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Full text of "Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften in Berlin"

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Abhandlungen 


der 


Königlichen 
Akademie der Wissenschaften 


zu Berlin. 


1564. 


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Abhandlungen. 


der 


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Königlichen Brtudd 


Akademie der Wissenschaften 


zu Berlin. 


Aus dem Jahre 


1564. 


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Berlin. 
Gedruckt in der Druckerei der Königlichen Akademie 


der Wissenschaften, 


1865. 


In Commission bei P, Dümmler’s Verlags - Buchhandlung. 
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Harrwitz und Gossmann, 


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Verzeichnils der Mitglieder und Correspondenten . » 2 2 2 2 2 2 0... = X 


Physikalische Abhandlungen. 
Reıcnenr: Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke des Menschen und 
’ derlSäugethiere. (Mit onlafeln)h. use. er Seite v1 
Gen über eine Kohlenkalk-Fauna von Timor. (Mit 3 Tafeln) . . . . - 61 


Philologische und historische Abhandlungen. 


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"KIRCHHOFF Bemerkungen zu den Urkunden der Schatzmeister ‚‚der anderen 


Götter” (ranımı rwv au Sem) 2 2 2 2 2 ne. - 1 
V MommsEn: Festi codicis quaternio decimus sextus . © - » 2 2 0 2 .. - 97 
VHoMEYER: Der DreilsipsteVt.yereue cn 7 Ha NERLIERE Ce EN Hl LE 7 
Weser: Die Räma-Täpaniya-Upanishad. . . IE EEE EN: SZ 
VGernAarD über den Bilderkreis von Eleusis. IH. (Mit 3 Tafeln) . . . . . - 375 
“W. Scuorr über die ächten Kür sen a - 429 


V OLSHAUSEN: Prüfung des Charakters der in den assyrischen Keilinschriften ent- 


haltenen semitischen Sprache  . . . 2... nn 04 


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Jahr 186Hh. 


Ar 28. Januar beging die Akademie der Wissenschaften den Jahres- 
tag des Königs Friederichs des Zweiten durch eine öffentliche 
Sitzung, in welcher der an diesem "Tage vorsitzende Sekretar Herr 
Haupt über die Beziehungen Friederichs des Grolsen zur Entwick- 
lung der deutschen Litteratur einen Vortrag hielt. Nachdem hierauf 
derselbe Sekretar nach der Vorschrift der Statuten eine Übersicht 
über die letztjährige Geschichte der Akademie in Betreff der in ihren 
Mitgliedern Statt gehabten Veränderungen gegeben hatte, verkündete er 
die Verleihung des von Sr. Majestät dem Könige Friederich Wilhelm IV 
gestifieten grolsen Preises für Werke der deutschen Geschichte. 
Nach den Bestimmungen des Patentes vom 18. Juni 1844 und 
einer von des jetzt regierenden Königs Majestät am 22. December 1862 
erlassenen Ordre bildet der Minister der geistlichen, Unterrichts- und Me- 
dicinal-Angelegenheiten für die jedesmalige Preisertheilung aus ordent- 
lichen Mitgliedern oder Ehrenmitgliedern der Akademie der Wissen- 
schaften und aus ordentlichen oder aulserordentlichen Professoren 
von den sämmtlichen preufsischen Landesuniversitäten eine Com- 
mission von neun Mitgliedern, welche nach Stimmenmehrheit be- 
schlielst. Ihr Beschlufs wird Sr. Majestät dem Könige zu Allerhöchster 
Bestätigung vorgelegt. Die öffentliche Ertheilung des Preises erfolgt 
in der zur Feier des Jahrestages Friederichs des Grolsen stattfindenden 


101 


öffentlichen Sitzung der Akademie der Wissenschaften. Diesen An- 
ordnungen gemäls verkündete der vorsitzende Sekretar, dals Se. Ma- 
jestät der König geruht haben dem ordentlichen Professor der Ge- 
schichte an der Universität zu Heidelberg Dr. Ludwig Häusser für 
seine Deutsche Geschichte seit dem Tode Friederichs des Grolsen, 
die in zweiter und dritter Ausgabe vermehrt und umgestaltet seit 
der letzten Preisertheilung erschienen ist, den im allerhöchsten Pa- 
tente vom 18. Juni 1844 bestimmten Preis von Eintausend Thalern 
Gold nebst einer goldenen Denkmünze auf den Vertrag von Verdun 
zu ertheilen. 

Hierauf gab Herr Trendelenburg die jährliche Nachricht 
über den Stand der Humboldtstiftung und berichtete über den von 
ihr entsandten Reisenden Dr. Reinhold Hensel. Diese Darlegung ist 
in die Monatsberichte der Akademie aufgenommen. 

Die Sitzung wurde von Herrn Pertz mit einem Vortrage über 
das Jugendleben des Feldmarschalls Neidhart von Gneisenau be- 
schlossen. 

Am 21. März hielt die Akademie der Wissenschaften eine öf- 
fentliche Sitzung als Vorfeier des Geburtstages Sr. Majestät des Kö- 
nigs. Der an diesem Tage vorsitzende Sekretar, Herr Ehrenberg, 
eröffnete die Sitzung mit einleitenden auf die Feier bezüglichen 
Worten und erstattete Bericht über die mannichfachen Arbeiten der 
Akademie im vorigen Jahre. Hieran knüpfte er eine wissenschaft- 
liche Mittheilung über eine neue Erweiterung der Kenntnils des das 
kaspische Meer charakterisirenden reichen Lebens, worüber das Nähere 
in den Monatsberichten der Akademie. 

Herr Beyrich schlols die Sitzung mit dem Vortrag einer Ab- 
handlung über eine Kohlenkalk-Fauna von Timor. 

Am 7. Juli wurde die öffentliche Sitzung zur Feier des Leib- 


nizischen Jahrestages gehalten. Der an diesem Tage vorsitzende 


III 


Sekretar Herr Trendelenburg leitete die Sitzung mit einem Vor- 
trage über Anregungen ein, welche Leibniz am Hofe zu Berlin für 
praktische Zwecke gegeben und theilte einen ihm aus dem König- 
lichen Geheimen Staatsarchiv verstatteten, von Leibnizens Hand ge- 
schriebenen Aufsatz über die Verbesserung des Justizwesens mit, 
welcher wahrscheinlich für den ersten König bestimmt war. Der 
Vortrag ist in den Monatsberichten der Akademie abgedruckt. 

Demnächst hielten Herr Müllenhoff und Herr Rödiger als 
neu eingetretene Mitglieder der philosophisch -historischen Klasse An- 
trittsreden, welche Herr Trendelenburg mit einer Begrülsung im 
Namen der Akademie erwiederte. Die Monatsberichte der Akademie 
enthalten diese Reden. 

Hierauf erstattete Herr Kummer folgenden Bericht über die 
Preisfragen. 

Die physikalisch-mathematische Klasse der Akademie hatte im 
Jahre 1861 eine Preisaufgabe aus dem Ellerschen Legate gestellt, 
welche also lautete: 

Die Akademie verlangt eine Reihe experimenteller Untersuchun- 
gen, durch welche der Ursprung der unter verschiedenen Formen 
auftretenden Luftekletricität befriedigend nachgewiesen werde. Na- 
mentlich wünscht sie dadurch festgestellt zu sehen, ob die perio- 
dischen Spannungserscheinungen, welche auch bei heiterem Himmel 
beobachtet werden, und die wechselnden Spannungen, so wie die Ent- 
ladungen, welche bei den verschiedenen Formen der Gewitterbildung 
vorkommen, gleicher oder ungleicher Entstehung sind, und im er- 
steren Falle, in welchem Zusammenhange beide Erscheinungen mit 
einander stehen. Sollten die Versuche ergeben, dafs beide Klassen 
von Erscheinungen verschiedenen Ursprungs sind, so würde die Aka- 
demie sich schon befriedigt fühlen, wenn sie auch nur für eine der- 


selben eine genügende Erklärung aufgestellt sähe. 


IV 


Auf diese Preisfrage ist eine Bewerbungsschrift in französischer 
Sprache rechtzeitig eingegangen mit dem Motto: Les verites les plus 
simples sont toujours celles que Ühomme apprend & connaitre les der- 
nieres. Bei der Prüfung dieser Schrift hat sich jedoch ergeben, dafs 
sie mit Ausnahme der Einleitung nur die wörtliche Übersetzung eines 
italienischen Aufsatzes ist, welcher von Herrn Palmieri in der Kö- 
niglichen Gesellschaft zu Neapel am 24. Juli 1862 gelesen, und in 
den Berichten dieser Gesellschaft gedruckt worden ist. Diese Schrift 
kann darum den Preis nicht erhalten, und weil die Akademie über 
bereits gedruckte Arbeiten überhaupt niemals ein Urtheil abgiebt, so 
kann auch auf eine Beurtheilung ihres wissenschaftlichen Werthes 
nicht eingegangen werden. 

Nach Vorschrift der Statuten wird der versiegelte Zettel mit 
dem Namen des Verfassers uneröffnet verbrannt. 

Die physikalisch-mathematische Klasse stellt in diesem Jahre 
folgende mathematische Preisfrage aus akademischen Mitteln: 

Die Theorie der elliptischen und Abel'schen Functionen, welche 
schon jetzt fast in allen Theilen der Mathematik die Lösung von 
Aufgaben möglich gemacht hat, für welche die früher der Analysis 
zu Gebote stehenden Hülfsmittel nicht ausreichten, ist ohne Zweifel 
noch zahlreicher weiterer Anwendungen fähig; und es stellt daher 
die Akademie folgende Preisfrage: 

„Es soll irgend ein bedeutendes Problem, dessen Gegenstand der 
„Algebra, Zahlen- Theorie, Integral-Rechnung, Geometrie, Mechanik 
„und mathematischen Physik angehören kann, mit Hülfe der ellip- 
„tischen oder der Abel'schen Transcendenten vollständig gelöst 
„werden. 

Die ausschlielsende Frist für die Einsendung der dieser Auf- 
gabe gewidmeten Schriften, welche nach der Wahl der Bewerber in 


deutscher, lateinischer oder französischer Sprache abgefalst sein kön- 


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nen, ist der 1. März 1867. Jede Bewerbungsschrift ist mit einem 
Motto zu versehen und dieses auf dem Äulsern des versiegelten Zet- 
tels, welcher den Namen des Verfassers enthält, zu wiederholen. 

Die Ertheilung des Preises von 100 Ducaten geschieht in der 
öffentlichen Sitzung am Leibnizischen Jahrestage im Monat Juli des 
Jahres 1867. 

Unser am 4. April vorigen Jahres verstorbener College Steiner 
hat der Akademie ein Legat von 8000 Rthlrn. vermacht mit der Be- 
dingung den Reinertrag der Zinsen alle zwei Jahre zu Preisen zu 
verwenden, für von ihr gestellte Aufgaben in dem Bereiche der 
synthetischen Geometrie, hauptsächlich mit Berücksichtigung der von 
ihm aufgestellten Methoden und Principien. ‚Dieses Legat hat durch 
allerhöchste Cabinets-Ordre vom 1. Juni 1863 die landesherrliche 
Genehmigung erhalten, und die Akademie ist zugleich ermächtigt 
worden, diejenigen Summen, welche in Folge nicht bewirkter Lösung 
der den Stiftungsbestimmungen gemäls gestellten Aufgaben zurück- 
fallen, zu Preisen für verwandte Arbeiten in der Geometrie über- 
haupt zu verwenden. Nachdem nun das Capital dieser Stiftung 
erhoben und zinsbar angelegt worden ist, stellt die physikalisch- 
mathematische Klasse der Akademie heut zum ersten Male eine Preis- 
frage aus dem Steinerschen Legate, welche also lautet: 

In einer in den Monatsberichten der Akademie vom Januar 
1856, sowie in dem 53. Bande des Crelle’schen Journals veröffent- 
lichten Abhandlung hat Steiner eine Reihe von Fundamenial-Eigen- 
schaften der Flächen dritten Grades mitgetheilt, und dadurch den 
Grund zu einer rein geometrischen Theorie derselben gelegt. Die 
Akademie wünscht, dafs diese ausgezeichnete Arbeit des grofsen 
Geometers nach synthetischer Methode weiter ausgeführt und in 
einigen wesentlichen Punkten vervollständigt werde. Dazu würde es 


zunächst nothwendig sein, die grölstentheils nur angedeuteten oder 
b2 


VI 


ganz fehlenden Beweise der aufgestellten Hauptsätze zu geben; dann 
aber mülste die Untersuchung auch auf die von Steiner nicht be- 
rücksichtigten Fälle, in denen die zur geometrischen Construction der 
in Rede stehenden Flächen dienenden Elemente zum Theil imaginär 
sind, ausgedehnt werden. Aulserdem ist eine genaue Charakterisirung 
der verschiedenen Gattungen von Raumcurven, in welchen zwei solche 
Flächen sich schneiden können, zwar nicht unumgänglich erforder- 
lich, würde aber von der Akademie als eine wichtige Ergänzung der 
Steiner’schen Theorie betrachtet werden. 

Die ausschlielsende Frist für die Einsendung der dieser Auf- 
gabe gewidmeten Schriften, welche nach der Wahl der Bewerber 
in deutscher, lateinischer oder französischer Sprache abgefalst sein 
können, ist der 1. März 1866. Jede Bewerbungsschrift ist mit einem 
Motto zu versehen und dieses auf dem Äufsern des versiegelten 
Zeitels, welcher den Namen des Verfassers enthält, zu wiederholen. 
Die Ertheilung des Preises von 600 Thalern geschieht in der öf- 
fentlichen Sitzung am Leibnizischen Jahrestage im Monat Juli des 
Jahres 1866. 

Nach diesem Vortrage schlols Herr Haupt die Sitzung mit 


einer Gedächtnilsrede auf Jacob Grimm. 


Zu wissenschaftlichen Zwecken hat die Akademie der Wissen- 
schaften im Jahre 1864 folgende Summen bewilligt: 
150 Rithlr. zu archäologischen Nachgrabungen bei Palestrina. 
30  ,„ an Herrn Dr. Nissen in Rom zur Unterstützung 
seiner Vorarbeiten zu einer Chorographie von Mittel- 
italien. 


400 ,„ an Herrn Poggendorff zur Beschaffung zweier 


500 Rithlr. 


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grölserer Inductionsapparate zum Zweck der Unter- 
suchung der Wärmewirkung des Inductionsfunkens. 
an Herrn Dr. Roth in Berlin zu geologischen Unter- 
suchungen in der Eifel und für die Redaction der 
von Herrn Mitscherlich hinterlassenen Arbeiten über 
deren Vulkane. 

zum Ankauf eines weiblichen Exemplars des Aye- Aye 
(Chiromys) aus Madagaskar, zum Zweck der wissen- 
schaftlichen Untersuchungen des Herrn Peters. 

an Herrn Ruppel zweite Rate für die Ausführung der 
Correktionen der Bessel’schen Zonenberechnungen. 
Subscription für 20 Exemplare des 10-12. Heftes des 3. 
und 4. Bandes von Gerhard's Etruskischen Spiegeln. 
für Revision des Manuscripts der Jacobi’schen Vor- 
lesungen über elliptische Functionen. 

für Bearbeitung eines Theils des Index verborum zum 


2. Bande des Corpus Inseriptionum Graecarum. 


Personalveränderungen im Jahre 1861. 


Erwählt wurden: 


Die Herren Müllenhoff und Rödiger zu ordentlichen Mitglie- 


dern der philosophisch -historischen Klasse, bestätigt durch 
Königl. Kabinetsordres vom 3. Februar und 7. Mai 1864. 


Herr Philipp von Martius in München, bisher correspondirendes 


Mitglied, zum auswärtigen Mitgliede der physikalisch-maihe- 


matischen Klasse, bestätigt durch Königl. Kabinetsordre vom 
11. Juli 1864. 


VIII 


Zu correspondirenden Mitgliedern der physikalisch -mathema- 


tischen Klasse: 
Herr Karl Ludwig in Wien am 27. October 1864. 


„ 


Eduard Weber in Leipzig, am 27. October 1864. 
Zu correspondirenden Mitgliedern der philosophisch -histori- 


rischen Klasse: 
Herr Theodor Aufrecht in Edinburgh, 


Bernhard Dorn in Petersburg, 
Willem Jonckbloet in Groningen, 
Karl Keil in Pforta, 

Hermann Lotze in Göttingen, 
Eugene de Roziere in Paris, 
Eduard Zeller in Heidelberg, 
sämmtlich am 11. Februar 1564. 


Gestorben sind: 


Herr Heinrich Rose, ordentliches Mitglied der physikalisch -mathe- 


matischen Klasse, am 27. Januar 1864. 

Karl Hase in Paris, auswärtiges Mitglied der philosophisch- 
historischen Klasse, am 21. März 1864. 

Karl Claus in Dorpat, correspondirendes Mitglied der physi- 
kalisch-mathematischen Klasse, am 24. März 1864. 

Giovanni Plana in Turin, correspondirendes Mitglied der 
physikalisch-mathematischen Klasse, am 20. Januar 1864. 
Friedrich Georg Wilhelm Struve in Petersburg, cor- 
respondirendes Mitglied der physikalisch-mathematischen Klasse, 
am 23. November 1864. 

Ludolph Christian Treviranus in Bonn, correspondirendes 


Mitglied der physikalisch-mathematischen Klasse, am 6. Mai 1564. 


IX 


Herr Rudolph Wagner in Göttingen, correspondirendes Mitglied 
der physikalisch-mathematischen Klasse, am 13. Mai 1864. 
„ Karl Christian Rafn in Kopenhagen, correspondirendes Mit- 
glied der philosophisch-historischen Klasse, am 20. October 1864. 
» Wuk Stephanowitsch Karadschitsch in Wien, correspon- 
direndes Mitglied der philosophisch-historischen Klasse, am 
7. Februar 1864. 
Ausgeschieden ist 
Herr Natan Pringsheim, ordentliches Mitglied der physikalisch- 
mathematischen Klasse, durch seine Berufung auf den Lehr- 


stuhl der Botanik in Jena, am 1. Juli 1864, 


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Verzeichnifs 


der Mitglieder der Akademie der Wissenschaften 


am Schlusse des Jahres 1864. 


I. Beständige Sekretare. 


Herr Ehrenberg, Sekr. der phys.-math. Klasse. 


11. 


Trendelenburg, Sekr. der philos.-hist. Klasse. 
Haupt, Sekr. der philos.-hist. Klasse. 
Kummer, Sekr. der phys.-math. Klasse. 


Ordentliche Mitglieder 


der physikalisch- mathematischen der philosophisch-historischen Datum d. Königl. 


Klasse. Klasse. Bestätigung. 

Jh men 
Herr Böckh, Veteran 1814 Mai 14. 
-  Bekker, Netern . 1815 Mai 3. 


Herr Eneke, Veteran 
- Ehrenberg . 


Bopp , Veteran 


Meineke Veteran 
Ranker 2» 


1822 April 18. 
1825 Juni 21. 
1827 Juni 18. 
1830 Juni 11. 
1832 Febr. 13. 


- GG. Rose SIOEE 06 0 ee; Aeraär 1834 Juli 16. 
- Gerhard . 1835 März 12. 
EL Olferse nn. Dee enter oe ee 1837 Jan. 4. 
- Dove . A oc 1837 Jan. 4. 
Sy KBaesenderff Wa Nele 1839 Febr. 4. 
- Magnus . Le. 1540 Jan. 27. 
- Schott . 1541 März 9. 
- Dirksen . 1841 März 9. 


- Hagen 


. 


1842 Juni 28. 


der physikalisch -mathematischen der philosophisch -historischen 
Klasse. Klasse. 
Hemer ref en ee te a Anal inne. ne 


Datum d. Königl. 
Bestätigung. 
— —— 
1842 Juni 28. 


Herr Periz . . - 


1843 Jan. 23. 


-  Trendelenburg . . 1846 März 11. 
—hbepsius! . 1850 Mai 18. 
BE Homeyeria. . 1850 Mai 18. 
- Petermann . . 1850 Mai 18. 
- du Bois-Reymond . re £ 1851 März 5. 
SE Peters age: a E ERBNO . 1851 März 5. 
- Pinder . 1851 Mai 24. 


Buschmann . 


1851 Mai 24. 


- Riedel . ; . 1851 Mai 24. 
DER BraUnDS 2 nee RR ae . 1851 Juli 16. 
- Haupt. 1853 Juli 25. 


SO UBEyIIChEN N eve, 


SeEwadnn. a: 
- Rammelsberg . 
- Kummer .. 

-  Borchardt 

- MWeierstraß .. 


ZWrReicherll.iın sa. 


Kiepert . 


1853 Juli 25. 
1853 Aug. 15. 
1853 Aug. 15. 
1855 Aug. 15. 
1855 Dec. 10. 
1855 Dec. 10. 
1856 Nov. 19. 


nurdieberz... % 1857 Aug. 24. 
- Parthey . . . . . 1857 Aug. 24. 
- Mommsen .. . 1858 April 27. 


Olshausen . 


1859 April 4. 
1860 März 7. 


SESERUGOTSfE re 1860 März 7. 

=eKirchlioff 2. = 1860 März 7. 

-  Kronecker 1861 Jan. 23. 
- Hanssen 1862 März 3. 

-  Müllenhoff 1864 Fehr. 3. 

-  Rödiger 1864 Mai 27. 


Il. Auswärtige Mitglieder 
Er S h { s ® \ Datum d. Königl. 
der physikalisch - mathematischen Klasse. der philosophisch -historischen Klasse. Bestäti 
estätigung. 


nn \\_ eo nn nn 
Herr Heinrich Ritter in Göttingen 1832 Febr. 13. 


- Victor Cousin in Paris . . 1832 Mai 7. 
Sir John Herschel in Hawkhurst 


infder, Grafschafte Kent a ee a. 1839) Hlebr.yA. 
- Francois Guizot in Paris . 1840 Dec. 14. 
Herr Michael Faraday in London. . . ». . 2... 00.0.0... 1842 Juni 28. 
- Friedrich Gottlieb Welcker 
In Bonn 218467Märzöll. 
Sir David Brewster in St. Andrews...» » 2.22.2002... 0.1846 März 1. 
- Henry Rawlinson in London 1850 Mai 18. 
Herr J.Freiherr o. ZiebiginMünchen. .. . . . 2.2.2.2... 1855 Aug. 15. 
-.D. Wrohlerin Göttingen By. ir were. 2 erelemekenu 22805 Augsld. 
- FranzNeumanninKönigsberg . . » » » 2 22 2.0 2.2.0...1858 Aug. 18. 
- HErnscHeinnichFlebermleipziie. ...,. - - >. eu. 1S50FAUE.ID. 


- Karl Ernst v. Baer in St. 

Petersburg 27 .,0:, 2 rear 1 EI ae su se a Vase ER BBHNNEARZIUN: 
- Robert Wilhelm Bunsen in 

Heidelberg REN er ar . 1862 März 3. 
-  E. Curtius in Göttingen . 1862 März 3. 
- _F. Miklosich in Wien . . 1862 März 24. 
- Christian Aug. Brandis in 

Bonn? RE B62ENM ar ZT. 
- Johann Martin Lappenberg 

in Hamburg . . . . . 1862 Mai 21. 
- Wilhelm’ Weber in Göttingen - . sea... 0... 1868 Julian. 
= Wetor-Resnaulziin Paris on 2.0 2 euch a. ee »01803: Julsanze 
- Karl Friedrich Philipp 

© MarkusamsNlünchens er scirdulul: 


XI 


IV. Ehren-Mitglieder. 


Datum d. Königl. 


Die Herren: Bestätigung. 


m nme 
Freiherr Anton von Prokesch-Osten in Konstantinopel 1839 März 14. 
Herzog Honore de Luynes in Paris . . . . . . . 1840 Dec. 14. 
Peter Merian in Basel . . .. . . areas 1845, März; 8. 
Davoud- Pascha Garabed Artin zu Deir el na im 
Libanon . . . Ä A ee 18drl ul, 
Prinz Maximilian zu Wied- Ke a at 41803 Aus 15: 
Peter von T'schichatschef in St. RABBIT ee 0\0,1,1853, Aug, 22. 
Johannes Schulze in Berlin . . . . .. 1854 Juli 22. 
Graf Rudolph von Sullfried - artonitz in Berlin .. . 1854 Juli 22. 
Edward Sabine in London . . . ......... 1855 Aug. 15. 
William Hooker nKew.. .... , .. . 1855 Aug. 15. 
Fürst Friedrich von Salm-Horstmar in Coesfeld . . 1856 März 19. 
Räja Addhäkänta Deva in Calcutta. . . 2... 1858 April 27. 
Freiherr Helmuth v. Moltke in Berlin . . . . . . 1860 Juni 2. 
Don Baldassare Boncompagni in Rom . . . . . . 1862 Juli 21. 
August von Bethmann-Hollweg in Berlin . . . . . 1862 Juli 21. 
Natan. Pringsheim in Jena . ....2 .....00.000... 1864 Juli 1. 


c2 


XIV 


V. Gorrespondirende Mitglieder. 


Physikalisch-mathematische Klasse. 
Datum der Wahl. 


— 
Herr Hermann Abich in St. Petersburg . . . . . 1858 Oct. 14. 
- ‚Zouis Agassiz in Boston ... . . .°. ... . 1834 März 24. 
- George diry in Greenwich .. 1834 Juni 5. 
- Friedrich Wilhelm August reelanderi in Bonn 1836 März 24. 
- Antoine Cesar Becquerel in Paris .. . . . . 1835 Febr. 19. 
- P.J. van Beneden in Löwen . ..... . 1855 Juli 26. 
- ‚George Bentham n Kew . ......... 1855 Juli 26. 
- Claude Bernard in Paris. . . . . 2 2.2... 1860 März 29. 
- Theodor Bischoff in München. . . . . . . . 1854 April 27. 
- Jean Baptiste Boussignault in Paris . . . . . 1856 April 24. 
- Johann Friedrich Brandt in St. Petersburg . . 1839 Dec. 19. 
- Adolphe Brongniart in Paris .. .... . .. 1835Mai”. 
Ernst Brücke"m Wien... „en „1854 Apral'27. 
- Karl Gustav Carus in Dresden . .... .. .. 1827 Dec. 13, 
- Michel‘ Chasles in Paris. . .. ... .. % 2° 1858’ Juli 22. 
- Michel Eugene Chevreul in Paris ..... . 1834 Juni. 
- James Dana in New Haven, N. Amerika . . . 1855 Juli 26. 
- Charles Darwin in London . . . . . 2.2... 1863 Febr. 26. 
- Ernst Heinrich Karl v. Dechen in Bonn . . . 1842 Febr. 3. 
- Jean Marie Constant Duhamel in Paris . . . 1847 April 15, 
- Jean Baptiste Dumas in Paris . . . .. . . 1834 Juni. 
- Jean Baptiste Elie de Beaumont in Paris . . . 1827 Dec. 13. 
- Gustav Theodor Fechner in Leipzig. . . . . . 1841 März 25. 
- Louis Hippolyte Fizeau in Paris . . . . . . 1863 Aug. 6. 
- NWincenzo Flauti in Neapel. . . . . .. .... 1829 Dec. 10. 
- : Elias Fries in Upsala . . . . a eeelainnsi; 
- Heinrich Robert Göppert in Breslau Se rr183glundG: 
- Thomas Graham in London . . . ....... 1835 Febr. 19. 
- 4sa Gray in Cambridge, N. Amerika . . . . . 1855 Juli 26. 
- Wilhelm Haidinger in Win ....... . 1842 April 7. 
Sir William Hamilton in Dublin . . . -... .. 1839 Juni 6. 
Herr Peter Andreas Hansen in Gotha . . . . . . 1832 Jan. 19, 
- Christopher Hansteen in Christinia . . . . . 1827 Dec. 13. 
- Heinrich Eduard Heine in Halle . . . . . . 1863 Juli 16. 


- Hermann Helmholtz in Heidelberg . . . . . . 1857 Jan. 15. 


x 


Herr Charles Hermite in Paris 


Si 


- 


K 


Otto Hesse in Heidelberg 

August Wilhelm Hofmann in Tondon 
Joseph Dalton Hooker in Kew 
Joseph Hyrtl in Wien i 
Moritz Jacobi in St. Petersburg . 
Ludwig Friedrich Kämtz in Dorpat 


Gustav Robert Kirchhoff in Heidelberg. 


Gabriel Lame in Paris 

Emil Lenz in St. Petersburg . 

Urbain Joseph Le Verrier in Paris 

Graf Guiglielmo Libri in London . 

John Lindley in London 

Joseph Liouville in Paris 

Karl Ludwig n Wien . .. . 
Charles Lyell in London . 


Herr Villiam Miller in Cambridge 


Sir 


Henri Milne Edwards in Paris . 

August Ferdinand Möbius in Leipzig 

Hugo v. Mohl in Tübingen 

Arthur Jules Morin in Paris . 

Ludwig Moser in Königsberg 

J. G. Mulder in Utrecht : 
Roderick Impey Murchison in London 


Herr Karl Friedrich Naumann in Leipzig 


Richard Owen in London . 
Francois Marie de Pambour in Paris 
Theophile Jules Pelouze in Paris 
Jean Victor Poncelet in Paris 
George de Pontecoulant in Paris 
Johann Evangelista Purkinje in Prag 


Lambert Adolphe Jacques Quetelet in Brüssel . 


Friedrich Julius Richelot in Königsberg 
Bernhard Riemann in Göttingen 
Auguste de la Rive in Genf 

Georg Rosenhain in Königsberg 

Henri Sainte-Claire-Deville in Paris . 
Michael Sars in Christiania 


Datum der Wahl. 
m en, 
1859 Aug. 11. 


1859 Juli 21. 
1853 Juli 28. 
1854 Juni 1. 
1857 Jan. 15. 
1559 April 7. 
1841 März 25. 
1861 Oct. 24. 
1838 Dec. 20. 
1853 Febr. 24. 
1846 Dec. 17. 
1832 Jan. 19. 
1834 Febr. 13. 
1839 Dec. 19. 
1864 Oct. 27. 
1855 Juli 26. 
1860 Mai 10. 
1847 April 15. 
1829 Dec. 10. 
1847 April 15. 
1839 Juni 6. 
1843 Febr. 16. 
1845 Jan. 23. 
1847 April 15. 
1846 März 19. 
1836 März 24. 
1539 Juni 6. 
1851 Febr. 6. 
1832 Jan. 19. 
1832 Jan. 19. 
1832 Jan. 19. 
1832 Jan. 19. 
1842 Dec. 8. 
1859 Aug. 11. 
1835 Febr. 19. 
1859 Aug. 11. 
1363 Nov. 19. 
1855 Juli 26. 


Dietrich Franz Leonhard v. Sehlsehsehdäli in N Halle 1834 Febr. 13. 


XV 


xVI 


Herr 


Christian Friedrich Schönbein in Basel 
Theodor Schwann in Lüttich . ? 
Philipp Ludwig Seidel in München . ; 
Karl Theodor Ernst v. Siebold in München . 
Japetus Steenstrup in Kopenhagen 

Georg Gabriel Stokes in Cambridge . 
Bernhard Studer in Bern 

Karl Sundevall in Stockholm 

Franz Unger in Wien. 

Auguste Valeneiennes in Paris 

Edouard de Verneuil in Paris 

Eduard Weber in Leipzig . 

Charles Wheatstone in London 

Adolph Würtz in Paris. 


Philosophisch-historische Klasse. 


Theodor Aufrecht in Edinbureh . . . 
George Bancroft in New York . 
Heinrich Barth in Berlin 

Theodor Benfey in Göttingen 

Theodor Bergk in Halle . 

Gottfried Bernhardy in Halle 

Ludwig Konrad Bethmann in Wolfenbüttel . 
Samuel Birch in London 

Eduard Boecking in Bonn . 

Otto Boehtlingk in St. Petersburg . 
Guiseppe Canale in Genua 

Celestino Cavedoni in Modena 

Charles Purton Cooper in London . 
Lorenz Diefenbach in Bornheim 
Friedrich Diez in Bonn . 

Vilhelm Dindorf in Leipzig . 
Bernhard Dorn in St. Petersburg... . 
Heinrich Lebrecht Fleischer in Leipzig . 
Karl Immanuel Gerhardt in Eisleben 
Georg Gottfried Gervinus in Heidelberg 
/Vilhelm Giesebrecht in München 
Konrad Gislason in Kopenhagen 


Datum der Wahl. 
u mm 
1856 April 24. 


1854 April 27. 
1863 Juli 16, 
1841 März 25. 
1859 Juli 21. 
1859 April 7. 
1845 Jan. 23. 
1862 Febr. 27. 
1855 Juli 26. 
1836 März 24. 
1858 Oct. 14. 
1864 Oct. 27. 
1851 Mai 8. 
1859 März 10. 


1864 Febr. 11. 
1845 Febr. 27. 
1855 August 9. 
1860 April 26. 
1845 Febr. 27. 
1546 März 19. 
1852 Juni 17. 
1851 April 10. 
1859 Juni 30. 
1855 Mai 10. 
1862 März 13. 
1845 Febr. 27. 
1536 Febr. 18. 
1561 Jan. 31. 
1845 Febr. 27. 
1846 Dec. 17. 
1564 Febr. 11. 
1851 April 10. 
1861 Jan. 31. 
1845 Febr. 27. 
18559 Juni 30. 
1854 März 2. 


Herr Karl Wilhelm Göttling in Jena . 


Si 


r 


Carl Ludwig Grötafend in Hannover 


Aureliano Fernandez Guerra y Orbe in Madrid . 


Wilhelm Henzen in Rom i 
Brör Emil Hildebrand in Stockholm! 
Otto Jahn in Bonn . 5 : 
Willem Jonckbloet in Eroneen : 
Stanislas Julien in Paris. „Ir 
Theodor Georg v. Karajan in Wien . 
Karl Keil in Pforta 

Hermann Koechly in Heidelberg 


Sigismund Wilhelm Koelle in London. 


J. E. Kopp in Luzern 
Christian Lassen in Bonn 
Konrad Leemanns in Leyden 
Karl Lehrs in Königsberg 
Adrien de Longperier in Paris 
Elias Lönnrot in Helsingfors . 
Hermann Lotze in Göttingen 


Joaquim Jose da Costa de Macedo in Liäsäbon 
Johann Nicolas Madvig in Kopenhagen . 


Henri Martin in Rennes 

Georg Ludwig v. Maurer in München 
Giulio Minervini in Neapel. 

Julius Mohl in Paris 

Carlo Morbio in Mailand . 
August Nauck in St. Petersburg 
Karl Friedrich Neumann in Berlin 
Charles Newton in London 

Julius Oppert in Paris 

Franz Palacky in Prag 

Amadeo Peyron in Turin 


Thomas Phillipps in Middlehill . 


Herr August Friedrich Pott in Halle 


Rizo Rangabe in Athen . 

Felix Ravaisson in Paris 

Joseph Toussaint Reinaud in Paris 
Ermest RenanmRans li... 
Leon Renier in Paris . 


Datum der Wahl. 
ne mu 
1844 Mai 9. 


1862 März 13. 
1861 Mai 30. 
1853 Juni 16. 
1845 Febr. 27. 
1551 April 10. 
1564 Febr. ı 
1842 April 14. 
1853 Juni 16. 
1864 Febr. 1 
1861 Jan. 31. 
1855 Mai 10. 
1846 März 19. 
1846 Dec. 17, 
1844 Mai 9. 
1845 Febr. 27. 
1557 Juli 30. 
1850 April 25. 
1864 Febr. 11. 
1838 Febr. 15. 
1836 Juni 23. 
1855 Mai 10. 
1554 Juni 15. 
1852 Juni 17. 
1850 April 25. 
1560 April 26. 
1861 Mai 30. 
1829 Dec. 10. 
1861 Jan. 31. 
1862 März 13. 
1845 Febr. 27. 
1836 Febr. 18. 
1845 Febr. 27. 
1850 April 25. 
1851 April 10. 
1547 Juni 10. 
1350 April 25. 
1859 Juni 30. 
1859 Juni 30. 


XVII 


XVII 


Herr Alfred v. Reumont in Aachen 


Friedrich Wilhelm Ritschl in Bonn 

Georg Rosen in Jerusalem . 

Giovanni Battista de Rossi in Rom 

Rudolph Roth in Tübingen 

Vicomte Emmanuel de Rouge in Paris . 
Joseph Roulez in Gent 

Eugene de Roziere in Paris . 

Hermann Sauppe in Göttingen . züke 
Adolph Friedr. Heinr. Schaumann in Hannover 
Anton Schiefner in St. Petersburg 

Georg Friedrich Schömann in Greifswald . 
Jared Sparks in Cambridge, N. Amerika 
Leonhard Spengel in München 

Friedrich Spiegel in Erlangen 

Aloys Sprenger in Bern 

Christoph Friedrich Stälin in Stuttgart . 
Heinrich v. Sybel in Bonn 

Andreas Uppström in Upsala 

Th. Hersart de la Villemarque in Paris 
Matthias de Fries in Leiden 

Wilhelm Wackernagel in Basel . 

Natalis de Wailly in Paris 

Georg Waitz in Göttingen . i 

Jean Moscnh Marie Antoine de FVitte in erst 
Ferdinand Wolf in Wien. 

Eduard Zeller in Heidelberg . 


Datum der Wahl. 
m mn 
1854 Juni 15. 


1845 Febr. 27. 
1858 März 25. 
1853 Juni 16. 
1861 Jan. 31. 
1854 März 2. 
1855 Mai 10. 
1864 Febr. 11. 
1861 Jan 31. 
1861 Jan. 31. 
1858 März 25. 
1824 Juni 17. 
1845 Febr. 27. 
1842 Dec. 22. 
1862 März 13. 
1858 März 25. 
1846 Dec. 17. 
1859 Juni 30. 
1858 März 25. 
1851 April 10. 
1861 Jan. 31. 
1851 April 10. 
1558 März 25. 
1842 April 14. 
1845 Febr. 27. 
1560 April 26. 
1864 Febr. 11. 


Physikalische 


Abhandlungen 


der 


Königlichen 
Akademie der Wissenschaften 


zu Berlin. 


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Aus dem Jahre 


1864. 


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Berlin. 


Gedruckt in der Druckerei der Königlichen Akademie 
der Wissenschaften. 


1869. 


In Commission in F. Dümmler’s Verlagsbuchhandlung. 
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Harrwitz und Gossmann. 


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REICHERT: Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke des Menschen und 


den Säugethiere., (Mit 3 Tafeln)).... . a. on... seite 
BEYRICH über eine Kohlenkalk-Fauna von Timor. (Mit 3 Tafeln) . . . » - 


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Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke 
des Menschen und der Säugethiere. 


Von 


H” REICHERT. 


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I: 


[Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 16. Juni 1864.] 


Geschichtliche Einleitung. 


D. gegenwärtigen Forschungen über den feineren Bau der Gehörschnecke 
sind in ihrer Richtung durch zwei Arbeiten bestimmt, die bereits im Jahre 
1851 veröffentlicht wurden. Professor E. Reifsner in Dorpat hatte auf 
meine Veranlassung eine Untersuchung des Gehörlabyrinthes der höheren 
Wirbelthiere unternommen und die wichtigsten Ergebnisse in seiner Inaugural- 
Abhandlung „De auris internae formatione”. Dorpati Livonor. 1851. 4. 
niedergelegt. Etwa sechs Wochen später wurden die Anatomen, man darf 
wohl sagen, überrascht durch die wichtige Arbeit des Marquis Alphonse 
Corti über das Gehörorgan der Säugethiere. (Recherches sur Torgane de 
Vouie des mammiferes. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. II. S.109.) Es sind 
vorzugsweise zwei thatsächliche Angaben, welche zum Ausgangspunkt wei- 
terer Untersuchungen des feineren Baues der Schnecke gedient haben. Durch 
Reifsner wurde nachgewiesen, dafs die knöcherne Schnecke auch im ent- 
wickelten Zustande einen selbstständigen häutigen Kanal enthalte, der durch 
seine Wandung und im embryonalen Zustande mittelst seiner Höhle in con- 
tinuirlicher Verbindung mit dem häutigen Vorhof sich befinde, und dafs die 
Treppengänge den perilymphatischen Räumen gleich zu stellen seien. Den 
Cortischen Untersuchungen verdankt die Wissenschaft die erste genauere 
Beschreibung eines zierlichen Apparates an dem häutigen Spiralblatte, wel- 
cher unter dem Namen des Cortischen Organs gegenwärtig besprochen und 
in der Physiologie von Helmholtz zu einem Resonatoren-Apparat ver- 
wendet wird. 
Phys. Kl. 1864. A 


2 Reichert: Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke 


Beide Forscher weisen darauf hin, dafs die bezeichneten wichtigsten 
Ergebnisse ihrer Untersuchungen an Beobachtungen anzuschliefsen seien, die 
schon früher von E. Huschke mitgetheilt waren. Huschke hatte bereits 
in der Isis, Jahrg. 1831, und später im J.1835 (1), endlich auch im J. 1844 (?) 
wiederholt ausgesprochen, dafs das knorpelige Spiralblatt bei Embryonen 
der Säugethiere (Schaaf, Rind, Schwein) ein spiralgewundenes, mit dem 
Säckchen im Vorhof im Zusammenhange stehendes Rohr darstelle, welches 
den Wänden der knöchernen Schnecke anfangs dicht anliege. Später aber 
trete eine Trennung beider Theile ein und veranlasse die Bildung der Trep- 
pengänge, die hiernach seröse Räume seien wie die Höhlen der knöchernen 
Bogengänge. Das plattgedrückte häutige Schneckenrohr bleibe ferner mittelst 
seiner Ränder, namentlich des concaven, mit der Wand der knöchernen 
Schnecke in Verbindung, gestatte zarten Fäden (Gefäfse und Nerven) den 
Durchgang und führe das Auftreten der sogenannten Spiralblätter, der Za- 
mina spiralis ossea und accessoria, herbei. Huschke vermochte aber die 
häutige Schnecke beim ausgebildeten Thiere nicht aufzufinden; er läfst den 
plattgedrückten, embryonalen, häutigen Kanal geradezu als Ganzes in das 
häutige Spiralblatt sich umwandeln. Darin nun liegt der durch die Reifs- 
nersche Untersuchung herbeigeführte wesentliche Fortschritt, dafs nach- 
gewiesen wurde, der häutige Schneckenkanal sei auch noch im ausgebildeten 
Thiere als Hohlkörper vorhanden und die häutige Spiralplatte stelle nur 
einen Theil der Wandung dieses Hohlkörpers dar. 

Auch das Cortische Organ ist Huschke nicht unbekannt geblieben ; 
er hat aber dasselbe gleichfalls nur bei Säugethier-Fötus wahrgenommen. 
Er beobachtete, dafs an jener, der späteren Vorhofstreppe zugewendeten 
Wand des plattgedrückten Schneckenkanals eine feine Leiste sich erhebe, 
und als spiraler Längsstreifen an der Windung hinziehe. Huschke ist der 
Ansicht, die auch von späteren Anatomen vertreten wird, dafs in derselben 
die Schnecken-Nerven sich verästeln und enden, und giebt ihr deshalb den 
Namen „Nervenwarze” Papilla spiralis;, er hält es ferner für wahrscheinlich, 
dafs sie bei Erwachsenen sich zur Crista spiralis accustica (Spiralleiste) 


umwandele. Dafs Huschke in Wirklichkeit die Gegend des häutigen 


1 


Müllers Archiv. S. 345. 
S: 


(') 
) T. v. Sömmering: Lehre von den Eingeweiden u. s. w. S. 884-886 Anmerk. 


des Menschen und der Säugethiere. 3 


Schneckenkanals, insbesondere die häutige oder knorplige Zone des Spiral- 
blattes desselben, vor sich gehabt habe, an welcher das Cortische Organ 
seine Lage hat, geht aus den mitgetheilten Beobachtungen über die mikros- 
kopische Beschaffenbeit seiner Spiral-Nervenwarze hervor. Huschke spricht 
hier von einer aus perlartig aneinander gereihten Kügelchen zusammengesetz- 
ten spiralen Linie, und in der That ein solches mikroskopisches Bild gewäh- 
ren namentlich die oberhalb der äufseren Oortischen Fasern gelegenen 
gröfseren Epithelzellen (Cortische Zellen) bei reiferen Fötus. Ebenso er- 
wähnt Huschke einer Lage von Kegeln, die den erwähnten Kügelchen an- 
sitzen, den Zellen des Cylinderepithels ähnlich aussehen und die wohl nur 
auf die Fasern des Cortischen Organs bezogen werden können. Gleich- 
wohl bleibt es Corti’s grofses Verdienst die von Huschke bezeichnete Pa- 
pilla spiralis auch bei Erwachsenen nachgewiesen und die erste genauere 
Beschreibung der in dieser Gegend sichtbaren Theile und der nach ihm be- 
nannten Fasern gegeben zu haben; ihm verdankt es die Wissenschaft, dafs 
die mikroskopische Forschung sich mit allem Eifer dem von Neuem ange- 
regten Gegenstande zuwendete. 

In den verflossenen 13 Jahren haben Kölliker (!), Claudius (?), 
Leydig(°), A. Böttcher (*), M. Schultze (°), O. Deiters(°), V. Hen- 
sen(’) die Papillae spiralis oder das Cortische Organ mit der nächsten 
Umgebung zum Gegenstande eindringlicher Untersuchungen gemacht. Die 
einzelnen Beobachtungen, durch welche nach meinem Befunde ein wesent- 
licher Fortschritt in unseren morphologischen Kenntnissen von dem in Rede 
stehenden Gebilde der Schnecke herbeigeführt worden ist, werden sich 


('") Mikroskopische Anatomie Bd. II. S. 743 fg. 1854; Handbuch der Gewebelehre des 
Menschen. 1-4. Auflage. 1863; Über die letzten Endigungen des Nervus cochleae u. s. w. 
Gratulation an Fr. Tiedemann. 1854. 

(*) Bemerk. über den Bau der häutigen Spiralleiste der Schnecke, Zeitschr. f. wiss. Zool. 
Bd. VII. S. 154. 

(°) Lehrbuch der Histologie des Menschen u. s. w. 1857. S. 263-65. 

(*) Obs. mier. de rat., qua nerous cochleae terminatur. Dorp. 1856 und Virch. Arch. 
XVII. S.243 und XIX. S. 224 und 450. 

(?) Über die Endigungsweise der Hörnerven im Labyrinth. Müll. Arch. 1858. S. 343. 

(°) Beiträge zur Kenntnils der Zamina spiralis membranacea der Schnecke, Zeitschr. f. 


wiss. Zool. Bd. X. S.1; Untersuchungen über die Zamina spiralis membranacea. Bonn 1860; 
Virch. Arch. Bd. XIX. S. 445. 


(7) Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XII. S. 481-512. 
k A2 


4 Reıcnerr: Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke 


zweckmäfsig später bei der Specialuntersuchung besprechen lassen. Es ist 
aber bisher noch nicht möglich gewesen die Beobachtungen und Ansichten 
der einzelnen Forscher mit einander in Übereinstimmung zu bringen. Die 
anatomische Untersuchung hat es hier mit einem schwer zugänglichen und 
kleinen Gegenstande zu thun, und kein mechanisches Mittel, das man zur 
Darstellung eines mikroskopischen Präparats anwendet, ist im Stande es zu 
verhindern, dafs nicht irgend ein Bestandtheil zerstört werde, und Verschie- 
bungen der gelockerten Theile untereinander eintreten. Zu diesen unver- 
meidlichen Schwierigkeiten treten diejenigen hinzu, welche auf dem Boden 
vorgefafster morphologischer und physiologischer Prinzipien erwachsen. Es 
ist in letzterer Beziehung namentlich ganz unverkennbar, dafs zur Zeit herr- 
schend gewordene Vorstellungen über die Endigungsweise der Nerven an 
den Epithelien den nachtheiligsten Einflufs auf den Gang der Untersuchungen 
und auf die Deutung des wirklich Nachweisbaren ausgeübt haben; mikros- 
kopische Bilder, die für solche Zwecke irgendwie verwendbar schienen, 
wurden ohne genauere Kritik für dieselben verarbeitet und darüber leichter 
zugängliche morphologische Verhältnisse gänzlich übersehen oder doch ver- 
nachlässigt. 

Der häutige Schneckenkanal hat bei den Anatomen einer so 
regen Theilnahme wie das Cortische Organ sich nicht zu erfreuen gehabt, 
obschon ich auf die Wichtigkeit der aus den Reifsnerschen Untersuchungen 
hervorgegangenen Thatsachen, dafs der häutige Schneckenkanal auch bei 
Erwachsenen vorzufinden sei, zu wiederholten Malen aufmerksam gemacht 
habe. Noch im Jahre 1851 erstattete ich der Akademie zu St. Petersburg 
einen Bericht über die Reifsnersche Inaugural-Abhandlung und sprach 
mich ausführlich über die neuen Gesichtspunkte aus, welche in speciell- und 
vergleichend-anatomischer Beziehung für das Ohrlabyrinth im Allgemeinen, 
wie für die Schnecke ins Besondere gewonnen seien (!). In meinem Jahres- 
berichte über die Fortschritte in der mikroskopischen Anatomie 1851 (?) 
drückte ich mein Bedauern darüber aus, dafs Corti bei seinen gründlichen 
Untersuchungen nicht auch auf den häutigen Schneckenkanal habe Rücksicht 
nehmen können. Im Jahre 1854 beschreibt Reifsner selbst genauer den 


(') Bullet. de la clas. math. de l’acad, des scienc. de St. Petersburg. Tom. X. No. 6. 
(?2) Müllers Arch. 1852. S. 125. 


- 


des Menschen und der Säugethiere. 5 


häutigen Schneckenkanal bei Säugethieren und den Menschen im erwach- 
senen Zustande und hebt hervor, dafs man die untere der Vorhofstreppe 
zugewendete Wand nicht mit der sogenannten Cortischen Membran ver- 
wechseln solle(!). Alle diese Bemühungen haben die Anerkennung des 
häutigen Schneckenkanals nicht erwirken können; ja Claudius ging so weit 
zu erklären, dafs Reifsner’s Arbeit die Fortschritte, welche durch die 
Corti-Köllikerschen Bemühungen auf diesem schwierigen Felde der Histo- 
logie gemacht seien, zu gefährden drohe. Nachdem ich diese leichtfertige 
Behauptung in meinem Jahresberichte vom Jahre 1855 (?) bekämpft hatte, 
wurde ich durch A. Böttcher, der in unmittelbarer Nähe Reifsner’s ar- 
beitend den häutigen Kanal nicht anerkannte und auf diese Weise die herr- 
schenden Zweifel vermehrte, veranlafst, nach eigenen wiederholten Unter- 
suchungen von Neuem für die Existenz des von Reifsner zuerst beschrie- 
benen Schneckenkanals einzutreten (°). 

Sowohl in Breslau als hier am Orte, also beinahe 10 Jahre, habe ich 
an einem sehr gelungenen Präparat der Schnecke eines Schweines, von 
welchem ich zwei Zeichnungen habe entwerfen lassen, verschiedenen Natur- 
forschern und meinen Zuhörern den hier schon mit unbewaffnetem Auge 
und mit der Loupe ganz deutlich sichtbaren häutigen Schneckenkanal gezeigt. 
Zehn Jahre nach der Entdeckung des häutigen Schneckenkanals wird endlich 
Kölliker zur Anerkennung desselben bewogen (*) und kündigt in seinem 
Handbuch für Ärzte und Studirende (°) diesen Fortschritt seiner Kenntnisse 
mit folgenden Worten an: „Keiner der späteren Forscher verstand diese 
wichtigen Angaben (Reifsner’s), bis ich dieselben nach Untersuchungen an 
Embryonen bestätigte und nach verschiedenen Seiten erweiterte.” Neuer- 
dings hat auch Hensen dem häutigen Schneckenkanal die verdiente Auf- 
merksamkeit gewidmet (°). „Reifsner’s und Reichert’s Angaben, dafs 
man in der Schnecke noch einen besonderen Canalis cochlearis unter- 
scheiden müsse, — so schreibt der Verfasser, — stehen alles Widerspruches 


(') Müllers Arch. 1854. S. 420. 

(*?) Müllers Arch. 1856. S. 86. 

(°) Müllers Arch. 1857; Jahresb. S. 84. 

(*) Würzb. Naturw. Zeitschr. 1861. S. 1. 

(?) Vierte Auflage. 1863. S. 713. 

(°) Zeitschr. f. wissensch. Zool. Bd. XIII. 1853. S. 481 f. 


6  Reıcnenr: Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke 


ungeachtet nunmehr als die allein richtigen da.” Hensens Untersuchungen, 
ursprünglich angeregt durch Kölliker, gehen leider von der unrichtigen 
Ansicht aus, dafs das häutige Labyrinth und also auch der häutige Schnecken- 
kanal nur aus dem epithelialen Überzuge (Reichert: Umhüllungshaut ; 
Remak und Kölliker: Hornblatt) hervorgehe, welcher das Labyrinth- 
Grübchen und das spätere Ohr- oder Labyrinth-Bläschen auskleidet. In 
Folge dessen haben sich in die Auffassung und Verarbeitung mancher sorg- 
fältiger Beobachtungen, wie bei den Kölliker’schen Untersuchungen, Wi- 
dersprüche und Unklarheit eingeschlichen, die es mir um so wünschens- 
werther erscheinen liefsen, die Schnecke des Menschen und der Säugethiere 
von meiner Seite einer erneuten Untersuchung zu unterziehen, da Reifsner, 
wie es scheint, auf den Gegenstand nicht näher einzugehen gedenkt. 


Äulsere Form- und Lage -Verhältnisse des häutigen 


Schneckenkanals. 


a. Unhaltbarkeit des Ausdrucks „Scala media” für den 
„häutigen Schneckenkanal”. 


In der dritten Auflage seines Handbuchs der Gewebelehre (5.663) hat 
Kölliker die sogenannte Cortische Membran mit einem Vorsprunge an 
der äufseren Wand der Vorhofstreppe (nach der älteren Auffassung) in con- 
tinuirliche Verbindung gesetzt, in dessen Zuge das äufsere Spiralgefäfs fort- 
läuft. Es wurde auf diese Weise ein spaltförmiger Hohlraum zwischen der 
Cortischen Membran und dem häutigen Spiralblatte abgekammert, den der 
Verfasser die Scala media, den mittleren Treppengang, nannte. In der 
neuesten Auflage desselben Handbuchs vom Jahre 1863 dessen Herausgabe 
in die Zeit fällt, in welcher Kölliker den eigentlich häutigen Schnecken- 
kanal kennen gelernt hatte, findet sich die Zeichnung von dem früher be- 
schriebenen Hohlraum nicht mehr; dagegen wird der häutige Schnecken- 
kanal so in die Wissenschaft eingeführt, als ob das, was Kölliker früher 
Scala media nannte, völlig gleichbedeutend mit dem häutigen Schnecken- 
kanal sei (a.a. O.). Die Folgen dieser Verirrung haben sich bereits darin 
gezeigt, dafs der neueste Bearbeiter der Schnecke, Hensen, die Ausdrücke 
Scala media und häutiger Schneckenkanal völlig gleichbedeutend gebraucht, 


des Menschen und der Säugethiere. d 


obgleich derselbe als etwas Fundamentales bervorhebt, dafs die Membrana 
Corti nicht befestigt sei, sondern frei auf den Stäbchen der Lamina reticu- 
laris ruhe (a. a. ©. 507). 

Um weiteren Verirrungen zu steuern, mufs ich auf meinen Bericht an 
die Akademie zu St. Petersburg zurückkommen, in welchem der durch die 
Untersuchungen Huschke’s und Reifsner’s gewonnene neue Standpunkt 
der morphologischen Auffassung der Schnecke ausführlich auseinandergesetzt 
worden ist. Man unterschied früher ein knöchernes und ein häutiges Laby- 
rinth. Das häutige Labyrinth war im Bereiche des Vorhofs und der halb- 
eirkelförmigen Kanäle durch die häutigen Vorhofssäcke und durch die damit 
in Verbindung stehenden halbeirkelförmigen Kanäle vertreten. Diese beiden 
Abtheilungen des häutigen Labyrinthes liegen, von der Endolympha erfüllt, 
frei in den gleichgeformten Abtheilungen des knöchernen Labyrinthes; 
zwischen beiden befindet sich die Perilympha, und nur an einzelnen Stellen, 
da wo Nerven und Gefäfse von aufsen her gegen das häutige Labyrinth 
herantreten, stehen knöchernes und häutiges Labyrinth in unmittelbarer 
Verbindung. Das morphologische Verhalten der bezeichneten Abtheilungen 
des häutigen Labyrinths zu der entsprechenden knöchernen ist genau so, wie 
das von Organen des Körpers die frei in sogenannten serösen Höhlen liegen, 
wie des Gehirnes in der Schädelkapsel, wie der Lungen in den beiden Hälften 
des Brustkastens u. s. w. Vergleichende anatomische Beobachtungen bei 
Fischen wiesen ferner darauf hin, dafs der häutige Vorhof und die häutigen 
halbeirkelförmigen Kanäle auch zum Theil frei innerhalb der Schädelhöhle 
liegen können, woraus hervorgeht, dafs das entsprechende knöcherne Laby- 
rinth nur als ein accessorischer Theil im Gehörlabyrinth aufzufassen sei, als 
ein Theil, der sich als Pars petrosa mit dem knöchernen Labyrinth da aus- 
bildet, wo das häutige Labyrinth innerhalb der Wand der Schädelkapsel 
seine Lage erhält. 

Die Schnecke des Labyrinths bot auf dem früheren Standpunkte un- 
serer morphologischen Kenntnisse ein ganz anderes Verhalten dar. Hier 
trat das knöcherne Labyrinth ganz und gar in den Vordergrund; die Win- 
dungen des knöchernen Labyrinths waren es, die durch das solide Spiral- 
blatt in die beiden Treppengänge abgetheilt wurden; das häutige Labyrinth, 
in den beiden oben genannten Ahtheilungen als Hohlkörper construirt, war 
in der Schnecke durch den soliden häutigen Theil des Spiralblattes ver- 


8 Reıcuenr: Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke 


treten, der keine Verbindung mit den andern Abtheilungen des häutigen 
Labyrinths hatte; nur die Vorhofstreppe, und nicht, wie ich früher ver- 
muthete, die Paukentreppe, öffnete sich in den perilymphatischen Raum 
des Vorhofs. 

Als Reifsner und ich die Gewifsheit erlangt hatten, dafs der häutige 
Schneckenkanal auch im entwickelten Zustande der Vögel und Säugethiere 
sich erhalte und das häutige Spiralblatt nur einen Abschnitt in der Wandung 
dieses Kanals darstelle, da war für die morphologische Auffassung und Be- 
handlung der Schnecke ein vollkommen übereinstimmender Standpunkt mit 
den übrigen Abtheilungen des Ohrlabyrinths, zu denen nach Reilsner auch 
der Recessus vestibuli, der gewöhnlich sogenannte Aquaeductus vestibuli, zu 
rechnen ist, gewonnen. Die Schnecke war nun durch einen häutigen Theil 
in Form eines Hohlkörpers vertreten, der mittelst seiner Wandung und 
wenigstens in Embryonalzuständen auch mittelst seiner Höhle in unmittelbarer 
Verbindung mit dem häutigen Vorhof sich befand; derselbe war als der we- 
sentliche und Haupttheil der Schnecke überhaupt zu betrachten; mit Be- 
ziehung auf ihn, dies war die nothwendige Consequenz, mufsten die 
übrigen morphologischen Verhältnisse construirt werden. Die 
knöcherne Schnecke stellte die Höhle der Schädelkapselwand insbesondere 
der Pars petrosa dar, in welcher die häutige Schnecke bei höheren Wirbel- 
thieren ihre Lage erhält; sie durfte also, was auch vergleichend-anatomische 
Beobachtungen bestätigen, nur als ein accessorischer Bestandtheil des Ohr- 
labyrinths betrachtet werden, ebenso der sogenannte Aquaeductus cochleae, 
der weder mit dem häutigen Schneckenkanal noch mit einem anderen Theile 
des häutigen Ohrlabyrinths zu irgend einer Zeit Verbindungen besitzt. Die 
Lamina spiralis ossea und accessoria bezeichneten zwei gegenüber liegende 
Stellen im Schneckengehäuse, an welchen der häutige Schneckenkanal be- 
hufs der Zuleitung von Nerven und Gefäfsen im unmittelbaren Zusammen- 
hange mit der Wandung der Höhle d. h. der knöchernen Schnecke steht 
und auch zugleich befestigt wird. In den Treppengängen lag der stark er- 
weiterte perilymphatische Raum der häutigen Schnecke vor, dessen Abschei- 
dung in zwei gesonderte Räume (Treppengänge) eben nur dadurch herbei- 
geführt wird, dafs der häutige mehr weniger platt gedrückte Schneckenkanal 
an zwei gegenüberliegenden Stellen, nämlich an seinen Rändern, mit der 
Wand der knöchernen Schnecke in Verbindung steht ; wo diese Verbindungen 


des Menschen und der Säugethiere. 9 


aufhören, mufste selbstverständlich auch die Abscheidung des perilympha- 
tischen Raumes in zwei Treppengänge wegfallen. 

Hiernach überzeugt man sich, dafs der Ausdruck „Scala media” in 
keiner Weise in der Wissenschaft festzuhalten ist, es sei denn, dafs man 
eben einen anerkannten Irrthum mit aller Gewalt stabil machen wollte. Ein 
Hohlraum oder ein röhriges Gebilde, das Kölliker mit dem Namen „Scala 
media” eingeführt hatte, existirt, wie die Köllikersche Schrift selbst es 
klar darlegt, in der Schnecke des Menschen und der Säugethiere nicht; 
auch würde ein Kanal, wie der willkürlich angenommene, da er innerhalb 
des häutigen Schneckenkanals liegen müfste, eine morphologische Bedeutung 
haben, welche die durch den Namen angedeutete Beziehung zu den Treppen- 
gängen (perilymphatischen Räumen) völlig von der Hand weist. Wollte 
man aber, nachdem die Nichtexistenz des ursprünglich mit dem Namen 
Scala media belegten Gebildes erwiesen ist, dessenungeachtet diesen Namen, 
wie Kölliker und Hensen es gethan haben, für den ganzen häutigen 
Schneckenkanal zum Gebrauch herbeiziehen, so wäre das ein Verfahren, 
welches in der Wissenschaft bisher wenigstens ungebräuchlich gewesen ist. 


b. Äufsere Form des häutigen Schneckenkanals. 


Der häutige Schneckenkanal stellt wie der knöcherne einen schnecken- 
artig gewundenen Hohlkörper dar, der an dem Vorhofsende, oder der so- 
genannten Wurzel der Schnecke, mit einem engeren Theile beginnt, in der 
ersten Windung des eigentlichen Schneckenkörpers allmälig an Weite zu- 
nimmt, in der zweiten Windung und in der dritten halben in seiner gröfsten 
überall ziemlich gleichbleibenden Weite fortzieht und schliefslich in der 
Kuppel der knöchernen Schnecke, — aber nicht, wieHensen angiebt (a.a.O. 
S.483 u. 490), am Hamulus des knöchernen Spiralblattes, — sondern in dem 
eigentlichen blinden Ende des knöchernen Schneckenkanals, an einer Stelle, 
die ich später beschreiben werde, gleichfalls blind und zwar verjüngt endigt. 

In dem einige Mm. über dem Hamulus hinaustretenden Endstücke 
ändert der häutige Schneckenkanal seine äufsere Form, auch die Struktur 
und erleidet eine allmälige Abnahme in seiner Weite, so dafs man denselben 
wie einen Anhang des eigentlichen häutigen Schneckenkanals betrachten kann; 
ich nenne ihn später den Kuppelblindsack (Taf. II. Figg.8, 9Cm’). An 
dem Vorhofsende der Schnecke bleibt auch bei ausgebildeten Säugethieren 

Phys. Kl. 1864. B 


10 Reıcnerr: Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke 


und dem Menschen, wie zuerst Hensen (a.a. O. S. 490) nachgewiesen, eine 
offene Verbindung zwischen dem häutigen Schneckenkanal und dem häutigen 
Vorhofe, insbesondere mit dem runden Säckchen desselben, bestehen. Die- 
ser beim Menschen etwa zwei Mm. lange Verbindungskanal („Canalis reu- 
niens” H.) wird von Hensen so aufgefafst, als ob derselbe eine seitliche 
Aussackung des häutigen Schneckenkanals, und zwar der sogenannten Reifs- 
nerschen Membran, darstelle. Meine Untersuchungen an fötalen und aus- 
gebildeten Labyrinthen haben ergeben, dafs der Canalis reuniens vielmehr 
als unmittelbarer Ausläufer des runden Vorhofsäckchens zu betrachten sei, 
welcher, wie bei der Insertion des Dünndarms am Blinddarm, etwa unter 
einem rechten Winkel an die concave Seite des häutigen Schneckenkanals 
angefügt ist (Taf. II. Fig. 10 7 mr’). Der häutige Schneckenkanal selbst tritt 
wie der Blinddarm über die Anheftungsstelle eine kleine Strecke weit, auf 
eine später näher zu beschreibende Weise, in den knöchernen Vorhof hinein 
und schliefst so mit einem blindsackförmigen Ende ab. Dieses etwa 1 Mm. 
lange blinde Ende, an welchem gleichfalls eine Veränderung in der äufseren 
Form und in der Beschaffenheit der Wände bemerkbar ist, werde ich den 
Vorhofsblindsack nennen. 

