscelides, Rhynchocyon finde ich alle Luftröhrenringe 


gespalten. 
(C°) Sollte es sich nicht auch so bei der Giraffe verhalten, wo sie bekanntlich vermilst 
worden ist? Auch bei C/adodates fehlt der mittlere Lappen. 


über die Säugethiergattung Solenodon. 47 


Die Drüsen „von der Farbe von Milchkaffe”, welche Hr. Poey(') 
an den frischen Exemplaren in der Achsel- und Inguinalgrube fand, sind ohne 
Zweifel Lymphdrüsen. 

Die Nieren sind einfach bohnenförmig, 0”,022 — 0,023 lang und 
0”",012 — 0”,013 breit; die Ureteren münden in eine dicke rundliche Harn- 
blase, aus welcher eine ziemlich lange Urethra hervorgeht. Die Neben- 
nieren haben eine beträchtliche Gröfse, eine Länge von 0”,015 und eine 
Breite von 0",006. 

Die Ovarien sind sehr wenig entwickelt und liegen nahe der Ausmün- 
dung der sehr dicken Uterushörner. 

Nach der Untersuchung eines männlichen Thieres berichtet Hr. 
Poey (?), dafs die beiden Zitzen sich in derselben Querlinie mit dem Prae- 
putium befinden, dieses letztere hinten mit dem Felle verwachsen, der 
Penis nach hinten gerichtet und versteckt ist und dafs die Hoden in der 
Bauchhöhle gelegen sind. 

Man hat dieses Thier bisher auf den Gebirgen bei Trinidad und Ba- 
yamo, also im südlichen und westlichen Theil der Insel Cuba gefunden. 

Über die Lebensweise, den Aufenthalt u. s. w. dieses höchst merk- 
würdigen Thieres finden sich in der erwähnten Abhandlung des Hrn. Poey, 
welche mein sehr geehrter Freund Hr. Dr. J. Gundlach mir nebst einigen 
eigenen Bemerkungen zugesandt hat, so interessante Mittheilungen, dafs 
ich nicht unterlassen kann, sie hier hinzuzufügen. 

D. Andres Jäacome, bei welchem ein solches Thier drei Jahre lang 
in der Gefangenschaft gelebt hatte, gab Hrn. Poey folgende Notizen: „Es 
war von der Gröfse einer hutia (Capromys), hatte sehr kleine Augen, keine 
Haare auf dem hinteren Körpertheile, welcher unter der mehr als drei Zoll 
langen Behaarung des Vordertheils versteckt, so zart wie die Haut eines 
chinesischen Hundes war. Das Thier sträubte das Haar in seinen Zorn- 
anfällen, welche sehr häufig waren, besonders wenn ein Huhn oder irgend 
ein anderes Thier vorüberging. Die Farbe des Haares ist schwarz und auf 
der Unterseite des Körpers schmutzig weils; der Kopf ist mit kurzem weifsen 
Haar bedeckt und endigt in einen Rüssel. Es ist durchaus kein Wasserthier, 


(') Poey l.c. p. 434. 
(?2) l.c. p. 433. 


Phys. Kl. 1863. C 


18 PETERS 


wie es der Mangel der Haut zwischen den Fingern zeigt und wie aus der Lo- 
calität hervorgeht, in der es gefangen wurde, welche sich auf dem höchsten 
Punkte eines Gebirges, wenige Meilen von Bayamo, befindet. Es hat Krallen 
wie ein Habicht und mit ihnen zerrifs es in einem Augenblicke das Hühn- 
chen, welches in seine Fänge fiel.” 

D. Manuel Perez Corona, ein Verwandter des Hrn. Jacöme, 
bestätigte diese Angaben, indem er hinzufügte, dafs das Thier spät Nach- 
mittags sehr munter wurde. 

Nach einem andern Berichterstatter ist das Thier nicht selten in den 
Gebirgen, z. B. auf der Caffepflanzung Buonavista, 6 Meilen östlich von 
Bayamo und hat, wenn es von Jägern verfolgt wird, die Gewohnheit, den 
Kopf zu verstecken, indem es auf diese Weise in Sicherheit zu sein glaubt, 
so dafs man es dann leicht am Schwanze ergreifen kann. 

Es ist nach einer andern Nachricht ein nächtliches Thier und fleisch- 
fressend; es schläft während des Tages und sucht einen Winkel, um seinen 
Kopf zu verstecken; stört man es in dieser Stellung, so grunzt es wie Ca- 
promys. Während der Nacht ist es munter und tummelt sich beständig 
herum; zuweilen schreit es wie ein Käuzchen. Frisch gefangen und in einen 
Käfig gethan, weigert es sich nicht, zu fressen und stürzt sich ins Wasser, 
womit es sich angenehm zu unterhalten scheint. Man mufs aber sehr für seine 
Reinlichkeit sorgen, um es am Leben zu erhalten und die Nahrung mufs aus 
fein gehacktem Fleische bestehen, weil esschwer kaut und ohne solche Vorsicht 
ersticken kann. Gekochtes Fleisch würde ihm wohl bekommen. Hr. Poey 
sah ebenfalls an den Thieren, die er lebendig hatte, dafs sie sehr lange das 
Fleisch kauten und lange Zeit brauchten, um ihren Durst zu stillen. Die 
Rüsselspitze war ähnlich der eines Schweines. Aus der Haut ergofs sich 
häufig eine röthliche ölige übelriechende Flüssigkeit. Die Stimme war durch- 
dringend, zwischen dem Grunzen eines Schweines und dem Geschrei eines 
Vogels (also wie bei den Mangusten) ('). 


(') Die Thiere, welche er lebend hatte, starben theils an den Bilswunden, welche sie 
einander zufügten, theils an einer eigenthümlichen Helminthiasis. Das eine Thier war ganz 
voll von Würmern, welche in einem weichen Sack eingehüllt lagen und sich von 1 Linie 
bis 8 Lin. Länge und 5 Lin. Breite in dem subcutanen Bindegewebe und in den Muskeln, 
besonders am Halse, fanden. Sie waren platt, wie Taenien, aber ungegliedert, mit dün- 
nerem Halse und dickerem Kopfe. 


über die Säugethiergatlung Solenodon. 19 


Der einheimische Name ist nach den Mittheilungen von Hrn. Poey 
sehr verschieden. In den Gebirgen von Bayamo wird das Thier Tejon (Dachs), 
in denen von Trinidad Tacuache, in den Gebirgen von Guiza und Sierra 
Maestra Andaras genannt. Ein Hr. Pichardo macht es wahrscheinlich, 
dafs es dasselbe Thier sei, welches bei Oviedo unter dem Namen Aire er- 
wähnt wird und dafs dieser Name von der zitternden Bewegung des Kopfes 
herrühre, die es macht, wenn es geht, ebenso wie es mit Personen der Fall 
sei, die einen schweren Kopf oder Rausch (zorä =aire) haben. Bei dieser 
Unbestimmtheit eines vulgären Namens schlägt Hr. Poey vor, es nach einem 
Gebirge zu benennen, in dessen Nähe das Thier angetroffen wird und 
welches Almiqui heifst(!). 


Was nun schliefslich die systematische Stellung der Gattung Soleno- 
don anbelangt, so weicht sie offenbar in den meistenMerkmalen so sehr von 
unseren einheimischen Gattungen Talpa, Sorex, Myogale und Erinaceus ab, 
als dafs, wenn man überhaupt die Ordnung der Insectivoren in kleinere 
Familien oder Gruppen vertheilen will, sie mit diesen zu vereinigen wäre. 
Ebenso wenig läfst sie sich, ungeachtet mancher Übereinstimmung in den 
wesentlichsten Theilen des Skelets, mit den Tupayas und Macroscelides 
zusammen gruppiren und es bleiben, abgesehen von Galeopithecus, den 
A. Wagner, wie mir scheint nicht mit Unrecht, dieser Säugethierordnung 
angereiht hat, nur die Madagascar eigenthümlichen Gattungen übrig, denen 
sie sich in den meisten Punkten enger anschliefst. Diese Beziehung zwischen 
der Fauna von America und Madagascar kann uns weniger überraschen, 
nachdem wir wissen, dafs auch die Reptilien dieser Insel merkwürdiger 
Weise mehr Fälle verwandtschaftlicher Verbindungen mit denen Americas 
liefern als die irgend eines anderen Landes (?). 


(') Der einheimische Name des Solenodon paradoxus Brandt, aus Haiti, ist nach einer 
Notiz auf dem Originaletiquet „„Miragoane”. 

(?) Abgesehen von einer auf den Fidji-Inseln vorkommenden Art, Brachylophus fasciatus, 
ist z. B. Madagascar das einzige Land, wo aulser America Iguanoiden mit angewachsenen 
Zähnen (Hoplurus, Chalarodon) und Arten der americanischen Schlangengattungen Xipho- 
soma und Heterodon gefunden werden. 


C2 


20 PETERS 


Die bisher aufgestellten Familien oder Gruppen der Insectivoren 
scheinen mir überhaupt sehr wenig natürliche zu sein, was zum Theil aller- 
dings daran liegt, dafs eine scharfe Abgrenzung aller Gruppen nicht wohl 
möglich ist. Eine natürlichere Gruppirung als die bisherige scheint mir 
die folgende zu sein, wobei ich die mehr bekannten äufseren Merkmale über- 
gehe und nur einige der wichtigsten anatomischen hervorhebe. 


A. Darmcanal mit einem grofsen Blinddarm. 
a. Unterschenkelknochen getrennt, Jochbogen vollständig. 
a. Ulna unvollständig. 
Il. GALEoOPITRECI. 
1. Galeopithecus Pallas. 
£. Ulna vollständig. 
I. Tvrarae. 
1. Cladobates Cuvier. 
2. Ptilocercus Gray. 
3. Hylogale Schlegel et Müller. 
b. Unterschenkelknochen verwachsen, Jochbogen vollständig. 
III. MaAcroscELıpes. 
1. Rhynchocyon Peters. 
3. Macroscelides Smith. 
B. Darmceanal einfach, ohne Blinddarm. 
a. Unterschenkelknochen getrennt, kein Jochbogen. Keine Bullae 
osseae, 0s tympanicum einfach ringförmig. 
IV. Cexterına. 
1. Solenodon Brandt. 
2. Centetes llliger. 
?3. Ericulus Is. Geoffr. 
?4. Echinogale Martin. 
b. Unterschenkelknochen verwachsen, Jochbogen vollständig, Gehör- 
bullen mehr oder weniger entwickelt, Schädelhöhle vollständig. 
a. Äufsere Ohren wohl entwickelt. 
V. EkrınA4cen. 
1. Erinaceus Linne. 
2. Gymnura Vig. et Horsf. 


über die Säugethiergattung ‚Solenodon. 2 


8. Äufsere Ohren verkümmert oder fehlend. 
VI. TiArpına. 


1. 
. Urotrichus Temminck. 


. Condylura llliger (Rhinaster Wagler). 


urn B8 


6. 


Myogale Cuvier. 


Scalops Cuvier. 
Talpa Linne. 
Chrysochloris Lac£pede. 


c. Unterschenkelknochen verwachsen, kein Jochbogen, Schädelhöhle 


an der Basis zum Theil häutig, Ossa tympanica einfach ringförmi 


g. 


{e) 


VII. Sorıces. 


1. Sorex Linne. 


—— 


Peters über die Säugethiergatiuug Solenodon. 


Erklärung der Abbildungen. 


Taf. I. Solenodon Cubanus Peters. Weibchen. 
Taf. II. Fig. 1. Schnauze desselben von unten; Fig. 1a. Rüsselspitze von oben. 
Fig. 2, 2a und 22, Rüsselspitze von unten, von oben und von der Seite betrachtet, 


von Solenodon paradoxus Brandt. 


Die folgenden Figuren beziehen sich sämmtlich auf Solenodon Cubanus. 


Fig. 
Fig. 


Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 


Fig. 
Fig. 


Fig. 


Taf. IH. Fig. 


3. 
4. 


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Das linke Ohr. 
Das Gesäfs von unten gezeichnet, um die Lage der beiden Saugwarzen und 
die Geschlechts- und Afteröffnung zu sehen. 


. Die rechte Hand von unten. 

. Der rechte Fuls von unten. 

. Die Gaumenhaut. 

. Die Zunge. 

. Verdauungsorgane. a. Oesophagus, c. Cardia, v. Magen, p. Pylorus, d. Duo- 


denum, vf. Gallenblase, 2. Milz, in der Lage gezeichnet, wie sie erscheint, 
wenn man den Magen nach oben herumschlägt. 


10. Pancreas. 
11. Zungenbein, Respirationsorgane und Herz mit den Gefälsstämmen. y. Zun- 


genbeinkörper; Z. Cartilago thyreoidea; r. Cartilago cricoidea; a. Arteria 
anonyma; c. Carotis dextra; s. Subclavia dextra; c'. Carotis sinistra; 
5’. Subclavia sinistra,; v. Vena cava superior dextra, v'. Vena cava superior 


sinistra; v? Vena cava inferior. 


12. Harn- und Geschlechtsorgane. a. Aorta; v. Vena cava; r.r. Nieren; 


Dr 


4. 
3.3 


. 6. Becken von unten. 


s. s. Nebennieren; u. u. Ureteren; A. Harnblase; v'. Mündung der Urethra; 
ov. Ovaria; wi. Uterus; c.c. Hörner des Uterus; vg Vagina; vg’ Aus- 


0} 


mündung derselben; 77. Ligam 'a uteri; i. Rectum; :'. Afteröffnung. 


. Skelet von Solenodon Cubanus. 
. Schädel von oben; 3. derselbe von unten; 3a. Gebils von vorn; 32. der 


untere Furchenzahn von innen ('). 
linke Unterkieferhälfte von oben angesehen. 
Brustbein mit den Schlüsselbeinen und den Sternalenden der Rippen. 


Sämmtliche Figuren stellen die Theile in natürlicher Grölse dar. 


(*) Der untere Schneidezahn von Urotrichus talpoides ist, wie ich hier nachträglich bemerke, eben so 
gefurcht, wie der zweite untere Schneidezahn von Scalops aquaticus, während bei U. Gidbsü, nach Baird’s 
Darstellung, eben so wenig eine Furche vorhanden ist, wie bei anderen Scalopsarten. 


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Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten 


auf Grund der Sammlung im mineralogischen Museum zu Berlin. 


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[Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 7. und 14. August 1862 
und am 11. Juni 1863 (').] 


D. Meteoritensammlung macht einen besonderen Theil des mineralogi- 
schen Museums der Berliner Universität aus. Als bei der Gründung der Uni- 
versität im Jahre 1810 auch das mineralogische Museum durch Uebernahme 
der Mineraliensammlung der früheren General-Bergbau-Direction gegründet 
wurde, waren die wenigen Meteoriten, die sich in derselben befanden, noch 
nicht getrennt und mit den übrigen Mineralien vereinigt. Wie viele Meteo- 
riten sich schon damals in ihr befanden, läfst sich nicht angeben, da darüber 
die Nachweisungen fehlen, indessen enthielt sie doch schon manche kostbare 
Stücke, wie ein grofses prachtvolles Exemplar von dem Pallas-Eisen, das in 
einer Sammlung Russischer Mineralien enthalten war, die Kaiser Alexander I 
dem Könige Friedrich Wilhelm III im Jahre 1803 zum Geschenk gemacht 
hatte, so wie ein grofses Stück von dem Durango-Eisen, welches Al. von 
Humboldt aus Mexiko mitgebracht und dem damaligen Director Dietrich 
Karsten für die Sammlung übergeben hatte. Weifs, der nach Karstens 
Tode Director des mineralogischen Museums wurde, hatte ein grofses Inter- 
esse für die Meteoriten und liefs keine Gelegenheit vorübergehen, die sich 
ihm zur Erwerbung von Meteoriten darbot, doch fand sich dieselbe im An- 
fang, wo das Interesse für die Meteoriten überhaupt noch nicht so lebhaft 
war wie jetzt, nicht häufig. Die erste gröfsere Bereicherung erhielt das Mu- 
seum erst durch den Ankauf der Mineraliensammlung von Klaproth nach 
dessen im Jahre 1817 erfolgten Tode, indem sich darin nach Weglassung 
aller Arten, die sich später als unächt erwiesen haben, Steinmeteorite von 


(') Anfang des Druckes am 4. Juli 1864, bis wohin einige neue Zusätze hinzugefügt sind. 


34 G. Rose: 


12 Fundörtern und Eisenmeteorite von 5 Fundörtern befanden, und mehrere 
derselben in mehreren Exemplaren vertreten waren. In dem im Jahre 1826 
vollendeten Kataloge des Museums sind Meteorite von 31 Fundörtern aufge- 
führt, und zwar Steinmeteorite von 21 und Eisenmeteorite von 9 Fundörtern. 
Aber schon im nächsten Jahre vermehrte sich die Sammlung um mehr als das 
Doppelte durch das Vermächtnifs Chladni’s, wodurch die ganze berühmte 
Meteoritensammlung dieses um die Meteoritenkunde so verdienten Gelehrten 
dem Berliner Museum zufiel(!). Sie bestand in Steinmeteoriten von 31 und 
Eisenmeteoriten von 10 verschiedenen Fundörtern, unter denen 18 neue Me- 
teorite sich befanden. 

Durch den Ankauf der Sammlung des Medicinal-Raths Bergemann 
im Jahre 1837 erhielt das Museum einen Zuwachs an Steinmeteoriten von 9 
und von Eisenmeteoriten von 4 Fundörtern, doch waren darunter nur 2 neue 
Fundörter. Die späteren Erwerbungen geschahen nun nur durch Kauf, Tausch 
oder Schenkung einzelner Meteorite, wobei vor Allem das grofse Verdienst 
hervorzuheben ist, welches sich Al. von Humboldt durch die Schenkung 
so vieler ausgezeichneter Meteorite um das Museum erworben hat. Bei dem 
Tode des Professor Weifs im Jahre 1856 belief sich die Zahl der verschie- 
denen Meteoriten auf 90; sie ist seit dieser Zeit auf 176 gestiegen (?). Einen 
grofsen Zuwachs erhielt sie noch in der neuesten Zeit (?) durch den Ankauf 
einer ganzen Meteoritensammlung vom Prof. Shepard in New Haven in den 
Vereinigten Staaten, zu welchem die Akademie auf das liberalste die Mittel 
bewilligte (*). Die Sammlung stammte zum Theil aus der grofsen Meteori- 
tensammlung des Prof. Lawrence Smith in Louisville, V. St., und enthielt 
neben vielem Neuen einzelne Stücke von bedeutender Gröfse wie ein fast 


(') Chladni starb den 3. April 1827 auf einer Reise in Breslau. Er stand in den 
freundschaftlichsten Beziehungen zu dem damaligen Director des Berliner Museums, wie 
überhaupt zu den Berliner Gelehrten, und dies Verhältnifs hatte ihn bei dem Wunsche seine 
Sammlung gemeinnützig zu machen, den er in seinem Testamente ausdrücklich ausgespro- 
chen hatte, wohl besonders bewogen, seine Sammlung dem Berliner Museum zu vermachen. 

() Wobei die mir zweifelhaften Eisenmeteoriten von Scriba, Hemalga, Newstead, Li- 
vingstone und Melrose, die in den Catalogen von der Wiener, Göttinger und Londoner 
Sammlung aufgeführt werden, nicht gerechnet sind. 

(°) Noch vor der Lesung des dritten Theils dieser Abhandlung. 


(*) Vergl. die Monatsberichte der Akademie von 1862 S. 644. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 25 


vollständiges Exemplar von dem M. von New-Concord von 26 Pfund und 
24,3 Loth und eine grofse Platte von dem Toluca-Eisen mit vielen Ein- 
schlüssen, die über einen Fufs lang und einen halben Fuls breit ist. 

Von vielen Seiten aufgefordert, ein Verzeichnifs der in dem Berliner 
mineralogischen Museum befindlichen Meteoriten bekannt zu machen, schien 
es mir zweckmäfsig in diesem Verzeichnifs nicht, wie man gewöhnlich zu thun 
pflegt, die Eisen- und Steinmeteorite in der zufälligen Ordnung ihrer Fall- 
oder Fundzeit aufzuführen, sondern das Gleichartige zusammenstellend, sie 
nach ihrer mineralogischen Beschaffenheit zu ordnen. Ich fand zu einer sol- 
chen Anordnung um so mehr Veranlassung, als ich beabsichtigte, mit einem 
solchen Verzeichnifs eine neue Aufstellung der Meteoriten des Berliner Mu- 
seums vorzunehmen. Ich habe deshalb sämmtliche Meteoriten des Museums 
genau untersucht und dazu sämmtliche Stein- und Eisenmeteorite anschleifen 
lassen, und letztere geätzt, da man nur auf diese Weise bei den ersteren einen 
Ueberblick über die Gemengtheile erhalten, bei den letzteren die Structur 
erkennen kann, eine Arbeit, die lange aufhielt. Aufserdem hatte ich von 
einem grofsen Theil der ersteren dünne Platten schleifen lassen, und von den 
geätzten Flächen der letzteren Hausenblasenabdrücke gemacht, um sie unter 
dem Mikroskop zu beobachten, und bin nun dadurch zu den Resultaten ge- 
langt, die ich mir erlaube, hiermit der Akademie vorzulegen. 

Systematische Anordnungen der Meteoriten sindschonvonPartsch(!), 
Shepard(?) und in der neusten Zeit von von Reichenbach(°) versucht 
worden. Partsch theilt die Meteoriten ein zuerst in Stein- und Eisenmeteo- 
rite, und letztere in normale und anomale; eine Eintheilung und Benennung, 
die Reichenbach sehr tadelt, da man bei Meteoriten von normal und 
anomal nicht reden könne. Vergleicht man aber die Reihung selbst, so ist 
diese sehr naturgemäfs. Zu den anomalen rechnet er nur 4, die von Alais, 
Capland, Chassigny und Simonod, von denen die drei ersteren allerdings 
auch von besonderer Art sind. Den von Simonod kenne ich nicht, er wird 


(') Die Meteoriten oder die vom Himmel gefallenen Steine und Eisenmassen im k. k. 
Hof-Mineralien-Cabinette zu Wien 1843, S. 162. 

(?) Report on American meteorites (from the Ämer. Journ. of Science and arts, 2. Ser.). 
New Haven 1848 p. 16. 

(°) Anordnung und Eintheilung der Meteoriten in Poggendorffs Annalen 1859, B. 107, 
S. 155. 


Phys. Kl. 1863. D 


26 G. Rose: 


von Reichenbach als Meteorit ganz verworfen ('). Die normalen werden 
in 2 Abtheilungen getheilt, in solche die kein metallisches Eisen enthalten, 
wie a) die von Juvenas, Stannern, Constantinopel, Jonzac, die nach der 
damaligen Annahme aus Augit und Labrador bestehen und 5) die von Bialy- 
stock, Loutolax, Nobleborough und Mässing, die aufserdem noch Olivin ent- 
halten und ein breccienartiges Ansehen haben, worauf dann die grofse Schaar 
derer folgt, die Eisen eingesprengt enthalten. Hätte Partsch die ganze er- 
stere Abtheilung noch zu den anomalen gerechnet, so wäre die Eintheilung 
noch passender gewesen, und hätte er die Meteoriten der ersteren Abtheilung 
ungewöhnliche, die der letzteren gewöhnliche genannt, so würden diese Aus- 
drücke Reichenbach vielleicht weniger Gelegenheit zum Anstofs gegeben 
haben. Aber die Eintheilung ist doch immer noch nicht näher gerechtfertigt 
und zu unbestimmt. 

Das Meteoreisen theilt Partsch in ästiges und derbiges; das erstere 
erhält durch eingemengten Olivin eine schwammige Gestalt, das letztere hat 
eine unbestimmte Form und geringe Beimengungen. Zu den ersteren gehö- 
ren die Meteoriten von Atacama, Krasnojarsk (das Pallas-Eisen) und von 
Brahin, zu den letzteren alle übrigen, die nun noch weiter, je nachdem sie 
durch Aetzung mehr oder weniger deutliche oder auch gar keine Widman- 
stättenschen Figuren geben, eingetheilt werden. 

Die Eintheilung von Shepard bezieht sich zwar hauptsächlich nur auf 
die Amerikanischen Meteorite, nimmt aber doch auch auf einige ausländische 
Rücksicht. Er theilt die Meteorite ebenfalls zuerst ein in Eisen- und Stein- 
meteorite und beide dann weiter wie folgt: 


I. Classe: Eisenmeteorite. 


1. Ordnung: Dehnbare und gleichartige. 
1. Sect.: Reine (Scriba, Walker County). 
2. Sect.: Legirte. 
a) Feinkörnige (Green County, Texas, Dikson County, Burlington). 
b) Grobkörnige (De Kalb, Ashville, Guildford, Carthago). 
2. Ordnung: Dehnbare und ungleichartige. 
1. Sect.: Blasig-olivinige (Krasnojarsk). 


() A.a 0. S.163. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 7, 


2. Sect.: Blasig-pyritische (Cambria). 
3. Sect.: Pyritisch-graphitische (Cocke County). 
3. Ordnung: Spröde. 
1. Sect.: Reine (Redford County, Randolph County). 
2. Sect.: Legirte (Ötsego County). 


II. Classe: Steinmeteorite. 


1. Ordnung: Trachyltische. 
1. Sect.: Olivinige. 
a) Grobkörnige (Weston, Richmond). 
b) Feinkörnige (Nobleboro, Little Piney). 
2. Sect.: Augitisch (Juvenas). 
3. Sect.: Chadnitisch (Bishopville). 
4. Sect.: Kohlig (Cold Bockeveld). 
2. Ordnung: Trappartige. 
1. Sect.: Gleichartige (Chantonnay). 
2. Sect.: Porphyrartige (Renazzo). 
3. Ordnung: Bimmsteinartige (Waterville) ('). 
Reichenbach giebt wohl den, meiner Meinung nach einzig richtigen 
Weg zur Eintheilung der Meteoriten an, befolgt ihn aber selbst nicht. Er 
sagt, es wäre am natürlichsten , die Meteorite nach der Verschiedenheit der 
Mineralspecies, die sie enthalten, einzutheilen, da wir diese aber noch zu 
wenig kennen, so müssen wir es so machen wie die Botaniker beim natür- 
lichen Systeme der Pflanzen und die Meteoriten nach der allgemeinen Aehn- 
lichkeit reihen. Er theilt demnach dieselben in 9 Sippen und jede wieder in 
verschiedene Gruppen, indem er mit den eisenfreien Steinmeteoriten von 
Langres (Chassigny), Bishopville, Jonzac, Juvenas, Stannern, Constantinopel 
anfängt, durch die eisenhaltigen zu den Eisenmeteoriten fortgeht, die noch 
Olivin enthalten, und mit den aus fast reinem Eisen bestehenden Meteoriten 
schliefst. Es kann nicht fehlen, dafs ein so scharfblickender Kenner der 
Meteoriten, wie Baron Reichenbach, nicht eine Menge neuer interessanter 
Zusammenstellungen macht und Beziehungen zwischen Meteorsteinen her- 
vorhebt, die früher nicht beachtet waren; sein System ist aber doch nur, wie 


(') Nicht meteorisch. 


D2 


23 G. Rose: 


er selbst das Verfahren der Botaniker nennt, ein „geistreiches Tatonnement”, 
es ist ihm derselbe Vorwurf zu machen, den er dem Partschen Systeme 
macht, es fehlt ihm ein Eintheilungsprineip; wir scheinen doch hinreichend 
in der Kenntnifs der Meteoriten vorgerückt, um vollständig die strengen 
Grundsätze in Anwendung bringen zu können, die uns bei der Eintheilung 
der Gebirgsarten, mit denen die Meteoriten doch vollständig zu vergleichen 
sind, leiten. Wie man dort aus einem jeden selbstständigen Gemenge eine 
besondere Gebirgsart macht, so mufs man es auch hier thun, und wenn man 
allerdings auch noch nicht vollständig alle Gemengtheile der Meteoriten ge- 
nau kennt, so weils man davon doch so viel, um das Zusammengehörige zu- 
sammenstellen zu können. 

Ich behalte zuerst die alte Eintheilung in Eisen- und Steinmeteo- 
rite bei, je nachdem die Meteorite nur oder vorzugsweise aus Eisen und 
zwar Nickeleisen, oder vorzugsweise aus einem Gemenge von Silicaten 
bestehen, in denen das Nickeleisen nur untergeordnet oder gar nicht ent- 
halten ist. 

I. Die Eisenmeteorite machen 3 Arten aus, Meteoritenarten kann 
man sie nennen, wie man in der Petrographie Gebirgsarten oder Fels- 
arten sagt. 

Die 1. Art besteht aus Nickeleisen, das nur in geringer Menge mit 
einigen Eisenverbindungen gemengt ist; ich nenne sie Meteoreisen. 

Die 2. Art besteht aus demselben Meteoreisen, worin Krystalle von 
Olivin porphyrartig eingewachsen sind. Der von Pallas am Jenisei gefun- 
dene Eisenmeteorit war der erste der Art, den man kennen lernte; er ist 
bekannt unter dem Namen Pallas-Eisen und bildet noch immer einen Haupt- 
repräsentanten dieser Art; ich schlage daher vor, die ganze Art Pallasit 
zu nennen. 

Die 3. Art ist ein körniges Gemenge von Meteoreisen und Magnetkies 
mit Olivin und Augit. Ich nenne sie Mesosiderit von usscs in der Mitte 
stehend und Gıöngos Eisen, da sie aus einer ziemlich gleichen Menge von me- 
tallischen Eisenverbindungen und Silicaten besteht und so gewissermafsen in 
der Mitte zwischen den Eisen- und Steinmeteoriten steht. 

II. Die Steinmeteorite sind in 7 Arten zu theilen, für die ich die 
folgenden Namen vorschlage: 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 29 


1. Chondrit (von xevöass, die kleine Kugel). Sie ist die erste und 
hauptsächlichste Art, die den gröfsten Theil der Steinmeteorite enthält. Sie 
ist durch kleine Kugeln ausgezeichnet, die aus einem noch nicht bestimmten 
Magnesia-Silicat bestehen und in einem feinkörnigen Gemenge eingemengt 
sind, das aus Olivin, Chromeisenerz, einer schwarzen noch zu bestimmenden 
Substanz, sowie aus Nickeleisen und Magnetkies besteht. 

3. Howardit zu Ehren Howard’s benannt, dem wir die erste Ana- 
lyse eines Meteorsteins verdanken; ein feinkörniges Gemenge von Olivin mit 
einem weilsen Silicat, möglicher Weise Anorthit, und mit einer geringen 
Menge von Chromeisenerz und Nickeleisen. Sie enthält die Meteorsteine 
von Loutolax, Bialystock und Mässing u. s. w. 

3. Chassignit, von Chassigny, dem Fallorte des einzigen bekannten 
Meteoriten dieser Art; ein kleinkörniger eisenreicher Olivin mit sparsam ein- 
gemengten kleinen Körnern von Chromeisenerz. 

4. Chladnit nach Chladni benannt; ein Gemenge von Shepardit 
(Mg? Si?) mit einem noch näher zu bestimmenden thonerde-haltigen Silicate 
mit geringen Mengen von Nickeleisen, Magnetkies und einigen anderen noch 
zu bestimmenden Substanzen. Hierher gehört auch nur ein Meteorit, der 
von Bishopville (!). 

5. Shalkit, der Meteorstein von Shalka, ein körniges Gemenge von 
vorwaltendem Olivin mit Shepardit und Chromeisenerz. 

6. Die kohligen Meteorite, wie von Bokkeveld und Alais, die ich 
nicht genauer untersucht habe und für die ich daher noch einen eigenen Na- 
men aussetze. 

7. Eukrit von suxgires wohl bestimmbar, da die mineralogische Be- 
schaffenheit dieser Art bis auf einige Nebendinge ganz klar ist, und ihre we- 
sentlichen Gemengtheile vollkommen bestimmbar sind. Ein hauptsächlich 


(‘) Mit Chladnit hat zwar Shepard, der diesen Meteorit zuerst untersucht und be- 
schrieben hat, schon das in ihm vorkommende Magnesia-Silicat bezeichnet, doch schien es 
mir zweckmälsiger, nach Chladni, der sich um die Meteoritenkunde so viele Verdienste 
erworben hat, einen Meteoriten, als ein Mineral zu benennen, wenn sich dieses auch bis 
jetzt nur in einem Meteoriten gefunden hat. Ich möchte dann weiter vorschlagen, den bis- 
herigen Chladnit: Shepardit zu nennen, der zwar auch schon einer in diesen Meteoriten spar- 
sam vorkommenden Substanz gegeben ist, die nach Shepard Schwefelchrom ist, die in- 
dessen doch in ihren Eigenschaften noch erst sehr wenig gekannt ist; Vorschläge, mit denen 
Hr. Shepard selbst sich einverstanden gegen mich erklärt hat. 


30 G. Rose: 


aus Augit und Anorthit bestehendes körniges Gemenge mit einer geringen 
Menge Magnetkies, meistens noch geringerer Menge Nickeleisen, zuweilen 
mit kleinen, näher zu bestimmenden tafelartigen Krystallen (Juvenas) und 
mit etwas Olivin (Petersburg, V. St.). Es gehören hierhin die Meteoriten 
von Juvenas, Stannern, Jonzac und Petersburg. 


Il. Eisenmeteorite. 


Die ersten bestimmten Angaben über die Natur des Meteoreisens ha- 
ben wir von Howard im Jahre 1802 erhalten, der bei Gelegenheit der che- 
mischen Analyse des 1798 bei Benares in Bengalen gefallenen Meteorsteins 
die merkwürdige Entdeckung machte, dafs das in demselben eingesprengte 
Eisen Nickel enthalte (!). Er fand darin 35 pC. und einen ähnlichen Gehalt 
in andern gediegenen Eisenmassen, die für meteorisch angesehen wurden, in 
dem Eisen von Otumpa in Brasilien, von Krasnojarsk in Sibirien (dem Pal- 
las-Eisen), dem Eisen aus Böhmen und vom Senegal. 

Klaproth bestätigte später den Nickelgehalt bei der Untersuchung 
des Meteoreisens von Agram und Elbogen, wenngleich er die Menge darin 
weit geringer fand (nur 3,5 und 2,5 pC.), und man war nun seit der Zeit ge- 
wohnt, den Nickelgehalt als ein charakteristisches Kennzeichen des Meteor- 
eisens zu betrachten, und bei zufällig auf der Oberfläche der Erde gefunde- 
nen Eisenmassen ihren meteorischen Ursprung erst dann anzunehmen, wenn 
die chemische Untersuchung einen Gehalt an Nickel nachgewiesen hatte, 
eine Annahme, wozu man auch jetzt noch berechtigt ist, da man noch nie 
ein Meteoreisen ohne Nickelgehalt gefunden hat. Tellurisches gediegenes 
Eisen enthält keinen Nickel, ist überhaupt eine aufserordentliche Seltenheit 
und wohl zufällig nur durch einen Reductionsprocefs entstanden. 

Später fand Stromeyer in dem Meteoreisen neben dem Nickel etwas 
Kobalt, das ja auch in den tellurischen Mineralien so häufig das Nickel zu 
begleiten pflegt und darauf auch etwas Kupfer, und Laugier in dem Me- 
teoreisen von Krasnojarsk und Brahin etwas Chrom, 0,5 pC., das aber wie 
das in den Meteorsteinen vorkommende, wo es Laugier schon früher ge- 
funden hatte, von eingemengtem Chromeisenerz herrührt. 


(') Philosophical transactions von 1802 und daraus in Gilberts Annalen. 


Be EEE 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 31 


Am meisten bereichert wurde unsere Kenntnifs von der chemischen 
Beschaffenheit des Meteoreisens durch die genauen Analysen derselben von 
Berzelius, die er zuerst auf Veranlassung des Grafen Caspar Sternberg 
mit dem in Böhmen aufgefundenen Eisen von Bohumilitz(!) und dann bei 
seiner grofsen Arbeit über die Meteoriten überhaupt, die durch die Über- 
sendung der 1833 bei Blansko in Mähren gefallenen Meteorsteine durch Ba- 
ron von Reichenbach veranlafst wurde, mit dem Meteoreisen von Kras- 
nojarsk (dem Pallas-Eisen) und dem von Elbogen (?) angestellt hatte. Er 
schied durch Behandlung des Meteoreisens mit verdünnter Salpetersäure 
einen darin löslichen und einen andern darin unlöslichen Theil, und fand 
auf diese Weise bei dem Eisen von Bohumilitz (@), Krasnojarsk (5), und 
Elbogen (ce): 


a b c 

Eisen 93,775 88,042 88,231 
Nickel 3,812 10,732 7.917 
Kobalt 0,213 0,455 0,762 
Magnesium — 0,050 0,279 
Mangan — 0,132 Spur 
Zinn und Kupfer — 0,066 Spur 
Kohle _ 0,043 _ 

Schwefel _ Spur Spur 
Unlösliches 2,200 0,480 2,211 


100,000 100,000 100,000 


Der in verdünnter Salpetersäure unlösliche Rückstand bestand aus 
metallischen Körnern und Schüppchen, die schwer zu Boden liegen, und aus 
einer feiner vertheilten schwarzen kohleähnlichen Masse, die sich leicht in 
der Flüssigkeit aufschlämmen läfst. 


Die ersteren waren merkwürdiger Weise Phosphormetalle und be- 
standen aus: 


(') Poggendorffs Annalen von 1833 B. 27, S. 118. 
(2) A..a. O. von 1834 B. 33, S. 123. 


32 G. Rose: 


Eisen 65,987 48,67 68,11 

Nickel 15,008 18,33 

M h Ian? 
agnesium — 9,66 

Phosphor 14,023 18,47 14,17 

Kiesel 2,037 _ — 

Kohle 1,422 = au 


98,477 95,13 100,00 


Die letztere, die beim Erhitzen rauchte und sodann verglimmte, wurde 
nur bei dem Pallas-Eisen quantitativ untersucht und bestand hier aus: 


Eisen 97,18 
Nickel 34,00 
Magnesium 4,52 
Zinn und Kupfer 3,75 
Kohle 0,55 


Eine Spur von Phosphor, die Berzelius fand, glaubt er umschlosse- 
nen Theilen der Phosphorverbindung zuschreiben zu müssen. Bei dem Rück- 
stand aus dem Bohumilitz-Eisen wurde auch noch etwas Kiesel und Chrom- 
eisenerz gefunden. Dieser feinere Theil des Rückstands ist daher von dem 
schwereren wesentlich verschieden zusammengesetzt. 

Durch Berzelius wurden also in dem Meteoreisen 6 neue Stoffe 
aufgefunden: Phosphor, Zinn, Mangan, Magnesium, Kiesel und Kohle, von 
denen der Phosphor ganz besonders bemerkenswerth ist, da solche Phos- 
phormetalle, wie sie in dem Meteoreisen hiernach enthalten sind, unter den 
tellurischen Mineralien nicht bekannt sind. 

Nach Berzelius wurden nun noch Analysen von anderen. Meteor- 
eisenmassen und von andern Chemikern nach denselben oder ähnlichen Me- 
thoden gemacht, die aber ganz ähnliche Resultate gegeben haben (!). In 
allen wurde ein in verdünnter Säure unlöslicher, hauptsächlich aus Phos- 
phornickeleisen bestehender Rückstand erhalten, derselbe war wie bei Ber- 
zelius stets nur in sehr geringer und in sehr veränderlicher Menge enthalten, 
und aufserdem waren die Verhältnisse von Phosphor gegen Eisen und Nickel 
so verschieden, dafs sich eine gemeinschaftliche Formel für die chemische 


(') Vergl. die Aufzählung derselben in Rammelsbergs Mineralchemie S. 902. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 33 


Zusammensetzung dieser Verbindung nicht aufstellen läfst (1). Diesem unlös- 
lichen Rückstand hat Haidinger bei Gelegenheit der von Patera ausgeführ- 
ten Analyse des Meteoreisens von Arva, worin derselbe in verhältnifsmäfsig 
grofser Menge enthalten ist, den Namen Schreibersit gegeben(?) zu Ehren 
des früheren Directors des kaiserlichen Mineralienkabinets in Wien, der sich 
um die Meteoritenkunde durch die Herausgabe seiner Beiträge zur Geschichte 
und Kenntnifs meteorischer Stein- und Metallmassen verdient gemacht hat. 
Aber schon viel früher, als Berzelius durch seine chemischen Unter- 
suchungen die gemengte Beschaffenheit des Meteoreisens darthat, hatte sie 
von Widmanstätten in Wien auf eine andere Weise bewiesen. Derselbe 
zeigte nämlich schon 1808, dafs wenn man an dem Meteoreisen angeschliffene 
und polirte Flächen mit einer schwachen Säure ätzt, gewisse Figuren hervor- 
treten, die man seitdem die Widmanstättenschen Figuren genannt hat. Die 
Fläche, die vor dem Aetzen ganz gleichartig aussieht, oder nur bei höchster 
Politur und nach dem Anhauchen schwache Andeutungen der Figuren giebt, 
erscheint nun überall mit schmalen, glanzlosen, unter einander parallelen 
Streifen bedeckt, die nach verschiedenen Richtungen gehend, sich unter ver- 
schiedenen schiefen Winkeln durchneiden, von dünnen, hervortretenden, 
metallisch glänzenden Leisten eingefafst werden und dunklere matte Felder 
einschliefsen, was alles eine sehr complicirte Structur des Meteoreisens an- 
zeigt. Besonders schön fielen diese Figuren auf dem grofsen Stücke aus, das 
1812 von der Elbogener Eisenmasse abgeschnitten und nach Wien gebracht 
war. Da die schmalen einfassenden Leisten, die wenig oder gar nicht von 
der verdünnten Säure angegriffen werden, bei der Aetzung aus der übrigen 
Masse etwas hervortreten, so kam Widmanstätten auf die Idee, die geätz- 
ten Eisenmassen wie einen Schriftsatz in der Buchdruckerpresse abdrucken 
zu lassen, was auch vollkommen gelang. Er konnte dadurch vollkommen 
naturgetreue Abbildungen liefern, wie sie die Kunst nicht darzustellen ver- 


(') Es geht diefs aus den Berechnungen von Rammelsberg hervor, wonach bei den 
verschiedenen Analysen auf 1 Atom Phosphor 2, 3%, 5, 6, 8, 14, 15, 18, 30 Atome Metall 
kommen. (A.a. 0. S. 948.) Es scheint aber nicht, dafs man die beiden Arten des Rück- 
standes, die Berzelius wohl unterschieden, getrennt hat. 

(?) Oesterreich. Blätter für Lit. 1847, N. 175, S. 644 und N. Jahrbuch für Min. von 
4848 S. 698. 


Phys. Kl. 1863. E 


34 G. Rose: 


mag. V. Schreibers beschrieb in dem eben genannten Werke(!) die ein- 
zelnen Theile des Meteoreisens, die Streifen, Einfassungsleisten und Zwi- 
schenfelder, und gab auch einen Abdruck von der geätzten Fläche der grofsen 
Elbogener Masse des Wiener Mineralien -Kabinets; die tieferen Stellen sind 
darin weifs und nur die höheren Stellen, die Leisten, schwarz, zum Theil auch 
die Zwischenfelder, die oft wieder gestreift erscheinen. Auch von andern 
Eisenmassen liefs er Abdrücke machen, die später herausgegeben werden 
sollten, wozu es aber nicht gekommen ist, und die dann nur an einzelne 
Personen vertheilt wurden. Nach v. Schreibers wurden dergleichen Ab- 
drücke nun auch von andern hergestellt, von Partsch in seinem Werke die 
Meteoriten, von Haidinger in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie, 
von mir selbst in Poggendorffs Annalen u.s. w. Aufserordentlich schön sind 
die Abdrücke in den neusten Abhandlungen von Haidinger, die die Figu- 
ren des Meteoreisens von Sarepta und Arva darstellen (?). 

Indessen geben nicht alle Eisenmeteorite Widmanstättensche Figuren, 
und namentlich ist diefs der Fall bei der im Jahre 1847 bei Braunau gefalle- 
nen Eisenmasse, bei welcher Haidinger(?) die merkwürdige Entdeckung 
machte, dafs sie in ihrer ganzen Masse nach denselben drei untereinander 
rechtwinkligen Richtungen parallel den Flächen des Hexaöders spaltbar sei. 
Es waren zwei Massen gefallen, die beide in die Hände des Prälaten vom 
Kloster zu Braunau Hrn. Rotter gelangten, der die gröfsere, 42 Pfd. 6 Lth. 
schwere Masse zerschneiden liefs und einzelne Stücke davon den verschiedenen 
Museen als Geschenk übersandte (*). An dem Stücke, welches das k. Mine- 
ralien-Kabinet in Wien erhielt, machte Haidinger die obige Beobachtung. 
Es war wie die übrigen zum Theil durchschnitten und die weitere Trennung 
durch Zerreifsung hervorgebracht, so dafs also stellenweise der natürliche 
Bruch sichtbar war. Da die Spaltungsflächen auf der ganzen Bruchfläche und 
demnach auch wahrscheinlich durch das ganze Stück in gleicher Richtung fort- 
gehen, so ist das ganze Stück und so auch die ganze Masse, von der es abge- 


(‘) Beiträge etc. S. 70, vergl. auch Partsch Meteoriten S. 100. 

(?) Sitzungsberichte der kaiserl. Akad. d. Wiss. vom 24. Juli 1862. 

(°) Berichte der Versammlungen der Freunde der Naturwissenschaften in Wien, 1847 
und daraus in Poggendorffs Ann. 1847 B. 72, S. 580. 

(*) Auch das Berliner Museum erhielt auf diese Weise ein ausgezeichnet schönes Stück, 
2 Pfund 21,3 Loth schwer. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 35 


schnitten, ein Stück eines Individuums, eines Krystalls, dessen äufsere Form 
nicht mehr wahrgenommen werden kann, weil er beim Durchzuge durch die 
Luft zerplatzt und die einzelnen Stücke an der Oberfläche abgeschmolzen 
sind, dessen innere Structur in den Stücken aber erhalten ist. Haidinger 
liefs das erhaltene Stück anschleifen und ätzen; es entstanden nun keine Wid- 
manstättensche Figuren, aber andere gerade und unter ‚einander parallele Li- 
nien nach mehreren Richtungen wurden sichtbar, die nachher von Neu- 
mann(!) ihrer Richtung nach sorgfältig beschrieben und gedeutet wurden, 
worauf ich später zurückkommen werde. 

Sehr wichtige und interessante Untersuchungen über die Structur des 
Meteoreisens hat nun in der letzten Zeit der Baron von Reichenbach (2), 
gemacht. Er unterscheidet bei den Eisenmeteoriten, die Widmanstättensche 
Figuren geben, vier Gemengtheile, die durch die Aetzung einer angeschliffe- 
nen Fläche sichtbar werden und die er mit dem Namen Balkeneisen oder 
Kamazit, Bandeisen oder Tänit, Fülleisen oder Plessit und Glanz- 
eisen oder Lamprit bezeichnet. Das Balkeneisen bildet auf der geätzten 
Fläche die unter einander parallelen Streifen, die sich unter schiefen Win- 
keln (von 30, 60 und 120 Graden) durchschneiden und nimmt somit den 
gröfsten Raum ein; es wird durch Aetzung grau und glanzlos und zeigt sich 
nun mit einer Menge unter einander paralleler Linien nach Art des Braunauer 
Eisens bedeckt, die Reichenbach Schraffirungslinien nennt und für An- 
deutungen von Spaltungsflächen hält; in vielen Fällen erscheint es aber selbst 
wieder körnig, wie namentlich in dem Eisen von Ruffs mountain. Das Band- 
eisen fafst die Streifen des Balkeneisens ein und bedeckt sie in papierdünnen 
Blättern zu beiden Seiten; es wird von der verdünnten Säure schwach röth- 
lichgelb gefärbt, sonst wenig oder gar nicht angegriffen, und ragt daher auf 
der geätzten Fläche über dem Balkeneisen leistenartig etwas hervor. Das 
Fülleisen erfüllt die drei- oder vierseitigen Felder, die von dem Balkeneisen 
eingeschlossen werden; es wird von der Aetzung wie das Balkeneisen ange- 
griffen und erhält dabei eine noch dunkler graue Farbe, wie dieses. Es ist 
in manchen Abänderungen wie in dem Eisen von Ruffs mountain gar nicht 
vorhanden, füllt auch häufig die Felder nicht allein aus, sondern enthält oft 


(') Naturwissenschaftliche Abhandl. gesammelt von Haidinger 1849 B. 3, Abth. 2, S. 45. 
(?) Poggendorffs Ann. 1861 B. 114, S. 99, 250, 264, 477. 
E2 


36 G. Rose: 


noch eine grofse Menge Blättchen von Bandeisen, die in untereinander pa- 
ralleler Richtung enge nebeneinander und bei vierseitigen Feldern gewöhn- 
lich zwei parallelen Seiten, oft aber auch zum Theil den beiden andern pa- 
rallel liegen, in welchem letzteren Fall die Blätter in einer Diagonale des 
Vierecks aneinander gränzen. Reichenbach nennt diese die Zwischenfelder 
ausfüllenden Blätter des Bandeisens Kämme. Das Glanzeisen liegt in einzel- 
nen länglichen Körnern und Streifen in der Mitte des Balkeneisens; es wird 
durch die verdünnte Säure gar nicht angegriffen und behält den vollen Glanz 
und die lichte, stahlgraue fast zinnweifse Farbe, die es durch die Politur der 
Fläche erhalten hat. Es findet sich nicht in allen Eisenmeteoriten, sehr aus- 
gezeichnet in dem von Lenarto und Arva. 

Reichenbach prüfte diese 4 Eisenarten noch weiter nach einer Me- 
thode, die schon Widmanstätten angewandt hatte, durch das Anlaufen 
in der Hitze. Er zeigte, dafs das Balkeneisen zuerst anläuft, dann das Füll- 
eisen und zuletzt das Band- und Glanzeisen. Da nun auch das erstere von 
der Säure am leichtesten, die letzteren am schwersten angegriffen werden, so 
sieht man, dafs die Wirkungen der Hitze und der Säure gleichen Schritt hal- 
ten, wie denn auch beide Erscheinungen auf stärkerer oder schwächerer Ver- 
wandtschaft zum Sauerstoff beruhen. Bei einer Hitze, bei welcher das Bal- 
keneisen schon dunkelblau geworden ist, erscheint das Fülleisen bläulichroth 
und das Bandeisen goldgelb. Stahl läuft aber bekanntlich bei 230° C. gelb, 
bei 263° purpurroth, bei 290° blau an. Die Hitze also, die das Balkeneisen 
schon blau macht, färbt erst das Fülleisen purpurroth und das Bandeisen 
goldgelb. 

Eine vollständige Trennung sämmtlicher Gemengtheile für die che- 
mische Untersuchung konnte Reichenbach nicht bewerkstelligen, doch 
glückte es ihm wenigstens einigermafsen für einen derselben, für das Band- 
eisen. Manche dieser Eisenmeteoriten, wie namentlich der von Cosby 
Creeck, die vor ihrer Auffindung vielleicht lange Zeit in der feuchten Erde 
gelegen haben, sind nämlich an der Oberfläche sehr stark oxydirt und zer- 
theilen sich hier parallel den Blättern des Bandeisens in Platten, welche 
Zertheilung durch leises Hämmern noch vollständiger bewirkt werden kann. 
Die oxydirten Platten des Balkeneisens sind aber hier mit papierdünnen 
Blättern des Bandeisens bedeckt, die sich nun mit Leichtigkeit von dem 
Balkeneisen ablösen und so in hinreichender Menge zur Analyse gewinnen 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 37 


lassen ('). Reichenbach verfuhr so mit dem Eisen von Cosby; das ge- 
sammelte Bandeisen untersuchte er zuerst in Rücksicht des specifischen Ge- 
wichtes, er fand dasselbe 7,428, etwas gröfser als das specifische Gewicht 
der ganzen Masse, das 7,260 beträgt, es wurde sodann von seinem Sohne 
Reinold v. Reichenbach analysirt, der zugleich auch eine Analyse der 
ganzen Masse machte. Er fand(?) in dem Bandeiscn (a) und in der ganzen 
Masse nach 2 Analysen (5) und (c): 
a b c 

Eisen 85,714 90,125 89,324 

Nickel 13,215 10,123 

Kobalt 0,550 h kr 0,422 

Schwefel 0,226 Spur Spur 

Phosphor 0,295 0,089 0,131 

100. 100. 100. 

Die Analyse gab also in dem Bandeisen einen etwas gröfsern Nickel- 
gehalt, auch etwas mehr Schwefel und Phosphor und dafür weniger Eisen 
als in der ganzen Masse, welches Verhältnifs gegen die übrigen Gemengtheile 
sich noch etwas gröfser stellen würde, wenn man bei der Analyse der ganzen 
Masse das Bandeisen hätte entfernen können. Reichenbach glaubte in- 
dessen durch diese Analyse noch keine völlige Aufklärung über die chemi- 
sche Beschaffenheit des Bandeisens erhalten zu haben, da er bei der Besich- 
tigung desselben unter dem Mikroskop fand, dafs noch eine Menge anders 
gearteter Körperchen in demselben eingelagert waren. 

In den Eisenmeteoriten, die keine Widmanstättensche Figuren geben, 
hat nach Reichenbach die eine oder die andere andere dieser Eisenarten 
Ueberhand genommen und die andern kommen dann nur ganz unregelmäfsig 
und untergeordnet und zum Theil auch gar nicht darin vor. So besteht das 
Eisen von Braunau fast nur aus Balkeneisen, und das Eisen vom Cap der gu- 
ten Hoffnung und von Rasgata ist Reichenbach geneigt, als fast ganz aus 
Fülleisen bestehend anzunehmen. 


(1) Diese Blättchen von Bandeisen können so zuweilen von bedeutender Grölse erhalten 
werden; so beschreibt Reichenbach ein Stück von dem Cosby-Eisen in seiner Sammlung 
das mit einem Blatte Bandeisen bedeckt ist, das eine Länge von 3 Zoll bei einer Breite von 
2 Zoll hat. 

(?) Vergl. Poggendorffs Ann. 1861 B. 114, S. 258. 


38 G. Rose: 


Die meisten Abänderungen des Meteoreisens enthalten aber nun noch 
einen andern Gemengtheil, feine nadelförmige Krystalle oder Nadeln, wie 
sie Reichenbach kurzweg nennt. Wöhler(!) beobachtete sie zuerst bei 
dem Meteoreisen von einem unbekannten Fundort (?) sowohl auf dessen po- 
lirter und geätzter Fläche, als auch in dem Rückstande bei seiner Behandlung 
mit verdünnter Salpetersäure, wo sie unter dem Mikroskop kenntlich wur- 
den. Reichenbach zeigte (°), dafs sie in den meisten Eisenmeteoriten ent- 
halten sind und bei der Aetzung einer polirten Fläche derselben zum Vor- 
schein kommen, wobei sie einen ausgezeichneten Parallelismus durch die 
ganze Masse zeigen. Ihre Länge überschreitet selten 2 Linien. Reichen- 
bach hält sie für eine vollkommnere Ausbildung des Bandeisens(*). 

Aufser den genannten, vorzugsweise aus metallischem Eisen bestehen- 
den Einmengungen kommen in den Eisenmeteoriten noch andere, theils grö- 
bere theils feinere, mehr oder weniger häufig vor. Zu den ersteren gehören 
Schwefeleisen, Graphit und besonders Olivin. 

Das Schwefeleisen ist nach den Untersuchungen von Smith und 
Rammelsberg kein Magnetkies, wie man. bisher angenommen hatte , son- 


(’) Annalen der Chem. u. Pharm. B. 81, S. 254. 

(?) Reichenbach hält diels Meteoreisen für das von Santa Rosa in Columbien, da es 
aber Widmanstättensche Figuren giebt, stimmt es wenigstens nicht mit dem überein, wel- 
ches Boussingault von dort mitgebracht und an v. Humboldt geschenkt hat. 

(?°) Vergl. Poggendorffs 1862, B. 115, S. 148. 

(*) Zu diesen Einmengungen würden auch noch die kleinen Eisenküchelchen zu zählen 
sein, die ich zuerst und dann ausführlich Reichenbach beschrieben (Poggendorffs Ann. 
1861 B. 113, S. 187 und B. 115, S. 152), und die auch auf der geschliffenen Fläche in 
ihren Durchschnitten sichtbar werden sollen. Die Annahme von solchen Kügelchen beruht 
aber, wie ich mich jetzt überzeugt habe, auf einem Irrthum. Die angeblichen runden Kugeln 
sind nichts anderes als Stellen, die beim Aetzen durch eine ansitzende Luftblase vor dem 
Angriff der Säure geschützt waren. Die Luftblase bildete sich durch die Art, wie ich das 
Meteoreisen ätzte und die darin bestand, dals ich dasselbe mit der polirten wohl gereinigten 
Fläche in die verdünnte Säure tauchte und darin eine halbe bis eine ganze Minute hielt, wo- 
bei dann öfter eine Luftblase an der Fläche sitzen blieb, die den Angriff der Säure verhin- 
derte. Wenn man die Fläche vorher mit Wasser nals macht oder die Fläche nicht mit 
einem Male unter die Oberfläche der Säure. bringt, sondern erst mit einer Seite und sie dann 
mehr und mehr neigt, bis sie ganz in Wasser eingetaucht ist, so 'bleiben keine Luftblasen 
hängen. Daher kommt es, dals, wie Reichenbach erwähnt, er die Eisenkügelchen nur 
bei den Stücken des Berliner Museums und nicht in den Stücken seiner eigenen Sammlung 
gesehen hatte. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 39 


dern einfach Schwefeleisen, FeS, Troilit, wie es Haidinger zu nennen 
vorgeschlagen hat(!); also eine Verbindung, die unter den Mineralien der 
Erde bisher noch nicht bekannt ist, Es besteht nach Rammelsberg(?) in 
zwei Abänderungen aus dem Eisen von Seeläsgen (a) und Sevier County (B) 
und nach der Berechnung nach der Formel (c) aus: 


a b c 
Eisen 63,41 62,22 63,64 
Nickel _ 1,76 == 
Mangan 0,64 _ —_ 


Schwefel 35,91 36,01 36,36 
99,96 99,99 100,0. 

Es enthält also bald Nickel (Schwefelnickel) bald ist es, obgleich mit- 
ten in dem nickelhaltigen Meteoreisen vorkommend, davon frei, wie der Oli- 
vin in dem Pallas-Eisen (s. weiter unten), doch scheint das erstere häufiger 
zu sein, daauch Smith in dem Troilit aus dem Meteoreisen von Tazewell 
etwas Nickel angiebt. 

Der Troilit ist bis jetzt in dem Meteoreisen nur derb vorgekommen, in 


mehr oder weniger grofsen Körnern und unregelmäfsigen Massen, zuweilen 
in der Form von Cylindern von mehr als 1 Zoll Gröfse und mehreren Linien 
Dicke, wieReichenbach beobachtet hat. Er ist im Bruch uneben, zeigt aber 
öfter dünnschalige Zusammensetzungsstücke, wie diefs öfter beim Magnetkies, 
z.B. von Bodenmais vorkommt; tombakbraun, metallisch glänzend, specifi- 
sches Gewicht 4,787 (Seeläsgen), 4,817 (Sevier County). Diefs hohe specifi- 
sche Gewicht unterscheidet ihn von dem Magnetkiese, dessen Gewicht nicht 
über 4,623 hinauszieht. Ebenso unterscheidet er sich durch sein Verhalten ge- 
gen Chlorwasserstoffsäure, indem er sich darin ohne einen Rückstand von 
Schwefel auflöst. Nickeleisen , Ohromeisenerz und Graphit kommen öfter 
in ihm eingemengt vor, doch ist er zuweilen auch davon ganz frei, wie die 
Analyse des Troilits von Seeläsgen durch Rammelsberg beweist. 


—- 


(‘) Zur Erinnerung an den Berichterstatter des Meteoritenfalls von Albareto bei Modena 
1766, Domenico Troili, der schon lange vor Chladni die Thatsächlichkeit der Meteo- 
teoritenfälle bewies, freilich ohne seiner Meinung Geltung verschaffen zu können. Vergl. 
Sitzungsber. d. k. Akad. der Wiss. März 1863. 


(2) Monatsber. d. k. Pr. Akad. d. Wiss. 1864 S. 29. 


40 G. Rose: 


Wenn es so erwiesen ist, dafs einfach Schwefeleisen in dem Meteor- 
eisen vorkommt, so bleibt es doch noch auszumachen übrig, ob alles Schwe- 
feleisen in demselben von derselben Art sei oder ob neben diesen nicht auch 
Magnetkies vorkommt. In den Steinmeteoriten ist, wie bekannt, das Vor- 
kommen dieses letztern nicht zweifelhaft, da, wenn darüber auch noch keine 
chemischen Untersuchungen angestellt sind, das Schwefeleisen in dem Me- 
teorstein von Juvenas krystallisirt vorkommt, und an der Krystallform als 
Magnetkies erkannt werden kann. Ist es daher möglich, dafs dieser auch in 
den Eisenmeteoriten vorkommt, so ist diefs doch noch nicht erwiesen, wie 
auf der andern Seite auch das Vorkommen von einfach Schwefeleisen in den 
Steinmeteoriten nicht bewiesen ist; ich werde daher bis auf Weiteres das 
Schwefeleisen der Eisenmeteorite, auch wo es noch nicht untersucht ist, als 
Troilit und das der Steinmeteorite als Magnetkies aufführen. 

Der Graphit findet sich in kleinen abgerundeten, im Innern aus 
dicht zusammengehäuften Schüppchen bestehenden Parthien bis zu der 
Gröfse einer Haselnufs oder Wallnufs, zuweilen aber auch, wie Haidinger 
bei dem Eisen von Arva beobachtete (!) in Pseudomorphosen (?). Der Oli- 
vin findet sich in einzelnen abgerundeten Körnern in manchen Abänderun- 
gen in grofser Menge, wie namentlich in dem Meteoreisen, das Pallas 1776 
am Jenisei im östlichen Sibirien gefunden hatte. Biot(°) schlofs aus dem 
optischen Verhalten der Olivin-Körner, dafs dieselben wirkliche Krystalle 
wären, und ich beobachtete (*), dafs die Körner, wie wohl meistentheils, 


(') Poggendorffs Ann. 1846 B. 67, S. 437. 


(*) Haidinger glaubte darin die Form einer Combination des Hexa@ders mit dem Pen- 
tagondodeca@der zu erkennen und nimmt daher an, dafs die Pseudomorphosen aus Eisenkies 
entstanden wären, eine Ansicht, die ich jedoch nicht theilen möchte, da Eisenkies mit Sicher- 
heit in den Meteoriten bis jetzt nicht beobachtet ist, und die Pseudomorphosen selbst, die Hr. 
Haidinger die Güte hatte, mir zur Ansicht zu schicken, mir mehr die Form eines Hexae- 
ders mit zugeschärften als mit schief abgestumpften Kanten zu haben schienen. Man kann 
nun aber fragen, woraus die Pseudomorphosen dann entstanden wären? Am nächsten liegt 
hier nun wohl die Annahme, dafs diefs der Diamant gewesen sei; wenn aber auch diese 
Annahme durch die Form der Pseudomorphose und die Möglichkeit der Bildung gerechtfer- 
tigt wird, so findet sie doch darin eine grofse Schwierigkeit, dals eben Diamanten in den 
Meteoriten bisher noch nicht beobachtet sind. 

(?) Bulletin des sciences, par la soc. philomatigque 1820 p. 89. 


(*) Poggendorffs Ann. 1825 B. 4, S. 186. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 41 


ganz rund, wo sie frei im Eisen liegen, doch schon einzelne sehr glänzende 
Flächen und in seltenen Fällen sogar in grofser Menge enthalten. Aufser dem 
Pallas-Eisen enthalten auch noch das Meteoreisen von Brahin (Gouv. Minsk) 
und von der Wüste Atacama und andere solche Krystalle. 

Wo aber diese Einschlüsse vorkommen, sind sie stets, wie Reichen- 
bach hervorhob, von einer Hülle von Balkeneisen umgeben, und wenn sie 
sich in einem Meteoriten, der Widmanstättensche Figuren giebt, finden , so 
fangen diese immer erst in einer gewissen Entfernung, die 1 bis 3 Linien be- 
trägt, an, sich regelmäfsig zu entwickeln. Diefs zeigt sich besonders schön 
bei den Olivin-Einschlüssen. Sind sie in grofser Menge vorhanden, wie in 
Pallas-Eisen und in dem Eisen von Brahin und Atacama, so dals sie oft nur 
wenig Raum zwischen sich lassen, so wird dieser von dem Balken-, Band- 
und Fülleisen meistentheils ganz ausgefüllt, und zwar so, dafs zuerst an dem 
Olivin sich eine dünne Lage von Balkeneisen anlegt, dann eine viel dünnere 
Lage von dem Bandeisen folgt und zuletzt das Fülleisen den inneren Raum ein- 
nimmt, wie man diefs auf einer durch ein solches Meteoreisen gelegten Schnitt- 
fläche, die man geätzt hat, sehr gut sehen kann. Sind die Räume zwischen 
den Olivinkrystallen gröfser, so bilden sich in dem Fülleisen die Widman- 
stättenschen Figuren; bei den genannten Meteoriten sieht man jedoch diese 
nur selten, aber bei dem Eisen von Steinbach und Rittersgrün, wo die Oli- 
vine kleiner sind und die Eisenmasse zwischen ihnen gröfser ist, sind auch 
die Widmanstättenschen Figuren gröfser, um so mehr als auch nun die Ein- 
fassung des Olivins durch das Balkeneisen schmaler ist. 

Die Widmanstättenschen Figuren waren früher in den Olivin-haltigen 
Eisenmeteoriten ganz übersehen, bis sie Partsch in dem Eisen von Stein- 
bach entdeckte (!), der dadurch auf den gleichen Ursprung von vielen 
Stücken Meteoreisen, die in den verschiedenen Sammlungen mit der Angabe 
von verschiedenen Fundörtern aufgeführt waren, schlofs. Sie wurden nach- 
her auch von Reichenbach beschrieben. 

Zu den feinern Einmengungen, die sich in den Eisenmeteoriten fin- 
den, gehören eine Menge kleiner mikroskopischer, meist farbloser, doch auch 
farbiger glänzender Steinchen von mehr als Quarzhärte, die Wöhler aufser 
dem Schreibersit als Rückstand bei der Auflösung des Eisens von Rasgata 


(') Die Meteoriten $. 91. 
Phys. Kl. 1863. F 


42 G. Rose: 


erhielt, jedoch nicht weiter untersuchte und einige kleine Quarzkrystalle, 
die ich in dem Eisen von Toluca beobachtete (!) und die noch so grofs und 
glänzend waren, dafs ich ihre Winkel mit Genauigkeit bestimmen konnte. 
Sie steckten zwar nur in der äufsern oxydirten Rinde, doch so, dafs man 
nicht daran zweifeln konnte, dafs sie sich in dem Meteoreisen gebildet hatten 
und nicht erst später hineingekommen waren. 

Alle diese Eisenmeteorite, die man zufällig auf der Oberfläche der 
Erde findet, sind mit solcher Rinde von Eisenoxydhydrat umgeben, die sich 
erst durch Oxydation gebildet hat. Diese Oxydation geht aber in der Regel 
nicht weit, und die so entstandene Rinde schützt die Eisenmeteorite vor ihrer 
Zerstörung und bewirkt, dafs sie sich Jahrtausende weiter unversehrt erhal- 
ten. Sie ist die Ursache, dafs die Eisenmeteorite, die nur so selten fallen, 
dafs man nur die Fallzeit von dreien kennt, doch häufig gefunden werden, 
so dafs man jetzt in den Sammlungen mehr als halb so viel Eisen- wie Stein- 
meteoriten hat. Die Eisenmeteoriten, welche man hat fallen sehen und un- 
mittelbar nach ihrem Falle gesammelt hat, wie die von Agram und Braunau, 
haben keine solche Rinde von Brauneisenerz; die rundlichen Erhabenheiten 
und Vertiefungen, die sich überail an der Oberfläche derselben finden, sind, 
wie Reichenbach gezeigt hat, mit einem dünnen Ueberzuge von Magnet- 
eisenerz bedeckt, der sich bei dem Durchzuge durch die Luft an der Ober- 
fläche durch Schmelzung und Oxydation bildet (?), und so äufserst dünn ist, 
weil das gebildete Magneteisenerz beim Schmelzen abtropft und nur das we- 
nigste durch Adhäsion haften bleibt. Unter diesem Ueberzuge findet sich 
dann eine 1 bis 14, Linien dicke Lage, in welcher das Eisen ganz körnig ge- 
worden ist, wie auch schon Reichenbach bei dem Eisen von Braunau 
beobachtet hat(?) und auch in den Abdrücken dieses Eisens von Haidinger 
zu sehen ist (*), was beweist, dafs das Eisen vor der Oxydation seinen Aggre- 
gatzustand ändert. Dafs sich auf der Oberfläche dieser Eisenmassen beim 


(‘) Poggendorffs Ann. 1861 B. 113, S. 184. 


(?) Poggendorffs Ann. 1858 B. 103, S. 637. Reichenbach spricht hier von Eisen- 
oxydul, was wohl nur heilsen soll Oxydoxydul oder Magneteisenerz. 


() A. a. O. 1862 B. 115, S. 135. 


(*) Sitzungsberichte der math.- naturw. Classe d. k. Akad. der Wissensch. 1855 B. 15, 
S. 354, Fig. 5. 


Beschreibung uud Eintheilung der Meteoriten. 43 


Liegen in und auf der feuchten Erde nicht blofs Eisenoxydhydrat, sondern 
auch Magneteisenerz bildet, hat Krantz gezeigt('), der auf der Oberfläche 
des Eisens von Toluca octaödrische Krystalle dieser Substanz beobachtet hat. 


1. Meteoreisen. 


Das Meteoreisen von den verschiedenen Orten, wo man es zufällig ge- 

funden oder hat fallen sehen, ist von verschiedener Art. Diese Massen sind: 

a) nur Stücke eines Individuums oder eines Krystalls ohne schalige Zu- 
sammensetzung, 

b) Aggregate grobkörniger Individuen, ebenfalls ohne schalige Zusam- 
mensetzung, 

c) Individuen mit schaligen Zusammensetzungsstücken parallel den Flä- 
chen des Octa@ders (Meteoreisen, das durch Aetzung Widmanstätten- 
sche Figuren giebt), 

d) Aggregate mit grofskörnigen, schalig zusammengesetzten Individuen, 

e) Aggregate mit feinkörnigen Zusammensetzungsstücken. 

a) Meteoreisenmassen, welche Stücke einesKrystalls ohne 
schalige Zusammensetzung sind. 

Hierher gehört vor Allen: 

1) das Eisen von Braunau in Böhmen (gefallen am 14. Juni 1847), 
das schon oben S. 34 erwähnt ist und an welchem Haidinger die Beobach- 
tung machte, dafs es Spaltungsflächen ganz gleicher Art nach drei unterein- 
ander rechtwinkligen Richtungen, also nach den Flächen des Hexaöders hat. 
Das Meteoreisen hat also dieselbe Form, wie das künstlich dargestellte reine 
Eisen, bei welchem sich auch oft Massen mit körnigen Zusammensetzungs- 
stücken finden, die die Spaltungsflächen des Hexaöders deutlich wahrnehmen 
lassen (?). 

Neumann zeigte (°), dafs, wenn man eine polirte Schnittfläche dieses 
Meteoreisens mit verdünnter Salpetersäure ätzt, sich auf derselben eine 
Menge gerader und unter einander paralleler Linien oder linienförmiger Fur- 
chen bilden, die meistensheils eng neben einander liegen und nach mehreren 


!) Poggendorffs Ann. 1857, B. 101, S. 152. 

2) Z.B. bei dem Eisen, das lange Zeit als Rostbalken gedient hat. 

3) Naturwissenschaftliche Abhandlungen, herausgegeben von Haidinger, 1849, B. 3, 
Abth. 2, S. 45. 


( 
( 
( 


F2 


44 G. Rose: 


sich unter verschiedenen Winkeln durchschneidenden Richtungen gehen, von 
denen aber die Linien einer oder zweier Richtungen stets vorwalten,, die Li- 
nien der andern Richtungen nur untergeordnet und mehr stellenweise vor- 
kommen. Er bestimmte mit grofser Sorgfalt die Lage dieser Linien und 
zeigte, dafs sie auf einer Hexaöderfläche nach sechs Richtungen gehen, nach 
den zwei Diagonalen der Hexaederfläche, ac und dd (Taf. I Fig. 2) und nach 
4 andern Richtungen, die den Linien af, ag, df und de, die aus 2 benach- 
barten Winkeln nach den Mitten der gegenüberliegenden Seiten gezogen wer- 
den können, parallel gehen. Die beiden Diagonalen ac und dd schneiden sich 
also unter rechten Winkeln und ebenso je 2 der übrigen Linien, die aus ver- 
schiedenen Winkeln der Hexaederfläche auslaufen, wie ag und df oder af und 
de, dagegen die beiden Linien, die aus einem Winkel auslaufen, wie de und df, 
gegen einander Winkel von 36° 52’ und jede dieser Linien mit der benach- 
barten Seite der Hexaöderfläche einen Winkel von 26° 34° macht. Man sieht 
diese Linien in Fig. 1 (Taf. I), die eine Zeichnung in vergröfsertem Maafs- 
stabe von der Hexaäderecke o an einem Stücke des Braunauer Eisens Fig. 4 
ist, an welchem die drei Flächen A, B, C möglichst genau parallel den 3 Spal- 
tungsflächen des Eisens geschliffen und darauf geätzt sind. Die Aetzungs- 
linien sind auf Fig. 1 möglichst getreu nach der Natur gezeichnet. Man sieht 
hier, wie die Linien, die parallel der Richtung ag (Fig. 2) gehen, vorherr- 
schen und gruppenweise wiederkehren, während andere nur stellenweise vor- 
kommen und die erstern bald durchschneiden, bald nicht. Noch besser sieht 
man sie in Fig. 5, die eine kleine Stelle in der Gegend von r auf der Fläche C 
(Fig. 1) 140 mal vergröfsert darstellt (?). Die Linien derselben Richtung sind 


(') Neumann giebt wohl nur aus Versehen den erstern Winkel zu 35° 14’ an, und 
die Winkel, welche die Linien af und ag oder de und df mit den sie durehschneidenden 
Diagonalen machen, zu 72° 23’ und zu 107° 37’ statt zu 70° 34’ und zu 108° 26’. 

(?) Diese Fig. ist auf die Weise gezeichnet, dafs von der Fläche € Fig. 4 zuerst ein 
Hausenblasenabdruck gemacht, von der Stelle r auf ihr, sodann ein unter dem Mikroskop 
vergrölsertes photographisches Bild angefertigt und dasselbe darauf abgezeichnet wurde. Die 
Richtung der Linien ist daher genau die der Natur, und die Winkel würden bis auf die Se- 
cunde genau sein, wenn die geschliffene Fläche hätte der Hexa@derfläche genau parallel ge- 
schliffen werden können. Es ist ein grolser Uebelstand, der die Untersuchung sehr erschwert, 
dals man das Meteoreisen nicht spalten kann, sondern alle Hexa@derflächen, die man haben 
will, erst anschleifen lassen muls, was immer mühsam ist, und mit grofser Genauigkeit doch 
nicht ausgeführt werden kann. Indessen sind in diesem Fall die Abweichungen von den 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 45 


in Fig.5 mit denselben Buchstaben bezeichnet wie in Fig. 2; es fehlen also in 
Fig. 5 nur die Linien nach den Richtungen ac und af. Die Linien erscheinen 
hier oft unterbrochen, die einen dicker und die andern dünner, und die einen 
erscheinen bald von den andern durchsetzt, bald durchsetzen sie die andern. 

Es ist schwer zu sagen, wofür man diese Linien halten soll. Sie cha- 
rakterisiren keineswegs das Meteoreisen allein, sie finden sich vollkommen 
ebenso bei dem künstlich dargestellten Eisen, wie Prestel gezeigt hat(') 
und, wie ich mich selbst überzeugt habe, unter andern bei einem schönen 
Spaltungsstück von solchem künstlich dargestellten Eisen, das ich noch Mit- 
scherlich verdanke, bei welchem eine Hexaöderkante 11, Zoll lang ist; die 
Linien sind feiner als bei dem Meteoreisen, sonst von derselben Art. Da sie 
auf der Hexaederfläche parallel gehen den Durchschnittslinien von einem 
Hexaöder mit 4 andern, die in Zwillingsstellung mit dem erstern stehen, so 
dafs mit den 4 Eckenaxen des erstern immer eine Eckenaxe der 4 andern In- 
dividuen parallel ist, um welche diese um 180 gedreht erscheinen, so hielt 
sie Neumann bei dem Braunauer Eisen auch für die Durchschnittslinien von 
5 auf diese Weise regelmäfsig verwachsenen Individuen. Andere halten diese 
Linien für Anzeigen von versteckten Spaltungsflächen, und allerdings würden 
die Durchschnitte des Hexaöders mit dem Ikositetraöder (a: a: 4a) oder dem 
Triakisoctaäder (5a:$a:a) ganz dieselben Linien geben. Ich möchte sie am 
liebsten mit den Eindrücken vergleichen, die bei allen Krystallen durch die 
Aetzung entstehen und die namentlich Leydolt, der sie Vertiefungsgestalten 
nennt, beim Quarz und Aragonit so schön dargestellt und beschrieben hat. 
Sie haben bei diesen zwar keine Linienform, sondern erscheinen wie vertiefte 
Ecken, sind aber doch häufig linienartig aneinander gereiht. Man hat diese 
Eindrücke erst bei so wenigen Körpern genau untersucht; sie werden sich 
gewils in den verschiedenen Fällen sehr verschieden verhalten. 

Ich habe an dem Stücke Fig. 4 versucht, die Fortsetzung der Linien 
einer Fläche auf den benachbarten zu verfolgen, um zu entscheiden, ob die 
Linien den Durchschnitten des Hexaöders mit dem Triakisoctaöder oder dem 


Winkeln, die man auf der Zeichnung messen kann, nicht sehr abweichend von den berech- 
neten, woraus hervorgeht, dals die geschliffene Fläche in ihrer Lage wenigstens nicht sehr 
von der Spaltungsfläche abweicht. Das photographische Bild zu dieser Figur hat Hr. Dr. 
Herm. Vogel freundlichst dargestellt. 

(') Sitzungsberichte der math. naturw. Classe der k. k. Akad. der Wiss. B. 15, S. 355. 


46 G. Rose: 


Leucitoöder parallel gehen, aber ich fand, dafs bald das eine, bald das andre 
der Fall war, wie aus Fig. 1 zu ersehen ist. Die meisten dieser Linien, wie 
Im und mn, rs und st, ps und sg, gehen allerdings parallel den Durchschnit- 
ten mit dem Leueitoöder, doch andere wie uv und vw parallel den Durch- 
schnitten mit dem Triakisoctaöder. Es ist freilich oft schwer die zusammen- 
gehörigen Linien zu erkennen, doch glaube ich mich nicht zu irren, wenn 
ich annehme, dafs die Durchnittslinien nach beiden Formen vorkommen. 
Neben den Aetzungslinien sieht man auf der geätzten Schnitt- oder 
Spaltungsfläche bei einiger Aufmerksamkeit überall zerstreut noch kleine na- 
delförmige, metallisch glänzende Krystalle, wie sie Wöhler und v. Rei- 
chenbach auch bei anderm Meteoreisen beobachtet haben (vgl. oben S. 38), 
hervorragen. Beide Beobachter sahen schon, dafs sie häufig unter einander 
parallel, und die Ursache des Schillerns der geätzten Flächen in bestimmten 
Richtungen sind. Bei dem Braunauer Eisen kann man nun auf das bestimm- 
teste sehen, dafs sie eine untereinander und in Bezug auf das Eisen, worin sie 
eingemengt sind, ganz bestimmte Lage haben. Ich konnte diefs recht gut 
beobachten bei einem kleinen Stücke, das durch zwei natürliche Spaltungs- 
flächen und durch eine Schnittfläche begränzt ist, die ungefähr die Richtung 
einer Dodekaöderfläche hat. Es ist in Taf. I. Fig. 3 in etwas vergröfsertem 
Maafsstabe dargestellt; die zwei natürlichen Spaltungsflächen sind mit A und 
C, die angeschliffene Fläche mit D bezeichnet; auf der Hinterseite ist das 
Stück durch die natürliche Oberfläche begränzt. Man kann hier deutlich 
sehen, dafs kleine prismatische Krystalle auf jeder Spaltungsfläche mit ihren 
Hauptaxen in zwei den Kanten der Spaltungsflächen parallelen Richtungen, 
die Krystalle also in dem ganzen Stücke nach den dreierlei Hexaöderkan- 
ten d.i. nach drei untereinander rechtwinkligen Richtungen liegen. Auf 
der Schliffläche, der Dodekaöderfläche, sieht man nur Krystalle, die parallel 
der Hexaöderkante liegen, als deren Abstumpfungsfläche die Dodekaöder- 
fläche erscheint und die auch hier wie die Krystalle auf den Spaltungsflächen 
in ihrer wahren Länge erscheinen. Dreht man die Fläche D um die ihr pa- 
rallele Hexaöderkante, so reflectiren eine grofse Menge der kleinen Krystalle 
zu gleicher Zeit das Licht, so wie man in die Richtung der zu der Kante ge- 
hörenden Hexaäderflächen kommt, also der Flächen € und der dritten Hexa6- 
derfläche B, von der bei dem Stücke auf A immer noch Spuren zu sehen 
sind; die Seitenflächen dieser kleinen Krystalle sind also selbst wie die Hexae- 


7 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 47 


derflächen rechtwinklig gegeneinander geneigt, die Krystalle also quadratische 
Prismen, die nicht nur mit ihren Hauptaxen parallel einer der 3 Hexaöderkan- 
ten, sondern auch mit ihren Seitenflächen parallel den 2 Hexaöderflächen die- 
ser Kante liegen. Indessen schillert das Stück noch in andern Richtungen da- 
zwischen, so dafs sich hieraus nur ergiebt, dafs die Krystalle entweder noch 
mehrere Seitenflächen haben, oder wenn sie nur quadratische Prismen sind, 
mit ihren Seitenflächen nicht überall untereinander parallel liegen. 

In Fig. 3 sind diese kleinen Krystalle auf den Flächen A, C, D durch 
kleine Striche und Punkte bezeichnet, je nachdem man sie im Längs- oder 
Querschnitt sieht; doch soll durch sie nur ihre Lage im Allgemeinen ange- 
geben werden, sie sind willkührlich hineingezeichnet, in der Natur sind sie 
sehr ungleich vertheilt und liegen bald einzeln, bald gruppenweise beisam- 
men. Diefs letztere sieht man besonders bei einem Stücke des Braunauer 
Eisens der Berliner Sammlung, an welchem eine Fläche, ungefähr in der 
Richtung einer Octaöderflche, angeschliffen ist; man sieht hier nur die Quer- 
schnitte der Krystalle; durch das gruppenweise Beisammenliegen erscheint 
aber die Fläche wie gesprenkelt. Bei dem Stücke Fig. 3 sind auf der Fläche 
D, die der Combinationskante mit C parallel liegenden Krystalle in grofser 
Menge vorhanden. 

Noch deutlicher als mit blofsen Augen erscheinen die kleinen einge- 
wachsenen Krystalle, wenn man von der geätzten Fläche einen Hausenblasen- 
abdruck macht und diesen unter dem Mikroskop betrachtet. In Fig. 5 (Taf. I) 
sind diese nadelförmigen Krystalle nur klein, und es finden sich zufällig hier 
meistentheils auch nur solche, die anf der Fläche C senkrecht stehen, also nur 
ihre Querschnitte zeigen. Viel gröfser als in dem Eisen von Braunau sind sie 
in dem von Seeläsgen, von dem Fig. 4 Taf. II die Zeichnung einer geätzten 
Schnittfläche in natürlicher Grölse ist. Die Fig. 6—8 Taf. I sindZeichnungen 
von Stellen der Fläche einer andern ähnlichen Platte dieses Eisens in 140 mali- 
ger Vergröfserung, die wie Fig. 5 Taf. I dargestellt sind (1). Man sieht in 
denselben Quer- und Längsschnitte der Prismen, und letztere in zwei unter 
einander rechtwinkligen Richtungen, woraus sich ergiebt, dafs die Schnitt- 


(') Das Eisenkorn, welches die Fig. 6 Taf. I gezeichnete Stelle, sowie den später zu 
erwähnenden dreieckigen Einschluls enthält, ist Fig. 7 in natürlicher Gröfse gezeichnet. 


48 G. Rose: 


fläche parallel einer Hexaöderfläche geht. Die Prismen erscheinen hier auf 
das bestimmteste als quadratische, aber man sieht zugleich, dafs, wenn auch 
ihre Hauptaxen einer der Hexaöderkanten, doch ihre Seitenflächen nicht immer 
den Flächen derselben parallel gehen, und diefs scheint überall der Fall zu 
sein, wie man diefs auch beim Drehen der Fläche D Fig.3 beobachten kann, 
wie eben gezeigt ist. In Fig. 6 sind zufällig die einen der horizontal liegen- 
den Krystalle aufserordentlich grofs und scheinen hier an den Enden mit der 
geraden Endfläche begränzt zu sein, während sie in Fig. 9 Taf. I, welche eine 
Stelle von der Fläche D Fig. 3 darstellt, doch eine andere Endkrystallisation 
zu haben scheinen. In Fig. 5 und 8 Taf. I erscheinen die Krystalle nicht 
mit ganz parallelen Kanten, was hier offenbar davon herrührt, dafs die 
Schnittfläche nicht genau parallel einer Hexaöderfläche geht. 

Es scheint mir zweckmäfsig, diese kleinen eingewachsenen Krystalle 
mit einem besonderen Namen zu bezeichnen, ich werde sie daher in dem 
Folgenden mit dem Namen Rhabdit, von Bades der Stab, benennen. 

Aufser diesen feinen Rhabdit-Krystallen finden sich in dem Braunauer 
Eisen noch andere etwas gröfsere unregelmäfsig, zum Theil auch regelmäfsig 
begränzte Einmengungen, die von der verdünnten Salpetersäure auch nicht 
angegriffen werden und beim Aetzen des Eisens ihren metallischen Glanz 
und ihre stahlgraue Farbe behalten. Bei der Auflösung des Eisens in Salpe- 
tersäure oder Chlorwasserstoffsäure bleiben diese Einmengungen zurück, und 
man erkennt in dem Rückstande Krystalle mit regelmäfsigen Formen. Fi- 
scher sah darin längliche, rechtwinklige Tafeln (!); ich sah unter dem Mi- 
kroskop diese und andere Formen, doch war die angewandte Menge zu ge- 
ring, um genügende Beobachtungen zu machen. 

Von gröbern Einmengungen finden sich kleine runde oder längliche 
Parthien von Troilit, auf dessen geätzter Fläche kleine glänzende Punkte er- 
scheinen, der also wohl Nickeleisen in feinen Theilen beigemengt enthält. 
In der Nähe dieses Troilits werden auf der geätzten Fläche die Aetzungslinien 
wohl feiner, gehen aber in völlig unveränderter Richtung bis zu ihm fort. 
Das erstere ist wohl nur eine Folge davon, dafs der Troilit viel leichter auf- 
löslich ist als das Meteoreisen, und die Salpetersäure in der Nähe des Troi- 
lits durch seine Auflösung noch mehr verdünnt wird, so dafs sie auf das 


(') Poggendorffs Ann. 1848, B. 73, S. 592. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 49 


Meteoreisen in der Nähe des Troilits nur eine schwächere Einwirkung aus- 
üben kann. 

Die beiden oben $. 34 und S. 46 erwähnten Stücke des Braunauer 
Eisens in dem Berliner Museum haben beide zum Theil noch ihre natürliche 
Oberfläche mit ihren rundlichen Erhabenheiten und Vertiefungen und ihrer 
dünnen Decke von Magneteisenerz, und ebenso kann man unter dieser die 
4 bis 1%, Linien dicke Lage erkennen, in welcher das Eisen ganz körnig ge- 
worden ist(!). 

2) Claiborne, County Alabama V.St., gefunden 1838. Eine 3 Zoll 
lange und 1 Zoll breite geschnittene Platte von Hrn. v. Reichenbach in 
Tausch erhalten. Sie gleicht der Platte des Braunauer Eisens, die parallel 
der Octaöderfläche geschnitten ist und zeigt daher aufser den Aetzungs- 
linien die Querschnitte des eingemengten Rhabdits. Aufserdem kommen 
noch einige gröflsere graue, metallisch glänzende Einmengungen vor, die 
theils eine Körner- theils eine Nadelform haben. Eine Bruchfläche befindet 
sich daran nicht. 

3) Saltillo (Santa Rosa), Neu-Mexico, gefunden 1860. Zwei kleine 
Platten vom Prof. Shepard durch Tausch erhalten. Sie zeigen die Aetz- 
linien und Rhabdit-Krystalle sehr deutlich. 

b) Meteoreisenmassen, welche Aggregate grobkörniger 
Individuen ohne schalige Zusammensetzung sind. 

Zu diesen gehört besonders: 

4) das Meteoreisen von Seeläsgen bei Schwiebus im Reg.-Bezirk 
Frankfurt in Preufsen, gefunden 1847. Dasselbe besteht aus einer Menge 
gröfserer und kleinerer anscheinend unregelmäfsig begränzter und unregel- 
mäfsig verbundener Zusammensetzungsstücke, die auf den geätzten Schnitt- 
flächen die gröfste Aehnlichkeit mit den Schnittflächen des Braunauer Eisens 
zeigen. Fig.4 Taf. II ist die schon oben S. 47 erwähnte Zeichnung einer geätz- 
ten Schnittfläche dieses Eisens aus der Berliner Sammlung. Man sieht auf 
den einzelnen Zusammensetzungsstücken die Aetzungslinien sehr schön, mei- 
stentheils die, welche den Linien df, ef und db in Fig. 2 Taf. I entsprechen, 
doch auch die andern angegebenen. Die Linien einer Richtung herrschen 


(') Vergl. oben S. 42. 
Phys. Kl. 1863. G 


50 G. Rose: 


gewöhnlich vor, aber diese vorherrschenden Linien und somit alle übrigen 
liegen in den meisten Zusammensetzungsstücken untereinander verschieden 
und nur in einigen fast oder ganz gleich. Man sieht ferner auch ohne Lupe 
die kleinen Krystalle des Rhabdits sowohl in ihren Längs- als Querschnitten 
als kleine Striche oder Punkte und erstere auf den Zusammensetzungsstücken, 
bei denen die Schnittfläche ungefähr parallel einer ihrer Spaltungsflächen 
geht, in zwei ungefähr auf einander rechtwinkligen Richtungen. Noch besser 
sieht man sie auf dem Hausenblasenabdruck unter dem Mikroskop, wie sie 
in den schon oben beschriebenen Fig. 6—8 Taf. I dargestellt sind. Manche 
Stellen erscheinen auch gesprenkelt, kurz man sieht alle Erscheinungen, die 
das Eisen von Braunau dargeboten hat(!). Bei einer bestimmten Beleuch- 
tung erscheinen die einen Zusammensetzungsstücke glänzend und von fast 
dunkel bleigrauer Farbe, während die andern matt und von lichterer stahl- 
grauer Farbe sind. Diese bekommen dann in anderer Richtung mehr Glanz, 
wenngleich der Unterschied der Farbe bleibt. Es erhält auf diese Weise die 
geätzte Fläche das Ansehn von Damast, womit man dieselbe schon öfter ver- 
glichen hat. In der Zeichnung Fig. 4 Taf. II ist diefs dadurch darzustellen 
versucht, dafs den letzteren Zusammensetzungsstücken ein etwas grauer Ton 
gegeben ist. Die glänzenden Stücke haben zuweilen eine übereinstimmende 
Streifung, aber keineswegs immer, was man oft bei zwei dicht aneinander 
gränzenden sehen kann (*). Worauf also diese gleiche Spiegelung beruht, 
kann ich nicht angeben. 

Troilit ist häufig in dem Eisen von Seeläsgen eingemengt und findet 
sich zuweilen in gröfsern Parthien, die theils eine cylinderförmige, theils kug- 
lige, theils unförmliche Gestalt, doch immer eine ziemlich ebene Oberfläche 
haben. Sie sind mit einer etwa eine halbe bis eine ganze Linie dicken Schicht 
von einer in verdünnter Salpetersäure unlöslichen Substanz, wahrscheinlich 
einem nickelreicheren Nickeleisen als das Meteoreisen ist, umgeben, die wohl 
beim Aetzen etwas bräunlichgelb anläuft und dadurch wohl einige Aehnlich- 
keit mit Eisenkies hat, doch nicht damit zu verwechseln ist, wie diefs öfter 


(') Die Aetzlinien und Rhabdit-Krystalle sind in der Zeichnung Fig. 4 nur zum Theil 
angegeben, es war nicht möglich, alle Einzelheiten vollständig wiederzugeben. 

(?) Bei den mit n und Z bezeichneten Individuen ist die Streifung und die Lage der 
eingeschlossenen Krystalle ganz verschieden, während sie doch bei den Individuen n und m 
ganz gleich ist; und doch haben alle gleichen Glanz. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 51 


geschehen ist('). Graphit kommt zuweilen in kleinen Parthien in dem 
Troilit eingemengt vor; aber kein Nickeleisen, und Nickel ist überhaupt 
nicht einmal chemisch verbunden in dem Troilit des Eisens von Seeläsgen 
enthalten, wie oben angegeben (vergl. S. 39). 

5) Nelson County, Kentucky, Ver. St. N. A., gefunden 1856, 
ähnlich dem vorigen. 

6) Union Cty, Georgia, Ver. St. N. A., gefunden 1853, ebenso. 

7) Tucuman (Otumpa), Argentinische Rep. S. A., gefunden 1788. 
Mit Angaben dieses Fundorts besitzt das mineralogische Museum 4 Stücke, 
die demselben auf verschiedene Weise zugekommen und von verschiedenem 
Ansehen sind. Das Hauptstück befand sich in einer Sammlung von Minera- 
lien, die von dem preufsischen Reisenden Sello, der auf Kosten der Regie- 
rung Brasilien und die südlich angränzenden Freistaaten bereiste, aber auf 
der Reise starb, geschickt waren; es hatte den beiliegenden Zettel: Meteor- 
eisen aus der Provinz Gr. Chaco, Geschenk des Canonego Dr. Bartholo 
Munos zu Buenos Aires; es hat geätzt ein ähnliches Ansehen wie das Me- 
teoreisen von Seeläsgen, und nach ihm ist die Stelle in dem Verzeichnifs 
bestimmt. 

Die beiden folgenden Stücke, 0,56 und 0,05 Loth schwer, stammen 
aus der Chladnischen Sammlung und haben den Zettel: Bezirk St. Jago del 
Estero, Prov. Chaco Gualambo in S. Amerika; sie sind klein, besonders das 
eine, können aber dem Ansehen nach wohl mit dem erstern vereinigt werden. 

Das vierte Stück, 3,11 Loth, war auch in einer der Selloschen Sen- 
dungen enthalten und hat auf dem Zettel keine andere Angabe als: Meteor- 
eisen aus Tucuman; es ist ein flaches Stück mit feinkörnigem Bruch, gehört 
also zur 5. Abtheilung. Diese Beschaffenheit scheint mit der des Wiener 
Stückes aus Tucuman übereinzustimmen, da Partsch (Meteoriten S. 129) 
von diesem anführt, dafs es dem Eisen vom Senegal, welches zu dieser Va- 
rietät gehört, ähnlich sehe. Es mufs daher noch unentschieden bleiben, ob 
die beiden Selloschen Stücke von einer und derselben Eisenmasse stammen 
oder ob unter Gran Chaco und Tucuman zwei ganz verschiedene Fundorte 
gemeint sind. Nimmt man an, dafs die Stücke von einer Eisenmasse abstam- 


(') Eine solche Troilitparthie mit ihrer Umgebung von dem schwerlöslichen Nickeleisen 
und den Zusammensetzungsstücken des Meteoreisens ist Fig. 5 Taf. I dargestellt. 


G2 


52 G. Rose: 


men, und zwar von der grofsen Masse, die Rubin de Celis besucht, und 
deren Gewicht er auf 300 Ctr geschätzt hatte, so würde daraus folgen, dafs 
auch die Eisenmeteorite an einer Stelle feinkörnig und an einer andern grob- 
körnig sein können, was bei den Steinmeteoriten zwar häufig vorkommt, bei 
den Eisenmeteoriten aber noch nicht beobachtet ist. 

c) Meteoreisenmassen, welche Stücke eines Krystalls mit 
schaliger Zusammensetzung parallel den Flächen des Octaeders 
sind, d.h. Eisenmassen, die Widmanstättensche Figuren geben. 

Meteoreisenmassen dieser Art sind die gewöhnlichsten, wenngleich die 
Erscheinung nicht überall gleich regelmäfsig und deutlich ist. Sie besteht 
darin, dafs das Eisen in der Form des Octaöders aus lauter übereinander 
liegenden Schalen parallel den Flächen des Octaöders zusammengesetzt er- 
scheint, zwischen denen sich dünne Blättchen von dem in verdünnter Salpe- 
tersäure unlöslichen Nickeleisen, welches Reichenbach Tänit genannt hat, 
befinden. Sie beweist, dafs die Krystallbildung ruckweise vor sich gegangen 
ist; sie hat von Zeit zu Zeit aufgehört, während welcher Zeit sich dann der 
Tänit abgelagert hat, natürlich in so geringer Menge, dafs er die Anziehung 
und somit die weitere regelmäfsige Ablagerung des Meteoreisens nicht ver- 
hindert hat. Es ist also eine Bildung, wie sie sowohl bei aufgewachsenen als 
auch eingewachsenen Krystallen häufig vorkommt, bei aufgewachsenen z. B. 
beim sogenannten Cap-Quarz aus Devonshire, wo eine geringe Menge von 
Eisenoxyd die Ursache der Schalenbildung ist; bei eingewachsenen z.B. beim 
Leucit in den Laven vom Vesuv oder bei dem Magneteisenerz in dem Schwe- 
dischen Eisenglanz von Norberg in Westmanland, bei welchem letztere die 
Schalen wie bei dem Meteoreisen parallel den Flächen des Octaäders gehen. 
Hat das Meteoreisen lange Zeit in feuchter Erde gelegen, so oxydirt es sich 
hier an der Oberfläche und ändert sich in Eisenoxydhydrat um; die Oxyda- 
tion folgt den Schalen, und es lösen sich oft ganz deutlich octa@drische Theile 
ab, wie man diefs sehr schön bei dem Eisen von Cosby und von Arva sehen 
kann (vergl. S. 37). Legt man nun Schnittflächen durch solche Massen, po- 
lirt und ätzt man dieselben, so ragen die Tänitblättchen mit glänzenden 
Kanten aus dem matten Grunde der Schnittfläche hervor, und es bilden sich 
die Widmanstättenschen Figuren. Auf diesen geätzten Schnittflächen kann 
man die Stärke und gegenseitige Stellung dieser Schalen am besten erkennen, 
wenn erstere auch von der Lage des Schnitts gegen die Schalen abhängig ist. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 53 


Man sieht dann, dafs sie in der Regel nur eine halbe Linie, zuweilen aber 
auch 1 bis 2 Linien dick sind, wie z. B. bei dem Eisen von Bohumilitz. Wo 
sie aber diese Dicke erreichen, haben sie nicht so ebene Flächen , uud die 
Tänitblättchen zwischen den Schalen sind in dem Maafse unebener. Zuwei- 
len sind sie aber überaus geradflächig, wie z. B. bei dem Eisen von Elbogen, 
Agram, Texas, Tazewell u. s.w., so dafs man bei den Abdrücken von den 
geätzten Schnittflächen derselben mit ziemlicher Genauigkeit die Winkel, die 
die Schalen untereinander machen, messen und danach die Lage des Schnitts 
in der Eisenmasse bestimmen kann (!). 

Durch Einwirkung der verdünnten Salpetersäure zeigen sich auf den 
Querschnitten der Schalen die Aetzungslinien mehr oder weniger deutlich und 
mehr oder weniger eng nebeneinander liegend. Dadurch dafs gewisse Rich- 
tungen bei diesen Linien vorherrschen und diese verschieden liegen in den 
verschiedenen Schalen, erhalten auch die Schnittflächen dieser Meteoriten das 
damastähnliche Ansehen, wie die der vorigen Abtheilung. Zuweilen haben 
aber nebeneinander und auch auf angränzenden Schnittflächen ganz gleich 
gelegene Schalen ganz verschieden liegende Aetzungslinien, wie ich diefs z.B. 
ganz bestimmt bei dem Eisen von Schwetz beobachtet habe und zuweilen er- 
scheinen selbst dieselben Schalen mit denselben Aetzungslinien auf der einen 
Hälfte glänzend und auf der andern matt; der Glanz richtet sich oft gar nicht 
nach den Schalen, die geätzte Fläche ist streifenweise glänzend und streifen- 
weise matt, wie diefs bei dem Eisen von Bohumilitz zu beobachten ist, und 
zuweilen erscheint jede Schale körnig und die körnigen Zusammensetzungs- 


(') Bei dem Abdruck z. B. von dem geätzten Schnitte der Elbogener Masse, der sich 

in dem oben angeführten Werke von v. Schreibers befindet (vergl. oben S. 34), machen 

die drei schmalsten und geradlinigsten Streifen Winkel von 64°, 

60%° und 554° (in der beistehenden Zeichnung mit «, £, y be- 

bezeichnet), die von den Winkeln eines gleichseitigen Dreiecks 

nicht viel abweichen, daher der Schnitt der Eisenmasse beinahe 

7 parallel einer Octa@derfläche geführt ist. Die Schalen, die der 

5 vierten Octa@derfläche parallel gehen, schneiden daher die Schnitt- 

fläche unter einem sehr spitzen Winkel, ihre Durchschnitte sind 

ß breiter und unregelmälsiger, und ihre genaue Richtung ist nun 

auch schwerer zu messen. Sie haben eine solche Richtung, dafs 

ihre Durchschnitte mit der Schnittfläche einer Linie parallel gehen, die von « aus die ge- 

genüberliegende Seite so trifft, dals sie mit dieser Winkel von ungefähr 80° und 100° bil- 
det und der spitze Winkel ö dem Winkel £ gegenüber liegt. 


54 G. Rose: 


stücke verschieden gestreift, wie bei Ruffs mountain, wo diese Zusammen- 
setzung auch Reichenbach hervorhebt. Es sind diefs alles Verhältnisse, die 
noch der Erklärung bedürfen, die aber doch zum Theil von derselben Art 
sind wie bei dem Eisen von Seeläsgen, wo die Zusammensetzungsstücke, wie 
es scheint, unregelmäfsig nebeneinander liegen, daher es doch wohl sein 
kann, dafs ungeachtet der unregelmäfsigen Form der einzelnen Zusammen- 
setungsstücke ihre Lage gegeneinander doch eine gewisse Regelmäfsigkeit 
haben kann. 

Wie die Aetzungslinien, so sieht man auch die Rhabdit-Krystalle theils 
in ihren zwei aufeinander rechtwinkligen Längsschnitten, höchstens linien- 
grofs, theils in ihren Querschnitten als Punkte; recht deutlich z.B. bei 
dem Eisen von Misteca, und es findet hier auch dasselbe statt, was bei den 
Aetzungslinien erwähnt ist, dafs ihre Stellung in zwei benachbarten Schalen 
nicht immer gleich, ja oft ganz entgegengesetzt ist. 

Aufser dem Tänit und Rhabdit enthalten die Schalen noch eine andere 
bei der Aetzung glänzend bleibende Substanz von stahlgrauer Farbe einge- 
schlossen. Sie findet sich meistens in plattenförmigen Stücken stets in der 
Mitte der Schalen und diesen mit ihren breiten Flächen parallel, und er- 
scheint in manchem Meteoreisen recht häufig, wie z.B. in dem Eisen von 
Arva, Sarepta, Cosby und Lenarto, und wie diefs in den schönen, schon 
oben S. 33 erwähnten Abdrücken, die Haidinger von den geätzten Schnitt- 
flächen der beiden ersten Eisenmassen bekannt gemacht hat, zu sehen ist. 
Auf der Schnittfläche erscheinen die Körner und Plättchen oft voller kleiner 
Vertiefungen, was dadurch entsteht, dafs sie spröder als die umgebende 
Masse sind, und daher beim Schleifen des Meteoreisens einzelne Theile von 
ihnen leicht herausgerissen werden. Reichenbach hat diese Körner und 
Plättchen wegen ihres starken Glanzes, den sie auch nach der Aetzung be- 
halten, Lamprit genannt; sie sind aber offenbar dasselbe, was Haidinger 
schon früher bei dem Arva-Eisen Schreibersit genannt hat(!), daher der äl- 
tere Name gröfsere Ansprüche hat, beibehalten zu werden. 

Der Schreibersit und die Rhabdit-Krystalle finden sich jedoch nicht 


in jedem dieser Eisenmeteoriten. Während der Schreibersit in den genann- 


(') Vergl. darüber auch Haidinger in den Sitzungsber. d. math. naturw. Cl. d. k. 
Akad. d. Wiss. von 1862 B. 46. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 55 


ten Meteoriten in verhältnifsmäftig grofser Menge vorkommt, findet er sich 
in den Meteoriten von Schwetz, Misteca, Bohumilitz u.s.w. gar nicht, da- 
gegen in diesen letztern wiederum der Rhabdit in grofser Menge erscheint. 
Beide Substanzen scheinen sich demnach einander förmlich auszuschliefsen. 
In dem Arva-Eisen kommen zwar beide auf eine ausgezeichnete Weise vor, 
aber sie finden sich doch auch hier nicht beide in einem und demselben 
Stücke, denn die einen enthalten Schreibersit, die andern nicht, eine Un- 
gleichheit, die schon Partsch, Reichenbach und Haidinger bei diesem 
Eisen angegeben haben. Die, welche keinen Schreibersit haben, enthalten 
dafür den Rhabdit. Es wäre demnach wohl möglich, dafs beide nur ver- 
schiedene Arten des Vorkommens einer und derselben Substanz wären, und 
was man von der chemischen Zusammensetzung dieser Massen kennt, ist dem 
nicht entgegen. Beide müssen wenigstens Phosphor enthalten, denn diefs 
ergiebt sich daraus, dafs derselbe sowohl von Reinhold von Reichen- 
bach in der Schreibersit führenden Abänderung des Arva-Eisens(!), als 
auch von Berzelius und Rammelsberg in dem Rhabdit führenden Me- 
teoreisen von Bohumilitz gefunden ist. Da nun diese Eisenmassen von den 
in verdünnter Salpetersäure schwer löslichen Substanzen, so viel man weifs, 
nur noch den Tänit enthalten, derselbe aber nach Reinhold von Rei- 
chenbach keinen oder nur eine unbedeutende Menge von Phosphor enthält 
(vergl. oben S. 37), so mufs er sowohl in dem Schreibersit als auch in dem 
Rhabdit enthalten sein. Sollte durch fortgesetzte Untersuchungen es sich 
bestätigen, dafs Schreibersit und Rhabdit dieselbe Substanz sind, so mufs 
natürlich der Name Rhabdit fortfallen. 


(') Vergl. Poggendorffs Ann. 1863 B. 119, S. 172. Es ist hier zwar nicht besonders 
angegeben, dafs das untersuchte Stück eine Schreibersit führende Abänderung des Arva- 
Eisens ist, doch kann ich diefs in so fern bezeugen, als das von Reichenbach, dem Sohne, 
analysirte Stück aus dem Berliner Museum stammt. Reichenbach, der Vater, nämlich, dem 
bei seiner letzten Anwesenheit in Berlin die vielen eingeschlossenen Schreibersit-Körner in 
mehreren Stücken des Arva-Eisens des Berliner Museums auffielen, während eine grofse 
Masse des Arva-Eisens in seiner Sammlung diese gar nicht enthielten, bat sich eins dieser 
Berliner Stücke in Austausch gegen ein anderes aus seiner Sammlung aus, um es von sei- 
nem Sohne analysiren zu lassen, und so möglicher Weise die Zusammensetzung des darin 
eingeschlossenen Schreibersits zu erfahren. So entstand die oben angeführte Abhandlung in 
Poggendorffs Ann., die nun zwar nicht die genaue Zusammensetzung des Schreibersits, doch 
aber bestimmt ausmachte, dafs der Phosphorgehalt dieses Meteoreisens von ihm herrühre. 


56 G. Rose: 


Von den nach verschiedenen Richtungen gehenden Schalen des Me- 
teoreisens werden öfter eckige Räume eingeschlossen (Zwischenfelder, wie 
sie v. Schreibers nennt), die mit einem Meteoreisen erfüllt sind, das mit 
ganz dünnen, untereinander parallelen Blättchen einer in verdünnter Salpe- 
tersäure unlöslichen Substanz durchsetzt wird. Die Blättchen haben in dem- 
selben Raum bald eine bald mehrere Richtungen und gehen bald den Schalen, 
die sie einschliefsen, parallel, bald nicht. Es kann fraglich sein, ob sie aus 
Tänit oder Schreibersit bestehen, doch möchte das erstere wahrscheinlicher 
sein, was auch die Meinung von Reichenbachs ist (vergl. oben S. 36). 
Solche Räume sind dieser Abtheilung besonders eigen; ich habe zwei solcher 
nicht weit voneinander liegender Räume, die bei dem Eisen von Bohumiilitz 
vorkommen, mit a und 5 bezeichnet, in Fig. 6 Taf. II in natürlicher Gröfse 
und in Fig. 7 25 mal vergröfsert dargestellt. In der letztern Fig. sieht man, 
dafs der Raum a eigentlich aus 3 Räumen besteht, deren jeder seine beson- 
dere Blättchen hat, die in jedem nach mehreren Richtungen gehen, die sich 
gegenseitig durchschneiden. Auch der Raum 5 ist, soweit er gezeichnet ist, 
aus zweien zusammengesetzt, die aber beide nur Blättchen in einer Richtung 
enthalten. Die Räume a und d sind von den Schalen des Meteoreisens c, d, 
e, fund g umgeben, die die Aetzlinien und die Rhabdit-Krystalle zeigen, 
die aber nur unvollständig in der Fig. wiedergegeben sind. 

In der Ecke von a Fig. 7 befindet sich noch eine Bildung A, die eine 
besondere Beschaffenheit hat; sie ist in Fig. 8 besonders und 140 mal ver- 
gröfsert dargestellt. Sie zeigt auf der Schnittfläche ungefähr parallel laufende 
gegliederte Streifen, zwischen denen sich kleine Körper befinden, die wie 
Krystalle aussehen. Dergleichen Bildungen finden sich in dem Eisen von 
Bohumilitz häufig, oft von noch bedeutenderer Gröfse, und kommen mit 
ähnlichen überein, die sich auch in dem Eisen von Seeläsgen finden, wo nur 
die kleinen krystallähnlichen Körper fehlen. Eine solche ist in Fig. 7 und 6 
Taf. I in natürlicher und 140 maliger Vergröfserung dargestellt. 

In dem Folgenden ist das Meteoreisen dieser Abtheilung in der Ord- 
nung aufgeführt, dafs zuerst die Abänderungen mit den dickern Schalen und 
dann die mit den dünnern folgen. 

8) Bohumilitz, Prachimer Kreis in Böhmen, gefunden 1829. Eine 
grofse dicke Platte, an 3 Seiten mit natürlicher Oberfläche begränzt und eine 
kleine dünne Platte. Fig. 6 Taf. II. Die Schalen sind 1 bis 2 Linien dick, 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 57 


ziemlich geradflächig, die Aetzlinien auf denselhen sehr deutlich, der einge- 
mengte Rhabdit im Allgemeinen nicht grofs, in einigen ziemlich häufig, in 
andern weniger. Die mit Tänit erfüllten Räume zwischen den Schalen des 
Meteoreisens (a und 5 in Fig. 7 Taf. II) nicht selten, gewöhnlich aber nur 
klein. Die grofse Platte enthält mehrere Parthien von Graphit eingemengt, 
die mit einer bei der Aetzung glänzend gebliebenen, stahlgrauen Rinde um- 
geben sind. 

9) Brazos, Texas, V. St. 1856, kleines Stück, ähnlich dem vorigen. 

10) Denton County, Texas, V. St. 1856. Kleines Stück ebenso. 

11) Arva (Szlanieza) Ungarn. 1844. Sechs meistens ziemlich grofse 
Stücke, theils Platten, theils Stücke, die noch gröfsere Theile der oxydirten 
natürlichen Oberfläche zeigen. Die Stücke sind interessant durch ihre un- 
gleiche Structur (vgl. oben S.55). Vier derselben enthalten in der Mitte der 
Schalen, die bei allen von gleicher und von derselben Stärke, wie bei dem 
Eisen von Bohumilitz sind, eine grofse Menge von Körnern und Platten von 
Schreibersit, die nach dem Aetzen der Masse sehr glänzend hervortreten, 
während zwei andere deren gar nicht, dagegen den Rhabdit und diesen von 
einer Gröfse der Krystalle enthalten, wie ich sie kaum bei einem andern Me- 
teoreisen gesehen habe; sie sind zuweilen über eine Linie lang und die qua- 
dratische Gestalt ihrer Durchschnitte ist mit der Lupe oft recht deutlich zu 
sehen. Die Aetzlinien sind bei beiden Abänderungen auf den geätzten Flä- 
chen vorhanden, aber in beiden meistentheils nur schwach. Das Meteoreisen 
ist nach dem Aetzen nur matt, wenngleich auch hier bei einer bestimmten 
Beleuchtung bei gewissen Schalen glänzender als bei andern. An einer 
Platte der zweiten Abänderung findet sich eine platt-cylinderförmige, durch 
die Dicke der Platte hindurchgehende Masse von Troilit, die feine Körn- 
chen von Nickeleisen (?) eingemengt enthält, und mit einer Hülle einer auch 
nach dem Aetzen metallisch glänzend bleibenden, spiesgelben Substanz um- 
geben ist. 

12) Cosby Creek, Coke County, East-Tennessee, V. St. 1840. 
Mehrere auf der Oberfläche oxydirte octaödrische Bruchstücke von Hrn. 
Prof. Troost als Geschenk erhalten, zugleich mit einzelnen kleinen Stücken 
Graphit und Troilit aus demselben. Die Stücke gleichen der ersten Ab- 
änderung des Arva-Eisens aufserordentlich; die Menge des eingemengten 

Phys. Kl. 1863. 


58 G. Rose: 


Schreibersits ist an einem Stücke noch etwas gröfser. An einem Stücke Gra- 
phit ist etwas Troilit eingemengt. 

Verschieden von diesem Meteoreisen ist ein anderes, welches Hr. Eh- 
renberg ohne nähere Angabe des Fundorts als aus Tennessee von Hrn. C. 
T. Adae in Cincinnati Ver. St. erhalten (') und dem mineralogischen Mu- 
seum übergeben hatte. Den Erscheinungen der Aetzung nach würde sich 
dieses vielmehr den grobkörnigen Abänderungen, wie der von Seeläsgen an- 
reihen lassen. Diefs erkannte auch Hr. Shepard, als er das Stück im hie- 
sigen Museum sah, wufste es aber doch keinem andern bekannten Meteor- 
eisen der Ver. Staaten zu vergleichen, daher ich diefs Stück nur als Anhang 
hier aufführe. 

13) Sarepta, Gouv. Saratow, Rufsland 1854. Drei Stücke, eine 
grofse Platte, die 8 Zoll lang, 3% Zoll breit und einen Zoll dick ist, ein klei- 
nes Stück und eine 2 Zoll lange und !, Zoll dicke Platte. Die erste Platte ist 
am Rande rund herum mit natürlicher Oberfläche begränzt und läfst hier auf 
der einen Seite die runde Wölbung der gefundenen Masse sehr gut erken- 
nen(?). Die natürliche Oberfläche hat stellenweise ganz das Ansehen des 
Braunauer Eisens, und ist hier nur mit einer dünnen Rinde von Eisenoxyd- 
oxydul bedeckt, daher die Masse nicht lange Zeit in dem Boden, wenigstens 
nicht in einem feuchten gelegen haben kann. — Das zweite Stück hat keine, 
die kleine Platte an den Rändern nur zum Theil natürliche Oberfläche. Die 
drei Stücke zeigen aber vollkommen denselben Unterschied wie das Arva- 
Eisen. Während die beiden ersten Stücke der ersten Abänderung des Arva- 
Eisens gleichen, enthält die dritte Platte gar keinen Schreibersit, dagegen 
den Rhabdit in grofser Menge (°). Die Schalen sind bei diesem Stücke noch 


(') Vergl. Monatsber. der k. Pr. Akad. d. Wiss. von 1861 S. 517. 

(?) Vergl. die Abbildung und Beschreibung derselben in den Sitzungsberichten der k. 
Akad. der Wiss. von 1862 B. 46. Das in der Wiener Sammlung befindliche Stück dieses 
Eisens, wovon Haidinger seiner Abhandlung einen so vortrefflich gerathenen Abdruck hin- 
zugefügt hat, ist die Hälfte einer ähnlichen Platte, wie die des Berliner Museums. 

(?) Die Stücke sind indessen unzweifelhaft von derselben Masse. Dieselbe wurde in der 
Kalmückensteppe in der Nähe der Herrnhuterkolonie Sarepta an der Wolga gefunden, und 
von Hrn. Glitsch nach Moskau gesandt, wo Hr. Dr. Auerbach sie abformen und sodann 
zerschneiden liefs. Mehrere Stücke wurden darauf zum Verkaufe nach Herrnhut gesandt; 
von hier und zwar durch Hrn. Möschler habe ich die beiden ersten Stücke, die dritte 
Platte von Hrn. Auerbach selbst erhalten. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 59 


dicker als bei den beiden andern, und die eine Schnittfläche derselben hat 
ganz das Ansehen einer Schnittfläche des Seeläsgen-Eisens, und scheint hier 
ganz aus unregelmäfsigen Zusammensetzungsstücken zu bestehen. Einzelne 
nach der Aetzung glänzend bleibende Körnchen, die hier eingewachsen sind, 
haben eine lichte speisgelbe Farbe, wie die Substanz, die bei dem Eisen von 
Bohumilitz den Graphit umgiebt. Die Aetzlinien sind überall sehr deutlich 
Bei der grofsen Platte findet sich eine über einen halben Zoll grofse Troilit- 
parthie, die aus dünnschaligen Zusammensetzungsstücken ohne merkliche 
Umhüllung durch eine andere Substanz besteht. 

14) Sevier County, Tennessee V. St., 1840. Eine 3%, Zoll lange 
schmale Platte. Sie enthält Schreibersit in ungefähr gleicher Menge wie die 
ersten Abänderungen der beiden vorigen Meteoriten, doch sind die Schalen 
des Meteoreisens etwas schmäler. Die Platte wurde von Hrn. v. Reichen- 
bach in Tausch erhalten. Shepard und Haidinger führen dieses Eisen 
nicht besonders auf, sondern vereinigen es mit dem Cosby-Eisen. Wesent- 
liche Unterschiede in dem Ansehen der beiden Meteoriten finde ich nicht, 
doch habe ich die von Reichenbach angenommene Trennung einstweilen 
beibehalten. 

15) Rio Bemdego, Capitanie Bahia, Brasilien 1816. Kleines Stück, 
Geschenk von Al. v. Humboldt, der es von A. F. Mornay erhalten hatte. 
Die Schalen zeigen Aetzungslinien und Rhabdit, keinen Schreibersit. 

16) Schwetz, Reg.-Bezirk Marienwerder, Preufsen 1850. Das Ber- 
liner Museum, durch den Baurath Knoblauch, auf die bei dem Durch- 
stich eines Sandhügels für die Ostbahn gefundene Eisenmasse, und deren 
wahrscheinlich meteorischen Ursprung aufmerksam gemacht, erhielt durch 
den Geh. Rath Wernich fast die ganze der etwas über 43 Pfund schweren 
Eisenmasse. Sie war, als sie vom Museum erhalten wurde, schon in 3 Stücke 
zerschlagen , wobei der Sprung natürlichen Klüften folgte. Das gröfste jetzt 
noch im Museum befindliche Stück, das noch 10 Pfund 1,21 Loth wiegt, ist 
zum Theil von der natürlichen Oberfläche, zum Theil von der Kluftfläche 
begränzt, die an einer Seite unter spitzem Winkel zusammenstofsen. Die 
erstere ist sehr oxydirt, die letztere matt und schwarz, sonst aber wohl er- 
halten; sie ist hakig und zeigt schon die schalige Zusammensetzung der Masse 
sehr deutlich. Dieselbe giebt beim Aetzen sehr schöne Widmanst. Figuren, 
wie in dem Abdruck , den ich meiner Beschreibung dieses Eisens in Poggen- 


H2 


60 G. Rose: 


dorffs Ann.('!) hinzugefügt habe, zu sehen ist. Die Querschnitte der Scha- 
len sind darin etwas krumm, was wohl eine Folge der beim Zerschlagen der 
Masse angewandten Gewalt ist. In den geätzten Schalen des Meteoreisens sieht 
man die Aetzlinien sowie auch den Rhabdit sehr deutlich. Troilit ist nur in 
kleinen Parthien eingemengt. An einem Stücke der Sammlung findet sich 
mitten im Eisen ein kleines Korn von Chromeisenerz. Schreibersit ist nicht 
zu sehen. 

17) Ruffs Mountain, Newberry, Süd-Carolina, Ver. St. 1850. 
Eine dicke Platte, an einer Seite mit natürlicher Oberfläche. Sehr merk- 
würdig durch die körnige Beschaffenheit der Eisenschalen, wie schon 
oben S. 35 bemerkt. Die körnigen Zusammensetzungsstücke einer und 
derselben Schale sind bei einer bestimmten Beleuchtung theils glänzend, 
theils matt; aber es sind nicht einzelne Zusammensetzungsstücke, die auf 
diese Weise miteinander abwechseln, sondern meistentheils immer wieder 
körnige Parthien, eine schwer zu erklärende Erscheinung. Schreibersit in 
nicht grofser Menge eingemengt. 

18) Seneca River, New York, Ver. St. 1851. Kleines Stück. Die 
Meteoreisenschalen ebenfalls körnig, in den dickern Schreibersit. Mit dün- 
nen Tänitblättchen ausgefüllte Zwischenfelder häufig. 

19) Toluca-Thal, Mexico 1784. Von den vielen Eisenmassen, die 
in dem fast 3 Meilen langen Raume des Toluca-Thales von einigen Unzen 
bis zu mehreren Ctrn. schwer, gefunden sind, und wahrscheinlich alle von 
einem Falle herrühren (?), besitzt das Berliner Museum mehrere schöne 
Stücke; eine grofse Platte, einen Fuls lang, 7 Zoll breit und 10 Pfund 
12,8 Loth wiegend, von Hrn. Shepard erhalten; eine kleinere Platte 5', Zoll 
lang und beinahe 4 Zoll breit, von Hrn. G. A. Stein erhalten, der die 230 
Pfund schwere Masse, von der sie abgeschnitten, selbst aus Mexiko mitge- 
bracht hatte; ein überall mit Rinde umgebenes, gröfseres Stück von der 
Form eiuer plattgedrückten Kugel, von Hrn. Krantz erhalten, vor ihrer 
Theilung in 2 platte Stücke 3 Pfund 1,814 Loth schwer; ein kleineres, mehr 
cylinderförmiges Stück 24,93 Loth schwer, von dem k. Pr. Minister-Resi- 
denten in Washington Hrn. von Gerolt zum Geschenk erhalten, und meh- 


(') B.83, S. 594. 
(°) Vgl. Burkart in Leonhard u. Bronn’s n. Jahrb. f. Mineral. etc. von 1856 S. 297. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 61 


rere andere kleinere Stücke, darunter eins aus der Chladnischen Sammlung, 
bei welchem freilich nur als Fundort Mexico angegeben war, das aber den 
durch Aetzung erhaltenen Figuren nach hierher gehört. Alle diese Stücke 
verhalten sich bei der Aetzung sehr ähnlich; sie geben alle sehr schöne, 
überall gleiche Widmanst. Figuren und beweisen dadurch, dafs sie alle einem 
Falle angehören. Die Schalen sind mehr als liniendick, sehr gerade und 
deutlich gestreift. Der Rhabdit ist darin sehr fein, in den meisten Stücken 
der Sammlung sieht man gröfstentheils nur die Querschnitte der kleinen Kry- 
stalle, was ein geflecktes Ansehen der Schalen hervorbringt. Bei gewisser 
Beleuchtung sind dieselben theils glänzend theils matt, wie besonders bei 
dem Stücke des Dr. Krantz, und zwar sind auch hier nach allen Richtun- 
gen laufende Schalen theils glänzend, theils matt. Schreibersit findet sich 
nicht, dagegen noch Parthien von Troilit und Graphit. Die grofse Platte 
enthält ersteren in grofser Menge und in Parthien, die über 2 Zoll lang sind. 
Gewöhnlich kommen Troilit und Graphit miteinander verbunden vor, doch 
finden sie sich auch voneinander getrennt, und ebenso kommen beide mit 
einer Hülle einer speisgelb gefärbten, metallischen Substanz umgeben vor, 
finden sich aber auch ohne dieselbe. Das Steinsche Stück enthält den Troilit 
nur in kleinern Parthien; Graphit habe ich darin nicht bemerkt. Dafs in die- 
sem Eisen zuweilen auch Quarz in sehr kleinen Krystallen vorkommt, zeigt 
das Stück im Besitz des Dr. Nagel in Berlin (vgl. oben S. 42), wo er aller- 
dings nur in der oxydirten Rinde beobachtet ist, und endlich haben Wöh- 
ler und v. Reichenbach in einem von Stein erhaltenen, ursprünglich 
19 Pfund wiegenden Stücke etwas Olivin beobachtet, der indessen in den 
Stücken der Berliner Sammlung nicht zu sehen ist. Das Krantzsche und Ge- 
roltsche Stück, welche beide rundum mit natürlicher Oberfläche begränzt 
sind, zeigen auf ihr dieselben runden Vertiefungen wie das Braunauer Eisen, 
die Oberfläche ist indessen meistentheils schon in Eisenoxydhydrat umgeän- 
dert, und die durch Schmelzung entstandene Rinde von Magneteisenerz nur 
stellenweise erhalten. Dafs an der Oberfläche des Toluca-Eisens Krantz 
kleine Octaäder von Magneteisenerz beobachtet hat, ist oben angegeben 
(S. 43). 

Das Toluca-Eisen ist vielfach chemisch untersucht. Die Analysen, 
die in Wöhler’s Laboratorium nach denselben Methoden mit Theilen von 


62 G. Rose: 


sehr verschiedenen Stücken angestellt sind('), haben kein völlig übereinstim- 
ınendes Resultat gegeben; die Analysen von Uricoechea und Pugh z.B. 
Abweichungen im Nickelgehalt von 5,02 bis 9,05pC., doch bemerkt darüber 
schon Wöhler, dafs bei der gemengten Beschaffenheit des Meteoreisens, 
wovon immer nur ein sehr kleiner Theil untersucht werden könnte, diefs 
kein Beweis wäre, dafs die analysirten Stücke von verschiedenen Meteoriten 
herrührten. Die Uebereinstimmung der Widmanst. Figuren beweist in die- 
sem Fall besser den gleichen Ursprung aller dieser Massen als die chemische 
Analyse. Sind aber die vielen in dem Toluca-Thal gefundenen Eisenmassen 
eines und desselben Ursprungs, so gehören sie einem der bedeutendsten Me- 
teoritenfälle an, von denen man Kunde hat. Bemerkenswerth ist, dafs Pugh 
nur in der oxydirten Rinde, die er auch untersucht hat, Kieselsäure und zwar 
7,47 pC. gefunden hat. In dem Rückstande von Theilen der vom Dr. 
Stein mitgebrachten Stücke fanden Uricoechea und Pugh auch Körner 
von Olivin und einigen anderen nicht bestimmten rubinrothen und himmel- 
blauen Mineralien. Dergleichen fand auch Böking, ohne sie näher zu be- 
stimmen, und aufserdem noch etwas Graphit. 

20) Misteca, im Staate Oajaca, Mexico, 1834. Ein parallelepipe- 
disches Stück von 2 Pfd. 13,7 Lth., Abschnitt von einem, dem Geh. Berg- 
rath Burkart in Bonn gehörigen Stücke(?). Es ist von zwei Schnittflächen, 
einer Bruchfläche und im übrigen von natürlicher Oberfläche begränzt. Die 
Schliffllächen zeigen sehr schöne Widmanst. Figuren, die denen des Toluca- 
Eisens sehr ähnlich, doch dadurch ausgezeichnet sind, dafs’ auf ihnen die 
eingewachsenen Rhabdit-Krystalle viel gröfser und zahlreicher sind. Die 
Aetzungslinien sind sehr schwach und nur an manchen Stellen sichtbar. 
Troilit immer in sehr kleinen Parthien, doch findet sich auf der einen 
Schnittfläche eine kleine, krumm cylinderförmige Höhlung, worin Troilit ge- 
sessen zu haben scheint. Eine gröfsere runde Rinne auf der Oberfläche war 
vielleicht früher auch damit gefüllt. Die Bruchfläche ist schwach angelaufen, 
doch sind darauf die Schalen des Meteoreisens noch gut zu sehen. Die na- 
türliche Oberfläche ist an einer Stelle durch Hammerschläge verletzt, an an- 
dern zeigt sie die dünne Rinde von Magneteisenerz noch deutlich. 


(‘) Vgl. Sitzungsb. der math.-naturw. Cl. d. k. Akad. d. Wiss. von 1856 B. 20, S. 217 etc. 
(2) Vgl. Burkart a. a. O. S. 305. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 63 


21) Sierra blanca, unweit Villa nueva de Huajuquilla in Mexico, 
1784; ein Stück aus der Sammlung des Medicinal-Raths Bergemann('), 
15,28 Loth schwer. Die Widmanst. Figuren sind denen des Toluca -Eisens 
sehr ähnlich, die Aetzungslinien deutlicher, der Rhabdit undeutlicher, kein 
Schreibersit. 

22) Tula (Netschaövo) Rufsland 1856. Ein drei Zoll langes, ziemlich 
quadratisches Prisma mit lauter Schnittflächen bis auf eine der Endflächen, 
die natürliche Oberfläche ist; von Hrn. Dr. Auerbach in Moskau erhalten. 
Die Widmanst. Fig. sehr schön, die Schalen so dick wie im Toluca- Eisen, 
die Aetzungslinien fein, Rhabdit nicht recht sichtbar. Auf einer der Seiten 
des Prisma’s sieht man den Durchschnitt einer Einmengung, die sich von 
einem Ende, fast 5 Linien breit, bis fast zum andern fortzieht, wo sie sich 
auskeilt. Sie besteht aus einem Gemenge von Nickeleisen mit einem harten, 
schwarzen, matten und undurchsichtigen Silicate. Haidinger(?) hat von 
dem Stücke der Wiener Sammlung, das mehrere dergleichen Einmengungen 
enthält, einen Abdruck gegeben, und Auerbach(°) hat neuerdings das Si- 
licat analysirt. Er fand darin: 

Eisenoxydul 31,64 
Magnesia 16,63 


Kalk 0,77 
Natron 122 
Rali 0,20 


Thonerde 9,93 

Kieselsäure 37,76 
hält es aber selbst noch für ein Gemenge, da es sich von Chlorwasserstoff- 
säure nur zum Theil zersetzen läfst. 

Was es mit dieser Einmengung für eine Bewandtnifs hat, ist schwer zu 
sagen. Dergleichen Einmengungen sind bei andern Eisenmeteoriten noch 
nicht vorgekommen. Da die ursprünglich an 600 Russische Pfunde schwere 
Masse, um sie zu zerkleinern, in ein Schmiedefeuer gebracht worden ist, so 
könnte man glauben, dafs die Einmengung sich erst durch die Behandlung 


(') Vergl. Burkart a. a. O. S. 278. 
(*) Sitzungsberichte der math.-naturw. Cl. d. k. Akad. d. Wiss. von 1860. 
(°) Poggendorffs Ann. von 1863, B. 118, S. 363. 


64 G. Rose: 


im Feuer gebildet hat, doch ist das Gemenge des Silicats und des Eisens in 
demselben so fein, die chemische Zusammensetzung des Silicats durch den 
grofsen Magnesiagehalt so verschieden von den gewöhnlichen Eisenschlacken, 
die Widmanst. Fig. in dem Eisen sind so regelmäfsig, dafs diese Annahme 
doch ihre Schwierigkeit hat. 

23) Robertson County, Tennessee, V. St. 1861. Kleines Stück, 
die Widmanst. Fig. ähnlich denen des Tula-Eisens. 

24) Carthago, Smith County, Tennessee, V. St. 1844. Ein grofses, 
1 Pfd. 16,44 Lth. schweres Stück, in Form eines dreiseitigen Prisma’s, von 
Hrn. von Reichenbach erhalten. Zwei Seitenflächen sind Schnittflächen, 
die dritte eine natürliche Kluftfläche. Die Widmanst. Fig. sind sehr schön, 
ähnlich denen des Toluca-Eisens. Troilit ist in kleinen Parthien eingemengt. 
Er hat stets eine kleine Einfassung von Meteoreisen, jenseits welcher erst die 
Widmanst. Fig. anfangen. In der einen Parthie von Troilit ist ein kleines 
Korn von Chromeisenerz eingemengt (s. oben S. 39). 

25) Burlington, Otsego County, New York, Ver. St. 1819. Meh- 
rere kleine Stücke, Widmanst. Fig. wie Toluca. 

26) Marshall County, Kentucky, V. St. 1856, schöne Widmanst. 
Fig. ; darin ziemlich viel Schreibersit. 

27) St. Rosa bei Tunja, Columbien, ein ganz kleines Stück, 0,025 
Loth schwer, das von Prof. Karsten aus Columbien mitgebracht ist. So 
klein es ist, so konnte ich doch noch eine Fläche anschleifen lassen und 
ätzen, und daran ganz deutliche Widmanst. Fig. erkennen. 

28) Orange Flufs, Süd-Africa, 1856, dünne Platte, ähnlich dem 
von Marshall Cty, auch mit etwas Schreibersit. 

29) Texas (Red River), Ver. St. 1814. Eine 4 Zoll lange, dünne 
Platte. Geschenk von Hrn. B. Silliman. Schöne Widmanst. Figuren. Die 
Schalen etwas schmäler als bei Toluca. Ein wohlgerathener Abdruck von 
einer geätzten Platte des Texas-Eisens befindet sich in Silliman’s Journal. 

30) Lenarto, Scharosch, Ungarn, 1815. Dicke der Schalen wie 
bei Texas; sehr feine Aetzlinien, in einigen Stücken ziemlich viel Schreiber- 
sit, in andern weniger. 

31) Durango, Mexico, 1804. Ein gröfseres Stück, 1 Pfd. 2,67 Lth. 
schwer, und mehrere kleinere, Geschenk von Al. v. Humboldt. Die 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 65 


Widmanst. Fig. noch schmäler als bei dem Texas-Eisen. Troilit in kleinen 
Parthien eingemengt. 

32) Werchne-Udinsk, West-Sibirien, 1854. Eine dicke Platte, 
1 Pfd. 4,17 Lth. schwer, an den Rändern bis auf eine Schnittfläche mit na- 
türlicher Oberfläche begränzt. Letztere ist uneben und mit nur sehr dünner 
Rinde von Magneteisenerz bedeckt, das in kleinen Vertiefungen, überall aber 
undeutlich krystallisirt ist. Die Hauptflächen zeigen geätzt sehr schöne Wid. 
Fig. Troilit in kleinen Parthien hier und da eingeschlossen. 

33) Elbogen, Böhmen, 1811. Ein 9,92 Lth. schweres Stück, eine 
dünne Platte und ein aus der Masse geschmiedetes Federmesser; sämmtliche 
Stücke aus der Chladnischen Sammlung. Die Widm. Fig. desselben sind aus 
dem schönen Abdruck in dem Werke des Hrn. von Schreibers bekannt. 

34) Nebraska Territory, Ver. St. 1856. 

35) Madoc, Ober-Canada 1854. 

36) Black mountain, Buncumbe Cty, Nord-Carolina, V. St. 1835. 

37) Caille, Grasse, Var, Frankreich, 1828. Eine drei Zoll lange, 
5,69 Lth. schwere Platte. Die Wid. Fig. sehr geradlinig und schön. 

38) Agram (Hraschina), Croatien, gefallen den 26. Mai 1751. 

39) Ashville, Buncumbe County, Nord-Carolina, Ver. St. 1839. 
Schöne Widmanst. Fig., aber sehr schnell rostend. 

40) Guildford, Nord-Carolina, Ver. St. 1830. 

41) Löwenflufs, Grofs Namaqualand, Süd-Africa 1853. 

42) Lockport (Cambria), New-York, V. St. 1845. Eine fast zwei 
Zoll lange Platte. Feine Widm. Fig. mit vielen rundlichen, haselnufsgrofsen 
Parthien von Troilit, die oft zusammengehäuft, aber stets mit einer dünnen 
Hülle einer lichten speisgelben Legirung umgeben sind. 

43) Jewell Hill, Madison County, Nord-Carolina, Ver. St. 1856. 
Eine ähnliche, nur dickere Platte; ebenfalls sehr feine Widmanst. Fig. 

44) Oldham County (Lagrange), Kentucky, Ver. St. 1856. Zwei 
grofse, dicke Platten, an den Rändern zum Theil mit natürlicher Oberfläche 
begränzt, und eine kleinere Platte. Die Widm. Fig. sehr fein. 

45) Putnam County, Georgia, V. St. 1854. Die Widm. Fig. sehr 
gerade, fein und zierlich. In dem kleinen Stücke findet sich ein Einschlufs 
von Troilit, in welchem kleine Parthien von Nickeleisen eingemengt sind. 


Phys. Kl. 1863. I 


66 G. Rose: 


46) Tazewell, Claiborne County, Tennessee, Ver. St. 1854. Die 
Widm. Fig. sehr geradlinig und in ihnen dünne Streifen von Schreibersit, 
die sich aber merkwürdiger Weise nur in den Schalen einer Richtung fin- 
den, was das Meteoreisen von Tazewell vor allen übrigen Abänderungen aus- 
zeichnet. Auch hier kleine Einmengungen von Troilit, der mit einer speis- 
gelben metallisehen Einfassung umgeben ist. 

d) Meteoreisenmassen, die Aggregate grofskörniger, scha- 
lig zusammengesetzter Individuen sind. 

47) Zacatecas, Mexico, 1792. Ein Meteoreisen von sehr eigenthüm- 
licher Structur, die nur in einem gröfseren Stücke erkannt werden kann. 
Das Berliner Museum besitzt davon neben mehreren kleinen Stücken eine 
ungefähr rechtwinklige zolldicke Platte, die ungefähr 3 Zoll breit und 3% Zoll 
lang, von einem gröfsern Stücke abgeschnitten ist, das der Geh. Bergrath 
Burkart aus Mexico selbst mitgebracht hat(!). Die Seiten der Platte wer- 
den zum Theil durch natürliche Oberfläche gebildet. Auf der geätzten Haupt- 
fläche, die in Fig. 1 Taf. II dargestellt ist, sieht man, dafs diefs Meteoreisen 
aus grobkörnigen Zusammensetzungsstücken besteht, die über zollgrofs und 
unregelmäfsig begränzt sind, und selbst wieder aus Zusammensetzungsstücken 
bestehen, die parallel den Flächen des Octaäders liegen, wie bei dem Me- 
teoreisen, das Widm. Fig. giebt. Diese schaligen Zusammensetzungsstücke 
sind auch nicht sehr regelmäfsig begränzt, ihre Richtung ist aber doch sehr 
gerade, was man aus dem eingemengten Schreibersit sehen kann, der in der 
Mitte derselben enthalten ist, und auf der Schnittfläche oft fast zusammen- 
hängende, wenn auch meistentheils sehr dünne Streifen bildet. Unter dem 
Mikroskop sieht man jedoch, dafs diese Streifen stets aus einzelnen Stücken 
bestehen, die in einer oder mehreren Reihen nebeneinander liegen. Die 
einzelnen Stücke sind zum Theil regelmäfsig begränzt und liegen in paralle- 
ler Stellung nebeneinander, sind also unvollkommen ausgebildete Krystalle. 
Fig. 2 stellt die Stelle bei a (Fig. 1), Fig. 3 bei 5 (Fig. 1) bei 90 maliger Ver- 
gröfserung in einem der gröfsten Zusammensetzungsstücke der Platte dar. In 
Fig. 1 sind die Schalen, woraus die Zusammensetzungsstücke bestehen, nur 
unvollständig wiedergegeben, da sie sehr fein sind, der Schreibersit ist aber 
möglichst vollständig dargestellt. Die Schalen zeigen feine, doch deutliche 


(') Vergl. N. Jahrbuch für Min. etc. von Leonhard und Bronn von 1856 S. 288. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 67 


Aetzlinien; eingewachsene Krystalle von Rhabdit kommen nicht vor, wenn 
auch der eingemengte Schreibersit in manchen Zusammensetzungsstücken so 
häufig und fein ist, dafs man ihn leicht damit verwechseln kann. Auch hier 
sieht man bei einer bestimmten Beleuchtung einen Theil der schaligen Zu- 
sammensetzungsstücke glänzen, einen andern nicht, der dann bei anderer 
Beleuchtung glänzt, während es nun bei dem ersten nicht der Fall ist. Troilit 
in kleinen unregelmäfsigen Parthien ist häufig eingemengt und in den Figuren 
durch schwarze Farbe bezeichnet; er hat häufig eine dünne, metallisch glän- 
zende Einfassung, die, so weit man es erkennen kann, von dem Schreibersit 
nicht verschieden erscheint; auch kleine Parthien von Graphit kommen darin 
vor. Auf der natürlichen Oberfläche sieht man zwei runde, rinnenförmige 
Eindrücke, der eine davon 3 Zoll lang und $ Zoll breit, die Baron Rei- 
chenbach, der sie hier gesehen, für Höhlungen hält, die durch ausgewitterten 
Troilit entstanden sind. 

e) Meteoreisenmassen, welche Aggregate feinkörniger Zu- 
sammensetzungsstücke sind. 

Diese Eisenmassen erscheinen im Bruche fein- bis kleinkörnig, zeigen 
geschliffen und geätzt keine Widm. Fig., doch treten dann nadel- oder tafel- 
förmige Krystalle von Rhabdit oder Schreibersit hervor, die gewöhnlich gar 
keine regelmäfsige Lage haben. Troilit ist in einzelnen gröfsern oder klei- 
nern Parthien eingemengt. 

48) St. Rosa (Tocavita) bei Tunga, 20 spanische Meilen NO. von 
Bogotä in Columbien 1823. 

49) Rasgata, bei der Saline Zipaquira bei Bogotä, Columbien 1823. 
Ich führe beide Eisenmassen zusammen auf, weil beide nach den Stücken 
des Berliner Museums die gröfste Aehnlichkeit miteinander haben. Das St. 
Rosa-Eisen wurde mir 1824 bei meinem Aufenthalte in Paris von Al. von 
Humboldt, der sie selbst von Boussingault erhalten, für das Berliner 
Museum übergeben. Es waren ursprünglich 2 vollständige kleine Eisenmas- 
sen von platt-kugelförmiger Gestalt, wenn auch mit vielen flachen Vertiefun- 
gen auf der Oberfläche. Von beiden wurden später einige Stücke abgeschnit- 
ten; sie wiegen jetzt noch 35,26 und 29,93 Loth; ein kleines von dem einen 
abgeschnittenes Stück ist 3,04 Loth schwer. Die Oberfläche derselben ist 
sehr oxydirt, und das Eisen hier in Eisenoxydhydrat umgeändert. Das Eisen 
selbst ist aufserordentlich hart, im Bruche feinkörnig und nimmt geschliffen, 

12 


68 G. Rose: 


eine sehr gute Politur an. Geätzt wird es im Allgemeinen matt, das eine 
Stück etwas fleckig; man sieht nur mit der Lupe kleine runde oder vielmehr 
noch in die Länge gezogene Erhabenheiten, die auf ihrer Höhe noch kleinere 
runde, längliche, oft ganz linienartige, glänzend gebliebene Theile zeigen. 

Von dem Eisen von Rasgata besitzt das Museum eine 4,79 Loth schwere 
Platte, die an den Seiten von 2 Schnittflächen, im übrigen von der natürli- 
chen Oberfläche begränzt ist. Das Berliner Museum hatte sie vom Director 
Partsch aus dem Wiener Kabinette erhalten, wo es von einem Stücke ab- 
geschnitten war, das aus der Meteoritensammlung von Heuland stammt, der 
es selbst von Mariano de Rivero erhalten hatte('). Die geätzte Schnitt- 
fläche gleicht denen der vorigen Stücke; die kleinen glänzend gebliebenen 
Theile sind vielleicht noch häufiger und vorzugsweise linienartig, zum Theil 
auch untereinander parallel. Sie sind meistentheils sehr fein, liegen aber wie 
bei den vorigen Stücken auf schon etwas erhabenen Theilen der Grundmasse. 

Die Stücke stammen demnach sämmtlich von Boussingault und 
Mariano de Rivero, welche beide zusammen an den Fundörtern dersel- 
ben waren und darüber die erste Nachricht gegeben haben (?). Sie sahen in 
St. Rosa bei Tunja, 20 spanische (?) Meilen NO. von Bogotä, eine grofse 
Eisenmasse, deren Gewicht sie auf 750 Kilogramme schätzten, bei einem 
Schmiede, der sich ihrer als Ambofs bediente. Dieselbe hatte sich auf einem 
Hügel Tocavita, !; Meile von St. Rosa, mit andern kleinern Stücken in der 
Nähe gefunden. Andere Eisenmassen sahen sie in dem Dorfe Rasgatä in der 
Nähe der Saline Zipaquira bei Bogotä, darunter Massen von 41 und 22Kilo- 
gramme. 

Das von Prof. Karsten mitgebrachte und oben (S. 64) erwähnte 
Eisen von Santa Rosa ist ein Stück von der grofsen Eisenmasse, die bei dem 
Schmiede liegt. Prof. Karsten ist zwar nicht selbst in Santa Rosa gewesen, 
sondern hatte die Stücke von einem Bewohner Santa Rosa’s erhalten, den 
er in Bogotä kennen gelernt hatte. Da demselben das Vorhandensein der 
Eisenmasse bei dem Schmiede wohl bekannt war, so hatte Prof. Karsten 
ihm eine Metallsäge mitgegeben, um mittelst derselben ein Stückchen von 
der Eisenmasse abzulösen und ihm dasselbe bei seiner Rückkehr nach Bogotä 


(') Partsch Meteoriten S. 127. 
(2) Ann. de Chimie 1824, t. 25, p. 438. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 69 


zu bringen, was er nun auch gethan hatte, wenn auch das Stück bei der 
Härte der grofsen runden Eisenmasse, der er nicht recht beikommen konnte, 
nur sehr klein ausgefallen ist. Prof. Karsten hatte aber keinen Zweifel an 
der Aechtheit des Stückes; da es nun aber ganz anderer Art ist, als die 
Stücke von St. Rosa, die Boussingault an Humboldt gegeben, so müfste 
man annehmen, dafs die verschiedenen auf dem Hügel Tocavita bei St. Rosa 
gefundenen Eisenmassen eine so grofse Verschiedenheit der Structur gezeigt 
haben. Bei der Aehnlichkeit der Boussingaultschen Stücke mit denen von 
Rasgata könnte man an eine Verwechselung der Fundorte denken, die indes- 
sen anzunehmen ich keine Berechtigung habe. Vielleicht könnte noch Hr. 
Boussingault selbst darüber Auskunft geben. Auch würde es wünschens- 
werth sein, noch andere Beschreibungen der Stücke von St. Rosa und Ras- 
gata zu erhalten. — Dafs Wöhler bei der Auflösung des Eisens von Rasgatäa 
eine Menge kleiner mikroskopischer harter Steinchen als Rückstand neben 
dem Schreibersit erhielt, ist schon oben angeführt (vgl. oben S. 41). 

50) Chesterville, Süd-Carolina, Ver. St. 1949. Drei Stücke, eins 
davon in zwei Stücke zerbrochen, ursprünglich 14,93 Loth, ein zweites 
3,92 Loth schwer, alle tafelartig geschnitten, eins noch zum Theil mit natür- 
licher Rinde, die schwarz, dünn und uneben ist. Das zerbrochene Stück 
zeigt einen feinkörnigen Bruch mit stahlgrauer,, ins Bleigraue sich ziehender 
Farbe. In der feinkörnigen Masse liegen etwas gröfsere, glänzende Körner. 
Die geätzte Schnittfläche ist matt, mit der Lupe sieht man darauf lauter kleine 
rundliche Erhabenheiten, und dazwischen einzelne unregelmäfsig gestaltete, 
oder runde, auch ganz geradlinige, glänzende Theile. Bei dem durchgebro- 
chenen Stücke ging der Bruch gerade durch ein darin befindliches Stück 
Troilit von Haselnufsgrölse, so dick wie die Platte selbst; derselbe ist braun, 
feinkörnig und wird von einer dünnen Hülle glänzender Körner umgeben, 
die etwas gröfser sind als die übrigen glänzenden Theile der Masse. 

51) Tucuman (Otumpa), Argent. Rep. in Süd-America, 1788. Das 
vierte der oben S. 51 erwähnten Stücke mit feinkörnigem Bruch. 

52) Senegal im Lande Siratik und Bambuk, Africa, 1763. Ein 
4,462 Loth schweres Stück, zum Theil mit zwei Schnittflächen und einer 
Bruchfläche, zum Theil mit der natürlichen Oberfläche begränzt. Letztere 
ist uneben und schwarz, die Bruchfläche ist etwas gröber körnig als bei 
Chesterville; die geätzte Schnittfläche zeigt auch die feinen rundlichen Erha- 


70 G. Rose: 


benheiten von Chesterville, aufserdem aber andere dünne, geradlinige, oft 
2 Linien lange, die unregelmäfsig durcheinander laufen, ohne sich zu schnei- 
den, aber nur schwach glänzen, etwa wie bei Chesterville die erhabenen 
Theile in der nächsten Umgebung der stark glänzenden. 

53) Salt River, Kentucky, V. St. 1851. Eine dünne, quadratzoll- 
grofse, 1,197 Loth schwere Platte. Graue matte Grundmasse, worin häufige 
lichtere längliche Theile schon etwas regelmäfsig nach den Seiten eines un- 
gefähr gleichseitigen Dreiecks liegen, in deren Mitte sich glänzende Theile 
befinden, die auch meistentheils von einer länglichen Form sind. Die eine 
Hälfte der geätzten Schnittfläche ist bei einer bestimmten Beleuchtung von 
lichter grauer Farbe, die andere dunkler; bei anderer Beleuchtung umge- 
kehrt, die erste Hälfte dunkel und die andere licht. Das Eisen ist dem vom 
Senegal zu vergleichen, unterscheidet sich aber durch die regelmäsige Lage 
der lichtern Theile, die sehr räthselhaft ist ('). Es wäre wichtig, den Bruch 
zu sehen, der bei der dünnen Platte nicht zu beobachten ist. 

54) Cap der guten Hoffnung (zwischen Sonntags- und Bosche- 
manns-Flufs), S. A. 1801. Eine dicke Platte (Fig. 9 und 10 Taf. III) von 
Hrn. Prof. Breda in Harlem erhalten, und ein kleines Stück aus der Chlad- 
nischen Sammlung. Die Platte ist ein Abschnitt der grofsen, in dem Museum 
von Harlem aufbewahrten, angeblich 171 Pfd. schweren Masse (?). Sie ist 
an einer Seite mit einer Schnittfläche, an den übrigen mit natürlicher Ober- 
fläche begränzt, die nur eine sehr dünne braune Rinde hat. Um den Bruch 
zu sehen, wurde, parallel der Fläche AF, an der gegenüberliegenden Seite 
der Platte eine Scheibe abgeschnitten und zum Theil abgebrochen, was nicht 
ohne Schwierigkeiten ausgeführt werden konnte, da das Eisen sehr weich 
und sehr dehnbar ist, und darin einen grofsen Gegensatz mit dem Eisen von 
St. Rosa (S. 67) bildet. Es mufste von zwei Seiten tief eingeschnitten wer- 
den, ehe sich die dünne Scheibe abbrechen liefs, so dafs nur ein 3 Linien 
dicker Streifen mit Bruch entstand, an dem man jedoch deutlich seine Be- 
schaffenheit wahrnehmen kann. Er ist ganz feinkörnig und lichte stahlgrau. 


(') Um die bei diesen wie den vorigen Meteoriten angegebenen Erscheinungen zu sehen, 
ist es nöthig, dafs die Schnittfläche gut polirt und dann nur schwach geätzt wird; bei star- 
ker Aetzung bildet sich nur eine körnige, graue Fläche, an der nichts weiter zu erken- 
nen ist. 

(?) Vergl. Partsch Meteoriten S. 132. 


Beschreibung und Eintheilung der Nleteoriten. 71 


Das übrig gebliebene, grofse Stück war wohl an einigen Stellen der Ober- 
fläche angerostet, zeigte aber sonst keine merkliche Verschiedenheit. Als 
die Schnittflächen AF und AC der Platte geschliffen und polirt wurden, ro- 
steten sie in sehr kurzer Zeit an den 3 Stellen B, D, G, wie in der Fig. an- 
gegeben ist, und als sie darauf schwach geätzt wurden, zeigte sich der Rost 
auf denselben Stellen sehr bald wieder, ohne aber später merklich weiter 
fortzuschreiten; die übrigen Theile der Flächen wurden aber dabei merk- 
würdig verändert. Man sieht nun verschiedene, abwechselnd lichte und dun- 
kel stahlgraue, mehr oder weniger breite Streifen in paralleler Richtung und 
mit scharfer Gränze über dieselben fortlaufen, die ihren Farbenton umtau- 
schen, je nachdem das Licht in der einen oder der andern Richtung auf das 
Stück fällt. Hält man dasselbe so, dafs die Kante AB dem Beobachter zu- 
gekehrt und ungefähr horizontal ist, so erscheinen die Streifen so, wie sie in 
Fig. 9 angegeben sind; a, c,e,g sind hell, mit Ausnahme einiger feiner, dun- 
keler Streifen in e und g; a, d, f, A dunkel, mit Ausnahme des hellen, feinen 
Streifen in d. Hält man dagegen die Fläche AC so, dafs die Streifen dem 
Beobachter parallel gehen, wie in Fig. 10, so sind die Streifen, die früher 
hell waren, dunkel; dabei erscheint diese Fläche, wie auch schon in der frü- 
hern Lage, gefleckt und auf diesen Flecken theilweise mit feinen Streifen, 
die die breiten, schräg durchsetzen, gestreift. Hält man die Fläche so, dafs 
sie etwas nach hinten geneigt ist, so ist die Stelle bei B, wie in der Zeich- 
nung angegeben, hell; ist die Fläche AC ganz horizontal, so wird die Ecke 
bei B dunkel, ist sie nach vorn geneigt, wieder hell. 

Unebenheiten, die diese Veränderungen in dem Ton der Streifen be- 
dingen könnten, sind mit den blofsen Augen und auch kaum mit dem Mi- 
kroskope wahrzunehmen. Ich habe von der Fläche AC einen Hausenblasen- 
abdruck gemacht; unter dem Mikroskop erschien der lichte Streifen A Fig. 10 
ganz gekörnt, wie in Fig. 11; in dem dunklern g waren diese Körner eben- 
falls, aber mit andern gemengt, die in die Länge gezogen waren. Die die 
breiten Streifen durchsetzenden feinen Streifen entstehen dadurch, dafs die 
Körner hier gedrängter liegen. Wie dadurch aber der Wechsel von hell und 
dunkel in den Streifen bewirkt wird, ist nicht einzusehen. Es müfsten dazu 
noch weitere Untersuchungen angestellt, und namentlich noch Schnitte pa- 
rallel und rechtwinklig auf den breiten Streifen gemacht, auch nachgesehen 
werden, ob die Lagen, die durch die Streifen auf den Schnittflächen des 


1% G. Rose: 


Stückes Fig. 9 angezeigt werden, durch die ganze Masse des grofsen Stückes 
in dem Museum von Harlem, wovon das beschriebene abgeschnitten ist, bin- 
durchgehen. 

Die chemische Beschaffenheit dieses so eigenthümlichen Eisens ist 
schon mehrfach untersucht, zuletzt noch durch Uricoechea und Bö- 
king(') in Wöhlers Laboratorium, wodurch der grofse Nickelgehalt dessel- 
ben bis 15 pC., den schon Holger und Wehrle gefunden hatten, bestätigt 
wurde. Als Wöhler im Mai d. J. in dem Berliner Museum das geätzte 
Stück sah, veranlafste ihn das eigenthümliche Ansehen desselben, noch eine 
neue Analyse zu machen, mit Stücken, die ich ihm mittheilen konnte. Er 
fand darin (?): 

Nickel 16,215 

Kobalt 0,727 

Phosphor 0,148 
aufserdem noch Spuren von Kupfer und Chrom, welches letztere auch schon 
Stromeyer darin nachgewiesen hatte. Doch ist die Untersuchung noch 
nicht abgeschlossen. Das schnelle Rosten an manchen Stellen setzt hier doch 
eine besondere Beschaffenheit voraus. — Noch ist zu bemerken, dafs man 
in dem Streifen g der Fläche AF, was man so selten zu beobachten Ge- 
legenheit hat, den sechsseitigen Durchschnitt eines Krystalls von Troilit, so 
wie in dem untern Streifen A etwas Schreibersit von der in der Zeichnung 
angegebenen Gestalt sieht. 

55) Babb’s Mill, Greenville, Green County, Tennessee, Ver. St. 
18545. Zwei kleine flache Stücke; bei dem gröfsern zwei Schnittflächen, die 
übrige Begränzung natürliche Oberfläche, die in Eisenoxydhydrat umgeän- 
dert ist. Die grofse Schnittfläche ist geätzt, matt, die eine Hälfte dunkelgrau, 
die andere viel heller. Beide Schattirungen verlaufen ineinander, wie diefs 
auch bei den Flecken in dem Eisen vom Cap vorkommt; ebenso derselbe 
Wechsel des Farbentons bei dem Wechsel in der Lage des Stücks; aber die 
geradlinigen Streifen sind in dem kleinen Stücke nicht sichtbar, ein Bruch 
auch nicht wahrnehmbar. In dem kleinern Stücke sieht man glänzende Ein- 


(') Ann. d. Chem. und Pharm. B. 91, S. 252 und B. 95, S. 246. 
(2) Nach einer brieflichen Mittheilung, die ich mit seiner Erlaubnils hier bekannt mache. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 71 


mengungen in Gestalt von gebogenen Linien, die bei dem gröfsern nicht 
sichtbar sind. 

Wie in dem äufsern Ansehen, so gleicht diefs Eisen auch dem vom 
Cap in der chemischen Beschaffenheit. Es hat ebenfalls einen sehr hohen 
Nickelgehalt, der nach der von Clark in Wöhlers Laboratorium angestell- 
ten Analyse sogar noch etwas höher ist als bei dem Cap-Eisen. Er fand näm- 
lich Eisen 80,590, Nickel 17,104, Kobalt 2,037, schwerlösliche Phosphorme- 
talle 0,124; aufserdem noch Spuren von Mangan, Silicium und Magnesium. 

56) De Kalb County, Tennessee, V. St. 1845. Zwei kleine Stück- 
chen, wonach diefs Eisen dem der beiden vorigen Fundörter sehr ähnlich zu 
sein scheint. 

Anhang. 
57) Tueson, Sonora, Mexico, 1850. Kleines Stückchen. 
58) Cranburne, Melbourne, Australien, 1861. Drei kleine Stückchen. 


9. Pallasit. 


Gemenge von Meteoreisen mit Olivin. Das Meteoreisen bildet hier 
eine Grundmasse, in welcher Olivin-Krystalle porphyrartig eingewachsen 
sind (!). Es gehören hierher die Eisenmeteorite von Krasnojarsk (das Pallas- 
Eisen), von Brahin, Atacama, Steinbach, Rittersgrün, Breitenbach (?) und 
Bitburg. 

Die Olivin-Krystalle sind bei dem Pallas-Eisen am schönsten ausge- 
bildet. Sie sind hier 2 bis 4 Linien grofs und zuweilen noch gröfser, und 
liegen entweder ganz frei in dem Eisen oder zu mehreren neben einander, 
sich gegenseitig in der Ausbilduug störend. Im ersteren Falle sind sie rund 
und nähern sich der Kugelgestalt mehr oder weniger; oft sind sie in die Länge 
gezogen und an einem Ende konisch zulaufend, wie man an ihren Durch- 
schnitten auf den Schnittflächen des Eisens, oder an den bei der Lostrennung 


(') Aestig und schwammig, wie es gewöhnlich beschrieben wird, erscheint es nur da, 
wo die Olivin-Krystalle herausgefallen sind, was bei der Trennung kleinerer Stücke von 
grölsern mit dem Hammer häufig der Fall ist. 

(?) Den Eisenmeteorit von Breitenbach stelle ich vorläufig hierher, da das darin enthal- 
tene Meteoreisen dieselben Widm. Fig. giebt, wie das in den Pallasiten von Steinbach und 
Rittersgrün, ohne aber die neben dem Meteoreisen vorkommenden Gemengtheile schon un- 
tersucht zu haben. 


Phys. Kl. 1863. K 


74 G. Rose: 


einzelner Stücke von der gröfseren Masse mit dem Hammer herausgefallenen 
Krystallen sehen kann. Ihre Oberfläche ist aber glatt und stark glänzend. Sie 
sind gelblichgrün und vollkommen durchsichtig, so dafs man auf der ge- 
schliffenen Fläche des Pallasits auch bei den Durchschnitten gröfserer Kry- 
stalle die hintere Seite deutlich erkennen kann; indessen sind sie doch häufig 
mit Sprüngen durchsetzt, und auf diesen und in der Nähe derselben braun 
gefärbt, und dann mehr oder weniger undurchsichtig. Ungeachtet ihrer Ab- 
rundung zeigen sie aber noch einzelne Flächen, die sich gewöhnlich nicht in 
Kanten schneiden und runde Umrisse haben, aber an den Winkeln, die sie 
miteinander bilden, zu bestimmen sind. Am häufigsten fand ich die Flächen 
des Längsprisma % (80° 54’) und die Zone der Längsprismen ausgebildet, wie 
z.B. in Fig. 1 Taf. IV, wo diese Zone rund um den Krystall zu verfolgen ist 
und sich auf der einen Seite die Flächen P, h, k,i, T, i, k (Haüy), auf der ent- 
gegengesetzten Seite die Flächen A, T befinden; er ist in der den Flächen P 
und T parallelen Axe besonders ausgedehnt('). An andern Krystallen fand 
ich aber auch die Flächen anderer Zonen; ja ich fand sogar einen Krystall, 
den ich schon bei einer früheren Gelegenheit beschrieben (*), bei welchem 
mehrere Reihen von Flächen übereinander vorkommen. Wo sich mehrere 
Flächen finden oder dieselben schon einige Gröfse haben, schneiden sie sich 
auch öfter in scharfen Kanten. So findet sich bei einem Stücke der Sammlung 
ein in dem Eisen festsitzender Krystall, an welchem 2 Flächen sichtbar sind, 
die eine 3 Linien lange Kante bilden. Die Flächen sind gröfstentheils über- 
aus glatt und glänzend, so dafs sich die Krystalle zu den schärfsten Messun- 
gen eignen, die man bei dem Olivin anstellen kann. Nur die gerade End- 
fläche ? ist bei dem oben erwähnten, sehr ausgebildeten Krystalle parallel 
der Kante mit dem Längsprisma gefurcht, und Flächen mit solchen Furchen, 
die also auch wahrscheinlich die Flächen P sind, habe ich auf ansitzenden 
Krystallen noch öfter bemerkt. Selten sind die Krystalle um und um ausge- 
bildet, gewöhnlich liegen zwei oder mehrere Krystalle nebeneinauder. Sie 
begränzen sich dann mit Zusammensetzungsflächen, die sich von den Kry- 


(') Bei @ befindet sich keine Krystall- sondern eine Zusammensetzungsfläche, in welcher 
der Krystall an einen andern angränzte. 

(?) Poggendorffs Ann. 1825 B. 4, S.185. Er ist indessen dort ganz vollständig ge- 
zeichnet, obgleich die Flächen nur auf einer Seite ausgebildet sind; über 7’ die Flächen ;, k, P 
(letztere sehr grols), unter 7: ’; neben 7':r, s, n, über diesen 7, f, e, d, unter ihnen 7, f\, €. 


Beschreibung uud Eintheilung der Meteoriten. 75 


stalllächen gleich dadurch unterscheiden, dafs sie immer etwas uneben und 
bei weitem nicht so glänzend wie jene sind('!). Zuweilen sind die Krystalle 
nur durch eine schmale Lage von Eisen oder auch Troilit von einander 
gelrennt. 

Betrachtet man die Krystalle mit einer Lupe, so sieht man häufig in 
ihnen ganz feine, haarförmige Einschlüsse, die ganz geradlinig und unterein- 
ander parallel, mehr oder weniger lang in verschiedenen Höhen des Krystalls 
liegen, und öfter Farben spielen. Besser erkennt man diese Einschlüsse noch, 
wenn man die Krystalle in dünn geschliffenen Platten unter dem Mikroskop 
betrachtet, wo sie bei 140 maliger Vergröfserung wie in Fig. 10 Taf. I er- 
scheinen (?). Sie machen im Allgemeinen den Eindruck von Röhren, haben 
aber untereinander eine etwas verschiedene Beschaffenheit und erscheinen 
bei 360 maliger Vergröfserung, wie in der Fig. 2 Taf. IV dargestellt ist. Am 
häufigsten erscheinen sie, wie in a Fig. 2, als zwei nebeneinander liegende, 
gerade Linien, dann sieht man in der Mitte dieser eine stärkere und schwär- 
zere 5; dann erscheinen die beiden Linien von a in zwei schwächere ge- 
theilt c, so dafs man vier Linien sieht. Im Innern sind sie theils ungefärbt, 
theils lichte grau oder dunkel schwarz. Zuweilen sind die Röhren unterbro- 
chen und fangen in einiger Entfernung wieder an, 5 Fig. 2, oder es ist nur 
die Färbung in der Röhre unterbrochen, wie bei e. Eine ungewöhnlich 
starke Röhre f erschien der ganzen Länge nach dunkel und nur an den En- 
den eine kleine Strecke etwas lichter und an dem einen Ende zuletzt ganz 
licht. Gewöhnlich erscheinen die Röhren scharf abgeschnitten, zuweilen aber 
hatten sie eine Endigung wie in 5 unten angegeben. Fig. 12 Taf. I stellen 
schiefe Durchschnitte dieser Röhren in einer aus einem solchen Olivin -Kry- 
stalle geschliffenen Platte dar. 

Es ist schwer zu sagen, wofür man diese Einschlüsse halten soll. Wenn 
ich sie Röhren genannt habe, so soll damit nur der Eindruck bezeichnet wer- 


(*) Sie haben öfter eine fünfseitige Gestalt, wie in dem Stücke, welches Chladni be- 
schreibt, wo drei solcher fünfseitigen Flächen zusammenstolsen, ‚so dafs der Krystall einem 
Pentagondodeca@der sehr ähnlich ist”, wie Chladni sagt, diese Zusammensetzungsflächen 
mit Krystalllächen verwechselnd. (S. dessen Feuermeteore S. 322.) 

(2) Diese Figur ist die Vergrölserung der kleinen, rechts liegenden hellen Stelle in der 
Platte Fig. 11, die aus einem sehr klüftigen Olivin-Krystall des Pallas-Eisens geschliffen, 
und in natürlicher Gröfse dargestellt ist. 


K2 


76 G. Rose: 


den, den sie auf mich gemacht haben. Sie sind aber alle parallel, wenn sie 
auch nur in geringer Menge und vereinzelt in dem Krystalle liegen, und 
müssen also, da sie sich untereinander nicht berühren, eine ganz bestimmte 
Lage in dem Krystalle haben, worin sie liegen. Welche diese aber ist, war 
schwer auszumachen, da man gewöhnlich nur so wenige Flächen bei den 
Krystallen sieht, doch konnte ich bei einigen Krystallen nicht zweifeln, dafs 
sie eine gegen die Endfläche P rechtwinklige, also eine der Hauptaxe parallele 
Lage haben. Bei einem Krystalle z.B., an welchem sich zwei Flächen k und 
dazwischen die Fläche 7’ befindet, kann man bei hellem Lampenlichte deutlich 
sehen, dafs die Fläche T und die Röhren zu gleicher Zeit das Licht reflecti- 
ren, und letztere zugleich rechtwinklig gegen die Axe der Zone kT liegen. 

Der Olivin in dem Eisen von Brahin gleicht in Farbe, Durchsichtig- 
keit und Gröfse der Körner sehr dem Eisen von Krasnojarsk ; einzelne her- 
ausgefallene Körner zeigten auch einzelne glatte Flächen wie bei diesem; 
auf der geschliffenen Fläche waren die Durchschnitte der Krystalle noch ecki- 
ger, so dafs die Flächen sich vielleicht in noch viel gröfserer Anzahl finden, 
als bei dem Sibirischen Eisen. Sie sind meistentheils sehr klüftig, zeigen 
aber auch die eingewachsenen röhrenartigen Einschlüsse sehr ausgezeichnet 
und in grofser Zahl. 

Die Olivin-Körner in dem Eisen von Atacama sind meistentheils noch 
gröfser als die in dem Pallas-Eisen, oft % Zoll grofs, aber sie sind noch viel 
klüftiger, vielleicht auch schon mehr oder weniger zersetzt, daher sie auf 
der geschliffenen Fläche keine Politur annehmen. 

Der Olivin in dem Eisen von Rittersgrün findet sich in kleinern Kör- 
nern, die untereinander noch mehr zusammengehäuft und zu körnigen Par- 
thien verbunden sind, als diefs bei dem Sibirischen Eisen der Fall ist; wo sie 
aber an das Eisen angränzen, sind sie krystallisirt, und noch deutlicher als bei 
diesem. Bei einem Korne konnte ich die Flächen in der Zone der Längspris- 
men mit Sicherheit bestimmen, bei andern zeigten sich einzelne Flächen, die 
aber nicht bestimmt werden konnten; gewifs würde man bei bessern Stücken, 
als mir bis jetzt zu Gebote stehen, recht ausgebildete Krystalle finden kön- 
nen. Der gemessene Krystall ist aber hinreichend, um zu beweisen, dafs die 
Krystalle die Winkel des Olivins haben. Andere Körner waren an der gegen 
das Eisen angränzenden Seite rund, aber dabei stets etwas drusig; so glatte 
Körner wie in dem Pallas- Eisen habe ich hier nicht bemerkt. Die Farbe 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 771 


dieses Olivins ist in den Körnern grüner als bei dem Pallas-Eisen, doch er- 
scheinen sie häufiger durch anfangende Zersetzung braun. 

Der Olivin in dem Steinbach -Eisen gleicht dem von Rittersgrün voll- 
kommen; an dem kleinen Stücke des Berliner Museums fand ich ein Korn, 
das ganz von Eisen umschlossen und völlig rund war, ein anderes, welches 
mehrere Flächen zeigte, die aber nicht bestimmt werden konnten. 

Der Olivin in dem Eisen von Bitburg gleicht, nach dem kleinen Stücke 
des Berliner Museums zu urtheilen, den beiden vorigen; Krystallflächen habe 
ich nicht beobachtet. 

Das specifische Gewicht des Olivins aus dem Pallas-Eisen wird von 
Stromeyer zu 3,332 angegeben in völliger Uebereinstimmung mit dem der 
meisten der in den Basalten vorkommenden Olivine, das von dem Olivin von 
Steinbach nach demselben Chemiker zu 3,276 ('). 

Vor dem Löthrohr und gegen Säuren verhält sich dieser Olivin wie 
der der Basalte. Vor dem Löthrohr schmilzt er nicht und verändert sich nicht. 

In Rücksicht der chemischen Zusammensetzung ist der aus dem Pallas- 
Eisen aufser Stromeyer und Walmstedt von Berzelius (1), der von 
Atacama von Schmid (2) und der von Steinbach (Grimma) von Stro- 
meyer (3) analysirt: 


1 2 3 
Magnesia 47,39 43,16 23,83 
Eisenoxydul 11,72 1724 9,12 


Manganoxydul 0,43 1,81 0,31 
Kieselsäure 40,86 36,92 61,88 


Zinnsäure 0,17 _ _ 
Chromoxyd _ _ 0,33 
Glühvyerlust _ — 0,45 


100,53 99,10 97,92 
Die beiden erstern Abänderungen haben also vollkommen die Zusam- 
mensetzung des terrestrischen Olivins, die erste enthält etwas weniger Eisen- 
oxydul als die zweite und ist: 


(*) Jahrb. d. Chem. u. Phys. 1825 B. 14, S. 275. Stromeyer nennt zwar das Eisen, 
worin dieser Olivin vorkommt, von Grimma, doch hat schon Chladni gezeigt, dals darun- 
ter das Eisen von Steinbach zu verstehen sei. Vergl. Chladni Feuermeteore $. 326 und 
Partsch Meteoriten S. 91. 


78 G. Rose: 
(7Mg + Fe)? Si, 


die zweite: 
(4Mg + Fe)? Si('). 

Beide sind dadurch ausgezeichnet, dafs sie, obgleich mitten in einem 
nickelhaltigen Eisen vorkommend, kein Nickeloxyd enthalten, welches doch 
Stromeyer, wenn auch nur in geringer Menge, in allen terrestrischen Oli- 
vinen nachgewiesen hat, was aber nur beweist, wie auch schon Stromeyer 
anführt, dafs das Nickeloxyd so leicht redueirbar ist und weniger Verwandt- 
schaft zur Kieselsäure als das reine Metall zum Eisen hat. Merkwürdig ist 
ferner die, wenn auch nur geringe Menge von Zinnsäure in dem Olivin des 
Pallas- Eisens, die aber Berzelius neben etwas Kupferoxyd auch in dem 
Olivin von Boscovich bei Aufsig in Böhmen und in einem aus dem Dep. Puy 
de Dome gefunden hat. Sie ersetzt eine geringe Menge der Kieselsäure. 

Der Olivin von Steinbach (Grimma) hat dagegen nach Stromeyer 
eine ganz andere Zusammensetzung als der terrestrische Olivin. Da nun aber 
seine äufsern Charaktere mit denen des übrigen Olivins stimmen, wenn auch 
die Winkel der Krystalle noch nicht bestimmt sind, das specifische Gewicht 
auch nicht merklich verschieden ist, und so auch bei andern ächten Olivinen 
vorkommt, so mufs hier offenbar ein Irrthum stattgefunden haben, wenn ich 
gleich nicht angeben kann, wodurch derselbe veranlafst ist (?). 

Das Eisen, welches die Grundmasse bildet, worin die Olivin-Krystalle 
eingeschlossen sind, findet sich bei den verschiedenen Pallasiten in gröfserer 
oder geringerer Menge. Das erstere ist der Fall bei den Pallasiten von Stein- 
bach und Rittersgrün, und bei diesen kann daher seine Structur am besten 
erkannt werden. Es zeigt auf den Schnittflächen, geätzt sehr schöne Wid- 
manstättensche Figuren, deren Streifen sich auf den Schnittflächen bei den 
einzelnen Stücken des Berliner Museums stets überall parallel bleiben, also 
beweisen, dafs das ganze Eisen jedes dieser Stücke aus einem Individuum be- 


(') Vergl. Rammelsberg Mineralchemie S. 438 und S. 503. 

(2) Stromeyer hat noch einen andern Olivin, angeblich aus dem Eisen von Olumba 
(soll wohl heilsen Otumpa) aus der Prov. Chaco Gualamba, analysirt (Schweigger, Journ 
f. Chem. u. Phys. 1825 B. 44, S.275) Da dieses Meteoreisen aber keinen Olivin enthält, 
so möchte auch hier ein Irrtbum stattgefunden haben, und da dieser analysirte Olivin in der 
Zusammensetzung ganz mit dem Olivin aus dem Pallas-Eisen nach Stromeyers Analyse 
stimmt, so wäre es möglich, dals eine Verwechselung mit diesem die Ursache davon ist. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 79 


steht. Ob diefs auch bei grölsern Stücken der Fall ist, werden diese lehren; 
möglich, dafs diese aus mehreren Stücken bestehen. Dennoch sind immer 
die einzelnen Körner oder die körnigen Parthien des Olivins von einer hier 
nur sehr dünnen Einfassung von dem Meteoreisen umgeben, jenseits welcher 
erst die Widmanstättenschen Figuren anfangen. Das Eisen von Bitburg gleicht 
dem vorigen, doch sind die Widmanst. Figuren noch feiner. Bei den Palla- 
siten von Krasnojarsk, Brahin und Atacama ist der Olivin gröfser, der Raum 
zwischen ihm geringer. Die Einfassung des Olivins von dem Meteoreisen ist 
im Verhältnifs der Gröfse der Körner dicker, über dieser sieht man die dünne 
Lage des Tänits, wie dies Reichenbach ausführlich beschrieben (vgl. oben 
S. 41), worauf nun ein etwas dunkler gefärbtes Meteoreisen erscheint, das 
Reichenbach zu seinem Fülleisen (Plessit) rechnet. Wo diese Räume 
etwas gröfser als gewöhnlich sind, erscheinen durch Aetzung darin noch 
Widmanst. Figuren. Wenn sich mehrere solcher Räume mit diesen Figuren 
auf einer geschliffenen Fläche finden, wie diefs besonders bei dem Eisen von 
Atacama vorkommt, so sieht man selten, dafs diese an den verschiedenen 
Stellen eine gleiche Lage haben, was beweist, dafs gröfsere Massen dieser 
Pallasite aus mehreren Eisenindividuen, wie das Meteoreisen von Seeläsgen, 
bestehen. Diefs wird noch dadurch bestätigt, dafs die in den Olivin-Kry- 
stallen des Pallas- Eisens vorkommenden röhrenartigen Einschlüsse, die in 
einem Krystalle alle untereinander parallel sind, wenn man verschiedene 
Krystalle miteinander vergleicht, keine parallele Lage haben, was doch 
wahrscheinlich der Fall wäre, wenn das Eisen, worin sie liegen, ein Indivi- 
duum wäre. 

Die Einfassung des Olivins durch das Meteoreisen ist recht merkwür- 
dig. Sie scheint zu beweisen, dafs, nachdem der Olivin sich in dem flüssigen 
Eisen ausgeschieden hat, das den Olivin zunächst Umgebende zuerst fest 
wurde und denselben mit einer dünnen Hülle umgab, auf welche sich so- 
gleich etwas Tänit legte und nun der innere Raum mit schaligen Lagen von 
Meteoreisen und Tänit, die die Widmanstättenschen Figuren bilden, oder 
nur mit dem sogenannten Plessit von Reichenbach ausgefüllt wurde. Aber 
dieser Plessit scheint selbst nichts anderes zu sein als ein schaliges Meteor- 
eisen, in welchem nur die Schalen recht dünn und die Tänit-Lagen ver- 
hältnifsmäfsig dick sind, so dafs sie im Ganzen die Erscheinung darstellen, 
die Reichenbach unter dem Namen der Kämme beschrieben hat, und de- 


s0 G. Rose: 


ren oben S. 36 Erwähnung gethan ist. Denn wenn man von der geätzten 
Fläche des Pallas-Eisens einen Hausenblasenabdruck macht und den Abdruck 
des Fülleisens unter dem Mikroskop betrachtet, so sieht man das feine Ge- 
menge deutlich und die sich durchschneidenden Lagen, ganz ähnlich denen, 
die die Widmanstättenschen Figuren bilden. 

Aufser dem Olivin und dem Meteoreisen, die die wesentlichen Ge- 
mengtheile des Pallasits bilden, finden sich in demselben einige unwesent- 
liche, die nur in mehr oder weniger geringen Menge darin vorhanden sind. 
Zu diesen gehört: 

1. Troilit oder Magnetkies. Er ist wie in dem Meteoreisen von 
tombakbrauner Farbe, nur derb, und auch eigentlich nur auf den angeschlif- 
fenen Flächen zu erkennen; er findet sich gewöhnlich nur in kleinen Par- 
thien, aber in allen Pallasiten, am gröfsten noch in dem von Krasnojarsk 
und Brahin, wo er doch Körner von 3 bis 4 Linien Durchmesser bildet. Bei 
einem Stücke des P. von Krasnojarsk des Berliner Museums findet sich ein 
Olivin-Korn, das ganz von Troilit umschlossen ist, bei einem andern ein an- 
deres, das zu ’; des Umfangs von Troilit und nur zu !; von Meteoreisen um- 
schlossen ist. Zuweilen sind einzelne Körner, wie sie öfter von haarbreiten 
Lagen von Meteoreisen getrennt sind, auch durch solche Lagen von Troilit 
voneinander getrennt. 

9%. Chromeisenerz von sammtschwarzer Farbe, unvollkommnem 
Metallglanz, braunem Strich, und vor dem Löthrohr mit Phosphorsalz ein 
smaragdgrünes Glas gebend. Es ist in der Regel vollkommen in dem Me- 
teoreisen eingewachsen und gränzt an dasselbe in geraden Flächen, ist also 
krystallisirt; zuweilen gränzt es aber auch an den Olivin, es bildet dann 
mit ihm eine unregelmäfsige Gränze und nimmt Eindrücke von diesem an, 
scheint also später als dieser krystallisirt zu sein. Man erkennt das Chrom- 
eisenerz auch nur auf geschliffenen Flächen; es scheint aber überall nur spar- 
sam vorzukommen; ich habe es bestimmt gesehen nur in den Pallasiten von 
Brahin und Atacama. Doch mufs es auch in den übrigen, wenigstens in dem 
von Krasnojarsk und Steinbach vorkommen, weil Laugier in dem erstern 
und Stromeyer in dem Steinbach- (Grimma-) Olivin etwas Chromoxyd an- 
giebt, was doch wahrscheinlich von eingemengtem Chromeisenerz herrührt('). 


(') In den angeschliffenen Stücken des Pallas-Eisens von der Berliner Sammlung ist das 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 51 


3. Mesosiderit. 


Ein körniges Gemenge von Meteoreisen, Troilit, Olivin und Augit. 
Es gehören hierher die Eisenmeteorite von der Sierra de Chaco und von 
Hainholz. 

1) Sierra de Chaco in der Wüste Atacama, N. von Chile 1862. 
Ein ursprünglich 28,87 Loth schweres, mit natürlicher Oberfläche und Bruch 
begränztes Stück, Geschenk des Prof. Domeyko in St. Yago in Chile ('). 
Davon wurde ein Theil abgeschnitten; die Sammlung enthält jetzt noch ein 
grolses Stück von 23,90 und ein kleines von 1,4 Loth. Es sieht im Bruche 
körnig und im Allgemeinen grünlichschwarz und glanzios aus; man erkennt 
nur einzelne gröfsere Körner von röthlichgelbem Olivin und kleinere schwärz- 
lichgrüne von Augit; das überall fein eingesprengte Eisen ist hier fast gar 
nicht wahrzunehmen. Vollkommen aber unterscheiden sich die Gemengtheile 
auf einer geschliffenen und polirten Fläche; das Eisen tritt nun gleich durch 
seine stahlgraue Farbe und seinen starken Metallglanz hervor, und man sieht 
nun erst, in welcher Menge es vorhanden ist. Es ist in feinen Theilen über- 
all mit kleinen Theilen der Silicate gemengt, die überall mit ganz unregel- 
mäfsigen, eckigen und zackigen Oberflächen ineinander greifen, und zwischen 
denen der Troilit überall, aber in noch feinern Theilen, durch seine tom- 
bakbraune Farbe kenntlich, enthalten ist. Dazwischen treten nun in einzel- 
nen gröfsern Körnern Nickeleisen, Olivin und Augit auf. Geätzt zeigen die 
gröfsern Körner des Nickeleisens sehr feine und zierliche Widmanstättensche 
Figuren von einem eigenthümlichen Verhalten; man erkennt darin nicht ein 
System von Streifen, die einem aus schäligen Zusammensetzungsstücken pa- 
rallel den Flächen des Octaöders bestehenden Individuum entsprechen, son- 
dern stets mehrere; bei einem am Rande des kleinen Stückes befindlichen 
Korne von 4 Linien Durchmesser, das aber nur zum Theil auf dem Stücke 


Chromeisenerz nicht sichtbar, und in der Analyse des Pallas- Eisens von Berzelius wird 
auch kein Chrom angegeben. Indessen ist beides doch kein Grund, dals nicht Chromeisen- 
erz in dem Pailas-Eisen vorkommen kann, da die angeschliffenen Flächen der Berliner Stücke 
nicht grols sind, und es zufällig auf diesen fehlen kann, und Berzelius das Pallas-Eisen 
vor der Analyse gehämmert und dadurch alle spröden Gemengtheile, wie den Olivin und 
also auch das etwa vorhandene Chromeisenerz, entfernt hat. 

(') Vergl. Monatsberichte der k. Akad. der Wissensch. 1863 S. 30. 


Phys. Kl. 1863. L 


32 G. Rose: 


enthalten ist, sind deren drei zu erkennen, die durch eine halbe Linie dickes 
nicht gestreiftes Nickeleisen getrennt sind, in welchen nur hier und da kleine 
Körner oder körnige Parthien von Augit liegen. Die kleineren Körner des 
Nickeleisens zeigen keine Widmanstättensche Figuren, sondern enthalten in 
ihrer Mitte nur unregelmäfsig gestaltete Theile von der in verdünnter Sal- 
petersäure nicht angegriffenen Substanz. Nach einer vorläufig mitgetheilten 
Nachricht von Hrn. Domeyko enthält dasselbe nach seinen Untersuchun- 
gen 88,55 pC. Eisen und 11,5 Nickel, ist also an dem letztern Bestandtheil 
sehr reich. Der Olivin ist von grünlichgelber bis röthlichgelber und brauner 
Farbe und zuweilen von beträchtlicher Gröfse ; auf der äufsern Fläche befin- 
det sich ein Korn von $ Zoll im Durchmesser. Er ist zerklüftet und nimmt 
im Allgemeinen keine so gute Politur an, wie der Augit, vielleicht weil er 
schon etwas zersetzt ist. Er schmilzt und verändert sich vor dem Löthrohr 
nicht, ist also wie der gewöhnlich in den Meteoriten vorkommende Olivin 
nicht eisenreich. Der Augit ist olivengrün, auf der geschliffenen und polir- 
ten Fläche ganz schwarz und glänzend, in sehr dünnen Splittern aber doch 
mit grünlichweilsem Lichte durchsichtig; er ist deutlich spaltbar nach den 
Flächen des vertikalen Prismas und seiner Quer- und Längsfläche, und so 
vollkommen, dafs sich die Spaltungsflächen ziemlich genau mit dem Re- 
flexionsgoniometer messen lassen. Am deutlichsten liefs sich bei einem Split- 
ter die Neigung der Fläche des vertikalen Prismas zur Längsfläche messen, 
ich fand sie zu 136° 4. Vor dem Löthrohr ist dieser Augit nur in dünnen 
Splittern an den äufsersten Kanten zu einem schwarzen Glase schmelzbar ; 
mit Phosphorsalz bildet er unter Abscheidung der Kieselsäure ein Glas, das, 
so lange es heifs ist, grünlichweifs ist, das aber beim Erkalten ganz ausblafst. 
Nickeleisen wie auch in geringerer Menge Troilit kommen in diesem Augit 
wie auch in dem Olivin gewöhnlich in sehr feinen Theilen eingemengt vor, 
wie man auf der geschliffenen Fläche des Meteoriten, wenn man sie mit der 
Lupe betrachtet, ganz deutlich sehen kann, daher man zu den Löthrohrver- 
suchen diese Silicate erst pulvern, und die anziehbaren Theile mit dem Mag- 
nete ausziehen mufs. Troilit ist in gröfsern Körnern in dem Meteorite nicht 
eingemengt. 

Die natürliche Oberfläche ist nur wenig uneben; das Nickeleisen ist hier 
wohl etwas mit braunem Eisenoxydhydrat bedeckt, doch nicht sehr stark; 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 83 


die grofsen Körner von Augit und Olivin sind ganz deutlich zu erkennen, 
wenn sie auch aus der Oberfläche nicht hervortreten. 

2) Hainholz, Reg.- Bez. Minden, Preufsen, 1856. Zwei gröfsere 
platte und zwei kleinere Stücke; erstere durch Zerschneiden eines einzigen 
Stückes erhalten, sind aufser den Schnittflächen mit natürlicher Oberfläche 
begränzt. Dem vorigen sehr ähnlich; das Nickeleisen findet sich jedoch 
nicht in so grofsen Körnern, und diese zeigen auch beim Aetzen keine Wid. 
Fig., sondern sind matt, und enthalten wohl glänzend gebliebene Theile, die 
aber nicht in der Mitte der Körner liegen, sondern ganz an den Rand der- 
selben gedrängt sind. Der Troilit ist ferner nicht in so grofser Menge und 
der Augit nicht in so grofsen Körnern enthalten, dagegen kommt der Olivin 
hier in noch gröfsern Individuen vor. An dem einen Stücke der Sammlung 
findet sich ein Krystall von etwas über Zolllänge, und Reichenbach giebt 
an, dafs in einem in seinem Besitz befindlichen Stücke sich ein Krystall von 
1%, Zoll Länge und 1!, Zoll Breite befindet('). Reichenbach beobachtete 
ferner in den Stücken seiner Sammlung Kugeln und Knollen, die, ohne sich 
in der Beschaffenheit zu unterscheiden, abgesondert in der Masse vorkom- 
men(?); bei den Stücken der Berliner Sammlung finden sie sich nicht, doch 
kommen sie vielleicht auch bei dem Eisen der Sierra de Chaco vor, da man 
auf der Bruchfläche bei diesem ein Viertel bis einen halben grofse rundliche 
Vertiefungen sieht, die wie Eindrücke von solchen Kugeln aussehen. 

An der Oberfläche ist dieser Meteorit schon stärker zersetzt, beson- 
ders stellenweise. Dieselbe ist im Allgemeinen braun, einzelne Eisenkörn- 
chen ragen daraus hervor, auch erkennt man auf ihr zum Theil noch die 
grofsen Olivin-Krystalle. Als das Stück der Sammlung durchschnitten wurde, 
bildeten sich nach nicht langer Zeit auf gewissen Stellen kleine Bläschen von 
Eisenchlorid. Ich liefs daher die Stücke auf den Rath des Baron Reichen- 
bach einige Zeit in reinem Wasser liegen. Dadurch wurde das Eisen an die- 
sen Stellen noch stärker oxydirt und braun, aber obgleich diefs schon vor 
länger als anderthalb Jahren geschah, so hat doch das Rosten seit der Zeit 
nicht weiter zugenommen. Bei dem Eisen der Sierra de Chaco zeigt sich 
keine Neigung zum Rosten. 


L 


(') Vgl. Poggendorffs Ann. 1857, B. 101, S. 312. 
(2) A.a. O. S. 312. 


54 G. Rose: 


Il. Steinmeteorite. 
1. Chondrit. 


Diese Art ist unter den verschiedenen Arten der Steinmeteorite die 
bei weitem zahlreichste und zugleich diejenige, mit der sich Berzelius vor- 
zugsweise beschäftigt hat, der, wenn er auch vorzugsweise nur die chemische 
Beschaffenheit ermittelte, doch dadurch zugleich die wichtigsten Anhalts- 
punkte für die Beurtheilung der mineralogischen Beschaffenheit gegeben hat. 


Aeulsere Beschaffenheit. 


Diese Meteorite sind besonders durck ihre kugliche Structur ausge- 
zeichnet, worauf sich ihr Name bezieht. Sie bestehen nämlich aus einer 
mehr oder weniger feinkörnigen Grundmasse, in der mehr oder weniger 
häufig kleine Kugeln neben vielen andern Gemengtheilen, wie Olivin, Nickel- 
eisen, Magnetkies, Chromeisen und andern schwarzen Körnern liegen. 

Die Grundmasse ist theils bedeutend fest, wie bei dem Chondrit von 
Erxleben, Chantonnay ete., theils weniger fest und fast zerreiblich , wie bei 
dem von Mauerkirchen, Jowa, Bachmut etc. Sie hat am häufigsten eine 
lichte aschgraue Farbe, die einestheils ins graulichweifse bis schneeweilse, 
auf der andern Seite doch seltner ins dunkelgraue und selbst graulichschwarze 
übergeht, ist aber selten gleichmäfsig gefärbt; in der Regel kommen Massen 
von graulichweifser und von aschgrauer oder selbst graulichschwarzer Farbe 
an einem und demselben Stücke vor, und gränzen dann aneinander theils 
mit unbestimmter, ineinander, wenn auch schnell verlaufender, theils mit 
sehr bestimmter scharfer Gränze. Das erstere findet z. B. bei den Chondri- 
ten von Chantonnay und Güterslohe, das letztere bei den von Ensisheim und 
Weston, ganz besonders aber bei einem Stücke von Siena (aus der Klap- 
rothschen Sammlung stammend) statt, von dem in Fig. 9 Taf. II eine Zeich- 
nung einer angeschliffenen Fläche desselben gegeben ist, und bei dem auch 
der Unterschied in der Farbe recht stark hervortritt. Zuweilen kommen 
scharfe und unbestimmte Gränzen an einem und demselben Stücke vor, wie 
bei dem Ch. von Bremervörde. Die verschiedenfarbigen Massen liegen theils 
in gröfsern Parthien nebeneinander (Ch. von Güterslohe und Chantonnay), 
theils durchzieht die eine wie in Adern die andere; die weifse die schwarze 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 35 


in dem Ch. von Ensisheim, die schwarze die weifse in dem von Agen; die 
weifse breitet sich stellenweise aus und schliefst dann Stücke der schwarzen 
ein, wie in dem Ch. von Ensisheim, so dafs das Gestein hier ein anscheinend 
breceienartiges Ansehen erhält. Wo die Grundmasse fest ist, ist sie auch so 
hart, dafs sie sich mit dem Messer nicht ritzen läfst; auch erhält sie in diesem 
Fall schon einigen Glanz, der ihr sonst fehlt. 

Die Kugeln, die in dieser Grundmasse auf eine ähnliche Weise wie in 
den Variolithen oder vielen rothen Porphyren eingewachsen vorkommen und 
die die kuglige Structur dieser Meteorite bedingen, sind gewöhnlich nur so 
klein wie Schrotkörner oder Hirsekörner, zuweilen aber auch gröfser, selbst 
3 bis 4 Linien grofs, wie bei dem Ch. von Ausson und New-Concord('!). Sie 
sind ferner mit Ausnahme der gröfsern, die mehr unregelmäfsig gerundet und 
in die Länge gezogen sind, gewöhnlich regelmäfsig gerundet, sind aber selten 
an einem Stücke von gleicher oder ungefähr gleicher Gröfse, besonders wenn 
darunter solche von der Gröfse wie in dem Ch. von Ausson und New-Con- 
cord vorkommen. Ihre Oberfläche ist rauh und selbst drusig (Richmond), 
seltner glatt (Poltava), und im Bruche erscheinen sie theils uneben, theils 
fasrig, im letztern Fall jedoch stets nur sehr feinfasrig, indessen doch immer 
bestimmt erkennbar fasrig, besonders unter der Lupe; was mir aber dabei 
sehr bemerkenswerth scheint und sie von den Kugeln der irdischen Gebirgs- 
arten, namentlich der Diorite unterscheidet, nie radial, sondern immer ex- 
centrisch fasrig; so bei den Ch. von Erxleben, Stauropol, Forsyth, Bachmut, 
Ausson etc. Ihre Farbe ist wie die der Grundmasse, unterscheidet sich aber 
doch immer etwas von ihr; sie sind gewöhnlich grünlichgrau oder braun, 
dabei von einem nur geringen Glanze, der etwas fettartig ist und stets nur 
äufserst schwach an den Kanten durchscheinend, fast undurchsichtig. Sie 
sind wie die Grundmasse bald heller, bald dunkler, und gewöhnlich finden 
sich beide Arten zusammen in einem und demselben Meteoriten, wo denn 
bald die hellern, bald die dunklern vorberrschen.. Das erstere, was der ge- 
wöhnlichere Fall ist, findet z. B. statt bei dem Ch. von Mezö Madaras, Ok- 
niny, Cabarras, das letztere bei den von Güterslohe, Ausson. In dem Ch. 
von Krasnoi-Ugol sah ich auch eine graue Kugel eine kleinere weilse ein- 


(‘) In dem von Mezö Madaras beobachtete Reichenbach sogar eine Kugel von einem 
halben Zoll Durchmesser (Poggendorffs Ann. 1860 B. 111, S. 366). 


36 G. Rose: 


schliefsen (1), und in dem von Mauerkirchen, wo meistentheils nur lichtere 
Kugeln vorkommen, sind dieselben doch öfter nach der Oberfläche zu etwas 
dunkler gefärbt. Sie sind ferner mit der Grundmasse mehr oder weniger 
fest verwachsen, und ersteres gewöhnlich da, wo die Grundmasse fester, 
letzteres, wo sie zerreiblich ist. Im erstern Fall fallen sie beim Zerschlagen 
des Gesteins nicht heraus, und man sieht dann auf der Bruchfläche des Ge- 
steins auch ihren Bruch, im letztern Fall fallen sie heraus oder lösen sich 
zum Theil von der Grundmasse, so dafs man auf dem Bruch die halbkugel- 
förmigen Höhlungen oder Erhabenbeiten der sich herausgelösten oder sitzen- 
gebliebenen Kugeln sieht. Die Kugeln finden sich in der Regel häufig, in 
manchen Fällen jedoch nur sparsam, wie in dem Ch. von Erxleben, Klein- 
Wenden, Ensisheim und Chantonnay, in andern aber wiederum so häufig, 
dafs sie ganz gedrängt nebeneinander liegen und sich öfter gegenseitig in der 
Ausbildung stören, wie in dem Ch. von Timochin, Richmond, Benares und 
Mezö-Madaras (?). 

Der Olivin ist nur selten in der Grundmasse erkennbar und findet 
sich dann in kleinen, nur höchstens liniengrofsen,, gelblichgrünen, durch- 
sichtigen Körnern, wie in dem Ch. von Erxleben, Klein-Wenden, Krasnoi - 
Ugol, Timochin und Pultawa. Durchschnitte von ausgebildeten Krystallen, 
und zwar von rectangulärer Form, habe ich nur etwa bei dem Olivin in dem 
Ch. von Pultava und Erxleben gesehen. 

Das Nickeleisen ist dagegen ein beständiger und häufiger Gemeng- 


iheil. Es findet sich in den Meteorsteinen gewöhnlich nur fein eingesprengt, 


(') Etwas Aehnliches beobachtete Reichenbach auch bei Kugeln von Tabor und Parma 
(Poggendorffs Ann. 1860 B. 111, S. 377). 

(?2) Hausmann hält die lichtern Kugeln in dem Bremervörde für undeutliche Krystalle, 
deren Form nicht näher zu bestimmen ist (Göttinger Nachrichten von 1856, S. 151). „Nach 
den Durchschnitten derselben, welche selten die Grölse von ein Paar Linien erreichen, zu 
urtheilen”, sagt er, „scheinen sie theils rechteckige theils irregulär sechsseitige Prismen, zu 
sein, wonach auf ein trimetrisches Krystallisationssystem zu schlielsen sein dürfte” Ich 
habe von Krystallformen bei diesem Minerale nichts bemerkt und kann auch einer andern 
Angabe von Hausmann, dals es vor dem Löthrohr ‚ruhig und nicht eben schwer zu 
Email schmelze” nicht beistimmen. Ich fand es vor dem Löthrohr unschmelzbar und stimme 
nur darin mit Hausmann überein, dafs es beim Erhitzen dunkelbraun gefärbt wird. Ich 
kann daher auch nicht das Mineral, wie Hausmann weiter unten in seiner Abhandlung 
gethan hat, für feldspathartig halten. 


- 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 87 


doch kommen unter den feinern Körnern mitunter einzelne gröfsere vor; so 
sieht man in einem der Stücke des Ch. von Barbotan ein längliches Korn 
von 3 Linien Länge (!), ein ähnliches ragt bei dem von Klein-Wenden aus 
der Oberfläche hervor, und andere ähnliche, wenn auch nicht ganz so grofse 
Körner enthalten die Ch. von Luce (Toulouse?), Seres und Macao. Die 
feinen Körner sind zackig und eckig, die gröfsern haben meistentheils eine 
rundliche Oberfläche, krystallisirt findet es sich in den Stücken der Berliner 
Sammlung nicht, daher ich auch die unvollkommnen Hexaöder, die Partsch 
bei dem Nickeleisen der Wiener Stücke des Ch. von Barbotan beobachtet 
haben will (Meteoriten S. 77), nur für solche rundliche Körner erklären 
möchte. Indessen Individuen sind diese Körner doch, denn das oben er- 
wähnte Korn in dem Ch. von Barbotan, wie auch ein anderes in dem von 
Ausson zeigen geschliffen und geätzt die Linien des Meteoreisens von Brau- 
nau(?). Es umschliefst auch, wie man auf der geschliffenen Fläche sehen 
kann, kleine Theile der Grundmasse. Die Menge des eingesprengten Eisens 
ist oft sehr beträchtlich, wie in dem Ch. von Erxleben und Kl. Wenden; 
wie grofs aber die Menge desselben eigentlich ist, erkennt man erst, wenn 
die Stücke angeschliffen und polirt sind, wo sein Metallglanz und seine stahl- 
graue ins silberweifse übergehende Farbe erst recht stark hervortreten und 
es auf diese Weise kenntlich machen. Die ganz feinen Körner sind da über- 
haupt erst zu erkennen, und man sieht dann, dafs solche auch in den Kugeln 
enthalten sind, wo in solchen feinen Theilen das Nickeleisen nie fehlt, wenn 
es auch gewöhnlich nur in sehr geringer Menge vorhanden ist In der Umge- 
bung der Kugeln ist es dagegen häufig in gröfserer Menge angehäuft, wie z.B. 
in dem Ch. von Mezö-Madaras, Krasnoi-Ugol und Ausson. Der feuchten 
Luft ausgesetzt, oxydirt sich das Nickeleisen leicht und das gebildete Eisen- 
oxyd färbt die Umgebung braun, wie man diefs bei so vielen Stücken in den 
Sammlungen sehen kann (°). 


(') Partsch spricht von linsen- und bohnengrolsen Körnern in den Stücken dieses Me- 
teoriten in dem Wiener Mineralien-Kabinette (Meteoriten S. 77). 

(*) Partsch (Meteoriten S. 82) und Reichenbach (Poggendorffs Annalen B. 111, 
S. 365) erhielten bei den Eisenkörnern in den Meteoriten von Macao und Blansko selbst 
Widmanstättensche Figuren. 

(?) Wie schnell diese Oxydation vor sicb geht, zeigen die beiden Stücke von dem Ch. 
von Güterslohe des Berliner Museums. Von den gefallenen Steinen wurde einer schon am 


ss G. Rose: 


Magnetkies(') ist ebenfalls ein nie fehlender Gemengtheil dieser 
Meteorite. Er findet sich wie das Nickeleisen gewöhnlich fein eingesprengt, 
doch nicht in solcher Menge als dieses (?), seltner kommt er in gröfsern Kör- 
nern vor, doch auf diese Weise selbst noch häufiger als das Nickeleisen. In sol- 
chen findet er sich in den Ch. von Barbotan, Parma, Zaboreica, besonders aber 
in dem von Grüneberg, wo in dem gröfsern Stücke des Berliner Museums 
ein Korn von ihm enthalten ist, das einen halben Zoll im Durchmesser hat. 
Wo er fein eingesprengt vorkommt, ist er auf der Bruchfläche des Gesteins 
kaum oder schwer zu erkennen, aber recht gut auf der geschliffenen Fläche, 
wo ihn tombakbraune Farbe und geringerer Glanz gleich vor dem Nickel- 
eisen auszeichnen. Man sieht dann auch, dafs der Magnetkies bald mit dem 
Nickeleisen verbunden ist, bald in getrennten Körnern vorkommt. In dem 
Stücke von Zaboreica der Berliner Sammlung schliefst ein erbsengrofses Korn 
von Magnetkies ein Korn von Nickeleisen ein und in einem Stücke von Grü- 
neberg so wie von Krasnoi-Ugol wird umgekehrt ein Korn Magnetkies von 
Nickeleisen vollständig umschlossen. Der Magnetkies dieser Meteorite ist gar 
nicht oder nur äufserst schwach magnetisch. 

In geringer Menge, aber doch vielleicht überall kommen in diesen 
Meteoriten schwarze Körner vor, die aber gewöhnlich nur sehr klein, 
und nur zuweilen etwas grölser, und so grofs wie etwa ein Hirsekorn sind, 
so dafs man sie herausnehmen und besonders untersuchen kann; sie erweisen 
sich dann als Chromeisenerz, da sie zerrieben ein braunes Pulver und mit 
Borax oder Phosphorsalz vor dem Löthrohr geschmolzen ein chromgrünes 


folgenden Tage gefunden, ein anderer erst ein Jahr später, und Stücke von beiden, der er- 
stere fast vollständig, wurden von Hrn. Dr. Stohlmann in Güterslohe durch gütige Ver- 
mittelung des Hrn. Prof. Dove dem Berliner mineralogischen Museum verehrt. Das erste 
Stück ist im Bruch aber vollkommen frisch, das andre dagegen durch und durch voller Rost- 
flecke. Hätte es in der feuchten Erde noch länger gelegen, so würde es ganz zerfallen oder 
unkenntlich geworden sein. Diese schnelle Verwitterung ist auch der Grund, weshalb man 
noch nie einen Meteorstein gefunden hat, den man nicht hat fallen sehen, während man doch 
so viele von den nur so selten fallenden Eisenmassen zufällig gefunden hat oder noch findet, 
die durch die entstehende oxydirte Rinde vor weiterem Angriff der Atmosphäre geschützt 
werden (siehe oben S$. 42). 

(') Vergl. oben S. 40. 

(?) Nach Partsch ist in Richmond mehr Magnetkies als Nickeleisen; bei dem kleinen 
Stücke der Berliner Sammlung ist diels nicht der Fall; es enthält wohl Magnetkies, aber 
nur in geringer Menge. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 89 


Glas geben. Ob aber nun sämmtliche schwarze Körner aus Chromeisenerz 
bestehen oder neben diesen noch andere schwarze Körner vorkommen, mufs 
ich dahin gestellt sein lassen. Die gröfsten schwarzen Körner beobachtete 
ich in dem Ch. von Chateau Renard, doch sind sie auch noch deutlich er- 
kennbar in dem von Erxleben, Klein-Wenden, Tabor, Richmond. Wöhler 
beobachtete sie auch in dem von Bremervörde. Wo sie sehr klein sind, er- 
kennt man sie am besten auf einer angeschliffenen Fläche, denn auf einer 
Bruchfläche des Gesteins können sie leicht mit dem Nickeleisen verwechselt 
werden, da diefs auch schwarz erscheint, wenn man es nicht gerade im vollen 
reflectirten Lichte betrachtet. Sie sind auch theils mit dem Nickeleisen ver- 
bunden, theils nicht. Das Chromeisenerz der Meteorite ist überall nicht 
magnetisch ('). 


(') Andre Gemengtheile als die angegebenen habe ich nicht bemerkt, dennoch sind aber 
solche von andern Beobachtern öfter beschrieben. Hausmann nahm an, dals der Bremer- 
vörde aus einem „‚feldspathartigen Körper (vergl. oben S. 86), einem Körper der Pyroxen- 
Substanz und Olivin” bestehe, und Wöhler fügte diesen Gemengtheilen auflser Chromeisenerz 
noch etwas Graphit in feinen Blättchen hinzu (Göttinger Nachrichten 1856 S. 153), welcher 
letztere wohl darin enthalten sein kann, da derselbe ja auch in dem Meteoreisen vorkommt. 
Eichwald führt bei der Beschreibung des Ch. von Lixna an: „Von den nicht metallischen 
Körnern könnte man die hellern, fast weilsen für kleine abgerundete Krystalle von Anorthit oder 
Labrador, die gelblichbraunen für Olivin oder sehr kleine Granatkrystalle halten und die viel 
grölseren und seltneren für Augit nehmen. Diese letztern sind etwa % Linien grols und 
dennoch zehn Mal gröfser als die Krystalle des Olivins und Anorthits. Sie bilden das nicht 
metallische Gemenge des Meteorsteins, in dem die Augitkrystalle deutlich eingesprengt er- 
scheinen, während die andern kleinen Krystalle seine Hauptmasse ausmachen” (Poggendorffs 
Ann. 1852 B. 85, S. 577). Dufrenoy spricht bei dem Ch. von Chateau Renard von einem 
unvollkommen blättrigen Mineral, das in einigen Punkten analoge Streifen zeigt, wie sie den 
hemitropen Massen von Albit oder Labrador eigen sind. Das darin vorkommende Chrom- 
eisenerz hält er für ein dem Perlit ähnliches Mineral (Poggend. Ann. 1841 B. 53, S. 413). 
Abich nennt das Gefüge des Ch. von Stauropol psammitisch und spricht bei der Beschrei- 
bung auch von einem Mineral, das sich auf Labrador (oder Saussurit) zurückführen liefse. 
Es hätte eine grünlichgraue Färbung, liefse bei günstiger Zerspaltung deutlichen Blätter- 
durchgang erkennen und finde sich in rundlichen, aber auch stumpfkantig vorkommenden 
Fragmenten von gewöhnlich 2, zuweilen aber auch von 8 Millimetern Grölse. Eine auf 
einer Bruchfläche sichtbare Labradormasse von 14 Millimeter im Durchmesser enthielte in 
ihrem Innern ein fremdartiges Aggregat, aus einem durch Zersetzung unkenntlichen weils- 
lichen Mineral, feinen Theilen von Meteoreisen und kleinen, weilsgelblichen, mehr fett- als 
glasglänzenden Krystallfragmenten eines besondern Minerals bestehend (bulletin de Yacad. 
imp. des sc. d. St. Petersbourg 1860 t. II, p. 412). 


Phys. Kl. 1863. M 


90 G. Rose: 


Aeufserlich haben die Meteorite dieser Abtheilung wie die übrigen eine 
durch Schmelzung der Oberfläche entstandene dünne schwarze Rinde, die 
indessen hier stets matt und öfters durch das hervorragende, schwer schmelz- 
bare Nickeleisen höckerig ist, wie z. B. bei Aigle u.s.w. Nicht selten sind 
sie auch im Innern mit Sprüngen durchsetzt, auf welchen etwas von der ge- 
schmolzenen Oberfläche während des Zuges durch die Atmosphäre durch 
den Druck der Luft hineingeprefst ist('), wie bei den Ch. von Lissa, Ensis- 
heim, Politz, Chateau Renard u. s. w. Auch finden sich öfter glänzende 
schwarze Ablösungs- oder Rutschflächen, auf welchen das Eisen breit ge- 
fletscht ist, wie z. B. bei den Ch. von Lixna und Aigle. 

Ich will hier nur noch die Beschreibung einiger ausgezeichneten Ab- 
änderungen dieser Abtheilung von Meteoriten folgen lassen, die gewisser- 
mafsen als Typen von ganzen Gruppen von Abänderungen in dieser Abthei- 
lung betrachtet werden können, und wähle dazu diejenigen, die in guten 
Exemplaren in der Berliner Sammlung vertreten sind. 

1) Der Chondrit von Erxleben, gef. d. 15. April 1812. Er ge- 
hört zu den am deutlichsten krystallinischen der Sammlung, und ist daher 
allen übrigen voranzustellen. Derselbe hat eine lichte, graulichweilse,, fein- 
körnige Grundmasse, die glänzend von Glasglanz, hart und fest ist, und 
daher geschliffen eine gute Politur annimmt. Darin liegen ziemlich häufig 
ungefähr liniengrofse Kugeln, die gewöhnlich mit der festen Grundmasse 
fest, in manchen Fällen doch auch weniger stark verwachsen sind und sich 
von ihr beim Zerschlagen des Gesteins ablösen, so dafs man auf der Bruch- 
fläche, wenn auch gewöhnlich ihren Bruch, doch auch zuweilen einen Theil 
ihrer kugligen Oberfläche oder die concaven Höhlungen, worin sie gesessen 
haben, sieht. Die Oberfläche der Kugeln, sowie auch die der Vertiefungen 
ist feinkörnig, die Farbe der Kugeln theils etwas grünlichgrau und etwas 
dunkler als die der Grundmasse, theils gelblichgrau und lichter als diese. 
Die Kugeln der erstern Art sind häufiger und im Bruche uneben, die der 
letztern weniger häufig und feinfasrig. Die Farben treten noch besser als im 
Bruche auf einer geschliffenen Fläche hervor. Olivin kommt in den Stücken 
der Sammlung mehr oder weniger deutlich vor, zuweilen noch auf der Bruch- 
fläche des Gesteins geradlinige Umrisse zeigend, doch ist er im Allgemeinen 


(') Vergl. Reichenbach und Haidinger Ber. d. Wiener Akad. 1859 B. 34 (S. 10). 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 91 


nicht häufig. Nickeleisen ist fein eingesprengt in ziemlich grofser Menge 
in dem Meteorstein enthalten und findet sich in sehr feinen Körnern auch in 
den Kugeln, besonders den dunklen, wie man auf der geschliffenen Fläche 
sehen kann. Auf dieser erkennt man auch den Magnetkies, der in feinen 
Theilen zum Theil mit Nickeleisen verwachsen vorkommt und im frischen 
Bruch gar nicht erkannt werden kann; ebenso sieht man auch erst auf der 
geschliffenen Fläche die schwarzen Körner, die theils einzeln, theils mit 
dem Nickeleisen verwachsen darin vorkommen; doch mufs man Acht haben, 
sie hier nicht mit den feinen Löchern, die sich auf der Schlifffläche finden 
und dadurch entstehen, dafs Theilchen von Nickeleisen beim Schleifen aus 
der Fläche herausgerissen werden, wie auch mit den Körnern von Nickel- 
eisen und Magnetkies, welche alle bei gewisser Beleuchtung schwarz ausse- 
hen, zu verwechseln. 

Dem Chondrit von Erxleben ist der von Kl.-Wenden (1843, Sept. 16) 
so ähnlich, dafs man beide nicht voneinander unterscheiden kann. Ebenso 
auch der von Abich beschriebene Chondrit von Stauropol im Caucasus 
(1857, März 25), der von Grewingk und Schmidt beschriebene Ch. von 
Pillistfer in Livland (1863, April 15) und einige andere. 

2) Ensisheim (1492, Nov. 7). Eine feste, feinkörnige Masse, die 
theils schwärzlichgrau und nur schimmernd, theils graulichweifs und etwas 
stärker glänzend ist. Beide Massen enthalten eingewachsene Kugeln, die 
aber stark mit der Grundmasse verwachsen und stets etwas dunkler und glän- 
zender als die Grundmasse gefärbt sind. Die graulichweifse Masse durchzieht 
die schwarze wie Adern nach allen Richtungen und theilt sie dadurch in eine 
Menge eckiger Stücke, während sie selbst, da wo sie breiter wird, wieder 
eine Menge kleiner eckiger Stücke der schwärzlichgrauen Masse einschliefst, 
so dafs dadurch der ganze Meteorit ein breccienartiges Ansehen erhält. Die 
schwarze und die graulichweifse Masse schneiden scharf aneinander ab. Die 
schwarze Masse ist indessen bei weitem vorherrschend, und manche kleinere 
Bruchstücke enthalten nur sie und nichts von der weifsen. 

Nickeleisen ist in der ganzen Masse eingesprengt, aber nicht so gleich- 
mäfsig und in solcher Menge wie bei den Ch. von Erxleben und Klein-Wen- 
den, die Körner sind aber meistentheils sehr fein und dann nur auf einer 
geschliffenen Fläche zu erkennen; sie werden nur hier und da etwas gröfser. 


Magnetkies ist viel seltner, findet sich aber in einzelnen gröfsern Körnern. 
M2 


92 G. Rose: 


Der Stein ist von vielen glänzenden und schwarzen Ablösungsflächen 
durchzogen. 

Der Ch. von Chantonnay (1812, Aug. 5) ist dem von Ensisheim ähn- 
lich, die Masse hat hier ebenfalls stellenweise eine verschiedene Farbe, eine 
dunklere und hellere, und erstere ist noch schwärzer als bei dem Ch. von 
Ensisheim, aber beide liegen in grofsen Parthien aneinander und schneiden 
nicht so scharf ab. Der Stein nimmt wie der von Ensisheim geschliffen eine 
gute Politur an. 

3) Grüneberg (1841, März 22). Lichte aschgraue feinkörnige und 
feste Grundmasse, worin eine grofse Menge von Kugeln von Schrot- und 
Hirsekorngröfse mit ihr fest verwachsen liegen, so dafs sie auf der Bruch- 
fläche des Gesteins auch ihre Bruchflächen zeigen. Sie sind gröfstentheils 
von grünlichgelber, doch zuweilen auch von schwärzlichgrauer Farbe und 
im Bruch uneben. Viel eingesprengtes Nickeleisen, das meistentheils in klei- 
nen feinen Parthien, doch zuweilen auch in 2 bis 3 Linien langen Körnern 
darin enthalten ist; auch verhältnifsmäfsig viel Magnetkies, der meistentheils 
in einzelnen noch gröfsern Parthien als das Nickeleisen, seltner in feinen 
Theilen vorkommt; beide öfter mit einander verbunden; an dem kleinern 
Stücke der Sammlung wird ein Schrotkorn-grofses Korn von Magnetkies von 
Nickeleisen fast ganz umschlossen. Die Menge, in der sich der Magnetkies 
findet, zeichnet diesen Meteoriten ganz besonders aus. Er hat Ablösungs- 
flächen, die aber nur zum Theil schwarz sind. 

Dem Ch. von Grüneberg sehr ähnlich sind eine grofse Menge von 
Meteoriten, wenngleich nicht alle so viel Magnetkies enthalten, wie die von 
Cabarras- County, Mezö-Madaras, Tabor, Toulouse, Barbotan, Tipperary, 
Seres, Krasnoi-Ugol, Wessely u.s. w. 

4) Mauerkirchen (1768, Nov. 20). Lichte graulichweilse zerreib- 
liche Grundmasse mit sehr vielen eingewachsenen Kugeln von fast gleicher 
oder nur etwas mehr gelblicher Farbe als die Grundmasse. Die Kugeln sind 
untereinander meistens von gleicher lichter Farbe, nur zuweilen finden sich 
solche, die nach der Oberfläche etwas dunkler gefärbt sind; ganz gleichmäfsig 
gefärbte dunklere Kugeln kommen nicht vor. Ungeachtet. der nur zerreib- 
lichen Grundmasse sieht man auf der Bruchfläche doch meistens nur den 
Bruch der Kugeln; dann fein eingesprengtes Nickeleisen, auch etwas ebenso 
beschaffenen Magnetkies. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 93 


Dem Ch. von Mauerkirchen sehr ähnlich sind die von Jowa (nicht zu 
unterscheiden), Linum, Apt, Bachmut, Lissa, Politz, New-Concord, Slo- 
bodka u. s. w. 


Mikroskopische Untersuchung. 


Wenn man von diesen Meteoriten möglichst dünne Platten schleift, 
so werden oft mehrere der Gemengtheile so durchsichtig, dafs man unter 
dem Mikroskop ihre Structur und Form erkennen kann. Diefs gelingt zwar 
nur vollkommen bei den festern, wie bei den Ch. von Erxleben, Klein-Wen- 
den, Stauropol; bei andern, die weniger fest und mehr bröcklig sind, wie 
bei den Ch. von Aigle, Mauerkirchen, Timochin, nur theilweise, indem nur 
einzelne ihrer Gemengtheile wie die Kugeln durchsichtig oder zum Theil 
durchsichtig werden; dennoch sind auch diese belehrend. Ich will daher das 
Aussehen einiger dieser Platten beschreiben und die Resultate angeben, die 
diese Art der Untersuchung ergeben hat. 

1) Erxleben. Eine kleine, dünn geschliffene Platte (') liefs schon 
bei schwacher Vergröfserung erkennen: eine Grundmasse, wasserhelle Kry- 
stalle, schwarze undurchsichtige Körner, eine grau aussehende Kugel und 
andere graue Parthien. Die durchsichtigen Krystalle wie @ und 5 in Fig. 1 
und 2 Taf. Ill sind nur hier und da sichtbar; wo sie an die Grundmasse an- 
gränzen, sind sie gewöhnlich nicht scharf und regelmäfsig begränzt; nur ein- 
mal auf der kleinen Beobachtungsplatte bildet ihr Umrifs ein ziemlich regel- 
mäfsiges Sechseck a in Fig. 1; wo sie dagegen an die schwarzen Körner 
angränzen, da ist die Begränzung gewöhnlich ganz scharf und geradlinig. Sie 
sind grölstentheils ungefärbt, nur stellenweise sind sie, wie auch die Grund- 
masse, etwas olivengrün gefärbt, doch verläuft sich die Farbe nach allen Sei- 
ten und scheint mehr von aulsen eingedrungen zu sein. Die Grundmasse ist 
im Ansehen von diesen Krystallen wenig verschieden, sie unterscheidet sich 
eigentlich nur dadurch, dafs ihre körnigen Zusammensetzungsstücke weniger 
grofs als die Krystalle sind, doch gehen sie in der Gröfse in diese über. Die 


(') Sie ist Fig. 7 Taf. III in ihrer natürlichen Grölse dargestellt; die Fig 1, 2, 3 sind Ab- 
bildungen einzelner Stellen derselben bei 140maliger Vergröfserung. Ich verdanke das Plätt- 
chen noch dem verstorbenen Dr. Oschatz, der diese Art von Präparaten mit grolser Ge- 
schicklichkeit anfertigte. Indessen werden sie jetzt von seinem Nachfolger, dem Optiker 
Krieg, hier in Berlin schon von gleicher Güte gemacht. 


94 G. Rose: 


Zusammensetzungsflächen sind überall unregelmäfsig laufende krumme Flä- 
chen, schwarz oder grau, wie diefs aber auch der Fall ist bei den Zusammen- 
setzungsflächen der Körner des Marmors von Carara, wenn man eine dünn 
geschliffene Platte dieser Substanz unter dem Mikroskop betrachtet. Diefs 
rührt in diesem Fall theils von der schrägen Lage der Zusammensetzungsflä- 
chen gegen die Schliffläche her, theils aber von einer grofsen Menge sehr 
kleiner schwarzer Körner, die mehr oder weniger zusammenliegen und bei 
starker Vergröfserung deutlich zu sehen sind ('). 

Der schwarze Gemengtheil findet sich in kleinern und gröfsern Kör- 
nern und Parthien, die gröfsern mit unregelmäfsigen, oft ganz zackigen Um- 
rissen, die kleinern von mehr rundlicher Form. Letztere liegen in grofser 
Menge neben den gröfsern in der Grundmasse, zum Theil sind sie auch in 
den durchsichtigen Krystallen eingewachsen (?). Dieser schwarze Gemeng- 
theil zeigt, wenn man die Platte bei durchgelassenem Lichte betrachtet, keine 
oder eine nur sehr undeutliche Verschiedenartigkeit der Theile; schliefst man 
aber dieses ab und betrachtet man ihn nur bei zurückgeworfenem Lichte, am 
besten bei hellem Sonnenlichte und bei stärkerer, etwa 140 maliger Vergrö- 
fserung, so sieht man, dafs namentlich die gröfsern Körner häufig Gemenge 
von zwei bis drei Substanzen sind, einmal von einer, die auch jetzt noch 
schwarz erscheint, einer nun fast bleigrau und metallisch glänzenden, die das 
Nickeleleisen ist (n Fig. 1 und 2) und einer dritten, die schwärzlichbraun 
matt, aber voller Sprünge oder wenigstens Stellen ist, die das Licht sehr 
stark reflectiren, und nach Vergleichung mit der direct gesehenen polirten 
Platte, Magnetkies ist (m, Fig. 1 u. 2). Im reflectirten Lichte ohne Sonnen- 
schein ist er unter dem Mikroskop von der schwarzen Masse kaum zu unter- 
scheiden. Nickeleisen findet sich häufiger und in gröfsern Parthien als Magnet- 
kies, der im Ganzen selten solche bildet, wie in Fig.2. Wo das Nickeleisen mit 
der schwarzen Substanz gemengt ist, sitzt diese gewöhnlich in einzelnen klei- 
nen Parthien an der Aufsenseite, und man findet wohl kaum gröfsere Nickel- 
eisenparthien ohne Verwachsung mit der schwarzen Masse, wenn auch grö- 
{sere schwarze Körner ohne damit verwachsenem Eisen vorkommen. Regel- 


(') Siehe Fig. 4, die den Krystall 5 in Fig. 1 bei 360 maliger Vergröfserung darstellt. 

(?) Neben diesen finden sich auch zuweilen kleine Höhlungen mit einer Flüssigkeit und 
einer Luftblase angefüllt, wie in irdischen Krystallen. Vergl. Fig. 3, welche den Krystall a 
Fig. 1 bei 360maliger Vergröfserung darstellt. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 95 


mäfsige Begränzung zeigt Nickeleisen, Magnetkies und der schwarze Körper 
nicht; wo sie aber an die durchsichtigen Krystalle angränzen, zeigen alle, 
wie angeführt, den regelmäfsigen Eindruck der Krystalle, sind also alle spä- 
ter wie diese krystallisirt. 

Was dieser schwarze Körper sei, und ob er überhaupt einerlei ist, 
kann auch mit Bestimmtheit noch nicht ausgesprochen werden; denn wenn 
auch die meisten dieser Körner, und überall die kleinern, schwarz und völlig 
undurchsichtig sind, so scheinen doch einzelne gröfsere ein schwaches dun- 
kelgrünes Licht durchzulassen(!). Wird dadurch eine Verschiedenheit an- 
gedeutet? Es wäre möglich, und dann könnten vielleicht die schwarzen un- 
durchsichtigen Körner Chromeisenerz sein, da in dem Ch. von Erxleben 
durch die Analyse etwas Chromoxyd nachgewiesen ist, das wahrscheinlich 
von dem Chromeisenerz herrührt, und dieses stets auch in sehr feinen Thei- 
len undurchsichtig ist. Wofür dann aber die schwärzlichgrün durchschei- 
nenden Theile zu halten sind, ist schwerer zu entscheiden. Am meisten 
würde man vielleicht geneigt sein, sie für Augit zu halten, da dieser durch 
die Analyse wahrscheinlich gemacht ist und auch ziemlich allgemein als Ge- 
mengtheil der Chondrite angenommen wird, ohne ihn irgend bestimmt beob- 
achtet zu haben; aber wo der Augit in den Meteorsteinen erkannt ist, wie 
in dem Eukrit von Juvenas, ist er in dünngeschliffenen Platten immer stark 
durchscheinend und braun; die sämmtlichen schwarzen Körner aber für 
Chromeisenerz zu nehmen, dafür scheinen sie für die geringe Menge von 
Chromoxyd, die die Analyse stets nachgewiesen hat, in zu grofser Menge 
vorhanden zu sein. Ich mufs also die Deutung dieser schwärzlichgrünen 
Körner noch dahin gestellt sein lassen. 

Es bleiben nun noch die grauen Parthien, die wahrscheinlich Durch- 
schnitte von den Kugeln sind, wiewohl nur eine dieser Parthien in dem un- 
tersuchten Plättchen (die Parthie a in Fig. 7)(?) rund und scharf begränzt 


(*) Eigenthümlich ist der schwarze Körper c in Fig. 1 Taf. III. Er zeigt nur an einer 
Stelle Nickeleisen, die ganze übrige Masse ist bräunlichgrün und ohne Metallglanz; dreht 
man aber die Platte um, so sieht man hier nur Nickeleisen. Das Korn zeigt also auf der 
einen Seite die schwarze, nicht metallische Masse und auf der andern Seite Nickeleisen, und 
die Gränze zwischen beiden mufs also zufällig gerade der Schliffflläche parallel gehen. 

(?) Sie ist in Fig. 5 bei 140 maliger Vergröfserung und zum Theil in Fig. 6 bei 360 ma- 
liger Vergrölserung gezeichnet. 


96 G. Rose: 


ist; die andern unbestimmt begränzten (d in Fig. 1) scheinen Durchschnitte 
von nebeneinander liegenden Kugeln zu sein. In der einzelnen runden, scharf 
begränzten Parthie sieht man graue, untereinander parallele Streifen, die in 
einer durchsichtigen ungefärbten Masse enge nebeneinander liegen. Die 
grauen Streifen (Fig. 5) scheinen aus lauter grauen runden Körnern mit un- 
bestimmten Umrissen zu bestehen , die in Reihen nebeneinander liegen, und 
zwischen denen dann wieder einzelne gröfsere, schwarze, scharf begränzte 
Körner von Chromeisenerz und feinere von Nickeleisen enthalten sind. Bei 
starker (360 maliger) Vergröfserung sieht es aber aus, als wären diese grauen 
Körner nur durch lauter neben- und übereinander liegende krumme Sprünge 
entstanden. Bei den andern grauen Parthien d in Fig. 1 liegen die grauen 
Körner unregelmäfsiger, was wahrscheinlich davon herrührt, dafs die Schnitt- 
fläche durch diese Kugeln nach andern Richtungen als in Fig. 5 geht; sie sind 
aber ebenso mit den schwarzen Körnern gemengt. Was es für eine Bewandt- 
nifs mit diesen grauen Streifen hat, lasse ich unentschieden. Die spätern 
Beobachtungen zeigen, dafs die Kugeln aus fasrigen Zusammesetzungsstücken 
bestehen, die auch hier angedeutet zu sein scheinen. 

Eine dünn geschliffene Platte von dem Ch. von Klein-Wenden 
war gröfser, man konnte mehr sehen; sie verhielt sich aber sonst wie die 
von dem Ch. von Erxleben ; scharfe und geradlinige Umrisse der durchsich- 
tigen Krystalle, wo sie an die schwarzen Parthien, sei es an das Nickeleisen 
oder den Magnetkies oder die schwarze Substanz angränzen, fanden sich 
auch hier. Kugeln mit grauen Streifen wie Fig.5 Taf. III waren gerade nicht 
zu sehen, nur solche, die wie d in Fig. 1 dunkle Flecken mit schwarzen Kör- 
nern von Chromeisenerz und Nickeleisen enthielten ; aufserdem fanden sich 
aber andere, die im Allgemeinen durchsichtig und ungefärbt, aber mit vielen 
schwarzen Sprüngen durchsetzt waren, deren zusammenhängende Schwärze 
sich aber bei starker Vergröfserung wie bei Fig. 4 in kleine, voneinander ge- 
trennte, schwarze Körner auflöste. Eine solche sehr grofse Kugel hatte das 
Ansehen von Fig. 8, die schwarzen dicken Sprünge waren untereinander 
ziemlich parallel; sie wiederholten sich dabei schnell und schlossen, durch 
Querrisse verbunden, die scharf begränzten, durchsichtigen Theile ein. 

Eine noch gröfsere Platte von dem Ch. von Stauropol zeigte aufser 
den gewöhnlichen Erscheinungen eine noch gröfsere Menge von Olivin-Kry- 
stallen und von Kugeln. Die ersteren hatten zum Theil eine regelmäfsige 


Besehreibung und Eintheilung der Meteoriten. 97 


Form wie Fig. 3 u. 4 Taf. IV; sie waren durchsichtig, ungefärbt, mit schwar- 
zen Sprüngen durchsetzt und hatten auch schwarze Körner und Parthien 
eingeschlossen. Die Kugeln waren hier recht deutlich zweierlei Art, und 
diese zwei Arten schon ganz bestimmt mit blofsen Augen oder mit der Lupe 
auf der dünn geschliffenen Platte zu unterscheiden, da die einen stellenweise 
durchsichtig, die andern nur grau durchscheinend waren. Auf einem Stücke 
mit nur angeschliffener Fläche konnte man diesen Unterschied nicht wahr- 
nehmen. Die durchsichtigen Kugeln schlossen sich ganz den Olivin-Krystal- 
len an, sie schienen nur runde Krystalle oder runde Zusammenhäufungen 
von unausgebildeten oder mehr oder weniger ausgebildeten Krystallen zu 
sein. Die erstern waren mit schwarzen, untereinander ungefähr parallelen 
Sprüngen durchsetzt, ähnlich wie bei Fig. 8 Taf. III(!), die andern hatten 
unregelmäfsigere Sprünge, und bei den dritten waren die Krystalle durch die 
übrigen Gemengtheile, wie Grundmasse, Nickeleisen,, Magnetkies und die 
schwarzen Körner verbunden (wie Fig. 5 Taf. IV, wo die dazwischen einge- 
schlossene, metallische Substanz zufällig fast nur Magnetkies war, der sonst 
im Ch. von Stauropol nicht sehr häufig vorhanden ist). Diese letztern Kugeln 
waren auch viel gröfser als die andern, daher Fig. 5 (wie auch Fig. 3 uud 4) 
nur bei 90 maliger Vergröfserung gezeichnet sind. Diese Ansicht bestätigte 
die Untersuchung im polarisirten Licht, da die ersten Kugeln überall eine 
gleichmäfsige Färbung, die zweiten und dritten an verschiedenen Zusammen- 
setzungsstücken und Krystallen verschiedene, überall an den Gränzen scharf 
abschneidende Färbung zeigten. Die andern Kugeln, welche mit blofsen 
Augen betrachtet, grau und nur durchscheinend erschienen, wie die Kugel 
in dem Ch. von Erxleben Fig. 5 Taf. III, waren auch unter dem Mikroskop 
wie diese mit grauen parallelen Streifen gestreift, nur deutlicher (ähnlich wie 
die Kugel in dem Ch. von Krasnoi-Ugol, Fig. 8 Taf. IV) und an den ver- 
schiedenen Stellen nach 2 Richtungen, die gegeneinander einen spitzen Win- 
kel machten und aneinander scharf abschnitten. Andere Kugeln zeigten nur 
graue, mehr unbestimmt verlaufende Flecken mit schwarzen, scharf begränz- 
ten Körnern. Zuweilen waren diese so dunkel und undurchsichtig, dafs die 
hellen Räume dazwischen nur sehr klein waren. Eine solche ganz runde Ku- 


(') Oder mehr wie bei Fig. 10 Taf. IV, einer Kugel aus dem Ch. von Timochin, bei 
welchem die Sprünge in den Kugeln gewöhnlich weitläuftiger sind. 


Phys. Kl. 1863. N 


98 G. Rose: 


gel ist Fig. 6 Taf. IV dargestellt, sie ist noch dadurch ausgezeichnet, dafs sie 
mit einem durchsichtigen, von schwarzen Flecken stellenweise ganz freien 
Ringe umgeben ist. Dicht neben ihr befindet sich eine kleinere, mehr un- 
regelmäfsig begränzte, mit lichtern grauen und geraden parallelen Streifen 
(Fig. 7). 

Die Platte von dem Ch. von Krasnoi-Ugol war im Allgemeinen sehr 
undurchsichtig, zeigte indessen doch die Kugeln sehr deutlich. Diese waren 
wiederum von der doppelten Art, die grau gestreiften waren aber hier in 
der Mehrzahl vorhanden. Sie lagen dann theils ganz einzeln in der Masse, 
theils waren sie zu mehreren zusammengehäuft, sich gegenseitig in der Aus- 
bildung störend. Eine solche einzelne, recht runde Kugel, deren Streifen 
auch recht scharf begränzt sind, ist die vorhin erwähnte, in Fig. 8 Taf. IV 
dargestellte Kugel; ihre Streifen haben die angegebene Lage, und äufserlich 
ist sie wieder mit einer ganz hellen Hülle umgeben. Neben ihr liegt eine 
Kugel der ersten Art, die aber viel kleiner ist. Eine Zusammenhäufung von 
Kugeln ist Fig. 9 dargestellt. 

Auch die Platte von dem Ch. von Ensisheim ist sehr dunkel und 
schwarz. Hierin fand sich ein sehr grofser, ziemlich regelmäfsig begränzter 
Krystall, der mit von Zeit zu Zeit wiederkehrenden, ziemlich parallelen 
Sprüngen nach zwei untereinander rechtwinkligen Richtungen durchsetzt ist, 
wie diefs auch bei den irdischen Olivin-Krystallen öfter der Fall ist, bei de- 
nen dann die Sprünge parallel der Quer- und Längsfläche gehen. 

Die Platten von den Ch. von Timochin, Ausson, Aigle und Mauer- 
kirchen nahmen schon keine vollständige Politur an; nur die Kugeln und 
das Nickeleisen erschienen glänzend, und nur die erstern waren durchschei- 
nend, die übrige Masse gar nicht. Auch war es sehr schwer, Platten von 
einiger Gröfse zu erhalten, namentlich bei denen, der wie der Ch. von 
Mauerkirchen nur wenig und sehr fein vertheiltes Eisen enthalten. Die Ku- 
geln waren aber überall von der doppelten Art; eine Kugel der ersten Art, 
die sich in dem Ch. von Timochin fand, und in ihrer Art recht ausgezeich- 
net war, ist in Fig. 10 dargestellt. Die Ch. von New-Concord und Dhurm- 
sala gaben wieder Platten mit vollständigerer Politur, zeigten aber weiter 
nichts Neues. 

Aus der mikroskopischen Untersuchung der dünn geschliffenen Plat- 
ten ergiebt sich also, dafs die unter dem Mikroskop schwarz erscheinende 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 99 


Masse aufser Nickeleisen, Magnetkies und Chromeisenerz wahrscheinlich 
noch eine andere schwarze Substanz enthält, deren Natur noch nicht gekannt 
ist, und ferner, dafs die eingewachsenen Kugeln bestimmt zweierlei Art sind, 
theils solche, die nur runde, zerklüftete Krystalle und offenbar Olivin-Kry- 
stalle, ähnlich denen in dem Pallas-Eisen oder Zusammenhäufungen dersel- 
ben sind, theils solche, die aus fasrigen Zusammensetzungsstücken bestehen, 
die, wie auch die Beobachtung dieser Kugeln auf der Bruchfläche der Me- 
teoriten mit blofsen Augen oder mit der Lupe gelehrt hat, immer excentrisch 
fasrig, nie radial fasrig sind. 


Chemische Beschaffenheit. 


Rleine Splitter sowohl von der Grundmasse als von den Kugeln in 
der Platinzange gehalten und vor dem Löthrohr erhitzt, verändern wohl die 
Farbe und werden schwarz, schmelzen aber nicht (!). Nur das sehr fein ge- 
riebene Pulver schmilzt an den äufsersten dünnen Rändern zu einer grünlich- 
grauen oder graulichgrünen Schlacke (?). 

Wenn man kleine Stückchen dieser Meteoriten in Chlorwasserstoff- 
säure einige Zeit liegen läfst, so werden Nickeleisen und Magnetkies unter 
Entwickelung von Wasserstoff und Schwefelwasserstoff und röthlichgelber 
Färbung der Säure aufgelöst und die den Meteoriten bildenden Silicate zer- 
setzt. Nach Verlauf von einigen Tagen ist die Säure schleimig geworden, 
und es hat sich ein Absatz von Kieselsäure am Boden des Gefäfses und auf 
den Stücken gebildet und auf der Oberfläche der Säure eine geringe Menge 
Schwefel abgeschieden(?). Wäscht man den Absatz von den Stücken ab, 
so erscheinen dieselben sehr bröcklig und porös; sie sind weils und erdig 


(') Man hat wohl oft von einer Schmelzbarkeit der Masse der Chondrite gesprochen, 
Hausmann bei dem Ch. von Bremervörde, Dufr@noy bei dem von Chateau Renard, Da- 
mour bei dem von Montrejeau (Ausson); ich habe diefs nie gefunden. 

(*) Das Pulver wird dazu bekanntlich befeuchtet, auf der Kohle zu einer dünnen Platte 
ausgebreitet, mit dem Löthrohr erhitzt und die nun zusammenhängende Platte mit der Pla- 
tinzange vorsichtig gefalst, und in der Löthrohrflamme geglüht. Um das Pulver recht fein 
reiben zu können, wurde aus dem zuerst erhaltenen gröblichen Pulver des Meteoriten das 
darin enthaltene Nickeleisen mit dem Magnete ausgezogen. 

(°) Ich habe diese Abscheidung bei mehreren dieser Meteoriten bestimmt wahrgenom- 
men, was die Anwesenheit von Magnetkies in diesen Meteorsteinen beweist. Ebenso sah sie 
auch Harris bei dem Ch. von Montrejeau (Ann. d. Chem. u. Pharm. 1859 B. 109, S 183. 


N2 


100 G. Rose: 


geworden, und die Kugeln, die von der Säure weniger angegriffen werden, 
ragen daraus hervor; sie haben noch ihre Form und ihre graue Farbe behal- 
ten, wenn sie vorher so gefärbt waren, wie bei den Ch. von Erxleben und 
Aigle, und könnten bei gehöriger Vorsicht wohl ganz isolirt werden. Bei 
längerer Einwirkung der Säure wird aber der ganze Stein so mürbe, dafs 
man ihn mit den Fingern gänzlich zu einem feinen Pulver zerdrücken kann. 
Dasselbe erscheint nun ganz weils und enthält nur einzelne feine schwarze 
Theile, die man durch Feinreiben und Schlämmen wohl etwas concentriren, 
aber von den weisen Theilen nicht vollständig trennen kann. Sie sind wahr- 
scheinlich nur Chromeisenerz; denn wenn man den Rückstand vor dem Löth- 
rohr mit Phosphorsalz schmelzt, so erhält man ein Glas, das, so lange es 
heifs ist, durchsichtig ist und ein Kieselskelett einschliefst, beim Erkalten 
aber opalisirt und eine wenn auch nur schwache doch deutliche chromgrüne 
Farbe erhält. 

Betrachtet man die mit kalter Chlorwasserstoffsäure digerirten und 
abgewaschenen Bruchstücke unter der Lupe, so erkennt man auf der Ober- 
fläche einzelne kleine, aber stark demantglänzende Krystalle. Ich 
habe diese bei vielen dieser Meteorite, ganz besonders aber bei Stücken von 
Aigle gesehen, die Monate lang in Chlorwasserstoffsäure gelegen hatten. 
Unter dem Mikroskop bei mäfsiger Vergröfseruug kann man, wenn man sie 
im reflectirten Lichte betrachtet, auch die Gestalt einzelner Flächen, von 
denen gerade das Licht zurückgestahlt wird, erkennen, man sieht dann ganz 
scharf begränzte Rhomben oder Deltoide, auch Rechtecke u. s. w., doch 
läfst sich danach die Form der Krystalle mit Sicherheit nicht bestimmen. 
Kocht man die Stücke mit Wasser oder auch mit kohlensaurem Natron, so 
verändern sich die Krystalle nicht im geringsten: aber es gelang mir nicht, 
die Krystalle zu isoliren. Schabte man die Krystalle von der Oberfläche, auf 
der sie sitzen, ab, so waren sie in dem erhaltenen Pulver nicht wieder zu er- 
kennen. Ich habe so leider über ihre Natur nichts weiter ausmachen können. 
Wenn man kleine Stückchen des Ch. von Aigle mit Chlorwasserstoffsäure 
kocht und dann sowie vorhin behandelt, so waren die Krystalle viel unvoll- 
kommner, es scheint also, dafs sie nur in kalter Chlorwasserstoffsäure in der 
angegebenen Vollkommenheit erhalten werden können (!). 


(€!) Ich habe diese Krystalle mehreren meiner Freunde gezeigt, die nie einen Zweifel 
darüber hatten, dafs es Krystalle wären. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 101 


Die chemische Zusammensetzung dieser Meteorite ist ungeachtet ihres 
oft verschiedenen Ansehens, doch sehr ähnlich, wie diefs schon Berzelius 
gefunden hat, der sich, wie oben angeführt, mit dieser Abtheilung der Me- 
teorite besonders beschäftigt hat, und wie diefs auch alle späteren Analysen 
ergeben haben. Rammelsberg hat in seiner Mineralchemie (S. 924) diese 
Analysen neu berechnet und sehr gut zusammengestellt. Sie sind sämmtlich 
nach der zuerst von Berzelius eingeschlagenen Methode, wonach durch 
Digestion des feinen Pulvers mit heifser Chlorwasserstoffsäure die davon zer- 
setzbaren Gemengtheile von den davon nicht zersetzbaren getrennt werden, 
angestellt. Eine vollkommene Trennung der Gemengtheile läfst sich, wie 
der Erfolg gezeigt hat, auf diese Weise nicht erreichen, da keiner der Ge- 
mengtheile, das Chromeisenerz ausgenommen, in Chlorwasserstoffsäure voll- 
kommen unlöslich, der eine nur mehr oder minder als der andere löslich 
ist, also eine stärkere oder schwächere Chlorwasserstoffsäure oder eine län- 
gere oder kürzere Digestion damit bei höherer oder geringerer Temperatur 
oft sehr bemerkenswerthe Unterschiede in der Analyse eines Meteoriten her- 
vorbringen können; dennoch gewährt diese Methode Anhaltspunkte, die für 
die Deutung der Resultate von Wichtigkeit sind, und ist daher, wenn auch 
unvollkommen, immer schätzbar. Ich will von den vorhandenen Analysen 
hier nach dem Werke von Rammelsberg(!) nur einige derselben, und 
zwar die folgenden 4 anführen, die Meteoriten der vier verschiedenen Grup- 
pen betreffen: 


1) Klein-Wenden nach Rammelsberg. 
2) Chantonnay nach Berzelius. 

3) Blansko nach Berzelius. 

4) Kakowa nach Harris. 


(') Mineralchemie S. 925 u. s. f. 


102 G. Rose: 


Allgemeine Zusammensetzung. 


4 20) 3 4 
Nickeleisen 22,90 20,135 23.20 
Schwefeleisen(?) 5,61 NT 
Chromeisenerz(?) 1,04 0,63 0,56 
Silicate 70,45 76,27 6321 


Zusammensetzung des Nickeleisens. 


Eisen 88,98 90,9 92,24 
Nickel 9,1 7,76 
Kobalt h 1003 _ _ 
Kupfer 0,21 — — 
Zinn 0,35 _ _ 
Phosphor 0,11 _ — 
100. 100. 100. 


Zusammensetzung der Silicate. 
Magnesia 32:75. ,27,79:932,49,.27.06 
Kalk 3,66 4,52 4,92 1,52 
Eisenoxydul 10,92 419,47 11,43. : 24,40 
Manganoxydul 0,08 0,76 0,59 — 


Nickeloxyd — 0,90 == 0,20 
Kupferoxyd 0,21 — — = 

Natron 0,41 h 194: 04088, 
Kali 0,53 be 094,024 
Thonerde 9,23 2,95 2,94 2,61 
Kieselsäure 46,18 4416 48,95 44,68 


99,97 98,79 98,96 98,56 


(') Das Verhältnils der metallischen zu den nicht metallischen Gemengtheilen ist bei die- 
ser Analyse von Berzelius nicht angegeben. 

(2) Das Schwefeleisen ist von Rammelsberg als Sulphuret Fe berechnet. Die An- 
nahme als Magnetkies Fe’ Pe (Fe’ S®) ändert die Rechnung nur wenig. 


(°) Das Chromeisenerz ist als Fer berechnet. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 103 


Diese Silicate bestehen in 100 Theilen aus: 

1 2 %) 4 
A. Zersetzbaren S.: 42,23 51,12 46,13 96,7 
B. Unzersetzbaren S.: 57,77 48,88 93,87 43,3 


A. Zusammensetzung der zersetzbaren Silicate. 


Kl.-Wenden Chantonnay Blansko Kakova 
Magnesia 20,00 Sauerstoff 17,56 Sauerstoff 19,89 Sauerstoff 11,2 Sauerstoff 
Kalk 0,89 9,27 “er = 0,7 
Eisenoxydul 4,53[ 14,72 6,88 24,4} 10,09 
Manganoxydul 0,08 0,42f 1948 0,25 dir B\ 
Nickeloxyd — 0,23 — ? 0,2 
Natron _ h 0,50 0,48 u 
Rali _ 0,24 — 
Thonerde _ _ 0,15 — 
Kieselsäure 16,72 3,68 16,67 865 1820. 9,45 19,5 10,12 

43,22 50,10 46,09 56,0 


B. Zusammensetzung der unzersetzbaren Silicate. 


Magnesia 12,75 10,23 12,60 15,56 
Kalk 2,77 1,52 1,22 0,81 
Eisenoxydul 6,39 4,75 4,97 _ 
Mansanoxydull — 0,34 0,34 — 
Nickeloxyd ee ee ee 
Natron 0,41 0,49 0,50(2) 1,92 
Kali 0,53 0,25 — 0,26 
Thonerde 5,23 2,95 2,79 2,46 
Kieselsäure 29,46 15,29 27,49 1427 30,75 1596 21,74 11,28 
57,75 48,69 52,77 43,05 


Hieraus ergiebt sich: 
Dafs das Nickeleisen der Chondrite in seiner chemischen Zusammen- 
setzung mit dem für sich vorkommenden in dem Meteoreisen übereinstimmt, 


(') Ohne den Sauerstoff des Nickeloxyds und so auch bei den folgenden. 
(*) Kalihaltig. 


104 G. Rose: 


dafs die Silicate als Basen vorzugsweise Magnesia und Eisenoxydul 
enthalten, und alle andern, wie Thonerde, Kalk, Kali, Natron sich nur in 
sehr geringer Menge finden, 

dafs die Menge der zersetzbaren und unzersetzbaren Gemengtheile in 
allen Chondriten ungefähr gleich ist, 

dafs bei den zersetzbaren Silicaten die Basen fast allein aus Magnesia 
und Eisenoxydul in etwas gegeneinander verschiedenen Mengen bestehen, 
während die nicht zersetzbaren dieselben Basen mit kleinen Mengen von Na- 
tron, Kali, Kalk und besonders von Thonerde enthalten. 

Bei den zersetzbaren Silicaten ist der Sauerstoff der Basen als gleich 
mit dem Sauerstoff der Kieselsäure anzunehmen. Wenn in der That der 
Sauerstoff der Basen ein klein wenig gröfser als der der Kieselsäure ist, so 
erklären diefs Berzelius und Rammelsberg gewifs sehr richtig dadurch, 
dafs wohl immer noch etwas Nickeleisen in diesem Theile der Chondrite zu- 
rückgeblieben ist, der mit dem Magnete nicht vollständig hat ausgezogen 
werden können, und dafs durch die Säure auch schon eine gewisse Menge 
von dem doch immer nur schwer, nicht völlig unzersetzbaren Theile zersetzt 
ist, dessen Basen, wie die kleinen Mengen von Thonerde, Kalk und die Al- 
kalien beweisen, nun hier auftreten, während die analytische Methode zur 
Folge hat, dafs immer etwas Kieselsäure von dem zersetzbaren Theile bei 
dem unzersetzbaren bleibt. 

Bei dem unzersetzbaren Gemengtheil ist der Sauerstoff der Basen 
meistentheils ungefähr halb so grofs als der der Säure. 

Berzelius schlofs daraus, dafs der zersetzbare Gemengtheil Olivin 
sei. Das Verhältnifs des Eisenoxyduls zur Magnesia ist bei dem Olivin der 
verschiedenen Chondrite etwas verschieden, doch ist diefs auch bei dem 
terrestrischen Olivin der verschiedenen Fundörter der Fall. Den unzersetz- 
baren Gemengtheil hielt er wiederum für ein Gemenge und zwar eines Leueit- 
artigen Minerals, welches die Thonerde und die Alkalien, und eines Augit-arti- 
gen, welches die andern Basen, Magnesia, Kalk und Eisenoxydul enthielt(!), 
für welchen erstern indessen Rammelsberg, wegen seiner Auflöslichkeit in 
Säuren ein feldspathartiges Mineral und zwar den Labrador annahm(?), der 


(') Poggendorffs Ann. 1836 B. 15, S. 221. 
(2) Mineralchemie S. 931. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 105 


zwar auch, aber schwerer als der Leucit zersetzbar ist und dessen Sauerstoff- 
verhältnifs sich nicht viel von dem des Leueits entfernt ('). 

Dieser Annahme ist man nun später theils gefolgt, theils hat man 
wieder neue Combinationen gemacht. So halten es Chancel und Moi- 
tessier(?) bei der Analyse des Ch. von Montrejeau (Ausson) für wahr- 
scheinlich, dafs darin nicht Labrador und Augit, sondern Oligoklas und 
Hornblende enthalten sei, Sartorius(°) berechnet in dem unzersetzbaren 
Gemengtheil des Ch. von Kakova nach der Analyse von Harris 82,17 Mag- 
nesia-Wollastonit und 17,4 Anorthit, und Abich(*) nimmt an, dafs die Si- 
licate in dem Ch. von Stauropol Hyalosiderit, Olivin und Labrador seien 
und ersterer den zersetzbaren, letztere den unzersetzbaren Gemengtheil aus- 
machen. 

Zu allen diesen Annahmen giebt aber die mineralogische Untersu- 
chung, wie das eben Angeführte darthut, nicht das mindeste Anhalten. La- 
brador, Oligoklas und Anorthit mit ihren tafelartigen Krystallen und der so 
charakteristischen Streifung auf den Spaltungsflächen des Querbruchs zeigt 
sich nie, Augit und Hornblende müfsten bei ihrer Unzersetzbarkeit durch 
Säuren doch nach Auflösung des zersetzbaren Gemengtheils in dem unzer- 
setzbaren zu finden sein, in welchem sich wohl etwas Chromeisenerz, aber 
nichts anderes erkennen läfst. Magnesia-Wollastonit ist noch nie beobachtet, 
müfste aber wie der Wollastonit durch Säuren zersetzbar sein, und könnte 
sich nicht, ebenso wenig wie der Anorthit in dem unzersetzbaren Gemeng- 
theil finden, was schon Wöhler bemerkt hat. Olivin kann bei seiner leich- 
ten Zersetzbarkeit auch nicht in dem unzersetzbaren Gemengtheil vorkom- 
men und ihn aufserdem in einem Gemenge mit Hyalosiderit anzunehmen, ist 
nicht zu billigen, da beide isomorph sind und isomorphe Körper in einem 
Gemenge nie beobachtet sind und auch nicht vorkommen können, da man 
nicht einsieht, warum sich nicht beide hätten verbinden und in diesem Falle 
einen Olivin von mittlerm Eisengehalt hätten bilden sollen (°). 


‘) Der Sauerstoff der Basen zu dem der Kieselsäure ist bei ihm wie 1:1%. 
2) Comptes rendus, 1859 t. 47, p. 267 et p. 479. 

?) Ber. d. Wiener Akad. 1859, B. 34 (S. 3). 

) Bulletin de Pacad. d. sciences de St. Petersbourg 1860, t. 2, p. 404, 

) 


4 
5) Der Beweis, den Abich für die Richtigkeit seiner Annahme aus dem Umstand ent- 


zer rn rn 


nimmt, dals die Summe der specifischen Gewichte der angenommenen Gemengtheile mit dem 


Phys. Kl. 1863. (6) 


106 G. Rose: 


Man sieht, zu welcher Willkür es führt, wenn man Mineralien aus der 
Analyse eines Mineralgemenges berechnet, die man nicht gesehen hat, und 
noch dazu das chemische Verhalten dieser Mineralien gar nicht berücksich- 
tigt. Die einzigen Gemengtheile, die man mit Sicherheit in diesen Meteo- 
riten annehmen kann, weil man sie sehen kann, sind aufser dem Nickeleisen 
und Magnetkies nur Olivin und Chromeisenerz. Woraus die Grundmasse 
besteht, ob der schwarze Gemengtheil nur Chromeisenerz oder ein Gemenge 
desselben mit einer andern Substanz sei, wie die mikroskopische Untersu- 
chung wahrscheinlich macht, und woraus ganz besonders die Kugeln beste- 
hen, wissen wir nicht. Freilich sind diese schon analysirt worden, aber nur 
in einer frühen Zeit von Howard('!), dem wir überhaupt die erste Analyse 
eines Meteoriten verdanken. Derselbe trennte bei der Analyse des Ch. von 
Benares die Kugeln von der Grundmasse und untersuchte beide besonders, 
nachdem er aus den letzteren das Nickeleisen mit dem Magnete ausgezogen 
hatte, und fand nun beide ungefähr gleich zusammengesetzt, nämlich: 


in den Kugeln in der Grundmasse 
Magnesia 15,00 18,00 
Nickeloxyd 2,3 2) 
Eisenoxyd 34,00 34,00 
Kieselsäure 50,00 48,00 


Später sind sie bei der Analyse wenig beachtet. Berzelius stellte bei 
der Analyse des Ch. von Blansko aus Mangel an Material nur einige Versuche 
mit ihnen an, aus denen er indessen glaubte denselben Schlufs wie Howard 
ziehen zu können, dafs sie mit der übrigen Masse des Meteoriten gleich zu- 
sammengesetzt wären (?). Er fand dabei, dafs ein Theil ihres Pulvers gela- 
tinire, ein anderer von der Säure gar nicht verändert werde. In der neusten 
Zeit glaubt zwar Damour, dem wir auch eine sorgfältige Analyse des an 
diesen Kugeln so reichen Meteoriten von Montrejeau (Ausson) verdanken (°), 
dafs er eine Analyse der Kugeln gegeben habe, indem er der Meinung ist, 
dafs daraus der ganze von Säuren nicht oder schwer zersetzbare Theil des 


specifischen Gewichte des Steins stimmt, ist scheinbar, da dergleichen Berechnungen bei den 
Gebirgsarten aus vielen Gründen noch nie sichere Resultate gegeben haben. 

(') Philos. transactions 1802 und daraus in Gilberts Annalen B. 13, S. 311. 

(?) Poggendorffs Annalen 1834, B. 33, S. 21. 

(°) Comptes rendus 1859 t. 49, p- 31. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 107 


Meteoriten bestehe, den er besonders untersucht hat; diefs ist aber doch 
noch zu beweisen, da er die Kugeln für die Analyse nicht besonders ausge- 
sucht hat. Diesen unzersetzbaren Theil, den er allein als aus den Kugeln 
bestehend annimmt und den er ähnlich wie bei den oben angeführten Ana- 
lysen zusammengesetzt fand, hält er aber nicht für ein einfaches Mineral, 
sondern für ein Gemenge von Augit und Feldspath, berechnet somit wieder 
Mineralien, die gar nicht in den Kugeln zu erkennnen sind und noch dazu 
ein Gemenge, das nie beobachtet ist, was ihm auch Leymerie('!) vorwirft, 
der aus der Analyse von Damour nur den Schlufs ziehen zu können glaubt, 
dafs die Kugeln ein Silicat von Magnesia und Eisenoxydul mit höherem Kie- 
selsäuregehalt als im Olivin seien, wenn nicht dieser höhere Kieselsäuregehalt 
von anhängender Grundmasse herzuleiten sei. 

Aus der mikroskopischen Untersuchung der Kugeln geht hervor, dafs 
dieselben zweierlei Art sind, die einen vielleicht nur Olivin, die andern mit 
fasriger Struetur davon verschieden, ein wahrscheinlich Thonerde-haltiges 
Doppelsilicat. Es bleiben demnach von wirklich bestimmten Gemengtheilen 
in den Chondriten immer nur noch Nickeleisen, Magnetkies, Olivin und 
Chromeisenerz, von nicht bestimmten die fragliche Grundmasse, der schwarze 
Gemengtheil neben dem Chromeisenerz und die Kugeln mit fasriger Structur, 
wenn die übrigen Olivin sind. 


9. Howardit. 


Zu dieser Art gehören nur wenige Meteorite; von den im mineralogi- 
schen Museum befindlichen nur der von 

1) Loutolax in Finland, gef. 1813, 13. Dec. (?). 

2) Bialystok in Rufsland, gef. 1827, 5. Oct. 

3) Mässing in Baiern, gef. 1803, 13. Dec. 

4) Nobleborough in Maine, Ver. St. 1823, 7. Aug. 

5) Mallygaum in Kandeish, Ostindien 1843, 26. Juli. 


(') Comptes rendus 1859, t. 49, p. 247. 

(*) Nicht Lontolax, wie gewöhnlich geschrieben wird (s. Nordenskiöld in der weiter 
unten citirten Schrift, auch Berzelius in Poggendorffs Ann. 1834 B. 33 letzte Seite unter 
den Berichtigungen, die von Berzelius herrühren. Lautolax, wie hier steht, ist nur die 
schwedische Aussprache von Loutolax). Nach Buchner mülste es heilsen Luotolaks, wel- 
ches finnische Wort „‚Felsenbucht” bedeutet. (Poggendorffs Ann. 1862 B. 116, S. 643. 


02 


108 G. Rose: 


Bei der geringen Zahl der Meteoriten dieser Art ziehe ich es vor, sie 
einzeln zu beschreiben, und fange mit dem Ch. von Loutolax an, da mit die- 
sem schon die meisten Untersuchungen gemacht sind. 

1) Loutolax, Wiborgs Län in Finland. Die Steine, deren nur we- 
nige gesammelt sind, da sie meistentheils auf die Eisdecke eines Sees fielen, 
in welchen sie beim 'Thauen einsanken, sind von Nordenskiöld(!) be- 
schrieben und von Berzelius(?), wenn auch nur unvollständig, untersucht. 
Das mineralogische Museum besitzt davon nur zwei kleine Stückcheu, zu- 
sammen 0,327 Lth. schwer, welche beide ein Geschenk von Berzelius sind. 

Der M. von Loutolax hat eine porphyrartige Structur und besteht aus 
einer graulichweifsen, feinkörnigen, sehr zerreiblichen Grundmasse mit einge- 
mengten kleinen Körnern von grünlichgelber, weifser und schwarzer Farbe. 

Die grünlichgelben Körner sind die häufigsten ; sie sind höchstens von 
der Gröfse eines Stecknadelknopfes, meistens kleiner und unregelmäfsig be- 
gränzt, haben aber ganz das Ansehen wie Olivin, wofür sie auch von Nor- 
denskiöld und Berzelius gehalten sind. Vor dem Löthrohr werden sie 
dunkler von Farbe und schwärzlichgrün, schmelzen aber nicht. 

Die weifsen Körner sind seltner und auch nicht gröfser und zer- 
brechen dabei, wenn man sie herausnimmt, in noch kleinere Stückchen. Sie 
sind nur unregelmäfsig begränzt, scheinen aber doch spaltbar zu sein. Vor 
dem Löthrohr sind sie nach Nordenskiöld unschmelzbar und lösen sich 
nur langsam in Borax und Phosphorsalz auf; mit Phosphorsalz opalisirt die 
Kugel beim Erkalten ; mit Kobaltsolution befeuchtet, werden sie blau. Nor- 
denskiöld ist der Meinung, dafs sie Leucit sind, doch damit wäre die Spalt- 
barkeit im Widerspruch. Eher möchte ich vermuthen, dafs sie Anorthit 
wären; die Körner waren aber zu klein und die mir zu Gebote stehende 
Masse zu gering, um weitere Versuche damit machen zu können. Die Ent- 
scheidung mufs daher noch dahin gestellt bleiben (°). An manchen Stellen 
war der Olivin mit diesen weilsen Körnern fein gemengt. 


(') Bidrag til närmare Kännedom af Finlands mineralier, p- 99 und daraus in: Neues 
Journ. f. Chem. u. Phys., Th. 1, S. 60. 

(?) Poggendorffs Annalen 1834, B. 53, S. 30 und Rammelsbergs Mineralchemie S. 940. 

(°) Berzelius hat diese Körner gar nicht erkannt, er verwechselt sie mit der Grund- 
masse, und glaubt Nordenskiöld habe diese für Leucit gehalten, was doch nicht der 
Fall ist. 


Beschreibung uud Eintheilung der Meteoriten. 109 


Von schwarzen Körnern finden sich einzelne gröfsere und kleinere in 
der Masse zerstreut. Die erstern lassen sich meistens leicht aus der Masse, 
in der sie liegen, herausnehmen und hinterlassen darin den Eindruck ihrer 
Masse, sind aber doch meistens mit kleinen weifsen Körnern gemengt und 
zerbrechen beim Herausnehmen auch leicht. Sie sind im Brnch matt und 
dicht, nicht magnetisch, geben ein lichtes braunes Pulver, lösen sich vor dem 
Löthrohr in Phosphorsalz nur langsam auf und geben ein nur schwach grün 
gefärbtes Glas, das beim Erkalten opalisirt. Wahrscheinlich sind sie, un- 
geachtet der nur schwachen grünen Färbung und des Opalisirens, was von 
der Beimengung herrühren mag, Chromeisenerz. Als ein tafelförmiges 
solches Korn mit rauher Oberfläche herausgenommen wurde, fand sich die 
entstandene Höhlung mit kleinen Körnchen gediegen Eisen umgeben, von 
denen eins, welches herausfiel, die Gröfse eines Hirsekorns hatte. Feine Kör- 
ner, wenn auch für das Auge nicht sichtbar, finden sich noch in der Masse 
zerstreut, denn aus dem Pulver des Meteoriten kann man mit dem Magnete 
feine Theilchen ausziehen, die im Mörser sich zu silberweifsen, stark metal- 
lisch glänzenden Blättchen breit drücken lassen. Ob sie nickelhaltig sind, 
haben weder ich noch Nordenskiöld untersucht, der ihrer ebenfalls er- 
wähnt. Berzelius leugnet das Dasein dieses gediegenen Eisens und hält die 
Körner, die er mit dem Magnete auszog, für Magneteisenerz, da sie sich in 
Chlorwasserstoffsäure ohne Geruch nach Schwefelwasserstoff und ohne Gas- 
entwickelung zu einer dunkelgelben Flüssigkeit auflösen. Indessen möchte 
dech der starke metallische Glanz, die fast silberweifse Farbe und die Dehn- 
barkeit, die beim Zerreiben im Mörser zum Vorschein kommen, keinen 
Zweifel gestatten, dafs die Körner gediegenes Eisen sind. Auf jeden Fall ist 
diefs Verhalten für die Beurtheilung ihrer Beschaffenheit geeigneter, als das 
Verhalten gegen Säure, da eine schwache Gasentwickelung bei geringer an- 
gewandter Menge leicht übersehen werden kann. 

Aufser diesem Eisen bemerkte ich auch noch sehr kleine, metallisch 
glänzende Körner von bräunlichgelber Farbe, die offenbar Magnetkies 
sind. Sie finden sich aber nur so sparsam, dafs man gewifs wird Stücke auf- 
lösen können, ohne den Geruch nach Schwefelwasserstoff zu bemerken. 
Ein solches Korn Magnetkies sah auch Partsch, der aber wiederum von dem 
gediegenen Eisen nichts angiebt. 


110 G. Rose: 


Die zerreibliche Grundmasse, in welcher die angegebenen Gemeng- 
theile liegen, schmilzt vor dem Löthrohr zu einem schwarzen Glase, das nur 
sehr schwach magnetisch ist und sich in Phosphorsalz nur sehr langsam mit 
Hinterlassung eines Rückstandes von Kieselsäure auflöst. Das entstandene 
Glas ist grünlichweifs, so lange es heifs ist, wird beim Erkalten erst wasser- 
hell und opalisirt zuletzt. 

Das specifische Gewicht des Steins giebt Rummler zu 3,07 an. 

Aeufserlich ist der Stein mit einer schwarzen glänzenden Rinde 
umgeben. 

Bei einer leider nur unvollständig gebliebenen Analyse dieses interes- 
santen Meteorsteins zersetzte Berzelius denselben, nachdem alles dem Mag- 
nete Folgsame ausgezogen war, mit Königswasser und erhielt nur 6,45 pC. 
unlöslichen Rückstand; 93,55 Theile wurden von der Säure zersetzt. Diese 
bestanden aus: 


Sauerstoff 
Magnesia 32,92 13,17 
Eisenoxydul 28,61 a 
Manganoxydul 0,7 0,18 Sr 
Thonerde 0,26 Be 
Kieselsäure 37,42 19,42 


Zinnoxyd, Kupferoxyd, 
Kali und Natron Spur 
100,00 


Hiernach hätte dieser Theil die Zusammensetzung eines Olivins, der 
1 Atom Eisenoxydul gegen 2 Atome Magnesia enthält. Indessen ist er doch 
nicht für ein einfaches Mineral zu halten, da der Augenschein lehrt, dafs er 
ein Gemenge ist. 

Die unzersetzten 6.45 wurden mit Flufssäure behandelt, wodurch un- 
gefähr 1 pC. Chromeisenerz unaufgelöst blieb; das übrige war ein Silicat 
von Thonerde, Eisenoxydul, Manganoxydul, Kalk und Magnesia, nach Ber- 
zelius in Verhältnissen, wie sie etwa in dem unzersetzten Theil in dem Me- 
teorstein von Blansko vorkommen. 

2) Bialystok (Dorf Knasta) in Rufsland. Das mineralogische Museum 
besitzt noch jetzt, nachdem davon ein Theil an das kais. Mineralienkabinet 
in Wien abgegeben, ein 4,857 Loth schweres Stück , das die kais. Akademie 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 411 


der Wiss. in Petersburg Hrn. A. v. Humboldt verehrte und das von die- 
sem dem mineralogischen Museum in Berlin übergeben ist('). 

Der H. von Bialystock hat die gröfste Ähnlichkeit mit dem vorigen 
und enthält in der feinkörnigen weifsen Grundmasse dieselben Gemeng- 
theile, nämlich: 

Olivin in einzelnen Körnern von Hirsekorn-Gröfse bis zu Körnern 
von anderthalb Linien Durchmesser, ohne regelmäfsige Form, die einen 
unebenen Bruch, verschiedene gelblichgrüne, grasgrüne, holzbraune Farben 
und Fettglanz haben. 

Anorthit(?) in weilsen Körnern von höchstens Stecknadelknopf- 
Gröfse, schneeweifs und von unebenem Bruch; zuweilen sieht man eine 
Spaltungsfläche, die glatt auch wohl gestreift ist; ebenso bröcklig wie bei 
dem H. von Loutolax. 

Aulfser diesen Körnern von Olivin und Anorthit, die einzeln in der 
Grundmasse zerstreut sind, sieht man in derselben aber noch mehrere 
3-4 Linien grofse Parthien liegen, die ein körniges Gemenge der angeführ- 
ten Gemengtheile sind. Sie sind scharf begränzt und unregelmäfsig von 
Gestalt, nehmen aber zuweilen fast das Ansehen eines Krystalls an, und 
erscheinen wie rectanguläre Prismen von Olivin mit ziemlich geraden Flächen, 
die aber im Innern durchgängig mit den kleinen weifsen Krystallen gemengt 
sind. Diese scheinbaren Krystalle lassen sich vollständig aus der Grundmasse 
herausnehmen und hinterlassen darin ihrer Form entsprechende Eindrücke 
(in dem Stücke des min. Museums ist ein solcher scheinbarer Krystall von 
6 Linien Breite und Höhe und von 4 Linien Tiefe sichtbar). Sie sind wegen 
des häufig beigemengten Anorthits gewöhnlich von lichter Farbe; es kommen 
aber auch Parthien vor, die eine dunklere, ohne Lupe betrachtet, fast 
schwärzlichgraue Farbe haben, doch sind diefs ebensolche Gemenge nur mit 
vorwaltendem Olivin. 

Es wird hiernach wahrscheinlich, dafs auch die Grundmasse wenig- 
stens hauptsächlich nichts anderes als ein eben solches nur feinkörnigeres 
Gemenge von Olivin und Anorthit ist, wie es die grobkörnigen Parthien 
sind (?). Der H. von Bialystock verhielte sich also in dieser Rücksicht wie 


(') Vgl. Reise nach dem Ural, Altai und dem kaspischen Meere von G.Rose Th.I, S. 77. 
(?) Diefs wäre denn auch bei dem Stein von Loutolax zu vermuthen. 


112 G. Rose: 


der weiter unten zu erwähnende Eukrit von Stannern, bei dem sich auch 
an ein und demselben Stücke fein- und grobkörnige Abänderungen finden; 
nur mit dem Unterschiede, dafs letzterer gröfstentheils grobkörnig, und nur 
selten und an einzelnen Stellen feinkörnig ist, der H. von Bialystock dagegen 
grölstentheils feinkörnig, und nur an einzelnen Stellen grobkörnig ist. 

Die feinkörnige Grundmasse ist vor dem Löthrohr zu einem schwarzen 
Glase schmelzbar, das in dünnen Splittern nur bräunlich gefärbt, und durch- 
sichtig ist, wie die Grundmasse von Loutolax (!). 