Der Zug der Windungen des häutigen Schneckenkanals correspon- 
dirt mit den Spiralwindungen der knöchernen Schnecke. Wie bei dem Letz- 
teren lassen sich am häutigen Schneckenkanal mit Rücksicht auf die Zug- 
richtung des Ganges zwei Abschnitte oder Theile unterscheiden: 1) der 
schneckenförmig aufgewundene Abschnitt oder der Hauptkörper der 
häutigen Schnecke, und 2) das von diesem Körper zum Vorhof abgehende 
Übergangsstück , der Vorhofsabschnitt oder die Wurzel. Zum Haupt- 
körper gehört der Kuppelblindsack, zum Vorhofsabschnitt der Vorhofsblind- 
sack. Die Unterscheidung dieser beiden Abschnitte wird auch dadurch be- 
gründet, dafs der Schneckennerve mit den in ihm verlaufenden Gefäfsen 
zufolge meiner Untersuchungen, schon im innern Gehörgange in zwei Äste‘ 
sich theilt, von welchem der gröfsere für den eigentlichen Körper des häu- 
tigen Schneckenkanals, der kleinere für den Vorhofsabschnitt desselben 
bestimmt ist und sogar einen Zweig an den häutigen Vorhof selbst abgiebt. 
Auch in der Art und Weise, wie das venöse Blut durch die Vene des Aquae- 
ductus cochleae abgeführt wird, drückt sich eine gewisse Absonderung vom 
Schneckenkörper und die nahe morphologische Beziehung des Vorhofs- 


des Menschen und der Säugethiere. 11 


abschnittes 'zum Vorhofe aus. Zur Vene des Aquaeductus cochleae gehen, 
wie ich es an einem durch Blutstagnation injieirten Präparate verfolgen 
konnte, zwei Äste. Der eine kam vom Schneckenkörper und zieht, wie 
bekannt, in Spiraltouren um die Spindel nahe bei der Insertionsstelle der 
Lamina spiralis ossea. Der zweite Ast hatte seinen Ursprung im Vorhofe, 
in dem Vorhofsabschnitte, und lief gleichfalls längs der Insertionsstelle des 
primären Spiralblattes. Derselbe nimmt verschiedene Zweige aus dem be- 
zeichneten Bezirke und, wie mir schien, auch das um den Vorhofspol des 
runden Fensters sich fortsetzende, sogenannte äufsere Spiralgefäfs des häutigen 
Schneckenkanals auf (die Breschet’sche Vene?). 

Der Halbbogen des Vorhofabschnittes (Taf. Il. Fig.10 Cm’) des 
häutigen Schneckenkanals liegt, ebenso wie bei der knöchernen Schnecke, 
nahezu in der Horizontal-Ebene des stehenden menschlichen Körpers und 
wendet seinen Scheitelpunkt lateralwärts und zugleich etwas nach vorn gegen 
das Promontorium der Paukenhöhle hin, obschon es nicht richtig ist, den 
höchsten Punkt des Promontoriums im ausgebildeten menschlichen Körper, 
mit dem gegen die Paukenhöhle vorspringenden Theile dieses Halbbogens 
in Verbindung zu bringen. Das Vorgebirge wird vielmehr durch eine mu- 
schelförmige, mit dem Scheitelpunkt abwärts gerichtete Knochenlamelle 
gebildet, welche auf den Vorhofsabschnitt des knöchernen und also auch auf 
den des häutigen Schneckenkanals in der Gegend des Nebentrommelfells 
aufgelegt ist. Würde der häutige Schneckenkanal seinem ersten Anzuge im 
Vorhofsabschnitte entsprechend die Schneckenwindungen vollenden, so 
stände die Axe des eigentlichen Schneckenkörpers der senkrechten Axe des 
Körpers zugeneigt, mit dem basilaren Ende nach unten und etwas nach 
hinten, mit der Spitze auf- und etwas vorwärts gerichtet; die durch die Win- 
dungen gelegten Ebenen würden mehr horizontal stehen, doch eine geringe 
Neigung nach vorn und unten haben müssen. Der Schneckenkanal ändert 
aber in der Gegend des Promontoriums beim Übergange in den Schnecken- 
körper seine Richtung und geht unter einem fast rechten Winkel zuerst ab-, 
später aufwärts sich windend aus der Sagittal-Ebene nahezu in die quer- 
gestellte senkrechte, oder in die sogenannte Frontal-Ebene über. Die Spitze 
der Schnecke ist nun vor- und wenig abwärts, die Basis nach hinten und 
wenig aufwärts gerichtet; die Axe liegt nahezu in der Horizontal-Ebene und 
zwar sagittal gerichtet. Der Vorhofsabschnitt des häutigen Schneckenkanals 

B2 


42 Reıcnenr: Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke 


besitzt aber noch eine zweite Krümmung. Indem derselbe hinten an der 
medialen Wand des Vorhofs beginnt und die Richtung zur Horizontal-Ebene 
einschlägt, um den besprochenen, mit dem Scheitel lateralwärts gerichteten, 
Halbbogen zu bilden, steigt er zugleich aufwärts und neigt sich schliefslich 
beim Übergange in den Schneckenkörper abwärts. Auf diese Weise um- 
schreibt der Halbbogen gleichzeitig eine mit der convexen Seite nach auf- 
wärts gerichtete Curve. 

Im eigentlichen Schneckenkörper ist der häutige Schneckenkanal 
(vgl. Taf. II. Figg. 6, 7, 8 Cm) von dem knöchernen und von dem Zuge der 
Windungen des Gehäuses einer Gartenschnecke dadurch unterschieden, dafs 
die einzelnen Touren, wie die genauere Beschreibung der Lage später ergeben 
wird, an keiner Stelle zur gegenseitigen Berührung und Deckung gelangen, 
und dafs ferner die Windungen, unerachtet der stetigen Abnahme des Radius 
vector, an keiner einzigen Stelle zur gegenseitigen Berührung in der Schnecken- 
axe selbst gelangen. Auch mag bei der allgemeinen Vorstellung von der 
Forn des häutigen Schneckenkanals nicht unbeachtet bleiben, dafs der 
knöcherne Schneckenkanal, von seinem Ursprunge aus dem Vorhofe an, durch 
den Vorhofsabschnitt hindurch bis zur Kuppel des Schneckenkörpers allmälig 
an Weite abnimmt, während der häutige Schneckenkanal mit einem dünnen 
Vorhofsabschnitte beginnt, allmälig an Weite zunimmt und erst in der Kup- 
pel, im Bereiche des bezeichneten Kuppelblindsackes, verjüngt endigt. 

In Betreff der speciellen äufseren Form des häutigen Schnecken- 
kanals hat die Untersuchung mit aufserordentlichen Schwierigkeiten zu käm- 
pfen. Es gehört zu den gröfsten Seltenheiten, den häutigen Schneckenkanal 
mit den Mitteln, die den Anatomen gegenwärtig zu Gebote stehen, so zur 
Beobachtung vorzubereiten, dafs auch nur an einem kleinen Abschnitte die 
Wand im ganzen Umkreise ungestört und unverletzt erhalten bleibt. Man 
darf behaupten, dafs an Durchschnitten der Schnecke namentlich die eine 
Wand des häutigen Schneckenkanals, welche ich später die Vorhofswand (vgl. 
Taf. II. Figg. 6, 7,8 Cmv) nennen werde, regelmäfsig verletzt wird; mir we- 
nigstens ist es nach sehr vielen Versuchen mit fertig gebildeten Schnecken 
nur einmal gelungen, und auch dieses eine Mal nur in einem kleinen Bezirke der 
dritten halben Windung, den Hauptbestandtheil der Vorhofswand unversehrt 
zu erhalten. Erwägt man ferner, dafs der häutige Schneckenkanal von Flüs- 
sigkeit erfüllt ist, und dafs es gegenwärtig noch unausführbar ist, den mit 


des Menschen und der Säugethiere. 13 


seinem natürlichen Inhalte erfüllten und in Ausspannung erhaltenen Kanal 
zur Untersuchung sich zu verschaffen, dafs endlich die sehr elastische und 
an den Rändern befestigte Vorhofswand in ihrer Form nach dem Inhalts- 
Quantum sich richtend sehr veränderlich ist; so wird es die Pflicht des Ana- 
tomen sein, bei Beschreibung der speciellen äufseren Form des häutigen 
Schneckenkanals auf die durch die Vorhofswand herbeigeführte Unsicherheit 
von vornherein aufmerksam zu machen. 

Der häutige Schneckenkanal zeigt im gröfsten Theile seines Verlaufs 
an Querschnitten, sowohl bei erwachsenen Säugethieren als beim Menschen, 
ganz deutlich, wie es bereits Reifsner genau beschrieben hat, eine drei- 
seitige Begrenzung, etwa in der Form des Ausschnittes einer Kreislinie, 
oder passender noch einer Ellipse (vgl. Taf. II. Figg. 6,7,8: Cm). Zwei unter 
einem mehr weniger spitzen Winkel sich schneidende Seiten sind gerade, 
vertreten, so zu sagen, die Radien und entsprechen den Wänden des häuti- 
gen Schneckenkanals, welche der Vorhofs- und Paukentreppe zugewendet 
sind (Figg. 6, 7, 8Cmt u.Cmv); ich werde dieselben als Vorhofs- und Pauken- 
treppenwand, oder kürzer als Vorhofs- und Paukenwand in die Beschrei- 
bung einführen. Die Paukenwand ist ein, unter dem Namen Zona Valsalvae 
oder Pars membranacea des Spiralblattes schon lange bekannter Bestand- 
theil der Schnecke; sie wurde neuerdings von Beobachtern, die den häutigen 
Schneckenkanal noch nicht kannten, Membrana basilaris genannt. Die 
Vorhofswand wird von Kölliker und Hensen mit dem Namen „Reifsner’- 
sche Haut” belegt. Reifsner selbst, so wie die genannten Autoren, haben 
indefs von den Bestandtheilen der Vorhofswand nur das Epithel gekannt, 
welches die gegen die Vorhofstreppe gewendete Fläche der in Rede stehen- 
den Wand bekleidet und an Durchschnitten der Schnecke gewöhnlich allein 
erhalten bleibt. Zwei andere Bestandtheile dieser Wand, das sehr elastische 
bindegewebige Substrat und das an der Innen- oder Höhlenfläche der Wand 
sich ausbreitende Epithel, sind im zerrissenen, gezerrten, mehr weniger auf- 
gerollten Zustande in völlig unnatürlichen Lage- und Formverhältnissen als 
Corti’sche Membran, ferner das Epithel als Organon Köllikeri (Hensen) 
beschrieben worden. 

Von den beiden geraden Seiten des häutigen Schneckenkanals ist die 
der Vorhofswand entsprechende stets länger. Aus diesem Grunde scheint es 
passender den Querschnitt des häutigen Schneckenkanals in seiner Form mit 


14 Reichert: Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke 


dem Ausschnitt einer Ellipse zu vergleichen, von welchem die Paukenwand 
dem kürzesten Radius, die Linie der Vorhofswand einem je nach der Weite 
und Lage des häutigen Schneckenkanals an Gröfse überwiegenden und ver- 
änderlichen Radius entspricht. Die dritte Seite (Figg. 6, 7, 8Cme) umfafst 
je nach der Weite des häutigen Schneckenkanals den kleineren oder gröfseren 
Abschnitt einer krummen Linie, die mathematisch genau sich nicht bestim- 
men läfst, im Allgemeinen aber einer Ellipse oder Kreislinie nahesteht. 
Diese Linie entspricht der dritten convexen Wand des häutigen Schnecken- 
kanals und ist überall von der Axe der Schnecke abgewendet; die in Rede 
stehende Wand des Schneckenkanals mag die äufsere oder convexe Wand 
genannt werden. 

Von den drei Winkeln ist der von den Radien eingeschlossene im 
Allgemeinen, wie schon angedeutet, mehr weniger spitz je nach der Weite 
des Kanals; er nimmt die Crista acuslica und den Sulcus spiralis in sich 
auf. Die beiden andern Winkel sind mehr weniger stumpf und gegen die 
Höhle des häutigen Schneckenkanals abgerundet. Der spitze Winkel ist der 
Schneckenaxe zugewendet und entspricht der zugeschärften Kante an der 
concaven Seite des schneckenartig gewundenen häutigen Schneckenkanals; 
er mag der innere Winkel heilsen und die entsprechende Kante die 
innere Kante (Figg. 6, 7, 8: ai). Die beiden andern Winkel und die ent- 
sprechenden abgerundeten Kanten des häutigen Schneckenkanals können 
nach ihren Lagen zu den Treppen als Vorhofs- und Paukenwinkel oder 
-Kante unterschieden werden (Figg. 6, 7, 8Sav, at). 

An den beiden Terminal-Blindsäcken des häutigen Schneckenkanals 
ändert sich die dreiseitige Begrenzung. In der Kuppel der Schnecke zeigt 
der Kanal an Querschnitten eine nahezu elliptische Begrenzung (Taf. II. 
Fig. 8Cm'), entsprechend der Form, die die knöcherne Schnecke an dieser 
Stelle, wie ich sogleich zu beschreiben haben werde, besitzt. An dem blind- 
sackförmigen Ende im Vorhofe zeigt der Querdurchschnitt die Figur eines 
Kreissegmentes in welcher die Sehne selbst mit der ursprünglichen Pauken- 
wand correspondirt, 


des Menschen und der Säugethiere. 15 


c. Die knöcherne Schnecke. 


Relative Selbstständigkeit der Labyrinthkapsel und der 
knöchernen Schnecke. 

Die Beschreibung der Lage des häutigen Schneckenkanals in dem 
knöchernen macht es nothwendig, dafs ich auf einige bisher weniger beachtete 
morphologische Verhältnisse des letzteren näher eingehe. 

In der geschichtlichen Einleitung habe ich darauf hingewiesen, dafs 
das knöcherne Labyrinth, und also auch die knöcherne Schnecke, verglei- 
chend-anatomisch und genetisch, als ein accessorischer Bestandtheil des 
eigentlichen häutigen Labyrinths anzusehen sei, und dafs die Bildung einer 
Pars petrosa in der Schädelkapselwand überall da hervortrete, wo das 
häutige Labyrinth von der letzteren aufgenommen und ganz oder theilweise 
eingeschlossen wird. Bei diesen durch alle vergleichend - anatomischen 
Thatsachen befestigten Vorstellungen wird man sich stets zu erinnern haben, 
dafs in dem Felsentheile des Schläfenbeins, der ursprünglich zur skelettbil- 
denden Schicht des Wirbelsystems im Bereiche der Schädelkapsel gehört, 
neben den morphologischen Beziehungen zum Labyrinth, stets noch andere 
ausgedrückt sein werden, welche aus dem Bau der Schädelkapsel, vom Ge- 
hirn, von den Weichgebilden des Wirbelsystems jener Gegend, vom mitt- 
leren und äufseren Ohr, vom Gesichtsbau u. s. w. in verschiedener Weise 
und in verschiedenem Umfange abzuleiten sind. 

Ohne die Vorstellung von dieser umfassenden morphologischen Be- 
deutung der Pars petrosa beeinträchtigen zu wollen oder auch nur zu dür- 
fen, mufs ich mich für die Ansicht derjenigen Anatomen aussprechen, wel- 
che in dem Felsentheile des Schläfenbeines der höheren Wirbelthiere und 
des Menschen neben dem häutigen Labyrinth ein knöchernes und also auch 
einen knöchernen Schneckenkanal in die anatomische Beschreibung aufneh- 
men. Die relative Selbstständigkeit des Labyrinthgehäuses oder der Laby- 
rinthkapsel, verräth sich schon im hyalin-knorpeligen Zustande der Pars pe- 
trosa durch die Anordnung der Knorpel- und Bindesubstanzkörperchen in 
derjenigen Schicht des Felsenbeinknorpels, welche unmittelbar den Hohl- 
raum begrenzt, in welchem das häutige Labyrinth seine Lage erhalten hat. 
Bei Menschen und bei Säugethieren, deren Felsentheile durch eine gröfsere 
Anhäufung hyalin -knorpeliger Substanz ausgezeichnet ist, läfst sich die be- 


416 Reıcnerr: Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke 


zeichnete Schicht an Querschnitten durch ihre grau-weifsliche Färbung schon 
mittelst einer Loupe und selbst mit unbewaffnetem Auge unterscheiden. 

Am meisten auffällig wird die Selbstständigkeit der Labyrinth- 
kapsel in der ersten Zeit des Verknöcherungsprozesses der Pars petrosa. 
Bei Fötus der Schweine von etwa 7-9 Zoll Länge verfolgt man ganz deutlich, 
dafs der Verknöcherungsprozefs in der bezeichneten Schicht nicht allein 
sehr frühzeitig beginnt, sondern auch relativ selbstständig fortschreitet. 
Dieselbe wird durch eine unverknöcherte hyaline Knorpelschicht von einer 
gleichzeitig auftretenden Knochenlamelle getrennt, welche in den äufseren 
Begrenzungen des Felsentheils, und zwar in der zum gröfsten Theil nach der 
Paukenhöhle hin frei hervortretenden Schneckenregion nahezu conform 
der knöchernen Schnecke sichtbar ist. Am Grunde des innern Gehörganges, 
wo der Gehörnerve zur Schnecke und zum Vorhof tritt, war eine zur Laby- 
rinthkapsel des Vorhofs gehörige Knochenlamelle nicht gesondert zu unter- 
scheiden. Von der den Hauptast des Schneckennerven führenden Spindel 
des Schneckenkörpers war nur die Basis mit dem Tracius foraminulentus 
verknöchert vorhanden. Hier sowohl als auch bei älteren Fötus von Katzen, 
Hunden, Wiederkäuern, desgleichen vom Menschen hat sich auch die Spin- 
delwand des knöchernen Schneckenkanals zugleich mit der Lamina spiralis 
ossea von der noch nicht verknöcherten, den Schneckennerven führenden 
Spindelsubstanz ablösen und so ein gröfserer oder kleinerer Abschnitt des 
verknöcherten Schneckengehäuses frei machen lassen. Präparate dieser Art 
rechtfertigen die Auffassung einer relativ selbstständigen Labyrinthkapsel in 
dem Felsenbein, sie beweisen, dafs es naturgemäfs sei, einen auch gegen die 
den Schneckennerven führende Spindelsubstanz mehr abgesonderten und 
abgeschlossenen knöchernen Schneckenkanal in die morphologische Betrach- 
tung der Schnecke aufzunehmen, unbeschadet der Verbindung, welche die 
Gefäfse, namentlich aber der Nerve in der Lamina spiralis ossea mit den 
Nerven und Gefäfsen in der eigentlichen Spindelsubstanz unterhalten. 

In den bezeichneten fötalen Zuständen ist an der Innenfläche der 
Labyrinthkapsel überall die Beinhaut, welche zugleich die zur Vergröfse- 
rung, namentlich zur Verdiekung der Labyrinthkapsel dienende Bindesub- 
stanzgrundlage enthält, in ausgezeichneter Weise ausgebildet. Ohne grofse 
Mühe läfst sich ein durch diese Beinhaut gebildeter Schneckenkanal heraus- 
präpariren, wobei nur die Ablösung des Schneckennerven in der Spindel 


des Menschen und der Säugethiere. 17 


von der Lamina spiralis ossea, sowie der Vorhofsabschnitt des Schnecken- 
kanals Schwierigkeiten bereitet. Aus den beiden Treppengängen tritt die 
Beinhaut auf die Zamina spiralis ossea über, kann aber an der Crist aacu- 
stica nicht frei gelegt werden; daher ist die Lamina spiralis ossea zwar vom 
Schneckennerven der Spindel zu trennen, nicht aber aus einem so dar- 
gestellten Kanal zu entfernen. Am Vorhofsabschnitt ist darauf Rücksicht 
zu nehmen, dafs das zweite Paukenfell, welches, zu Folge meiner Unter- 
suchungen, dem Hauptbestandtheil nach als ein unverknöcherter Bezirk der 
Wandung des Schneckengehäuses anzusehen ist, seine Bildung noch nicht 
vollendet haben könnte. Bei den in Rede stehenden Schweinefötus zog sich 
die gallertige Bindesubstanz der Paukenhöhle scheinbar ohne Unterbrechung 
an der Stelle, wo sich später das runde Fenster und das zweite Paukenfell 
ausbreitet, in den Vorhofsabschnitt der Paukentreppe und eine kleine Strecke 
in die Paukentreppe der ersten Windung des Schneckenkörpers, sowie in 
den Raum hinein, welcher sich zum Aquaeductus cochleae umwandelt; der 
übrige Theil der vollkommen ausgebildeten Paukentreppe, so wie die Vor- 
hofstreppe enthielten keine Spur von gallertiger Bindesubstanz. — Aufser- 
dem erweitert sich der Vorhofsabschnitt der Schnecke mit einem Theile der 
Wandung in den Bereich des Porus acusticus internus hinein, und hier 
mufs man wegen des Übergangs des Gehörnerven zum häutigen Labyrinth 
darauf verzichten, die Beinhaut aus dem Grunde des Vorhofes vollständig 
ablösen zu können. 

Auch in späteren fötalen Zuständen und selbst einige Zeit nach der 
Geburt, so lange im Felsenbein zwischen der festen äufseren Knochenlamelle 
und der knöchernen Labyrinthkapsel spongiöse Knochensubstanz vorhanden 
ist, läfst sich das knöcherne Labyrinth, wie bekannt, ja selbst ein längerer 
Abschnitt des Recessus vestibuli (Aquaeductus vestibuli) als ein abgeschlos- 
senes Stück aus dem Felsenbein herausarbeiten. Der Grund des Porus 
acusticus internus, soweit daselbst Äste des Gehörnerven hindurchtreten, 
mufs als Basis modioli und Boden des Vorhofs an dem Präparate verblei- 
ben (Taf.I. Fig. 1:G). Um das Schneckengehäuse nach seiner äufseren Form 
und nach seinem Verhalten zum Vorhofe richtig zu beurtheilen, ist diese 
Präparations-Methode ganz unerläfslich. 


Phys. Kl. 1864. C 


18 Reıcnent: Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke 


Allgemeine Formverhältnisse der knöchernen Schnecke. 


Die unbefangene Betrachtung eines solchen knöchernen Labyrinthes 
läfst drei für die späteren Mittheilungen wichtige Formverhältnisse des 
knöchernen Schneckengehäuses leicht erkennen. 1) Der Vorhofsabschnitt geht 
mit seiner Wandung in den Vorhof selbst so über, dafs die gerade Seite 
des Vorhofsfensters von ihm gebildet wird; derselbe hat also einen wesent- 
lichen Antheil an der Bildung der Paukenhöhlenwand des Vorhofs; auch 
nach dem Boden desselben zieht sich die Wand des Schneckenkanals hinein; 
2) das zweite oder Neben-Trommelfell füllt mit seinem Hauptbestandtheile 
eine Lücke in der verknöcherten Wand des Vorhofabschnittes der knöcher- 
nen Schnecke aus, was sofort ersichtlich wird, sobald die knöcherne Kappe, 
welche über das zweite Paukenfell sich hinüberwölbt, und die Grube der 
Fenestra rotunda bildet, entfernt wird; 3) die letzte Hälfte der zweiten 
Schneckenwindung und die dritte halbe Windung liegen nahezu in einer und 
derselben Ebene; die Kuppel der Schnecke endet abgeplattet; sie wird 
nicht von dem Ende der dritten halben Windung, sondern von der letzte- 
ren ganz und gleichzeitig von der angrenzenden Hälfte der zweiten Windung 
eingenommen und gebildet (vgl. Taf. I. Fig. 1). 

Die knöcherne Schnecke des menschlichen Ohrlabyrinths stellt, nach- 
dem sie sich an der ganzen Peripherie völlig frei aus dem Vorhofe entwickelt 
hat, einen Kanal dar, welcher bis zur dritten halben Windung nur ganz all- 
mälig, weiterhin aber auffälliger an Weite abnimmt und sogar mit einem sehr 
verjüngten Ende abschliefst (vgl. Taf. I. Fig. 9 Cm’). Bei Schneckengehäu- 
sen von Säugethieren mit mehr als zwei und einer halben Windung bezieht 
sich die progressive Abnahme des Kanals in seiner Weite stets auf die letzte 
halbe Windung, mit welcher ein jedes Schneckengehäuse abschliefst. Quer- 
schnitte, die senkrecht die Axe des Schneckenkanals getroffen haben, zeigen 
den letzteren bis zur dritten halben Windung nahezu kreisförmig begrenzt, 
mit der Beschränkung jedoch, dafs Abplattungen mehr weniger deutlich an 
den Zwischenwänden und nach der Spindel hin bemerkbar werden. Auch 
der nach abwärts gewendete freie Bezirk der ersten Windung erscheint et- 
was abgeplattet. In der letzten halben Windung verändert sich die äufsere 
Form des Schneckenkanals; sie wird mehr und mehr platt gedrückt in der 
Richtung der Axe der Schnecke. Querschnitte zeigen nunmehr deutlich eine 


des Menschen und der Säugethiere. 19 


elliptische Begrenzung, deren gröfster Durchmesser nach dem blinden Ende 
hin an Gröfse zunimmt und senkrecht zur Axe der Schnecke gestellt ist. 

Man unterscheidet am Mantel des Schneckenkanals drei der Länge 
nach hinziehende Bezirke als sogenannte Wände: die von der Achse der 
Schnecke abgewendete freie oder äufsere Wand; die der Spindelsubstanz 
zugekehrte Spindel- oderinnere Wand, welche durch das von ihr ausge- 
hende primäre knöcherne Spiralblatt in den Bezirk für die Scala vestibuli 
und in den für die Scala cochleae abgetheilt wird; endlich die Zwischen- 
wände, welche die Gegend des Mantels bezeichnen, wo zwei sich deckende 
Windungen zu einem einfachen Septum verschmolzen sind. Für die Kuppel 
der Schnecke ist diese Unterscheidung, wie sich später zeigen wird, nicht 
völlig zutreffend; in dem übrigen Theile des Schneckenrohres ist dieselbe 
mit der nöthigen Abänderung beizubehalten, welche die erste Windung und 
der zum Vorhof gehende Abschnitt nothwendig macht; hier nimmt in Folge 
des Ausfalls der Zwischenwände die freie Wand an Umfang zu. 

Zur knöchernen Schnecke gehört auch die Lamina spiralis ossea, 
namentlich mit ihren beiden festeren Knochenlamellen, und im Vorhofsab- 
schnitt, sowie im angrenzenden Drittheil der ersten Windung des Schneckenkör- 
pers, die ihr gegenüber hervortretende knöcherne Lamina spiralis accessoria 
(vgl. Taf. II. Figg.3, 41sp'). In der Anatomie ist es bisher gebräuchlich gewesen, 
die knöchernen Spiralblätter, insbesondere die Zamina spiralis ossea, durch 
die häutige Zona Valsalvae zu ergänzen und den Hohlraum des Schnecken- 
rohrs bis zur dritten halben Windung, wo das knöcherne Spiralblatt als 
Hamulus aufhört, seiner Länge nach in zwei gesonderte Räume, die soge- 
nannten Treppengänge, abzutrennen. Diese Vorstellung von dem Bau der 
Schnecke kann nach Entdeckung des häutigen Schneckenkanals, wie ich 
bereits bemerkt habe, nicht mehr beibehalten werden. Wir wissen jetzt, 
dafs die Vorstellung von den Treppengängen durch Präparate gewonnen 
wurde, in welchen der wichtigste Theil der Schnecke im zerstörten Zustande 
vorlag; wir wissen ferner, dafs die Zona Valsalvae ein Bestandtheil des 
häutigen Schneckenkanals ist. Die Fortschritte in unsern Kenntnissen ver- 
langen endlich, dafs der Bau der knöchernen Schnecke mit Rücksicht auf 
den wichtigsten Bestandtheil, den häutigen Schneckenkanal, dem dieselbe 
als Kapsel dient, construirt werde. Die bisherigen unvollkommenen Vor- 
stellungen über das morphologische Verhalten der Hart- und Weichgebilde 

C2 


20 Reıcnerr: Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke 


der Kuppel der Schnecke dürfen zum Theil auf Rechnung der unpassend 
eingeführten Treppengänge gebracht werden. 

Will man den Ausdruck „Treppengänge” beibehalten, so darf man 
sie nur als perilymphatischen Raum des häutigen Schneckenkanals auffas- 
sen, der durch die Befestigung der convexen Wand des häutigen Schnecken- 
kanals an der freien Wand der knöchernen Schnecke, so wie durch die 
Lamina spiralis ossea bis zum Hamulus hin in zwei Abtheilungen geschie- 
den wird. Von der Vorhofstreppe ist zugleich der dem häutigen Schnecken- 
kanal zugehörige Hohlraum in Abzug zu bringen; die Vorhofswand des 
häutigen Schneckenkanals und nicht die Zona Valsalvae mufs als Begrän- 
zungswand der Vorhofstreppe aufgenommen werden (vgl. Taf. II. Fig.6: Cmv). 
Das knöcherne oder primäre Schraubenblatt ist ferner mit seinen beiden 
festeren Lamellen zunächst als ein Bestandtheil des knöchernen Schnecken- 
kanals anzusehen, durch welchen hauptsächlich Nerven aus der Spindel- 
substanz dem häutigen Schneckenkanal zugeführt werden. Bei dieser Vor- 
stellung wird es dann auch nicht mehr befremden, wenn wir in der Kuppel 
der Schnecke den häutigen Schneckenkanal ganz einfach in seiner Kapsel 
liegend vorfinden, ohne dafs hier, namentlich am blinden Ende, von einem 
perilymphatischen Raume, von Treppengängen, von Schraubenblättern die 
Rede ist. Im Schneckenkörper steht das primäre Schraubenblatt frontal, 
entsprechend der Stellung der Windungen, im Vorhofsabschnitt mehr sagittal 
mit den Flächen auf- und abwärts gerichtet und zwar hier ebenfalls im Ein- 
klange mit dem Zuge des Schneckenkanals daselbst. 

Bei der näheren Erläuterung der oben erwähnten drei wichtigen Ge- 
genden der knöchernen Schnecke werde ich letztere nach den beiden 
Haupttheilen, dem Vorhofsabschnitt und dem eigentlichen Schnecken- 
körper, sondern. 


Vorhofsabschnitt der knöchernen Schnecke. 


Der Vorhofsabschnitt der knöchernen Schnecke ist selbstverständ- 
lich weder am Schneckenkörper, noch am Vorhofe scharf abzugrenzen. Nach 
dem Vorhofe hin zieht sich der Schneckenkanal mit dem freien Wandungs- 
bezirk, obschon unter starker Erweiterung seines Lumens, dennoch so un- 
merklich in die Wände des Vorhofs hinein, dafs es überhaupt unmöglich ist, 
scharfe Sonderungen durchzuführen; in gleicher Weise erfolgt aber auch 


des Menschen und der Säugethiere. Sa 


der Übergang nach dem Schneckenkörper hin nur durch eine allmälige Ab- 
änderung der Zugrichtung des Schneckenkanals. Nimmt man zur Abschei- 
dung von dem Schneckenkörper die Stelle an, wo der Zug des Schnecken- 
kanals entschiedener aus der sagittalen Richtung in die frontale übergeht, so 
würde die vordere Gränze des Vorhofabschnittes etwa 1!, Mm. vor das 
runde Fenster nach dem Schneckenkörper hin zu setzen sein; ebenso würde 
die vordere Gränze des Promontoriums nahezu dieser Stelle entsprechen. 
Nach dem Vorhofe hin correspondirt die hier gelegene laterale und zugleich 
hintere Gränze des knöchernen Vorhofabschnittes ungefähr mit dem lateralen 
Pole des ovalen Fensters. In gerader Linie gemessen beträgt die Länge des 
Vorhofabschnittes der knöchernen Schnecke des Menschen etwa 3 Mm. 

Der in Rede stehende Abschnitt der knöchernen Schnecke bildet, 
wie bei der häutigen, einen im Allgemeinen sagittal gestellten Halbbogen 
mit einer zweifachen Krümmung. Der Halbbogen wendet zunächst seinen 
Scheitel lateralwärts. Diese Richtung des Halbbogens ist an freigelegten 
knöchernen Labyrinthen nicht so deutlich zu erkennen, da die Wände des- 
selben am Vorhofe nur andeutungsweise markirt sind und in dem als Kanal 
frei sich entwickelnden Theile unvollständig verknöchert vorliegen. An 
der freigelegten Lamina spiralis ossea, deren Flächen parallel derjenigen 
Ebene gestellt sind, in welcher der Schneckenkanal sich windet, ist die sa- 
gittale Stellung des Halbbogens mit lateralwärts gerichtetem Scheitel deutlich 
ausgesprochen; an ihr macht sich auch der Übergang des Schneckenkanals 
aus der sagittalen Stellung in die senkrechte frontale am deutlichsten be- 
merkbar. Der Halbbogen des Vorhofabschnittes zeigt aber noch eine zweite 
Krümmung; er ist an seinen beiden Enden, sowohl nach dem Vorhofe als 
nach dem Schneckenkörper hin, nach abwärts geneigt; die früher bezeich- 
nete Scheitelgegend des Halbbogens steht also zugleich höher und wendet 
eine convexe Fläche aufwärts, eine concave abwärts. Mehr an der concaven 
Seite dieser Krünmung des Halbbogens befindet sich das zweite Paukenfell. 

Der Vorhofsabschnitt der knöchernen Schnecke hat einen in den Kör- 
per der Schnecke unmittelbar sich fortsetzenden kanalartig geformten 
Theil, von welchem man bei der weiteren anatomischen Beschreibung aus- 
gehen mufs. An demselben lassen sich nur zwei Wände unterscheiden: die 
freie Wand und die an der concaven Seite des Halbbogens hinziehende 
Spindel-Wand, an welcher die Lamina spiralis ossea befestigt ist. Die 


22 Reıcnent: Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke 


Zwischenwände fallen weg, da der Vorhofsabschnitt der knöchernen Schnecke 
aufserhalb des Bereiches der Windungen im Schneckenkörper sich befindet. 
Die freie Wand nimmt die convexe mehr lateralwärts gerichtete Seite des 
Halbbogens in Anspruch und wendet eine ihrer Flächen auf- und etwas vor- 
wärts, die andere wenig abgeplattete ab- und etwas hinterwärts. Die an 
der concaven Seite des Halbbogens gelegene Spindelwand ist median- und 
hinterwärts gerichtet und gränzt hier an den lateralen Theil der untern 
Grube des Porus acusticus internus, in welchem die Öffnung für den Durch- 
tritt der Nerven des runden Säckchens und aufserdem das lateral auslau- 
fende Ende des Tractus foraminulentus sich befindet. Die entsprechenden 
kleinen Öffnungen dieses Endes sind durch einen kleinen Zwischenraum von 
den Löcherchen im angränzenden Theile des Tracztus foraminulentus ge- 
schieden und lassen den kleineren Ast des Schneckennerven hindurchtreten, 
der für den Vorhofsabschnitt bestimmt ist und auch einen Zweig an das die 
beiden Vorhofswände trennende Septum abgiebt (vgl. Taf. II. Fig. 10 Ne'). 
Aus der Beschreibung geht hervor, dafs der Name Spindelwand hier nicht 
genau zutrifft und nur mit Rücksicht auf die Befestigung der Zamina spi- 
ralis ossea gewählt worden ist, welche an ihm wie an der Spindelwand der 
Windungen des Schneckenkörpers Statt hat. 

An dem nach abwärts (beim Menschen) gerichteten Theile der freien 
Wand des kanalartig geformten Vorhofabschnittes hat das runde Fenster 
mit dem zweiten Paukenfell seine Lage. Obgleich dasselbe von der 
Beinhaut des Paukenfells überzogen wird, so mufs es nach seinem morpho- 
logischen Verhalten, wie schon angedeutet, als eine unverknöcherte 
Stelle des Schneckenkanals dieser Gegend betrachtet werden (vgl. 
Taf... Fig. 1, 3,4: Fyfr). 

Das zweite Paukenfell ist nämlich an eine zugeschärfte knöcherne La- 
melle befestigt, welche an Felsenbeinen, deren knöcherne Labyrinthkapsel 
frei herauspräparirt werden kann, ganz unzweideutig als ein der Wandung 
des knöchernen Schneckenrohrs zugehöriger Bestandtheil sich herausstellt. 
Um dies völlig klar zu übersehen, mufs die muschelförmige Knochenkappe, 
welche das runde Fenster mit dem Nebenpaukenfell überwölbt (Promonto- 
rium) und deren Hohlraum die Fossula fenestrae rotundae bildet, mit 
grofser Vorsicht entfernt werden (Taf. I. Fig. 1 fr). Auch an Durchschnit- 
ten des Schneckenkanals, die durch das runde Fenster geführt sind, tritt 


des Menschen und der Säugethiere. 23 


dieses Verhalten unzweideutig zu Tage (Taf. I. Figg. 3, 4: fr). Der Kno- 
chenrand des eigentlichen runden Fensters zeigt sich gegen den Hohlraum 
des Schneckenkanals hin zugeschärft; umgekehrt verhält sich die Zuschärfung 
des an ihm befestigten Randes der Membrana tympani secundaria (Fig. 3, 
4: frc). In schon verknöcherten Felsenbeinen erscheint der zugeschärfte 
Rand des runden Fensters als eine gegen den Hohlraum der Grube des runden 
Fensters vorspringende Crista; ich werde dieselbe als Crista oder Limbus 
fenestrae rotundae in die Beschreibung einführen (vgl. Figg. 3, 4 fr ec). 
Von dieser Crista ist bisher, wie es scheint, nur ein kleiner Abschnitt, näm- 
lich der von Huschke unter dem Namen Crista semilunaris (a. a. O. S. 867) 
angeführte Vorsprung der Paukentreppe, bekannt gewesen (Figg. 3, 4 2). 
Die Crista semilunaris H. wurde aber bisher nicht als ein dem knöchernen 
Schneckenkanal angehöriger und das zweite Paukenfell befestigender Theil 
behandelt; man hat ihrer nur gedacht, um die Ausmündungsstelle des Aquae- 
ductus cochleae (Figg. 3, 4d) in der Paukentreppe näher zu bestimmen. 
Dafs das Nebentrommelfell nur als ein unverknöcherter Theil der Wandung 
des knöchernen Schneckenkanals angesehen werden könne, lehren vorzüglich 
Durchschnitte durch das runde Fenster, namentlich von Schneckengehäusen, 
deren Knochenerden entfernt worden sind. In letzterem Falle ist es un- 
möglich die Crista fenestrae rotundae als einen gesonderten Bestandtheil von 
dem Nebentrommelfell zu unterscheiden und abzutrennen; beide Theile 
bilden ein continuirliches Ganze, das sich unmittelbar in die Wand des 
Schneckengehäuses oder doch in die den Hohlraum begrenzende Schicht 
des Felsenbeinknorpels fortsetzt. 

Die Crista fenestrae rotundae und mit ihr das zweite Paukenfell wür- 
den, auf eine Fläche projieirt, ungefähr eine elliptische Begrenzung mit 
einem längsten Durchmesser von 2!, Mm. und einem kürzesten von 1‘, Mm. 
zeigen. Eine genaue Untersuchung lehrt jedoch, dafs an dieser Ellipse drei 
Ränder unterschieden werden können; zwei liegen an der einen Seite der 
Ellipse und stofsen unter einem meist abgerundeten nahezu rechten Winkel 
zusammen (Taf. I. Figg. 1, 3, 4: 4, 2); die dritte verbindet die Enden dersel- 
ben und zieht als halbelliptische Curve an der andern Seite der Ellipse 
(Taf. I. Figg. 1, 3, 4: c). 

Das zweite Paukenfell und der Limbus fenestrae rotundae be- 
sitzen aber eine complieirte, wenigstens eine deutlich ausgesprochene zwie- 


94 Reıcwert: Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke 


fache etwa sattelförmige Krümmung, von welcher die richtige Vorstellung 
zu gewinnen ist, wenn man sich die Lage des Fensters am Mantel des 
Schneckenkanals vergegenwärtigt (vgl. Taf. I. Fig. 1 fr). Die Fenestra ro- 
tunda liegt nämlich mit ihrem gröfsten Theile an der nach abwärts gerichteten 
Concavität des oben besprochenen Halbbogens im Bereiche der etwas abge- 
platteten freien Wand des Schneckenkanals und zieht von hier eine kleine 
Strecke über den lateralwärts gewendeten convexen Rand des Halbbogens 
nach der obern freien Wand des Schneckenkanals hinauf. Sie schneidet 
also mit ihrem Längsdurchmesser den des Schneckenkanals in schräger Rich- 
tung, so zwar, dafs der etwas spitz ausgezogene untere Pol mehr nach hinten 
zum Vorhofe, der obere mehr abgerundete, nach vorn zum Schneckenkör- 
per hin gerichtet ist. Das zweite Paukenfell mit seiner Crista hat demnach 
einerseits eine dem Mantel des Kanals entsprechende convexe Krümmung 
und zwar in der Richtung seiner Längsachse, anderseits, in dem unteren Ab- 
schnitte, eine zweite im kürzesten Durchmesser der Ellipse hinziehende con- 
cave, und diese fällt mit der nach abwärts gerichteten Concavität des Halb- 
bogens, welcher den Vorhofsabschnitt des knöchernen Schneckenkanals 
bildet, zusammen (vgl. Taf. I. Figg.1, 3, 4: fr). An getrockneten Präpa- 
raten mit wohl erhaltenem Nebentrommelfell ist die sattelförmige Krümmung 
des Paukenfells nur annähernd zu erkennen. 

Von den drei Rändern oder Seiten des runden Fensters liegen 
die beiden unter einem rechten Winkel zusammenstofsenden mehr an der 
unteren abgeplatteten Fläche des Kanals. Die eine derselben durchsetzt den 
Schneckenkanal in querer Richtung (Taf. I. Figg. 1, 3, 4: 2), ist stets sehr 
kräftig ausgebildet und besitzt in der Gegend, wo sie bei der Öffnung des 
Aquaeductus cochleae vorbeizieht, meist eine gegen das runde Fenster vor- 
springende Zacke; sie entspricht der bisher bekannten Crista semilunaris. 
Die zweite und kürzeste verläuft parallel der Längsaxe des Schneckenkanals 
an der Ursprungsstelle der Zamina spiralis ossea entlang und umschreibt eine 
halbbogenförmige gegen die Öffnung des runden Fensters convexe Linie 
(Taf. I. Figg. 1, 3, 4: 1); sie ist am wenigsten ausgebildet und erscheint als 
ein nur wenig vorspringender Saum der Spindelwand des Schneckenkanals 
an derjenigen Stelle wo, wie bemerkt, die Lamina spiralis ossea entspringt 
Die dritte gekrümmte Seite ist lateral- und aufwärts gewendet (Taf. I. 
Figg. 1, 3, 4: c). 


des Menschen und der Säugethiere. 95 


An dem hinteren Ende oder Pole des Fensters treffen die ge- 
krümmte Seite und die an der Zamina spiralis ossea hinziehende unter 
einem etwas länger ausgezogenen abgerundeten spitzen Winkel zusammen, 
welcher, wenn auch nicht genau, so doch gerade an der Schlufslinie, mit 
demjenigen übereinstimmt, den die an dieser Stelle ineinander übergehenden 
Spiralblätter (das Hauptblatt und das Nebenblatt) bilden (vgl. Taf. 1. 
Figg. 3, 4: cl). Die beiden Spiralblätter mit der Zona Valsalvae (vgl. Taf.1. 
Figg. 3, 4 !sp und /sp’) haben sich überdies unter plötzlicher Erweiterung 
der Vorhofstreppe und gleichzeitiger Abnahme des Hohlraums der Pauken- 
treppe am lateralen Pole des runden Fensters der abgeplatteten freien Wand 
des Schneckenkanals so genähert, dafs sie an der oben bezeichneten Stelle 
mit der Crista des runden Fensters verschmelzen und den vollkommenen 
Abschlufs des Hohlraums der Paukentreppe gegen den Vorhof hin herbei- 
führen. Von hier ab ziehen die Spiralblätter noch eine Strecke lang so nahe 
neben der C’rista des runden Fensters nach dem Schneckenkörper hin, dafs 
darin wohl der Grund zu suchen ist, warum bisher die ganze Ausdehnung 
dieser Crista der Beobachtung sich entzogen hat. Im weiteren Verlaufe der- 
selben kann wegen der dann eintretenden Divergenz von dem Zuge der 
Spiralblätter eine Verwechselung beider leicht vermieden werden. 

Hyrıl beschreibt in dem ausgezeichneten Werke „Vergleichend- ana- 
tomische Untersuchungen über das innere Gehörorgan des Menschen und 
der Säugethiere (Prag 1845. S. 121 fg.)” die Lamina spiralis secundaria mit 
folgenden Worten: „Sie besteht wie die Lamina spiralis primaria aus zwei 
dünnen Knochenblättern, welche vor ihrer Verschmelzung zu einer Lamelle 
einen dreieckigen Raum einschliefsen, der wahrscheinlich zur Aufnahme 
einer Vene dient. Wahrscheinlich ist dieses der von Breschet beschrie- 
bene Sinus venosus laminae spiralis membranaceae.” In ganz ähnlicher 
Weise hat sich Arnold (Handbuch d. Anat. d. Menschen. Bd. I. S. 1119) 
in seiner sehr genauen anatomischen Beschreibung des Gehörorgans über die 
Lamina spiralis accessoria ausgesprochen. 

Wiederholte Untersuchungen haben mich überzeugt, dafs die Lamina 
spiralis accessoria, wie die Crista fenestrae rotundae, als eine zugeschärfte 
solide Knochenlamelle auftritt, die auf Durchschnitten die Begrenzung eines 
spitzen, gleichschenkligen Dreiecks besitzt (vgl. Figg. 3,4). Zwei durch eine 
Furche getrennte Knochenlamellen sah ich an keiner Stelle. Die Crista 


Phys. Kl. 1864. D 


26 Reıcnenr: Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke 


‚Fenestrae rotundae und das Nebenschraubenblättchen ziehen aber eine kurze 
Strecke durch eine schmale Furche getrennt so nebeneinander, dafs sie als 
zusammengehörige Knochenlamellen sehr leicht angesehen werden können. 
Auch nimmt in der Furche zwischen ihnen eine Vene ihren Lauf, die einer- 
seits mit der äufsern Spiralvene zusammenhängt, anderseits um den Vorhofs- 
pol des runden Fensters herumzieht, einzelne Zweige aus dem Schnecken- 
theil des Vorhofs aufnimmt und schliefslich in den Sinus Aquaeductus coch- 
leae sich ergielst (vgl. S. 10 fg.). 

Von dem kanalartig geformten Theile des Vorhofabschnit- 
tes sieht man äufserlich am herauspräparirten knöchernen Labyrinthe nur 
die freie Wand, an welcher das Schneckenfenster sich befindet, so in den 
Vorhof sich fortsetzen, dafs der hinter- und medianwärts vom ovalen Fenster 
gelegene Abschnitt der Paukenhöhlenwand desselben wie zur Schnecke ge- 
hörig sich darstellt (Taf. 1. Fig. 1 C’). Um jedoch sowohl diesen Übergang 
der freien als auch den der Spindelwand des Schneckenkanals zum Vorhof 
genauer übersehen zu können, mufs der oberhalb und lateralwärts vom ova- 
len Fenster gelegene Bezirk des Vorhofs entfernt werden, damit namentlich 
die an die Schnecke angrenzende mediale Wand des Bodens mit dem Ae- 
cessus hemisphaericus frei zu Tage tritt (Taf. I. Fig. 2). 

Man bemerkt dann zuerst, dafs die beim Menschen horizontal im trans 
versalen Durchmesser heranziehende Spindelwand des Schneckenkanals (Taf. 
I. Fig. 2 Ca), welche nach dem Aufhören der Paukentreppe ausschliefslich 
der plötzlich sich erweiternden Vorhofstreppe angehört, unter einem fast 
rechten abgerundeten Winkel auf- und hinterwärts in den sagittal gestellten 
Boden des Zi. hemisphaericus übergeht. Aufserdem zieht der hinten unmittel- 
bar an die Spindelwand anstofsende Theil der freien Wand des Schnecken- 
kanals, an welchem das Vorhofsende (Fig. 2c 2) des runden Fensters mit 
den vereinigten Spiralblättern liegt, ganz allmälig aufwärts in ein ungefähr 
kreisförmig begrenztes, gleichfalls mehr sagittal gestelltes flaches Grüb- 
chen hinein, das noch zum Boden des Vorhofs gerechnet werden mufs. 
Der Übergang erfolgt, wie gesagt, ganz unmerklich mit einer allmäligen 
Abänderung des Zuges aus der frontalen Ebene nach hinten in die dem Boden 
des Vorhofs an dieser Stelle entsprechende sagittale (Taf. I. Fig. 27 ce). 

Dieses Grübchen wird hinterwärts von einem der Ampulle des untern 
halbeirkelförmigen Kanals zugehörigen scharfkantigen Vorsprunge (Taf. 1. 


des Menschen und der Säugethiere. 97 


Fig. 2 $z’), nach vorne von einer niedrigen kammartigen Leiste (Fig. 27 c') 
begrenzt, welche von der Crista vestibuli nach den vereinigten Spiralblättern 
verläuft. Dieses letztere Leistchen tritt an Labyrinthen, deren Beinhaut 
erhalten ist (vgl. Taf. II. Fig. 10 rc‘), sehr kräftig hervor, ist halbkreis- 
förmig gekrümmt, mit der Convexität gegen die besprochene Spindelwand 
und dem Recessus hemisphaericus gerichtet. Gegen den Recessus hemi- 
ellipticus bin erhebt sich der Boden des Vorhofs in Form eines niedrigen 
mehr stumpfwinkligen Kammes, der von der Crista vestibuli zu dem scharf- 
kantigen Vorsprunge an der Ampulle des untern halbeirkelförmigen Kanales 
hinüberführt und zuweilen eine convex gegen das Grübchen hin gerichtete 
Krümmung besitzt (Tai. I. Fig. 2 rc’). Durch diesen Kamm wird das 
Grübchen vom Recessus hemiellipticus und der in dieser Gegend zur Öff- 
nung des Recessus vestibuli fortziehenden Furche getrennt (Fig. 2rv). Der 
Boden des Grübchens ist median- und hinterwärts gegen die Stelle des Porus 
acusticus inlernus gerichtet wo, wie früher angegeben wurde, der kleinere 
für den Vorhofsabschnitt der Schnecke bestimmte Ast des Nervus cochleae 
hindurchdringt. Im oberen Theile des Grübchens, näher zur Befestigungs- 
stelle der Lamina spiralis ossea hin, sieht man mehrere feine Öffnungen, 
die eine vierte Macula cribrosa (Taf. 1. Fig. 2 mc‘) des Vorhofs darstellen, 
und denjenigen Zweig vom kleineren Ast des Nervus cochleae hindurch- 
treten lassen, der sich zu dem die beiden Säckchen des Vorhofs trennenden 
Septum begiebt (vgl. Taf. II. Fig. 10 Mc’). Im unteren mehr vertieften 
Theile des Grübchens liegt der Blindsack des häutigen Schneckenkanals. 
Die angeführten Umstände mögen es rechtfertigen, wenn ich das in Rede 
stehende Grübchen am Boden des Vorhofs unter dem Namen Recessus 
cochlearis neben dem Recessus hemisphaericus und hemiellipticus in die 
Wissenschaft einführe. 

Die Art und Weise, wie die knöcherne Schnecke in den Vorhof 
übergeht, führt zu der Überzeugung, dafs man den Vorhof in zwei 
Abtheilungen zu scheiden habe, von welchem die eine mehr mit 
der Schnecke, die andere mit den halbeirkelförmigen Kanälen 
in Verbindung zu bringen wäre; und dies wird auch durch das Verhalten 
des häutigen Labyrinths unterstützt. Es ist schwierig, die äufsere Form 
des knöchernen Vorhofs genauer abzugrenzen und so zu bestimmen, dafs 
die Scheidungslinie der beiden Abtheilungen zugehörigen Abschnitte sich 

D2 


28 Reıcnerr: Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke 


genau angeben liesse. Die Anatomen pflegen gewöhnlich nur den Theil der 

Wandune, an welchem die beiden Säckchen befestigt sind, als Boden mit 
ED 5 D 

dem Recessus hemisphaericus und hemiellipticus hervorzuheben und die zur 


gegenüber 


Paukenhöhle gewendete Wand mit dem ovalen Fenster ihm geg 


zu stellen. 

Im Allgemeinen läfst sich der Vorhof als ein ellipsoidischer 
Hohlraum auffassen, dessen Längsaxe in der Sagittalebene liegt, und dessen 
vorderer Pol etwas abwärts gegen die Paukenhöhle, der hintere nach auf- 
wärts zum Porus acusticus internus gewendet ist. Es können aber an der 
Begrenzung dieses Hohlraumes vier durch Lage und Richtung von einander 
abweichende Wände unterschieden werden: 1) die obere in der Ausdeh- 
nung des Ftecessus hemiellipticus, — 2) die dieser gegenüberliegende und 
zur Paukenhöhle gewendete untere, in deren Bereich das ovale Fenster und 
hinter demselben die in den Vorhof auslaufende Wand der Schnecke gehört; 
— 3) ferner die mediale Wand, an welcher nach vorn der fecessus hemi- 
sphaericus, nach hinten der Recessus cochlearis sich ausbreitet, auch theil- 
weise die Öffnung der Vorhofstreppe sich befindet, die zugleich auf die an- 
gränzende untere Wand hinüberzieht; — 4) endlich die ausgebreitete und 
gröfste laterale Wand mit den Öffnungen des Recessus vestibuli und der 
halbeirkelförmigen Kanäle, von welchen die Ampullenöffnung des unteren 
halbeirkelförmigen Kanals am hinteren Pole ziemlich weit nach der medialen 
Wand hinübergreift. 

Von diesen vier Wänden ist die obere mit dem Fecessus hemiellip- 
ticus und die mediale mit dem Recessus hemisphaericus und cochlearis 
wegen der Continuität in der Knochenmasse als Boden des Vorhofs be- 
zeichnet worden. Bei der Scheidung des Vorhofs in die beiden Abschnitte 
für die Schnecke und die halbeirkelförmigen Kanäle läfst sich gleichwohl an 
diesem Boden eine etwa S-förmig gekrümmte kammartige Leiste 
bezeichnen, durch welche der Schneckenantheil des Vorhofs von dem der 
halbeirkelförmigen Kanäle getrennt wird (Taf. I. Fig. 2:pv, cv, rc”). Die- 
selbe beginnt am vorderen Pole mit der Pyramis vestibuli, zieht längs der 
Crista vestibuli und des stumpfwinkeligen Kammes, durch welchen der Re- 
cessus cochlearis vom Recessus hemiellipticus geschieden wird, zu dem am 
hinteren Pole gelegenen scharfkantigen Vorsprunge der Ampulle des untern 
halbeirkelförmigen Kanals. Eine Ebene, welche durch diese Linie senk- 


des Menschen und der Säugethiere. 29 


recht gelegt würde, stände, von den Krümmungen abgesehen, nahezu sagit- 
tal und nähme zugleich das Septum in sich auf, durch welches das runde 
und längliche Säckchen getrennt werden (vgl. Taf. II. Fig. 10). 

An der unteren Paukenhöhlenwand würde diese Ebene das Vorhof- 
fenster schräg in einen medialen zur Schnecke und einen lateralen zu den 
halbeirkelförmigen Kanälen gehörigen Theil abgränzen. 


Schneckenkörper. 


An dem Schneckenkörper habe ich die Aufmerksamkeit auf die 
Kuppelbildung zu lenken. Es war bereits erwähnt, dafs das Dach der 
Kuppel an der freigelegten Labyrinthkapsel abgeplattet sich darstelle und 
nicht von dem blinden Ende, sondern von der ganzen dritten halben Win- 
dung und von der letzten Hälfte der zweiten eingenommen und gebildet 
werde (Taf. I. Fig. 1). 

Auf der rechten Seite des Körpers wird die rechte Hälfte der Kuppel 
von der zweiten Hälfte der zweiten Windung, die linke von der dritten 
halben eingenommen; umgekehrt auf der linken Seite. Während die erste 
und zweite Windung bei ihrer spiralen Drehung auch äufserlich sichtbar all- 
mälig an einer Axe ansteigen, wie das Gehäuse bei einer Gartenschnecke, 
so gewährt die dritte halbe Windung den Anschein, als steige sie nicht 
mehr an, sondern winde sich, in derselben Ebene mit der letzten Hälfte der 
zweiten Windung verbleibend, ähnlich wie bei dem Gehäuse des Pla- 
norbis corneus, um die eigne Wand herum und lege sich an die zweite Häl- 
fte der zweiten Windung nur einfach an, die von der letzteren gebildete Con- 
cavität ausfüllend. Wird der Schneckenkanal an der Übergangsstelle der zwei- 
ten Windung zur dritten halben von aufsen geöffnet, so dafs man eine Einsicht 
von dem Zuge des Schneckenkanals erhält (vgl. Taf. I. Figg. 3 u. 5), und 
nimmt man sogar durch die Axe der Schnecke geführte Durchschnitte zu 
Hülfe (vgl. Taf. II. Figg. S u.9), so überzeugt man sich, dafs der Schnecken- 
kanal auch im Bereiche der dritten halben Windung ganz deutlich ansteigt. 
Es kann also von einer spiralen Drehung der dritten halben Windung in einer 
und derselben Ebene mit der letzten Hälfte der zweiten im eigentlichen Sinne 
des Wortes nicht gut die Rede sein. 

Der zum Verständnifs der Kuppelbildung herbeigezogene Vergleich 
mit dem Gehäuse der Planorbis wird gleichwohl dadurch nicht wesentlich 


30 Reıcnerr: Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke 


beeinträchtigt. Auch am Gehäuse des Planorbis findet ein geringes Anstei- 
gen der Windungen statt. Geht man von der, im Centrum gelegenen, 
engsten aus, SO ziehen die nächstfolgenden unerachtet ihres geringen An- 
steigens in Folge der progressiven Erweiterung der Zumina und der dadurch 
bedingten progressiven Vergröfserung ihres Radius vecior so, dafs die Be- 
rührungsflächen mit den central gelegenen in eine senkrecht die Axe durch- 
schneidende Ebene fallen. Die Zwischenwände liegen demnach in dieser 
Ebene concentrisch nebeneinander und stehen nahezu parallel zur Axe. In 
der Axe selbst berühren sich die Windungen nicht; sie entfernen sich viel- 
mehr in so steigender Progression von derselben, dafs die Bildung einer 
Spindel unmöglich wird, und das Gewinde den Habitus annimmt, als ob es 
in einer und derselben Ebene die Spiraltouren vollführe. 

In der Kuppel der menschlichen und der meisten Säugethier-Schnecken 
tritt in ähnlicher Weise der Fall ein, dafs die dritte halbe Windung, uner- 
achtet des stärkeren Ansteigens, wegen der progressiven Abnahme der Weite 
des Kanals in einer senkrecht die Axe schneidenden Ebene zugleich mit der 
zweiten Hälfte der zweiten Windung ihre Lage erhält. Beim Gehäuse des 
Planorbis ging ich, dem Wachsthum der Schnecke entsprechend, von der 
engsten Windung aus und zu den progressiv an Weite zunehmenden Win- 
dungen fort; hier mufs man dem Wachsthume der Gehörschnecke gemäfs 
den umgekehrten Weg verfolgen, was in der Sache selbst nichts ändert. Die 
dritte halbe Windung hat also eine laterale Berührungsfläche und eine laterale 
gemeinschaftliche Scheidewand mit der zweiten Hälfte der zweiten Windung, 
für welche ich zur besonderen Auszeichnung und zur Unterscheidung von 
der Spindelwand (Paries modiolaris) des Schneckenkörpers den Ausdruck 
„Lamina modioli” beibehalten möchte, obgleich Krause nur den freien 
Rand derselben mit diesem Namen belegt hat (Müller’s Archiv 1837. S. 3). 
Die bezeichnete Windung zieht aber zugleich unmittelbar über die erste 
Hälfte der zweiten Windung hinweg und besitzt demnach auch mit dieser 
eine und zwar die Schneckenaxe schneidende gemeinschaftliche Zwi- 
schenwand. 

Zur Erläuterung der Kuppelbildung sind noch zwei Umstände in Er- 
wägung zu ziehen: Das Aufhören der Spindelsubstanz und die 
Veränderung in der Richtung, welche die Zwischenwände im Ge- 
winde des Schneckenkörpers zeigen. 


des Menschen und der Süäugethiere. 31 


Die nervenhaltige Spindelsubstanz, welche den von der Spin- 
delwand des Schneckengehäuses der ersten und zweiten Windung gebildeten 
kegelförmigen Hohlraum ausfüllt und auch in das primäre Spiralblatt sich 
fortsetzt, hört an der Stelle auf, wo das genannte Spiralblatt als Hamulus 
von der Spindelwand sich ablöst (Taf. II. Fig.7 M', Taf. I. Fig. 3 M, !sp°). 
Bei gut verknöcherten Labyrinthen ist an dem bezeichneten Ende, so weit 
ich sehe, keine zum Canalis centralis modioli führende Öffnung nach- 
zuweisen; die Spindelwand geht um die Spitze herum und besitzt dieselbe 
Beschaffenheit, wie an anderen Stellen. Da die Knochenlamelle sehr dünn 
ist, so ist eine Zerstörung derselben leicht möglich. An Labyrinthen Neu- 
geborner, bei welchen die Spindelsubstanz noch nicht vollständig verknö- 
chert ist, sieht man dann in den von den Spindelwänden begränzten kegel- 
förmigen Hohlraum hinein; ist die Spindelwand schon verknöchert, so ist 
an der Bruchfläche eine spongiöse Knochensubstanz und in deren Mitte die 
Öffnung des Canalis centralis modioli sichtbar. 

Die Abwesenheit einer Spindel in der Kuppel ist aber nicht 
durch das Aufhören dieser Spindelsubstanz bedingt; eine Spindel fehlt in 
der Kuppel, weil die dritte halbe Windung im gröfsten Theile ihres Verlaufes 
sich nicht über das Niveau der letzten Hälfte der zweiten erhebt. Würde 
die letzte halbe Windung fortfahren, ansteigend auch noch die zweite Hälfte 
zu vollenden, so würde sie sich über das Niveau der zweiten Windung er- 
heben, und auf diese Weise wie bei den Windungen des Gehäuses der 
Gartenschnecke das Auftreten einer Spindel herbeiführen. Und in der That 
ist auch eine Andeutung davon vorhanden. Das äufserste blinde Ende der 
dritten halben Windung erhebt sich nämlich etwas über das Niveau der 
zweiten Hälfte der zweiten Windung und befindet sich zugleich im Beginn 
einer spiralen Drehung nach aufwärts, wie wenn es in die zweite Hälfte der 
dritten Windung übergehen wollte. An dieser Stelle nun, welche in der 
Nähe des freien Randes der Lamina modioli und der Schneckenaxe liegt, 
besitzt die letztere eine der spiralen Drehung entsprechende Krümmung, 
welche den Anfang einer Spindelbildung darstellt (vgl. Taf. I. Figg. 3, 5 C2). 
Bei schrägen Sagittalschnitten durch die Axe des Schneckenkörpers kann das 
beschriebene blinde Ende der dritten halben Windung so durchschnitten 
werden, dafs es als ein abgesonderter Hohlraum über der Lamina modioli 
in der Mitte des Schneckendaches sichtbar ist (vgl. Taf. II. Fig. 8 Cm’). 


32 Reıcnerr: Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke 


Was nun die Richtung der Zwischenwände betrifft, so ist die 
zwischen der ersten und zweiten Windung gelegene nahezu senkrecht zur 
Axe gestellt. Die Spindelwände (der Vorhofs- und Paukentreppe) bilden 
mit ihr einen abgerundeten rechten Winkel. Nach der Kuppel zu wird die 
Zwischenwand mehr und mehr zur Spitze der Schneckenaxe hin geneigt; 
der abgerundete Winkel, den die Zwischenwand mit der Spindelwand bil- 
det, wird nach der Kuppel und zur Vorhofstreppe hin progressiv spitzer, 
nach der Basis der Schnecke und zur Paukentreppe hin progressiv stumpfer. 
In der Kuppel hat sich die Zwischenwand, — während ihres spiralig anstei- 
genden Zuges in der zweiten Hälfte der zweiten Windung, — allmälig und 
namentlich mit ihrem frei endigenden Rande parallel zur Axe der Schnecke 
gestellt (vgl. Taf. I. Figg. 3, 5 Cl). Sie bildet jetzt die oben bezeichnete 
Lamina modioli, und der verdickte freie Rand ist von Arnold Apex mo- 
dioli genannt. In Folge dieser Stellung hat sie eine der Spindelwand ähn- 
liche Lage erhalten; letztere geht in einem sehr flachen Bogen unmittelbar 
in ersteren über (vgl. Taf. II. Fig. 7 rechterseits in der Abbildung). Am 
freien Rande der Lamina modioli ist kaum eine Spur von jenem durch die 
Spindel- und Zwischenwand formirten Bogen zu bemerken; derselbe steht 
der Axe fast parallel. In diese sogenannte Lamina modioli ist also so- 
wohl die Spindel- als die Zwischenwand aufgegangen, und zugleich stellt sie 
die trennende Wand dar, welche die in der Queraxe des Körpers neben- 
einanderliegende zweite Hälfte der zweiten Windung und die dritte halbe 
voneinander scheidet. 

Der zur dritten halben Windung gehörige Hohlraum gewährt das Bild 
eines Trichters, oder richtiger Halbtrichters, Scyphus, wenn die freie Kup- 
pelwand an der Übergangsstelle der zweiten Windung in die der dritten hal- 
ben eröffnet wird. Es sind die in halber Spirale sich drehende Zamina modioli 
und die gegen die erste Hälfte der zweiten Windung gerichtete Zwischen- 
wand der dritten halben Windung, welche den halben Mantel eines Trichters 
umschreiben. Die Öffnung des halben Trichters wird durch die freie Wand 
der dritten halben Windung überwölbt. Die Spitze des Halbtrichters zieht 
sich in das Helicotrema hinein. Aber der Scyphus Vieussenü bleibt in 
allen Fällen eine künstliche und unnatürliche Vorstellung von den Form- 
verhältnissen in der Kuppel des Schneckengehäuses. Künstlich ist sie, weil 
man ein abgerissenes Stück des häutigen Schneckenkanals, jenes das Zlelico- 


des Menschen und der Säugethiere. 33 


irema abschliefsende sichelförmige Ende der Zona Valsalvae im knöcher- 
nen Schneckengehäuse erhalten, und dann den vorliegenden Hohlraum 
der dritten halben Windung auf die enge Öffnung des so abgeschlossenen 
Helicotrema willkürlich beziehen und, so zu sagen, zum Trichter zuspitzen 
mufs (vgl. Taf. I. Fig. 5, auch Fig. 3 4). Auch der Umstand ist noch her- 
vorzuheben, dafs man einen Hohlraum, der vom Kuppelblindsack des häu- 
tigen Schneckenkanals gröstentheils erfüllt ist, mit dem im Helicotrema vor- 
liegenden perilymphatischen Raum des Schneckengehäuses in Verbindung setzt. 
Unnatürlich nenne ich endlich die Vorstellung, weil sie das thatsächliche 
Verhalten in der spiralen Drehung des Schneckengehäuses trübt. 

Bei der Kuppelbildung dürfte endlich der freie, aber verdiekte und 
schwach S förmig gebogene Rand der Lamina modioli(!) (vgl. Taf. 1. 
Figg. 3, 5 Cl) bei der Vorstellung von der spiralen Drehung des Schnecken- 
gehäuses einige Schwierigkeit darbieten. Das Auftreten dieses freien Ran- 
des in dem Zuge des Schneckenkanals an der Übergangsstelle der zweiten 
Hälfte der zweiten Windung in die dritte halbe ist durch zwei Umstände be- 
dingt: dadurch nämlich, dafs die dritte halbe Windung zur Seite der zweiten 
Hälfte der zweiten Windung fortzieht, und dadurch, dafs dieselbe diese 
Tour im engen Anschlufs an der Wand der letzteren vollführt, so dafs beide 
Theile an der bezeichneten Stelle eine gemeinschaftliche Trennungswand er- 
halten. Man kann sich daher die Vorstellung von dem Auftreten eines freien 
gegen den Hohlraum des Schneckenkanals gewendeten Randes erleichtern, 
wenn man die dritte halbe Windung zuerst in einen gröfseren Bogen und 
mit eigenen Wandungen die Spiraltour vollziehen läfst und dann beide 
Theile einander so nähert, dafs sie sich berühren und eine gemeinschaft- 
liche Zwischenwand erhalten, dann mufs an der concaven Seite der Über- 
gangsstelle der zweiten Windung in die dritte halbe nothwendig ein frei im 
Hohlraum vortretender Rand gebildet werden. 

Die von mir gegebene Erläuterung über die Kuppelbildung macht, 
wie mir scheint, verständlich, wie es geschehen konnte, dafs ausgezeichnete 
Anatomen so verschiedene Ansichten über die Lamina modioli 
ausgesprochen haben, obgleich ihnen Allen die morphologische Beschaffen- 
heit derselben genau bekannt war. Nach Huschke “@. 2.0.8. 865) sitzt 


10C) Margo semilunaris PETER modioli nach Huddhre (er S. 865); ee „d mo- 
dioli nach Krause; Apex columellae nach Arnold (a. a. O. S. 1116). 


Phys. Kl. 1864. E 


34  Reıcsert: Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke 


das Spindelblatt auf der Spitze der Columella „ist aber kein anderer beson- 
derer Theil als was Decke und Boden der ersten Windungen” und müfste 
danach den Zwischenwänden in denselben gleich zu setzen sein. An einem 
anderen Orte (a. a. OÖ. S. 863) heifst es: „Der Modiolus wird in Columella 
und Zamina modioli eingetheilt, von welchen letzteres aber zu dem übri- 
gen Spindelblatt der Windungen und der oberen Platte des Spiralblattes zu 
rechnen sei.” Huschke nennt Spindel, Modiolus, den von der Basis zum 
Dach in der Axe der Schnecke gehenden Knochenkegel, um welchen sich 
die Windungen der Schnecke drehen; an ihr sind zu unterscheiden die in- 
nere Wand dieser Windungen, die von mir genannte Spindelwand und die 
zwischen ihr befindliche poröse nerven- und gefäfshaltige Knochensubstanz. 
Nach Arnold ist die Lamina modioli die Zwischenwand der zweiten und 
dritten halben Windung, welche dem Schneckengehäuse angehört und nicht 
der Spindel. Die Spindel aber wird nach ihm durch die innere centrale 
Wandung des Schneckenrohrs und durch eine „schwammige, den kegelför- 
migen von dieser umschlossenen Raum erfüllende Masse des Felsenbeines” 
gebildet; von dieser Spindel gehe der von ihm so genannte Apex modioli in 
das Dach der Schnecke hinein und bilde daselbst den freien Rand der Za- 
mina modioli. In ähnlicher Weise hat sich Hyrtl (Lehrb. d. Anat. 
d. Mensch. 1857. S. 464) ausgesprochen. 

Der Name Spindelblatt wird von den genannten Anatomen sowohl 
für den Theil des Schneckengehäuses gebraucht, den ich Spindelwand (Pa- 
ries modiolaris) nannte, als auch für den Wandungsbestandtheil des Schnec- 
kengehäuses, der mit einem freien Rande innerhalb der Kuppel endet, und auf 
welche ich die Bezeichnung Zamina modioli beschränkt habe. In der durch 
die Axe des Schneckenkörpers im Bereiche der ersten und zweiten Windung 
gelegenen Knochenmasse habe ich aus früher angegebenen Gründen gleich- 
falls die Spindelwand des Schneckenkanals mit den dazugehörigen beiden 
Knochenlamellen der Zamina spiralis ossea von der porösen nerven- und 
gefäfshaltigen Spindelsubstanz unterschieden, die auch zwischen den beiden 
Lamellen der Lamina spiralis ossea hineintritt. Diese letztere „Spindel- 
substanz” setzt sich, wie angegeben, nicht in die Kuppel und deren Zamina 
modioli fort; sie erreicht am Hamulus ihr Ende (vgl. Taf. I. Fig. 3: 7 sp? 
und Taf. II. Fig. 7). Ich hatte aber bereits bemerkt, dafs das Aufhören 
der Spindelsubstanz nicht die Abwesenheit einer Spindel in der Kuppel be- 


des Menschen und der Säugethiere. 35 


dinge, denn die letztere wird hauptsächlich durch das Schneckengehäuse 
gebildet und die Spindelsubstanz ist, so zu sagen, eine Füllungsmasse des 
durch die spiralen Drehungen des Kanals gebildeten kegelförmigen Hohlrau- 
mes. Eine Spindel fehlt vielmehr in der Kuppel, weil die dritte halbe 
Windung zum gröfsten Theile sich nicht über das Niveau der zweiten Hälfte 
der zweiten Windung erhebt. In die Lamina modioli sind, wie schon be- 
merkt, Spindelwand und Zwischenwand in der eben bezeichneten Tour des 
Schneckengehäuses aufgegangen, indem erstere gleichzeitig eine der Axe 
der Schnecke nahezu parallele Richtung erhalten hat. 


d. Lage und Befestigung des häutigen Schneckenkanals 


in der knöchernen Schnecke. 


Bei Beschreibung der Lage und Befestigung des häutigen Schnecken- 
kanals in der knöchernen Schnecke müssen die beiden Blindsäcke, der kür- 
zere am Vorhofsabschnitt und der längere, in welchem die dritte halbe 
Windung ausläuft, von dem übrigen Theile gesondert werden. 

Der kurze Vorhofsblindsack liegt an der medialen Wand des 
knöchernen Vorhofs in dem beschriebenen Recessus cochlearis (vgl. Taf. I. 
Fig. 2rc; Taf. II. Fig. 10: Cm?). Er ist in dem unteren mehr vertieften 
Theile dieses Grübchens befestigt und wendet seine mehr convexe freie 
Fläche lateralwärts gegen den perilymphatischen Raum, der unterhalb des 
länglichen Säckchens (vgl. Taf. II. Fig. 10: Ymo), zwischen diesem und 
der Paukenhöhlenwand des knöchernen Vorhofs, hinzieht. Dieser Raum, 
dessen Flüssigkeit unmittelbar von den Bewegungen des Steigbügels getrof- 
fen wird, ist aufserdem medianwärts von dem runden Säckchen (vgl. Taf. I. 
Fig. 10: Y’mr) begränzt und hier auch durch die Öffnung der Vorhofstreppe 
(Fig. 10: sc) mit den perilymphatischen Räumen der Schnecke in unmittel- 
bare Verbindung gesetzt; lateralwärts von ihm öffnen sich die häutigen halb- 
eirkelförmigen Kanäle mit ihren perilymphatischen Räumen (vgl. Taf. II. 
Fig. 10 Smi u. s. w.). 

Der längere Kuppel-Blindsack umfafst etwa % der Länge der dritten 
halben Windung und hat, wie schon erwähnt, eine äufsere Form und eine 
Weite, welche mit der Form und der Weite des entsprechenden Abschnittes 
der dritten halben Windung der knöchernen Schnecke gröfstentheils überein- 
stimmt. Gegen die Lamina modioli hin liegt aber nur ein perilymphatischer 


E2 


36 Reıcnert: Beiträge zur feineren Anatomie der Gehörschnecke 


Raum, der einerseits, um den freien Rand derselben herum, mit der Scala 
vestibuli der zweiten Windung, andererseits, durch das Helicotrema, mit der 
im Aufhören begriffenen Scala T'ympani in Verbindung steht (vgl. Taf. II. 
Fig. 9). Mit diesem Raum, der schnell an Weite abnimmt, hat anfangs 
der Kuppelblindsack den Hohlraum in der dritten halben Windung des 
Schneckengehäuses zu theilen. Das Schlufsstück des Blindsackes (Taf. Il. 
Fig. 10 Cm?) liegt jedoch in seinem knöchernen Gehäuse so, dafs die 
Wände beider sich unmittelbar berühren, oder mit andern Worten, dafs 
hier der häutige Schneckenkanal den knöchernen vollständig ausfüllt und 
kein deutlich ausgesprochener perilymphatischer Raum nachgewiesen wer- 
den kann. 

Zieht man vom häutigen Schneckenkanal den Vorhofs- und Kuppel- 
blindsack ab, so bleibt der eigentliche Haupttheil übrig, der im Querschnitt 
eine dreiseitige Begränzung hat und an der Vorhofswand (Zona Valsalvae) 
zum Corti’schen Organ ausgebildet ist (vgl. Taf. II. Figg. 6, 7, 8: Cm). 

Die Zona Valsalv.ae (Figg. 6, 7, 8: C mv) darf als ein den Mantel 
dieses Haupttheils des häutigen Schneckenkanals wesentlich charakterisiren- 
der Bestandtheil angesehen werden; durch sie läfst sich die Abgrenzung 
gegen die Blindsäcke und so Anfang und Ende oder, wenn man will, beide 
Enden des Haupttheiles des häutigen Schneckenkanals be- 
stimmen. Nach den beiden Blindsäcken hin nimmt die Breite dieser Wand 
allmälig ab. Nach dem Vorhofe hin endet die Zone zugleich mit den eigen- 
thümlichen Gebilden, welche das Cortische Organ an dieser Wand besitzt, 
in einer ungefähr halbelliptisch begränzten Linie, die hier zugleich von den 
sich vereinigenden Spiralblättern umschrieben wird (vgl. Taf. I. Figg. 2, 3, 
4: 1sp*). Die Verschmälerung der Zona Valsalvae nach dem Vorhofe hin 
wird schon in der ersten Hälfte der ersten Windung des Schneckenkörpers 
bemerkbar, nimmt jedoch im Vorhofsabschnitt progressiv zu. 

Nach der Kuppel hin zeigt sich eine deutliche Verschmälerung dieser 
Zone an der Stelle, wo der Hamulus beginnt; sie schreitet dann in starker 
Progression weiter und endigt mit einer stumpf sichelförmigen Begrenzung wie 
der Hamulus (vgl. Taf. I. Fig. 5: Cmv‘). Dieses Ende erstreckt sich aber 
etwa 4 Mm. über dieSpitze des Hamulus hinaus (Fig.52sp°) und trägt wesent- 
lich dazu bei, mit seinem freien concaven Rande das Helicotrema (Fig.5: H) 
zu einer kreisförmigen Öffnung abzuschliefsen. Jenseits der Spitze des 


des Menschen und der Säugethiere. 3 


sichelförmigen Endes der Zona Valsalvae beginnt der Kuppelblindsack des 
häutigen Schneckenkanals, dessen Wandung im ganzen Umfang gleichartig 
beschaffen ist, und an welchem, wie am Vorhofsblindsack das C ortische 
Organ feblt. 

Der in Rede stehende Haupttheil des häutigen Schneckenkanals hat 
demnach seine Lage im kanalartig geformten Theile des Vorhofabschnittes 
der knöchernen Schnecke von der Verbindungsstelle des primären und se- 
cundären Spiralblattes an, ferner in der ersten, zweiten und im ersten Drit- 
theil der dritten halben Windung des knöchernen Schneckenkörpers (vgl. 
Taf. I. Figg. 2, 3, 4: Zsp? und Fig. 5: !s p°). In den genannten Theilen 
liegt der häutige Schneckenkanal frei, von perilymphatischen Räumen (Vor- 
hof- und Paukentreppe) umgeben, und füllt also den knöchernen Schnecken- 
kanal nicht aus. Derselbe hat hier überall an der freien Wand des 
Schneckenkanals seine Lagerungsstätte. In der ersten Hälfte der ersten 
Windung des Schneckenkörpers ist derselbe mehr der Kuppel genähert, also 
in der Nähe derjenigen Zwischenwand gelegen, welche diese Windung 
von der zweiten trennt. In der zweiten Hälfte der ersten Windung und in 
der ersten Hälfte der zweiten hat der häutige Schneckenkanal eine solche 
Lage an der freien Wand der knöchernen Schnecke, dafs er nahezu im glei- 
chen Abstande von den Zwischenwänden fortzieht. Weiterhin aber, na- 
mentlich bei dem Übergange in die dritte halbe Windung, nähert er sich mehr 
und mehr der Basis der Schnecke, also derjenigen Zwischenwand, welche 
die dritte halbe Windung von der zweiten scheidet. 

Die Abtheilung des perilymphatischen Raumes, welche nach der 
Basis hin den häutigen Schneckenkanal als Paukentreppe begränzt, nimmt 
dem entsprechend an Weite allmälig ab und hört etwa !;, Mm. von der Spitze 
des Hamulus entfernt da auf, wo die Paukenwand des häutigen Schnecken- 
kanals mit der sichelförmig endigenden Zona Valsalvae die Zwischenwand 
berührt (vgl. Taf. I. Fig. 5: Cmv‘). Auch die der Vorhofstreppe entspre- 
chende Abtheilung des perilymphatischen Raumes nimmt hier an Weite ab, 
in Folge der progressiv sich verjüngenden dritten halben Windung des knö- 
chernen Schneckenkanals; sie hört aber erst am blinden Ende des Kuppel- 
Blindsackes völlig auf (vgl. Taf. II. Fig. 9: C m’). 

In dem kanalartigen Theile des Vorhofabschnittes der knöchernen 
Schnecke entfernt sich der häutige Schneckenkanal in einem stark gekrümm- 


38 Reıcnerr: Beiträge zur feineren Anatomie der Gehörschnecke 


ten bogenförmigen Verlauf aus dem vorderen Theile des Mantels des Schne- 
ckenrohres zu dem mehr hinterwärs gewendeten, welcher die Paukentreppe 
begränzt, so dafs also auch hier eine ähnliche Abänderung der Lage des 
häutigen Schneckenkanals innerhalb des knöchernen vorliegt, wie die be- 
schriebene an der Kuppel (vgl. Taf. II. Fig. 10: C m). 

Bei Beschreibung des Überganges der knöchernen Schnecke in den 
Vorhof habe ich darauf hingewiesen, dafs der knöcherne Vorhofin zwei 
Abtheilungen zu scheiden sei, von welchen die mediale der Schnecke, 
die laterale den halbeirkelförmigen Kanälen und dem knöchernen Recessus 
Vestibuli angehören. Desgleichen habe ich erwähnt (S. 10), dafs ein Theil 
des Blutes aus dem Schneckenantheil des Vorhofs durch den Sinus aquae- 
duetus cochleae abgeführt werde, und dafs anderseits von dem kleineren 
Aste des Schneckennerven, der zum Vorhofsabschnitt des häutigen und 
knöchernen Schneckenkanals tritt, ein Zweig durch die Macula eribrosa 
des Recessus cochlearis zu dem häutigen Septum abgehe, welches das runde 
Vorhofssäckchen von dem oblongen trennt (Taf. II. Fig. 10: Ne’). Da das 
runde Vorhofssäckchen in dem Schneckenantheile des knöchernen Vorhofs 
(Recessus hemisphaericus) seine Lage hat und durch seinen Canalis reuniens 
in offener Verbindung mit dem häutigen Schneckenkanale steht, von dem 
oblongen Vorhofssäckchen dagegen durch das Septum vollständig getrennt 
wird, so würde biernach das runde Vorhofssäckchen mit dem Cana- 
lisreuniens als ein Anhang des häutigen Schneckenkanals im Vorhof oder 
als Schneckenantheil des häutigen Vorhofs angesehen werden kön- 
nen. Das knöcherne so wie das häutige Labyrinth lassen sich so 
in zwei Haupttheile trennen: 1) zu dem einen gehört: die knöcherne 
und häutige Schnecke und der Schneckenantheil im Vorhofe (Recessus he- 
misphaericus und die mediale Abtheilung der Paukenhöhlenwand und des 
ovalen Fensters), ferner das runde Vorhofssäckchen mit dem Canalis reu- 
niens und der bezeichnete Vorhofsast des Schneckennerven; — 2) zur 
zweiten Abtheilung wäre zu rechnen: die laterale Abtheilung des knöchernen 
Vorhofs mit dem Recessus hemiellipticus und dem entsprechenden Ab- 
schnitte der Paukenhöhlenwand, so wie die knöchernen halbeirkelförmigen 
Kanäle und der Miecessus vestibuli, ferner vom häutigen Labyrinth das ob- 
longe Säckchen mit den häutigen halbeirkelförmigen Kanälen und dem häu- 
tigen Recessus vestibuli. 


des Menschen und der Säugethiere. 39 


Voltolini hat neuerdings (Arch. f. path. Anat. Bd. 28, S. 229) die 
Existenz des geschlossenen runden Vorhofsäckchens geläugnet und da- 
für ein in jener Gegend des Vorhofs ausgebreitetes sogenanntes Felum 
labyrinthi mit Wasserlöchern eingeführt. Ich mufs nach meinen Untersu- 
chungen mich ganz entschieden gegen die Existenz eines solchen Velums und 
für ein vollkommen abgeschlossenes mit dem häutigen Schneckenkanal in 
offener Verbindung stehendes rundes Vorhofsäckchen aussprechen ('). 

Schon öfter hatte ich Gelegenheit darauf hinzuweisen, dafs das runde 
Vorhofsäckchen an der Crista vestibuli unmittelbar das längliche berührt 
(vgl. Taf. II. Fig. 10: 7’mo, Y mr) und dafs beide, wie Durchschnitte lehren, 
durch ein ihnen beiden gemeinschaftliches nervenreiches Septum vollkommen 
von einander geschieden werden. Eine theilweise Zerstörung der sehr dünnen 
freien Wand des runden Vorhofsäckchens ist leicht möglich. Noch leichter 
indefs kann bei Eröffnung des knöchernen Vorhofs die sehr durchsichtige 
sonst unzerstörte freie Wand des Säckchens völlig übersehen werden. Die- 
selbe liegt nämlich gewöhnlich wie eine Deckplatte auf der gegenüberliegen- 
den nervenreichen Wand, die als eine kreisförmig begränzte ziemlich dicke 
weifse Platte unmittelbar im Grunde des Recessus hemisphaericus befestigt 
ist (Fig. 10 mr). Da ich an einem von mir gemachten Durchschnitt 
diese durchsichtige und feine Platte des runden Vorhofsäckchens in einer 
etwas gröfseren Entfernung (1 Mm.) von der nervenhaltigen Wand abste- 
hend vorgefunden habe, so mufs ich voraussetzen, dafs das nahe Beieinan- 
derliegen dieser beiden Wände nur in Folge der ausgeflossenen Endolympha 
eingetreten sei. Es ist aber nicht nothwendig, dafs die Endolympha aus 
dem Vorhofsäckchen selbst durch einen künstlichen Einrifs desselben entfernt 
wäre. Das runde Vorhofsäckchen mit seinem Hohlraum, also auch mit sei- 
ner Endolympha steht im unmittelbaren Zusammenhange mit dem Hohlraum 
und der Endolympha des häutigen Schneckenkanals, und so kann eine Zer- 
störung des letzteren das Zusammensinken der Wände des runden Vorhof- 


(') Nach Th. Bischoff hält auch Dr. Rüdinger die Anwesenheit des Saceulus hemi- 
sphaericus „unbedingt aufrecht und glaubt sich überzeugt zu haben, dafs das Säckchen mit der 


häutigen (?) Auskleidung der Scala vestibuli der Schnecke zusammenhängt und gewissermalsen 
den blinden in dem Vorhof gelegenen Anfang des Schneckenkanals bildet, in ähnlicher Weise 
wie das elliptische Säckchen den blinden Anfang der halbeirkelförmigen Kanäle darstellt”. 
(Sitzungsb. der Königl. Bayr. Akad. d. W. zu München, Jahrgang 1863. Bd. I. S. 55). — 
Gegen Voltolini’s Ansicht hat sich auch Hensen erklärt (a. a. O.). 


40 Reıcuert: Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke 


säckchens veranlassen. Unter den Wänden des häutigen Schneckenkanals 
ist aber die Vorhofswand so aufserordentlich zart und leicht zerreifsbar, dafs 
ich die Zerstörung derselben durch plötzlich veränderte Druckverhältnisse, 
welche auch schon beim Abflusse der Perilympha eintreten können, nicht nur 
für möglich sondern für höchst wahrscheinlich halte. 

Der Canalis reuniens erscheint als unmittelbarer Ausläufer des 
runden Vorhofsäckchens nach aufwärts zum Vorhofsblindsack hin. Der 
obere Rand des Vorhofsäckchens zieht sich, so zu sagen, allmälig in diesen 
Kanal aus, der auch aus diesem Grunde als zum runden Vorhofsäckchen 
gehörig betrachtet werden mufs. Der Kanal verläuft unmittelbar vor 
und an der Seite jener niedrigen Knochenleiste, durch welche der Fiecessus 
cochlearis gegen den Hecessus hemisphaericus und der Lamina spiralis ossea 
abgegränzt wird. Die Ausmündung in den Vorhofsblindsack des häutigen 
Schneckenkanals liegt unmittelbar an den vereinigten Spiralblättern nach 
dem Recessus cochlearis hin. An dieser Stelle, also im Bereiche des Vor- 
hofblindsackes, ist die Zona Valsalvae, mit dem Theile, der das Gorti- 
sche Organ trägt, nicht mehr vorhanden (Taf Il. Fig.10). 

Befestigung des häutigen Schneckenkanals. Der häutige 
Schneckenkanal steht in seinem so eben beschriebenen Verlaufe an zwei 
gegenüberliegenden Stellen, an der concaven zugeschärften Kante und an 
seiner convexen Wand (vgl. Taf. II. Figg. 6, 7, 8, 9: aiu. Cme), in fester 
continuirlicher Verbindung mit der Wandung der knöchernen Schnecke. 
Die Bestandtheile der häutigen Schneckenwand sind hier mit der Beinhaut 
des knöchernen Schneckenkanals in so innige Verbindung getreten, dafs es 
schwierig ist, eine scharfe Scheidung beider durchzuführen. In jener Zeit, 
als man vom häutigen Schneckenkanal nur die Zona Valsalvae kamnte, 
hatte man gleichfalls zwei Befestigungsstellen, und zwar an dem primären und 
secundären Spiralblatt, in die anatomische Beschreibung der häutigen Schnecke 
aufgenommen (vgl. Taf. I. Figg. 3, 4: Cmv, Isp u.!sp). Von diesen 
beiden Befestigungsstellen läfst sich die an der Lamina spiralis ossea auch 
jetzt ohne Schwierigkeit auf die Verbindung des häutigen Schneckenkanals 
an seiner zugeschärften concaven Kante übertragen. An der Lamina spi- 
ralis ossea müssen aber, wie Hyrtl mit Recht bemerkt, zwei Knochen- 
lamellen, welche den Wandungen des knöchernen Schneckenkanals angehören 
und die dazwischen gelegene poröse nervenhaltige Knochenmasse, welche 


des Menschen und der Säugethiere. 41 


als eine Fortsetzung der Spindelsubstanz anzusehen ist, unterschieden wer- 
den. Zu ihr gehört, wie gleichfalls Hyrtl hervorhebt, ein Kanal, in wel- 
chem die Habenula ganglionaris liegt (Canalis spiralis modioli; — Canalis 
ganglionaris neuerdings genannt) und die im Bereiche der zweiten Hälfte 
der ersten und in der zweiten Windung des knöchernen Schneckenkanals in 
der Gegend des abgerundeten Winkels fortzieht, welchen die Lamina spi- 
ralis ossea mit der Spindelwand der Vorhofstreppe macht. In der ersten 
Hälfte der ersten Windung liegt dieser Kanal zufolge meiner Beobachtungen 
im frei hervortretenden Theile der Zamina spiralis ossea und tritt gegen die 
Paukentreppe hin als halbeylindrische Wulst sehr deutlich hervor (Taf. II. 
Fig.6: hg). Er beginnt, wie ich es an der Schnecke einer Katze sehe, nahe 
bei der Öffnung des Aquaeductus cochleae und liegt hier der Spindel sehr 
genähert. Sodann entfernt sich die Wulst allmälig von der Insertionsstelle 
der Lamina spiralis an der Spindel, um weiterhin wieder ebenso allmälig 
sich dem Winkel zu nähern, welchen Spindel und Spiralblatt auf der Pau- 
kentreppenseite bilden. Etwa gegen die Mitte der ersten Windung hat der 
Kanal den oben bezeichneten Winkel erreicht, so dafs der frei an der Pau- 
kenfläche des Spiralblattes hervortretende Theil desselben einen spiral ge- 
wundenen nach aufsen convexen Halbbogen von 5-6 Mm. umschreibt. In 
der Kuppel der Schnecke geht der Canalis ganglionaris von Neuem von 
der Spindel auf die Lamina spiralis ossea, d.h. hier auf den Hamulus, 
über; er ist aber spaltförmig und drängt die Knochenlamelle an der Pauken- 
treppenfläche nicht wulstig hervor. 

Die Befestigung des häutigen Schneckenkanals durch Vermittelung 
der Lamina spiralis ossea an der Spindelwand der knöchernen Schnecke 
hört aber am Helicotrema unter Bildung des bekannten Hamulus auf (vgl. 
Taf. I. Figg. 3,5: H;, Taf. II. Fig. 9: H). Der häutige Schneckenkanal voll- 
führt hier mit dem Hamulus zugleich den Übergang aus der zweiten in die 
dritte halbe Windung, umkreiset anfangs mit demselben, später ohne ihn 
und völlig frei, seinen concaven Rand dem Helicotrema zuwendend, den 
freien Rand der Lamina modioli und tritt schliefslich als Kuppelblindsack 
in den letzten Abschnitt der dritten halben Windung der knöchernen Schnecke 
hinein, dessen Hohlraum er am Schlufsstücke vollkommen ausfüllt. 

Die constante Befestigungsstelle des häutigen Schneckenkanals liegt 
an der convexen Wand. Am Paukenwinkel zeichnet sie sich durch ihre 


Phys. Kl. 1864. F 


42 Reıcuent: Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke 


Dicke und dadurch aus, dafs sie mittelst eines zugeschärften Vorsprunges in 
die Zona Valsalvae des häutigen Schneckenkanals übergeht. Dieser, im 
Vorhofsabschnitt und im Anfange der ersten Windung theilweise verknöcherte 
Vorsprung (Taf. I. Figg. 3, 4: sp’) ist in die Anatomie als secundäres Spiral- 
blatt eingeführt; Kölliker gab ihm ohne hinreichende Begründung den 
neuen Namen „Zigamentum spirale”, ein Ausdruck, der von anderen Schrift- 
stellern auch für die ganze äufsere Wand des häutigen Schneckenkanals ge- 
braucht wird (Hensen). Auch am Vorhofswinkel macht sich eine allerdings 
nur in sehr geringem Grade gegen die Vorhofswand vorspringende Stelle be- 
merkbar. Beide Vorsprünge lassen sich in keiner Weise genau abgränzen; 
sie setzen sich namentlich ohne Unterbrechung, ohne wesentliche Verände- 
rung der bindegewebigen Grundlage in die Substanz fort, welche die ganze 
convexe Wand des häutigen Schneckenkanals an die freie Wand des Schnec- 
kengehäuses befestigt, desgleichen in die Beinhaut der Treppengänge (vgl. 
Taf. II. Fig. 6: fg). Da bei der Vorstellung der Lage und Befestigung des 
häutigen Schneckenkanals in seinem Gehäuse jedenfalls die ganze convexe 
Wand in den Vordergrund gestellt werden mufs, so darf die Befestigungs- 
stelle an der Zamina accessoria auch nur in untergeordneter Weise an dieser 
in Betracht gezogen werden. 

Die von mir gegebene Erläuterung über die Kuppelbildung macht, 
wie mir scheint, verständlich, wie es geschehen konnte, dafs ausgezeichnete 
Anatomen so verschiedene Ansichten über die Lamina modioli ausgesprochen 
haben, obgleich ihnen allen die morphologische Beschaffenheit derselben 
genau bekannt war. 

Nach Huschke (a. a. ©. S. 865) sitzt das Spindelblatt auf der Spitze 
der Columella „ist aber kein anderer besonderer Theil als was Decke und 
Boden der ersten Windungen”, und müfste danach den Zwischenwänden in 
denselben gleich zu setzen sein. An einem andern Orte (a. a. O. S. 863) 
heifst es: „Der Modiolus wird in Columella und Lamina modioli einge- 
theilt, von welchen letztere aber zu dem übrigen Spindelblatt der Windun- 
gen und der oberen Platte des Spiralblattes zu rechnen sei”. Huschke 
nennt Spindel (Modiolus) den von der Basis zum Dach in der Axe der 
Schnecke gehenden Knochenkegel, um welchen sich die Windungen der 
Schnecke drehen: an ihr sind zu unterscheiden die innere Wand dieser 


des Menschen und der Säugethiere. 43 


Windungen, die von mir genannte Spindelwand, und die zwischen ihr be- 
findliche poröse nerven- und gefäfshaltige Knochensubstanz. 

Nach Arnold ist die Zamina modioli die Zwischenwand der zweiten 
und dritten halben Windung, welche dem Schneckengehäuse angehört und 
nicht der Spindel. Die Spindel aber wird nach ihm, „durch die innere 
centrale Wandung des Schneckenrohrs und durch eine schwammige den 
kegelförmigen von dieser umschlossenen Raum erfüllende Masse des Felsen- 
beins gebildet”. Von dieser Spindel gehe der von ihm sogenannte Apex 
modioli aus und bilde daselbst den freien Rand der Zamina modioli. In ähn- 
licher Weise hat sich Hyrtl (Lehrb. d. Anat. d. Mensch. 1857. S. 464) 
ausgesprochen. 

Der Name Spindelblatt wird von den genannten Anatomen sowohl 
für den Theil des Schneckengehäuses gebraucht, den ich Spindelwand (Pa- 
ries modiolaris) nannte, als auch für den Wandungsbestandtheil des Schnek- 
kengehäuses, der mit einem freien Rande in der Kuppel endet, und auf 
welche ich die Bezeichnung Lamina modioli beschränkt habe. In der durch 
die Axe des Schneckenkörpers im Bereiche der ersten und zweiten Windung 
gelegenen Knochenmasse habe ich aus früher angegebenen Gründen gleich- 
falls die Spindelwand des Schneckenkanals mit den dazu gehörigen beiden 
Knochenlamellen der Lamina spiralis ossea von der porösen nerven- und 
gefälshaltigen Spindelsubstanz unterschieden, die auch zwischen den beiden 
Lamellen der Lamina spiralis ossea hereintritt. Diese letztere „Spindel- 
substanz” setzt sich wie angegeben, nicht in die Kuppel und deren Lamina 
modioli fort; sie erreicht am Hamulus ihr Ende. Die Lamina modioli 
ist weder mit den Spindelwänden noch mit den Zwischen wän- 
den im übrigen Theile des Schneckengehäuses zu vergleichen, 
unerachtet sie in beide Wände sich fortsetzt. Die Lamina 
modioli ist eine neue Erscheinung in der Kuppel des Schnek- 
kengehäuses, deren Auftreten durch das Ausfallen der Spin- 
delsubstanz und durch das beschriebene Verhalten der letzten 
halben Windung zur zweiten Hälfte der zweiten bei der spi- 
ralen Drehung desSchneckenkanals in der Kuppel bedingt ist. 


F2 


44 Reıcnert: Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke 


Übersicht der aus den bisherigen Untersuchungen über das Ohr- 
labyrinth des Menschen und der Säugethiere gewonnenen 


Ergebnisse. 


1) Am Gehörlabyrinth des Menschen und der Säugethiere sind, ab- 
gesehen vom Nervus acusticus, zwei Bestandtheile zu unterscheiden: das 
häutige Labyrinth und die Labyrinthkapsel oder das knöcherne Labyrinth. 
Letzteres ist eine für die Aufnahme des häutigen Labyrinthes besonders aus- 
gebildete und verknöcherte Schicht der Pars petrosa und gehört demnach 
genetisch zur scelettbildenden Schicht des Wirbelsystems; letzteres entwickelt 
sich aus einer gleichen Anlage, wie die Cutis mit der Epidermis, die bei der 
Bildung des Labyrinthgrübchens und Labyrinthbläschens in den Theil der 
sceletibildenden Schicht des Wirbelsystems, aus welcher der Schädel her- 
vorgeht, eingesenkt, und wie Reifsner gezeigt hat, dem aus dem Gehirn 
hervorwachsenden Nervus acusticus angenähert wird (vgl. geschichtl. Einltg., 
S.1-6 und S. 7, 8; S. 15-17). 

2) Das häutige Labyrinth ist nach Entdeckung des häutigen Schnek- 
kenkanals in allen seinen Bestandtheilen, auch in Betreff der häutigen 
Schnecke, als Hohlkörper aufzufassen und in dieser Eigenschaft bei der anato- 
mischen Construction des Ohrlabyrinthes auch hinsichtlich der Schnecke in den 
Vordergrund zu stellen. — Von der Schneckenabtheilung des häutigen La- 
byrinthes ist früher nur die Pars cartilaginea und membranacea der La- 
mina spiralis bekannt gewesen. Der ursprünglich von Kölliker eingeführte 
Name Scala media für einen gar nicht gesondert existirenden Hohlraum der 
Schnecke darf nicht zur Bezeichnung des von Reifsner zuerst bei Erwach- 
senen beschriebenen häutigen Schneckenkanals gebraucht werden (vgl. 
S. 6-9). 

3) Der häutige Schneckenkanal liegt, wie die übrigen Abtheilungen 
des häutigen Labyrinthes, zum Theil frei in seiner Höhle, in der Labyrinth- 
kapsel. Er verhält sich in dieser Beziehung wie die in den grofsen Höhlen 


des Menschen und der Säugethiere. 45 


des Körpers frei liegenden Eingeweide und tritt, wie diese, mit der Umge- 
bung da in innigere zum Theil continuirliche Verbindung, wo Nerven und 
Gefäfse, sowie das dazu gehörige bindegewebige Stroma, diesen Zusammen- 
hang vermitteln. Die den Höhlen seröser Säcke vergleichbaren Hohlräume 
des häutigen Labyrinths sind: am Vorhof und den Bogengängen die perilym- 
phatischen Räume; am häutigen Schneckenkanal die sogenannten Treppen- 
gänge. Von der früheren Vorhofstreppe mufs jedoch der Theil in Abzug 
gebracht werden, der als Hohlraum im häutigen Schneckenkanal sich vor- 
findet. Das Auftreten von zwei gesonderten perilymphatischen Räumen, 
den sogenannten Treppengängen, kommt dadurch zu Stande, dafs der häu- 
tige Schneckenkanal im gröfsten Theile des Zuges seiner Windungen an zwei 
gegenüberliegenden Stellen seiner äufseren Fläche, an der inneren Kante und 
an der äufseren Wand, mit der Zamina spiralis primaria und der äufseren 
Labyrinthkapsel in Verbindung steht (a. a. O. S. 40-42). 

4) An der knöchernen Schnecke sind mit Rücksicht auf die spirale 
Drehung und auf den Zusammenhang mit dem Vorhofe zwei Abschnitte zu 
unterscheiden: der bei Menschen in gerader Linie gemessen etwa 3 Mm. 
lange Vorhofsabschnitt oder die Wurzel, und der eigentliche Schnecken- 
körper. Der Vorhofsabschnitt besitzt einen kanalartig geformten Theil, der 
sich nach vorn in den Schneckenkörper fortsetzt, und einen unter allmäliger 
Erweiterung in den Vorhof übergehenden Bezirk. Er zeigt ferner zwei 
Krümmungen; der im sagittalen Durchmesser ziehende Halbbogen nämlich 
wendet zuerst seinen Scheitel lateralwärts; aufserdem besitzt derselbe eine 
zweite Krümmung, deren Concavität beim Menschen nach abwärts, die 
Convexität nach aufwärts gerichtet ist (vgl. S. 21 und Fig. 1). Im Schnek- 
kenkörper sind die Windungen nahezu frontal gestellt; an ihm mufs die 
durch die zweite Hälfte der vorletzten (beim Menschen zweiten) Windung 
und durch die letzte halbe (beim Menschen dritte halbe) gebildete Kuppel 
mit Rücksicht auf das Verhalten der spiralen Drehung von dem übrigen 
Theile des Schneckenkörpers geschieden werden. 

5) Auch am häutigen Schneckenkanal sind zwei der knöchernen 
Schnecke entsprechende Abtheilungen vorhanden: der Vorhofsabschnitt und 
der eigentliche Schneckenkörper. Am häutigen Schneckenkörper ist aufser- 
dem der in der Kuppel liegende „Kuppelblindsack”, an dem Vorhofsabschnitt 


46 Reıcnherr: Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke 


der „Vorhofsblindsack” zu unterscheiden. An dem Blindsack ist die Pauken- 
wand (Zona Valsalvae) nicht, wie am Schneckenkörper u. s. w., zum Corti- 
schen Organ u. s. w. ausgebildet. Der Vorhofsblindsack zieht sich in den 
knöchernen Vorhof hinein und liegt hier in einem flachen Grübchen der me- 
dialen Wand des Vorhofes, welches ich mit seiner „Macula cribrosa quarta’” 
als „Recessus cochlearis” beschrieben habe (vgl. S. 26 u. 27; Fig. 2, rc, mc*). 
Hier, im Recessus cochlearis, steht das runde Vorhofsäckchen durch einen 
von ihm ausgehenden Kanal (Canalis reuniens, Hensen) mit dem Vorhofs- 
abschnitt des häutigen Schneckenkanals in Verbindung (vgl. S. 40 und Fig. 
10 Fmr'). 

6) Die knöcherne und häutige Schnecke sind durch ihre Vorhofs- 
abschnitte mit der medialen Abtheilung des knöchernen und häutigen Vor- 
hofs in so innige Verbindung gesetzt, wie andererseits die knöchernen und 
häutigen Bogengänge und der Recessus Labyrinthi Reifsner (Aquaeductus 
vestibuli) mit der lateralen. Es erscheint daher naturgemäfs, den Vorhof 
dem entsprechend in zwei Abtheilungen zu trennen und so das ganze knö- 
cherne und häutige Labyrinth als aus zwei Haupttheilen bestehend zu be- 
trachten (vgl. 5.38). Zu dem ersten, medialen, Haupttheil gehört mit Rück- 
sicht auf die Labyrinthkapsel: die knöcherne Schnecke, der Schnekken- 
antheil des Vorhofs mit dem Recessus hemisphaericus und dem Recessus 
cochlearis, die an der medialen Wand des Vorhofs befindliche Öffnung der 
Scala vestibuli, endlich der mediale Bezirk der Paukenhöhlenwand und des 
ovalen Fensters (vgl. hierüber die Beschreibung des knöchernen Vorhofes 
S.28). Am Boden des Vorhofs wird die Scheidegrenze durch eine beinahe 
sagittal gestellte S-förmig gekrümmte Knochenleiste bezeichnet, welche am 
vordern Pole des Vorhofs mit der Pyramis vestibuli beginnt und längs der 
Crista vestibuli und des stumpf - winkligen Kammes, durch welchen FRe- 
cessus cochlearis und hemiellipticus getrennt werden, zu dem am hinteren Pol 
gelegenen scharfkantigen Vorsprunge der Ampulle des untern halbeirkelför- 
migen Kanals verläuft (vgl. Fig. 2, pv, ev, re?, Sl). Vom häutigen Ohrlaby- 
rinth gehört hierher: der häutige Schneckenkanal, der Sacculus rotundus mit 
dem Canalis reuniens und der Vorhofsast des Nervus cochlearis, der sich 
zur beide Vorhofsäckchen trennenden Scheidewand begiebt (vgl. Fig. 10 
Ne‘). Zum zweiten, lateralen, Haupttheil sind vom knöchernen Labyrinthe zu 


des Menschen und der Säugethiere. 47 


rechnen: die laterale Abtheilung des Vorhofs mit dem Recessus hemiellipticus 
und der Furche für den Recessus vestibuli, ferner der laterale Bezirk der 
Paukenhöhlenwand und des ovalen Fensters, endlich die Bogengänge und 
der Recessus vestibuli (vgl. Fig. 2). Vom häutigen Labyrinth gehören hier- 
her: der Sacculus oblongus, die häutigen Bogengänge und der Recessus 
vestibuli membranaceus. 

7) Am knöchernen Schneckenkanal werden, von der Kuppel abge- 
sehen, drei Wände unterschieden: die äufsere Wand, die Zwischenwand 
und die Spindelwand. Zur Spindelwand gehören die beiden festeren Gränz- 
lamellen der Zamina spiralis primaria ossea. In der ersten und zweiten 
Windung wird die Spindel durch die spiralig um eine Axe ansteigend sich 
windenden Spindelwände gebildet. Der von den Spindelwänden um- 
gebene spitzkegelförmige Hohlraum ist von dem Nervus cochleae, dessen 
bindegewebiges Stroma als „spongiöse Spindelsubstanz” verknöchert ist, 
erfüll. Die Spindelsubstanz setzt sich auch in die Zamina spiralis 
ossea fort, und wird hier durch die, den Nerven enthaltende zwischen 
den beiden festeren Gränzlamellen gelegene, spongiöse Knochensubstanz 
vertreten. Spindelwände und Spindelsubstanz hören an der Wurzel des 
Hamulus auf. 

8) In der Kuppel des knöchernen Schneckenkörpers verhalten sich 
die zweite Hälfte der vorletzten Windung (beim Menschen der zweiten Win- 
dung) und die letzte halbe Windung (beim Menschen die dritte halbe) bei 
der spiralen Aufwindung anders als in dem übrigen Theile des Schnecken- 
körpers; — sie winden sich, wie die Windungen am Schneckengehäuse des 
Planorbis corneus. Die letzte halbe Windung tritt nämlich unerachtet des 
Ansteigens an der Axe der Schnecke, wegen der progressiven Abnahme in 
ihrer Weite, nicht wesentlich über die Ebene der zweiten Hälfte der vorauf- 
gehenden Windung hinaus; auch die Spindelsubstanz in der Axe fällt aus. 
Die letzte nur halbe Windung begeht daher ihre spirale Drehung, wie bei 
den Windungen des Schneckengehäuses des Planorbis corneus, nahezu in 
einer Ebene mit der letzten Hälfte der voraufgehenden Windung und legt 
sich unmittelbar an diese an, woraus das Auftreten der Lamina modioli, 
die Abwesenheit einer Spindel, und das morphologische Verhalten der 
Kuppel zu erklären ist (vgl. S. 30 -35 und Fig. 3 u. 5). 


48 Reıcnerr: Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke 


9) Der häutige Schneckenkanal zeigt am Schneckenkörper und auch 
am Vorhofsabschnitte auf Durchschnitten eine dreiseitige Begränzung, die 
mit dem Ausschnitte eines Kreises oder einer Ellipse verglichen werden kann. 
Es sind daran zu unterscheiden drei Wände: die Vorhofswand, die Pauken- 
wand und die convexe äufsere Wand; ferner drei Winkel oder Kanten: die 
Vorhofskante, die Paukenkante und die innere Kante (vgl. Figg. 3, 6, 7, 8, 
9Cm). An der Paukenwand ist das Cortische Organ ausgebildet; zu ihr 
gehört auch die Crista acustica mit dem Semicanalis spiralis und die Lamina 
spiralis secundaria. Die Cortische Membran mit dem sie bedeckenden 
Epithel gehört zur Vorhofswand des häutigen Schneckenkanals, von wel- 
chem bisher nur das äufsere Epithel bekannt gewesen ist. 

10) Die verjüngt endigenden Blindsäcke des häutigen Schnecken- 
kanals, der Kuppel- und Vorhofsblindsack, haben eine mehr elliptische Be- 
grenzung (vgl. Fig. 8 Cm’). 

41) Die Scala tympani hört im ersten Drittheil der letzten halben 
Windung, die Scala vestibuli im letzten Drittheil derselben gänzlich auf, 
so dafs der häutige Schneckenkanal schliefslich, in dem Endstück des häu- 
tigen Kuppelblindsacks, mit seinen Wänden unmittelbar den Wänden der 
Labyrinthkapsel adhärirt. Nach dem Vorhof hin nimmt die Scala vestibuli 
beim Übergange in den perilymphatischen Raum des Schneckenantheils im 
Vorhof schnell an Weite zu, die Scala tympani dagegen in steigender Pro- 
gression an Weite ab, so dafs sich der häutige Schneckenkanal auch hier in 
der Gegend der vereinigten Spiralblätter unmittelbar an die Wand des knö- 
chernen Schneckenkanals anlegt und die Scala tympani schliefst. 

12) Die Lamina spiralis secundaria ossea im Vorhofsabschnitt der 
Schnecke und in der ersten Hälfte der ersten Windung des Schneckenkör- 
pers besteht nur aus einer einfachen scharfkantigen Knochenlamelle, und 
nicht aus zwei Lamellen, wie die Lamina spiralis primaria. 

43) Das runde Fenster mit dem Nebentrommelfell ist ein unver- 
knöchert gebliebener Theil der Wand des Vorhofsabschnittes der knöcher- 
nen Schnecke. Dasselbe liegt mehr auf der Seite der Concavität des Halb- 
bogens, den dieser Canal bildet und bietet zwei Krümmungen dar, die denen 
des Kanals an dieser Stelle entsprechen. Den nach Entfernung des Neben- 
trommelfelles in die Fossula fenestrae rotundae vorspringenden zugeschärf- 


des Menschen und der Säugethiere. 49 


ten Rand des runden Fensters habe ich als „Crista fenestrae rotundae” 
beschrieben. Die quergerichtete Seite dieser Crista ist von Huschke als 
Crista semilunaris der Paukentreppe bezeichnet worden. Von den zwei 
Knochenlamellen, welche Arnold und Huschke an der Zamina spiralis 
secundaria beschrieben haben, gehört die eine wahrscheinlich zu der Crista 
‚Fenestrae rotundae (vgl. Seite 22-26 und Fig. 3 u. 4 fr, frec, Isp'). 

44) Die Fossula fenestrae rotundae wird von der die Labyrinth- 
kapsel zunächst umgebenden Schicht der Pars petrosa gebildet, die hier in 
Form einer muschelförmigen Knochenlamelle das runde Fenster mit dem 
Nebentrommelfell überwölbt. 


— aD 


Phys. Kl. 1864. G 


50 


Reıcnerr: Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke 


Erklärung der Abbildungen. 


Watel,T: 


Fig. 1. Die linke knöcherne Labyrinthkapsel vom neugeborenen Kinde; die 
abwärts gewendete Fläche liegt vor. Die Abbildung läfst den Übergang des Vor- 
hofabschnittes der knöchernen Schnecke in den von mir sogenannten Schnecken- 
antheil des Vorhofs übersehen. Sie zeigt ferner deutlich die Lage des runden 
Fensters und Nebentrommelfelles; am kanalartig geformten Theile des Vorhofab- 
schnittes ist die nach abwärts gerichtete zweite Concavität deutlich zu erkennen. 
Die Abbildung veranschaulicht auch die äulsere Form der durch die zweite Hälfte 
der zweiten und durch die dritte halbe Windung gebildeten Kuppel; beide Windun- 
gen liegen nahezu in einer Ebene und bewirken, dals die Spitze der Schnecke in 


der Kuppel abgeflacht ist. — Viermalige Vergrölserung. 
c Körper oder Haupttheil der Labyrinthkapsel. 
C'  kanalartig geformter Theil des Vorhofsabschnittes der knöchernen Schnecke. 
a Erste Windung. 
a! Zweite Windung. 
a!’ Zweite Hälfte der zweiten (Mensch) und jeder vorletzten Windung (Thiere). 
a? Dritte halbe Windung (Mensch) und jede letzte halbe Windung (Thiere). 
Y. Vorhof. 
p!' Gegend des vorderen Poles. 
p? Gegend des hinteren Poles. 
u Untere oder Paukenhöhlenwand des Vorhofes. 
fo _Ovales Fenster. 
$i Unterer 
$Ss Oberer halbeirkelförmiger Canal. 
Se Äufserer 
G Innerer Gehörgang. 
d Öffnung des aquaeductus cochleae. 
fr Rundes Fenster mit dem Nebenpaukenfell, welches sich deutlich als unverknöcher- 
ter Theil der Wand des knöchernen Schneckenkanals darstellt. 
t Im Querdurchmesser des Schneckenkanals verlaufende Seite, des 
2 Longitudinal gerichtete Seite runden 
ec Schräg verlaufende halbelliptisch gekrümmte Seite Fensters. 
cl Das länger ausgezogene Vorhofsende oder der Vorhofspol des runden Fensters. 
tl 


Der von der quer- und längsgestellten Seite gebildete Winkel. 


Fig. 2. Flächenansicht der medialen Wand der knöchernen Vorhofshöhle 
linkerseits, mit dem Recessus hemisphaericus und dem Recessus cochlearis. Die 


des Menschen und der Säugethiere. 51 


Höhlenfläche der oberen Wand des Vestibulum mit dem Recessus hemielliptieus 
und die zum Aquaeductus vestibuli (Recessus vestibuli Reilsner) hinleitende Furche 
erscheinen mehr in der Seitenansicht. — Sechsmalige Vergröfserung. 

rhs Recessus hemisphaericus. 

rc  Hecessus cochlearis. 

rhe Recessus hemiellipticus. 

Isp Lamina spiralis primaria. 

Is p‘ Lamina spiralis secundaria. 

/s p2 Vereinigungsstelle der beiden Spiralblätter. 

r Spalte zwischen beiden Spiralblättern, von der Zona Palsalvae eingenommen. 

rc! Niedrige Knochenleiste, durch welche der Recessus cochlearis von dem Recessus 

hemiellipticus und der Lamina spiralis primaria geschieden wird. 

rc? Eine niedrige bogenförmige Knochenleiste, durch welche dasselbe Grübchen gegen 

den Recessus hemielliptieus abgegrenzt wird. 

pv  Pyramis vestibuli. 

cv  Crista vestibuli. 
pv,cv,rc?, Si' bezeichnen die Linie, durch welche der Schneckenantheil des Vorhofs von der 

lateralen Abtheilung desselben geschieden wird, in welcher der Recessus hemiellip- 
ticus, die Öffnungen der bogenförmigen Gänge und des Recessus vestibuli (Aquae- 
ductus vestibuli) sich befinden. 

rv  Furche, die zum FRecessus vestibuli führt. 

mc!‘ Macula cribrosa an der Pyramis vestibuli,; Macula cribrosa superior. 

mc? Macula cribosa in Recessus hemisphaericus; Macula cribrosa media. 

mc? Maculu cribosa in der Ampulla des unteren Bogenganges; Mac. cribr. inferior.. 

mc* Macula cribrosa in Recessus cochlearis; Macula cribrosa quarta. 

Si Ampulle des unteren Bogenganges. 

Si! Scharfkantige Knochenlamelle, welche den Recessus cochlearis von der Ampulle des 

unteren Bogenganges scheidet. 

Ss  Ampulle des oberen Bogenganges. 

Sis Gemeinschaftlicher Schenkel des oberen und unteren Bogenganges. 

fo Rand des ovalen Fensters. 

Pv  Vorhofstreppe. 

Fig. 3. Das herauspräparirte linke Schneckengehäuse von einem einige Wochen 
alten Kinde. Dasselbe war aus einem getrockneten Felsenbeine, welches vorher 
in Weingeist gelegen hatte, herauspräparirt, wobei sich das Nebenpaukenfell er- 
halten hatte. Auch die muschelförmige Knochenplatte, welche das runde Fenster 
überwölbt und die Fossula fenestrae rotundae bildet, war nicht entfernt worden. 

Es liegt in der Abbildung die nach abwärts gerichtete Fläche des Schnecken- 
gehäuses vor, an welchem die Windungen zu einem grolsen Theile geöffnet sind. 
Die Grube des runden Fensters ist so durchschnitten, dals das Lageverhältnifs des- 
selben zum Nebenpaukenfell und seiner Orista anschaulich wird. — Man sieht in 
das Innere des Schneckengehäuses hinein und gewahrt zugleich, dafs an diesem 


G2 


52 Reıcnerr: Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke 


getrockneten Präparat zufällig auch der häutige Schneckenkanal theilweise sich 
erhalten hatte. In der dritten halben Windung fehlt der häutige Schneckenkanal; 
der Hamulus tritt daher frei in den Hohlraum hinein, um das Helcotrema sich 
windend. Unter ihm zeigt sich das spaltförmige Ende der Scala tympani, ober- 
halb, nach der zweiten Windung hin, die Vorhofstreppe, welche um die Lamina 
modioli herum aus der zweiten Windung in die dritte halbe sich fortsetzt. Vom 
Vorhofsabschnitte des Schneckengehäuses ist nur der zum Schneckenkörper über- 
gehende Abschnitt berücksichtigt. 

Die Zeichnung gewährt zugleich eine Ansicht von dem Verhalten der Spindel 
bei ihrer Endigung am Hamulus; der freie Rand der Lamina modioli erscheint wie 
auf das Ende des Modiolus aufgesetzt. — Zwölfmalige Vergröfserung. 


G Schneckenkörper. 
C'  Kanalartig geformter Theil des Vorhofsabschnittes der knöchernen Schnecke. 
a, a',a!° Windungen des Schneckenkanals. 

a® Die dritte halbe Windung; sie windet sich in halber Spirale um den freien Rand 
der Lamina modioli und endet unter progressiver Abnahme ihrer Weite links von 
der Lamina modioli in der Scheitelgegend der Kuppel. Das blinde Ende dieser 
halben Windung besitzt eine solche Krümmung, dafs der beginnende Übergang in 
die zweite Hälfte der Spirale, und der Anfang einer Spindelbildung ohne Spindel- 
substanz deutlich sich darstellt. 

Ce Äulsere Wand 

Ca Spindelwand des knöchernen Schneckenkanals. 

Ci  Zwischenwand 

C1 Lamina modiboh. 

!sp Lamina spiralis ossea primaria. 

Us p° 

!sp! Lamina spiralis secundaria. Am runden Fenster ist das Nebenschraubenblatt schräg 
durchschnitten; es zeigt sich defshalb breiter, als in Wirklichkeit. Es wird hier 
durch eine Furche, worin eine Vene (Breschet) liegt, die das Blut aus dem äufseren 


Hamulus. 


Spiralgefälse zum Sinus aquaeductus cochleae abführt, von der Crista fenestrae rotun- 
dae (frc) geschieden. Es besteht nicht aus zwei Knochenlamellen. 

H.  KHelicotrema. 

M. _Modiolus, mit Spindelsubstanz. 

fr. Rundes Fenster, mit dem Nebentrommelfell, durchschnitten. Man sieht zugleich die 
zum Vorhofe hin gelegene Hälfte des Nebentrommelfelles der Fläche nach vor sich 
und an derselben den von mir genannten länger ausgezogenen Vorhofspol (c2). 
Diese Hälfte hat ihre Lage an der unteren Concavität, welche der Halbbogen des 
Vorhofsabschnittes der knöchernen Schnecke bildet, und das Nebentrommelfell zeigt 
demgemäls die entsprechende Krümmung. Durch das Paukenfell hindurch markiren 
sich die von der Zona Falsalvae eingenommene Spalte zwischen den Spiralblättern 
und letztere selbst. 


fre Crista fenestrae rolundae, 


des Menschen und der Säugethiere. 53 


t Im Querdurchmesser des Schneckenkanals verlaufende Seite der Crista fenestrae 
rotundae. (Crista semilunaris Huschke). 

2 Longitudinal verlaufende Seite derselben; dieselbe tritt etwas convex gegen die ÖF- 
nung des Fensters vor. 

c Halbelliptisch gekrümmte Seite des runden Fensters, deren Crista mit der muschel- 


förmigen Knochenlamelle der Fossula fenestrae rotundae verschmolzen ist. 

cl  Vorhofspol des runden Fensters, welcher bei vorliegender Ansicht verkürzt gesehen 
wird und deshalb breiter und weniger lang ausgezogen erscheint. 

tl Der abgerundete rechte Winkel des runden Fensters. 

Öffnung des Aguaeductus cochleae innerhalb der Paukentreppe. 

F Fossula fenestrae rotundae. In der Nähe der quergestellten Seite der Crista fenes- 
frae rolundae (t) zeigt sich die vertiefte Stelle, welche, wie es scheint, gewöhnlich 
als Vorhofsecke der Fosswla fenestrae rotundae bezeichnet wird. Dieselbe enthält 
eine kleine Öffnung für den Durchtritt jenes Venenstämmchens, welches das Blut aus 


a 


dem Vorhofsabschnitt und dem äulseren Spiralgefälse zum Sinus des Ayuaeductus 
cochleae, — dessen Öffnung (d) auf der Paukentreppenseite der Crista semilu- 
naris (Huschke) sichtbar ist —, hinleitet. 

Cm Durchschnitt des häutigen Schneckenkanals. 

Cmt Paukenwand (Zona Valsalvae); am Vorhofsabschnitt ist sie allein erhalten. 
Cmv Vorhofswand. 
Cme Äufsere Wand. 

at  Paukenkante. 

av  Vorhofskante. 

ai Innere Kante. Die beiden ersteren zeigen sich in dem getrockneten Präparate weni- 

ger abgerundet. 
Pv und Pt: Vorhofs- und Paukentreppe. 

Fig. 4. Die Abbildung zeigt den Vorhofsabschnitt desselben Schneckengehäuses 
bei einer solchen Ansicht, dals die Lage des zweiten Paukenfells mit seiner Crista 
am Schneekenkanal und die Zusammengehörigkeit beider als Bestandtheile der 
Wandung dieses Kanals völlig deutlich übersehen werden kann. Der Mantel des 
Schneckengehäuses setzt sich durch die Crista fenestrae rotundae unmittelbar in 
das Nebentrommelfell fort. Das Nebentrommelfell würde, wenn es nicht durch 
das Eintrocknen seine Form etwas geändert hätte, hier am Schnittrande convex 
gegen die Grube des runden Fensters vortreten, und so seine zweite Krümmung, 
entsprechend der lateralen Scheitelkrümmung des im halben Bogen gekrümmten 
Schneekenkanals dieser Gegend, deutlich zur Schau tragen. Aufserdem giebt die 
Figur eine Ansicht von der plötzlichen Erweiterung der Paukentreppe, indem die 
Lamina spiralis primaria und die secundaria mit der Zona Valsalvae sie hin starker 
Progression der abwärts gerichteten Wand des Schneckenkanals nähern und am 
Vorhofspol des runden Fensters mit derselben zum völligen Abschluls der Pauken- 
treppe sich vereinigen. Die Buchstaben bezeichnen dasselbe wie in Fig. 3. — 
Zwölfmalige Vergrölserung. 


54 Reıcnert: Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke 


C'  Vorhofsabschnitt des knöchernen Schneckenkanals. 
Ptu. Pv Pauken - und Vorhofstreppe. 
F Fossula fenestrae rotundae. 


Ca Spindelwand des Schneckenkanals. 
d Öffnung des Aquaeductus cochleae innerhalb der Paukentreppe. 
Cmt Paukenwand des häutigen Schneckenkanals (Zona Yalsalvae). 
Lsp Lamina spiralis primaria. 
Lsp' Lamina spiralis secundaria. 
fr Rundes Fenster mit Nebentrommelfell. 
rc Crista fenestrae rotundae. 
c  MHalbelliptisch gekrümmte Seite der Crista fen. rot. 
2 In der Längsaxe des Schneckenkanals verlaufende Seite der Crista fen. rot. 
2 Quergerichtete Seite der Crista fen. rot. 
cl! Vorhofspol des runden Fensters. 
tl Der von der queren und longitudinalen Seite gebildete Winkel des runden Fensters. 
Fig. 5. Die Figur zeigt die zum Theil geöffnete Kuppel und das vorauf- 
gehende Gewinde des linken Schneckengehäuses von einem neugeborenen Kinde. 
Es ist daselbst die freie Wand des Schneckengehäuses an der unteren Fläche ent- 
fernt. Man sieht, wie in Fig. 3, die geöffneten Räume des Schneckendaches vor 
sich und unmittelbar auf den Sförmig gekrümmten, etwas verdickten Rand der 
Lamina modioli. Rechterseits in der Abbildung steigt die zweite Hälfte der zwei- 
ten Windung herauf und windet sich mit ihrem Hohlraum um den freien Rand 
der Lamina modioli in die aufwärts steigende halbe Spirale der dritten halben 
Windung fort. Von dem häutigen Schneckenkanal ist die Paukenwand mit der 
Zona Valsalvae in ihrer Lage erhalten; man sieht ihre Befestigung an dem pri- 
mären Spiralblatt und an dem Hamulus, so wie an der freien Wand des Schnek- 
kenkanals, von welcher sie nach dem Ende des letzteren hin mehr und mehr auf 
die Zwischenwand übergeht. Unter der Paukenwand des häutigen Schnecken- 
kanals in der Gegend des Hamulus befindet sich das spaltförmige Ende der Pau- 
kentreppe (vgl. Fig. 3: Pt). Die Abbildung zeigt ferner die allmälige Verschmäle- 
rung der Zona Valsalvae und das über dem Hamulus hinwegziehende sichelförmige 
Ende derselben, welches mittelst seines concaven freien Randes das Helicotrema 
zu einer kreisförmigen Öffnung abschlielsen hilft. Das sichelförmige Ende der 
Zona Valsalvae legt sich schliefslich unmittelbar an die Zwischenwand des Schnek- 
kengehäuses an, welche die dritte halbe Windung von der ersten Hälfte der 
zweiten trennt, in Folge dessen die Paukentreppe aufhört (vgl. Fig. 3). Sie ging 
hier in eine der bezeichneten Zwischenwand anliegende getrocknete häutige La- 
melle über, welche das Residuum der Wand des hier zerstörten Kuppelblindsackes 
des häutigen Schneckenkanals darstelll. — Zwölfmalige Vergrölserung. 
a Ende der ersten Windung des Schneckengehäuses. 
a‘ Erste, @'° zweite Hälfte der zweiten Windung. 


o 
o 


des Menschen und der Säugethiere. 5: 


a® Dritte halbe Windung. 

Ce Äufsere oder freie Wand des Schneckenkanals. 

Ca Spindelwand. 

Ci Zwischenwand. 

C1 Lamina modioli. 

H Helicotrerna. 

Is p Primäres Spiralblatt. 

ls In Hamulus. 

M Modiolus. 

Pv  Vorhofstreppe. 

Pt Paukentreppe. 
Cmt Paukenwand des häutigen Schneckenkanals — Zona Valsalvae. 
Cmt' Sichelförmiges Ende derselben. 
x — x bezeichnet die Linie, in welcher die Schnecke, deren Schnittflächen Figg. 8 und 9 


dargestellt sind, durchschnitten wurde. 


Tafel II und III. 