Gediegen Eisen findet sich ebenfalls in dem H. von Bialystock ; 
man sieht es in äufserst kleinen Körnern in den groben körnigen und beson- 
ders den dunkleren Parthien liegen; besser erkennt man es noch, wenn 
man kleine Stücke zu Pulver reibt, wo man dann die feinen Eisenkörner mit 
dem Magnete ausziehen kann. Ebenso kann man auch einzelne feine Körner 
von Magnetkies erkennen. 

Specifisches Gewicht nach Rummler 3,17. Aeulserlich schwarze glän- 
zende Rinde. 

Fein gerieben, und mit Chlorwasserstoffsäure in einem Reagenzglase 
gekocht, wird er zersetzt (?) und gelatinirt. Mit Wasser geschüttelt, kann 
die abgeschiedene Kieselsäure durch Abschlämmen von kleinen schwarzen 
Körnern wenn auch nicht vollständig getrennt werden, die sehr wahrschein- 
lich Chromeisenerz sind, doch in zu geringer Menge in der kleinen Probe, 
die zu dem Versuche genommen, vorhanden waren, um weitere Versuche 
damit anstellen zu können. 

3) Mässing (Dorf St. Nicolas) Landgericht Eggenfelde in Baiern; 
ein Stück 1,433 Lth. schwer, von dem daselbst einzeln gefallenen Steine von 
31, Pfund (°), aus der Chladnischen Sammlung. 

Gleicht dem H. von Bialystock vollkommen. In der graulichweifsen 
feinkörnigen zerreiblichen Grundmasse liegen häufig Körner von Olivin von 
verschiedener Gröfse und Farbe, grünlichgelb bis grasgrün, von der Gröfse 


(') Diels ist kein Beweis gegen die Annahme von Anorthit und Olivin in derselben, 
die beide unschmelzbar sind, da ein künstliches Gemenge von Anorthit und Olivin auch vor 
dem Löthrohr schmelzbar ist. 

(2) Ob vollständig, habe ich leider nicht untersucht. 

(°) Vergl. den Bericht darüber vom Prof. Imhof in München in Gilberts Annalen von 
1804. Bd. 18, S. 330. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 113 


eines Hirsekorns bis zu der eines groben Schrotes, dann wieder gröfsere 
unvollkommen ausgebildete Krystalle von schmutzig grünlichgrauer Farbe, 
die kleine weifse Körner eingewachsen enthalten. Diese liegen auch sonst 
in der Masse, haben einen unebenen Bruch, und liefsen von Spaltbarkeit 
nichts sehen. 

Mit dem Magnete lassen sich aus der gepulverten Masse Eisenkörner 
ausziehen. 

Specifisches Gewicht nach Rummiler 3,21, einer Kugel daraus (wahr- 
scheinlich einer von den eingemengten unvollkommenen Krystalle) 3,26. 

Aeufsere schwarze glänzende Rinde. 

Eine neuere chemische Analyse dieses Meteoriten ist nicht vorhanden, 
die ältere Untersuchung von Imhof hat folgende Bestandtheile gegeben: 


Magnesia 23,25 
Eisenoxyd 32,54 
Kieselsäure 31,0 
Nickel 1,35 
Eisen 1,8 
Verlust an Schwefel und Nickel 10,06 
100. 


Die H. von Nobleborough und Mallygaum sind nach den Proben in 
dem mineralogischen Museum den vorigen sehr ähnlich, doch sind diese 
Stücke zu klein, um zu einer besonderen Beschreibung dienen zu können. 

Hiernach ist also der Howardit wahrscheinlich nur ein mehr oder we- 
niger feinkörniges Gemenge von vorherrschendem Olivin mit Anorthit und 
einer geringen Menge von Chromeisenerz, Nickeleisen und Magnetkies. 


3. Chassignit. 


Zu dieser Art gehört unter den Meteoriten des Berliner Museums nur 
ein einziger, nämlich der am 3. October 1815 zu Chassigny bei Langres 
(Dep. der haute Marne) gefallene Meteorit, daher ich nach ihm die Art 
Chassignit zu nennen vorgeschlagen habe. Nachrichten über die Erschei- 
nungen bei seinem Falle und eine Beschreibung seiner Masse haben Pistolet, 
Calmelet und Gillet de Laumont, eine chemische Analyse der Masse 

Phys. Kl. 1863. 1% 


114 G. Rose: 


hat Vauquelin geliefert (!). Er hatte bei seinem Falle in dem Boden ein 
Loch von einem Viertel Meter Tiefe und einem halben Meter Breite einge- 
schlagen, und zersprang dabei in viele Stücke, die weit herum geworfen 
wurden, eins sogar bis zu einer Entfernung von 240 Schritt. Alle Steine, 
die man gesammelt hat, wogen beinahe 4 Kilogramm (*). Das Berliner 
Museum besitzt davon nur ein kleines 0,79 Loth schweres, jedoch deutliches 
Stück, das aus der Chladnischen Sammlung stammt, und einige kleine Pro- 
ben, die später erworben wurden. 

Der Chassignit ist hiernach eine kleinkörnige fast gleichartige Masse 
von nur geringem Zusammenhalt, so dafs sie sich schon zwischen den Fingern 
zerbröckeln läfst. Sie ist von einer grünlichgelben Farbe, die sich etwas 
ins grau zieht, wenig glänzend von Fettglanz, nur an den Kanten durch- 
scheinend und von der Härte des Feldspaths. Darin sind hie und da kleine 
bräunlichschwarze Körner eingesprengt, und noch viel sparsamer als diese, 
noch kleinere fast mikroscopische Körner und Krystalle (Hexaöder, wie es 
scheint) von einer gelben metallisch glänzenden Substanz. Die Rinde ist 
dünn, glatt und glanzlos; sie wirkt schon schwach auf die Magnetnadel; das 
Innere nicht. In der unmittelbaren Nähe der Rinde ist der Stein braun ge- 
färbt, wie schon Calmelet bemerkt (°). 

Vauquelin fand, dafs die Masse mit Chlorwasserstoffsäure gelatinirt, 
dafs sie von Schwefelsäure mit Hinterlassung eines pulverförmigen Rückstan- 


(') Pistolet und Vauquelin in den Annales de Chemie et de Physique, 1816. t. 1, 
p-49 und daraus in Gilberts Annalen von 1818 Bd.58, S.176; Calmelet und Gillet 
de Laumont in den Annales des mines, 1816. t.1, p. 489. 

(2) Pistolet, Arzt in Langres, der 2 Tage nach dem Falle an Ort und Stelle war, 
sammelte noch 60 kleine Bruchstücke, das gröfste, in dessen Besitz er gelangte, wog bei- 
nahe 1 Kilogramm. 

(°) Im Innern der Masse beobachtete Calmelet bei einem Stücke „un indice de cristal 
plus complet”, dessen Form er für ein niedriges schiefes rhombisches Prisma hielt. Gillet 
de Laumont, der das beschriebene Stück von Calmelet eingehändigt bekam, hatte diesen 
Krystall aus der Masse worin er steckte, herausgenommen und näher untersucht, und glaubte 
daran die Form des Augits erkannt zu haben; er giebt seine Höhe zu 4 Millimeter an. 
Da die Beschreibung aber nur sehr unbestimmt ist, gar nicht angeführt wird, dals sich der 
Krystall von der umgebenden Masse an Farbe unterschieden habe, ein einzelner Augitkrystall 
in der übrigen ganz verschiedenen Masse sehr auffallend wäre, so scheint es mir, dafs dem 
Ganzen nur eine Täuschung zum Grunde liegt, und der angebliche Krystall nur eine zufällig 
mehr regelmälsige Form eines der Körner sei, die die ganze Masse zusammensetzen. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 115 


des von Kieselsäure zersetzt wird, ohne Entwickelung von Wasserstoffgas, 

wie bei den eisenhaltigen Meteoriten, und eine farblose Auflösung giebt. 
Ich fand ihn ferner vor dem Löthrohr schwer schmelzbar zu einer 

schwarzen magnetischen Schlacke von derselben Beschaffenheit wie die Rinde. 
Die Analyse von Vauquelin gab: 


Magnesia 32,0 
Eisenoxyd 31,0 
Kieselsäure 33,9 
Chromium 2,0 

98,9. 


Nimmt man an, dafs das Eisen als Oxydul in dem Steine enthalten 
sei, so verhalten sich die Sauerstoffmengen von 


Mg : Fe : Si = 12,57 : 6,19 : 17,60 
oder von Mg + Fe: Si = 18,76 : 17,6. 


d.i. beinahe wie 1:1. Das Silicat ist also Olivin, und zwar ein sehr eisen- 
reicher Olivin, wodurch sich seine Schmelzbarkeit erklärt (!). Der gewöhn- 
liche Olivin, der 7 bis 12 pC. Eisenoxydul enthält, ist vor dem Löthrohr 
unschmelzbar, aber der Olivin vom Kaiserstuhl, der sog. Hyalosiderit, der 
28,49 pC. Eisenoxydul enthält, schmilzt wie der Olivin des Chassignits; ihm 
ist dieser vergleichbar. Auch das specifische Gewicht stimmt damit; 
v. Schreibers und Rummler geben das spec. Gewicht des ganzen Steins 
zu 3,95 an(?). Das spec. Gew. des gewöhnlichen Olivin’s ist nach Mohs 
3,441, das des eisenreichen ist genau noch nicht gekannt, aber nothwendig 
etwas gröfser (?). Vauquelin hebt noch den Umstand hervor, dafs in 
diesem Meteoriten kein Nickel vorhanden sei, was er der Abwesenheit des 
Eisens zuschreibt; dafs sich aber auch in dem Olivin kein Nickel findet, ist 
in Uebereinstimmung mit den übrigen Erscheinungen, da in allen meteori- 
schen Olivinen, die untersucht sind, kein Nickel gefunden ist. 

Die kleinen sparsam eingemengten schwarzen Körner hält Vauquelin 
für metallisches Chrom. An dem kleinen Stücke des min. Museums konnte 


(') Vergl. die Zeitschrift d. d. geologischen Ges. 1861, Bd.13 S.526. 

(2) Partsch, Meteoriten S. 147. 

(°) Die Angabe des spec. Gew. des Hyalosiderits von Walchner = 2,875 ist offenbar 
unrichtig und zu niedrig. 


Pr 


[82] 


116 G. Rose: 


ich bei keinem dieser schwarzen Körner nur irgend etwas von regelmäfsiger 
Form wahrnehmen. Sie sind aber bräunlichschwarz, von schwachem Halb- 
metallglanz, ganz undurchsichtig, geben zerrieben ein gelblichbraunes Pulver, 
sind schwach magnetisch, werden geglüht stärker magnetisch, und lösen sich 
vor dem Löthrohr in Phosphorsalz und Borax zu einem schönen grünen 
Glase auf. Diefs sind alles Eigenschaften des Chromeisenerzes, daher man 
auch wohl unbedenklich die schwarzen Körner für dieses nehmen darf. 

Schwieriger scheint die Bestimmung der gelben metallisch glänzenden 
Körner. Sie lösen sich in Salzsäure nicht auf; dieser Umstand und die bei 
einigen derselben wahrscheinlich vorkommende Hexaöderform sprechen für 
Eisenkies; bei der geringen mir zu Gebote stehenden Menge habe ich aber 
keine weiteren Versuche machen können, und da Eisenkies in den Meteo- 
riten bis jetzt noch nicht mit Sicherheit beobachtet ist, so wären allerdings 
noch weitere Versuche wünschenswerth, um über diesen Umstand mit Be- 
stimmtheit zu entscheiden. Dafs Vauquelin keinen Schwefel angiebt, 
würde nichts beweisen, da bei der äufserst geringen Menge, in der er nur 
vorhanden sein könnte, er ihm leicht entgangen sein kann. 

Der Meteorit von Chassigny ist hiernach ein derber eisenreicher Olivin 
mit sparsam eingemengtem Chromeisenerz und einer noch geringeren Menge 
einer Substanz, die möglicher Weise Eisenkies sein könnte ('). 


(') Eine Analyse dieses Meteoriten, die Damour nach meiner ersten Beschreibung des- 
selben in der d. d. geol. Ges. und nach der Lesung dieser Abhandlung in den Comptes rendus 
(1862, t.4, p. 591) bekannt gemacht hat, bestätigt diels Resultat vollkommen. Sie giebt an: 


Sauerstoff. 


Magnesia . . . . 37,76 12,48 
Eisenoxydull . . . 26,70 su | 18,51 
Manganoxydll . . 0,45 0,1 

Kalıl 2720 27.27 70!66 

Chromosyd . . . 0,75 

Kieselsäure . . . 35,20 18,33 


Chromeisenerz u. Augit 3,77 
Es folgt hieraus die genauere Formel 
(2 Mg + Fe)? Si 
welche die des Hyalosiderits vom Kaiserstuhl ist. Der in der Analyse angeführte Augit ist 
nur angenommen, nicht bewiesen. Das specifische Gewicht giebt Damour zu 3,57 an. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 117 


4. Chladnit. 


Die vierte Art enthält wie die dritte nur einen Meteoriten, den, wel- 
cher zu Bishopville im nördlichen Theil des Sumter-Distrikts in Süd-Ca- 
rolina im März 1843 gefallen ist. Es fiel daselbst nur ein Stein von unge- 
fähr 13 Pfd., der bald nach seinem Falle in den Besitz des Prof. Shepard 
gelangte, dem wir auch die erste Beschreibung und Analyse dieses merkwür- 
digen Steins verdanken(!). Nachher haben noch Sartorius(?) und Ram- 
melsberg(?) Untersuchungen damit angestellt. Die Berliner Sammlung 
besitzt davon ein gröfseres Stück von 4,86 Loth und mehrere kleinere. 

Der Stein ist von äufserst geringem Zusammenhalt und zerfällt in 
Stücke bei dem geringsten Druck. Er ist im Allgemeinen von porphyrartig- 
körniger Structur. In einer hellgrauen, weils gefleckten, kleinkörnigen 
Grundmasse finden sich aufser einigen andern Einmengungen von geringerer 
Bedeutung nur schneeweifse Krystalle von verschiedener Gröfse und in gro- 
{ser Menge eingeschlossen, oft sich gegenseitig begränzend und in der Aus- 
bildung sich störend. Der gröfste Krystall auf den Stücken des Berliner 
Museums zeigt auf der Bruchfläche des Gesteins einen Durchschnitt von der 
Gestalt eines Rechtecks mit schwach abgestumpften Ecken, dessen Länge 
einen halben Zoll beträgt und dessen Breite etwas geringer ist; ein anderer 
zeigt den eines symmetrischen Sechsecks mit zwei parallelen längern Seiten, 
das etwas über einen halben Zoll lang und etwas weniger als ein Viertel Zoll 
breit ist; doch sind bei beiden die Seiten der Durchschnitte nicht sehr gerad- 
linig, die Umrisse aller übrigen Krystalle indessen noch undeutlicher. Die 
beiden erstern Krystalle sind parallel einer Spaltungsfläche durchgebrochen, die 
aber nicht sehr vollkommen, sondern durch unebenen Bruch unterbrochen ist. 
Die Bruchfläche ist glänzend von Perlmutterglanz und wird von matten Strei- 
fen parallel den längern Seiten der Durchschnitte durchzogen. Wodurch 
diese hervorgebracht werden, kann ich nicht angeben, man sieht aber das- 
selbe Ansehen auch bei den Durchschnitten anderer Krystalle, dagegen wie- 
der andere ganz glatte Spaltungsflächen in einer Richtung zeigen. Endlich 


(') Silliman American Journal of Science and arts, sec. Ser. t. 2, p. 337. 
(?) Ann. d. Chem. u. Pharm. B. 79, S. 369. 
(*) Monatsber. d. k. Akad. d. Wiss. zu Berlin 1861 S. 895. 


118 G. Rose: 


finden sich auch runde weifse Körner von verschiedener bis Erbsengröfse, 
die beim Herausnehmen runde, aber unebene Höhlungen in dem Gestein 
hinterlassen, auch nur durchscheinend sind, aber Glasglanz haben. Nimmt 
man die Krystalle oder Körner aus dem Gestein heraus, so zerfallen sie in 
kleine Stückchen, da sie mit vielen geraden und krummen Klüften nach den 
verschiedensten Richtungen durchsetzt sind, und dann ist es nicht mehr mög- 
lich, die einzelnen Theilchen zu unterscheiden. 

Es ist wahrscheinlich, dafs die Körner von den Krystallen verschieden 
sind und bei diesen sich vielleicht auch noch die mit glatten und gestreiften 
Spaltungsflächen unterscheiden. Shepard erwähnt auch der runden Körner 
und trennt sie von den Krystallen ; er erklärt die erstern für Anorthit, ohne 
jedoch etwas anders zu ihrer Charakterisirung anzuführen als einige Löthrohr- 
versuche, die keine wesentlichen Verschiedenheiten von den mit den Kry- 
stallen angestellten gaben. Die Krystalle bezeichnet er als eine neue Mine- 
ralgattung, der er, wie schon S. 29 angeführt, den Namen Chladnit gegeben 
hat und den ich mir erlaubt habe, wie ebenfalls angegeben, in den von She- 
pardit umzuändern. Von der Form dieses Shepardits macht Shepard auch 
nur unbestimmte Angaben, wenngleich er Krystalle beobachtet hat, die nach 
seiner Angabe beinahe einen Zoll im Durchmesser haben. Im Allgemeinen 
haben sie nach ihm das Ansehen der gewöhnlichen Formen des Feldspaths 
oder Albits; die primitive Form wäre ein doppelt schiefes Prisma; durch 
Spaltung, die sich mit Leichtigkeit bewerksstelligen liefse, wären Winkel 
von 120° und 60° zu erhalten. 

Auch Sartorius spricht von der Form dieser Krystalle, und vergleicht 
sie mit der des Wollastonits, ohne weitere Winkel anzugeben; indessen hat 
er sie nur bei kleinen mikroskopischen Krystallen bemerkt und auch nicht 
angeführt, wie diese vorkommen. 

Die Härte des Shepardits ist nach diesen Beobachtern die des Feld- 
spaths, das specifische Gewicht nach Shepard 3,116, nach Sartorius 
3,039. 

Vor dem Löthrohr schmilzt der Shepardit nur an den Kanten zu einem 
weilsen Email('); in Borax löst er sich in Pulverform leicht zu einem klaren 
Glase auf; in Phosphorsalz in Stücken langsam, in Pulverform leicht zu 


(') Nach Shepard schmilzt er ohne Schwierigkeit. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 119 


einem Glase, das, so lange es heils ist, wasserhell ist und ein Kieselskelett 
einschliefst, beim Erkalten aber opalisirt. 

Von heifser Chlorwasserstoffsäure wird der Shepardit nur sehr schwer 
angegriffen. Diefs ist auch mit den runden Körnern der Fall, die Shepard 
für Anorthit hält; fein gerieben und mit Chlorwasserstoffsäure längere Zeit 
gekocht, giebt die verdünnte und filtrirte Auflösung derselben mit Ammoniak 
erst nach einiger Zeit einige bräunliche Flocken und das zurückbleibende 
Pulver knirscht nach wie vor mit dem Glasstab. Wenn ich Körner dersel- 
ben Art wie Shepard untersucht habe, so können diese kein Anorthit sein; 
denn dieser giebt gepulvert und mit Chlorwasserstoffsäure gekocht sehr leicht 
eine Gallerte ('). 

Die chemische Zusammensetzung des Shepardits wird von She- 
pard (a), Sartorius (5) und Rammelsberg (c) folgendermafsen an- 
gegeben: 


a b c 

Magnesia 28,25 I? 34,80 
Kalk _ 1,82 0,66 
Natron 1,39 _ 4,14 
Kali _ _ 0,70 
Manganoxydull — _ 0,2 

Thonerde — 1,48 1 
Eisenoxyd — 1,70 1,25 
Kieselsäure 70,41 67,14 97,92 
Wasser _ 0,67 0,50 


100,95 99,93 99,79 


Nach Shepard wäre also der Shepardit, abgesehen von der geringen 
Menge Natron, nur eine Verbindung von Kieselsäure mit Magnesia. She- 
pard allein hat keine Thonerde gefunden, was wahrscheinlich daher rührt, 
dafs er die reinsten Krystalle zur Analyse genommen hat, wie er auch die 
gröfste Masse zu seiner Benutzung hatte und bei den analysirten Proben der 
beiden andern Chemiker, die nur kleinere Bruchstücke anwenden konnten, 
noch ein anderes Silicat beigemengt gewesen ist. Der Shepardit hat hiernach 
also dieselben Bestandtheile wie der Olivin, nur in andern Verhältnissen ; bei 


(') Vergl. darüber die Anmerkung beim Anorthit des Eukrits. 


120 G. Rose: 


dem Shepardit ist der Sauerstoff der Magnesia (mit Einschlufs des Natrons) 
zu dem der Kieselsäure wie 1:3, während er beim Olivin nur wie 1:1 ist. 
Der Shepardit ist also anderthalb kieselsaure Magnesia:: 
Mg? Si’ 
und die berechnete Zusammensetzung: 
Magnesia 30,2 
Kieselsäure 69,8 
während der Olivin nur ein halb kieselsaure Magnesia ist: 
Mg? Si 

Sartorius von der Ansicht ausgehend, dafs er ein Gemenge analysirt 
habe, nimmt an, dafs die gefundene Thonerde von einem sogenannten Kalk- 
Labrador, d. i. von einem solchen Labrador herrühre, der nur Kalkerde als 
einatomige Basis enthielte. Er berechnet nach der Thonerde einen solchen 
Labrador, dessen Menge etwa 5 pC. beträgt, zieht diesen von dem Ganzen 
ab und findet nun für den Rückstand, den seiner Meinung nach reinen She- 
pardit, dieselbe Formel wie Shepard. Dessenungeachtet scheint mir eine 
solche Annahme nicht gerechtfertigt; denn einmal kennt man einen Labrador 
von solcher Zusammensetzung überhaupt nicht, und dann kann man Krystalle 
von der Form des Labradors nicht allein nicht in dem Chladnit erkennen, 
derselbe ist auch noch nie in den Meteoriten beobachtet worden. Eher 
könnte man als Beimengung Anorthit annehmen, da dieser doch in gewissen 
Meteorsteinen bestimmt beobachtet ist; aber auch diese Annahme ist nach 
dem oben Angeführten nicht wahrscheinlich. 

Rammelsberg, um zu sehen, ob seiner zu analysirenden Probe etwas 
Auflösbares beigemengt sei, digerirte das feine Pulver zuerst mit concentrir- 
ter warmer Chlorwasserstoffsäure und schlofs nachher den Rückstand mit 
kohlensaurem Natron auf. Da er aber durch die Säure nur 7,55 pC. auszie- 
hen konnte, die hauptsächlich aus Kieselsäure und Magnesia ohne Thonerde 
bestanden, so war es wahrscheinlich, dafs diese nur von einer anfangenden 
Zersetzung des Shepardits herrührten, und er rechnete daher das durch Chlor- 
wasserstoffsäure Ausgezogene den Bestandtheilen des Rückstandes zu. Er 
überzeugte sich aber auf eine andere Weise, dafs er ein Gemenge untersucht 
habe, indem er eine besondere Menge von dem Pulver der ausgesuchten 
weifsen Krystalle schlämmte, das Leichteste und Schwerste für sich analysirte 
und in beiden eine nicht unbeträchtliche Verschiedenheit in der Zusammen- 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 121 


setzung fand. Bei der Schwierigkeit, die Beimengung zu bestimmen, unter- 
läfst es daher Rammelsberg ganz, für die Zusammensetzung des Ganzen 
eine Formel aufzustellen. Wenn es demnach nun auch nicht zu bezweifeln 
ist, dafs in dem Chladnit ein eigenthümliches Mineral wie der Shepardit vor- 
kommt, so ist es doch auch ebenso wahrscheinlich, dafs neben ihm sich noch 
ein anderes Thonerde-haltiges Mineral beigemengt findet, das man noch 
nicht kennt, wie auch von dem Shepardit selbst noch vieles, wie z. B. seine 
Form, fast ganz unbekannt ist. 

Die übrigen nur in geringer Menge vorkommmenden Gemengtbeile sind: 

1. Nickeleisen, das theils in der Grundmasse, theils in und zwi- 
schen den weilsen Krystallen eingemengt ist, gewöhnlich nur sparsam und in 
kleinen Körnern, nach Shepard doch zuweilen von der Gröfse einer Erbse. 
Ich selbst beobachtete in den Stücken der Berliner Sammlung mehrere nicht 
viel kleinere Körner. Das Eisen ist aber stets mit Eisenoxydul bedeckt, und 
diefs hat auch die umgebende Masse braun gefärbt und zwar noch stärker 
als bei den meisten übrigen Meteoriten. Bei den erwähnten gröfsern Kör- 
nern kann man aber durch Schaben mit dem Messer den Metallglanz und die 
lichte stahlgraue Farbe des Innern erkennen. 

2. Magnetkies in kleinen Körnern selten. 

3. Ein schwarzes Mineral, das nach Shepard Schwefelchrom 
ist(!). Es findet sich in kleinen Körnern oder kleinen Gängen, die den 
Chladnit durchsetzen, nach Shepard auch in kleinen prismatischen Kry- 
stallen, die auf den Seitenflächen gestreift und nach diesen Spuren von Spal- 
tungsflächen zeigen. Sie sind unvollkommen metallisch glänzend, undurch- 
sichtig, von der Härte des Flufsspaths.. Vor dem Löthrohr schmilzt diefs 
Mineral schwer zu einem schwarzen Glase, das magnetisch ist; im Kolben 
erhitzt, bildet sich ein Sublimat von Schwefel. Mit Borax und Phosphorsalz 
bildet es grüne Gläser; die Farbe ist im Allgemeinen intensiv, aber stärker 
im Boraxglase als im Phosphorsalze und besonders bei der Schmelzung in 
der innern Flamme und nach Zusatz von Zinn. 


(') Shepard nannte es nach Hrn. von Schreibers: Schreibersit, welchen Namen 
dann Haidinger in den von Shepardit umgeändert hat und wofür nun nach dem Obigen 
nach vollständigerer Kenntnils dieses Gemengtheils ein neuer Name zu machen wäre. 


Phys. Kl. 1863. Q 


122 'G. Rose: 


4. Kleine gelbe Krystalle zwischen den Körnern des Chladnits, 
vor dem Löthrohr unschmelzbar; sie werden weils und verhalten sich wie 
Shepardit und sind vielleicht nur durch Eisenoxydhydrat gefärbter Shepardit. 

Weiter habe ich nichts beobachtet. Shepard giebt ein blaues Mine- 
ral an, was er Jodolith nennt und vielleicht das ist, was ich Grundmasse 
genannt habe, ein honiggelbes, Apatit ähnliches Mineral, Apatoid genannt, 
und Spuren von Schwefel. Aufserdem giebt er auch noch das ungefähre 
Verhältnifs an, in welchem die von ihm angeführten Gemengtheile in diesem 
Meteoriten enthalten sind; ich führe es indessen nicht an, da diese ganze 
Angabe zu hypothetisch ist. 

Die äufsere glasige Rinde ist sehr merkwürdig; ganz unähnlich der 
der übrigen Meteorsteine ist sie, wie sie auch Shepard beschreibt, gefleckt, 
schwarz, weils, bläulichgrau, die schwarzen Stellen glänzend und Obsidian - 
ähnlich, die weifsen und grauen meistentheils matt, die weifsen doch auch 
glänzend und durchscheinend wie Porzellan und Email. Sie ist von einer 
Menge Risse und Sprünge durchzogen. 


5. Shalkit. 


Diese Art enthält auch nur einen Meteoriten, den M. von Shalka in 
Bankoora, Östindien, nach welchem Fundort ich den Namen der Art ge- 
bildet habe. Haidinger hat die Nachrichten darüber zusammengestellt 
und den Stein beschrieben (!). Er fiel den 30. November 1850 als ein 
einziger Stein und schlug in den nicht harten Boden gegen 4 Fufs ein, wo- 
bei er in viele Trümmer zerschellte, und Bruchstücke bis 20 Fufs weit 
umherflogen. Der Stein mochte einen Umfang von 3!, Fufs gehabt haben; 
die schwarze Rinde war stellenweise abgetrennt. Haidinger erhielt durch 
die k. Asiatische Gesellschaft in Bengalen mehrere Stücke zusammen über 
199 Centigr. schwer; ein gröfseres Stück von 6 Pfund 3529 Grains wurde 
an das Brittische Museum in London gesandt, von welchem Dr. Auerbach 
aus Moskau einige Stücke erhielt, von denen er mir ein kleines haselnufs- 
grofses Stück überliefs. Späterhin erhielt ich selbst durch Hrn. Maskelyne 
aus dem Brittischen Museum ein viel gröfseres Stück von 4,79 Lth. Gewicht. 


(') Sitzungsber. d. math.-naturw. Kl. d. k. Akad. d. Wiss. 1860. Bd. 41. S. 251. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 123 


Nach diesen Stücken ist die Masse ein kleinkörniges Gemenge von 
kleinen schneeweifsen, in einer Richtung deutlich spaltbaren Körnern mit 
andern meistens etwas gröfsern grünlichgrauen, worin wieder noch gröfsere, 
oft ganz scharf begränzt liegen, die eine schwärzlichgrüne Farbe haben. 
Beide Farben gehen aber stellenweise bei denselben Körnern in eine lichtere 
grünlichgelbe über, in welchem Fall dann die Körner eine grofse Aehnlich- 
keit mit Olivin erhalten, wie auch schon der erste Beschreiber dieses Meteor- 
steins, Piddington in Caleutta, bemerkt hat(!). Die grünen Körner 
haben zuweilen einen Durchmesser von einem Zoll, sind dann aber sehr 
klüftig; sie haben einen kleinmuschligen Bruch, Glasglanz, der in den Fett- 
glanz übergeht, sind an den Kanten mehr oder weniger durchscheinend, bei 
lichterer Farbe mehr, und unvollkommen nach einer Richtung spaltbar. 
Die Masse zum Theil sehr bröcklig, das kleine Stück, was auch im Allge- 
meinen feinkörniger ist, mehr als das grofse. 

Nach Haidinger besteht dieser Meteorstein ebenfalls aus feinkör- 
nigen weifslichen mit gröber körnigen dunkel aschgrauen Theilen, die bis 
2 Linien in jeder Richtung grofs sind und selbst wieder in kugligen Massen 
von mehrzölligem Durchmesser in den weifsen feinkörnigen eingeschlossen 
sind, oder von denselben wie Gangweise durchsetzt werden. Bei den 
gröfsern Körnern sah er eine ziemlich deutliche Spaltungsfläche, die einen 
unvollkommnen Winkel von 100° und 80° macht, ihre Härte ist 6,5; in- 
dessen ist Haidinger der Meinung, dafs diese ganze Masse nur eine einzige 
Species bilde, da ihre Theile zwar eine verschiedene Farbe hätten, aber 
vollkommen in einander übergingen. 

In dieser Masse kommen nun noch Körner von Chromeisenerz ein- 
gemengt vor, die zwar gewöhnlich nur sehr klein und fein, doch in dem 
gröfsern Stücke fast die Gröfse einer kleinen Erbse erreichen. Sie sind schwarz, 
stark glänzend von unvollkommnem Metallglanz, haben einen braunen Strich, 
und sind gewöhnlich unregelmäfsig begränzt, doch auch in Octaödern kry- 
stallisirt. K. v. Hauer beobachtete schon ein solches (?); in dem gröfsern 
Stücke sind deren mehrere enthalten; ihre Flächen sind so glänzend, dafs 
man mit ziemlicher Genauigkeit ihre Winkel messen kann. Körner und 


() A.a. 0.8.2 
) A.20. S. 


Q2 


124 G. Rose: 


Krystalle kommen öfter in den grünen Körnern eingewachsen vor, sie sind 
schwer aus denselben vollständig herauszulösen, da auch sie klüftig und 
bröcklig sind. 

Haidinger fand das specifische Gewicht eines ziemlich reinen Stückes 
(d.h. wo wohl weniger Chromeisenerz eingemengt war) 3,412, Piddington 
giebt 3,66 an. 


Der Stein hat eine dünne schwärzlichbraune ganz matte Rinde, die 


5 
aber doch uneben und fein adrig ist, und aus der Körner von Chromeisenerz 
herausragen. 

Die von dem eingemengten Chromeisenerz möglichst befreite Masse 


ist von K. v. Hauer chemisch untersucht worden, sie besteht hiernach aus 


Sauerstoff. 
Magnesia 19,00 7,60 
Kalk 1,93 0,43 4 12,61 
Eisenoxydul 20,65 4,58 
Thonerde Spur 
Kieselsäure 57,66 30,50 
98,84 


Haidinger, der die Masse für gleichartig hält, betrachtet sie hiernach 
für eine besondere Species, die mit dem Olivin und Shepardit in qualitativer 
Hinsicht übereinstimmend, in quantitativer Hinsicht zwischen beiden steht. 
Denn während der Sauerstoff der Basis zur Säure sei 


de und 
beim Shepardit =1:3, wäre er 
bei dieser Species 1 : 2,42. 


beim Olivin = 


Dieses Verhältnifs nähere sich dem, welches Stromeyer bei dem 
olivinähnlichen Mineral aus der angeblich von Grimma (Steinbach) stam- 
menden Eisenmasse gefunden habe, wo jenes Verhältnifs = 1 : 2,6 ist, und 
für welches Mineral Rammelsberg die Formel RSi+.2R°’Si’ aufgestellt 
habe (!). Er schlägt demnach für diefs Mineral den Namen Pidding- 


tonit vor. 


) Diels giebt das Verhältnils = 1: 2,8; besser palst zu dem obigen die Formel 
RSi+R’Si?’ 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 125 


Dieser Meinung von der Gleichartigkeit der Masse möchte ich nicht 
beistimmen. Die Farbe der dunklen Körner geht wohl in die grünlichgelbe 
über, aber nicht in die weifse. Die Körner mit grünlichgelber bis schwärz- 
lichgrüner Farbe haben alle Eigenschaften des Olivins; ist diefs aber der 
Fall, dann können die weifsen Körner nichts anderes als Shepardit sein, 
und der Shalkit wäre hiernach ein Gemenge von Olivin, Shepardit und 
Chromeisenerz, und von dem Chassignit nur durch die Anwesenheit des 
Shepardits verschieden. 

Mit dieser Annahme stimmt auch das chemische Verhalten überein, 
denn sehr fein zerrieben, wird er von heifser Chlorwasserstoffsäure zum 
Theil zersetzt, wie ein Gemenge von Olivin und Shepardit; das feine Pulver 
ist nur an den äufsersten Kanten schmelzbar, noch schwerer als der Chassignit, 
und wird wie dieser schwarz. 

Legt man die Hauersche Analyse zum Grunde, so würde der Shalkit 
auf 1 Atom Olivin 2 Atome Shepardit enthalten, also aus 

R’Si + 2Mg? Si? 
bestehen, denn in diesem würde der Sauerstoff von R: Si sen 6: 14, 
d.ı. = 1: 2%33. 

Der Shalkit ist hiernach ein Gemenge von basisch und saurer kiesel- 
saurer Magnesia oder von 2 Silicaten, die gleiche Basen in verschiedenen 
Sättigungsstufen enthalten, ein Gemenge wie es der Art unter den Gebirgs- 
arten der Erde nicht vorkommt, wenngleich der Granit, wenn er Feldspath 
und Kaliglimmer enthält, etwas Aehnliches darstellt. Das Gemenge des Shal- 
kits ist aber noch dadurch ausgezeichnet, dafs die beiden Silicate in demsel- 
ben in einem sehr einfachen Verhältnisse gegeneinander zu stehen scheinen, 
so dafs sie sehr gut eine chemische Verbindung bilden könnten, ähnlich dem 
Serpentin, der eine wasserhaltige Verbindung von basischer und neutraler 
Magnesia ist: 

Mg°Si + MgSi +:2H 
und es wäre daher wohl möglich, dafs wie der Shalkit alle Gebirgsarten die 


Gemengtheile in ebenso einfachen Verhältnissen enthalten, wie die Mineralien 


die Bestandtheile ('). 


(') -Vergl. weiter unten die Anmerkung S. 134. 


126 G. Rose: 


6. Die kohligen Meteorite. 


1) von Alais, Dep. du Gard, Frankreich, gef. 1806 den 15. März. 

2) von Cold Bokkeveld am Cap der guten Hoffnung, gef. 1838 
den13. October. 

3) von Kaba, SW. von Debreczin in Ungarn, gef. 1857 den 15. April. 

4) von Orgueil, Montauban, Frankreich, gef. 1864 den 14. Mai. 

Ich habe mit diesen keine besondere Untersuchungen angestellt, und 
verweise daher auf die vorhandenen Beschreibungen der drei ersten in 
Buchners Meteoriten S. 19, 60 und 94 und des letzten in den Comptes 
rendus 1864, t. 58. 


7. Eukrit. 


Es gehören zu dieser Abtheilung nur wenige Meteoriten; von den 

Meteoriten des Berliner mineralogischen Museums nur der von: 

1) Juvenas, Dep. Ardeche, Frankreich, gef. 1821 den 15. Juni. 

2) Stannern bei Iglau, Mähren, gef. 1808 den 22. Mai. 

3) Jonzac, Dep. Charente infer., Frankreich, gef. 1819 den 13. Juni. 

4) Petersburg, Lincoln Cty, Tennessee, V. St. N. A., gef. 1855 den 
5. Aug. ; aufserdem wahrscheinlich noch der von Constantinopel (gef. 1805 
im Juni), der nach Partsch und Reichenbach eine sehr grofse Aehn- 
lichkeit mit namentlich den 3 erstgenannten dieser Abtheilung hat. Bei der 
geringen Anzahl dieser Meteoriten ziehe ich es ebenfalls vor, dieselben ein- 
zeln zu beschreiben und fange mit dem E. von Juvenas an, der unter allen 
der ausgezeichnetste und am deutlichsten krystallinisch ist. 

1) Der E. von Juvenas ist meistentheils deutlich körnig und die 
Gemengtheile über liniengrofs; was ihn indessen für die Untersuchung be- 
sonders wichtig macht, stellenweise auch voller Höhlungen, an deren Wän- 
den sich die Gemengtheile regelmäfsig begränzt haben. Diefs ist namentlich 
mit dem Augit der Fall, der überhaupt der vorwaltende Gemengtheil ist. 
Derselbe erscheint hier in der Form, in welcher er sich gewöhnlich in 
vulkanischen Gesteinen findet, als Combination des rhombischen Prisma 
von ungefähr 88° mit der Quer- und Längsfläche und dem schiefen Prisma 
von ungefähr 120°('). Er hat glatte und glänzende Flächen, so dafs er 


(') Vergl. die ausführliche Beschreibung in meiner ersten Arbeit über diesen Meteoriten 
in Poggendorffs Ann. von 1825 B.4, S. 173). 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 127 


ziemlich gut mit dem Reflexionsgoniometer gemessen werden kann. Die 
Neigung, die sich am besten bestimmen liefs, war die Neigung der Längs- 
fläche zur Fläche des vertikalen Prisma, die ich von 136° 3-5’ fand. Eine 
Spaltbarkeit war weder bei den aufgewachsenen, noch bei den unregelmäfsig 
begränzten eingewachsenen Krystallen bei ihrer Kleinheit zu bemerken; sie 
sind im Bruch uneben, von Farbe schwärzlichbraun,, ungefähr wie der No- 
sean vom Laacher See, glänzend von Fettglanz und nur an den äufsersten 
Kanten durchscheinend. Vor dem Löthrohr schmilzt dieser Augit in der 
Platinzange zu einem schwarzen Glase, das vom Magnete angezogen wird, 
was vor der Schmelzung nicht der Fall ist. In Borax wird er zu einem 
von Eisen schwach gefärbten Glase aufgelöst, in Phosphorsalz ebenso, nur 
schwerer und unter Ausscheidung von Kieselsäure. Mit wenig Soda schmilzt 
er zu einer schwarzen Kugel, mit mehr Soda geht die Masse in die Kohle 
und das Eisenoxydul wird reducirt. 

Der Anorthit ist in den Höhlungen gewöhnlich kleiner und viel 
undeutlicher krystallisirt als der Augit, indessen sieht man doch das gewöhn- 
liche rhomboidische Prisma mit der Längsfläche M, durch deren Vorherr- 
schen die Krystalle gewöhnlich ein tafelartiges Ansehen erhalten, sowie die 
schiefe Endfläche P, parallel welcher die Krystalle immer sehr deutlich 
spaltbar erscheinen. Die Endfläche ist meistentheils glatt, nur zuweilen 
zeigt sie den der Kante mit der Längsfläche parallell gehenden einspringen- 
den Winkel, der den Zwillingskrystall verkündet. Winkel sind nicht zu 
messen, aber das ganze Ansehen der Krystalle zeigt den ein- und einglie- 
drigen Feldspath. Er ist schneeweifs und auf den Spaltungsflächen stark 
perlmutterartig glänzend. Vor dem Löthrohr nur sehr schwer an den Kan- 
ten schmelzbar. Gepulvert und mit heifser Chlorwasserstoffsäure behandelt, 
gelatinirt er und giebt sich dadurch bestimmt als Anorthit zu erkennen ('). 


(‘) Dafs der Anorthit, mit heilser Chlorwasserstoffsäure digerirt, gelatinirt, ist bisher 
noch nicht angegeben, ist aber ein leichtes Mittel, ihn vom Labrador zu unterscheiden. In 
meiner ersten Beschreibung dieser Krystalle (a. a O. S. 176) hatte ich sie gestützt auf die 
Angabe von Laugier, dafs der Meteorit von Juvenas von Säuren nur schwierig ange- 
griffen würde, und auf eine von mir ausgeführte Untersuchung des alkalischen Bestandtheils 
für Labrador gehalten. Shepard hatte die Krystalle zuerst für Anorthit ausgegeben (Re- 
port on American meteorites p. 7. New Haven 1848), ohne weitere Beweise für seine Be- 
hauptung zu liefern; Rammelsberg hat diels zuerst durch seine Analyse bewiesen (Pog- 
gendorffs Ann. von 1848 B. 73, S. 585). 


128 G. Rose: 


Aufser diesen wesentlichen Gemengtheilen finden sich noch drei un- 
wesentliche, kleine strohgelbe tafelartige Krystalle, etwas Magnet- 
kies und in noch geringerer Menge etwas Nickeleisen. Die erstern sind 
wenig glänzend und undurchsichtig, sie finden sich nicht gleichmäfsig ver- 
breitet in der Masse, im Allgemeinen sehr sparsam, am häufigsten in der 
Gegend der Drusenräume und in diesen selbst. Von einer bestimmten Kry- 
stallform ist indessen nichts zu erkennen. Sie haben wohl das Ansehen von 
Titanit und Rammelsberg hält sie auch dafür, weil er bei der Analyse 
etwas Titansäure gefunden hat, aber ihr Verhalten vor dem Löthrohr ist 
damit nicht völlig in Uebereinstimmung. Sie schmelzen vor dem Löthrohr 
in der Platinzange an den Kanten zu einem schwarzen Glase, das magnetisch 
ist, und lösen sich in Phosphorsalz, in geringer Menge zugesetzt, langsam 
aber völlig zu einem Glase auf, das heifs etwas grünlich gefärbt und kalt 
ganz wasserhell ist; in gröfserer Menge zugesetzt, bleibt Kieselsäure ungelöst 
zurück, und die Kugel opalisirt beim Erkalten, wird aber nicht bläulichweifs 
in der innern Flamme, auch nicht wenn Zinn zugesetzt wird, was diese Kry- 
stalle vom Titanit unterscheidet, der auch (z. B. der gelbe von Arendal) an 
den Rändern nicht zu einem magnetischen Glase schmilzt. Dieser letztere 
Umstand wäre nicht entscheidend, er könnte von einem gröfsern Eisenge- 
halte herrühren, aber die blaue Farbe müfste doch zum Vorschein kom- 
men. Es bleibt also über diese Substanz noch einige Unsicherheit, man 
sieht aus ihrem Verhalten nur soviel, dafs sie ein Silicat ist und Eisenoxy- 
dul enthält. 

Der Magnetkies findet sich in dem E. von Juvenas hier und da in 
kleinen Körnern eingemengt, und in den Höhlungen zuweilen krystallisirt. 
Ich habe in diesen zwei freilich nur sehr kleine Krystalle gefunden, von denen 
der eine aber doch eine grofse Menge von Flächen zeigt. Er ist eine Com- 
bination eines Hexagondodekaöders mit der Basis, die wenig vorherrscht, 
einem stumpfern Hexagondodekaöder, dessen Flächen die Combinations- 
kanten den Grundform mit der Basis schwach abstumpfen, den Flächen des 
ersten sechsseitigen, und untergeordnet auch des zweiten sechsseitigen Pris- 
mas, und des ersten stumpferen Hexagondodekaöders, als Abstumpfungen 
der Endkanten der Grundform. Die Flächen sind so glatt, dafs ich die 
Winkel messen konnte, Ich fand den Winkel der Grundform in den End- 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 129 


kanten 126° 49; der Winkel in den Seitenkanten beträgt also 127° 6°('). 
So ausgebildete Krystalle sind bei dem tellurischen Magnetkies noch nicht 
vorgekommen, wiewohl die Krystalle bei diesem oft viel gröfser sind. Sie 
sind gewöhnlich nur Combinationen eines regulären sechsseitigen Prismas 
mit der Basis, und wenn auch Flächen von Hexagondodekaedern vorkom- 
men, so sind sie bisher nie so glatt und glänzend gefunden worden, dafs 
man ihre Winkel mit Genauigkeit hätte bestimmen können; die Winkel des 
Magnetkieses sind daher durch den meteorischen Magneikies zuerst be- 
stimmt. Sonst ist er wie der tellurische tombakbraun von Farbe und 
metallisch glänzend; sein Magnetismus jedoch nur sehr gering(?). Das Ver- 
halten vor dem Löthrohr oder gegen Säuren ist ganz wie das des telluri- 
schen, obgleich bei der geringen Menge, die nur genommen werden konnte, 
und weil sie nicht frei von ansitzendem Gestein war, nicht gesehen werden 
konnte, ob bei der Auflösung in Säuren etwas Schwefel zurückblieb. In 
der Auflösung wurde kein Nickel gefunden. 

Nickeleisen findet sich in dem E. von Juvenas nur in sehr geringer 
Menge und nur in so feinen Theilen, dafs man es auf der Bruchfläche des 
Gesteins nicht sehen und nur auf einer angeschliffenen Fläche durch seinen 
Metallglanz erkennen kann. Noch bestimmter kann man sich von seiner 
Gegenwart überzeugen, wenn man ein Stückchen von dem E. von Juvenas 
pulvert, das Nickeleisen mit dem Magnete auszieht und dann im Mörser 
breit drückt (°). 

Diese letztgenannten Gemengtheile sind jedoch nur wie angegeben in 
sehr geringer Menge vorhanden. Das Nickeleisen ist ganz fein eingesprengt, 
der Magnetkies wohl in etwas gröfsern Körnern oder unregelmäfsigen Par- 
thien, aber doch auch nur sehr sparsam hier und da enthalten, die gelben 
Tafeln sind an den Stellen, wo sie sich finden, wohl ziemlich häufig, aber 
sie selbst sind doch nur klein und finden sich an andern Stellen gar nicht, so 
dafs alle diese letztern Gemengtheile auf das Ansehen des Meteoriten keinen 


(') Vergl. die ausführlichere Beschreibung a. a. O. S. 180. 

() In meiner frühern Abhandlung gab ich an, dafs er gar nicht magnetisch wäre; wenn 
man aber ein kleines Stückchen auf eine Stahlplatte legt, so wird er doch vom Magnete 
etwas angezogen. 

(°) In der frühern Beschreibung hatte ich das Nickeleisen bei seiner geringen Menge 
ganz übersehen. 


Phys. Kl. 1863. R 


130 G. Rose: 


Einflufs ausüben. Dieses wird nur bedingt durch den Augit und Anorthit; 
dessen ungeachtet ist doch das Ansehen an verschiedenen Stellen sehr ver- 
schieden. Auch da wo die Gemengtheile am gröbsten sind, kann man das 
Gemenge nicht grobkörnig nennen, es ist nur kleinkörnig, aber solche Stel- 
len wechseln mit andern feinkörnigen, und gehen theils allınählig darin über, 
theils schneiden sie von diesen scharf ab, wie diefs auch bei dem Chondrite 
und Howardite der Fall ist. Zuweilen liegt in einer gröfsern feinkörnigen 
Parthie eine kleinere gröber körnige, in die sie schnell übergeht, zuweilen 
sieht man in einer solchen eine kleine noch feiner körnige mit ziemlich 
scharf begränzten Umrissen liegen; diese erscheinen dann gewöhnlich von 
etwas dunklerer Farbe, ohne deswegen mehr Augit zu erhalten, zuweilen 
sind aber diese dunkleren Parthien grobkörnig, und die dunklere Farbe rührt 
nun in der That von einer gröfseren Menge Augit her. 

Das specifische Gewicht des E. von Juvenas ist nach Rummler 3,11, 
nach Flangergues 3,09 ('). 

Die schwarze Rinde ist wie die der Howardite stark glänzend und 
adrig, also ganz verschieden von der der Chondrite. 

In einer dünn geschliffenen Platte unter dem Mikroscop erscheint der 
Anorthit durchsichtig und ziemlich wasserhell, und mit nur wenigen Rissen 
durchsetzt, der Augit hellbraun durchscheinend, aber mit vielen gröbern 
braunen Sprüngen und feinern Streifen durchzogen. Ein gröfserer Krystall 
zeigte gerade, unter einander parellele, sich in kleinen Entfernungen wieder- 
holende dunkelbraune Sprünge, die von andern ähnlichen aber unregelmäfsig 
verlaufenden durchsetzt wurden, und aufser diesen noch feinere gerade, eng 
neben einander liegende, braune Streifen, die die geraden Sprünge unter 
einem Winkel von etwa 80° schnitten. Auf eine ähnliche Weise verhalten 
sich die Sprünge und Streifen bei allen übrigen Krystallen. Nickeleisen in 
sehr kleinen Körnern macht sich hin und wieder durch seinen Metallglanz 
kenntlich, Magnetkies war bei seiner unregelmäfsigen Vertheilung in dem 
Gestein auf der Platte gerade nicht vorhanden. Der Anorthit erscheint im 
Allgemeinen in kleineren Krystallen als der Angit, aber sie sind fast überall 
regelmäfsig begränzt, und namentlich sind die Querdurchschnitte durch seine 
tafelartigen Krystalle häufig zu sehen, dagegen der Augit bei gröfseren In- 


(') Partsch, Meteoriten S. 147. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 131 


dividuen nie regelmäfsige Umrisse hat. Man sieht so bestimmt, dafs Anor- 
thit der zuerst, Augit der später krystallisirte ist, wie auch der erstere schwe- 
rer, der letztere weniger schwer vor dem Löthrohr schmelzbar ist. 

Vor dem Löthrohr schmilzt das Gestein fein zerrieben sehr leicht zu 
einem schwarzen stark magnetischem Glase, daher sich auch der Glanz der 
Rinde erklärt. Das Gestein schmilzt leichter als die Gemengtheile einzeln, 
wie dies auch oft bei gemengten tellurischen Gebirgsarten der Fall ist. 

Fein gepulvert und mit heifser Chlorwasserstoffsäure digerirt, gelatinirt 
der Anorthit, und die Gelatina schliefst den Augit unverändert ein, der da- 
her auf diese Weise leicht und bestimmt von dem Anorthit zu trennen ist. 

Auf diese Weise ist nun auch der E. von Juvenas von Rammels- 
berg analysirt worden (!). Er erhielt so: 

A. mit Säuren Zersetzbares 36,77 
Bias, » Unzersetzbares 63,23 
und in diesen wie in dem Ganzen (C) die folgendem Bestandtheile: 


A. B. C. 
Sauerstoff. Sauerstoff. 
Kalk 6,64 1,90 3,59 1,03 10,23 
Magnesia 0,13 0,05 6,31 2,52 6,44 
Natron 0,37 0,09 0,26 0,06 0,63 
Kali 0,12 0,02 — —. 0,12 
Eisenoxydul _ _ 19,48 4,32 19,48 
Thonerde 12,40 5,79 0,15 0,07 12,55 
Eisenoxyd 1,21 0,86 Be 4,21 
Kieselsäure 15,41  s,o0 32,92 17,09 48,33 
Phosphorsäure 0,28 _ 0,28 
Titansäure _ 0,10 0,10 
Eisen 0,16 zu wahr 025 
Schwefel 0,09 _ 0,09 
Eisenoxydul _ 0,92 yn 1,35 
Chromoxyd _ 0,43 0,43 
36,81 64,16 100,97 


(') Poggendorff’s Annalen von 1848, Bd.73, S.585 und Rammelsbergs Mineral- 
chemie S. 937. 
R2 


132 G. Rose: 


Die Analyse ergab demnach die bekannten Bestandtheile des Anorthits 
und Augits und aufser diesen noch kleine Mengen anderer Bestandtheile, in 
dem zersetzbaren Theile etwas Phosphorsäure und Eisenoxyd, und in dem 
unzersetzbaren etwas Titansäure und Chromoxyd. Nickeleisen ist dagegen 
nicht aufgeführt, bei seiner geringen Menge hat es Rammelsberg wie die 
frühern Beobachter übersehen. Sieht man aber von diesen in geringer 
Menge enthaltenen besondern Bestandtheilen ab, so verhalten sich bei dem 
zersetzbaren Gemengtheil der Sauerstoff des Kalks, der Magnesia und der 
Alkalien zur Thonerde und zur Kieselsäure, also von 


R:R: Si = 2,06 : 6,15 : 8,00 = 1,03 : 3,07 : 4 


also fast wie 1:3: 4, der Zusammensetzung des Anorthits gemäfs. 
In dem unzersetzbaren Gemengtheil der Sauerstoff der sämmtlichen 
Basen zu dem der Kieselsäure, also 


R: Si = 8,00 : 17,09 = 1 : 2,13 


also fast wie 1 : 2, der Zusammensetzung des Augits gemäfs. 

Die Analyse ist demnach in vollkommner Uebereinstimmung mit dem 
Ergebnifs der mineralogischen Untersuchung. 

Rammelsberg sucht aber noch die übrigen Bestandtheile, die die 
Analyse ergeben hat, zu erklären, und eine vollständige quantitative Be- 
stimmung der Gemengtheile desE. von Juvenas zu geben. Von dem Schwefel, 
dessen Menge durch eine besondere Untersuchung bestimmt ist, wurde an- 
genommen, dafs er vom Magnetkiese, und vom Chromoxyd, dafs es von 
Chromeisenerz herrühre, und es ist daher schon gleich so viel Eisen als zum 
erstern, und Eisenoxydul als zum letztern gehört, in der angegebenen Ana- 
Iyse aufgeführt (der Magnetkies ist wie früher als FeS, das Chromeisenerz 
als Fe&r berechnet). Das Eisenoxyd wurde als von Magneteisenerz, die 
Titansäure als von Titanit, und die Phosphorsäure als von Apatit herrührend 
angenommen. Indem er nun bei seiner Berechnung von der Gesammt- 
mischung ausgeht, bestimmt er zuerst nach der Thonerde und den Alkalien 
den Anorthit, nach dem Schwefel den Magnetkies, nach dem Eisenoxyd 
das Magneteisenerz, nach der Phosphorsäure den Apatit, nach der Titan- 
säure den Titanit, und bekommt nun einen Rest, in welchem der Sauerstoff 
von R:Si wie 1: 2,16 ist, also beinahe wie im Ausgit. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 133 


Die Annahme von Chromeisenerz ist wie die von Magnetkies gerecht- 
fertigt, denn, wenn man auch das erstere noch nicht wie den letztern 
beobachtet hat, so ist doch das Chromeisenerz ein so gewöhnlicher Gemeng- 
theil der Meteorite, dafs es nach dem gefundenen Chromoxyd in dem E. 
von Juvenas sehr wahrscheinlich ist. Diefs ist aber nicht mit den übrigen 
Annahmen der Fall. Magneteisenerz ist weder in diesem noch überhauft 
in einem Meteoriten mit Sicherheit beobachtet, daher auch wahrscheinlich 
das Eisenoxyd noch vom Magnetkiese herrührt, und die Bestimmung des 
Schwefels, der bei der Zersetzung desE. von Juvenas als Schwefelwasserstoffgas 
entwichen ist, zu gering ausgefallen. Mit Titanit stimmt wie angeführt das 
Verhalten der gelben tafelartigen Krystalle vor dem Löthrohr nicht völlig 
überein, auch ist die Titansäure in dem unzersetzbaren Gemengtheil gefun- 
den, und nicht in dem zersetzbaren, wie doch der Fall sein müfste, wenn 
Titanit in dem E. von Juvenas enthalten wäre, und Apatit, wiewohl sehr 
möglich, ist doch noch nie in den Meteoriten beobachtet. Ich führe daher 
diese Berechnung der Gemengtheile, als noch nicht hinreichend begründet, 
hier nicht auf. 

2) Der Eukrit von Stannern ist dem von Juvenas sehr ähnlich, doch 
nicht so deutlich krystallinisch, wie dieser. Er ist nach den Stücken, die 
mir vorliegen, nicht so grobkörnig, wie der E. von Juvenas; der Anorthit 
auch nicht so regelmäfsig begränzt und seine Spaltungsflächen eigentlich nie 
recht deutlich zu sehen. 

Die dünngeschliffene Platte ist ebenfalls bei weitem nicht so beleh- 
rend, wie bei dem E. von Juvenas. Anorthit und Augit sind nicht so scharf 
gesondert, der erstere ist nicht so regelmäfsig begränzt und von einer grofsen 
Menge kleiner Risse durchsetzt, wodurch er in unregelmäfsige Stücke ab- 
getheilt ist und an Durchsichtigkeit verliert; der Augit ist dunkler und un- 
durchsichtiger; sehr feine Theile von Nickeleisen sind hin und wieder auch 
hier zu sehen. 

Ein Wechsel von groben und feinen körnigen Parthien kommt eben- 
falls vor. Auch hier gehen dieselben in einander über, oder schneiden we- 
nigstens nicht scharf an einander ab, aber in den feiner körnigen Parthien 
liegen wieder scharf begränzt sehr feinkörnige graue Parthien, die, mit der 
Lupe betrachtet, immer noch gemengt erscheinen, und wieder kleine dunkle 
Theile auch scharf begränzt einschliefsen, die wie Augit aussehen, nicht 


134 G. Rose: 


regelmäfsig begränzt und sehr undurchsichtig sind; zu Pulver zerrieben und 
unter dem Mikroscop betrachtet wird das Gemenge noch deutlicher. 

Drusenräume enthält der E. von Stannern nicht, auch habe ich die 
gelben Blättchen des E. von Juvenas in ihm nicht beobachtet, dagegen 
findet sich Magnetkies wie in diesem. Sein specifisches Gewicht giebt 
Rummler 3,01 — 3,17 an. Die äufsere schwarze Rinde ist glänzend und 
adrig wie bei dem E. von Juvenas. Verhalten vor dem Löthrohr und mit 
Säuren dasselbe. Das Nickeleisen kann man ebenso wie bei dem E. von 
Juvenas auffinden, nur mufs man, da es in feinern Theilen und sparsamer 
enthalten ist, ein gröfseres Stück zerreiben ('). 

Der E. von Stannern ist schon vor dem von Juvenas von Rammels- 
berg jedoch mit denselben Resultaten untersucht worden. Von in Chlor- 
wasserstoffsäure zersetzbaren Gemengtheilen haben sich darin gefunden 

34,08 Theile, 
von unzersetzbaren 65,02 R 
ein Verhältnifs, das fast ganz mit dem bei dem E. von Juvenas gefundenen 
übereinkommt (?). Rammelsberg findet auch etwas Chromoxyd und 
Eisenoxyd, und nimmt danach Chromeisenerz und Magneteisenerz an, von 
denen nun das bei dem E. von Juvenas Gesagte gilt. Phosphorsäure und 
Titansäure sind nicht darin gefunden, aber auch vielleicht nicht aufgesucht. 


(‘) Man mufs natürlich Sorge tragen, dafs, wenn man mittelst Meilsels und Hammers ein 
Stück zum Zerreiben lostrennt, keine Eisentheile von dem Meifsel an dem abgetrennten Stücke 
sitzen bleiben, die dann zu Irrthümern Veranlassung geben könnnen. 

(?) Diese Uebereinstimmung ist sehr bemerkenswerth; sie lälst vermuthen, dafs auch 
hier wie bei dem Shalkit die Gemengtheile in einfachen Atomverhältnissen mit einander ver- 
bunden sind. Vergleicht man in den Analysen des E. von Stannern und Juvenas von Ram- 
melsberg die Sauerstoffmengen der Kieselsäure in dem zersetzbaren und unzersetzbaren 
Gemengtheil, also in dem darin enthaltenen Anorthit und Augit, so findet man, dafs diese 


betragen in 100 Theilen des E. von Stannern: 8,59 und 16,69 
» 3» „» Juvenas: 8,00 und 17,09. 


Sie verhalten sich also fast genau wie 1:2. Da nun der Anorthit 2, der Augit nur 1 Atom 
Kieselsäure enthält, so würde daraus folgen, dafs in dem Eukrit von Stannern und Juvenas 
1 Atom Anorthit und 4 Atome Augit enthalten sind. Diese grofse Menge des Augits in 
Vergleich zum Anorthit könnte bei Ansicht der Stücke zu grols erscheinen; doch muls man 
bedenken, dafs der Augit ein viel höheres specifisches Gewicht als der Anorthit hat. Es ist 
bei dem Augit des Eukrits nicht untersucht, kann aber bei seinem hohen Eisengehalte nicht 
viel unter 3,4 betragen, während der Anorthit nur ein Gewicht von 2,76 hat; daher der 
Augit verhältnifsmäfsig weniger Raum einnimmt als der Anorthit. (S. 10. Eukrit im Nachtr.) 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 135 


3) Das kleine Stück von dem E. von Jonzac in dem mineralogi- 
schen Museum ist ein ziemlich grobkörniges Gemenge von Augit und Anor- 
thit. Sein specifisches Gewicht beträgt nach Rummler 3,07-3,08. Man 
hat von ihm nur eine ältere Analyse von Laugier, die auf die Trennung 
der Gemengtheile keine Rücksicht nimmt, aber im Ganzen ein ähnliches Re- 
sultat wie die der E. von Juvenas und Stannern gegeben hat. 

4) Der E. von Petersburg. Ein auf den ersten Anblick sehr 
fremdartig aussehender Eukrit. Er fiel etwa 3 Pfd. schwer zu Petersburg 
in Tennessee den 5. Aug. 1855 und ist hauptsächlich durch die Nachrichten, 
die Shepard(!) darüber mitgetheilt hat, bekannt geworden. Das minera- 
logische Museum besitzt zwei nicht sehr grofse Stücke, die zu ihm von 
Shepard durch Dr. Bondi gelangt sind. Der gröfste Theil des Steins 
besteht nach diesen aus einer graulichweifsen, feinkörnigen, zerreiblichen 
Masse, die, mit der Lupe betrachtet, doch nur ein feines Gemenge von 
kleinen braunen und schneeweifsen Körnern ist, worin aber einzelne 1 bis 
2 Linien grofse, grünlichgelbe Körner von Olivin, auch sehr kleine Körner 
von Magnetkies liegen, und kleine Rostflecke anzeigen, dafs auch Nickel- 
eisen darin vorkommt, wie man denn auch aus dem Pulver mit dem Magnet 
eine für einen Eukrit nicht unbeträchtliche Menge von Nickeleisen ausziehen 
kann. In dieser so beschaffenen Masse liegen einzelne einen halben Zoll im 
Durchmesser haltende Parthien eines gröbern Gemenges der braunen und wei- 
{sen Körner, die sich nun deutlich als ein Gemenge von Augit und Anorthit dar- 
stellen und mit andern, die bei den E.von Juvenas und Stannern vorkommen, 
die gröfste Aehnlichkeit haben; daher denn auch die grauen Parthien nur für 
ein feinkörniges Gemenge von Augit und Anorthit zu halten sind. Auf der 
andern Seite finden sich auch in der grauen Masse 2 bis 3 Linien dicke 
eckige schwarze Parthien, die an der umliegenden Masse scharf abschneiden, 
und einen ebenen matten Bruch haben und worin auch mit der Lupe ein 
Gemenge nicht zu erkennen ist, die dennoch aber nur ein inniges Gemenge 
sein möchten, da es wie das graue vor dem Löthrohr an den Kanten zu 
einem schwarzen Glase schmilzt, das vom Magnete schwach angezogen wird 
und sich in Phosphorsalz mit Hinterlassung der Kieselsäure zu einem von 
Eisen schwach grün gefärbten Glase auflöst. 


(') Silliman American Journ. of Sc. and arts 1857 Sec. ser. v. 24, p. 134. 


136 G. Rose: 


Das specifische Gewicht nach Prof. Smith in Louisville 3,28. 

Aeufserlich eine schwarze glänzende Rinde wie bei den E. von Juve- 
nas und Stannern. 

Auch die chemische Untersuchung, die Smith mit demE. von Pe- 
tersburg angestellt, hat dieselben Resultate geliefert, wie die der übrigen 
Eukrite sie ergab: 


Kalk 9,01 
Magnesia 8,13 
Natron 0,83 


Eisenoxydul 20,41 
Thonerde 11,05 
Kieselsäure 49,21 


Eisen 0,5 
Mangan 0,04 
Schwefel 0,06 
Nickel \ $ 
pur 
Phosphor 
99,23 


Shepard fand die Menge des eingemengten Nickeleisens bei einem 
Versuche 2,5 pC. 

Der E. von Petersburg ist also ein mit den übrigen im Allgemeinen 
übereinstimmender Eukrit, der sich von diesen nur durch etwas einge- 
mengten Olivin und eine noch etwas gröfsere Menge von Nickeleisen unter- 
scheidet. 

Shepard, der das ganze gefundene Stück zu untersuchen Gelegen- 
hatte, beschreibt den Stein als bestehend aus einer aschgrauen Masse, die 
er für Anorthit hält, mit eingewachsenen, mehr oder weniger abgerundeten 
Krystallen von schneeweifsem Chladnit, grünem Augit, gelblichgrünem Oli- 
vin und Chromeisenerz. Die graue Masse macht nach ihm etwa % des gan- 
zen Steins aus, die Krystalle von Augit erreichen zuweilen eine Gröfse von 
!, Zoll und von eben dieser Gröfse kommen auch Krystalle von Anorthit(') 
vor. Aufser diesen Einmengungen beobachtete Shepard noch ein hartes 
rothes, scheinbar in Dodekaedern krystallisirtes Mineral, von dem er sagt, 


(') Wenn ich die Beschreibung (a. a. O. S. 136) richtig verstehe. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 137 


dafs es die gröfste Aehnlichkeit mit dem in dem Meteorite von Nobleborough 
(Maine) vorkommenden und von ihm für Granat erklärten Minerale habe. 
Diese Beschreibung weicht wesentlich von der meinigen ab, ich habe zwar 
nur zwei kleine Stücke zur Benutzung gehabt, doch wäre es wünschenswerth 
gewesen, dafs die Anwesenheit von mehreren der von Shepard genannten 
Mineralien wie namentlich des Chladnits näher bewiesen wäre. Die von 
mir beschriebenen schwarzen Parthien sind nicht erwähnt. Shepard giebt 
nun auch hier noch nach Smith’s und seinen Analysen eine ungefähre Be- 
rechnung der Gewichtsmengen der Gemengtheile, die ich auch hier nicht 
anführe, da sie auf zu unsichern Annahmen beruht. Von Augit giebt er nur 


1 pC. an. 


Schlufsbemerkungen. 


Aus dem Bisherigen ergiebt sich, dafs die Meteoriten Gemenge ver- 
schiedener Mineralien sind, wie die tellurischen Gebirgsarten, und es scheint 
daher von Interesse, eine Vergleichung der kosmischen Mineralien und Ge- 
birgsarten (Meteoritenarten) mit den tellurischen Mineralien und Gebirgs- 
arten anzustellen. 

Die in den Meteoriten vorkommenden Mineralien sind: 

1. Meteoreisen d.i. gediegenes Eisen, welches etwas nickelhaltig 
ist; es ist nach drei untereinander rechtwinkligen Richtungen, parallel den 
Flächen des Hexaöders spaltbar, stahlgrau, metallisch glänzend und findet 
sich derb und eingesprengt, derb eine besondere Meteoritenart bildend, und 
im Pallasit, eingesprengt in mehreren Meteoritenarten, namentlich im Chon- 
drit und Mesosiderit. 

Hs Bänit: 

3. Schreibersit. 

4. Rhabdit. Die drei Eisenverbindungen, die in dem Meteoreisen 
meistentheils regelmäfsig eingewachsen vorkommen. Sie sind von gleicher 
Farbe und Glanz, wie das Nickeleisen und daher bei unversehrtem Zustande des 
letzteren nicht sichtbar, sind aber in verdünnter Salpeter- und Chlorwasserstoff- 
säure schwerer löslich, als das Meteoreisen und treten daher aus seiner Oberflä- 
che hervor, wenn man dasselbe in solchen Säuren einige Zeit hat liegen lassen. 


Phys. Kl. 1863. S 


138 G. Rose: 


Der Tänit, ein nickelreicheres Eisen als das Meteoreisen, findet sich 
bei dem in octaädrischen Bruchstücken vorkommenden Meteoreisen in dün- 
nen Blättehen zwischen den den Octaäderflächen parallel gehenden Schalen, 
und durch sein Hervortreten auf den geätzten Schnittflächen werden vorzugs- 
weise die Widmanstättenschen Figuren hervorgebracht, wie bei dem Eisen 
von Toluca, Elbogen etc. 

Der Schreibersit (Lamprit von v. Reichenbach), ein Phosphor- 
nickeleisen, findet sich in glatten Körnern und unvollkommen ausgebildeten 
Krystallen in der Mitte der Schalen und diesen parallel bei einigen der vori- 
gen Abänderungen des Meteoreisens, z. B. dem Eisen von Cosby, Arva, Le- 
narto etc. 

Der Rhabdit, ebenfalls ein Phosphornickeleisen , findet sich in klei- 
nen, fast mikroskopischen, quadratischen Prismen, die nach drei Richtungen 
parallel den Kanten des Hexaöders in dem Meteoreisen regelmäfsig einge- 
wachsen sind, z. B. von Braunau, Seeläsgen, Misteca. Sie finden sich in 
dem Meteoreisen gewöhnlich nur da, wo der Schreibersit fehlt, oder wenn 
sie mit diesem in einem und demselben Meteoreisen vorkommen, wie z. B. 
in dem von Arva, doch nur in den Stücken, die keinen Schreibersit enthal- 
ten. Da nun der Rhabdit wie der Schreibersit aus Phosphornickeleisen be- 
steht, so wäre es hiernach wohl möglich, dafs beide nur verschiedene Zu- 
stände einer und derselben Verbindung sind. 

5. Graphit in kleinen derben Parthien in dem Meteoreisen einge- 
mengt von verschiedener bis Wallnufsgröfse (M. von Toluca), zuweilen in 
Pseudomorphosen in der Form von kleinen Hexaödern (M. von Arva). 

6. Troilit (FeS), durch die Analyse als Einfach - Schwefeleisen er- 
kannt, findet sich in mehr oder weniger grofsen, gewöhnlich unregelmäfsig 
begränzten Parthien in dem Meteoreisen eingewachsen wie der Graphit, doch 
häufiger als dieser (M. von Toluca, Seeläsgen, Lockport). Nur einmal, in 
dem Meteoreisen vom Cap der guten Hoffnung, habe ich ihn auf der Schnitt- 
fläche des Eisens in regelmäfsig begränzten Umrissen beobachtet, ohne seine 
Form weiter bestimmen zu können. In dem Eisen von Sarepta erscheint er 
mit dünnschaligen Zusammensetzungsstücken in einer Richtung, wie öfter 
der tellurische Magnetkies; ob er deshalb auch da, wo er mit unregelmäfsi- 
ger Begränzung vorkommt, stets ein Individuum und kein Aggregat ist, kann 
nicht ausgemacht werden, da der Troilit nicht spaltbar ist und gewöhnlich 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 139 


einen unebenen Bruch hat. Er ist theils ganz ohne Einmengungen von 
Nickeleisen wie in dem Eisen von Seläsgen, theils enthält er diese in feinen 
Parthien, auch enthält er zuweilen Schwefelnickel chemisch gebunden 
(M. von Sevier County). Ob indessen alles Schwefeleisen, welches in dem 
Meteoreisen vorkommt, dem Troilit und nicht zum Theil auch dem folgen- 
den Magnetkies angehört, ist noch auszumachen, sowie auch, wohin das 
Schwefeleisen gehört, welches in kleinen Parthien sich in dem Pallasit und 
Mesosiderite findet. 

7. Magneikies findet sich in kleinen Krystallen in dem Eukrit von 
Juvenas und nach Shepard auch in dem Chondrit von Richmond. Er ist 
hier durch seine Form als Magnetkies kenntlich und es ist hiernach wahr- 
scheinlich, dafs auch das Schwefeleisen in den übrigen Eukriten und Chon- 
driten, in denen es immer nur in kleinen Parthien und eingesprengt vor- 
kommt, Magnetkies sei; diefs wird auch noch dadurch wahrscheinlich, dafs 
viele der Chondrite beim Auflösen in Chlorwasserstoffsäure etwas Schwefel 
absetzen. Indessen könnte auch in diesem neben dem Magnetkies, oder 
auch statt dieses Troilit vorkommen. Bei dieser Unbestimmtheit ist in dem 
Obigen vorläufig angenommen, dafs alles Schwefeleisen in dem Meteoreisen 
Pallasite und Mesosiderit: Troilit und in den übrigen Meteoriten: Magnet- 
kies sei. 

8. Chromeisenerz; sehr verbreitet in den Meteoriten; wenngleich 
immer nur in sehr geringer Menge. Es findet sich zuweilen krystallisirt in 
Octaädern, gewöhnlicher in Körnern und eingesprengt; am deutlichsten 
krystallisirt und in den gröfsten Körnern, die zuweilen die Gröfse einer 
kleinen Erbse erreichen, in dem Shalkit, seltener und in weniger grofsen 
Körnern in dem Meteoreisen und in dem Pallasit, namentlich von Brabin, 
feiner eingesprengt in dem Chassignit, Chondrit, Howardit. In dem Me- 
teoreisen ist es öfter in Troilit ganz eingewachsen, wie bei dem M. von Car- 
thago und Schwetz. 

9. Quarz in kleinen fast mikroscopischen doch mit dem Reflexions- 
goniometer mefsbaren Krystallen in dem Meteoreisen von Toluca als grofse 
Seltenheit. Bei der Analyse des Meteoreisens ist Kieselsäure öfter gefunden. 

10. Olivin (Mg, Fe)’ Si; ein häufiger und wichtiger Gemengtheil 
der Meteorite. Er kommt krystallisirt, in Körnern und auch derb vor. In 
den ausgezeichnetsten Krystallen in dem Pallasit, Mesosiderit und Shalkit, 


52 


140 G. Rose: 


in kleinern Körnern im Chondrit und Howardit, derb und fast die ganze 
Masse des Steins ausmachend im Chassignit. In dem Pallasit sind die Kry- 
stalle porphyrartig eingewachsen, oft ganz rund, wenn sie sich nicht gegen- 
seitig begränzt und in der Ausbildung gestört haben, meistens aber noch 
einzelne und selbst viele sehr glatte und glänzende Flächen zeigend, die sich 
theils nicht berühren, theils in Kanten schneiden (!). Die Krystalle sind 
oft vollkommen durchsichtig, gelblichgrün und stark glänzend von Glasglanz; 
sie enthalten häufig röhrenartige Einschlüsse, die unter einander und der 
Hauptaxe parallel sind. In dem Mesosiderit namentlich von Hainholz er- 
halten die Körner zuweilen die Gröfse einer Wallnufs, sind aber nicht 
durchsichtig, sondern nur an den Kanten durchscheinend, und gelblich- bis 
röthlichbraun; im Shalkit haben sie oft eine ebenso bedeutende Gröfse, sind 
aber sehr klüftig, und durch dunkle schwärzlichgrüne Farbe ausgezeichnet, 
die aber an einzelnen Theilen eines und desselben Kornes lichter wird und 
in die gelblichgrüne Farbe übergeht. Von dieser Farbe sind sie auch mei- 
stens in den übrigen Meteoriten. Der Olivin der meisten Meteorite ist vor 
dem Löthrohr unschmelzbar, er verändert sich gar nicht, oder wird nur 
dunkler von Farbe, der Olivin im Chassignit schmilzt aber vor dem Löth- 
rohr, wenn auch nur schwer, in Folge seines gröfsern Eisengehaltes zu einem 
schwarzen Glase wie der Hyalosiderit, mit dem er auch in seinem Eisen- 
gehalte übereinstimmt. 

11. Shepardit Mg? Si’; ein Hauptgemengtheil des Chladnits, in 
welchem er in eingewachsenen unvollkommen ausgebildeten Krystallen bis 
zu der Gröfse eines halben Zolles und darüber vorkommt; schneeweifs sehr 
bröcklig, fast unauflöslich in Chlorwasserstoffsäure. Findet sich aufserdem 
im Shalkit, doch in viel kleinern Körnern, ist aber sonst mit Sicherheit nicht 
beobachtet. 

12. Augit findet sich im Eukrit und Mesosiderit; in dem erstern 
von schwärzlichbrauner Farbe, kleinkörnig, und in den Drusenräumen bei 
dem E. von Juvenas in sehr deutlichen Krystallen, wie er gewöhnlich in 
den Doleriten und neueren vulkanischen Gesteinen vorkommt, krystallisirt. 
Von Basen enthält er vorzugsweise Eisenoxydul, nächstdem Magnesia und 


(') Die Querfläche 7 fehlt stets, wie sie auch bei den eingewachsenen tellurischen 
Olivinen nicht vorkommt. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 141 


Kalkerde; seine Formel: (Fe, Mg, Ca) Si. In dem Mesosiderit ist er grob- 
körniger, namentlich in dem von der Sierra de Chaco und schwärzlichgrün. 
Wenn man ihn auch in dem Chondrite aufgeführt hat, so ist diefs eine blofse 
Annahme, die man bei der Berechnung der Analyse gemacht hat, und die 
sich auf eine wirkliche Beobachtung desselben nicht gründet. 

13. Anorthit CSi+ÄlSi ist hauptsächlich im Eukrit enthalten, der 
fast nur ein kleinkörniges Gemenge von ihm mit Augit ist. Er ist schnee- 
weifs, in den körnigen Zusammensetzungsstücken deutlich spaltbar und oft 
zwillingsartig verwachsen. In den Drusen des Eukrits von Juvenas ist er 
auskrystallisirt, doch viel undeutlicher und kleiner, als der mit ihm zusam- 
men vorkommende Augit. Mit Sicherheit ist er in andern Meteoriten nicht 
nachgewiesen, doch ist er wahrscheinlich auch im Howardit und Chladnit 
enthalten. 

Diefs sind die in den Meteoriten des Berliner Museums beobachteten 
und bestimmten Mineralien; zu den beobachteten aber noch nicht bestimm- 
ten Mineralien gehören: 

1. Die Kugeln in dem Chondrite; sie sind im Innern undeutlich 
fasrig und von gelblichgrauer bis graulichschwarzer Farbe; nicht selten findet 
man Kugeln von beiden Farben in einem und demselben Meteoriten, und 
zuweilen beide Farben bei einer und derselben Kugel, und dann theils solche 
mit einem lichtern Kern bei dunkler Hülle, theils solche mit dunklerm Kern 
bei lichter Hülle. Sie sind in ihrer Zusammensetzung noch nicht vollstän- 
dig untersucht, scheinen aber hauptsächlich ein Magnesia-Silicat zu sein, 
unterscheiden sich aber von dem Olivin dadurch, dafs sie, wenn auch nicht 
vollkommen unlöslich, doch sehr schwer löslich sind. 

2. Die schwarze Substanz, die sich in dem Chondrite nach den 
Beobachtungen unter dem Mikroscop findet. 

3. Die gelben tafelartigen Krystalle, die in dem Eukrit von Juvenas 
vorkommen, mit dem Titanit Ähnlichkeit haben, von demselben aber wahr- 
scheinlich doch verschieden sind. 

4. Die weifsen Körner im Howardit, sowie auch die, welche neben 
dem Shepardit im Chladnit vorkommen. 

5. Das nach Shepard Schwefel und Chrom haltige Mineral im 
Chladnit u. s. w. 


142 G. Rose: 


Aufserdem sind bei den Analysen der Meteorsteine Bestandtheile ge- 
funden, die auf noch nicht beobachtete Mineralien schliefsen lassen. Dahin 
gehört die von Berzelius gefundene geringe Menge von Zinnsäure, die 
öfter mit dem Chromeisenerz bei der Auflösung des Meteoreisens zurück- 
bleibt und wahrscheinlich von einer geringen Menge Zinnstein herrührt, 
wenn auch die Zinnsäure, die in der Auflösung des Meteoreisens enthalten 
ist, von dem Metall herrühren mag, das mit dem Nickeleisen verbunden 
gewesen ist. Ferner die Thonerde und die Alkalien, die in dem Chondrite, 
Howardite und Chladnite, so wie auch die geringen Mengen von Phosphor- 
säure und Titansäure, die in dem Eukrit gefunden sind. 

Zu den Mineralien, die in den Meteoriten häufig aufgeführt werden, 
wiewohl ich sie bei denen des Berliner Museums gar nicht, oder nicht mit 
Sicherheit beobachtet habe, gehören Magneteisenerz, Eisenkies, La- 
brador, Leueit, Schwefel u.s.w. Auffallend ist besonders die Ab- 
wesenheit des Magneteisenerzes in den Meteoriten (!), es scheint in diesen 
überall durch das Chromeisenerz vertreten zu sein. Ebenso wie das Eisen- 
oxydul fehlt auch das Eisenoxyd, und dieses nicht blofs als selbstständiges 
Mineral, es scheint auch selbst als Bestandtheil anderer Mineralien zu fehlen. 
Unter den metallischen Substanzen wird auch noch das Blei genannt, wel- 
ches sich in dem Eisen von Tarapaca findet, da aber dieses Eisen noch zu 
den problematischen Meteoriten gehören möchte (?), so habe ich auch das 
Blei als Gemengtheil der Meteorite noch nicht aufgeführt. 

Die bekannten Mineralien der Meteoriten kommen daher nur zum 
Theil mit den tellurischen Mineralien überein. Meteoreisen, ja selbst nur 
reines Eisen, kommt als ursprüngliche Bildung unter den tellurischen Mine- 
ralien nicht vor, denn das wenige tellurische Eisen was angeführt wird, 


(') Vergl. darüber was bei dem Howardit (S. 109) und Eukrit (S. 133) gesagt ist. Beim 
Meteoreisen findet es sich wohl, ist aber hier nur secundärer Bildung (S. 42). 

(*2) Diese Meinnng äulserte zuerst gegen mich Baron v. Reichenbach, als er in dem 
Berliner Museum das früher auch für meteorisch gehaltene Eisen von Gr. Kamsdorf sah, mit 
welchem das Eisen von Tarapaca die grölste Aehnlichkeit haben sollte. Als ich später dieses 
Eisen selbst sah, fiel mir ebenfalls seine grolse Aehnlichkeit mit dem Kamsdorfer Eisen auf, 
und meine weitern Untersuchungen bestärkten noch meine Zweifel an dem meteorischen 
Ursprung desselben, denn geätzt giebt es keine Widmanstättensche Figuren, und verhält 
sich überhaupt nicht wie ächtes Meteoreisen, und ebenso verschieden verhält sich das da- 
mit vorkommende Silikat, indem es vor dem Löthrobr leicht schmelzbar ist, was auch bei 
den ächten Meteoriten nicht vorkommt. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 143 


scheint immer nur eine secundäre Bildung und durch einen localen Re- 
ductionsprocefs entstanden zu sein, und ist dann nie nickelhaltig. Ebenso 
ist Tänit, Schreibersit, Rhabdit, Troilit und Shepardit noch nicht beobach- 
tet, dagegen Graphit, Magnetkies, Chromeisenerz, Olivin, Augit und 
Anorthit unter den tellurischen Mineralien häufig vorkommen, und von 
Quarz es nur auffallend ist, dafs er, fast das häufigste Mineral auf der Erde, 
unter den Meteoriten so äufserst selten ist, bei den Steinmeteoriten gar 
nicht, und nur im Meteoreisen beobachtet ist. Wenn demnach elementare 
Stoffe unter den Meteoriten durchaus nicht gefunden sind, die nicht auch 
auf der Erde bekannt sind, so ist diefs bei den Verbindungen, die sie unter 
einander bilden, nicht so vollständig der Fall. 

Die in den Meteoriten vorkommenden Mineralien kommen nun ent- 
weder für sich allein vor oder in einem Gemenge mit einander, worin sie 
mit den tellurischen Gebirgsarten ganz übereinstimmen. Aber es ist merk- 
würdig, dafs sie fast nur auf zweierlei Weise vorkommen, und dafs die da- 
von abweichende Weise gewissermafsen nur eine Ausnahme bildet. Man 
theilt die Meteorite ein in Eisen- und Steinmeteorite; der bei weitem gröfste 
Theil der erstern jedoch besteht nur aus Meteoreisen, und ebenso der gröfste 
Theil der Steinmeteoriten aus Chondrit. Das Meteoreisen ist zum gröfsten 
Theil ein einfaches Mineral, worin der Tänit, Schreibersit und Rhabdit 
meistentheils regelmäfsig eingewachsen sind, und nur in sehr geringer Menge 
vorkommen. Der Chondrit ist ein so feinkörniges Gemenge, dafs es bis 
jetzt noch nicht gelungen ist, die Gemengtheile vollständig zu erkennen. In 
der mehr oder weniger dunklen graulichweifsen feinkörnigen Masse erkennt 
man aufser den noch unbekannten Kugeln und dem eingesprengten Meteor- 
eisen und Magnetkies nur Körner von Olivin und Chromeisenerz, das übrige 
nicht. Die bei weitem am häufigsten vorkommende Art der Steinmeteoriten 
ist also in ihrer Beschaffenheit noch unvollkommen gekannt. 

Zu den Eisenmeteoriten gehören noch 2 Arten, der Pallasit und der 
Mesosiderit. Ersterer ist ein Gemenge von Meteoreisen mit Olivin, letzterer 
von Meteoreisen mit Olivin und Augit. Der erstere hat eine porphyrartige 
Structur, das Meteoreisen bildet die Grundmasse, worin die Olivinkrystalle 
eingewachsen sind; bei dem letztern ist die Structur schon körnig zu nennen, 
das Eisen tritt an Masse gegen die andern Gemengtheile noch mehr zurück 
als bei dem Pallasit. 


144 G. Rose: 


Die übrigen Steinmeteorite sind auch mehr oder weniger gemengt. 

Der so selten vorkommende Chassignit ist fast nur ein körniger eisen- 
reicher Olivin, worin etwas Chromeisenerz eingemengt ist. 

Der Shalkit ein körniges Gemenge von vorwaltendem Olivin mit She- 
pardit und etwas Chromeisenerz. 

Der Chladnit besteht vorzugsweise aus Shepardit, die andern Ge- 
mengiheile sind nicht mit Sicherheit bekannt. 

Der Howardit ein feinkörniges Gemenge von Olivin wahrscheinlich 
mit Anorthit. 

Der Eukrit endlich ein solches Gemenge aus Augit und Anorthit. 

Fast alle diese Meteorite sind durch den Olivin, den sie enthalten, 
ausgezeichnet; der Chassignit besteht fast nur daraus, der Shalkit enthält 
ihn in vorwaltender Menge, in dem Chondrit und Howardit ist er ein we- 
sentlicher Gemengtheil, und der Eukrit enthält ihn zwar als solchen nicht, 
aber in dem E. von Petersburg ist er doch als unwesentlicher Gemengtheil 
vorgekommen. Nur der Chladnit enthält ihn, so viel man weils, nicht, doch 
findet sich statt seiner das Trisilicat der Magnesia, der Shepardit. Neben 
dem Olivin ist das Chromeisenerz ein fast in allen Meteoriten, wenn auch 
nur in geringer Menge vorkommender Gemengtheil. 

Vergleicht man die Meteoriten, die kosmischen Gebirgsarten, mit den 
tellurischen,, so ergiebt sich, dafs sie gänzlich von diesen verschieden sind 
bis auf den Eukrit, der doch unter den tellurischen Gebirgsarten auch nur 
selten vorkommt und erst in der neuern Zeit aufgefunden ist. Haughton 
in Dublin beschrieb zuerst ein solches Gemenge von Carlingfors in Irland, 
wo es in Gängen im Steinkohlengebirge vorkommt('!), gab aber das den 
Anorthit begleitende Mineral für Hornblende aus, was nach den Stücken, 
die ich Hrn. Skott verdanke, Augit ist; doch sind ja auch Gesteine, die 
Gemenge von Anorthit und Hornblende sind, in der neuern Zeit bekannt 
geworden, wie z.B. das bisher für Diorit gehaltene Gestein vom Konische- 
kowskoj Kamen im Ural nach Potyka ein solches ist (?), und solche mögen 
auch in Irland vorkommen. Die Anorthitgesteine und namentlich der Eukrit 
sind gewifs aber noch viel häufiger, als man glaubt. Durch das Gelatiniren 


(') Vergl. Roth: Gesteinsanalysen S. 52. 
C)Ara0.S792: 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 145 


des Anorthits mit Chlorwasserstoffsäure war ein leichtes Mittel gegeben, 
denselben vom Labrador zu unterscheiden; ich fand so, dafs viele für Hy- 
persthenfels gehaltene Gesteine nichts anderes als Eukrit sind, wie z. B. der 
sogenannte Hypersthenfels von der Insel Skye, der hier so verbreitet ist, 
und von dem das Berliner Museum viele und schöne Stücke besitzt, die die 
Hrn. v. Dechen und v. Oeynhausen dort gesammelt und dem Berliner 
Museum übergeben haben. Die tellurischen Eukrite unterscheiden sich zwar 
dadurch von den meteorischen, dafs sie grobkörniger sind und der Augit in 
ihnen nicht braun sondern grün ist, doch sind diefs unwesentliche Unter- 
schiede. Einen wichtigen Unterschied würde das Vorkommen des gediege- 
nen Eisens in den meteorischen Eukriten machen, doch ist dieses ja in den 
meisten, wie in dem von Stannern und Juvenas, nur in solcher geringen 
Menge vorhanden, dafs es bisher in ihnen ganz übersehen ist, und also einen 
wesentlichen Gemengtheil nicht abgeben kann. 

Ein Unterschied zwischen dem tellurischen und meteorischen Eukrit 
findet aber immer statt; der erstere verhält sich zu diesem wie die ältern 
vulkanischen Gebirgsarten zu den neuern, wie die Gebirgsarten der Granit- 
und Grünsteingruppe zu denen der Trachyt- und Basaltgruppe. Wie jene 
dieselben Gemengtheile haben wie diese, und beide sich oft nnr in unwe- 
sentlichen Eigenschaften voneinander unterscheiden, so ist diefs auch hier 
der Fall. Der tellurische Eukrit gehört zu den Gebirgsarten der Grünstein- 
gruppe, der meteorische zu denen der Basaltgruppe. 

Indessen wäre es wohl möglich, dafs auch unter den Gebirgsarten der 
Basaltgruppe, namentlich unter dem, was man Dolerit genannt hat, ein 
Eukrit vorkäme, der dann in seinen Eigenschaften noch mehr mit dem me- 
teorischen übereinstimmen würde. Unter den in Island vorkommenden La- 
ven ist schon mehrfach Anorthit als Gemengtheil beobachtet; die von Genth 
analysirte Tjorsa-Lava kommt in der Zusammensetzung dem Eukrit von 
Stannern sehr nahe; es ist wohl möglich, dafs diefs ein Eukrit ist, wie ihn 
Roth auch schon vorläufig dazu gestellt hat (!). 

Mit diesen Gebirgsarten der Basaltgruppe sind überhaupt auch nur 
die Meteoriten zu vergleichen. Sie kommen mit diesen überein durch die 
meistentheils körnige Structur, durch den gänzlichen Mangel freier und die 


(I B:2:0. 8.56% 
Phys. Kl. 1863. Ai 


146 G. Rose: 


verhältnifsmäfsig geringe Menge der gebundenen Kieselsäure (?) und durch 
den Reichthum an Olivin. Diefs sind aber ziemlich alle Vergleichungspunkte, 
die die Meteorite darbieten. Letztere unterscheiden sich wesentlich durch 
das metallische, stets nickelhaltige Eisen und die übrigen, unter den tellu- 
rischen Mineralien nicht beobachteten Verbindungen, die sie enthalten, 
durch die geringe Menge von Silicaten mit Thonerde und Alkali und ferner 
durch die gänzliche Abwesenheit des Magneteisenerzes, das in den neuern 
vulkanischen Gebirgsarten der Erde so verbreitet ist. Bei den Meteoriten 
ist, wie schon bemerkt, das Magneteisenerz durch das Chromeisenerz ver- 
treten. Dieses kommt in den tellurischen Gebirgsarten auch vor, hat hier 
aber ein ganz anderes geognostisches Vorkommen, indem es hier nicht an 
den Olivin gebunden ist; indessen kommt es doch auch hier mit einem 
Magnesiasilicat vor, wenn auch einem wasserhaltigen, dem Serpentin, der 
nun freilich häufig eine Metamorphose von Olivin ist, aber doch nicht ge- 
wöhnlich in den Fällen, wo der Olivin in den Gebirgsarten der Basaltgruppe 
vorkommt (?). 

Aber nicht nur in der Art der Gemengtheile zeigen die Meteorite 
Unterschiede von den tellurischen Gebirgsarten, sie finden sich auch in 
der Structur. Die Porphyrstructur, die bei dem Pallasite vorkommt, ist 
doch darin von der Porphyrstructur des rothen Porphyrs und anderer tellu- 
rischen Gebirgsarten verschieden, dafs hier die Grundmasse nie ein einfaches 
Mineral, sondern ein körniges bis dichtes Gemenge verschiedener Mineralien 
oder eine amorphe Masse ist. Ebenso sind die tellurischen Gebirgsarten 
von kugliger Structur dadurch verschieden, dafs ihre eingeschlossenen Ku- 


(') Ich sehe hierbei von den kleinen Quarzkrystallen ab, die ich in dem Meteoreisen 
von Toluca und nur in diesem gefunden habe. 

(?) Ein tellurisches Mineralgemenge ist noch mit den Meteoriten zu vergleichen; das 
sind die Olivinkugeln, die theils eingeschlossen in dem Basalt, theils in dem Basalttuff vor- 
kommen. Sie sind ein körniges Gemenge von Olivin und Augit; enthielten sie noch Nickel- 
eisen, so kämen sie mit dem Mesosiderit überein. Wenn die Olivinkugeln durch diese Be- 
ziebung ein gewisses Interesse haben, so erregen sie noch ein anderes durch ihre räthselhafte 
Bildung. Wenn sie in dem Basalte liegen, so sind sie darin keine Bildungen, die beim 
Erstarren des Basaltes entstanden sind, wie die einzelnen Olivinkrystalle, die neben ihnen 
in dem Basalte vorkommen, denn sie haben nicht die Structur solcher Bildungen, sie kön- 
nen daher nur Einschlüsse sein; wenn sie aber solche sind, so muls man fragen, woher sie 
kommen, und diese Frage ist schwer zu beantworten. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 147 


geln, wenn sie fasrig sind, stets radial fasrig sind, wie diefs nie bei den 
Kugeln des Chondrits der Fall ist, wo man ihre Structur erkennen kann. 

Auch die körnige Structur der Meteoriten ist dadurch ausgezeichnet, 
dafs bei ihnen ein so schneller Wechsel in Korn und Farbe des Gesteins 
vorkommt. Bei dem Eukrit von Stannern finden sich ganz feinkörnige, ja 
dicht zu nennende Abänderungen neben kleinkörnigen und schneiden scharf 
an diesen ab; und etwas Aehnliches kommt auch bei den andern Eukriten 
sowie auch bei den Howarditen vor In dem Chondrite von Grüneberg ist 
die eine Hälfte des Stückes grau, die andere weifs, und auch hier schneiden 
beide Abänderungen scharf ab. In dem Chondrite von Chantonnay und 
Siena treffen auf diese Weise sich graue und schwarze Theile, und bei dem 
Chondrite von Ensisheim hat es fast das Ansehen, als durchsetze die eine 
die andere in Gängen. Bei den tellurischen Gebirgsarten gränzen auch wohl 
feine und grobkörnige Abänderungen aneinander, doch findet dieses im Gan- 
zen nur selten statt, und der Uebergang ist nie so scharf. Diefs Zusammen- 
kommen von so verschieden aussehenden Varietäten dicht neben einander 
giebt den Meteoriten ein breccienartiges Ansehen, und als solche Breccien 
hat man sie ja auch oft schon beschrieben. Wenn aber auch bei ihnen so ver- 
schiedenartig aussehende Abänderungen scharf aneinander abschneiden, so sind 
sie doch in ihren wesentlichen Eigenschaften nicht voneinander verschieden 
die Meteoriten daher nie Breccien im Sinne unserer Gebirgsarten, und dieser 
Ausdruck, wenn er für sie gebraucht wird, ist immer nur ein uneigentlicher. 

Drusig werden die Meteoriten selten, aber es kommt doch in ausge- 
zeichneter Weise vor bei dem Eukrit von Juvenas(!). Shepard beschreibt 
noch Drusen bei dem Chondrit von Richmond; andere drusige Meteoriten 
als diese sind aber nicht bekannt. — 

Ungeachtet aller der genannten Verschiedenheiten haben die Stein- 
meteorite doch eine nicht zu läugnende Aehnlichkeit mit den neuern vulka- 
nischen Gebirgsarten, und bei dem hohen Interesse, das die Meteoriten als 
aufsertellurische Körper gewähren, ist diese Uebereinstimmung, wie sie auch 
immer sei, von grofser Wichtigkeit. 


(') Besonders schön sollen die Drusen zu sehen sein bei dem grolsen, 42 Kilogramm 
schweren Bruchstück dieses Meteoriten, welches sich in dem Muse d’histoire naturelle in 
Paris befindet und das grölste ist, welches existirt. 


148 G. Rose: 


Nachtrag. 


Während des Druckes der letzten Bogen erhielt ich noch einige neue 
Meteoriten, über welche ich hier noch Einiges hinzufüge. 

1. Mesosiderit von Atacama in Chile. Er wurde auf einem 
Bergpasse 50 engl. Meilen von Copiapo gefunden, von Hrn. Brower er- 
worben, der ihn nach New York brachte und dem Union College in 
Schenectady übergab, wo er vom Professor Joy analysirt und beschrieben 
wurde (!). Durch Hrn. Prof. Chandler in Schenectady erhielt ich eine 
kleine Probe und ein Modell des ursprünglichen Meteoriten. Er hat hier- 
nach eine ellipsoidische Gestalt mit ziemlich ebener Oberfläche und eine 
Länge, Breite und Höhe von etwa 4, 31, und 3 Zoll. Sein Gewicht betrug 
nach Joy 1784 Grammen, sein spec. Gew. 4,35. Nach der übersandten 
Probe hat er auf den ersten Anblick so grofse Aehnlichkeit mit dem Meso- 
siderit von der Sierra de Chaco in Atacama (vergl. oben S. 81), dafs man 
geneigt sein könnte, ihn mit diesem für identisch zu halten. Nach der Ana- 
lyse von Joy enthält er 57,657 metallische Theile und 42,419 Silicate, die 
wieder bestehen in 100 Theilen aus: 


Eisen 83,76 Eisenoxydul 24,47 
Nickel 9,18 Manganoxydul 2,29 
Kobalt 1,45 Magnesia 10,05 
Mangan 0,65 Kalk 3,63 
Kupfer 0,07 Nickel- u. Kobaltoxyd 0,17 
Phosphor 0,20 Thonerde 8,86 
Schwefel 4,67 (?) Chromoxyd 1,12 
99,98 Kieselsäure 48,61 
Zinnsäure 0,44 
99,64 
Joy berechnet hiernach in den Silicaten:: 

Chromeisenerz 1,64 

Olivin 27,43 

Labrador 70,13 

99,20 


(') Silliman, Amer. Journ. of Sc. and arts 1864, v. 37, p. 243. 
(?2) Mit 8,17 Eisen zu 12,84 FeS verbunden. 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 149 


Hr. Joy hat aber hierbei den Augit übersehen, der in dem kleinen 
übersandten Stücke ganz deutlich, und von derselben Beschaffenheit wie 
bei dem Mesosiderit von der Sierra de Chaco enthalten ist; ich konnte einen 
kleinen Krystall herausnehmen, und mich durch Messung der Winkel der 
Spaltungsflächen überzeugen, dafs er Augit sei. Olivin ist aufserdem ganz 
deutlich sichtbar, Chromeisenerz nicht, doch nach dem bei der Analyse 
gefundenen Chromoxyd sehr wahrscheinlich. Hr. Joy berechnet nun noch 
aus der Analyse in dem Meteorite eine bedeutende Menge Labrador; aller- 
dings sieht man in der übersandten Probe kleine Krystalle, die eine deutlich 
gestreifte Spaltungsfläche zeigen und vielleicht Labrador oder ein anderer 
ein- und eingliedriger Feldspath wie Anorthit sein könnten, und der gefun- 
dene Thonerdegehalt, der für Augit allein zu grofs erscheint, spricht auch 
für die Annahme eines solchen Feldspaths, wenn er auch nicht in solcher 
Menge wie ihn Joy annimmt in dem Meteoriten enthalten sein könnte. In 
dem viel gröfseren Stücke des Mesosiderits von der Sierra de Chaco in dem 
Berliner Museum habe ich aber diese Krystalle nicht beobachten können; 
und es wäre demnach wohl möglich, dafs dadurch eine Verschiedenheit 
zwischen den Meteoriten von der Sierra de Chaco und Copiapo angedeutet 
wäre; ich habe daher einstweilen noch in der folgenden Uebersicht den 
Meteoriten von Copiapo als besondern Meteoriten hinter dem von der Sierra 
de Chaco aufgeführt. 

2. Meteoreisen von dem Indianischen Territorium Dacota 
in Nord-Amerika. Dr. Jakson in Boston erhielt 1863 von dieser Eisen- 
masse, die sich in einem über 90 engl. Meilen von jeder Strafse oder Woh- 
nung entferntem Grunde gefunden hatte, und deren Gewicht auf 100 Pfund 
geschätzt wurde, ein 10 Pfund 10 Unzen schweres Stück. Er fand sein 
spec. Gew. 7,952, die Härte wie die des weichesten schmiedbaren Eisens, 
und seine chemische Zusammensetzung bestehend aus: 


Eisen 91,735 
Nickel 6,532 
Zion 0,063 
Phosphor 0,010 
98,340. 


Ein zweiter Versuch bestimmte den Nickelgehalt zu 7,080 (1). 


() Sillimann, Amer. Journ. of sc. and arts, 1869, v. 36. p- 259. 


150 G. Rose: 


Ich erhielt von Hrn. Prof. Shepard eine von dem Stücke des Dr. 
Jakson abgeschnittene, 4 Linien dicke und 3,319 Loth schwere Platte, die 
an den Rändern zum Theil noch mit der natürlichen Oberfläche begränzt und 
hier mit einer nur ganz dünnen Rinde von Eisenoxydhydrat bedeckt ist. Das 
Eisen zeigt geätzt die Aetzungslinien, die über die ganze Fläche fortlaufen, 
wie bei dem Eisen von Braunau, und ebenso die kleinen eingewachsenen 
Rhabditkrystalle, gehört also zu der bis jetzt nur selten vorgekommenen 
Abtheilung des Meteoreisens, das nur aus einem Individuum ohne schalige 
Zusammensetzung besteht. Beim Zerreifsen des Eisens würden also die 
hexaädrischen Spaltungsflächen sichtbar werden. — Aufser dem Rhabdit 
findet sich in der Platte Schreibersit in mehreren ungewöhnlich grofsen Par- 
thien, die an einer Stelle zusammengehäuft sind, eingewachsen. 

3. Meteoreisen von Tucson (s. oben S.73). Ich erhielt von 
diesem Eisen von Hrn. Shepard eine dünne 1,635 Loth schwere Platte. 
Die polirte Fläche ist voller kleiner runder Höhlungen. Geätzt zeigt sie 
grobkörnige Zusammensetzungsstücke, von denen einige bei einer gewissen 
Beleuchtung eine lichte graue, andere eine dunklere graue Farbe haben; bei 
anderer Beleuchtung verhalten sie sich umgekehrt. Die Zusammensetzungs- 
stücke haben eine sehr dünne Einfassung von Tänit, und viele der kleinen 
Höhlungen haben nun glänzende Wände erhalten, die auf der übrigen mat- 
ten Fläche hervorleuchten. Die Zusammensetzungsflächen zeigen feine 
linienartige gerade Furchen, die eine von den Aetzungslienien etwas ver- 
schiedene Beschaffenheit haben. Da nun bei diesem Eisen auch octa@drische 
Spaltbarkeit(!) (soll wohl heifsen oetaädrische Zusammensetzung) angegeben 
wird, so habe ich dieses Eisen in der folgenden Uebersicht auf das Eisen 
von Seeläsgen und Tucuman folgen lassen. 

4. Meteoreisen von Wayne County, Ohio Ver. St. 1859. Eine 
kleine geätzte Platte mit deutlichen Widmanst. Fig. von Hrn. Shepard er- 
halten. Das Eisen folgt in der Uebersicht nach dem von Nebraska. 

5. Das Meteoreisen von Cranbourne. Das kleine Stück der 
Sammlung (s. oben S. 73) läfst geätzt noch die Widmanstett. Fig. erkennen, 
die auch sonst angegeben werden; ich habe es deshalb auf das Eisen von 
Denton folgen lassen. 


(') Buchner’ Meteoriten S. 183. 


Beschreibung uud Eintheilung der Meteoriten. 151 


6. Pallasit von Rogue River Mountains, Oregon, N. America 
1859, wovon ich kleine Stückchen von Hrn. Shepard und 

7. Mesosiderit(?) von Niakornak in Grönland, von Hrn. Greg 
erhalten habe, wurden der erstere hinter dem P. von Brahin, der letztere 
hinter dem M. von Hainholz eingeordnet. 

8. Den mikroscopischen Zeichnungen auf den Taf. II und IV habe 
ich noch eine neue in Fig. 12 Taf. III hinzugefügt, die eine Stelle auf einer- 
dünnen Platte des Chondrits von Chantonnay in derselben Vergröfserung 
wie die Fig. 3 und 4 darstellt. Sie zeigt eine Gruppe durchsichtiger unge- 
färbter (Olivin) Krystalle, die von der schwarzen Substanz fast ganz um- 
geben, und daher überall wo sie an diese angränzen, regelmäfsig begränzt 
sind. Aufserdem sieht man in diesen Krystallen kleine sehr feine, schwarze 
haarförmige Krystalle, in verschiedenen Höhen liegen, die wahrscheinlich 
ähnliche röhrenförmigen Einschlüsse, wie die in den Olivinkrystallen des 
Pallas-Eisens sind. 

9. Eukrit. Berechnet man aus den durch die Analyse gefundenen 
Gewichtsmengen des Anorthits und Augits und den specifischen Gewichten 
(2,76 und 3,35) die Volumina der Gemengtheile, so ergiebt sich das Volu- 
menverhältnifs von Anorthit und Augit in dem E. von Stannern wie 12,35 
: 19,40 und in dem E. von Juvenas: a) wenn man alles durch die Säure 
Zersetzte für Anorthit und das Unzersetzte für Augit nimmt, wie 13,32 : 18,87 
und 5) wenn man bei der Berechnung die Phosphorsäure, das Schwefeleisen 
und Chromeisenerz in der Analyse von Rammelsberg abzieht, wie 13,14 
: 18,72; oder in dem E. von Stannern beinahe wie 2:3, in dem von 
Juvenas wie 9 : 7. 

Berechnet man das specifische Gewicht des Gemenges aus den Ge- 
mengtheilen, so erhält man für den E. von Stannern: 3,14; für den E. von 
Juvenas: a) 3,10, 5) 3,13, was mit den gefundenen Werthen nahe über- 
einkommt. (Vergl. oben S. 134 die zweite Anmerkung.) 


— IB BB — 


152 


Fortl. Zahl 


POODe 


eo on Tod) 


G. Rose: 


Uebersicht 


der Meteoriten in dem mineralogischen Museum von Berlin. 


Jahr der 


1847 
1838 
1860 
1863 


1847 
1856 
1853 
1788 
1850 


1829 
1856 
1856 
1861 
1840 
1844 
1854 
1840 
1816 
1850 
1850 
1851 
1784 
1834 
1784 
1856 
4861 
1844 
1819 
1856 
1823 
1856 


Auffindg. 


Name und Fundort 


I. Eisenmeteorite. 


41. Meteoreisen. 


a. Aus einem Individuum bestehend, ohne 
schalige Zusammensetzung. 


gefallen 14. Juli. Braunau (Hauptmannsdorf), Böhmen 
Claiborne, County Alabama, Ver. St. N. A. - 
Saltillo (Coahuila), Mexico : 5 

Dakota Territorium, Ver. St. N. A 


5b. Aus vielen grobkörnigen Individuen 
bestehend. 


Seeläsgen, Schwiebus, Frankfurt, Preufsen 
Nelson County, wre V.2St 

Union County, Georgia, V. St.. . 
Tucuman (Otumpa), Argent. EN, S. a 
Tucson, Sonora, Mexico 5 5 


c. Aus einem Individuum bestehend, mit 
schaliger Zusammensetzung parallel den 
Flächen des Octaäders. 


Bohumilitz, Prachin, Böhmen . 

Brazos, Texas, V. St. 

Denton County, Texas, V. St. 

Cranbourne, Melbourne, Australien . . 
Cosby Creek, Coke County, at v. St. 
Arva (ae Ungarn - 
Sarepta, Saratow, Ruldland 

Sevier County, Tennessee, V. St. 

Bemdegö, Bahia, Brasilien . 

Schwetz, Marienwerder, Preulsen 

Ruffs Mountain, Newberry, V. St. . 

Seneca River, New-York, V. St. 
Toluca-Thal, Mexico nr 

Misteca, ee Mexico 

Sierra blanca, Huajaquilla, Mexico 

Tula (Netscha@vo), Rußland . . . 
Robertson County, Tennessee, V. St. ö 
Carthago, Smith County, Tennessee, V. St... 
Burlington, Otsego County, New-York, V. St. . 
Marshall County, Kentucky, V. St. . 

St. Rosa, Tunja, Columbien (Karsten) . 
Orange River, Süd-Afrika . ö 


Gewicht 
des Hauptstücks | aller Stücke 
Pfd. Lth. | Pfd. Lth. 
2 21,30| 3 _ 6,82 

930|— 9.52 
TER 2 ee 
a 
3855| 8 16,8 
— 46311 2,7 
En Du 
N TERON nl 
ih 4203, Lt 276 
2 1978| 2 22,36 
= nasser (0,66 
0 
ey: 
— 320|— 14,34 
— 1888| 2 2,12 
a 2,0715 093 
— 1188| 11,88 
— ' 4900 10h 
10 121|17 19,65 
18.03: 2.8.08 
Be 
10 12,80 |18 29,14 
2 1370| 2 13,70 
«en. 8539, 594 
_ 2294| 22.94 
— 1034| 10,34 
1 1644| 1 18.42 
al 717 
Bee: 
Tool 003 
Bene 1m 


ee ea re EEE MEET TERROR Ber SET En BErBEUZ DESHERERE EEE RE InEBEFE BEE ONE BR SEEN 


Fortl. Zahl 


Auffindg. 


% Jahr der 
Ir= 


1823 
1823 
1849 
1788 
1763 
1851 
1801 
1845 
1845 


1776 


211822 


1863 
1827 
1751 
1861 

1861 
1814 


1862 
1864 
1856 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 


Gewicht 


Name und Fundort 


Texas (Red River) V. St. . 

5| Lenarto, Scharosch, Ungarn 

Durango, Mexico . . B 

Werchne-Udinsk, West-Sibirien n 

Elbogen, Böhmen 2 

Nebraska Territory, V. St. 5 

Wayne County, Ohio, V. St. 

Madoc, Ober-Canada . 

Black mountain, Buncumbe Ciy, Nord- Carolina, v. St. 

Caille, Grasse, Var, Frankreich R 

Tal 26. Mai. Agram (Hraschina), Kroaien e 

Ashville, Buncumbe County, Nord- Ger V. St. 

Guildford, Nord-Carolina, V. St. . e 

Löwenfluls, Grofs-Namaqualand, S. Africa” 

5| Lockport (Cambria), New-Vork, V. St. . 

Jewell Hill, Madison County, N Nord- Carolina, S "St. 

Oldham County, (Lagrange), Kentucky, V. St. 

Putnam County, Georgia, VASt- 

Tazewell, Claiborne County, ee Y. Se, 

d. Aus grolskörnigen, schalig zusammen- 
gesetzten den bestehend. 

Zacatecas, Mexico . 

e. Aus feinkörnigen Individuen Bestehend! 

St. Rosa (Tocavita), Tunja, Columbien Cu 

Rasgatä, Zipaquira bei Bogota, Columbien 

Chesterville, Süd- a NaeSty es: R 

Tucuman (Otumpa), Argent. Rep., S. Mk : 

Senegal, Land Siratik, Bambo S. Afrıka . 

Salt River, Kentucky, V. St. SE: 

Cap d. g. Hoffnung (zw. Sonntags- u. Boten) 

Babb’s Mill, Greenville, Green Ciy, Fer V. St. 

De Kalb County, Tennessee, V. St. . 


2. Pallasit. 
Krasnojarsk, Jeniseisk, Sibirien ee 
Brahin, Minsk, Balknd ale Sun: 
Rogue River Mountains, Oregon N. ae 
Atacama, Chile, Süd- Amerkal a 
Steinbach, zw. Eibenstock u. Joh. Georgenstadt, Sachsen 
Rittersgrün, Schwarzenberg, Sachsen B 5 
Breiteabach, Böhmen, nahe bei Joh. Georgenstadt 
Bitburg, Trier, Preulsen euer . 


3. Mesosiderit. 


Sierra de Chaco, Atacama, Chile 
Atacama, 50 engl. Meilen von Capiepe 
Hainholz, Madden! Preulsen . - e 
Niakornak, Grönland . 2... 


Phys. KT. 1863. 


des Hauptstücks 


Pfd. 


[80] 


I» 


Lth. 


153 


aller Stücke 


Pfd. 


a 


ll 


je 


454 G. Rose: 


Gewicht 


Datum des Falles Name und Fundort 
des Hauptstücks aller Stücke 


Fortl. Zahl 


> . Pfd. - Lih. |/Pfd. ZTth. 
II. Steinmeteorite. 
1. Chondrit. 

41/1843 | 16. Sept. | Klein Wenden, Nordhausen, Erfurt, Preufs.| 4 23,10| 5 1,85 
2/1812) 15. April |Erxleben, Magdeburg, Preulsen .|— 8339| — 11,88 
3/1863] 8. Aug. |Pillisifer, Livland . . — #4510)| — 1,23 
4\41862| 7. Oct. |Klein Menow, Alt- Strelitzi Meklenburg . — 074|— 1,12 
5[1857| 24. März |Stauropol, nördliche Seite des Kaukasus | — 0,97 |— 0,97 
6/1861 | 12. Mai Butsura (Qutahar), Bengalen, Ostindien| — 547|— 5,47 
7\1492| 7.Nov. |Ensisheim, Elsals, Frankreich . ...1— 253,63| 1 23,66 
8/1812) 5. Aug. | Chantonnay, Vendee, Frankreich . — 13,06 | — 17,01 
9\1753| 3. Juli | Tabor (Plan, Strkow), Böhmen — :.2,81|— 4,67 
10/1768| 13. Sept. |Luc& en Marne, Sarthe, Frankreich . — 1361| 456 
11/1790 | 24. Jnli |Barbotan, Landes, Frankreich . .|— 13,36 | — 18,14 
12|1805| 25. März | Doroninsk, Irkutzk, Sibirien — 8314| — 3,14 
13 |1813| 10. Sept. | Limerick (Adair, Scagh u. Ss. w.), Erna — 0241| — 0,24 
14 1810 Aug. | Tipperary (Mooresfort), Irland — EP 
15 1766 Juli |Albareto, Modena, Italien 5 7 — 1007 70507 
16|1812| 10. April | Toulouse, Haute Garonne, Erdnkreich less eo 
17 1818 Juni | Seres, Macedonien, Türkei . . . . .[— 1,98|— 2,93 
18/1829| 9. Sept. |Krasnoi-Ugol, Räsan, Rufsland %.1—1534,30| — 4330 
19/1822) 30. Nov. |Allahabad (Futtehpore), Ostinden . .|— 037|— 0,37 
20/1831) 9. Sept. | Wessely, Hradisch, Mähren £ — 0211| — 0,21 
21|1841| 22. März | Grüneberg (Heinrichsau), Liegnitz, Preuls, 1 412,83! 1 17,20 
22!1849| 31. Oct. | Cabarras County, Nord-Carolina, V. S.|— 627|— 8,04 
231852] 4. Sept. | Mezö-Madaras, Marosch, Siebenbürgen .! 5 11,33) 5 15,85 
24|1838| 18. April | Akburpur, Sahurunpur, Ostindien — 0585| — 0,58 
25|1824| 15. Jan. |Renazzo, Ferrara, Italien B — 014|— 0,18 
26|1753| 7. Sept. | Luponnas, Ain, Frankreich . . — 0,10 — 0,10 
27|1859| 26. März | Harrison County, Kentucky, V. St. — 1138| — 1,18 
28/1785! 19 Febr. | Eichstädt (Wittmes), Baiern —  096|— 0,9 
29|1798) 13. Dec. |Benares, Bengälen, Ostindien — 0536| — 0,61 
30|1857| 27. Dec. |Pegu (Quenggouk, NNO. von Bere — 0,86|— 1,06 
31| 1825) 10. Febr. | Nanjemoy, Maryland, V. St. . — 1,99) — 1,99 
32]1807| 13. März | Timochin, Juchnow, Smolensk, Rufsland ds, ‚14|— 24,04 
33[1852| 23. Jan. |Nellore, Yatoor, Madras, Ostindien 2 _ 5,56 — 5,66 
34|1856) 12. Nov. | Trenzano, SW. von Brescia, Lombardei | — 0,42 |— 0,42 
351853] 6. März | Segowlee, Sarun, Ostinden . . . .|— . 037)— 0,37 
36[1807| 14. Dec. Weston, Connecticut, V. St... . . = E05 ET 
37|1808| 19. April | Parma (Casignano, Borgo San Donino) —. 10,92 | — 770,92 
38]1820)| 12. Juli |Lixna, Dünaburg, Witebsk, Rufsland .[— 2,06) — 4,91 
39|1833| 25. Nov. |Blansko, Brünn, Mähren . . . . ..|— 1621 — 1,62 
40|1828| 4. Juni | Richmond, Virginia, V. St. . . .|— 0,9|— 1,50 
41|1822| 13. Sept. |La nn Epinal, Vosges, Frankreich .J— 0,64|— 0,64 
42|1857) 10. Oct. | Ohaba, O. von Karlsburg, Siebenbürgen | — 0,06 |— 0,06 
4311838 Gouv. Pultawa, Rufsland . . . — 048|— 0,48 
44|1836| 11. Nov. | Macao, Rio Grande del Norte, Ben — 2324| — 2,24 
4511851| 17. April Güterslohe, Minden, Preufsen . . . .l 1 21,34| 1 23,44 


Fortl. Zahl 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 


Datum des Falles 


1860 
1794 
1857 
1855 
1858 
1815 
1768 
1863 
1863 
1847 
1854 
1803 
1514 
1860 
1825 
1534 
1858 
1787 
1795 

798 
1715 
1803 
1860 
1505 
1808 
1829 
1860 
1810 
1811 
1811 
1814 
1818 
1818 
1819 
1829 
1852 
1831 
1853 
1839 
1841 
1827 
1855 
1848 
1808 
1804 
1842 
1838 
‚1804 


2. Febr. 


16. 
28. 


Juni 


Febr. 


gefunden 


18. 
. Dec. 
. Febr. 
. Juni 
. Febr. 
. Mai 

. Mai 


Juli 


. April 
. April 


. Juni 


Name und Fundort 


Alessandria, Piemont . . - .» 
Siena, Toscana, Italien . 

Parnallee, S. von Madura, S- Hindostm 
Bremervörde, Stade, Hannover 

Ausson, Haute Garonne, Frankreich . 
Durala, Petialah, Delhi, Ostindien . 
Mauernkirchen, Oestreich ob der Enns . 
Tirlemont a Belgien 
Buschhof, Kurland . . Se 
Linn County, Jowa, V. & a Blue 
Linum, Fehrbellin, Potsdam, Preufsen 
Apt (Saurette), Vaucluse, Frankreich . 
Bachmut, Jekaterinoslaw, Rulsland . . 
New-Concord, Muskinjum Cty, Ohio, V. St. 
Hanaruru, Owahu, Sandwich-Inseln . 
Charwallas, Ostindien 

Kakowa, NW. von Orawitza, Tem. Bidet 
Charkow (Bobrik), Blufslandl SMBIMER 
Wold Cottage, Yorkshire, England . 


.| Sales, Nulleiemmebel Rhone, Frankreich 


Schellin, Garz, Stargard, Pommern . 
Aigle, Orne, Normandie, Frankreich . 
Dhurmsala, Pundjab, Ostindien 

Asco, Corsica 5 

Lissa, Jung-Bunzlau, Beben EIER: 

Deal (Long Branch), New-Yersey, V. "st. 
Kheragur, Agra, Gendien 2 
Charsonville, Orleans, Loire, Bee 
Kuleschowka, Ba Rufsland . 
Berlanguillas, Burgos, Spanien 

Agen, Lot und Garonne, Frankreich 
Zaborzika, Volhynien, Rulsland . . 
Slobodka, Juchnow, Smolensk, Raklırd 
Politz, Köstritz, Gera, Körstenth, Reufs 
Forsyth, Monroe County, Georgia, V. St. 
Mainz, Grolsherzogthum Hessen . 
Vouille, Poitiers, EG. Frankreich . 
Okniny, Kremenetz, Volhynien, Rulsland 
Little Piney, Potosi, Missouri, V. St. 
Chäteau-Renard, Loiret, Frankreich . . 
Mhow, Ghazeepore, Allahabad, Östindien 
Insel Oesel, Rufsland ER 
Castine, Made: Vi Ste ee 
Morodabad, Delhi, Ostindien . . 
Glasgow (Dorf High Possil), Schottland 
Milena, Warasdin, Kroatien BEER: 
Chandakapoor, Beraar, Ostindien . 
Darmstadt gg a: 


Gewicht 


des Hauptstücks 


Pfd. 


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Lth. 
0,08 
3, 13 


aller Stücke 


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156 G. Rose: 


= Gewicht 
NS |Datum des Falles Name und Fundort 
E des Hauptstücks | aller Stücke 
[4 
Pfl. Ltih. |Pfd. Tth. 
2. Howardit. | 
94|1813| 13. Dec. | Loutolax, Wiborg, Finland. . . . .|— 0%24|— 0,33 
95|1827| 5. Oct. | Bialystok (Dorf Knasta), Rulsland . .|— 4,86 | — 5,09 
96/1803 | 13. Dec. | Mässing (Dorf St. Nicolas), Baiern . — 143|— 1,43 
97|1823| 7. Aug. | Nobleborough, Maine, V. St. NA. .|— 004|— 0,04 
98|1843 | 26. Juli | Mallygaum, Kandeish, Ostinden . . .I— 0,03|— 0,03 
3. Chassignit. 
99/1815! 3. Oct. | Chassigny, Langres, Haute Marne, Frankr.|— 0,79] — 0,99 
4. Shalkit. 
1001850) 30. Nov. | Shalka in Bancoora, Ostindien . . .|— 479|— 5,07 | 
9. Chladnit. 
101|1843| 25. März | Bishopville, Süd-Carolina, V. St. . .|— 10,73 | — 13,90 
6. Kohlige Meteorite. 
402]1806 | 15. März | Alais, Gard, Frankreich . . — 149 |— 1,49 
103 |41838| 13. Oct. | Cold Bokkeveld, Cap d. g. Hoffn., Africa] = 0,55 |— 1,29 
104| 1857| 15. April | Kaba, SW. v. Debreczin, Ungarn - .1— 0,05 | — 0,05 
105| 1864| 14. Mai | Orgueil (Montauban), Frankreich. 008 7,875| — 7,875 
7. Eukrit. 
106 | 1821| 15. Juni | Juvenas, Ardeche, Frankreich . a4 A28|ı 2° 4,42 
107|1808| 22. Mai |Stannern, Iglau, Mähren . . . . .[— 26,991 6 27,65 
108|1819| 13. Juni |Jonzac, Charente, Frankreich . . — 04131 — 0,13 
109 1855| 5. Aug. | Petersburg, Lincoln Oty, Tennessee, V. sul 3,47|— 4,52 


Das Pfund = 30 Loth = % Kilogramm, 1 Gramm also = 0,6 Loth. 


——hkhHETD—— 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 457 


Inhaltsübersicht. 

Seite. 

Geschichte der Meteoritensammlung in dem mineralogischen Museum von Berlin 
auf Grund deren die neue Eintheilung der Meteoriten gemacht ist . 23 
Partsch’s systematische Eintheilung der Meteoriten 25 
Shepard’s ” ” ” ” 26 
v. Reichenbach’s „, ” 5 e 000 27 
Neue ” ” ” ” 28 
I. EISENMETEORITE . ..... ee 30 
Geschichte der Untersuchungen über die Natur der Eiseneteornte . 30 
1. Meteoreisen . 43 

Die Meteoreisenmassen sind: 

a) Stücke eines Individuums (Krystalls) ohne schalige Zusammensetzung 43 


6) Aggregate grobkörniger Individuen ebenfalls ohne schalige Zusammensetzung . 49 
c) Individuen mit schaligen Zusammensetzungsstücken parallel den Flächen des 
Octa@ders (Meteoreisen, das durch Aetzung Widmanstättensche Figuren giebt) 52 
d) Aggregate mit grolskörnigen, schalig zusammengesetzten Individuen . . . . 66 
e) Aggregate mit feinkörnigen Zusammensetzungsstücken . » 2 2 2.2... 67 


ZN PAlla st RE ER il, RUE EEE ER NE R Dika rodigen 785 
OsaNe ost deren MEN, BEN EREIElaren rpm 81 
HESTERNWERFORTEERN EUER EN u, IB 


41. Chondrits „2°. N EEE ee Beinen oral, Ta, 18 
Aeulsere Beschaffenheit TER NR RE RS RESET IE EEE N SA 
Mikroscopiseheg Untersuchung WE ee 95 
ChemischesBeschaffenheittC arms a. er ae een. son 99 


DB ETOSV ALIEN te EN ae Sal-alınr 107 
SOWAS TE EEE EI EN RS N Ne Ware. ae 413 
AUDIO TE ER BR een ee a 147 
s=shalken ra, EEE N een ran! 4122 
6. Kohlige Mekeokike RR RER OHREN. EN NE an an 126 
7. Bukritm.eon % BOTEN ER I RE AN DAR h  fie  n anrn 126 
Schlutsbemerkrdgen : ee 4137, 
Die in den Meteoriten Destachtergnl neh Minelalien se te er 17 
A = > nicht bestimmten Mineralien . . ». .. . 141 


Mineralien auf deren Vorhandensein man aus den gefundenen Bestandtheilen schliefsen nn 142 
Mineralien die irrthümlich in den Meteoriten angegeben werden . . . en Bo) 
Die kosmischen Mineralien kommen nur zum Theil mit den tellurischen überein 0 142 
Die Meteoriten sind kosmische Mineralien oder Gemenge derselben wie die Gebirgs- 
arten tellurische Mineralien oder Gemenge derselben sind . . . . en 145 
Die Meteoriten sind hauptsächlich nur zweierlei Art, Meteoreisen und Chondrit. . . 145 


158 G. Rose: 


Seite. 
Uebrige Meteoriten . . . . ao Ber 9 ER AA: 
Die Meteoriten sind bis auf den Eukrit von ER Gebirgsarten = chieden A! 
Unterschied des kosmischen und tellurischen Eukrits . . . 145 


Die Meteoriten haben die meiste Aehnlichkeit mit den Gahrgiartmn Hip Basıligrüppe‘ 145 
Unterschied der Meteoriten von den Gebirgsarten auch in der Structur . . . . . 147 
Nachtrag. 3 2 5 Kb Ebensee rail Base 33 wich ER 


Erklärung der Kupfertafeln. 


(Die Stärke der Vergrölserung ist bei den mikroscopischen Zeichnungen selbst angegeben.) 


Taf. I. 


2. Eine Hexaederfläche des Meteoreisens, in welcher die Richtungen angegeben sind 

nach welchen die Fläche nach der Aetzung gestreift erschent . ». . 2... 44 
4. Ein kleines Stück des Eisens von Braunau aus dem Berliner Museum in natürlicher 

Grölse, an welchem 3 Flächen 4, B, C möglichst genau parallel den Spaltungs- 

flächen angeschliffen und sodann geätzt sind . 2 2 2 2 2 2 2 m nn. 44 
1. Die Ecke o desselben vergrölsert dargestellt, an welcher möglichst genau alle 

Aetzungslinien, die an demselben mit der Lupe beobachtet werden konnten, an- 

gegeben sind. Man sieht an dieser Zeichnung, dals die Aetzungslinien wohl 

meistentheils parallel den Durchschnittslinien mit den Leucito@der (a: a: 4a), wie 

z. B. die Linien Zn und mn, doch auch zuweilen parallel den Durchschnittslinien 

mit dem Triakisoctaeder (a : 4a : 5a), wie die Linien uv und vw gehen . . . 45 
3. Ein Stück Eisen von Braunau des Berl. Museums etwas vergrölsert gezeichnet, 

an welchem zwei Spaltungsflächen 4 und C, und eine Schnittfläche D sich be- 

finden, welche letztere ungefähr einer Dodecaäderfläche parallel geht. Die Rück- 

seite ist von natürlicher Oberfläche begränzt. Die Flächen 4CD sind geätzt, 

und dadurch die kleinen Rhabditkrystalie sichtbar gemacht, deren ganz bestimmte 

Lage in Bezug auf die Hexa@derflächen theils durch kleine Striche theils durch 

Punkte, je nachdem die Krystalle parallel einer Hexa@derfläche liegen oder recht- 

winklig auf ihr stehen, angegeben ist, die aber sonst hier nur willkührlich ein- 

gezeichnet sind, und daher die Menge und Gruppirung derselben wie sie in der 

Wirklichkeit stattfindet nicht angeben . » » 2.2... ELECTRA TC) 
5. Eine Stelle von einem Hausenblasenabdruck der Fläche €, Fig. 4, unter dem 

Mikroscop, an welcher man die Aetzungslinien und Rhabditkrystalle sieht. . . 47 
6. Eine Stelle von einem Hausenblasenabdruck einer ähnlichen geätzten Fläche des 

Eisens von Seeläsgen, wie sie Fig. 4, Taf. II dargestellt ist. Die Rhabditkrystalle 

sind untereinander ungefähr rechtwinklig, der Schnitt des Eisens muls an dieser 

Stelle also ungefähr parallel einer Spaltungsläche gehen. Die Rhabditkrystalle 

der einen Lage sind sämmtlich zufällig grölser als die der andern. An den Durch- 

schnitten der auf den Spaltungsflächen rechtwinklig stehenden Krystalle, sieht man, 


11. 


10. 


12. 


wo 


ST 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 


dals die Querschnitte rechtwinklig, aber ihre Seiten an dieser Stelle nicht immer, 
wenn auch zuweilen, den Hexa@derflächen parallel sind, die auf der Schnittfläche 
rechtwinklig stehen. In der Mitte ein Einschluls . . ... 

Die Stelle Fig. 6 mit ihrer Umgebung in natürlicher Gröfse EITen)- 
Eine Stelle eines Hausenblasenabdrucks von einer andern geätzten Schnittfläche 
des Eisens von Seeläsgen als die, worauf sich Fig. 6 bezieht . . . . R 
Eine Stelle eines Hausenblasenabdrucks der geätzten Schnittlläche D Fig, 3 dr 
Eisens von Braunau. Man sieht die Längsschnitte der Rhabditkrystalle, die der 
Kante von D und € parallel liegen; sie sind hier an den Enden aber anders be- 
gränzt als die Rhabditkrystalle bei dem Eisen von Seeläsgen Fig.6.. . E 
Eine kleine Platte in natürlicher Grölse, die aus einem Ölivinkrystall aus dem 
Pallas-Eisen geschnitten und mit vielen braun gefärbten Klüften durchsetzt ist, 
so dals nur wenig Stellen wasserhell geblieben sind. . ». . 2 2 22.0. 
Eine der wasserhellen Stellen der Olivinplatte Fig. 11 vergröfsert; man sieht die 
geradlinigen, unter einander parallelen, haarförmigen Einschlüsse des Olivins 

Die haarförmigen Einschlüsse von Fig. 10 einer andern kleinen Olivinplatte von 
der Schnittfläche des Krystalls schief durchschnitten, noch mehr vergröfsert 


Taf. I. 


Eine geätzte Schnittfläche des Meteoreisens von Zacatecas in natürlicher Grölse . 
und 3. Die in diesem Eisen vorkommenden Schreibersitkrystalle, wie sie an den 
Stellen @ und 5 von einem Hausenblasenabdruck der Schnittfläche Fig. 1 unter 
demYNMikroscopjiesscheineniin Iinausl Samen eu a 

Geätzte Schnittfläche des Meteoreisens von Seeläsgen . » » 2 22... 
Durehschnitt von einer Troilitparthie in dem Meteoreisen von Seeläsgen; sie ist 
zunächst von einer Hülle von Tänit(?) und dann von den Zusammensetzungs- 
stücken des Meteoreisens umgeben . . ». 2 2.2... R 

Eine geätzte Platte des Meteoreisens von Bohumilitz in natürlicher Gröfse sb 
Hausenblasenabdruck der mit a, d, c, d, e, f, g bezeichneten Stellen von Fig. 6 
bei geringer Vergrölserung; c, d, e, f, g sind die Schalen des Meteoreisens mit 
ihren Aetzlinien und eingeschlossenen Rhabditkrystallen, welche beide aber nur 
unvollständig wiedergegeben sind; a und 5 die von ihnen eingeschlossenen Räume 
mit den Tänitblättern, 2 ein anderer Einschlufs alle vl Shfis- Ile 
Der Einschlufs % von Fig. 7 noch mehr vergröfsert. Er ist zu vergleichen mit 
dem Einschluls in dem Meteoreisen von Seeläsgen Fig.6 Taf.I.. . 10 
Schnittfläche des Chondrits von Siena; Theile von graulichschwarzer Farbe schnei- 
den an anderen von lichte graulichweilser Farbe scharf ab. . . . . 


Taf. IT: 
2. 7. 1 und 2 sind Stellen einer dünn geschliffenen Platte des Chondrits von 
Erxleben unter dem Mikroscop; Fig. 7 zeigt diese Platte in natürlicher Gröfse. 
aund 5 Fig. 1 und 2 sind ziemlich regelmäfsig begränzte Krystalle, wahrscheinlich 


159 


Seite. 


66 


160 


10. 


11. 


G. Rose: 


Olivin, d in Fig. 1 wahrscheinlich Durchschnitte von Kugeln, n und die übrigen 
vertical gestrichelten Parthien Nickeleisen, »n und die horizontal gestrichelten 
Parthien Magnetkies, die schwarzen Parthien Chromeisenerz und die noch zu be- 
stimmende schwarze Substanz; ce in Fig. 1 die schwarze Substanz, die nur in der 
Mitte etwas Nickeleisen enthält, welches auf der Rückseite die ganze Fläche von ec 
einnimmt. Wo die durchsichtigen (Olivin-)Krystalle an Nickeleisen, Magnetkies 
oder die schwarze Substanz angränzen, sind sie meistentheils regelmälsig begränzt, 
was man besonders bei @ und 8 in Fig. 2 sehen kann RR: 2 
Der Krystall (Olivin) « von Fig.1 stärker vergrölsert; man erkennt nun darin 
mehrere Höhlungen, die eine Flüssigkeit mit einer Luftblase einschlielsen, wie diefs 
auch bei tellurischen Krystallen vorkommt le les: SE su Aa: 
Der Krystall # von Fig. 1 stärker vergrölsert; man sieht nun, dafs die dunkle 
Färbung der Ränder dadurch ar dafs sich auf ihnen eine ni schwarzer 
Körner befinden 5 ö RER SE LIRIT 
Die kleine Kugel bei a von Fig. 7, wie Fig. 1 rd 2 verkrößßert: man sieht die 
grauen Streifen in ihr, die ebenfalls eine grofse Menge von kleinen schwarzen 
Körnern enthalten ee a ee: AU Tree 
Ein Theil dieser Kugel noch stärker und wie 3 und 4 vergröfsert; die schwarzen 
Körner in den grauen Streifen sind noch deutlicher . : 2 8 
Durchschnitt einer Kugel in einer dünngeschliffenen Platte des Ends von 
Kl. Wenden; die Kugel ist von anderer Art als die Fig. 5, viel durchsichtiger 
und mit einer Menge schwarzer untereinander ziemlich paralleler Quersprünge 
durchsetzt, wahrscheinlich ein unvollkommen ausgebildeter Olivinkrystall. Etwas 
Nickeleisen ist in ihr eingewachsen Aue I Aa 
Meteoreisen vom Cap der guten Hoffnung, mit zwei fast unter echten Winkel 
zusammen stolsenden Schnittflächen, die geätzt sind, in natürlicher Grölse. Man 
sieht hellere und dunklere breite Streifen sich in gerader Richtung über die Flächen 
hinziehen. Bei ZB, D, G finden sich Rostflecken; in dem hellen Streifen bei g 
ist ein regelmälsig begränzter Troilitkrystall, bei 4 sind Schreibersit oder Rhabdit- 
krystalle eingewachsen; kleinere dergleichen Krystalle finden sich auf der übrigen 
Fläche bier und da und glänzen bei bestimmter Beleuchtung 3 

Die Fläche 4C von Fig. 9 in anderer Lage, bei welcher nun die dünkich Streifen 
hell und die hellen dunkel erscheinen ee ee E Be 
Stelle an der Gränze der Streifen g und A von dem nlassrahdme: den Fläche 
4C Fig. 9. Die Fläche erscheint mit feinen Körnern bedeckt, die in dem Strei- 
fen A rund, in dem Streifen g mit andern gemengt sind, die in die Länge ge- 
zogen erscheinen . . k Se: SEEN ENTREEN,. 151. 70 
Stelle von einer dfnngeschliffäien Platte des Achte von Chantonnay in ebenso 
starker Vergröfserung, wie die Fig. 3 und 4. Sie zeigt eine Gruppe durchsichtiger 
(Olivin-)Krystalle, die fast ganz von der schwarzen Substanz umgeben, und daher 
fast ganz regelmäfsig begränzt sind, und feine untereinander parallele haarförmige 
Einschlüsse haben, wie die Olivinkrystalle in dem Pallas-Eisen 


Seite. 


93 


94 


94 


96 


96 


96 


Beschreibung und Eintheilung der Meteoriten. 


Taf. IV. 


Olivinkrystall aus dem Pallas-Eisen; er ist fast vollständig bis auf die Zusammen- 
setzungsfläche d, in welcher er sich mit einem andern Krystalle begränzt hatte, 
ist aber fast vollkommen abgerundet bis auf einzelne Flächen, die sich nicht in 
Kanten schneiden, und daher auch runde Umrisse haben. Die vorhandenen Flächen 
liegen merkwürdiger Weise alle in einer Zone, in der Zone der Längsprismen, 
die auf diese Weise recht vollständig ausgebildet ist . 2 : e 
Röhrenartige Einschlüsse von verschiedenem Ansehen, wie sie in dem Olivin des 
Pallas-Eisens vorkommen, noch mehr vergröfsert als in Fig. 10 Taf. I, wo sie in 
ihrer natürlichen Lage gezeichnet sind er B 

und 4. Olivinkrystalle aus dem Chondrit von Stäuropal : 

Kuglige Zusammenhäufung von Olivinkrystallen in demselben honda : 

und 7. Kugeln aus diesem Chondrit : ee ie. 
Eine Kugel in dem Chondrit von Krasnoi- ve neben welcher sich rechts eine 
kleinere Kugel, die wahrscheinlich ein kugliger Olivinkrystall ist, befindet . 
Zusammenhäufung von Kugeln in demselben Chondrit 

Kugliger Olivin aus dem Chondrit von 'Timochin . 


Te 


Phys. Kl. 1863. x 


161 


Seite. 


98 


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Mathematische 


Abhandlung 


der 


Königlichen 


Akademie der Wissenschaften 


zu Berlin. 


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Aus dem Jahre 


1869. 


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Berlin. 
Gedruckt in der Druckerei der Königlichen Akademie 
der Wissenschaften. 


1864. 


In Commission in F. Dümmler's Verlagsbuchhandlung. 
Harrwitz und Gossmann, 


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HAGEN über die Wärme der Sonnenstrahlen . . . » 2 2 220202020. Seite 


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Über 
die Wärme der Sonnenstrahlen. 


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HS: Bas GEN. 


[Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 5. November 1863.] 


D er verstorbene Doctor Otto Hagen hatte während seines Aufenthaltes in 
Madeira eine Anzahl Beobachtungen über die Wärme der Sonnenstrahlen 
‚angestellt. Indem dieser Gegenstand noch nicht so weit aufgeklärt sein 
dürfte, dafs eine nochmalige Untersuchung desselben überflüssig wäre, 
diese Messungen aber in den von Minute zu Minute auf einander folgenden 
Ablesungen der Thermometer so genau übereinstimmen, dafs ihre wahr- 
scheinlichen Fehler sich auf 0,02 Centesimal-Grade beschränken, so er- 
laube ich mir, die hieraus hergeleiteten Resultate vorzulegen. Diese wei- 
chen zum Theil bedeutend von denjenigen ab, die Pouillet gefunden hat, 
das Zusammentreffen der aus verschiedenen Beobachtungs- Reihen hergelei- 
teten Werthe, läfst indessen mit grofser Sicherheit auf ihre Richtigkeit 
schliefsen, und dabei mufs erwähnt werden, dafs in den nachstehenden 
Rechnungen keine einzige vollständige Beobachtung, wenn sie auch von den 
übrigen auffallend abwich, ausgeschlossen ist, vielmehr alle ohne Ausnahme 
mit gleichem Gewichte in Rechnung gestellt sind. 

Der benutzte Apparat war in seiner wesentlichen Zusammen- 
setzung derselbe, den Pouillet das directe Pyrheliometer nennt. Ein flacher 
Cylinder aus Silberblech, etwa 8 Linien hoch, mafs in der geschwärzten 
und der Sonne zugekehrten Grundfläche 2,775 Rheinländische Zolle im 
Durchmesser. In diesem Cylinder,; der mit destillirtem Wasser gefüllt 
war, schwebte die lang ausgezogene Kugel des 'Thermometers, an wel- 
chem die Erwärmung des Wassers beobachtet wurde. Um letzteres in die 
zur schnellen und gleichmäfsigen Vertheilung der Wärme nothwendige Be- 
wegung zu versetzen, war ein starker Silberdraht durch einen Kork in den 
innern Raum geführt. An das innere Ende desselben war rechtwinklig ein 

Math. Kl. 1863. A 


2 HaAcen 


schmaler Flügel angelöthet, auf das äufsere dagegen eine kleine Glasröhre 
aufgekittet. Die letztere wurde während der Beobachtung mit den Fingern 
hin und hergedreht, und hierdurch der Flügel in sehr schnelle und abwech- 
selnde Bewegung versetzt. Diese Einrichtung, wobei das Thermometer, 
so wie auch der Cylinder unverändert seine Lage beibebielt, dürfte wohl 
unbedingt vor derjenigen den Vorzug verdienen, wobei der Cylinder mit 
dem Thermometer, das in seiner Achse sich befindet, um die letztere ge- 
dreht wird. Bei der Drehung eylindrischer Gefäfse um ihre Achse pflegt 
das darin enthaltene Wasser nur in geringem Maafse in Bewegung gesetzt zu 
werden. 

Der Cylinder war mit drei Öffnungen versehn, von denen die eine, 
nämlich die für den erwähnten Flügel bestimmte, sich in der Mitte der 
hintern Grundfläche befand, während die andern beiden in der gekrümmten 
Seitenfläche angebracht, und um einen Quadrant von einander entfernt wa- 
ren. Die eine der letzteren umfafste die Thermometer-Röhre und zwar in 
der Art, dafs zwischen der vorderen Grundfläche des Cylinders und der 
Thermometer-Kugel noch ein hinreichender Zwischenraum für die Bewe- 
gung des Flügels frei blieb. Die dritte Öffnung war aufwärts gekehrt und 
diente zur Füllung des Cylinders. Alle drei Öffnungen sind mit Cylindern 
aus Silberblech eingefafst und mit Korken geschlossen. Derjenige, in wel- 
chen das Thermometer eingesetzt wurde, und der etwas länger, als die 
andern ist, diente zugleich als horizontale Drehungs-Achse für den ganzen 
Apparat, um die geschwärzte Grundfläche jedesmal normal gegen die Sonne 
zu richten. 

Die drei Korke liefsen an den äufseren Eindrücken sehr deutlich er- 
kennen, wie weit sie in die Röhren eingeschoben wurden, und es konnte 
sonach die Wassermenge ermittelt werden, womit der Apparat bei allen 
Beobachtungen gefüllt worden war. Aus dem Gewichte dieses Wassers, 
und dem des Cylinders nebst dem Flügel, sowie auch aus dem Gewichte 
des Quecksilbers in der Thermometer-Kugel ergab sich mit Berücksichtigung 
der specifischen Wärme beider Metalle, dafs der ganze Apparat beim Hin- 
zutreten einer gewissen Wärmemenge um eben so viel Grade seine Tempe- 
ratur erhöhte, wie 3,991 Cubikzoll destillirten Wassers. Die den Sonnen- 
strahlen ausgesetzte Grundfläche hielt dagegen 6,048 Quadratzoll. Die 
beobachtete Temperatur-Erhöhung mufste demnach mit 0,66004 multiplicirt 


über die Wärme der Sonnenstrahlen. 3 


werden, um die Temperatur-Erhöhung darzustellen, die ein Cubikzoll 
Wasser erfahren würde, der während derselben Zeit Sonnenstrahlen von 
gleicher Intensität mit einer seiner Seiten, also auf 1 Quadratzoll Ober- 
fläche auffängt. Die in dieser Art redueirte Temperatur-Erhöhung und zwar 
in der Zeiteinheit von 1 Minute ist im Folgenden mit 2 bezeichnet. 

Das Thermometer, welches bis zum Herbste 1861 zu diesen Be- 
obachtungen benutzt wurde, war mit einer unmittelbar in die Röhre einge- 
ätzten Eintheilung versehn, wodurch die Centesimal-Grade in je 5 Theile 
getheilt wurden. Dieses Thermometer hatte ich bereits vor mehreren Jah- 
ren zur Bestimmung der Ausdehnung des Wassers bei verschiedenen Wärme- 
graden (!) benutzt, und bei dieser Gelegenheit sorgfältig geprüft und seine 
Fehler festgestellt. Dieselbe Untersuchung war auch später vom Dr. Hagen 
wiederholt, und die nöthigen Correctionen in eine Tabelle zusammengetragen. 
Die gefundenen Fehler ergaben sich indessen so geringe, dafs sie bei den 
kleinen Temperatur-Differenzen, die hier ausschliefslich beobachtet wurden, 
unbeachtet bleiben durften. Indem dieses Thermometer ganz unversehrt mir 
wieder zugekommen ist, so konnte ich auch die Quecksilber-Menge in seiner 
Kugel mit genügender Sicherheit bestimmen, und sonach alle Data sammeln, 
die zur vollständigen Berechnung der Beobachtungen erforderlich waren. 

Bei den im November 1861 und Januar 1862 angestellten Messungen 
wurde dagegen ein anderes Thermometer benutzt, dessen Scale in Millimeter 
eingetheilt war. Dieses gab die Temperatur - Unterschiede mit viel gröfserer 
Schärfe an, indem ein Centesimal-Grad nach einer beiläufigen Mittheilung 
ungefähr 20 Millimeter umfafste. In den Papieren, die erst nach dem Tode 
des Beobachters mir zugingen, sind die Resultate einer Untersuchung, die 
sich auf die Calibrirung der Röhre dieses Thermometers bezieht, enthalten. 
Dieselben weisen nach, dafs vier nach einander getrennte Quecksilber-Fäden 
von 30 bis 100 Millimeter Länge an den verschiedenen Stellen der Scale 
sehr genau ihre Länge behielten, und diese nur um 1 oder 2 Zehntel eines 
Millimeters verschieden abgelesen wurde. Es ist dabei auch die Notiz 
hinzugefügt, die Fehler seien so geringe, dafs für den vorliegenden Zweck 
ihre Berücksichtigung entbehrlich sei. Die Angabe der Fundamental-Punkte 
oder die Vergleichung mit einem anderen Thermometer, woraus sich die 


(') Abhandlungen der Königl. Akademie der Wissenschaften. 1855. 
A? 


4 Hıcen 


Länge des einzelnen Grades sicher entnehmen liefse, habe ich indessen nicht 
gefunden, und bei der Rücksendung ist die Kugel zerbrochen, woher eine 
nachträgliche Vergleichung unmöglich geworden ist. Diese späteren Beob- 
achtungen konnten demnach zur Bestimmung des absoluten Maafses der 
aufgefangenen Wärme nicht dienen, wohl aber bleiben sie zur Ermittelung 
der Zahlen-Coefficienten, die sich auf die Abschwächung der Strahlen in 
der Atmosphäre beziehn, sehr brauchbar. 

Die Sonnenhöhen wurden nicht direct gemessen, doch sind die 
Beobachtungszeiten jedesmal angegeben, und während langer Perioden, 
welche die Tage, an denen beobachtet wurde, vollständig umfassen, sind 
täglich mit einem Spiegel- Sextant oder einem Vertikal- Kreise Sonnenhöhen 
genommen, und hieraus die Abweichungen der Uhr von der mittleren Zeit 
berechnet. Sobald also die geographische Lage des Beobachtungs-Ortes 
bekannt war, liefsen sich die Sonnenhöhen sicher ermitteln. Der Portugie- 
sische Ingenieur-Obrist Azevedo hatte für seine Villa neben Funchal die 
Breite 32° 38° 37’ und die westliche Länge gegen Greenwich 1" 7’ 38” ge- 
funden. Hiernach sind die in der folgenden Tabelle zusammengestellten 
und mit H bezeichneten Sonnenhöhen für jede einzelne Beobachtung be- 
rechnet. Der überwiegend gröfsere Theil der letztern ist in der Nähe von 
Funchal angestellt, und nur die mit Nr. 18 bis 22 bezeichneten machen 
hiervon eine Ausnahme, indem sie einige Meilen entfernt in der 2500’ über 
dem Meere belegenen Quinta, Jardin de Serra, gemacht wurden. Da die 
Lage dieses Punktes nicht näher angegeben ist, so sah ich mich gezwungen, 
auch hier dieselbe Länge und Breite, wie für Funchal, zum Grunde zu 
legen. Der dadurch veranlafste Fehler kann nicht von merklichem Einflusse 
auf die gefundenen Resultate sein, insofern diese Beobachtungen sämmtlich 
in der Nähe des Meridians gemacht wurden, also die Höhe der Sonne in 
kurzen Zwischenzeiten sich nicht stark veränderte. 

Es ist bekannt, dafs mittelst dieses Apparates die Wärme der auf- 
gefangenen Sonnenstrahlen nicht unmittelbar gemessen werden kann, weil 
während der Erwärmung schon eine gewisse Ausgleichung der Temperatur 
gegen die umgebende Luft statt findet. Man mufs also auch die Wärme- 
menge kennen, die während dieser Zeit an letztere abgesetzt wird. Pouillet 
beobachtete daher, nachdem der Apparat aufgestellt, aber noch durch einen 
Schirm vor den Sonnenstrahlen geschützt war, zunächst während 5 Minuten 


über die Wärme der Sonnenstrahlen. 5 


die Abkühlung oder überhaupt die Temperatur-Veränderung des Wassers 
im Cylinder. Alsdann wurde der Schirm schnell beseitigt und während der 
nächsten 5 Minuten die Erwärmung, in den darauf folgenden 5Minuten aber, 
nachdem der Schirm wieder vorgeschoben war, die Abkühlung gemessen. 
Um die Abkühlung des Apparates, während die Sonnenstrahlen darauf 
fallen, zu bestimmen, wurde die Voraussetzung gemacht, dafs dieselbe gleich 
sei dem arithmetischen Mittel aus den in gleichen Zwischenzeiten unmittelbar 
vorher und nachher gemessenen Temperatur-Verminderungen. Diese Vor- 
aussetzung ist gewifls sehr zweifelhaft und an sich keineswegs begründet. 

Herr Neumann giebt in seinen physikalischen Vorträgen auf der Kö- 
nigsberger Universität eine andere, streng wissenschaftliche Methode an, um 
aus diesen Beobachtungen die Wärmemenge der Sonnenstrahlen zu berech- 
nen. Er betrachtet nämlich die Geschwindigkeit, mit welcher die Erwär- 
mung und Abkühlung des Apparates erfolgt, und indem letztere dem Tem- 
peratur-Unterschiede gegen die umgebende Luft proportional ist, so lassen 
sich die constanten Factoren auf diesem Wege ganz sicher bestimmen. Es 
wird dabei nur die Voraussetzung eingeführt, die auch Pouillet macht, dafs 
während der kurzen Beobachtungszeit die Temperatur der umgebenden Luft 
sich nicht verändert. 

Das Beobachtungs-Journal des Dr. Hagen läfst vermuthen, dafs es 
Anfangs seine Absicht gewesen, die Messungen in der Art anzustellen, dafs 
die letzte Methode der Berechnung gewählt werden konnte. Bei den ersten 
Versuchen mit dem Apparate ist nämlich die Temperatur der umgebenden 
Luft sorgfältig notirt, und nur die hierbei allein erforderliche Abkühlung 
nach der Erwärmung gemessen. In einer brieflichen Mittheilung wurde 
aber sogleich geklagt, dafs die Abkühlung, von Minute zu Minute beobach- 
tet, gar nicht gleichmäfsig, sondern sehr unregelmäfsig erfolge. Indem der 
Apparat immer im Freien aufgestellt werden mufste, so dürften selbst 
schwache unregelmäfsige Luftströmungen diese Anomalie veranlafst haben, 
und dieses ist um so wahrscheinlicher, als der Beobachtungsort jedesmal in 
der Nähe von schattigen Plätzen gewählt wurde. Die Unregelmäfsigkeit in 
dieser Beziehung war so grols, dafs eine Beseitigung derselben nothwendig 
schien, und so blieb nur übrig, den ganzen Apparat der unmittelbaren 
Berührung der Luft zu entziehn, indem alle Metalltheile mit einer um- 
schliefsenden Papp-Hülse umzogen wurden, und nur die geschwärzte Grund- 


6 Hasen 


fläche, welche die Sonnenstrahlen auffing, frei blieb. Es wurde sogar der 
Versuch gemacht, auch die letztere vor der äufseren Luft zu schützen, in- 
dem eine sehr dünne und klare Glasscheibe in geringem Abstande auf die 
Papp-Hülse gelegt wurde. Bei wiederholtem Auflegen und Abheben dieser 
Scheibe ergab sich in der That nur eine sehr geringe Änderung der vom 
Apparat aufgenommenen Wärme. In den vollständigen Beobachtungen, die 
allein der folgenden Rechnung zum Grunde gelegt werden konnten, ist jene 
Glasscheibe indessen nicht benutzt. 

Die Umhüllung des Apparates hatte den günstigen Erfolg, dafs die 
Abkühlung sehr gleichmäfsig eintrat. Die verbesserte Methode zur Darstel- 
lung der Resultate liefs sich dabei aber nicht mehr anwenden, weil die Hülse 
augenscheinlich ihre Temperatur in hohem Grade änderte, ohne jedoch 
vollständig die Wärme anzunehmen, die das Thermometer bezeichnete. 
Die Abkühlung verminderte sich so sehr, dafs selbst nach mehreren schnell 
hinter einander angestellten Beobachtungen, wobei das Wasser sich stark 
erwärmt hatte, dennoch in dem Zeitraume von 5 Minuten das Thermometer 
nie mehr, als um 1 Grad sank. Der Fehler der ersten, oder der von Pouillet 
angewendeten Methode, nahm daher einen so geringen Werth an, dafs er 
keinen merklichen Einflufs auf das Resultat behalten konnte. 

Die nachstehend zusammengestellten 46 Beobachtungs-Resultate 
sind grofsentheils schon Mittelzahlen aus zweien unmittelbar nach einander 
angestellten Messungen, die nie mehr als 2 bis 3 Hunderttheile eines Cen- 
tesimal-Grades von einander abweichen. Jede einzelne Messung umfafste 
aber einen Zeitraum der Erwärmung von mehreren Minuten. Grofsen- 
theils ist die Periode von 5 Minuten beibehalten, in einzelnen Fällen ist die- 
selbe noch gröfser, und nur bei dem sehr niedrigen Stande der Sonne in den 
drei letzten Messungen vom 13. November und den zwei letzten vom 4. Ja- 
nuar wurde sie auf 4 Minute beschränkt. Indem jedoch während dieser 
Beobachtungen längere Zeit hindurch von Minute zu Minute der Schirm vor- 
geschoben und wieder entfernt wurde, so konnten die sämmtlichen kurzen 
Messungen in mehrere Gruppen vertheilt, und die mittleren Werthe dersel- 
ben genommen werden. Dieses ist in den erwähnten Beobachtungen, oder 
Nr. 31, 32, 33, 42 und 43, geschehn. 

Die sämmtlichen Messungen sind in der folgenden Tabelle in der Art 
zusammengestellt, dafs die Erwärmung des Apparates auf 4 Minute und 


über die Wärme der Sonnenstrahlen. 7 
auf 1 Cubikzoll Wasser, so wie auf 1 Quadratzoll Erwärmungs -Fläche 
redueirt ist. Die Spalte i bezeichnet diese Werthe, in Theilen eines Cente- 
simal-Grades ausgedrückt. Für die mit dem zweiten Thermometer gemes- 
senen Wärme-Zunahmen ist dieselbe Reduction ausgeführt, doch konnten, 
wie erwähnt, hier nur die abgelesenen Millimeter angegeben werden. Die 
mit 7 überschriebene Spalte enthält die entsprechenden Höhen der Sonne 
über dem Horizonte. Für dieBeobachtung Nr. 32 ergiebt die Rechnung be- 
reits eine negative Höhe, oder die Sonne stand wirklich schon unter dem 
Horizonte, und konnte nur in Folge der Strahlenbrechung und des etwa 500 
Fufs hohen Beobachtungsortes noch vollständig gesehn werden. 


Beobachtungen mit dem ersten Thermometer. 


t. H. 
1861. Februar 12 | 0,465 | 17° 44 


1 
2 1861. Februar 17 0,545 | 45° 13° 
3 desgl. 0,391 | 19° 48 
4 1861. Februar 26 | 0,531 | 38° 58 
5 desgl. 0,529 | 46° 4’ 
6 1861. März 1 0,598 | 47° 14 
7. desgl. 0,544 | 39° 58 
8 desgl. 0,506 | 30° 26’ 
2) desgl. 0,466 | 18° 37 
10 desgl. 0,393 | 14° 22° 
11 desgl. 0,223 TE AS 
12 1861. März 7 0,617 | 50° 25° 
13 desgl. 0,601 | 43° 97’ 
14 desgl. 0,576 | 31° 30' 
15 desgl. 0,479 | 18° 17’ 
16 desgl. 0,395 | 10° 16 
17 desgl. 0,226 4° 34 
18 | 1861. Juli 28 0,490 | 75° 57' 
19 | 1861. Juli 30 0,419 | 74° 30 
20 desgl. 0,437 | 75° 20 
24 1861. August 3 0,461 | 73° 19 
22 desgl. 0,497 | 73° 0 


8 HaGEn 


Beobachtungen mit dem zweiten Thermometer. 


2 2. 
23 1861. November 7 | 13,91 | 36° 4 
24 desgl. 14,09 | 34° 42° 
235 desgl. 14,36: |1,.319% 22° 
26 desgl. 14,43 | 21° 57 
27 1861. November 10 | 13,52 | 35° 5% 
238 desgl. 14,35 | 39° 10’ 
29 desgl. 14,39 | 40° 37 
30 1861. November 13 | 5,48 32.99! 
31 desgl. 3,47 Ve 
32 desgl. 1,143|— 02° 465 
33 1861. November25 | 12,76 | 25° 16 
34 1862. Januar 4 197284050257 
35 desgl. 18;,554133 32 
36 desgl. 13,48 | 31° 50’ 
37 desgl. 12,9241)25°. 44° 
38 desgl. 419,61°| 4192483° 
39 desgl. 11,19 | 13° 50’ 
40 desgl. 9:59 |: 99.48 
4 desgl. 233140 ME 
42 desgl. 4,87 48.39' 
43 desgl. 4,16 | 0° 33 
44 1862. Januar 5 413;87.|:342 2% 
45 desgl. 13,90 | 33° 55’ 
46 desgl. 13,90 | 29° 26’ 


Die hier mitgetheilten Werthe von £ bezeichnen die Intensität der 
Wärme-Strahlen, nachdem dieselben die Atmosphäre durchdrungen haben, 
und die Vergleichung mit den Werthen von H läfst sogleich erkennen, dafs 
beim niedrigen Stande der Sonne, oder bei grofser Verlängerung des Weges 
durch die Atmosphäre, die erwärmende Kraft in sehr hohem Grade ge- 
schwächt wird. Das Gesetz, nach welchem diese Schwächung in den ver- 
schiedenen über einander liegenden Luftschichten verschiedene Werthe an- 
nimmt, ist unbekannt, und es bleibt daher nur übrig, wie auch Pouillet 


über die Wärme der Sonnenstrahlen. 9 


gethan hat, die Voraussetzung einzuführen, dafs alle diese Schichten in glei- 
cher Weise die Wärme absorbiren, oder dafs der Strahl auf gleich langen 
Wegen in der Atmosphäre immer dieselben aliquoten Theile seiner Wärme 
verliert. Wenn sonach A die Wärmemenge bezeichnet (in derselben Ein- 
heit, wie 2 gemessen), die der Strahl beim Eintritt in die Erd-Atmosphäre 
hat, und e die Länge seines Weges in derselben, und p endlich einen Factor, 
der den relativen Wärmeverlust in der letzteren ausdrückt, so ist die gemes- 
sene Wärme des Strahles bei seiner Berührung der Erdoberfläche 
t=A pP“ 

Die Länge des Weges oder e ist aus dem bekannten Höhenwinkel der Sonne 
H leicht zu berechnen, wenn man die Höhe der Atmosphäre oder Ah 
kennt. Pouillet nimmt an, dieselbe sei dem achtzigsten Theile des Erd- 
Radius gleich, und erwähnt, dafs diese Voraussetzung durch die Beziehung 
zwischen Z und H sich sehr befriedigend bestätige. Die vorstehend mitge- 
theilten Beobachtungen zeigen nicht diese Übereinstimmung. Im Allgemeinen 
ist eine solche auch nicht zu erwarten, da der Factor p sehr verschiedene 
Werthe annimmt, indem er von der jedesmaligen Beschaffenheit der Luft, 
also von den Witterungsverhältnissen abhängt. Aber selbst diejenigen Mes- 
sungen, die, wie anzunehmen, unter gleichen Umständen, also an denselben 
Tagen angestellt wurden, deuten durch übereinstimmende Abweichungen an, 
dafs ein anderer Werth für die Höhe dieser Atmosphäre einzuführen sei. Ich 
versuchte demnach zunächst, aus den am 1. und 7. März und am 4. Januar 
angestellten Beobachtungen den Werth von A zu berechnen. Es mussten 
also nicht nur zwei, sondern drei Constanten, nämlich A, p und A gesucht 
werden, während der Exponent e von Ah abhängig, also gleichfalls unbekannt 
ist. Die Trennung dieser Unbekannten war nur möglich, wenn ein Näherungs- 
werth von % eingeführt und dessen Correction dA gesucht wurde. 

Wenn r der Halbmesser der Erde, A die Höhe der Atmosphäre und 
H die Elevation der Sonne bezeichnet, so ist die Länge des Weges, den der 
Strahl in der Atmosphäre zurücklegt 

e=V(h’+2rh+r’Sin H’) — rSinH 
oder wenn man e und A in Theilen des bekannten Erd-Radius mifst, also 
m—sihsetzt, 
e=YV(h’+2h-+Sin HM’) — Sin H 

dieser Ausdruck, der nicht nur für jede einzelne Beobachtung, sondern sogar 


Math. Kl. 1863. B 


10 Haıcen 


für die verschiedentlich gewählten Werthe von A immer aufs Neue berechnet 
werden mufs, nimmt eine einfachere und bequemere Form an, wenn man 
einen Hülfswinkel « einführt, der sich dadurch bestimmt, dafs 


Co H 
1i+h 


de Co (H-+e) = 


Man erhält dadurch 
Sin « 
2. = Cos (H+ «) 
Sobald nun der vorläufig angenommene Näherungswerth A sich um oh ver- 
ändert, so ändert sich dabei zugleich « und mit diesem auch e. Differenzirt 
man die Gleichung 1. so erhält man 
Cos (H + 0)? 

da =; oe h 
und wenn man ferner die Gleichung 2. differenzirt und für da diesen Werth 
einführt, so ergiebt sich 


- 1 
3. de = InA+% 
Mittelst dieser Ausdrücke ist es leicht, die drei Unbekannten zu trennen, so 
dafs sie aus drei Beobachtungen in bestimmten, oder aus einer gröfseren An- 
zahl von Beobachtungen in ihren wahrscheinlichsten Werthen berechnet 
werden können. + bezeichnet den Näherungswerth derHöhe der Atmosphäre 
und dA die gesuchte Verbesserung desselben, = dagegen den nach den For- 
meln 1. und 2. unter Voraussetzung jenes h berechneten Weg des Strahles 
durch die Atmosphäre, und de die Correction dieses Weges, welche der 
Änderung 8% entspricht. 
Man hat alsdann 
= Ap: 
logt=logA + elogp 
Tritt nun die Veränderung von A ein, wodurch e sich in < + de verwandelt, 
so hat man 
logt— log A + 8 log p -+ de. log p 
und nach Einführung der Werthe aus den Gleichungen 2. und 3. 
Sin « 1 


logt= log A + Cd logp + Su (Are) oh .logp 
log £, er und Sr sind durch jede einzelne Beobachtung ge- 


über die Wärme der Sonnenstrahlen. 11 


geben, und man kann also die Unbekannten log A, log p und öh . log p be- 
rechnen. Indem man aber die dritte dieser Unbekannten durch die zweite 
dividirt, so ergiebt sich das gesuchte ö%, oder die Änderung des Werthes von A. 

Ich führe zunächst die von Pouillet gewählte Voraussetzung ein, die 
Höhe der Atmosphäre sei dem achtzigsten Theile des Erd-Radius gleich, oder 
da letzterer zur Einheit gewählt ist 

h= 0,0125 

Die Beobachtungen vom 1. März schliessen sich an diejenigen vom 
7. März ziemlich nahe an, wie die graphische Darstellung derselben ergab. 
Aus diesem Grunde verband ich bei der ersten vorläufigen Untersuchung diese 
beiden Reihen, so dafs dabei 12 einzelne Beobachtungen, welche Sonnen- 
höhen von 4° bis 50° umfassen, der Rechnung zum Grunde gelegtsind. Das 
Resultat war 


eh = — 0,0039 
die 10 Beobachtungen vom 4. Januar 1862 ergaben dagegen 
oh = — 0,0055 
der eingeführte Werth von A war also viel zu grofs, im Mittel ist 
oh= — 0,0047 
und hiernach vermindert sich die Höhe der Atmosphäre auf 
h = 0,0078 


Man darf indessen auch dieses Maafs nur als annähernd richtig ansehn, und 
dasselbe bedarf in sofern noch einer Berichtigung, als das gefundene dA auf 
dem Verhältnisse der Differenzial- Quotienten bei dem angenommenen Werthe 
von Ah beruht, Dieses Verhältnifs ändert sich aber wesentlich, so bald A eine 
so starke Verminderung, wie hier, erfahren hat. Es wurde daher unter Zu- 
geundelegung des so eben gefundenen Werthes von A die ganze Rechnung 
nochmals wiederholt, und zwar schien es angemessen, die Beobachtungen vom 
1. und vom 7. März getrennt zu behandeln, weil die ersteren theils ohne 
Ausnahme etwas kleinere Werthe für z, als die letzteren ergeben, also eine 
gewisse Verschiedenheit in dem Zustande der Atmosphäre eingetreten sein 
musste, theils aber weichen die ersten Beobachtungen auch unter sich viel 
stärker von dem aufgestellten Gesetze ab, als die letzteren. Die aus beiden 
Reihen herzuleitenden Resultate haben daher auch nicht dieselbe Wahrschein- 
lichkeit. 
B2 


42 Hasen 


Es ergaben sich nun die neuen Correctionen aus den Beobachtungen 
vom 1. März 1861 
oh = — 0,0073 
wonach A einen überaus kleinen Werth annehmen würde, doch ist der wahr- 
scheinliche Fehler in dieser Bestimmung etwa doppelt so grofs, als das ge- 
fundene 64, woher hierauf nicht weiter Rücksicht genommen werden kann. 
Aus den Beobachtungen vom 7. März stellte sich dagegen heraus 
3h = — 0,0029 


und aus denen vom 4. Januar 1862 


ch = — 0,0010 

Das Mittel aus diesen beiden letzien Bestimmungen ist 
ch —= — 0,0020 

also h= 0,0058 


Den sämmtlichen folgenden Rechnungen ist dieser Werth von A zum Grunde 
gelegt, indem eine weitere Verbesserung desselben zu unsicher erschien. 

Nachdem in dieser Weise die dritte Unbekannte gefunden war, also € 
für jede Beobachtung einen bestimmten Werth erhalten hatte, so blieb nur 
noch übrig A und p zu ermitteln. A oder die Wärme des Sonnen- 
strahles bei seinem Eintritt in die Atmosphäre ist von den jedes- 
maligen Witterungs- Verhältnissen unabhängig, also eine constante Gröfse. 
Bei Berechnung derselben musstenindessen aus dem oben bezeichneten Grunde 
die mit beiden Thermometern angestellten Messungen getrennt behandelt 
werden. Die Beobachtungen, wobei das zweite Thermometer benutzt wurde, 
sind sogar für die Bestimmung der Gröfse A ganz unbrauchbar, nichts desto 
weniger mulste auch aus ihnen diese Unbekannte berechnet werden, wenn- 
gleich das Mafs, in welchem sie ausgedrückt ist, nicht angegeben werden 
kann. Der unbekannte Factor, mit dem die abgelesenen Millimeter zu 
multiplieiren sind, um Centesimal-Grade darzustellen, berührt nämlich 
allein die Constante A, während die Constante p so wie auch e von demselben 
ganz unabhängig isi. Um diese letzte Untersuchung später anstellen und dazu 
die sämmtlichen Beobachtungen benutzen zu können, war es dahernothwendig, 
auch für die mit Anwendung des zweiten Thermometers gemachten Messungen 
das betreffende A zu berechnen. 

Indem es sich gegenwärtig nur noch um zwei Unbekannte handelt, so 
konnten auch Reihen, die nur aus zwei an demselben Tage angestellten 


über die Wärme der Sonnenstrahlen. 13 


Beobachtungen bestehen, benutzt werden. Es war jedoch nothwendig, dafs 
die Sonnenhöhen nicht nahe dieselben blieben, weil sonst die Werthe von 
A und p sich nicht gehörig trennen liefsen. 

Die beiden Messungen vom 17. Februar 1861 ergaben 

A= 0,747 
diejenigen vom 1. März 

A = 0,736 
letztere mit dem wahrscheinlichen Fehler 0,054. 
Endlich diejenigen vom 7. März 

A = 0,732 
mit dem wahrscheinlichen Fehler 0,011. 

Mit Rücksicht auf die Sicherheit dieser nicht bedeutend verschiedenen 
Resultate setze ich 

A = 0,733 
Aus den mit dem zweiten Thermometer angestellten Beobachtungen 
ergaben die Messungen vom 4. Jan. 
A = 15,397 
mit dem wahrscheinlichen Fehler 0,130 
und diejenigen vom 7. Novbr. 
A= 15,399 
mit dem wahrscheinliehen Fehler von 0,628. 
Die erste dieser sehr wenig von einander abweichenden Bestimmungen wurde 
ungeändert als die richtige angenommen. 

Die Unbekannte p, welche den Verlust an Wärme in der At- 
mosphäre bezeichnet, konnte nunmehr aus jeder einzelnen Beobachtung 
berechnet werden. Da jedoch die an demselben Tage gemachten Messungen 
immer nahe zu denselben Werthen führten, und sich hieraus ergiebt, dafs 
die Beschaffenheit der Atmosphäre in den Zwischenzeiten sich nicht wesent- 
lich veränderte, so sind für jede solcher Reihen die Mittelzahlen angenommen 
und zugleich die wahrscheinlichen Fehler derselben berechnet, wie sie sich 
aus den Abweichungen ergaben. Die Werthe von p stellen sich als überaus 
kleine Zahlen dar, die übermäfsig von einander abweichen. Um nicht 
durch vielstellige Zahlen die Vergleichung dieser Resultate zu erschweren, 
sind nachstehend die Logarithmen derselben angegeben, auch bezieht sich 
der daneben stehende wahrscheinliche Fehler (w. F.) auf diese Logarithmen. 


4i Hasen ® 


1861. Febr. 12. 1 Beob. log p = — 10,58 
Fehut, ed. or , 5 gene PP» Tea , AR IR DAR 
Kebr..0263 at, = —.16,21 4,84% 
März 13 Ber et —=1[0,41 
März 1 Minen, == .9;66 — le 
Juli 28. A»; = — 28,95 
Juli 30.2; = — 38,66 —50B 
Aug. 3 2 = — 80,92 = 4493 
Novbr: 7. Br Au ir = 0,25 
Novbr. 10. DI = — 4,13 — 0,94 
Novbr Mo na; ee —=.0,48 
Norvbr.. 25. Moin; = — 6,23 

1862. Jan. > Pape | Bu = — 5,84 —= 0,13 
Jan. FRE Lee = — 4,18 —=:0;19 


Wenn man unter Annahme dieser Werthe von p, so wie auch der vor- 
stehend angegebenen A} und A, für die Sonnenhöhen zur Zeit der einzelnen 
Beobachtungen die Erwärmung £ berechnet, so stimmen die Resultate sehr 
befriedigend mit denen derBeobachtungüberein, wie nachstehende Zusammen- 
stellung der längeren Reihen zeigt. 

Den 1. März 1861. 
t berech. t beob. Differenz 
6 0,584 0,598 — 0,014 
7, 0,566 0,544 + 0,022 
Nr. 8 0,530 0,506 + 0,024 
9 0,444 0,466 — 0,022 
Nr. 10 0,340 0,393 — 0,053 
Nr. 11 0,246 0,223 + 0,023 
Den 7. März 1861. 


Nr. 12 0,617 0,617 0,000 
Nr.13 0,604 0,601. + 0,003 
Nr. 14 0,570 0,576  —.0,006 


Nr.15 0,489 0,479 + 0,010 
Nr. 16. 0,377...0,395  — 0,048 
Nr.17 0,232 0,26 + 0,006 


über die Wärme der Sonnenstrahlen. 15 
© agimm Den 4. Januar 1862. 

t berech. t beob. Differ. in Graden. 
Nr. 34 13,18 49.22 202. #3. 046 0,022 
Nr. 35 13,37 13,55 — 0,18 0,008 
Nr. 36 13,28 13,48 — 0,20 0,009 
Nr. 37 12,83 12,92 — 0,04 0,002 
Nr. 38 12,20 12,61 — 0,41 0,020 


Nr. 39.411,85 14,19: +0,06. 0,003 
Nr. 40 9,85 959 +0,26 0,012 


Nr. 41 7,26 ee —0.077...0.803 
Nr. 42 5,03 4,837 ..+0,16 0,008 
Nr. 43 4,05 446..1 —.0,11.7 0,005 


Die Beobachtungen vom 1. März schliefsen sich an das gelundene Gesetz 
am wenigsten an, wie auch schon die graphische Zusammenstellung eine stärkere 
Unregelmälsigkeit dabei erkennen liefs. Dennoch beträgt die gröfste Ab- 
weichung nur wenig mehr, als den zwanzigsten Theil eines Centesimal-Grades. 
In.den beiden andern Reihen bleiben die Abweichungen stets unter dem 
vierzigsten [heile eines Grades. Die Reduction der Differenzen auf Cen- 
tesimal-Grade in der letzten Reihe konnte aber mit grofser Sicherheit nach 
dem Verhältnisse der beiden für A gefundenen Werihe erfolgen. 

Die übermäfsige Veränderlichkeit des Factors p, der die Wärme-Ab- 
sorption der Atmosphäre bezeichnet, erregt besonders insofern Befremden, 
als die sämmtlichen Beobachtungen bei hellem Sonnenscheine und init einer 
einzigen Ausnahme sogar bei ganz wolkenfreiem Himmel gemacht sind. ', Nur 
bei den, Beobachtung Nr. 21 vom 3. August findet'sich im Journale die Be- 
mnerkung, dafs am Horizont Wolken gelagert hätten. ; Am kleinsten stellt'sich 
pin deu Sommer-Monaten Juli und August dar, während es im November 
und Januar die grölsten Werthe aunimmt. Dieser Umstand läfst vermuthen, 
dals die Atmosphäre um so mehr Wärme absorbirt, je höher ihre Temperatur 
ist, und der Grund dafür.dürfte vielleicht in dem grölseren Wassergehalte 
zu suchen, sein: „Einige Psychrometer-Beobachtungen vom 25. August 1861 
und in.den nächstfolgenden Tagen ergaben einen Wassergehalt von mehr als 
1 Piund in 1000 Cubikfufs Luft, wogegen die Beobachtungen vom 7. März, 


16 Hıces 


Die Lufttemperaturen weichen aber in beiden Zeiten nur um wenige Grade 
an den betreffenden Beobachtungs-Orten von einander ab. 

Es mufs darauf aufmerksam gemacht werden, dafs die sehr grofse 
Verschiedenheit der Werthe von p, namentlich bei höherem Stande der 
Sonne, nicht von so grofsem Einflusse ist, als man vielleicht vermuthen 
möchte. Wenn man zum Beispiel für die Beobachtungen Nr. 18 bis 22, 
welche log. p gleich —30 bis —40 ergeben, dafür nur den aus den Beobach- 
tungen Nr. 12 bis 17 hergeleiteten Werth log p = —9,66 einführt, so weicht 
das berechnete / von dem beobachteten durchschnittlich nur um 0,18 Cen- 
tesimal-Grade ab. 

Die Annahme, dafs A constant sei, ist insofern nicht richtig, als die 
Entfernung der Erde von der Sonne nicht immer dieselbe bleibt. 
Der hierdurch eingeführte Fehler erklärt auch in der That theilweise die 
Verschiedenheit des Factors p. Insofern nämlich die Beobachtungen Nr. 18 
bis 22 nahe in die Zeit des Apheliums fallen, so ist A zu grofs angenommen 
und defshalb für p ein zu kleiner Werth gefunden. Die hieraus sich er- 
gebende Correction von p stellt sich indessen bei näherer Untersuchung 
doch nur als höchst geringfügig heraus. Die Radien-Vectoren der Erdbahn 
im Aphelium und Perihelium verhalten sich nämlich zu einander wie 1034 
zu 1000, die Wärmemengen, welche dieselbe Oberfläche auf der Erde 
treffen, die umgekehrt den Quadraten der Abstände proportional sind, ver- 
halten sich daher in diesen beiden Perioden wie 1000 zu 1070. Redueirt 
man hiernach die Constante A für die erwähnten fünf Beobachtungen, indem 
man das berechnete A als dasjenige ansieht, welches für das Perihelium 
gilt, so vermindert sich der gefundene log p im Maximum nur um 3 Ganze. 
Die Verschiedenheit bleibt also noch immer beinahe ebenso grofs, als sie war. 

Schliefslich mögen noch die aus den mitgetheilten Beobachtungen 
hergeleiteten Resultate mit den von Pouillet gefundenen verglichen 
werden. Pouillet hat ohne weitere Begründung angenommen, dafs die Höhe 
der gleichmäfsig einwirkenden Atmosphäre dem achtzigsten Theile des Erd- 
Radius gleich ist, also 10° geographische Meilen mifst. Aus den vorstehend 
benutzten Beobachtungen ergab sich dagegen diese Höhe nur gleich 0,0058 .r 
also 5 geographische Meilen. 

A oder die Erwärmung eines Cubikzolles Wasser, der 1 Minute hin- 
durch auf 1 Quadratzoll Oberfläche von den Sonnenstrahlen getroffen wird, 


über die Wärme der Sonnenstrahlen. AM 


bevor dieselben beim Durchgange durch die Atmosphäre geschwächt wurden, 
ist gleich 0,733 Centesimal-Grade gefunden. Nach Pouillet dagegen stellt 
sich unter Zugrundelegung des metrischen Maafses und zwar wenn der Centi- 
meter als Einheit angenommen wird, der Werth von 4 auf 1,726 Centesimal- 
Grade. Letzterer wird durch Reduction auf Rheinländisches Zollmafs gleich 
0,674. Das von Pouillet gefundene A ist also im Verhältnifs von 7 zu 8 
kleiner, als dasjenige, welches die vorliegenden Beobachtungen ergeben. Die 
Verschiedenheit scheint in der angenommenen Höhe der Atmosphäre ihren 
Grund zu haben, die wohl jedenfalls eine Verminderung von A veranlassen 
mufste, insofern die Constante p keinen auffallenden Unterschied gegen die 
vorstehend hergeleiteten Werthe erkennen läfst. 

Dieses p fällt nämlich nach Pouillet zwischen 0,724 und 0,789. Dabei 
darf jedoch nicht übersehn werden, dafs Pouillet den Exponent von p, also g, 
in Theilen der vorausgesetzten Höhe der Atmosphäre gemessen hat, während 
vorstehend dieses e in Theilen des Erd-Radius ausgedrückt ist. Die Maafs- 
Einheit ist also im ersten Falle achtzig mal kleiner, als im letzten, und von 
den angegebenen Zahlen, welche die Grenzen bezeichnen, müssen die acht- 
zigsten Potenzen dargestellt werden, um sie mit den obigen vergleichen zu 
können. Man erhält dadurch zwei Zahlen, deren Logarithmen gleich —11,34 
und —8,24 sind. Diese Grenzen umfassen in der That einen grofsen Theil 
der vorstehenden Werthe von p, doch reichen diese auf beiden Seiten noch 
weit darüber hinaus. 


III 


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Math. Kl. 1863. 


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Philologische und historische 


Abhandlungen 


der 


Köni glichen 
Akademie der Wissenschaften 


zu Berlin. 


nn. nn uno. 


Aus dem Jahre 


18693. 


nn non nnan alone. 


Berlin. 
Gedruckt in der Druckerei der Königlichen Akademie 
der Wissenschaften. 


1864. 


In Commission in F. Dümmler’s Verlagsbuchhandlung. 
Harrwitz und Gossmann. 


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Imhbart. 


TRENDELENBURG: Friederich der Grofse und sein Grolskanzler Samuel von 
Cocceji. Beitrag zur Geschichte der ersten Justizreform und 
des Naturrechts . 2. u: 

HANSSEN: Die Gehöferschaften (Erbgenossenschaften) im Regierungsbezirk Trier 

PERTZ über die Berliner und die Vaticanischen Blätter der ältesten Handschrift 
des Virgil. (Mit 3 Tafeln) 

KIRCHHOFF: Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets . 

WETZSTEIN: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, gesammelt auf 
Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. (Mit 
1 Tafel) . Sa Er DE 

BuUScHMANN: Das Lautsystem der sonorischen Sprachen. (Erste Abtheilung der 
Grammatik der vier sonorischen Hauptsprachen) . 

MomMmsEn: Zwei Sepulcralreden aus der Zeit Augusts und Hadrians . 


GERHARD über den Bilderkreis von Eleusis. II. 


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Friederich der Grofse 


und sein Grofskanzler Samuel von Cocceji. 


Beitrag zur Geschichte der ersten Justizreform und des Naturrechts. 


ee 


Von 


H” TRENDELENBURG. 


[Als Skizze gelesen zur Feier des Jahrestages Königs Friederichs des Zweiten 
in der öffentlichen Sitzung der Akademie vom 29. Januar 1863.] 


An 3. Juni 1740, am dritten Tage seiner Regierung, erliefs König Frie- 
derich der Zweite an den wirklichen Geheimen Etatsminister von Coc- 
ceji eine Kabinetsordre, dafs er aus bewegenden Ursachen resolviret, in 
seinen Landen bei denen Inquisitionen die Tortur gänzlich abzuschaffen (!). 
Mit diesem Befehle bezeichnete Friederich, wie mit einigen andern Kabinets- 
ordren aus den ersten Tagen seiner Regierung, den Geist seiner Absichten. 
Es war ein grofser Griff in die peinliche Rechtspflege, die seit Jahrhunderten 
gemeint hatte, zur Überführung des Schuldigen der Folter nicht entbehren 
zu können, und von der Christian Thomasius vergebens die Aufhebung 
derselben gefordert hatte. In dieser Mafsregel trat des Königs eigene Be- 
wegung, sein in der Stille gereifter Entschlufs, hervor. Die bürgerliche 
Rechtspflege litt an andern Mängeln und Friederich fafste sie bald ins Auge. 

Der Zustand der deutschen Rechtspflege war damals mit den Zwecken 
des Rechts in schreiendem Widerspruch. Das volksthümliche Rechtsleben 
war einst in seinen ersten Sprossen erstickt. Das gelehrte Recht, in dem 
nur die Zunft Bescheid wufste, war dem schlichten Gefühl fremd. Zu den 
Controversen im römischen Recht kamen die Confliecte des römischen und 
deutschen. Man wufste im Volke nicht was Rechtens sei; und wie ein blindes 
Schicksal kam das Recht über die Leute, die es traf. Der Rechtsgang hatte 
seine Listen und Kniffe, und dehnbar, wie er war, diente er in den langen 
durch Schriften und Gegenschriften hingeschleppten Processen dem Beutel 
der Sachwalter. Unter dem Schein der Gründlichkeit spielten advokatische 

Philos.- histor. Kl. 1863. A 


2 TRENDELENBURG: 


Künste und barg sich richterlicher Schlendrian. Es war gewöhnlich, dafs 
in Processen die lebendigen ergiebigen Kräfte, welche in jedem Gegenstand 
eines Rechtstreites enthalten sind, Jahrelang brach gelegt wurden. Der 
Verkehr wurde dadurch lahm und Familien nicht selten in dem Grab des 
unsichern Rechts begraben. Die Territorialwirthschaft mehrte das Übel, da 
die Landesherrn des vielköpfigen deutschen Reichs in den Lauf der Gerech- 
tigkeit eingriffen. Die beiden höchsten Reichsgerichte, berufen der letzte 
Schutz des Rechts zu sein und in strenger Vertretung des Rechts voranzu- 
leuchten, gaben das schlechteste Beispiel. In Wetzlar, wo Advocaten und 
Procuratoren die Processe für sich ausbeuteten, wohnten, wie man sagte, 
die Unsterblichen, nämlich die Processe ohne Ende. Überdies galt dort 
die Justiz für bestechlich. So wurde z. B. im Jahre 1713 ein Beisitzer des 
Gerichts angeklagt, in einem Processe, in welchem es sich um 600,000 Rth. 
handelte, von beiden Theilen grofse Geldsummen genommen und der meist 
gebenden Partei gedient zu haben (?). Wenn bei dem Reichskammergericht 
Streitsachen endlich entschieden waren, so geschah es nicht selten, dafs der 
Reichshofrath, welchem alle dem Kaiser allein vorbehaltenen Sachen zu- 
standen, sie als ihm gehörig vor sein Gericht zog. Dann ging der lange 
Tanz von Neuem an, und das Ende war meistens Widerstreit zwischen den 
Sprüchen der beiden höchsten Gerichte, Zwiespalt des Rechts in deutschen 
Reiche. Die Vollziehung der von den Reichsgerichten gefällten Urtheile 
war Pflicht der Landesherren, aber es kam vor, dafs päpstliche Nuntien, 
wie zu Lüttich, Cöln und Münster geschehn, unter Androhung des päpst- 
lichen Bannblitzes alle von dem Kammergericht verhängten Executionen 
rückgängig machten (°). 

Dem Reichskammergericht lag zwar die Idee des der deutschen Nation 
gemeinsamen Rechts zum Grunde. Aber was half die Idee? Der thatsäch- 
liche Zustand machte es jedem kräftigen Fürsten, welchem das Recht im 
eigenen Lande das Erste war, zur Pflicht, dieser Idee den Rücken zu kehren 
und auf heimischer Grundlage das Recht zu errichten. Schon in der gol- 
denen Bulle war dazu die Möglichkeit geboten, indem darin den Kurfürsten 
für ihre Lande die Gerichtsfreiheit, das s. g. privilegium de non appellando, 
gewährt war. Die letzte Entscheidung lag darnach für ihre Unterthanen 
nicht in den Reichsgerichten, sondern in den Gerichten des Landes oder 
dem eigenen Richterspruche. Es gehörte zu den Gebrechen der Reichs- 


Friederich der Grofse und sein Grofskanzler Samuel von Cocceji. 3 


gewalt, dafs diese Freiheit sich von Kaiser zu Kaiser weiter ausdehnte und 
so die Rechtseinheit auch äufserlich mehr und mehr zerfiel. Indessen han- 
delte es sich um etwas Anderes, als um ein Streben nach Eigenmacht und 
Machtvollkommenheit, wenn Friederich der Grofse eine günstige Gele- 
genheit benutzte, um vom Kaiser für alle seine Lande ein solches unbe- 
schränktes privilegium de non appellando zu erreichen. Es wurde ihm unter 
dem 31. Mai 1746 „nach Ziel und Mafs der goldenen Bulle” gewährt (*). 
Nun erst war das Fundament für die völlige Durchführung einer bessern 
Rechtspflege gewonnen. 

Nach dem Dresdener Frieden hatte der König alsbald von Neuem 
Veranlassung, sich um die Rechtspflege in seinen Landen zu bekümmern; 
denn schon im Jahre 1742 und 1743 hatte er in dieser Beziehung Schritte 
gethan, zu Mitteln entschlossen, welche „nicht die Rinde des bösen Baumes, 
sondern die Wurzeln desselben anfassen” sollten (11. Juli 1743). Officiere 
und andre Personen brachten jetzt bei ihm unmittelbar über den Gang ihrer 
Processe Klage an und baten, dieselben durch seine Kabinetsbefehle zu ent- 
scheiden (°). Der König verhandelte darüber mit seinem Justizminister Frei- 
herrn von Cocceji, der ihm nun einen Plan zur Justizreform vorlegte. 
Cocceji's Ansichten entsprachen den Absichten des Königs und Cocceji wurde 
das Werkzeug, durch welches der König handelte. 

Des Königs Feuer blickt aus seinen Kabinetsordren hervor. Schon den 
14. Jan. 1745 hatte er an die Geh. Etatsminister von CoccejJi, von Broich 
und von Arnim geschrieben (°): ich befehle Euch nochmals allergnädigst 
... dahin zu sehen, dafs bei den Justizcollegiis solche feste und unverän- 
derliche Einrichtung gemacht werde, damit alle Processe, nach Beschaffen- 
heit derer Sachen, sonder alle Weitläuftigkeiten und Verzögerungen nach 
wahrem Rechte kurz und gut in jeder Jahresfrist abgethan und entschieden 
werden mögen. Ich verlasse Mich auf Euch. Ihr werdet schon nach reif- 
licher Überlegung solche Mittel ausfindig machen, welche zu Erreichung 
dieses Zweckes erforderlich sind”; und am 12. Jan. 1746 schreibt er drin- 
gender an Cocceji: „Da aus unzähligen mir bekannten Exempeln erhellet, 
dafs nicht ohne Ursache überall über eine ganz verdorbene ‚Jnstizadminis- 
tration in meinen Landen geklagt worden; ich aber, bei nunmehro geschlos- 
senem Frieden, darzu nicht stille schweigen, sondern mich selbst darein 
meliren werde: so sollt Ihr nun an alle Meine Justizcollegien eine nachdrück- 

A2 


A TRENDELENBURG: 


liche Circularordre desfalls ergehen lassen, worinnen dieselbe von denen 
bisherigen, leider! eingerissenen und oft himmelschreienden Mifsbräuchen, 
durch Chikanen, Touren und Aufhaltungen der Justiz, nach der alten Leier, 
der wohlhergebrachten Observanz und dergleichen öffentlich tolerirten Mit- 
teln der Ungerechtigkeit abgemahnt, hingegen angewiesen werden, künftig 
bei Vermeidung Meiner höchsten Ungnade und unausbleiblicher Bestrafung 
allein darauf zu arbeiten, dafs jedermann ohne Ansehn der Person, eine 
kurze und solide Justiz, sonder grofses Sportuliren und Kosten, auch mit 
Aufhebung derer gewöhnlichen Dilationen und oft unnöthigen Instanzien, 
administriret und alles dabei blos nach Vernunft, Recht, Billigkeit, auch 
wie es das Beste des Landes und derer Unterthanen erfordert, eingerichtet 
werden möge”. 

Es läfst sich nichts Umfassenderes denken als eine solche Justizreform, 
wie Friederich sie im Sinne hatte; denn es war sein Ziel, nicht allein kur- 
zes und doch gründliches Verfahren herzustellen, sondern auch ein ganzes 
vernünftiges Landrecht zu schaffen. Aber schon nach kurzer Zeit, schon 
im Jahre 1748, als er eine Denkmünze auf die Verbesserung des Rechts 
schlagen liefs, glaubte Friedrich der Grofse des Erfolges sicher zu sein. Was 
bis dahin geschehen, war Cocceji’s Verdienst, der die Seele der ersten 
Justizreform war. 

Für die Richtung, welche sie nahm, ist es es nicht unwichtig, einen 
Blick auf Cocceji’s Leben zu werfen. 

Samuel von Cocceji, geboren zu Heidelberg 1679, war der Sohn 
des berühmten Rechtsgelehrten Heinrich von Cocceji und Erbe seines 
juristischen Ruhmes, ja zum Theil Erbe seiner eigenthümlichen juristischen 
Anschauungen. Sein Vater, aus Bremen gebürtig und in Holland gebildet, 
war zuerst Professor der Rechte in Heidelberg, dann in Utrecht, zuletzt in 
Frankfurt a. d. ©. König Friederich I. verwandte denselben wiederholt 
in Staatsgeschäften; namentlich sandte er ihn 1702 in der Angelegenheit der 
oranischen Erbschaft nach dem Haag, und im Jahre 1703 erforderte er 
sein Gutachten über das Ober-Appellationsgericht, das er einzurichten be- 
schlossen hatte (7). 

Heinrich Cocceji beschäftigte sich unter Andrem mit dem Natur- 
recht und früh ging sein Sohn in diese Untersuchungen über die Prineipien 
alles Rechts ein. 


Friederich der Grofse und sein Grofskanzler Samuel von Cocceji. 5 


Das Naturrecht war damals eine Frage der Zeit. Hugo Grotius 
hatte 1625 sein Werk vom Recht des Krieges und Friedens herausgegeben. 
Es war ein Werk von eingreifender Bedeutung. Es war das erste, das in 
die Rechtsgelehrsamkeit der Zeit den Blick der nach Einheit strebenden 
Wissenschaft und den Überblick eines Systems, und in den Wust der Ge- 
setze das Licht eines Princips brachte. Mit reichster Gelehrsamkeit aus- 
gestattet, durch klare lateinische Darstellung ansprechend, voll Kenntnifs 
der Historiker und Philosophen, auf positiver Gesinnung ruhend und durch 
humanen Geist wohlthuend hatte das Buch eine grofse Wirkung. Auf den 
Universitäten wurden Vorträge über Hugo Grotius gehalten, Commentare 
erschienen, der Kurfürst von der Pfalz, der Hugo Grotius gelesen, stiftete 
auf der Universität zu Heidelberg eine eigene Professur des Naturrechts, 
für welche er Pufendorf berief. Die Quelle, aus welcher nach Hugo 
Grotius das Alle verbindende Recht, das Recht im eigentlichen Sinne her- 
fliefst, ist die mit der menschlichen Vernunft übereinstimmende Wahrung 
der menschlichen Gesellschaft; aus ihr entspringt z. B. die Enthaltsamkeit 
von fremdem Eigenthum, und wenn wir fremdes Eigenthum haben und damit 
gewinnen, die Herstellung desselben, die Verpflichtung zur Erfüllung von 
Versprechen, Ersatz eines durch Schuld verursachten Schadens, die Noth- 
wendigkeit der Strafe. Wo Gesellschaft ist, da ist Recht; und aus dem 
Zwecke, die Gesellschaft zu wahren, ergiebt sich das Recht dergestalt als 
unwandelbare Folge, dafs das Wesen des Rechts, sogar wenn es keinen Gott 
gäbe, was freilich, setzt Hugo Grotius hinzu, zu denken unfromm wäre, 
so lange bleiben würde, als das Fundament, Wahrung der menschlichen 
Gesellschaft, bliebe. Strenges Recht wird hiernach alles dasjenige, was die 
Natur einer Gesellschaft vernünftiger Wesen von jedem gegen alle fordert 
und jedem gegen alle gewährt, weil sonst die Gesellschaft schlechthin nicht 
bestehen könnte. Dieser Grundgedanke geht durch das Werk durch. Aber 
neben diesem Prineip steht noch ein anderes. Hugo Grotius fügt zu je- 
nem unwandelbaren aus der nothwendigen Wahrung der menschlichen Ge- 
sellschaft fliefsenden Rechte ein göttliches Recht hinzu, das aus dem freien 
Willen Gottes stammt, iws divinum voluntarium. Zwar wird beiderlei 
Recht auf Gott zurückgeführt. Aber jenes Recht hat Gott gewollt, weil es 
an und und für sich recht ist; dieses ist recht, weil es Gott gewollt hat. 
Grotius bestimmt dies göttliche Recht dreifach, zuerst als das s. g. 


6 TRENDELENBURG: 


adamitische Recht bei der Schöpfung gegeben, das dem Menschen die Herr- 
schaft über die Erde verleiht, dann das s. g. noachimische Gesetz, das Gotte 
zu dienen befielt, den Incest verbietet und den Genufs des lebendigen Blutes 
untersagt, endlich das Gesetz des Evangeliums, wohin das Verbot des Con- 
cubinats, der Ehescheidung, der Polygamie und unmäfsiger Zinsen gerechnet 
wird. Dies Recht verpflichtet als der ausdrückliche Wille Gottes alle Men- 
schen, so weit esihnen bekannt geworden (?). Wenn Hugo Grotius noch 
ein positives Völkerrecht, ein ius gentium voluntarium, annimmt, aus Noth 
und Nutzen unter den Völkern vereinbart: so kann dies, weil es auf mensch- 
licher Übereinkunft ruht, und nur Geltung hat, so weit diese reicht, füglich 
auf sich beruhen. Offenbar liegt nun zwischen den beiden ersten Weisen 
des Ursprungs schon in der Anlage die Möglichkeit eines Zwiespalts. Denn 
jenes Recht, aus der Wahrung der Gesellschaft fliefsend, fliefst den Men- 
schen aus einem innern Princip; dieses göttliche Recht kommt ihnen von 
aufsen; jenes ist unwandelbar, wie die logische Consequenz; dieses wird 
sich je nach dem Willen Gottes ändern können. 

Es konnte nicht fehlen, dafs im Fortgang jenes strenge Recht der 
menschlichen Wissenschaft zugänglicher und zuverlässiger erschien und dieses 
göttliche dann zu kurz kam. So geschah es, als Pufendorf den Weg des 
Hugo Grotius weiter verfolgte und in denselben zugleich Betrachtungen 
von Hobbes einführte. 

Pufendorf setzte zwar den Willen Gottes, der den Menschen zur 
Geselligkeit schuf, als den letzten Ursprung, aber nahm dann die Socialität 
als das Princip an, aus welchem Moral und Rechtsbegriffe fliefsen; im Ge- 
gensatz gegen scholastische Theologen, welche das Gute und Rechte an und 
für sich vor allem Willen aus der Heiligkeit Gottes abgeleitet hatten, stellte 
er das Rechte und Gute an und für sich, in wiefern es unabhängig von jenem 
Willen Gottes sein soll, der die Menschen zur Geselligkeit bestimmte, in 
Abrede und bedingte das Gute und Rechte, indem er es auf die Grundlage 
der Bestimmung zur Gesellschaft, auf die Socialität zurückführte. Der 
Mensch ist aus Selbstliebe und wegen seiner Bedürftigkeit auf die Hülfe An- 
derer hingewiesen und daraus entspringt das Naturgesetz der Geselligkeit, 
welches durch Gott als den Schöpfer und Urheber dieses Gesetzes seine 
Sanction hat. Gegen diese Betrachtungsweise, in welcher das Ethische und 
das Recht lediglich von äufsern Beziehungen des Menschen zum Menschen 


Friederich der Grofse und sein Grofskanzler Samuel von Coccgji. 7 


abhängig gemacht wird, erhoben sich namentlich theologische Philosophen 
und der Streit um das Prineip, ein Streit der Theologie gegen das nackt 
rationale Naturrecht, wurde 14 Jahre hindurch heftig geführt. In ihm 
leuchtete die Nothwendigkeit ein, im Naturrecht die Philosophie von der 
Theologie zu scheiden. Leibniz vermiflste in Pufendorf philosophische 
Tiefe. Dagegen schlofs sich Christian Thomasius, der in Frankfurt 
a. O. über Hugo Grotius gelesen hatte, an Pufendorf an und vertheidigte 
ihn gegen seine Gegner. Neben dem Naturrecht, das er aus der Socialität 
folgerte, entwarf er in seiner iurisprudentia divina ein positives göttliches 
Recht, und setzte es aus solchen Stellen der Bibel zusammen, welche ein 
alle Menschen bindendes Gebot vor Augen haben, und Ludovici folgte 
ihm darin. In diesem Zusammenhange wurde z. B. das Verbot der Poly- 
gamie, der Blutschande in gerader Linie, weil sie mit der Socialität in keinem 
Widerstreit stehen, nur aus dem ius divinum abgeleitet. Was nach dem 
Naturrecht erlaubt war, erschien nun hinterher als verboten (?). War dem 
Positiven damit gedient, dafs es auf diesem Wege, als wäre es willkührlich, 
der Basis vernünftiger Nothwendigkeit entbehren mufste? Dies liefs sich 
billig bezweifeln und man fühlte die gefährliche Stellung. 

In diesen Richtungen hatte sich ein Zwiespalt zwischen dem Natur- 
recht und dem göttlichen Recht aufgethan, als Cocceji der Vater in seinen 
berühmten Vorlesungen über Hugo Grotius auf eine gröfsere Einheit 
dachte und auf eine natürliche Theologie alles Naturrecht gründete. Früh 
folgte der Sohn den Schritten des Vaters. Im Grofsen und Ganzen vertrat 
er des Vaters Ansichten und wich nur in Wenigem von ihnen ab. Samuel 
Cocceji erörterte sie in seiner Inauguraldissertation (1699) de principio 
iuris naturalis unico vero et adaequato, und vertheidigte sie namentlich 
gegen Ludovici’s Einwendungen in seiner resolutio dubiorum circa hypo- 
thesin de principio iuris naturalis motorum (1705). 

Die Hauptsätze, welche Heinrich von Cocceji seinen Vorlesungen 
über Hugo Grotius voranzuschicken pflegte, sind unter dem Namen der 
positiones Henriei Cocceii mehrfach gedruckt (1°). Ihnen folgte nach An- 
leitung jener Vorlesungen unter andern auch Heinrich Ernst Kestner, 
Professor in Rinteln, in seinem Naturrecht (ius naturae et gentium, ex ipsis 
‚fontibus ad ductum Grotü Pufendorfü et Coccei derivatum. 1698). 


8 TRENDELENBURG: 


Samuel von Cocceji hielt die in der Jugend überkommenen Ge- 
danken während seines späteren in der Praxis viel bewegten Lebens fest und 
bildete sie weiter aus. Wie er schon in seiner Dissertation ($. 34 f.) das 
Prineip des Naturrechts im römischen Recht hatte wiederfinden wollen, so 
verschmolz sich ihm mehr und mehr das Naturrecht mit den durchsichtiger 
gewordenen Principien des römischen Rechts. In diesem Sinne gab er im 
J. 1740, also 40 Jahre nach jenem Anfang, sein neues System des natür- 
lichen und römischen Rechts heraus (zuerst als elementa iustitiae naturalis 
et Romanae 1740, dann als novum systema iustitiae naturalis et Romanae 
im 5. Bde. des Grotius illustratus), und in demselben Geist sind seine 
Commentare zu Hugo Grotius geschrieben, welche er im Jahre 1744 mit 
denen seines Vaters in Einem Werke vereinigte, einem Werke, welches sich 
unter dem Titel Grotius illustratus einen grofsen Namen erwarb und ins 
Französische, Holländische, Englische übersetzt wurde. 

Die Grundzüge von Sam. v. Cocceji’s Ansichten im Naturrecht 
sind folgende. 

Es giebt nur Eine Quelle des Naturrechts, und es ist unrichtig, neben 
dem Naturrecht, wie Hugo Grotius thut, ein besonderes durch göttlichen 
Willen bestimmtes Recht zu setzen. In dem Naturrecht, das nur aus dem 
Zweck die menschliche Gesellschaft zu wahren entspringen soll, fehlt ein 
verpflichtender Grund, eine Macht, welche zum Gehorsam verbindet, über- 
haupt die Nothwendigkeit, welche die menschliche Willkür einschränkt. 
Wenn man einen solchen Zweck, wie die socialitas, an die Spitze stellt, so 
verwandelt man das Recht in Nützlichkeit. Vielmehr ist die einige Quelle 
des Rechts der befehlende oder erlaubende Wille Gottes, der an und für 
sich, da der Mensch nicht aus sich selbst ist, eine verpflichtende Kraft in 
sich trägt. Gott allein hat Recht und Herrschaft über das Menschen- 
geschlecht, denn er konnte es schaffen und auch nicht schaffen, und daher 
kann auch Gott allein ein Gesetz geben. Deswegen ist es unrichtig zu sagen, 
dafs das Recht, aus der Wahrung der menschlichen Gesellschaft entsprin- 
gend, bliebe, wenn es auch keinen Gott gäbe. Der befehlende oder er- 
laubende Wille Gottes soll indessen nicht aus einer Offenbarung erkannt 
werden, da das Naturrecht allgemein gelten mufs; sondern auf den Wegen 
der menschlichen Vernunft; und zwar aus denjenigen Bewegungen und Trie- 
ben, welche im Menschen von Gott herstammen, aus den Handlungen des 


Friederich der Grofse und sein Gro/skanzler Samuel von Coecgji. 9 


Schöpfers, aus dem nothwendigen oder wahrscheinlichen Zweck, aus der 
Nothwendigkeit des Mittels, aus der Natur und dem Wesen des heiligen 
Schöpfers, der nichts zwecklos thut, und endlich aus der Übereinstimmung 
der Völker. Indem so im Besondern der befehlende und erlaubende Wille 
Gottes erkannt wird, giebt es keine oberste Eine Regel, wie z. B. die So- 
eialität, aus welcher das gesammte Recht herflösse. In der bezeichneten 
Weise wird z. B. das Eigenthum begründet, aus der Thatsache der Schö- 
pfung, da Gott jedem das Vermögen gab, die Dinge der Erde, die ursprüng- 
lich niemandem gehören, an sich zu reifsen; aus den natürlichen Bewegungen 
jedes Menschen, da jeder das begehrt, was die Nothdurft des Lebens for- 
dert; aus dem Zwecke des Schöpfers, denn Gott schuf die Dinge, damit der 
Mensch ihrer gebrauchen könne; aus der Nothwendigkeit des Mittels, weil 
Gott das Menschengeschlecht erhalten wollte; aus der Natur des vollkomm- 
nen Wesens, da Gott den Menschen das Vermögen gab, der Dinge der Erde 
zu gebrauchen und er nichts umsonst thun kann; endlich aus der gemein- 
samen Sitte aller Völker. Was nun nach dem Willen des Schöpfers der 
Einzelne erwirbt, darf der Andere ihm nicht nehmen und ist es ihm ent- 
fremdet, so steht ihm ein Recht der Vindication zu (novum systema 8.245 ff.). 
Auf eine solche gemeinfalsliche Weise wird dargethan, dafs Gott jedem 
Menschen ein eigenthümliches Vermögen zu haben und zu handeln gegeben; 
und aus diesem Willen des Schöpfers hat jeder ein erworbenes Recht zu 
haben und zu handeln. Daher dürfen andere Menschen dies von der Natur 
verliehene Recht nicht stören und Gott hat also gewollt, dafs jedem sein 
Recht gegeben werde. Jeder hat ein Recht theils in Ansehung Gottes, wo- 
hin die Rechte zwischen Gott und Menschen, insbesondere die Vorschriften 
der Vervollkommnung gehören, theils in Ansehung der Menschen unter sich. 
Wenn einer dem andern das ihm von Gott verliehene Recht verweigert, so 
kann er dazu durch Gerichte oder durch Repressalien und Krieg gezwungen 
werden. Hiernach ist das Recht der Natur eine dem menschlichen Geschlecht 
durch Vernunft erklärte Vorschrift des Schöpfers, dafs jeder jedem sein 
Recht gebe d. h. sowohl das Gott als dem Menschen nach natürlicher Ver- 
nunft zustehende Recht und zwar aus Furcht der Strafe (nov. syst. $. 56). 
Cocceji hält hiernach im Recht an dem Begriff Gottes fest und be- 
festigt an ihm alles; und er hält an der begründenden menschlichen Vernunft 


Philos. -histor. Kl. 1863. B 


10 TRENDELENBURG: 


fest und erklärt sich gegen die eingeborenen Ideen, die der Gründe entbehren, 
und gegen die Offenbarung als Quelle des Rechts. Freilich gleicht er sich 
mit dem Positiven wieder aus, so gut es geht. Das Recht der Natur, sagt 
er, ist unveränderlich; aber Gott ist an die Gesetze, die er dem Menschen 
giebt, nicht gebunden und kann daher nach seinem Recht den Menschen 
etwas, was er sonst untersagt hat, auftragen, z. B. dafs die Israeliten den 
Ägyptern die Gefäfse entwenden. 

Von den Gott zustehenden Rechten kann nur Gott entbinden. Die 
rechte Gesinnung, der reine Wille ist Gottes Recht, so dafs den Mangel 
Gott bestrafen mufs. Diese Gott zustehenden Rechte gehen den Gesetz- 
geber an sich nichts an; aber er sorgt für sie, indem er für die Ver- 
kündigung des göttlichen Wortes sorgt, und er hat das Recht, solche 
Übertretungen zu bestrafen oder zu verhindern, welche Gottes Willen ver- 
letzen würden, wenn sie auch keines Menschen Recht verletzten, wie z. B. 
Blasphemie, Incest, Selbstmord (!!). 

Wenn nach Cocceji das Recht der Natur eine Vorschrift des Schö- 
pfers sein soll, jedem sein Recht zu geben: so spielt darin die doppelte 
Wortbedeutung des Rechts eine zweideutige Rolle. Das Recht der Natur 
bezeichnet den letzten Gedanken einer vernünfligen Gesetzgebung und der 
Ausdruck, jedem sein Recht zu geben, das jedem nach dieser vernünftigen 
Gesetzgebung Zustehende. Daher kann ohne das Naturrecht, das definirt 
werden soll, dies Recht nicht erkannt werden und man bewegt sich mit dieser 
Bestimmung im Zirkel. 

Was nach dem befehlenden oder erlaubenden Willen Gottes, der 
durch die angegebenen Mittel erkannt wird, jedem als erworbenes Recht zu- 
steht, das soll ihm gewährt werden. Da nun ein Prineip des Inhalts für das, 
was den befehlenden oder erlaubenden Willen Gottes ausmacht, dem Natur- 
recht der beiden Cocceji fehlt: so hat es an dieser Stelle ein Bedürfniss, 
sich zu ergänzen. Samuel von Cocceji, in das consequente römische 
Recht eingewohnt, findet in ihm den vernünftigen Inhalt, der am meisten 
mit dem übereinstimmt, was Gottes Wille befehlen und erlauben kann. 
Daher wird ihm das römische Recht zum Modell und natürliches und römi- 
sches Recht fallen ihm in seinem norum systema iustitiae naturalis et Ro- 
manae gewissermafsen zusammen. Das römische Recht dient ihm zugleich 
zum Leitfaden dessen, was das Naturrecht zu begründen hat. 


Friederich der Grofse und sein Gro/skanzler Samuel von Cocceji. 11 


Aber selbst der Weise der Begründung fühlt man die ausschliefsliche 
Betrachtungsweise des römischen Rechts an. Das römische Privatrecht 
steht auf dem Standpunkt des Einzelnen; der consequente Wille des Ein- 
zelnen ist im Mein und Dein und in den Verbindlichkeiten der Contracte 
zum eigentlichen Princip des Rechts gewordeu. Das rechtsbildende Princip 
geht überwiegend von dem aus, was die einzelne Person zur Person macht. 

Dasselbe zeigt sich in den Begründungen Cocceji’s, und zwar über 
die nothwendigen Grenzen hinaus, selbst bei solchen Bildungen, wie die Fa- 
milie, der Staat, welche Lebensordnungen höheren Ursprungs sind, als 
dafs ihr Recht aus dem Willen des Einzelnen allein könnte begriffen 
werden. 

So ist es charakteristisch, dafs das ganze Familienrecht eigentlich nur 
vom contrahirenden Willen des paterfamilias ausgeht. Der Mann will aus sei- 
nem Samen, so wird es dargestellt, Kinder erzeugen ; dazu sucht er sich eine 
Genossin, welche zu diesem Zwecke ihren Leib darbietet; er will der gewisse 
und unbezweifelte Vater der Kinder sein, und dazu bedarf es eines ungetheil- 
ten Zusammenlebens (individua consuetudo), woraus die iustae nuptiae her- 
vorgehen und es kann nun heifsen, filius est quem iustae nuptiae demonstrant. 
Der Ehebrecher vergeht sich, indem er diesen Zweck des Ehemanns vereitelt. 
Die väterliche Gewalt entspringt daraus, dafs die Kinder ein wirklicher Theil 
des Leibes der Eltern sind und der Vater sie, als aus seinem Samen ge- 
boren, sich mit Recht vindieirt. Weil dieser Zweck der Ehe, dafs der 
Vater als Vater seiner Kinder gewifs sei, auch im lebenslänglichen Concubi- 
nat bleibt, so ist ein solches durch das Naturrecht erlaubt (!?). 

Es erhellt leicht, dafs eine solche Auffassung, die in der Ehe nur vom 
Contract, ja nur von einem Contract ausgeht, welcher lediglich durch den 
Zweck des paterfamilias bedingt ist, weder das Wesen und die Bedeutung 
der Ehe, noch den Sinn des Rechts erreicht, das diese Bedeutung wahren 
soll. Die individua vitae consuetudo wird nur nach der Seite des Ehebettes 
verstanden und das Verständnifs erhebt sich nicht zu dem consortium omnis 
vitae, divini et humani iuris communicatio. Es ist die Ehe auf dem Grund 
eines Contracts unter den Gesichtspunkt eines Eigenthumsrechtes gestellt. 
Man sollte glauben, dafs ein Naturrecht, das den befehlenden und erlauben- 
den Willen Gottes an die Spitze stellt, eine gröfsere ethische Tiefe erstreben 
müfste. Der sittliche Begriff der Ehe ist so wenig zum Grunde gelegt, dafs 

B2 


19 TRENDELENBURG: 


sie eigentlich nur als eine höhere Art der conductio für den Zweck, eigene 
Kinder zu haben, dargethan ist. 

So äufserlich und so wenig specifisch als die Ehe, ebenso äufserlich 
und ebenso wenig specifisch ist in diesem Naturrecht der Staat gefafst wor- 
den. Er entsteht wie andere Genossenschaften durch Übereinstimmung 
aus einem Vertrag der Menschen und ist eine Gesellschaft mehrerer Familien 
zum Schutze des Rechts. Weil nun die Familienväter, welche zusammen- 
treten, ihr Recht sich zu vertheidigen von Gott haben, so stammt das Recht 
der Staatsgewalt, welche lediglich auf dem Recht der Übertragung beruht, 
mittelst der Übertragung der Familienväter von Gott (!°). 

Der Staat ist in diesem Naturrecht weder als nothwendige Lebensform 
der Menschheit noch in seinem sittlichen Inhalt begriffen. Dadurch fehlt 
im Gegensatz gegen das rechtsbildende Princip, das im Willen der einzelnen 
Person liegt, das andere rechtsbildende Prineip, das aus der sittlichen Ge- 
meinschaft entspringt. Und doch wird erst in der Einigung beider das 
rechte Recht erzeugt. Es ist für die Bewegung, welche im Naturrecht von 
Hugo Grotius ausgeht, bezeichnend, dafs es im stoischen Sinn abstract mit 
der Wahrung der Gesellschaft (societatis custodia) als dem Prineip des 
Rechts anhebt, und nicht mit dem aristotelischen Gedanken, dafs das Ganze 
früher ist als der Theil und der Staat früher als das Haus und jeder von 
uns, so dafs schon im Begriff des Menschen das für den Staat bestimmte 
Wesen liegt (das &üev werrrızev). Es ist ferner bezeichnend für Cocceji’s 
Naturrecht, dafs es selbst diese Beziehung zum Zweck der Gesellschaft als 
wesentliches Prineip aufgiebt und sogar den Staat privatrechtlich aus dem 
Recht der eine Übertragung vereinbarenden Familienväter verstehen will. 

In diesen Zügen sieht man Coecceji’s Grundgedanken, in welchen sich der 
Philosoph dem Juristen des römischen Privatrechts anschliefst und fügt. Als 
seine Inauguraldissertation über das Eine wahre und adaequate Princip des Na- 
turrechts herausgekommen, war selbst Leibniz auf diese Ansicht aufmerksam. 
In den damals erscheinenden „monatlichen Auszügen” (1700. Juli) fanden sich 
über die Schrift Bemerkungen, welche von Leibniz herrührten. Sie führen 
besonders aus, dafs nicht die nackte Macht des göttlichen Willens das sein 
könne, was den Menschen verpflichte, und dafs vielmehr der Verstand und 
die Weisheit Gottes das Recht bestimme. Denn wie die Regeln der Pro- 
portionen und der Gleichheit in den Zahlen, so seien die Regeln der Billig- 


Friederich der Grofse und sein Grofskanzler Samuel von Cocceji. 13 


keit und Übereinstimmung ewig. Als das Recht an sich, von der Weisheit 
erkannt, könne Gottes Wille sie unmöglich verletzen. 

In der ersten Arbeit Cocceji’s erscheint schon eine Richtung auf das Prin- 
cip und das System. Und es wollte etwas sagen, dafs er sie in seinem bewegten 
Leben festhielt; es lag darin eine Vorbedingung zum künftigen Gesetzgeber. 

Wir gehen in seinem Leben weiter. Sein Vater hatte ihn zunächst 
auf Reisen gesandt. In Italien verkehrte er mit Magliabecchi, in Frank- 
reich mit Mabillon, in Holland mit Graevius, Gronovius, Franz- 
kius, Perizonius, in England mit gelehrten Bischöfen, in Paris mit 
Spanheim, dem damaligen preufsischen Gesandten und durch ihn mit 
hervorragenden Männern jener Zeit (!*). Nach seiner Rückkehr wurde er 
1702 ordentlicher Professor der Rechte zu Frankfurt a. d. ©. Von da 
an fafste ihn die juristische Praxis. Er wurde 1704 Regierungsrath zu Hal- 
g. Damals waren näm- 


5 
lich die Regierungen höhere Justizeollegien. In dieser Zeit gab Cocceji 


berstadt und 1710 Director der dasigen Regierun 


seine bereits in Frankfurt begonnene gelehrte und zugleich in die Praxis 
eingreifende Arbeit heraus, seine zwei Quartanten ius controversum civile 
gründ- 
lichen Geiste eigen, die praktischen Fragen in die Wissenschaft zu ziehn, und 


pandectarum ad ordinem Lauterbachü (zuerst 1713). Es war seinem 


so erscheinen in diesem Werke auch Fragen und Entscheidungen z. B. aus 
der Gerichtspraxis in Halberstadt. Wir sehen Samuel von Cocceji schon im 
J. 1711 als Subdelegirten zur Visitation des Kammergerichts in Wetzlar ab- 
geordnet, und zu einem solchen Auftrage bedurfte es eines gediegenen und 
gewandten Juristen. In Wetzlar, dem verschlingenden Abgrund der Pro- 
cesse, dem juristischen Tummelplatz für die Intriguen der politischen und 
kirchlichen Parteien, hatte Samuel von Cocceji die Augen offen. Wachsam 
für die Sache der Evangelischen zeigt er in seinen Berichten Energie. Die 
Verwicklungen der Justiz gestalteten sich ihm zu principiellen Fragen und 
in den Acten des Geheimen Staatsarchivs befinden sich drei lateinische Streit- 
schriften, welche er der Regierung zur Verfügung stellte, eine z.B. über den 
Conflict des Reichshofraths und Reichskammergerichts('5). Während Cocceji 
in Wetzlar war, starb König Friederich der Erste. Die Visitation ging 1713 zu 
Ende. Das Vertrauen, dessen Cocceji sich erfreuet hatte, blieb ihm unter 
König Friederich Wilhelm dem Ersten. Bei dem drohenden nordischen 
Kriege 1714 wurde er nach Wien gesandt. Dann sehen wir ihn in Berlin thätig. 


14 TRENDELENBURG: 


Dem Könige Friederich Wilhelm lag die Verbesserung der Rechtspflege am 
Herzen. Gleich nach seinem Regierungsantritt hatte er Schritte dafür ge- 
than. „Die schlimme Justiz schreiet zum Himmel,” so lautete sein bekann- 
ter Ausspruch, „und wenn ichs nicht emendire, so lade ich selber die Ver- 
antwortung auf mich.” Zunächst wandte er sich dem geltenden Recht der 
Provinzen zu, „damit alle aus einem ungewissen Recht entspringende Fehler 
und Gebrechen abgeschafft werden.” Schon mehrere Jahre, besonders seit 
17144, waren Verfügungen nach Preufsen ergangen, die Rechtspflege zu 
beschleunigen, das Wechselrecht streng zu wahren, die Advocaten zu ihrer 
Pflicht anzuhalten, als im August 1718 Cocceji nach Königsberg gesandt 
wurde. Seine Instruction vom 30. Juli 1718 enthält Gesichtspunkte, 
welche er vielleicht selbst angegeben hatte, zum Theil dieselben, wie die- 
jenigen, welche später die Reform unter Friederich dem Grofsen leiteten. 
Alle Processe oder wenigstens alle Instanzen sollen in einem Jahr geendigt 
werden. Weil nicht alle Processe auf gleichem Fufs tractiret werden kön- 
nen, so soll hierunter mehr auf die natürliche Billigkeit als auf die Procefs- 
ordnung reflectiret werden. Keinem Advocaten soll künftig etwas vor 
Endigung der Processe sub poena dupli bezahlt werden. Man soll den Con- 
cursprocefs aufs Äufserste verhüten und die Unterthanen nicht untüchtig 
machen, die Contributionen abzutragen. Der König legt in kurzer eigen- 
händiger Bemerkung Nachdruck auf die Sache. Die revidirte Tribunalsord- 
nung ist in dem Exemplar, das bei den Acten liegt, mit Cocceji's Rand- 
bemerkungen versehen. Cocceji erledigte den Auftrag zur Zufriedenheit 
des Königs und im Jahre 1721 erschien das corpus iuris Prutenici, das sich 
in den Gerichten den Namen des „wohl verbesserten Landrechts des König- 
reichs Preufsen” erwarb. In der constitutio prooemialis d.d. Berlin 27. Juni 
1721, welche unter Königlicher Autorität vorangedruckt ist, werden Samuel 
von Cocceji’s Verdienste erwähnt. „Sothanes Landrecht” ist unter seiner 
Leitung, nach Berathung mit einer besondern Deputation aus allen Collegiis 
und nach des Königs Decisionen „in denen nöthigen Örtern geändert, die 
Mifsbräuche abgeschafft, was zur Verkürzung der Processe dienlich, einge- 
rückt, die zweifelhafte Texte erkläret, insonderheit alles nach dem gegen- 
wärtigen Zustand des Königreichs Preufsen angerichtet” worden. Es wird 
dabei ausdrücklich verordnet, dafs,‘ wenn ein in sothanem verbesserten 
Landrecht nicht begriffener Fall künftig vorkommen möchte, derselbe, wenn 


Friederich der Grofse und sein Grofskanzler Samuel von Coccgji. 15 


er in dem kaiserlichen Rechte ausdrücklich deeidiret, nach demselben ent- 
schieden, sonst aber zur anderweitigen Dijudication der Casus mit Beifügung 
der rationum dubitandi et decidendi zur königliehen Decision nach Hofe be- 
richtet werden solle (16). Cocceji wurde nach seiner Rückkunft 1723 
Kammergerichtspräsident, 1727 Staats- und Kriegsminister, 1730 Chef aller 
geistlichen und französischen Angelegenheiten, Präsident in dem churmär- 
kischen Consistorio und Obercurator aller königlichen Universitäten, und 
1731 Präsident des Oberappellationsgerichtes und Lehnsdirector, bis er 
endlich im Jahr 1738 zum ersten Chef der Justiz in den gesammten preufsi- 
schen Landen aufstieg. 

Es wird uns erzählt (17), dafs Cocceji schon als Kammergerichts- 
präsident und noch mehr als Justizminister unter dem König Friederich 
Wilhelm dem Ersten eine Justizreform beabsichtigt habe; aber sein Versuch 
sei mifslungen, weil sein Ehrgeiz die Eifersucht erst des Justizministers 
von Plotho und nach dessen Tode des Justizministers von Arnim erregt 
habe. Den Justizplan, den Cocceji dem König Friederich Wilhelm übergab, 
habe der Justizminister von Arnim verworfen und darin einige Räthe und 
Rechtsgelehrte auf seiner Seite gehabt. Inzwischen hatte der König dem 
Kammergerichts-Präsidenten von Cocceji aufgetragen, die Justizverfassung 
bei dem Kammergericht auf dem nämlichen Fufs einzurichten, wie es zur 
Beschleunigung der Justiz im Königreich Preufsen mit Erfolg geschehen war. 
In den Acten des Geheimen Staatsarchivs findet sich ein von Cocceji unter 
dem 19. Dec. 1724 eingesandtes „ohnmafsgebliches Project, wie die Justiz 
beim Kammergericht zu verbessern sei;” Cocceji ist den Vorschlag mit dem 
Kammergericht durchgegangen, die Stände haben nichts erinnert und er 
sucht nun des Königs Approbation nach. Die Verordnung vom 16. April 
1725 war das Ergebnifs (1%). Unter dem 21. Sept. 1733 findet sich in den 
Acten mit Cocceji’s Unterschrift ein königlicher Erlafs an alle betreffende 
Justizbehörden, worin es heifst: „weilen Wir ein ius certum in denen Uns 
von dem Allerhöchsten untergebenen Landen und Provinzen etablirt wissen 
wollen, so ergehet Unser allergnädigster Befehl hiedurch an Euch, sämmt- 
liche casus dubios, welche entweder daher, dafs praxis a iure communi diffe- 
riret oder weil super iure communi die doctores differiren oder weil die 
Landes-Constitutiones dunkel und zweifelhaft vorgekommen sind, accurat 
und deutlich zu specifieiren, selbige auch nebst Beifügung Euers ohnmafsgeb- 


146 TRENDELENBURG: 


lichen Gutachtens anhero einzusenden.” Ein ähnlicher Befehl war von dem 
Könige schon im Jahr 1714 ergangen; und es ist merkwürdig dafs damals, 
da casus dubii einberichtet werden sollen, die Magdeburger Regierung ant- 
wortet: es sei in dortiger Provinz ein ius certum vorhanden ; man wolle in- 
dessen auf die Sache attendiren. Dies Mal geht es nicht viel besser. Viele 
Behörden entschuldigen sich, es seien keine casus dubi notirt. Andere 
gehen in die Frage ein und berichten, wie z. B. die Geldernsche Justizcom- 
mission (in holländischer Sprache), der Schöppenstuhl zu Brandenburg, die 
Justizcollegien zu Cleve, in der Mark u.a. Cocceji verfolgte indessen, wie es 
scheint, die Sache weiter. Wenigstens liegt ein Concept vom Jahre 1734 
vor, dafs jährlich berichtet werde, welche casus dubii vorgekommen seien. 
Im Jahre 1737 erläfst der König eine Reihe von Anordnungen zur Verbes- 
serung der Rechtspflege, bei deren Ausarbeitung Cocceji mitgewirkt hat, 
unter dem 25. Oct. 1737 „Reglement, nach welchem die von S. K. M. 
in Preufsen, Unserm allergnädigsten Herrn, zum Versuch der Güte in Pro- 
cefssachen besonders verordnete und annoch zu verordnende Commissarii 
bei dem Hoff- und Cammer-Gericht, auch allen Dero Regierungen, Justiz- 
Collegiis und Hofi-Gerichten zu verfahren haben,” unter dem 9. Dec. 1737 
Anordnungen über Examina der Praesidenten und Räthe bei der Anneh- 
mung, unter dem 30. Dec. 1737 Abstellung einiger in dem Kammergericht 
eindringender Unordnungen. 

Bis dahin war von Verbesserung der Rechtspflege in einzelnen Landes- 
theilen die Rede und von einem Landrecht in provinzialem Sinne. In den 
Tagen, da Cocceji Chef der Justiz in den gesammten preufsischen Landen 
ward, im Jahr 1738 tritt ein umfassenderer Plan hervor, das Vorspiel zu 
Friederichs des Grofsen Justizreform. Da heifst es in einem Rescript an das 
Kammergericht vom 26. Febr. 1738 „wie es in verschiedenen Puncten zur 
Verbesserung der Justiz zu halten” unter No. XI „Sind Wir auch entschlos- 
sen, ein besonderes Landrecht in Unseren Landen einzuführen und das Jus 
Romanum, in so weit es applicabel, zum Fundament nehmen zu lassen,” 
und zum Theil mit denselben Worten, wie später unter Friederich dem Gro- 
fsen, wird die Aufgabe eines allgemeinen Landrechts bezeichnet. In der 
Benachrichtigung vom 1. März 1738 „wegen der Function, so Se. Kön. Maj. 
dem Etatsminister von Cocceji zur Verbesserung des Justizwesens aller- 
gnädigst aufgetragen” ist der Königl. Befehl enthalten, dafs derselbe „davor 


Friederich der Grofse und sein Grofskanzler Samuel von Coccgji. 17 


sorgen solle, dafs ein beständiges und ewiges Landrecht verfertiget, das 
confuse und theils auf Unsere Lande nicht quadrirende Ius Romanum 
abgeschaffet und die unzählige Menge von Edicten gedachtem Landrecht 
einverleibt werde” (1%). Man darf in diesem Befehl des Königs Friederich 
Wilhelm I. Cocceji's eigene Gedanken und Absichten vermuthen. 

So lag die Sache, so hatte sich Cocceji’s Thätigkeit geltend ge- 
macht, als König Friederich der Zweite die Regierung antrat. _ Anfangs 
zeigt der König eine Entfremdung und Kälte gegen Cocceji, wie aus einem 
Briefe des letztern erhellt. Aber Cocceji nahm eine Gelegenheit wahr, 
dem jungen König näher zu kommen. Der schlesische Krieg war aus- 
gebrochen, und es lag dem König daran, der Welt das preufsische Recht 
deutlich zu machen. Der Kanzler von Ludewig in Halle hatte schon seit 
40 Jahren in Schriften, wie in Vorlesungen, Preufsens Ansprüche auf einige 
schlesische Fürstenthümer behauptet. Der König berief ihn nun nach 
Berlin, um eine Staatsschrift in dieser Angelegenheit zu verfassen. Lude- 
wig schrieb seine Abhandlung: „Rechtsbegründetes Eigenthum des König- 
lichen Kurhauses Preufsen und Brandenburg auf die Herzogthümer und 
Fürstenthümer Jägerndorf, Liegnitz, Brieg, Wohlau und zugehörige Herr- 
schaften in Schlesien” (2°). Dieser erste Nachweis machte eine weitere 
Begründung nicht überflüssig. Cocceji sammelte aus eigener Bewegung 
Materialien zu einer neuen preufsischen Staatsschrift in den schlesischen 
Händeln. Es war nicht das erste Mal, dafs Cocceji sich mit Staatsschriften 
beschäftigt hatte. Im Jahre 1716 war unter seiner Leitung ausgearbeitet 
„Recht des Hauses Preufsen an die Grafschaft Reinstein” (Regenstein) eine 
Deduction. Halberstadt 1716 (?!). Cocceji schrieb jetzt, nachdem er, 
wie es scheint, des Königs Genehmigung eingeholt hatte, „nähere Ausfüh- 
rung des in natürlichen und Reichs-Rechten gegründeten Preufsischen Eigen- 
thums auf die Schlesischen Herzogthümer Jägerndorf, Liegnitz, Brieg, 
Wohlau u. s. f.” 1741. 4. (22). Dieser Anknüpfung folgten Beweise des 
Vertrauens. Im Jahre 1741 und 1742 war Cocceji im Auftrag des Kö- 
nigs mit der Ordnung des schlesischen Justizwesens beschäftigt. Bei der 
Abwesenheit des Kabinetsministers von Broich besorgte er mehrere Male 
dessen Geschäfte in Reichsprocefs- und Grenzsachen. Als im Jahre 1744 
der letzte Fürst von Ostfriesland starb, und Preufsens vom ersten König 
erworbene Anwartschaft an Ostfriesland zur Erfüllung kam, beschied der 


Philos.- histor. Kl. 1863. (& 


18 TRENDELENBURG: 


König den Justizminister von Cocceji zu sich in das Bad Pyrmont und gab 
ihm den Auftrag, in Verein mit einem andern königlichen Commissarius mit 
den ostfriesischen Ständen zu unterhandeln und die Huldigung einzunehmen. 
Der König gab ihm mündlich seine Gesichtspunkte für die Angelegenheit. 
Cocceji löste die Schwierigkeiten der Lage mit Geschick und zu gegen- 
seitiger Befriedigung und trug dazu bei, dem entzweiten und zerrütteten 
Lande auf dem Grund seiner alten Freiheiten die Wohlthat eines einigen 
und starken Regiments wiederzugeben und die Ostfriesen der neuen Regie- 
rung anhänglich zu machen. 

So rücken wir jener Zeit näher, in welcher der König die Justiz- 
reform in Cocceji’s Hand legte. Es erhellt aus dem Blick, den wir rück- 
wärts thaten, dafs der König einen für dieses Werk vorgebildetern Mann 
nicht finden konnte. Seit einem Menschenalter hatte sich Cocceji mit 
dem beschäftigt, was für die Rechtspflege dringend noth war. Er war durch 
Stellungen durchgegangen, die ihm einen vielseitigen beherrschenden Blick 
gewährten. Rechtsgelehrsamkeit und Rechtsübung, allgemeine Gesichts- 
punkte und Klugheit der Erfahrung vereinigten sich in ihm für die umfas- 
sende Aufgabe (2). Wenn der König später (18. August 1747) an Cocceji 
schrieb: „ich kann auch nicht umbhin Euch zu danken, dafs Ihr in alle sol- 
chen Sachen entriret, die meinen idees und sentiments ganz völlig conform 
seien”: so mufs man in Wahrheit sagen, dafs sich Beider Gedanken nur 
einander begegnet sind. Während der ganzen vorigen Regierung war, wie 
wir sahen, vorbereitet, was nun geschah. 

In einem allgemeinern Zusammenhang lernen wir des Königs Gedan- 
ken über Gesetzgebung aus einer in diesen Jahren entstandenen Abhandlung 
kennen, welche er in dieser Akademie am 22. Januar 1750 lesen liefs, aus 
seiner Abhandlung über die Gründe Gesetze zu geben oder abzuschaffen (?*). 
Aufser historischen Betrachtungen enthält sie Äufserungen, welche sich 
geradezu auf die preufsische Justizreform beziehen, und zwar sowol auf die 
Verbesserung des Procefsverfahrens, als die Abfassung eines einigen Gesetz- 
buches. „Was die Processe verlängert,” sagt unter anderm Friederich im 
Gefühl jener landesväterlichen Gerechtigkeit, der Arm oder Reich gleich 
gilt, „giebt den Reichen ein beträchtliches Übergewicht über den Gegen- 
part, der arm ist.” „Die Chikane nährt sich gewöhnlich von Erbschafts- 
sachen und Verträgen” uud er fordert daher in dieser Beziehung die gröfste 


Friederich der Grofse und sein Grofskanzler Samuel von Cocceji. 19 


Klarheit der Gesetze. „Überhaupt ,” sagt er, „sind klare Gesetze, welche 
keinen Auslegungen Raum geben, ein erstes Mittel; und die Einfachheit 
mündlichen Verfahrens, das zweite.” „Die gerechte Mitte, welche die 
Kraft der Verträge aufrecht hält, aber die zahlungsunfähigen Schuldner nicht 
unterdrückt, ist der Stein der Weisen in der Jurisprudenz.” 

Durch Friederichs des Grofsen in der Sache der Reform erlassene 
Kabinetsbefehle (?5) geht Ein Ton scharf hindurch; er verlangt eine „kurze 
und solide” eine „prompte und rechtschaffene Justiz”, die „geradedurch” 
administriret werde. Dies von dem Könige betonte „geradedurch” ist aller 
Zeit die schwerste aber edelste Aufgabe der Rechtspflege gewesen, welche 
im wachsenden Parteileben mit doppeltem Gewicht der Pflicht des Richters 
und dem Blick des starken Fürsten zufällt, eine Probe des Charakters. Der 
auf eine gründliche Rechtspflege angelegten Formen hatte sich der Eigen- 
nutz bemächtigt; aus der gründlichen Justiz waren langsame und kostspielige 
Processe geworden, welche den Zwist schürten, den Verdrufs mehrten, 
den Verkehr lähmten, die unterliegende Partei zum Verderben und die ob- 
siegende kaum zum halben Genufs brachten. Der Procefs nährte die Juristen 
und darum nährten die Juristen die Processe. Derselbe Eigennutz liefs sich 
willig finden, das Recht zu biegen und zu kränken. Die Formen und die 
sich kreuzenden Rechte boten dazu gelegenen Vorwand und oft selbst unter 
dem Schein tief geschöpften Weisthums. Friederich der Grofse kannte diese 
Plage der Land und Leute aussaugenden Processe. 

Das Übel hatte mehr als Eine Ursache. Cocceji fafste es zuerst an 
seiner persönlichen Seite; denn in der Rechtspflege sind die Einrichtungen 
ohne die Beseelung durch persönliche sittliche Gesinnung und ohne die Tüch- 
tigkeit derer, welche sie handhaben, nur eine Maschine, welche so arbeitet, 
wie sie gebraucht wird. Cocceji begann damit, die sittliche Würde des 
Richterstandes herzustellen und einen rechtschaffenen Advocatenstand zu 
gründen. 

Was zunächst die Richter betrifft, so verlangt Cocceji, dafs „wenige, 
aber lauter erfahrene, redliche und gelehrte Räthe nebst einem tüchtigen 
Präsidenten”, „welche die Advocaten übersehen können”, in die Collegia 
gesetzt und „mit nothdürftigen Besoldungen versehen werden”. Er will 
nur wenige Räthe bestellen, damit sich nicht einer auf den andern verlasse 
und die Zeit durch die vielen Vota hingehe; er verlangt in Theorie und 


CG2 


20 TRENDELENBURG: 


Praxis „wohlgeübte Leute”, wozu er im Gegensatz gegen alle Nebenwege 
der Gunst, welche ins Amt verhalfen, strenge Prüfungen ins Auge fafste; 
er verlangt von ihnen geistige Überlegenheit über die Advocaten, durch 
welche allein sie sich über den Parteien behaupten werden. Es ist für des 
Königs Denkungsart bezeichnend, dafs er, auf Cocceji’s Vorschläge bei- 
fällig antwortend, es mit leichtem Spott einen sehr grofsen Artikel nennt, 
zu Räthen lauter ehrliche Leute zu finden. Cocceji läfst nicht ab, mit 
dieser Grundbedingung die Forderung einer nothdürftigen Besoldung in 
Verbindung zu bringen; denn der Rath, der alle Tage in das Collegium 
gehen und arbeiten solle, müsse sonst durch verbotene Nebenwege oder 
wol gar durch Verkaufung der Justiz seinen Unterhalt suchen. An dieser 
Stelle lag ein Gebrechen des Staats. Schon unter der vorigen Regierung 
war an der Besorgnifs einer gröfsern Staatsausgabe die eifrig betriebene 
Verbesserung der Rechtspflege gescheitert; und auch Friederich der Grofse 
zieht an dieser Stelle zurück, der Punkt wegen der Tractementer, schreibt 
er, werde zuvörderst noch seine Schwierigkeit haben. Von der Kargheit 
des Staats gegen die Richter ist uns aus jener Zeit ein merkwürdiges Beispiel 
aufbehalten. Ein Mann von der bedeutendsten Begabung, der dem König- 
lichen Hause aufser dem Lande besondere Dienste geleistet und namentlich 
das grofse Werk der schlesischen Grenzregulirung zu Stande gebracht hatte, 
der spätere Landrath des niederbarnimschen Kreises Carl Gottlob von 
Nüfsler, der, mit Cocceji in Mifsverhältnisse gerathen, bei Gelegenheit 
der Justizreform abging, hatte damals in dem Kammergericht und Tribunal 
an 20 Jahre ohne Besoldung und auf Hoffnung gedient (?°). Die Einnahme 
der Mitglieder bestand nicht selten nur in dem Antheil an den Sporteln. 
Cocceji sah darin eine „hauptsächliche Ursache der verfallenen Justiz”, 
„weil die Hoffnung, viele Sporteln zu machen, die Processe am meisten 
protrahiret habe” (7). Er richtete daher eine besondere Kasse ein, in welche 
alle Sporteln, wes Namens sie sein mochten, als Siegelgroschen, Succum- 
benzgelder, Urtheils-, Confirmations-, Concessions-, Dispensations-, Com- 
missionsgebühren, item Arrhae, und was bei Versiegelung, Inventirung, 
Überreichung der Testamente, Abhörung der Zeugen gegeben wurde, alle 
Expeditionsgebühren, kleine Strafen u. s. w. eingebracht wurden; und be- 
stimmte diese Kasse dazu, die kleinere Anzahl von Richtern, welche er 
nöthig hielt, aus derselben zulänglich zu besolden. Dies Letzte wurde 


Friederich der Grofse und sein Gro/skanzler Samuel von Cocegji. 21 


freilich nicht erreicht, aber die Einrichtung befreite doch die Gerechtigkeit 
des Richters und den Gang des Verfahrens von niedern Interessen, welche 
sonst hineinspielten und in gemeinen Augen die Rechtspflege verdächtig 
machten. 

Zugleich sorgte Cocceji für den wissenschaftlichen Gehalt und die 
Gediegenheit der Richter. Ihm gehört das Verdienst eine Pflanzschule von 
Referendarien angelegt zu haben, die im Anfange nur auscultirten, in der 
Folge unter der Controle eines bereits erfahrenen Rathes als Referendar ge- 
braucht wurden und nach wohl bestandener strenger Prüfung zu Räthen und 
Präsidenten aufstiegen; ja seiner Wissenschaft sicher verschmähte er es nicht 
sich an den Prüfungen selbst zu betheiligen; denn er wollte selbst sehen 
und selbst treiben. Auf diesem Wege verstummten die mächtigen Empfeh- 
lungen, durch welche früher Justizräthe gemacht waren, gegen die Em- 
pfehlung, welche der Mann sich selbst schreiben mufste und kein anderer 
ihm schreiben konnte (?3). 

So stieg auf Cocceji’s Antrieb die Unabhängigkeit und Tüchtigkeit 
der preufsischen Richter. Es wuchs die Ehre dieses Standes und im wach- 
senden Vertrauen spiegelte sich ein Fortschritt des sittlichen Geistes im 
Staate. 

Die zweite Sorge galt den Sachwaltern. Der König grollte ihnen; 
denn seine Worte von denen bisherigen leider eingerissenen und oft Himmel- 
schreienden Mifsbräuchen durch Chikanen, Touren und Aufhaltungen der 
Justiz nach der alten Leier der wohlhergebrachten Observanz und der- 
gleichen öffentlichen tolerirten Mitteln der Ungerechtigkeit waren vor Al- 
lem auf die Advocaten gemünzt. Cocceji, der sie kannte, hatte von 
ihnen im Allgemeinen keine bessere Meinung. Durch zwei Mittel hob er 
den ganzen Stand, indem er einmal, wie bei den Richtern, für ihre gediege- 
nere Vorbildung sorgte und ihr Geldinteresse mehr aus dem Spiel brachte, 
und zweitens die bisherigen Procuratoren aufhob. 

„Auf die Advocaten,” — so berichtet Cocceji dem König — „kommt 
die Beschleunigung der Justiz am meisten an; denn wann diese die Sache 
nicht wohl examiniren und vorstellen, so mufs auch die gerechteste Sache 
verloren gehen. Es ist daher auch Alles daran gelegen, dafs lauter habile, 
gelahrte und erfahrene Advocaten bei denen Collegiis bestellet werden. 
Diese Advocaten müssen auch bei keinem andern Collegio, als bei dem Ge- 


00) TRENDELENBURG: 


richt, wo sie bestellet sein, praktisiren, weil sie sonst durch die Menge der 
Arbeit verhindert werden, ihren Clienten gehörig vorzustehen, welches die 
Haupt-Ursache ist, dafs so viele dilationes gefordert werden.” „Die Advoca- 
ten,” sagt er weiter, „pflegen die Instanzen zu ‚vermehren, Incidentpunkte 
hervorzusuchen, und die Acta mit unnöthigen Memorialien zu überhäufen, 
weil sie durch dieses Mittel Geld verdienen, so viel sie wollen.” „Ich habe,” 
fährt er fort, „bei meiner 46 jährigen Erfahrung kein ander Mittel erfinden 
können, die Advocaten zu zwingen, als wenn ihnen bei Strafe der Cassa- 
tion verboten wird, von den Parteien Geld zu nehmen, bis der Procefs 
geendigt und dafs das deservitum des advocati durch das letzte Urthel deter- 
minirt und festgesetzet wird. Solchergestalt wird der Advocat, wenn er 
Geld haben will, den Prozefs auf alle Weise beschleunigen: und er mufs 
keine faule Sachen annehmen und defendiren, weil ihm sonsten in dem 
Urthel keine Gebühren zuerkannt, sondern derselbe vielmehr fürchten mufs, 
noch dazu bestraft zu werden” (?°). 

Es hatte sich zwischen die Parteien und Advocaten eine Zwischenbil- 
dung in die Mitte geschoben, die Procuratoren, welche Procefsbevollinäch- 
tigte waren, von den Parteien beauftragt, den Procefs wie den ihrigen zu ver- 
treten. Cocceji nennt sie eine wahre Pest der Justiz, die mehrentheils 
Laquaien gewesen und gleichwohl den ganzen Procefs dirigiren. Sie über- 
geben die Sachen demjenigen Advocaten, welcher seinen Verdienst mit ihnen 
theilet; sie formiren die Klagen, der Advocat examinirt selber die Sachen 
nicht, sondern verläfst sich auf des unvernünfligen procuratoris Instruction 
und wird sein Handlanger. Cocceji beantragt kühn die Abschaffung dieses 
ganzen Geschlechts. Die Parteien, sagt er, müssen überdies doppelte 
Kosten tragen und den procuratorem nebst dem Advocaten bezahlen, und 
er beruft sich darauf, dafs weder in Preufsen noch in Magdeburg dergleichen 
procuratores vorhanden seien. Er setzt sie zu Schreibern der Anwälde 
herab, und sie dürfen nicht im eigenen Namen mit den Parteien correspon- 
diren; Cocceji weist ihnen diese Stellung zu, „bis sie aussterben”. Wer 
sich von ihnen in Justiz- und Procefssachen mischt, soll sofort zur Karre 
gebracht werden. Behmer schildert uns die Wohlthat dieses durchgreifen- 
den Schrittes. „In Ansehung der Procuratoren,” sagt er, „so waren dieses 
die verwegensten hochmüthigsten Leute, weil sie die vornehmsten mächtig- 
sten Justizräthe an der Hand hatten, durch Bestechungen, so dafs diese 


Friederich der Grofse und sein Grofskanzler Samuel von Cocceji. 23 


nicht gegen sie muchsen durften, auch mit ihnen genauen Umgang pflogen, 
die Procuratoren ihnen die somptueusesten Gastereien verschwendeten, 
ganze Nächte mit ihnen Charten spielten, ja sich hautement der Ducaten- 
decrete rühmeten, wie diese Decrete damals ohne Scheu genannt wurden, 
nämlich dafs man für einen Ducaten ein deeretum contra decretum, und so 
immer fort, erhalten könnte, worüber dann, wann dagegen endlich bei dem 
Hoflager Klagen geführet wurden, ein processus rescriptitius, und dadurch 
der Stillstand in der Hauptsache entstund” (3°). Nach einem Berichte Coc- 
cejis vom 22. Jan. 1748 hatten sich bei einem verhafteten Procurator Briefe 
von zwei Kammergerichtsräthen gefunden, welche sich aufser den Commis- 
sionsgebühren noch eine besondere Belohnung erbaten. Indem Cocceji 
dies Gewächs der Procuratoren rein ausschnitt, wurde die Stellung des An- 
walds freier, den Parteien gegenüber lebendiger, in der Sache unabhängiger, 
überhaupt bedeutender, und den Bestechungen, den nackten wie den ver- 
kleideten, war der Weg verlegt. 

Es mufste den Stand der Advocaten heben und im Gegensatz gegen 
die Schriftstücke gesinnungsloser unwissender Procuratoren die Grundlagen 
der Processe zuverlässiger machen, wenn der König verordnete, dafs in 
Procefs und Justizsachen kein Memorial weiter angenommen, viel weniger 
(wann es auch immediate bei Uns übergeben wird) darauf decretiret werden 
soll, wann es kein reeipirter Advocat unterschrieben. 

Es bezeichnet ferner den Geist der Gesetzgebung, die in allen Unter- 
thanen die Person als Trägerin von Rechten mit gleichem Mafse achtet, dafs 
ein adrocatus der Armen bestellt und dessen Pflichten bestimmt wurden (°!). 
War die Rechtspflege zu einem grofsen Theile darauf hingewiesen, sich von 
den Gebühren zu erhalten: so war diese Einrichtung um so wichtiger. 

So wurden zuerst für den Stand der Richter und Anwalde die Ver- 
hältnisse des Rechts so geordnet, wie es nöthig war, um ihren Beruf rein zu 
halten und was ihn verderben oder in ihm den stracken Lauf des Rechts auf- 
halten oder lähmen konnte abzuschneiden. 

Das Nächste war die Sorge für den Gang im Processe selbst. 

Dieser wurde zuerst geordnet in dem „Project des codieis Pomeranici 
Fridericiani” und sodann in dem „Project des codicis Fridericiani”, der 
Kammergerichtsordnung, welche künftig allen Provinzen zum Modell dienen 
sollte. Sie wurde nur darum Project genannt, weil es frei gegeben wurde, 


24 TRENDELENBURG: 


binnen Jahresfrist Erinnerungen einzubringen. Inzwischen wurde befohlen, 
die neue Einrichtung sogleich ins Werk zu setzen und nach dem Project zu 
verfahren (°?). 

Obenan stand der Wunsch, den Procefs selbst, der allerdings nur ein 
nothwendiges Übel ist, abzuwenden. 

Für diesen Zweck verordnet der König, dafs kein Procefs soll ange- 
fangen werden, ehe und bevor der Friedensrichter, der sich nach den Um- 
ständen genau erkundigen, beiden Theilen zureden und den Parteien die 
Übelstände, die Langwierigkeit und die schweren Kosten vorstellen soll, die 
Güte versucht hat. Wenn die Güte sich zerschlägt, soll den Parteien noch 
drei Tage Zeit gegeben werden, sich zu bedenken, und erst dann, aber dann 
gewifs, den Rechten der strenge Lauf gelassen werden; doch soll auch im Fort- 
gang des Processes den Referenten oder andern Räthen frei stehen, die Güte 
zu versuchen. Den Advocaten wird für gute Vergleiche derselbe Vortheil, 
als für die Führung des Processes durch die erste Instanz zugesichert (3°). 

Wenn es bei Vergleichen vor Allem darauf ankommt, das strenge 
Recht des Buchstabens einer billigen Auffassung des Sinnes zu unterwerfen: 
so ging der König darin mit einem schönen landesväterlichen Beispiel voran. 
Es war gerade in jener Zeit in Pommern eine Streitigkeit zwischen dem Fis- 
cus und einem adeligen Gute über die Grenzen ausgebrochen und sollte zum 
Austrag kommen. Friederich überweist unter dem 30. Dec. 1747 dem 
Minister von Cocceji die Prüfung der Sache, doch setzt er hinzu: „Ich be- 
fehle Euch aber zugleich auf Ehre und Reputation, dafs Ihr dem dortigen 
Adel deshalb keine chicanes machen, noch machen lassen sollet, vielmehr 
bin Ich gesonnen, dafs, wenn es auf Kleinigkeiten ankommet, eher nachzu- 
geben, als durch ausgedachte chicanes den adeligen Besitzer ermeldeten 
Gutes zu unterdrücken”. In einem verwandten Falle rescribirte der König 
unter dem 28. Jan. 1747 an das Generaldirectorium ähnlich und befahl die 
Niederschlagung eines wegen eines Buchenhölzchens erregten fiscalischen 
Processes. So war dem die Mittel zusammenhaltenden König nicht jeder 
Vortheil genehm, und er that seines Theils dazu, die turbirenden fiscali- 
schen Processe zu beschränken. Cocceji ergreift jenen Befehl des Königs 
mit Freuden, nennt ihn, wie er es war, einen recht königlichen Ausspruch, 
und gestaltet ihn zum Vorschlag einer allgemeinen Verfügung. „Dieses 
ist gewils,” schreibt Cocceji, „dafs die Fiscäle hauptsächlich dadurch die 


Friederich der Grofse und sein Grofskanzler Samuel von Cocceji. 25 


Unterthanen ruiniren, dafs sie in denen geringsten Fehlern die Leute zur 
Inquisition ziehen oder einen weit hergeholten Anspruch an sie machen und 
nachher ungeheuere Liquidationes machen. Es würde kein besser Mittel 
sein, die Fiscäle im Zaum zu halten, als wenn Ew. Kön. Majestät denen 
hiesigen collegüs, der Kammer, Regierung, Hofgericht und Consistorio 
anzubefehlen geruhen wollten, dafs die Fiscäle, wann sie eine ungerechte 
Sache defendiren oder in Kleinigkeiten die Leute mit schweren und kost- 
baren Processen fatigiren, jederzeit in die Kosten ex propriüs condempiren 
sollen, und dafs die collegia (wann die Fiscäle vorstellen, dafs sie mit der 
Sache nicht fortkommen können) denenselben die Continuation des Pro- 
cesses nicht injungiren, oder die Kosten selber tragen sollen.” Friederich 
säumte nicht, diese Ordre bereits unter dem 24. Jan. 1747 an:das General- 
direcetorium zu erlassen (?*). In demselben Geiste, der keinen Streit sucht, 
verordnete der Gesetzgeber weiter, dafs der Fiscus, wenn er in einer zwei- 
felhaften Sache in erster Instanz verliere, ohne gewichtige Gründe keine 
weitere Instanz suchen solle (%%). So ging der König, wo der Fiscus ins 
Spiel kam, mit der Liebe zur Billigkeit voran, welche den Streit vor dem 
Streit schlichtet, mit derselben ausgleichenden Billigkeit, welche er vor 
jedem Procefs durch den Versuch zur Güte zu befördern befahl. 

Im Laufe der Processe selbst hoffte Friederich der Grofse, welcher 
die mit kleinen Abänderungen auf die französischen Koloniegerichte über- 
tragene Procefsordnung Ludwigs XIV. von 1667 vor Augen hatte (3%), eine 
Vereinfachung und Abkürzung von mündlichem Verfahren vor dem erken- 
nenden Richter; und Cocceji hatte schon im Jahre 1724 in seinem durch 
König Friederich Wilhelm I. zur Verordnung erhobenen Project, wie die 
Justiz beim Kammergericht zu verbessern, auf dasselbe Ziel hingewirkt. 
Das schriftliche Verfahren war mit dem römischen und canonischen Recht 
ins Land gekommen. Das Recht, zum gelehrten Juristenrecht geworden 
und in unverslandenen lateinischen Kunstwörtern redend, zog unter dem 
Schein der Gründlichkeit das gelehrtere schriftliche Verfahren nach sich, und 
hatte mit den Anfängen des volksthümlichen Rechts auch das volksthüm- 
liche mündliche Verfahren verdrängt. Vor den Reichsgerichten wurde nur 
schriftlich verhandelt. Was gelehrt und gründlich sein sollte, wurde 
schleppend und zur Handhabe für eigennützige Künste. In der branden- 
burgischen und preufsischen Gesetzgebung war ursprünglich das mündliche 


Philos.- histor. Kl. 1863. D 


936 TRENDELENBURG: 


Verfahren Regel gewesen, wie sich namentlich in der Kammergerichtsord- 
nung vom Jahre 1516 noch keine Spur vom schriftlichen Verfahren findet 
und erst nach geschlossenem mündlichen Verfahren eine besondere deductio 
iuris dem Gerichte schriftlich zu übergeben gestattet wurde. Wiederholt 
war auf das mündliche Verfahren zurückgewiesen, zuletzt in der nach 
Cocceji’s Project erlassenen Verordnung vom Jahr 1725. Aber immer 
siegte wieder die Hinneigung zum schriftlichen Verfahren, das dem Anwalt 
gewinnreicher, den Sportulirenden günstiger und den Richtern bequemer 
war. Der codex Fridericianus schildert den Unfug, der im Gefolge des 
schriftlichen Verfahrens einbreehe, weist nach den ersten Schritten, welche 
schriftlich geschehen, alles was zur Instruction der Processe gehört, dem 
mündlichen Verfahren zu und behält nur das Nothwendige dem schriftlichen 
vor. In den Grundzügen des Procefsverfahrens bleibt er der frühern Ver- 
ordnung vom 16. April 1725 treu (°’). Es ist bekannt, wie lange in neuerer 
Zeit in Deutschland um das Prineip der Mündlichkeit gestritten ist, bis es 
durchdrang und sein richtiges Mafs fand. Friederich der Grofse brach mit 
seinem praktischen Scharfblick die Bahn und kehrte zu der ursprünglichen, 
der natürlichen und einfachen, kurzen und promten Weise des Verfah- 
rens zurück. 

Die gründliche Rechtspflege hatte ferner das Commissionswesen, das 
damals umging, veranlafst. Namentlich um den Gegenstand des Streits an 
Ort und Stelle anzuschauen und zu beurtheilen, wurden auf Antrag der 
Parteien Richter oder Nicht-Richter zu Commissionen abgeordnet. Aber 
diese Commissionen führten zu naher Berührung mit den Parteien und zu 
der Möglichkeit mit ihnen durchzustechen. Sie vergalsen, dafs sie Richter 
zwischen beiden Parteien seien, wurden nicht selten selbst Partei oder gaben 
der einen Partei gegen die andere Rathschläge. Sie machten den Procefs- 
gang schleppend und bestechlich. Der codex Fridericianus nemnt die bis- 
herigen Commissionen, welche die Unterthanen und besonders die milden 
Stiftungen dem Raub einiger gewissenlosen Räthe ausgesetzt und durch die 
abgedrungenen unerschwinglichen Kosten zum Theil ruinirt hätten, nicht 
eine von den geringsten Landplagen Unserer Kurmärkischen Länder. Beh- 
mer, der den alten Zustand des Rechts noch aus eigener Erfahrung kannte, 
schreibt den Commissionen insbesondere die Schuld der Verschleppung zu. 
„Wer mit dem Lauf des Processes,” sagt er, „nicht zufrieden war (und das 


Friederich der Grofse und sein Grofskanzler Samuel von Cocceji. 27 


ist doch gemeiniglich alteruter litigantium) extrahirte eine Commission, 
brachte dadurch die Sache von dem ordentlichen Wege Rechtens ab, und 
wann sie coram commissione mit eben der schläfrigen Nachlässigkeit war 
einige Jahre betrieben worden, kam sie denn doch endlich wieder an die 
ordinaire Judieia zurück, nicht ohne unwiederbringlichen Zeitverlust.” Der 
Gebrauch von Commissionen wird nun eingeschränkt. Es wird verboten, 
dafs Parteien sich Commissionen ausbitten. Denn, heifst es, die commis- 
sarü haben unter der Hoffnung, gute Commissionsgebühren zu bekommen, 
die ungerechtesten Sachen defendiret; dahero eine jede Partei in der That 
nicht einen Richter, sondern einen Advocaten ausgebeten hat. Die Com- 
missarii sollen hiernach nur von den Collegiis ex officio angeordnet und 
benannt werden. Es wird verboten, dafs diese commissarii bei den Parteien 
logiren und essen. Vielweniger dürfen sie „weder directe noch indirecte die 
geringsten Presenten von ihnen nehmen” und sie empfangen ihre Diäten nach 
der Taxe aus der Sportelkasse (°3). 

Vielleicht greifen hie und da zu Gunsten einer Abkürzung des Ver- 
fahrens die Bestimmungen über das Mafs hinaus. 

Der sittliche Geist der Rechtspflege wird, um die Gewissen nicht zu 
beschweren und den Meineid zu verhüten, die Eide beschränken und den 
Beweis, wo er noch möglich ist, dem Eide vorziehen. Indessen findet sich 
in Einer Bestimmung der Instruction, welche der König an Cocceji auf des- 
sen Antrag für die Einrichtung der Justiz in Pommern gab, das Gegentheil. 
Inwiefern der Eid als Zeugnifs letzter Geltung die weitere Verhandlung über 
das Factum abschneidet und dem Urtheil kurz und gut ein unantastbares 
Datum bietet, wird an Einer Stelle ein dem deutschen Gerichtsgebrauch 
zuwiderlaufendes Recht gebildet. „Wann jemanden,” wird in der Instruction 
vom 2. October 1746 bestimmt, „ein Eid deferiret und (er) in seiner eigenen 
Sache zum Richter dadurch gesetzet wird, kann er durch Führung eines 
Beweises die Sache nicht aufhalten.” Bis dahin war es bei den deutschen 
Gerichten demjenigen nachgelassen, welchem ein Eid angetragen war, das 
was er beschwören sollte, durch andere Beweismittel darzustellen. Selbst 
Cocceji hatte in seinem ius coniroversum, so lange der angetragene Eid nicht 
angenommen sei, für diesen Gebrauch entschieden und die innern Gründe 
klar und deutlich angeführt. In obiger neuen Bestimmung schlägt die 
äufsere Zweckmäfsigkeit für Beschleunigung des Processes über das ethisch 


D2 


28 TRENDELENBURG: 


Richtige hinaus. Es mag bemerkt werden, dafs in dem spätern codex Fri- 
dericianus sich weder die alte noch die neue Bestimmung finden dürfte (°). 

Für vielseitige Betrachtung und die gründlichste letzte Entscheidung 
wirkt die Berufung auf den höhern Richter. Aber in dem überkommenen 
Rechtszustand war die Appellation ins Unbestimmte ausgebildet und Cocceji 
hat über Mifsbräuche derselben schon ein Menschenalter früher in seinem zus 
controversum gehandelt, die Fälle aus der lebendigen Rechtsübung greifend. 
Auf seinen Antrag ordnet jetzt der König den Instanzenzug, richtet die nö- 
thigen Apellationssenate ein und befielt, dafs es bei dreien Instanzen ledig- 
lich sein Bewenden haben solle. Die Anlässe, durch welche man zu einer 
weitern Instanz als die dritte gelangt war, schneidet er scharf ab. Man hatte 
früher als Bedingung, dafs die Appellation erschöpft sei, drei conform er- 
gangene Urtheilssprüche vorausgesetzt. Künftig soll es bei dem dritten 
Spruch bleiben, die Urtheile mögen conform oder nicht conform gewesen 
sein. Oder man suchte im letzten Urtheil irgend einen Formfehler heraus- 
zufinden, um es als null und nichtig darzustellen und dadurch ein neues Ur- 
theil, das als das letzte gelte, nöthig zn machen. Dieser Grund, meistens 
ein Vorwand, wird jetzt schlechthin verworfen. 

„Über diese drei Instanzien” heifst es im cod. Fridericianus, „soll 
keine weitere Instanz, folglich auch kein weiteres Remedium (auch nicht 
unter dem Praetext einer insanablen Nullität) verstattet, sondern die dritte 
Sentenz, wann sie auch reformatoria derer beiden vorigen Sentenzen ist, 
schlechterdings pro iudicato gehalten, und nicht weiter gefragt werden, ob 
recht oder unrecht geurtheilt worden.” - -- „Allermafsen dem Publico mehr 
daran gelegen, dafs (wann auch der verlierende Theil vermeinen sollte, 
dafs ihm zuviel geschehe) eine Particulier- Sache darunter leide, als dafs 
unter dem Praetext einer Nullität denen Litiganten Gelegenheit gegeben 
werde, durch Verstattuug weiterer Instanzen den Procefs zu verewigen.” 

Allenthalben ist Abkürzung der Processe der nächste Gesichtspunkt. 
Obschon äufserlicher Natur, ist er doch der Punkt, welcher die innere Ver- 
besserung, die gediegenere Gestaltung des Gerichtswesens, wie von selbst 
nach sich zieht. Was der Gesetzgeber den Parteien in der Versagung eines 
weitern Rechtsmittels kürzt, das bringt er, abgesehen von den rechtserfahre- 
nen Männern, in deren Hand er das Urtheil legt, durch Bedingungen ein, 
welche einen überlegten Spruch sichern sollen. „Es müssen aber,” heifst 


Friederich der Gro/se und sein Grofskanzler Samuel von Coccgji. 29 


es z.B. in diesem Zusammenhang, „in diesem letztern Fall singuli ihr Votum 
schriftlich ad acta geben, und dem Präsidenten verschlossen einliefern.” 
Wo die Bedeutung eines Urtheils wächst, und sie wächst im Bewufstsein 
der letzten unabänderlichen Entscheidung: da wird von selbst die Sammlung 
wachsen, um die letzte Richtigkeit zu erreichen (*°). 

Derselbe zunächst äufserliche Gesichtspunkt leitete das Verbot der 
Actenversendung. „Es hat auch dieses,” heifst es im cod. Fridericianus, 
„eine grofse Verzögerung bei der Justiz verursachet, dals Acta an auswärtige 
Universitäten verschickt worden, wo mehrentheils schlechte und in praxi 
unerfahrene professores sich befinden, und von welchen so viel Nullität 
begangen worden, dafs man die Urthel ad actis removiren und acita, mit 
grofsen Kosten der Parteien und Verschleppung der Justiz, anderweitig ver- 
schicken müssen: zu geschweigen, dafs man unterweilen in Jahr und Tag 
die Urthel nicht hat zurückerhalten können.” Der König hebt daher die 
Verschiekungen der Acten gänzlich auf, zuerst an ausländische, dann auch 
an inländische Facultäten und Schöppenstühle. Rechtserfahrene Zeitgenos- 
sen behaupten, dafs namentlich die auswärtigen Juristencollegia nicht selten 
dem statutarischen oder Ortsrecht gänzlich zuwider erkannt hätten. Es war 
eine Lection für die Universitäten, aber zugleich eine Erklärung des Ver- 
trauens zu dem gelehrten und gründlichen Geist der neuen Gerichtshöfe. 
Es konnte nicht fehlen, dafs das höhere Ziel die Kraft zu sich in die Höhe 
zog (*!). 

Derselbe äufsere Gesichtspunkt, Rechtshändel aus der Welt zu schaf- 
fen, führte vielleicht den Gesetzgeber da zu weit, wo er bestimmte Sachen 
von dem Rechtsmittel der Appellation ausschlofs, z. B. wann das Gravamen 
offenbar wider die Jura und Landesverfassungen laufe (*°). Denn wer sollte 
das „offenbar” bestimmen? 

Der König, bemüht die Gerichte zu heben, räumte noch ein wesent- 
liches Hindernifs der Unabhängigkeit weg; er sicherte die Würde der 
Rechtspflege gegen die Eingriffe der eigenen königlichen Gewalt. In dieser 
Beziehung enthält der cod. Fridericianus schon im Eingang merkwürdige 
Bestimmungen. Indem er das Kammergericht anweist, allen Menschen ohne 
Ansehn der Personen, Grofsen und Kleinen, Reichen und Armen, gleiche 
und unparteiische Justiz zu administriren, fährt er fort: „Sie sollen auch 
auf keine Rescripte, wenn sie schon aus Unserm Cabinet herrühren, die ge- 


30 TRENDELENBURG: 


ringste Reflexion machen, wann darin etwas wider die offenbare Rechte 
sub- et obrepirt worden oder der strenge Lauf Rechtens dadurch gehindert 
und unterbrochen wird; sondern sie müssen nach Pflicht und Gewissen wei- 
ter verfahren, jedoch von der Sache Bewandtnifs sofort berichten” (*3). 

So war nun durch des Königs entsagende Weisheit der Rechtsgang 
von eingreifenden landesherrlichen Rescripten befreiet, welche nicht selten 
in der deutschen Justiz einen Machtspruch an die Stelle der richterlichen 
Überzeugung gesetzt und die Rechtsordnung verkehrt hatten. 

Aber der König blieb, wenn die Rechtsmittel erschöpft waren, für 
das unterdrückte Recht die Instanz über den Instanzen. „Am allerwenig- 
sten,” so verordnet er in der Constitution vom 31. Dec. 1746 über die Pro- 
cesse, „ist Unsere Intention, Unsern gedrückten Unterthanen den Zutritt zu 
Unserm Königlichen Thron abzuschneiden, wann dieselben weder bei denen 
Obergerichten, noch bei Unserm Ministerio (welches doch nicht glaublich 
ist) in gerechten Sachen Gehör finden können; daher kein Advocat, welcher 
der Partei bishero bedient gewesen, sich durch das Ansehen einiger Person 
hindern lassen mufs, sein Patrocinium derselben in diesem Fall zu versagen.” 
Aber der König begrenzt diesen Fall selbst durch Strafen als einen Nothfall, 
und fährt daher fort: „Dahingegen aber eben dieser Advocat, wann er die 
Obergerichte oder Unser Etatsministerium vorbeigegangen , oder wann er 
wider die offenbare Rechte, Verfassungen und Acta etwas angeführet, und 
aufs Neue abgewiesen wird — — gestraft, und überdem der Advocat ad offi- 
cio suspendiret werden soll” ('*). 