Fig. 1. Vorliegende und die folgende Figur geben die Zeichnung der beiden 
Schnittflächen eines Segmentes der Schnecke eines neugeborenen Schweines, die 
zuvor durch Salzsäure von den Knochenerden befreit war. Das Segment ist et- 
wa 1 Mm. diek und wurde durch zwei Sagittalschnitte gewonnen, welche durch 
den Porus acusticus internus hindurch nach der Kuppel der Schnecke hin geführt 
worden sind. Das Schneckengehäuse war in Verbindung mit den angrenzenden 
Theilen des Felsenbeins gelassen. Es ist dasselbe Präparat, das ich seit zehn Jahren 
zu Demonstrationen benutzt habe, und welches dadurch so wie bei Anfertigung 
der Abbildungen etwas gelitten hat. Der häutige Schneckenkanal ist in allen 
Windungen des Schneckengehäuses erhalten, doch wie gewöhnlich mit theilweiser 
Zerstörung seiner Vorhofswand, deren elastische Bindesubstanzlamelle und das 
dieselbe bekleidende innere Epithel in unnatürlicher Lage und zum Theil aufge- 
rollter Form, als sogenannte Cortische Membran mit dem sogenannten Organon 
Köllikeri (Hensen), die Crista acustica und das Cortische Organ bedeckt. Die 
Vorhofswand wird daher allein durch das äufsere, auf der Vorhofsfläche dieser 
Wand sich ausbreitende, Epithel vertreten. Sie zeigt sich in den meisten Win- 
dungen als durchschnittene Lamelle, deren Flächen in der Seitenansicht nur ange- 
deutet sind; am Anfange der ersten Windung tritt mehr die Fläche zu Tage. In 
der Kuppel dieser Figur dagegen sieht man in den durch Entfernung der äufseren 
Wand geöffneten häutigen Schneckenkanal, während seines Zuges aus der zweiten 
Hälfte der dritten Windung des Schneckengehäuses in die letzte halbe, unmittelbar 
hinein. Die Höhlenfläche der schräg gestellten Vorhofswand ist dem Auge zuge- 
wendet. Die Vorhofswand des häutigen Schneckenkanals ist an der Anheftungs- 


56 Reıcuert: Beitrag zur feineren Anatomie der Gehörschnecke 


stelle an der äufseren Wand des Schneckengehäuses, an der von mir genannten Vor- 
hofskante, durchschnitten. Die Vorhofstreppe ist daher nicht zu sehen; es markirt 
sich nur, durch die Vorhofswand hindurch, jene Stelle, an der die Lamina modioli 
mit ihrem freien Rande sich befindet. Unter dem primären Spiralblatte und der 
Paukenwand des häutigen Schneckenkanals, also nach der Basis der Schnecke hin, ist 
die spaltförmig gewordene Paukentreppe geöffnet. — Etwa fünfmalige Vergröfserung. 


G Porus acusticus internus. 

F Schwammige Knochensubstanz des Felsenbeins. 

[9 Knöcherner Schneckenkanal mit seiner Beinhaut. 
Ce Äufsere Wand 

Ca Spindelwand des knöchernen Schneckenkanals. 


Ci  Zwischenwand 

Is p Primäres Spiralblatt. 

hg Canalis spiralis s. ganglionaris modioli mit den Ganglienkörpern des Schnecken- 
nerven. In der ersten Windung liegt derselbe frei an dem primären Spiralblatt. 

N c Nervus cochleae. 

Pv Scala vestibuli. 

Pt Scala tympani. An der Kuppel ist dieselbe nicht blos durchschnitten, sondern auch 
in ihrem Zuge längs der zweiten Hälfte der dritten Windung des Schneckengehäu- 
ses freigelegt zu sehen. 

M‘ Die Spindelsubstanz des ModioZus mit dem Schneckennerven, dessen Fasern in ihrem 
Zuge zur Lamina spiralis ossea und zur Habenula ganglionaris sichtbar sind. 

Cm Häutiger Schneckenkanal. 

Cmt Paukenwand. 

Cmv  Vorhofswand. 
Cmv Abgerissener Theil der Vorhofswand (Corti’s Membran). 

Cme Äulsere convexe Wand. 

at Paukenkante, an welcher die stark verdickte Paukenwand mit der Beinhaut des 
Schneckengehäuses in Verbindung steht; auch die äulsere Wand des häuligen 
Schneckenkanals zeigt sich verdickt. 

av  Vorhofskante. 

ai Innere Kante des häutigen Schneckenkanals. 

c ac Crista acustica des häutigen Schneckenkanals. 

0 Corti'sches Organ. Dasselbe giebt sich in Form zweier kleiner Vorsprünge zu er- 
kennen, die namentlich durch die auf den Corti’schen Fasern liegenden Epithelzellen 
auf diese Weise zur Erscheinung gelangen. 


Fig. 7. Die andere Schnittfläche desselben Präparats. Der Schnitt ist hier an 
der Spitze des Hamulus vorbeigegangen und hat die Lamina modioli durchsehnitten. 
Aufserdem ist das Helicotrema in der Richtung der Schneckenaxe so durchschnitten, 
dafs der von dem sichelförmigen Rande des Hamulus begrenzte Abschnitt frei vor- 
liegt, und somit der Übergang der Vorhofstreppe in die Paukentreppe übersehen 
werden kann. Der Schnitt muls demnach auf dieser Seite des Segments die Sagit- 


des Menschen und der Säugethiere. 57 


talebene in schräger Richtung von oben nach unten und lateralwärts durchsetzt 
haben. Das Präparat zeigt endlich das Aufhören der Spindelsubstanz an der Wur- 
zel des Hamulus, desgleichen die am Helicotrema im flachen Bogen übergehende Spin- 
delwand des Schneckengehäuses der Paukentreppe in die Lamina modioh, in welche 
Zwischenwand und Spindelwand, nachdem erstere sich parallel zur Schneckenaxe 
gestellt hat, aufgegangen sind. Der letzte Abschnitt der vierten halben Windung 
des Schneckengehäuses mit dem verjüngten blinden Ende des Kuppelblindsackes ist 
nicht in den Bereich vorliegenden Segments gefallen. — Sechsmalige Vergröfserung. 
Zu den Buchstaben der vorigen Figur treten hier hinzu: 

Cl  Durchschnittene Zamina modioli. 

H _ Helicotrema. 

Isp° Hamulus. 

Ne Nervus cochlearis. 

Fig. 8. Schnittfläche der medialen Hälfte der noch vom Felsenbein um- 
schlossenen rechten Schnecke vom jungen Hunde. Die Knochenerden waren durch 
Chromsäure entfernt worden. Der häutige Schneckenkanal war deshalb auffällig 
zusammengeschrumpft. Der Durchschnitt hat die Sagittalebene des Schneckenge- 
häuses schräg von oben nach unten und medianwärts so durchsetzt, da/s dabei 
am Scheitel der Kuppel das blinde Ende der letzten halben Windung mit dem 
daselbst gelegenen Endstücke des Kuppelblindsackes quer durchschnitten worden 
ist. An Fig. 5. Taf. I. habe ich durch die punktirte Linie — x die Richtung des 
Schnittes anzudeuten gesucht. Es ist die Lamina modioli in der Nähe des freien 
Randes gerade an der Stelle schräg durchschnitten, wo dieselbe ihre spirale Dre- 
hung zum Übergange der letzten halben Windung in die fehlende zweite Hälfte 
beginnt, aber nicht vollendet. Sie bildet bei dieser spiralen Drehung eine Conca- 
vität, welche hier quer durchschnitten ist, und die eine Hälfte der Wand des 
Schneckengehäuses da bildet, wo letztere das Ende des Kuppelblindsackes auf- 
nimmt. Man sieht von der Axe der Schnecke her unmittelbar in den Hohlraum 
der Vorhofstreppe hinein, die hier aus der vorletzten Windung in die der letzten 
halben (vgl. Fig. 9) sich fortsetzt. Es versteht sich von selbst, dafs im Grunde 
dieses Hohlraumes die Vorhofswand des häutigen Schneckenkanals sich befindet. 
In dieser Beziehung könnte die Figur 7. mit der vorliegenden verglichen werden, 
bei welcher indefs der schräge Sagittalschnitt nach unten und lateralwärts geführt 
ist. In dem am Scheitel der Schnecke durchschnittenen blinden Ende des knö- 
chernen Schneckenkanals liegt das schräg durchschnittene blinde Ende des Kuppel- 
blindsackes (Cm°) mit elliptisch begrenztem Lumen. Dasselbe ist etwas zu grols 
gezeichnet, obschon der häutige Schneckenkanal hier gerade weniger, als in den 
übrigen Theilen eingeschrumpft war. Das Ende des Kuppelblindsackes nimmt den 
Hohlraum des Schneckengehäuses vollständig ein; es fehlen die perilymphatischen 
Räume (Pauken- und Vorhofstreppe); nur an der Seite, wo die Vorhofstreppe 


Phys. Kl. 1864. H 


58 Reıcuerr: Beitrag zur ‚Jeineren Anatomie der Gehörschnecke 


sich sonst ausbreitet, war durch Einwirkung der Chromsäure eine Trennung des 
häutigen Schneckenkanals von der entsprechenden Wand des Schneckengehäuses 
(Lamina modioli) eingetreten. Der unter (nach der Basis der Schnecke hin) dem 
eben beschriebenen Abschnitt des häutigen und knöchernen Schneckenkanals gele- 
gene Hohlraum gehört zur Vorhofstreppe in der ersten Hälfte der vorletzten 
Windung. Es wäre ferner hervorzuheben, dals das Ende des Kuppelblindsackes 
keine Befestigung durch Spiralblätter besitzt. Endlich mache ich noch darauf auf- 
merksam, dafs die sogenannte Cortische Membran an einzelnen Stellen des durch- 
schnittenen häutigen Schneckenkanals ganz nahe an dem äulseren Epithel anliegt, 
welches hier die Vorhofswand des häutigen Schneckenkanals vertritt; zu ihr gehört 
auch die sogenannte Cortische Membran als Bestandtheil. Die Cortische Mem- 
bran zeigt sich im aufgerollten Zustande. Das Cortische Organ an der Pauken- 
wand erscheint auf Durchschnitten bei sehr geringer Vergrölserung, wie gewöhnlich, 
in Form zweier Hügel, welche von den an den beiden Abhängen dieses Organs 
gelegenen Zellen herrühren. — Achtmalige Vergröfserung. Zu den Bezeichnungen 
in den beiden vorhergehenden Figuren kommt hier hinzu: 
Cm’ Das schräg durchschnittene Ende des Kuppelblindsackes. 
F  Spongiöse Knochensubstanz des Felsenbeins. 


Fig. 9. Die Schnittlläche der lateralen Hälfte von derselben Schnecke. An 
der Kuppel sieht man von der Schneckenaxe her, in den Hohlraum der dritten 
Windung hinein und in derselben die an ihren beiden Enden durchschnittene, am 
Hamulus befestigte, dritte halbe Windung des häutigen Schneckenkanals mit dem 
Kuppelblindsack. Am bezeichneten Theile des häutigen Schneckenkanals ist die 
Vorhofswand der Fläche nach zu übersehen. Vom Helicotrema liegt hier der 
vom freien Rande des knöchernen und häutigen Hamulus begrenzte Abschnitt vor. 
Von der Paukentreppe erkennt man das letzte Ende; ebenso zeigt sich die Weite 
der Vorhofstreppe in Abnahme; die Verbindung beider Treppen am Helicotrema 
ist deutlich. Die Figuren 8 und 9 ergänzen sich; bei beiden ist auch das Aufhören 
der Spindelsubstanz des Modiolus an der Stelle, wo der Hamulus frei wird, zu 
beobachten. Achtmalige Vergröfserung. Bezeichnung der Figur wie bei Fig. 8. 


Cmt' Sichelförmiges Ende der Zona Valsalvae. 


Fig. 10. Das Schneckengehäuse des linken Ohrs vom neugeborenen Kinde, an 
welchem der Vorhof in ähnlicher Weise wie in Figur 2. Taf. I, jedoch mit gleich- 
zeitiger Erhaltung des häutigen Vorhofs, eröffnet worden ist. Bei der Zeichnung 
ist besonders darauf Rücksicht genommen, dafs die mediale Wand des Vorhofs 
mit den daselbst gelegenen häutigen Bestandtheilen (Vorhofsblindsack Cm?, Sac- 
culus rotundus V mr, Canalis reuniens Vmr‘, Vorhofsast des Schneckennerven Nc'), 
welche ich als den Schneckenantheil des häutigen Vorhofs von dem lateralen Theile 
desselben mit dem Sacculus oblongus und den häutigen Bogengängen u. s. w. ge- 


des Menschen und der Säugethiere. 59 


schieden habe, hauptsächlich der Fläche nach übersehen werden kann. Der laterale 
Theil des häutigen Vorhofs, welcher hier besonders durch das oblonge Säckchen 
vertreten wird, erscheint mehr in der Seitenansicht. — Sechsmalige Vergröfserung. 


rhs 


Isp 
Pv 


fo 
re 


gi! 


re! 


Gegend des Recessus hemisphaericus. 

Lamina spiralis prirnaria, 

Zugang zur Vorhofstreppe. 

Randstück des Foramen ovale. 

Recessus cochlearis. 

Scharfkantige Knochenleiste, welche den Recessus cochlearis von der Ampulle des 
uuteren knöchernen Bogenganges scheidet. 

Die niedrige hier aber durch die Beinhaut stark erhöhte Knochenleiste, durch wel- 
che der Recessus cochlearis gegen den Recessus hemisphaericus abgegränzt wird. 
Gegend der Crista vestibuli, an welche sich, — im weiteren Verlauf zur Pyramis 
vestibuli hin, — das die beiden Vorhofssäckchen trennende Septum befestigt. 
Sacculus rotundus. 

Gegend des häutigen Septum, welches den Sacculus oblongus und rotundus von ein- 
ander trennt. 

Der aus dem runden Säckchen unmittelbar hervorgehende Canalis reuniens, welcher 
in den Vorhofsabschnitt des häutigen Schneckenkanals an der Übergangsstelle zum 
Vorhofsblindsack (Cm?) einmündet. 

Vorhofsabschnitt des häutigen Schneckenkanals. 

Vorhofsblindsack desselben. 

Vorhofsast des Nervus cochleae, welcher an der Macwla cribrosa quarta in den Vor- 
hof hineintritt und nach der Gegend des Septums zwischen beiden Vorhofssäcken 
verläuft. Derselbe bildet einen plattgedrückten Nervenstrang, welcher hier, seine 
dem Recessus hemisphaericus zugewendete Fläche dem Beobachter zeigt. 


V mo Sacculus oblongus. 


Smi 


Ampulle des häutigen unteren Bogenganges. 


Sme, Sme Durchschnitte des häutigen äufseren Bogenganges. 


Sins 


Durchschnitt der Ampulle des häutigen oberen Bogenganges. 


nn nn nn 


60 Reıcnert: Beitrag z. fein. Anat..d. Gehörschnecke d. Menschen etc. 


Inhaltsverzeichnils. 


Geschichtliche Einleitung 5 
Äufsere Form- und Lageverhältnisse ae häutigen S ehnsckenkarstr . 5 
a. Unhaltbarkeit des Ausdrucks ‚Scala media” für den häutigen Schnerkönkana] 
db. Äufsere Form des häutigen Schneckenkanals 
c. Die knöcherne Schnecke > 
Relative Selbstständigkeit der De eukaneel ent a en Srhee 
Allgemeine Formverhältnisse der knöchernen Schnecke . 
Vorhofsabschnitt der knöchernen Schnecke . 
Schneckenkörper (Kuppelbildung) . 
d. Lage und Befestigung des häutigen een in der re 
Schnecke 3 
Übersicht der aus den ALT N "über Ge Ohrlabyrinth ae 
Menschen und der Säugethiere gewonnenen Ergebnisse 
Erklärung der Abbildungen 


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Über 
eine Kohlenkalk-Fauna von Timor. 


H'" BEYRICH. 


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[Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 10. März 1864.] 


He von Martens, welcher als Zoolog die Expedition der preufsischen 
Schiffe nach Japan in den Jahren 1860 bis 1862 begleitete, bestimmte in 
Batavia den deutschen Arzt Dr. Schneider, eine Sammlung von Gebirgs- 
arten und Versteinerungen, welche derselbe auf verschiedenen Stationsorten 
der holländischen Kolonieen angelegt hatte, behufs genauerer Untersuchung 
nach Berlin zu senden. Der Haupttheil der Sammlung, deren Inhalt sich 
vornehmlich auf die Inseln Timor, Ceram und Amboina bezieht, gelangte 
im Sommer des Jahres 1862 hierher und gab zunächst Veranlassung zu der 
in demselben Jahre bekannt gemachten Mittheilung('), dafs aus einer zahl- 
reichen Reihe von Versteinerungen mit Sicherheit auf das Vorhandensein 
einer paläozoischen Formation vom Alter des Kohlenkalksteins auf Timor 
geschlossen werden könne. Bestimmtere Angaben über das Vorkommen 
und die Zusammensetzung dieser Formation konnten nicht gegeben werden, 
da sämmtliche Versteinerungen nur mit der allgemeinen Angabe des Fund- 
ortes Kupang versehen waren. Die genauere Aufzählung und Beschreibung 
derselben wurde deshalb bis zur Rückkehr des Hrn. von Martens verscho- 
ben in der Erwartung, dafs dessen eigene Sammlungen und die von ihm 
selbst auf Timor gemachten Beobachtungen noch einige Erläuterungen ge- 
ben könnten. Erst mit den Sammlungen des Hrn. von Martens kam der 
merkwürdige von Hrn. Schneider gefundene Ammonites megaphyllus 
hierher, dessen Beschreibung in der Sitzung der mathematisch - physikali- 
schen Klasse vom 18. Januar d. J. gegeben ist. Dieser Ammonit lies zuerst 
erkennen, dafs aufser der paläozoischen noch eine andere jüngere Formation 


(') Zeitschrift der deutschen geologischen Gesellschaft 1862 S. 537. 


62 Berrıcn 


auf Timor vorhanden sein müsse, die ihren organischen Einschlüssen nach mit 
Triasbildungen der europäischen Alpen vergleichbar wird. Noch wichtiger 
aber war es, für die gegenwärtige Publikation eine von Hrn. Dr. Schneider 
selbst in Aussicht gestellte und seitdem erschienene Darstellung seiner geo- 
gnostischen Beobachtungen auf Timor abzuwarten('). Ergiebt sich auch 
aus dem Inhalte dieser Arbeit, dafs der Verfasser, fern von litterarischen 
Hülfsmitteln, nicht im Stande war, aus seinen Beobachtungen die richtigen 
Folgerungen zu ziehen, so wird doch sein uneigennütziger Entschlufs, die 
Sammlung, in welcher sich die Belege für seine Urtheile befinden, zu an- 
derweitiger Untersuchung fortzugeben, stets das Verdienstliche, welches die 
folgenden Mittheilungen haben könnten, auf ihn zurückführen. 


Das Wenige, was über die geognostische Zusammensetzung der Insel 
Timor früher bekannt wurde, verdankt man fast ausschliefslich einer Arbeit 
von Salomon Müller in dem zweiten, die Land- und Völkerkunde be- 
handelnden, von 1839 bis 1844 erschienenen Bande des grofsen Prachtwer- 
kes der Verhandelingen over de naturlijke geschiedenis der Nederlandsche 
överzeesche bezittingen. Die Arbeit giebt eine geognostische Skizze des 
westlichen Theils der Insel Timor, begleitet von einer geognostischen Karte, 
auf welcher die auf verschiedenen die Insel durchkreuzenden Wegen getrof- 
fenen Gebirgsarten in ihrem muthmaafslichen Zusammenhange dargestellt 
sind. Die zu Grunde liegenden Beobachtungen wurden im Jahre 1828 an- 
gestellt während der Expedition der Korvette Triton, deren hauptsächliche 
Bestimmung die Erforschung von Neu-Guinea war. Aufser Hrn. Salomon 
Müller begleitete die Expedition als Naturforscher Hr. Macklot für Geo- 
logie und Meteorologie, und Hr. Zippelius für Botanik. Der Geologe 
Hr. Macklot verlor im Jahre 1832 auf Java bei einem Aufstande der chi- 
nesischen Arbeiter sein Leben und seine Tagebücher gingen zu Grunde. 
Bei Abfassung der geognostischen Darstellung war Hr. Salomon Müller 
deshalb auf seine eigenen Aufzeichnungen beschränkt und auf die Benutzung 
der während der Expedition angelegten Sammlungen, die im Reichsmuseum 
zu Leiden aufbewahrt werden. 


(') Bijdrage de geologische Kennis van Timor. Nataurkundig Tijdschrif voor Neder 
landsch Indie. Deel XXV. Batavia 1869. 


über eine Kohlenkalk- Fauna von Timor. 63 


Das allgemeine Bild von dem geognostischen Bau der Insel, welches 
man durch diese Arbeit erhält, ist das der Zusammensetzung aus sehr ver- 
schiedenartigen sedimentären Gebirgsarten, aus Kalksteinen, Sandsteinen 
und Schiefern, für deren Altersbestimmung aber jeder sichere Anhalt fehlte. 
Die beobachteten Gesteine wurden zwar nach ihrem petrographischen An- 
sehn als einer ganzen Reihe von Formationen entsprechend gedeutet, als 
Grauwackengebirge, Muschelkalk, Jurakalk und Kreide; ob aber irgend 
eine dieser Formationen auf der Insel wirklich vorhanden sei, blieb voll- 
ständig dunkel wegen des Fehlens bezeichnender organischer Reste. Den 
willkürlichen Deutungen Salomon Müller’s schlofs sich zum Theil Hr. 
Schneider in seiner Darstellung von der Natur der bei Kupang beobach- 
teten Gebirgsformationen an, und zum Verständnifs der letzteren ist es er- 
forderlich eine Übersicht der ersteren vorauszuschicken. 

Den Kern der Insel soll nach Salomon Müller ein Grauwacken- 
gebirge bilden, bestehend aus Grauwackenkalkstein, Grauwackensandstein 
und Thonschiefer. Während der Thonschiefer nur an einzelnen Punkten 
auftritt, bilden Grauwackenkalkstein und Grauwackensandstein parallel neben- 
einander fortlaufende Zonen, so dafs der Sandstein sich längs der Südseite 
des Kalksteins hinzieht. Innerhalb dieses Grauwackengebirges wurde, als 
Eruptivgestein hervortretend, nur an einer Stelle Serpentin beobachtet, 
nämlich am südlichen Fufse des Berges Mieomaffo , einer der höheren zwi- 
schen 4000 und 5000’ ansteigenden Erhebungen in der Centralkette der In- 
sel. Der Grauwackensandstein wird beschrieben als ein Gestein von grauer 
oder gelbbrauner Farbe, bald grob- bald feinkörnig, gewöhnlich deutlich ge- 
schichtet, bald in dickere Bänke bald in dünnere, dem Schiefrigen sich 
nähernde Platten getheilt, zuweilen mit Neigung zu kugliger Absonderung. 
Die gröberen Abänderungen des Gesteins bestehen aus Quarz- und Thon- 
schieferstücken, zuweilen mit Kalksteintrümmern und Glimmerblättchen ge- 
mengt. Von Organischem wurden nur in der gelblichbraunen Abänderung 
undeutliche vegetabilische Reste bemerkt. Der Thonschiefer ist von licht- 
grauer bis dunkelschwarzer Farbe; er geht in den dunklen Abänderungen 
durch Aufnahme kohliger Bestandtheile in Zeichnenschiefer über und erhält 
ein talkschieferartiges Ansehn, wo er mit dem Grauwackenkalkstein in Be- 
rührung kommt. Der Grauwackenkalkstein ist dicht, von flachmuschligem 
Bruch, undeutlich geschichtet, gewöhnlich von grauer, bisweilen rother Farbe, 


64 BeEererıcn 


oft von Kalkspathadern durchzogen und mit Ausscheidungen von Kalkspath- 
krystallen in Spalten und Drusen. 

Die Verbreitung der nächstfolgenden jüngern Formation des Mu- 
schelkalks stellt die geognostische Karte als eine zusammenhängend an 
der Nordseite des Grauwackenkalksteins fortlaufende schmale Zone dar, 
welche an der Ostseite des Meerbusens von Kupang bis an das Meeresufer 
herantritt und dann, das Grauwackengebirge umziehend, noch eine Strecke 
lang an der Südseite des Grauwackensandsteins fortläuft, weiterhin aber am 
südlichen Abfall der Centralkette verschwindet. Dieser Kalkstein ist von 
rauchgrauer Farbe, thonig, flachmuschlig im Bruch und besonders ausge- 
zeichnet durch häufiges Vorkommen von Crinoiden - Stengeln, welche auf 
Encrinus liliformis gedeutet wurden. Solche Stengelreste zeigten sich 
auch in einer eisenschüssigen rothgefärbten Masse, durch Verwitterung an 
der Oberfläche hervortretend, während sie anderwärts in dem aus der Zer- 
setzung des Kalksteins entstehenden thonigen Boden bis fingerlang frei um- 
herliegend gefunden werden. Von anderen Versteinerungen wurde nur der 
Durchschnitt einer Muschel gesehen, welche als Terebratula vulgaris auf- 
geführt wird. 

Auf diesem Muschelkalk lagert eine dritte Kalksteinformation, wel- 
che die Karte Jurakalk nennt. Er zieht rings um die älteren Formationen 
herum, das bald breite bald schmale Vorland des gebirgigen Theils der Insel 
zusammensetzend. Meist ist es ein dichter Kalkstein von heller gelblicher 
Farbe, dem sogenannten weifsen Jurakalk ähnlich. Bisweilen wird das Ge- 
stein durch Beimischung von thonigen Theilen mergelartig, oder erhält eine 
braunrothe Färbung, wo es von Eisenoxyd stärker durchdrungen ist. Im 
Allgemeinen nimmt das Gestein, wo es sich höher erhebt und da, wo es 
sich dem Muschelkalk nähert, ein mehr oder weniger oolithisches Ansehn 
an und eine dunklere Farbe als in den flacheren Küstengegenden, wo es an 
vielen Stellen in einen feinporösen Korallenkalk übergeht. 

Der ferner noch unterschiedenen Kreideformation wird eine ge- 
ringe Ausdehnung gegeben ostwärts von Kupang, umgeben von Muschelkalk 
und Jurakalk. Das Gestein wird beschrieben als ein erdiger, gelber, schrei- 
bender, Hornsteinknollen enthaltender Kalkstein, dessen untere Lagen tho- 
niger und fester werden und in einen grauen und gelblichweifsen Mergel 
übergehen, der hier und da von Eisensilikat grünfleckig gefärbt wird. 


über eine Kohlenkalk- Fauna von Timor. 65 


Endlich unterscheidet die Karte noch an der Nordküste der Insel das 
Vorkommen noch gegenwärtig sich fortbildender Conglomerate. Sie um- 
fafst ferner aufser dem westlichen Theil der Insel Timor noch die kleine, nur 
durch einen engen Kanal von der Hauptinsel getrennte Insel Samauw, als 
deren Kern wieder der Grauwackensandstein und der Muschelkalk hervor- 
treten, umgeben von Jurakalk. 

Die Gegend, über welche die Abhandlung des Hrn. Schneider 
handelt und auf welche sich seine Sammlung bezieht, scheint den Umfang 
von 2 bis 3 Meilen Entfernung von Kupang nicht zu überschreiten, d. i. 
einen Distrikt, welchen die geognostische Karte von Salomon Müller 
ganz aus der Formation des Jurakalks zusammengesetzt darstellt. Die Be- 
obachtungen des Hrn.Schneider geben dagegen Kenntnifs davon, dafs auch 
in dieser Gegend sehr verschiedene Formationen zu Tage treten, und die 
von ihm aufgefundenen Versteinerungen verbreiten Licht über das Alter der- 
selben ; seine Beobachtungen lehren ferner, dafs Eruptivgesteine, welche bier 
früher nicht gesehen waren, Basalte, basaltische Mandelsteine, und Ser- 
pentine die Flözformationen durchbrechen. In seiner eigenen Deutung der 
beobachteten Formationen folgt Hr. Schneider zunächst dem irrigen Urtheile 
Salomon Müller’s in der Annahme, dafs die zunächst bei Kupang ver- 
breitete Kalksteinformation Jurakalk sei; er unterscheidet neben derselben 
als eine jüngere Bildung noch eine conglomeratische Ablagerung als Molasse 
und hält die unter dem Jurakalk sichtbar werdenden versteinerungsführenden 
Flözformationen theils für tiefere jurassische, dem mittleren oder braunen 
Jura und dem Lias parallelstehende Bildungen, theils für Triasgebilde. Die 
Basalte und Serpentine wurden in seiner Abhandlung als Abänderungen von 
Diorit, die basaltischen Mandelsteine als Oolithe beschrieben. 

Zu einer Örientirung über die wahre Natur dieser Formationen bei 
Kupang ist es erforderlich von dem vermeintlichen Jurakalk auszugehen, der 
sowohl nach der Beschreibung des Hrn. Schneider wie nach den Belegen 
seiner Sammlung sicher nichts Anderes ist als ein sehr junger Meereskalk, 
erfüllt von Korallen und Muscheln, wahrscheinlich eine korallenriffartige 
Bildung, welche die früher tiefer in das Meer gesenkte Insel umzieht und 
den ähnlichen Erscheinungen entspricht, wie sie an den Küsten der meisten 
gröfseren wie kleineren vulkanischen Inseln Australasiens gekannt sind. Ob 
dieser jedenfalls sehr junge Korallenkalk nur lebende Arten einschliefst, wie 


Phys. Kl. 1864. I 


66 Beyrıch 


es wahrscheinlich der Fall ist, oder ob einGemisch ausgestorbener mit leben- 
den Arten die Bildung der Formation in eine etwas weiter zurückliegende 
junge Tertiärzeit zu stellen ermächtigt, würde sich nur durch Untersuchung 
eines reicheren Materials als das vorliegende bestimmen lassen. Formen 
wie „Pecten lens, Pecten personatus, kleine Belemniten, Pileopsis jurensis”, 
welche Hr. Schneider darin zu sehen glaubte, sind in seiner Sammlung 
nicht vorhanden, vielmehr aufser Korallen nur unvollkommen erhaltene 
Muscheln, in denen ich nichts, was nicht lebenden Arten angehören könnte, 
zu unterscheiden im Stande bin. Als zugehörig zu diesem für jurassisch gehal- 
tenen Korallenkalk und als derselben Formation angehörig sind auch die 
Conglomerate zu betrachten, welche Hr. Schneider als eine jüngere Ter- 
tiärbildung davon unterschied. Anschaulich und lehrreich ist seine Darstel- 
lung von dem Auftreten und der Verbreitung dieser zweierlei Bildungen in 
der Gegend von Kupang. 

Das aus Muscheln und Korallen zusammengesetzte Conglomerat bil- 
det, nach Hrn. Schneider, von Kupang zur Strafse von Samauw hin 
die steilen Ränder des Meeresstrandes; das Gestein ist von weifsen oder 
durch Beimengung von Eisenoxyd und Mangan ins Braune verlaufenden Far- 
ben und zerfällt verwittert zu einem lockeren weifsen Sande. Landeinwärts, 
wo das Gestein kleine Plateaus bedeckt oder an den sanften Berggehängen 
abgelagert ist, giebt es verwittert eine fruchtbare dunkelbraune Dammerde, 
weil die anprallenden Meereswellen hier nicht den Thongehalt des mergli- 
gen Bindemittels fortführen. Es findet sich, überall horizontal gelagert, 
noch auf Höhen von 300 Fufs über dem Meeresspiegel, bis 20 Fufs mächtig. 
Ausnahmsweise zeigt sich ein gröberes nagelfluhartiges Conglomerat, von 
eckigen Thonschiefer- und Kalksteinbrocken bis zu 3 Zoll Gröfse erfüllt. 
Umgeben von diesen Conglomeraten erhebt sich in hohen Felsen der Ko- 
rallenkalkstein, die Kämme der Gipfel der Berge krönend oder gleich 
Mauern an ihren Gehängen emporsteigend. Zahlreiche Spalten durchziehen 
das Gestein und erweitern sich in der Tiefe zu Kanälen oder Höhlen. Seine 
Felsen bilden die Fatu’s, die Ritterburgen, in denen sich die Timoresen im 
Kriege verbergen und vertheidigen. Das Gestein ist grobkörnig, von Kalk- 
spathadern durchzogen, in seinen unteren Lagen von gleichmäfsiger Be- 


schaffenheit, kieselhaltig, mit lager- und nesterartigen Ausscheidungen von 
Chalcedon. 


über eine Kohlenkalk- Fauna von Timor. 67 


Nach der geognostischen Karte Salomon Müller’s darf man anneh- 
men, dafs der junge Meereskalk in dem ganzen schmalen Westende der In- 
sel Timor, an dessen nördlichem Rande Kupang liegt, die herrschend ver- 
breitete Formation ist und auch die höchsten die Wasserscheide bildenden 
Höhen noch zusammensetzt. Auch sprechen hiergegen nicht die Beobach- 
tungen des Dr. Schneider. Denn es scheint, dafs das Auftreten der älte- 
ren für triasisch und paläozoisch zu haltenden Flözformationen nur auf Ero- 
sions- Entblöfsungen in den tieferen Thaleinschnitten des bei Kupang aus- 
mündenden Flusses Koinino und seiner Seitenthäler, und auf einzelne zwi- 
schen dem jungen Korallenkalk hervorragende Höhen auf den Bergrücken 
beschränkt ist, so dafs sie sehr wohl bei einer ersten, auf einzelne Haupt- 
wege beschränkten Bereisung der Insel unbeachtet bleiben konnten. Die 
allgemeine Vorstellung, welche die geognostische Karte von dem Bau der 
Insel gewährt, wird daher nicht durch das Wiedererscheinen der älteren Forma- 
tionen bei Kupang geändert; es ergiebt sich daraus nur noch bestimmter der 
geologische Zusammenhang der Insel Samauw mit den höheren, vom Koral- 
lenkalk nicht mehr bedeckten Gebirgen des breiteren östlicheren Hauptthei- 
les der Insel. 

Die zweierlei versteinerungsführenden älteren Formationen, deren 
Vorkommen bei Kupang durch die aufgefundenen Versteinerungen erwiesen 
ist, werden auch in dem Aufsatze des Hrn. Dr. Schneider als wesentlich 
verschiedene und getrennt von einander auftretende Bildungen beschrieben, 
aber nicht in der Folge, welche ihnen nach den organischen Resten zukömmt; 
vielmehr wurde die ältere paläozoische Ablagerung von ihm für die jün- 
gere gehalten. Ich entnehme seinem Aufsatze die Charakteristik der beiden 
Formationen in der Folge, welche ihnen nach den Versteinerungen zu- 
kömmt. 

Die Trias-Formation bei Kupang unterscheidet sich von der älte- 
ren paläozoischenBildung durch auffällig rothe oder bunte Färbung ihrer Ge- 
steine, die aus einem Wechsel von kalkigen, thonigen und sandigen Schich- 
ten bestehen, so dafs das Ganze sehr wohl einer Ablagerung von bunten 
Mergeln der Keuperformation mitzugehörenden Sandsteinen vergleichbar wird. 
Diese Formation beschreibt auch Hr. Schneider als Keuper. Zu oberst lie- 
gen papierdünne rothe Lettenlagen, die nach unten in einen rothen Sand- 
schiefer übergehen und dann in einen weifsen, rothgefleckten, kalkigen 

12 


68 Bevyrıch 


Sandstein, in welchem keine Versteinerungen gefunden wurden. Darunter 
folgen, abwechselnd mit Sandsteinlagen, bunte Letten oder Mergel, erfüllt 
von zweischaligen Muscheln, die in der Abhandlung des Hrn. Schneider 
als Gervillia socialis und Trigonia vulgaris aufgeführt wurden. Es sind 
dies Muscheln, welche äufserlich ganz das Ansehn von Inoceramus besitzen, 
auch die fasrige diese Gattung auszeichnende Schale; sie unterscheiden 
sich aber durch gänzliches Fehlen der Ligamentgruben und bilden dadurch 
eine eigenthümliche Gattung, Atomodesma, welche sich zu Inoceramus 
etwa verhält wie Pierinea zu Avicula. Die Atomodesma von Timor lehrt 
vielleicht die geologischen Vorläufer der ächten Inoceramen kennen. 

Derselben Formation gehört der Ammonites megaphyllus an, dessen 
Hr. Schneider als Nautilus gedenkt. Der genauer bezeichnete Fundort 
liegt in der Gegend von Bakanassij, einem Ort südlich von Kupang, dessen 
Lage auf der Karte von Salomon Müller eingetragen ist. Hr. Schnei- 
der beschreibt das Gestein, aus welchem der Ammonit herrührt, als einen 
dunkelrothen Thonschiefer, der von einem breccienartigen Kieselsandstein 
bedeckt wird. Der Ammonit ist ein Steinkern und besteht aus einem sehr 
festen rothen Kalkstein, worin noch zerstreute Crinoiden-Reste sichtbar 
sind. Es könnte sein, dafs dieser Kalkstein nur nierenförmige Ausschei- 
dungen im Schiefer bildet, etwa wie in den devonischen rothen Schiefern 
bei Saalfeld die rothen Kalknieren,, welche zum Theil auch nur aus Ker- 
nen gekammerter Cephalopoden-Schalen bestehen. Beachtenswerth bleibt, 
dafs der Ammonit und die Atomodesmen nicht in derselben Schicht neben- 
einander gefunden wurden, und dafs die beiderlei Formen daher möglicher- 
weise verschiedenen Formationsstufen angehören könnten. 

An einer anderen Stelle, der Bergwand von Naetoi, beschreibt Hr. 
Schneider die bunten Mergel wechselnd mit einem grünen schiefrigen 
Sandstein und mit Lagen von Faserkalk und Gyps. Der Sandstein wird 
nach unten thonig, nimmt eine graue Farbe an und wird schiefrig durch 
Beimengung weifser Glimmerblättchen. Dünne Lagen dieses Sandsteins 
wechseln mit papierdünnen Lagen von Kohle ab, die bis zur Dicke von 
3 Fufs anwachsen. Die Kohle ist sehr thonig, schiefrig und mit vielem 
Schwefelkies verunreinigt; verwittert zerfällt sie in kleine Stücke und wird 
schnell mit Efflorescenzen von Alaun bedeckt. In der Nähe des Koblen- 
lagers finden sich häufig Pflanzenabdrücke in dem Sandstein. Unter dem 


über eine Kohlenkalk- Fauna von Timor. 69 


Sandstein folgt ein Lager von grauem schiefrigen Thon, abwechselnd mit 
körnigem Thoneisenstein. — In der Sammlung finden sich Sandsteine, er- 
füllt von kohligen vegetabilischen Resten, welche der gegebenen Beschrei- 
bung entsprechen; jedoch ist leider keine bestimmte vegetabilische Form 
erkennbar. 

Endlich stellt Hr. Schneider noch in die Reihenfolge dieser Abla- 
gerungen das Vorkommen eines Trochitenkalkes, der irn Bette des Kali- 
Mati, eines Zuflusses des Koinino, eine kleine aus übereinandergehäuften 
Felsblöcken bestehende Insel zusammensetzt. Die weifsen späthigen Cri- 
noiden-Stiele liegen in grolser Menge in einem rothen Kalkstein zerstreut 
und gleichen in der That sehr den Stengeln des Encrinus liliformis, für 
welche sie auch gehalten wurden. Das Gestein, sagt Hr. Schneider, 
wird über ganz Timor gefunden und die Timoresen bedienen sich der aus- 
gespülten Trochiten als Flintenkugeln. Ohne Zweifel ist dieser Trochiten- 
kalk dasselbe Gestein, welches schon Macklot und Salomon Müller 
anderwärts kennen gelernt hatten, und welches hauptsächlich wohl schon 
bei ihnen die Annahme des Vorhandenseins einer Muschelkalkformation auf 
Timor hervorrief. Es ist, abgesehen von dem Korallenkalk, das einzige 
Gestein von Kupang, welches man mit Sicherheit mit den von Salo- 
mon Müller beschriebenen Formationen in Zusammenhang zu bringen im 
Stande ist. 

So frappant das Ansehen des Trochitenkalkes von Timor auch ist und 
so sehr es durch die darin enthaltenen ähnlichen Stengelformen von Crinoi- 
denan den Trochitenkalk der deutschen Muschelkalkformation erinnert, so ist 
es doch sehr unwahrscheinlich, dafs diese Trochiten derselben Crinoiden- 
Art oder überhaupt auch nur der Gattung Encrinus angehören, und nichts 
wäre weniger begründet als die Bestimmung einer so fernen Formation als 
triasisch, wenn sie nur auf diesen Trochiten beruhte. Da der Trochiten- 
kalk bei Kupang nach den Angaben des Hrn. Schneider in einer eigen- 
thümlich isolirten Stellung auftritt, und da nicht sehr unähnliche Trochiten 
auf Timor auch in der Fauna des Kohlenkalksteins vorkommen, so werden 
erst spätere Beobachter, welche ein klareres Bild von der Lagerung und 
dem Zusammenhang der Formationen bei Kupang zu geben im Stande sind, 
darüber entscheiden, ob dasGestein überhaupt zu den Ablagerungen gehört, 
welche die sicher nicht paläozoischen Formen des Ammonites megaphyllus 


70 Berrıcn 


und die Atomodesmen einschliefst. Zu diesen Zweifeln werde ich beson- 
ders noch veranlafst durch einen im Gestein täuschend ähnlichen Trochiten- 
kalk, welcher durch Hrn. von Blandowski als von Borneo herrührend in 
die Berliner Sammlung gelangt ist. Die Trochiten in diesem Gestein von 
Borneo gleichen zum Theil denen der Koblenkalk-Fauna von Kupang, theils 
findet sich darunter die merkwürdige nur paläozoisch gekannte Stengelform, 
welche Miller dem Platycerinus laevis zustellte (Natur. hist. of the Crinoi- 
dea p. 75, Platycrinites laevis Pl. Il, Fig. 2—17, 21—23). Dieselbe Sten- 
gelform fand Ferd. Roemer im Kohlenkalk des Mississippi, sie findet sich 
in Deutschland devonisch bei Brilon. 


Die dritte der beigegebenen Tafeln stellt die im Vorgehenden bespro- 
chenen, für triasisch gehaltenen Versteinerungen von Kupang dar. 

Ammonites megaphyllus Taf. Ill. Fig. 1a, 6, c. 

Monatsbericht der Kön. Akad. der Wiss. 1864 p. 66. 

Figur 1a und 18 geben die Form des kugligen, ganz involuten Ammoni- 
ten in natürlicher Gröfse. Von der Wohnkammer ist nichts erhalten; ein paar 
Lobenlinien sind hineingezeichnet, um die relative Lage der Kammerwände ge- 
gen einander anschaulich zu machen. Figur 1 ist die Lobenlinie, wie sie schon 
a.a.O. dargestellt wurde. Der Ammonites Jarbas (Münster Beitr. zur Petre- 
faktenkunde IV. t.15 £.25, Quenstedt Cephalopoden t. 18 f. 12, v. Hauer 
Cephalop. von Bleiberg f. 15) aus der Fauna von St. Cassian und aus den 
Hallstädter Kalken ist der einzige europäische Ammonit, welcher eine ähn- 
liche Lobenlinie besitzt. Durch das Einschneiden eines grofsen, nach oben 
noch einmal sich ausbuchtenden, im Übrigen vollkommen einfachen Zahnes in 
die Seitenwände der Loben oberhalb ihrer Mitte erhalten die Sättel die Form 
kugligerKöpfe, welche in ihrem oberen Verlaufe vollkommen einfach bleiben. 
Fünf deutlich ausgebildete Auxiliarloben folgen dem oberen und unteren 
Lateral, das ist die gleiche Anzahl von Loben, welche v. Hauer bei A. 
Jarbas angiebt. Unterscheidend ist nur die Theilung der Basis der Loben, 
welche bei A. megaphyllus deutlich dreispitzig ist, während Graf Münster 
und eben so v. Hauer dieselbe bei A. Jarbas symmetrisch viertheilig dar- 
stellen. An angeführtem Orte wurden die beiden Amm, megaphyllus und 
Jarbas als Repräsentanten einer besonderen kleineren Ammoniten -Gruppe 
unter dem Namen der Megaphyllen verbunden. 


über eine Kohlenkalk- Fauna von Timor. TR 


Atomodesma exarata Taf. Ill. Fig. 4a, 5. 

Die Muschel ist schief, unregelmäfsig concentrisch gerunzelt, in der 
vorderen Hälfte von einer tiefen Furche durchzogen, welche einen breiten ge- 
wölbten Lappen von der übrigen Schale abscheidet. Figur 45 zeigt die 
wohlerhaltene Schlofsrinne, in welcher keine Spur von Ligamentgruben 
sichtbar ist. Die erhaltene Schale ist von fasrigem Gefüge wie bei der 
Gattung Inoceramus, die sich nur durch die Ligamentgruben unterscheidet. 

Atomodesma mytiloides Taf. II. Fig. 3. 

Eine zweite begleitende Art, welcher die vordere tiefe Furche der er- 
steren fehlt. 

Tafel III. Fig. 2 stellt ein Stück des Trochitenkalkes dar, erfüllt von 
Stengelgliedern, ähnlich denen des Encrinus llüformis. 


Wie sich die Triasformation bei Kupang von der älteren paläozoischen 
Formation abgrenzen mag, ist aus Hrn. Schneider’s Mittheilungen nicht 
zu entnehmen, weil derselbe, wie schon oben bemerkt wurde, wahrschein- 
lich irregeführt durch gestörte Lagerungsverhältnisse die ältere Formation 
für die jüngere hielt. Nachdem er den jungen Meereskalk als jurassischen 
Korallenkalk beschrieben hat, fährt er fort Gesteine, welche nichts anders 
als basaltische Mandelsteine sind, für Unteroolith zu halten, und deutet 
dann als Lias die Ablagerungen, welche Versteinerungen des Kohlenkalk- 
steins einschliefsen. 

Unter dem basaltischen Mandelstein, seinem Eisenoolith, liegt nach 
der Darstellung des Hrn. Schneider ein grüner Sandstein, wechsellagernd 
mit braunem Mergel, welche Gesteine von Petrefakten erfüllt sind und 
einem schwarzen Schieferletten aufliegen. Diese Letten werden mit den 
Thonen verglichen, welche in Schwaben den Ammonites opalinus einschlie- 
fsen und die Basis des Unterooliths abgeben. Als Versteinerungen der grü- 
nen Sandsteine und der braunen Mergel werden aufgeführt: Orthis elegan- 
tula, Orthis testudinaria, Terebratula fimbria, ornithocephala, resupinata, 
rimosa, trilobata, vulgaris, Wilsoni, Gryphaea dilatata, Pecten lens, Tri- 
gonia vulgaris, Cyathophyllum ceratites, caespitosum, Apiocrinites echi- 
natus, elongatus, rotundus, rosaceus. Dies sind die grofsentheils sehr 
verkannten, auf den Tafeln I. und II. dargestellten Brachiopoden, Crinoi- 
den und Korallen der Kohlenkalk-Fauna von Timor. Die meisten Schalen 


y9: BEerrıc# 


der Brachiopoden und die Korallen sind ganz oder theilweise verkieselt, aber 
stets ohne Kieselringe; das anhaftende Gestein ist eine graue Kalkmasse, 
welche durch Aufnahme von glaukonitischen Beimengungen und von Quarz- 
körnern in einen grünlichen mehr oder weniger sandigen Mergel verläuft. 
Diese Erhaltung gestattete die Reinigung der anfangs zum Theil sehr unan- 
sehnlichen und zu einer genauen Bestimmung wenig geeigneten Muscheln 
mittelst Anwendung von Säuren. 

Unter den schwarzen Letten, fährt Hr. Schneider fort, liegt zu 
Montassij, an der Seite des Berges Tabeno und an dem Ursprung des Kali- 
Mati, ein brauner, wenig bituminöser Mergelschiefer, dessen dünne Platten 
mit einem schwarzen Pulver von Mangansuperoxyd und Eisenoxyd bedeckt 
sind. Darauf folgen Kalkschiefer, welche an dem Ufer eines kleinen Flus- 
ses zu Tage kommen und ein kleines Plateau oberhalb des Ursprunges des 
Kali-Mati bedecken. In dem Flufsbette fand Hr. Schneider, wie er sagt, 
einige Glieder von Crustaceen , worunter muthmafslich die in seiner Samm- 
lung vorgefundenen Trilobitenreste verstanden sind. Der Kalkschiefer, 
heifst es, ist krystallinisch und weifs, nimmt aber nach unten eine blau- 
schwarze Farbe an, so dafs er im Ansehn dem Posidonienschiefer des Lias 
ähnlich wird. 

Auf diese für liasisch gehaltenen, ohne Zweifel paläozoischen Ablage- 
rungen läfst dann Hr. Schneider die oben charakterisirten mit Keuper und 
Muschelkalk verglichenen Bildungen folgen, welche ihren Versteinerungen 
nach in der That für eine Triasformation zu halten sind. 


Die in der Sammlung des Hrn. Schneider vorgefundenen Formen 
der Koblenkalk-Fauna von Timor sind die folgenden: 

Rhynchonella Timorensis Taf.1. Fig. 10a, b, c. 

Eine ausgezeichnete Form aus der artenreichen Gruppe der Ahyn- 
chonella Wilsoni und Wahlenbergü. Die Schale ist glatt bis zum vorde- 
ren Drittheil der Länge, in welchem die Seiten 10 Falten und Sinus und 
Sattel eine gleiche Zahl von Falten erhalten. Beide Klappen sind bis zum 
Hervortreten der Falten flach ausgebreitet, so dafs nur die steil gegen den 
Rand abfallenden Theile mit Falten bedeckt sind. Die Breite übertrifft bei 
Weitem die Länge, erstere mifst 23”", letztere 15""; die Höhe oder Dicke 


über eine Kohlenkalk- Fauna von Timor. 73 


beträgt 13"". Die Abbildungen geben das einzige vorhandene Stück in drei 
Ansichten. 

Von europäischen Arten ist die devonische Rhynchonella semilaevis 
Roemer sp. vom Iberge im Harz in der Anordnung der Falten vergleich- 
bar, in allen übrigen Merkmalen aber sehr verschieden. Der europäische 
Kohlenkalk besitzt keinen eigenthümlichen Vertreter der Gruppe. David- 
son kennt keine dahin gehörende Art aus englischem Kohlenkalk; nur 
De Koninck beobachtete in Belgien die devonische Rhynchonella cuboi- 
des noch bis in den Kohlenkalk hinaufgehend. 


Camarophoria Crumena Mart. sp. Taf. I. Fig. 11a, 5, c und 
Fig. 12. 

Terebratula Schlotheimü L. v. Buch. Terebrat. p. 39 t. 2, f. 32. Camarophoria 
Schlotheimii Buch. sp. Camarophoria Crumena Mart. sp. bei Davidson. Brit. Perm. 
Brach. p. 25 t. 2, f. 16—27; Brit. Carb. Brach. p. 113, 267 t. 15, f. 3—9, t. 4, 
f. 16—19. 

Zwei wohl erhaltene Stücke sind vorhanden; das gröfsere, Taf. 1. 
Fig. 11a, b,c, ist28”" breit bei 25”" Länge ; das kleinere, Taf. I. Fig. 12, ist 21" 
lang bei gleicher Breite. Das gröfsere Stück hat in der kürzeren Klappe 
5 Falten auf dem Sattel und 4 auf jeder Seite, das kleinere 4 Falten im Sat- 
tel und 3 auf den Seiten. Am Stirnrande und eben so an den Seitenrändern 
legen sich die beiden Klappen zusammengeprefst auf einander und bilden 
einen flügelartig vorspringenden, selbst etwas aufgerichteten Saum. Der ge- 
bogene, spitz auslaufende Schnabel der längeren Klappe legt sich fest auf 
die kleinere Klappe, so dafs die Öffnung nicht sichtbar ist. In allen diesen 
Charakteren zeigt sich die vollkommenste Übereinstimmung zwischen den 
Stücken von Timor mit den Figuren, welche Davidson a.a.O.t. 25, f. 7 
und 8 oder t. 54, f. 17 und 19 gegeben hat, ebenso mit Originalen der Art 
aus deutschem Zechstein, obwohl letztere nie ganz die angegebenen Maafse 
erreichen. 

Dafs die Camarophoria Schlotheimi des Zechsteins sich nicht von 
der C. Crumena des Kohlenkalks unterscheide, hatte bereits King be- 
merkt, behielt jedoch für die Muschel des Zechsteins den Namen C. Schlot- 
heimi bei. Ebenso verfuhr Davidson noch in der Bearbeitung der Bra- 
chiopoden des englischen Zechsteins, erkannte jedoch später die vollstän- 
dige Übereinstimmung der beiden Arten an und verlangt mit Recht, dafs der 

Phys. Kl. 1864. K 


74 Beyarıcı 


Name der schon von Martin gut beschriebenen ©. Crumena auch auf die 
Muschel des Zechsteins übertragen werde. 
Spirigera Roissyi Lev. sp. Taf. I. Fig. 2a, 5 und Fig. 3a, b, c. 
Athyris pectinifera und Athyris Roissyi bei Davidson Brit. Perm. Brach. p. 21 
t. 1, f. 50, 56, t. 2, f£ 1—5 Brit. Carb. Brach. p. 84, 266, t. 18, £. 1—11, t. 54, f. 8, 9. 
Terebratula Royssii Verneuil in G£ol. de la Russ. d’Europ. II. p. 55 t. 9, f.2. Teredra- 


tula Roissyana Keyserling Reise in d. Petschoraland p. 237. Athyris Roissyi v. Grüne- 
waldt Beitr. in M&m. de l’ac. imp. de St. P£tersb. 1860 p. 103. 


Die Art scheint auf Timor zu den häufigeren Brachiopoden zu gehö- 
ren und ist in zwei Varietäten vorhanden, welche vollständig mit bekannten 
europäischen Abänderungen übereinstimmen. Die eine Taf. I. Fig. 3a, d, c, 
ist so lang als breit oder nur wenig breiter als lang, mit sehr flachem oder 
fast ganz fehlendem Sinus am Rande der längeren Klappe. Die andere 
Varietät, Taf. I. Fig. 2a, b, ist viel breiter als lang, mit flügelartig erweiter- 
ten und zusammengedrückten Seiten und tiefer eingesenktem Sinus der län- 
geren Klappe. Das gröfste Stück der ersten Abänderung ist 25""” breit, 
22"”" Jang, 14” dick, dafs gröfste Stück der anderen Varietät 37"" breit 25”” 
lang, 13,5"" dick. Die Skulptur der Oberfläche ist genau wie bei euro- 
päischen Stücken beschaffen; man sieht unregelmäfsige schuppigblättrige 
Anwachsringe, denen an einzelnen Stücken noch Reste von gewimperten 
Fortsätzen anhaften. Das Loch des Heftmuskels liegt im Schnabel der län- 
geren Klappe, der fest an den Wirbel der anderen Klappe angeprefst ist. 
Auch die Spiralbänder sind an einem Stück sichtbar. 

Als typische Form der Spirigera Roissyi gilt eine zuerst in Belgien 
im Kohlenkalk zu Tournay gefundene, dort häufig vorkommende Art, deren 
ausgewachsenen Zustand sehr gut die Abbildung bei De Koninck, An. foss. 
du terr. carb. de Belgique t. 21 f. 1g, A darstellt; ihr entsprechen die Figu- 
ren in Davidson Brit. Carb. Brach. t. 18, f. 8, 8a und 5. Von wohl aus- 
gebildeten Stücken dieser typischen Spirigera Roissyi unterscheidet sich die 
erste Abänderung von Timor durch schwächere Ausbildung des Sinus; sie 
wird hierdurch ähnlicher den Formen des Zechsteins, die als besondere Art 
unter dem Namen Spirigera oder Athyris pectinifera unterschieden wurden. 
Schon King machte auf die aufserordentliche Ähnlichkeit dieser letzteren 
mit der Sp. Roissyi des Kohlenkalks aufmerksam, obwohl er sie getrennt 
hielt. Der Unterschied ist in der That kein anderer, als dafs die Art des 
Zechsteins gewöhnlich etwas kleiner bleibt und im ausgewachsenen Zustande 


über eine Kohlenkalk- Fauna von Timor. 75 


etwa solchen noch nicht ganz ausgewachsenen Stücken der Spirigera Roissyi 
von Tournay gleicht, bei denen sich der Sinus erst zu bilden anfängt. Mit 
Recht spricht sich Davidson schliefslich in den Nachträgen zu seiner Be- 
schreibung der Brachiopoden des britischen Kohlenkalksteins dahin aus, dafs 
die bezeichnete Verschiedenheit zu einer Trennung der beiden Arten nicht 
ausreiche, und dafs die Spirigera Roissyi als eine zweifellos vom Kohlenkalk- 
stein zum Zechstein herübergehende Art anerkannt werden müsse. 

Die zweite breitere Abänderung von Timor gleicht vollständig der im 
rufsischen Zechstein vorkommenden Form, welche De Verneuil zuerst 
a.a. O.t. 9 f. 2 kennen lehrte. Sie unterscheidet sich gleichfalls von der 
typischen Spirigera Roissyi hauptsächlich nur durch auffallend breitere 
Form. Dennoch meinte De Verneuil nicht sie als besondere Art unter- 
scheiden zu dürfen, während Graf Keyserling, ohne neue Unterschiede 
von Bedeutung aufzufinden, den Namen Terebratula Roissyana für dieselbe 
einführte. Dagegen erklärte schon M. v. Grünewaldt, dafs alle drei Ar- 
ten, die Spirigera Roissyi, Roissyana und pectinifera, nur Varietäten einer 
und derselben Art seien. Die breite an den Seiten stark zusammengedrückte 
Abänderung, welche Keyserling 7. Roissyana nannte, ist im englischen 
oder belgischen Kohlenkalk noch nicht beobachtet worden; es ist daher von 
Interesse, dafs sie auf Timor in Begleitung der gewöhnlichen Abänderung in 
einer Fauna auftritt, die ihrem gesammten Inhalte nach einem Kohlenkalk 
anzugehören scheint. 

Spirigera globularis Phill. sp. Taf. I. Fig 1a, b, c. 

Spirifera globularis Phill. Yorksh. I. p. 220 t. 10, f. 22. Athyris globularis 
Davidson Brit. Carb. Brach. p. 86 t. 17 f. 15—18. 

Davidson unterscheidet im englischen Kohlenkalk drei Spirigera- 
Arten, Sp. ambigua, globularis und subtilita, welche sich durch glatte 
Schalen von den übrigen mit zerschlitzten oder gefranzten Fortsätzen ver- 
sehenen Arten unterscheiden. Die verbreitetste dieser Arten ist Sp. ambi- 
gua, mit welcher De Koninck die Sp. globularis verbinden wollte. 
De Verneuil erklärte sich zuerst in der Geologie de la Russie d’Europe II. 
p- 60 gegen diese Vereinigung und bemerkt insbesondere, dafs die Sp. glo- 
bularis sich durch ihre kleine Heftmuskelöffnung, die bisweilen sogar ganz 
zu fehlen scheine, von der Sp. ambigua unterscheide. Davidson giebt 
dagegen der Art in seinen Zeichnungen das gewöhnliche Loch der Terebra- 
tula und sucht den Unterschied zwischen Spirigera globularis und ambigua 


K2 


76 Beryraıch 


hauptsächlich in dem Fehlen der Depression, durch welche gewöhnlich der 
Sattel der Sp. ambigua gespalten erscheint, und in der regelmäfsigeren und 
stärkeren Wölbung der ersteren Art. 

Die Spirigera globularis von Timor hat zugleich die Form der engli- 
schen Art, wie sie Davidson darstellt, und den spitz auslaufenden Schna- 
bel der längeren Klappe, wie ihn De Verneuil an seinen englischen 
Stücken beobachtete. Die Öffnung für den Heftmuskel liegt unterhalb des 
Schnabels nach Art der Rhynchonellen. Der Sinus zieht sich fast bis zur 
Spitze des Schnabels herauf, behält aber eine verhältnifsmäfsig geringere 
Breite als bei der Sp. ambigua. Die Schale ist glatt aufser einzelnen ent- 
fernten, nur am Rande gedrängteren Anwachs-Absätzen. Die Muschel 
hat eine Länge von 28"" bei 26" Breite und 19"" Dicke. 


Spirifer lineatus Mart. sp. var. Taf. I. Fig. 13a, b, c. 

Davidson in Brit. Carb. Brach. p. 62 t. 13 f. 1—13. Spirifer conularis 
v. Grünewaldt 1860 Beiträge etc. p. 102 t. 4 ££ 2 in Mem. de l’ac. de St.Petersbourg 
VII. Ser. Tome II. 

Eine ausgezeichnete Varietät der im Kohlenkalk überall verbreiteten 
und gemeinen Art, dieman nach Davidson’s Erläuterungen zugleich als 
sehr variirend zu betrachten hat. Die Form von Kupang unterscheidet 
sich von gewöhnlichen europäischen Abänderungen nur durch stär- 
kere Aufblähung, Verlängerung und Krümmung des Schnabels der grofsen 
Klappe, dessen Spitze etwa in die Ebene des Schlofsrandes zu liegen kömmt. 
Eine ganz ähnliche Abweichung an Stücken von Artinsk veranlafste 
v. Grünewaldt zur Unterscheidung des Spirifer conularis. Die Ränder 
der Heftmuskelöffnung sind von blattartig hervortretenden Rudimenten eines 
sogenannten Pseudodeltidiums eingefafst. In geringer Entfernung und nur 
undeutlich begrenzt sind zur Seite der Öffnung die Grenzen der kleinen 
Area bemerkbar. Die kleine Klappe, mit stark ausgebildetem Wirbel, ist 
gleichmäfsig gewölbt, die grofse in der Mitte etwas verflacht, mit kaum be- 
merkbarer Einsenkung zum Sinus. Die concentrischen Furchen der Ober- 
fläche sind ganz wie bei typischen europäischen Stücken gebildet; hier und 
da sind Reste von gewimperten Fortsätzen erhalten, welche den concentri- 
schen Ringen ansassen. An dem besterhaltenen Stück ist die kleinere Klappe 
etwa 25"" lang und breit, die gröfßsere 31"" lang; die gröfste Dicke der 
Schale beträgt 20"" und liegt dem Schlofsrande näher als der Mitte. 


über eine Kohlenkalk- Fauna von Timor. 77 


Spirifer Moosakhailensis Dav. Taf. I. Fig. 7. 

Spirifera Moosakhailensis Davidson in Quart. Journ. 1862 p. 28 t. 2 f. 2. 

Vier Stücke sind vorhanden, von denen das gröfste fast genau die Di- 
mensionen des grofsen Spirifer aus dem indischen Kohlenkalk besitzt, 
welchen die Figur 24 bei Davidson a. a. O. darstellt; auch die Form 
und Skulptur stimmen gut überein. Die Streifen oder Fältchen, welche die 
Oberfläche der ganzen Schale bedecken, gruppiren sich zu Bündeln, deren 
man, je nach der Gröfse der Schale, 6 bis 8 zu jeder Seite der Wirbel ab- 
gehen sieht. Die Streifenbündel bleiben auch an den grofsen Stücken bis 
zum Rande deutlich gesondert, mit Ausnahme jedoch der äufseren dem 
Schlofsrande zunächst liegenden Bündel, die sich nur in der Nähe der Wirbel 
deutlich unterscheiden lassen. Die am Wirbel entspringenden gröfseren Falten 
spalten sich zuerst in 3 Fältchen, deren Zahl sich durch weitere Theilung 
zum Rande hin zu 5 bis 7 in einem Bündel vermehrt. An dem einen der 
Stücke, dessen Oberfläche am besten erhalten ist, zeigen sich auch deutlich 
die gedrängten scharfen Anwachsringe, welche Davidson vornehmlich be- 
stimmten für die Art einen neuen Namen einzuführen; indefs scheinen sie 
sich nicht so hoch schuppig aufzurichten wie bei dem indischen Spivifer. 
Das Innere der grofsen Klappe, welches an einem Stück blosgelegt werden 
konnte, zeigt die Zahnplatten und Muskelgruben von ähnlicher Beschaffen- 
heit, wie sie dem ‚Spirifer striatus zukommen. 

Spirifer fasciger Keys. und Spirifer striatus sind die beiden euro- 
päischen Arten, mit welchen der Sp. Moosakhailensis verglichen werden 
könnte. Die Abbildung und Beschreibung, welche Graf Keyserling von 
dem Spirifer fasciger gegeben hat, liefsen Zweifel, ob die Art Anerkennung 
verdiene. M’Coy und ebenso später Davidson wollten sie mit ‚Sp. dupli- 
cicosta verbinden, während sie Eichwald in der Lethaea rossica, wahr- 
scheinlich ihre Verwandtschaft richtiger beurtheilend, zum Spirifer stria- 
tus stellt. Indefs gab v. Grünewaldt') ein neues Bild der rulsischen Art, 
welche sicher nicht zum Sp. duplicicosta gehört und sich auch zu weit vom 
Spirifer striatus entfernt, um blos für Varietät des letztern gedeutet werden 
zu können. Anfänge von bündelförmiger Gruppirung der Streifen kommen 


(1) Beiträge zur Kenntnifs der sedimentären Gebirgsformationen etc. in M&m. de l’acad. 
imp. des sciences de St. P£tersbourg VI. Ser. T. Il. 1860, p. 7 1.5 f. 1. 


78 Berrıen 


beim Spirifer striatus vor, sie sind bei Davidson Brit. Carb. Brach. t. 2 
f. 13, 14 und t. 3. 5 dargestellt. Doch scheint sich bei dieser Art die 
Bündelung nur in der Gegend der Wirbel deutlich auszubilden und später 
mehr zu verwischen, als dies bei dem Spiröfer Moosakhailensis der Fall ist. 
Hierin dürfte der einzige beachtenswerthe Unterschied liegen; denn die 
scharfen Anwachsringe, auf welche Davidson Gewicht legte, könnten zum 
Theil nur einer besonders günstigen Erhaltung der äufsersten Schalschicht 
zuzuschreiben sein und zeigen sich schon meist gar nicht mehr bei dem Spi- 
rifer von Kupang, der in allem Übrigen so sehr übereinstimmt. Eine Ab- 
änderung des Spirifer striatus von Sterlitamack in der hiesigen Sammlung 
kömmt von vergleichbaren europäischen Stücken dem beschriebenen Spiri- 
fer am nächsten. 


Spirifer Tasmanianus Morr. var.? Taf. I. Fig. 5. 

L.v. Buch Die Bären-Insel p. 11 fig. 3 aus den Abhandlungen der Ak. d. Wissensch. 
von 1847. Strzelecki Physical Description of New South Wales and Van Diemens Land 
p: 280 t. NSS 4 

Ein einzelnes Stück von unvollkommener Erhaltung gestattet nicht 
die Zugehörigkeit zu der eitirten Art mit Sicherheit anzunehmen. Aufser zwei 
hohen, den Sinus der gröfseren Klappe einfassenden Falten, finden sich jeder- 
seits nur drei deutlich ausgebildete Falten, von denen die beiden äufseren 
einfach zu bleiben scheinen, während sich die beiden hohen Falten zur Seite 
des Sinus und die nächst anstofsenden Falten spalten, so dafs jederseits der 
Hauptfalte eine Nebenfalte herabläuft. An der kleinen Klappe ist noch zu 
sehen, dafs dem Sinus der gröfseren ein Sattel entspricht, welcher sich schon 
dicht am Wirbel in drei Falten zertheilt. 

In der Form und Theilung der Falten ist dieser Spirifer dem Spiri- 
fer Tasmani von der Van Diemens-Insel nicht unähnlich, unterscheidet 
sich aber durch die geringe Zahl der Falten. Eine gleiche Faltenzahl, aber 
viel stärkere Zertheilung der Falten besitzt der Beschreibung nach der Spi- 
rifer, welchem der Name Sp. fasciger zuerst vom Grafen Keyserling bei- 
gelegt wurde. 

Spirifer Kupangensis Taf. 1. Fig. 6a, b, c. 

Eine ausgezeichnete Form, welche keiner bekannten europäischen 
Art näher vergleichbar ist. In der Gestalt erinnert sie an Pentamerus car- 


bonarius M'Coy, welchen Davidson (Brit. Carb. Brach. p. 71 t. 15 


über eine Kohlenkalk- Fauna von Timor. 79 


f. 5—14) fraglich der Gattung Cyrtina zustellte ; indefs liefs sich durch Zer- 
schlagen eines zweiten minder gut erhaltenen Stückes derselben Art darthun, 
dafs sie im Innern nicht die auffallenden Scheidewände des Pentamerus oder 
der Cyrtina besitzt. Die hoch aufgerichtete und stark gegen das Schlofs 
umgebogene gröfsere Klappe wird von einem tiefen Sinus durchzogen, 
der an der Stirn die halbe Breite der Schale einnimmt. An jeder Seite des 
Sinus zieht sich eine starke Falte herab, welche sich gegen den Wirbel hin 
mit der den Sinus begrenzenden Falte verbindet. Jede Seite besitzt aufserdem 
nur noch 4 deutliche Falten. Die kleine Klappe hat 3 Falten im Sattel, von 
denen die mittlere sich am stärksten erhebt, und jederseits 4 Falten. Die 
Area ist kürzer als die gröfste Breite der Schale, das Delta offen. Das ab- 
gebildete Stück hat 23,5"" Länge, 19"" Breite und 19"" Dicke. 


Spirifer cristatus Schlot. sp. Tafel I. Fig. 4a, b, c. 

Terebratulites eristatus Schotheim. München. Denkschr. VI. t. 1 £. 3; Petre- 
faktenk. p. 265, 431. Spirifer eristatus Buch Delth. p. 39. Spiriferina cristata Dav. 
Brit. perm. Brach. p. 17. Spiriferina eristata var. octoplicata Dav. Brit. Carb. Braclı. 
p- 38, 267 1. 54 £ 10—13. 

Ein hinreichend erhaltenes Stück läfst nicht nur die Bestimmung 
aufser Zweifel, sondern verdient auch Berücksichtigung für die neuerlich 
wieder von Davidson ausführlich behandelte Frage über den Zusammen- 
hang des Spirifer cristatus der Zechsteinformation mit ähnlichen Formen 
des Kohlenkalksteins, insbesondere dem Spirifer octoplicatus Sow. Nicht 
De Koninck, wieDavidsona. a. O. p. 39 angiebt, sondern L. v. Buch 
stellte zuerst einen Theil der Figuren des Sp. octoplicatus Sow., M.C. t. 562 
f. 2 und 3, in die Synonymik des ‚Sp. eristatus;, die dritte Figur, t. 562 f. 4, 
fügte er der Synonymik des ‚Sp. erispus zu, welchen er als eine vom Silur 
durch das Devon bis zum Kohlenkalk hinaufreichende Art betrachtete. Eine 
noch geringere Anzahl von Falten sollte das wesentlich unterscheidende 
Merkmal des Sp. crispus sein, welchem die Spirifera insculpta Phillips 
zugerechnet wurde. Das Urtheil Buch’s über die Figuren Sowerby’s 
gab Koninck in seinem gröfseren Werke unverändert wieder in der Syno- 
nymik des Spirifer ceristatus und crispus, änderte aber seine Ansicht in dem 
Supplement von 1851, indem er, hier wie bei andern Arten schärfere Unter- 
scheidung vorziehend, den Namen Spirifer octoplicatus für seinen früheren 
Sp. cristatus annahm und erklärte, dafs sich die Art des Kohlenkalksteins 


s0 BErrıcn 


stets durch eine gröfsere Faltenzahl von der des Zechsteins unterscheide. 
Diesen letzteren Ausspruch bemühte sichDavidson insbesondere zu wider- 
legen, nachdem schon früher King im Jahre 1849 nach Vergleichung der 
Originalstücke des Spirifer octoplicatus Sowerby’s das vonKoninck nicht 
beachtete Urtheil abgegeben hatte, dafs Sowerby’s Art sich durch nichts 
Anderes als etwas beträchtlichere Gröfse vom Spirifer eristatus unter- 
scheide. Als Resultat der umständlichen Erörterungen Davidson’s ergiebt 
sich, dafs in der That, wie L. von Buch nur nach den Figuren vermuthen 
konnte, der ‚Spirifer cristatus alseine demKobhlenkalkstein und der Zechstein- 
formation gemeinsam zukommende Art zu betrachten ist, welche in der äl- 
teren Formation gewöhnlich gröfser und mannigfaltigeren Schwankungen 
unterworfen auftritt als in der jüngeren, jedoch so, dafs ausgewählte Stücke 
der einen oder der anderen Zeit vollkommen ununterscheidbar sind (a. a. O. 
Taf. 54 Fig. 10 u. 11, 12 u. 13). 

Der Spirifer von Kupang gleicht in Form, Gröfse, und Zahl der Rip- 
pen ganz der eben angeführten Figur, t. 54 f. 10, aus schottischem Kohlen- 
kalk. Der Wirbel der gröfseren Klappe ist stark gekrümmt, der Sinus im 
Grunde flach, daher die Falten an seiner Seite von zusammengedrückter 
Form und beträchtlich die übrigen seitlichen Falten an Höhe überragend ; 
es folgen ihnen jederseits noch 4 Falten, von denen die letzte, dem Schlofs- 
rande nahe, wenig entwickelt ist. Dem Sinus entsprechend ist der mittlere 
Sattel der kleineren Klappe von beträchtlicher Höhe, jederseits von 4 Fal- 
ten begleitet. Über die Falten laufen unregelmäfsige schuppige Anwachs- 
ringe, ein Zeichen unregelmäfsigen periodischen Anwachsens, ähnlich wie man 
es gewöhnlich bei Stücken des Spirifer eristatus aus deutschem Zechstein 
sieht. L. v. Buch beschrieb diese Anwachsringe als „festungsartige Wel- 
len.” Die grob punktirte Textur der Schale, durch welche sich Spirifer 
cristatus auszeichnet, ist an dem Stück vorzüglich erhalten; ja man sieht im 
Querbruch der Schale das röhrige Gefüge, durch welches die Punktirung 
hervorgerufen wird. 

Streptorhynchus radialis Phill. sp. var. Taf. I. Fig. 8a, 5, c. 


Spirifera radialis Phill. Geol. Yorkh. I. t. 11 f. 5. Ser. crenistria var. D. ra- 
dialis Davidson Brit. Carb. Brach. p. 129 t. 25 f. 16—18. 


Ein woblerhaltenes Stück von 24"” Breite; Länge der kürzeren Klappe 
17,5, der längeren 20”", Dicke 10,5". Der Umrifs ist gerundet vierseitig, 


über eine Kohlenkalk- Fauna von Timor. 81 


vollkommen regelmäfsig, der Schlofsrand nicht ganz die gröfste Breite der 
Schale erreichend. Die Area der kürzeren Klappe ist sehr schmal, die der 
längeren stumpf dreieckig, eben, abstehend, so dafs sie einen stumpfen Win- 
kel mit der Grenzfläche der beiden Klappen bildet. Die längere Klappe 
wenig gewölbt, von der Mitte ab zu einem breiten flachen Sinus eingesenkt. 
Die kürzere Klappe ist regelmäfsig und stärker gewölbt als die längere, am 
höchsten in der Mitte, von beiden Seiten zum Schlofsrande hin etwas 
eingebogen und verflacht. Die Oberfläche der Schale ist mit stärkeren und 
schwächeren Radialstreifen bedeckt, so dafs ziemlich regelmäfsig drei schwä- 
chere Streifen zwischen je zwei stärkeren zu stehen kommen; die Radial- 
streifen kreuzen sich mit concentrischen, am Rande schuppig gedrängten An- 
wachs-Stufen. 

Abgesehen von dem geringeren Unterschiede des etwas vierseitigeren 
Umrisses und geringerer Stärke der Radialstreifen , stimmt die beschriebene 
Form in ihren wesentlichen Charakteren sehr gut mit der englischen, erst 
durch Davidson’s Beschreibung und Zeichnungen bekannt gewordenen 
Art überein, insbesondere in der relativen Gröfse der beiden Klappen 
und in der Art des Hervortretens stärkerer Radialstreifen zwischen den 
schwächeren. Sie gehört zu den Verwandten der Orthis umbraculum und 
crenistria, welche Davidson seit 1857 mit der Orthis pelargonata zu der 
natürlichen, zuerst von King vorgeschlagenen aber ungenügend charakteri- 
sirten Gattung Streptorhynchus verbindet, während er früher diese Arten 
der Orthisina d’Orbigny’s anzureihen geneigt war. Viel früher schon 
hatteDe Verneuil')denengen Zusammenhang, in welchem die genannten For- 
men des Devon und des Kohlenkalks mit der Orthis pelargonata des Zech- 
steins stehen, scharfsinnig erkannt, und bemühte sich die einander sehr ähn- 
lichen Arten schärfer zu unterscheiden. Seine Ansicht ging dahin, dafs 
Orthis crenistria eine zugleich dem Devon und dem Kohlenkalk zukommende 
Art sei, die sich aber gut unterscheide von der nur devonisch vorhandenen 
Orthis umbraculum, mit welcher sie L. v. Buch und ihm folgend De Ko- 
ninck verbunden hatten. Als eine zweite Art des Koblenkalksteins unter- 
schied De Verneuil die Orthis arachnoidea Phill.sp., welche L. v. Buch 
nicht verschieden glaubte von der silurischen seiner Ansicht nach auch 


(1) Russie d’Europe II. p. 196. 
Phys. Kl. 1864. LE 


82 Berrıcn 


im Devon vorhandenen Orthis Pecten Dalm. DeKoninck in dem Supple- 
ment zu seinem grölseren Werke vom Jahre 1851 erkannte die schärferen 
Unterscheidungen De Verneuil’s als wohl begründet an und erklärte hier 
auch noch die Orthis senilis Phill. sp., welche beide Autoren früher mit 
der Orthis crenistria verbunden hatten, für eine ganz verschiedene selbst- 
ständige Art. Davidson dagegen in seiner Bearbeitung der Brachiopoden 
des englischen Kohlenkalksteins will alle in dieser Formation vorkommenden 
Formen von Streptorhynchus, so verschieden sie sein mögen, unter dem einen 
Namen des Streptorhynchus crenistria verbinden und nur einzelne auffälligere 
Gestalten als Varietäten durch besondere Benennung unterscheiden. Als 
eine solche Varietät erscheint bei ihm auch die Spirifera radialis von Phil- 
lips, den die früheren Autoren entweder nicht kannten oder nicht erkannt 
hatten; ich habe die Form bier als selbstständige Art aufgeführt, da die Fi- 
guren sowohl wie die erläuternde Beschreibung Davidson’s ihre Trennung 
zu rechtfertigen scheinen. 

Der Streptorhynchus radialis von Timor ist in seiner Form der in- 
dischen Art sehr ähnlich, welche Davidson als Str. crenistria var. robusius 
(Orthis robusta Hall), a. a. OÖ. p. 30 t. 1 f. 16 beschrieben hat. Diese ist 
jedoch doppelt so grofs und hat nicht die in regelmäfsigen Abständen stär- 
ker hervortretenden Radialstreifen, durch welche unsere Form sich mehr 
der englischen Art anschliefst, ohne ihr indefs vollkommen zu gleichen. 

Streptorhynchus crenistria? Phill. sp. Taf. I. Fig. 9a, b. 

Eine kleine isolirte längere Klappe könnte der typischen Form dieser 
Art angehören, welche nach Davidson’s Angaben bis 5 Zoll grofs in 
Indien gefunden wird. Die Area ist höher als bei der vorigen Art, mit 
minder stumpfem Winkel am Wirbel; der Sinus fehlt und die Radialstreifen 
verbreiten sich gleichmäfsig über die ganze Fläche der Schale, mehr dicho- 
tomirend als durch Einschaltung vermehrt. 

Productus semireticulatus Mart. sp. Taf. II. Fig.1 und 2a, d, c. 

Die Art wurde von De Koninck und mehr noch von Davidson in 
weitem Umfange genommen, so dafs sie die Productus scoticus, Martini, 
antiquatus und concinnus bei Sowerby umfalst. Sie findet sich auf Ti- 
mor in der typischen Abänderung, welcher der Name semireticulatus im 
engsten Sinne zukommen würde. Von drei Stücken hat dasgröfste nicht mehr 
als etwa 30”" Länge und Breite. Die concentrischen Runzeln des gegitterten 


über eine Kohlenkalk- Fauna von Timor. 83 


Theiles der Schale sind eng und regelmäfsig, von nahe gleicher Breite und 
Stärke mit den radialen Rippen. Durch das Einschneiden der Furchen bil- 
den letztere auf den Kreuzungen kleine Höcker und die Furchen dazwischen 
kleine Gruben. Der Sinus hat das Maximum von Breite und Tiefe, welche 
er in der Art erreichen kann. Röhren scheinen nur wenige und unregel- 
mäfsig zerstreut auf dem herabhängenden Theil der Schale gestanden zu 
haben. 


Productus punctatus? Mart. sp. Taf. II. Fig. 3. 

Ein Stück von minder guter Erhaltung könnte, wenn nicht dem Pro- 
ductus punctatus, vielleicht dem Productus pustulosus angehören. Deut- 
lich erhalten ist die kleine Klappe in der Form und im Umrifs; die Schale 
der gröfseren Klappe ist aber so weit zerstört, dafs eine sichere Bestimmung 
innerhalb der angezeigten Grenzen nicht möglich ist. 

Aufser den beschriebenen Brachiopoden enthält die Sammlung des 
Herrn Schneider von anderen zu dieser Fauna gehörenden Formen nur die 
Reste von Crinoiden, Korallen und ein Trilobiten -Fragment, welche auf 
Tafel II. dargestellt sind; von anderen Zweischalern, von Gastropoden und 
Cephalododen ist keine Spur vorhanden. Die interessanteste dieser For- 
men ist 

Hypocrinus Schneideri. Tafel II. Fig. 16a, b, c. 

Zeitschr. d. deutschen geolog. Gesellsch. 1862 XIV. p. 537. 

Der kuglige, etwas birnförmig gestaltete Kelch safs, wie die kleine 
Ansatzstelle (Fig. 16a und c) anzeigt, auf einem dünnen Stengel und trug 
fünf schmächtige Arme, deren einander genäherte Ansatzstellen die kleine 
nicht erhaltene Kelchdecke umgeben (Fig. 165). Er besteht aus 3 Krei- 
sen von Platten, einem Basalkreis, der symmetrisch aus 3 Platten zusammen- 
gesetzt ist, einem Parabasalkreis aus 5 grofsen einander gleichen Platten, 
und auseinem dritten Kreise von weniger grofsen mit den vorigen alterniren- 
den Platten, welche die Ansatzstellen der Arme tragenund daher die ersten Ra- 
dialglieder darstellen. Ein von der Scheiteldecke entferntes, als Afteröffnung 
zu deutendes Loch (Fig. 165) findet sich zwischen zwei Radialplatten an der 
Stelle, wo sie dem Parabasalkreis aufsitzen. Sämmtliche Platten sind aufsen 
glatt und scheinen zum Theil von porösem Gefüge zu sein. 

Von bekannten im Kohlenkalk vorkommenden Crinoiden-Gattungen 
ist Potericorinus mit Hypocrinus vergleichbar durch das Vorhandensein 


L2 


84 Bersıch 


eines aus grofsen Platten bestehenden Parabasalkreises und durch das Frei- 
werden der Arme über den ersten an der Zusammensetzung des Kelches al- 
lein noch theilnehmenden Radialgliedern. Der Form nach könnte man ins- 
besondere an den devonischen Poteriocrinus geometricus denken, welchen 
Goldfufs Cyathocrinus. F. Roemer Sphaerocrinus und Joh. Müller 
zuletzt Poteriocrinus nannten. Unterscheidend ist die Zusammensetzung der 
Basis, welche beim Poteriocrinus geometricus nach Joh. Müller regulär 
fünftheilig ist, dann die dem Hypocrinus fehlende Einschaltung von Inter- 
radialgliedern, und vor Allem die Afteröffnung, welche den Hypocrinus am 
Eigenthümlichsten auszeichnet. Eine vom Munde getrennte Alteröffnung 
bei Crinoiden mit ähnlicher Zusammensetzung des Kelches beobachtete nur 
DeKoninck(!) an Stücken im Britischen Museum; er gründet darauf die 
Unterscheidung der Gattung Cyathocrinus von Poteriocrinus und bemerkt, 
dafs die so charakterisirte Gattung Cyathocrinus als ein Übergangsglied 
zwischen gewöhnlichen Crinoiden und Cystideen zu betrachten sei. Hypo- 
crinus würde sich durch die tiefe Lage der Afteröffnung unterhalb der Ra- 
dialglieder, worauf auch der für die Gattung gewählte Name anspielen soll, 
noch mehr den Cystideen nähern. Die abweichende Zusammensetzung der 
Basis und das fehlende Interradialglied würden Hypocrinus noch immer hin- 
reichend generisch von De Koninck’s Cyathocrinus unterscheiden, auch 
wenn man auf die verschiedene Lage der Afteröffnung kein Gewicht legen 
wollte. 

Entrochiten unbestimmter Gattung. Taf. II. Fig. 13, 14a, 5 15. 

Drei dicke cylindrische Stengelstücke deuten das Vorhandensein von 
Crinoiden an, die wahrscheinlich verbreiteteren Formen des europäischen 
oder amerikanischen Kohlenkalks nahe verwandt sind. Das Stück Fig. 15 
besteht bei etwa 22”” Länge und 144"" Dicke aus 14 gleich hohen Gliedern ; 
der Stengel war gekrümmt, so dafs an dem Stücke eine gewölbte längere 
Aufsenseite und eine eingebogene kürzere Innenseite zu unterscheiden sind. 
Die Figur stellt das Stück von der längeren Aufsenseite gesehen dar, auf 
welcher einzelne Glieder ein paar warzenartige Anschwellungen tragen; an 
der kürzeren Innenseite, an welcher die Glieder minder hoch erscheinen, feh- 
len solche Warzen. Der Stengel Fig. 14 von 20”" Dicke und 30"" Länge unter- 


(1) Recherches sur les Crinoides du terrain carbonifere de la Belgique 1854 p. 81. 


über eine Kohlenkalk- Fauna von Timor. 85 


scheidet sich von den beiden anderen dadurch, dafs die abwechselnden Glie- 
der etwas länger und kürzer sind; die längeren Glieder sind ringartig ange- 
schwollen und tragen ringsum in ziemlich regelmäfsigen Entfernungen kleine 
Warzen. Der dritte Stengel Fig. 13, von 29"" Dicke und 37”" Länge, 
zeichnet sich durch ein paar grofse, über mehrere Glieder ausgebreitete Nar- 
ben von Seitenästen aus; die schlecht erhaltene Oberfläche läfst nicht erken- 
nen, ob Warzen vorhanden waren. Die Gelenkflächen sind bei allen drei 
Stengeln von gleicher Beschaffenheit; sie sind flach, mit rundem Nahrungs- 
kanal und mit zahlreichen schmalen Gelenkstrahlen, die sich iheils durch 
Spaltung theils durch Einschaltung vermehren (vergl. Taf. II. Fig. 145). 
Vielleicht gehören alle drei Stengel zu einer und derselben Art und Gattung 
von Crinoiden. Ahnliche Stengelformen aus belgischem Kohlenkalk rech- 
netDe Koninck zu Poteriocrinus crassus (Descer. des an. foss. du terr. 
carbon. de Belgique Pl. F. Fig. 4c, d), und Miller stellte sie auf der Ta- 
fel des Actinocrinites laevis? dar (Nat. Hist. of the Crinoidea 1821 zu p. 105 
Fig. 31, 32, 33, 40). 

Zaphrentis? Taf. Il. Fig. 4a, b. 

Eine einfache, festgewachsene, gekrümmte Polypenzelle von unvoll- 
kommener Erhaltung. Die Anordnung der Lamellen Fig. 45 läfst vermuthen, 
dals sie der Gattung Zaphrentis oder einer verwandten Gattung aus der 
Gruppe der Zaphrentinen angehört. 

Cyathophyllum? Taf. Il. Fig. 5 und 6. 

Zwei vielleicht verschiedenen Arten angehörende Formen einfacher 
Polypenzellen, welche in der Anordnung der Lamellen, so weit sie beobacht- 
bar ist, keine Verschiedenheit von Cyathophyllum erkennen lassen. Die 
kleine schlankere Form Fig. 5 ist in mehreren Stücken vertreten. Die gut 
erhaltene Oberfläche des grölseren Stückes Fig. 6 zeigt schmale, den inneren 
Lamellen correspondirende Leisten, welche durch flache, rundlich ver- 
tiefte Zwischenräume getrennt sind; die inneren Lamellen sind abwechselnd 
kurz und lang. 

Clisiophyllum australe. Taf. II. 7a, b, 8a, b, 9. 

Einfache Polypenzellen, welche in der Jugend schlank kegelförmig 
und gekrümmt sind, im Alter aber eine gestreckte, fast cylindrische Form 
annehmen. Die Aufsenseite der Zelle hat schwache, unregelmäfsige An- 
wachsrunzeln mit feineren Querstreifen. Innen finden sich 18 bis 25 Stern- 


36 Beysıch 


Lamellen von gleicher Stärke und Länge, welche durch ziemlich sparsame 
Querplatten verbunden werden. Das Centrum nimmt eine blättrig zu- 
sammengesetzte Spindel ein, gegen welche sich die Querplatten erheben. 
Tafel I. Fig. 8 stellt eine jüngere Zelle dar, an welcher sich die Spindel er- 
halten hat, während die Umwandung der Kelebmündung fortgebrochen ist; 
man sieht, dafs die Lamellen der Spindel nicht den äufseren Stern-Lamellen 
correspondiren und dafs die letzteren aufhören, wo sich die Querplatten zur 
Spindel hin aufzurichten beginnen. Figur 9a und 5 vergröfsert ist der 
(Juerschnitt einer Jüngeren Zelle nahe dem Rande der Mündung; er zeigt 
den Durchschnitt des oberen Endes der Spindel vollständig getrennt von den 
Sternlamellen. Figur 7 stellt das Fragment einer älteren Zelle dar. 

Edwards und Haime beschreiben in der Monographie der paläozoi- 
schen Korallen 7 Arten von Clisiophyllum, 2 silurische und 5 aus Kobhlenkalk. 
Alle diese Arten unterscheiden sich durch eine gröfsere Zahl von Stern- 
Lamellen, die abwechselnd längere und kürzere sind. Das englische C- 
siophyllum turbinatum, Brit. foss. Cor. t. 33 f. 1, 1a, oder Cl. Konincki, 
Polyp. palaeoz p. 410, scheint dem Cl. australe am meisten vergleichbar. 

Calamopora Taf. Il. Fig. 10a, b. 

Fragment eines Polypenstockes von knolliger oder vielleicht ver- 
ästelter Form, dessen Oberfläche nicht erhalten war, so dals die Struktur 
sich nur durch Anschleifen nach verschiedenen Richtungen untersuchen liefs. 
Die Zellen sind im Querschnitt vonsehrungleicher Gröfse, die grölsten von etwa 
14"" Durchmesser. Einzelne hier und da von den Seiten abgehende Spitzen 
lassen schliefsen, dafs die Zellenwände innen mit Spitzenreihen besetzt wa- 
ren. Die Querscheidewände stehen entfernt und unregelmäfsig. Die Kennt- 
nils der Verbindungsporen und der Oberfläche wäre erforderlich, um zu be- 
stimmen, ob die Art sich durch positive Merkmale von europäischen Cala- 
moporen oder Favositen unterscheidet, welche in den beobachteten Merk- 
malen übereinstimmen. 

Alveolites Mackloti Taf. II. Fig. 12a, d. 

Ein kleiner knolliger Polypenstock mit kleinen, unregelmäfsig drei- 
seitigen Zellenmündungen, welche hier und da deutlich die zahnartigen der 
Gattung charakteristisch zukommenden Vorsprünge erkennen lassen. Die 
Form der Zellenmündungen scheint die Art hinreichend von den ähnlichen 
europäischen Alveolites denticulata und septosa zu unterscheiden. 


ie 


über eine Kohlenkalk- Fauna von Timor. 87 


Heliolites Mülleri. Taf. Il. Fig. 11a, 5, c. 

Ein Polypenstock von unregelmäfsig knolliger Gestalt, dessen Ober- 
fläche mit sehr kleinen entfernten Zellenmündungen von der Gröfse grober 
Nadelstiche bedeckt ist. Im Querschliff (Figur 11 c) sieht man die Polypenzel- 
len von unregelmäfsig dreiseitiger Form durch ein Zwischengewebe von 
äufserst feinzelligem Gefüge verbunden. Im Längsschliff (Fig. 11 5) zeigen sich 
innerhalb der Polypenzellen deutliche Querscheidewände und das Zwischen- 
gewebe läfst einen quadratisch zelligen Bau erkennen. Die Zugehörigkeit 
dieser Koralle zu Heliolites wird zweifelhaft durch das Fehlen der radialen 
Kalkblätter im Innern der Polypenzellen, was jedoch der Erhaltung zuge- 
schrieben werden könnte. Die eckige Form der Polypenzellen unterscheidet 
Heliolites Mülleri von allen europäischen Arten der Gattung. 

Phillipsia? parvula. Taf. Il. Fig. 17a, b. 

In einer späthigen oder krystallinisch körnigen Kalkmasse, welche viel- 
leicht die Ausfüllung des Hohlraums einer gröfseren Muschel ist, liegen 
4 Fragmente von Kopfschildern anscheinend derselben Trilobiten-Art, deren 
Vorkommen zur Charakteristik der Fauna von Interesse ist, in so fern sie 
nach allen beobachtbaren Merkmalen sehr wohl der einzigen im Kohlenkalk 
noch verbreitet vorkommenden Trilobiten-Gattung Phillipsia angehören 
könnte. Die Glabella ist keulenförmig wie bei den Arten, welche Port- 
lock als Griffithides von Phillipsia trennen wollte. Eine rückwärts ge- 
kehrte Seitenfurche scheidet jederseits vor der Nackenfurche einen kleinen 
Seitenlappen ab. Augen und Randschilder sind nicht erhalten; eben so we- 
nig ist von der Skulptur etwas sichtbar. 


Obwohl die im Vorhergehenden aufgeführten Formen wahrscheinlich 
nur den kleinen Theil einer sehr viel reicheren Fauna ausmachen , so ist die 
Zahl der Arten doch grofs genug, um der Fauna auch schon in dem vorliegen- 
den Umfange allgemeinere Bedeutung zu ertheilen. Man kann die oben be- 
schriebenen 13 Arten von Brachiopoden als eine neue Bestätigung der That- 
sache anführen, dafs die Formation des Kohlenkalksteins sich in der auffal- 
lendsten Gleichartigkeit ihres organischen Inhalts über die ganze Erde ver- 
breitet. Unter jenen Brachiopoden von Timor findet sich in der That so 
wenig Eigenthümliches, dafs Niemand sich wundern würde, wenn dieselbe 


38 Berrıen 


Formenreihe in einer Kohlenkalksteinbank am Ural oder an den Ufern des 
Mississippi oder in den Anden von Chili gefunden wäre. Die Mehrzahl ge- 
hört nicht nur zu bekannten sondern auch zu den gewöhnlichsten und ver- 
breitetsten Arten in europäischen Ablagerungen der Formation. Diese sind: 
Camarophoria Crumena, Spirigera Roissyi und globularis, Spirifer lineatus 
und ceristatus, Streptorhynchus radialis und crenistria, Productus semirelicu- 
latus und punctatus. Aufser diesen ist Spirifer Moosakhailensis eine Art, 
welche sich auf das Engste dem gemeinsten Spirifer des europäischen Kohlen- 
kalks, dem Sp. szriatus, anschliefst. Nur Rhynchonella Timorensis und 
Spirifer Kupagensis zeichnen sich als eigenthümliche Formen aus, welche 
mit europäischen im Kohlenkalkstein verbreiteten Arten nicht näher ver- 
gleichbar sind; unter ihnen gehört Ahynchonella Timorensis zu einer Gruppe 
von Rhynchonellen, die in der europäischen Uebergangsformation sehr arten- 
reich und verbreitet ist, aber der Fauna des Kohlenkalksteins gewöhnlich 
ganz fremd bleibt. 

Will man eine nähere Vergleichung anstellen zwischen dem Kohlen- 
kalk von Timor und den bekannten Vorkommen derselben Formation, die 
ihrer geographischen Lage nach, so fern sie auch sein mögen, doch die 
nächst gelegenen sind, so wird man einerseits in die Gebirge des oberen 
Pandschäb geführt, zwischen Lahore und Attock oder Pischawar, anderer- 
seits an die Ostküste von Neu-Holland und zur Vandiemens-Insel. Die erstere 
Entfernung mag zwischen 800 und 900 geographische Meilen betragen, die 
andere etwa halb so viel, der Entfernung etwa gleich, welche den Kohlen- 
kalk am Indus von demjenigen an der Wolga oder am Ural trennt. Eine 
mehr als doppelt so grofse Zahl von Brachiopoden aus dem Kohlenkalk am 
Indus beschrieb Davidson im Jahre 1862('!). Von 28 Arten gehören 4 zu 
Terebratula, die auf Timor nicht vertreten ist; keine der 4 Arten stimmt 
miteiner europäischen überein undalle schliefsen sich mehrjurassischen als pa- 
läozoischen Typen der Gattung an. Rhynchonella ist am Indus durch die 
europäische Iih. Pleurodon vertreten, während sich auf Timor die für den 
Koblenkalk ungewöhnliche Form der Rh. Timorensis gefunden hat. Statt 
der europäischen Camarophoria Crumena, die auf Timor vorhanden ist, 
erscheint am Indus eine abweichende aber verwandte Art, C. Purdoni, mit 


(‘) Quart. Journ. of the geol. Soc. Vol. XVIII. 1862 p. 25. 


über eine Kohlenkalk- Fauna von Timor. 89 


schärferen bis zum Wirbel fortlaufenden Falten. Von Spirigera finden 
sich in Indien zwei europäische Arten, Sp. Roissyi und subtilita; die erstere 
ist auch von Timor vorhanden, statt der anderen aber die ähnliche glatte 
Sp. glebularis. Retzia, auf Timor nicht vertreten, erscheint in Indien mit 
einer Varietät der europäischen R. radialis. Spirifer, mit Einschlufs von 
Spiriferina, hat in Indien nur 4, auf Timor 5 Arten. Gemeinsam sind den 
beiderlei Faunen Spirifer Moosakhailensis, Sp.lineatus und Spirifer crista- 
tus, welcher letztere aus Indien noch als Sp. octoplicatus aufgeführt wird 
a.a.O. Nr. 12. Die vierte indische Art ist der europäische Spirifer striatus; 
der indischen Fauna fehlen die auf Timor gefundenen Spirifer Kupangensis 
und Tasmanianus var. Von Streptorhynchus hat Indien den Sir. crenistria, 
den Str. robustus (Str. crenistria var. robustus a. a. OÖ. Nr. 15) und eine 
dritte sehr eigenthümliche Art Str. pectiniformis; auf Timor fanden sich frag- 
lich Str. crenistria und Str. radialis, welchen Davidson ebenso wie den Sir. 
robustus nur für eine Varietät des Str. crenistria bält. VonOrthis, auf Timor 
fehlend, hat Indien die europäische O. resupinata. Von Productus ist 
Pr. semireticulatus beiden gemein; Productus punctatus und pustulo- 
sus sind in Indien nicht gefunden, dagegen die europäischen Arten 
Pr. striatus, Pr. Cora, Pr. longispinus und Pr. costatus, ferner eine 
eigenthümliche Art Pr. Purdoni, und der südamerikanische Pr. Hum- 
boldtü, der sich nach Davidson jedoch kaum von dem europäischen 
Pr. scabriculus wird trennen lassen. Endlich hat Indien noch zwei 
Arten Strophalosia oder Aulosteges und eine Crania, welche Gattun- 
gen auf Timor fehlen. Es ergiebt sich aus dieser Vergleichung, dafs die 
indische Fauna eben so an Gattungen wie an Arten reicher ist. Gemeinsam 
sind beiden Spirigera Roissyi, Spirifer linealus, Sp.cristatus und Moosakhai- 
lensis, Streptorhynchus crenistria und Productus semireticulatus, das ist fast 
die Hälfte der Arten, die von Timor vorhanden sind. 

Für eine Vergleichung mit dem Kohlenkalk von Australien ist auf das 
Verzeichnifs der europäischen Arten zu verweisen, welche Davidson 
als in englischen Sammlungen von dort vorhanden aufgeführt hat. Diese 
sind Terebratula hastata, Spirifer striatus, Sp. lineatus, Sp. glaber, 
Rhynchonella pleurodon, Orthis Michelini, Streptorhynchus crenistria und 
Productus Cora. Nur zwei dieser Arten finden sich unter den Muscheln 
von Timor, Spirifer lineatus und Streptorhynchus crenistria. Ob der Spi- 

Phys. Kl. 1864. M 


90 Beyrrıch 


rifer Tasmanianus von Kupang wirklich ident ist mit dem der Vandiemens- 
Insel, kann noch als zweifelhaft gelten. Man kann daher auch nicht sagen, 
dafs die Kohlenkalkfauna von Timor, so weit sich aus den bis jetzt gefun- 
denen Formen beurtheilen läfst, eine gröfsere Ähnlichkeit mit der ihr geogra- 
phisch näher liegenden von Neu-Holland zu erkennen gäbe als mit der ferne- 
ren des asiatischen Festlandes. 


Noch unter einem anderen Gesichtspunkt verdient die vorliegende 
Fauna Beachtung, für die Frage nämlich, ob man erwarten darf, zwischen 
den paläozoischen Ablagerungen mit den Versteinerungen des Kohlenkalk- 
steins und den jüngeren triasischen noch Lager zu treffen, welche ihren or- 
ganischen Einschlüssen nach für Zeitäquivalente der jüngsten europäischen 
paläozoischen Formationen, des Rothliegenden und des Zechsteins, zu deuten 
wären. Für diese Frage ist das Verhalten zu beachten, dafs sich unter den 
Brachiopoden 3 Arten finden, Camarophoria Crumena, Spirigera Roissyi 
und Spirifer cristatus, welche zu der Reihe derjenigen Brachiopoden gehö- 
ren, welche Davidson nach langem Schwanken schliefslich als dem Kohlen- 
kalkstein und der Zechsteinformation gemeinsam zukommend bestimmte. 
Der langsam Schritt für Schritt in seinen Studien vorschreitende Autor 
legt mit Recht ein grofses Gewicht auf die Thatsache, dafs nicht weniger 
als 9 Arten von Brachiopoden in beiden Formationen ident sind, und er 
stellt am Schlufs seiner Arbeit über dieBrachiopoden des englischen Kohlen- 
kalks auf einer besonderen Tafel noch einmal die übereinstimmenden, frü- 
her für verschieden gehaltenen Arten aus beiden Formationen nebeneinander, 
gleichsam als erwarte er, dafs sein Urtheil lebhaften Widerspruch erregen 
würde. Indefs ist das Resultat, zu welchem er gelangte, doch nur eine Be- 
stätigung der älteren, später mehr vergefsenen als widerlegten Ansicht, wel- 
che Bronn schon im Jahre 1835 von dem Charakter der Zechstein-Fauna ge- 
fafst hatte. Im Widerspruch gegen die englische Anordnung, welche als einen 
geologischen Hauptabschnitt eine mit dem Rothliegenden beginnende und 
aufwärts bis zum Schlufs der Triaszeit heraufreichende Rothesandstein-Gruppe 
annahm, erklärte Bronn zuerst, dafs Kupferschiefer und Zechstein in Ver- 
bindung mit Todtliegendem von den jüngeren Formationen zu trennen und 
als letzte Formationsgruppe der ersten paläozoischen Periode anzuschliefsen 


über eine Kohlenkalk- Fauna von Timor. 91 


seien; er nannte diese Periode das Kohlengebirge und bediente sich für die 
Formationsgruppe des Todtliegenden und der Zechsteinformation der Be- 
nennung „Gruppe des Kupferschiefers“. Bronn erklärte zugleich('), dafs 
sich die letztere Gruppe von der vorhergehenden des Kohlengebirges ihrem 
organischen Inhalte nach nur sehr unbedeutend unterscheide, fast nur nega- 
tiv, d.h. nurdurch ihre Armuth an Formen, nicht durch Auftreten neuer vor- 
her nicht vorhanden gewesener Gestalten. Viel entschiedener aber als Bronn 
vor 30 Jahren kann man heute aussprechen, dafs die Fauna der Zechstein- 
formation eine arme ist, verglichen mit der des Kohlenkalksteins, und dafs 
sie nicht nur unter den Brachiopoden sondern überhaupt unter den Mollus- 
ken kaum irgend eine Form einschliefst, welcher nicht eine entweder 
idente oder doch äufserst nahestehende ältere Art zur Seite gestellt werden 
kann. Bei dieser so innigen Verknüpfung der Faunen des Zechsteins und 
des Kohlenkalksteins könnte man es wohl für möglich halten, dafs in fernen 
Erdtheilen Ablagerungen, die man wegen des gröfseren Reichthums an orga- 
nischen Einschlüssen zunächst in die Zeit des Kohlenkalksteins zu stellen be- 
rechtigt ist, auch noch das Zeitäquivalent der Gruppe des Kupferschiefers, 
d. h. der Formationen des Rothliegenden und des Zechsteins, darstellen ; 
mann könnte denken, dafs die Ursachen, welche das Aussterben desgrösseren 
Theils der Kohlenkalkstein-Fauna zur Zeit der Zechsteinformation hinauf zur 
Folge hatten, nur einen Theil der Erdfläche betrafen, und dafs somit Zech- 
steinäquivalente in Asien oder Neu-Holland zahlreichere Arten einschliefsen 
können, die in Europa oder Nordamerika nur dem Kohlenkalkstein ange- 
hören. Dies sind Betrachtungen, zu welchen die neusten Erfahrungen hin- 
führen, nach welchen ausIndien und von Neu-Seeland, ebenso wie von Timor, 
Ablagerungen mit Triasfaunen bekannt wurden, neben welchen man andere 
mit Petrefakten des Kohlenkalks antraf, aber keine, die man der Zechstein- 
formation näher zu vergleichen Veranlassung hätte. 


Eine dankbare Aufgabe für künftige Beobachter wird es sein, nicht 
nur die versteinerungsführenden Formationen der Gegend von Kupang sorg- 
fältiger auszubeuten und ihre weitere Verbreitung auf der Insel zu ermit- 


(!) Lethaca geognostica. Erste Ausgabe. Band I. 1835—1837 S. 16. 
M2 


92 Beysıch 


teln, sondern mehr noch die älteren den Kern der Insel zusammensetzenden 
Formationen zu erforschen, so wie zu ermitteln, welcher Antheil an der Zu- 
sammensetzung und an der Geschichte der Insel älteren und jüngeren vul- 
kanischen Produkten zukommt. Es ist zu erwarten, dafs sich die Formation 
von Thonschiefern und Grauwacken, welche Salomon Müller beschrieben 
hat, auch durch organische Reste als ein wahres älteres Grauwackengebirge 
erweisen wird, welches auf Timor ebenso wie in Neu-Holland und in Indien 
die Unterlage der Kohlenformation abgiebt; es ist ferner nicht zu bezwei- 
feln, dafs sich eine ausgedehnte Formation von krystallinischen Schiefern als 
Grundgebirge des Ganzen finden wird. 

In der Arbeit von Salomon Müller wird angegeben, dafs in den 
Thalbetten der aus dem Hochlande herabkommenden Flüsse als Gerölle 
mannigfaltige Gesteine vorkommen, welche von den Reisenden anstehend 
nicht gesehen waren, darunter Hornblendeschiefer und Syenite; sie können 
doch nichts Anderes sein als herabgeführte Theile einer Formation, welche 
in den höheren Gegenden der Insel die Unterlage des Grauwackengebirges 
bildet und sich vielleicht nur wegen leichter Zersetzbarkeit der Gesteine 
unter einer tropischen Vegetationsdecke der Beobachtung entzog. Über 
diese krystallinischen Gesteine erhielt ich durch Herrn J. W. Kloos, wel- 
cher die Stücke der Macklot’schen Sammlung in Leiden untersucht hat, 
einige genauere Mittheilungen. Er unterschied unter denselben 1) ein kry- 
stallinisches Silikatgestein, bestehend aus einem fettglänzenden oligoklastischen 
Feldspath und grofsen Hornblendekrystallen ; 2) ein krystallinisches Silikat- 
gestein, dessen Hauptmasse ein weisser starkglänzender Feldspath einnimmt 
mit deutlicher Zwillingsstreifung auf den Spaltungsflächen; beigemengt ist 
grüne Hornblende und sparsam eingestreutes Magneteisen ; 3) ein vielfach von 
Kalkspathadern durchzogenes Gestein, welches fast ganz aus einem grün ge- 
färbten, stark perlmutterglänzenden Feldspath mit deutlicher Zwillingsstrei- 
fung besteht, mit sparsam beigemengten Körnern anscheinend von Augit; 
4) Dioritschiefer, dessen Hauptmasse dunkelgrüne Hornblende ist, worin 
schmale Feldspathschnüre liegen, der Feldspath gelblich weils, perlmutterglän- 
zend mit Zwillingsstreifung; 5) grüner Hornblendeschiefer, dem vorigen 
ähnlich, mit beigemengten Eisenkies und Pistazit; 6) Syenit, vorherrschend 
zusammengesetzt aus hellrothem Feldspatb, neben welchem ein anderer 
fettglänzender Feldspath von hellgrüner Farbe aber ohne Streifung ein ziem- 


über eine Kohlenkalk - Fauna von Timor. 93 


lich häufiger Bestandtheil ist; aufser dunkelgrüner Hornblende ist noch 
Eisenkies und Magneteisen zu bemerken; 7) Syenit?, ein gleichmäfsiges Ge- 
menge von Hornblende und weilsem Feldspath. 

Die Natur dieser Gesteine weist darauf hin, dafs sie einer aus mannig- 
faltigen, wesentlich hornblendehaltigen, theils massigen theils schiefrigen 
Gesteinen bestehenden Urgebirgsformation angehören müssen. 

Herr Schneider berichtet in seiner Abhandlung über das Vorkom- 
men von schiefrigen und massigen hornblendehaltigen krystallinischen Gestei- 
nen in der Gegend von Kupang gegenüber Bakanassij, am Berge 'Tabeno, 
nördlich von Goea-Kiela und auf dem Bergrücken von Oifetto ; indels er- 
giebt sich aus seiner Sammlung, dafs die von ihm als Diorit, Dioritporphyr 
und auch als Aphanit beschriebenen Gesteine mindestens zum Theil Basalte 
und Serpentine sind. Nur ein Gestein von sehr zweifelhafter Beschaffen- 
heit, dessen Fundort nicht angegeben ist, könnte für ein zersetztes diorit- 
artiges Gestein gehalten werden; in einer erdigen unkenntlichen Grund- 
masse liegen porphyrartig Feldspathkrystalle, die zu einer weifsen speck- 
steinartigen Masse verändert sind. Ausgezeichnete Serpentine sind vom 
Berge Tabeno vorhanden, zum Theil durchwachsen von Diallag. Man könnte 
hiernach aus der Sammlung des Herrn Schneider folgern, dafs krystallini- 
sche Schiefer in der Gegend von Kupang nicht zu Tage liegen, das paläo- 
zoische Gebirge aber vielleicht von älteren Eruptivgesteinen durchsetzt wird, 
mit welchen das Auftreten des Serpentins in Verbindung steht. Der Ser- 
pentin vom Berge Tabeno wäre alsdann dem Vorkommen am Fufse des 
Berges Mieomaffo im Innern der Insel vergleichbar, wo das Gestein von 
Macklotund Salomon Müller im Gebiet des Grauwackengebirges ge- 
funden wurde. Auch Herr v. Martens beobachtete Serpentin bei Atapupu, 
wo er am 20. December 1862 von Kupang kommend landete; das Gestein 
bildet hier dürre Felsen in der Thalschlucht, an deren Mündung das Fort 
gelegen ist; in seiner Begleitung findet sich Chromeisen. 

Dafs in anderen östlicheren Gegenden kıystallinische Schiefer in der 
That an der Zusammensetzung der Insel Timor theilnehmen, ergiebt sich 
aus den Sammlungen des Herrn v. Martens, nach welchen die Höhen zu- 
nächst bei Dilly aus Glimmerschiefer, durchsetzt von Quarzgängen, gebildet 
werden. 


94 Berrıch 


So geringfügig diese Daten auch sind, so gewähren sie doch hinrei- 
chende Sicherheit für die Annahme, dafs das Innere der Insel Timor nicht 
nur ein krystallinisches Grundgebirge enthalten mufs, welchem die paläozoi- 
schen Formationen aufliegen, sondern sie lassen auch schliefsen, dafs dieses 
krystallinische Grundgebirge von gleicher Zusammensetzung ist wie in dem 
Archipel der Molukken auf Amboina und Ceres, dann weiter auf Celebes 
und im südlichen Borneo. Der quarzreiche Glimmerschiefer, welchen Herr 
v. Martens bei Dilly sah, gleicht Gesteinen, welche sich in der Sammlung 
des Herrn Schneider von Ceram vorfinden. Glimmerschiefer und Quarz- 
schiefer werden hier begleitet von Hornblendeschiefern, Graphitschiefern 
und Thonschiefern; dazu kommen kleinkörniger Granit, Serpentin und 
Gabbrogesteine, welche in auffallender Weise theils Gesteinen aus dem 
Radau-Thal im Harz theils von Neurode im schlesischen Gebirge gleichen. 
Hornblendeschiefer findet sich in der Sammlung des Herrn Schneider auch 
von Batjan, Granit und Serpentin mit Asbest von Amboina. Hornblende- 
haltige Gesteine, Syenit, Diorit, Aphanit, Gabbro und Serpentin, seltener 
Granite in Diorit übergehend, setzen nach L. Horner im südlichen Borneo 
die Gebirge der sogenannten Seeländer Tana-Laut zusammen. 

Von besonderem Interesse sind in der Sammlung des Herrn Schnei- 
der die mehrfach erwähnten Basalte und Basalt-Mandelsteine, die seine Ab- 
handlung als Diorit oder Dioritporphyr und als Aphanit aufführt. Herr 
G. Rose, welcher diese Gesteine einer genaueren Prüfung unterwarf, be- 
schreibt sie wie folgt: 

1) gefleckter schwarzer Basalt, ziemlich frisch, im Bruch feinkörnig 
schimmernd mit grofsen Hornblende- und kleinen Augit-Krystallen ; mit der 
bestimmten Angabe des Vorkommens am Berge Tabeno; 

2) ähnliche Gesteinsstücke mit grofsen Hornblende- und Glimmer- 
krystallen; 

3) zu einer erdigen, schmutzig grünen Masse verwitterter Basalt, wo- 
rin zersetzte Augit-Krystalle liegen mit noch erhaltener Form und viele 
kleine, glänzende, wahrscheinlich erst bei der Zersetzung entstandene 
Magneteisenstein-Octoäder; 

4) verwitterter mandelsteinartiger Basalt von röthlichbrauner Grund- 
masse, worin kleine eingemengte Augit- und Olivin-Krystalle, erstere grün und 
frisch, letztere zersetzt mit Beibehaltung der Form und in eine ziegelrothe 


über eine Kohlenkalk- Fauna von Timor. 95 


Masse verwandelt (roth durch höhere Oxydation des Eisenoxyduls). Die un- 
regelmässig rundlichen Höhlungen sind mit Kalkspath ausgefüllt, sehr zahl- 
reich im Gestein zerstreut, meist erbsengrols, einzelne bis haselnufs- 
grofs. 

5) mandelsteinartiger schwarzer Basalt, nur wenig zersetzt, die Kalk- 
spathmandeln klein und zerstreut in der Grundmasse, in welcher kleine Augit- 
Krystalle zu erkennen sind. 

Die Angaben des Herrn Schneider über das Vorkommen dieser Ge- 
steine machen es wahrscheinlich, dafs sie in der Gegend von Kupang nur 
zerstreut und in geringer Ausdehnung in der Form von Gängen auftreten, 
wie der vermeintliche „Diorit“ an dem Bergrücken gegenüber von Montas- 
sij, oder in der Form von lagerartig ausgebreiteten Massen, wie es der Fall 
sein wird mit den für Oolith gehaltenen Mandelsteinen. Ein solches Vorkom- 
men erklärt auch, dafs diese vulkanischen Gesteine der Aufmerksamkeit der 
früheren holländischen Reisenden leicht entgehen konnten, die ein besonde- 
res Gewicht darauf legten, dafs auf Timor nirgend Vulkane oder auch nur 
Spuren von vulkanischen Gebirgsarten vorhanden seien. Da die basaltischen 
Mandelsteine nach Herrn Schneider’s Beobachtungen in enger lagerartiger 
Verbindung stehen mit dem jungen Meereskalk, der als ein trockengelegter 
Meeresgrund riffartig die Insel umsäumt, so liegt jetzt die Vorstellung nahe, 
dafs das Hervortreten des Basaltes zusammenfällt mit der letzten Erhebung 
der Insel und dem Beginn der vulkanischen Thätigkeit, über deren noch ge- 
genwärtiges Fortwirken auf Timor kein Zweifel mehr obwaltet. 

In der Geschichte der Veränderungen der Erdoberfläche, im zweiten 
Bande von 1824, entnahm Hoff aus einer Schrift von Arago die von fran- 
zösischen Reisenden herrührende Angabe, dafs Timor überall Spuren von 
vulkanischen Wirkungen enthalte, dafs seine Küsten zum Theil aus den 
rauhesten Lava-Felsen bestehen und dafs sich nicht weit von Dilly einige 
noch jetzt thätige Vulkane befinden sollen, die sehr heftige von Erdstöfsen 
angekündigte Ausbrüche machen. Die Angaben wurden für zweifelhaft ge- 
halten, und die Insel Timor wird nicht genannt in den Verzeichnissen zu- 
verläfsig gekannter Vulkane, welche L. v. Buch in dem Werk über die 
Canarischen Inseln und Alex. v. Humboldt im Kosmos gegeben haben. 
Erst im Jahre 1857 erhielt man durch einen in Lissabon gedruckten amt- 
lichen Bericht sichere Nachricht über einen am 13. April d.J. erfolgten 


96 Bereich 


Ausbruch des Vulkans Bibiluto in dem nordöstlichen portugiesischen Gebiet 
der Insel. Die Betrachtung einer Karte zeigt aber, dafs der nördliche 
Theil von Timor in eine Linie fällt, welche die Vulkane in der südlichen 
Gruppe der Banda- Inseln mit den bekannten Vulkanen der Sunda - Inseln 
auf Flores, Sumbawa und anderen verbindet. 


über eine Kohlenkalk- Fauna von Timor. 97 


Erklärung der Kupfertafeln. 


Sämmtliche Versteinerungen sind aus der Umgegend von Kupang auf Timor, Tafel I. 
und II. aus paläozoischen Schichten vom Alter des Kohlenkalksteins, Tafel III. aus Trias- 
Schichten. Die Figuren sind in natürlicher Grölse, wo die Vergröfserung nicht besonders 


angegeben ist. 


Fig. 
Fig. 
Fig. 
Fig. 


Fig. 
Fig. 


Fig. 
Fig. 


Fig. 
Fig. 
Fig. 


Fig. 
Fig. 


Fig. 


14. 


Tafel 1. 
Spirigera globularis Phill. sp. — a, Ansicht der kleineren Klappe, d, von der 
Seite, c, von vorn gesehen. — S. 75. 
Spirigera Roissyi L&v. sp. — Breite Varietät a, Ansicht der kleineren Klappe, 
b, von vorn gesehen. — S. 74. 
Spirigera Roissyi L&v. sp. — Runde Varietät a, von der Seite gesehen, d, An- 
sicht der kleineren Klappe, c, von vorn gesehen. — S. 74. 
Spirifer eristatus Schl. sp. — a, Ansicht der kleineren Klappe, d, von der Seite, 
c, von vorn gesehen. — S. 79. 
Spirifer Tasmanianus Morr. var.? — Ansicht der gröfseren Klappe — S. 78. 
Spirifer Kupangensis. — a, Ansicht der kleineren Klappe, 2, von der Seite, c, von 
vorn gesehen. — S. 78. 
Spirifer Moosakhailensis Dav. — Ansicht der grölseren Klappe. — S. 77. 
Streptorhynchus radialis Phill. sp. var. — a, Ansicht der kleineren Klappe, 
d, von der Seite, c, von vorn gesehen. — S$. 80. 


Streptorhynchus erenistria? Phill. sp. — a, Ansicht der grölseren Klappe, 2, von 
der Schlolsseite. — S. 82. 

Rhynchonella Timorensis. — a, Ansicht der kleineren Klappe, ö, von der Seite, 
c, von vorn gesehen. — S. 72. 

Camarophoria Crumena Mart. sp. — a, Ansicht der kleineren Klappe, ö, von 
der Seite, c, von vorn gesehen. — S. 73. 

Carmarophoria Crumena Mart. sp. — Ansicht der kleineren Klappe. — S. 73. 
Spirifer lineatus Mart. sp. — a, Ansicht der kleineren Klappe, 6, von der Seite, 
c, von vorn gesehen. — S. 76. 

Spirifer lineatus Mart. sp. — Vielleicht die typische Form der Art. Ansicht 
der kleineren Klappe. Der Wirbel der gröfseren Klappe ist nicht erhalten. 


Phys. Kl. 1864. N 


98 

Fig. 1. 
Fig. 2. 
Fig. 3. 
Fig. 4. 
Fig. 

Fig. 7 

Fig. 10. 
Fig. 11. 
Fig. 12. 
Fig. 13 
Fig. 16. 
Fig. 17. 
Eio. 1. 
Fig. 2. 
Fig. 3. 
Fig. 4. 


Berrıcn über eine Kohlenkalk- Fauna von Timor. 


Tafel I. 
Productus semireticulatus Mart. sp. — Ansicht der grölseren Klappe. — S. 82. 
Productus semireticulatus Mart. sp. — a, Ansicht der gröfseren Klappe, 5, von 
der Seite, c, Ansicht der kleineren Klappe. — S. 82. 
Productus punctatus? Mart. sp. — Ansicht der kleineren Klappe. — S. 83. 
Zaphrentis? — a, von der Seite, d, von oben gesehen. — S. 85. 


5.6. Cyathophyllum? — Von der Seite gesehen. — S. 85. 


7.8.9. Clisiophyllum australe. — Fig. 7. Fragment einer älteren Zelle a, von der 


Seite, 5, von oben gesehen. Fig. 8. Eine jüngere Zelle a, von der Seite, 
5b, von oben gesehen. Fig. 9. Querschnitt einer jüngeren Zelle a, in natür- 


licher Gröfse, 5, vergrölsert. — S. 85. 
Calamopora. — a, in natürlicher Gröfse, 6, die angeschliffene Oberfläche ver- 
grölsert. — S. 86. 
Heliolites Müller. — a, in natürlicher Gröfse, 5, Längsschliff vergrölsert, 
c, Querschliff vergrölsert. — S. 87. 
Alveolites Mackloti, — a, in natürlicher Gröfse, 5, ein Theil der Oberfläche 
vergrölsert. — S. 86. 

. 14. 15. Entrochiten unbestimmter Gattung. Fig. 145, Ansicht der Gelenkfläche. 


— S. 84. 

Hypocrinus Schneideri. — a, von unten, d, von oben, c, von der Seite gesehen. 
— S. 8. 

Phillipsia? paroula. — Fragment des Kopfschildes a, in natürlicher Grölse, 2, ver- 
grölsert mit ergänztem Umrils. — S. 87. 


Tafel II. 
Ammonites megaphyllus. — a, von der Seite, d, vom Rücken gesehen, c, die 
Lobenlinie. — S. 70. 
Trochitenkalk mit Stengelgliedern ähnlich Enerinus Alüformis. — S. 71. 
Atomodesma mytiloides. — S. 71. 
Alomodesma exarata. — a, von oben gesehen, 2, Ansicht des Schlosses. — S. 71. 


Druckfehler. 


Seite 44 Zeile 6 v. o. lies statt „letzteres” „‚ersteres”. 


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eme Mohlenk._Launa von Limor Lhus. Kl. 166). 


Taf I. 


Au Urn Beyrihs Abh.: Ücher ane hohlenk, Fauna von Timor Phvs I. 1864. Taf 4. 


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Philologische und historische 


Abhandlungen 


der 


König lichen 
Akademie der Wissenschaften 


zu Berlin. 


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Aus dem Jahre 


1564. 


es 


Berlin. 


Gedruckt in der Druckerei der Königlichen Akademie 
der Wissenschaften. 


1865. 


In Commission in F, Dümmler's Verlagsbuchhandlung. 
Harrwitz und Gossmann. 


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KırcunorF Bemerkungen zu den Urkunden der Schatzmeister ‚der anderen 


Götter” (Tania av aaAw Sm) - 2 2 2 2 20. 
MoMmMSEN: Festi codicis quaternionem decimum sextum . 2 2. 2 2 202% 
HoOnsveR: Der Dreilsioste..,. . » 22 se une 
WEBER: Die Aäma-Täpaniya-Upanishad. . . - E 


GERHARD über den Bilderkreis von Eleusis. III. (Mit 5 Tafeln) . . . . 
IVV SCHOTT Über. die ächten ‚Kurgisen . . 2. 2. 2 20200. 
ÖLSHAUSEN: Prüfung des Charakters der in den assyrischen Keilinschriften ent- 


haltenen semitischen Sprache . » » 2.2... 


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Bemerkungen zu den Urkunden der Schatzmeister 
„der anderen Götter” (rau räv @rruv Seöv). 


“ Von 


H”" KIRCHHÖOFF. 


mnmnnmnnvwe 


[Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 21. Januar 1864.] 


Id Tempelschätze der Athena Polias und Athena Nike, deren Heiligthü- 
mer auf der Burg lagen, wurden seit alten Zeiten hier auch aufbewahrt und 
standen, so weit unsere Kenntnifs hinaufreicht, unter der Verwaltung eines 
Collegiums von zehn Schatzmeistern (rauıcı rwv isgav Yonuarwv ns "ASyvalas 
oder rauiaı rav ns Seov), eines aus Jedem Stamme, welche aus der Klasse 
der Pentakosiomedimnen jährlich durch das Loos ernannt wurden. Seit der 
Vollendung des grofsen Tempels Ol. 85, 3 wurden die Baarschaften in dem 
Opisthodomos desselben untergebracht, sonstige Gegenstände von Werth 
in den drei Gelassen des Pronaos, des Hekatompedos und des Parthenon 
aufbewahrt. Von den Rechnungslegungen dieser Schatzmeister aus den 
Zeiten vor dem Ende des peloponnesischen Krieges sind uns zahlreiche 
Bruchstücke erhalten, welche in zwei deutlich gesonderte Klassen zerfallen ; 
es sind theils Nachweise über die aus den Baarschaften des Opisthodomos für 
Staatszwecke verabfolgten Summen, theils Urkunden über die Übergabe der 
in den drei anderen Gelassen aufbewahrten Gegenstände; letztere liegen in 
zusammenhängender, wenn auch nicht ganz lückenloser Reihenfolge für die 
Jahre von Ol. 86, 3 bis 93, 2 uns noch heute vor. Die Tempelschätze der 
übrigen Götter dagegen, deren Heiligthümer nicht auf der Burg lagen, wur- 
den ursprünglich in den Tempeln derselben aufbewahrt und gesondert von 
den Opferern und Vorstehern (iegoroi! und Erıssaraı) dieser Tempel ver- 
waltet. Nach Vollendung jedoch des grofsen Schatztempels auf der Burg 
wurden zu einer Zeit, welche weiter unten genauer erwogen werden soll, 
auch die Schätze der anderen Götter auf die Burg gebracht und im Opistho- 
domos niedergelegt, zu ihrer Verwaltung aber nach Analogie der Schatz- 
Philos.- histor. Kl. 1864. A 


D) Kırcnumorr: 


meister der Athena die Centralbehörde der "Schatzmeister der andern Götter’ 
(raum av aAAwv Jewv) eingesetzt und wie jene zur Rechnungslegung ver- 
pflichtet. Von den Übergabeurkunden dieser Behörde aus der Zeit vor dem 
Archon Eukleides waren bisher nur geringe Bruchstücke bekannt, welche 
sich als das was sie sind nur vermuthungsweise bezeichnen liefsen; in der 
letzten Zeit ist dagegen eine gröfsere Anzahl derselben an das Licht getreten, 
welche ich in der nachfolgenden Abhandlung im Zusammenhange zu beleuch- 
ten und dabei eine Anzahl von Fragen wo möglich zu erledigen beabsichtige, 
die sich bei ihrer Betrachtung unabweislich aufdrängen. 

Ich beginne mit dem wichtigsten dieser Fragmente, welches aus zwei 
gesondert gefundenen Bruchstücken, einem gröfseren und einem kleineren, 
von mir in der folgenden Weise zusammengesetzt worden ist: 


1. 
a. b. 


r TAMIA BE 
EzZEIK |LLIETPATN 
ONA | MPOTOZEAPAMMATEY 
IAN NONOSADKONTOSANT| 
OzZAPKI® \ONANABbLY 
PO TONANAA —ıoarr 
Al TIOzZXAPI 
Ol ELEYZINI 
1 TAAEMAPE/ 
j TAPATONN 
SPAR 


Von diesen beiden Stücken ist a, ein Eckstück von pentelischem Marmor, im 
Jahre 1859 gefunden worden, und zwar ‘sis rm narasrgadeicav defauevav, 
rn» eo rev IlapYevavcs’. Hr. Pittakis, der es ’Epnu. @gx, 4054 hat drucken 
lassen, bemerkt dazu, dafs oberhalb der ersten Zeile der rechten Seiten- 
fläche leerer Raum auf dem Steine sei. Das kleinere Stück 5, gleichfalls 
von pentelischem Marmor, an derselben Stelle und, wie es scheint, auch 
zu derselben Zeit, wie das erste, gefunden, liegt mir in dem Druck ’Eoyu. 