In diesem Geist waren die neuen Anordnungen getroffen; aber die 
alte grundgründliche, schwerfällige, hinschleppende Justiz in eine raschere 
compendiarische Thätigkeit zu versetzen, bedurfte es noch mehr als einer 
allgemeinen Instruction schwarz auf weils. Denn immer liegt zwischen dem 
Gedanken einer regulirenden Verfügung und der lebendigen Aneignung durch 
den Ausführenden noch viel in der Mitte; und in diesem Falle lag nach dem 
Gesetz der Trägheit und Gewöhnung der Widerstand der alt überkomme- 
nen eingeschulten eingefahrenen Praxis dazwischen. Wahrscheinlich wäre 
alles vergeblich gewesen, wenn Cocceji die Reform lediglich vom grünen 
Tisch aus hätte lenken wollen. Er handelte persönlicher. Obschon längst 
in der zweiten Hälfte seiner sechsziger Jahre, setzte er mit jugendlicher Fri- 
sche die eigene Kraft und Erfahrung ein, um sich zunächst in Pommern, wo 


Friederich der Grofse und sein Grofskanzler Samuel von Cocceji. 31 


es mit den Processen am schlimmsten stand, an die Spitze der Gerichte 
stellen zu lassen und selbst zu zeigen, wie die Mittel der neuen Instruction 
zu handhaben und dadurch unbeschadet der Gründlichkeit die Processe zu 
kürzen. Im Sept. 1746 erbietet sich Cocceji, sich selbst nach Stettin zu 
verfügen, die Justiz nach seinem Plan zu reguliren und die meisten Haupt- 
processe in einem Jahr zum Ende zu bringen; sodann bittet er den König, 
einige Räthe aus den übrigen Provinzen zu ermächtigen, dafs sie ihm bei der 
neuen Einrichtung assistiren sollen. „Ich habe hierbei,” fügt Cocceji hinzu, 
„diese besondere Absicht, dafs diese deputirte Räthe hiernächst, wann die 
Einrichtung in Pommern geschehen, dieselbe in ihren Provinzen auf eben- 
denselben Fufs einführen könnten, wodurch Ew. Königl. Majestät Dero ge- 
rechte Intention, die Processe in einem Jahr zu endigen, in Dero Haupt- 
provinzen auf einmal erhalten würden.” Der praktische Vorschlag war 
nach des Königs Sinn, dem er wie ein Feldzugsplan erscheinen mochte. 
Nachdem er den Minister zu sich entboten, um noch einige Punkte mit ihm 
zu besprechen, sendet Cocceji eine „Liste derer Räthe”, ein, „welche ich 
zu meiner Assistenz zu Abthuung der alten Processe nöthig habe”. 1. Aus 
denen Französischen Gerichten den v. Jariges. 2. Aus dem Tribunal den 
v. Fürst. 3. Aus Magdeburg den Regierungsrath Morgenstern. 4. Aus 
Halberstadt den Vicedirector von Vogelsang. 5. Aus Minden den Regie- 
rungsrath Culemann. 6. Aus Cleve den Geheimden Rath Koehne” und der 
König setzte unter die Liste mit eigener Hand „Guht. Friderich”. Der erste 
dieser Männer von Jariges, damals Director der französischen Obergerichte, 
und der zweite, Freiherr von Fürst, damals Geheimer Justiz- und Ober- 
Appellationsgerichts-Rath zu Berlin, sind aus der spätern Regierung Friede- 
richs des Grofsen bekannt. Als Cocceji gestorben war, berief der König 
den einen nach dem andern zum Grofskanzler. Wie ein Meister sich Ge- 
sellen nimmt, die er anweist, so versah sich Cocceji mit diesen Männern als 
Genossen seines Werks, um zugleich für seinen abkürzenden die Hauptsache 
zusammenhaltenden, die Nebensachen abschneidenden, durch das mündliche 
Verfahren lebendigern Rechtsgang die sachverständigen Werkführer in die 
Provinzen senden zu können. Für seine Methode in der Leitung der Pro- 
cesse, welche er selbst wol den neuen Mechanismus und der König den 
neuen Train nannte, machte er auf diese Weise Schule. Der Erfolg ent- 
spricht der Energie Cocceji's. Zuerst räumt er in Stettin auf, wo im vori- 


32 TRENDELENBURG: 


gen Jahre noch 1600 Processe schwebten. Er findet dort bei dem Hofge- 
richt und Consistorio eine Unordnung vor, „dergleichen wol niemals bei 
einem Collegio in der Welt vorgekommen”. Vom Januar bis Mai sehafft 
er Licht und kann schon Anfang Mai berichten, dafs die 1600 Processe zu 
Ende gehen. Der König, über den Fortgang des Werks erfreuet, ernennt 
ihn noch während des Aufenthalts zu Stettin unter den anerkennendsten 
Ausdrücken zum Grofskanzler. Schon wirkt die neue Procefsordnung bei 
den bessern Gerichten und Oocceji's Beispiel hat angefeuert. Als er in den 
Osterferien von Stettin nach Cöslin reist, um zu sehen, was das dortige 
Hofgericht für die Beschleunigung der Processe gethan: kann er in einem 
Bericht dem Collegio das Zeugnifs geben, dafs des Königs „Plan auch da- 
selbst Wunder gethan und von 800 Processen, welche im vorigen Jahre 
daselbst geschwebet, nicht mehr als ungefähr 80 übrig geblieben”. Nun 
entsendet Cocceji die Räthe, welche ihn unterstützt hatten, wieder in ihre 
Provinzen; er entwirft jene vollständige Procefsordnung, die den Ständen 
und Advocaten zu etwanigen Einwendungen mitgetheilt wird, und kehrt 
selbst mit Jariges im August nach Berlin zurück. Hier revidirt er das Kam- 
mergericht und bestellt es im Mai 1748 auf des Königs Geheifs in seiner 
neuen Gestalt, in welcher es aus drei Senaten bestand, das Hof- und Cri- 
minalgericht, das Criminalcollegium und die Juden- Commission in sich auf- 
nahm und auch die Consistorialprocesse zu entscheiden hatte. Später bereist 
Cocce)i die Gerichtshöfe der Provinzen, in welche seine Methode verpflanzt 
war, besserte die Mängel, half selbst nach und sorgte für Procefsordnungen, 
wie sie nach den allgemeinen Grundsätzen den besondern Verhältnissen der 
Provinzen angemessen waren (*°). Es erfreuet uns zu sehen, wie ein in den 
Acten ergraueter, in den gelehrten Rechtsfragen ansässiger Mann mit staals- 
männischer Klugheit, mit praktischer Überlegenheit und in jugendlicher 
Thatkraft eine neue Bahn bricht. 

Wir heben noch einiges Besondere hervor. 

Bis dahin waren die Vormundschaftsangelegenheiten zugleich von den 
Landesregierungen betrieben. Es fehlte an Aufsicht über die Vormünder, 
die zu keiner jährlichen Rechnungsablegung angehalten wurden. Cocceji 
zweigte nun, wie früher in Preufsen, jetzt in Stettin und Cöslin, dann in 
allen Provinzen Pupillen Collegien ab, welche, aus Juristen zusammengesetzt, 
für die Sicherheit der Pupillen sorgten, und durch ihr sorgfältiges Verfahren 


Friederich der Grofse und sein Grofskanzler Samuel von Coccgji. 33 


alle Processe zwischen den Vormündern und Pupillen verhüteten. Wo Ver- 
sehen der Pupillencollegien vorkamen, wie z. B. wenn sie unvorsichtig Gel- 
der ausgeliehen, machte er mit den Regrefsklagen gegen sie Ernst (‘°). 

Der beschleunigte Rechtsgang hat nur Wirkung, wenn auf das gefällte 
Urtheil eine prompte Vollstreckung folgt, worauf zum Theil der Credit des 
Landes beruht. Daher sollen keine Moratorien verstattet werden, nur 
dann, wenn der Schuldner klar zeigt, dafs er, wenn ihm Zeit gelassen wird, 
zahlungsfähig sei, und dafs er den Creditoren wegen Capitals und Zinsen 
Sicherheit schaffen kann. Ein Procefs soll wegen derselben nicht verstattet 
werden. Wo die Sicherheit zweifelhaft ist, mufs der Concurs eröffnet wer- 
den; weil es besser ist, heifst es in der vom König vollzogenen Instruction, 
dafs ein Schuldner zu Grunde gehe, als dafs so viel arme creditores, welche 
bona fide ihr Geld hingeben, ruinirt werden (‘7’). In demselben Sinn wird 
das Wechselrecht geschärft und kein Rechtsmittel gegen das Wechselurthel 
verstattet. So geht eine Schärfe und Strenge der juristischen Gesinnung, 
welche im römischen Eigenthumsrecht gegründet ist, auf die promte Voll- 
streckung des Urtheils hin. 

Zwischen Verwaltung und Rechtspflege besteht leicht eine Eifersucht 
der Macht; und wo die Verwaltung Rechtssachen zu entscheiden hat oder 
in ihre Entscheidung zieht, kommt sie leicht dahin, mehr nach Zweckmä- 
fsigkeit und Nützlichkeit, als nach strengem Recht zu urtheilen. Daher 
lag es in der Natur der Sache, dafs die Grenzen zwischen den Behörden der 
Verwaltung und der Rechtspflege geordnet werden mulsten. Der König 
war darauf aufmerksam. Als der Rechtsgang verbessert ist, schreibt der 
König an Cocceji (5. Apr. 1748), er wolle nunmehr alle diejenigen Punkte 
gerne bald heben, wegen welcher Cocceji mit gutem Grunde wegen Admi- 
nistration des Justizwesens bei dem Generaldirecetorium sowol als bei den 
Krieges- und Domainenkammern zu gravaminiren habe. Die Kriegs- und 
Domainenkammern verwalteten damals die Finanzen in den Provinzen, die 
Kriegsgefälle und die Domainensachen bearbeitend, dem General- Ober- 
Finanz- Krieges- und Domainendirectorium, gewöhnlich Generaldirectorium 
genannt, untergeben. Der König veranlafst Cocceji mit dem Generaldirec- 
torium zu einer Conferenz zusammenzulreten, um ein Reglement zu ver- 
fassen. Das Generaldirectorium sendet einen Entwurf ein. Der König 
schickt ihn mit kurzen Bleistifibemerkungen am Rande, in welchen er be- 


Philos.-histor. Kl. 1863. E 


34 TRENDELENBURG: 


müht ist, der Justiz das Ihrige zuzuweisen und der Verwaltung der Kammern 
das Ihrige, zu weiterm Bericht an Cocceji (**). So entsteht das Reglement 
de dato Potsdam 19. Juni 1749 „was für Justizsachen denen Krieges und Do- 
mainen Cammern verbleiben und welche vor die Justiz Collegia oder Regie- 
rungen gehören”. Dadurch wurde von einer andern Seite das Gebiet der 
Rechtspflege freier und sicherer. 

Endlich darf noch Ein bezeichnender Zug nicht unerwähnt bleiben. 
Wir sahen, wie die Reform dahin ging, den Stand der Richter und Advo- 
caten sittlich zu heben. Aber der wachsame König ist von Mifstrauen er- 
füllt und sieht keine Bürgschaft, dafs die neue Ordnung eingehalten werde. 
Er greift zu dem Mittel fiscalischer Aufsicht. „Schliefslich,” so verordnet 
er, „soll jederzeit ein fiscalischer Bedienter denen Sessionen beiwohnen, 
und Achtung geben, ob dieser Verfassung genau nachgelebet werde; er 
mufs auch auf die corruptiones ein wachsames Auge haben, und wenn die 
Advocaten etwas wider die Rechte und Advocatur vortragen, auf deren Be- 
strafung bestehen” (*°). Es erscheint wie unwürdig, dafs Gerichte, zum 
höchsten Amte des Vertrauens, zur Wahrung des Rechts berufen, einen 
Aufseher in ihrer Mitte haben sollen. Wie der König überall Mittel der 
Controle sucht, z. B. bei den Kassen durch die Bestelluug doppelter Beam- 
ten, eines Rendanten und Controleurs: so sucht er sie selbst bei den Ge- 
richten durch eine künstliche Veranstaltung. Freilich folgte Friederich 
darin früherm Beispiel. Denn nach der Königlichen Verordnung vom 6. Mai 
1731 hatte der Generalfiscal einen Sitz im Oberappellationsgericht, sowie 
überhaupt in allen Justiz- und Criminalcollegien. Noch war nicht der Rechts- 
pflege die natürliche Hüterin, die Öffentlichkeit, wiedergegeben und damit 
fehlte noch jene allgemeine Theilnahme, welche in dem Recht des Einen 
das Recht Aller sieht und mit spähendem Blicke Wache hält. 

Alle diese Anordnungen betrafen das Verfahren der Rechtspflege, 
aber noch nicht den Inhalt des Rechts selbst. Es war ein richtiger Gang, 
die formale Seite, die Handhabung des bestehenden Rechts, zuerst zu re- 
formiren und für das bestehende Recht, damit es gelte und regiere, Männer 
mit der rechten Kenntnifs und der rechten Gesinnung und Formen mit der 
rechten Wirkung zuzubereiten. Aber Cocceji geht nun weiter. Schon 
den Bericht über die Reform in Pommern vom 16. August 1747 schliefst er 
mit den Worten: „Hiernächst fehlet nichts, als ein in der Vernunft und 


Friederich der Grofse und sein Grofskanzler Samuel von Cocceji. 35 


denen Landesverfassungen gegründetes Landrecht, welches ich gleichfalls 
binnen Jahresfrist verfertigen, und Ew. Königl. Majestät allerunterthänigst 
präsentiren werde.” Der König vernimmt dies mit „ausnehmendem Ver- 
gnügen”. 

Im Jahre 1749 und 1751 erscheint nun der erste und zweite Theil 
dieses Landrechts. Der volle Titel heifst: „Project des corporis juris 
Fridericiani das ist Sr. Königl. Majestät in Preufsen in der Vernunft 
und Landes-Verfassungen gegründete Land-Recht worinnen das Römische 
Recht in eine natürliche Ordnung, und richtiges Systema, nach denen 
dreyen odjectis juris gebracht: Die General-Principia, welche in der Ver- 
nunft gegründet sind, bei einem jeden Objecto festgesetzet, und die nöthige 
Conclusiones, als so viel Gesetze, daraus dedueirt: Alle Subtilitaeten und 
Fictiones, nicht weniger was auf den Teutschen Statum nicht applicable ist, 
ausgelassen: Alle zweifelhafte Jura, welche in denen Römischen Gesetzen 
vorkommen, oder von denen Doctoribus gemacht worden, decidirt, und 
solchergestalt Ein Jus certum und universale in allen Dero Provintzen sta- 
tuirt wird.” Der erste Theil enthält das Personen- und Familienrecht, der 
zweite das Sachen- und Erbrecht. Der dritte, welcher das Obligationen- 
und Criminalrecht begreifen sollte, ist nicht erschienen und das Manuscript 
bis auf einen Aufsatz über den Ehebruch im Jahre 1755 verloren gegangen. 
Nur das zweite und dritte Buch des ersten Theils des corporis iuris Fride- 
riciani, welche von Ehe- und Vormundschaftssachen handeln, haben Ge- 
setzeskraft, jedoch nur in einigen Provinzen, erhalten, namentlich in Cleve- 
Mark, in Minden-Ravensberg, in Ostfriesland, in Mörs, in der Altmark, 
in Östpreufsen und Litthauen, in Westpreufsen, in Lauenburg und Bütow, 
ferner in Vormundschaftssachen allein in Lingen und Tecklenburg, in Schle- 
sien und Glatz (5°). 

Zum ersten Male tritt hier ein allgemeines deutsches Landrecht ans 
Licht. Und wenn gleich das Werk unvollständig blieb, wenn gleich es als 
Gesetzbuch nur in beschränktem Umfange eingeführt wurde: so hat es doch 
in seiner Absicht und als der erste Schritt zu einem grofsen Ziele, es hat 
als Gesetzbuch, das Friederichs des Grofsen Namen trägt, besondere Be- 
deutung. In seinem langen Titel bezeichnet es seine Bestrebungen, und 
es wird wichtig sein, es nach seinen eigenen Gesichtspunkten zu be- 


trachten. 
E2 


36 TRENDELENBURG: 


Das gewisse Recht, ius certum, bezeichnen Titel und Vorrede als 
den Endzweck des Werks. Das Verlangen eines gewissen Rechtes tritt, 
wie wir sahen, schon 1714 in Reseripten hervor. Cocceji, das streitige 
Recht in der Theorie und Praxis kennend, hat das gewisse Recht, das ius 
certum, schon unter der frühern Regierung zum Mittelpunkt von Verfügun- 
gen gemacht. Jetzt arbeitet er für das iws certum und noch im Monat vor 
seinem Tode im September 1755, da er seinen schwächlichen Zustand fühlt, 
nimmt er in einem Briefe an Friederich Behmer, in welchem er angiebt, 
was er bereits am dritten Bande des Landrechts geendet, seine Freunde in 
Anspruch, die Arbeit zu vollenden ($!). Das gewisse Recht ist noch sein 
letzter Gedanke. 

Und der Gedanke war dessen werth. Denn wo das Recht ungewils 
ist, da thut das Recht das Gegentheil dessen, was es thun soll; denn es 
soll Streit verhüten und erzeugt ihn selbst; es soll den Boden des Verkehrs 
befestigen und macht ihn unzuverlässig; es soll sichere Unternehmungen 
ermöglichen und macht sie unsicher; es soll unfehlbar über den Parteien 
schweben und giebt dem Richter die Gelegenheit, unter der Decke des 
Gesetzes parteiisch zu sein. Nur das gewisse Recht erfüllt den Beruf, dafs 
die Gerechtigkeit die Menschen einige und die scharfen Grenzen wahre, in- 
nerhalb welcher sich die individuelle Sittlichkeit des Lebens frei bewege. 
Das corpus Fridericianum sieht in dem ungewissen Recht vor Allem die 
ergiebige Quelle der Processe. Die Vorrede führt weitläuftig aus, wie die 
römischen Gesetzbücher, ohne Prineipien an der Spitze, in der Entschei- 
dung einzelner Fälle sich bewegend, von streitenden Commentatoren zer- 
setzt, kein gewisses Recht darstellen, und wie in Deutschland, da die 
doctores das römische Recht zu dem deutschen eingeführt, in diesem Confliet 
Ein ungewisses Recht über das andere gekommen. Im Eingang zum Land- 
recht wird ferner des störenden Einflusses des canonischen Rechts gedacht, 
der unzähligen Streitigkeiten, ob und wie weit die besondern Willküren 
und Statuta der Städte gelten sollen und der einander vielfach widerspre- 
chenden landesherrlichen Edicte. „Diesem Unheil nun zuvorzukommen, 
haben Wir ein kurzes, auf gewisse und vernünftige principia sich gründendes 
Landrecht verfertigen lassen.” 

Das corpus iuris Fridericianum gründet das ius certum auf principia 
generalia, das gewisse Recht auf allgemeine Grundsätze, damit aus ihnen 


Friederich der Grofse und sein Grofskanzler Samuel von Cocceji. 37 


die Gesetze als logische Folgen fliefsen. Die principia generalia, welche 
Übereinstimmung schaffen, sollen das gewisse Recht hüten. 

Wir sahen oben in Cocceji’s Geist die Richtung auf Prineip und 
System; und in dieser Richtung auf das einstimmige Ganze sahen wir eine 
Begabung zum Gesetzgeber; denn das Gesetz, das nicht aus dem Geist des 
Ganzen geboren ist, wird Flickwerk und Stückwerk. 

Aber es fragt sich, welches diese Generalprincipien sind und wie sich 
dazu die besondern Bestimmungen verhalten. 

In der Vorrede wird $. 30 gesagt: „Se. Königl. Majestät haben die in 
dem Corpore iuris (des Justinian), und in denen angeführten Extracten ver- 
steckte principia iuris naturalis hervorgesucht, solche bei einer jeden Ma- 
terie vorausgesetzet, vernünftige conclusiones daraus dedueirt, folglich das 
römische Recht ad artem redigirt, das ist, in eine vernünftige Ordnung ge- 
bracht: So dafs dieses Landrecht mit Grund ein ius naturae privatum ge- 
nannt werden kann.” 

So erscheint hier im Gesetzbuch unter des Königs Namen dasselbe, 
was einige Jahre früher Cocceji in seinem neuen System der römischen und 
natürlichen Gerechtigkeit litterarisch unter seinem eigenen dargestellt hatte. 
Die dem römischen Recht inwohnenden und nun zu Tage geförderten Prin- 
cipien gelten hier den Princeipien des Naturrechts gleich. Wollten wir dies 
auch annehmen, so wäre doch zu fürchten, dafs die im Recht überkommenen 
deutschen Elemente, welche eine Stelle finden müssen, dazu nicht stimmen. 
Denn es heifst (I. 1. tit. 2. $. 4) ausdrücklich, dafs dieses generale Land- 
recht aus der natürlichen Vernunft und Unsern Landesordnungen und Ver- 
fassungen zusammengezogen ist. Ein Zwiespalt ist kaum vermeidlich. Dazu 
kommt noch Eins. Ist wirklich das römische Recht eine Verkörperung des 
Naturrechts? Niemand verkennt seine Schärfe und Strenge, seine conse- 
quente Entwicklung, welche es zur bleibenden Schule des Rechts machen. 
Aber der Geist des römischen Privatrechts ist der Geist des strieten Eigen- 
thums, des strengen Mein und Dein, des Rechtes der Personen als solcher, 
welche Eigenthümer sind oder durch eigene Kraft erwerben; und dieser 
Geist erstreckt sich selbst in die Familie hinein, wie in die patria potestas. 
Der sittliche Geist des Ganzen kommt dabei nur nebenbei zum Recht; und 
weiter reichte, wie wir sahen, Cocceji’s Auffassung nicht. Ein Beispiel 
mag es erläutern. 


38 TRENDELENBURG: 


Es wird im corpus Fridericianum (1.1. tit. 9. art. 2. $. 21) aus all- 
gemeinen Gründen abgeleitet, dafs die Kinder nothwendige Erben (sui hae- 
redes) werden; — und dann wird hinzugesetzt: „Und dieses ist die Ursache, 
warum die Kinder ohne des Vaters Consens nicht heiraten können, weil 
demselben wider seinen Willen kein membrum familiae, viel weniger ein 
Erbe obtrudirt werden kann.” Wäre dies der wirkliche Grund, so würde 
er nur da treffen, wo etwas zu erben ist. Die sittlichen Beziehungen, 
die der Consens des Vaters, überhaupt die Einwilligung der Eltern wahren 
soll, werden an dieser Stelle in blofse Eigenthumsbeziehungen verwan- 
delt (°°). 

Indessen fallen im corp. Frid. Naturrecht und römisches Recht doch 
auch aus einander, wie z. B. bei dem folgenreichen Recht der Testamente. 
Denn nachdem das Gesetzbuch (HI. 7. tit. 2. $. 1. $.2) das Testament er- 
klärt hat und zwar als eine solenne deutliche und ungezwungene Disposition 
und Willenserklärung von allem demjenigen, was jemand haben will, dafs es 
nach seinem Tode geschehen soll: fährt es ausdrücklich fort: „Aus derglei- 
chen Disposition folgt nach den natürlichen Rechten keine Verbindlichkeit, 
weil sie erst nach dem Tode des Zestatoris ihre Kraft erreichet, wo des Zesta- 
toris ius disponendi aufhöret, folglich der haeres nichts mehr von ihm accep- 
tiren kann.” Mit dieser Ansicht des Gesetzgebers, welche seit lange der 
Vater und die Gebrüder Cocceji in der gelehrten Welt behauptet hatten, ist 
doch das verheifsene zus naturae privatum durchbrochen; und es hängt da- 
mit zusammen, dafs das corpus iuris Fridericianum dies vermeintlich nur 
in bürgerlicher Übereinkunft gegründete Rechtsinstitut des Testamentes nach 
mehreren Seiten, welche das geltende römische Recht ausgebildet hatte, 
ohne Bedenken einschränkte (3). Die Prineipien des Naturrechts sind hier 
eng gefafst und das Testament wird seines eigenthümlichen Motivs entkleidet, 
um darin nach der Theorie des gewöhnlichen Vertrages einen Widerspruch 
zu finden. 

Wenn man die principia generalia weiter betrachtet, welche der Ge- 
setzgeber aus dem Naturrecht schöpft: so entbehren sie nicht selten der 
bindenden Kraft eines wirklichen Grundes und leisten unmöglich jene Be- 
festigung des gewissen Rechts, welche die eigene Absicht ist. Oft sind sie 
nur eine Analogie, welche sich auch ins Gegentheil wenden läfst. Beispiele 
mögen dies erläutern. 


Friederich der Grofse und sein Grofskanzler Samuel von Cocceji. 39 


Mehrere Rechtsbeziehungen der väterlichen Gewalt werden aus der 
„Unität” des Vaters mit den Kindern abgeleitet. „Die Kinder werden aus 
des Vaters Samen gezeuget und sein also eine Portion des väterlichen Leibes.” 
„Da auch die Kinder nicht allein unter dem corpore familiae begriffen, son- 
dern auch eine Portion von dem Leibe des Vaters, folglich auf gewisse Art 
eine Person mit demselben sein: so ist der Vater befugt die Glieder seiner 
Familie und seines Leibes zu beschützen und vor deren Conservation zu 
sorgen.” „Weil auch die Kinder mit dem Vater eine Person, folglich natür- 
liche instrumenta des Vaters sein, so können die Kinder dem Vater pacisciren, 
das ist durch ihren mit einem Zertio nomine patris getroffenen Handel dem 
Vater ein ius agendi acquiriren.” Es cessirt aber diese unitas personae 
4. Wann dem Vater nichts durch des Sohnes Handlung acquirirt, sondern 
vielmehr derselbe daraus obligiret wird; daher kann der Vater, wann der 
Sohn aufser dem peculio profectitio Schulden macht, nicht belangt werden” 
u.s. w. „Es cessirt auch diese Unität in denen Missethaten des Sohnes, 
und kann der Vater so wenig aus der Kinder, als diese aus des Vaters Mis- 
sethaten obligirt werden,” (corp. iur. Frid. 1. 1.tit.9. $.2. $. 22. $. 23- 
6.25). Es ist alt, in gewissem Betracht die Kinder als einen Theil des 
Vaters oder als sein Werkzeug anzusehen; und schon Aristoteles thut es. 
Aber diese Ausdrücke, so bezeichnend sie im bestimmten Zusammenhang 
sind, eignen sich nicht zum Prineip des Rechts; dazu sind sie zu allgemein, 
zu metaphorisch und definiren nicht die eigenthümliche Natur des Verhält- 
nisses. Der Sohn ist ein Theil des Vaters und auch kein Theil desselben ; 
er ist sein Werkzeug und auch kein Werkzeug, da er selbst Person ist. 
Wäre für die bezeichneten Rechtsbeziehungen die Unität, welche ein Ab- 
stractum ist, der wirkliche Ursprung: so könnte er nicht ohne Weiteres, 
nicht ohne die Gegenwirkung eines andern Prineips cessiren. Wenn die 
Unität, wo der Sohn paeiseirt, zum Vortheil des Vaters gilt, so dafs er er- 
wirbt, warum gilt sie nicht auch zu dessen Nachtheil, so dafs er durch den 
Sohn verpflichtet wird? Offenbar sind die Verhältnisse eigenthümlicher, 
concreter, als dafs sie sich durch die zweideutige Unität regieren liefsen (°*). 
Warum wirkt die Unität nicht für die Mutter durchweg dasselbe ? 

Das corpus Fridericianum antwortet darauf in eigner Anschauung (T. 1. 
wg $: 69) „Es ist oben gezeiget worden, dafs eine Frau mit der Intention 
dem Manne ihren Leib übergebe, dafs er Kinder daraus erzeugen möge, 


40 TRENDELENBURG: 


welche seine Familie nach seinem Tode continuiren sollen. Hieraus folgt 
von selbsten, dafs die Kinder eigentlich in des Vaters und nicht in der Mut- 
ter Gewalt sein, und dafs die Mutter ebensowenig Recht über sie habe, als 
derjenige, welcher einem andern seinen Fundum herleihet, um solchen mit 
seiner Saat zu bestellen, an denen Früchten Theil haben kann.” Es ist klar, 
wie wenig diese Analogie austrägt. Denn man braucht nur anders anzu- 
setzen; man braucht nur das fingirte Rechtsgeschäft von der Frau ausgehen 
zu lassen und das Verhältnifs dreht sich gerade um. Wirklich ist dies in 
gewisser Weise geschehen, wo es sich um die Frage handelt, wie das Eigen- 
thum acquiriret werde durch den Samen eines fremden Viehes (iure ventris). 
(corp. Friderie. 11. 2. tit. 5. $. 56) „Wann ein Thier weiblichen Geschlechts 
durch den Samen eines fremden Thiers trächtig wird, so gehöret die Zucht 
(foetus) nach den natürlichen Rechten demjenigen zu, welcher Herr des 
Weibleins ist. Weil der Samen, welcher in den Leib des Weibleins im- 
mittirt wird, aufhört eine portio des Männleins zu sein, folglich der Besitzer 
sein Recht über dieses excrementum verlieret: da hingegen der Samen mit 
dem Leib des Weibleins vereiniget wird. Wer also Herr des ganzen Weib- 
leins ist, erlanget das Eigenthum über alle dessen Theile, folglich auch über 
den Samen und die daraus entstehende Frucht.” 

Es ist bekannt, wie Friederich der Grofse, um die Ehen zu fördern, 
schon in den ersten Tagen seiner Regierung die Dispensation in Ehesachen 
aufhob und jedermann frei gab, sich in denen casibus, „wo die Ehe nicht 
klar in Gottes Wort verboten, sonder Dispensation und Kosten, nach Ge- 
fallen zu verheiraten.” Das corpus iuris Fridericianum sucht, dem Natur- 
recht folgend, eine ausreichende Formel für die verbotenen Grade der Ver- 
wandtschaft: (I. 2. tit. 3. $. 15 ff.) „Es sind aber unter Blutsfreunden 
die Ehen verboten. 1) zwischen denen, die Ein Fleisch sind, als Eltern 
und Kinder in infinitum, 2) zwischen denen, die Fleisch von Einem Fleische 
sind, als Schwestern und Brüder; daher kann auch niemand seines Vaters 
und Mutter Schwester und Bruder, das ist seine Oncles und Grofs-Oncles, 
oder seine Tanten und Grofs- Tanten heiraten.” „Unter denen verschwä- 
gerten Personen soll niemand eine Person heiraten, 1) die mit denjenigen, 
die mit ihm Ein Fleisch gewesen, in der Ehe gelebet; daher kann niemand 
seinen Stiefvater, Stiefmutter, Schwiegersohn oder Schwiegertochter heira- 
ten.” „Es ist aber eine andere Frage, ob 2) jemand eiue Person heiraten 


Friederich der Grofse und sein Grofskanzler Samuel von Coccgji. 41 


könne, der mit einem, der Fleisch von seinem Fleisch ist, in der Ehe gelebet, 
als seines Bruders Frau, seiner Schwester Mann, seines Vaters Bruder 
Frau und seiner Mutter Schwester Mann, heiraten könne. Da nun verschie- 
dene der Meinung sind, dafs dergleichen Ehen geschehen können, weil die 
Ehe z. E. mit des Bruders Frau auch in gewissen Fällen gar geboten, folg- 
lich keine moralis turpitudo vorhanden ist, andere aber das Gegentheil 
statuiren : so soll in solchen Fällen keinem Consistorio erlaubt sein zu dis- 
pensiren, sondern es soll jederzeit darüber bei Unserm Geheimen Etatsrath 
angefragt werden.” „Aufser denen obbenannten Personen können alle übri- 
gen Blutsverwandten sich heiraten, als 1) Schwester- und Bruder -Kinder; 
und noch mehr 2) die im dritten Grad ungleicher Linie verwandt sind.” Die 
im corpus Fridericianum gewählte Formel, ein anschaulicher Ausdruck für 
die natürliche Empfindung, schliefst Verbindungen aus, z. B. zwischen 
Oheim und Nichte, zwischen Tante und Neffen, welche das heutige in dieser 
Beziehung laxere Landrecht zuläfst (vgl. L.R. II. 1.8.7). Obgleich Friederich 
der Grofse schon unter 9. Jan. 1749 in einem Falle die Erlaubnifs giebt, der 
Schwester Tochter zu heiraten (55), hält doch das corpus Fridericianum, das 
in demselben Jahre erschien, an dem strengern Gesetz fest. Jene natur- 
rechtliche Formel, kurz und verständlich, um sich dem Volke einzuprägen, 
„Ein Fleisch, und Fleisch von Einem Fleisch”, stammt von Cocceji’s Vater (5). 

Im Gegensatz gegen das strengere kanonische Recht, welches die Ehe 
für eine unlösliche Gemeinschaft erklärt oder gegen das protestantische Kir- 
chenrecht, welches nur bei Ehebruch und böswilliger Verlassung eine 
Scheidung zuläfst, hatte das Naturrecht, insbesondere seit Pufendorf eine 
Neigung, die Ehe, die durch gegenseitige Übereinkunft geschlossen wird, 
gleich einem gewöhnlichen Vertrage durch gegenseitige Einwilligung für löslich 
zu erklären. Ein Naturrecht, welches im Geist des römischen Privatrechts 
entweder in dem einzelnen Willen des Eigenthümers oder in dem gegenseitigen 
Willen des Vertrages und in diesen allein das rechtsbildende Princip sieht, kann 
kaum anders urtheilen. Erst wo die sittliche Natur der Ehe erkannt und von 
dem Ganzen her die Pflicht gefühlt wird, die sittliche Natur der Ehe in ihrem 
eigenthümlichen Wesen gegen das Belieben der Eheleute zu wahren, wird 
das Recht die Ehescheidung an strengere Gründe binden. Cocceji hatte 
schon in seinem ius controversum die gegenseitige Einwilligung nach dem 
Naturrecht für genügend erklärt, die Ehe aufzuheben, hatte dies weitläuftig 

Philos.-histor. Kl. 1863. F 


42 TRENDELENBURG: 


ausgeführt und darnach die mildere oder laxere Praxis aus der Geschichte 
des Eherechts in den Vordergrund gestellt. In demselben Sinn hatte er in 
seinem neuen System des natürlichen und römischen Rechts geurtheilt. Was 
bis dahin im Naturrecht umging und Theorie geblieben war, erscheint nun 
durch ihn im corpus iuris Fridericianum als Gesetz. Nur gegen den Leicht- 
sinn war dabei einige Vorsicht vorgekehrt. Es heifst (Th. 1.2. Tit. 3. Art. 1. 
8.35): „es kann eine rechtmäfsige und vollzogene Ehe dissolvirt werden, 
wann beide Theile in die Ehescheidung willigen. Es müssen alle Gradus 
dabei beobachtet, und zu dem Ende alle Bewegungsgründe, allenfalls mit 
Zuziehung eines Geistlichen, zu deren Vereinigung adhibirt, und wann 
dieses nicht helfen will, eine Scheidung von Tisch und Bett auf ein Jahr 
vorgenommen werden. Wann nach verflossenem Jahr keine Vereinigung 
zu hoffen, und beide Theile bei ihrem Vorsatz verharren, kann die Schei- 
dung geschehn.” Im Übrigen geht diese Bestimmung, welche nicht daran 
denkt, das Wohl der Kinder zu wahren, weiter als selbst das spätere Land- 
recht, dem das corpus iuris Fridericianum zur Vorbereitung dient. Denn 
das Landrecht (II. 1. $. 716) läfst doch nur den Grund gegenseitiger Ein- 
willigung „bei ganz kinderlosen Ehen” zur Trennung zu (°7). 

Die Frage, wer nach dem Rechte erben solle, wenn kein letzter 
Wille vorhanden, läfst manche Erwägungen des Naturrechts zu und wird im 
positiven Recht immer in dem Geiste entschieden, in welchem die Ehe und 
die Familie aufgefafst werden. Denn das Intestatrecht wahrt in der Aus- 
theilung des nachgelassenen Gutes die Nähe der Familienbeziehungen. Coc- 
ceji hat in seinem Naturrecht, den Anschauungen seines Vaters folgend, die 
Ansicht aufgestellt, dafs aus innern Gründen nur ein Erbrecht der Kinder 
folge; denn nur die Kinder seien ein Theil des Vaters, nur die Kinder seien im 
Hause und in der Gewalt des Vaters, nur die Kinder seien nach seinem Wunsche 
bestimmt, die Familie fortzusetzen, also in das Vermögen zu folgen. Da diese 
Gründe bei den andern Verwandten, namentlich den Seitenlinien fehlen, so 
ist nach seiner Anschauung das Erbrecht Entfernterer im Naturrecht nicht be- 
gründet (°°). So wird nur der Wille des Vaters, der Erblasser ist, der Wille 
des Eigenthümers, nicht der Zusammenhalt der Familie als eines Ganzen 
berücksichtigt. Die rechtsbildenden Prineipien, welche im Gegensatz ge- 
gen den Willen des Einzelnen vom Ganzen ausgehen, kommen überhaupt 
in Cocceji's Naturrecht nicht zum Ausdruck. Es ist bezeichnend, dafs Coc- 


Friederich der Grofse und sein Grofskanzler Samuel von Cocceji. 43 


ceji, vom römischen Recht befangen, der Wittwe vergifst, welche gerade 
das deutsche Recht, die Ehe in der Ehefrau tiefer erfassend, bedenkt. Das 
corpus Fridericianum folgt darin dem römischen Recht, dafs es lediglich 
arme Wittwen beruft und zwar in den vierten Theil des vom reichen Gatten 
hinterlassenen Vermögens (ll. 6. Tit. 3. $. 16); und doch hatte aus altem 
Rechtsbewufstsein selbst da, wo das römische Recht das heimische so ziem- 
lich verschlungen hatte, wie z.B. in der Mark, das Erbrecht des überle- 
benden Ehegatten vielfach Widerstand geleistet. In den weitern Ordnungen 
der Succession erben die Eltern und Grofseltern vor den Geschwistern des 
Erblassers, gegen das römische Recht, welches die Geschwister mit den EI- 
tern in die Erbschaft beruft. Ohne Frage stehen einem solchen Erblasser, 
der keine Kinder hat, Geschwister namentlich näher als die Grofseltern, 
durch welche möglicher Weise das angefallene Gut bei weiterer Vererbung 
in neue dem Erblasser entfernte Zweige der Familie gelangen kann. Man 
sieht nicht, warum der Gesetzgeber hier sogar vom römischen Recht abwich, 
und noch weniger, warum er sich der deutschen Parentelen entschlug, wel- 
che die Abstufung der Familienbeziehungen und die Nähe und Entfernung 
des Familienbandes tiefer auffassen, als das römische Erbrecht. Das spätere 
Landrecht hat sich in diesen Richtungen den sittlichen Empfindungen vom 
Wesen der Familie, welche durch das deutsche Recht durchgehen, wiede- 
rum genähert. Sollte das corpus iuris Fridericianum gleichsam ein „ius 
naturae privatum” darstellen, so ist es an dieser Stelle durchbrochen; es 
mangeln die natürlichen Gründe. 

Für die Grofsjährigkeit bestimmt das corpus iuris Fridericianum 
(dl. 3. tit. 13. $. 10): „wann der curandus grofsjährig, das ist 25 Jahr, oder, 


’ 


wenn es einer von Adel ist, 20 Jahr alt worden.” Die erste Bestimmung 
ist die Bestimmung des römischen Rechts, die zweite nicht. Wenn das 
römische Recht verordnet, dafs erst mit dem zurückgelegten 20ten Jahr 
venia aelatis, Aufhebung der Minderjährigkeit, dürfe nachgesucht werden: 
so ist aus dieser Möglichkeit, wie es scheint, für den Adel ein Privilegium 
geworden, das selbst im corp. Frid. ein beneficium genannt wird (1. 3. 
tit. 13. 8.9. X. h.). Es ist durch ein besonderes Ediet so angeordnet 
(ebendaselbst). Man sieht nicht, aus welchen Gründen des Naturrechts 
dieser Unterschied geflossen ist. Es mögen national-ökonomische Gründe 
für die Verkürzung der Minderjährigkeit angeführt werden. Aber sie gel- 
BI 


44 TRENDELENBURG: 


ten für den Bürger und Adel gleich. Es dient der Wohlfahrt der Familien, 
dafs erst mit der vollen Reife der Jahre, welche die Reife der Erfahrung 
und den reifen Charakter bedingt, die Grofsjährigkeit eintrete. Friederich 
der Grofse erkannte dies namentlich in seiner im Jahre 1769 geschriebenen 
Schrift über die Erziehung, welche auf den preufsischen Adel besondere 
Rücksicht nimmt, und hält es für weise, dafs die Söhne nicht vor dem 
26ten Jahre selbstständig werden und die Väter bis dahin für sie in gewisser 
Weise verantwortlich seien (5°). Es ist nicht deutlich, welche Gründe im 
corpus Friderieianum den Unterschied bestimmten. Das spätere Landrecht 
kennt ihn nicht mehr, indem es (L. R. I. 1. $. 26) verordnet, dafs die Min- 
derjährigkeit ohne Unterschied des Orts, der Herkunft und des Standes 
dauere, bis das vier und zwanzigste Jahr zurückgelegt sei. 

Es liegt in der Richtung einer philosophischen Betrachtung, welche 
auf das Wesen sieht, dals sie das Einfache suche und Spitzfindigkeiten ver- 
meide. In diesem Sinne will das corpus Friderieianum, das sich auf das 
Naturrecht stützt, unnütze Unterscheidungen aufheben. Als Beispiel diene 
die Aufhebung des vom canonischen Recht eingeführten Unterschiedes der 
sponsalia de praesenti et de futuro. Es heifst (I. 2. tit. 2. $. 2): „Der- 
gleichen Verabredung einer künftigen Heirat (Eheverlöbnisse) ist nicht die 
Ehe selbst, wann das Eheversprechen auch schon verbis de praesenti ge- 
schieht, z. B. Ich nehme dich zu meiner Frauen u. s.w. Dann so lange die 
benedictio sacerdotalis oder copula carnalis nicht darzu kommt, sind und 
bleiben es sponsalia de futuro, daher der Unterscheid inter sponsalia de 
praesenti et de futuro hiedurch gänzlich aufgehoben wird.” Was an dieser 
Stelle das corpus iuris Fridericianum bestimmt, hatte schon Cocceji theo- 
retisch im ius controversum verfochten (°°). 

Eine Reihe von Bestimmungen geht zunächst darauf, den Anlafs zu 
Processen abzuschneiden; aber diese Absicht zieht dadurch vielfach Ände- 
rungen herbei, welche auch die innere Seite der Sache treffen. Wir nehmen 
die nächsten Beispiele aus dem Erbrecht. 

Das Privattestament, d.h. ein solches, welches nicht vor der Obrig- 
keit errichtet wird, ist von Alters her an solemne Formen, z.B. an die 
Unterschrift von sieben zulässigen Zeugen, gebunden. Es war durch diese 
geforderten feierlichen Bedingungen, welche den Inhalt sichern sollen, die 
Möglichkeit geboten, einen letzten Willen, der an sich klar und richtig ist, 


Friederich der Grofse und sein Grofskanzler Samuel von Cocceji. 45 


durch einen nachgewiesenen Formfehler zu fällen. Daher greift das corpus 
iuris Fridericianum durch und gestattet nur gerichtliche Testamente. In 
$. 28 der Vorrede zum zweiten Theil heifst es: „man hat alle Privat-Testa- 
menta, welche vorher vor sieben Zeugen verfertiget werden müssen, item 
alle Privat-Codicille, nebst den donationibus mortis causa, (welche eine 
Amphibie zwischen einem letzten Willen und einem actw inter vivos sind,) 
gänzlich abgeschafft, und als eine ewige und beständige Regul festgesetzt, 
dafs alle letzte Willen künftig gerichtlich verfertigt werden sollen. — — 
Durch diese Anordnung werden alle dispositiones, welche einen letzten 
Willen mit sich führen, gegen die Ignoranz, suggestiones, inductiones und 
andere Betriegereien einiger Notarien, Procuratoren, Priester und anderer 
Umläufer in Sicherheit gesetzet und eine grofse Menge von Processen da- 
durch vermieden.” 

Durch die Bestellung von Vermächtnissen, welche der im Testament 
eingesetzte Erbe leisten mufs, kann sich der Übelstand ergeben, dafs der 
Erbe mit einer solchen Menge oder einer solchen Höhe von Legaten be- 
schwert wird, welche ihm selbst keinen Vortheil übrig lassen. Eine solche 
Lage einer Erbschaft ist an sich unbillig und bringt den letzten Willen in 
Gefahr, indem der Antritt zweifelhaft wird. Daher /wird im römischen 
Recht dem Erben die s. g. faleidische Quart vorbehalten, durch welche er 
befugt wird, den vierten Theil der Erbschaft anzusprechen und, was daran 
fehlt, dem Vermächtnifs abzuziehen. Dadurch wird der Billigkeit genügt 
und die Bestimmungen des Testators bleiben im Ganzen aufrecht. Aber 
die Berechnung der faleidischen Quart und die Vertheilung auf die Vermächt- 
nisse führt zu Weitläuftigkeiten und Rechtsstreiten. 

Etwas Ähnliches hat bei den s. g- fideicommissarischen Substitutionen 
statt. Ein Erbe wird eingesetzt, aber zugleich ersucht, zu bestimmter Zeit 
die ganze Erbschaft oder einen Theil davon einem bezeichneten Dritten 
(dem Substitutus) wieder auszuhändigen. Wenn nun die Verfügung so un- 
günstig getroffen ist, dafs dem Erben, der für die Schulden haften und sich 
lästigen Geschäften unterziehen mufs, kein Vortheil bleibt: so wird er sich 
die Erbschaft anzutreten weigern und der nachgesetzte Erbe (der Substitu- 
tus) wird nicht zu dem ihm vom Erblasser bestimmten Recht gelangen. 
Daher sichert das römische Recht dem eingesetzten Erben in der fideicom- 
missarischen Substitution, analog der quarta Falcidia, die s. g. quarta 


46 TRENDELENBURG: 


Trebellianica, den vierten Theil der Erbschaft, dessen Berechnung wiederum 
Eigenthümliches hat. Auch in dieser Anordnung führt die Verwickelung 
der Interessen zu Streitigkeiten. 

Das corpus iuris Fridericianum kehrt sich an diese alte Überlieferung 
des römischen Rechts nicht; es hebt die quarta Falcidia und quarta Trebel- 
lianica auf, weil sie, wie es sagt, zu unzähligen Subtilitäten und Streitig- 
keiten Anlafs gegeben. Den Übelständen, die dadurch entstehen konnten, 
sucht es auf andrem Wege zu begegnen, und den Folgen vorzubauen, die 
dann sich ergeben mufsten, wenn nun die Erbschaft nicht angetreten und 
dadurch nach der bisherigen Rechtsanschauung das Testament entkräftet 
würde. Das corpus iuris Fridericianum verordnet für diesen Fall, dafs die 
Vermächtnisse, wenn der Erbe auch nicht antrete, mit ungekürztem Rechte 
bleiben und in der fideicommissarischen Substitution statt des Vertrauens- 
erben (des fiduciarius) der nachgesetzte (der fideicommissarius) sogleich 
eintrete. Das corpus iuris Fridericianum bahnte den Weg. Die aufge- 
hobenen quarta Falcidia und quarta Trebellianica blieben auch im spätern 
Landrecht aufgehoben. 

Die betreffenden Stellen des corpus iuris Fridericianum lauten wie 
folgt; zuerst in Bezug auf die Vermächtnisse (II. 8. tit. 2. $. 62): 

„Schliefslich ist noch zu merken, dafs die römischen Gesetze in dem 
Fall, wann der Testator die Erbschaft mit so vielen legatis und particulir 
‚fideicommissis beschweret, dafs der Erbe keinen oder wenig Profit davon 
hoffen konnte, dem Erben erlaubt haben, von allen legatis den vierten 
Theil abzuziehen, welcher quarta Falcidia genannt wurde. Weil nun diese 
Falcidia blos aus der Furcht, dafs das Testament entkräftet werden möchte, 
eingeführet, und dadurch zu unzähligen Subtilitäten und Streitigkeiten An- 
lafs gegeben worden: so haben wir nöthig gefunden, gleichwie die guartam 
Trebellianicam, also auch diese Falcidiam, gänzlich aufzuheben und ein 
für allemal festzusetzen: 1) dafs, wann der Erbe die Erbschaft wegen der 
vielen Vermächtnisse u. s. w. anzutreten Bedenken haben sollte, die Erb- 
schaft, so viel die Zegata und deren Gültigkeit betrifft, ipso iure pro adita 
gehalten werden; im Übrigen aber 2) die Erbschaft dem sudstituto, oder, 
wann auch dieser die Erbschaft repudiiret, den haeredibus ab intestato de- 
feriret; und in deren Entstehung 3) ein curator haereditatis bestellet werden 
solle, welcher ius haereditatis besorgen und die /egata auszahlen mufs.” 


Friederich der Grofse und sein Grofskanzler Samuel von Coccgji. 47 


In Bezug auf die haereditas fidei commissaria, „vertrauliche Erb- 
schaft” nach dem Ausdruck des corp. Friderieianum heifst es (II. 7. tit.8. 8.22): 

„Die römischen Gesetze haben als ein Essential-Requisitum einer 
fideicommissarischen Erbschaft erfordert, dafs der instituirte Erbe, welcher 
ersucht worden, die Erbschaft zu restituiren, dieselbe auch antreten müsse: 
weil auf den Fall, da er solche nicht antreten wollte, das ganze Fideicommifs 
wegfiele. Damit nun das Testament und die fideicommissarische Erbschaft 
subsistiren möge, haben dieselben dem Ahaeredi fiduciario erlaubet, den 
vierten Theil von der Erbschaft cum onere et commodo zu deduciren, wel- 
cher quarta Trebellianica genannt worden. Weil aber diese quarta zu 
einigen fast inextricablen Schwierigkeiten, theils ratione differentiae cum 
Falcidia, theils ratione computationis, theils ratione exclusionis quartae 
Anlafs gegeben u.s. w.: so wollen Wir hierdurch als eine General -Regul 
festsetzen, dafs keinen Erben künftig erlaubt sein solle, weiter die guartam 
Trebellianicam zu deduciren, sondern der fiduciarius ist schuldig, die Erb- 
schaft ohne solche Deduction dem Ähaeredi fideicommissario zu restituiren. 
Wenn er sich der Erbschaft gar nicht annehmen will, ist nicht nöthig, den 
fiduciarium zur Antretung zu zwingen, sondern der fideicommissarius kann 
sich sofort der Erbschaft ohne die Restitution zu erwarten, anmafsen, auch 
dieselbe allenfalls iwdiciali auctoritate in Besitz nehmen. Welches auch mit 
den folgenden fiduciariis oder fideicommissariis also gehalten werden soll.” 

So sucht das corpus iuris Fridericianum gerade durchzuschneiden 
und an die Stelle des Verwickelten das Einfache zu setzen. 

Mit dem Bestreben Processe zu verhüten verbinden sich dem Gesetz- 
geber auch andere Interessen, wie z. B. der Staatskasse. Es ist an sich 
recht und gut, dafs das Erbrecht in entfernten Graden der Verwandtschaft 
abbreche; denn wo das lebendige Familienband abstirbt, da hört auch der 
Grund auf, aus welchem die Erbfolge entspringt. Das corpus iuris Fride- 
ricianum fafst dabei die Erbschaftsprocesse auf, aber vergilst den Fiscus 
nicht. Theil. 6. tit.5. $. 8: „Und weil, wann die Verwandtschaft zu weit 
entfernet ist, unzählige Processe ratione proximitatis entstehen könnten, so 
soll nach dem zehnten Grad anf keine Verwandtschaft, quo ad successionem 
ab intestato, weiter reflectiret, sondern die Erbschaft pro vacante gehalten 
werden, und solche dem fisco anheim fallen,” und ferner (Theil 11. 6. tit. 7. 
$. 1): „Dahero kein fiscus privatus einer Stadt, eines collegü, capıtuli u. s. w. 


48 TRENDELENBURG: 


sich dergleichen Erbschaft anmafsen kann, wann er nicht mit allen Regalien 
von uns beliehen worden.” Es ist nicht einzusehen, dafs das Naturrecht, 
das allenfalls die Processe hafst, auf den Fiscus hinweise. Das römische 
Recht fühlt die nähern Beziehungen in der Körperschaft oder der Gemeine, 
deren Glied der Erblasser war und beruft sie vor dem Fiscus in die erledigte 
Erbschaft; und offenbar hat das Leben des Erblassers zu ihnen ein lebendi- 
geres Verhältnifs, als zu dem abstracten Fiscus. 

Ein anderer Versuch, eine ergiebige Quelle von Processen zu verstopfen, 
liegt in der Aufhebung des ius accrescendi, des Rechtes des Zuwachses vor. 
Wenn nämlich von den eingesetzten Erben einer oder der andere ausfällt, 
so wächst nach dem römischen Recht sein Theil mit den Vortheilen und 
Lasten den Miterben und zwar selbst ohne ihr Wissen und gegen ihr Wollen 
zu. Die Untersuchung, in welchem Sinn und mit welchem Bande die Mit- 
erben Miterben seien, führt dabei zu Streitigkeiten in der Berechnung und 
Vertheilung des zuwachsenden Theils. Das corpus iuris Friderieianum 
sagt in dieser Beziehung (11.7. Tit. 4. $.17). „Die Erfahrung zeiget, was 
für verschiedene Meinungen unter den Rechtsgelehrten hierüber entstanden 
und wie viele Processe aus diesen Subtilitäten entsprungen sind, insonder- 
heit wenn ein Erbe re, der andere verbis und der dritte re et verbis con- 
jungiret worden u.s. w. Daher sind Wir nach reiflich überlegter Sache be- 
wogen worden, das ganze ius accrescendi hiedurch aufzuheben, und ein für 
alle Mal festzusetzen, dafs, wann einer von den coniunciim eingesetzten Er- 
ben abgehet, dessen Portion allezeit den Erben ad intestato (nicht aber den 
cohaeredibus) anheim fallen solle, wodurch also die — — Regel, dafs nie- 
mand pro parte testatus, pro parte intestatus versterben könne, — von selb- 
sten hinwegfällt. Wir haben um so viel mehr nöthig gefunden, diese Sub- 
tilitäten, welche zu vielen intricaten Processen Anlafs geben können, 
abzuschaffen, weil eines Theils das ius accrescendi eben aus dieser Ursache 
per legem Papiam schon ehemals aboliret und erst von dem Justiniano 
wieder eingeführet worden; andern Theils der Billigkeit gemäfs ist, dafs, 
wann ein instituirter Erbe deficiret, dessen Portion vielmehr denenjenigen, 
welche von der Natur oder iure familiae ab intestato zu der Succession ge- 
rufen werden, als den coAhaeredibus anheimfalle: Und da in contractibus 
kein zus acerescendi Statt hat, so finden Wir keine Ursache, warum dasselbe 
in ultimis voluntatibus Statt finden solle” (vgl. $. 11 und 12). 


Friederich der Grofse und sein Grofskanzler Samuel von Cocceji. 49 


In der Bestimmung dieser Stelle vereinigt sich mit dem Zweck, Pro- 
cesse zu verhüten, eine gewisse Mifsgunst des Naturrechts gegen die Testa- 
mente, indem der Erbfolge ab intestato gegen den nach dem Testament 
vorauszusetzenden Willen der Vorzug gegeben wird. Sonst wäre schwerlich 
das Recht des Zuwachses, das bei den dem Testament stillschweigend ein- 
gezeichneten Motiven beharrt, aufgegeben worden. Wenn das Recht des 
Testaments anerkannt und darin die individuelle Verfügung des Erblassers 
über eine allgemeine Norm gesetzt wird, welche keine Unterschiede macht: 
so wird mit Recht der unvorgesehene Fall, dafs ein Erbe ausfällt, nach der 
Analogie dessen behandelt, was im letzten Willen verordnet ist, wornach 
dann der erledigte Theil den Miterben zuwächst. Wo ein Testament Erben 
einsetzte und über die Erbschaft besonders verfügte, ist die Annahme be- 
gründet, dafs der Erblasser die Intestaterbfolge ausschliefsen oder nach den 
Gesichtspunkten gestalten wollte, die er im letzten Willen aussprach. Wird 
dessenungeachtet in dem Falle, dafs ein Erbe ausfällt, die Intestaterbfolge, 
wie das corpus iuris Friderieianum thut, zur Norm genommen: so läfst 
man zu, was nach gröfster Wahrscheinlichkeit der Testator nicht wollte, 
und mengt und mischt zwei fremdartige Dinge, Testament und Intestatfolge. 
Dagegen hält sich das römische Recht, das das ius accrescendi in der Rich- 
tung des letzten Willens einführte, rein und billig in dem Kreise, welchen 
der Testator gezogen. So verfehlen die beiden Zwecke des corpus iuris 
Fridericianum, Processe zu verhüten und das Naturrecht voranzustellen, in 
dieser Bestimmung das Richtige und das spätere Landrecht kehrt zum Recht 
des Zuwachses zurück (I. 12. $. 281). 

Es ist bereits oben erwähnt worden, dafs Friederich der Grofse in 
Bezug auf die Staatskasse mit dem Beispiel voranging, zweifelhafte Processe 
zu vermeiden. Dahin gehört auch eine Verfügung im corpus iuris Frideri- 
cianum. Der König erklärte aus eigener Bewegung, dafs jeder Unterthan, 
der beim Antritt seiner Regierung im Jahre 1740 in dem Besitz einer Be- 
fugnifs gegen den Landesherrn gewesen, contra fiscum dabei durchaus ge- 
schützt werden solle, ja er verbot in einer spätern Kabinetsordre vom 9. Juli 
1756 dies Jahr umgekehrt zu Gunsten des Fiscus in Anspruch zu nehmen. 
Wo früher der weitläuftige und zum Streit einladende Nachweis eines „un- 
denklichen Besitzes” (einer possessio immemorialis) erforderlich war, d.h. 
eines Besitzes in derselben Hand, ohne dafs je etwas vom Gegentheil be- 

Philos.- histor. Kl. 1863. G 


50 TRENDELENBURG: 


kannt geworden wäre: entschied nun schon der unbestrittene Besitz vom 
Jahr 1740, als s. g. annus normalis et decretorius. Friederich der Grofse 
prägte diese Regel noch insbesondere dem Generaldirectorium durch eine 
Cabinetsordre vom 20. Mai 1748 ein und bestätigte die ganze Anordnung 
noch einmal durch eine Cabinetsordre vom 11. Febr. 1768. Dieses Gesetz, 
welches im ungestörten Besitz das Wohl der Unterthanen dem Vortheil des 
Fiscus vorzog, ist ein Denkmal hochherziger landesväterlicher Gesinnung. 
Die betreffende Stelle des corpus iuris Fridericianum lautet (11. 3. tit. 5. 
$. 51) unter dem Abschnitt „von der Verjährung, welche durch eine undenk- 
liche Possession geschiehet” „In specie wird dergleichen undenkliche Pos- 
session erfordert, wann von der Verjährung der Regalien” (Jagd- Zoll- 
Strand-Gerechtigkeiten, Jurisdiction u. s. w.) „dieFrage ist. Dann da derglei- 
chen Regalien nicht ohne Concession des Landesherrn von einem Privato be- 
sessen werden können, so wird die concessio blos durch eine solche undenk- 
liche Possession praesumiret. Dieser modus acquirendi aber kann ratione 
‚Futuri nur von Anno 1740 und dem Tage Unserer angetretenen Regierung an- 
gehen; weil Wir raztione praeteriti in Unserm Codice Fridericiano declariret, 
dafs alle diejenigen, welche zu der Zeit im wirklichen Besitz der Regalien 
non vi, non clam, non precario gewesen, darbei geschützet werden sollen.” 
Das spätere Landrecht behält diese Bestimmung bei; nur nimmt es nicht das 
Datum des Regierungsantrittes, sondern den 1. Januar 1740 als die Grenze, 
von welcher ab zu rechnen (Landrecht I. 9. $. 641. vgl. 8.643). „Der voll- 
ständige ruhige Besitz einer Sache oder eines Rechts im Jahr 1740 schützt 
den Besitzer in allen Fällen gegen die Ansprüche des Fiscus (°1).” 

Das corpus iuris Fridericianum zeigt durchweg das Übergewicht des 
römischen Rechts, in welchem nach Cocceji’s Ansicht das Naturrecht seinen 
Ausdruck gefunden hatte. So ist z.B. die Lösung der väterlichen Gewalt 
nach dem römischen Recht festgestellt und selbst die der deutschen Sitte 
vertraute und aus dem deutschen Recht längst geltende Bestimmung, dafs 
der Sohn, welcher eine eigene Haushaltung anlegt, dadurch aus der väter- 
lichen Gewalt scheide, wird ausdrücklich abgelehnt. So heifst es (I. 1. 
tit. 9. $.28) „Es wird aber die väterliche Gewalt nicht dissolvirt, wann ein 
Kind seine eigene Haushaltung mit des Vaters Bewilligung anstellet (°2).” 
Erst das spätere Landrecht kehrt zu den deutschen Begriffen zurück und 
nimmt dabei auf die Grofsjährigkeit Rücksicht (Landrecht 1. 2. $. 210 ff.). 


Friederich der Grofse und sein Grofskanzler Samuel von Cocceji. 51 


Auch bei der Bestimmung des den Kindern schuldigen Pflichttheils 
ist der Einflufs des römischen Rechts sichtbar. Doch weicht das corpus 
iuris Fridericianum darin ab, dafs es den Pflichttheil für Kinder, wenn 4 
oder weniger vorhanden sind, von dem dritten Theil der ihnen ad intestato 
zufallenden Portion, welche ihnen Justinian zuwies, auf den vierten herab- 
setzte. Es mag eine ältere Bestimmung des römischen Rechts dazu angeleitet 
haben. Aber das Naturrecht, welches im Pflichttheil den Bestand der Fa- 
milie und die nothwendigen Beziehungen der Kinder wahren müfste, würde 
vielmehr zu einer Erhöhung des Pflichttheils führen. Wirklich trägt das 
spätere Landrecht in dieser Richtung Fürsorge. 

Nur selten giebt das corpus iuris Fridericianum dem deutschen Recht 
nach. So z. B. bei den Erbverträgen, welche das römische Recht nicht 
kannte. Es heifst im corpus iuris Frid. (1.7. tt. 10. 9.1 ff.): „In den 
römischen Rechten sind alle pacta über die Erbschaft eines Lebendigen in 
genere verboten; und zwar aus einer unzeitigen Vermuthung, dafs der Erbe 
dem Erblasser den Tod wünschen dürfte; welches sie votum captandae mor- 
lis genannt haben. Wir haben hingegen der Billigkeit gemäfs gehalten, dafs 
ein jeder bei seinem Leben mit einem andern wegen seiner künftigen Erb- 
schaft contrahiren und pacisciren könne; und da dergleichen pacta unter 
Eheleuten und bei den Erbverbrüderungen gelten, die Soldaten auch der- 
gleichen Rechte haben: so können wir nicht absehen, warum nicht eine 
Generalregel daraus gemacht werden soll. Wir ordnen und wollen daher, 
dafs alle pacta de haereditate viventis, welche utriusque consensu verabredet 
werden, gültig sein sollen.” Wenn im römischen Recht, dem sonst das 
corpus Fridericianum folgt, die Erbverträge für ungültig erklärt werden, weil 
sie mit den guten Sitten streiten (°°), was wol noch andere Gründe hat, als 
das gefürchtete votum captandae mortis: so scheinen sie im Gegentheil bei 
dem Verfasser des corpus iuris Fridericianum darum Gunst zu finden, weil 
sie ein naturrechtliches Bedenken erledigen, das dem Testament entgegen- 
stand, inwiefern dasselbe ein Vertrag ist, in welchem die Acceptation zu 
einer Zeit, wo der Promittent disponiren könne, nicht Statt hat (s. oben 
S. 38). 

Ein anderes Rechtsgeschäft, das dem römischen Recht fremd, aber 
im deutschen ausgebildet ist, wird im corpus iuris Fridericianum, obschon 
es mit dem Erbvertrage verwandt ist, aufgehoben und dem Zwecke geopfert, 


G2 


52 TRENDELENBURG: 


Processe zu verhüten. Es ist die s. g. Einkindschaft. 1. 1. tit. 9. art. L. 
$. 14: „Es ist eine Art von Adoption durch einen alten Gebrauch eingeführt 
worden, welcher die Einkindschaft (unio prolis) genannt wird. Wann 
nemlich zwei Eheleute ihre zusammengebrachte Kinder zu gemeinschaftlichen 
Kindern und Erben annehmen. Weil aber zu diesem negotio viele Um- 
stände erfordert werden, welche zu Processen Anleitung geben, selbiges 
auch keinen sonderlichen Nutzen hat, weil die Eheleute per adoptionem 
oder durch ihren letzten Willen ihren Stiefkindern Gutes thun können: so 
wollen Wir sothane Einkindschaft hiedurch ratione futuri gänzlich aufge- 
hoben wissen.” Wenn nach neueren Untersuchungen die Einkindschaft 
darauf hinzielt, dafs das Vermögen der Kinder erster Ehe in die Güterge- 
meinschaftsmasse der zweiten Ehe übergehe und dafür den Vorkindern das 
Erbrecht gemeinsam mit den Nachkindern gesichert werde: so wird dieser 
eigenthümliche Zweck, aus der germanischen Sitte der Gütergemeinschaft 
entstanden, weder durch Adoption noch durch letzten Willen erreicht. 
Sonst enthält Cocceji’s ius eivile controversum den Belag zu den „vielen Um- 
ständen”, welche dies Rechtsgeschäft erfordert, und zu den Processen, wel- 
che daraus entstanden. Das spätere allgemeine Landrecht hat die von dem 
corpus iuris Fridericianum verdrängte Einkindschaft wieder aufgenommen, 
wenn auch in dem allgemeinern Sinn, um zwischen Stiefeltern und Stiefkin- 
dern Familienverhältnisse zu begründen (°°). 

Aus diesen Beispielen entscheidender Begriffe ist ersichtlich, dafs das 
römische Recht im corpus iuris Fridericianum vorherrscht. Mit dem römi- 
schen Recht bleibt der Ausdruck lateinisch. Die im römischen Recht tech- 
nisch gewordenen Bezeichnungen sind meistens wie mit Haut und Haar über- 
nommen. Die Actionen behalten den aus der römischen Rechtsgeschichte 
überkommenen Namen, z. B. actio communi dividundo, querela inofficiosi 
testamenti, actio pignoratitia contraria, oder gar den alten Namen des Er- 
finders z.B. actio Publiciana, actio Pauliana. PBisweilen werden die rö- 
mischen Namen übersetzt, aber gegen den Geist der deutschen Sprache z. B. 
wenn die Servituten Dienstbarkeiten genannt werden; was dabei etwa durch 
das deutsche, wenn auch schwer verständliche, Wort der Dienstbarkeiten 
an Licht gewonnen ist, wird alsbald wieder durch den bestimmenden Beisatz 
z. B. Realdienstbarkeiten (servitutes praediales) verdunkelt. So bleiben die 
Wörter juristisch und die Fassung der Sätze in einer Art Kanzleistiel ist wie- 


Friederich der Gro/se und sein Grofskanzler Samuel von Cocegji. 53 


derum juristisch; es fehlt jene kernhafte Kürze, welche, einst dem volks- 
thümlichen Rechte eigen, sich dem Volke einprägt, und welche sich früher 
selbst zu Sprichwörtern des Rechts gestaltet hat. Wenn in der Vorrede 
zum corpus iuris Fridericianum (8.28: VIII.) des Königs Absicht dahin 
ausgedrückt wird: Se. Königl. Majestät haben dieses Landrecht in teutscher 
Sprache verfertigen lassen, damit ein jeder, der einen Procefs hat, solches 
selber nachsehen, und ob er Recht oder Unrecht habe, daraus erlernen 
könne: so ist das Werk weit hinter diesem Ziele zurückgeblieben. Viel 
höher stellt ein Menschenalter früher König Friederich Wilhelm 1. die Auf- 
gabe, da er unter dem 18. Juni 1714 den Räthen antecessores und doctores 
der Juristenfacultät zu Halle die Puncte bezeichnet, wornach sie sich bei 
Abfassung der ihnen aufgegebenen Constitutionen zu richten haben. 1. „Es 
sollen dieselben bei Abfassung dieser Constitutiones,” so rescribirt der Kö- 
nig, „die natürliche Billigkeit vor Augen haben und Sorge tragen, dafs 
solche auch von dem gemeinen Mann können verstanden werden. Und weil 
das alte römische Recht bishero zu einer Richtschnur in diesen Landen ge- 
dienet, so soll dasselbe insoweit beibehalten werden, als solches sich auf 
den Zustand dieser Länder schicket und mit der gesunden Vernunft über- 
einstimmet. So viel aber solches den alten römischen Staat, desselben Be- 
diente, Ämter und Formulen oder auch die verschiedenen Meinungen der 
alten jurisconsultorum angehet, soll dasselbe hinweggelassen und alles nach 
Beschaffenheit dieses Landes abgefafst werden. Zu solchem Ende sollen 
die contractus innominati, alle condictiones, Interdicta und andere römische 
Benamsungen und Kunstwörter, auch diejenigen, so sonst in Rechtshändeln 
durch die Zeit eingeführet worden, gänzlich zum Gebrauch aufgehoben, die 
Benennung auf Teutsch gegeben, das Latein aber durchgehends daraus ge- 
lassen werden; zu welchem Ende Sie eine lateinische und teutsche Nomen- 
clatur beifügen mögen, auf wes Weise Sie die sonsten in den Gerichten und 
im römischen Rechte bishero vorgekommenen Worte in teutscher Sprache 
gegeben und ausgedrückt haben.” Das war die Forderung zu einer Zeit, da 
Christian Thomasius deutsche Vorträge auf den Universitäten einführte, 
da Christian Wolf, um die Metaphysik der scholastischen Termini zu ent- 
wöhnen, seine vernünftigen Gedanken von Gott und Welt (1719) deutsch 
schrieb und ähnlich verfuhr, wie der König für das Recht verlangte, in- 
dem er in einer angehängten Nomenclatur die von ihm angewandten deutschen 


54 TRENDELENBURG: 


Bezeichnungen zu sicherem Verständnifs in die alt hergebrachten lateinischen 
Kunstwörter zurückübersetzte. Damals hatte Leibniz den Reichthum und die 
Kraft der deutschen Sprache wiederholt hervorgehoben. Aber der Verfasser 
des corpus iuris Fridericianum denkt anders. In der Vorrede $. 31 heifst es: 
„Man findet nöthig annoch zu erinnern, dafs man gezwungen worden, die 
mehreste lateinische Titul, wie auch die Namen der Actionen und andere 
ierminos artis beizubehalten; weil eines Theils die Advocaten sowohl als 
die Richter von so langen Jahren her daran gewohnt, und die Termini gleich- 
sam naturalisirt sind; andern Theils sehr schwer fallen dürfte dieselbe in das 
Teutsche zu versetzen; weil diese Sprache nicht dazu gemacht ist, eine 
Sache auf eine kurze Art zu exprimiren.” Man hört in diesen Worten den 
gelehrten Juristen, der alles Juristische nur lateinisch dachte (°%), aber nicht 
den Gesetzgeber, der aus seinem Volke hervorwächst. Gegen das scheckige, 
schwerfälligere Deutsch und die nur der juristischen Zunft verständliche Spra- 
che des corpus iuris Fridericianum sticht das allgemeine Landrecht, dessen 
Vorläufer es ist, mit seinen verständigen und fafslichen Paragraphen aufs 
Vortheilhafteste ab. Wenn man fragt, wodurch in einem halben Jahrhun- 
dert dieser Fortschritt möglich wurde: so bedenken wir, dafs zwischen 
jenem Gesetzbuch und diesem unserm Landrecht nicht blos die Wirkung 
unserer deutschen Klassiker, sondern für die Sprache der Gerichte nament- 
lich auch Karl Ferdinand Hommels deutscher Flavius liegt, der bereits 
1763 erschien und selbst von einem Mitarbeiter am Landrecht, Ernst Fer- 
dinand Klein stark vermehrt herausgegeben wurde (6°). 

Noch in anderer Hinsicht fällt bisweilen das corpus iuris Fridericia- 
num von dem Stil eines Gesetzbuches ab. Statt nur kurz und schlicht zu 
verordnen, hat es eine Neigung lehrhaft zu sein und selbst Antiquitäten 
aus der römischen Rechtsgeschichte vorzutragen, wie z. B. wo es (1. 1. 
Tit. 9. $. 16) angiebt, mit welchen Folgen die väterliche Gewalt bei den 
Römern dominium Quiritarium gewesen, oder wo es (1. 1. Tit. 2. $. 15) 
den römischen Glauben über den Aufenthalt der di manes zur Erklä- 
rung des locus religiosus herbeizieht, oder wo es (U. 6. Tit. 2. $. 6) den 
historischen Ursprung der successio ab intestato ascendentium nach dem 
römischen Recht erzählt, oder wo es (II. 7. Tit. 4. $. 17) die Geschichte 
des ius accrescendi bei den Römern mittheilt, was in derselben Weise Coc- 
ceji in seinem ius controversum gethan (TI. p. 350. ed. alt. 1727), oder wo 


Friederich der Grofse und sein Grofskanzler Samuel von Cocceji. 55 
es (Il. 7. Tit. 12. $. 1) die Codicille der Römer darstellt. Der Verfasser 


des corpus iuris Fridericianum vergifst auch wol einmal, dafs er Gesetzge- 
ber ist und citirt sich wie ein Gelehrter. So heifst es (II. 6. Tit. 2. $. 3) 
„Wir haben an einem andern Ort gezeiget, dafs die Familie ein corpus sei, 
welches die Natur selbst formiret hat und auf zweierlei Art consideriret werden 
kann.” Dies Citat geht auf Cocceji’s novum systema $. 281. Wer sich in 
Gelehrsamkeit einläfst, kann leicht irren. So geht es auch dem Gesetzbuch, 
dem darin an einer Stelle eine Ironie begegnet ist. In der Vorrede zum 
2. Bande wird gesagt ($. 24): „Es sind die Civil-Societäten so viele Jahre 
ohne dergleichen Testamenta bestanden, dafs sie dieselben jetzo gar füglich 
hätten missen können. Aristoteles attestiret von seinen Zeiten, dafs die 
Testamenta bei den meisten Völkern unbekannt gewesen.” Dazu wird Ari- 
stot. polit. V. 8 fin. angeführt. Aber im Aristoteles steht nichts davon; nur 
Giphanius zu dieser Stelle bemerkt dergleichen von den ältern Zeiten. 

Das Gesetzbuch zeigt eine grofse Eifersucht auf jede Auslegung; denn 
es fürchtet Gefährdung seines Sinnes und ein durch die gelehrten Meinungen 
zwiespältiges Recht. Daher verbietet es die Abfassung jedes Commentars. 
Vorrede $. 28. IX: „Und damit die privati, insonderheit aber die profes- 
sores keine Gelegenheit haben mögen, dieses Landrecht durch eine eigen- 
mächtige Interpretation zu corrumpiren, so haben Se. Königl. Majestät bei 
schwerer Strafe verboten, dafs niemand, wer es auch sei, sich unterstehen 
solle, einen commentarium über das ganze Landrecht oder einen Theil des- 
selben zu schreiben, oder der Jugend Zimitationes , ampliationes oder ex- 
cepliones contra verba legis an die Hand zu geben, oder dergleichen ex ra- 
tione legis zu formiren (allermafsen blofs denen Advocaten in denen Processen 
identitatem rationis anzuführen erlaubt, und denen Richtern ex identitate 
rationes zu decidiren frei gelassen ist).” Man kann fragen, ob ein Gefühl 
der Schwäche und der Mängel, welches den Blick der Wissenschaft fürchtete, 
oder Zuversicht zur eignen Klarheit, Schärfe und Vollständigkeit, welche 
die Wissenschaft für überflüssig hielt, dieser Bestimmung zum Grunde liegt. 
Man kann fragen, ob es Ehre oder Unehre für ein Gesetzbuch sei, wenn es 
die wissenschaftliche Bearbeitung von seiner Schwelle zurückweist. Auf 
jeden Fall verbietet es, was sich nicht verbieten läfst. Umsonst hatte einst 
im Codex Justinian, von ähnlichem Wahn befangen, Commentare bei Strafe 


untersagt. 


56 TRENDELENBURG: 


Es war noch in den Befehlen des Königs Friederich Wilhelm des 
Ersten an die juristische Facultät in Halle zur Sammlung und Abfassung von 
Constitutionen Achtung und Schonung des gleichsam selbstwachsenen Rechts, 
des Gewohnheitsrechts und des Rechtsgebrauchs des Landes, sichtbar. Frie- 
derich der Grofse geht wenigstens in der Theorie, in der Abhandlung über 
die Gründe Gesetze zu geben und abzuschaffen, von der richtigen Ansicht 
aus, dafs sich die Gesetze nicht blos der Verfassung, sondern auch dem Volks- 
geist anpassen müssen, was auf eine Anerkennung des im Volksbewufstsein 
wurzelnden überkommenen Rechts führt. Aber das corpus iuris Fridericia- 
num denkt doch anders. Im Vertrauen zu dem Naturrecht, das es darzu- 
stellen meint, möchte es am liebsten das volksthümliche Recht, wo es ab- 
weicht, in sich einschlürfen. Dies ergiebt sich aus mehreren Bestimmungen 
z.B. aus I. 1. Tit. 2. $. 15. „Weil auch verschiedene Provinzen, Städte und 
Gemeinden besondere szatuta und privilegia haben, so sollen dieselbe dieje- 
nige casus, welche von diesem Landrecht diserepiren und dennoch von denen 
Provinzen und Städten gerne beibehalten werden wollen, binnen Jahresfrist 
an Uns einsenden, da Wir dann dem Befinden nach dieselbe approbiren und 
die besondere iura in einer jeden Provinz durch einen Anhang dem Land- 
recht beidrucken lassen werden. Wenn aber binnen Jahresfrist dergleichen 
statuta nicht eingeschickt werden, so soll es lediglich bei diesem Landrecht 
gelassen werden. Es wird Uns aber auch zu besonderm Gefallen gereichen, 
wenn die Provinzen ein uniformes Recht beibehalten, und insonderheit ra- 
tione successionis dieser Ordnung sich submittiren, folglich der communioni 
bonorum, woraus unsägliche Streitigkeiten herrühren, ratione futuri renun- 
ciren wollten,” ferner $. 25: „Aufser diesen geschriebenen Rechten hat 
auch eine wohlhergebrachte Gewohnheit vim legis. Wann nämlich etwas 
beständig vor recht gehalten worden u. s. w. Es kann aber dergleichen Ge- 
wohnheit gegen eine notorische Landesverfassung oder gegen dieses Land- 
recht keine Kraft Rechtens erlangen.” So wird der Versuch gemacht, dem 
Herkommen und dem Gewohnheitsrecht, dem noch Leibniz einen so grofsen 
Werth beimafs, nur noch eine kurze Lebensfrist zu stellen oder es nur in 
den Fällen gelten zu lassen, in welchen das Landrecht eine offene Stelle 
läfst. Es ist bezeichnend, dafs ein Verzicht auf die Gütergemeinschaft, die 
aus deutschen Anschauungen vom Wesen der Ehe erwachsen ist, vorgeschla- 
gen und gewünscht wird. Die römische Bestimmung soll durchgreifen, um 


Friederich der Grofse und sein Grofskanzler Samuel von Cocceji. 57 


Streitigkeiten abzuschneiden, und dies geschieht an dieser Stelle im Wider- 
spruch mit dem, was Cocceji sonst für das Richtigere und Vernunftgemä- 
fsere hält. Denn im Naturrecht leitet er aus der Gemeinschaft des Lebens, 
welche nach dem Wesen der Ehe die Frau mit dem Gatten hat, auch eine 
gewisse Gütergemeinschaft ab. Aus jenem Zweck der Ehe, sagt er in dem 
Kapitel über die Rechte der Ehefrau, folgt auch weiter, dafs die Gattin ge- 
wissermafsen Eigenthümerin der Güter des Ehegatten ist; davon sei die 
Folge, dafs sie nach seinem Tode die Hälfte der Güter erwerbe; welche 
Gütergemeinschaft auch heute an mehreren Orten gelte (7). Bei jener Hälfte, 
welche hier sogar ins Naturrecht eingeführt wird, mag dem Verfasser sein 
nächstes Recht, das märkische, vorschweben. Warum soll es denn dem 
römischen weichen? Der vernünfligere Inhalt des Rechts, der in diesem 
Fall nach dem Grundgedanken der Ehe und für die Sicherung der Witiwe 
von so grofser Wichtigkeit ist, und in der überkommenen Sitte und einer 
edelern Empfindung wurzelt, wird ohne Weiteres von dem äufserlichen Zwecke 
Streitigkeiten zu verhüten darum verdrängt, weil die unter der Voraussetzung 
der Gütergemeinschaft schwierigern und zarteren Verhältnisse die äufsere 
Handhabung des Rechts erschweren. So weit ging das Streben Processe 
zu vermeiden und so wenig wurde dabei das tiefere Gefühl des deutschen 
Rechts geschont. 

Es wäre wichtig zu wissen, ob und wie weit der König in die einzel- 
nen Bestimmungen des Gesetzbuchs eingegangen; es würde uns einen Ein- 
blick in ihm eigenthümliche Prineipien gewähren. In diesem Sinn hat der Ver- 
fasser von Neuem in mehreren Königlichen Archiven dem Bericht nachgefragt, 
mit welchem etwa Cocceji dem König das Gesetzbuch zur Genehmigung 
vorlegte und den vielleicht der König mit seinen Randbemerkungen verse- 
hen. Aber ein solcher scheint nicht vorhanden zu sein. Es scheint fast, 
als ob Friederich der Grofse hierin seinen Grofskanzler gewähren und sich 
daran genügen liefs, dafs die Landstände, zum Gutachten aufgefordert, ihr 
Urtheil zur Berücksichtigung abgeben konnten, wovon sich einige Beweise 
bei den Acten des Geheimen Staatsarchivs finden. 

Cocceji war bemüht für das Landrecht die Theilnahme der Stände 
und Obergerichte zu gewinnen und ihr Urtheil zu benutzen. Unter dem 
21.Mai 1749 befahl der König allen Justizcollegien und Universitäten, so wie 
den Landständen binnen Jahresfrist dasjenige einzusenden, was sie bei dem 


Philos.-histor. Kl. 1863. H 


58 TRENDELENBURG: 


Project noch zu erinnern und zu ergänzen nöthig fänden; und unter dem 
90. October 1751 setzt er eine Comission ein, welche sich unter der Lei- 
tung des Grofskanzlers der Prüfung der eingegangenen Erinnerungen über 
den codex und das corpus iuris Fridericianum unterziehn und ihr Augen- 
merk dahin richten soll, dafs diese Werke, zur Norm des Rechts in den 
Königlichen Landen bestimmt, ein vollständiges und keinem Zweifel unter- 
worfenes System in sich fassen. Die Acten darüber sind nur sparsam vor- 
handen. Es würde in wissenschaftlicher Beziehung vielleicht von Bedeu- 
tung sein, wenn sich noch bei den juristischen Facultäten z. B. der Universität 
Halle die Kritik fände, welche sie übten. 

Zu allen Zeiten wird die geltende Auffassung der Rechtsprincipien, 
mag man sie Naturrecht nennen oder nicht, auf die Gesetzgebung einwirken. 
Es ist bedeutend, an dem corpus Fridericianum zu sehen, wie es hier ge- 
schah. Das Naturrecht, theils aus Hugo Grotius geschöpft, theils im Ge- 
gensatz und in einer Kritik desselben entstanden, fand durch dies Gesetzbuch 
seinen Kanal in das preufsische Recht. Es war dies, wie nachgewiesen 
wurde, das Naturrecht der beiden Cocceji, ohne ursprüngliche Tiefe, aus 
dem römischen Privatrecht abstrahirt, ohne Verständnifs für alles, was über 
das strenge Recht des Eigenthums und des Vertrages hinausliegt, darum 
schon für die Auffassung des Familienrechts ungenügend. 

Es ist eine gewöhnliche Vorstellung, dafs sich das Recht der Völker 
aus dem nationalen Geist entwickele und das Naturrecht oder die philoso- 
phische Jurisprudenz auf seine Gestaltung von geringem oder keinem Ein- 
flufs gewesen. Es hat dies bei den Römern, unter welchen die Philosophie 
nur ein von Griechenland eingebrachtes Gut war, seine Wahrheit. Wenn 
Cujacius in einer Obseryation (XX VI. 40) nachwies, dafs die Rechtsgelehr- 
ten der Pandekten eine Färbung aus der stoischen Lehre haben: so treffen 
die von ihm hervorgehobenen Punkte mehr die formale Seite, als dafs sie in 
die bewegenden Gedanken und in die materiellen Bestimmungen tiefer ein- 
griffen (°%); und man wird die Verwandtschaft zwischen dem Geist des römi- 
schen Rechtslebens und der stoischen Moral, welche man schon in Cicero 
de officis z. B. Il. 12 ff. durchfühlt, keiner historischen Abhängigkeit 
zuschreiben können. Im Mittelalter trat die Theologie an die Stelle 
der Philosophie und sie fand im kanonischen Recht ihren Ausdruck. 
Der Einflufs der aristotelischen Philosophie auf Rechtsgelehrte des Mit- 


Friederich der Grofse und sein Grofskanzler Samuel von Cocceji. 59 


telalters, welchen Ratjen in der Aufnahme der vier aristotelischen 
Principien belegt hat (°*), ging nur die Methode an. In der neuern Zeit 
hört diese Beschränkung auf. Man wird in weiterm Sinn Montesquieu 
und J. J. Rousseau in die Philosophie des Rechts hineinziehen müssen und 
Jedermann weifs, welchen Einflufs der „Geist der Gesetze” des einen und 
der „gesellschaftliche Vertrag” des andern namentlich auf das Verfassungs- 
recht hatten. Stiller wirkten die Gestalten des eigentlichen Naturrechts. 
Am deutlichsten sieht man ihre Kraft im Criminalrecht. Aber wo Gesetz- 
gebungen im Grofsen unternommen wurden, mufste immer der Grundge- 
danke, den man vom Recht an sich fafste, einwirken, wie in den neuern 
deutschen Bewegungen die dem Naturrecht entsprungene Vorstellung des 
Rechtsstaats. Es ist das Bedeutendste in der Geschichte des Naturrechts, 
dafs es praktisch geworden und in den Gesetzen aus dem Kopf der Philo- 
sophen in den Gebrauch des Volks getreten. Wo man indessen die Ge- 
schichte des Naturrechts nur im Theoretischen verfolgt, wie meistens die 
Geschichte der übrigen Philosophie: da pflegt man diese Seite zu übersehen. 
Es war daher von Wichtigkeit, Cocceji’s Reform in Zusammenhang mit dem 
Naturrecht der Zeit aufzufassen; und in dem bezeichneten Sinn wünschte 
die gegenwärtige Abhandlung einen Beitrag zum Naturrecht zu liefern. 

Es lag nahe, das corpus iuris Fridericianum, das nach seinem Titel 
aus den allgemeinen Vernunftprineipien „die nöthigen conclusiones als so viel 
Gesetze deduciren will”, mit Christian Wolff’s Naturrecht und dessen de- 
monstrativer Methode zusammen zu bringen (?°). Denn Christian Wolff war 
der vielbesprochene Philosoph jener Zeit und er hatte 1740 dem damaligen 
Kronprinzen den ersten Theil des ius nalurae gewidmet. Wirklich war 
Coeceji mit Wolffs Philosophie bekannt; denn er hatte 1736 die Commis- 
sion der vier Theologen geleitet, welche König Friederich Wilhelm I. nie- 
dergesetzt hatte, um Wolffs angeschuldigte Lehre von Neuem zu untersuchen. 
Jariges, Cocceji’s Genosse in der Justizreform, war Anhänger der wolffi- 
schen Philosophie ("!). Aber die Gestalt des Naturrechts, welche dem 
corpus iuris Fridericianum zum Grunde liegt, ist, wie gezeigt wurde, Coc- 
ceji’s Eigenthum und geht dem Naturrecht Wolffs um viele Jahre voran. Der 
Unterschied zeigt sich an entscheidenden Punkten. Das corpus iuris Frideri- 
cianum leitet z. B., wie Cocceji, die nothwendige Einwilligung der Eltern in die 


H2 


60 TRENDELENBURG: 


Heirat der Kinder aus Verhältnissen der Erbschaft, also des Eigenthums ab, 
Christian Wolff hingegen aus ethischen Beziehungen. Das corpus iuris Fri- 
dericianum verwirft, wie Cocceji that, das Testament vor dem Forum des 
Naturrechts, Christian Wolff hat die entgegengesetze Ansicht und spricht es 
dem Naturrecht zu (??). Jene Ableitung der einzelnen Gesetze als Folge- 
rungen aus den Vernunftprincipien gehört nicht Christian Wolff eigenthümlich. 
Samuel von Cocceji hat schon in dem ersten Paragraph seines Naturrechts 
denselben Gedanken. In dem römischen Recht vermifst er die allgemei- 
nen Principien, aus welchen die einzelnen Gesetze als ebensoviele Schlufs- 
sätze folgen (73). Seit Pufendorf, durch die Anregungen seines Lehrers, 
des Mathematikers Erhart Weigel, bestimmt, in seiner ersten Schrift, ele- 
menta iurisprudentiae universalis (1660), die geometrische Methode ver- 
sucht hatte, war dieser Gedanke dem Naturrecht nicht fremd. So sind die 
beiden Cocceji und nicht Christian Wolff die Quelle des Naturrechts, das in 
die Gesetzgebung des corpus iuris Fridericianum einfliefst. 

Aber es mochte Wolffs Naturrecht mit ähnlichen Forderungen als 
die sind, welche das corpus iuris Fridericianum befriedigen will, dazu bei- 
tragen, dafs dasselbe eine so günstige Aufnahme fand. Die demonstrative 
Methode war der Glaube der Zeit. Auch Joachim Georg Daries eignete 
dem Naturrecht die mathematische Lehrart zu und ihre Anerkennung konnte 
daher selbst auf dem Titel eines Gesetzbuches erscheinen. Auch von rechts- 
gelehrter Seite fehlte es an Beifall nicht. So begrüfsten z. B. die „Göttin- 
gischen Zeitungen von gelehrten Sachen” die Neuerungen im corpus iuris 
Fridericianum mit Freuden als Vereinfachungen des Rechts und empfahlen 
das „unsterbliche Werk” dem „gehörigen Nachdenken” der „Liebhaber der 
Rechtsgelehrsamkeit” (7%). 

Deutschland war auf das Beispiel aufmerksam. Der Gedanke neuer 
deutscher Gesetzbücher wurde nun auch in andern Staaten lebhaft aufge- 
fafst, und die Reform des Procefsganges galt als ein Muster. So schickte 
z.B. der Herzog von Sachsen Gotha schon im Jahre 1747 den Hofrath von 
Oppeln nach Berlin, um sich von diesen Verbesserungen zu unterrichten. 

Cocceji lebte mit seinen Gedanken noch die letzten Tage in dem Ge- 
setzbuche, aber es blieb unvollendet und selbst das Material für die Weiter- 
führung ist grofsentheils verloren gegangen. 


Friederich der Gro/se und sein Grofskanzler Samuel von Coccgji. 61 


Noch im Jahre vor seinem Tode, am 25. März 1754, hatte Cocceji 
die Ausarbeitung des Criminalrechts an die tüchtigsten Mitglieder des betref- 
fenden Senats im Kammergericht vertheilt, als Probe seinen Gesetzentwurf 
über den Ehebruch vorgelegt und sich die Durchsicht der ganzen Arbeit 
vorbehalten. Von den Ergebnissen ist im Geheimen Staats- Archiv nichts 
vorhanden, aber jene Probe Cocceji’s über den Ehebruch ist aufbehalten. 
Cocceji starb am 4. Oct. 1755. 

Jedes grolse Werk hat seine geheime kleine Geschichte und Zeitgenos- 
sen haben uns die Kehrseite der Reform aufbehalten. Wir übergehen es, 
wenn uns erzählt wird, dafs dem Verbot der Actenversendung ein persönlicher 
Verdrufs zum Grunde gelegen. Cocceji war über Druck und Verlag seines 
umfangreichen Werkes Grotius illustratus mit einem Berliner Buchhändler 
in Streit gerathen. Da derselbe das Kammergericht ausgeschlossen und auf 
Actenversendung an auswärtige Rechtsgelehrte angetragen hatte, entschieden 
diese fremden Collegien in drei Instanzen schlechterdings zum Vortheil des 
Buchhändlers, aber im Widerspruch mit dem statutarischen oder örtlichen 
Recht. Eine solche empfindliche Erfahrung mochte immerhin den Antrieb 
zu einer erneuerten Untersuchung des Mifsbrauchs abgeben, aber Cocceji's 
Überzeugung war längst begründet (7°); der Grund zur Aufhebung der Ac- 
tenversendung lag in der Sache und die Wirkung war eine Hebung der 
heimischen Gerichtshöfe. Es wird erzählt, dafs Cocceji, um des Erfolges 
beim König gewifs zu sein, für seinen Plan den Geheimen Kabinetsrath 
Eichel durch Begünstigungen gewonnen, welche er dessen Freunde, dem 
minder fähigen von Jariges, erwiesen. Es wird ferner erzählt, dafs jene Re- 
form in den Mitgliedern der Gerichte und jene Abschaffung der Procurato- 
ren nicht von Härte und Willkür frei gewesen. Indem viele Räthe der 
Gerichtshöfe, welche Cocceji dem König als untauglich oder eigensinnig be- 
schrieben, abgedankt, und die Procuratoren abgeschafft wurden, geriethen 
Familien ins Elend. Auf erhobene Einsprache eines bedeutenden Mannes, 
antwortete Cocceji, er könne sich nicht mit jedem Justizbeamten in beson- 
dern Procefs einlassen; der König wolle es so haben. In dem Begriff eines 
Justizbeamten steckte damals noch nicht der unabhängige Richter in ganzer 
Sicherheit (7%). Es wird endlich erzählt, dafs um die Processe abzuthun, 
namentlich Jariges mit dem militairischen Spruch vorgegangen : Marsch! was 
fällt, das fällt; und der Fallenden seien dann nicht wenige gewesen (7). 


62 TRENDELENBURG: 


In dieser Kehrseite der Reform sahen Zeitgenossen eine Schuld, um 
deren Willen Cocceji’s als unsterblich gepriesenes Werk doch so bald der 
Vergänglichkeit anheimgefalien. Aber der Grund lag anderswo. Das cor- 
pus iuris Fridericianum war weder in den Theilen, welche erschienen, der 
Vollendung angenähert noch als Ganzes beendet. Die Procefsordnung hing 
von der Handhabung und Ausführung ab. Als schon Jariges, Cocceji’s 
Nachfolger im Amt des Grofskanzlers, dem Zuge der Richter und Advoca- 
ten zum schriftlichen Verfahren nachgab, als er das mündliche fahren liefs, 
das nur bei fortschreitender Vereinfachung des materiellen Rechts hätte ge- 
deihen können, als er schriftliche Verhandlungen und zwar auf Stempelbo- 
gen einführte und zur Quelle von Einnahmen machte, als er durch Rescripte 
und Edicte an Coccejis Werk gewaltig änderte und dem schwerfälligen 
schleppenden Rechtsgange Vorschub leistete (?%), da mufste freilich unter 
der Macht des wiederkehrenden alten Geistes Cocceji's Reform nach und 
nach erliegen. Aber dieser Stillstand und Rückgang war nicht Cocceji's 
Schuld. 

Als die Zeit das Gebrechliche zeigte, das dem von Einem Manne aus- 
geführten Werke anhaftete, liefs Friederich der Grofse nicht ab; und für 
denselben Gedanken, den er durch Cocceji verfolgt hatte, und in demselben 
Sinne legte er noch am Abend seines Lebens wieder die rüstige Hand ans 
Werk und hinterliefs es reifend seinem Nachfolger. 

So stellt uns Cocceji das erste Stadium des grofsen geschichtlichen 
Vorgangs dar, der in Preufsen zum allgemeinen Landrecht führte und in 
unserer Zeit zu einer gemeinsamen deutschen Gesetzgebung treibt. Cocceji’s 
Arbeit ist das erste Glied in einer Kette, an der noch die Gegenwart die 
letzten Ringe hämmert. 

Cocceji vereinigte mit der strengen Gründlichkeit des gelehrten Ju- 
risten die erfahrene Einsicht des ausübenden Richters, mit der massenhaften 
Kenntnifs der Gesetze die vereinfachende Betrachtung des die Principien 
suchenden Naturrechts, mit dem im Leben schaffenden Gedanken eines 
einrichtenden Staatsmanns den klaren Blick des ordnenden umfassenden Ge- 
setzgebers. Noch im hohen Alter war er selbst einem König, wie Friede- 
rich der Zweite, an Energie gewachsen. 

Es war kein Wunder, dafs Friederich der Grofse sich seiner freute 
und ihn ehrte. Öfter gedenkt er seiner mit dankbarem Lobe, zumal in frü- 


Friederich der Grofse und sein Grofskanzler Samuel von Cocceji. 63 


herer Zeit, in welcher er die nachfolgenden Rückschritte noch nicht erfah- 
ren hatte. So gedenkt er seiner im Jahr 1750 in jener Abhandlung über 
die Gründe, Gesetze zu geben oder abzuschaffen. Ferner gedenkt er seiner 
im Eingang zu der Geschichte des siebenjährigen Krieges, wo er kurz die 
Geschichte der Rechtsverbesserung erzählt, als eines unbescholtenen und 
geraden Charakters, als eines gelehrten und aufgeklärten Mannes, als eines 
Tribonians, als eines Mannes, der sich zur Wohlfahrt der Menschen der 
mühsamen und schwierigen Arbeit, die Gesetze zu bessern und die Gerichts- 
höfe zu reinigen, mit Eifer hingegeben habe. Noch in den 1779 erschie- 
nenen Briefen über die Vaterlandsliebe schreibt Friederich der Grofse: 
„England rühmt sich Newtons, Deutschland Leibnizens. Wollt Ihr neuere 
Beispiele? Preufsen ehrt und achtet den Namen seines Grofskanzlers Coc- 
ceji, der seine Gesetze mit so viel Weisheit verbesserte.” (7°). 


— BIP I —— 


64 TRENDELENBURG: 


Anmerkungen. 


Wenn die vorliegende Abhandlung hie und da das Gebiet der Jurisprudenz streift, 
so bedarf der Vf. der Entschuldigung. Das für den Jahrestag Friederichs des Grofsen all- 
gemein gedachte Thema führte ihn in die besondere Untersuchung, in welcher ihn der noch 
unerkannte Zusammenhang des Naturrechts mit der ersten Justizreform reizte. Der bereit- 
willigen Hülfe, welche der Vf. auf dem Kön. Geheimen Staatsarchiv erfuhr, und insbeson- 
dere der Einsicht und Güte des Herrn Geheimen Archivraths Dr. G. Friedländer ist er 
zu angelegentlichem Danke verpflichtet. 

(') Vgl. Friderici Behmeri novum ius controversum. Lemgov. 1771. II. p. 478 ff., 
der erzählt, dafs der König schon als Kronprinz, früh von seinem Vater mit einem Theil 
der Criminaljustiz betrauet, sich immer geweigert, Erkenntnisse, welche auf Tortur des zur 
Untersuchung Gezogenen lauteten, zu bestätigen. Eine Ausnahme, welche die Kabinetsordre 
vom 3. Juni 1740 gestattete, ist nie zur Anwendung gekommen. 

(?) Coeceji gab sein Gutachten über diese Klage wider den Assessor Friesenhausen. 
Nach den Acten im Kön. Geheimen Staatsarchiv. 

() Cocceji’s Bericht vom 13. Mai 1713 im K. Geh. Staatsarchiv. 

(*) Joh. Jac. Moser teutsches Staatsarchiv 1751. Th. 2. p. 71 f. 

(%) Büsching Friederich der Zweite. In den Beiträgen V. 1788. S. 237. 

(°) J. D. E. Preufs Friederich der Grofse 1832. I. S. 311 £. 

(’) Koehler (weiland Vicepraesident des Kön. Obertribunals) Geschichte der Gerichts- 
verfassung in Brandenburg und der höchsten Gerichte in Preufsen. Mscr. Bd. 3. fol. 24 ff. 
in der Bibliothek des Kön. Kammergerichts. 

(°) Hugo Grotius de iure belli ac pacis 1625. prooem. $.8. 8.12. 8. 48. 1. 1. 
$. 10. 8.15. I. 2. 8. 6 u. s. w. 

(°) Vgl. Pufendorf de iure naturae et gentium 1672, namentlich I. 1 und I. 2. 
Samuelis Pufendorfii apologia in der Ausg. von 1744 p. 33 f. de origine moralitatis. 
Ebendaselbst p. 230 £. Jac. Frider. Ludovici delineatio historiae iuris divini naturalis 
et positivi universalis 1714. $. 47. p. 84 sq. $. 72 sqq. p- 124 sqq. $- 114 sqg. p- 180 sqq. 
Christian. Thomasius de crimine bigamiae und institutionum iurisprudentiae divinae. 
libri III. 1688. 

(*%) Unter andern mit hinzugefügten Ausführungen aus den Mscrptn des Heinr. Coc- 
ceji im 5. Bande des Grotius illustratus, dissertatio prooemialis X., ubi exponitur Henrici 
de Cocceü systema iuris nalurae iuxta ordinem positionum quas pro ewxplicatione juris 
gentium lectionibus Grotianis praemittere solitus fuit. Samuel von Cocceji bezeichnet 
ebendaselbst $. 19 ff., worin er von den Positionen des Vaters abweiche oder sie bestimm- 
ter ausbilde.e Nach der Lausanner Ausgabe 1751. V. p. 272 ff. 


Friederich der Grofse und sein Grofskanzler Samuel von Cocceji. 65 


(*') s. Sam. de Cocceji novum systema iustitiae naturalis et Romanae. 1740, na- 
mentlich $. 16. $. 49. 8. 56. $. 63. 8.68. $.95 u.s. w., wieder abgedruckt im 5. Bande 
des Grotius zllustratus in der Ausg. Lausanne 1751 p. 301 sgq. als dissertatio prooemialis 
XI, ferner comm. ad Hugon. Grot. zu d. Prolegomenen $. 12 ff. in der Ausg. von 1751. 
p- 58 ff. und zu I. 1. $. 13. in derselben Ausg. p. 57 ff. Über die scheinbaren Ausnahmen 
in der positiven Überlieferung, z. B. den Incest unter Adams Kindern, die Entwendung der 
Gefälse durch die Kinder Israels, s. die Inauguraldissertation $. 43 und novum systema 8. 61. 
Vgl. Iacobi Friderici Ludovici delineatio historiae iuris divini naturalis et positivi univer- 
salis. editio II. 1714 über Heinrich Cocceji $.34, Samuel von Cocceji $.88 ff. $.107 
Anm. Iacobi Bruckeri Aistoriae criticae philosophiae appendix. Vol. sextum. 1767. p.936 sq. 

(?) novum systema iustitiae naturalis et Romanae 8.141. Constituitur autem familia 
naturali ratione tantum per iustas nuptias i.e. per talem coniunctionem maris et foe- 
minae, quae fit ad individuam wvitae consueludinem. Pater familias enim genus suum pro- 
pagaturus et sibi similes producturus sociam propagationis sibi eligit, foeminam nimirum, quae 
usum corporis sul ad eum finem ipsi praebet. Ex hac intentione patrisfamilias igitur ap- 
paret, eum sociam sibi quaerere animo liberos ex suo semine procreandi, quibuscum tanguam 
veris portionibus corporis sul omnia sua iura communicare atque successores familiae suae 
relinquere possit. Curm ergo unicus finis huius negotü eo tendat, ut pater familias liberos 
suscipiat ex suo semine, necessario sequilur, eum velle certum et indubitatum natorum esse 
patrem. Aus dem Zweck des Individuums, der intentio patrisfamilias, wird hier alles abge- 
leitet; und die Gewilsheit eigene Kinder zu haben erfordert die Heiligkeit der Ehe, die nur 
für den Ehemann, nicht für die Ehefrau Seitens ihres Gatten geschützt ist. Haec autern 
certitudo haberi non potest, nisi per iustas nuptias i.e. per talem coniunclionem maris 
et foerninae, quae individuam vitae consuetudinem continet, adeoque ubi foemina 
soli marito usum corporis sui promittit, atque in eum finem in domum eius transit ac hac 
ratione quasi sub oculis et custodia eius constituitur. Hinc regula naturae est, filius est 
quem iustae nuptiae demonstrant. Aus demselben Zweck wird auch die potestas des 
Eheherrn abgeleitet. $. 148. Die patria potestas entspringt ebendaher. $. 150. Primo igitur 
certum est, liberos esse veram porlionern corporis parenlum, praecipue autem parlerm visce- 
rum malernorum antequam edunlur, quos, ulpole ex semine palris nalos, pater suo iure 
vindicat, und dann 8. 153: Aequiritur patria potestas per procreationem ex iuslis nuptüs, 
1. e. per talem coniunctionem corporum, quae fit ad individuam vitae consueludinem, utpote 
per quam solam pater certus fit. 

() Vgl. in 8.199 das consensu, und die gleichmäfsige Entstehung jeder andern uni- 
versitas 8. 205. S. 199: civitas est coetus plurium familiarum iuris tuendi causa congre- 
galus vgl. $. 613. Nach $. 620 stammt das imperium ex solo titulo et causa delationis, si 
nimirum populus omne ius suum in principem transfert. S. 622. Causa imperii seu summae 
potestalis mediata est Deus, is enim dum iura quaedam humano generi concessit, concessit 
etiam media iura illa defendendi, adeoque vi huius concessionis divinae paterfamilias iura 
suae familiae vel ipse defendere vel ea per alios, v.g. per civitatem, per principem etc. tueri 
potest. Jus igitur imperü a Deo est, et civitas seu princeps approbante Deo defensionem 
illam peragit, idque iure imperü vel, quod iden est, summae potestatis. Causa immediata 
est pactum ac consensus patrumfamilias, qui in unam civitatern coeunt, et facultatem iura 


sua defendendi in commune civitalis vel in unius principis arbitrium contulerunt. 


Philos.-histor. Kl. 1863. 1 


66 TRENDELENBURG: 


(+) Weidlich Geschichte jetzt lebender Rechtsgelehrter in Teutschland. 1748 ff. Bd. 1. S.139, 

(”) Diese Schrift, betreffend ,‚conflictus iurisdietionis, inwiefern der kaiserliche Hofrath 
unter dem Praetext der Incompetenz res iudicatas des Kammergerichts suspendirt”, beginnt: 
Experientia summo partium liligantium detrimento hactenus docuit iudiecium aulicum sub 
nomine Augustissimi imperatoris mandata camerae ipsasque eius res iudicatas contrarüs man- 
dalis suspendere, enervare et praelextu incompetentiae „causam per secula coram camera 
ventilatam avocare eoque processum ab ovo quasi inchoare solere, quo ipso partes victoriae 
saepius detrimento familiarum partae effectu destituuntur, lites immortales redduntur, latis- 
simaque calumnüs aperitur fenestra, quae sunt verba instructionis quam vocant imperü. 
8. 22. Ut igitur huic ingruenti malo succurratur, pia intentione status uno quasi ore decre- 
verunt, ut in propediem expedienda visitatione camerae de hoc quoque negotio deliberetur 
u.s.w. Cocceji sendet diese Deduction 11. März 1713 ein, nachdem er sie ‚„‚nunmehro 
in solchen glimpflichen zerminis eingerichtet, dals dieselbe ohne Anstofs eräugnenden Falles 
kann gebraucht und publig gemacht werden”. Sie betrifft namentlich die Competenz in 
Lehnssachen, überhaupt was dem Kaiser zur Cognition reservirt sei. — Ferner übersendet 
Cocceji am 1. Juli 1713 von Wetzlar eine Dissertation palladium evangelicum sive tra- 
ctatio de iure eundi in partes extra causas religionis. Sie erörtert die Frage, in welchen 
Gerichten und Versammlungen und unter welchen Beschränkungen den Evangelischen dies 
Recht zustehe. — Unter dem 19. Sept. 1713 schreibt er: ‚Ich habe mir schon zu unterschie- 
denen Mahlen die Freiheit genommen Ew. Kön. Majestät zu berichten, was vor schädliche 
und dem evangelischen Wesen höchst praejudicirliche principia eine Zeit hero zum Vorschein 
gekommen, indem der Reichs-Hoffrath von Andler puödlice in seinen Schriften soutenirt, 
dals die jurisdietio ecclesiastica in causis evangelicorum dem Irmperatori zustehe, von welchem 
die Evangelischen, wie das ganze jus territoriale, also das darunter begriffene jus sacrorum 
zu Lehn hätten. Aus welchem principio auch ohnlängst ein evangelischer advocazus alhier 
die Jurisdiction der Cammer in puncto eines von der hiesigen Stadt Wetzlar suspendirten 
Predigers defendirt und bei etlichen Evangelischen Assessoren Beyfall gefunden hat. Weil 
nun diese Materie noch niemals ex professo tractiret, so habe ich dieselbe in der sud Zi. B 
hiebei kommenden Dissertation umständlich ausgeführt, wobei Ew. Kön. Maj. allergnädigstem 
Gutachten ich anheimstelle, ob es nöthig sei solche unter der Hand einem oder anderm 


wohlgesinnten Beysitzer zu communiciren.” 


Die Abhandlung heilst disserzatio iuris publici de 
suspensa iurisdictione papali in causis protestantium ecclesiasticis adeoque et in matrimonialibus, 
ac ubi de nullitate in processu agitur, ubi demonstratur nec imperatorem nec aulicum iudi- 
cium nec cameram imperialem in huiusmodi causis competentem esse iudicem,. Die Darstel- 
lung in diesen Staatsschriften ist kurz und klar, in juristischer Methode gehalten. Die Gründe 
werden gegeben, die dudia vorgetragen, die Zweifel gelöst und Bestätigungen, z. B. in den 
Meinungen der doctores, hinzugefügt. Wer es einmal unternähme, eine juristische Biographie 
Cocceji’s zu schreiben, würde diese im Geheimen Staatsarchiv befindlichen Arbeiten aus seiner 
Thätigkeit in Wetzlar nicht übergehen dürfen. 

('%) Vgl. (F. Behmer) „,‚ofia in otio minime otiosi enthaltend verschiedene rechtliche 
practische Anmerkungen. Pars II.” Lemgo 1773. S. 101 ff. 

('”) Anton Frdr. Büsching Beiträge zu der Lebensgeschichte denkwürdiger Personen, 
insonderheit gelehrter Männer. Halle 1788. 5. Theil, der den Charakter Friederichs des 
Zweiten, Königs von Preulsen, enthält. 1788. S. 237 £. 


Friederich der Grofse und sein Grofskanzler Samuel von Cocceji. 67 


() Sethe historische Skizze der brandenburgischen und preufsischen Gesetzgebung in 
Betreff des mündlichen Procefsverfahrens vor versammeltem Gericht, in Simon und von 
Strampff Zeitschrift. 1830. I. S. 38. 

(') Vgl. die lehrreiche Abhandlung von Laspeyres in der Zeitschrift für deutsches 
Recht und deutsche Rechtswissenschaft. Herausgegeben von Ad. Reyscher und W.E. 
Wilda. Bd. 6. 1841. S. 1 ff. „Die Reception des Römischen Rechts in der Mark Bran- 
denburg und die Preufsische Gesetzgebung vor König Friederich II.”, besonders S. 74 ff. 
Es ist dort (S. 88 ff.) ein merkwürdiger Befehl des Königs Friederich Wilhelm I. vom 
18. Juni 1714 herausgegeben ,„‚Ordre an die Juristen Facultät zu Halle wegen Abfassung 
einiger Constitutionen zum Land-Recht” (in der Kurmark Brandenburg). Schon da sehen 
wir Gedanken, denen ähnlich, welche 30 Jahre später Friederich der Grolse hat. So 
sollen namentlich „die principia iuris naturae allenthalben vorausgesetzet” werden. Dabei 
zeigt sich eine schonendere Sorgfalt für die Rechtsgebräuche des Landes. Auf die Leitung 
und Mitwirkung des Christian Thomasius wird besonders gerechnet; und unter dem 
Naturrecht hat man wol des Thomasius Naturrecht zu verstehen. Es ist wol denkbar, 
dafs diese ganze Bewegung von den in den Schriften des Thomasius gegebenen Anregun- 
gen ausgeht, oder dafs sie wenigstens einflielsen. 

(*) ID.E.Preufs Friedrich der Grolse. Berlin 1832. I. S. 164 f. 

(°) Holzschuher Deductionsbibliothek in Teutschland Bd. 3. 1781. S. 1594 giebt an: 
es habe an dieser Staatsschrift unter der Direction des Grofskanzlers Samuel von Cocceji 
der Geheimrath Heinrich von Cocceji, der Halberstädter Vicedirector Linde und der 
Halberstädter Regierungs Secretair und Archivar Lucanus gearbeitet. Sie findet sich in 
des Vaters Heinrich von Cocceji Deductionen. T.1. S. 651 ff. In den Acten des Ge- 
heimen Staatsarchivs sind die Gegenbemerkungen zu der „gründlichen Information” des Ge- 
genparts von Samuel von Cocceji’s Hand. 

(°) Bei Holzschuher im angeführten Werk Bd. 3. 1781. S. 1581. findet sich bei Er- 
wähnung der ‚‚nähern Ausführung” die Bemerkung ‚‚nach Andern vom Kanzler Ludewig”. 
Sie ist abgedruckt in Johann Carl König selecza iuris publici novissima. 5. Theil 1743. 
S. 181-215. Jener Zweifel an dem Vf. löst sich durch den folgenden Brief Cocceji’s und 
durch den Umstand, dafs in den Acten die Correcturen der französischen Übersetzung von 
Cocceji’s Hand sind. In den Acten des Geheimen Staatsarchivs findet sich ein französisches 
Schreiben vom 16. Febr. 1741, dessen Aufschrift fehlt, vermuthlich an den Minister von 
Podewils gerichtet. In dem Eingang lehnt Cocceji einen Auftrag nach Frankfurt ab; 
man sieht nicht warum es sich handelt. Dann heilst es weiter: Toute la gräce que je de- 
mande ü F.E. c’est d’öter laigreur de lesprit du maitre, qu’il parait avoir contre moi en 
lui insinuant que je lui pourrois &tre utile en cas qu’il faudroit repondre aux manifestes de 
2’Autriche: ayant ramasse pour cet effet tous les materiaux,. Elle pourra trower loccasion 
en lui parlant de la nowelle deduction que je viens d’envoyer a F. E. und als Nachschrift: 
jai l’honneur de lui envoyer la derniere feuille de ma deduction, je voudrois la faire 
achever aujourd’hui pour l’envoyer ce soir au Roi, afın-de calmer un peu lorage, siV.E. 
le trouve @ propos. 

(@) Im Gegensatz gegen minder günstige Äufserungen neuerer Juristen heben wir das 
warme Zeugnifs hervor, das der rechtserfahrene Friederich Behmer, aus eigener Anschauung 
und persönlichem Verkehr urtheilend, Cocceji’s umfassender Begabung für das Werk der 


12 


68 TRENDELENBURG: 


Reform ertheilt. Friderici Behmeri nooum ius controversum. Lemgoviae 1771. tom. I. 
praefat. p. XVII sg. Behmer war im J. 1747 einer der Commissarien, welche Cocceji 
sich mit Genehmigung des Königs zur Revision und Reform des Kammergerichts bei- 
ordnete. 

(**) dissertation sur les raisons d’etablir ou d’abroger des lois im 9. Band der oeuores 
de Frederic le grand. 1848 vgl. besonders die Beziehungen auf die Gesetzgebung in Preu- 
[sen S. 29 ff. 

() Die Cabinetsordren sind sämmtlich zusammengedruckt in von Kamptz Jahrbüchern 
für die preulsische Gesetzgebung, Rechtswissenschaft und Rechtsverwaltung. Bd. LIX. 1842. 
S. 67 ff. ‚die Justizreform in den Königlich preulsischen Staaten in den Jahren 1746 - 
1748.” Vgl. über das Folgende besonders S. 74 fi. S.79f. und S. 84. vgl. S. 87. S. 80. 

() Anton Friederich Büsching Beiträge zu der Lebensgeschichte denkwürdiger 
Personen. 1. Theil. 1783. S. 382. 

(*) Project des codicis Fridericiani 1748. S.33. 8.25. Vgl. bei v. Kamptz a.a.0O. S.80. 

(#) (F. Behmer) ozia in otio minime otiosi. pars II. Lemgo 1773. S; 302. S. 305. 
S. 332 f. 

() Bei v. Kamptz a.a. O. S. 80f. vgl. S. 114 f. 

(°) Bei v. Kamptz a. a. O. S. 81. S. 95. no. 7. vgl. S. 119. Project des codicis Fri- 
dericiani tit. XVII. 1748. S. 119. F. Behmer in oiia u. s. w. 2. Theil S. 350 £. 

(') codex Fridericianus tit. XVI. vgl. bei v. Kamptz a. a. O. S. 116. 

(°) Project des codieis Fridericiani, Oder eine, nach Sr. Königl. Majestät von Preulsen 
Selbst vorgeschriebenem Plan entworlfene Cammer-Gerichts- Ordnung, Nach welcher Alle 
Processe in einem Jahr durch drey Instantzen zum Ende gebracht werden sollen und müs- 
sen: Nebst dem Project einer Sportul-Ordnung und eines Pupillen Collegi. Frankfurt und 
Leipzig 1748. Vgl. die Vorrede S. 5 f. 

() Bei v. Kamptz a.a.0. S. 96. S. 102. S. 122. S. 127. Project des codicis Fride- 
riciani IV. tit. 7; 8.3f. 8.8. Zum Nachdrucke dienen $. 6 und 7. 

(C*) Bei von Kamptza.a. O. S.117. S. 136 f. cod. Frideric. IV. tit. 5. $. 18, 6 und 7. 
In der Instruction für das Generaldirectorium vom 20. Mai i748 (bei Preufs IV. S. 469) 
heifst es no. 6: „Den Fiscalen, so wie den Jägern und Forstbedienten, soll bei Strafe des 
Stranges verboten werden, die Edelleute in keinem Stücke zu chicaniren, noch ihnen alte, 
längst verjährte Processe und Grenzstreitigkeiten wieder aufzuwärmen.” Das Gegenstück 
bildet die Instruction des Königs Friederich Wilhelm I. für dasselbe Generaldirectorium vom 
20. Dec. 1722: „Die Domainenprocesse sollen im Magdeburgischen gegen diejenigen Edel- 
leute, welche sich weigern den Lehnscanon zu entrichten und deshalb an den Reichshofrath 
appellirt haben, mit dem äulsersten vigueur fortgesetzt, auch eben diesen renitirenden Edel- 
leuten von unserem magdeburgischen Commissariat allerhand Chicanen gemacht, und ihnen 
solchergestalt der Kitzel vertrieben werden, gegen ihren angeborenen Landesherrn und Obrig- 
keit dergleichen frevelhaftes und gottloses Beginnen weiter zu gedenken, geschweige denn 
selbiges wirklich vorzunehmen und auszuführen.” 

(°°) codex Frideric. Theil 4. tit. 5. 8. 18. 

(°°) Nach von Daniels Lehrbuch des gemeinen pr. Privatrechts 1. Bd. 1851. S. 14. 

(7) Project des codicis Fridericiani 2. Thl. tit. 3. besonders $.1. 8.2. Das Nähere 
s. Sethe a.a. O. in Simon und von Strampff Zeitschrift 1830. I. S. 41 ff. 


Friederich der Grofse und sein Grofskanzler Samuel von Cocceji. 69 


(23) Project des codicis Fridericiani 4. Thl. tit. 6. 8. 1 £f. vgl. 8. 42. (F. Behmer) 
otia etc. pars II. Lemgo 1773. S. 351f. Bei v. Kamptz a.a.O. S. 77. S. 82. S.96. no. 16. 

(°?) Über die alte Bestimmung s. A. W. Heffter System des römischen und deutschen 
Civil- Procefsrechts. 2. Ausg. 1843. 8. 231. Samuelis de Cocceü ius civeile controversum. 
lib. XII. tit. 2. qu. 28. in der 2. Ausg. 1729. S. 631.: An reus neglecto iuramento delato 
possit ad ordinariaım provocare probationem? Affirmatur. Quamdiu nondum acceptaeit: 
nam non praecise obligatur ad iurandum. Sed potest conscientiam suam probationibus ex- 
onerare; ratio clara est, quia ipsius rei conditio non debet esse deterior, quam actoris: uti 
ergo ab inilio integrum est actori aut deferre iuramentum aut probare, sic eliam integrum 
debet esse reo aut referre id aut probare. Dagegen die neue Bestimmung bei v. Kamptz 
S. 97. no. 19. 

(°) Samuelis de Cocceii ius controversum cieile lib. XLIX. tit. 1. qu. 7. tom. II, p. 712 
sq. nach der 2. Aufl. an post ires conformes sententias appellatio, leuteratio, restitutio in 
integrum, revisio vel querela nullitatis locum habeat? Die neuen Bestimmungen cod. Frider. 
lib. II. tit. 7. $. 8. vgl. bei v. Kamptz a. a. O. S. 121 ff. besonders S. 126. 8. 8. 

(*) Die damaligen Übelstände der Actenverschickung s. bei F. Behmer novum ius con- 
troversum Lemgov. 1771. tom. 1. observ. XLVI. Desselben Ozia II. S. 306 ff. Das Verbot 
bei v. Kamptz a. a. O. S. 121. cod. Friderie. Thl. IV. tit. 5. $. 8. vgl. Thl. II. tit. 1. 
8. 1. no. 6. Corp. const. March. cont. Ill. no. X. und XIII. (Cabinets Ordre vom 2. April 
und 20. Juni 1746). Schon in der Instruction des neu eingerichteten Oberappellationsge- 
richtes vom 4. Dec. 1703 hatte König Friederich I. die Versendung der Acten an auswär- 
tige Spruchbehörden bei diesem höchsten Gericht ausgeschlossen. 

(‘”) Die Specification der Fälle bei von Kampiz a.a. O. S. 127. 

8.10. — — „Es soll gar kein Remedium und also keine zweite Instanz zugelassen 
werden: 

1) wann das Gravamen offenbar wider die Jura und Landesverfassungen läuft; 

2) wann od periculum in mora interimistice und bis rechtlich darüber erkannt werden 
kann, (insonderheit in Spolien-, Grenz-, Pacht- und Unterthanen-Sachen) etwas verordnet 
wird; 

3) Wann super admissione testium, und über die Pertinenz derer Articuln gesprochen, 
und erkannt wird, dafs die Zeugen zu admittiren oder dieselben über die streitige Articuln 
Einwendens ohngeachtet abzuhören; weil dem Producten seine exceptiones contra personas 
et dicta testium bei der deductione probationis ohnedem vorbehalten bleiben. 

Wann aber die producirte Zeugen als inadmissidiles, und die übergebene Articuln als 
impertinent declariret werden, mufs dem Produczto, weil die Hauptsache auf den Beweis an- 
kommt, die zweite Instanz nicht versagt, aber es bei demjenigen, was alsdann erkannt wird, 
gelassen werden. 

4) Von Expensen und Moderationsurtheln. 

5) Wann kleine Strafen dictiret werden. 

6) Wann in contumaciam gesprochen worden und dieselbe nicht in continenti bei dem 
darüber anzusetzendem Verhör purgiret wird. 

7) Wann die communicatio documenti per sententiam festgesetzt wird. 

In allen diesen Fällen soll denen Untergerichten frei stehen, derer eingewandten Re- 
medien ohngeacht des Urthel zur Execution zu bringen.” 


70 TRENDELENBURG: 


In diesen Bestimmungen werden der erste, der zweite und der sechste Punkt erheblichen 
Bedenken unterliegen. 

() cod. Fridericianus 1. Thl. tit. 1. $. 14. 8.15. Schon König Friederichl. er- 
klärte in einer Verfügung vom 16. Jan. 1706 an das Oberappellationsgericht solche Verord- 
nungen, welche dem Collegio die Hände binden und den Lauf des Rechts hemmen, für er- 
schlichen und unkräftig. 

(*) Bei v. Kamptz a. a. O. S. 120f. 

(°) Bei v. Kamptz a.a. ©. S. 88ff. S. 134 ff. Die Cabinetsordre, durch welche Goc- 
ceji zum Grolskanzler ernannt wird, S.139f. Vgl. F. Behmer novum ius controversum 
1771. 4. Bd. praef. p. XVIII. Es mag hier noch der die Pommersche Revision abschlie- 
(sende Bericht Cocceji’s vom 31. Jan. 1748 seine Stelle finden. Aus v. Kamptz a. a. O. 
S. 155 „‚Nachdem ich die Procels-Listen aus Pommern erhalten, habe ich mit dem gröfsten 
Vergnügen wahrgenommen, dafs Ew. Königl. Majestät Plan mit der gröfsesten Exactitude 
auch nach meiner Abreise exequirt werde. 

In Stettin sein Anno 1747 rechtshängig gewesen 1600 alte und 684 neue Processe. 

Die alten sein alle abgethan, von denen neuen bleiben nicht mehr als 183. 

In Cöslin sein Anno 1747 gewesen 800 alte und 310 neue Processe. Die alte 
Processe sein alle zu Ende, und von denen neuen sein nicht mehr übrig als 169. 

Ew. Königl. Majestät werden hieraus zu ersehen geruhen, was man sich von Justitz- 
Collegiis, welche mit lauter gelahrten und ehrlichen Leuten besetzt, und nothdürftig be- 
soldet sein, versprechen könne. 

Wann Ew. Königl. Majestät diesen Leuten Dero allergnädigstes Wohlgefallen zu be- 
zeugen geruhen wollen, werden sie dadurch desto mehr encouragirt werden, mit diesem 
rühmlichen Eifer zu continuiren. 

Ich habe zu dem Ende auf verhoffte allergnädigste Approbation beiliegende Rescripta 
zu Ew. Königl. Majestät Allerhöchsten Vollziehung hiebei legen sollen. 

Berlin, den 31. Januar 1748. v. Cocceji.” 

(*) (F. Behmer) otia etc. pars II. S. 348 ff. Bei v. Kamptz a. a. O. S. 82f. S. 144. 

('”) Bei v. Kamptz a.a. O. S. 82. S. 97. 

(*) In den Acten des Geheimen Staatsarchivs. 

(*) Bei v. Kamptz a. a. O. S. 90. no. 32. 

(°°%) Bei v. Kamptz a.a.0. S. 145 ff. 

(°') Der Brief ist abgedruckt in Frid. Behmeri novum ius controversum. tom. 1. 1771. 
praef. p. 16 sq. Man ersieht aus ihm in einigen Grundstrichen, wie er die Materien des 
verlorenen 3. Theils behandelt hatte. Dals ihm bei seiner ganzen grolsen Arbeit sein zus 
controversum die Vorarbeit war, ergiebt sich aus der Äufserung „Die Dubia sind in meinem 
Jure Controverso ex principis Juris Naturae meistens resolviret.” Wer das corpus iuris 
Fridericiani näher erforschen will, muls es in Cocceji’s ius controversum und novum sy- 
stema iustiliae naturalis et Romanae zurückführen, was bis jetzt, so scheint es, nicht ge- 
schehen ist. 

(°*) In Cocceji’s novum systema 8.174 heilst es entsprechend. Praeterea reguiritur 
consensus patris; idque rationi naturali conveniens esse, ait Justinianus; ei enim invito ag- 
nasceretur haeres; non vero reguiritur consensus matris. Im ius controversum (lib. XXI. 
tit. 2. qu. 4. im 2. Bd. p. 133. 2. Aufl.) verneint Cocceji die Frage an patris consensus 


Friederich der Grofse und sein Grofskanzler Samuel von Coccegji. 71 


in nuptüs requiratur jure naturae, und setzt hinzu: Zo2a ratio, quae requirit consensum pa- 
tris, est civilis, ne scil. invito patri agnascatur suus haeres, quod iuri naturae plane non 
convenit. Offenbar ist hier ein anderer Standpunkt des Naturrechts, als im noo. systerna 
und im corp. Friderieianum. Die sittlichen Gründe, welche dem Familienrecht zum Grunde 
liegen, sind concreter, als solche einseitige Eigenthumsverhältnisse. 

>) Es findet sich in Coccgji’s ius controversum lib. XX VIII. tit. 1. qu. 3. tom. II. 
p- 244 die Frage, an testamenta sint iuris gentium? Sie wird ausführlich verneint; und diese 
Stelle ist ziemlich unverändert in das systema novum iustitiae naturalis et Romanae $. 293 
behufs des Beweises übergegangen, dals durch letzten Willen kein Eigenthum nach dem 
Naturrecht erworben werde. Thomasius war, wie Cocceji am Schluls der Stelle an- 
führt, in seiner Disp. de origine testamentorum dieser Ansicht gefolgt. 

(°*) Die entsprechende Ausführung des Naturrechts findet sich in Cocceii novum systema 
$. 159. Aristotelische Betrachtungsweisen verflössen sich insbesondere durch den Hugo 
Grotius in das Naturrecht dieser Zeit. Cocceji citirt zu $. 150 die nikomachische 
Ethik VIII. 14 und meint wahrscheinlich die Stelle oi yoveis uev yao origyounı ra rizue Ws 
&aur@v rı ovr«. Aber Aristoteles, der allenthalben das Specifische (das oixstov) zum Prin- 
cip sucht, ist weit entfernt, auf diesen allgemeinen für die Liebe der Eltern bezeichnenden 
Ausdruck Rechtssätze zu gründen. Puchta (Pandekten 7. Aufl. besorgt von A. Rudorff. 
1353. $. 432) findet die Entstehung der unbestimmten Vorstellung von der unitas personae 
des Vaters und Sohnes in einer beiläufigen Phrase Justinians (cod. VI. 26. 11): cum et na- 
tura pater et filius eadem esse persona paene intelligantur. 

(°) Mylius constitutiones Marchic. Continuat. IV. p. 134. 

(°°) s. novum systema $. 176, insbesondere no. 5 und 6. 

(°) Pufendorf de iure naturae et gentium V1.1. 8.22. Sam. de Cocceji ius con- 
troversum XXIV. 2. qu. 5. p. 169 sqq., an conjux conjugem extra casum adulterü et mali- 
tiosae desertionis ex aliis quoque causis dimittere possit? wobei Cocceji ein merkwürdiges 
Rechtsgutachten der theologischen und juristischen Facultät zu Frankfurt a.d. ©. einfügt; 
novum systema iustitiae naturalis et Romanae 8. 180. Dals Friederich der Grofse, der die 
gegenseitige Einwilligung als Scheidungsgrund zuliefs, doch nicht wollte, ‚dafs die Eheleute 
aus Leichtsinnigkeit wieder aus einander laufen dürfen”, ergiebt eine in einem einzelnen Falle 
erlassene Kabinetsordre aus Cocceji’s Zeit (vom 12. Jan. 1752), welche Behmer in sei- 
nem novum ius controversum obs. 106. P- 594 sq. mittheilt. Die impotentia superveniens, 
welche später das Landrecht als Scheidungsgrund anerkennt (II, 1. $. 696), kommt im cor- 
pus iuris Fridericianum als ein solcher nicht vor und wird von Gocceji im novum sy- 
sterna ($. 180) ausdrücklich ausgeschlossen. 

(°) Heinrich von Cocceji’s Ansicht s. im Grotius illustratus V. dissert. prooemialis 
de principiis Henrici de Cocceji X. 8.12.13. vgl. Samuel von Cocceji in der Kritik des 
Grotius Grotius illustratus V. diss. prooem. VI. de iure rerum $. 80. und novum systema 
iustitiae naturalis et Romanae $. 281 sqg. 

(°?) sur Peducation in den Werken 1848. tome IX. p. 122. 

(°) Die Ausführung findet sich im ius controversum XXIII. 1. qu. 4 und qu. 5, welche 
dahin geht, die sponsalia de praesenti mit der Eheschlielsung selbst gleichzusetzen. vgl. 
novum systema $. 173. 


72 TRENDELENBURG: 


(°') Cod. Fridericianus P. IV. T. 5. $. 18. no. 6. 7. Frid. Behmeri novum ius con- 
troversum obs. LXXII p. 472 sqq. vgl. obs. LXXI. p. 468 sqq. Dessen ozia II. p. 266 f. 
J. D. E. Preufs Friederich der Grofse. IV. p. 469. aus der Instruction für das General- 
directorium vom 20. Mai 1748. ,‚Den Fiscalen, sowie den Jägern und Forstbedienten soll 
bei Strafe des Stranges verboten werden, die Edelleute in keinem Stücke zu chicaniren, noch 
ihnen alte längst verjährte Processe und Grenzstreitigkeiten wieder aufzuwärmen: Allermafsen 
denn Se. K. M. hierdurch nochmals festsetzen und ernstlich wollen, dals ein Vasall, der in 
anno 1740 im wirklichen Besitz eines Grundstücks oder einer Gerechtigkeit gewesen ist, die 
Possession nicht weiter beweisen, sondern darin geschützet, und unter keinerlei Praetext 
deshalb in Anspruch genommen werden soll. Und dafern je zwischen denen Kammern und 
denen Edelleuten unvermeidliche dispuzes und Processe vorkommen sollten; so soll das Ge- 
neraldirectorium denen letzteren nicht nur Gerechtigkeit widerfahren lassen, sondern sogar 
Sr. K. M. selbst eher als jenen zu nahe thun, indem dasjenige, was vor Höchstdieselben 
ein kleiner und nicht zu merkender Verlust ist, dem Edelmann ein sehr grofser und ansehn- 
licher Vortheil sein kann und meritiren diese um so eher conserviret zu werden, da solche 
mit ihren Söhnen in Kriegszeiten die meisten Dienste thun und das Land defendiren müssen.” 

(2) In dieser Bestimmung weicht das corpus iuris Fridericianum von dem ab, was Coc- 
ceji im ius civile controversum 1. 7. qu. 12. in tom. I. p. 109 sq. bestimmt hatte. 

(®) Dig. 45. 1. 61. Stipulatio hoc modo concepta, si haeredem me non feceris, tanturn 
dare spondes? inutilis est, quia contra bonos mores est haec stipulatio. Godofredus sagt 
dazu, impugnat enim ius testandi. Der Erbvertrag tritt nun zwar an seine Stelle, aber 
das Testament läfst die Möglichkeit zu, dafs der Wille wandele, der Erbvertrag nicht. Das 
Unschickliche und Unsittliche fällt mehr auf den, der sich die Erbschaft vertragsmälsig ver- 
sprechen läfst, als auf den, der sie verspricht. ‘Wo der Erbvertrag gegenseitig ist, fallen 
die sittlichen Bedenken ziemlich weg. Das contra bonos mores hat einen weitern Sinn, als 
das sittlich Schlechte. Vgl. besonders dig. 39, 5, 29. cod. 2, 3, 30. 2, 4, 11. s. Ge. Beseler 
Erbverträge II. 1. 1837. S. 114 ff. 

() K. F. Gerber System des deutschen Privatrechts 3. Aufl. $. 262. Vgl. G. Be- 
seler die Lehre von den Erbverträgen II. 2. 1840. S. 179. Ebendaselbst die Auffassung 
der romanisirenden Juristen unter dem Gesichtspunkt der Adoption S. 164 ff. S. de Cocceii 
ius cioile controversum. 1. 7. qu. 14. tom. I. p. 111 sqqg. Allgemeines Landrecht II. 2. 
8. 717 £f. 

(%) So erzählt Behmer in seinem novum ius controversum praef. p. XI, wie Cocceji 
mit ihm auf lateinischen Zetteln über zweifelhafte Rechtsmaterien verkehrt habe — ac teneo 
adhuc tot schedas dubiorum latino idiomate conceptorum, quibus sine mora ad marginem 
amicissime et indulgenter respondebat. 

(°°) Das Landrecht übersetzt nicht eigentlich die herkömmlichen juristischen Kunstwörter, 
sondern versetzt sich so in die Verhältnisse, dals es nach dem in der Sprache vorgefunde- 
nen Vorrath auch wol die alten verläfst und neue bildet. Wenn z.B. die servitutes prae- 
diales im corpus iuris Fridericianum Realdienstbarkeiten (II. 4. tit. 10. $. 2) heifsen, so dafs 
die Anschauung des dienenden Grundstücks vorherrscht: so wendet das Landrecht die An- 
schauung um und drückt in demselben Verbältnifs die Natur des fordernden berechtigten 
Grundstücks aus, indem sie diese Servituten unter dem Namen der „Grundgerechtigkeit” 
behandelt (Landrecht I. 22. $. 33 ff.). Wo das corpus iuris Fridericianum noch vom pecu- 


Friederich der Grofse und sein Grofskanzler Samuel von Cocceji. 73 


liam A) profectitium, 2) adventitium, 3) castrense und 4) quasi castrense spricht, spricht 
das Landrecht vom freien (3 und 4) und nicht freien (1 und 2) Vermögen der Kinder 
(Landrecht II. 2. Abschn. 3. $. 147 ff.). In andern Fällen dürfte es zweckmälsig gewesen 
sein, auf die Ausdrücke des ältern deutschen Rechts mehr zurückzukommen. So z.B. ist 
die Übersetzung der rei vindicatio, welche das corpus iuris Fridericianum beibehält, schwie- 
rig. Das Landrecht überschreibt des ersten Theils 15. Titel: von Verfolgung des Eigen- 
thums, und giebt im Text Vindication durch Zurückforderung, bei der Vindication eines 
Erbzinsgutes (1. Titel 18. $. 798) durch den Ausdruck, auf die Einziehung des Gutes an- 
tragen. Das allgemeine Wort fehlt. Im lübischen Recht ist noch ‚‚ansprechen” mit vin- 
dieiren gleichbedeutend. Z. B. IV.1. $. 3. 8. 6. „der Andere aber, welcher das Gut an- 
gesprochen”. In der Rückkehr zum einfachen und eigentlichen Ausdruck läfst sich noch 
heute gröfsere Klarheit und Schärfe wieder gewinnen, als der gewöhnliche Ausdruck unsers 
von der Cultur zersetzten Deutsch bietet. 

(°) novum systema iustitiae naturalis et Romanae 8. 164. Uxor, quae in domum ma- 
riti eiusque familiam transit, duplicem finem sibi propositum habet, 1) ut omnis vitae com- 
mercium cum marito habeat eique ad individuam vitae consuetudinem iungatur, ?) ut subo- 
lem marito eique soli procreet. Ex priori fine sequitur — — — 4) yuodammodo est domina 
bonorum marili; cuius effectus est, quod post mortem dimidiarm bonorum acquirat: quae 
communio bonorum hodieque pluribus in locis obtinet. 

(®) H. Ratjen Abh.: hat die stoische Philosophie bedeutenden Einfluls auf die in Ju- 
stinians Pandekten excerpirten juristischen Schriften gehabt? 1839. Von ihm weiter aus- 
geführt in Sell, Jahrbüchern III. 1844. S. 66. 

(®) H. Ratjen vom Einfluls der Philosophie auf die Jurisprudenz, besonders von der 
Benutzung der vier Arten des Grundes oder der Ursächlichkeit. Programm. Kiel 1855. 

() Ludw. Ed. Heydemann Einleitung in das System des preufsischen Civilrechts. 
2. Aufl. des Grundrisses. 1861. Bd. 1. S. 11. 

(') Heinrich Wuttke Christian Wolffs eigene Lebensbeschreibung. Herausgegeben 
mit einer Abhandlung über Wolff. Lpz. 1841. S.62f. Anton Friederich Büsching 
Beiträge zu der Lebensgeschichte denkwürdiger Personen Thl. 1. 1783. S. 13. 

() Vgl. Wolff inszizutiones iuris naturae et gentium 1754. $. 912. 8. 927. 

() Novum systema iurisprudentiae naturalis et Romanae. $.1. Juris prudentia Ro- 
mana ideo saltem obscura et rationi saepius minus conveniens videtur, quia corpus illud 
iuris quod vocant absque omni ordine tum titulorum tum legum compilatum, principia ge- 
neralia, ex quibus singulae leges tanguam totidem conclusiones sequuntur, nullibi exposita 
sunt, etsi leges ilae plerumque rationibus naturae adstruantur. 

(s) Joachim Georg Daries odservationes iuris naturalis socialis et gentium ad or- 
dinem systematis sui selectae. 1751. obs. 8. Göttingische Zeitungen von gelehrten 
Sachen 1751. Julius. S. 629 ff. 

(°) (Behmer) otia in otio minime otiosi Lemgo 1771. II. S. 306 ff. Vgl. Büsching 
Beiträge zu der Lebensgeschichte denkwürdiger Personen Bd. 1. 1783. Lebensgeschichte 
von Karl Gottlob von Nüfsler (nach dessen Aufzeichnungen) S. 304. Dort heilst es 
von Cocceji aus der Zeit, da er Kammergerichtspräsident war: ,‚So empfindlich es ihm 
war, wenn die kammergerichtlichen Urtheile von dem Tribunal nicht bestätigt wurden, 
ebenso unangenehm war es ihm auch, wenn auswärtige juristische Facultäten und Schöp- 


Philos.-histor. Kl. 1863. K 


74 Taenperengung: Friederich d. Gr. und sein Grofsk. S. von Cocceji. 


penstühle dieselben reformirten, und schon damals versicherte er oft, dafs die Verschickung 
der Acten an dieselben abgeschaffet werden solle.” 

(°) Es konnte nicht fehlen, dals sich bei der unvermeidlichen Reibung, in welche die 
Reform mit den Personen gerieth, parteiische Uriheile über Cocceji bildeten. Gegen die 
bittern Anklagen Karl Gottlob von Nüfsler’s über Ungerechtigkeiten an Personen be- 
gangen, steht die lange nach Cocceji’s Tode ausgesprochene Bewunderung eines Juristen, 
wie Friederich Behmer’s. Man vergleiche Lebensgeschichte des Königl. preufsischen 
Geheimen- und Landraths Karl Gottlob von Nüfsler in Büschings Beiträgen 1783. I. 
S. 373 ff., besonders S. 381 ff. mit Friederich Behmer ozia 1771 z.B. I. S. 101 ff. 
und S$. 302 ff. novum ius controversum. 1771. z. B. in der Vorrede. 

(””) Büschings Beiträge, Charakter Friederichs des Zweiten, V. S. 239 f. 

() Büsching a.a.O. V. S.239. von Daniels Lehrbuch des gemeinen preufsischen 
Privatrechts. 1851. I. S. 18. 

(°) Werke IX. S.30 f. IV. S.1£. IX. S. 232. 


Die Gehöferschaften (Erbgenossenschaften) im 
Regierungsbezirk Trier. 


on 


H”" HANSSEN. 


nenn 


[Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 30. April 1863.] 


S, weit wir die allgemeine Agrarverfassung der germanischen und skandina- 
wischen Dorfschaften rückwärts von den Zuständen, wie sie sich bis zu der 
gänzlichen Umgestaltung der Feldmarken durch die sogenannte Verkoppelung 
oder Separation erhalten haben, bis in das Mittelalter verfolgen und aus Ge- 
setzen, Weisthümern, Urkunden, Dorfswillkühren und anderen Quellen auf- 
fassen können, finden wir die Äcker und Wiesen zwar in Gemenglage und 
dem Flurzwange sammt der gemeinsamen Hütung unterworfen, aber doch 
im Sondereigenthum der einzelnen Markgenossen,, die übrigen Ländereien 
der Feldmark dahingegen, namentlich die Weiden und Waldungen im Ge- 
sammteigenthum der ganzen Markgenossenschaft mit ideellen Nutzungsrech- 
ten der Einzelnen nach dem Verhältnisse ihres privativen Besitzes an Äckern 
und Wiesen. — 

Ob nun das Sondereigenthum an den Äckern und Wiesen sogleich 
bei der ersten agrarischen Niederlassung unserer Vorfahren mit Gründung 
der Dörfer und Einrichtung der Dorffeldmarken entstanden, oder ob diesel- 
ben ursprünglich gleichfalls im Gesammteigenthum gewesen und aus diesem 
erst im Laufe der Zeiten ausgeschieden, darüber wird unter Zugrundelegung 
der bekannten Nachrichten des Caesar und des Tacitus über das Agrarwesen 
der alten Germanen noch immer lebhaft gestritten, indem die ihrer Fassung 
nach unzweideutigen Mittheilungen Caesars als der inneren Wahrscheinlich- 
keit entbehrend von Manchen angefochten, und die allerdings weniger kla- 
ren, auch durch die Varianten einer Stelle unsicher gewordenen Sätze des 
Tacitus verschieden ausgelegt und als Beweis für die eine wie für die andere 


Ansicht angeführt worden. 
K2 


76 Hanssen: Die Gehöferschaften 


Der Entscheidung näher wird diese Streitfrage geführt werden können 
durch den Nachweis, dafs ein Gesammteigenthum an Äckern und Wiesen 
in der einen oder anderen Gegend noch in historischer Zeit existirt hat oder 
gar noch gegenwärtig existirt. Denn was so als Ausnahme dasteht, berech- 
tigt nach der Natur dieses Verhältnisses allerdings zu der Schlufsfolgerung, 
dafs es nicht ursprünglich eine isolirte Erscheinung gewesen, sondern nur 
aus dem ursprünglich allgemeinen Vorkommen sich erhalten hat. Hier bie- 
tet sich noch ein weites, bis jetzt wenig kultivirtes Feld für zwar mühsame 
aber auch ergiebige historisch -statistische Forschungen dar, zu welchen die 
folgenden Blätter einen Beitrag zu liefern und weitere Anregung zu geben 
bestimmt sind. — 

Unter dem Namen von Gehöferschaften, Erbgenossenschaften oder 
Erbenschaften bestehen noch jetzt in den Kreisen Trier, Merzig, Ottweiler, 
S. Wendel und Saarburg und bestanden noch his vor wenigen Jahrzehnten 
in weit gröfserer Ausdehnung in diesen wie in den benachbarten Kreisen 
agrarische Genossenschaften mit dem Gesammteigenthum ihres ganzen Grund- 
besitzes an Feldgärten, Äckern, Wiesen, sogenannten Wildländereien und 
Waldungen, unter periodischem Wechsel der Interessenten im Besitze von 
Ländereien auf Grund erneuerter Verloosungen, soweit nicht eine gemein- 
same Nutzung derselben Statt findet (1). — 


(') Über diese merkwürdige Agrarverfassung fand ich in einem Aufsatze des verst. Ho- 
henheimer Direktors Schwerz „Beiträge zur Kenntnils der Landwirthschaft in der Gebirgs- 
gegend des Hundsrücks”, abgedruckt in dem 1831 erschienenen 27. Bande der Mögliner 
Annalen, die erste, wenngleich unvollständige, so doch zum Verständnils der Sache genü- 
gende Auskunft und benutzte dieselbe zu Untersuchungen über das Agrarwesen der Vorzeit, 
welche im 3. und 6. Bande des neuen staatsb. Magazins (1833 und 1836) veröffentlicht 
worden sind. Schwerz selber betrachtet die ganze Einrichtung nur mit den ökonomischen 
Blicken der Gegenwart, indem er dieselbe als ein unsinniges Rechtsverhältnils und eine tolle 
Haushaltung bezeichnet. Die zufällig im vorigen Jahre erhaltene Nachricht, dafs die Ge- 
höferschaften jetzt ihrer gänzlichen Auflösung entgegen gingen, erregte den Wunsch in 
mir, über dieselben, so lange es noch möglich sei, genauere Kenntnils zu erlangen. Dies 
ist mir durch Vermittelung des Departements- Chefs für die Landescultursachen an der Re- 
gierung zu Trier, Herrn Regierungsrath Beck gelungen, welcher die Güte gehabt hat, dar- 
über Berichte von Lokalbeamten und anderen Sachkundigen aus den betreffenden Gegenden 
zur Beantwortung der von mir aufgestellten Fragen einzuziehen. Bei dieser Gelegenheit ist 
mir auch eine Abhandlung des Herrn Landraths v. Briesen über die Gehöferschaften im 
Kreise Merzig, welche einen Abschnitt seiner urkundlichen Geschichte des Kreises Merzig 


(Erbgenossenschaften) im Regierungsbezirk Trier. 77 
Ursprünglich fiel der „Bann” d.i. das ganze Territorium der Gehö- 
ferschaft mit der Feldmark des Dorfes zusammen und es war die Gehöfer- 
schaft nichts anderes als die Markgenossenschaft selber. Jeder Markgenosse 
oder Gehöfer hatte an den Ackerländereien, Wiesen, Weiden, Holzungen, 
einen gleichen ideellen Antheil, welcher in Verbindung mit seinem Gehöfte 
im Dorfe seine Hufe ausmachte. 

Die erste Beschränkung ihres agrarischen Gebietes mögen die Gehöfer- 
schaften da erlitten haben, wo, nachdem das bäuerliche Eigenthum zum 
Colonat herabgesunken, Klöster, Ritter u. s. w. durch Einziehung und Nie- 
derlegung von Hufen gutsherrliche Höfe gründeten, welche mit ihren Län- 
derei-Antheilen aus dem gehöferschaftlichen Nexus schieden. Dazu kam, 
dafs die Gehöfer selber allmählig Ackergewanne und Wiesengründe — an- 
fangs wohl nur die besten oder nächsten — zu privativen Ländereien unter 
sich austheilten. 

Während so der Bann der Gehöferschaft durch Entwickelung des 
Sondereigenthums eingeengt wurde, verlor derselbe auch noch dadurch an 
Terrain, dafs die Ortsgemeinde oder politische Gemeinde, welche in den 
ältesten Zeiten nicht einmal dem Begriffe nach von der Markgenossenschaft 
getrennt war und auch noch lange sachlich mit ihr zusammenfiel, späterhin 
selbstständig festen Fufs auf der Feldmark fafste, indem ein Theil desGesammt- 
eigenthums der Gehöferschaft Gemeindegut wurde: nach einem Entwicke- 
lungsprozefs, welcher, dunkel in seinem Beginne, noch in der Gegenwart 
seinen weiteren Verlauf nimmt. Gewöhnlich sind jetzt die Hochwaldungen 
Eigenthum der politischen Gemeinde und die Niederwaldungen Eigenthum der 
Gehöferschaft, doch kommen auch letztere als Gemeindegut und erstere im 
gehöferschaftlichen Banne vor. Hie und da besitzt die politische Gemeinde 
Ländereien, welche noch durch ihre Bezeichung als Erbenland, Schafterben- 
land ihren gehöferschaftlichen Ursprung verrathen. Die Wildländereien 
werden in der Regel entweder ausschliefslich oder ganz überwiegend der Ge- 
höferschaft gehören. Zuweilen besitzen die politische Gemeinde und die 
Gehöferschaft solche Grundstücke auch gemeinschaftlich, wie in dem Dorfe 


bilden wird, zu Händen gekommen. Kann ich auch seiner Erklärung über den Ursprung 
der Gehöferschaften nicht folgen, so sind mir doch seine statistischen. Mittheilungen und 
ökonomischen Erläuterungen sehr lehrreich gewesen. 


78 Hanssen: Die Gehöferschaften 


Holzerath, Kreis Trier, ein Stück Bergland, von welchem, wie es bezeichnet 
wird, der eine halbe Schuh der Gemeinde, der andere halbe der Gehö- 
ferschaft gehört. Eine ähnliche Communion mufs früher häufiger gewesen 
sein, bis es zu einer Auseinandersetzung kam, wie z. B. in den 90er Jahren 
des vorigen Jahrhunderts im Dorfe Losheim (Kreis Merzig), wo von der 
ganzen 9145 Morgen grofsen Feldmark jetzt der Gemeinde 2066 Morgen 
Wald und 151 Morgen Wildland, der Gehöferschaft, die ihre Feldgärten, 
Äcker und Wiesen bereits aufgetheilt hat, 2100 Morgen Wald und 1480 
Morgen Wildländereien gehören. — 

Die ideellen Eigenthumsquoten, welche die einzelnen Gehöfer von 
dem ganzen Bann besitzen, hängen eben so wenig wie die schon privativ ge- 
wordenen Ländereien mit den Wohn- und Wirthschafts-Stellen im Dorfe 
zusammen und sind für sich veräufserlich und frei theilbar, so dafs eine 
doppelte Theilbarkeit — der gehöferschaftlichen Quoten und der privativen 
Ländereien — neben einander sich herzieht. Nach einigen Berichten ist 
nicht einmal der Wohnsitz im Dorfe die nothwendige Bedingung für den 
Besitz und die Nutzung gehöferschaftlicher Quoten. 

Dafs übrigens auch hier wie bei den gewöhnlichen Markgenossen- 
schaften ursprünglich ein organischer, nur durch die Theilbarkeit verloren 
gegangener Zusammenhang der Gehöferschafts- Antheile mit den Gehöften 
im Dorfe Statt gefunden hat, darauf weist der Ausdruck Gehöferschaft selber 
wohl deutlich genug hin ('). 

Der gehöferschaftliche Antheil jedes einzelnen Interessenten, möge er 
durch zusammengekaufte oder zusammengeerbte Quoten noch so bedeutend 
oder auf entgegengesetztem Wege noch so winzig geworden sein, erstreckt 
sich der Regel nach gleichmäfsig und ungetrennt über den ganzen gehöfer- 
schaftlichen Bann, so dafs z. B. Dem, welcher mit „1; an den Wildländereien 
betheiligt ist, ebenfalls {; der Waldnutzung gebührt. Hie und da mufs 
aber auch dieses Band gelöst worden sein. So wird von Saarhölzbach im 
Kreise Merzig berichtet, dafs die ideellen Antheile am Feldlande und die 
an den Waldungen der Gehöferschaft jede für sich und unabhängig von ein- 
ander erworben werden können. 


(') Ausnahmsweise hat dieser Zusammenhang noch bei den in der Geschlossenheit ver- 
bliebenen sogen. Stockgütern in der ehemal. Grafschaft Dagstuhl sich erhalten. 


(Erbgenossenschaften ı) im Regierungsbezirk Trier. 79 


Es mufs angenommen werden, dafs die ursprüngliche Zahl der vollen 
und unter einander ganz gleichen Quoten der Gehöferschaft mit der Zahl 
der ursprünglichen vollen Hufen des Dorfes übereintraf, wie dies noch bei 
den eben erwähnten Stockgütern der Fall ist. Oder vielmehr diese volle 
Quote war, so lange nur Gesammteigenthum existirte, die volle Hufe selber. 

Jetzt haben manche Gehöferschaften eine so grofse Zahl von vollen 
Quoten d.h. von Einheiten der Besitz- Antheile, dafs dieselbe nicht auf 
die ursprüngliche Zahl der Gehöfte zurückgeführt werden kann. Viel- 
leicht hat die Gehöferschaft mit zunehmender Bevölkerung auch ursprüng- 
lich nicht berechtigte Dorfsbewohner durch Einkauf oder sonst recipirt. 
Möglich ist auch, dafs, nachdem die Quoten von den Gehöften im Dorfe 
einmal gelöst und schon weit getheilt waren, mithin überwiegend nur Bruch- 
theile der ursprünglichen Quoten vorkamen, eine niedrigere Einheit unter 
neuer Benennung eingeführt und damit die Zahl der nun um so viel klei- 
neren Einheiten vermehrt wurde. 

Wie die einheitlichen Quoten und die durch weitere Theilung dersel- 
ben entstandenen Unterquoten bezeichnet werden, ist im Grunde eben so 
gleichgültig, als z. B. die Bezeichnung der Bergwerksantheile nach Kuxen. 
Man könnte blof[s von ganzen, halben, vierteln etc. Antheilen sprechen. Bei 
den verschiedenen Gehöferschaften bestehen nun hiefür sehr verschiedene 
Bezeichnungen und zwar oft in unmittelbarer Nachbarschaft, so dafs nicht 
etwa die verschiedenen Gegenden hiedurch sich charakterisiren. Es scheinen 
dieselben auch aus verschiedenen Zeiten zu stammen, woraus man auf einen 
hiebei eingetretenen Wechsel schliefsen darf, da das Verhältnifs selber über- 
all der ältesten Zeit angehört. 

Sehr alt mag die Bezeichnung nach Pflügen in Losheim sein, wo die 
Gehöferschaft aus 40 Pflügen besteht, die wahrscheinlich der Zahl der ur- 
sprünglichen vollen Hufen entsprechen; der Pflug zerfällt in vier Viertel, 
das Viertel in 48 Zoll, so dafs also der Pflug 192 Zoll hat. 

Gleichfalls ein alter Gebrauch wird es sein, dafs die Gehöferschaften 
von Untermorschholz, Wadrill und Saarhölzbach im Kreise Merzig nach 
Kerben rechnen, die am letztgenannten Orte wiederum in Tippelchen zer- 
fallen. (Von den bei der Loosvertheilung gebrauchten Kerbhölzern; das 
gehöferschaftliche Land wird daher nach von Briesen noch jetzt mitunter 
Kerbland genannt.) 


80 Hanssen: Die Gehöferschaften 


Ruthen mit Unterquoten in Fufs und weiter in Zoll findet man u. A. 
in den Feldmarken der Bürgermeisterei Irsch, Kr. Saarburg; Ruthen allein 
mit blofsen Bruchtheilen derselben in Crottnach, Kr. Trier; Schuhe & 16 
Zoll in einigen Gehöferschaften der Bürgermeisterei Wilzenburg, Kr. Trier. 

Sehr häufig wird ein Getreidemaafs angewendet. So in Büschfeld, 
Kr. Merzig, das Fafs ä 16 Määfschen; in Kell, Kr. Trier, blofs Määfschen; 
in Zerf, Kr. Saarburg: Quärtchen, Viertel und Wölfchen;, in anderen Feld- 
marken der Bürgermeisterei Zerf blofs Wölfchen; in Taben, Kr. Saarburg, 
der Seester, der in 4, 4, 4, 5 Seester zerfällt, mit der besonderen Be- 
zeichnung der 4; und 4, Seester als ganze und halbe Schüssel ('). 

Nicht so alt wie die Anwendung eines Getreidemaafses wird die bei 
mehreren Wilzenburger Gehöferschaften vorkommende Bezeichnung nach 
Fafs Zins sein, wobei man von dem Quantum Getreide ausging, welches die 
Gehöferschaft im Ganzen dem Zinsherrn zu entrichten hatte. Betrug dieses 
1. B. 50 Fafs und hatte ein Gehöfer 4 Antheil am ganzen Bann und somit 
auch 1 Fafs (= }; Scheffel) als Zins zu entrichten, so hiefs seine gehöfer- 
schaftliche Quote selber: 1 Fafs Zins. 

Ähnlich stellen andere Gehöferschaften in derselben Bürgermeisterei 
ihren Bann der darauf haftenden Grundsteuersumme gleich, so dafs der An- 
theil des Einzelnen nach dem auf ihn fallenden Grundsteuer-Betrag bezeich- 
net wird, obgleich doch dieser erst die Folge von jenem ist wie beim Fafs 
Zins; dabei wird auch hier der Ausdruck Zins auf die Grundsteuer über- 
tragen. 

In der Bürgermeisterei S. Wendel berechnen mehrere Gehöferschaf- 
ten die Antheile nach Petermännchen, einer alten Trierschen Münze; 
die Tholeyer Gehöferschaft im Kreise Ottweiler nach Petermännchen und 
Pfenningen. 

Drei in der Bürgermeisterei Beschweiler, Kreis S. Wendel, gelegene 
Gehöferschaften, die schon vor mehreren Jahrzehnten sich aufgelöst haben, 
hatten als Antheilfufs („Schaft- oder Zinsfufs”) für die Ackerländereien das 
Fafs Korn, für die Wiesen eine gewisse Geldsumme und für die Hölzungen 


(') Da in Taben wie in Kell das gehöferschaftliche Land blofs aus Hölzungen besteht, 
so könnte die Anwendung eines Kornmaalses auffallen, wenn man nicht eben hierin schon 
einen Beweis finden dürfte, dafs die Ackerländereien ursprünglich gleichfalls gehöferschaft- 
lich gewesen. 


(Erbgenossenschaften) im Regierungsbezirk Trier. 81 


Fufs und Zoll, was die Vermuthung zuläfst, dafs die Quoten in der einen 
Art von Ländereien ohne Zusammenhang mit den Quoten in den übrigen 
Arten standen, wie dies vorhin von Saarhölzbach bemerkt wurde, wo je- 
doch ein und derselbe Antheilfuls durch alle drei Arten durchgreift. 

Die gehöferschaftlichen Quoten sind in Folge ihrer Theilbarkeit oft 
sehr zersplittert worden. So z. B. haben von dem Crottnacher, aus Wild- 
ländereien und Hölzungen bestehenden zu 128 Ruthen registrirten Banne 
die kleinsten Interessenten nur % Ruthe, was nicht mehr als 5 Morgen An- 
theil in den sämmtlichen Gewannen und Schlägen dieser Ländereien zu- 
sammengenommen ausmacht, da dort auf die Ruthe ungefähr 5 Morgen 
kommen; die mittleren Interessenten besitzen 2, 3-4 Ruthen, die gröfsten 
7 Ruthen = 35 Morgen; zwischen den kleinsten und gröfsten Interessenten 
differirt mithin der Antheil wie 1 : 56. Selbstverständlich kommt es aber 
hier wie überall, wo die Äcker und Wiesen aus dem gehöferschaftlichen 
Banne schon geschieden sind, wesentlich mit auf die Vertheilung des priva- 
tiven Grundbesitzes an. 

Ob überall durch Autonomie oder Herkommen eine äufserste Mini- 
malgrenze für die Theilung der Quoten in Unterquoten oder Bruchtheile 
sich festgestellt hat, ist uns nicht bekannt, von einigen Gehöferschaften 
aber bestimmt berichtet worden. 

In neuester Zeit übrigens scheint ein Zusammenkaufen kleiner Quoten 
häufiger vorzukommen, als eine weitere Theilung derselben. 

In Losheim hatte vor reichlich 30 Jahren, wie Schwerz erwähnt, 
dieMehrzahl der Interessenten nur 4; Pflug = 48 Zoll oder gar nur % Pflug 
= 24 Zoll, während jetzt die Durchschnittsquote auf !; Pflug gestiegen 
ist, indem nach Angabe des Landraths von Briesen die Zahl der Interes- 
senten jetzt ungefähr 160 beträgt und die ganze Gehöferschaft 40 Pflüge 
ausmacht. 

Auf den Pflug kommen daselbst c. 90 M. Wildland und Wald, auf den 
durchschnittlichen Gehöfer- Antheil von 48 Zoll 22-23 M. Der Zoll wird 
jetzt mit 15 Thlr. bezahlt, wornach der ganze gehöferschaftliche Bann von 
3580 M. einen ungefähren Kapitalwerth von (40 Pfl. a 192 Zoll = 7680 
Zoll a 15 Thlr =) 115000 Thlr. der durchschnittliche Gehöfer- Antheil von 
700 Thlr. und der Morgen Landes von 32 Thlr. hat. 

Philos.-histor. Kl. 1863. L 


82 Hanssen: Die Gehöferschaflten 


Bei der rheinländischen Katastrirung hat man in Bezug auf die gehö- 
ferschaftlichen Ländereien formell ein gleichmäfsiges Verfahren nicht be- 
obachtet. In der Regel ist der ganze Bann der Gehöferschaft wie ein 
einheitlicher Grundbesitz angesehen und auf den Namen eines oft längst ver- 
storbenen Hauptinteressenten mit dem Zusatze „und Consorten” eingetragen 
worden und es wird dann die darauf haftende Grundsteuer aus der Kasse der 
Gehöferschaft entrichtet. Davon abweichend sind in den Bürgermeistereien 
Wadern, Kreis Merzig und Freudenburg, Kreis Saarburg, die einzelnen ge- 
höferschaftlichen Antheile katastrirt und wird die auf dieselben fallende 
Grundsteuer von den einzelnen Interessenten unmittelbar erhoben. In Los- 
heim ist auffallender Weise nebeneinander das erste Verfahren für die Wild- 
ländereien, das zweite für die Hölzungen angewendet worden. 

Die Verfassung der Gehöferschaften ist wenig geregelt. Schriftliche 
Statuten oder dgl. existiren nirgends, der allen Interessenten bekannte Ge- 
höferschaftsbrauch wird von allen für bindend erachtet. Über den Lände- 
reibestand der Gehöferschaft und die Antheile der einzelnen Gehöfer werden 
Grundbücher „Schaftregister” geführt und über Verloosungen, etwaige Ver- 
pachtungen und dgl. die nöthigen Aufzeichnungen gemacht. 

Mit der Leitung der Angelegenheiten und der Führung der Geschäfte, 
unter welchen die Loosvertheilung der Ländereien das wichtigste ist, wird 
es verschieden verhalten. In manchen Gehöferschaften, namentlich in denen 
des Landkreises Trier findet der Reihe nach ein jährlicher Wechsel unter 
den Gehöfern Statt und führt der Dirigirende für dieses eine Jahr den Namen 
Bürgermeister; zur Annahme des Amtes ist jeder Gehöfer verpflichtet, doch 
ist ihm gestattet, dasselbe einem anderen Gehöfer nach freier Übereinkunft 
mit demselben zu übertragen. Für seine Mühwaltung erhält dieser Bürger- 
meister bei der Verloosung etwas mehr Land zugemessen, als seine Quote 
beträgt, z. B. 1 Antheilsfufs darüber. 

Anderswo, namentlich im Kreise Merzig, wird jährlich aus der Mitte 
der Interessenten ein sogenannter Erbschafts-Rechner gewählt, welcher für 
die Loosvertheilungsgeschäfte einige der höchst betheiligten Gehöfer als 
Gehülfen zuzieht und dafür mit diesen wohl einer kleinen Rekreation (,„Er- 
götzlichkeit”) auf Kosten der Gehöferschaft sich zu erfreuen hat, im Übrigen 
aber unentgeltlich sein Amt verwaltet. Die Rechnung über die Einnahmen 
und Ausgaben wird in den meisten Gehöferschaften nur mündlich abgelegt. — 


(Erbgenossenschaften) im Regierungsbezirk Trier. 83 


Gewöhnlich fungirt der Erbschaftsrechner zugleich als Vorstand; in der 
Bürgermeisterei Zerf, Kr. Saarburg, haben die Gehöferschaften jedoch das 
Amt des Vorstehers und des Erbschaftsrechners getrennt und wählen aulser- 
dem Bevollmächtigte. 

In den Gehöferschaften der B. v. Wadern, Kr. Merzig, ist es zur 
Regel geworden, den Ortsvorsteher zum Erbschaftsrechner zu wählen, viel- 
leicht um durch diese combinirte Stellung etwaige Collisionen zwischen der 
Ortsgemeinde und den Gehöferschaften zu verhindern oder leichter auszu- 
gleichen; ohnehin wird der Ortsvorsteher gewöhnlich zu den höchst be- 
theiligten Gehöfern gehören. Auf diesem Wege aber ist schon hie und da, 
wie z.B. in Tholey, Kr. Ottweiler, die Leitung der Gehöferschafts-Ange- 
legenheiten stehend in die Hände des Ortsvorstehers gekommen, obwohl 
die Gehöferschaft als solche sich völlig frei innerhalb der Ortsgemeinde be- 
wegt, mithin der Ortsvorsteher als solcher mit den Angelegenheiten der Ge- 
höferschaft nichts zu thun hat. 

In einigen Gehöferschaften in den Kreisen S. Wendel und Trier scheint 
es an jeder Leitung zu fehlen und Niemand mit den Befugnissen eines Vor- 
standes bekleidet zu sein, wobei es denn in den Plenarversammlungen und 
bei der Ausführung von Geschäften nicht immer ordnungsmäfsig hergehen 
mag: eine solche Gehöferschaft wird in einem der Berichte mit einer pol- 
nischen Republik verglichen. Im Allgemeinen kommen übrigens Streitig- 
keiten bei den Gehöferschaften höchst selten vor, es sei denn, dafs die Fort- 
dauer der Genossenschaft selber schon in Frage gestellt ist, in welchem Falle 
denn auch meistens die Auftheilung des Banns erfolgt. 


Wir kommen jetzt zu der Loosvertheilung und Nutzung der gehöfer- 
schaftlichen Ländereien. 

Der Verloosung geht die Bonitäts-Bintheilung und Vermessung voraus. 
Dabei wird niemals ein Geometer oder Boniteur zugezogen. Die Gehöfer 
wissen ohne technische Hülfe damit fertig zu werden und es ist sogar die 
allgemeine Ansicht, dafs sie in Folge der fortgesetzten Übung und bei ihrer 
genauen Kunde des Bodens und der Ertragsfähigkeit desselben die Sache 
besser ausführen, als dies von eigentlichen Technikern geschehen würde. 


L2 


84 Hanssen: Die Gehöferschaften 


Die der Verloosung zu unterwerfenden Ländereien jeder Art (Acker- 
land, Wildland etc.) werden nach ihrer verschiedenen Bodenbeschaffenheit, 
ihrer ebenen oder bergigen Lage, ihrer gröfseren oder geringeren Entfer- 
nung u.s. w. in Vierecke abgetheilt, welche eben so viele specielle Ver- 
loosungs-Distrikte bilden. In jedem dieser Distrikte gebührt einem jeden 
Gehöfer sein verhältnifsmäfsiger Antheil. Die Überweisung dieser Antheile 
an die Einzelnen vereinfacht und erleichtert sich die Gehöferschaft dadurch, 
dafs die Verloosungsdistrikte hiebei nicht unmittelbar in so viele Loosstücke 
der verschiedensten Gröfse, wie es nach dem verschiedenen Quoten-Besitz 
der einzelnen Gehöfer erforderlich sein würde, zerlegt, sondern nur in eine 
bestimmte Anzahl von grofsen und zwar gleich grofsen Loosstücken („Stö- 
cken”) eingetheilt werden. Für jedes solches Loos werden dann so viele 
Gehöferschafts-Quoten zusammengelegt, als nöthig ist, um dasselbe damit 
auszufüllen und es bleibt dann den so zu einer Gruppe vereinigten Gehöfern 
überlassen, die weitere Vertheilung unter sich selber vorzunehmen. So 
z. B. wird in Crottnach, wo die Ruthe die Einheit bildet, immer nur eine 
gewisse Zahl von Ruthen zur unmittelbaren Verloosung zugelassen, obwohl 
hier Manche nur 4 Ruthe besitzen; in Taben, wo die Einheitsquote Seester 
heifst und ;, Seester (= 4, Schüssel), vielleicht noch geringere Antheile vor- 
kommen, werden gewöhnlich 11, Seester = 24 Schüssel zu Einem Loose 
vereinigt. 

Die Ausfüllung eines jeden vollen Looses wird z. B. bei der Losheimer 
Gehöferschaft nach der Darstellung des Landraths von Briesen folgender- 
maalsen bewerkstelligt: Die Betheiligten ziehen Loose, welche die Reihen- 
folge bestimmen, in welcher ihnen die nach ihrem Theilnahmerecht (nach 
Pflug und Zoll bemessen) zustehenden Antheile in jeder Bonität des Distrikts 
zugewiesen werden. Jedes Loos ist jedoch auf 2 Pflüge oder 384 Zoll 
berechnet. Es sind also (bei dem Gesammibesitz von 40 Pflügen) nur 20 
Nummern zu ziehen (für c. 160 Theilnehmer), im Übrigen ist die Reihen- 
folge der Hausnummern im Orte für die Vertheilung maafsgebend. Wenn 
also der Besitzer des Hauses No. 10 einen Antheil von 4; Pflug besäfse und 
die No. 1 zöge, so treten seinem Loose die Besitzer der Häuser No. 11, 12 
u.s. w. hinzu, so lange bis deren Antheile das ganze Loos von 2 Pflügen 
oder 384 Zoll vollmachen. 


& Erbgenossenschaften ı) im Regierungsbezirk Trier. 85 


In Zerf treten uns bei dieser Verloosung noch die Hausmarken ent- 
gegen; die „Loosesteine” bestehen dort nämlich in Hausmarken, welche in 
einen Hut zusammengeworfen, umgerührt und verdeckt gezogen werden. — 

Diese concentrirte Verloosung kann nun allerdings nicht die weitere 
Zersplitterung der Quoten durch erbschaftliche Theilungen oder partielle 
Veräusserungen hindern, es sind aber in Folge dieses Verfahrens die Nach- 
theile der Quoten-Zersplitterung beim Gesammt-Eigenthum nicht so 
grofs, als die der Parzellen-Zersplitterung beim Privateigen- 
thum an dem Grund und Boden. 

Die zu einer Loos-Gruppe vereinigten Inhaber kleiner Quoten pflegen 
sich nämlich untereinander dahin zu arrangiren, dafs nicht so viele kleine, 
wirthschaftlich kaum mehr zu handhabende Parzellen entstehen, als nach der 
Quoten-Besitzvertheilung sich ergeben würden. Es geschieht dies nament- 
lich durch Austausch in den einzelnen Verloosungs-Distrikten, indem ein 
kleiner Gehöfer seinen Antheil z.B. in 3 oder 4 Distrikten der Wildländereien 
einem anderen Gehöfer überläfst und dafür dessen Antheil in anderen 
Distrikten dieser ‚Ländereien übernimmt. (Ebenso bei dem Holzantheilen 
u.5. w.). Auch lassen die Inhaber der kleinsten Quoten ihr Nutzungsrecht 
wohl von den Übrigen sich abkaufen oder werden von der ganzen Gehöfer- 
schaft gegen Vergütung ausgeloost und pachten dafür theils von der Gehöfer- 
schaft die bei der Vermessung übrig gebliebenen unregelmäfsigen Endstücke 
der Gewanne, theils von einzelnen Gehöfern Antheile, welche diese nicht 
selber nutzen wollen. — 

So viel hierüber im Allgemeinen. 

Wir müssen nun die einzelnen Bestandtheile des gehöferschaftlichen 
Bannes: die Feldgärten, Äcker, Wiesen, Wildländereien und Waldungen 
näher ins Auge fassen: 

1. Die Feldgärten. 

Schwerz führt in seinem erwähnten Aufsatze an, dafs an einigen 
Orten die unzertheilte Gemeinschaft des Grundeigenthums selbst auf die 
Gärten sich erstrecke; es könne bei dem beständigen Übergange der Immo- 
bilien von einer Hand in die andere geschehen, dafs Jemand den Garten 
z. B., welchen er bisher in dem Thale besessen habe, nach dem Verlaufe 
von einigen Jahren eine Stunde von da auf dem Berge wiedersuchen müsse, 
wie solches zu Niederzerf buchstäblich zutreffe, indem ein auf einem hohen 


836 Hanssen: Die Gehöferschaften 


Berge gelegener Weiler zu dem Dorfe im Thale gehöre und die Bewohner 
Beider zusammenloosten. 

Auch in einem Verloosungs-Register der Losheimer Erbschaft von 
1724 ist von Gärten ohne weiteren Zusatz die Rede. Es sind indessen die 
an die Wohn- und Wirthschaftsstellen im Dorfe sich anschliefsenden, fest ein- 
gehegten Hausgärten hier, wie überall bei den germanischen Markgenossen- 
schaften sicherlich niemals der Feldgemeinschaft unterworfen gewesen, son- 
dern von jeher als ein integrirender Bestandtheil des Hofgeraithes (des 
Toftes, der Wurth, der Solstätte u. s. w.) behandelt worden. — 

Unter den gehöferschaftlichen Gärten sind mithin nur Gartenlän- 
dereien im Felde, — Feldgärten, Krautland, Kohlgärten, hier Kappesgärten 
genannt — zu verstehen, welche wahrscheinlich erst als die Hausgärten bei 
der vermehrten Bevölkerung nicht mehr ausreichten, um das gestiegene Be- 
dürfnifs an Gartengewächsen und verschiedenen sonstigen von der Acker- 
Rotation ausgeschlossenen Früchten zu befriedigen, dadurch gebildet worden 
sind, dafs aus den dem Dorfe nächst gelegenen oder den fruchtbarsten 
Acker-Gewannen die für diese Kultur geeigneten Striche herausgenommen 
und einer besonderen Verloosung unterworfen wurden. 

Mit dieser Exemtion aus der bisherigen Feldgemeinschaft der Äcker 
erhielt jeder Gehöfer seinen Antheil an diesen Ländereien auf die Dauer der 
Verloosungsperiode zu beliebiger Nutzung überwiesen, indem es ihm oblag, 
denselben durch Umzäunung gegen die Feldweide etc. zu schützen. Wegen 
des periodischen Wechsels im Besitze aber wurden die Feldgärten nicht mit 
lebendigen Hecken oder Staketen gezäunt, sondern nur mit sogenannten 
Garten-Reisern, die ohnehin fast alljährlich erneuert werden müssen. 

Solche Gärten werden als gehöferschaftliche jetzt kaum noch irgendwo 
vorkomıinen; hie und da hat indessen die politische Gemeinde sie an sich 
gebracht und verpachtet sie für Rechnung der Gemeindekasse. 

2. Die Acker. 

Aller Wahrscheinlickeit nach hat es hier, wie überhaupt bei den Ger- 
manen, in der ältesten Zeit gar kein permanentes oder definitives Ackerland 
gegeben, sondern dieses mufste im Laufe der Jahre den Bann gewissermafsen 
durchwandern, ähnlich wie dies noch jetzt bei den Wildländereien geschieht, 
nur damals ungeregelter und mit ganz überwiegenden Ruhejahren, so dafs 
das wechselnde Ackerland immer nur den geringsten Theil der Fläche ein- 


(Erbgenossenschaften ı) im Regierungsbezirk Trier. 87 


nahm, der gröfste Theil derselben übrig blieb, in Dreesch lag und als 
Weide genutzt wurde. „Arva per annos mutant et super est ager”: nach 
der einen Auslegung dieser Taciteischen Stelle. 

Der späteren Ausscheidung von ausschliefslichem, und dann nur 
noch in der Stoppel und in dem Brachjahre zur Nebennutzung beweideten 
Ackerlande folgte in einer noch späteren Periode die feste Gestaltung und 
bestimmte Begrenzung der einzelnen Gewanne, wornach durch die periodisch 
wiederholte Verloosung, nicht mehr die Gewanne selber, sondern blofs 
noch die einzelnen Äcker innerhalb jeden Gewannes mit der Vergröfserung 
oder Verkleinerung der Quoten - Besitzungen durch Erbschaft u. s. w. sich 
verändern konnten; dies jedoch nur in der Breite, da die Länge der Äcker 
durch die Endlinien der Gewanne fixirt war. 

Die Einführung der Dreifelderwirthschaft begründete von selber eine 
dreijährige Verloosungsperiode für die Äcker. Die Nachtheile des häufigen 
Besitzwechsels führten aber allmählig, insbesondere seit der Besömmerung 
der Brache, dahin, die Verloosung für 2, 3, 4 oder mehre Rotationen gel- 
ten zu lassen, dieselbe also nur jedes 6., 9., 12. Jahr, selbst erst jedes 
30. Jahr nach einigen Berichten, zu erneuern. 

So z. B. wurde das Ackerland in Saarhölzbach jedes 12. Jahr verloost, 
in Losheim ebenso. In Losheim hielt die Verloosung der Feldgärten und 
Wiesen gleichen Schritt mit der Verloosung der Äcker und es mag dies all- 
gemein der Fall gewesen sein. 

In Saarhölzbach wurde jedes 12. Jahr die Ummessung und neue Ver- 
theilung sogar nur dann wirklich ausgeführt, wenn inzwischen der Quoten- 
Antheil einzelner Gehöfer sich geändert hatte; sonst wurden einem Jeden 
die Stücke so gelassen, wie sie ihm durch die letzte wirkliche Verloosung 
zugefallen waren. Eine starke Annäherung an das Privateigenthum! Und 
so liegt die Vermuthung nahe, welche schon Dahlmann ausgesprochen, 
dafs überall in germanischen und skandinavischen Landen das Privateigenthum 
an Äckern und Wiesen durch das seltnere Wiederholen und schliefsliche 
Unterlassen der Verloosung factisch ohne besonderen Beschlufs der Genos- 
senschaft und ohne gesetzliche Einwirkung entstanden. Dahin war es u. A. 
in Losheim schon im 17. Jahrhundert gekommen. Man lenkte aber hier im 
Jahre 1724 noch einmal wieder in das alte Geleis ein: eine merkwürdige 
Erscheinung, welche indessen aus der im Losheimer Erbschaftsbuch nieder- 


38 Hanssen: Die Gehöferschaften 


gelegten, vom Landrath von Briesen mitgetheilten Begründung des dama- 
ligen Beschlusses der Gehöferschaft zur Genüge sich erklärt. Durch die 
Theilbarkeit des Bodens war hier nämlich eine wüste Zersplitterung der Par- 
zellen bis zur Unmöglichkeit einer wirthschaftlichen Benutzung derselben 
und bis zur Verdunkelung der Eigenthumsgrenzen entstanden, worunter selbst 
Die, welche durch Kauf oder Erbschaft einen gröfseren Grundbesitz wieder 
zusammengebracht hatten, litten, weil sie ihre zerstreuten Parzellen und 
Parzellchen nicht vereinigen konnten und überall feldbarnachbarlichen Ir- 
rungen und Verletzungen ausgesetzt waren. So erschien es denn, um die 
agrarische Ordnung möglichst wieder herzustellen, damals wo an die Consoli- 
dationen unserer Zeit noch nicht gedacht werden konnte, als das einfachste 
Mittel, den Acker- und Wiesenbesitz Aller wiederum auf ideelle Quoten 
zurückzuführen und die 12jährige Verloosung wieder aufzunehmen. In der 
That gewährte diese auch, wie der Landrath von Briesen mit Recht hervor- 
hebt, die Vortheile einer periodischen Consolidation, da jedesmal eine inzwi- 
schen durch Erbschaft oder Zusammenkauf bewirkte Vereinigung von bisher 
getrennt gewesenen Quoten, die nun als eine einheitliche Quote behandelt 
werden, unmittelbar zu einer Verminderung der Zahl der Parzellen und zu 
einer Vergröfserung der Parzellen selber führt. 

Dazu kommt, dafs andererseits die Nachtheile der mit den Erbschafts- 
theilungen und partiellen Verkäufen fortschreitenden Zersplitterung bisheriger 
Quoten durch das vorhin geschilderte Loos- und Austauschungs -Verfahren 
möglichst gemildert werden. 

Doch sind dies Rücksichten, die in dem Kampfe zwischen Gesammt- 
eigenthum und Privateigenthum nicht den Ausschlag geben und den Drang 
nach letzterem auf die Dauer nicht überwältigen konnten. 

Das Ausscheiden der Feldgärten, Äcker und Wiesen, zum Theil schon 
in frühere Jahrhunderte sich verlierend, ist in diesem Jahrhunderte fortgesetzt 
worden und nimmt — man kann sagen täglich — seinen weiteren Verlauf. 
Um einzelne Beispiele anzuführen, wurden 1811 die Wiesen in Kell, Kr. 
Trier (die Äcker daselbst erst später), 1812 die Gärten, Wiesen und das 
meiste Ackerland in den Feldmarken der Bürgermeisterei Wadern im Kreise 
Merzig, 1816 die Äcker in mehreren Gemeinden der Bürgermeisterei 
Beschweiler im Kreise S. Wendel aufgetheilt. Am häufigsten aber ist die 
Katastrirung der Rheinprovinz in den zwanziger und dreifsiger Jahren zu 


(Erbgenossenschaften) im Regierungsbezirk Trier. 89 


Auftheilungen (zuweilen gleich mit Einschlufs der Wildländereien und selbst 
der Waldungen) benutzt worden ('). 

Jetzt kommt das eigentliche Ackerland gehöferschaftlich nur noch in 
Saarhölzbach im Kreise Merzig vor, wo aber eben jetzt aufgetheilt wird, 
und dann auf einzelnen Feldmarken im Kr. Trier, wie in Paschel, Lam- 
paden, Franzenheim, Pluwig und weiter die Ruwer abwärts. — Dafs hier 
die Feldgärten früher ausgetreten, ist leicht zu erklären. Merkwürdig aber 
ist, dafs hier, wie in Kell, die Wiesen vor dem Ackerlande in Privateigen- 
thum übergegangen sind, während in anderen Gegenden Deutschlands, wo die 
Äcker schon im Mittelalter im Privateigenthum waren, die Wiesen noch in die- 
sem Jahrhunderte im Gesammteigenthum sich befanden, ja hie und da noch 
gegenwärtig der Verloosung unterworfen sind. Kommen Wiesen noch im 
gehöferschaftlichen Banne vor, so sind sie von so schlechter Beschaffenheit, 
dafs sie hauptsächlich nur als Weideländereien in Betracht kommen. — 

3. Die Wildländereien oder Wilden, Ödländereien, auch Berg- 
ländereien nach ihrer gewöhnlichen Lage genannt. 

Abgesehen von den ganz unkulturfähigen Strecken, die blofs zur 
Weide dienen, werden sie in grofsen Complexen feldgraswirthschaftlich ge- 
nutzt und zwar meistens nach fester Schlageintheilung und in regelmäfsigen 
Rotationen, bei welchen entweder die Ackerjahre oder die Weidejahre über- 
wiegen, mithin gleichzeitig entweder mehr Schläge unter dem Pfluge sich 
befinden oder mehr Schläge in Dresch liegen. 

Als eine gewöhnliche, namentlich im Kreise Trier vorherrschende 
Rotation ist uns eine achtjährige, mit 5 Acker- und 3 Weidejahren, angege- 
ben worden. In der Bürgermeisterei Wilzenburg, Kr. Trier, sind die Ro- 
tationen 6- oder 7jährige mit 4 Ackerjahren. Umgekehrt folgen in Losheim 
auf 4 Saaten 5, 6, 8, 10 Weidejahre, je nach der Bonität des Bodens; in 
Feldmarken der Bürgermeisterei Zerf besteht eine 9jährige Rotation mit 
3 Acker- und 9 Weidejahren und in Dreisbach, Kr. Merzig, wird das Wildland 
nach 5-6jähriger Dresch sogar nur für Eine Saat unter den Pflug genommen. 

Für die Ackerperiode der Wildländereien wird der Flurzwang sich 
noch erhalten haben; wenigstens wird für dieselbe in mehreren Berichten 


(') Vgl. Bärsch, Beschreibung des Reg. Bez. Trier. 1849. m 14; 226 ff. Nach 
Bärsch waren im Kreise Saarlouis bis 1828 alle Banne vertheilt und im Kreise Bernkastel 
die Gehöferschaften noch früher ganz eingegangen. 


Philos.-histor. Kl. 1863. M 


90 Hanssen: Die Gehöferschaften 


eine ganz bestimmte Fruchtfolge angegeben, die z. B. in Losheim folgende 
ist: 1. Roggen, 2. Kartoffeln, 3. Hafer, 4. Hafer (!). 

Die Dreschschläge werden natürlich in Gemeinschaft beweidet. In 
einigen Gegenden ist durch den Gehöferschaftsbrauch genau bestimmt, wie- 
viel Stück Rindvieh, Schafe u. s. w. auf die ideelle Einheitsquote fallen 
und es sind dabei die Besitzer geringerer Quoten von der Nutzung ausge- 
schlossen, so dafs die Weiden nur den Vermögenderen zu Gute kommen, 
welche eben deshalb auch der Auftheilung nicht geneigt sind. 

Anderswo aber ist umgekehrt das Weiderecht so wenig geregelt und 
begrenzt, dafs nicht blofs jeder Gehöfer ohne Rücksicht auf sein Quoten- 
Maafs beliebig Vieh auf die Weide schickt, sondern auch die übrige vieh- 
besitzende Orts-Einwohnerschaft mittelst der Gemeindeheerde die Weide 
auf den Dresch-Schlägen, auch in den Waldungen und überhaupt im ganzen 
Banne der Gehböferschaft ebenso wie auf der übrigen Feldmark mit benutzt. 
Man könnte dies jetzt als eine servitutische Belastung der gehöferschaftlichen 
Ländereien ansehen. In einem der Berichte wird das Verhältnifs indessen 
dahin erklärt, dafs die Gehöferschaft kein „Vorrecht” auf die Weide in der 
Feldmark habe: eine Auffassung, welche auf die ursprüngliche Identität der 
Gehöferschaft, der Markgenossenschaft und der Ortsgemeinde zurück führt. 
Hier haben dann gerade die Vermögenderen das gröfste Interesse an der 
Auftheilung. — 

Alljährlich nun wird derjenige Schlag, welcher am längsten in Dresch 
gelegen hat und wieder aufgebrochen werden soll, unter die Interessenten 
zur „Aufwinnung” d. h. zur Gewinnung von Erndten auf die Dauer der 
Ackerperiode vertheilt. 

Zu diesem Zwecke wird der ganze Schlag mindestens in so viele vier- 
eckige Feldabtheilungen zerlegt, als Bonitätsdistrikte unterschieden wor- 
den sind. 

Nimmt aber ein Bonitätsdistrikt eine ausgedehnte Fläche ein, so wer- 
den zur gleichmäfsigen Vertheilung der näheren und ferneren Lage mehrere 
Vierecke aus demselben gebildet. So entstehen aus dem Schlage lauter 
Vierecke, welche in Einer Reihe nebeneinander und in parallelen Reihen 


(‘') Hie und da werden auch die alten Ackerländereien noch unter Flurzwang gehalten, 
wie z.B. auf Feldmarken in der Bürgermeisterei Kell, was bei Gemengelage und Parzellen- 
zersplitterung und so lange es nicht zur Consolidation kommt seine guten Gründe hat. 


(Erbgenossenschaften) im Regierungsbezirk Trier. 9 


übereinander liegen. Die parallelen Reihen sind durch einen Streifen Lan- 
des von etwa 4 Fufs Breite, welcher als Weg dient und defshalb Gasse heifst, 
von einander getrennt. 

Ist es nicht zu vermeiden, dafs die Vierecke unmittelbar und queer auf- 
einanderstofsen, so werden die sogenannten Anwandäcker für die Servitut des 
Gespannwendens u.s. w. durch gröfsere Breite entschädigt, wie dies mit dem 
permanenten Ackerlande wohl überall bei der Gemenglage eben so der Fall ist. 

Merkwürdiger Weise wird hier für den ganzen Schlag (auch bei den 
Forsten) der Ausdruck „Gewann” gebraucht, während nach der gewöhnlichen 
agrarischen Bedeutung dieses Wortes die einzelnen Vierecke so bezeichnet 
werden müfsten. 

Jedes einzelne Viereck wird für sich verloost und es kann also ein 
Interessent seinen Antheil in dem einen Viereck am Anfang, in einem an- 
deren am Ende, in einem dritten in der Mitte erhalten. 

Bei der Ausmessung der Vierecke werden die etwa vorhandenen und 
den Schlag berührenden oder durchschneidenden Wege, Gräben u.s. w. 
als nicht vorhanden betrachtet. Dadurch werden die Interessenten, in 
deren Loos sie fallen, allerdings benachtheiligt. Man geht indessen davon 
aus, dafs bei der grofsen Zahl der verloosten Vierecke dieser Übelstand im 
Ganzen sich ausgleiche. 

Durch die neue Vermessung ändern sich zwar die einzelnen Stücke 
innerhalb eines jeden Viereckes nach den inzwischen eingetreienen Zusam- 
menhäufungen oder Zersplitterungen in dem Besitze der Quoten; es können 
sich allenfalls auch die einzelnen Vierecke ändern, wenn nämlich bei der 
neuen Bonitirung anders verfahren wird, der ganze Schlag aber ist eine ge- 
gebene Gröfse. 

Da die Schläge meistens eine unregelmäfsige Form haben, während 
nur regelmäfsige Vierecke herausgemessen werden, so bleiben — wie dies 
schon vorhin in Betreff der gehöferschaftlichen Ländereien im Allgemeinen 
angedeutet wurde — Endstücke (Orth, Orthstücke) übrig, welche unter den 
Gehöfern an die Meistbietenden auf die Dauer der Ackerperiode versteigert 
werden; der Erlös wird zur Zahlung der gehöferschaftlichen Grundsteuer 
oder zu anderen gemeinschaftlichen Ausgaben verwendet. 

Die Verloosung und Überweisung wird nach einigen Berichten im 
Frühling, nach anderen im Juli vorgenommen, was wohl davon abhängt, 


M2 


92 Hanssen: Die Gehöferscha ıften 


ob für die Roggensaat, mit welcher der Turnus beginnt, eine mehr oder 
weniger vollständige Brachbehandlung für nöthig erachtet wird. — 

Es ist nun nicht zu verwundern, wenn in unserer Zeit mit den gestei- 
gerten Anforderungen an die landwirthschaftliche Cultur die Wildländereien 
den Feldgärten, Äckern und Wiesen mehr und mehr in das Sondereigen- 
thum nachfolgen. Dafs bei dem periodischen Wechsel im Besitz gehöfer- 
schaftliches Pflugland überhaupt meistens schlechter bestellt und gedüngt 
wird als privatives, läfst sich von vorne herein vermuthen und wird auch 
durch manche Berichte ausdrücklich bestätigt. So lange alles Pflugland 
noch im Gesammteigenthum sich befand, lag in dem gehöferschaftlichen 
Verhältnisse kein Grund zu einer unterschiedlichen Behandlung. Neben 
den privativ gewordenenen Ackerländereien aber gleichen die unter den 
Pflug genommenen Wildländereien dem nur auf kurze Frist und ohne Aus- 
sicht auf Prolongation oder vielmehr mit der Wahrscheinlichkeit der Nicht- 
prolongation gepachteten Lande, welches ein Landwirth neben seinem 
Eigenthumslande bewirthschaftet. 

Dazu kommt die schlechte Nutzung der kraftlos niedergelegten und 
vielerwärts schonungslos mit Vieh übertriebenen Dreschschläge. — 

Ist auch der Kaufpreis von gehöferschaftlichen Quoten in den letzten 
Jahrzehnten nach einigen Berichten gestiegen, so ist er doch immer niedri- 
ger als der Kaufpreis privativer Ländereien von gleicher Beschaffenheit und es 
hat sich wiederholt gezeigt, dafs für Wildländereien sofort nach ihrer Auf- 
theilung erheblich höhere Preise als bisher für die Quoten erlangt wurden. 

Der Erlafs der rheinpreussischen Gemeinheistheilungsordnung vom 
19. Mai 1851 hat wesentlich dazu beigetragen, die Auftheilung der Wild- 
ländereien (wie auch der bisher noch gehöferschaftlichen Ackerländereien) 
zu beschleunigen. Dabei ist aber das Gesetz selber nicht immer angewendet 
worden, indem die Möglichkeit der Provokation auf dasselbe in manchen 
Fällen schon genügt hat, durch freie Vereinbarung der Gehöfer die Auf- 
theilung zu Stande zu bringen. 

Bei diesen Auftheilungen hat sich oft — und dies ist nachträglich auch 
in Betreff der Ackerländereien zu bemerken — nicht mehr erreichen lassen, 
als die Antheile der einzelnen Gehöfer so auszuwerfen, wie sie ihnen bei 
Fortsetzung des bisherigen periodischen Besitzwechsels zugefallen sein wür- 
den, also zerstreuet in allen Gewannen. Nur zuweilen ist eine wenn auch 


(- Erbgenossenschaften ı) im Regierungsbezirk Trier. 93 


beschränkte Zusammenlegung durch Austausch zu Stande gekommen. An 
einem Zusammenlegungsgesetz fehlt es der Rheinprovinz bekanntlich und so 
ist an eine durchgreifendere Consolidation nicht leicht, am wenigsten aber 
an das Zusammenwerfen der sämmtlichen Ackerländereien und Wildländereien 
in Eine Consolidationsmasse zu denken. 

4. Die Waldungen. 

Diese sind fast durchgängig nur Eichen -Schälwaldungen — hier Loh- 
hecken genannt —, welche im 14- oder 15jährigen zuweilen noch kürzeren 
Umtriebe bewirthschaftet werden. 

Der jährlich zum Abtrieb kommende und zu verloosende Schlag 
wird — und zwar, wenn er aus mehreren unzusammenhängenden Parzellen 
besteht, jede Parzelle für sich — nach dem besseren oder schlechteren Holz- 
und Lohbestand und nach der Lage (am Fufse der Berge, in der Mitte, auf 
der Höhe) in eine entsprechende Zahl von Distrikten abgetheilt, worauf die 
Vermessung eines jeden Distriktes und der Loosstücke innerhalb desselben 
erfolgt: nach dem eigenthümlichen gehöferschaftlichen Verfahren, welches 
bei den Waldungen offenbar mehr Schwierigkeiten darbietet und doch mit 
einer bewunderungswürdigen Sicherheit zur Befriedigung der Betheiligten 
von den beauftragten Gehöfern ausgeführt wird. — 

Gewöhnlich werden die Loosstücke den Interessenten erst kurz vor- 
her überwiesen, wenn das Holzfällen und Lohschälen vorgenommen wer- 
den kann. 

Diese Arbeiten und die Verwerthung der Produkte besorgt jeder 
gröfsere Interessent in der Regel für sich, während die kleineren, wenn sie 
nicht etwa gegen Geldvergütung auf die Nutzung überhaupt verzichten oder 
durch Austausch in den verschiedenen Bonitätsdistrikten untereinander grö- 
fsere Flächen zusammenbringen, ihre Loose auch wohl zu gemeinschaftlicher 
Aufarbeitung vereinigen und dann Holz und Lohe in natura oder den durch 
Verkauf erlangten Gelderlös pro rata unter sich vertheilen. 

Fest organisirt ist eine Untergemeinschaft dieser Art bei der aus 91 
gleichberechtigten Stockgutsbesitzern bestehenden Genossenschaft in der 
ehemaligen Herrschaft Eppelborn im Kreise Ottweiler. Diese wird in I— 10 
Rotten getheilt; jede Rotte erhält ihre Gesammtquote durch die Verloosung, 
läfst das Holzfällen etc. gemeinschaftlich besorgen und vertheilt unter ihre 
Mitglieder Holz und Lohe durch das Loos in gleichen Portionen. 


94 Hanssen: Die Gehöferschaften 


An die Holz- und Lohnutzung schliefst sich das sogenannte Schiffeln, 
welches darin besteht, dafs noch im Herbste nach dem Abtriebe der Rasen 
zwischen den Stöcken abgeschält, in Haufen gesetzt und verbrannt, dann die 
Asche ausgebreitet und der so gedüngte Boden zu Winterroggen bestellt wird. 

Die zum Abtriebe des Schlages vorgenommene Verloosung erstreckt 
sich gleich mit auf diesen in die Forstwirthschaft auf Ein Jahr, bei gutem 
Boden auch wohl auf zwei Jahre eingeschobenen Getreidebau, dessen reich- 
licher Ertrag an vorzüglich reinem Korne die etwaige Benachtheiligung der 
Forstwirthschaft weit überwiegen soll. 

Besitzen Gehöferschaften aufser den Lohhecken noch andere Waldun- 
gen, was selten der Fall ist, so wird der im Plenterbetrieb von Zeit zu Zeit 
vorkommende Ertrag veräufsert und der Gelderlös auf die gehöferschaft- 
lichen Quoten vertheilt, so dafs hiebei eine Verloosung nicht Statt findet. 

Geklagt wird über den schlechten Zustand, in welchem die Forsten 
mancher Gehöferschaften sich befinden, weil es an einer gehörigen tech- 
nischen Leitung und Verwaltung fehlt, die nöthigen Forstkulturen versäumt 
werden, bei der ungeregelten und übertriebenen Weidenutzung der Nach- 
wuchs schlecht aufkommt, und Übernutzungen von Streusammeln und Holz- 
verwüstungen vorgenommen werden. 

Es ist deshalb als ein dringendes Bedürfnifs bezeichnet worden, dafs 
Statuten eingeführt werden, welche eine auf forstwirthschaftlichen Grund- 
sätzen basirende Administration anordnen, die Ausübung der Rechte der 
Einzelnen in vernünftige Schranken zurückweisen und Conventionalstrafen 
für Übertretungen festsetzen. 

Dann würden die Gehöferschaften nach Auftheilung des übrigen Ban- 
nes als blofse Waldgenossenschaften füglich noch fortbestehen können. Aber 
auch in dieser Beschränkung scheint ihnen eine lange Lebensdauer kaum be- 
schieden zu sein. Denn die erwähnte Gemeinheitstheilungsordnung von 1851 
hat bereits in diesen wenigen Jahren auch zur Auftheilung oder Veräufserung 
von gehöferschaftlichen Waldungen geführt, nachdem mit diesem Gesetze 
die Cabinetsordre vom 7. August 1846 wegfällig geworden, welche die 
Theilung der gehöferschaftlichen und sonst gemeinschaftlichen Waldungen 
von der Genehmigung der Regierung abhängig gemacht und damit den wei- 
teren Fortgang solcher nach dem rheinpreufsischen Civilgesetzbuch zulässiger 
Theilungen gehemmt hatte. 


(Erbgenossenschaften) im Regierungsbezirk Trier. 95 


Gehen nun die gehöferschaftlichen Forsten durch Theilung oder Ver- 
äufserung in Privateigenthum über, so ist die Gefahr vorhanden, dafs der 
Wald vielerwärts — auch dort, wo es dem Gemeinwohl widerstreitet — 
ganz vernichtet wird, da die Erhaltung privativer Forsten durch keine ge- 
setzliche Bestimmung gesichert ist. 

Besser daher schon aus diesem Grunde und abgesehen von sonstigen 
Motiven, dafs die gehöferschaftlichen Forsten von den Ortsgemeinden erwor- 
ben werden, was schon in mehreren Fällen geschehen ist. So hat die Orts- 
gemeinde Baumholder Kreis S. Wendel, als die auf ihrer Feldmark belege- 
nen aus Einem Hauptcomplex und 22 Parzellen von zusammen 1225 Morgen 
bestehenden und zu 73600 Thaler taxirten Erbenwaldungen im März 1861 
in 48 einzelnen bewirthschaftbaren Parzellen öffentlich notariell versteigert 
wurden, mit Autorisation der Regierung allein 2, der ganzen Fläche zu dem 
Preise von c. 90000 Thaler gekauft. 

In Schöndorf, Kreis Trier, operirte die Gemeindeverwaltung zuerst 
dahin, ideelle Quoten des gehöferschaftlichen Waldes an sich zu bringen, 
um Mitinteressentin zu werden und beantragte dann die Auftheilung, statt 
welcher es schlieslich zum Verkaufe an die Gemeinde kam. 

Die Gemeinden brauchen für diesen Zweck die Contrahirung selbst 
bedeutender Schulden wenigstens dann nicht zu scheuen, wenn die gehöfer- 
schaftlichen Waldungen bisher schlecht bewirthschaftet wurden, weil sie 
hoffen dürfen, durch höhere Erträge bei besserer Forstkultur die Anleihen 
bald zu amortisiren. Auch werden sie zuweilen einen Theil des Kaufpreises 
dadurch decken können, dafs sie, wenn einzelne Forstgründe zur landwirth- 
schaftlichen Kultur besser sich eignen, diese mit Genehmigung der Regierung 
ausroden und als Acker- oder Wiesenland verkaufen. — 

So gehen denn die Gehöferschaften, indem auch die Waldungen aus 
dem Bann scheiden und dieser damit sein letztes Terrain verliert, ihrer gänz- 
lichen Auflösung unaufhaltsam entgegen. Von zwei entgegengesetzten Sei- 
ten bekämpft, unterliegen sie sowohl dem Sondereigenthum als der poli- 
tischen Gemeinde. 

Der Wunsch, aus historischem Interesse diese Genossenschaften erhalten 
zu sehen, mufs gegen die wirthschaftlichen Bedürfnisse unserer Zeit zurücktreten. 

In unglaublich schneller Zeit geht im Volke selber jede Erinnerung 
an vergangene Zustände unter. So hat der holsteinische Bauer nach Verlauf 
von nur 2 oder 3 Generationen jetzt keine Vorstellung mehr von der Mark- 


96 Hanssen: Die Gehöferschaften ( Erbgenossensch.) im Reg. Trier. 


genossenschaft, welcher der Grofsvater oder selbst der Vater noch angehörte 
und wie ein Mährchen klingt ihm die Schilderung seiner Feldmark , wie die- 
selbe bis zur Aufhebung der Feldgemeinschaft und vor der privativen Ein- 
koppelung der Ländereien noch vor 60—80 Jahren eingerichtet war. 

Darum darf nicht gesäumt werden, ein getreues Bild der Trierischen 
Gehöferschaften aufzunehmen, ehe diese denkwürdige Erscheinung unseren 
Augen gänzlich entrückt sein wird. 

In den Grundzügen glauben wir das Wesen dieser Genossenschaften 
und ihre Einrichtungen richtig erkannt und auf diesen Blättern mit hinläng- 
licher Deutlichkeit skizzirt zu haben, im Einzelnen sind uns indessen manche 
Punkte noch dunkel geblieben, die zu erforschen wir künftiger Mufse und 
einer eingehenden Untersuchung an Ort und Stelle vorbehalten müssen. 

Über die radikalste Frage der Urzustände unseres Vaterlandes aber 
sind wir schon jetzt nicht mehr im Zweifel. 

Das agrarische Gesammteigenthum auf dem Trierschen Hochwalde 
und am rechten Ufer der Mosel ist nicht eine Ausnahme des ursprünglichen 
allgemeinen Zustandes, sondern das Zeugnifs dieses ursprünglichen allge- 
meinen Zustandes selber. — 

Allerdings hat sich dieses Zeugnifs nur in wenigen Feldmarken noch 
bis zur Stunde in primitiver Vollständigkeit erhalten. Aber von einer gan- 
zen Reihe von Feldmarken läfst sich der Procefs der allmähligen Auflösung 
des Gesammteigenthums durch Ausscheidung erst der Feldgärten, Äcker und 
Wiesen, dann der Wildländereien und schliefslich nun auch der Waldun- 
gen nach Jahr und Tag nachweisen. 

Wo dieser Nachweis nicht mehr zu führen ist, da hat eben das Son- 
dereigenthum schon in früheren Jahrhunderten aus dem Gesammteigenthum 
sich entwickelt: und zwar nicht blos in diesen Gegenden, für welche noch 
schriftliche Nachrichten und bestehende Einrichtungen uns zu Hülfe kom- 
wen, sondern in allen von germanischen Stämmen in Besitz und unter Kul- 
tur genommenen Gebieten. 

Und so führen uns diese agrarischen Genossenschaften unmittelbar in 
die Urgeschichte unserer Vorfahren und durch Tacitus hindurch in letzter 
Instanz bis auf Cäsar’s Bericht zurück: 

Privati ac separati agri apud eos nihil est. 


———aurML LEE I>—— 


Über 
die Berliner und die Vaticanischen Blätter der 


ältesten Handschrift des V irgil. 


n 


H7-BEREZ: 


urn. 


[Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 26. Februar und 18. Juni 1863.] 


he Mabillon nach Vollendung seines grofsen Werkes über die Diplo- 
matik, worin er Nachbildungen der berühmtesten und prächtigsten damals be- 
kannten Lateinischen Handschriften gegeben hatte, in den Jahren 1685 und 
1686 seine Reise nach Italien ausführte, sah er in der Vaticanischen Biblio- 
thek eine Handschrift, welche seine besondere Aufmerksamkeit in Anspruch 
nahm; sie war damals und ist noch heute in der Abtheilung der eigentlichen 
Vaticana mit der Zahl 3256 bezeichnet. 

Sie enthielt zwölf Blätter Pergament in gröfstem Format, Theile eines 
Virgil, die er seinem Begleiter, dem gelehrten Ruinart, und andern mit 
dem Ausdrucke der Bewunderung zeigte; denn nie zuvor hatte man ein ganz 
mit so herrlichen und grofsen Römischen Buchstaben geschriebenes Buch 
gesehen. Er bestimmte sogleich die Nachbildung einiger Zeilen aus dem 
4. Buche der Aeneide als Ergänzung für sein grolses Werk, welche diesem 
auch nach seinem Tode durch Ruinart im Jahre 1709 mit dem Zeugnifs 
beigefügt worden ist, dafs sie, wenn irgend je eine, die eleganteste Rö- 
mische Schrift genannt zu werden verdiene (!). Die beigefügte Abbildung 
enthält die vier ersten Zeilen eines Blattes, nämlich aus dem 4. Buche der 
Aeneide die Verse 302-305. 

Diesem Zeugnifs des ersten Schriftkenners seiner Zeit, pflichteten die 
gelehrten Benedictiner, die Herausgeber des Nouveau traite de diplomatique 
bei, indem sie im 3. Bande (?) ihres umfassenden Werkes die Nachbildung 


1.078.635. 
@) 5.4. 
Philos.-histor. Kl. 1863. N 


98 Pexrz über die Berliner und die Vaticanischen Blätter 


der Schrift wiederholten und in ihr die Zeichen des höchsten Alterthums 
erkannten. Man sollte denken, dafs eine so hervorragende Handschrift 
die Aufinerksamkeit der zahlreichen Herausgeber des Virgil auf sich gezogen 
hätte, das war aber in den seither verflossenen anderthalb Jahrhunderten 
nicht der Fall. 

- In unseren Tagen hat der Pariser Schreibkünstler und Nachbildner 
alter Schriftidenkmäler Herr Silvestre diese Handschrift wieder gesehen und 
daraus mehrere Zeilen im 2. Bande seines theuren Werkes (!) nachgebildet; 
nämlich vom ersten Blatte die obersten neun Verse 41-49 des ersten Buches 
der Georgica. Indem er diese bewundernswürdigen Bruchstücke, denen 
nichts anderes der Art zu vergleichen sey, darstellt, benachrichtigt er uns 
zugleich, dafs nach zuverlässigen Zeugnissen über die Geschichte der Vati- 
canischen Bibliothek, dieser Blätter ursprünglich 14 gewesen, von denen 
jedoch bei dem Brande der Bibliothek der Druckwerke — also am 30. 
August 1768 —, als man die Handschriften retten zu müssen glaubte, das 
3. und 4. Blatt verloren gegangen seyen. Diese Angabe mufs, wie wir 
unten sehen werden, auf einem Mifsverständnifs beruhen. 

Über die Herkunft dieser Bruchstücke herrschte früher Ungewifsheit; 
man glaubte sie stammten aus der Bibliothek des berühmten französischen 
Rechtsgelehrten Peter Pithou und seyen aus solcher in die Vaticana ge- 
langt; und noch Silvestre huldigt dieser Sage, giebt aber zugleich eine 
Nachricht, welche jener Annahme Mabillon’s und Ruinart’s zu widerspre- 
chen scheint und eine andere Herkunft nachweis’t. Nach Silvestre’s An- 
gabe, welche durch die neuesten mir zugekommenen Nachrichten bestätigt 
ist, findet sich nämlich auf der ersten Seite des ersten Blattes die alte In- 
schrift: CLAVDIVS.PVTEANVS.FVLVIO.VRSINO.D. D. Beide 
Männer, der französische Rechtsgelehrte Claude Dupuy und der Römer 
Fulvio Orsini lebten bekanntlich bis gegen das Ende des 16. Jahrhunderts. 
Der Erstere starb im Jahre 1594, Orsini 1600, die Handschrift ist also vor 
dem Jahre 1594 aus Frankreich nach Italien gekommen und wenige Jahre 
darauf mit der ganzen Bibliothek des Fulvio Orsini in die Vaticana gelangt. 
Dafs sie vor Dupuy der Handschriftensammlung Pithou’s angehört habe, 
der im Jahre 1596 starb, dafür ist mir ein Nachweis nicht bekannt; und 


‘) Paleographie universelle. T. II. Paris 1841. 
srap 


der ältesten Handschrift des Firgil. 99 


da Pithou vor Orsini starb, so kann sie auch nachher nicht in des letzte- 
ren Bibliothek gelangt sein, sondern beruhet nun seit etwa 270 Jahren in 
der Vaticana. 

Welche Theile des Textes der Georgica und der Aeneis in den noch 
übrigen Blättern erhalten waren, blieb unbekannt, bis ich darüber nähere 
Auskunft aus Rom erbeten hatte. 

Die Veranlassung, mich mit diesem Gegenstande zu beschäftigen, war 
folgende. 

Unter den Hunderten von Bücherverzeichnissen, welche uns im Laufe 
des Jahres zugehen, erhielt ich im verflossenen October einen Auctionskata- 
log aus dem Haag, nach welchem dort am 1. December die öffentliche Ver- 
steigerung einer ausgesuchten älteren Bibliothek Statt finden sollte. Sie 
gehörte zu dem Nachlafs der Familie van Limborch, namentlich des 
im Jahre 1685 verstorbenen Fiscaladvocaten und Generalprocurators der 
Domainen von Holland Rem van Limborch, seines im Jahre 1712 ver- 
storbenen Bruders des Professors der Theologie am Remonstranten-Seminar 
zu Amsterdam Philipp van Limborch, ihres Neffen des 1765 verstorbe- 
nen Franz van Limborch, und dessen Enkels Martin van der Cracht, der 
im Jahre 1807 verschieden ist. Die Sammlung zeichnete sich durch eine 
Auswahl remonstrantischer Theologie und einen Reichthum niederländischer 
genealogischer Handschriften aus, unter denen drei Nummern anderen In- 
haltes kaum bemerklich waren. Die eine verhiefs einen mir noch unbe- 
kannten Brief der Pfälzischen Prinzessin, späteren grofsen Churfürstin So- 
phia von Hannover, aus ihrem 20. Jahre, die beiden anderen einige 
Pergamentbruchstücke classischer Schriftsteller, darunter ein Bruchstück 
Virgil’s in grofser Schrift. Ich ertheilte auf diese Nummern mäfsige Auf- 
träge, und hatte vor Kurzem das Vergnügen die erstandenen Gegenstände für 
die Königliche Bibliothek zu erhalten. Es waren darunter ein Blatt Pergament 
aus dem 12. Jahrhundert mit einem Stücke des Florus, das 1. Buch der 
historia naturalis des Plinius aus dem 13. Jahrhundert, aber statt des er- 
warteten kleinen Uneialblattes des Virgil drei übergrofse doppeltgefaltete 
Folioblätter von nie gesehener Schönheit und Gröfse der Capitalschrift, welche 
jetzt vom Staube befreit, entfaltet und in festen Einband gebracht vorlie- 
gen. Ein Blick reichte hin, um zu überzeugen, dafs hier drei bisher ganz 
unbekannt gewesene Blätter derselben gröfsten Handschrift des Virgil her- 


N 2 


100 Perrtz über die Berliner und die Vaticanischen Blätter 


vortraten, wovon die Vaticanische Bibliothek nun schon so lange zwölf an- 
dere besessen haben sollte. 

Das Pergament dieser Blätter ist kräftig und fein, und mit Ausnahme 
solcher Stellen, welche durch Würmer und Jahrhundertlange Verwahrlo- 
sung gelitten haben, wohl erhalten, der obere Theil der Vorderseite des 
dritten Blattes sehr verlegen und abgeschabt, so dafs die alte Schrift nur 
mangelhaft und mit grofser Anstrengung wiederzuerkennen ist. Zwei grö- 
fsere rundliche Löcher im zweiten Blatte waren ursprünglich, und schaden 
dem Texte so wenig als ein ähnliches Loch am Rande des ersten Blattes; 
das zweite vom Bauche des Thieres genommene Blatt ist dünner als die beiden 
anderen; die Breite der Blätter jetzt nur zwölf Zoll, hat durch Beschneiden 
an beiden Seiten gelitten, ohne doch sonderlich der Schrift zu schaden; die 
Höhe ist 161; Zoll. Die Linien sind mit dem Griffel gezogen, zwei senkrechte 
an jeder Seite, wovon die inneren den Text begrenzen, die äufseren nicht 
allenthalben sichtbar sind, besonders da wo der Text weit über die innere 
Linie hinaustritt. Der Seitenrand ist in Folge des Beschneidens verhältnifs- 
mäfsig kleiner als der obere und untere Rand. Diese messen zusammen 
6°, Zoll, wovon auf den unteren etwas mehr als auf den oberen fällt. 

Die für die wagerechten Linien abgemessenen Stiche sind auf dem 
dritten Blatte noch sichtbar. Um die möglichste Gleichmäfsigkeit und 
Schönheit der Schrift zu erreichen, sind für jede Schriftzeile eine obere und 
eine untere Linie gezogen, deren ganzen Zwischenraum sie ausfüllt, eine 
Eigenthümlichkeit, die mir noch in keiner der Tausende von Handschriften, 
mit denen ich mich beschäftigt habe, vorgekommen ist, und welche schon 
im voraus auf die Pracht der Schrift schliefsen läfst. Jede Seite enthält daher 
40 Linien für die dazwischen laufenden 20 Zeilen für ebensoviele Hexameter. 
Die Linien sind zum Theil tief einschneidend. Die Höhe der Buchstaben und 
die Entfernung der Zeilen gleichen einander, und betragen jede fast einen 
viertel, oder genau !3 eines Zolles, mit Ausnahme des ersten Buchstaben je- 
der Seite; dieser ist mit Farben und Silber verziert und von 1% bis 14, Zoll 
Höhe, also hoch über die andern hervorragend, und von entsprechender 
Breite. Die Buchstaben laufen in gleichmälsiger Grölse und Entfernung 
neben einander fort; es giebt weder Worttrennung noch Interpunction. 
Nur am Ende der Zeilen wenn der Raum für die grofse Schrift des Hexa- 
meterschlusses nicht mehr ausreicht, werden kleinere Buchstaben genommen 


der ältesten Handschrift des Virgil. 101 


und nöthigenfalls mit einander verbunden; es trifft sich so, dafs dann bis- 
weilen 6 bis 7 kleinere Buchstaben aneinander gefügt sind. Die Gestalt der 
Buchstaben ist Quadrat-Capital, ganz gerade stehend, in ursprünglicher Rein- 
heit, und soweit als möglich von den später bekannten Unzialformen ent- 
fernt. Über die obere Zeile ragen nur L und bisweilen F etwas hinaus. Im 
Texte ist das A stets ohne die Queerlinie, dagegen erscheint es als grofser 
Anfangsbuchstab beidemal A, BCDGHMNOPQRSVXYZ füllen die 
Quadratform am vollständigsten. Der wagerechte Deckel des T ist eine 
leicht geschwungene dünne Linie, in solche läuft auch V unten aus, E und F 
zeigen feine leicht geschwungene Queerstriche und Füfse; auch X Yund Z 
fehlen nicht; das Y ist sowohl in den Berliner als den Vaticanischen Blättern 
durchgehends Y, und nur einmal, Mabillon Seite 635, in dem ursprünglich 
griechischen Worte Thyias auf eine der griechischen näherkommenden Weise 
bezeichnet: 


Abkürzungszeichen sind sehr selten, in den Zeilen Q’—= que, B’ = bus; 
am Ende der Zeilen in der kleinen Schrift: YV = um auch ein feiner Strich 
mit oder ohne Punkt darunter — bisweilen so fein, dafs er nur bei sorgfälti- 
gem Nachsehn gefunden wird. Verschlungene Buchstaben: N =ni, d = os, 
RAHWYVR = trahuntur, R= tr, und die Uncialform c — g. Die Schrift 
erscheint mithin als eine prächtige Capital, das schönste auf uns gelangte Er- 
zeugnifs der vollendeten Kunst alt-Römischer Schreiber, wie sie der Zeit des 
Augustus angehörte und in der Inschrift des Pantheons ihres Gleichen findet. 
Dafür zeugt, aufser der vollendeten Schönheit der Buchstaben, deren gleich- 
mäfsige Entfernung von einander ohne Worttrennung, das Fehlen der Ab- 
kürzungen, mit den unbedeutenden eben erwähnten Ausnahmen, und sie 
steht in beider Rücksicht auch noch vor dem Berliner Bruchstück des Livius, 


102 Perrz über die Berliner und die Vaticanischen Blätter 


welches in eines der beiden ersten Jahrhunderte zu setzen war, und über- 
trifft die Florentiner und die beiden Vaticanischen Handschriften weit, an 
Alter, Schönheit und Kostbarkeit. 

Bei diesen breiten Rändern ober- und unterhalb der Schriftsäulen hat 
sich selbst mit Hülfe von Hydrosulphurat keine Spur von Überschriften der 
Seiten, Lagenbezeichnung oder Oustoden gezeigt, so dafs auch in dieser 
grofsen Einfachheit ein Hinweis auf ein höheres Alter der Handschrift zu 
liegen scheint. Der einzige Schmuck jeder Seite ist der hervorragende An- 
fangsbuchstab, der mit einfachen Verzierungen in grüner, rother und gelber 
Farbe und Silber eine Abwechslung hervorbringt. Die Dinte ist dunkelbraun, 
und hin und wieder abgesprungen oder durch schlechte Behandlung ver- 
schabt, dies gilt vorzüglich von der oberen Hälfte der 3. Seite. Dafs die 
Verse nicht durch Zahlen bezeichnet sind, bedarf kaum der Erinnerung. 

Die einzige Wirkung der angewandten chemischen Reagentien war auf 
dem ersten der drei Blätter das Hervortreten einer frühern Bezeichnung über 
der Mitte der ersten Seite: Ex libro primo Georgicorum, und darunter 
0.4.3. Die Schrift gehört dem Ausgang des 16. oder Anfang des 17. Jahr- 
hunderts an; eine ähnliche Bezeichnung erinnere ich mich vor einigen 
Jahren in einer Handschrift der altdeutschen Gesetze gesehen zu haben, 
welche jetzt dem Earl of Ashburnham gehört, und früher im Besitz des 
Peter Pithou gewesen ist, welcher aus ihr seine Ausgabe der Leges ver- 
anstaltete; und eine an die Königliche Bibliothek aus der Rosny’schen 
Auction gekommene Handschrift ('), welche gleichfalls früher Eigenthum 
Pithou’s war, zeigt dieselbe Hand, namentlich ganz dieselbe Form des g, so 


(') Codd. Latini in folio N. 270 mit dem Liber responsorum Papiniani der lex Romana 


Burgundionum und Institutio Gregoriani im Catalogue de la riche bibliotheque de Rosny 


212 N. 2801. le 
an a 
Nlepreheredig 


der ältesten Handschrift des Virgil. 103 


dafs an dem früheren Eigenthum Pithou’s nicht zu zweifeln ist. Diese 
Überschrift der ersten Seite unserer Virgilblätter zeigt, dafs schon damals 
diese Blätter für sich bestanden, wenigstens ihnen keine andere vorhergingen. 
In dem Verzeichnifs Pithou’scher Bücher, welches sich in seiner Lebens- 
beschreibung von Johann Boivin Paris 1716 findet, ist zwar S. 92 ein 
Virgil nebst Servius angegeben, dafs damit keinenfalls eine Handschrift, noch 
weniger diese Blätter gemeint seyn können, ergiebt der Zusatz; und ein 
Verzeichnifs seiner Handschriften steht uns nicht zu Gebote. Jedenfalls 
hat Peter Pithou diese Blätter besessen; und wenn wir uns daran erin- 
nern, dafs Mabillon und Ruinart die Vaticanischen Blätter für diejenigen 
hielten, welche einst diesem Gelehrten gehört haben sollten, ihm jedoch, 
wie wir oben sahen, nicht gehört haben können, so werden wohl Sage und 
Wirklichkeit sich dahin vereinigen, dafs unsere Blätter Pithou’s, die Vati- 
canischen Dupuy’s Eigenthum waren: gerade wie es mit jener Handschrift 
deutscher Gesetze der Fall gewesen, über welche ich in der K. Akademie 
am 30. Juli 1857 Vortrag hielt(!), deren einer Theil ehemals Pithou gehörig, 
jetzt bei Lord Ashburnham (?), der zweite zu derselben Zeit Claude Dupuy 
gehörig jetzt in der Pariser Bibliothek, und ein dritter, längere Zeit in Span- 
genberg’s Besitz, seit einigen Jahren im Brittischen Museum zu finden ist. 


Der Inhalt unserer Blätter ist am Ende des vorigen Jahrhunderts 
wahrscheinlich durch den damaligen Besitzer Martin van der Craght mit Be- 
zug auf Heyne’s Ausgabe des Virgil am Rande verzeichnet worden. 

Das 1. Blatt enthält Georgicorum Liber I. v. 81—100 und 101— 120 

DE H „PO 220 „ni227=240 

3% & „II. 180-200 „ 201-220 


Was nun die Vaticanische Handschrift betrifft, so enthält wie bekannt, 
das 1. Blatt Georgicorum Liber I. v. 41—80, geht also unserm ersten Blatte 
gerade vorher; ein späteres der Aeneis Liber IV. v.302 und folgende, wahr- 


(') Denkschriften der historischen Klasse der Akademie 1857. 

(?) Catalogue of the Manuscripts at Ashburnham Place Part the second, comprising a 
collection formed by Mons. J. Barrois N. CCXIV. „formely in the library of P. Pithou, 
Ihe President Des Mares, the President le Peletier, and the Duc de Berry;” 
Rosny Catalogue N. 2401. 


see the 


104 Perrtz über die Berliner und Vaticanischen Blätter 


scheinlich bis einschliefslich 341. Über den Inhalt der übrigen 10 findet 
sich keine Nachricht, selbst nicht in der Ribbeck’schen Ausgabe des Virgil, 
welche wesentlich auf die Florentiner und die Vaticanischen Handschriften 
ohne Berücksichtigung der hier in Frage stehenden gebaut ist. 

Auf meine Anfrage deshalb erhielt ich von unserem correspondi- 
renden Mitgliede Herrn Dr. H. Brunn die unerfreuliche Auskunft, dafs 
von den im Vatican gewesenen Blättern jetzt nur noch vier erhalten seyen. 

Es sind also jetzt in Rom und Berlin zusammen nur noch sieben 
Blätter vorhanden, die übrigen acht namentlich die der Aeneis angehörigen 
Römischen seit 1841 verschwunden. Diese sieben gewähren folgende Theile 
der Georgica: 

Vatic. I. Liber I. v. 41 — 80 

Berlin. IL. 5 „vw. »81—120 

Vatie.s1y H5s9, Hu 121160 

RE 1 1 ER U u 5.11) 

Berlin. D. „ „vw 201—240 

Vatic. IV. 2» nm v. 241—280 
mithin den zusammenhängenden Text des ersten Buches vom 41. bis 280. 
Verse, und aufserdem 

Berlin. II. Liber III. v. 181—220, also 40 Verse. 

Hieraus überzeugt man sich, dafs die Angabe, als seyen die im Jahre 
1768 aus der Vaticana verlorenen zwei Blätter die dem ersten folgenden 
zwei gewesen, irrig ist, da hinter dem ersten Vaticanischen nur eins, und 
hinter dem 2. und 3. Vaticanischen wiederum ein Blatt fehlt, beide in Berlin 
vorhanden sind, aber wie Pithou’s Aufschrift des ersten derselben zeigt 
schon vor dessen Tode 1595 mit dem dritten Berliner ein eigenes Hand- 
schriftenstück gebildet haben. 

Vergleichen wir diese kostbaren Überreste mit dem Texte des voll- 
ständigen Virgil, so sind die Berliner Blätter nicht ganz der hundertste, und 
mit den Vaticanischen zusammen nicht ganz der vierzigste Theil der ursprüng- 
lichen Handschrift, welche mehr als 300 Blätter umfafst haben mufs. Über 
die Herkunft und die Schicksale derselben läfst sich kaum etwas vermuthen ; 
nur das Eine steht fest, dafs beide Reste auf Paris hinweisen, und am Ende 
des 16. Jahrhunderts aus wenigstens 12 (oder vielleicht 14) und 3 Blättern 


der ältesten Handschrift des Virgil. 105 


bestanden haben. Ihre älteste Heimat kann aber eben so wohl Italien als 
Gallien gewesen sein, welches aus jenem Lande so viele kostbare Hand- 
schriften erhalten hat. 

Es bleibt nun noch übrig den Text dieser Blätter des Augusteischen 
Virgil in Abschrift vorzulegen. 

Nachdem ich durch die Güte unseres Collegen Hrn. Professor Brunn 
eine unter seiner Aufsicht von Hrn. Dr. Helbig verfertigte genaue Abschrift 
der römischen Blätter erhalten habe, lasse ich den Text der drei uns zugäng- 
lichen Stücke. 

des halben ersten Buches der Georgica, v. 41 —250 

aus dem dritten Buche der Georgica, v. 181 —220 

aus dem vierten Buche der Aeneis, v. 302—305 
in der Weise folgen, dafs eine genaue Abschrift gegeben, nur die entschie- 
denen Schreibfehler mit der Bezeichnung 4. (Augusteus) in den Anmer- 
kungen angezeigt, und damit eine kurze Angabe von Abweichungen der Rib- 
beck’schen Ausgabe (rk) unter Beifügung der beistimmenden oder abwei- 
chenden Lesarten der wichtigsten von Hın. Professor Ribbeck benutzten 
ältesten Handschriften, F. (schedae F aticanae), G. (Sangallensis rescriptus), 
M. (Mediceus), P. (Palatino-Romanus), R. (Romanus) verbunden ist. 

Von den vier Vatieanischen Blättern ist das letzte nach der Angabe 
des Hrn. Dr. Helbig vielfach beschädigt. Es finden sich Löcher im Per- 
gament, Buchstaben sind verblichen, und nur noch ein Schein derselben 
erhalten, die Ausgänge mehrerer Verse durch aufgeklebtes Pergament ersetzt 
oder bedeckt, eine Stelle ist radiert und in der Abschrift angezeigt worden. 


1 


Aus dem ersten Buche der Georgica. v. 41—280. 


41  ignarosque viae mecum miseratus agrestis Vatie. fol. 1. 
ingredere et volis jam nunc adsuesce vocari. 
Vere novo gelidus canis cum montibus umor 
liquitur et Zephyro putris se glaeba resolvit, 

45  depresso ineipiat iam tum mihi taurus aratro 


Philos.-histor. Kl. 1963. OÖ 


106 Perrz über die Berliner und die Vaticanischen Blätter 


ingemere et sulco adtritus(') splendescere vomer. 
illa seges demum votis respondet (?) avari 
agricolae, bis quae solem bis frigora sensit; 

illius immensae ruperunt horrea messes. 

50 Ac(?) prius ignotum ferro quam scindimus aequor, 
ventos et varium caeli praediscere morem 
cura sit ac patrios cultusque habitusque locorum, 
et quid quaeque ferat regio et quid quaeque recuset. 
hine (*) segetes, illie (°) veniunt felicius uvae, 

55 arborei fetus alibi atque iniussa virescunt 
gramina. Nonne vides, croceos ut (°) Tmolus odores, 
India mittit ebur, molles sua tura Sabaei, 
at Chalybes nudi ferrum, virosaque (7) Pontus 
castorea, Eliadum palmas Epiros equarum? 

60 Continuo has leges aeternaque (°) foedera certis 
inposuit natura locis, quo tempore primum Vatic. fol. 1’. 
Deucalion vacuum lapides iactavit in orbem, 
unde homines nati, durum genus. Ergo age terrae 
pingue solum primis extemplo (*) mensibus anni 

65 fortes invertant (1°) tauri glaebasque iacentis 
pulverulenta coquat maturis solibus aestas; 
at si non fuerit tellus fecunda, sub ipsum 
Arcturum tenui sat erit suspendere sulco; 
illie, officiant laetis ne frugibus herbae, 

70 hic, sterilem exiguus ne deserat umor harenam. 

Alternis (!!) idem tonsas cessare novalis 
et segnem patiere situ durescere campum; 
aut ibi flava seres mutato sidere farra, 
unde prius laetum siligua quassante legumen 

75 aut tenuis fetus viciae (1?) tristisque lupini 


(') so A. R. attritus rk. (*) responderet A. Schreibfehler. (°) so A. M. P. Rt. at Gudianus 
und rk. (*) so A. P. worin das n wegradirt. hie rk. (?) so A. M.R. illirk. (°) utmo- 
lus A. nach der Sitte alter Handschriften gleich ut Tmolus. Molus rk. (’) virosequarum 
A. der Schreiber ist in die folgende Zeile gerathen, spätere Correctur: virosaque Pontus. 
(°) so 4. M. R. u. a. alternaque P. rk. (°) ex templo a mensibus rk. ('P) so A. (M2). 
P. R. invortant rk. (M ı). ('') aeternis A. Schreibfehler. ('?) viclae 4. Schreibfehler. 


der ältesten Handschrift des Virgil. 107 


sustuleris fragilis (!) calamos silvamque sonantem. 
urit enim lini campum seges, urit avenae, 
urunt(?) Lethaeo perfusa papavera somno: 
sed (?) tamen alternis facilis labor, arida tantum 
80 ne saturare fimo pingui pudeat sola neve 
effetos cinerem immundum ijactare per agros. Berlin. fol. 1. 
sic quoque mutatis requiescunt fetibus arva, 
nec nulla interea est inaratae gralia terrae. 
saepe etiam sterilis (*) incendere profuit agros, 
85 atque levem stipulam erepitantibus urere flammis: 
sive inde occultas vires et pabula terrae 
pinguia coneipiunt, sive illis omne per ignem 
excoquitur vilium atque exudat inutilis umor, 
seu pluris (°) calor ille vias et caeca relaxat 
90 spiramenta, novas veniat qua sucus in herbas; 
seu durat magis et venas adstringit (°) hiantis, 
ne tenues pluviae rapidive potentia solis 
acrior aut Boreae penetrabile frigus adurat. 
Multum adeo, rastris glaebas qui frangit inertis (7) 


95 vimineasque trahit crates, iuvat arva, neque illum 
flava Ceres alto nequiquam spectat Olympo; 
et qui proscisso, quae suscitat aequore terga, 
rursus in oblicum (°) verso perrumpit aratro, 
exercelque frequens tellurem atque imperat arvis. 
100 Umida solstitia atque hiemes orate serenas, 


agricolae: hiberno laetissima pulvere farra, Berlin. fol. 1‘. 
aelus ager; nullo tantum s$ oesia(*) cultu 
laetus ager; nullo tant e Moesia (? It 
iactat, et ipsa suas mirantur (!°) Gargara messes. 
quid dicam, iacto qui semine comminus arva 
105 insequitur, cumulosque ('!) ruit male pinguis harenae, 
deinde satis fluvium indueit rivosque sequentis, 


(') so A. M. R. fragiles P. rk. (°) erunt A. von späterer Hand verbessert. (?) so 
A.M.P. R. set rk. (*) steriles rk. (?) so 4. M. R. plures P.rk.  (°) abstringit 4. 


) inerti(s is/ abgerissen) A. (®) so A. P. und unten Vers 2539 auch in rk. hier obli- 
quom M. rk. (?) so A. mysia corr. moesia P. Mysia M. R. rk. (') so 4.M.P.R. 
mirentur rk. ('') cumuloque 4. 


02 


108 Perrz über die Berliner und die Vaticanischen Blätter 


et, cum exustus ager morientibus aestuat herbis, 
ecce supereilio elivosi tramitis undam 
elicit; illa cadens raucum per levia murmur 
110 saxa ciet, scatebrisque arentia temperat arva? 
quid qui, ne gravidis procumbat eulmus (') aristis, 
luxuriem segetum tenera depascit in herba, 
cum primum sulcos aequant sata, quiqne paludis 
collectum (*) umorem bibula didueit (?) harena? (*) 
115 praesertim in certis (°) si mensibus amnis abundans 
exit et obducto late tenet omnia limo, 
unde cavae tepido sudant umore lacunae. 
Nec tamen, haec cum sint hominumque boumque labores 
versando terram experti, nihil improbus anser 
120 Strymoniaeque grues et amaris intiba fibris 
offieciunt aut umbra nocet. pater ipse colendi Vatie. fol. 2. 
haud (°) facilem esse viam voluit, primusque per artem 
movit agros, curis acuens mortalia corda, 


nec torpere gravi passus sua rezna veterno. 


bein 
[X@) 
[71 


ante Iovem nulli subigebant arva coloni; 
ne signare quidem aut partiri limite campum 
fas erat; in medium quaerebant, ipsaque tellus 
omnia liberius nullo poscente ferebat. 
ille malum virus serpentibus addidit atris, 
430 praedarique lupos iussit pontumque moveri, 
mellaque decussit foliis ignemque removit, 
et passim rivis currentia vina repressit, 
ut varias usus meditando extunderet artes 
paulatim et suleis frumenti quaereret herbam, 
135 et(’) silicis venis abstrusum excuderet ignem. 
tunc alnos primum fluvii sensere cavatas; 
navita tune (°) stellis numeros et nomina fecit 


(') procumbatulmus 4. (?) so A. M. R. conlectum P. rk. (*) dedueit rk. (*) in 
dieser und den letzten sechs Zeilen ist die Schrift mehrfach von Wurrmfrafs beschädigt. 
(?) incertis rk. (°) haut rk. (’) ut rk. (°) tum rA. 


der ältesten Handschrift des V irgül. 109 


Pleiadas ('), Hyadas, claramque Lycaonis Arcton (?); 
tum laqueis captare feras et fallere visco 

140 inventum et magnos canibus eircumdare saltus; 
atque alius latum funda iam verberat amnem Vatic. fol. 2. 
alta petens, pelagoque alius trahit umida lina; 
tum ferri rigor atque argutae lammina serrae 
— nam primi cuneis scindebant fissile lignum — 

145 tum variae venere artes. labor omnia vicit 
improbus et duris surgens (?) in rebus aegestas (*). 
prima Ceres ferro mortalis vertere terram 
instituit, cum iam glandes atque arbuta sacrae 
deficerent silvae et victum Dodona negaret. 

150 mox et frumentis labor additus, ut mala culmos 
esset robigo segnisque horreret in arvis 
carduus (°); intereunt segetes, subit aspera silva, 
lappaeque tribolique, interque nitentia culta 
infelix lolium et steriles dominantur avenae. 

155 quod nisi et adsiduis terram (°) insectabere rastris, 
et sonitu terrebis aves, et ruris opaci 
falce premes umbras, votisque vocaveris imbrem, 
heu magnum alterius frustra spectabis acervom, 
concussaque famem in silvis solavere (7) quereu. 

160 Dicendum et quae sint duris agrestibus arma, 
quis sine nee (°) potuere seri nec surgere messis (?):  Vatic. fol. 3. 
vomis et inflexi primum grave robur aratri 
tardaque Eleusinae (1°) matris volventia plaustra 
tribulaeque trahaeque (1!) et iniquo pondere rastri, 

165 virgea praeterea Caelei (1) vilisque supellex (1°), 
arbuteae crates et mystica (1%) vannus lacchi; 
omnia quae multo ante memor provisa (!?) repones, 


(') pifiadas A. (?) arcio- A?  (°) duris surgens A. P. M. urgens rk. (*) eges- 
tas rk. (?) so A. M.P. R. carduos rk. (°) so 4. R in rasur. herbam rk. (’) so 
4A. R. solabere rk. (°) sinee A. (°) A. P. messes rk. ('°) eleusine 4. ('') tri- 
bulaque traheaeque rk. ('?) 4. M. celei rk. (') supplex 4. ('*) 4. M. P. mustica 
R. rk. (') A. M. R. provissa P. rk. 


110 Pertz über die Berliner und die Vaticanischen Blätter 


si te digna manet (!) divini gloria ruris. 
continuo in silvis magna vi flexa domatur 
170 in burim et curvi formam accepit (?) ulmus aratri. 
huic a stirpe (?) pedes temo protentus in octo, 
binae aures, dupliei aptantur dentalia dorso. 
caeditur et tilia ante iugo levis altaque fagus (*) 
stivaque (°) quae currus a tergo torqueat imos, 
175 et suspensa focis exploret (°) robora fumus. 
Possum multa tibi veterum praecepta referre, 
ni refugis tenuisque piget cognoscere curas. 
area cum primis ingenti aequanda colindro (7) 
et vertenda manu et creta solidanda tenaci, 
180 ne subeant herbae neu pulvere victa fatiscat; 
tum variae Judunt (°) pestes: saepe exiguus mus Vatic. fol. 3'. 
sub terris posuitque domos atque horrea feeit, 
aut oculis capti effodere (?) cubilia talpae, 
inventusque cavis bufo et quae plurima terrae 
185 monstra ferunt, populatque ingentem farris acervum 
curculio atque inopi (1°) metuens (!!) formica senectae. 
contemplator item, cum nux se (1?) plurima silvis 
induet in florem et ramos curyabit olentis: 
si superant fetus, pariter frumenta sequentur (1?), 
190 magnaque cum magno veniet tritura calore; 
at si Juxuria foliorum exuberat umbra, 
nequiquam pinguis palea teret area culmos. 
semina vidi equidem multos medicare serentis (!*), 
et nitro prius et nigra perfundere amurga (!°), 
195 grandior ut fetus siliquis fallacibus esset, 
et quamvis igni exiguo properata maderent. 


(') manent 4. (?) accipit rk. (?) pe von derselben Hand übergeschrieben A. (*) diesen 
Vers setzt rk dem folgenden nach. (?) stiva quae que 4. (°) explorat rk. (’) o von 
alter Hand getilgt A. cylindro rk. (®) inludant rk.  (?) efodere A. fodere rk. ('P) in- 
inope A. P., dann müfste es inopem metuens formica senectam heißen. ('') metuenus 4. 
('?) se nux rk. ('?) das zweite e von derselben Hand übergeschrieben. ('*) serentes rk. 


('”) murga A. amurga M. amurca rk. 


der ältesten Handschrift des Virgil. 111 


vidi lecta diu et multo spectata labore 
degenerare tamen, ni veis (1) humana quotannis (?) 
maxima quaeque manu legeret; sic omnia fatis 

200 in peius ruere ac retro sublabsa (?) referri. 
non aliter quam qui adverso vix flumine lembum (*) Berlin. fol. 2. 
remigiis subigit (°), si bracchia forte remisit, 
atque illum in (°) praeceps prono rapit alveus amni. 

Praeterea tam sunt Arcturi sidera nobis 

205 Haedorumque dies servandi et lucidus Anguis, 
quam quibus in patriam ventosa per aequora vectis 
Pontus et ostriferi fauces temptantur Abydi. 
Libra die somnique pares nbi fecerit horas, 
et medium luci atque umbris iam dividit orbem, 

210 exercete, viri, tauros, serite hordea campis 
usque sub extremum brumae intractabilis imbrem (7); 
nec non et lini segetem et Cereale papaver 
tempus humo tegere et iamdudum incumbere rastris (°), 
dum sieca tellure licet, dum nubila pendent. 

215 vere fabis satio: tum te quoque, medica, putris (?) 
accipiunt sulei, et milio venit annua cura, 
candidus auratis aperit cum cornibus annum 
Taurus, et averso cedens Canis oceidit astro. 
at si triticeam in messem robustaque farra 

220 exercebis humum, solisque instabis aristis, 
ante tibi Eoae Atlantides abscondantur Berlin. fol. 2”. 
Cnosiaque ardentis decedat stella Coronae, 
debita quam suleis committas semina, quamque 
invitae properes anni spem credere terrae. 

225 multi ante occasum Majae coepere; sed illos 
expectata seges vanis elusit aristis (1°), 


(') so die Handschrift statt vis, und zuerst auch die Mediceische, in welcher später das 
e ausradirt ist. (?) so A. M. P. quodannis rk. (?) so A. M. P. sublapsa rk. 
(*) lembunt 4. Schreibfehler. (?) so A. M. R. subegit P. rk. (°) so A. M. R. 
fehlt P. rk.  (’) imbres A. (?) so 4. R. aratris M. rk. (?) putres rk. (')) so A. 
M. R. avenis P. rk. 


230 


245 


250 


255 


(') pelusiace 4.  (*) haut rk. 


Pexrrtz über die Berliner und die Vaticanischen Blätter 


si vero viciamque seres vilemque phaselum, 
nec Pelusiacae (!) curam aspernabere lentis, 
haud (?) obscura cadens mittit (°) tibi signa Bootes: 
incipe et ad medias sementem extende pruinas. 

Id circo certis dimensum partibus orbem 
per duodena regit mundi sol aureus astra. 
quinque tenent caelum zonae: quarum day) una corusco 
semper sole rubens et torrida semper ab igni; 
quam circum extremae dextra laevaque trahuntur 
caeruleae, glaciae (°) concretae (®) atque imbribus atris; 
has inter mediamque (7) duae mortalibus aegris 
munere concessae divum (°), et via secta per ambas, 
oblieus qua se signorum verteret ordo, 
mundus ut ad Scythiam Ripheasque (*) arduus arces 
eonsurgit, premitur Libyae devexus in austros. Vatic 
hic vertex nobis semper sublimis (1°), at illum 
sub pedibus Styx atra videt manesque profundi. 
maximus (1!) hie flexu sinuoso (!?) elabitur Anguis 
ceircum perque duas in morem fluminis Arctos, 
Arctos oceani (!?) metuentis (*) aequore tingui. 
illie, ut perhibent (1%) aut intempesta silet nox 
semper et obtenta (!°) densantur (1?) nocte tenebrae, 
aut redit a nobis (1°) Aurora diemque redueit; 
nosque ubi primus equis Oriens adflavit anhelis, 
illie (19) sera rubens accendit lumina Vesper. 
hine tempestates dubio praedicere (2°) caelo 
possumus, hine messisque diem tempusque serendi; 
et quando infidum remis inpellere (*!) marmor 
conveniat, quando armatas deducere classes (??) 


. fol. 4. 


(?) so 4. M. mittet rk. (*) quorum 4. (? 


) so A. 


M. R. glacie rk. (°) concrete A. (”) mediam 4. (®) so A. M. R. divom rk. 
(?) so A. M. P. R. riphaeas rk. ('%) so A. M. R. sublimen rk. (€) 
P. R. maxumus rk. ('?) so A. M. sinuosso P. rk. (?) e werwischt A. 
('*) metuentes rk. ('?) be weggeschabt A. ('°) ten verwischt A. (17) so A. M. den- 
sentur P. R. rk. ('8) an verwischt A. (') so A. M. P. R. illis rk. (2) so 
praediscere rk.  (?') impellere rk. (22) so A. P. R. classis rk. 


so A. 


A.R. 


der ältesten Handschrift des Firgil. 113 


aut tempestivam silvis evertere pinum. 

Nec frustra signorum obitus speculamur et ortus 
temporibusque parem diversis quattuor annum. 
frigidus agricolam si quando continet imber, 

260 multa forent quae (!) mox caelo properanda sereno (?) 
maturare datur; durum procudit arator (°) Vatic. fol. 4. 
vomeris obtunsi dentem, cavat arbore lyntres, 
aut pecori signum aut numeros impressit (*) acervis. 
exacuunt alii vallos furcasque bicornis, 

265 atque Amerina parant lentae retinacula viti. 
nunc facilis rubea texatur fiscina virga, 
nunc torrete igni fruges, nunc frangite saxo. 
quippe etiam festis quaedam exercere diebus 
fas (°) et iura sinunt; rivos deducere nulla 

270 religio vetuit, segeti praetendere saepem, 
insidias avibus moliri, incendere vepres, 
balantumoque gregem fluvio mersare salubri. 
saepe alio (°) tardi costas agitator aselli 
vilibus aut onerat pomis, lapidemque revertens 


[89] 
Be | 
ou 


incussum aut atrae massam picis urbe reportat. 

Ipsa dies alios alio dedit ordine luna 
felices (7) operum; quintam fuge, pallidus Orcus (°) 
Eumenidesque satae; tum partu terra nefando 
Coeumque Japetumque creat saevomque Typhoea 
250 et(?) coniuratos caelum rescindere fratres. 


1. 


Aus dem dritten Buche der Georgica. v. 181—220. 


et Iovis in luco currus agitare volantis, Berlin. fol. 3. 
primus equi (!°) labor est, animos atque arma videre 
bellantum lituosque pati tractuque gementem 


(') qgae A. (?) da sereno abgerissen. (°) tor meist weggerissen. (*) impressat A. 
(°) fa beschädigt. (°) oleo rk. (’) so4A.P. R. feliecis rk. (°) so 4. M. R. Horcus P. rk. 
(?) e theils abgerissen. (9) etqui A. 


Philos.-histor. Kl. 1863. B 


114 Pexrz über die Berliner und die Vaticanischen Blätter 


ferre rotam et stabulo frenos audire sonantis; 
185 tum magis atque magis blandis gaudere magistri 
laudibus et plausae sonitum cervicis amare. 
atque haec iam primo depulsus ab ubere matris 
audeat, inque vicem det mollibus ora capistris 
invalidus et iamque tremens, et iam inscius aevi. 
490 at tribus exactis ubi quarta accesserit(!) aestas, 
carpere mox gyrum incipiat gradibusque sonare 
compositis, sinuetque alterna volumina crurum, 
sitque laboranti similis; tum cursibus auras, 
tum vocet(?), ac per aperta volans ceu liber habenis 
195 aequora, vix summa vestigia ponit (?) harena: 
qualis Hyperboreis aquilo cum densus ab oris 
ineubuit, Scythiaeque hiemes atque arida differt 
nubila; tum segetes altae campique natantes 
lenibus horrescunt flabris (*), summaeque (°) sonoris (°) 
200 dant silvae, longique urgent ad litora fluctus; 
ille volat, simul arva fuga simul aequora verrens. Berlin. fol. 3. 
hic (7) vel ad Elei metas et maxima campi 
sudabit spatia et spumas aget ore cruentas, 
Belgica vel molli melius ferat (°) esseda collo. 
205 tum demum crassa magnum farragine corpus 
crescere ijam domitis sinito; namque ante domandum 
ingentis tollent animos, prensique negabunt 
verberea lenta pati et duris parere lupatis. 
Sed non ulla (?) magis vires (1°) industria firmat, 
210 quam Venerem et caeci stimulos avertere Amoris (1!), 
sive boum (!?) sive est cui (1?) gratior usus equorum. 
atque ideo tauros procul atque in sola relegant 
pascua post montem oppositum et trans flumina lata (!*), 


(') so 4. M. occeperit corr. accesserit F. acceperit rk. (?) so A. F. M. R. provocet 
P.rk. (°) ponat rk. (*) fabris 4. (?) sumaeque A. (°) sonorem rk. (’) so A. 
M. P. hinc F. R. M2. rk. (°) feret rk. (?) uela 4. ('°) so 4. M. R. viris rk. 
("') amores 4. ('?) so 4. M. P. R, bovom rk. ('?) so A.M.P.R. quoirk. ('*) das 


a am Ende abgerissen. 


der ältesten Handschrift des Virgil. 115 


aut jatus elausos satura ad praesepia (!) servant. 

215 carpit enim vires (?) paulatim uritque videndo 
femina, nec nemorum patitur meminisse neque (°) herbae 
duleibus illa quidem inlecebris, et saepe superbos 
cornibus inter se subigit decernere amantes (*). 
pascitur in magna silva (°) formonsa iuvenca: 

220 illa (°) alternantes multa vi proelia miscent 


II. 


Aus dem vierten Buche der Aeneis. v. 302—305. 
nach der Schriftprobe bei Mabillon. 


302 Thyas, ubi audito stimulant trieterica Baccho 
orgia, nocturnusque vocat elamore Citheron (7), 
tandem his Aenean conpellat vocibus ultro: 

305 Dissimulare etiam sperasti, perfide, tantum 


Diese Zusammenstellung zeigt, dafs die Handschrift bei der Fest- 
setzung des Textes ein bedeutendes Gewicht in die Wagschale wirft. 
Neben einzelnen Schreibfehlern bemerkt man die Eigenthümlichkeit älte- 
rer Handschriften mit unvollkommener Worttrennung, dafs ein Buchstab, 
welcher den Schlufs des einen und den Anfang des folgenden Wortes 
bildet, nur einmal, für beide Wörter gültig, geschrieben ist, wie hier v. 56 
utmolus —= ut Tmolus und in demselben Worte sumaeque für summae- 
que Georg. 3, 119, wogegen dann auch wohl einmal ein Buchstab oder 
eine Sylbe unnöthigerweise zweimal hinter einander geschrieben wird. Be- 
greiflich ist hier auch für die älteste Rechtschreibung zu lernen; ich erwähne 
beispielweise, dafs der Nominativ Pluralis der dritten Declination unter 15 
Malen 13mal auf es, und einmal das Substantiv messis und das Adjectiv pu- 
iris auf is enden, der Accusativus Pluralis hingegen bei Substantivis 10mal 


(') so A. F. R. praesaepia rk. (?) so A. M. R. viris rk. (?) so A. P. nec rk. 
(?) so 4. R. amantis rk. (°) so 4. F.P. M. Sila rk. (°) illirk. (’) auf der Nach- 
bildung bei Mabillon ise am Ende des Wortes der feine Endstrich — für n ohne Zweifel 


ausgefallen; er ist auch auf den Berliner Blättern bisweilen nur mit Mühe aufzufinden. 


P2 


416 Pexrz üb.d. Berliner u. d.Vaticanischen Bl. der ältest. Hds. d. Virgil. 


auf es, nie aufis, bei Adjectivis und Participiis 18mal auf is usa vmal auf 
es (pares felices amantes) ausgeht. 

Indem ich die Ausführung solcher Beobachtungen den Herausgebern 
anheim stelle, kann ich nicht unbemerkt lassen, dafs unsere Handschrift zu 
erneuerter Erwägung des Textes vielfache Veranlassung giebt, und dazu füh- 
ren wird, ältere von neueren Herausgebern verworfene Lesarten zu schützen 
und in den Text zurückzuführen. Von den durch Hrn. Ribbeck versuchten 
Versversetzungen ist keine durch die Handschrift bestätigt. 

Die beiliegenden Abbildungen der Berliner Blätter sind nach den Ori- 
ginalen in der photographisch -lithographischen Anstalt des Hrn. Burchardt 
angefertigt. Die weifsgelassenen Stellen zeigen die im Pergament befind- 
lichen Löcher an. Durch Beschneiden der Blätter ist bereits in ganz alten 
Zeiten am Ende der Zeile ein S verloren worden. 

Möge es nun gelingen, auch die noch vor zwanzig Jahren in Rom 
vorhanden gewesenen acht Blätter aus ihrem räthselhaften Dunkel wieder 
an’s Licht zu ziehen. 


— DH DI — 


u I 0 6 Zu 2 an ce Zu 2.2 


HM CRICOLANEHTE 


LAEINSAGERN VLIG 


IACTATETILPSASVAS 
OVIDDICAMIACIC 
INSEQVIIVRCVM 
DEINDESATISELVYV 
ETICVMEXVSTVSAG 
ECCESVTERCILIOC 
ELICIHILLACADEN 
SAXACIEISCAILDBR 
ONIDONINLGRAS 
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CNMTRIMYMSYIL 
COLLECIVMVMO! 


 . _ BDA EISIDTIAKINR TI TFT 


FFEIOSCIS IREMIMMYNDVMIACTAREPERAGH 
SILCOVOQODMYTALISREQVIESCYNTEET!IE ARNA 


NECNWILAINTEREAESTINARMAEGRATINTIRRAL 
SAETEFTIAMSTERILISINCENDEREPROFVITAGROS 
NIOLEYEMSTIPVLAMCREPMANTIBVRERZIILAMMss 
SIVEINDEOCCNLHTASYIRESEIPABVLATERRAL 
PINGWIACONGITINNTSIN EELLISOMN EPERIGCNE 
EXCOONYTMYRYITIVNMATOERVDATINVTILISYMER 
SEVPLYRISCALORILL EYES RSEICAECHRELAXAT 
SPIRAMENTANOYVASVYELNIRIDVASYCYVSINHFR»s 
SEVDYRAIMAGISEIVENASABSIRI NGIIHIANT:s 
NEIENVESPIYVINERAPIDIVETOTENTIASOLIS 
ACRIORANTBOREAEPENETIRABILEEFRIGVSADVRu 
MYLIYMADEORASTRISG SLNEBNSOVIFRANGIT m 
VIMINEASO-IRAHITCRATESIVVATARVANEO-ILV. 
ELAVACERESALTON EOVIQNAMSTECIANTOLYMTLO 
EIOQOVITROSCISSOONVAESVSCITATAEQNVORLTERER 
RYRSYSINOBLICVMYERSOTERRVMEF TARIIR 
EXERCHIOTREOYENSTELLVREMATOQ-IMTERATARS® 
NMIDASOLSTITIANIQ-HIEMESORATESERLNAS 


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RNOLNETISSIMAPYINEREFA rar 
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OORYVIIMALEPINGVISHAREMA: 
MINDVCIIRIVOSQO-SEON m: 
RMORIENTIBAESTVAITHERBs 
VOSITRAMITISVNDAM 
ANCVYMTDERLEVIAMYRMYr 
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LAEIVNSAGERN VLLOTANTYVMSEMOESIACVLIV 
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OVIDDICAMIACIOQOVISEMINECOMMINVSARNA 
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ETICVMEXVSITVSAGERMORIENTIBAESTVATHERBs 
ECCESV TERCILIOCUVOSITRAMITISVN DAM 
ELICHILLANCADENSRAVCYMPDERLEVIAMVRMYr 
SAXACIEISCATLBRISQO-ARENTINTEMLERATARYA 
ONIDONINEGRANIDISTROCNMBALVLMVSA Rostıs 
INXVRIEMSEGEINMIENERADEPASCIINHERBA 
CVMTRIMVMSYVILCOSAECOIVANTSATAQV IO.PAlsps 
COLLECTVMVMOREMBIBVIADIDVCITHARENA 

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PRAFIEREXNINMSVNTIARCTVRISIDERANOBIS 
HAEDORNYMQ: DIESSERVAN DIEILVCIDYSANMGvıs 
ONAMOYIBINEATRIAMVENTOSATERAFQVORAve 
PONIVSHEOSITRIFERIEANCESTEMPTANTYRABYD: 
LIBRADIESOMNIQ:PARESV BIEECERITHORAS 
EIMEDIVMLVCIAIO-YM BRISIAMDIVIDIORBE 
EXERCETEYIRITAVROSSETRITEHORDELACAMPDIS 
vVSQ- SVBEXIREIEMVMBRYVMAEINTRACTABITLISIMBRS 
NECNONFILINISEIGEIEMEICEREALEPATAYER 
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DVMSICCATELIVRELICEIDYVMNYVBILAPENDEN 
VEREFABISSATIOTVNMTEQVOQ.MEDIGAPYVTRIS 
ACCIPIYVNTSVICLEIM1LIOVENITANNYACYVRA 
CANDIDYVSAVRATISAPERIICYMCORNIBANNY 
TAYRNVSEIAVERSOCEDENSCANISOCCIDIASRE. 
NISIIRITICEAMINMESSEMRO BYVSTAQO-TARRA 
EXEROEBISHVMVMSOLISO-INSTABISARISTIS 


ANI SEl’ys IT ARISTIS 
ERESYILEMQ- PHASELVAL 
AMASTERNABERELENTIS 
\DENSMITIITIBISIGNA BOs%s 
ASSEMENTEMEXTENDEDRY Ins 
MENSVMPARTIBORBEM 
IIMVNDISOLNYREVSASIRA_ 
NEIN MZON ALONORNMYN Acysc 
NSETIORRIDASEMPLERABICK: 
IREMAEDEXTRAINENAO-RAHWIIR 
\ECONCRHEXNITO-HIMBRIBAR:s 
IDNAEMORTALIBALGRIS 
SAEDIVYMETVIASECTAPERAMES 
SIGNORYMVERTEREIORDe 
VEIHINMRITPHEASQLARDYVYVSARCS 


LLEVOLATSIM\V] 
| : E HICNVELADELEIM 
| DE SVDABITSPATIA 
m Lin BELGICAN ELMO 
IV MDEM\YMCRA 

CRESCEREIAMD 

INGENTISTOLLE 

NERBERALENTAI 

SEDNONYVEILAM 

In QONAMWENIREN 

YN SIVEBONYMSIYE 

SILN NMIO-IDEOTANV RC 

g9gsT. TASCYATOSTMC 

varıH DIN AyTi NTYSCLI NNYS 


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TETIBIEOAEXTLANTIDESABSCONDANINR. 
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erneute 


Studien zur Geschichte des griechischen 
Alphabets. 


Von 


H" KIRCHHOFF. 


mn 


[Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 19. März 1863.] 


| Eye Untersuchung, welche die Geschichte des griechischen Alphabets sich 
zum Vorwurf nimmt, kann von einer doppelten Grundlage ausgehen. Sie 
kann sich einmal stützen auf die Überlieferung, sodann aber auf das Zeug- 
nifs der uns erhaltenen epigraphischen Denkmäler der verschiedensten Zeiten. 
Die Überlieferung aber erweist sich bei näherer Prüfung als durchaus unzu- 
verlässig und nicht geeignet als Grundlage benutzt zu werden, nicht nur 
defshalb, weil sie in den meisten Punkten auf den Angaben späterer Gram- 
matiker beruht, deren Verhältnifs zu ihren Quellen wir zu controlliren nicht 
mehr im Stande sind, sondern auch dadurch, dafs ihr Inhalt theils ein völlig 
mythisches Gepräge trägt, theils mit den Zeugnissen gleichzeitiger Inschriften 
fast durchweg in einem nicht zu lösenden Widerspruche sich befindet. 
Wenn diese Überlieferung z.B. dem Dichter Simonides von Keos die Er- 
findung der Buchstaben n w & W zuschreibt, so beweisen die Urkunden, 
dafs diese Angabe in Bezug auf das n, & und U in keinem Sinne, den man 
ihr unterzulegen geneigt sein könnte, richtig sein kann, und es streitet wider 
alle Grundsätze einer gesunden Methode ihr in Bezug auf das » Glaubwür- 
digkeit beizumessen, gesetzt auch, die Inschriften sprächen nicht dagegen, 
wie dies doch der Fall ist. Die einzige wirklich geschichtliche Thatsache, 
welche allenfalls der Überlieferung zu entnehmen wäre, ist die, dafs das 
griechische Alphabet aus dem phoenikischen abgeleitet ist; allein auch diese 
Angabe würden wir dahingestellt sein zu lassen genöthigt sein, wenn wir uns 
nicht in der Lage befänden sie anderweitig zu erhärten und als begründet 
nachzuweisen; auch hier ist es lediglich die Kenntnifs des phoenikischen 
Alphabets und nicht die Überlieferung, welche Sicherheit gegeben hat und 
allein geben konnte. 


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118 Kırcanorr: 


Unter diesen Umständen scheint es gerathen, die Überlieferung als 
für die Untersuchung gar nicht vorhanden zu betrachten, und letztere ledig- 
lich auf das zwar nicht immer ausreichende, aber dafür durchaus zuverläs- 
sige Zeugnifs der epigraphischen Urkunden zu gründen. Bekanntlich ist das 
gemeingriechische Alphabet der späteren Zeit aus dem der kleinasiatischen 
Ioner hervorgegangen, welches letztere als die vollkommenste Darstellung 
des griechischen Lautsystems von den übrigen griechischen Stämmen allmälig 
adoptirt worden ist. Wir wissen, dafs diese Reception in Athen Ol. 94, 2 
Statt gefunden hat, und alle Spuren leiten darauf hin, dafs im ganzen übri- 
gen Griechenland das Gleiche etwa um dieselbe Zeit geschehen ist. Dem- 
nach hat die Untersuchung der Geschichte des griechischen Alphabets sich 
ausschliefslich auf eine Analyse desjenigen epigraphischen Materials zu stüt- 
zen, welches den Zeiten vor dem Ende des peloponnesischen Krieges ange- 
hört. Der wichtigste Theil desselben ist zwar im €. I. G. in der die Samm- 
lung eröffnenden Abtheilung der Inscriptiones antiquissima seripturae forma 
insigniores vereinigt, ein anderer aber nicht minder wichtiger und unent- 
behrlicher ist, auch abgesehen von der Masse der attischen Inschriften, durch 
die ganze Sammlung zerstreut; zahlreiche während des Erscheinens und 
nach dem Abschlufs der Sammlung erfolgte Entdeckungen in die angegebene 
Zeit gehöriger Denkmäler haben zwar dazu beigetragen der Untersuchung 
eine breitere Grundlage zu verschaffen und die Möglichkeit an dieHand gege- 
ben, die Darstellung, welche auf Grund der bis dahin bekannten Hülfsmittel 
Franz in seinen Elementa epigraphices Graecae gegeben hatte, zu berichti- 
gen und weiter auszuführen , aber auch bei der immer zunehmenden Zer- 
splitterung des Materials die Übersicht in einer Weise erschwert, welche den 
zu erhoffenden Gewinn bisher illusorisch gemacht hat. Ich glaube daher 
durch die nachstehende Abhandlung, in welcher das gesammte epigraphische 
Material der angegebenen Zeit übersichtlich geordnet und kritisch behandelt 
worden ist, einem wirklichen Bedürfnisse abzuhelfen, und wenn auch die 
letzten Fragen, auf welche die Untersuchung schliefslich hinausläuft, mehr 
angedeutet als gelöst erscheinen sollten, so darf ich doch hoffen durch die 
gewonnenen einfachen Resultate die Erkenntnis des Entwickelungsganges, 
den das griechische Alphabet genommen, um ein gutes Stück gefördert und 
die Untersuchung wenn nicht zum Abschlufs gebracht, doch demselben 
ansehnlich genähert zu haben. 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 119 


Als mafsgebend für die Anordnung des zu behandelnden Stoffes ist 
der geographische Gesichtspunkt festgehalten worden; erst in zweiter Linie 
und innerhalb der von jenem aus gewonnenen Eintheilung ist der chronolo- 
gische in Betracht gezogen worden. Ich halte es indessen für überflüssig 
hier die Gründe besonders auszuführen, welche diesen Weg als den einzigen 
erscheinen liefsen, auf dem zu einer klaren Einsicht in die mannigfach 
verwickelten Verhältnisse zu gelangen war, und überlasse es dem Urtheile 
über den erzielten Erfolg, der allein entscheiden kann, auszumachen, ob 
die befolgte Methode eine zweckmäfsige war oder nicht. Von dem genom- 
menen Standpunkt aus zerfallen die griechischen Alphabete in zwei grofse, 
in dem eigentlichen Hellas sich kreuzende, Gruppen, eine östliche und eine 
westliche, welche durch specifische Eigenthümlichkeiten von einander geson- 
dert und in sich selbst geeinigt erscheinen, und deren Charakter trotz aller 
individuellen Mannigfaltigkeit ihrer Glieder im Einzelnen und im Ganzen 
fest und unverkennbar ist. Die Betrachtung geht von der östlichen Gruppe 
aus und knüpft zunächst an die Besprechung desjenigen Gliedes derselben an, 
welches bestimmt war, alle anderen zurücktreten zu lassen und von allen 
griechischen Stämmen ohne Ausnahme reecipirt zu werden, des Alphabets der 
kleinasiatischen Ioner in seiner Entwickelung bis gegen das Ende des pelo- 
ponnesischen Krieges. Um sicher zu gehen, habe ich es für nothwendig 
erachtet, hier mit den jüngsten Denkmälern den Anfang zu machen und erst 
nachdem durch deren Betrachtung eine zuverlässige Grundlage gewonnen 
schien, zu den älteren und ältesten fortzuschreiten. Der weitere Gang der 
Untersuchung war durch das angenommene Princip und die Natur der Sache 
selbst vorgezeichnet und bedarf keiner weiteren Erläuterung oder Recht- 
fertigung. 


120 KırcHHorr: 


T. 
Die Alphabete des Ostens. 


1. Das Alphabet der Ioner in Kleinasien. 


1. Das erste Denkmal, welches ich in Erwägung ziehe, ist die in 
ionischem Dialekt verfafste Urkunde des dorischen Halikarnassos, welche 
Hr. Newton bei Gelegenheit seiner Nachgrabungen in dem heutigen Budrun 
fand und auf Taf. LXXXV seiner Publikation herausgegeben, auch S. 23 ff. 
des dazu gehörigen Textes, zunächst nur im Vorbeigehen, besprochen hat. 
Ich betrachte diese in mehrfacher Beziehung wichtige und merkwürdige Ur- 
kunde hier lediglich von Seiten ihrer palaeographischen Beschaffenheit und 
gehe auf den Inhalt nur so weit ein, als unerläfslich scheint, um die Zeit zu 
bestimmen, in welche sie mit Wahrscheinlichkeit zu setzen ist. 

Ihren Inhalt bildet laut Z. 1-6 ([Tad]Je ....... 6 önuos ru[v] "Arızag- 
vInssew]v #aı Sarnanıl[r]ewv za Auy[daluıs &v my ieon[ı] | @yeer pnvols "E]euawvos 
meul[m]rn inrane[vou E]mi Acovros ou|rav[svov]ro[s FJoü "Oarerıos are.) ein Über- 
einkommen zwischen den Gemeinden von Halikarnassos und Salmakis und 
dem aus Herodots Leben bekannten karischen Fürsten, oder, wie die 
Griechen sagen, Tyrannen Lygdamis. Durch die Zerstörung der ersten 
Zeile bis auf wenige Buchstabenreste ist zwar das Verbum verloren gegangen, 
allein der Umstand, dafs die genannten Gemeinden dem Lygdamis coordi- 
nirt als Subjecte erscheinen, so wie, dafs ihre Namen dem des Lygdamis 
vorangestellt sind, beweist zur Genüge, dafs wir es nicht mit einem unter 
der Herrschaft und Sanktion des letzteren gefafsten Beschlusse dieser Ge- 
meinden zu thun haben ('), sondern, wie gesagt, einem Vertrage oder Über- 
einkommen, das von ihnen einer- und Lygdamis andrerseits als beziehungs- 
weise gleichberechtigten Parteien geschlossen zu denken ist. Der materielle 
Inhalt dieses Übereinkommens wird dann im Verlauf der Urkunde als für die 
beiden Städte geltendes Gesetz bezeichnet und dessen Verletzung mit schwe- 
rer Ahndung bedroht, Z. 32ff.: [rev] vowov roürev| nv rıs Sery [ovyJxzu 7 


mooShrallı] Yapov, Wore u[n e]vaı rov vomo|v revrov, 7a Eov[ra] aüreu mergno Su] 


(') Etwa wie in den Dekreten von Mylasa, C.I.G. 2691 c. d. e, aus der Zeit des 
zweiten Maussollos. 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 121 


zul Female] eivar iega nal alürev deuyew An: Av de ann auülr]jo afıa dexa 
[ora]rrgun, aurov [r]lergioSar € Em [Ea]yuyn zar unlöla]ua #aScdev [eiv]aı Es "Arı- 
ragulnsoev. Zweck der Übereinkunft ist, so viel sich übersehen läfst, eine 
gesetzliche Regelung der Besitzverhältnisse, wie sie nur in Folge einer ge- 
waltsamen politischen Umwälzung nothwendig geworden sein kann. Es 
wird festgesetzt, dafs als legitimirte Eigenthümer diejenigen Personen gelten 
sollen, welche sich zu einer bestimmten Zeit im faktischen Besitze befunden 
haben, so weit sie nicht durch Verkauf später sich desselben entäufsert 
haben, Z. 29 ff.: «Jagregeus (d. i. zugieus) 8° eivar y[As #Jai oirwv, eirwes| Tor’ 
eiyov, ore [PArc]awvidys zai Havaluuns ZuvnuofveuJov ('), ei un Unregolv dreregaoev. 
Dafs damit ein Zeitpunkt bezeichnet werde, der mit dem des Abschlusses 
der Übereinkunft nahezu zusammentrifft, beweist der Eingangsparagraph, 
2. 8£f.: ([reüs] alvn]uovas un rag[a]|dide[var] unlre] yAv unrE eir[:|«] Tols Mn- 
nlos]v mi ’AroAu|videw rou Aulydaluıss uvauovelvovros zaı IAMBPoReR rov Kac- 
odwiArıes za Z[er]uaxırewv runlavevovzuls M]eyaßarew To "Albuacıos xa|: ®o])o- 
niwvos (2) rev Ifa]vvarıos. Av Ö[E rıc] Sery Örrafle] Sur u.s. w., obwohl mir 
dessen Sinn noch nicht vollständig klar geworden ist. Soviel ist indessen 
ohne grofse Mühe ersichtlich, dafs die Bestimmung, welche hier getroffen 
wird, gültig sein soll für die Zeit, in der die genannten Personen, offenbar 
dieselben, wie in der so eben ausgehobenen Stelle, das Amt von Mnemonen 
bekleideten, woraus folgt, dafs die Übereinkunft, von der diese Bestim- 
mung einen integrirenden Theil ausmacht, entweder während der Zeit 
ihrer Amtsverwaltung, oder unmittelbar vor derselben, aber nach ihrer 
Ernennung oder Wahl zum Amte, mufs geschlossen worden sein. Es wird 
ferner bestimmt, dafs während eines Zeitraumes von achtzehn Monaten für 
Anspruch Erhebende der Rechtsweg offen stehen, nach Ablauf desselben 
aber etwaigen Ansprüchen gegenüber dem faktischen Besitzer ein Mani- 
festationseid verstattet sein solle. Jene achtzehn Monate aber werden von 
einem Zeitpunkt gerechnet, dessen nähere Bezeichnung in der vorliegenden 


(') Aristoteles Politik VII, 8. Erige 8 on meos yv avaygaberIuı dei re re ide Fun- 
Bere zur vas #glreıs ex Fuv Res rnlwv® Taga de rois aurcıs roroıs za Tas yorbas rav dızav 
yivssTaı dd zur Tas eiraywyets. Evıay,o0 JEv oUV megigouct za TaUryv Eis mAsious, Zar Ö& 
(at zUugiee Tourwv mavrWv" zuAolvrar Ö8 isgonunavoves za Emoraraı za MVYMOVES Au Tourcıs 
ARE dvenarer FUvayyus. 

(?) So Hr. Newton. 