Bemerkungen zu den Urkunden der Schatzmeister der anderen Götter. 3 


dex. 4056 und einer Velsenschen Abschrift vor, der ich gefolgt bin. Um 
indessen dem Leser einen Mafsstab an die Hand zu geben, nach dem er be- 
urtheilen könne, welcher Grad von Genauigkeit den in der athenischen 
Zeitschrift publieirten Abschriften, insbesondere der des Stückes a, auf die 
wir für dasselbe allein angewiesen sind, beizumessen ist, setze ich zur Ver- 
gleichung das Stück 5 noch einmal her, wie es in der ’Eöyu. gedruckt wor- 
den ist: 


z 
TONAL 
PErE=TPrA TE 
END NMMA LIE 
KONTOZANTI 
ONANAJ6bLYZ 
Sl OR 


Oberhalb der ersten Zeile ist nach v. Velsen’s Angabe leerer Raum; Hr. Pit- 
takis bezeichnet das Stück als unten, rechts und links verstümmelt, und 
scheint damit anzudeuten, dafs an der oberen Seite der Rand erhalten ist. 
Dafs nun diese beiden Stücke in der oben angegebenen Weise mit 
einander zu verbinden sind, scheint mir klar und eines besonderen Beweises 
gar nicht zu bedürfen. In der ersten Zeile ergiebt sich sofort rania|ı] ruv 
@rlAwv Sewv], wodurch der Character der Inschrift im wesentlichen bestimmt 
ist, wenn man damit Z. 9-10 rade waged[orav magadefausvo] rapa rüv w[go- 
reguv rauıwv] verbindet, eine Ergänzung und Verbindung, die einem Zweifel 
nicht unterliegen kann. Zwischen ragederev und ragadsfauevcı kann aller- 
dings noch die Angabe der Behörde, an welche die Übergabe erfolgte, mit 
reis Tauları, cis ö deiva Eypanareus, gestanden haben, wie das die Regel auf 
Urkunden dieser Art ist, in welchem Falle die Länge der Zeilen eine sehr 
bedeutende gewesen sein müfste. Von Z.4 an, mit ’Avrı.. beginnend, bis 
zum Schlusse von Z. 8 standen die Namen der Schatzmeister ohne Vater- 
namen, aber mit Hinzufügung ihrer Demotika, wie 4. 5 und 6 die deutlich 
erkennbaren Spuren ’A[A]xip[p]wv "AvapAvc[rıos] und - - - rwv "Avayluge]oıcs 
beweisen, und vermuthlich auch ihres Schreibers, der sich selbst kaum ver- 
gessen haben dürfte, obwohl es an sich möglich bleibt, dafs er sich gleich 
zu Anfang auf der ersten Zeile hinter rwv «Arwv Sewv angebracht hatte. 
A2 


A Kırcnsorr: 


Setzen wir nun, auf Z.9 habe wirklich der Regel gemäfs die Bezeichnung 
der empfangenden Behörde im Dativ gestanden, so würde folgen, dafs, wenn 
wir für den Namen ihres Schreibers den Raum auch noch so sehr beschrän- 
ken, wir doch die Länge der Zeilen nicht unter einigen sechzig Stellen 
annehmen dürfen. Nun haben am Schlusse von Z. 1, nach Ausweis des 
Anfanges von Z. 2, der schlechterdings nur als - - 7s, 7 (mit Auslassung des 
Spiritus) K[e]AAorgare[s gelesen werden kann, die Sylben &ri rs Beur- als 
Anfang der üblichen Datirung gestanden. Unter Voraussetzung der ange- 
nommenen Zahl von einigen eckig Stellen würde demnach zwischen Sewv 
und jenem ri vis BevA- eine Lücke von ungefähr 35-40 Stellen auszufüllen 
sein, in der durchaus nichts anderes, als der Name des Schreibers der 
Schatzmeister (eis 5 deiva &ygaunareve) gestanden haben könnte, da, wie man 
aus den Resten von Z. 3 ersieht, die Angabe des Archonten hinter der des 
ersten Schreibers des Rathes gestanden hat. Folglich müfsten die Z. 4-8 
ausschliefslich von den Namen der Schatzmeister ausgefüllt gewesen sein. 
Rechnen wir auf diesen Raum rund 300 Stellen, was ein mäfsiger Anschlag 
ist, auf den Namen eines jeden Schatzmeisters aber durchschnittlich 20, was 
reichlich bemessen sein würde, so ergäbe sich, dafs fünfzehn Schatzmeister 
genannt gewesen sein mülsten, und zwar zum allerwenigsten. Obwohl nun 
über die Anzahl der Schatzmeister der andern Götter eine directe Über- 
lieferung nicht vorliegt, so mufs doch zugegeben werden, dafs die unter den 
gemachten Voraussetzungen nothwendig anzunehmende von 15 oder gar dar- 
über keine besondere Wahrscheinlichkeit für sich hat. Völlig entscheidend 
aber dafür, dafs in Z.9 die allerdings erwartete Angabe nicht gestanden 
haben kann, ist die Erwägung dessen, was Z.2 und 3 gegen Ende gestanden 
haben mufs und allein gestanden haben kann. Zwischen dem Namen näm- 
lich des ersten Schreibers des Rathes auf Z.2 und dem gw@ros &ygauuareu[e 
von Z. 3 kann durchaus nichts weiter, als der Name seines Vaters und sein 
Demotikon untergebracht werden, und es leuchtet ein, dafs beides unter 
keinen Umständen die Zahl der unter jener Voraussetzung gegen Ende von 
Z.2 fehlenden 45-50 Stellen gefüllt haben könnte. Dieselbe Zahl von 
45-50 Stellen müfste endlich am Schlusse von Z.3 weggebrochen sein; und 
doch kann zwischen dem &ygaunareve von Z.3 und dem - - vovos (oder - vwvos) 
alg)xevres des Anfangs von Z.4 durchaus nichts weiter als mi nebst dem 
Anfang des Archontennamens gestanden haben. Hiernach ist gewils, dafs 


Bemerkungen zu den Urkunden der Schatzmeister der anderen Götter. 5 


die Behörde, an welche die Übergabe erfolgte, nicht Z.9 vor der, von 
welcher übernommen wurde, genannt war, sondern in, wenn auch unge- 
wöhnlicher, doch nicht beispielloser Weise (vgl. Boeckh Staatshaush. 2, 302) 
nach derselben, auf einem Theile der Urkunde, welcher aufserhalb der 
Gränzen des erhaltenen Bruchstückes fällt. Z.1 stand folglich nur rawiaı 
Tov arrwv Seov Em vis Revr-, wie Z. 9 ade mugedocav mapadekaueve, und es 
ist gewifs nicht zufällig, dafs in dieser Fassung beide dieselbe Stellenzahl, 
27, ergeben. Genau dieselbe mufs aus besonderen Gründen für Z. 3 an- 
genommen werden. Am Ende derselben stand nämlich, wie bereits bemerkt 
worden, hinter dem Eygauuareue noch &ri und der Anfang des Archonten- 
namens, von welchem auf Z. 4 das Ende - vovos erhalten ist. Aus der Zeit 
aber, welcher ihrem orthographischen Character nach unsere Urkunde an- 
gehören mufs, Ol. 86, 1 (wegen des & für 5, von dem das erstere über das 
genannte Jahr nicht hinaufgeht) bis 93, 4, ist nur ein Archont nachweisbar, 
dessen Name im Genetiv so geendet haben kann; dies ist Epameinon, der 
Eponymos von Ol. 87, 4. Fügen wir das hiernach fehlende er ’Erausi- dem 
erhaltenen Anfange der 3. Zeile hinzu, so erhalten wir unter der Voraus- 
setzung, dafs Eiypadreuev geschrieben war, auch für diese 27 Stellen, was 
schwerlich zufällig ist und dem gewonnenen Resultat zu einer weiteren Stütze 
dienen kann. Die Zahl der Schatzmeister schwindet dann freilich auf mehr 
als die Hälfte zusammen. Denn nehmen wir auch ’EAeveinif[es Z. 8 als De- 
motikon und setzen, der Schreiber der Schatzmeister habe sich nicht ge- 
nannt gehabt, so kommen wir mit Berücksichtigung der erhaltenen Reste 
und der auszufüllenden Lücken nach einem ganz sicheren Überschlage auf 
gerade sieben Namen. Diese Zahl aber ist wenig glaublich, wie die An- 
nahme, der Name des Schreibers habe gefehlt, unwahrscheinlich. Nehmen 
wir dagegen an, der Schreiber sei Z. 8 genannt gewesen, und fassen jenes 
’EAevowios, wie wir dann nicht anders können, als einen Namen und zwar 
eben den des Schreibers (vgl. den Hellenotamias ’EAsuswiss "Ixagıevs der 
Tributlisten, Boeckh Staatshaushaltung 2, 457), so bleibt nur für die Na- 
men von fünf Schatzmeistern Raum. Nach den angestellten Erwägungen 
nun, deren Ergebnifs mir unausweichlich scheint, müssen wir bei dieser 
Setzung nothwendig stehen bleiben und annehmen, dafs die vollständige Fas- 
sung der besprochenen Bruchstücke entwa folgende gewesen sei: 


6 Kırcnnorr: 


Tauia[ı] ray ar[awv SEWv ERITIS Beun]- 
25,9 Kla]adiorgarols... 2.2.2... ] 
maWToS Eygauareul[ev, em "Erausi]- 
vovos alo]xevres, "Avril. 2.22. .]- 
es, "A[A]rip[p]wv Avasavofrıs,. . . .]- 
Tuwv "Avay[vga]oıos, Kia 
Tios, Xagıl ARTIST: SOERTTEBEN I 5 eis] 
"FAwwowilos....... Eygauuareus,] 
rade  mageldorav  magadekausver] 
maga Twv m[goregwv Tamınv, cis . .] 
Orr. ai: Eygaunareus,] 

Es können gegen diese Auffassung allerdings zwei Bedenken geltend 
gemacht werden, welche sich indessen beseitigen lassen, obwohl es dazu 
einer eingehenden Erörterung von Fragen bedarf, welche nicht so leicht zu 
erledigen sind und eine längere Abschweifung nöthig machen. Am leichte- 
sten erledigt sich derjenige Einwurf, welcher aus der angenommenen Zahl 
der Schatzmeister hergeleitet werden könnte. Zwar liegt über dieselbe, wie 
schon bemerkt worden, eine directe Überlieferung nicht vor; wenn indessen 
die Urkunde, durch welche die Einsetzung dieser Schatzbehörde verfügt 
wird und von der sogleich ausführlicher zu handeln sein wird, anordnet, es 
sollten fortan “Schatzmeister dieser Gelder (der anderen Götter) durch das 
Loos ernannt werden zu derselben Zeit wie die übrigen Behörden, nach 
Mafsgabe der Bestimmungen, welche für die Schatzmeister der heiligen Gel- 
der der Athena gälten’ (rauias dt drorvansvew reuruv rwv Aennarwv, eraumep 
Tas ardas dpyas, naSameg ToUs rwv lepwv TNS ’ASyvalas), so kann es scheinen, 
als ob indireet damit gesagt werden solle, auch die Zahl der neuen Schatz- 
meister solle dieselbe sein, wie die der Athena, und zwar eben deswegen, 
weil die Zahl nicht ausdrücklich angegeben wird und doch eine Bestimmung 
rücksichtlich dieses Punktes nothwendig getroffen werden mufste. Ich gebe 
gern zu, dafs hiernach die Zahl zehn wirklich die ursprünglich beabsichtigte 
gewesen sein mag; allein ich mufs, da zwischen dem Erlafs der Verordnung 
und ihrer Ausführung durch die Wahl der ersten Schatzmeister jedenfalls 
einige Zeit verstrichen ist, angesichts des Zeugnisses unseres Bruchstückes 
das an sich so leicht Mögliche behaupten, dafs nachträglich in dieser Be- 


Bemerkungen zu den Urkunden der Schatzmeister der anderen Götter. 7 


ziehung aus irgend welchen Gründen eine Abänderung beliebt und von der 
ursprünglich beabsichtigten Zahl abgegangen worden ist. Ich glaube aber 
diese Möglichkeit um so mehr betonen zu müssen, als auch abgesehen von 
der Instanz des auszufüllenden Raumes, welche man anzuerkennen sich 
weigern könnte, die auf dem Bruchstücke erhaltenen Reste des Namen- 
verzeichnisses der Schatzmeister eine directe Hindeutung darauf enthalten, 
dafs ihre Zahl nicht zehn gewesen sein könne. Wären nämlich der Schatz- 
meister wirklich zehn, einer aus jedem Stamme, gewesen, so müfsten wir 
der gewöhnlichen Regel nach erwarten, sie nach der festen Ordnung der 
Stämme aufgezählt zu sehen, nach welcher dem Schatzmeister aus der Erech- 
theis der erste Platz zukommen würde. Der Name desselben nun, - - - rwv 
"Avayupanıos, ist Z. 6 erhalten, nimmt aber nicht die erste, sondern die dritte 
Stelle ein, und würde bei der Annahme erheblich gröfserer Lücken am 
Ende der Zeilen sogar noch viel tiefer zu stehen kommen. Hieraus folgt 
also mit ziemlicher Sicherheit, dafs wenigstens zur Zeit des Bruchstückes 
die Schatzmeister der anderen Götter nicht nach den Stämmen, sondern, 
wie man zu sagen liebte, 2£ "ASyvaisv aravrwv gewählt zu werden pflegten, 
und hierin liegt wieder der Beweis, dafs ihre Zahl sich jedenfalls nicht auf 
zehn belief. Ich glaube aus diesen Gründen nicht, dafs die angenommene 
Zahl von fünf Schatzmeistern beanstandet werden kann und die vorgeschla- 
gene Herstellung des Bruchstückes ihretwegen zu verwerfen Berechtigung 
vorhanden ist. 

Schwerer wiegt ein chronologisches Bedenken, welches geltend gemacht 
werden könnte. Nach den oben angestellten Erwägungen wäre nämlich das 
Bruchstück die Überschrift von einer Übergaburkunde der Schatzmeister der 
anderen Götter von Ol. 87, 4, dem Jahre des Archon Epameinon, und der 
erste Schreiber des Rathes dieses Jahres hätte Kallistratos geheifsen. Hier- 
gegen liefsen sich von zwei Seiten Einwendungen erheben. Angenommen 
nämlich, ich sei im Rechte gewesen, wenn ich in den Abhandlungen dieser Aka- 
demie 1861 S. 592 das erste Decret für Methone, welches unter der Prytanie 
der Erechtheis, deren Schreiber Skopas war, verfafst worden ist, in die 
erste Prytanie von Ol. 87, 4 setzte, so würde der erste Schreiber des Ra- 
thes dieses Jahres vielmehr Skopas geheifsen haben. Allein ich selbst habe 
bereits durch die eb. S. 605f. gegebenen Nachweisungen dieser Annahme 
ihre Basis entzogen. Sonach bleibt es zwar dabei, dafs jenes Decret in 


b KırcennHorr: 


eines der zwischen O1.87, 2 und 88, 2 belegenen Jahre gehört; sollte es aber 
wirklich aus der ersten Prytanie desselben sein, so würde unser Bruchstück 
eben nur den positiven Nachweis liefern, dafs jenes Jahr nicht das vierte 
von Ol. 87 gewesen ist, nicht aber umgekehrt die Lesung unseres Bruch- 
stückes zweifelhaft werden. Wohl aber liefse sich gegen dieselbe die bis 
jetzt allgemein behauptete Thatsache geltend machen, dafs die Einsetzung 
der Behörde, von der hier eine Urkunde aus Ol. 87, 4 vorliegen soll, erst 
einige Zeit später, gegen Ende von Ol. 90, 2, erfolgt sei. Wäre diese 
Behauptung richtig, so könnte es Urkunden derselben erst von Ol. 90, 3 
abwärts gegeben haben und um unsere Lesung wäre es dann geschehen. 
Dieser Umstand nöthigt mich näher auf die Frage nach der Zeit einer be- 
kannten Urkunde einzugehen und die Richtigkeit der bisher für dieselbe an- 
genommenen Zeitbestimmung einer Prüfung zu unterwerfen. Ich meine die 
zuerst aus Fourmonts Papieren im C. I. G. 76, später nach einer besseren 
Abschrift von Rangabe 118 publicirte Inschrift, so wie die ihr zeitlich ganz 
nabe stehende Urkunde (!) von der erst später untersuchten Rückseite des- 
selben Steines, welche zuerst Rangabe a. a. O. herausgegeben, dann Boeckh 
Staatsh. ?, 56. 57 mit Benutzung einer Abschrift von L. Rofs wiederholt 
hat (?). Die, wie es scheint, vollständig erhaltene Inschrift der Vorderseite, 
ein Volksbeschlufs, in dessen Protokoll zwar die Prytanie und deren Schrei- 
ber, der Archont aber leider nicht genannt ist, verordnet 1) dafs die vom 
Staate aus den Sonderschätzen der anderen Götter entliehenen und bisher 
geschuldeten Summen nunmehr zurückgezahlt werden sollen, unter Angabe 
der Kassen, aus denen die Zahlung zu leisten, und genauer Vorzeichnung 


(') Ich halte mit Bedacht in der folgenden Erörterung an der von Boeckh verfochtenen 
Voraussetzung fest, dafs der Inhalt der Vorder- und Rückseite zwei verschiedenen Beschlüssen 
angehört, obwohl ich es trotz der von ihm geltend gemachten Gründe für möglich, ja wahr- 
scheinlich, erachte, dafs sie Theile eines und desselben Beschlusses sind. Ist letzteres richtig, 
so muls das Ergebnils der obigen Auseinandersetzung dahin modificirt werden, dafs der 
eine vorliegende Beschluls in das Ende von Ol. 86, 2 gehört, eine Differenz, welche in- 
dessen für das, worauf es im Folgenden vornehmlich ankommt, gleichgültig ist und somit 
unberücksichtigt bleiben konnte. 

(2) Der Stein diente früher als Altartafel in der Kirche des Dorfes Charvati; nach 
einer Notiz bei Rangab€ Ant. Hell. 2, 951. Anm. 1 ist er neuerdings durch den Besitzer, 
einen Franzosen (A. de Roujoux), heimlich fortgeschafft worden und befindet sich jetzt im 
Museum des Louvre zu Paris, wo Hr. Mommsen ihn auf meine Bitte aufgesucht und von 
Neuem verglichen hat. 


Bemerkungen zu den Urkunden der Schatzmeister der anderen Götter. 9 


des Verfahrens, das dabei zu beobachten sei; 2) dafs nach Abwickelung 
dieses Geschäftes für die Verwaltung der Gelder der anderen Götter eine 
besondere Schatzbehörde durch das Loos ernannt werden soll, nach Mafs- 
gabe der für die Schatzmeister der Athena geltenden Bestimmungen, und 
fortan diese Gelder, wie die der Athena, auf der Burg im Opisthodomos 
des grofsen Schatztempels aufbewahrt und verwaltet werden sollen, dafs zu 
diesem Zwecke die ersten neu eingesetzten Schatzmeister diese Gelder von 
den Schatzmeistern, Vorstehern und Opferherren der einzelnen Tempel, 
unter deren gesonderter Verwaltung sie bisher gestanden, übernehmen und 
sich auf der Burg in Gegenwart des Rathes zuwägen und zuzählen lassen, 
ein Inventar alles Vorhandenen aufnehmen und öffentlich aufstellen sollen, 
geordnet nach den einzelnen Göttern, mit Angabe der einzelnen Summen, wie 
der Gesammtsumme, Gold und Silber besonders; dafs endlich auch in Zu- 
kunft die Schatzmeister eines jeden Jahres Rechnung legen sollen von dem 
Vorhandenen, dem Hinzugekommenen und dem Verausgabten, von einem 
Panathenaeenfeste zum andern, ganz wie die Schatzmeister der Athena, und 
dafs die Urkunden der jedesmaligen Rechnungslegung auf der Burg aufzu- 
stellen seien. Der Volksbeschlufs der Rückseite, welcher zu Anfang, am 
Ende und auch sonst arg verstümmelt ist, bezieht sich dagegen ausschliefs- 
lich auf den Schatz der Athena. Die Gelder desselben werden, so scheint 
es, zu einem Theile für die Bedürfnisse eines gröfseren Baues, den der Staat 
vorhatte, bestimmt, in Betreff der anderen, vorhandenen und künftig ein- 
gehenden, festgesetzt, dafs sie nicht angegriffen werden dürften, es sei denn, 
dafs das Volk die «adsıe für einen darauf abzielenden Antrag beschlossen 
habe; einen Antrag auf Verwendung dieser Gelder ohne vorher bewilligte 
adsıa zu stellen oder über einen solchen abstimmen zu lassen wird mit 
schweren Strafen bedroht. Es wird zweitens verordnet, die Hellenotamien 
sollten hinfort alles aus den Tributzahlungen der Bundesgenossen Eingehende 
bei den Schatzmeistern der Athena deponiren, und sobald aus den dazu be- 
stimmten 200 Talenten die den anderen Göttern schuldigen Summen zurück- 
gezahlt seien, sollten die Gelder der Athena auf der rechten, die der anderen 
Götter auf der linken Seite des Opisthodomos aufbewahrt werden. In dem 
nicht vollständig erhaltenen letzten Abschnitte endlich ist die Bestimmung 
enthalten, dafs die bis dahin ungewogenen und ungezählten Gegenstände von 
Werth im Schatze der Athena gezählt und gewogen werden sollen, und zwar 


Philos.-histor. Kl. 1864. B 


10 Kırcnanorr: 


unter Hinzuziehung der Schatzmeister der bis dahin abgelaufenen panathe- 
naischen Pentaeteriden, natürlich derjenigen, welche sich noch am Leben 
befinden und nicht zufällig abwesend sind. Denn diese, und nicht etwa nur 
die Schatzmeister der unmittelbar vorhergehenden Pentaeteris sind gemeint, 
wie Boeckh annimmt, welcher in der zweiten Zeile nach dem Absatz in der 
Lücke nichts weiter als ai &öidoo[av r6A Aolyaor Ex HavJa9nvar &s IavaSyvaa 
ergänzt und darum dieser wie der unmittelbar vorhergehenden und der fol- 
genden drei Stellen weniger giebt, als allen übrigen. Die Urkunde ist aber 
in den erhaltenen Theilen genau oreryndev geschrieben und ein triftiger 
Grund, eine solche Unregelmäfsigkeit anzunehmen, nicht vorhanden. Wenn 
wir in der ersten Zeile nach dem Absatz dem Gebrauche der Urkunde ge- 
mäls (vgl. Z. 20 @regıSunsaoSwv) den medialen Infinitiv aragSunsarsa 
ergänzen, so kommen wir auf die normale Stellenzahl, die auch in der 
dritten Zeile sich ohne Schwierigkeit erreichen läfst, wenn wir &oa n&y Ygu- 
[0& Eorw aurulv 9 agyupa] A ürmapyupa lesen (!). Es ist sonach gewils, dafs 
auch die zweite Zeile drei Buchstaben mehr gehabt hat, als Boeckh ihr geben 
will, und dafs folglich der Formel «ai &idorav rev Aoyov Eu Iavasyvamv &s 
HavaSnvaıe, welche in der Lücke unzweifelhaft gestanden hat, ein dreistelli- 
ges Wörtchen hinzuzufügen ist, welches meiner Ansicht nach nur «ei gewe- 
sen sein kann und wodurch der Sinn der Worte in der angegebenen Weise 
modifieirt wird. 

Wenn ich also auch nicht zugeben kann, dafs der Beschlufs der Rück- 
seite um defswegen in das dritte Jahr einer Olympiade zu setzen sei, weil 
die Schatzmeister der abgelaufenen Pentaeteris und sonst weiter keine zur 
Controlle herangezogen werden, wie Boeckh ausführt, so halte ich doch 
aus anderen Gründen diese Zeitbestimmung für vollkommen sicher. Denn 
einmal ist es höchst unwahrscheinlich, dafs so durchgreifende Neuerungen 
in der Verwaltung des Schatzes, wie sie dieser Beschlufs anordnet, zu einer 
andern Zeit sollten getroffen worden sein, als am Ende einer Verwaltungs- 
periode, also im letzten Jahre einer Pentaeteris oder im ersten der folgenden, 
welches das dritte einer Olympiade sein würde. Sodann hat Boeckh über- 
zeugend nachgewiesen, dafs die Urkunde der Vorderseite einige Zeit, wenn 
auch vielleicht nur einige Monate, vor der der Rückseite verfaflst sein müsse; 


Oeel: Beilage VI, auf der das Zn dem Stein E a nach Hrn. Mommsens Abschrift 
gegeben ist. 


Bemerkungen zu den Urkunden der Schatzmeister der anderen Götter. 11 


denn einmal setzt letztere Einrichtungen und Anordnungen, wie die Ver- 
waltung der Gelder der anderen Götter im Opisthodomos und die Heimzah- 
lung der den letzteren schuldigen Summen, als thatsächlich bestehend oder 
in Aussicht genommen voraus, welche erst in Folge des Beschlusses der 
Vorderseite ins Leben treten konnten, andrerseits aber hatte die Zurück- 
zahlung der schuldigen Gelder, welche durch den Beschlufs der Vorderseite 
angeordnet worden war, zur Zeit des Beschlusses der Rückseite offenbar 
noch nicht Statt gefunden; denn dafs von einer und derselben Rückzahlung 
in beiden Beschlüssen die Rede sei, kann kaum zweifelhaft erscheinen. 

Nun gehört aber der Beschlufs der Vorderseite ganz unzweifelhaft in 
das Schlufsjahr einer Finanzperiode, also das zweite einer Olympiade, vor 
die Zeit der Archairesien; denn dieser Beschlufs ordnet an, dafs man die 
neu einzusetzende Behörde der Schatzmeister der anderen Götter wählen solle 
Öraumsp rüs arras ügy,as und dafs diese Schatzmeister Rechnung legen sollten 
&x HavaSyvawv & Havasyvaız, nase ol TE Trs ’AIyvaras Tamısvorres. Sie 
treten also ihr Amt mit dem Panathenaeenfeste an, der Beschlufs ist folglich 
gefafst einige Zeit vor den Archairesien, gegen das Ende des Jahres, welches 
demjenigen voranging, von dessen Panathenaeen das Amtsjahr der ersten 
Schatzbehörde gerechnet wurde. Diese Panathenaeen waren aber unzweifel- 
haft die ersten einer Pentaeteris oder grofse; denn es ist unglaublich, dafs 
die neue Einrichtung mitten in einer Finanzperiode eingeführt worden sein 
sollte. Die hieraus sich ergebende relative Zeitbestimmung beider Urkun- 
den, wonach die ältere aus dem zweiten, die jüngere aus dem dritten Jahre 
einer und zwar eben derselben Olympiade stammt, ist sonach unanfechtbar. 
Wenn nun aber weiter die fraglichen Jahre als Ol. 90, 2 und 3 gesetzt wer- 
den (Staatshaush. 1, 587. 588), so beweisen die zu Gunsten dieser Setzung 
beigebrachten Gründe zwar allerdings, dafs die Urkunden in diese Jahre ge- 
hören können, aber keineswegs, wie auch ausdrücklich anerkannt wird, 
dafs sie in dieselben fallen müssen. Ich wäre bei dieser Lage der Sachen 
folglich vollkommen zu der Behauptung berechtigt, nicht die Richtigkeit 
der Lesung unseres Bruchstückes sei bedingt durch jene zwar mögliche, 
aber nicht nothwendige Setzung, sondern umgekehrt, die Richtigkeit der 
letzteren sei nach jener Lesung zu beurtheilen, vorausgesetzt dafs diese 
sonsther irgend begründet genannt werden kann, was ich erwiesen zu haben 


glaube; halte es indessen eines Umstandes wegen, den ich vorziehe erst 
B2 


12 Kırcunorr: 


weiter unten genauer zu erwägen, für nothwendig, den positiven Nachweis 
zu führen, dafs jene Urkunden nicht in die Jahre Ol. 90, 2 und 3 gesetzt 
werden können, sondern in Wirklichkeit einer sehr viel früheren Zeit 
angehören. 

Ich mache zu diesem Behufe zunächst darauf aufmerksam, dafs, wenn 
der Beschluls der Rückseite Ol. 90, 3 gefalst sein sollte, es sehr auffallen 
müfste, in ihm die Bestimmung zu finden, die Hellenotamien sollten fortan 
Jahr für Jahr das Eingehende bei den Schatzmeistern der Göttin nieder- 
legen, insofern es nicht glaublich erscheint, dafs dies erst seit Ol. 90, 3 
geschehen sein sollte, vielmehr alle Wahrscheinlichkeit dafür ist, dafs diese 
Praxis sehı viel älter gewesen sein mufs. Da es indessen an directen Zeug- 
nissen für diese Annahme fehlt, so unumgänglich sie mir auch der Natur 
der Sache nach scheint, und die Beleuchtung der indireeten, welche sich 
allerdings vorbringen liefsen, zu weit abführen würde, betone ich diesen 
Punkt nicht weiter und beschränke mich lieber auf eine zweite Instanz, wel- 
che auch allein nicht nur vollkommen ausreicht um zu erweisen, dafs jene 
Urkunden sehr viel älter sind, als Ol. 90, 2 und 3, sondern auch die Mittel an 
die Hand giebt, ihre wahre Zeit mit aller nur wünschenswerthen Genauigkeit 
zu bestimmen. Der Schlufsparagraph nämlich desselben Beschlusses der 
Rückseite, von dem Vorhergehenden durch einen Absatz deutlich gesondert, 
ordnet eine Zählung und Wägung der Werthgegenstände, welche zum 
Schatze der Athena gehören, mit folgenden Worten an: ['Oror« ra]v Xon- 
naruv rav [ieg@]v arrara Eorw N üvfagıSua aragıSunsaoSa]lı vor HETa TaV 
slerragu]v apy,av, al &öldo[oav dei rov Aoyov Er MavjaSyvarwv & HavfaSyv]aıe, 
eroca Mey xeluse Errıv aürwl Di agyvo@] y Urapyupa arn[vavras - - - Die 
Ergänzungen sind sämmtlich unzweifelhaft richtig gefunden, und obwohl 
der Schlufs des Ganzen durch den Bruch des untern Randes der Platte ver- 
loren gegangen ist, sieht man doch an dem erhaltenen u, dafs die goldenen 
und silbernen Gegenstände in einen Gegensatz gestellt waren zu anderen, 
welche im Allgemeinen nur diejenigen gewesen sein können, die eben nicht 
aus diesen Metallen bestanden. Wenn ferner in Betreff der goldenen und 
silbernen angeordnet wird, dafs sie gewogen und, was zwar in dem Erhalte- 
nen nicht gesagt erscheint, aber in dem Weggebrochenen nothwendig gesagt 
gewesen sein mufs, gezählt werden sollen, so mufs, wenn die Trennung und 
Gegenüberstellung beider Rubriken überhaupt einen Sinn haben soll, von 


Bemerkungen zu den Urkunden der Schatzmeister der anderen Götter. 13 


den anderen, minder werthvollen Gegenständen gesagt gewesen sein, dafs 
sie nur gezählt, aber nicht, dafs sie gewogen werden sollten. Giebt man 
zu, dafs dies der Sinn des Ganzen gewesen sei — und man mufs es, da er 
eben kein anderer gewesen sein kann — so ist damit eine feste Basis für un- 
sere Untersuchung gewonnen. Denn jene heiligen, theils goldenen und 
silbernen theils aus minder werthvollen Stoffen bestehenden xeyuar« der 
Athena, auf welche diese Bestimmung sich bezieht, sind ohne allen Zweifel 
keine anderen, als jene in den drei Gelassen des Proneion, Hekatompedos 
und Parthenon aufbewahrten Werthgegenstände, über welche die Übergab- 
urkunden der Schatzmeister von Ol. 86, 3 bis 93, 2 mehr oder minder voll- 
ständig vorliegen. Die Verzeichnisse dieser Urkunden verrathen aber nirgends 
eine Spur von dem Einflusse der in Rede stehenden Anordnung; es findet 
sich vor Ol. 90, 3 durchaus keine grölsere Anzahl von ungewogenen und 
ungezählten Gegenständen, welche nach diesem Zeitpunkt etwa in Folge 
jener Anordnung verschwinden und unter die gewogenen und gezählten ein- 
gereiht erscheinen, obwohl die Anordnung einen Sinn doch nur haben kann 
unter der Voraussetzung, dafs vor der Zeit, in der sie getroffen wurde, 
nicht gezählte und nicht gewogene Gegenstände wirklich und zwar in nicht 
geringer Anzahl vorhanden waren. Vielmehr zeigen die Verzeichnisse vor 
und nach Ol. 90, 3 völlige Gleichmäfsigkeit in dieser Beziehung und bewei- 
sen somit, dafs der fragliche Beschlufs nicht Ol. 90, 3 erst gefafst sein kann. 
Noch mehr: sie erhärten zu völliger Evidenz, dafs er entweder zu Anfang 
Ol. 86, 3 oder kurz vorher fallen müsse, weil sämmtliche Verzeichnisse und 
im besonderen bereits die von Ol. 86, 3 in ihrer Anlage und Anordnung 
ihn berücksichtigen, welche vollständig durch die besprochene Bestimmung 
bedingt erscheinen und ohne dafs diese in Ausführung gebracht gedacht 
wird, gar nicht so beschaffen sein könnten, wie sie es sind. Schon die 
Schatzbehörde von Ol. 86, 3 verzeichnet nämlich die von ihren Vorgängern 
übernommenen Gegenstände in folgender Weise: 


14 KırcHunuorr: 


I. Im Parthenon ('): 


1) (Nach Zahl und Gewicht): 
a) Von Gold: 
1) orepavos puroüs, era9uov rovrov DA. 
2) Yı3zlar Yovcal M, araSuov reurw AHHNRAAARF. 
3) Kouriov aoyuw, vraSuov revro H.... 
b) Von Silber und vergoldet: 
4) Hagymaov Keucouv Tom TUSpeva Ümapyupov EX,OV, iegov ToV “Hoandecus 
ro &v ’FAaeı, rraSuov rovrov HAAATFFF. 
5) NAw duo Urapyvpu naraypiew, vradusv revrw H....Erbr. 
6) Foorwrev Ümapyupov naray,aucov, sra9uov rovrov HAN. 
c) Von Silber: 
7) Hıaraı @äpgyvpar HAAANIII, negas dpyvpovv, (oTa9Yuov reurw) 
TTXXXHHHTTF. 
2) ’AgıSuov rade- 
1) axıvancı regixpuca MI. 
2) Anıov wepixguoev, orayves Al. 
3) zavo Urofurw naraygucw II. 
4) Suniarngiov ÜmoEuAov HATAXgUTOV 1. 
9) nopn em orNAns HATAXEUTeS. 
6) Korn ümoguAos naraypusos I. 


(') Der obere Theil der ersten Platte der Urkunden vom Parthenon, welcher die Rech- 
nungslegung für Ol. 86, 3 enthielt, ist zwar zerstört; doch haben sich in neuerer Zeit 
einzelne Reste dieses Theiles vorgefunden, welche einer Herstellung desselben, wie sie in Beil. I 
versucht worden ist, hinreichende Anhaltspunkte gewähren: a kleines Bruchstück vom oberen 
Rande, meines Wissens bisher nicht herausgegeben, von dem eine Abschrift sich unter den 
Velsenschen Papieren gefunden hat — 5 ebensolches Bruchstück vom linken Rande, heraus- 
gegeben ’Eprn. agx. 4093 — c die oberen Theile eines gröfseren, schon bekannten Frag- 
mentes (Pittakis /’anc. Athenes p. 58. Bullet. dell’ inst. arch. 1835 p. 60. Rangabe 106. 
'Eopru. &2%. 2069), von dem mir gleichfalls eine Velsensche Abschrift vorliegt. Die früheren 
Abschriften geben keine Reste der ersten beiden Zeilen; ’Epyu. hat über dem P der dritten 
Zeile noch ein Y und über diesem ein E; ich habe indessen geglaubt der Velsenschen Abschrift 
mehr Vertrauen schenken zu müssen. Nicht in Betracht gezogen habe ich auch das £, 
welches die übrigen Abschriften in der vierten Zeile hinter IO geben (doch hat Pittakis 
IYP), v. Velsen aber weg lälst. Allein aus der Velsenschen Abschrift stammt aufserdem 
das I der sechsten Zeile. 


Bemerkungen zu den Urkunden der Schatzmeister der anderen Götter. 15 


8) immos, yeuı, Yaumos mooroun, yaul, Asovros nedbaAm, oglos avdeuwv, 
dgenuv, EriyguT« TauTa. 

9) auvn Emixgunos. 

10) aomides Eriygura ürofura Alll. 


II. Im Hekatompedos: 


(Nach Zahl und Gewicht): 
a) Von Gold: 
1) Yıara Yovea Il, aragmov ToUrow Kanerereneee 
2) nopn Wouch Em OrNANs, aOTaSwos. 
b) Von Silber: 


3) dmopgavrnguov upyugovv, acraswor. 


II. Im Proneion: 


(Nach Zahl und Gewicht): 
a) Von Gold: 
1) dıarn Kovon, EE ns amogpalvovra, aoTaSos. 
b) Von Silber: 
2) Hıaraı apyvpal..... ‚ era9uov rouruv MM...... 
3) negara apyvpa Ill, araSuov rourwv MAAFFFLF. 
4) merngua apyvoa II, TTAFMOV TOUTW anne 
5) Auyvos agyupovs, oraSuov rourov AAAFHFFF. 


Diese Verzeichnisse sind offenbar nach einem festen Plane angelegt, welchen 
anschaulich zu machen, so weit es anging, im Obigen versucht worden ist. 
Die Hauptmasse der Gegenstände ist im Gelasse des Parthenon vereinigt und 
erscheint in zwei Klassen gesondert: Gegenstände von edlem Metall und 
solche von minder werthvollen Stoffen. Den Artikeln der ersteren Klasse ist 
regelmäfsig die Angabe der Stückzahl und des Gewichtes hinzugefügt, bei 
denen der zweiten findet sich ebenso regelmäfsig nur die Stückzahl bemerkt. 
Dafs dies das bewufste Princip der Eintheilung war, lehrt die Überschrift, 
unter der die Gegenstände der zweiten Klasse vereinigt sind: agıIuöv rade. 
Auch innerhalb der einzelnen Klassen ist ein bestimmtes Princip der Anord- 
nung nicht zu verkennen: in der ersten stehen die Gegenstände von massivem 
Golde voran, es folgen die silbernen und vergoldeten, und den Beschlufs 
ınachen die von nicht vergoldetem massivem Silber. In der zweiten stehen 


16 Kırcnuuorr: 


voran die regixgure, es folgen die zarayguca, welchen sich die Em iyguoa 
anschliefsen. Im Hekatompedos und Proneion finden sich zusammen nur 8 
Artikel, sämmtlich von edlem Metall und defshalb unter einer Rubrik ver- 
zeichnet; die goldenen gehen auch hier den silbernen voran, es fehlt nirgend 
die Angabe der Stückzahl, die Mehrzahl (5) ist mit Angabe des Gewichtes 
versehen, während drei Artikel als ungewogen ausdrücklich bezeichnet wer- 
den. Denn es ist dies eine Ausnahme von der sonst streng befolgten Regel, 
welche in besonderen Gründen, die wir nicht mehr nachweisen können, 
ihre Rechtfertigung gefunden haben mufs und augenscheinlich als solche auch 
bezeichnet wird. Für das, worauf es bier allein ankommt, fällt sie gar 
nicht ins Gewicht, da sie zu allen Zeiten, auch nach Ol. 90, 3, bestanden 
hat und die betreffenden Gegenstände offenbar überhaupt nie gewogen wor- 
den sind. So figuriren die beiden Ol. 86, 3 als ungewogen bezeichneten Ar- 
tikel des Hekatompedos in den Listen fort und fort als ungewogen bis 
Ol. 91, 4 (Staatsh. 2, 194), mit welchem Jahre die Urkunden des Heka- 
tompedos zufällig für uns aufhören; ohne Zweifel haben aber auch die Listen 
der folgenden Jahre sie nur als ungewogen gekannt. Wenigstens ist von dem 
einzigen Ol. 86, 3 als ungewogen bezeichneten Artikel des Proneion gewils, 
dafs er nie gewogen worden ist; denn nachdem er bis Ol. 91, 3 als unge- 
wogen in den Listen geführt worden, verschwindet er von Ol. 91, 4 ab aus 
denselben, indem er eine andere uns unbekannte Verwendung fand (Staatsh. 
9, 21388.). Ähnlich kam Ol. 90, 4 eine RURIE agyup& asraSwos unter den 
£rereıa in das Proneion und blieb bis 01.92, 4 ungewogen (Staatsh. 2, 209. 
219); O1. 93, 1 verschwindet sie wieder aus den Listen, ist folglich ebenfalls 
nie gewogen worden, wenigstens so lange sie dem Schatze der Athena ange- 
hörte. Abgesehen von diesen Ausnahmen, welche als legitimirt zu be- 
trachten sind, gilt, wie gesagt, schon Ol. 86, 3 und bis zuletzt als unver- 
brüchliche Regel, dafs Gegenstände von edlem Metalle gewogen und mit 
Angabe des ermittelten Gewichtes in den Listen aufgeführt werden. Auch 
die jährlich zu dem übernommenen Bestande hinzukommenden Artikel 
(erereıa) werden, wie bereits von den Schatzmeistern von Ol. 86, 3, so von 
allen ihren Nachfolgern, mit einziger Ausnahme jener xvuA£ üpyug& von 
01. 9, 40 >» nach derselben Regel in den Anhängen zu den Verzeichnissen 


[ ) Dr azwanrys EmIypUCOS, weit sr von 01. 89, 3 bis 91,4 in den VerElnien ee 
Parthenon als asr«S4os figurirt, wird durch ein blofses Milsverständnils überflüssiger Weise 


Bemerkungen zu den Urkunden der Schatzmeister der anderen Götter. 17 


des von den Vorgängern Übernommenen aufgeführt: Gegenstände von edlem 
Metall mit Angabe der Stückzahl und des Gewichtes, andere nach der blofsen 
Stückzahl. Nur ist freilich die übersichtliche Regelmäfsigkeit der Anord- 
nung, durch welche sich die Listen von 86, 3 auszeichnen, in der späteren 
Zeit mehr und mehr gestört und allmälig vollständig aufgehoben worden, in 
Folge der mechanischen Praxis der Schreiber der Schatzbehörden, welche 
diese Verzeichnisse zu entwerfen hatten und es zu beschwerlich fanden, das 
Register des von den vorhergehenden Schatzmeistern Übernommenen immer 
wieder von Neuem zu ordnen durch Einfügung der einzelnen Artikel der 
emereıa des vorigen Jahres an den gehörigen Stellen der Liste des im vorigen 
Jahre Übernommenen. Sie begnügten sich vielmehr, die letztere einfach abzu- 
schreiben und derselben die erersız des vorigen Jahres in der Fassung, in der 
sie die Urkunde der vorhergehenden Behörde in ihrem zweiten Theile aufführte, 
anzuhängen. Man kann die stufenweise Zunahme der Verwirrung, welche 
die nothwendige Folge einer solchen Praxis war, auf den Urkunden von Jahr 
zu Jahr verfolgen; besonders deutlich tritt das Verhältnifs auf den Listen 
des Parthenon zu Tage, wo bis zuletzt die Rubrik des alten Verzeichnisses 
von Ol. 86, 3 agıSuov rade beibehalten wird, dieser aber in bunter Mischung 
die Erereıa der folgenden Jahre angestofsen sind, ohne alle Rücksicht darauf, 
dafs diese nicht blofs aus gezählten, sondern ebensogut aus gezählten und 
gewogenen Gegenständen bestehen, welche auszusondern und der vorher- 
gehenden Rubrik einzuverleiben waren, wenn mit Verstand und nicht ganz 
mechanisch zu Werke gegangen worden wäre. 

Aus dem Angeführten mufs für Jeden klar sein, dafs die Verwaltungs- 
praxis der Schatzmeister, wie sie durch die vorliegenden Verzeichnisse be- 
zeugt ist, schon seit den ältesten Zeiten, wenigstens seit Ol. 86, 3, unter 
dem bestimmenden Einflufs jener normativen Vorschrift gestanden hat, 
welche einen integrirenden Theil des Beschlusses der Rückseite unserer Ur- 
kunde ausmacht; dafs diese Norm nicht erst Ol. 90, 3 aufgestellt worden 
sein kann, wo es nichts mehr zu wägen und zu zählen gab, weil man längst 


so bezeichnet, da er gar nicht gewogen zu werden brauchte; der cvu& rov Öazrurov Xov- 
Foüv Eyuv, asreSwos des Parthenon (von Ol. 89, 3 bis 91, 4) ist ebenso zu beurtheilen. 
Nur das Gold unterlag der Wägung; man hätte daher is Stein aus der Fassung nehmen 
und nachher wieder einsetzen müssen, was zu umständlich erschien. Das Stück liefs sich 
auch als zegiygurov ansehen und brauchte dann einer Wägung nicht unterworfen zu werden. 


Philos.-histor. Kl. 1864. C 


18 Kırcnsorr: 


beides zu thun gewöhnt war, dafs vielmehr die Bestimmung, es solle ge- 
wogen und gezählt werden, und mit ihr der Beschlufs, der sie enthält, älter 
sein müsse, als der Anfang von Ol. 86, 4, um welche Zeit die Listen der 
Schatzmeister von Ol. 86, 3 verfafst wurden, die, wie bemerkt, bereits nach 
den Vorschriften jener Bestimmung angelegt erscheinen. Da nun, wie eben- 
falls bereits bemerkt worden, die beiden Beschlüsse dem zweiten und dritten 
Jahre einer und derselben Olympiade angehören müssen, so kann nur noch 
die Frage sein, ob wir bei Ol. 86, 2 und 3 stehen zu bleiben oder weiter 
hinauf, zunächst auf Ol. 85, 2 und 3, zurückzugehen haben; dafs auf bei- 
den Urkunden nicht mehr $, was auf öffentlichen Urkunden bis Ol. 85, 4 
die Regel ist, sondern bereits das seit Ol. 86, 1 übliche & geschrieben wird, 
beweist darum nicht für den späteren Zeitpunet, weil, wie weiter unten aus- 
geführt werden soll, uns nicht die gleichzeitigen Originalexemplare der Ur- 
kunden, sondern nur spätere Abschriften vorliegen, welche nicht nur die 
orthographischen, sondern auch die sprachlichen Eigenthümlichkeiten einer 
späteren Zeit aufgenommen haben: doch nöthigen andere Erwägungen aller- 
dings die Zeit der Beschlüsse auf Ol. 86, 2 und 3 zu fixiren. 

Es ist undenkbar, dafs über die in den drei Gelassen des grofsen 
Tempels aufbewahrten Gegenstände regelmäfsige Register geführt und ver- 
öffentlicht wurden, ehe dieselben sämmtlich, wenn nicht gewogen, doch 
wenigstens gezählt waren. So lange ihre Zahl eine geringe und leicht über- 
sichtliche war, bedurfte es dessen auch nicht; so bald sie aber durch die 
jährlichen Zugänge anwuchsen und die Controlle erschwert wurde, stellte 
sich die Nothwendigkeit heraus, ein Inventar aufzunehmen und dasselbe von 
Jahr zu Jahr zu ergänzen. Die in unserer Urkunde enthaltene Bestimmung, 
jene Gegenstände zu wägen und zu zählen, setzt voraus, dafs eine Inventari- 
sirung noch nicht Statt gefunden hatte, und kann keine andere Absicht ge- 
habt haben, als die unerläfslichen Vorbedingungen für eine solche zu schaffen. 
Es ist darum auch nicht zweifelhaft, dafs der verloren gegangene Schlufs des 
Paragraphen die Anordnung enthalten habe, es solle ein Inventar aufgenom- 
men und jährlich in der Form von Rechenschaftsberichten durch die Schatz- 
behörden veröffentlicht werden. Diese Veröffentlichungen können folglich 
erst nach dem Erlasse jener Bestimmung ihren Anfang genommen haben, 
weil sie durch sie erst ermöglicht und veranlafst waren. Die uns vorliegende 
Reihe derselben beginnt mit Ol. 86, 3 und wenn sich der Nachweis führen 


Bemerkungen zu den Urkunden der Schatzmeister der anderen Götter. 19 


liefse, dafs die ältesten uns erhaltenen zugleich die ältesten seien, welche 
überhaupt veröffentlicht worden sind, für die Pentaeteris Ol. 85, 3 bis 86, 2 
eine Veröffentlichung noch nicht erfolgt ist, so würde damit der Beweis ge- 
liefert sein, dafs die beiden Urkunden in die Jahre Ol. 86, 2 und 3 gehören 
und in keine anderen fallen können. In der That ist bisher nicht die ge- 
ringste Spur einer auf jene Pentaeteris bezüglichen Übergaburkunde gefunden 
worden. Allerdings sind von Boeckh (Staatsh. 2, 176 und 195) zwei Bruch- 
stücke auf dieselbe bezogen worden, allein, wie ich nachweisen zu können 
glaube, mit Unrecht. Das eine, vom Proneion (’Eonu. agy, 247 = Rangabe 
92), hat Rangab6, der es zuerst fälschlich zur Übergaburkunde von Ol. 86, 4 
gezogen hatte, später 2, 469 mit vollem Recht zu der von 01.87, 1 gestellt, 
indem er es mit einem bis dahin übersehenen gröfseren Bruchstücke bei 
Pittakis Zancienne Athenes p.136 in Verbindung brachte, von welchem 
später eine correctere Abschrift in der ’Eonu. apy, 2237 gedruckt worden 
ist. Leider ist die von ihm gegebene Copie des kleineren Fragmentes, na- 
mentlich was die Buchstabenstellung betrifft, ebenso incorreet, als die frü- 
heren, wie aufser dem späteren Drucke in der ’Epnu. agy,. 2024 zwei Ab- 
schriften beweisen, welche in v. Velsen’s Papieren sich gefunden haben. 
Ein Blick indessen auf Beilage IIl('), welche eine Zusammenstellung der 
Fragmente auf Grund zuverlässiger und correcter Abschriften enthält, wird 
einen Jeden überzeugen, dafs er trotzdem ganz richtig gesehen hat, und das 
kleine Bruchstück, weit entfernt in die Pentaeteris Ol. 85, 3 bis 86, 2 zu 
gehören, vielmehr wirklich von der Urkunde von Ol. 57, 1 herrührt. Nicht 
anders steht es mit dem zweiten Bruchstücke vom Hekatompedos (Rangabe 
101), welches bereits richtig von Rangabe zur Übergaburkunde von Ol. 87,2 
gezogen und mit dem Fragmente ’Eprp. apy, 17 = Rangabe 100 verbunden 
worden war. In der That ist dies die einzige Stelle, an der das Stück unter- 
gebracht werden kann, und es mufs zugegeben werden, dafs, wenn es hier 
nicht passen sollte, es einer Urkunde angehören müfste, welche aufserhalb 


(') a die betreffenden Zeilen des grölseren Bruchstückes, 5 das kleinere Fragment, beide 
nach Abschriften v. Velsen’s.. Merkwürdig ist der silberne, aber trotzdem ungewogene, ob- 
wohl als solcher nicht ausdrücklich bezeichnete Gegenstand am Ende des Verzeichnisses, dem 
eine nähere, nicht mehr deutliche Beschreibung beigefügt war und der in den Verzeichnissen 
der späteren Jahre fehlt. Rangabe vermuthet mit einiger Wahrscheinlichkeit, dals er das 


vierte silberne morngıov sein möge, welches seit Ol. 87, 3 zusammen mit den drei anderen 
gewogen aufgeführt wird. 


C2 


90 Kırc#Horr: 


der geschlossenen Reihe der Jahre Ol. 86, 3 bis 93, 2 und somit aller Wahr- 
scheinlichkeit nach in die dem ersten Jahre vorhergehende Pentaeteris fallen 
würde. Boeckh nun, welcher eine Rossische Abschrift des Stückes benutzte, 
auf der die von Rangabe übersehenen Reste einer seiner ersten Zeile voran- 
gehenden in folgender Weise bemerkt waren: 
ON 
\EAESKYAAOE 
so zwar, dafs zwischen beiden ein etwas gröfserer Zwischenraum” gelassen 
erschien, hat gegen Rangabe, gestützt auf die Angaben dieser Abschrift, den 
Nachweis zu führen versucht, dafs das Stück nicht an die Stelle passe und 
folglich der Pentaeteris Ol. 85, 3 bis 86, 2 zuzuweisen sei. Seine Beweisfüh- 
rung stützt sich aber auf wenig zuverlässige, zum Theil, in Folge eines Ver- 
sehens, als dessen Urheber Rangabe bezeichnet werden mufs, ganz hinfällige 
Grundlagen. Zunächst auf jenes ON der Rossischen Abschrift und seine 
Stellung zu den Buchstaben der unter ihm stehenden Reihe. Ich würde zwar 
an sich kein besonderes Gewicht darauf legen, dafs in einer späteren Ab- 
schrift der ’Epnu. «ey. 2023 die beiden Zeilen vielmehr so aussehen: 
I Ol 
\EAEZSKYAAOE 
allein da zwei Velsensche Abschriften, welche mir vorliegen, in wesentlicher 
Übereinstimmung damit 
vl 
\EAESZKYAAOE 
bieten, so mufs das Rossische ON wohl als auf einem Irrthum beruhend auf- 
gegeben werden, wenn auch der gröfsere Zwischenraum zwischen den beiden 
Zeilen, den die Rossische Abschrift notirt, auf dem Steine sicher vorhanden 
ist, obwohl die zuletzt angezogenen Abschriften ihn nicht bezeichnen, offen- 
bar, weil er sich von dem üblichen Zeilenintervall nur ganz unmerklich 
unterscheidet und bei der geringen Ausdehnung des Bruchstückes das Urtheil 
über seine Bedeutung in diesem Falle leicht schwankend werden kann. 
Weiter stützen sich Boeckhs Einwendungen gegen die Zusammengehörigkeit 
der beiden Fragmente auf eine Berechnung der Buchstabenstellung, welche 
zum Theil wenigstens auf der Voraussetzung beruht, der Name des Schrei- 
bers, welcher seinem gröfseren Theile nach auf dem Anfange der Zeile ge- 
standen haben mufs, von welcher jenes ON, oder vielmehr Iul, übrig ist, 


Bemerkungen zu den Urkunden der Schatzmeister der anderen Götter. 


sei Aroyvıs Iravdgov Ieıgauevs gewesen, was ein Irrthum ist, den, wie schon 
bemerkt, Rangabe veranlafst hat; es ist dafür vielmehr "AroAredwpos Karriev 
"Adıdvalos zu setzen. Stellt man aber die Fragmente nach Aufnahme dieser 
Berichtigung so wie der Velsenschen Lesart in der Weise zusammen, wie 
dies der gröfseren Anschaulichkeit wegen im Interesse des Lesers auf Bei- 
lage III (!) geschehen ist, so überzeugt man sich leicht, dafs sie allerdings 
genau an einander passen und ein Zweifel an der Richtigkeit der Rangabeschen 
Setzung nicht gerechtfertigt ist. 

Es bleibt also dabei, dafs Bruchstücke von Übergaburkunden aus der 
Pentaeteris Ol. 85, 3 bis 86, 2 weder vom Proneion, noch Hekatompedos, 
noch dem Parthenon vorhanden sind, was, wie Jeder zugeben wird, wenn 
solche Urkunden wirklich existirt hätten, ein Zufall sein müfste, der wenig 
Wahrscheinlichkeit für sich hat, wenn man bedenkt, dafs von allen übrigen 
Jahren wenigstens von den Urkunden des einen der drei Gelasse sich Reste 
erhalten haben. Wollte man aber meinen diese Unwahrscheinlichkeit be- 
weise noch nicht die Unmöglichkeit und schlagendere Beweise verlangen, so 
genügt ein Blick auf die Anordnung dieser Urkunden, wie sie trotz des sehr 
fragmentarischen Zustandes des Erhaltenen doch selbst noch jetzt unver- 
kennbar ist, um sich zu überzeugen, dafs Urkunden für die Jahre Ol. 85, 3 
bis 86, 2 nicht existirt haben. Zwar ist die Anordnung der Register des 
Hekatompedos bei dem dermaligen Zustande der Überlieferung nicht auf das 
Reine zu bringen, und die Listen des Parthenon, obwohl ihre Anordnung 
völlig klar ist, können wegen eines wesentlichen Defectes an der entschei- 
denden Stelle doch nicht in Betracht kommen; dagegen sprechen die Ur- 
kunden des Proneion so klar und unzweideutig, dafs wir der Zeugnisse der 
übrigen leicht entbehren können. Diese Listen umfassen, mehr oder minder 
vollständig erhalten, die Jahre von Ol. 86, 3 - 93, 2 mit einziger Ausnahme 
der Pentaeteris Ol. 89, 3- 90, 2, von der nichts erhalten ist. Und zwar 
waren die Verzeichnisse der sechs ersten Pentaeteriden in der Weise auf drei 


(') «a der untere Theil des Bruchstückes Rangab€ 100, nach der berichtigten Lesart 
Eon. &oX. 2094, & das kleinere Fragment nach der Velsenschen Abschrift mit Aufnahme 
des Intervalls nach der ersten Zeile aus der Rossischen Copie. Zu bemerken ist die selte- 
nere, aber nicht unerhörte Schreibart TOTOIN statt TOYTOIN. Der Name des ersten 
Schatzmeisters von Ol. 87, 2 ist hiernach zwar noch immer nicht sicher gestellt, doch scheint 
es, dals er "Agırronnöns KudaSyversvs gelautet hat. 


DD) Kırcunorr: 


grofse Steinplatten vertheilt, dafs die erste (Ol. 86, 3-87, 2) die Vorder- 
seite der ersten, die zweite (Ol. 87, 3-88, 2) die Vorderseite der zweiten, 
die dritte (Ol. 88, 3-89, 2) die Vorderseite der dritten Platte einnahm, auf 
der Rückseite der dritten Platte die Verzeichnisse der sechsten (Ol. 91, 3 - 
92, 2), auf der Rückseite der zweiten die der fünften (Ol. 90, 3-91, 2), 
auf der Rückseite der ersten folglich die der vierten (Ol. 89, 3 - 90, 2) Pen- 
taeteris standen; von der letzteren ist, wie gesagt, nichts erhalten, wie denn 
auch von der Vorderseite dieser Platte (erste Pentaeteris) bisher nur wenige 
und wenig umfangreiche Bruchstücke sich gefunden haben. Die Listen der 
vier Jahre der siebenten Pentaeteris (O1. 92, 3-93, 2) dagegen standen auf 
der Vorderseite einer vierten Platte (vgl. den Anhang). Aus diesem That- 
bestande ist klar, dafs die Schreiber der einzelnen Jahre zunächst die Vorder- 
seiten von drei nach einander beschafften Platten beschrieben, dann aber 
nicht eine vierte ansetzten, sondern zu den Rückseiten übergingen und diese 
von der der ersten Platte anhebend bis zu der der dritten der Reihe nach 
beschrieben, wobei nach stillschweigendem Übereinkommen darauf gehalten 
wurde, dafs die Verzeichnisse der vier Jahre einer und derselben Pentaeteris 
immer auf einer und derselben Steinfläche zu stehen kamen. Erst nachdem 
auch die Rückseiten beschrieben waren, wurde die Aufstellung einer neuen 
Platte nöthig. Nehmen wir nun an, vor der ersten der ganz oder theilweise 
erhaltenen Platten habe noch eine andere, verlorene gestanden, deren Vor- 
derseite die Listen der Pentaeteris Ol. 85, 3- 86, 2 enthalten habe, so wäre 
schlechterdings nicht erklärlich, wie die Schreiber dazu gekommen sein soll- 
ten, nachdem sie die Vorderseiten sämmtlicher Platten beschrieben hatten, 
auf die Rückseite der zweiten (unserer ersten) überzugehen und die Rück- 
seite der (vorausgesetzten) ersten folglich unbeschrieben zu lassen; wir müfs- 
ten vielmehr dann erwarten, die jetzige siebente, unter jener Voraussetzung 
achte, Pentaeteris nicht, wie dies doch der Fall ist, auf einer besonderen 
Platte, sondern auf der Rückseite der dritten (unter jener Voraussetzung 
vierten) Platte zu finden und so fort. Da dies nicht der Fall ist, so folgt, 
dafs aufser den erhaltenen vier Platten eine fünfte (erste) nie existirt hat und 
die Verzeichnisse von Ol. 86, 3 in der That die ältesten sind, welche über- 
haupt veröffentlicht worden sind. 

Meiner Ansicht nach ist hierdurch die Streitfrage entschieden: es hat 
nie öffentlich aufgestellte Übergaburkunden für irgend eine Zeit vor O1. 86, 3 


Bemerkungen zu den Urkunden der Schatzmeister der anderen Götter. 23 


gegeben und die beiden Volksbeschlüsse gehören demnach, wie oben aus- 
geführt worden, in die Jahre Ol. 86, 2 und 3, können nicht weiter hinauf- 
gerückt, aber auch nicht um ein Jahr herabgerückt werden. Wer indessen 
auch mit diesem Beweise noch nicht zufrieden sein sollte, dem liefse sich 
noch in einer anderen Weise die Nothwendigkeit dieser Setzung begreiflich 
machen. 

In der ’Epnu. «ex. 166, von Rangabe n. 123 und Rofs (Demen von 
Attika 8.23) ist das voreuklidische Fragment der Rechnungslegung von Vor- 
stehern eines öffentlichen Baues herausgegeben worden, welches vom Jahre 
des Rathes, 7 [Eö]wvu[ulos "ArwrernIeu mewros Eypaunareve, datirt, aber für 
unsere Kenntnifs damit leider nicht hinreichend bestimmt ist. Die Bauherrn 
bekennen in dieser Urkunde von den Schatzmeistern der Athena eine gewisse 
Summe in Silber erhalten zu haben und erweisen ihnen dabei die Höflich- 
keit, sie sämmtlich bei Namen nach der festen Ordnung der Stämme aufzu- 
zählen und selbst ihres Schreibers nicht zu vergessen. Nun sind uns die 
Namen der ersten Schatzmeister oder der Schreiber der Schatzmeister aus 
den Jahren Ol. 86, 3 bis Ol. 93, 2 vollständig bekannt, keiner dieser Namen 
aber begegnet in dem Verzeichnisse der Urkunde. Sie gehört folglich ent- 
weder in die Jahre Ol. 93, 3 oder 4, oder vor Ol. 86, 3. Für Ol. 93, 4 
haben sich Rangabe, Rofs und ihnen folgend Boeckh (Staatsh. 2, 345 ff.) 
entschieden, wie sich indessen nachweisen läfst, mit Unrecht. Einmal be- 
weisen die Gründe, welche für diese Entscheidung vorgebracht werden, im 
Grunde genommen gar Nichts. Die ungewöhnliche Ausführlichkeit, welche 
in der Aufführung sämmtlicher Schatzmeister zu Tage tritt, könnte auf eine 
spätere Zeit zu deuten scheinen, wenn die Urkunde von diesen Schatz- 
meistern selbst herrührte, welche allerdings erst sehr spät sich diesen Luxus 
erlauben (!); dafs dagegen eine andere Behörde die Schatzmeister, von 
denen sie Zahlung erhalten hat, vollständig bei Namen nennt, wie auf unserer 
Urkunde geschieht, ist ein Fall, der nicht nur in früherer, sondern auch in 
späterer Zeit ohne Beispiel dasteht, und darum wenig geeignet, für eine 
Zeitbestimmung ein entscheidendes Moment abzugeben. Noch weniger folgt 
aus dem einmaligen Gebrauche des ionischen E statt des attischen X in dem 
Namen Xagi£evos, dafs die Urkunde in die unmittelbare Nähe von Ol. 94, 2 


(') Das früheste Beispiel findet sich in der Übergaburkunde vom Proneion von Ol. 95, 2, 
mit der es aber auch eine ganz besondere Bewandtnils hat (s. den Anhang). 


24 KırcHanorr: 


zu setzen sei, wie behauptet worden ist. Es genügt, auf Urkunden, wie 
"Epnu. dox, 2847, das Fragment eines Verzeichnisses von gefallenen Kriegern, 
auf welchem zweimal E, und Rangabe 249, das Bruchstück eines Volks- 
beschlusses, auf welchem ebenfalls zweimal Y oder VW (auch nach dem Zeug- 
nifs einer mir vorliegenden sorgfältigen Abschrift des Hrn. v. Velsen) ge- 
schrieben ist, zu verweisen, welche wegen des constanten Gebrauches von $ 
für £ nothwendig vor Ol. 86, 1 gesetzt werden müssen, und beweisen kön- 
nen, dals es ein Vorurtheil ist, zu meinen, der vereinzelte Gebrauch ioni- 
scher Zeichen auf öffentlichen Urkunden sei unter allen Umständen ein 
untrügliches Kennzeichen späterer Abfassung und finde sich nur in den Zei- 
ten unmittelbar vor dem Archon Eukleides. Wenn also diese Gründe Nichts 
für Ol. 93, 4 beweisen, so sprechen andere sehr entschieden dagegen. Ein- 
mal, dafs es bei der damaligen Lage der Finanzen Athens schwer, ja un- 
möglich zu glauben fällt, es sei im Jahre Ol. 93, 4 oder auch 93, 3 irgend 
ein Bau von gröfserem Umfange auf Staatskosten ausgeführt worden; wäh- 
rend doch die vorliegende Urkunde auf einen solchen zu beziehen scheint. 
Sodann der Umstand, dafs auf Z. 2 die Form Zrısrerncı vorzukommen 
scheint, eine Endung des Dativ der Mehrheit, welche, wie unten ausgeführt 
werden wird, nach Ol. 90 auf keiner Urkunde vorkommt, sondern überall 
durch die Bildung auf -«ıs verdrängt erscheint. Dieser Umstand würde allein 
schon nöthigen, das Denkmal vor Ol. 90, und damit, wie die Sachen stehen, 
nothwendig zugleich vor Ol. 86, 3 zu setzen. Völlig entscheidend zu Gun- 
sten dieser Bestimmung ist aber ein zweites, bisher nicht gehörig gewürdigtes 
Moment. Die Verfasser der Urkunde bezeichnen nämlich ihre Einnahmen 
als Aruna vaga ramınv &r Fcrews, als von den "Schatzmeistern auf der 
Burg’ empfangene Zahlung, und meinen damit ohne Zweifel dieselbe Be- 
hörde, welche in allen Urkunden, deren freilich keine über O1.86, 3 hinauf- 
geht, regelmäfsig raniaı Tav ieguv Konnarwv 775 AOyvaras, oder ranıcı rav 
ns Secd oder wenigstens ranıaı rys Jeov genannt zu werden pflegt. Es ist 
aber klar, dafs der abweichende Ausdruck nicht ohne Weiteres als eine etwa 
nur vereinzelte, subjectiv willkürliche Abweichung von der Regel betrachtet 
werden kann, da, wenn man auch die Möglichkeit eines solchen willkür- 
lichen Verfahrens zugeben will, doch anerkannt werden mufs, dafs die 
Schatzmeister der Athena als “Schatzmeister auf der Burg’ schlechtweg ohne 
näheren Beisatz zu bezeichnen keinem vernünftigen Menschen einfallen konnte, 


Bemerkungen zu den Urkunden der Schatzmeister der anderen Götter. 25 


wenn es mehrere Schatzbehörden gab, welche auf der Burg Gelder verwal- 
teten. Vielmehr war die Wahl einer solchen Bezeichnung unter allen Um- 
ständen allein möglich zu einer Zeit, wo die Schatzmeister der Athena zu- 
gleich die einzigen waren, welche Gelder auf der Burg verwalteten, weil 
nur unter dieser Bedingung sie durch die Bezeichnung "Schatzmeister auf der 
Burg’ von anderen Schatzbehörden in einer Weise unterschieden werden konn- 
ten, die jede Zweideutigkeit ausschlofs. Ohne Zweifel gab es also zur Zeit 
der Urkunde noch keine anderen Schatzmeister neben denen der Athena auf 
der Burg und das Denkmal ist nothwendig vor die Zeit zu setzen, in der die 
Schätze der anderen Götter auf die Burg geschafft wurden, um von einer 
zu diesem Zwecke besonders eingesetzten Schatzbehörde verwaltet zu wer- 
den. In welches der Jahre vor Ol.93, 4 man nun auch dieses Ereignifs 
setzen möge, für unsere Urkunde folgt daraus unter jeder denkbaren Vor- 
aussetzung, dafs sie dann in die Zeit vor Ol. 86, 3 gehören müsse. Da nun 
auf ihr bereits &, und nicht mehr $, geschrieben ist, so folgt, dafs ihre 
Abfassung frühestens in den Anfang von Ol. 86, 1 fällt, und die Schatz- 
meister, welche sie aufzählt, können demzufolge nur die von Ol. 85, 4 
oder 86, 1 oder aber 86, 2 sein. Es war aber im Jahre der Urkunde erster 
Schreiber des Rathes [Eö]wvu[u]os "ArwrexnSev, während das Demotikon des 
ersten Schreibers des Rathes von Ol. 85, 4, dessen Name nicht erhalten ist, 
sicher auf -@öys endigte und wahrscheinlich "Egoradns lautete (vgl. meine Be- 
merkungen zur Urkunde vom Propylaeenbau in Jahn’s Jahrbüchern für Phil. 
u. Paed. 1861. S.48 ff.). Es können folglich mit den Schatzmeistern unse- 
rer Urkunde nur die von Ol. 86, 1 oder 2 gemeint sein und die Urkunde 
selbst ist zu Anfang von Ol. 86, 2 oder 3 aufgesetzt worden ('). Um diese 
Zeit also existirte die Centralbehörde der Schatzmeister der anderen Götter 


noch nicht. Da aber ihre Einsetzung, wie oben bewiesen worden, im zwei- 


fe) 
ten Jahre einer Olympiade vor Ol. 86, 3 Statt gefunden hat, so folgt mit 
Nothwendigkeit, dafs dieses Jahr das zweite der 86. Olympiade gewesen sein 


mufs und an eine frühere Zeit nicht gedacht werden darf, die ersten Schatz- 


1861. S. 870 das Fragment einer ähnlichen Urkunde auf Ol. 86, 2 bezogen habe, so würde 
Ol. 86, 1 als das Amtsjahr unserer Schatzmeister mit Bestimmtheit bezeichnet werden kön- 
nen. Denn der erste Schreiber des Rathes vom Jahre jenes Fragmentes scheint Timotheos 
geheilsen zu haben. 