Philos.- histor. Kl. 1863. Q 


122 Kırcunorr: 


Abschrift der Urkunde leider nicht richtig gelesen zu sein scheint. Wir 
lesen nämlich Z. 16 ff.: Av I[E rıs] Sern diral[e]oIar megi yals A) oinwv, Emına- 
Alsi]jrw Ev önra nalı dejra unow(') AMOT..|OAAOZ öyeve[ro], wobei zu 
beachten ist, dafs die Zeilen in dieser Gegend sämmtlich am Schlusse einen 
Buchstaben eingebüfst haben und demnach anzunehmen ist, dafs auch Z. 18 
hinter AMOT wenigstens ein, vielleicht auch mehrere Zeichen zu ergänzen 
sind. Ich glaube nicht, dafs unter diesen Umständen aus der vorliegenden 
Lesung ohne Änderung des einen oder anderen Buchstaben ein Sinn heraus- 
gebracht werden kann, und halte, von der Voraussetzung ausgehend, dafs 
eine Änderung geboten sei, für sehr nahe liegend die Annahme, dafs auf 
dem Stein gestanden habe AMOH[KAJ]OOAOZEFENE[TO], d. h. «= 
ed 4 xaScdos &yevero. Diese, vermuthlich mit Gewalt erzwungene, “Rück- 
kehr’ von Verbannten war demnach diejenige politische Katastrophe, welche 
die durch das vorliegende Gesetz bezweckte Regelung der Besitzverhältnisse 
nöthig machte, und müfste, da von der gestellten Frist von achtzehn 
Monaten zur Zeit, als das Gesetz erlassen wurde, ein nur geringer Theil 
verstrichen angenommen werden kann, ganz kurze Zeit vor diesem Erlasse 
und der Epoche unserer Urkunde Statt gefunden haben. Der Streit der 
Parteien scheint durch einen von beiden Seiten beschworenen Compromifs 
beendigt worden zu sein, eine Thatsache, auf welche mir eine Wendung im 
letzten, leider nicht vollständig erhaltenen, Satze der Urkunde sich zu 
beziehen scheint, Z. 41 ff.: “Arına[gun]orewv d& rüs aluumavswv r[eur?]w erev- 
Segov eilvar, 6s av raura [A rap]aßaun, naro|lmeo Ta oprıa era[wov] zal 
us YEyganz|raı Ev rw ’AroAA[wvılw, Eminadeiv U... .. ., da die hervor- 
gehobenen Worte unmöglich unsere Urkunde meinen können und was mit 
dieser unmittelbar zusammenhängt. Da nun zwischen der vorliegenden 
Übereinkunft und jenem politischen Parteikampfe ein ursächlicher Zusam- 
menhang Statt findet, Lygdamis aber in der Urkunde als contrahirende 
Partei erscheint, so mufs angenommen werden, dafs er auch bei den Ereig- 
nissen, die dem Abschlusse der Übereinkunft vorausgingen, in entsprechen- 
der Weise, also aller Wahrscheinlichkeit nach nicht als Schiedsrichter, 
sondern als Partei betheiligt gewesen ist. Der Zusammenhang der Ereignisse 


3 ’ m a nr 
(') Vgl. Z. 22 ff: [Hr] de 15 Unrepov | Erızarf rou[rou] 700 Agovov Fuv Öxru zur dere 


NE 5 
An |vwv, 0220v Eivaı U. S. W. 
4 S 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 123 


scheint hiernach folgender gewesen zu sein: Eine Schaar von Verbannten, 
welche von dem Dynasten des Landes verwiesen worden waren, hatte mit 
gewaffneter Hand den Versuch gemacht, seine Herrschaft zu stürzen und 
die Erhebung in den Städten Halikarnassos und Salmakis hervorgerufen. 
Der Kampf war durch einen von beiden Parteien beschworenen Vertrag in 
der Weise gütlich beendigt worden, dafs die Autonomie der Städte, in 
denen die Verbannten und ihre Partei sich behauptet hatten, vom Dynasten 
anerkannt, andrerseits aber den Anhängern seiner Partei, welche im Gebiete 
der Städte angesessen waren, Amnestie zugesichert worden war. Die Un- 
sicherheit des Besitzthums und die daraus entspringenden Streitigkeiten, wie 
sie unter solchen Verhältnissen kaum ausbleiben, machten sehr bald eine 
gesetzliche Regelung nothwendig, welche durch einen Vertrag zwischen den 
Parteien, an dem der Dynast als Vertreter der Interessen seiner Anhänger 
betheiligt war, herbeigeführt wurde, dessen Urkunde uns vorliegt. Auf 
ein solches Verhältnifs der Parteien zur Zeit der Abfassung der Urkunde 
deutet auch der Umstand, dafs gerade unter den Magistraten dieser Zeit, 
die bei der Regelung der streitigen Verhältnisse nothwendig eine besonders 
wichtige Rolle spielten, sich Angehörige beider Parteien finden. Denn der 
Mnemon von Halikarnassos, Apollonides, des Lygdamis Sohn, ist, wenn 
auch nicht, wie Hr. Newton annimmt, ein Sohn des Dynasten, doch jeden- 
falls der Familie desselben angehörig. Unter den Mnemonen von Salmakis 
dagegen findet sich der Sohn eines Panyatis, welchen Hr. Newton vielleicht 
nicht mit Unrecht für eins mit dem bekannten Dichter hält, welcher der 
Überlieferung nach durch Lygdamis seinen Tod gefunden haben soll und 
dessen Sohn daher ohne Zweifel zu den Gegnern des Dynasten gezählt 
haben wird. 

Vergleichen wir diesen Thatbestand mit dem Wenigen, was uns von 
der Geschichte von Halikarnassos während der Zeit unmittelbar vor und 
nach der Schlacht bei Mykale überliefert ist, so ergiebt sich für unsere Ur- 
kunde eine Zeitbestimmung von hinreichender Genauigkeit, der ein hoher 
Grad von Wahrscheinlichkeit nicht abgesprochen werden kann. Zur Zeit 
des Zuges des Xerxes gegen Griechenland stand Halikarnassos nebst den be- 
nachbarten Inseln Kos, Nisyros und Kalymna unter der Herrschaft der Ar- 
temisia, einer Tochter des Lygdamis von Halikarnassos, welche nach dem 
Tode ihres Mannes, dem eine freilich nicht ganz sicher verbürgte Überliefe- 


Q2 


71 KırcHanorr: 


rung den Namen Maussollos beilegt (1) und der durch die Perser den Rang 
und die Stellung eines Dynasten oder Satrapen, nach griechischer Anschau- 
ung eines Tyrannen, erlangt zu haben scheint, die Vormundschaft über ihren 
damals noch jungen Sohn Pisindelis führte und mit fünf Galeeren den Feld- 
zug gegen Griechenland persönlich mitmachte (?). Nach der Schlacht bei 
Salamis, in der sie tapfer gefochten, geleitete sie die Söhne des Grofsherrn 
nach Ephesos (?) und wir hören nichts weiter von ihr. Die Folgen der Schlacht 
bei Mykale scheinen die Stellung der Dynasten von Halikarnassos nicht un- 
mittelbar berührt zu haben; wir hören, dafs der Artemisia in der Regierung 
ihr Sohn Pisindelis (vermuthlich, nachdem er grofsjährig geworden) und 
diesem sein Sohn Lygdamis gefolgt sei (*). Unter der Regierung des letz- 
teren scheint die Stadt Halikarnassos wiederholte Versuche gemacht zu haben 
ihre Unabhängigkeit wiederzugewinnen, die ersten aber unglücklich abge- 
laufen zu sein. Sie kosteten dem Dichter Panyasis das Leben und nöthigten 
seinen Verwandten Herodot, den Geschichtschreiber, vermuthlich in Be- 
gleitung anderer Theilnehmer des gescheiterten Unternehmens, nach Samos 
in die Verbannung zu gehen. Später hat sich Herodot, ungewifs, ob von 
Samos aus, an einem Versuche der Gebannten, die Rückkehr in die Vater- 
stadt zu erzwingen, betheiligt, welcher den gewünschten Erfolg hatte und 
mit der Vertreibung des Dynasten, wenigstens aus Halikarnassos, endigte. 
Nach diesem Ereignisse mufs sich die Stadt längere Zeit als Bundesgenossin 
von Athen unabhängig behauptet haben. Es scheint mir dies aus der Art 
und Weise deutlich, in der die Zahlungen der Halikarnassier in den Tribut- 


(') Suidas II. 2. S.267. Iliyons, Kap ano “Arızagvaroü, aöerbos "Agrenisias vis Ev 
Toig morzuoıs dtcbavols, MauswAou Yuvaızos. 

(?) Herodot VII, 99 (Agrenısin) Yrıs amoSavovros Foü avdaos ar re Eypuoa Av TU- 
gavvidce zu modos Ümagyovros vervin Umo Ayuaros re zu avdonıng ErrowreVsro oldeums kousne 
0 avayzaıns. odvorw ev O9 Av urn "Agrenısiy, Suyaryg de Hu Auyddnıos, yevos öE EE Adı- 
aapunoToU 7a mes margos, Ta KnrgoSev de Kojsee. Nysjaovevs d& "Adızagunsoewv re za: Kuwv 
ze: Nırvpiwv re nur Karudvimv mevre vers magEey,ouEN. 

(°) Herodot VIII, 103. 

(*) SuidasI, 2. S. 893. “Hoodoros — uereory 8 Ev Saum dia Auydanın Tov dmo "Ag- 
TEMITIEG TorFOV FÜgavVvoV Yevolevov “Adızagvarsod. Ioiwönrs yao yv vios "Arsuıriag, roU de 
Ilowörrdos Auydanıs. — Er Suv de eis Arızagvassov za Fov FUgavvoV EEeAaoas, Emreiön Unregov 
sidev Eaurdv bIovounsvov Umo Fuv moAruv, eis To Ocvgrov dmomılersvov Umo ASyvarsıy EIeAov- 
zns 9r9e. II, 2. S. 56. 57. Havdaerıs TloAvaox,ou “Adızagvanseus — ayngeSm de ümo Avy- 


4 N m ’ 4 © m 
Öamıdos Tou TOLTOU FVDZRVUNTORVTOS Adızapvascoi. 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 125 


listen verzeichnet sind. Denn während bei den karischen Orten, welche 
unter der Herrschaft besonderer Dynasten stehen, Syangela(') und Idyma (?), 
entweder die Dynasten selbst als Zahlung leistend, oder die Einwohner, 
aber mit dem ausdrücklichen Vermerk, dafs sie Unterthanen jener Dynasten 
seien, vermerkt werden, ist davon bei Halikarnassos und anderen karischen 
Städten nie die Rede, was, wenn man nicht absolute Willkür in der Hin- 
zufügung solcher Vermerke, die gerade nur z.B. bei Syangela sich an ein 
bestimmtes Gesetz gebunden hätte, annehmen will, zu der Annahme berech- 
tigt, ja nöthigt, dafs eben nur jene Städte damals Dynasten gehabt, Hali- 
karnassos dagegen und die andern in den Listen erwähnten karischen Städte 
unabhängige Gemeinwesen gebildet haben. Es wird sich hierin auch schwer- 
lich etwas geändert haben bis zur Katastrophe Athens und dem Rückfall der 
kleinasiatischen Küstenstädte an Persien, wo denn Nachkommen, wie es scheint, 
des verdrängten Dynastengeschlechtes unter persischer Hoheit ihre Herrschaft 
über ganz Karien ausdehnten und das ihnen wieder unterthänig gewordene 
Halikarnassos zu ihrem Fürstensitze erkoren. Wann die Stadt sich in jener 
früheren Zeit unabhängig gemacht und den Lygdamis vertrieben, ist zwar 
nicht mit Bestimmtheit überliefert, läfst sich aber mit annähernder Sicher- 
heit feststellen. Schon in der ersten Jahresliste der Tributregister nämlich, 
also Ol. 83, 2, wie später immer, erscheint Halikarnassos nach den eben 
hervorgehobenen Kennzeichen zu urtheilen, als unabhängig; die Vertreibung 
des Lygdamis mufs also spätestens Ol. 83, 1 Statt gefunden haben. Sie 
kann aber auch nicht gar viel früher gesetzt werden. Denn wenn der Vater 
des Lygdamis im Jahre der Schlacht bei Salamis noch ein veavias war, so 
kann, wenn seine Regierung auch nur kurze Zeit gedauert hat und der Sohn 
ihm bald nach der Schlacht bei Salamis geboren worden ist, die selbststän- 
dige Übernahme der Regierung durch den letzteren doch kaum vor Beginn der 
50. Olympiade erfolgt sein. Selbst wenn wir also auch seiner Herrschaft 
eine ganz kurze Dauer zuschreiben wollten, würden wir doch genöthigt sein 
die Epoche seiner Vertreibung dem Datum Ol. 83, 1 ziemlich nahe zu rücken. 
Damit stimmt auch ganz wohl die Überlieferung, welche den Herodot sich 
einige Zeit nach der Vertreibung des Lygdamis nach Thurioi begeben läfst. 


(') Vgl. Boeckh Staatshaush. d. A. II. S. 734 f. 
(?) Denn MTAKTYESIAYM.. in der Liste des zweiten Jahres (Ol. 83, 3) wird doch 
Hezruns 'Iövulevs] zu lesen und zu ergänzen sein. Später erscheint Idyma unabhängig. 


126 KırcHanorr: 


Denn wenn er auch nicht, was die Überlieferung freilich wenn nicht anzu- 
deuten, doch vorauszusetzen scheint, gleich mit den ersten Colonisten, also 
Ol. 84, 1, dorthin übersiedelte, so ist doch kein Grund vorhanden anzu- 
nehmen, dafs dies sehr viel später geschehen sei. Wir werden also schwer- 
lich irren, wenn wir die Vertreibung des Dynasten gegen Ende von Ol. 82 
ansetzen. 

Niemand wird bezweifeln wollen, dafs der Lygdamis unserer Urkunde 
eben der Lygdamis ist, von dessen Herrschaft nach dem Obigen sich Hali- 
karnassos gegen das Ende von Ol. 82 losrifs. Ebenso mufs nach dem, was 
über den Inhalt der Urkunde bemerkt worden ist, klar sein, dafs sie nicht 
während der Dauer jener Herrschaft verfafst sein kann, sondern sich auf 
Verhältnisse bezieht, die sich erst durch und unmittelbar nach der Kata- 
strophe derselben gestaltet haben können. Es scheint mir sonach ziemlich 
gewils, dafs sie in das Jahr dieser Katastrophe selbst gesetzt werden muls, 
eben nicht allzu lange nach der Beendigung des Kampfes, durch den diese 
herbeigeführt worden war. Freilich ist es dann nicht mehr möglich mit 
Hrn. Newton den Mnemon Apollonides, des Lygdamis Sohn, für einen Sohn 
des Dynasten zu nehmen; denn dieser konnte Ende Ol. 82 noch keinen Sohn 
haben, der alt genug gewesen wäre ein solches Amt zu bekleiden. Wir sind 
aber zu einer solchen Annahme auch durch Nichts genöthigt. Jener Apol- 
lonides mag immerhin ein Glied der Familie des Dynasten gewesen sein, 
dann haben wir ihn uns als den Grofsonkel desselben zu denken und einen 
Sohn des älteren Lygdamis und Bruder der Artemisia in ihm zu suchen, eine 
Annahme, die mit den Zeitverhältnissen wenigstens im besten Einklang 
stehen würde. 

Ich halte durch diese Erwägungen die Epoche der Urkunde für hin- 
reichend gesichert und wende mich nunmehr zur Betrachtung ihres palaeo- 
graphischen Charakters, auf den es uns hier allein ankommt und für den 
durch jene chronologische Untersuchung eben nur ein historischer Hinter- 
grund gewonnen werden sollte. Das Alphabet, welches auf der beigegebe- 
nen Tafel in der I. Columne dargestellt worden ist, erweist sich als das ionische 
im Zustande seiner völligen Entfaltung, d.h. das Zeichen H bedeutet nicht 
den rauhen Hauch, welcher vielmehr ohne Bezeichnung bleibt, sondern 
das lange e, E wird zur Bezeichnung der Verbindungen der Gutturale mit 
dem Zischlaut verwendet und den ursprünglichen Zeichen des phoenikischen 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 407 


Mutteralphabets sind u, ®, X, U, w hinzugefügt. Vom Gebrauche desKoppa 
finden sich keine Spuren, das Digamma findet sicher keine Verwendung 
mehr (vgl. das oft wiederkehrende oizia). Der Diphthong cv wird in den 
Endungen mit ausnahmsloser Regelmäfsigkeit durch einfaches o gegeben, in 
den Forinen des Pronomen euros dagegen eben so regelmäfsig durch OY, 
&ı wird in den Endungen durch einfaches E (pevyew, Emızareiv) ausgedrückt, 
wechselt dagegen in eiva: wiederholt mit El, welches letztere in der Conjunk- 
tion ei als fest zu betrachten ist. Der Zug der Charaktere ist fest und regel- 
mäfsig, ohne die geringste Spur alterthümlicher Unbeholfenheit oder 
moderner Verschnörkelung. Dagegen zeigen die Buchstaben durchweg die 
jüngere und abgeschliffenere Gestalt, d.h. das Alpha hat einen horizontalen, 
nicht schrägen, Querstrich, das E steht senkrecht und hat horizontale Seiten- 
striche, das Eta ist oben und unten offen, das Theta zeigt im Kreise nicht 
mehr das schräge oder senkrechte Kreuz, sondern den Punkt, das Lambda 
ist regelmälsig gleichschenklig, für den Zischlaut wird nicht mehr $ oder 
gar M, sondern £ verwendet. Auch das My und das Ny zeigen verhältnifs- 
mälsig junge Formen, doch stehen die Schenkel des ersteren durchweg 
schräg gegen einander, und das letztere ist regelmäfsig ein Wenig nach rechts 
geneigt. Mit einem Worte: das ionische Alphabet zeigt sich hier genau in 
der Verfassung, in der es Ol. 94, 2 in Athen und etwa gleichzeitig von dem 
übrigen Hellas recipirt wurde. Was wir aus unserem Denkmal lernen ist 
daher nur die freilich immerhin wichtige Thatsache, dafs das ionische Alpha- 
bet sich bereits gegen Ende von Ol. 82 in diesem Stadium befand und bis 
zur Zeit seiner allgemeinen Reception auch nicht die geringste Modification 
selbst in den unbedeutensten Einzelheiten mehr erfahren hat. 

2. Es ist aus diesem Grunde schwer, oder vielmehr unmöglich, Ur- 
kunden aus Gegenden, in denen dieses Alphabet entweder einheimisch oder 
sehr frühzeitig recipirt war, wenn sich ihre Zeit nicht aus dem Inhalt be- 
stimmt, vom rein palaeographischen Standpunkte aus in dem Zeitraume von 
Ol. 83 bis etwa 104, von welchem letzteren Zeitpunkte ungefähr an sich das 
Alphabet in einigen Punkten weiter modificirte, mit Sicherheit einen be- 
stimmten Platz anzuweisen. Nichts destoweniger wage ich es, das Fragment 
einer alten Auguralordnung von Ephesos, welches C. I. G. 2953 heraus- 
gegeben ist, den frühesten Zeiten dieser Periode zuzuweisen, ja für vielleicht 
noch etwas älter, als die vorhergehende Urkunde zu erklären. Das Alpha- 


128 Kırcusorr: 


bet, welches in der II. Columne zusammengestellt ist, steht, soweit sich 
übersehen läfst (denn Ausdrücke für ov und eı kommen zufällig nicht vor), 
auf dem Standpunkt der dargestellten Entwickelung; dafs die Buchstaben 
genau Frorymdöv geordnet erscheinen, kann als ein irgendwie entscheidendes 
Moment nicht betrachtet werden. Die Durchführung aber einer ziemlich 
regelmäfsigen Interpunktion vermittelst eines dreifachen Punktes (:), welche 
für blofse Affektation zu halten gar keine Veranlassung ist, berechtigt der 
Inschrift ein ziemlich hohes Alter zuzuschreiben und sie vielleicht, wie ge- 
sagt, etwas früher als die halikarnassische anzusetzen, welche eine solche 
Interpunktion nicht mehr kennt. 

3. Mit viel gröfserer Bestimmtheit, ja mit Gewifsheit, läfst sich das 
Gleiche von der bekannten Inschrift von Teos sagen, welche von Chishull 
(Antiquitates Asiaticae p. 96 sqg.) nach Abschriften von Sherard und Lisle, 
leider nur in gewöhnlichem Letterdruck,, herausgegeben worden ist. Zum 
Glück konnten für den Abdruck im C. I. G. 3044 die Originalabschriften 
Sherard’s benutzt und die Form der Buchstaben darum genauer wiedergege- 
ben werden. Für ganz zuverlässig im Einzelnen können freilich diese Ab- 
schriften nicht gelten; wenigstens ist nicht zu bezweifeln, dafs = für E ledig- 
lich der Ungenauigkeit der Abschreiber zur Last zu legen ist; in der That ist 
der Fehler in der Abschrift der ZZ. 42-53, welche Lebas Foy. arch. Inser. 
III n.59 p. 10 hat drucken lassen, vermieden. Boeckh ist geneigt die Er- 
wähnung einer Seuche in Z. 18 der Inschrift auf die Pest im Anfange des 
peloponnesischen Krieges oder auf die etwas frühere, welche Thukydides 
II, 47 erwähnt, zu beziehen und danach das Alter des Denkmals zu bestim- 
men. Indessen ist dies eine sehr trügerische Möglichkeit und darauf um so 
weniger etwas zu geben, als die Urkunde ihrem palaeographischen Charakter 
nach unzweifelhaft älter ist als die Inschrift von Halikarnassos, also noth- 
wendig einige Zeit vor dem Ende von Ol. 82 angesetzt werden mufs. Denn 
nicht nur hat sie die alterthümliche Interpunktion vermittelst eines Doppel- 
punktes (:) mit grofser Regelmäfsigkeit durchgeführt, sondern es zeigen 
auch wenigstens zwei Buchstaben, Theta und My, entschieden ältere Formen; 
ersteres hat das schräge Kreuz im Kreise statt des Punktes, letzteres den 
rechten Schenkel noch nicht bis zur Basis herabgezogen. Dagegen kann 
ihr Datum auch nicht gut über die Epoche der Schlacht bei Mykale hinauf- 
gerückt werden. Denn wenn Z. 23 ff. Jedermann mit einem Fluche be- 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 129 


legt wird, (vo r15) rı zancv Bovreva eg Tyıwv Fov Euvod eidws 9 moös "ErRY- 
vos9 meös Bapßagovs, so wird damit offenbar auf landesverrätherische Ein- 
verständnisse mit auswärtigen Feinden der Stadt gezielt, seien es nun Helle- 
nen oder Barbaren. Unter letzteren können meiner Überzeugung nach nur 
die Perser verstanden werden, von deren Joche erst der Sieg bei Mykale 
die kleinasiatischen Griechen befreite. Auch war nach der Niederwerfung 
des Aufstandes der ionischen Städte diesen von den Persern das Fehderecht 
genommen worden (!), so dafs, auch wenn man bei den ‘Barbaren’ nicht 
nothwendig an die Perser zu denken hätte, der Passus doch nur einen Sinn 
für die Zeiten während oder vor dem Aufstande haben könnte. Bis so weit 
hinaufzugehen verstattet aber der palaeographische Charakter der Urkunde 
auf keinen Fall. Somit fällt ihre Epoche in die Zeit zwischen Ol. 75 und 82. 
Der Nachdruck, mit dem die Begünstigung der Piraten oder gar die Betrei- 
bung des Piratenhandwerkes verpönt und verflucht wird, deutet auf Zustände 
des Verkehrs in den Gewässern des aegaeischen Meeres, wie sie nach Stiftung 
des Delischen Seebundes unter der Herrschaft Athens sich sehr bald anders 
gestalten mufsten. Ich halte es aus diesem Grunde für sehr wahrscheinlich, 
dafs die Urkunde in die Zeit von Ol. 76-77 zu setzen ist, kurz vor oder 
nicht zu lange nach jenem Ereignisse, welches auch für die Gestaltung der 
Verkehrsverhältnisse und die Entwickelung des Handels in diesen schwer 
heimgesuchten Gegenden von hervorragender Bedeutung gewesen sein mufs. 
Hiernach ist auf der Tafel in Columne III dem Alphabete der Inschrift sein 
Platz angewiesen worden. 

4. Die bisher betrachteten Denkmäler zeigten sämmtlich rechts- 
läufige Schrift; indem wir weiter zurückgehen, gelangen wir in die Zeit, in 
der diese jüngere Schreibweise mit der älteren und ursprünglichen links- 
läufigen im Kampfe liegt und aus der Vermischung beider die furchenförmige 
Anordnung der Zeilen sich entwickelt hat, von der wir wissen, dafs sie zu 
Solons Zeiten wenigstens in Athen auf öffentlichen Urkunden zur Anwen- 
dung kam und von der nicht zu bezweifeln ist, dafs sie noch während des 
ganzen sechsten Jahrhunderts v. Chr. die eigentlich herrschende und gemein- 
übliche, wenn auch nicht ausschliefslich gebräuchliche gewesen ist. Nur 
der Mangel an Denkmälern aus dieser Zeit macht es erklärlich, dafs früher 


(') Herodot VI, 42. 
Philos.- histor. Kl. 1863. R 


130 KırcHasorr: 


die furchenförmige Anordnung der Zeilen in Inschriften, die das vollständig 
entwickelte ionische Alphabet zeigten, für auffällig galt, und hat diese An- 
schauung nicht wenig dazu beigetragen die Neigung zu befördern, Inschriften 
höchst alterthümlichen Gepräges für Produkte archaisirender Gelehrsamkeit 
viel späterer Zeiten zu erklären, obwohl natürlich auch andere Beweggründe 
mit eingewirkt haben. Heutzutage, wo eine gröfsere Reihe von Denkmälern 
dieser Epoche vorliegt, darf man diese Anschauung als ein Vorurtheil be- 
zeichnen, welches sich nicht bestätigt hat, und ist es an der Zeit gewisse 
Schriftdenkmäler in ihr gutes, nur verkümmertes Recht wieder einzusetzen, 
das ihnen ferner vorzuenthalten keine Veranlassung mehr vorliegt, seit sie 
durch andere, später entdeckte, auf das vollständigste legitimirt worden sind. 
Die Inschriften dieser Periode zerfallen in zwei deutlich gesonderte Gruppen, 
von denen sich die ältere durch gröfsere Alterthümlichkeit einzelner Zeichen, 
besonders durch das geschlossene Eta (B) von der jüngeren, die die offene 
Gestalt dieses Zeichens (H) verwendet, auszeichnet. Gemeinschaftlich ist 
beiden der Charakter des Alphabetes im Allgemeinen, als des vollständig 
entwickelten ionischen, und die furchenförmige Anordnung der Zeilen, sofern 
die Inschriften deren mehr als eine zählen. Ich betrachte zunächst die 
Denkmäler der jüngeren Gruppe. 

In den Trümmern des Apollotempels zu Didyma bei Miletos fand 
Listow im Jahre 1850 folgendes Bruchstück, welches von Ussing (Graeske 
og Latinske Indskrifter 1854. p. 36 n. 4), leider nur in Typendruck, 
herausgegeben worden ist: 

I<TIA 

2T3IAH 

TOAARQR 
Vollkommen richtig ergänzt dies der Herausgeber in Irrıa[ios aveS ne ru- 
rorrw|vi]. Fraglich kann nur sein, ob nicht hinter ‘Irzıalos noch der Name 
des Vaters stand, worüber zu entscheiden natürlich nicht möglich ist. Es 
ist kein Grund vorhanden zu bezweifeln, dafs wir es mit der Basis eines 
Weihgeschenkes zu thun haben, welches von dem bekannten Tyrannen von 
Milet nach Didyma gestiftet worden war. Dafs Listow in der dritten Zeile 
die ganz junge Form TT zu lesen glaubte, erklärt sich aus dem noch unent- 
wickelten Charakter der Schrift, vermöge dessen der rechte kürzere Schenkel 
des T in einer Weise gezogen wurde, die es dem Besichtiger zweifelhaft 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 131 


läfst, ob M oder 1 oder FI gemeint sei. Belehrend ist in dieser Beziehung, 
anderer entfernter liegender Beispiele nicht zu gedenken, die Vergleichung 
der verschiedenen Abschriften eines unserem Denkmale offenbar gleichzei- 
tigen Bruchstückes mit Bustrophedonschrift, welches in einer Ecke eines 
Hauses in der Nähe des Tempels zu Didyma eingemauert ist, und das zuerst 
Rois (Vgl. Archaeol. Aufs. II. S. 660), dann Lebas (III. n. 221 p. 65 im 
Druck und auf Taf. V. n. 4 im Stich), zuletzt Newton (Discoveries in Cni- 
dus and Halicarnassus) auf Taf. XCVI unter n. 70 herausgegeben haben. 


Rols: Lebas (Druck): Lebas (Stich): 
col 
OAOTSTH ®8VOT3IN/ ®VOT3IN/ 
NEEFEN AI A EENENAI AEEMENAI 
“JIOMMOIA J1oNnMOlIl J3 107MO1I 
DEMATEDEE OIMATSRRE OITATEDRE 
Newton: 


N 

_©IOT31H 

(AEETEAAI 

/ BIONMWO IA 
PenatRDRE 


Auch hier erscheint das Eta oben und unten geöffnet; € für & ist eine 
Form, die noch öfter begegnen wird, aber kein Kriterium des Alters ab- 
giebt, da sie offenbar nichts weiter ist, als eine Abschleifung des charak- 
teristischeren &, deren Anwendung von der individuellen Gewöhnung oder 
dem Belieben des Schreibers abhing und die darum weder besonders alt, 
noch besonders jung genannt werden kann. Die Denkmäler zeigen deutlich, 
dafs zu einer gewissen Zeit & neben £ im Gebrauche einherlief. 

Die Widmung des Weihgeschenkes ist am wahrscheinlichsten in die 
Zeit der Tyrannis des Histiaeos, jedenfalls vor seine Abberufung an den 
persischen Hof zu setzen, welche einige Zeit vor dem Ausbruche des Auf- 
standes der kleinasiatischen Griechen, also vor Ol. 70, 1, erfolgt ist. Zur 
Zeit, als Dareios gegen die Skythen zog, im Anfange von Ol. 66, war 
Histiaeos bereits Tyrann und begleitete als solcher seinen Lehnsherrn auf 


R2 


132 Kırcanorr: 


diesem Zuge bis an die Donau; wann er aber zum Regiment gekommen, 
läfst sich weiter nicht bestimmen. Wir werden indessen kaum fehlgreifen, 
wenn wir die Zeit unseres Denkmals zwischen die 65. und 69. Olympiade 
setzen, was für den vorliegenden Zweck eine Bestimmung von völlig aus- 
reichender Genauigkeit ergiebt. 

In dieselbe Zeit führt uns, nach dem Charakter der Schrift (offenes H) 
und sonstigen Merkmalen zu urtheilen, die Aufschrift eines der alterthüm- 
lichen Sitzbilder, welche die heilige Strafse zwischen Milet und 
dem Apollotempel zu Didyma einhegten (!). Diese Statue ist von 
Hrn. Newton aufgedeckt und auf Taf. LXXIV seines Werkes 
abgebildet worden, aus welcher Abbildung zugleich Art und An- 
ordnung der Inschrift erhellen, welche auf Taf. XCVII n. 72 
wiederholt ist, und nach dem von Hrn. Newton genommenen Ab- 
klatsche bereits in den Monatsberichten dieser Akademie 1859 
S. 661 n. 3 publieirt worden war. Die Inschrift ist zu beiden 
Seiten der rechten Vorderkante des Sitzes in der Weise angebracht, 
dafs die erste Zeile rechts von oben nach unten verläuft, die zweite 
auf der linken Seitenfläche daneben von oben nach unten zurück- 


Z3ZONDVVOUYOLYVY\VIV 


XVbBHZEIWIOKLEZIOZLEIXIUSHZVLXOZS 


geht: 
Da der Abdruck in den Monatsberichten hiervon in Kleinig- 
keiten etwas abweicht, so füge ich ihn zur Vergleichung bei (?): 
3OXIASH30IX1I3T301334A01MII3SHOAX 
ATAAMATOATOAAQNOZ 
Diese Statue, wie alle anderen an der heiligen Strafse gefundenen 


Bildwerke, tragen, wie auch die auf ihnen befindlichen Inschrif- 
ten (3), ein höchst alterthümliches und dabei so entschieden origi- 
nales und eigenartiges Gepräge, dals es völlig unmöglich ist, sie für 


(') Vgl. über diese Stralse die Abhandlung von Rols in seinen Arch. Aufs. II. S. 378 ff. 

(2) Ich mufs bemerken, dafs die Abklatsche, welche Hr. Newton der Akademie zuzu- 
stellen die Gefälligkeit gehabt hatte, ihm auf Verlangen behufs Herausgabe in seinem Werke 
zurückgeschickt worden sind, und dafs ich selbst sie nie gesehen habe. 

() Ich nehme natürlich jenes NIKHITAAYKOY vizn TAavzov auf dem Rücken des Sitzes 
eines dieser Bilder (bei Newton Taf. XCVII. 73) und ähnliches später eingetragenes Ge- 
kritzel auf einem anderen aus, dessen Hr. Newton in den Monatsberichten a. a. O. S. 662 
Erwähnung thut und das für die Frage nach dem Alter der Denkmäler von gar keiner Be- 
deutung ist. 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 133 


archaisirende Nachahmungen einer späteren Zeit zu halten, zu welcher An- 
nahme überdem kein ersinnlicher Grund vorhanden ist. Ist aber ihr Stil 
ein originaler, so müssen sie durchaus älter sein, als die Zerstörung Milets 
zu Ende des unglücklichen Aufstandes und die gleichzeitige Einäscherung 
des alten Tempels der Branchiden durch die Perser (1), ja älter als der 
Ausbruch des Aufstandes selbst (Ol. 70), da Milet während der Perserkriege 
gänzlich darniederlag und erst nach der Schlacht bei Mykale sich wieder, 
wenn auch rasch, zu heben begann. Während dieser ganzen Zeit, vom 
Beginn des Aufstandes an, war an die Errichtung solcher Denkmäler gar 
nicht zu denken, für eine spätere Zeit pafst aber weder der Stil der Bild- 
werke, noch der Charakter der Inschriften. Der Chares ferner unserer 
Inschrift, der sich selbst "Herr’ von Teichiussa, einem Orte in der Nähe von 
Milet, nennt, ist aller Wahrscheinlichkeit nach, wie auch Hr. Newton be- 
merkt, einer der kleinen Dynasten oder Tyrannen, die seit der Unterwerfung 
der kleinasiatischen Griechen durch die Perser aller Orten auftauchten und 
unter der Aegide der Fremdherrschaft ihr Wesen trieben. Wie Histiaeos, 
hat auch dieser sonst nicht bekannte Dynast dem Apollo von Didyma seine 
Huldigung dargebracht, und zwar indem er nach Weise orientalischer Herr- 
scher sein eigenes Standbild in das Temenos des Gottes stiftete. Hiernach 
gehört das Denkmal der Zeit von Ol. 58-69 an und kann auch von dieser 
Seite unbedenklich als den beiden vorhergehenden gleichaltrig betrachtet 
werden. 

Ob dagegen die Aufschrift auf dem Schenkel einer anderen dieser 
Statuen, von der nichts weiter als die linksläufig geschriebenen Worte 
3ZATMAIIAMASOT gelesen werden konnten (C.1.G. 2861), in diese oder 
eine etwas ältere Zeit gehört, läfst sich bei dem Mangel jedes entscheidenden 
charakteristischen Kennzeichens nicht mehr bestimmen. 

Wohl aber ist hierher zu ziehen der ionische Theil der Aufschrift 
eines ehemals berühmten und viel besprochenen, in unserer Zeit aber fast 
vergessenen Denkmals, nämlich des Hermenpfeilers von Sigeion (C.1. G. 8) (?). 


(') Herodot VI, 19. Wenn Strabon XIV. p. 634 diese Einäscherung dem Xerxes zu- 


schreibt, so muls dies auf einem Irrthum beruhen. 
(*) Es wäre wohl an der Zeit, von dem Denkmale, das sich jetzt im brittischen Museum 


befindet und schon sehr abgerieben sein soll, einen Abklatsch zu nehmen. Denn obwohl 
von den beiden vorliegenden Abbildungen, der, welche Chishull giebt, und der Revettschen 


134 Kırc#norr: 


Denn seit Boeckh ihm das Urtheil gesprochen, gelten trotz G. Hermanns 
Einspruch seine beiden Aufschriften, die ionische wie die attische, wohl 
allgemein als müfsige Spielereien einer mit Bewufstsein archaisirenden Ge- 
lehrsamkeit und nicht mehr, wie früher, als authentische Denkmäler der 
solonischen Zeit und ihrer Schreibweise. Wenn nun auch zugegeben werden 
mufs, dafs zu der Zeit, als das Alter des Denkmals beanstandet wurde, für 
mehrere Punkte, welche auffallend und befremdlich erscheinen konnten, es 
an hinreichender Analogie fehlte und dem daraus abgeleiteten Urtheile für 
jene Zeit eine gewisse Berechtigung nicht abgesprochen werden kann, so 
mufs doch nach der andern Seite behauptet werden, dafs nunmehr, nach- 
dem die damals vermifsten Analogien in hinreichender Anzahl vorliegen, ein 
Grund nicht weiter vorhanden ist, an seinem höheren Alter zu zweifeln und 
dafs die Gerechtigkeit verlangt, dafs es in sein unbestreitbares Recht wieder 
eingesetzt werde. Es darf heutzutage wohl als ausgemacht gelten, dafs die 
Kunst den Marmor zu bearbeiten im sechsten Jahrhundert vor unserer Zeit- 
rechnung so weit vorgeschritten und verbreitet war, dafs die Herstellung 
eines einfachen vierseitigen Pfeilers mit einer darauf ruhenden Protome nicht 
mehr als etwas Besonderes und Aufsergewöhnliches gelten konnte, und dafs 
die Zahl derer, die diese Kunst verstanden und übten, nicht so gering und 
ihr Rufnicht nothwendig ein so verbreiteter war, dafs ihre Namen alle hätten 
überliefert werden müssen und nicht mancher, wie Aesopos, der Verfertiger 
unseres Denkmals, und gar viele Andere nur aus den Aufschriften ihrer zu- 
fällig erhaltenen Arbeiten uns hätten bekannt werden können. Es ist ferner 
durch zahlreiche Beispiele, welche zum Theil schon vorgeführt worden sind, 
zum Theil noch vorgeführt werden sollen, aufser Zweifel gestellt, dafs in 
der zweiten Hälfte desselben Jahrhunderts, also zu einer Zeit, in der das 
ionische Alphabet seine völlige Ausbildung erlangt hatte, die Anwendung 
der furchenförmigen Schrift in mehr als einzeiligen Texten bei den Ionern 
etwas sehr gewöhnliches war, so dafs sich aus dem Vorkommen des Q in Bu- 
strophedoninschriften durchaus keine Instanz mehr gegen das höhere Alter 


bei Chandler, die letztere offenbar ein ziemlich treues Bild des Denkmals im Ganzen und 
Einzelnen giebt und defshalb mit vollem Recht der Ausgabe und Besprechung im C. I. G. 
zu Grunde gelegt worden ist, so bleibt doch im Einzelnen noch hin und wieder Einiges 
zweifelhaft, worüber nur Autopsie des Denkmales oder Einsicht eines Abklatsches den wün- 
schenswerthen Aufschluls geben könnte, wenn er überhaupt jetzt noch zu erlangen ist. 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 135 


derselben herleiten läfst. Wenn es ferner auch, wie ich nicht bezweifele, 
richtig ist, dafs die Herme, deren Torso uns erhalten ist, nicht von den Be- 
wohnern von Sigeion, sondern von der Person selbst, welche sie darstellte, 
nämlich Phanodikos, des Hermokrates Sohn von Prokonnesos, sei es nun in 
das Prytaneion der Stadt oder, was ich für wahrscheinlicher halte, in irgend 
ein Heiligthum als @yarue, gestiftet worden ist, so kann doch darin nicht 
mehr ein Vorgehen gefunden werden, welches wider die Sitte einer so alten 
Zeit verstiefse. Es genügt in dieser Beziehung auf das Sitzbild des Chares 
von Teichiussa zu verweisen, von dem so eben die Rede war und das auch 
schwerlich von den Bewohnern von Milet oder Teichiussa, sondern vielmehr 
von dem Dynasten selbst errichtet worden war. Wollte man einwenden, 
dieser Chares sei eben ein Mann von fürstlichem Stande, Phanodikos aber 
ein blofser Privatmann gewesen, so ist zu erwidern, dafs letzteres keines- 
weges ausgemacht ist und dafs nichts hindert den Phanodikos als Tyrannen 
von Prokonnesos unter persischer Hoheit zu denken, wenn eine solche An- 
nahme sonst nothwendig sein sollte. Dafs zur Zeit des Zuges des Dareios 
gegen die Skythen ein Metrodoros als solcher genannt wird ('), soll zwar 
nicht als Stütze für eine solche Annahme geltend gemacht werden, ist aber 
auch nicht dazu angethan, sie unstatthaft erscheinen zu lassen. Die Aus- 
drucksweise der Inschriften endlich ist zwar alterthümlich-steif, aber meinem 
Gefühle nach frei von Allem, was mit Fug als Affectation oder nachahmende 
Ziererei ausgelegt werden könnte. Geht man aber ohne vorgefafste Meinung 
an die Betrachtung des Denkmals, so hält es auch nicht schwer eine wahr- 
scheinliche Erklärung für das zu finden, was an ihm wirklich auffällig ist 
und einer Erklärung bedarf. Auf der etwas mehr als 11, Fufs breiten Vorder- 
seite nämlich des etwas über 81, Fufs hohen Steinpfeilers finden sich zwei 
Inschriften in folgenden Verhältnissen vertheilt, die ich nach Maafsgabe der 
zuverlässigsten der beiden vorliegenden Abbildungen, der von Chandler ge- 
gebenen, veranschlage: die obere von ihnen beginnt in einem Abstande von 
mehr als 2 Fufs von oben, also etwa in der Höhe von 6 Fufs, und bedeckt 
mit ihren elf furchenförmig geordneten Zeilen einen Raum von 2 Fufs und 
einigen Zollen, endet also ein Geringes unterhalb der Mitte der ganzen 
Fläche in einer Höhe von etwa 4 Fufs über dem Erdboden; Dialekt wie Al- 


(*) Herodot IV, 138. 


136 Kırcuporr: 


phabet sind ionisch. Nach einem Zwischenraum von nicht ganz einem Fufse, 
welcher leer gelassen ist, etwas mehr als 3 Fuls über dem Erdboden, folgt 
eine zweite, ebenfalls elfzeilige und furchenförmig geordnete Inschrift, 
welche einen Raum von ungefähr 2 Fufsen einnimmt; Dialekt und Alphabet 
sind attisch. Unterhalb derselben bleibt ein Raum von einem Fufs und 
einigen Zollen leer. Diese zweite Inschrift giebt eine ziemlich treue Wieder- 
holung des Wortlautes der ersten, fügt aber am Schlusse zwei Zusätze von 
nicht unbedeutendem Umfange hinzu. Da nun das Ganze trotz des so er- 
weiterten Umfanges dennoch auf gleichfalls nur elf Zeilen untergebracht 
worden ist, so sind die Buchstaben enger zusammengedrängt worden, als 
auf der oberen, welche demzufolge im Vergleich zu der unteren weitläufig 
geschrieben erscheint. Überdem hat es den Anschein, als ob beide nicht 
von derselben Hand geschrieben worden seien, obwohl die Schrift in beiden 
denselben entschieden alterthümlichen Charakter trägt; die Züge der unteren 
erscheinen breiter und tiefer gehauen trotz ihrer geringeren Höhe und grö- 
fseren Gedrängtheit. Gleichwohl können sie in der Zeit nicht allzuweit von 
einander abliegen, schon des ziemlich gleichartigen Charakters der Schrift- 
züge wegen, der auf dieselbe Epoche hindeutet. Hierzu kommt, dafs die 
untere Inschrift in ihren Zusätzen eine Notiz über den Verfertiger des Denk- 
males enthält, also über eine Thatsache, welche nach längerer Zeit in Ver- 
gessenheit gerathen mufste, wenn sie nicht, wie dies nicht der Fall ist, nicht 
schon in der ersten vermerkt war, von der es mehr als wahrscheinlich ist, 
dafs sie zuerst und vor der unteren eingehauen worden ist. Schon die Ge- 
drängtheit der Schrift in den unteren Zeilen deutet hierauf hin, insofern sie 
beweist, dafs der Schreiber derselben einen äufserlich auch nach oben be- 
schränkten Raum vorfand, auf den er seine Mafse zu berechnen hatte. Stel- 
len wir uns nun vor, dafs der Pfeiler bestimmt war, ohne Postament un- 
mittelbar auf dem Erdboden zu stehen zu kommen, so nahm die obere 
ionische Inschrift etwa die Mitte der Höhe des ganzen Denkmals, wenn wir 
die Höhe der Protome hinzurechnen (das für die Einfügung derselben be- 
stimmte runde Zapfenloch ist noch jetzt auf der Oberseite sichtbar), ein und 
zwar in einem Abstande vom Erdboden, welcher sie bei der Gröfse der 
Buchstaben (etwa 2 Zoll) mit völliger Bequemlichkeit zu lesen verstattete, 
während die untere attische an die unbequemste Stelle geriethe, von der 
nicht anzunehmen ist, dafs der Steinhauer sie ohne die dringendste Nöthigung, 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 137 


weil es nämlich an Platz fehlte, würde gewählt haben. Unter Voraus- 
setzung der Richtigkeit dieser Annahme würden wir also genöthigt sein, die 
untere Inschrift als die später angebrachte zu betrachten. Man kann sich 
indessen auch denken, dafs der Pfeiler auf einem Untersatze von entspre- 
chender Höhe aufgestellt war und dafs in Folge dieser Anordnung die un- 
tere Inschrift in einem solchen Abstande vom Erdboden zu stehen kam, 
dafs sie ohne Unbequemlichkeit gelesen werden konnte. War die Höhe des 
Postamentes eine beträchtliche, was trotz der ganz anständigen Höhe des 
Pfeilers keinesweges unmöglich ist, so wurde dadurch die Lesung der obern 
Inschrift sehr erschwert; um so weniger ist es aber glaublich, dafs sie in 
diesem Falle nach der untern angebracht worden wäre, die dann ihren 
Zweck vollkommen erfüllte und durch die obere gar nicht ergänzt werden 
konnte, da diese, wie bemerkt, gerade die unvollständigere ist. Ein an- 
derer Grund einen Theil der ursprünglichen Aufschrift über ihr, obenein 
in anderem Dialekte und anderem Alphabete, zu wiederholen, lag aber nicht 
vor. Es war also überhaupt gar keine Veranlassung gegeben, eine zweite 
Aufschrift anzubringen. Ist aber die mit geringerer Raumersparnifs einge- 
hauene obere Inschrift die ältere, so fragt sich doch immer, wie man nach 
gar nicht langer Zeit auf den Einfall kommen konnte, die ältere, ionische 
Aufschrift in attischem Dialekte zu wiederholen; denn es hält schwer zu 
glauben, dafs die bei dieser‘ Gelegenheit angebrachten Erweiterungen die 
eigentliche und einzige Veranlassung zu einem solchen Verfahren sollten ab- 
gegeben haben. Gesetzt nun auch, es wäre nicht möglich eine befriedigende 
Antwort auf diese Frage zu finden, so würde dieses unser Unvermögen uns 
noch durchaus nicht berechtigen das Alter der Inschriften in Frage zu stellen, 
da die zu erklärenden Schwierigkeiten in ganz derselben Stärke bestehen, 
man mag die Inschriften in eine Zeit setzen, in welche man wolle. Uner- 
klärlich scheinen sie mir indessen, das verhältnifsmäfsig hohe Alter der Auf- 
schriften vorausgesetzt, indem man sie nimmt, wofür sie sich geben und 
was für erkünstelten Schein zu halten gar keine Veranlassung vorliegt, durch- 
aus nicht zu sein. Man denke sich nur den Hergang bei Anfertigung und 
Aufrichtung des Denkmals folgendermafsen beschaffen : das Denkmal wurde 
in dem Vaterlande des Phanodikos, dem ionischen Prokonnesos, angefertigt 
und gleich hier mit einer Aufschrift versehen, deren Platz darauf berechnet 
war, dafs die Herme ohne Postament aufgestellt werde, und die natürlich 


Philos.-histor. Kl. 1563. S 


138 Kırcunorr: 


auf einer ionischen Insel in ionischem Dialekte und ionischem Alphabete ab- 
gefafst wurde. In diesem Zustande wurde es nach Sigeion geschafft, hier 
aber aus irgend welchem Grunde auf einer Unterlage oder sonst in solcher 
Höhe aufgestellt, dafs die ursprüngliche Inschrift schwer zu lesen war. Dies 
gab gleich damals Veranlassung die Inschrift an einer etwas niedrigeren 
und darum zugänglicheren Stelle zu wiederholen und bei dieser Gelegenheit 
mit einigen Zusätzen, unter anderen mit der Angabe des Namens des Ver- 
fertigers Aesopos, zu vermehren. Diese zweite, nicht viel spätere Recen- 
sion des Textes wurde in attischem Dialekte und attischem Alphabete ausge- 
führt, weil Sigeion damals sich in den Händen attischer Kleruchen befand 
und von diesen aller Wahrscheinlichkeit nach die Versetzung und Erneue- 
rung der Inschrift besorgt wurde. Denn es ist bekannt, dafs Sigeion wahr- 
scheinlich schon früher, wenn auch mit Unterbrechungen, dauernd aber 
sicher während der Herrschaft des Peisistratos und seiner Söhne sich im Besitze 
der Athener befand und selbst nach der Vertreibung des Hippias wenigstens 
bis zum Jahre der Schlacht bei Salamis Eigenthum des vertriebenen Tyran- 
nen und seiner Nachkommen blieb. 

Ich glaube aber nicht nur, dafs hiermit die geltend gemachten Beden- 
ken endgültig erledigt sind, sondern halte überdem dafür, dafs der ganze 
Charakter der Schriftzüge in beiden Inschriften in positiver Weise ihr hohes 
Alter verbürgt und erhärtet. Sie tragen ein durchaus eigenartiges, rein ori- 
ginales Gepräge, das frei ist von jeder Spur mühseliger oder gekünstelter 
Affectation; ich mufs behaupten, dafs wenn sie von einem archaisirenden 
Nachahmer herrührten, dieser sich selbst übertroffen haben müfste und eine 
Nachahmung geliefert hätte, die einem Originale wie ein Ei dem andern 
ähnlich sähe und als das, was sie wirklich ist, gar nicht mehr erkannt wer- 
den könnte. Die Beschaffenheit der attischen Schrift in der zweiten Inschrift 
entspricht genau bis in alle Einzelnheiten der Vorstellung, welche wir uns 
von dem Zustande derselben in dieser Zeit zu machen haben, die ionische 
der ersten stimmt in gleicher Weise zu dem Charakter der Schrift auf den vor- 
geführten gleichzeitigen Denkmälern. Die Zeilen sind furchenförmig geord- 
net, für £ erscheint die schon bemerkte abgerundete Form &, das H ist 
bereits geöffnet u. s. w. Von dem Theta, welches einmal Z. 8 erscheint, 
ist freilich, nach dem übereinstimmenden Zeugnifs beider Darstellungen, 
nur der Kreis erhalten und es erscheint leichter in ihm den Punkt, als das 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 139 


ältere Kreuz zu ergänzen. Dies kann indessen nicht entscheiden; wir müs- 
sen vielmehr auf einer Inschrift dieses Alters ® oder ® voraussetzen, welche 
letztere Form überdem auf Z. 4 der attischen Inschrift begegnet; vielleicht 
ist es noch möglich, dafs ein Abklatsch die Sache auch für diejenigen auf das 
Reine bringt, welche geringeres Zutrauen zu der Authenticität der Inschrift 
hegen, als ich besitze. Ich sehe, wie gesagt, keinen Grund sie nicht für 
gleichzeitig mit den vorher behandelten milesischen Inschriften, mit denen 
sie dem palaeographischen Charakter nach genau übereinstimmt, zu halten 
und setze sie unbedenklich in die Zeit der Peisistratidenherrschaft oder kurz 
nachher, in welcher anzunehmen ist, dafs das attische Element in Sigeion 
vorherrschte, während es später rasch geschwunden sein dürfte, jedenfalls 
also vor Ol. 70. Um indessen nicht vorzugreifen, habe ich auf der Tafel 
in Columne IV ihr Alphabet zwar mit dem der meiner Ansicht nach ziem- 
lich gleichzeitigen milesischen Inschriften vereinigt, aber zugleich Sorge 
dafür getragen, dafs die auf ihr vorkommenden Buchstabenformen getrennt 
von denen der anderen verzeichnet wurden. Zu bemerken ist noch, dafs 
die Inschrift ia ihrer letzten Hälfte ziemlich regelmäfsig mit einem Doppel- 
punkte (:) interpungirt und dafs, wenn diese Interpunktion in der ersten 
Hälfte vermifst wird, anzunehmen ist, dafs hier die ehemals vorhandenen 
Doppelpunkte in Folge der Corrosion der Oberfläche des Steines ver- 
schwunden sind; so hat Chishull Z. 6 hinter dem ö2 noch einen Doppel- 
punkt, welcher bei Chandler schon nicht mehr zu finden ist. 

5. Ich gehe zu der Gruppe der etwas älteren Inschriften aus dem- 
selben Jahrhundert über, welche dem allgemeinen Charakter der Schrift 
nach zwar mit der vorhergehenden stimmen, auch, mit Ausnahme einer, 
aber einzeiligen, wie jene Qousrgopndöv geschrieben sind, aber sich von ihnen 
dadurch unterscheiden, dafs sie die ältere, geschlossene Form des Eta, 8, 
verwenden. Ich zähle ihrer vier, sämmtlich von Milet. 

a. Auf der rechten Seitenfläche des Sitzes eines der Standbilder am 
heiligen Wege: C.1.G. 39 (vgl. Praef. p. XXVI. XXVII). 


MBzZIAVAEBM 
MaXB®AMAZAZ 
AmMaYr2aren 
IMDAAO 

Ss2 


440 Kırcanorr: 


In der dritten Zeile bietet die augenscheinlich bessere Gellsche Abschrift 
bei Leake Journal of a tour in Asia Minor p. 240 und Rose Inser. Gr. vet. 
Taf. II, 4: 

JAHIAE2TOT oder JANIAEL2TAP 
wonach das Ganze so zu lesen sein dürfte: [’Eg]unnava£ Aulcas aveSnzey 
[5 ’Alz]orfwr]dsw rörlorrwv.. Auch von dieser Inschrift ist die Vermuthung 
geäufsert worden, dafs sie eine archaisirende Nachahmung sein möchte. 


Es ist indessen sie aufrecht zu erhalten jetzt kein Grund mehr vorhanden. 

b. Auf dem Sitze einer der durch Hrn. Newton aufgedeckten Statuen 

am heiligen Wege (Discoveries etc. Taf. XCVIL. 71). 
E sBMOEMLSSMTOIEN (!) 
d. h. ’Efxe]önuss me Eros. 

c. Auf dem Bruchstück einer Basis am heiligen Wege (Newton 
Discoveries Taf. XCVI. 67. 68. Monatsb. 1859. S. 661), und zwar auf 
der einen Seite: 

OIANAZIMANADOMTAIALZTOMAN ADOMAX 

38131v93T34A33810ON3NA33® 

und auf der entgegengesetzten wiederholt: 

NAZIMAN ADONT/ INIYIJAT3 
Das Zeichen des Zischlautes schwankt in einer nicht leicht nachzuahmenden 
Weise zwischen der eckigen (£) und abgerundeten (€) Gestalt, beim Rho 
ist die Rundung in einer solchen Weise an die senkrechte Linie angeschlos- 
sen, dafs es in den einzelnen Fällen schwer hält zu entscheiden, ob P oder D 
gemeint ist, und meist ein Mittelding zwischen beiden Formen erscheint. 

d. Auf dem Rücken eines steinernen Löwen alterthümlichen Stiles 
am heiligen Wege (Newton Taf. XCVI. 66). 

TAATAAMATATAALAVNLCOLKEAN OIOP 
3BNADO043X4IA 3133A1IA 30MOI 
KAITAEIK*BEKAIHTÜIEANAPOLCKAIIY 
AIOTMBT; 13ASO341ZAMAIAN 301 
MDOADNI 


(') Monatsb. 1859. S. 662 etwas abweichend: 
E..HMOZMEETTOIEN 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 141 


Da die Inschrift schwer zu lesen sein soll und namentlich die zweite Zeile 
noch nicht gelöste Schwierigkeiten bietet, erscheint es angemessen der Ver- 
gleichung wegen die erste Ausgabe in den Monatsb. a.a. O. S. 660 der 
obigen gegenüber zu stellen. Hier sieht die Inschrift so aus: 
TAAFAAMATATAAEANEBEEANOIOP (?) 

3BAA 043X4IA3133AIAT3ONO. 

KAIMAEIKABEKAIBFBEANAPOEKAI. 

AIQTHBTANIAINIIBAMAIAN3OIS 

MOARNI 
wozu bemerkt wird, dafs Z.2 in der Lücke nach den vier ersten Buchstaben 
links eine rundliche Vertiefung befindlich sei, und in derselben Zeile der 
fünfte Buchstabe von rechts von Hrn. Newton als ein B, von Waddington 
als 1 gelesen worden sei. Eine Vergleichung der sich herausstellenden Ab- 
weichungen kann zeigen, wie vieldeutig manche dieser Züge theils wegen 
des unentschiedenen und unentwickelten Charakters der Schrift, theils in 
Folge der Corrosion der Oberfläche sich ausnehmen mögen. 

Das Zeitalter dieser Gruppe läfst sich aus dem Inhalte der Inschriften 
nicht bestimmen. Thales (wenn dieser Name wirklich auf der vierten stand, 
was noch nicht ausgemacht erscheint) und Anaximandros sind entschieden 
nicht die bekannten Philosophen; und dafs Hegesandros der vierten der 
Vater des Hekataeos sei, ist eine Vermuthung, die sich ebensowenig be- 
weisen als widerlegen läfst. Es sind das alles Namen, welche offenbar in 
dieser Zeit in Milet sehr gewöhnlich und weit verbreitet waren. Dagegen 
zeigt der constante Gebrauch des B, dafs die Inschriften sämmtlich etwas 
älter sind, als die der vorhergehenden Gruppe; weshalb ich sie etwa um 
die 60. Olympiade setzen möchte. Sie werden dadurch schwerlich zu alt, 
wahrscheinlich noch etwas jünger gemacht, als sie in Wirklichkeit sind. 

6. Die bisher behandelten Inschriften geben ein deutliches und an- 
schauliches Bild von dem Zustande und der Entwickelung des Alphabets bei 
den Ionern des Festlandes in dem Zeitraume von Ol. 60-82. Der Bestand 
des Alphabetes an Zeichen ist während dieser Zeit constant; schon in den 
ältesten findet sich das 2, dagegen keine Spur mehr von der Verwendung 
des Digamma als Lautzeichen; wenigstens müfsten Worte wie "Avafireus, 
"Avafinavdpes, "Egunsievag mit demselben versehen sein, wenn es überhaupt 
noch im Gebrauche gewesen wäre. Auch ohne nähere Kunde darf voraus- 


149 KızcnHnorr: 


gesetzt werden, dafs die Ausbildung des Alphabets sich in ziemlich gleichen 
Verhältnissen überall da vollzogen habe, wo ein inniger Zusammenhang des 
gesammten Lebens mit dem des ionischen Festlandes angenommen werden 
mufs, also in den milesischen Colonien und auf den Inseln Chios und Samos, 
so gut wie auf Prokonnesos. Leider haben wir von jenen Inseln keine epi- 
graphischen Denkmäler, die bis in eine so hohe Zeit hinaufreichten; das 
einzige dieser Art, das man vermuthungsweise auf Samos bezogen hat, ist 
nicht samischen Ursprunges. Es ist dies die Aufschrift eines bronzenen 
Anathems, das sich früher im Museum Nani befand, später in die Sammlung 
des Grafen Pourtales-Gorgier zu Paris übergegangen ist, und von dem nicht 
angegeben wird, aus welchem Theil von Griechenland es stamme. Die 
Inschrift, welche sich über drei Seiten der viereckigen Plinthe, auf welcher 
die Figur befestigt ist, ausdehnt, lautet (C. 1. G. 6): 
MOLYEPATAM|AVL®OR | FR 

Die sprachliche Form dieser Worte bietet kein Kriterium, nach wel- 
chem sich die Herkunft des Denkmales bestimmen liefse; die Sprache kann 
ebensowohl dorisch, als ionisch sein. Da aber der Stil des Kunstwerkes 
wie der Charakter der Schrift ein sehr alterthümliches Gepräge tragen, so 
hat man sich blofs darauf hin für berechtigt gehalten, unter dem Stifter des 
Weihgeschenkes Polykrates, den bekannten Tyrannen von Samos (Ol. 
61-64, 3), zu verstehen. Der Name kann aber hier um so weniger ent- 
scheiden, als er zu den gewöhnlichen gehört, der Vatername aber nicht 
hinzugefügt’ ist. In dem letzteren Umstande aber einen Beweis dafür zu 
finden, dafs eine sehr bekannte Persönlichkeit, und darum wahrscheinlich 
der Tyrann, gemeint sein müsse, bin ich nicht im Stande. Es giebt Weih- 
inschriften genug von ganz unbekannten Personen, die es nicht für nöthig 
gehalten haben, den Namen ihres Vaters dem eigenen hinzuzufügen; und 
wenigstens Hieron von Syrakus, der ohnstreitig dasselbe Recht hatte, sich 
für eine Notabilität zu halten, wie Polykrates von Samos, hat in der Auf- 
schrift des aus der Tyrrhenerbeute nach Olympia geweihten Helmes nicht 
unterlassen sich als den Sohn des Deinomenes bezeichnen zu lassen. Ent- 
scheidend ist vielmehr, freilich gegen die Beziehung auf Polykrates von 
Samos, die Beschaffenheit des Alphabets, welches entschieden nicht ionisch 
ist. Die Inschrift bezeichnet das lange e durch E und den Zischlaut durch 
M, was in keiner ionischen Inschrift, selbst nicht den ältesten, viel weniger 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 143 


in solchen aus der Zeit des Polykrates, je der Fall ist. Zu glauben aber, 
dafs das samische Alphabet jener Zeit in seiner Entwickelung so weit hinter 
dem der festländischen Ioner zurückgewesen sei, als hiernach angenommen 
werden müfste, kann uns so lange nicht zugemuthet werden, als nicht zwin- 
gendere Gründe oder überhaupt auch nur Gründe für die Beziehung des 
Denkmales auf Samos beigebracht werden. Eine viel gröfsere Wahrschein- 
lichkeit vielmehr (ich möchte sagen, Gewifsheit) ist dafür, dafs das Denk- 
mal nach Argos gehört. Die Gestalt des Lambda nämlich ist genau die ganz 
eigenthümliche (F), welche dieser Buchstabe im altargivischen Alphabete 
hat und die bis jetzt nur in argivischen Inschriften sich nachweisen läfst. 
Da hierzu auch die Gestalt der übrigen Zeichen vollkommen stimmt, so 
balte ich mich für berechtigt vorläufig die Inschrift als eine argivische, 
und zwar als eine der ältesten, in Anspruch zu nehmen. Auf keinen Fall 
darf an samischen Ursprung gedacht werden. 

7. Wenn nun auch nicht von Samos selbst, so sind doch von zwei 
Punkten, welche von Samos aus colonisirt worden sind, sehr alte Inschriften 
bekannt, welche bis in die besprochene Periode hinaufzureichen scheinen. 
Nach einer unverdächtigen Überlieferung besetzten um die Mitte des siebenten 
Jahrhunderts die Samier die Insel Amorgos und gründeten auf ihr die 
drei Städte Aegiale, Minoa und Arkesine (!). In späteren Zeiten wurde sie, 
wie aus den Zeugnissen zahlreicher Inschriften hervorgeht, von milesischen 
Kleruchen eingenommen, seit wann, ist nicht bekannt. Denn dafs in den 
attischen Tributlisten des ersten Jahres, Ol. 83, 2, Mio Ev ’Aucpya er- 
wähnt sein sollten, ist mir nicht wahrscheinlich; die verschiedenen Lesarten 
der obenein verstümmelten Stelle weichen so sehr von einander ab, dafs 
eine Lesung, welche irgend einen Grad von Wahrscheinlichkeit beanspruchen 
könnte, sich darauf nicht gründen läfst (?). Es mag indessen damit stehen, 
wie es wolle, für das sechste Jahrhundert wird man unbedenklich samische 
Bevölkerung auf Amorgos voraussetzen dürfen. In diese Zeit aber gehört 
offenbar die Inschrift eines länglichen Steines, welcher an der Stelle des 
alten Aegiale über der Thür der Kapelle des H. Nikolaos eingemauert ist 
(C. I. G. 22635. Rofs Inseriptt. inedd. Il. n. 119. p. 27): 

TOAAXRAIA 
(*) Suidas unter Iıuwvidys Kowew II, 2. S. 760; vgl.Sunies Podros p. 753. 54. 


(2) Vgl. Boeckh Staatshaushaltung der Ath. I. S. 378. 424f. und Ep. «2%, 1146. 


144 KırcHuorr: 


Mit welchem Rechte Rangabe (Antig. Helleniques Il. S. 939 zu 2223) 
behauptet, dafs Tusage de !Q prouve que larchaisme n’est que pretendu 
dans cette inscription,‘ kann nach der bisher gegebenen Zusammenstellung 
von Denkmälern, welche unzweifelhaft der zweiten Hälfte des genannten 
Jahrhunderts angehören, leicht ersehen werden. Er folgt eben der Spur 
des Begründers und Meisters der griechischen Epigraphik; allein gegen- 
über dem Gewichte wohlbegründeter und unbestreitbarer Thatsachen mufs 
selbst eine Autorität dieses Ranges zurückstehen, von der überdem zu be- 
zweifeln ist, ob sie jetzt noch einer solchen Auffassung zur Seite stehen 
dürfte. Wenigstens ist gegen die vorliegende Inschrift irgend ein Verdacht 
im C. I. nicht geäufsert worden. Der alterthümliche, aber durchaus 
originale, Charakter der Schrift, so wie die linksläufige Richtung derselben 
weisen mit Bestimmtheit auf das sechste Jahrhundert, die Anwendung des 
Q, das sich über die 60. Olympiade nicht hinauf verfolgen läfst, auf die 
zweite Hälfte desselben hin. Dürfen wir ferner annehmen, dafs die Wan- 
delungen des Schriftgebrauches im Einzelnen mit der des festländischen 
Alphabets im Ganzen parallel gegangen sind, so| nöthigt der Gebrauch des 
Zeichens $ für den Zischlaut, der erfahrungsmäfsig dem des £ in gleicher 
Bedeutung vorangegangen ist, die Inschrift in den Anfang dieses Zeitraumes 
zu setzen, da bereits auf den ältesten der oben betrachteten festländischen 
Inschriften das £, oder, was dasselbe ist, & die ausnahmslose Regel ist. 

8. Eine andere (nach einer freilich sehr unzuverlässigen Überlieferung) 
von den Samiern, ungewifs zu welcher Zeit, colonisirte Insel war Samo- 
thrake. Hier ist das bekannte Basrelief gefunden worden, dessen In- 
schriften nach O. Müllers Copie im C. I. G. 40 in folgender Gestalt gegeben 


worden sind: 


a. NQMMI3MANA 
b. TAN®BVBIOZ 
BE 


mit der Bemerkung, dafs das Q in a nicht recht deutlich sei und auch O 
sein könne; auch wird begründeter Zweifel gegen das A in 5 ausgesprochen, 
den dann auch alle späteren Publikationen des Denkmales, von Millingen 
(Ancient uned. monuments Ser. ll, 1), Rose (Inscer. Gr. vet. Taf. IV, 1 
p- 25), Clarac (Musee de sculpture Il. pl. 116 n. 238), bestätigt haben, 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 145 


welche A oder A bieten. Aufserdem hat das schliefsende N von a auf dem 
Originale nicht jene umgekehrte Stellung, da die Inschrift nicht gerade, 
sondern in einer Windung folgendermafsen läuft: 


Han 


Bestritten ist die Gestalt des vorletzten Buchstaben in a; schon Müller 
schwankt zwischen Q und O; Rose versichert, dafs weder er, noch sein 
Freund Hughes etwas anderes als ein O zu erkennen im Stande gewesen; 
auch Millingen hat ein ©. Dagegen behauptet Dubois, dafs ein Q zu er- 
kennen sei und Clarac giebt auf seiner Tafel sowohl in der Abbildung des 
Denkmales selbst, als daneben in der Darstellung der beiden letzten Buch- 
staben von a in natürlicher Gröfse, das in seltsamer Weise scheinbar aus © 
und Q complieirte Zeichen &. Auch versichert mich Hr. Gerhard, welcher 
das Denkmal früher bei ungeschwächtem Augenlicht zu untersuchen mehr- 
fach Gelegenheit gehabt hat, dafs in der That ein & auf dem Originale vor- 
handen zu sein scheine. Ich selbst habe einen Gypsabgufs des hiesigen 
K. Museums untersuchen können, auf dem ich deutlich 
ON 

zu lesen glaube und der mich an dem wirklichen Vorhandensein des Q auf 
dem Originale nicht zweifeln läfst. Der Stil des Kunstwerkes wie der 
Charakter der Schrift weisen übereinstimmend das Denkmal in das sechste 
Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, um dessen Mitte etwa es entstanden 
sein möchte. Ob der Künstler auf Samothrake lebte und die Inschriften 
seines Werkes folglich Proben der damals auf Samothrake geläufigen Schreib- 
weise geben, ist indessen nicht so ausgemacht: das Werk könnte ebenso- 
wohl an irgend einem anderen Orte gefertigt und dann erst nach Samothrake 
geschafft worden sein. Indessen habe ich es trotz der Unsicherheit über 
diesen Punkt vorgezogen des Denkmales hier zu erwähnen, da ihm eine 
passendere Stelle anzuweisen nicht wohl möglich schien. 

9. Aus dem Gebiet der ionischen Colonien an der Küste des 
schwarzen Meeres ist nur ein epigraphisches Denkmal älteren Datums erhal- 
ten. Es ist dies eine Reliefplatte, Ares von Eros der Aphrodite im Beisein 
von Poseidon und Hephaestos zugeführt darstellend, welche durch die Bei- 
schrift als Weihgeschenk für die in diesen Gegenden verehrte Aphrodite 


Philos.-histor. Kl. 1863. T 


146 KırcaHanorr: 


Apaturos bezeichnet wird. Der Entdecker, A. de la Motraye, welcher sie 
Anfangs des Jahres 1712 auf seiner Reise von Temrjuk am Asowschen Meere 
(Phanagoria) zum Kaspischen Meere unter den Trümmern einer hellenischen 
Ansiedelung mitten in der Nogaischen Steppe in der Nähe des Kuban, durch 
dessen Delta sein Weg geführt zu haben scheint, auffand, nahm eine Zeich- 
nung derselben auf, welche in der Beschreibung seiner Reisen (Yoyages du 
Sr. A. de la Motraye en Europe, Asie et Afrique etc. a la Haye 1727) im 
zweiten Bande auf Taf. IV, 11 im Stich wiedergegeben worden ist (Vgl. S. 73 
und C. I. G. 2133). Die Inschrift, nach der Abbildung zu schliefsen, un- 
ter dem Bildwerke angebracht, sieht so aus (Taf. IV, 12): 
®E...AMATOPO/NMA + II APNıPEDI/III| 

Der Charakter der Schrift ist so alterthümlich, dafs Boeckh das Denk- 
mal in die 70-80. Olympiade setzen zu können glaubt. In der That dürfte 
es auf keinen Fall viel jünger sein können, oder die Colonisten in diesen 
Gegenden müfsten sehr erheblich hinter der Entwickelung im Mutterlande 
zurückgeblieben sein. Esist schon sehr auffällig, dafs in dem zweiten 
Worte, welches doch am einfachsten als Dativ zu fassen und ’Ararovgufe] 
zu lesen ist, das lange o durch O ausgedrückt erscheint, während bei den 
kleinasiatischen Ionern schon in der Mitte des sechsten Jahrhunderts das 
N geläufig war. Freilich läfst sich der Grad der Genauigkeit nicht ab- 
schätzen, mit der die Abschrift genommen worden ist; wäre er nach dem 
Mafse der Treue zu beurtheilen, mit der die Zeichnung des Basreliefs aus- 
geführt ist, so stände es traurig damit. Denn diese giebt eine Darstellung 
im Stile und Geschmacke des Zeitalters Ludwig des XIV. und XV. (selbst für 
Feigenblätter ist bei den erwachsenen Personen der Gruppe gesorgt) und 
kann nur als die allerkläglichste Travestie der antiken, vielleicht sehr verwit- 
terten Reste betrachtet werden, wenn sie nicht gar der Hauptsache nach 
als ein reines Phantasiestück des Zeichners zu nehmen ist, der aus der Er- 
innerung frei komponirte, ohne sich vielleicht dabei etwas Arges zu denken. 
Darum könnte auch die Inschrift immerhin treu copirt sein, obwohl die 
Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, dafs ein & der älteren, etwas unbe- 
stimmten Gestalt für ein O genommen wurde. Die Überlieferung ist auf 
alle Fälle, wie man sieht, nicht darnach angethan, um einen Schlufs von 
irgend welcher Bedeutung darauf bauen zu können. 

10. Ein erheblich älteres, das älteste für unsere Kenntnils überhaupt 
erreichbare Entwickelungsstadium des ionischen Alphabetes tritt uns in den 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 447 


Söldnerinschriften auf den Kolossen des Tempels von Abu Simbel in Nu- 
bien entgegen ('). Die umfangreichste und bedeutendste derselben ist nach 
einem von Lepsius mitgebrachten Abklatsche bereits im C. I. G. 5126 her- 
ausgegeben worden. Später hat Hr. Lepsius in den Denkmälern aus Aegyp- 
ten und Aethiopien XI. Abth. VI. Bl. 99. Gr. 531 sie von neuem publicirt 
und zugleich ebendas. Gr. 534. 536 und Bl. 98. Gr. 515. 516. 517. 519. 
5285-30 eine Anzahl kleinerer bekannt gemacht, welche sich in der Nach- 
barschaft der gröfseren befinden und bisher nicht zu allgemeiner Kenntnifs 
gelangt waren. Sie stehen untermischt mit phoenikischen Zeilen und In- 
schriften in einem eigenthümlichen, unbekannten Alphabet, welches Lepsius 
zweifelnd als karisch bezeichnet; zwischendurch läuft eine Anzahl von Memen- 
tos in griechischer Sprache und griechischem Alphabete aus verschiedenen, 
zum Theil sehr späten, Zeiten. Da Hrn. Lepsius Werk nur Wenigen zugänglich 
sein dürfte, für das Verständnifs der folgenden Auseinandersetzungen aber 
eine Anschauung nicht entbehrt werden kann, so habe ich im Folgenden 
zunächst die Inschriften, um die es sich handelt, zusammengestellt und ihre 
Züge, so gut es im Druck möglich ist, wiederzugeben versucht. Ich mufs 
darauf verzichten, die mannigfachen Besonderheiten zur Anschauung zu 
bringen, welche Inschriften von so verschiedenen Händen nothwendig zeigen 
und die zum Theil lediglich durch das Ausgleiten des Griffels in wenig ge- 
übten Händen hervorgerufen sind, daher aber auch den wesentlichen Cha- 
rakter der Schrift nicht bedingen und ohne Nachtheil unberücksichtigt blei- 
ben können. 


Auf dem linken Beine des zweiten Kolosses von Süden (?). 
R. 

C.1.G. 5126. Lepsius Gr. 531. 
BASIANEOSEA®BONTOSESEAEBANTINANVAMATIXO 
VAVTAEFPAYANTOISYNVAMMATIXOFTOI®FOKA OS 
EMTAEONBABONAEKEPKIOSKATVTED®ENISOMOTAMOS 
ANIBAAOFNOSOSABHEMOTASIMTOAITVMTIOSAEAMÄASIS 
ENPABRAAMEAPYTONAMOIBIFTOKAITEAEPOSOVAAMO(S) 


(') Vgl. im Allgemeinen Rofs in den Arch. Aufs. II. S. 554 ff. 

(2) Vgl. Lepsius Briefe aus Aegypten S. 260. 261. 

CO) Im €C.1.G. sind die O etwas zu klein gerathen und irrthümlich sämmtlich mit einem 
Punkte in der Mitte versehen. Ich kann bezeugen, dals der wohlgelungene Abklatsch der 


T2 


148 Kırcunorr: 


2: 
Ebenda; Lepsius Gr. 516. 
ErESIBIOSOTBIOS (t) 
3. 
Ebenda; Lepsius Gr. 517. 
TBTROOSMRFTPABRBOIAFTVSIOR/INININSABY INN 
4. 
Ebenda; Lepsius Gr. 519. 
MY®ONAMOIBIX 
5. 
Ebenda; Lepsius Gr. 515. 


MABITOPOAODON 102 
A 
„/N VAMMAT 


6. 
Ebenda; Lepsius Gr. 528. 
BATESEPMO 
74 
Ebenda; Lepsius Gr. 529. 
MASIDONOIMNO“ 
8. 
Ebenda; Lepsius Gr. 530. 
KPI®IZRTPAAN 


Unterhalb des linken Knies eines zweiten Kolosses: 
9, 
Lepsius Gr. 536 (?). 
UNNRITEIMAYAHINM IN 


aus fast zwei Zoll hohen durchaus nicht flach eingehauenen Buchstaben bestehenden Inschrift, 
welcher auch mir vorgelegen hat, an keiner Stelle auch nur die geringste Spur eines solchen 
Punktes erkennen lälst. 

(‘) So der beigegebene Situationsplan der Inschriften; Gr. 516 steht dagegen abweichend 
ETRSIBVS. Zwei Abklatsche, welche mir vorgelegen haben, lassen nichts weiter erken- 
nen, als ETRSIB \/!I$. Entscheidend aber ist, dals Hr. Lepsius selbst an Ort und Stelle 
vom Originale in sein Tagebuch ETRSIBIOS eingetragen hat, wie ich mich durch den 
Augenschein habe überzeugen können. 

(2) Ungewils, ob hierher gehörig. 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 149 


10. 
Ebenda; Lepsius Gr. 534. 

BOMTVrTOoBHOKABATRTIA 
Bsv“ 

re 
1oTAQN 
Es steht zunächst aufser allem Zweifel, dafs diese Inschriften sämmt- 
lich nicht nur im Allgemeinen etwa derselben Zeit angehören, sondern auch 
bei derselben Gelegenheit, an demselben Tage, vielleicht in derselben 
Stunde eingehauen worden sind. Denn der Psammatichos, in dessen Be- 
gleitung der Schreiber von n. 5 den Ort besucht zu haben angiebt (Z. 2 rüv 
Yaunar(rxw)), ist doch keine andere Person, als entweder der König Psam- 
matichos oder der griechische Bandenführer dieses Namens, welche beide 
aufn. 1 erwähnt werden; und wenn inn. 10, aus deren Anfang ich aller- 
dings Nichts zu machen weils, im weiteren Verlaufe deutlich von der Zeit 
die Rede ist, oxa Basıleis Mare röv orgaröv [r]e oaro[v], so ist unter 
diesem Könige doch wohl ohne Zweifel der König Psammatichos von n. 1 
zu verstehen. Auch dürfte in dem IIySwv ’Aucı@iyou von n. 4 der Bruder jenes 
"Agyav ’Auciyov (1) zu erkennen sein, der laut Z. 4 bei der Herstellung der gro- 
fsen Inschrift n.1 geholfen hat. Hierzu kommt der trotz aller individuellen Ver- 
schiedenheit in allem Wesentlichen vollkommen gleichartige Charakter der 
Schriftzüge und der Umstand, dafs sämmtliche Inschriften offenbar in demsel- 
ben Alphabete geschrieben sind. Die Buchstabenformen stehen durchweg auf 
demselben Standpunkt der Entwickelung; denn Schwankungen, wie die zwi- 
schen A und F, F und F oder F, ® und ®, V und Y, sind von gar keiner Bedeu- 
tung. Koppa undPsi erscheinen nicht nur auf n. 1, sondern auch auf n. 5, Psi 
auch aufn. 3 (und n. 9), das Chi wird durch das Zeichen X sowohl auf der gro- 
{sen Inschrift, wie auf n. 5 ausgedrückt, das O bezeichnet überall unterschieds- 
los den Laut des o, w und ov, nur ist auf n.1 Z.4 einmal der Diphthong, aber 
auch nur im Inlaut, mit OV geschrieben. Charakteristisch ist ferner die allen 
Inschriften gemeinschaftliche Bezeichnung des Zischlautes durch $, welches 


(') Man hat sich zwar gewöhnt, in dieser Zeile &ygape Aansdoymv "Auc@tyov zu lesen 

und die monströse Namenbildung Acue«syuv wohl oder übel hinzunehmen; nichts aber ist 
he . . D „ N RT 3 nr 

gewisser und, wie ich hoffe, einleuchtender, als dals &ygaps 8’ dus Ayyav "Auaßıxgev ab- 


zutheilen ist. 


150 Kırcanuorr: 


nur manchmal verkehrt gewendet erscheint und wofür einmal n. 8 das jeden- 
falls verwandte Zeichen 2 sich findet, während nirgends auch nur eine Spur 
des älteren M oder des später allgemein gebräuchlichen & auftaucht. Die- 
selbe Übereinstimmung herrscht in Bezug auf den Gebrauch des Zeichens 8. 
Dasselbe bezeichnet nämlich vorwiegend und höchst regelmäfsig das lange e, 
und nur in .n. 6 “Ayesegusu (vgl. HvSeguos und ähnliche Bildungen) und n. 3 
in ö den Spiritus, in letzterer Inschrift aber daneben auch noch 7 in dem 
Namen TyAspos; sonst bleibt der Hauch regelmäfsig ohne Bezeichnung. 
Damit stimmt, dafs nirgends sich ein Beispiel findet, dafs B für langes e 
stände; denn B£TASA in n.10 ist doch wohl nur ein Versehen für BMAsS£&, 
wie deren noch manche vorkommen (!), und warum in der grofsen Inschrift 
Z. 4 MEAE9OS durchaus IIMAndes gelesen werden soll, und nicht Hlereücs, 
was eben so gut ist, sehe ich nicht ein. Ebenso ist n. 2 ‘Ereoi@tos (vgl. öge- 
Sirgobos u.s. w.) und nicht etwa “Hyncißıes zu verstehen, und das um so 
mehr, als in dieser Inschrift nicht nur das EB in Tyıcs den Vokal bezeichnet, 
sondern auch in Übereinstimmung damit der Spiritus beim Artikel 5 ohne 
Bezeichnung geblieben ist. Wir haben also anzunehmen, dafs zur Zeit der 
Inschriften der Gebrauch des EB insofern noch ein schwankender gewesen 
sei, als das Zeichen zwar schon ausnahmslos in allen vorkommenden Fällen 
für den langen E-Laut Verwendung gefunden habe, daneben aber noch ver- 
einzelt zur Bezeichnung des für gewöhnlich nicht mehr ausgedrückten Spi- 
ritus gebraucht worden sei, ganz wie dies auf den älteren Inschriften von 
Thera, Melos und Naxos der Fall ist, welche weiter unten besprochen 
werden sollen. 

Stellen wir hiernach das Alphabet zusammen, wie dies in Col. VII. der 
Tafel geschehen ist, so vermissen wir die Zeichen für Zeta und Xi. Das 
Fehlen des ersteren ist selbstverständlich rein zufällig, es mufs aber dasselbe 
auch von dem letzteren behauptet werden, da einmal der Inhalt der Inschrif- 
ten zu einer Verwendung desselben keine Gelegenheit bot, wefshalb sich 
nicht nur das Zeichen, sondern überhaupt irgend ein Ausdruck für den da- 
mit zu bezeichnenden Laut, der eben zufällig nicht vorkommt, nicht findet, 


(') Z.2 der grolfsen Inschrift ist in ®EOKANOS ein E ausgefallen, ebenso Z. 4 vor 
dem letzten Namen OVAAMO ein ® (®ovdcuov). Auch kann man sich Z. 3 kaum anders 
helfen, als durch die Annahme, ISOMOTAMOS sei verschrieben aus EsOONOTAMOS 


(es 6 ö rorauos). N.7 scheint D für D verschrieben (Hasıpav ö ‘Irmo....). 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 151 


sodann aber auch, weil das Alphabet nicht nur ein $ und x, sondern auch 
ein besitzt und es nicht glaublich erscheint, dafs man zwar das Bedürfnifs 
empfunden habe für die Lautverbindung 7 u. s. w. ein besonderes Zeichen 
zu besitzen, in Bezug auf Verbindungen der Gutturale mit dem Zischlaut 
aber ein solches sich noch nicht geltend gemacht habe. Es kommt zwar in 
Alphabeten der zweiten Reihe häufig vor, dafs ein £ sich findet, aber noch 
kein W, der umgekehrte Fall aber ist bis jetzt wenigstens ohne Beispiel. 
Ungewifs dagegen bleibt die Entscheidung in Sachen eines dritten fehlenden 
Zeichens, nämlich des Vau. Es kommt in diesen Inschriften kein Wort vor, 
in welchem wir unter der Voraussetzung, dafs die Verfasser diesen Laut 
noch sprachen, das Zeichen zu finden erwarten dürften; dafs es sich nicht 
findet, beweist folglich nach keiner Seite. Unzweifelhaft fand es sich im 
Alphabete, ob es aber auch im Schriftgebrauche noch verwendet wurde, 
hing von dem Zustande der lautlichen Entwickelung des Dialektes in diesen 
Zeiten ab, von der wir nur unzureichende Kenntnifs besitzen. Es darf mit 
Sicherheit angenommen werden, dafs der Laut von den Ionern in dieser 
Zeit nicht mehr gesprochen, das Zeichen folglich auch nicht mehr verwen- 
det wurde; von den Dorern dieser östlichen Gegenden kann dies indessen 
nicht mit derselben Bestimmtheit behauptet werden. Es rühren aber unsere 
Inschriften von Leuten theils ionischer, theils dorischer Zunge her. So 
sind n. 2 und 5 von Ionern aus Teos und Kolophon geschrieben, n. 1. 6. 10. 
dagegen zeigen dorischen Dialekt und wenn der Python von n. 4 nach einer 
oben bereits ausgesprochenen Vermuthung der Bruder des in n. 1 sich nen- 
nenden Archon war, so haben wir auch ihn für einen Dorer zu nehmen. 
Aus welcher Gegend diese Dorer stammten, lehrt n. 3, als deren Schreiber 
sich ein Rhodier nennt: TyAsbes u’ eygade ö’laAucıco[s...; die Vermuthung 
liegt nahe, dafs auch von den übrigen dorisch redenden Schreibern einige we- 
nigstens Rhodier waren; andere mögen aus anderen Städten der dorischen 
Hexapolis oder aus Phaselis nach Aegypten gekommen sein, um als Reis- 
läufer zu dienen. Ungewifs bleibt unter diesen Umständen nur die Nationa- 
lität der Verfasser von n. 7. 8. (9). Trotzdem bedienen sich alle desselben 
Alphabets, welches augenscheinlich das ionische der damaligen Zeit ist, 
das sich von dem der milesischen Inschriften aus Ol. 60 nur dadurch unterschei- 
det, dafs es das Q noch nicht kennt und statt & das Zeichen $ verwendet, 
welches auch sonst sich erfahrungsmäfsig stets als älter im Gebrauche erweist, 


152 Kırcnanorr: 


denn jenes. Dafs es aufserdem auch noch das Koppa an Stelle des Kappa 
vor einem o zur Anwendung bringt, begründet ebenfalls höchstens einen 
Unterschied des Alters und vielleicht nicht einmal diesen, da die bis jetzt 
bekannten Denkmäler die Annahme wenigstens nicht nothwendig machen, 
dafs das Koppa schon um Ol. 60 aus dem Gebrauche verschwunden gewesen 
sei. Die Richtung der Schrift ist zwar fast überall, auch in den mehrzei- 
ligen Inschriften, entschieden rechtsläufig; allein die Stellung des $ ist in 
n. 5 und 10 eine linkshin gewendete und n. 10 zeigt entschieden furchen- 
förmige Anordnung der Zeilen im Übergange aus der rechtsläufigen in die 
linksläufige Richtung. Dafs aber Rhodier schon in so früher Zeit sich des 
ionischen Alphabetes bedienten, ist eine Thatsache, welche wir eben auf das 
Zeugnifs dieser Inschriften annehmen müssen, und die um so weniger auffal- 
lend erscheinen wird, wenn wir erwägen, dafs schon um die 33. Olympi- 
ade das ionische Epos sich nach Rhodos verbreitet und hier zur Nachah- 
mung angeregt hatte. 

Kaum ein halbes Jahrhundert später nämlich, als diese Zeit, werden 
die Inschriften zu setzen sein. Dafs sie älter seien, als die 60. Olympiade, 
ist nach dem Obigen aus epigraphischen Gründen nothwendig anzunehmen 
und wird daran heut zu Tage schwerlich noch Jemand zweifeln wollen. 
Eine genauere Zeitbestimmung verstatten die Umstände, unter denen sie 
nach ihren eigenen Angaben an jenem entlegenen Orte angebracht worden sind. 
Nach der Erzählung von n. 1, verglichen mit der Angabe in n. 10, geschah 
dies nämlich zu der Zeit, als König Psammatichos mit Heeresmacht nach 
Elephantine, und zwar, wenn meine Lesung des Schlusses von n. 10 das Rich- 
tige treffen sollte, überhaupt zum ersten Male während seiner Regierung, 
gekommen war. Damals unternahm eine Abtheilung seiner griechischen 
Söldner unter Führung des Psammatichos, Theokles’ Sohn, begleitet von 
zwei des Landes kundigen Leuten, dem Aegypter Amasis und einem Ae- 
thiopen barbarischen Namens, von Elephantine aus, vielleicht auf eigene 
Hand, vielleicht auch im Auftrage des Königs, eine Entdeckungsreise auf 
dem Nil. Sie drangen auf dieser für damalige Zeiten kühnen und abenteu- 
erlichen Fahrt südwärts über die weiter nicht bekannte Örtlichkeit von Ker- 
kis so weit vor, als nach ihrer Angabe die Beschaffenheit des Fahrwassers es 
ihnen verstattete, also etwa bis zur zweiten Katarakte. Auf dem Rückwege 
legten sie bei Abu Simbel an und stifteten hier in der Nähe des Endpunktes 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 6%} 


ihrer Reise ein Erinnerungszeichen, indem sie in aller Namen die grofse In- 
schrift n. 1 auf dem linken Bein des einen Kolosses durch zwei des Schrei- 
bens kundige Kameraden anbringen liefsen. Einzelne Mitglieder der Gesell- 
schaft, welche dieser in damaliger Zeit gewifs nicht allgemein verbreiteten 
Kunst sich ebenfalls rühmen konnten, benutzten gleichzeitig die Gelegenheit 
ihre Namen privatim zu verewigen und dieser Regung des Ehrgeizes Einzel- 
ner verdanken die kleineren Inschriften ihre Entstehung. Es fragt sich nur, 
ob unter dem aegyptischen Könige Psammatichos, unter dessen Regierung 
dieses Ereignifs sich zugetragen haben soll, der erste oder zweite dieses Na- 
mens zu verstehen ist. Für den ersten haben sich aufser Anderen Lepsius, 
Rofs und, wenn auch nicht ganz bestimmt, Franz erklärt, den zweiten will 
Bergk (!) verstanden wissen, vorläufig ohne Angabe der Gründe. Von dem 
letzteren, welchen Herodot Psammis nennt, berichtet dieser, dafs er kurz 
vor seinem Tode einen Heereszug nach Aethiopien unternommen habe (?), 
auf welchem er ohne Zweifel Elephantine berührt haben wird. Aber auch 
von dem ersten Psammatichos ist unbestreitbar, dafs er Elephantine besucht 
hat. Denn zu seiner Zeit bereits war die Insel der Gränzplatz gegen die 
Aethioper und die Erzählungen von den auf seinen Befehl in der Nähe der 
Insel ausgeführten Sondirungen im Nil, so wie von seiner Verfolgung der 
von Elephantine nach Aethiopien desertirenden Krieger (?) berechtigen zu 
der Annahme, dafs er nicht nur einmal, sondern öfter den Platz besucht 
hat. Dafs dies auch einmal an der Spitze einer Heeresmacht geschehen sei, 
sehe ich keinen Grund in Abrede zu stellen. Schon der erste Psammatichos 
ferner nahm bekanntlich ionische und karische Söldner in Dienst, welche 
unter ihm und seinen Nachfolgern eine stehende 'Truppe bildeten und sich 
gegen das Ende der Regierung des Apries angeblich auf 30,000 Mann be- 
liefen (*). Bei solcher Lage der Sachen fällt die Entscheidung schwer und 
ich wenigstens sehe nicht, auf welchem Wege eine Gewilsheit zu erlangen 
sein sollte. Dagegen muls ich bekennen, dafs mir die gröfsere Wahrschein- 
lichkeit dafür zu sein scheint, dafs das Ereignifs in die Regierung des ersten 
Psammatichos gehört; denn was wir aus den Inschriften über das Unter- 


(!) Philologus XII. S. 579. 

(2) II, 160. 

(°) Herodot II, 28. 30. 

(') Derselbe II, 163. 

Philos.- histor. Kl. 1863. U 


154 Kırcnanorr: 


nehmen ihrer Verfasser entnehmen können, charakterisirt dasselbe ganz und 
gar als einen ersten Versuch der Recognoseirung eines fremden und unbe- 
kannten Grenzlandes, das zwar auch späterhin feindlich blieb, aber seit der 
Errichtung des Grenzpostens auf Elephantine allmählig bekannter werden 
mufste, so dafs zu den Zeiten des zweiten Psammatichos eine Exploration 
dieser Art, die sich nicht über die zweite Katarakte hinaus erstreckte und 
lediglich auf dem Flusse ausgeführt wurde, überflüssig gewesen sein dürfte, 
weil sie Neues kaum lehren konnte. Für unseren Zweck ist überdem der 
Ausfall der Entscheidung von keinem besonderen Belang. Denn wenn wir 
auch das Unternehmen in die Zeiten des ersten Psammatichos versetzen, 
sehen wir uns doch, wie Rofs richtig bemerkt hat, genöthigt, in die letzte 
Hälfte seiner Regierung herabzugehen, da der Führer der Gesellschaft, der 
als der Sohn des Theokles bezeichnet wird und folglich ein Grieche war, 
bereits den Namen Psammatichos führt, den er schwerlich selbst ange- 
nommen hat. Ist er ihm aber bei seiner Geburt gegeben worden, so kann 
der Mann erst in einer Zeit geboren sein, zu der der Verkehr der klein- 
asiatischen Griechen mit Aegypten nicht mehr ganz jung war, also frühestens 
einige Zeit nach der Einigung der aegyptischen Dodekarchie durch Psamma- 
tichos, und ein Unternehmen, bei dem er als Führer fungiren konnte, mufs 
nothwendig frühestens in die späteren Regierungsjahre dieses Königs fallen. 
Ob aber die Inschriften in die 40., oder erst in die 47. Olympiade fallen 
(denn auf diesen Abstand würde sich dann der Unterschied der Zeit redu- 
ciren), ist eine Frage, deren Entscheidung für die Geschichte des Alpha- 
bets von keiner wesentlicher Bedeutung ist. Denn sollten die Inschriften 
auch wirklich erst in das Jahr vor dem Tode des zweiten Psammatichos und 
also in Ol. 47 gehören, so wird doch Jedermann gern zugeben, dafs der 
Zustand des Alphabets, in welchem sie geschrieben sind, dreifsig Jahre 
früber kaum ein wesentlich verschiedener gewesen sein wird. 

11. Bleiben wir also, um sicher zu gehen, bei dieser spätesten mög- 
lichen Datirung stehen, so lehren uns diese Inschriften einmal das Ent- 
wickelungsstadium kennen, welches das ionische Alphabet um die 47. Olym- 
piade erreicht hatte und dessen wesentliche Unterschiede von demspäteren der 
60. Olympiade bereits oben kurz angegeben worden sind; sodann aber 
entnehmen wir aus ihnen die Thatsache, dafs dieses Alphabet zu der an- 
gegebenen Zeit auch bei den dorisch redenden Griechen des südwestlichen 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 155 


Kleinasiens, insbesondere auf Rhodos, allgemein verbreitet und im Ge- 
brauch war. Wann es sich über diese Gegenden verbreitet, läfst sich bei 
dem Mangel so hoch hinaufreichender epigraphischer Denkmäler dieses 
Bereiches nicht mehr feststellen; Aufschlufs würden vielleicht hierüber die 
Inschriften einer in der 25. Olympiade von Rhodos deducirten Colonie, 
nämlich des sicilischen Gela geben, wenn sie sich nicht auf das geringe 
Mafs der älteren Münzlegenden dieser Stadt, CEAA&, und die allzu kurze 
Aufschrift eines ehernen Würfels, vermuthlich eines Gewichtstückes, be- 
schränkten, welche C. 1. G. 8521 publieirt worden ist: 
TONCRAOIONR MI 

Leider fehlen gerade die charakteristischen Zeichen, aus denen sich die 
Stellung des Alphabets zu anderen abnehmen liefse. Der Mangel des Q, 
die Aufnahme des späteren X und selbst die besondere Modification der 
Gestalt des Gamma, welche beide Male begegnet, sind aber Kriterien von 
nicht entscheidender Bedeutung und lassen uns über das Verhältnifs dieses 
Alphabets zum ionischen wie zu andern völlig im Dunkeln. 

12. Dagegen findet die Thatsache einer sehr frühen Verbreitung des 
ionischen Alphabets bei den Dorern Kleinasiens und der benachbarten 
Inseln eine erwünschte Bestätigung durch ein Denkmal von Kypros, welches 
in der Revue archeologique 1862 S. 247 beschrieben wird als ‘szele formee 
de deux lions adosses audessus du globe ailE egyptien’. Auf der einen 
Seite der Plinthe finden sich ‘sept lettres chypriotes’, auf der andern steht 
die dorische Inschrift: 

KAPVE EMI 
Das Denkmal scheint sehr alt und das E beweist, dafs das Alphabet der 
Inschrift das ionische ist. Die Herrschaft ionischer Bildungselemente auf 
Kypros ist überdem hinlänglich durch die Pflege bezeugt, welche hier schon 
in verhältnifsmäfsig frühen Zeiten das Epos fand und von der einzelne der 
homerischen Hymnen und die Kurgı« &rn des Stasinos sich eine Vorstellung 
zu bilden noch jetzt verstatten. Dafs mit der Dichtung auch das Alphabet 
vom ionischen Festlande her hier Eingang fand, ist sonach leicht erklärlich. 

13. Ebenso unverkennbar ist der Einflufs, den das ionische Alphabet 
auf die Gestaltung der Schrift bei den barbarischen Nachbarn in Kleinasien, 
namentlich den Phrygern und Lykiern, ausgeübt hat. Im besonderen 
mufs das lykische Alphabet, welches uns in zahlreichen Schriftdenkmälern 

U2 


156 Kırcunorr: 


einer späteren Periode seit geraumer Zeit zugänglich geworden ist, als ein 
freilich durch zahlreiche Differenzirungen erweiterter und modifieirter Ab- 
leger des ionischen bezeichnet werden. Da die Ableitung in ziemlich früher 
Zeit Statt gefunden zu haben scheint, so steht zu erwarten, dafs eine ge- 
nauere Erforschung deß Iykischen Alphabets Aufschlüsse über den früheren 
Bildungsprocefs des Mutteralphabets gewähren werde; leider ist die Be- 
stimmung der lautlichen Geltung der einzelnen Zeichen des Iykischen Alpha- 
bets (auf die es hier mehr, als auf die Gestalt derselben ankommt, da in 
letzterer Beziehung bei fortdauernder Berührung eine allmählige Ausgleichung 
zwischen beiden sich vollzogen zu haben scheint) noch so wenig methodisch 
begründet, dafs es gerathen erscheint, von einer Benutzung dieses wichtigen 
Hülfsmittels für die vorliegende Untersuchung vorläufig noch Abstand zu 
nehmen. Ich begnüge mich daher, auf diesen Punkt und die Aussicht, die 
er gewährt, hingewiesen zu haben, und wende mich der Betrachtung der 
westlichen Alphabete, zunächst der der Inseln, zu. 


2. Die Alphabete der Inseln des Aegaeischen Meeres. 
Thera und Melos. 


14. Der Vorrath von archaischen Inschriften von Thera, durchaus 
Grabinschriften, welche selten mehr als blofse Namen enthalten, ist seit 
der Zeit, dafs durch Boeckh in den Abhandlungen der philos.-histor. Klasse 
dieser Akademie 1836 S. 41 ff. (n. 1-20) die ersten nach Abschriften von 
Prokesch und Rofs bekannt gemacht worden sind, nicht erheblich vermehrt 
worden (!). Indessen liefs sich schon aus jenem ursprünglichen Material 
das Alphabet (Columne VIII) dieser Inschriften, die nach Ausweis ihres epi- 
graphischen Charakters ein und derselben Entwicklungsperiode des Schrift- 
gebrauches angehören, so vollständig darstellen, dafs die später bekannt 
gewordenen Denkmäler derselben Gattung nur dazu haben dienen können, 
schon feststehendes und bekanntes durch neue Belege zu bestätigen; die in 
den Boeckhschen Inschriften zufällig nicht vorkommenden Zeichen des Beta, 


(') Vgl. Rofs Inser. ineda. II p. 82 n. 199 (Eopru. &g%, 429. Rangabe 3. Lebas Taf. V, 
7), n. 201 a und 5 (Rangabe 355); ferner Bulletino dell’ inst. archeol. 1842 p. 173 (Rheini- 
sches Museum 1843 p. 443. Lebas Tf. V, 12), auch ’Epyu. @o%x. 437 (Rangabe 2. Lebas 
T£. V, 6). 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 157 


Vau und Zeta sind auch bis jetzt noch, ebenfalls zufällig, in Beispielen nicht 
nachgewiesen. Es versteht sich von selbst, dafs das erste und dritte von 
diesen unbedingt als im Alphabete vorhanden und in der Schrift gebraucht 
vorauszusetzen sind; auch von dem Vau bin ich indessen geneigt dies anzu- 
nehmen, obwohl sein Gebrauch wenigstens in der Zeit der Inschriften ein 
schon sehr beschränkter gewesen sein mufs. Denn nicht nur zeigen Namen- 
formen, wie Acovridas, Ilegiras, Kisayogas und die verhältnifsmäfsig häufigen 
Bildungen auf -»Ays, dafs der Laut, den das Zeichen ausdrückte, im Inlaute 
der Wörter so gut wie verschwunden war, auch im Anlaute scheint, vor 
Consonanten (Pn&avwp) wie Vokalen ((OgSoxAns und sogar ’Is«os und ’Ire- 
»reidas, wenn Boeckhs Lesung von n. 13 die richtige sein sollte), sein Leben 
bereits im Verlöschen gewesen zu sein. Eine beschränkte Verwendung im 
Anlaut ist daher das Einzige, was nach Lage der Sachen als möglich zuge- 
standen werden kann. 

Dieses Alphabet nun steht in Bezug auf Alterthümlichkeit der Buch- 
stabenformen wie des Bestandes der Zeichen nicht nur auf ganz gleicher 
Stufe mit dem ältesten ionischen Alphabete der Söldnerinschriften, sondern 
übertrifft dasselbe noch um ein Bedeutendes. Zwar wird, wie dort, das 8 
schon nicht mehr ausschliefslich zur Bezeichnung des Hauches, sondern 
daneben schon ziemlich regelmäfsig (nur einmal findet sich langes e noch 
durch E ausgedrückt in ‘Pn£avwe) zu der des langen e verwendet; allein das 
Jota hat noch nicht die Gestalt des einfachen, sondern des gebrochenen 
Striches in den mannigfaltigsten Modificationen und der Zischlaut wird weder 
durch £ noch $, sondern durch das im Gebrauch stets ältere M bezeichnet, 
und zwar ausnahmslos. Denn die Form £Z, welche wohl auch daneben an- 
gesetzt worden ist, beruht auf einem Irrthum, zu dem Inschrift n. 16 bei 
Boeckh den Anlafs gegeben hat. Diese Inschrift folgt in ihrer Richtung 
dem Rande des viereckigen Steines, auf dem sie eingehauen ist: an der 
unteren linken Ecke beginnend geht sie bis zu dessen unterer rechten Ecke, 
wendet hier nach oben und läuft längs der rechten Seitenkante bis zur oberen 
rechten Ecke, wo sie im Begriff nach der oberen Kante umzubiegen mit dem 
fraglichen Zeichen endigt: one To] 


158 Kırcanorr: 


Es scheint mir hiernach deutlich, dafs dasselbe nicht als Schlufs der Seiten- 
zeile, sondern als Anfang der mit ihm beginnenden Oberzeile zu betrachten 
ist, und dafs die Absicht war, die Zeichen der Oberzeile so zu stellen, dafs 
ihr Fufs, nicht ihr Kopf nach der Oberkante gerichtet war, welche Absicht 
durch den rein zufälligen Umstand einigermafsen verdunkelt worden ist, 
dafs auf diese Oberzeile nur ein einziger Buchstabe, gerade dieses M, zu 
stehen kam. Denken wir uns die Inschrift, etwa durch IgoxAeove, fortgesetzt, 
so würde sie folgendes Aussehen erhalten haben: 


WOINAOIUNW 
[e) 
= 


LIL 
ya 
®APYMTO 


Es ist folglich kein Anlafs vorhanden, allein auf Grund dieser Inschrift 
neben dem regelmäfsigen M ein Z im Alphabete zu statuiren. Noch alter- 
thümlicher indessen, als durch die ausschliefsliche Anwendung einzelner, 
wenigstens im Gebrauche älterer Zeichen, erscheint das Alphabet durch den 
Umstand, dafs es von den nicht phoenikischen Buchstaben nur das Y, aber 
noch kein £, W, $, % besitzt, welche Laute und Lautverbindungen es viel- 
mehr durch die Buchstabenverbindungen zo, 70, Th, xh ausdrückt. Zwar 
scheint auf der Inschrift n. 2 bei Boeckh das Zeichen ® vorzukommen: 


|PoRrVvom 


allein die Lesung dieses Namens ist so wenig sicher, da auch die Bedeutung 
des dritten Zeichens nicht klar ist, dafs es gerathen scheint, auf dieses ® 
sich nicht allzusehr zu verlassen und es weder für $ noch für Koppa (dieses 
erscheint in seiner normalen Gestalt als ? auf n. 1) in Anspruch zu nehmen, 
sondern einfach auf ein Versehen des Abschreibers zurückzuführen, zumal 
da gerade diese Inschrift nebst einigen anderen nur in einer Kopie, und 
zwar nicht durch eine Rossische, bezeugt ist. Dagegen scheint sicher, dafs 
für © die beiden Zeichen O und © nebeneinander im Gebrauche waren. 
Denn der Grund dieser Verschiedenheit kann nicht in dem Unterschiede der 
Zeit oder der individuellen Gewöhnung verschiedener Steinhauer gefunden 
werden, da beide Zeichen sich in einer und derselben Inschrift (Bulletino 
arch. 1842 p. 173) neben einander verwendet finden: 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 159 
sSMJBMoMOINA 


d. h. "Argwvos eiuu. Aufser hier findet sich das © nur noch in den Inschriften 
des Steines n. 1 bei Boeckh, der durch Rofs nach Athen geschafft und des- 
sen Aufschriften von Rangabe 1 und Lebas Tf. I, 4 später von Neuem publi- 
eirt worden sind; auf allen übrigen ohne Ausnahme nur ©. Auf jenem Stein 
finden sich die neun Namen “PnEavug, "Apyayeras, TNooxAys, KAsayogas Ileıgpaı- 
eus, "AyAwv, IlegiAas, MaAyxos, Acovridas und ’OgSoxR%s, offenbar zu verschiedenen 
Zeiten und wahrscheinlich auch von verschiedenen Händen, eingetragen. 
Boeckh giebt in diesen Namen überall ©, wie aus S. 55 zu ersehen, nach Rofs, 
während die Prokeschsche Abschrift nur in dem einen Namen "AyAwv ein ©, 
sonst überall O bot. Der Lebassche Stich dagegen kennt nur O und kein 
einziges ©, Rangabe wiederum beides, und zwar © in 'Pr£avup und "AyAuv, 
O in Ilgendns, KAeayogas, Acovridas und "OgSoxArs (an beiden Stellen). Nimmt 
man hierzu die Thatsache, dafs in allen übrigen Inschriften das dort allein 
überlieferte O regelmäfsig nur die Laute o oder ov bezeichnet, mit einziger 
Ausnahme des überdem nicht sichern Beispieles n. 155 MY1sI0A, was 
Boeckh Augı[e]us gelesen hat, welche Lesung aber doch nicht aufser allem 
Zweifel steht, so wird die Vermuthung sich nicht abweisen lassen, welche 
eine genauere Untersuchung des zum Glück zugänglichen Steines n. 1 ent- 
weder bestätigen, oder widerlegen wird, dafs die ursprünglich identischen 
Zeichen O und © im Zeitalter dieser Inschriften bereits zu einer Differenzi- 
rung der Laute o (ov) und w in der Weise verwendet worden seien, dafs mitO 
übereinkömmlich der kurze Laut und der Diphthong, mit © der lange O-Laut 
bezeichnet wurden. Diese Annahme ist um so wahrscheinlicher, als, wie 
sich zeigen wird, auch das dem theraeischen so nahe verwandte Alphabet 
des benachbarten dorischen Melos schon in sehr früher Zeit die Neigung 
verräth, kurzes und langes o in der Schrift zu unterscheiden und zu diesem 
Behufe in freilich eigenthümlich abweichender und ganz eigenartiger Weise 
sich durch Differenzirung des O ein Zeichen für den langen O-Laut geschaf- 
fen hat, die Berufung auf das verhältnifsmäfsig späte Auftauchen des Q im 
ionischen Alphabete folglich als beweisende Instanz gegen diese Annahme 
nicht gelten kann. 

Die Richtung der Schrift ist in diesen Inschriften, in Übereinstimmung 
mit dem alterthümlichen Charakter des ganzen Alphabets, theils links-, 
theils rechtsläufig, sowohl in ein-, als in mehrzeiligen Inschriften, so zwar, 


160 Kırcnanorr: 


dafs die Anzahl der Beispiele für beide Weisen bis jetzt ziemlich dieselbe ist 
(17 und 15); seltener, nur in drei sicheren Beispielen vertreten, ist daneben 
die furchenförmige Anordnung der Zeilen mit abwechselnd links- und rechts- 
läufiger Schrift. 

Was das Zeitalter dieser Inschriften betrifft, so ınufs ich bekennen, 
dafs die Gründe, auf die hin Boeckh S. 71 ff. die eine derselben in die Epo- 
che der Perserkriege, eine andere in die vierziger Olympiaden glaubte verwei- 
sen zu können, für mich nichts Überzeugendes haben, wie er denn selbst 
weit davon entfernt ist, ihnen zwingende Beweiskraft beizulegen. Ich glaube 
vielmehr, dafs aus dem Inhalt der Inschriften Merkmale ihres Zeitalters ab- 
leiten zu wollen ein ganz vergebliches Unternehmen ist und dafs lediglich 
der Charakter der Schrift und die Beschaffenheit des Alphabets als Anhalts- 
punkt benutzt werden können, um eine wenn auch nur ungefähre Zeitbestim- 
mung zu gewinnen. Es steht zwar nicht fest, dafs die Entwickelung des 
Alphabets auf Thera der des ionischen auf dem Festland vollkommen parallel 
verlaufen ist, und es ist denkbar, dafs sie einen stabileren Charakter gehabt 
hat, allein es ist auch nicht der mindeste Grund zu der Annahme vorhanden, 
dafs diese Entwickelung sich auf Thera sehr viel langsamer vollzogen habe. 
Da nun der Standpunkt, auf dem das Alphabet dieser ältesten Inschriften 
steht, augenscheinlich ein sehr viel älterer ist, als selbst der der Söldner- 
inschriften von Abu Simbel, so wird es schwerlich zu hoch gegriffen sein, 
wenn ich annehme, dafs sie in Anbetracht der schon hervorgehobenen Gleich- 
artigkeit des Charakters ihrer Schrift sammt und sonders der zweiten Hälfte 
des 7. Jahrhunderts angehören und vielleicht noch über die 40. Olympiade 
hinauf zu setzen sind. 

Über den Gang, den die weitere Entwickelung des Alphabets auf 
Thera bis zur Reception des ionischen Alphabets genommen, und über die 
Zeit, zu der die letztere Statt gefunden, sind wir nicht unterrichtet. Denn 
zwischen den ältesten, so eben besprochenen Inschriften und den zahlreichen 
späteren aus der Zeit der ausschliefslichen Herrschaft des ionischen Alphabe- 
tes liegt eine weite Kluft, welche durch dasjenige nicht hinreichend ausge- 
füllt wird, was aus der einzigen sicher in diese Zwischenzeit gehörigen Inschrift 
C.1.G. 2476: (Rangabe 2224) 

®EO®EMIOZ 
entnommen werden kann. Die Gestalt des Theta zeigt, dafs die Inschrift 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 161 


ziemlich alt sein mufs, I gegen $, M degen M, & gegen M der ältesten In- 
schriften gehalten den für eine spätere Zeit vorauszusetzenden Fortschritt im 
Gebrauche und der Gestaltung der Zeichen; allein gerade die charakteristi- 
schen Buchstaben, welche über den Umfang und die Besonderheiten dieser 
jüngeren Gestaltung des Alphabets Aufschlufs geben könnten und allein zu 
geben im Stande wären, fehlen. Diese empfindliche Lücke wird indessen 
einigermafsen ausgeglichen durch unsere genauere Kenntnifs der Entwicke- 
lungsgeschichte des Alphabets auf dem benachbarten und stammverwandten 
Melos, zumal da dessen älteste uns bekannte Gestalt mit der des ältesten 
theraeischen nahezu identisch ist und die Annahme einer mehr als zufälligen 
Beziehung beider zu einander gar nicht zu umgehen ist. 

15. Die Entwickelungsgeschichte des melischen Alphabets ist von 
Rofs Inser. inedd. III p. 1 segq. in so klarer und befriedigender Weise ge- 
zeichnet worden, dafs ich im Wesentlichen nur das von ihm Gesagte zu wie- 
derholen und etwa mit Hülfe des nach ihm bekannt gewordenen Materials 
hin und wieder zu ergänzen haben werde. Er setzt mit Recht vier Stadien 
der Entwickelung als in den Inschriften erkennbar an. 

Das älteste uns erreichbare Stadium ist vertreten durch die aus zwei 
rechtsläufigen Zeilen bestehende metrische Dedikationsinschrift des bekannten 
Säulenschaftes der Sammlung Nani (C. 1. G. 3), der aus Melos stammt. Ihr 
Alphabet findet sich auf der Tafel in Columne IX, 1 zusammengestellt. Die 
zufällig nicht vorkommenden Zeichen Beta, Zeta, Theta und Koppa dürfen 
unbedenklich als vorhanden vorausgesetzt werden; weniger sicher ist dies in 
Bezug auf das gleichfalls fehlende Vau, mit dem es ähnlich stehen dürfte, wie 
im Alphabete der theraeischen Inschriften, mit dem das vorliegende als iden- 
tisch betrachtet werden kann. Denn nicht nur finden sich hier gleichfalls 
die älteren Formen W, 4, M für M, I, $ oder &£ verwendet, was an sich 
noch nichts beweisen würde, sondern es fehlen auch wie dort von den nicht- 
phoenikischen Zeichen das $, welches durch zz, das x, welches durch »2, 
und das £, welches durch #r gegeben wird, ohne Zweifel also auch das % 
(obwohl der Mangel desselben sich zufällig nicht belegen läfst), wofür, wie 
im theraeischen Alphabete, vr wird geschrieben worden sein. Das H er- 
scheint auf dem Denkmale zufällig nur in den Verbindungen KH und TH und 
bezeichnet in diesen den Hauch; ein langes e kommt daneben nicht vor und 
es steht darum durchaus nichts der Vermuthung entgegen, dafs, wie im the- 


Philos.- histor. Kl. 1863. IR 


162 Kırcansorr: 


raeischen Alphabete, H aufser zur Bezeichnung des rauhen Hauches bereits 
auch als Ausdruck für langes e sei verwendet worden. Für o und w erscheint 
O und daneben kein ©; dafs aufserdem, vornehmlich in den Endungen, 
auch cv damit ausgedrückt wurde, ist vorauszusetzen, obwohl in TOYT 
der Diphthong mit OV geschrieben erscheint; denn diese Schreibung gerade 
dieses Wortes kann als die Regel auch für die Zeiten betrachtet werden, in 
denen man, nicht in den Endungen allein, sondern auch im Stamme, cv 
durch O auszudrücken pflegte, wie dies die Schreibweise der attischen In- 
schriften deutlich beweist. Abgesehen von dieser ganz unerheblichen Ab- 
weichung beschränkt sich die wahrnehmbare Verschiedenheit beider Alpha- 
bete auf die beiden Thatsachen, dafs das melische für M die alterthümlichere 
Form W, für EB dagegen die entschieden jüngere geöffnete Gestalt des 
Zeichens, H, verwendet. Jenes W reicht, wie sich zeigen wird, noch in 
die zweite jüngere Periode dieses Alphabets hinüber und scheint eine für 
die Bestimmung des relativen Alters bedeutungslose Besonderheit gerade des 
melischen Alphabets; bedeutsamer ist das Auftreten des H, aus dem 
ich schliefsen möchte, dafs das vorliegende Denkmal einer späteren Periode 
angehört, als die theraeischen Inschriften. Zu dieser Annahme stimmt, 
wenn auch zugegeben werden mufs, dafs sie an sich nichts beweist, die aus- 
geprägt und entschieden rechtsläufige Richtung der Schrift, in der nur im 
links gewendeten ’1 sich eine Spur des ursprünglicheren und älteren Ge- 
brauches erhalten hat. 

Für die folgenden drei Klassen hat sich das Material, welches, eine 
einzige Ausnahme abgerechnet, durchaus aus Grabschriften besteht, seit 
Rofs einigermafsen vermehrt; da es überdem sehr zerstreut ist, so erscheint 
es der Übersichtlichkeit wegen angemessen, das, was augenblicklich an 
Denkmälern dieser drei Klassen vorliegt, und zwar gleich nach den letzteren 
geordnet, zunächst zusammenzustellen. 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 163 


Zweite Periode. 


1 % 3: 
Rofs Inscr. inedd. TI. Rofs ib. Rofs ib. 
2.996. nS227R n. . 228. 
Inge APXı] 
OOM OolAaT IA1 
AA AOCK 
RANC AECM 
MNC 
4. 5. 6. 
Rangabe 2229. Rangabe 2230. Rangabe 2236. 
BOEC C<VO O22.C 
NO AA CAA MKC 
ZW. AYK RYOC 
D CR 
CNCM 
7: 8. 
Philologus IX. S. 393 ('). C.1.G. 2434 (?). 
AAN CKREON 
ANEOHKE 


(') Ich benutze ein Baumeistersches Ms., welches sich bei der Sammlung zu den Sup- 
plementen des C. I. G. findet 

(°) Die angenommene Gestalt des My ergiebt sich nach einer richtigen Bemerkung von 
Rofs aus den Varianten der benutzten Abschriften, M und MI, 


X2 


164 KircHauorr: 


Dritte Periode. 


1% 2. 3 
Rofs n. 229. Rofs n. 230. Rofs n. 231('). 
br ZERR 
ErEF APIZ 
TETA TOM 
z<AAE HAHZ 
zınc ®IAE 
le OVYC=z 
4. 5. 
Rangabe 2227. Rangabe 2234. 
MENE MCIK 
KKAT AACR 
OIAE A<K 


INC 


Aus der zweiten oder dritten Periode. 


1 2. 3 4 


Rofs n. 233. Rangabe 2231. Rangabe 2233. Philologus IX. 
Rang. 2235 (?). S. 393. 
ETIAC OA nc lova 
BEVC, LON mA Ele 
AYKC \OM NYKP DAA 
WRINGE ATEC 


(') O in der zweiten Zeile für C scheint Versehen des Abschreibers. 


(?) Die von Rangab£ benutzte Abschrift ist in einigen Punkten genauer, als die Rossische, 
welshalb ich ihr gefolgt bin. Z. 2 hat Rols statt Y das Zeichen W. Es wird T zu lesen sein. 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 165 


Vierte Periode. 


4. 2. 3. 4. 
Rofs n.232. Rangabe 2228('). Rangabe 2232. C.1.G. 24362. 


mAY= ANA AKONFN 
IKAB PONTE HOBaS 
——  — ZTROMBIOZ 
ZAYT IOH= 
O®PA KYA 

IMO 


Hiernach sind die Alphabete in Columne IX, 2 u. 3 zusammengestellt. 
Die Richtung der Schrift ist, wie man sieht, auf allen diesen Denkmälern 
gleichfalls ohne Ausnahme rechtsläufig. Dagegen unterscheiden sich ihre Al- 
phabete von dem der ältesten Periode, abgesehen von dem A gegen A und E 
gegen £, durch die Annahme der ungebrochenen Linie I zur Bezeichnung 
des Iota (?) an Stelle der gebrochenen 4 und die Einführung der nichtphoe- 
nikischen Zeichen, #, %, & W, so wie dadurch, dafs sie das lange o in der 
Schrift von dem kurzen oder diphthongischen unterscheiden und durch ein 
besonderes Zeichen vertreten werden lassen. Zwar ist das Vohandensein 
eines X zufällig für keines der drei Stadien zu belegen, allein für die vierte 
Periode, in der das ionische Q erscheint, so gut wie das des ® und x, die 
hier zufällig auch nicht begegnen, selbstverständlich und für die beiden an- 
deren unbedenklich vorauszusetzen. Dasselbe gilt von dem £, welches 
sicherlich ebenso zufällig nur in der dritten vorkommt. Untereinander 
unterscheiden sich diese Alphabete wieder dadurch, dafs das älteste von ih- 
nen das rückwärts gewendete Gamma, "1, und die aus den ersten bekannten 
älteren Formen für My und den Zischlaut, /W und M, noch beibehält, wäh- 
rend die beiden anderen die jüngeren M und £ verwenden, so wie dadurch, 
dafs das erste und zweite im Gegensatz zum dritten in eigenthümlicher Weise 
das kurze o durch C, offenbar eine blofse Differenzirung aus O, bezeichnen, 
letzteres dagegen zum Ausdruck von » verwenden, während das dritte nach 
Aufnahme des ionischen 2 für w dem O die Bedeutung o, cu wiedergegeben 


(') H für H in der zweiten Zeile scheint lediglich Versehen des Abschreibers. 
(?) Mit Ausnahme der in dieser Hinsicht ganz allein stehenden Inschrift II, 1, welche 
in der Abschrift wenigstens & hat. 


166 Kırcauorr: 


hat. Vom Gebrauche des Digamma oder des Koppa zeigen sich keine Spu- 
ren, obwohl dies in Bezug auf das letztere zufällig sein mag. Das Zeichen M, 
welches auf I, 2 begegnet und welches Rofs als Koppa deuten wollte, scheint 
verlesen, da die dafür von ihm geltend gemachte Analogie jedenfalls hin- 
fällig ist ('). 

Hiernach ist das relative Alter der Inschriften mit Sicherheit zu be- 
stimmen und auch von Rofs richtig bestimmt worden. Schwieriger ist es 
eine absolute Zeitbestimmung für alle oder auch nur einige zu gewinnen. 
Bekanntlich wurde Melos Ol. 91, 1 nach Vernichtung oder Vertreibung 
der dorischen Bevölkerung durch attische Kleruchen besetzt und blieb in 
deren Besitz bis zum Ende des peloponnesischen Krieges, wo sie den Über- 
resten der alten Bevölkerung, welche Lysandros restituirte, wieder weichen 
mufsten (2). Inschriften von Melos in dorischem Dialekte und archaischem 
Alphabete, d. h. Inschriften der 1.-3. Klasse, gehören folglich der Zeit vor 
Ol. 91, 1 an, solche dagegen, welche zwar dorischen Dialekt aufweisen, 
aber in ionischem Alphabete geschrieben sind, d. h. Inschriften der vierten 
Klasse, würde man hiernach geneigt sein in die Zeit nach dem Ende des 
peloponnesischen Krieges zu setzen. Dies trifft auch zu in Bezug auf n. 4, 
welche Inschrift ich nur der Vergleichung wegen hergesetzt habe, und von 
der angegeben wird, dafs sie in Schriftzügen geschrieben sei, die dem vier- 
ten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung angehören. Dagegen ist Rofs 
geneigt, n. 1, und sicher auch 2 und 3, die er nicht gekannt hat, als er 
jene Anmerkungen niederschrieb, noch vor Ol. 91, 1 zu setzen und zwar 
wegen der horizontalen Linien, mit welchen die Zeilen eingefafst sind, und 
welche allerdings sonst nur auf älteren Denkmälern zu erscheinen pflegen. 
Es ist möglich, dafs er darin Recht hat; in der dritten Periode hatte sich 
das Alphabet bereits dem ionischen so weit genähert, dafs es nur noch der 
Einführung des Q bedurfie, um mit demselben völlig zusammenzufallen; es 
ist daher nicht abzusehen, warum dieser letzte Schritt nicht schon vor Ol. 
94, 1 hätte gethan werden können. Nach der andern Seite darf die Sache 
aber auch nicht durch jene Bemerkung als erwiesen betrachtet werden. 
Denn jene Linien sind wohl überhaupt nicht, jedenfalls nicht allein ein 


(') Vgl. Mommsen Unteritalische Dialekte S. 9. 
(2) Xenophon Hell. Gesch. I, 2.9. Plutarch. Lysandros 14. 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 167 


Zubehör der Schrift, sondern wenigstens zugleich auch ein Mittel, die im 
Übrigen kunstlos gearbeiteten Stelen mit einer Art von einfachem Schmuck 
zu versehen. Die Denkmäler beweisen, dafs dieses Mittel auf Melos ein alt- 
hergebrachtes und regelmäfsig angewendetes war, und es ist gar wohl möglich, 
dafs die in ihre Heimath zurückgekehrten Melier noch nach dem Ende des 
peloponnesischen Krieges einige Zeit hindurch fortgefahren haben, ihre 
Grabstelen in der vor Ol. 91, 1 üblichen und althergebrachten Weise aus- 
zustatten. Einen etwas bessern Anhalt gewähren die Legenden der älteren 
Münzen von Melos. Die ältesten derselben, ihrem Stile wie der noch in- 
cusen Prägung nach auf keinen Fall später als etwa Ol. 80 zu setzen, zeigen 
die Aufschriften IAA M, m oder MA und gehören nach der Form des M 
l 
zu schliefsen der dritten oder vierten Periode der Entwickelung des meli- 
schen Alphabets an. Wie man nun auch die oben berührte Frage über 
die Zeit des Eintrittes der vierten Periode entscheiden mag, so folgt doch 
aus dieser Thatsache so viel wenigstens mit Sicherheit, dafs die Inschriften 
der ersten und zweiten Periode, welche noch WM haben, erheblich älter 
sind, als die 80. Olympiade, da schon Legenden mit dem jüngeren M über 
diesen Zeitpunkt hinaufgehen. Es gehören also jene ältesten Inschriften 
unzweifelhaft dem sechsten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung an. 
Weiter, als bis in die erste Hälfte desselben, wird man nämlich selbst nicht 
die Inschrift des Säulenschaftes hinaufrücken wollen, deren Alphabet, wie 
oben bemerkt wurde, den Charakter einer etwas jüngeren Zeit, als die der 
alten theraeischen Grabschriften, trägt und darum frühstens dem bezeich- 
neten Zeitraume zugewiesen werden kann. Sie älter zu machen liegt kein 
Grund vor und hat auch nicht die geringste Wahrscheinlichkeit für sich. 
Gehören aber diese Inschriften in das sechste Jahrhundert, so ist es auch 
gewils, dafs die Aufnahme der Zeichen ®, %, & und &, welche in dieser 
Zeit erfolgte, aus dem Einflusse und der Einwirkung des ionischen Alpha- 
bets herzuleiten ist, das diese Zeichen längst kannte und das Muster gewesen 
sein mufs, welchem in Melos das alte Alphabet sich anbequemte. Zugleich 
ist klar, dafs die Reception dieser Zeichen aus dem ionischen Alphabete 
erfolgt sein mufs zu einer Zeit, wo letzteres noch kein Q besafs, also einige 
Zeit vor Ol. 60, weil man sonst auf Melos nicht nöthig gehabt hätte für das 
lange o durch Differenzirung des O ein besonderes Zeichen eigens zu er- 


168 Kırcnanorr: 


finden, sondern einfach das ionische Q so gut wie die anderen Buchstaben 
herübergenommen haben würde. Als dann später bei den Ionern das 2 
neben dem O aufkam, war keine Veranlassung vorhanden, sich dasselbe 
sofort anzueignen, da man mittlerweile sich in dem C ein Zeichen für den 
Laut selbständig geschaffen hatte, und es ist unter diesen Umständen sehr 
wohl möglich, dafs die vollständige Ausgleichung mit dem ionischen Alpha- 
bete durch Aufnahme des Q und Verwendung des O als Ausdruck für o, ou 
erst in sehr viel späterer Zeit, nach dem Ende des peloponnesischen Krieges, 
sich vollzogen hat. Ich setze demnach die Inschriften der ersten und zweiten 
Klasse in resp. die erste und zweite Hälfte des sechsten Jahrhunderts, die 
der dritten in die Zeit zwischen den Perserkriegen und Ol. 91, 4 und bin 
geneigt, die der vierten für jünger, wenn auch vielleicht nicht sehr viel 
jünger, als das Ende des peloponnesischen Krieges zu halten. 

46. Ich schliefse hieran unmittelbar die Besprechung der einzigen 
mir bekannten archaischen Inschrift von dem gleichfalls dorischen Kreta, 
weil sie, obwohl ihre Zugehörigkeit sich nicht sicher feststellen läfst, doch 
in einem Punkte wenigstens Verwandtschaft mit dem melischen Alphabete zu 
verrathen scheint und weil sie sich bei der lückenhaften Beschaffenheit des 
Materials nirgends sonst passend oder passender unterbringen läfst, als gerade 
an dieser Stelle. Sie ist in der Nähe des heutigen Eremopolis an der Ost- 
küste der Insel von Cpt. Spratt gefunden und von Ch. Babington unter den 
Inscriptiones Sprattianae (Cambridge Journal of Classical and Sacred 
Philology. March, 1855) unter n. VI S. 12 herausgegeben worden. Links 
fehlt Nichts, dagegen auf der rechten Seite zu Anfang einige Buchstaben, 
da der Stein hier abgebrochen ist. 


3W3DANJMOMW... 


Darunter die Figur eines Fisches. Der Herausgeber liest richtig ... . uwv Eyga- 
pe ue. Der Charakter der Schrift wie die linksläufige Richtung derselben 
beweisen das verhältnifsmäfsig hohe Alterihum des Denkmals. Hierzu kom- 
men die völlig gleichartigen sehr alten Aufschriften der Münzen von Lyttos 
mit IVTTSON oder AVTTSON und der von Gortys bei Leake (Numismata 
Hellenica. Ins. p. 18) mit ANMZAIJOTMOMVTION. Die Form des 
Iota, so wie der Gebrauch des M zur Bezeichnung des Zischlautes, vor 
Allem aber das W beweisen die nahe Verwandtschaft dieses Alphabets 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 169 


(Col. X) zu dem von Melos; doch weist das Vorkommen des ® auf einen 
vorgeschritineren Stand der Entwickelung hin, auf dem auch das X nicht 
gefehlt haben kann, während es dahin gestellt bleiben mufs, wie die Laute 
E und V um diese Zeit ausgedrückt worden sind. Ich bezweifele nicht im 
mindesten, dafs die Gestalt des Chi X oder + gewesen ist, würde mich aber 
auch nicht wundern, wenn künftige Entdeckungen daneben auch ein E oder 
gar ein Y (Wi) zu Tage fördern sollten. Dafs das Vau nicht nur in der 
Reihe seinen Platz hatte, sondern auch in der Schrift wirkliche Verwendung 
fand, beweist trotz des Mangels an gleichzeitigen Belegen doch zur Genüge 
der Umstand, dafs auch nach der Reception des ionischen Alphabets der 
Schriftgebrauch des Zeichens (F oder E) nicht entrathen konnte, wofür 
z. B. die Aufschriften der Münzen von Axos als Beleg dienen können. Eine 
eigenthümliche Speeialität ist das Zeichen C im letzten, mir übrigens nicht 
verständlichen, Theile der Aufschrift der Gortyner Münze. Es kann un- 
möglich ein Sigma sein, wie Leake annimmt, schon darum nicht, weil 
dasselbe unmittelbar daneben in der Gestalt M auftritt. Vielmehr scheint 
die Aufschrift einiger Münzen von Phaestos (auf dem Exemplar der Berliner 
Sammlung, welches Pinder S. 55 beschreibt, ist der erste Buchstabe nicht 
ganz deutlich; deutlicher tritt er auf einer Mionnetschen Schwefelpaste her- 
vor, welche ich vergleichen konnte) WO AIT MIA) zu beweisen, dafs da- 
rin eine besondere aus Vereinfachung des vollständigen D, das ja auf ande- 
ren Münzen derselben Stadt wie auf der zu Anfang erwähnten Steinschrift 
sich findet, hervorgegangene Form dieses Buchstaben zu suchen ist. 

Das I der zuletzt angeführten Aufschrift, statt $ der älteren zuerst 
genannten, weist trotz des noch beibehaltenen M auf ein etwas späteres 
Stadium der Entwickelung des Alphabets hin. Dasselbe ist aufserdem ver- 
treten durch die Legende vonPhaestos: WOITMIA®, von Rhaukos: - 
und von Lyttos: WOITTVA. Noch später weicht auch hier, wie überall, 
das M dem £. Eine chronologische Bestimmung von unbedingter Zuver- 
lässigkeit läfst sich der Lage der Sachen nach natürlich nicht geben; will man 
aber nicht annehmen, dafs die Entwickelung des Alphabets auf der Insel 
eine völlig isolirte gewesen sei, so wird man sich dazu verstehen müssen, 
die ältesten der vorgeführten Denkmäler bis nahe an die 50. Olympiade herauf- 
zurücken. 


Philos.-histor. Kl. 1863. Y 


170 Kırcanorr: 


17. Ich komme zu den Inseln mit ionisch redender Bevölkerung und 
bespreche zunächst das Alphabet von Paros, von dem meiner Meinung 
nach in der Inschrift C.I. G. 24 eine Probe vorliegt. Der Säulenstumpf, 
in dessen Cannelirungen die dreizeilige metrische Inschrift sich findet, wurde 
um das Jahr 1738 von einem griechischen Schiffe nach Ancona gebracht und 
gelangte von dort später in die Sammlung des Annibale Olivieri zu Pesaro. 
Paciaudi, der nach einer ihm von Ölivieri mitgetheilten Zeichnung das 
Denkmal zuerst publieirte, giebt an, es stamme ‘ex Peloponneso aut fini- 
timis certe locis’ (Monumenta Peloponnesia 1. p. 77); eine Ausdrucksweise, 
welche beweist, dafs sichere und zuverlässige Angaben über Herkunft und 
Fundort des Denkmales ihm nicht vorlagen. Unter diesen Umständen ist eine 
Bestimmung der Zugehörigkeit desselben aus inneren Gründen die einzige, 
welche zulässig erscheint und der gegenüber, wenn sie gelingen sollte, die 
vagen Angaben einer unverbürgten Tradition nicht in Betracht kommen 
dürfen. 

Der Dialekt der Inschrift ist entschieden kein dorischer, wie das in 
dem zweiten Verse begegnende wyrrg hinlänglich beweist. Demnach darf 
das TQMTADIN des dritten Verses nicht als #@ Nagiw gelesen werden und 
man könnte sich versucht fühlen unter Voraussetzung einiger Ungenauigkeit 
der Copie TOMADIO zu corrigiren. Dagegen spricht aber entschieden 
der Umstand, dafs in vo (Z. 1) und romue (Z. 3) das o, und in dem Genetiv 
"Ashariv (Z.2, von ’Acwaruos, nicht *Arparias) der Diphthong cv gleichfalls 
mit Q geschrieben erscheinen und auch in diesen Fällen ein Versehen des 
Abschreibers anzunehmen wenig Wahrscheinlichkeit für sich hat. Völlig 
entscheidend aber für die Genauigkeit der Copie ist das Zeugnifs einer 
archaischen Felseninschrift von Siphnos, welche C. I. G. 2423 ce und 
genauer von Rofs (Inscr. inedd. II. p. 5; vgl. auch Lebas Tf. VI, 14) 
herausgegeben worden ist: 

NVODEON 
HIERQKN() 
d.h. offenbar Nu(u)®ewv iegov. Hier bezeichnet deutlich das © (oder O) den 
langen, das Q dagegen den kurzen Vokal, und würde letzteres der Analogie 
nach unzweifelhaft auch den Diphthong vertreten, wie in dem ionischen 


(') In der ersten Zeile haben das C. I. und Lebas O statt ©. 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 171 


Alphabete das O. Es steht durch dieses Zeugnifs fest, dafs das Bedürfnifs 
das kurze und das lange o in der Schrift durch besondere Zeichen zu 
unterscheiden im Bereiche gewisser Inseln des aegaeischen Meeres schon 
sehr früh zu einer Differenzirung des O Veranlassung gegeben hat, welche 
eben so, wie die verwandte, im jüngeren Alphabete von Melos begegnende, 
in sofern wenigstens als unabhängig von der der Form nach identischen des 
kleinasiatischen Alphabets zu gelten hat, als die Bedeutung der durch sie 
gewonnenen Zeichen in völlig abweichender Weise bestimmt erscheint. 
Hiernach sind unzweifelhaft auch auf unserem Denkmal alle Q als o oder cv, 
die O dagegen als w zu nehmen und ist nur, wie schon Rofs bemerkt hat, 
TOAE der ersten Zeile in TQAE zu ändern. Besonders wichtig nun wird 
diese Übereinstimmung in einer ganz specifischen Eigenheit dadurch, dafs 
sie verstattet das Denkmal unabhängig von jeder vagen Überlieferung einem 
bestimmten Lokale zuzuweisen. Es stammt jedenfalls von einer der Inseln 
des aegaeischen Meeres, und da im dritten Verse der Inschrift sich ein Parier 
als Verfertiger des @yaAu« nennt, welchem als Träger zu dienen die Säule 
bestimmt gewesen zu sein scheint, so wird man es nicht allzu kühn finden, 
wenn ich das Denkmal geradezu nach Paros setze. Eine Untersuchung des 
Materials, aus dem die Säule gefertigt ist, wird, wie ich nicht zweifle, diese 
Annahme lediglich bestätigen ('). 


(‘) Eine unvorhergesehene und unerwartete Bestätigung hat die obige Aufstellung ge- 
raume Zeit, nachdem sie niedergeschrieben war, von einer andern Seite durch das Bekannt- 
werden einer sehr alten Bustrophedoninschrift von Paros selbst erhalten, welche so eben 
in den Annali dell’ inst. arch. 1862 S. 53 publicirt worden ist: 

AFTONIESE 
QDAIIIANAA 
PR2VTR2THSEO 
JTAINIQDEITIM 
5 13IN211SFN 
Sie befindet sich zu Paroikia auf Paros in der Mauer einer Kirche rau ayıwv "Avayvaur. 
Leider ist die mitgetheilte Abschrift offenbar sehr ungenau, das Ganze auch vermuthlich nicht 
vollständig erhalten, weswegen eine zusammenhängende Lesung vorerst ganz unmöglich ist. 
Indessen erkennt man unschwer Z. 4: coizi« und Z.5: [Z]r«{»]s[=]v, in welchen Worten 
beide Male das Q zur Bezeichnung des kurzen Vokales dient. Ich begnüge mich hierauf 
hinzuweisen und behalte eine eingehendere Besprechung der Zeit vor, wo wir uns in dem 
Besitze einer zuverlässigeren Abschrift befinden werden, was hoffentlich nicht allzulange 
dauern wird. 


Y2 


4172 Kıixrcuauorr: 


Die Identität des Alphabets, das ich sonach für Paros in Anspruch 
nehme, mit dem von Siphnos ist bei der unmöglich zufälligen Überein- 
stimmung beider im Gebrauche des O und Q nicht zu bezweifeln, obwohl 
sich bei dem geringen Umfange der allein zur Vergleichung stehenden Denk- 
mäler eine entscheidende Probe nicht anstellen läfst. Abweichungen in den 
Formen einzelner Buchstaben, z. B. V und Y, P oder P und R, kommen 
nirgends und so auch hier nicht in Betracht, und dafs das (auf beiden Denk- 
mälern übrigens übereinstimmend bereits geöffnete) H auf der Inschrift von 
Paros wiederholt das lange e bezeichnet, auf der von Siphnos dagegen an 
der einzigen Stelle, an der es vorkommt, noch den rauhen Hauch vertritt, 
beruht lediglich auf einem Schwanken des Gebrauches, den wir auch in dem 
weiter unten zu besprechenden archaischen Alphabete von Naxos antreffen 
werden; es ist wohl zu beachten, dafs auf der parischen sich keine Gelegen- 
heit bot, das H als Hauchzeichen, auf der von Siphnos keine, dasselbe als 
Vokalzeichen zu verwenden. Von den nicht phoenikischen Buchstaben 
erscheint aufser dem V nur das ®; das Zeichen des x, ist leider auf der 
parischen Inschrift an den beiden Stellen, an der es meiner Ansicht nach 
ursprünglich gestanden hat oder vielleicht noch steht, heillos verstümmelt; 
doch ist gar nicht zu bezweifeln, dafs seine Gestalt X oder + gewesen ist. 
Für £ und Y kommen Ausdrücke nicht vor; es mufs daher dahingestellt 
bleiben, ob das Alphabet diese Laute in der Weise der Kleinasiaten durch 
Z und V bezeichnete, oder wie das Alphabet des benachbarten Naxos mit 
Verschmähung dieser Zeichen an den älteren Ausdrücken xr und $r fest- 
hielt. Von dem Theta ist auf der parischen Inschrift an der Stelle, wo es 
sicher gestanden hat (Z. 2), nur ein Stück des oberen Bogens erhalten, so 
dafs es zweifelhaft bleibt, ob wir © oder ® anzunehmen haben; sollte in- 
dessen, wie ich vermuthe, das ® derselben Zeile gleichfalls ein 'Theta 
gewesen sein, so würde dies für die Formen ® oder ® entscheiden. Die 
Figuren des Gamma und des Lambda scheinen einander sehr ähnlich gewesen 
zu sein; die Copie der Säuleninschrift giebt für ersteres A und A (das F 
Z. 3 halte ich für verdorben), für letzteres 4 und einmal arg verschrieben & 
(vgl. Col. XD). 

Was das Zeitalter dieser Inschriften anbelangt, so scheint mir der 
Charakter der Schrift, dem die allerdings entschieden rechtsläufige Richtung 
derselben nicht widerspricht, es nicht zu verstatten, sie weit unter den 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 173 


Anfang des fünften Jahrhunderts herabzurücken, und schon aus diesem 
Grunde erscheint mir die Annahme Boeckhs bedenklich, nach der die 
Inschrift des Säulenstumpfes um Ol. 84 gesetzt wird. Sie gründet sich 
lediglich auf die Ergänzung des dritten Verses, welcher in dem Stiche bei 
Paciaudi folgendermafsen aussieht: 
TR2PTADIRFRIH MAKUNNINMSEOEYTDOAN| 

Die Lücke in der Mitte fafst etwa sechs Buchstaben, vorausgesetzt, dafs die 
Abbildung in dieser Beziehung als völlig genau zu betrachten ist. Diese 
Reste nun ergänzt Boeckh zu dem Hexameter 7% (reÜ) Hagıw (Hagıov) reinua 
KleAurew, cd vJas [p]euywv, und versteht unter Kolotes den gleichnamigen 
Künstler von Paros, den Zeitgenossen und Mitarbeiter des Pheidias zu Olym- 
pia, welcher unser Anathem in der Verbannung, etwa in Elis, gefertigt hätte; 
wonach das Denkmal allerdings der angegebenen Zeit würde zugewiesen 
werden müssen. Wie man sieht, beruht aber der Name, auf den allein 
die Zeitbestimmung gegründet ist, mit Ausnahme des Anfangsbuchstaben 
auf einer blofsen Ergänzung, deren Möglichkeit sich zwar nicht bestreiten, 
deren Nothwendigkeit oder auch nur Wahrscheinlichkeit sich aber nicht 
erweisen läfst. Für die Richtigkeit der Fassung des Ganzen erregt kein 
günstiges Vorurtheil der Schlufs, von dem man nicht sagen kann, dafs er 
den Sinn, welchen Boeckh darin findet, in einer angemessenen und unge- 
zwungenen Weise ausdrücke. Um ihn herauszubringen ist das überlieferte I 
unmittelbar hinter der Lücke als Rest eines N gefafst, O in geändert, FT 
als Gamma genommen, während dieser Buchstabe doch in den beiden ersten 
Zeilen wiederholt in der erheblich abweichenden Gestalt A erscheint, 
durch » wiedergegeben, obwohl es, wie nach der oben gegebenen Dar- 
legung nicht zweifelhaft sein kann, auf dieser Inschrift nur entweder o oder ou 
bedeuten kann, endlich die Reste A.\ am Schlufs als N gedeutet, während 
sie vielmehr, wenn überhaupt auf die vorliegende Copie ein Verlafs ist, 
auf M zu führen scheinen. Aufserdem zeigt zwar der Nachstich im 0. 1. G. 
in der zweiten Stelle nach der Lücke ein A, welches freilich nur als Alpha ge- 
nommen werden konnte, der Öriginalstich aber deutlich ein A, welches 
viel eher ein Delta ist. Hiernach ist die Basis der bisherigen Ergänzung und 
Lesung so schwankend, dafs es nicht verübelt werden kann, wenn wir uns 
nach einer anderen umsehen. Ich glaube im Recht zu sein, wenn ich die 
Buchstaben IAEO hinter der Lücke, welche nach dem feststehenden Schrift- 


174 Kıircnanorr: 


gebrauche des Denkmals :dew zu lesen sind, den Genetiv eines Eigennamen 
auf -iöns oder -sidys erkenne, als dessen Anfangsbuchstabe das K vor der 
Lücke zu betrachten wäre; nimmt man hinzu, dafs in der unmittelbaren 
Nähe des schliefsenden A \, welches ich als M deuten zu dürfen glaube, der 
Schaft rechts hin abgesägt oder abgebrochen ist, und das F, wie bemerkt, 
höchst wahrscheinlich verlesen ist, so wird man folgender Ergänzung der 
Zeile denjenigen Grad von Wahrscheinlichkeit nicht abstreiten können, der 
überhaupt auf der Grundlage der allein zugänglichen, in Bezug auf ihre Zu- 
verlässigkeit allerdings noch zu prüfenden Überlieferung zu erreichen ist: 
Ted Hagiov [mJeinne Klasımm]idew eufgloufeı ever]. 

Auch die Lesart der beiden ersten Zeilen halte ich für noch keinesweges fest- 
gestellt; da ich indessen hoffen kann, in nächster Zeit in den Besitz eines 
Abklatsches des vermuthlich in Pesaro noch vorhandenen Originales zu kom- 
men, so halte ich es für geboten, mit Vermuthungen zurückzuhalten, welche 
doch auf Gewifsheit keinen Anspruch erheben könnten; ich bin auch auf 
die Lesung der dritten Zeile nur um deswegen näher eingegangen, um den 
Nachweis zu liefern, dafs die Basis der bisher nicht angefochtenen Zeitbe- 
stimmung des Denkmals eine völlig unsichere ist. 

13. Eine bereits im siebenten Jahrhundert deducirte Colonie von Pa- 
ros ist Thasos, wo man im Allgemeinen dasselbe Alphabet vorauszusetzen 
berechtigt ist. Die Aufschrift der älteren Münzen der Insel (OAZION), 
welche vor die Mitte des fünften Jahrhunderts gehören, und die archaischen 
Inschriften auf zwei Steinblöcken der alten Stadtmauer, welche Conze (Reise 
auf den Inseln des Thrakischen Meeres 1860. S. 12 Tf. IV, 14 und 15) 
herausgegeben hat: 

a. b. 
TRRAN MAPMEVONVMEE 
d. h. [Megu(evwv) und Hagusvov ns E[roimse], widersprechen dem nicht, ge- 
ben aber auch keine neuen Aufschlüsse, aufser dafs sie lehren, dafs w zu 
dieser Zeit noch durch O ausgedrückt wurde. "Dasselbe gilt von den alten 
Münzlegenden dieses Littorals, von Akanthos (Colonie von Andros) mit 
AKANOION im eingeschlagenen Quadrat, und Mende ( MINAAON). Auf 
welche Einflüsse endlich der Gebrauch eines griechischen Alphabets, 
desseu Zusammenhang mit dem grofsen östlichen Hauptstamme unverkennbar 
ist, auf den makedonischen Stadtmünzen mit WOIAT34 und HNIAZHAN 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 175 


oder OPPH2KION und den Königsmünzen aus der Zeit der Perserkriege 
mit ANEZANAPO im eingeschlagenen Quadrate zurückzuführen ist, mufs 
ich bei dem Mangel genügender Anhaltspunkte für die Beantwortung dieser 
Frage dahingestellt sein lassen. Ich kehre vielmehr nach dieser Abschwei- 
fung zur Betrachtung der Inselalphabete zurück und schliefse dieselbe mit 
Besprechung des Naxischen. 

19. Das ältere Alphabet von Naxos ist uns aus zwei Inschriften be- 
kannt, welche sich gegenseitig ergänzen und eine ziemlich vollständige Ein- 
sicht in die Beschaffenheit desselben gewähren. Die erste findet sich auf 
dem Bruchstücke der Basis des Apollokolosses, welchen die Naxier auf De- 
los geweiht hatten, wie die auf der einen Seite derselben angebrachte In- 
schrift aus späterer Zeit: NAZIOIATMOAAQNI beweist, welche, wahrschein- 
lich weil sie die verständlichere oder zugänglichere ist, von Vielen (!) be- 
merkt und abgeschrieben worden ist und von der man vermuthet, dafs sie 
nach dem von Plutarchos (Nikias 3) berichteten Umsturze des Kolosses bei 
seiner Wiederaufrichtung nachträglich möge angebracht worden sein. Von 
der viel älteren, auf der entgegengesetzten Seite der Basis befindlichen In- 
schrift spricht zuerst Spon, ohne indessen eine Abschrift zu geben. Eine 
solche erhielt man erst durch Tournefort, dessen Facsimile im C. I. G. 10 
wiederholt worden ist. Dieses Facsimile ist zwar im Ganzen zuverlässig, 
aber offenbar von einer Zeichnung genommen, die mit einer sehr breitspal- 
tigen Feder ausgeführt war, und giebt daher den Charakter der Schriftzüge 
nicht ganz treu wieder. Diesen lernt man viel besser aus der Stuartschen 
Abschrift kennen (Antiquities of Athens Il. p. 57), deren Darstellung 
durch den Stich bei Lebas Tf. VI, 13 (auf dem nur die vier letzten Buch- 
staben fehlen, an deren Stelle die Oberfläche als zerstört bezeichnet ist) 
Bestätigung findet. Darnach sieht (oder sah) die Inschrift etwa so aus: 

OAFFTOAIBORMIAVAPIASKAITOSDARAAS 
Die Buchstaben stehen bei Stuart etwas steiler und statt des Delta hat er irr- 
thümlich ein A; bei Tournefort ist die Gestalt des $ eine mehr gerundete; 
auch zieht er fälschlich /l in M und MI in M zusammen. Weitere Abwei- 
chungen bieten aber die Abschriften nicht dar. Gewifs richtig hat Bentley 


(*) Schon von Cyriacus v. Ancona. Vgl. die Mittheilungen O. Jahn’s im Budletino dei 
inst. arch. 1861. S. 182. 


176 Kırcnnorr: 


in diesen Worten einen jambischen Trimeter erkannt; wenn er ihn aber mit 
Ergänzung eines T zu Anfang folgendermafsen herstellt: 
Ted dFUTod AlSou ei ävdguas za 70 oberas 

indem er die Worte rov &rurev zweisilbig liest (r«ürcv), so erheben sich ge- 
gen die befolgte Lesung und Deutung des Anfanges die ernstesten Bedenken, 
welche ich wenigstens zu beseitigen mich aufser Stande sehe. Es ist nicht 
sowohl der Gebrauch des Vau auf einer naxischen Inschrift aus nicht gar zu 
früher Zeit überhaupt, welche Anstofs erregt, obwohl er immerhin merk- 
würdig genug wäre, als vielmehr seine Verwendung gerade in dem Pronomen 
aöres in einer Weise, welche eine dreisilbige Aussprache desselben noth- 
wendig machen würde, eine Erscheinung, die sich schlechterdings durch 
gar Nichts erklären oder rechtfertigen liefse. Dies ist um so auffälliger, als 
auf der weiter unten zu besprechenden, auf keinen Fall bedeutend jüngeren 
Inschrift gleichfalls naxischen Ursprunges das Vau im Anlaut eines Wortes, 
wo man es erwarten dürfte (iderSe), nicht nur nicht geschrieben ist, sondern 
nach Ausweis des Metrums auch nicht gesprochen worden sein kann. Die 
Verlegenheit, in der wir uns hiernach finden, wird vermehrt durch den Um- 
stand, dafs gerade der Anfang der Inschrift und mit ihm das fragliche Zei- 
chen in allen drei Abschriften übereinstimmend überliefert wird, und durch 
eine Correctur zu helfen demnach unzulässig erscheint. Obwohl ich es nun 
unter diesen Umständen nicht wagen kann eine Änderung vorzuschlagen, so 
ist doch ein Gebrauch des Vau der Art, wie ihn die Bentleysche Lesung des 
Anfanges, welche nach dem Stande der Überlieferung die einzig mögliche 
scheint, vorauszusetzen nöthigen würde, so völlig unglaublich, dafs nur 
Autopsie des Denkmals oder eines guten Abklatsches mich davon würde 
überzeugen können, dafs wirklich dieses Zeichen auf dem Stein steht und 
nicht etwa nur die verstümmelten Reste eines anderen, welche nur schein- 
bar und unabsichtlich ein Digamma darstellen. Ich mufs daher zwar nicht 
das Vorhandensein, aber doch den Gebrauch dieses Zeichens im naxischen 
Alphabete dieser Zeit vorläufig als mindestens sehr zweifelhaft bezeichnen. 

Die Zeichen des zweiten gröfseren Theiles der Inschrift unterliegen 
solchen Zweifeln allerdings nicht, sind aber so wenig charakteristisch, dafs 
aus ihnen die eigenthümliche Stellung des Alphabets nicht zu entnehmen 
wäre, wenn nicht ein zweites Denkmal naxischer Epigraphik uns zur Hilfe 
käme, welches die Lücken, welche das erste in unserer Kenntnifs läfst, 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 177 


bis auf unbedeutende Kleinigkeiten vollständig auszufüllen trotz seines nicht 
erheblichen Umfanges möglich macht. Aus Beschreibungen und Abbil- 
dungen bei Clarke ( Travels in various countries of Europa, Asia and Africa 
IL, 3. S. 148 ff.) und Dodwell (Classical and topographical tour through 
Greece I. S. 243 ff.) hatte man Kenntnifs von einem Basrelief alterthüm- 
lichen Stiles, welches einen bärtigen, mit einem Mantel bekleideten Mann 
in höherem Alter vorstellt, der mit der Linken auf den vorgestreckten Stab 
gestützt mit der Rechten einem zu seinen Füfsen ruhenden, mit den Vorder- 
füfsen nach rechtshin aufgerichteten Hunde eine Heuschrecke darzureichen 
scheint. Es befand sich damals und befindet sich noch auf dem Kirchhofe 
des Dorfes Rhomatliko, das etwa eine Stunde entfernt von Orchomenos auf 
der Strafse nach Chaeronea liegt. Nähere Erkundigungen haben ergeben, 
dafs es nicht dort, sondern zu Petro-Magula in der unmittelbaren Nähe von 
Orchomenos gefunden worden und von dort nach Rhomaiiko geschafft wor- 
den ist. Schon Clarke berichtete nach Hörensagen von einer Inschrift, 
welche unterhalb des Bildwerkes angebracht sein sollte, und Dodwell, der, 
nachdem er den Fufs des Denkmals von der ihn bedeekenden Erde hatte 
reinigen lassen, diese Inschrift auf der Steinleiste geschrieben fand, welche 
das Bildwerk nach unten abschliefst, gab von ihr eine Copie, die indessen 
so unvollkommen ausfiel, dafs sie als unverständlich und darum ganz uner- 
heblich im ©. I. G. übergangen worden zu sein scheint. Dodwell erkannte 
und stellte folgende Züge dar, die allerdings eine zusammenhängende Lesung 
nicht verstatten: 
\TX<HN/NI II BERH INT AXUNNTAME>IALI 

Den Herren Conze und Michaelis war es vorbehalten in ihrem Reiseberichte 
(Annali dell’ inst. archeol. 1861. tav. d’ agg. E, 3; vgl. S. 81 ff.) aufser 
einer genaueren Beschreibung und Charakteristik des Bildwerkes die erste 
lesbare Abschrift der in mehr als einer Beziehung interessanten Inschrift zu 
liefern. Was sich davon jetzt noch erkennen läfst, sieht nach der von ihnen 
gegebenen Darstellung so aus: 


NTXSHV OPENSIHISEMHOMNMPXSIOSAAAES!AH> 


eine Darstellung, welche durch die unvollkommene Dodwellsche Abschrift 
lediglich bestätigt wird. Die Herausgeber lesen zum Theil wenigstens richtig 
Philos.-histor. Kl. 1863. Z 


178 KıRcHHorFF: 


’AyEuvwo ereinoev 6 Na£ıes ’Ayysoidns. Weder der Dialekt noch, was die 
Hauptsache ist, das Alphabet der Inschrift sind boeotisch; es ist defshalb 
nothwendig anzunehmen, dafs die Schrift, welche nicht die landesübliche 
ist, diejenige sei, welcher sich der auf dem Denkmal sich nennende Meister 
von Naxos zu bedienen pflegte, der unzweifelhaft die Inschrift eigenhändig 
eingehauen hat, also die naxische. Es ist dies auch ganz natürlich und in 
der Ordnung, da die Inschrift als eine reine Privatzuthat des Künstlers be- 
trachtet werden mufs, die mit der Bestimmung des Bildwerkes in gar keinem 
unmittelbaren Zusammenhange steht. Das Basrelief wird auf einer Basis 
aufgestellt gewesen sein und die Angaben über den Verstorbenen, auf 
dessen Grabstätte das Denkmal errichtet zu werden bestimmt war, mögen 
auf dieser Basis eingetragen und natürlich in boeotischem Dialekte 
und Alphabete abgefalst gewesen sein; die Angaben dagegen über die 
Person und das Vaterland des Künstlers, welche dieser selbst seinem 
Werke beisetzte, verpflichtete ihn Nichts der epichorischen Sitte anzu- 
bequemen, und wie er sich selbst einen Naxier nennt, obwohl er offenbar 
in Boeotien und für Boeoter arbeitete, so hat er auch seine Herkunft durch 
Anwendung der heimathlichen Schriftzüge inmitten des Herrschaftsgebietes 
eines ganz abweichenden Alphabets zu bekunden keinen Anstand genommen. 
Ist aber das Alphabet der Inschrift das naxische, wie nicht bezweifelt wer- 
den kann, so sind die beiden 4 in dem letzten, von den Heransgebern gebil- 
deten Worte ’Ayyssıdys nicht als Gamma, sondern nothwendig als zwei 
Lambda zu nehmen, wie die Aufschrift der vorher besprochenen Basis von 
Delos unwiderleglich darthut, und damit fällt dieses Wort, welches ohne- 
dem aus den verschiedensten epigraphischen, sprachlichen und sachlichen 
Gründen als völlig monströs und geradezu unmöglich bezeichnet werden 
müfste. Auch das zweite Zeichen von links dürfte, obwohl seine Stellung 
etwas steiler erscheint (T), doch eher ein Lambda als ein Gamma sein, wel- 
ches letztere einen weniger spitzen Winkel aufweisen würde. Schon aus 
diesem Grunde erscheint der Name "AyZnvuwp, welchen die Herausgeber dem 
Künstler beilegen, bedenklich und er wird es noch mehr, wenn man er- 
wägt, dafs die von dem vorhergehenden Zeichen erhaltenen Reste in keinem 
Falle auf ein A, viel eher auf ein £ hinleiten. Von entscheidender Wichtig- 
keit für eine richtige Lesung und Ergänzung der Zeile ist aber der entschie- 
den hervortretende daktylische Rhythmus, welchen die mit Sicherheit ge- 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 179 


lesenen Worte verrathen und der den Herausgebern entgangen ist. Er 
beweist, dafs wir einen Hexameter vor uns haben, der sich denn auch mit 
Berücksichtigung der oben als nothwendig bezeichneten Abänderungen der 
von den Herausgebern beliebten Lesung ohne alle Schwierigkeit herstellen 
läfst: 
[OJer&nvwg ercimsev 6 Nafıos: ar’ Eruer[Se]. 

Es macht diese, wie mir scheint, einleuchtende Lesung weiter Nichts als 
die gewifs gerechtfertigte Annahme nöthig, dafs die rechte und linke Kante 
der Leiste durch Abstofsung um eine Kleinigkeit verkürzt seien und nicht 
mehr die scharfen Umrisse zeigen, welche ihnen auf der Abbildung von den 
Herausgebern beigelegt werden. 

Das Alphabet nun, welches sich aus der Vergleichung beider Inschrif- 
ten als das auf Naxos zu einer gewissen Zeit übliche ergiebt und das in 
Col. XII zusammengestellt worden ist, nimmt eine ganz eigenthümliche 
Sonderstellung ein, welche auf eine von der des ionischen Alphabets bis zu 
einem gewissen Grade unabhängige eigenartige Entwickelung hinweist. Von 
den mangelnden Zeichen fehlen Beta, Gamma und Zeta entschieden nur 
zufällig, während vom Koppa sich dies nicht mit Bestimmtheit behaupten 
läfst. Die Zweifel in Betreff des Vau sind oben berührt worden. Dagegen 
kannte oder gebrauchte wenigstens das Alphabet die Zeichen £, Y und w gar 
nicht, sondern drückte, wie die zweite Inschrift zeigt, den Laut des £ durch 
x, des U also vermuthlich durch #6 aus, während es O für o, ov und w 
verwendete und sich des Zeichens Q enthielt. Zur Bezeichnung des Zisch- 
lautes diente noch die dem & im Gebrauche vorhergehende ältere Form $, 
dagegen hat das H bereits die jüngere, oben und unten geöffnete Gestalt 
angenommen, während es seiner lautlichen Geltung nach auf einem älteren 
Standpunkt verharrt, als in dem ionischen Alphabete des sechsten Jahr- 
hunderts. Es bezeichnet zwar schon regelmäfsig das lange e, daneben aber 
noch (wenn auch vielleicht nur bisweilen und ohne Regelmäfsigkeit) den 
rauhen Hauch, zeigt also dasselbe Schwanken einer Übergangsperiode, das 
auf den Inschriften von Abu-Simbel und den älteren von Thera und Melos 
begegnete. Die jüngere Form des Zeichens neben alterthümlicherer Ver- 
wendungsweise ist ihm dabei mit den ältesten Inschriften von Melos gemein, 
während die von Abu-Simbel und Thera noch B bewahren, das selbst die 
älteren der ionischen Inschriften des sechsten Jahrhunderts noch ausschliefs- 


Z2 


180 Kırcuuorr: 


lich verwenden, obwohl sie damit, soweit unsere Kenntnifs reicht, den 
rauhen Hauch nicht mehr bezeichnen. Die lautliche Geltung, in der dieses 
Alphabet die Zeichen X und H verwendet, verräth also zwar eine directe 
Beziehung zum ionischen Alphabete, alle anderen bemerkten Eigenthüm- 
lichkeiten aber documentiren einen solchen Grad selbständiger eklektischer 
Willkür, dafs aus einer Vergleichung des Entwickelungsstandes dieses naxi- 
schen Alphabets mit den verschiedenen Phasen des ionischen eine chrono- 
logische Bestimmung der in Rede stehenden Inschriften vom epigraphischen 
Standpunkte nicht zu gewinnen ist. 

Dafs indessen das naxische Alphabet diese spröde Zurückhaltung in 
verhältnifsmäfsig früher Zeit aufgegeben und sich schon lange vor dem Ende 
des peloponnesischen Krieges mit dem vollständig entwickelten ionischen 
Alphabete ausgeglichen haben mufs, beweist eine auf Naxos selbst gefundene 
Inschrift, welche nach einer Köhlerschen und einer Gellschen Abschrift im 
C.1.G. 2422, nach der letzteren auch von Rose (Inser. Gr. vet. praef. 
p- VOII n. 6) herausgegeben worden ist (vgl. Lebas II. n. 2157. p. 480). 
Die beiden als & und 5 unterschiedenen Theile stehen auf verschiedenen 
Seiten eines und desselben Steines: 

a. ANAIPBOINA(!) 
b. MQIIAN 
HAOBIO 
In der ersten Zeile ist mit Boeckh unbedenklich AugsSe« zu lesen und ® der 
Abschriften als verlesen aus ®& (nicht ©) zu nehmen. Ob dagegen das 
schliefsende AM mit ihm in z«i zu ergänzen und demnach die erste Inschrift 
mit der zweiten so ohne Weiteres zu einer zu verbinden ist, erscheint mir 
sehr zweifelhaft, ja unwahrscheinlich, da sich beide auf verschiedenen 
Seiten des Steines befinden sollen. Ich ziehe es daher vor sie getrennt 
zu halten und in der ersten vielmehr zu ergänzen AugoSea Kalgiwvos], so dafs 
Dorothea die Tochter des in der zweiten genannten Karion wäre; das Denk- 
mal ist offenbar ein Grabstein, auf dem die Namen mehrerer, namentlich 
verwandter Personen zu lesen nicht auffallen kann. Gröfsere Schwierigkeit 
macht die Lesung der zweiten Aufschrift, deren zweite Zeile Boeckh nicht 
zu deuten versucht hat. Es ist mehr als wahrscheinlich, dafs wir in ihr den 


(') In der Gellschen Abschrift fehlten die letzten Buchstaben AN oder, nach Rose, ANA. 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 181 


Namen des Vaters im Genetiv zu suchen haben. Leider sind sämmtliche 
Zeichen dieser Zeile für die Richtung der Schrift nicht charakteristisch, 
diese kann daher nach Belieben als links- oder rechtsläufig gelesen werden. 
Nehmen wir sie als linksläufig, so ist mit ihr allerdings Nichts anzufangen, 
lesen wir sie dagegen rechtsläufig, so erhalten wir gegen Ende die Sylben 
..Aopiou, welche sehr wohl den Schlufs des erwarteten Eigennamen im 
Genetiv darstellen könnten, der nur zu Anfang verstümmelt oder auch ver- 
schrieben zu setzen wäre. Die gröfsere Wahrscheinlichkeit ist demnach für 
die letztere Annahme, unter welcher die ganze Inschrift furchenförmige 
Zeilenordnung erhalten würde, während im ersteren Falle sie aus zwei links- 
läufigen Zeilen bestehen würde. Welcher von beiden Fällen aber auch 
stattfinden möge, immer ist es nothwendig dieser, wie der ersten Aufschrift 
ein verhältnifsmäfsig sehr hohes Alter beizumessen, welches unter die Zeiten 
der Perserkriege herabzurücken kaum möglich ist. Dazu stimmt sehr wohl 
die alterthümliche Gestalt des A und des R. Trotzdem erscheint in beiden 
bereits das Q; die Ausgleichung mit dem ionischen Alphabete war also in 
dieser Zeit bereits vollzogen, da anzunehmen ist, dafs mit der Aufnahme 
dieses jüngsten der ionischen Buchstaben die des & und U gleichzeitig erfolgt 
sein werde. Die Inschrift des Reliefs von Orchomenos kennt die drei 
Zeichen noch nicht und von dem Alphabete der Aufschrift der delischen 
Basis darf dasselbe wenigstens vermuthet werden. Jenes setzen die Herren 
Conze und Michaelis nach dem Stile des Kunstwerkes in die erste Hälfte des 
fünften Jahrhunderts, von letzterer kann als wahrscheinlich angenommen 
werden, dafs sie älter sei, als die delische Theorie des Nikias, welche Boeckh 
in Ol. 90 setzt; es hindert aber auch Nichts ihr nöthigenfalls ein bedeutend 
höheres Alter zuzuschreiben. Als sicher dürfen wir daher bis auf Weiteres 
annehmen, dafs die drei Inschriften der Zeit nach nicht weit von einander 
abliegen, dafs die von Naxos und Orchomenos etwa um die Scheide des 
sechsten und fünften Jahrhunderts zu setzen sind, dafs um diese Zeit das 
ionische Alphabet auf Naxos zu ausschliefslicher Geltung zu gelangen be- 
gonnen hat und jedenfalls schon lange vor dem Ende des peloponnesischen 
Krieges diese Geltung behauptet hat. 

Ich übergehe die zuerst C.1. G. 41 und später noch oft herausgege- 
bene Felseninschrift von Keos, über deren Alter eine bestimmte Ansicht 
auszusprechen bedenklich erscheint, und wende mich zu den Alphabeten 


182 KırcHsorr: 


des Festlandes von Hellas, welche Berührungspunkte mit dem ionischen 
darbieten, und zwar zunächst zu demjenigen, welches in der Besonderheit 
seines Verhaltens die gröfste, wenn auch vielleicht nur zufällige, Ähnlich- 
keit mit dem zuletzt besprochenen naxischen verräth, nämlich dem attischen. 


3. Die Alphabete des Festlandes von Hellas. 


20. Das attische Alphabet ist unter allen griechischen dasjenige, 
dessen Entwiekelungsgang uns innerhalb einer bestimmten Zeit am genausten 
bekannt ist, weil es durch die zahlreichsten Documente belegt wird, wefs- 
halb ich auf Einzelheiten näher einzugehen weniger nöthig habe und mich auf 
das Allgemeine und hinreichend Feststehende um so mehr beschränken kann, 
als für die Thatsachen Belege beizubringen unter diesen Umständen überflüssig 
erscheint. — Die Inschriften in attischem Alphabet gehen bis in das Zeitalter 
der Peisistratiden hinauf und schliefsen ab mit dem Archontat des Eukleides, 
Ol. 94, 2, in welchem Jahre durch Volksbeschlufs auch für den officiellen 
Gebrauch das ionische Alphabet recipirt wurde, welches im Privatgebrauch 
schon weit früher Verwendung erhalten zu haben scheint (!). Auch auf 
öffentlichen Urkunden erscheinen bereits seit dem Anfange des peloponne- 
sischen Krieges, gegen Ende desselben immer häufiger, durch Versehen der 
Schreiber vereinzelt Zeichen des ionischen Alphabets, die das attische bis 
dahin verschmäht hatte, so H als Bezeichnung des langen e, FT statt A, 
auch E, zum deutlichen Beweise, dafs die ionische Schreibweise den Schrei- 
bern ganz geläufig war. Die Richtung der Schrift war im Solonischen Zeitalter 
die furchenförmige und ist es noch auf den ältesten uns erhaltenen Grab- 
schriften, welche in das sechste Jahrhundert hinaufgehen; im fünften gelangt 
die rechtsläufige Schreibweise zu ausschliefslicher Geltung, welche schon 
früher neben der furchenförmigen gleichzeitig auftritt. Der Charakter einer 
grofsen Anzahl von Zeichen erleidet zwar in dem bezeichneten Zeitraume 
nicht unerhebliche Wandelungen, die zu übersehen in Col. XIII die jüngeren 
von den älteren Formen getrennt aufgeführt worden sind; allein diese 
Wandelungen, welche der Analogie der meisten anderen Alphabete folgen, 
berühren das Wesen der Zeichen nicht und sind die natürlichen Folgen 


(') Vgl. Euripides Fragm. 385 N. 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 183 


eines ausgedehnteren und längeren Gebrauches der Schrift, der mit Noth- 
wendigkeit auf gröfsere Regelmäfsigkeit der Formen und möglichste Verein- 
fachung der Buchstabenzeichen hindrängt. Da sie allmählig erfolgt sind und 
die Urkunden gerade aus den Zeiten des Überganges verhältnifsmäfsig selten 
sind, lassen sich chronologische Bestimmungen im Einzelnen nicht aufstellen ; 
im Allgemeinen steht fest, dafs um den Anfang des peloponnesischen Krieges 
das Alphabet denjenigen Charakter bereits als einen typischen angenommen 
hatte, der durch die Reihe der jüngeren Formen auf der Tafel dargestellt 
ist. Nur bei einem einzigen Zeichen, nämlich dem des Zischlautes, hat im 
Laufe der Zeit ein wirklicher Wechsel verschiedener Formen Statt gefunden 
und läfst sich die Epoche dieses Wechsels zugleich mit aller nur wünschens- 
werthen Genauigkeit bestimmen. Die älteren Inschriften nämlich bezeichnen 
den Zischlaut ausnahmslos durch $£; mit Ol. 86, 1 verschwindet aber dieses 
Zeichen plötzlich von den öffentlichen Urkunden und es tritt an dessen 
Stelle eben so ausnahmslos das &; nur auf Privatdenkmälern erscheint später 
noch, aber auch hier nur ganz vereinzelt, das $. Es ist dies indessen keine 
dem attischen Alphabete eigenthümliche Erscheinung; bereits in der Ent- 
wickelung des ionischen Alphabets des Festlandes ist sie uns entgegengetreten 
und wird noch öfter begegnen. Eigenthümlich dagegen und nur noch in 
einzelnen Alphabeten des Festlandes von Hellas und der westlichen Colonien 
nachweisbar ist dem attischen Alphabete die Form des Lambda L und, 
was damit im Zusammenhange zu stehen scheint, die sehr geneigte Stellung 
des Gamma, /, welches mit bis zur Basis herabgezogenem rechten Schenkel 
(A) dem aufrecht stehenden Lambda ganz gleich wird. Entweder hat 
letzterer Umstand dazu beigetragen, die Form des umgekehrten Lambda zu 
fixiren, oder die gewohnheitsmäfsige Verwendung des letzteren ist die Ver- 
anlassung gewesen, dafs die Form des Gamma in der angegebenen Weise 
degenerirte. Völlig stabil bleibt dagegen zu allen Zeiten der charakter- 
istische Bestand der Zeichen, auf deren Verwendung sich die attische Schrift 
mit einem gewissen Eigensinn wenigstens im officiellen Gebrauche be- 
schränkt. Dafs das Vau in der Schrift nicht mehr zur Anwendung kommt, 
hat freilich seinen Grund in den lautlichen Zuständen der Sprache, und dafs 
Spuren vom Gebrauche des Koppa sich nur vereinzelt in Vasenaufschriften 
(z.B. C.1.G. 8155) finden, im Allgemeinen dieses Zeichen als aufser Ge- 


184 Kırcuuorr: 


brauch gesetzt betrachtet werden muls, kann in einem Alphabete nicht be- 
fremden, für das vor allen andern das Bedürfnifs der Vereinfachung und der 
Beseitigung alles nicht durchaus Nothwendigen oder gar Überflüssigen sich 
geltend machen mufste; überdem steht ihm in beiden Beziehungen die Ana- 
logie vieler andern archaischen Alphabete zur Seite. Allein in seinem Ver- 
halten zu den nicht phoenikischen Zeichen zeigt es eine charakteristische 
Selbständigkeit, man möchte sagen, Sprödigkeit. Es gebraucht nämlich 
von diesen Zeichen v, $ und %, und zwar letzteres in der Gestalt, die aus 
dem ionischen Alphabete bekannt ist (+ oder X), enthält sich dagegen mit 
starrer Consequenz des £ und V, für welche Zeichen es die Buchstabenver- 
bindungen x und #7 verwendet, und des w, dessen Laut nach älterer Praxis 
auch des ionischen Alphabets durch O, das zugleich in der Mehrzahl der 
Fälle den Diphthong ov zu bezeichnen dienen mufs, ausgedrückt wird. In 
dieser Beziehung steht es, wie man sieht, auf dem eklektischen Standpunkte 
des naxischen Alphabets, übertrifft das letztere aber noch an conservativer 
Sprödigkeit dadurch, dafs es H nur als Zeichen des Hauches, nie des lan- 
gen e, verwendet, dieses vielmehr in alter Weise durch das E bezeichnet, 
das in Folge davon den dreifachen Werth des e, 7 und (mit gewissen Ein- 
schränkungen) auch des «ı erhält. Dafs diese Enthaltsamkeit aber nicht von 
einer Unbekanntschaft mit der Weiterentwickelung des Alphabets im Osten, 
auf eine Beziehung zu welcher doch die Gestalt des attischen X unverkenn- 
bar hinweist, herrührt und dafs eine allgemeine Kenntnifs des ionischen 
Alphabets nicht erst seit dem Anfange des peloponnesischen Krieges in Athen 
sich verbreitet habe, folgt aus der kulturgeschichtlichen Stellung Attikas mit 
Nothwendigkeit und läfst sich zum Überflufs durch Urkunden belegen. Ich 
verweise zu diesem Zwecke auf das von Rangab& 249 herausgegebene Bruch- 
stück eines Psephisma, welches, da es noch $ für & verwendet, spätestens 
in die 85. Olympiade gesetzt werden kann, aber augenscheinlich erheblich 
älter ist. Es liegt mir von diesem Bruchstücke eine Abschrift des Herrn 
von Velsen vor, durch welche constatirt wird, dafs in den beiden Fällen, 
wo auf ihm die Lautverbindung W erscheint, in den Worten aAlnpısule... 
Z. 3, und @vaygavavlr... 2.6, sie beide Male durch Y, resp. V, be- 
zeichnet ist, was um so mehr Beachtung verdient, als wir es hier mit einer 
öffentlichen Urkunde zu thun haben. Noch merkwürdiger ist die Aufschrift 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 185 


der Basis eines Privatanathems, welche ’Epnu. dey. 414 (vgl. Rangabe 37. 
Lebas Tf. III, 7) publieirt ist: 


P RTIO/IAESTHEBAOMIASTTEVKOLODTANTAVEBE en 


und die schlechterdings nur ..... . ıdns, "Eßdouiae AsuroAopidou aveSernv gelesen 
werden kann. Der Gebrauch des $ weist auch dieses Denkmal über Ol. 85 
hinauf und doch finden wir auf ihm das Zeichen 2, das durch alle Ab- 
schriften bezeugt wird, merkwürdigerweise aber nicht als Ausdruck des 
langen o in der Weise des kleinasiatischen Alphabets, sondern des Diph- 
thonges ou, wie dies auf den Inschriften von Paros und Siphnos der Fall 
war, welche, wie oben gezeigt, o und ov durch Q, w dagegen durch O oder 
© zu bezeichnen pflegen. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dafs auf unserer 
Inschrift das O im Anfange des verstümmelten ersten Namens nicht als o, 
sondern als w zu fassen und eine Namenform, wie etwa "Apywviöns, Mupwvidns 
oder dgl. herzustellen ist. Auf alle Fälle beweist dieses Beispiel, dafs man 
damals in Athen mit der entwickelteren Schreibweise der östlichen Alpha- 
bete vertrauter war, als die stabile Praxis der öffentlichen Urkunden ver- 
muthen läfst, und dafs das Bedürfnifs schon in sehr früher Zeit einen Zu- 
stand des Alphabets überholt hatte, auf dem zu verharren nur nationale 
Sprödigkeit ein sonst auf allen anderen Gebieten dem Fortschritte huldigen- 
des Volk veranlassen konnte. 

Zu bemerken ist schlielslich noch, dafs Inschriften in diesem Alpha- 
bete, und zwar zum Theil recht alte, sich auf Euboea gefunden haben, 
dafs aber Nichts uns hindert, vielmehr Alles darauf binleitet, sie für Er- 
zeugnisse der attischen Kleruchen zu halten, welche bekanntlich Theile 
dieser Insel schon in sehr frühen Zeiten besetzt hatten. Von dem attischen 
Theile der Inschrift von Sigeion ist oben das Nöthige bemerkt worden. 

21. Aufser Attika finden sich Alphabete, die mit dem des Ostens 
engere Verwandtschaft verrathen, auf dem Festlande nur noch an zwei Punkten 
der Peloponnes. Zunächst auf dem engeren Gebiete von Argos, mit Aus- 
schluls der Seestädte der Halbinsel, wenigstens von Hermione. Durch 
einen glücklichen Zufall befindet sich unter den hierher gehörigen Denk- 
mälern eines, dessen Zeit sich unabhängig von seinem palaeographischen 
Charakter genau bestimmen läfst. Es ist dies das in Athen gefundene Bruch- 


Philos. - histor. Kl. 1865. Aa 


186 KırcuHunorr: 


stück ©. I. G. 166 (vgl. Rose Inscr. Gr. vet. tab. VIII, 2) (!), in welchem 
Boeckh einen Theil des Verzeichnisses derjenigen Argiver (Kleonaeer) er- 
kannt hat, welche in der Schlacht bei Tanagra, Ol. 50, 4, an der Seite der 
Athener gefochten hatten und im Kampfe gefallen waren (Pausanias I, 29. 7). 
Derselben Schriftperiode nun gehören die Bruchstücke C. I. G. 17 (in bes- 
serer Abschrift bei Rofs Inser. inedd. 1. n. 55 p. 17 und Lebas Tf. VI, 15) 
148 und 19 an, welche aus Argos selbst stammen. Das diesen Inschriften 
allen gemeinschaftliche charakteristische Erkennungszeichen ist, dafs sie das 
o und das Koppa mit einem Punkte im Kreise schreiben und den Zisch- 
laut durch g bezeichnen. Denn das Z, welches die Fourmontschen Ab- 
schriften zeigen, beruht so gewifs auf einer Ungenauigkeit derselben, wie 
das ©, welches auf n. 19 einige Male als Theta vorzukommen scheint, aber 
sicher für ® oder ® verlesen ist, da nicht angenommen werden kann, dafs 
eine Inschrift, welche regelmäfsig © für O setzt, ersteres Zeichen zugleich 
für Theta verwendet habe. Etwas älter ist das Fragment C.1.G. 14, das 
zwar auch regelmäfsig © für O setzt, aber den Zischlaut durch das im Ge- 
brauche ältere $ bezeichnet. Eine dritte, älteste Gruppe bilden die In- 
schriften C. I. G. 2 und 6 (von welcher schon oben bemerkt worden ist, 
dafs sie nicht nach Samos, sondern wahrscheinlich nach Argos gehöre), so 
wie die Helmaufschrift n. 29 (vgl. Add. p. 885), welche sich von den übrigen 
sowohl durch den alterthümlicheren Charakter der Schriftzüge, als auch 
dadurch deutlich unterscheiden, dafs sie das o und das Koppa nicht mit dem 
Punkte versehen und statt $ oder £ das viel ältere M verwenden. Hiernach 
sind die drei Alphabetreihen in Col. XIV zusammengestellt. 

Es ist durchaus kein Grund vorhanden, der uns nöthigte anzunehmen, 
dafs die Zeichen, welche zufällig in einer der drei Reihen nicht nachweisbar 
sind, während sie in den andern sich finden, zur Zeit, wo diese Reihe Gel- 
tung hatte, nicht im Gebrauche gewesen und der Bestand der ältesten ein 
wesentlich anderer, als der der jüngsten gewesen sei. Ebenso fehlt das 
Zeta in allen drei Reihen selbstverständlich auch nur zufällige. Das Gleiche 
gilt meiner Meinung nach auch von dem &, für welches aus leicht begreif- 
lichen Gründen irgend ein Ausdruck ebenfalls in keiner der drei Gruppen 


(') Ein weiteres, wahrscheinlich zu derselben Inschrift gehöriges Fragment, aus dem 
wir indessen nichts Neues lernen, ist später auf der Burg zu Tage gekommen und 'Eoyn. 
@2%,. 1118. Rangabe 367 herausgegeben worden. 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 187 


nachweisbar ist. Denn ein Alphabet, welches wie das vorliegende den Laut 
% durch das ionische Zeichen X ausdrückte und für die Verbindungen der 
Gutturale mit dem Zischlaute HH verwendete, kann aller Analogie nach das 
V oder Y als Ausdruck der entsprechenden Verbindungen der Lippenlaute 
kaum entbehrt haben. Jenes H ist nämlich identisch mit dem ionischen E, 
freilich nicht so, dafs es als ein verkehrt gestelltes E betrachtet werden 
dürfte, sondern es ist selbständig wie jenes aus der älteren Urform E durch 
Vereinfachung abgeleitet, indem statt der vertikalen die horizontale Schlie- 
{sung fortgelassen worden ist, ähnlich wie das jüngere H aus dem älteren 8 
hervorging, wie dies nach Anderer Vorgange Mommsen auf eine völlig über- 
zeugende Weise dargethan hat (!). Das argivische Alphabet unterscheidet 
sich demnach von dem ausgebildeten ionischen abgesehen davon, dafs es die 
in letzterem allmälig aufser Gebrauch gekommenen Zeichen des Vau und 
Koppa noch verwendet, in welchem Umstande eine wesentliche Abweichung 
nicht gefunden werden kann, in der Hauptsache durch weiter Nichts, als 
dafs es das jüngste Zeichen des ionischen Alphabets, Q, noch nicht kennt 
und das B in seiner ursprünglichen Bedeutung als Spiritus und nicht als Be- 
zeichnung des langen e verwendet, für welches vielmehr noch das E fungirt. 
Eine individuelle Eigenthümlichkeit des Alphabets, welche indessen gleich- 
falls keinen wesentlichen Unterschied begründet, ist die besondere Modifi- 
eation, welche es dem Zeichen des Lambda gegeben hat (F) und welche 
daher auch in keinem anderen griechischen Alphabete begegnet. Auch der 
Wechsel in der Bezeichnung des Zischlautes (M, $, &) hat seine bestimmte 
Analogie in der Entwickelungsgeschichte des ionischen und anderer Alphabete, 
obwohl das M schon in der ältesten Phase des ersteren antiquirt erscheint 
und bisher noch auf keiner ionischen Inschrift hat nachgewiesen werden 
können. Wie weit die ältesten argivischen Inschriften, die das M haben, 
über Ol. 80 hinaufgehen, läfst sich nicht bestimmen; es scheint, dafs sie 
nicht gar alt sind, da die Richtung der Schrift, wie auf den späteren, bereits 
entschieden rechtsläufig ist, was kaum zufällig sein dürfte. Nach alle dem 
ist das Verhältnifs des argivischen zum ionischen Alphabete ein zwar sehr 
nahes, aber ziemlich freies, und fällt, wenn wir das ionische als das Muster 
betrachten, nach dem zu einer gewissen Zeit das argivische sich in freier 


(') Unteritalische Dialekte S. 11 ff. 


188 Kırcunorr: 


Weise ausgestaltete, die Anknüpfung dieser Beziehungen nothwendig ge- 
raume Zeit vor die Einführung des Q in das ionische Alphabet, d.h. vor 
die Mitte des sechsten Jahrhunderts. Wann die völlige Ausgleichung mit 
dem letzteren durch Einführung des Q und Wandelung des Werthes des H 
erfolgt ist, wissen wir nicht mit Bestimmiheit; es steht indessen durchaus 
nichts der Annahme im Wege, dafs dies, wie fast überall, um das Ende des 
peloponnesischen Krieges geschehen sei. Zwar hat Lebas bei Gelegenheit 
der Besprechung zweier Urkunden die Behauptung aufgestellt, dafs dieser 
Zeitpunkt erheblich früher eingetreten sei; allein die Gründe, auf welche 
er diese Behauptung stützt, sind so oberflächlicher Natur, dafs es kaum der 
Mühe verlohnt, näher auf sie einzugehen. Das erste dieser Denkmäler ist 
ein zu Argos gefundenes, jetzt im Berliner Museum (n. 480) befindliches, 
Votivrelief, Artemis mit Bogen und Fackel darstellend; die Dedication, zu 
beiden Seiten des Kopfes der Figur eingehauen, lautet (!): 
INONNZSIER ATAANEOH 
KE 

Dieses Denkmal nun bringt Lebas auf eine ganz willkürliche Weise in Ver- 
bindung mit C.1. G. 24, welche Inschrift Boeckh um Ol. 84 angesetzt hatte 
und die Lebas wunderlich genug für Argos in Anspruch nimmt, und meint, 
dafs der Charakter der Schriftzüge auf eine nicht gar weit von Ol. 84 ablie- 
gende Epoche hinweise. In der That aber hat C. I. G. 24 schlechterdings 
nicht das Mindeste mit Argos zu thun, wie die oben angestellten Erwägun- 
gen hoffentlich zur Genüge erwiesen haben, und was den Charakter der 
Schriftzüge anbelangt, so weisen die Formen des N, © und H (um von dem 
TT ganz zu schweigen) auf eine beträchtlich spätere Zeit, als Ol. 81. Der 
Gebrauch des H zur Bezeichnung des langen e scheint anzudeuten, dafs zur 
Zeit der Inschrift das ionische Alphabet bereits recipirt war, während die 
Beibehaltung der eigenthümlich argivischen Form des Lambda (um deren- 
willen allein die Inschrift in diesem Zusammenhange Erwähnung verdient) 
auf die Epoche unmittelbar nach der erfolgten Reception hinzuweisen scheint. 
Hiernach ist in keiner Weise abzusehen, warum das Denkmal nicht in die 
Zeiten unmittelbar nach dem peloponnesischen Kriege sollte gehören können, 


(') Revue archeologique II. 1845-46, 2 p. 691 ff. zu pl. 44. Vgl. auch Yoyage arch. 
Inser. II. n. 109 p. 24, wo JI statt TT gegeben ist. 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 189 


wogegen mir auch der Stil des Kunstwerkes nicht zu sprechen scheint. Nicht 
anders verhält es sich mit einem zweiten Denkmal, welches Lebas aus nich- 
tigen Gründen in die Zeiten des peloponnesischen Krieges zu verweisen sich 
bemüht hat. Er fand die Inschrift zu Smyrna in die Wand eines Hauses ein- 
gemauert, wohin sie von Kimolos her scheint verschleppt worden zu sein (?). 
Sie enthält im ionischen Alphabet geschrieben einen Schiedsspruch der Ar- 
giver, den diese im Auftrage der delphischen Amphiktyonen (denn diese, und 
nicht der nur in den Perserkriegen bestandene Bundestag auf dem Isthmos, 
sind unter dem ruvedgiov av 'EAAavwv zu verstehen) in einem Streite zwischen 
den Bewohnern der benachbarten Inseln Melos und Kimolos zu Gunsten der 
letzteren gefällt haben. Dafs dieser Streit sammt der auf ihn bezüglichen 
Urkunde in die Zeit nach Restitution der dorischen Bevölkerung von Melos 
durch Lysandros fallen mufs, sieht jeder Besonnene ein, warum Lebas sie 
gerade in das Jahr vor Vertreibung der Melier durch die Athener, Ol. 90, 4, 
gesetzt wissen will, mag man bei ihm selbst nachlesen; auf eine ernstliche 
Wiederlegung seiner sogenannten Gründe einzugehen, erscheint überflüssig, 
da sie durch ihre Beschaffenheit sich selbst richten. 

22. In ganz ähnlichem Verhältnisse zum ionischen Alphabete, wie das 
argivische, steht das alte Alphabet von Korinth und seinen Colonien. 
Wir kennen den ältesten Zustand desselben aus Inschriften von Korinth 
selbst und Korkyra; es scheint jedoch aus gewissen Gründen sich zu em- 
pfehlen, beide Gruppen von Denkmälern hier gesondert zu betrachten und 
ihre Alphabete unabhängig von einander zu entwickeln, obwohl sie, wie 
sich zeigen wird, vollkommen identisch sind. 

Von Korinth selbst und seinem Gebiete haben wir aufser den Auf- 
schriften der ältesten Stadtmünzen, aus denen freilich nicht mehr als der 
Gebrauch des Koppa zu entnehmen ist, einige sehr alte Grabschriften, welche 
bei dem heutigen Asprokampo in der korinthischen Peraea, in der Nähe des 
alten Oenoe, gefunden worden sind. Drei von ihnen theilt Forchhammer 
(Halkyonia 1857 S. 14) nach eigenen Abschriften in folgender Gestalt mit: 


a.\AP?TYT®YTP®ABMAMA c. MAAOTIZAA 
b. (AAMA 


(') Zuletzt herausgegeben in der Yoy. arch. Inser. III n.1. p. 1, wozu die Explica- 


tions zu vergleichen sind. 


190 Kırcanorr: 


b giebt auch Lebas IT. n.78 p. 20 (Tf. IV, 7), a und e haben wir in Ab- 
schriften von Rofs (vgl. Arch. Aufs. II. S. 661), der inc den Punkt im © 
ausläfst und a in etwas abweichender Fassung giebt: 
DPENTDoYTobDBMAMA 
Der Anfang der Inschrift scheint stark verwittert zu sein, woraus sich die 
Unvollständigkeit der von Lebas gegebenen Copie (Revue archeol. 1,1.1844 
p- 174. Voy. arch. Inser. 11. n. 77. p. 20 und Tf. IV, 6) erklärt, die so 
aussieht: 
HOSTOABMAMA(!) 

denn dafs wir es hier mit zwei verschiedenen Inschriften zu thun haben soll- 
ten, erscheint mir nicht glaublich. Dazu kommen die vielleicht hierher 
gehörigen Fragmente FAAN und AOA bei Lebas n. 80 und 82, ebenfalls 
von Oenoe. Auch nehme ich ohne das geringste Bedenken für Korinth 
selbst die in diesem Alphabete verfafsten Aufschriften der Vasen ältesten 
Stiles in Anspruch, um so mehr, als sowohl die zuerst bekannt gewordene, 
das berühmte Dodwellsche Gefäfs (C. I. G. 7), als auch die vor Kurzem in 
den Annali dell’ inst. arch. 1862. tav. d’ agg. A. B. (S. 46 ff.) abgebildeten 
und beschriebenen bei Korinth selbst gefunden worden sind, und diese we- 
nigstens unzweifelhaft als korinthisches Fabrikat betrachtet werden müssen. 
Die Aufschriften einer Anzahl später bekannt gewordener, aus den Gräbern 
Kampaniens und Etruriens stammender, findet man ©. I. G. 7373. 7374. 
7376—805. Von anderen führe ich nur an das von Mommsen (ÜUnterita- 
lische Dialekte S. 35 Anm. 48) erwähnte und von Braun in den Annali dell’ 
inst. arch. 1855 tav. XX (S. 67 ff.) besprochene und abgebildete Gefäfs 
der Campanaschen Sammlung, weil wir aus ihm die Form des Beta kennen 
lernen, und das Schaubertsche, aus Aegina stammende, jetzt im Museum 
der Universität in Breslau, dessen Aufschriften am sorgfältigsten von Co- 
nitzer (Herakles und die Hydra. 1861. S. 31-33) wiedergegeben worden sind. 
Aus diesem Material ist das Alphabet Col. XV zusammengestellt; um das 
Urtheil zu erleichtern, habe ich diejenigen Zeichen, welche auf den Stein- 
schriften und den bei Korinth gefundenen Gefäfsen nicht vorkommen, son- 
dern den Aufschriften anderer Vasen entnommen sind, durch ein Sternchen 


(') Rangabe 319 giebt die Inschrift nach einer handschriftlichen Notiz Lebas’, doch etwas 
abweichend (AOPTOA&C MAMA), setzt sie aber irrthümlich nach dem argolischen 


Oenoe. 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 191 


kenntlich gemacht. Die Richtung der Schrift ist theils links-, theils rechts- 
läufig. 

Der Charakter dieses Alphabets ist ein sehr alterthümlicher, es steht 
in allem Wesentlichen auf dem Standpunkte des ältesten argivischen und über- 
trifft dasselbe an Alterthümlichkeit noch insofern, als es das Iota nicht, wie 
dieses, durch den einfachen senkrechten Strich, sondern durch mannig- 
fache Modificationen der gebrochenen Linie bezeichnet, ganz in der Weise der 
ältesten Inschriften von Thera und Melos. Das nur zufällige Fehlen der 
Zeichen £ und / ist sicher nach demselben Mafsstabe zu beurtheilen, der für 
jenes oben geltend gemacht worden ist. Charakteristisch und nur ihm und 
seinen Abzweigungen eigenthümlich ist die Form des Ei, B, B, welche, weil 
sie der gewöhnlichen Form des Beta ganz gleichkam, Veranlassung gab, letz- 
tere in einer ebenfalls ganz eigenthümlichen Weise zu differenziren; denn es 
scheint klar, dafs W aus B, und nicht umgekehrt B aus UL, entstanden ist. 
Wo, wie auf der Grabschrift ce von Oenoe, die gewöhnliche Form E über- 
liefert wird, beruht dies nur vielleicht auf einer Ungenauigkeit der Lesung, 
die bei einiger Undeutlichkeit der Schriftzüge leicht erklärlich ist. Die In- 
schrift scheint nämlich zu alt, als dafs man sie in eine Zeit setzen könnte, in 
der das korinthische Alphabet sich der allgemein üblichen Schreibart in die- 
ser Beziehung wieder angenähert haben mag, eine T'hatsache, welche das 
weiter unten zu besprechende syrakusische Alphabet zu verbürgen scheint 
und die durch die Vaseninschrift C. I. G. 7379 bestätigt wird, auf der, wenn 
der Abschrift zu trauen ist, einmal E, einmal B, ein drittes Mal das unvoll- 
ständige # erscheint und dem entsprechend in dem einzigen vorkommenden 
Fall dem Beta die Form B, unmittelbar hinter B als e, gegeben ist. Da- 
gegen scheint L auf derselben Vase, an der einen Stelle, wo der Buchstabe 
vorkommt, statt des sonst ausnahnıslos verwendeten F auf die auf Vasen- 
inschriften so überaus häufige Nachlässigkeit zurückzuführen, durch die so 
viele Buchstaben nicht selten verkehrt gestellt erscheinen, und auf die wirk- 
liche Praxis aus diesem vereinzelten Falle ein Schlufs nicht gezogen werden 
zu dürfen. Dafs das Alphabet auf diesem Standpunkt nicht bis zur Zeit der 
Reception des ionischen Alphabets verharrt hat, würde unbedingt angenom- 
werden dürfen, wenn es sich auch nicht durch die Analogie der Entwickelung 
der aus ihm abgeleiteten Tochteralphabete erhärten und durch ganz sichere 
thatsächliche Spuren erweisen liefse. So findet sich, abgesehen von E statt B, 


192 Kırcuuorr: 


wovon so eben gesprochen worden, auf der ziemlich alten Steinschrift von 
Oenoe bei Lebas II. n.79 p.20 AA MI M und der nicht minder alten Vasen- 
inschrift C. I. G. 7376 I für £ oder $ noch neben dem M, auf den Fragmen- 
ten von Oenoe bei Lebas II. n. 81 und 83 TAMIAO& und AMOAOE nicht 
nur dieses, sondern auch schon das jüngere £ für M und im Zusammen- 
hange damit M für M. Der Gang der Entwickelung scheint der gewesen zu 
sein, dafs zuerst das B dem E und ‚T dem B gewichen, gleichzeitig oder 
wenig später | für$ , £ eingetreten, zuletzt M mit & und M mit M vertauscht 
worden ist, womit im Flusse der Bewegung ein leicht erklärliches Schwanken 
des Gebrauches nicht in Abrede gestellt werden soll. Beachtenswerth ist 
endlich besonders die Schreibung des Diphthonges cu selbst in der Endung 
durch OY statt einfaches O in so alter Zeit, wie die der Steinschrift @ von 
Oenoe, ganz wider den Gebrauch aller andern Alphabete von gleichem und 
selbst viel jüngerem Alter. Sie beruht aber nicht etwa auf einem Irrthume 
oder Fehler der Abschreiber, sondern findet ihre Analogie in den ältesten 
Inschriften von Korkyra, wo sie sogar die Regel ist. Auch dies ist also zu den 
charakteristischen Eigenthümlichkeiten des korinthischen Alphabets zu zählen. 

Vollkommen identisch, wie schon bemerkt, mit dem alten korinthi- 
schen ist das ältere korkyraeische Alphabet (Col. XVI). Es war zum 
Theil schon bekannt aus dem Fragmente C. I. G. 20, ist uns aber erst voll- 
ständig erschlossen worden durch die später entdeckten und viel besprochenen 
Grabschriften des Menekrates und Arniadas (am zugänglichsten jetzt bei Rofs 
in den Arch. Aufs. II. Tf. XXI und XXI, womit dann noch die kleine 
einzeilige Weihinschrift, welche W. Vischer (Rhein. Museum IX. S. 385 
und “Archaeologisches und Epigraphisches aus Korkyra, Megara und Athen’ 
Basel 1854 Tf. IH, 1) herausgegeben hat: 

A14BJMAMMOSBOAN 

zu verbinden ist. Die Richtung der Schrift ist hier, wie in der gleichfalls 
eine einzige lange Zeile bildenden Grabschrift des Menekrates linksläufig, 
dagegen in den mehrzeiligen Inschriften C. I. G. 20 und der Grabschrift des 
Arniadas furchenförmig. Auch für dieses Alphabet sind d und U bisher 
nicht nachzuweisen, was indessen, so gut wie der gleiche Mangel in Betreff 
des Koppa, ganz sicherlich nur zufällig ist. Wie schon bemerkt, wird auch 
auf diesen sehr alten Inschriften das ov der Endungen regelmäfsig durch Of 
ausgedrückt. 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 193 


Über die Wandelungen, welche das Alphabet auf Korkyra von dieser 
ältesten Phase an bis zur Ausgleichung mit dem ionischen ohne Zweifel 
durchgemacht hat, belehren uns, freilich nur in sehr unvollkommener 
Weise, einige Inschriften jüngeren Datums. Als die älteste derselben be- 
zeichne ich die zweizeilige Aufschrift einer sich nach oben etwas verjüngen- 
den Steinsäule, offenbar eines Gränzsteines, welche in der ’Egnu. "Ievios 
1845 N. 29 in Steindruck herausgegeben worden ist (vgl. auch Rangab& 356): 
PLOZHIAPOZ 
AZAKBJA= 
Sie ist in der angeführten Nummer und den folgenden des Journals, wie 
auch von Rangabe hin und her besprochen worden, obwohl ihre Lesung 
und Deutung gar keinem Zweifel zu unterliegen scheint. Mafsgebend ist 
für beides die sehr viel jüngere Aufschrift gleichfalls eines Gränzsteines von 
Korkyra, welche schon Cyriacus sah und die nach seiner Abschrift C. I. G. 
1909 wiederholt ist: 
OPBOZIAPOYK 
AIOZIOY 
d.h. offenbar ög@es iageo nal öriov. Jenes op@ss lehrt, dafs das gemein- 
griechische ges im korkyraeischen Dialekt ehemals cores lautete (vgl. das 
ionische eüges), und in der That ist das dritte Zeichen der ersten Zeile der 
älteren Inschrift, C, nichts weiter als jene Nebenform des F, welche z. B. 
aus den Tafeln von Heraklea und einzelnen boeotischen Inschriften späterer 
Zeit hinreichend bekannt ist. Dafs der Spiritus im Anlaute fehlt, ist sonach 
ganz in der Ordnung und es darf uns der zufällige Umstand nicht irre 
machen, dafs das T des Anfangs der zweiten Zeile etwas schlank gerathen 
und vom Steinhauer in das gerade darüber stehende O mit seinem Kopfe 
hinein gezogen worden ist. Die Bedeutung aller anderen Zeichen ist klar 
und unzweifelhaft, so dafs das Ganze schlechterdings nicht anders als cgros 
iagos | r&s "Axeias gelesen werden kann. Wer an dem freilich sonst nicht 
bekannten Epitheton einer weiblichen Gottheit, "Axeıc, Anstols nimmt, mag 
bis auf Weiteres mit geringer Anderung des B in P "Argias lesen, eine Neben- 
form des gewöhnlichen "Azgai@, welche von Hesychios aufgeführt wird, mir 
aber zweifelhaft erscheint. Abgesehen von dem LE für F weisen das Alpha 
mit horizontalem Querstrich, das bereits unten und oben offene H und vor 
allem die Verwendung des Zeichens £ an Stelle des alten M auf eine sehr 
Philos.-histor. Kl. 1863. Bb 


194 Kırcunorr: 


viel spätere Zeit, obwohl die eigenthümliche Gestalt des E als B festgehalten 
scheint und auch das lota noch nicht als einfacher senkrechter Strich, son- 
dern in einer ganz eigenthümlichen Modification auftritt (3, J), welche aus 
dem alten $ abgeleitet scheint und den Übergang von diesem zum einfachen 
Striche darstellt. Dieser findet sich denn auch schon auf einer vielleicht 
gleichzeitigen, jedenfalls nicht viel jüngeren Inschrift eines anderen korky- 
raeischen Gränzsteines, von dem mir eine Abbildung auf einem in Corfu 
gefertigten (wahrscheinlich als Beilage zu einer Nummer der dort erschei- 
nenden ionischen Zeitung gehörigen) Steindrucke vorliegt, welche mit der 
Dixonschen, in Gerhard’s Archaeologischer Zeitung 1846 auf Taf. XLVII, 4 
wiederholten, im Wesentlichen übereinstimmt, aber in einzelnen Punkten 
genauer ist ('). Auf dem Steinpfeiler befinden sich zwei Inschriften, von 
denen die eine, nach der Abbildung zu schliefsen sowohl rechts als links 
vollständig erhalten, vertikal von unten nach oben eingehauen ist und die 
somit linksläufige Zeile 
3ATAIIEIA 

bildet. Die zweite läuft in horizontaler Richtung um die halbe Rundung 
des Pfeilers, näher dem oberen, als dem unteren der erhaltenen Enden, 
und lautet: 

AIOZKOYPQN 
Sie ist, wie man sieht, im ionischen Alphabet geschrieben, folglich später 
hinzugefügt und hat mit der ersten, viel älteren, augenscheinlich Nichts zu 
thun. Diese kann nur als ein Wort As£eı@ras oder Anfeıaras gelesen werden, 
worin eine adjektivische Ableitung auf -srys oder -aras, von einem Eigen- 
namen, zu erkennen ist, zu der °g0s zu ergänzen sein dürfte. Die Inschrift 
hält das korinthisch-korkyraeische R statt E fest und erweist sich durch ihre 
linksläufige Richtung als ziemlich alt, zeigt aber nichts destoweniger schon I 
und & statt der älteren Zeichen $ und M. Noch etwas jünger dürfte endlich 
das dritte der bezeichneten Denkmäler sein, ein konisch zugespitzter Gränz- 
pfeiler mit der rechtsläufigen Aufschrift 

PODzZNMYRAIDZ 
welche C. I. G. 1577 und später wiederholt herausgegeben worden ist. 
Nicht nur zeigt auch sie schon I und &, sondern auch das Digamma, welches 


(‘) Vgl. besonders Vischer im Rh. Museum IX. S. 384. 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 195 


auf der Grabschrift des Arniadas in geraicı sich findet, ist in 60os nicht mehr 
geschrieben, was auf die Epoche einer späteren Entwickelung des Dialektes 
hindeutet. Dagegen beweist die Form des Theta mit dem Kreuze statt des 
jüngeren Punktes im Kreise oder hier Quadrate, dafs wir es mit einer ver- 
hältnifsmäfsig alten Inschrift zu thun haben. Man sieht aus alle dem wenig- 
stens so viel, dafs, wie das korinthische, so auch das:korkyraeische Alphabet 
die Zeichen $ und M später mit I und & vertauscht hat, und dafs dies früher 
geschehen ist, als das B und ‚[’ dem E und B wich, was auch hier, wie in 
Korinth, noch vor der Reception des ionischen Alphabets geschehen sein 
wird, obwohl Belege dafür sich bis jetzt noch nicht gefunden haben. 

Schliefslich bemerke ich noch, dafs, wenn das Zeichen 1, das auf 
der jüngeren korkyraeischen Inschrift C. I. G. 1838 als Ausdruck für 
10 Drachmen erscheint, dem alten Alphabete entlehnt sein sollte, es nur 
als ein umgekehrtes W betrachtet werden könnte und einen Beweis für das 
ehemalige Vorhandensein dieses V im Alphabete, natürlich in der Bedeutung 
des Li, nicht des x, abgeben würde. 

Spuren des korinthischen Alphabets finden sich, aufser auf Korkyra, 
noch an zwei anderen Punkten, welche, wie wir wissen, von Korinth aus 
kolonisirt worden sind. Zunächst auf Leukas. Die einzige hier gefundene 
archaische Inschrift, bei Lebas II. n. 1040. p. 246 (Tf. VII, 23), 

MIKV®AM 

welche der Gestalt der Buchstaben nach zu schliefsen sehr alt ist, enthält 
zwar kein einziges eigentlich charakteristisches Zeichen, stimmt aber im 
Übrigen doch mit dem Gebrauche der älteren korinthischen und korkyraei- 
schen Inschriften in erwünschter Weise überein. Zwar braucht sie neben 
M und M schon I statt $, doch ist auch das auf älteren korinthischen Denk- 
mälern oben nachgewiesen worden und belegt nur die an sich nicht zu be- 
zweifelnde Thatsache, dafs die Entwickelung des Alphabets in den Colonien 
mit der in der Mutterstadt gleiche Phasen gehabt und gleichen Schritt ge- 
halten hat. 

Ebenfalls in das Gebiet der korinthischen Ansiedelungen auf der 
akarnanischen Küste gehört die Inschrift C. 1. G. 1794 Ah, welche zu Folge 
der unbestimmten Fundnotiz im nördlichen Akarnanien gefunden sein soll 
und welche ich nicht mit Lebas (der II. n. 1056 p. 250 die Abschrift, nach 
der die Inschrift im C.1. G. gegeben worden ist, nur einfach wiederholt) 

Bb2 


196 Kırcsnorr: 


auf das amphilochische Argos, sondern auf Anaktorion beziehen möchte, 
woher auch das ziemlich alte Bruchstück C.1.G. 1794g (wiederholt bei 
Lebas II. n. 1049 p. 250) stammt. Damit verbunden werden kann die 
kurze archaische Inschrift des akarnanischen Palaeros (Kekropula), welche 
Heuzey (Le mont Olympe et U’ Acarnanie 1860. p. 491. n. 72) bekannt 
gemacht hat: 

AOANA< 

sios 
Das Alphabet dieser Inschriften, welches Col. XVII zusammengestellt worden 
ist, erweist sich durch die Form des B für E und des freilich wahrscheinlich 
verstümmelten oder verlesenen M in Bagvanevov, wie für zegvauevov auch in der 
Grabschrift des Arniadas geschrieben ist, auf der von Anaktorion für B unzwei- 
deutig als ein Ableger des korinthischen, obwohl sonstige charakteristische 
Zeichen zufällig nicht vorkommen. Allerdings verwenden sie schon I statt $ 
und & statt M, auch wird cv in den Endungen durch einfaches O ausgedrückt, 
allein dies beweist eben nur, wie auch die durchgängig rechtsläufige Richtung 
der Schrift, dafs sie erheblich jünger sind, als die ältesten korinthischen 
und korkyraeischen, und dafs das Alphabet in diesen Gegenden denselben 
Wandelungen unterlegen hat, wie in der Mutterstadt. 

Das korinthische Alphabet dürfen wir ferner für die älteren Zeiten 
unbedingt auch als in Syrakusae gebraucht voraussetzen. Leider besitzen 
wir als Belege der syrakusischen Schriftweise aufser den älteren Münzlegen- 
den und den beiden unbedeutenden Inschriften von Akrae C. I. G. 5435 
und 5458 nur ein einziges umfangreicheres Denkmal, die Aufschrift des zu 
Olympia gafundenen Helmes, den Hieron aus der Beute der Schlacht bei 
Kyme, Ol. 76, 3, geweiht hatte, C. I. G. 16 (vgl. Rose Inser. Gr. vet. Tf. 
VII, 1), letzteres aber entschädigt einigermafsen durch den sehr wichtigen 
Umstand, dafs es sich sicher datiren läfst und einen zuverlässigen Anhalts- 
punkt für eine ungefähre chronologische Bestimmung der Phasen des korin- 
thischen Alphabets gewährt. Zwar fehlen auf der bezeichneten Urkunde 
gerade die charakteristischen Zeichen des Zi und des x} und läfst sich dieser 
Mangel auch andersher nicht ersetzen (man müfste denn, was mir nicht un- 
wahrscheinlich vorkommt, das frühe Auftreten des £E in den Münzaufschrif- 
ten aus nachchalkidischer Zeit des sicilischen Naxos, welches nach Vertrei- 
bung der chalkidischen Bevölkerung durch Hieron syrakusische und pelopon- 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 197 


nesische Ansiedler erhalten hatte (?), auf syrakusischen Einflufs zurückführen 
wollen); indefs ist dies eben rein zufällig und kann die wohlbegründete An- 
nahme nicht hinfällig machen, nach der wir in der Colonie das Alphabet der 
Mutterstadt voraussetzen. Überdem zeigt der Gebrauch des OV in der En- 
dung, der auf der sehr alten und leider nur zu kurzen Grabschrift von Akrae 
0.1. G. 5458 begegnet, eine gewifs nicht zufällige Übereinstimmung mit 
der oben bemerkten Praxis der ältesten korinthischen und korkyraeischen 
Denkmäler. Die rechtsläufige Richtung der Schrift, I und & für $ und M, 
vor allem aber der Gebrauch der gemeingriechischen Form des E für B, der 
indessen schon auf nicht jungen Denkmälern von Korinth beobachtet werden 
konnte, beweisen nur, dafs das Alphabet in Syrakus bereits in der 76. 
Olympiade in diejenige Phase seiner Entwickelung eingetreten war, welche 
auch auf den jüngeren Denkmälern von Korinth selbst und anderen seiner 
Colonien nachgewiesen worden ist. Da nun nicht anzunehmen ist, dafs 
Syrakus in dieser Hinsicht der Mutterstadt und dem Schwesterstaate Korkyra 
der Zeit nach bedeutend vorausgeeilt sei, es vielmehr mehr als wahrschein- 
lich ist, dafs diese Entwickelung sich auf dem ganzen Herrschaftsgebiete des 
Mutteralphabets mit einer gewissen Gleichmäfsigkeit vollzogen habe, so ge- 
winnen wir aus der Vergleichung der älteren korinthischen und korkyraei- 
schen Urkunden mit der syrakusischen Aufschrift des Helmes von Ol. 76, 3 
die Gewifsheit, dafs jene, als entschieden einem früheren Entwickelungs- 
stadium des Alphabets angehörig, erheblich älter sind als diese Epoche. Es 
kann hiernach gar keinem Zweifel unterliegen, dafs Inschriften wie die Grab- 
schriften des Menekrates und Arniadas dem sechsten Jahrhundert und zwar 
der ersten Hälfte desselben angehören, auf welche Zeit überdem der Kunst- 
stil der alten Vasen korinthischen Fabrikats, deren Inschriften derselben 
Entwickelungsstufe des Alphabets angehören, gleichfalls unzweideutig hinweist. 
Es ist dies eine Gewifsheit, welche gegenüber den unbegründeten Zweifeln, 
welche sich Franz und Rangabe an dem hohen Alter dieser Denkmäler er- 
laubt haben, nicht nachdrücklich genug hervorgehoben werden kann, da die 
Widerlegung, welche ihnen Rol[s hat angedeihen lassen und die in aller 
Weise eine vollkommen begründete ist, bei dem eigenthümlichen Stand- 
punkte, den dieser verdiente Gelehrte in Fragen des früheren hellenischen 
Alterthums in einseitiger Weise behauptete, solchen, die sich mit der Sache 


(') Diodoros XI, 49. 


198 Kırcauorr: 


nicht eingehender beschäftigt haben, als parteiisch, auch verdächtig erschei- 
nen könnte. Es ist aber in der That an der Zeit, dafs Monstrositäten, wie 
die Behauptung Rangabe’s, die Grabschrift des Menekrates rühre aus den 
Zeiten nach dem Ende des peloponnesischen Krieges her, allgemein als das 
was sie sind, als Verirrungen, entstanden aus unverständiger Anwendung eines 
kritischen Prineipes, auf welches die bedächtige Vorsicht eines bahnbrechen- 
den Geistes in den Anfängen der Forschung gegenüber einem unzulänglichen 
Materiale sich zum Besten derselben hatte geglaubt stellen zu müssen, aner- 
kannt und bezeichnet werden. 

33. Ob das korinthische, oder doch ein dem korinthischen nahe ver- 
wandtes Alphabet in früheren Zeiten auch in dem benachbarten Phlius ge- 
golten habe, ist eine Frage, die bei dem eigentbümlichen Stande der Über- 
lieferung derjenigen Denkmäler, auf die es dabei ankommt, unentschieden 
bleiben mufs. Wir haben von dieser Stadt und ihrem Gebiete nur zwei ar- 
chaische Inschriften, welche nach Fourmontschen Abschriften C.1.G. 21 und 37 
herausgegeben worden sind, von denen aber die erste eine sichere Lesung nicht 
zuläfst. Die zweite, welche Fourmont in folgender Gestalt überliefert hatte: 

..VOBI9OBMOTSATIEIA 
las Boeckh de£eras rov öprov.. Das E würde, von allem Anderen auch 
abgesehen, vollkommen genügen, das phliasische Alphabet der Reihe der 
bisher besprochenen hinzuzufügen und in die unmittelbare Nähe des korin- 
thischen und argivischen zu stellen, leider aber ist die Existenz dieses Zeichens 
auf der Inschrift mindestens zweifelhaft; wenn es zu Fourmont’s Zeiten noch 
zu lesen war, so existirt es wenigstens jetzt nicht mehr. Denn die späteren 
Abschriften von Rofs (Reisen im Peloponnes 1. S. 31; vgl. Rangabe 3585) 
und Lebas Tf. V, 5, mit denen eine mir vorliegende des Hrn. von Velsen in 
allem Wesentlichen genau übereinstimmt, lassen die sechs ersten Buchstaben 
fort, geben die Inschrift aber nach links hin vollständiger in folgender Ge- 


stalt (v. Velsen): 
A1PeAsTeMepPdoBTs 


Der, nach der Abbildung bei Lebas zu schliefsen, regelmäfsig behauene 
viereckig Stein, auf welchem sich die Inschrift befindet, steckt jetzt in der 
Aufsenmauer der Kapelle des H. Nikolaos (Despotikon) bei H. Georgios 
in der Nähe des alten Phlius, in verkehrter Stellung eingelassen, so zwar, 
dafs das beginnende $ hart an der linken Kante steht. An derselben Stelle 
scheint ihn schon Fourmont gesehen zu haben (‘in ecclesia S. Nicolai roü Bu- 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 199 


pod, prope Phliuntem’), weshalb die Annahme unmöglich erscheint, dafs die 
sechs Buchstaben, welche Fourmont im Anfange mehr hat, erst nach seiner 
Zeit verschwunden seien. Es scheint gerathener einen freilich nicht mehr 
aufzuklärenden Irrthum des Mannes anzunehmen, zumal da er auch zwischen 
dem T und dem B zwei Buchstaben (© M) giebt, welche nach dem überein- 
stimmenden Zeugnifs der Späteren auf dem Stein nicht stehen und auch nie 
gestanden haben können. Die Zugehörigkeit des alten Alphabets von Phlius 
bleibt hiernach wenigstens zweifelhaft. 

24. Dasselbe gilt, freilich aus etwas verschiedenen Gründen, von 
dem Alphabete eines andern dorischen Staates der Peloponnes, nämlich der 
Insel Aegina, welches ich deshalb an keinem Orte passender zu besprechen 
und unterzubringen weils, als auf der Scheide der beiden grofsen Reihen, 
und das hier so lange seinen Stand behaupten wird, bis die Entdeckung 
irgend eines epigraphischen Denkmales von hinreichend ausgeprägtem Cha- 
rakter ihm eine entschiedenere Stellung anweisen wird, als die bisher be- 
kannten. Steinschriften nämlich (denn die Aufschriften der hier gefundenen 
Vasen theils attischen theils korinthischen Fabrikates kommen natürlich nicht 
in Betracht) in dorischem Dialekte aus der Zeit vor Vertreibung der alten 
Bewohner und der Besetzung der Insel durch attische Kleruchen, Ol. 87, 2, 
auf die es allein ankommt, gehören auf Aegina zu den Seltenheiten. Wir 
kennen bis jetzt nur die Dedicationen C. I. G. 2138 (Rangabe 33. Lebas 
Tf. VI, 5) und 2138d (Rangabe 34. Lebas Tf. VI, 6), sowie die kurzen 
Grabschriften ©. I. G. 2140a ° (Rangabe 4. Lebas II. n. 1714. p. 388), 
2140a ” (Lebas II. n. 1713. p. 388), Rangabe 368 und 'Eonu. @px, 2649. 
Sie gehören sowohl dem Charakter der Schrift, als der durchgängig rechts- 
läufigen Richtung derselben nach zu urtheilen sämmtlich der ersten Hälfte 
des fünften Jahrhunderts an. Leider reichen sie aber nicht aus, das Alpha- 
bet vollständig zu entwickeln (vgl. Col. XIX); es fehlen namentlich die 
charakteristischen Zeichen des £ und xj, anderer Punkte, welche zweifelhaft 
bleiben, gar nicht zu gedenken; bis jene Zeichen auf einem Denkmale der 
angegebenen Periode nachgewiesen sind, mufs demnach die Stellung des 
Alphabets zu den übrigen zweifelhaft bleiben, da es thöricht sein würde, 
den Mangel positiver Belege durch Erwägungen allgemeiner Art, wie der 
frühen Handelsbeziehungen der Insel zum Osten u. dgl., ersetzen und darauf 
allein Vermuthungen über den Charakter des Alphabets bauen zu wollen. 


200 Kırc#nsorr: 


Ich schliefse hiermit die Besprechung der Alphabete dieser ersten 
Reihe, indem ich meine Überzeugung ausspreche, dafs die Inschriften der 
Pembrokischen Sammlung, C.1.G. 34 und 38, von denen die erstere aus 
der Peloponnes stammen soll und deren Inbetrachtziehung aus gewissen 
Gründen der eine oder der andere in diesem Abschnitt meiner Arbeit er- 
warten könnte, so gut wie C.1.G. 43 moderne Fälschungen sind, über 
welche die epigraphische Wissenschaft unserer Zeit einfach zur Tagesord- 
nung überzugehen hat. 


II. 
Die Alphabete des VVestens. 


1. Die Alphabete des Festlandes von Hellas. 


Indem ich zur Darstellung der Alphabete der zweiten Reihe übergehe, 
betrachte ich zunächst diejenigen von ihnen, welche den Staaten des Fest- 
landes von Hellas angehören, um sodann daran die der westlichen Co- 
lonien in Italien und Sicilien anzureihen. Es würde der geographischen 
Ordnung nach demgemäfs in erster Linie von dem chalkidischen Alphabete zu 
reden sein; da sich indessen bisher weder auf Euboea selbst, dessen archaische 
Inschriften vielmehr ohne Ausnahme von den attischen Kleruchen, welche zeit- 
weise Theile der Insel besetzt hielten, herrühren, noch auf dem Gebiete 
der chalkidisch-eretrischen Ansiedelungen an der makedonischen Küste sich 
epigraphische Denkmäler gefunden haben, die in die Zeiten vor der aus- 
schliefslichen Herrschaft des ionischen Alphabets hinaufreichten, unsere 
ganze Kenntnifs des chalkidischen Alphabets vielmehr sich auf diejenige Ge- 
stalt desselben beschränkt, welche uns in den Inschriften der westlichen 
Colonien von Chalkis auf italischem und sicilischem Boden entgegentritt, 
es aber aus mehrfachen Gründen unthunlich erscheint, die Betrachtung der- 
selben von der der Alphabete der übrigen hellenischen Ansiedelungen in 
diesen Gegenden zu trennen, so habe ich es für gerathener gehalten, seiner 
Besprechung weiter unten in dem angedeuteten Zusammenhange ihre Stelle 
anzuweisen. Ich beginne demnach die Betrachtung der Alphabete des Fest- 
landes von Hellas mit der der mittelgriechischen, und zwar zunächst mit 


der des boeotischen. 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 201 


“1 1. Das boeotische Alphabet kennen wir aus Inschriften von The- 
ben ('), Orchomenos (?), Lebadeia (?), Koroneia (*), Thespiae 
und Umgegend (°), Thisbe (°), Akraephion (’), Tanagra und Umge- 
gend (°). Hierzu kommt die in Delphi gefundene Aufschrift der Basis von 
einer Statue oder besser eines Anathems (?), welches ein Mann von Orcho- 
menos gestiftet hatte und als dessen Verfertiger sich zwei thebanische Künstler 
nennen, C.1.G. 25. Über die naxische Inschrift des Grabreliefs von Or- 
chomenos, welche hier nicht in Betracht kommt, ist oben das Nöthige be- 
merkt worden. Alle diese Inschriften sind in ein und demselben Alphabete 
geschrieben und genügen, obwohl sie fast ohne Ausnahme nur Grabschriften 
von geringem Umfange sind, bei ihrer Anzahl doch vollkommen, um das 
Alphabet aus ihnen ziemlich vollständig zu entwickeln, wie es auf Col. I der 
zweiten beigegebenen Tafel dargestellt worden ist. Das Zeichen des Zeta 
fehlt sicher nur zufällig, vielleicht auch das Koppa, obwohl dies zweifelhaft 
bleiben mufs. Der Gebrauch des Vau war im boeotischen Dialekte ein 
ziemlich verbreiteter und lange festgehaltener, wefshalb selbst nach der Re- 
ception des ionischen Alphabets das Zeichen desselben noch im Gebrauch 
geblieben ist, wie zahlreiche Inschriften der späteren Zeiten dies zur Genüge 


(') a C.Il.G. 1637 (Lebas II. n. 522. p. 113). & Bursian bei Rangabe 2275 und im 
Bullet. dell’ inst. arch. 1854. p. XXXIV, Vischer Epigr. und arch. Beitr. S. 47. ce Rangabe 
321. d 322. e 323. f Evrp. do%, 843. Rangabe 324. g 'Epru. AEX, 844. Rangabe 366. 

(?) a C.1.G. 1639 (Leake Travels in N. Greece Tf. VIII. 36. Rangabe 331). EEG. 
1643 (Leake VIII, 35. Rangabe 332): ec "Ehrn. ag, 796. Rangabe 364. d ’Ernn- 0%, 799: 
Rangab& 333. e "Edru. @z%,. 814: Rangabe 335. f Epru. AOX, 816. Rangabe 357. 

0) a C.I.G. 1678. # Rangabe 325. ce 337. * 

(*) «a Rangabe 35. Lebas II. n. 670. p. 149. d-e Lebas II. n. 671-74. p. 149. Keil 
Syll. inser. Boeot. n. LVI. a. d. c. p. 167. LVI. 2. p. 168. 

(?) a €C.1.G. 1640 (Leake XVII, 79). # 1644 (XIX, 86). ce 1646 (XIX, 89). @ 1649 
(XIX, 90). e 1650 (XIX, 85). f Rols Epistola ad Boeckhium. A850. p- 11. g Rangab£ 326. 
h 327. Keil LX. p. 173. i Rangabe 328. k 329. 2 330. m Keil LXIU. a. p. 173. Lebas II. 
n. 425. p. 90. n Keil LI. a. p. 165. 

(°) a C.1.G. 1592. 5 Rangabe 31. 

(’) a Eon. X. 787. Rangabe 363. # Lebas II. n. 596. p. 129. 

(?) a C.1.G. 1599. # 1642 (Leake XV, 67). ce 1647 (XV, 72). @ Keil LX. g. p. 171. 
Lebas II. n. 274. p. 120. 

(?) Die durch einen Bruch rechts verstümmelten Worte scheinen nämlich folgendermafsen 
ergänzt werden zu müssen: .... @Aos 6 Mor[.... aveSyze]| Bowrios 2E ’Eoyou[eva.]| Vre- 
Todwpos, "Agıssro| yerrun] | rom rarev Onaiw oder O4Banfı]. 

Philos.-histor. Kl. 1863. Ce 


202 Kırcanorr: 


beweisen. Ein Zeichen für die Lautverbindung Y hat das Alphabet wahr- 
scheinlich nie besessen, da selbst der Laut des £ in manchen Fällen durch %r 
ausgedrückt wird (Inschriften von Orchomenos a, Thisbe d und die delphische), 
obwohl das Zeichen + daneben bekannt und auch im Gebrauche war (vgl. 
die Inschriften von Theben g, Thespiae A, Lebadeia a und Koroneia d). 
Es ist dieses Schwanken offenbar die Folge einer ähnlichen zurückhaltenden 
Sprödigkeit, wie sie im naxischen und attischen Alphabete begegnete, und 
nicht etwa durch die scheinbar naheliegende Annahme zu erklären, dafs die 
Inschriften mit %r älter seien, als die, welche schon + verwenden. Denn 
jenes findet sich noch auf derjenigen unter diesen Inschriften, welche, 
wenn nicht die jüngste, doch jedenfalls eine der jüngsten ist, der delphischen 
nämlich, C. I. G. 25. Das Anathem, auf dessen Basis sie stand, war nach 
ihrer eigenen Angabe von den Thebanern Hypatodoros und Aristogeiton 
verfertigt worden. Die Blüthe des ersteren setzt Plinius (XXXIV, 19) in 
die 102. Olympiade. Er hat aber entschieden schon vor dieser Zeit ge- 
arbeitet und nicht unbedeutende Werke geliefert. So sah Pausanias (X, 
10.3-4) zu Delphi von ihm und seinem auch auf unserer Inschrift genannten 
Mitarbeiter Aristogeiton eine Darstellung der Sieben gegen Theben, ein 
Weihgeschenk,, welches die Argiver aus der Beute eines Gefechtes bei dem 
argolischen Oenoe geweiht haben wollten, in welchem sie, unterstützt von 
athenischen Hülfstruppen, die Lakedaemonier besiegt hatten. Dieses Ge- 
fecht ist zwar sonsther nicht bekannt, kann aber der Lage der Umstände 
nach nur in dem sogenannten korinthischen Kriege vorgefallen sein. Jene 
Arbeit der beiden thebanischen Künstler gehört folglich spätestens in den 
Anfang der 98. Olympiade. Auch das delphische Anathem kann also in 
dieser etwas früheren Zeit gearbeitet sein. In der That gehört es, da der 
Stifter desselben sich in der Aufschrift einen ‘Boeoter aus Orchomenos’, 
und nicht einfach einen “Örchomenier’, wie die Künstler sich selbst "Theba- 
ner’, nennt, nothwendig in die Zeiten des Bestehens des boeotischen Bundes 
unter thebanischer Oberhoheit und vor die Zerstörung von Orchomenos 
durch die Thebaner Ol. 103, 2, also entweder in die Zeit vor dem antal- 
kidischen Frieden und somit spätestens in den Anfang der 98. Olympiade, 
oder in die Zeit nach Wiederunterwerfung der boeotischen Städte unter die 
Herrschaft von Theben bis zu jener Zerstörung, 01.100, 4 — 103, 1. 
Unter diesen Umständen sehe ich keine Veranlassung mit Boeckh den Ge- 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 203 


brauch des boeotischen Alphabets in der Inschrift für eine archaisirende 
Ziererei zu halten, da es gar nicht undenkbar ist, dafs die Reception des 
ionischen Alphabets in Boeotien einige Olympiaden später erfolgte, als dies 
in Athen und sonst der Fall gewesen ist, und Thatsachen, welche gegen 
eine solche Annahme sprächen, nicht bekannt sind (!). Auch der rohe 
Charakter der Schriftzüge, der viele Ähnlichkeit mit dem der thespischen 
Inschrift f hat, verräth Alles eher, als bewufste Künstelei. Auf alle Fälle 
gehört die Inschrift zu den jüngsten, wenn auch die übrigen, welche mit 
Ausnahme der tanagraeischen c, die einen Ansatz zu furchenförmiger An- 
ordnung der Zeilen zeigt, sämmtlich rechtsläufig geschrieben sind, nicht 
nothwendig erheblich älter zu setzen sind, und liefert den Beweis, dafs in 
Boeotien bis in die spätesten Zeiten der Anwendung des epichorischen Al- 
phabets xs für & neben + geschrieben wurde. Sie lehrt ferner, indem sie 
den Zischlaut regelmälsig durch $ bezeichnet, dafs dieses Zeichen, welches 
auch auf den übrigen Inschriften (auch in umgekehrter Stellung als 2) das 
gewöhnliche ist, sich neben dem seltener vorkommenden £ bis in die spä- 
testen Zeiten gehalten hat und nicht, wie in den attischen Inschriften und 
sonst, durch das letztere verdrängt worden ist, weshalb aus seinem Vor- 
kommen ein Schluls auf das relative Alter einer boeotischen Urkunde nicht 
gezogen werden kann, Dagegen mag das vereinfachte ©, dessen sich die 
delphische Inschrift bedient, wie auch sonst, jüngeren Gebrauches sein, 
als ® oder ®, das auf anderen begegnet, und es steht Nichts im Wege 
nach Analogie der ähnlichen Erscheinung auf anderen Schriftgebieten, die 
Inschriften mit &® (Theben f, Thisbe a, Lebadeia a) für älter zu halten, 
als die mit © (aufser der delphischen Thespiae z und /). 

Charakteristisch für das boeotische Alphabet ist die eigenthümliche 
mit der attischen (und chalkidischen) übereinstimmende Gestalt des Lambda, 
L, welche auf den Inschriften so sehr Regel ist, dafs die einmal auf der 


(') Zwar hält es Boeckh für möglich und Rofs Hellenika I, 1. p. XVIII Anm. 28 be- 
bauptet, dals die grolse Inschrift von Orchomenos C. 1. G. 1569, welche im ionischen 
Alphabete geschrieben ist, in die Zeiten des peloponnesischen Krieges gehöre; indessen ist 
dies weder erwiesen noch erweislich, vielmehr zeigt die junge Form des Sigma, &, dals 
die Urkunde sehr viel jünger, jedenfalls nicht älter als Ol. 111 ist. Die Beibehaltung der 
älteren Zahlzeichen kann als Beweis dagegen nicht geltend gemacht werden. — Das Zeitalter 
des Archinos, auf dessen Antrag in Theben das ionische Alphabet eingeführt wurde (Bekker 
Anecd. II. p. 783), ist nicht bekannt. 

Ce 2 


204 Kiırcunorr: 


Inschrift von Lebadeia @ erscheinende Form A nothwendig auf Rechnung 
einer Ungenauigkeit des Abschreibers zu bringen ist, zumal da auf derselben 
Inschrift daneben auch L vorzukommen scheint. 

2. Das Alphabet von Phokis erscheint in seiner älteren Gestalt auf 
der berühmten furchenförmigen Inschrift des Altares von Krissa, C. 1. G.1('). 
Aus späterer Zeit haben wir, aufser den ganz kurzen und zum Theil frag- 
mentirten Inschriften von Ambrysos bei Refs Inser. Gr. inedd. 1. n. 80. p. 84 
(Rangabe 2222. Lebas II. n. 979. p. 234 und Tf. VII, 19), Stiris bei 
Rangabe 339 (Lebas II. n. 996. p. 237), Delphi bei Lebas II. n. 968. 
p- 232 nur eine einzige grölsere, die erst kürzlich im Bulletino dell’ inst. 
arch. 1861. p.135 publieirte delphische Felsinschrift. Es erschien nothwendig 
die Formen jener älteren Urkunde von denen der jüngeren gesondert zu 
halten, wie in Col. II der Tafel geschehen ist. Die nicht zu belegenden 
Zeichen fehlen nur zufällig, vielleicht selbst das Koppa; ob das Alphabet zu 
irgend einer Zeit ein W aufgenommen und verwendet hat, mufs dahin ge- 
stellt bleiben. Eine absolute Zeitbestimmung ist für keine dieser Inschriften 
zu gewinnen; doch kann der Altar von Krissa mit seiner Aufschrift keiner 
späteren Zeit, als dem sechsten Jahrhundert angehören, wie aus der fur- 
chenförmigen Anordnung der Zeilen und dem alterthümlichen Charakter der 
Schriftzeichen zur Genüge hervorgeht. 

3. Das Alphabet der ozolischen Lokrer kennen wir vollständiger 
als irgend eines dieser Reihe aus der Inschrift der beiden Seiten eines Erz- 
blattes, welches zu Galaxidi, dem alten Oeantheia, am krissaeischen Meer- 
busen gefunden wurde und in den Besitz des Ritters Woodhouse auf Corfu 
gelangte. Es enthält die Bruchstücke eines Vertrages zwischen den lokri- 
schen Städten Chaleion und Oeantheia und ist am zugänglichsten in der Pu- 
blikation von Rofs (Alte lokrische Inschrift von Chaleion oder Oeanthea. 


(') Wozu die Addenda zu vergleichen. Eine genauere Abschrift, als die dort benutzten, 
verdanken wir Ulrichs (Reisen und Forschungen in Griechenland I. S. 31. Abhandl. der 
hist. phil. Klasse der bairischen Akad. d. Wiss. 1840. III, 2 (Band XVIII). Annali del? 
instituto arch. 1848. p. 57. tav. d’ agg. A; vgl. Lebas Tf.V, 3 und XII. F. n. III). Ich 
benutze aufserdem eine vollständige und genaue Copie, welche sich in O. Müllers Tagebuche 
gefunden hat, so wie eine weniger genaue des Hrn. v. Velsen. Leider ist das Denkmal 
später zerschlagen worden und die Inschrift nicht mehr vollständig vorhanden. Was auf 
dem Reste davon jetzt noch gelesen werden kann, giebt St. Komanudis AyAwsıs megı Ovu 


Eeriygadbav 1858 (vgl. Bergk in Jahn’s Jahrb. für Phil. und Paed. 1859. S. 189. 190). 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 205 
Leipzig 1854) oder Rangabe 3565, welche beide auf ihren Tafeln die Dar- 


stellung der Originalausgabe von Oekonomides wiedergeben. Eine zweite, 
an demselben Orte gefundene und jetzt ebenfalls in der Woodhouseschen 
Sammlung befindliche Bronze, welche sich auf Naupaktos bezieht, soll später 
von demselben Oekonomides auf Corfu herausgegeben worden sein, ist mir 
aber bis jetzt noch nicht zu Gesichte gekommen. Das Alphabet jener ersten, 
uns allein zugänglichen, unterscheidet sich zwar in Nichts von den übrigen 
verwandten, zeichnet sich aber dadurch aus, dafs es bis jetzt das einzige der 
ganzen Reihe ist, in welchem ein besonderes Zeichen für das Wi sich nach- 
weisen läfst. In palaeographischer Beziehung merkwürdig ist ferner die In- 
schrift durch den Umstand, dafs die Vorderseite bis zum Anfange der vor- 
letzten Zeile von einer anderen Hand geschrieben ist, als der Rest der beiden 
letzten Zeilen und die ganze Rückseite, welche sich als das Produkt einer 
und derselben, aber von jener ersten deutlich zu unterscheidenden zweiten 
Hand darstellen, und dafs diese beiden Hände einer merklich verschiedenen, 
offenbar individuellen Schreibgewöhnung folgen, weshalb in Col. III ihre 
Alphabete von einander getrennt gehalten und unter @ und 5 nebeneinander 
gestellt worden sind. Der zweite Schreiber zieht den Querstrich des Alpha 
regelmäfsig von links nach rechts hinauf, während der erste ihn von links 
nach rechts herabzieht, jener braucht < für F, M für M, N für V, welche 
Formen der erste bevorzugt, und giebt dem O und dem © regelmäfsig die- 
selbe Höhe, wie den übrigen Buchstaben, während der erste beide Zeichen 
kleiner schreibt. Aufserdem braucht letzterer neben der auch ihm geläufigen 
jüngeren Form des © (viermal) wenigstens einmal die ältere ®. Endlich 
interpungirt der erste regelmäfsig mit drei, der zweite mit nur zwei Punkten. 
Und doch stammen beide Partien sicher nicht aus verschiedenen Zeiten. 
Man sieht eben, dafs das Denkmal in eine Übergangsperiode gehört, in der 
gen und der Gebrauch sich für 
die eine oder die andere noch nicht völlig entschieden hatte. 

Was die Epoche der Inschrift betrifft, über die der Inhalt derselben 
keine Auskunft giebt, so ist Rofs sicher im Irrthum, wenn er meint, dafs sie 


verschiedene Formen neben einander hergin 


in das siebente Jahrhundert gehören könne. Viel besonnener urtheilte der 
erste Herausgeber, welcher sich dahin erklärte, dafs sie nicht unter das 
fünfte Jahrhundert herabgerückt werden dürfe. In der That lehrt die rechts- 
läufige Richtung der Schrift im Verein mit dem Gebrauche der jüngeren 


206 KırcuHorr: 


Formen des © und des geöffneten H, dafs wir es mit einem Denkmal von 
nicht allzuhohem Alter zu thun haben. Darauf deutet auch der Umstand, 
dafs das Koppa schon aufser Gebrauch ist; wenigstens findet es sich in Wor- 
ten, wie cancs und ögxzwucra:, in denen man es der Analogie nach erwarten 
sollte, wenn es überhaupt noch geschrieben wurde, nicht verwendet, son- 
dern dafür x geschrieben. Ich glaube nicht, dafs ihrem palaeographischen 
Charakter nach die Inschrift weit über den Anfang des peloponnesischen 
Krieges hinaufdatirt werden kann, und halte es sogar für möglich, dafs 
sie noch etwas jünger ist. Die Unbeholfenheit, welche der Zug der 
Schrift zu verrathen scheint, ist nicht ein Anzeichen höheren Alters, sondern 
hat ihren Grund in der Beschaffenheit des zur Aufzeichnung verwendeten 
Materials, ganz wie dies auch bei der Erztafel von Olympia der Fall ist, 
welche sogar den Eindruck noch viel gröfserer Rohheit und Unbehülflich- 
keit macht. 

Aus den übrigen Theilen von Nord- und Mittelgriechenland, Thessa- 
lien, Aetolien und Akarnanien, sind mit Ausnahme der korinthischen Co- 
lonien an der akarnanischen Küste, deren epigraphische Denkmäler oben 
bereits besprochen worden sind, archaische Inschriften bis jetzt nicht be- 
kannt. Ich wende mich demnach zu den Alphabeten der Peloponnes, die 
aufser dem korinthischen und argivischen, welche bereits ihre Stellen ge- 
funden haben, sämmtlich dieser zweiten Reihe angehören, und betrachte 
zunächst das lakonische, welches in den Zeiten, über welche unsere Kennt- 
nifs sich erstreckt, selbstverständlich auch für Messenien gegolten hat. 

4. An altlakonischen inschriften finden sich aus Fourmont’s 
Papieren im C.1.G. die Nummern 13. 15. 35 (in besserer Abschrift bei 
Rofs Inser. inedd. I. n. 47. p. 13. 14). 42, aufserdem das von Leake zuerst 
abgeschriebene Bruchstück von Gytheion 1469 (Leake Travels in Ihe Morea 
III. n. 28. Rofs Inser. inedd. I. n. 52. p. 16. Lebas in der Mievue arch. U, 
1. 1845. p. 213. Tf. 25. n. 4 und Voyage arch. T£. IV, 11 und II. n. 238, 
p- 49). Hierzu kommen von den später gefundenen zunächst zwei sehr 
alterthümliche, leider aber noch nicht entzifferte Bustrophedoninschriften 
von Sparta selbst, die eine herausgegeben von Rofs (Arch. Aufs. I. S. 7; 
vgl. Rangabe 316. Lebas Tf. II, 1), die andere von Velsen (Archaeol. Anz. 
1555. S. 74°). Jünger sind die beiden ebenfalls spartanischen Fragmente 
bei Leake (Travels in the Morea Ill. n. 71. 72 und 52), von denen das 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 207 


erste mit Benutzung einer Abschrift aus dem Tagebuche des Erasmus v. Seidel 
eingehend von Keil (Anall. epigr. p. 85 sqq.) besprochen, das andere auch 
von Rofs (Inser. inedd. I. n.33. p. 12) und Lebas (Jierue arch.1, 2. 1844-45. 
p- 718 und Voy. arch. inscr. II. n. 201. p. 37. Tf. VI, 16) herausgegeben 
worden ist. Aus Sparta selbst stammt noch die Aufschrift einer Opferschale 
bei Lebas (Revue arch.1, 2. p. 721 und Voy. arch. Tf. VI, 3), so wie die 
Weihinschrift bei demselben Yoy. arch. Tf. VI, 18 und das ganz unbedeu- 
tende Fragment II. n. 200. p. 37. Bedeutender sind die Bruchstücke zweier 
Namensverzeichnisse von Geronthrae, das ältere publieirt von Lebas in der 
Revue arch. 11, 1. 1845. p. 71. Tf. 25, 2 und Yoy. arch. Tf. II, 5 (vgl. Ran- 
gabe 317), das andere ebenda p. 72. Tf. 25, 1 und Foy. arch. Tf. II, 4. 
Alle diese Stücke sind indessen von geringem Umfange und keines kommt 
selbst in epigraphischer Beziehung an Wichtigkeit einer Urkunde gleich, die 
obwohl angeblich bei Tegea gefunden doch jedenfalls in Dialekt wie Schrift 
als lakonisch zu betrachten ist. Ich meine das nur aus Fourmont’s Papieren 
bekannte Bruchstück C. I. G. 1511. Dasselbe enthält ein Verzeichnifs von 
Natural- und Geldzahlungen, welche die Bundesgenossen der Lakedaemonier 
denselben zu "Zwecken des Krieges’ (rorrov wereucv) geleistet haben, in elf 
ganz oder zum Theil erhaltenen Posten; ein vermuthlich sehr viel gröfserer 
Theil des Verzeichnisses ist verloren gegangen. Dafs der Dialekt des Bruch- 
stückes nicht der tegeatische sei, war schon aus den wenigen bisher be- 
kannten Resten des letzteren zu entnehmen und ist in neuerer Zeit aufser 
Zweifel gestellt worden durch das umfangreichere, zu Tegea gefundene 
Fragment einer Bauordnung, welches am genausten von Michaelis in Jahn’s 
Jahrb. für Phil. und Päd. 1861. S. 535 ff. herausgegeben worden ist. Da- 
gegen stimmen alle bemerkenswerthen dialektischen Eigenthümlichkeiten so 
genau zu dem des lakonischen Dialektes, dafs Ahrens (de diall. IL. S. 8) mit 
vollem Rechte das Bruchstück als lakonisch in Anspruch genommen hat. 
Auch epigraphisch ist es daher nicht als eine Probe tegeatischer, sondern 
lakonischer Schreibweise zu betrachten. Dafs es zu Tegea gefunden worden 
ist, mag auffällig erscheinen, kann aber seine Zugehörigkeit nicht einen 
Augenblick zweifelhaft machen; es bleibt, wenn eine andere Erklärung sich 
nicht darbieten sollte, immer die Möglichkeit offen, dafs es verschleppt 
worden ist. Die Fourmontsche Abschrift ist leider in mehrfacher Beziehung 
ungenau, läfst sich aber in Ansicht der Buchstabenformen mit Hülfe der 


208 Kırchuorr: 


anderen oben aufgeführten Inschriften ohne Schwierigkeit kontrolliren und 
berichtigen. So stand sicher nicht auf dem Steine M und N, sondern M 
und N. Wenn ferner die Bedeutung des Zeichens X (oder +) zu schwan- 
ken scheint, so ist dies ohne Zweifel auf Fehler der Abschrift zurückzu- 
führen. Z.20 ist damit in ganz normaler Weise der Laut des £ bezeichnet 
in MYPI..FEXE, was unbedingt nugi[ovs oder «s] re£n[xovra] zu lesen 
und zu ergänzen ist, woran Niemand zweifeln wird, der sich der aus den 
Tafeln von Heraklea bekannten Formen ref, Fexres, Fe£yrovra, Fefanarıs 
erinnert. Damit stimmt, dafs Z. 12 in... .axı[r]xeAovs und Z. 19 in ...ı0- 
eirteus der Laut des 4 durch das Zeichen Y vertreten ist, welches auch 
Z.2 vermuthlich in derselben Bedeutung vorkommt. Wenn wir aber im 
Widerspruche damit Z. 22 XIAIOYX überliefert finden, so kann man uns 
nicht zumuthen, dies für richtig zu halten; wir sind vielmehr zu der An- 
nahme berechtigt, dafs Fourmont fälschlich XIAIOYZ für YEAIOX ge- 
lesen habe, was auf dem Stein deutlich oder undeutlich gestanden haben 
wird ('). Es ist defshalb nicht zulässig, in dem verstümmelten und unver- 
ständlichen Reste von Z. 6 das Zeichen X als yi zu fassen, oder zu Anfang 
von Z. 8 das verlesene TON-+ION als ruv Xıwv zu deuten, so wenig, wie 
Z. 42 das ganz dunkele und unverständliche A£TAXIAOX ohne Weiteres 
für ärr@yıdcs zu nehmen, wozu man nur dann berechtigt wäre, wenn diese 
Lesung einen deutlichen und klaren Sinn ergäbe und nicht ein Wort zu Tage 
förderte, das weder sonst bekannt noch überhaupt verständlich ist. Viel- 
mehr hat der Versuch einer Lesung oder Verbesserung in allen diesen Fällen 
von der Voraussetzung auszugehen, dafs das X oder +, wofern es nicht 
verlesen ist, den Werth des £ habe oder erhalten müsse. Die anderen 
zahlreichen Fehler der Abschrift sind für die Darstellung des Alphabets von 
keiner Bedeutung (?). Eine besondere Wichtigkeit erhält nun die Inschrift 
durch den Umstand, dafs sie unter den bisher aufgeführten lakonischen die 


(') Ähnlich bietet auf dem einen Steine von Geronthrae, der in ’AvysL:os und "Agyxıies 
zweimal deutlich den Laut des y? durch W bezeichnet, Z. 2 die Lebassche Abschrift in 
IIIIKIMAXOS, was doch [’Ar.]Jzuaxos zu sein scheint, dafür ein X; es unterliegt aber nicht 
dem mindesten Zweifel, dals dies aus W oder Y verlesen ist, wenn anders damit wirklich 
ein %2 gemeint sein soll. 

(?) Beiläufig sei bemerkt, dafs Z. 16 der ersten Spalte das überlieferte VDIOTITA 
TANANTA nicht dir re reravre zu lesen, sondern in [agy]u[g]ev r[a]e Feravre zu 
verbessern ist. 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 209 


einzige ist, welche sich wenigstens annähernd datiren läfst. Auf der zweiten, 
schmaleren Spalte nämlich werden zweimal unter denen, welche an die 
Lakedaemonier Geldbeiträge zum Kriege geleistet haben, die MaAıcı genannt, 
welches nur die Bewohner der Kyklade Melos sein können. Da nun diese 
Insel von Ol. 91, 1 bis zu Ende des peloponnesischen Krieges 01.93, 4 von 
attischen Kleruchen besetzt war und diese unter den Zahlenden nicht ver- 
standen werden können, da ferner es bedenklich erscheint, die Urkunde 
unter das Ende jenes Krieges herabzurücken, weil um diese Zeit das ionische 
Alphabet auch in Sparta Eingang gefunden haben dürfte, auch die geschlos- 
sene Form des B auf eine frühere Zeit deutet, so ist die höchste Wahr- 
scheinlichkeit dafür, dafs die Urkunde vor Ol. 91, 1 zu setzen ist, in wel- 
chem Falle unter dem Kriege, zu dessen Führung die verzeichneten Bei- 
steuern geleistet worden sind, am wahrscheinlichsten der sogenannte archi- 
damische zu verstehen ist, obwohl dies natürlich keineswegs sicher ist. Sie 
kann dem Charakter des Alphabets nach sogar noch bedeutend älter sein, 
wie die Vergleichung mit einer sicher datirten Urkunde beweist, welche ich 
weiter unten zu besprechen haben werde. 

Zu dem aus der Gesammtheit aller dieser Inschriften ziemlich voll- 
ständig zu entwickelnden Alphabete ist, aufser dafs von einem ı/ sich keine 
Spur findet und das Koppa wenigstens zur Zeit der Tegeatischen Inschrift 
nicht mehr in allgemeinem Gebrauch gewesen sein kann, da sich sonst 
Schreibungen wie g«xovr« mit » nicht finden würden, wenig zu bemerken, 
da sich nur eine nennenswerthe Variante findet. Denn das L, welches auf 
der spartanischen Weihinschrift bei Lebas Tf. VI, 18 einmal statt des zahl- 
reich bezeugten A erscheint, ist, wenn die Inschrift wirklich lakonisch ist 
und nicht etwa von einem Fremden herrührt, einfach als aus falscher Lesung 
entstanden zu beseitigen. Anders verhält es sich mit dem Vorkommen einer 
dreifachen Bezeichnung des Zischlautes, durch 2, $ und £, welches an sich 
nichts Auffälliges hat und dem gegenüber nur die Frage in Erwägung kommt, 
ob diese drei Zeichen gleichzeitig neben einander im Gebrauche gewesen, 
wie im boeotischen Alphabete wahrscheinlich $ und £, oder das eine das 
andere abgelöst hat und Z und $ in diesem Sinne älter sind als £, wofür 
ebenfalls Analogien vorliegen. Nun findet sich das Zeichen $ oder 2, 
welches bereits auf einer der Inschriften von Abu Simbel neben dem $ be- 
gegnete, nur auf den beiden Bustrophedoninschriften und der rechtsläufigen 

Philos.-histor. Kl. 1863. Dd 


210 Kırcs#sorr: 


C.1.G. 15, das $ oder ? auf der linksläufigen C.1I. G. 35, Lebas T{. II, 5 
und VI, 3 und von den rechtsläufigen in C.1.G. 13, Lebas Tf. IH, 4 und 
vielleicht auch C.1. G. 42, wo indessen das 3 zweideutig ist und ebensowohl 
in $ als in $ verbessert werden kann. Auf den übrigen rechtsläufigen, vier 
an der Zahl (denn das Bruchstück bei Leake n. 52 hat den Zischlaut nicht), 
herrscht durchgängig das £. Es ist sonach mit ziemlicher Wahrscheinlich- 
keit anzunehmen, dafs beide Formen im Gebrauche nicht bis zuletzt neben 
einander hergingen, sondern Z und $ allmälig schwanden und dem in den 
späteren Zeiten allein üblichen £ Platz machten. 

Dafs das £ schon gegen das Ende der 75. Olympiade das gewöhnliche 
war und folglich die Mehrzahl der Inschriften, welche $ oder $ zeigen, 
vor diese Epoche zu setzen sind, lehrt ein epigraphisches Denkmal, über 
welches einige Bemerkungen hinzuzufügen ich an dieser Stelle nicht umgehen 
kann, die Aufschrift nämlich des Schlangengewindes auf dem Atmeidan zu 
Constantinopel, einst des Trägers des goldenen Dreifufses, den die Hellenen 
aus der plataeischen Siegesbeute zu Delphi geweiht hatten, wie sie am 
vollständigsten und genausten von Frick im 3. Supplementbande von Jahn’s 
Jahrb. für Phil. und Paed. 1857-60. S. 487 ff. herausgegeben worden ist. 
Dieses Verzeichnifs von Staaten, welche sich am Unabhängigkeitskampfe 
betheiligt hatten, ist der Überlieferung nach auf Befehl der Lakedaemonier 
nachträglich, aber schwerlich später als in der 76. Olympiade, auf das 
Denkmal eingetragen worden, wefshalb die Inschrift nicht anders als lako- 
nisch sein kann, womit Dialekt und Alphabet derselben auf das Beste 
stimmen. Denn dafs die anderen lakonischen Inschriften dem Gamma die 
Form T geben, während es auf unserer Inschrift als C erscheint, ist von gar 
keiner Bedeutung; jenes C ist eine abgerundete Form für <, und dafs F 
und < in Alphabeten dieser Reihe neben einander im Gebrauch waren, da- 
von hat die oben besprochene lokrische Inschrift ein recht schlagendes 
Beispiel geliefert. Ich könnte hiermit abbrechen, wenn nicht einem Be- 
denken zu begegnen wäre, welches aus der angezweifelten Authentieität des 
Denkmals hergeleitet werden könnte. Bekanntlich hat nämlich Hr. E. Cur- 
tius die Behauptung aufgestellt, das eherne Schlangengewinde auf dem 
Atmeidan, weit entfernt aus der 76. Olympiade zu stammen, sei vielmehr ein 
Product byzantinischer Kunstübung aus dem Ende des vierten Jahrhunderts 
unserer Zeitrechnung und die Inschrift eine flüchtige und ganz ohngefähre 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 211 


Copie einer Copie des nie aus Delphi weggeschafften Originals. Allein diese 
Behauptung stützt sich in Ansehung der Inschrift auf Gründe, welche ich 
als völlig nichtig und hinfällig bezeichnen mufs. Hr. Curtius beanstandet, dafs 
das "ArörAuvı der Überschrift mit einfachem Lambda geschrieben sei und 
dafs das E eine bald senkrechte, bald etwas nach rechts geneigte Stellung 
habe, ferner, dafs in Srearıcı der Vocal der ersten Sylbe mit «ı statt ı ge- 
schrieben sei, was an byzantinische Weise erinnern soll. Letzteres Be- 
denken hat er indessen bald darauf selbst wieder zurückgezogen, und über 
die beiden ersten weils ich weiter Nichts zu sagen, als dafs ich mich höchlich 
wundern mufs, dafs sie von einem Sachverständigen überhaupt nur haben 
erhoben werden können. Gegründeter ist, was Hr. Curtius gegen die von 
Frick als "Aröarun Seh dva9nua ray "Erravav gelesene zweizeilige Überschrift 
bemerkt hat, von der unbedingt zuzugeben ist, dafs sie diese Fassung nicht 
in der 76. Olympiade erhalten haben kann; allein seine gegründeten Ein- 
wendungen treffen lediglich die Ergänzung und die Fassung, welche Frick 
ihr gegeben hat, keinesweges aber die zu seiner Zeit allein mit Sicherheit 
gelesenen Reste 
AMOAONI®EO/IHIIII!I! 
ANA®REMATON INN! 

welche vollkommen unanstöfsig sind und die Göttling mit gutem Rechte zu 
dem Hexameter ’Arorrunı Seal: aracavr’ (!)] | @va9nu’ a[r]s [Mndwv] ergänzt 
hat, gegen den weder Herr Curtius noch sonst Jemand etwas Begründetes 
einzuwenden im Stande sein dürfte. Abgesehen hiervon liefert die Inschrift 
in den Eigenthümlichkeiten des Dialektes und der Schrift die positivsten 
Beweise ihrer Achtheit, so dafs ein vorurtheilsloser Beurtheiler keinen 
Augenblick darüber zweifelhaft sein kann, dafs sie nicht erst gegen das Ende 
des 4. Jahrhunderts n. Chr. gemacht sein kann, sondern, wenn sie nicht 
Original sein sollte, die treueste und zuverlässigste, keineswegs nur ober- 
flächliche, Copie des wirklichen Originales sein müfste. Ich bin in der 
Lage gewesen, einen Gypsabgufs des Denkmals, welchen Hr. Strack aus 
Constantinopel mitgebracht hat und der im hiesigen Kgl. Museum aufgestellt 
zu werden bestimmt war, betrachten und die Theile der Inschrift, welche auf 
den untern Gewinden allein, hier aber auch ganz deutlich und ohne die ge- 


(') Oder besser or«avr'. 


Dd2 


212% Kırcanorr: 


ringste Schwierigkeit lesbar hervortreten, untersuchen zu können, und habe 
mich aus dem Ductus der Schriftzüge, welche keineswegs flüchtig und über- 
haupt nicht flacher gravirt sind, als dies auf Metall üblich zu sein pflegt, 
überzeugt, dafs wir es unzweifelhaft mit einem alten Originale und nimmer- 
mehr mit einer Copie aus so später Zeit zu thun haben. Ebenso mufs ich 
erklären, dafs die Arbeit des Gewindes selbst, wie die des ebenfalls in einem 
Gypsabgusse vorliegenden‘ Oberkiefers des einen der drei erst im Anfange 
des vorigen Jahrhunderts abgeschlagenen Köpfe, jeden Gedanken an byzan- 
tinischen Ursprung des Denkmals, wenigstens nach meinem Gefühle, aus- 
schliefst. Ich halte hiermit einen Zweifel für erledigt, der ohne vorgängige 
Autopsie des Denkmales gar nicht hätte erhoben werden sollen, weil er völ- 
lig in der Luft schwebte, und der nach derselben meiner festen Überzeugung 
nach nothwendig auch bei Solchen schwinden mufs, die mit vorgefafster un- 
günstiger Meinung an die Betrachtung des Denkmals gehen sollten. 

Obwohl ich also, wie gesagt, die Aufschrift des Gewindes für die 
von den Alten erwähnte Inschrift des plataeischen Weihgeschenkes und so- 
mit für ein ächtes Denkmal lakonischer Epigraphik aus der 76. Olympiade 
halte, so habe ich doch, um Niemandem in seinem Urtheile von dieser Seite 
vorzugreifen, in Col. IV das Alphabet derselben von dem der übrigen lako- 
nischen Inschriften gesondert gehalten. Ich habe es überdem für zweck- 
mäfsig erachtet, das Alphabet derjenigen Denkmäler, welche Z und $ haben 
und die ich, da das £ sich schon auf dem plataeischen Weihgeschenke findet, 
nicht umhin kann für älter denn die 76. Olympiade zu halten, von dem der 
anderen zu trennen, welche dafür £ setzen und dem Weihgeschenke ent- 
weder gleichzeitig oder jünger als dasselbe sind, damit die Identität des Al- 
phabets dieser Reihe mit der der Inschrift des Weihgeschenkes noch deut- 
licher hervortrete. Ich bemerke nur noch, dafs schon zur Zeit des letzteren 
das Koppa nicht mehr im Gebrauche gewesen oder wenigstens nicht mehr 
regelmäfsig verwendet worden ist, da wir auf demselben z. B. KegivSoı, nicht 
PegivSıcı geschrieben finden, was im entgegengesetzten Falle zu erwarten 
war. 

5. Archaische Inschriften aus Arkadien haben wir nur von Tegea 
und Mantineia. Zu den im C.1. G. 1512 und 1520 (vgl. LebasII. n. 339. 
p- 72 und Tf. VI, 17) von Tegea registrirten kommt noch eine ebendaselbst 
gefundene, welche Rofs Inscr. inedd. I. n. 6. p. 2 (Rangabe 2238) publieirt 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 213 


hat, und ein kleines Bruchstück von Mantineia bei Conze und Michaelis 
(Annali dell’ inst. arch. 1861. p. 30). Obwohl sämmtlich von geringem 
Umfange und ihrer Epoche nach nicht genauer zu bestimmen, zumal die 
Schrift auf allen rechtsläufig ist, genügen sie doch, um das Alphabet ziem- 
lich vollständig darzustellen und den Umstand, dafs es der Reihe der in 
diesem Abschnitte behandelten angehört, aufser Zweifel zu stellen, da der 
Laut des x? in den Worten rasorucy,v und cuvuaywv durch W bezeichnet 
wird und demnach unbedenklich für den des &i das Zeichen X oder + vor- 
ausgesetzt werden darf. Schon aus diesem Grunde ist es unmöglich die 
Weise zu billigen, in der Rofs einen Theil der von ihm gefundenen tegea- 
tischen Inschrift gelesen hat. Auf dem Stein stehen in einer oberen Zeile 
hintereinander die drei Götternamen Tlorcdavos "Egul@]s “Hoarrys, deren 
Lesung im Allgemeinen keinem Zweifel unterliegt. Unter dem Namen des 
Hermes finden sich in einer zweiten Zeile die, wie es scheint, etwas gröfser 
gerathenen Buchstaben VADT, welche Rofs als Ya(siruarı) Alauw) T(eyea- 
r&v) lesen und deuten zu können glaubte, indem er dem V den Werth eines U 
beilegte, während es doch nur ein % sein kann. Damit fällt seine Lesung, 
an deren Stelle ich Xag[{]r[e<] vorschlagen möchte, da es gewifs scheint, dafs 
Rofs ein etwas gedehntes P für D statt P genommen hat. Wie dem aber 
auch sein möge, ein Y hat das Alphabet schwerlich jemals gekannt, und 
sollte dies dennoch der Fall gewesen sein, so wird seine Gestalt gewifs nicht 
die des V gewesen sein. Auch das Koppa ist wenigstens zur Zeit einiger 
dieser Inschriften bereits aufser Gebrauch gesetzt, da es in Worten, wie 
"Agxsias und dexörav, nicht mehr geschrieben wird. 

6. Schon bei Gelegenheit der Besprechung des argivischen Alphabets 
ist bemerkt worden, dafs die argolischen Seestädte, die in historischer 
Zeit auch sonst eine Sonderstellung Argos gegenüber eingenommen haben, 
nicht der argivischen Schriftweise gefolgt zu sein scheinen, und dafs dies 
wenigstens von Hermione aufser Zweifel ist. In der That beweisen die 
einzigen archaischen Inschriften dieser Stadt, welche nach Fourmontschen 
Abschriften C. I. G. 1194. 1195 herausgegeben worden sind, dafs das hier 
vor Annahme des ionischen übliche Alphabet (Col. VI) mit dem lakonischen 
nahezu identisch und jedenfalls dieser Reihe angehörig ist. Denn wenn in 
der zweiten dieser Inschriften Z. 2 XOONIAI für YOONIAI überliefert wird, 
so beruht dies sicherlich auf einer Ungenauigkeit der Abschrift, da das Zei- 


214 Kırcn#uorr: 


chen X in der ersten wie der zweiten Inschrift in dem Namen ’Ars£i«s den 
Laut des i vertritt und der des x} in der ersten in demselben Worte x,Sovi« 
dem ganz entsprechend durch Y ausgedrückt wird. Auch sonst wimmeln 
diese Abschriften wenig umfangreicher Texte von Fehlern und Ungenauig- 
keiten. Eine Ungenauigkeit ist es jedenfalls, dafs Fourmont überall M, N 
und Z£ giebt, während es nicht zweifelhaft sein kann, dafs auf den Steinen 
selbst M, N und £ zu lesen gewesen sind; ein Fehler unbedingt, dafs die 
Formen des Gamma A und Lambda A gar nicht zu unterscheiden sind, was 
sicher darin seinen Grund hat, dafs die Figur des ersteren, welche F gewe- 
sen sein dürfte, sich auf den Originalen der des Lambda, $ oder A, so sehr 
annäherte, dafs beide bei flüchtiger Ansicht schwer auseinanderzuhalten wa- 
ren. Sehr alt sind diese Inschriften, deren Zeit nicht weit von einander 
abliegen kann (theils wegen der Gleichartigkeit der Schrift theils weil der 
Alexias, der auf der zweiten als Dedicant genannt wird, nicht verschieden 
sein dürfte von der gleichnamigen Person, die auf der ersten als Vater des 
Dedicanten Aristomenes aufgeführt wird), auf keinen Fall, schon wegen 
des Gebrauchs der verhältnifsmäfsig jungen Formen H und ©. Für die 
zweite läfst sich dies sogar in ganz positiver Weise feststellen. Diese nennt 
nämlich als Verfertiger des Weihgeschenkes, auf dessen Basis sie angebracht 
war, einen KPEZIAAZ Kudwvier[as], in welchem Meineke mit richtigem 
Blicke den aus attischen Inschriften und sonst bekannten Zeitgenossen des 
Pheidias, Kresilas, erkannt hat, dem nur sein Recht geschieht, wenn 
sein Name durch Beseitigung des Fehlers von Fourmont, welcher A für 
A gelesen hatte, wieder hergestellt wird, wie er sicher auf dem Origi- 
nale gestanden hat. Kresilas nun hat wenigstens bis zu Anfang der 92. 
Olympiade Arbeiten geliefert, da man von ihm zu Athen auf der Burg 
das Standbild des sterbenden Strategen Dieitrephes sah, welcher Ol. 91, 3 
beim Überfall von Mykalessos getödtet worden war; und für sehr viel älter 
kann ich weder die eine noch die andere Inschrift gelten lassen. Es ist 
daher auch mehr als wahrscheinlich, dafs das Koppa nicht zu den auf den 
beiden Denkmälern nur zufällig fehlenden Zeichen zu rechnen ist, sondern 
wirklich zur Zeit der Inschriften schon aufser Gebrauch war, wie wir es 
denn in Konriäas und Kudwvıgras nicht geschrieben finden, obwohl sich hier 
Gelegenheit zur Verwendung des Zeichens bot. 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 215 


7. In der Col. VII ist sodann das Alphabet der Eleer dargestellt, 
wie wir es aus der Erztafel von Olympia, C.1I. G. 11, kennen. Obwohl 
das Zeichen für £ zufällig auf dieser Urkunde nicht vorkommt, so genügt 
doch das öfter erscheinende V als Bezeichnung des x, zu dem Nachweise, 
dals das Alphabet dieser Reihe angehört. Das Alter des Denkmals läfst sich 
nicht mit völliger Genauigkeit bestimmen; Boeckh setzt es ungefähr in die 
50. Olympiade. Allein die Ewägungen, auf welche er diese Bestimmung 
gründet, sind so allgemeiner Art, dafs durch sie die Möglichkeit nicht aus- 
geschlossen wird, es um ein halbes Jahrhundert herabzurücken. Die Technik 
ist eine um Vieles rohere und unbeholfenere als die der Platte von Galaxidi; 
auch deutet der Gebrauch des $ an Stelle des £ auf eine etwas frühere Zeit; 
allein die entschieden rechtsläufige Richtung der Schrift läfst es nicht räthlich 
erscheinen gar zu weit hinaufzugehen. Vergleicht man das Denkmal mit den 
sicher datirten Urkunden der 76.Olympiade, dem plataeischen Weihgeschenke 
und dem Helme des Hieron, so überzeugt man sich leicht, dafs es auch älter als 
diese ist und spätestens in die Zeit unmittelbar vor den Perserkriegen gesetzt 
werden kann; Gründe aber, die uns nöthigten es über diesen allerdings späten 
Termin hinaufzurücken, vermag ich nicht abzusehen und halte es für gerathen 
vorläufig bei dieser Bestimmung stehen zu bleiben, wonach wir etwa die 70. 
Olympiade als die Epoche des Denkmales zu betrachten hätten. Zu bemer- 
ken ist, dafs das Vau im eleischen Dialekte sehr lange haftete und selbst 
nach Reception des ionischen Alphabets beibehalten wurde, wie dies die 
Aufschrift der Münzen späterer Zeit, FAAEIQN, bezeugen kann. 

8. Archaische Inschriften von Megaris und der Küstenlandschaft von 
Achaja sind uns nicht erhalten; das Alphabet der Achaeer lernen wir in- 
dessen in aller nur wünschenswerthen Vollständigkeit aus den Inschriften 
ihrer Pflanzstädt ein Unteritalien kennen, welche wir demnächst in Verbindung 
mit denen der übrigen italischen und sicilischen Griechen zu betrachten 
haben werden. Der Vollständigkeit wegen erwähne ich hier zum Schlusse 
nur noch der einzigen archaischen Inschrift, die wir von Kephallenia 
haben, C. I. G. 1928, auf der aber leider gerade die charakteristischen 
Zeichen sämmtlich fehlen, nach deren Gestalt sich die Zugehörigkeit des Al- 
phabets beurtheilen liefse, die aber unter diesen Umständen zweifelhaft bleibt. 


216 KıarcnHauorr: 


2. Die Alphabete der italischen und sicilischen Colonien. 


9. Was Sieilien betrifft, so ist Alles, was wir von den Alphabeten 
des korinthischen Syrakus und des rhodischen Gela wissen, bereits oben 
an den geeigneten Orten zusammengestellt worden. Archaische Inschriften 
aus den übrigen Theilen der Insel haben wir aufser den Münzaufschriften 
keine; von den letzteren geben die des megarischen Selinus über den 
Charakter des Alphabets keinen Aufschlufs und die der chalkidischen Pflanz- 
städte Zankle, Naxos und Himera werden passender in Verbindung 
mit den epigraphischen Denkmälern der stammverwandten italischen Städte 
Kyme, Neapolis und Rhegion besprochen werden. Ich wende mich daher 
sofort zu der Betrachtung der Alphabete der italischen Colonien, und zwar 
zunächst zu der des Alphabets von Taras und dessen Pflanzstadt Herakleia. 
Wir lernen dasselbe, freilich in sehr unvollkommener Weise, aus den Auf- 
schriften der älteren Münzen beider Städte kennen, welche die in der ersten 
Reihe von Col. VII aufgeführten Zeichen liefern, ausgenommen das Vau, 
welches aus späteren Denkmälern ergänzt worden ist. Auch nach der An- 
nahme des ionischen Alphabets nämlich behielt man in beiden Städten aus 
dem älteren Alphabete das Zeichen des Vau bei, ja, bildete durch Diffe- 
renzirung aus dem H, welches die ionische Werthung angenommen hatte, 
ein eigenthümliches neues Zeichen für den rauhen Hauch, F, offenbar aus 
keinem anderen Grunde, als weil der Laut des Vau in der Sprache noch 
fortwährend lebendig blieb und der rauhe Hauch in diesem Dialekte, einer 
Abzweigung des lakonischen, so viel Körper besafs, dafs man ihn nicht 
unbezeichnet lassen zu dürfen glaubte. Wir kennen die Eigenthümlichkeiten 
dieses späteren tarentinisch-ionischen Alphabets aus den bekannten Tafeln 
von Herakleia (C. 1. G. 5774-75) und den jüngeren Münzen von Tarent 
und Herakleia, so wie aus den Aufschriften einer Anzahl von Vasen apu- 
lischen Fundortes, welche dorischen Dialekt zeigen und nicht anders denn 
aus tarentinischen Fabriken stammen können. Der Umstand nun, dafs das 
Digamma noch in verhältnifsmäfsig später Zeit volle Geltung in Sprache und 
Schrift behauptete, berechtigt dazu es auch im älteren Alphabete vorauszu- 
setzen. Die spätere Form des Zeichens ist C; im älteren Alphabete darf 
daneben als mindestens gleichberechtigt das ältere F angenommen werden. 
Trotz dieser Ergänzung würde aber bei dem gänzlichen Mangel anderer, 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 9217 


umfangreichere Denkmäler aus der älteren Zeit unsere Kenntnifs des Alpha- 
bets eine ganz ungenügende bleiben, wenn nicht die sogenannten messa- 
pischen Inschriften für diesen Mangel einigermafsen Ersatz gewährten. Die 
Sprachdenkmäler nämlich der Ureinwohner der calabrischen Halbinsel (t), 
welche als Messapier zu bezeichnen Sitte geworden ist, sind in einem rein 
griechischen vorionischen Alphabete geschrieben, dessen Eigenthümlichkeit, 
abweichend von der Praxis der Alphabete anderer italischer Stämme, welche 
das griechische Musteralphabet in mannigfacher Weise modificiren und 
individualisiren, sich lediglich darauf beschränkt, dafs gewisse Zeichen aufser 
Gebrauch gesetzt erscheinen. Es ist dieses Alphabet auch kein Mischalpha- 
bet, in dem dorische und ionische Elemente zusammengeflossen wären, wie 
Mommsen annimmt, der diese seine Ansicht indessen auf Vorstellungen und 
Voraussetzungen gründet, von denen ich hoffe, dafs sie durch die vorliegende 
Darstellung der griechischen Alphabete berichtigt und beseitigt sind, und 
auf die näher einzugehen ich mich defshalb enthalten kann. Mommsen 
selbst hat es im höchsten Grade wahrscheinlich gemacht, dafs in diesem 
Alphabete die Zeichen H und X (oder +) den Werth von A und £ haben, 
und damit den Beweis geliefert, dafs es dieser Reihe angehört. Wenn es 
sich nun darum handelt, die Frage zu beantworten, woher die Bewohner 
der calabrischen Halbinsel dieses ihr Alphabet erhalten haben, das unzweifel- 
haft ein rein griechisches ist, so kann durchaus nur an das in unmittelbarer 
Nähe gelegene Tarent gedacht werden, das in älteren Zeiten über diese 
Gegenden eine politische Herrschaft zu behaupten bestrebt war und die 
natürliche Vermittlerin hellenischer Culturelemente für dieselben war. Es 
erscheint mir daher unbedenklich, das messapische Alphabet für die Ergän- 
zung unserer unvollkommnen Kenntnifs des tarentinischen zu verwenden, 
und dies um so mehr, als das Bild, welches wir von dem letzteren auf die- 
sem Wege erhalten, auf das erwünschteste mit derjenigen Voraussetzung 
stimmt, die wir auch ohne jeden tbatsächlichen Anhalt zu machen berechtigt 
wären, dafs nämlich in Tarent, als einer lakedaemonischen Colonie, das 
lakonische Alphabet gegolten habe. Wer die Reihen der IV. Columne mit 
denen der VII. vergleicht, kann sich durch den Augenschein von der 
wesentlichen Übereinstimmung überzeugen, welche zwischen beiden ob- 


(') Vgl. über diese Denkmäler Mommsen Unterital. Dialekte S. 43 ff. 
Philos.-histor. Kl. 1863. Ee 


218 Kırcunorr: 


waltet, und wird die versuchte Combination in aller Weise gerechtfertigt 
finden. 

Es ist in der That höchlich zu bedauern, dafs das Alphabet, welches 
im Jahre 1805 in der Nähe von Vaste auf der calabrischen Halbinsel ge- 
funden worden sein soll und von Mommsen $. 49 Anm. 6 aus den Papieren 
des Luigi Cepolla bekannt gemacht worden ist, in einem so verdorbenen 
Zustande sich befindet, dafs ihm nur durch sehr eingreifende Änderungen 
aufzuhelfen ist; denn ich glaube es ohne Bedenken für das tarentinische 
Muster des messapischen erklären zu dürfen. Dafs die Angaben Cepollas 
nicht ganz zuverlässig sind, kann gegen die Authenticität dieses Alphabets 
kaum geltend gemacht werden, da Cepolla es als Inschrift gedeutet und 
übersetzt hat, folglich in diesem Falle in gutem Glauben gehandelt haben 
dürfte. Seine Abschrift sieht so aus: 

N.B.FA.FFI.H.I.KA.M 
NOX.P.PHS.TPYY 

Mommsen bemerkt, dafs der fünfte Buchstab E und der siebente I sein 
müsse (wie der erste A), und dafs nach dem H durch ein Versehen das © 
ausgefallen sei; wenn er aber zu Anfang der zweiten Zeile, freilich zweifelnd, 
NXO[M]PP zu lesen vorschlägt, so ist dies auf alle Fälle rein unmöglich, 
vielmehr einfach an Stelle des verlesenen X das fehlende M herzustellen. 
Hinter dem P ist das H zu tilgen und die Zeichen PYY hinter dem T als F 
(oder Y) ®Y zu lesen; zwischen Y und ® ist das X in Folge derselben flüch- 
tigen Nachlässigkeit übersprungen worden, welche in der oberen Zeile den 
Ausfall des © verschuldet hat und die ich auf Rechnung des Abschreibers 
zu bringen kein Bedenken trage. Man sieht, dafs der nothwendigen Besse- 
rungen so viele sind, dafs das Alphabet als Beweisstück sich kaum benutzen 
läfst, wefshalb ich auch Bedenken getragen habe, eine Restitution desselben 
in die Tafel der Alphabete aufzunehmen, trotzdem dafs ich diese Berich- 
tigung für nahezu evident halte und die Beziehung des Alphabets auf Tarent 
mir gleichfalls keinem Zweifel zu unterliegen scheint. Zu bemerken ist das 
Koppa, das hier, wenn nicht als Buchstabe, doch als Episemon in der Reihe 
erscheint. 

10. Von den epizephyrischen Lokrern, welche Abkömmlinge 
der ozolischen sind, darf angenommen werden, dafs sie das Alphabet ihrer 
Heimath (Col. III) nach Italien hinübergenommen und zu gebrauchen fort- 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 919 


gefahren haben. Münzlegenden aus älterer Zeit giebt es von dieser Stadt 
nicht; allein die beiden auf uns gekommenen archaischen Inschriften der- 
selben, C. 1. G. 5769 und 57695, deren Buchstaben in Col. IX verzeichnet 
worden sind, sprechen wenigstens nicht gegen die obige natürliche Annahme, 
wenn sie auch nichts enthalten, was dieselbe direct zu bestätigen geeignet 
wäre. Ich bemerke nur, dafs die Aufschrift des gleichfalls in der Gegend 
von Lokri gefundenen Vasenfragmentes, C. I. G. 5770, für unsere Zwecke 
nicht in Betracht kommt, da sich durch nichts erweisen läfst, dafs es aus 
einer lokrischen, und nicht vielmehr attischen Fabrik stammt. 

11. Sehr viel besser steht es dagegen um unsere Kenntnifs des Alpha- 
bets der achaeischen Colonien im späteren Lucanien und Bruttium 
(Col. X). Denn abgesehen von den Aufschriften der zahlreichen und sehr 
alten Münzen von Metapontion, Kroton und Pandosia, Sybaris, 
Kaulonia, Terina, Laos, Siris und Pyxus, Poseidonia, haben 
wir aus dieser Gegend eine Anzahl archaischer Inschriften desselben Schrift- 
charakters, welche von der Beschaffenheit des Alphabets und zum Theil 
auch seiner Geschichte ein ziemlich deutliches Bild zu entwerfen verstatten. 
Längst bekannt war die berühmte Bronze von Policastro, C.1.G. 4, so wie 
die Aufschrift eines in ‘'Grofsgriechenland’ gefundenen Gefäfses, C. I. G. 5, 
welche freilich, da es bisher nicht gelungen ist, sie in einer befriedigenden 
Weise zu deuten, nur von geringem Nutzen ist. Hierzu kommen die 
Aufschriften eines Goldplättchens, C. I. G. 5778, und eines Helmes, 
ebenda 57785, beide von Poseidonia. Umfangreicher und wichtiger ist 
die Inschrift einer in neuerer Zeit zu S. Agata in Calabria citeriore gefun- 
denen Beilschneide, welche in der neuen Folge des Bulletino Napolet. 1. 
p- 137 ff. (T£. V, 2) publicirt worden ist. Aufserhalb des hier in Be- 
tracht kommenden Gebietes gefunden, aber nach Dialekt und Schrift hier- 
her gehörig, ist endlich die Aufschrift der Basis eines ehernen Gefäfses, 
welches aus der Nähe von Salerno stammen soll und in derselben Zeitschrift 


IV. p. 164. 65 (Tf. X, 1. 2) abgebildet und besprochen ist(!). Der über- 


(') An der Ächtheit der Aufschriften eines an einer Kette hängenden bronzenen weib- 
lichen Kopfes, welcher aus Grofsgriechenland stammen soll und sich gegenwärtig im Berliner 
Museum befindet, C. I. G. 8520, zweifelt der Herausgeber mit vollem Rechte. Die Namen 
sind vom Fälscher augenscheinlich der Vase n. 7373, welche entschieden korinthisches Fa- 
brikat ist, abgestohlen. 


Ee2 


220 Kırcunorr: 


wiegende Theil dieser Denkmäler ist uralt und es erklärt sich daraus der 
alterthümliche Charakter des Alphabets, der besonders im Gebrauche 
des $ und M statt I und &£ oder $ hervortritt. Auf keinem derjenigen Denk- 
mäler dieser Gegend, welche sicher der Zeit vor Annahme des ionischen 
Alphabets angehören, hat sich bisher ein & oder $ gefunden; dagegen zeigen 
einzelne bereits das I statt des $, so die Helmaufschrift von Poseidonia, ein 
Theil der Münzen von Kaulonia (KAVAONIATAN) und diejenigen Münzen 
von Sybaris, welche die Aufschrift MVB.PI führen. Letztere gehören, wie 
alle Münzen von Sybaris dieses Alphabets und Gepräges, unzweifelhaft der 
Zeit vor der Zerstörung der Stadt durch die Krotoniaten Ol. 67, 2 an und 
liefern den Beweis, dafs alle Denkmäler, welche noch $ haben, um Einiges 
älter sein müssen, als diese Epoche, wie denn auch die Münzen des bereits 
in der 50. Olympiade zerstörten Siris durchaus nur dieses Zeichen kennen. 
Mit dem Übergang von $ zu I mufs zugleich eine Änderung in der eigenthüm- 
lich vereinfachten Gestalt des Gamma, I, welche mit der des späteren I für $ 
geradezu identisch ist, vorgenommen worden sein; wir kennen indessen das 
Gamma des Alphabets zufällig nur aus der Bronze von Policastro, die, weil 
sie das Iota noch durch $ bezeichnet, eben jenes I bietet, dessen spätere 
Gestalt bis jetzt nicht zu belegen ist. Merkwürdig ist bei einem Alphabete 
von verhältnifsmäfsig so hohem Alter das frühe Auftreten der vereinfachten 
Formen des H und ©, welche sich auf der Bronze von Policastro und dem 
Beile von S. Agata (9 auf der Münze von Metapont bei Millingen anc. coins 
I, 21), Denkmälern, welche die alten Formen des $ und M festhalten, bereits 
im Gebrauche finden ('), während das ältere ® nur einmal auf dem Pae- 
staner Goldblättchen vorkommt, welches freilich hierdurch, wie besonders 
durch die Richtung der Schrift, einer Art Bustrophedon mit ausgesprochener 
Neigung zur linksläufigen Wendung, sich als eines der allerältesten dieser 
Denkmäler bekundet; wenigstens ist auf den übrigen oben verzeichneten 
Inschriften, abgesehen von den Münzlegenden, die Richtung der Schrift 
entschieden rechtsläufig. 


(') Auf der Abbildung des Beiles bei Minervini erscheint freilich das Theta als ein ein- 
faches Rund, welches sich von dem bedeutend kleineren O nur durch seine Gröfse unter- 
scheidet; ich zweifele indessen nicht, dals der Punkt in der Mitte ursprünglich auch hier 
vorhanden gewesen ist. 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 221 


12. Ich komme schliefslich zu dem Alphabete der chalkidischen 
Colonien in Italien und Sieilien, Kyme, Neapolis, Rhegion, Zankle, 
Naxos und Himera, welches als Mutteralphabet der daraus abgezweigten 
italischen, des Etruscischen, Umbrischen, Oscischen und Lateinischen, von 
besonderer Wichtigkeit ist und das ich in der ersten Reihe der Col. XI zu- 
nächst aus den ganz sicheren und unzweifelhaften Quellen, den Münzlegenden 
der genannten Städte und den wenigen uns erhaltenen archaischen Inschriften 
des italischen Kyme dargestellt habe. Die letztere Klasse von Denkmälern 
wird gebildet durch die Aufschrift eines in einem cumanischen Grabe gefun- 
denen ehernen Beckens, C.1.G. 32 (vgl. die Addenda p. 886), die einge- 
kratzte, und darum sicher epichorische, Inschrift eines gleichfalls aus einem 
Grabe bei Kyme stammenden Lekythos, C. I. G. 8337, und zwei Bronze- 
täfelchen gleichen Fundortes, welche im Bullet. Nap. VI. p.49 und 65 ff. 
herausgegeben worden sind und deren Inschriften ich, da sie an jenem Orte 
wenig zugänglich sind, der Übersichtlichkeit wegen hier hersetze: 


KPIroB 
eäNo 


Nur das Gamma und die jüngere Form des Sigma, &, sind aus den Münzauf- 
schriften von Rhegion und Neapolis, das M aus denen von Neapolis, das ge- 
öffnete H aus denen von Himera, das X aus denen von Naxos gewonnen; 


alle anderen Zeichen konnten daneben aus den Inschriften selbst entnommen 
werden. Dafs das £ im Gebrauche auch hier wirklich jünger gewesen sein 
müsse, als das $, beweist der Umstand, dafs es auf den neapolitanischen 
Münzen nur in solchen Aufschriften erscheint, welche durch die Einmischung 
des H als Vocal bereits deutlich eine Einwirkung des ionischen Alphabets 
verrathen, während die Legenden von reinem und unvermischtem Alphabete 
$ gebrauchen. Auch die Münzen von Rhegion mit der Aufschrift RECINOZ 
gehören ihrem Fufse nach der von Anaxilas anhebenden Prägung an, sind 
folglich auf keinen Fall älter als die 71. Olympiade; einzelne dieser Reihe 
sollen sogar noch RECINOS schreiben. Die Inschriften dagegen, welche 
durchweg $ oder $ bieten, sind unzweifelhaft älter als diese Epoche, wofür 
schon die Richtung der Schrift spricht, welche auf der dreizeiligen des 
Lekythos der Tataia noch linksläufig, auf den beiden Bronzetäfelchen von 


322 Kırcanorr: 


Kyme furchenförmig gewunden ist und nur auf der dritten einzeiligen nach 
rechts gewendet erscheint. Doch ist letztere so wie die Aufschrift des Le- 
kythos wieder entschieden älter als die Bronzetäfelchen, da jene noch die 
ältere Form des My, W, welche sonst nur noch auf den älteren Inschriften 
von Melos und den oben besprochenen archaischen Inschriften von Kreta be- 
gegnet, beibehalten, während auf diesen dafür bereits das Jüngere M ein- 
getreten ist. Ein V hat das Alphabet sicher nie gekannt, wie denn auf dem 
Lekythos der Tataia in »re\y die dadurch vertretene Consonantenverbindung 
durch #0 gegeben ist. Von den übrigen Alphabeten derselben Reihe ist 
endlich dieses chalkidische durch das nur hier sich findende Zusammentreffen 
der eigenthümlichen Gestalt des Lambda, L, welche es allein mit dem atti- 
schen und boeotischen theilt, und des gerundeten Gamma, C, welches, ob- 
wohl auch sonst vorkommend, doch jedenfalls eine seltene und eigenthüm- 
liche Form ist, scharf gesondert, ein Umstand, dessen Nichtberücksichtigung 
die Ursache gewesen ist, dafs man die Zugehörigkeit einer Anzahl von Denk- 
mälern nicht erkannt hat, auf denen es doch offen zu Tage liegt und denen 
ihre gebührende Stelle anzuweisen aus mehr als einem Grunde der Mühe 
gar sehr verlohnt. 

Ich ziele hiermit auf eine Anzahl von Vasen des älteren Stiles, mit 
schwarzen, zum Theil mit Weifs und Violett aufgehöhten Figuren auf gel- 
bem Grunde, welche man sich, ich weifs nicht recht aus welchem Grunde, 
zu den ‘dorischen’ zu rechnen gewöhnt hat, unbekümmert darum, dafs der 
Dialekt ihrer Inschriften ein entschieden ionischer ist, der den attischen 
Ionismus an scharf ausgeprägtem Charakter bei Weitem übertrifft und dem 
kleinasiatischen sich annnähert. Es scheint, dafs das Alphabet, in welchem 
diese Inschriften geschrieben zu sein pflegen, zu diesem Irrthum Veranlassung 
gegeben hat, indem man darin ein “dorisches’ zu erkennen glaubte. Der 
Begriff des dorischen Alphabets aber ist ein ganz vager und die Bezeichnung 
geradezu irre führend, wenn damit nur angedeutet werden soll, dafs das 
Alphabet zur zweiten Reihe gehört; denn die Alphabete dieser Reihe sind, 
wie die bisherige Darstellung zur Genüge klar gemacht haben mufs, weder 
ausschliefslich dorisch, noch gehören zu ihr auch nur die Alphabete aller 
dorischen Stämme. Man ist folglich in keiner Weise berechtigt jedes Al- 
phabet, das die charakteristischen Eigenthümlichkeiten dieser Reihe, d.h. 
X oder + als £, und V oder Y als x, aufweist, schlechtweg und ohne Wei- 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 223 


teres als ein dorisches zu bezeichnen. Das Alphabet der in Rede stehenden 
Inschriften ist nun ein solches allerdings der zweiten Reihe zugehöriges, aber 
darum noch nicht ohne Weiteres dorisch zu nennendes, dessen Zugehörig- 
keit zu bestimmen es individuellerer Kriterien bedarf, als diejenigen Eigen- 
thümlichkeiten abgeben, welche allen Alphabeten der Reihe gemeinsam sind. 
Erwägt man nun, dafs das chalkidische Alphabet das einzige eines ionisch re- 
denden Stammes ist, das in dieser Reihe vorkommt, und dafs jene Inschriften, 
wie bemerkt, einen ausgeprägt ionischen Dialekt zeigen, beachtet man ferner, 
dafs diejenigen individuellen Eigenthümlichkeiten, welche dieses Alphabet 
von den anderen derselben Reihe unterscheiden, das gerundete Gamma C 
neben dem umgestürzten spitzwinkligen Lambda L, sich als typische Beson- 
derheit auch in jenen Inschriften finden, so wird man zu dem Schlusse ge- 
drängt, dafs die letzteren nach Sprache und Schrift chalkidisch sind und 
der Sitz der Fabrication von Vasen mit Aufschriften dieser Gattung an einem 
Orte zu suchen ist, an dem Chalkidier sefshaft waren. Diese Combination 
ist so zwingend, dafs ich das Ergebnifs derselben als vollkommen sicher 
glaube betrachten zu dürfen; zweifelhaft bleibt allein die Frage, auf deren 
Erörterung hier näher einzugehen nicht am Orte scheint, ob diese Vasen, 
welche sämmtlich auf italischem Boden gefunden worden sind, mit der Masse 
der korinthischen und attischen als importirt betrachtet werden müssen und 
dann als Erzeugnisse euboeischer Industrie zu gelten haben, oder wie die 
apulischen in Italien selbst fabrieirt sind, in welchem Falle aus nahe liegen- 
den Gründen der Sitz der Fabrication in den campanischen Ansiedelungen 
von Chalkis gesucht werden müfste. 

Es erscheint nothwendig, die Momente, auf denen das oben abgelei- 
tete Resultat beruht, an einigen concreten Beispielen zu veranschaulichen. 
Ich führe defshalb eine Anzahl von Vasenaufschriften dieser Gattung vor 
und analysire sie mit Rücksicht auf die beiden in Betracht kommenden Seiten, 
die sprachliche und die epigraphische. 

1. Vase von Volei, eine Rüstung zum Kampfe darstellend, mit 
schwarzen, violett und weifs aufgehöhten Figuren auf hellem Grunde. Die 
Beischriften lauten (C. I. G. 7381): 

a b Ce d. 


2Z0?0IX0M3Q BITMPOLYTE Tr; +or 
s 


234 Kırcanorr: 


e. E g:- h. 
OTVNP zAdb193N ZOPVAN)D sOdYJON 
2 k. 
TO®MA+ 201709 

In ZavSos i und wahrscheinlich auch in den verstümmelten Beischriften 
ce undd (re£..) erscheint + (=X) in dem Werthe von £; das Alphabet ge- 
hört also der zweiten Reihe an. Das Gamma erscheint in g TAavxos als C, 
das Lambda viermal deutlich als L (d, e, g, h); das Alphabet ist folglich das 
chalkidische. ‘Irworury b und Anuodoxos a beweisen, dafs der Dialekt ein 
ionischer ist. Zu beachten ist der Gebrauch des Koppa in Consonanten- 
verbindungen und vor o, in Anuodoxos (a), KAvrw (e), TAalxcs (g), wie er in 
AnkuScs auf dem Lekythos der Tataia vor v ebenfalls begegnet. Als Zei- 
chen des Zischlautes wiegt $ vor; doch findet sich einmal & in Ilegipas (f). 

2. Amphora der Pembrokischen Sammlung mit schwarzen Figuren 
auf hellem Grunde, den Kampf um den Leichnam des Achilles darstellend. 
Beischriften (C. I. G. 7686): 

a. b. c. d. es 
s8EMETrO=S DIOMARDAZ AYILLEVz 3ı9Aan AIAR 

1% g- h. ie 

333MIA ZOPY.J) AEODOPOZ ZONNYP2 

Zu bemerken ist zunächst, dafs die Namen $Ieveros a und Aswodoxos h 
auf dem Kopfe stehen, wie die Richtung des N in dem ersteren dies aufser 
Zweifel stellt. Das Zeichen Y hat in ’Eyırros i und ’AyınrsVs c den Werth 
von %; das Alphabet gehört also der zweiten Reihe an. Das Gamma hat 
die Form C in TA[e]uxes g, das Lambda erscheint viermal als L in ’Axunrevs c 
und in den, wie bemerkt, umgekehrt zu lesenden Namen 3-S:veXcs a und Acw- 
doxos h; das Alphabet ist folglich das chalkidische. Die Namenformen Aswos- 
„os h und Aivens f zeigen einen ausgeprägten Ionismus, vgl. das Taraiys des Cuma- 
ner Lekythos. Das Koppa erscheint auch hier (in der besonderen Gestalt ®) 
regelmäfsig vor o, in TA[«]üxos g und Aswdoxes h. Als Bezeichnung des Zisch- 
lautes überwiegt £; zweimal scheint $ geschrieben in Aias e und TA[a]üxes g. 

3 und 4. Zwei Vasen des Leydener Museums mit schwarzen Figuren 
auf hellem Grund, beide mit derselben Darstellung eines Tanzes von Satyrn 
und Maenaden, zum Theil mit denselben Beischriften, von denen ich indessen 
die entschieden verdorbenen übergehe (C. I. G. 7459 und 7460): 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 225 

1: 2 
a. sIMOs a. ZOMIH 
db. MVPO db. I OS MA+ 
ERONZ d. 39JOM CREIKO® 
e. AVTIES d. 3810 
f. OTVNN e. 21AI0A 
g. 301A:MIB f. NAIS 
h. OOMA+ 3. AOPO 
» DORKIS l. OLATIES 
k. ASloy 


In ZavSw ih und 25 hat + den Werth von &, in Xuwoa oder Xopa...1k 
das X den Werth von %; das Alphabet gehört folglich der zweiten Reihe 
an. Ein Gamma kommt nicht vor; dagegen hat das Lambda überall die 
umgestürzte Form des L; das Alphabet ist also das chalkidische. Die 
Namenformen Mein 1d, ®ei@n 2d, "Avrins Le und "Oraring 11 zeigen aus- 
geprägten Ionismus. Zu bemerken ist die jüngere Form des Theta © in 1% 
(und wahrscheinlich auch 25) neben dem geschlossenen B 1g; die geöffnete 
Form H findet sich indessen 2. In rıw 1c (EIO 2c scheint verschrieben) 
und dem seltsamen "Orarins 1/ scheint das Digamma aufzutreten; doch ist 
es wenigstens in dem letzteren Namen mindestens unsicher. Dafs der chal- 
kidische Dialekt diesen Laut indessen ziemlich lange bewahrt hat und er in 
älteren Zeiten auch wirklich geschrieben worden ist, beweist eine Beischrift 
der folgenden Vase, deren Lesart aufser Zweifel zu stehen scheint. 

5. Amphora von Volci mit schwarzen Figuren auf hellem Grunde, 
den Kampf des Herakles mit Geryones darstellend. Beischriften (C. I. G. 
7582): 

a. b. ei d. 

AOENAIE BEPAKLES s3MoJVIAA)I EVPVTION 

Die charakteristischen Zeichen + und Y kommen zwar nicht vor, 
allein das C in Tagurovns in Verbindung mit dem L in "Hoaxans deuten auf das 
chalkidische Alphabet und der stark ausgeprägte Ionismus in "AOyvar läfst 
vollends keinen Zweifel übrig. Wenn in scheinbarem Widerspruch damit 
in Dagurevns in der ersten Sylbe das lange « beibehalten ist, so beruht dies 
sicherlich auf einer Besonderheit dieses ionischen Dialektes, für die es an 
Analogien in den verwandten, selbst dem kleinasiatischen, nicht fehlt. Das 


Philos.-histor. Kl. 18683. Ff 


236 Kırcuuorr: 


Vau in Tagurovns scheint deutlich und nicht in Frage zu stellen. Der Ductus 
der Schriftzüge verräth eine gewisse Ähnlichkeit mit denen der Beischriften 
auf der folgenden Vase, die ich gleichfalls hierher zu ziehen kein Be- 
denken trage. 

6. Amphora des Münchener Museums mit schwarzen Figuren auf 
hellem Grunde, auf der der Kampf des Herakles mit Kyknos dargestellt ist. 
Beischriften (C. I. G. 7611): 


a. b. 
ZYMoVPp Gay >UHNMH 


Charakteristische Buchstaben und Eigenheiten des Dialektes kommen 
nicht vor; allein das L leitet mit Nothwendigkeit entweder auf das attische 
oder das chalkidische Alphabet und die Verwendung des Koppa in Kuavos in 
einer Verbindung des Ä-Lautes mit einem Consonanten und vor v stimmt 
in einer Weise mit dem Gebrauche der oben besprochenen Vasen und des 
Lekythos der Tataia, dafs ich an dem chalkidischen Charakter der Schrift 
und Ursprung des Gefäfses keinen Augenblick zweifele. Dieselbe Erwägung 
bestimmt mich auch die folgende Vase unter diese Rubrik zu stellen. 

7. Volcenter Amphora der Münchener Sammlung mit schwarzen, 
weils und violett aufgehöhten Figuren auf hellem Grunde, darstellend den 
Kampf des Zeus mit Typhon und die Übergabe des Eberhauptes durch Me- 
leagros an Atalante. Beischriften (C. I. G. 7382): 


a. b. C d. e. 
aaahNATAÄ IV3N3 30ITVNP MOGBEOE IRVc 


Die Form des Lambda und das ionische ’AraAavry, wie offenbar in @ 
geschrieben war, deuten auf attischen oder chalkidischen Ursprung, das 
Koppa in KAvries spricht für den letzteren. Der Gebrauch des 96 für Yin 
Mes beweist, dafs das Alphabet ein besonderes Zeichen für \ nicht kannte, 
und stimmt dies mit der Schreibart »repcy auf dem Lekythos der Tataia, frei- 
lich auch mit der Weise des attischen Schriftgebrauches. 

8. Vase der Magnoncourschen Sammlung mit schwarzen, weils und 
violett aufgehöhten Figuren auf hellem Grunde. Beischriften (C. I. G. 
7708): 

a. b. 6 
AAPLSTOS TVDIVs OMAYOS 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 227 


Das V als x in... cuayes c zeigt, dafs das Alphabet der Beischriften 
dieser zweiten Reihe angehört. Weder das Gamma noch das Lambda kom- 
men vor; allein die ionische Namenform "Adoyoros a stellt es aufser allen 
Zweifel, dafs wir es mit chalkidischen Inschriften zu thun haben. 

Diese Beispiele mögen genügen, um das oben Ausgeführte anschaulich 
zu machen. Zur Vervollständigung bemerke ich indessen noch, dafs es 
allerdings Vasen mit Beischriften in einem Alphabete dieser zweiten Reihe 
giebt, welche nicht chalkidisch sein können, und da die Vergleichung ihrer 
Beischriften mit denen der oben aufgeführten Gefäfse zu einer weiteren Er- 
läuterung und Begründung des Vorgetragenen nicht unwesentlich beizutragen 
im Stande ist, analysire ich zum Schlusse beispielshalber zwei derselben, an 
denen der behauptete Unterschied recht deutlich und ganz unverkennbar 
hervortritt. 

1. Ich wähle als erstes Beispiel die berühmte Vase des Arkesilas, von 
deren Aufschriften (C.1.G. 7757) ich nur die einigermafsen lesbaren hersetze. 


d 


a. b e 


APKRSIAAZ IODOPTOES DVAAKOS oM®N 
e. Ve g: 
OYNIO IPMODOPOZ eNI@O MAYO? 


Die Lesung und Deutung vieler dieser Wörter ist bestritten; indessen 
kann nicht bezweifelt werden, dafs in &gu£w e das + den Werth des £, in 
.. . douuy,os g das Y den Werth des % hat und dafs folglich Inschriften in 
einem Alphabete der zweiten Reihe vorliegen. Das Lambda aber hat die 
Form A oder A und ’AgzeriAas ist eine entschieden dorische Namenform. 
Diese Inschriften sind folglich unbedingt nicht chalkidisch, sondern vermuth- 
lich dorisch. Auf welche Fabrik aber das Gefäfs zurückzuführen ist, ist 
eine Frage, die zu beantworten ich mich aufser Stande sehe, da ich auf Ver- 
muthungen und blofse Möglichkeiten, deren es mehrere giebt, mich nicht 
einlassen mag; gewifs aber ist, dafs aus demselben Fabrikationsorte das fol- 
gende Gefäls stammen mus. 

2. Amphora der Sammlung Canino mit rothen Figuren, auf der einen 
Seite Peleus, auf der andern Cheiron mit dem kleinen Achilleus. Beischrif- 
ten (C. I. G. 8257): 

a. b. c. d. 
MEAE\ \3AIYA VIRON MPA+IAHEAPABSF 
Ff2 


2238 Kiırcuuorr: 


Auch hier haben wir das V oder Y zweimal in der Geltung von %, 
das + im Künstlernamen Ipafıas in der von £, aber das Lambda hat nicht 
die chalkidische Gestalt L, sondern die mit den Aufschriften der Arkesilas- 
vase übereinstimmende gewöhnliche, A. Auch das Gamma, vom Lambda 
kaum zu unterscheiden, entfernt sich vollständig von dem chalkidischen C; 
$c aber statt eines offenbar nicht vorhandenen W in Eygane ist eine Schreib- 
weise, die den meisten Alphabeten dieser Reihe gemeinsam gewesen sein 
dürfte und von der bisher nur das lokrische eine sicher bezeugte Ausnahme 
macht. Dafs der Dialekt der Beischriften dorisch sei, läfst sich bei der be- 
sonderen Beschaffenheit der Worte, welche dialektische Eigenthümlichkeiten 
hervortreten zu lassen zufällig nicht geeignet sind, nicht geradezu behaupten; 
indessen würde der Eigenname INpa£i«s nach den oben angeführten analogen 
Fällen im chalkidischen Dialekte Igr&rs oder Ig«£ins lauten müssen, ein 
sicherer Beweis dafür, dafs wir es mit einem Denkmal wesentlich verschie- 
denen Ursprunges zu thun haben. 

Ich glaube hierdurch die behauptete Thatsache in das gehörige Licht 
gestellt zu haben und wende mich der Erörterung des Einflusses zu, den 
das Alphabet der chalkidischen Colonien, augenscheinlich vornehmlich das 
der campanischen, unverkennbar auf die Gestaltung der altitalischen Alpha- 
bete geübt hat. Ich setze die auf diesem Gebiete grundlegende Abhandlung 
von Mommsen (Unterital. Dial. S. 3 ff.) als bekannt voraus, von deren 
Darstellung, wie man sehen wird, die nachfolgende, zu der ich mich im In- 
teresse derer, die mit den Ergebnissen jener Untersuchungen nicht vertraut 
sind, genöthigt sehe, in keinem wesentlichen Punkte abweicht; sie soll nur 
dazu dienen, die Grundlage für Erwägungen abzugeben, durch welche mit 
Benutzung der durch die bisherigen Erörterungen gewonnenen Gesichtspunkte 
die Frage nach der Herkunft und Abstammung jener Alphabete einer be- 
stimmteren und befriedigenderen Lösung entgegengeführt wird, als sie mir 
bisher gefunden zu baben scheint. In der Art, wie ich sie beantworten zu 
müssen glaube, besteht die ganze Differenz, wenn man überhaupt von einer 
Differenz da reden darf, wo es sich eigentlich nur um eine Ergänzung durch 
nähere Bestimmung handelt. Diese Bestimmung ist aber für die Geschichte 
des griechischen Alphabets und die Culturverhältnisse des alten Italiens von 
zu eingreifender Bedeutung, als dafs sie bei dieser Gelegenheit umgangen 
werden dürfte; wefshalb ich einen Augenblick bei ihr verweilen werde. 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 229 


Die italischen Alphabete zerfallen in zwei deutlich zu unterscheidende 
Gruppen, von denen die erste, zu der das etruskische, umbrische und 
oskische gehören, durch das allen ihren Alphabeten gemeinschaftliche 
Zeichen 8 gekennzeichnet ist, welches zur Bezeichnung des Lautes f mit 
Verwerfung des griechischen $ eigens erfunden und den recipirten Zeichen 
des griechischen Mutteralphabetes hinzugefügt worden ist. Die andere 
Gruppe, bestehend aus dem lateinischen und faliskischen (!) Alphabete, 
kennt dieses Zeichen nicht, sondern verwendet für die Bezeichnung des 
F-Lautes gleichfalls mit Verwerfung des griechischen $ das Zeichen des Vau 
und hat in Folge davon die Fähigkeit, welche den Alphabeten der ersten 
Gruppe geblieben ist, eingebüfst, consonantisches und vocalisches u zu 
unterscheiden; das Vocalzeichen V mufs zur Bezeichnung beider Laute 
dienen. Über die Reihenfolge und den Bestand der Zeichen im lateinischen 
Alphabete liegen Überlieferungen vor, der Bestand des etruskischen Alpha- 
bets ergiebt sich aus den Darstellungen desselben, welche auf einem Gefäfse 
von Bomarzo und einigen nolanischen Pateren eingekratzt uns überliefert 
worden sind (Mommsen Tf. I. 13-15); von den übrigen Alphabeten kennen 
wir zwar nur die Zeichen aus den Inschriften, doch unterliegt es keinem 
Zweifel, dafs ihre Anordnung im Ganzen hier dieselbe wie im etruskischen 
oder lateinischen gewesen ist; nur in ganz vereinzelten Fällen bleibt ein Be- 
denken übrig, das indessen nie für die Betrachtung im Ganzen von irgend 
einer Erheblichkeit ist. Ich setze nun diese Alphabete, nach den Gruppen 
geordnet, zunächst hierher und begleite sie mit einigen erläuternden Bemer- 
kungen, welche der Umstand nöthig macht, dafs die Gestalt einzelner 
Zeichen im Laufe der Zeit mannigfachen Veränderungen unterlegen hat und 
auch der Bestand bei allen nicht zu allen Zeiten derselbe geblieben ist, son- 
dern gewisse Schwankungen erfahren hat. 


(') Über das Alphabet der erst vor Kurzem bekannt gewordenen faliskischen Sprach- 
denkmäler (Annali dell’ inst. arch. 1860. p. 211 ff.) vgl. die erschöpfende Auseinandersetzung 
von Mommsen in den Monatsberichten 1860. S. 451 ff. und die Nachträge dazu von Detlefsen 
im Bullet. arch. 1861. p. 198 ff. 


230 Kırcnnorr: 


A 2. 3, 4. 5. 
Etruskisch. | Umbrisch. | Oskisch. | Lateinisch. | Faliskisch. 
| 

1 AN A N AAANA A 

2 a q BB 

3 B) > <c IinG 

4 gq D q 

5 |aaqa | 33 3 El 4 

6 24 1,3 I =, AN 

ri Fu #3 L G #F 

bo) B (IS) B H BH 

9 ® © (0) 

10 | | l l l 
11 A* A A K 

12 N N J LL J4 
13 /ıMMMIMWA M M m 
14 YWMH WW H N u 
45 (0) 10) 
16 an 4 n u AnP. 
17 M M 

18 Dr Q 

19 a 4” q Qq RR 5 
20 a - e ? Sus sue 
21 Nr tr kuN T T +r 
22 Vak V V V V 
23 x + 
24 ® 

35 N 

26 88 8 88 

27 q 

28 d 

29 F 


[d*) 
S 
< 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 2331 


1. Etruskisch. Die mit einem Sternchen bezeichneten Buchstaben- 
formen und Zeichen kommen in den Alphabeten nicht vor und sind aus den 
Inschriften ergänzt worden. Die Aspiraten hat das Alphabet vollständig aus 
dem griechischen herübergenommen und zwar das Y in dem Werthe eines 
Gutturals, woraus sich ergiebt, dafs das Zeichen in dem griechischen Muster- 
alphabete den Werth des x, gehabt haben mufs, das X folglich, welches die 
Etrusker nicht als Buchstaben, sondern nur als Zahlzeichen verwenden, 
wefshalb es auch in den Alphabeten fehlt, den des £. Die Tenues sind in 
der älteren Zeit sämmtlich in Gebrauch; später schwindet das K, welches 
die Alphabete defswegen auch auslassen, und es wird dafür C geschrieben, 
welches den Charakter als Media verliert, wie denn auch die beiden anderen 
Mediae aufgegeben sind, und weder in den Alphabeten, noch selbst den 
ältesten Inschriften sich finden. Das Zeichen P begegnet nur vereinzelt auf 
den allerältesten Inschriften und mufs sehr bald aufser Gebrauch gekommen 
sein, wie es denn auch in den Alphabeten keinen Platz mehr gefunden hat. 
Es stimmt in der Form durchaus mit dem griechischen Koppa und ich sehe 
keinen Grund es von diesem zu trennen und ihm willkürlich einen anderen 
Lautwerth zuzuschreiben. Für zwei verschiedene Modificationen des Zisch- 
lautes gebrauchen die Inschriften die auch in den Alphabeten vorfindlichen 
Zeichen M und ? oder 2 neben einander. Von den letzteren ist die ge- 
rundete Form auf den Inschriften die vorwiegende, selten erscheint ?, nie 
das nur aus den Alphabeten bekannte 3. Dagegen werden die beiden For- 
men des, Q und 9, ohne jeden Unterschied auf den Inschriften neben und 
durcheinander in Anwendung gebracht, wie sie denn ihrem Ursprunge nach 
offenbar identisch sind. Von den Vocalen sind nur a, e, i, u aufgenommen, 
das o aufgegeben. Die Richtung der Schrift ist eine durchgängig linksläufige. 

2. Umbrisch. Die Schrift läuft auch hier regelmäfsig von der Rech- 
ten zur Linken. Von den Aspiraten ist nur das © beibehalten, welches in- 
dessen selten gebraucht wird und von der Tenuis sich im Lautwerthe nicht 
unterscheidet; offenbar war es ein für die Sprache überflüssiges Zeichen und 
zur Rolle einer blofsen Nebenform des + herabgesunken. Dasselbe gilt von 
dem M, das nach individueller Neigung von bestimmten Schreibern für das 
gewöhnliche & gesetzt wird, ohne dafs damit ein wirklicher Lautunterschied 
angedeutet werden soll. Von den Mediae ist das ce und das d aufgegeben, 
dafür das K aber fest; das Koppa ist nicht mehr im Gebrauch, vielleicht 


332 KırcHnorr: 


auch nie im Gebrauch gewesen. In Übereinstimmung mit dem Etruskischen 
verwendet das Umbrische von den Vocalzeichen das © gar nicht und kennt 
nur die Vokale a, e,i, u. Charakteristisch für das Umbrische Alphabet ist 
die besondere Modification des B in © und die beiden neuen Zeichen 9 und 
d, welche es aufser dem auch dem Etruskischen eigenen 8 den griechischen 
Zeichen hinzugefügt hat. Das erstere ist die auch dem etruskischem Alpha- 
bete geläufige Nebenform des QO, hat aber im Umbrischen nicht denselben 
Lautwerth wie jenes, sondern bezeichnet eine eigenthümliche Nuance des 
d-Lautes, wonach es wahrscheinlich ist, dafs es in der Reihe des Alphabets 
auch eine gesonderte Stellung eingenommen hat. Das d dagegen ist ein 
offenbar willkürlich erfundenes Zeichen, bestimmt die eigenthümliche 
Wandlung anzudeuten, welche in diesem Dialekte die Aussprache des k vor 
den Vocalen e und i zu erleiden pflegte. In lateinisch geschriebenen Denk- 
mälern wird dieser Laut durch ein mit einem Ansatze versehenes $ ('S) be- 
zeichnet. Beide Zeichen haben aller Wahrscheinlichkeit nach im Alphabete 
hinter dem 8 ihren Platz gehabt. 

3. Oskisch. Von den Vocalen ist das O, von den Consonanten 
sind sämmtliche Aspiraten nebst dem X, das M und das ? aufgegeben. 
Früher fehlte offenbar auch das d, als aber später zu einer Zeit, wo dasr 
die Form des vergessenen Q angenommen hatte, sich das Bedürfnifs geltend 
machte ein Zeichen für die Media zu besitzen, scheint man eine bekannte 
Nebenform des 4, das 9, für diesen Zweck bestimmt zu haben, und es ist 
wenigstens möglich, dafs man ihm den Platz seines älteren Vorgängers wie- 
der eingeräumt hat. Ebenso brauchte die Sprache später ein o und gewann 
für das aufgegebene griechische O eine Bezeichnung des Lautes durch Diffe- 
renzirung des V. Dieses Y, wie das aus dem I in ähnlicher Weise gebildete F, 
scheint auf den ältesten oskischen Münzen noch nicht vorzukommen und es 
ist darum für fast gewifs anzunehmen, dafs die beiden neu erfundenen Zei- 
chen in der Alphabetreihe hinter dem 8, welches damals längst im Ge- 
brauche war, ihre Stellung angewiesen erhalten haben. Die Richtung der 
Schrift geht von der Rechten zur Linken. 

Versuchen wir hiernach uns ein Bild von der Beschaffenheit desjenigen 
griechischen Alphabets zu entwerfen, aus welchem die so eben besprochenen 
als aus ihrer gemeinschaftlichen Quelle abgeleitet sind, so ergiebt sich, dafs 
in diesem Alphabete die Zeichen W und X den Werth von x und £ gehabt 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 233 


haben, dafs es folglich der zweiten Reihe angehört hat. Es erhellt ferner 
aus dem Zeugnifs des etruskischen und oskischen Alphabets, dafs das 
Gamma in ihm die Gestalt C gehabt hat, und aus dem aller drei, dafs die 
Form des Lambda L gewesen ist. Das fragliche Alphabet kann folglich kein 
anderes, als das chalkidische gewesen sein. Da endlich die Richtung der 
Schrift in allen drei Alphabeten von der Rechten zur Linken geht und wenig- 
stens das etruskische und umbrische das Zeichen M noch als Buchstaben 
verwenden, so ist anzunehmen, dafs die Ableitung derselben aus dem chal- 
kidischen Alphabete zu einer Zeit Statt gefunden hat, in der die Richtung 
der Schrift noch vorwiegend eine linksläufige war und das M nicht nur als 
Episemon, sondern wahrscheinlich noch als Buchstabe Geltung hatte. Be- 
trachten wir nunmehr die Alphabete der zweiten Gruppe. 

4. Lateinisch. Schon auf den ältesten Denkmälern, welche frei- 
lich nicht sehr weit hinaufgehen, ist die Richtung der Schrift rechtsläufig. 
Im Gegensatze zu den Alphabeten der ersten Gruppe hat das lateinische die 
Vocalzeichen sämmtlich, mit Einschlufs des O, herübergenommen, kennt 
dagegen den neu erfundenen Buchstaben 8 nicht, für dessen Laut es das 
Zeichen des Vau verwendet und in Folge davon mit dem einen V den voca- 
lischen und consonantischen Laut zugleich zu bezeichnen genöthigt ist. Das K 
ist aus dem Gebrauche so gut wie verschwunden und wird durch das C er- 
setzt; für die Gutturalmedia ist in späterer Zeit durch Differenzirung aus 
dem letzteren in dem G ein neuer Ausdruck gewonnen worden und dieser Buch- 
stabe hat die Stelle des im Alphabete zwar früher vorhandenen, aber so gut wie 
überflüssigen I angewiesen erhalten. In sehr viel späterer Zeit ist das Zeta, 
zugleich mit dem Y, aus dem griechischen Alphabete in der damals üb- 
lichen Gestalt Z wieder eingeführt worden und hinter das X, welches seit 
alter Zeit die letzte Stelle im Alphabet, unmittelbar hinter dem V, einnahm, 
gestellt worden. Dieses letzte Zeichen des alten Alphabets wird aufser als 
Zahlzeichen in beschränkter Ausdehnung auch als Buchstabe, und zwar ent- 
schieden in dem Werthe eines £, gebraucht, dagegen sind sämmtliche Aspi- 
raten des griechischen Alphabets als Buchstaben aufgegeben worden und 
finden nur als Zahlzeichen (# und Y=50, © [sehr selten] =100, = 1000) 
Verwendung. Ebenso fehlt das M, während das Koppa in einer eigenthüm- 
lichen, vollkommen geregelten Weise verwendet beständig im Gebrauch 
geblieben ist und nur in späteren Zeiten etwas an Terrain verloren hat. 


Philos.- histor. Kl. 1863. Gg 


934 KırcHnorr: 


Charakteristisch ist aufserdem, dafs das Alphabet von den beiden im Grie- 
chischen überlieferten Formen des r, Pund R, die letztere mit Consequenz 
bevorzugt hat, während von denen der ersten Gruppe die einfachere ge- 
wählt worden ist. 

5. Faliskisch. Dieses Alphabet kommt mit dem lateinischen in 
allen charakteristischen Eigenthümlichkeiten überein und stellt offenbar nur 
einen älteren Entwickelungszustand der beiden zu Grunde liegenden ge- 
meinschaftlichen Urform dar. Die nicht wesentlichen Abweichungen oder 
Besonderheiten bestehen darin, dafs das faliskische Alphabet noch die ältere 
linksläufige Richtung der Schrift beibehält, das Koppa nicht verwendet und 
von den Mediae das B aufgegeben hat (!); auch erscheint in dem ? eine 
eigenthümlich differenzirte Form des vom lateinischen beibehaltenen ur- 
sprünglichen F. In der Beibehaltung des Zeta stimmt es dagegen mit dem 
lateinischen der älteren Zeit vor Erfindung des G und kann dies als eine 
Abweichung nicht betrachtet werden. 

Hiernach ist klar, dafs die gemeinschaftliche Quelle beider Alphabete 
ein griechisches gewesen ist, in dem das X den Werth von £, das % folglich 
den von x, hatte, und das sonach der zweiten Reihe angehörte. Das über- 
einstimmende Zeugnifs beider stellt es ferner aufser Zweifel, dafs das Gamma 
und das Lambda in jenem Mutteralphabete die Formen C und L hatten; 
dieses Alphabet ist folglich das chalkidische gewesen. Die Ableitung aber 
ist zu einer Zeit erfolgt, in der das letztere noch die linksläufige Richtung 
der Schrift festhielt; das faliskische Alphabet, wie es vorliegt, ist auf die- 
sem Standpunkt stehen geblieben, das langlebigere lateinische aber in der 
Lage gewesen die Wendung von der linksläufigen zur rechtsläufigen Rich- 
tung mitzumachen und sich mit dem späteren Gebrauche der griechischen 
Schriftweise schon frühzeitig auszugleichen. Sonach gehen die Urformen 
beider Gruppen von Alphabeten auf das der campanischen Griechen zurück 
und das chalkidische Alphabet ist als die gemeinschaftliche Mutter aller 
italischen Alphabete zu betrachten. Doch beweisen die oben hervorgeho- 


(') Detlefsen’s Annahme, dafs von den beiden auf den Inschriften sich findenden, nur 
durch die Richtung unterschiedenen Formen des p, 9 und P, letztere das p, erstere das 5 
bezeichne, scheint mir nicht haltbar. Dieselbe Doppelwendung zeigen das C, S, #, 7, ohne 
dafs ein Unterschied des lautlichen Werthes angenommen werden könnte. Detlefsen’s Induc- 
tionsbeweis ist also weder vollständig, noch auch abgesehen von diesem Mangel zwingend. 


= 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 235 


benen wesentlichen Abweichungen beider Gruppen von einander, welche im 
griechischen Mutteralphabete entschieden nicht vorhanden waren und zu 
denen auch ein denkbarer Anlafs in diesem nicht geboten war, dafs die Ab- 
leitung beider, wenn nicht zu einer verschiedenen Zeit, doch selbständig 
und völlig unabhängig von einander Statt gefunden haben müsse. Auf keinen 
Fall berechtigen sie für jede der beiden Gruppen ein besonderes, von dem 
anderen wesentlich verschiedenes Mutteralphabet anzunehmen. 

Und hiermit sind wir bei einem Punkte angelangt, wo es nothwendig 
erscheint ein Denkmal in Erwägung zu ziehen, welches von einer gewissen 
Seite Bedenken gegen die gegebene Darstellung des Verhältnisses der alt- 
italischen Alphabete zu dem chalkidischen erregen könnte, und das auch 
abgesehen hiervon schon wegen der wichtigen Aufschlüsse, welche über 
Bestand und Anordnung der Zeichen dieser zweiten Alphabetreihe daraus 
zu gewinnen sind, eine eingehendere Betrachtung nothwendig machen würde. 
Ich meine die epigraphischen Beigaben eines kleinen Gefäfses von augen- 
scheinlich etruskischer Arbeit, das angeblich in einem etruskischen Grabe 
bei Caere gefunden in den Besitz des Generals Galassi überging und aus 
diesem in das Gregorianische Museum nach Rom gelangt ist (C. I. G. 8342). 
Um den Bauch des Gefälses läuft in spiralförmigen Windungen ein etruski- 
sches Syllabarium, auf der Basis ist ein griechisches Alphabet eingekratzt, 
welches mit Ergänzung des zufällig zerstörten Zeichens des m aus dem Sylla- 
barium und Auslassung gewisser Zeichen, von denen sogleich die Rede sein 
wird, in der dritten Spalte von Col. XI verzeichnet ist. Der Rest eines 
ganz ähnlichen Alphabets (die Buchstaben A-O einschliefslich enthaltend) 
und Syllabariums war bereits zu Ende des 17. Jahrhunderts mitten unter 
etruskischen Inschriften auf der Wand eines bei Colle in der Nähe von Siena 
geöffneten Grabes entdeckt worden (C.1.G. 6183). Die abweichenden 
Formen dieses Exemplares, welche im Ubrigen unerheblich sind und zum 
Theil auf Ungenauigkeit der Copie zurückzuführen sein dürften ('), sind in 
der genannten Spalte neben denen des caeritischen an zweiter Stelle in Klam- 
mern vermerkt. 


(‘) E für C und C für F oder E beruhen meines Bedünkens auf einer blofsen Verwech- 
selung, welche in dem anderen Exemplar vermieden ist, | für I gehört der Copie. Für 
die im Alphabete milsrathene Form des n ist die vom Schreiber jedenfalls beabsichtigte aus 
dem Syllabarium eingesetzt worden, 


Gg32 


236 Kırcuuorr: 


Die erschöpfendste Behandlung dieser wichtigen Denkmäler hat 
Mommsen (a. a. ©. S. 8 ff.) geliefert. Ich stimme ihm zunächst darin voll- 
kommen bei, dafs in diesen beiden Exemplaren uns das griechische Muster- 
alphabet erhalten ist, aus dem das etruskische und die mit diesem 
verwandten abgeleitet worden sind, was zum Theil aus seiner ganzen 
Beschaffenheit, zum Theil aber auch schon daraus hervorgeht, dafs es 
sich von etruskischer Hand geschrieben an zwei verschiedenen Stellen 
Etruriens in Verbindung mit etruskischen Inschriften gefunden hat. Auch 
hat er entschieden Recht, wenn er den Lautwerth der drei letzten Zeichen 
X®Yals&ox bestimmt. Ist aber diese Bestimmung richtig, woran gar 
nicht gezweifelt werden kann, so gehört das Alphabet der zweiten Reihe an 
und kann, da es den Buchstaben Gamma und Lambda die Gestalt C und L 
giebt, eben auch nur das chalkidische sein, was mit der oben begründeten 
Annahme von der Herkunft des etruskischen und der übrigen italischen Al- 
phabete, wie auch nicht anders zu erwarten war, sich im Einklang befindet. 
Es kann dagegen nicht geltend gemacht werden die eigenthümliche und 
allerdings nur hier begegnende Form, welche das m und n auf dem Exem- 
plar von Caere zeigen (M und M); denn nicht nur bietet das andere von 
Siena die zu jener in naher Beziehung stehende W und N, welche eben die- 
jenige ist, in der diese Zeichen auf den älteren cumanischen Inschriften auf- 
treten, und sodann sind Abweichungen in der Form gerade dieser Buchstaben 
nirgend für den Charakter eines Alphabets wesentlich bestimmend, sondern 
höchstens Merkmale einer zeitlich bestimmten Entwickelungsperiode der 
Schrift, welche in dieser Hinsicht in ziemlich allen Alphabeten dieselben 
Phasen durchlaufen hat. Ebensowenig spricht gegen die Identificirung mit 
dem chalkidischen Alphabete der im Übrigen recht merkwürdige und wich- 
tige Umstand, dafs das fragliche Alphabet aufser den in der Tafel dar- 
gestellten Zeichen noch zwei weitere aufweist, von deren Verwendung im 
Schriftgebrauche sich auf chalkidischen Inschriften keine Spur findet, von 
denen das erste aber auch auf keinem anderen Denkmale, das in diese Cate- 
gorie gehört, sich nachweisen läfst. Zwischen dem v und dem o haben näm- 
lich beide Exemplare übereinstimmend das Zeichen B, zwischen = und po 
das von Caere (das von Siena bricht, wie oben bemerkt, schon mit dem o 
ab) ein W. Eirsteres steht genau an der nämlichen Stelle, welche im phoe- 
nikischen Mutteralphabete ‘das Samech einnimmt und nach der Tradition des 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. Du 


ionischen und gemeingriechischen Alphabets das E oder H in den Alpha- 
beten der östlichen Reihe eingenommen hat. Die Identität der Zeichen 
ist um so weniger zu bezweifeln, als Eund H sich als offenbare Vereinfachun- 
gen des complicirteren FH auf den ersten Blick darstellen. Die östlichen 
Alphabete verwenden ihr E oder H zur Bezeichnung des £, was von dem 
vorliegenden nicht angenommen werden kann, da dasselbe in dem + ein 
besonderes Zeichen für diesen Laut in Übereinstimmung mit allen übrigen 
Alphabeten derselbenReihe besitzt. Da nun nirgend sich die geringste Spur von 
einer Verwendung des Zeichens in anderer Bedeutung im eigentlichen Schrift- 
gebrauche auf dieser Reihe angehörigen Denkmälern zeigt, so mufs angenom- 
men werden, dafs, wie das Vau (Stigma) und Koppa im ionischen Alphabete 
sich lange nachdem sie aufgehört hatten in der Schrift als Buchstaben verwen- 
det zu werden, in der Reihe des Alphabets als Zeichen fest erhalten haben, 
um erst ganz spät als Zahlzeichen wieder in lebendigen Gebrauch genommen 
zu werden, so auch in diesem Alphabet, das darum nicht aufhört ein chal- 
kidisches zu sein, wenigstens das nicht als Buchstabe, sondern lediglich 
als Zeichen, das mit dem alten Bestande überkommen war, aber als über- 
flüssig im Gebrauche ruhte, aufgeführt wird. Ähnlich verhält es sich mit 
dem zweiten der überflüssigen Zeichen, welches mit Mommsen unbedenklich 
als eine vielleicht absichtliche Verstümmelung des M zu betrachten ist, 
welches die etruskischen Alphabete an derselben Stelle zeigen und welches 
auch das Exemplar von Siena, wenn es vollständiger erhalten wäre, ohn- 
fehlbar gleichfalls bieten würde, da es n nicht, wie das caeritische, durch M, 
sondern N bezeichnet. Jenes M entspricht dem Zade des phoenikischen 
Mutteralphabets und gehört zum Urbestande auch der griechischen, da die 
meisten von ihnen, wenn nicht alle, den Zischlaut der griechischen Sprache 
ursprünglich damit bezeichnet haben und erst später zum £ übergegangen 
sind. Von einer Verwendung des M neben dem £ findet sich in griechischen 
Inschriften keine Spur und es kann nur angenommen werden, dafs, so lange 
man den Zischlaut mit M bezeichnete, das £ im Gebrauche ruhte, aber in 
der Reihe des Alphabets erhalten blieb, und umgekehrt, nachdem man 
zum £ übergegangen war, das nun überflüssig gewordene M wenn auch nicht 
auf die Dauer (wie es denn aus dem ionischen Alphabete gänzlich verschwun- 
den ist), so doch eine Zeit lang in der Reihe sich noch behauptet hat. Es 
kann folglich das Auftreten desselben in der Reihe eines chalkidischen Alpha- 


338 Kırcnanorr: 


bets nicht auffallen, mag es nun zur Zeit der Aufzeichnung desselben noch 
als Buchstabe Geltung gehabt haben, oder das £ bereits im Gebrauche an 
seine Stelle getreten gewesen sein; wir dürfen es, wie in allen griechischen 
Alphabeten, so auch im chalkidischen, als ursprünglich vorhanden voraus- 
setzen und von den abgeleiteten Alphabeten bezeugen, wie schon oben 
bemerkt worden ist, das etruskische und umbrische, dafs diese Voraus- 
setzung nicht trügt, wenn auch die wenigen erhaltenen Inschriften sämmtlich 
aus einer Zeit stammen, zu der es bereits antiquirt und & in seine Func- 
tionen getreten war. 

Diese beiden Zeichen beweisen also nichts gegen den Charakter des 
Alphabets als eines chalkidischen,, sie bereichern nur unsere Kenntnifs vom 
Bestande desselben aufserhalb des eigentlichen Schriftgebrauches. Bedenken 
aber könnte es erregen, dafs vom Koppa sich keine Spuren zeigen, welches 
doch nach dem Zeugnifs des lateinischen Alphabets und der Inschriften, 
namentlich der Vasen, im Schriftgebrauche des chalkidischen Alphabets zu 
einer gewissen Zeit sich eines regelmäfsigen und ausgedehnten Gebrauches 
erfreut hat und im Alphabete als vorhanden unbedingt vorausgesetzt werden 
mufs. Dieser Umstand läfst indessen eine doppelte Erklärung zu. Das 
Koppa ist als ein im Grunde überflüssiger Buchstabe in den meisten griechi- 
schen Alphabeten früher oder später aufser Gebrauch gekommen; wenn es 
also auch zu der Zeit, wo das lateinische und, wie ich hinzufüge, das etrus- 
kische, Alphabet aus dem chalkidischen sich abzweigte, und später noch 
zur Zeit der Inschriften ein Koppa nicht nur im Alphabete der campa- 
nischen Griechen gab, sondern dieses Zeichen auch in der Schrift allge- 
meine Verwendung fand, so hindert doch Nichts anzunehmen, dafs es auch 
hier später in Abnahme gekommen und aus dem Gebrauche verschwunden 
sei und dafs die Aufzeichnung des Alphabets von Caere (das von Siena ist 
leider auch hier unvollständig) in eine solche spätere Zeit gehöre, in der 
das Koppa schon nicht mehr im Gebrauche war, eine Annahme, die aus der 
Beschaffenheit des Alphabets im Ganzen und Einzelnen nicht als unmöglich 
oder unzulässig erwiesen werden kann. Freilich sollte man der Analogie 
nach auch in diesem Falle wenigstens das Zeichen in der Reihe des Alphabets 
anzutreffen erwarten, so gut wie das ® und M; allein es erscheint unzulässig 
in diesen Dingen völlige Consequenz zu verlangen oder vorauszusetzen. 


Auch das ionische Alphabet hat zwar die Zeichen des Vau und Koppa, 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 2339 


nachdem sie aufgehört hatten als Buchstaben verwendet zu werden, in der 
Reihe des Alphabets beibehalten, aber doch das M, das sich in dem näm- 
lichen Falle befand, aufgegeben; etwas Ähnliches für das chalkidische an- 
zunehmen kann nicht verwehrt werden. Die einzelnen Zeichen kamen zum 
Theil zu sehr verschiedenen Zeiten aufser Gebrauch und die Grundsätze der 
Behandlung konnten zu verschiedenen Zeiten verschiedene sein; die Ver- 
wendung aber der Buchstabenzeichen zugleich als Zahlzeichen, welche, wenn 
bereits früh adoptirt, allerdings den Wegfall irgend eines Zeichens, selbst 
wenn es als Buchstabe nicht mehr galt, hätte verhindern müssen, ist bei 
den Griechen erst in verhältnifsmäfsig später Zeit in Gebrauch gekommen. 
Ich halte es darum für wenigstens möglich, dafs das chalkidische Alphabet, 
als das Koppa aufhörte in der Schrift gebraucht zu werden, auch das Zeichen 
auswarf, und dafs die vorliegende Alphabetreihe aus der Zeit nach erfolgter 
Auswerfung desselben stammt. Wem dies nicht glaublich erscheint, der 
mag meinetwegen annehmen, dafs das Zeichen durch eine blofse Nachlässig- 
keit des Schreibers übergangen worden sei, der kein Grieche, sondern ein 
Etrusker war, und dem ein derartiger Fehler um so eher zuzutrauen wäre. 
Ich will zwar nicht behaupten, dafs diese Auffassung durch das Vorkommen 
des Koppa in dem etruskischen Syllabarium des Gefäfses von Caere eine 
besondere Stütze erhalte, allein da auf diesen Umstand die oben aufgestellte 
Behauptung, dafs auch das etruskische Alphabet in früherer Zeit das Koppa 
gekannt und als Buchstaben verwendet habe, wenn nicht ausschliefslich, 
doch vornehmlich sich gründet, so kann ich es nicht vermeiden auch auf 
diesen Punkt näher einzugehen. Es kommt mir nämlich darauf an festzu- 
stellen, dafs zwischen dem Mangel des Koppa im späteren etruskischen Al- 
phabete und dem Fehlen desselben auf dem griechischen des Galassischen 
Gefäfses kein ursächlicher Zusammenhang Statt finde. 

Mommsen hat zum Theil in Anschlufs an Lepsius erwiesen, dafs das 
um den Bauch des Gefäfses laufende Syllabarium ein etruskisches, nicht 
griechisches ist, und es wahrscheinlich gemacht, dafs folgendes als die vom 
Schreiber beabsichtigte Anordnung desselben zu betrachten sei: 

ci ca cu ce 
vi va vu ve 
zi za zu ze 


hi ha hu he 


240 Kırcanorr: 


Si Sa Su Se 

mi ma mu me 

ni na nu ne 

pi pa pu pe 

ri ra ru re 

si sa su se 

TiNTaARTuNe 

XEXa WU NE 

0 Pa Pu Pe 
Die Form der Zeichen ist die des auf der Basis eingekratzten griechischen 
Alphabets, die Auswahl derselben aber, sowohl was die Vocale, als was 
die Consonanten betrifft, so getroffen, dafs nur solche Zeichen in Betracht 
gezogen erscheinen, welche der etruskische Schriftgebrauch recipirt hatte. 
Für die Anordnung ist die alphabetische Reihenfolge der Consonanten mafs- 
gebend gewesen. Indessen erscheinen nicht alle Consonanten, welche das 
Etruskische im Gebrauche hat; es fehlen L, M, und 8. Dafür tritt das 
in dem griechischen Alphabete fehlende und nur auf den ältesten etruski- 
schen Inschriften vereinzelt vorkommende ® auf, aber nicht an der Stelle, 
welche es als Koppa einnehmen müfste, sondern am Schlusse hinter dem Y, 
also an der Stelle, welche im etruskischen Alphabete das 8 einnimmt. Diese 
Abweichungen von der strengen Ordnung und diese theilweise Unvollstän- 
digkeit sucht Mommsen zu rechtfertigen, indem er annimmt, ® sei deswegen 
übergangen, weil es von den Etruskern nur selten und meist in Fremdnamen 
gebraucht zu werden pflege, Lund M, weil sie den Etruskern nicht als Con- 
sonanten, sondern als Halbvocale gegolten hätten, das 8 aber sei in dem P 
zu suchen, welches Zeichen nicht etwa als Koppa zu nehmen, sondern als 
ältere, später erst durch 3 verdrängte, Form zu betrachten sein möge. Ich 
kann diese Auffassung aber nicht für haltbar anerkennen. In Ansehung 
des ® mag freilich Mommsen Recht haben, nicht so, was das Lund M be- 
trifft. Denn der theoretische Unterschied zwischen Consonanten, Vocalen 
und Halbvocalen lag jedenfalls aufserhalb des Bewufstseins des Schreibers 
und seiner Zeit, und der praktische würde für die Construction des Sylla- 
bariums nur dann von Bedeutung haben sein können, wenn im Etruskischen 
L und M keine Verbindungen mit Vocalen eingingen, was doch nicht der 
Fall ist. Ich kann also das Fehlen der Zeichen im Syllabarium nur als ein 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 241 


rein zufälliges und nicht beabsichtigtes ansehen. Nicht zufällig aber, son- 
dern ganz in der Ordnung ist, dafs das etruskische 8 nicht vorkommt. 
Denn da der Schreiber des Syllabariums demselben ein griechisches, nicht 
etruskisches Alphabet zu Grunde gelegt hat, so sind wir gar nicht berechtigt 
die Berücksichtigung eines specifisch etruskischen, dem griechischen Alpha- 
bete völlig fremden Zeichens zu erwarten und nur die Übergehung solcher 
Zeichen darf auffallen, die im griechischen Alphabete vorhanden waren und 
von den Etruskern verwendet wurden, wie L, Mund ®D. Schon aus diesem 
Grunde ist es unzulässig, dem Zeichen ® einen anderen Werth beizulegen, 
als den, welchen das in der Gestalt entsprechende des griechischen Alpha- 
bets hat; wir müssen uns entschliefsen, dasselbe als Koppa gelten zu lassen. 
Wie bemerkt, erscheint es zwar nur vereinzelt auf älteren etruskischen In- 
schriften im Gebrauch, nichts aber hindert es auch hier überall als Koppa 
zu fassen und anzunehmen, dafs es als überflüssig, wie in so vielen griechi- 
schen Alphabeten, auch im etruskischen allmälig ganz aufser Gebrauch ge- 
kommen sei. Auffällig ist allein, dafs, während doch das Syllabarium im 
Übrigen die alphabetische Reihenfolge einhält, die Reihe #i #4 Pu Pe nicht 
da, wo sie hiernach erwartet werden müfste, zwischen dem = und og ein- 
gefügt, sondern aufserhalb der Reihe gleichsam nachträglich hinzugefügt am 
Schlusse, also, aber freilich ganz zufällig, da, wo im etruskischen Alpha- 
bete das 8 seine Stelle hat, erscheint. Es hängt dies wahrscheinlich mit 
dem Umstande zusammen, dafs das Zeichen ® in der zu Grunde gelegten 
Alphabetreihe ausgelassen ist, insofern sich daraus auf das allereinfachste 
erklärt, dafs auch im Syllabarium an der betreffenden Stelle die entspre- 
chende Reihe übergangen werden konnte. Die Hinzufügung der ausgelasse- 
nen Reihe am Schlusse aber charakterisirt sich einfach als ein nachträglicher 
Zusatz, welcher vom Schreiber gemacht wurde, weil er die Auslassung noch 
früh genug bemerkte, um sie, wenn auch nun nicht mehr an der gehörigen 
Stelle, nachholen zu können. Hierin liegt zugleich der Beweis, dafs das 
Fehlen des ® im Alphabete, welches den Fehler im Syllabarium und seine 
nachträgliche Berichtigung bedingte, als ein rein zufälliges, vom Schreiber 
selbst als Versehen später erkanntes zu betrachten ist. 

Obwohl also, wie ich gezeigt zu haben glaube, auch unter der Vor- 
aussetzung, dafs das Fehlen des Koppa im Alphabete nicht auf einer blofs 
zufälligen Nachlässigkeit des Schreibers beruht, in diesem Umstande keine 

Philos. - histor. Kl. 1863. Hh 


242 Kırcs#norr: 


Berechtigung gefunden werden könnte, den aus anderen Umständen mit 
Sicherheit erchlossenen chalkidischen Ursprung des Alphabets in Zweifel 
zu ziehen, so neige ich mich doch aus dem eben angeführten Grunde der 
Annahme zu, dafs jener Mangel allerdings als ein rein zufälliger zu be- 
trachten ist, und meine also, dafs, für welche von den beiden aufgestell- 
ten Möglichkeiten man sich auch entscheiden möge, der chalkidische Charak- 
ter des Alphabets als erwiesen und vollkommen sicher gestellt gelten darf. 
Die Bedeutung des Denkmals für die vorliegende Untersuchung besteht aber 
weniger hierin, als darin, dafs es uns zwei wichtige Thatsachen kennen lehrt, 
über welche die vor ihm besprochenen keinen Aufschlufs gewährten, den 
überhaupt nur ein Denkmal dieser Art gewähren konnte. Wir lernen näm- 
lich durch das Zeugnifs dieses Alphabets erstlich, dafs das Zeichen = E 
oder Hi auch den Alphabeten der zweiten Gruppe als Zeichen nicht fremd 
war, wenn es auch als Buchstabe keine Verwendung fand und daher auf 
Inschriften nicht vorkommt, und wir vergewissern uns zugleich mit seiner 
Hülfe der Stelle, welche die nicht phoenikischen Zeichen X® Y im chalkidi- 
schen und vermuthlich in allen Alphabeten dieser zweiten Reihe einnahmen, 
so wie der Ordnung, in der sie auf einander folgten. Obgleich diese That- 
sachen erst am Schlusse der ganzen Untersuchung haben festgestellt werden 
können, so habe ich doch kein Bedenken getragen sie schon im Voraus 
bei der Anordnung der Alphabetreihen auf der beigegebenen zweiten Tafel 
in Anschlag zu bringen, da diese Vorwegnahme einer erst später abzuleitenden 
Thatsache auf den Gang der Untersuchung im Übrigen ohne allen Einflufs 
geblieben ist und sie nirgend die Grundlage des Beweises für irgend eine der 
aufgestellten Behauptungen abgegeben hat, als eine pezitio principü also in 
keinem Falle betrachtet werden kann. Dasselbe gilt von der stillschweigend 
gemachten Voraussetzung, auf der die Construction der Alphabetreihen 
der ersten Tafel beruht, dafs nämlich die Stellung und Anordnung der frag- 
lichen Zeichen in den Alphabeten der dort dargestellten östlichen Gruppe 
diejenigen gewesen seien, welche wir als die ihres vornehmsten Gliedes, des 
Alphabets der kleinasiatischen Ioner, aus der späteren Tradition desselben 
und des mit ihm identischen gemeingriechischen Alphabets zur Genüge ken- 
nen; eine Annahme, deren Richtigkeit mir eines Beweises nicht zu bedürfen 
scheint und von der man zugeben wird, dafs sie unbedenklich erst hier 
am Schlusse hat ausgesprochen werden können, da die Feststellung aller 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 243 


sonstigen Thatsachen ganz unabhängig von ihr sich hat bewerkstelligen 
lassen. 


Nachdem ich im Vorstehenden die Darlegung des Thatbestandes, 
wie er sich aus dem bis jetzt zu Gebote stehenden inschriftlichen Materiale 
ergiebt, zum Abschlusse gebracht habe, bleibt mir nur übrig die Ergebnisse 
kurz zusammenzufassen, welche damit für unsere Kenntnifs der Entwicke- 
lungsgeschichte der griechischen Alphabete gewonnen zu sein scheinen. Ich 
werde diese Darstellung um so kürzer fassen können, als die grundlegenden 
Untersuchungen ausführlich gewesen sind und im Folgenden nichts als 
Resultat wird dargestellt werden, das sich aus den gewonnenen Praemissen 
nicht als nothwendige Folgerung von selbst ergäbe, oder nicht als selbstver- 
ständlich und keines Beweises bedürftig in Anspruch genommen werden 
dürfte. Es wird genügen, wenn das Gewisse und Unzweifelhafte von dem 
blos Wahrscheinlichen oder Möglichen getrennt gehalten und das Unsichere 
und unserer Kenntnifs sich vorläufig völlig entziehende als das was es ist 
bestimmt bezeichnet wird. 

Die griechischen Alphabete sind Modificationen und zum Theil indi- 
viduelle Weiterbildungen eines und desselben Uralphabets, das aus dem 
phoenikischen von 22 Zeichen abgeleitet ist. Diese Zeichen sind vollständig 
ohne irgend eine Auslassung in derselben Ordnung, und zwar, so weit wir 
sehen können, etwa in folgender Gestalt herübergenommen worden: 
12 57er 2 4343161715197 2002 92 
NE ERIAHERE MM RO MR FF 
wie denn auch die linksläufige Richtung der Schrift anfänglich beibehalten 
worden ist. Einem Theile der Zeichen ist aber theils unmittelbar bei der 
Reception theils später im Laufe einer individuellen Entwickelung ein von 
dem phoenikischen verschiedener Werth beigelegt worden, da das Alphabet 
den lautlichen Bedürfnissen einer wesentlich verschiedenen Sprache anzupas- 
sen war. Das erste Bedürfnifs, welches sich ohne Zweifel gleich anfänglich 
geltend machte, war für die Vocale besondere Ausdrücke zu gewinnen, 
welche das Mutteralphabet eben nicht darbot. Man gewann sie, indem man 
die vom Standpunkt des Griechischen überflüssigen Zeichen 1, 5, 10, 16 zur 
Bezeichnung der ihren Lauten gewissermafsen inhaerirenden Vocale a, e, i, o 


Hh 2 


944 Kırcanorr: 


verwendete. Da ein Bedürfnifs die Länge und Kürze der Vocale auch 
äufserlich im Zeichen zu unterscheiden anfänglich nicht fühlbar hervortrat, 
so genügten diese Zeichen auf lange Zeit; 5 und 16 übernahmen sogar die 
Functionen der Diphthonge e: und cv. Erst sehr spät und ganz allmälig ge- 
wöhnte man sich den Laut der letzteren durch die Verbindung zweier Vocal- 
zeichen auszudrücken, eine Bezeichnungsweise, welche sogar erst einige 
Decennien nach der allgemeinen Reception des ionischen Alphabets zu voll- 
ständiger und consequenter Durchführung gelangte und mit der die Ausge- 
staltung des gemeingriechischen Alphabets ihren eigentlichen Abschlufs 
erreichte. Sehr viel früher, sicher schon vor der 40. Olympiade, machte 
sich im Osten der griechischen Welt das Bestreben geltend langes und 
kurzes e zu unterscheiden, und man begann in diesen Gegenden das Zeichen 8 
zum Ausdruck des langen e zu verwenden, während dem Zeichen 5 die 
Functionen des kurzen e und des Diphthongen belassen wurden. Nach 
einigen Schwankungen gelangte diese Bezeichnungsweise, in Folge deren 
der rauhe Hauch seinen Ausdruck in der Schrift einbüfste, im ionischen 
Alphabete zur Herrschaft, während die übrigen mit sehr geringen Ausnah- 
men bei der älteren Praxis verharrten, die in dieser und anderen Hinsichten 
erst durch die allgemeine Annahme des ionischen Alphabets endgültig ver- 
drängt wurde. Etwas später, etwa um die Mitte des sechsten Jahrhunderts 
vor unserer Zeitrechnung, gab das lebhaft empfundene Bedürfnifs einer 
Unterscheidung des langen und kurzen o in der Schrift an verschiedenen 
Punkten derselben Gegenden zu einer abermaligen Neuerung Veranlassung. 
Von den verschiedenen Methoden, welche versucht wurden, gelangte die 
der Ioner zugleich mit ihrem Alphabete später zu allgemeiner Geltung; sie 
gewannen durch Differenzirung aus dem alten Zeichen O, welchem die Be- 
deutung o und cu belassen wurde, ein neues, Q, welches die Bestimmung 
erhielt, zur Bezeichnung des langen o zu dienen und seine Stelle am Ende 
der ganzen mit ihm zum Abschlufs gebrachten Alphabetreihe angewiesen 
bekam. — Für die Bezeichnung des fünften Vocales z (v) war man zunächst 
auf das Zeichen 6 angewiesen; da aber die ältere Sprache allgemein con- 
sonantisches und vocalisches z noch unterschied, so führte dies mit Noth- 
wendigkeit zur Erfindung eines neuen Zeichens, des Y oder V, als Ausdruck 
des Vocales, das seine Stelle am Ende der geschlossenen Reihe der phoeni- 
kischen Zeichen erhielt. Wir kennen kein griechisches Alphabet, welches 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 245 


dieses Zeichen nicht enthielte und also nicht wenigstens aus 23 Zeichen 
bestände, und ich halte es aus diesem und anderen Gründen für höchst 
wahrscheinlich, dafs die Erfindung und Hinzufügung des V der Reception 
der phoenikischen Buchstabenschrift in Griechenland gleichzeitig ist und 
vom Standpunkte des griechischen Alphabets dieses Zeichen für eben so alt 
als die übrigen 22 des Uralphabets gelten mufs, von welchem ich hiernach 
annehme, dafs es aus 23 Zeichen bestanden hat und (von Kleinigkeiten ab- 
gesehen, welche als Neuerungen einer späteren Zeit zu betrachten sind) im 
Wesentlichen nicht verschieden ist von dem, welches auf den ältesten In- 
schriften von Thera und Melos uns entgegentritt. 

Den Reichthum an Sibilanten, durch den das phoenikische Alphabet 
sich auszeichnete (7, 15, 18, 21), vermochte das griechische, abhängig in 
dieser Beziehung von den Lautverhältnissen der Sprache, nicht zu verwer- 
then. Zwar das I war leicht untergebracht: es erhielt vermuthlich schon 
im Uralphabet die Bestimmung als Zeichen eines der griechischen Sprache 
eigenthümlichen Doppelconsonanten zu dienen und hat diese seine ursprüng- 
liche Stellung auch späterhin behauptet; es blieb der einfache Zischlaut 
übrig, in den die drei anderen Sibilantenzeichen sich zu theilen hatten. 
Anfangs bezeichnete man ihn, wie es scheint, allgemein durch das M und 
liefs die beiden übrigen vorläufig ruhen; später aber, doch lange vor der 
Reception des ionischen Alphabets, ging man eben so allgemein vom M 
zum £ oder (wie man anfänglich das Zeichen in abgekürzter Form zu schrei- 
ben liebte) $ über, in Folge wovon das überflüssig gewordene M allmälig 
gänzlich aus dem Alphabete geschwunden ist. Das B entging dem gleichen 
Schicksale nur dadurch, dafs das zur Alleinherrschaft in späterer Zeit be- 
stimmte ionische Alphabet schon sehr früh dieses Zeichen (als EZ oder H) 
willkürlich zum Ausdruck des zusammengesetzten Lautes £ verwendete, wel- 
cher Vorgang im engsten Zusammenhange mit der Erweiterung des ursprüng- 
lichen Bestandes der phoenikischen Zeichen steht, von der weiter unten 
die Rede sein wird. Auch das Koppa, anfänglich ganz allgemein neben 
dem Kappa namentlich in Consonantenverbindungen und vor den Vocalen © 
und v verwendet, wurde später in den meisten Alphabeten als im Grunde 
überflüssig aufgegeben und erhielt sich im gemeingriechischen Alphabete nur 
in der Geltung eines Episemon. Dasselbe gilt von dem Vau, dessen Laut, 
anfänglich so fest, dafs man, statt seine Bezeichnung aufzugeben, lieber ein 


346 Kırcnnorr: 


ganz neues Vocalzeichen erfand, später in den verschiedenen Dialekten unter 
verschiedenen Umständen und zu verschiedenen Zeiten allmälig gänzlich aus- 
starb, obwohl er die Reception des ionischen Alphabets, in dem er wohl 
am allerfrühsten das Zeichen verwaist hatte, in einigen Gegenden noch um 
ein Namhaftes überlebte. Das verwaiste und als Buchstabe überflüssig ge- 
wordene Zeichen fand als Episemon eine andere Verwendung. 

Die sonstigen Veränderungen, welche im Laufe der Zeit innerhalb 
des Bereiches der 23 Buchstaben des Uralphabets vorgegangen sind, betref- 
fen lediglich die Form der Zeichen und sind fast ohne Ausnahme von keiner 
wesentlichen Bedeutung. In Folge der allmälig sich Tollziehenden und 
gegen den Anfang des fünften Jahrhunderts überall durchdringenden Wen- 
dung der Schrift aus der ursprünglichen linksläufigen in die rechtsläufige 
Richtung änderte sich zunächst zwar nur die Stellung der Buchstaben; allein 
bei länger andauerndem und sich allgemeiner verbreitendem Gebrauche der 
Schrift nahm der anfangs schwankende und unbestimmte Charakter der ein- 
zelnen Zeichen eine regelmäfsigere und fester ausgeprägte Gestalt an; die 
Formen der Buchstaben schliffen sich ab und wurden hin und wieder zum 
Theil vereinfacht, wie dies z. B. am Iota recht deutlich hervortritt. Es ent- 
standen auf diese Weise in den Zeiten des Überganges bis zur völligen Setzung 
des Schriftcharakters mannigfache individuelle Gestaltungen, welche meist 
von nur vorübergehender Geltung und für keins der Einzelalphabete von 
unterscheidender und specifischer Bedeutung sind; sie charakterisiren viel 
mehr die Zeit, in der sie in Geltung waren, als dafs sie an einem be- 
stimmten Lokale hafteten, und wenige dieser Formen haben darum eine aus- 
schliefslich landschaftliche Geltung, wie z. B. das korinthische ‚J’ und B, das 
attisch-boeotisch-chalkidische L und das argivische F. 

Dieses älteste Alphabet von 23 Zeichen genügte aber in seinem Be- 
stande auf die Dauer nicht dem Bedürfnisse, da es eine vollständige und 
consequente Darstellung des griechischen Lautsystems nicht enthielt. Nur 
die Reihe der Zungenlaute war vollständig vertreten; der Reihe der Lippen- 
und Gaumenlaute fehlten die Aspiraten. Auch neigte das griechische Ohr 
dazu, die Verbindungen der Mutae mit dem nachfolgenden Sibilanten als 
einen einheitlichen und untheilbaren Laut aufzufassen, der eine entsprechende 
Darstellung verlangte. Für die Verbindung eines Zungenlautes mit dem 
Zischlaute hatte das I neben anderen diese Function übernommen; für die 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 247 


der Lippen- und Gaumlaute fehlten die Zeichen. Anfänglich wufste man 
sich zu behelfen, indem man die Lippenaspirata durch rh, die Gaumen- 
aspirata durch »Ah bezeichnefe und jene Verbindungen durch Nebeneinander- 
stellung ihrer lautlichen Bestandtheile (z” und =r, später r und $r) aus- 
drückte, wie dies die Inschriften von Thera und Melos zeigen; später 
beseitigte man diese unbeholfene Ausdrucksweise und erweiterte den 
Bestand des Alphabets, indem man die drei neuen Zeichen X (+) ® V (Y) 
erfand, welche im Alphabete hinter dem V ihre Stelle erhielten. Diese 
Erweiterung mufs in sehr früher Zeit Statt gefunden haben, da wir aufser 
dem Alphabet von Thera und Melos kein einziges griechisches Alphabet 
kennen, das diese neuen Zeichen nicht bereits in sich aufgenommen hätte. 
In Bezug auf Anordnung aber und Werthung dieser neuen Zeichen gehen 
die Alphabete weit auseinander und sondern sich in zwei grofse deutlich 
unterschiedene Gruppen, von denen die erste, welche den Osten befafst 
und nur im korinthischen und argivischen Alphabet nach dem eigentlichen 
Hellas hinübergreift, ®X VW ordnet, X als x, und V in dem Werthe von & 
verwendet und den Laut des £ durch das altphoenikische, in der Reihe 
zwischen v und o stehende Zeichee E (oder H) bezeichnet, während die 
zweite, vorwiegend aus dem eigentlichen Hellas und seinen westlichen Colo- 
nien angehörigen Alphabeten bestehende, dieses letztere Zeichen als 8 
zwar in der Reihe, aber nicht als Buchstaben kennt, das X dem ® voranstellt 
und in dem Werthe von £ verwendet, mit dem VW dagegen das x, bezeichnet 
und für den Laut des W ziemlich allgemein den alten Ausdruck $r zu ge- 
brauchen fortfährt; nur ein einziges Alphabet dieser Gruppe, das lokrische, 
zeigt bis jetzt einen besonderen Buchstaben für %, *, welcher auch augen- 
scheinlich durch Differenzirung gewonnen ist und keine sehr alte Erfindung 
sein dürfte. Eine mittlere Stellung, obwohl der östlichen Gruppe nahe 
verwandt, nehmen Alphabete ein, die, wie das naxische und attische, zwar 
die Zeichen ® und X, letzteres als x, aufgenommen haben, aber £ und U 
nicht durch besondere Zeichen, sondern in alter Weise durch 4r und &r 
ausdrücken, also die Zeichen E und VW wenn auch vielleicht kennen, doch 
nicht gebrauchen, ähnlich wie aus der anderen Gruppe das boeotische 
das Zeichen + im Werthe von £ zwar kennt und einzeln verwendet, 
daneben aber jenen Laut auch durch %r auszudrücken bis zuletzt nicht 
aufhört. 


248 Kırcauorr: 


Da nun die neuen Zeichen X®V, trotz ihrer zum Theil grundver- 
schiedenen Bedeutung und abweichenden Anordnung, dennoch in beiden 
Gruppen augenscheinlich der Form nach identisch sind und dies unmöglich 
zufällig sein kann, so müssen wir annehmen, dafs sie, wahrscheinlich gleich- 
zeitig, jedenfalls aber an einem Punkte ursprünglich zuerst erfunden sind 
und von da sich verbreitet haben, folglich, da den in verschiedener Wer- 
thung gebrauchten eine doppelte Bedeutung nicht gleich von Anfang an kann 
beigelegt worden sein, die eine dieser Bedeutungen die ursprüngliche, die 
andere die durch willkürliche Anderung erst später entstandene ist. Da 
ferner die abweichende Folge des ® und X in den Alphabeten der verschie- 
denen Gruppen mit diesem Wechsel der Bedeutung des X offenbar in einem 
ursächlichen Zusammenhang steht, so läfst auch diese Abweichung sich nur 
so erklären, dafs die eine Ordnung als die ursprüngliche, die andere als die 
abgeänderte und secundäre betrachtet wird. Die Frage ist nur, welche von 
beiden Gruppen als diejenige zu gelten hat, die den ursprünglichen Zustand 
am treuesten darstellt, die östliche oder die westliche. 

Ich bin nun zwar der Meinung, dafs die Frage zu Gunsten der letz- 
teren wird entschieden werden müssen, sowohl aus anderen Gründen, als 
auch vornehmlich defshalb, weil, wie ich zu sehen glaube, die Zeichen W 
und + im lykischen Alphabete das erstere einen Gaumen- das letztere einen 
Zischlaut vertreten, was zu der Annahme nöthigt, dafs, als das lykische 
Alphabet aus dem ionischen abgeleitet wurde, die Zeichen V und + den 
Werth von x, und £, nicht / und x, hatten und die Ableitung folglich ge- 
raume Zeit vor Ol. 40 erfolgt ist; allein ich sehe mich bei der Schwierigkeit 
des Gegenstandes, der ohne Kenntnifs der orientalischen Sprachen, welche 
mir abgeht, sich nicht auf das Reine bringen läfst, aufser Stande diese 
letzte entscheidende Thatsache zu völliger Evidenz zu bringen. Da nun den 
sonstigen Gründen für das behauptete Verhältnifs beider Reihen zu einander 
sich andere scheinbare entgegenstellen lassen, welche, wenn man von jener 
entscheidenden Thatsache absieht, die Entscheidung schwankend machen 
könnten, so ziehe ich es vor auf einer vorläufig mir unsicheren Grundlage 
nicht weiterzubauen und die Erledigung dieser, wie aller anderen von ihr 
abhängigen Fragen so lange zu vertagen, bis über den angedeuteten Punkt 
völlige Sicherheit gewonnen sein wird. 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 249 


Nachträge. 


S. 120. Ausführlicher behandelt die Inschrift von Halikarnassos 
Hr. Newton selbst in der später erschienenen zweiten Abtheilung des Text- 
bandes S. 671 ff. Er setzt sie um 445 v. Chr., was mit meinem Ansatze so 
ziemlich stimmt, aber aus Gründen, welche ich nicht für stichhaltig erachten 
kann. Es ist indessen hier nicht der Ort näher auf diesen Punkt einzu- 
gehen, so wenig wie auf die Abweichungen seiner Ergänzung und Erklärung 
von der meinigen in den Stellen, welche ich für meine Zwecke auszuheben 
mich veranlafst sah. Dagegen darf ich wohl auf die Übereinstimmung in 
manchen wesentlichen Punkten mich berufen, in der meine Aufstellungen 
sich mit den Resultaten der mir eben zugehenden Abhandlung Hrn. Sauppe’s 
(Nachrichten von der K. Ges. der Wiss. zu Göttingen. 1863. S. 303 ff.) 
befinden. Wie ich aus dieser Abhandlung ersehe, ist die oben $. 125 Anm. 2 
vorgeschlagene Lesung Haxruns "Iduueus bereits von Waddington empfohlen 
worden, was mir unbekannt geblieben war und, damit einem Jeden das Seine 
werde, hiermit ausdrücklich bemerkt sei. 

S. 130. Die Inschrift des Histiaeos, welche sich findet ‘on a frag- 
ment in the wall of a house near the Sacred Way’, giebt Hr. Newton 
genauer so (S. 787. n. 72a): 

sıT3ı 
HKRTQ 
DAAON 
In der Sache wird dadurch indessen nichts Wesentliches geändert. 

S. 132 und S.139. Von den Inschriften der Statuen am heiligen 
Wege bei Milet handelt Hr. Newton S. 777 ff. (vgl. S. 547 ff.). Er setzt 
die Bildwerke wie die Inschriften zwischen 580 und 520 v. Chr., was, wie 
man sieht, mit meiner oben entwickelten Annahme völlig übereinstimmt. 

S. 168. Ein in seiner Art einziges Seitenstück zu dem Fragment von 
Eremopolis bildet die fünfzehnzeilige, jetzt im Louyre befindliche, Bustro- 
phedoninschrift von Gortyn, welche so eben von Thenon in der Reoue 
archeologique 1863 (November) auf Tf. XVI im Facsimile herausgegeben 
worden ist (vgl. S. 441 ff.) und ohne Zweifel den ältesten der oben angezo- 

Philos.-histor. Kl. 1863. Ti 


250 Kırcunorr: 


genen epigraphischen Denkmäler der Insel gleichzeitig ist, wie dies sowohl 
die von rechts anhebende furchenförmige Anordnung der Zeilen, als auch 
die Beschaffenheit des Alphabets beweisen. Es kommen auf ihr folgende 
Buchstabenzeichen vor: 
ABAAEF..B(®8)SKTWN.OC.PMTY... 

von denen die Formen des Iota, My und Sigma für das hohe Alter des 
Denkmals zeugen. Leider begegnen zufällig keine Ausdrücke irgend welcher 
Art für £ und , wogegen der gleichfalls zufällige Mangel des Hauchzeichens, 
des Zeta und vielleicht auch des Koppa sich verschmerzen liefse. Es ist dies 
um so mehr zu bedauern, als (was bei der Vorliebe des kretischen Dialektes 
für die Tenues freilich nicht auffallen kann) auch $ und % sich nicht finden, 
während doch das Vorhandensein des ersteren Zeichens im Alphabete dieser 
Zeit durch das Zeugnifs des Bruchstückes von Eremopolis aufser Zweifel 
steht. Obwohl also auch durch die neue Inschrift das Verhältnifs des kre- 
tischen Alphabets zum kleinasiatischen nicht auf das Reine gebracht wird, 
so dient sie doch dazu die Geltung eines Zeichens zu bestimmen, welchem 
oben nicht ohne scheinbaren Grund ein anderer Werth beigelegt worden 
war. Sie stellt es nämlich aufser Zweifel, dafs das C nicht, wie oben an- 
genommen wurde, eine Nebenform des ®, sondern diejenige Modification 
des M oder P ist, welche für das kretische Alphabet fortan als typisch zu 
gelten hat. Auch sieht man deutlich, dafs E noch den Laut des langen e 
vertrat und folglich das B nur als Hauchzeichen im Gebrauch gewesen 
sein kann. 

S. 174. Der in Aussicht gestellte Abklatsch ist mir durch die gütige 
Vermittelung der Herren Mommsen und Henzen jetzt zugegangen und ich 
sehe mich dadurch in Stand gesetzt nach sorgfältiger Untersuchung dessel- 
ben folgendes mitzutheilen. 

Die Höhe der regelmäfsig und mit einem kräftigen Ductus eingeschnit- 
tenen Schriftzüge beträgt in allen drei Zeilen übereinstimmend ungefähr 
2 Ctm., die Ausdehnung des beschriebenen Raumes, so weit die Spuren zu 
erkennen sind, eben so gleichmäfsig 53-54 Ctm. Der Charakter der 
Schrift ist ein so völlig gleichartiger, dafs nicht der mindeste Zweifel 
darüber bestehen kann, dafs alle drei Zeilen gleichzeitig und von derselben 
Hand eingehauen worden sind. Die linke Hälfte aller drei Zeilen ist wohl 
erhalten und auf ihr treten die Zeichen deutlich und unverkennbar hervor, 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 951 


die rechte Hälfte hat durch Corrosion der Oberfläche stark gelitten und die 
Zeichen werden hier je weiter nach rechts zu desto zweideutiger oder ganz 
unleserlich. Das Ganze sieht etwa so aus: 


ADT£MIZQITR ARANAANY EEE IDZI N] 
ANZOA/IQMHTHPO AUSUHITSINANTCHD 


T2MPADIRMRIHMAKINSJ ON AEOEYINT 


Z. 4 ist die geöffnete Form des 2 in rode deutlich und unzweifelhaft, 
der Rest  degegen hinter dem M täuscht vielleicht, wie denn auch alles 
Folgende unsicher und nur mit Anstrengung zu erkennen ist. Z. 2 ist in dem 
das Kreuz unsicher, aber der horizontale Querstrich jedenfalls deutlicher, 
namentlich auf der Rückseite, als der vertikale. Die Lücke zwischen 
und P (welches eher ein T als ein D zu sein scheint) läfst nichts erkennen, 
ist aber zu gering, als dafs mehr als ein Buchstabe darin gestanden haben 
könnte. Dafs das folgende 2 nach unten geöffnet war, scheint sicher. Z. 3 
falste die Lücke zwischen dem deutlichen K und dem ganz undeutlichen A 
wenigstens fünf, auf keinen Fall aber mehr als sechs Buchstaben, so dafs die 
Ergänzung Kf[eAwrew, cv v]ae schon aus diesem Grunde unbedingt zu verwerfen 
ist. Das hinter der Lücke folgende Zeichen war auf keinen Fall ein A; der 
Abklatsch zeigt den Schimmer eines A mit nach unten vielleicht um ein we- 
niges überragenden Seitenschenkeln, obwohl in dieser Beziehung der An- 
schein täuschen kann. Hinter dem '% ist eine vertikale rundliche Vertiefung 
wahrzunehmen, keine Spur aber von einem rechtwinkligen Ansatze am obe- 
ren Ende derselben. 

Hiernach habe ich keine Veranlassung, von meiner Ansicht über die 
wahrscheinliche Lesung der dritten Zeile abzugehen, nur dafs der Name des 
Künstlers aller Wahrscheinlichkeit nach ein anderer als der vermuthete ge- 
wesen ist. Auch die Lesung der zweiten Zeile bestimmt sich mit einiger 
Sicherheit; es scheint deutlich, dafs sie gelautet hat: 


"Arpadiou uns, Oeloleilr]rov [Suly[a]rme- 


Dagegen wird sich der Wortlaut der zweiten Hälfte der ersten Zeile 
schwerlich mehr ermitteln lassen; es scheint aber gewifs, dafs in ihr der 
Name der Weihenden und das Verbum aveSyze oder irgend eine andere 
Form desselben gestanden hat. 

1li2 


252 Kırcanorr: 


S. 192 ff. Vor Kurzem sind mir durch Vermittelung meines Collegen, 
des Hrn. Professor Hercher, die bereits 1848 in Corfu gedruckten Bogen 
eines nicht vollendeten Werkes des verstorbenen A. Mustoxidi “Delle cose 
Corciresi’ zu Händen gekommen, auf denen unter n.LXIX p.233, LXXXIL 
p- 252, LXXXIH. p. 254, LXXXVlI. p. 262, CIII. p. 274, CIV. p. 288 
die sämmtlichen im Texte besprochenen archaischen Inschriften von Korkyra 
nach eigenen Abschriften des Herausgebers mitgetheilt sind. Diese Ab- 
schriften geben zu nachträglichen Bemerkungen keine Veranlassung ; interes- 
sant aber ist die nach dem damals im Besitze des Cav. Gangadi befindlichen 
Originale unter n. CI. p. 268 gegebene neue Copie des Bruchstückes 
C.I. G. 20, durch welche der Text in einigen Punkten berichtigt wird; 
merkwürdig auch die sonst nicht publieirte Inschrift einer silbernen, im Be- 
sitze des Ritter Woodhouse befindlichen, Lampe in boeotischem Dialekt und 
Alphabet, welche n. LXXVII. p. 241 mitgetheilt wird. Da indessen für 
das Alphabet aus ihr (aufser etwa der eckigen Form des #, [D) nichts Neues 
zu lernen ist, sondern nur Bekanntes durch sie neue Bestätigung findet, so 
gehe ich hier darauf nicht weiter ein, obwohl die Lesung noch nicht völlig 
aufs Reine gebracht ist. Vgl. jetzt auch Wachsmuth im N. Rhein. Museum 
XVII. S. 537 ff. 

S. 200. Seit jene Bemerkungen niedergeschrieben wurden, sind die 
ersten nichtattischen archaischen Inschriften von Euboea an das Licht ge- 
treten. Es sind dies die Namenaufschriften der zahlreichen Bleiplättchen, 
welche in einem Grabe in der Nähe von Styra gefunden wurden und vor 
Kurzem in der neuen ’Eonu agx, S. 272 ff. (vgl. Taf. 38 und 39) unter 
n. 245-342 herausgegeben worden sind. Der Charakter der Schrift ist 
sehr alterthümlich und es scheint mir nicht möglich diese Denkmäler sehr 
viel unter die 75. Olympiade herabzurücken; es kann sogar sein, dafs sie noch 
älter sind. Das Alphabet, welches sich in Col. Ia auf der zweiten Tafel 
noch anbringen liefs, erweist sich, wie zu erwarten stand, als der zweiten 
Gruppe angehörig und giebt sonst zu keinen besonderen Bemerkungen Ver- 
anlassung. Das $ hat aufser den dargestellten noch mannigfaltig abgerundete 
Gestalten unter den Händen der vielen Schreiber erhalten, welche alle zu 
verzeichnen ich indessen für überflüssig gehalten habe. Ein Psi hatte das 
Alphabet nicht, da in Xage\ 338. 340 zweimal der Laut durch #7 ausge- 
drückt wird. Von der Anwendung des Vau findet sich keine Spur, doch 


Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. 253 


darf es in der Reihe vorausgesetzt werden, wie vielleicht auch das Koppa, 
obwohl Formen wie ’Erixovgos 294 Kurvos 328 schon mit » geschrieben sind; 
rein zufällig ist ohne Zweifel das Fehlen des Hauchzeichens 8. 

Vergleichen wir dieses Alphabet mit dem der chalkidischen Colonien 
in Italien, welches aus ihm abgeleitet sein mufs, so finden wir diejenige 
Übereinstimmung zwischen beiden in allem Wesentlichen, welche unter 
diesen Umständen zu erwarten war. Abgesehen von der Differenz in der 
Verwendung des Koppa, welche ohne alle Bedeutung ist, beschränkt sich 
der Unterschied darauf, dafs das Mutteralphabet den Buchstaben Gamma 
und Lambda die ursprünglichen Formen F und A bewahrt hat, während im 
Tochteralphabet die etwas modifieirten Formen C und L an deren Stelle ge- 
treten und geradezu für dasselbe charakteristisch geworden sind. Es folgt 
hieraus mit grofser Wahrscheinlichkeit, dafs diese Modificationen erst auf 
italischem Boden sich vollzogen haben und dafs folglich die Vasen, deren 
Aufschriften ich nach Dialekt und Alphabet für chalkidisch in Anspruch ge- 
nommen habe, weil sie constant Gamma und Lambda durch C und L aus- 
drücken, aus Fabriken der chalkidischen Colonien in Italien herrühren 
müssen und nicht aus dem Mutterlande stammen können. Merkwürdig und 
nicht zu übersehen ist die Übereinstimmung des Ionismus der Bleiplättchen 
von Styra mit dem der in Rede stehenden Vasenaufschriften, wie er oben 
charakterisirt worden ist; man vergleiche nur Namenformen, wie Kgırins 301 
Kırrıns 303 Beidiys 309 mit ’Avrıns u. a. der Vasen. 

S. 204. Die Felsinschrift von Delphi steht jetzt genauer, auch in 
Ansehung der Gestalt der Buchstaben, bei Wescher -Foucart Inscriptions 
recueillies & Delphes. 1863. p. 304. n. 480. 

S. 221. Als authentische Proben chalkidischer Schrift nehme ich un- 
bedenklich auch die eingekratzten Aufschriften BIOTQ und VARIP:EMI 
zweier Vasen der Sammlung des Grafen von Syrakus in Anspruch, welche 
im Bulletino Napol. VII. p. 136 publieirt worden sind und aus Cumae 
stammen. Sie lehren zwar nichts Neues, dienen aber dem bereits Bekann- 
ten zu erwünschter Bestätigung. 

Berichtigung. Auf Taf. I ist unter Thera in der Colonne des Tau 
durch Versehen Y statt T stehen geblieben. 


— IA AFAN— 


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nach Ol. 76. 


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vor Ol. 


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Taras und Heraklea. 


VI. 


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Messapische Inschriften. 


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Epizephyrische Lokrer. 


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Achaeische Colonien 
vor Ol. 67. 


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Chalkidische Colonien 
Inschriften und Münzlegenden. 


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Vasen 
Alphabet des Galassischen Gefälses 
und des Grabes von Siena. 


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Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 
gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das 
Haurängebirge 


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[ Vorgelegt von Hrn. Kirchhoff in der Akademie der Wissenschaften am 13. April 1863.]' 


Vorbemerkungen. 


1. Zeitrechnung. Aufser der Rechnung nach den Regierungsjahren 
der jedesmaligen Kaiser (C. I. G. 4595. 4608. 4617 ('), unserer Sammlung 
21. 34. 107. 109. 114. 116. 123. 200.201) oder Territorialherren (Agrippa II, 
n. 179) kommen innerhalb des Bereiches der mitzutheilenden Inschriften 
Datirungen nach der Seleukidenaera, der Provincialaera von Syrien und Ara- 
bien, der Aera einzelner Städte, auf Inschriften der späteren christlichen 
Zeit endlich, wie es scheint, auch nach einer besonderen kirchlichen 
Aera vor. 

a. Diejenigen Inschriften, welche der nächsten Umgebung von Da- 
maskus und somit noch der Provinz Syrien angehören, rechnen, wie diese 
Stadt selbst auf ihren Münzen, nach der Seleukidenaera, deren Epoche 
das Jahr 312 vor Chr. ist. So gleicht die christliche Inschrift von Sük 
Wädi Baradä C. 1. G. 8641 den Daesios des Jahres 875 mit der 12. Indic- 
tion, was allein nach jener Aera berechnet und zwar auf den Juni des 
Jahres 564 n. Chr. zutrifft. Derselben Aera bedienen sich ohne Zweifel 
die Inschriften C. I. G. 4515, von Der Känün 4520 (wo zu Anfang offen- 
bar zu lesen [ere]us yev), von Dom£r 4516 (welche Inschrift die Kaiser 
nennt und damit den Character der Datirung aufser Zweifel stellt) 4518. 
4519. Dasselbe gilt von denen von Sekkä@ n. 167. 168 und el- Higäne 
n. 169. 170. 171, wie zum Theil schon die Höhe der Jahreszahlen, die sie 
angeben, lehren kann. 


(') Auch 4612, wovon eine bessere Abschrift gegen Ende von Z. 5 deutlich ETOYCH & 
bietet, womit allein das Kaiserjahr gemeint sein kann. 


256 Werzsteın: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


b. Auch südwärts von diesen Gegenden scheint diese Aera in früheren 
Zeiten Geltung gehabt zu haben, wovon die autonomen Münzen von Kana- 
wät Spuren zeigen (Eckhel 3, 347). Seit der Organisation der Provinz Syrien 
durch Pompejus im Jahre 64 vor Chr. datirten manche Städte dieser Gegend 
von diesem Epochenjahre an, so Kanawät bis in die Zeiten Domitians 
(Eckhel a. a. O.). Die Inschriften bieten keine sichere Spur dieser Zählungs- 
weise, was sich aus dem Umstande erklärt, dafs die überwiegende Mehrzahl 
derselben den Zeiten nach Trajan angehört, durch den dieser Strich zur 
neu eingerichteten Provinz Arabien scheint geschlagen worden zu sein. Wenn, 
wie zu vermuthen steht, die Zeichen rıy zu Anfang der Inschrift von Xa - 
nawät, welche unter n. 190 mitgetheilt wird, das Jahr bedeuten sollten, 
so kann dasselbe schwerlich vom Epochenjahre der unten zu besprechenden 
Provincialaera von Arabien an gerechnet sein, da eine Widmung an den 
Zeis ueyıcros aus dem Jahre 418 unserer Zeitrechnung in diesen Gegenden 
nicht glaublich erscheint. Wollten wir von 64 v.Chr. an rechnen, so würden 
wir auf 294 n. Chr. kommen, zu welcher Zeit diese Datirungsweise schwerlich 
mehr in Geltung war. Es scheint daher das Gerathenste, die Seleukiden- 
aera vorauszusetzen und damit die Inschrift um den Anfang unserer Zeit- 
rechnung unter Augustus zu setzen, wogegen der Gebrauch der Formen 
C und W nicht unbedingt geltend gemacht werden kann, da er im Oriente 
früher, als im Westen beginnt. 

c. Dagegen rechnen einige Städte dieses Striches in theils sicher, 
theils vermuthlich nachtrajanischer Zeit nach besonderen Stadtaeren, 
deren Epochenjahr sich einer genauen Bestimmung entzieht. Zunächst 
es-Sanamän (Aere). Denn die Inschrift C. I. G. 4554 fällt sicher 
unter die Regierung des Commodus, dessen Name getilgt ist (vgl. 4548 
zu n. 164 dieser Sammlung), und zwar, da der Kaiser den Namen Felix 
führt, in die Jahre 185-192. Das Jahr 16, von welchem die Inschrift 
datirt ist, kann folglich nicht das Regierungsjahr des Commodus sein, der es 
nicht auf 12 Jahre brachte, sondern ist von einem besonderen Epochen- 
jahre gerechnet, welches zwischen den Jahren 169 und 176 liegt und unter 
die Regierung M. Aurels fällt. So rechnet auch Bräk nach Jahren der 
Stadt, C.1.G. 4540 erous € r9s moAews, wovon das Datum von 4541, Ereus 7, 
nicht weit abliegt. Über das Epochenjahr ist nicht einmal eine Vermuthung 
möglich. Ebenso endlich Schakkä: C. I. G. 4598 (130«) Erous rs 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 257 


m0\(ews) ca und 8616, deren Datum nach einer besseren Abschrift folgender- 
mafsen lautet: &v uni "Amgılev ivd. 18 Erous rs moA(ews) 71 +. Eine dritte. 
Inschrift (C. 1.G. 8609) nennt einfach das Jahr ohne den Zusatz rs orsus, 
was indessen zur Annahme des Gebrauches einer anderen Aera nicht berech- 
tigt. Das Datum lautet nach der bisherigen Überlieferung ..... ETOYELZT, 
nach einer genaueren Abschrift ENINA|IPCGIBETOVL////ZT, also &v ivdı(x) . 
ı@ Ereus [r]&y: Die letzteren beiden Inschriften gehören der christlichen Zeit 
und, da sie die Rechnung nach Indictionen anwenden, frühestens der zwei- 
ten Hälfte des 4. Jahrhunderts an; die Epoche dieser Aera kann also auf 
keinen Fall über das Jahr 100 unserer Zeitrechnung zurückliegen, wohl aber 


noch um eine Reihe von Jahren herabgehen. Es ist sonach zwar möglich 
beide Daten auf die arabische Provincialaera von Bostra und Petra (Epochen- 
jahr 105 n. Chr.) zu reduciren und die Jahre 263 und 310 auf 368 und 415 
n. Chr. zu beziehen, wozu die Indictionsziffern stimmen würden; allein diese 
Übereinstimmung kann ein Zufall sein und schliefst die Möglichkeit, dafs 
jene Daten von einem verschiedenen Epochenjahre aus bestimmt sind, kei- 
nesweges aus. Überdem stimmt mit dieser Rechnung die Angabe des Monats 
in der ersten Inschrift nicht, was sich zwar nach Analogie eines weiter unten 
zu besprechenden Falles leicht erklären liefse, aber doch wieder Unsicher- 
heit in die Sache bringt. Es scheint gerathener nach Analogie von Aere 
eine besondere Stadtaera auch für Schakka anzunehmen, das nach n. 139 
Colonie war und daher leicht Gelegenheit nehmen konnte seine Jahre von 
dem Zeitpunkte seiner Erhebung dazu zu datiren. 

d. Im Jahre 105 n. Chr. wurde unter Trajan die Provinz Arabien 
eingerichtet, zu der zwar nicht der Strich, in dem es- Sanamen, Bräk 
und Schakkä liegen, geschlagen worden ist, aber irgend einmal das 
südwärts von demselben belegene Inschriftengebiet gehört hat. Keine von 
den datirten Inschriften dieses Bereiches geht über die Zeiten Trajans zu- 
rück und es unterliegt daher kaum einem Zweifel, dafs ihre Jahre ohne Aus- 
nahme, auch da, wo dies nicht besonders gesagt ist, auf die Provincialaera 
von Arabien zu beziehen sind, als deren Epoche eine ausdrückliche Über- 
lieferung das Jahr 105 n. Chr. bezeichnet: Chron. Pasch- p. 472 Bonn. zu 
diesem Jahre: Hergaicı zai Berronvor Evrsulev TeÜs Eaurwv Wpevous ügıSMoon, 
womit die Münzen von Bostra stimmen (Eckhel 3, 502). Diese Aera heifst 
in den beiden gleichzeitigen Inschriften von Harrän n. 111 und 112 ein 

Philos.- histor. Kl. 1869. Kk 


255 Werzstein: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


Mal die ‘der Bostrener’ (erevs iß rns Boorenvov, nämlich &rey%e), in der 
anderen wird sie ausdrücklich als die ‘der Provinz, nämlich Arabien, bezeich- 
net (Eros aß rs Emapy,iov, epochae provincialis, wenn nicht &rapxı[es] 
provinciae zu lesen ist) und die letztere Bezeichnung war offenbar auch 
in der leider verstümmelten Inschrift von Bostra C. I. G. 4644 gewählt, 
wo in der letzten Zeile [Erevs rs Emapy]sias Enarorrev rgIanorrov Evarou zu 
lesen sein dürfte (!). Die Inschrift ist demnach vom Jahre 244 n. Chr., 
dem Gründungsjahr von Philippopolis, und gewifs, nach Cavedonis richti- 
ger Bemerkung, dem Philippus Arabs gesetzt, welcher von Bostra gebürtig 
war und damals in dieser Gegend sich aufhielt. Zu einer sicheren Bestim- 
mung des genauen Anfanges der Aera verhelfen die angezogenen beiden In- 
schriften von Harrän vom Jahre 292 derselben. Die eine gleicht nämlich 
dieses Jahr mit der zehnten, die andere mit der elften Indietion. Zählen 
wir zu 292 zunächst 105 hinzu, so kommen wir ungefähr auf das Jahr 397 
n. Chr. Nun lief die zehnte Indietion vom 1. September 396 bis 31. August 
397, die elfte vom 1. September 397 bis 31. August 398. Der Anfang des 
292. Jahres der Aera liegt also, da es in beide Indictionen fiel, nothwendig 
zwischen dem Ende des Septembers von 396 und dem des Augusts von 397, 
der Anfang des ersten Jahres folglich zwischen den gleichen Zeitpunkten der 
Jahre 105 und 106 n. Chr. Da nun nach einer unverächtlichen Überliefe- 
rung die Bewohner der Provinz Arabien das Jahr mit der Frühlingstagund- 
nachtgleiche begannen (Ideler 1, 437 £.), so ist der Anfang des ersten Jahres 
ihrer Provincialaera auf etwa den 22. März 106 n. Chr. zu setzen und findet 
man durch Addition von 105 zu der Jahreszahl der Aera dasjenige Jahr 
n. Chr., mit dessen 22. März das Provincialjahr anfıng. Mit dieser Setzung 
stimmen denn auch alle Daten der Inschriften, welche eine Controlle ver- 
statten. 1)n. 62 von Imtän nennt die Augusti Constantius (337-361) und 
Constans (337-350) neben einander, fällt also zwischen 337 und 350. Dazu 
stimmt die Jahreszahl 238 = 343 n. Chr. — 2) C. I. G. 8623 von Bostra 
gleicht das Jahr 383 = 488 n. Chr. mit der elften Indiction, welche in der 
That vom 1. September 487 bis Ende August 488 lief. — 3) n. 86 von 
Bostra nennt als Kaiser Justinian (527-565) und datirt vom Jahre 434=539 
n. Chr. — 4) C.1.G. 8625 von Bostra gleicht nach der verbürgten Lesart 


(') Eine neue Abschrift giebt diese Zeile so: EIACE/IATOCTOYTPAKO 
CTEARTOY. 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 259 


einer neuen Abschrift (ENETI YZINAIKS-++) das Jahr 407=512 n. Chr. 
mit der sechsten Indiction, welche von Anfang September 512 bis Ende 
August 513 lief, gehört also den letzten Monaten des Jahres 512 n. Chr. an. 
5) n. 110 von Harrän gleicht das Jahr 463 = 568 n. Chr. mit der ersten 
Indietion, welche eben mit dem 31. August 568 zu Ende ging. — 6) C.1.G. 
8651 von T'a‘le bezeichnet das 11. Jahr der Regierung Justinians (538) als 
das 633. der Aera, was auf die unmögliche Epoche 95 v. Chr. zurückführen 
würde und ohne Zweifel auf einem Lesefehler (X für Y) beruht. Gemeint 
ist vielmehr das Jahr 433 der Provincialaera, welches eben zum Theil dem 
Jahre 538 n. Chr. entspricht. — 7) C.1. G. 9146 von Gmirrin in der 
Nähe von Bostra giebt das Datum MHNÄTTPINIINAZZTSETSCYAH. Das 
Jahr 543 n. Chr. fällt allerdings zum Theil in die siebente Indiction, welche 
mit dem 1. September dieses Jahres anfing. Schwierigkeiten macht nur der 
Zusatz pv[i] "Argı[Äcu], wie offenbar zu lesen ist. Es kann dies nur der 
April des Jahres 543 sein, vorausgesetzt, dafs das 438. Jahr der Aera mit dem 
22. März 543 begann, und dieser Monat würde noch in die sechste, nicht 
siebente Indiction fallen. Der letzteren gehört der April von 544 an, der 
aber schon aufserhalb des 438. in den Anfang des 439. Jahres der Aera 
fallen würde. Wenn kein Fehler beim Lesen der Inschrift mit untergelaufen 
sein sollte, kann man die gegebenen Thatsachen kaum anders als durch die 
Annahme mit einander vereinigen, es sei in dieser späteren christlichen Zeit 
durch kirchlichen Einflufs etwa der Jahresanfang verrückt und auf den 1. Oc- 
tober, den Anfang des syro-makedonischen Jahres, herabgebracht worden, 
eine Annahme, durch welche auch das Datum der oben berührten ebenfalls 
christlichen Inschrift von Schakkä C.1.G. 8616 auf die Aera von Bostra 
reducirbar würde (April 416 n. Chr.). 

e. Wie die angeführten Beispiele zeigen, bleibt die Rechnung nach 
der Provincialaera bis zum Tode Justinians im Gebrauch; die jüngste der 
behandelten Inschriften war vom Jahre 568. Dafs sie aber über diesen 
Zeitpunkt sehr lange hinaus in Geltung geblieben sein sollte, ist mindestens 
im höchsten Grade unwahrscheinlich. Die Jahrzahl der christlichen Inschrift 
von Salchatn. 46 (&v Erı vss) läfst sich zwar leicht in v[4]s verbessern, was 
auf 601 n. Chr. führen würde, allein diese Verbesserung ist nicht die einzig 
mögliche; es liefse sich denken, dafs das zweite s nur der mifsdeutete Rest 
eines schliefsenden Kreuzes wäre und wir vs = 511 n. Chr. zu lesen hätten 

Kk2 


260 Werzstein: Ausgewählte griechische uud lateinische Inschriften, 


oder dergleichen. Dagegen finden sich allerdings eine Reihe von Inschriften 
dieses Bereiches, welche sehr hohe Jahreszahlen bieten und auf die Provin- 
cialaera reducirt uns sämmtlich in das siebente Jahrhundert n. Chr. führen 
würden: 1) n.39 von Melah: Maisy ı8 Zreus $[R]S. — 2) Eine unten 
nicht mitgetheilte, späte christliche Inschrift von Äreje: Ereus 9. — 
3) n. 133 von Schakka: ivd. 3 Ero[u]s #9.v+. — 4)n. 181 vom Hiobs- 
kloster: uni) "Iovaw HE id. VE TOD Erous mevraroniooTol TgLuREOToU Erreu 
nugiou Inrev Xosrod Bacırevovros. — 5) n. 205 von Gerasa: ru Cup 
ersı XPF ivdir.. — 6) C. I. G. 8652 von Nächite, deren Datum nach 
einer besseren Abschrift folgendermafsen lautet: umvei | Nesußgliev) y IM XA 
ro[ü] Erevs| Dın ras ETTAXP. Sämmtlich gehören diese Inschriften, deren Daten, 
wie man sieht, nahe zusammenliegen, der spätchristlichen Zeit an, welcher 
Umstand jede Möglichkeit einer Beziehung ihrer Daten auf die Seleukiden- 
aera von vornherein ausschliefst. Auf die Aera von Bostra reducirt würden 
sie bis gegen die Mitte des siebenten Jahrhunderts hinabführen (609, 623, 
632, 641, 644), also sogar bis in die Zeit nach der Eroberung dieser Ge- 
genden durch die Araber. Leider ist in n. 3 die Jahreszahl verdorben und 
in n. 5 die Indictionszahl verschwunden, n. 1 und 2 aber entziehen sich, da 
die Indietion nicht hinzugefügt ist, jeder Controlle, so dafs wir für eine 
Prüfung auf die Data von n. 4 und 6 uns beschränkt sehen. Der Zusatz in 
n. 4 nugiou ’Inocd Xaiorev Barırsvovres nöthigt nun zwar an sich nicht eine 
christliche Aera vorauszusetzen, und das r7s ETTAXxP von n. 6 scheint auf 
den erstenBlick geradezu auf 775 ragy,(ias) zu führen; allein die überlieferte 
Stellung des X vor dem P erregt Bedenken, und XPF zwischen der Jahres- 
zahl und der Indietion in n. 5 verlangt Beachtung und ist von jenem kaum 
zu trennen. Nimmt man hierzu die Unwahrscheinlichkeit einer Geltung 
der Provincialaera bis in so späte Zeiten, so wird man allerdings geneigt 
sein für diese Inschriften eine besondere abweichende Aera vorauszusetzen. 
In 15 ETTAXP dürfte demnach is &va(vSpwrusews) Xe(icrev) stecken, jenes 
XPF etwa als Xo(irro0) Y(everews) zu deuten und eine Zeitrechnung nach 
Christi Geburt anzunehmen sein. Prüfen wir auf diese Annahme hin die 
beiden Data, so fällt nach n. 4 der 25. Juli 536 in die 15. Indiction, welche 
vom 4. September 536 bis Ende August 537 unserer Zeitrechnung lief, und 
das 536ste Jahr wäre demnach etwa vom 1. Oktober 536 bis Ende September 
537 nach Weise der Syrer gerechnet. Dagegen setzt n. 6 den 3. November 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 261 


518 in die elfte Indiction, welche am 1. September 517 unserer Zeitrech- 
nung begann, das Jahr 518 der Aera wäre folglich vom 1. Oktober 517 bis 
Ende September 518 unserer Zeitrechnung zu rechnen. Zwischen beiden 
Daten besteht also eine Differenz von einem Jahre, welche sich vielleicht 
aus einer Schwankung des Gebrauches erklären liefse, wonach das erste 
Jahr der Aera vom 1. Oktober theils vor, theils nach dem angenommenen 
Zeitpunkte der Geburt gezählt wurde. Freilich ist der Gebrauch einer Aera 
nach Christi Geburt, welche mit der oceidentalischen so genau überein- 
stimmt, im Oriente zur Zeit kurz vor und nach Dionysius Exiguus sonsther 
nicht bekannt; es dürfte das aber kein triftiger Grund sein die vorliegenden 
Spuren desselben allein aus diesem Grunde von der Hand zu weisen, um so 
mehr, als wir bei Annahme einer solchen Aera mit den zuletzt behandelten 
Inschriften in eine glaubliche und annehmbare Zeit, das sechste Jahrhundert, 
kommen und nicht genöthigt sind mit ihnen in die Zeiten der arabischen Herr- 
schaft herabzugehen, was noch viel weniger Wahrscheinlichkeit haben dürfte. 
2. Das sprachliche Interesse, welches die zahlreichen epichorischen 
Eigennamen, welche auf diesen Inschriften vorkommen, gewähren, so wie 
das Bedürfnifs, für die Restitution verlesener Namen und deren Controlle 
das gesammte einschlägige Material beisammen zu haben, haben es wün- 
schenswerth erscheinen lassen ein Verzeichnifs derselben voranzuschicken. 
Es sind in dasselbe der Vollständigkeit wegen auch diejenigen Namen aufge- 
nommen worden, welche sich in den Inschriften des C. I. G. aus dem 
Bereiche unserer Sammlung vorfanden, und die betreffenden Citate, um 
Irrungen zu vermeiden, durch den Druck besonders hervorgehoben. 


’Aßaßov 4560. 

"Aßyazgos 53. Aßyagov 57.’ Aßyaloov] 4573 c. 

’AßıRßov 150. 152. 

’Aßcudou 15. 

’Aßovvov 116. 

"Aßovagıs 4593. "Aßovgioro 129c. 

"Algavn[s] 76. 

’AßxögoU 200. 

"Aödos 10. 31. "Addou (auf einer nicht mit- 
getheilten Inschrift von Negrän). "Aö[öJou 
156. "A[ööJou 17. 

"Add (Zaöda?) 4519. "Addn 27. 

"Aödsıos 4560. 


"Asdos 26. ’Asdou 62a. 60. 

Alaßavrs (Gen.) alzkale 

’Adıkou 56. 57. 

’Acıkıavos 175. 

"ASou 71. 

"A[S]egov de 

"ALS ]e«eov 9. 

Anauos 4601. Airauov 158. [Arlreuov 150. 

’AraraSos (nicht mitg. Inschr. von Awwas). 
"ArasaSou 59. 

’Areßou 73. 

"Arsros 180. 

AucSerrn 46432. 


262 Werzsteın: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


"Ausoos 4559. 4584. 4589. 121. ’Ausoou 
49. 111. 112. 113. 117. 130. "Auf[e]gov 35. 

"AusoaIos 4665. 

AnınaTou 61. 

"Auprryos (Iepurx,os?) 20. 

"Angeiou 100. 

"AngerAtou 80. 

"Aug. stov 39. 

’Auragrs (Gen.) 145. 

"Avcıcs 27.4634. Avtov 14.105."Avcov 4516. 

"Avauos 152.155. "Avanov 4658. 24. 91. 112. 

’Avsuou 76. 182. 186. 

"Avvyaos 119. 119. ’AvuyAov 4620. 

"Avouvos 126. 134. 187. ’Avouvov 187. 

’Aousidos 134. 179. 

"Agaßou 4589 (nach einer besseren Abschr.). 

"Asdos 113. 

”Aoytdou 27. 

"Asuou 150. 

’AsuaSou 4604. 56. 

’Arouadavov 4612. 140. 

’Arounavov (?) 91. 

’ArcaraSos 4628 (37). "AlrjeseSou 142. 

AdSos 55. 

Adnov 112. 

Adros 152. Alsou 59. 62. 

Adyop »- 25. 

’Ayousanuv 113. 

"Ayyeu ("Addou?) 12. 

"Aygos 4. 

Baygarou 4518. 4519. 

Bayer - 465%. 

Badaßamos 77. 

Badagov 4612. 

Bazos 75. 

Bapov (?) 91. 

BavaSo[u] 99. 

Bagay,ov 4573 c. 

Bagßagov 114. 

Bavravns 186. 

Bariaßos 4522. 

Bivis 4593. 

Bevva@Srs (Gen.) 188. 

B£ggov 131. 


Biagos 105. 

Bogdos 47. Bogdov 4. 

Bogn @) 48. 

Bogzaitos 43. 

Taß-vns 4552. 

Tfe]@&l[e]v 4573 c. 

Taddov 75. 

Tedovos 9. 37. 40. Txdovov 38 Bis. 61.120.153. 

TaödseSy 118. 

Tarzsou 59. 

Terovvov (v. Kerovvov) 114. 

Teogou 4516. 

Teöoov 4516. 

Taöros 4635. 158.168. Tevrov 4518. 4519. 
4604. 4612. 1522is. 

Tabarov (v. Taberov) 115. 

Tedagav .. 4658. 

Tevzov 169. 

Tios 4657. 

Teguavds 52. 188. Teonavod 4560. 4648. 
51. 194. 

Teuov 140. 

Aaßavov 4601. 

Acdev 194; auch auf einer nicht mitg. Inschr. 
v. Negrän. 

Aav..wros 4665. 

Aoaiov 4612. 

Aoucsagıou 86. 

’Eunsyavy 2002i5. "Eupeyavov 150. 200. 

"Eugavov A7s 

"Evou 200. 

Erareucvou (?) 101. 

"Exegov 78. 142 (?). 

Zaßcvwvos 176. 

Zeßdov 128. 203. Ze @du 4583. 

Zayou 46. 

Zoßcaıdos 4593 c. 20. Zeßsdos 152. Zoßardou 
4560. 

Ocios 4619. 47. 49. 158. Ociuo[s] 46llc. 
Oainov 14. 45. 140. 190. 2005is. 4553. 
4612. Ozuov 4593. 37. 44. 9. Oruov 
96297. 

Orpugr 127. 

O:ßavys 4605. 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 263 


Bsuarrou 41. 

Ooueeyn 22. 

IeßBov (‘Px@ßov nach einer besseren Ab- 
schrift) 4659. 

"ISauos 117. 

"vos 14. 90. ”Ivov 33. 

KamzraSou 9. 

Kaiauos 36a. 64. Kareuo(s) 4558. 

Kanascvov 183. 186. 

Karovvov (v. Teßovvou) 4541. 

Kagov 4573 2. 

Kasırzeou 8616. Kassı[o2]ov 208. 

Kosnas (?) 78. 

Koszsou 8651. 

Mayagy 12. 

MaSou 177. 

MaSsiov 4559. 46082is. MaSiov 4593. 

Mareyos 23. Marzxou 10. 40. Marexo[v] 27. 
[M]er{y]o» 38. Merxos 146. Maryou 
4602. 58. 

Mersıy,aSou 179. Marıy.aSov 4590. 111. 

Maryarov 4558. 

Maryiuvos 4520. 4648. 

Mavou 57. 59. 

Magafixns 100. 

MageaIr(s) 362. 

Merarzuou 4659. 

Masayos 136. Mastxyov 200. 

Mesozo[s] 170. 

Merageuns 29. 

MeysSiov 4648. 

Misarov 133 a. 

Moaisov 119. 

Mo«igeros 190. 

Moysaigov 32. 

Moyrtros 14. 

Moyviov 143. 

Moeacov (?) 95. 

Mo&vov 4576. 

Morwiou 4612. 

Mozeıuos 136. [M]oxeıuos 4553. 

Mosaudvou 45782. 

Naauuv 178. 

Naeuov 177. 


Nalarou 32. 

NaS(ov) 47. 

Naipaos 4541. 

Nagou 200. 

Nareaoy 23. 

Nastgou 39. Nfe]e2go[v] 58. 

Naoros Inschr. v. e2-Musennef. 4561. 

Narauzrov 152. 

Naragou 4541. 

Nerafı#]ov (2) 43. 

Noaisov 4595. Nozgov 8652. 

Nogega Ins (?) 106. 

Norguos 4520. 

Noxoga Sr 13. 

’OaAFivov (Zaßewou?) 80. 

’OaSerov 200. 

"Oßados 4630. "Oßedo[s] 52. 

"ORAoSos 130. 

’Oyelov 111. 

’OdaSov 180. 

’Odaiwveros 4620. ’OdeviSou 186. 

’OdsevaSn 127. 

Oicsov 27. 28(?). 

’Oruinou 75. 

’OnawaSys 17. 

"Ouenl[s] 75. 

’OvarSou 26. 

"Ovawos 4559. "Ovevos 152. "Ovaivou 4574. 
’Ovzvov 74. 

"OgaiAov 15. 

’Oraırou 4612. 

’Oszßov 8652. 29). 

’Oraisou 42. 

’Orsniov 59 is. 60. 

Odaßyrov 112. 

Odaddrros 4608 Bis. 

Olerov 16. 

Ovagos 4595. 8628. 103. 

Odsgdiavos 154. 

OvıSgos 156. 

Ovvswvasy 97. 

Odgos 4595. Oygov 126. 

Paßßov 4659 (nach besserer Abschr.). 

ParßBnaos 157. Paß@Hrov 136. ‘Paßyrou 150. 


264 Werzstein: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


‘Paecsos 16. 

“Pirov (?) 112. 

“PıbaSys Inschr. v. Kreje. 
‘Pousos 4593. 


Sdßaos 47. 133a. Zaßcov 4626. 120. 138. 


442. 150 (?). 
Zayızzov (?) 43. 
Yadda ("Adda?) 4519. 
ZasdaSov 56. 
Daıßeov 147. 
Saios 45. Barou 48. 
Suedos 4577. Zasdov 182. 
Saranavns (V- Esarapavou) 127. 
Soaruov 155. 
BanadIov 106. 
Sanains 93. 
Zansarov 4612. 


SanusSos Inschr. v. Chulchula. SansSou 151. 


Yanseos 4642. 
Sauros 28. 

Bavanos 127. Zavanov 4567. 
Seovdou 94. 

Yagandos 110. 
ZagınaSov 58. 
Iarpıvos 50. 

Zacsıov 27. 
Savadavov 4540. 
Iavsiov (Iısiov) 136. 
ZıSpou 4605. 140. 
Siyno[u] 47. 


Soridou 10. Zosdos 4576. 133 a. [2]e28os 11. 


Zozdov 4642. 


Yoßzov 57. 

ZoßoaraSy 194. 

Zoreov 4640. 

Yorzuov 4635. 74. 

Yorena9y 148. 

Yorduov 121. 

Zovarıı 12. Zovcou 25. 

[FJovargov (’Eovargov) 10. 

ZovonaSn 143. 

Zogov 140. 

Fogavıos 12. 

Souß[e]:Sios 4655. 

[EJovovarov (’Eovovarov) 38. 

TaßBaSy 24. 

Taßos 155. 

Tarzuov 110. 

Ta[v]enrov 33: 

Tago[v]dov 31. 

Tavsivos 94. Tavgivov 35. 157. Tavgeiwvos (?) 
197. 

Taparov (v. Tabarou) 4596. 

Tıear.ov 8616. 

ToßacSy 131. 

Toßsın 118. 

Xarumzous 4612. 

Xefe]ar[o] 20. 

Xairos 128. 

Xaıpeivou 114. 

Xansvov 200. 

Xanıcrn 4620. 

Xeirwvos 4648. Xirwvos 148. 


1. In der Mitte des östlichen Trachon, d.h. am östlichen Fufse des 


Safä-Gebirges liegt die fruchtbare Niederung der Auhbe, in welcher eines 
der merkwürdigsten Gebäude der ganzen Trachonitis steht, nämlich Chirbet 
el-Beda (die „weifse Ruine”). Sie ist beschrieben in meinem Reisebe- 
richte über Hauran und die Trachonen, Berlin 1860. Zu diesem Schlosse 
wurden die Steine gebrochen und zu Quadern verarbeitet 1) bei dem Dorfe 
“Od£sije in der Ruhbe 2) bei einer Stelle, wo der Wädi Garaz aus den 
Steinfeldern der Harra in die Auhde mündet. Bei den Steinbrüchen 
an der letztgenannten Stelle liegt ein sehr grofser Feldstein, auf welchem die 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 265 


folgende Inschrift steht. Sie ist die einzige in jenen Gegenden. Die Bedui- 
nen hielten die Inschrift für ein Indicium von dort vorhandenen Schätzen 
und haben an der einen Seite des Steins fast 2 Klaftern tief gegraben, end- 
lich aber aufgehört, weil zu befürchten stand, der Stein würde hinunter- 
fallen und die Grabenden erschlagen. Man findet die ganze Tiefe der Grube 
Gemäuer mit Kalk zusammengefügt, was beweist, dafs man dem Steine eine 
feste Grundlage geben wollte. 


a b. 

e1 T a. "I(nseüs) X(girro)s. d. Vielleicht zwu(ns) 
51T +KM  Zaeredwv oder Zauadwv, so dafs der Stein eine 

RE CAX Gränzmarke gewesen zu sein scheint. Vgl. 


AAON  n.172. 


2. Ohngefähr 6-7 Stunden südlich von der Ruhbe liegt mitten in 
der Steinwüste auf einer Art kleiner Insel, welche der Wädi es’-s'äm bildet, 
ein vulkanischer Hügel, welcher mit rohen Mauern umbaut ist, die Schiefs- 
scharten haben. Im Innern dieser kunstlosen Festung sind die Fundamente 
einiger Zimmer mit einigen Säulenstücken. Unter einem steinernen Bogen 
liegt das Grab eines Heiligen (Weli), der Nemära heifst, die ganze rohe 
Festung hat davon (oder der Heilige von der Örtlichkeit) den Namen Ne- 
mära. Hier sieht man allenthalben die Felsen mit Inschriften, namentlich 
griechischen und lateinischen, bedeckt, aber roh und so verwittert, dafs ich 
trotz aller Anstrengung nichts Zusammenhängendes lesen konnte. Der Ort 
scheint die östlichste Station der Römer und Byzantiner in Syrien gewesen zu 
sein, denn 8 Stunden hinter der Harra (Steinwüste) beginnt die grofse syri- 
sche Steppe. Auf einem grob zugehauenen Mauersteine, der auf der Erde 
liegt, stehen die folgenden zwei Worte: 


®AAIC Praıs (für PAdıos, d.h. BAcovıos) 
AA9@PIAN "Adhıavos. 
oc 


3. Auf einem Feldsteine, der noch nicht aus dem Boden losgerissen 
ist; denn das Innere der rohen Festung ist nicht geebnet. 


C-. AY. BIEIINIO'C Zaßeivos - - 
BA.NIOY:AV Baviov Al - - 
wiAlhcC [x]ouns. 


Philos.-histor. Kl. 1863. El 


266 Werzsteın: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


4. Aufserhalb der Ringmauer auf einem Felsblocke. Die Schrift ist 
nur oberflächlich eingekratzt. 


AXWOC "Axwos 
BOPAOV Bogdou 
KWÄLHC zWwuns 
COAAHNAKE... Zoradas - ? 
e purns Xa- 
DVAHCXA LE 
ADHNC 


5. Auf einer Felserhöhung im Innern der Festung, mit tief einge- 
grabenen Buchstaben. 


LEGIII CVK 
Eeflı 
6. Auf einem zersprungenen Felsblock in der Mitte der Festung. 
®AAIOCC )MAVNOC BAuıos - - Mauvos 
AWCIO (EO III AworSeo[s]? 


7. Am Abhange des Hügels und aufserhalb der Ringmauer. 
LEGULEZ 
Y 


8. Nicht weit von der vorhergehenden Inschrift steht die folgende ; 
sie ist absichtlich zerstört. 
LEGII- 
AEI-I- 


Temä, Ortschaft im Osten des Haurängebirges, zwei Stunden südlich von 
der Stadt Saggd; sie ist nach vielleicht 1000jähriger Verödung seit dem 
Jahre 1857 von S'aggd aus mit Drusen colonisirt worden. 


9. Die Inschrift steht am ursprünglichen Orte neben der Thüre des 
Menzül (der Amtswohnung des Orts-Scheichs). 
TAAOYOC Tadovos 
KAIAKAAO OY KararraSeu 
EKTHCATO enrncaro. 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 267 


Ortschaft el- Mälikije (von den Beduinen Malk& genannt), 11, Stunden 
südöstlich von T&ma. Es hatte überraschend schöne Häuser. Verödet. 


10. AAPIANOYTOYKAICOAIAOY 
ALAAEXOYEONAIXOYCTPA 
C |THFOYNOUAAWUWNTO Ik € 


UNHUIONETWN AB 
AAAOCAAEABOCETWN.KH 
Z.5 kann auch AANUC gelesen werden. ’Adpavsd rev za Soaidou | Mareyev 
[E]ovagov, orgalrıysv vouadwv, TO | uunuiev- Erav AB. | "Addas adeAbos" Eruv wm. 
Vgl. die orgarnyoi C. 1. G. 4560. 
11. In einen Bogen eingesetzt, der aus altem Material gebaut ist. 
Die Inschrift ist sehr schlecht geschrieben. 


EVTVXOC € Z.1-2 Eöruy[als E[rjeus aß 
ONE 26,3, B}. (vermuthlich 397 n. Chr.). Z.3 scheint 
VK!IQOOEDO.C.CA..A [3]oedos zu lesen. 
AELUSON 4 
IX X 


Ortschaft Dümä, eine Stunde südlich von Temä. Seit dem J.1858 colonisirt. 


12. An der Aufsenseite eines Bauernhauses; nicht am ursprünglichen 
Platze. 


VBIAITTTTOC OVETAPXA CHP Birımmos euer|gavo]s no- 
ZATO OIKOAOALLHCE EAY Earo oirodounge Eau- 
TWNUNHLULWNEIEAEYT 70 wmu[to]lv- &[r]erevr- 
HCEMATAPHAXXOYFTYN YGE° Mayazn "Ayıyau, Yuv- 
HAYTOYANHPTHCNDO N aurcv, [e]rngrfıse) Bo- 
HBOOYNTOCCONAIWAAE yIouvros Zovam ade- 
AbW Ab» (d.h. Zovassu dderder). 


13. An der Wand eines Bauernhauses; nicht mehr am ursprüng- 
lichen Platze. 


Cs. D,E RO [O]sodnue[s] ? 
ÖOIAKO I/II O dıiaro[v]c- 

ZEHN CARKEINFEIRIO FF s ne Noyo- 
P-A-8.Hl CV ao [A] ov- 
NKIOC v[@]os. 


L12 


268 Werzstein: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


Dorf Tarbä, zwei Stunden südlich von Te&mä, seit 1858 colonisirt. 


14. Über einer Hausthüre; nicht mehr am ursprünglichen Orte. 


ALOFITOCANEOYKAIIN Meyıros "Aveov zal "Iv- 
OCKAIBAIULOCAAENXN 05 nal @aluos dder- 
BOIUNHWUOCYNONTH dei Mynmoouvov TN- 
N DE Ha 
15. Über einer Hausthüre; nicht mehr am ursprünglichen Platze. 
ABOVAOVVN -- - - "Aßcvdeu ür- 
EPCWTHPIACOP €0 Fwrngias "O9- 
AINOYYIOVOIKOA aircv viod oirod(oungev). 

16. In der Moschee, einem späteren Bau, verkehrt eingemauert. 
AOHNATHI/II /PIAPAECOC "ASv& rn [ru]oie “Pasros 
OVAAOVCAVAPHNOCIINIF OveAcu Zavapyvös [“»fr]- 
MOCVNONVTTEPEAVTOVKA Mocuvov Umeg Eaurod xalı] 
TEKNWNTONBWNION {I TERVWV ToV BufuJov 
ANEBHKEN aveInnev. 


Velrn- 17. 23. 108. 119. 138. 
17. Unterhalb der vorhergehenden Inschrift, ebenfalls verkehrt 
eingemauert und vorn abgebrochen. 


OUAINAOHCAA "OnawaSns "A[d]- 
OVTOVEMPANOVE [dJev rei "Eugavov E- 
TOIHCENITHKVIIA [TJonsev 77 zu[g]e 
HNAKONXHVTTEI... [ASv& zen) ürel[o] 
NTHIIACAWCIGOCOI [sw]rn[e]ies AusıS[e]o[v] 
OHAIKIAITOVYIOV [B]nrızıa[vJev vier. 


Stadt Umm Ruwäg, 23 Stunden südlich von T&ömä. Verödet. 


18. An einer Mauer; nicht am ursprünglichen Orte. 


B ACTIAIC Barıric- 
KO@TVIEPE) V nos U[r]eg eu(xns) 
VIDNMAZIm viav Mafın(ov - - - 


Troglodyten-Dorf"Ag&lät; die Höhlen haben schöne steinerne Vorbauten. 


19. In dem Vorbau eines Hauses über einer Thüre; wohl am ur- 
sprünglichen Orte und vollständig. 


gesammelt auf Reisen in den Trachunen und um das Haurängebirge. 269 


OIATTOKWAUHCEFAWN Oi ars zwuns "EyAwv 
BEWAYTWNEBHAÄW SIed alrav ’EIaw 
ANECTHCANAÄHMO dveosacav Önlo- 
CIANTHNOIKOAOMHN Clav nv olnodauyv. 


20. Innerhalb einer Stube über einer kleinen Thüre; nicht am ur- 


sprünglichen Orte. 


ZOBAIAOCK Zoßaudes x- 

D UAMMAIXO [&] "Aunrıys- 
EXAAMMUN s Xaunıw (?) F- 
ATPIETTOIHEAN argı Emoin[o]av. 


Stadt el-Musennef, eine Stunde südlich von Umm Ruwäg. Merk- 
würdig durch ein prächtiges und ziemlich erhaltenes Mausoleum. 
Seit 1858 durch Drusen colonisirt. 


21. An der nördlichen Stadtmauer: der Schlufs der vierten, die 
ganze fünfte und die drei ersten Buchstaben der letzten Zeile sind gewaltsam 
zerstört worden. 


YTELÜC/HITHPIL\CTOYKYPIOSNXYTOKPATO 
POCKAICAPOCMAYPHAIOYANTWNEI 
NOYCEBACTOYKAITOYC.YNTITANTOCO! 
KOYKAINEIKHCETOYCENAEKATOY CI III N 

DI EBERLE IT ITETPIPFITNERIRTTEPWFRIIDH 

III KAIKYPINAAIOYFEMEAAOYEKATONTAPXOY 


Z.6 zu Anfang scheinen Spuren der Buchstaben KEY unterschieden werden 
zu können. “Trre[o au]rngias Tou nuglou Aörongarolgos Kairagcs M. AugnAlou 
"Avrwveilvou Selartod zul ToV Fuvravros oi|mou nal veians Erous Evdenarou - | - - -| 
-- nal Kugwaricu TeusAAcv Exarovragyou. Welcher der Kaiser, die diesen Namen 
geführt haben, gemeint sei, kann zweifelhaft sein. Am wahrscheinlichsten 
ist immer, dafs M. Aurelius (161-180 n. Chr.) zu verstehen sei; in der ab- 
sichtlich zerstörten Zeile dürfte der Name des Avidius Cassius gestanden 
haben. Vgl.n. 34. In diesem Falle wäre die Inschrift aus dem Jahre 171 
nach Chr. 


270 Werzsteın: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


22. An der Mauer einer aus den alten Ruinen erbauten Moschee 
verkehrt eingemauert. 
®AMAZIHOCCAKOQHOYROKATIAKO 
MENTAPHCIOCKAIKOINIKOY 
AAPI OCKAISRTENOMENOC THC 
HFEMTOMNHMAFTKTÜIAILIG)KO 
ABOMHCECYN/[ JBOMAEXHI YNAIK 
®7. Mal£llules-.. .- zaı ünoluevragnrıcs zaı no[p]vizoujaagıos . . YEVOLLEVOS rs | 
yyewolvias) 70 avaue [Ele Fol) iin(v) wWxeldeunselv) aüv Bonaeyn [yJwvaızfi]- 
Z.1 scheint X® Abkürzung für Bevegizıagıos und Z.3-4 95 Yysuovias in dem 
Sinn von red Aysuevos zu stehen. Was dagegen das KAlS Z. 3 bedeuten mag, 
so wie was in dem CAKQHOY von Z. 1 zu suchen ist, ist schwer zu sagen. 


23. In derselben IOVAIAKACKEA Ioväia Kacxer- 
Moscheemauer. AIANACEAOHKAÄI Aa NaveaSy zai 
UANEXOCVIOC MaAey,os vice. 


24. Vor der genannten Moschee, entweder als Pflasterstein, oder 
als Grabstein noch auf dem ursprünglichen Grabe liegend. 


AALBA Ta[B]Ga- 
OHCAMw” Ins ”Av- 
AMoVN auov T- 
APBENO agSevo- 
vVETWM® v Erwv 
YEANE)I 2os- 


25. In der Mauer derselben Moschee. Dafs am Schlusse der Zeilen 

4 und 5 noch etwas gestanden, ist wahrscheinlich. Desgleichen ist es möglich, 

dafs der Stein unten abgebrochen ist, wo dann eine oder mehrere Zeilen 

fehlen würden. EKTICOHHKPHINICKIIKOFX 
OEOYENITEPOTAUIACBOYCKIAN 
KAICONEOYKAILUIAHCIOYOIKOAO 
ALHCANTWNMA3IMOYKAIOE 
KAIANEZANAPOXKAXAYXOP 

Earisy ü agn[r]is [a] 9 noy[n rev] | [S]esd Erı isgoranias bousziav[ov] | zei 

Zcveou zal MiAyriou oinodolunsavruv Ma£iucv za @e- - -|xuı "AreZavöo[v] »a[!] 

Aöyyop - - Auffällig ist Z. 2 iegoranias für iegoranısıas, zu vergleichen mit 


raneıov für ranısov. 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 271 


26. Vor der genannten Moschee als Pflasterstein liegend. 


AEAO "Acdc- 

CONA s ’Ova- 

IB 0OV You 

ETWN erwv 
\e re. 


27. In der Wand eines aus alten Trümmern gebauten Hauses. Die 
Inschrift ist ganz mit Lichenen bedeckt und liefs sich nicht reinigen. Daher 
wird die Abschrift voller Irrthümer sein. Von der letzten Zeile liefs sich 
nichts lesen. 


ANAIOCOIACOYAIEK "Avauos Oiarov alr]ex- 
NOCTOMNHAÄAAOAY vos 70 wvaua [e]ev- 
EWENOIHCEN. [ra [EJranrev [zei] 
AAAHAPXIAOYFT "Add "Apyudeu, Y- 
YNAIKIAYTOYEXWN wvaını aÜTOU, EX,wv 
AABEACOOYCCAANON adeAbous ZAavov (?), 
CACEIONMANEXO Sareıov, Mareyo[v] 

1 RUN BENLARSUNGSRTELSER III RENNEN 6 a 


28. Ist am Dache eines Bauernhauses verkehrt eingemauert; doch 
liefs sich die Inschrift in ziemlicher Nähe lesen. 
TTPOKAOCOKAIUA CHNNIN OYK 
NAOHNOCBOVAEYTHCFAIOIMICO 
KAITEILOSEOCKAIANTIOXOWKAI 
CAUCOCAAEABOITHKYPIAAOH 
NATO1I:OMNYAONCYNMANTIKOZ 
UWEKTWNIÄAIOWNWKOAO ALHCAN 
Ilgc#Acs ö »[a]; Mao.... cu Kfa]lva[S]uvos RBovAsuris »[@]; Orla]eo[s]?| za Te- 
moSeos zal "Avriogols] wai | Sauros aderpor rn nvgile]) "AlSInlv@ 7° [ro]orurov 
suv marrı nolluw En Tüv Diuv Wnodeuns[a]., Canatha ist das heutige Ka- 


nawät. 

29. An der Wand eines späteren Gebäudes. 
ALATAPANHCOPEPOYOKE Maragavns ’O .egou 0x8 
KOPTINOYEZHAIWNE Koprwou &E Alam E- 
TTOIHCENTOAUNHAULION momoEv To Wynllov. 


Verständlicher und gewöhnlicher würde reü #e Koprivov (Quartini) sein. 


2372 Werzstein: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


30. Auf dem eingestürzten Portale des römischen Tempels. Es liefs 
sich wenig von der zerstörten Inschrift lesen. 
YNneprWTIHNEeCcKYEAOYIBALI 
ABWLEAN»IMMAOTAINTTANIEAOXKA 
TEYXHNAIOLK/AIMATIITIIIIITITTLITN 
Lo 
Z.1-2. "reg [o]wrnfgie]s zu[g:]ov Bası[ae]ws "Alyelimra. Gleich darauf 
scheint [2] [d«]rev[ss gestanden zu haben. Z. 3 zu Anfang ist »ar’ suxnv 
nicht zu verkennen. Das folgende Aıss täuscht aber vielleicht. Unter dem 
Könige Agrippa ist vermuthlich der zweite dieses Namens zu verstehen (gest. 
99 n. Chr.), derselbe, auf den erweislich n. 179 zu beziehen ist. 


Stadt Büsän, 2 Stunden südlich von Mus’ennef. 


31. Über dem Fenster des oberen Stocks eines Hauses. 
TPDTHRAPTOYAEAOMOYTEKTHNATO 
AAAOCTAPOYAOY OIKOAOUWNOXA 
PICTOCEPFONDEIEESETENECOH 

[M]ee[rur]a(?) reüde donou renrmvaro |"Aödos Tagofü ]dov, 
"olrodouwv % algınras- Egyov de [r]e(?) EEereregSy. 
Verse jenes unvollkommenen Schlages, die in diesen Gegenden sich verhält- 
nifsmäfsig so häufig finden. 


32. Im Hofe der Kaisarije (Praefectenpalastes) liegend. 


E23 ETTIULLEAIALKAILTTOYA ’EE Emneria[s] zei amovölns] 
UOFEAIPOYMAPKOYKH Moyeaipov Magxev »[ai - - 
TTOoYNAZAAOYEKTILOH) rrou Nafarev Errır m 
TAEPFALTHPIAENETILTTA Ta Eoyarıraa dv Erı oma 


(muthmafslich 386 n. Chr.). 


33. Auf dem Dache der Kaisarije umgestürzt liegend. 


XOCTTICYUBIOC == = - ruußıos 
INOYTOYAUAYTYPOY "Ivcv To Magrugov 
TTPOCEBEPENTWOI moonebegev 7W oi- 
KWTACEYXHCXPYCI! uw [ürEg] eüxNs Xavor- 
NOYCAEKAIECCEPEI vous dera[r]erwegel[s]- 


Z. 1 kann für TT auch TT gelesen werden. 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 273 


34. Im Hofe der Kaisarije über einem Portale oder Fenster (wegen 
des Schuttes nicht zu unterscheiden). Wie es scheint am ursprünglichen 
Orte. Die vierte Zeile ist mit Ausschlufs eines Zeichens am Schlusse der- 
selben gewaltsam zerstört. 


ETOYCOAYTOKPLUA "Erous "I aürexg(arogos) M. A- 
YPHNOOYANTWNEINO üpn[Ar]eu "Avrwveivo[u] 
KA®BAYIAIOYDCIOVHIN zali] Alıdıev [Kalsıv - 
INNEREN ee ee 
ACYTICHKWÄLHEYXAP agurızn awum EÜYaR- 
ICTEI ITTEL. 


Vom Jahre 170 unserer Zeitrechnung. Der Name des später abgefallenen 
Avidius Cassius ist offenbar nur durch einen Zufall der ihm zugedachten 
Zerstörung, die ihn nach Cavedoni’s richtiger Bemerkung auf der Inschrift 
C.1. G. 4544 betroffen hat, entgangen. Z.5 zu Anfang scheint sich der 
Name der Ortschaft zu verbergen. 


35. Neben der Quelle Ain er-Rän, fünf Minuten von der Stadt 
entfernt, sieht man die schönen Fundamente eines kleinen Gebäudes, das 
ein Tempel gewesen zu sein scheint, daneben das Bruchstück einer Inschrift, 
die schlecht zu lesen ist. Sie scheint ursprünglich noch eine fünfte Zeile 
gehabt zu haben. 


ENICYNAIKIACTA "Er owoixias Ta- 

an ANOYTAYP®INOY vanAcu Taugweu 
AMOPOYKAITAN [de] "Aufe]ecv zai Tav - - 
BESNEASNSEE 0, Alle Koran Sn] n [hs - - 


Vgl. den suvöizos C. I. G. 4602. 


Stadt Sane, zwei Stunden südöstlich von Büsän. Sehr vorzüglich erhalten. 
Verödet. 


36. Neben der Moschee, die aus älterem Materiale aufgeführt ist, 
befindet sich ein Gebäude mit einem hohen Portale; es ist das beste der 
Ortschaft. Über dem Portale stehen die beiden Inschriften auf zwei Steinen. 
Sie mögen am ursprünglichen Orte sein. 


P hilos.-histor. Kl. 1869. Mm 


274 Werzstein: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


a. a. 
KAIAMOCEI®P Kaiayos e[v] Pe- 
ONEWNTTOAYAMEI ovewv moAvA[n]eı- 
OCEN9®AAEKEITAI os &vSade zeiraı | 
EZIAIHCOPATIHC E[E] iins argarıns 
CHUATTOMICAMC onua molvn]raule]- 
NOC vos. 

b. b. 
CEOYHPOCUHALZI Zeoungos Ma[Z]- 
ALOCOYETPANOC Mos cuergavos 
KAAWCCIPATEY raAds Froareu- 
CACUETALUAPEA Tas era Magea- 
BOHCYLUOIOYEKTTAP Sn(s) suu[@]iev Er Fag- 
BENACKAIENFEI Sefijes zei öfr]e- 
UWCAMNOAYBEIC ws dmoAugeis. 


Der Scherz scheint beabsichtigt und nicht etwa durch irrthümliche Ver- 
setzung der letzten Worte zufällig hervorgebracht. 


Sälä, Stadt zwei Stunden südlich von Bäsän. Verödet. 


37. Neben einer Quelle vor dem nördlichen Stadithore auf einem In- 
schriftenstein, der wohl zu dem schönen theilweise noch stehenden Überbau 


der Quelle gehört hatte. 


TAAOYOCBEXO. Tadevos Ozuo[v] 
FAIATALABOC na AraraSos 
LAAAHANHCOIOI Zara... avfeW]ıc (?) 
EKTHLEANTOET Enrycavro Er(ovs) 
CENAEYTVYXWE avd euruy,Ws. 


C. I. G. 4628. Vermuthlich vom Jahre 359 n. Chr. 


Dorf Harise, südöstlich von S@l@ zwischen den Städten Sa f und Melah. 
Verödet. 


38. Die Inschrift steht an einem Hause, wohin sie später gebracht 
wurde; sie ist stark verwittert. 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 975 


ETTITTVONOIACEOVOVAAOVK ’Eri m[gJoveias [Z]evsvarov x- 
AIC/IIULOVÄHBOVKAIMAANI ai S[ore]ucu Ayfev za [MJarı[x]- 


OVFAITAAOVOVNMICTWN ou „al Tadovov mırrav 
KAITAAOVOVTC//CPOVOIK xaı Tadovov T.... gou oin(odeycu) 
ETEAIOAHETITID ersrı[wS]n Erı mid 


(vermuthlich 419 n. Chr.). 


Stadt Melah-es-Sarrär, im Südosten des Haurängebirges. Verödet. 
39. An einem Gebäude im südlichen Theile der Stadt, das später in 
eine Moschee verwandelt worden. 
KTIEEHYFO/NIWBIBSAABATK 


NMATBTEB \rerscoAo 
xIPIAM PXCLES 
[EkrioSn üfr]o ußılev [eö]Aaß(errarev) - - - | [unvi] Maicv ıß, (?) Erous RS | 
xigi "Aug. ceou. Vom Jahre 539 n. Chr. (?). 
40. Über dem Portale dieser Moschee. 


ETONET/ZL "Erous TE[d] (469 n. Chr.) 
TAAOVO<AA [T]adetos Ma- 
KAEXOVEKTICETO Aeyou ErTITE To 
MNHMIONAYAIVAU nunuo[v - - - 

COENIAAF m (KOOAC - 0... 


Stadt "Ormän (Philippoupolis), von Burckhardt beschrieben. Verödet. 
44. Das Haus mit den 6, auch bei Burckhardt stehenden Inschriften 
liegt an der Ostseite der Stadt, und das Hauptzimmer desselben ist von 
S byzantinischen Bogen gestützt. Alle Inschriften sind von anderen Ge- 
bäuden hieher gebracht und als Zierde der Vorderseite des Hauses eingesetzt 


worden. 


(6) ET.CAaSs (6) "Er(eus) As (401 n. Chr.) 
ZIPFNEONIN Asanov- 

TICOEM rıs @en- 

AAAPoYToAE aAAcu Tode 
CHMAMEOICETH AUG Ecis er(evfev). C.1.G. 4637. 


Mm? 


276 Werzstein: Ausgewählte griechische uud lateinische Inschriften, 


42. MNHMHCEINEKATITO 
TEENZWOI ECBAUN 
ANAPWNOTAICOYTO 
KHOCKAIOYAAEN 
TOCKACIFNHTOY 
ETAETEONOLANW“ 
ONOUATIIOYHZNOC 
TTOHAEWADAÄLATITONAEAEIKATSTYICKONETEIPUC. 
C. 1. G. 4639. Mvnuns eivend wolre &v Qwoils] &oSaav | dvdpwv "Orainou Tolunos 
„ai Ov[a]Aev|ros zanıyvyrou | &y Acyeovos "Av --| övomarı ’lounvos (?)| - - - - - | 


rov[d]e deiu@ro ruluß]ov Ereı ou[e] (250 n. Chr.). 


43. Über der Thüre eines Hauses; nicht am ursprünglichen Platze. 


BOPKAIOCNATAHOY|< Bopzatos Nara[u]ou x[ai] 
FYNHAYTOYBOPHC Yun auTou Bogn >iE- 
AFT!ACOYETIOHCAN ayıasov &r]onrav 
MIZ ß 
44. ENB AAEKITE BHANWN 


ANHPTTINYTOCTEKAIEC 
BAOCAOMITTIANOCHEMOY 
TE |OYKAEOCOYTOT ON! 
TETTAPATEKWN 
AITWNXAIPWN 
C. 1. G. 4636. ’EvSade aire Savav| davnp Fwures re nal &o|SAcs, Acurrrievos 


Ozuov,| 0 #Acos oumor” öfire, | TETTAQG rer|[ve] | Aımwv Kalpwv. 


45. An einer Kirche, die sechs weitgespannte Bogen und mehrere 
Nebenzimmer hatte, auf einem Opferstock (?) folgende Inschrift: 


CAIOCO Ydıos 
AIALOV Baınov 
OIiKOAO cinodo- 
NOTCENV wos eu- 
CEBWN seldwv 
ANEOHKEN aveSnnev. 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 277 


Stadt Salchat, merkwürdig durch ihre Citadelle. Verödet. 


46. Neben einem Portale in einem der innern Höfe der Citadelle. 
Doch gehört der Stein nicht dahin. 


+L.ABINOCKAI Saßivos zal 
8EOTIMOETE @corıuos TE- 
KNAZATOYEK va Zayou Ex- 
TIEANTONAY rırav rev [m]v- 
TONENETI VSS [ey]ov (2) &v erı vs 


(511 n. Chr. ?). 


47. An der jetzt eingebrochenen Brücke über den Wallgraben der 
Citadelle. Die obere und untere Zeile mit sehr grofser Schrift. 


AFRAOHTMXx/H Ayasy run. 
B8AIWMLOCNAEB U Galuos NaSufov], 
CABAOCCIXUO Saßaos Siyuolu], 
BACCOCOVATTIOV Bassos OvAmiov, 
BOPAOCCA HN Bogdos Sa[daov], 
ETTICKOTT:O III II KT Erisaomolı, E]x [7]- 
WNTOVOEOVEKT|ICA av rov [S]eou errıra[v] 

ETF -O’YHETRBM I Erous gud (249 n. Chr.). 


48. Auf einem zerbrochenen Architrave, der neben der Ayuvn liegt. 


VTTEPCWTHPIA "Ye Furngia- 
CCAIOY®IAOKA s Zarou Bırora- 
AOYTOVTON Aou [De]üro[s] 
EKTICOAIEZ eurıc[ev] 32 [diov] 
_ATOYETSVAT [zaua]reu Er(ous) vAy (538 n. Chr.). 


El- Ajin, 40 Minuten nordöstlich von dem Dorfe el-Dafn. 


49. Eine prächtige Quelle mit den schönen Trümmern eines römi- 
schen Tempels. Mitten unter dem Haufen von Knäufen, Gesimsen und 
Quadern liegt der zerbrochene Architrav mit dem Bruchstück einer Inschrift. 
Der Tempel stand einsam, d. h. kein Dorf lag in seiner Umgebung. 


278 Werzsteın: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


N “Yreg Swrnplas - - - 
IFOPAIANOYCEB TDogdiavou Zei - 
JAILOCAUEPOY Gaios "Auegeu - - - 
OBNOADOCAKEN | KA) DV ee: 
DOABO 
en 


Vermuthlich aus dem Jahre 242 oder 243, der Zeit der Anwesenheit des 
Kaisers in diesen Gegenden. 


Stadt ‘Ijän, zwischen Kr&je und ’Ormän. Verödet. 


50. Im südlichen Theile der Stadt liegt vor einem gröfseren Gebäude 
im Gras diese Inschrift. 


Sal Inatı 
BOYNAEYTHC 
TONEWCBOT 
CENTOUNH 
AWOYICIMMM 


Zapivos '"A----- 
Bevrsurns ------ 
moAews Bo[orgas Enri]- 
cev TO vy[ueiov - - 


ER 
Awov ıc - - - 


51. Auf einem Opferstock (?) in einer Kirche, der 1 Meter 40 
Länge und in der Mitte 27’ Dicke hat. 


ETWNA ’Eria- 
KwOH zuw[S]n 
TOIEPC .) iepo- 
NETTIA\ ven AR- 
EZANA e[Z]avd- 
OOCVBA [elelv - - 
eOVPOV = eugou 
OVETPKE süerp BE: 
TEPACAN Tepuav- 
OV!!vc U - - 
vVenne ae 
ETPZZS Er(ovs) gEL 
YTTEPBE “Wreoße- 
PETEOY gereou fs 


Muthmafslich vom Jahre 272 n. Chr. 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 279 


52. In der Wand des Kirchhofes verkehrt eingesetzt. 


' OBEAOEKE "Oßede[s] 2 
TZPUANOCKE EA T[e]ouavos HE 
KMAZILSLOCON Mafıpos ci- 
' KOAOAHCAN nodounsav 
ETPMA Er(ovs) gmd. 


(muthmafslich 289 n. Chr.). 


53. In der Mitte der Stadt ist eine Kirche, deren Wände mit Sta- 
tuenuntersätzen geziert waren. An ihr steht folgende Inschrift. 


IABFTAPOCMAZIU| OC "A@yapos Ma[£]ınos 


|KAIAOYITOCCA Kal "Aouiros Ia- 
UA|IIHCTTPONOHTAIOIKO narns mgovonraL oino- 
AOWUHCANETCA dounsav Er(eus) 60 (309 n.Chr.). 


|BACCOCOIKOAOU C Bascos einodoule]s. 


54. In der zuletzt genannten Kirche liegt ein drei Spannen hoher 
Opferstock (?) mit Inschrift. 


ET .P.NcH "Er(ous) gun (263 n. Chr.) 
MAPIAN Magıav[ov] 
KAIAN za Av-- 
DYKAI ou nu 
MASI Ma£i- 
MOY kov. 


55. An einem hohen viereckigen Thurme, der sich auffällig bemerk- 
lich macht, steht eine kleine Kirche, bei welcher folgendes Bruchstück liegt. 


s E[r]eus 

core (340 n. Chr.) 
unvels] 

"Arer[A]- 


[e]:e[v] - - 


280 Werzstein: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


Städtchen "Awwas, südlich von ‘Yün. Verödet. 


56. Über der Thüre eines aus altem Material gebauten Hauses steht 
folgende Inschrift, die zu einem besseren Gebäude gehörte. 


EKTTPONOIACKECTTOYAHCBOHSOYTTPOKAOY 
KENECTOPOCCAAAABOYKEAZIZOY 
OYATTIANOYKEGIELLOYACLABOYTTPO 
NOHTWNABIEIWOHHBACIAIKHKEHOYPA 
ETOYC CKE 
"En moovoias ne omoudns BonScu IgoxAcu | xe Neorogos ZaddeIov ze Adıcou | OiR- 
mıavov ne Olsuov "ArudIou moolvonruv adıe[p]wS4 rn Barry ne fa Suga | ETous 


re (330 no. Chr.). 


57. Daneben auf der Erde liegend und schwer zu lesen. 


EKTIPONOIAC|KAIETIOVAHL Y 
OYANENTOLAZIIZOYKAILOBEOYAOYI 
IOYKAIMAFTNOYABTAPOYKAIMANOYHIEMoY 
MITTUNEKTICHTO BEONABITIONETCTTCO 
"Ex [r]eovoies zaı o|m]ovöns | Ovarevro[s] "AdıSov var Soßeou ’Aovi[r]ev zai Ma- 
Yyou "Alyagev »al Mavov Orsuev | mılr]rav ErrioSn To [Eoyarrng]iov (?) Er(ous) 


= (386-394 n. Chr.). 


58. In der Wand einer weitläufig und gut gebauten Kirche rechts 
vom Portale steht verkehrt folgende sehr deutliche Inschrift. 


EHPNETEELEEAT NY "Er(eus) 94 (295 n. Chr.) &mi Mayvev 
FAIULAAXoYoVE za Maryou oue- 
TPANWNEAICAPIY rgavav zal Zagı- 
ALABOoVFAINACEPO KHaSou zaı N[a]rege[v]. 


59. Neben der vorigen Inschrift in der Wand linker Hand vom Por- 
tale, ebenfalls sehr deutlich. 


ETCEETTINACEPOY "Er(evs) ve (310 n.Chr.) er Nasegeu 
OTEAIOYKAIAAAC "Orsukv za "AAar- 
ASOYTAAECOYoTEULI aScov Tuarercv "Orsur- 
OYAYCOYAILANOYOYA cv Atrov Mavov Ova- 


NENTOYMPONOTwN Aevrol[c] moove[n run. 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 281 


60. Vor dieser Kirche liegt folgende oben abgebrochene Inschrift 
auf der Erde. In der letzten Zeile scheint zwischen den letzten Buchstaben 
nichts zu fehlen; die Zwischenräume scheinen unausgefüllt gewesen zu sein. 


KRAUT, VAT ZENAEN zaı 
TIPICKOYOYAAENTOC Iloioxov Olarsvros 
KHIOTEULIOYAEAOY »[a]i "Orsuiou "Acdov 
MNICT»&NEKTILEOHOIKO mıoruv Enrio|S]m cixo- 
OCHETOYCIN CI MUO (0)s Ereus auS (354 n. Chr.). 


Das Städtchen Megdel es’-S’ör (Magdal die Rathsstadt, so genannt, weil 
sich daselbst vor Alters die Grofsen des Landes zu Rathe versammelt haben 
sollen) ist klein, war aber gut gebaut und das Pflaster hatte Trottoir. 
Verödet. 


61. An der Südseite der Stadt stand über einem hohen Fenster 
eines bedeutenden Hauses folgende Inschrift an ihrer ursprünglichen Stelle. 


EKTTPONOIA CKAICTTOY 
ÄAHCTAAOY 'OYKAICWTTA 
TPOYKAIAMI = PABOYPICT WN 
EKTICOHOAHM OCIOCOIKOCETICNZ 
"Ex moovolas xaı omoulöns [T]adevcv zaı Swralrgov za "AuıgaYov [mırrav | Exrı- 
0m 5 dnuorios cixos Erı av& (362 n. Chr.). 


Stadt Imtän (wohl hauranische Aussprache für das ursprüngliche Mutän), 
südöstlich von Megdel es-Sör. Verödet. 


62. Die folgenden zwei Inschriften stehen auf einem dicken vier- 
eckigen Pfeiler, der zwei Bogen stützt: in einer Moschee, die aus altem Ma- 
terial aufgebaut ist. Sie ist durch einen rohen Säulengang vor ihr kenntlich. 
Die eine dieser Inschriften auf der der andern entgegengesetzten Seite. Das 
Copiren dieser Inschriften wurde dadurch erschwert, dafs sie zu drei Viertel 
unter dem Estrich der Moschee stecken und ausgegraben werden mufsten, 
die gegrabenen Löcher aber den Umständen gemäfs nicht weit sein konnten, 
und die eine Seite des Pfeilers sehr dunkel war. 

Philos.-histor. Kl. 1863. Nn 


282 Werzsteın: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


a. 


ETTITHCAINIAC 
TOYKYPIOYMTOY 
ÄHH®ANEPOKAEOYL 
TPONOIALAWNoE 
BOYAEFTAIKoYKA!S 
POYAIOYKAIAEAOY 
KAIAYCLOYTTIETWN 
TOXWNAEKA$AFME®H 
KAIHTTAATIOCHERATIN 
oKoAoMHOHKAIEKTIF 
®HETTATA®WTTOAIF 


a. 


’Eri 795 aly]vias 


TOD AUplou - - - 
- DA. “TegoxAeou[s] 

? 
moovole .. Wvos 
BevA. eydınsv zul - 
gevaieu zaı "Acdou 
za Ausov mıorav 
70 xwlu]e EnaTapıryy 
xal % mAarıos (?) isgarılx]; 
einodeunSn nal Exrile]- 
IN Em dya9a moAl.. 


Z. 5 ist &xdixos vermuthlich dasselbe, was ruvdizes. 


b. 


YTEPEWTHPIACH 
KAINEIKHETWNS 
AEETTOTWNHMWN 
KWNETANTIOYKAI 
KWNETANTOLAY 
TOYETWNEKOFMH 
$HNTTAATIOLEIEPA 
TIKHTHIRAHIEPA 
ETI C/H 
5 


b. 
"ro Furngias 
Kal veizns TWV 
dermorwv Auwv 
Kuwvoravriov xaı 
Kuvoravros Av- 
Youcrwv &xc[r ]un- 
Sm ı mAarıos (?) isge- 
Tun m [8 nu]ege (?) 
erı o]a]n (343 n. Chr.). 


63. Auf dem Portale der genannten Moschee. Die Inschrift ist 

nicht mehr am ursprünglichen Orte. 
TEECLCEPAKONTOYTHLEETEPKOPIA 
TAAAIZEHB®AOEKTIETTOA'PAFOUAFTOY 
ALONWNPTTEHEKATTOUNHUATOYBEWC 
OPACEKBEUENWNUEXPICYYoYEOX' 
FELCHAKATCAAHPTTTEZIAIWNEZSETENELCE 
ANAAWEACHNMUTEENETI.CAZ 

Man erkennt mit Sicherheit nur TeoveganovraVens Zregnagia |---&[»]9a[2]e »[ir]e 

--|--zalı 7]o mynua ou’, ws | op&s, En Seue[Ar]wv HEXRIS ubous --|- -- 8 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 283 


Blav Egerörene | Evarusas dnvazın ui(gıe) vevranısyira &v Erı 022 (vermuthlich 
342 n. Chr.). Wegen der Abkürzung IA für uige vgl. C. I. G. 4643 
und 1973. 


64. Neben der vorhergehenden Inschrift steht gleichfalls nicht zu 
dem gegenwärtigen Hause gehörig folgende. Uber dem Steine stand ur- 
sprünglich auch Schrift, ist aber nicht mehr zu lesen. 


KAT ONOYPCOCAKTOYAPICOY MXIN 
AU. IS IANATIONOCLLIOOANWNTWÄL er 
COIK | NHMAOIKOAOUHCAGEKOHUENAIW ah 
0a0 NHTOYCCUE UHNIIOYNIOYKT:+ OPCOC 
VOC ENBAOHKITEOYPCOCBIOPXOCTTATHP €ezıal 
TOYYTTOTETAT.UENOYOVOOOVAIATHCETTINH Pech 


... NH/NTKAAYZITUOIKEIATHCANATTAYCH//////IOIKOLLE 

BA. Olpros ünrovagıs oül[e]EiAAarioves MoSavav Tu ulviua oincdounsas Er M- 
neriwlu ALr]eus swe (350 n. Chr.) wnvi "Iouviov “y. | ’EvSadn zirs Ovgros Bicg- 
05 warn | rev ürorer[a]yusvov Ovfer]ov - - Aus der letzten Zeile ist nichts 
Zusammenhängendes heraus zu bringen. Rechts erkennt man "Ogros &E lan, 
links Kaiaufe]s cixsdouss. Ein actuarius vexillationis ist sonsther nicht be- 
kannt. Wegen McSavav vgl. Not. Dign. p. 81 Boeck. Equites Ilyriciani 
Motha (in Arabien) und vielleicht Stephan. Byz. MuSw, zuun ’Agaßıas — 
ci nwunrerı MwSyvci. 


65. In der südlichen Mauer derselben Moschee ist nahe am Dache 
folgende Inschrift eingesetzt. Sie, wie alle übrigen gehören nicht ursprüng- 
lich zu diesem Gebäude. 


APANACTACPOCEYCEBITENI| 
OTTOTAMIA-KAIATTOTOYKAY 
CTATIPAKTIATWNAOYAIKW 
EXEINTOTIONICAITHNIAICIN 


Dieselbe Moschee; an der Wand neben dem Portale rechter Hand 
steht 66, an der hinteren (östlichen) Wand sieht 67, auf der Erde liegt 
neben 67 die dritte 68. 

Nn2 


284 Werzstein: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


66. IOYKAICOYBCK 67. AECHOÄIIKATEK 68. |HCPOP 
AVTWNETTI INONENONAOLLLE! CTON 
KAITWAVTWEP (AoMECTIKOYXE TIKOH 


TATTENTEXPV ENTETOYXPYCOY IPICOH 
NTTPOCTIHON NTTOCOTHTATWN XITPW 
WNAPIWNKAT THNANAFKHNE APOH+ 
YCHCAZIOTTIC TTOTO 


Die n. 65-68 sind offenbar Fragmente eines und desselben Steines. Den 
Inhalt bildet ein Erlafs des Kaisers Anastasius (n. 65, welches vom Anfange 
ist, läfst Alrongarwp Kaic]ap "Avarraslı]es euceß[7]s; vlenr#s, FEOTALUN,OS U. 5. W» 
erkennen), von dem ein anderes Exemplar sich in den Fragmenten von Bo- 
stra n. 81-85 erhalten hat; vgl. das Exemplar von Kyrene C. I. G. 5187. 
Es sind dies offenbar die Specialedikte zu dem im C. Just. (tit. de erog. mil. 
ann. 12, 38) c. 16-19 theilweise erhaltenen Generalerlasse dieses Kaisers. 
Wie das n.65 und 81 übereinstimmend vorkommende Mer]eroraui« zal do 
too KAus[uares beweist, bezog sich der Erlafs, zu dem diese und die Bo- 
strener Fragmente gehören, auf die Dioecese Oriens, wovon in jenen Worten 
die Nord- und Südgränze namhaft gemacht werden. Denn Clysma ist sicher 
die an der Gränze von Aegypten und Arabien gelegene aegyptische Gränz- 
festung. So weit sich der Inhalt übersehen läfst, handelt es sich um die 
Vertheilung der gewissen Bediensteten aus den Magazinen zukommenden 
Lieferungen, insbesondere an die Officialen der verschiedenen duces in der 
Dioecese Oriens; vgl. C. Th. 7, 4, 30, wonach die in Palaestina stehenden 
Truppen (limitanei milites) statt der Naturallieferungen Geld erhalten, das 
ducianum officium sich aber hieran nicht kehrt. So erklärt sich auch der 
Gegensatz der duciani zu den scriniarii in n.83; denn die duces hatten 
in ihrem Personale seriniariü nicht, wohl aber im Orient die magistri mili- 
tum. Die scriniari sind also das Personal der militärischen Oberbeamten, 
das im Orient sich aufhält, die duciani dasjenige der dort stationirenden mi- 
litärischen Beamten zweiten Ranges. N. 66 nennt den sudscribendarius, 
den auch €. Th.7, 30, 1 speciell bei der Magazinverwaltung beschäftigt 
zeigt; die Not. dig. erwähnt ihn unter dem officium ducianum regelmäfsig. 
Ihm entspricht der ürourmuarcbura£ des anastasischen Gesetzes C. Just. 12, 
38, 19. N.67 erscheinen die domestici, die Leibwächter des Kaisers 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 285 


(€. Th. 6, 24), die auch die eben citirte anastasische Verordnung in diesem 
Zusammenhange aufführt. 


69. Über einer Hausthüre, wahrscheinlich am ursprünglichen Orte. 
CoHTQ 
avo 


70. In dem östlichen Theile der Stadt an einer elenden Moschee; 
nicht ursprünglich. 


COI-INC, 
DI-B.E.O._ 


Stadt Samma, südlich von Megdel es’-S’ör. Verödet. 


71. In einer elend aus altem Material zusammengesetzten Moschee 
lag folgende Inschrift; eine unter der Schrift stehende Figur ist erhaben, 
während die Schrift vertieft ist. 


APCI [Oleerı, 
POY®CA “Peügl[e] "A- 
O0OYOYE Sov (?) ove- 
TPANOC Tgavos. 
ETOE Er(wv) oe. 


Dorf Mes’güg, westlich von Samma. 
72. Die Inschrift steht verkehrt im Thurme der Ortschaft und mufste 
auch verkehrt copirt werden. Am Ende derselben sind c. 6 Buchstaben 
zerstört. 


"SO A achwWanyynahnmEr] 

< | AFABHTYXHEYXTYXWCE 
SI KoAoUHOHOTIYP TOC ar 
| Z&*” | BAFCOCOAYTPNoCE>OP oo 
2<” |aenAPIwcpATIOUENoceUL| E< 
Pe ULECOTTOTOULIACOPANIOC oo 


N 


olKoAo/ // Hl Il! 


"AyaSıy rugn. Eirugas [B]lzedeunSn 6 mupyos. | Baowes o[üe]re[eJves E£ öplde- 
vagiw(v) o[r]earfeusa]uevos eu | Meroror[a]uie. Zogavıos | einode[u]e[s]. Rechts 
Arovs oue (muthmafslich 350 n. Chr.), links etwa a[vn]AwSn nügıa oder der- 
gleichen. Zum Titel des Mannes vgl. Orell. 3391 protector ex ordina- 


2856 Werzstein: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


rio leg. 11. Ital(icae) Divit(esium) und n.103. So hiefsen in späterer 
Zeit die fünf ersten Centurionen der ersten Legionseohorte, der Primipil, 
hastatus primus, princeps primus, hastatus secundus, triarius posterior nach 
Veget. 2, 7. 8. Vgl. Lange hist. rei mil. p. 46. 88. Gothofred zum C. Th. 
8, 4, 16. 


Städtchen “Anz, südwestlich von Mes’güg. 


73. Der folgende Grabstein ist in eine spätere Mauer eingesetzt. 


UOG; Seen 
ANE ’ARE- 
BOV Bov 
ETWN erav 

TT Tr. 


Der el-Mejäs (Kloster M&jäs), das sauberste und besterhaltene Bauwerk 
in Haurän, zwischen ‘Anz und der Stadt Umm el-Qotlten. 


74. Hochoben in der äufsern Wand über dem Portale und selbst 
mit dem Fernrohre kaum erkennbar steht folgende Inschrift, die ihren 
ursprünglichen Platz inne hat. 

MOEOCOBOAOHKNAWOICAHIIW(!) 
IYENONEOMNEIMONEN Ser 
TOOTELTETIETT ERSEIN ARTEN Dee: 
TOEZEIAIWNKAMATWN TOYF... 
TTPOCTTIPOVOIAcNENOYOIKOAOMOY 
KWÄWLELBOCOHNWNETEN\IWOHI 
HAYAHETTIUENIVETPIKONT... 
KAIEZKAICOIOHNITINWOKWNE 
NOHCHCOIOBHEOCKAIEPIZEHON 
8ONIOAEPBOPATHTH 
Man erkennt Z. 1 eis Seos 5 BenSüv --, Z. 2 und ff. Zoreuov euffaueves] 
Tu Sen Emoinaev - -- rou]| ro E£ eiöwv nauarwv Tod [mar]oos (?) moovoiz ’Ovevou 
cinedeucu awuns Bovoyvav Ererıwoy f mUAn(?) € NeguIs roianovr[a] Kal &£. za 
sc 5 dv üdirrw oimav QonOyesı 6 Deos. zul edude, un 69evı de bIopa . . . 
Auch hiervon ist nicht Alles sicher. 


(') Die letzten 8 Zeichen hat das schärfere Auge meines arabischen Führers zu sehen geglaubt. 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 287 


Stadt Umm el-Qottön. Verödet. 

75. Am Nordende der Stadt ist an der Vorderseite eines Hauses 
folgende Inschrift so hoch eingemauert, dafs sie nur durch das Fernrohr co- 
pirt werden konnte. Sie steht nicht mehr an ihrem ursprünglichen Platze. 
An demselben Hause ein Kreuz mit einem Kreise umgeben. 


BAKOCFTAAA«YBOF Baros Taddov Bov- 

NEYTHCKEBOIER H Asurns ne "Onenl[s] 

OAAINULOVCYOZIOCAV Oraev [avel]os au- 

TOVEKTIOANTOT,,K ToV Errilr]ev 70 (uvnuiov). 
101 


Dorf Gharija, zum Unterschiede von anderen gleichnamigen Ortschaften 
nach einer benachbarten Ortschaft Subeh auch Gharijat S'ubeh genannt. 
Verödet. 

76. Die Inschrift steht auf einem Steine, der neben einem mitten 
im Dorfe befindlichen Wasserteiche liegt; der Stein ist von den Nomaden 
aus dem Dorfe dorthin gebracht worden zur Bequemlichkeit der Wasser- 
schöpfenden. Liefs sich nur verkehrt lesen. 


ABPANHLAN "Aßgavn[s "Alv- 
EMOVANE Euou dve- 
GIEINTE Sule]e 


Qr&ja, gröfsere Stadt, von Burckhardt beschrieben. Sie ist dieselbe Ort- 
schaft, welche in der nozit. eccles. (bei Reland Pal. p. 218) Kuge«-Sy genannt 
wird. Bewohnt. 

77. Am Östende der Stadt, an der Ecke eines Hauses eingemauert. 
Nicht am ursprünglichen Platze und unten abgebrochen. 
BAAABAIAOCAOUAPOYULN.. Badaßaıros "A[S]agov uv- 
HUEIONENOHCENEKT... npaslov Eronaev Ex r|av icıwv - 
Bosrä, das antike Bostra. Bewohnt. 
78. Grabstein auf der Nekropolis in der Nähe der grofsen Birke 
(Aavn) am Ostende der Stadt. 


KOE Koe- 

MA KR- 
CEXA 5 ’ExX@- 
BOYcHE gou Er(wv) 


Y L-- 


288 Werzsteın: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


79. Auf einem Steine, welcher vor einer kleinen Moschee liegt, die 
laut arabischer Inschrift im Jahre 638 vom syro-aegyptischen Könige Negm 
ed-din Ejüb aus antikem Material aufgebaut worden ist. 


KAAYA Kravolı]- 

OCoYA 0: Ova- 

AHC [Alnvs (oder Ovarrs) 
NET Asy(ewvos) - - 
CTK or[p]|(arıwrns). 


80. An der ehemaligen Hauptkirche in Bosrö, welche nach dem in 
der Biographie Muhammeds oft erwähnten Mönche Bohera die Kirche 
des Mönches Boh£ra heifst. Die Inschrift steht hoch und ist schwer zu 
lesen. Sie steht nicht mehr am ursprünglichen Platze. 

®PONAQNOCTOJHIKYPIOIHEMEINOC 
HTTOAICETTIKANIQRAYNOIBR2IVON 
IAPYCATOETIOROINOYAMPEIAIOY 
TTPOEAPOYTOBKAICYNAPXoND2N 
= Soov[r]wvos ro[v] »uauc[u] AlyJeu[elvos |A rorıs - - - r]o[v] BufuJev | iS]euraro 
em "OaßSvev (Zaßervov?) "Augeitov | wgoedgev 76 9 nal auvapxev[r]ur. 


81. Verkehrt in der äufsern Mauer einer Moschee, welche el-mesgid 


el-kebir (die grofse Moschee) heifst, UIHCAW 
und aus kostbarem antiken Materiale M CKÄAIATTO 
(weifsen Marmorsäulen u.s. w.) ziem- MHEPNÄ 
lich gut im Jahre 618 arabischer Aera NHNETONEN 
gebaut ist. IDOTAMIA 
loro YKAYC 


82. Verkehrt in die Mauer des mesgid el-kebir eingesetzt. 
HIONAAAMBA 
NI3INTAABWPIC 

M/IINAAYTWKA 
TATOAPXAION 

EBOCYTTEPÄANNW 

NWNKAIEFATTITI 

EFTOYAHMO 


5 
ip antı 


J 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 289 


83. In der Mauer des Mesgid el-kebir. Nicht mehr am ursprüng- 
lichen Platze; vgl. Seetzen, Reisen Bd. I. p. 69 (C. I. G. 8798). 


EZOIACAHT 
TEAITIACAAH 
BANEIN (leerer Raum) 
WCECTEEKACTON 
TWNAOYKIKWN 
KAICKPINIAPIWON) 


84. Ebendaselbst. Nicht am ursprünglichen Platze. Vgl. Seetzen I. p- 69. 


HATPIZINOPAI 
NAHONONAPYAAT 
TEINKAIHHAEN 
BABOHONHNYNT 
HMETATAYTOEN 
NDSIETEIENITES 


85. Ebendaselbst. Nicht am ursprünglichen Platze. Vgl. Seetzen I. p- 69. 


INAZIN 
THCHATPIKOC 
WCTETAÄTTPAK 
TIATWNAOYKI 
KONMHKETITTI 
TTPACKECBOAIAA 
AAKATABAOHON 
ANYECOEAIOYTW 
Dafs die n. 81-85 zu einer und derselben Urkunde gehören, ist bereits oben 
zu n. 65-68 bemerkt worden. N. 82 bildet die unmittelbare Fortsetzung zu 
n. 83: &£ cas Öym[o]|re airias Aaulßavev|. were Exaorov | Tüv dovsınwv | zaı oxgı- 
viagiwv | [vJeva Aaußalvew ra apwacu[eva aurd xalra ro aoyalov | &Sos ümeo 
avvwvav xal »[a]mırı (vielleicht nicht zu ändernder lateinischer Genetiv; vgl. 
C. Th. 4, 17 annonas et capitum consequi und oft = Kost und Fourage) | &x 
rev Önuoleio]u za &x ro -- N.84. Z. 1-2 steckt in OPAINAIIONONA 
vielleicht OPAINATIWNA ordinationem. 2. 5-6 &v[aa]a[e]rrew. N. 85. 
Z. 1 [r]iv [ra]£w. Was mit der Ablieferung zar« BaSuov, per gradus, die 
den Gegensatz zum Verkauf bildet, gemeint sei, ist schwer zu sagen. 


Philos.-histor. Kl. 1863. Oo 


290 Werzstein: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


86. Auf einer vorstehenden Mauer der östlichen Zinne (Terrasse) 
des Kastells, verkehrt in einen spätern Bau eingesetzt. Der Stein (resp. die 
Inschrift) ist auf allen vier Seiten abgehauen, um ihn zwischen zwei Bogen 
einzupassen. _®1AO IIMIALVWPINOXIIIIOıHMW 

AEFTTOTOYIOYLTINIANOYANYLOAIAIWA 
AMWMHTPTISEKTICOHÄIAAOYCAPIOYK 
IORIOYTTRONNXPYLOXTTPOPATTAPOT 
+/INAHMWTSETOYLEYAÄA+ 
Man erkennt etwa 'Ex diAcrınias Tod dihoypiorev num | denmorou "lousrivueveu 
Aöyovs[rev - - - | ayın(rarns) Hnrgom(cAews) Enriroy dia Aoucagiov »[al Ma]Jrogieu 
moov(onrav ?)---|-- Ercus und (539 n. Chr.). 

87. Auf dem Triumphbogen in Bosrd. Die Inschrift steht auf zwei 
Steinen, von denen der zweite unmittelbar unter dem ersten steht, so dafs 
beide Stücke zusammen als eine Inschrift anzusehen sind. 

a. 
IVLIOIVLIANOVEUULNAR 
PRAEF LEGI PARTHICAE 
PHILIPPIANAE DVCI DEVOTIS 
SIMO TREBICIVS CAVOINVS 

b. 
PRAEF.ALAE NOVAE FIRME 
CATAFRACT:PHILIPPIME 
PRAEPOSITO:OPTIMO 

88. Eine halbe Stunde nördlich von Bosrä liegt die Zedi- Brücke, 
welche über den Zedi führt, der dort MWädi ed-deheb (Goldflufs, Chrysor- 
rhoas) heifst. Die Brücke hat drei grofse und einen kleinen Bogen; auf dem 
kleinen die Inschrift, die nicht an ihrem ursprünglichen Platze steht. 

KAAAOLEMONEOAETEYZETEAALIOLWLTTEPOPATE 
YFYXHCHAEKAKWNAYTHPIONO®PATTEAOITO 
TOIXOYEHAEBLMEHBAAKAIEYKAOYTTEIOCHEPEYAE 
AWLIOEOYAFIOYBOETPHTIEPN/ N IONTOLC 

KaAros &mov [r]ods revfe Teraouos, Womeg öpure, 

Yuyis ME zanav Aurngior obau mercıro, 

rolyou[s] nde S[e]ueSA« ar eu »aSur[eo]S[ev] egebas 

[A]urı[S]eov ayıou Beorons iep[nreu]ovros. 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 291 


Dorf Mu’arrabä, eine und eine halbe Stunde nordwestlich von Bosrä&. 


89. In der Moschee, nicht mehr am ursprünglichen Platze, ein- 


gemauert. 
EKTTPONOIACKOPNHA "Ex moovcias KopvnA ... 

EeyTy FEANOYTTICTWNKAIFE .. avov mIstWv anal Te.... 

XITE | EYNOMoYKACIOY a Eiveuov Kacıcu moovolyrwv?..... 6] 
KOINoCoIKOCEMETICAAAN\ zowvos olxos e[v] erı o?a (336 n.Chr.)-- 


Evruyxire. 


Dorf Sahwe, eine und eine halbe Stunde nordwestlich von Mu’arrabä; 
zum Unterschiede von gleichnamigen Ortschaften auch Sahwet el-Qamh 
(„das weizenreiche Sahwe”) genannt. 


90. An der äufsern Wand eines gewöhnlichen Hauses. Nicht mehr 
am ursprünglichen Platze und schwer zu lesen, weil flüchtig eingegraben. 
CEYHPOCALIAPOYHNKTICAC 
TOYTOTOMNHMIONENTW 
KOTWAVTOYKAIINOCOTOY 
TOMAIENDOCTCEAYTENAY 
TOKÄäÄIEKTICENICAIANHAWEEN 
NPAKAITOYTOAIAPBEPITOICTETWO 
ErHONY 
Zeungos ’A[S]Jagev A xriras | reüro To mmulov dv TB | nomw aurod nal "Ivos ö 
rouiteu aderdes EAuls]ev aulro zul EnTiITev nal avyAwsev |... #ui Tovro Ötapepı 


rols T|enva]/s "Ivov (?). 


Dorf e/-Mus£fire, zwischen Sahwe und No’&me. 


91. Hoch oben an einem Hause und mit Noth unterscheidbar; steht 
nicht am ursprünglichen Platze. 


N ANCETTOIHCENTON ... me]Aıs Emomge Tv 
OYKIOVCEOVHPOV „0... Alovziou Zeoungou 
QIAIAETTIMEAHTWN 2... 01a Emiuern|r av 

| YANAMOYNAEAHAOY .... 0]u "Avfa]uov [TavıyAcu 

LAICYMANONBAHIONX | ' mare ulelev Baucv (?) 

NWSOYEBRWOAOIOA| .... v[a]Scv Ofe]uev - - - 
OYOo TAC ONIDIANON — |, 4 SBeikerse ovc[v] ’Accundvov. 


002 


292 Werzstein: Ausgewählte griechische uud lateinische Inschriften, 


Stadt Edre‘ät (Adraha, ’A5&), das biblische Edre‘i. 
92. Uber einer Säule in der grofsen Gebetshalle (Ruwäg). Diese 
Halle besteht aus einigen achtzig Säulen, und wurde aus altem Material im 
Jahre 650 arabischer Aera von dem Fürsten (emir) Näsir ed-din ‘Otmän 


auf Befehl des syro-aegyptischen Königs Saladin gebaut. 


EIEEA® ‚, EisasS- 
EIEIIIEN € Em Q- 
TAOW yayı. 


93. Ebendaselbst über einer andern Säule. Die Inschrift steht auf 
einem Quadersteine, der mit anderem antiken Material die Bogen bildet, 
welche die Säulen verbinden. 


EY TY Eiru- 
xXWERH was mM 
TONI ort. 


Dorf Gharz, im Zedi-Thale, eine Stunde südlich von Edre‘ät. 


94. Das Bruchstück lag vor einem Hause. 


Teva Tavyp[?]- 
NOC vos 
CAOY Zaov- 
AOY deu 

Sr er(wv) - - 


Westlich von Edre’ät liegt ein gröfseres Gebäude, eine Art Mauso- 
leum, welches die „Ruhestätte der 40 Blutzeugen von Edre‘ät” heifst. 
Hundert Schritte östlich davon liegt ein Hügel von Säulen, Capitälern und 
anderem guten Baumaterial. Daran stöfst eine antike Necropolis, in der 
man eine Menge griechische Grabschriften ausgraben könnte, wenn man von 
der Pietät der Bewohner der Stadt nicht daran gehindert würde. Die folgen- 
den drei sind dort copirt worden. 

9. ONE -.-- 


HALOC nos 
ALOEA Mos«- 
PO acu 
cT [E]r(@v) 


ze &d]- 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 293 


9. DOYANANEN 


97. 


TINOC 

NECTO 

POCGER 
K 


'OYN 
EYN 
A®H 


OvaAev- 
Tivos 
Neorto- 
gos Er(wv) 
en. 


Oiv- 
EUV- 


ap. 


98. ImInnern eines Hauses (Edre‘ät); nicht mehr am ursprüngl. Platze. 


OCTEATI 
ZEINHCTA 
BEPKEOTW 
AEIVITYUBW 
CIAOYANOY 
ULENEOYNYA 
NATIYAKAIHC 
ONTOCKAI 
FAIAAACCAN 


\TOMEKAHR 


UNFATONTTYI 
MTOPYAWI 


’Orsrea [Er] 
[E]ewns r[ade] 
Öegneo TW- 

8° Evi rue, | 
Zırovavov 
nereev [Ar]V[e]- 
17 [r]u[e]rens. 
MevTos Kal 
yala daccav- 
70 ue nal To- 
[er]erev zÜfe] | 
--- üdu[g-- -- 


Die folgenden 2 Grabschriften wurden auf der Necropolis copirt, 
welche bei dem Grabmale des Negm ed-din el- Edre’äti liegt. 


99, >HNO 


Zuvoldwgols BavaSolu] | [E]r(&v) AR. 


AwPO 
CBAN 
AOOY 
CTAB! 


WUAPA 
ZEXHC 
ALPAI 
OYBOy 
ANEYTH 
ETN 


Magaldeyns |"Augailov Bovlasura[s]- | 


Er(wv) v. 


294 Werzsteın: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


Dorf Kutebe, eine halbe Stunde von der grofsen Ortschaft Chirbet el- 
Ghazäle entfernt, nördlich von Edre‘ät. 


401. Im Hause des Orts-Scheichs Gedr. Der Stein dient als Bank 


zum Sitzen. 


+EKTICO HHATF ’EurieSn N alyı)- 
EIKE EeIATTIP a Errele]ıa m9- 
ONOI AETAAA ovale] "Erara- 
MANoY TTIPEECB/ Kavou moe[&(uregou) 
XPON/N ETAYoF %,g0v(cıs) [Indietion] Er(ous) vo 


(muthmafslich 575 n. Chr.). 


Ortschaft Nächite, eine Stunde nordöstlich vom Kloster Salt bei Kutebe. 


102. An einem Hause, nicht am ursprünglichen Platze, eingemauert. 


®OAMAZIMOCWPAINAPIO KC 
CEZIAWNIKAM/INWONEKT CA 
ICENTOMN {HH ON/NITOCTTIKI P 
ULENONTTCINTEPWIA E/NNNNITT TC 
ATI/ KANMMCTANIHIT N ININTO A 


Yan human mm oO YNMNIOY 
51. Ma£ıucs dgdwagiols EE Wlı]lav x[aJu[er]uv enrlirev 76 mu[nuelov [za]i 7o(v) 
[e]riziluevov m[egın]regle]ü[ve - - - 


Ortschaft Dür, am Westrande des Zegd-Plateaus. 
103. Über einer Hausthüre, nicht am ursprünglichen Platze und 
stark verwittert. 

+ 8SAPOCBYPIAASNAHYNAAOINNHNAYTSEYISEIZIO 
AIWNKOTTWNEKTILANTON/NINAONTINY 
AFISAEONTISENETIYZINA NN 

Odagos [K]vgirrcu [xJa: [Kjufge]Arc[s 5] aürod vilos] EE io KomWv ExTıTav ToV 

v[a]ev r[oJö | ayicv Asovriev &v Erı vE we... (565 n. Chr.). 


104. Verkehrt über einer Hausthüre. 


HIN C A PO 
IONNOYhPOI Z.2 vielleicht Ze]eungev. 
NNNICEBEYCEB 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 295 


105. An der Aufsenseite eines grofsen sehr verwüsteten Gebäudes, 
das man die „Seiden-Niederlage (Chän el-harir)” nennt. Um diese Inschrift 
zu copiren, mufste man sich mit einem Seile die Wand hinaufziehen lassen. 


BIAPOCANEOYKTILCENTOMNHM / 
EzZIAIUNKAMATUNTENECAC 
MHAENOCAYTWTWNTTPOC 
HKONTWNCYNBAAAOME NW 
ENX PHMACINMHAENAEZOYO 

AZINTOYKT.HATOC 
TTAPOAITEEGMENTIAN TEC 
TOYBIOYKABYMAIHME6AKAI 

Biagos "Avcou [Elrrıcev 70 uvnuilov] |EE idiwv zauarwv rereras | undevos aurw rwv 

mooa nucvrwv ouv@arrousw (— cv)! iv yermarıw. undev[a] EEovailacıw roD... aros. 


Ilagoöire Eruev mayres | rov Picv zalı Alüuaı(?) AueSa zai - - - 


Negrän, Stadt im südlichen Zegd-Plateau. 


106. Am östlichen Thurme der Moschee, aber nicht mehr am ur- 
sprünglichen Orte. 


HCEPFTIOCCAMAABS!IW /AFAD\N NOPEPAOHC 


cos0oPr HNWNESI [(HTYXH) AIOINEKTI 
NAONT BATISHAA\ NO] AENETIYNH 

N ıl 
’Ayasy TUXN--. Zeoyıos ZanaaSev [rail] Nogeo@Ons | - - - Zoßognvav &E idıwv 


Enrılrav FoV] | vaov rev dyiov ’HAia &v Erı vvn..(vermuthlich 563 n. Chr.). 


107. Auf einem verschütteten Portale der Souterrains in den Rui- 
nen der östlichen Stadt. 


ee 
NOY 
1 


WKOAWMHLCANAAANNEIN 
NOITTATPIKWoEWIHIPAKAEI 
"Erous (Kaiserjahr) | örcdounsav Maven]|vo (vgl. ci «6 Bur4s Mavmvav C.1.G. 
45785, von einem Stein desselben Ortes) z[a]rgızw [9]. “Hofa]xRei. 


296 Werzstein: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


Städtchen Harrän in der Legä. 


108. Über dem Portale eines stattlichen Gebäudes, aber nicht an 
dessen Aufsenseite, sondern an der nach innen gekehrten Seite steht die 
erste Hälfte (a) der folgenden Inschrift, die andere Hälfte (d) liegt abge- 
brochen auf der Erde. 

a. b. 
KYPIAABOHNAAYPHAIOITEPEN TIANOCKAIG 
[T}] xugie "ASnv& AdgmAıo[e] Tegevirıavos zai-- Vgl. n. 16. 

109. In derselben Ruine; es scheint ursprünglich der Architray des 
Hauptportals gewesen zu sein, jetzt ist es die Unterschwelle desselben, und 
es ist zu vermuthen, dafs man diese Änderung machte zur Zeit, als man den 
Tempel in eine Kirche verwandelte. Die Oberschwelle bildet jetzt die fol- 
gende (No. 110) Inschrift. 

YTTEPCWTHPIACTWNKYPIWNA 
CETTCEOYHPOYKAIANTWNEINoY 
K///II III III IVNIWNAYTOYIIOYAON 
N/UNSOBETOYCIZI/I/////IIIIIIHTIANOY 
MINMMMICEBB TE ZMIIIIIN M € C 
CENATAUYCOYAAN/TIIIITIIITTT III TI III 
Z.3 zu Anfang ist der Name des Geta absichtlich getilgt. Die Inschrift gehört 
zwischen die Jahre 196, in welchem Caracalla den Namen M. Aurelius An- 
toninus erhielt, und 211, das Todesjahr des Severus. In diese Zeit fällt 
das 17. Regierungsjahr desselben (209), welches Z.4 gemeint zu sein scheint. 


110. Siehe n. 109. Es ist die einzige Inschrift, auf welcher das 
Griechische zugleich mit einer semitischen Übersetzung (?) vorkommt. 


IIICAPAHAOCTANE UBS bıo'l Ya als zypaywLr 
DYAAPXSEKTICENTOMAPTS Yauzay x, yıdıs a y_uu) 
B-AW2] sa 


TSAFISIWANNSINASATSETSCVZFTÄUHNHCOIEOFPAHAC + 


Zagandos Tarzuov - - | PUrapy (es) Errioev TO nagr(vprov) | rei &yiov Iwavvou ind. 
@ rev Erous uEy. wneS[f] 6 ygaıbas. Vom Jahre 568 unserer Zeitrechnung. 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 297 


411. Uber dem Portale einer der vorhergenannten benachbarten 
Ruine. Die Inschrift steht an ihrer ursprünglichen Stelle. 
ANTITTOAAHCEYXAPICTIAC 
NON KEUNHUHCTTPONOIAULAÄZIHOYOFEZOY 
INA|IKAIHAYIXABOYKEALLIEPOYKETTPICKOY 
T |JAIOIKHTWNETEAECOHTOAHNOCION 
TTANAOXIONETOYCCIBTHCBOCTTIH 
"Avri moAAds euyagırrias | re mununs mwgoveie Ma&ınov "Oysgou | za Mafa]yeSev ne 
"Anegou ne IIgiozou droıunrav EreierIn To Onlulorıov | Favdoxiev Erous 8 is 
Boo[r]enjv&v id. t. Vom Jahre 397 n. Chr. 
412. Über einem Fenster, welches sich oberhalb des vorher (N. 111) 
genannten Portales befindet. 
AATTEYXAPICTIACKAIUNHMHC 
TTPONOFOPETTOYAYMOYKEOAAPA 
NNBACOYKAAMEPOYOYABHAOY 
KAIANAMOYMAPKIANOYAIOIKH 
TWNEYEAECBOHTOKOINONTTOA!N 
AOXIONIIYAIAETOYCCPBTHCETTAPXIOY 
Alvri] eüxapırrias war mununs | mgovolie] “"Perev Auuev ne "Odaga | - - - Pfe]rov 
xa[i] "Anegou OvaßyAcu | zaı Avanev Magxıavou diorun|rwv elr]erer-9n 70 nowev v[a)v! 
doytov ivd. 1a Ereus o[1]® is Eragyılas]. Von demselben Jahre. 


> 


Ortschaft el-Gren, eine Stunde von Harrän. Verödet. 


413. An der Aufsenseite einer muthmafslichen Kirche; doch ist die 
Inschrift nicht an ihrer ursprünglichen Stelle. 


IITOKYNONTPAINHC UAZIUOCN 
BEPNIKIANOOVAAAAN BEPNIKIAN| 
AXKOVCAUWVEICE OV AMEPOCA / 
NIAPOCHPOAOV en 

c 


APAOCOVITAAIOV CVUAXO 


To zuvev Tgaivns Ma£ınos T’--- - 
Begviziavc[s - - Begvixıav[os .-- 
Ayuraumv Eireou "Anegos ’A---- 
Ni[y]eos “Ho[z]dev Hocxrc[s - - - - 
"Agdos OviraAicu Sun[a]xos - - - - 


Philos.-histor. Kl. 1863. Pp 


298 Werzstein: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


114. Auf einem Architrav, der in der Nähe der Kirche auf einem 
Trümmerhaufen liegt. 


ETOYCHUAKVPIOV 
TOK|OINONAFPAINHOETTCHHCENOWAYMOYAIAAVP/I 


TTAATIWNOCBAPBAPOVIAFTATTOVNOVXAIPANO/NIIINN 
lIEPOTAMEWN 
"Erous ı@ nupiou [Kaicagos "Are£avobeu] | 0 xcıvov "Aygaivn[s] erlainrev Owauucv 
dia Ad. | HA@rwvos Bag@agou [zai K]areuveu Xaugavelv] | iegoranfı]ov. 
Der Name des Kaisers ist absichtlich zerstört und aus n. 116 zu ergänzen. 
Das elfte Jahr seiner Regierung trifft auf 232 nach Chr. Owavuou oder 
@gwavucu n. 116 scheint Name einer Gottheit. 


115. Im Innern der Kirche. Die Inschrift steht an einer Seite des 
quadraten Unterbaues eines Bogens; nur das letzte Wort (TTITTA) steht um 
die Ecke an der andern Seite des Quadrats. 


TOKPINONKW.LLH To xowov awuM- 
CAFTPAINHC 5 "Aygaivns 
ETTOIHCENE Eromoev &- 
TTIULEAIAGIAI miuerie Bii- 
TITTOYFABAAOY mrou [T]aparou 
KAITIBEPNOVAFV TITITTA Hal Tıßeg[?]ev "Aylgr]ra. 


4416. Über einem Nebenportale desselben Gebäudes. 


ETPVEERTEISERGE CAR Dali let „Eike 

ANE "AI \P VTOKVNONATPAINHC V 

HCENBOPWAYUOVAITTAATWNOC 
KAIABOVNOY 


"Ereus ı9 (233 n. Chr.) augiov Katragos - -| "Are[ZJe[völe[o]u 70 xuvov "Aygalvns 
Emilneev Opwaruev dla] TMarwves | xal ’Aßovvev. Die beabsichtigte Tilgung 
des Namens ist zufällig in unvollkommener Weise zur Ausführung gebracht. 


417. In demselben Gebäude auf einem Bogenuntersetzer. 


IAAAÄLOC "Idauos 
AU eEp/lilii ”Aneol[ou] 
ANEOHI aveSn[e]- 


EHBEWIN ev Yen - 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 399 


Stadt Dämä, im Centrum der Legdä. Verödet. 


118. An einemHause; scheint an seinem ursprünglichen Orte zu stehen. 
EICOBEWCD 
TA BWHBEOGSTOBEI 
APA |HEICTHNOIKOAOUHN 
OH HNIEKEZIAIONOIKOAOLUHC [EN 
KHOBOBECACEICTHNOIKOA | OU 
BOH| BHCHKECTOVCFTALULoYC HN 


Es 6 Seus W|ABunSv Toßerin eis Av oinodewnv,|Avlr]e[e] E£ idiov oinodaunser- 
un 6 BoSeras eis ryv oinodoun BonSnen #(E) Es ToUs Yanous. Tadoa9y. Die 
Beziehung des letzten Namens zum Vorhergehenden ist nicht ganz deutlich. 

119. Diese Inschrift steht über einem mit Weinlaub- und Trauben- 
sculptur ganz bedeckten Portale. Sie ist eine der äufserst seltenen, die 
nicht ein- sondern ausgehauen (d. h. erhaben) ist. Ich copirte sie auf den 
Schultern eines Menschen stehend. Sie ist schwer zu lesen. 


BEE AlSv& [ri »[ulle- 
TANNHAOC U |OHK &] "AvvnAcs M- 
OAIOPOY:TOTTP| EN owigeu [7] ze- 
OTTAONANE om[vr]ov ave- Inner. 


Dorf Mebnä ’l-Bet, in der Legä. Verödet. 


120. In einer kleinen Kirche stand auf einem Bogen: 


BFAAOYCA Tadeu[os] Ze- 
BAOYTTIPO Baov m90- 
COOPATON adog& Tov 
KAMAPON nauagov 
TOTON ro[u]rov - - - 
121. Auf einem Opferstocke in derselben Kirche. 
AMEP "Anep- 
OCCO 05 3o- 
NKLLOM Auncu 
EIBOE Ero[n]- 
CEN ce. 


300 Werzsteın: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


Ortschaft Rime, in der südlichen Legä. Bewohnt. 

122. Über einer Hausthüre, nicht mehr am ursprünglichen Orte. 
IULIUS CAN 
AIAUS VETPA 
NUS EXAUP 
LUAL. APUM 

123. Das Bruchstück ist als Mauerstein in ein Bauernhaus eingefügt. 

HETOMETIKRVPO "Erzus yı »velilo[v - -, 


TAPOAEYCANTOC vielleicht des Alexander Severus. 
KOUHTWNYTTOFC 


Dorf Murduk, am nördlichen Abfalle des Haurangebirges; es hat viele 


Ruinen. 


494. Die zwei Bruchstücke sind an verschiedenen Stellen in die 
Mauer eines neueren Hauses eingesetzt. 


EANHOKYF) IC$HYNAZMONING 
ECMATH YIHCENOOYAACLN 


’Eav un ö »vol:]os pu[a]a£n vor, |&s uarn[v yeluzvnaev ö purascwv. Psalm 127, 1. 


125. Über der Hausthüre der Scheich-Wohnung. Die Inschrift ist 


von einem Kranze umgeben. Nicht mehr am ursprünglichen Orte. 


ZEYANI ZeÜ @i- 
KHTEYYOY unts, uou 
OYPANIN cügavıy 
TONEY ToVv EÜ- 
CEBHN veßHr. 


Stadt Schaggä im Osten der Zegä. Bewohnt. 


426. Über einem Bauernhause, nicht mehr an der ursprünglichen Stelle. 


ANOYNOC 9% ’Avouvos 
ONYZBIODZITE Ovgou IIs- 


TPNOC roulos. 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 301 


127. An der Wand eines Bauernhauses (der Besitzer heifst Adbü 
negm). Scheint vollständig zu sein. 

VANAUOCKAICAAAUANHTK [F]avanos zai Sarauayns x- 
AIOAENABHKNBALLAPHFYNEKW «ai "OdevaSy x[«i] Oanagn yuverles] 
NYIWONOCECOYTOLLNHLLA [e]e[r]av [errırav] 70 puAue. 

128. An demselben Hause. Über der Schrift scheint Sculptur ge- 
wesen zu sein. 

XAIAOCZABAOYEYCEBWNEZIAIWN 
THNTIYAHNANHFTEIOENAÄIIUEACTW 
Xairos Zaßdov surelwv eE idwv | Av FURnV Gvnysı[o]ev Au neyiorw. 

129. Die drei folgenden Inschriften stehen an ihrer ursprünglichen 
Stelle, einem Mausoleum, 1, Stunde aufserhalb der Stadt (gegen Norden). 
Das Mausoleum ist wie meistens im Haurän ein niedriges viereckiges Gebäude 
mit einer Thüre ohne Fenster. Die drei Inschriften sind in einer Reihe an 
der südlichen Seite des Gebäudes in die Mauer gefügt. Sie standen hoch 
genug, um das Lesen etwas zu erschweren. 

a. 
BACCOCEHCTIATPHCNEFTAKYAEOC 
ATAAONOMHATEKCYPETEPOYKA 
MATOIOTEWTTONIHCTEMCAEI 
NENTOITAYTWITTAIAECCIOO 
MWCKEANHTEFTYNAIKITMNHHT 
AFTANONBOYAAICIAAEIZWOIOBEOIO 
THPAAEOYCTTANTACMAAAAETZO 
WAITEYTANEKACTOCTTEPMATTO 
TICBE TERO:N BIO TH CTTETT RIW. ME 
NONEAOBHTEYTYXIBACCE —— 
ETENECOHETOYCTHCTOATOA 

Barsos &95 marens ueyanvdeos ayAaov ouua 
En ObETEgoU nanaroıo yewmoving TE WM Edernev 
o 7’ aira madsrei I’ suis nedın TE yuvamı 
uviu’ ayavov- QcvAaisı 8° deıdwero Seoio 
Yngadscus Tavras nara deFonan, eur” av EnaTros 
regua mori oberepov Rıorns merpwievov EASY. 
Eirixı, Barsce. Ereres9n Erous ns miAlews) 5& (vielleicht 176 n. Chr.). 


302 Werzsteın: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


b. 
AYTWKAITEKEECIKAIHTI 
NYTHUEFYNAIKITIZIAIWN 
KTEANWNTTOAAATTONHCA 
MENOC-BACCOCT.YMBONE 
TEYZENEBICOHENECEPMATIO 
AHOC”ONBABYTHPACEAOI 
TEKNATETHBEOMENONTAY 
TAPYTTEPBOENEIOTTENA 
CIKAAONEAEIMENTKOCMOY 
THAEPANHTTYPFTONAPITTPE 
TEOC-— 

Alto nal reneeocı nal f mivury ME Yuvalı 
EE idw areavuv FOAAR MOVNTaEvos 
Bascos rUußov Ereufev, EgıoIeves Egum moANgs, 
ev Bası yigas EAoı TERVa TE yySouevor. 
aurap UmegIev e[u]eio refar]ları varov Ederuev 
noruou TnAsbavl mUgyov ügımpemeos. 

Vgl. n. 102. 

6 
BACCOCABOYPIOIOTTONHCA 
TOTOICATAOOICMEN-XAP 
MATATOICAEKAKOICEYPH 
MENOCOAYNAC-AAAA 
MINTTAIAACTEEOYCKAIAI 
AOIHNTTAPAKOITIN-AEXE 
OFTHPACHNTOCEAAWCTTO 
TNIANYM®H-KAIYYXAC 
TTPOYTTEMTTEOOIZENBOCPA 
AAMANOYC-XMFT-40- 

Baccos "Aßovgioo TevNTaTo Tols Ayadois MeV 
Kaguara, reis O8 nancls eüp[a]uevos? öduvas. 

ara pw maldus Te Eols nal aldem mapanoırıy 
dex,eo yneas[av]r[e]s £[s] "Aı[dov], Torvia vuuon, 
ar [V]uxas MEOUMEUTE, 09 Ele]JvSös “PadanavSus. 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 303 


In diesen letzten Versen sinkt offenbar die Kraft des Verfassers oder seine 
Ausdauer und er macht sich vielfacher metrischer und sogar grammatischer 
(rgovreure) Verstöfse schuldig. Was die hinter dem Schlusse folgenden 
Zeichen bedeuten mögen, ist schwer zu sagen. 

C.1.G. 4598. 99. Die zweite ist von Burckhardt unvollständig, die 
dritte gar nicht abgeschrieben worden. 


130. An einem Bauernhause als Mauerstein. Nicht an der ursprüng- 
lichen Stelle. 


OBAOBOC "OßAoIos 
AUCPnV-AY "Aufelo[o]v [e]ev- 
TOKN\ITE 70 [a] rE- 
KNOIWTOIHCEN avols Em]eimser. 
131. Desgleichen. 
TOBAI Teßaı- 
AOHBE aSm Be- 
PPOY ggoev. 


132. Auf dem Dache eines Hauses. Nicht an der ursprünglichen Stelle. 


AATVNTIMCHTVVNTITICVC 
BVNICIEPOIESTATISPATI/IN 
PRESTITVTORORPISNIM/ 


133. Über dem Fenster eines besseren antiken Gebäudes, wahr- 
scheinlich am ursprünglichen Orte. Die beiden Inschriften stehen neben 
einander auf zwei Steinen. 


a. b. 
+COEA-WCKBICABAOC TEeKTICANATTOINONXP 
TEKNAIWANOVMICACOV EMATOIIEIPAGIXE 
EKTICANTOCTABAONSTEPIKAIN PICEOFTISTONHICS — 

ONINA,TETOCPO:N+ CAAOHCEPABHAETHT 
PATTEVTTIOC 
Zoedus nal Saßass, Der zweite Stein verstattet in dem 
rerva Iwavcv Mirarev, durch die Abschrift dargestellten 
Eurısav ro aralrov (ra) reginrw- Zustande keine zusammenhängende 


ov ivd. 5 Erolu)s ©.. Lesung. 


304 Werzstein: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


134. 435. Zwei Grabsteine, die unter den Trümmern eines Pala- 
stes vor der Stadt liegen. 


ANOYN °Avouv- AOYEI "Aouel- 

OLUOK os Mox- AOC das 

EIULOY eiucu PAB ‘Paß- 
ET &r(öv) BI-IA Bra- 
KE xE. OY o[v]- 


136. An der westlichen Mauer des genannten Gebäudes; stand auch 
ursprünglich dort. 


ALACAXOCCAYEIOY Mesay,os Zavsıov 
OIKOAOAULHCEN oinodeungev 
KATEYXHNTEKNWN KAT’ EÜXNV TERVW. 


137. Auf dem mit geschmackvoller Sculptur geschmückten Archi- 
trave des Portals dieses Gebäudes. 
TPOZIAU N" LAPTTET TOREN 
TOYTOTOETICTOIAIONKAIOX 
AOYFTENOULENOYTHCK 
WUHCENTWEBEATPW 
110 2 idüv Mag(riwv) memrwnev | reuro Te Emınroimiov nal ox|Acu Yevonevou Täs 
»|uuns &v © Seargw. Doch schwerlich vollständig. 
138. Im Innern der Stadt. An der Wand eines niedrigen Thurmes, 
der zu dem daneben liegenden Hause gehört. 


TTPEIEKOY Ilgeir neu 
= AB AONY Zaßacv. 
139. An der Wand eines Privathauses aus anlikem Material später 
eingesetzt. 

AETTOAOYHAETEAFTNOY 2... din]asmorou AdE TE dryvov 
OLAPITTPETTEOLKAIAKOoLMOo | ... avög]os ügımoemeos xa[r]a zoruc(v) 
AOLFLAEOIABOHONAIEI 2.2.0606 dE ol apO[ır]ov aicı 
IMAAAKAITTOAEIELAAAAL „0... HAAQ Hal moAsıs aAAas 
MHEXAPINYTTATEIHETE ... Te]ufs Xapıv Umareıng TE 


OYTEYTYXITWNKOAWNIA| ....ou. Eiruyirw A xoAwvia. 


Z.6 kann das N in EYTYXITWN auch als H gelesen werden. Dafs 
Schagga Kolonie gewesen, scheint sonst nicht überliefert zu sein. 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 305 


Nimre auf dem Haurangebirge, eine Stunde südwestlich von Tafcha. 
Es hat viele Spuren von römischem Alterthum. 


140. Sehr schöne Inschrift, in die Mauer eines späteren Bauernhau- 
ses eingesetzt. 


BACEEOEEISPROY Bascos ZiSgou, 
VYVUNDOEEOPOY viwvos Zogov 
ALOYAAANOY ’Arcvadavcv, 
OIKOAOMHLEN oinodoungev 
AIABAIMOYFTOMOY dia @uiuov T'ouev. 


141. An dem Palaste der Badequelle (gasr ain el-hammäm) am 
Abhange des Wädi ain es-sahle bei Nimre. Die Inschrift ist durch- 
weg mit harten Lichenen bedeckt. 


EIKAYECEMI II II II II I I THICH I 1 I I I VPOTETOIO !! I 1 I U ITTIIOY 
TWNAIIOKBIICHNOoYTWNIIOTEFEINLIMENHI 
MIAIONHAETYXHCIEPONANAOIIMAMABENTWN 
HIKENWNNCOPOCHAHNGECANENNAETAI 
ANTEYEPFTECIHCPFAUAPHCIOIAFTXITTMWN 
IHAAAMINEKFAIHCTTOAAONATTEKPEMACEN 
ACIYAN\TAAAOBENAAAATTAAAIBBOIHENWNCYHAFTCIPAC 
EIIPEYAMENCENBEIWNONKIFAPANPOFONOYC 
OIKOYYTTEPNEATOIOYDBAYIAATHNAIOAIHAHC 
AYCONIWNMOYCHFTYYINOOYTTPYTANIC< 

1 WE AN mJeore[g]oro BER En 

rav alm]ö....nvoi, rau [m]or’ Eysıloa Juev[wv] 

pirov (?) Ade Tuyns iegcv awas[n]u alvJaSevruv, 

nel ]vwv [A] egos 90°, Av Serav Evv[aleraı 

avr’ elepyerims [Nenapyrıcı ayxı m[ura]wv. 

[@]ara uw Er yams moAAoV ümenpenarev 

Alsjıbav[a] 7° @AroIev ara rar[alı PSı[u]evuv ou[vJayl[e]ioas 

(Teguavos) ? 9]9eıwv S[a]re [m]aga Fooyovous 

oirov Umso vearon ih’ aıda, ryv Aro[u]ndns 

Adroviwv Moucn Joe], Vesu mgUravıs. 

Z. 8 zu Anfang scheinen die Buchstaben € PA aus der vorhergehenden Zeile 
durch ein Versehen hineingerathen zu sein, wodurch eine einigermafsen 


Philos.- histor. Kl. 1863. Qq 


306 Werzsteiın: Ausgewählte griechische und lateinische Inschri ‚ften, 


sichere Lesung des Namens unmöglich wird. Was nirıov Z. 3 zu Anfang 
bedeuten mag, ist unklar. In der vorhergehenden Zeile liefse sich auch 
more yewautvwv lesen, wenn dies einen erdenklichen Sinn gäbe. 


142. In einem Kloster im Wädiain es-sahle, fünf Minuten vom 
Palaste der Badequelle entfernt, an der ursprünglichen Stelle. 
EKTTPONOIACTWNAIOIEH ’Exr mgovoLaS rav daı[x]n- 
TWVTWVEXATWNOIAAZAO Tav (av) ’Exal[gev za]ı ’Alr]aras- 
OVKECABAOYKEKAwANOV ov ne Zaßacsu ze Karıavov 
KEHAOBEOYEKNCONHNOMH ze ’HdoScw Erco[unon - - - - ? 
Das zweite r@v Z.2 scheint irrthümlich wiederholt. Statt ’HdoSeov (EidoSeev) 
dürfte [Tıu]eSecv zu vermuthen sein. 


143. Im Hofe eines Bauernhauses liegend. 


CONO ZIovo- 

MAOH ua 

MOFTN Moyv- 

IOYET koU ET- 

WNK av nd. 
A 


444. In der Hinterwand der Kirche zu Nimre. Nicht mehr am ur- 
sprünglichen Platze. 


HAOYEKTWNEIAI 2... NAoU Er Tav Eidl- 

WNANEOHKEN [uv zauer]uv aveSnxer 

ICBAHNOEPYA [erıskoreus]ns Banvav? QuR- 
HC NS. 

145. An derSeitenwand der erwähnten Kirche verkehrt eingemauert. 
ETTITHOIKONOXIA ’Eri 77 oixovouie 
TTPICKOYKAIANATO Igirrou za "Avaro- 
AIOYTWNAHTAPHC Alov TWv "Aurapns 
EITICBHOTTEPICTE elx]rir9n 6 meurre- 

PEWN gewv. 


146. In der Nähe des Gastzimmers (menzül) der Ortschaft auf der 
Erde liegend. An drei Seiten abgebrochen. 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 307 


 EVYAAIMWNEMEMANXOTOL 
MAIOPOCEICATOTYMBONT 
HCIAIOKTHTOYMNHMATTAI 
NEYTYXIHCHUITEACCAENI 
TWNEAAXENUOPONAYTUI/N 
KAAYIOELLAIWPKPHTTEI D 

NEercvoc 

Eidainwv Zus MaAy,os ö | Maiogos eisaro runßov 

ans idionryrov uynua malveuruyins. 

äurer[e]ls [0] Aulmav EAaxev mögov- aurilza 0° viels] 


Maiwo nonrei[da - - --- - 


147. In der Wand eines Bauernhauses als Mauerstein eingesetzt. 


TCAIBEOYTOMN SEN 
NWLEIONLUAP nuelov: Mag- 
KIANOCYIOCETT. nıavos vios Er(eineev). 


Dorf Radäme (ursprünglich Rude&me) nordöstlich von Nimre. 
148. Die Inschrift liegt mitten im Dorfe auf der Erde. Es scheint 
an der abgebrochenen Seite sehr wenig zu fehlen. 


\ZUENOCXIAWN - - Quevos XıAwv- 
KEAIOULHAHCAAEN [os] x& Arundus ader- 
OCYIONCOAEAAOH [9]0s, vio[i] Zoreua9n- 


TWNIAIONOIKOA [5 &] av idlw]v oixcd- 
ALHCANOAPCITEKE [oJunsev. Basrı, rerlv]- 
VAICAOANIATOC [ov, o]Jüdis asavaros. 


Dorf Gen£ne (urspr. Gun£ne) westlich von Rademe, östlich von Saggä. 
149. Die Inschrift ist im Gastzimmer eines Bauernhauses angebracht. 
Sie steht nicht mehr an ihrem ursprünglichen Platze. 


ITOUTOMNHMA Tedro (r}) nina 

|EKTICANMOYNA errırav Mouva- 

ITIOCHAEAFTPIT! rıos Moe Aygz[r]- 

| KCYIOIKAAYAIAI [a]s, viel Krauda[v]- 
II OYTTPATUATIKOIHAEAIKAIOI od, Tpaynarınaı r0E []izaucı. 


Qg2 


308 Werzstein: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


150. In der Mitte des Dorfes liegend auf einer freien Stelle, die mit 


einem antiken Pflaster bedeckt ist. 


Daneben erheben sich die hohen Bogen 


eines grolsen zerstörten Gebäudes. Die unleserliche Stelle ist absichtlich getilgt. 


ETENETOHBACCIAIKH 
TTIPONOIAABIBOYACMOY 


HN" AASLOYCANOYKAI 


CEOYHPOYAAEZANAPOY 
KAIPABHAOFELLULEFANOYC 


Eyevero 4 Bas(e)ıran 
mooveie "AßıBov "Arusv(?) 
[za Allaauov Za[Qa]ev za 
Zeoungou "Arekavddou 

xal "PaßyAcu "Euusyavov. 


151. Ganz nahe bei der vorigen Inschrift liegt ein grofser Architrav 


mit folgender Inschrift. 


HIV T* + PO/ /IIMONEBOHKONTOC/ TI KWOLHC-HACHC 
EKTTPONOIACKAICNOYAHCHMIWTATWNAIOIKHTUN 
OAYMTTIOYZABINIANOYAFPITITTOYTECWTTATPOY 
AWCIBEOYEYNOLLOYKAIAWCIBEOYCALLEBOYYIOY 
TOYTOYCTTANYCTTOYAAIOYCKWAULHCETTEAEZATOAHLLOC 
[To]örfo ro #]oo[zur]ov EeSnn[e]y 70 [xowov ns] AWUNG - - - - 


3 ‚ = ’ nm 
[2,4 MOIVOLaS zal Groudns TUIMWTATWV dloıunrav 


’Orvuriw [E]aAwı[a]veu "Aygimmou [x]e Zwrargou 


’ LEW A ’ ’ eu 
AuwrıSeov Eivouov za Awrıdeov ZaueSov viou. 


[# ’ B ’ > ’ m 
TOUTOUS TAvu TTovdeious KWuNg EmeAe£aro nos. 


Dorf Bthene (ursprünglich Buthene), 2 St. nördlich von Genöne, 1%, Stunde 
östlich von Hit und Hajät. Die Ortschaft hat nicht über 18 Häuser, 
und war zu keiner Zeit gröfser. 

152. Die Inschrift ist verkehrt in der Wand eines Gebäudes, das an 
einen der 2 Thürme des Ortes stöfst, eingesetzt. Am Schlusse der 3. und 
4. Zeile fehlt nichts. Vgl. Porter Five years in Damascus. II, 54. n. 1. 


POCTTACIBEIAOVONE 


NOCABIBOVANA 
UOCTAVTOVZOBE 
ABOCNATAMEAOYTTI 
CTOIANETEIPAN 
TOTVXIoNCK 
TOTHCKW INH Ill 


AYCOCTAVTOVOEO 


Aucos Taurou, Oeo[dw]- 
gos Harıbsireu, "Ovs- 
vos "Alıßov, "Ava- 

nos Taurou, Zoße- 

dos NarausAov Ti- 
orte üuln]yeıgav 

70 ruxiov [dr 

[av] ns zw[u]n[s]- 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 309 


153. Über einer Thüre im Hofe eines Hauses. Nicht mehr am 
ursprünglichen Platze. 


TPoNoIAFTAAOYO Ilgoveiz Tadevo[v] 

KAIULONIULOY #aı Moviuou 

TICTWNANENE TIOTUV Aveve- 
W6&H WIN. 


Ortschaft Zähitha, am Ostrande der Legä. Die Ortschaft hat viel antikes 
Material und grofsartige unterirdische auf Bogen stehende Wasserreservoirs, 
die jeden Winter aus dem Luwä-Flusse gefüllt werden. 

154. Die Inschrift ist nicht mehr an ihrem ursprünglichen Platze in 
eine Hofwand eingemauert. 
HMHNTTOTENEOCEVTTAOKEUOCAAO |NIOMO.. 
AYTAPETTITAXAAETITO/FTHPACUEEAA|MAC O.. 
KYPTONHAEANAAKINKEBAAHCAETPI|XACEM 
KW®ONAMBAYWTTO/IAONHACESE TIIUNM] 
CIMIAEOFTPAYACCTHOIAOHKONTABIO | CTIC 
OYEPAIANOEYLAZIMOYWMNHMHCENEEK | ENET 
TTANTWNAEPBINETEAOCBANATOCKA|BYEOC 
TTAOYTOYTENIHCAAOFWNTEKAIANA|P{ON 
"Huny more veos, eumAön[a]uos......... 
aurap Erıra xarero[v] yigas ne E[da]uarfer], 
nupröv HÖFE avanır, nebarns Ö8 TOIY,aS [@rere] 
nwoev, außAuwmolv, ö]dev[r]as &fer[nke]. 
[e]int && 6 yoaıbas [elrn ely]denzovr« Bıo[is] rıs (?) 
-- Osgdiavos Ma£iuev. mununs evexev Er[ereoe]. 
mavrwv Ök, DIAE, TEAOS Savaros xa|:] QuSss, 
mAoureu, [m]evins, AAoyuv TE nal avdolim]r. 
155. In ein verfallenes Haus (nicht mehr am ursprünglichen Platze) 


eingemauert. 
TABOCCAAN Taßos Zar- 
MOYKAIANA nov al "Ava- 
UOCAAEAPBOC Mos @deAbos 
OIKOAOMHCAN oinodounrav 


THNOVPAN rhv Sugar. 


310 Werzstein: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


Ortschaft Had Er (nach anderer Aussprache Hadar), am Ostrande der Legä, 
nördlich von Zähitha. Der Ort ist gut gebaut und gut conservirt. An vielen 
Ecken der Strafsen haben die Balkone Schiefsscharten. Verödet. 

156. Über der Thüre einer verfallenen Moschee; nicht am ur- 
sprünglichen Platze. 
AFTAOHTYXHOYIBPOCA 
ANUOYOKOAOMHCEN TO 
TATPIKAPIWAAEAPW 
WLOYAAPKEAAOY 
"Aya9y run. OviSgos "Alö[SJev [#]xedennge 
7o | vargı xalı 7]% adeRbD | mov MagxerAcv (für -w). 
Z. 4 ist vom Concipienten vergessen worden, dafs Z. 2 nicht Wrodound«, 
sondern @xodounnev gesagt war. 


Städtchen Dekir, am Ostrande der Legä. In dem Theile der Ortschaft, der 
an der östlichen Seite des Zuwa-Wadi’s liegt, sind die Ruinen eines alten 
schönen Tempels. Verödet. 

457. Auf einem Steine, der in der Moschee liegt. Die Moschee 
selbst ist aus antikem Material roh zusammengesetzt. 


|PABBRNoC] “PaßuAos 
TAUTEINO Tavfg]ewo- 
VETWN U Erwv 
IIND CA [&ix]ocı ? 


Ortschaft Chulchula, am Östrande der Legä nördlich von Dekir. Verödet. 
158. In der Mauer einer Moschee, die aus altem Material roh autf- 
gebaut ist. 


BEOMNHCTOCAIAAM @souvnrros Aldau- 
OYoKAIBAIMOCBO ov 5 zal @niuos Bo- 
YAKAITAYTOCAAEAB vA(evrys) za Tauros adeAd- 
OCOTTTIONAEFTETOI 05, ömriov Asıy(eWvos), Eroi- 
HCANTOHPWION nrav TO AgWer. 


159. Im Innern der genannten Moschee als Baustein in die Mauer 
gesetzt. Nicht mehr am ursprünglichen Orte. 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 311 


ENBOAAIETON 
TTACHCIKEKAC 
WENONATAA 
IHCINEIAEB 

BONOCAVNA 

TINUHTIKAI 
OVKEBEAW HN 


’EvSade rov | masısı nenas|[u]evov 
ayfr]alnsıw 
re BSovos(?)..... al | oUn EIERuv. 


Dorf Hazm am Östrande der Legä. Verödet. 


160. Im Hofe einer Kirche, die drei schlanke aber einfache Basalt- 
(Dolerit-) Säulen hatte, lag folgende Inschrift. Aufser der unleserlichen 


Stelle scheint nichts zu fehlen. 
ÖPHTPAAABAOHNWN*TF 


IT 
KOINOVAYTWNETTOIHCA/INIIIII 
EBEIACXAP!IITHKPFTFIAANCY 


NWBWLUW 


donroa (?) [AJaSa[Snvav [ee 7[oü] 
newvev aürwv Eroimoa|v eüc]- 

eßsias xagw av zen[m]iöfe]v Fü- 

v ro Auua. 


Mismie (&awn), Stadt am Nordrande der Leg@. Verödet, und mehr 
zerstört als die übrigen hauranischen Städte. 


161. Auf einem Statuenuntersetzer im Innern des römischen Tem- 


pels. Die ersten drei Zeilen sind mit dem Spitzhammer fast bis zur Unleser- 


lichkeit getilgt. 
TTENOYCI®ACYAH 
MONXANEFIC 
®APBIP 
POYCTIKOC 
GC GWIREA S,P,OY 
®AINHCIOC 
TONBINHKICEPTETH 


Ie[r]evsi[ev E]udn- 

pov X(ıapyov) Aey(ewvcs) ı5 
BA(asvias) Bip(uns) 
“Pourriros 

Zuwrargov 

Gawnrıos 

rov di[Acv zei eü]egyern[v]. 


Dieselbe Person C.I. G. 4543 und 4601. 


162. Auf dem Fufsgestelle der dritten noch stehenden Säule des 
Portikus. Die Inschrift ist schlecht eingegraben, und es scheinen noch an- 
dere aber nicht erkennbare Buchstaben darunter zu stehen. 


IMHTPIOYBOY 
OYTOYKAIN 


[Ar ]anrgtev Bev- 
[Asluroü zai - - - 


312 Werzstein: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


163. Unterhalb des Simses der Tempelfacade läuft eine zweizeilige 
Inschrift von der einen Ecke des Gebäudes bis zur andern. Da sie sehr hoch 
steht, kann sie leicht dem Beschauer entgehen, auch ist sie wegen vorsprin- 
gender Capitäler nicht durchgängig zu lesen. Sie ist die Hauptinschrift des 
Tempels, der Gröfse ihrer Buchstaben nach zu urtheilen. Von der ersten 
Zeile ist nur das erste Fünftel von der zweiten noch weniger zu erkennen, 
obschon das Ganze gut erhalten. 


WUNNEINOYCEBAPMENIAKOYTTAPOBIKO Y NIIT] 
KYPINANOYSAETT A AAIDINNIINIIIIIIITTTEEIITIIIIINDNTTNIITITERIIEERUNNN INN 
....M. AlgnAlev "Avrwv]ewvov Zeß(arred) "Aguevianei, TapIızcd - -- Kugwalär]ev 
YuRıapyev) Aeyleüvos) [y] Tarrlızys -- Aus der Zeit zwischen den Jahren 
166, in dem M. Aurelius den Titel Parthicus annahm, und 180 n. Chr., 

seinem Todesjahre. 


164. Über dem Portale eines antiken Gebäudes, aber unsicher ob 
am ursprünglichen Platze, steht folgende Inschrift. 


YTTEPCWTHPIACKAINEIK.AYTOKPAT. 
KAICAPOCMAYPHA {III INN NN 
ANTWNEINOYCEBEYEBEYTYXOYCE 
FTEAOYIOCMAPIANOC > AEFTFIH II 
TONNAONZSKAITOATAAM MER 
TONIAIWNANEOHKEN % 


Ungenau C. I. G. 4548. Der Kaiser ist nicht Caracalla, sondern Commo- 
dus: “Yrsg owrngias za vein(ns) Aürongar(opos) | Kaivapes M. AvgnAfieu Kouno- 
deu] |’Avrwveiwou Zeßlarred) Ev[r]eß(eis) Eürugeis | T. "EAovios Magıavos [X,](ı- 
agxos) Acylewvos) Y [Tarr](ıx%5) | rov vaov nal TO AyaAua Ex | rwv idıwv dveSynev. 
Der Name des Commodus, wie der der Legion, ist offenbar absichtlich 
getilgt ganz wie C. I. G. 4554. Die Inschrift fällt kurz nach 185 n. Chr., 
in welchem Jahre Commodus den Titel Felix annahm (Eckhel 7, 135). 


165. Auf einem zerbrochenen Statuenuntersetzer, der vor dem 
Portale des Tempels liegt. 


RIANVS.1.LEG.IMGAL 
HUN A KSECHT. 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 313 


Dorf el-Ghassüle, 4 Stunden östlich von Damascus. 


166. Nach einer alten Topographie von Damask und Umgegend 
befand sich in Ghassüle ehemals eine kastellartige Station (für Karavanenzüge 
und wohl auch für Militär, da die Gegend den Räubereien der Nomaden 
des östlichen Tgay,wv ausgesetzt war). Von diesem Kastell sind die riesigen 
Grundmauern noch vorhanden. In einer verfallenen Moschee findet sich 
als Bogenuntersetzer (resp. als Säule) angewendet folgender Meilenstein. 
Er ist circa 2 berl. Ellen hoch und % Ellen dick, und gleicht völlig einem 
Säulenbruchstücke. 


DDNN 
CONSTANTII 
VICTORIOSISSIMI 
AVGETCONSTÄNTII 
NOBIILCAESARIS 
MP 


Dorf Sekkä, 3%, Stunden östlich von Damascus. 


167. Zwei Grabsteine, beim Baue eines dortigen Hauses gefunden. 


ETOYC "Ercus 
B3o ZA RE» (251 n. Chr.) Ea- 
NAIKOY vornod 
BKAUAP Sr Mag- 
KEAOCP neros “P- 
OYPOY oudou 
ETWN erav - - 
168. ETOVC "Erous 
AAPrTOP 929 (223 n. Chr.) Tig- 
TTIEOYIB miecu ı@ 
ANTWNI ’Avrwvi- 
NAFAYTOY va Tavrov 
ETWN erwv 
Ar :. 


Philos.- histor. Kl. 1863. Rr 


314 Werzsteın: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


Dorf el-Higäne, 6 Stunden östlich von Damascus. 


169. In einem Bauernhause. 


_STOYc.HTo 


ANTWNA 
IE NG: OT 
ETWFE 


['E]reus 779 (276/7 n. Chr.) 
"Avruvli]a 
Teveou 


erü(v) ne. 


170. An der südlichen Wand eines Thurmes, der ehemals zu einer 
Moschee und vorher wohl zu einer Kirche gehört haben mag. 


ETOYE 
ENbA 
AICIOY 
MACCOI 
ETENAE 
YTHCEN 
ETWN 
NE 


"Erous 

vo (244 n. Chr.) A- 
aıTiou 

Masoc[s] 


ETEAE- 


171. An demselben Thurme, der übrigens nicht aus der Zeit stammt, 
aus welcher die Inschriften sind, sondern später aus altem Material gebaut ist. 


Der Stein ist ringsum abgebrochen. 


ETOYCZUC 
TEPITIOYP 
AZABAN 
"WNIZNE 
NIOACETWF 
IIMMIACETW 
INAFTOYHCET 
OYTATEPEC 
NDI/NC IY 


"Erous vole] ? (164 n. Chr.) 
Iegıricu [@] 

’Acaßavlns 2]- 

zuv ıL. Ne-- 

- cas Erulv - - 

- uuias eraol[v - - 

- vayyouns Er[av - - 
[S]vyareges 


---- olv. 


172. Zehn Minuten vom Dorfe entfernt liegt mitten in der Acker- 
flur (die Flur von Higäne ist die fruchtbarste der ganzen Umgegend von 
Damaskus) ein circa 20 Centner schwerer Feldstein, mit einer Inschrift, 


deren ohngefähre Buchstaben diese sind: 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 315 


O MEOÖCPINAI. Mercow (-1v) di- 
OPIZWNMETAZT opiduv (-ov) MEra- 
Yigs@o\EeAWw’KÄAIAP Eu ’InorAuv? nal Ap- 
ALAPMEAWN asapueAwv. 

Offenbar ein Gränzstein. 
ke Ha TE a ET 
.BEPpAAAAM N OYNAAPEC 
UNITTANEY® _NPIMOCTTATPIK 
KAIPYAAPX OICEYX ABLE 
TONTONZAEC HIOTHNOBEWN 


KAITONAFION!/[ Loch \ANONVTTEP 
CWTHPIACAVT)im Stein.\|ENAOZYAVTCI] 
TEKNWNT ausgebrochen. \ NIEKTICEN+ 


Die ersten Worte der Inschrift sind *B:®A; doch kann das B auch ein H, 
das A ein X sein; desgleichen ist das ® nicht ganz sicher. 

Die Inschrift befindet sich auf einem grobkörnigen Basaltblock, 2: El- 
len lang und 1? Ellen hoch. Mit Lichenen überwachsen und unterhalb des 
Kreuzes absichtlich zerstört, oder beim Herabfallen zerbrochen. Sie befand 
sich über dem Portale eines jetzt el-burg (r\gyos) genannten Schlosses, 
das im Norden der damascischen Landseen stand. Es hatte die Gestalt des 


a Ss b 
Nomadenzeltes: 2 ae | W war von a—b 180 Schritte lang, c war 
ea 
e\ 


das Muharram, oder der von den Weibern bewohnte Theil des Hauses 
und d das Mag‘ad, wo sich die Männer aufhalten und Gäste empfangen 
werden. Die Scheidewand zwischen beiden heifst die Saha; e was das 
Portal, f wohl der Wachtthurm, seine Mauer war 14 Fufs dick. Das Ma- 
terial dieses Gebäudes ist von den Einwohnern von Domer und von dem 
Scheich von G&erüd für andere Bauten fortgeschleppt worden. 

Der Erbauer war der Nomaden (-Gassaniden -) König Almundir. 
Da es aber drei dieses Namens giebt, so bleibt es bis auf Weiteres unermit- 
telt, welcher von ihnen das Schlofs erbaut habe. 

Almundir scheint hier den Vornamen Flavius zu haben. Sollte dies 
ein gewöhnlicher Vorname aller Gefniden gewesen sein, so liefse er sich 
mit der jetzt dort gäng und gäben Sage zusammen stellen, dafs der „gelbe” 

Br? 


316 Werzsteın: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


König (melik el-asfar) ehemals Hauran beherrscht habe; er sei Christ ge- 
wesen, durch Chälid ibn el-Welid vertrieben worden (die Gassaniden 
wanderten um 640 p. Chr. nach Kaukasien aus) und werde dereinst aus 
Rufsland wiederkommen, um sein Land zurück zu erobern. 

Die Inschrift ist nach einer völlig unleserlichen Copie im C.1.G. 
4517 herausgegeben worden. Jetzt erkennt man leicht das Folgende: 
..."Aranovvdag[n]s | [6] Favsupnnos margin(is) | mal BUrapxes euxagır|r[a] ev 
dso[r]ornv Sewv (- ov) |xaL Fov ayıov ’I[evÄ]ıavev umeo | Fwrngias aülrcu xai rau] 
&vdo&(oraruv) auro[d] | rervwv rlöv----]v Exrırev. Der Vorname Flavius ist 
nicht gesichert; viel eher dürfte in den zweideutigen Zeichen zu Anfang das 
Datum zu suchen sein. 


Römisches Castell el Chirbe (d. h. die Ruine), auch Alt-Dom£r genannt, 
liegt 1 Stunde östlich von dem heutigen Dorfe Domier. 

174. Um das Castell herum (das ein längliches Viereck von je 300 
und 350 Schritten bildete, 20 Bastionen, auf jeder Seite ein 15 Schritte 
breites Portal, und eine 16 Fufs dicke Ringmauer hatte, dessen Wände ur- 
sprünglich innen und aufsen mit schönen Quadern eines weilsen Kalksteines 
bekleidet waren), lag ehemals eine bedeutende Stadt. In der Südostecke des 
Castells steht ein Gebäude, das aus den ursprünglichen Trümmern später 
wieder aufgebaut und vielleicht eine Kirche war; in dieses Gebäude ist als 
Mauerstein eingesetzt folgende Inschrift, die sehr beschädigt und oben ab- 
gebrochen ist. 


YCHMOCAWOYE [MJn[v]es Awev € 
AYPIEINKOIEHR. © AvpnAuos Rue: 
AOYTTAIKIA..... ÖcumAunıa[grcs] 
KAIKANAIAATOC xal ravdıdaros 
TOMNHMIONTOYTON To ymllov ToUro 
ETTOIIHCT’ENTET.... Emoimsev Er[ovs - - 


Kenäkir, jetzt ein grofses Dorf, ehemals eine bedeutende Stadt an der 
südlichen Gränze des damascener Bezirks Wädi el-Agam. 

175. Die Inschrift steht an einem palastähnlichen Hause am West-Ende 

der Ortschaft, und wurde während unsrer Anwesenheit durch einen Maurer, 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 317 


der das Dach einer angebauten Bauernhütte ausbesserte, freigelegt. Sie 
gehört ohne Zweifel zu dem Gebäude, doch scheint sie nicht mehr am ur- 
sprünglichen Platze zu stehen. In der ganzen Ortschaft findet man viel 
kostbares Material, wie Säulenknäufe, Friese u. s. w., die sämmtlich zu die- 
sem Schlosse zu gehören scheinen und nur verschleppt sind. 

AZIZIONOCTOY®I "Adıdiwvos ToV dI- 

AOKTICTOYTTOAAATAETH Aorrigtou moAAG Ta E71. 

176. Die folgende Inschrift steht verkehrt an der Aufsenwand der 

Wohnung des Orts-Scheichs Chalife. Steht nicht mehr an ihrem ursprüng- 
lichen Orte. Die beiden Il stehen aufserhalb des Vierecks. 


AEDNTIGZABÄND N Asovrıs Zaßavw- 


NOLEZEIAIW NMDNWN vos &E eidlav rovwv 

TONINHMAEKTILENENTWwB| !! 75 [nina unse 8 10 B-- 

‘Agrabä, Stadt an der Westgränze des Distriktes Gedür am Fufse eines 
Eruptionskegels. 

177. Die folgende Inschrift steht über der Thüre der Scheich-Woh- 
nung, wohl am ursprünglichen Orte. Dieses Haus war ehemals ein Palast; 
das jetzige Gastzimmer war ein Saal, dessen Wände mit geschmackvollen 
Sculpturen bedeckt sind. 


BEWHPAKAEI ©: “Hoander 
AIAETTIULEAHTO dia EmineAnro- 
YZHNOAUWPOYKAY Ü Zuvodwgeu KAu- 
MENOYKAIMAOOY uevov „ai MaSov 
NAELLOY TTPONOH Nasuov moovon(rur). 


178. Über der Thür eines Bauernhauses, nicht mehr am ursprüng- 
lichen Orte. 

NAAMWNHPZATODHPAKAIAAL 
ETEAIWEEN + 
Naauwv nobaro, “HoaxAidas | ErEeAlwoev. 

179. Die folgende Inschrift liegt jetzt als Dach über einer Bauern- 
stube unmittelbar über dem Kamin, ist ganz geschwärzt und konnte nur auf 
die mühsamste Weise mit Hülfe einer brennenden Lampe gelesen werden. 
Ich safs beim Schreiben auf den Schultern eines Bauern. 


318 Werzstein: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


ETOYC III BACIAEWE AFP "Erous ı[n] Basırdus "Ayp- 
ITTTTAKYPIOYAOYEIAO imma nugiou "Acueido- 
CMAAEIXABOYETOI s MaruıyaSov Emoi- 
HCENTAOYPWMAT NTEv 74 Sugunar- 
ACYNKOZMOYKAIT a UV zoQmev (-W) zaı T- 
ONBWMON EKT cv Qwuiv Ex T- 
WNIAIWNCYCEBEIACIHIHI av idiwv [e]ireQsias [Ev]- 
AKASIKYPIW [era Au zug. 


Wenn ’'die Lesung der Jahreszahl als n richtig ist, so ist Agrippa II. zu ver- 
stehen. Die Münzen desselben zählen bis zum 35. Jahr von einem Epo- 
chenjahre an, als welches 61 n. Chr. angenommen wird (Eckhel 3, 494 f.). 
Unsere Inschrift gehört hiernach in das Jahr 78 n. Chr. Vgl. n. 30. 


Gibä, mit dem Mausoleum des Ordensstifters Sa’d ed-din el-Gibawi. 
Die Ortschaft liegt am Süd-Ost-Ende des Hermon-Gebirgs. 


180. Die folgende Inschrift steht über der Hausthüre des Dorf- 
Scheichs, nicht mehr am ursprünglichen Orte. Der Stein ist ein ehemaliger 
Architrav, der ebenso wie die Schrift schlecht gearbeitet ist. 


MAPAYPAAECOCOA (6) ASOOYETTOIHCEN 
EKTWNIAIWN 
Mag. Ag. "Arccos "OdaIov Eroimrev 


> kan EINVZ 
Er TWV idıwv. 


Der Ejüb (Hiobskloster), c. 11, Stunde südlich von der hauranischen 
Stadt Nawa. 


181. Die Inschrift steht auf dem aus einem einzigen Steine bestehen- 
den Architrave eines Portals, das zu einem Saale führt, der wohl die Kloster- 
kirche war. Da aber Schutt bis an den Architrav reichte, konnte man nicht 
in die Kirche selbst gelangen. 


+ AVTHHTTVAHKVAIKAI + AABECFHFOYMMIOYAIw 

OIEICENEVCONTEENA |\XT 7, | KEINCXTETOYETOYCTTENTA 

VTHTOYTOTOYTTEPOYPON AAA gx|KOCIOCTSTPIAKOCTSE 
PE 


ETEBHENXPONOICHAIOYEY KTSKYIYXYBACIAEYONTOC 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 319 


Alm mu »(ugio)u- dinaıloı einereunovre &v alürf. reuro ro ÜmegSugov | EreOy ev 
xpovas 'HAlcv eüjraßerr(arev) Ayovaelvov) lnvi) Tovalo | HE iv{d]. TE Fo0 Erous 
mevralnonıoorou TgIanonrou Elnrou a(ugio)u ’Imaeo)u X(gioro)b Barırevovres. Der 
Spruch, welcher in diesen Gegenden häufig über den Eingängen kirchlicher 
Gebäude angebracht zu werden pflegt, ist aus Psalm 118, 20 entnommen. 
Wegen des Jahres 536 s. die Einleitung. 


Dorf Gharije. 


182. 10 Minuten westlich vom Dorfe liegt eine alte Necropolis, wo 
diese Inschrift gefunden wurde. Es ist ein Grabstein, dessen unterer Theil 
hinter einem schweren Steine in die Erde gesunken ist. 


CAEA Zaed- 
OYAN ou "Av- 
EMOY EHoU - - 


Kerak bei Gharije in der Nukra (Batanaea). 


183. In einer neueren Wand als Mauerstein eingefügt. 


AÄANNHA "Avvna[o]- 
CKAMA s Kaua- 
CANoY Gavcu 
ETTOHC EronT- 
EeAIIMA e Au Ma- 
PNATW eve 7W 
KYPIW augiw. 


Marnas ist als eine zu Gaza verehrte Gottheit aus den Münzen der Stadt 
und sonsther bekannt; vgl. Eckhel 3, 450. 


184. Über einer Bauernhausthüre; nicht am ursprünglichen Orte. 


ETTICKOTTOYNTOC ’ErıISHomoUVToS 
&5 MONIMOY®AAOYIOY SQ Moviuov BAaoviov 
BOYAEYTOY BovAsurov. 


185. An demselben Hause, auf dem Bruchstücke eines Simses. 
AUMETICTOYKANATHNWNO 
Au nelylirrev (-w) Kavarıyav - - 


320 Werzsteın: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


186. Dieser Stein ist aufgestellt in einer verfallenen Moschee, wohin 
er von anderwärts getragen war. 


AFAOHTYXHYTTEI\NWTHPIACTWNKYPI 


©, EITICKOTTOYNTWNANE |WN 
0, | UOYCABINOYKAIBAYAA 
2”C| NHCOAENIOOYKAITTACI 
4 BINOCKAMACANOYEKTI 
COHOOIKOCEKBÖINOTTMIAC 
THCKWMHCEZWNEAWKEN 
IOYAIANOCAIONYXGC 


Ayay TUN “Prre[o ajwrngias ruv zugiwv | Emısnomouvruv "Aveluouv Zalıvov al 
Bavraluns "Odevideu nal Macıldıras Kauaravev Eurilo9n 6 cinos Er wiro[rıuias | 
1a nwuns &E uv edwaev |IovAravos Arovu(cicv) (Invapiav) ®- Erous gun (253 n. Chr.). 
Die Kaiser sind Gallus und Volusianus. Zu bemerken ist der Constructions- 
fehler, in den der Concipient von Z. 2 an verfallen ist. 


Dorf Atil auf dem Haurangebirge, mit zwei römischen Tempeln, die Burck- 
hardt beschrieben. Die alte Stadt läfst sich wegen des Eichenwaldes, der 
aus den Ruinen gewachsen, nicht mehr untersuchen. 


187. Folgender Stein ist im Hause des Ortsscheichs aufgestellt. 


KPONOC Kocvos? 

KACCIOC Kacrıos 

KAIANOY #0 "Avol- 
NOCYIOI vos, viol 

ANOYNO "Avouvo- 

YANEO v, aveg- 

EKAN [n]rev. 

Stadt Qanawät (Canatha) auf dem Haurangebirge. Reich an antiken 
Bauwerken. 


Die folgenden zwei Inschriften stehen auf dem Sockel zweier Säulen 
des bei Burckhardt (Übers. v. Gesenius) p- 160 u. 161 beschriebenen Tempels, 
10 Min. vor der heutigen Ortschaft, aber die jetzt mit Eichen überwachsenen 
Ruinen der alten Siadt reichen bis an diesen Tempel heran. Im Vorhofe 
dieses Tempels befindet sich eine grofsartige mit Bogen überwölbte Cisterne. 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 321 


188. MOYTITAIOLAINIOL| PMANOLBOY 
AEYTHETTOYTTAIOYAIAIOY®IAITTQ 
TTOYYIOLTWNBENNAP®EHEGPIAOTEIO 
AIHLAUENOLAIIUEFIETWEKTWN 
IAIONEYLEBWNANELTHT I EN:S 

Vgl. Rey Voyage dans le Haourän etc. (Baris 1 1860) p. 140. IloumAuos Aldıos 
[Te]guavös Bevlasur4s, Hevmrricv Aidiov Birrm|reu vios, av Bevva9ys, diroralunge- 
nevos Au neyiorw En rov | idw eüreuv dvertmoe. Der Sinn der Worte r&v 
Bevva9ys ist dunkel; vermuthlich enthalten sie die Bezeichnung der Mutter 
des Weihenden: ‘Sohn des N.N. aus der Zahl der Söhne von der Bennathe. 


189. Unvollkommen bei Rey 1.1. p. 139. 


TIT.ANTIOXOC Tuy. "Avrioy,os 
0IAOTIMHCA diroruungd- 
MENO:GATLDLE nevos Au ue- 
FTICTWEKTWN YITTW En TV 
IAIONANECTHCEN idımv dvertarev. 


TIT zu Anfang, was auch Rey giebt, ist vermuthlich als Datum zu fassen ; 
vgl. die Einleitung. 

190. Im Hause des Scheichs, von anderwärts hergetragen (nach den 
Angaben der Bauern von dem 24säuligen Tempel), steht ein Säulensockel 
wie jene an dem genannten Tempel, mit dieser Inschrift: 

AYP.ALOAIP. ECOCEAIMOYBAAPEDIN 
TIMHCATOXTIENTAKOC TAEKTOYTOI 
Alp. Moaiperos Oaiusu - - - EpıAlo]- 
TIUNTaTo (Invagıa) TEVTaRCCIa ER TO -- 


191. Im Hause des Ortsscheichs, nicht am ursprünglichen Orte. 


MOIEPWCEN..... - - - [a]pısgwoev [r]- 
HNXWPANCY\.. Av Xwgav aü[v] 
TWBWMWTH 2 Buno rn 
KIPIAAOHNAF »[uJaiz ’ALSIw& T- 
OZMAIHEKTWN oluaiy? En rwr 
IAIONMNH idıwv uvn- 
MHCXAPIN i ung Kagı. 


Philos.-histor. Kl. 1869. Ss 


322 Werzstein: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


192. In der Küche eines Bauern, |UL-’-oOMN 
der das „Schule” benannte Haus be- A|ICMATPIS 
wohnt, an welchem die (mit YTTEP DI ANIIMIERK 
CWTHPIAC beginnende) Inschrift IISEFPPF 
C.1.G. 4612 steht. Die Inschrift IIIVRVAIP 
ist äufserst nachlässig geschrieben. VILERIANVS 
Die zwei Striche bedeuten eine False, L/EGII. CVR 
die für irgend einen Zweck später in A\TONINIL 
den Stein gehauen worden ist. NIEDEVOTS. 

S|IVSNVMI 
INSHERIRVAS 


193. Auf einem Säulenstücke, das in der Nähe der Scheichs- Wohnung 
von der Stadt hinab in die Schlucht des Wadi Qanawät gestürzt worden ist. 


CIAIOCO/IAIOC Zıruos ’O - - Aros 
TOAIETVINON 70 disrurov 
EKTWNIAIW ex Tav ldw- 
NANEOHKEN v dve9nxev. 


Dorf Mef’ala, eine Stunde nordöstlich von Qanawät. 


194. Der Stein steht nicht mehr an seinem ursprünglichen Platze; 
jetzt an einem Hause eingemauert. 


POYVOCAAAOYKAIY “Poübos Aadov xal Ü- 
IOIAYTOYMONDOI Il aUToU Mevor 
KAICOBOAAOHFTEPM zal ZoßoraIn Teou- 
ANOYMHTHPEZIOlWN avcov Knrng &£ i[0]ıwv 
KOTTONTS INHMAETTOIHCEN nor[w)y lo uJiue Eromo[a)v. 


Durch die Hinzufügung des ucvor scheint die ausschliefsliche Berechtigung 
der Genannten auf Benutzung des von ihnen errichteten Mausoleums hervor- 
gehoben werden zu sollen. 


195. Auf dem pyramidenähnlichen Berge Ql&5 Haurän („Herz 
von Haurän”), dem imposantesten Berge des ganzen Haurangebirges, steht 
c. 400 Fufs unterhalb dem höchsten Plateau ein vollständig zertrümmerter 
40 Schritte langer und 20 Schritte breiter Tempel, von Eichen und weifs- 
blühenden Disär-Bäumen überwuchert. Diese Ruine heifst Chirbet el-bir, 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 323 


die Ruine des Brunnens, weil dabei eine stattliche Cisterne in den Felsen 
gehauen ist. Andere nannten sie Qasr el-bir, Schlofs des Brunnens. Dabei 
auf einem zerbrochenen Steine diese Inschrift: 


ALEXAPOTOYININIY Z.1 kann der 2te Buchstabe auch F, 
EFEATIN GUN der neunte auch T sein. Gegen Ende 
IITONTO TON stand etwa Tov Tomov [adıegwer]ev Ev Erı 
ENENETIYIE vie (schwerlich 520, eher 103 n. Chr.). 


196. In der Stadt el-Kefr, im Innern einer Bauernstube steht fol- 
gende nicht dahin gehörige Inschrift. 
ETTIBABONOYTOYAAM "Em Baß[lw]v[rJev red Aau- 


MPKOMKAIAOYKOCH mo(orarov) roulmres) nal dounds N 
EKAHCIAEKTICOHE Er[A)nsıe euren E- 
TICTZ rı orC (392 n. Chr.). 


197. In demselben Hause steht als Oberschwelle eines Wandschranks 
(mit der Schrift im Wandschrank selbst) folgender Stein: 


IOYAIOCKAAYAIOC Tovrıss KAavdıos 
CTAYPEINOCSC Tavgeivos ove[r]- 
KAINOCCEFTOCEK [eJavos - - - &x 
TONIAIWVETTO rav idw[v] Ero- 
IHCENEYCEBENOK Imoev euoeßelies Kagw]. 


Z.2 können die beiden letzten Zeichen auch als O€ gelesen werden. 

198. Im Gastzimmer der Ortschaft Hebrän (auf dem südlichen 
Haurangebirge) liegt folgendes Fragment als Thürschwelle eines neueren 
Hauses eingelegt. 

Auf der einen Seite. Auf der andren Seite, 

AIIKYPIM EIACXAPIN 

VXHNIAN 

WOCIOVS 

IOLEP»PA 

ANOC 

ATIOTH 

IUNOC 
Die 3. Seite liegt auf der Erde, läfst sich also nicht sehen; die 4. Seite hat 
keine Schrift. — Au zugio [e]üxAv av - - |nos "ou -- |105 a - -|avs [ore]le- 
swrn[s Asy][ewvos | - -- - - sucsQe]ies xagıv. 

Ss 2 


324 Werzstein: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


199. Im Hofe der Scheichs-Wohnung liegt 
folgender Opferstock (?). 


ANMEFIETW 


ValEPDED Umeg cw- 
THPIACKIIN 
PIDYRAICLA 
M8OOYIDE 


Au ueyiorw 


Tnglas x[v]- 
giou [K]«re- 
[gos "IJev[A]ıos 


KONETAL Kuvorafs] 

BEYTZAM - suzaul[e]- 

NOCLANEBH vos aveSy- 
KEN nEV. 


200. Südöstlich an Hebrän liegt eine 
hübsche römische Tempelruine. Der Tempel 
ist auf einer steilen Lava- Anhäufung gebaut und 
war nebst einigen anderen Gebäuden zusammen 
castellartig geschützt. Davon heilst jetzt das Ganze 
el-Hosn (die Festung). Diese Inschrift gehörte 
zu diesem Tempel und liegt noch auf seinem 
Dache, wohin sie die Christen, welche den (zer- 
störten) Tempel zu einer Kirche gemacht, als 
gemeinen Dachstein gelegt haben. Der Stein ist 
81 Fufs lang und 1% Spanne breit. Vorn und 
hinten hat die Inschrift drei zu einer Rosette ver- 
einigte Acanthus-Blätter. Vgl. Porter II, 202. 


(Siehe die Inschrift neben stehend.) 


Die Inschrift ist aus dem 18. Jahre des Antoninus 
Pius, also 155 n. Chr. Auffällig ist das zweimal 
neben "Eunsyavov wiederkehrende ’Euueyavy. Zu 
eydızwv vgl. n. 62a. 

201. Auf dem Dache eines Bauernhauses 
liegt gleichsam als Dachrinne folgendes Fragment. 


KPATOPOCANTW 
—IUONYK OY PL O 
I)VETPANOCATG 
WNIAIWN ANE 
INIETONYIC1O 


VITEPLWTIHPIAEKYPIOYKAILAPOLTITOYAIAIOYAAPIANOYANTWNEINOY 


I 
OY 
ON 


LCEBALCTOYEYLTEBOYLONAOLEKTWNIEPATI KWNEKTILBOHETOYLOKTWK 
AEKATOYANTWNEINOYKAILAPOLTTPONOHLAUENWNAPILTEIAOYOAIUOYOAIBENA 
EMMEFNOYEMMEFANHXAMENOYEFAKUNOAIMYABXoPoYENOYMALEXOYEMMEFANHNAPOYIEPOTAMI 


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ETOVS ORTWAUIL- 


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Euuey[a]vev, ’Euusyayn Kapevou, Eyo[ 


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gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 325 


[7% Surngias Aüro]agarogos ’Avrwl[vewov -- ---- - 05] Auzoüpyles]|------ - - 
overgavos amol[AuSeis Evreiuws En r]av idiwv dvellormee --------- Tv Ereus 19. 
Das Jahr ist vermuthlich das des regierenden Kaisers, dieser selbst aber nicht 
näher zu bestimmen. 

202. Eine über 4 Ellen lange und über eine Elle breite Doleritplatte 
war ganz mit Schrift bedeckt, aber diese war herausgemeiselt bis auf die letzte 
Zeile, auf welcher sich das folgende lesen läfst: 


GIOLINMNNAADBSSETRANAUVUISUBAMBOSMILITA UNIF/ICHT 
203. Im Hofe des Scheichs von Edre’ät (Adratha) ist als Pflaster- 


stein eingesetzt folgender Grabstein. 


BACCOC B&ccos 
ZABAOY Za/adev 
ETOYC Erous 


«N #.. 
”Erous #. steht hier vermuthlich an Stelle des üblichen &rüv x.. 


204. Ebendaselbst. An der äufsern Wand eines elenden Bauern- 
hauses ist als Mauerstein folgendes Fragment eingesetzt. 


BOTEHLR TAT [Vreg] awragias [xai veiuns rou] 
PIOYHMWNI! [rvJeiov Auav - - - - - - - - 

KTIEOHHTTYAH [e]urirSn 4 vum - - - - &n]- 
:KOK.POYBEI//I i Kox. “"Peupei[vov 700 Aayu]- 
I1POTATOYHIALC mooTaroU Alyewovos moss-Beurev] 
PEAE TOYAYTC [EeQ]esroö alvJr[ısroarnyeu] 
JKTOYNTOCKOIN u.s.w. Das Folgende ist unsicher. 
IFY®HMELEIO Z. 8 scheint üsnyyreı zu erkennen, in 
MIEKOTTEYONT der folgenden Zeile stand [E]mırzorev- 

Y NTOCLO ovr[os oder [wr. 


Die Provinz stand bis auf Diocletian unter einem legatus pro praetore; vgl. 
C.1. G. 4585 und 4644. 
Geräüs' (Gerasa). 
205. Im östlichen Theile der Stadt liegt ein vollkommen ruinirtes 
Gebäude mit Säulen, das nach dem Portale, welches folgende symbolische 


326 Werzsteın: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


Sculptur hatte ‚ wohl eine Kirche (Basilica) war. Daneben stehen 


auf zwei am Boden liegenden Steinen die beiden folgenden Inschriften. Von 
Stein 5 ist ein Stück abgebrochen, von Stein a scheint nichts zu fehlen. 
a. b. 
B CIDETTICKOTTOYKAAAIOYEIENETO 
TWNAFIWNTTIPO® HHTWNATTOCTOAWNMAPTYPW\ 
ACTHCMAKAPIACMAPINATWZKOETEIXPTINÄIKR 
[Er roV ö]suwr( arev) Emisnomov KA.dieu ely]evero MH ---- 
Tav ayıwv mgobnran, drorreAur, Hagrugw[v &x moonbop]- 
@s ns maragias Mapwa[s] 7D Cup Ercı XPT ivdın - - - 
Über das Datum vgl. die Einleitung. 
206. Säulenhalbkreis, von Burckhardt beschrieben. Die letzte 
(südlichste) Säule des östlichen Bogenfragmentes hat die Inschrift a, die dar- 
auf folgende die Inschrift 5, die dritte die Inschrift c. 


a. AHMHTPIANOC Ayunrguavös 
ETTAIIPIWCEN EmA[n]owoev. 
b. CABEINOCCTPATHFIOY Zaßeivos Irgarnyiou 
CTTAHPWCEN [E]mAnguoer. 
ce. €EEMOAAOCAHMNH “Eguoraos Anın- 
TPIOYCTTAHPWCEN Toiov [2]rAnguser. 
207. Vor dem südlichen Stadtthore hatte ein RELIVLIO 
Feldstein (Grabstein?) die folgende Inschrift: DRACO 


Turra, Dorf (mit Höhlenwohnungen) an der Ostseite des Höhenzuges 
Zumle, eine Stunde nördlich von der Ortschaft Rumthä, 
208. Das Kreuz am Schlusse der Inschrift scheint später zu sein. 
Der Stein war an der Aufsenwand der Wohnung des Scheichs eingesetzt. 