Philos.- histor. Kl. 1864. D 


96 Kırcnauorr: 


Ich glaube in dem Vorstehenden den Beweis, dafs die beiden Be- 
schlüsse, um die es sich handelte, in den Jahren Ol. 86, 2 und 3 gefafst 
worden sind, so vollständig geführt zu haben, als dies irgend verlangt wer- 
den kann, finde auch nicht, dafs irgend eine der Bestimmungen, welche 
sie enthalten, mit den uns bekannten Verhältnissen der Zeit, in welche ich 
sie setze, im Widerspruche steht. Der Bau, dessen der Beschlufs der 
Rückseite Erwähnung thut und für den ein Theil der Schatzgelder be- 
stimmt zu werden scheint, konnte sehr wohl der der Propylaeen sein, von 
welchem wir wissen, dafs er in den Jahren Ol. 85, 4 - 86, 4 ausgeführt 
wurde. Die Sicherheit der hierdurch gewonnenen Zeitbestimmung giebt 
zugleich einen Mafsstab an die Hand für die richtige Beurtheilung einer Er- 
scheinung, aus der zum Theil mit eine spätere Datirung abgeleitet worden 
ist. Die uns erhaltenen Exemplare der Urkunden zeigen nämlich sprach- 
liche Formen, welche Ol. 86, 3 jedenfalls noch nicht im Gebrauch waren 
und auf eine erheblich spätere Abfassung hinzudeuten scheinen. Im älteren 
attischen Dialekte endigten die Dative der Mehrheit von Wörtern der ersten 
Deklination auf yrı, yrı, aıcı, arı, von Wörtern der zweiten auf arı. Die ge- 
kürzte Form auf cıs kam in der zweiten Deklination frühzeitig zu allgemeiner 
Herrschaft und findet sich -ası schon Ol. 86, 3 nur noch ganz vereinzelt auf 
Urkunden; in der ersten Deklination hielten sich dagegen die vollen Formen 
viel länger und die gekürzten auf «ıs kamen verhältnifsmäfsig spät in Gebrauch. 
Die Zeit, in welche von der einen zur andern Form übergegangen wird, er- 
giebt sich mit gröfster Bestimmtheit aus den doch unbedingt gleichzeitigen 
Übergaburkunden der Schatzmeister der Athena. Auf ihnen herrscht an- 
fänglich von Ol. 86, 3 an die Form rauiarı, welche in der Ol. 90, 2 geschrie- 
benen Urkunde des Parthenon von Ol. 90, 1 zum letzten Male erscheint (!); 


(') Bisher war Ol. 89, 4 die äulserste urkundlich festzustellende Gränze nach dieser 
Seite; 'Efnu. @ox. 2903 ist indessen nachträglich ein Bruchstück vom Parthenon zu Tage 
gekommen, welches unzweifelhaft der Überschrift der Urkunde von 90, 1 angehört und auf 
welchem gerade zwar: deutlich zu lesen ist. Dals dieses Bruchstück nur an diese Stelle 
gehören könne, ist aus den verschiedensten Gründen ganz unzweifelhaft und auf Beilage IV, 
um dem Leser die Probe zu erleichtern, anschaulich gemacht worden. Es sind dabei zwei 
Velsensche Abschriften des Fragmentes zu Grunde gelegt worden, durch welche der Abdruck 
in der athenischen Zeitschrift in wesentlichen Punkten berichtigt wird. — a das Fragment in 
Rede, 5 die erste Zeile des Bruchstückes "Era. «2x. 499 = Rangab@ 109. Der Demos 
des unbekannten ersten Schatzmeisters von Ol. 90, 1 tritt hier zum ersten Mal zu Tage; 
der Name füllte 9 Stellen. 


Bemerkungen zu den Urkunden der Schatzmeister der anderen Götter. 27 


ranies erscheint zum ersten Male auf der Ol. 90, 4 verfafsten Urkunde des 
Hekatompedos von Ol. 90, 3 und ist von da an die ausnahmslose Regel. 
Aus dem dazwischen liegenden Jahre Ol. 90, 2 fehlen die Belege. Man 
sieht also, dafs der Wechsel in die zweite Hälfte von Ol. 90 fällt. In der 
That giebt es bis jetzt keine irgend sicher datirte Urkunde aus der Zeit vor 
Ol. 90, die Dative der ersten auf as, keine aus der nachfolgenden Zeit, 
welche die älteren längeren Formen in Anwendung brächte. Die einzige 
mir bekannte Ausnahme ist ohne Zweifel nur scheinbar. Es kommt nämlich 
allerdings auf demjenigen Theile der von Boeckh in den Abh. der Akad. 
1846 S. 370 ff. behandelten Urkunde der Logisten (Rangabe 116. 117), 
welcher sich auf Ol. 89, 1 bezieht, die Dativform “EAAyvoraniaıs vor; allein 
die in der Urkunde vorliegende Berechnung ist nicht auf einzelne Jahre, 
sondern auf die ganze Pentaeteris Ol. 88, 3-89, 2 gestellt, die Urkunde 
also frühestens zu Anfang von Ol. 89, 3 geschrieben, wenn nämlich die Be- 
rechnung auf die benannte Finanzperiode sich beschränkt hat. Es ist indessen 
möglich, dafs die Abfassung um einige Jahre später fällt, da wir nicht wissen 
können, ob die vollständige Urkunde nicht auch die folgende Pentaeteris 
oder einen Theil derselben berücksichtigt hat; dies wird sogar wahrschein- 
lich durch ein später bekannt gewordenes Bruchstück derselben, welches ich 
nachzuweisen im Stande bin und welches aufser Zweifel stellt, dafs die Ur- 
kunde nicht mit der bisher letzten Zeile, mit der doch die Berechnung für 
die Finanzperiode Ol. 88, 3 - 89, 2 zu Ende war, abschlofs, sondern dafs 
sie auflserdem einen durch einen Absatz vom Vorhergehenden getrennten An- 
hang enthielt, über dessen Inhalt wir zwar keinen direeten Aufschlufs er- 
halten, der aber doch aller Wahrscheinlichkeit nach eine ähnliche Berech- 
nung für eine weitere Reihe von Jahren gegeben haben wird('). Da es also 


(') Beilage V. — a die betreffende Partie des zweiten der bisher bekannten Bruch- 
stücke (Rangabe 117), 5 Era. &o%. 2189 (gleich den anderen im Erechtheion gefunden), 
von dem rechten Rande der Tafel. Es sind absichtlich keine Ergänzungen aufgenommen 
worden, welche sich lediglich auf die Rechnung stützten, die mir einer Revision zu bedürfen 
scheint. Wichtig ist das neue Bruchstück schon darum, weil es zeigt, wie viel von dem 
zu Ergänzenden links von dem Erhaltenen unterzubringen ist, und beweist, dafs die Zeilen- 
schlüsse wenigstens in dieser Gegend völlig regelmäfsig waren. Leider ist die Abschrift 
ungenau; Z. 1 stecken in dem AM verlesene Zahlzeichen, Z. 5 zu Ende ist TP falsch für 
TI gelesen worden, und Z. 4 scheint die Buchstabenstellung unrichtig wiedergegeben zu 
sein, es mülste denn sein, dals auf dem Originale selbst eine Unregelmälsigkeit mit unter- 
gelaufen war. 


D2 


238 Kırcnsorr: 


nicht unmöglich, ja wahrscheinlich ist, dafs diese Urkunde erst aus der 90. 
Olympiade herrührt, so kann das auf ihr vorkommende ‘EAryvoraniaus als 
eine Ausnahme von der Regel begründend nicht betrachtet werden. Wenn 
also zwar der Beschlufs der Vorderseite regelmäfsig und ohne Ausnahme nur 
die jüngeren Formen auf «ıs verwendet (Z. 6 'EAAyvoraniaus, Z. 18 ranıcıs, 
2.29 &v ais), aber der der Rückseite Z. 19 ranıacı (Z. 6 ist "EAAyvoraniaus 
keineswegs sichere Lesart) schreibt, so ist freilich klar, dafs die uns vorlie- 
genden Exemplare der Urkunden in der Zeit des Überganges von der einen 
zur andern Form, also in Ol. 90, müssen geschrieben sein, es folgt daraus 
aber noch keinesweges, dafs die Beschlüsse selbst aus dieser Zeit herrühren. 
Sie können sehr wohl schon Ol. 86, 2 und 3 gefafst, aber nicht damals, 
sondern erst viel später öffentlich aufgestellt worden sein, eine Praxis, für 
welche die Beschlüsse für Methone eine recht schlagende Analogie liefern. 
Die Gründe freilich, weshalb gerade in der 90. Olympiade die Aufstellung 
beliebt wurde, entziehen sich unserer Kenntnifs; es kann aber dieser rein 
zufällige Umstand nicht als Instanz benutzt werden, die anderweitig erhärtete 
Wirklichkeit einer Thatsache zu bestreiten, deren Möglichkeit ohne Wei- 
teres zugegeben werden mufs. 

Diese etwas weitläufig gerathene Auseinandersetzung war nöthig, um 
den Nachweis zu liefern, dafs es nicht dem geringsten Bedenken unterliegt, 
in dem Inhalte des Bruchstückes, von welchem die Betrachtung ausging, 
die Überschrift von einer Übergaburkunde der Schatzmeister der anderen 
Götter von Ol. 87, 4 zu erkennen, indem dergleichen, wie sich nunmehr 
herausgestellt hat, seit Ol. 86, 3 veröffentlicht worden sind. Die Buch- 
stabenreste auf der linken Seitenfläche entziehen sich zwar jeder Deutung; 
doch sieht man aus ihrem Vorhandensein wenigstens so viel, dafs wenn nicht 
alle, doch ein Theil dieser Urkunden auf vierseitigen Steinpfeilern einge- 
tragen waren, deren vier Seiten sämmtlich beschrieben wurden. Die übri- 
gen Bruchstücke, welche ich vorzuführen habe, stehen weder mit dem ersten 
noch unter einander in unmittelbarem Zusammenhange und lassen sich auch 
keinem bestimmten Jahre zuweisen; ich ordne sie daher so, dafs ich die- 
jenigen voranstelle, welche sich durch ihre äufsere Beschaffenheit als Eck- 
stücke und somit als gleichfalls von solchen vierseitigen Pfeilern herrührend 
bekunden, und ihnen diejenigen folgen lasse, von denen dasselbe nicht 
nachweisbar oder nicht wahrscheinlich ist. Sie gehören ihrem Inhalte nach 


Bemerkungen zu den Urkunden der Schatzmeister der anderen Götter. 29 


sämmtlich den Theilen der Urkunden an, welche die Inventare enthielten ; 
Spuren von Überschriften finden sich aufser der behandelten vielleicht nur 


noch auf einem Fragmente. 


2, 


1 ııaN | 
PTEMIAOEZ 
APOTEPAZ 
EKATENAN MIT” 

5 /PATOAON mPAaAa 
SEMOBONTOEZ 
YIIKENOXP 
SINOSTATIEHR 
KTAIXPYSI 


11 NMNOLLONOEs um 
AIONOX& 
AKOIN TXX 
IMIP«EONNT HHA 
VzıoKYI n 
ne — 


Das vorstehende Eckstück von pentelischem Marmor ist nach der An- 
gabe des Herausgebers in der 'Eopnu. «ey, 35393 gefunden worden im Jahre 
1858 eis 70 durinov roD MagIevavos, evreryırevov Eis Tiva Tovpnındv Tory,ov, 
zugleich mit einem andern ganz ähnlichen, welchem er seine Stelle unmit- 
telbar über dem ersten angewiesen hat. Dafs die Stücke indessen nicht un- 
mittelbar zusammenstofsen, lehren die Spuren einer ersten Zeile, welche 
auf der oben mitgetheilten Abschrift des Hrn. v. Velsen bemerkt, von Hrn. 
Pittakis aber übersehen worden sind. Sie fügen sich nicht zu der untersten 
Zeile des anderen Bruchstückes; beide sind folglich auseinanderzuhalten. 
Die Abweichungen des Druckes in der athenischen Zeitschrift von der Vel- 
senschen Abschrift sind im Übrigen von keiner besonderen Erheblichkeit: 
Z.7 hat die ’Epnu. vor dem ersten Buchstaben noch ein I, Z. 11 giebt sie 
AIONOE, in den Zahlen der rechten Seitenfläche Z. 1 vier vollständige T, 
Z.2 nur zwei A, 2.3 HP, Z.5 läfst sie das schliefsende A weg. Zu 
der Velsenschen Copie ist nachzutragen, dafs ausdrücklich bemerkt wird, 


30 Kırcuh»orr: 


hinter dem letzten Zeichen der ZZ. 2, 5, 11 - 13 hätten weitere Buchstaben 
nicht gestanden. 

Das Erhaltene genügt, um eine Vorstellung von der äufseren Ein- 
richtung dieser Inventare zu gewinnen. Die Summen der einzelnen Posten 
standen, wie die Reste der rechten Seitenfläche zeigen, links vom Texte und 
sind auf der linken Seitenfläche nach links hin weggebrochen. Vom Texte 
dieser Fläche fehlen nach links nur 1 -2 Buchstaben. Das Verzeichnifs war 
also in schmalen Colonnen geschrieben, von denen mehrere auf einer Fläche 
neben einander gestanden haben können; die schmäleren Seitenflächen mö- 
gen deren eine oder höchstens zwei enthalten haben. Die Buchstaben sind 
grory,ndov geordnet, die Zeilen aber selbst von ungleicher Länge. Die An- 
ordnung ist im Übrigen genau nach der Vorschrift getroffen, welche die 
Einsetzungsurkunde der Schatzmeister für die Anlegung der Inventare auf- 
stellt, Z.22ff.: (of ramiaı) Ev oryAy @waygaavru [idJi« zaS’Enarrov re rov 
Seov ömora Eoriv Eracrw nal Tummavrwv nebaAav, Ywpis TE TE agyupıov 
»al 70 xguriov. Unser Bruchstück enthält solcher Einzelposten vier. 

1. [Algrewdes | [a]ygoregas | [d]erarıv üv[ö]garoduv. Der Cultus dieser 
Göttin in Attika, wo ihr Tempel am Ilissos &v"Aygaıs stand (Pausanias I, 19. 6), 
ist bekannt. Eine aus den ihr gehörigen Geldern geleistete Zahlung erwähnt 
die Urkunde der Logisten, welche die Berechnung, der Zinsen für von den 
Schatzmeistern der anderen Götter verabfolgte Summen aus den Zeiten des 
peloponnesischen Krieges enthält (Eonu. «gx. 1204 und S. 830, Rangabe 
22353, Boeckh in den Monatsber. 1853 S. 557 ff.), Z. 10. Neu und meines 
Wissens bisher nicht bezeugt ist, dafs an sie die derarn avdgarcduv fiel, 
worunter ich nur den Zehnten vom Erlöse aus dem Verkaufe der Kriegsge- 
fangenen verstehen kann, der ihr als Beuteantheil zukam. Es hängt dies 
mit dem kriegerischen Charakter der Göttin zusammen, der durch das be- 
kannte marathonische Gelübde hinreichend bezeugt ist. Die Summe bestand 
offenbar in attischem Silbergelde; Gold war nicht vorhanden, weshalb eine 
Scheidung und ausdrückliche Bezeichnung der Summe nach den Sorten 
überflüssig war. 

9. Anmobwvros, der bekannte attische Heros, dessen Name auf der 
Urkunde der Logisten bereits richtig Z. 1 und 18 erkannt worden war. Die 
übergebene Summe bestand aus kyzikenischem Golde: [K]ugıznvev xellvJriv 
orarngles] und [e]ereı xguri[eu], offenbar Sechstel derselben Sorte. 


Bemerkungen zu den Urkunden der Schatzmeister der anderen Götter. 31 


3. [A]rerrwves | [M]aıwvos. Gemeint ist vielleicht der in Oropos, 
welches damals zu Attika gehörte, unter diesem Namen verehrte Apollo 
(Pausanias 1, 34. 3). Die Geldsorte des Postens ist wiederum nicht beson- 
ders angegeben, weil nur attisches Silber vorhanden war. 

4. [’AvJazew, die attischen Dioskuren, deren Tempel, das Anakeion, 
in der Nähe des Theseustempels lag. Ihr Schatz enthielt Silber und Gold, 
weswegen der Betrag unter zwei Rubriken aufgezählt wird, @) [@g]yvgiov, atti- 
sches Silber, und 5) [xgJuriev Kuf[ılamv]ev [orarnges oder Enten]. 


3. 


IL OL 
ET = 
T=AAPA 
KAIBE HR 
5 EAKYKL FFF 
KAPNMOE/ 
IEPON 
PEONOE xxP 
EKNLEIE FFF 
10 T/EION 
Ez<EOEZ 
OENAIAZ 
TONIASs 111 
MTOLLONOSZA 
15 I10O®A1 Iı70 | AAH 


Dem vorigen sehr ähnliches, auch mit ihm zusammen gefundenes 
Eckstück, von dem Herausgeber aber fälschlich, wie schon bemerkt, mit 
demselben in unmittelbare Verbindung gebracht. Die Anordnung ist ganz 
dieselbe; die Colonne der linken Seitenfläche ist nach linkshin mit Aus- 
nahme der ZZ. 11-15, zu deren Anfang je ein Buchstabe weggebrochen 
ist, vollständig erhalten, oben aber nach rechtshin, vermuthlich in Folge 
der Corrosion der Oberfläche, nicht mehr ganz lesbar, während weiter nach 
unten die Zeilenenden unversehrt sind. Von den nach linkshin weggebro- 
chenen Ziffern haben sich Z. 1 - 3 Reste erhalten. Was übrig ist, enthält, 


32 KırcHanorr: 


so viel sich übersehen läfst, fünf Posten ziemlich vollständig; von einem 
sechsten zeigen sich Z. 1 die Spuren, die ich indessen mit Bestimmtheit zu 
deuten nicht wage. Vielleicht stand ’IcAfew]. Der Begleiter des Herakles 
und Beschützer seiner Kinder war in die Localsage der Tetrapolis verflochten 
und hatte im Kynosarges neben dem Herakles einen Altar (Pausanias I, 19. 3). 

1. "Iur[eö], der Flufsgott. Die Urkunde der Logisten erwähnt Z. 15 
einer Zahlung aus seinem Schatze im Betrage von 402 Dr. 1 Ob. Da keine 
näheren Angaben hinzugefügt sind, so mufs der Posten allein aus attischem 
Silbergelde bestanden haben; zwei Obolenzeichen haben sich in der That 
links vom Namen erhalten. 

2. Z. 3-10. "Aödga[rreias] | zai Be[vöides] 
gwv..|-....- en mAsier „||... Die Namen der Gottheiten glaube ich 


eynunA[iou] | zagmeu E..|ie- 


richtig erkannt zu haben, obwohl von einer Verbindung derselben im Cultus, 
wie sie hier vorausgesetzt zu werden scheint, sonst Nichts bekannt ist. Das 
Heiligthum der thrakischen Bendis lag ohne Zweifel im Peiraeeus, wo ihr 
Fest, wie bekannt, im Monat Thargelion gefeiert zu werden pflegte. Auch 
die näheren Angaben der folgenden Zeilen über die Herkunft der am Rande 
verzeichnet gewesenen Summe vermag ich nicht auf das Reine zu bringen, 
obwohl im Allgemeinen so viel klar scheint, dafs sie aus dem Ertrage der 
dem Tempel gehörigen heiligen Ländereien oder sonstiger Partinenzien ge- 
bildet war. 

3. [Orews. Einer Zahlung aus den Geldern dieses Heros gedenkt 
die mehrerwähnte logistische Urkunde Z. 15. 

4. [A]Snvaies | [’I]rwvias. Verehrung dieser Göttin, deren Cultus 
seinen vornehmsten Sitz im boeotischen Koroneia hatte, finde ich für Attika 
sonst nicht bezeugt; doch scheint mir die Lesung einem Zweifel nicht zu 
unterliegen. 

5. [aAlreArwveos Allna]iev... Andıov scheint mir sicher, zumal da wir 
wissen, dafs der delische Apollon zu Athen ein Heiligthum und einen Prie- 
ster hatte, dessen Sessel in der Proedrie des Theaters des Dionysos stand 
(Monatsb. 1862. S.282 n. 15). Der Rest der Zeile scheint arg verlesen 
und die Lesart bedarf einer Revision. Da der Stein unterhalb dieser Zeile 
abgebrochen ist, erhellt nicht, ob auch hier, wie bei den sämmtlichen vor- 
hergehenden Posten, nur attisches Silber, oder daneben noch andere Sorten, 
oder Gold, oder verarbeitetes Metall verzeichnet war. 


Bemerkungen zu den Urkunden der Schatzmeister der anderen Götter. 33 


xzoO 
8,0;N,0 

xzEl 

COTAN TPTHA 


9, „„P AuMLAlY AAA,A 
OXBON R KY 
Os ZlO0,E KT 
OEKA Hm ZA.REHR,C 
E/NIOI=Z SO, STATT 

10. A,8 BIO [R ®OKAIAE 
OAOL N a 
NT E = Din 353 MEA.X,C 
OAOL AAAINIC ONT 
NITE = 

a BF 4 HAAA 
LO 


Eckstück von pentelischem Marmor, gefunden 1858 eie ry, zaracrga- 
beicav defauevnv, ryv mg6 rou HagSevavcs und herausgegeben ’Epnu. ap%,. 4051. 
Die Buchstaben der linken Seitenfläche sind nach der Angabe des Heraus- 
gebers kleiner als die der rechten und sehr verwischt; in der That wüfste 
ich mit ihnen nichts anzufangen. Dagegen erweist sich der Inhalt der rech- 
ten Seitenfläche, obwohl ein Göttername zufällig nicht vorkommt, durch 
die Gleichartigkeit seiner innern und äufsern Anordnung sofort als den Ver- 
zeichnissen angehörig, von denen die früheren Bruchstücke stammen. Es 
sind im Ganzen nur die Reste von zwei Posten erhalten. 

1. Z.4-13. Der Name der Gottheit fehlt. Ihr Schatz bestand 
a) aus einer Summe attischen Silbergeldes, deren Ziffer links zu oberst er- 
halten, aber vom Herausgeber nicht ganz richtig gelesen ist. Für P ist ohne 
Zweifel A oder P zu setzen und es mufs aufserdem das schliefsende A der 
ersten oder der zweiten Zeile auf einem Irrthume beruhen, da es nicht wahr- 
scheinlich ist, dafs jede von ihnen einen besonderen Posten gebildet habe. 
Auch können nach rechts einige Zeichen fehlen. 5) aus einer Summe in 
Gold, und zwar 1) aus 5 kyzikenischen Sechsteln: Kufdıznvsd ygu]|sisv exrfar]; 
2) 150 Dareiken: Augeızoü [Xgu]lawu arar[üges]; 3) 5 Phokaeischen Sechsteln: 

Philos.- histor. Kl. 1864. E 


34 Kırcnanorr: 


Bwxaudels Err]iele X]eusi[ev]- Endlich e) aus einem Gegenstande von edlem 
Metalle, dessen Gewicht auf 30 Dr. 51, Ob. angegeben wird. Vermuthlich 
stand pleen]ua X[evreiv); | [raSu]ev r[evrev], oder dergleichen. 

2. Z.15. Auch hier fehlt der Name der Gottheit. Den entweder 
einzigen oder wenigstens ersten Posten bildete eine Summe attischen Silbers, 
von deren Ziffer, wenn der Copie zu trauen, 100 Tal. 30 Dr. erhalten sind. 
Sie kann aber nach rechts unvollständig sein und es ist möglich, dafs auf 
dem Steine selbst nicht AA, sondern AAA gelesen wird. 


2 a. 

! I 
TA H 
ISIN xXXXxM 
MAYY HHH&A 
MOZPII ATI MESTE 


ONTOYTON FPHHH 

zENIKONAP PAA 

PEZON=ZVM 
KTZONEM#Z 


ONZTAO nm 
b. NOT, 
ch ar - AY 
SO TOR SEHE Fre - ANO 
3I0zEX- |- - - II NOM 
xXXAr-- |- - bOIOTI 
ANAKO- |- - XALKIAI 
OERTITE- BOKIKOE 
KEAINC--| _y DIALAAP 
AONI-- AUZTAOM 
z08.- -|- »RHiH-NO=zEINAO 
EOz --|-- - PINATOzZOY 
AM nakase). KIMLalaKiEIN 
ah ERDE 
lenlrsul ARAWRIEUNSKUE 
IRRE 2 Lo: = (N 


Leerer Raum. 


Bemerkungen zu den Urkunden der Schatzmeister der anderen Götter. 35 


a Eckstück bei Rangabe 124, über dessen Herkunft und sonstige Be- 
schaffenheit nichts Näheres mitgetheilt wird. 5 ähnliches Eckstück bei Pit- 
takis Z’ancienne Athenes 5.310 f. und Rangabe 125. Auch hier fehlen 
Fundnotiz und sonstige Angaben. Der Text dieses Stückes ist übrigens oben 
nach der Recension gegeben, welche Boeckh (Staatsh. 2, 234) mit Benutzung 
einer Rossischen und einer Müllerschen Abschrift hergestellt hat. 

Um zunächst von dem zweiten Fragment zu sprechen, so verräth des- 
sen rechte Seitenfläche die augenscheinlichste Verwandtschaft zu den bisher 
besprochenen Stücken und es ist in aller Weise unzweifelhaft, dafs, wie 
schon Rangabe richtig vermuthete, auch hier ein Theil von einer Übergab- 
urkunde der Schatzmeister der anderen Götter vorliegt. Der Inhalt dieser 
Fläche besteht aus zwei Posten, von dem der letzte als 

- - - PHH Tloreidul[vos] 
- - - PIC are Zov[viov]- 
Kulınyv[ed %e]- 
SR uclov oralrnges]. 
Aageınov [xov]- 
2 orov oralrnges]. 
klar ist. Eine Zahlung aus den Geldern Hossıöduvos mi Sowviw im Betrage von 
4 Tal. 527 Dr. 4%, Ob. erwähnt die bereits angezogene Urkunde der Lo- 
gisten Z.13. Die neben den beiden ersten Zeilen des Postens erhaltenen, 
nicht vollständigen Ziffern beziehen sich auf das im Schatze vorhandene 
(attische) Silbergeld, die Stückzahl der Kyzikener und Dareiken ist ver- 
wischt. Dafs die ausdrückliche Bezeichnung jener ersten Summe als dgyvgiov 
fehlt, ist zwar auffallend, aber durch Beispiele auf anderen, weiter unten 
zu besprechenden Bruchstücken hinreichend beglaubigt. Der vorhergehende, 
auf dem Fragmente selbst nicht vollständig erhaltene Posten (es fehlt zum 
Mindesten davor der Name des Gottes) besteht aus zwei Artikeln, deren 
zweiten zwei ihrem Gewichte nach bezeichnete silberne Schalen bilden: 


dıara aelyvp]- 


[HJH @ 1, sraSu[ov]- 


Vorher ging eine Summe ausländischen Silbergeldes, welche nach den Sorten 
specifieirt und nach Boeckhs wahrscheinlicher Vermuthung mit der Angabe 
des Werthes in attischer Münze versehen war: 


E2 


36 Kırcunorr: 


25- Korippi= 
[nv dp)yulgeu #] - 
ET SlEse [ueö]arev- 
[7]ö veulismeri] : 
Ipyags Bawri[cı] 
== Xarzıdı[rcr] 
[1] PBuwnızce. 

Ohne Zweifel sind Stateren gemeint und dieses Wort mufs zu Bawrıcı 
u. s. w. ergänzt d. h., da es schwerlich hinter den Adjectiven am Ende der 
Zeilen gestanden hat, welche unter dieser Voraussetzung zu lang gerathen 
würden, hinzugedacht werden. Man kann auch Bawrious, XaArıdızeus, Pw- 
zırcus lesen und ergänzen; ich habe indessen den Nominativ vorgezogen, 
welcher mit dem sonstigen Gebrauche dieser Bruchstücke besser überein- 
stimmt. Die Stückzahl kann übrigens in allen drei Fällen statt links am Rande, 
wie ich angenommen, auch rechts hinter den Namen gestanden haben, wor- 
auf indessen wenig ankommt. Unmittelbar hieran stiefs, vielleicht nur 
durch eine Zeile getrennt, meiner Meinung nach die linke Seitenfläche des 
mit a bezeichneten Stückes, welche Boeckh (Staatsh. 2, 233) von Z. 4 an 
vortrefflich so hergestellt hat: 

[@Jeyveles ar)- 

[russ Pl, [or«@S]- 
Se [x]ev Tourwy" 

[x ]revıxov ag- 

[y]vg:ov FUR- 

[ur]#r0v eri0- 

[na], araS- 
=== [as]» rovur[ov]. 

Der zweite Artikel ist auch hier eine Summe gemünzten Silbers in 
verschiedenen fremden Geldsorten, von dem zunächst nur das Gewicht an- 
gegeben wird; die Breite der Zeilen ist genau dieselbe, wie auf dem zweiten 
Bruchstücke und die Anordnung des Ganzen in schmalen Colonnen auf den 
verschiedenen Seiten eines vierseitigen Pfeilers, die Ziffern zur Linken der 
Colonne, verräth auch äufserlich Verwandtschaft zu den hier behandelten 
Urkunden. Dem Sinne nach fügt sich der Inhalt beider Flächen gerade an 
der Bruchstelle mit Leichtigkeit folgendermafsen zusammen: 


Bemerkungen zu den Urkunden der Schatzmeister der anderen Götter. 37 


[x]oevinov ap- 

[y]vgrov FUn- 

[uı]arov, era9- 

up [uc]» reur[eu]- 
[run rer]- 
b [rev ap]yu[gev n]- 
.-- [ued]arov- 

Da es indessen an allen Mafsangaben fehlt und das Zusammenpassen des 
Inhaltes beider Stücke immerhin nur zufällig sein kann, so darf die gege- 
bene Zusammenstellung allerdings höchstens auf einen gewissen Grad von 
Wahrscheinlichkeit Anspruch machen und soll durchaus nicht für gewifs aus- 
gegeben werden. Sollte sie trotzdem richtig sein, so würde die Fläche nur 
eine Colonne enthalten haben und müfste eine der schmalen Seitenflächen 
des Steines gewesen sein, wogegen sich nichts Triftiges sagen läfst;, die er- 
haltenen Reste der sich links und rechts anschliefsenden Flächen würden zu 
der Vorder- und Rückseite des Ganzen gehört haben, von denen sich an- 
nehmen läflst, dafs sie dann beträchtlich breiter gewesen sind. Auf der 
rechten Seitenfläche des Stückes a sind nur Ziffern erhalten. Die linke des 
Stückes 5 hat Spuren des eigentlichen Textes erhalten, der aber in anderer 
Weise als der bisher bekannten in dieser Gegend angeordnet gewesen sein 
mufs. Offenbar nämlich war dieser Theil in durchgehenden Zeilen geschrieben 
und es standen die Ziffern innerhalb der Zeilen selbst, nicht links davon in 
einer besonderen Colonne geordnet. Man erkennt Z. 2 ’ASy[vaias], Z. 5 
"Avanolı]. Es ist indessen darum noch nicht nöthig anzunehmen, dafs die 
Anordnung auf dieser ganzen Fläche dieselbe war; das Inventar kann auch 
auf ihr in Colonnen geschrieben gewesen sein und die erhaltenen Reste 
dem Schlusse einer Urkunde angehören, welcher das Verzeichnifs des Zu- 
ganges des Jahres (der &rereı«) enthalten haben wird, das man der Raum- 
ersparnifs wegen absichtlich anders geordnet haben kann. Die erhaltenen 
Reste sind viel zu gering, um sichere Anhaltpunkte zu gewähren; dafs z.B. 
2.6 emi mn[s apxns] oder auch nur Ähnliches gestanden habe und zu lesen 
sei, dafür möchte ich für meinen Theil die Bürgschaft nicht übernehmen. 


38 Kırcuuorr: 


6. 
u 6) 
\t DATE 
\.BITME IFA NIE 
=IONENF UM MIORZIERTZ 
BI AOL KEIEIINCII OFRITOF 
FHINA z>ızz KIYTIEERKDE 
SA OTSETERR| 
VvEIA A Apr KPIYFEER IN 099 
nol Fri MATO—ZSTA 
LYA RTHHHRT ITEPAZENX 
DIA AHNON VIEIO 
E DIAMEAFPIPRN 
\l XXXX HISARHTIANMEE 
I DH TAMESSTI A EN 
10) 


Von allen Seiten verstümmeltes Bruchstück von pentelischem Marmor, 
gefunden 1858 eis zu dvrızgu ou MagIevavos zararrgapeisav dekauevyv und 
herausgegeben in der älteren athenischen Zeitschrift n. 4048. 

Wir haben hier offenbar das Bruchstück einer Fläche, welche meh- 
rere Colonnen neben einander enthielt; ob zwei oder mehr, mufs dahin- 
gestellt bleiben. Die Reste der linken Colonne entziehen sich einer zu- 
sammenhängenden Herstellung; Z. 2 scheint "Agre[uudes], Z. 3 [Hecsidaves emi] 
Zouvi[w] gestanden zu haben und die Anordnung in dieser Gegend abweichend 
von der gewöhnlichen derjenigen entsprochen zu haben, welche bereits auf 
der linken Seitenfläche des vorhergehenden Bruchstückes begegnete. In der 
Colonne rechts befinden wir uns dagegen ganz auf bekanntem Gebiete; sie 
enthält in der bekannten Anordnung das Stück eines Jahresinventars, von 
dem, abgesehen von dem IO der ersten Zeile, vier Posten ganz oder zum 
Theil sich erhalten haben. 

1. 2.2-3. [H]oaor[rov] | apyvolıv]. Von der Ziffer ist links noch 
ein Rest, anscheinend ein Obolenzeichen, erhalten. Zahlung aus dem 
Schatze des Hephaestos kam allem Anscheine nach auf der Urkunde der Lo- 
gisten Z. 16 vor. Abweichend von dem Gebrauch der anderen Fragmente 
ist hier die ausdrückliche Bezeichnung der Summe als Silbergeld, während 
doch kein Gold aufserdem vorhanden und zu registriren war. 


Bemerkungen zu den Urkunden der Schatzmeister der anderen Götter. 39 


2. Z.4-9. Noreö[avos] | Irmiov‘ algyvgrov]. Das Heiligthum des 
unter diesem Namen verehrten Poseidon lag bekanntlich auf dem Kerwves 
irrıos nördlich von der Stadt in der Nähe des heiligen Weges und der Aka- 
demie. Der Schatz enthielt zunächst eine Summe attischen Silbers, deren 
in zwei Zeilen geschriebene Ziffer nach links hin verstümmelt und überdem 
nicht ganz richtig gelesen ist. Von den sechs Obolenzeichen mufs das eine 
entweder gänzlich als auf einem Irrthum beruhend ausgeschieden oder in ein 
Drachmenzeichen verwandelt werden. Hierauf folgt eine Summe in Kyzike- 
nern: Kudınn[voo xguJawv ora[rages]. Von den daneben stehenden Ziffern 
ist die zweite entweder verlesen für £, oder mit dem ersten £ zusammenzu- 
nehmen als A; in jenem Falle waren 4, in letzterem 12 Stück vorhanden. 
Den Schlufs macht ein dritter Artikel, dessen Beschaffenheit nicht durchaus 
deutlich ist. Er bestand ebenfalls aus Gold, wie xguriev zu Anfang Z. 8 
aufser Zweifel stellt. Obwohl aber xouricv im Gegensatz zu %gures in der 
Regel gemünztes Gold zu bedeuten pflegt, kann doch hier von solchem 
nicht die Rede sein, da die zur Seite stehende Ziffer AAPHFFFHIN auf Gold 
bezogen nur dessen Gewicht bezeichnen kann. In der That haben wir ge- 
gen Ende von Z. 9 die Buchstaben £TA, \welche sich mit Leichtigkeit in 
sra[Sucv] ergänzen lassen, ohne dafs der Zeile damit eine das gewöhnliche 
Maafs überschreitende Länge gegeben wird. Es handelt sich also entweder 
um verarbeitetes Gold oder Gold in Barren. Durch welche Ergänzung in- 
dessen das Überlieferte hiermit in Einklang gebracht werden kann, sehe ich 
nicht ab und mufs vermuthen, dafs in die Copie sich Fehler eingeschlichen 
haben, welche ich mit Sicherheit zu heben aufser Stande bin. 

32.10: "Has &y Xo---, vielleicht Xo[areudav] oder Xo[Aapyw], 
obwohl beides nur unsichere Vermuthungen sind. Der Schatz bestand aus 
attischem Silber, 5 Tal. 355 Dr. 1 Ob., wenn nicht etwa in dem I ein Rest 
des fehlenden Spiritus von "Hoas zu erkennen ist; freilich wird derselbe über- 
aus häufig fortgelassen. Auch scheint der Umstand, dafs im Folgenden der 
Anfang der Zeilen um eine Stelle nach rechts hin eingerückt wird, um unter 
das E von 'Hgas zu kommen, darauf hinzudeuten, dafs I wirklich als Obolen- 
zeichen zu fassen ist. 

4. 2. 12-15. Arwvvrov: [Hia]'acı oyvulgar] | AAATI[INI - | are[Suov 
r]lo[urwv]. Das Gewicht dieser Schalen dürfte 4360 Dr. betragen haben; 
denn es scheint unmöglich das erste H zur Ziffer der Stückzahl zu ziehen, 


40 KırcnauHorr: 


(obwohl die Stellung, welche der Druck dem Zeichen giebt, dazu verleiten 
könnte) weil das Gewicht der einzelnen Stücke bei dieser Voraussetzung 
viel zu gering ausfallen würde. Ein Blick auf die Gewichtangaben der vielen 
gewogenen Schalen im Schatze der Athena, wie sie uns die Urkunden der 
Schatzmeister überliefern, lehrt, dafs das durchschnittliche Gewicht dieser 
Geräthe 100 Dr. zu betragen pflegte. Die des Dionysos waren etwas schwe- 
rer. Die Ergänzungen der letzten Zeilen dürften sicher sein, obwohl sie 
sich von der Überlieferung willkürlich zu entfernen scheinen; indessen wird 
es schwerlich gelingen jene vier I zu halten und ich nehme für ausgemacht, 
dafs der Herausgeber sich verlesen oder besser die hier etwa noch vorhan- 
denen Spuren falsch gedeutet hat. Ob das Inventar des Schatzes des Dio- 
nysos hiermit zu Ende war, lasse ich dahingestellt; nach der gewöhnlich be- 
obachteten Regel der Anordnung der einzelnen Artikel, wonach das verar- 
beitete Werthmetall an letzter Stelle hinter dem gemünzten aufgeführt wird, 
sollte man meinen, dafs nichts weiter gefolgt sein könne; indessen ist die 
Frage, ob diese Regel in den Verzeichnissen aller Jahre streng eingehalten 
worden ist, und wenigstens die mehrerwähnte Urkunde der Logisten notirt 
Z. 12 eine Zahlung von 356 Dr. 1 Ob. aus dem Schatze des Dionysos. 

Spuren zweier nebeneinander stehender Colonnen finden sich auch 
noch auf dem folgenden Bruchstücke, welches ich hierher zu ziehen kein 
Bedenken trage. 


Zr 


oz 
BEAN= 
EANIO. X PREID 
VE AsT EUPJE,T 
INAIOI 
ERBE S 
VaRzAı„OH! 
3 
ITALIA AA 
AYPIO 
Ol 
Ey= 


Bemerkungen zu den Urkunden der Schatzmeister der anderen Götter. 41 


Von allen Seiten verstümmeltes Bruchstück von pentelischem Marmor, 
zur selben Zeit und an demselben Orte wie das vorhergehende gefunden. 
Herausgegeben ’Eoyu. ap. 4088. 

Auch dieses Stück gehörte offenbar einer Fläche an, auf der mehrere 
Colonnen neben einander geschrieben waren; denn die Zahlzeichen am 
Rande rechts bei Z. 3, 4 und 9 gehören schon darum nicht zu den Resten 
der links davon stehenden Spalte, weil Z. 3 und 4 nicht Staterenzeichen 
stehen, wie unter jener Voraussetzung erwartet werden müfste. Sie sind 
folglich die Überbleibsel einer rechts weggebrochenen Spalte und die Zahlen 
standen auch hier, wie überall, links von den einzelnen Posten, zu denen 
sie gehörten. Z. 1-2 scheinen eine Überschrift zu enthalten, etwa [’Agre- 
vaöles | [’Aygore]ges, was mit der sicher zu ermittelnden Anzahl der links feh- 
lenden Buchstaben stimmen würde, aber darum nicht für gewifs ausgegeben 
werden soll. Z. 3-4 folgt zunächst ein Posten in Gold: [Kugız]avsö xelfv- 
oi]Jeu orarnge(s). Das über dem letzten E von srarnges in der Abschrift 
stehende E kann nicht zur vorhergehenden Zeile gehören, sondern scheint 
aus £ verlesen, welches der Steinhauer des mangelnden Raumes wegen 
überzuschreiben sich genöthigt gesehen hatte. Z. 5 ff. folgen sodann 
Posten in Silbergeld. Zunächst Z. 5 - 6 [AryJwaisı | [rra]rnges und Z. 7 - 8 
[Kogz]vgaicı | [orarjngss, welche Ergänzungen mir unzweifelhaft scheinen. Mit 
den folgenden Zeilen weifs ich Nichts anzufangen; man erkennt nur Z. 10 
[&g]yugeev. 

Ich lasse hierauf eine Reihe von Bruchstücken folgen, über deren 
Beschaffenheit bei der Zweid@utigkeit der vorliegenden Angaben oder dem 
gänzlichen Mangel irgend eines Ausweises es unmöglich ist, eine deutliche 
Vorstellung zu bilden. 


Philos.-histor. Kl. 1864. F 


42 Kınennore: 


ds N. b, 
av HHNNMAA/Z 
AIOE AAAFFFFA 
en XXX XHO 
HP AAAC 
1,2 R0E HH HAAY7 5 
KIEN AAAMHAP 
Yulıl XXXXMHAIC 
ıE& HHHAAAFIOA 
1m FROKY” 
10 yY Wuu yz mw 
\x 


In derselben Gisterne gelundenes Bruchstück von pentelischem Mar- 
mor, «dessen Dicke Ir, Pittakis, von dem os "Eon. doy, 4060, 4061 heraus- 
gegeben worden ist, auf 5 Gim, angiebt, "Ei mis mie mArupüs ro Ardov, 
bemerkt or, vmapxa 9 Um dd. A060 (a) Fmiygapn, din de mie drepae 9) Um’ 
ap, AOOL (6). Ob das Fragment ein Bekstück ist, oder die Inschriften auf 
dev Rück- und Vorderseite desselben stehen, ist hiernach nicht deutlich. 
Allerdings scheint das letztere gemeint zu sein, 

Mit « lälst aich nichts anfangen; doch ist ersichtlich, dafs es nicht in 
ein Inventar gehört, was von Ö allerdings nicht besweilelt werden kann. 
Von «dieser Seite scheint nämlich der linke Rand und daher auch die Zillern 
vollständig erhalten zu sein, während die zu ihnen gehörige Golonne des In- 
vontars vochts bis auf wenige Reste weggebrochen ist, Hält man sich an die 
Abschnitt, so müssoon Z. 1 und 2 jede einen besondern Posten gebildet ha- 
bon, /. 3-4 bildeten einen zweiten, 2. 5 und 6 vermuthlich einen dritten 
und vierten, 2, 7-8 geben einen fünften, dessen Ziller su lang war, um auf 
2, 8 ausgeschrieben su worden, weshalb die drei letzten Zeichen, Frl, 
darunter geschrieben wurden und daher scheinbar in die Sphäre des sechsten 
Postons gorathen, welcher auf 2. 9-10 enthalten war, Sämmtliche Posten 
bis 2, 6 einschliefslich bestanden aus Silborgeld; 2. 7-8 stand eine Über- 
schrifts Au[s "OAvpr ev algyugrou], 4933 Dr,  Ob., wobei die Voranstellung 
des Silber au beachten ist; denn es folgt als letzter Posten ohne neue Über 
schrilt, also sum Vorhergehenden gehörig, 2. 9-10: Kulgiemven we]lurliev 
vera], nicht arammges, wie die links daneben stehende Ziffer II beweist, 


Bemerkungen zu den I rkunden der Schatzmeister der anderen Götter. AB 


9 
d. 
CC b. 
xAaaä ON 
Ofen xXPYxı 
AUEY MIEIE KV 

5: ET EEE ON ERKTAY 
MELI ua 4 SR) 
"YOoOK rnmını OETA 
HAPIE HHAÄLFIII METP 
OAI NEIN Pr xpy& 

0 x XHHHN OzZTA 
Aus FuRik EPAK 
FNIKRAN KY 
N MIEIEIUR 
ala 

15 ONIA 

a.6 


An demselben Orte gefundenes Bruchstück (ob Eekstück , wird nicht 
angegeben) von pentelischem Marmor, angeblich 6 Gtm. dick. Herausgege- 
ben in der "Eonu. «ex, 4091. 

Was auf der Fläche d erhalten ist, sind augenscheinlich die Reste 
eines Inventars. Z.2-6 sind Posten in Gold, zu denen eine Überschrift 
nicht erhalten ist. Man erkennt ohne Schwierigkeit 2.2 - 3 wveilov ar«- 
n]joss Kulduenver ] und Z. 4 &rralı ypueiov], natürlich gleichfalls kyzikenischen ; 
die zu beiden Posten gehörigen Ziffern sind linkshin weggebrochen. Es folgt 
2.5-6 ein dritter Posten: weur|iov Augsır]joö aralrngss], dessen Ergänzung in 
so fern unsicher ist, als die Sorte sich nur errathen lälst und als feststehend 
nur das betrachtet werden kann, dafs es keine Kyzikener waren. Links da- 
von ist zwar die Ziffer erhalten, leider aber in der Abschrift verlesen oder 
ungenau wiedergegeben; es wird sich gegen die drei letzten Zeichen nichts 
einwenden lassen, wenn man annimmt, dals die Sechstel und die Ganz- 
stücke hier nicht, wie oben Z. 2-4, gesondert aufgeführt waren; allein es 
ist unvermeidlich anzunehmen, dafs in den beiden vorhergehenden Ziffern, 

F2 


44 Kırcnnorr: 


RT, beide Male das $ übersehen worden ist, welches sie als Staterenzeichen 
kenntlich machte. Z.7 folgt sodann eine Überschrift: Muro[os &v "Aygas], 
aus deren Schatz das mehrerwähnte Staatsschuldenverzeichnifs Z. 22 eine 
Zahlung von 200 und einigen Drachmen erwähnt. Daran schliefst sich Z. 8-9 
ein Posten in Gold: xgurliou - - ]|ou ara[rges], dessen Sorte sich nicht mehr 
bestimmen läfst. Den drei Zeilen links zur Seite sind zwei Zifferreihen ge- 
schrieben, welche, wenn die Abschrift zuverlässig wäre, als 212 Dr. 4 Ob. 
und 2 Dr. gelesen werden müfsten. Es kann dies aber nicht richtig sein, 
da wenigstens der eine in der Colonne daneben deutlich bezeichnete Posten 
in Goldstateren bestand, und wir sind daher genöthigt einen Irrthum anzu- 
nehmen. Das Wahrscheinlichste dürfte sein, dafs die beiden Drachmen- 
zeichen der zweiten Zifferreihe aus ZZ verlesen sind und zu dem Posten in 
Gold gehören, die erste Reihe dagegen richtig gelesen ist und eine Summe 
attischen Silbergelds darstellt, für welche eine besondere Zeile in der Co- 
lonne auszuwerfen vielleicht der Raumersparnifs wegen unterlassen worden 
ist. Z. 10-11 treffen wir abermals auf eine Überschrift: “Hoax[Azeus Ev] | 
Kulvosapyeıl. Es ist dies das bekannte Heiligthum des Heros, aus dessen 
Schatz der Schuldurkunde Z. 18 zu Folge gleichfalls eine Zahlung (80 Dr.) 
geleistet worden war. Was auf unserem Fragmente vom Inventare desselben 
Z. 12 erhalten ist, leitet auf einen Posten Goldstater: K[udızyveo xguelicv 
orarmges], was die vielleicht nach linkshin nicht ganz vollständig erhaltene 
Zifferreihe, welche am Rande beigeschrieben ist, M (lies P}) ZZ, aufser 
Zweifel stellt. 

Der Charakter des Textes der Fläche @ dagegen mufs bei dem ver- 
stümmelten Zustande, in dem er uns vorliegt, dahingestellt bleiben. Gewils 
ist nur, dafs den Hauptbestandtheil desselben von Z. 4-8 ein Namenver- 
zeichnifs bildete, in dem man die Liste der Schatzmeister eines bestimmten 
Jahres vermuthen darf. Man erkennt indessen nur Z. 4 ["Ar]aıeu[s] oder der- 
gleichen, 2.5... Arns Qu[uuradns]), Z.6 Merı[revs], Z.7 IuSor[Ans] und Z.8 
vielleicht [ Ir]agıe[vs]. 


Bemerkungen zu den Urkunden der Schatzmeister der anderen Götter. 45 


10. 
a. b. 
\A 
ANTII 
AOKATIL AB u 
E Mu ALOI= 
DI AKSATERS HRnN 
ALAIONOM zzii 
ATOZ ni 
ETPIKON Ill 
JzZKENAIO F 
10 PRARIPALBIN:.Y F 
HAllI:MENAM PT 
I ALAI HH 
EISFÄLPINY 
MPN EZ 
ı< 


Bruchstück von pentelischem Marmor, in derselben Cisterne wie die 
übrigen gefunden und ’Eprw. agx,. 4089 herausgegeben. Die Dicke wird auf 
6 Ctm. angegeben, über das Verhältnifs beider Flächen zu einander aber ist 
nähere Mittheilungen zu machen unterlassen worden. Wahrscheinlich haben 
wir es indessen mit einem Eckstück zu thun. Auf der rechten Seitenfläche 
sind nur Ziffern erhalten, auf der linken Reste einer Spalte des Inventars, 
von der die links gestandenen Ziffern weggebrochen sind. Z. 3-5 erkennt 
man in - - »aı ’Ale]|[r]ewdes ["E]zarns die Reste einer Überschrift; es folgt 
2.6-7: [mjeraıd von[iswlaress. Z. 8 war um eine Stelle nach rechts ein- 
gerückt; denn was erhalten ist, läfst sich kaum anders als in [’Eg]ergırev er- 
gänzen und diese Bezeichnungsweise findet in Münzaufschriften wie Baiorıncv, 
Tegusginöv, "Agradıncv ihre befriedigende Erläuterung. Z. 9 ff. scheinen eben- 
falls sämmtlich eine Stelle nach rechts eingerückt gewesen zu sein. 2.9 
hätten wir in [At]Jos Kyvaicu, wie der Herausgeber richtig zu ergänzen scheint, 
eine Überschrift. Dieser Zeus wäre von dem euboeischen Vorgebirge Ke- 
naeon benannt; und in der That scheint ein Cultus desselben an jenem Orte 
durch den Namen der auf Kenaeon belegenen Ortschaft Aicv bezeugt zu sein. 
In der Nähe derselben lag ’ASAvaı Arades, welches die Überlieferung von 


46 Kırcnasorr: 


Athen aus gegründet werden läfst, ein Umstand, der das Vorkommen eines 
Zevs Kyvaios in Attika vielleicht zu erklären geeignet ist. Das folgende Inven- 
tar seines Schatzes zählt eine Anzahl silberner Schalen auf, Z. 10 ff.: [1a ]aaı 
apyvlladi] HAM: neyl[eraı]. piaraı | [neißovles (?) apyullgai - - - Es folgten 
noch mehrere Gegenstände von demselben Metall und zum Schlufs die, un- 
ten weggebrochene, Angabe des Gesammtgewichtes, dessen Ziffern, wie auf 
n. 6, links am Rande gestanden haben werden. 


11. 
a. | b. 
AON 
ANO IN 2m 
NEIAONI XER 
ASTIEIPJE = Mu: TE 
_KKYNOSZA xxxXı 
APXOEzI MIıMO 
EPEE= AMOTP 
IMETAAENE | OESEIR 
Leerer Raum. ı APTEMI 
RONIXI 
\YM 
Al 


"Eonn. agx. 4052, mit dem vorigen zusammen gefunden. Die Angabe: 
yeygarraı a nv Emi Tis mis mAcupas ns armAns, Mi ÖE Emi dis Eregas ist zwei- 
deutig und läfst es zweifelhaft, ob wir ein Eckstück vor uns haben. Das 
Stück scheint zwar hierherzugehören, aber keine der beiden Flächen gehört 
zu einem Inventar der bekannten Art. Was sich mit Sicherheit erkennen 
läfst, ist zu fragmentarisch, als dafs der Zusammenhang hergestellt oder auch 
nur errathen werden könnte. a Z. 3 [Her]adavı?, Z. 4 [or]arnges, Z. 5 
[Hoarde . . ex Kuvooa[gyous], Z. 6 [Zw Jeoxoust, VER! Merayevnls]; b 27 
Onse N, Z. 8 ’Apreuı[d--. Ob damit unmittelbar Z. 9 [M]Jovwvrxi[e- verbun- 
den werden darf, ist sehr zu bezweifeln, da die Zeilen erheblich länger ge- 
wesen zu sein scheinen. 


Bemerkungen zu den Urkunden der Schatzmeister der anderen Götter. 


a. 
k WEISE 
IOLYTO 
Oz 
LLONOZNY 
EATAPXEN 
P’IOEMEAA 
no 


12 


ä 

M 
xR 
AYT 
npc 


nn 


47 


’Eonu. agx, 4058. An derselben Stelle gefundenes, von allen Seiten 
abgebrochenes Fragment von pentelischem Marmor, 4 Ctm. dick. Die In- 
schriften scheinen auf der Rück- und Vorderseite des Stückes zu stehen; 


wenigstens läfst sich die Angabe 7 Emıygapn Eori yeyganueın EE Erareguv rav 


mAevg@v 745 ornAns kaum anders verstehen. 


2.5 Grapynv, 2.6.7 [epyulgiov nueö[a]rev. 


4 
Be) 
ıIzYM 

AENO 
OMON 
XBNG= 
MONAI 
MEATE 
AOMON 
AOENA 
MALLE 
NER 
NA 

P 


13. 


Ich habe das Fragment wegen 
der Andeutungen, welche der Rest der Fläche a enthält, hierhergezogen, 
will aber nicht gesagt haben, dafs es durchaus keine andere Beziehung ver- 
statte. 5 ist Jedenfalls nicht von einem Inventar, während dies von a nicht 
unbedingt in Abrede gestellt werden kann, obwohl darüber völlig aufs Rein 
zu kommen schwer fällt. a Z.2 [Irrloavreov, Z.4 [Aro]Awves MvfSiv], 


"A9mvalıas Ev 
HarAn[vio: xgvooü‘] 
megu[degis, orasu]- 
ov. & 


en 0 ol ehe. e 


48 Kırcanorr: 


’Eonu. @gx, 4053. Drei Ctm. dickes Bruchstück von pentelischem Mar- 
mor, an derselben Stelle gefunden, über dessen sonstige Beschaffenheit in- 
dessen Nichts mitgetheilt wird. Dafs wir hier einen Theil eines Inventars 
vor uns haben, ist deutlich, und da, wie mich die angestellte Probe gelehrt 
hat, das Stück auf keinen Fall zu den Urkunden der Schatzmeister der Athena 
gehören kann, so habe ich es vorläufig hierhergestellt und beispielsweise 
unter der Voraussetzung, dafs links der Anfang der Spalte erhalten sei, er- 
gänzt. Es ist angenommen, dafs die Gewichtsummen links neben der 
Spalte vermerkt waren. Einer Zahlung aus dem Schatze der Athena &v IaA- 
Anvidı, im Betrage von 3418 Dr. 1 Obol, erwähnt die öfter angezogene Ur- 
kunde der Logisten Z. 19. 


Anhan 8. 


Die uns erhaltenen Übergabeurkunden der Schatzmeister der Athena 
reichen für den Hekatompedos bis Ol. 91, 4, für den Parthenon bis Ol. 92, 1. 
Vom Pronaon haben wir die Urkunden bis O1.92, 4; es schliefsen sich hieran 
aber noch zwei gröfsere Bruchstücke an, welche man sich gewöhnt hat von 
einander getrennt zu halten und als die Urkunden der Schatzmeister von 
Ol. 93, 1 und 2, vermehrt durch einen nachträglichen Zusatz der Schatzbe.. 
hörde des folgenden Jahres Ol. 93, 3 zu betrachten. Dafs sie indessen un- 
mittelbar, ohne dafs der Wegfall auch nur einer Zeile anzunehmen wäre, 
zusammengehören, war zwar bei genauerer Überlegung mit einiger Wahr- 
scheinlichkeit zu muthmafsen, ist aber durch ein später bekannt gewordenes 
Bruchstück, welches in beide Theile eingreift, zur Evidenz gebracht worden. 
Mit Hülfe desselben liefs sich der Text des unteren Theiles der Platte, der 
die drei Fragmente angehört haben, so weit fast vollständig wiederherstellen, 
wie dies auf Beilage VII veranschaulicht worden ist. 

A. ’Eonu. px, 250 (der ersten Folge). Rangabe 98. Vgl. Boeckh 
Staatsh. II. S. 219. 220, welcher eine Rossische Abschrift benutzt hat. 
Auf der Burg gefunden; auf beiden Seiten und unterhalb weggebrochen ; 
oben ist leerer Raum. 


Bemerkungen zu den Urkunden der Schatzmeister der anderen Götter. 49 


B. ’Eonn. aox. 2494; Bruchstück von dem gleichen Material, wie 
alle übrigen, nämlich von pentelischem Marmor, gefunden 1852 ‘eis ras &v 
7D agyalı BevAsurngiv Yevonevas avaozapas’. Es wird ausdrücklich ange- 
geben, dafs die linke Seite des Fragmentes unversehrt sei (7 ügırrepev eivau 
dxegaucv), woraus folgt, dafs es dem linken Rande der Platte angehört hat. 
Dafs dieses Stück von der Burg verschleppt worden sei, stellt der Heraus- 
geber mit Unrecht in Abrede. Sein Grund, dafs das vorliegende Frag- 
ment nur 4 Ctm. dick sei, während die auf der Burg gefundenen 15 Ctm. 
mälsen , beweist, die ausnahmslose Richtigkeit der letzteren Angabe auch 
zugegeben, doch höchstens, dafs unser Fragment von der Oberfläche ab- 
gesplittert oder abgesägt worden sein mufs. Jedes Bedenken wird durch 
die gegebene Zusammenstellung mit den anderen Bruchstücken unbedingt 
niedergeschlagen und Beispiele von ähnlichen Versprengungen gehören 
nicht zu den Seltenheiten. 

C. ’Eonn. agx. 4 (der ersten Folge). Rangabe 99, von der Burg. 
Boeckh a. a. ©. S. 221. 222 benutzte eine Abschrift von Rofs, ich selbst 
habe eine Velsensche zu Rathe ziehen können. Eine revidirte Abschrift 
ist ’Eoyu. @o%,. 2037 publieirt worden. Das Stück ist oben abgebrochen, 
unten ist nach der letzten Zeile leerer Raum, der untere Rand also wahr- 
scheinlich erhalten. Rechts und links ragt die Grundfläche des Steines 
noch um Einiges über die beschriebene Fläche hinaus, die Buchstaben 
aber sind auf diesen Theilen vollständig verlöscht. 

Die Platte war, wie man sieht, in allen ihren Theilen ziemlich regel- 
mäfsig oreryndev beschrieben, die Zeile zu 53 Buchstaben. Von einzelnen 
Unregelmäfsigkeiten, die von keiner Erheblichkeit sind, bemerke ich fol- 
gende: 7.1 zählt in der Lücke zu Anfang einen Buchstaben zu wenig; 
doch war dies vielleicht nach rechtshin wieder eingebracht worden. Z.5 
waren drei Ill auf zwei, Z. 10 und 30 vier Ill auf drei Stellen gegeben 
worden. Dagegen fehlte Z. 17 und 37 entweder das I, oder war mit einem 
anderen Buchstaben auf eine Stelle gerechnet. Z. 34 stand entweder EN, 
was ich gesetzt habe, oder das Zahlzeichen I und hatte die Zeile eine Stelle 
zu wenig. Z. 20 gegen Ende war entweder wirklich TOTON geschrieben, 
oder die Zeile hatte eine Stelle mehr. Z. 22 und 23 zeigen in der Abschrift 
des erhaltenen Theiles links mehrfache Unregelmäfsigkeiten in der Stellung: 
wenn Z. 22 in der Lücke nicht, wie ich angenommen habe, TPEZ, sondern 


Philos.- histor. Kl. 1864. G 


50 Kırcanorr: 


in Zahlzeichen III geschrieben war, so hatte die Zeile eine Stelle zu wenig. 
Durch das Zeugnifs der Abschriften steht ferner fest, dafs Z. 17 durch ein 
Versehen des Steinmetzen APAPON statt APAYPON geschrieben und Z. 51 
in der Mitte eine Stelle, wahrscheinlich wegen eines Fehlers im Steine, un- 
beschrieben gelassen war. 

Von Varianten in den Abschriften der erhaltenen Theile ist we- 
nig zu bemerken. Z.28 ist das M aus der Velsenschen Abschrift aufge- 


nommen, welche | 1. bietet. Die erste Abschrift der ’Epnu. und Rangabe 


geben un die zweite revidirte Mr Boeckh hat die Reste dieser Zeile un- 


berücksichtigt gelassen. Z. 28 habe ich zu Anfang OYTO aus der zweiten 
Abschrift in der ’Epyu. und zu Ende das E aus der Velsenschen hinzugefügt. 
Die ZZ. 44-52, durch einen leeren Raum von 9 Spatien nach Velsens An- 
gabe von den vorhergehenden getrennt, stehen bei ihm und in der ersten 
Abschrift der ’Epzu. zu jenen so, wie ich angenommen habe, nach den bei- 
den anderen Abschriften aber etwa zwei Stellen weiter nach rechts hin. 
Ihre Stellenzahl wird von der der oberen Zeilen nicht bedeutend abgewichen 
sein, obwohl sie gröfser gewesen zu sein scheint, läfst sich aber natürlich 
nicht mit Genauigkeit bestimmen. 