KACCIOCOT O1 Kasoı[oe]ev ci- 
K'O072 0/06 EI TE Kodowuos TIS 
TWAEOCAB € muwreos "AE- 


AIC+ Aus. 


Vermuthlich von Abila Leucas in der Decapolis. 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 327 


Nachschrift. 


Diese Blätter enthalten die gröfsere Hälfte der von mir gesammelten 
griechischen und lateinischen Inschriften. Der zurückbehaltene Theil be- 
steht entweder aus unbedeutenden oder zu sehr verstümmelten, aus unleser- 
lichen und solchen Inschriften, welche schon von früheren Reisenden copirt 
und in das Corpus inscriptionum graecarum übergegangen, also bekannt 
sind. Damit aber auch sie bei einer späteren Fortsetzung des Corpus benutzt 
werden können, werde ich eine Copie derselben an die Inschriftenmappe der 
Academie abgeben. 

Gesammelt wurden die Inschriften auf vier Reisen. Über die erste, 
welche ich im Frühling 1858 um das Haurangebirge machte, findet sich im 
Jahrgange 1859 der Zeitschrift für allgemeine Erdkunde ein Be- 
richt, dessen Sonderabdruck unter dem Titel „Reisebericht über Hauran 
und die Trachonen” im J. 1860 erschien. Die zweite gröfsere Reise wurde 
im Frühling 1860 im Auftrage des königlichen Cultusministeriums unternom- 
men und berührte die Landschaften Gedür, Gölän, “Aglün und die höch- 
sten Theile des Hauran-Gebirges. Auf der dritten Reise wurde im Herbst 
1860 der Osten und auf der vierten im Frühling 1861 der Nordosten von 
Damask und das Gebirge Qalamön durchwandert. 

Die Fundorte der mitgetheilten Inschriften sind auf der Kartenskizze 
verzeichnet, welche Hr. Prof. Kiepert diesen Blättern beizufügen die Güte 
hatte. Die Erscheinung, dafs sich die meisten und für uns werthvollsten In- 
schriften auf dem Hauran-Gebirge und in der Legä finden, erklärt sich 
daraus, dafs die dortigen Ortschaften theils durch die grofse Fruchtbarkeit 
ihrer Fluren, theils dadurch, dafs sie bei ihrer geschützteren Lage den Räu- 
bereien der Zeltaraber weniger ausgesetzt waren, einen hohen Grad von 
Wohlhabenheit erreichten, welche jene Liebe für Kunst- und Prunkbauten, 
von denen die Trümmer und Inschriften Zeugnifs geben, erzeugte und nährte. 

Es war ursprünglich nicht meine Absicht, diese Inschriften allein zu 
veröffentlichen, vielmehr wollte ich sie, zugleich mit einer reichen Samm- 
lung semitischer Inschriften in den Itinerarien selber bringen, wie dies in 
Burckhardt’s und anderen Reisewerken geschehen ist. Von diesem Plane, 
der wohl auch nicht der richtige war, insofern er den Druck der Tagebücher 


328 Werzstein: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


vertheuert und ihrer Verbreitung Abbruch gethan haben würde, kam ich 
durch die Vermittlung des Hrn. Prof. Kirchhoff zurück, der die längere 
Vorenthaltung der Inschriften mifsbilligte und sich freiwillig erbot, sie be- 
hufs der Veröffentlichung der k. Academie vorzulegen. So entstand diese 
Ausgabe. Die „Vorbemerkungen”, in welchen über die verschiedenen 
in den Inschriften gebrauchten Zeitrechnungen gesprochen und am Schlusse 
eine alphabetische Zusammenstellung der semitischen Eigennamen sowohl 
unserer, als auch der im Corpus inser. graec. veröffentlichten hauranischen 
Inschriften gegeben wird, sind das ausschliefsliche Eigenthum des Prof. Kirch- 
hoff, desgleichen die Transscription der Inschriften und die erklärenden No- 
ten, welche viele derselben begleiten. Wir sprechen diesem Gelehrten für 
seine wesentliche Mitwirkung bei der Veröffentlichung dieser Inschriften 
unsern vollen Dank aus. 

Die hauranischen Inschriften, welche aus einer Zeit stammen, wo 
dieses Land die Grenzprovinz des Römerreichs gegen Osten war, regen nach 
verschiedenen Seiten hin zu wissenschaftlichen Untersuchungen an. Eine der 
nächstliegenden Fragen, die sie veranlassen, ist die nach ihren Urhebern. 
Dafs sie zum Theil von den Römern herrühren, sagen sie selber auf das deut- 
lichste aus und bedarf keiner Erklärung ; denn in Bostra und andern trans- 
jordanischen Städten lagen römische Garnisonen und unter Alexander Se- 
verus erhielt Haurän seine erste römische Colonie, welcher später andere 
folgten. Aber die grofse Mehrzahl dieser Inschriften ist nicht römischen Ur- 
sprungs, denn die in ihnen erwähnten Eigennamen sind weder lateinische noch 
griechische. Sie sind auch nicht syrisch, wie dies von Woolsey bei Bespre- 
chung der Porterschen Inschriften im V. B. des Journ. of the Amer. or. soc. 
ausgesprochen, und in Blau’s Abhandlung „Über die hauranische Alter- 
ihumskunde” im XV. Bande der Zeitschr. d. deutsch-morg. Ges. widerlegt 
worden ist.(') Uber den arabischen Stamm, welcher damals die vorherr- 


(') J. L. Porter, five years in Damaskus, 2 Vol. London 1855. In dielem werth- 
vollen Buche wird auch eine Anzahl griechischer Inschriften aus Hauran veröffentlicht, 
welche Blau zum "Theil emendirt in der Absicht, eine Erklärung der in ihnen vorkommenden 
arabischen Eigennamen daran zu knüpfen. Auch hierbei hat sich der bekannte Scharfsinn 
dieses Gelehrten mit Glück versucht. Am Schlusse wagt sich Blau selber an die räthsel- 
haften Inschriften, von denen mein vorerwähnter Reisebericht einige Proben giebt, und der 
Weg, den er zu ihrer Entzifferung eingeschlagen, ist ohne Zweifel der richtige, wenn auch 
ihr völliges Verständnils erst dann gehofft werden darf, wenn sie einmal in grölserer An- 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 329 


schende Bevölkerung Haurans ausmachte, habe ich ausführlicher in meinem 
Reiseberichte gesprochen. Er hiefs Ghassän, war aus Südarabien (dem Lande 
der Sabäer) eingewandert, und hatte unter der Bedingung, die Wüsten- 
stämme den Römern tributär zu erhalten und von Räubereien in Syrien abzu- 
halten die Belg& und Trachonitis, später die ganze Ostgränze Syriens bis 
nördlich von Palmyra erhalten. Das Volk hatte seinen eigenen König aus 
dem Hause Gefna, dessen amtlicher Titel Patricius et Phylarchos war (Malala 
nennt sie oft BacıAirza), und erfreute sich, wie es scheint, einer vollstän- 
digen Autonomie. Den Gebrauch der Inschriften werden diese Araber wohl 
nicht erst von den Römern gelernt, sondern aus ihrer Heimat, wo man be- 
kanntlich die epigraphischen Denkmäler sehr liebte, mitgebracht haben. 
Ebensowenig kann es auffällig seyn, dafs sie dabei die griechische Sprache 
gebrauchten, welche sich seit der Zeit der macedonischen Occupation in Sy- 
rien sehr verbreitet hatte, welcher sich selbst die Römer dort bedienten und 
welche mit der Bildung des oströmischen, specifisch griechischen Kaiser- 
thums, immer tiefer im Lande wurzeln mufste. Der vornehmste Grund aber 
für den Gebrauch der griechischen Inschriften unter diesen Arabern war der, 
dafs ihnen als Christen die Sprache des Neuen Testamentes und der Kirche 
für monumentale Zwecke geeigneter scheinen mufste, als ihre eigene; denn 
dafs sie selbst ausschliefslich arabisch gesprochen, lehrt uns nicht etwa nur 
ihre aus den Inschriften ersichtliche Onomatothesie, sondern auch das zu- 
verlässigste Zeugnifs der Geschichte zusammen mit den uns überlieferten Er- 
zeugnissen ihrer Dichtkunst. Die Inschrift 110 ist die einzige arabische, 
welche ich in Haurän aus dieser Zeitund von diesem Volke gefundenhabe (!) 
Dafs sie wirklich arabisch ist, zeigen die Anfangsworte _.\b » > (S’arähil 
ibn Zälim), welche mit Hilfe des danebenstehenden Griechischen CAPAHA 


zahl veröffentlicht seyn werden. Aus der die Blau’sche Abhandlung begleitenden Alpha- 
beten-Tabelle ist ersichtlich, dafs ihr Verfasser von dem Vorhandenseyn des vollständigen 
himjaritischen Alphabets, welches Nes wän, der Himjarit, in seinem Lexicon (HSS. der 
kön. Bibl. in Berlin, secz. Wetzst. I, No. 145) giebt, noch keine Kenntnils hat. 


(') Die massenhaften Inschriften, welche im östlichen Trachon gefunden werden, bleiben 
hier aufser Betracht, obschon sie, wie ich dies anderwärts behauptet habe, gewils aus dieser 
Zeit und von diesem Volke herrühren und in arabischer Sprache geschrieben sind; ihre Zeichen 
haben mit dem syrischen und kufischen Alphabete nichts zu schatfen, und müssen, wie dies 
Blau gethan hat, in erster Reihe mit den sabäischen (himjaritischen) zusammengestellt werden. 


Philos.-histor. Kl. 1863. At 


330 Werzsteın: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


TANEMS(!) zu lesen sind, während der Rest vielleicht nicht ganz entziffert 
werden wird. Diese Inschrift ist darum interessant, weil sie das älteste Vor- 
kommen derjenigen Schriftart ist, welche kaum zwei Jahrhunderte vorher 
unter den Nasriden aus dem altsyrischen Alphabete gebildet und unter dem 
Namen der kufischen Schrift die Mutter der heutigen arabischen Schrift- 
zeichen geworden ist. Der kursive Charakter der Inschrift darf nicht auf- 
fallen, denn die Legenden der kaum hundert Jahre jüngeren Omajaden- 
Münzen (die Inschrift datirt vom J. 568) tragen diesen noch entschiedener. 
Eine andere Frage ist die, warum die Inschriften mit dem ersten Drittel 
des siebenten Jahrhunderts plötzlich aufhören? Sie ist mit der Bemerkung, 
dafs Syrien damals durch die Muselmänner erobert worden, nicht völlig be- 
antwortet. Zwar durften von jener Zeit ab Kirchen, denen ein grofser Theil 
jener Inschriften angehört, nicht mehr gebaut werden, aber der Bau von öf- 
fentlichen Gebäuden anderer Art, von Privathäusern, Mausoleen, Cisternen, 
sowie das Setzen von Grabsteinen u. s. w., die auch häufig Inschriften erhiel- 
ten, war unverwehrt, und angenommen, der Gebrauch der griechischen 
Sprache hatte damals aus irgend einem Grunde, z. B. durch den Uebertritt 
des Volks zum Islam, aufgehört, so konnte man sich fürder der arabischen 
bedienen, und da auch der Islam monumentale Inschriften liebt, so bleibt 
das plötzliche Aufhören derselben in einem Lande, wo sie bis dahin in Menge 
gefunden werden, unerklärlich. Über diese und andere F ragen half ich mir 
in meinem Reiseberichte (p. 136), bei völliger Ermangelung alles Bessern mit 
folgendem Passus hinweg: „Das Volk wird zum Theil als Christen, zum 
Theil als Museimänner noch eine Weile das Land bewohnt haben, welches 
die Nomadenherrschaft und die schreeklichen Kämpfe unter den Prätendenten 
des Chalifats sehr bald zur Einöde machen mufsten.” Aber die Sache ist da- 
mit nicht abgethan, denn die erwähnten Umstände motiviren schwerlich die 
urplötzliche Verödung von mehreren hundert Ortschaften, unter denen 
Städte von tausend Häusern und drüber, in einem der gesegnetsten Länder 
der Erde und in der Nähe einer sehr grofsen Stadt gelegen, welche zu allen 


(') Dieser Sarähil ist trotz seines Titels „Phylarch” nicht mit dem gleichnamigen Gefniden 
zu verwechseln, denn der letztere war nicht Zälim’s, sondern Gedele’s (TABAAAG8) Sohn. 
Auch würde dann der Haupttitel ,„„Patricier”, den die Gefniden nicht nur auf der Inschrift von 
el-Burg, sondern auch auf einer in At, die (laut Priyatmittheilung) Hr. Waddington copirt 
hat, führen, nicht haben fehlen können. 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 331 


Zeiten auf die Erndten Haurans angewiesen, auch für seine Cultur zu sor 
gen hatte, und dieses damals, wo sie die Capitale eines Weltreichs, des Cha“ 
lifats, wurde, mit Leichtigkeit thun konnte. 

Dieser Gegenstand kam zwischen mir und dem jetzt in Damaskus le- 
benden Algierer Emir Abdelkädir zur Sprache, als ich ihm bei meiner 
Rückkehr in die Heimat den Abschiedsbesuch machte, und da theilte mir der 
Emir mit, er besitze eine Geschichte der vormuhammedanischen Araber, 
welche berichtet, dafs zugleich mit der Flucht des Gefniden Gebele ibn el- 


Eiham nach Constantinopel Funfzigtausend gassanidische Familien (=) 
Hauran verlassen und mit Hab und Gut nach Georgien ausgewandert 
seyen. Von der Abreise in Anspruch genommen, habe ich damals dieser 
ganz neuen und interessanten Notiz, bei der es einem, welcher die haura- 
nische Städtewüste durchwandert hat, wie Schuppen von dem Auge fällt, 
nicht weiter nachgehen können, aber seitdem fand ich in Ibn Chaldün’s 
grofsem Geschichtswerk (!), am Schlusse des Abschnitts über die Gassaniden 
folgende Angabe: „Nach ihrem Aufbruch aus Syrien hielten sich die Gassa- 
niden in den zu Constantinopel gehörigen Ländern (wohl in Cilicien) 
auf, bis die Herrschaft der Cäsaren dort aufhörte, worauf sie sich gegen das 
Gebirge der Scherkesen (Tscherkessen) wendeten, welches zwischen dem 
Meere von Tabaristän und dem bis zum Canal von Constantinopel 
reichenden Meere von Pontus (sbü) liegt. In diesem Gebirge ist das 
grofse Thor (bab-el-abwdb) und dort wohnen christliche Türken, Ezkesen, 
Lasen und Mischvölker von Persern und Griechen; aber die Scherkesen sind 
mächtiger als alle. Nach diesem Gebirge wendeten sich die Stämme der Gas- 
saniden (gabdil Ghassän), schlossen Bündnisse mit seinen Einwohnern und 
vermischten sich mit diesen, so dafs die Stammbäume beider in einander lie- 
fen. Daher glauben viele von den Ungläubigen dort, dafs sie gassanidischen 
Geschlechts seyen. Gott fügt die Schicksale der Menschen wunderbar und 
Gott ist der letzte Erbe der Erde und ihrer Bewohner.” 

Andere Fragen regt der Inhalt der Inschriften an, der hin und wieder 
helle Streiflichter über die geschichtlichen Zustände Haurans in jener Zeit 
wirft. So macht es z. B. die Inschrift (No. 218) des Gefniden el- Mundir 
(Alamundares) im Schlosse el- Burg höchst wahrscheinlich, dafs diese Dy- 


(') Catal. arab. HSS. in Damask. gesammelt von Wetzstein. Berlin 1863. No. 3. 
2 


332 Werzstein: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


nastie zu einer Zeit bis an die Thore von Damaskus geherrscht; ja die In- 
schrift unterstützt sogar eine Angabe, welche Ibn Sa‘id in seiner Geschichte 
der vorislamischen Araber(') als Citat aus dem „Aitäb el Kemdäim” bringt, 
des Inhalts, dafs jene Dynastie selbst im Besitze von Damaskus gewesen. 
Diese nicht uninteressante, zeither unbekannte Notiz heifst: „Die Gefniden 
vererbten ihren Herrschersitz nicht in einer und derselben Stadt vom Vater 
auf den Sohn, wie dies die Nasriden in Hira thaten. Bei ihrer Einwan- 
derung in Syrien setzten sie sich zuerst in Gilliqg (Damaskus) fest und ihr 
erster König Gefna wurde in Bres, einem Dorfe bei dem S’agrö-Thale vor 
den Thoren der Stadt Damaskus begraben. Darauf beziehen sich jene Verse 
des Dichters Hassän ibn Thäbit: 
Vergelte Gott den Fürsten, die in Gillig dort 
Vor langen Jahren mich als Gast und Freund geehrt, 
Den Kindern Gefna’s, die bei ihres Vaters Grab, 
Dem Grabe jenes edeln Sohn’s der Märia, 
In Bres das Gastrecht üben, wo der Barädä 
Mit klarer kühler Paradieseswelle rauscht! (?) 
In Br&s (fährt Ibn Said fort) war der Palast ihrer Könige und der Baradä 
ist der Flufs von Damask. Später gefiel es den Römern, sich in den Besitz 
der Stadt Damaskus zu setzen, und sie nöthigten ihre zeitherigen Besitzer 
sie zu verlassen und nach "dmmän (dem damaligen Philadelphia) in der 
Belgä überzusiedeln. Von dieser Zeit an hielten sich dieselben abwechselnd 
in “Ammän, am Flusse Iermük in Haurän, in Gölän, Sedä und Gebele auf bis 
der Isiäm kam, der ihrer Dynastie ein Ende machte und die Auswanderung 
eines grofsen Theils des gassanidischen Volkes in das Land der Römer ver- 
anlafste.” Soweit Ibn Said. Anderweitige Combinationen machen es wahr- 
scheinlich, dafs der Gefnide Härit (Aretas) mit dem Beinamen el- Wahhäb 
noch in Damaskus residirt hat, wornach die Verdrängung dieser Könige aus 
dieser Stadt erst unter den oströmischen Kaisern stattgefunden haben würde. 


(') betitelt: „EN 3,5. Catal. arab. HSS. in Damask. ges. No. 1. 
@) 2) ob Ws Be Lisb Slam 50 all 
Mat St le ut a > Ka alu 


Jet (za (a BD Aula Var! 92 RE FR 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 333 


Daraus würde sich der Umstand erklären, dafs diese Stadt früher weder der 
Sitz eines römischen Statthalters gewesen, noch bei der älteren Provinzial- 
eintheilung eine Rolle gespielt, dafs überhaupt von den Römern über diese 
wichtigste Stadt Syriens ein so auffallendes Stillschweigen beobachtet worden 
ist. Der Gegenstand verdient weiter untersucht zu werden. 

Die durch die Inschriften No. 65—68 documentirte Aufstellung eines 
Erlasses des Kaisers Anastasius in der entlegenen Stadt /mtän (Motän) (!) 
über die Verabfolgung der Diäten an Militärbedienstete erklärt sich wahr- 
scheinlich aus dem Umstande, dafs bei gröfseren kriegerischen Unterneh- 
mungen , die fast immer Feldzüge gegen die Nasriden oder deren Oberherren 
die Säsäniden waren, das gassanidische Heer sich bei dieser Stadt (nämlich 
auf einer fast eine Quadratmeile grofsen Wiese zwischen Imtän und I'näk) 
zu sammeln hatte, von wo es östlich ziehend und hinter den Trachonen die 
Steppe quer durchschneidend, sich mit dem Hauptheere der Römer (Byzan- 
tiner) vereinigte, welches aus Cilicien oder dem nördlichen Syrien kommend, 
immer den nächsten Weg zum Euphrat einschlug und diesen hinabzog. Selbst- 
redend stellten auch die römischen Garnisonen Peraea’s ihr Contingent zum 
Heere der Gassaniden, (was hauptsächlich nur aus Pferde- und Kameelreiterei 
bestanden haben wird), und nach dem Epos „Antar”, in welchem viele ge- 
schichtliche Reminiscenzen aus jener Zeit niedergelegt sind, wurden selbst 
Kriegsvölker aus Jerusalem und dem Litorale Palästinas nach jenem Sammel- 
platze dirigirt. Die Nothwendigkeit, vor Beginn jener so beschwerlichen und 
gefährlichen Feldzüge den Forderungen und Ansprüchen der Leute gesetzlich 
zu genügen, wird jene Aufstellung des kaiserlichen Erlasses in Imtän ver- 
anlafst haben. Von der römischen Heerstrafse (Rasif), welche von Bostra, 
der Hauptstadt der Provinz, über Imtän östlich führt (s. die Karte meines 
Reiseberichts), scheint sich bei Imtän eine andere südlich nach T&mä ab- 
gezweigt zu haben, wenn dies nicht die grofse schon in der Bibel (Hiob 6, 19) 
erwähnte Karawanenstrafse war, denn im 20 Buche Antars wird ein Zug 
der Gassaniden nach dem Higd@z erwähnt, der von jenem Sammelplatze aus 
über T’&mä ging. 


(') Diese Stadt ist nicht mit Mo’ta, einer Ortschaft an der südlichen Gränze Syriens, 
zu verwechseln, bei welcher im 8ten Jahre der Zigra die Muselmänner durch die Griechen 
und Gassaniden eine schwere Niederlage erlitten. 


334 WeETzSsTEIN: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


Eine anderweite, durch das vermehrte Material nähergerückte Unter- 
suchung ist die über die Frage, wie sich die Theologie des römischen Hei- 
denthums zu den einheimischen Culten stellte? Dafs, wie in andern Ländern, 
eine Vermittlung zwischen beiden versucht worden, ist wohl unzweifelhaft; 
manche arabische Gottheit wird man mit Beibehaltung ihres Namens in das 
römische Pantheon aufgenommen haben, wie dies laut des Zeugnisses der 
bostrener Münzen mit dem Dusäres geschah, anderen, die sich be; 
einiger Ähnlichkeit mit römischen und griechischen Gottheiten zusammen- 
stellen liefsen, wird man die Namen dieser substituirt haben, aber welchen 
epichorischen Gottheiten z.B. Zeus, Athene und Herakles, die in unseren 
Inschriften wiederholt genannt werden, entsprechen mögen, ist noch sehr in 
Zweifel, wenn man auch bei den beiden ersten zunächst an den Ba’l und die 
Astara (Astarte) denken könnte. Ob verschiedene Götternamen, die 
neuerdings in den nabatäischen Inschriften gefunden worden und mit hau- 
ranischen unleugbare Ähnlichkeit haben, mit diesen auch zusammengestellt 
werden dürfen, steht dahin. Aber für diese und andere('!) Fragen bieten 
diese Blätter nicht den nöthigen Raum und ich behalte mir ihre Behandlung 
für die Tagebücher meiner Reise vor. 

Womit ich aber die Veröffentlichung meiner Inschriften begleiten 
wollte, ist ein Versuch, die in ihnen vorkommenden einheimischen Eigen- 
namen zu erklären, d.h. auf ihre arabische Form zurückzuführen, ein Ver- 
such, zu welchem das obige Verzeichnifs derselben als eine directe Auffor- 
derung angesehen werden kann. 


(') So ist auch von speciellem Interesse eine Untersuchung über die Aera "Iysov Xguorou 
Barırsvovrss, da man hierbei an die spätere dionysische Aera nicht denken kann. Stimmten 
jedoch, was freilich nicht der Fall zu seyn scheint, beide überein, so würde dies beweisen, 
dafs die letztere weniger der persönliche Calcül des Dionysius, dessen Richtigkeit wohl zu 
beanstanden wäre, als vielmehr die längst vorhandene, von Dionysius nur adoptirte und mit 
seinem Namen ins Abendland gekommene Zeitrechnung der syrischen, vielleicht speciell der 
transjordanischen Christen war. Dafs sie als solche einen hohen Grad von Vertrauen ver- 
dienen würde, unterliegt keinem Zweifel, denn da die Gassanidenkönige um’s Jahr 200 Christen 
waren, so konnte diese Zeitrechnung schon im zweiten Jahrhundert in Gebrauch gekommen 
seyn. Eine beachtenswerthe Notiz über diesen Gegenstand, welche Hr. Prof. Piper zur In- 
schrift des Hiobsklosters (No. 198) gegeben, findet sich in meiner Abhandlung „Über die sy- 
rische Tradition von der Heimat Hiobs” im Anhauge zu Fr. Delitzsch’s Commentar des 
Buches Iob, Leipzig 1864. 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 335 


Ein solcher Versuch ist nicht leicht und er hat neben dem Übelstande, 
dafs gar mancher Name unrichtig copirt seyn mag, noch Schwierigkeiten an- 
derer Art. Einmal hat man den arabischen Worten dadurch Gewalt ange- 
than, dafs man ihre Vocale änderte entweder durch Weglassen derselben, 


wie in MaAxos für «&l, oder durch Hinzufügen, wie in Tafdagos für > oder 
durch Vertauschen derselben, wie in Macay,s für &“s. Dabei hält die grie- 


chische Transscription eine bestimmte Orthographie keineswegs fest, denn 
den Diphthongen ei giebt sie vollkommen willkürlich bald mit «ı, bald mit eu 
und & wieder, z. B. "Oßaıdes, OivsuvaSn, @&uos, desgleichen das Z bald mit n 
und ı, bald mit eı und e, z. B. Sagandos,"Aßıßos, "Adeıos, Zaedos, während das 
kurze o z. B. in der ersten Sylbe der Diminutiva bald als o, bald als « und ou 
erscheint, wie in NogegaSy, Zauam, ZovßarSıos. Durch eine so leichtfer- 
tige Behandlung der Vocale wird die ursprüngliche Form des Wortes oft 


völlig entstellt, und wenn z. B. ‚Ai! ein part. activi ist, so erscheint es in 


"AAanouvdagns als part. passivi. Eine andere Schwierigkeit, die arabische Form 
der Namen zu erkennen, besteht darin, dass das griechische Alphabet vier 


arabische Consonanten (1 s z und &) gar nicht wiedergeben konnte und für 
mehrere zusammen oft nur einen einzigen Buchstaben hatte, wie y für z und 
&> % für z und d, ö für 8 und 3, r und $ ohne Unterschied für » & vo & 
und 5, vo endlich für » 0% und wo. Aber auch hier herrschte kein festes 
Princip, denn in dem Worte Magadexns steht gegen die Regel x, für x. Des- 
gleichen wird das Final-s der Worte nicht immer, und die Verdoppelung 
der Consonanten selten wiedergegeben. Davon war die Folge, dafs die ver- 
schiedensten arabischen Eigennamen sich im Griechischen häufig gleichen 
müssen, in welchem Falle selbst die gröfste Belesenheit in den Genealogien 
der Stämme nicht im Stande ist, die Ungewifsheit zu heben, da die arabi- 
schen Eigennamen zahllos sind. 

Die Araber haben sich zu keiner Zeit, wie die heutigen europäischen 
Völker, mit einer Handvoll abgestorbener und versteinerter Eigennamen 
beholfen, vielmehr sichtete bei ihnen jede Generation das überkommene 
Erbe ihrer Vorgängerin und ersetzte den Abgang durch neue dem eigenen 
Leben und dem eigenen Geschmacke entsprechende Namen. Tausende 
derselben entstehen mit ihren Trägern und sterben wieder mit ihnen ab, 
weil sie nicht, wie bei uns, bedeutungslose, den Nummern ähnliche Unter- 


336 Werzsteın: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


scheidungszeichen sind, sondern bestimmt appellative Bedeutungen haben, 
die meistens von einer directen Beziehung zu der genannten Person sind, sei 
es, dafs sie an zufällige Ereignisse und Umstände bei der Geburt erinnern, 
oder durch eine körperliche Eigenschaft, oft auch nur durch das momentane 
Befinden des Kindes, veranlafst werden. Es braucht nicht erinnert zu wer- 
den, dafs dies die nemliche Basis ist, auf welcher die biblische Onomatothesie 
beruht; eine solche Übereinstimmung ist aber für uns von Interesse und für 
die Exegese der Bibel von Nutzen und darum erlaube ich mir, von der 
gegebenen Gelegenheit für einige Mittheilungen Gebrauch zu machen, welche 
beweisen, dafs jene uns so fremdartige Sitte der Semiten, wie im grauen 
Alterthume, so noch heutigentags in ungeschwächter Volksthümlichkeit fort- 
besteht. Im Herbste 1860 war ich Gast des Scheichs To’&mis, Oberherrn 
des Stammes der Mesa’‘i/d, und dieser stellte mir seine drei Söhne Suw£- 
rän, Fur&wän und Ga'lüs vor. Auf meine Frage, was die Namen be- 
deuteten, sagte der Vater, der älteste sei in einer Hürde (suwera) geboren 
worden, der zweite sei als Siebenmonatskind zur Welt gekommen und habe 
zwei Monate lang in einem Pelz (furdwa) gesteckt und der dritte sei bei 
seiner Geburt klein wie eine Puppe (ga‘lüs) gewesen. Der eigene Name 
des To’&mis bedeutete „den kleinen Blinzer”, da er bei seiner Geburt die 
iamasa (eine Augengeschwulst) hatte. Ein durch seinen Edelmuth in der 
Steppe gefeierter Mann, der Scheich der Sulubät, heilst Fuwerän, weil 
bei seiner Geburt eine Maus (fuwera) über die Mutter lief. Ein Damascener 
Kaufmann heifst Zalamtani, weil seine nach der Niederkunft sterbende 
Mutter zu dem Kinde sagte: „du hast mir Unrecht gethan” (zalamtani). 
Im Winter (sid), Sommer (g&d), Regen (mafar), Nebel (ghathäth), am 
Tränkort (menhil) geboren heifst das Nomadenkind Sitwän, Qedän, Ma- 
irän, Ghuthöjith, Munehil. Ein Beduinenmädchen in der Nacht (Ze), am 
Morgen (subh), auf der Wanderung (rahzl), beim Gastmal (kerma), in einem 
Dorfe (girja), bei Thau (/all) oder Schnee (Zhelg) geboren, würde Z£la, 
Subeha, Ruhela, Kerma, Qirjäna, Talla, Thelga genannt werden. Fällt 
bei der Geburt das Auge der Mutter auf einen Ameisenhaufen (niml), auf 
des Mannes Lanze (zäna), Streitrofs, Jagd-Unze (fahed) u. s. w., so 
wird sie die Tochter Nimla (Ameise), Zäna, Filwa (Füllen), Fuheöda 
nennen. Bei dem Stamme der Bekkär in Gölän fragte ich ein durch ihre 
Schönheit auffallendes Mädchen nach ihrem Namen und sie nannte sich 
Zo‘ela „der kleine Ärger”, erklärend, dafs sich ihre Eltern geärgert hätten, 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 337 


weil sıe nicht ein Knabe war. Einem in dem Dorfe Sekkd als Flücht- 
ling lebenden armen und kranken Manne wurde ein Kind geboren, das 
er D£f-alläh „Gottesgast” nannte, weil er zweifelte, es ernähren zu 
können. Ein Beduine, dessen Tochter Ghubna „die Sorge” hiefs, er- 
zählte mir als Veranlassung dieses Namens, dafs, da bei ihrer Geburt eine 
schwarze Ziege, die man als Lösegeld bei der Geburt eines Mädchens schlach- 
ten mufs, nicht bei der Hand gewesen, er sich schnell auf das Pferd eines 
anwesenden Gastes aus Damaskus gesetzt habe, um das Thier zu holen, 
aber beim Überspringen eines Grabens gestürzt sei, wobei das Pferd einen 
Fufs gebrochen habe. Wie nun der Gast erklärte, dafs er in Betracht 
der Umstände das Thier nicht ersetzt haben wolle, habe er in einer 
Anwandlung von Hochherzigkeit ausgerufen: „Nun, so erziehe ich Dir 
das Mädchen als Deine Braut!” Der andere habe sie acceptirt und dieser 
Umstand sei die Ursache ihres Namens; denn der Gedanke, dafs das Kind 
der Freiheit die Frau eines Städters werden würde, sei die Sorge seines 
Lebens. Von zwei mir befreundeten Stammhäuptern der Auwala wurde 
der Eine bei einer Hochzeit (‘irs) geboren und deshalb Mo’arris „Hochzeit- 
macher (seiner Kinder)” benannt, ein Name, der zugleich von guter Vor- 
bedeutung für ein langes und glückliches Leben war. Bei der Geburt des 
Andern wurde die Niederlassung von Ibrähim Pascha’s Landreitern über- 
fallen, deren Anführer, einen in der Steppe sehr gefürchteten Offizier, die 
Beduinen nur unter dem Namen seiner Hofcharge als Qaftän Aga „Mantel- 
bewahrer” kannten. Das Kind erhielt daher den Namen Qaftän (Mantel). 
Dergleichen Motive der Namengebung, die nicht leicht zu errathen sind, 
haben die Semiten zu allen Zeiten gehabt und es ist eine seltene Keckheit, 
wenn das hebräisch-chaldäische Handwörterbuch von Fürst (Leipzig 1857 — 
61) sämmtliche biblischen Eigennamen mit einer Sicherheit erklärt, als hätte 
der Herr Verfasser bei den namengebenden Müttern Hebammendienste ver- 
richtet. Es fehlen uns für das Verständnils vieler Eigennamen um so mehr 
alle Anhaltspunkte, als uns häufig die einfache lexikalische Bedeutung der 
Worte und selbst die ihrer Wurzeln unbekannt ist; denn es unterliegt keinem 
Zweifel, dafs die arabischen Wörterbücher nicht den ganzen Sprachschatz 
umfassen, und die Behauptung der alten Lexicographen, sie hätten das Idiom 
der Nomaden gewissenhaft gesammelt, ist, wie nicht schwer nachzuweisen, 
nicht frei von Prablerei. 


Philos.- histor. Kl. 1863. Uu 


338 Werzstein: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


Natürlich giebt es auch eine Menge Eigennamen, die häufiger wieder- 
kehren, was hauptsächlich daher kommt, dafs der Enkel sehr oft wie der 
Grofsvater genannt wird, um, wie man sagt, den Namen des verstorbenen 
Grofsvaters zu beleben. Auch die Namen berühmter Stammgenossen sind 
häufig, weil sie von guter Vorbedeutung sind. Bei den in Städten und 
Dörfern ansässigen Arabern, welche durchgängig gute Muselmänner, Christen 
oder Juden sind, findet man selbstredend alle diejenigen Eigennamen, an 
welchen die religiöse Tradition haftet, denn sie gelten für segenbringend. 

Auch in unsern Inschriften finden sich nicht wenige Namen, denen 
man in der Nomenelatur der Geschlechtsregister fortwährend begegnet, aber 
auch andere, die seltner oder dem Anscheine nach völlig unbekannt sind und 
deren ursprüngliche Form sich nicht bestimmen läfst. Nicht, dafs sich mit 
ihnen keine arabischen Eigennamen zusammenstellen liefsen, und wir haben 
dies auch immer gethan, aber man wird aus den vorerwähnten Gründen nicht 
die Gewifsheit haben können, dafs diese auch die wahren sind. 

Wir nehmen die griechischen Namen in der Reihenfolge des Kirch- 
hoff’schen Verzeichnisses. 


"A@aßss ist, wie Blau (Zeitsch. d. deutsch-mor. Ges. Bd. XV. p. 446) richtig 


bemerkt, ne „Freund”... Über die Form ”A@aßss für "oßaßos siehe das 
oben (p. 335) Gesagte. 


„ur 


"Aßyapos EX häufig und gleichbedeutend mit Sau), pe zu En (vgl. Bayga- 
res). Für uns bedeutet das Wort den „Dicknabeligen”, aber für den 
Araber, welcher körperliche Gebrechen aus Artigkeit und Scheu nicht 
mit ihren eigentlichen Namen nennt, bedeutet es einen, der den Bagür 
(5%) trägt. Der Bagür aber ist eine 1%, Zoll dicke, kugelrunde, gold- 
gelbe und sehr wohlriechende Frucht aus dem Geschlechte der Melonen. 

"AQıßes und bei Porter (Five years II, 37) "Aßeıßos > „Freund”. Das 
arabische Z wird, wird wie oben erwähnt, bald mit ı bald mit « wieder- 
gegeben; so heifsen (Porter II, 50) die Einwohner der hauranischen 
Ortschaft Hit russ ’Esı$yvov. Das Diminutiv Br (von > „Freund”), 


was "Aßsı@es wohl auch sein könnte, scheint nicht im Gebrauch gewesen 
zu sein. 


I» 
"Aßeudcs Ssa= „Diener Gottes”. 


gesammelt auf Reisen. in den Trachonen und um das Haurängebirge. 339 


"Aßevvos ist, wenn nicht aus "Aßcudes verschrieben, v2 oder or in der 
„(Bedeutung von rl =,s „saprielgen >” wie gs und 2»+>. ‚Nach 
‚Jägüt el-Hamawi, war auch es ein bei den Sabäern nicht seltner 
Name; desgleichen finden sich 6 und Las. Weniger nahe liegt es, Ei- 
gennamen von der Wz. „> „dickleibig sein” herbeizuziehen. 

aa "Aßevgıos bezerchineh wohl ein und dasselbe Wort und könnten 
Pe oder ,., Nebenformen des häufigen PvE „Schlächter (der Feinde)” 
seyn; so nennt man den Jagdfalken und das Schwerdt ‚2. Man könnte 
auch Eigennamen von der Wz. „> vergleichen, aber wahrscheinlich be- 
ginnt das Wort mit „.} und in diesem Falle ist die offenbar verstümmelte 
Form nicht leicht zu bestimmen. Nähe liegt [f 24] „Vater der Reja”, 
denn Rejä und Rejäna (35) sind bis heutigentags allgewöhnliche 
Frauennamen. Dafs solche Zunamen häufig die Eigennamen ersetzten, 

» zeigen uns, um nicht in ein höheres Alterthum zurückzugehen, die Namen 
Abü Bekr, und Abü S’emr (ein Gefnide), ‘denen die Historiker nur 
äufserst selten die Eigennamen beifügen. 


-o- 


"Aßscıns „1->, woneben.die Formen slr> und will, Die gleichnamige 
hauranische Ortschaft ist vielleicht auf einen Erbauer dieses Namens zu- 
rückzuführen. Gehörte die Inschrift (76) der christlichen Zeit an, so 
könnte das Wortauch ein gräcisirtes Abraham seyn, das sonst "Agau latıtet. 

"Axogos BR „der Erstgeborne” (7322); mit Elif prosth., weil durch den 
Tonfall auf die letzte Silbe das 5 seinen Vocal verliert; vgl. "Aveuos. Diese 
Annahme liefse freilich ° Abxzüpes erwarten; Blau (p. 445) vermuthet da- 
VBEr ein Wort der Form Nest. 

“aBdos A contr. aus su> — 0, vgl. Ibn Doreid ;1&x&S| ZUS herausg. v. 
Wüstenfeld p.322. Blau (p.449) vergleicht 5 (dazu s=lb .n Ss). Man 
kann die Form &$ „Held” hinzufügen, welche den Positiv zum Eigen- 
namen AD bildet; auch SAP ist Eigenname. _ Das Wort x mag mit 

‘dem  hebr. 777 zusammengestellt werden, die Radix hadd bedeutet 
'„herabstürzen” wie Raubvögel und ein "Aneze-Dichter lälst seinen Stamm 
"kommen ss! et 3, % „wie einen niederfallenden Heuschreckenzug”. 


Uu?2 


340 Werzstein: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


"Ada ist in beiden Stellen nicht gesichert. Vielleicht ist es’Adr« Isle, mit 
unterdrücktem ®, vgl. Teßein; vielleicht ist es Jb=Wai Su. Das 
Lösen der Flechten geschieht in der Schlacht und beim Schwerdtanz. 
Dafs der Frauenname 35% im Haurän alt ist, zeigt ein Volkslied, dessen 
Refrain immer die Worte bilden: 

ee, 2 | KeugE 
Haädil, meine Mädil, lieber mit Dir in der Hölle, als mit meinen 
Verwandten im Paradiese. 

"Adsıos Gas sehr häufig; so hiefs ein Panegyriker der Gefniden (A; 7 8) 
desgl. “der Schwiegersohn des Königs Hedime von Hira. 

"Asdos (auch bei Porter II, 37) us zugleich mit seinem Fem. sus fort- 
während im Gebrauch. An einem Festtage geboren wird das Kind meistens 
“id und ‘ida genannt. 

”Asıros bei Porter (II, 56) vielleicht ve „der Ersetzende (den Verstorbe- 
nen)”, met AUScs. Blau (p. aa liest ansprechend Asiros A £ 


’Acaßavn ss 5 ; „die Geschützte” — — von dem beduinischen 65 er a 
Ist vn griechische Bildungssylbe, so bietet sich sb; „die Enthaltsame” 
Sinne des Eigennamens sas};. 

"Alıkos, "Alıdıwv RE „der Herrliche, Gewaltige”. 

"A9os wegen Verstümmelung des Steins unsicher; wahrscheinlich ist hinter 
dem am Rande stehenden A ein Y ausgebrochen, vgl. AlScs. 

"ASagos ze wie Maray,os Am, Scheinbar näher liegt =, aber es ist mit 
mehreren anderen Eigennamen dieser Radix seltener. Nach Nes’wän 
bedeutet Ze (im Südarabischen) den Majoran; aber die Möglichkeit, dafs 
das Wort, mit Vergleichung des hebräo-phönieischen “r>, den „Gott- 
geweihten” bedeuten könne, ist ohne Weiteres nicht abzuweisen, und 
das von Blau (p. 444) zu einem andern Worte verglichene ’ASguiraros = 
msas ın? (Plutarch. Symp. 3, 4) verdient beachtet zu wer den. 


’aSiages ist auf der Inschrift nicht sicher und daher wird auch aus seiner 


Zusammenstellung mit einem der vielen Eigennamen der Stämme = und 
-°o 
‚Ze nichts gewonnen; einer derselben, “=, deckt es in der gegebenen 


Pr 


Form vollkommen. Auch ‚ol>, was sehr häufig, läfst sich vergleichen. 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 34 


o-> 


Aibndos bei Porter (II, 55) von der Wz. ss, die viele Eigennamen (wie ou, 
st}, 501,2 u.a.) bildet. Wahrscheinlich ist es die Form u (u) = 
- = 
wo, Anis „Widerstand leistend”. 


’ . - . . = . ’ . . 
’Angaßavcs bei Porter (II, 50) ist weniger >= „Scorpion”, als die Nisbe 


&b,äe: entweder „vom Stamme ‘Agrab” (vgl. das Register zu Wüsten- 
felds geneal. Tab. ad voc.) oder „aus der Stadt" Agrabä”. Diese liegt 
in Gedür (vgl. oben p. 317). Auch bei Damask liegt eine grofse Ort- 
schaft ‘Agrabä, desgl. auf dem Haurängebirge. 


Airanos Ju, Männername neben Se und En Doch kann es auch Je, das 
Intensivum von „> seyn, das mit u und dem Dimin. „ häufig ist. 
’AAararos. Wenn nicht aus’Adararos verschrieben, wozu sich die “= co unter 
den Stämmen Taj und Kelb vergleichen lielsen, so kann es “I das In- 
tensivum der Eigen- und Stammnamen > und Jele seyn. Siehe ’Areoos. 


"Areßos u „mit starkem Kopfhaar geboren” häufig neben Bi und ; vgl. 
Ibn Doreidp.122. Auch kann es „> „der Plünderer” im Gegensatze zu 


- 


I», 
= „geplündert” seyn. Eine Damascener Familie heifst ».J> „sie baben ihn 
gemolken”, weil ihr zuerst so benannter reicher Ahne durch die Schmarotzer 
an den Bettelstab gebracht wurde; eineandere heifst \eliull> „der Ameisen- 


melker”, weil der erste Träger des Namens aus lauter Pfiffigkeit das Un- 
mögliche möglich machte, oder machen wollte. Dies als curiosa ad voc. 
„J>. Das Richtige wird seyn, dafs vor dem dicht am Rande des Steins 
stehendem A der Buchstabe T' übersehen oder abgebrochen ist; die Worte 
„u „der Sieger” und le waren zu allen Zeiten häufige Eigennamen. 
"Areros das vorerwähnte ln, wenn nicht le näher liegen sollte, insofern 
dieser Name an Südarabien, die alte Heimath des Volks, erinnert, wo die 
Hülsenfrucht 'Alas (eine efsbare Sn) ein Hauptnahrungsmittel des Vol- 
kes ist. Davon kann das obige ’Ar«rares auch nom. un. Kule seyn. 
’AnaIarın all x. Die unterlassene Verdoppelung des A nöthigt uns eben so 
wenig, ein dem vorerwähnten ’ASpriraros entsprechendes x>8 MaX zu sta- 
tuiren, wie wir aus dem + auf eine Form wie »Ü} x4! schliefsen dürfen. 
Das Erstere gehörte einem Idiom an, das wenigstens zur Zeit der Entste- 
hung der Inschriften in Haurän nicht mehr existirte, und das Zweite 


342 Werzstein: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


weist auf einen localen heidnischen Cultus, der, wenn er überhaupt jemals 
nach Haurän gekommen, wofür es kein Zeugnils giebt, in. dieser Zeit 
von dem Christenthum absorbirt worden wäre. Beides also, das wegge- 
lassene A wie das hinzugefügte r, kommt auf Rechnung der griechischen 
Transscription. Vergl. noch Ozuarres und Taparcs. 

"Auepos, "AusgaSos, "AnıgaSos. Das erstere ist „le, die beiden andern Syle 
oders.se, und da beide häufig, so läfst sich keines bevorzugen. Das mitt- 


-) 


lere allein könnte auch 5-s= und die beiden letzten 5) seyn, das unter 


den Ausiden ein häufiger Männername war. 
"Auuruy,es ist von,Blau (p.440) mit "Iau@rues (Diod. fragm. in Müller H.G. II. 


p-X VI) und dem arabischen ERW verglichen worden. Die Zusammenstel- 


lung der drei Worte ist gewifs richtig, nur mag zu dem letzteren bemerkt 
werden, dafs es, wenn auch in den Genealogien so geschrieben, weiter nichts 


ist, als die beduinische Aussprache für Sal, dessen vocalloses n noch heu- 


tigentags bei allen Stämmen das Elif pr annimmt; vergl. "Avejaoe. Die 
griechische Transscription mufste dieses £lif beibehalten, da die Örtho- 
graphie MaAryes oder Marex;s bereits für das weit häufigere UL: verwendet 
war. Mit dieser Annahme aber würde sich die mehrfach versuchte Identi- 
fieirung von 'keu@rryos und dem hebräischen 7277 (1 Chron. 4, 34) nicht 
vereinigen lassen, da das Jota praefixum in solchen, einer untergegangenen 
Sprachperiode angehörenden, und sich fast nur in Eigennamen von Per- 
sonen und Örtlichkeiten erhaltenen Formen nicht jenem Elif in Lt, 
sondern dem jüngeren mim pracfixum der Participial- und Local-Nomina, 
oder genaher dem vulgären zu entsprechen scheint. 

AHEEP? > . 

"Augeidios, "Aup. ces gehören beide sehr unsicheren Taten: So sind 
nicht zu bestimmen. Das erste sieht völlig wie ein Fremdwort aus; ist es 

” . 083. iR 

aber arabisch, so ist es verschrieben; seine Form könnte x: oder \ai+ 
seyn und in beiden Fällen mit Elf prosth. Keinesfalls wird man in ihm 
ein Se ©) oder a! er vermuthen oder (ine Conjectur herstellen wollen. 


"Aurapn roh! ich den heutigen Namen Pur nur bei Männern gefunden 
habe. Als Frauenname ist malar ir: das Bild des Segens, nament- 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 343 


lich für den Nomaden, welcher daher für „regnen” geradezu ee] AygN 
sagt, oder das Bild der Reinheit, nach dem Sprüchworte ‚Lil sW 5 bil, 
Dem bekannten gassanidischen Eigennamen Ma-es-semä& „Himmelswasser” 
liegt dieselbe Anschauung zu Grunde. Vgl. Maragavs. 

"Avasos, "Aveos al „der Helfer” oder beidemal 2.0 „die kleine Gabe”. Beide 
sind häufig neben „> (=>3), 69 und &L@. 

"Avanos perl) „fortunatus”, stärker als Ds und bus} wie die gleichfalls häufigen 
Re) und ax stärker als rw und | Ars und SE sind. 

"Aveuos jet (weniger wahrscheinlich n)' mit Elif prosth. wegen der Vocal- 
losigkeit des ., (272); vgl. hierzu die Form "Aygcıva (Inschr. 114. 115. 116) 
für das arabische er Dieses Elif findet sich noch heutigentags sowohl 
bei allen Wanderstämmen, als auch bei den hauranischen Christen, dem 
Reste der alten einheimischen Bevölkerung des Landes, und zwar nicht 
nur in allen Formen wie Six, \uxd, Jess, les, Kuss, Kae, sondern auch 
überall da, wo die erste Silbe unter dem Gewichte des Tonfalls auf die 
nächstfolgende vocallos wird (wie imchabbä für u, imbärak für Sn). 
Die alten Grammatiker haben diese Erscheinung vielfach verkannt, denn 
Formen wie „est und us} durfte man im Arabischen ebensowenig sta- 
tuiren, als man 5,01 (idrä), ERGO! (isdaga) oder 70 (agahawwe) für 
59 (Mais), 5% (Almosen) und 3505 (Kafee) schreiben wird, wenn auch der 
Nomade auf Grund natürlicher Sprachgesetze nicht anders sprechen kann. 

”AvvnAos (auch bei Burckhardt, übers. von Gesenius p- 154) iz. Dieses 
Wort, welches auf keine semitische Wurzel zurückgeführt werden kann, 
ist das biblische >x°s7 Num. 34, 23, welches die samaritanische Version 
mit Ss; wiedergiebt, und liefert den Beweis, dafs sich unter den haura- 
nischen Eigennamen auch jene antiken Composita mit El (Gott) finden. 
Für solche Namen liegt zwar die Möglichkeit nicht fern, dafs sie sich aus 
der Zeit in Hauran erhalten haben, wo das Land in den Händen der 
Israeliten, oder, um es näher zu haben, der Aramäer war: denn Worte 
wie Hazael 1 Kön. 19, 15 und T’äbeel Jes. 7, 6 zeigen, dafs die os 
Pie7, welche sich bald nach Salomo’s Tod in den Besitz der ihnen 
unentbehrlichen Trachonitis setzten, ebenso wie die nördlicheren Aramäer- 


344 Werzsteiın: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


stämme (vgl. Qemudl und Betuel Gen. 22, 21. 22) mit dl zusammen- 
gesetzte Eigennamen hatten: aber da sich in unsern Inschriften auch 
solche finden, welche, von der Endsilbe abgesehen, rein arabisch sind, 
da ferner auch der oben erwähnte Name eines Gefniden (S’arahil) und 
der eines Himjariden (Surahbdil), der im 13. Jahre der Higra mit 
dem Heere der Muselmänner nach Syrien kam, wie auch zwei andere 
(Sihmil und 'Abdil), die sich in den Geschlechtsregistern des jema- 
nischen Stammes der Beni Asad finden, desgleichen noch mehrere, die 
man in den himjaridischen Inschriften gelesen hat, in dieselbe Kategorie 
fallen, so unterliegt es kaum einem Zweifel, dafs auch die in unsern In- 
schriften vorkommenden erst mit ihren Trägern, den jemanischen Arabern, 
in Hauran eingewandert sind. Weiteres über diesen Gegenstand unter 
OvanRos. 


”Avouvos kommt in unsern Inschriften viermal vor und ist gesichert: Ben 
Da dieser Eigenname nicht häufig ist (2 Sam. 10, 1 heifst ein König von 
“Ammön 7), so kann man ihn mit Blau (p. 447) für ein Charitativum 
halten. Sein Simplex wäre et (Johann), was jetzt (mil io Hanna) in 
Haurän natürlich nur bei Christen vorkommt, und als dessen Diminutiv 
ich immer nur Re gehört habe, obwohl die Hauranier sonst die Chari- 


tativ-Form ke: (aber stets mit Verdopplung des zweiten Radicals) sehr 
lieben. 


0.) 


0-3 . Aue . 
’Acveidos Ass, wozu der Frauenname 5Ä-,e als Demin. von 3s= im Sinne 
o- wu.) r 
von ©&s= „die Zuflucht (der Bedrängten)”, oder es ist &,e vom Simplex 


= - . Ir = 7 .. “ ” . 
Se, im Sinne von alt due, sämmtlich Eigennamen. Nahe liegt auch 
EIER > 3 


. ” .. ” . i 3 
Juss von O,=, das wenigstens jetzt ein häufiger Name ist. Ein 55,= „der 
Halm” war einmal mein Wirth (vgl. Reisebericht p. 14). Dieses Wort, 


unter welchem der Nomade die sprossende, verdorrende und neuergrü- 


ö 
nende Pflanze jeder Art versteht, welches er also, in dem Sinne von J> 
„der Nachwuchs”, von 7° ableitet, spielt in der Theologie des Sceniten 
eine wichtige Rolle und sein gröfster Schwur, die Lawije (die um- 
strickende Verpflichtung), lautet: Ssux4] Sl Sl lo As „bei der 


’ 


Wahrheit dieses Halmes und dem angebeleten Gotte schwöre ich, - -.' 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 345 


"Agaßes ist >>, was, gleich seinem Gegensatze „=, häufig als Eigenname 
vorkommt. Noch jetzt wohnen Beni Harb, ein ziemlich starker Stamm, 


zwischen der Legä und dem Segal. Weniger nahe liegt es, "Agaßecs mit 
-uE 
dem selteneren Namen o,e| zusammen zu stellen. 


"Agdes 2, „der Widerstehende”, vgl. Atgroos. Von der Wurzel s,= findet 


o « . ae . 41€ A 
sich als Eigenname häufiger das Diminutivum &a;,e. Die Beni‘Ored 
waren ein Zweig der Qudda. Ein wilder steiniger Districkt zwischen 


o.> or 


Kenäkir in Gedür und dem Berge Subbet Fir‘ön heilst &:,= ‚e,, ent- 
.. . I. 
weder von seiner Formation (0; = zo) oder von jenem Stamme. Viel- 


leicht stand auch ABAOC für APAOC, denn UE aus Abdalläh verkürzt 
war ein sehr gewöhnlicher Name; jetzt nicht mehr, wohl aber schreibt 


man für sl\O\4= gewöhnlich sus „sein (SC. Gottes) Knecht”. 
"Agy.dos ist bei der Unzuverlässigkeit der Inschrift 27 sehr verdächtig. Es 
könnte nur \uss mit Elif prosth. seyn, aber us, (=wu, „Lo) „ausdauernd 


im Kampf” wird schwerlich als Eigenname gefunden. 
B7, ” In .. .. > - ” 
Acuos „os (wie Marycs für Ulk) „Beschützer”; auch „ae ist zu vergleichen. 


"AruaScs was „Schutz”, und conceret „Schutzmittel”, als Männername nicht 
selten. Ein Chazragid dieses Namens kämpfte bei Bedr. 


-oE 
"Arcuaduvos Os=) „schwarz” ein häufiger Männername; dabei ist «vos als griech. 


Bildungssylbe genommen, da das Wort aber in der Inschrift 140 einem 
5°5) ö ’ F 


Eigennamen (Xzges) nachgestellt ist, so kann es auch mit &l52=1 in der 
Bedeutung „zum Stamme (zur Familie) Aswad gehörig” gleich seyn. Das 
Wort selber aber in der Bedeutung „schwärzlich” (was es wie 
et „röthlich”, en „bräunlich” u. a. gegenwärtig wirklich heifst) als 
Eigennamen zu nehmen, würde der Analogie entbehren. 


-„)0- 


28 - . . 
"Arouuavcs „wos „beschirmt (von Gott)”. Schwerlich eine Form wie „Uumu>. 
’Arararss ist in der Inschr. 37 völlig gesichert, mufs also seinen entsprechenden 


arab. Eigennamen haben. Blau (p. 444) schlägt Kuls in der Bedeutung 
„Morgenröthe” vor, indem er auf Grund weiterer Combinationen darunter 
einen &was)} Vue im Sinne von ,L&&} wue versteht. Wer nicht soweit 
folgen will, kann bei der Bedeutung „Morgenroth” stehen bleiben, denn 


.. 0» °.3 . . . 
Wo, wo und aus sind Eigennamen. Auch mochte das Wort, wie 


Pas. hielen Kl. 1863. Rx 


346 Werzsteiın: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


Blau meint, wirklich ein ursprünglicher Frauenname seyn. Ein solcher 
wird zuweilen, wie dies noch heutzutage vorkommt, ein Stammname und 
damit zum Männernamen;, doch wird die Annahme solcher Fälle zur Erklä- 
rung der weiblichen Männernamen durch die Natur des Final-s, welches 
bekanntlich von der Femininalendung unserer Sprachen wesentlich verschie- 
den ist, in der Regel unnöthig gemacht. Das gesuchte Wort könnte auch 
Zulbe (das kurze u ist auch in "A@aßos unberücksichtigt geblieben) heifsen, 
da nach Neswän Dale == — Aal „den Starken” bedeutet; desgleichen 


Su- 


xmbE, was — da nach Neswän unbe => „begegnende Gazellen” sind — 
wahrscheinlich: \& Bu ES Aubl} bedeuten, also ein schöner Eigen- 
name seyn würde; dem laut des Sprüchwortes Sb mal, sie ae! 


ist die Begegnung der Gazelle am Morgen ein donum omen für den Tag. 
So würde ein in der Frühe geborener Knabe benannt worden seyn. 


AöScs vos= „der Ersatz (für den Gestorbenen)” noch jetzt neben vos (Awad 
gesprochen) die Benennung der meisten Knaben, welche nach dem Tode 
des Bruders oder Vaters geboren werden. 

Aüuos (auch bei Porter II, 37) ist von Blau (p. 447) mit ne dem Simplex 
zum Dimin. Pa (Wüstenf. Reg. p.370), verglichen. Es könnte auch 
„iss seyn; ein Üäe (n ‚ss kommt in der Hamdsa vor und Andere in 
Wüstenf. Regist. p. 99. 

Adros Me „die Gabe (Gottes)”, Eigenname wie 8; ‚ sl&e und Xas 


- 


’Axyoureuuv erinnert zunächst an jı=W 7, einen NER der, wie bei den 
Arabern oft, den Eigennamen verdrängt hätte. Auch in der Bibel finden 
sich Beispiele, wenn man diese auch von denjenigen Wörtern genau zu un- 
terscheiden hat, in denen ms, wie 28 und r2, eine übertragene Bedeutung 
hat und zur Bildung von Eigennamen verwendet wird, wie 235 ns „die 


Liebliche”; zu der Endsilbe liefse sich dabei Naauwv für ver vergleichen. 

Aber wir haben gewils den rein arabischen Eigennamen ‚is mit El.prosth. 
Pr 3 

vor uns, der von „>! „dicknäsig” den Löwen und trop. den Helden bedeutet. 


"Ayyos &=, nach Ibn Doreid Eigenname bei den Asdiden, zu denen auch 
die hauranischen Gassaniden von Haus aus gehörten. Das Wort ist wohl 


zusammengez. aus «X= und dieses ist = «S4X= „der Dränger, Bezwinger”. 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 347 


’Axwos haben wir (Reiseb. p. 73) mit dem in der Inschrift (4) unmittelbar 


folgenden Worte Begdeu in dem Sinne von 24 „21 zusammengestellt. Im 
Griechischen Kekire man dergleichen Zunamen mit gleichem Rechte ge- 
trennt wiedergeben, wie bier, oder zu einem Worte vereinigen, wie dies 
vielleicht in "Alcugios geschehen ist. 

Baygarcs su; über dieses Wort vergleiche oben "Aßyagos. 

Bayan.. ist wegen Wegfalls des 3ten Radicals unbestimmbar, doch s. Od«ßyAos. 

Badwßaırcs. Da sich bei der Zuverlässigkeit der Inschrift am Worte nichts 


ändern lälst, so kann man Ks 1 „Unheilbringer (über die Feinde)” ver- 
gleichen. Zwar bieten die Inschriften keine Analogien für Abkürzungen 
wie „» und L, aber die Länge des Wortes konnte sie neben der Wahr- 
scheinlichkeit, dafs sie schon damals in der lebenden Sprache gäng und 
gäbe gewesen, veranlassen. Der Umstand, dafs das Elif als erster Radical 
fast unhörbar wird und gerne wegfällt, sobald es vocallos wird, ist in der 
Natur dieses Lautes begründet und viele Erscheinungen in der alten 


2 (der o>£ .. . . 
Grammatik, z.B. $ „ifs” für 51, erklären sich nur dadurch. Daher sind 
Bildungen wie 2%27 (2 Chron. 22, 5) für 2a same eben so correct, wie 
heutigentags 2 „meine Verwandten” für AN, By „die Brüderschaft” für 
mins, Bi und er charitativ „mein Bruder, mein Vater” für ns und 
"as. Wo daher (nicht blos bei den maurischen Stämmen, die diese 
Ausdrucksweise gewils aus der ersten Zeit des Islam haben, sondern auch) 
in der syrischen Steppe das Wort A5bü den Stammnamen bilden hilft, 
verliert es regelmälsig sein Elif; so haben wir bei Hims Stämme wie 
Elbü-lel, Elbü-käamil, am Euphrat (im Zör): Elbü-baggär, Elbü-chabür, 
im Elbü-mudlig, in der Trachonitis: Elbü-haije u.s. w. 
Badagos , a „Vollmond”, Eigenname wie ste „Neumond”; doch ist Letzterer 
häufiger, weil der Hill zunimmt, dagegen der Bedr abnehmen mufs. 


Baxcs eb Bei Bosrdä isi aus der Zeit der Inschriften ein äu! Es das viel- 
ichr Einem dieses Namens seinen Ursprung verdankt. 

Bawos ist unarabisch und seine Emendation wegen Fehlerhaftigkeit der In- 
schrift mifslich. 


BavaSos lies BavvaScs (das zweite v mag ursprünglich oder durch Beschädigung 


der vierten Zeile der Inschrift fehlen) &;, Männer- und Frauenname. Des 
Xx2 


348 Werzsteın: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


Wortes ursprüngliche Bedeutung ist nach Nes’'wan „das natürliche Arom 
einer Sache”, z. B. der Moschusgeruch der Gazellen, der Duft der Rosen. 

Bagay,os hat gewifs mit dem hebr. 7773 „segenbringend” nichts zu thun, son- 
dern ist der Eigenn. JS der wie d (die Vorderseite einer Sache: die Brust, 
die Deichsel am Pflug u. s. w.) den A Vorkämpfer, Ordner bedeutet. 

Bag@agos OE „der Schreier (im Kampfe)”, so heifst der Löwe bei den Dich- 
tern barbär. Gegenwärtig bedeuten die Wörter >, PF und „> den 
Schwätzer und alle drei sind Damascener Familiennamen. 


Bavravns re häufig, vgl. Qämüs und Wüst. Regist. p.109; nach [bu Do- 


reid (p.237) tödtete ein gewisser + vom Stamme der Beni Baulän einen 
König der Gefniden, der sie überfallen hatte. 
Beriaß@os verdorben, vielleicht aus BerraSos x „die Plage (der Feinde)” = 


So- 692) 
»b, wovon das Dimin. „u „die kleine Plage” an einen hauranischen 
Qudädiden-Stamm erinnert, auch sonst als Eigenname häufig ist. 


B&vıs, BevvaSn. Das zweite ist a, Frauenname, über seine Bedeutung vgl. 
BavaScs. Das erste ist wohl auch 3 mit unterdrücktem 3 und Tes’did. 
Begges g& „der Mildthätige” und e: häufig nebst dem Femin. .. Auch e& 

„in der Steppe geboren” ist häufig und konnte Beogos geschrieben werden. 


‚ z . . DEN) . 02 . ” B 
Biagos „. „Brunnen (der Freigebigkeit)”. Ein 4. kommt in den Gedichten 


des Urwa ibn el-Ward herausg. v. Theod. Nöldeke p-S1 vor. Mit « 


würde dabei das Hamz wiedergegeben seyn. Vielleicht ist es auch der plur. 


U Der Gebrauch der Collectivformen für Eigenn. ist im heutigen Hauran 
gebräuchlich; so stellte mir der Scheich der Ortschaft Charabä seine 
vier Söhne vor als Did (Wolf), Duwejib (Wölfchen), Didb (Wölfe) und 
Dibän (Rudel Wölfe). Der Scheich von Nawä heifst Medjeb (nach 
der Form Mekred, Medrez, Metrek eine Bande Kurden, Drusen, Türken) 
„ein Haufen Wölfe”. Man liebt Namen mit Collectivbedeutung, weil 
sich die Eltern in dem neugebornen Kinde gerne den Stammvater eines 
Volkes denken und es die Phantasie mehr beschäftigt, wenn es, auch nur 
von einem Zelte gesagt, heifst: dort sind die Niederlassungen der Löwen 
(gi 356%), Raben, Wölfe, als des Löwen u.s.w. Auch im Alten 
Testamente kommen Plurale, wie »eV, 227 und Collectiva, wie m 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 349 


(die „Geier”, vom unit. 'ö) als Eigennamen vor, die zum Theil ebenso 
erklärt werden müssen. 


o) .o. 
Bogdos >>. Die Bedeutung unsicher; vielleicht ist es plur. von 2,1 „der ge- 
-ü- o 
fleckte (Panther)” im Sinne des häuf. Eigenn. ‚W} „Panther”, vom sing. +. 


‚ -) u . . . . 
Bogn sin = siz „rein, integer” von Männern und Frauen gesagt. Oder es ist 


-r 


„> en UT 4 . Rz ei 
52 (mit unterdrücktem 5 und Tesdid), ein Wort das neben s-> und & 


Pe 


„das Gastmahl” bedeutet, und in der Steppe, wie in Hauran, mit den 
beiden letzten zusammen Frauenname ist. 


Bopraios er „Blitz”. Die Wiedergabe des kurzen a durch o wurde durch 
die Natur der drei Radicale des Wortes bedingt. Entsprechender dem 


-u- 
Griechischen scheint aber sö,;; einen Bargä ibn el-Hinu erwähnt 


Wüstenfeld, Regist. der geneal. Tab. p. 107. 
Taß.vns, vielleicht Taßıns ee oder ee — & „der Finsterblickende”. 
Taßages BE „der Starke, Gewaltthätige”. Bis jetzt allgewöhnlich. 
Taddes A> (für N) „strenuus”. Vgl. Ibn Doreid p. 274. 
Tadeicc „A> gadü „die Gabe” — =\b= und bel 
TadoaSn 3,A> (ohne Art.), als Männer- und Frauenname. So hiefs die 
Mutter des Qosaj ibn Kilaäb. 


oo.» Bi . oo» 
Tareoos ul „der Feste, Starke” Dimin. von „J> „hart” vom Boden gesagt. 
Auch umal> und wm eignen sich bezüglich ihrer Form und Anwendung 
als Eigennamen herbeigezogen zu werden. 


Tareuvos vielleicht ee — BE „finsterblickend”, aber wahrsch. corrumpirt, 
da die Inschriften den Buchst. 7 in arab. Namen nicht zu kennen scheinen. 

Taogos verschrieben, wie es scheint, aus Taggcs 2. So heifst ein Zweig der 
Nasriden Beni Garr, vgl. Ibn Doreid p.288. Bei den Steppen- 
dichtern bedeutet Pr (mit Kesr) die Gazelle. 

Taügos ist — — >; aber es ist sicherlich Taügos as „Stier” zu lesen, was 
ein häufiger Eigenname ist. 

Tavros cogE „der Beistand” neben ie. Den und OPER häufig. 

Taparos Ja „der Gewaltthätige”; doch siehe TapaAcs. 


.. 0 
Tedagav.. ist der Form nach „1, u> „der Magere”; dieses aber scheint als 


350 Werzsteiın: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


Eigenname nicht vorzukommen, und darum ist Sa> (s. Tadga$n) herbei- 
zuziehen, dessen 3 wie in To@eım unterdrückt wäre. 


y vo.» oo)» > 5 5 x a 4 
Teveos 4i> von > „der Flügel” trop. „die Hilfe”; Eigenname neben u 
w.)> 
Auch ‚.sz „der sich Genügende” ist vergleichbar; davon sind das Femin. 
“> 


ie und das Simplex BE Namen; Beni Ghani gab es in Higäz und an- 


derwärts. Vergl. Qämüs und Wüstenfeld’s geneal. Regist. p. 170. 


5 
-._ 


T'ss ist vielleicht „= (nach der Forin >) oder »& (J=) „selbstgefällig”. 


ur) „u. 


ww.) - - =“ . “.. 
Davon sind das Dimin. ss& und %s£ neben (ss&, &s&, „us und Bus 


Eigennamen. Die Eigenschaft der SE (bei den Frauen) und des \sȣ (bei 


den Männern), welche im gemeinen Leben gewöhnlich alt x, und Kögh 
St=' heifst, spielt in der Psychologie des Semiten eine wichtige Rolle, da 
sie bei ihm die Mutter grofser Tugenden und Laster ist. Ihr gegenüber 
stellten die positiven Religionen die Lehre von dem Isläm, oder „der De- 


muth vor Gott” auf, der natürlich \;& (77) geradezu mit N, 8 und 72 
identisch ist. Aber in der Steppe wuchert die „Selbstbewunderung” in 


urwüchsiger Fülle: x& 1 ist die schmeichelhafteste Benennung eines Mäd- 


chens, (s»W&! ist der Held und zum (s &! > für das Grab des gefallenen 
Kriegers schneiden die Jungfrauen ihre schönsten Zöpfe ab. 

Deguavos ist wohl Germanus, wenn auch von der Wz. „> Eigennamen ge- 
bildet werden. 


02. oo.» 


Teuss >, gr> und = sind Eigennamen. Ein Theil des Haurän - Ge- 
birgs, der an den „Distriet der Schlösser” (Ard el-qusür) grenzt, heifst 
der Rücken von > und ist vielleicht so benannt von dem Schlosse, das 
einem Manne dieses Namens damals gehörte, wo das Gebirge bewohnt 
war, d.h. zur Zeit der Entstehung unserer Inschriften. 

Aafßavos ist sicher das häufige .,uoS. 


Aades vielleicht oL5, wozu der hauranische X .„. 2b5 erwähnt werden kann; 


auch könnte es og (7777) seyn. Näher als beide läge ass, wenn dieses 
nicht ausschliesslich Frauenname wäre. 

Aav..wAoc ist aufser seiner Lücke noch verschrieben; denn es würde eine Wz. 
dnl geben, die bei der Unverträglichkeit der Laute n und / in den semi- 
tischen Sprachen unmöglich ist. 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 31 


’ ’ os £ ’ » . en 
Aocaıos kann aus Acaucs 5 „Wölfchen”, was in alter und neuer Zeit häufig, 
verschrieben seyn, einfacher aber und darum wahrscheinlicher ist die von 


Blau (pag. 444) gegebene Emendation in Acaıos RN was das Dimin von 
sis „die Standarte” und ein häufiger Eigenname ist. 


Aouragıos 5 u als Name eines Mannes. Die Inschrift (86) stammt aus 
Bosrä, wo bekamntlich der Cultus des Dusäres einheimisch war, vergl. 
Reisebericht pag. 112 f.; Carl Ritter, Geogr. v. Syr. u. Pal. II, 2, p. 
968 ff.); aber in so später Zeit — die Inschr. ist vom J. 539 — wo dort 
längst jede Spur von Heidenthum verwischt war, hat dieser Name keine 
nähere Beziehung mehr, wenn man auch von seinem Vorkommen gerade 
in Bosrä Notiz zu nehmen hat. 

’Euusyarn und (gen.) ’Euneyavev. An der ersten Form ist nicht zu rütteln. 
Die Tempelinschrift (200) ist so deutlich, als wäre sie von gestern und 
die Portersche Abschrift (II, 202) bietet eine gute Controlle. Nur in 
der zweiten Form hat Porter irrig ’EuuorAcv für ’Euueyvov. Das y ist 
sicher und ich glaube das ganze Wort, denn ich habe die Inschrift nach 
der Copie noch einmal verglichen, da aber die vierte Zeile aufserordent- 
lich gedrängt ist und die Buchstaben sehr klein sind, so könnte wohl, 
wie Kirchhoff vervollständigt hat, A für N stehen, obschon sonst die 
Ligaturen fehlen. Vielleicht aber hat es auch der Graveur aus Versehen, 
oder um Raum zu gewinnen weggelassen. — ’Euusyavn für einen Frauen- 
namen zu halten, hindert sowohl der Inhalt der Inschrift als auch der 
Genitiv ’Euneyavev. Das Wort ist also ein Masculin, nur nöthigt uns seine 
Feminal-Endung, ihm einen arabischen Namen zu substituiren, der gleich- 


falls weibliche Endung hat. Dieser ist wie ich glaube et dem die 


griech. Transscription das beduinische Elif prosth. vorsetzte und dessen 
sie, wie in ’Orn@ıcs u. A., unterdrückte. Nach der allgemeinen sprach- 
lichen Regel ist zwar die Aussprache mähägäne (msira), da aber der 
Ton nach dem & hineilt, so kann sich der Halbvocal des m nicht halten 
und es entsteht m'’hägäne, was in Haurän und bei allen Stämmen noth- 
wendigerweise emhägäne oder, da das Elif prosth. den Vorton bekommt, 
wiedmmhägäne lautet. Aus gleichem Grunde mufs 227% „der Geliebte”, 
7577 „die Mohnblüte” emmhabüb und eddhanün lauten. Dieses Elf 
prosth. ist so prononeirt, dafs ich in meinem Reisebericht (p. 78) immer 


352 Werzstein: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


la! statt Mutän (js7°2) schrieb, und Burckhardt (Übers. v. Gesenius 


p- 426 u.ö.) immer Omm-keis statt Mukeis. Diese sprachliche Erschei- 
nung läfst sich hier nur andeuten, nicht erörtern; die Lexica der semi- 
tischen Idiome sind voll von solchen Bildungen, zu denen natürlich auch 


: Re 0, | --0 -0.. N 
grammatische Formen wie \! (imperat.), ss}, N} und sis! gehören, 
und dafs sie unsern Inschriften nicht fremd sind, zeigen uns Worte wie 


.-..o 
"Aunrryes und "Aygawva. — Um auf SL=* zurückzukommen, so kennt es 


- 


der Qämüs nicht, aber er hat Ne (was Freitag in seinem Lex. vermissen 
läfst) und N in der Bedeutung „Krummstock”, und Neswän fügt 
hinzu, dafs es der Sölagän (der heutige Gökalän) sei, womit im 
Kugelspiel die hölzerne oder steinerne Kugel gewaltsam geschlagen und 
vorwärts getrieben wird. Mihgan ist daher (tropisch „einer, der den 
Feind schlagend vor sich hertreibt”) ein sehr beliebter Eigenname und 
man findet ihn als solchen in Qdmüs, Ibn Doreid, in Wüstenfeld’s 


geneal. Tabellen und anderwärts. Desgleichen bilden sich von dem verb. 


denomin. 5 („mit dem Gökalän vor sich hertreiben”) andere Eigennamen 
wie seh, BD es 0 u. A. — Das Wort Sl (nicht u oder ne) 
spielt in der Trachonitis eine wichtige Rolle, denn in Gestalt eines kurzen 
dünnen ungeschälten Stabes vom bittern Mandelbaume, mit schiefstehen- 
der, einem kleinen Weberschiffchen nicht unähnlichen Handhabe ist es 
eine geheimnifsvolle Zauberwaffe gegen die gefährlichen Angriffe der 
Tochter Berri’s und ihrer Helden, und kein Muselmann, Nomade oder 
Druse Haurans wird sich leicht ohne die Mihgäne in die Nähe der na- 
mentlich im A’wag-Thale und in Gedür häufigen Gräber wagen, in denen 
jene Helden, auch Aulid el-a'gäm „fremde Gottesmänner” genannt, 
leicht erweckbar schlummern. Die Sage von Berri’s Tochter (‚s+ ı%), 
Herrin der Stämme Berri und Nom, und von ihren Kämpfen, spielt in 
Haurän eine grofse Rolle, ist vorislamisch und scheint eine Allegorie auf 
den Untergang, nicht des Christenthums, sondern des hauranischen Heiden- 
thums zu seyn. Das Christenthum kennt die Mihgäne nicht, dagegen 
hat sich derselben als eines Zauberstabes schon Muhammed bedient (vgl. 
Ibn Doreid p.125) und nach Ne swän war ve „Träger der Mihgäne” 
eine häufige {>} SS „a &üs. Kam sie mit jenen jemanischen Stämmen 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 353 


nach Mekka und Haurän? Spielte sie vielleicht, da wir unter dem Personal 
eines einzigen Tempels drei Männer dieses Namens finden, im haurani- 
schen Heidenthume eine Rolle? 


"Eugavos ol 

"Evos entweder —"Ivos, oder ee nach Blau (p. 445); dieser vergleicht Te 
(Wüstenf. gen. Tab. p. 14) „Gottes Auge”; vielleicht eher „Gottes (d.h. 
von Gott gespendeter) Quell”; auch das als Eigenname häufige Dimin. 
sie bedeutet nur den Quell, vgl. Biages. Jetzt häufige Namen sind 
Munehil „Tränkort” und 'Odejid, eine secundäre Bildung von No 
ds, was bei den ‘Aneze-Stämmen der fast ausschliefsliche Name für 


Brunnen. Im “Antar heifst ein Gassanide Ghadir „Teich” (= Bye zNE). 


’ETarauavos so viel als Sarauavne. 

"Exages gesichert in Inschr. 75. ‚Xs eigentl. „getrübt” von Wasser und Him- 
mel gesagt, daher „düster, finster” = ER und mit seinem Dimin. „X 
ein häufiger Eigenname neben le, ne und In. 

Zaßavwv u „Beschützer”, häufig neben 08 und N; (s. ’Agaßavn), wozu 
noch das jetzt häufige es — Slot 25 zu zählen. 

Za@des 5, „Geschenk” (Gen. 30, 20) = xBluu; „Gottesgabe”, vgl. die bibli- 
schen Namen »721, 3728, >87731 u. a. 

Zayos &5 „die blaue efsbare syrische Dohle”. Ein Dorf oz! I, liegt in 
der Nugra. Alle Namen der Vögel, die sich Nahrung suchend um den 
Zeltlagern aufhalten sind heutigentags häufige Eigennamen, wie ,2;,; „der 
bunte syr. Staar”, ‚„sae „der Sperling”, Ent „die Schwalbe” u.a. 

Zeßeudcs, Zoßedes a; „(Gottes-)Gabe”, Dimin. von a). S. Zußdes. 

Galuos, Oduoe .s „Knecht (Gottes)” = Su s. OcuaAdos. 

Oilzuos ist entweder = ®aiuos oder es „der Zwillingsbruder”. 


Ouuagn u „die Schlanke”. Man könnte dabei an den bibl. Eigennamen 
"an „Palme” denken, aber diese Bedeutung hatte das Arabische jener Zeit 


nicht mehr, und ss „die getrocknete Dattel” mochte wohl als Frauen- 


name selten seyn. Eher könnte man 5,3 „Baumfrucht”, von dessen 
Di er D 


Philos.- histor. Kl. 1563. Yy 


354 Werzstein: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


Collectiv das Dimin. 3 „Früchtehen” als Eigenname gebräuchlich ist, 
herbeiziehen. 


Pr 2 1 u. F °. °. 
@eßavys „42 „der Liebliche oder Fehlerlose” von > (wie „Ia> v. 2>), 
ur „© 
wovon der Frauenname &uD>. Die Form ‚Is (7>>2), schon im Alten 
Testamente bei Eigennamen häufig, wird noch jetzt dafür mit besonderer 
Vorliebe verwendet, vgl. oben p. 336. 


Znardos all 0 — xlt &us, oft verkürzt in 15 (@alucs). Von einem Fürsten 
der hauranischen Sabäer, der zwischen Hasbajä und Nabatije heimisch 
war, hat nach historischen Zeugnissen der Wädi Tem-alläh, von den 
Reisenden Wädi Teim genannt, seinen Namen. 


Osuasyn zanh „die Stolze” mit unterdrücktem 5. Qdmüs spricht wenig von 
der Wz. Du, mehr Veswän, was beweist, dafs sie eher dem südarabi- 
schen Idiome angehört. Sie ist verwandt mit aD „übermüthig seyn”, 
was gerne von männerhassenden Frauen gesagt wird, und da es möglich, 
dafs unsere Inschriften zuweilen - durch % wiedergeben, wie die Byzantiner 
(vgl. Ioh. Porphyrog. de them. ed. Bekker p.90 u.ö.), so liegt auch 


w.)> I. 
rt 


a, Dimin. von > sehr nahe. So heifst es in einem hauranischen 
2 -o. 


Marschliede: ae sale Be san} we, a L 
Sl, LE u BR) > Nauh 
Höre, du Reiterin des Kamelfüllens mit dem troddelreichen Mantelsack:: 
Es ist süfs, das stolze Weib zu küssen zwischen Kinn und Hals! 
1aßßecs, siehe Pa@ßece. 


"Idauos viell. PER WE „irruens”, poet. Ausdruck für das Schwert und Eigenname 


oo.) 


“06. 3,9 PT) w. 
neben 242, IP, dr, „Am u.a. Auch von der Wz. „as (= 9) 
werden Männernamen, wie ARE u.a., gebildet. 


"Iöies bei Porter (Il, 50) ist von Blau (p. 449) wohl richtig mit ‚se zu- 
sammengestellt. 


"vos „9 (spr. hinü) = sl&b= „die Gabe”, scheint bei den Gassaniden häufig 
gewesen zu seyn (Ibn Doreid p.286 note m). Doch könnte das Wort 
auch or oder 2 (= o21, u2&%) „Helfer” seyn. Die antike, später 


durch Jus> verdrängte Form 1 scheint bei den Südarabern besonders 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 355 


heimisch gewesen zu seyn, vgl. Freitag s. v. 2 (= nee „conjunetus” 
wie >, Nö u.a. für „Ilsw% und Kl). 

KaızAa9os wurde von Blau (p. 445) mit dem Namen N 2 >lo) 
„stark” zusammengestellt, von dem es entweder das Dimin. sl,3 ist, 


..0ü- 
oder auch &&,3 eine Femininalform, welche in Männernamen die Bedeutung 
 .. 6» --ü,. -s -üs- 


verstärkt, wie 5, \u>, 3,Xe für ‚Au>, Jüs. 


-©- 


Kaiauos „3 = roouey,cs nach heutigem und gewifs auch antikem Sprach- 
gebrauche; eigentlich: der sich in die =üs (Lebensgefahr) stürzt. 
Heutige Synonyma sind a und „us; sie fehlen in Qämüs. 

Kanuaravos. Von der Wz. ws sagt Veswän, dafs sie bei den (jemanischen 
Christen taufen bedeute; hiernach könnte gamsän der „Täufling” seyn, 
ein Name, der zur Zeit der Entstehung des Christenthums in Hauran nicht 
unmöglich wäre. Von der Wz. „#3 sagt derselbe Lexikograph, dafs 


©. = 
v3 und „35 „mit Gier zusammenraffen” bedeute, wornach +6 und 


©. 


ls = os wäre. 


Karsvvos ist verdorben, s. Tarcüvcs. 
' er ar ee . . 22 9-2 . . 

Kagos g 5 neben 3 und &=5, vielleicht auch - 3 neben = (vgl. Meidani 
Prov. ed. Freitag I, 82), apdua. 

Kasırcess, Karsıceos yomö, Intens. von 3 „Hirte”, dann trop. „Führer des 
Volks” (vgl. Keoeses), endlich wie unser pastor „Pfarrer”. Die letztere 


Bed. wird das Wort hier nicht haben im Sinne von: amt wu 5 SO 
dafs Qassis nicht der Vater des Genannten, sondern geradezu der Familien- 
name wäre, obschon es in Syrien (wo bekanntlich das Caelibat niemals 
existirt hat) eine Menge solcher Familiennamen giebt, wie „bei es-sem- 
mäs” (Familie des Diakonus), „ddt el-ma/rän” (Fam. des Metropolitan), 
die zum Theil seit Jahrhunderten Muselmänner sind, wie das zahlreiche 
Geschlecht „bet el-chüri” (Fam. des Oberpfarrers) in "Ain et-Tine auf 
dem Antilibanon. 


o- 


o-. >» N re E, ne 
Rosuos „=ö als Dim. des Eigennamens „—ö, vgl. Qdmis u. s. Katauos. Minder 


wahrscheinlich age von ci Das Wort as bedeutet im Arabischen nicht 
Volk im Sinne von populus, sondern des hebräischen 27 (Hiob 24, 17) 


= REIFE \&, der mit Jemandem oder gegen ihn aufbricht. In Haurän 
2 Yy2 


356 Werzsteiın: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


und in der Steppe ist göm ausschliefslich der letztere, nemlich „Feind”, 
als Collectivum und von einer Person gebraucht, z. B. 5 Ju) bi. 
Kereros gms, Dimin. von ur im Sinne von rcuunv Accu; beides sind Eigenn. 
In der Bedeutung „Priester” erscheint us (nicht y) als amphibolische Bil- 
dung; denn rger@us würde es nur nach aram. Sprachgeb. bedeuten können. 
Mayagn AFr Männer- und Frauenname, vgl. Ibn Doreid p. 156. 284, von 
Pr „rufus”. Jetzt findet man in den Zeltlagern den Frauennamen per 
häufig, 
Säumigen oder Fliehenden bestreichen, was für einen grofsen Schimpf gilt. 


MaSos, MaSeıos, MaSıos vol „das durchdringende Schwert”, noch jetzt häufiger 
Eigenn. Das Wort M«Ses ist aber vielleicht as: (= ber oder ber „ı}, was 


jetzt den Wolf bedeutet), wovon als Eigenn. bei Qämüs das Dimin. er 
„der Rupfer”, d.h. der dem Feinde Abbruch thut. Jetzt ist Zeb und 


5 Del, wörtl. „Pelzrupfer”, der Verläumder (als Ehrenräuber gedacht). 


Mares, Marıyes, Mary,es (auch zweimal bei Porter II, 50. 56) «Jl „Be- 
sitzer”. Neunzig Gefährten Muhammeds hatten diesen Namen. MaArgos 


von er „Mennig”, mit dem die Mädchen in der Schlacht die 


kann auch «uk seyn, s. "AunAry,os. 

Marely,aSos, Marry,aSos. Das erste ist ZA das andere uk; beide sind häufig. 

Maryalos, Mary Il. Zu den griech. Bildungssylben vgl. Bogxaiss u. "Adıdıwv. 

Mevos auch bei Porter (II, 39) er == 0% „kampflustig”. So spricht man 
noch jetzt in Haurän von einem Pe & er et 

Magadexns Gr „reich an Glücksgütern”; oder—xb! Ren „von Gott gespendet”. 

MageaSn Sb Märia, der gassanidische Name (s. oben pag. 332) für das 
neutestamentliche Magıau (2°). Jetzt in Hauräin Marjam, Marjäma, 
und im Dimin. Marjüma, Marrüm, Marsa und Müre&s', in beiden 
letzteren mit Anspielung an die Marüs’a, den Olivenzweig, wiein Nachla, 
dem Charit. von Michä’il, an die Palme. 


N o> 
Marareuos m „gottergeben”. 
’ e . ° e . . 
Meray,os, Marey,os. Das erste ist Aw» „Moschus” und das zweite das Dimin, 
oo.» = oo.» A nn Pr = ei 
Jun; von letzterem ist das fem. 5 jetzt häufig und im “Antar heilst 


> 
so die Tochter eines Gassanidenfürsten Mugir („u), welcher unter 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 357 


dem Gefniden Härith el-Wahhäb Gouverneur von Haurän war. Auch 
ein Dorf in der Legä heifst Museka. Zu der Form Mesaxes für Miryes 
vergl. Inschr. 141, wo die Einwohner der Stadt Nimra Nauapnsıcı heifsen. 

Marcos könnte di neben xms (fem.) und ums seyn, aber sicher ist MAECOC 
ar von ua „Moses” zu lesen, ein Name, der nicht nur heutigentags 
in Hauran allgewöhnlich ist, sondern auch aus den Genealogien in den 
Qämus übergegangen ist. 

Maragavns AR) „unter Regen geboren”, vgl. "Auragn (was des Elif prosth. 
wegen das arab. 3-62 mit unterdrücktem 5 seyn wird; vgl. Xaauueos). 

MeyeSıos ist vielleicht MeyerSıos un „Helfer” zu lesen. Dabei würde ı05 wie 
in ZovßaiSıos und wie os in Xausess der griech. Umschreibung angehören. 


Misaros lim. Über diesen Eigennamen siehe Qämüs unter ji. 


„u. -u.) 


r o.) fi o> Br a 2 
Moaıpos „> von „= „das Füllen”, Eigenname neben 5,4, 5. u. a. 

’ 0-3 . . we - . 
Moaigesos ws Dimin. v. + „Brautwerber”. Vgl. oben p.337. Dergleichen 
« ” 2 - I- ” . 
Benennungen sind nahe gelest; so ist auch -= „Braut” ein Eigenname. 

5 gelegt; CR, 8 
w.> -o 2 
Moyeaıgos „32 „immer auf Raub ausziehend”, also = ‚„*. Auch kann es „in 
[377 
der Höhle (5,L&:) geboren” oder part. piel von 42 seyn, im Sinne von 
PX w-)> 2 A 
J>31 „sr „welcher die Dinge (den Seinen helfend und dem Feinde scha- 


dend) ändert”. Solche Participial-Nomina sind noch jetzt häufig: so heifst 
der Neffe des Ibn Düchi (Reisebericht p. 147) Mo‘azzi „der (durch 


Erschlagen der Männer) Trauer über die Familien bringt”. Peraea hat 
eine Menge PB genannte Ortschaften, die ursprünglich zum Theil wohl 
PIE (Höhlen) geheifsen haben, zum Theil auch nach Urhebern benannt 
seyn mögen, die den Namen > hatten. 

Moyıros rer s. Tavros. 

Moyvıos (ein Poker II, 114) ir, wie Blau (p.443) wohl richtig vermuthet. 

Mosaaos wohl MeeaSos zu lesen, a Dim. v. las „Catulus” von Fuchs und 
Hund gesagt; häufig, wie „As$ (Fuchs) und —_S (Hund) selber. 

Moxeınos min „der Standhafte”, oder „der den Feind überlebende”. 

Moevos er Dim. von a s. Mavcs; oder es ist re s. Moivice. 


358 Werzstein: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


Mowıss Br (von 6) „der Helfer”; gewifs aber ist nach Porter’s Copie 
(II, 114) der Inschrift 4612 des ©. I. G. Moyvıcs zu lesen. 


’ ro . 
Merauavos kann zwar (emr „fett” seyn, neben andern Eigennamen von der 
Wa. ‚zw, aber aves mag Bildungssilbe seyn (s. ’Arcuadaves), wo sich dann 


.o H F 
der Eigenname „os „der Gottgeschützte” vergleichen liefse. Vgl. "Aruos. 


20. 


Nacuwv je „der Segen von Gott”; daher per (und je) überhaupt das Besitz- 
thum (zr7u«) des Nomaden. Auch kann es „las „Straufs (Coll.)” seyn. 
Die griech. Endung zum Worte zu rechnen, um ein aramäisches j1272 zu 
statuiren, ist milslich, obschon das Wort in“Agrabä und zwei ähnliche 
(Zußavov und ’Adıdızv) in Kenakir am östlichen Fufse des Hermön, also 
schon innerhalb des Rayons gefunden wurden, in welchem möglicherweise 
das Idiom der Gebirgsvölker noch gesprochen wurde. 

Naeucs ‚us ohne Elif prosth., das auch in MarYyaSes und (wenn ihm ul zu 
Grunde liegt) in Maäryes fehlte. Vgl. "Aveucs und "AuuAryee. 

Nalaros ie a) pr „der gleich einem Gaste (5) von Gott her ins Haus 

> 


or a .. . = s K 
(5;%*) kommende Segen”. Häufig neben seinem Dimin. 3. 


NaSwsos ist (wenn nicht aus NAEMOC verschrieben) Ri „ordo”, concret: die 
Reihe, der Zug (Heuschrecken oder Krieger), oder es ist = AR „das Ge- 
fügte, kunstvoll Gebildete”, wornach N) , dessen Verkürzung unser 
Wort geradezu seyn könnte, = su} ale wäre, Vgl. NaraneAos. 

Naigauss 3 (Ibn Doreid p. 328) oder „x „der Stöfser mit Schwert und Lanze”, 
von dem beduinischen RS „zurückstofsen, abstofsen”; „Er pl. ze sind 
bei den “Aneze die Helden. Die Erklärung bei Idn Doreid ist, wie häufig, 
schief. Über die E.N. „= und an s. Qämüs. Zur Endung aıss vgl. Mary,aios. 

Nagos nach Blau (p. 445) A „der Tag”. Ein Nahär ibn meshür ist erwähnt 
Reiseb. p. 138. Auch den häufigen Eigennamen Pr „Flufs” (vgl. "Eves) 
könnten wir vor uns haben. 

Narsa9y Rob, eigentl. das Stirnhaar der Pferde, entsprechend der Js der 
Beduinenfrauen, dann tropisch: die Andern Vorstehende, die Edle. 

Naoegos aus von Er „der :Adler”, oder nal von „u „der Sieg”, alle vier sind 
gleich häufige Männernamen. 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 359 


NarAos ai „die Schwertspitze”, jetzt in Haurän „die Pflugschar”. Weniger 
wahrscheinlich ist \ws „der Sprofs” (Kind edler Abkunft). 

Naraueros. Die Inschrift steht auch bei Porter (IJ, 59) und Prof. Woolsey 
(s. oben p. 328) las Natanael, was nicht möglich ist, da ich mir das 
auffällige Wort an Ort und Stelle genau angesehen habe. Blau (p. 448) 


nimmt es für us, und obwohl dabei das störend ist, da in dergleichen 
Compositis die Silbe =! immer mit n geschrieben wird, somöchte sich doch 


schwer etwas Besseres geben lassen. Einen NaSuyAss scheint Inschr. 91 
am Ende Zeile 4 zu haben. Vgl. NaSuss. 


Narapos px „der grüne Zweig” (23), ein häufiger Eigenname. 

Narauos so viel wie NaSucs. 

Noaıgos, Neeges Pre von ya „Liecht”. Häufiger ist ek) und gegenwärtig RES 
und yada „lichtstrahlend”. Auch kann es Pr — lu feyn, vgl. Naigaıce. 
Nogega-Ins ist, da es eine Wz.nrr nicht giebt, in ’Ogega«Srs zu verwandeln, 
so dafs N zum Vorhergehenden gehört: > von >> und "= „der Edel- 

falke”. Vielleicht ist aber NOYEPAYHC 35 zu lesen. Vgl. Noaugos. 

Norgaos entweder pr (s. Naragos), wobei der O-Laut auf Rechnung des & 
käme, oder sa, wobei @ =. Über Ss als Männername s. d. Qdmüs. 

NoxogaSn x fem. von x „unangenehm”; vgl. Zamach. Mogadd. p.'on u. hf. 
Frauen- und Männername; als ersterer konnte er mit Zo’@la (ES ;) oben 
p- 336 dieselbe Veranlassung haben. Als Männername erhält 2 durch 
das 3 eine neutrale oder intensive Bedeutung im Sinne von „gefürchtet 
(Ka) den Feinden”. 

’OaßSwou ist aßewev (Sabinus) zu lesen. 

’OaıSeros Na353 Dimin. v. AR) ein poetischer Name des Fuchses und nach 
Qädmüs Männername. Blau (p. 446) nimmt es als Dimin. des Namens 
ut, (Wüst. Reg. p. 453). Der heutige Araber würde unbedingt Nase 
(Dim. von ‚\bk) lesen, denn jedes schwächliche oder fehlerhafte Kind 
nennt der Nomade „le „Taugenichts”. 

"Oßaıdos, "Oßedeos N aus a} Br verkürzt, wie us aus Alf aus: 


o-» -ö- 


"OßAoScs Xus Männername neben dus, uen se u.a: 


360 Werzsteın: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


"Oyelos > = se au also gleichbedeutend mit dem heutigen Jost 
Vielleicht ist es auch P= Dimin. von 5=. 

"OdaSos 55,9 „der Qald-Vogel” und Männername nach Qdmüs und Ibn Doreid 
p- 320. Nach Letzterem (p.200) gehörte ein Höda zu den Beni Hanifa, 
die wohl in der Nähe der Trachonitis wohnten, da sie an der Schlacht am 


Brunnen Ubägh die Verbündeten der Gassaniden waren. 
> ’ > ‚ .o -2 F- . 22 
’Odwwvaros, "OdevıSes, "OdevaSy &u51 Männer- und Frauenname; Dim. von .,S} 


„Ohr”, doch mag das Wort hier eine übertragene Bedeutung haben. Das ı 
in 'OdeviSos beweist, wie das zweite o in "O/@roSss, dafs sich die gr. Umschr. 
oft wenig um den Wortbau und die Ausspr. des arab. Namens kümmerte. 


„7 . . . ae = > Ü 
Oiaros ist nicht gesichert u. wohl in ’Orares „lbs zu verwandeln, s. ’Ararares. 
u.» 3 o. .. $ „ 2 
"Orameos > 5. Alkauos od. le v. „ie „Feldzeichen” trop. der Helcı W.R.p.351. 
"Onauncs (beiP orter II, 55) na (wie ANE= — N) neben FT (masc.u.f.)u.a. 


-u.2 >65 5..E 
’OuawaSys Sal Dim. der Intensivform & „der sichere Mann”, d.h. subjectiv 
o.2 BIP 


„furchtlos” und objectiv „treu”. Beides Eigenn. neben eh ar uw u.a. 


"Ouens vie „eultor”, bekannter Name neben vielen andern von der Wz. „= 
„colere” (z. B. sein Feld bestellen, sein Haus bauen, sein Vermögen 
vergröfsern, sein Land vertheidigen, sein Schwerd schärfen, seine 
Flinte laden, seine Pfeife stopfen, seine Pflichten erfüllen, seine 
Rechte wahren, den Krieg nähren, den Frieden pflegen, seiner Re- 
ligion anhangen, seinen Gott eifrig verehren). 

Oil a (X 123) „Gabe (Gottes)” Eigenn. nach Idn Dor. u. Qämüs; s. "Ives. 

”Ovamos, "Ovevcs we sehr un vgl. ”Avouvoc. 

"OgaAas an nicht "Opaides x = vgl. BR oder’ ern zu lesen) 8! Dim. 
von Dt „der Hirsch”, oder auch SE, Dim. von Ai „der junge Straufs” 
mit El. prosth. Von einem Stammvater dieses Namens heifst ein Wander- 
volk Ruwala (eig. ,,), dessen Nom. unit. (Oyrweli GE) ist. 

"Ogegos (Inschr. 29) => von > „der Edelfalke”; oder Dim. von > -S „ge- 
fürchtet”. Ein aus der Zeit der Inschriften stammendes Kloster Pr. & 
in der ae wird nur nach seinem Urheber benannt seyn. 

’Oraiercs 1 von wo! „generosus”; einen On wol erwähnt Qdmäs. Oder 


ww.) -..» 


Je Dim. von Se „herzhaft”, Eigenn. neben ‚me, us, iums, Jurm u.a. 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 361 


"Oreßos ala: (Dim. von us> —= Ss }) „Brennstoff (des Kampfes)”, Eigen- 


name neben &@> und BEE bei Ibn Doreid p. 281. 309 und Qdmüis. 
- u» 2 
j 


’Osnßıcs (Porter II, 56) von Blau (p- 445) passend mit dem Eigenn. io 
„Finger” zusammengestellt, wobei das 5 unterdrückt wäre. e 
"Orsıros viele Dim. von uibe „der Dürster (nach Feindesblut)”. So hiefs 

das Schwerdt des Add el- Muttalib „Lie „der Dürstende”. Einer 


Menge arab. Eigennamen liegen solche Tropen zu Grunde. So sind Namen 
wie Neswän und Sekrän „trunken (von Kampflust)” fortwährend un- 
gemein häufig, und ein mir befreundeter Beduine heifst ganz in dem er- 


o-)» w 
wähnten Sinne Skekir („A“) von „Aw „der Trunkenbold”. 


-o. 


> ’ . . - . - . 7» 
Orenıos Kurie viell. eine Art Dimin. des bekannten Namens ‚Luis „die \ iper”. 


Odaßrrcs us, arabisch alt AS, (OdaßarraSes hiefs der Sohn der Zenobia) 
„Gottes Gabe”. Wenn es oben (s."AvvyAcs) hiefs, dafs derartige Com- 
posita mit den jemanischen Einwanderern nach Haurän gekommen, so ist 
damit nicht gesagt, das Wort >x sei auch arabisch, oder gehöre wenigstens 
dem Idiome derjenigen Länder Arabiens an, welche man sich als die Sitze 
der Gen. 25 genannten Abrahamiden denkt, nämlich Petraeas, des Higäz 
und Jemens;, denn lange vor Beginn unserer Zeitrechnung gab es in den 
genannten Ländern nur noch Araber, unter denen sich sprachliche oder 
sonst culturgeschichtliche Anklänge an einen aramäischen Ursprung gewifs 
nicht erhalten hatten. Die arabische Sprache kennt den Gottesnamen El 
nicht und wenn einige ihrer Philologen sagen, das Wort bedeute in den 
Compositis so viel wie Alläh, so haben sie diese Weisheit von den Ju- 
den; gewöhnlich faseln sie über die Natur dieser Bildungen, die ihnen, 
den Muselmännern, durch Namen wie Gibril, Mikä’il, Ezra’il u.a. so 
geläufig geworden waren, und wenn Idn Doreid (p. 283) sagt, er liebe 
es nicht, von solchen Worten zu sprechen, so geschieht das nicht aus re- 
ligiöser Prüderie (insofern in solchen Compositis Gott als Anhängsel — 
las — erscheint), sondern deshalb, weil er jene Faseleien der Gelehrten 
nicht wiederkäuen will. Die vernünftigeren Philologen nennen sie Fremd- 
wörter, entweder hebräische oder syrische oder — und damit geben sie 
uns einen wichtigen Fingerzeig — negranische. Auch Ibn Doreid p.98 
sagt zu der Form S’arähil, sie sei nach seinem Dafürhalten syrisch oder 

Philos.-histor. Kl. 1863. Zz 


362 Werzsteiın: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


negranisch. Dafs die in Haurän Eingewanderten aus der Gegend von Ve- 
grän, einer Metropole des nordöstlichen Sabäerlandes, stammten, wird 
wohl durch die von ihnen in der Leg& erbauten Stadt Negrän und durch 
das gleichnamige Kloster bei Bosrd bezeugt: waren also Namen wie S’a- 
rähilnegranische, so wäre ihr Vorkommen in Hauran wohl erklärlich, es 
fragt sich dabei nur, wie sie solche seyn oder genannt seyn konnten? Die 
Nachricht der Historiker (vgl. auch /Zägüt el-Hamawi' geogr. Lex. unter 
d. Art. Negrän), dafs die christliche Religion durch einen Jünger Jesu nach 
Negrän gebracht und von dort aus über Jemen verbreitet worden sei, kann 
für eine Thatsache gelten; der Jünger wird aber nur darum nach Negrän 
gekommen seyn, weil es dort eine zahlreiche Judengemeinde gab, in welcher 
er Hoffnung hatte, mit seiner Messiaslehre verstanden zu werden; denn, wie 
wohl alle christlichen Urgemeinden, wird auch die in Negrän durch Pro- 
selyten aus dem Judenthume gebildet worden seyn. Die politische Macht, 
zu welcher später die Juden in Jemen und namentlich in der Gegend von 
Negrän gelangten, läfst auf eine starke jüdische Bevölkerung und diese wie- 
derum mit Sicherheit auf eine sehr frühe Einwanderung dieses Volkes schlie- 
fsen. Die jüdische Auswanderung nach Jemen mag, parallel mit der nach 
Aegypten (vgl. Zach. 10, 10. Jer. 2, 18 u. ö.), vielleicht schon in den vor- 
letztenStadien des nationalen Elendes im zweiten Jahrhunderte vor Jeru- 
salems Zerstörung durch die Chaldäer begonnen und bis zum Eintritte des 
Christenthums fortgedauert haben. So gering nun auch unsere Kenntnifs 
von der Geschichte Jemens zwischen Jesus und Muhammed ist, so wissen 
wir doch, dafs damals ein grofser Theil des Landes, bestimmt aber Negrän 
mit seiner Umgegend von Juden und Christen bewohnt war, die sich häufig 
anfeindeten — ich erinnere nur an die Grausamkeiten des Judenkönigs Jo- 
seph Dü Nuwäs — und dadurch eine fremde Occupation über das Land 
brachten. Damit wäre aber das Vorkommen hebräischer Eigennamen in 
Jemen und ihre Bezeichnung „negranisch” genügend erklärt. Es bleibt nur 
die Frage, wie man das Wort El zuweilen mit einem rein arabischen Namen 
zu einerZwitterbildung verbinden konnte? Die Jemaner Juden und Juden- 
genossen haben natürlich nur die Landessprache geredet und ihre Eigen- 
namen waren wohl in der Regel arabische, aber sie hatten gewifs auch he- 
bräische, deren fremdartigen Zuschnitt sie dann wohl etwas modelten, wie 


ur. wur 
wir dies in Namen wie Js für Samuel, L> f. 777 (?), bo& wohl f. 773 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 363 


(2 Kön. 22, 1 u. ö.) sehen. Analog nennt sich auch der Damascener 
Schlömö Selim, der Mardochai Muräd, der Ies’ü‘ä (Josua) S’üha „Geier” 
u.s.w.; und das Wörtchen EI namentlich anlangend, welches, wenn 
Allah dem localen heidnischen Cultus angehörte, vielleicht der specifisch 


jüdische Gottesname in Jemen war, so konnte es es auch arabischen 
Namen angehängt werden, wo diese von hebräischen blos dialectisch ver- 
schieden waren. Wie 7>7 (2 Sam. 6, 23) zu 7>>, so stellt sich Wahbil und 
Waddil zu >x°272 u. >8°77 und diese konnten, wie Ausil, Qismil, S’ardhil, 
S’iihmil und Sikmil, geradezu althebr. Eigenn. seyn, wenn sie, ja selbst 
einige ihrer Wurzeln, im Bibeltexte auch vermifst werden. Als nun die 
grofsen Wanderungen nach Syrien stattfanden, werden sich auch viele Ju- 
den angeschlossen haben; wenigstens hatten diejenigen Gassaniden, welche 
sich in Petraea niederliefsen, nämlich die Beni Dejän, das mosaische 
Bekenntnifs und ihre Fürsten (‘“Adid, S’oreh, Samö’al, S’a’ja) waren nach 
Ibn Sa’id aus dem Geschlechte Arons. Dafs aber dergleichen Namen 
auf die Christen übergingen, wird um so weniger auffallen dürfen, als sich 
unter jenen Stämmen das Christenthum grofsentheils aus dem Judenthume 
recrutirt haben wird. So viel über die negranischen Eigenn. unserer In- 
schriften. Sie gewinnen an Interesse, je zahlreicher sie uns durch neue 
hauran. und jeman. (himjaridische) Inschriften geliefert werden. Jetzt tastet 
man noch etwas unsicher an Worten wie \u>-# u. bus (/dn Dor.p.283). 


ES or w ..- - 
Denkt man sich das vorletzte als u - ;& (gleichsam all al = wnn) 
so könnte Badaßaıros (falls nicht Badugues yo zu lesen ist) 8 gi 


„geschaffen von Gott” (mx7=2 1 Chron. 8, 21) also = >xy72 (Zeits. d.D.M. 
G. X p.59 Zeile 3) seyn. So denkt man bei Bayan[Acs] des Verzeich- 


ee ” - . nt Be > . 
nisses an \elss „erbeten von Gott” gleichsam x m>xd (= Si U). Die 
Form 4} = .% (Z. d.D.M.G. XV p. 441) fällt weg, da die Qanawater 
Inschrift nicht nach Porter (II, 114) Zaiercs, sondern nach meiner Copie 
’OcassAcs liest, dessen Anklang an -xmivy (2 Sam.2, 18) wohl zufällig ist. 
Dagegen ist für Algndes vielleicht "ArgnAos Suınz (vgl. "ASagos) zu lesen. 

OvaddyAos 55 — all u, „Liebling Gottes” (737777 2 Sam. 12,25), vgl. OvaßnRoe. 
Ovarcs Ne, „der Steinbock” oder ‚Ns „der Felsenhorst”. 


’ „ . .. . . y °. 
Ovages, Ovspdsavos, OviOgos sind Fremdwörter; das erste vielleicht Ovaßos 2%. 
Zız2 


364 Werzsteiın: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


„u.) 


Ovveuva9y &i>, Dimin. von Kine „Hanna”. 
Oüpos , >>. Beni Ilür waren ein Zweig der Tajiden, Ibn Doreid p. 228. 
“Paßßes verkürzt aus Paß@nAcs, wie Re) und St) aus Met und Must. 
“Paß@nAos (von 227 wie "AyvyAos von jm) 5x°27 im Sinne von >x’2°37 „durch 
Gott zu Gröfse und Macht kommend” vyulgär: ll van. Vgl. OdaßyAcs. 
‘Paßyros 8737 (von 727 wie Syn v.n) „grofsgezogen durch Gott” gleich- 
sam: S) In. Oder es ist >x>277 wie das hebr. 77277 1 Chron. 24, 21. 
“Paeros u) Ibn Dor. p. 218, oder WR und Dee Alle drei gewöhnlich. 
“Percs verdorben, viell. aus “Peiros wo, s.Nöldeke Urwa ibn el-Ward p.53. 
“PıbaSns Kb, ein zwischen Christus und Muhammed sehr häufiger Eigenname. 
“Peusos es oder vielleicht eher sein Dimin. Pe) „Lanze”. 
Saßass „u „der Morgen”, s.’Araoares. Auch gun „das reilsende Thier” spec. 


o-)»> -©o.> 


um und &uus Eigenname. 


Zayiaros ist unter Verwandlung des C in © mit dem vorhergehenden Bogn zu- 


„der Löwe” ist mit den Dimin. 


r ’Q = R el en le - - 
sammen viell. Bognr« DiaSou DLE wu slius; slüs eig. die üppige Weide, 
-o.) 


dann „die Üppiggebaute”. Dieselbe Übertrag. bei dem häuf. Frauenn. &ix%. 


Zadda, ZaöduSes beide wahrscheinlich sA# „Stärke”, das erste mit unterdrück- 
tem 5. Es braucht nicht bemerkt zu werden, dafs die Femin.-Endung sol- 
cher Verbalnomina von Haus aus keine sexuale Bestimmung enthält. 

Zaißees hat auf der Inschrift wohl seine erste Silbe °O oder Oö verloren, vgl. 
’Ocnßeos. Ist Zaißıos richtig, so wird es der EN.xu% (im Sinne v. al seyn. 

ei, welches aus al! ei „Diener Gottes” — alt ur abgekürzt ist. 

Zaedıs N doch siehe Zcawdcs; daher mag es vielmehr ua „glücklich” seyn. 


Dates 


Yarauauns (auch Porter II, 50) Re „Heil von physischen und moralischen 
Fehlern”. 


Zarucs FÜR Gegensatz von u, oder „Ws (vgl. Mares f. Sb). 

ZaudaScs, Sauam, Zauearos. Das erste ist Kal, gleich seinem gramm. masc. 
g&« ein häufiger Eigenn., die zwei andern Ku; doch mag das mittlere Kun 
„die Erhabene” seyn. Im" Antar heilst Sumaija die Frau des Emir Seddäd. 


ZdueSos 2x mit dem Simplex ar häufig, vgl. Qdmüs u. Ibn Dor. p.218. 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 365 


Zauseos, Zauscs „es Das W. braucht nicht aus wei U verkürzt zu seyn. 
Zavaucs Pe10 „der Held (heros)”. Diese Bedeutung des Wortes ist sicherlich 
alt. So nennt man auch jetzt die Helden eines Stammes Biel! „Ust. 
Zaoudos x „fortunatus”, Bene Name. Jetzt dafür meistens I,“ wet 
Zapandos Mei (s. OdaßnAss); MP u. BR: ist wohl = za u. wesin 3 Zogos. 

Zagınados Rue. Über seine Bedeutung s. Ibn Doreid p- 99. 

Zagivos lies Zapiuos = Po „schneidend” wie » „u und «®% vom Schwert gesagt. 

Zareıss »L&; Ibn Dor. p.344. Im Antar erwähnt: ut ut er wi 

Zavadavoc wohl aus ’Aszuedavos verdorben; viell. auch s31,“, Ibn Dor. p- 344. 

Zavsıcs Ki „Justus” mit unterdrücktem = sehr häufig; s. ie Ss. (5. 

Z19p0s ea „Schutz”, entweder = xl! ya; oder = No) Zum 

Ziyuos Re „die Gabe” — „U! Ai. "” Ibn Dor. Pr 87 RE IaRatere Aussp.). 

Zoaıdas, Iesdos Et „Glück”; steht oft für U! iin a Ar 

Zoßeos go oder u; beide sind häufig, vgl. Zaßaes. 

ZoßordSy alu „der Regengufs”, Frauenn. als Bild des Segens, vgl. "Aurapn. 

Zereos aule oder ale, beide neben „ÜL> häufig. Ein hauran. Christ in Qr&ja 
nannte mir seine vier Söhne Salih, Sowelih, Moslih und Moselih. 

Zireuos, Zoreua9n, Zorfeluues Le, Dim. von +Ls; das mittlere xL.. 

Zovass Er um v. Us (auch Eigenn.) „Glanz”, oder gi; s. Zovaryos. 

Zovaryss a von gi „bonum omen”, s. Oi«ros. Über x, für _ s. Oouaeyn. 

ZovoeuaSy io „Göttin”, aber wohl nicht als Palladium der ee (s. Zava- 
wos) gedacht, sondern als „die Schöne, Verehrte”. So bedeutet auch das 
Wort &> (Götzenbild) bei den heutigen nern „die Schöne”. 


0.2 


2 oo) . © > .. P 
Zogos (in > —= 5x2 mW) neben om a und 5; S. Basra 


Zogavios ges (wie sl und KAP ‚Freibeuter” ; weniger INT und - a, 
Wüst. Reg. p. 433. Ibn Doreid p. 256. 


Sovßarsıss we. so (nicht Lux) hiefs nach Ibn Sa’id der Quda'id, dessen 
Ermordung durch den Gassaniden ge den Krieg zwischen beiden Völkern 
veranlafste, welcher mit der Unterjochung der Qudaiden endigte. 


Zovovarss Alpe Monats- und Eigenname wie Regeb, Ramadän und Sabän. 


366 Werzsteın: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften, 


TaßßdSn lies TaıßaSy Kub (weniger 5) „die Liebliche”; s. @sßavns. 

Taßes >; entweder ob st = ub h:1, oder praeteritum nach dem 
Ausrufe bei der Geburt: ash lb „es ist fehlerfrei!” 

Tarsuos - lb „gewaltthätig”; vielleicht richtiger „Jb „Straushahn”, ein häu- 
figer Männername. 

Tavanıcs ol gleichsam Saıın (= >wrın? 1 Chron. 26, 2) „Gottesgabe” oder 
ut slZ5, wie der Nomade, der die Wz. ae nicht hat, sagen würde. Auch 
AOnEr, „Ehregott” könnte der Name möglicherweise lauten. 


Tagoudes 35 „propellens hostem” neben Op* und 5. Ibn Doreid p. 318. 
Wüstenf. Reg. p. 446. 


Taugivos, Taugsivos entweder Fremdwort oder „.3 „Stier”, was sehr häufig. 

Taparcs N „Kind”, wovon das Dim. sb; weniger at iD, vgl. Oeuandcc. 
Bei der Lesart Taparos wäre noch ‚N& oder xls (Wüst. Register p. 433) 
neben azl Et u.a. zu vergleichen. 

TiZaros verdorben, vielleicht aus TiQarcs se. Der Gizl ist eine Pflanze 


des ceultivirten Bodens, dessen starke, holzige Wurzel neben der Gelle () 
das hauptsächlichste Brennmaterial in der Hauranebene ist. Von der Wz. 


d;> finden sich die Eigennamen > > D- 3% 
2 a D Eaer ’ . S ® 
TeßeaSn, Toßen üb Dim. von u „Gazelle”. In Toßem ist das 3 nicht 
wiedergegeben. 
Xaduusos, Xaduuos halte ich für das jemanische &=$ mit dem hauranischen 


(beduinisch-hebräischen) Dages’ euphonicum. Das Wort (von „=S, ver- 
wandt mit \=s und nur dialectisch verschieden von „= „verkohlt und 


schwarz seyn”, vgl. „> =) und je] Aut) bedeutet das Auge, und 
daher wohl (wie 8) tropisch den Edeln, Vornehmen. Das Dag. euphon. 
anlangend, so tritt es im Dialecte Hauräns und der Steppe nach fester 
Regel immer da ein, wo die Formen ‚\s, Je, I, Js, Ns und Js mit 
Einschlufs der Saegolatformen kai, Je und er ER gutturalis (die 
mit den vorigen die gleiche lautliche Geltung haben) ein Affix erhalten, 
z.B. u ‚Ferassi (mein Pferd), xu> g'billa (ein Gebirg), 8 giballi (vor 


gesammelt auf Reisen in den Trachonen und um das Haurängebirge. 367 


mir), (54 deduwwi (ein Nomade), slö, rufuggd (plur. Gefährten) und in 
saegolatis: 3,0 sacharra (ein Felsblock), 3X» dihikka (ein Gelächter), 
3, mohorra (weibl. Füllen). Nach dem recipirten Schema der semitischen 


Wortbildung wird diese Verdopplung zwar nur für eine scheinbare gelten 
können, wenn sie sich aber so bemerkbar macht, dafs ich z.B. in meinem 


Reiseberichte (p.45. 48) Hibikke und S’ibikke für > und x geschrie- 
ben habe, dafs die arab. Philologen zahlreiche Formen, namentlich in der 
geographischen Nomenclatur (wie Siribbe für © ein Gebirge in Petraea), 
verkannt haben, dafs die masoretische Punctation des Bibeltextes in jener 
Masse von Worten wie D>>=3, 7err, 7722 diese Verdopplung geradezu als 


correcte sprachliche Form anerkannt hat, so darf sie in unsern Inschriften 
um so weniger auffallen, als diese gewifs von Leuten herrühren, die die arab. 
Eigennamen nur nach dem Gehöre wiedergaben; dieses aber unterscheidet 
die Verdopplung sehr bestimmt. Es versteht sich, dafs solche Worte we- 
gen des Schwa’s ihres ersten nadicals gern ein Elif prosth. annehmen, z.B. 
se, xlnt, Ka,ol (ein Baum, eine Ähre, ein Feuerbrand), und daher liefsen 
sich Namen wie ’Aßcüggıs, ”AQY,cges und "Aurapn auch auf Formen wie 5, 
3,6 und 3, zurückführen. 
Kalos a „die Standarte” s. "OAuumos und Ascıce. Freytag stellt diese 
Bedeutung irrig unter Dt Viell. auch \% od. 5 „der starke Mann”. 
Xaipavos la Ibn Dor. p.250, entweder im Sinne von ae „beglückt”, 
oder von p= „freigebig”. Auch kann es „> pe „!seyn; vgl. Arouadavcs. 
Xausvos 0 „der im Hinterhalte (©) liegende”; vgl. Blau p. 445. 
Xanıary ul d.h. W> en] also: Be! von es — x; vgl. S19gos. 
Xeirwv, Xırwv. Das erste ist nicht verschieden von Xairos; das zweite kann 


ein griech. Wort, oder auch NS, das Simplex von Ms (s. XatAos) seyn. 


S. 308 S.11 wohl KOMHE EHABHE (Dorf Hejät) zu lesen. S. 340 Z.15 vor 
„Löwe” füge N) hinzu. S. 347 für Bauos wohl Oatuos zu lesen. S. 351 Z.8 von unten 


nach „unterdrückte.” füge hinzu: Die griech. Masculinendung scheint, gleich dem « in ’Euue- 


yla]vev, wegen Mangel an Raum zu fehlen; analog wäre BAAP 8) in Inschrift 190. 


368 Werzsteın: Ausgewählte griechische und lateinische Inschriften. 


Verzeichnifs der Fundorte. 


el- Agelät 19. 20. 

el-Ajin bei el-Dafn 49. 

Anz 183 

“Agrabä 177-179. 

“Arrı 187. 

Awwas 56-60. 

Bosrä 78-87. 

el-Burg 173. 

Büsän 31-35. 

Buthene 152. 153. 

el Chirbe (Alt-Domer) 174. 

Chirbet el-bir auf dem Ql&d Haurän 
195. 

Chulchula 158. 159. 

Dämä 118. 119. 

Dekir 157. 

Dümä 12. 13. 

Dür 103-105. 

Edre ät 92. 93. 95-100. 203. 204. 

Der Ejüb bei Nawä 181. 

Gen&ne 149-151. 

Geras 205-207. 

Gibä 180. 

el Gren 113-117. 

WädiGharaz1. 

Gharija 182. 

Gharijat SubEn 76. 

Gharz bei Eare ät 94. 

el-Ghassüle 166. 

Hadar 156. 

Harise 38. 

Harrän 108-112. 

el-Higäne 169-172. 

Hazm 160. 

Hebrän 198-202. 

Imtän 62-70. 

"Tjü n 50-55. 

el-Kefr 196. 197. 


Kenäkir 175. 176. 
Kerak 183-186. 
Kute&be 101. 
Lähitha 154. 155. 
el-Mälikije 40. 11. 
Mef ala 194. 
Megdel es-S’ör 61. 
Mebnä ’-Bet 120. 121. 
Der el-Mejäs TA. 
Melah-es-Sarrär 39. 40. 
Mesqüg 72. 

Mismie 161-165. 
Mu’arrabä 89. 
Murduk 124. 125. 
el-Musefira 91. 
el-Musennef 21-30. 
Nächita 4102. 
Negrän 106. 107. 
Nemära 2-8. 

Nimra 140-147. 
“Ormän 41-45. 
Qanawät 188-193. 
Umm el-Qotten 75. 
QOreja 77. 

Radtma 148. 

Rima 122. 123. 

Umm Ruwäg 18. 
Sahwet-el-Qamh 9%. 
Sälä 37. 

Salchat 46-48. 
Sana 36. 

Samma ls 

S’aygä 126-139. 
Sekkä 167. 168. 
Temä9. 

Tarbä 14-17. 

Turra 208. 
Zedi-Brücke bei Bosrä 88. 


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nach 


entworfen 
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Umschrift 
der 
arabischen Buchstaben: 
9=djim (engl. j , französ. dj.) 
G-ghain (gh). £ ER sch. 
Die emphatischen Buchstaben sind 
diezalbk. _ 


unterstrichen t 
Wetzsteins Reise 
im Frühling 1858. 

.- im Sommer 1860. 


laßstab 1:600000. 
4 Deutsche geogr.Meilen. 
0 Jö 20 Römische Milien . 
lat. lateinische Inschriften. 
ron Herrn Wetzstein gefun. 


ren zur auf die 


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Ru 2° 


Das Lautf yftem 
der fonorilchen Sprachen 


N dargeftellt von 
H"- BUSCHMANN. 


(Erfte Abtheilung der GrammATIKk DER VIER SONORISCHEN HavPpTsPprAcHEn.) 


mnnwunnannamn 


[Gelefen in der Akademie der Wilfenfchaften am 23 und 30 October 1862.] 


Einleitung zur Grammatik.(t) 


4: D. Herkunft des mächtigen durch die Sprache nahuatl zufam- 
mengehaltenen Volksftammes, uns in 9 Zweigen, von den Tolteken an bis 
auf die Azteken, gefchichtlich bekannt, aus dem höheren Norden Nord- 
amerika’s durch das Mittel der Sprachen zu beweifen: habe ich zum Gegen- 
ftande einer gröfseren Schrift gemacht. Die Auffindung eines Idioms von 
reinem aztekifchen Charakter in jenen nördlichen Regionen würde den ge- 
fuchten Beweis einfach und fehr vollkommen geliefert haben. Ein folches 
Idiom findet fich nicht mehr vor: denn die von mir in diefer und einer frü- 
heren Arbeit nachgewiefenen mexicanifchen Dialecte liegen im nördlichen 
Mexico und nicht höher; und find für Ueberbleibfel von dem Durchzuge 
diefer Volkszweige zu halten, oder find aus Anahuac in mexicanifcher und 
fpanifcher Zeit ausgegangene Colonien: wie auf denfelben beiden Wegen 


(') Ich las diefe allgemeine Einleitung bereits am 22 Mai 1854 in der Sitzung der 
philofopbifch-hiltorifchen Clalfe der Akademie: mit der, noch ungedruckten, zweiten Abtheilung 
der fonorifchen Grammatik, welche die Redetheile: Artikel, Subftantivum, Adjectivum und 
den Anfang des cardinalen Zahlworts enthielt. Erf[t [päter entfchlofs ich mich auch das 
Lautlyftem auszuarbeiten. — Ich lalfe diefe Einleitung unverändert: wie fie zu dem damahligen 
Stande meiner Arbeiten palste, und in näherer Beziehung zu dem damahls gelieferten Theile 
der fonorifchen Grammatik, dem Anfang der Redetheile, ftand. — Einige neue Zulätze (telle 
ich als Anmerkungen in eckige Klammern. 


Philos.-hist. Kl. 1863. Aaa 


370 Buscumann: das Lautfyftem der fonorifchen Sprachen. 


die aztekifche Sprache bis in die nahe füdlichften Theile des Reiches Guate- 
mala, bis zu 10° %, N. B., verpflanzt worden ift. Was ich, in einer langen 
Linie bis zu dem Lande der Blackfeet, eiwa bis zum 50ten Grade N. B., 
gefunden habe; find nur Beimifchungen aztekifcher Wörter und gramma- 
tifcher Materie in Sprachen, deren Grundftoff und gröfster Beftandtheil ein 
anderer und fremder ift. Höher nach dem Norden ftanden mir nur fehr be- 
fchränkte Wortfammlungen von den hierher gehörenden Sprachen zu Gebote, 
welche mich die aztekifchen Einflüffe nur höchft unvollkommen, aber doch 
mit genügender Sicherheit für den von mir gefuchten Beweis, haben erkennen 
laffen. Diefe mehr nördlichen Sprachen aztekifchen Einfluffes haben, zu- 
fammen mit dem dazu gehörigen, kritifchen Material, den, vor wenigen 
Wochen von mir gelefenen, dritten Theil meiner Arbeit und deren Schlufs 
gebildet. In zwei früheren Theilen: der erften, von mir im Februar d. J. 
gelefenen, und meiner heutigen, 2ten Abhandlung; bewege ich mich in den 
feft beftiimmten und eingefchränkten Gränzen von vier Sprachen des nord- 
weftlichen Mexico’s, welche gröfsere Hülfsmittel es mir möglich 
machten lexicalifch und grammatifch fehr ausführlich darzuftellen; es find die 
Sprachen: Taranumara, Teresvana, Cora und Canıra. Ich habe in der 
4ten Abhandlung den von mir in ihnen entdeckten aztekifchen Wort-Antheil, 
grofsen Umfanges und wunderbar neuer Verhältniffe, an das Licht geftellt und 
{prachphilofophifch in allen Richtungen unterfucht; ich habe von ihnen zwei- 
tens ein gemeinfchaftliches, zweckmäfsig befehränktes, Wörterbuch vorge- 
legt. Der wichtigfte Theil der Unterfuchung bleibt die grammatifche Dar- 
ftellung und Prüfung diefer vierSprachen, deren Anfang meinen heutigen 
Gegenftand und den der 2ten Abhandlung ausmacht. 

$ 2. Ich habe entdeckt und behauptet, dafs die genannten vier Spra- 
chen beftimmt unter einander verwandt find; und ich habe in Folge dielfer 
Verwandtfchaft ausihnen einen neuen, noch unbekannten, Sprachftamm ge- 
bildet: welchen ich, aus anderwärts entwickelten Gründen, nach der, viel- 
urfaffenden Intendantfchaft Sonora des ehemahligen Vicekönigreichs, den 
SONORISCHEN genannt habe. Jene Sprachen nenne ich die viER sONORISCHEN 
Havprsprachen nur in den zwei Beziehungen: letzteres, weil wir von ihnen 
das gröfste Material befitzen; fonorifche als gehörig zum fonorifchen Stamme. 
Der Ausdruck ift nicht fo zu verftehn, als feien fe die Hauptfprachen des 
neueren Staates Sonora: denn nur die zwei erften liegen, neben einander, 


12. Einl.z.Gramm.: fon. Sprachen; ob fie die alte aztekifche ufw. find? 374 


(theilweife) im füdlichen Sonora, nebft Chihuahua; die Cahita im nördlich- 
ften Cinaloa, vielleicht auch noch in Sonora; die Cora hauptfächlich im 
nordweltlichen Ende von Guadalaxara (jetzt Xalisco), wohl auch etwas im 
füdlichen Cinaloa.('!) Zu diefem soxorıschen Sprachstamme gehören andere, 
fchon von Hervas nach den Nachrichten des Paters Andres de Ribas als 
Verwandte der Tarahumara und Cora angegebene, Sprachen, welche einen 
grofsen Theil Cinaloa’s und Sonora’s füllen. Weitere Glieder habe ich hinzu 
entdeckt in der Pima- Sprache und anderen, mehr nördlichen Idiomen: na- 
mentlich in dem Aizh und der Netela Neu-Californiens, und in der Scho- 
Jehonen -Sprache: früber geredet um die Quellen des Miffouri-Fluffes. 
In manchen anderen Idiomen bis hoch in den Norden herauf konnte ich ge- 
wöhnlich neben geringen, anfcheinend aztekifchen, vielleicht zufälligen, 
Wort-Ähnlichkeiten auch geringe fonorifche von derfelben Qualität anführen. 
Den Charakter und die Verhältniffe diefer fonorifehen Stammfprache genau 
darzuftellen, ift die ernftefte Veranlaflung vorhanden. Zunächft it es fchon 
fehr auflallend, dafs die aztekifche Beimifchung fich faft immer an die Idiome 
fonorifchen Charakters geknüpft findet. Man kann fragen: ob nicht, da ein 
reiner und ganz aztekifcher Dialect im höheren Norden durchaus nicht ge- 
funden wird, wir in dem fonorifehen Sprachtypus die wirkliche Azrerenx- 
SPRACHE, oder befler gefagt das nahuatl, in einem Zuftande vor uns haben, 
wie daflelbe in fehr alter Zeit gewefen, von dem die neuere Azteken-Sprache 
durch gewaltige Weiterbildung fpäter entfernt worden? oder ob diefes fono- 
rifche Idiom, durch Hinzukommen ftarker Stöfse und grofsartiger Verfetzun- 
gen, aus dem reinen nahuatl in feine jetzige Verfaflung und Geltalt ausge- 
artet und entfremdet fei? Ich habe fehon früher Anlichten und Vermuthungen 
ausgefprochen, welche gewaltfame und abenteuerliche Veränderungen und 
Ausartungen der Ur[prachen Amerika’s, durch die Eigenthümlichkeit des dor- 
tigen Völkerlebens und Volkscharakters bewirkt, als möglich in den abnorm- 
ften Verhältniffen erfcheinen liefsen. Wenn, wie ich es ferner fchon früher 
ausgefprochen habe, die 4 grolsen Sprachen der Intendantfchaft Sonora und 


(') Ich habe den Schauplatz diefer vier Sprachen und jeder einzelnen mühlam und [ehr 
ausführlich beftimmt in meinen Spuren der aztek. Sprache $ 8-15, S. 11-25: den der Cora 
im N 410,5: Hana sl,‘ S- 16° - 17';, Tarahumara SA13872009234, 
Tepeguana $ 15, S. 23°! - 253. 

Aaa? 


372 Buscnmann: das Lautfyftem der fonorifchen Sprachen. 


der Nachbarländer (Chihuahua und Guadalaxara), die ich behandle, ob- 
gleich ich fie für verwandt nach ihrem [elbftftändigen, nationalen Grundtheil 
ausgegeben habe; in einem fo grofsen Maafsftabe in Wörtern und in gramma- 
tifchen Lauten, wie grammatifcher Behandlung von einander abweichen; 
fo liegt die Frage nahe: ob diefe Sprachen nicht hauptfächlich nur durch den 
von ihnen aufgenommenen, bedeutend ausgebreiteten, aztekifchen Beftand- 
theil mit einander verwandt feien; an fich aber fremd und vereinzelt gegen 
einander? Diefe Frage ift gerecht. Denn ich kann bezeugen: dafs wirklich 
die Ähnlichkeit der vier Sprachen der gröfsten Maffe nach in den in ihnen 
enthaltenen aztekifchen Wörtern und grammatifchen Analogien befteht, dafs 
fie fich in diefem Beftandtheil immer am vollkommenften und vortheilhafte- 
ften zeigt. Diefs ift, trivial gefprochen, und wenn man nicht tiefer forfcht, 
die allgemeine Anficht, in welcher fich die Sache darftellt. Die Umftände 
mit der Endung came oder ame (f. meine Abhandlung über diefelbe) ge- 
währen daffelbe Bild. Es folgt aus diefen Umftänden, dafs für die ganze 
Unterfuchung wegen der Spuren des Azteken-Idioms nichts wichtiger ift als die 
grammatifche Darftellung der viergrofsen fonorifchen Sprachen, 
und dafs diefe Darftellung nicht ernft und fpeciell genug genommen werden 
kann. Den Gedanken, als könne der fonorifche Sprachtypus das wirkliche 
nahuatl in einem früheren oder fpäteren Zuftande feyn, werde ich nicht unter- 
ftützen; fo ängftlich man häufig bei der Betrachtung diefer Sprachen wird, 
als könnte fo etwas doch angenommen werden mülfen: fo feft wird man da- 
gegen, wenn man fich vorrechnet, was alles am Wortfchatz und an dem gram- 
matifchen Inhalte des Nahuatlaken-Idioms dem fonorifchen fehlt und in ihm 
vermifst wird. Die Mannigfaltigkeit der Wege und der Laute, welche die 
4 Sprachen, fich von einander abfondernd und einander abftofsend, für die 
Bezeichnung der grammatifchen Categorien annehmen; wird über den fpe- 
ciellen kritifchen Standpunkt hinaus von hohem fprachphilofophilchen Inter- 
effe und Wichtigkeit feyn: fie gewährt uns analoga für und annähernde 
Aufklärung über die viel erwähnte Entfremdung und Vereinzelung der Idiome 
des ganzen neuen Continents. Es wird mir aber auf der anderen Seite ge- 
lingen, auch unter den ungünftigen Verhältnilfen, an wichtigen und feften 
Punkten die wirkliche und einheimifche Stammverwandtfchaft der 4 fono- 
rifchen Sprachen zu beweifen, und dem Sprachftamme dadurch feinen Halt 
zu geben. 


13. Einl.2.Gramm.: Theilder.azt. Spuren, Befchränk.; Hülfsm.2.Tar.,Tep.373 


63. Die Verhältniffe, unter denen diefe grammatifche Arbeit er- 
feheint('), gebieten, dafs diefelbe einen befehränkten Umfang habe. Ich 
kann jetzt nicht daran denken eine ausführliche Grammatik der Tarahumara, 
Tepeguana, Cora und Cahita-Sprache zu publieiren, obgleich ich den nö- 
thigen Vorrath dazu habe. Die Befchränkung, von deren Nothwendigkeit ich 
durchdrungen bin, kann aber in fo vielen Fällen nicht ftatt finden: um der 
Wichtigkeit derZwecke willen. Ich mufs mich fogar beklagen über dieMan- 
gelhaftigkeit des mir zu einer gemeinfamen, vergleichenden Darftellung 
der 4 mexicanifchen Nordweft-Sprachen zu (sebote fiehenden Marerraus. 
Über diefe Mängel habe ich hier näheren Bericht zu erftatten: weil fie be- 
wirkt haben, dafs ich zwei der Sprachen nur theilweife habe entwickeln; und 
in der Zufammenftellung, deren gleiche Stärke für das Refultat der Ver- 
wandtfchaft fo wichtig gewefen wäre, die empfindlichften Lücken habe 
laffen müffen. 

Am beften bin ich für die Tepeguana-Sprache ausgerüftet; (?) Ri- 
naldini’s, noch von Niemandem benutztes Buch (Mex. 1743) bietet eine 
Grammatik, Text (Catechismus) und ein Wörterbuch: alle drei Stücke in 
genügendem Umfange. — Bei derTarahumara waren meine Vorgänger arm- 
felig befchränkt: Steffel’s kleine (1791 gefchriebene und 1809 bei Murr er- 
fchienene) Schrift gab nur ein kurzes, doppeltes Wörterbuch; einige gram- 
matifche Bemerkungen, den deutfchen Wörtern gelegentlich beigefügt; und 
am Schluffe (S. 371 - 4) einige kleine Sätze, mit lat. und deutfcher Über- 
tragung, zuletzt das Vaterunfer. Durch Tellechea’s Buch (Mex. 1826): eine 
Grammatik und Texte (doctrina cristiana), beide umfänglich, enthaltend, 
ift mir alle nöthige Hülfe zu Theil geworden; nur bildet die verfchiedene 


(') [Die Grammatik der vier fonorifchen Haupt(prachen bildet nur einen gro- 
{sen Abfchnitt meines in der Mitte des Jahres 1859 erfchienenen Werkes, betitelt: „die 
Spuren der aztekiflchen Sprache im nördlichen Mexico und höheren amerikanilchen 
Norden”; nämlich den IXten Abfchnitt oder $ 155 ([. dort Seite 142). — Die Arbeit wird 
fich bei einigen Gegenftänden, namentlich bei den Zahlwörtern, auch über die anderen 
Sprachen des fonorifchen Stammes verbreiten, und kann daher gelegentlich im allgemeinen 
eine [onorilche Grammatik genannt werden, die Zurückhaltung, welche ich mir für den 
Raum auferlegen mulste, hat mich gehindert diefe Ausdehnung öfter eintreten zu laffen.] 


(2) [Über die Hülfsmittel zu den 4 Sprachen habe ich in meinen Spuren der aztek. 
Sprache ausführlich gehandelt $ 18-26, S. 27=m _ 35 =) 


374 Buscumann: das Lautfyftem der fonorifchen Sprachen. 


Orthographie beider Quellen, die deutfche und fpanifche, indem fie die 
Wörter fo oft verändert, einen bedeutenden Übelftand. Der Wortvorrath, 
welcher durch beide Quellen zufammenkommt, wäre auch gröfser zu wünfchen. 

Für die Cora-Sprache bin ich in derfelben Lage, in der Wilh. von 
Humboldt und Vater bei der Tarahumara, und bei der Cora wieder, waren. 
Wir befitzen von ihr nur Ortega’s kurzes Wörterbuch; ftatt einer Grammatik 
blofs, im Anfange deffelben, auf 9 Seiten, einige grammatifche Nachrichten, 
zum Theil die am wenigften nöthigen; Text gar nicht: am Ende find nur die 
Zahlwörter, dann einige unregelmäfsige Verba angegeben, welche die Mit- 
theilung von ein paar kleinen Sätzen veranlaffen; zuletzt einige Conjunc- 
tionen und Interjectionen: alles diefes auf 3 Seiten (fol. 42 - 43). Der gänz- 
liche Mangel an grammatifchen Hülfsmitteln ift bei einer Sprache zu be- 
dauern, welche wegen ihrer vorzugsweife ftarken aztekifchen Mifchung, und 
als ein Hauptglied zur Beftimmung und Füllung der Verwandtfchaft der vier 
Sprachen unter einander eine befondere Wichtigkeit hat: und ftatt deffen uns 
in fo vielen grammatifchen Erfcheinungen im Stich läfst. Diefe Lage hat mich 
getrieben, um fo eifriger aus dem Wörterbuche alles hervorzulocken, was 
nur möglich ift; der grofse Abfehnitt der Wortbildung und Ableitung er- 
fcheint daher in diefer Sprache auf’s reichfte dargeftellt: und auch in der 
Grammatik wird fich der Lefer oft wundern, dafs fo viel aus einer blofsen 
Wort-Aufzählung hat gewonnen werden können. 

Von den Sprachen Tarahumara und Cora find noch kleine gramma- 
tifche Abriffe von Wilhelm von Humboldt, jeder von wenigen Schrift- 
feiten (Tarah. von 10, Cora von etwas über 8), vorhanden: aus denen ich 
gelegentlich einzelne Sätze unter Anführungszeichen (f. z. B. Anfang des 
6 33) mittheilen oder benutzen werde. 

$ 4. Die merkwürdigfte Verlaffenheit hatte ich in der Canıta- 
Sprache: ich hatte in dem manual (Mex. 1740) nur Text, mit fpanifcher 
Überfetzung daneben. Der Beobachter kann an diefem Beifpiel fehn, wie 
kümmerlich die in blofsem Texte (mit Überfetzung) liegende Hülfe für 
die Darftellung einer Sprache '(Abftrahirung von Grammatik und Wörtern) 
ift; ich könnte über die von mir hierbei gemachten Erfahrungen lange re- 
den.(') Eine folche Arbeit ift höchft mühfelig und unlohnend. Sie wird es 


(9) [Daffelbe habe ich am Cochimi erfahren, und es ausgelprochen in meinen „Spuren 
der aztekifchen Sprache” S. 495°, 502", 503" -"n. ] 


1,4. Einl.2.Gr.: Hülfslof.aus Texten e. Gramm. zu [chöpfen, fon der Cah. 375 


um fo mehr in einem Sprachtypus, wo die Hauptpunkte grammatifcher Be- 
zeichnung [chattenartig verfchwimmen: zwifchen mannigfaltiger, unbefiimm- 
ter, oder mangelnder Andeutung fehwanken. Man kann mit Text fchon viel 
wirken, fobald man nur ein Wörterbuch hat; aber auch von diefem ver- 
laffen, irrt man troftlos umher. Wenn man nicht die einfache Form des 
Subft. oder Verbums kennt, wie foll man fagen, welcher Buchftabe oder 
Worttheil die grammatifche Categorie ausdrückt? Hilft das öftere Vorkom- 
men einiger Wörter für vieles, fo bieten die meiften fich felten oder nur 
einmahl dar. So ift es gekommen, dafs, obgleich ich mich für die fchwere 
Aufgabe der grammatifchen und lexicalifchen Darftellung der Cahita-Sprache 
durch eine, fchon vor 20 Jahren gearbeitete Concordanz: alle Wörter, mit 
ihren Stellen, alphabetifch enthaltend, vorbereitet hatte; ich für beide Zwecke 
bis zum letzten Augenblick mich mühfelig und kümmerlich fortbewegt habe. 
Hätte nicht Hr. Ternaux uns in den nouvelles annales des voyages 1841 mit 
einem Verzeichnifs von etwa 300 Wörtern aus einer, 3 Jahre vor meinem 
manual erfchienenen und in Paris exiftirenden Cahita- Grammatik befchenkt 
(vgl. Ende des $ 12); fo wäre das, was ich von der, fo wichtigen Sprache 
geben mufste, noch dürftiger ausgefallen; für die Grammatik konnte mir die 
Sammlung aber nur höchft wenig gewähren. Damit Andere meine Lage bei 
diefer Arbeit beurtheilen können, will ich einige Züge diefer troftlofen Irr- 
fahrten mittheilen. Wie kann man hoffen fich von den grammatifchen Lau- 
ten einer Sprache auf eigne Hand Aufklärung zu ver[chaffen, in welcher die- 
felbe, umftändliche Endung (naque) für fut., imper., conj., praet., praesens 
und noch mehr vorkommt? in der man fo oft den Verben ein a präfigirt 
fieht, das man vergebens als Augment des praeter., als pron. objecti 3. pers. 
(ihn), als Verbal-Präfix, als Zeichen der 2. pers. sudj. (du) und was noch? 
zu deuten fucht: da man von jedem Ruhepunkte durch noch weiteren Ge- 
brauch abgetrieben wird? Wie troftlos gerade in diefer Sprache die Um- 
ftände find, wird man daraus erkennen, wenn ich berichte, dafs ich nicht im 
Stande gewelfen bin, trotzdem ich immerfort alle Aufmerkfamkeit aufgewen- 
det und fchritiweife alles fich darbietende erfafst habe, die Verbalform des 
Pron. der 2. und 3. Perfon sing. und 3. plur. (d.h. du; er, fie; ihn, es, fie) 
zu entdecken: welche in den drei anderen Sprachen ganz feft find, und einen 
einfachen Ausdruck haben. 


376 Buscumann: das Lautfyftem der fonorifchen Sprachen. 


Hier erhält der Stolz eine kleine Correction. Wir blicken fo gering- 
fchätzig auf Grammatiken von Sprachen, die noch nie in eine Theorie ge- 
zwungen; welche in anderen Welttheilen, von andern Völkern, und von Per- 
fonen meift anderen Berufes, in früheren Jahrhunderten verfafst find. Wohl 
find fie unvollkommen und oft wunderbar genug. Aber die Erfahrung des 
Mangels, wie fo oft in der Welt, läfst erkennen, was für ein wichtiges Gut 
eine Anfammlung des in einer Sprache unter die Beobachtung Kommenden 
ift, möge feine Darftellung und Würdigung auch noch fo unvollkommen 
oder falfch feyn. Die Feftfetzung der Exiftenzen durch eine Hand, welche 
fich auf die Erfahrung ftützt, ift eine fo wichtige Hülfe. 

65. Unter den gefchilderten Umftänden war mein Streben darauf 
gerichtet den Befitzer der Cahita- Grammatik (Arte de la lengua Cahita, 
Mex. 1737. 12°) zu entdecken und von demfelben deren Leihung zu erbit- 
ten. Ich ging zuerft von der irrthümlichen Meinung aus, Herr Henri Ter- 
naux-Compans habe das Buch befeffen. Es ift nun bekannt, dafs er faft 
alle feine amerikanifchen Sammlungen durch Verkauf zerftreut hat. Der hie- 
fige mexicanifche Gefandte, General Don Jof£ Lopez Uraga, hatte für mich 
die Güte, durch die mexicanifche Gefandtfchaft in Paris diefe Erforfchung 
zu betreiben. Herr Ternaux wurde nach längerer Zeit bei Touloufe aufge- 
funden; er konnte aber nicht fagen, wohin feine verfchiedenen Bücher fich 
verloren hatten. Nach diefem vergeblichen Verfuch erhielt ich die Über- 
zeugung, dafs die Cahita-Grammatik fich im Befitze des tief unterrichteten 
Erforfchers der mexicanifchen Alterthümer, Herrn J. M. A. Aubin, jetzt 
wieder in Paris, befinde. Der Frhr. Alexander von Humboldt hat im 
März d. J. die Güte gehabt, durch Vermittelung des Herrn E. F. Jomard 
die Benutzung des Buches für mich zu erbitten. Herr Aubin hat aber(') 
die Herfendung beftimmt abgelehnt: indem er fich darauf beruft, dafs er 
durch Verleihen in Frankreich und nach dem Auslande fchon viele Bücher 
eingebüfst habe. Von dem Anerbieten des Hrn. Aubin, alle mir wünfchens- 
werthe Aufklärungen für mich aus dem Buche herauszufuchen, kann ich 
keinen Gebrauch machen, weil nur die eigne Benutzung mir das verfchaffen 


(') Herrn Jomard’s Antwort an Herrn von Humboldt ift vom 2 April. — [In einer 
(päteren Epoche haben einige meiner Freunde, unter ihnen Herr Profellor Edouard Du- 
laurier, erneute, aber wieder vergebliche Bemühungen bei Herrn Audin gemacht, mir die 
unmittelbare Benutzung der Cahita-Grammatik zu erwirken.] 


I, 5-6. Einl.2.Gr.: ArteCah.nocheinmahlzumachen: Abth.2d.fon.Gram. 377 


kann, was mir fehlt. Wäre dem Aubin’fehen Buche noch ein Vocabular bei- 
gegeben, fo würde deffen Einficht für mich noch wichtiger gewefen feyn; 
aus Ternaux’s Wortfammlung kann man wenigftens fchliefsen, dafs der Ge- 
halt der Grammatik an Vocabeln nicht unbedeutend ift. 

Wenn ich es nun genugfam betraure, dafs bei fo vielem Mangel ein 
eigens zu dem gleichen Zwecke verfertigtes Buch ganz ausgefchloffen bleiben: 
die darin enthaltenen ficheren Refultate, in neuer, mühfamer Arbeit, hin 
und wieder durch ungenügende und unfichere erfetzt werden mülfen ; wenn 
es [chlimm genug ift, dafs eine längft vorhandene Arbeit noch einmahl ge- 
macht werden mufs: fo habe ich doch den Troft und die Befriedigung, alles 
das viele, was ich von der Cahita-Sprache mittheile, meiner eignen Erfor- 
fehung zu verdanken; und der Lefer wird fehen, dafs, obgleich ein kleinerer 
Theil der Sprache im Schatten bleibt, ich bei weitem das meifte aufgeklärt, 
und für vieles ein reiches Material und öfter mehr denn zu viele Textftellen 
aufgeftellt habe. Auch kaun ich mir fchmeicheln, dafs in meiner Cahita- 
Grammatik manche Beobachtungen und Punkte werden erörtert gefunden 
werden, an welche eine in Mexico verfafste Sprachkunft nicht denkt. 


Erfte Abtheilung 


der fonorifchen Grammatik: 


das Lautfyftem 
der vier [onorifchen Haupt/prachen. 


$6. Vor 8 Jahren (am 22 Mai 1854) habe ich in der philofophifch- 
hiftorifchen Claffe den Anfang einer Grammatik der vier fonorifchen Haupt- 
fprachen: Tarahumara, Tepeguana, Cora und Cahita; gelefen: aus dem 
von mir gebildeten Sprachftamme, welcher — einig in fich in einem eignen, 
fremden Typus — einen merkwürdigen kleinen Schatz aztekifchen Sprach- 
ftoffes in fehr feltlfamen Verhältniffen beigemifcht enthält. Diefer Theil, 
welchen ich damahls den erften nannte, behandelte die Redetheile: Artikel, 
Subftantivum, Adjectivum und den Anfang des cardinalen Zahlworts. Von 


Philos.-hist. Kl. 1863. Bbb 


378 Buscumann: das Lautfyftem der fonorifchen Sprachen. 


der Claffe zum Druck verordnet, ift er bis jetzt ungedruckt geblieben , weil 
ich mich bald entfchlofs den wirklich erften Theil der Grammatik: den Ab- 
fehnitt von den Lauten oder Buchftaben, auszuarbeiten und vorzutragen: 
welchen ich damahls überging, von welchem ich jedoch fchon das Capitel 
von der Reduplication vortrug. Nachdem ich mein Werk von den Spuren 
der aztekifchen Sprache im nördlichen Amerika oder vielmehr die Mufterung 
der Sprachen und Völker Nordamerika’s vom Wendekreife an, mit Aus- 
fchlufs des Oftens der Vereinigten Staaten, in feinen Haupttheilen vor 3 Jah- 
ren beendet; und nachdem ich darauf den grolsen athapaskifchen Sprach- 
ftamm des Nordens in 3 Abtheilungen einer neuen, überall erweiterten Be- 
arbeitung unterzogen habe: ift die Zeit gekommen, dafs ich die grammatifche 
Darftellung der vier fonorifchen Hauptfprachen, welche den IXten Ab- 
fchnitt des Werkes von den Spuren der aztekifchen Sprache bildet, 
weiter führe. 

$ 7. Abgefehen von dem grammatifchen Bedürfnifs, mufs es von In- 
tereffe feyn die Lautverhältniffe einer Anzahl von Sprachen zu betrachten, 
welche unter fich verwandt und doch auch wieder fo verfchieden find, und 
deren Stellung zu dem grofsen mexicanifchen Idiom ein Problem ift. Der 
vorgelfetzte Zweck würde mir vorfchreiben nach einander zu handeln von den 
Buchftaben, Vocalen und Confonanten:: die in jeder Sprache fehlenden und 
vorhandenen aufzuzählen; von ihrer Ausfprache, Verbindung und der Wort- 
geftalt zu reden; von den Buchftaben-Veränderungen, dem Wegfallen und 
der Zufetzung von Buchftaben. Es ift aber nicht daran zu denken, dafs ich 
alle diefe Punkte immer getrennt halte: im Gegentheil ift es für die klare 
Darftellung des Gegenftandes nothwendig grofsentheils die andern Abfehnitte 
unter den einzelnen Buchftaben mit zu faffen, oder überhaupt die Gegen- 
ftände öfter an einer Stelle zu vereinigen. Von Buchftaben-Veränderung wird 
an der eigenen Stelle wenig vorkommen; das meifte, was ich vorbringe, 
findet fich bei den einzelnen Buchftaben; aber exprefs gehe ich überhaupt 
auf diefe Veränderungen nicht ein: was davon zu [agen ift, wird zerftreut bei 
den Redetheilen vorkommen. Über einen grofsen und intereffanten Theil 
der Laut-Veränderungen liegt fogar fchon eine weitläuftige Arbeit von mir 
vor, wie ich fogleich fagen werde. 

$ 8. Das Lautfyftem der fonorifehen Sprachen und die Verhältniffe 
ihrer Buchftaben fpiegeln fich vielfach in den Veränderungen ab, welche ihr 


I,8-9. Laut/yft.u. Veränd.imazt.,fpan. u.fon.Theil:obähnlichdem azt.? 379 


aztekifcher Beftandtheil in ihnen erfahren hat; diefe Veränderungen 
habe ich auf’s forgfältigftie und genauefte, im einzelnen wie in allgemeinen 
Zügen und einer bisweilen in die Tiefe der Zeiten zurückgehenden Betrach- 
tung, in der erften Hälfte einer grofsen am 2 Auguft 1855 vor der Aka- 
demie gelefenen und auch gedruckten Abhandlung dargeftellt, betitelt: „die 
Lautveränderung aztekifcher Wörter in den fonorifchen Sprachen und die 
fonorifche Endung ame”. Ich mufs darum und der mir heute vorliegenden 
Stofffülle wegen jede Rückfichtnahme auf jene Refultate aufgeben, fo nütz- 
lich fie auch wäre und fo natürlich fich jene Refultate überall darbieten wür- 
den; ich darf meine Arbeit nicht durch Wiederholung anfchwellen. — Das 
fonorifche Lautfyftem fpiegelt fich ferner in den Veränderungen der aufge- 
nommenenen fpanifehen Wörter (azt. Spuren S. 41"); ich habe auch 
diefen Gegenftand im IIten Abfchnitte meiner aztekifchen Spuren $ 33 und 
34 (S. 39""—42”")(!) behandelt; werde aber von ihm noch öfter einzelne 
Züge hier vorführen. 

In jener grofsen und mannigfaltigen Behandlung der aztekifchen Wör- 
ter ift zugleich die reichhaltige Gelegenheit geboten, die Variationen def- 
felben Wortes zwifchen den einzelnen fonorifchen Sprachen zu beobach- 
ten, und daraus ihre Lautgewohnheiten wie die Eigenthümlichkeiten und 
Unterfchiede ihres Lautfyftems abzuziehn, die Buchftaben -Veränderungen 
zwifchen den Sprachen kennen zu lernen; zu denfelben Beobachtungen über 
den einheimifchen Theil der Sprachen habe ich die Veranlaffung gegeben 
durch ein Verzeichnifs der einfachften und hauptfächlichften den 4 Sprachen 
gemeinfamen fonorifchen Wörter im $ 150 des Abfchnitts VII (S. 136 bis 
139°; überhaupt $ 149—154 S. 135— 141) meiner aztekifchen Spuren. 

$ 9. Bei der jetzt vorzunehmenden Betrachtung des fonorifchen 
Laut[yftems ift zwar eine Hauptaufgabe für mich die Unterfuchung der Frage: 
in wie weit die 4 Sprachen Übereinftiimmung oder ftarke Spuren einer Zu- 
fammengehörigkeit mit dem fehr eigenthümlichen und charakteriftifchen Laut- 
welen der aztekifehen Sprache zeigen; wenigftens etwa in der Weife, 
dafs fich uns in den fonorifchen Mundarten ein einfacherer, matter Typus 
eines fpäter in ftarker Entwicklung fich felbft beftimmenden und fortge- 
fehrittenen Idioms vorftellte? Ich werde aber diefe Unterfuchung nicht ver- 


(') Die Buchftaben-Chiffren a, m (mm) und n, welche ich bei Citationen der eh 
beifüge, bezeichnen Drittel und Neuntel der Seite; [. darüber die Bemerkung am Ende. 


Bbb2 


380 Buscumann: das Laut/yftem der fonori/chen Sprachen. 


einzelt in diefer Arbeit vornehmen; fondern ich kann die Frage hier kurz 
durch die Behauptung (Refultat der Beobachtung) entfcheiden und kann als 
meine Überzeugung ausfprechen, dafs diefes Zulammenftimmen in dem cha- 
rakteriftifchen Gepräge nicht vorhanden und an diefes Verhältnifs überhaupt 
nicht zu denken ift; denn gewöhnliche Dinge (Buchftaben und Combinatio- 
nen) find den Sprachen oder vielen gemein, find es auch hier: und können 
keine Entfcheidung geben. Am eheften würde der Cora in ihrem mannig- 
faltigen und verwickelten Lautbefitz eine Ähnlichkeit mit dem Idiom von 
Anahuac beigelegt werden können, dem fie auch in grammatifchen Bezie- 
hungen am nächften fteht. — Ich werde aber die mexicanifche Sprache nicht 
fo vernachläflfigen, nicht einen genügenden Begriff von ihrem Lautfyftem zu 
gewähren, mit deffen Einzelheiten die fonorifchen Züge verglichen werden 
können. Ich werde die Freude haben einen grofsen Meifter der Sprache, 
welcher diefe gelehrte Verfammlung einft geziert hat, die einzelnen Theile 
des mexicanifchen Lautwefens fchildern zu laffen. 

$ 10. Neben der Betrachtung der Buchftaben in ihrer Einzelheit und 
ihren nächften Verbindungen giebt es für den einfichtigen Sprachforfcher etwas 
höheres, was er an den Sprachen auf einfamen, fehr mannigfaltigen Wegen 
zu beobachten hat, wenn er die einzelne in der ganzen Befonderheit ihrer 
Geftalt, in der vollen Eigenthümlichkeit ihrer äufseren Entfaltung auffaffen 
und erkennen und danach die Unterfchiede mehrerer beftimmen will. Es ift 
die Erforfehung der Wortgeftalt: eine weitfchichtige, fchwer zu vollen- 
dende Aufgabe, für jetzt noch in der Kindheit liegend. Die Verbindungen 
der Buchftaben, Vocale und noch mehr Confonanten, ihre Gruppirungen und 
Verhältniffe gegen einander, die Schichtung diefer fo verfchiedenen Aggre- 
gate in den Sylben; die Folge, Abwechslung und Variationen der Gebilde 
verfchiedenen Charakters — wie z. B. der verfchiedenen Claffen der Con- 
fonanten: mutae, liquidae, Zifch- und Hauchlaute; und wieder der verfchie- 
dnen Grade einer jeden — in kurzen oder vielgliedrigen, reich ausgefpon- 
nenen Wortganzen; und dabei noch hauptfächlich die Erforfchung der Häu- 
figkeit, die Ermittlung der Grade in allen diefen Elementen und Combina- 
ionen: des Häufigen und Gewöhnlichen, und dagegen des Seltenen oder 
Seltneren: — diefs find die Gegenftände, welche auf fchwierigen, verwor- 
renen Pfaden, fein fühlend und auch rechnend, die Beobachtung verfolgen 
mufs, um dasBild von der Wortgeftaltung und dem Lautwelen einer Sprache, 


1,10. Wortgeftalt z. Entziff.; inun/. Spr. mutae mit Nap. u. liquidis, Zab. 381 


für fich und im Unterfchiede von jeder anderen, mit einem kurzen Ausdruck : 
von ihrer Phyfiognemie, zu gewinnen. Aus dem arithmetifchen Gefetz der 
Variationen erhellt die Weitfchichtigkeit und abfolute Unvollendbarkeit der 
Aufgabe. Die Kenntnifs der Grade der Häufigkeit (der Frequenz) von Buch- 
ftaben und Verbindungen ift das erfte materielle, oft fchon ausreichende 
Hülfsmittel bei der Entzifferung alphabetifcher Geheimfchrift, und alle wei- 
teren und feineren Kenntniffe von der Wortgeftalt und Phyfiognomie der 
vorliegenden Sprache können wefentlich mithelfen. Auf diefen Wegen be- 
obachtet man z. B. an dem Complex der uns nahe liegenden, unfrer Cultur- 
fprachen, zwei hervorfiechende Züge, welche fehr natürlich und in dem 
Wefen !diefer Confonanten - Claffen wohl begründet find, aber nichtsdefto- 
weniger theilweife bedeutenden Sprachen des neuen Continents widerftreben: 
4) zuerft den, auch weit über die afiatifche Sprachwelt verbreiteten Vorfatz 
der entfprechenden neutralen Confonanten oder mutae, ich will damit fa- 
gen der Nafale und des Lippenlautes m, vor die mutae: Verbindungen wie nt 
und mp, md; und 2) die Verbindung der muize mit den zwei liquidis 1 und 
r, jene vorangehend, diefe fich anfchliefsend: nicht nur unmittelbar (wie cl 
und cr; pr, bl, br); fondern, worauf ich hier eigentlich allein die Aufmerk- 
famkeit lenken wollte, ihre Folge in befonderen Sylben, mit Vocal zwifchen 
fich : wie die Wort-Anfänge Ba/, Bar; Bel, Ber, Bor und Bur auffallend häufig 
und ftark befetzt find gegen alle anderen zweiten Confonanten; ähnlich Ca], 
Can (denn in Sylben tritt noch n zu den 2 iquidis hinzu), Car. Das r ift 
dabei faft immer ftärker oder viel ftärker als das Z. Stark find ferner(') Del 
und Der, Gal und Gar: [ehr ftark Per und Str; — Hel ift bedeutend, Her 
weit mehr; Her und Mar find fehr bedeutend; Mir ift fehr felten, Mil 
kommt öfter vor, noch bedeutender ift Min; Wal ift ftark, Wan aber we- 
nig. — Der Anfangsbuchftabe P, in den anderen Sprachen fo bedeutend, ift 
in unfrem Deutfchen fo felten. Sehr dünn befetzt find gewiffe Combina- 
tionen von Labialen: Mad- und Wam- giebt es kaum; die Wörter: vom, 
Baum, wimmeln kann man zu den Seltenheiten zählen. 


(') Die Verhältnilfe, wie ich fie hier ausfpreche, find abgezogen von dem grolsen Com- 
plex der uns nahen Sprachen, welchen ich in meinem Regilter über den Kosmos Alexanders 
von Humboldt dargeboten habe; fie haben diele bedingte Geltung, welche fich in anderen 


ändern kann. 


382 Buscumann: das Lautfyftem der fonorifchen Sprachen. 


Ich habe gefagt, dafs diefer weitfchichtige und feine Gegenftand der 
Wortgeftalt noch wenig in den Sprachen angebaut ift: der unmittelbaren Be- 
dürfniffe find viele und nöthigere. Ich denke natürlich auch nicht daran 
mich bei den vorliegenden Sprachen in diefe unerfchöpfliche Mannigfaltig- 
keit zu vertiefen; ich werde aber, mit Benutzung des ganzen Wortvorraths, 
den ich mir durch felbftgearbeitete Wörterbücher neben den fchon vorhan- 
denen mehr zugänglich gemacht habe, wefentliche Theile berühren und 
mehrere Punkte erfchöpfend behandeln. 

$ 11. Unfre wenigen Buchftabenzeichen find, wie bekannt ift, 
fehr unzureichend, um den Reichthum der in den Sprachen fich vorfin- 
denden Laute darzuftellen; diefer Reichthum und die Nüancirung oder 
Abwandlung allgemeiner, einfacher oder uns geläufiger Laute, wie fie Ein 
Buchftabe als Repräfentant ausdrückt, ift noch lange nicht bekannt. Die ja- 
vanifche Sprache befitzt z. B. in ihren Wort-Anfängen, in activen oder cau- 
falen Verbalformen, geregelt (d. h. geboten oder unmöglich) nach dem 
Wefen der Sache, die mutae mit leichtem Vorklang des jeder Olaffe ent- 
fprechenden neutralen Confonanten, ich meine Arten des n oder das m: ob- 
gleich nur die mutae gefchrieben werden: Anfänge wie nd, nt; mb, mp. — Bei 
der Auffaffung der Laute der fonorifchen Sprachen durch die Darfteller 
werden wir, wie anderwärts, mancher folcher Eigenthümlichkeiten und Auf- 
klärungen verluftig gehen; es ift natürlich, dafs fie, faft alle Spanier, Laute 
nicht zu fchreiben wiffen, die ihrer eignen Sprache fehlen: wie ’j, d’j, sch; 
helles und rauhes g (Berge, fagen); f. den Fall mit Ta. ch $ 48. Nirgends 
finde ich eine gefehloffene (d.h. auf den Confonanten !endende) Sylbe 
vor nachfolgendem Vocal bezeichnet, wie die Nordamerikaner doch öfter in 
den von ihnen neuerdings aufgedeckten Sprachen aufzeigen (z. B. men-i 
Mond, Comanche bei MWhipple). Das Schwanken in der Schreibung (von 
Vocalen und Confonanten) ift öfter ein Beweis oder giebt der Vermuthung 
Raum, dafs es fich um einen befonderen, nüancirten, von dem lateinifchen 
Buchftaben verfchiedenen Laut handelt (vgl. » $ 54 zwei Stellen, /undr 
$83, p $ 69 zwei Stellen). Das Verfehweigen von Eigenthümlich- 
keiten der Ausfprache, wie es den Darftellern fo fremdartiger Sprachen 
hier beigemeffen wird, ift nur mild zu beurtheilen, wenn unfre eignen Hülfs- 
bücher für Ausländer diefen fo wenig Hülfe für die Kenntnifs und Erlernung 
der Laute unfrer deutfchen Sprache darzubieten wilfen. Als ein Beifpiel 


1,11-12.gu.ch, Alphabet genügt; Schwankenu.Fehleri.d.fon.Schreibung. 383 


folcher einfachen Regel in ihr und zugleich davon, wie ein Buchftabe nach 
Verhältniffen und Verbindungen mehrere Laute vertritt, führe ich an: dafs 
unfer g und ch nach den hellen Vocalen (e,i,y; ä, ö, ü) und den liquiden 
Confonanten (/, n, r) einen flüffigen, nach den dunklen Vocalen (a, o, u) aber 
einen rauhen, gutturalen Laut haben: Weg, folgen, Berg; mich, folcher, 
mancher, Furcht; und dagegen: Tag, Bogen; machen, doch, Buch, fu- 
chen. — Es ift auch mit den fonorifchen Sprachen, wie fonft und bei uns, 
fo, dafs die allgemeinen 24 oder 25 Buchftaben dienen müflen die ge- 
wöhnlichen und die befonderen (nüaneirten) Laute auszudrücken; und die 
Befonderheiten und Abweichungen von dem Gewöhnlichen durch einfache 
Hülfszeichen und Bemerkungen über ihre eigenthümliche Ausfprache be- 
ftimmt werden. Diefe einfache Weife ift auch gut und genügend; fie ift 
für die einzelne Sprache die befte und wünfchenswerthe, und kann auch 
noch beftehen bei dem Gebrauch für weitere und vergieichende Zwecke. 

$ 12. In der Darftellung der zu fchildernden vier Sprachen durch 
die Quellen mufs ich aber im Gegenfatz zu manchen anerkennungswerthen 
Aufklärungen über die Geltung der Buchftaben rügen vielfaches Schwanken 
und eine grofse Nachläffigkeit in der Schreibung, viele Fehler und 
Druckfehler: in Rinaldini's Tepeguana, in Tellechea’s Tarahumara, im ma- 
nual der Cahita. Rin. führt fogar einen Grund für feine Schwankungen an: 
er thue es, weil in den Dialecten der einzelnen pueblos folcher Wechfel vor- 
komme: Zoopa und toofa pavos indianos. Dieler Grund hilft nicht für die immer- 
währenden, ins fträfliche gehenden Variationen der Schreibung bei ihm und 
den anderen Genannten, nach denen manchmahl das Wort bei öfterem Vor- 
kommen immer anders erfcheint; fo Tepeg. Sack : baimo.xare, baimujare, bei- 
mojare; baeymoxare, bayamojare, baiamoajare. — Im Cahita-manual herrfcht 
eine heillofe Nachläffigkeit, mit der gröfsten Willkühr ändern fich die Wörter 
in ihrem öfteren Vorkommen; alles ift voll von Schwankungen, Druckfeh- 
lern und Fehlern.('!) Die (mit einem Stern * bezeichneten) Wörter aus 


(') So wird beichten, Beichte gefchrieben pesec, pecsec, pesecte, pecepti (peseptisu und 
pecsectisu Gerund., capecete ohne gebeichtet zu haben); — auf derfelben Seite 74 [tehn zu- 
fammen: amuchim, hamuchim, ammuchirm Frauen; andrer Wechlfel: deaduti und beuwabuti 
Sache, burusi und ducruci oft, hocoturi Wittwe einmahl Aoccoczuri, hos und Ahuos 2mahl; 
huacas, uacasi, huacasi und huaacasi Fleilch; ein Wort wird in zwei zerrillen: pec secie 
beichten, ai qui wie viel? usa nicia 6mahl (p. 88°). Ein Druckfehler ift wohl Aechiduo 
für Bechiöuo p. 110%; 2 und r find leider im Druck oft gar nicht zu unterfcheiden. 


384 Buscnmann: das Lautfyftem der fonorifchen Sprachen. 


Ternaux’s Cahita-W ortverzeichnifs (f. aztek. Spuren $ 23, S. 32""-33” und 
oben S. 375") bieten viele Zweifel an der Richtigkeit der Formen und Bedeu- 
tungen dar; und ich vertraue ihnen nicht fehr. — Ortega in der Cora und 
Steffel in der Tarahumara find auch voll von Wandelungen bei der Wieder- 
holung der Wörter, aber fie liegen mehr in der Sache felbft; und beide find 
forgfältig zu nennen. 

$ 13. Da ich der Quellen und Darfteller diefer Sprachen eben Er- 
wähnung gethan habe, fo will ich hier (vgl. Einleitung S. 373”" -4°, und aus- 
führlich meine aztek. Spuren $ 19, S. 28° - 30°") bemerken: dafs ich für die 
Tarahumara zwei von einander vielfach, befonders im Lautwefen, ver- 
fchiedene Quellen habe: die Schrift eines deutfchen Miffionars, Matthäus 
Steffel, vom Jahre 1791 (f. von den Buchftaben im allgemeinen im Vor- 
bericht S. 299-300); und die eines Spaniers, des apoftolifchen Miffionars 
Miguel Tellechea, erlchienen zu Mexico 1826. Diefe Spaltung der Sprache 
in zwei Darftellungen nach fehr verfehiedenen Lautfyftemen, dem deutfchen 
und fpanifchen, verwickelt und verdoppelt meine Aufgabe bei diefer Sprache 
auf eine unerwünfchte Weife: ich habe neben der Schilderung der Sprache 
noch das Gefchäft diefe doppelte Darftellung in ihrer Theorie zu entwickeln; 
und in ihr und in allen Einzelheiten die zwei Redactionen in Parallele zu 
ftellen, auf einander zu reduciren und fie auszugleichen. 

$14. Über gewilfe Eigenfchaften der einheimifchen Ausfprache 
der fonorifchen Mundarten (der Tarahumara und Tepeguana) habe ich 
fchon im Eingange meines Werks der azt. Spuren Abfchn. II $28 und 30 (S. 
35-38) gehandelt: namentlich von der Heftigkeit des Herausftofsens, der Rau- 
heit; und von dem Verfchlucken oder der Unterdrückung von Buchftaben oder 
Wortftücken am Ende, auch bisweilen im Anfange der Wörter; alle diefe 
wilden Eigenfchaften find das Erbe vieler Sprachen des Welttheils. Von der 
Tarah. fagt auch Steffel: dafs die letzte Sylbe, namentlich ke in der Endung 
ameke (Art. aitaruc S. 353), „meiftentheils” verfehlungen werden (fo auch Tell. 
3“); er „aber das ke doch allen dergleichen Wörtern zugefchrieben habe.” 


Ton und Ace.nt. 


615. Es bleibt zum Theil zweifelhaft, ob und wo die Darfteller 
diefer Sprachen mit dem Accentzeichen die Tonfylbe oder nur eine be- 
ftimmte Befchaffenheit des Vocals, wie diefs eine Hauptbeftimmung 


L, 15-16. Accent: Bedeutung,Schwanken,V ocal-u. Wort- Unter/chiede,2-3. 385 


deffelben ift; oder beides zugleich bezeichnen. Zu diefem Zweifel und der 
Meinung, dafs theilweife die Vocal -Befchaffenheit damit bezeichnet werde, 
regt vieles an: fo wenn der Accent fehr weit vorn ftebt, wenn zwei bei ein- 
ander ftehn: Te. wıxvo Augenwimpern (vgl. S. 357"', 388""). Es ift auch 
gewils, dafs der Accent diefe Beftimmung hat; gewils zweitens, dafs er 
gröfstentheils die Tonfylbe, oft zugleich die Vocal-Befchaffenheit bezeichnet. 

Nur in den beiden Sprachen Tarahumara und Cora haben fich die 
Darfteller befleifsigt die Accente durchgehends zu fetzen, wobei Steffel fehr 
forgfältig ift, Rinaldini in der Tepeguana und das Cahita-manual haben fich 
der Aufgabe entfchlagen, fie fetzen fie nur felten; Rin. hat aber das erfte 
Blatt feines Wörterbuchs und „eine andere Stelle” accentuirt. 

In der Bezeichnung, 
Nachläffigkeit, fie ift bedeutend unzuverläffig: der Accent fteht auf verfchie- 
denen Sylben oder fehlt, es ftehn verfchiedene auf demfelben Worte. Bei- 
fpiele find: Ta. neöca u. *neoga reden, bassa u. bassa Acker; mapiü ta 


wo fie gelchieht, herrfcht viel Schwanken und 


caend krumm, mapu ta caena lahm; der verfchiedne Accent der Ta. und 
beider Darfteller in den numeralibus ordinalibus und ihrer Endung, und 
beider in fehr vielen Wörtern: Auma u. *juma laufen ; Gebrauch verfchiedner 
Accente: Co.anahao u.anahao durchbohren (Pfeil), namua hörenu. namodh 
zuhören; Zevi 20 (4fach), amaxu 5 (3fach; f. die 3te Abth. diefer fon. Gramm.: 
die Zahlwörter A. II. Zehner). Öfter mögen Nüancen der Bedeutung darin 
liegen (f. hier "'-S. 386”). 

$ 16. Die Grammatiker wiffen hauptfächlich davon zu reden, dafs die 
Accente und deren Verfchiedenheit die verfchiedene BeschArrenteıt der Vo- 
cALE bezeichnen und dafs durch fie fich Wörter unterfcheiden. Ortega 
fagt für die Cora ($5""-seq.“): die Accente feien wohl zu beachten, denn da- 
durch unterfchieden fich manche Wörter (er meint hier wirklich die Tonfylbe): 
huatahua (Ton in der Mitte) kühn feyn, huatahud (auf der letzten) vertrock- 
nen (der Baum); wohl auch: wyeini weinen, uycinni brüllen (Stier). Er will 
2 Accente anwenden: der Circumflex * bezeichne die Tonfylbe, der gravis \ 
den saltillo (f. unten S.396"-7°). Er gebraucht aber vielmehr 3 Accente, und 
hat nach dem erften Beifpiel den acutus ! zur Bezeichnung der Tonfylbe ver- 
wandt. Ich werde nun eine Reihe von Beifpielen anführen, in denen der 
Wechfel zwifchen * und *, / und ‘ verfchiedene Bedeutungen derfelben 
Wortform begründet: fo dafs die Frage bleibt, was die 2 Accente * und * 

Philos.-hist. Kl. 1863. Cce 


386 Buschmann: das Lauifyftem der fonorifchen Sprachen. 


bezeichnen und was ihr Unterfchied fei, wenn * die Tonfylbe bezeichnen 
foll? eine verfchiedne Befchaffenheit des Vocals in der Tonfylbe? kurz und 
lang? wie nach ihm (f. unten S. 396"-7°) die Vocale neben dem saltillo find. 
Die Wörter find: fi-turu Urgrofsvater, t-turü Urgrofsmutter ; t-muni Schwie- 
gerfohn, ti-mini (hier ift die Tonlylbe geändert) Schwiegertochter; ti-mini 
Schwiegervater, ti-muni Schwiegermutter; ZzilzE sangrar, tzilze auslpucken; 
mu£ betaften, mu& arbeiten; mueat Dienft, mudat Tod; — piznari Elle, 
piznari Zweig; ed peerse, ea antworten; — nana (ohne Accent) kaufen, han- 
deln, nana lachen; — ohxe Bezeichnung und ohne Unterichied bleibt euriti 
1) Hügel 2) Pfeil. 

In der Tarahumara erwähnt Tell. eine dreifache Ausfprache der 
Vocale: fanft, durch die Nafe, einfach: nach der fich gleiche Wörter unter- 
fcheiden (f. diefes unten S. 396""-""); ob fich diefs auch auf den Accent 
bezieht? — Er redet (45”") von der Befchränktheit der Eingebornen, dafs, 
fo wie Einer ein Wort falfch betont (eigentlich: mit falfeher Quantität fpricht), 
fie ihn nicht verftehen: por que es tanta la materialidad de los Indios, que 
aun en el termino que, siendo breve, se dice largo, 6 al contrario, ya no le 
entienden. Den Accent und die gute Ausfprache wird wieder p. 46”" fehr 
empfohlen fich anzunehmen, um verftanden zu werden. 

In der Tepeguana unterfcheiden fich nach ZRin. durch den verfchie- 
denen Ton gleiche Wörter: mu er floh (la u cerrada y aguda, gef[chloffen 
und fcharf), mu er ftarb, 20 feche (la u abierta y lene, offen und fanft). Er 
deutet durch die Verdopplung eines Vocals manchmahl nur einen längeren 
Aufenthalt bei ihm an. Diefs entnehme ich aus feiner Bemerkung über 
jJuume lachen und ume agotarse: beide leien faft nicht zu unterfcheiden, nur 
durch lange Übung; beim erften fei nicht „wirklich eine Verdopplung des u”, 
fondern man halte fich bei diefem Vocal länger auf; alfo bei lachen mufs 
man das u mehr „ge[chloffen und feharf” aus{prechen alsin agozarse. Eben fo 
feien fehr ähnlich vacue walchen und vaquue ausprellen (exprimir); beim 
zweiten hält man u länger an. Dahin gehören wohl die Wörter und Accente: 
taucva und Zuucava Ferle, möo und mo Kopf, 06 und 000 Knochen; f. 
weiter S.400°*-"", — In der Ta. drücken nach St. (S.350,333) die Eingebornen 
bei den Adv. guami weit und amulipi nahe den Grad durch kürzeres oder 
längeres Dehnen des End-z aus; er fagt diefs vorzüglich von mechca weit, 
und fchliefst dann guami an; wenn der End-Vocal bei ihnen fehr lang gezogen 


1,16-18. Accent:Co. Dehnung ;verfchd., Schwanken, 2-3; Tonfylbe: Ta. 357 


wird, bedeutet es, dafs der Ort weit (eine Tagereife) ift. Tell. fpricht (p. 7°) 
von der langen Aus[prache der Endung 5 für den Superlativ; dahin und zu 
weit gehört: ZelebE weiter hinab, *rerebee fehr weit unten. — Dafs in der 
Cora die Dehnung des Vocals durch das A am Ende von Sylben und Wör- 
tern (f. $ 89 und S. 395°) bezeichnet würde, ift zu bezweifeln, da es viel- 
mehr ein Hauch ift; dahin gehört aber wohl daana und bana bedecken. 

$ 17. DieVerfchiedenheit der angewandten Accente ilt aus dem 
Bisherigen fchon zu erfehn: wie in der Cora alle 3: * \ und * gebraucht 
werden, eben fo alle drei in der Te. (f. S. 388”); die zwei Darfteller 
der Ta. gebrauchen faft immer °, feltner ‘ (Steffel öfter). Steffel, der 
auch * gebraucht, fchreibt auf der letzten Sylbe deffelben Wortes bald 
Acut, bald gravis: beide Darlteller gebrauchen entgegengefetzten Accent: 
cotfchi und *cochi fchlafen, auch Tell. in fich: *gierü und güeru “grofßs. 
Eben fo wechfelt Stefiel auf der vorletzten Sylbe: keke und keke nein, pau= 
guiki und -iki Waller, cajutfchi und cajutfchi Pferd; lomiki und lomiki 
weich feyn. Auch auf verfchiedene Sylben fetzt er den Accent: Zepigaca und 
tepigaca Meller,, tajena und tajena es wird Tag; mukiki, mukiki und mukiki 
Tod; nejijameke und najujameke krank; thulameke, -ameke, thüulameke 
kalt; za pagotügameke „Heide, d.i. ungetauft”, 14 pagötug. ungewalchen; 
20. — In der Cahita erfcheint 


5 
(felten, wie ich fehon gefagt habe) ein \. In der Te. find Beifpiele: zaba oder 


oder die Darfteller variiren: delago und *bera 


tabba Frühling (wo eher kurzer Vocal zu [eyn feheint) ; verfchiedener Accente 
bei einander (f. auch 3.388°""": Te. auzuvo Augenwimpern (f. S. 385°), zweier 
graves bei einander: mumnidi Feuer anmachen; Ta. kachela Rinde, Schale; 
tetek Stein, narigue zertheilen ; dreier: Co. quaikeuxatz Kehle. 

518. Ich habe fchon ausgefprochen, wie unficher es ift in den Ac- 
centen die Zeichen der TonsszBe zu erkennen; es ift aber fchon aus den vor- 
ftehenden Äufserungen der Grammatiker zu erfehn, dafs fie öfter diefe 
Bedeutung haben; fie behandeln diefen Punkt auch ausdrücklich. In der 
Tarahumara liegt nach Steffel’s Bezeichnung der Ton eben fo oft auf der 
letzten als auf der 2ten und 3ten Sylbe vom Ende. Tell. fagt, dafs man fich 
die Tonfylbe merken müffe (p. 3"), und erklärt diefen Punkt für fehr wichtig 
(f. obenS 386°“"") ; nach ihm haben composita öfter mehrere Accente, Über 
die Lage des Tons trägt Tell. auf 2 Seiten (p. 4—5) eine lange Lehre vor, 
welche aber für die allgemeine Entfcheidung eben fo ungenügend als dunkel 

Ccec2 


388 Buschmann: das Lautfyftem der fonorifchen Sprachen. 


ift. Man erfieht daraus, dafs der Ton oft auf der vorletzten und letzten, 
gelegentlich auf der drittletzten liegt; dafs in der Ableitung die Tonfylbe fich 
oft fortfetzt (bleibt). — Für die Tepeguana nehme ich aus Rin. ab, dafs 
meift der Ton auf der drittletzten und früheren Sylben, feltner auf der vor- 
letzten liege; er drückt diefs aber fehr ungefchickt fo aus: „in diefer Sprache 
ift der kurze Accent gebräuchlicher als der lange”; Beifpiele des kurzen: Zas- 
cali Tortilla, vattopa Filch, cöstuli camaron; viavogueane ich verftricke, 
guittuqueane ich {panne mein Gewebe aus, sciscioque chillar, — des langen: 
teödi Menfch, soaque weinen; da für beide Qualitäten des Vocals der gravis 
gebraucht ift, fo fragt man: was er unter kurz und lang meine? — Auf dem 
accentuirten erften Blatte (oben S. 385”) des Wörterbuchs fehe ich die 
Accente, deren er alle 3: * \ und * gebraucht, auf allen Sylben ftehn: 
meift“weiter, oft fehr weit, vor: indem auch hier die Tonfylbe des einfachen 
Wortes durch die Derivationen beibehalten zu werden fcheint; auch auf den 
einfylbigen meit nicht, na (Anruf); dabei wechlelnd beiga und beiga, dü= 
dude und didude; manche Wörter und Stellen find ohne Accent. 

Schwer glaublich, wenn auch möglich, ift es, dafs der Accent die 
Tonfylbe andeute, wenn er auf 2 Sylben bei einander (vgl. S. 385°- 387"), 
ja auf dreien deffelben Wortes fteht: Te. iuuvuli nalgas; Co. anaa Feuer 
fchüren, Zatachiaca, quaikeuxati (quaik“xati) Kehle, uhyaähteu. 

Ich werde nun noch Beifpiele von der verfchiednen Lage des Accentes 
(d. h. nach der Bezeichnung der Quellen) geben: er fteht auf der letzten: 
in der Cora (oft): and anzünden, camu nicht, namua hören; — auf der 
vorletzten: Te. o@ma gelb, roth (meift ohne Accent); — auf der dritt- 
letzten: Ta. pitfehiguali und *bichiguari Wahrheit, Te. tuboli Weide 
(Baum), sösome knöpfen, tucavo Knöchel am Fuls; Co. acanitme, quairavet 
Art Adler, tatahuaeihte beraufchen, tatzaraca aufrichten; Ca. büsani 6; — 
noch weiter vor: 4te: Ta. tfehöcameke (und tfchöcame, *chöcame) 
fchwarz, tfchucuameke kriechend, *rejoirugame er ward Menfch, *cun&, 
mucame Wittwe; Te. mücoraga Strecke, tapaniga Spalte; Ca. tatähuaicam 
Schöpfer; öte: Te. neöquidaraga Rede, Berathung, nüucadaraga Wachen, 
sulipasader rechts, teädidaraga Kleid; bte: Te. uguadaraga, äbunaxa- 
didi, udidumaraxare; Co. tihetzenetichueve auf Einen vertrauen; 7te: Te. 
teömidagaxamue abubado, döadimodaraga Niedergelchlagenheit; und endlich 
fogar auch auf der Sten vom Ende: Te. doadidamodaraga Schreck. 


1,19. Charakterif.der Spr., vollk.Laut/yft.; Humb.s Schilderung des mex. 389 


Laut[yl[tem im allgemeinen und Wortgeltalt. 


$ 19. Der Verfuch einer kurzen Charakterifirung der einzelnen 
Sprachen nach ihrem Lautfyfiem, den ich zum Theil hier, zum Theil bei 
feinen Haupt-Gegenftänden machen werde, mufs vorzüglich ausfprechen: 
in wie weit fie fich einer reichen und vollkommenen Bildung, wie wir den 
Sprachbau in den hochgebildeten Sprachen des Sanskrit-Stammes, auch in 
den (weftlichen) malayifchen, kennen, nähern; oder fich von ihm entfernen, 
und fich der äufserften Einfachheit der polynefifchen und des chinefifchen 
zuneigen. Ich ftelle hierher, mit Beziehung auf das mir vorliegende Pro- 
blem (S. 379"-380”), die Schilderung der mexicanifchen Sprache, welche 
Wilhelm von Humboldt in feiner Grammatik derfelben entwirft: „2. 
Sylben. Die Zufammenfügung der Sylben ift höchft einfach. Der bei 
weitem gröfste Theil befteht blofs aus einem Confonanten oder einer Con- 
fonantenverbindung, die dem Vocal vor- oder nachgehn. Viel feltner ver- 
hältnifsmäfsig find diejenigen, wo der Vocal zwifehen zwei Confonanten 
oder Verbindungen von folchen fteht. Da es von diefen Verbindungen auch 
nur fehr wenige giebt, und wiederum von einfachen Confonanten eine kleinere 
Zahl als in andren Sprachen; fo hat der Sylbenbau eine gewiffe Einförmig- 
keit, und den einzelnen Sylben mangelt es an Fülle. Nach einer möglichft 
genauen Zählung, nach Molina’s Wörterbuch, erreicht die Mannigfaltigkeit 
der Sylben nicht die Zahl von 400; und infofern man annimmt, dafs alle 
Wurzelwörter urfprünglich einfylbig waren, würde dies auch die Anzahl 
diefer beftimmen. Dabei mufs man aber allerdings nicht aufser Acht laffen, 
dafs durch die Verfchiedenheit der Vocalbetonung und einiger in der Ortho- 
graphie nicht zu unterfcheidender Confonanten diefe Anzahl in der Wirk- 
lichkeit fich, wenn jene verfchiedene Betonung auch nicht bei allen Vocal- 
ftellungen eintreten follte, doch weit mehr als verdoppeln mag.” [Ich habe 
die Materialien der mühfamen und langwierigen Sammlung gefehen, von 
welchen diefe und die folgenden Urtheile abgezogen find.] — „$ 3. Wörter. 
Die Abtheilung des Mexicanifchen in Worte ift, bei dem fehr ungenauen 
Druck aller vorhandenen Hülfsmittel, fehr mangelhaft; und es ift oft ge- 
trennt, was verbunden feyn follte, und umgekehrt. Sie erwähnen auch zu 
wenig von dem Accent und feinen Geletzen, als dafs fich von dem Befaffen 
der Wörter unter Einem Accent und der Accentuirung der oft äufserft 


390 Buscumann: das Lautfyftiem der fonorifchen Sprachen. 


langen Wörter danach hinlänglich urtheilen liefse. Allein aus grammatifchen 
Gründen läfst fich meiftentheils mit Zuverläffigkeit beftiimmen, wo ein Wort 
anfangen und endigen mufs. Die Subftantiva haben, bis auf wenige Aus- 
nahmen, ihre eigenthümlichen Endungen, die bei ihrer Verbindung mit 
andren Worten wegfallen; und die Verba werden gröfstentheils im Anfange 
durch das Pronomen der Perfon oder das Augment der vergangenen Zeit, 
und am Ende durch die Charakteriftiik des Tempus begränzt. — Die grofse 
Länge einiger Wörter entfteht durch die Menge der Zufammenfetzungen: 
wie die Zergliederung des Wortvorrathes; und die grofse Anzahl von Affıxen 
und Präfixen: wie die Grammatik zeigen wird. Die Bedeutung des einzel- 
nen Worts liegt wohl felten in mehr als zwei, und meiftentheils in Einer 
Sylbe. — Kein Wort fängt mit Z an; und keines fehliefst mit m, p oder u. — 
Die Kürze und Einförmigkeit derSylben, ihre Vielheit in einzelnen Wörtern; 
das häufige Wiederkehren des /, und der Mangel an mannigfaltigen und 
volltönenden Confonantverbindungen mufs, wie mir fcheint, der Sprache 
zwar eine gewiffe Weichheit, allein auch etwas zu Flüffiges und Lallendes 
geben, und dem Wohlklange und der Würde fchaden. Es läfst fich hierüber 
freilich, ohne fie felbft zu hören, kein fichres Urtheil fällen. Die Wieder- 
kehr des z/ darf man fich in der Rede nicht fo häufig denken, als man fie, 
dem Wörterbuch nach, vermuthen follte. Denn in diefem fteht es am Ende 
faft jedes Subftantivs, da es in der verbundenen Rede theils als Endfylbe 
nach grammatifchen Regeln fehr oft wegfällt, theils als unbeftimmtes Objeet 
tla (ehr oft dem beftiimmt ausgedrückten weicht; und als grammatifche Bie- 
gung, einige wenige ausnahmsweife in # gebildete Palfiv-Partieipien abge- 
rechnet, nie hinzukommt.” — Ich werde, wie ich die Lautgeftalt der fono- 
rifchen Sprachen noch bei einzelnen Hauptpunkten behandle, diefe Schilderung 
unfres grofsen Sprachforfchers noch an zwei Stellen (S.399"""" und 405°”) 
vervollftändigen ; ich werde auch ausdrücken, dafs die mexicanifche Sprache 
doch durch wefentliche Confonanten-Verbindungen und eine gewifle Freiheit 
darin in einiger Beziehung zu den Sprachen eines vollkommneren Lautfyftems 
gehört. 

820. Der mehr oder weniger reiche oder vollkommene 
Wortbau, gegenüber dem dürftigen; die Stufe, auf welcher die Wort- 
geftalt in Rückficht auf Füllung fteht, wird begründet: nicht etwa durch die 
reiche Verbindung der Vocale, welche eher eine Schwäche feyn und zu dem 


1, 20-21. vollkommner Wortbau; Reduplication: ‚felten in Ta., Co., Ca. 391 


unvollkommenen Bau gehören würde; als vielmehr durch das Körperhafte 
der Confonanten: nämlich, neben der Vollftändigkeit der vorhandenen 
Laute, hauptfächlich durch die Freiheit Sylben und Wörter auf Confonanten 
zu enden, an den verfchiedenen Stellen des Wortes Confonanten zu ver- 
binden. Ich habe die 4 fonorifchen Sprachen nach diefen Hauptpunkten 
zu charakterifiren und diefe Punkte nach einander zu behandeln. 

Zuvörderft find noch einige andere Gegenftände der Wortgeftalt zu 
berühren. 

$ 21. Ein bedeutender beftiimmender Zug der Wortgeftaltung ift 
die Repurrıcarıon, die ich hier zu behandeln habe. Hierin tritt gleich 
eine grofse Verfchiedenheit der vier Sprachen unter einander hervor: indem 
in der Tarahumara aufser dem Plural der Subft. (f. Subft. in der ?ten Abth. 
der Gramm.) von der Reduplication nicht zu reden ift, da fie kaum gelegent- 
lich vorkommt; und unter den anderen in ihrem Maafs, Wefen und Gebrauch, 
über das Naturgemäfse hinaus, eine bunte Verfchiedenheit herrfcht. 

In der Cora-Sprache ift die Reduplication nicht häufig, fie ift von 
keinem beftimmten grammatifchen Belange, erfcheint hier und da in der 
Wortbildung; Ableitung: cerit Kälte, cicerita Winter; wahta fchwatzen, 
ti-xaxata-me Schwätzer; canehat Trolt, uea-canehua tröften, tahua wirken 
(obrar), ta-tahua-cam Schöpfer. Als blofse Wortgeftalt kann fie 3fach vor- 
kommen: cacaihte calzado, uca-cacaihte calzarse. Auch eine innere Redupli- 
cation kommt vor: (uhua als Vorlatz: herab) uhu-huah-tache apartar la gente, 
Platz machen; famui asaetear, tamuemua flechar tirando. 

In der Cahita ift die Verdopplung der Vorfylbe ebenfalls felten ; fie 
erfcheint gelegentlich in der Wortbildung: cuna Ehemann, verheirathete Frau, 
cucuna und cucuna-me verheirathete Frau, ca-cucuna-me unverheirathetes 
Frauenzimmer; huena und ahuhuena fchlecht; hAuante weh thun, Auahuante 
es thut fehr weh (hier drückt fie eine Verftärkung aus). Es kommen noch be- 
fondere Gattungen vor: Reduplication mehrerer Sylben: huasuti Jahr, huasu- 
huasuti-ua zu rechter Zeit? (manualp. 31"); cahitanichts, cahita itaNiemand; 
eineinnere: alurinaque es foll fehlen oder verloren gehn, alutirianaque fie find 
vergangen oder verlofchen ete. Grammatifche Bedeutung hat die Wiederho- 
lung der erften Sylbe beim distributiven Zahlwort (f. 3te Abth.: Zahlw.). 

Gegen alles diefes tritt mächtig und felbfiftändig auf die Reduplication 
in der Tepeguana-Sprache. An fich fchon in den Wörtern öfter vorhan- 


392 Buscnmann: das Lautfyftem der fonorifchen Sprachen. 


den (f. Beifpiele beim plur. des Subft.: Verdopplung des Vocals): fpielt fie 
eine Hauptrolle bei der Bildung des Plurals der Subftantiva wie des Präfens, 
ift in der Wortbildung verbreitet; und zeigt ein eigenthümliches Buchftaben- 
geletz. Ich werde fie an jenen drei fpeciellen Stellen behandeln, und bringe 
hier zunächft nur einige-gemifchte Beifpiele: ali, und alali oder aralı klein; 
dreimalige Wiederholung einer Sylbe: gagague durchfuchen, sci-gagaga- 
daraga Durchfuchung; sasasaque zerftückeln. Die innere Reduplication, 
und zwar eine zwiefache: der Sylbe oder des blofsen Vocals, werden wir 
beim Plural fehn; hier ein anderes Beifpiel: udbuquitude und ububuquitude 
drohen. — Für die vordere und die innere Reduplication befteht das 
eigenthümliche Lautgefetz, dafs & und v in der Wiederholung, d. h. in 
der zweiten Sylbe, als » wiederkehren: basudaga Hautblafe, vapa-suda-re 
Blafen bekommen; bonnama Hut, voppo-nnama Hüte; vuggui roth, vuppu= 
gui vothe; weitere Beifpiele f. beim Plural. Reduplication mit Anfatz- 
Endungen in der Wortbildung verbunden findet fich in der Te. bei ga (f. 
beim Subft. diefen Anfatz). Verdopplung des ganzen Wortes, Wiederho- 
lung in der Co., f. Anfang der Wortbildung der Ad). 

6 22. In der Einleitung zu meinen aztekifchen Spuren habe ich aus 
diefen Sprachen Beifpiele von recht langen Wörtern (S. 36" - 37”") und 
von kurzen (Cora, S. 37””) geliefert. Ich bringe hier noch einige lange 
Wörter bei: Cora: Zealzahuateacame treu, gläubig; Tepeg., in der die 
Wörter durch die Länge und Verbindung von Ableitungs-Endungen maffen- 
haft ausgedehnt werden: mamatutudadamue Lehrer, asoigulidatude betrüben, 
vacasi cocodaxarugaquer carniceria, cucuitudadamue Flötenbläfer, didiagui- 
daraga Abenddämmerung, humapaguidicamue verlammelt, sonanicucumi- 
care; Cahita: *cuthuahuatepo Abgrund. Beifpiel einer eigenthümlichen 
Worigeftalt (f. weiter $ 88): Ca. *huocobabalis Schwalbe. 

6 23. In der WortsestaLt, nach ihren oben genannten Haupt-Ele- 
menten, find die vier Sprachen unter einander verfchieden. Drei gehören 
zu den Sprachen ftärkeren Baues, wogegen die Tarahumara auf die Seite 
des einfachen tritt. — Die Cora hat reiche Verbindungen, von Vocalen wie 
Confonanten: auch Härten in Confonanten;; überhaupt ift fie eine Sprache 
von reicher Bewegung in ihrer Wortgeftalt und Wortbildung (f. noch S. 393"), 
Die Cahitaift voll von einfachen Sylben; dennoch find in ihr auf der andern 
Seite die Verbindungen von Confonanten: alle denkbaren gewöhnlichen wie 
die fonderbarften, im allgemeinen (befonders im Innern) reich und ftark im 


1,23-24. einf.Baud.Ta.,auch andren, Scheuvor Conf.V. erb.;Endconf.: Ta. 393 


Gange. Die Tarahumara hat den einfachen Sylbenbau von einem Confo- 
nanten mit folgendem Vocal oder einem Vocal allein; Sylben und Wörter 
enden auf einen Vocal, Wörter können nur noch auf ce oder %k fchliefsen (f. 
hier ” -S.394°). Tell. fchreibt (p. 40“) vor, nicht 2 Confonanten zufammen 
auszufprechen; wieder fagt er (40""), dafs die Wörter regelmäfsig auf c oder 
auf einen Vocal enden. Auch in den anderen drei Sprachen, welche der 
Sylben mit Confonanten-Schlufs und der Confonanten-Verbindung im weiten 
Umfange fähig find, ift die einfache Sylbe und die Sylbe mit Vocalfechlufs 
(offene) häufig, ja die gewöhnliche; in der Tepeguana ift diefer einfache 
Bau (f. hier ”") fogar wie in der Tarah. herrfchend und wie Gefetz, und 
nur in der Endfylbe kann der Confonant [chliefsen: Te. dbunaxadidi bele- 
ben; Ca. abemetuca fie blieb Jungfrau? (man. p. 104"); alebenasi fo, 
eben fo 2) und, auch; ne alaerianaque ich liebe, alulutirianaque fie haben 
fich ausgelöfcht. In der Cora find neben der möglichen grofsen Verwick- 
lung doch auch einfache Sylben- und Wortverbindungen häufig: acacare 
fenken, acahutaca. — DieScheu vorConfonanten-Verbindung ift (vgl. 
vorhin Z. 9-10) an ich der Tepeguana-Sprache eigen; daher durchbricht fie 
in fpanifchen Wörtern 2 zufammenftehende Confonanten durch einen Vocal, 
befonders o und u (f. aztek. Spuren S. 40-41, 42°“): diablo—diavoro; 
an den fpan. Endeonfonanten wird ein Vocal, meift e oder i, gefetzt (42): 
vacasi Kuh, corral=curare, Dios—Diusci, fiscal=piscali; pan=pana. 
Beides gefchieht auch in der Cabita (S. 42°"): melon=minoli. In der 
Tarah. findet fich a angeletzt (S. 42°‘); der erlaubte Ausgang c wechfelt mit 
ca: für Steffel’s Endung ca fchreibt Tell. einmahl c: laca, *lac; er fagt aber 
(p- 3°), c am Ende fei felten, dagegen häufig ca. 

$ 24. Zu dem vollkommneren Sylbenbau übergehend, behandle ich 
hier nur den Wortfchlufs auf Confonanten, die Confonanten am Ende 
der Wörter: indem ich den Confonanten am Ende der Sylbe (im Innern) 
und die Verbindung der Confonanten nach der Behandlung der einzelnen 
ftelle. Die Tarahumara endet, wie gefagt (hier oben * und"), ihre Wör- 
ter nur auf Vocale: ausgenommen das k oder c, vorzüglich in grammatifchen 
Anfätzen. Dazu gehören: die Subft. Endung ce (*lac, laca Blut; sanic Aus- 
druck für 6); kals Verkürzung des gewöhnlichen ke, darunter der allge- 
meine Anfatz amek oder *amec u. ä. neben ameke oder *ameque ulw. (f. 
meine Abh. über [onor. ame S. 480”); ferner der paflive Verbal- Anfatz 

Philos.-histor. Kl. 1963. Ddd 


394 Buscumann: das Lautfyftem der fonorifchen Sprachen. 
iruc (dazu aitäruc Teufel), die allgemeine Poftpof. Zfehie (auch tfehi, *chi) ; 


felbftftändig in einem Worte: cose, cosek oder cosec, coscke schon lange, 
vor Alters. Einige Fälle von n am Ende habe ich gefunden: *bon felbft, 
vor einem Subft. (Tell. p. 96"): verkürzt aus *bon£ (felten *boni); *yan Frei- 
tag, jumabon befingen. — Die Cora endet die Wörter oft auf Confonanten. 

$ 25. Inder Tepeguana enden die Wörter an fich auf einen Vocal; 
diefer wird aber oft, und zwar hauptfächlich in der Satzverbindung und in 
der Compofition, abgeworfen: und das Wort endet auf einen Confonanten, 
und zwar auf die verfchiedenften, die es giebt. Diefe Verkürzung und der 
confonantifche Schlufs des Wortes, das mit dem Folgenden in Verbindung 
fteht, durch Abwurf des Endvocals ift ein grofser Zug und wie ein Hülfs- 
mittel der Sprache, aber auch ohne diefen Grund, felbftftändig, werfen 
die Wörter den Vocal ab. Auch beftehn bei einander die Form mit Vocal 
und auf Confonanten : Poftpof. der und dere, amidere und -der von, aus; 
dubure und (in Verbindung) dubur Erde; vainomi und vainom, ja vainon 
Metall: veinum jae Tiegel (cazo): jodde und jod Stein (jod matte Kalk), ju- 
coli dud und jucol duud Weinftock; oama roth, gelb: in Verbindung oam. 
Durch diefes Abwerfen des Endvocals in der Verbindung wird das Zufam- 
menftofsen von Confonanten, des am Ende und des im Anfang des folgenden 
Wortes oder zweiten Wortbeftandtheils (z. B. dan duco Mittag), in diefer 
Sprache häufig; und die von mir anzugebenden einzelnen Verbindungen er- 
fchöpfen die Sache nicht: es kann auch nicht alles darunter gefetzt werden, 
weil nämlich die Trennung oder Verbindung in Einem Wort willkührlich ift: 
fo bedeutet gal- fchlecht, z. B. galvuivare (von vuivare);, june Mais: jun 
bauga und junbauga, auch unbauga Maisrohr; von Zuni Mund kommt Zun= 
sciddague külfen. Manchmahl geht mit dem Vocal auch etwas vom Confonan- 
ten verloren: bitte Koth wird bit, busci in der Verbindung und Compofition 
Bus- all-, usci Baum, Holz: usce- und us-. Von dem fragenden sei fagt Rin., 
dafs ö oft nicht ausgelprochen werde; es fei aber nicht ganz als ende das 
Wort auf sc, fondern man müffe eine Art suspension de los labios anwenden. 

826. Ich gehe nun zur Aufzählung der am Ende des Wortes in 
den einzelnen Sprachen vorkommenden Confonanten über, welche ich darauf 
einzeln mit Beifpielen belegen werde. Die mexicanifche Sprache endet die 
Wörter auf wenige Confonanten: auftl,n, c, ch; nie auf m, p, t. — Die End- 
confonanten der Cora find: c, A, k, m, t, zt, x, tz; die der Tepeg. bilden, 


I, 26-28. Aufzähl. der Confonanten am Ende mit Bei/p.; Häufigkeit in Te. 395 


wie fchon angedeutet ift, eine lange, ziemlich vollftändige Reihe: , c, d, g, 
„IL m,n, p, que und q,r, s, t; in der Cah. finde ich ec, /, m, n, PS: 

$ 27. Ich belege nun die Endeonfonanten der alphabetifchen 
Reihe nach in den Sprachen mit Beifpielen, an denen die vorftehenden 
Beobachtungen, vorzüglich für die fo reich eintretende Tepeguana, fort- 
geletzt werden können: 


& — Te. 05 por, tub oddame Riele, tutub jutucamoe Teufel 

c — der einzige Conl[onant der Ta. (f. oben S. 393""-4*); Te. ic und hie, muc (von muca 
fern), puc und pug lehr, zacue und zacucu Huhn; Zue zuucamue Trauer (eig. [chwarze Klei- 
dung: verkürzt aus Zucu [chwarz); Co. neric; in der Ca. häufig: fo Endung c des praeter. 
(chupuc du haft gemacht), aenoe Zeugnils, anec, batoc taufen, soc und, Zikue fich [chämen 

d — Te. dud und duud Baum, id dieler (ftatt iddi), juguid odame [ehr alt 

g— Te. cug (von cugge) wohl-, eg (für eggue) dieler, moycacug mollera 

h — Co. (vgl. S.387°) chaeh lorgen, utätoah herauftragen u. ä., ti-yaöh Sohn oder Toch- 
ter (der Frau), /eur finden, anahı bis dals 

5 — Te. avoj (flatt avoja), cavaj hart (für cavaja; cavaj moxamue hartnäckig, von mo 
Kopf), javoj jodde Bimsltein (von javoja [chwammig) 

k — Ta. oft (f. S.393”4°); Co. atenerik (von neric), tzeuk Hund, muaitek gewinnen 

2— Te, jucol Weinltock; Ca. kuaquil Schwäche oder hectifches Fieber, *noe/ Vogel 

m — Te.nam welcher, pim piman fehr, burn mit, darn auf, guiorn, hum ein; der grolseAn- 
fatz amue und ame wird öfter zu am verkürzt: z.B. cam, xam (f. meineAbh. über die [lonor. 
Endung arne S. 481°"); Co. -zim (Endung), tzicuritam Ecke, zaeicam Waile; Ca. achim 
was? *hubuaniam Harz, *huicom Eidechle, iorern Menfch 

n — Ta. (als feltener Fall) (. S. 394°; Te. ipin, saguin (von saguini) zwilchen (vor Wör- 
tern), Zaguin und Zagguin (auch -ini) zwilchen, -an ich, vainomi oder bainomi Eilen wird im 
Zulammenhange vainon oder bainon (auch -om: [. S. 394”); Ca. achin welcher? (auch mit m 
wechlelnd, wie Te.), @esan er ward, in mein (lo vor allen Conlonanten) 

p — Te. sciup oder (im Zufammenhang), up (ltatt upu) auch, wieder; Ca sep 

q (leltlfam) — Te. eg, ig, pug=puc, juy vupadaraga Verlult (von jugui vupe verlieren) 

r — Te. Poftpol. er, quer, der; gugur großs, mar casuli Schwiegertochter, zar (f./ara) Fuls 

s — Te. aras wenig, bus all-, nanamas und -masci; Ca. hos und kuos 2mahl, *Auoco= 
babalis Schwalbe; s und se — Te. us u. use (für usci) Baum, Holz, sasce u. sas Itatt sasci 

t — Te. jat und nat Präfixe; Zu2 ba Schwiegervater, Zu mu Schwiegermutter; Co. -2 
allgemeine Sublt. Endung, ze wann, tzet herir, Stechen; Ca. dat, iout und iauta die Oberen 

zt — Co. fehr oft: [. $ 94 

x — Co. tzanax zerltückeln, uhuateyeux fich fetzen (Hefen) 

tz — Co. ataratz Feder, türatz Art Papagei, abaou?z mit dem Kopf nicken (Schläfrige) 


$ 28. Mit Beziehung auf meine Bemerkung in der Einleitung von der 
Frequenz der Buchftaben (S. 380", 381°) will ich hier das Verhältnifs der 
Häufigkeit der Buchftiaben im Anfang der Wörter in der Tepeguana be- 
zeichnen, nachdem ich im allgemeinen ausgefprochen, dafs e, y und z nur 


Ddd2 


396 Buscnmann: das Lautfyftem der fonorifchen Sprachen. 


einige, p und qu wenige Wörter beginnen: a nimmt 1 Quote ein, 5 14,c 3, 
d2,, g1,hl,i2,j (der ftärkfte Buchftabe neben t) 5, m 24,n%,0%, 
s 3, 16, ui, v 2%; für & fchreibe oder rechne ich im Anfangej. Hierzu 
find die Beftimmungen über die Verhältniffe der Anfangsfylben bei den ein- 
fachen Vocalen ($. 397""-8°) zu nehmen. — Die Häufigkeit oder Seltenheit 
der Confonanten im allgemeinen habe ich für jede Sprache bei den einzelnen 
Confonanten ausgefprochen. 

$ 29. An diefer Stelle, wo ich vom Lautfy[tem im allgemeinen, von 
allen Buchftaben rede; hätte ich die Vergleichung der beiden fo verfchie- 
denen Darftellungen der tarahumarifehen Sprache: die des deut- 
fchen und des mexicanifchen Miffionars, nach deutfchem und fpanifchem 
Lautfyfiem und Orthographie, zu führen. Ich werde aber nur die einzelnen 
Parallelen fpäter bei den einzelnen Confonanten beibringen, und hier weni- 
ges gemifchtes; kann mich jedoch nicht auf eine allgemeine Zufammenftellung 
der Erfcheinungen oder eine Theorie in dem weiten Gebiet diefer Verglei- 
chung von öfter mehr auseinandergehenden Wörtern einlaffen. Tell. fehlen 
öfter die verfchiednen Endungen: fchunücu, *sunu Mais; hucu, *ju feyn; 
ajönoco, *ayond zürnen; lomiki, *lomi weich feyn; doch ift es auch umge- 
kehrt: bechte und *beid wohnen, *betiqui liegen (mehrere); mot/chi wohnen, 
*mochuisi fich fetzen (mehrere). 


Vocale. 


$ 30. Das erfte der zwei Elemente der Sprache, das weiche oder 
flüffige, find die Vocize; vielleicht können fie die Weichtheile des Sprach- 
oder Wortkörpers genannt werden. 

Ihre Befchaffenheit, Länge oder Kürze, habe ich grofsentheils 
fchon beim Ton (S. 384"'-7°) behandelt. Von ihrer Länge und Kürze in 
der Tarah. redet Tell. dunkel p. 2"""; wieder erwähnt er (5") eine 3fache 
Ausfprache: fanft, durch die Nafe, einfach (llanamente) ; danach fcheiden 
fich auch gleich gefehriebene Wörter (5'): rana einfach gefprochen (Zan.) 
bedeutet gebären, gefprochen con admiracion 6 con ganga: donnern, 
krachen (estreilar). — Von der Cora fägt Ortega auch, dafs ihre Vocale 3fach 
find: gefprochen lang, kurz oder 3) mit dem eigenthümlichen amerikanifchen 
saltillo, welchen, wie überhaupt diele 3fache Geltung der Vocale, auch im 


1,30-31. Vocale der Co.;einfache: Schwanken Ta., Frequenz Te.;a,e,i, 0. 397 


vollen Maafse die mexicanifche Sprache befitzt: einem plötzlichen, gewalt- 
famen Anhalten und Hemmen des Lautes; einem Stocken, einer Art 
Schluchzen: con salto, 6 singulto, ö reparo: wie Ortega {ehr treffend fagt. 
Nach diefen verfchiednen Qualitäten des Vocals haben auch in der Cora 
diefelben Lautgeftalten verfchiedne Bedeutungen und find verfchiedne Wör- 
ter, wovon ich die Beilpiele bei den Accenten (S. 386*"*) gegeben habe. 

$ 31. I. Einfache Vocale. Es ift nicht fraglich, dafs diefe Spra- 
chen die gewöhnliche Reihe der einfachen Vocale belitzen; es giebt auch 
Spuren von befonderen, abweichenden Lauten (f. S.401”*). Ein Schwan- 
ken oder Wechfel zeigt fich zwifchen den 2 Darftellern der Tarah.: zame, 
*ami wir; uili und *gieri ftehn , boni, *bini jüngere Schwefter;, Steffel’s au 
giebt Tell. durch a: pauguiki, *bagüiqui Waller; sauguiki, *sagül Kohle; 
in der Cora: “hre willen, ti“hre weile, tiihre Wahrlager. — Ich gehe 
hiernach die einzelnen durch, und mache über fie die nöthigen Bemerkungen, 
zu denen ich die Frequenz in der Tepeg. füge: 

a — in der Te. find im Anfang ziemlich befetzt die Sylben: ba, da, ga, 
na, pa, sa, la, va, ya, 2a; fchwach: ca, ha, ja; ftark ma 

e und i—e kommt in der Tepeg. im Anfange nur in den Wörtern vor: 
egg(u)e u. eg er, diefer, eggo u. eggove (-vo) der da, eque (eg) jener. Es ift 
überhaupt in der Sprache im Anfang und im Innern felten; fo erfcheinen im 
Anfang nicht: be, je, pe; kaum se; nur in Diphthongen de, ne; etwas sce, te 
(befonders teo); aber häufig ift es in Endungen wie am Ende der Wörter. 
Auch ö ift in Anfangs-Sylben der Te. feltner: fo di, ni, pi; kaum erfcheinen 
hi, si, ti: mehr vi. — In derfelben Sprache wechleln e und i öfter: scia- u. 
scea- (eine Menge von Wörtern); vorzüglich am Ende: gogque u. gogqui 
Fufsftapfen, jinaxe u. -xi rufen, joscigue u. -gui Blume; oae u. oai zeich- 
nen, malen, fchreiben, Brief u.f.w.; das {panifche e verwandelt fich in z: 
Pedro = Piddoro, queso = quiso, melon = mironisci. Wechlel beider in 
der Ca.: in mein, en dein 2) manchmahl: mein. 

o — In der Cora fangen nur 2 Wörter damit an: ozzet Bär und das mex. 
Fichte. In der Te. ift im Anfang o ziemlich ftark in co; fehr fchwach in do, 
no, vo, yo; es fehlen ho, po. In derfelben Sprache wechfeln o und z (ähn- 
lich wie e und i), befonders am Ende: Endung -oe und -we (f. bei Diph- 
thongen S. 401”), ucaso und -sw Bein (Untertheil), visul und visoli Ur- 


398 Buscumann: das Laut/yfiem der fonorifchen Sprachen. 


grolsvater, Urenkel; namocaidaraga und namuc. Lohn; fpan. o wird u: 
corral = curare, cocina = cuscini. 

u — ilt in der Te. häufig: cueubuli Zwang, cuucuse kratzen; auch im 
Anfang der Wörter: fo find am ftärkften im Anfang: cu, du, hu, ju, tu; 
und mit anderen Confonanten ift es ftets ftark; — in der Co. im Anfang 
vieler Wörter: man kann an fich nur nicht fehn, ob es u oder v ift, weil 
Ortega immer grolses / fehreibt; viele Wörter enden auf u 

y — ift je nach den umgebenden Buchftaben 1) der Confonant j (f. $ 52) 
2) eine andere Schreibung für den Vocal i, neben anderen Vocalen: Tell. 
fchreibt es in der Ta. für i in der Mitte oder im Anfang; er bemerkt (p. 20"), 
dafs oft e in y verwandelt werde. In der Te. wechfelt die Schreibung mit ö: 
muiova und muyova oft, ütude und yitude; milsbräuchlich wird es ftatt z im 
Anfange des Worts vor einem Confonanten gefchrieben: ybue (für ibue) 
athmen, ybusani und ybuisane (für ibosane) keuchen. 


I. Diphthongen. 
$. 32. Diefe Sprachen find alle reich mit Vocal-Verbindung begabt; 


fie gebrauchen 2, 3 und mehrere Vocale zulammen. Ich bemerke im allge- 
meinen, dafs nicht alle Zufammenftellungen der Art Diphthongen oder 
genauer Einen Laut, einen einfachen Doppelvocal bilden; dafs z. B. i und 
uin zweiter Stelle (mit gewiffen Vocalen vor fich) fich mehr dazu eignen als 
a, e und o; dafs zwei zulammenftehende Vocale öfter, wie durch puncta di- 
aereseos (die wir auch in der Ta. gefchrieben fehen: f. S. 399"', 401°) ge- 
trennt, in der Aus[prache auseinandergehalten werden (f. unten S. 39I"" 
und """). Ich werde mir aber die Abhandlung des Gegenftandes nicht durch 
folche Eintheilung erfchweren, fondern behandle fie ohne Unterfchied in 
ihrer alphabetifchen Reihe. — Das y im Anfang der Wörter vor einem 
Vocal (ya- u.{.w.) behandle ich unter den Confonanten (= deutfchem 7; 
f. $ 52), obgleich auch diefes ein Vocal feyn kann. 

$ 33. In der Ta. ift das Zufammenftofsen von Vocalen nicht felten: 
ea, ae, ua; die Te. zeigt öfter viele Vocale (f. azt. Spuren S. 36 """). 
„Die Cora (') ift reich an Diphthongen: vorn, in der Mitte und hinten; 


(') Worte Wilhelms von Hurnboldt in leiner kurzen Tarahumara-Grammatik. 


1,33. Diphthongen der Cora u. ihre Schreibung; Trennung; mex. Vocale. 399 


ihre Ausfprache foll fehr fchwierig feyn. Ortega deutet fie durch kleine 
Schrift oben in der Zeile an”, Wilh. von Humboldt zieht einen Strich über 
fie: teaiteri Perfonen; ich fetze fie mit ftehender Schrift inmitten der cur- 
fiven oder wie Ort. „Ortega giebt die Regel, man folle keinem der verbun- 
denen Vocale feinen abgefonderten Laut ganz geben. Meift foll der erfte 
Vocal e feyn; man foll die Lippen in der Stellung des e laffen und damit 
die folgenden Vocale ausfprechen.” (S. Ortega 2te Seite, vor $ 1 und $ 2 
S.2""-3”,) Solche Diphthongen ftehn auch am Ende: muihmue ausfpähen, 
teä [etzen (im Spiel). Beifpieie folcher klein gefchriebener Vocalgruppen 
werden unten bei den einzelnen genug vorkommen; hier nur einige: mu6i- 
zipe barbiren, ancureheyeata einen Richtweg ein[chlagen, ce’ keneat Mü- 
digkeit; ““wahti Kraut fchreibt Ortega 2mahl fo und 2mahl ewx. Be- 
weile, dafs diefe oben gefehriebenen Diphthongen bisweilen aus Ver- 
ftümmelungen,, von ausgefallenen Confonanten herrühren, liefern die azte- 
kifchen Wörter; z. B. ichpochtli, telpochtli find geworden zu: euhmuaztae, 
teamuaezta& (f. fonor. Lautveränd. S. 441“, 444‘). Die Trennung beider 
Vocale, wie es öfters ift (S. 39$"""), in der Ausfprache finde ich in der Cora 
gelegentlich durch einen Strich bezeichnet: zai oder ta-i Feuer, nu-y und 
nuy fingen, zui oder zu-i Wolf; eben fo Te. tüy und zu-y, tu-i Mädchen; 
nuy und nu-y fingen; in der Ta. durch Trennpunkte (f. ad S. 401°): naiki 
Feuer (f. noch S. 401”), cät (beffer cau) Pferd. 

Von der mexicanifchen Sprache fagt Wilh.von Humboldt (Gramm. 
$ 1): „Die mexicanifche Sprache hat alfo die 5 einfachen Vocale... Die 
Betonung aber bringt durch ihre Verfchiedenheit die Vocale auf die drei- 
fache Zahl. Denn, fo viel man fieht, ift jede diefer dreifachen Betonung 
fähig. — Ob es Diphthongen giebt, darüber erklärt fich keiner der Sprach- 
lehrer, und diefer Punkt bleibt daher zweifelhaft. ua, we, wi und wo könnten 
dafür gelten; hui wird ausdrücklich als eine einzelne Sylbe behandelt. Da- 
gegen giebt Castorena hu-a, hu-e als zwei Sylben an. Vielleicht find Diph- 
thongen au, ei und oö; doch kommen fie fehr felten vor. Umlaute find gar 
nicht vorhanden. Selbft die Vocalftellungen ae, oe finden fich nur in weni- 
gen Wörtern. So kann man (die Verfchiedenheit der Betonung eingerechnet) 
etwa 15 bis 22 Vocallaute annehmen.” 

8 34. Von den Diphthongen fcheide ich als eine befondere Gattung 
die Verdopplung des Vocals, die zwei- oder dreifache Wiederholung 


te) 


400 Buschmann: das Lautfyftem der fonorifchen Sprachen. 


deffelben, aus. Die doppelte Schreibung drückt, wie beim Ton (S.386"""") 
fchon gefagt ift (z. B. von der Te.), oft nur den gedehnten Vocal aus. Ich 
liefre die Reihe der Vocale mit Beifpielen: 

a — Ta. i/chad wegwerfen, saate Sand; Te. aa- (oft im Anfang), caay 
Oberfchenkel; Co. aa- (Anfang in mehreren Wörtern, auch im Innern) ; 
taa brennen, iaa-; uhyaähteu tragen (runde Sachen); Cahita aane, baa 
Waffer, */aa Sonne, caala Böfes 

e — Ta. tee beifsen, tedje fcherzen, *reechea fpielen; Co. ahee abortar, 
mee fchlagen; Ca. aneebuac, alaneeria, beecame fehlend 

i — Te. jii Eingeweide, ji- (öfter), niüddi und niddi blicken; Co. muü 
viel, ziöihre Wahrfager 

o — Ta. *moö oder moola Kopf; Te. möo und mo Kopf, humoo, 
moone zerkleinen, oo- (oft); Ca. öomot Fremder, Andrer; 5oo Weg 

u — häufig in Te.: cuucuse kratzen, huumojo und uumojo manchmal]; 
Jume und juume alle werden, juume lachen; xuuvo und juvo Augenwimpern; 
tuuggui-, tuu- (luuque fich kleiden), tuuvuli nalgas ; uu-; Co. cuuxat Regen- 
bogen, muuti Kopf, uw dort, xuu anreihen 

dreifacher Vocal: Co. haaäti caldo; Te. 000 oder o6 Knochen; 
uuupuajamoe gleich, -puaraga Gleichheit 


Diphthongen oder Doppellaute, zwei Vocale. 


6 35. Wörter mit mehreren: Co. uteahaayaete Steinwurf, temua- 
yaomuara gefallen. Ein Wechfel im zweiten erfcheint: Te. vainomi und 
vaenomi Erz, Eifen. — Ich führe hier die einzelnen Doppelvocale (zufam- 
men 24) in alphabetifcher Folge, mit Beifpielen belegt, auf: gefchichtet in 
Reihen nach dem zweiten Vocal: zuerft die mit a, dann e, i, o, uw, y: 

1) mit 4: 

ea — Ta. med tödten, cundameke verheirathet (Frauenzimmer; und fo 
oft da im Innern); Te. zea-; in der Co. oft: Aueat Fleifch, cea- 

ia — Ta. maliaje fünfter, galetsaneliameke gelegnet; Te. ia-, scia-, via-; 
mia und miade nahe; Ca. ia- 

oa— Te. oa- (oft: oama roth, oane reinigen), soaque feufzen, doa- 
und toa- (viele Wörter), joague Wachtel; moani fchleifen, wetzen; toa 
roth, Zoa-; — Co. moa-, namoa, asoa 


1, 35. Aufzählung der Doppelvocale: mit a, e, i oder y. 401 


ua — Ta. soigud auslöfchen, soiguala Dorn; Te. ua, cua-, juane wen- 
den, ade tragen, uguade ekeln, haffen, vacuane wafchen 2) taufen ; Co. oft: 
hua- (fehr oft), mua- (oft); Ca. *ahuotua fuchen, bua- (buahuame), ebua 
ftehlen, hua-, suale glauben 
2) mit E: 
ae — Ta. mit punctis diaereseos gefchrieben : nassina& träge feyn, caöna, 
gaele lieben, Te. jae Topf, mamae mifchen; Ca. ae- (öfter), Co. caerit 
Schelle. In der Tepeg. fchreibt Rin., wie er erklärt, (im Anfang und am 
Ende) ae, indem fchwer zu unterfcheiden, ob es ein a oder e ift: saddae 
oder sadde arreo, maeitiud oder meitud nicht. Diefer Diphthong wäre alfo 
vielmehr ein einfacher Vocal; ich füge hinzu, dafs der Verf. mehr zwifchen 
a und e fchwankt, als dafs er beide zufammenfchreibt. 
ie — Te. tugguie, tuggie u. tugguiai fcheuchen, verjagen; Ca. ie- 
oe — Ta. macöeke und *macoiqui 10, Te. saroe Hacke, scipoe platzen, 
vassoe Stroh, voppo und voppoe Haar, baboe Felfen, mamasoe; Co. In der 
Te. wechfeln die Endungen oe und ze (wie o und u: S. 397"): Endung ca- 
moe und camue u. ä.; jimoe und jimue gehn, jatabue und -voe lügenhaft. 
ue — Ta. kuepu wer? Te. häufig (f. oe): mumue mit Pfeilen fchiefsen;, 
Co. chue-, mue-; Ca. bueru grofs; mahue fich fürchten, mahuec Furcht 
3) mit z oder r; 
beide werden einzeln oder zugleich neben einander gebraucht rein nach Will- 
kühr der Schreibung,, befonders in der Te.: 
ai — Ta. aita nicht, aitaruc Teufel, naiki oder naiki Feuer, Norogai 
Norogachenses (Einwohner), säiki Wurm, maitsaca Mond; Te. cai Oberfchen- 
kel, coai eflen, jaini zerbrechen (v. n.), maine Matte, nabaiti Wein, nacai- 
daga Schläfe, sai-, tucai-; Co.; Ca. ai- (aiqui und haiqui wie viele?), bai 
(Statt bahi) 3 
ai und ay — Te. aitude und aytude ausführen, erfüllen; f. noch fo- 
gleich, ay: Co. tehuaray fchwarzer Mais 
ai und ei — Ta. baica und *beiquia 3, tsani Lafter ulw., isaini- 
(deriv.), *cheina Übel; Te. meit und mait nicht, un-, caidi und queidi Kern; 
beidi verdauen, baydaraga Verdauung; bei- und bai- gut (beiga und baiga), 
dai- (manchmahl dei-, auch day-) ; tubaimoque betteln: tubei-, tubey-; tuvei: 
mure und iuvaimure arrastrar, vainomi, vaynomi, veinomi u. vaenomi (auch 
bainomi, baynon) Erz, Eilen 


Philos.-hist. Kl. 1863. Eee 


402 Buschmann: das Lautfyfiem der fonorifchen Sprachen. 


ei (f. auch ai) — Ta. heicala Luft, Wind, jomeiki Felttag,; Te. meimu- 
que ufw., matei-, pateimade vergiften, quei-; Co. ceitevi 20 
ei und ey — Te. meimu- und meymu-, oteysci Schwager 
oi — Ta. noitsa und *nochd arbeiten, aboi, cöigua würzen, *macoiqui 
und macöeke 10; soigud auslöfchen, soiguala Dorn; hoinesa u. *hoinega; 
Te. jivoidaga Wunde, soiga Sklav, tugguitoidi ermahnen; Ca. poino, *po- 
choi Berg 
oi und oy — Ta. bonöje, *bonöi oder *bonöy felbft; Te. soigu- u. soy- 
gu-, soituigame und soyt. arm, unglücklich ; jüboi- (auch jöboy-); joini, joyni 
und oyni fich bewegen; jojoidi und jojoydi lieben, oidi und oydi folgen, be- 
gleiten; oidigui und oyd. Berg, Wüfte, Land 2) Zeit, Jahr; oymure und 
oimure gehn; vopoide, voppoide, vopoyde und -di entreifsen, rauben 
oy — Te. boy Weg, boy-; moyca weich, zart, 0y- (oft) 
ui — Ta. suila Grofsvater (von Mutterfeite), jaugui tanzen, buila Strick ; 
Te. dui-, cui-, motuigui auf der Schulter tragen, nacui-, ubuide und -di fich 
fürchten und deriv., vui- (vuivase Geficht); Co. chui-, hui-; Ca. abui-, hui- 
ui und uy — Te. swididi und suy- ertragen, Zuy und Zu-y, tu-i Mädchen; 
Zutui und Zutuy fich bedecken (Zutuiga), twi- und tuy- 
uy — Te. buy Auge; muy 1) viele 2) Flamme, brennen, muy- (oft); 
nuy und nu-y fingen, nuy- (deriv.) 
4) mit o: 
ao — Co. z.B. aoh-, Ca. *aosa malen 
eo — Ta. neoca oder *neoga reden; Te. neoque und neoxe fprechen, 
neogui Wort und viele deriv. neo-; deobe und deoga glatt, teo-; Co. 
io — Ta. kioliki Maisfuppe (atole); Te. io-, juguio wie oft, sciorojo Mor- 
gen, violima Beifchläfer, -erinn, piote und biotte vomere; Ca. hioco vergeben, 
hiore faften, io- (z. B. iorem Menfch) 
uo — Te. tuodde fchlaff werden, duduogga; Ca. *ahuotua fuchen, be- 
chibuo wegen, uo-: wechfelnd mit o Ca.: hoi und huoi 2, hos u. huos Qmahl 
5) mit v: 
au — Ta. häufig, befonders in aztek. Wörtern: auguaca Horn, cau- 
guiki Wald, Wüfte; in eignen: paugui Flufs, *dagüi Wafler, pauvoliki und 
pavoliki Taufe; rau-, tau-, jaugui tanzen, cäl Pferd; — Te. aue und au 
erreichen, baure fchwitzen, gocau (von 2), sciaure fich fchämen und deriv.; 
Co.; Ca. anecau ich habe gethan, au- 


1,35-37. Aufzählung der Doppelvocalemit u; der3-u.Afachen: mita,e,i. 403 


eu — Co. eu- und euh- (fehr oft), neitca reden, fagen und deriv., tzeune 
fürchten; Ca. hineunaque er wird vertheidigen 

iu — Te. jüucadaga Räude, viw übrig bleiben, maitiud nicht; Co. tiu- 
nav£ [chlaff; Ca. chiuco, iumaco wenn es Zeit ift 

ou — in der Ta. öfter: Z/fchougua auslöfchen, pougudca Schaf, sougue- 
pali Schwalbe; Co. couyet Baum, Holz, mourati Mond, ztepouhbi rother Mais 

6) mit r — f. beii 

636. Triphthongen, drei oder vier Vocale: ich führe diefe 
(in Summa 73 Gruppen oder Verbindungen betragend) wieder alphabetifch, 
aber nach dem erften Vocal, auf; ich habe bei ihnen meift nur die 3 Spra- 
chen aufser der Tarahumara zu berückfichtigen: welche alle drei 3- und 
4fache Vocale reichlich befitzen. In zweiter Stelle wechfelt, wie es bei den 
Diphthongen war, i öfter mit y (ai oder ay). In zweiter Stelle überhaupt 
kann y Vocal oder Confonant, das deutfche flüffige j, feyn; wo letzteres ift, 
haben wir keine Vocal-Verbindung vor uns (f. unten S. 410°"). 

$ 37. Verbindungen und Gruppen, mit ihren Beifpielen: 

1) mit 4 — aa: Co. aaihta fluchen, Te. daay fliegen; — ae: 1) a: Co. 
teatzaeat Eifer; Ca. *aeaochupuo Freude, alaea ich freue mich; 2) i: Te. 
daeidade Flug, saeiti und seiti Teufel; Co. xadicam Waile, aeita halb ufw., 
caeiniat Schatten; 3) u: Co. Zaeurita rechts, Ca. aeua; — ai oder ay: 
1) a: Te. vaiame und vayame einfchlucken , Ca. taia fündigen; 2) e: Ca. 
aiechanaque, aie Mutter, besaieni; 3) o: Ca. *maioa Ufer, *aioire gehor- 
chen, *aioi; Te. mayoga Schwager; 4) u: Ca. aiua, *besaiumac Zeit, emo- 
temaiuanta chriftlich? — ao: Co. aou (Laut); — au: 1) a: Ca. tacaua Kör- 
per; 2) e: Ca. nesaue, anesaue befehlen, araue willen, 3) i: Ca. cauicala; 
4) u: Te. auu- 

2) mitz — ea: 1)a: Ca.eaaca; 2)e: Co.chea£ befitzen, zeachre aufhäu- 
fen; 3): Te.teai Hagel, teaidi bedecken, vagqueai ausdrücken; Co. teaiteri; 
4) o: Co. ceaoukeneat Müdigkeit, huateaoututzi herumfchweifen; 5) u: Co. 
eau (Laut), ceaut andrer,; — ee: Co. neeu-; — ei: e: Ca. beie fehlen, *cheie 
fäugen, *eie Ameife; — eo: Te. deoi; — eu: 1) a: Ca. beuabuti, teuame 
Name; 2) e: Ca. teueca Himmel 3) i: Ta. Tewilitfchie Dorf im tarah, Ge- 
birge, Ca. heui ja; — ey: Co. beyat Geilsel, ancureheyeatä, -heyi- 

3) mitz — ia: 1) o: Ca. *buasiaola Schwanz 2) y: Te. viay wiederkäuen; 
— ie: u: Co. tieuhre weile, izieuri Scorpion; Ca. ieua (ich) habe gemacht 

Eee2 


404 Buscumann: das Laut/yftem der Jonorifchen Sprachen. 


ieumachi, ieuacame Schöpfer; — ii: 1) a: Co. tiiaro Teufel 2) u: Te. iiwi- 
gui Vögel; — io: 1) a: Te. scioama 2) i: Ca. ioiorinaque ; — iu: 1) a: Ca. 
aniua, hiuarepo unter der Macht, iua zurückftofsen ; 2) i: Te. iwi-, iui trin- 
ken; — iy: Ta. ki und *quiya geben (f. wegen y S. 410") 

4) mito — oa: 1) e: Te. oae, oai, oay (auch oahe, oahi) zeichnen, ma- 
len, fchreiben; Brief, Buch ufw.; toae giefsen; Co. moae-; 2) i: Ta. oai 
f. oae, Co. moai-; 3) 0: Co. oao 4) u: Co. oau 5) y: Te. oay f. oae; — oe 
fehlt; — oi: a: Te. opoia Ulme, tuboia Maulwurf; Ca. *asoia ftechen; — 
00: 1) e: Te. ooe (auch ore) Sand 2) u: Ca. oow Mann; 3) y: Te. cooy 
Schlange, utooyder; — ou: e: Co. moueya über[chwemmen 

5) mit v — ua: 1) e: Co. uae (Laut); huaeixca braten, ahudeica 8, 
huaeita lügen; waeu, huaeuxata; 2) i: Ta. *guaid dort; Te. tuaidi be- 
decken, Zutuai pflanzen, vagquai ausdrücken; 3) o: Co. uao, ahuao-, uaoi, 
huaöu; 4) u: Ta. guaugueke gebratenes Fleifch, Ca. *duaue (mex.) Adler; 
— ue:1) a: Co. uea (Laut), hueat Fleifch, Fifch;, 2) i: Ta. zseliguei (*che- 
ligue) verzeihen; Te. vacuei-; vuei machen, thun, vuavueicamue; Co. mu6i- 
zipe barbiren, Ca. buei fehr, hueieme, hueientachi; 3) u: Co. capueurene 
häfslich; — ui: 1) e: Ta. mapuieri wie, als; 2) @: Co. muiü viel 3) u: Te. 
uiuique;, — uo: 1) a: Co. uoa (Laut) 2) i: Te. duduoi ebnes Feld 3) o: Te. 
tuodde u. tuoodde fchlaff werden; — uu: i oder y: Te. cuui u. cuuy wie- 
hern, blöken, bellen ufw. ; UUy coger muchas cosas 

6 38. Zufammentreffen von fünf Vocalen: Ca. aieva, haieüua; Co. 
tahuäeiat Trunkenheit. 


Confonanten. 


639. Ich behandle zunächft die einzelnen Confonanten für fich; 
und ftelle’unter jedem faft alle die verfchiedenen fie betreffenden Verhältniffe 
zufammen, welche eine andre Weife in einzelne Abtheilungen nach einander 
zerfpalten könnte: feine Geltung oder Bedeutung, Ausfprache und feinen 
Laut; feine Schreibung, feinen Gebrauch in verfchiednen Stellungen; feine 
Verhältniffe zu anderen, feinen Wechfel und feine Verwechslung mit ande- 


ren; Veränderung, Wegfallen und Zufatz: obgleich für letztere noch kurze 
Schlufs-Capitel beftiimmt find. 


1,40. fehlende u. vorhandeneConf. dermex. Spr.; fehlende der Ta., Te.,Co. 405 


$ 40. Für das Lautwefen und die Lautgeftalt der einzelnen Sprache 
ift zuerft von Wichtigkeit die Confonanten aufzuzählen, welche ihr fehlen; 
und dagegen diejenigen, die fie befitzt. 

Fehlende Confonanten. — Der mexicanifchen Sprache fehlen 
die Confonanten: 5, d, f, g, k (in der Schreibung), / im Anfange der Wörter, 
r, s, v; fie befitzt: c (als k, und vor e und i), ch (tfch), A, 2, m, n, p, qu, t, 
a, y, 2; tl und iz. Wilhelm von Humboldt äufsert fich (mex. Gramm. 
$ 1) darüber fo: „Von den Confonanten finden fich die drei mutae und te- 
nues k (in c vor a, o, u und am Ende der Wörter; und gu vor i; ke fcheint 
zu fehlen), p und Z; dagegen nur drei flüffige: Z, m, n. Die aspiratae, welche 
den spiritus asper haben, fehlen ganz; von den mediae ift nur Eine: g, und 
nur in wenigen, einzelnen Sylben, vorhanden. f fehlt; v ift nur als Dialeect, 
w nur in Verbindung mit q vor a und e da; i geht zum j (dem fpanifchen y) 
über. s ift vorhanden, und zwar immer fcharf, als c, z, in einigen Fällen als 
h, und als x. — In derfelben Sylbe, ohne dazwifchen tretenden Vocal, ver- 
bundene Confonanten kommen nur fehr wenige vor. Verbindungen der 
Stummen finde ich blofs mit Hinzukunft des s, nämlich is (tz gefchrieben), 
isch (ch) und tschp (chp) ... . . Verbindungen flüffiger Buchftaben unter ein- 
ander giebt es gar nicht, und eben fo wenig diefer mit s: von ftummen mit 
flüffigen nur Eine: cl (11)... Hiernach hat das mexicanifche Alphabet, wenn 
man daffelbe nach den Lauten bezeichnet und ordnet, unabhängig von der 
Rechtfchreibung, folgende 15 bis 18 Confonanten und Confonanten-Verbin- 
dungen ..... Nach der obigen Aufzählung befteht alfo die ganze Sprache 
aus 30 bis 40 Lauten.” 

Der Tarahumara fehlen die Confonanten: d, f, w, das fpan. ll, „die 
aspirirten Confonanten (aufser ch)” [Humb.], x, 2.(') Von der Tepeguana 
finde ich keine fehlende genannt; % fehlt in der Schreibung, ch (d.h. tfch) 
faft ganz ; fonft befitzt fie diegewöhnlichen Confonanten. —Der Cora fehlen 
(£. Ort. $ 1:9): d, f 8 J, 1 A, s; kein Wort fängt mit r an. „Der Mangel 


(') Steffel lagt (S. 299): „Darum mangeln in diefem tarah. Wörterbuche die zween Buch- 
ftaben @ und f. Ich habe auch die Buchltaben g, y, z meiltentheils weggelallen, weil fie durch 
die Buchftaben c, g, %, i und s ohne allen Nachtheil der Bedeutung des Wortes erletzt wer- 
den... Nichts deftoweniger kann doch g, y, z gefchrieben werden” (f. noch weiter 299°" "" 
über den Mangel aller Schrift, Zeichen und „Auflchrift” bei den Tarahumaren). 


406 Buscumann: das Laut/fyfiem der fonorifchen Sprachen. 


des Z ift nach Ort. $ 3 dem ganzen Bisthum Guadalaxara eigen” (vgl. S. 
411”). — Der Cahita fehlen d, f, g, j, % (in der Schreibung), w, x. 

$ 41. Vergleichen wir die 5 Sprachen, fo fcheidet fich zunächft die 
Tepeg. als vollftändig bis auf grofsentheils einen Laut (ch) aus, welchen die 
anderen haben, fie aber felten; die anderen 4 Sprachen kommen in dem 
Mangel mehrerer überein, im übrigen herrfcht zwifchen ihnen manche Ver- 
fchiedenheit; die Mexicana entbehrt allein des 5 und r. Nach einzelnen 
Buchftaben: fehlt 5 der Mex. allein, dund f fehlen allen 4; g dreien (aufser 
Ta.), k in der Schreibung 4 (auch Te., vorhanden in Co.); 2 der Co., der 
Mex. nur im Anfange; fpan. I! u. ü allen aufser (A) etwas Te.;  Mex., derCo. 
im Anfange; s (nur als Schreibung fehlend) Mex. und Co., v Mex., x Ta. 
und Ca., z Ta.; — j und w find eigentlich nicht zu nennen: als Schreibung 
fehlt / der Mex., Co. und Ca.; w (als deutfche Schreibung) allen, auch Ta. 
bei Steffel. 

$42. Die vorhandenen Confonanten find in der Tarahumara: 
b,c (vor a, 0, u; auch e), ch (deutfch und fpanifch), g, gu, h, j (deutfch), 
k, 1, m, n, p, qu (bei Tell.), 7, s, fch (bei Steffel), 2, v, y (= deutfch , bei 
Tell.); in der Cora: d,c (vora ufw., und e u. i), ch,h,k,m,n,p, qu 
(auch vor a), r (aufser im Anfang), , th,tz,v,a,y, 2; in der Cahita: 54, c 
(auch vor e,i), ch, h, l,m, n, p, qu, r, s,t, v,y, 2 (in tz und cruz). 

$43. Nach diefer Aufzählung werde ich die einzelnen Confonanten 
in fyftematifcher Folge, nach Claflen abgetheilt, behandeln, und neben den 
ihnen beizufügenden Bemerkungen mit Beifpielen belegen; in der Folge: 
Hauch-Laute, Ziquidae, Zifchlaute , mutae. 

$ 44. A. Die Havcntaurte fondere ich im allgemeinen aus, obgleich 
der ftärkere die aspirata des K-Lautes ift und bei den mufis ftehn müfste; 
ich füge ihnen einen flüffigen Laut hinzu. Ich behandle nämlich zufammen 
als Vorläufer fefterer Confonanten: 1) den einfachen Hauch: A: 2) den ftar- 
ken Hauch (aspirata der mutae des K-Lautes): deutiches ch, {panifches j 
oder x; 3) den flüffigen Confonanten des Vocal-Lautes i: das deutfche 7, 
fpanifche y. 

$45. 1) m — Das A fehlt keiner der 5 Sprachen: Ta. f. nachher; Te. 
cohi, cuhisci mit dem Fufse ftofsen ; im Anfang des Wortes ift es felten, aufser 
hu- (nur ein paar Wörter ha- und Ai-); in der Cora „ift % häufig: im Anfang, 
in der Mitte; auch am Ende der Sylbe mit nachfolgendem Confonanten” (f. 


I, 45-48. Conf. A. Hauchlaute: 1) h; 2) ch: gefchr. a) durch ch. 407 


fpäter, 6 89); im Anfang: Aa-, he-, hi- (aber ho- gar nicht), Au- (befonders 
hua-); — in der Cah. ift A- fehr häufig; — zwifchen Vocalen in der Mitte: 
Co. anaha, anahao, tih- (oft), tihuhu retehuame Beichtvater; Ca. ah- (oft), 
*bahehueche Athem, cahabe nicht, keiner, cahita nichts; — am Ende des 
Wortes: Co. chaeh forgen (f. ausführlich im $ 89). Ganz eigenthümlich ift 
h, wo es nach anderen Confonanten fteht; f. k, r, t; s. 

$ 46. Öfter (befonders in der Ca.) fteht A oder fehlt: 1) im An- 
fange: Ta. hecabu u. *ecabıl oder -vi wann? hassagua auferltehn, *asagua 
auferwecken (vgl. "); ataca u. hataca Armbruft; Te. Auma- u. uma- (ein); 
(Ah)ulide und (h)ulini mit ihren vielen deriv., (A)ulipigui abfchälen; Ca. achin 
oder hachin welcher? hita und ita was? aiqui und haiqui wie viel? huacasi 
und uacasi Fleifch, amuchim und ham. Frauen; 2) in der Mitte: Ca. zehueca 
und zeueca Himmel, hewi und hehui ja, baritaua und -tahua betrügen, ta- 
cahua und tacaua Körper. Wie fo das h vorgefetzt fcheinen kann, wird es 
in der Te. öfter in die Mitte zwifchen Vocale eingeletzt: idue oder ibuhi; 
oae oder oai: und oahe loder ohai zeichnen, malen, fchreiben, Brief ufw.; 
scihai fchwer (aifkeitis), sciai- und sceai. Merkwürdig ift Aa vorgefetzt in der 
Te.: uscidi und hauscidi ftehlen. — In der Cora erfcheint das A verdoppelt, 
als Ah (zu $ 85 gehörig): hihhua fchreien (von den Stimmen der Thiere), 
tam“"hhuoa ein Baum, uhhuai Art Welpe, uhhuana fummen, auhepoa und 
auhhepoa ringen. 

647. Das A wechfelt oft mit fpan. 3 (rauhem ch); auf diefe Weife, 
durch j, giebt regelmäfsig in der Ta. Tellechea Steffel’s A wieder: im An- 
fang: hucu und *ju feyn, hipe und *ipe jetzt, huma und *juma laufen, (ein- 
mahl auch g: hicoli, *jicuri und *gicuri das Kraut peyote; nach St. S. 299", 
unten $ 102, wird bisweilen „A anftatt g” gefprochen); in der Mitte: rehoje 
und *rejoye Menfch, neh@ und *neje ich; nahota folgen, *najato seguir cor- 
riendo; pihi und *biji noch, pahi und *paji trinken. Diefer Wechfel in der 
Te.: hAumigui und jumigui Jahr, hume und jume alle werden, Juscadunsci 
und Auscadusci bis. Selten wechfelt A mit y: Ta. hassagua und *yasagua 
auferftehn (aber *asagua auferwecken);, henau.*jena od.*jena hier, *ydna her. 

$ 48. 2) der Laut cz (die deutfche aspirata), gefchrieben: a) durch 
deutfches cz: ich habe diefes nur nach Steffel’s Redaction der Tarah. zu 
behandeln (z. B. kachela Rinde, Schale), denn die fpan. Darfteller der an- 
deren Sprachen fchreiben dafür j; eben fo Tell. in Ta.: racha es brennt, 


408 Buscumann: das Lautfyftem der fonorifchen Sprachen. 


*raja gebraten feyn (Einer); iche und *ije diefer. Der deutfche Darfteller 
bekundet feine und feiner Mutterfprache höhere Begabung für die treue Be- 
obachtung und Wiedergabe der Laute darin, dals er oft das ch als Schlufs 
der Sylbe einem Vocal nachfchiefst vor folgendem Confonanten (was 
eigentlich zum $ 79 gehört); diefen nachklingenden Hauch: welchen wir, 
theils durch A ($ 79), theils durch x ausgedrückt (S. 409"-410°), ganz in 
derfelben Weife in der Cora finden: wufste der Spanier natürlich nicht auszu- 
drücken, er ift ihn alfo ganz fchuldig geblieben: tfchochcö Knie, *chocobi 
knien; echt/cha und *echa fäen; nachtetuje oder nachtütuje, *nateli vergel- 
ten, belohnen, bezahlen; bechte und *bete wohnen, techteke und *rete Stein, 
vuechcd und *güeca viel, guechtfchiki und *güichiqui fallen; allein bei Stef- 
fel: kachka es ift füls, cacheanali Papagei; tfchichpi Feuer fchlagen, tfchich- 
pilaca Feuerftahl; nachpigua ausjäten, rachpe Stück, wenig, suchku kratzen. 
Diefer gutturale Nachklang des Vocals drängt fich auch in die aztekifchen 
Wörter: f. mehrere vorige (techteke = mex. tetl), nachki wollen = nequi, 
jachcala Nafe — yacatl; auch tritt es vor einem Anhang an: gu Erde, 
guech-tfchic auf der Erde. 

$ 49. b) Gefchrieben durch fpan. 7: welches fo oft mit x wechfelt, 
dafs ich letzteres hier gröfstentheils mit zu behandeln habe; beide find häufig, 
wie ihr Wechfel, vorzüglich in der Tepeg.: welche ich daher hier erledige. 
Rin. fagt von beiden, dafs fie den fpanifchen Laut des gutturalen x haben und 
beide ganz gleich feien; er will fie ohne Unterfchied gebrauchen, und thut 
es in buntelter Weife. Er fagt exprefs, es fei nicht die Ausfprache des lat. 
Alexander, fondern des fpan. Alexandro. Ein Beifpiel des j: Te. jüquijare 
Scheere. j der Ta. f. beim deutfchen ch (S. 407"-8°); der Co.u. Ca. fehlt 
j: doch finde ich Ca. *jiotome Aft, *jotue glauben. Wechfel von und x 
in der Tepeg.: cojore und coxore krank werden und deriv. coj- oder cox-, 
dapajade und -xade glätten, maje und maxe geben; naxa Ohr, plur. nanaxa 
und -ja; saraja und -xa Zwilling, Zupaxare und -jare Hufeifen, viajamue 
und viaxamue enthaltend, habend ufw. (und fo in beiden weit verbreite- 
ten Anfätzen der Wort-Ableitung überhaupt, wie in anderen Endungen: axe, 
xate), jinaxe und -je [chreien, rufen, Zucaxe fragen, viaxe Iparen ufw. 
Im Anfang der Wörter fteht meift j, und diefs ift ein ftarker Buchftabe: ji- 
naxe, jotoxa behende, ji- fehr häufig ; doch wechfeln beide auch hier: xaiti 
und jeiti, ji und xi Urin, jü und wi Eingeweide; jonite heirathen (vom Mann), 


1,50-1.Conf. A. Hauchlaute:2) ch: gefehr.b)durchj: Te.wechf-mity,i;c)x.409 


jonitaraga und xon. Heirath (des Mannes); aonna und jonna Leib, jonnoma 
und xon. Rippen; juca Arm, »ucca Achfelgrube. 

$ 50. j und y wechfeln gelegentlich: Te. jazague und yat. lügen, 
jatabue und yat. lügenhaft. Der gutturale Hauch geht oft noch weiter auf 
den Vocal i zurück, ö und j wechfeln im Anfang tepeg. Wörter: iobi- und 
Jobi-, josciga und iosciga, joscigue oder -gui Blume (mex. xochitl) ; iogue 
und jogue huften; jiboi-, einmahl idoi-. Ferner wechfeln i und ji (auch j 
und ji) im Anfange tepeg. Wörter: ibisona und jib. jada, jidore und iddore, 
joscigui und jiosc. Blume; auch j und Ai: jasape begraben, hiasapajare 
Grab. Das j tritt fogar in der Te. vor einen Confonanten im Anfang: 
Jibone und jboini: jiquicome, jquicome und iquicome befchneiden: von Jique 
fcheeren; fogar in der Mitte: nüdde und njide blicken. — Sehr oft wird das 
j in der Te. einem Anfangs-Vocal vorgefetzt: joöi und oi Dorn, oigude 
und joig. fich erbarmen und deriv. (auch oyg.); ucague und juc. warm wer- 
den, fich wärmen, juwcaguidi wärmen; joini, joyni und oyni fich bewegen, 
unruhig feyn: joinidi und oinidi bewegen; ucalidi zählen: praeter. jucali- 
anta, jucalid-adamue Zähler, jucali-camue gezählt; in otomaguide eilen, 
jotom. beeilen, antreiben, jotojaraga Eile; onicamue oder jon. verheirathet 
(vom Mann); jucoli u. ucoli (auch uojoli) Weinftock (mex. xocotl); juggui 
u. uggui, ugui; otose oder otoze, jotose u. jotoze fchicken:: jotosicamue Ge- 
fandter, jotosidaraga Gefandtfchaft. Doch kann auch j ein verfchiedenes 
Wort begründen: Te. oane reinigen, joane rühren, verwirren. — Im Ge- 
gentheil fällt auch gelegentlich j im Anfange ab: Te. jura Herz (mex. yolli): 
uravana Mitte (jur. ladera), uranucamue und jur. halb. — j oder x treten 
einmahl in der Mitte an: Te. Zoa u. toxa weils, deriv. Zoa- u. toxa- oder 
toja-: einmahl geht g in x über: Te. zuidage fich bereichern, tuida.x-atude 
bereichern. — An der Seite von j ift auch fonft noch das g vor e und iin 
einigen Wörtern der Ta. bei Tell. als Hauchlaut zu nennen; f. fie $ 78. — 
Zu dem mancherlei Unerklärlichen gehört, dafs das fpan. j in der Te., da 
es doch mit demfelben Laute in der Sprache vorhanden ift, gelegentlich in s 
verwandelt wird: Jesus = Sesus, jueves — suiuisci. 

$ 51. c) gefchrieben durch fpan. x — Das meifte diefes Confonan- 
ten, vorzüglich alles in der Tepeg., habe ich unter dem 7, bei feinem immer- 
währenden Wechfel mit diefem, abgehandelt. Hier habe ich nur die Cora 
zu behandeln, welche diefen Wechfel nicht kennt, fondern fich des Buch- 

Philos.-histor. Kl. 1863. Fff 


410 Buscumann: das Lautfyftem der fonorifchen Sprachen. 


ftabens felbftftändig bedient. Über feine Ausfprache wird nichts gefagt. 
Er ift in der Sprache fehr häufig: zunächft im Anfange: xa-, xe-, xu-; 2) am 
Ende: keux fchreien (vom Efel), weux zerftören; uhuateyeux fich [etzen 
(Bodenfatz), auteyex Bodenfatz; canax Hammel = carnero, tzanax zer- 
ftückeln, witetzex fpornen, ahauxerax desparramar; 3) in der Mitte: hazxe-, 
azuxui Grille, «uxut Blume; 4) fonderbarerweife, aber ganz gleich Steffel’s 
ch in der Tarah. (S. 408°"), und ein ftärkerer Grad des Vorgangs der Cora 
felbft mit A (f. $ 89): am Ende der Sylbe, im Zufammenftofs mit einem fol- 
genden Confonanten (zu $ 89 gehörig): puxcare warmes Waller, puexcari 
Hauch; xuxca Wachs, -caxcaca; xaxche röften (Mais), guaapoa Pflaume. — 
Der Ta. und Ca. fehlt x. 

652. 3) der Laut 5 (der deutfche flüffige Laut, dem Vocal i ent- 
fprechend; fogenannter Halbvocal im Sanskrit): in der Tarahumara von 
Steffel 5, von Tell. vr; in den anderen Sprachen ebenfalls nach [panifcher 
Weife y gefchrieben: daher ich beide hier zufammenfaffe. Zunächft führe 
ich den Wechfel vonj und y in der Tarahumara zwifchen den beiden 
Darftellern in Beifpielen vor: ruje u. *ruye fprechen, fagen, jassa u. 
*yasa fitzen, ajönoco u. *ayond zürnen, jeje u. *yeye Mutter; fo im An- 
fang der Wörter: jomd u. *yoma alles, alle; ordinalia auf -raje u. *-taye. 
— Das y findet fich in confonantifcher Natur auch in den Te. Triphthongen 
(f. S. 398°", 403"”-4"!; und hier *); in vocalifcher, ganz gleich dem i und 
mit ihm wechfelnd, in zweiter Stelle in Diphthongen (f. S. 401”” -402””). 
Mit i wechfelt y im Anfang der Wörter der Ca.: iore u. yore, yentoco 
u. iento. Selten haben wir es mit A wechfeln fehn, f. S. 407°. — y fteht 
4) im Anfang oft in der Cora: ya-, ye-, yu-; und Te.: ya-, yu- oft. 
2) In der Mitte zwifchen Vocalen: wie Te. mayoga Schwager; Co. -heyi-, 
beyat Geisel; kann y Vocal i oder Confonant j feyn; daher ich diefen Fall, 
bei der Unentfchiedenheit und Unbeftimmbarkeit zwifchen beiden Eigen- 
fchaften, unter den Triphthongen (vgl. oben "") habe [tehen laffen. In 
diefer Stellung fetzt in der Ta. Tell. ein y hinzu und bildet einen Triphthong 
oder quasi-Triphthong, wo Steffel nur einen Doppelvocal hat: kia und *qui- 
‚ya geben. Sonderbar fteht y doppelt im Anfang: Co. yya püche bei jedem 
Schritte, yye hierher, hier. j oder*y erfcheint in der Tarah. als ein vor- 
gefetztes Augment in der Endung -jameke oder*yameque (f. meine Abh., 
über die fonorifche Endung ame S. 478"). 


1,53-54. Conf.B. liquidae: allg.;1)1: wovorhanden, Wechfelmit vr: allg. 411 


$ 53. B. zırevıpar — oder flüffige Confonanten; d. h. nach alter 
Theorie Z, m, n, r. Davon find Z und r fehr gleichartig, auch Z und n; m 
fteht aber fehr befonders da. Die Confonanten rn und m ftehn in einer 
nahen Beziehung zu den muzis, indem fie durch ihr unmittelbares Vortreten 
einen grofsen Zug der Lautfülle im Sanskrit und in den mit ihm verwandten 
Sprachen ausmachen, die neue Sanskrit-Theorie nennt fie daher nebft den 
Variationen des n Nafale: diefer Ausdruck ift fehr unbequem, weil er auf das 
m, einen Lippenbuchftaben, gar nicht pafst. Ich habe verfucht diefe Con- 
fonanten-Qlaffe, welche eine Generalifirung der verfchiedenen mutae, eine 
Herabdrückung derfelben auf das Niveau, die Ebene (ohne alle Erhebung) 
ift, neutrale oder gleichgültige (indifferente) Confonanten oder mutae zu 
nennen. nund m gehören alfo zwei Confonanten-Claffen an. 

Eine Verwechslung zweier liquidae geht vor im fpan. melon = Ca. 
minoli. 

654. 1)z — fehlt der Cora ganz: „welcher Mangel nach Ortega 
$ 3 dem ganzen Bisthum Guadalaxara eigen feyn foll” (vgl. S. 406 Z. 1); 
im Anfange der Wörter fehlt es der mex. Sprache und der Te.: in diefer aus- 
genommen die feltfame Form Zuiupe,, fonft quiupe Kirche (= mex. zeopan). 
Beifpiele: a) im Anfange: Ta. Zogui wüthen, ralfen, /omiki u. *lomi weich 
feyn, Zupala Feder u. a.; Ca. auch öfter: Zcti blind, Zoi lahm; b) im Worte: 
Ta. ululü Eule; Te. muli-, buli- (binden), euli alt, -% (Endung), al-, gal-, 
dodoli- (ruhen) ufw.; Ca. (in der Z häufig undallgemeinift): al-, ocule begehren. 

Das ! hat in den fonorifchen Sprachen, ähnlich wie in vielen Sprachen 
der alten Welt, grofse Hinneigung zum x. In der Te., fagt Rin., werde I 
im Anfang der letzten Sylbe (feine Beifpiele find von der Endung oder dem 
Ausgange Z) von Vielen wie r ausgefprochen, doch fei Z vorzuziehn und der 
Laut klinge mehr nach ihm. In diefer und den anderen Sprachen herrfcht 
ein häufiger Wechfel mit dem r und Schwanken zwifchen / und r: nach 
welchem, wenn gleich auch die einfache Thatfache der Vertaufchung ftatt 
finden kann, ich vermuthen möchte (f. oben S. 382), dafs in ihnen ein 
eigner, aus beiden gemifchter Laut vorhanden fei, den man bald mit /, bald 
mit r zu fchreiben verfucht. Ich behandle hier diefen Wechfel, obgleich er 
mit r getheilt werden müfste, je nachdem diefs oder Z überwiegt, die Ver- 
änderung von dem einen oder anderen ausgeht: was meiftens fich gar nicht 
beftimmen läfst. Für die Tarah. fagt Tell. (p. 3°) felbft, dafs r und / 

Fff2 


412 Buscnmann: das Lautfyfiem der fonorifchen Sprachen. 


verwechfelt werden: *mariqui und *maliqui fünf; das gewöhnliche und bef- 
fere fei aber r. Steffel hat aber ! gewählt: und die gewöhnliche Erfchei- 
nung ift diefer Wechfel zwifchen den beiden Darftellern: tepulaca u. *repu- 
raca Hacke, gald u. *gara gut, tel u. *rere unten, thula- u. *rura- kalt, 
uili u. *güeri ftehn; nol& es wird wolkig, *nore oder *noreque es ift w.; 
nula u. *nurd befehlen, lessi u. *resi müde werden, tfehomali u. *chomari 
Hirfch; kilibaca ein Kraut, *quiriba hierbas; tala u. *rara Fufs, pile u. *bire 
eins, jola u. *yord machen, thun, Zotoli u. *lotori Huhn; Aosseliki u. *oserz 
Papier, überhaupt Subft. Endung Ziki u. *riqui. Doch kommt es vor, dafs 
beide I: Zaca u. *lac Blut, oder r haben: retegua u. *regud fehn; auch 
fchwankt Steffel in fich: zepula und ztepura hauen, abhauen; ali u. ari aber, 
oder, hali u. hari oder; cavöolameke u.cavor. rund, S.414 Z.3. — In der Te- 
peg- fchwanken beide Buchftaben gelegentlich: ali u. ari klein, redupl. arali 
klein, Knabe; oder fie werden in einander verändert: mumure fliehn, muli- 
daraga Elucht; [pan. trigo — liligo; befonders wird fpan. Z! in r verwan- 
delt, was für das Überwiegen des r in der Sprache zeugt: corral = curare, 
age: —= diavoro, melon = mironisci, mula = mura; mex. +yolli = jura 
Herz. Diefelbe Veränderung nimmt die Cora mit dem ihr fehlenden Z 
(S. 411”) vor: melon = moronez. In der Ca. wechfeln Z und r: hioco- 
rinaque vergieb ulw., hiocolinaque vergebt. 

l und n fchwanken: Ta. tepula oder tepura, *repuna abhauen (tepuna 
zerreifsen). 

$55. 2) u — Es fei mir erlaubt diefen fpanifchen flüffigen Laut des 
2 (lj oderllj; nicht das verdoppelte Z wird hier gemeint) hier anzufchliefsen:: 
er hat daffelbe Verhältnifs zum ! wie 2 zum n. Er fehlt wohl allen 4 Spra- 
chen; von der Ta. fagt es Tell.; fpan. silla wird in der Co. zu sira, cuchillo 
in der Te.= cusciro. Die mex. Sprache befitzt nur das ächte doppelte 2 (12); 
diefs hat auch gelegentlich St. in der Ta.: nulalilla u. -Lila Befehl, patolle. 

3) m — befitzen alle 5Sprachen: Ca. mamame Hände; einen Wechfel 
mit n Ca. f. gleich hiernach 4). 

4) Vom x» — das alle 5 Sprachen befitzen, ift nichts zu bemerken, als 
dafs es in der Cah. öfter mit m wechfelt: achin u. achim welcher? iton u. 
itom unfer,; mammi u. mamni 5, omiti u. onti oder. Der Strich über dem 
Vocal, welchen das manual öfter gebraucht; bedeutet auch bald m, bald n: 
mäni = mamni, ama und (bei Zahlen) = aman und amam. Auch in der 


I, 55-56. Conf. B. liquidae: 5) n 6) r: wo vorhanden, gelindes u. ftarkes. 413 


Tarah. foll nach Steffel (5. 299°, unten $ 102) ftatt a manchmahl m ge- 
fprochen werden. 

5) & (fpan.=njod.nnj) — eigentlich, nach dem Sanskrit-Syftem, der zu 
den Zifchlauten (genauer: „den Palatalen”) gehörige Nafal — fehlt allen 5 
Sprachen, doch finde ich ihn einzeln in zweien. In der Cora wird er eigens 
als fehlend genannt, aber ich finde anahupi es iftt Neumond. In der Te. 
wird 1) bisweilen das n des poffeffiven und reflexiven Pron. in (mein, mich) 
mit dem Anfangs-j od. -A des folgenden Verbums in 2 zufammengefchrieben: 
d.h. iäupide od. in upide, inupitude ift wohl in-+j von jupide, jupidi od. upidi 
kalt machen (enfriar), jupide kalt, frifch; jupitude erfrifchen , ähnlich beigan 
inulidi ich befinde mich wohl (auch inuliditi): auch inhulidi od. inulidi, -de 
(immer in in [h]ulini, in ulique, in ulisci); scicocomidi quinutu tucuragade 
escarvar las unas (julu una), feltfamer find pinulidi, apin., pinulidaraga: 
felbftftändig kommt A, wechfelnd mit n (vor i), vor in Zunibo od. tunibo Bart. 

$ 56. 6) r— welches der mex. Sprache fehlt, kommt allen vier fonori- 
fchen zu; nur fängt in der Cora kein Wort mit an; in der Ca. finde ich fol- 
cher nur 4: *rabuKaninchen, ranoquichi lügen, ranaiquiua ich kann fie zählen, 
reste begleiten ; in der Te. nur eins: reysi König. Sonft ift es in den Sprachen 
häufig genug: wie beim /, wo fein Wechfel mit diefem behandelt, zu fehen 
ift; in der Co.: ar-, car-, acurarahaana; in der Ca. ift es in der Mitte 
häufig genug. In der Te. ift r in der Mitte der Wörter im allgemeinen 
felten; cor- (2mahl), par- (einige Wörter), sar- (2), Zur- und ur- (mehrere); 
eine häufige Endung ift re (are); mamarapigue (von mamare). — In zwei 
Sprachen hat das r eine fehr gelinde Ausfprache: in der Tarah. fo fehr, 
dafs Tellechea äufsert, Manche gebrauchten dafür A. Er lehrt im allgemeinen 
(p- 40”), man folle r nicht ftark (con fuerza) : nicht erre, fondern ere, aus- 
fprechen; der Gebrauch müffe lehren (2”) dem z nicht immer feinen ganzen 
Ton und Kraft zu geben. Der ftarke Laut (erre) findet fich nur (2"‘) „in der 
Mitte” (im Innern) des Wortes: und er will dafür (kleines) r, im Anfang 
(grofses) R fchreiben, man foll ihm aber im Anfang nie die Stärke des fpa- 
nifchen geben. Steffel fpricht (S. 299“) nur vom Anfang: „Das A am An- 
fange eines Wortes mufs gelind ausgefprochen werden, fo dafs es gleichlam 
durch ein vorgefetztes e linder laute, z. B. rehöje Menfch, erehöje.” — In 
der Cora foll nach Ortega (nota ?te Seite vor $ 1” 2) $ 1") „r fehr weich 
ausgefprochen werden, auch im Anfang der Wörter” (W.v. Humb.); r fei 


414 Buscamann: das Lautfyftem der fonorifchen Sprachen. 


nie fo ftark als im Spanifchen. — Viele r finden fich in dem einheimifchen 
Namen des Tarahumara-Volkes felbft: *Raramari Tarahumaren, nach Stef- 
fel (f. meine aztek. Spuren S. 23°”) Tarahumari oder Talahumdli. 

857. Den ftarken Wechfel des r mit / habe ich beim Z abgehandelt 
(S. 411”'-2"”); ebenfalls ftark und immerwährend ift in der Ta. und zwifchen 
beiden Darftellern derfelben der Wechfel und das Schwanken zwifchen r 
und z: f. diefs unter £ ($ 83). — Gelegentlich geht fpan. d in r über: Te. 
medias (Strümpfe) = mirasci, soldado = sandaro. — Im Anfange einiger 
Wörter fchreibt Steffel in der Ta. zz (vgl. th $ 84): rhana es donnert, 
rheheke Hagel (vgl. techteke u. mehr teeke Stein), rhopala Bauch (ropala 
Schoofs). Tell. fchreibt (p. 5") einfach *rand donnern; der Ton foll aber 
gefprochen werden: con admiracion 6 con ganga (alfo vom 7 fpricht er nicht); 
*ropd,*ropara. Auch inder Co. finde ich 2mahl rh: cirh eine ArtRatte, purhua-. 

858. C. Ziscuzaure — Ich habe von diefen hier zu fchildern 1) 
das s, sc, c vore undi; 2) das z; 3) das Zs und iz (d.h. die Verbindung des 
T-Lautes mit s); das wirkliche x, die Verbindung des K-Lautes mit s, be- 
fitzen die 5 Sprachen nicht; es ift in den fonorifchen der gutturale Hauch ch, 
in der mexicanifchen eine Art fch. 

1) Die Buchftaben s, z, ss, und das c vor e und i find wahrfcheinlich 
alle daffelbe, nämlich Ausdruck des Lautes eines fcharfen f. Die Mexicana 
und Cora befitzen das s nicht, weil fie den Laut durch z fchreiben; in den 
anderen find c und ss willkührliche Ausfälle in der Wahl: und wechfeln mit 
sund z(d.h.z in theoria, nicht wirklich in Wörtern; vgl. 5.416). Ob und in 
wie weit das fanfte f in diefen Sprachen vorhanden fei, läfst fich nicht ermeffen, 
weil die Spanier diefen Laut nicht kennen (vgl. hier "). — Eine ganz andere 
Geltung taucht aber bei dem sc der Te. (vor e u. i) auf, da es eine Schreibung 
für fch zu feyn fcheint; diefs würde in die zweite Claffe der Zifchlaute gehören. 

659. a) s — (f. auch bei zs Ta.) fehlt der Mex. und Cora, weil fie 
z gewählt haben (vgl. S. 416"); doch finde ich Co. sira = silla. Das ein- 
fache s ift voll herrfchend in der Ta. (Steffel fagt [f. unten $ 102 und oben 
S. 405 Anm.]: fie gebrauchen s ftatt z, er habe s ftatt z gefchrieben); Te.: 
suse fpornen, sasasaque zerftückeln; Ca. Das s vor e und if. bei ce und 
sc. — ss ({. noch sc) findet fich oft in der Ta. und Te.; man follte aus 
feinem Gebrauch und dem von sc und c fchliefsen, dafs es in den Sprachen 
ein fanftes [ gebe (vgl. """), um deffen willen man für das fcharfe zu fiche- 


1,59-60. €. Zifchlaute: 1) a) s und ss, sc (vor e u. i) in der Tepeguana. 415 


rern Ausdrücken feine Zuflucht nehme. Ganz vorzüglich follte man diefs 
fanfte f in der Tarah. vermuthen, wo Steffel s und ss gebraucht; Beifp. 
feines ss: na/sila Scheere, na/sipa Hälfte, nesse behüten, cassini zer- 
brechen, hossele fehreiben und oft. Tell. fchreibt nur s, fowohl für St.'s s 
als ss; letzteres: jassa u. *yasa fitzen, lessi u. *resi müde werden, hassa= 
gua u. *yasagua auferftehn; bassa Acker, *guasa-;, naguessa verkündigen, 
*nagücsa lagen; Steffel felbft fchreibt bisweilen s und ss zugleich: masissi 
u. massisi glätten, hobeln. Beifpiele von ss in der Te.: usse fäen ; asse lachen, 
deriv. assu-; tasse Sonne, Tag, massade Mond, ussabe u. -ba (auch uzabe) 
Pech, Harz; wechfelnd mit s f. S. 417° *, 

$ 60. In der Tepeguana gebraucht RAin. oft den Buchftaben sc; 
er würde an [ich nur in fo weit hierher gehören, als er vor den Vocalen e 
undifteht; am häufigften ift sei (im Anfang bef. scia- und scis-). Ich würde 
in ihm an fich nichts als einen Ausdruck für fcharfes { erkennen, obgleich 
er auch 2 Laute vertreten könnte; nach der Befchreibung der Ausfprache 
mufs man aber vermuthen, dafs er ein Ausdruck für den Laut fch [eyn folle: 
und dann gehörte er in die afpirirten Zifchlaute ($ 66). Mit diefer Aus- 
legung ftreitet freilich fein Wechfel mit s und c; um fo mehr ift es paffend 
den Buchftaben hier ftehn zu laffen. Rin.’s Befchreibung der Ausfprache 
(advert. p. 1"-2”) ift verworren und nicht deutlich; er fagt, man folle die 
Zunge etwas zwifchen den Zähnen hervorftrecken und zifchen (estendiendo 
algo la lengua por entre los dientes, y silvando), beide Buchftaben würden 
wie Einer, mit einiger Stärke, ausgefprochen, indem man mit der ganzen 
Zunge an den Gaumen anfchlage, „wie die Mexicaner tz und die Italiäner sci 
ausfprechen”. Das find freilich zwei verfchiedene Sachen: eine Art 2z und 
ital. fch. Ift es nun gerade fch? das bleibt fraglich, wir mögen aber vor- 
läufig dabei ftehn bleiben eine Art fch anzunehmen; das fpan. und eigne ch 
fehn wir ($ 67) zu sci, sc werden. Ein Beifpiel feiner Trennung vom s (si 
und sci) liefern die zwei Verba: sisape u. zisape nageln, scisape u. scizape 
ftützen. Seltner ift sce: scia- u. scea- (Vorfatz vieler Wörter, beide meift 
gleich und wechfelnd); wechfelnd mit se: maisce u. maise mit Steinen 
werfen. Die Sylbe sci hat einen grofsen Umfang in der Te., weil fie neben 
dem einzelnen Gebrauch ein allgemeiner Vorfatz der Verftärkung (fehr) und 
eine Subft. Endung, ferner ein Anfatz der Frage ift; einzelne Beifp.: cusei 
Oheim; usci Holz, Baum 2) Enkel; usci-; masci fcheinen und deriv. 


416 Buscnmann: das Lautfyftem der fonorifchen Sprachen. 


(mascide entdecken ufw.). sci oder sc wechfelt 1) mit s: jübisona u. -sciona 
jada, suse Stechen, susci-daraga Stich; jotosicamue u. jotoscic. Bote, Ge- 
fandter; 2) mit ss: buscidi u. bussidi 3) mit c: cuscivo u. cucivo Hals, ciscis 
(fragend); Vorfatz ci ftatt sei: ci cuggado Schönheit; sciciboraga u. scisciba- 
raga Speichel, Schleim, cocina = cuscini. sce und sci als Endung der Verba 
fallen in der Wort-Ableitung ab, was bei letzterer behandelt werden wird 
($ 103 nach der Mitte und Ende); eine Verkürzung des fragenden sci am 
Ende (sc’) ift oben (S. 394") befprochen worden. 

$61. Das sc vor a, o und u ift etwas ganz anderes, die Verbindung 
des f mit k, und gehört nicht hierher (f. $ 75); doch ift es hier zu berühren, 
in fo fern in der Te. das sci in sca, sco, scu übergehn kann: dusci alles, 
buscate alles oder alle zufammen, duscova überall; coscimo fchlafen gehn, 
coscudamue Schläfer (dormiton). 

sa kommt in einem Ta. Worte bei Steffel vor: mashäca Feder, ein- 
mahl ma/chäco gefchrieben; ob wir darin das franzöliche 7 (°)) fuchen follen? 

662. b)evoreundi -— ift für fcharfes f zu halten und daher dem 
s gleich, wo es fcharf ift. In der Ta. fehlt diefes c; beide Quellen fchrei- 
ben vor e und i nur s: ausgenommen *Cerögai Cerocahuenses (Einwohner) und 
*necero neben *nesero (St. nesse) bewachen, bewahren. In den anderen 3 
Sprachen, auch in der mex., wird c gebraucht: Te. [f. nachher und bei sc] 
nicht oft, im Anfange (ce-, ci-) faft gar nicht; Co. ce- oft, ci- felten; ticeha 
aufwecken, Auacace kleine Schnecke, acevi 6, huacebi es ift kalt, cicerita 
Winter; Ca. ce- in mehreren Wörtern (cesenu), tacilia, cacechupti. Öfter 
wird c fehwankend neben s, mit ihm wechfelnd, gebraucht: Te. scicique u. 
scisque fieben (vb.); Ca. pesec, pecsec u. pecepti beichten u. a.; baihisi u. 
bahici 3mahl, dusa nicia (zulammenzufchreiben) 6mahl, sesetuli u. cese- 
tuli je 1 mahl. 

663. c)z — ftellt wahrfcheinlich das fcharfe { vor: und ift in der 
Mex. und Cora ftatt s gewählt, weil es den Laut ficherer ausdrückt (vgl. 
S. 414”°"'). Der Ta. fehlt es. Sein Gebrauch vor a, o, u ift etwas zu 
trennen von dem vor e und, weil es hier mit c ftreitet; doch wechfeln beide 
Confonanten nicht (f. S.414”'). In der Te. kommt es öfter vor, haupt- 
fächlich vor den dunklen Vocalen: atazaiga Beinkleider, azare u. azzare (gar 
doppelt) Korb, coza placenta, jaraza-, cuzade, tuzane auslöfchen, vippizare 
Urenkel(inn), zaccome Fauft, zapa Zwerg, zopolicade fich falten, zu-i Wolf 


1,63-65. Con/. C. Zifehlaute: 1) c) z2) tsw. tz; D. a/pirirte Zifchlaute. 417 


In der Cora ist z im weiten Umfange herrfchend, auch viel vor Confonanten (S. 
433”): 1) vor a (za- im Anfang kommt nicht vor), o, u ift es fehr felten: 
tezure Art Bohnen, caziza fchaben; 2) oft vor e und i: teuzim fett werden, 
tözim aufheben, Zözi Art Bohnen; -ze am Ende, ze- und zi- (im Anfang). In der 
Ca. ift z felten, aber es kommt vor (f. fogleich) ; kein Wort fängt damit an. 
z wechfelt mit s: in der Te. oft (auch ss): scizo u. sciso Ecke, Ellbogen; si- 
sape u. zisape nageln, scisape u. scizape ftützen; Zutuzade u. -sade, ussabe u. 
uzabe Harz, Pech; massaquiga, masag.u. mazag. Finger; jarazapidi u. jaras. 
kleben, suddagui u. zuddagui Waffer, saroe u. zaroe Hacke (azadon); be- 
fonders in der Verbal-Endung ze: guguse u. -ze fallen, tuse u. tuze fteigen; 
otose u. otoze, jotose u. jotoze fchicken; — Ca. hobusani u. hoibuzani 7. 

$ 64. 2) rs und 7z — beide wohl gleichbedeutend, find ein zufam- 
mengeletzter Confonant, £ + fcharfem s; is gehört der Tarah. bei Steffel; 
iz der Mexicana, Cora und Cabhita an; der Tep. fehlt der Buchftabe. is in 
der Tarah. gehört, wie gefagt, nur Steffel an; einmahl wechfelt er mit ss: 
kutsu u. küssu (auch kukı) Brennholz; einmahl mit /fch: guechtsiki, öfter 
-Lfchiki (*güichique) fallen. Tell. fetzt dafür: 1) allgemein ch: noitsa u. 
*nocha arbeiten, isa od. *cha (Frage), -otse u. #-och£&, kitsaoco u. *quichauco 
7, tseliguei, *cheligue u. *chiligue verzeihen; mamatsiki u. *mamachi be- 
ten, petsiki u. *pecht fegen, kehren; tsani u. *chant [agen; isani u. tsaini- 
Böfes, Lafter, Sünde, *cheina Übel; iseti, *chati u. *cheti böfe, fchlecht, 
Böfes; 2) felten s: isestäna u. *sitana ftark feyn; Zsestacameke roth: *sita- 
came, *-cameque, *siläan-amee roth; t/chuluguitsi u. *churugütsi hungern; 
3) einmahl Zr: potsö u. *potro jüngerer Sohn. 

tz ilt in der Cora (auch Mex.) fehr häufig, auch am Ende ({f. S. 395") ; 
„es foll die Ausfprache des mex. haben” (f. Ort. $ 1"); Beifp.: tzahuate 
glauben, und überhaupt zz- (im Anfang der Wörter fehr oft, befonders: zza, 
tzi, tzu); atz- (oft), aetzitze. Die Ca. befitzt Zz als befonderen Buchftaben 
oft mit ch wechfelnd: atzai und achai Vater, emchi und emtzi dir. 

$65. D. Asrısırre ZıschLaute — Ich nenne fo den Laut fch; feine 
fanftere Art, das franzöfifche 7 (in jour), von mir ’) gefchrieben,; und deren 
Zufammenfetzung durch vortretenden T-Laut: die fanfte: d’j (das englifche 
g vor e und ö: general, und j), und die fcharfe: tfch. Die Abftufung zwifchen 
’] und fch ift genau die zwifchen fanftem und fcharfem f; daher wird in der 
englifchen Ausfprache, wo das s oder feinLaut nach beftimmten und fehr weit 


Philos.-histor. Kl. 1863. Gag 


418 Buscnumann: das Lautfyftem der fonori/chen Sprachen. 


fich erftreckenden Regeln (f. mein Lehrbuch der engl. Ausfprache, Berlin 
1832, S. 65-66) in den afpirirten Zifchlaut übergeht, ein fanftes s wie ’j 
(z. B. vision, persuasion, azure, leisure), ein fcharfes s wie fch ausgefprochen 
(mansion, aversion, vicious). 

1) Die zwei fanften afpirirten Zifchlaute, ’) und d'j, laffen fich in den 
4 fonorifchen Sprachen nicht entdecken; follte sh in Ta. mashaca Feder 
eine Spur des ’j feyn? (f. S. 416”). 

666. 2) Das scz ift in der Tarahumara- und mexicanifchen 
Sprache vorhanden: dort in der wirklichen Schreibung Steffel's, hier unter 
dem geheimnifsvollen x verborgen. Die Spanier wufsten fich mit dem Laute 
fch der amerikanifchen Sprachen, der in ihrer Sprache nicht vorhanden ift, 
nicht zu helfen: und nahmen ihre Zuflucht zu dem lateinifchen x; die Por- 
tugiefen haben daffelbe in den Sprachen Brafiliens gethan, fanden dafür aber 
fchon eine Anleitung in ihrer Sprache. Wilhelm von Humboldt hat über die 
räthfelhafte Ausfprache des mexicanifchen x mit dem vor einigen Jahren ver- 
ftorbenen, geiftvollen und hochgebildeten mexicanifchen Minifter, Don Lu- 
cas. Alaman, eine Correfpondenz geführt, während diefer Abgeordneter für 
Neufpanien bei den fpanifchen Cortes war, welche Alexander von Humboldt 
vermittelt hatte; die von Alaman verfuchten Befchreibungen waren wunder- 
bar und dunkel; und nicht fehr deutlich auch waren die eines der Sprache 
noch mehr kundigen Eingebornen, des Herrn Castorena, welchen Alaman 
fpäter an feine Stelle fetzte. 

Steffel führt in der Tarah. öfter den Buchftaben /ch: fchupanali 
Ziegel, fchiögameke u. -jameke blau, fchinö u. fehinöco Schlange, fchula 
nähen; Tellechea fchreibt dafür ftets ein s: Zufchi u. *rusi mahlen, zerrei- 
ben; /chugui abnehmen, wenig werden 2) fterben (Euphem.): *sugii; fchu- 
nücu u. *sund Mais. — Auch die Tepeg. befitzt muthmafslich in ihrem sc 
(sei) den Laut fch oder (wie es wohl auch in der mex. Sprache ift) eine Art 
deffelben (f. den ganzen $ 60). 

6 67. 3) Das zufammengefetzte Tsc# — befitzen alle 5 Sprachen, ge- 
fchrieben durch das fpanifche cz. Allein in der Tarah. fchreibt Sieffel 
auf deutfche Weife tfch (oft im Anfang): tfehacheäca ein Vogel ähnlich dem 
Staar, t/charaje Hafe, tfchas wegwerfen, tfchicötfchi oder -götfchi Winkel, 
tfehicoliki Topf, t/chivi Pfau, tfehimoli Eichhorn, /fchitula Kreis, Zirkel, 
ifchochco Knie, tfchutfchd falben, tfchutä fchleifen; diefs ift bei Tell. ftets 


1,67-69.Con/.D.afpir. Zifehl.3) tfchu.ch; E.mutae: 1) P-Laute: a)pb)b. 419 


ein ch: echtfcha u. *echd fäen, itfchigua u. *chigda ftehlen, tfehini u. *chini 
Zeug; t/chaca Wunde, *chegud verwunden; Z/fchomali Reh, *chomari Hirfch; 
pitfchige u. *bichigue glauben, tfchapt u. *chapi ergreifen; -t/chic u.- t/chi, 
*chi (Poftpof. des Orts); Zfchiculi u. *chirüri Ratte, tfchigö u. *chigö noch; 
t/chocameke u. t/[chöcame, *chocame fchwarz; tfchuluguitsi u. *churugüisi 
hungern. Das fpan. ch f. auch für zs (Ta.) und zz (S. 417”). 

In der Tepeg. ift das ch fehr felten: alchuqui wenig; chiggiam(a), 
chiggia masci hübfch: und ihre deriv.; chibi hier = scibi heute, jetzt (davon 
chibiava); chibato u. cibato Ziege, chicali (mex.) xicara; das fpan. ch wird zu 
sci: cuchara — cusciare, cuchillo = cusciro, doch Chisto = Christo. In der 
Co. findet fich ch im Anfang, vor allen Vocalen; achit Bach, ache aufftehn, 
behchi hacken, nahchi- u.a.; auffallend vertritt es aber in einigen mex. 
Wörtern das mex. c (k) (f. meine fon. Buchftaben-Veränd. aztekifcher Wör- 
ter S. 441°): cuitlatl= chuitati Koth, cuica = chuica fingen. Die Ca. befitzt 
ch: ch- (fehr oft), achim oder achin was? bicha fehn, *hichique fegen. 

$68. E. Die mur4e — Zuletzt habe ich das regelmäfsige, wohl- 
geordnete Syftem der feften mutae zu behandeln: eingetheilt, wie ihre An- 
gehörigen fich zuerft im Alphabete darftellen, in P-, K- und T-Laute; jeder 
Laut in 3 Stufen: Zenuis, media und aspirata; der P-Laut hat noch eine 
fchwache aspirata: das lateinifche v, deutfche w. 

1) P-Laute (oder Zabiales, Lippen - Buchftaben):: 

a) r — die Zenuis — in allen 5 Sprachen vorhanden: in der Cora 
herrfchend, auch im Anfang der Wörter. Wechfel mit 5 f. fogleich; mit v: 
Ta. f. S. 420”""'; Te. (f. mehr bei v S. 421**): asapade handeln, asava- 
dadamue Kaufmann; f. ferner / (S. 421°-2°), e (S. 423"). 

$69. b)2 — die media — fehlt allein der Mex.; häufig in der Co.; 
in der Te. oft: sodiodune embestir, sobbobone feufzen, ubi Frau (femina); Ca. 
ab-, b- (oft) ufw. — In der Tarahumara werden d und > viel verwechfelt; 
auch Tell. fagt es (p. 3°): das gewöhnliche und beffere fei 6. Stzeffel wendet 
fich aber mehr zum p („fie fagen auch oft 5 anftatt p”, S. 299°), wogegen 
Tell. 5 hat: pot/fcht anfüllen, *bochigüi voll werden oder feyn, *bochisa an- 
füllen ; pegua u. *begua hart [eyn; pusiki u. pusi, *busi Augen; ‚pit[chige u. 
*bichigüd glauben, pile u. *bire eins, pamivali u. *bamivari Jahr; paugut 
Flufs, pauguiki u. *bagüi Waller; piht u. *biji noch, poveke u. *bogui Weg, 
Steig. Doch ftimmen auch beide überein: im p: pagötau. *pagoco walchen 

Ggg2 


420 Buscamann: das Lautfyftem der fonorifchen Sprachen. 


2) taufen, petsiki u. *pecht kehren, fegen, pole u. *pore bedecken; und noch 
mehr im 5: baica u. *beiquid 3, bassü u. *basimi kochen, baje u. *baye ru- 
fen, bechte u. *betd wohnen; oz fich der Länge nach hinlegen, #507 liegen, 
beiliegen (coire); Bondje u. *bonöi felbft, bucali u. *bucari hinten, hinter; 
bucu, *buci u. *becu Sache, Befitzthum 2) (vierfülsiges) Thier; duke u. bugue 
haben, befitzen, *duque id. 2) Befitz, Eigenthum; dula u. *bura binden. Es 
kommt aber auch der umgekehrte Fall vor, dafs Steffel 5 und Tell. p hat: 
ba u. *pa fchon. Wir finden auch beide Buchftaben für daffelbe Wort wech- 
felnd (fchwankend) bei demfelben Darlteller: bei Steffel: abiti u. apiti kleines 
Kind; -5oa u. -poa, *-boa u. *-bua mülfen; pougusiki Wolle, pouguasiki u. 
boug. Fell, Pelz, Wolle; pugue u. bugue warten, erwarten, bussa u. pusd 
aufwecken; — bei Tell.: pacha u. bacha vielmehr, lieber, St. datsa vorher, 
voraus; paji u. baji, St. pahi trinken; pari u. bare, St. pali Pater. — In der 
Tepeg. wird einmahl fpan. 5 in p verwandelt: sabado = sapatojo. Einmahl 
tritt es (wie v, S.420°-1°) im Anfang vor u hinzu: Te. ucate u. bucate tragen. 

$ 70. Weiter wechf[elt 5: 2) mit v (die Te. f. beiv, S. 421°“): Ta. 
*ave u. *abe (auch St.) dort, *robe u.*nove aber, *baqui u. *vaqui hineingehn, 
*bichigua u. *vich. wahr (*bichiguari u. pitfchiguali Wahrheit); bassi ko- 
chen, vassıtfchi warmes Bad (£/chi Orts-Endung) ; *dea u. *ved fchon (Bea, 
*bea Morgen 2) früh Morgens); decu zurück (*becu neja zurückgeben), 
*yeck wieder; — Ca. deie u. veie ftehlen; 3) mit w: Ca. alebenasi u. ale- 
uenasi daffelbe, auf diefelbe Art; 4) mit m: Ca. anebicha u. anemicha ich 
habe gefehn, gehört (von dicha); 5) mit gu: Ta. bassa od. bassa Acker, 
Feld, bassara pflügen: *guasaca barbecho 2) Ländereien, Äcker, *guasaraca 
Hacke (azadon);, mit g: Ta. buila Strick wird auch guila gefprochen (St. 344,b). 

$ 71. ec) r — die fanfte aspirata, mit dem Laut des deutfchen w: 
das nicht vorkommt, da auch Steffel in der Ta. v fchreibt — In der mex. 
Sprache dem Buchftaben nach fehlend, kommt es allen fon. Sprachen zu: in 
der Ta. (f. bei 8 oben ””") von beiden Quellen gefchrieben, auch im Anfang: 
sevoli Fliege, Mücke, raveli Geige, tfehivavoli Metze; Te. va-, vei- (neben 
vai-), vi- (vo- fchwach); in der Cora oft: Zevit Menfch, v- (oft im Anfang: va, 
ve, vi), ja f. ru (S.432°), Ca. häufig. Es ift ein natürlicher, von anderen 
Sprachen bekannter Vorgang, dafs in der Te. v nach einem o oder u und im 
Anfang vor u (wie 5 oben”; vgl. ”) hinzutritt: muwioa u. muyova oft, 
Juggioaque u. -iovaque verzehren, nuitocue u. nuytucove ftolsen; vupuga 


I, 71-72. Conf. E. mutae: 1) P-Laute c) v u. feine Wechfel d) fin der Te. 421 


u.upuga; humo, umo u. vumo einmahl; Aumojo, umojo u. vumojo Amahl 2) 
ein, allein. — v geht mehrere Verwechslungen ein: 1) es wechfelt mit »: 
was fchon bei 5 (S. 420") fteht; hier fetze ich die Tep. in ihrem häufigen 
Wechfel her, weil man mehr das v als Hauptfache zum Grunde legen kann: 
tunibo u. tunivo Bart, jatabue u. -voe lügenhaft, vacuane u. bac., vaggui- 
u. baggui-, vuggui- u. buggui-; vainomi u. bainomi Erz, Eifen, varaga u. 
bar. caldo; vattote, vatotoy u. -toi, batotoy Schiff; viote u. biotte vomere, vua= 
vue u. buavue gewils, vosqui u. bosque fegen; 2) f. f Te. (S.422‘) 3) f.p Ta. 
670 2.3, Te.419"; vwirdp: Te. cusuvi Laft, cucusupidi beladen; 4) v wechfelt 
in der Te. im Anfang der Wörter (vgl. S. 420°) auch mit den ihm verwandten 
Vocalen u und o: a) mit u: vure u. uure Blut, sci uurajamoe blutig u. a. 
deriv.; uusciga u.vusciga arboleda, vassoe u. uassoe Stroh; voca Bauch, uocate 
fchwanger werden; Cora f. S. 398“; b) mit o: Te. vanidi confesar (d.h. als 
v.a.: Einem die Beichte abnehmen) fcheint vom einfachen Grundworte oane 
reinigen herzukommen: oani-camue Beichtkind (confesado), oanid-adamue 
Beichtvater. 5) v hat in den Sprachen auch eine Verwandtfchaft mit g: daher 
fehen wir in der Tarah. Steffel’s v von Tell. öfter durch g oder gu ausge- 
drückt: vueches u. *güeca viel; poveke u. *bogui Weg, Steig; pagöta u. 
*pagoco taufen: pauvoliki oder pavoliki u. *pagoriqui Taufe; covara u. 
*cogoa Stirn, vakits! u. *guaquichd trocknen (v.n.); vacafchi Kuh, *gua= 
casi Kuh 2) Vieh 3) Gefchöpf, Wefen; Steffel felbft wechfelt: guossaguaca, 
vuoss. und voss. Ziegelerde, Mörtel; guakina u.-vakind. Der Te. Anfatz 
gui der Ad). (f. in der 2ten Abth. der fonor. Gramm.: Adj.) ift = Co. vi. 
872. dr — die aspirata — fehlt in 4 Sprachen (dabei der mex.) 
und erfcheint nur felten in der Tepeguana. In der Ta. „können es die Ein- 
wohner nach Steffel fo wenig ausfprechen, dafs fie dafür immer p fagen”; (') 
auch Tell. (p. 40”) befiehlt, nicht f, fondern p zu fprechen; in Co. und Ca. 
gänzlich fehlend, — In der Tepeg. finde ich es nicht im Anfang, es wird da p: 
fiscal = piscali; f. den Anfatz -/uli; — in der Mitte und am Ende: ofoli 
empeine (del pie), tufoli u. tufuli nalga, anca, atafora anca del muslo; vannitasafe 
vergiefsen, ausdehnen, zZuliafe Ball fpielen; hier wechfelt es: 1) mit p: teafane 


(1) Steffel S.299"""; „Ja das f ift ihnen fo fremd und fchwer auszufprechen, dafs ich 
keinen gefunden habe, der mir nicht anltatt f das p gelagt hätte. Daher wenn fie dem Priefter 
zur Mefle dienten und das Confiteor beteten, fagten fie allezeit: Compiteor.” 


422 Buscumann: das Laut/yftem der fonorifchen Sprachen. 


u. ieapane herabfteigen, vattofa u. -pa Fifch oder 2) mit v: vuei u. ifuei 
machen, thun; cavayo, cafaio u. capaio Pferd. 

$73. 2)K-Laute — (Gutturale) — Beifpiel mehrerer, in einem Worte 
zufammenkommender: Co. quaikeuxäti Kehle; Ta. kachkagameke füls, 
kochkagameke köftlich. 

a) Laut x — die zenuis — wird durch 3 Buchftaben ausgedrückt: bei 
der herrfchenden fpanifchen Schreibung vor den dunklen Vocalen a, o, u 
und einem (fehr felten eintretenden) Confonanten, fo wie am Ende des 
Wortes durch c; vor den hellen Vocalen e und i durch qu. Das k als ge- 
fchriebener Buchftabe fehlt naturgemäfs der Mex., Te. und Ca.; in der Ta. 
führt es aber der deutfche Darfteller; in der Cora bedient fich feiner Ortega 
vor e, das fpanifche Hülfsmittel gu verfchmähend. 

$ 74. a) x — der eigentliche Ausdruck der tenuis, ift eben befpro- 
chen worden. In der Tarah. fchreibt Steffel vor e undi k: kepa fchneien; 
keliki facht, fanft, gemach; kind daher, her, kioliki Art Maisfuppe, mukiki 
Tod’, aber vor a, 0, u fchreibt er feltner k: kachka füls feyn, kacac Schuh, 
kake hören, kochkagameke köftlich; kuki, kutsu u. kussu Brennholz; 
kupaka oder kupala Haar, juki u. *yuci regnen, sikä hauen; meift c: 
cavoli Kugel, cajutfchi Pferd, cocoli türkifcher Pfeffer, coigua würzen, 
cosek ufw. fchon lange, vor Alters, cosıkö Baumwolle, colatfchi Rabe, 
cutsı kurz, curdla Gipfel (f. mehr beim c); fernere Beifpiele werden beim 
Wechtel (S. 423°‘) vorkommen. Man mufs vermuthen, dafs er durch k 
einen anderen, wohl mehr rauhen Laut ausdrücke (vgl. kh S. 426"). Beide 
Buchftaben erfcheinen in catso Grofsvater, katso noch nicht; wechfelnd: 
kaugudca u. caugud-, *cagud Ei; neoca, felten neoka reden; kemäaca u. 
kemäka Decke; nakoja u. nacoja kämpfen; kubirusi, cupırusi u. gub. ge- 
röftetes Maismehl. — In der Cora erfcheint gelegentlich k vor dunklem 
Vocal: teläkazt, aber nie im Anfang; allgemein ift es in ihr vor e (oben “): 
ke- (oft), ateke tragen; cikeura rund, cikeuriti Korb; keux fchreien (der 
Efel), heke aufhängen, mueke fterben, ahke Schlange, taketi Palme; doch 
kommt auch 2mahl que vor (S. 423"); ki finde ich nirgends; % fteht auch 
am Ende (f. S. 395"). 

Den Wechfel des k in der Ta. mit dem fpan. c und qu werde ich 
bei diefen Buchftaben aufftellen; f. z (S. 426'-7°); hier ift nur zu erwähnen, 
dafs Steffel’s % (ähnlich wie e, S. 423"”") von Tell. gelegentlich durch g 


1,74-76. Conf.E.mutae:2)K-Lautea) Lautk:a)kB)cu.feine Wechfel yY)qu.423 


oder gu dargeltellt wird: kake u. *gaque hören (mex. cagui); kue, bef. 
kuepu wer? güe, güöpu; auch bei Steffel felbft (S. 422° gubirusi): guitaje 
(*guite), auch kitaje wegen. — kh in der Ta. f. S. 426”. 

875. £) e— vor den dunklen Vocalen @, o, u und am Ende des 
Wortes (denn das ce vor e und i ift Zifchlaut: f. S. 416"-") — herrfcht in 
allen 5 Sprachen und drückt in ihnen den Laut k aus. In der Tarah. fchreibt 
fogar Steffel, der bisweilen k hat (S. 422""), gewöhnlich e (f. S. 422””): 
Tell. immer; Beifpiele beider vor Vocalen find: caliki u. *cariqui oder *cari 
Haus; cauguiki Wülte, Wald, *cagür Berg (cerro); cal u. *cagüe Pferd, 
coa effen, cund Ehemann, cugu: u. *cugüi helfen, cusiki u. *cusiqui Baum. 
Steffel’s % fchreibt Tell. c: *cagua Ei f. S. 422°, mukuku u. *mucucu fter- 
ben. c (auch St.) und k am Ende des Wortes f. S. 393”"-4°. In der Te. 
ift c allgemein (f. noch sc S. 416“); in der Co.: fo ca- (fehr ftark), auch 
vor Confonanten; Ca.: cacucuname ledige Frauenzimmer, cococame die 
Todten. ck kommt vereinzelt vor (vgl. S. 428"), c in gu verwandelt f. S. 
424°=. In der Ta. wechfelt c (wie k, S. 422'-3*) bisweilen mit g: bei 
Steffel felbft: cassinı u. gassin: zerbrechen (g auch in deriv.), cambalät/chi 
u. gamb. Bock, gasso u. casso Feuerfchwamm ; und mehr zwifchen ihm und 
Tell.: neoca u. *neoga reden, fprechen; tfchaca Wunde, *chegua verwun- 
den; cajena vollenden, endigen, *gayena zu Ende gehn. — Merkwürdig 
ift der Wechfel der zwei mutae c und p in der Ca.: pesec u. pesecte beichten, 
auch pecepti u. pecepte: davon die Verbal-Formen pesectisu u. peceptisu, pe- 
seclinaque u. compeceptinaque (vgl. S. 383 Anm.). 

676. 9) ev — ift zunächft die fpanifche Schreibung und das Hülfs- 
mittel für den Laut k vor den hellen Vocalen e und i (que, qui); doch kommt 
es auch vor a in der Cora vor: qua- oft, quaina weils, quaitzepoari Angel, 
teuxcuarit u. -quari Kohle. Diefe Sprache bedient fich vor e des k (f. S. 
422°"), doch kommt in 2 Wörtern que- vor: queahti Speife, quexduriti eine 
Art Kürbifs. In der Te. findet fich blofses g am Ende: ig u.a. ($. 395"). 

Ich handle nun allein von que, qui, das in allen 4 übrigen Sprachen 
in Gebrauch ift: Te. (im Anfang nur quei-; vgl. für ganz qu vorzüglich die 
Verdopplung, S. 428‘); Ca. abuqui Sklavinn, -naque bedeutender Verbal- 
Anfatz (für imper., fut.), qui-, quebeie es fehlt. In der Ta. fchreibt es 
natürlich nur Tell., Steffel fchreibt vor e und i ein k: muki u. *muqui Frau; 
Endung -ameke u. *-ameque, it. -kiu. *-qui; kia u. *quiya geben; kemäca 


424 Buscnmann: das Lauifyfiem der fonorifchen Sprachen. 


u. *quemdca, *quemd Decke, Mantel; kake u. *gaque hören; kilibaca Art 
Kraut, *quirib4 Kraut, Kräuter; ke u. *que (der Artikel), keke u. *queque 
nein, kitsadco u. *quichauco 7. — Eine natürliche Folge der Schreibung ift, 
dafs ein c fich in gu verwandelt, wenn der aufes folgende dunkle Vocalin einen 
hellen übergeht: Ta. (Tell.) *reca legen, fut. *requira, *mucu fterben, fut. 
*mugquira, fo ein End-c in der Ca.: huic ausziehen, ahuique ich zog aus. Aus 
dem gleichen Grunde verwandelt die Te. qui und que beim Eintritt dunkler 
Vocale in ec: Zuiuguidi wetten, a tuca-raga Wette; scisque fieben, scisc- 
axare Sieb. 

677. b)e — die media — findet wie die Zenuis ihre mannigfachen 
Schwierigkeiten durch die anderwärts und auch im Span. herrfchende Ver- 
fchiedenheit der Ausfprache vor den dunklen Vocalen a, 0, u und den hellen 
eund; und durch die damit zufammenhangende Schreibung gu: von der 
man öfter nicht wiffen kann, ob vor e und i das u nur eine Beihülfe und 
nicht zu fprechen ift, oder ob es gefprochen wird. Glücklicherweife fehlt 
der Buchftabe in 3 Sprachen: Mex., Cora und Cah.; und wir haben es nur 
mit der Tarahumara und Tepeguana zu thun. 

Vor den dunklen Vocalen a, o, u (d. h. u ohne folgendes e, ;) ift die 
Sache einfach; Beifp.: Ta. delago gefchwind (adv.), eilends: = *beragö 
defshalb, folglich; Te. gagague, vagaganiga oder vaggag. Brunnen, Ci- 
fterne; go- kommt nicht vor. Auch gu vor dunklen Vocalen gehört hierher; 
Ta. gua- im Anfange ift bei beiden Darftellern fehr häufig; ferner: /ucaguo 
u. *rocaguo Nacht, mahagud fürchten, pegua hart feyn, oca u. guoca 2; 
f. noch v S. 42 1==', 

$ 78. Vor den hellen Vocalen e und i kommt das blofse g (ge, gi) 
häufig in der Tepeg. vor: muggia-, coage Holz machen, iage; es ift durchaus 
zu vermuthen, dafs es da die gewöhnliche Ausfprache der media, wie vor 
den dunklen Vocalen (gh), habe, weil diefe Schreibung überall mit der mit 
u (gue, gui) wechfelt, auch g bisweilen verdoppelt wird; diefe Ausfprache 
mufs das g auch überhaupt haben, um zur media zu gehören: vaigi u. vaigue 
Wäffer tragen, julige u. -gue fpannen, nacoge u. -gue können, vapage u. 
-gue bewäffern ; suligue, -gui, -ge ftreuen; jage-, jagi- u. jagui- (jage fut. 
von feyn, jague vergehn, jageque fchmelzen, v. n.); jugidare u. juggui- 
dare. Im Anfang der Wörter kommen ge u. gi nicht vor, nur gu. — In der 


Tarah. kommen bei Tell. ge, gi einige Mahle vor; das g ift da ohne Zweifel 


1,78-79. Conf. E. mutae: 2) K-Laute b) in der Tarah.: ge u.gi, gue u. gui. 425 


Variante des Hauchlautes fpan. j, und ift alfo die aspirata des K-Lautes, 
welche ich unter die Hauchlaute geftellt habe (f. S. 409"): *gentirisi Hei- 
den = gentiles; er fchreibt fo (felten) für Steffel’s 3, wechfelnd mit eignem J 
und y: hend hier: *jena (auch *gena) hier, hierher, *yena her; tehimd 
Verwandter: *rejima id. 2) Brüder, *regima Schwefter; hicoli, *jicuri u. 
*gicuri das Kraut peyore (abgöttifch verehrt). Einmahl fchreibt St. g für j: 
ruje u. einmahl ruge fprechen, reden. Ein wirkliches ge f. pitfchige hier *, 
wohl auch naige anzünden;, der Laut wird fonft gu gefchrieben, wie folgt. 
$ 79. gue und gui fchreiben beide Quellen in der Taranumara 
oft (f. noch 5 S. 420” und v S. 421"): Steffel: aguila (d.h. agu:) Toch- 
ter, hoguıla Männchen, ndrigu£ zertheilen, fpalten, hogueräna alles, ogue 
heilfam, jaugui tanzen, cugue fpät, Nacht. Tell. redet ( p- 2°) von Fällen, wo 
v nach g gefprochen wird, was er mit 2 Punkten (“; ich ö) fchreibe; fonft 
laute gu vor e und i wie in guerra. Diefer Bezeichnung nach wäre das Nicht- 
Sprechen von u die Regel; damit contraftirt aber, dafs Tell. faft in allen 
Wörtern ö (zwei i) [chreibt; man dürfte zweifeln, dafs der Laut des g (gh) fo 
felten vor e und i vorkomme: und ich habe diefes ö lange mit Mifstrauen 
betrachtet; doch mufs man fich ergeben und die Sache als richtig annehmen. 
Mit blofsem u fchreibt Tell. die Wörter: guenomi (bei beiden) Erz, Metall 
2) Geld; guelü oder *gueru grofs, aber wieder *güero viel (für u fpricht: 
guelämeke u. uelameke altes Weib); *guite, *guiri, *beraguite (u. berago) 
defshalb, darum; tseliguei u. *cheligue verzeihen, dazu kommt der Wechfel 
mit v (f. bei v S.421””). Beftätigt wird diefe Geltung, d.h. das Übergehen, 
von Tell.’s nicht bezeichnetem u, neben v (S.421”"), durch *dichigue glau- 
ben, wofür St. pitfchige (ohne u) fchreibt; merkwürdigerweife hat aber das 
Wort in anderen Formen ein u: *dichigud wahr, pit/chiguali Wahrheit, 
Glaube, *Dichrguari Wahrheit, wahr. Da Steffel ftets gue, gui ohne 
Unterfchied fchreibt, fo bleibt bei den ihm allein eigenen Wörtern die Be- 
deutung des u und die Ausfprache ungewifs: nur dafs das Überwiegen des 
lautenden u eben ausgefprochen ift. Diefe felbftftändige Ausfprache des v in 
Tell.’s Schreibung ö (&) wird noch durch einige Beweife beftätigt: uzlı u. *güeri 
([. S. 426"); kudpu u. *güdpu, auch *güe wer? (dagegen nategui Lohn, 
auch natejui, *nategui gelten, werth feyn!); f. noch fogleich Waffer und fal- 
len; dazu k = g S. 422'-3°. — Die obigen Wörter ausgenommen, finde ich 
bei Tell. immer nur das gefprochene u: ü (ü): pauguiki Waffer , paugui 


Philos.-histor. Kl. 1863. Hhh 


426 Buscnumann: das Lautfyftem der fonorifchen Sprachen. 


Flufs: *bagüiqui u.*bagüı Waffer (hier beftätigt ein derivatum das u: paugud 
jenfeits des Fluffes, hinüber; dagegen: *bacochi im Flufs); guechtfchiki u. 
"güichique fallen (aber auch *gui-; für u zeugt aber das mex. Auetzi), 
fehugui u. *sugüi, tegueke u. *tegüe Mädchen; gügüe Jungfrau, muki 
gugueke id., unverheirathetes Frauenzimmer; cauguiki Wüfte, Einöde, 
Wald: *cagüı Berg (cerro); cäl u. cajutfchi Pferd: *cagüe;, gue u. *gue-, 
auch güegüe Erde; igue, *igüe u. *güe fehr; naligue u. *nıgüe haben, be- 
fitzen (auch *niguara): auch gud, *güe, cuguti u. *cugüi helfen; tfehulu- 
guiisi u. *churugüisi hungern (aber fut. *churuguira, -ta; t/chulugeameke 
hungrig); und vieles andre zwifchen beiden oder bei Steffel allein. 

$80. In der Tepeguana ift in der Schreibung gue, gui, die wir 
fchon (S. 424"”') neben ge, gi hergehen fahen, das u wohl nur ein Hülfs- 
mittel zur Erlangung der gemeinen Ausfprache des g (gh, wie vor a), und 
wird das u nicht gefprochen; diefs können wir an dem Übergang in ga und 
umgekehrt fehn: joscigue u. -gui Blume, joscigate blühen; cugga Ende, 
cugguer- (mit der Poftpof. er). Beifpiele von gue (das nicht im Anfang 
vorkommt): ucague fich wärmen, uggue jener, gal ugue fünken, tucaguer 
in der Nacht: f. auch gu; von gui, das im Anfang und vorzüglich in 
Endungen vorkommt: guiguiai verftricken, juggui, nagguie aufhängen, obogui 
fchnell (adv.); oidigui, oydigui u. oydigue Berg 2)Wüfte, Wildnifs 3) Land? 
(bus oydigui die ganze Welt) 4) Jahr, Zeit; zucagui Nacht, vaggui feucht. 

Veränderungen des g und gu habe ich fchon angezeigt; g erfcheint 
vorgefetzt in: uilı ftehn bleiben, *güeri ftehn; f. weiter (Ta.u. Te.) S.439"""; 
g wegfallend: Ta. guelameke (von guele fett?) u. uel. altes Weib. 

681. ce) die aspirata: deutfch cz, fpan. 5 und x; habe ich, nur 
formell, zu den Hauchlauten geftellt (S. 407-410”), weil fie mit dem ein- 
fachen Hauch fo vielen Zufammenhang haben. Bei Steffel in der Ta. kommt 
im Anfang einiger Wörter zz vor, das in dem einen gemeinfamen Worte 
Tell. mit c fchreibt und das vielleicht nur eine Art der Zenuis ift: khuta u. 
*cutd klein, khüta kurz; khutagala u. khutugala Obft, Baumfrüchte, 
Frucht; khutala Hals, khutegaca Balken, Latte. 

682. 3) T-Laute — (oder dentales) — Beifpiel einer Wortgeftalt 
mit vielen T-Lauten (vgl. S. 427°): dodolicatudadamoe Beruhiger, einer 
mit T- und Zifchlauten: Co. trhetzenetichueve auf Einen vertrauen. 

a) z — die tenuis — ift in allen 5 Sprachen herrfchend; es ift hier 


1,82-84. Conf. E. mutae: 3) T-Laute a) t: Wechfel mit r in der Ta. b) d. 427 


nur von feinem Wechfel zu handeln. Es geht vereinzelt in den K-Laut 
(k und c) über: fo wenn wir die azt. Subft. Endung 1! gewöhnlich ke u. *que, 
bei Tell. bisweilen als *4 finden: pileke u. *bireti Jemand; Anfatz *miti u. 
*meti (f. meine fonor. Endung ame S.496”” -7°), pagöta u. *pagoco wafchen. 

$ 83. Ein grofser Zug der Tarahumara ift das Schwanken zwifchen 
den Confonanten 7 und z; ob es blofs ein Schwanken fei: oder in der Spra- 
che ein eigenthümlicher Laut, aus beiden gefärbt, vorhanden ift? läfst fich 
nicht beftiimmen. Tell. äufsert nur (p.40”), dafs wenige Wörter mit ii 
oder ri anfangen; und, was bedeutfam ift, bei der Endung des participium 
fagt er (p. 19"), dafs fie ri oder ti laute: je nach dem Gebrauche der ein- 
zelnen Dörfer (segun el uso de cada pueblo). 1) Zum Theil fchwankt Steffel 
felbft und fchreibt daffelbe Wort mit 2 und r, Tell. fchreibt r: rana u. tana, 
*rana gebären; tehoje u. rehoje, *rejoye Menfch 2) Mann; temeke, beffer 
remeke (fagt St.) Brodt, *reme tortillas; repa oder tepa oben, *repa id., gen 
oder im Himmel; rosacameke, tos., rosacame weils, ramela u. ta., remela 
u. te. Zahn; rachpe u. tachpe, *rape wenig; tdje u. raje, *raye wegen 
(Poftpof.). 2) Viele Wörter fchreibt Steffel mit 2, Tell. mit r: pagota u. 
*pagora taufen; tepigaca Meffer, *repigate mit einem M.; tele unten, herab, 
*rere unter, herab; techtcke u. tetdk, *rete Stein; tufchi u. *rusi (*rusi-) 
zerreiben, mahlen (= mex. teci), tessigua u. *resigua trauern, traurig [eyn, 
tald u. *rara Fuls; tepula u. tepura, *repund hauen, abhauen; tapanı fich 
reifsen, verwunden, *rapanı fich fpalten; tajena es wird Tag (*tayesago), 
taica u. *rayenari Sonne; ame u. lami, *rami wir; teopa, *reobd u. *reora 
Kirche; zalı u. *rarı verkaufen, zeca u. *reca begraben, tehima u. *rejimd 
Verwandter; temalıki Jüngling, *remarı unverheiratheter Mann; Zucaguo 
u. *rocaguo Nacht. 3) Oft haben aber beide z: zani u. *tam: fordern, bit- 
ten, Zara zählen, tegucke u. *legüe Mädchen; beide r; oder Steffel für fich z, 
für fich 7 (f. iquidae) ; von allem diefem find keine Beifpiele nöthig. 

684. b) » — die media — fehlt an fich den 4 Sprachen aufser der 
Te.; doch kommt es vereinzelt vor in der Ta.: verendo wilder Bock; tepula 
u.tepura, aber auch depura (*repuna) abhauen (dafs d fehlt, f. $1. S.299* =»); 
Co. im fpan. diablo, Dios. In der Tepeg. allein ift der Confonant vor- 
handen, und zwar inFülle: adididaraga Verfeinerung, adidutude verkleinern, 
dodolidajaraga Ruhe, dodoadidadamoe; mit t vermifcht: muqui datadaga 
auffchwellen (v.n.), /uniddadadamue, bututudeitude von neuem bauen, 


Hhh 2 


428 Buscumann: das Lautfyftem der fonorifchen Sprachen. 


c) ru — vereinzelt in der Ta. bei Steffel, Co. und Ca. — Ta. nothepa 
küffen; für Steffel’s 2A fchreibt Tell. fein allgemeines r: Z/hulagua u. *rura= 
guä es ift kalt, frieren (Perfonen), ihulameke kalt; Co. tecuathemintimoe 
idolatrar, Ca. *cuthuahuatepo Abgrund. 


Confonanten-Verbindung. 


685. Ehe ich in diefen Abfchnitt wirklich eintrete, behandle ich 
die leichtefte Art des Gegenftandes: die Verdopplung deffelben Confo- 
nanten. Das Moment ift nicht von Wichtigkeit, und ziemlich als eine Will- 
kühr der Schreibung zu betrachten; es kann damit aber die Kürze des vor- 
hergehenden Vocals bezeichnet werden. Von den 4 fon. Sprachen ift nur 
die Tepeguana, in der die Verdopplung des Confonanten, und zwar faft 
aller, häufig, und willkührlich mit dem einfachen abwechfelnd, gebraucht 
wird; in der Co. werden vereinzelt Ah, k (ck), m,n, p, r, t, in der Ca.c, m 
verdoppelt; in der Ta. s, einmahl cc u. ck. Der Inhalt der folgenden Auf- 
zählung und die Beifpiele gehören daher faft allein der Tepeguana an: 

b — Te. odbe Volk 2) Feind, Feinde 3) 20 (1mahl ode) 

c (cc; vgl. k) — Ta. huccu ift, hucu feyn, Te. cuccoli Unze (Thier), 
gaccoli krumm, succuli jüngerer Bruder oder Schwefter; Ca. *cucco, 
hocoturi u. hoccoturi 

d — Te. add- (Anfang), cuda- u. cudda-, odame u. oddame Volk, Men- 
fchen 2) Augapfel, suddagui u. sudagui (zu-) Wafler; tode, todde u. todda- 
que erfchrecken (v.n.); Zudd-, sciddi-, sciddo-; bidde Koth, Thon, bidd- 

g — Te. bagge zanken, ausfchelten, cugga-, daggui- (u. dagui-), dugga-, 
ogga u. oga Vater, tuggue finden, Zugguito fich erinnern; vuggui- 

h — Co. f. beim Buchftaben, S. 407”” 

k — ck (vgl. S. 423”) Co.? Ta. eke u. ecke zumachen, verfchliefsen 

m — Co. yamoammet Scheere, Ca. ammuchim u. amuchim Weiber 

n — Te. conni-, sonne (felten sone) fchlagen (sonn- meift, doch einige 
deriv. son-), tonno- (tonnoli Sonne), vanni-,; Co. hinna fpinnen, tenniti 
Mund, Auinniti Rohr, uy£einni brüllen 

p — Te. capisci u. capp. mit der Hand fchlagen, ipponidaraga Knofpe, 
vapa- auch vappa-, vupu u. vuppu-; Co. li-yaoppa Vater 

qu — Te. cuggui-, gagqui (auch gaqui) mager, goggui Fulsftapfe, Jugque 
u. juque Fichte, toggui Baumwolle, vagquai u. vaqqueai ausdrücken 


I, 85-87. Yerdopplung, Verbindung, Zufammen/tofs der Confonanten. 429 


r — Te. parrade, Co. ucurrebipihua aforrar 

s — f. beim Confonanten (S. 414”"-5*), Ta. und Te. 

t — Te. battuli Kniebeuge, bitte merda, Mift, Biotte vomere, butuder u. 
butt. wegen, coltava Gehirn, gatio u. gato Bogen, matte Afche, ote u. otte 
tropfen, pittai Efche, vattofa Fifch, Co. aeineitta warum? wozu? 

6 86. Ich trete nun eigentlich in den zweiten Abfchnitt der Confo- 
nanten ein, welcher der Verbindung derfelben, d. h. faft immer von 
zweien, unmittelbar mit einander gewidmet ift; und als eine Fortfetzung 
meines früheren Abfchnittes vom Lautfyftem und von der Wortgeftalt durch 
diefes Element die vollkommnere Wortgeftalt, fo weit fie in diefen Sprachen 
vorhanden ift, entwickeln foll. Das eine Element, der Wortfchlufs auf 
einen Confonanten, ift fchon in jenem Abfchnitte ($$ 24-27) abgehandelt, 
auch manches allgemeine dort fchon gefagt. Hier werden daher mehr das 
Innere und der Anfang des Wortes betrachtet werden; aufserdem zwei Confo- 
nanten am Ende: welches find ni Te. S. 432°"" und zZ Co. 433". Die Ver- 
bindungen von drei Confonanten find: rvc Co. 432“, ztn Co. 433”, mp vor 
einem Confonanten 431"""", Die Freiheit der fonor. Sprachen in der Con- 
fonanten-Verbindung ift, fo vieles einzelne aufgezählt werden wird, nicht fo 
bedeutend, fondern gemäfsigt; die vorkommenden Verbindungen zeigen fich 
meift nur in fpärlichen Beifpielen und fehr felten. Ich habe die verfchiede- 
nen Stufen der einzelnen Sprachen fchon bei der allgemeinen Wortgeftalt 
(S. 392-3") beftimmt. Die Tarahumara (f. S. 393"‘-4*) wird hier felten 
erfcheinen; ihre (ganz vereinzelten) Verbindungen find: ndr (432°”); rc 
(ib. *"), zn (ib. "); sm (433°), st (ib. ""); dr (435””) und ir (436”'). Bei 
den vorkommenden Verbindungen dürfen eigentlich die fpanifchen, euro- 
päifchen und mexicanifchen Wörter nicht mit gerechnet werden; doch wird 
einiges der fonorifchen Sprache felbft dabei fichtbar. 

6 87. An fich haben zwei Verhältniffe einen verfchiedenen 
Werth: die Verbindung im felbftftändigen, urfprünglichen Worte; und ein 
Zufammenftofs der Confonanten (oder von Buchftaben), welcher durch noth- 
wendige grammatifche Verbindung bewirkt wird (vgl. S.431"""" "", 433”'2mahl, 
ib." 2mahl), oder gar nur durch Wegfall von Vocalen oder Lautftücken ent- 
fteht: und welchen in beiden letzten Fällen die Sprache willenles, ohne Abficht, 
oder gezwungen erträgt; deffen Geftalten zufällig find. Letzterer tritt durch 
Abfall der Vocale öfter in der Cahita ein: duru viele, dburusi u. bursiua oft; 


430 Buscumann: das Laut/yftem der fonorifchen Sprachen. 


mama Hand, Hände, mampo in die Hände; asual(a)naque. In höherem 
Maafse und in noch gröfserem Umfange gilt der gefchilderte Vorgang in der 
mexicanifchen Sprache. In der Tepeguana findet ftatt ein unbegrenztes 
Zufammenftofsen von den mannigfaltigfien Confonanten fowohl im Innern 
als zwifchen zwei Wörtern: durch ‚die Eigenfchaft der Sprache ein Wort 
im Zufammenhange oder in Zufammenfetzung mit dem folgenden durch Ab- 
werfung des Endvocals auf einen Confonanten ausgehn zu laffen, wie ich 
fchon (im $ 25, S. 394) entwickelt habe. 

688. Es ift hier der Ort allgemeine Bemerkungen über die Wort- 
geftalt und die Confonanten-Verbindungen, wie fie fich im erften Theile 
finden, mit mehr Rückficht auf das Specielle und Wirkliche, zu verzeichnen. 
Vermifchte Beifpiele von fonderbaren, fehr ungewöhnlichen und ftarken 
Confonanten-Verbindungen (vgl. 5.392”) find in der Co. ntizizchizt fägen, 
uhuatazizchizt köpfen. Eigenthümliche Verbindungen diefer Sprache find: 
nt vorn, pm, in, Zifchlaute zufammen, ihch, h vor vielen Confonanten. 
Auch die mexicanifche Sprache ift, trotz der von /ilh. von Humboldt (oben 
S. 389”-390° u. 405°"; bef. 389", 390"-"", 405""") gefchilderten Einfachheit 
und Einförmigkeit, reich an Confonanten -Verbindungen : auf dem Wege, den 
ich vorhin (S. 429""-430°) angegeben habe; felbftftändige, aufser jenem Be- 
reich, find: ch, tz, x mit folgendem Gonlonant, (chpana); cx, zit; nc, nt, mp. 

Zur Entwicklung der einzelnen Verbindungen, von denen der erfte 
Confonant die Grundlage bildet und die Stelle beftimmt, wiederhole ich 
das im vorigen Abfchnitte befolgte Syftem und die Folge der einzelnen Con- 
fonanten. 

889. A. Havcazaure — Hier ift zunächft merkwürdig die Nach- 
ftellung, das Nachklingen eines Hauches nach dem Vocal der Sylbe, an 
deren Ende, vor folgendem Confonanten: wodurch ohne Zweifel eine Mo- 
dification des Vocals, feine gutturale Ausfprache, bezeichnet wird. Es find 
der einfache Hauch A in der Cora, den ich hier zu behandeln habe; und 
der ftarke Hauch: deutfch ch in der Tarah. und x in der Cora: welche 
ich aus örtlichen Gründen bei den Confonanten (S. 408°" und 410%") be- 
handelt habe. Alle drei Erfcheinungen mülsten hier vereinigt feyn. Bei- 
fpiele des A der Cora (vgl. 5. 387°“) find: acahbet herabfallen, hihbe rufen; 
tahcdi geftern; tehche anfangen, ihche amortajar; ahke Art Schlange; ahme, 
aehmo fie (un); tihupühme Beifchläfer(inn); irahna knarren, aihna Krebs; 


I, 89-91. Conf. Verbindung A. Hauchlaute B. liquidae: 1) 12) m 3) n. 431 


euhri-, acahlzocoa herabfpringen, muähxa ein Baum, ahye trinken; auch 
im Innern der Sylbe ift diefer Hauch mit Confonanten dazu: eupiht Fuchs. 
Da er nur eine Art der Vocal-Ausfprache ift, fo findet er vor den verfchie- 
denften Confonanten, von denen er unabhängig ift, ftatt, und entftehn durch 
ihn die mannigfaltigften Verbindungen; % findet fich nämlich vor folgenden 
Confonanten, von denen die mit einem Stern bezeichneten fich nicht in den 
vorftehenden Beifpielen befinden: vor d, c, ch, k, m, n, *p, *qu, r, t, tz, 
x, y. Das x der Co. hatte (S. 410°) nach fich c, p, ch; das ch der Ta. 
alle möglichen Confonanten, wie Co. A. 
Die fehr abenteuerlichen, aber ganz vereinzelten Zufammenftellungen 
7b und jqu der Te., gar im Anfang von Wörtern, f. S. 409, 
690. B. zıevınar — 1) z — findet fich (meift in Te.) vor A, m, 
n,s,t: Ih nur einmahl: Ta. pilhegameec 48; Im: Te. galmasci wild, häfslich; 
In: Ca. asual(a)naque; 1s: Te. also-; lt: Te. altui Mädchen, galtuiga. 
2) # — findet fich a) in natürlichfter Weife, nach der Art unfrer 
Sprachen, vor den P- oder Lippen-Lauten, denen es felbft als indifferenter 
angehört: 5 und p: 1) mb: Ta. cambalatfchi Bock, Ca. *mambetavi (com- 
pos.) Daumen; 2) mp: Te. arumpa Art Ameife; Co. ampuene abundar, 
nempu-; in der Ca. wird p öfter nach m eingefetzt, vor noch einem Gon- 
fonanten: emizi u. emptzi dir, ioremta u. iorempta Leute (acc.), auch den 
Menfchen (sing.); ompte; einfach: compesecti,mampo in den Händen, ezompo 
im Bauche; b) fehr befonders vor Zifchlauten und unnatürlich (ftatt n) vor t: 
3) ms: Ca. *himsi Bart; 4) mt: Ca. neomte, omti u. onti oder, *nabilamtuco 
Winter; 5) mtz: Ca. emizi u. emptzi dir 6) mx: Co. amxuvi 5. 
691. 3) n — das Präfix in mein der Ca. liefert ein Beifpiel meiner 
obigen Bemerkung (S. 429") von dem unfreiwilligen Zufammenftofs der 
Confonanten durch grammatifche Verbindung: denn das n kann vor allen 
Confonanten ftehn: vor ce, A, t... Im übrigen geht das n natürliche und 
mannigfaltige Verbindungen ein, wie fie unfere Sprachen auch haben; da- 
gegen die anomale mit den P-(Lippen-)Lauten m und p, wo m nur be- 
rechtigt wäre. 
nc — Co. (ähnlich wie nt) im Anfang des Wortes: ncurahachihua aus- 

drücken; aufserdem: anc-, zeüncare Atole; Ca. *anenca verkaufen, chancaca 
nd — Te. sceadutude u. sciand. heiligen, fegnen, sciaind. faften (n: ich) 
nm (unnatürlich) — Ca. conmi, inmane 


432 Buscamann: das Lauifyftem der fonorifchen Sprachen. 


np (item) — Co. (öfter) apuenputeacaneri erfcheinen, Ca. penperi Ferfe 

ns — öfter gebraucht: Te. juscadunsci (auch huscadusci) bis, tuminsci 
(daneben Zuminesci u. -nisci) Geld, tunsciddague küffen (compos. von tuni 
Mund); — Ca. alebensuri auf diefelbe Weife, ansaue, banse wohlan! ensuro 

nt — die natürlichfte der vorkommenden Verbindungen des n, indem fie 
die gefetzmäfsige des Sanskrit- Sprachftammes (f. S. 381") ift, kommt auch 
am häufigften vor: 1) Te. anta-, -anta (Endung des praeter.), contai, son- 
tuggui irgend einer; gar am Ende: fumant beinahe, amant; 2) Co.: a) in 
der Mitte: euhripentitahua bereiten, fecuathemintimoe idolatrar, ant-, tantimoa 
eiferne Hacke; b) fehr merkwürdig, ganz ähnlich der javanifchen Sprache 
nach meiner Bemerkung (S. 382”""), ift in der Cora die Verbindung ni im 
Anfang der Wörter (wozu noch nc kommt): und zwar, was noch merkwür- 
diger, ganz wie im Jav., nur in verbis activis: nleacudime aufhängen, ntibite 
hinzufügen, ntich aufdecken (descobijar), ntikeuca zerbeifsen, ntizizchizt fägen ; 
und fo noch mehrere in nie-, nti- anfangende Wörter. — 3) Ca. zente küffen, 
tentoco noch, und, asontu u. nasontu verderben, *ahintua verftopfen, be- 
decken, -nta (oft), ientapo heute, intompo in meinem Bauche. 

Fernere Verbindungen: 

ndr — Ta. galändria ein fchöner Vogel (eine abnorm ftarke Form für 
die Sprache) 

ntz — Co. anizıhva bitter, Ca. entzi dich 

nx — Co. guiguidocadaneiti raufchen, aenxacat grofse Welpe, anxu- 

$ 92. 4) r — geht frei mannigfache Verbindungen ein: befonders 

mit P-Lauten, auch mit dem Zifchlaut: 

rb — Co. purbaztah alter Mann (anciano), plur. murbaöhzi 

rc — Ta. corcogui Art Kuckuk; Te. cugguer-camoe; goquier-camoe u. 
gatoder-camoe der letzte: aber die ordinalia haben die Endung erecamoe; 
in einem fpan. Worte vermeidet die Sprache den Zufammenftofs: circulo = 
scicoli, ähnlich carnero —= caniro 

rm — Co. purmi vor Alters, nermi damahls 

rn — Ta. feltfam isternil Maisteig 

rs — Te. toaxarse u. toajarse einen Hieb geben (toaxare u. toajare id., 
verwunden 2) Dolch), Ca. durusi u. bursiua oft 

rv — Co. purvcarizt alte Frau (3 Confonanten) 

rz — Te. dudugarze bohren, toaxararze (vgl. 3 Zeilen vorher) 


1, 93-94. Confonanten-Verbindung C. Zifchlaute: A) s2) z. 433 


693. C. Zıschraure — Ich habe es hier nur mit dem einfachen s 
und mit z zuthun;; in jenem meift mit der Tepeguana, in diefem mit der Cora. 
1) s — [eine natürlichften und auch häufigften Verbindungen find mit 
den tenuibus (harten Buchftaben) der mutae, wovon nur Z und k (c, gu) vor- 
kommen: 
sc (vor dunklen Vocalen) — in der Te. : suiscare Sporn (von suse fpor- 
nen), masca- (meit mascamue unlichtbar), moscare Kopfkiffen, tascona 
fättigen, juscadunsci bis, ascate, buscova überall; f. noch etwas bei sci 
(S. 416° ) 
sd — Te. samosduni wozu? wofür? 
sm — auflallende Verbindung in der Ta.: guisma Gürtel; die Te. um- 
geht fie: quaresma = corescimajo 
squ — (der K-Laut vor den hellen Vocalen) — in der Te. (wie sc): 
busquer immer, gewöhnlich (adv.), scisque fieben (vb.), vosqui u. bosque 
fegen 
st — die in unfren Sanskrit-Sprachen fo häufige Geftalt, kommt auch 
öfter (aber in gar keiner Verbreitung) in 3 fonorifchen vor (Co. nicht): Ta. 
isternil Maisteig, isestana roth [eyn; fogar im Anfang des Wortes: isestaca- 
meke u. stacameke voth; in der Te. am meilten: iszw Sache, quistu; bustu; 
ibuiste u. ibuisite ausruhen, ibustaraga Athem; ustoque Saamen (compos. 
von usse fäen) 2) bedecken; aste vergiefsen, jaste aguar, saste Kobold (auende); 
— Ca. resteme, *amastia lehren, Diosta (acc. ; vgl. S. 429") 
$ 91. 2) z — erfcheint hauptfächlich mit den harten mutis der 3 
Laute nach fich, die Sprache ift allein die Cora (die Ca. nur in einem [pan. 
Worte): 
zc — Co. tecuzco Bergwerk 
zch (2 Zifchlaute) — Co. zizchu Art Weihe, ntizizchizt fägen 
zn — Co.piznari Zweig, Elle, puezni warm, tazn& dünn machen, uzneam 
zp — Ca. zufällig in einem fpan. Worte (auch 22; f. S.429""'): cruzpo 
am Kreuze, an das Kreuz 
zt — Ca. eben fo cruzta das Kreuz (acc.); Co. oft: a) in der Mitte: 
aaztehua, tatezte geben (Art), tepüzti (mex.) Eifen, Metall, Aheztieat (tt) hen- 
chimiento; b) oft am Ende: quäwezt locker, bahezt aufüllen, ahcuazt zuerft, 
tzarizt Art Ameife, purvcarizt alte Frau 
zin — Co. cuuzina, xezina descoser, cuaxeztn lofe machen (f. S. 436°") 


Philos.-hist. Kl. 1863. Tii 


434 Buscumann: das Lautfyftem der fonorifchen Sprachen. 


$ 95. D. aAsrınırre ZiscaLaure — von ihnen finde ich nichts zu 
fagen; Te. sc berühre ich beim s. 
$ 96. E. mvr4e — Ich habe im Eingange fchon (S. 381") der 
grofsen Herrfchaft erwähnt, welche die Verbindung der muta cum liquida in 
unferen Sprachen ausübt: fowohl die unmittelbare, wie bl, Dr, er; als in 
Sylbennach einander, wie im Anfang der Wörter dal-, bar-, mir-. Diefer Zug 
ift den fonorifchen Sprachen nur fehr fehwach eigen. 
$ 97. 4) P-Laute — In einer abgefonderten Richtung habe ich 
meine Aufmerkfamkeit den Verbindungen diefer Laute unter fich zuge- 
wandt; und ich meine, dafs diefe Sprachen von ihnen einen ftarken Gebrauch 
machen: dafs ihnen dagegen unfere Sprachen, obwohl fie in ihnen öfter vor- 
kommen, im allgemeinen widerfireben. Davon ift a) die unmittelbare Ver- 
bindung der geringere Zug, und nur in der Cora: 
pm — Co. apme kämpfen, acacunipme, apmuaehye 
bm — Co. abmueye flielsen, timuiyebme tröpfeln, uhebme Waller tragen 
bp — Co. bibpua flicken 
b) Hauptfächlich meine ich hier, und mit der behaupteten Seltenheit 
bei uns, die Folge zweier P- oder Lippen-Laute in auf einander folgen- 
den Sylben, mit Vocalen nach fich; und ziehe dafür auch das zur Familie 
gehörige m hierher, obgleich es den liquidis zugetheilt wird. Beifpiele der 
Häufung: Co. mepebeme kommen, muamabe£ bracear; einzelne Gruppen: 
1) p-b — Ta. pabahi (doch auch babaht) fchöpfen, Wafler ziehen, 
*peb£ pflücken 
p-m — Ta. *peme fpannen; pemold Nebel, Dunft, Dampf; pemoliki 
Rauch, Dampf, Dunft 
2) 5-p-—ilt in der Te. fogar eine fanctionirte Geftalt, nämlich die 
gefetzmälsige Reduplication von 5; ich habe nämlich dort (S. 392°") fchon 
das eigenthümliche Lautgefetz hervorgehoben: dafs & und v in der Wieder- 
holung, d.h. in der 2ten Sylbe, als p wiederkehren; dahin gehören dupure 
binden (von buli), bopode, bapusi u. vapusi; einfach: dupe werfen, bipisare 
tatarabuelo, bipiculi u. vipp. milano; tobipe oder tobbipi drehen, tubupi 
b -v — Te. abeivi-, bava wo? bivuli Neffel, jubaova frifch; Co. bevi 
b-m — Te. bamoque, vam., bamuque zornig werden; bamara Enkel, 
-bimo, buimi, buume desollar: beimojare ufw. Sack (383""), bumade oder dbum 
mit; Ca. bemela Jungfrau, *cobamu Schmetterling, Aubeme verheirathet 


1,97-99. Conf.V erb.E.mut.1)P-Lt.a)unt.fich:3)v4)m;b)mitand.2)K-Lt.:c 435 


3) v-p— ift in. der Te. die Reduplication des v (f. vorhin 5 - p): buy 
Auge, pl. vupui; vapa-, vupu- (Redupl. von va-, vu-) ; vipi-, vopo- (item von 
vi-, vo-); einfache Wörter: vippi weibliche Bruft, vope liegen, voppo u. vop= 
poe Haar, pupe fchiefsen (mit dem Pfeil) 

v-b — Te. giebt es nicht 

v -m — Te. pamoque f. bei b-m, vamogue Art Moskite; vumo-, vamaso 

4) m-b — Ca. mabeta empfangen (aber in der Te., wenigftens im An- 
fang, nicht) 

m - v — Te. mavidi Löwe, mumuve Wabe, amove dahin, someiva 

$ 98. Jetzt erft behandle ich die Verbindungen der einzelnen 
P-Laute im ganzen, wobei ich die vorhin dagewefenen citire: 

a) P: pm f. S. 434” 

pr — Ca. huproca (manual p. 124) 

ps — Ca. hiepsi Seele, hipsicame die Lebendigen 

pt — Te. f. angefetzte Conf. (5. 440°"), aptui-; Co. capt-; Ca. copte 
vergeflen, *apuptau Athem, *baquepta trinken 

b) 8 — bm, bp {.S. 434"""; dr erfcheint als eine Seltenheit in der Ta.: 
Tell. führt einen Ort *Tecuibrut/chic an (f. meine aztek. Spuren S. 25" u. 
60"); Co. ubyao- 

6 99. 2) K-Laute — ich habe nur Verbindungen von der tenuis 
und auch nur von c anzugeben: 

c — wird in der Ca. manchmahl, ähnlich wie # (S. 436°), vor einem 
Confonanten hinzugefetzt : hocoturi u. hoccocturi Wittwe, ebuarau. ecbuara 
Dieb, atzai u. actzai Vater; von feinen mehrfachen Verbindungen find fehr 
natürliche die mit r, 2 und iz; eigenthümliche find die mit 2 andern liquidis: 
m und n, die mit s; und eine fehr befondere, mit 6: 

cb — Ca. ecbuara Dieb (vgl. vorhin), acbua ich habe verfpottet, acbepa 

cm — Co. naicmic alles, Ca. nucmeua mein Sohn 

en — Ca. acnocta; auf grammatifchem Wege bewirkt, durch den Verbal- 
Anfatz naque: mienaque ich werde fchicken,, muenaque er ftürbe, abienaque 

cr — nicht im Anfang des Worts, aufser Ca. {pan. cruz Kreuz; in der 
Te. vermieden: Christo= Chisto; in der Mitte Ca. nocria bitte, bete 

cs — Ca. *hipacsia wafchen 

ct — Co. acta auch, aumucte bete an; Ca. oft: chicti alle, alles, coczu- 

lii2 


436 Buscumann: das Lautfyftem der fonorifchen Sprachen. 


rici, colocti, *cucte Abend, iecte er fitzt, licti (auch Ziti) blind, noctisu, pe- 
secte (auch pecepti) beichten, Beichte, quicte 
ctz — Ca. actzai = atzai Vater (f. S. 435") 

$ 100. 3) T-Laute — ich habe nur zu nennen: Z mit mehreren Ver- 
bindungen und 1% mit nur einer: 

a) 7 — findet fich, wie öfter ce ($S. 435"'*), in der Ca. vor einem Con- 
fonanten hinzugefetzt: ebuwa und einmahl etbua ftehlen, eigenthümlich find 
diefe Verbindung und die mit m und n: 

tb — Co. utbet fich herabftürzen; Ca. f. eben etbua, etbuac (ich) habe 
geftohlen, naitbuque Eiferfucht? 

im — Co. acanitme Schwielen haben, Zuzeurabetme canuto, -huitme 

in — ift eine charakterifche und häufige Lautgeftalt in der Cora: 1) am 
Ende, wo es für ein fehr treues Abbild der mex. Subftantiv-Endung 22 zu 
halten ift; in aztek. und eignen Wörtern: Zetetn Stein, aitn Felfen, aiitn la- 
dera, tzubetn Hahnenkamm, huatutn Schienbein; aber auch in Verbis: icuatn 
hungern, euaxeztn lofe machen (f. S.433'); 2) am Ende vor einem Vocal: 
abatzotni und fo öfter, -tne (befonders viele Verba), aitne wie? 3) im Innern 
des Wortes: Zaitneca fchicken, tipitnihuame Schleifer, totnavi Bogen, Zutnive 
biegfam; — da auch einmal Ca.: batnate 

tr — Ta. in dem einzigen *potro jüngerer Sohn = Steffel’s potsö der 
drittgeborene Sohn; die Te. vermeidet es: trigo = tuligo u. tiligo 

b) 2 — ich habe nur negativ zu bemerken, dafs die Sprachen der Ver- 
bindung dr in fpan. Wörtern ausweichen: padre: Ta. pali, *pari oder *bare; 
Te. pali; Pedro Te. = Piddoro; doch hat Ta. einmahl dr (S.432”") 

c) ru — Co. aeıhche 


Buchfltaben- Veränderung. 


$ 101. Von dem ganzen grofsen Capitel: der Vertaufchung, dem 
Wegfall und Zufatz von Buchftaben werde ich hier nur einzelnes zerftreutes 
herfetzen, da ich, wie ich zweimahl (S. 378"""' u. 404""') erklärt, fo weit 
diefe Veränderungen nicht im Verlauf der Grammatik bei den Redetheilen 
vorkommen werden, faft alles bei der Lautveränderung der aztek. Wörter 
(Berl. 1857 S.433-70, Abfchn. V, e der azt. Spuren) abgehandelt oder der Ent- 
wicklung der einzelnen Buchftaben, vorzüglich Confonanten, einverleibt habe. 


1,102-3. Buchft.Veränd.1) Veränd.2) Wegfall: bef. von Conf. am Ende. 437 


$102. 1) Veränperung — Von der Ta. fagt W.v. Humboldt (nach 
Steffel): „Es foll” der Buchftaben-Verwechslungen „viele geben: ru. 2, c 
u.g, bu. p;fogar auch cu. /, gu.it, gu. v. Es fehlt aber an Beifpielen, 
dafs man nicht klar fehen kann.” Ich fetze die Äufserungen Steffel’s (im 
Vorbericht, S. 299) felbft her: „Sie haben fo viele Buchftabenverwechs- 
lungen, dafs es zu weitläuftig feyn würde, alle anzuführen. Ich bemerke nur 
die gewöhnlichften. Sie gebrauchen fich gemeiniglich des €, G, Q anftatt Z, 
T, R; desi anftatt y, des s anftatt z... Sie fagen auch oft d anftatt p, m 
anftatt z, Ah anftatt g, u.a.m.” 

Vocal-Veränderung in der Te.: wi wird o: doadicui feig, doadico- 
daraga Feigheit; we wird ov: nuitocue ftolsen,, nuitocov-araga Stofs. 

Confonanten — In der Tarah.: pagöta (*pagoco) wafchen 2) taufen, 
pauvoliki u. pavoliki (*pagöriqui) Taufe; temoco Kröte, temots-atfchie Ort 
von vielen Kröten; g wird zu d: Te. vaggui oder vaggui-camue nals, vad- 
duide oder vaddeide nals machen. Von der Variation der Confonanten zwi- 
fchen den vier Sprachen, von welcher fo vieles in der Buchftaben-Verände- 
rung der aztekifchen Wörter und in der Lifte gemeinfamer fonorifcher Wörter 
(f. oben $ 8, S. 37819") in meinen aztekifchen Spuren hervortritt, will ich 
hier aus den Redetheilen nur zwei einzelne Züge bemerken: 1) den, in den 
fanskritifchen Sprachen und in deutfchen Mundarten fo wohl bekannten 
Wechfel zwifchen s und Z: wie der privative Anfatz der Ad). (-los; f. Adj.) 
Ta. tule, Te. suli (auch sali) lautet; 2) Te. x ift in anderen Sprachen c (f. 
aztek. Lautveränd. S. 458”, Subft. {. mehreres bei dem Te. Anfatz care = 
xare) und £ (f. Subft. Anfatz der Zeit Te. xo = Ca. Zu): d.h. x ift verändert 
aus ce und ? der andren. 

$ 103. 2) WserArz — a) von Vocalen: im Anfang: Te. f. Rin. 
p- 45", End- und Anfangs-Vocal f. p. 4”""; — b) von Confonanten und 
Sylben: Ca. f. beim Verbum, ca: iautnopo durch das heilige Wort (man. 
p- 108”; von noca),; — im Anfang: Ta. p: pusaniki u. *usaniqui 6; vu. u: 
Co. vitzive falten, itziviat Falten ; uteamuaee fich freuen (aber u ift wohl Prä- 
fix), teamuav-iat Freude 

am Enpe — Die Wörter der Tarahumara, vorzüglich Subftantiva 
und Verba, büfsen vor Endungen und Anfätzen der Flexion, Ableitung und 
Zufammenfetzung in bunter Weife Stücke von ihrem Ende ein; zum 
Theil find es Endungen oder Complexe, die man eben wegen diefes Abfalls 


438 Buschmann: das Lautfyftem der fonorifchen Sprachen. 


für folche halten kann; zum Theil gehören fie wefentlich zum Worte. Ich 
ftelle die Endungen in alphabetifche Folge: aca: pougu-aca Schaf, pougu- 
siki Wolle; co: hoco graben, ho-mela eine Grube machen follen; 20co be- 
graben, Zo-tuke er ift b.; uku: muk-uku fterben, muk-iki Tod u. a.; ge: 
naige anzünden, nai-ruc es ift angezündet; gua: maha-gua fürchten: maha- 
jäameke furchtfam, mahd-ruje erfchrecken;, thulagua es ift kalt: thul-ameke 
kalt, Zhula-ne mich friert, ke und ki: eke verfchlieisen, &-tuke es ift ver- 
fchloffen; petsi-ki auskehren, petsi-laca Befen; ni: gassi-ni zerbrechen, 
gassi-rigameke Scherben. — Solche Endungen und Ausgänge hat gewöhn- 
lich Steffel, bei Tell. fehlen fie öfter (oben S. 396"""); fo ca, co: kemaca 
Decke, *quema manta;, [chunucu u. *sund Mais, ajonoco u. *ayonod zürnen. 

Derfelbe Zug des Abwurfs mannigfacher Wort-Ausgänge, meilt we- 
fentlich Theile des Wortes, von denfelben Bildungen herrfcht in der Tepe- 
guana; meine Beifpiele find alle ein Confonant mit e (einmahl ö): me: 
tatame fühlen, tata-raga Gefühl; ne: toajane mit einem Dolch ftofsen, 
toajare Dolch; pe: nasa-pe falten, einwickeln: nasa-raga Faltung, Hülle; 
que: cuque pararse, cucu-sce parar algo, das merkwürdige Verbum muque 
oder moque als zweiter Theil wird (wie ich weitläuftig in den aztek. Spuren 
S. 81-83 entwickelt habe) zu mo (mu) allgemein und in vielen Derivationen: 
2. B. ba-muque unwillig werden: bamo-daraga Unwille, bamo-dade, bamo- 
tude ufw.; re (Verbal-Endung): cojo-re krank werden: cojo-dade u. cojo- 
camue krank, cojo-daga Krankheit; sce, sci (letzteres vgl. S. 416”), als 
eine Verbal-Endung zu betrachten: mai-sce mit Steinen werfen: mai-nada- 
mue apedreador, mai-naraga Steinwurf; cugg-an huli-sci ich ordne, cug huli- 
daraga Anordnung; cappi-sci mit der Hand fchlagen, cappi-naraga Schlag 
mit der Hand; Ze: ibuiste oder ibuisite ausruhen, ibusci-taraga (wenn £ nicht 
doch von Ze herrührt) Ausruhen (vgl. idos-ane athmen, ibus-taraga Athem). 

3) Zusatz: 

6 104. a) von Vocalen — Ihren Zufatz in fpan. Wörtern aus Scheu 
vor Confonanten-Verbindung und Confonanten-Schlufs habe ich bei der all- 
gemeinen Wortgeftalt (S. 393") berührt ; der Anfatz ö der Te. in coai effen 
(mex. qua) fällt in derivatis weg: coadaga Speife. Den räthfelhaften und 
eigenthümlichen Vorfchlag r der tarah. Sprache, fo ähnlich einem i der 
mex. Sprache, habe ich in der mex. Lautveränderung der fonor. Sprachen 
S. 470°“ behandelt; ich werde hier Zufätze dazu geben: *nire u. *inere 


1,104. Buchft. Veränd. 3) Zufatz: a) von Vocalen: i vorge/. in Ta. u. Te. 439 


werden; in najulu u. *nayuru krank seyn erhält das abgeleitete Subft. und 
Adj. *inagüi Krankheit, krank das i; ähnlich ift: pagöta abwafchen, tau- 
fen, pagotügameke u. ipagatigameke (3mahl) abgewafchen, getauft, Chrift; 
guel£ fett, igueleke Schmeer. Ich habe den Punkt erwogen, ob das i pron. 
3. pers. seyn könne? aber ich habe ihn verwerfen müflen ; ich glaubte das ö 
als pron. er wohl einmahl vorgeletzt zu finden, aber geltend ift ein ganz an- 
deres; hier könnte, da wir auch verba neutra vor uns haben, auch nur vom 
pron. subjeeti (er), nicht vom acc. (ihn), die Rede seyn; ich beachtete auch: 
*nigüe haben, befitzen, *inigue er hat, befitzt: aber auch das einfache fand 
ich fo ; ikitsiki u. *quicht verabfcheuen;; laca u. *lac Blut: elaca u. elala Men- 
fchenblut, *z/ac Blut (von Menfchen). Zu dem in Rede ftehenden gehört wohl 
nicht: ita Sache, Ding, auch *itabiri u. *labiri;, es ift wohl Abwerfung des ü. 
Dafs es auch Verba u. a. giebt, welche ohne (wenigftens vorkommende) Va- 
riation mit ö beginnen, zeigen die Wörter: itfchina verbergen, isiicu knien 
(vgl. tfehochco Knie); imari eine Art Tanz, isternil Maisteig.(') 


(') [Lange Jahre nachdem ich die Beobachtung diefes Vorlatzes i gemacht und dielen 
Vermuthungen und Gedanken nachgegangen war, im Dec. 1863, ilt mir durch das in einer 
Schlufs-Erklärung zu der gegenwärtigen Arbeit genannte vortreffliche Buch, das cuadro de 
las lenguas indigenas de Mexico por D. Francisco Pimentel, T.I. Mex. 1862, über diefes 
vorgeletzte i eine pofitive Aufklärung geworden: welche meinen Hauptgedanken über dalfelbe 
beftätigt, obgleich fie meinen Zweifel an der allgemeinen Anwendbarkeit auf den Vorlatz in 
der tarah. Sprache nicht verändern und ihn nicht im ganzen Umfange erklären kann. — Der 
Verf. berichtet nämlich aus der in feinem Behtz befindlichen Grammatik der Opata-Sprache 
vom Jefuiten Natal Lombardo (Mex. 1702): dafs in diefer Sprache einigen Verbis die Par- 
tikel Ai als Zeichen des unbeftimmten fächlichen Objects, wie ne des perlönlichen (er meint: 
etwas und Jemand) vorgeletzt wird. Die Worte lauten lo: „Za parzicula hi, dice Lombardo, 
se halla antepuesta d algunos verbos, y es nota de acusalivo de cosa implicita, pues entonces 
no se expresa; v.g., pak, barrer; hipak, barrer algo, sin decir que precisamente. De la misma 
manera ne es nola de acusalivo täcıto tratändose de persona; v.g., koa, matar; nekoa, matar 
& alguno.” —Denfelben irrenden Erfcheinungen begegnen wir in der Tepeg.: 1) Wenn wir 
wohl annehmen dürfen, dafs das einem Vocal vortretende j (S. 409"! 
bildet, fo befremdet ucague u. jucague warm werden. 2) Der Vorfatz a ilt anerkannt das 
unbeftimmte perlönliche Pron.: Jemandes, -dem, -den (+ dem mex. te); auffallend ift daher 
a-cuuy wiehern neben dem allg. Verbum cuuy für die Stimmen der Thiere. 3) Glaubt man 
in dem Vorlatz i das unbeftimmte Pron. etwas (+ mex. 2/a) vermuthen zu können; [o ilt [on- 
derbar, dafs er falt nur in dem Doppel-Verbum: machen, thun und feinen deriv. erfcheint: als 
Verbum wird ifuei angegeben, aber ich finde auch vwei; es bildet viele Zeiten und Formen 
von dem Stamm iddui- od. idui-, ich finde auch dui-; dazu gehört das Sublt. duni: Werk, Ar- 
beit; Gefchäft, Amt, Pflicht: auch idduni kommt vor. S. weiter S. 440°. ] 


) verba act. und caus. 


440 Buschmann: das Lautfyftem der fonorifchen Sprachen. 


In der Tepeguana finden fich von vuei und duni (f. S. 439") neben 
einander: v. a. dunitude u. iddun., dunicaruga u. iddun.; ifuadamue der 
macht, thut; Thäter: und jat vuadamue Tagelöhner; vuadati machend, 
thuend, Subft. vuadaraga; quistu an ifuei negociar fällt auf, weil quistu etwas 
felbft dabei fteht. 

$ 105. b) von Confonanten — 1) allgemein — ce vor einem Con- 
fonanten hinzugefetzt Ca. f. 8.435”; — 2) vorgefetzt vor Wörter: 5 und v 
f.S.420” "-1°. Unter den Mitteln „para fuavizar mas la Lengua”, nach ander- 
weitiger Bemerkung um den Zufammenftofs von Vocalen zu vermeiden 
(p- 5°), nennt Rin. (p. 5°”) in der Te. die Vorfetzung eines Confonanten, 
vorzüglich g oder c, vor Wörter, die mit Vocal anfangen: ftatt agidani 
(aguid.) ü oga: agidani cu öga fage deinem Vater; um tucuga bui güt (ftatt 
ut) Gicoga euer Fleifch hat unfer Herr genommen; er fügt aber eine Be- 
merkung über die Regellofigkeit der Sache hinzu, denn es ftänden in anderen 
Fällen auch die Vocale. In der Ta. findet fich öfter g und gu des Wohl- 
lauts wegen vorgefetzt, auch in der Mitte vor Anfätze (f. noch S. 426”'): ozse 
u. *oche, oder gotse u. *göche, auch otsela oder gotsela felbft; haa leben, 
haa-gameke belebt: und fo öfter -gameke ; repa es blitzt, repa-gameke das 
Blitzen; regui hinauf, regui-guiki Hügel (Zufatz gui?): doch vgl. guami re= 
guiki Himmel. — h und j vorgefetzt (auch eingefetzt) 1. $ 46 (S. 407) u. 50 
(S: 209"). 

3) hinten angefetzt — Am Ende tarahumarifeher Wörter erblicken 
wir öfters Endungen mit dem k-Laut: .c, ca, ke und ki: welche auch fehlen, 
oder wir fehn fie an das einfache Wort antreten; wefentlich find fie bald die 
Subft. Endung, bald ein Ausgang der Verba: c und ke — ke, kec u. köke 
oder *queque nein; cose, cosee oder cosek, coscke lange, vor Alters, ca: 
kilibaca u. *quiriba Kraut, Kräuter; und fo hat Tell. öfter das nackte Sub- 
ftantivum ftatt Steffel’s Subftantiv-Endungen; ki fehlt eben fo Tell. öfter in 
Verbis: mamatsiki: *mamacht, doch auch *mamachique beten; lomiki u. 
*Jomi weich feyn, petsiki u. *pecht fegen, kehren. 

In der Te. wird, zur Vermeidung von Vocal-Zufammenftofs, manch- 
mahl (Rin. p. 5"") dem Worte die feltfame Gruppe pt (vgl. S. 435”) ange- 
hängt: apipti dodde du haft es verdorben (tü lo echastes d perder) , apipt iddui 
du haft es gemacht, gethan. 


nn nme 


1 


un 
[80] 


Inhalts-Überficht. 


Einleitung zur Grammatik. 


[Anm.: diefe allgemeine Einleitung wurde [chon im Mai 1854 
mit den erlten Redetheilen mitgetheilt; fpäter entfchlofs ich mich auch das 
Lautlyltem, als ite Abth. der fonorifchen Gramm., auszuarbeiten.] Der Zweck 
meiner gröfseren Schrift ift, die Herkunft der Azteken aus dem Norden ver- 
mittelft der Sprache zu erweilen; die reine aztekiiche Sprache und ihre 
befchränkte und natürliche Verbreitung, dagegen die nördlicheren Sprachen 
mit aztekifcher Beimifchung. Der 3te und 1te Theil meiner Arbeit; der ge- 
genwärtige 2te befchäftigt fich, wie der 1te, allein mit vier Sprachen des 
nordweltl. Mexico’s: (ein Zweck ilt deren grammatifche Darftellung . 

Mein fonorifcher Sprachftamm und diefe 4 fonorifchen Haupt- 
[prachen (370); Lage der 4 Sprachen, andre Sprachen dieles Stammes 
nach früheren Angaben und meinen Entdeckungen. Es ift wichtig die Ver- 
hältniffe diefer fonorifchen Stammfprache genau darzulftellen; weil ein rein 
aztekilcher Dialect im Norden nicht gefunden wird, fo fragt fich, ob die [o- 
norilche Sprache die aztekilche in einem alten Zuftande oder aus ihr 
durch [tarke Veränderung entltanden [ei? wie man folche gewaltfame Um- 
wandlungen der Sprachen in Amerika vermuthen kann (371). Ob die 4 Spra- 
chen, wegen bedeutender Abweichung, vielleicht nur durch ihren aztekilchen 
Beftandtheil verwandt leien? welches Bild fie beinahe (theilweis) äufserlich 
gewähren; defshalb ilt ihre genaue grammatifche Darf[tellung fehr noth- 
wendig. Ich entferne den Gedanken, dals die fonorifche Sprache das nahuazl 
in einem früheren oder [päteren Zuftande feyn könne. Bedeutende Abwei- 
chung der 4 Sprachen von einander im Grammatifchen, trotz dem wird es 
mir gelingen ihre Verwandt[chaft an wichtigen Punkten zu beweilen und 
dem Sprachltamme dadurch feinen Halt zu geben (372 b 

[Anm. 1: Die Grammatik der 4 fonorifchen Hauptfprachen bildet den 
IXten Abfchnitt meines Werks der „Spuren der aztekilchen Sprache”; fie wird 
fich gelegentlich auch auf die andren fonorifchen Sprachen ausdehnen.] Noth- 
wendige Belchränkung diefer Grammatik, welche aber in vielen Fällen 
nicht [tatt finden kann; ich muls fogar mich über Mangelhaftigkeit des Ma - 
terials beklagen, befonders in 2 Sprachen. Hülfsmittel zu den Sprachen 
Tepeguana, Tarahumara (373), Cora; 2 ganz kleine hand/chriftliche Gram- 
matiken /Pilhelms von Humboldt (374). 


Philos.-histor. Kl. 1863. Kkk 


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Buscumann: das Lautfyftem der fonorifchen Sprachen. 


Meine Verlaffenheit in der Cahita-Sprache, in welcher ich auf die 
Texte des manual befchränkt war; Lehre, wie dürftig die Hülfe blolsen 
Textes für die Ergründung der Grammatik einer Sprache ift (374-5). Meine 
alte Concordanz der Cah., Ternaux’s Wortverzeichnils; einige Züge zur Auf- 
klärung, wie [chwierig in diefer Sprache die Ergründung der Grammatik fei; 
die mir fehlenden Pronomina (375). Lehre, wie dankbar man für eine [ehr 
unvollkommne Grammatik feyn mülle (376) SEHON: 

Meine Bemühungen, unterftützt von Gönnern und Eieogjen, zu der Be- 
nutzung des Buches Arte de la lengua Cahita (Mex. 1737. 12°) zu gelan- 
—. Bi die vergeblichen Bemühungen bei deflen Befitzer, Hrn. Aubin (376). 

Es ilt zu bedauern, dafs eine vorhandene fichere Arbeit noch einmahl ge- 
macht werden muls; doch ift es mir gelungen das meilte in der Sprache auf- 
zuklären (377) 


Erfte Abtheilung 
der fonorifchen Grammatik: 


das Lautfyftem 


der vier fonorilchen Haupt/[prachen. 


Einleitung. 


die 2te Abth. der (on. Grammatik, der Anfang der Redetheile, wurde 
von mir im J. 1854 gelefen; erft fpäter entfchlofs ich mich diefe 1te von 
den Lauten auszuarbeiten; 2 dazwilchen un air Arbeiten haben die 
Ausführung verlpätet 

Interefle des Geseniandeen Aufzählung Abd zu Abekshdäiudenn Stücke, 
welche grofsentheils unter den Buchitaben vereinigt werden müffen; Stellen 
von der Buchftaben-Veränderung . 

das Laut[yf[tem fpiegelt fich in dem Aetekilfhen Beftandtheil aan ae 
[panifchen Wörtern, wo auch die Buchftaben-Veränderungen erfichtlich find: 
von mir fchon früher dargeltellt; auch die Variationen deflelben Worts find 
aus dem aztekifchen Beftandtheil und meinem Verzeichnils gemeinfamer [o- 
norilcher Wörter erfichtlich R 

die Brage: ob das fonorilche Inaibyiiem Fein avec en ähnlich fei? 
ift zu verneinen; Berückfichtigung des letzteren hier . . - 


$ 10 feine und umfallende Erforfchung der W ortgeltalt (380); ihre Hülfe 


zur Entzifferung; Nafale vor mutis, Verbreitung und relative Häufigkeit der 
muta cum liquida in unfren Sprachen; Seltenheit von Labialen (381); ich 
werde mich nicht in diefe Mannigfaltigkeit der Wortgeltalt vertiefen, vieles 
davon aber berühren (382) ne 


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> 


gas 


Inhalts-Ü bericht. 


unfer Alphabet it unzureichend für die vielen Laute und Nüancen, 
jav. nd ulw.; die Darlteller der fonorifchen Sprachen bleiben uns auch 
manche Laute und Aufklärungen [chuldig (Sylbe auf Gonfonant: men-i), 
verfchiedne Schreibung läfst öfter (olchen befondren Laut ahnden ; mangel- 
hafte Darftellung der deutfchen Ausfprache (382), deutfches g und c% dop- 
pelt; unfer Alphabet reicht dennoch am beften hin für die Laute der fono- 
rifchen Sprachen und andrer überhaupt (383) . . » 

grolses Schwanken, Nachläffigkeit und Fehler, Druckfehler. in "den 
Quellen der 4 fon. Sprachen; nn Te.; Cah. (Anm. 383), Ternaux mit 
Stern *; Steffel, Cora . 

2 Daellen für die ee "Stoffer er Tellechen, ind ihre Dr 
ftellung durch mich . ale 

heftige Aus[prache dteler Ahtachei Weklibluiken - 


Ton und Accent. 


es bleibt oft zweifelhaft, ob mit dem Accent die Tonfylbe oder nur die 
Vocal-Befchaffenheit bezeichnet wird: er bezeichnet beides; er ift nur in 
Ta. und Co. durchgeführt, in der Te. und Ca. felten; in der Bezeichnung 
herrfcht viel Schwanken und Nachläffigkeit 

Angaben der Grammatiker, dafs die verfchiednen Kos önte ee ar 
terfchiede und verfchiedne Bedeutungen der Wörter bezeichnen; dazu 
Beilpiele und die in jeder Sprache gebrauchten Accente: Co. (385-6°°), Ta. 
(3fache Ausfprache der Vocale), Te. (der verdoppelte Vocal bedeutet eine 
Dehnung); Tarah. grofse Dehnung eines Vocals (386), Cora A nach dem 
Vocals (3370) ma .UE 

Gebrauch verfchiedener Accente aid Seiwerken dia (Ta), en 
Setzung auf verfchiedne Sylben (Ta.); Ca., Te.; zweier bei einander, Co. dreier 

der Accent bezeichnet auch wirklich die Ton{ylbe, ausdrückliche An- 
gaben der Quellen darüber und über feine Lage: Ta., befonders 7e2l.; Te. 
(Rin., der von kurzem und langem fpricht; er liegt meilt weit nach vorn); 
meine Beobachtungen: Accent auf 2 Sylben bei einander, auf dreien; Bei- 
(piele von der Lage auf verfchiednen Sylben: auf der letzten, vorletzten, 
drittletzten, bis 8ten vom Ende 


Lautfyftem im allgemeinen und Wortgelftalt. 


über die allgemeine Charakterilirung der einzelnen Sprachen, be- 
fonders in der Annäherung an ein volleres Lautlyltem; Wilhelms von Hum- 
boldt Schilderung der mexicanifchen Sprache, die noch an zwei Stellen ver- 
vollftändigt werden wird; die mex. Sprache ehe doch zu dem vollkomm- 
neren Lautlyliem . .... solle 

der mehr oder weniger neickie oen arme NW dathanı Yen (nicht 
durch viele Vocale) durch die Confonanten begründet; zu behandelnde Punkte, 
zuvor noch einige andre Gegenftände der Wortgeftalt: . 


Kkk2 


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Buscumann: das Lautfyftem der fonorifchen Sprachen. 


Reduplication — in der Ta. felten, Co. nicht häufig und ohne Belang 
(auch innere), Ca. auch felten (auch mehrerer Sylben, innere; 391); aber 
in der Te. herrfchend und bedeutlam: in der Grammatik und in Wörtern; 
dreifache, innere, eignes Lautgeletz; Verdopplung des Worts (Co.; 392) 

lange und kurze Wörter [. azt. Spuren, noch Beifpiele von langen; 
Beifpiel einer eigenthümlichen Wortgeftalt duelishh abe 

3 Sprachen gehören zur vollkommneren Woiigefkakth die Ta. ein- 
fach; Co. reich, Charakter der Ca.; einfacher Bau der Ta., Beifpiele und 
weiter Gebrauch einfacher Sylben auch in den andren 3 Sprachen (vorzüg- 
lich Te.); Scheu vor Confonanten-Verbindung in der Te., Anfatz von Vo- 
calen an das Ende fpanifcher Wörter in den einzelnen Sprachen 

vollkommnerer Sylbenbau: hier wird nur der Confonant am Ende 
des Wortes behandelt: die Ta. endet nur auf ve‘ außer c und k (n); 
Co. oft auf Confonanten 

die Tepeguana endet die Wörter an fich auf einen vol de lee 
oft, vorzüglich in der Verbindung, abgeworfen wird; der Vocal wird auch 
felbftftändig abgeworfen, auch befteht beides neben einander; dadurch ent- 
fteht zulammenftolsen von Confonanten zwilchen den Wörtern, Trennung 
zulammengeletzter willkührlich; manchmahl wird der Vocal wenig gelprochen 

Aufzählung der Confonanten am Ende: in der mexicanilchen und 
den 4 fonorilchen Sprachen 

die einzelnen Confonanten in Jöhäbreeilähier Beet mit Beigieen bet 
legt (die meilten Conlonanten in der Te.) 

Verhältnifs der Häufigkeit der tepeg. Brehftähen im Koh des 
Wörter; f. noch bei den Confonanten 

hier hätte ich die 2 Darftellungen der ES zu beikindelte ich 
liefere aber die Parallelen bei den Confonanten, hier nur: Endungen ftehend 
oder fehlend . 


Vocale. 


fe find das Aüffge Element; ihre Belfchaffenheit, Länge oder Kürze, 
f. meift beim Ton; in der Ta. 2- oder 3fache Ausfprache, danach unter- 
fcheiden fich Wörter: Co. eben [o, sal£illo 

I. einfache Vocale — die Sprachen befitzen die Isewöhnlichin, 
Schwanken in der Ta., Co.; es folgen die einzelnen Vocale nach der Reihe, 
mit Beifpielen und den nöthigen Bemerkungen: befonders über ihren 
Wechfel, über Häufigkeit in der Te. (vorzüglich der Anfangs-Sylben) 

I. Diphthongen. : 

alle Sprachen find reich mit Vocal-Verbindung begabt; nicht alle Zu- 
fammenftellungen bilden aber Einen Laut, fie werden auch manchmahl als 
zu trennen gefchrieben: ich werde aber diefe Eintheilung nicht berückfich- 
tigen, fondern behandle fie in ihrer alphabetifchen Reihe, y im Anfang bei 
den Confonanten MEELE NT ER ana) mie ai 


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Inhalts-Ü: berficht. 


die Doppelvocale find nicht [elten in der Ta. und Te.; die Cora ift reich 
an Diphthongen: deren eigne Ausfprache und Schreibung bei Ortega und 
mir, fie rühren manchmahl von ausgefallenen Conlonanten her; die Tren- 
nung beider Vocale in der Cora und Te. durch einen Strich bezeichnet, 
in der Ta. durch 2 Punkte; Wilh. von Humboldt über die mexicani- 
fchen Vocale 

Verdopplung des Vürslat — Reihe den Meale mit Beige, drei: 
facher Vocal . e 

Dipkehonngen one Doppellauteg2 eale. — Wörter mit meh 
reren, Wechfel im 2ten; Aufzählung der einzelnen Doppelvocale in alpha- 
betifcher Folge, mit Beifpielen belegt, in Reihen nach dem 2ten Vocal: 
1) die mit a (400-1) 2) mit e (401) 3) mit ’ oder y (ai und ei wechlelnd 
401-402) (401-2) 4) mit o (402) 5) mit zw (402-3). 

Triphthongen, drei oder vier Vocale — fie werden nach dei 
1ten Vocal aufgezählt, meift nur nach 3 Sprachen (da die Ta. wenig Theil 
nimmt); in 2ter Stelle z mit y wechfelnd, y als Conlonant . 

Aufführung der ben und u: mit ae Helge: ker 
mit a, e, i, o, u 30h. 30: 1ulahkh; 

Zulammentreffen von fünf aa £ 


Confonanten. 


zuerlt behandle ich die einzelnen Confonanten für fich, alle Bemer- 
kungen und Verhältniffe werden unter dem einzelnen abgehandelt . 

zunächlt find die Conlonanten aufzuzählen, welche der einzelnen Sprache 
fehlen und welche fie befitzt: die der mex. Sprache fehlenden und die in 
ihr vorhandenen, Darltellung FFi7h.’s von re fehlende Conlonan- 
ten in der Ta., Te. (der falt keiner fehlt), Co., 

allgemeine Züge und Vergleichung der 5 en in "dieferm "Stücke: 
a) allgemein b) alphabetifch nach den einzelnen Buchltaben (zuletzt j u. w) 

vorhandene Conlonanten in den 3 Sprachen 

nun werde ich die einzelnen Conlonanten- in Erftematälchen; Bolse 
behandeln und mit Beilpielen belegen; Folge der 4 Clalfen 

A. HAUCHLAUTE (und flülfiges j) — nahe der 3. 

1) # — in allen 5 Sprachen; allgemein und Beilpiele nach de 
Stellungen: Te., Co.; im ne in der ae am Ende; nach anderen 
Conflonanten . ; 4 

h fteht oder fehlt: im nei in de Mitte; in die Mitte einzeletzb; ha 
vorgeletzt, Ah in der Co. s 

r und [panifch j wechfeln: in der Ta. Erilchen heiten Qui mahi Ss 
Te.; > wechlelt mit y in der Ta. 

2) der Laut cz — gelchrieben: a) deirch deutfches cu von Steffel i in 
der Ta., wofür Tell. j [chreibt; Steffel’s ca dem Vocal der Sylbe nachge- 
fchoffen vor folgendem Conlonanten, das Tell. auslälst; Steffel allein; auch 
in aztekilchen Wörtern, vor einem Anhang . 


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St 


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an 


Buscumann: das Lautfyftem der fonorifchen Sprachen. 


b) gefchrieben durch fpan. , im Wechfel mit x: daher letzteres hier 
gröfstentheils mit behandelt wird — beide häufig, vorzüglich in der Te.: 
welche ich daher hier erledige; Ausfprache beider in der Te., Beifpiel; 
über Ta., Co., Ca.; Wechfel von j und x in der Te.; im m der 
Wörter fteht meift j, doch wechfeln beide auch hier . 

es wechfeln in der Diepegnana: j und y; im Anfange: i aa i id 
ji (auch j und ji oder Ai); j vor einem Confonanten (j2, j9); j wird in der 
Te. fehr oft einem Anfangs-Vocal vorgefetzt: im Gegentheil fällt ; im An- 
fange ab; j oder x treten in der Mitte an, g geht in x über; g vor e und; 
in der Ta; die Te. verwandelt manchmahl fpan.jins . -. - 

c) gelchrieben durch fpan. x — das meifte fteht fchon beim j, Torzüglich 
die ganze Te.; hier ift nur die Cora zu behandeln, welche nicht mit j 
wechfelt: Ausfprache unbekannt, es ift fehr häufig; Beifpiele: im Anfang, 
am Ende, in der Mitte; am Ende der Sylbe vor einem Conlonanten; der 
Ta. und Ca. fehlt x . . Nam Aulksrzim Hz 

3) der Laut s (deutfch) - — in dr Ta. j "und * ty, in den andren Spra- 
chen r gefchrieben: daher ich beide zufammenfaffe; Wechfel von j und *y 
der 2 Darfteller der Ta. in Beilpielen; y confonantifch in 'Triphthongen, 
vocalifch und mit z abwechfelnd in Diphthongen; z und y wechlelnd im An- 
fang in der Ca., mit A f. bei A; — y fteht: 1) im Anfang: Co. und Te.; 
2) in der Mitte zwifchen Vocalen kann y Vocal i oder Conlonant j feyn: 
daher es bei den Triphthongen behandelt ift; in der Ta. fetzt Tell. y zwi- 
fchen Vocalen ein; Co. yy ım Anfang, j und *%y er in der Endung 
-jameke der Ta... . - Se er 

B. zıovipaE — allerteide Theorie, belsnaliss n and zn ın nichren Be- 
ziehung zu den mutis; Verwechslung von 2 liquidis . - 

4) z — fehlt der Co., im Anfang der Mex. und Te.; Beifpiele in Er 
Sprachen — Hinneigung zum a: in der Te. zum Theil ähnlich dem r aus- 
gefprochen; häufiger Wechfel und Schwanken mit r (vielleicht ein gemifch- 
ter Laut), eigentlich müfste einiges beim r ftehn (411); in der Ta. werden 
nach Tell. beide verwechfelt, Steffel hat aber 2 gewählt: Wechlel in diefer 
Weife zwifchen beiden; bisweilen haben beide 2 oder r, auch fchwankt St. 
in fich; — in der Te. [chwanken beide Buchftaben gelegentlich oder werden 
in einander verändert, befonders wird fpan. / zu r; in der Co. wird [pan. Z 
zu r, in der Ca. wechfeln beide; — 7 und n fchwanken (Ta.) (412) 

2) 22 (d. h. 1j) — fehlt wohl allen Sprachen: der Ta.; in der Co. wird es 
zu r, die Mex. befitzt nur Doppel-7 

3) m — eine Verwechslung [. bei n 

4) n — wechfelt mit » in der Ca., Strich über dem Vocal; auch in der 
Ta. manchmahl m gefprochen 

5) %— nach dem Sanskrit, einzeln erfcheinend in 2 Sprachen: Co. in 
einem Wort; in der Te. befonders für in vorjundA . . 

6) a — fehlt der Mex.; im Anfang auch der Co., beinahe der Ca. ud Te.; ; 
fonft häufig, wie fein Wechfel bei / zeigt; fein Vorkommen in der Co., Ca. 


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Inhalts - Überficht. 


und Te.; in 2 Sprachen fehr gelinde Ausfprache: in der Ta. Lehre Tell.’s 
und St.’s (hier befteht daneben noch ein ftarkes = in der Co. Ortega’s; 
viele r in einem Worte der Ta. 

[ftarke Wechlel des r f. bei 7 und (in ad Ta. ) t, d a rin . Te, 
rh in der Ta. und Cora o 

C. ZISCHLAUTE — Aufzählung ; als x 

4) s, z, ss und e (vor eund:) im allgemeinen — fie find wahrfcheinlich 
das [charfe [; s fehlt der Mex. und Co., über ce und ss; ob [anftes [ vorhanden 
fei? sc der Te. = Ich gehört in die 2te Clafle 

a) s — fehlt der Mex. und Co. (dafür z), doch Aenak Co ; san hier 
Ta., Te., Ca.; s vor e und z f. bei c und sc 

ss — oft in der Te. und Ta.; man follte aus ss und c auf ein fanftes ( 
fchlielsen; in der Ta. gebraucht St. s und ss: Beifpiele von ss, Tell. fchreibt 
nur s; beides zugleich bei St.; Beilpiele von ss in der Te., Wechfel mit s 

sc in der Tepeguana (vor eundi), befonders sc? — wäre an fich für 
das [charfe ( zu nehmen, aber nach Rin. ift es wahrfcheinlich eine Art ch; 
Grund den Buchftaben hier zu laffen; Rin.’s Angaben über feine Aus[prache, 
Schlüffe daraus, Verhältnils zu s; sce ift (eltner, wechfelnd mit se; — sei 
hat einen grolsen Umfang: Beifpiele; sci oder sc wechfelt mit s, ss, c; sce 
und sci als Verbal-Endung fallen ab, das fragende scz zu sc’ verkürzt . 

sc Vor a, o, u gehört nicht hierher: nur dals Te. sei in fie übergeht; s% 
in einem Worte der Ta. b er! 

b) e vor e und ? — ilt für [charfes r zu eis in Ric Ta. nur in 
wenigen Wörtern (dafür s); gebraucht aber in den andren 4 Sprachen: der 
Te. (nicht oft), Co., Ca.; öfter ce und s wechlelnd gefchrieben 2 

ec) z— wohl das fcharfe f: ift in der Mex. und Co. [tatt s gewählt, 
der Ta. fehlt es; zu [cheiden nach 2 Vocal-Arten, vor e und i {treitet es 
mit c; in der Te. kommt es öfter vor (vor dunklen late: in der Co. ilt 
es fehr herr[chend, befonders vor e und ;; in der Ca. [elten; z und s wech- 
feln: in der Te. oft (auch ss), in der Ca. 1mahl 

2) zs und zz — find £—+- [charfem s; wo vorhanden: in Mr Ta. ts ik 
Steffel, 1mahl wechfelnd mit ss und z/ch; Tell. fetzt dafür allgemein ch, 
felten s, 1mahl zr; zz ift in der Co. (auch Mex.) fehr häufig, in der Ca. wech- 
felt es oft mit ch 

D. ASPIRIRTE —_ Aufzählung ünd Theorie der Tanften hard 
fcharfen, englifche Afpiration 

4) ”j und @j — fehlen; ob 1mahl s% in der Ta. diels bedeutet? 

2) sca — in der Ta. als fcr St.’s, in der Mex. als & vorhanden; 
Spanier und Portugiefen haben aus Verlegenheit für diefen Laut x gewählt, 
Wiln’s von Humboldt Correlpondenz mit Alaman; in der Ta. hat Steffel 
öfter /ch, wofür Tell. s fetzt; die Te. behitzt wohl in ihrem sc(i) den Laut 

3) zscu — befitzen alle 5 Sprachen, gefchrieben durch das fpan. ch; 
nur Steffel [chreibt in der Ta. i/ch, Tell. dafür immer cA; fpan. c% f. auch 


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S 


un 


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Buscumann: das Laut/yftem der fonorifchen Sprachen. 


für ts und zz; in der Te. ilt ch [ehr [elten, das fpan. ch wird zu sci; in der 
Co. oft manchmahli=!mex.te; N Ca Au Hr EEE 

E. aurar — Eintheilung: 

4) P-Laute: a) » — überall vorhanden, Wechfel 

b) z — fehlt nur der Mex.; in der Co., Te., Ca.; in der Tarah. wer- 
den 5 und p viel verwechfelt: Steffel hat hrehr p, wogegen Tell.  fchreibt; 
doch ftimmen auch beide überein: im p, noch mehr im 5; aber auch umge- 
kehrt hat St. # und Tell. p; auch wechfeln beide Buchftaben bei demfelben 
Darfteller; — in der Te. Verwandlung oder Zutritt von d . 

& wechfelt 2) mit v (Te. f. beiv): in der Ta., imahl Ca. 3) mit u 4m m 
5) gu und g (Ta.) 

c) vr — (» kommt nicht voi) fehlt i in er Mex: a MM aber norkäcden 
in den 4 fon. Sprachen: der Ta., Co., Ca.; — in der Te.: hinzutretend; es 
wechlelt mit 5 ([. anderes da), f, p; mit den Vocalen vu und o im ne 
mit g oder gu in der Ta. 

d) r — fehlt in 3 fon. und dere mex. Sprüche, ara enfcheire nur 
felten in der Te., in der Ta. wird dafür p gelprochen; in der Te. wird es 
im Anfang zu p, Wörter mit f; wechfelnd mit p und v. 

2) K-Laute — Beilpiele mehrerer zulammen in Einem Wort 

a) Laut x — ausgedrückt durch c, gu, k; k fehlt in er vor- 

handen in der Ta. und Co. (hier vor e) Jar 5 

«@) x — in der Ta. [chreibt Steffel vor e und ik: vor a, o, u (eltiter k, 
meilt c; ob er durch A einen rauheren Laut ausdrücke? c und & wechlelnd; 
— in der Co. erfcheint k gelegentlich vor a, nie im Anfang; es ift allge- 
mein vor e (auch que kommt vor), [teht auch am Ende; — Wechfel des k 
(. bei c, gu, t; in der Ta. St.’s k manchmahl bei Tell. g oder gu, auch bei 
St. felbft wechlelnd; kr Ta. f. fpäter . 5 

£) ce — (vor a, o und v, und am Ende) — it külgerteins in ‚der Tarah. 
[chreibt St. gewöhnlich ce (bisweilen x), Tell. immer: Beifpiele beider vor 
Vocalen; St.’s % [chreibt Tell. c; ce und k am Ende; — ce in der Te., Co., 
Ca.; ck, e in qu verwandelt; es wechlelt in der Ta. mit g, in der Ca. gar mit» 

%) ev — hauptlächlich vor e und i, doch kommt es in der Co. auch vor 
a vor; diefe Sprache gebraucht vor e k, doch 2mahl gu; in der Te. g am 
Ende; — ich handle nun allein von que und gui: in der Te., Ca.; in der 
Ta. fchreibt es nur Tell., St. %; ce vor dunklen Vocalen wird vor hellen zu 
qu: Ta., Ca.; gu vor hellen in der Te. beim Eintritt dunkler zuc. & 

b) e — Schwierigkeiten, entftehend durch [eine ver[chiedne Aus- 
fprache vor a, o, u und vor e, i; und durch die Schreibung gu vor e und ;; 
es fehlt in 3 Sprachen, ift nur vorhanden in der Ta. und Te.; g vor a, o, 
u: in der Ta., Te.; gu vor dunklen Vocalen: Ta., [. noch v e 

ge und gi häufig in der Te.: wohl gewöhnlich (gh) zu fprechen, Be 
g mit gu wechfelt; im Anfang kommt nur gu vor; in der Ta. kommt g vor 
e und i bei Tell. einige Mahle vor, ift da aber wohl der Hauch = j: es 
wechfelt auch mit j; auch wirkliches ge kommt vor 


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Inhalts-Ü berficht. 


gue und gu: find häufig in der Tarahumara bei beiden Darltellern: 
Beilpiele von Steffel; Angaben und Unterfuchung darüber, wo u gelprochen 
wird (nebft Zeichen dafür bei Tell. und mir) und wo nicht; Wörter Tell.’s 
ohne Zeichen, Beilpiele zur Unterftützung beider Züge; Wörter Tell.’s und 
St.’s neben einander, in denen u gefprochen wird 
in der Tepeguana wird u in gue und gui, da fie oft ar ge a gi 
gefchrieben werden, wohl nicht gelprochen; diels fieht man am Übergange 
in ga und umgekehrt; Beilpiele von gue und gui; — die Veränderungen 
von g und gu find [chon BR g vorgeletzt (Ta. und Te.) und weg- 
fallend (Ta.). ‚gr ALT? s 
ce) cu, Js und x — die aspirata — ilt Km formell) zu detie Bachs 
lauten geftellt; Steffel’s kr im Anfang einiger tarah. Wörter 
3) T-Laute — Beifpiele von mehreren in einem Worte 
a) z — in allen 5 Sprachen herrfchend, es ift hier nur von feinem 
Wechfel zu handeln: fein Übergang in k und e in der Ta. . . 
ein grolser Zug der Tarahumara ilt das Schwanken zwifchen z und a; 
zwei Äufserungen Tell.’s; Beilpiele: 1) Steffel fchreibt z und r zugleich, 
Tell. r 2) St. z, Tell. r 3) beide haben z, r; St. allein z, r. 
b) a— befitzt allein die Te., doch in einigen Wörtern der Ta. N 
Co.; Beilpiele feiner Häufigkeit in der Te. 
c) th — vereinzelt in der Ta. bei Steffel (bei Tell. r), Co. und Ca. 


Confonanten-Verbindung. 


ich fchicke voraus die Verdopplung deffelben Conlonanten — ihre 
Bedeutung; fie ift nur häufig in der Te. und trifft da falt alle Confonanten, 
Aufzählung der in der Co. und Ta. verdoppelten; die Confonanten nach 
der Reihe mit Beifpielen, gröfstentheils der Te. angehörend / 

Einleitung in den 2ten Abfchnitt der Confonanten:' welcher der 
VERBINDUNG derlelben, falt immer zweier, gewidmet ift und die voll- 
kommnere Wortgeltalt entwickelt; der Wortichlufs und manches allge- 
meine ilt [chon früher behandelt; 2 Confonanten am Ende, Verbindung 
dreier; die vorkommenden Verbindungen haben aber meift wenig Verbrei- 
tung, die verlchiednen Stufen der Sprachen find fchon früher bezeichnet; 
die Ta. wird hier felten erfcheinen, Aufzählung ihrer Verbindungen; die 
fpanilchen und mexicanilchen Wörter find eigentlich nicht zu rechnen . 

verfchiedenen Werth haben der Zufammenfto[s von Confonanten im 
felbftftändigen Worte und der durch grammatilche Verbindung oder Weg- 
fall von Vocalen entftandene: Ca., Mex.; unbegrenzt in der Te. durch 
Wegfall des Endvocals in der Verbindung ® 

hier ift der Ort für allgemeine Bemerkungen über die Wortgeftalt: 
fonderbare Wortgeltalten und eigenthümliche Verbindungen in der Co., 
die Confonanten-Verbindungen der Mexicana; zur Entwicklung der 


Philos.-histor. Kl. 1869. L1l 


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Buschmann: das Lauifyfiem der fonorifchen Sprachen. 


EINZELNEN VERBINDUNGEN wiederhole ich das ka Syftem, wobei der 
erfte Confonant die Stelle beftimmt: . . . ih. elar: 5 

A. Hauchlaute — Nachklingen eines en nach dem ve vor 
einem Confonanten: des % in der Co. (ch der Ta. und x der Co. find [chon 
bei den Conlonanten behandelt): Beilpiele, Aufzählung der zweiten Conlo- 
nanten in den 3 Sprachen; die Verbindungen j5 und jqu der Te. [. früher 

B. Ziquidae — 1) z — leine Verbindungen in alphabetifcher Reihe 
mit Beifpielen belegt: 7%, m, In, Is, 2 2) m — Ai natürlich vor 5 und p 
b) (ehr befonders vor Zifchlauten: s, tz; und vor 2, x 

3) x — in mein der Ca. vor allen Confonanten; n Ka natürliche 
und mannigfaltige Verbindungen ein, aber auch anomale mit 2 und p: ne, 
nd, nm, np, ns; nt ilt die natürlich(te und häufiglte: 1) Beifpiele aus der 
Te. und der Co. in der Mitte 2) in der Cora ilt [ehr merkwürdig und dem 
Javanifchen ähnlich n2 (auch nc) im Anfang von v.a.; ndr, ntz, nx 

4) a — geht mannigfache Verbindungen ein: rd, re, rm, rn, rs, ru, rz 

C. Zifchlaute — hier kommen nur vor s (meilt in der Te.) und z 
(meift in der Co.): 

4) s — am natürlichften und häufigften verbunden mit 2 und dem 
k-Laut: sc (vor a, 0, u), sd, sm, squ, st (bei uns fo häufig: öfter in 3 [on. 
Sprachen, nicht in der Co.) . . .» 02. 1 Suse 

2) z — hauptlächlich mit den harten mutis, Me in der a zC, 
zch, zn, zp, zt (oft am Ende), zen . 

D. alpirirte Zifchlaute — von ihnen it ae zu sc L De s 

E. aur4e — die Verbindung der muta cum liquida, in unlren Sprachen 
fo herrfchend, ift den fon. Sprachen nur [ehr [chwach eigen 

4) P-Laute — ihre Verbindungen unter [ich find in den [on. Sr 
chen häufig, widerftreben aber unleren Sprachen: davon ilt a) die unmittel- 
bare Verbindung [eltner und nur in der Cora: prn, dm, bp; b) hauptlächlich 
in benachbarten Sylben, mit Vocalen nach fich; dazu auch n; Beifpiele der 
Häufung; Gruppen: 1) p-6 und p-m in der Ta. 2) (meift Te.) 2-» (befon- 
ders Reduplication des 5 in der Te.), d-v, 5-m 3) en en v-p (Redupl. 
des v), v-m 4) m-b (Ca.), mv (Te.) 


nun erft werden die Verbindungen der einzelnen im ganzen BSH 


a) P — pm, pr, ps, pt 
b) 2 — bm, bp, br . E an 
2) K-Laute — es find nur Neihindunsen von c cha 
c — in der Ca. vor einem Confonanten Be feine natür- 
lichen und eigenthümlichen Verbindungen: cd, em, en, er, cs, ct, ciz 


$ 100 3) T-Laute — nur z und (mit Einer Verbindung) 7% find zu nennen: 


a) 7 — in der Ca. vor einem Confonanten hinzugeletzt, eigenthüm- 
liche Verbindungen; 6, tm; in häufig in der Cora: 1) am Ende 2) it. vor 
einem Vocal 3) im Innern (auch 1imahl Ca.); ir 

b) @ — die Sprachen vermeiden dr, doch zeigt es einmahl die Ta. 

c) tR — einmahl in der Cora . 


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Inhalts - Über/icht. 


Buchftaben-Veränderung. 


$ 101 von dem ganzen grofsen Capitel wird hier nur einzelnes ftehn, da faft 
alles bei den einzelnen Buchftaben (Confonanten) oder anderwärts ab- 
gehandelt ft . 

8 102 41) VERÄNDERUNG — Mn über see BRhRsken gern eehslangen 
in der Ta.; Veränderung von Vocalen in der Te., von Confonanten 
in der Ta.; Te. g wird zu d; von der Variation der Gonfonanten zwilchen 
den Sprachen bemerke ich aus den Redetheilen nur 2 Züge: Ta. z = Te. s, 
Te. x ift aus ce oder 2 andrer Sprachen verändert F 

8103 2) WEGFALL — a) von Vocalen; — b) von alone ten‘ und 
Sylben: allgemein, im Anfang; — am Ende: in der Ta. büfsen Subltantiva 
und Verba vor Anlätzen Endungen oder Stücke von ihrem Ende ein: Bei- 
fpiele in alphabetilcher Reihe der Endungen; bei Tell. fehlen die Endungen 
öfter; derfelbe Zug des Abwurfs von Wort-Ausgängen herrfcht in der Te., 
immer Conlonänten mit e: Folge dieler Endungen mit Beilpielen : 

$ 104 3) Zusatz — a) von Vocalen — in [pan. Wörtern [. früher, Anfatz 
i in der Te.; der räthfelhafte Vorfchlag oder Vorlatz : in der Tarah.: 
nicht nur vor verbis activis, (ondern auch neutris, Subft., Ad). Le die 
Vorlätze Ri in der Sprache Opata, i in der Desesl & 

S 105 b) von Confonanten — 1) allgemein: c 2) Eneslitr vor Wör- 
ter: 5 und v f. früher; in der Te. vor Vocale, vorzüglich g oder c; in der 
Ta. g und gu, auch in der Mitte; % und j [. früher; 3) hinten angeletzt: in 
der Ta. Endung c, ke u.ä. in Subft. und Verbis: Tell. fehlen öfter diele 
Endungen; p? in der Te. ir, Sol: 


Inhalts - Überficht 

Erläuterung belondrer Shhoaßzpichen 

Weile der Citation . s 

Schluls-Erklärung über die Ei Peteruna diefer eammatik 


———— mn 


L1l2 


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1. Erläuterung befondrer Schriftzeichen. 


’; — durch ein Häkchen vor dem jod bezeichne ich den fanften alpirirten Zifchlaut, 
der dem fcharfen fch zur Seite fteht; den Laut des franzöfifchen j in jour, oder des franz. g 
vor e und i (general) 

d’j — [o bezeichne ich den mit dem T-Laute zufammengefetzten lanften alpirirten 
Zifchlaut, welcher dem fcharfen und harten tfch zur Seite fteht; den Laut des englifchen j (in 
joy) oder des engl. g vor e und i (general); ich habe diefe Erläuterung über beide Buchftaben 
gegeben S. 417°, ein Beilpiel ihres Gebrauchs [. S. 382"" 

üöü — durch ein Dach (franzöfifchen Circumflex, fpanifche capucha) bezeichne ich 
willkührlich in der Tarahumara das w, welches in der Verbindung gue und gui vor dem e 
oder i ausgelprochen wird (güe, g&i) — [. die Lehre über diefen Fall S. 425°” und weiter; 
die erfte Stelle, wo diefes & vorkommt, ift S. 387° 

nre, weux — über die Bedeutung diefer zwiefachen, gleichbedeutenden Art der 
Schreibung von 2 oder 3 Vocalen in der Cora: mit ftehender Schrift in der Zeile (zuerft 
S. 386°; dann 387°, 399", 410 Z. 3 und weiter) oder (wie bei Orzega) mit kleinen Buch- 
ftaben über der Zeile (8.397", 399° Zmahl, 407”” und weiter fort; beide zugleich S. 388"") 
— [. die Erläuterung $. 398-399" 

* — ein Stern vor Wörtern bezeichnet in der Tarahumara die aus T'ellechea (dem 
fpanilchen Darfteller der Sprache) entnommenen Wörter (f. S. 273”"-4°, 384”); in der 
Cahita die Wörter in Ternaux’s Wortverzeichnils, welches er aus der Arte de la lengua 
Cahita entnommen hat ([. S. 375” und 383""-4.) 


2. Citation. 


Dem Lefer bin ich fchuldig die Eigenthümlichkeit der in meinen Schriften geübten 
Citations- Weile zu bemerken: vermöge deren ich durch Zufatz von Buchftaben-Chiffren 
zu den Seitenzahlen der citirten eignen und fremden Schriften die beftimmte Stelle der Seite 
oder die zermini bezeichne, an der oder innerhalb deren der Gegenftand fich findet (wie 
folche in meiner vorftehenden Schrift zuerft in der Anm. auf S. 374, dann auf S. 379 in 2.12 
und 14 [f. dazu die Anm.] vorkommt). Ich theile nämlich die Seite in 3 Drittel und jedes 
Drittel wieder in 3 Theile, und diefe 9 Theile deute ich durch folgende Buchftaben an: 

a, aa, af; m, mm, mf; n, nn, nf; 
für das ent[chiedene Ende der Seite (die paar letzten Zeilen) gebrauche ich noch das blolse f 
(finis), ohne dadurch meine Neun-Theilung zu [tören. Gegen das Ende meines Werkes 
der Spuren der aztekifchen Sprache habe ich, in der Einleitung zu meinem geographifchen 
Regilter (S. 716), mich noch ausführlicher über diefe Einrichtung geäulsert und auch die 
Scala diefer Seiten-Eintheilung abgebildet. 


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3. Schlufs-Erklärung 


über die Erweiterung diefer Grammatik. 


In der alten allgemeinen Einleitung zu der hier begonnenen [onorifchen Grammatik 
vom Jahr 1854, [o wie in dem neuen Eingange zu diefer Iten Abtheilung derfelben von 1862 
habe ich diefe allgemeine Arbeit genannt: eine Grammatik der vier lonori[chen Haupt- 
[prachen; uud erklärt, dafs ihr Gegenftand,, aufser gelegentlicher Einmifchung andrer, diefe 
4 Sprachen, von denen allein wir oder ich ausführliche Hülfsmittel befitzen, darum allein ich 
fie auch Hauptfprachen genannt habe, feyn würden; auf fie befchränken fich auch diefe ite, 
das Lautlyftem behandelnde Abtheilung: und die alte Arbeit vom Jahre 1854, die erften Rede- 
theile: Artikel, Subftantivum und Adjeetivum enthaltend (die 2te Abth.), welche, die gegen- 
wärtige Ite Abtheilung erwartend, noch ungedruckt geblieben ilt. Jene Befchränktheit gram- 
matilcher Hülfsmittel befteht aber nicht mehr: Im Sommer des Jahrs 1863 kam mir die kleine 
Grammatik des Eudeve (Heve language) in Shea’s library of american linguistics in die 
Hände, eine der Pima-Sprache (Nevome) darin ift auch er[chienen. Am 12 Dec. 1863 fchenkte 
mir die Güte des Herrn Legations-Raths von Wagner, jüngften preulsifchen Minilter - Refi- 
denten in Mexico, ein neues in Mexico er[chienenes Buch: cuadro descriptivo y comparativo 
de las lenguas indigenas de Mexico por D. Francisco Pimentel, Tormo I. Mexico 1862. 8°; 
in welchem ich mit freudigem Erftaunen für mich einen kleinen Schatz, eine kleine Gram- 
matik von 2 fonorifchen Sprachen, neben andren und neben der Tarahumara, erblickte: der 
Opata oder Teguima und der Cahita. Der rühmenswerthe Verfalfer hat aus den in feinem 
Befitz befindlichen koftbaren und [eltenen Hülfsmitteln für die Sprachen Mexico’s (Gramma- 
tiken und Wörterbüchern) kurze Grammatiken znfammengeltellt. Ich werde dadurch auch 
aus meiner, [o lebhaft gefchilderten, traurigen Lage in Beziehung auf die Sprache Carita be- 
freit: indem er aus der von mir [o lange und fo eifrig erfehnten Arte de la lengua Cahita, Mex. 
1737. 12°, die er befitzt, einen Auszug geliefert hat; es bleibt mir jedoch immer noch das 
tiefe Bedauern das Buch nicht felbft benutzen zu können, weil ich nun beftimmt erfahre, dafs 
daflelbe auch ein kleines Wörterbuch enthält. — Nach diefen Umftänden habe ich den Titel 
der hier begonnenen Grammatik aus der in der Einleitung genannten Fallung: einer Gram- 
matik der vier fonorifchen Haupt[prachen in den allgemeinen: einer [onorifchen 
Grammatik umgewandelt, der jedoch immer noch in wefentlicher Befchränkung gemeint 
ift; und ich beabfichtige, wenn gleich fie hauptfächlich jenen 4 fogenannten Hauptlprachen 
gewidmet bleiben wird, die neu gewonnenen Sprachen, — von denen allen ich ja auch, 
mühlam aus Wörtern oder Texten (vorzüglich dem Vaterunfer) gezogen, grammatilche Züge 
und Nachrichten in meinen Spuren der aztekilchen Sprache geliefert habe —: aber in kurzer 
Weile, da ja auch das Material an Wörtern und Beifpielen bei dem Mangel von Texten und 
Wörterbüchern in ihnen gering ilt; jenen vieren anzufchliefsen und in den erften Rede- 
theilen, der noch ungedruckten 2ten Abtheilung der Grammatik, der alten Arbeit vom Jahre 
1854 einzufügen. In der 3ten Abtheilung, dem Zahlwort, welche vor der 2ten Abtheilung 
im Druck er[cheinen wird, trete ich mit 15 Sprachen auf. — 4 März 1864. 


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ET, Das Zus | 2 


Zwei Sepulcralreden aus der Zeit Augusts 
und Hadrıans. 


„Von 
Hr NTOMMSEN. 


annnannnanA Ren 


[Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 26. October 1863.] 


I. 
Grabrede auf die Turia, Gemahlin des Q. Lucretius Vespillo 
Consuls 735. gestorben zwischen 746 und 752 d. St. 


” den längst bekannten ansehnlichen Überresten einer Gedächtnifsrede 
aus augustischer Zeit, welche auf verschiedenen in Rom gefundenen Marmor- 
tafeln erhalten sind, treten zwei neue Bruchstücke hinzu, auf die die Vor- 
arbeiten für das corpus inscr. Latinarum die Herausgeber desselben, zu- 
nächst Hrn. G. B. de Rossi hingeführt haben, ein gröfseres bisher unge- 
drucktes, das sich unter den Sammlungen Sirmonds gefunden. hat, und ein 
kleineres schon länger bekannt gemachtes, auf dessen Zusammengehörigkeit 
mit den übrigen Fragmenten Hr. de Rossi bei Revision der epigraphischen 
Collectaneen des Suarez aufmerksam ward. Es scheint angemessen bei der 
Wichtigkeit dieser Urkunde die Vervollständigung derselben nicht bis zum 
Erscheinen des betreffenden Theils der Sammlung anstehen zu lassen 
und damit zugleich die nicht überflüssige Textrevision der bereits bekannten 
Fragmente, so wie ein ähnliches bisher weder gehörig herausgegebenes noch 
an die rechte Stelle gebrachtes Document zu verbinden. Wenn die hinzu- 
gefügten Bemerkungen den Gegenstand nicht erschöpfen, so wird man dem 
Herausgeber in diesem Falle es hoffentlich Dank wissen, dafs er lieber un- 
vollkommene Untersuchungen dem Publicum vorgelegt, als ihm noch länger 
ein wichtiges Actenstück vorenthalten hat. Im Ganzen kennen wir von 
jener Gedächtnifsrede jetzt die folgenden vier Bruchstücke. 

1) Fragment von 41 Zeilen, deren Anfänge enthaltend, an den übrigen 
drei Seiten defect, in eine Wand des römischen Cistercienserklosters bei Tor 


456 Mommsen: 


de’ Specchi unter dem Abt desselben Ferd. Ughelli eingemauert, seitdem 
verschollen. In den barberinischen Papieren finden sich drei von einander 
unabhängige Abschriften: von Suarez cod. Vat. (sonst Barb.) 9140 p. 134, 
von Ughelli in der donischen Handschrift (cod. Barb. 34, 73) f£.1=598 und 
von einem Ungenannten cod. Barb. 30, 92. Hiernach ist das Fragment 
ziemlich fehlerhaft gedruckt von Marini iser. Alb. p. 142 (daraus Orelli 
N. 4859 Bd. 2 S. 351); ich gebe es nach jenen drei von mir selbst in Rom 
verglichenen Abschriften. 

2) Fragment von 10 oder vielmehr, da eine leere Zeile in der Mitte 
und vielleicht auch eine am Schlusse in der Abschrift nicht angegeben sind, 
von 11 oder 12 Zeilen, an allen vier Seiten defect, gefunden in Rom bei 
Capo di Bove oder dem Grabmal der Metella, erhalten in den ehemals bar- 
berinischen, jetzt vaticanischen Papieren (Vat. 9140) von Suarez (f. 140 und 
weniger genau f. 141), danach gedruckt bei Marini (Arvali p. 38). Die 
letzte beschriebene Zeile dieses Bruchstücks setzt die zehnte des ersten fort, 
wodurch die Stellung des Fragments sich bestimmt. 

3) Fragment von 40 Zeilen, an allen vier Seiten defect, ohne Orts- 
angabe erhalten in den Sirmondischen Papieren der Kaiserlichen Bibliothek 
in Paris (cod. Lat. 9696 — sonst suppl. Lat. 1417 — n. 116) und bisher un- 
gedruckt. Die Abschrift ist gut und rührt sicher von Sirmond selbst her. 
Dieses und das zweite Bruchstück haben wohl einst zusammengehangen, so 
dafs dieses das zweite nach unten fortsetzt. Die ersten 30 Zeilen desselben 
schliefsen an Z. 13-42 des combinirten ersten und zweiten Fragments an, 
so dafs beide Bruchstücke zusammen eines von 52 Zeilen bilden, von denen 
Z. 1. 42-52 am Anfang unvollständig sind. 

4.5) Zwei gleich grofse Bruchstücke, jedes 54 Palmen hoch und 
1 Palm breit, von je 69 Zeilen, das eine die Anfänge, das andere die 
Mitteltheile enthaltend, so dafs zwischen beiden durchgängig nur 2-4 Buch- 
staben untergegangen sind, nach oben und in den Zeilenschlüssen defect, 
dem Beschauer links und nach unten vollständig. Beide Platten, ihrer Gröfse 
und ihrer Gestalt nach offenbar späterhin als Schlufssteine für die Bestattungs- 
plätze der römischen Katakomben verwendet, fanden sich in derjenigen der 
heiligen Helena und kamen von da zuerst in das Museum Carpegna, sodann 
in die Villa Albani, wo sie noch sind. Herausgegeben sind sie von Fabretti 
168, 323 (vgl. p.226), Marini iser. Albane p. 136 (daraus Orelli 4859) und 


Zwei Sepuleralreden aus der Zeit Augusis und Hadrians. 457 


in der indicazione antiquaria per la villa Albani (Rom 1803) p. 107 fg. 
Ich habe die Steine vor Jahren selbst verglichen und auch eine von den 
HH. Jordan und Kiefsling gemachte Revision benutzt, überdies die Stellen, 
bei denen mir Zweifel blieben, durch Hrn. Henzen verificiren lassen. 

Die Reihenfolge der Bruchstücke steht fest, da die drei ersten und 
wieder das vierte und fünfte zusammenhängen und die beiden letzten den 
Schlufs der Rede enthalten. Wie viel zwischen den beiden Massen von 52 
und 69 Zeilen mangelt, läfst sich nicht besümmen. — Eine genügende Be- 
arbeitung auch der schon länger bekannten Bruchstücke fehlt; nur die klei- 
nen meist ohne Schwierigkeit auszufüllenden Lücken zwischen dem vierten 
und fünften Bruchstück hat gröfstentheils bereits der erste Herausgeber Fabretti 
ergänzt. Was Taylor in seinem Lysias (London 1739) p. 684 sq. über diese 
Urkunde beibringt, will nicht viel bedeuten. Die Ergänzung eines Theils 
des ersten Fragments hat Huschke versucht (T. Flavü Syntrophi instru- 
mentum donationis. Breslau 1838. 4. p. 54 sq.); indefs hat das neu auf- 
gefundene sirmondische Bruchstück, das eben die von Huschke durch Ver- 
muthung ergänzten Zeilen in authentischer Weise vervollständigt, Huschkes 
Vorschläge als so durchaus und unbedingt verfehlt erwiesen, dafs es gerecht- 
fertigt erscheint dieselben nicht weiter zu berühren. Dagegen enthält der 
kurze Aufsatz von Philipp della Torre (in Calogera raccolta d’opuscoli vol. 28 
p- 129-139; wieder abgedruckt bei Orelli Bd. 2 S. 352-355) einige für die 
Zeitbestimmung der Inschrift brauchbare Bemerkungen. — Die unten folgen- 
den Ergänzungen rühren im Wesentlichen von mir her, nur dafs ich die Er- 
gänzung der Zeilen 1, 3. 4. 8 grofsentheils und die der kleinen Lücke 2, 40 
dem Hrn. Degenkolb verdanke; die beibehaltenen fabrettischen Ergänzungen 
zu unterscheiden schien nicht nöthig. Die Gröfse der Lücken zwischen dem 
ersten und dem zweiten Fragment, die nur 1, 9. 10. 11 unmittelbar zusam- 
menschliefsen, folgt daraus, dafs in den Zeilen 1, 3-11 das erste Fragment 
allmählich von 10 auf 26 Buchstaben steigt, also schräg gebrochen war, das 
zweite dagegen durchgängig 14-18 Buchstaben enthält, also der Bruch hier 
gerade ging, wie ihn auch die Abschrift zeigt; man wird also so ergänzen 
müssen, dafs in den bezeichneten Zeilen die Summe der erhaltenen und der 
zwischen Fr. 1 und Fr. 2 ergänzten Buchstaben sich auf 40-42 stellt. Die 
ursprüngliche Gesammtlänge der Zeile mit völliger Sicherheit zu bestimmen ist 
mir dagegen nicht gelungen, obwohl im Ganzen nicht viele — etwa 12-20 — 


Philos.-histor. Kl. 18693. Mmm 


458 Monmnmsens: 


Buchstaben an dem Ende der Zeilen mangeln. Um so mehr habe ich darauf 
verzichtet die Ergänzungen in strengem Gleichmafs dem Raum anzupassen, 
vielmehr mich nur bemüht durch dieselben den grammatischen und sachlichen 
Zusammenhang des Erhaltenen deutlich darzulegen. — Ich lasse nun die 
Bruchstücke selber folgen, zunächst die beiden neu hinzutretenden so wie 
sie in den Handschriften vorliegen, sodann den gesammten Text mit gewöhn- 
licher Schrift und interpungirt. Die die langen Vocale unterscheidenden 
Apices, resp. das lange I sind durch die uns geläufigen Accente angezeigt, 
die öfters die Kommata trennenden gröfseren Spatien durch das Zeichen $. 
Jeder Absatz ist im Original ausgezeichnet durch das Vorspringen der Zeile 
und durch gröfseren Anfangsbuchstaben. 


Zweites Fragment nach Suarez. 


RVM - PROBI 1 
AERMANSISTI - PROb\ 
VM-DIEM - VTROQVE PA 
ANECVM - EGO : INMACEDC 
FRICAM - PROVINCIAN 
IETÄTIS - PERFVNCTAEF, 
ISSIMVS-NON- AMPLIV\ 
ANCTISSIMA - FEMINA » S 
Ö : PROPTER - CVSTODIA 
GIO : TE-IN DOMVM - MA 


So An m WR Mi 


» 
o 


m 
-_ 


Zwei Sepulcralreden aus der Zeit Augusts und Hadrians. 459 


Drittes Fragment nach Sirmond. 


een - QVO-NOS-ERAMVS-HEREDES:RVPT .... 
or ORE-ITA - NECESSARIO -TECVM -VNIVERSIS-PAT.. 
se AGITABANT -RECCIDISSE-SOROREM-OMNI.... 
en NCVPATA -ESSET-CLVVIO-QVA-MENTE:ISTA-ACC... 
» ..SI- AFVI- CONPERTVM -HABEO - 
- .. VTATA-ES- TESTAMENTVM-RVPTVM-NON -ESSE-VT.... 


25 


es 


0 


35 


0.. 
ER SIS:E— 
. M » PLVRVMIS - NECESSARIIS - TVM - PRAECIPVE - PIETATI- PRAESTI... 


U... 


. M-OMNIA - BONA : SOLA-POSSIDERES - CERTA -QVI......... 


. . AM-VT-SI-NON-OPTINVISSES-PARTITVRAM-CVM-S ...... 

. . NEM-TVTELAE-LEGITVMAE-VENTVRAM-QVOIVS-PER ..... 

- . GENS-VLLA-PROBARI-POTERAT-QVAE-TE-ID-FACERE ....... 

- . TVM-RVPTVM-ESSET-TAMEN.-IIS-QVI-INTENDEREN ...... 

. „ ON-ESSENT 

» . EENEQVE-AMPLIVS-REM-SOLLICITARVNT-QVO-FACTO...... 

. „ INNOS.PATROCINIVM-SVCCEPTVM-SOLA-PEREGISTI ..... 

» „. MATRIMONIA - FINITA -MORTE - NON - DIVERTIO-IN ...... 

. » XXI-SINE-OFFENSA - PERDVCERETVR - VTINAM -VETVST.... 
. A-QVA-IVSTIVS-ERAT- CEDERE - FATO - MAIOREM - 


IAE-OPSEQVI- COMITATIS-FACILITATIS-LANIFICIIS- TVIS ...... 


. „. NATVS-NON-CONSPICIENDI- CVLTVS-MODICI-CVR ....... 


. VM: AEQVE - MATREM - MEAM - AC. TVOS -PARENTES - COL.... 
VERIS - CETERA - INNVMERABILIA - HABVERIS - COMMVN.... 


. „ MAM- COIENTIBVS-PROPRIA-SVNT-TVA-QVAE-VINDICO-AC.... 
. .„ ALIA - PATERENTVR -ET - PRAESTARENT - QVAE-RARA . VT- ESSENT 


. „ M-ACCEPTVM-AB-PARENTIBVS- COMMVNI - DILIGENTIA - CONS.... 
. „ QVIRENDI - TIBI-CVRA-QVOD- TOTVM - MIHI - TRADIDISTI - OFFICIA ... 
. ELAM - TVAE - FORTVNAE - GEREREM - TV - MEAE - CVSTODIAM:SVST .. 


M.NE.TVA - PROPRIA -» MECVM »- COMMVNICEM . SATIS - SIT - MI... 


.IS -» ALIAS - NOMINAVERIT - VNAM . DVMTAXAT - SIMILLIMAM... 


. ABVISTI - SOROREM - TVAM - NAM - PROPINQVAS - VESTRAS- D.... 


FICIS - DOMIBVS - VESTRIS - APVD- NOS -EDVCAVISTIS -EAEDEM - V.... 
. AE-VESTRAE - CONSEQVI - POSSENT-DOTES -PARASTIS- QVAS -QVID... 


. „. VNI- CONSILIO -EGO -ET-C- CLVVIVS-EXCEPIMVS-ET-PROBANTES .. 

. .„NIO. VOS.- MVLTARETIS - NOSTRAM-REM - FAMILIAREM -SVB...... 

. „IN - DOTES - DEDIMVS- QVOD-NON: VENDITANDI - NOSTRI-C...... 

. „LIA- VESTRA - CONCEPTA - PIA -LIBERALITATE -HONORI -NO ........ 
ER IESS: 

ES AESTEVASTERAÄBETDERMIETENDASS ern. 


'Mmm 2 


10 


15 


20 


25 


Monmmsen: 


ee rumpLobiiee Br 
TUN ef a Leo. PEEMANSISEINDFOR HL ee Lehen) en See 
Orbata es re[penzte ante nuptiar]jum diem utroque pa[rente in penatium soli- 
tudine una o[ccisis. per te maxi]me, cum ego in Macedo[niam abissem, 
vir sororis tua[e €. Cluvius in A]fricam provinciam, [non remansit inulta 
mors parentum. 
Tanta cum industria m[unere pJietätis perfuncta ef[ fecisti inquirendo et 
vindicando, ut, si praes[£o fu]iss|e]mus, non ampliu[s praestitissemus. at 
haec habes communia cum || [sJanctissimä feminä s[orore zZua. 
Quae dum agitabas, ex patria dom||ö propter custodia[n pudicitiae sumpto 
de nocentibus supplicio evest||[i]gio te in domum mal?erterae contulisti, ubi 
adventum meum expectast[:. 
Temptatae deinde estis, ut testamen[ Zum patris,] quo nos eramus heredes, rupt[um diceretur 
coemptione facta cum uxo|[re: ita necessario te cum universis pat[ris bonis in 
tutelam eorum, qui rem || agitabant, reccidisse: sororem omni[um rerum 
fore expertem, quod ema||ncupata esset Cluvio. qua mente ista acc[eperis, qua üis prae- 
sentia animi restiteris, et||si afui, conpertum habeo. 
Veritate caussam communem || [2]utata es: testamentum ruptum non esse, ut [uziergue potius 
hereditatem teneremus quallm omnia bona sola possider@s, certä qui[dem senzentia 
te ita patris acta defensur||am, ut si non optinuisses, partitüram cum s[orore te existi- 
mares: nec sub condicio||nem tutelae legitumae venturam, quoius per [/egem in te ius non 
esset, neque enim familia||[e] gens ulla probari poterat, quae te id facere [cogerer: 
nam etsi patris testamen||tum ruptum esset, tamen iis qui intenderen[? ron esse id 
ius, quia gentis eiusdem n||on essent. 
Cesserunt constantiae tual|e neque amplius rem sollicitarunt: quo facto [reverentiae in patrem, 


Dvm Don. — TERMANS - ıstı Suar. f. 141. 

novum caput non indicat Suar. — ORBATA-ES-R Suar., ORORBATA ES RL Barb. 30, 
OBLATA ES RI Don. 

© post vNnA habet solus Don. 

va Suar. Don., ıv Barb. 30. 

PARENTIVM Barb. 30. — Versum vacare in fr. secundo non indicat Suar. 
PRAESI Don. Barb. 30, PRAES Suar. — ISSIMVS Suar. 

HAC HABES COMVNIA Barb. 30.— cv}, Barb. 30., cvm Don., Cv Suar. 
von Barb. 30, Do Suar., DAM Don. 

NE pro DE Marini err. typ. — svrLıcıo Barb. 10. 

EXPECTAS Don. 

vr Suar. Don., svı Barb. 30. — vxo]||ore traditur. 

coMPTIONE Barb. 30. 

EXPEPTEM Barb. 30, EXPERTEN Don. 

ET om. Don. 

MARES Suar. Barb. 30, MORES Don. — CONDITIO Don. 

ıvs Suar. Barb. 30, vıs Don. 


30 


35 


40 


45 


50 


Zwei Sepulcralreden aus der Zeit Augusts und Hadrians. 461 


pietatis in sororem, fide||[i] in nos patrocinium succeptum sola peregisti. 

Rara sunt tam diuturna || matrimonia finita morte, non divertio in[zerrupta: nam contigit 
nobis, ut ad annum XX||XXI sine offensa perduceretur. utinam vetust[um ita extremam sub- 
isset mutationem vice ml[e]a, qua iustius erat cedere fato maiorem. 

Domestica bona pudici|[Jiae, opsequi, comitatis, facilitatis, lanificiis tuis [edsiduizatis, religionis 
sine superstitione, o]|[rJnatus non conspiciendi, cultus modiei cur [memorem ? cur dicam de tuorum cari- 
tate, familiae pietate, || [cJum aeque matrem meam ac tuos parentes col[ueris eandemque requiem 
illi quam tuis cura||veris, cetera innumerabilia habueris commun[i« cum omnibus 
matronis dignam f||[a]mam co[7Jentibus? propria sunt tua, quae vindico ac [raedico, si qui in 
similia inciderunt, ut t|lalia paterentur et praestarent, quae rara ut essent, [Rominum 
fortuna cavit. 

Omne tuom patrimoniu|lm acceptum ab parentibus communi diligentia cons[ervavimus: 
neque enim erat adq]juirendi tibi cura, quod totum mihi tradidisti. officia [ira par- 
titi sumus, ut ego tu||[z]elam tuae fortunae gererem, tu meae custodiam sust[ineres. multa 
de hac parte omitta||m, ne tua propria mecum communicem: satis sit [%oc] mi[rz zuwis 
de sensibus || [indi]casse. 

Liberali]tatem tuam c||[w]m plurumis necessariis tum praecipue pietati praesti[ziszi 
Sareseneeeeee.. 15 alias nominaverit, unam dumtaxat simillimam [zur 
eerseeeennne... Ajabuisti sororem tuam: nam propinquas vestras d|ignas eiusmodi 
eeesnenenee.. of ]ficiis domibus vestris apud nos educavistis. eaedem u[? condicio- 
nem dignam famili]ae vestrae consequi possent, dotes parastis: quas quid[em a vobis 
constitutas comm]uni consilio ego et C. Cluvius excepimus et probantes [liberalitatern, 
ne vestro patrimo]|nio vos multaretis, nostram rem familiarem sub[ didimus 
nostraque praedia] in dotes dedimus. Quod non venditandi nostri c[aussa reztuli, 
sed ut illa consi]lia vestra concepta pia liberalitate honori no[s duxisse consta- 
ret exequi de nos |tris. 

en ee  NANTHANDTAELErTIILTeN daR PUB = Eur. ZW SR 


* * 


28 
30 
31 
35 
37 
38 
40 


41 
42 


AD om. Suar. 

pvpicı Suar., PvDic Don., pvpicıtıa Barb. 30. 

SVPPERSPITIONE Barb. 30. 

VT-F pro VT-T Marini err. typ. 

PATRIMONIY Suar., PATRIMONIV Don.; PATRIMONIVM Barb. 30. 

AD-C Suar. Barb. 30, Eo Don., EQ_Mar. — QVIRENDI Sirm. 

OMITTA Suar., OMITT Don., OMMıTT Barb. 30. — Inter SIT et Mı chartae pars exsecta est duarum fere 
litterarum capax. 

DE SENSIBVS Suar., IN Don. (ex sENsidus opinor), om. Barb. 30. 

22... TATEM-TVAM:C Suar., om. Don. Barb. 30. — PRAECIPVA-PIETATE malim. 


10 


[57 
[97 


30 


Mommses: 


een... nn.» Non minus enim tibi quam ipsi Caesari hoc debeo 
me patriäe redditum & se, [na]m nisi parasses quod seryar[e?, etiarn Caesar 
inäniter op&s suas pollice[re/Jur. ita non minus pietati tu[ae guam clementiae illius 
me debeo. 
Quid ego nunc interiora [no]stra et recondita consilia s[eerezto pectoris 
eruam? ut repentinis nu[n?]iis ad praesentia et inminen[zie vitanda excita- 
tus tuis consiliis cons[er]vatus sim? $ ut neque audaci[@ adripi me 
temere passä sis et mod[es]tiora cogitanti fıda rece[pracula pararis 
sociosque consilioru[m {Juorum ad me servandum d[ederis sororem 
tuam et virum eius C. Clu[viu]m, coniuncto omnium per[icul/o? non finiam, 
si attingere coner. $ sat [es ]t mihi tibique salutäriter m[e Zazuisse. 
Acerbissumum tamen invi[/@] mihi aceidisse tuä vice fatebo|r, reddito iam non inutili 
cive patriae benificio et i|ud]icio apsentis Caesaris Augusti, [guom per te 
de restitutione mea M. L[epi]dus conlega praesens interp[ellarezur ei ad eius 
pedes prostrata humi, n[on] modo non adlevata, sed trä|cza ez servilem in 
modum rapsäta, livöri[dws c]orporis repleta, firmissimo [animo eum admone- 
res @dieti Caesaris cum g[rJatulatione restitutionis me[ae auditisque verbis cor- 
am contumeliosis et cr[udJelibus exceptis volneribus pa[/am ea praeferres, 
ut auctor meörum peric[w/Jorum nötesceret. $& quoi noc[uiz mox ea res. 
Quid häe virtute efhicäciu[s]? praebere Caesarı clementia[e Zocum et cum cu- 
stodiä spiritüs mei not[a|re inportunam crudelitatem [esresia tua 
patientia? 
Sed quid plura? $ parcamu[s] örationi, quae debet et potest e[wire, ne exiliter maxi- 
ma opera tractando pa[r]um digne peragamus, quom pr[o documento 
meritörum tuorum oc|u/is] omnium pra6feram titulum [vitae servatae. 
Päcätö orbe terrärum, res[zi£ut]ä republicä quieta deinde n[odis et felicia 
tempora contigerunt. fujeru]nt optati liberi, quos aliqua|maiu sors invi- 
derat. $ si fortuna procede[re e]sset passa sollemnis inservie|ns, quid utrique no- 
strum defuit? $ pröcedens a[7i]äs spem [/Jiniebat. quid agitav[eris propter hoc quae- 
que ingredi conata sis, f[ors] sit an inquibusdam f@minis [conspicua et admirabi- 
lia, in te quidem minime a[dmni]randa conlata virtütibu[s Zuis reliquis, praetereo. 
Diffidens f&cunditati tuae [e2 dJolens orbitäte meä, ne tenen[do in matrimonio 
te spem habendi liberos [dep]önerem atque eius caussa ess[ern infelix, de divertio 
elocuta es, $ vocuamque [do]mum alterius fecunditati t[e tradituram, non alia 
mente nisi ut nota con[co]rdiä nosträ tu ıpsa mihi di[gram con- 


PATRIAE Marini; accentus hodie latet. 


PASSA-sIs lapis errore opinor quadratarii: nam apex hic ferri nequit. 
post SAT punctum non adest nec certa est littera quae post lacunam sequitur ı vel po- 
tius T; fortasse fuit SATIST. 


s EINIEBAT lapis. 


F//MSIT-AN lapis cum punctis inter vocabula. 
fin. extremae litterae vestigium adest =» fortasse T. 
fin. ı in ipsa fractura apparet potestque haberi etiam pro E cet. 


35 


40 


45 


50 


55 


60 


65 


Zwei Sepulcralreden aus der Zeit Augusts und Hadrians. 463 


dicionem quaereres p[ara]r&sque, ac futurös liberös tfe communes pro- 

que tuis habituram adf[irma]res, neque patrimoni nos[Zri, guod adhuc 

fuerat commune, separa|2i]onem facturam, sed in eodem [arbitrio meo id 

et si vellem tuo ministerio [fu]turum: $ nihil seiüinctum, ni[Ail separatum te 
habituram, sororis soc[rusve] officia pietatemque mihi dfeinceps praestituram. 

Fatear necessest adeö me exa[rsi]sse, ut excesserim mente, adeo [exkorruisse ac- 
tüs tuös, ut vix redderer [mi]hi. agitari dıvertia inter nos [ante quam 
[flat dieta lex esset, poss[e Ze a]liquid concipere mente, qua[re viva desineres 
esse mihi uxor, cum paene [e]xule me vitä fidissuma perman[sisses]. 

Quae tanta mihi fuerit cu[pid]itäs aut necessitäs habendi li[deros, ut propterea 
fidem exuerem, mutare[m cjerta dubiis? sed quid plura? [rermansisti 
aput me; neque enim ce[der]e tibi sine dedecore meo et co|mmuni infelici- 
tate poteram. 

Tibi verö quid memorabi[Z#us] quam inserviendo mihi o|peram dedisse te, 
ut quom ex te lıberos ha[d]ere non possem, per te tamen [haberem ei diffi- 
dentiä partüs tui alteriu[s cJoniugio parar&s fecunditat[em ? 

Utinam patiente utriusqu[e a]etate procedere coniugium [potuisset, donec e- 
lätö me maiore, quod iu[stiJus erat, suprema mihi praesta[res, antea vero super- 
stite te excederem orbitat[e fJiliä mihi supstitutä. 

Praecucurristi fät6, delegast[?] mihi luctum desiderio tui nec libe[ros habentem solum vi- 
rum reliquisti. flectam ego q||uoque senstis meös ad iudicia tu[a, @ te destinatam adoptans. 

Omnia tua cogitata praescri[p]ta cedant laudibus tuis, ut sint mi... . ... 
desiderem, quod inmort[aii]tati ad memoriam cönsecrat ..... . . 

Fructus vitae tuae non derunt [m]ihi. occurrente fämä tuä firma[zus animo et 
doctus äctis tuis resistam fo[rZJunae, quae mihi non omnia £rip[uit, cum Zaudi- 
bus crescere tu memoriam [pas]sa est. sed quod tranquilli statüs e[raz, tecum 
ämisi, quam speculatricem e[? p]ropugnätricem meorum pericul[orum cogitans calamı- 
tate frangor nec permane[re] inpromisso possum. 

Naturälis dolor extorquet const[ an ]tiae vir&s: maerore mersor et quibu[ s angor /uctu taedioque 
in necutro mihi cönst6: repeten[s p ]ristinos casüs meös futurosque eve|nzus ab omni spe de- 
eido: mihi tantıs talibusque pr[aesi]diis orbatus, intuens famam tuam n|on Zam fortiter pa- 
tiendo haec quam addesider[ urn] lüctumque reservatus videor. 

Ultumum huius örationis erit omn[i@] meruisse te neque omnia contigisse mi| hi ut praestarem 
tibi. legem habui mandata tu[a:]quod extra mihi liberum fuerit, pr[aeszado. 

Te di män&s tuı ut quietam pat[i@]ntur atque ita tueantur opto. 


extrema littera fuit aut D aut P. 

EATO lapis. 

extr. ultimum elementum potest esse C, G, O0, Q. 
in fine versus spatium vacat, 

extr. spatium vacuum adest. 


464 Monmmsen: 


Das Document, dessen Trümmer uns hier vorliegen, ist sehr eigen- 
thümlicher Art oder vielmehr in seiner Art einzig. Es ist eine Gedächtnifs- 
rede des überlebenden Ehemannes auf seine Gattin und man zählt darum 
gewöhnlich unsere Urkunde den bekannten Zaudationes funebres bei, denen 
Cicero in seinen Büchern vom Redner einen eigenen Abschnitt gewidmet 
hat (!), ja man pflegt sie als das hauptsächlichste uns von dieser Gattung aus 
dem Alterthum erhaltene Beispiel zu betrachten. Dabei ist indefs übersehen, 
dafs diese Laudationen, auf dem Markt vor der versammelten Menge ge- 
halten, sich durchaus an die Bürger wenden, wie dies unter anderm das 
erhaltene Bruchstück einer solchen Rede auf den jüngeren Scipio Africanus 
deutlich darthut (?). In dieser Weise ist auch die Laudatio der Murdia 
abgefafst, die sich selber als solche bezeichnet (?), und ebenso die unten 
mitzutheilende aus der mittleren Kaiserzeit. Unsere Rede dagegen wendet 
sich durchaus und ausschliefslich an die Verstorbene und es wird in ihr 
nirgends ein zuhörendes Publicum vorausgesetzt; so dafs es richtiger scheint 
die Form als eine rein individuelle zu betrachten, als eine in Gestalt einer aus- 
führlichen Ansprache des Gatten an die verstorbene Gattin abgefafste Grab- 
schrift, die deren Verdienste um den Gatten zu ihrem Inhalt hat. — Die 
Epoche, der die Inschrift angehört, bestimmt sich dadurch, dafs die 
Ehe zwischen dem Sprecher und der Angeredeten, nach den unten zu 
entwickelnden historischen Daten zu urtheilen, zwischen 706 und 712 ge- 
schlossen und nach einundvierzigjähriger Dauer durch den Tod der Frau 
beendigt ward (*). Da die Grabrede sicher unmittelbar nachher aufge- 
setzt worden ist, so fällt deren Abfassung zwischen 746 und 752 d. St., 
vor Chr. 8 und 2. — Zu dieser Epoche stimmt auch die Orthographie. 


Das Accentuationssystem erscheint hier in seiner ganzen Vollendung: zur 


() de orat. 2, 11; vgl. Marquardt 5, 362. 

(?) Schol. Bob. in Cic. Mil. p. 283: eodem tempore perüt, cum et vobis et omnibus qui 
hanc rem publicam salvam volunt maxime vivo opus est, Quirites. Dasselbe zeigt das Frag- 
ment aus der Gedächtnilsrede Caesars auf seine Tante Julia (Sueton Caes. 6). 

(°) Orelli 4860: guom omnium bonarum feminarum simplex similisque esse laudatio soleat. 

(°) Da der Bruch I, 27 gerade zwischen XX und XXI fällt, so könnte das zweite X 
in der Mitte gebrochen und sowohl auf dem einen wie auf dem andern Fragment erkennbar 
gewesen sein, wo dann nicht XXXXI, sondern XXXI gelesen werden mülste. Indels 
findet diese Möglichkeit nirgends eine weitere Unterstützung und es ist daher bei der Über- 
lieferung zu bleiben. 


Zwei Sepulcralreden aus der Zeit Augusts und Hadrians. 465 


Unterscheidung der Länge sind die vier Vocale a eo u mit dem Apex ver- 
sehen, das ö dagegen über die Linie verlängert(!). Unter den erhaltenen und 
sicher datirten Documenten ist dieses wohl das älteste, worin dies Differen- 
zirungssystem der kurzen und langen Vocale in umfassender Durchführung 
uns entgegentritt, wenn gleich Spuren desselben, namentlich das Zeichen über 
dem w und das lange i, schon auf den Münzen der letzten republikanischen 
Zeit erscheinen. Bemerkenswerth ist ferner, dafs der Genitiv des Singulars 
der 2. Declination stets auf i, nicht ö, (opsequi 1, 30; patrimoni 2, 36), 
dagegen Dat. Abl. des Plurals derselben stets auf zös auslautet (consilüs 2, 6; 
dubüs 2, 45; üs 1, 23; lanificüs 1, 30; necessarüs 1, 42; ... ficüs 1, 45); 
vgl. isset 1, 29. — Es findet sich necessest 2, 40 und derunt 2, 58, ferner 
tuom 1, 37, volneribus 2, 17; dagegen durchgängig Cluvius (1, 16. 47. 
2, 9), nicht Clovius. — In den zwischen v und z schwankenden Formen ist 
u constant: acerbissumum 2, 11; fidissuma 2, 43; plurumis 1, 42; ultu- 
mum 2, 67; emancupata 1, 16; legitumae 1, 21. — Es findet sich quoi 
2, 18 und guoius 1, 21; ferner quom als Partikel 2, 23. 49 neben cum 1, 
4. 32. 42, während die Präposition stets cum geschrieben wird. — Die Prä- 
fixe ad, con, in, sub, werden in der Regel nicht assimilirt:: es findet sich ad- 
firmares 2, 36; adlevata 2, 14; adquirendi 1,38, dagegen attingere 2, 10 — 
conlata 2, 30; conlega 2, 13; conpertum 1,17, dagegen communem 1,18 — 
inminentia 2, 5; inmortalitati 2, 57; inportunam 2, 20 — succeptum 1, 26, 
wie auch Virgil schrieb. — Zwischen den vollen Formen agitav ... 2, 28; 
curaveris 1, 33; educavistis 1, 45; nominaverit 1, 43 und den zusammenge- 
zogenen delegasti 2, 54; expectasti 1, 12; sollicitarunt 1, 25 wird gewech- 
selt. Neque steht ebenso wie nec vor Vocalen (neque: 1, 22. 25. 38. 2, 46; 
nec: 2, 63) wie vor Consonanten (neque: 2, 36; nec: 1, 21). Im Einzelnen 
ist noch hervorzuheben aput 2, 46 — apsentis 2, 12; opsequi 1, 30; opti- 
nuisses 1, 20; supstituta 2, 53 — caussam 1, 18 — reccidisse 1, 15 — be- 
nificio 2, 12 — divertium 1, 27. 2, 41 — f[ors] sit an mit den Trennpuncten 
vor und hinter si£ statt des jetzt gangbaren forsitan 2, 29 — vocuam 2, 33 — 
nec utro statt neutro 2, 63, endlich die Frequentativa mersare 2, 63 und be- 
sonders rapsare 2, 15. — Der Stil ist ziemlich geschraubt und erinnert mehr 
an Velleius als an Cicero, was die Ergänzung beträchtlich erschwert. 


(‘) Freilich haben die Abschreiber diese Accente im ersten Fragment ganz, Sirmond im 
dritten dieselben grölstentheils übersehen. 


Philos.-histor. Kl. 1863. Non 


466 Mommsen: 


Den Namen des Sprechers so wie den seiner Gattin enthalten die 
Überreste nirgends; warum jener der Consul des J. 735 Q. Lucretius Ve- 
spillo, diese also dessen Gattin Turia sein mufs, wird zweckmäfsiger im 
Verlauf der Entwickelung des sachlichen Inhalts unserer Rede ‚dargelegt 
werden. — Der Anfang der Erzählung fehlt und auch die geringen Überreste 
der beiden ersten Zeilen gestatten nicht einmal einen sicheren Schlufs auf 
den Gegenstand, von dem hier die Rede war, vielleicht dem Verlöbnifs. Wo 
sie für uns verständlich wird, beginnt sie mit einem Bericht über den Tod 
der Ältern der Frau, die in Rom gleichzeitig und durch Mörderhand, ver- 
muthlich durch das eigene Gesinde umkamen, und über die Bestrafung der 
Mörder, welche, da die Ermordeten keine Söhne hatten, die Schwieger- 
söhne aber von Rom abwesend waren, hauptsächlich von der Verstorbenen 
in Gemeinschaft mit ihrer Schwester bewirkt ward. Von Wichtigkeit ist die 
Angabe, dafs damals der Sprecher nach Macedonien abgegangen war, sein 
Schwager C. Cluvius nach der Provinz Africa. Erinnert man sich, wel- 
cher Epoche die Inschrift angehört und dafs wir den Sprecher bald nachher 
unter den Proscribirten des J. 712 finden, so kann es keinem Zweifel unter- 
liegen, dafs beide Männer den aristokratischen Kreisen Roms angehört und 
als solche in ihrer Jugend sich an dem Kampf der Pompeianer gegen Cäsar 
betheiligt haben. Der Sprecher ging nach Macedonien und mag also bei 
Pharsalos 706 mitgefochten haben; sein Schwager befand sich gleichzeitig in 
der Provinz Africa, wo nach Überwindung der Cäsarianer unter Curio P. Attius 
Varus für die Senatspartei befehligte (1). Dafs zu dieser Zeit der Sprecher 
und die Angeredete zwar verlobt, aber noch nicht vermählt waren, ist nach 
der ganzen übrigen Erzählung wahrscheinlich und wird aufser Zweifel gesetzt 
durch die meines Erachtens unzweifelhaft richtig ergänzten Worte 1, 3 [ante 
nuptiarjum diem. — C. Cluvius, der Schwestermann der Verstorbenen, 
kommt öfter in der Rede vor (1, 5. 16. 47; 2, 9) und ist die einzige Person 
aufser Augustus und Lepidus, die darin mit Namen genannt wird. Wir 
kennen aus den Münzen einen Mann dieses Namens, der in Caesars dritter 
Dictatur, also 709, in dessen Auftrag als praefectus, wahrscheinlich in und 


(‘) An sich könnte man auch an die gleichartigen Vorgänge nach Caesars Ermordung 
denken, wo M. Brutus Macedonien, Q. Cornificius Africa für die Optimatenpartei behaupte- 
ten. Aber die weitere Erzählung zeigt, dals der Sprecher an dem Optimatenkrieg gegen die 
Triumvirn nicht thätig Theil nahm, sondern die Ächtung 712 ihn plötzlich und in Rom traf. 


Zwei Sepuleralreden aus der Zeit Augusts und Hadrians 467 


für Spanien, Kupfermünzen schlug (!) und der also Offizier, etwa praefectus 
JFabrum (?), in dem spanischen Heer gewesen zu sein scheint, das bei Munda 
die Söhne des Pompeius überwand. Mit ihm identisch scheint der Cluvius, 
der bald nachher in Italien bei der Ackervertheilung beschäftigt war und an 
den Cicero wegen eines der campanischen Stadt Atella gehörigen Grundstücks 
im cisalpinischen Gallien schreibt (?). Für das Jahr 721 ernannte Antonius 
einen gewissen L. Clavius zum Consul, beseitigte ihn aber sofort wieder (*); 
es scheint dieser Name verschrieben und derjenige C. Cluvius gemeint zu 
sein, den, obwohl er nicht das Consulat verwaltet hatte, sondern nur dazu 
designirt gewesen war, Augustus dennoch 725 bei Aufstellung der Senats- 
liste unter die Consulare einschrieb (°). Wahrscheinlich beziehen sich alle 
diese Angaben auf dieselbe Persönlichkeit und zwar auf eben denC. Cluvius, 
der in unserer Inschrift vorkommt;; der Parteiwechsel hat für diese Epoche 
durchaus nichts Auffallendes. Ein strenger Identitätsbeweis läfst sich frei- 
lich nicht führen. 

Es folgt (1, 13-26) die Erzählung von dem über die väterliche Erb- 
schaft entstandenen Rechtsstreit, die, vervollständigt wie sie jetzt vorliegt, 
den wichtigsten Documenten des älteren römischen Rechts zugezählt werden 
darf. Der Vater starb mit Hinterlassung zweier Töchter, der Braut des Spre- 
chers und der Gattin des C. Cluvius. Intestaterbin des gesammten Vermö- 
gens war von diesen nur die erstere (1, 14. 19), da nur diese bei dem Tode 
des Vaters sich in dessen Gewalt befand. Die andere Schwester dagegen 


(') Cohen p. 92 Taf. 53 Clov. 6; die Variante C-CLvi statt des gewöhnlichen c-cLovı 
bemerkt Borghesi opp. num. 1, p. 148. Wegen der Zeitbestimmung vgl. C.I.L. I p. 451. 
Dals diese einzige Kupfermünze Caesars in Spanien geschlagen ist und dem spanischen Pro- 
vinzialcourant angehört, in dem das Kupfer sich länger behauptete als in Italien, habe ich 
in dem röm, Münzwesen S. 654 A. 552 und in den annali 1863 p. 75 gezeigt. 

(°) Mit Unrecht macht man ihn gewöhnlich zu einem der Stadtpräfecten (Eckhel 5, 169); 
vgl. mein röm. Münzw. S. 658 A. 560. 

(°) Cicero ad fam. 13, 7; vergl. Gruber de temp. epist. Cic. p. 28 und Drumann 41, 
466 A. 24. Der Vorname wird hier freilich nicht genannt; aber an den Banquier M. Clu- 
vius aus Puteoli, der 709 starb (Cic. ad Al. 6, 2, 3. 13, 46, 3. 14, 9, 1. ad fam. 13, 
56, 1) ist doch schwerlich zu denken. 

(*) Dio 49, 44. 

(°) Dio 52, 42. 

Nnn?2 


468 Mommsen: 


war in die Gewalt ihres Mannes übergegangen (') und befand sich in der 
selben zu der Zeit, wo ihr Vater starb; sie stand demnach dem in Adop- 
tion gegebenen Kinde gleich und hatte weder eiviles noch prätorisches In- 
testaterbrecht.(?) Die Frau des Erblassers — die übrigens nicht die rechte 
Mutter jener beiden Töchter gewesen sein kann, da beide im Testament be- 
dacht waren, die Ehe der Mutter aber erst geschlossen ward nach Errich- 
tung des Testaments — würde, da sie per coemptionem in die Ehe und 
also in. die Manus des Mannes eingetreten war, ebenfalls zu den Intestaterben 
gehört haben, wenn sie denselben überlebt hätte; dies aber war, wie wir 
sahen, nicht der Fall, sondern sie starb in der Weise gleichzeitig mit dem 
Manne, dafs ihr Überleben wenigstens nicht erweislich war. — Es fand sich 
aber ein Testament des Vaters vor, in welchem er die Verstorbene und deren 
Bräutigam zu Erben eingesetzt hatte (1, 13). Er konnte dies trotz des vo- 
conischen Gesetzes, das die Erbeseinsetzung der Frauen untersagte: denn 
bekanntlich knüpfte dies Gesetz an die Schatzung an und galt nicht für den 
incensus(?); da nun aber seit dem J. 684 keine Schatzung stattgefunden 


(') 4, 15: sororem omni|um rerum] fore expertem, quod emancupata esset Cluvio. 
Emancipare bezeichnet an sich blols negativ den Act des Weggebens aus der Gewalt, 
einerlei ob dafür ein anderes Gewaltverhältnils eintritt oder Freiheit; was am schärfsten 
ausspricht Festus ep. p. 77: emancipati duobus modis intelleguntur aut ü qui ex patris iure 
exierunt aut ü qui aliorum fiunt domini, quorum utrumque fit emancipatione. Schon die 
Wörterbücher ergeben, dals in der republikanischen Zeit emancipare die allgemeine Be- 
deutung bewahrt hat, also zum Beispiel ebenso gut familiae emancipatio (Laelius Felix 
bei Gell. 15, 27) wie familiae mancipatio gesagt wird und emancipare aliquem alicui in 
dem Sinne von ‚einen einem zu eigen geben’ gebräuchlich ist (Cie. de fin. 1, 7. 24: filio 
adhibito, quem in adoptionem D. Silano emancipaverat; de sen. 41, 38, wo Nonius Lesung 
nemini emancipato bestätigt wird durch die der Leidener Handschrift neminem mancipato; 
Horatius epod. 9, 12; Orelli 4421: donationis causa emancipatum). Erst in der Kaiserzeit 
verbindet ermancipare mit dem 'negativen Begriff der Auflösung der bestehenden Gewalt 
technisch den positiven der Auflösung der Gewalt überhaupt, der Erlangung der Freiheit, 
obwohl auch in dieser Zeit noch es an Beispielen für die allgemeinere Verwendung des 
Wortes nicht mangelt. 

(?) Paulus (Dig. 37, 4, 6, 4): Adoptio tamdiu nocet, quamdiu quis in familia aliena sit. 
Auch der Prätor ruft nur diejenigen Descendenten, die swi iuris sind (Ulpian Dig. 37, 4, 1, 6). 
Ein ausdrückliches Zeugnils für die Anwendung dieser Regel auf die in der Manus stehenden 
Töchter findet sich in unseren Rechtsquellen wohl nicht; doch bedarf es dessen auch nicht, 
da die Frau in manu bekanntlich f4ae loco und alieni iuris ist. 


(°) Cicero Yerr. 2.1, 41, 104. 43, 111. 


Zwei Sepulcralreden aus der Zeit Augusts und Hadrians. 469 


hatte, so mufs um das J. 706, in welches diese Testamentserrichtung unge- 
fähr fällt, ein sehr grofser Theil der römischen Bürgerschaft ungeschätzt und 
demnach von dem voconischen Gesetze frei gewesen sein. — Dafs die beiden 
genannten Personen die einzigen Testamentserben waren, folgt mit Sicher- 
heit besonders aus den Worten 1, 18. 19: testamentum ruptum non esse, ut 
[uzerque potius] hereditatem teneremus quam omnia bona sola possideres: 
wo im Gegensatz der Intestatsuccession, bei der allein die Verstorbene ge- 
erbt haben würde, die testamentarische als eine solche bezeichnet wird, bei 
der ‚wir’, derRedner und die Angeredete, die Erbschaft erhielten. Dafs in- 
defs die zweite Tochter, wenn sie gleich einen Theil ihrer Erbschaft schon 
in Form der Mitgift empfangen haben mochte, doch auch in dem Testament 
keineswegs leer ausging, aber das ihr Zugedachte in der Form des Quo- 
tenlegats erhielt, geht daraus hervor, dafs die andere Tochter erklärt, 
falls es zur Intestatsuccession kommen solle, werde sie dennoch dem Willen 
des Vaters gemäfs mit der Schwester theilen (1, 19-21). Es entspricht dies 
auch sonst der römischen Sitte: den Frauen wurden ihre Antheile gern in 
dieser Form gegeben ('), weil sie alle Vortheile der Erbenstellung ohne deren 
Gefahr und Beschwerlichkeit gewährte. Die testamentarische Succession war 
also vortheilhaft für den Sprecher und für die Gattin des Cluvius, die beide, 
wenn es zur Intestatsuccession gekommen wäre, leer ausgegangen sein würden 
(1, 18. 19. 26). Die Wendung (1, 13), dafs es den beiden Schwestern nahe 
gelegt worden sei das väterliche Testament umzustofsen, verträgt sich frei- 
lich hiermit nicht zum besten, soll aber auch wohl nichts weiter besagen, als 
dafs diese Aufforderung dahin gezielt habe die Eintracht der Schwestern 
und den Frieden der Familie dadurch zu stören, dafs die eine derselben das 
väterliche Testamunt umstiefs. 


(') Cic. pro Caec. 4, 12. 5, 15 und pro Ciuent. 7, 21 und besonders die Worte der 
Lobrede auf die Murdia (Orell. 4860): omnes filios aeque fecit heredes partitione filiae data, 
Gewöhnlich bringt man freilich das Partitionslegat in Verbindung mit dem voconischen Ge- 
setz (so z. B. Bachofen lex. Yoc. p. 54), welches allerdings vermittelst desselben füglich um- 
gangen werden konnte und häufig umgangen sein mag. Aber in den Quellen findet sich 
nirgends von dieser Verbindung eine Andeutung und ich sehe keinen zureichenden Grund 
auch nur für die Annahme, dafs das Quotenlegat erst in Folge des voconischen Gesetzes 
aufgekommen sei; auf jeden Fall war es überall anwendbar, wo es materiell zweckmälsig 
erschien. Der anderen Schwester konnte, da sie sua e£ necessaria war, ihr Antheil nicht 
in dieser Form gewährt werden, wenn der Vater sie nicht zugleich enterben wollte. 


470 Mommsen: 


Das fragliche Testament war nun allerdings anfechtbar, da der Erb- 
lasser, wie gesagt, nach dessen Errichtung abermals geheirathet und über die 
Frau durch Coemption die Gewalt erworben hatte. Es trat also die Regel 
ein, die Ulpian('!) folgendermafsen ausspricht: Zestamentum iure factum in- 
firmatur ... si ruptum .. sit „ rumpitur lestamentum .... agnatione, id est si 
suus heres agnascatur, qui neque heres institutus neque ut oportet excheredatus 
sit . agnascitur suus heres aut agnascendo aut adoptando aut in manum 
conveniendo. Wenn die Gegenpartei die Nichtigkeit des Testaments bestritt 
(1, 18 testamentum ruptum non esse), so zeigt schon die Weise, in der dies 
geschieht (1,20 si non optinuisses), dafs sie sich nicht eben sicher fühlte. Es 
ist möglich, dafs diese Bestreitung sich auf thatsächliche Einwendungen stützte, 
zum Beispiel auf die Ableugnung der Coemption; nach der Art aber, wie die- 
selbe auftritt, scheint eher das Thatsächliche festgestanden und die Gegen- 
partei geltend gemacht zu haben, dafs die Frau, deren Eintritt in die Manus 
das Testament brach, vor oder mit dem Erblasser weggefallen sei; in welchem 
Fall bekanntlich späterhin der Prätor das nach Civilrecht gebrochene Testa- 
ment nichts desto weniger aufrecht erhielt.(?) War auch in der Zeit, der 
unser Document angehört, ein Rechtsanspruch auf diese prätorische Hülfe 
noch nicht fest begründet und allgemein anerkannt, so mögen doch die An- 
fänge dieser milderen Praxis in so fern schon in diese Zeit zurückreichen, 
dafs ein Advocatdieselbe wenigstens begehren durfte; und mehr als dies deutet 
auch die Urkunde nicht an. In dem vorliegenden Streit sprach für diese 
Behandlung des Falles noch das sehr wichtige Moment, dafs die zur Intestat- 
universalsuccession berechtigte Person selbst das Testament nicht umzustolsen, 
sondern aufrecht zu erhalten wünschte. Wäre dies ein Mann gewesen, so 
hätte der Streit praktisch auf jeden Fall damit ein Ende gehabt; da aber 


(') reg. 23, 1 fg.; ebenso Gaius 2, 138. Dafs die Ehe nach Errichtung des Testaments 
abgeschlossen ward, beruht zwar nur auf Ergänzung, muls aber nothwendig angenommen wer- 
den; denn hätte die Frau bei Errichtung des Testaments sich bereits in der Manus befunden, 
so wäre das Testament nicht als gebrochen (rupzum), sondern als von Haus aus nicht gültig 
errichtet (non iure factum) zu bezeichnen gewesen. Überdies wäre alsdann, da nur eine Frau 
übergangen war, das Testament nicht ganz, sondern nur etwa mittelst der Accrescenz theil- 
weise umgestolsen worden. Bei der Ruption aber macht bekanntlich Geschlecht und Grad 
keinen Unterschied (Ulpian 22, 18; Francke Recht der Notherben S. 73). 


(?) Gaius 2, 148. Leist don. poss. 2, 1, 175. 


Zwei Sepulcralreden aus der Zeit Augusts und Hadrians. 474 


nach der Intestaterbfolge eine Frau berufen war, so handelte es sich aller- 
dings noch um die Einwilligung derjenigen Personen, in deren Gewalt oder 
Tutel diese sich befand. Da dieselbe bei dem Tode des Vaters noch unver- 
heirathet war, so war ihr vom Vater im Testament ein Vormund — vielleicht 
der Bräutigam selbst — bestellt worden, wie dies daraus mit Bestimmtheit 
hervorgeht, dafs sie, auch nach der Behauptung der Gegner, der gesetzlichen 
Tutel nur dann unterlag, wenn das Testament wegfiel (1, 15. 21). Eben 
dies Eintreten der gesetzlichen Tutel wurde behauptet von denjenigen, die 
die testamentarische Succession angriffen (1, 23 qui intenderent; 1, 15 qui 
rem agitabant): sie sprachen die gesetzliche Vormundschaft an, nicht als 
Agnaten, welche offenbar nicht vorhanden waren, sondern als Geschlechts- 
genossen. Wenn es bisher an einem ausdrücklichen Zeugnifs dafür fehlte, 
dafs die Vormundschaft eben wie das Erbrecht in Ermangelung von Agnaten 
den Gentilen zustand, und wenn defshalb einzeln sogar die Gentilentutel 
überhaupt angezweifelt worden ist(!), so ist dies Bedenken jetzt gehoben 
und die vollständige Analogie zwischen Tutel und Erbrecht zweifellos fest- 
gestellt. 

Weit merkwürdiger indefs als der für die Gentilitätstutel hier ge- 
wonnene Beweis ist derjenige Rechtssatz, auf den gestützt die Erbtochter 
deren Zulässigkeit in dem gegebenen Fall bestreitet: dafs die Gentilität über- 
haupt kein allgemeines Recht sei, sondern nur Anwendung finde auf dieje- 
nigen Familien, für die der Gentilitätsnexus besonders sich erweisen lasse ; 
ihrem Hause (familia) könne kein Geschlechtsrecht (gens) nachgewiesen 
werden(?) und demnach die Kläger über sie die gesetzliche Geschlechts- 


(') Vertheidigt ist sie von Zimmern (R. G. 1, 872 A. 22), und von Rudorff (Vormundsch. 
1, 210). Uebrigens handelte Gaius von der gentilieischen Tutel wahrscheinlich in der Lücke 
zwischen 4, 164 und 165 und findet sich auch bei Cicero de domo 13, 35: contaminatis 
gentibus et quam deseruisti et quam polluisti, iure Quiritium legitimo tutelarum et heredita- 
tium relicto eine unverkennbare, aber bisher übersehene Hinweisung anf die Geschlechtstutel. 

(2) Man würde zu einem allerdings weit weniger merkwürdigen, aber auch weit einfa- 
cheren Ergebnils kommen, wenn man die entscheidenden Worte 1, 22: neque familie gens ulla 
probari poterat nicht abstract von dem Hause, sondern concret von den angeblichen Vor- 
mündern versteht, also nicht übersetzt: ‚es konnte unserem Hause kein Geschlechtsrecht 
nachgewiesen werden’, sondern: ‚es konnte von den petirenden Verwandten die Geschlechts- 
gemeinschaft nicht nachgewiesen werden’. Allein mir scheint es einleuchtend, dafs weder 
die Petenten in Beziehung auf ihre angebliche Mündel bezeichnet werden können als deren 


472 Mommsen: 


tutel nicht fordere, weil sie nicht ihre Geschlechtsgenossen seien (1, 24 quia 
gentis eiusdem non essent). Ob im concreten Fall diese Behauptung ge- 
gründet war, können wir nicht wissen und ist auch gleichgültig; der Rechts- 
satz, dafs die Gentilität nicht wie Suität und Agnation auf jeden römischen 
Bürger, sondern nur auf bestimmte Familien Anwendung leide, steht darum 
nicht weniger fest. Er ist für unsere Forschung neu; doch fehlen auch in 
dem schon bekannten Rechtsmaterial die Spuren desselben nicht. Wenn 
Uipian(') die Darstellung‘ des Civilerbrechts nach den drei Klassen der suz, 
agnali und gentiles beginnt mit den Worten: intestatorum gentiliciorum he- 
reditates pertinent primum ad suos heredes, so liegt darin deutlich, dafs nicht 
jeder Erblasser auch Geschlechtsgenosse zu sein braucht, sondern Erblasser 
vorkommen können, bei denen civilrechtlich nur nach Suität und Agnation, 
nicht nach Gentilität geerbt werden kann. Unbedenklich wird man damit 
ferner verbinden, was Papinian (?) sagt: quotiens quaereretur, genus vel gen- 
tem quis haberet necne, eum probare oportet; der in unserer Urkunde er- 
wähnte Streit ist eben ein solcher, wie Papinian ihn hier voraussetzt. Wenn 


familia, noch die Leugnung der Geschlechtsgemeinschaft zwischen bestimmten Personen richtig 
ausgedrückt wird mit der Wendung gentem is nullam esse. Will man also nicht der Sprache 
Gewalt anthun, so mufs man bei der ersteren Übersetzung stehen bleiben. Daran kann 
auch nicht irre machen, wenn es nachher von den Petenten heilst, dals sie abzuweisen 
seien, quia gentis eiusdem non essent. Diese Wendung ist wohl defshalb gewählt, weil 
entweder das Zwölftafelgesetz oder eine tralaticische Rechtsregel die Tutel in Ermangelung 
von Agnaten denen gab qui gentis eiusdem essent; vereinbar aber ist sie auch mit meiner 
Auffassung: denn wer einem bestimmten Geschlecht anzugehören leugnet, kann ebenso wohl 
in einem andern Geschlechtsverband als überhaupt aufserhalb alles Geschlechtsverbandes 
stehen. 

(') Collat. 16, 4, verkürzt und interpolirt reg. 26, 1. Es ist zwar kürzlich die Lesung 
ingenuorum, die in unserm Text der regulae an die Stelle von gentiliciorum gesetzt ist, in 
Schutz genommen, ja sogar in die collatio hineincorrigirt worden. Dals aber in dem Text 
der regulae der ganze Abschnitt über die Succession der Gentilen weggestrichen ist, offen- 
bar weil Ulpian selbst diese am Schluls als zu seiner Zeit nicht mehr praktisch bezeichnet, 
steht in einem für jeden Unbefangenen unverkennbaren Zusammenhange damit, dafs vorher 
aus den intestati gentilicii die intestati ingenui geworden sind. Der späte Jurist, der die 
gentilicische Succession an dem einen Orte strich, konnte natürlich auch ihre Ankündigung 
vorher nicht brauchen und setzte dafür die ingenui ein, worauf ihn die bei Freigelassenen 
nicht vorkommenden Agnaten führten. 


(?) Dig. 22, 3, 1. Rudorff machte mich auf diese Stelle aufmerksam. 


Zwei Sepulcralreden aus der Zeit Augusts und Hadrians. 473 


sodann in einer bekannten livianischen Rede (') die Gentilität als allein 
den Patriciern zustehend bezeichnet wird, so ist dies zwar rhetorisch über- 
trieben, da von gewissen plebejischen Häusern das Geschlechtsrecht auf das 
bestimmteste bezeugt ist und auch die juristischen Definitionen der Gentilität 
mit deren Beschränkung auf den Patriciat gänzlich streiten; aber mit der ge- 
wöhnlichen Annahme, dafs jeder Bürger Geschlechtsgenosse ist und sein mufs, 
ist jenes Wort des Livius doch auch in keiner Weise vereinbar. Weiter ist 
der frühe Untergang des Geschlechtserbrechts, den schon Gaius (?) bezeugt, 
bei der bisherigen Annahme in der That unbegreiflich, aber sehr erklärlich, 
wenn dasselbe sich auf den patrieischen Adel und eine geschlossene Anzahl 
alter Plebejerfamilien beschränkte; denn dass der republikanische Adel in 
der Kaiserzeit rasch ausstarb,, ist bekannt und bezeugt. Auch die ciceronische 
Definition der Gentilen (°): gentiles sunt, qui inter se eodem nomine sunt .... 
qui ab ingenuis oriundi sunt .... quorum maiorum nemo servitutem servieit 
.... qui capite non sunt deminuti, läfst sich mit der engeren Begrenzung des 
Geschlechtsrechts dann wohl vereinigen, wenn man den Ursprung der Plebs 
im Allgemeinen aus der Clientel, das heifst aus der Unfreiheit zugiebt (*); 
denn in diesem Falle schliefst das dritte Merkmal die grofse Masse der Ple- 
bejer aus. Endlich beziehen sich die über die Geschlechtsrechte erhalte- 
nen Nachrichten der grofsen Masse nach, namentlich diejenigen, in denen 
positive Rechtsfolgen an die Gentilität geknüpft erscheinen, auf patrieische 
Familien, welches auch sich am befriedigendsten erklärt unter der Voraus- 
setzung, dafs den Plebejern nur ausnahmsweise Geschlechtsrecht zuge- 
standen hat. — Allerdings soll und kann keineswegs geleugnet werden, 
dafs in gewissen Beziehungen, vor allen Dingen in der Benennung, das Ge- 
schlechtswesen sich als allgemeine Bürgerordnung geltend machte, wie 
dies sehr einfach die Definition des Cincius ausdrückt: gentiles mihi sunt 
qui meo nomine appellantur(°). Aber daraus folgt noch gar nicht, dafs 


(') 10, 8, 9. Vgl. Cincius bei Festus v. pazricios p. 241: patricios eos appellari solitos 
qui nunc ingenui vocentur und Capito bei Gellius 10, 20: plebes, in qua gentes civium pa- 
triciae non insunt. 

(MED Te 

(?) top. 6, 29. 

(°) Röm. Forsch. 1, 388 fg. 

(°) Festus ep. p. 94. In diesem Sinne spricht Festus ebendaselbst von der gens Aelia, 


Philos.-histor. Kl. 1863. Ooo 


474 Mommsen: 


jede solche Namensgenossenschaft nun auch wirklich einen gemeinsamen 
Gottesdienst, eine gemeinsame Grabstätte, überhaupt gemeinsame Ord- 
nungen gehabt hat, noch weniger, dafs die wichtigen Vermögensrechte, 
die die Gesetze an die Gentilität knüpften, Erbfolge und Vormundschaft 
einer jeden solchen Namensgenossenschaft ohne weiteres zugestanden worden 
sind. Selbst von Geschlechtsgebräuchen und von Geschlechtsgottesdienst ist 
in Beziehung auf plebejische Familien nur selten die Rede('), obwohl auch 
aus dem Bestehen derartiger Verhältnisse in der That immer nur eine fac- 
tische, nicht nothwendig eine rechtliche Gemeinschaft folgen würde; die 
gentilieische Grabgemeinschaft im strengen Sinne ist meines Wissens nur 
nachweisbar für das eine Plebejergeschlecht der Popillier (?), die gentilieische 
Erbgemeinschaft nur für die plebejischen Zweige der Claudier(°) und der Mi- 
nucier (*). Auch zu unserer Urkunde stimmt es sehr gut, dafs die Gentilität 
bald im weiteren und vageren Sinne der blofsen Namens-, bald im engeren und 
mehr juristischen der eigentlichen Rechtsgemeinschaft genommen ward; beidem 
fraglichen Rechtsfall stützten sich die Petenten auf jenen, die Gegenpartei auf 
diesen. Es liegt nicht in dem Kreis der gegenwärtigen Untersuchung diese 
Auffassung, die nurin einer vollständigen Revision des gesammten Geschlechts- 
rechts ihre schliefsliche Rechtfertigung finden kann, in umfassender Weise 
zu entwickeln. Aber nach meiner Meinung ist das volle Geschlechtsrecht, 
namentlich die Erbgemeinschaft der Geschlechtsgenossen, nicht blofs von 
Haus aus ausschliefslich patrieisch gewesen, sondern auch in dem Sinne stets 
ausschliefslich patricisch geblieben, dafs nur diejenigen Zweige patrieischer 
Häuser, die durch Übertritt zur Plebs ohne Capitisdeminution ihren Adel 


quae ex multis familiis confieitur, während Valerius Maximus 4, 4, 8. 5, 6, 4 dafür Aelia 
familia setzt. 


(') Festus ep. p. 23: Aureliam familiam ex Sabinis oriundarn a Sole dictam putant, quod 
ei publice a p. R. datus sit locus, ubi sacra facerent Soli. Plinius A. n. 19, 1, 8: M. Yarro 
tradit in Serranorum familia gentilicium esse feminas lintea veste non uli. 


(?) Cic. de leg. 2, 22, 55: Zanta religio est sepulcrorum, ut extra sacra et gentem in- 
ferri fas negent esse, idque apud maiores nostros A. Torquatus in gente Popillia iudicaoit. 
Dagegen das gemeinsame Grab der Meteller und so viele ähnliche brauchen keineswegs auf 
Geschlechtsrecht zu beruhen, sondern können gefalst werden als Grabstätten für die De- 
scendenz eines einzelnen namhaften Mannes. 

(?) Cic. de orat. 1, 39, 176. 

(*) Cic. Ferr...1, 45, 115. Vgl. Röm. Forsch. 1, 109. 


Zwei Sepulcralreden aus der Zeit Augusts und Hadrians. 475 


aufgegeben hatten, wie eben jene Claudier und Minucier, trotz ihrer Plebität 
auch ferner als erbberechtigte Geschlechtsgenossen galten; die grofse Masse 
der Plebs dagegen ist als aus der Unfreiheit hervorgegangen vom Geschlechts- 
recht im strengen Sinne des Worts stets ausgeschlossen geblieben. 

Gestützt also darauf, dafs dasHaus, dem sie angehöre, Geschlechtsrecht 
nicht kenne und demnach, da weder Agnaten noch Gentilen vorhanden seien, 
die gesetzliche Vormundschaft hier überhaupt nicht Platz greife, behauptete 
die Verstorbene, dafs sie, auch falls er zur Intestatsuccession käme, nicht 
unter die Vormundschaft der Petenten fallen würde, sondern — wie wir hin- 
zusetzen — als eines Vormundes ermangelnd auf Grund des atilischen Gese- 
tzes einen vom Prätor und dem Tribunencollegium sich würde erbitten müssen. 
Sie drang insofern durch, als die Petenten von ihrem Unternehmen abstanden 
und die Erbregulirung, sei es von Rechtswegen, sei es blofs in Folge des guten 
Willens der Intestaterbin, nach Mafsgabe des väterlichen Testaments erfolgte. 
Zu einem eigentlichen Prozefs scheint es nicht gekommen zu sein; vielmehr 
sind die Verhandlungen, deren unser Document gedenkt, wohl dahin auf- 
zufassen, dafs die angeblichen Gentilen vor dem Prätor erschienen, um im 
Namen ihrer angeblichen Mündel die Erbschaftsklage ad intestato einzuleiten, 
aber schon die Unterhandlungen in iure über die Regulirung der Partei- 
rollen und die Legitimation zur Sache die Petenten bewogen von der Klage 
abzustehen. 

Nach einer kurzen Betrachtung über die 41jährige Dauer der Ehe (1, 
27-29) und einer längeren über die weiblichen Tugenden der Verstorbenen 
(1, 30-36), von denen die letztere in der Ergänzung einige Schwierigkeiten 
bietet, folgt eine Erörterung über die Vermögensverwaltung der Ehegatten 
(1, 37-52). Hervorzuheben sind darin die echt römischen Grundsätze, dafs 
dem Manne die Vertheidigung (Zuzela), der Frau die Bewachung (custodia) 
der gesammten Habe zukommt — passend vergleicht Rudorff die Schilderung 
des altherkömmlichen römischen Hauswesens bei Columella (1): nihil con- 
spiciebatur in domo dividuum (vgl. in unserer Urkunde 2, 38: nihil seiun- 
ctum), nihil quod aut femina proprium esse iuris sui diceret, sed in commune 
conspirabatur ab utroque, ut cum forensibus negotüs matronalis industria 
rationem parem faceret — und dafs das Vermögen der Frau nur für sie be- 


(') 212 praef. 8. 
O002 


476 Mommsen: 


wahrt, nicht aber von ihr vermehrt werden soll, vielmehr der während der 
Ehe damit erzielte Gewinn dem Manne gebührt. Dafs die Frau ihr Vermögen 
durch Eintreten in die Manus oder auch in Form der Mitgift auf den Mann 
übertragen habe, geht aus der Erzählung nicht hervor; vielmehr scheint das- 
selben eher als paraphernales behandelt worden zu sein. Hieran schliefst sich 
ein sehr verstümmelter Bericht über die von der Verstorbenen in Gemein- 
schaft mit ihrer Schwester, der Gattin des Cluvius, theils Anderen, theils 
insbesondere einigen weiblichen Anverwandten erzeigten Wohlthaten: sie 
erzogen dieselben bei sich und wollten sie ausstatten, indefs traten bei den 
Ausstattungen für die Frauen die Männer ein. Die letztere Angabe ist inso- 
fern auffallend, als die Gattin des Cluvius, als in der Gewalt stehend, recht- 
lich nicht dispositionsfähig war; es mag hier vom Redner mehr das factische 
als das rechtliche Verhältnifs ins Auge gefafst worden sein. 

Nach einer grofsen Lücke beginnt die Erzählung wieder mit dem Be- 
richt über eine unerwartet über die Ehegatten hereinbrechende Katastrophe 
(2, 1-24). Die plötzliche Meldung einer dem Manne drohenden Gefahr nö- 
thigt diesen sich zu verbergen, wobei ihm die Gattin und deren Schwester und 
Schwager behülflich sind, so dafs er allem Anschein nach nicht einmal Rom 
verliefs (daher paene exul 2, 43). Er erlangte zwar durch die Milde und Ein- 
sicht (benificio et iudicio 2, 12) Caesars, noch während dieser von Rom ab- 
wesend war, Restitution (me patriae redditum 2,1 vgl. 11.12); allein als die 
Gattin, gestützt auf dies ihrem Manne günstige Edict (2, 16), von dem in 
Rom anwesenden Triumvir M. Lepidus forderte, dafs er dieser Restitution 
Folge gebe('!), wurde sie mit Härte abgewiesen und sogar mit Worten und 
thätlich insultirt. Dies kann, wie schon della Torre richtig nachgewiesen 
hat, sich nur beziehen auf die Proscriptionen des zweiten Triumvirats Ende 
711 und Anfang 712; die Restitution durch Edict mufs Ende 712 oder An- 
fang 713 erfolgt sein, da nur in dieser Zeit, von Caesars Abgang zu dem 
Feldzug gegen Brutus und Cassius bis zu seiner Rückkehr nach Rom nach 
der Schlacht bei Philippi, Lepidus allein von den Triumvirn in Rom schal- 


(') Fabretti (p. 226) versteht freilich die Stelle so, als nenne der Redner hier sich 
selbst Collegen des Lepidus; aber diese Annahme hat schon Taylor mit Recht verworfen. 
Abgesehen von den unauflöslichen geschichtlichen Schwierigkeiten, in die sie verwickelt, ist 
der Gegensatz apsens Caesar Augustus und M. Lepidus conlega praesens deutlich. 


Zwei Sepulcralreden aus der Zeit Augusts und Hadrians. 477 


tete. Ohne Zweifel aber machte bald darauf Caesars Rückkehr nach Rom 
zu Anfang des Jahres 713 dem Widerspruch seines Collegen ein Ende. 

Diese Angaben geben die Möglichkeit an die Hand die Person des 
Sprechers zu ermitteln. Derselbe ist zunächst unter denjenigen Proscribirten 
zu suchen, die uns von den Schriftstellern als durch ihre Gattinnen gerettet 
namhaft gemacht werden; und es trifft sich, dafs unter allen diesen nur 
einer ist, auf den die in unserm Document angegebenen Umstände genau 
passen (!). Es ist dies Q. Lucretius Vespillo. Derselbe erscheint zuerst 
im J. 706 in dem macedonischen Heer der Republikaner und zwar verwendet 
bei der unter dem Oberbefehl des Bibulus stehenden Flotte, von der er das 
vor Orikon stationirte Geschwader in Gemeinschaft mit Minucius Rufus be- 
fehligte (?). Ohne Zweifel ward er nach der Niederlage des Pompejus von 
Caesar begnadigt, sodann aber von den Proscriptionen der Triumvirn 711/2 
mit betroffen. Im ersten Schreck mit zwei treuen Sclaven aus Rom ent- 
wichen gelangte er, durch den Hunger gezwungen, unter vielen Fährlichkeiten 
zurück nach der Hauptstadt und wurde dort von seiner Gattin Turia in einem 
Verschlag ihres Hauses versteckt gehalten, bis er durch Verwendung einiger 
Freunde Begnadigung erwirkte. Eine Reihe von Jahren nachher, im J. 735 
erhielt er sogar das Consulat (?). — Es stimmt dies alles aufs Beste mit 
unserm Document. Unser Sprecher war, wie wir sahen, im J. 706 ab- 
wesend von Rom und in Macedonien. Die Wendung ferner, dafs der 
Redner erst kühnere Plane verfolgt, dann aber zu bescheidneren zurückkeh- 
rend bei der Gattin ein Asyl gefunden habe (2, 6. 7), scheint recht eigent- 
lich zu zielen auf jenen ersten Versuch des Lucretius aus Italien zu ent- 


(') Die also Geretteten sind aufgezählt von Drumann 1, 377. Antius (Appian 4, 40), 
Acilius (Appian 4, 39) und Lentulus Cruscellio (Appian 4, 39; Val. 6, 7, 3; Drumann 2, 
553) sind defswegen ausgeschlossen, weil sie nach Sicilien entwichen; dem letzteren steht 
überdiels entgegen, dals seine Gattin Sulpicia wahrscheinlich patrieischer Abkunft war und 
also sicher im Geschlechtsverbande stand. Auch C. Antistius Reginus (Appian 4, 40; Bor- 
ghesi opp. num. vol. I p. 355) und Appuleius (Appian a.a.0.) entwichen aus Rom. Coponius 
(Appian 4, 40) wurde von Antonius begnadigt, nicht von Augustus. T. Vinius (Dio 47, 7; 
Appian 4, 44; Sueton Aug. 27) wurde zwar auch in der Stadt selbst von seiner Gattin 
Tanusia verborgen gehalten und von Augustus begnadigt; allein es geschah dies in Rom im 
Theater selbst, wo die Gattin ihm plötzlich den geretteten Mann vorstellte, während unser 
Sprecher von Augustus vor dessen Rückkehr nach Rom Verzeihung erlangte. 

(2) Caesar b. c. 3, 7. 

(?) Appian 4, 44. Val. Max. 6, 7, 2. Dio 54, 10. 


478 Mommsens: 


weichen, also doch wohl zum Heer der Gegenpartei sich zu verfügen, und 
auf die spätere Rückkehr zu der Gattin nach Rom. Darum ist die schon von 
della Torre geäufserte Vermuthung, dafs der Sprecher eben dieser Q. Lu- 
cretius und die von ihm gepriesene Gattin die Turia sei, mehr als wahr- 
scheinlich, da zumal die Zahl der geretteten Proscribirten zwar grofs, aber 
die Zahl derjenigen, die die gefährliche Zeit in der Hauptstadt selbst über- 
standen, aufserordentlich klein war (?). 

Nachdem nun der allgemeine Friede wiedergekehrt und die Verfassung 
wieder hergestellt war, das heifst nach der Redeweise dieser Zeit nach der 
Schliefsung des Janustempels und der Organisation des Staats durch Augustus 
725-727(?), folgten ruhige und glückliche Jahre. Die längere Zeit kinder- 
lose Ehe wurde mit Kindern gesegnet, wie es scheint einer Tochter (?), die 
indefs früh starb (2, 25-28). Die Gattin schlug defshalb ihrem Manne die 
Scheidung vor, damit er eine andere Ehe eingehen und Kinder erzielen 
könne (2, 28-39), was indefs der Mann ablehnte (2, 40-50). Es folgen 
Klagen des Gatten, dafs die Gattin, obwohl jünger als er, ihm dennoch vor- 
angegangen sei und vorangegangen, bevor noch die Absicht des Ehepaars eine 
Tochter wieder zu adoptiren habe ausgeführt werden können (2, 51-55), und 
Betrachtungen darüber, dafs die Gattin nicht umsonst gelebt habe und dem 
Gatten nun nichts übrig bleibe als der Wunsch sie zu ehren und die Klage 


(') Val. Max. a. a. O. 

(?) Zu den Worten 2, 25: pacato orbe terrarum, restituta re publica geben den Com- 
mentar der Cistophorus vom J. 726 mit den Aufschriften pax und imp. Caesar divi f. cos. 
VI libertatis p. R. vindex; ferner Velleius 2, 80: Anita vicesimo anno bella civilia .. 
reocala pax....prisca illa et antiqua res publicae forma revocata; die pränestinischen 
Fasten zum 13. Jan.: (Augustus) [rem publicam] p. R. restituit und ähnlich Ovidius fast. 
4, 589 und Hyginus de Zimit. p.177. Es ist von den Neueren nicht erkannt, aber mit 
Bestimmtheit nachzuweisen, dafs die Reihe von Verfügungen, die Augustus in den J. 726. 
727 traf und abschlofs mit der Rückgabe der sämmtlichen Provinzen an Senat und Volk am 
43. Jan. 727, officiell aufgefalst ward als die Beseitigung der bisherigen Exceptionalgewalten 
und die Rückkehr zu dem verfassungsmälsigen althergebrachten republikanischen Regiment — 
eine Auffassung, die die Geschichte sich freilich nicht aneignen wird, die aber doch selbst 
von der grölsten geschichtlichen Bedeutung ist. 

(?) Dies scheint daraus hervorzugehen, dafs der Gatte in den letzten Lebensjahren der 
Frau mit dem Gedanken umging aus der Kinderlosigkeit herauszutreten flia mihi supstituta 
(2, 53). Diese dunklen Worte können in ihrem Zusammenhang wohl nur heilsen, dafs die 
Gatten eine Tochter verloren hatten und diese durch Adoption zu ersetzen wünschten, die 
Frau aber starb, bevor diese Adoption stattfand. 


Zwei Sepulcralreden aus der Zeit Augusts und Hadrians. 479 


um ihren Verlust (2, 56-66); in welchem sachlich wenig bedeutenden Ab- 
schnitt manche einzelne Stellen, namentlich 2, 56. 57. 65 gar nicht oder 
nicht in befriedigender Weise haben hergestellt werden können. Den Schlufs 
macht die Erklärung (2, 67-69), dafs der Gatte nicht alles zu Ehren der 
Verstorbenen habe thun können, was er gewünscht, da ihre eigenen Vor- 
schriften ihn gebunden hätten, und der Wunsch, dafs ihre Manen ihr Frieden 
gewähren und bewahren mögen. 


Rudorff, dem ich diese Urkunde vor der Veröffentlichung vorlegte 
und dem ich für manchen nützlichen Wink verpflichtet bin, ist hinsichtlich 
der Frage, welche Erben im väterlichen Testament ernannt gewesen seien, 
anderer Meinung. Nach seiner Ansicht hätte der Vater beide Töchter, die 
in der Gewalt und die emancipirte, darin zu Erben eingesetzt und der erste- 
ren ihren Bräutigam, den Sprecher, zum Geschlechtstutor (aucior mulieris) 
ernannt, so dafs dieser sich mit ihr identificiren (1, 13 nos eramus heredes) 
und von ihrer fides gegen ihn reden durfte (1, 24 fidei erga nos vgl. Gell. 5, 
13, 2: fidei tutelaeque nostrae creditos, 5: ‚feminae viris potiores habitae). 
Blieb das Testament in Kraft, so wurde die hereditas zwischen beiden 
Schwestern, oder vermöge jener Identificirung: beiden Ehe- resp. Braut- 
paaren getheilt (1, 18. 19 uz [pro parte potius] hereditatem teneremus). 
Wurde es gebrochen, so gebührte die hereditas und bonorum possessio unde 
liberi, da die andere Schwester noch in der Manus war, der Turia allein 
(1, 19 omnia bona sola possideres, Gai. 2, 137). Sie hatte sich jedoch 
selbst für diesen Fall fest vorgenommen (1, 19 certa qui[ppe lege dixisti(')] 
ihres Vaters letzten Willen gegen die Schwester durch freiwillige Theilung 
des Vermögens und gegen ihren Bräutigam, den Sprecher, durch Bestreitung 
der gesetzlichen Tutel zu erfüllen (1, 20-24), wodurch sie sich das entspre- 
chende dreifache Lob verdient (1, 25. 26). — An dieser einfachen Lösung 
dürfe der ohnehin willkürliche Wechsel zwischen Plural und Singular so 
wenig irren, als die causa communis (1, 18), welche auf ein gemeinsames 
Familieninteresse beider Erbstränge zu beziehen sei. Für ein Miterbrecht 


(') Diese Ergänzung ist sprachlich bedenklich; qguippe, das ist nämlich, palst weder in 
den Zusammenhang noch an die zweite Stelle. 


480 MommseEn: 


der Schwiegersöhne oder gar eine partitio legata fehle, Mangels der Voconia 
(Hasse im Rhein. Mus. für Jurisprudenz 1829 5.204), jede genügende Ver- 
anlassung; zumal die Schwester dieses Legat ihrem Manne, dem C. Cluvius 
erworben hätte. Dafs sie mit ihrer profecticia dos nicht abgefunden sei, be- 
weise die freiwillige Gütertheilung (1, 20). — Für mich ist diese Aus- 
einandersetzung in keiner Weise überzeugend. Dafs der Erblasser eine zur 
Intestatsuccession berufene, in der Gewalt und im Hause (1, 9) verbliebene, 
noch unverheirathete, also auch noch nicht ausgestattete Tochter nebst 
deren Bräutigam im Testament zu Erben einsetzt, während er einer ande- 
ren, die nicht mehr zur Intestaterbfolge berufen war und nicht mehr in 
seiner Gewalt stand, nur ein Legat zukommen läfst und deren Mann, der 
ohne Zweifel die Mitgift erhalten hatte, übergeht, ist gewifs natürlicher, als 
wenn er zwei in so verschiedener Rechts- und Lebensstellung befindliche 
Töchter im Testament äufserlich gleichgestellt hätte. Entscheidender aber 
als solche Erwägungen ist die genaue Prüfung der Urkunde selbst. Überall 
wo in derselben von wir, uns ohne näheren Beisatz die Rede ist, sind der 
Mann und die Frau gemeint; wie können nun, wo von der Erbschaft gespro- 
chen wird und man eben die genaueste Bezeichnung erwarten sollte, in dem 
wir von nos eramus 1,13 und Zeneremus 1,19, ohne dafs irgend eine nähere 
Andeutung hinzugefügt ist, ohne weiteres Schwester und Schwager mit ver- 
standen sein? und warum ferner hätte der Redner, der doch sonst die Sprache 
wohl zu handhaben weifs, hier ohne allen ersichtlichen Grund die Ehemänner 
mit unter den Erben genannt, wenn die Töchter allein erben? Rudorffs ‘beide 
Erbstränge’ sind, da die Männer ja nach seiner Ansicht nicht miterben, eben 
nichts als die beiden Töchter. In gleicher Weise kann communis, das sonst, 
wo es in dieser Urkunde ohne näheren Beisatz steht (1, 37. 50. 2, 37. 46), wie 
es auch logisch nicht anders sein kann, das dem Sprecher und der Angerede- 
ten Gemeinschaftliche bezeichnet, unmöglich 1, 18 das den beiden Schwestern 
Gemeinschaftliche anzeigen. Besonders klar tritt die Unrichtigkeit der ent- 
gegengesetzten Auslegung hervor in den Worten 1, 18: testamentum ruptum 
non esse ut [utergue — naeh Rudorff pro parte — potius] hereditatem tene- 
remus quam omnia bona sola possideres; denn hier erscheint das wir im 
deutlichen Gegensatz zum du, während nach Rudorffs Auffassung als Sub- 
ject der ersten Alternative zu denken sein würden C. Cluvius und die Frau 
und der Redner und die Frau, als Subject der zweiten der Redner und die 


Zwei Sepulcralreden aus der Zeit Augusts und Hadrians. 481 


Frau. Es leuchtet ein, dafs um dies auszudrücken theils eine nähere Be- 
zeichnung des Subjects in der ersten Alternative erforderlich war, theils die 
zweite auch auf wir und nicht auf du zu stellen gewesen wäre, es also etwa 
hätte heifsen müssen ut ego et C. Cluvius cum te sororeque tua oder auch 
blofs ut utrique potius hereditatem teneremus quam omnia bona nos soli 
possideremus. — Auch durch die auch von mir als nicht unwahrscheinlich 
aufgestellte Annahme, dafs der testamentarische Vormund der Bräutigam 
war, wird die unmögliche Interpretation nicht möglich. Einmal hätte, 
wenn auf diese Tutel etwas ankam, sie erwähnt werden müssen, da das 
Schriftstück ja doch für das Publicum bestimmt war; eine Identification 
ferner zwischen Vormund und Mündel, wefshalb die dem letzteren zufallende 
Erbschaft bezeichnet werden könnte als beiden gemeinschaftlich, kennt das 
Recht nicht. Ob das Partitionslegat zur Umgehung des voconischen Ge- 
setzes aufgebracht worden ist, mag dahin gestellt bleiben; aber dafs es nur 
da Gültigkeit gehabt haben soll, wo es in fraudem legis Voconiae gegeben 
war, ist doch eine mehr als willkürliche Annahme, zumal da dasselbe ja 
gar nichts anderes ist als eine einfache Anwendung des Princips uti lingua 
nuncupassit. Das Einzige, was mit einigem Schein für Rudorffs Annahme 
sich anführen läfst, ist das, dafs die Frau erklärt, wenn das Testament um- 
gestolsen und sie zur Intestaterbfolge berufen werde, sie dennoch mit der 
Schwester theilen werde, ohne dafs hierbei der Mann genannt wird, mit dem 
sie doch auch getheilt haben mufs. Allein dies konnte füglich unausgedrückt 
bleiben, da es dem Sinne nach schon in der vorhergehenden Bemerkung 
liegt, dafs die Verstorbene lieber mit dem Gatten gemeinschaftlich als allein 
habe erben wollen; es ist in der Ordnung, dafs dies nicht wiederholt, son- 
dern nur die Aufrechthaltung des Legats noch besonders erwähnt wird. 
Darum bedarf es auch nicht des übrigens nahe liegenden Auswegs hinter 
sorore 1, 20 noch mecumque einzuschalten. Dafs in der That die Aufrecht- 
haltung des Testaments nicht blofs der Schwester, sondern auch dem Manne 
zum Vortheil gereichte, liegt augenscheinlich in der Schlufsbemerkung (1, 25) 
wonach die Verstorbene in diesem Act ebenso wohl ihre Liebe zu der 
Schwester wie ihre Treue gegen den Mann bethätigte. Rudorff versucht 
dies aus der testamentarischen Tutel desselben zu erklären. Aber dafs der 
Vormund dem Mündel ides schuldet, gehört gar nicht hierher, da es sich 
hier vielmehr um die fides des Mündels gegen den Vormund handeln würde. 
Philos.-histor. Kl. 1863. Ppp 


482 Monmmsen: 


Vor allem aber ist es ganz undenkbar, dafs die testamentarische Tutel als 
ein dem Vormund nützliches Recht behandelt worden sein soll, für dessen 
Nichtanfechtung er dem Mündel zu Danke verpflichtet sei. — Mir scheint 
es ausgemacht, dafs die einfache Interpretation der erhaltenen Worte, die 
freilich einen willkürlichen Wechsel zwischen Plural und Singular überhaupt 
nicht, am wenigsten in zwei sich entgegengesetzten Satzgliedern gestatten wird, 
nimmermehr dahin führen kann, dafs der Erblasser seine beiden Töchter zu 
Erbinnen eingesetzt habe. 


Zwei Sepulcralreden aus der Zeit Augusts und Hadrians. 483 


I. 
Grabrede des Kaisers Hadrian auf die ältere Matidia. 


Das Fragment einer ähnlichen Rede, von 37 durchaus zu Anfang de- 
fecten, am Schlufs aber unbeschädigten Zeilen, befand sich zu Ende des 
15. und zu Anfang des 16. Jahrhunderts in Tivoli in der Kirche S. Paolo. 
Ich kenne davon drei Abschriften: 

1) in der Sammlung des Jucundus; mir liegen Abschriften dieses 
Textes vor aus dem Veroneser Codex f. 131 und aus dem weit schlechteren 
barberinischen XXX, 171 f.2v., der nur selten berücksichtigt ist. Die 
Zeilenordnung ist nicht eingehalten, auch sind Lücken oft falsch angegeben 
oder nicht angegeben; übrigens ist die Abschrift nicht ungenau und von Er- 
gänzungen ziemlich frei. 

2) aus einer anonymen Sammlung von tiburtinischen Inschriften in 
der Handschrift Yat. Ottob. 2970 f.24v. 25r. aus dem 16. Jahrhundert. 
Diese Abschrift, die genau die Zeilen einhält und von allen Ergänzungen 
frei ist, ist unter den mir vorgekommenen bei weitem die beste. Ligorius 
hat sie gekannt und im 20. Band seiner Turiner Collectaneen wiederholt; seine 
Abweichungen sind lediglich Fehler und hier übergangen. 

3) aus der Sammlung von tiburtiner Inschriften eines gewissen Fran- 
cesco Mancini, wovon Metellus im J. 1546 die im cod, Fat. 6039 £f. 343 
erhaltene Abschrift nahm. Ein zweites minder genaues Exemplar desselben 
Textes findet sich in der Handschrift des Aldus Yat. 5237 f. 423. 424. Auch 
Ligorius hat die Abschrift Mancinis gekannt und im 39. Buch seiner Neapo- 
litaner Collectaneen wiedergegeben. Nach diesem Text ist die Inschrift 
gedruckt und zwar bei Doni 10, 51 nach Aldus, bei Mur. 1398, 4 nach 
Ligorius. — Dafs diese drei Exemplare alle auf dieselbe Quelle zurück- 
gehen, beweist aufser der fast vollständigen Übereinstimmung der Lesungen 
das allen gemeinsame Fehlen der Z.4 und 10. Diese Abschrift hält die 
Zeilen ein, ist aber durch ungeschickte Ergänzung der defecten Wörter aufs 
äufserste entstellt. Es schien genügend die Varianten des metellischen Ex- 
emplars vollständig und einzelne des Aldus anzugeben. 


Ppp 2 


485 Momnsen: 


TATE 
BATIVA - VEL 
ENTISSIMVS - FVI 
MAM - SOCRVM - AMAN 
SIBIQVE-SALVAM-SABINAE-MEAE 
MATRI - MEAE - FACEREM 
NCIPATVM-AC.DEINCEPS. VSQVE-AD-ILLAM 
DINEM - QVA - DIEM - SVVM - OBIIT - COMES - ET - CON 
VERENDO - VT - FILIA - COMITATE - NVLLA - NON - FA 
VISA -EST 
MORIBVS - SOCRVS . MEAE - NAM - QVI - POTVIT - EFFICI 
FEMINAE - GRAVITATEM - FERRET - OMNINO - NE 
SVMME - PROBARET 
NGILLATIM - DE -VIRTVTIBVS-EIVS-OMNIA :-QVAE 
R-SI-NON - ITA - VICTVS - ESSEM - PRAESENTI - CONFVSIONE 
E - VELIM - ET - DICERE - TANTVM - QVAE - POSSIM - INDIG 
AVT - LAVDIBVS - EIVS - DIGNVM ». AVT - DOLORI - MEO 
EST - IMAGO - TRISTISSIMA - SOCRVS - OPTVMAE - LABENTIS 
IS - ETIAM - NVM - STREPVNT - LVCTVOSIS - CONCLAMATIO 
VM - MEARVM 
MI- MEI-SVBLEVATE -ET-EA-QVAE - PVLCHRE - SCITIS-DE- MO 
OTE - SI-POTIVS- VT -NOTA - DICENTVR - QVAM -VT- NOVA 
O - CARISSIMA - POST - EVM - LONGISSIMO - VIDVVIO - IN - EXIMIO - FLO 
SVMMA - PVLCHRITVDINE - FORMAE - CASTISSIMA - MATRI - SVAE 
ENTISSIMA - IPSA - MATER - INDVLGENTISSIMA -» COGNATA - PIIS 
ANS - NVLLI - GRAVIS - NEMINI -. TRISTIS - IJAM - QVOD - AD. ME. ATTI 
LARI - POST - TANTA - MODESTIA - VTI - NIHIL - VMQVAM - A - ME - PE 
BRAQVE - NON - PETIERIT - QVAE - PETI - MALVISSEM - INTER - MEAS 
E-VOLVNTATIS-PLVRIMIS - ET - LONGISSIMIS - VOTIS - PRECATA - TALEM 
T-VIDIT-GAVDERE-FORTVNA -MEA -MALVIT-QVAM-FRVI 
INM - SANGVINE - ADOPTIONE - IN - CONSOBRINAE 
AVGVSTAE - FILIAM-ET - DIVAE - AVVN 
TVM-DECVS-PRO - MERITIS - HONES 
E - DIGNEMINI - ROGO 
VNTATE - ADVERSVS 
IN-RE-TALI 
V. CEREVE 


10 


20 


25 


30 


35 


nn $ oo m 


» © 


10 
11 
13 
14 
15 
16 
17 
18 
19 


20 
21 


22 


23 
24 
25 
26 
zu 
30 
31 
32 


33 
34 
35 


36. 


[77 


Zwei Sepulceralreden aus der Zeit Augusts und Hadrians. 486 


TATE Manc., ATE Ott., om. Iuc. 
BAIIVA Manc. (BALLVA Ald.), ATıva Ött., va Iuc. 
ENTISSIMVS Ött., NTISSIMVS Juc., DIGNISSIMIS Manc. 
om. Manc. 
TISSIMAM (sic Aldus; TImssImam Met.) Manc. praemittit, quo expletum fuit in exemplo 
antiquiore AMAN v.4 extr. — SIıBIQ_Manc. 
NCIPATVM Ött., PRINCIPATVM Juc., MVNICIPATVM Manc. 
DINEM Juc., INEM Ött., MAGNITVDINEM Manc. — conil|ıvx Manc. 
VERENDO Juc., ERENDO Ött., QVERENDO Manc. 
om. Manc. 
EFFI Juc. 
SVMME Ott. Juc., visvm-ME Manc. — PROBARE Manc. 
SINGILLATIM Manc. 
R-SI Juc., sı Ott., vırsı Manc. (vıxı Ald.). 
in. E Ott. solus. — DICER Manc. — Inter QvAE et POssıMm lacuna apud Iuc. — ınnıcı Manc. 
DIGNAM Juc. (Ver., non Barb.), apud quem sequitur lacuna. 
inter TRISTISSIMA et SOCRVS lacuna apud Iuc.— LABENTS Manc, 
S ETIAM Juc. Manc. — inter NVM et STREPVNT lacuna apud Iuc. — STREPVNT Iuc. Manc., 
... PVNT Ott. — LVCTVOSII CONCLAMATO Manc. 
vM Ött., NVM Iuc., ERVMNAR Manc. 
SVBLEVATO -ET-EA Ött., SVBLEVATE-CA Manc. (SVBLEVATE»A Ald.). — PVLCHRAE.... 
scıTıs Juc. — mo|rıBvs Manc. 
OTE - sı Ott. Iuc. (Barb., TESI Ver.), ETsı Manc.; fuitne POTEST?— DICENTVR Manc. Iuc. 
(apud quem sequitur lacuna), DIGNETYR Ott. 
CHARISSIMA Manc. — inter EVM et LONGISSIMO lacuna apud Iuc. — FLO||RE Manc. 
VMMA Juc. (apud quem sequitur lacuna). — FOIRME Manc. 
BENE - MERENTISSIMA Manc. 
NVRVI GRATIS - NEMINI + STRISTIS Ott. — MEI Ott. — ATTINET Manc. 
LARI Ött., Arı Iuc., HILARIı Manc. — 27. 28 PE||BRAQVE Ott., ||LIBRAQVE Manc., PLERAQ. Iuc. 
T-vıpıt Manc., vıpır Ott., DIT Iuc. — Qyem Manc. 
ınm habet Manc. solus. 
AVGVSTAE Ött., ET -AVGVSTAE Manc., VSTE Iuc. — DIVE Manc. — AvvMm Iuc., AVVN||CVLE 
Manc. 
TvM Ott., EARVM Manc., om. Iuc. — HONES Ott. Iuc., NON - Es||sE Manc. 
E - DIGNEMINI Manc., ET - IGNE MINI Ott., GNEMINI Iuc. 
VNTATE Ött., TE Iuc., DIGNITATE Manc. 
37 sic Ott.; RE TALI (om. In et v. 37) Iuc.. Manc. Metelli sic: 

TI- TVLIVS.....IN-RE- TALI 

AVGVSTI-LIB ... . RE- VF 

SATRRIO 

similiterque Aldus, sed TI-IvLIVS et RE- VE et SATBRIO; adhaesit apud Mancinium 
titulus ab hoc de quo agitur diversus Ti. Iulii Aug. 1. Satyrionis. 


486 Moummsen: 


Es liegt uns hier das Fragment einer Gedächtnifsrede vor, die der 
Schwiegersohn der Schwiegermutter hält; gerichtet ist sie nicht wie die eben 
behandelte an die Verstorbene, sondern an die Zuhörerschaft und wie schon 
gesagt, ohne Zweifel als eigentliche Zaudatio funebris zu betrachten. Man 
hat bisher nicht bemerkt, auf wen sie sich bezieht; aber es läfst sich mit 
Sicherheit zeigen, dafs der Redner kein anderer ist als der Kaiser Hadrian 
und die Verstorbene, deren Andenken er feiert, die Schwestertochter Tra- 
jans, die Mutter seiner Gemahlin Sabina, die ältere Matidia. Um dies dar- 
zulegen, ist es zunächst nothwendig den Stammbaum der Matidia vorzulegen 
und die wenigen Nachrichten, die wir über sie besitzen, zu sichten (!). 


M. Ulpius Traianus 


„TE Seesen 
(Ulpia) Marciana Augusta, später Diva Traianus — Pompeia Plotina 


geb. spätestens 48, + 112/115. geb. 53, + 117. 
Matidia Augusta — L. Vibius Hadrianus 
geb. spätestens 68, | geb.76, +138. 
+ vor 138. | 
Tu 
Hadrianus — Sabina Matidia, später Diva Augusta 
geb. spätestens 88, vermählt + nach 138. 


um 100, + kurz vor 158. 


Die approximativen Geburtsjahrbestimmungen für Marciana, die ältere Ma- 
tidia und Sabina folgen daraus, dafs die letztere vor dem J. 101 sich mit 
Hadrian vermählte(?), also um dasJ.100 wenigstens zwölf Jahre alt gewesen 
sein mufs. Das Todesjahr der Marciana läfst sich mit ziemlicher Genauigkeit 
daraus bestimmen, dafs sie einerseits in einer zwischen 1412 und 114 geschla- 
genen Münze noch als lebend (°), andrerseits in einer Inschrift vom J. 115(*) 
als verstorben aufgeführt wird. Ihr Gemahl, vielleicht ein Matidius, ist nicht 
bekannt. — Von ihrer Tochter, der älteren Matidia finden wir die früheste Er- 


(‘) Was Francke (Traian S. 34 fg.) giebt, ist unbrauchbar. 

(?) Spartianus Haar. 2. j 

(°) Marciana Aug. soror imp. Traiani Caes. Aug. Germa. Dac. cos. FI p. p., daneben 
Matidia Aug. f. (Cohen 2, 93, 1. 2 vgl. Eckhel 6, 468). Diese Münze ist geschlagen nach 
111 wegen des cos. YZ, vor 115 wegen des fehlenden optimus. 

(*) Orelli 792. 


Zwei Sepulcralreden aus der Zeit Augusts und Hadrians. 487 
wähnung auf der eben angeführten zwischen 112 und 114 geschlagenen Münze, 
wo sie neben ihrer Mutter als Matidia Aug(ustae) f(ilia) aufgeführt und als 
sitzende Frau dargestellt ist, hinter der ein Kind steht(!). Sie war damals, 
wie die Tafel so wie die Münze selbst zeigt, bereits seit langer Zeit Frau und 
Mutter; dafs ihr Gatte L. Vibius hiefs, hat Borghesi durch eine Freigelassenen- 
inschrift (?) wahrscheinlich gemacht, übrigens ist er nicht weiter bekannt. 
Auf einer späteren nach dem Tode ihrer Mutter geschlagenen Münze führt sie 
den Titel Augusta (°). Sie sowohl wie Plotina waren zugegen bei Trajans 
Tode 117 und brachten dessen Asche aus Kleinasien nach Rom (*). Sie 
starb vor Hadrian und wurde von ihm mit Leichenspielen und sonst hoch 
geehrt (°). Aber consecrirt wurde sie nicht von ihm, sondern wie es scheint 
erst geraume Zeit nach ihrem Tode von Antoninus Pius, denn noch in In- 
schriften der jüngeren Matidia aus dessen Zeit werden zwar die Grofsmutter 
Marciana und die Schwester Sabina, aber nicht die Mutter Matidia mit dem 
Prädicat diva bezeichnet (°). — Ihre ältere Tochter starb bekanntlich eben- 


(') Dals dieses Kind ebensowenig wie die zwei Kinder auf den jüngeren Münzen der 
älteren Matidia auf Sabina und die jüngere Matidia bezogen werden dürfen, hat Eckhel 6, 
468 mit Recht bemerkt; dennoch ist noch in dem Werke von Cohen auf seine Einwendun- 
gen keine Rücksicht genommen. 

(?) Henzen 5460 = I.N. 7133. 

(?) Matidia Aug. divae Marcianae f. )( pietas August., Frau zwischen zwei Kindern. 
Cohen 2, 95. 96 n. 5. 6. 7. 9. 

(G) Spartian Hadr. 5: (Hadrianus) Antiochia digressus est ad inspiciendas reliquias 
Traiani, quas Tatianus, Plotina et Matidia deferebant, quibus exceptis et navi Romam di- 
missis ipse Antiochiam regressus. 

(°) Spartianus Hadr. 9: socrui suae honores praecipuos impendit ludis gladiatorüs ceteris- 
que officüs. C.19: Romae post ceteras immensissimas voluptales in honorem socrus suae 
aromatica populo donavit. Es kann dies unmöglich, wie Eckhel 6, 471 meint, von Ehren- 
bezeugungen verstanden werden, die ihr bei Lebzeiten erzeigt wurden. 

(°) I. N. 4055: Matidiae, Aug(ustae) fil(iae), divae Marcianae Aug(ustae) nepti, divae 
Sabinae Aug(ustae) sorori, imp. Antonini Pü p. p. matertere, Minturnenses d. d. Im 
Wesentlichen stimmen überein I. N. 4022. 4029. 4030. 4031. Entgegen steht diesen die 
nur durch Welser erhaltene Augsburger Inschrift (Reines. 3, 18): Matid[iae], divae Mati[diae 
Alug. fil., di|vae] Marciana|e Aug. ne]pti, divi [Traia]nı aöne[pti], divae Sab|inae Aus. | 
so[rori], wo der divus Traianus nicht der Kaiser ist, der ja auch Z’raianus Parthicus heilsen 
mülste, sondern dessen ebenfalls consecrirter Vater (Eckhel 6, 433). Will man nicht in jenen 
Steinen oder in diesem Redactionsversehen annehmen, so bleibt kein anderer Ausweg als 
der im Text vorgeschlagene, die Consecration nach Abfassung der campanischen Inschriften 
und vor Abfassung der Augsburger zu setzen. Bezeugt ist diese Gonsecration übrigens durch 


488 Monmmsen: 


falls noch unter Hadrian; dagegen überlebte die jüngere Matidia denselben 
und vielleicht geraume Zeit, da wir, wie gesagt, eine Reihe von Inschriften 
derselben aus der Regierung des Pius besitzen. Auf allen heifst sie schlecht- 
weg Matidia, nicht Augusta. 

Prüfen wir nun, wie das Thatsächliche, was sich aus unserem Bruch- 
stücke ergiebt, zu dieser Überlieferung stimmt. 

1) Z. 5 finden sich die Worte Sabinae meae, wobei am natürlichsten 
gedacht wird an die Gattin des Sprechenden, zumal da gleich vorher und 
nachher von der Schwiegermutter die Rede ist, die der Sprecher ehrt gleich 
der eigenen Mutter. 

2) Z. 31 lesen wir inm sanguine adoptione in consobrinae, das ist 
wohl: [diei patris mei nepte]m sanguine, adoptione in consobrinae [locum 
mihi constitutam]. Dies eben war das Verhältnifs Hadrians zu der Matidia: 
sie war nicht blofs seine Schwiegermutter, sondern auch durch Adoption 
seine Base, als Schwestertochter seines Adoptivvaters Trajan. Es folgt so- 
gleich: Augustae fillam et divae, was ebenfalls pafst auf die Matidia, die 
Tochter der diva Marciana Augusta. Alsdann war die Rede von dem 
avunl[culus], also von Traian; das Weitere ist verloren. 

3) Z. 7 erhellt, dafs die Verstorbene einen hochgestellten Mann, 
wahrscheinlich einen Fürsten, den sie an Vaterstatt verehrte, bis zum Todes- 
tage begleitet hat. Dies pafst auf die Matidia, die ihrem Oheim also gefolgt 
ist und an seinem Sterbebette gestanden hat. Man wird danach etwa ergän- 
zen dürfen: [Yenit ad avunculum post adeptum prilncipatum ac deinceps 
usque ad illam [extremam valituldinem, qua diem suum obüt, comes et 
con[tubernalis eum secuta est], verendo ut filia, comitate nulla non fa- 
[... . . nec usquam sine illo] visa est. 

4) Z.23 fg. lassen sich mit ziemlicher Sicherheit folgendermafsen her- 
stellen: [vixit marit]o carissima, post eum longissimo viduvio in eximio 


Münzen (Eckhel 6, 471; Cohen 2, 95. 96 n. 1—4. 8) und Inschriften (Orelli- Henzen 
2196. 5465: sacerdos divae Faustinae Aug. et divae Matidiae Aug.). Dals in der zuletzt 
aufgeführten Inschrift die Matidia der 141 verstorbenen älteren Faustina nachsteht, mag auch 
damit zusammenhängen, dafs sie erst nach dieser consecrirt ward. — Die Münze Hadrians 
mit divae Matidiae socrui (Eckhel 6, 472) ist sicher falsch. Inschriften der älteren Matidia 
selbst giebt es meines Wissens keine andere als die Stempelinschrift I. N. 6310, 127: Zi- 
beralis Matidiae Augustae p(rocurator), falls nicht auch hier f(iliae) statt p(rocurator) zu 
lesen ist. 


Zwei Sepulcralreden aus der Zeit Augusts und Hadrians. 489 


Jlo[re aetatis et] summa pulchritudine formae castissima, matri suae [ob- 
sequ]entissima, ipsa mater indulgentissima, cognata püs|sima, omnes 
iuv)ans, nulli gravis, nemini tristis. Alles dies läfst sich füglich auf die 
ältere Matidia beziehen. Dafs deren Mann früh starb, wohl bevor Traian im 
J.97 an das Regiment kam, ist sehr wahrscheinlich, da nirgends von ihm 
die Rede ist. Die Mutter Marciana dagegen mufs hochbejahrt gestorben 
sein. Die Kinder der Matidia kennen wir. Cognata piissima wird wohl ge- 
sagt sein mit Beziehung auf Hadrians Schwester Donsitia Paulina, so dafs 
das Wort hier, wie gewöhnlich auf den Inschriften und wie im heutigen 
Italienisch, nicht die Blutsverwandte überhaupt, sondern die Schwägerin 
bezeichnet. — Auch was sodann folgt, dafs die Verstorbene sich der for- 
tuna ihres Schwiegersohns wohl erfreut, aber davon keinen Nutzen gezogen 
und niemals Bitten an ihn gerichtet habe, pafst dazu, dafs dieser Schwieger- 
sohn Kaiser war. 

5) Endlich pafst es zu der überlieferten Thatsache, dafs Hadrian sei- 
ner Schwiegermutter nach ihrem Tode besondere Ehren erwies, dafs er 
ihr die Leichenrede hielt und diese in Stein einhauen liefs. Auch dafs der 
Fundort Tivoli ist, steht damit im besten Einklang. 


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Philos.- histor. Kl, 1863. Qqg 


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Kl, 


Über 
den Bilderkreis von Kleusis. II. 


„Von 
H”" GERHARD. 


nnannnannnavVen 


[Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 23. Juli 1863.] 


Ne. in einer früheren Abhandlung über den Bilderkreis von Eleusis 
Personal und Festanlässe des dortigen und von dort ausgegangenen cereali- 
schen Dienstes genauer erörtert worden sind, bleibt die dadurch eingeleitete 
Aufgabe zurück den auf uus gekommenen Denkmälervorrath dieses Bereiches 
nach Inhalt und Umfang eingehend zu würdigen. Es bietet zu diesem Behuf 
die Reihenfolge eleusinischer Gottheiten Heroen und Mythen selbstverständ- 
lich sich dar; sie verpflichtet uns zuerst von den der Demeter und Kora ge- 
meinsam gewidmeten Kunstdarstellungen zu reden. 


1. Die zwei Göttinnen. 


Der Wechselbezug einer stetigen und einer vergänglichen Erdkraft, 
die wir in der ihrer Tochter beraubten Göttin Demeter mythisch ausgebildet 
und in den zwei Göttinnen (!?7) von Eleusis dargestellt wissen, mulste früh- 
zeitig auch in den vom Tempeldienst ausgegangenen Denkmälern der Kunst 
sich aussprechen. Umfangreich und anschaulich geben Gestalt und Wesen 
der unzertrennlichen beiden Göttinnen in dem von den Gruppen entführter 
Kinder so genannten Harpyienmonument aus ÄXanthos sich zu erkennen ('’*), 
dessen Hauptseite am Eingang des Grabes die Göttinnen der trauernden und 
der wiederverjüngten Erde verbündet uns vorführt. Die offene Grabes- 
thür wird von einer symbolischen Gruppe der Mütterlichkeit, einer Kuh 
die ihr Kalb säugt, überragt; links davon sitzt Demeter, mit vorgestreckten 
Armen eine Schaale haltend, der am andern Ende des Bildes thronenden 
ähnlichen Göttin gegenüber, welche von drei heranziehenden Frauen begrüfst 
wird. Sinn und Absicht der Darstellung sind schon aus Nebenumständen 


Qgqg 2 


492 GERHARD 


ersichtlich: am vereinsamten Thron der Demeter ist als Wintersymbol eine 
Sphinx, am Thron der Persephone-Kora ein Widderkopf zur Andeutung 
des Lenzes ('°%) zu bemerken, welcher sie den Sterblichen wieder zuführt. 
Dieser einem Grabmal so wohl zupassende Gegensatz ist weiter ausgeführt 
durch Nebenfiguren, von denen Kora zur Wiedervereinigung mit ihrer Mutter 
eingeholt werden soll. Von den drei zu solchem Behuf der Unterweltsgöttin 
entgegen schreitenden Horen ist die dritte mit einem Ei als Symbol verschlosse- 
ner Belebung, die zweite mit Blüthe und Frucht der vieldeutigen Granate ver- 
sehen, wie auch Persephone selbst in einer Hand diese verhängnifsvolle 
Frucht in der andern aber die frisch aufknospende Blüthe derselben trägt. 

Wir haben dies tief empfundene Bild, das älteste welches von den 
zwei Göttinnen überhaupt auf uns kam und in ehrwürdiger Kunstform sie 
uns vorführt, bei erster Erwähnung bildlicher Darstellungen des eleusini- 
schen Götterpaares nicht übergehen können, obwohl wir auf Anlafs der 
Bilder von Kora’s Rückkehr auch weiter unten darauf verweisen müssen. 
Die gleichartige Auffassung der beiden Göttinnen, die dort in Gestalt und 
Stirnschmuck fast ohne Unterschied einander entsprechen, gestattet uns 
auch eine andere hieratische Darstellung derselben Göttinnen sofort hie- 
her zu ziehen, obwohl deren beide sehr verstümmelte Frauengestalten 
in Körperformen und in der zierlichen Hebung ihres Gewandes ohne 
sichtliche Unterscheidung von Mutter und Tochter einander entsprechen. 
Es ist dies der Fall bei den nach der Art aphrodisicher Spesfiguren gebil- 
deten und ergänzten Göttinnen, welche am aeginetischen Athenatempel den 
Gipfel seines Aetoma krönten (!*°) und schon bei erster Auslegung jener Bild- 
werke auf die aus Herodot bekannten Thesmophoriengöttinnen Dania und 
Auxesia ('*'), als Anlafs blutiger Fehde mit Epidauros bezeugt, gedeutet 
worden sind. In nächste Vergleichung damit kommen die leider gleichfalls 
verstümmelten Göttinnen, welche in einer athenischen Gruppe aus Thon der 
thronenden Pallas Athena zur Seite stehen (!*), nur dafs die eine dieser 
Figuren nach Gestalt und Gewandung in der nur unterwärts erhaltenen an- 
deren den Unterschied der jungfräulichen Kora von einer mütterlichen De- 
meter uns voraussetzen läfst. 

Noch andere Beispiele der in hieratischer Verbindung dargestellten 
beiden Göttinnen lassen hienächst sich erwähnen. Thronend neben einander, 
mit zum Theil undeutlichen Attributen, glaubte ich sie auf einem Altar zu 


über den Bilderkreis von Eleusis. LI. 493 


erkennen, den Ludwig Rofs in der Umgegend Athens mir zeigte und dessen 
cerealische Bedeutung unzweifelhaft bleibt, wenn auch der neuerdings aufge- 
deckte Revers dieses Altars, welcher dadurch als späteres Denkmal attischer 
Taurobolien erscheint, zunächst eine Zueignung an die Göttermutter ent- 
hält ('#). Der vermuthlichen Demeter ist dort eine schlangenumwundene 
Fackel zugetheilt; ebenfalls eine Schlange ist den aufrecht gestellten zwei 
Götterbildern im Lectisternium eines pränestinischen Marmors (!**) beigesellt 
und findet sich wieder in einer der rohen Terracotten gleichen Fundorts, aus 
denen ich vor längerer Zeit cerealischen Thesmophoriendienst für das alte 
Praeneste nachweisen zu können glaubte (1). Eine gleiche Zusammen- 
stellung beider sitzender Göttinnen ist auch aus unteritalischen Terracotten 
nicht unbekannt (!*) und wird durch ein Votivrelief taurischen Fundes (!*7) 
neu bezeugt. In freierer Gruppirung sind beide Göttinnen in einem angeblich 
aus Eleusis herrührenden Votivrelief der Sammlung Pourtal&s(!**) dargestellt, 
in welcher ein Zug schutzflehender Sterblicher ihnen entgegenzieht, und 
ebenso wenig fehlt es an noch anderen Denkmälern in welchen sie als ge- 
bietende Gottheiten von Eleusis sich zeigen ('**), wie solches hauptsächlich 
in den zahlreichen Vasenbildern der Triptolemossage ('°°) der Fall ist. Die 
vorgerückte Kunst konnte den Unterschied von Mutter und Tochter in sol- 
chen Darstellungen nicht ganz aufgeben; doch sind wir um sichere Unter- 
scheidung der beiden unzertrennlichen Göttinnen nicht selten verlegen. 
Breitere Körperformen, vollere Kopfbedeckung, vielleicht auch eines oder 
das andere Attribut, dann und wann auch die trauliche Geberde des auf die 
Tochter gelegten Armes sind allerdings als unterscheidende Merkmale der 
mütterlichen Göttin zu nennen ('5!); diese Merkmale sind jedoch oft unzu- 
länglich und scheinen bei ihrer Geringfügigkeit fast mehr die im Ganzen 
bezweckte Gleichstellung der nur im innigsten Wechselbezug zu denkenden 
Göttinnen ('32) als ihre mythisch begründete Unterscheidung zu bekunden. 
Nicht viel anders mag es auch mit den Marmorkolossen des Damophon 
sich verhalten haben, jenes im Dienst der Mysterien von Theben aus viel- 
bethätigten Bildners, der sowohl die Retterin Kora von Megalopolis ('°°) als 
auch die Despoena von Akakesion ('%*) mit Demeter gemeinsam thronend 
dargestellt, aber vielleicht mehr für den bedeutsameren Prunk in Beiwerk 
und Nebenfiguren, als für den selbstredenden Ausdruck beider Göttinnen 
gesorgt hatte ('°°). 


494 GERHARD 


2. Einzelbilder. 


Die alteKunst mufs anStatuen derDemeter reich gewesen sein, wenn 
auch die täuschende Ergänzung vieler mit cerealischen Attributen versehener 
Marmore ('56) kein genügendes Zeugnifs dafür ablegt. Der Kunst des Praxi- 
teles, die in ihrem Bilderkreis sich vielfach bethätigte, müssen Schnitzbil- 
der (157) und alterihümliche Statuen vorangegangen sein; Statuen dieser 
Göttin von berühmter Künstlerhand ('5%) werden mehrfach erwähnt, und 
vortreffliche Köpfe der Demeter sowohl als ihrer Tochter sind auf griechi- 
schen, hauptsächlich sicilischen, Münzen in reicher Anzahl, zugleich sicherer 
als in manchem willkürlich benannten Marmorkopf uns dargeboten ('°°). 
Nichts desto weniger vermifst man hervorstechende statuarische Typen, so 
dafs die vorhandenen durch einige schöne Wandgemälde dieser Göttin fast 
überboten werden. Indefs ist neben dem Unterschied sitzender ('°°), stehen- 
der('61) und schreitender('°?) Stellung die ideelle Verschiedenheit der mit Kala- 
thos oder Schleier('°%), mit Herrscherstab oder Fackel('°*), mit Rind (!°) oder 
Schwein (15%), Mohn und Ähren (!%7), Früchten ('%%) und Füllhorn ('%), mit 
der Tempelschlange('?°) und der mystischen Cista('”'), alsMalophoros mitÄp- 
feln (172), als TbesmophorosmitRolle('7°), als Kurotrophos ('’*) und Amme('?°) 
mit einem Knäblein und in ihrem vielfachen Bezug mit noch manchem andern 
Attribut( 17%) versehenen Göttin wenigstens durch ihre Attribute augenfällig. 

Ungleich weniger wird in unserm Denkmälervorrath die plastische 
Durchbildung der Persephone-K.ora('’’) vermifst. Thronend als Unterwelts- 
göttin, durch einen Granatapfel und durch Herscherstab oder Fackel be- 
zeichnet, ist sie in Gräberstatuen und Thonfiguren, Wandgemälden und Va- 
senbildern dargestellt ('7°), und nicht minder häufig, wenn auch oftmals 
verkannt, ist dieselbe Göttin in aufrechter Stellung, sei es als chthonische, 
nächtliche, lunarische, oder als Saat- und Frühlingsgöttin aphrodisischen 
oder bacchischen Ansehens, oder endlich in jenem mystischen Doppelsinn 
nachzuweisen, in welchem sie als höchste Gebieterin, erst den Tod und dann 
wiederum Leben bringend, verehrt ward (!’°). Belege für jede dieser Auf- 
fassungen sind in den Kunstwerken so verständlich als zahlreich uns darge- 
boten und lassen am füglichsten nach Mafsgabe der Attribute sich verfolgen. 
Von chthonischen Attributen wird aufser dem Kalathos und der Granate auch 
die Gans als Symbol feuchter Tiefe, seltener das tellurische Schwein, von 


über den Bilderkreis von Eleusis. II. 495 


Gewächsen Eichenlaub und Nareisse, und statt einzelner Früchte mitunter 
auch das an Pluton und Plutos sowohl als an Tyche erinnernde Füll- 
horn ihr zugetheilt (°°). Als nächtliche Göttin, mit aufrechter oder gesenk- 
ter Fackel oder auch mit einem Hirschkalb versehen, spielt ihre Erscheinung 
in die der Artemis und der mit Artemis nah verwandten Hekate hinein, denen 
sie zuweilen auch durch kurze Jägertracht angenähert wird, wie denn auch 
lunarische Attribute, namentlich die dem Halbmond entsprechenden Kuhhör- 
ner, der durch eine schwarze Opferkuh vorzugsweise geerthen Persephone 
füglich zugetheilt werden konnten (!*'). Ungleich häufiger aber hat die ge- 
fälligste Auffassung ihres Wesens als wiedererstandene Saatgöttin, kenntlich 
gleich ihrer Mutter durch Ähren und Mohn ('%), in der bildenden Kunst 
eine Entwicklung gefunden, in welcher sie zunächst als Göttin des Lenzes 
Blüthen darbringend mit der als grünende Chloe gedachten Demeter gleich- 
geltend erscheint ('%?), dann aber auch den aphrodisischen Doppelsinn ihrer 
dem Todtenreich neu zueilenden Lebensfülle verständlich ausspricht. Die 
Bildner liefsen hiebei den aphrodisischen Reiz sich willkommen sein, 
den die ansehnliche Reihe auf uns gekommener Proserpinabilder in Art der 
römischen Spesfiguren mit tanzmälsiger Hebung des Gewandes und vor sich 
gehaltener Blüthe uns ausdrückt, wie denn auch bei freierem Styl neben 
nackten und bacchisch bekränzten Korabildern ('%*) Tanzbewegung und 
Blüthe characteristisch für Korn blieben. 

Eine Fortbildung andrer Art fand jener gefällige Typus der ältern 
Kunst durch Hinzutritt von Andeutungen des verhängnifsvollen Doppelsinns 
der an Öber- und Unterwelt gleicherweise betheiligten Göttin. In den ge- 
meinhin als Venus -Proserpina bezeichneten Idolen, in denen wir, wie es 
scheint, das Götterbild der kleinen Eleusinien besitzen, ist die aphrodisische 
Gewandung der Spesfiguren wiederholt, zugleich aber durch die auf die 
Brust gelegte Hand eine Geberde des Todesschlafs gegeben, welche durch 
darin gehaltenen Apfel, zuweilen auch einen Becher, eine Hinweisung auf 
bacchisches Wesen, verstärkt wird (13). 

Die Verwandtschaft der Mysteriengöttin Persephone mit Aphrodite 
läfst, wie in jenem typisch gewordenen Götterbild, dann und wann auch in 
Anwendung der für weibliche Gottheiten ungewöhnlichen, für Aphrodite 
jedoch bezeugten, Hermenform ('?°) für Persephone sich nachweisen; im 
Ganzen jedoch war jener Wechselbezug hauptsächlich für freiere Bildungen 


496 GERHARD 


dieser Göttin ergiebig. Der Euphemismus der bildenden Kunst, der aus den 
hieratischen Idolen eines kunstgeschichtlich noch nicht ganz erkundeten Ur- 
sprungs uns entgegentritt, konnte noch weniger im Zeitalter vollendeter 
Kunst und gesteigerter Mystik sich verleugnen; er lehrt uns die mit aphro- 
disischem Reiz überkleidete Todesgöttin der Mysterien in zahlreichen Kunst- 
werken erkennen, bei denen die Kunsterklärung allzu oft dieser Entschei- 
dung auswich. Statt der lähmenden Schrecken des Todes liefs man die 
Königin der Schatten, wie ein künstlicher goldener Kranz sie uns vorführt, 
in beflügeltem Siegesglanz ('?7), von Blumenflor umgeben, in schwellender 
Fülle der Jugend, nackt oder nur leicht verhüllt, anmuthreich im Schmuck 
ihres jungfräulichen Haars und von der Schönheit durchdrungen erscheinen, 
mit welcher die griechische Kunst auch den Todeskampf der Medusa über- 
strahlt. Von Marmorbildern sind die farnesische Flora und manche dem 
bacchischen Bilderkreis nahe gerückte Statue (!°*) hieherzuziehen, wie denn 
überhaupt die bacchische Mystik, dem mystischen Doppelsinn der Persephone 
analog und allmählich auch mythisch verschmolzen, nicht umhin konnte, 
Gruppirungen Attribute und Kunstformen für die Persephonebilder abzu- 
geben. Das Übergewicht dionysischer Einflüsse hatte vom spätern Athen aus 
die Persephone allmählig so umgestaltet, wie sie in spätrömischer Zeit als 
Göttin Libera mit Thyrsus und Hirschkalb, als Baechusgemahlin in Hermen- 
form, als schlummernde, wieder erweckte und mit dem Weingott vermählte 
Ariadne sich findet (!%%). Von der echt eleusinischen Auffassung war sie 
dadurch weit abgelenkt; nichts desto weniger hatte die anfängliche und 
vom bacchischen Element nur mässig berührte athenische Umbildung der 
Persephone-Kora aus den kleinen Eleusinien heraus in einer Selbststän- 
digkeit sich verbreitet, die auch der römischen Zeit neben dem bac- 
chischen Standpunkt der Sarkophagreliefs nicht ganz verloren ging. 
Beweiskräftig hiefür sind die nur selten mit Bacchus verknüpften Repliken 
des vorgedachten Idols der Venus-Proserpina, der noch in spätrömischen 
Reliefs durchschimmernde Glaube an Seelenführung durch die Mondgöttin 
zum Sonnenlicht, vielleicht auch die Ausspinnung des Mythos von Eros und 
Psyche, dessen Grundlage, dem bacchischen Wesen fremd, wir schon früher 
vielmehr in Eleusis zu erkennen glaubten ('*°). Ungleich mehr aber geht 
der Ideenkreis unteritalischer Vasenbilder, trotz der sehr vorgerückten Ein- 
mischung des Dionysos und seiner meist als Ariadne gedachten Gemahlin, 


über den Bilderkreis von Eleusis. II. 497 


von der Anerkennung einer selbstständigen Persephone aus, deren Darstel- 
lung auch mehr aphrodisische Elemente als bacchische zeigt. Belege hiezu 
gewähren im Euphemismus liebreizender Darstellung die mit den grofs- 
griechischen Vasen zugleich gefundenen Brustbilder und Köpfe aus Thon, 
Gräbervotive bestimmt die Göttin minder schreckbar erscheinen zu lassen, 
welche den ihr verfallenen Sterblichen auch jenseits der Pforten der Unter- 
welt eine glückselige Zukunft bereitet. Die Anmuth jener unaussprech- 
lichen Göttin wird durch bedeutsame Symbole, durch heranschwebende 
Liebesgötter und durch aphrodisiche Bildung uns näher gerückt (!?!). Fügt 
man hiezu die Köpfe berühmter Münztypen Siciliens und Grofsgriechen- 
lands, deren Bezug auf Persephone nicht zu bezweifeln steht (!??), so läfst 
sich beim Anblick ihrer durch Schönheit gemilderten majestätischen Strenge 
nicht zweifeln, dafs ein Kunstideal ('%°) der Persephone aller ideellen 
Schwierigkeiten ungeachtet von den Bildnern des griechischen Alterthums 
glücklich erreicht worden war. 


3. Die dritte Person. 


Der Mysteriendienst von Demeter und Kora ist aber auch in einer 
dritten Person begründet, deren mannigfach aufgefafste Persönlichkeit in 
den verschiedensten Mythen und Bildern sich offenbart. Dem Mythos vom 
Raub der Kora gemäfs ist es deren Entführer, der Unterweltsgott, dessen 
verborgene Macht im Wechselbezug zu den beiden Göttinnen die göttliche 
Satzung des Jahreslaufs abschliefst, und in der That erscheint Hades mit 
Demeter und Kora zugleich in Vasenbildern der Triptolemossage ('?*). Mit 
Kora gepaart, wie wir aus Vasenbildern des Unterweltshauses ihn kennen 
und auch in mancher römischen Darstellung ihm begegnen, findet er auch in 
Votivfiguren von Thon sich vor ('”°), sofern man nur keine Schwierigkeit 
hat den unterirdischen Bruder des Zeus in gewissen verschrumpften Gestalten 
anzuerkennen, die als Beisitzer der Kora oder auch als Träger derselben mit 
dem Symbol des Erdenreichthums, dem Füllhorn ihn uns vorführen. Diese 
sileneske Bildung macht uns die schriftlich bezeugte Gleichsetzung des Hades 
mit Dionysos begreiflicher, der mit dem Fortschritt orphischer Mystik all- 
mählich in allen cerealischen Kulten, zunächst in denen der Stadt Athen, sich 
festgesetzt hatte und demnach auch bildlich, namentlich in archaischen 

Philos.- histor. Kl. 1863. Rrr 


498 GERHARD 


Vasengemälden, als euphemistischer Stellvertreter des Hades mit Kora ver- 
bunden erscheint ('%). Dafs diese Verbindung aus Eleusis erst spät nach- 
weislich ist, ward schon früher (°) von uns bemerkt und durch die lange 
Zeit hindurch festgehaltene Sonderung des thebischen Dionysos vom Iacchos 
erklärt, in welchem die eleusinische Mystik den echtesten Genossen und Bei- 
stand der beiden Göttinnen erkannte. 


4. Die Kultusbilder von Eleusis. 


Jenen dreifachen Götterverein des eleusinischen Dienstes aus den 
Spuren vormaliger Kultusbilder irgendwie uns anschaulich zu machen wäre 
wünschenswerth, ist uns jedoch nur vermuthungsweise gegönnt. Der De- 
meter Verbindung mit Kora ist in jenem Dienst so ursprünglich, dafs ein 
Rückschritt von ihrer Doppelheit zu einheitlicher Bildung ('?”) nicht wohl 
sich denken läfst, und das wäre der Fail, wenn man dabei beharren wollte 
den aus Eleusis nach Cambridge gebrachten Kolofs mit Kalathos auf dem 
Haupt und dem Gorgonengesicht auf der Brust ('%°), Erde zugleich und 
Unterwelt andeutend, für das vormalige Tempelbild des eleusinischen 
Heiligthums zu halten. Ungleich mehr sind wir durch den ältesten Tem- 
pelbrauch Griechenlands darauf verwiesen, beide Göttinnen von Eleusis 
neben einander in sitzender Stellung, wie auch im eleusinischen Dienste 
von Megalopolis es geschah, etwa mit Zusatz des Schlangensymbols wie auf 
einem oben erwähnten Marmor ('**), uns zu denken. Die perikleische Zeit 
kann zugleich mit dem Umbau des Tempels auch den Glanz der Tempel- 
bilder gesteigert haben, wird aber von der geheiligten Überlieferung ihrer 
Gestalten so wenig als von ihrer Doppelzahl abgegangen sein. 

Schwieriger ist die Frage, ob jener heiligen Doppelzahl von Demeter 
und Kora im Fortgang religiöser und künstlerischer Entwicklung vielleicht 
auch ein Idol des mit überschwenglichem Festpomp gefeierten Iacchos bei- 
gefügt wurde. Man kann geneigt sein dies anzunehmen, wenn man bei 
Pausanias liefst, dafs auch der Gruppe von Megalopolis ein cerealischer 
Dämon, dort der zwerghafte idäische Herakles, beigesellt war, und auch 
noch andere Analogien scheinen dafür zu sprechen. So ist es beachtens- 
werth, dafs auch die thronenden Göttinnen praenestinischer Terracotten mit 
einem Kinde gruppirt sind ('?°), und noch ungleich näher als ähnliche, wie 


über den Bilderkreis von Eleusis. Il. 499 


ich jetzt glauben möchte, nicht sowohl auf Iacchos als auf den Plutos der 
Thesmophorien rückweisende Votivbilder liegt die Vergleichung der laut 
Pausanias im Iaccheion zu Athen aufgestellten praxitelischen Gruppe beider 
Göttinnen und des fackeltragend mit ihnen gruppirten Iacchos (?°°). Wie die 
von einem Fackelträger begleiteten Unterweltsgottheiten eines bekannten va- 
ticanischen Reliefs (°°!), mochten auch jene Göttinnen thronend und der sie 
begleitende Fackelträger nicht zwischen, sondern neben ihnen dargestellt 
sein — , letzteres um so mehr, wenn, wie sich annehmen läfst, die von 
Cicero erwähnte athenische Statue des Iacchos nicht als durchaus vereinzelt, 
sondern als ein den beiden Göttinnen lose verknüpftes Marmorbild zu be- 
trachten ist. Der Urheber dieses, von Athen mit eben dem Stolz ange- 
blickten Kunstwerks, mit welchem des Praxiteles Eros zu Thespiae und 
dessen Aphrodite zu Knidos gefeiert wurden, wird in jenem Zeugnifs (2) 
vermifst; erwägt man aber, dafs der praxitelische Iacchos desjenigen Heilig- 
thums, von welchem der eleusinische Festzug ausging, schon wegen seiner 
Örtlichkeit allbekannt sein mufste, ferner dafs Iacchosbilder ihrer Heiligkeit 
wegen zu Athen aufserhalb der wenigen dortigen cerealischen Heiligihümer 
nicht wohl denkbar sind, so ist kaum zu bezweifeln, dafs eben jener Iacchos 
des Praxiteles, obwohl ohne die Gruppe genannt der er angehörte, auch 
das von Cicero gemeinte Kunstwerk ist. 

Es kann nicht fehlen, dafs diese Erwägung auch für unsere Vorstellung 
von den Götterbildern des eleusinischen Tempels maafsgebend sei. Sicher 
bezeugt und unzweifelhaft sind dort für uns nur die zwei thronenden Göttin- 
nen; doch läfst, seit Iacchos den Mittelpunkt der ganzen Festandacht aus- 
machte, die Wahrscheinlichkeit sich nicht verkennen, dafs jenes im Aus- 
gangspunkt des eleusinischen Festzugs denselben Göttinnen beigesellte 
lacchosbild neben den entsprechenden Götterbildern im Heiligthum zu Eleu- 
sis vielleicht wiederholt war. Aufser der praxitelischen Gruppe und dem den 
Göttinnen von Megalopolis beigesellten zwerghaften Mysteriendämon spricht 
auch noch der Umstand dafür, dafs im eleusinischen Festpomp bei Claudian 
ein dem D onysos identischer Thyrsusträger Iacchos erwähnt wird, wie er 
in späterer Zeit dem mystischen Fackelträger lacchos leicht untergeschoben 
werden konnte. 


Rrr?2 


500 GERHARD 


5. Bilder des Jacchos. 


Der dämonische Iacchos, in welchem der Glanz des eleusinischen 
Festes seinen Mittelpunkt fand, ist in unserer früheren Erörterung nicht nur 
vom volksmäfsigen Dionysos, sondern auch vom Plutos der Thesmophorien 
und vom Eros des unteritalischen Mysterienwesens geschieden worden. Es 
ist hier der Ort, mehr als oben geschah für die Deutung der Kunstdenkmäler 
davon Gebrauch zu machen und eingehender zu fragen, wie wir die Iacchos- 
bilder, an denen im griechischen Alterthum es selbst statuarisch nicht 
fehlte (20%), im einzelnen uns zu denken berechtigt sind. Für beseitigt kön- 
nen, wie von uns schon früher bemerkt ward, diejenigen Annahmen gelten, 
welche durch allzu buchstäbliche Auslegung der Namensinschriften den Iac- 
chos auch in Gestalten des reiferen Mannesalters erkennen wollten (?°*), und 
als noch bestritten bleibt auch der kräftige Ephebe, den auf dem grofsen 
eleusinischen Relief, einem Kunstwerk aus bester Zeit, Demeter und 
Kora zärtlich anblicken (?”°), samt andern noch ungleich weniger gesicherten 
Iacchosbildern (?°°), zunächst aufserhalb unsrer Betrachtung. Da ferner der 
im Thesmophoriengebet mit Kalligeneia zugleich angerufene Plutos, jener 
Verbindung und seiner sonstigen Auffassung gemäfs, als Knabe oder Ephebe 
zu denken ist, so liegt es nahe, manche der Auffindung und Pflege kleiner 
Knaben gewidmete Darstellung und selbst die Knabengestalt gewisser cerea- 
lischer Gruppen auf Plutos und auf Thesmophorienanlässe zu beziehen (277), 
zu denen unter andern auch die Votivschweine mit darauf gesetzten Knaben 
im Sinne des von Thesmophoriazusen erbetenen Kindersegens gehören 
dürften (?°®). Die Schwierigkeit hierüber zu entscheiden reicht weit genug, um 
selbst bei Knabengestalten, welche durch die von ihnen erhobene Fackel 
dem lacchos vorzugsweise sich eignen, zwischen der Deutung auf Iacchos 
und Plutos zu schwanken, namentlich wenn ein bekanntes Gemmenbild die 
Auffindung eines wundersamen Knäbleins mit Fackeln und Halbmond durch 
drei heranschreitende Frauen, vielleicht Thesmophoriazusen, uns vorführt. 
Indefs ist gerade der Fackelglanz des Iacchos so hochberühmt, dafs man in 
fackeltragenden Knaben zunächst den eleusinischen Dämon und, wenn dieser 
in attischen Bildern nicht sicher uns vorliegt, ein Abbild desselben, namentlich 
im geflügelten Fackelträger unteritalischer Mysterienbilder (2°), gern an- 


über den Bilderkreis von Eleusis. II. 501 


erkennt. Auch gewisse phantastische Darstellungen eines aus Blumenkelchen 
aufsteigenden oder von Blüthen getragenen (*!°) Knaben können nicht blofs 
auf Eros, sondern auch auf lacchos zurückgeführt werden, dessen schweben- 
der Luftschritt aufserdem sowohl die schwebenden Knaben, die in archa- 
ischen Vasenbildern dann und wann der rückkehrendeuKora vorangehen (?!'), 
als auch gewisse zum Aufhängen bestimmte Jünglingsgestalten (?!?) nolani- 
scher Gräber hieherziehen läfst. Obwohl diese beiderlei Vorstellungen in 
Kunstgattungen sich finden, welche dem eigensten Dienst von Eleusis nicht 
nahe verwandt zu sein scheinen, so ist doch die Deutung jener lufti- 
gen Dämonen auf Iacchos nicht schlechthin abzuweisen, indem die Be- 
rühmtheit des eleusinischen Iacchos jedenfalls grofs genug war um auch in 
den Ideen- und Bilderkreis der mit Eleusis nur in der Grundlage verwandten 
cerealischen Kulte eingreifen zu können. Wenn der mystische Iacchos zur 
Zeit des freien Griechenlands vielleicht nur in Eleusis gefeiert wurde, so ist 
seine Einflechtung in andre Mysterien für die Zeiten späterer Religions- 
mischung deshalb nicht zu bezweifeln. Wir werden diese seine Verbreitung 
bald noch mehr bestätigt finden, wenn wir bis in die Auswüchse später My- 
stik hienächst ihn verfolgen, haben sie aber zuerst aus seiner berühmtesten 
und durchgreifendsten Erscheinung, aus der vielbewunderten Knabengestalt 
des festlichen Fackelträgers im Luftschritt feststellen wollen, die aus Aristo- 
phanes Jedem bekannt und aus erhaltenen Kunstwerken im Ganzen doch 
nur sehr wenig bezeugt ist. 

In den besten Zeiten Athens war dieser leuchtende Knabe des nächtli- 
chen eleusinischen Festzugs, für den man Jahr aus Jahr ein den schönsten Al- 
tarknaben von Eleusis (?!3) sich aussuchen mochte, in seiner rein menschlichen 
Bildung so allbekannt, dafs man phantastischer ihn sich zu denken nicht leicht 
sich veranlafst fand, unbeschadet der Neuerungen einer schmückenden Kunst 
und grübelnden Mystik, aus denen nicht nur ein geflügelter(*'*), sondern auch 
ein gehörnter (*'5) oder mannweiblicher(?!°) Iacchos allmählich hervorging. Es 
geschah dies im Verfolge der bacchischen Mystik, die den lacchos einerseits mit 
dem thrakischen Zagreus anderseitsmit dem in der mystischen Schwinge(?!7) ge- 
tragenen Dionysos Liknites gleichsetzte, worauf man Thonfiguren eines Kindes 
in der Wanne zurückführen kann(?!?). Wundersam und ergiebig für Kunstge- 
bilde blieb aber nächst der Gestalt des Iacchos auch die mannigfache Legende 
von seinem Ursprung und Wachsthum. Als Säugling der Demeter wird er in 


502 GERHARD 


Thonfiguren und auch amFriese des Erechtheion erkannt(?!?). Die Iacchosvase 
aus Kertsch lehrt ihn als Kind der wieder aufsteigenden Kora(*?°) uns kennen; 
aber auch römische Wandgemälde, in Zeichnungen Bartoli’s erhalten, schei- 
nen die Geburt des Iacchos in ähnlichem Sinn uns vorzuführen, wie uns des 
Brimos Geburt von Brimo in der eleusinischen Festnacht durch späte Zeugen 
versichert wird (??'). Dafs eine solche Feier in Eleusis ursprünglich war ist 
durchaus unwahrfcheinlich; sie ist mit dem Sagenkreis der rückkehrenden 
Kora eng verknüpft und mit diesem zugleich vielmehr der zn Athen ausge- 
bauten Mystik der kleinen Eleusinien beizumessen, die im Zusammenhang 
mit dem Mythos der Kora auch einen Aufgang und Niedergang des Iacchos 
gefabelt zu haben scheint, wie denn auch erst aus dem Schools jener orpbi- 
schen Mystik Athens des Iacchos Gleichsetzung mit dem thebischen Dionysos 
und eines wie des Andern Vermählung mit Kora hervorging (???). 


6. Triptolemos. 


Triptolemos, welcher im entwickelten eleusinischen Dienst dem zur 
mystischen Seligkeit führenden Iacchos als begnadigter Vermittler cereali- 
scher Nahrung gegenüber steht, wird in einem archaischen Relief (??°) und 
aus einer Metope des Parthenon uns bildlich vorgeführt (??*). In einer schon 
oben berührten Gruppe des Praxiteles war er zwischen Demeter und einer 
Göttin dargestellt, welche, auch wenn sie von Plinius Flora, von Welcker 
Chloris (?°) benannt wird, dem Wesen der neu erstandenen Kora durchaus 
entspricht. Merkwärdig ist uns jene, man weifs nicht woher nach Rom in 
die servilischen Gärten versetzte Gruppe, des vollendetsten attischen Bildners 
auch sonst in mehr als einem Betracht: erstens durch die vermuthliche Be- 
stimmung zwei einander ähnlicher praxitelischer Gruppen der mit Iacchos 
und der mit Triptolemos verknüpften zwei Göttinnen für zwei athenische 
Heiligthümer, wonach der praxitelische Triptolemos wohl ursprünglich nach 
Agrä gehört (2), sodann aber auch durch die von Praxiteles in Triptolemos 
und vielleicht auch sonst noch vorgebildete Gestalt eines in Rom als Bonus 
Eventus ausgeprägten cerealischen Dämons. Die letztgedachte Gestalt 
ist laut einer Reihe römischer Darstellungen (227) mit Ähren und Schale in den 
Händen zu denken, dagegen für den Triptolemos der Plastik die unter an- 
dern auch auf der Silberschale der Wiener Sammlung (?°) befolgte Anord- 


über den Bilderkreis von Eleusis. II. 503 


nung reichlicher im Gewandschurz gehaltener Saat (??°) angewendet sein 
mochte. Häufiger als in dieser für uns nur wenig bezeugten plastischen 
Durchbildung wird Triptolemos im Bilderkreise der Thongefäfse uns vor- 
geführt. Die Fülle der hierin uns erhaltenen Darstellungen macht es 
denkbar, dafs aufser dem in der Plastik bevorzugten Moment des zur Aus- 
streuung der Saat bereiten Triptolemos auch dessen davon unzertrenn- 
liche, von allen Völkern dankbar begrüfste, Ackerbestellung (2?) oder 
auch dessen im Drama des Sophokles vermuthlich zu Grunde gelegte Heim- 
kehr (2°!) zu bildlichem Ausdruck gelangt waren. Statt dessen wird uns 
jedoch mit Sicherheit nur des Triptolemos Abfahrt sammt der ihr verknüpf- 
ten göttlichen Ausrüstung und Segnung vorgeführt, wie solches auf mehr 
denn dreifsig Vasenbildern (°??) von reinster Erfindung und Zeichnung Statt 
findet, deren anziehende Mannigfaltigkeit man gern vorfolgt, ohne die Grund- 
züge eines typisch gewordenen Bildes von bester attischer Kunst zu verlieren. 

Triptolemos, der in plastischen Gruppen meist nur als Fufsgänger er- 
schien, wird in jenen Vasenbildern stets auf dem geflügelten Luftwagen (2°?) 
erblickt, von welchem aus er die Saat der Demeter über den Erdkreis aus- 
streuen soll; als Fürstensohn ist er mit Scepter, als Schützling der Göttin 
mit einer Schale versehen, in welche die Göttin selbst ihre Spende, sowohl 
als Labetrunk für die Reise als auch, wie sich annehmen läfst, zunächst zu 
Ehren des Allvaters Zeus ausgiefst (?**). Demeter pflegt vor dem Jüngling 
zu stehen, hinter ihm aber Persephone das Bild zu schliefsen (?°), welches 
zuweilen durch Andeutung des heiligen Ortes (?°) begrenzt ward, zumal 
wenn Nebenfiguren (27) es zu gröfserem Umfang ausdehnten. Der zur Ab- 
fahrt bereite Triptolemos erscheint in diesen Bildern trotz des von ihm ge- 
haltenen Scepters stets jugendlich (2°). Zur Bekränzung pflegt ihm ein, wie 
es scheint, allzu oft für Lorbeer gehaltener Myrtenkranz als das übliche 
Laub eleusinischer Festgenossen zugetheilt zu sein, woneben angeblich auch 
Ährenbekränzung (2°°), sicherer manche andere abweichende Einzelheit sich 
erwähnen läfst (**°). Von dieser üblichsten Darstellungsweise weichen jedoch 
theils die archaischen Vasen theils die des späteren Vasenstyls mannigfach 
ab: jene indem sie den Triptolemos bärtig und in engem Bezug zu Dionysos 
darstellen (?*'), diese indem sie nach einer bereits aus Sophokles nachweis- 
lichen Vorstellung den Wagen mit Schlangengespann (°*?), den Triptolemos 
selbst aber in mancher nur aus dem Mysterienwesen erklärlichen Umgebung 


504 GERHARD 


zeigen. Als Mystagog, wie Xenophon ihn uns kennen lehrt (**°) und seine 
Geltung als Gesetzgeber (***) und Todtenrichter (**%) es bestätigt, scheint er 
auf der Vase Pourtal&s und noch sonst, hie und da selbst mit Ableitung aus 
Ägypten (*'%), gemeint zu sein, woraus es sich erklärt, wenn auch die dem 
Iacchos in Art des Eros beigelegte beflügelte oder auch androgyne Bildung 
auf Triptolemos übertragen ward (*’). Mit der Bildung dämonischer Götter- 
lieblinge zu spielen liefs, wie man sieht, die Kunst sich nicht nehmen, so 
wenig dafs im Gegensatz zu jenen Extremen mystischer Auffassung Tripto- 
lemos auch bald als knabenhafter Liebling seiner Beschützerin (***) bald als 
gerüsteter Kriegsmann erscheinen durfte —, letzteres allerdings nur in rö- 
mischer Übertragung des eleusinischen Heros auf einen Wohlthäter römischer 
Zeit (**) und im Bereiche der Gemmenbilder, welche sowenig als die Münz- 
typen (°°°) durch ihre verhältnifsmäfsig späten Triptolemosbilder unsere 
Kenntnifs dieses Sagenkreises und seiner künstlerischen Behandlung erheb- 


lich vermehren. 


7. Götterverwandtschaft. 


Der reiche bildliche Inhalt so vieler Triptolemosvasen aus bester atti- 
scher Zeit gewährt uns den sichersten Anhalt, mehr als archaische Vasen 
und als die römischen Sarkophagreliefs cerealischer Mythen es vermögen, 
das mit dem Dienst von Eleusis verknüpfte Personal von Gottheiten und 
Dämonen kennen zu lernen. In diesem mannigfachen Personal, einem Ort 
angehörig der seines eignen uralten Götterkreises (°°') sich rühmte, erscheint 
zuweilen Zeus selbst, von dessen Beschlufs die segensreich festgestellte Ord- 
nung des Jahres ausgeht (?°?); der von Pausanias aus Eleusis bezeugte „Vater 
Poseidon” (2°°) ist aus bildlicher Andeutung nicht leicht nachzuweisen. 
Ebensowenig ist es der sonst zur Rückkehr der Kora behülfliche delphische 
Gott, wenn nicht etwa Palme und Dreifufs als nah ihn verkünden (?°*), und 
sind es die Heilgottheiten, deren eine, Asclepios als später Besucher der 
Eleusinien bezeugtermafsen gefeiert wurde (°°°). Dagegen findet neben den 
eleusinischen Göttinnen zuweilen Hades sich vor, statt dessen Dionysos viel- 
leicht nur auf Triptolemosvasen ganz späten Ursprungs erscheint (?°), in 
überraschendem Gegensatz zum Brauch der archaischen Vasen, auf denen bei 


Rückkehr der Kora Dionysos und Apoll nicht leicht fehlen und wir dann 


über den Bilderkreis von Eleusis. II. 5053 


und wann auch dem Erdgott Hephästos (?°7) bei gleichem Anlafs begegnen. 
In ähnlicher Unterscheidung des Kunstgebrauchs ist auch der aus Eleusis 
sonst wohl bekannte Götterbote und Grenzgott Hermes nur in den archaischen 
Festzügen der Anodos häufig, während die Triptolemosvasen statt seiner 
vielmehr die Hekate, der eleusinischen Auffassung des homerischen Hymnus 
gemäfs, der Persephone leuchtend erscheinen lassen (°°°). Herakles und 
die Dioskuren, wegen deren ausländischer Herkunft man zu Athen die klei- 
nen Mysterien eingesetzt hatte, dürfen eben deshalb, so oft sie in cerea- 
lischen Bildern erscheinen (?°°), statt eines vermeintlichen Bezugs auf Eleusis 
selbst, vielmehr nur als Zeugen der zu Athen gefeierten kleinen Eleusi- 
nien gelten. 

Von den drei Göttinnen (°%), aus deren Gemeinschaft die blumen- 
lesende Kora entrückt ward und welche man deshalb in gleicher Gemein- 
schaft auch sonst vorzufinden erwartet, ist Artemis, die man sonst als He- 
gemone der Demeter und Kora beigesellt weils, vielleicht als identisch mit 
Hekate den Triptolemosvasen so gut wie fremd (°°') und auch Athene, die 
am Schicksal der Kora laut andern Bildwerken so sichtlich mitwirkt, ins 
Personal der Triptolemosvasen nur sehr ausnahmsweise hineingezogen (°°?), 
wie denn auch Aphrodite dazu erst in der späteren Auffassung gehört, die 
auf der Iacchosvyase von Kertsch in Begleitung von Peitho und Eros uns vor- 
liegt(*°°). Ob die Vereinigung dieser drei Göttinnen dem seit Alkamenes 
bezeugten und späterhin so viel verbreiteten mystischen Götteridol der drei- 
fachen Hekate wirklich zu Grunde lag (°°*), ist eine noch nicht gelöste und 
in den Grenzen dieser Abhandlung auch nicht abzuschliefsende Frage, für 
welche jedoch der bereits berührte Umstand nicht gleichgültig ist, dafs 
Hekate als leuchtende Gefährtin der Kora auf Triptolemosvasen sich findet. 
Übrigens lud der düstere Glanz des eleusinischen Götterwesens bald zu 
ideeller Beschränkung der dabei betheiligten Mächte, bald zum Anschlufs 
noch anderer Gottheiten ein, wie denn ausnahmsweise selbst Hera (°°°), andrer 
mal Horen (256) sich nachweisen lassen, Iris (2°) und vielleicht auch Luft- 
gottheiten (26%) in der Demeter Umgebung uns später begegnen werden und 
die dämonischen Urkräfte der sittlichen Welt, Eros und Nike, auch dem 
cerealischen Bilderkreis nicht fern bleiben konnten. Wenn der mystische 
Eros grofsgriechischer Mysterienbilder (2°) auch später fällt und wenn die 
zur Telete(??°) gesteigerte Nike des Opferwesens mehr unteritalisch als attisch 

Philos.- histor. Kl. 1863. Sss 


506 GERHARD 


sein mag, so ist doch die aus Cicero bekannte Nike, welche von der mit 
Triptolemos aufgestellten Demeter zu Enna getragen ward, für eine cereali- 
sche Nike beweisend, die überdies auch in der geflügelten Wagenlenkerin 
der Lerus auf Sarkophagreliefs zu erkennen ist (2?t). Dafs ein solcher Zu- 
wachs verwandter Göttermächte mehr aus den Anlässen poetischer Erfindung 
als des Cultus hervorging, darf man um so weniger verkennen je mehr ge- 
wisse Verknüpfungen, die der eleusinische Dienst wenigstens späterhin nicht 
ganz von sich abwehren konnte, dem Bilderkreis von Eleusis fern blieben; 
namentlich ist das bei Euripides bis zur Gleichsetzung gesteigerte Verhältnifs 
der eleusinischen Göttin zur phrygischen Göttermntter in die Kunstwerke 
guter Zeit nicht eingedrungen (?72), in denen selbst eine Mitwirkung der ho- 
merischen Rhea (273) nur bedenklich und ausnahmsweise vorausgesetzt wird. 


8. Raub der Kora. 


Wir wenden uns hienächst zum Raub der Kora. Dafs dieser berühm- 
teste Mythos des eleusinischen Dienstes bald milder bald strenger aufgefafst 
und dargestellt ward, geht aus den noch vorhandenen Denkmälern hervor, 
in denen die hochzeitliche Bedeutung des Raubes, selbst wo die Haupt- 
handlung nur Schreck und Entsetzen verräth laut genügenden Andeutungen 
durchgängig zu Grunde liegt, wie sowohl von der äufserst geringen Anzahl 
der hieher gehörenden Vasenbilder als von der beträchtlichen Anzahl der 
betreffenden Reliefs sich versichern läfst. Dem Archaismus der Gefäfsmalerei 
war dieser Gegenstand fremd geblieben (?7*); auch auf den Gefäfsbildern 
späteren Styls wird er nur selten, dafür aber um so anschaulicher als eine 
Entführung dargestellt, mit welcher die scheidende Demeter einverstanden 
ist (275). Es spricht sich darin nicht die rein eleusinische Auffassung, wie 
sie im homerischen Hymnus uns vorliegt, um so mehr aber der Standpunkt 
der Thesmophorien, namentlich in deren sicilischer und über Sieilien nach 
Rom gelangter Entwicklung, aus. Im Zusammenhang dieser Entwicklung 
scheint es gelegen zu haben, dafs nicht sowohl der erste gewaltsame Raub 
als die vertragsmäfsige Erneuung desselben gefeiert wurde (27°), ferner, |dafs 
diese Erneuung nicht mehr durch die in der Mystik seitdem hochgesteigerte 
Hekate, sondern durch Abholung des Hermes (?7’) im jährlichen Herbstfest 
begangen ward, der Vermuthung zu geschweigen, dafs diese Hinabfahrt zum 


über den Bilderkreis von Eleusis. 1. 507 


Hades auch als gemeinsame Unterweltsfahrt der Persephone und des Iacchos 
(27°) gefabelt worden sei. Dieser mancherlei Umwandlungen des allmählich 
gemilderten ältesten Mythos unbeschadet, ward die Gewaltthat des Raubes, 
den der Unterweitsgott an Persephone verübt haben sollte, wie der home- 
rische Hymnus ihn besingt und Eleusis durch mimische Aufführung ihn jähr- 
lich erneute, im Gebiete der Kunst nicht leicht verleugnet. Unter den Erz- 
arbeiten des Praxiteles wird bei Plinius eine Gruppe dieses Gegenstandes uns 
erwähnt (?’°), welche, wenn sie der zugleich genannten der Katagusa (23°) 
bei sichtlicher Verwandtschaft des Inhalts auch in ihrem Umfang entsprach, 
am natürlichsten in einer vom Pluto getragenen Persephone gesucht wird; 
vielleicht, dafs beide einander entsprechende Gruppen, die Bilder des Raubs 
und der freiwilligen Niederfahrt, im athenischen Eleusinion, wenn nicht beim 
Thesmophorion (*°!), aufgestellt waren. Römische Gruppirungen der von 
Pluto getragenen Proserpina (?°) stammen vielleicht von jenem Praxitelischen 
Vorbild, dagegen das pomphafte Bild der auf des Schattenbeherrschers Wagen 
entführten Göttin eher mit dem späterhin im Minerventempel des Capitols 
aufgestellten berühmten Bild des Nicomachos (*®?) verglichen werden kann. 
Nur in so pomphafter Weise und fast nur aus Werken der späteren 
Kunst, nicht aus Vasenbildern, wohl aber aus Sarkophagreliefs Grabsteinen 
und Münztypen vermögen wir jenen gewaltsamen Raub bildlich nachzuwei- 
sen (**); es ist dies jedoch in einem Umfang und in so zahlreichen Exem- 
plaren uns vergönnt, dafs die Entbehrung älterer Werke uns einigermafsen 
dadnrch vergütet wird. Als vormalige Bekleidung römischer Marmorsärge 
sind ungefähr vierzig im Wesentlichen übereinstimmende Reliefs (23°) zugleich 
mit einer ihnen entsprechenden statuarischen Gürtelverzierung (?°°) mehr oder 
weniger uns bekannt, deren Ursprung nach allem Anschein auf ein einziges 
Original von vollendeter griechischer Kunst uns zurückweist. Wäre es ledig- 
lich der von Pluto auf seiner Quadriga verübte Raub, der in diesen Reliefs 
uns vorgeführt wird, so wäre die Ableitung von dem vorgedachten Bild des 
Nicomachos, der verschiedenen Ansprüche plastischer und malerischer Com- 
position ungeachtet, nicht undenkbar; doch ist dem zum Theil in reicher 
Gruppirung uns vorgeführten plutonischen Wagen auch die der Entführung 
vorangegangene Scene des Blumenlesens und die ihr gelolgte der ihrer Tochter 
nacheilenden Mutter so durchgängig und in den Hauptzügen übereinstimmend 
hinzugefügt, dafs man versucht wird das Original dieser Sarkophagreliefs 
Sss2 


508 GERHARD: 


vielmehr in dem Vorgang eines auf mehrere Scenen berechneten cerealischen 
Tempelfrieses zu vermuthen wie er im römischen Cerestempel, nach sicili- 
scher mehr als rein attischer Auffassung, sich voraussetzen läfst (*?7). 


9. Derselbe in Sarkophagreliefs. 


Die Betrachtung römischer Sarkophagreliefs hat ihren eigenthümlichen 
Reiz in der ideellen Mannigfaltigkeit ihrer bis in die Verfallzeit der Kunst mit 
Geschmack und Verständnifs oftmals erneuten Repliken bevorzugter Dar- 
stellungen, und keine andre vielleicht ist iu reicherem Mafse davon betheiligt 
worden als die vorliegende vom Raub der Kora. Hiedurch mag es gerecht- 
fertigt sein, wenn wir nach Welckers Vorgang die auf uns gekommenen Denk- 
mäler dieser Art, wenn auch keines derselben das zweite Jahrhundert der 
Kaiserzeit übersteigen mag, noch etwas näher besprechen. 

Von den gedachten drei Hauptmomenten der Darstellung nimmt der 
im Verfolge des Mythos beginnende, die Scene des Blumenlesens, durch- 
gängig die mittelste Stelle ein; er führt die Göttinnen Athene Artemis und 
Aphrodite (*?°) uns vor Augen, welche laut dem homerischen Hymnus beim 
Blumenlesen mit Kora beschäftigt waren, als diese durch den Beherrscher 
der Unterwelt überrascht und entführt ward. Die beim Blumenlesen, dem 
auch wol ein Chortanz(?°?) entsprach, gestörte, aber in ihrer knienden Stel- 
lung noch beharrende, von dem mit Scepter versehenen Pluto gefafste und 
nach ihm aufblickende Kora (*?°) bildet zugleich wit den neben ihr aufge- 
scheuchten drei Göttinnen die vollständige, in unseren Sarkophagreliefs öfters 
auch abgekürzte, seltener noch ausgedehnte oder durch Versetzung des Per- 
sonals veränderte (°”') Darstellung dieser Scene, für welche das gefällige Bild 
des beim Blumenkorb knieenden Mädchens (*??) vorzugsweise beliebt war. 
Der zweite Moment, darstellend der Kora Entführung auf dem plutonischen 
Wagen, erscheint mannigfach wechselnd: nach der Gruppirung des baldaufrecht 
umfafsten bald wie ohnmächtig von dannen getragenen Mädchens (??3) mit 
ihrem Entführer —, nach der in der Regel vierfachen Zahl der bald vorwärts 
bald niederwärts drängenden Rosse (***), die fast durchgängig von Hermes, von 
Hekate nirgends, sehr ausnahmsweise auch von Hercules geleitet werden (*?5)—, 
nach Einmischung von Liebesgöttern (??°) und Siegsgottheiten (“”)— , nach 
der Ortsbezeichnung durch Tellus oder Oceanus (?*), wie auch durch die 
Pforten Dämonen und Ungeihüme der Unterwelt. Ob irgend einmal auch 


über den Bilderkreis von Eleusis. Il. 509 


ein Hinblick ins Land der Seligen ihnen beigesellt sei, bleibt zweifelhaft (?9°); 
ausnahmsweise tritt eine Andeutung des von seiner Höhe zuschauenden 
Zeus und der olympischen Wohnungen (°°°) hiezu, wie auch eine Bethei- 
ilgung der vorerwähnten drei Götlinnen, auf die wir zurückkommen werden, 
am Personal dieser Scene (*°'). 

Der im Gegensatz zu jener Schreckensscene meistens zur Linken des 
Beschauers dargestellte dritte, dem Schmerz der Demeter gewidmete, Mo- 
ment pflegt durch die von einem Schlangenpaar, seltener von Pferden gezo- 
gene, mit erhobener leuchtender Fackel in einer Hand oder in beiden ihre 
Tochter aufsuchende eleusinische Göttin (°?) gebildet zu sein, welcher neben 
dem Gespann die meistens geflügelte Iris (?°°) vorangeht; im Sinne des sieg- 
reichen Liebeserfolges, mit welchem der bittre Verlust ihrer Tochter zuletzt 
gekrönt werden soll, sind Liebes- und Siegsgottheiten — , in der Höhe ein 
fackeltragender Eros, den Wagen lenkend eine wol auch auf Nike zu deu- 
tende, meist geflügelte, kleine Göttin —, auch hier eingemischt(“'*), woneben 
noch manche räthselhafte Nebenfigur samt denen von Pflüger und Säemann 
und der gelagerten Erde zur Ausfüllung des übrigen Raumes gereichen (°"°). 
Ganz ausnahmsweise wird diese Darstellung auf einem borghesischen Relief 
durch die abgewandt mit der mystischen Cista auf ihrem Felsensitz trauernde 
Demeter ersetzt, mit welcher zwei Frauengestalten, etwa Hekate und Meta- 
neira, gesellt sind (*'6). 

Aufser diesem Inbegriff der mit besonderer Vorliebe so oft wieder- 
holten drei Scenen wird der Reichthum ihres Inhalts noch durch manche sym- 
bolische Zuthat (°°), überdies auch durch Eckfiguren und Nebenseiten ver- 
mehrt. Bei der Bedeutsamkeit, welche auch diese untergeordneten Bilder 
im Sinne des Hauptbildes erfüllt, drängt die Bemerkung sich auf, dafs die 
zunächst nur den Schrecken des Todes und einem elegischen Naturgefühl 
gewidmete Bildnerei jener römischen Marmorsärge auch die Naturbedeutung 
des Mythos, die man dann und wann durch Sternkunde steigerte (°®), und 
vollends die Tröstung nicht ausschlofs, die wir aus einem Vasenbilde gleichen 
Gegenstandes in Gemäfsheit des Standpunkts der Mysterien oben nachwiesen. 
Wie diese Hinweisung theils in den Eckfiguren fruchtbringender Horen oder 
Niken (0%), theils auf den Seitenflächen der Sarkophage, sei es zu Gunsten 
der Grabesstille durch Scenen des Hirten- und Nymphenlebens oder durch 
mythische Scenen der Wiederkehr aus der Unterwelt (°'%) unverkennbar sich 


510 GERHARD: 


ausspricht , läfst sie andeutungsweise auch innerhalb der von uns besprochenen 
Hauptbilder sich nicht verkennen. Nicht nur dafs, wie wir bereits bemerk- 
ten, Sieges- und Liebesgottheiten, sowohl der Plutonischen Entführung, als 
auch der noch ungetrösteten Demeter sich beigesellen, sondern auch das ist 
thatsächlich, dafs der von Pluto vollführte Raub in hochzeitlichem Sinne 
gedacht und zuweilen als solcher selbst augenfällig gemacht ist (°'!), woneben 
auch die vertragmäfsige Abholung durch Hermes (°'?) sich findet. 

Wenn ferner der gangbarste Ausdruck dieser Sarkophagreliefs zugleich 
mit dem Jammer der Kora auch das Entsetzen ihrer Begleiterinnen deutlich 
verräth, so erscheinen dieselben doch andremal gleichgültiger und für das 
Vorhaben des Pluto sogar förderlich. Die Erwägung liegt nahe, ob nicht 
Aphrodite als Beschützerin unternehmender Liebesbewerbung, Artemis als 
nächtliche Göttin und selbst Athene in weiser Voraussicht alles die Welt- 
ordnung sichernden Erfolges mit dem Zweck der furchtbaren Gewaltthat 
alsbald versöhnt sein werden. In der That ist dies nicht nur für die 
Liebesgöttin nachweislich, die auch der gewaltsamen Liebesbewerbung zu 
Hülfe kommt, sondern auch für Athene, die beim Einsteigen der Kora in 
Pluto’s Wagen sich handgreiflich zu betheiligen pflegt(*'*)—, öfters vielleicht 
allerdings, wie man sonst durchgängig annahm, zur Abhaltung des Räubers, 
andremal aber, wie das durch Braun bekannte Sarkophagrelief zu Cattajo (*'*) 
entscheidend nachweist, vielmehr um als Göttin der höchsten Weisheit dem 
Rathschlufs des Zeus, durch welchen Kora dem Unterweltsgott vermählt 
werden sollte, mitwirkend sich anzuschliefsen. 


10. Anodos der Kora. 


Weniger als man nach dem fröhlichen Charakter von Frühlingsfesten 
es glauben sollte, scheint die Wiederkehr der Kora zum volksmäfsigen My- 
thos geworden zu sein; vielmehr macht die schauerliche Natur dieser Göttin 
es ganz begreiflich, dafs auch ihr neugewonnener Frühlingsreiz nur im Kreise 
der Mysten gefeiert ward und nur aus den zu Athen begangenen kleinen 
Eleusinien uns bezeugt wird. Eine frühe Verbreitung desselben Mythos weit 
über Athen hinaus darf deshalb nicht geleugnet werden; sie ist lange vor 
den Perserkriegen uns bezeugt durch das oben besprochene Iykische Harpyien- 
monument, auf welchem Persephone-Kora, sitzend unweit der Pforte aus 


über den Bilderkreis von Eleusis. II. 511 


welcher sie neu hervorgegangen zu denken ist, ihrer Mutter gegenüber, die 
ihr von den Horen gebotenen Lebenspfänder entgegennimmt. Sonstige Mar- 
morbilder, bei denen auch Praxiteles betheiligt erscheint, wurden nebst einer 
plastischen Darstellung desselben Mythos schon früher (°'5) von uns betrachtet. 
Ebenso ist auch eine beträchtlich gröfsere Anzahl archaischer Vasenbilder 
desselben Inhalts uns bekannt (*!°), dergestalt dafs der dahin einschlagende 
Denkmälervorrath übersichtlich uns vorliegt und nach den Hauptpunkten 
seines Inhalts hienächst bezeichnet werden kann. Schriftliche Zeugnisse 
kommen hiebei nicht leicht uns zu Statten; genug dafs dieser bildliche Inhalt 
unsern Vorstellungen von eleusinischer Sitte und athenischer Örtlichkeit in 
keiner Art widerspricht. Überwiegend ist darin die Auffassung einer Auf- 
fahrt der Kora mit Rossegespann (°'7), dem Apollo mit Saitenspiel, oft auch 
mit einem Reh (°'?), aufser ihm häufig auch Hermes, seltner Poseidon das Ge- 
leit geben, während Hades zurückbleibt oder auch als Dionysos hervortritt im, 
Vordergrund aber Demeter die Tochter erwartet(*'?). Die Berühmtheit 
dieses unter Mitwirkung der Mysterien jährlich erneuten Festpomps macht 
den damit verknüpften Anschlufs anderer Gottheiten sehr begreiflich. Wenn 
unter ihnen Athene oft mehr vermuthet als deutlich erkannt wird, so wird 
ihr in manchen Spuren sichtlicher Antheil an Kora’s Geschick doch auch 
durch das schon früher berührte Bild einer archaischen Hydria uns beglau- 
bigt, in welcher Kora zum Thron des Zeus und einer mit Helm und Speer 
ihm gesellten Beisitzerin, nach allem Anschein vielmehr Athene als Hera, ge- 
leitet wird (2°). Es führt dieses Bild mit Übergehung sonstiger Beispiele der 
zu Wagen rückkehrenden Kora zur Erwähnung andrer Darstellungen, in 
denen Koıa noch im Festzug ihres erneuten Lebens, kenntlich besonders 
durch eine von ihr gehaltene Frühlingsblüthe, begriffen ist. Festzüge solcher 
Art habe ich in zahlreichen Vasenbildern, deren Archaismus den Eindruck 
uralter geheiligter Sagen auf dem Standpunkt der Mystiker noch mehr be- 
glaubigen sollte, längst anderwärts nachgewiesen (°?') ; sie sind desgleichen in 
hieratischen Reliefs (°*?) vorzufinden, in denen Kora von Hermes und Artemis, 
von Apoll den Horen und andern Gottheiten aufwärts geführt wird, während 
nachsehend auch Dionysos, sei es als der von ihr verlassene Unterweltsgott 
oder als der mit ihr zugleich verjüngte Vermählte und mit ihr des Olymps 
gewürdigte Gott der Anthesterien, demselben Zug angehört (°*°). 

Neben so ansehnlichen Darstellungen der Anodos, deren durchgän- 


512 GERHARD: 


giger Archaismus nach aller Wahrscheinlichkeit den athenischen Festge- 
brauch der kleinen Eleusinien im Zusammenhang orphischer Mystik uns vor- 
führt, bleiben auch aus den spätern Gefäfsbildern freieren Styls manche 
eigenthümliche Behandlungen desselben Gegenstands uus zu erwähnen übrig, 
in denen bald die Halbfiıgur der dem Erdboden neu entsteigenden, hie und 
da von Dionysos oder Jacchos begleiteten Göttin(%?*), bald deren durch Wie- 
dervereinigung mit der geliebten Mutter (°*°) in’s Gebiet warmer Empfindung 
neu eingetretenes Leben oder auch der kurz vorher berührte Empfang im 
Olymp (326) seinen Ausdruck gefunden hat. Während diese zuletzt erwähnten 
Darstellungen der rückkehrenden Kora durch gefällige Erfindung und Aus- 
führung sich überwiegend empfehlen, bleibt unser Blick doch vorzugsweise 
jenen Bildern archaischen Styls zugewandt, deren selbstständige Wichtigkeit 
sowohl durch ihre grofse Anzahl als durch Strenge und Eigenthümlichkeit 
ihres Götterpersonals (37) sich uns aufdrängt. Gottheiten deren Einmischung 
uns befremdet sind öfters, andre die man der cerealischen Mystik verwandt 
weils gar nicht dort aufzufinden, wie denn aufser Athenens bereits erwähnter 
Mitwirkung auch die des Dionysos, ferner die Führung durch Hermes bier 
durchaus gewöhnlich ist, während die vorleuchtende Hekate durchgängig 
wegfällt und die späterhin den Mysterien verknüpfte Aphrodite so wenig als 
der ihr gesellte Eros in jenen archaischen Göttervereinen der Anodos eine 
Stelle gefunden hat. Es ergiebt sich hieraus augenfällig ein längere Zeit für 
die Götterbezüge der Kora verfolgtes, späterhin jedoch zurückgedrängtes 
System, welches wir nach dem Übergewicht der Athene nicht sowol in 
Eleusis als in Athen, und zu Athen nicht sowohl in den dortigen Eleusinien 
als in dem ibnen aufgedrängten Dionysosdienst begründet finden (°8). Die 
Götterbezüge rein eleusinischer Auffassung haben wir aus den Triptolemos- 
vasen darlegen können, deren meistens nur in gefälligster Kunstform erfolgte 
Ansführung dem homerischen Hymnus gemäfs die Hekate und nicht den 
Hermes in Begleitung der Kora uns vorführt, von mystischer Einmischung 
des Dionysos und der Athena aber nur sehr ausnahmsweise einige Spuren 
von sichtlich späterem Ursprung uns zeigt. Es leuchtet ein, dafs diese Auf- 
fassung der Triptolemosvasen dem ideellen und künstlerischen Standpunkt 
der zu Agrae gefeierten kleinen Eleusinien entspricht, dagegen die Mystik 
der archaischen Vasen, der allerorts auf ihnen bemerklichen Vordrängung 
des Dionysos gemäfs, vielmehr aus bacchischem Dienst hervorgegangen sein 


über den Bilderkreis von Eleusis. 11. 513 


mufs, wie er im Dionysos- Tempel am Fest der Anthesterien mit der An- 
wendung von Trinkgefäfsen geübt und in den nach Zeit und Ort verwandten 
Festgebrauch der kleinen Eleusinien leicht übertragen wurde. Wenn über- 
dies auch der Umstand feststeht, dafs in jenen archaischen Vasen Hekate 
durch Hermes ersetzt ist —, defshalb wahrscheinlich weil die leuchtende 
Führerin des homerischen Hymnus im Fortgang der Mystik zur dreileibigen 
Hekate des Alcamenes geworden war —, so wird man dem hiemit von uns 
begründeten Gegensatz eleusinischen Götterwesens in den Triptolemosvasen 
zur aufgedrungenen bacchischen Mystik der archaischen Vasen sich anzu- 
schlielsen hinlänglichen Grund erkennen. 


11. Cerealische Mythen. 


Den bis hieher von uns betrachteten berühmtesten Momenten des ce- 
realischen Sagenkreises stehen andre Mythen desselben an Erheblichkeit nach, 
ohne deshalb übergangen werden zu dürfen. Namentlich ist das Geschick 
der trauernden Demeter, wie der homerische Hymnus es uns berichtet, an 
Erlebnissen reich, welche einer Darstellung durch mimisches Festgepränge 
und dann auch durch Werke der Kunst sich willig darboten. Dafs jene mi- 
mische Darstellung in Eleusis nicht fehlte, wird uns ausdrücklich bezeugt (32°), 
und wir sind demnach berechtigt auch nach entsprechenden Kunstdarstel- 
lungen zu fragen. Die mit erhobener Fackel nach ihrer Tochter suchende 
Göttin ist uns aus Münzen von Enna bekannt und auch aus Werken der Pla- 
stik nachweislich (°3°). Auch die auf dem Stein der Trübsal in Trauer ver- 
senkte Demeter (?!) wird mit mehr oder weniger Sicherheit aus Kunstwerken 
nachgewiesen; andremal glaubte man die dürftige Labsal des Mischtranks 
Kykeon sie geniefsen und auch vertheilen zu sehen (#2). Besondere Mo- 
mente und Gruppirungen dieser Trauer sind mit Sicherheit sonst nicht nach- 
zuweisen, obwohl das dabei betheiligte Personal des eleusinischen Sagen- 
kreises in selbstständiger Darstellung nicht selten ist. Keleos(°’?) Meta- 
neira (°**) und deren Töchter (?') finden als priesterliche Umgebung der 
Göttin in Triptolemosbildern sich vor, und wie jenes bescheidene Königs- 
paar auf dem cumanischen Prachtgefäls in Besorgung des ersten Opfers für 
die bei ihnen eingekehrte Göttin sich erkennen läfst (°**), sehen wir auf einer 
volcentischen Schale die Töchter desselben Paares, denen die dortige Tem- 

Philos.-histor. Kl. 1863. Ttt 


314 GERHARD 


pelpflege zunächst oblag, durch die schreckende Erscheinung der Tempel- 
schlange in Furcht versetzt (*°7) ; inschriftlich bezeugt ist auf einem Vasenbild 
auch Hippothoon (°*). Vielleicht ist auch Eumolpos und dessen Sohn vor- 
zufinden (33°); aber weder die Läuterung des Demophon (°*°), noch auch was 
Baubo (**!) und Jambe(°*?2) zur Tröstung der trauernden Göttin versucht 
haben sollten, oder auch Eiuweihungsmythen der späteren Landesheroen (38), 
vermochte man bisher mit sicherem Erfolg in bildlicher Darstellung wieder- 
zuerkennen. Es bleibt daher räthlich, cerealische Compositionen von unbe- 
stimmtem Character dann und wann lieber auf andre Örtlichkeiten als auf 
die Sage und Festsitte von Eleusis zurückzuführen, dieses um so mehr da es 
auch andren Orten, namentlich denen des triopischen (°**) und argivischen(°“?) 
Dienstes, an weitverbreiteten Sagen von Huld nnd Zorn der Demeter keines- 
wegs fehlte. 

Mythen, welche das im eleusinischen Dienst der geschichtlichen Zeit 
so eng geknüpfte Band zwischen Demeter und Dionysos begründeten, sind 
aus schriftlicher Überlieferung uns nicht bekannt; dafs es jedoch deren gab, 
läfst sich mit Wahrscheinlichkeit aus einem durch edle Kunst ausgezeichneten 
herkulanischen Monochrom (°*°) vermuthen, welches auch durch die Verkehrt- 
heit der ihm widerfahrenen Erklärungsversuche Epoche macht; wirklich darin 
gemeint scheint der Demeter Begegnung mit dem als Vorläufer des Dionysos 
in Attika rastenden Silen zu sein, dessen Ruheplatz auf der athenischen Burg 
man noch späterhin nachwies. Mystische Legenden, welche von der Geburt 
des Jacchos, vielleicht auch von dessen Hinabfahrt handelten, haben wir mit 
den dafür zeugenden Kunstdenkmälern schon früher berührt, dagegen es 
übrig bleibt schliefslich der wenigen Kunstdarstellungen zu gedenken, in 
denen die mystische Sage vom Elternpaar des Zagreus, durch Darstellung 
der vom schlangengestalten Zeus überraschten Kora ihren entsprechenden 
Ausdruck gefunden hatte (°*’). 


12. Festgebrauch zu Athen und Eleusis. 


Die Übertragung cerealischer Mythen auf Festzüge und sonstigen Fest- 
gebrauch hat uns manche Abbildung cerealischen Rituals erhalten, welches 
jedoch nicht sofort für eleusinisch zu nehmen ist. Mancher schon früher 
auf Thesmophorien bezogenen Darstellung zu geschweigen, kommt es hiebei 


über den Bilderkreis von Eleusis. II. 515 


vorzüglich in Anschlag, dafs die Wiederkehr der Kora unsrer früher be- 
gründeten Überzeugung zu Folge nicht sowohl den grofsen als den zu Athen 
gefeierten kleinen Eleusinien zum Gegenstand ihrer Festzüge diente; diesen 
letzteren haben wir demnach auch den Festgebrauch der archaischen Reliefs 
und Vasenbilder beizumessen, welche den Festzug der wiedererstandenen 
Kora mit Gegen- und Nebenbildern heiliger Festsitte begleiten. Namentlich 
ist dies der Fall auf einem Lambergschen Vasenbild, dessen von Hermes ge- 
führter Frauenzug von einem Trankopfer begleitet ist, welches ein, wie es 
scheint, dionysischer Priester mit abgewandtem Antlitz verrichtet. Diese 
Spende deutet auf den mit Kora vermählten unterirdischen Dionysos; es 
konnten aber auch sonstige chthonische Opfer und Sühngebräuche mit In- 
begriff der Hydrophorien, wie auch besondere Opfer für Kera, um so we- 
niger fehlen (°“°), da selbst die gleichzeitig in aller Fröhlichkeit geübten An- 
thesterien von Sühngebräuchen und Todtenopfern begleitet waren. Dem 
Vorgang solcher Opfer mochten scenische Darstellungen der wiederkehren- 
den Kora in ähnlicher Art sich anschliefsen wie jenes Lambergsche Vasen- 
bild und andere ähnliche sie uns vorführen; dem Festzuge aber ging ohne 
Zweifel der Aufgang der Göttin aus felsiger Tiefe, wie auf der Iacchosvase 
von Kertsch, voran (°“*), und dieser schauerliche Moment ward bei seinem 
ersten Anzeichen durch das Schallbecken verkündet, welches laut Apollodor 
der Hierophant anzuschlagen hatte (?°°). Dafs auch die Geburt und erste 
Erscheinung des Iacchos dem Kreis dieser Festlichkeit anheimfiel, wird neben 
der Iacchosvase von Kertsch durch mehrere andere Kunstdarstellungen wahr- 
scheinlich; doch fehlt es an sichern Grundlagen um die Gestaltung jener 
Mysteriensage im Festgebrauch von Agrä oder auch die Übertragung desselben 
ins Ausland festzustellen (°°'). Noch andre Bildwerke führen uns Haupt- 
momente des eleusinischen Mythos, wenn auch mit sichtlicher römischer Um- 
bildung, vor Augen. Unverkennbar ist namentlich auf dem Braunschweiger 
Onyxgefäfls der vereinigte Festzug der rückkehrenden Kora und des Tripto- 
lemos, welche Verbindung auch sonst (°°?) sich vorfindet, die von Kora 
im Geleit einer Hierophantin so eben zu überschreitende dunkle Grotte und 
der priesterliche Empfang des Triptolemoswagens —, Umstände welche aus 
jenem so berühmten als räthselhaften Gefäls(*°°) auch für den ursprünglichen 
Festgebrauch der zu Agrä gefeierten Anodos sich benutzen lassen. So wird 
man denn auch aus dem spärlichen Vorrath monumentaler Spuren fast mehr 
Ttt2 


516 GERHARD 


als aus schriftlichen Zeugnissen eine Vorstellung über das priesterliche Per- 
sonal der kleinen Eleusinien sich bilden können, welches im kunstreichen 
Athen nicht allzudürftig, ‘sondern bestehend aus Hierophant Hierokeryx 
und Daduch (3°*), wie auch aus Priesterinnen (°°°), man sich denken mufßs, 
Eben so wenig darf man auch die Statuen von Eingeweihten beiderlei Ge- 
schlechts übersehen, welche in römischen Marmorgruppen dem sogenann- 
ten Idol der Venus Proserpina verknüpft sind (?%). Neben so mancherlei 
Denkmälern jenes Mysteriendienstes fragt man endlich auch nach den Ge- 
bräuchen seiner Einweihung; doch ist einzugestehen, dafs weder aus den 
eben gedachten Gruppirungen mit dem Mysterienidol, noch auch aus 
der Darstellung heroischer Mysten sich erhebliche Belehrung entnehmen 
läfst (337). 

Was wir nach dieser Erkundung des Festgebrauchs der zu Athen gefeier- 
ten kleinen Eleusinien über die vermuthlich entsprechende Tempelsitte des 
eigensten Heiligthums von Eleusis berichten möchten, fällt noch spärlicher 
aus, sofern wir die im Ganzen wahrscheinliche Übereinstimmung des beider- 
seitigen Rituals nicht für selbstverständlich erachten, sondern, dem reineren 
Charakter und gröfserem Pomp von Eleusis gemäfs, besondere Zeugnisse der 
dortigen Sitte erheischen. Der Andeutung eleusinischer Örtlichkeit (35°) zu 
geschweigen, fragen wir zunächst nach dem priesterlichen Personal, ohne aus 
dem Bereich der Kunstwerke Tracht und Verrichtung desselben mit voller 
Sicherheit erläutern zu können. Wie das Andenken verschollener Priester 
und Adepten auch sonst durch Kunstgebilde juns bezeugt und erhalten ist 
werden inschriftlich eleusinische Hierophanten und Daduchen beiderlei Ge- 
schlechts sammt dem Opferherold uns vorgeführt (°°°); die bildliche Zuthat 
solcher Inschriften ist nur gering (°°°), wird aber vermehrt durch manche 
priesterliche Darstellung der Triptolemosvasen (°°'), deren reine Auffassung 
ungleich wahrscheinlicher auf echt eleusinischen Typus als auf dessen athe- 
nische Nachbildung sich zurückführen läfst. Im Bereich dieser Vasenbilder 
glauben wir den Hierophanten an 'seinem Scepter(°°?), die Hierophantin an 
Verschleierung, Ahren und Opferdienst(°°), den Hierokryx(°°*) an seinem 
Heroldsstab mit Wahrscheinlichkeit nachweisen zu können, dagegen statt 
des vom Daduchen geübten Prunks (°°%) die leuchtende Fackel dort fast aus- 
schliefslich von Frauen (36%) erhoben wird, vielleicht weil es nicht um die 
Beleuchtung des Festzugs, sondern um inneren Tempeldienst sich handelte, 


über den Bilderkreis von Eleusis. II. 517 


bei welchem die als Fackelträgerin der Kora bekannte Hekate die maafsge- 
bende Gottheit war. 

Wenden wir uns demnächst von der eleusinischen Priesterschaft zu 
den von ihr geleiteten und überwachten Gebräuchen,, so kommt für die Be- 
ziehung auf Kunstdarstellungen zunächst das Schweinsopfer volksmäfsiger 
Züge (?°”), mehr aber der Eindruck des eleusinischen Hauptfestes in An- 
schlag. Wenn es befremdet, an den vielgefeierten, von Iacchagog und Ku- 
rotrophos geleiteten, Iacchoszug (°°*) durch bildliche Darstellung nicht leicht 
erinnert zu werden, so ist die Einwirkung der daran geknüpften bildlichen 
Mysterien (°°°) auf Werke der Kunst um so augenfälliger nachzuweisen. Im 
Zusammenhang jenes vielbesuchten und bewunderten mystischen Drama war 
es, wo der Sagenkreis vom Raube der Kora, von der darauf gefolgten Trübsal 
der göttlichen Mutter und von ihrer durch Triptolemos dem Erdkreis bethä- 
tigten Versöhnung zu einem scenischen Ausdruck gelangen mufsten, der durch 
die Anschauung mystischer Götterbilder und Symbole, wie es scheint auch 
durch bildliche Andeutungen zukünftiger Seligkeit, seinen fesselnden und 
begeisternden Abschlufs erhielt. Aus der Gesammtheit jener mächtigen Ein- 
drücke, denen wir eine und die andre Notiz und auch den Ausruf über- 
lieferter Mysteriensprüche (°7°) nur durch unsichere Vermuthung einreihen 
können, mögen in näherem oder fernerem Abbild die in so beträchtlicher 
Anzahl uns überlieferten Darstellungen der künstlichen Luftfahrt des Tripto- 
lemos (?’!) und auch die des Raubes der Kora geflossen sein, und wenn diese 
letztere Voraussetzung selbst für durchgängig römische Reliefs ihre Wahrheit 
hat (?72), so wird man im Allgemeinen es auch nicht ablehnen können, dafs 
selbst die etruskischen Schmäuse und Tänze der Seligen (?”°) von Eleusis her- 
stammen, nur dafs von unmittelbarer Nachbildung eleusinischer Bilderschau 
nirgend mit einiger Sicherheit die Rede sein kann. Am sichersten dürfte 
solche Nachbildung in der Hauptgruppe der Triptolemosvasen, nächstdem 
vielleicht auch in denjenigen Hekatebildern zu erkennen sein, deren dreifache 
Gestalt zugleich die Möglichkeit wechselnder Scenerie und die Umkreisung 
durch priesterlichen Tanz uns zu erkennen giebt (7*). Wenn die Ausstellung 
solcher Götterbilder dem mystischen Drama sich anschlofs, so wird endlich 
auch die gebotene Anschauung einzelner Symbole uns begreiflich, von denen 
wenigstens für die goldene Ähre ein sprechendes, obwohl sehr spätes, Zeug- 
nifs vorhanden ist (?75), die Tempelschlange und ihr Behälter, die mystische 


518 'GERHARD 


Cista, fehlen vielleicht nur darum weil sie zu scenischer Aufstellung minder 
geeignet befunden wurden. Im Allgemeinen jedoch darf man der Anschauung 
heiliger Aufführungen und Vorweisungen (7°) einen so überwiegenden Ein- 
flufs auf die Thätigkeit der Kunst beilegen, dafs jeder sonstige Brauch der 
Mysterienfeier, die nachgehends begangenen eleusinischen Wettkämpfe nicht 
ausgenommen (°7’), vollends sofern er die Andacht der Individuen durch 
Opfer und Einweihungen vollführte, ungleich weniger in unsern Bildwerken 
erwartet werden darf. 

Der Opferbrauch von Eleusis schlofs, wie auch Vasenbilder uns 
zeigen, unblutige Garbenopfer nicht aus, so wenig als Libationen; vor- 
herrschend jedoch und als eigentliches Opfer der Mysten ward die Darbrin- 
gung junger Schweine betrachtet, welcher vielleicht noch andere Sühn- 
gebräuche zur Seite gingen (%”®). Bilder der Einweihung werden uns nicht 
leicht vorgeführt, obwol sich voraussetzen läfst, dafs wenigstens die römi- 
sche Zeit in der Vergötterung oder Heroisirung hochstehender Männer und 
Frauen zum Rang der Demeter oder Kora, des Iacchos oder Triptolemos (7°), 
ausgiebig war; aus der Sitte anderer Mysterien eine und die andere Dar- 
stellung auf Eleusis zu übertragen würde gewagt sein. Selbst die Ein- 
weihung am Altar, die dem häufig genannten Altarknaben (°®°) des eleusini- 
schen Dienstes zu Grunde lag, wird nirgend ausdrücklich uns dargestellt 
oder auch nur beschrieben. In dieser Beziehung wäre es nun sehr willkom- 
men, wenn wir in dem neuerdings zu Eleusis aufgedeckten grofsen Re- 
lief (°!) in dem zwischen Demeter und Kora gestellten und von ihnen 
beiden huldvoll berührten Epheber statt des in ihm gesuchten Triptolemos 
oder lacchos ein sterbliches Individuum aus dem Kreise der Eingeweihten, 
etwa den öfters genannten Altarknaben, zu erkennen berechtigt wären; doch 
versagt uns der Marmor nicht blofs die deutliche Angabe irgend eines be- 
stimmten Rituals, sondern es ist, wenn Welckers Vergleichung mit vermuth- 
lichen Iacchosbildern der Burgtempel Athens ihre Wahrscheinlichkeit behält, 
auch die Anforderung dionysischer Formen deslacchos allzusehr beseitigt(°?) 
um gegen die Anerkennung eines den beiden Göttinnen schmiegsam gesellten 
Götterlieblings Iacchos in jenem räthselhaften Werk beharrlich sich sträuben 
zu mögen. 

Rückblickend auf die bis hieher geführte Untersuchung, wollen wir 
den Werth des bis hieher zusammengereihten Vorraths eleusinischer Kunst- 


über den Bilderkreis von Eleusis. LI. 519 


darstellungen gewifs nicht höher anschlagen als es im Eingang dieser Abhand- 
lung von uns geschah. Für die Mysterienlehre von Eleusis ist unser Ergeb- 
niss ein mehr negatives; doch wird der Kern derselben auch in den atheni- 
schen Schöfslingen wiedererkannt, aus deren Legende und Ritual die spätere 
Zeit, noch reichlicher als aus Eleusis selbst, ihre Mysterienweisheit entnom- 
men zu haben scheint. Die Thätigkeit der Künstler stand jenem cerealischen 
Götterwesen offenbar sehr reichlich zu Gebote. Des Dionysos Sohn Ke- 
ramos liefs seine bemalten Thongefäfse nicht nur für die dionysischen Choen 
sondern auch für das Fest der benachbarten zwei Erdgöttinnen zum Ausdruck 
der Einigung cerealischen und bacchischen Dienstes gereichen. Diese als- 
bald zur Verschmelzung gediehene Einigung, die das spätere Alterthum in 
Dionysos und Kora, Bacchus und Ariadne, Liber und Libera als eleusinische 
Lehre fortpflanzte, verdiente in ihren bildlichen Denkmälern mehr als bis- 
her erkannt und gesichtet, aber auch zu dem Beweise benutzt zu werden, 
dafs der eigenste Dienst und Bilderkreis von Eleusis jener Verschmelzung ur- 
sprünglich fremd, und dafs deren Verbreitung vielmehr als Erfolg der zu 
Athen in den kleinen Mysterien geübten Mystik zu betrachten ist. 


520 GERHARD 


Anmerkungen. 


4. Die zwei Göttinnen. 


(17) Zwei Göttinnen: als grolse Göttinnen (ei neyarcı Sexi Paus. VII, 31, 1) aus 
Megalopolis bezeugt. Der Benennung w Sew oder rw Sermopogw entsprechen örtliche 
Bezeichnungen wie die syrakusanische des Thesmophorienbezirks (6 r&v Seruohogwv reusvos 
bei Plutarch Dion c. 56 mit besonderem Bezug auf Persephone) und entspricht der Perse- 
phone Antheil an den sonst mehr ihrer Mutter beigelegten Eigenschaften, wonach beide 
Göttinnen ugopego: oder auch zuwgrowozo: (Pausanias VIII, 53, 3. Panofka T. C. S. 148) 
heilsen, die Beinamen ayvy, roruie, ötsrowe theilen (Welcker Gr. Götterlehre II, 512. 533) 
gleichmäfsige Feier genielsen (ebd. II, 479) und auch in Tracht und Gestalt geflissentlich 
übereinstimmend gebildet werden. 

(138) Harpyenmonument, aus Xanthos: treu abgebildet in den Monumenti dell’ Insti- 
zuto IV, 2. 3. (Annali XVI, 133 ss.) und in der archäologischen Zeitung XIII Taf. LXIII 
SIT ZHR. 

(139) Der Widder als sprechendes, obwohl seltenes Attribut der Heerdengöttin Demeter 
Malophoros (Paus. I, 44, 4. unten Anm. 172) aus Megara bezeugt, war auch für Kora an- 
wendbar, für welche er als befruchtendes Frühlingssymbol, zumal bei Vergleichung der mit 
Kora analogen Selene und Brimo verständlich wird. Mit der Legende von dieser Göttinnen 
Buhlschaft mit Pan und Hermes (Creuzer Symbolik IV, 310 Ausg. 2) lälst übrigens auch 
die Herme sich vergleichen, die ein gleichfalls megarischer Münztypus (Pellerin R. et V. II. 
p. 199) neben Demeter zeigt. 

(1) Aeginetische Spesfiguren: in ergänzter Gestalt abgebildet auf den Akroterien des 
Athenatempels in Müllers Denkmälern d. a. K. I, 6, 28. 

(11) Damia und Auxesia, die Thesmophoriengöttinnen spöttischer Frauenchöre, um 
deren Schnitzbilder Epidauros und Aegina sich stritten (Herodot V, 82 ss.), sind Göttinnen 
des Wachsthums, die Welcker (Gr. Götterlehre III. S. 130 ff.) mit Thallo und Karpo ver- 
gleicht und auch aus Tarent nachweist; ihre italische Spur ist auch im Namen Damium als 
Bezeichnung eines Opfers bei Festus (s. v.) erhalten. 

(1) Thongruppe aus Athen, die zwei Göttinnen stehend als Umgebung des Sitzbildes 
der Polias darstellend: Stackelberg, Gräber d. Hell. S.43. Gerhard Prodromus m. K. S.29, 
63; 31, 74. Abh. Minervenidole Taf. I, 1. Abh. Orpheus Anm. 284. Meine auch von 
Stackelberg befolgte frühere Auslegung auf die orphische Ge Olympia (Abh. Orpheus Anm. 269) 
habe ich zu Gunsten der in ähnlichen Einzelbildern durch das Gorgoneion kenntlich gemach- 
ten Athene Polias längst und noch neulich (Thetis und Priumne 1862. S. 8) aufgegeben, 
dagegen ich an der durch kein Attribut nahe gelegten, an sich aber wahrscheinlich und keiner- 
seits bestrittenen Annahme festhalte, dals in den 2 Nebenfiguren die Göttinnen von Eleusis, 
ähnlichen Dreivereinen (Prodromus S. 114) entsprechend dargestellt sind. 

(3) Altar aus Chalandri: früher eingemauert und nur zur Hälfte sichtlich, neuerdings 
vollständig nach Athen gebracht und durch ausführliche metrische Inschrift (vgl. Keil im Philo- 
logus Suppl. II, 585 ff.) als Taurobolienaltar des Archeleos nachgewiesen. Das Hauptbild dieses 


über den Bilderkreis von Eleusis. II. 521 


späten Werks zeigt zwei nebeneinander thronende Göttinnen, von denen bei erster Herausgabe 
(Arch. Ztg. IX. Taf. XXXVII, 2. S. 421) die eine, verschleierte, mit schlangenumwundener 
Fackel in der Linken mir für Demeter, die andere mit Opferschale in der Rechten und mit 
undeutlichem kurzen und dickem Geräth, wie es schien ebenfalls einer Fackel, für Kora galt. 
Diese Ansicht hat Conze bei neuster Herausgabe (Arch. Ztg. XXI. S. 73 ff. Tafel 176. 177) 
dahin geändert, dafs die Figur der auf einer andern Seite des Altars dargestellten, den linken 
Arm auf die Kante des Tympanon legenden, Göttermutter völlig entspreche und also wie auf 
der andern Seite für Rhea oder Kybele zu halten sei. Ist jene Beobachtung richtig, für welche 
Conze noch nachgehends eintrat (a.O. S.104), so läfst über die sonst unbezeugte Verbindung 
der eleusinischen und der phrygischen Göttin (vgl. Anm. 172) dennoch sich streiten, indem 
das Tympanum wol auch einer Demeter X«%zczg0r0s (Pindar Isthm. VI, 3. vgl. Creuzer Symb. 
II, 398 ff.) oder nach Anleitung von Thonfiguren (Anm. 178. 5) auch wol der Persephone 
zusteht. Leider ist das Monument sehr zerstolsen und auch in den zwei Nebenfiguren, auf 
welche wir zurückkommen werden (Anm. 195. 366), räthselhaft. 

('#) Pränestinischer Marmor: Gerhard Antike Bildwerke III, 4. S.47. Kora ist 
durch entblölste rechte Brust von ihrer Mutter unterschieden; übrigens sind beide Figuren 
nach dorischer Art in langes Gewand ohne Ärmel gekleidet. Beide stehen aufrecht, aber nur 
etwa bis an die Knie reichend, auf einem Gestell, dessen Seitenfläche mit einer Schlange ver- 
ziert ist, während oberwärts neben jeder der beiden Figuren zwei Löwenköpfe, auffällig in 
Ermangelung sonstiger Symbole des phrygischen Dienstes, bemerklich sind. Die Köpfe beider 
Figuren fehlen. 

(5) Thongruppen aus Praeneste, in meinen antiken Bildwerken (Taf. II-IV. 
5.45 ff.) zur Grundlage von Untersuchungen über den 'Thesmophoriendienst von Praeneste 
benutzt, deren Ergebnils auch Welcker (Alte Denkm. III S. 547) annahm, stellen theils @) die 
neben einander sitzenden Göttinnen mit den zwischen ihnen am Boden sitzenden Knaben 
(„Lacchos”) vor, der ein ander Mal (III, 1) als Schofskind der einen erscheint, theils 5) die- 
selben zwei sitzenden Göttinnen, jede mit einer Opferschale, die vermuthliche Persephone 
mit einem Schleier versehen, der von einem schwebenden Knaben (211,2) gelüftet wird und 
von einem Reh begleitet, während der Demeter eine Palme zur Seite steht (II, 3). In 
Technik und Darstellung jenen Gruppen verwandt ist c) das nicht gewöhnliche Thonbild einer 
Göttin, die einen Knaben hält und jederseits von einer aufsteigenden Schlange umgeben wird 
(III, 2), wie auch 4) das Sitzbild einer Göttin, die zwei Kinder, wie es scheint verschiedenen 
Geschlechtes im Arme hält (IV, 1) an die aus Cicero bekannte pränestinische Fortuna als 
Pflegerin des Jupiter und der Juno erinnern. Bei der eigenthümlichen Wichtigkeit dieser 
Idole darf nicht verschwiegen werden, dals die neuerdings zu Praeneste mit grolsem Erfolg 
geführten Ausgrabungen meines Wissens durchaus keine neue Ausbeute an Sculpturen oder 
Terrakotten cerealischen Inhalts geliefert haben. Für einige dem Vernehmen nach in den 
Kunsthandel gelangte bald aber aus demselben verschwundene Terrakotten fehlt die genauere 
Kenntnils. 

(#) Unteritalische Thonfiguren beider Göttinnen sind zwar nicht häufig, doch 
auch nicht unerhört; eine in Zeichnung vorliegende Gruppe dieser Art zeigt die @) ver- 
schleierte Demeter neben der epheubekränzten Kora. Auch 5) die Gruppe zwei stehender 
neben einem weiblichen Idol einander traulich gesellter Frauen bei Stackelberg (Gräber LXIX; 


Philos.-histor. Kl. 1869. Uuu 


522 GERHARD 


vgl. unten 357, a), mit welchem ich eine Einweihungsscene (H. R. Studien II, 176 £.) 
darin erkannte, erwähnt Stephani (Compte Rendu pour 1859 p. 35 note 3) unter Bildern der 
beiden Göttinnen. Eben dahin glaubte c) Panofka (Arch. Ztg. III, 298) die bei Gargiulo 
von ihm gesehene seltsame Gruppe zweier verschleierter Göttinnen mit Hundsgespann rech- 
nen zu dürfen. 

(7) Ein Votifrelief aus Kertsch, von Stephani lieber auf Demeter und Kora als auf 
Aphrodite und Peitho gedeutet, geben die Ant. du Bosp. II, pl. VI, no. 2; die eine der 
sitzenden Göttinnen ist durch eine Fackel ausgezeichnet. 

(14) Relief Pourtales: nach Cabinet Pourtales XVIII wiederholt in Wieseler’s Denk- 
mälern der alten Kunst II, 8, 96. Demeter ist mit Modius und Opferschale, angeblich auch 
mit einem Scepter, Kora mit Ähren und Fackel versehen; heran ziehen Mann Frau und Knabe, 
letzterer führt das Opferschwein. 

(#) Als Tempelgottheiten erscheinen Demeter und Kora im grofsen eleusinischen 
Relief (Anm. 381) und im Einweihungsbild der Vase Pourtales (Beil. A. z2), desgleichen, 
aber von Dionysos begleitet, im Sarkophagrelief von Wiltonhouse (Beil. C. 36). 

(150) Auf Vasenbildern, namentlich a) der Triptolemossage, in denen Demeter ihren 
Schützling entlälst, pflegt auch Kora zugegen zu sein, meistens mit Fackeln, während Demeter 
Scepter und Schale hält. Aus den Varianten hierher gehöriger Vasenbilder, die unsre Bei- 
lage 4 übersichtlich macht, sind für Demeter insbesondere noch die schräge Haltung des 
Scepters G, das auch wohl lanzenförmig erscheint C, die Verbindung von Ähren und Fackel 2, 
Krug und Fackel 52, Krug und Ähren c, e anzumerken; die Fackel erscheint ausnahmsweise 
gesenkt %?, dann und wann auch nicht angezündet g?. Ungewöhnlich, obwohl sehr verständ- 
lich, ist in ihrer Nähe ein Pflug 93; ebenso selten und noch unerklärt ist der auf r2 ihr bei- 
gesellte Kranich. Ihr Kopfputz pflegt einfach zu sein, zuweilen ist sie verschleiert z; doch 
findet sie sich auch mit gezacktem Modius c, gezackter Stephane o, », wie auch mit stern- 
bestickter Haube 7. In den Darstellungen der 5) Kora pflegt diese Göttin reicher geschmückt 
zu sein als Demeter, wie deutlich ist durch reicheren Stirnschmuck k, Haube p, höhere Steph- 
ane o, Myrtenbekränzung g?, vgl. k, oder sonst einen Kranz », v, wie auch durch Perlen- 
schmuck f. Minder geschmückt erscheint sie auf unsern Bildern nur ganz ausnahmsweise p?. 
Ihr gewöhnliches Attribut ist die einzeln o, z*, oder auch in der Doppelzahl n, r* (vgl. Anm. 
186) gehaltene Fackel; nicht selten trägt sie die eine erhoben, die andre gesenkt 2, g?, r?, 
zuweilen zugleich mit Ähren u°, », wie sie auch wol das öfters von ihr gehaltene Scepter 
G, g2, i?, k, mit Ähren zugleich trägt k®2, u. Andre Attribute der Kora sind: eine Blume 4, 
G, u?, oder ein Kranz (auch wohl in beiden Händen) p, v, Schale und Ähren z%, ausnahms- 
weise auch Thyrsus und Dreifuls 2%”. Ob auch sprechende Geberden den Ausdruck der Per- 
sephone unterstützen, wird man versucht, auf Anlals des angestemmten Armes zu fragen, der 
hie und da sie gebieterisch erscheinen läfst (p2, vgl. z%), aber auch für Demeter (Münze von 
Ursentum: Müller Denkm. II, 8, 90. @) nicht unbezeugt ist. Auch die Aufstützung auf einen 
Pfeiler scheint dann und wann, obwol unsicher (vgl. H. R. Studien II. S.172), im Sinn der 
Grabessäule ihr zugetheilt zu sein. — Aus c) noch andern Vasenbildern verdient die Dar- 
stellung beider Göttinnen aus der Kadmos-Vase des Berliner Museums (Ghd. Etr. und kamp. 
Vasenbilder €) hier angemerkt zu werden, wo in gröfserm Götterkreis beide Göttinnen durch 
Inschrift unserschieden sind; Demeter ist sitzend mit Scepter und Strahlenkrone, Kora mit 
erhobener Fackel in der Linken und gesenkter in der Rechten dargestellt. Zu erwähnen ist 


über den Bilderkreis von Eleusis. 1I. 923 


hier endlich auch noch d) die ornamentale Anwendung zwei einander gegenübergestellter 
Frauenköpfe, in denen Demeter und Kora gemeint sein mögen, sei es unter den Henkeln 
grolser Gefälse, wie auf der Berliner Iovase (Ghd. Bildw. CXV), oder als Hauptbild kleiner 
Gefälse, wie namentlich ein Aryballos der Palagischen Sammlung (Ghd. Arch. Ztg. VII, 
XVI, 6 8.165 £.) das bekannte Mysterienidol der Kora zwischen den vermuthlichen Köpfen 
der beiden Göttinnen uns vorführt. 

(5!) Unterschiede beider Göttinnen geben, wo der Bildner sie zuliels, @) in Tracht 
und Kopfputz sich kund, dergestalt dafs Kora dann und wann leichter bekleidet, auch wol 
mit entblöfster Brust (Anm. 144) erscheint, und ebenso lassen auch Unterschiede der 5) Kör- 
performen, wenigstens in statuarischer Ausführung, dann und wann deutlich die mütterliche 
Göttin im Gegensatz ihrer Tochter erkennen. Hinsichtlich der c) Attribute gehört nach 
vorherrschendem Brauch (Anm. 150) der Demeter das Scepter und ihrer Tochter die Fackel; 
da aber beiden Göttinnen beiderlei Attribute zukommen, so wird durch jenen Kunstgebrauch 
ihrer Gruppirung nach Mafsgabe des überwiegenden Inhalts der Darstellung weder die Fackel 
der suchenden Demeter noch auch der Herrscherstab der als Gemahlin des Hades gedachten 
Persephone aufgehoben. Ebenso trägt Kora, als Frühlingsgöttin (179) gedacht, auch Ähren, 
welches Attribut jedoch, wo beide Göttinnen gruppirt sind, vorzugsweise der Demeter gehört; 
in der Gruppe von Akakesion (Anm. 154) hielt sie als Despoena die Cista auf ihrem Schoofs, 
die sonst häufiger der Demeter beigelegt wird. Ebenso wird d) die Geberde traulicher Auf- 
legung des Arms, die in eben jener Gruppe von Demeter ausgeht, gewöhnlich (vgl. Stephani 
C. R. p. 35) im Wechselbezug auch für Kora vorausgesetzt. 

(152) Der Göttinnen Gleichheit mehr als ihren Unterschied hervorzuheben darf in 
Gemälsheit ihres bis zur Gleichsetzung ausgedehnten Wechselbezugs (Anm. 137) wenigstens 
als pflichtmäfsige Bestrebung der für ihren Tempeldienst aufgebotenen Bildner betrachtet 
werden, wenn auch andrerseits die vorgerückte Kunst es an feinen Unterscheidungen daneben 
gewils nicht fehlen liels. 

(13) Zu Megalopolis, dem Sitz ausgesponnenster eleusinischer Mystik, wo eine der 
Markthallen (Curtius Pelop. I. S. 288) östlich den Tempel des rettenden Zeus umgeben von 
der Stadt Megalopolis und der Artemis Soteira, westlich (Pausanias VIII, 31, 1 ff.) dem 
Peribolos der grolsen Göttinnen Demeter und Kora Soteira umschlols, waren a) deren 
Cultusbilder in 15 Fufs hohen Marmorstatuen dargestellt, so jedoch dafs die Bekleidung 
(7& 2755705 &yenzve) der Kora Zureige aus Holz, vermuthlich vergoldetem, war. Es waren 
dort vor 6) der Eingangshalle Artemis Asklepios und Hygiea in Relief zu sehen. Zur 
c) Tempelgruppe bemerkt Pausanias nachträglich, dals vor den Göttinnen zwei Figuren lang- 
bekleideter Mädchen mit Blumenkörben auf ihrem Haupt standen, nach Einigen die Töchter 
des Bildners Damophon, nach der Auslegung der Mystiker Athena und Artemis. Neben 
Demeter befand sich die zwerghafte Figur des idäischen Herakles, weiter voran d) der 
künstliche Opfertisch mit Relief zweier Horen, des Pan und Apoll mit präkonisirender 
Inschrift (ever shas rav Sesv rav ewrww), wie auch mit Darstellung von vier Nymphen, 
von denen Neda ein Kind, vermuthlich das Zeuskind trug; die arkadische Nymphe Anthrake 
hielt eine Fackel, die übrigen hielten Wassergefälse. Endlich war e) innerhalb desselben 
Peribolos der Tempel des dem Dionysos ähnlichen Zeus Philios, den Polyklet mit adler- 
bekröntem Thyrsus gebildet hatte. Hinter diesem Tempel war f) ein kleiner dichter Hain, 
den Niemand betreten durfte; Statuen der Demeter und Kora, 3 Fuls hoch, standen vor 


Uuu?2 


524 GERHARD 


diesem. Im Umkreis des gesammten Peribolos war auch ein Tempel der Aphrodite Macha- 
nitis, vor dessen Eingang archaische Schnitzbilder aus Trapezunt (Hera Apollo und Musen) 
standen; innerhalb waren von Damophons Hand Akrolithe des Hermes und der Aphrodite 
aufgestellt. — Schliefslich g) werden die in einem besondern Raum (Ev olzruerı) durch Sta- 
tuen verherrlichten 4 Gründer dieses Mysteriendienstes genannt und derselbe als Ausflufs 
des eleusinischen bezeugt (v& Opwinever ruv Zv "Ersvrim Zerı Mirnere). Die gesteigerte Viel- 
götterei desselben gab noch durch R) eine gröfsere Götterzahl in viereckter Hermenform 
sich zu erkennen (Paus. VIII, 31, 7), aufgestellt in einem für die Einweihungsgebräuche der 
Göttinnen (dyovaw EvradSe ryv rereryv reis Seas) bestimmten grolsen Einweihungs- 
raum (isgöv uey&Seı uöya). — Noch war dort ’) rechts vom Tempel der beiden Göttinnen 
ein besonderer Tempel der Kora mit einem 8 Fufs hohen Steinbild, rings um das Bathron 
mit Tänien bedeckt. Dieser Tempel war nur für Frauen zugänglich, den Männern einmal 
im Jahr. — Die ganze hiemit erörterte Bildnerei jenes umfangreichen eleusinischen Heilig- 
thums auf X) Damophon zurückzuführen wird nach der bekannten Wirksamkeit dieses Bild- 
ners wie nach dessen Erwähnung im Einzelnen uns nahe gelegt, obwol ein ausdrückliches 
Zeugnils dafür vermilst wird, das vielleicht in einer Lücke des Textes (VIII, 31, 2. vergl. 
Brunn Künstlergeschichte I, 288) verloren ging. 

(154) Bei Akakesion lag, vier Stadien davon entfernt (Paus. VIII, 36, 7) der Tempel 
der Despoena (ebd. 37, 1 ff.). Vor demselben lag a) der Tempel der Artemis Hegemone, 
einer in ihrem sechs Fufs hohen Erzbild mit Fackeln versehenen Göttin. Zum 2) Peribolos der 
Despoena führte eine mit verschiedenen Reliefs (Zeus und Mören, Herakles und Apoll, Pan 
und Nymphen) bedeutsam verzierte Halle; vor dem Tempel der beiden Göttinnen standen 
c) besondere Altäre, einer für Demeter, ein andrer für Kora, nächstdem (14:r° «Uröv) einer 
für die Göttermutter. Die d) Standbilder der zwei Göttinnen waren aus einem einzigen 
wunderbaren Stein ausgearbeitet, ohne Metall oder sonstige Zuthat. An Grölse kamen sie 
der Göttermutter im attischen Metroon gleich und waren ‘gleichfalls’ (wie die Kolosse zu 
Megalopolis Acuopavros zei raöre Eoya, kann von dem attischen Idol nicht gelten, das 
man dem Phidias zuschrieb) ein Werk des Damophon. Demeter hielt eine Fackel in der 
Rechten, und hatte die Linke auf die Despoena gelegt, welche neben ihr ein Scepter und 
auf dem Schoofs mit der rechten Hand eine Cista hielt; neben Demeter stand Artemis in 
Hirschfell mit Köcher und Jagdhund, in den Händen mit Schlangen und mit einer Fackel 
versehen, neben Despoena aber der gerüstete Titan Anytos, angeblich ihr Pfleger. — Nicht 
weit von diesem Tempel der Despoena stand e) ein gesondertes Haus für deren Weihungen, in 
welchem ihr reichlich und eigenthümlich geopfert wurde; sie war die Hauptgöttin der Gegend 
und sollte von Poseidon mit Demeter erzeugt sein, welcher als Hippios auch in der Nähe ein 
Heiligthum hatte. 

(5) Ob Damophon (Anm. 153. %) jene gewaltigen Cultusbilder, deren vollständige 
Beschreibung wir aus dem Pausanias soeben beibrachten, durch sprechenden Ausdruck unter- 
schieden habe, läfst allerdings um so mehr sich bezweifeln, je mehr die Nebenfiguren dazu 
behülflich sein sollten. Zur Unterscheidung der Demeter von Akakesion diente die mütter- 
liche Auflegung des Arms, vielleicht auch eine stärkere Vergoldung, der, wie es heilst, ober- 
wärts aus Holz gearbeiteten Despoena. Unterscheidend aber nach dem Standpunkt unserer 
Kenntnils waren nicht einmal die unter beide Göttinnen vertheilten Attribute, von denen die 
Fackel der Demeter, Scepter und Cista der Despoena zufielen. 


N 


über den Bilderkreis von Eleusis. II. 525 


2. Einzelbilder. 

(15%) Statuen der Ceres sind bei Clarac pl.425, 759 ss. (vgl. Müller, Hdb. 8.357, 7) in 
grolser Anzahl zusammengestellt und lassen bei der nicht geringen Anzahl solcher, denen 
man Ähren, Mohn oder Füllhorn anliegen sieht (Anm. 167), doch vielleicht auf eine nicht 
gar kleine Anzahl mit Recht sogenannter Statuen dieser Göttin sich zurückführen. 

(57) Als älteste Statuen der Demeter sind die Schnitzbilder der mit Demeter und Kora 
gleichgesetzten äginetischen Göttinnen Damia und Auxesia (Anm. 141) uns bekannt. Sonstige 
Tempelbilder ältester Art oder auch nur der streng stylisirten, wie sie in hieratischen Reliefs 
(Anm. 167) uns vorliegt, sind meines Wissens nicht nachzuweisen. 

("5) Als Bildner von Statuen der Demeter sind vorzugsweise Praxiteles (fünfmal nach 
Overbecks Rechnung, Eleus. Rel. S. 189, vgl. Gesch. der Plastik II, S.22£.) und Sthennis 
(Plin. XXXIV, 90: Cererem Iovem Mineroam in Concordiae templo fecit), aulserdem Euklides 
(Paus. VII, 25, 5. Brunn, Künstlergeschichte I, 274) und Damophon zu nennen, von dem 
kurz vorher (Anm. 155) die Rede war, der phigalischen Göttin mit Pferdekopf von der Hand 
des Onatas zu geschweigen. 

(15) Köpfe der Demeter von hohem Kunstwerth sind aus sicilischen und unteritalischen 
Münzen (Müller, Hdb. $. 357, 6) bekannt, hauptsächlich aus denen von Metapont (Müller, 
Denkm. I, 42, 193), denen aus dem griechischen Mutterland die Münztypen von Pheneos 
(vgl. ebd. 185), wie auch böotische (ebend. 8, 93°, vgl. 72), insonderheit der verschleierte 
und ährenbekränzte Kopf auf Münzen der delphischen Amphiktyonen (Wieseler II, 8, 93) 
beigesellt werden können. Von der sichern Grundlage dieser Münzen ausgehend wird man 
die meistens in Zweifel gestellten Marmorköpfe der eleusinischen Göttin mehr als bisher zu 
sichten und zu würdigen im Stande sein; ein colossaler Kopf, nach Bursian der Demeter 
Prosymna beigelegt, soll zu Lerna gefunden sein (Arch. Ztg. XIV, 57*). 

(°) Thronend wie in mehreren oben (Anm. 138. 146. 148. 153..454) gedachten 
Gruppen der beiden Göttinnen ist Demeter auch sonst aus Werken griechischer Art bekannt. 
Hinsichtlich der zahlreichen z) Thonfiguren grofsgriechischer und sicilischer Herkunft ist je- 
doch zu erwägen, dals deren Bestimmung in der ältesten Bildung zwischen Demeter und Gäa, 
Athene Polias oder auch Hera schwankt (Ghd. Bildwerke XCIV, 1-4. S. 338 £.) und in der 
jüngern einer Demeter Kurotrophos, die einen Knaben hält (ebd. XCIII, 1-9. S. 340) von 
der als Iaechosmutter gedachten Kora (220. 5) noch nicht mit Sicherheit unterschieden 
ist; unleugbarer ist die römische Ceres auf 5) Münzen der Memmia dargestellt (Müller, Denk- 
mäler II, 8, 89: Ceres auf niedrigem Sessel mit Fackel, Ahren und Schlange) und auf nicht 
wenigen c) Werken der spätern Kunst. Die Statue Rondanini (Müller II, 9, 87) und andere 
hieher gehörige Sculpturen giebt Clarac pl. 520 A. 780. Eine sitzende Ceres, neben welcher 
ein Hund von verschiedenem Marmor, befindet sich im Vatican (Beschrbg Roms II, 2, 44. 
no. 79). Eine d) Erzfigur mit Kalb (vgt. Newton, Halicarn. p.421 u. 422) auf dem Schoofse 
giebt auch Wieseler (Denkm. II, 9, 91) als Demeter, obwohl die von ihr gehaltenen Attribute, 
eine Schale mit Körnern und ein Gefäls, das man sich mit Honig gefüllt denkt, weder ge- 
wöhnlich noch sprechend sind. Auf e) einem schönen Wandgemälde aus Pompeji (Braun, 
Kunstmythologie 28) ist die thronende Demeter ährenbekränzt mit Fackel in der Rechten und 
Ähren in der Linken dargestellt, neben ihr ein ährengefüllter Kalathos. Aus f) Gemmen- 
bildern ist ein gnostischer Stein der Berliner Sammlung (Wieseler II, 9, 89. a) wegen seiner 
cerealischen Attribute, Schlange, Ähren, Ameise und Weizenkorn, anzumerken. 


326 GERHARD 


(1) Diestehenden Ceresbilder nach ihren statuarischen Typen zu sichten, unterscheiden 
wir a) die verschleierte Göttin mit breiten Körperformen, die man auch in der colossalen 
Statue (Berlins Bildwerke No. 5) des Berliner Museums No. 5 erkennen darf; sodann 2) die 
in ihren Mantel gehüllten Gewandfiguren, mit Ähren und Mohn einerseits (eine solche Statue 
mit Bildnilskopf besafs Vescovali: Archäol. Apparat 741) und in der Rechten mit einer 
Fackel, wie Michaelis aus einer Statue im Palast Doria nachweist. Ferner c) die Figuren mit 
aufgehobenem Schurz (vgl. 229: Triptolemos), sofern sie mit Panofka (T. C. zu LI), etwa mit 
Bezug auf eine verschleierte Petersburger Statue (Clarac 441, 779), eher für Demeter als für 
Kora (182.5) zu halten sein sollten (vgl. Müller Handbuch $ 357, 7). Als @) Fackelträgerin 
(164. 5) ist Demeter unter andern auch im grolsen Relief aus Eleusis (381) und zwar in 
einer Bildung dargestellt, welche Brunn (Buzz. 1860. p. 69) in einer angeblichen Sappho der 
Villa Albani wiedererkennt. 

('%) Schreitend erscheint Demeter dann und wann: a) im Festzug .der olympischen 
Gottheiten, namentlich auf der ara Albani (Winkelmann mon. 6; Müller, Denkmäler II, 9, 93), 
insonderheit aber 5) als die mit einer Fackel in jeder Hand ihre Tochter suchende Göttin, 
welches Motiv, dem bekannten Münztypus von Enna (Müller Denkm.II, 9, 104 Anzündung 
der Fackel und Besteigung des Wagens) gemäls, in der von Verres geraubten überaus alten 
Erzfigur (Cic. Verr. II, 49) vorauszusetzen ist und in einer borghesischen Statue (Clarac no. 
401, 781) wiedererkannt wird, sofern nicht das der Göttin zugleich ertheilte und mit ihrer 
Trübsal schwer vereinbarte Attribut der Ähren eine andere Erklärung heischt. 

(‘®) Kalathos und Schleier sind als Kopfbedeckung verbunden an der mit Scepter 
und Ähren versehenen Göttin der ara Albani (Winkelmann mon. 5. Ghd. Abh. Über die zwölf 
Götter 1840. tav. II, 2). Der römischen Bezeichnung durch den Modius als Getreidemaals ging 
der ährengefüllte Kalathos voran, wie er in dem von Kallimachos (H. Cer. 1 ss.) beschriebenen 
Festzug genannt und am cerealischen Kolofs zu Cambridge (Anm. 197) wie auch neben der 
thronenden Demeter eines pompejanischen Wandgemäldes (Anm. 160. e) deutlich zu sehen 
ist, dagegen der Kalathos im Sinne eines Blumenkorbs (Preller Gr. Myth. I, 621), wie die 
Bilder des Koraraubs ihn zeigen, in die Götterbildung nicht überging. — Den 5) sonstigen 
Kopfputz der Demeter betreffend, so sind ihre Köpfe auf Münzen (der Amphiktyonen: 
Müller, Denkm. II, 8, 93) und sonst nicht selten verschleiert; ungleich seltener sind sie be- 
kränzt vorzufinden. Auch das Attribut c) priesterlicher Wollenbinden, dessen Anwendung 
im chthonischen Götterwesen laut Wieseler (Denkm. II, 55 S. 31) häufig ist, kenne ich in 
diesem Bilderkreis nur als Fackelumwindung einer angeblichen Demeter Chloe (unten 183) 
und als eingeflochten in einen Ährenkranz der Persephone, beides aus pompejanischen Wand- 
gemälden bei Braun (Kunstmythologie Taf. 29. 32). 

(153) Scepter und Fackel werden der Demeter gleichmälsig zugetheilt: das a) Scepter 
allein (nicht zugleich mit der Fackel), auch wohl mit der Opferschale oder mit Ähren, auf 
Triptolemosvasen (Anm. 150). Als 5) Fackelträgerin ist die suchende Demeter aus Münz- 
typen (Anm. 162. 5) Sarkophagreliefs (unten Anm. 302. 5) und sonst bekannt; eine ge- 
senkte Haltung der Fackeln, wie aus Familienmünzen der Vibia mag auf Gebräuchen des 
Unterweltsdienstes beruhen (Anm. 166). Das gedachte Attribut der Fackel findet sich 
auch in Verbindung mit dem Opferschwein (Anm. 166) oder mit Ähren (Anm. 167); 
umwunden ist es mit Wollenbinden auf einem pompejanischen Gemälde (Braun, Kunstmyth. 
29 unten Anmerk. 183), mit Schlangen auf dem attischen Taurobolienaltar (Anmerk. 143). 


über den Bilderkreis von Eleusis. II. 927 


Scheinbare Marmorsäulen, aufbewahrt zu Eleusis in einer dem Heiligthum des Triptolemos 
beigelegten Kapelle wurden von Bötticher für Reste von Fackeln des dortigen Tempelprunks 
ursprünglich von etwa 16 Fuls Höhe erkannt (Arch. Anzeiger 1863. S. 99*). 

(‘%) Das Rind, ein natürliches a) Attribut der Ackergöttin, ihrem Schutz empfohlen 
(peeße Pece Call. Cer. 137) und ihr als Opfer genehm (zu Hermione, Paus. II, 35, 4), findet 
sich ihrer Darstellung nur selten beigesellt, ist jedoch hie und da vorzufinden, so zugleich mit 
dem Schwein neben einer sitzenden Ceres aus Marmor (im collegio Romano). Ein Kalb als At- 
tribut der Göttin ward oben (Anm. 1604 Erzfigur) erwähnt; es erinuert an den für Demeter und 
Kora über der Pforte des Harpyienmonuments (Anm. 138) verkörperten Ausdruck der 5) Müt- 
terlichkeit durch ein säugendes Kalb, die auch Claudian R. P. I, 127 sinnig ausspricht: vitulam 
non blandius ambit Torva parens; cerealische Votivkälber aus Thon fand Newton (Halic. I. 
p- 421 s.) in seinen knidischen Ausgrabungen. Ein Rind, Stier oder Kuh, ist auch als e) 
Symbol der Städtegründung bekannt, welche mit Besitzuahme des Ackerlandes beginnt; bier- 
auf mag das Gemmenbild (Stosch II, 224, vgl. Prodromus S.83) einer Göttin bezüglich sein, 
welche, auf einem Stierkopf stehend, in der linken Hand Ähren, in der rechten aber den 
Kopf eines Widders (Anm. 139) oder Bockes hält. 

(16) Das Schwein, als cerealisches Opferthier viel bekannt, ist hauptsächlich in Beglei- 
tung der Fackel ihren Figuren beigesellt; so in Thonfiguren zu Berlin No. 90 und Karls- 
ruhe No. 521 (Arch. Ztg. X, 27); dieselben Attribute finden sich bei einer schreitenden Ceres, 
die ihre Fackeln niederwärts hält, auf römischen Münzen der Vibia (Müller Denkm. II, 8, 94). 

(7) Ähre und Mohn sind zugleich mit Schleier und Modius sprechende Merkmale der 
Deweter im archaischen Relief der albanischen Ara. Dieselben Attribute sind an den Ceres- 
statuen unsrer Museen häufig verbunden (Ähren bei Clarac 429, 772; 430, 775; 432, 784; 
438 E, 792 J; 438, 795. Ähren und Mohn ebd. 430, 777; 432, 782; 438 E, 795), und 
zwar pflegen diese Attribute in den Kunstdarstellungen der Göttin mit einer Hand zusammen- 
gefalst zu werden, dagegen 'Theoerit VII, 157 sie mit beiden Händen von ihr gefalst weils. 
Aufserdem finden sich Ähren und Fackeln bei Clarae 429, 773; auch Sichel und Ähren ebd. 
430, 774, welche Attribute jedoch allerdings zum Theil auf unbegründeter Ergänzung be- 
ruhen dürften. 

('%) Gartenfrüchte, namentlich Äpfel trägt Demeter Malophoros (Panofka T. €. 
LVI,1. LVII,2) in einem reichlich gefüllten Korb oder einer gleich hoch gefüllten Fruchtschaale. 

(9) Das Füllhorn, mehr als Attribut der Fortuna bekannt, kann doch auch Bildungen 
a) der Demeter und zwar für ältere Zeiten als die der Kaisermünzen (eine der Julia Domna 
citirt Welcker Gr. G. II, 470 aus Neumann num. ined. p. 204: verschleierte Frau mit Ähren 
und Füllhorn, Beischrift"Annona’) nicht abgesprochen werden, zunächst als Behälter von Äpfeln. 
Obwol im Einzelnen hie und da zu bestreiten, ist dies Attribut doch 2) an Marmorbildern zu 
häufig, um überhaupt bezweifelt zu werden. Reichliche Belege hiezu liefert Clarac: sitzende 
Ceresbilder mit antikem Füllhorn und mit Rolle 434, 786 A (Mattei), auch mit Füllhorn 
und Büschel 438, 786 C (Pembroke vgl. 438 B, 823 B, Carlisle), zusammenfallend mit Sitz- 
bildern der „Abundantia” mit echtem Füllhorn (438 4, 827 C, 438H, 2464 6, Lucilla, vgl. 
451, 452, 453, 4544. Stehende Abundantia mit Füllhorn bei Gerlach, Wörlitzer Antiken 
II, 1). Hiezu ist dann die Anwendung des Füllhorns für vermuthliche Ceresbilder athenischer 
Münzen, namentlich die früher auf Triptolemos gedeutete Figur mit Füllhorn und Ahren auf 
schlangenbespanntem Wagen (Beule p. 289. vgl. 210) zu vergleichen. — Weniger gehören 


528 GERHARD 


hieher die c) auf Ceres Fortuna gedeuteten Gemmenbilder mit Füllhorn und Stiersymbol 
(Prodromus M. K. S. 83, 83) und wie diese eigenthümliche Darstellung mehr auf Tyche, 
möchte die mit Modius und Füllhorn versehene Göttin eines Elephantengespannes auf Münzen 
von Nikäa und auf Gemmenbildern (Ghd. Bildw. CCCXI, 20. 22) vielmehr auf Kora als Ge- 
nossin bacchischer Triumphe zu deuten sein. Ein verwandtes erhobenes Gemmenbild, in Ab- 
druck vorliegend, zeigt die nackte Figur einer Dionysosgemahlin Ariadne oder Kora, ein 
Füllhorn haltend, ausgestreckt auf einem Wagen mit vorgespannten Löwen, neben denen 
zwei Figuren, die eine mit Füllhorn und Zweig, die andre mit einer Fruchtplatte einher- 
schreiten. Ist somit das Füllhorn für die Dionysosgemahlin indischer Triumphe nachgewiesen, 
so kann es auch keine Schwierigkeit haben, dasselbe Attribut als d) der Persephone zustehend 
in Einzelbildungen dieser Göttinnen anzuerkennen, so dafs die von Braun (Kunstmythologie 
Taf. XXX, S. 18) gegebene treffende Erklärung eines Pompejanischen Wandgemäldes, dar- 
stellend eine verschleierte Göttin, welche mit beiden Händen ein von der Frucht der Gra- 
nate gekröntes Füllhorn hält, für uns vollkommen bestätigt wird. 

(17%) Die Tempelschlange, als der Demeter dienstbar von Strabo IX, 393 (eupireAcs) 
erwähnt, zeigt sich ihrem Gehäuse entwunden auf dem Pembrokeschen Sarkophag und sonst 
durchaus friedlich; furchtbar, an den kichreischen Drachen erinnernd, erscheint sie, vielleicht 
auf Anlals sträflicher Neugier, den Keleostöchtern (Anm. 334. a) auf der Frankfurter Tripto- 
lemosschale (Beil. A z?). Am häufigsten als Inhalt der Cista und als Vorspann ihres Wagens 
bekannt (letzteres auf Sarkophagreliefs und auf Münzen; M. d. Volteja, Müller Denkm. II, 8, 
106), scheint dieses Schlangensymbol, wo es als Umwindung der Fackel erscheint, doch mehr 
auf Einmischung phrygischer Mystik zu beruhen. Schlangenumwunden ist die auf einem Del- 
phin fulsende Göttin auf einer Münze von Parion (M. Denkm. II, 8, 98). Ob aber auch die 
Schlange unterhalb des Koraraubs auf M. von Sardes cerealisch (M. Denkm. II, 9, 107) oder 
als infernales Ungethüm, dem Enceladus auf Sarkophagreliefs des Koraraubs vergleichbar, zu 
betrachten sei, bleibt fraglich. 

(171) Die Cista mystica, bekanntlich ein runder Deckelkorb mit heraushängender 
Schlange, aus kleinasiatischen Münztypen (Cistophoren) Millin Gall. LVIII, 274. und bacchi- 
schen Sarkophagreliefs gleich bekannt, ist auch in dem archaischen Fragment der Triptolemos- 
vase (Welcker, Ztschr. Taf. II, 8 S.97) nachweislich, kann jedoch, da sie aus cerealischen 
Vasenbildern fast unbezeugt ist (vgl. Etruskische Spiegel Th. I. S. 63), nicht für gleich ur- 
sprünglich gelten wie andre Attribute derselben Göttin. In der That findet die Cista als Bei- 
werk statuarischer Ceresbilder erst spät sich vor; in der Mysteriengruppe von Akakesion 
(Anm. 154) war sie nicht der Demeter, sondern der Despoena zugetheilt. 

(12) Demeter Malophoros ($zge när« Call. hym. Cer. 137), eine aus dem megarischen 
Nisaea als Schützerin der Schaafheerden bezeugte Göttin (Pausanias I, 44, 4) wird auch im 
Münztypus des megarischen Pagae (Pellerin R. et V. III p.253 vgl. p. 199: Ceres mit Herme, 
Eckhel d. n. II, 224), aus welchem sonst nur der Dienst der Artemis Zwrsıg« (Paus. I, 44, 5) 
bezeugt ist, an dem Widder erkannt, welcher der fackeltragenden Göttin zur Seite geht. 
Obwol nun dies Thiersymbol (Anm. 139) neben Demeter nur selten sich findet, so fallen der- 
selben Auffassung der Malophoros doch auch diejenigen Darstellungen anheim, in denen der 
für Schafheerden und Äpfel gleich geltende Ausdruck ##%« der thronenden Demeter eine mit 
Äpfeln gefüllte Schale in die Hand zu geben veranlalste, wie aus Thonfiguren (Anm. 168) 
bekannt ist. 


über den Bilderkreis von Eleusis. II. 529 


(7) Eine Rolle als Attribut der Ceres vorzufinden, ist a) im statuarischen Vorrath 
alter Marmorwerke nicht selten; doch ist die Sicherheit jenes Attributs auch in den Fällen, 
in denen es angelehnt an den Körper der Statue uns vor Augen geführt wird (Clarac pl. 425, 
759 Giustiniani; im Capitol, thronende 438, 786), auch wol in Verbindung mit Ähren (Clarae 
426, 763 und 427, 765 Dresden; 434, 789 München) oder Füllhorn (434, 756 A), strenger 
Prüfung bedürftig. Unsicher ist 6) auch die von Visconti vorausgesetzte Rolle der sitzenden 
Göttin auf einer Münze des Demetrios (Millin gal. XXXI, 221; Müller Denkm. I, 49, 220 5, 
S. 43); diese aulserdem mit einem Füllhorn versehene angebliche Demeter hält nach Müller 
vielmehr ein kurzes Scepter, nach Millin und Lenormant einen Griffel. Sicherer ist die von 
der Göttin gehaltene Rolle auf c) dem Pariser Camee, wo sie mit Triptolemos (Millin gal. 
XLVIII, 220) und auf d) einem Tischbein’schen (1V, 36. Millin gal. XLVIII, 276) Vasenbild 
späten Styls, wo sie mit Dionysos gruppirt ist. Beachteuswerth ist e) endlich auch die Aus- 
stattung einer weiblichen Thonfigur, vermuthlich aus dem Bereiche der Thesmophorien, mit 
Rolle und Diptychon (Gerhard Bildwerke XCIX, 2. oben Anm. 49a); sie erinnert an den 
Zug der Thesmophoriazusen, deren Serucr jedoch sonst in Kapseln (Schol. Theocrit. IV, 25) 
und auf dem Haupt getragen (Aristoph. Eceles. 222ss. Mommsen Heortologie S. 299) ge- 
dacht werden. 

(’”‘) Demeter Kurotrophos, ein Kind haltend, wird a) in zahlreichen Thonfiguren, 
meistens in sitzender Stellung, erkannt (Ghd. Bildwerke XCVI, 1-9, S. 340 ff.); ausnahms- 
weise findet sich diese Darstellung von Schlangen umgeben in einer rohen Terracotta der 
Berliner Sammlung No.38 (oben Anm. 145 c). Eine stehende ähnliche Göttin wird als Erd- 
göllin Ge bei Newton XLVII, 5, eine sitzende aus Kalymna als nysäische Nymphe gefalst 
(archäologische Zeitung V, 279). Eine Kurotrophos mit ausgestreckten Beinen, mumienhaft 
alterthümlich, befindet sich unter den Terracotten zu Karlsruhe No. 203 (Archäologischer An- 
zeiger X, 26). Der 5) Münztypus bei Beul& (monnaies d’Athenes p. 202, Müller Denkmäler 
II, 8, 99) wird theils auf Iaechos, theils auf Erichthonios, und nicht blols auf Demeter, son- 
dern auch auf Ge Kurotrophos (Arch. Zeitung 1859 S. 4 ff.), von Wieseler auch auf Apbro- 
dite Kurotrophos (nach Athen. XIII p. 592 und Chariton III, 8) gedeutet; doch ist Demeter 
dort wahrscheinlicher. Verwickelter wird die Entscheidung hierüber durch Vergleichung e) 
einer ansehnlichen apulischen Thonfigur im Museum zu Berlin, darstellend eine stehende halb- 
nackte Frau, welche einem daneben auf hohem Pfeiler stehenden Knaben die Brust reicht (Arch. 
Apparat A291), so dals man an lacchos als Sohn der Persephone erinnert wird, und diese 
Deutung findet bei eingehender Betrachtung der gewöhnlich als Demeter Kurotrophos be- 
nannten Thonfiguren auch noch manche andre Stütze (Anm. 160. 220b). 

(15) Demeter alsAmme, ein vermuthlich als Iacchos zu denkendes Kind säugend, ist 
aulser dem vorgedachten Münztypus auch aus Thonfiguren (zu Berlin No. 40), jedoch selten, 
nachweislich; eine dieser Gruppen ward auf Juno und Mars gedeutet (Terres cuites Janze 
p- XVI, 1). 

(17°) Als seltnere Attribute der Demeter werden (Gerhard, Mythologie $ 420, 1 ff.) 
aus der Thierwelt noch Schaf (Anm. 172) und Biene, aus der Pflanzenwelt noch Früchte 
Eichenlaub und abstumpfende Kräuter, von Geräthen auch die Sichel erwähnt, letztere jedoch 
nur als cerealisches Beiwerk späterer Zeit. 


Philos.- histor. Kl. 1863. Xxx 


530 GERHARD 


(7) Statuen der Kora. Im Allgemeinen ist hier Clarac mit Inbegriff der als Flora 
benannten Statuen 441, 801 zu vergleichen, wie auch Müllers Handbuch $ 358 und Brauns 
Kunstmythologie S. 18 zu Tafel 30-32. 

(7) Thronend, als Unterweltsgöttin erscheint Persephone a) in Gräberstatuen, nicht 
nur in der mehrmals als Aschenbehälter gefundenen, von Sphinxen umgebenen, Proserpina 
oder Bona Dea clusinischer Gräber (Abh. Agathodämon und Bona Dea Taf. II, 4. Panofka T. C, 
Taf. III. IV. vgl. Bull. dell’ Inst. 1839 p. 49), sondern auch in 5) zahlreichen unteritalischen 
Thonfiguren (Ghd. Bildwerke XCVII, 1-10) milden Ausdruckes, welche durch sprechende 
Attribute, namentlich Apfel oder Gans, Blumen oder Spiegel, zuweilen auch durch ein Tym- 
panon (ebd. XCVII, 2; im Berliner Antiquarium No. 41) kenntlich sind. Von c) Wand- 
gemälden gehören hieher das nolanische mit Granatapfel und Blüthe im Berliner Museum 
(Arch. Zeitung VIII. Taf. 14) und nach Brauns ansprechender Erklärung (Kunstmythologie 
30. 31) zwei pompejanische, von denen das eine die Göttin verschleiert, mit Füllhorn (Anm. 
169d), das andere dieselbe mit Modius, in den Händen mit Scepter und ähnlichem flachen 
Modius darstellt; in Ermangelung entscheidender Attribute ward diese letztere Figur von Fi- 
nati (Museo Borb. IX, 21) und Müller (Handbuch $ 395, 4) als Gäa-Kybele, von Wieseler 
(Denkmäler II, 41, 795) als Hera bezeichnet. Allbekannt endlich ist d) unter den Vasen- 
bildern die öfters wiederholte Darstellung des Unterweltshauses mit dem darin herrschenden 
Götterpaar (Müller Denkm. I, 56, 275 a. Arch. Zeitung 1843 Taf. 11). 

(7°) In aufrechter Stellung erscheint Persephone a) nicht leicht wo es gilt die 
strenge Unterweltsgöttin hervorzuheben, häufiger im Begriff d)einer Saat- und Früblingsgöttin, 
wofür die Belege (Anm. 182. 183) zwar oft verkannt sind, und nicht minder häufig c) im 
mystischen Bunde von Tod und Leben, wofür theils die aphrodisischen Venus-Proserpina- 
bilder (Anm. 185), theils die mchr italischen Cultusbilder der baechischen Libera (Anm. 189) 
zahlreiche Belege liefern. 

(150) Chthonische Attribute der Kora sind a) Modius und Schleier, wie beides in 
dem Idol mit Hand auf der Brust nnd Gewandfassung in einem pontischen Münztypus (Se- 
bastopolis: Pellerin P. et V. III, 136, 9 p. 256; Eckhel D.N. II p. 358: ‚Juno Pronuba’) er- 
scheint; oder 5) der vielkörnige Apfel; namentlich die Frucht der Granate, durch deren 
Genuls Kora dem Pluton anheimfiel, wird ikr entweder allein, oder auch wie im Harpyien- 
monument, zugleich mit einer Granatblüthe beigelegt. Die Bedeutung des Apfels wird ge- 
steigert, sofern es die Frucht des Lebensbaumes im Elysium ist, von welchem Pluto der 
Proserpina verheilst: fulvis ditabere pomis (Claudian R. P. IT, 292). Von c) Thiersymbolen 
wird ihr die Gans, namentlich in Tbonfiguren (Ghd. Bildwerke XCVII, 3. Figur zu Karlsruhe 
No. 527) auch als Opfergabe (Paciaudi mon. Pelop. II p. 210), das tellurische Opferschweiu, 
vielleicht auch die aphrodisische Taube (laut einer Marmorgruppe der Venus Proserpina) und 
das in Bildern der Anodos als Lichtsymbol bekannte Reh (Anm. 318) oder Hirschkalb (1815) 
zugetheilt, welches nach einigen Andeutungen (H. R. Studien II S. 192) auch als cerealisches 
Opferthier sich denken läfst; dals auch die Kuh als lunarisches Symbol der Persephone zuge- 
hört, erinnern wir weiter unten (Anm. 1814). Von d) symbolischen Gewächsen, wie der 
Todtenkranz des Krethonios (Ghd. Bildwerke LX) sie vereinigt, sind besonders Eichenlaub 
und Narcisse hieher zu ziehen, gewils auch Asphodelos und Akanthos, wenn auch in gerin- 
gerer bildlicher Anwendung. Auch e) Früchte der Persephone beizulegen, konnte durch die 
verhängnilsvolle Granate und durch den verwandten vielkörnigen Apfel gerechtfertigt werden ; 


über den Bilderkreis von Eleusis. 11. 531 


aulserdem durfte Kora, deren Raub in Herbstfesten gefeiert ward, schon als Gemahlin des 
vom Erdreichthum benannten Pluton mit einem Füllhorn (169 d) ausgerüstet erscheinen. — 
Diesen Symbolen befruchtender Erdkraft sucht man vergeblich andere anzureihen, welche 
&) der Würgerin Persephone gelten können. Nur die aus dem Boden aufsteigende Kora mit 
einem Schwert, welche auf einem Gemmenbild zur Opferung einer Jungfrau heraufzusteigen 
scheint, wülsten wir in solcher Beziehung zu nennen. 

(5!) Als nächtliche Göttin wird Persephone durch die Fackel, durch Jagdattribute und 
durch Attribute der nächtlichen Himmelskörper bezeichnet. Am häufigsten ist a) ihr die 
Fackel zugetheilt, von welcher sie auch wol ö«öcvy,s heilst (in der parischen Inschrift 
eines Daduchen €. 1. G. 2388: Tiv de zo, w Öudouys, Ars rexos Uuvov Erevfer Nizucöyc, 86 
Tel iAaro öde pzgwv). Die Fackel wird ihr in einfacher oder auch doppelter Zahl beigelegt; 
denn Minervinis (Bull. Nap. N. S. II p. 100) Beschränkung der letztern auf Hecate ist un- 
gültig (vgl. die Triptolemosvase 4, m und das Epigramm C. I. G. 2388: dirsas Ev maranaıs 
Koaneım daidee). Gehalten wird dies Attribut in aufrechter oder gesenkter Richtung (150 d). 
Mit zwei gesenkten Fackeln wird Kora im Einzelbild athenischer Münzen (Beul& p. 198 s.) 
erkannt, das sich neben einem Sitzbild von Dionysos nach Beul@ p.202 oder Demeter (wie 
Jahn vermuthet: Arch. Ztg. XXII S. 133) zu wiederholen scheint (vgl. Anm. 366). Das 
6) Hirschkalb ist ihr in Thonfiguren (Panofka Arch. Ztg. V, 298) und sonst als vermuthliches 
Symbol des Sternenlichtes gegeben oder auch um die Todtengöttin als Jägerin wie den Za- 
greus und wie die nächtliche Artemis zu bezeichnen, deren kurze Tracht auch an der mit 
Modius bedeckten, mit Fackel versehenen, Göttin eines Todtenopfers auf einem Thonrelief 
(Ghd. Bildw. LXXV, 1) sich vorfindet. Nur ein Hirsch- oder Rehkalb und ebendieselbe Göttin 
wird auch gemeint sein in den aus der Nähe von Tegea mehrfach nach Athen gebrachten 
Sitzbildern einer angeblichen Cybele mit einem Thierchen und einer Blume (Arch. Anzeiger 
1863. S.91*). Auch das c) Mondsymbol ist der Persephone nicht fremd. Mit dem Halb- 
mond ist ihr verschleiertes Brustbild in einer Terracotta zu Kopenhagen (191 a) versehen, 
und in gleichem Sinn ist auch die der Mondgöttin (Passeri III, 269. Abh. Lichtgottheiten III, 3. 
$.8) zukommende d) Behörnung gewisser auf Kora bezüglicher Köpfe (Arch. Ztg. IX, 369 ff.) 
gemeint, wie ja auch Kuhgestalt dieser Göttin aus Kyzikos zugleich mit dem Opfer schwarzer 
Kühe (Appiau. Mithrid. 75. Marquardt Cyzicus S. 120. Welcker Gr. G. II, 481) wahrschein- 
lich wird und die Gruppe der säugenden Kuh als Symbol der beiden Göttinnen schon oben 
(165 5) aus dem Harpyienmonument erwähnt ward. Eigenthümlich ist e) die Zueignung 
eines Helms, vielleicht des plutonischen, an Kora durch die von Welcker (Gr. G. II, 484) 
betonte Inschrift eines nicht genauer angegebenen Münztypus. 

('32) Als Saatgöttin erscheint Kora a) öfters mit Ähren in ihrer Hand vgl. Beilage €. 
n. 46. 49. 56; mit Ähren bekränzt ist sie unter der Beischrift Swrrs:« auf Münzen von Meta- 
pont (Ghd. Bildwerke GCCXT, 25. S.403 vgl. die Zwreise auf Münzen von Kyzikos ebd. 23). 
Einen Ährenkranz hat auch der Frauenkopf mit der Beischrift Keo«c auf Münzen des Agatho- 
kles (Welcker Gr. G. II, 334). In gleichem Sinne ist von Braun (Kunstmythologie Taf. 32) 
eine Statue des Vatikan gedeutet, deren Gewandhebung zu Kora wohl palst; sie ist ähren- 
bekränzt, zugleich mit der mehr priesterlichen Schmückung durch Wollenbinden. Ähren 
sind auch auf Triptolemosvasen (150 5), Ähren und Fackel auf dem Relief Pourtalös (148) 
ihr zugetheilt. Ähren mit Mohn sind der epheubekränzten Kora auf dem Glascamee ihres 
Festzugs mit Dionysos (Buonarroti Medagl. p. 427. Millin Gal. XLVII, 275) und auch der 


Xxx) 


932 GERHARD 


verschleierten Göttin auf Münzen von Sardes (Müller Denkm. II, 9, 104®) zugetheilt, welche 
Eckbel D. N. II, 113 nach dem Übergewicht dortigen Koradienstes nicht für Demeter, son- 
dern für Persephone hielt; demnach ist auch in dem angeblichen Ceresidol, vor welchem 
Herakles mit dem Cerberus auf einer Pontischen Münze dargestellt sein soll (Heraclea, un- 
genau citirt Hyp. röm. Studien IT S. 170) wahrscheinlicher Persephone gemeint. So darf 
es denn auch nicht befremden, wenn im Gegenbild einer Triptolemosvase (4, c?) Demeter 
Ähren von ihrer Tochter entgegennimmt; hatten doch Overbeck (Eleus. Rel. $.186) und 
auch Wieseler (Denkm. II, 117. S. 48) sogar eine Auffahrt des Triptolemos mit Kora für 
denkbar erachtet, die übrigens bei Pindar (Boeckh p. 564, Ebert ZızeA:wv p. 20) auch mit 
dem cerealischen Prädicat einer Thesmophoros sich vorfindet. Als Saatgöttin 4) mit Gewand- 
schurz, den drei Horen folgend und der fackeltragenden Demeter voranschreitend, ward Kora 
auf einer runden Ara der Villa Albanı (Zoega Bass. II, 94) von Welcker (Zeitschr. S. 111) 
erkannt; doch ist jene geschürzte Figur vielleicht richtiger für eine vierte Göttin der Jahres- 
zeiten und die ihr folgende Fackelträgerin eher für Telete als für Demeter zu halten. — 
Endlich ist hier auch die c) durch üppiges Pllanzenwerk ausgezeichnete Göttin des Wachs- 
thums auf einem runden Thonrelief der Berliner Sammlung (Arch. Zig. XIII, 74) zu erwäh- 
nen, die am wahrscheinlichsten ebenfalls für Kora gehalten wird. 

(#3) Als Göttin des Lenzes, durch eine Blüthe bezeichnet ist Kora nicht selten in 
Vasenbildern ihrer Wiederkehr (vgl. Beilage C, 1 u. sonst); dasselbe Attribut liels auch die 
mit Blüthe versehene Marmorstatue aus Cnidos (Newton LVII) für Persephone-Kora erkennen. 
Auch der Blumenkorb in der Linken einer mit leuchtendem Nimbus versehenen, rechts eine 
nicht brennende Fackel aufstützenden Göttin, deren Bekränzung mehr Blätter als Ähren zeigt, 
scheint deren Darstellung in einem von Braun (Kunstmyth. 29. S. 18) auf Demeter im Früh- 
ling gedeuteten, von Wieseler (Denkm. IT, 9, 90. S. 37) demnach als Demeter Chloe be- 
nannten Wandgemälde vielmehr der Kora zu eignen, deren Blumenlese, aus den Sarkophag- 
reliefs des Koraraubes (291) allbekannt, auch im Einzelbild einer schönen Thonfigur des 
Vicomte Janze (T. C. XIII, 2) uns vorgeführt wird. In ähnlichem Sinne möchten Figuren zu 
fassen sein, wie die durch ihre Beischrift "EreuSegi« der römischen Libertas oder Libera ver- 
gleichbare, einen Kranz haltende, Göttin einer Goldmünze von Kyzikos (Millingen Ancient 
coins V, 11 p. 71). Abnlich ist auch eine vorzügliche Thonfigur meines Besitzes (Arch. 
Anz. XXI, 132*), bei welcher jedoch die Verschleierung und auch die Andeutung des Bodens 
(scheibenartig, eher Felsen als Wiesengrund) Bedenken zurückläfst. 

('#°) Apbrodisisch (Anm. 29) sind nicht nur a) der Typus der Spesfiguren (H. röm. 
Studien II, 151, 60) sondern auch 5) die mancherlei Bildungen der unverhüllten und ge- 
schmückten Mysteriengötlin unteritalischer Vasen und Terracotten. Der Übergang dieser 
gefälligen Gestalten zur Idee der Mysteriengöttin ist durch die c) bacchische Bekränzung 
mehrerer solcher nackter Frauengestalten gegeben. Es finden sich deren unter den Terra- 
cotten des Vicomte de Janze (pl. XV) und mit der Auflehnung auf einen Pfeiler auch in der 
Sammlung zu Karlsruhe (no. 180. 183. 357. 529). 

(5) Venus-Proserpina. Das a) unter diesem Namen viel besprochene Idol (Ghd. 
Venere-Proserpina 1826. Abh. Venusidole S. 15 ff. Hyperb. röm. Studien II, 162 ff.), kennt- 
lich durch Verbindung der auf die Brust gelegten einen Hand mit zierlicher Gewandhebung 
der andern in Art der Spesfiguren und vermuthlich abstammend vom Idol der zu Agrä 
gefeierten kleinen Eleusinien (Anm. 113) ist auch aus 6) Thonfiguren viel bezeugt. Ein 


über den Bilderkreis von Eleusis. II. 933 


verschleiertes und mit Polos bedecktes Idol dieser Art ward aufKalymna 60fach gefunden (Arch. 
Ztg.VI,279). Der Gedanke, dals die Todesgöttin sich wieder erneut, scheint aulser der gedach- 
ten Blüthe der Spesfiguren auch durch die Rosetten ausgedrückt, welche am Modius einer 
stehenden verschleierten Kora (Ghd. Bildw. XCVIU, 4) verzierungsweise sich finden. Cha- 
rakteristisch ist in dieser Bildung hauptsächlich e) die Geberde der als Zeichen des Todes- 
schlafes auf die Brust gelegten Hand, welche man jedoch auch mit einer Blüthe, häufiger mit 
einem Apfel, versehen findet. Mit derselben Handgeberde findet sich übrigens auch das 
Attribut der Fackel verbunden in einer Thonfigur der Gallerie zu Karlsruhe no. 208 (Arch. 
Ztg. V, 279. no.13). Noch eine hieher gehörige und von Newton XLVII auf Persephone 
gedeutete Thonfigur hält einen Becher. Ebenfalls hieher gehörig ist endlich 4) die eigen- 
thümliche Bildung eines rohen Marmorfigürchens im Museum zu Berlin (Berlins Bildwerke 
S.78f. 114g = 191). Die Figur hält mit der einen Hand an die Brust gedrückt eine Taube, 
in der gesenkten andern einen Apfel und hat aulserdem als stygische Juno einen Adler 
neben sich. 

(8) In Hermenform ist Persephone-Kora durch eine knidische Inschrift bezeugt, deren 
Bildwerk verloren ging; diese Form konnte nach der Analogie von Venushermen (Urania: 
Paus. I, 19, 2; Hyperb. röm. Stud. II, 278), allerdings aber auch nach der bacchischen An- 
wendung der Hermenform für Liber und Libera (ebd. II, 281; vgl. unten 189 2) füglich ihr 
zugetheilt werden. Hienach kann denn die bekleidete und mit Modius bedeckte weibliche 
Herme eines vatikanischen Marmors (Venere-Proserpina tav. VII; Hyperb. röm. Stud. II, 158. 
170 £.), welche in Art bekannter Mysterienidole einer Frauengestalt zur Stütze dient, und 
kann auf die Thongruppe eines auf eine ähnliche Figur gestützten Jünglings in der Berliner 
Sammlung no. 3127 füglich auf Persephone gedeutet werden. 

(57) Als Siegesgöttin, die Mühsal des überstandenen Lebens lohnend, erscheint Per- 
sephone a) als obere Figur auf dem goldenen Kranz des Krethonios (Gerhard Bildwerke LX), 
herrührend aus einem lukanischen Grab, gegenwärtig zu München. Die Göttin ist mit Palmen 
bekränzt und hält eine Palme in ihrer Hand; der 5) aus Eichenlaub und Gräberblumen ge- 
knüpfte Todtenkranz ist überdies von Sieges- und Liebesgottheiten durchflochten. Die 
Bekränzung der Göttin betreffend, so lälst die Annäherung an c) Strahlen sich nicht ver- 
kennen, wie andre Mal der Modius, nicht blofs bei späten Serapisbildern, sondern auch an der 
Mysteriengöttin einer Terracotte bei Stackelberg, unten Anm. 356, und an der Göttin blutiger 
Menschenopfer auf der Townley’schen Cista (Artemis, nicht Demeter: Anm. 196 g) mit 
Lichtstrahlen durchzogen ist, wodurch auch der Nimbus einer vermuthlichen Persephone zu 
Pompeji („Demeter-Chloe” Anm. 183) sich rechtfertigen lälst. — In gleichem Sinn war 
Persephone d) zwischen Niken gestellt in einem ihr geweihten Heiligthum zu Paros, wo 
laut metrischer Inschrift (Boeckh C.1. G.2388) man ihr drei Bilder geweiht hatte: rars«, övw 
Nizas, utrse Ö: Ifsgrepevr Jv. 

(55) Von Marmorbildern ist in Gemäfsheit der a) den Spesfiguren entsprechenden 
Gewandhebung die farnesische Flora (Neapels Bildwerke S. 63) hieherzuziehen, wie denn 
auch andere sogenannte Florabilder (Müller Handbuch $ 404, 2. Statue, blumenbekränzt und 
mit Blüthenschurz: Neapels Bildwerke S. 1 ff. Ghd. Bildw. LXXX VII, 7) mehr auf Kora als 
auf die Frühlingshore zurückzuführen sein dürften. Dagegen erscheint 5) die Abstreifung des 
Gewandes von der Schulter mit der gewöhnlichen Benennung der Barberinischen Juno (Pio- 
Clem. I, 2), die Visconti nachträglich für eine Proserpina nahm, nicht mehr unyerträglich, 


934 GERHARD 


wie Braun (Kunstmythologie T.25. S.14 f. Ruinen S.423 ff. Vgl. auch “Junon en Ceres’ bei 
Clarac 423, 747) gezeigt hat. Von Statuen der c) mit Persephone gleichgeltenden Göttin 
Libera wird hienächst (189 a) gehandelt, 

(5) Die bacchische Umbildung der Persephone ist hauptsächlich wahrzunehmen 
a) in den römischen Statuen der Libera, wie sie neben Dionysos mit einem hierfell be- 
kleidet und ein Reh haltend (Relief Colonna: Ghd. Bildwerke XLII) oder auch durch einen 
Panther bezeichnet an der Basis einer Göttin mit Modius (bacchisches Relief zu Palestrina: 
Venere-Proserpina, Titelblatt, vgl. das Vasenbild Ghd. Bildwerke XLIIN), und mannigfach 
sonst (Ghd. Bildw. XII. S. 179 ff.) sich vorfinden; namentlich geschieht dies in der Hermen- 
form, welche zwar auch aphrodisisch (186), in der spätern Kunst jedoch vorzugsweise 
dem Dionysos und mit ihm nicht selten seiner Genossin auf römischen Marmorpfeilern zu- 
getheilt ist (Hyp. röm. Stud. II S. 280 Anm. 164) und daher zur bacchischen Bildnerei 
gezählt werden darf. Mit Kora und Libera gleichgeltend ist auch 5) Ariadne (I. Anm. 106), 
die von Dionysos schlafend aufgefunden und dann ihm vermählt wird, laut bekannten Münz- 
typen von Perinthos und Kyzikos und laut der noch bekannteren Darstellung beider Mythen 
auf Sarkophagreliefs. 

(19) Eleusinisches aus Rom. Als eleusinisch, wenn auch nur auf dem Standpunkt 
der zu Agrä begründeten Mystik, glaube ich a) die römischen Repliken des Idols der Venus- 
Proserpina (185), ferner 5) die Seelenführung zum Sonnengott durch die Mondgöttin auf 
einem spätrömischen Relief (Ghd. Bildwerke XCII, 4. S. 248, 87), endlich auch c) die Aus- 
spinnung des Mythos von Eros und Psyche betrachten zu dürfen, über dessen vermuthliche 
Verknüpfung mit eleusinischem Dienst in der Abhandlung über Orpheus (Anm. 105) ge- 
handelt ward. 

(9) Brustbilder und Köpfe aus Thon waren statt der vollständigen Figur zu 
Votiven der Unterweltsgöttin vielleicht aus eben dem Grund üblich, aus welchem sie öfters 
als Halbfigur dem Erdboden entsteigend (Anm. 325) dargestellt wird; laut Pausanias (IX, 
16, 3) war auch das thebische Bild der Demeter Thesmophoros (von Welcker Gr. G. II, 478 
deshalb für Kora gehalten) nur bis zur Brust sichtbar. In unserm Vorrath von Terracotten 
sind @) Brustbilder der Kora (Gerhard XCIV, 4. 5. S. 338) mit beiden Händen auf der Brust 
aus Grofsgriechenland zahlreich vorzufinden; dergleichen sind auch aus Sizilien und aus Ka- 
lymna bekannt (Arch. Zeitung VI, 279). Ein ähnliches verschleiertes Brustbild mit Halb- 
mond, in der Rechten mit Scepter oder Fackel (Arch. Apparat R.R. 10) fand ich in der 
Privatsammlung König Christians VIII zu Kopenhagen. Nicht selten ist an Brustbildern 
dieser Art auch der Zusatz von Eroten, welche, wie im Gefolge der Liebesgöttin, müssig auf 
ihrer Schulter sitzen, auch wol mit ihren Obrringen spielen (vgl. Ghd. H. röm. Studien II, 
181). — Statt jener Brustbilder in Relief finden sich nicht selten auch 5) weibliche Köpfe 
von verwandter Geltung, sowohl in ungefirnilstem Thon, als auch in gefälliger Anwendung 
zu Gefälsen, deren Körper sie bilden; Epheu oder Myrthenbekränzung dient solchen Köpfen 
(Ghd. Bildwerke CI, 2. 3) zur Andeutung der in ihnen gemeinten Mysteriengöttin. 

(12) Köpfe der Kora, deren Unterscheidung auf Münzen von denen der Demeter 
Müller (Handbuch $ 357, 6) schwierig fand, namentlich für die Münzen von Segesta Opus 
und Pheneos wie auch für gewisse syrakusische, sind doch laut dortiger Nachweisung mehrfach 
durch Beischriften gesichert. Es ist dies der Fall auf einer syrakusischen Münze des Agatho- 
kles (Müller Denkmäler I, 54, 259; vgl. 260), deren Frauenkopf nur mit aufsprielsenden 


über den Bilderkreis von Eleusis. Il. 535 


Weizenblättern in einer an ähnlichen Köpfen öfters auf Arethusa oder auf Artemis Potamia 
gemilsdeuteten Weise bekränzt ist, desgleichen auf den Münzen von Kyzikos (ebd. II, 9, 101; 
vgl. Marquardt Cyzicus S. 123), deren mit Ähren und Epheu bekränzter Frauenkopf, vielleicht 
der vergötterten Faustina, inschriftlich als Kora Soteira benannt ist (vgl. Marquardt a. O., 
wo $.124 Aouve Nwrio@ mit Domina oder Despoena identisch erachtet wird), dem ähren- 
bekränzten Kopf auf Münzen von Metapont (Ghd. Bildw. CCCXI, 25. S. 403) entsprechend, 
welcher die Beischrift Swrrg:« führt. 

(3) Das Kunstideal der Kora schlägt Müller (Handb. $ 358) zu gering an, wenn er 
annimmt, dals diese Göttin nur wenig Individualität in der Kunst erlangt habe. Ihre Dar- 
stellung wird in Abhängigkeit theils von Demeter, theils von Hades nachgewiesen, doch ohne 
hinlängliche Betonung ihrer selbständigen Geltung und euphemistischen Darstellung. 


3. Die dritte Person. 


('%) Hades Demeter und Kora: die Gemeinschaft dieser Gottheiten mit Bezug auf 
Pylos (Strabo VIII. p. 344; Welcker Gr. G. II, 485) Samothrake und Knidos, wie auch die 
thebische Verbindung von Demeter und Zeus Chthonios, schon früher (Anm. 17) von uns 
erwähnt, giebt hie und da auch in Vasenbildern der Triptolemossage sich zu erkennen, wie 
unsere Beilage 4 in den mit C, D, r?, r’ und x bezeichneten Vasen es nachweist; auch in der 
bekränzten Figur mit Scepter (ebenda r*) scheint Hades gemeint zu sein. Seine Merkmale 
sind das Füllhorn bei kahlem Haupt (x), der ihn begleitende Hund (r2), der angestemmte 
Arm (r?, r?) und das in so gewähltem Personal vorzugsweise dem Unterweltsgott zustehende 
Scepter (€, D, r?2). — Der Verbindung von Hades und Demeter ward oben (Anm. 15) ge- 
dacht, seiner Geltung in Eleusis auch von Müller (Eleus. $ 35). 

('#3) Hades und Persephone: aus Reliefs Vasenbildern und 'Thonfiguren bereits oben 
(Anm. 18 u. 44) in ihrer gemeinsamen Darstellung von uns nachgewiesen; die im Text be- 
sprochenen seltsamen Terracotten des Berliner Museums sind in meiner Abhandlung über 
Agathodämon Taf. III, 2-4 abgebildet. Auf einer archaischen Triptolemosvase (Beilage A, 
Vase €) werden Hades und Kora, letztere mit einer kleinen Frucht versehen, vorausgesetzt; 
doch ist die Zusammenstellung beider Gottheiten in dieser Reihe cerealischer Darstellungen 
weder häufig noch augenfällig. 

(1%) Dionysos Demeter und Kora (vgl. Anm. 78) aus a) Göttervereinen alter Tem- 
pel, Thelpusa und 'Tegea (Abh. Anthesterien Anm. 200) nur schwach bezeugt, sind 5) aus 
Eleusis selbst nur etwa durch das dem Dionysos einen Tag nach dem Opferdienst der beiden 
Göttinnen zugeordnete Opfer (C. I. Gr. no. 523; Müller Eleus. $ 16. Anm. 53; vgl. Abh. 
Anthesterien Anm. 175. 176; oben 1. Anm. 78) und durch einige nicht sehr frühe Bildwerke 
zu bestätigen. Aus c) dem Dienste von Lerna, der als später Ausfluls des eleusinischen zu 
betrachten ist (Preller Demeter S. 210; Jahn, Arch. Zig. XXII, 133) ist jene Trias um so 
gesicherter, nicht weniger auch die Gleichsetzung des Dionysos mit Liber (Orelli 2361) und 
mit Iacchos (5 ru Azgvrv zereyww "Ie#y,os, Libanius or. 14. t. I. p. 427 R; Jahn a. O.); dafs 
die betreffenden drei Göttermächte zuweilen unvollständig erwähnt sind (nur ögöcuy,os Kogns 
heilst Archeleos auf dem von Jahn gleichfalls hierher gezogenen Taurobolienaltar oben Anm. 
142, wie iegopavrns Ayoüs za Koons der Kleadas einer andern Inschrift: Jahn a. O.), macht 
in der Hauptsache keine Änderung. Anders zwar als die Anerkennung jenes lernäischen Götter- 


536 GERHARD 


vereins steht die Frage, ob derselbe auf jenem Taurobolienaltar des eleusinisch-lernäischen 
Priesters Archeleos (Anm. 142. 143) in Gemeinschaft der Göttermutter dargestellt sei, wie 
Jahn a. ©. scharfsinnig vermuthet hat, dieses in Gemäfsbeit der von Aconia Paulina 
(Orelli 2361) vertretenen Kulte, welche zugleich Dindymenes Atteosque antistes und "sarrata 
apud Laeernam deo Libero et Cereri et Corae’ war. Vielmehr bleibt die für lacchos unerhörte 
und auch für Dionysos unbezeugte, aus kurzem Chiton und Chlamys bestehende, Tracht des 
Fackelträgers und auch die untergeordnete Stellung der Kora bedenklich und die Möglichkeit 
offen, dafs die Bedeutung beider Nebenfiguren eine priesterliche sei, vgl. Anm. 365. — Von 
d) Skulpturen ist aulser dem Fries des Niketempels (Annali XIII. p. 64. tav. E, 13-15) und 
dem Sarkophag von Wiltonhouse (Beilage €, 53; vgl. noch oben I. Anm. 78. Abh. Anthesterien 
S. 216, 201) auch eine runde Ara der Villa Albani (Zoega II, 96) hieherzuziehen, welche 
in vermuthlichem Anschluls an das Reliefbild der rückkehrenden Kora auf einer ähnlichen 
dortigen Ara (Zoega II, 94 und unten €, 59) das trauliche Wiedersehen der beiden Göttin- 
nen (Anm. 325) in Gegenwart des Dionysos, begrülst von heranziebenden Horen oder Fest- 
genossinnen, darzustellen scheint; dafs Dionysos gemeint sei und nicht etwa die öfters 
in ähnlicher Weise auf einen Rebstamm gelehnte Hore des Herbstes Opora (Welcker 
Zeitschrift S. 511 f. 606), ist ungeachtet seines undeutlichen Geschlechtes wahrscheinlich. 
Noch andre uns bekannte Skulpturen können e) nur sehr bedenklich hierhergezogen werden; 
so die überaus schadhafte dreifache Herme der Villa Altieri (oben Anm. 73), in welcher nach 
Braun auch Wieseler (Denkm. II, 341) den bärtigen Dionysos mit Demeter und Kora, be- 
gleitet auch von Iacchos als Flügelknaben, erkennt. Stark beschädigt und unklar ist auch das 
Bild eines durch Newton LXXIX, 2 bekannten Felsreliefs, welches zugleich mit Heilgott- 
heiten (255) den Dionysos eine Traube haltend nebst zwei stehenden Frauen darstellt; eine 
derselben ein Kind haltend wird von der andern umfalst. Von f) unteritalischen Vasen- 
bildern wird der Göttinnen Verbindung mit dem jugendlichen Dionysos in einer späten 
Darstellung bei Millin (Vases I, 50; Ghd. Bildw. CCCXIN, 1. S. 404) vorausgesetzt, wo- 
bei man allerdings sich entschliefsen muls einen strahlenbekränzten Jüngling mit Myrten- 
kranz auch ohne sicheres Attribut für Dionysos, die statt seiner den T'hyrsus haltende und 
ihm eine Schale reichende Göttin für Demeter, eine dritte abgewandte Gestalt mit einer 
Schale für Kora zu halten; Eros über derselben und im obern Raume vertheilt zwei vielleicht 
für Athene und Artemis eintretende Frauen erweitern das Räthsel. Hieneben ist endlich auch 
noch der Dreiverein von Gottheiten zu nennen, denen g) der blutige Opferbrauch einer be- 
kannten Townley’schen Cista (Ghd. Spiegel I, XV. X VI. S. 49 ff.; Rochette Monum. LVIIT; 
Müller Denkm. I, 62. no. 311 a; vgl. Welcker Denkm. III, 542 ff.) gilt. Welcker a. O. 
sah in der Frau, welche traulich einem Jüngling die Hand auflegt, die Kora mit Dionysos, 
beide als Kinder der durch Modius und Schwein kenntlichen Demeter; diese letztere ist aber 
als Artemis mit einem Reh (Ghd. Spiegel I. S. 54, 34) begleitet von Apollo und Leto nach- 
gewiesen. — Schlielslich kann noch bemerkt werden, dals weder %) Demeter und Dionysos, 
trotz ihrer Verbindung in einer archaischen Terracotta und manchem jüngeren Werk (Abh. 
Anthesterien Anm. 198; vgl. Beul& mon. d’Athenes p.208), noch auch 7) die Gemeinschaft von 
Dionysos und Kora (vgl. oben I, 102. 103) aus Kunstwerken eines erheblichen Alters beglau- 
bigt sind. Bezeugt wird diese letztere Verbindung allerdings theils durch die archaischen 
Vasenbilder, deren alterthümlicher Anschein die neue Lehre einführen sollte, theils auch durch 
manches Gefälsbild des reinen neuattischen Styls.. So sind Dionysos und Kora verbunden 


über den Bilderkreis von Eleusis. II. 5837 


mit einer fackeltragenden Göttin auf einer nolanischen Amphora des Cabinet Durand 
(no. 108 R. Demeter mit Fackel) und einem Stamnos derselben Sammlung (no. 17; im brit- 
tischen Museum no. 783 „‚Hekate”). 


4. Die Kultusbilder von Eleusis. 
(7) Einheitliche Bildung beider Göttinnen (Prodr. S. 87) wage ich nicht mehr 


anzunehmen: sie lälst sich noch etwa für Kulte beschönigen, in denen, anders als zu Eleusis, 
nur eine von beiden Göttinnen (Demeter I. Anm. 6 oder Persephone Anm. 112), oder die 
eine als Beiname der andern (4 dyıy z031 Ayunrgos Zrrıw Emizrysıs Paus. IV, 33, 5; vgl. 
Prodr. S.56. 86) anerkannt war, oder aus einer Vaseninschrift, welche das umgekehrte Ver- 
hältoils uns glaublich zu machen scheint (Auserl. Vasenbilder I, 40 = C, 15); aber diese sehr 
vereinzelten Zeugnisse sind nur mit grolser Vorsicht zu gebrauchen. 

('%) Kolols zu Cambridge. Diese viel besprochene Halbfigur aus den besten Zeiten 
der Plastik (Clarke Greek marbles pl. 4. 5; Ghd. Bildwerke Taf. CCCVI, 4. 5; Müller 
Denkm. II, 8, 92; vgl. Handbuch $ 357, 5) lag in den innern Propyläen zu Eleusis bereits 
zu Spon’s Zeit (Voyages II p. 216), etwa 50 Schritt von der, wie man anninmt, dazu gehö- 
rigen Statuenbasis, welche über dem nicht mehr nachweislichen Relief eines Festzugs (pompa 
mystica) die Inschrift eines Hierokeryx Nigrinus aus Hadrians Zeit trug (Boeckh C. I. Gr. 
no. 389). Dals die ungleich ältere Statue in der That zu jener Basis gehört habe, scheint 
nicht erwiesen zu sein. So bedeutsam übrigens jene mächtige Figur durch Grölse und Hal- 
tung wie durch den pflanzenverzierten Kalathos ihres Hauptes und das Gorgonenantlitz auf 
ihrer Brust erscheint, so sehr fehlt es dennoch an Anhaltspunkten, um über Hirts in der 
Geschichte der Baukunst (II, 21) geäufserte Ansicht hinauszugehen, als sei in ihr eine von 
mehreren Kanephoren einer äufseren Säulenreihe uns erhalten; in gleichem Sinne erkannte 
Preller (Demeter S. 374 ff.) und nach ihm Wieseler a. OÖ. darin gleichfalls eine solche, rich- 
tiger als Kalathephore zu benennende, Gebälkträgerin. Für ein Bild der Demeter und zwar 
aus den Zeiten des Phidias nahm sie jedoch Welcker noch in der griechischen Götter- 
lehre II, 470. 

(9) Der Thongruppen aus Präneste ist bereits (145) bei Aufzählung der auf uns 
gekommenen Sitzbilder der beiden Göttinnen gedacht; die Deutung des ihnen beigelegten 
Knaben kommt hier erst in Rede. Was früher unbestreitbar schien, dafs nämlich Iacchos in 
ihm gemeint sei, wird durch die in meiner ersten Abhandlung aufgestellte Zurückführung 
ähnlicher Thonfiguren auf Thesmophoriensitte und durch des Plutos Verknüpfung mit dieser 
zweifelhaft. Doch mag der italische Sprachgebrauch weniger streng geschieden und neue 
Benennungen sich geschaffen haben, so dals der Knabe neben Ceres und Proserpina oder 
verwandten Göttinnen italischen Namens, wie Fortuna und Ops, italisch nach Art der Bona 
Dea (vgl. Bono puero posphoro in einer daeischen Inschrift bei Gruter 83, 13. Orelli 1934) 
benannt worden sein mag, ohne die auch bis nach Latium gedrungenen gräcisirenden Benen- 
nungen schlechthin auszuschlielsen. Von diesen Benennungen war der Name Jacchos ver- 
breiteter als der des Plutos; noch überwiegender aber scheint in die italische Terminologie 
der aphrodisische Nebenbezug eingedrungen zu sein, wie er vorliegt wenn der Fortuna Pri- 
migenia bald ein signum cupidinis (Murat. Inser. MCXV) bald auch Spesfiguren (Prodromus 
S. 104, 151) geweiht sind. 


Philos.-histor. Kl. 1863. Yyy 


9383 GERHARD 


(2°) Praxitelische Gruppe. Bei Erwähnung des Demetertempels im Kerameikos sagt 
Pausanias (I, 2, 4): ayarnara de aury re zu % mals zu Ode Ey Taxyos' Yeyganraı ds &mı 
TO Fayw yorumarır "Arrızdis Eaya Eiven IlzeEırerovs. Dieselbe Gruppe glaubt Beul& (monn. 
d’Athenes p. 204) in gewissen athenischen Münztypen (p. 202) wiederholt zu sehen, in denen 
der neben einer sitzenden Göttin (Demeter; die Figur der Kora, ein ander Mal nachweislich, 
habe hier nicht Platz gefunden) stehende Jüngling eine Fackel zu halten scheint. Übrigens 
wird der Iacchos jener Gruppe von Welcker (Annali XXXII p. 462, Gr. G. II, 554) als 
zarter Jüngling, den Göttinnen an Alter und Gröfse untergeordnet, vorausgesetzt, dagegen 
Preller (Arch. Ztg. III S.108 — Aufsätze S.292), unseres Erachtens weniger richtig, ihn er- 
wachsener und als Bräutigam der Kora sich dachte. 

(2°) Mit einem Fackelträger erscheint auch die Gruppe der thronenden Unterwelts- 
gottheiten in einem bekannten Relief des Vatican (Visconti Pio-Clem. II, 1 2; vgl. Beschrei- 
bung Roms II, 2, 122). 

(@%) Ein laechosbild zu Athen wird als hoch berühmt von Cicero (in Verr. IV, 60) 
erwähnt: Quid Athenienses ut Iacchum ex marmore aut Paralum pietum aut ex aere Myronis 
buculam amittant? Dals der lacchos der praxitelischen Gruppe damit gemeint sei hat bereits 
Friederichs (Praxiteles S.12) wahrscheinlich gemacht und zugleich die Hochstellung einer 
einzelnen Figur statt des Dreivereins, zu welchem sie gehörte, durch das wie es scheint ganz 
ähnliche Verhältnils des praxitelischen Peribo&tos unterstützt. Gleicher Ansicht ist auch 
Overbeck (Geschichte der Plastik S. 22, 2). 


5. IJacchos und Plutos. 


(®) Tacchosbilder sind auch aus der griechischen Plastik bezeugt. Aufser dem von 
Cicero erwähnten (202) wird ein Iacchosbild von der Hand eines Mnesitheos genannt, wel- 
ches an der Kephissosbrücke stand (Paus. I, 37, 4). 

(2°) Bärtige Jacchosbilder wie eine bekannte von Preller (Aufsätze S. 293) als 
Einweihungsscene des Herakles gedeutete Inschriftvase (Auserl. Vasenbilder I, 69, 1) deren 
eins enthält, sind nicht sowohl auf den eleusinischen Mysteriengott zu beziehen, als vielmehr 
aus Anwendung des gleichlautenden Jubelrufs für den Dionysos zu erklären. 

(2%) Als Ephebe, nicht als Mann oder Bräutigam, wird Iacchos von Welcker voraus- 
gesetzt in der praxitelischen Gruppe (200) und in dem grolsen eleusinischen Relief (Anm. 
381); etwas knabenhafter, aber auch schon herangewachsen, in den von ihm so gedeuteten 
Skulpturen am westlichen Parthenongiebel und am Erechtheion (Anm. 63 5), mit denen der 
aristophanische Ausdruck wgwos eos (Ran. 394. Anm. 60) allerdings wohl vereinbar ist. 
Diese letztere Auffassung bleibt die überwiegend gültige; nicht als gereifter, sondern als 
Mellephebe ist der Tacchos des Festzugs (213) zu denken, und zwar mulste dies so lange mals- 
gebend sein, bis die völlige Gleichsetzung des Dionysos mit Iacchos auch im eleusinischen 
Tempel durchdrang, was jedoch bis jetzt erst aus dem Zeitalter nachweislich ist, in welchem 
auch der Hadrianische Antinous (Eckhel D. N. VI p.530. 535) als vios "I«zy,os verehrt 
ward. — Andrerseits wird das Knabenalter des Iacchos noch aus dem späten Alterthum 
durch die Einweihung von Kindern uns vorgeführt, die man dann sich im Bild des Jacchos 
darstellte, wie in einem bekannten Kopf aus rothem Marmor (215), oder im mystischen Drama 
als Fackelträger benutzte, wie es der heilige Cyprianus, im Alter von 10 Jahren eingeweiht, 


über den Bilderkreis von Eleusis. II. 539 


erfahren hatte. Derselbe berichtet wie folgt (Preller Philologus I S. 349 ff.): dr: öv Ödz« Erav 
Eögdouynre 79 Anunroe zar Ts Kogns ro ?suzov mevSos... Für das räthselhafte Asuzev mit 
Preller ’Ersuswviov zu lesen scheint unzureichend. 

(2%) lacchosbilder jedes Alters sind im Prodromus m. K. S. 402 f. Taf. CCCXI ff. 
(vgl. oben Anm. 63) von mir vorausgesetzt und auch nachgewiesen worden. Wie die dort 
versuchten Benennungen, sind auch die von Panofka hie und da gegebenen zu beschränken, 
namentlich wenn sowohl der kitharspielende Bräutigam einer apulischen Hochzeitsvase (Arch. 
Zeitung III, 219) als auch ein neben Zeus vorausgesetzter Ganymedes (ebd. 218, 2) ihm für 
Iacchos galt. Nicht berechtigter war die von mir versuchte Anwendung desselben Namens 
auf den eingehüllten Knaben mit Opferschaale eines Hautreliefs aus Thon in der Karlsruher 
Sammlung (Arch. Anzeiger IX, 27); wenigstens ist Bekleidung des Iacchos, wie neulich auch 
Jahn (196 c) im kurzbekleideten Fackelträger des attischen Tanrobolienaltars dem Iacchos 
sie zuwenden wollte, meines Wissens nicht mit Sicherheit nachzuweisen. 

(27) Plutos, nicht Iacchos (der allerdings selbst mAovrodcrre heilst: Arist. Ran. 482; 
Lenormant Recherches p. 80) kann in Gemmenbildern gesucht werden, auf denen die weib- 
liche Pflege eines wunderbaren Kindes zunächst an das Frauenfest der Thesmophorien uns 
erinnert; doch werden bald (220) uns neue Gründe vorliegen um die bisherige Deutung der- 
selben auf Iacchos festzuhalten. Schwankender zwischen Plutos und Iacehos ist die Benennung 
eines sitzenden Knaben mit Opferschwein auf einem Thongewicht, dessen Kehrseite die Dios- 
kuren darstellt (Ghd. Bildwerke CCCXI, 12). 

(28) Das Votivschwein mit einem darauf sitzenden oder gelagerten Knaben, welches 
unter grolsgriechischen Terracotten (Panofka Terracotten LIX, 1-4; LX, 2) nicht selten 
sich findet, ist in Erwägung der cerealischen Bedeutung dieses Thiers und des überwiegend 
cerealischen Inhalts dieser Kunstgattung ungleich wahrscheinlicher auf Kindersegen (Anm. 36) 
und Weihung von Kindern, mit Hinweisung auf die cerealischen Dämonen Plutos oder Iac- 
chos, als auf das von Panofka (a. O. S. 151 ff.) in Rede gebrachte spartanische Sühnopfer für 
Artemis Korythalia zu beziehen. Unabhängig von einer oder der andern dieser Deutungen 
ist die Anwendung zu Kinderklappern und Kinderspielen, die neulich einmal (Arch. Anz. XX, 
250°) als eigenste Bedeutung ähnlicher Votive beliebt worden ist. 

(29) Fackeltragende Knaben, dem Lichtglanz des a) Iacchos (Anm. 66) entspre- 
chend, werden in attischen Kunstwerken vergebens gesucht, unter den Thonfiguren wol auch 
wegen deren näheren Bezugs auf Thesmophorien nicht gefunden; dagegen scheint das unter- 
italische Vasenbild eines von Zeus umfalsten und als Aros ws bezeichneten Knaben (Barone, 
monum. tav. I) der Mystik des Iacchos anzugehören. Des Gemmenbildes mit Auffindung 
eines solchen Knaben durch Frauen gedenken wir noch weiter unten (2204). Um so häu- 
figer als jene vermilsten Iacchosbilder ist der fackeltragende 5) Eros, der auf unteritalischen 
Vasen der aphrodisisch gedachten Kora als Mysteriendämon beigesellt ist. 

(210) Iacchos auf Blumen wurde in einem Thonrelief bei Campana tav. LII erkannt. 
Vgl. Abh. Anthesterien Anm. 190. So erscheint auch Eros auf Blumenkelchen häufig am 
Halse reich verzierter apulischer Amphoren (Ghd. Apulische Vasenbilder Taf. III) und sonst. 

(211) Schwebende Knaben, dem Luftschritt des Iacchos (Anm. 65) entsprechend, sind 
a) vor dem Wagen der Kora auf archaischen Vasenbildern (in der Berliner Sammlung 1634. 
1698; vgl. Abh. Anthesterien Anm. 157) zu finden, womit auch noch ein anderes, unedirtes 
Vasenbild, anscheinend nur einen schlichten Hochzeitszug darstellend (Arch. App. M. IX. 


Yyy2 


540 GERHARD 


n. 194), zu vergleichen ist. Voranschreitend war auch dem attischen Hochzeitwagen ein 
Knabe beigesellt (Hermann G. A.). Doch wird der dem Wagen der Kora voranschreitende 
Knabe einer bekannten Hydria (Auserl. Vas. I, 53; in unserem Verzeichnils Beilage € no. 1) 
gleich den erwähnten schwebenden für Iacchos gehalten. Noch ist hier 6) an den Knaben zu 
erinnern, der in einer pränestinischen Thongruppe der beiden Göttinnen (145 6) der ver- 
schleierten Kora zur Seite schwebt und deshalb früher (Prodr. S. 60) lieber dem Mysterien- 
dämon grofsgriechischer Vasenbilder verglichen ward als dem Iacchos. 

(22) Schwebende Jünglinge, ursprünglich beflügelt, sind aus Thonbildern unter- 
italischer, hauptsächlich nolanischer, Gräber mir bekannt. Panofka hat bei seiner Herausgabe 
die angeblich aus Centorbi herrührenden Exemplare des Berliner Museums (T. C. XXVL ff. 
S. 92 ff.) den sogenannten Mysteriengenien unteritalischer Vasen gleichgesetzt und gleich 
diesen sie als hermaphroditisch bezeichnet; diese letztere Annahme wird für die in Rede ste- 
henden 'Thonfiguren durch den Augenschein widerlegt, wie ich denn auch die scheinbare 
Mannweiblichkeit der gedachten Mysteriengenien wegen ihrer nirgends entschieden weiblichen 
Brust längst bestritten habe. Am natürlichsten wird man diese dämonische Gestalten auf den 
in den Kreis der Mysterien gezogenen Eros (immerhin auch Pothos, wie Panofka vorschlägt) 
zurückführen können; er ist mit der aphrodisischen Auffassung der Kora eng verknüpft und 
kann in Zusammenhang mit dieser, zumal wo bacchische Epheublätter ihn zieren, vielleicht 
als grolsgriechische Form des Iacchos betrachtet werden, ohne dem ursprünglichen eleusini- 
schen zu entsprechen. 

(23) Jacchos im Festzug (vgl.268) als schöner Knabe (wa«os See) gepriesen, braucht 
nicht als Gliederpuppe gedacht zu werden; ward er, wie sich glauben läfst und mancher 
Analogie nicht entbehrt, durch einen leibhaftigen Knaben dargestellt, so liegt es nahe, bei 
dieser Voraussetzung an eine Verwendung des schönsten eleusinischen Altarknaben («is 
ap’ rries Anm. 380) für eine solche Hauptaufgabe des eleusinischen Festzugs zu denken. 
[Abweichend von obiger Ansicht wird in der eben erschienenen Heortologie von A. Momm- 
sen S.253 vermuthet, das zu dem Festzuge erforderliche Iacchosbild möge im Iaccheion 
aufbewahrt worden sein. ] 

(2°) Iacchos beflügelt wird vorausgesetzt in der durch Braun bekannten, überaus 
stark geflickten, dreifachen Marmorherme der Villa Altieri (Anm. 196 e) und in einer durch 
Stephani bekannten Thonfigur aus Kertsch. Vgl. oben Anm. 73. 

(25) Behörnt ist der mit Zagreus gleichgesetzte Iacchos nach Analogie des Stierdiony- 
sos nicht undenkbar; ein gehörnter Knabe, zum Opfer bestimmt, ist unter den Reliefs des 
Bruckenthal’schen Hekatebildes (Ghd. Bildwerke CCCXIV, 1 ff. S. 406) zu finden; ebenso lälst 
der binten in einen Kalbskopf endende Knabenkopf aus rothem Marmor im Berliner Museum 
(Berlins Bildwerke no.45; Panofka akadem. Bericht 1847 S. 60 £.; Arch. Ztg. IX Taf. XXXIID), 
wenn nicht als junger Stierbacchus, auch wohl aus der mystischen Beziehung auf Iacchos sich 
erklären, wie von Panofka mit der Annahme eines Sühnopfers junger Stiere für Zagreus ge- 
schah. Einweihung von Kindern bezeugt am ausführlichsten der heilige Cyprianus (Acta S. 
S. VII p. 222; vgl. Preller Aufsätze S. 279; Philologus I S. 349-351; vgl. oben Anm. 205). 

(216) Mannweiblich den Iacchos zu denken veranlafste mich früher eine räthselhafte 
Kasseler Erzfigur (Ghd. Bildw. CCEXIN, 4. 5: Hermaphrodit mit löwenköpfigem Bacchus- 
idol) und das baechische Gespann eines nackten Hermaphroditen auf einem nicht minder 
räthselhaften Tischbein’schen (ebd. no. 3) Vasenbild. Wie berechtigt diese Deutung sei wage 


über den Bilderkreis von Eleusis. II. 541 


ich auch nach den Ausführungen nicht zu entscheiden, welche Lenormant, grofsentheils 
willkürlich, über diesen Androgynismus mehrfach gegeben hat. Vgl. Abhd. I, Anm. 63 a. 

(217) Die mystische Schwinge, als mystica vannus Tacchi (Virg. Georg. I, 116; 
vgl. Müller Eleus. $ 36 Anm. 2) allbekannt und laut Stephani (€. R. 1859. p. 46. vgl. 48) 
aulser dem Bezug auf Reinigung recht eigentlich auf die Regennatur des Iacchos bezüglich, 
pflegt bald ein Kind bald einen verhüllten Phallus zu umschlielsen und vom bacchischen Per- 
sonal geschaukelt zu werden, wie in einem seit Winckelmann (mon. ined. no. 53; Millin 
Gall. LXVII, 232) wolbekannten Thonrelief des von einem Satyr und einer Mänade umtanz- 
ten Bacchuskindes. Ob dieses Bacchuskind dem Iacchos schlechthin gleichzusetzen sei, wage 
ich nicht zu entscheiden, obwohl die cerealische Bedeutung der Schwinge für eleusinische An- 
wendung dieses Symbols in Anschlag gebracht werden darf. 

(218) Dionysos Liknites, aus Delphi bezeugt durch Plutarch Is. et Osir. cap. 35, von 
Panofka (T. €. XXXII, 3. 4) in der Thonfigur eines nackten Knaben mit Modius vermuthet, 
wird mit grölserer Wahrscheinlichkeit in andern Terracotten der Berliner Sammlung erkannt, 
welche ein nacktes Kind in einer Wanne liegend zeigen. 

(2%) Kind der Demeter ist Jacchos in den mit einem Schoofskind, auch wol einem 
Säugling (Stackelberg Gräber LIX; Welcker Gr. G. II, 547; oben Anm. 70. 175), gruppirten 
Sitzbildern der Demeter Kurotrophos (174); als herangewachsenes Schoofskind derselben 
Göttin wird er auch am Fries des Erechtheion erkannt (Welcker A. D. 1, 106; Gr. G. 
II, 552). 2 

(222) Kind der Kora (Anm. 71) ist Iacchos auf @) der Iacchosvase aus Kertsch (Abh. I. 
Taf. I), wo er im zartesten Alter, bacchisch bekränzt, von der aufsteigenden Kora der Pflege 
des Hermes überliefert wird. In meiner ersten Abhandlung (S. 267 f.) ist gezeigt, dafs dies 
Vasenbild dem Standpunkt der kleinen Eleusinien entspreche, denen nun auch Welcker (Gr. 
G. II, 546) die Geburt des Iacchos von Kora als eigenthümliches Dogma beizulegen geneigt 
ist und früher schon Preller (Gr. Myth. I, 617) die Palingenesie des Iacchos, mehr conjectu- 
ral als auf den Grund vorhandener Zeugnisse, beimafls. Läfst man dies gelten, so dürften 
im Vorrath unserer Thonfiguren nicht nur die oben (174 c) erwähnte nackte Frau, son- 
dern auch die 5) Sitzbilder, deren häufige unteritalische Bildung bisher auf die den Iacchos 
pflegende Demeter Kurotrophos bezogen ward (Ghd. Bildw. XCVI, 1-9. S. 340; oben Anm. 
160 @), vielmehr der Kora gehören, für welche die Attribute eines Eies (ebd. 4. 6. 8. vgl. 2) 
und einer Taube (ebd. 7) offenbar mehr sich eignen. Ebenso tritt auch für manches andere 
Mysterienbild gefeierter cerealischer Knaben eine andere Beurtheilung ein als die zu Gunsten 
des Plutos kurzvorher (Anm. 207) aufgestellte. Wir denken zunächst an c) Gemmenbilder, in 
denen ein Knäblein wie neugeboren einer sitzenden Frau von einer andern (etwa Kora, 
Iacchos und Eileithyia), in Gegenwart einer verschleierten dritten mit Ähren, vermuthlich 
Demeter, in den Schools gelegt wird (Camee im Pariser Münzkabinet), oder auch im Arm einer 
nackten Frau, in der Nähe eines Ährenkorbs (Ghd. Bildwerke CCCXT, 4 “Iacchos’) erscheint. 
Vermuthlich dasselbe Kind wird @) auf einem andern Gemmenbild (ebd. CGCXTI, 3) sitzend 
am Boden, eine Fackel haltend und von einer Mondsichel überragt, von drei ihm zuschrei- 
tenden Frauen feierlich aufgesucht und gefunden und bildet in noch andern Vorstellungen 
derselben Kunstgattung e) hoch auf einer Säule sitzend den Gegenstand für eine in priester- 
licher Verhüllung vor ihm sitzende Frau (ebd. GCGCXT, 14). Endlich ist dasselbe mystische 
Knäblein kaum zu verkennen in einem Gemmenbild (ebd. CCCXI, 17 “Iacchos’), wo es 


942 GERHARD 


f) auf einem Altar (vgl. &p’ &rri@s Anm. 380) sitzt; ein zweiter Altar ist zur Hinweisung auf 
Athen von einer Eule besetzt, und die zwischen beiden Altären stehende athenische Göttin, 
welche mit der Linken ihr Gewand, mit der Rechten nach ihrer Brulst falst, wird am wahr- 
scheinlichsten für Kora gehalten. Im Zusammenhang so eigenthümlicher Vorstellungen, welche 
sichtlich der Epiphanie eines Gölterknaben und zwar mit Umständen gelten, welche (wie die 
Geburtsscene c, Fackel und Mondsichel auf d, und auch die Aufstellung auf Säule e oder 
Altar f) den Standpunkt der Thesmophorien übersteigen, bleibt es nicht allzu gewagt g) die 
Adoration des von Kora gehaltenen Jacchos in einem bekannten Vasenbild (Tischbein II, 59; 
Ghd. Bildwerke GCCXU, 1. S. 403) von allerdings sehr spätem Ursprung zu erkennen. Die 
fragliche Kindespflegerin, welche durch Haube und Spiegel allerdings mehr einer Priesterin 
als einer Göttin gleicht, steht vor einem Altar, welchem von der entgegengesetzten Seite 
eine Frau mit Eimer und Fruchtkorb zueilt. Nicht minder deutlich scheint die Kindespflege 
einer Mysteriengöttin dargestellt auf %) einer Hydria des Grafen Geniceo (Zeichnung im 
Arch. Apparat III, 108), darstellend innerhalb eines von einer Hydrophore und andern Ein- 
geweihten umgebenen Tempelraums auf geschmücktem Sitz eine verschleierte Frau, die ein 
nacktes und schräg umgürtetes Knäblein auf ihrem Schools hält; letzteres langt nach der 
Taube, die eine vor ihm stehende Frau wie zum Spielwerk ihm vorhält. Will man in diesem 
Bild nur das Heroon einer Familienscene erkennen, so scheint doch auch z) das gleich späte 
Vasenbild eines Aryballos der Sammlung Catalani zu Neapel (Arch. App. III, 63. V, 207) 
die Annahme eines lacchosbilds zu begünstigen. Hinter einer sitzenden, hinterwärts ver- 
schleierten Frau, die einen Knaben säugt, steht zur Andeutung bacchischen Bezugs ein an- 
sehnlicher Thyrsus aufgerichtet. Vor ihr ist ein Panther bemerklich, umblickend nach einem 
vor der gedachten Gruppe stehenden Jüngling mit Lekythos und langem gebogenen Palm- 
zweig; noch näher aber und dem kurz vorher gedachten Bild verwandter ist ein heranschwe- 
bender Flügelknabe, der ebenso wie von einer Nebenfigur dort geschieht, eine Taube herbei- 
bringt. Noch ein anderer %) apulischer Aryballos (ebd. ©, 115) gehört hierher, darstellend als 
Mittelfigur eine sitzende verschleierte Frau, die einen vor ihr stehenden Knaben säugt; man 
denkt vergeblich an Hera und Herakles. Links vor ihr steht eine Frau mit Scepter und Zweig, 
hinter dieser Aphrodite mit Spiegel, Eros daneben; rechts von der Säugenden sitzt eine Frau 
mit Kranz, neben ihr eine geflügelte Nike oder Telete. Ob neben solchen, anscheinend mit 
der Legende von des lacchos Geburt verknüpften, Darstellungen mystischen Festgebrauchs 
auch noch 2) ein mythisches Gegenstück zu der Iacchosgeburt der Vase von Kertsch sich bei- 
bringen lasse, scheint mir dagegen sehr zweifelhaft. Einen von Kora getragenen Iacchos 
sieht Stephani (C. R. p. 68) auch in der von mir auf Erichthonios gedeuteten Volcentischen 
Calpis des britt. Museums (Auserl. Vas. III, 151). Ohne von meiner Erklärung abzugehen, 
muls ich mit Stephani für Ablehnung der von Jahn (Arch. Aufs. S. 60-82) aufgestellten Ver- 
bindung von Iacchos und der Erdgöttin Ge stimmen, wie ich auch bereits anderwärts (Abh. 
Anthest. Anm. 150) das vom Duc de Luynes auf Eros und Gäa gedeutete Innenbild einer 
Schale (Mon. dell’ Inst. IV, 39 unten C, 51) vielmehr als Darstellung der aufsteigenden Kora 
gefalst habe. Übrigens liegt es am Tage, wie sehr jene mystische Kindschaft des Iacchos von 
der vorherrschenden Annahme eines, wie der italische Liber mit Libera, mit Kora vermählten 
Iacchos (Anm. 74) sich entfernt. 

(2!) Geburt des Iacchos, nicht des Adonis: in Gemälden des S. Bartoli (Braun Annali 
XIV, 255). Auf tav. 4, einem dreigetheilten Bild, steht mitten ein ruhender Dionysos 


über den Bilderkreis von Eleusis. 1I. 543 


zwischen zwei bacchischen Frauen; links reicht eine knieende Frau ein Knäblein an die 
sitzende Ariadne; rechts sieht man drei Frauen im orgiastischen Tanze, schwerlich Horen, wie 
Braun will. Auf tav. 2 no. 1 schreiten zwei Frauen mit Fruchtkörben, in ihrer Mitte eine 
kleinere geflügelte „Telete”, der sitzenden Frau mit Ähren im Schoolse (Demeter) zu, über 
welcher hoch oben das Idol eines bärtigen Bacchus von Braun erblickt wird. Weiter rechts 
erscheint in der Höhe eine reich verhüllte sitzende Gestalt mit Scepter, ein Kind haltend, 
welches von einer lebhaft bewegten Frau abgeholt wird. Bartoli hielt jene Figur für bärtig; 
hat er geirrt, so entspricht jene Gruppe einer andern ähnlichen ebendaselbst publicirten 
weiblichen Gewandfigur mit dem Kinde, nur ohne Scepter und ohne dritte Figur (no. 3). 
Noch ein Bild aus Bartoli (ebd. 3 no. 2) zeigt mitten das Ritual eines von zwei Frauen ober- 
halb einer kleinen verschleierten Figur gehaltenen Liknon mit verdecktem Phallus. Rechts 
davon sitzt eine Frau, hinter der eine andre steht, nach Braun Demeter und Kora. Linker- 
seits aber stehen links und rechts von einer mystischen Cista zwei bekränzte, zum Theil durch 
den Boden verdeckte Frauen, die eine links tief, wie sonst die aufsteigende Kora, die zur 
Rechten, welche einen langen belaubten Ast hält, minder verdeckt. 

(222) Iacchos und Kora erscheinen mythisch verknüpft, wenn a) vor dem Wagen der 
aufsteigenden Kora (Anm. 211) oder 5) zur Beleuchtung ihres Niedergangs oder auch wol 
c) als der nach später Auffassung ihr bestimmte mystische Bräutigam Iacchos gedacht ward. 


6. Triptolemos. 


(23) Archaisches Relief eines fast zur Hälfte erhaltenen Tempelbrunnens im Palast 
Colonna zu Gennazano, von Rauch gezeichnet und von Welcker (Zeitschr. Taf. II, 8 S. 96 ff.) 
herausgegeben. Demeter ährenbekränzt reicht Ähren und Mohn an einen nur unterwärts 
erhaltenen, an den Knöcheln beflügelten Jüngling, welchen Zoöga als Hermes, Welcker als 
Triptolemos deutete. Zwischen beiden Figuren steht die durch kein älteres Beispiel be- 
zeugte (171) geflochtene mystische Cista, aus deren Öffnung die Schlange nach der Göttin 
aufsteigt; ein übergrofses Oval, welches zu Fülsen der Göttin liegt, mag den Deckel der 
Cista bedeuten. Hinter Demeter steht Zeus mit Scepter, nach ihm aufschauend am Boden 
ein Adler. 

(224) Metope des Parthenon, nur aus Carrey’s Zeichnung bekannt: Bröndsted voyage 
II, 207 ss. Die Göttin unterrichtet den jungen Säemann in Vertheilung der Saat, indem sie 
zuerst das Korn ausstreut; als Einweihung, wie Bröndsted wollte, wird dies Geschäft nur 
sehr uneigentlich bezeichnet. 

(225) Praxiteles hatte laut Plinius 36, 23 den Triptolemos zugleich mit Demeter und einer 
Göttin dargestellt, welche nach der gangbarsten Lesart F/ora heilst, dagegen Müller (Hand- 
buch $ 357, 4; mit ihm Brunn Künstlergeschichte I, 337) Hora, Schneidewin (Philologus V, 
477) Cora las und Stephani (C. R. p. 81) die Wahl zwischen Zora und Cora freistellt. 
Gegen Hora, für Cora, sprach neuerdings Overbeck (Eleus. Rel. S. 190), nachdem er früher 
(Gesch. der Plastik II, 22) Chloris las, vermuthlich nach Welckers Vorgang, welcher noch 
neuerdings (Gr. G. III, 126, 4), durch eine Variante Cancoris unterstützt, so zu schreiben 
empfahl. 

(2) Aufstellung zu Agrae: aus der bereits mehr gedachten (Anm. 121), wie es 
scheint lückenhaften, aber ausführlichen Stelle des Pausanias I, 14, 1 wohlbekannt. 


544 GERHARD 


(z27) Bonus Eventus des Praxiteles. Die römische Darstellung dieses cerealischen 
Dämons mit Ähren und Opferschale (vgl. Abb. Agathodämon Anm. 33. Preller Gr. Myth. 1,620) 
entspricht dem von Plinius XXXIV, 77 wie es scheint aus Rom erwähnten Gemälde Euphra- 
nors, erinnert aber allerdings in Wuchs und Attributen auch an die uns bekannten Tripto- 
lemosbilder. Aulserdem konnte sie auch der von Plinius XXXVI, 23 als Bonus Eventus mit 
Bona Fortuna erwähnten praxitelischen Gruppe nachgebildet sein. — Eine Abzweigung dieses 
cerealischen Typus gewährt der von Wieseler (Arch. Ztg. XIX, 137 ff.) für eine bronzene 
Statue des Berliner Museums angewandte Novus annus von knabenhafter Bildung mit Frucht- 
und Blumenbekrünzung; die schöne Erzfigur eines ährenbekränzten Knäbleins im Besitze 
des Kunsthändlers Depoletti ward von Brunn Bull. dell’ Inst. 1863 p. 5 mit derselben Be- 
nennung belegt. 

(223) Wiener Silberschale aus Aquileja: bekannt durch O. Müller (Mon. dell’ Inst. 
III, 4. Annali XI, 78 ss.), später in Farbendruck schön herausgegeben durch Arneth. Der 
als Triptolemos dargestellte, in solcher Heroisirung von Müller aus antiochenischem Dienst er- 
klärte, Germanicus, nackt, mit einem von Samen erfüllten Gewandschurz, steht neben einem 
andrerseits von seinen drei opfernden Kindern umgebenen Altar, hereit den Wagen zu be- 
steigen, dessen Schlangen noch von den zwei Keleostöchtern gepflegt und gefüttert werden. 
Im untern Raum ist die Erdgöttin mit einem Stier gelagert, im obern Zeus mit Donnerkeil 
den Vorgang überwachend, im mittlern rechts die thronende Demeter mit Fackel, linker- 
seits ihr gegenüber die ihr wiedergegebene Persephone ährenbekränzt und mit Ähren in der 
Hand dargestellt, auf welche eine neben ihr sitzende Frau, etwa Hekate, traulich sich 
anlehnt. 

(222) Mit der Saat im Schurz erscheint Triptolemos auf der ebengedachten Silber- 
schale und auf dem grolsen Pariser Camee, der den Triptolemos und die ihn schützende 
Göttin, im Schlangenwagen vereinigt, beide als Germanicus und Agrippina gemeint, darstellt 
(Millin Gal. myth. XLVII, 220. Stephani I. c. n. 46. vgl. ebendaselbst no. 54. 66. 67). 

(23°) Ackerbestellung des Triptolemos wird auf einem der Reliefs des Proserpina- 
raubs (Beilage B 23) im obern Raum dargestellt. Auch die von mehreren Jünglingen 
vollführte Stierbändigung eines Tischbein’schen (II, 3) Vasenbildes mit den Herausgebern der 
Elite c@ramographique III, 69 p.187 auf Triptolemos zu deuten, sehe ich keine Berechtigung. 

(2°!) Auf die Heimkehr des Triptolemos wollte Roulez Vases de Leyde p. 151 die 
Libation aller derjenigen Triptolemosbilder bezogen wissen, in denen der agrarische Heros 
nicht blofs Ähren sondern auch eine Schale hält, vgl. Anm. 234. 

(22) Vasenhilder des Triptolemos: reichlich vorhanden und in unserer Beilage 4 mit 
hinlänglicher Genauigkeit verzeichnet um die hienächst folgenden Einzelheiten mit den im 
Verzeichnils angewandten Buchstaben belegen zu dürfen. 

(35) Der Luftwagen des Triptolemos, den Welcker auf der Frankfurter Schale des 
Brylos (u?) von Demeter eingenommen glaubte und welcher auf einem berühmten Camee (230) 
wie auch im Braunschweiger Onyxgefäfßs zugleich der Göttin und ihrem Liebling dient, wird 
in den Vasenbildern nur von ihm selbst bestiegen. Auf Vasenbildern des ältern Stils schwebt 
dieser Wagen mit beflügelten, bie und da auch flügellosen (E im Gegensatz des beflügelten 
Dionysoswagens), Rädern einher, so auch auf den Vasenbildern nolanischer Art; das Schlan- 
gengespann tritt, mit oder ohne Beflügelung, erst auf den Vasen späteren Ursprungs hinzu. 
Beachtenswerth, aber noch unerklärt ist die häufig angebrachte Verzierung der Rücklehne 


über den Bilderkreis von Eleusis. II. 545 


durch einen Schwanen- oder Gänsekopf (auf F und sonst); ausnahmsweise dient auch ein Grei- 
fenkopf (s), vielleicht auch ein Schlangenkopf (9%) zur Verzierung. Schwanenbildung glaubte 
Müller (Denkm. II, 110) auch in den Flügeln des Wagens zu erkennen. 

(2) Die Libation, zu welcher Demeter dem Triptolemos eingielst, kann, wenn nicht als 
ein Act der Heroisirung (Welcker Zeitschr. 114), mit Welcker (Alte Denkm. III, 98) entwe- 
der als Abschiedstrunk (Overbeck, eleusinisches Relief S. 181), nicht gerade im unschmackhaf- 
ten Kykeon (Anm. 332) bestehend, gedacht werden, oder noch besser im Sinn einer vor jeder 
grolsen Unternehmung dem Zeus gebührenden Spende, wie auch Stephani 1. c. p. 95 annimmt. 

(2°) Demeter und Kora pflegen so regelmälsig vor und hinter Triptolemos vertheilt 
zu sein, dals manche davon abweichende Auslegung im Verzeichnils unserer Beilage 4 ohne 
Weiteres beseitigt werden durfte. Ausnahmsweise jedoch sind beide umgestellt auf der 
Vase u?, beide zur Rechten des Beschauers gruppirt auf w. Rhea statt Kora wollte Müller 
(Denkm. II, 110) erkennen auf der Vase x. Für Ausdruck und Handlung beider Göttinnen 
ist aulser der von Demeter fast durchgängig ihrem Schützling erwiesenen Libation auch der 
Kranz zu beachten, der dann und wann (auf p, u. vgl. die Perlenschnur auf f) von Perse- 
phone ihm entgegen gehalten wird. 

(2) Örtlichkeit des betreffenden Heiligthums ist auf Triptolemosvasen hie und da 
durch begrenzende Säulen (u?) angedeutet, wie denn auch eine einzelne Säule oder ein Pfei- 
ler nebem Kora (Stephani I. c. p. 74) oder einer Priesterin (uw?) sich findet. Die vermeint- 
liche Andeutung der Burg von Eleusis auf der Vase » kann nur als Phantasiestück betrachtet 
werden. 

(27) Als Nebenfiguren a) göttlicher Geltung sind aus den Triptolemosvasen Demeter 
und Kora, Hekate und andere Gottheiten nachzuweisen, die wir im nächsten Abschnitt er- 
örtern, desgleichen als 5) heroische Keleos und dessen Angehörige (Anm. 333 ff.), denen 
zugleich auch c) priesterliche Geltung beigelegt werden kann. An dieser priesterlichen Gel- 
tung dürften überdies wol noch einige andere Scepterträger und Fackelträgerinnen (Anm. 362. 
367) Theil haben; vielleicht dafs auch d) das Alltagsleben im personificirten Demos (B) 
binzutrat. 

(233) Triptolemos erscheint in diesen Vasenbildern durchgängig als Jüngling, nur dafs 
die archaischen (4-.D) ihn vollbärtig zeigen. 

(2?) Die Bekränzung des Triptolemos pflegt aus länglichen Blättern wie Myrte und 
Lorbeer zu bestehen; zwischen beiden wagt Stephani I. c. p. 97 nicht zu entscheiden. Jahn 
(zu den Vasen 5, f, u) und die Herausgeber der Elite (zu der Vase x) nehmen Lorbeer an, 
welches Laub jedoch, sofern die Wahl freisteht, weniger zu erwarten ist als die in den 
Eleusinien gebräuchliche Myrte, die auf den Lambergschen Vasen auch Welcker (Zeitschr. 116) 
erkannte. Ährenbekränzung wird von Stephani (no. 8. 42) aus zwei jetzt verschwundenen 
Vasen (Dubois Collection no. 187) angeführt und beruht vielleicht auf einem Irrthum. 

(2°) Als sonstige Varianten in der Erscheinung des Triptolemos sind die Zuspitzung 
seines Scepters in Art einer Lanze (in r), desgleichen die Annäherung der in seiner Hand 
abgebildeten Ähren an die Gestalt von Pfeilspitzen (C) auffällig. Die Ähren sind zum Theil 
sehr grols gebildet (g) und finden sich auch mit dem Scepter verbunden (u°); nicht selten 
sind sie auch weggelassen (5, 5°, ce und sonst). Vorzugsweise pflegen Scepter und Schale in 
seinen Händen sich vorzufinden (5°, c' und sonst), nicht in D, C, E, e. 


Philos.-hist. Kl. 1863. Zzz 


546 GERHARD 


(21) Bezug auf Dionysos ist in den archaischen Triptolemosbildern durch den Inhalt 
des Gegenbildes (E. F. G) angedeutet und auch sonst mehrfach nachzuweisen (256). 

() Schlangengespann ist dem Triptolemos bereits aus Sophocles (fragm. no. 536) 
bezeugt; in den Vasenbildern (a, u%, p, w, y, 2; z?, z?, z5) ist es als ein Merkmal späteren 
Styls zu betrachten. 

(#3) Mystischer Beruf (Anm. 57. 120) des Triptolemos ist hie und da durch den ihm 
aufgedrungenen Bezug auf Dionysos gemeint, woraus auch die hie und da ihm ertheilte 
mädchenhafte Bildung (c, e, f, w. Welcker A. D. III, 103) sich erklärt. 

(@*) Als Gesetzgeber im Sinn der Demeter Thesmophoros scheint Triptolemos auf 
einem Gemmenbild (Ghd. Bildwerke CCCXTI, 13 S. 402) gemeint zu sein, auf welchem ein 
bärtiger (vgl. jedoch Stephani p. 86 n. 50, 1) Mann mit Füllhorn von seinem Schlangen- 
wagen herab einem jüngeren mit Scepter, etwa dem Keleos, eine Rolle reicht. 

(=) Todtenrichter (135) und Vorbild der Seligen (Welcker Zeitschr. 117. 120) ist 
Triptolemos auf einer grolsen apulischen Inschriftvase (Bull. dell’ Inst. 1851 p. 41), von 
welcher ausgehend Stephani (p. 78 not. 5) auch einzelne Figuren anderer Gefälse in ähn- 
licher Weise erklären zu können glaubte. 

(2°) Aus Ägypten wird Triptolemos uns vorgeführt in einer durch Stephani bekannten 
Vase aus Kertsch (z5). 

(#7) Phantastische Bildung ist dem Triptolemos theils durch Tändeleien der Mystik 
(243) theils dann gegeben, wenn er als Flügelknabe (Ghd. Bildwerke CCCXI, 1 S. 84 nach 
Frölich tentamen p. 313: Münztypus mit Avy.arewv richtiger Avrıoyswv nach Eckhel III, 46, 
bei Stephani p. 87 unerwähnt) erscheint; an den Knöcheln beflügelt ist der vermuthliche 
Triptolemos des oben (223) gedachten archaischen Reliefs. 

(245) Knabenhaft erscheint Triptolemos auf einem Relief der Gallerie zu Florenz (Mon. 
dell’ Inst. 1854 p.77 tav.X) und vielleicht noch sonst (Wieseler Denkm.II, 8, 992), nament- 
lich in einem auch wol auf Demophon oder Iacchos gedeuteten Gemmenbild (Wieseler a. O. 
Ghd. Bildw. CCCXI, 12. Der Knabe reicht der Göttin einen Ährenkorb). 

(2) Geharnischt erscheint Triptolemos in dem oben (Anm. 229) erwähnten Camee, 
in welchem unter seiner Gestalt Germanicus gemeint ist (vgl. Stephani C. R. 1859 p. 97). 
Die scheinbare Rüstung des Triptolemos auf einer athenischen Münze (Ghd. Bildw. CCCXI, 16 
S. 84 nach Haym I, 21, 8) beruht auf fehlerhafter Zeichnung. 

(#°) Münzen und Gemmen mit der Darstellung des Triptolemos sind vor längerer 
Zeit im Text meiner antiken Bildwerke (S. 84, 402), neuerdings in grölserem Umfange von 
Stephani (C. R. 1859 p. 85 ss.) zusammengestellt. Über «) die Münzen vgl. Beul& monnaies 
d’Athenes p. 289 s.; unter 5) den Gemmen ist die (oben Anm. 244) besprochene hervorzuheben, 
deren Triptolemosbild auch durch die Beischrift Kagıraos (sic) sich auszeichnet. 


7. Götterverwandtschaft. 


(21) Götterkreis von Eleusis. Eine Sesv ayopa Ev ’Ersusiu: wird sprichwörtlich 
erwähnt (Append. Vatic. II, 24. Zenob. IV, 30. vgl. Curtius Attische Studien I S. 42). Der 
enge Verband dortiger Erdmächte ist einigermalsen auch aus Verwünschungsformeln zu ent- 
nehmen, wie das von Newton edirte knidische Bleiplättchen einer Antigone sie liefert. 


über den Bilderkreis von Eleusis. Il. 547 


(2?) Zeus erscheint bei Ausrüstung des Triptolemos auf dem oben Anm. 223 gedachten 
archaischen Relief, wie auch auf der Silberschale von Aquileja (228), desgleichen als Em- 
pfänger der Kora oberhalb des Triptolemosbildes der Poniatowskischen Vase (z). Dem 
cerealischen Sagenkreis ist er auch im Mythos vom Raub der Kora (300), ausnahmsweise wie 
es scheint selbst in der mystischen Legende von Iacchos (Abh. I Taf. I. II) verknüpft, wenn 
dieser in einem als As ws bezeichneten, von Zeus auf dem Schools gehaltenen, Knaben 
eines Vasenbildes (Barone monum. tay. I. oben Anm. 209) gemeint ist. 

(#°) Poseidon, zur eleusinischen Vaterschaft (Anm. 88) vielleicht erst in Bezug auf den 
angeblich thrakischen Eumolpos gelangt (nach Welcker Gr. G. II, 544), ward mit Demeter 
(vgl. 154 e) zugleich im Innern einer Triptolemosschale (u®) in einer Gruppe von mir ver- 
muthet, welche Welcker vielmehr auf Pluton und Persephone zu deuten geneigt ist. 

(2°) An Apollo (Anm. 85. 86) erinnern unsere Triptolemosbilder theils «) durch das 
Beiwerk eines Dreifulses (s, vgl. =?) theils #) durch das Gegenbild der bei einem Palmbaum 
weilenden Gottheiten Apollo und Artemis. Palmbäume finden sich auch auf der Vase ». 

(#5) Asklepios ward als Gott der Epidaurien zu Eleusis gefeiert (Anm. 87), vielleicht 
mit Bezug auf die Erweckung des Iacchos und in Verbindung mit Incubationen (M. Heort. 
S. 250); die Bildwerke bieten keinen Bezug hierauf dar; indels ist Asklepios sammt Hygiea 
wenigstens im Götterkreis eines durch Newton LXXIX, 2 bekannten Felsreliefs nachzu- 
weisen, wo aulserdem Dionysos, Demeter Kurotrophos und Kora dargestellt zu sein schei- 
nen (196 e). 

(#6) Dionysos wird statt des dann "und wann (oben Anm. 33. 194) nachweislichen 
Hades auf unsern Triptolemosbildern nicht leicht gefunden, nur dafs in der Iacchosvase aus 
Kertsch (z°) Dionysos und Herakles den Triptolemos als Mysten umgeben und mehrere Ge- 
genbilder ihn uns vorführen. Es geschieht dies theils in archaischen Vasenbildern (E. F. 6), 
theils in einigen wenigen figurenreichen Compositionen spätern Styls (93? umgeben von Her- 
mes und Apoll, nebst Pan; u? vielleicht in geflissentlicher Unterscheidung vom Unterwelts- 
gott). Die Berührungen dieses Gottes mit Eleusis mögen schon früh sich geäulsert haben, 
wie denn selbst der homerische Hymnus in der Verlegung des Raubs nach Nysa (Müller 
Eleus. $ 35) eine Spur dafür giebt; doch ist eine feste Verbindung desselben mit den zwei 
Göttinnen durch die oben (Anm. 196) dafür gegebenen Belege dem früheren Alterthum mehr 
abgesprochen als bezeugt. 

(257) Hephästos wird mit Wahrscheinlichkeit neben Demeter in einem archaischen Va- 
senbild der festlich rückkehrenden Kora (Auserl. Vas. I, 39; unten Beil. C, 37), mit geringerer 
Sicherheit auf der in unserm Verzeichnils 4 mit € bezeichneten Triptolemosvase erkannt. Auf 
einer noch unedirten archaischen Calpis des Brittischen Museums (Catal. no. 447. de Witte 
Cabinet Etrusque no. 44) tritt Hephästos zu Dionysos und Ariadne hinzu, welche gelagert 
sind; von der andern Seite her reicht Hermes den Becher an Dionysos. 

(255) Hermes, als Grenzgott zu denken nach Minervini (Bull. Napol. I p.57. N. S. II, 98 
mit Bezug auf die Beinamen Horios und Thesmios), aber gewils auch als Enagonios (Anm. 82) 
Götterbote und Seelenführer, ist nur aus archaischen Triptolemosvasen (D. E) nachweislich. 
Die ähnliche Figur einer Triptolemosvase freieren Styls (r) kann um so mehr als Hierokeryx 
gedeutet werden, da im Götterpersonal, welches den Triptolemos umgiebt, vielmehr Hekate 
als Hermes ihre Stelle hat. 


Zzz? 


548 GERHARD 


(25%) Herakles und die Dioskuren erscheinen im Einweihungstempel auf der Vase Pour- 
tales (2?) in welcher Triptolemos nur Nebenfigur ist, Herakles und Plutos im Revers des- 
selben Gefälses. 

(2°) Die drei Göttinnen Athene Aphrodite und Artemis, die wir aufReliefs (Anm. 288) 
zur Blumenlese mit Kora vereinigt finden (bei Euripides Hel. 1315 und im interpolirten Vers 
424 des homerischen Hymnus sind es nur Artemis und Athene) waren als mystischer Dreiver- 
ein auch in den Bildwerken zu Amyklae (Paus. III, 19, 4) dargestellt. Ob man sie mit Ste- 
phani (C. R. p. 91) auch auf der cumanischen Prachtvase (4, =?) erkennen dürfe, erörtern 
wir weiter unten. Die ungleich weniger bezeugte Trias von Kora Hekate und Artemis 
(Welcker Zeitschr. S. 59. Elite c£ramogr. III, p. 122) ist aus Kunstwerken nicht bekannt. 

(2) Artemis wird a) auf Triptolemosvasen nur unsicher erkannt, von Stephani (C.R. 
p- 114) auf den Vasen aus Amento (y) und Nola (x), sicherer meines Erachtens im Ein- 
weihungsbild der Vase Pourtales (2?) und wol auch im cumanischen Prachtgefäls (23). 
Indefs ward das Verhältnils der Artemis zu den Göttinnen von Eleusis schon früher (Anm. 
84) von uns in noch andern Kunstwerken nachgewiesen. Eine 5) Gruppe aus Thon, dar- 
stellend zwei Göttinnen, die eine sitzend, jede mit Hirschkalb (Arch. Zeitung V S. 298), 
läfst als Artemis Hegemone (154 a) sich deuten. Bekanntlich ward Artemis als Pförtnerin 
(Propylaia zu Eleusis Anm. 84), als Hegemone zu Akakesion (154 a) verehrt, der Hekate 
entsprechend welche beim Raub der Kora vorleuchtete (264), woneben sie andremal, na- 
mentlich in einem attischen Münztypus (Beul€ p. 325), auch der Demeter beigesellt erscheint. 
Der Sinn dieses Verhältnisses, das auch in c) der als Ketzerei des Aeschylos (Herodot II, 
156) bezeugten Kindschaft der Artemis als Tochter der Demeter uns vorliegt, kann wol 
nur auf ihrer Gleichsetzung mit Persephone als nächtlicher Göttin (181) mit Jagdattri- 
buten beruhen. Diese Gleichsetzung ist längst von Welcker (Zeitschr. S. 124), namentlich 
auch im Mythos des Meleager, erkannt worden (S. 124. vgl. 104 über Artemis raıdorzchos), 
dagegen schwer einzusehen ist, wie Artemis und Persephone in der Bedeutung einer schaffen- 
den Macht des Frühlings sich begegnen könnten. 

(22) Athene, die wir ins Götterpersonal der Mystik nicht selten verflochten wissen 
(Anm. 89. vgl. Abh. Anthesterien Anm. 165. Ghd. Bildwerke XLVI, 3.4 S.293. Beul& monn. 
p. 157 "Ceres et Minerve’), ist aus gleichem Grund, obwohl selten und spät, auf den Vasen 
aus Amento (y) und Kertsch (z2*) auch in Umgebung des Triptolemos eingeführt. 

(23) Aphrodite ist mit Peitho und Eros neben Demeter und Plutos unterhalb des 
Triptolemosbildes der Iacchosvase von Kertsch dargestellt (2°); mit einem Iacchagogos ge- 
nannt, vielleicht aufs Iaccheion bezüglich (Steph. C. R. p.114), ist Aphrodite in der Inschrift 
C. I. Gr. no. 481. Vgl. oben Abh. I, 90. 

(2%) Hekate, als leuchtende Gefährtin des Koraraubes in lunarischer (Müller Eleus. $ 35) 
Geltung bekannt, ist dieser Göttin auch auf Triptolemosvasen gesellt, wo sie mit einfacher 
oder doppelter Fackel (x. y, vgl. =?) leicht zu erkennen, einmal auch inschriftlich bezeugt 
ist (x). Auch das Geschäft die cerealische Schlange zu füttern wird bildlich (y, vgl. z) ihr 
beigelegt. Auf der Silberschale aus Aquileja (228), wo die Pflege der Schlangen zwei Jung- 
frauen anvertraut ist, erkannte Müller die Hekate in einer auf die ährenbekränzte Kora auf- 
gestützten Frau. Die dreifache Hekate (Anm. 82) hat zum eleusinischen Dienst erst später 
sich eingefunden. 


über den Bilderkreis von Eleusis. 1]. 549 


(5) Hera überrascht, inschriftlich bezeugt, als Innenbild einer vorzüglichen Triptolemos- 
schale (w). 

(2%) Horen sind aus einem späten Triptolemosbild (25) inschriftlich bezeugt. Eine Hore 
wird auch in der Korbträgerin der nolanischen Kalpis des Herrn Cucuza (x) vermuthet; der 
Korb soll den Samen enthalten (Stephani C. R. 1859 p. 96), der sonst aus einem Gewand- 
schurz ausgestreut wird und dem aufschwebenden Triptolemos auch wol bereits zu Gebote 
steht (vgl. 363). Mit den beiden Göttinnen verbunden werden die drei Horen auf zwei run- 
den Altären (196 d) der Villa Albani von Zo@ga (Bass. II, 94. 96) und Welcker (Zeitschr. 
S.111) erkannt, von denen der eine noch weiter unten (C, 59) besprochen wird. 

(27) Iris, die als vermittelnde Botin zwischen Zeus und Demeter im homerischen Hymnus 
v. 315 erwähnt wird, trat sowohl wegen dieser Botschaft als auch wegen ihres, dieser und 
jener Götterfahrt gegebenen, Geleites in den eleusinischen Bilderkreis ein; dafs sie in der 
vorgedachten Nebenfigur des cerealischen Wagens gemeint sei, bleibt nach Vergleichung der 
ähnlichen Begleiterin des Dianenwagens auf Endymionreliefs wahrscheinlich. 

(2) Von Luftgottheiten liegt es nahe an Aura zu denken, welche Stephani (C. R. 
p- 97 s.) in der mit Saat versehenen schwebenden Flügelgestalt des Braunschweiger Onyx- 
gefälses und auch in der geflügelten Wagenlenkerin der Ceres auf Sarkophagreliefs (304) zu 
erkennen glaubt. Zu Gunsten derselben Deutung lälst sich erwähnen, dafs laut Nonnus 
(XLVIII) der eleusinische Iacchos vom thebischen Dionysos mit Aura gezeugt sein sollte. 

(269) Eros, der als Mysteriendämon unteritalischer Vasenbilder allbekannt ist, war im 
eleusinischen Götterkreis vermuthlich nicht früher aufgenommen als die erst im spätern Alter- 
thum von ihm unzertrennlich gewordene Aphrodite, es sei denn dafs seine Begriffsverwandt- 
schaft mit Iacchos (vgl. oben Anm. 73) vielleicht schon auf orphischer Hochstellung des Eros 
beruht. Vgl. Abh. Orpheus Anm. 90. 

(270) Telete, mit welcher Benennung wir eine beflügelte Nike des Opferwesens zu be- 
zeichnen pflegen (Ghd. Auserl. Vasenb. II S. 11 f.), ist aus unteritalischen Terracotten als 
Trägerin eines fruchibesetzten Opfertisches (in der Berliner Sammlung no. 52) oder auch als 
sepulcrale Hydrophore (Panofka T. C. XII; ‘Dia-Hebe’, die auf eine Grabessäule sich stützt, 
ebd. Taf. XIII) bekannt. Ihr analog tritt bei Claudian und Libanius auch die Ortsgottheit 
von Eleusis (Eleusin oder Musorraw: Welcker Zeitschr. S. 119) ein. Auf einigen Tripto- 
lemosvasen (u?, x) scheint diese Personification der Mysterien in der allerdings nicht be- 
flügelten Frauengestalt gemeint zu sein, für welche wegen der von ihr erhobenen zwei 
Fackeln auch die Benennung einer Artemis oder Hekate nahe liegt, aber minder zulässig ist. 

(21) Nike und Demeter, jene von dieser getragen, waren statuarisch zu Enna grup- 
pirt. Eine Nike mit Amphora findet sich auch unter den Nebenfiguren einer Triptolemos- 
vase (w?); doch ist der eleusinische Bezug ähnlicher Figuren nicht erwiesen genug, um etwa 
die geflügelte Mitteligur einer vorzüglich schönen Kalpis der Berliner Sammlung (no. 864: 
Ghd. Bildwerke XLIX) mit den Herausgebern der Elite c&ramographique (III, 39) für eine 
von Demeter und Kora umgebene Nike zu halten. Bündiger spricht dafür die geflügelte 
Wagenlenkerin der Ceres auf Sarkophagreliefs des Raubes der Kora (304 5). 

(27?) Der Göttermutter Gleichsetzung mit Demeter lehrt Euripides (Hel. 1304); my- 
thisch wird ihre Befreundung in dem Besuch geschildert, den nach Claudian (R. P. I, 180 ss. 
cf. IIT, 49: verberat ... leones) Ceres der Cybele leistet, während Pluto der Mutter Entfer- 


550 GERHARD 


nung zum Raub der Tochter benutzt. Dessenungeachtet finden weder die beiderseitigen 
Kultusgebräuche noch auch die Idole beider Göttinnen sich vermischt, mit Ausnahme spät- 
römischer Werke, welche hauptsächlich in Münztypen die von Löwen begleitete Göttermutter 
auch mit Ähre und Mohn zeigen, wie Wieseler (Denkm. II, 63, 807* S.9) nachweist. Mit 
Stephani könnte man glauben, dafs im attischen Doppelbild einer neben Cybele sitzenden 
Göttin (ohne Attribut bei Stephani Heracles VII, 2 S.70) sich, wenn nicht Persephone, doch 
Demeter erkennen lielse, wäre nicht ein ähnliches Doppelbild in einem Abguls vielleicht des- 
selben Marmors auch mit dem Beiwerk je eines Löwen vorfindlich und deflshalb vielmehr auf 
einen zwiefachen Kultus der Göttermutter, etwa den athenischen und den piräischen (Arch. 
Anzeiger XXII S. 98*) zu beziehen. Erst in der späten Zeit eines attischen Taurobolienaltars 
(Arch. Zig. XXI Taf. 178. 179. oben Anm. 143) kann denn auch die Zusammenstellung von 
Sitzbildern der Rhea und der Demeter, wie Gonze (a.O. S.104 vgl. Anm. 143) sie annimmt, für 
möglich, wenn auch nicht für durchaus erwiesen, gelten; denn eine Übertragung des lärmen- 
den phrygischen Tympanons auf die Göttinnen von Eleusis wird durch der Demeter Beiname 
als 4«rzoxgoros und selbst durch Sitzbilder der Kora uns nahegelegt, in denen jenes Attribut 
unverkennbar sich findet (Ghd. Bildwerke XCVII, 2 und sonst). Dafs auch die mystische 
Mutterschaft der Persephone, von welcher das Heiligthum zu Agrä als Metroon benannt war 
(Anm. 110), sich dem Dienste der Göttermutter annähert, soll schliefslich nicht über- 
gangen werden. 

(<°) Rhea, der im homerischen Hymnus die Sendung des Zeus zur Abholung der Kora 
anheimfällt (vgl. Welcker Gr. G. II, 97), wird im Götterpersonal des berühmten Relief- 
gefälses aus Cumae (Beilage A, 2°) mit Wahrscheinlichkeıt vermuthet. 


8. Raub der Kora. 


(27%) Auf archaischen Vasen ist dieser Gegenstand bis jetzt aus einem einzigen Bild 
uns bekannt, über dessen Bedeutung sich überdies noch streiten lälst. Im obern Raum 
einer volcentischen Hydria (Museum Etrusque no.1690), jetzt im Brittischen Museum (Catal. 
no. 463), deren Hauptbild den Kampf des Herakles mit Geryones darstellt, hat Hades, be- 
gleitet von einem Wagenlenker der zwei Speere hält, die Kora auf seinen Wagen gebracht; 
eine der sie begleitenden Göttinnen, vermuthlich Athene, ergreift sie am linken Arm. — 
Wahrscheinlich ist jener Mangel archaischer Gefälsbilder des Koraraubs aus dem mystischen 
Standpunkt der Bildner zu erklären; diesem gemäfs galt jener Raub als Hochzeit und ward 
bei der Gleichsetzung des Dionysos mit Hades auch durch Vermählungszüge ersetzt, wie 
Dionysos mit Kora, von Böcken gezogen und von Silenen (auch mit Saitenspiel) umschwärmt, 
auf einer archaischen Amphora ihn feiert (Ghd. Auserl. Vas. II, 54). 

(2) In freierem Styl stellt das bekannte Hope’sche Vasenbild (Millingen Uned. Mon. 
1, 16; Müller Denkmäler I, 46, 213) die Entführung auf plutonischem Wagen dergestalt 
wohlgeordnet dar, dafs nicht nur Hekate dem Wagen vorleuchtet, sondern auch Demeter von 
ihrer Tochter Abschied nimmt. 

(276) Vertragsmälsig erneut erscheint die Entführung der Kora schon in der eben- 
gedachten Hope’schen Vase, nach deren Analogie derselbe Gegenstand auch zur unverfänglichen 
Brautfahrt werden konnte, ohne dals man die vorleuchtende Hekate und die zur Trennung 


über den Bilderkreis von Fleusis. II. 551 


noch nicht umkehrende Demeter aufgeben mochte, In diesem Sinn, der nur durch den 
sitzenden Jüngling mit Lorbeer und Schaale, nach welchem der Zug geht, verdunkelt wird, 
scheint mir Stephani (C. R. 1859 p. 50, 4. 72, 2) das Bild der Vase Fittipaldi zu Anzi 
richtig erklärt zu haben, in welchem Brunn (vgl. Bull. 1859 p.9 s. und Arch. Anzeiger 1859 
S. 14) geneigter war die Brautfahrt von Zeus und Hera zu erkennen. Der als nächstes Ziel 
der Fahrt bemerkte räthselhafte Jüngling erklärt sich aus dem gleichfalls sitzenden Apoll eines 
archaischen Vasenbildes (Ghd. Auserl. Vasenb. I, 34 S. 134), wo er die Grenze der Oberwelt 
zu bezeichnen scheint. 

(27) Abholung durch Hermes scheint statt der Begleitung durch Hekate, die in den 
archaischen Vasenbildern völlig wegfällt, für die Rückkehr der Kora zur Oberwelt in den- 
selben vorausgesetzt worden zu sein. Diese Vorstellung ist unter anderm im Gegenbild der 
archaischen Triptolemosvase D unsres Verzeichnisses zu erkennen. 

(2) Hinabfahrt des Iacchos wird von Stephani C. R. p.52 vorausgesetzt (vgl. oben 
Anm. 47). 

(27) Von Praxiteles heilst es bei Plinius XXXIV, 69: Praxiteles quogue marmore fe- 
licior, ideo et clarior fuit, fecit tamen ex aere pulcherrima opera, Proserpinae raptum 
item catagusam et Liberum patrem, ebrietatem nobilemque una satyrum. Eine Rückführung 
unserer bildlicheu Darstellungen des Koraraubs auf jenes praxitelische Original (Preller Gr. 
Myth. I, 595) ist aus den unten darzulegenden Gründen nicht anzunehmen. 

(22°) Katagusa: vgl. Abh,. Anthesterien Anm. 161, oben Anm. 47 (mit Bezug auf Iacchos). 
Eine seltsame Ausdehnung des von Demeter ihrer Tochter gegebenen Geleits scheint aus 
dem Grubenopfer der Schweine des Eubuleus (Anm. 35) hervorzugehen, mit denen zugleich 
auch die beiden Göttinnen verschwanden und zwar (nach Minucius Felix Octav. 21, 2. Müller 
Eleus. $ 35) an einem als Grab der Demeter benannten Ort. 

281) Als Ort der Aufstellung jener praxitelischen Gruppe kann, da das Heiligthum 
zu Agrä vielmehr der Anodos galt, entweder das Eleusinion (Anm. 108, vgl. C. I. Gr. no. 71 
col. a, Müller Eleus. $ 16 Anm. 55, Rheinisches Museum XVIII, 300 ff.) oder auch das Thes- 
mophorion (Leake Topographie S. 400, Hesych. v. rgur«veiov) gedacht werden. 

(22) Von Pluton getragen wird Kora, wenn nicht auf irgend einem Relief, wenigstens 
im Innenbild einer Schale von etruskischem Provinzialstyl (M. Greg. II, 83, 2) erkannt, auf de- 
ren Aufsenseite der thronende Unterweltsgott in wiederholter Darstellung von zwei Jünglingen, 
etwa Schlaf und Tod, umgeben ist, welche als Wahrzeichen guten Erfolges einen Kranz und 
die Frucht der Granate ihm zeigen durch welche Persephone ihm zugeeignet werden sollte. 
Zwischen diesen Momenten der Weissagung und der Entführung liegt die Verfolgungsscene, die 
Welcker (Alte Denkm. III, 94) im Innenbild der Frankfurter Schale (A, w) dargestellt glaubt. 

(23) Nicomachos, des Aristäos Sohn, malte laut Plinius XXXV, 108 den Raub der 
Kora. Es heilst dort: pinxi£ raptum Proserpinae, quae tabula fuit in Capitolio in Minervae 
delubro supra aediculam Juventatis et in eodern Capitolio Pictoriam. Ob der Raub zu Fuls oder 
zu Wagen ausgeführt ward, wie wir voraussetzen, wird allerdings im Text nicht angegeben. 

(234) Erhaltene Bildwerke des Koraraubes sind vorzugsweise a) auf Sarkophagen, 
deren Verzeichnils beifolgt (Beilage 2), in beschränkterem Umfange auch auf 5) Grabsteinen 
(Welcker Zeitschrift S. 90, Beschreibung Roms III, 2, 497. vgl. die Nachbildung des pluto- 
nischen Wagens, sodals Eros die Stelle des Plutos vertritt zu Holkham-Hall: Conze Arch. 


552 GERHARD 


Anz. XXII, 198*) und c) Münzen zu finden, welche letztere sämmtlich dem spätern Alterthum, 
hauptsächlich asiatischer Städte, angehören. 

(25) Die Sarkophagreliefs, welche wir hienächst nach den in unserm Verzeichnifs 
(Beilage B) gebrauchten Ziffern erwähnen, sind bei grolser Übereinstimmung im Ganzen 
ausnahmsweise durch @) umgekehrte Richtung von der Rechten zur Linken des Beschauers 
(in no. 2. 13. 25. 27. vgl. Welcker S.63) und durch 2) verschiedene Anordnung im Personal 
der Mittelscene unterschieden. Von den drei Göttinnen nämlich, welche dort der blumen- 
lesenden Kora gesellt zu sein pflegen, ist dann und wann Pallas (23. 25. 26. 27), zuweilen 
auch Aphrodite (23. 27. vgl. 17) jener Mitte entrückt, um in der Nähe des plutonischen 
Wagens als dem Raub förderlich zu erscheinen. Noch einen durchgreifenden Unterschied 
gewährt c) das Gespann des cerealischen Wagens, welches meistens aus einem Schlangenpaar, 
andremal aber (unten Anm. 302 a) aus Pferden besteht. Die Besonderheit von d) Bildnifs- 
zügen findet sich auf no. 1 und 9. 

(286) Statuarisch angewandt diente eben jenes oft wiederholte Relief des Koraraubes 
zur Gürtelverzierung eines durch Aleander leider nur nach seinem bildlichen Schmuck bekannt 
gemachten, übrigens nicht genauer beschriebenen Marmorfragments, dessen ursprüngliche Be- 
deutung zu kennen willkommen wäre. Aus den Erklärungsversuchen auf irgend eine Erd- 
mutter oder auf Venus, welche hier nicht ihren Liebesgürtel, sondern den ihr als ravaırıc 
(laut Phurnutus) zukommenden Gürtel trage (Graey. thes. V p. 749), ist nur soviel abzuneh- 
men, dafs jenes Relief.mit der darunter befindlichen Zodiakalbinde (Beilage C no. 40) unter- 
halb der Brust sich befand und der Körper ein weiblicher war. War die Statue in der That 
weiblich, der jenes Relief zugehörte, so liegt es wohl am nächsten ein Ceresbild in ihr zu 
vermuthen. 

(#37) Sicilische oder campanische, nicht unmittelbar attische, Herkunft war dem römi- 
schen Ceresdienst schon früher (Anm. 104) von uns beigelegt. Auf Übereinstimmung mit 
der attischen Sitte deutet nur ungenügend das Proserpinafest im April (vgl. Welcker Gr. 
G. II, 510). 


9. Sarkophagreliefs. 


(285) Drei Göttinnen, blumenlesend mit Kora: vgl. Welcker Zeitschrift S. 71. Un- 
verkennbar pflegt unter ihnen nur die gerüstete Pallas zu sein; Artemis führt Bogen und 
Köcher in den oft beschädigten Reliefs nur hie und da (2,1 u.a.), und Aphrodite, hier immer 
bekleidet, etwas leichter auf no. 33, pflegt ebenfalls keine Attribute zu zeigen, wenige Fälle 
ausgenommen, in denen sie einen Granatapfel (27) oder auch als Vietrix eine Lanze mit 
Geberde des Schweigens (21) in der Hand hält oder durch Liebesgötter (25) kenntlich ge- 
macht ist, woneben allerdings auch der durch Scepter (1. 5) oder Stirnkrone (1. 27) ihr zu- 
getheilte Schmuck nicht zu übersehen ist. Als zweifelhafte Figur ist aus no. 22 3 eine ver- 
schleierte zu bemerken, welche, wenn nicht auf Artemis, auf Juno gedeutet wird. 

(23) An Chortanz lälst der dieser Blumenscene mehrfach beigesellte Altar uns denken 
(vgl. Welcker Zeitschrift S. 73 und die Reliefs 7. 8. 24). 

(2°) Pluton und Kora in erster Begegnung, er mit Scepter, das beim Blumenkorb 
kniende Mädchen überraschend, sind deutlich wiederholt auf den Reliefs 1. 6. 9. 12. 17. 21. 


über den Bilderkreis von Eleusis. II. 553 


22. 26. 31 und 32. Das Attribut des Scepters ist nicht gleichgültig; es vergegenwärtigt den 
unmittelbar vorher erfolgten Durchbruch des Unterweltsgotts durch den von ihm geöffneten 
Erdboden (Zrabali saxa ferit sceptro: Claudian. R. P. II, 172 s.). 

(291) Verändert ist diese Blumenscene a) durch häufige Abkürzung, indem zuweilen 
selbst Kora fehlt (7. 10. 14. 15. 19. 27? 29. 41), andremal Artemis (1. 6. 21? 25. 33) oder 
auch Artemis und Pallas (17) —, sehr ausnahmsweise durch 5) Ausdehnung des Personals. 
Auf den Reliefs zu Florenz (24) und zu Neapel (21) findet sich eine mit Vergleichung des 
capitolinischen Reliefs bereits von Welcker S. 74 besprochene vierte Figur, bei welcher man 
lieber an Juno oder Vesta als an eine Nymphe denken möchte. Unbedenklicher ist ein an- 
derer seltener Zusatz dieser Scene, indem der aus einer Höhe zuschauende Zeus (11. 17) und 
andremal (17. 31) auch Hermes in Begleitung des Pluton sich findet. Der c) Verschiebung 
des Personals, so dals Pallas und auch Aphrodite zur folgenden Scene gezogen sind (23), 
wird weiter unten (Anm. 301) gedacht. Umblickend nach dem cerealischen Schlangenwagen 
erscheint Pallas in der Blumenscene no. 21. 

(2) Kniend beim Blumenkorb ist vorzugsweise Kora, woneben es jedoch zulässig blieb 
dieselbe Figur ausnahmsweise auch für eine oder die andre ihrer Gefährtinnen (vgl. Welcker 
S. 76), namentlich für Aphrodite (25. 26. 31. vgl. 17), oder Artemis (27), vielleicht auch für 
beide (33), anzuwenden. 

(23) Die plutonische Gruppe des Wagens unterscheidet sich nach Welcker S. 68 
in dreifacher Weise, hauptsächlich in dem Unterschied aufrecht stehender (9. 11. 13. 16. 25. 
26. 31. 33. 40) oder quer liegender (6. 7. 8. 12. 14. 15. 17. 19. 27. 29 halb nackt. 31) 
Stellung der von Pluton auf den Wagen gebrachten und fest gehaltenen Kora, deren leiden- 
schaftlicher Ausdruck nicht selten aufs höchste gesteigert erscheint und nur ausnahmsweise 
mit der hochzeitlichen Idee des Ganzen in Einklang gesetzt ist. 

(2°) Die Rosse des Unterweltsgoites sind unterschieden a) nach ihrer zuweilen auf zwei 
(21. 23?) oder auch drei (19. 29) beschränkten Vierzahl, wie auch 2) nach ihrer vorwärts 
oder seltener (3) niederwärts drängenden Richtung. 

(25) Geleitet werden die Rosse fast durchgängig vom a) voranschreitenden, ausnahms- 
weise auch (12) nebenher gehenden Hermes (niemals von Hekate); dafs statt seiner oder 
neben ihm 6) Herkules in Erinnerung seiner glücklichen Unterweltsfahrt erscheint, ist als 
seltene Besonderheit aus no. 1 und 40 nachweislich. 

(2%) Eroten mit erhobener Fackel sind auf diesen Reliefs häufig. Die Liebesbeziehung 
des Ganzen, die auch in sonstigem Erotenspiel (Eros zu Fülsen des Pluton auf 33 u. a. m.) 
sich kund giebt und irgend einmal sich sogar durch eine Siebenzahl von Eroten (25, Wel- 
cker S. 83) zu erkennen giebt, läfst den Gedanken nicht mehr aufkommen, dals ein als 
Phosphorus erscheinender Hesperus (Welcker S.84) gemeint sei, obwohl an und für sich der 
Gedanke an Hesperus (vgl. Claudian. R. P. II, 361), der zum Thalamus leuchtet, der Dar- 
stellung wohl zupassen könnte. Weitere Ausführungen über die mannigfache Darstellung 
dieser, hie und da vielleicht auch durch mangelnde Schwingen unterschiedenen, Eroten giebt 
Welcker a. O. S. 83 ff. 

(27) Siegesgöttinnen sind sowohl vor und neben dem Wagen des Pluton (Nike mit 
Palme in no.1) als auch auf demselben und mit dessen Leitung betraut (11. 13) vorzufinden; 
von Nike gestützt erscheint Kora auf 215. 


Philos.-histor. Kl. 1863. Aaaa 


554 GERHARD 


(295) Erde und Meer pflegen unter dem plutonischen Wagen im Bilde der Tellus oder 
des Oceanus angebracht zu sein, eine dem römischen mehr als dem griechischen Kunstgebrauch 
entsprechende Zuthat. Von ihnen ist a) Tellus (305 c) gewöhnlich gelagert (Welcker 
S.69), findet sich aber auch aufrecht als Halbfigur (8), letzteres mit einer Geberde welche den 
Pluto wol eher einladen als abmahnen soll. Verständlich auch ohne Attribute (2. 3. 7), ist 
sie doch auch durch Füllhorn (27) Fruchtschurz (14. 24) oder Schlange (33) kenntlich ge- 
macht. Auch 5) Oceanus ist in ähnlicher Weise gelagert (1. 6), findet sich aber auch als 
Halbfigur auf no. 8; als Attribut hält er ein Ruder (9. 11), ein Füllhorn (5. 13. 15. 19) oder 
auch, gesegnete Küsten zu bezeichnen, zwei Kinder mit einem Fruchtkorb (25. 26). Aus- 
nahmsweise finden auch c) Fluls- und Quellgottheiten (mit Schilf 22) sich vor, die man auf 
den Kephissos oder auf die Nymphe Kyane (25) mit dem Anapos bezogen hat, im Bilde einer 
Nebenseite (23) auch auf den Kokytos (Müller Denkm. II, 9, 102). 

(2) Die Unterwelt, deren a) Eingang in dem Relief no. 12 (Felsenkluft) dem Wa- 
gen des Unterweltsgottes sich öffnet, ist überdies durch die 5) ihr angehörigen Ungethüme, 
namentlich den Cerberus (11 und sonst), die Scylla (9? 31), den schlangenleibigen Enceladus 
(1. 9. 13, auf 27 mit erhobenen Armen, auf 33 ein Pferd herabziehend), vielleicht auch durch 
den Ascalaphus (1) angedeutet; als infernales Ungethim kann auch die Sphinx einer Quer- 
seite (27.d) betrachtet werden. Ein c) Todesdämon, dem mit übergelegten Armen ausruhen- 
den Jüngling eines vatikanischen Sarkophags (Pio-Clem. VII, 13) entsprechend, ward von 
Zoäga im Relief 6 c am Ende des Bildes erkannt. Hieneben doch auch an 4) die Sitze der 
Seligen erinnert zu werden, deren Glanz Pluto bei Claudian (R. P. II, 289 ss: sunt altera 
nobis sidera) seiner stygischen Braut in Aussicht stellt, liegt nahe, und wenn doch ein den 
plutonischen Wagen in gleicher Weise erwartender Zeus nicht wohl denkbar ist, so mag in 
dem so gedeuteten Relief no. 40 wol vielmehr Kronos gemeint sein. 

(3%) Zeus zuschauend wird über Plutons Wagen im Relief 25 c erkannt, desgleichen 
zweimal über der Blumenscene (11. 17). Vgl. Anm. 299 a. 

(6%) Der Göttinnen Gegenwart beim plutonischen Wagen ist hie und da zugleich für 
Aphrodite und Pallas bezeugt (vgl. 23); eine ihres Erfolgs frohe Aphrodite glaubte Zoöga 
auch in no. 17 zu erkennen. Vor den Pferden wird sie auf no. 2 und 13 gefunden (vgl. 
Welcker S. 76), neben denselben in no. 27. 

(#2) Demeter fährt «) mit einem Zweigespann von Schlangen, eingejochten und mei- 
stens beflügelten, oder auch von Pferden einher, letzteres in den Reliefs 5. 6. 11. 12. 17. 22. 
26 (Viergespann). 28. 31. In einer Hand oder auch in jeder (9. 27. 33) ihrer Hände pflegt 
sie 5) eine Fackel zu halten. Räthselhaft bleibt c) eine der Göttin nachlaufende Frauen- 
gestalt auf no. 28, und auffallend vor dem Schlangenpaar die rückblickende Pallas (32), wie 
auch der an gleicher Stelle dem Pluton beigesellte Hermes (31). 

(®) Iris (267) ist mit oder ohne Flügel, in letzterem Fall (6. 10. 14. 24. 33; vgl. 
Welcker Zeitschr. S. 38) meistens mit bogenförmigen Peplos, in der neben dem cerealischen 
Wagen gehenden Person mit ziemlicher Sicherheit zu erkennen. 

(?%) Eroten und Niken sind, wie bei dem plutonischen Wagen (296. 297), auch bei 
dem cerealischen nachzuweisen, sofern a) oberhalb des Gespannes nicht selten ein fackel- 
tragender Eros (no. 2. 5. 6 und sonst, nach Welcker S. 84 Hesperus, vgl. Anm. 296; zwei 
Eroten in no. 25°), ebenso häufig aber 5) auf dem Kasten des Wagens vor der Göttin eine 


über den Bilderkreis von Eleusis. II. 955 


das Gespann lenkende kleine Flügelgestalt zu bemerken ist, die man in solchem Zusammenhang 
lieber für eine der zahlreich vervielfältigten Siegesgöttinnen als, wie Stephani (vgl. 268) vor- 
schlägt, für die Luftgöttin Aura nehmen wird. An Aura oder Hekate dachte auch Wieseler 
(Phaethon S. 60. Denkmäler II, 9, 108), nachdem die etwaige Deutung auf Iris oder eine Hore 
(Welcker S. 82) für beseitigt gelten kann. Die meistens sehr deutliche Beflügelung (2. 6. 
17. 25 und sonst) scheint dann und wann unterlassen zu sein (9. 22). 

(25) Nebenfiguren dieser dritten Scene bleiben «) zum Theil räthselhaft, wie die 
Gefährtinnen der Ceres auf dem borghesischen Relief (306) und die angeblich ihr nachlaufende 
Frau eines andern (2, 28), in welcher die als Pflegerin der Proserpina bei Claudian (R. P. 
II, 195 ss.) in ihrer Verzweiflung beschriebene Elektra gemeint sein könnte. Die Figuren 
von 5) Pflüger und Säemann, die man auf Triptolemos zu deuten pflegt, füllen einmal (23) 
den obern Raum, die gelagerte c) Tellus (298 2) das untere leere Feld dieser Scene. Als 
Attribute dieser Erdgöttin (1. 5. 9. 11. 24. 26. 31) werden ein Stier und ein Fruchtkorb (2), 
ein Kind (17) und auch eine Schlange (6) erwähnt. 

(3%) Borghesisches Relief: genauer erörtert in unsrer Beilage B no. 29. 

(#7) Symbolische Zuthat ist hie und da in den Verzierungen des Wagenkastens 
nachzuweisen; so am cerealischen Wagen ein Liebesgott (23), am plutonischen eine Schlange 
(29) oder auch ein Löwe (3, Löwenkopf am Rad 5); häufig ist die Schlange unterhalb des 
plutonischen Wagens auf Grabsteinen (WVelcker Zeitschr. S.90). Selten, aber verständlich als 
Andeutung abgelegten Lebens, ist die auf no. 25 ce am Boden liegende Maske. Im Hinter- 
grunde der Blumenscene von no. 8 sind zwei Cypressen angebracht. 

(398) Sternkunde mit der kosmischen Bedeutung des Mythos vom Koraraube verknüpft 
zu finden könnte nach der Analogie andrer Sarkophagreliefs, namentlich derer des Endymion, 
uns nicht befremden; doch ist statt jedes andern Beispiels nur die um so auffälligere Verbin- 
dung uns bekannt, in welcher auf einem jetzt verschwundenen Torso der Raub der Kora als 
Gürtelverzierung mit den Zodiakalzeichen einer darunter befindlichen Binde steht (286). 

(399) Als Eckfiguren, welche dem Hauptbild des Koraraubs eine bedeutsame Einfassung 
gewähren, sind gewisse Frauengestalten mit Fruchtschurz zu erwähnen, welche nach letzterem 
Attribut dem Begriff der Horen und Jahresgöttinnen (3. 29), durch ihre Beflügelung aber 
auch der Idee der Siegesgöttinnen (10) anheim fallen. Vgl. Welcker Zeitschrift S. 87. 

(39) Die Querseiten zeigen theils a) ländliche Scenen, Hirt und Schafe (31), zwei 
Nymphen und einen Flufsgott (15 a), theils 5) auch mythologische. Von letzteren sind im 
Anschlufs an das Hauptbitd der Blumenlese drei gescheuchte Mädchen mit Blumenkorb (1), 
auch drei kniende Mädchen mit Korb (6) zu nennen, ferner verschiedene Scenen in denen 
Hermes mit einer verhüllten Frau vor Pluton erscheint, sei es nach eben erfolgter Ankunft der 
Kora (Welcker S. 88) oder vielmehr zu deren vertragsmälsiger Abholung (Anm. 312). Als 
entsprechender heroischer Ausdruck eben dieses Wechsellebens findet auch die Hinabführung 
und Wiederkehr der Alkestis sich vor (24). 

(1) Hochzeitlich erscheint dieser Raub wie auf den Vasenbildern (vgl. 47. 274. 275) 
hie und da auch auf Sarkophagreliefs durch die gemäfsigte Haltung der Kora. Die Berechti- 
gung dieser Auffassung ist im Hochzeitsbrauch alter Volkssitte und Theogamie (Welcker 
Gr. G. I, 396; II, 480) gegeben. Eben dahin einschlagend ist das von Ebert (Iızerwv, 
Begiomonti 1830 p. 78) als incorrect getadelte Zeugnils des Synesius (Encom. calvit. p.70 A) 


wo es heilst: ’EAsusis aysı ve Ayunrgos dvamaaumrrgLR. 


Aaaa? 


556 GERHARD 


(2) Abholung durch Hermes, sei es zur vertragsmälsigen Wiederkehr in die Ober- 
welt oder zur nachherigen Rückgabe an Pluton, ist auf den Querseiten mehrerer Sarkophage 
dargestellt, jene auf no. 6. 15, diese auf no. 1. 6. 31. 

(3) Begünstigung des Raubes wird von Claudian (R. P. II, 214 ss.) nur der Liebes- 
göttin beigelegt, dagegen Diana und Minerva gegen den Entführer so tapfer einschreiten (II, 
225 ss.) dals Juppiters Blitze ihm helfen müssen. Gleiche Abwehr ist mithin wol auch in 
unsern Reliefs nach Welckers Vorgang S. 71 der Regel nach anzunehmen (vgl. Artemis 
einen Pfeil ziehend auf no. 1), wenn auch ausnahmsweise durch tiefere Auffassung des Mythos 
man davon abging und Minerva sogar mit einem Lorbeerzweig den plutonischen Pferden das 
Geleite giebt (27; vgl.25. 255. 31); dals Venus der andern Göttinnen Widerstand hemmt, ist 
hie und da, wo sie der Artemis (19) oder der Pallas (29) Einhalt thut, deutlich zu bemerken. 

(*') Sarkophag zu Cattajo: bekannt gemacht in Emil Brauns Marmorwerken II, 4 
S. 20; vgl. Beilage Z no. 27 und unsre Abbildungen. 


10. AnodosderKora. 


(5) Von Marmorbildern dieses Inhalts war das Harpyienmonument am Anfang 
dieser Abhandlung (S. 491 f.), die praxitelische Gruppe von Ceres Triptolemos und der irgend- 
wie benannten Kora ebenfalls bereits oben (225) besprochen; anderes hieher Gehöriges, auch 
das im Text erwähnte Gemmenbild, ist in der Abhandlung über die Anthesterien Anm. 140 ff. 
und in unsrer Beilage € no. 52-63 erörtert. 

(1°) Die Vasenbilder der Anodos archaischen Styls, welche mir bisher bekannt ge- 
worden sind, finden sich aufgezeichnet in unsrer Beilage € (1-52), in welcher überhaupt 
63 noch vorhandene Kunstdarstellungen dieses Mythos aufgezählt sind. Vgl. Abh. Anthesterien 
Anm. 153 ff. 

(17) Kora zu Wagen mit zwei oder vier, auch wohl drei Pferden (Abh. Anthest. S.208 ff. 
Anm. 154 ff. 162 ff). Die dort ausführlich gegebene und durch unsere Beilage € neu be- 
stätigte Darlegung scheint mir Stephanis (Compte rendu 1859 p. 53, 5) in der Kürze ein- 
gelegten Widerspruch noch immer aushalten zu können, zumal derselbe von keiner eigenen 
Erklärung der in Rede stehenden Festzüge begleitet ist. 

(°'5) Das Reh ist diesen Darstellungen so häufig beigesellt, dals man nicht umhin kann 
es als apollinisches Attribut und als Lichtsymbol der von Kora wiedererlangten Oberwelt zu 
fassen. Ob es auch als Attribut der Kora gefalst werden könne, ward bereits oben (180 c) 
von uns in Frage gestellt. 

(') Personal beim Wagen, Demeter in Erwartung. Als Grundlage dieser in der 
gedachten Abhandlung genauer erörterten Darstellung ist der Bericht des homerischen Hymnus 
(Vers 371 ff.) festzuhalten, laut welchem Hermes von Zeus gesandt den Pluton zur Anschir- 
rung des Wagens veranlalst, dessen Rosse er neben Persephone lenkt bis zur Ankunft bei 
Demeter; die beglückte Erregung dieser letzteren ist in den abgebrochenen Worten 7:£’ Yürs 
Waves 0005 Zara Öarzıdv un (Vers 387) ausgedrückt. 

(2°) Athenens Mitwirkung zur Wiederkehr der Kora, wie wir in der gedachten 
Berliner Hydria (no. 1692) sie erkennen, ward schon früher mehrfach von mir nach- 
gewiesen, und lassen sich die dafür beigebrachten Belege (Anm. 89, Abh. Anthesterien Anm. 
165) leicht noch durch andere vermehren. So ist das archaische Bild einer den Wagen be- 


über den Bilderkreis von Bleusis. II. 997 


steigenden Athene auf einem Krug der Münchener Sammlurg (Jahn 1131) zu beachten, ob- 
wohl es in seiner Dunkelheit eher auf die der Athene auch sonst von den Mystikern beigelegte 
Erneuung des Dionysos als auf die Wiederkehr der Kora bezüglich zu sein scheint. 

(#1) Festzug der Kora die eine Blüthe hält. Vgl. Antike Bildwerke Taf. CGCCXVI 
S. 407 £.; Rapporto volcente not. 213. 214; Abh. Anthesterien S. 179 Anm. 163 ff.; unten 
Beilage €, 17 ff. 

(#2) Hieratische Reliefs desselben Festzugs der rückkehrenden Kora habe ich in 
einer runden Ara des Vatikans (Antike Bildwerke Taf. XIII, 2) und sonst vor längerer Zeit 
erkannt und sehe auch nach Müllers und Welckers Einspruch (Handbuch $ 358, 3) keinen 
Grund von dieser Erklärung abzugehen. Vgl. Abh. Anthest. Anm. 145. Unten C, 55 ff. 

(3) Dionysos läfst seiner bekannten mystischen Bedeutung gemäfs allerdings bald als 
zurückblickender Unterweltsgott, bald als der aus Erdboden oder Gewässer neu aufsteigende 
Frühlingsgott (Abh. Anthest. 52; vgl. Stephani C. R. 1859 p. 51 zu Tischbein I, 32 = Wie- 
seler Denkm. II, 47, 600) sich fassen. In der Verbindung mit Kora ist a) das gemeinsame 
Aufsteigen beider als seltene Darstellung einer archaischen Amphora (Beilage € no. 40) 
bekannt; um so häufiger sind 5) beide einander gesellt in den Festzügen archaischen Styls 
(ebd. no. 17 ff.) zu finden, denen auch manches Vasenbild freieren Styls (ebd. no.45 ff.) und 
in der Weise der spätern Kunst c) berühmte Gemmen und Münztypen (Kora mit Fackeln 
und Körbchen von Kentauren gezogen, auf Münzen von Kyzikos: Müller Denkm. II, 10, 115. 
Vgl. Anm. 102. 103. Abh. Anthest. Anm.176) entsprechen. Noch eine d) Verbindung beider 
zeigt ihn im Olymp, wenn nicht mit Kora, doch mit der im Reich des Lichts ihr gleichgel- 
tenden Ariadne, laut Inschrift einer bekannten Schale (Trinkschalen und Gefälse Tafel A. 
Vgl. oben Anm. 106). 

(@*) Im freiern Styl der spätern Vasenbilder erscheint Kora als Halbfigur dem 
Erdboden entsteigend in mancher schon früher (Abh. Anth. Anm.150, vgl. Beil. C, 55 ff.) von 
uns berührten Darstellung, hauptsächlich aber, mit Iacchos im Arm, auf der durch Stephani 
bekannten} und von uns ausführlich besprochenen Jacchosvase aus Kertsch (vgl. Anm. 220). 
Bemerkenswerth ist, dafs jenen mancherlei Vorstellungen der aufsteigenden Kora keine Hin- 
deutung auf die Gewässer zur Seite geht, die wir auf Poseidons Wagen zuweilen (C, 13) sie 
überschreiten schen und auf welche auch ein Kirchenvater (Iustinus Martyr. Ghd. Prodr. S.93) 
durch Vergleichung des über den Wassern schwebenden Geistes anzuspielen scheint. Das 
früher in solchem Sinn als auftauchende Kora von mir gedeutete kumanische Vasenbild (Ghd. 
Bildw. 44), angeblich einer bacchischen Aphrodite auf Schwanesrücken, ist hauptsächlich des- 
halb hier auszuschlielsen, weil die als Panisken gefalsten Nebenfiguren wahrscheinlicher als 
behörnte Flufsgötter zu deuten sind, daher Curtius (Arch. Ztg. XII S. 461. Vgl. Jahn ebd. 
XVI, 235) das Bild als Nymphe von Camarina deutet. Vgl. Neuerworbene Denkmäler III 
n. 1987. 

(#25) Das Wiedersehen der Demeter und Kora glaubte man auf einer mit der Inschrift 
Laetitia versehenen römischen Goldmünze zu erkennen (Abh. Anthesterien Anm. 169. vgl. 
168), und ist vielleicht berechtigt dasselbe Ereignils noch in andern auf Demeter und Kora 
gedeuteten Gruppen, namentlich in einer bekannten Terracotte bei Stackelberg (LXIX), ge- 
meint zu glauben; auch eine etruskische Spiegelzeichnung (Ghd. III, 324) scheint gleichen 
Inhalts zu sein. Wenn übrigens dieses Wiedersehen, wie nicht anders sich denken läfst, doch 
wol mit der Wiederkehr der Kora im Frühling verknüpft ist, so erregt es Schwierigkeit, 


558 GEBHARD 


es mit Preller (Röm. Myth. S. 428 £.) in der Auffindung der Proserpina wiederzuerkennen, 
welche zu Rom durch ein im Sinn der Thesmophorien begangenes Erntefest (Anm. 105) ge- 
feiert wurde. 

(32) Kora zum Zeus geführt aulser der kurz vorher von uns berührten archaischen 
Hydria (Anm. 320) auch auf der apulischen Vase Poniatowsky. Ob Kora auch in der fuls- 
fälligen Figur vorausgesetzt werden dürfe, die ein fragmentirtes Relief des Berliner Museums 
(Berlins Bildwerke no. 490 — 95. unten Beilage C, 60) vor dem thronenden Zeus mit der 
darunter befindlichen Figur eines bald auf Hades bald auf Coelus (Jahn a. O.) gedeuteten 
Mannes mit bogenförmigem Peplos zeigt, bleibt noch zu entscheiden. 

(327) Das Götterpersonal der in unserm Text hier nochmals besprochenen archaischen 
Vasen ist bereits in der Abhandlung über die Anthesterien S. 176 Anm. 156. 162. 165 aus- 
führlich erörtert worden. 

(#83) Die bacchische Mystik, welche ich als den archaischen Vasenbildern eigenthümlich 
nachweise, ist unter diesem Gesichtspunkt anderwärts mehrfach (Abh. Anthesterien S. 164), 
zuletzt in einem akademischen Aufsatz („Eleusinische Miscellen’ Berl. Akad. Bericht 1864 S. 1 ff.) 
von mir erörtert worden. 


11. Cerealische Mythen. 


(29) Scenisches in Eleusis: vgl. Anm. 97. 356 ff. Des dort aufgeführten mystischen 
Drama (mit Clemens zu reden) und der in dessen Inbegriff fallenden Bilder der Seligen 
(Anm. 98) ward schon früher von uns gedacht. Zur Würdigung dahin einschlagender Dar- 
stellungen ist es beachtenswerth, dafs Lenormant (Mysteres d’Eleusis p. 82) in den aus Cle- 
mens bekannten Mysterienformeln Worte der irrenden Demeter wiederholt glaubte. 

(330%) Demeter mit Fackel, aus Münzen von Enna und einer dortigen Erzfigur (16 5) 
als die nach der geraubten Tochter suchende Mutter bekannt, ist auch aus Werken der Plastik 
nachweislich. Eine Demeter mit Fackeln, auf einem Felsen sitzend, wird auch auf atheni- 
schen Münzen (Beul& p. 334. 381) erkannt. 

(31) Die trauernde Demeter, sitzend auf dem Stein Agelastos, kann auf der eben er- 
wähnten athenischen Münze erkannt werden, ungleich weniger in dem von Minervini hier- 
auf gedeuteten Iattaschen Vasenbild (Bull. Napol. II tav. 7 p. 130 ss.). 

(32) Kykeon. Die Zutheilung dieses der fastenden Demeter aufgenöthigten Tranks 
glaubte ich im archaischen Bild einer mir gehörigen Amphora (Auserl. Vasenb. I, 74 S. 200) 
zu erkennen. Die sitzende Hauptperson ist dort von drei stehenden Frauen, etwa den Töch- 
tern des Keleos, umgeben; ein in diesem Sinne gedachtes Bild konnte auf Thesmophoriensitte 
übertragen und zum Anlals geworden sein eine zweite sitzende Frau mit daneben stehender 
Pflegerin anzureihen, bei welcher sich gewils nicht an Kora, schwerlich auch an Metaneira, 
ungleich eher an eine zweite Thesmophoriazuse denken läfst welche dem Beispiel der fasten- 
den Göttin mit Überwindung folgt. Sonstige noch ungleich weniger gesicherte Darstellun- 
gen desselben cerealischen Fastentranks wurden von Lenormant in Gruppirungen voraus- 
gesetzt, in denen Demeter den Triptolemos über dieses Getränk belehren (Elite c&ramogr. III, 
50 p. 113) oder sogar zur bevorstehenden Abfahrt (ebd. p. 129) damit ausstatten soll —, 
wunderlich genug nicht mit dem gewohnten Labetrunk rüstiger Ausfahrt, sondern mit dem 
erprobten Heilmittel grölster Ermattung. 


über den Bilderkreis von Eleusis. II. 559 


(3) Keleos, seines Namens vermuthlich ein Opferer (von z«:w) ist als a) erster Opferer 
der eleusinischen Göttin vermuthlich auch im Relief der kumanischen Triptolemosvase (Bei- 
lage 4, 2°) und im bärtigen Opferer des Gegenbilds einiger anderer Triptolemosvasen (p, 
p?, vgl. w Bärtiger mit Fackeln) gemeint, wobei Lenormants Annahme (Elite III, p- 126) 
eines Sühnopfers, etwa für Demophon, der zunächst liegenden agrarischen Fürsorge nach- 
stehen muls. Als Opferpriester wird demnach Keleos 5) mit Wahrscheinlichkeit auch auf den 
Triptolemosvasen erkannt, welche als Nebenfigur eine nicht selten mit Scepter (uw, w?, w*) 
und Schale (zw, 2) versehene, auch wohl bekränzte (u*), vornehme Gestalt uns vorführen. Auch 
die Triptolemosvase 3 und diejenigen Darstellungen, in denen wir ihn zugleich mit Metaneira 
(p, p?) zu erkennen haben, sind hier zu beachten. — Auf des Keleos c) Familiensage und 
deren spätes Sagengespinnst scheint auf jenen Triptolemosvasen durchaus kein Bezug genom- 
men zu sein. Auch die angebliche Ausstattung des Keleos mit Gesetzen des Triptolemos auf 
einem Gemmenbild (244) steht nicht minder vereinzelt da als die von Lenormant an die 
Familiensage des Keleos geknüpften Vermuthungen. Keleos und den Kriegshauptmann, der 
den Triptolemos tödten solle, sah Lenormant ferner (Elite III pl. LXVII p- 137) und wulste, 
durch die Willkür späteren Sagengespinnstes unterstützt, andremal dem Keleos als Feind der 
Demeter nachzuspüren. 

(#%*) Metaneira, ihres Namens die Manngleiche wie Metandra nach Welcker (Gr. G. 
II, 512), deren alleinige oder mit Keleos (p, p2) verknüpfte Darstellung man bisher oft irrig 
annahm, bleibt nächst Kora und Hekate diejenige Frauengestalt, an welche man in Umgebung 
der eleusinischen Demeter am ersten zu denken hat. Anderer Bildwerke zu geschweigen 
scheint sie uns in figurenreichen Triptolemosbildern gemeint, wo neben Demeter und 
ihrer Tochter eine Frau mit Ähren (u’, vgl. ») oder mit Fackeln (s, auch mit Haube und 
einer Fackel «) erscheint, und ebenso wird sie auch unter andern cerealischen Priesterinnen zu 
suchen sein, von denen weiter unten (Anm. 363) die Rede ist. Nicht minder ist Metaneira 
vorauszusetzen, wo dem vermuthlichen Keleos eine Opferpriesterin beigesellt ist, wie in 
der vor einem Altar stehenden verschleierten Frau mit Ährenbüschel auf der Prachtvase im 
Louvre (w); so auch wol auf dem kumanischen Reliefgefäfs (2°), wo inmitten des Bildes 
eine männliche und eine weibliche Figur durch Schweinsopfer und brennenden niedrigen 
Altar als erste Opferer der Demeter sich bekunden, und in einer Gruppe, in welcher eine 
stehende Frau einem sitzenden Manne mit Scepter libirt (e'). 

(35) Die Töchter des Keleos, dann und wann ebenfalls irrig vorausgesetzt (p), sind 
doch mit aller Wahrscheinlichkeit in weiblichen Nebenfiguren der Triptolemosbilder, nament- 
lich wo sie gescheucht von der Tempelschlange erscheinen, und andern cerealischen Darstel- 
lungen zu erkennen. Ein volles Gegenbild ist in der äufsern Hälfte einer berühmten Schale 
(A, u?) ihrer Begegnung mit der eleusinischen Tempelschlange (Anm. 337) eingeräumt, die 
auch auf der Wiener Silberschale (228. Schlangenpflege durch zwei Frauen, die eine ähren- 
bekränzt) sich findet. Letzteres geschieht in der Doppelzahl, während sonst ihre durch Pam- 
phos (Paus. I, 38, 3. Welcker Gr. G. II, 512) bezeugte Dreizahl feststeht. Unter ihren von 
Pausanias (a. O.) überlieferten Namen, Diogeneia Pammerope und Susara, sucht man vergebens 
die bei Aristophanes (Equit. 526 Auge? suzortöire) angerufene Doro, durch welche Demeter 
den ländlichen Segen der Feige spendet. 

(3) Kumanische Prachtyase (4, 2): genauer besprochen in unsrer Erklärung der 
beigehenden Abbildung. 


360 GERHARD 


(7) Tempelschlange. Auf der Triptolemosschale der Frankfurter Sammlung (Bei- 
lage A, u?), wo ein furchtbarer Drache zwei Jungfrauen schreckt, ist vermuthlich doch auch 
nur die Shhlange der mystischen Cista, etwa die Keleostöchter zur Strafe ihrer Neugier be- 
drohend, gemeint; die Kychreische (Strabo IX p. 393; Welcker a. ©. II, 537) ist schwerlich 
von jenem mystischen Tempelhüter zu unterscheiden. 

(5) Hippothoon, inschriftlich bezeugt in einer Agrigenter Triptolemosvase (Beilage 
A, u®), ist wahrscheinlich auch hinter Persephone und, gegenüber dem Keleos stehend, in 
einer bärtigen Mantelfigur mit Scepter auf der Prachtvase im Louvre (») zu erkennen. 

(39) Eumolpos, welcher, wie Welcker (Gr. G. Il, 542) bemerkt, im homerischen 
Hymnus weder bacchisch noch thrakisch ist, sonst aber im ausgesponnenen Sagengewebe 
durchgängig als Thraker erscheint, wird zugleich mit seinem Sohn Immarados (andremal ist 
Keryx sein Sohn: Welcker ebd. II, 513) von Lenormant in den äufsersten stehenden Figuren 
des kumanischen Reliefgefälses (2?) auf Grund einer Fellbekleidung vermuthet, welche den 
thrakischen Ausländer andeuten soll; die fraglichen Figuren scheinen jedoch weiblich zu sein. 

(#°%) Läuterung des Demophon: vergebens gesucht in einem Relief aus Champlieu 
(Revue arch£ologique VIII pl.160 no.5 p.191ss.). Eine halbnackte Frau, angeblich mit Ähren 
bekränzt, erscheint vorgebückt mit einem häuptlings niederfallenden Kind, welches sie laut 
Hrn. E. Caillettes Auffassung zugleich mit ihrer nicht sichtbaren linken Hand am linken Fufs 
ergreift, um es durch Flammen zu reinigen. Die Frau scheint auf dem Rand einer Brunnen- 
mündung zu stehen und erinnert auch deshalb mehr an Thetis, welche den Achill in das 
Wasser des Styx eintauchte, wie in einem bekannten capitolinischen Relief (Millin Gal. 
CLIII, 552) zu sehen ist. 

(#') Baubo: von Millingen in gewissen unzüchtigen Frauengestalten aus Thon (Annali 
dell’Inst.XV p. 72 tav. E), auf einem Schwein eineLeiter haltend, vermuthet, vgl.oben Anm.49. 

(#2) Jambe: von Lenormant Elite c&ramogr. II p.122 im kumanischen Reliefgefäls sehr 
willkürlich vorausgesetzt. Eine Jambe mit Thyrsus glaubte derselbe auch sonst zu kennen 
(l.c. p. 134). Nicht viel sicherer ward neuerdings auch von Stephani (C. R. p. 61) an Jambe 
als mögliche Benennung für die vorzugsweise von ihm für Echo (der Jambe Mutter: Wie- 
seler Echo S.12) erkannte Figur der Iacchosvase von Kertsch gedacht. 

(3) Theseus zu Eleusis eingeweiht: vg}. Lenormant Elite III p. 133. 

(3) Triopisches: Ein mehrfach wiederkehrendes räthselhaftes Gefälsbild wird von 
Minervini auf den Mythos des Eresichthon gedeutet (Bull. Nap. N. S. V tav. 5 p. 65 ss.). 

(#5) Argivisches: Demeter Mysia von Mysios und Chrysanthis empfangen, Votivrelief 
zu Nauplia (Arch. Ztg. XIII S. 57*. 143). 

(3) Herkulanisches Monochrom: Pitture d’ Ercolano I, 1; Köhler Description de 
deux monumens (P£tersbourg 1810); Neapels Antiken S. 430; eine unten wiederholte Ab- 
bildung gab Iorio in seiner Galleria delle pitture del Museo Borbonico. Der sehr gelehrte 
und sonst hyperkritische Archäolog, welcher sich hieran verging, war durch eine fehlerhafte 
Zeichnung getäuscht, in welcher, wie ich bei Prüfung des Originals mit Panofka erkannte, aus 
einem Esel ein Pferd, aus einem Pallasidol ein roher Pflock, aus zwei Figuren eine einzige 
gemacht worden war. Jenes Pallasidol, welches zwischen der sitzenden Gestalt eines mit 
grofsem Trinkhorn versehenen ältlichen Mannes und zwischen einer vor einem Esel stehenden 
Frau aufgerichtet ist, scheint den athenischen Boden uns anzudeuten, auf welchem ein- Stein 
des Silenos als Merkmal vormaliger Einwanderung dieses oft von einem Esel getragenen 


über den Bilderkreis von Eleusis. II. 561 


bacchischen Dämons gezeigt ward. Erblickt man nun hinter diesem in Attika rastenden und ein 
grolses Trinkhorn vor sich haltenden Silen eine ihm traulich gesellte, am Haupt mit Binden 
umhüllte Frau, so ist es wohl denkbar dals in ihr Demeter gemeint sei, welche in der Person 
des Silen den zukünftigen bacchischen Segen des Landes zuerst begrülst und durch eine 
Athenerin, etwa Kranae, deren Gemahl Amphiktyon den Dionysos zuerst gastlich aufnahm, 
zugleich auch das Thier des Silen ihrer Pflege empfohlen sein läfst. 

(3377) Mystische Legenden des a) Iacchos wurden oben Anm. 220 berührt. Des 
Schlangenzeus Umgang mit 5) Kora wird in einem Münztypus von Selinus (Müller Denkm. 
II, 8, 39), von Panofka (T. C. p. 87) und Lenormant (Mysteres p. 86 s.) auch in einem Re- 
lief aus Ambra des Prinzen Sangiorgio-Spinelli erkannt. 


12. Festgebrauch zu Athen und Eleusis. 


(°#) Als Sühnopfer der kleinen Eleusinien kann a) zunächst jenes einem Zuge 
der Anodos beigesellte, in abgewandter Richtung begangene, Opfer auf der Lamberg’schen 
Vase (Beilage €, 16) betrachtet werden. Dafs es dem Dionysos gelte wird durch Tracht 
und Ansehen wahrscheinlich; ein Becher wird über einen schmalen Altar gehalten, dessen 
mehr einem Pfeiler ähnliche Gestalt nicht befremden darf. Dafs auch 5) Hydrophorien zum 
Ritual der Anodos gehörten, ist durch die Hydrophoren einer bekannten Unterweltsvase 
(Ghd. Mysterienbilder Taf. I, Bildwerke S. 376) und durch die tegeatische Thonfigur (Arch. 
Anz. 1863 S. 91*) wahrscheinlich, die auch ein Opferschwein hält. Besondere c) Opfer für 
Kora scheinen aufser dem eleusinischen Schweine auch durch Gänse oder Tauben (Anm. 180) 
geleistet worden zu sein. 

(39) Scenisches zu Agrae ist vorauszusetzen a) in Festzügen der bereits erstandenen 
Kora (Beilage €, 17 ff.), vorher aber 5) in der als aufsteigend aus einer Grotte (vgl. die 
Iacchosvase Taf. I und Beilage C, 40. 45 ff.) im Moment der Anodos dargestellten Kora. Dafs 
hiemit auch Bilder c) der Iacchoslegende verknüpft waren ist durch die Tacchosvase aus Kertsch 
wahrscheinlich geworden; für Darstellung des leidenden Dionysos (M. Heort. S. 378) fehlt 
es jedoch an Begründung, indem der als Apposition für die Ruzoc kucrygıe von Stephanus 
v. "Aygı gebrauchte Ausdruck kiuyne rwv regt Arvvrov meines Erachtens nur auf den Vor- 
gang ähnlicher Scenerien am Dionysosfest der Anthesterien sich bezieht, in denen man die 
Leiden des Dionysos allerdings vorgestellt weils. 

(50%) Schallbecken (Schol. Theocrit. II, 36): dns "Arorrddwgos "Adyuncı rev isgabav- 
nv TS Kogns ZaAoumEuyS Emrızgavsw TO 2 AoUMevov YyElov. Vgl. oben Anm. 115, unten Anm. 
354 und die von Stephani mit Wahrscheinlichkeit für Echo erkannte Figur der Iacchosvase 
aus Kertsch. Als Festgebraueh der Anodos glaube ich dies Zeugnils nur auf die kleinen 
Eleusinien beziehen zu dürfen, und kann, seit die Iacchosvase aus Kertsch uns vorliegt, auch 
der Annahme nicht widerstreiten, dals die Geburt des Iacchos von Kora (Anm. 221) zur Feier 
der kleinen Eleusinien gehörte —, eine Annahme welche um so näher gelegt wird, wenn 
die für Eleusis bezeugte (Anm. 129) Verbindung von Brimos und Brimo mit Stephani (C. R. 
p- 60) jenem Rufe des Hierophanten verbunden gedacht werden soll. 

(35) Dafs Iacchos auch zu Agrae gefeiert ward (114. 349 c), ist durch Spuren seiner 
dort besonders ausgesponnenen mystischen Geburt (220. 221) jetzt einleuchtend. 


Philos.-histor. Kl. 1863. Bbbb 


562 GERHARD 


(#2) Die Anodos und Triptolemos waren zwei dem Dienst zu Agrae vorzugsweise 
obliegende Gegenstände, welche daher auch auf Kunstwerken mehrfach verbunden sind, be- 
kanntlich auf der Poniatowskischen Vase und dem Pembroke’schen Sarkophag (Beil. €, 53), 
auf welchem selbst Stephani (C. R. p. 66) diese von ihm sonst geleugnete Verbindung sich 
gefallen lälst, aber auch wol auf der Frankfurter Triptolemosschale (z2) und auf dem eben 
in Rede stehenden Onyxgefäls. 

(553) Das braunschweigische Onyxgefäls erkläre ich nach meinen früher dar- 
über gegebenen Ausführungen (Beilage C, 61). Auf a) der linken Hälfte desselben läfst 
die innerhalb einer Felsengrotte zuerst bemerkliche rückblickende Frau mit Mohnstengel, be- 
gleitet von einer Hierophantin mit Sternenhaube (Anm. 355) und doppelter Fackel, sich 
füglich für die dem Lichte noch scheu entgegentretende Kora erkennen; innerhalb des Felsen- 
grunds, der von der Oberwelt sie noch trennte, steht ein phallischer Grenzgott, den phal- 
lischen Pfeilern des lernäischen Sees vergleichbar, und ein Mädchen des Opferdienstes mit 
einem Korb, der weder Blüthen noch Früchte, sondern, wie es scheint, winterliche Opfer- 
kuchen enthält. Diesem der Oberwelt sich nähernden, aber noch von der dämmernden Fels- 
grotte umfangenen Zug eilt 5) der cerealische Wagen, von Demeter und Triptolemos be- 
stiegen, von einer darüber schwebenden Nike verherrlicht, bereits im vollen Lichte des Tages 
voraus und beglückte Sterbliche schreiten ihm opfernd entgegen; nicht als Göttinnen der 
Jahreszeiten, sondern in priesterlichem Sinn, glaubte ich diese im Vordergrund eines ge- 
schlossenen Raums, den ein Vorhang bezeichnet, mit Schwein und Reh, Fruchtschale und 
Liknon der Göttin zugewandten, nach Zahl und Attributen den Horen nicht wohl entspre- 
chenden Figuren schon bei früherer ausführlicher Erörterung des in Rede stehenden Onyx- 
gefälses (Hyperb. röm. Studien II, 190) verstehen zu müssen. Eine sitzende Priesterin mit 
drei ihr beigesellten Figuren erinnert an Metaneira und die drei Keleostöchter. 

(°°*) Als Priester der kleinen Eleusinien ist obenan a) der Hierophant zu nennen, 
der laut Apollodor die Wiederkehr der Kora durch Anrufung beschleunigt und durch An- 
schlagen der Schallgefälse verkündet haben soll (350). Aus archaischen Vasenbildern, in 
denen allen das Ritual von Agrä vorauszusetzen ist, sind Gottheiten leichter als priesterliche 
Gestalten nachzuweisen. Eine dem Hierophanten entsprechende Figur finde ich daher nicht 
vor, zumal wenn der abwärts ein Bocksopfer verrichtende Priester auf der Lamberg’schen 
Vase (Anm. 348) vielmehr wie es scheint als Dionysospriester zu fassen sein dürfte, und die 
in Gestalt des Hermes voranschreitende Figur festlicher Frauenzüge (Beilage € no. 18) viel- 
mehr als 5) der Hierokeryx gemeint sein möchte, der aus den Anthesterien gleichfalls be- 
zeugt ist (Or. adv. Neaer. p. 1371, 16; Müller Eleusinien $ 11 Anm.12, wo auch ein Daduch 
der Lenäen hieher gezogen wird). Von c) Daduchen der kleinen Eleusinien liegen be- 
stimmte Zeugnisse nicht vor; doch läfst der Fackelträger der Gruppe von Ildefouso 
(Hyp. röm. Studien II, 167) und auch manche andre Figur (Stackelberg Gräber XXXVIIT, 7) 
sich vermuthungsweise hieherziehen. Als d) Tempeldiener geringerer Geltung kann der 
für den Aufputz der Götterbilder bestimmte Kosmetes (vgl. oroäisrzs C. I. G. 481. Welcker 
Trilogie S. 345) betrachtet werden, welcher in einer athenischen Inschrift zugleich als 
LEORTWLEVOS TYS Adaoderrrs genannt wird. 

(#55) Eine Hierophantin oder Daduchin der kleinen Eleusinien glaubte ich schon frü- 
her (Hyperb. röm. Studien II S. 195) in der mit gestirntem Kopfschmuck und zwei Fackeln 
versehenen Führerin der zurückgewandt aufsteigenden Kora des oben gedachten (Anm. 332 a) 


über den Bilderkreis von Eleusis. II. 363 


braunschweigischen Onyxgefälses zu erkennen. Die Tracht jener Frau entspricht einer Stelle 
bei Claudian (R. P. II, 362: szat pronuba juxta stellantes Nox picta sinus), dort allerdings als 
der Göttin Nacht angehörig. 

(#36) Eingeweihte der kleinen Eleusinien sind in den mancherlei in meiner Venere- 
Proserpina (Fiesole 1825; deutsch in den hyperboreisch-römischen Studien II S. 178 ff.; vgl. 
Abhandlung Venusidole S. 15 ff.) zusammengestellten Gruppen zu finden, welche auf das be- 
kannte Idol sich stützen, und zwar sind es theils nackte Jünglinge theils Frauen, an deren 
Stelle andremal auch verwandte Gottheiten, namentlich Mercur Bacchus und Herkules sich 
finden. Die durch Tracht und Bildung jener Figuren gegebenen Andeutungen sind sehr 
unzureichend (als Attribute nur etwa Schale und Stephane: Ghd. Hyp. röm. Studien S. 171) 
und gehören meist Marmorwerken römischer Zeit an, dagegen die Frauengruppe eines schö- 
nen athenischen Reliefs (Stackelberg Gräber Taf. LXIX; Ghd. a. O. II S. 165. 176; unten 
Anm. 357) wohl geeignet ist als eine dem beigefügten Idol gewidmete Einweihungsscene zu 
erscheinen. (Vgl. jedoch 146 2.) 

(#577) Einweihungsgebräuche der kleinen Mysterien konnten sich allenfalls @) aus 
der traulichen Frauengruppe neben dem Idol in der ebengedachten Stackelbergschen Terra- 
cotte (Anm. 356) oder aus 5) der Vase Pourtales (Beilage 4, 2?) ergeben; wenigstens den 
eigenthümlichen Fackelprunk macht diese letztere anschaulich. 

(355) Eleusinische Örtlichkeit ist aus unsern Vasenbildern nicht nachzuweisen, wie 
schon oben bemerkt (236); die hie und da dafür genommenen Andeutungen sind theils allzu 
unvollkommen (Tempelhalle 4, C; dorische Säule z?; Dreifuls auf Säule s), theils wie auf der 
Vase Pourtales entschieden dem Dienste der kleinen Eleusinien angehörig. 

(#39) Priester und Adepten sind aus a) Kunstwerken nicht unbezeugt, obwohl ohne 
sichere Beziehung auf Eleusis, die unter anderm durch Myrtenbekränzung und Diadem (Schol. 
Soph. Oed. Col. 679) sich kundgeben konnte; grölsere 5) priesterliche Statuen sind unter 
andern aus Hermione (Paus. II, 35, 8) bezeugt. Auch gehören hieher die c) Votivbilder von 
Eingeweihten beiderlei Geschlechts aus den zahlreichen Thonfiguren, deren cerealischer Bezug 
durch das Opferschwein und das Getreidemals beglaubigt ist. Die gedachten Figuren sind 
häufiger männlich als weiblich (Ghd. Bildw. XCIX, 1. 3. 4. 7. 9. 10. 11. 12); weibliche fin- 
den sich bei Panofka (T. C.LVII, 1. LVII, 1. 2, mit vorausgesetztem Bezug auf eleusinischen 
Dienst). Eine weibliche Thonfigur mit Kästchen (Ghd. XCVIII, 1) ist gleichfalls hier zu er- 
wähnen. Auch d) Hydrophoren gehören hieher, wie sie unter den knidischen Terracotten 
(Newton pl. XLVI, 4. XLVII, 1. vgl. LX, 10) sich finden. Eine Hydrophore mit Schwein 
ward aus griechischen Thonfiguren schon oben (Anm. 348 5) erwähnt. — Jenen männlichen 
Figuren mit dem Opferschwein wird man versucht die sitzende Jünglingsfigur mit Schwein 
und mit Fackel oder Füllhorn @) eines räthselhaften Reliefgefälses (Lekythos, vormals in Sir 
William Temple’s Besitz) beizuzählen; vor dem Sitzenden wird auf dem Rücken eines Triton 
eine Frau entführt, die man als Abgeschiedene, den Inseln der Seligen zugedacht und durch 
cerealische Weihe dazu ausgestattet, sich denken könnte. 

(6%) Reliefs sind den gedachten Priesterinschriften (Anm. 359 5) hie und da beigesellt; 
so die Priesterin mit Ähre und Mohn auf einem Oxforder Grabstein bei Chandler marmora 
Oxoniensia II tab. IX no. LXH (vgl. Anm. 364). 

(61) Triptolemosvasen. Bildlich dargestellt in unbestimmter Allgemeinheit von 
Priesterschaft oder Volk ist das vierfache Personal der Umgebung des Triptolemoswagens auf 


Bbbb 2 


564 GERHARD 


den archaischen Vasen 3 und €. Ein Gesammitbild der eleusinischen Priesterschaft, wie es 
in Darstellung ihres vornehmsten [zuletzt in der Hortologie von A. Mommsen S. 233 ff. 
erörterten] Personals wohl denkbar ist, wird man versucht in einigen figurenreichen Tripto- 
lemosbildern vorauszusetzen, deren erheblichster Inhalt hienächst angemerkt und benutzt 
werden soll. 

(5%) Der Hierophant (Hermann G. A. $ 55, 21; M. Heortologie S. 233) von Eleusis 
wird nach Tracht und Handlung uns zu wenig geschildert um bildlich mit Sicherheit ihn 
nachzuweisen; lange Stola und Strophion (Arrian. diss. Epiet. III, 21, 16) sind dazu nicht 
genügend. Langbekleidete Männergestalten, durch ein Scepter ausgezeichnet, welche dieser 
Benennung vielleicht entsprechen, finden sich auf Triptolemosvasen: auf der Vase 4, r* mit 
Hermes oder dem Hierokeryx, auf » mit Frauen, welche Ähren halten, woneben auch die 
schlichtere Grugpe eines sitzenden Scepterträgers und einer ihm libirenden Frau auf der 
Vase e zugleich mit der Libation einer auf Pluton und Persephone gedeuteten Gruppe im 
Revers von z? in Anschlag kommt. Der Schaustellung, welche dem Hierophanten vorzugs- 
weise beigelegt wird (Hesych. “Isgopavrys, 6 4 nusrygie Ösızvuav. Welcker Gr. G. I, 536 f.), 
entspricht keines jener Bilder, die aber auch aulser Bezug auf das mystische Drama stehen. 
Das heilige Geräth ist mehr Sache der Priesterinnen. Dals der Hierophant auch zu opfern 
hatte und mithin auch auf einer Triptolemosvase (4, p) in einem Scepterträger vor einem 
Altar gemeint sein kann, wird man nicht bezweifeln wollen; doch bleibt es fraglich, ob in 
solchen Fällen nicht vielmehr der 5) Altarpriester oder Epibomios (m: Cwaw iegeis. Hermann 
G. A. 55, 28; Mommsen Heort. S. 235) zu erkennen sei, der bei Eusebius (Praep. III, 12) 
neben den drei grofsen Priesterämtern als vierter genannt wird. Es bleibt dies zugleich 
fraglich für die durch Newton (pl. LX, 7 p. 42) bekannte Thonfigur eines alten Priesters, 
der eine Cista trägt. 

(8) Weibliches Priesterthum wird aus Eleusis für die Hierophantin, deren Name 
verschwiegen blieb, für die eponyme Priesterin des laufenden Jahres und auch für eine 
Daduchin bezeugt (M. Heort. 237 ff). Als a) Hierophantin möchten wir die mit Ahren 
versehene Frau betrachten, welche auf einer Triptolemosvase (4, ®) dem vermuthlichen 
Hierophanten mit Scepter gesellt ist, als 5) Jahrespriesterin die mit Ähren und Mohn ver- 
sehene Frau eines Reliefs bei Chandler (Marm. Oxon. II, tab. IX no. LXH); doch ist bei 
gleichen Attributen dieser Unterschied milslich und noch schwerer die Unterscheidung der 
c) Fackelträgerinnen (366). Vereinzelt und unerklärt bleibt endlich d) die einen Korb oder 
Eimer tragende Frau auf der Triptolemosvase x. 

(3%) Ein Hierokeryx (vgl. M. Heort. S.234 f.), nicht Hermes, ist vermuthlich gemeint 
in der Triptolemosvase r*, vielleicht auch auf dem mit r bezeichneten Gefäls. 

(5) Der Daduch der eleusinischen Göttinnen (Hermann G.A. $ 55, 25; M. Heortologie 
S.233 f.) bekleidete einheitlich wie der Hierophant eins der drei oder vier Hauptämter des 
dortigen Dienstes. Die reiche Tracht des Daduchen Kallias, die dem Perser wie die eines 
Königs erschien (Plut. Aristid. 5), mülste jenen priesterlichen Fackeltäger uns leicht kenntlich 
machen, wäre er auf Kunstwerken dargestellt. Aus den Triptolemosvasen ist uns jedoch nur 
ein bärtiger Fackelträger in schlichter Tracht bekannt (4, u!); ein andermal, wie in einer 
athenischen Thonfigur mit über der Brust gekreuzten Fackeln (Stackelberg 38, 7; Hyperb. 
Studien II, 167), braucht der Fackelträger nicht jener priesterliche zu sein. Für mitwirkende 


über den Bilderkreis von Eleusis. II. 565 


Daduchen wird auch die Benennung rvobego: aus verschiedenen Kulten (Vischer, Theater- 
inschr. S. 58) uns dargeboten. 

(366) Fackelträgerinnen des cerealischen Festgebrauchs sind aus den Triptolemos- 
vasen (r* mit Hierophant und Hierokeryx, vgl. v) und sonst mehrfach nachzuweisen. Ein 
schönes Marmorbild dieser Art (Sculptures de St. P£tersbourg no. 345) für eleusinisch zu 
halten, ist jedoch kein entscheidender Grund vorhanden. Im Übrigen brauchen diese Fackel- 
trägerinnen nicht blofs mit erhobener Fackel gedacht zu werden, indem die Erhebung der 
einen, die Senkung der andern der Idee des Unterweltsdienstes wohl entsprechend und selbst 
in Gestalten der Persephone (Anm. 181 a) vorgebildet war. Eine Daduchin mit Senkung 
beider Fackeln würde nach dem Kultusbrauch des Grubenopfers (Anm. 35) nicht minder ver- 
ständlich sein; die so gebildete Nebenfigur des mehrgedachten Taurobolienaltars, welche Jahn 
für Persephone hält (Anm. 196 c), ist jedenfalls hier zu erwähnen. 

(37) Opferzüge zur eleusinischen Göttin sind auf mehreren Votiyreliefs uns erhalten, 
namentlich in Form einer von Frauen geübten Adoration mit Darbringung eines Opfer- 
schweins, wie solche im Relief Pourtales (148) und in einem Relief zu Oxford (Chandler M. 
Oxon. I, 117) uns vorgeführt wird, wo Kinder das Schwein vorwärts treiben. Ähnliche 
Opfer scheinen mehr der Privatandacht anzugehören. Darstellungen des öffentlichen Rituals, 
das zu Athen vor dem Iacchoszug durch Rindsopfer, zu Eleusis durch dreierlei Opferthiere 
begangen ward (unten Anm. 378 d. M. Heort. S. 236), sind uns nicht vorgekommen. 

(#8) Der Iacchoszug von Athen nach Eleusis am 20. Boedromion bildet den Mittel- 
punkt der halb zu Athen, halb zu Eleusis gefeierten grolsen Eleusinien, über deren Feier 
A. Mommsen (Heortologie S. 243 ff. 268) jetzt vorzugsweise nachzulesen ist. Zu Athen 
gingen Opfer und Reinigungen voran, um nach erfolgtem Jacchoszug die Mysterien zu 
Eleusis durch Anschauung und Einweihung, Agonen und Opfer zu feiern. Wie der Iacchos 
des Festzugs anschaulich gemacht worden sei, kam bereits oben Anm. 213 in Rede. Beamte 
zu seiner Begleitung bestimmt werden bei Pollux I, 35 im Iacchagogos, in einem oder einer 
Kurotrophos (Wärter oder Wärterin) und in einem noch minder verständlichen d«eızir7s (M. 
Heort. S.236) uns genannt. Sicherer sind wir mannigfach sonst über den Hergang des 
Zugs (ebd. 253 ff.) unterrichtet. — Die nächtlichen Tänze am Brunnen Kallichoros, welche 
man bald nach erfolgter Ankunft des Iacchoszuges sich denkt, ist man versucht im Festzug 
dreier von Zoega für Horen oder Tänzerinnen erklärten Frauen zu erkennen, die auf einer 
Ara der Villa Albanı (196 2) den mit Dionysos-Iacchos vereinigten Göttinnen zuschreiten. 

(369) Das mystische Drama (Ögwueve Ev rererrreiv M. Heort. 265 Anm. 97) schlofs 
in der eleusinischen Festordnung als nächtliche Feier dem Fackelzug des Iacchos sich an und 
füllte vermuthlich mehrere Tage nach dem 20. Boedromion, in Abschnitten wie sie durch den 
Zudrang des Volks und die Sonderung der Mysten von den Epopten bedingt waren. Die 
Hauptmomente dieses Drama, dessen Grundzüge der homerische Hymnus uns vorführt, sind 
aller Wahrscheinlichkeit nach in den Reliefs uns erhalten, in denen uns Blumenlese Raub und 
Verfolgung der plutonischen Braut so lebendig als häufig vorgeführt wird. Im Wechselbezug 
dazu stand die Sitte des auf vergebliches Suchen der Kora bezüglichen Fackellaufs, der vermuth- 
lich am 21. Boedromion stattfand (M. Heort. 260). Nächstdem konnte auch die durch Zeus 
hergestellte Einigung samt der Ausrüstung des Triptolemos nicht ausbleiben und den Epopten 
ein Hinblick auf die zukünftige Seligkeit nicht vorenthalten werden. Noch andre Momente 
jenes mythischen Festpomps in unsern Bildwerken aufspüren zu wollen ist milslich und wird 


566 GERHARD 


um so bedenklicher, wenn man mit Lenormant (Mysteres p. 98 s.) nach dem überaus späten 
Zeugnils des Asterius (Enc. mart. p. 193: oUz £zei ro zuraßasıov zu ai aeuver Tod isgodavrov 
weis Tau iegeiaw TUvruyia Movov mgos (vrv;) die höchst unzureichenden Spuren bis zum Bei- 
lager des Pluton und bis zur Verdächtigung der eleusinischen Priesterschaft zu verfolgen 
versucht. Das Verschwinden der Kora in dunklem Hinabgang (ze«r&ßasıv: Stephani p. 49, 2; 
vgl. p- 55) zur Unterwelt mag allerdings in jener Stelle gemeint sein. 

(37°) Die Mysteriensprüche, welche wir aus Clemens (Protr. p.18 vgl.14) kennen, sind, 
wenn sie überhaupt nicht den Thesmophorien sondern der Feier von Eleusis angehören, viel- 
leicht dergestalt auf die einzelnen Bilder der leidenden Demeter zu beziehen, dafs sie denselben 
zu einer von der Versammlung gemeinsam auszusprechenden Losung und Zueignung dienten. 
In ähnlichem Sinn hat Lenormant (p. 88 s.) sie aufgefalst, dessen daran geknüpfte Vermuthun- 
gen jedoch eingehender Prüfungen bedürfen. 

(71) Die Luftfahrt des Triptolemos dachte sich Böttiger und nach ihm auch Welcker 
durch mechanische Vorrichtungen des eleusinischen Festpomps bewerkstelligt. 

(572) Der Raub der Kora unserer Sarkophagreliefs war oben (Anm. 287 d) auf das ver- 
muthliche Vorbild einer Tempelsculptur zurückgeführt. Im Festpomp von Eleusis kann dieser 
Gegenstand sowohl gewaltsam, wie im homerischen Hymnus, als auch in dem hochzeitlichen 
Euphemismus dargestellt worden sein, der aus dem Hope’schen Vasenbild (Anm. 275) uns be- 
kannt ist. Einfacher als in der dortigen Gruppirung des plutonischen Wagens eignete sich 
dazu die Überraschung der Kora beim Blumenlesen, woran Gruppirungen der Einholung und 
Verfolgung sich anschlielsen konnten. Verfolgungsscenen solcher Art sind durch den bedeut- 
sam uns überlieferten Ausdruck der Apodiogmata (Anm. 37) bezeichnet, denen Vasenbilder 
(Prodromus m. K. S. 76. 152) entsprechen, und vielleicht waren es eben diese Scenen auf 
deren Sitte die übertriebene Redensart eines sehr späten Schriftstellers über Liebesumgang 
des Hierophanten und der Priesterin (97. 369) beruht. 

(7) Bilder der Seligkeit, wie Pindar und Polygnot sie kannten und Eleusis sie 
scenisch vor Augen sah (Anm. 98), konnten allerdings den etruskischen Wandmalereien ver- 
wandten Inhalts, die uns Schmäuse und Tänze, umgeben von reizendem und mit Bändern ge- 
schmücktem Baumwuchs, vor Augen führen (Mon. dell’ Inst. I, 32. Micali Storia LXVII, 2), 
zu Grunde liegen. In den Zusammenhang solcher Bilder mochte auch der schlangen- 
umwundene Baum des Hesperidengartens gehören, der in einem Berliner Carneol (Tölken 
III, 238) von sehr roher Kunst wegen der damit verbundenen Figuren, einer sitzenden 
Demeter Kleiduchos und einer leicht auf Kora zu deutenden Spesfigur, immerhin zu beachten 
bleibt. 

(3) Hekatebilder im dreifachen Wechsel werden bei Claudian (R. P. I, 15: Hecate 
ternas variata figuras) zwischen den Erscheinungen des Triptolemos und des zum Dionysos 
gewordenen lacchos genannt. Dafs der Kunstgebrauch der dreifachen Gestalt jenem scenischen 
Wechsel vielleicht erst nachgefolgt ist, wird uns nahe gelegt durch die den Schaft der Hekate- 
bilder dann und wann in Art des Tanzes der Horen priesterlich umkreisenden Gestalten 
mehrerer noch erhaltener Marmorwerke (Anm. 99). F 

(5) Die goldene Ähre des von Hippolyt bezeugten (Anm. 58) eleusinischen Festgebrauchs 
wird verständlicher wenn wir die zwischen der aufsteigenden Kora und dem sie empfangen- 
den Hermes aufgerichtete Ähre eines Gemmenbildes (Beil. €, 63) vergleichen. In ähnlichem 
Sinn wie diese Ausstellung im Festpomp ist in einem Vasenbild (Elite c@ramographique III, 67 


über den Bilderkreis von Eleusis. II. 567 


p- 108) ohne hinlängliche Sicherheit die andächtige Beschauung des Samenkorns als Sitte der 
Thesmophorien vorausgesetzt worden. 

(375) Vorweisung eleusinischer Symbole war Sache des Hierophanten (362) und durch 
den Tempelbrauch so sehr geboten, dals die ÖsizvYjsev« bekanntlich im Gegensatz zu den 
Ögwpev« des mystischen Drama erheischt wurden. Was aber vorgezeigt wurde, ist aus den 
Kunstwerken nicht mit Sicherheit zu ersehen. Die Tempelschlange wird uns als Schreckbild 
der Keleostöchter, nicht aber als ein der Anschauung dargebotenes Symbol vorgeführt; in der 
That ist zu glauben, dafs die Schlangengaukelei der Sabazien den Eleusinien fremd blieb, wie 
auch die als Schlangenbehälter bekannte Cista römischer Sarkophagreliefs im Bilderkreis der 
Triptolemosvasen nicht vorzufinden ist. 

(#7) Wettkämpfe wie wir in den letzten Tagen des eleusinischen Festes sie gefeiert 
(Hermann G. A. 55, 39. M. Heort. $.263) und durch Gerste belohnt wissen, sind in der 
grolsen Triptolemosvase des Louvre von Panofka (Vasi di premio tay. I) erkannt, sonst aber 
nicht leicht in bildlicher Darstellung nachzuweisen. 

(78) Die Opfersitte von Eleusis zeigt uns a) die Priesterin mit Ährenbüschel vor 
einem Altar (w) und lälst 5) auch den Brauch von Libationen für eleusinisch erkennen, wenn 
Demeter ihren Liebling Triptolemos in solcher Weise entläfst (Anm. 234). Vorzugsweise 
bezeugt ist aber c) das Schweinsopfer, das jedem Eingeweihten oblag (Anm. 367), wenn 
auch der Brauch des Grubenopfers (Anm. 35) mehr den Thesmophorien angehört und die 
Schweinsopfer bei Beerdigungen nur aus römischer Sitte (Müller Eleusinien $ 33) bezeugt 
sind. Die @) vollständige Opferpflicht von Eleusis aber lernen wir erst aus der (oben Anm. 80) 
gegebenen Inschrift kennen, welche nächst verschiedenen Opfern für andre Gottheiten ein 
dreifaches Thieropfer (rarrwev Boxayov, etwa von Stier, Bock und Widder; vgl. F.Lenormant 
Recherches p. 71 ss.) für Iacchos und die beiden Göttinnen ([rAovrodorz: Tez]ywı, Ozow) ge- 
bietet. Endlich ist e) hier auch das zum Schlufs des ganzen Festes geleistete Todtenopfer 
der Plemochoe (Hermann G. A. 55, 40. M. Heort. S. 262) zu erwähnen, bestehend in Aus- 
giefsung zwei mit Wasser gefüllter Gefäfse in der Richtung nach Osten und Westen und in 
Begleitung geheiligter Sprüche. 

(#79) Die Einweihungen der Kaiserzeit müssen es begründen, wenn eine und die 
andere Kaiserin als Demeter oder als jüngere Göttin Kora (vgl. issopavris +75 vewrzgus Teod), 
wenn Antinous zum neuen Dionysos oder Iacchos, Germanicus zum Triptolemos und viel- 
leicht noch mancher Knabe vornehmer Geburt zum Iacchos (Anm. 215) verklärt ward. 

(550%) Die Altarweihe zu Eleusis bleibt auch ohne genauere Kenntnils ihrer Sitte uns 
wichtig, wenn wir die dadurch beglückten Individuen beiderlei Geschlechts, kenntlich durch 
das Prädikat &p’ ärries (nämlich aynSzvrss), durch häufige Weihung ihrer Statuen an De- 
meter und Kora vor andern Sterblichen ausgezeichnet finden, und zwar in dem zahlreichen 
Umfang welchen die uns erhaltenen Inschriften dieser Gattung (Böckh C. I. G. 393 ss.), aus 
Eleusis stammend fast ohne Ausnahme (nur no.443 ist aus Athen), bekunden. Die von Böckh 
mit Beseitigung früherer Irrthümer erörterte Bedeutung der von jener Weihe betheiligten 
Altarknaben (no. 393.406) und Altarmädchen (no.443. 444. 445.448) bleibt auch ohne nähere 
Kenntnils des betreffenden Tempelbrauchs in so weit festgestellt, dafs jenen Individuen eine 
vom Altar benannte und etwa auf dessen Stufen erfolgte Weihung zum Vorzug vor der 
Menge gewöhnlicher Mysten gereichte. Ihr Alter betreffend, so ist mit Böckh anzunehmen, 
dals sie den der Weihe vorangehenden Jahren angehörten, welche im Ausdruck der Epheben 


568 GERHARD 


oder des reis dupeSarys bezeichnet zu werden pflegen, womit auf einer jener Inschriften 
(no. 406) das Prädikat «Ül£onevos wohl stimmt. Die Einweihung begann im Knabenalter 
(mais uörrys, dung Emomrns bemerkt Böckh aus Himerius XXII, 71), und die auf Individuen 
dieser Art gehäuften Ehren gingen demnach von deren Eltern, ausnahmsweise von deren 
Vormündern und nur in deren Ermangelung von der Vormundschaft des Staates aus (so in 
no. 444). Dafs für die Ehre des uuySeis &p Erries gute athenische Herkunft erforderlich 
war, wird durch Harpokration und Suidas hezeugt (Böckh I, 445). Eumolpiden und andre 
alte Familien mochten zu der Wahl sich drängen, welche aus der Blüthe athenischer Edel- 
knaben unter der Aufsicht des Staats für Zulassung zur Altarweihe entschied (Lex. rhet. p. 204: 
ab” Eorias unSgvon 6 8% TWv mgozgiruv ’ASyvarıv new Aayav mais Öymorie MurSeis). 
Über die Beziehung der Altarknaben und Altarmädchen zum Tempeldienst fehlt uns jede 
nähere Kunde; nur dafs ihre Würde, vom Glanz des Heiligthums umstrahlt, bis zu einer ge- 
wissen Heiligkeit gesteigert war, läfst aus den von Böckh p. 446 beigebrachten Zeugnissen 
sich entnehmen, in denen der mais &P £rrixs bei Himerius XXIII, 7, 18 ein iegos rais und ein 
Sühnpriester heist, letzterer bei Porphyrius laut den Worten (de abst. IV, 5): "Orsg yag !v 
TOLG WUSTREIOLG ö ah” irrias Asıyolasvog meis dvri mavrwv av WvourEvwW» AmousıllaTercı 70 
Ielov drsıliWs Öguv Ta meorterayuwver. nn. Vgl. übrigens Bötticher im Arch. Anzeiger 
XIX, 194”. 

(31) Grofses Relief aus Eleusis (Mon. dell’ Inst. VII, 45, mit Welckers Text in den 
Annali XXXII p. 451 ss. Vgl. Arch. Anzeiger XIX, 165” ff.). Overbeck, der dies Relief bei 
erster Bekanntmachung desselben (Sächs. Gesellschaft 1860 S. 163 ff.) auf Triptolemos deu- 
tete, gab der männlichen Mittelfigur ein Alter von 18-20 Jahren (ebd. S.163); diese Angabe 
ist zu hoch gegriffen, dagegen bei der weiter unten im Text erwähnten Deutung auf einen 
Altarknaben, deren Richtigkeit Bötticher (Arch. Anzeiger XIX, 194*) zu erweisen sich vor- 
behält, nachzuweisen bleibt, dafs solche Opferknaben bis ins Ephebenalter von 14-15 Jahren 
in Eleusis verweilen konnten. 

(2) Den Tacechos auch ohne dionysische Formen erkennen zu dürfen, ist von der Frage 
abhängig, ob Welcker sowol im Schools der Kurotrophos am Fries des Erechtheion, als auch 
in Gruppirungen mit den beiden Göttinnen am westlichen Friese des Parthenon ihn, wie es 
doch allen Anschein hat, richtig erkannt habe. 


Die rückständigen Beilagen und Abbildungen werden im dritten Theil dieser Abhandlung bald nachfolgen. 


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