Dafs nun diese drei Stücke in der angegebenen Weise zusammen- 
gehören, scheint mir eines anderen Beweises als des in der Beilage durch 
die Zusammenstellung selbst gelieferten nicht zu bedürfen; ich kann daher 
unmittelbar zu der Erwägung der neuen Thatsachen übergehen, welche 
sich im Ganzen und Einzelnen daraus für unsere Kenntnifs ergeben. Zu- 
nächst wird die Natur der besonderen Zusätze, welche unsere Tafel ver- 
glichen mit den Listen der früheren Jahre aufweist, Z. 8-9. 28-29 und 
Z. 22-23 (wahrscheinlich also auch Z. 42 - 43), jetzt in so weit deutlich, 
dafs man sieht der erstere habe &v zı@wriw gelautet; das nicht vollständig er- 
haltene Adjectivum dazu scheint ore[pavwr&] gewesen zu sein. Unklar bleibt 
dagegen noch immer der eigentliche Sinn des zweiten, über den ich einer 
nahe liegenden Vermuthung mich absichtlich enthalte. Viel wichtiger ist, 
was von der Anordnung und der Bedeutung des ganzen zweiten Theiles 
der Urkunde, Z. 24-52, nunmehr ersehen werden kann, weil dadurch 
eine wesentliche Modification der bisher üblichen Auffassungsweise be- 
dingt wird. 


Bemerkungen zu den Urkunden der Schatzmeister der anderen Götter. 51 


Die ZZ. 1-23 sind nämlich in der That die Übergaburkunde der 
Schatzmeister von Ol. 93, 1 an ihre Nachfolger von 93, 2 in der üblichen 
Form, die ZZ. 24 - 43 aber nicht die Übergaburkunde dieser Nachfolger an 
die Schatzbehörde von Ol. 93, 3, obwohl ZZ. 25 - 43 das vollständige In- 
ventar des Pronaon in wörtlicher Übereinstimmung mit Z.5 -23 wieder auf- 
geführt erscheint. Denn es fehlt der wesentlichste Theil der Einleitungs- 
formel und wir lesen merkwürdigerweise unmittelbar vor dem Inventar nur 
die Worte: ragadekauevon maga rav moorsgwv Tanıav Ev ra Ilgovew, welche der 
Angabe eines Subjectes und eines Verbum finitum gänzlich ermangeln. Es 
folgt hieraus zunächst, dafs die ZZ. 44 -52, obwohl durch einen Zwischen- 
raum vom Vorhergehenden getrennt, doch nicht einen besonderen Abschnitt 
für sich bilden können, sondern mit dem Vorhergehenden unmittelbar zu 
verbinden sind, weil nur sie die unentbehrliche Ergänzung des abgebroche- 
nen Satzes enthalten haben können. Der Zwischenraum wurde gelassen, 
weil das Vorhergehende als wesentlich nur das Inventar enthaltend sich 
ohne grofse Schwierigkeit als besonderer Abschnitt für sich behandeln liefs 
und weil man zweitens des nach unten hin freien Raumes für künftige 
Zwecke nicht mehr benöthigt zu sein glaubte; man schlofs eben ab, wir 
werden gleich sehen warum. Z. 44 nun haben wir in den --- - agkavres 
raystaı, welche bis zum Ende von Z. 48 bei Namen und mit Angabe ihres 
Schreibers aufgeführt waren, das gesuchte Subject. Die hier genannten 
Schatzmeister also hatten (laut Z. 24) die im Inventar verzeichneten Gegen- 
stände von ihren Vorgängern übernommen, müssen folglich, da unter diesen 
Vorgängern nur die Schatzmeister von Ol. 93, 1, von denen ZZ. 1 - 23 her- 
rührt, verstanden werden können, die Schatzbehörden von Ol. 93, 2 sein, 
Als solche werden sie Z. 44 vorn bezeichnet gewesen sein, worauf schon 
das «pZavres rauıaı hinweist, welches eine Ausdrucksweise, wie & Em ToU 
delvos agkavres u. s. w. vorauszusetzen nöthigt: also beispielsweise ci em 
"Avrıyevovs apZavres raniaı. Nun war laut Z.3 der Obmann der Schatzmeister 
von Ol. 93, 2 von Agryle, aus dem ersten Stamme, der Erechtheis; Z. 44- 
48 werden diese Schatzmeister ohne Zweifel nach der festen Ordnung der 
Stämme aufgeführt und der Name des ersten, welcher der der Erechtheis sein 
mufs, beginnt Z. 44 mit Kari; dieses Kara war folglich oben Z. 3 in der 
Lücke vor ’AyguayIev zu ergänzen, da in einem und demselben Jahre nicht 
zwei Schatzmeister aus demselben Stamme sein konnten. Zwar hat Rangabe 


G2 


52 Kırc#norr: 


(Ant. Hell. I. p. 61) bei Gelegenheit der Besprechung einer Urkunde der 
Bauherren vom Erechtheion (n. 56 und 57 seiner Sammlung) die Behaup- 
tung aufgestellt, der erste Schatzmeister von Ol. 93, 2 sei "Aperanguos 
"AyguanSev gewesen, welcher auf jener Urkunde wiederholt in der Formel 
Ayunara maga Tamm Ns Feod, Tage "Apenaryuou "AyguAnIev nal Guvapy,ovrwv 
erwähnt wird; der Schatzmeister - - - -"AyguAnIev Z. 3 unserer Tafel sei aber 
der einzige uns bekannte erste Schatzmeister von Agryle und die Urkunde 
der Bauherren gehöre überdem aus anderen Gründen nothwendig in die 
Jahre Ol. 93, 1 oder 2. Indessen diese Beweisführung wäre zwingend allein 
unter der Voraussetzung, dafs Aresaechmos wirklich erster Schatzmeister 
war, was nicht so ohne Weiteres angenommen werden kann. Das Collegium 
der zehn Schatzmeister bezeichnet sich allerdings in Urkunden, die von ihm 
selbst herrühren, regelmäfsig und ausnahmslos nach dem Obmann, den es 
aus seiner Mitte zu bestellen pflegte und der nicht nothwendig dem ersten 
Stamme, der Erechtheis, anzugehören brauchte, als & deiva zai Euragyovres; 
allein die Urkunde, welche jenes Aresaechmos Erwähnung thut, ist nicht 
von den Schatzmeistern selbst ausgestellt, sondern rührt von den Vorstehern 
eines öffentlichen Baues her, welche aus nahe liegenden Gründen das fremde 
Collegium, mit dem sie in amtlichen Verkehr treten, nach demjenigen Mit- 
gliede desselben bezeichnen, welches ihnen gegenüber das Collegium vertritt 
und nicht nothwendig der Obmann desselben zu sein braucht. Ein vollkom- 
men analoges Beispiel wird dies aufser Zweifel stellen. Die Rechnung der 
Schatzmeister von Ol. 92, 3 (C. I. G. 147) erwähnt wiederholt Zahlungen 
an das Collegium der Hellenotamien, welches doch auch seinen Obmann 
gehabt haben wird, und zwar in folgender Weise: In der ersten Prytanie: 
‘ErAnvorauius magedoOn, Kardınayw 'Ayvovoiw, boacırsridy "Inapıe); 
in der dritten: ‘EAAyvoranias magedoOn, TlegıxAel Xorapyei zaı Fuvag- 
%svcıv und dreimal reis aurcis "EAAyvorauiaıs; in der vierten: “EAAyvoraniaus 
magedo9n, Megındel XoAapyel zaı Suvagyousıy und einmal Eregov rols aürcks 
“ErAyvorapiaus; in der fünften: "EAAyvoraniaus magedoSn, Hegındel Xorapyer 
#al Tuvapyovaw; in der sechsten am 3. Tage: ‘EAAyvoraniars maged:Sy, Aro- 
vuriw KudaSyvarel xal nuvapyovcı, am 9. Tage: ‘ErAyvoranias, Opa- 
rwvı Bovradn xaı Fuvapyoucıy, am 11. Tage: "EAAyvoraniaus magedoon, 
Igofevw 'Apıdvaiw wat auvagyousiv, am 13. Tage: "ErAyvorapies, Iegı- 
„Act Xorapyei ai Suvapyoucıv, am 28. Tage: “Eiryvoraniars, Zrovdie 


Bemerkungen zu den Urkunden der Schatzmeister der anderen Götter. 593 


BAvel zal guvagyoucıy, am 30. Tage: "EAAnvoranie ’Avaıriw Ionrriw nal 
magedow MoAvaparw Korapyel; in der siebenten am 5. Tage: magedoSm Aro- 
vuoiw KudaSyvarei zul Fuvapyoucıv, am 7. Tage: “ErAyvoraniaıs, Opa- 
owyı Bouradn zal ouvagyoucıy, am selben Tage: "EAryvorauiaıs, baıavSw 
AAwrenyIev zul Guvapy,oucıy, am 16. Tage: “EAAyvoranias, Ioo&evw 
"Adıdvamm Kal Suvapyoucıy, am 24. Tage: “"EAryvoranias, Eürorıdı 'Adıd- 
valy nal auvapyoucıy, am 27. Tage: “Eiryvorauias, KaAdıla Eiwvuner 
#al suvagyoucı; in der achten am 12. Tage: “ErAyvoraniaus, IIpo&evy 
"Adıdvalw nal Fuvapy,ouruv, am 24. Tage: "ErAyvoraniais 8094, Auovuciw 
Kudasyvarsı zai auvapgyovcır, am 36. Tage: "EAAnvoranicıs &do9n, Opacwvı 
Bourady zal ouvapxyoucıy; in der neunten am 12. Tage: "EAAyvoraniaıs 
009m, Hoofevw "Ayıdvalu zal Fuvapy,oucu, am 23. Tage: "EAryvoranius 
28094, Ausvuciw Kudasyvaısi nal Fuvapyoucıv, am 36. Tage: "EArnvore- 
nias Eden, Ogacwvı Bouradn mai suvapyovcıy; in der zehnten am 
11. Tage: "EArvoranius &869n, Hpokevw "Apdıdvamm zal suvapy,oucıv; bei 
den folgenden Posten sind dann die Namen nicht mehr erhalten. Wie nun 
hier die Zahlungen an die verschiedensten Mitglieder des Collegiums geleistet 
und dieses jedesmal verschieden nach der Person des Empfängers bezeichnet 
wird, so wird es auch in dem entgegengesetzten Falle bei der Angabe em- 
pfangener Zahlungen mit der Zahlung leistenden Behörde, insofern sie aus 
mehreren Personen bestand, gehalten worden sein; Aresaechmos von Agryle 
war also nicht nothwendig der Obmann der Schatzbehörde, sondern nur 
einfach Mitglied derselben. Da nun anderweite Gründe nöthigen, als Ob- 
mann der Schatzmeister von Ol. 93, 2 einen KaAi..... "AyguanSev zu setzen, 
zwei Schatzmeister desselben Stammes oder gar Gaues in demselben Jahre aber 
unmöglich sind, so folgt vielmehr umgekehrt, dafs die Urkunde der Bau- 
herrn vom Erechtheion, auf der Aresaechmos von Agryle als Schatzmeister 
erscheint, nicht vom Jahre Öl. 93, 2 sein könne. Wenn sie aber, wie dann 
wahrscheinlich gesetzt werden mufs, in das vorhergehende Jahr gehört, so 
ist es auch gewils, dafs Aresaechmos nicht Obmann der Schatzmeister, son- 
dern nur Mitglied des Collegiums gewesen ist. 

Weiter ist zwar das Verbum finitum in den erhaltenen Resten nicht 
enthalten; es hat aber ohne Zweifel in einer der Lücken gestanden und 
sicherlich vagedocav gelautet. Z. 49-50 wird die Behörde genannt, an welche 
die Übergabe erfolgt war: --- us Xagıadn Kagıcv ’Ay[- - - nal auvagyovow]. 


54 Kırcunorr: 


Dafs dies nicht die Schatzmeister von O1.93, 3 sein können, ist einleuchtend 
und Rangabe hat vollkommen richtig in ihr die Hellenotamien erkannt. Der 
Hellenotamias Xagıadns Xagiov "Ay--- ist aber schwerlich verschieden von 
dem Xagıadys "AygvanSev, welcher laut der Urkunde C. I. G. 160. Z.2 im 
Jahr O1. 92, 4 Bauherr beim Poliastempel war, wefshalb ich 'Ay[gurnSev] zu 
ergänzen kein Bedenken getragen habe. Z. 50-51 dient die Zeitbestimmung 
emı Kardou doyovros, Emı TuS Bevans, 9 6 deiva moWTos Eygunareuev dazu ent- 
weder die vorher genannten Hellenotamien als die Behörde dieses Jahres, 
O1. 93, 3, zu bezeichnen, oder anzugeben, dafs die Übergabe in diesem 
Jahre erfolgt sei, was im Grunde auf dasselbe hinauskommt. Bekanntlich 
reichte das Amtsjahr der Schatzmeister von einem Panathenaeenfest zum 
andern und die Schatzmeister von Ol. 93, 2 befanden sich folglich bis Ende 
Hekatombaeon Ol. 93, 3 noch im Amte, so dafs die Übergabe sehr wohl &ri 
Karrıcu apyovros erfolgen konnte. Dasjenige aber, was übergeben wurde, 
kann nun nicht mehr, wie bisher angenommen wurde, der Z. 52 am Schlufs 
des Ganzen erwähnte Gegenstand sein, von dem die Gewichtsangabe lehrt, 
dafs darunter der im Inventar Z. 28 erwähnte goldene Kranz zu verstehen 
ist; denn welchen Sinn hätte eine Urkunde dieser Fassung: “Nachdem wir 
von unsern Vorgängern folgende 50 Posten übernommen, haben wir, die 
Schatzmeister des und des Jahres, den Hellenotamien zu der und der Zeit 
den einen Posten so und so verabfolgt’? Sondern übergeben wurde den 
Hellenotamien das Z. 24-43 verzeichnete Inventar, mit einziger Ausnahme 
des Z. 52 erwähnten Kranzes, welcher als verbliebener Bestand aufzuführen 
war: dies ist der einzig mögliche Sinn, den die Urkunde in der uns vorlie- 
genden Fassung haben kann und sicher gehabt hat. Stand also Z. 51-52 & 
rev Ilgovelw SEeröuevor], so folgte etwa mAyu orepavov Xguoov u. s. w. oder ein 
gleichwerthiger Ausdruck. 

Demnach sind die ZZ. 24 - 52 unserer Platte nicht die Urkunde der 
Übergabe der Schatzmeister von Ol. 93, 2 an ihre Nachfolger von 93, 3, 
sondern die Urkunde der Auslieferung sämmtlicher Schätze des Pronaon an 
die Hellenotamien des letzteren Jahres, eine Aushändigung, welche natürlich 
auf Volksbeschlufs erfolgte, wie in einer der Lücken von Z. 44 oder 49 die 
Schatzmeister zu ihrer Legitimation ausdrücklich zu bemerken nicht unter- 
lassen haben werden. Es blieb im Pronaon nur ein goldener Kranz von 
331, Drachmen Gewicht zurück, über welchen ferner besondere Urkunden 


Bemerkungen zu den Urkunden der Schatzmeister der anderen Götter. 55 


der herkömmlichen Art auszustellen lächerlich gewesen wäre. Die Schatz- 
meister von Ol. 93, 2 waren sich wohl bewufst, dafs ihre Urkunde der Über- 
gabe auf längere Zeit die letzte ihrer Art sein werde, und geizten aus diesem 
Grunde nicht mit dem Raume, der auf dem unteren Theile der Platte noch 
übrig blieb. Überdem würden dem Gebrauche gemäfs die Urkunden 
der Ol. 93, 3 beginnenden neuen Pentaeteris auf einer besonderen Platte 
verzeichnet worden sein. Dies erklärt zur Genüge den sonst auffälligen grö- 
fseren Zwischenraum zwischen den beiden Theilen der Urkunde nach Z. 43. 

Fragt man aber, welche zwingenden Umstände es waren, die gerade 
in dieser Zeit, zu Anfang von Ol. 93, 3, die Schätze des grofsen Tempels, 
offenbar doch nur zu Zwecken des Krieges, anzugreifen veranlafsten, so ist 
die Antwort darauf leicht gefunden. In den ersten Monaten dieses Jahres 
wurde die Schlacht bei den Arginusen ‚geliefert und die Ausrüstung der Flotte, 
welche in ihr siegte, nahm auch der Überlieferung nach die bereits erschöpf- 
ten Kräfte Athens auf das Äufserste in Anspruch und machte eine Reihe von 
Ausnahmemafsregeln nöthig, welche sich sämmtlich als Ausflüsse der drin- 
gendsten Noth und verzweifelter Anstrengung zu erkennen geben. Dals 
man in einer solchen Lage die Schätze des grofsen Tempels angriff, er- 
scheint also sehr erklärlich. Wenig wahrscheinlich aber scheint mir, dafs 
man sich auf die Werthgegenstände des Pronaon beschränkt haben sollte; 
vielmehr halte ich es für so gut als gewils, dafs um dieselbe Zeit auch der 
gröfste Theil der Schätze des Hekatompedos und des Parthenon in die Münze 
gewandert und in ihnen nicht mehr verblieben ist, als im Pronaon, d.h. so gut 
wie Nichts. Und dies ist der Grund, wefshalb ich vorläufig an der Ansicht 
fest halte, dafs aus den Jahren Ol. 93, 3 und 4 Übergaburkunden für keines 
der drei Gelasse je existirt haben und die uns erhaltene von Ol. 93, 2 die 
letzte ist, welche überhaupt vor der Katastrophe Athens ausgestellt wor- 
den ist. 

Übrigens bilden die besprochenen Fragmente nebst ihren Ergänzun- 
gen nur den unteren Theil einer Platte. Der obere Theil enthielt ohne 
Zweifel noch die Urkunden von Ol. 92, 3 und 4. In der That pafst das 
Stück 'Epnu. @gx,. 16. Rangabe 97, welches den gröfsten Theil der Urkunde 
von Ol. 92, 4 enthält und unten leeren Raum zeigt, unmittelbar an das 
obere Ende unseres Bruchstückes A; und da in der revidirten Abschrift je- 
nes oberen Stückes, welche später ’Eonn. @0%. 2035 gedruckt worden ist, 


56 Kırncunorr: Bemerkungen 2.d.Urkunden d. Schatzm.d.anderen Götter. 


am obern Rande desselben noch die bis dahin übersehenen Reste einer Zeile 
zum Vorschein gekommen sind, welche offenbar dem Schlusse der Urkunde 
von Ol. 92, 3 angehören, so ist nicht zu bezweifeln, dafs dem Gebrauche 
gemäls sämmtliche Urkunden der letzten Pentaeteris, Ol. 92, 3-93, 2, auf 
der Vorderseite einer und derselben Platte vereinigt waren, deren Rückseite 
nie beschrieben worden ist. 


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Festi codicıs qualernionem deecimum sextum 


denuo edidit 


TH. MOMMSEN. 


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[Commentatio lecta in academicorum conventu d. 9. Iun. 1864.] 


wi Pompeii Festi de verborum significatione libri XX. integri extiterunt 
non solum saeculo post Christum nono, quo Paulus, sive diaconus is fuit 
sive alius quispiam, eorum epitomen a se confectam dedicavit Carolo regi, 
sed etiam saeculo undecimo, quo scriptum esse codicem, cuius pars ho- 
die adservatur Neapoli in bibliotheca publica numero ibi signata IV. A. 3, 
Henricus Keilius testis est (mus. Rhen. nov. 6, 619). Nec post magnum illud 
naufragium, quod absumpsit litteras Latinas una cum re publica Romana longe 
plerasque, reliquiae earum maius damnum passi sunt quam quod Festi operis 
naufragio ipsi superstitis tres fere partes paene in ipso portu interierunt; 
nam vel portio ea quam inde habemus et permulta ex recondita antiquitate 
sola nobis servavit et Augustae aetatis antiquitatum Romanarum doctrinam 
unice hodie repraesentat, ut facile inde aestimes, quantam utilitatem integer 
liber studiis nostris allaturus fuisset. Iam nihil relictum est nisi ut inde ser- 
vata anxia diligentia colligamus. Quod cum facile perfieiatur ibi ubi codex 
ille undecimi saeculi adhuc extat, cum praesertim eos qui apographa saeculo 
XV confecerunt neque in marginibus ambustis quaternionum hodie supersti- 
tum neque in locis evanidis plus vidisse appareat quam hodie ibi cernitur, 
diffieilis res est et periculi plena in codicis eius parte ea, quae periit post lit- 
teras renatas. Scilicet infelix fatum, quocum Festi liber luctatus est, ne tum 
quidem ab eo exagitando destitit, cum reliquias codieis illius c. a. 1480 
Manilius Rhallus ex Illyrico detulit Romam. Nam codex integer numerarat 
quaterniones sedecim, ex quibus ante id tempus perierant septem primi 
integri, reliqui novem et folia quaedam perdiderant et ambusto margine 
singulorum foliorum paginas alteras fere totas; ex novem autem illis, quot at- 
tulit Rhallus, iam rursus desiderantur tres, octavus decimus decimus sextus, 


Philos.-histor. Kl. 1864. H 


58 Mommsen: 


in quibus recognoscendis hodie pendemus ex apographis factis saeculo XV 
exeunte. (Juae exempla sane nec plena, utpote destituta fere paginis ambustis, 
nee salis exacta, sed tamen diligenti examine omnino digna, cum tam praeclari 
operis non minimam portionem sola servent, cum viderem iacere immerito 
neglecta et in hac Festi parte viros doctos hodie fere acquiescere in exemplo 
edito Ursiniano, in bibliothecarum thesauris si quid forte fortuna in manus 
mihi venit ad Festi illos quaterniones deperditos pertinens, adnotare non ne- 
glexi. Iam harum adnotationum specimen publice proponere visum est, 
quod alios exeitaret vel diligentiores vel fortunatiores quam sum ego ad eius- 
modi codices investigandos. Nam libri de quibus hie agitur cum sint re- 
centissimi omnes nec per se conspieui et splendidi, plus iusto contemnuntur 
et facile latent; sperandumque est eiusdem generis plures et fortasse meliores 
adhuc superesse quam quos mihi adhue contigit ut reperirem. Dabo autem hoc 
loco primum elenchum eorum quos novi librorum seriptorum editorumque, 
qui ad Festum non epitomatum recensendum aliquam utilitatem habeant; 
deinde quaternionis deeimi sexti reliquias proponam ad ea subsidia castiga- 
tas, nam in eo quaternione cum aliquid profecisse mihi videar, ea quae hoc 
tempore collecta habeo ad quaterniones octavum decimumque, perpauca 


einem 


tantum vere utilia suppeditarunt (!). Cuius diversitatis causam et ori 
F 5 


propediem aperiam. 

Manilium Rhallum, de quo et ipso parum constat (?), Festi librum 
ex Illyrico a. 1485 vel paullo ante attulisse Romam ad Pomponium Laetum 
prineipem eius saeculi eruditorum urbanorum constat ex testimoniis Politiani 
Piique relatis apud Muellerum p. II (°). Allatum eum esse sine compage 
quaternionibusque resolutis effieitur cum ex testimonio Politiani narrantis 
se hune librum habuisse a Manilio praeter aliquot pagellas a Pomponio Laeto 


FESTI LIBER XII. Hoc igitur loco coepit I. XV (non XIV), quod accedit ad similes 
inseriptiones collectas apud Muellerum p. XXXI. 

(2) Aliquam de eo notitiam suppeditat Lil. Greg. Gyraldus in dialogo I de poetis suorum 
temporum (opp. ed. Lugd. 1696 p. 530). Graecis parentibus in Italia natus est et a Leone X 
episcopatu Cretae ornatus fuitque socius academiae Pontanianae. Velim qui in Italia moran- 
tur morabunturve de eo homine certiora aliquando doceant. 

(°) Pium Festi libro usum esse Mediolani, quod scribit Muellerus, ipse Pius minime dicit 
nec probabile est. 


Festi quaternio decimus sextus. 59 


extant condicione: nam cum horum pars omnes illos undecim quaterniones 
sistat aequabiliter desceriptos, infra demonstrabitur librarium eum, a quo 
venit exemplar codicis Vaticani 2731 similiumque, archetypi non habuisse 
nisi quaterniones extremos, Politianum autem, qui descripsit et ipse, caruisse 
quaternionibus octavo nono decimo, contra habuisse utrumque quaternionem 
postremum hodie una cum octavo deeimoque deperditum. Quo posito re- 
fellitur coniectura quoque quam de archetypi fatis Ursinus protulit adhuc 
vulgo admissa. Ursinus scilicet Festi quaterniones tres hodie deperditos 
edidit sub titulo schedarum quae Festi fragmento detractae apud Pompo- 
nium Laetum extitissent, aperte Politiani illam narrationem secutus ita, 
ut codieis Politiani aetate bipertiti partem Manilianam putaret esse sua 
aetate ut etiam nostra superstitem, partem Pomponianam interim perlisse. 
At coniecturae huic per se probabili obstat exemplum illud Politiani ipsius, 
unde hunc apparet exeussisse quaternionem XVI hodie deperditum, non 
vidisse quaternionem IX adhuc extantem; ut nullo modo iam defendi possit 
schedas a Laeto retentas et Politiano monstratas esse quaterniones VIII. X. 
XVl actumque sit de appellatione quae iam invaluit 'schedarum apud Laetum', 
Immo quaternio XVI cum non eodem tempore videatur interiisse quo inter- 
ierunt octavus decimusque, non mirum est quaternionem hune utpote a plu- 
ribus doctioribusque viris descriptum proponi posse aliquanto emendatio- 
rem quam duos modo dietos. Exempla autem recensebo primum integra, 
deinde semiplena. 
I. Liber Vaticanus 1549 (nobis AR) chart. saec. XV, quem in 
parte archetypi deperdita et praeterea in qualernione IX contuli ipse a. 1846. 
In fine legitur epigramma ad lectorem': 
Haec quicunque leges fragmenta novissima Festi, 
concidet in lachrimas lectio cuncta pias: 
quod iam Romano defluxerit orbita giro 
et magna careat parte Latinus ager. 
absumpsit chartas nimiım cariosa vetustas: 
si qua igitur menda est, codieis esse patet. 
Leidensem librum (Voss. Lat. Oct. 9), quem cum ante aliquot annos in- 
spexissem Leidae (v. mus. Rhen. nov. 16, 137), iam Berolinum ad me misit 
solita liberalitate optimus Pluygers, descriptum iudico ex Vaticano hoc; nisi 
quod quae Leidensi corrector intulit mox ostendemus aliunde petita esse. — 


H2 


60 Mommsen: 


Hoc exemplum qui confeeit, omisit paginarum ambustarum glossas omnes 
paucissimis exceptis, etiam in paginis integris hie illie locos evanidos prae- 
teriit, hiatum tamen plerumque indicans nota defieit vel frag. Glossas de 
suo addidit fere nullas nec repertas transposuit. Textus autem non solum 
vitiis scatet, sed etiam interpolationibus, maxime ubi glossae aut initio aut 
fine ineidunt in pagellas ambustas. Paulum in his librarius passim adhibuit, 
sed non ea constantia, qua qui editionem principem curavit. 

II. Editio princeps (nobis E), quae prodiit Mediolani a. 1510 
(v. praefatio repetita apud Muellerum p. XXXV), facta ad exemplar Io. 
Bapt. Pii(!), sed eo absente typis excusa. Ipse Pius in annotationibus 
posterioribus c. 16 conqueritur avocatum se Mediolano Bononiam opus 
susceptum Festi emendandi perficere non potuisse: 'multa nos ad illustran- 
dum hunc scriptorem contulimus, cum Mediolani doceremus. His quae 
nobis venerunt ex codice pervelusto et ob hoc fidelissimo, qui ex Ilyrico 
Pomponio Laeto fuerat oblatus, plura additurus eram, ni me Bononiam 
patriam meam princeps Iohannes Bentivolius praeter spem redire coegisset, 
dum opus hoc esset sub incude’. In editione hac conflatae sunt Pauli epi- 
tome Festique integri reliquiae, in quibusdam litteris etiam traditus glossa- 
rum ordo temere mutatus, denique pagellae imperfectae plerumque praeter- 
missae. Sed ipsa archetypi verba maiore in universum fide repraesentavit 
Pius quam qui exaravit codicem A, ut deperdito vel latente eius apographo 
hac editione non sine fructu utamır. 

III. Fulvius Ursinus in editione a. 1581 (nobis U) in hac Festi 
parte secutus est, ut ait in praefatione, “doctissimi viri chirographum’, quod 
pariter ac Pii hodie aut periit aut latet. Aliis exemplis id non modo emen- 
datius, sed etiam auctius fuisse addit Ursinus recte omnino; ita glossa 
p- 205, 17: pretet tremonti praetemunt pe abest tam ab A quam ab E ne- 
que adhuc inventa est nisi apud solum Ursinum; id ipsum etiam lectiones 
passim confirmant. Diffieile tamen est et anceps de Ursini libro iudieium, 
cum praesertim quomodo is liber exhibuerit partem Festi hodie superstitem 
ignoremus. In summa re licet Ursini editio singulis testibus reliquis superior 


(') Editor Conagus quidam (v. Mueller p. XXXV), qui absentis Pii vices fecit, ad manus 
habuit praeter exemplum Pii alterum quoque, sed inde nihil sumpsisse se ipse testatur praeter 
glossam Zriumoiri (partem scilicet glossae Sazicula p. 340 Muell., quod non vidisse Muellerum 
l. c. n. 3 miror) et emendationes quasdam in gl. satis et topper. 


Festi quaternio decimus sextus. 61 


esse soleat, tamen horum consensum equidem pluris fecerim quam singulare 
Ursini testimonium, estque omnino cavendum, ne huic exemplo utut omnium 
quae habemus optimo nimium tribuamus. Nam non solum quaedam in eo 
desiderantur vere Festi in aliis exemplis servata, sed adest etiam inter- 
polatio petita ex Paulo vel potius ex editionibus Festi anterioribus. Illud 
et notum est (v. Mueller p. VII) et satis illustrabitur glossis quaternionis 
XVI infra editi; huius interpolationis proponam exemplum satis memo- 
rabile glossam municeps p.142. Ea sie legitur in A: Municeps (est add. 
EU), ut ait Aelius Gallus, qui in municipio liber natus est; item qui ex 
alio genere hominum munus functus est; item qui in municipio ex (a E) 
servitute se liberavit a municipe. At Ser. filius (sic ER, seruilius U) aiebat 
initio fuisse, qui ea condieione cives (ro. ins. EU) Fuissent, ut semper rem 
publicam separatim a populo Romano haberent (habebantR; uidelicet inserit 
E), Cumanos Acerranos Atellanos qui aeque FRAG. Haec Paulus loco 
alieno p. 131 sic reddidit: municeps qui in municipio liber natus est; item 
qui ex alio genere hominum munus Funetus est; item qui in municipio a 
servitute se liberavit a municipe. Item municipes erant, qui ex aliis civita- 
tibus Romam venissent, quibus non licebat magistratum capere, sed tantum 
munceris partem, ut fuerunt Cumani Acerrani Altellani, qui et cives Romani 
erant et in legione merebant, sed dignitates non capiebant. Übi media 
petita videntur esse ex altera glossa Festi municipium, cuius compendium 
legitur apud apud Muellerum p. 127. At quocunque modo de origine Pauli- 
norum statuemus, hoc certum est Pium Festi Paulique locos ita conflasse 
ut post Festi verba municeps .... a municipe reciperet Paulina item 
municipes ..... muneris partem, his subiceret Festi ai Ser. filius ...... 
aeque adiuncta ex Paulo clausula cives homani .... capiebant; id quod 
fecit ex instituto suo, ut aliis locis permultis similiter miscuit Festina et 
Paulina. At Ursinus dum simpliciter retinet editionum anteriorum lectionem, 
hoc loco eum chirographum illud expressisse quis credet? confirmantque 
alii loci non pauei Ursinum non ubivis accurate reddidisse lectionem scrip- 
tam, sed passim eam emendasse tacite ad editiones anteriores Pii et Aldi 
et Augustini. 

IV. Liber Vaticanus n. 2731 (nobis S) foll.63 non numeratorum 
chart. saec. XV. Contulit mea causa Kekul&. Transpositos habet duos locos 
g. XIII p. 17-25 (a p.281a 3 repotia ad p.2895 1 non utique ed. Muellerianae) 


62 MoMmmsen 


interpositis inter q. XII, 29 (gl. quot servi p.261) et 31 (gl. rubidus p. 262); 
item q. XV p. 16-25 (ap. 3405 33 serilla ad p. 3515 4 patriae suae pulsi) 
interpositis q. XIV, 1 p.297 inter gl. stipem et sobrinus. Defieiunt hodie in 
principio voluminis q. VIII et maior pars q. IX (nam ineipit p.177a 30 qui 
‚ferro) deestque item quaternio X totus ita, ut Jibrarius prineipium undecimi 
extremo nono continuarit; integer autem liber quid continuerit, non liquet 
nec tulo statuemus quaternionem deeimum ab initio inde afuisse, nam qui 
hune librum scripsit cum alia quoque transposuerit, etiam decimum quater- 
nionem in principio deperdito potest collocavisse loco non suo. — Cum hoc 
libro proxime coniunctae sunt emendationes et additiones libro Leidensi supra 
memorato postea illatae (nobis Y), quamquam desumptae sunt non ex ipso 
Vaticano, sed ex libro simili et subinde pleniore (!): nam non solum per- 
veniunt ad partem eam quoque quae in Vaticano desideratur, sed etiam in 
parte, quam habet Vaticanus, corrector Leidensis quaedam adnotat in Vati- 
cano non reperta: ila indicatio infra relata post gl. tigillum sororium deesse 
chartas sex magnas adhuc reperta est in solo libro Leidensi. Extitit itaque 
olim exemplum Festi quaterniones quotquot supersunt complexum, unde 
pendent tam liber Vaticanus (S) quam libri Leidensis emendationes (Y). 
At huiusce ipsius exempli origo et condicio sane obscurae sunt et dubitationi 
obnoxiae, quae ut aliquatenus illustrentur, subicere placuit variam lectionem 
trium librorum RS Y ad litterae T partem adhue superstitem p. 351. 352. 
355. 356 Muell. 


Ex p.3515 RS nihil afferunt, Y f. 71 haec: Talassionem in nuptiis Varro ait signum 
lanificii. ra@regov. id est quassillum ...... at........ historiarum scriptor ait 
Talassium militarem virum rapta virgine unicae pudicitiae...... quod ei id cognomen 
(coniugium marg.) fuerit felix, item ominis gratia nunc redintegrari. deest, itern 
£. 71’ Raec: Tarentum in campo Martio locus ........dicendum fuisse quod te..... 
secularis ditis patris appellatur ab equis quadriga..... utilitas aequiperet. — Tauri 
ludi instituti dis inferis et fiunt intra muros quos Varro ait vocari Grece de pestilentia. 

Ex p.352a S nihil affert, R haec, quae emendavit Y': Tuditantes tundentes, hoc est negocium 
agentes significare ait Cincius. unde Ennius libro II°: nec (hec Y) inter se totum 
tuditantes et Lucretius item li II°: nec tuditantia rem cessant (extrinsecus ullam 
add. Y). Tudites malleos appellant antiqui a tundendo (.... us alii cruribus tudites 
add. Y). inde Atteius Capito ...... existimat M. Tuditano cognomen inditum, 
quod caput malleoli simile habuerit. 


(') Cum glossam perpetrat p.217a 29 a seriba primario Leidensis male habitam secundus 
° 5 Q ® e, F > > os o 
librarius ita emendet, ut praescribat: “in anztiquo est’, suspicere hunc vidisse ipsum archetypum; 
at secus esse constat ex iis quae mox dicentur. 


Festi quaternio decimus sextus. 


p- 352a 33 tullos ali (alii) dixerunt 2S* 
ali riuos om. R, suppl. Y 
p- 352 5 1 uehementis proiectione 8 
3 tulii] tulli SY, tullus 2 
4 afflantes A 
5 temere] ac mature YS 
8 uolcani] uolcani topper FS 
eodem] eodem carmine neui S 
9 humanus YS 
mare saeuum] mares eum PS 
uiret] uires RS* 
10 confringent] Y'S, confringere R 
12 sese] esse R 
studeat] Y'S, audeat R 
15. 16 te eicit] te eiecit S* 
17 in enni] et enni S 
22 aedis] aedem R 
23 duona] dona R 
24 inserinuntur] sic we/ inseruiuntur SY, inseruntur R 
27. 28 ut est apud Pacuvium] pacuuius S 
Antiopa] arthiopa A 
uapore] uaporet A 
30 imbribus] Y'S, ignibus A 
p. 355 a 1 torridum] torridum et S 
4 oportet om. S 
nec sem.] ne sem. S 
5 ennio arrio annio] enio ario anio A, enio ario anio ennio arrio annio YS 
6 adictam (sic cod.)]| S, dietam R 
7 terinam S 
8 titientium ramnum S 
10 in singulis ex eo R 
11 torro] torreo S 
15 turannos] turrenos RS* 
16 lidorum duce R 
17 et. pr. crud. R 
turannos YS 
18 tyria] tria S 
22 serriium $ 
maria tria S 
torintas S 
24 toruus] torinis 8 
26 confidentia S 
27 nunc] nos R 
29 Aaminicarum] flaminice S, haminice A* 


63 


64 


Mommsen: 


31 crinibus] cornibus A 
33 inter ali et fig. Zacuna R 


p- 3595 (') 1. 2 fictores argeos et tutullatos uideo A; fietores et tutulatos uideo SF’ 
2-4 Tueor defendo et tuor. sed iam promiscue utimur tuor et intuor pro uideo 


et contuor S, om. R 


4-6 Tuguria a tecto appellantur et sunt fumo sordida R.S* 
41-16 Tuscum vicum aiunt dietum (d. a. $S) a Tuscis loco iis (his S) dato sub 


Celio a fratribus Cele et Vibenno qui ad Tarquinium venerunt RS* 


18-22 Toxicum dicitur cerva. eo solent quidam perungere sagittas. 


Caelius in 


Gamo (bamo A) ut hominem toxico transegerit. Affranius uxorium istud 


toxicum RS* 


22-34 Tuscos quidam dictos aiunt a Tusco Hereulis filio. ali quod unici studii sint 


sacrificandi ex Greco velut Susrzw Svw ab eadem causa sacrificiorum ..... 


facilem habeat id est ÖyrzoAov. Tumulus Gallus Elius sie definit: tumulus 


est superne editus secundum mare fluctibusue ..... 


uatus unde ei quae 


sequuntur apud Muellerum (nisi quod pro tumultuarii es tumultuosi) usque 


ad quia is ornatur umquam ab Italicis et Gallieis. deest. S, om. R 


p. 356 a 23 sg. Templa antiqua tesca esse ait cuero aspera difficilia aditu. Ennius: ardua 


P- 356 b 


aspera saxa tuos. Tonsillam esse ait Verrius palum dolatum et cuspide 


preferratum ue existimat dietam cum figi in litore re.... causa. Pacuvius 


in Medio: accesseram et tonsillam pagi laeto in litore S, om. R 


34 Tonsam Ennius signifi Rabent RS 
2 poste] post RS* 

4 reserunt R 

5 nasota alius] naso talius S 

13 caede] cederet R 

15 tonsiles S 

17 ser. tullium] seruium tullum , tullum A 
20 quoad] quod ad R 

ius sit] uis sit Y 

21 fit] sit S 

22 autem] aut AR 
23 alterum] alterum in S 
27 celaudantur S 

28 quicequam S 
29 tagam] tagat S 


Haec qui examinarit duo intelleget diversa, ne dicam contraria: A et SY 


pendere quidem ex eodem archetypi codicis exemplo passim interpolato 


(nam consensus e. c. in glossis Zuguria, Tuscum vieum, Toxicum explicari 


aliter non potest), sed eosdem libros ita comparatos esse, ut sese invicem 


(') Ex paginis duabus mancis p. 3555. 356@ quae hic praetereuntur, ea omittunt RS. 


Festi quaternio decimus sextus. 65 


emendent paueisque tantum loecis (iis scilicet quos asterisco designavimus) 
contra archetypum in falsa lectione consentiant, praeterea vero ut SY non 
pauca suppleant ab R omissa. Quarum positionum cum neutra negari possit, 
aut descendant necesse est tam A quam archetypus librorum $SY ex codieis 
primarii exemplo deperdito utroque illorum emendatiore et pleniore, aut, quod 
magis crediderim, vir doctus is a quo profieiseitur recensio codicum SY, nac- 
tus et exemplum antiquius libri nostri Zi simile et ipsum archetypum codicem 
talem fere, qualem habuit Politianus, illud ad hune emendavit et auxit ita, ut 
locos a primo descriptore iam satis recensitos et expletos raro ättingeret. 
Hoc ut magis statuam, movet me variae lectionis in q. VII et X condieio 
a reliqua diversa: nam emendator Leidensis quamquam illos quoque non 
minore diligentia quam reliquos castigavit, tamen perpauca in his invenit 
corrigenda et supplenda, quae alicuius sint momenti, integras autem glossas 
in A codice praeteritas non adieecit nisi inde a prineipio litterae S('), ut in 
quaterniouibus VIII et X videatur usus esse apographi ex quo venit A ex- 
emplo paullo meliore, in quaternionibus autem extremis, maxime in XVI 
ipso archetypo. Illud verum esse interim mihi eredi volo; in q. XVI quo- 
modo differant A et SY, infra propositum est. 

V. Angelum Politianum ipsum archetypum codicem vidisse et 
descripsisse supra diximus. Ab eo sumptum exemplum postea ad Victorium 
pervenit, qui id casu invenit in taberna quadam libraria sibique emit; ho- 
dieque Monachi inter libros Victorianos (V. B. 86) extat non ipsum quidem 
Politiani exemplum, sed quae inde enotavit Victorius ad marginem Festi 
ab Aldo excusi a. 1513. Librum hune (nobis P) a Muellero iam comme- 
moratum (v. praef. p. III) roganti mihi misit solita comitate vetus et verus 
amicus Carolus Halmius. Quae emendationes ineipiunt p. 217 ed. Muell. 
inde ab ipso q. XI prineipio (prima earum est p. 217@ 1 audent pro audeat 
Aldinae) perveniuntque ad finem q. XVI. Sunt autem optimae vereque Po- 
litiano dignae, quamquam et Vietorius queritur Politianum seripsisse litteris 
minutis et per notas magis quam more solito, ut quibusdam locis Victorium 
magis quam Politianum errasse non immerito conicias, et ipse Victorius ca- 


(') Certe in libro Leidensi emendator glossas integras addere coepit demum inde a p.290 
Muell. primaque earum est haec: S niuio significat in carmine ....... . augurali sonanti 
“un... Nec aliter puto esse in libro Vat. 2731. 


Philos.- histor. Kl. 1864. I 


66 Monmmsen: 


lamo usus est non satis bene temperato, denique quod magis dolendum est, 
aperte Vietorius potiora tantum enotavit, ut ex silentio eius de eo quod 
legit Politianus nullo modo coniectura capi debeat. 

Hi sunt libri scripti et editi, qui ad Festi partem hodie deperditam 
emendandam aliquam utilitatem videntur habere. Editiones autem Aldi Ma- 
nutii (Venetiis 1513) et Antoni Augustini (Venetiis 1559) adhibui quidem et 
hane interdum eitavi nota usus A, sed in ipsa recensione utraque abstinen- 
dum esse duxi nee laudo consilium Muelleri, qui editione principe neglecta 
praeter Ursinianam consuluit solam Augustinianam vel, ut eam appellare 
solet, vulgatam. Nam scriptis quidem libris tam Aldus quam Augustinus usi 
sunt, sed Augustinus codice Achillis Maffei, qui Festum Paulumque exhi- 
beret in unum corpus conflatos, ductus omnino ex libro A nostri simili et 
iure spernendus. De Aldi libro accuratius non constat, sed nequaquam in- 
signem eum fuisse ipsa editio comprobat praeterea more sueto sescentis loeis 
non ex libro scripto, sed ex coniectura temere aut correcta aut corrupta. 
Unum adnotabo glossas duas has (p. 372 Muell.): 


Vehere portare vel trahere. 
Vereinen le Ra: Ikteherenterhetlaskidkes 
eredis (ser. veredos) antiqui dixerunt, quod veherent rhedas, id est ducerent. 


in nullo ex libris meis repertas primum legi in Aldina a. 1513 et quidem sub 
finem litterae V insertas inter glossas vernisera et veruta, quae sunt extremae 
duae editionis Pii in parte eius Paulina. Earum alteram monuit me Hauptius 
totidem verbis redire apud Isidorum 12, 1, 55, apud quem 20, 14, 13 inter 
alia legitur etiam: vehere, id est exportare: Festi neutram esse patet. 


Sequitur Festi quaternio XVI recognitus ad exempla seripta R (Vat. 
1549), S (Vat. 2731), Y (Leidensis Voss. Oct. 9 manum secundam), P 
(Politiani, Monac. Viet. 86), editiones autem E (Pii, Mediolani 1510) et 
U (Ursini, Romae 1581). Pauli partem eam, quae incidit in ea quae edi- 
mus, cum sine eo de lectione passim ad epitomen interpolata iudieium ferri 
nequeat, et ipsam recepimus ita, ut lineis utrimque adiectis Paulina a 
Festinis separentur. Unicuique glossae suam auctoritatem adscripsimus, 
ita ut Ü notatae sint eae quae communi omnium librorum testimonio stabi- 
liuntur; nam hoc vel maxime interest, ut distinguamus capita ex paginis 
“integris ab omnibus descriptoribus aequabiliter excepta et in universum satis 
tuta et certa, ab iis, quae descriptores effecerunt ex locis hiantibus. Qua- 


Festi quaternio decimus sextus. 67 


propter etiam periculum feci paginarum codieis deperditi reperiendarum 
secernendarumque glossarum earum, quae incidunt in pagellas ambustas: 
quamquam ea res diflieillima est in quaternione hoc, in quo et ex pagellis 
ambustis solito plures glossae descriptae sunt, maxime eae, in quibus Paulus 
aliquam opem ferret, et paginae ab igne non affectae praesertim extremae 
diversa labe hie illie videntur hiasse. Cavendum autem est in paginis semi- 
ustis non tam ab erroribus librariorum quam a temeraria interpolatione; 
nam praeter Politianum, qui ubi talia recepit lacunas satis religiose videtur 
expressisse, reliqui omnes hosce locos proponunt incredibiliter turbatos et 
cum ex Paulo tum ex ingenio ita plerumque corruptos, ut ex unico eiusmodi 
exemplo raro quidquam efficias, plura ubi extant diversa ratione interpolata, 
iis inter se collatis interdum veri partem deprehendas. Quid in his ausus sit 
maxime librarius is ad quem redit codex AR, unico exemplo docebo addendo 
supra (p. 62 sq.) prolatis. Glossa tam apud eum quam apud correctorem 
Leidensis legitur haee: schedium (stedum R) genus navigü trabibus inter se 
nexis, unde Manlius quoque qui ‚Ffecit poemata ab ea similitudine schedia 
vocat, ubi poetam Manlium utrum generarit vocabulum quod est mala apud 
Paulum h. v. p.335 an Mani.... apud Festum p.334 a 17, libera optio est. 
Paulo propius a forma genuina absunt, quae veniunt ex solis codicibus SY, 
quamquam haec quoque temeraria interpolatio passim eorrupit, ut exempli 
causa eius generis glossa: suffes dieitur lingua Penorum magistratus ut os 
COT ....... Calidius in oratione contra Cornelium: nonne vobis ea reddit, 
quae habentur apud Paulum Festumque p. 308. 309, pessima sane inter- 
polatione. Omnino quanta levitate saeculi illius viri docti reliquias has 
tractarint, Juculentissime et festive simul opinor ob oculos ponit locus quem 
subieci desumptus ex correctore Leidensis libri f. 55, ubi tamen rursus de- 
letus est, reperiendus sine dubio etiam in libro Vaticano altero: 
Sorex Hecaten prouerbium. Verrius ait heliuos sub tutela He- 
cates esse. Simnius Capito sic interpraetatur nisi qui in manus 
hostium incidit illorum ducem implorat. est aeliuus animal leoni 
cum procreatur persimile: olim siluestre: maxime muribus adver- 
satur: sagax: oculi (quorum acies flammea) ad imitationem 
lunae crescunt et decrescunt. Licinius Umbres in Nerea: murum 
strages aliuorum oculi ut minuti lunam ariolantur. 


12 


68 Mommsen: 


Haec cum ineidant in partem Festi superstitem collocata post glossas suece- 
danea et suggillatum p. 302, sane non sunt eius; sed cuius sint, aliquamdiu 
quaesivi, donec rem patelaceret comparatio loci Gelliani 20, 8, 6: aelurorum 
oculi ad vices lunae aut ampliores fiunt aut minores et maxime consensus 
lectionis falsae, quam ibi habent libri omnes, eliuorum cum loco supra pro- 
lato, similisque consensus in titulo comoediae Licinii Imbrieis, quae Nerea 
pro Neaera dieitur eo loco, quo solo eitatur, eiusdem Gellii 13, 22, 16 
certe in libris Lugdunensi et Guelferbytano. Scilicet Italus quidam vir litte- 
ratus felino opinor cultui deditus doctis hisce lusibus eum illustravit et felis 
causa vel ne indocte loqui videamur, propter aelurum exeitavit ex Gellio 
Festoque sibi notos testes antiquitatis simulatae. 


„.xvı,ı Tablinum proxime atrium locus dieitur, quod | Tablinum locus proxi- 


int. 


antiqui magistratus in suo imperio tabulis |] mus atrio a tabulis ap- 
rationum ibi habebant publicarum rationum pellatus. — Epit. | 
causa factum locum !).— RSE, partem inde 
ab signo ||, quae incidit in g. XV I, om. U. 
tabulis cod., sed ut ulis sit a m. 2 teste Muellero, tacente Keilio. | rationum ... locum 
om. U | ibi SE, id AR | habeant S | “fragmen’. add. R, alii dicunt tablinum a tabulis e 
Paulo add. E 


Tabem eam quae faceret tabescere apud antiquos usurpatam Sallustius quo- 
que frequenter, ut in Catilina, cum ait: 'uti tabes plerosque ceivium ani- 
mos invaserat’ et in li. IV historiarum: “qui quidem nos ut tabes in urbem 
cojectus’ et Corvinius pro Liburnia: “propter hanc tabem atque perniciem 
domus totius’. — C. 

usurpatam AS, usurpatum EU; fortasse usurpat eam | in li. U, in libro E, in liuio $, 
li. Y, liuius R IV] quinto E, em Ald. | nos RSE, mos U cum Ald. et A ex recta 


ern. | coniectus ASE et marg. Urs., coiecit P, coierit U | coruinius] PEU, coruimus $, 
coruinus A Aid. | labem R 


Tabellis pro chartis utebantur antiqui, quibus ultro eitro, sive privatim sive 
publice opus erat, certiores absentes faciebant. unde adhuc tabellarii di- 
cuntur et tabellae missae ab imperatoribus. — C. 


citro] PSEO, citroue R Ald. | et tab. missae ab] a tabellis missis Z, et tabellae missae 
Ald. (ab add. P) 


Festi quaternio decimus sextus. 69 
Tagax furunculus a tangendo, cuius Ta gax furunculus a tangendo die- 
vocabuli Lucilius meminit: “et mu- tus. Lucilius: "Et mutonis manum 
tonis manum perscribere posse ta- | perscribere posse tagacem. — Epit. 
gem’. — C. 
tages S | tagendo SY, tangendo dictus E (dietus delet P) | muthonis P | tagem PRSD, 
tagetem Y (ubi in marg.: mutto dieitur et tages tagetis), tagacem E ex Paulo. 


Tages nomine, geni filius, nepos Iovis, puer dieitur discipulinam harispieii 
dedisse duodecim populis Etruriae. — C. 
geni RS, genii EU | discipulinam O, disciplinam RSE | harispicii P, aruspicii RSEU | 
ded. arusp. O. 


Taminia uva silvestris generis videtur {| Taminia uva silvestris, dieta 


Verrio dieta, quod tam mira sit quam quod tam mira sit quam mi- 
minium. — C. nium. — Epit. 


uua] SYE, uia A, uuae U | generis RE, genus SU | uarro diectam A | quod]quae E 


minium] nimium SR 


Talus Sabinorum nominibus praenominis loco 


Talus praenomen | 
videtur fuisse. — C. | | 


Sabinorum. — Epit. 


tallus E, em. P | ante sab. add. in EU | praenominis] patroni R 


Talentorum non unum genus. Atticum est sex milium denarium: Rhodium 
et cistophorum quattuor milium et quingentorum denarium: Alexandri- 
num XII denarium: Neapolitanum sex denarium: Syracusanum trium 
denarium: Reginum victoriati. — C. 

non unum EU, nominis RS | milium denariorum R | et ante quing. om. E, add. P | 
quingentorum] CCCCrum AR | denariorum $S | XII mil. A | sex mil. A | trium mil. A 


Tanne eo usque, ut Aelius Stilo et Opilius | Tanne eo usque. Afranius: | 
Aurelius interpretantur. itaque Afranius: “Tanne arcula tua plena | 
“tanne arcula tua plena est aranearum’.— C. | est aranearum.” — Epit. 


tanne RS cum Paulo, tamne EU | opilius RSE, oppillius ?, opillus U | interpretatur 
E | tanne RS, tamne EU | in f. et tannem pro tantundem per apocopen add. Y 


Thaleae nomen dictum ... ab aetatis flore aiunt. alii quod carmina sem- 
per floreant. — C. 


thaleae PU, thalee ES, taleae R | dictum alii ab RSE, sed delet alii P, dictum est alii 
ab U | aiunt om. E, add. P 


g.XVI, 2.3 


dim. 


70 Mommsen: 


Talipedare antiqui dicebant pro vaccillare 'Talipedare est vacil- 


pedibus lassitudine, qua qui trahit pedes | lare pedibus et quasi 
ut talis videatur insistere aut identidem tol- | talis insistere. — KEpit. 


lere pedes. — C. 


caccillare S, uacillare rel. | quasi qui trahit EU, qua pro quasi ern. P, quasi trahit S, 
quası trahens A; Zegendum esse qua quis trahit pedes vidiz Hauptius. 


Tammodo antiqui ponebant ... modo antiqui pone- || Tammodo an- 


pro modo |] ut Accius: "tam- bant pro modo. Accius tiqui dicebant 
modo inquit Praenestinus.’ in...ctor lius dardanius pro modo. — | 
— RSAetusque ad||E. ....in tenebris. — P. Epit. 

actius RS P in editis delevit tam, de- 


inde adiecit accius sg.; pro 
lius dardanius primum serip- 
tum fuit tindaridarum. 


Taliam alii follieulum cepae. — RSA. | Talia folliculum cepae. — Epit. 


gl. Taliam et Talam iransponit R 
Talam Cornificius posuit unde et Talassus. — RSA. 


Taurium aes appellant, quod in ludos taurios consumitur. — RSA. 


tauricos A 
| Tarmes genus vermiculi carnem exedens. — Epit. | 


Tauregov soliti sunt appellare Graeci | Taenpoton appellarunt Graeei | 


genus scribendi deorsum versus, genus scribendi deorsum versus, 
ut nunc dextrorsum scribimus. — | ut nunc dextrorsus seribimus. — 
RSA. Epit. 


tamperon S | dextrorsus SY 
Tame in carmine positum est pro tam. — RSA. 


Tartarino horrendo et | 


| terribili. — Epit. | 


Tartarino cum dixit Ennius, horıendo et 


terribili Verrius vult accipi, a Tartaro, qui 
locus est apud inferos. — ASA. 
est om. SA 


Tutum frequenter dicitur maxime. Varro in Europa: “tutum sub sede 
fuissent. — RSA. 


Festi quaternio decimus sextus. 74 


Tam significationem habet cum ponimus pro- |} Tam significationem ha- 


positivam quandam, cui subiungimus quam, bet propositivam, cui 


tam bonus Choerilus, |14.XV1, 4.5 


int. 


vo || pretio venisse, id est sie, ita, ut ||| apud 
Graecos quoque oUrws dya9ov. item ex con- quam malus Homerus. 


trario ei dieimus: quam malus Homerus, tam 


ut cum dicimus tam egregium opus tam par- | subiungimus quam, ut: 
; 3 
Tam etiam pro tamen 


bonus Cherylus poeta est. at antiqui tam usi sunt. — Epit. 
etiam pro tamen usi sunt, ut Naevius: “quid 

si taceat dum videat, tam sciat quid scrip- 

tum sit’. Ennius: 'ille meae tam potis pacis 

potiri’. Titinnius: “bene cum facimus tam 

male subimus, ut quidam perhibent viri’. 

item: “quamquam estis nihili, tam escator 

simul vobis consului’. — C, sed E ineipit 

demum ab signo |||, P supplet quae praece- 

dunt inde ab signo || 


praepositiuam U | ut] aut R | dicamus RS | id est sic ut U, idem sic ita ut A(?), idem 
sie ita 8, et sie ita et P | @yarov E, ayeron R | malus et bonus transp. RS | cherulus E, 
cherilus A, choerilus SY | nonius E, em. P | quid] quod R, qui mg. Urg. | tam PRS, 
tamen E, tam etiam U cum Ald., sed etiam del, P | quod R | titinius SEU | subimus] 
sabinus A | nihil E, em. P | estator S | nobis RS | partem glossae Paulinae subiungit E, 
quam delet P 


Tandem cum significat aliquando, j Tandem cum significet aliquan- | 


interdum tamen ex supervacuo po- || do, interdum tamen pro super- | 
nitur, ut apıd Terentium in Phor- vacuo ponitur, ut ait Terentius: | 
mione, cum ait: 'itane tandem !; ‘Itane tandem uxoreın duxit?’ | 
uxorem duxit Antipho iniussu meo?’ Cicero etiam duplicat tempora- | 
non enim hie tempus ullum signi- | | 


lem significationem, cum ait: 
ficat. atCicero etiam duplicattem- ! tandem aliquando.’ — Epit. | 
poralem significationem, cum ait 

“tandem aliquando’. — C. 


quom U | significat PU, significet ER(?)S | aliquando] aliter ? | cum] quom U | 
duxisti R | iniussa E 


Tauri verbenaeque in commentario sacrorum significat ficta farina- 
cea. — C. 


12 Mommsen: 


Tama dieitur, cum labore viae san- ||Tama dieitur, cum labore viae 
guis in erura descendit et tumorem sanguis in crura descendit et tu- 
facit. Lueilius: inguen ne existat, morem facit. Lucilius: Inguen 
papulae, tama ne boa noxit’. — ne existat, papulae, tama ne boa 


RSU et imperfecte P; om. hoc lo- || noxit'. — Epit. | 
co E, habet postea inter Paulina. 
Tanna dieitur cum boa noxit rel. om. P | in curia $ | Lucretius mg. Urs. 
Taenias Graecam vocem sic interpretatur Verrius, ut dicat ornamentum 
esse laneum capitis honorati, ut sit apud Caecilium in Androgyno: 'se- 
pulchrum plenum taeniarum, ita ut solet’, et alias: “dum taeniam qui vol- 
nus vineiret petit’. Ennius in Alexandro: 'volans de caelo cum corona 
et taeniis’. Accius in Neoptolemo: "decorare est satius quam urbem e 
taeniüis’ ?). — C. 
honerati RS | Caecilium] lucilium RS | uolnus] uolinis E | petit om. U | e taeniis PRS 
mg. Urs., exeneis U, taenıis E 


Taedulum antiqui interdum pro fa- 


Taedulum fastidiosum, sive quod | 
stidioso, interdum quod omnibus omnihus est taedio. — Epit. | 
taedio esset, ponere soliti sunt.—C. 


taedio] odio E, em. P | int. pro omnibus qui tedio essent pon. sol. sunt vel quod 
omnibus tedio esset R 


Tatium oceisum ait Lavini ab amicis eorum legatorum, quos interfecerant 
titini latrones, sed sepultum in Aventiniensi laureto. quod ad significa- 
tionem verborum non magis pertinet quam plurima alia et praeterita iam 
et deinceps quae referentur. — C. 

laniuii U, lauinii ng. Urs., lanuuius E | titini PRS, tinini U, tatiani E mg. Urs. | auen- 
tinensi RE, em. PY | quam om. E | et om. R | iam et om. R | referantur S 

Taurorum specie simulacra fluminum, id est cum cornibus, formantur, 
quod sunt atrocia ut tauri. — C. 

Talionis mentionem fieri in XII ait Verrius hoc modo: ‘si membrum rapit, 
ni cum eo pacit, talio esto’. neque id quid significet, indicat, puto quia 
notum est. permittit enim lex parem vindictam. — C. 

in XII tabulis S | rapit EU (vide notam Ursini), rapserit RS | ni PSYV, uisum E, 
in R | esto] est A | quid] quod R, ad E | significat u 

Tarquitias scalas, quas Tarquinius Superbus fecerit, abominandi eius no- 

minis gratia ita appellatas esse ait volgo existimari. — C. 


tarquinias E, em. P | quas] quas rex EU, delet rex P 


Festi quaternio decimus sextus. 73 


Tarpeiae esse effigiem ita appellari putant quidam in aede Iovis Metellinae, 
eius videlicet in memoriam virginis, quae pacta a Sabinis hostibus ea quae 
in sinistris manibus haberent ut sibi darent, intro miserit eos cum rege 
Tatio, qui postea in pace facienda caverit aRomulo, ut ea Sabinis sem- 
per pateret. — C. 

esse] etiam Ald. et mg. Urs., em. P | metellinae E, meteline ‚S, mettelline R, mettellina 
U cum Ald. | ea ante quae om. R 

Tam peritquam extrema faba in proverbio est, quod ea plerumque aut 

proteritur aut decerpitur a praetereuntibus. — C. 
protereritur E 

Tappulam legem convivalem fieto nomine [| Tapulla dieta est lex 

quaedam de conviviis. 


— Epit. 


conscripsit iocoso carmine Valerius Valenti- 


| 
I 
| 
| 
| 
nus, cuius meminit Lucilius hoc modo: "tap- | 
pulam rident legem concere opimi’. — C. 


tappulam PD, tapullam RSE | communialem S, conuigalem E | meminit] m. U | tappu- 
lam PO, tapullam ASE | concere U, contere E, conterere S, committere R | opimi] optini P 


Termonem Ennius Graeca consuetudine dixit | Termonem Ennius ter- 
quem nos nunc terminum hoc modo: ingenti ' minum dixit. — Epit. 
vadit cursu, qua redditus termo est’ et: "hor- 
tatore bono prius quam finibus termo'. — €. 


nunc] modo E, esse P | et] et iddem A | bone R | quam] quam iam RS, qui iam E | 


termo] termo est E, est dei. P 

Trientem tertium pondo coronam auream dedisse se Iovi donum scripsit 
T. Quintius dietator, cum per novem dies totidem urbes et decimam 
Praeneste cepisset. id significare ait Cincius in mystagogicon 1. II duas 
libras pondo et trientem: qua consuetudine hodieque utimur, cum lignum 
bes alterum dieimus, id est pedem et bessem latitudinis habens, et sester- 
tium, id est duos asses et semissem tertium. item si tres asses sunt et 
quartus quadrans, .......... 0. 


se om. RSE, add. P | dietator RS, dietus E, diet... U | quom U et sic mox | per] 
pro E | in om. E | uvorarorızov R, nusreroyızov S | hodie quoque RS | id est pedem] idem 
pedem RSE lid est duos] uel duos P, idem d. S | et quartus quadrans RSE, et quadrans quartus U 
Tersum diem pro sereno dietum ab antiquis |] | Tersum diem sere- || ..xv16.7 
nec se hallibere rei auctorem ait. — RSAU, | num. — Epit. dim, 
item usque ad || E, usque ad ||| P. 


ait rei auct. S 


Philos. - histor. Kl. 1864. K 


74 Mommsen: 


Teres inlongitudine rotundatum, quales asseres || Teres rotundus in lon- 
natura ministrat. — ASAU et imperfecte E. 


Teres gl. post gl. teminare U | in longitudine S, in longitudinem R, est in longitudine 
U | teres est in longum rotundum rel. om. E 


gitudine. — Epit. 


Terpsicore nomen Musae, quae deos hominesque delectat?). — SY. 
Tertium quartum differre ait a tertio quarto quintus quod quid factum 
sit significat. — RSA. 
deferri $ | quintius S 
Termentum pro eo quod nune dieitur de- || Termentum apud Plau- 
trimentum, utitur Plautus in Bacchidibus. | 


| 
— RSA. 


utitur SA, ut R 


tum detrimentum. — Epit. | 


Teretinatibus a flumine 


N PU: 


Teretinatibus qui a flumine Terede diceti existi- 
mantur et syllaba eius tertia mutata et pro 
Terede Teram scribi debuisse. — RSA. 


terentinatibus $ | terende S 


MT ripmdiumr.. 2ere/oen Tripudium in auspieiis in Tripudium.......... 


spieiis in exultatione 
trepudiat.....ater- 
ra pavienda sunt dicta. 
unde pau... et sinunt 
que quo et pavimenta 
id exGraeco quod ulli 
TATEIN quod nos fe- 
TIrepes a aineitastris 
USUT > ne 


et sinunt que quo dubiae 
lectionis est | pro tastris ser. 


exultatione tripudia ut 
terripudia a terra pa- 
vienda sunt dicta. nam 
pavire percutere et fe- 
rire, a quo et pavi- 
menta. id ex Greco 
quia illi Taysı quod 
nos ferire. — SY. 


tripudia] trepudia S | a 


quo et] a quo S 


ciis. in exultatione tri- 
pudiat .... a terra 
pavienda. nam pavire 
est ferire, a quo et 
pavimenta. id ex Grae- 
co quod illi Talsıv, 
quod nos ferire.... 
mum intactus usur... 


— U. 


castris. 
Templi figura in diffinitione augurii. — SY. 
disfinitione S 


Tempestatem pro tempore fre- I Tempestatem pro tempore fre- | 


quenter antiqui dicebant. — AS. quenter dixerunt antiqui.— Epit. | 


Tempesta tempestiva. — Epit. | 


Tinia vasa vinaria. — Epit. | 


Festi quaternio decimus sextus. 75 


Tensam ait vocari Asinius Capito jTensa vehiculum argenteum, quo | 
vehiculum, quo exuviae deorum | exuviae deorum ludis Circensi- 
ludieris eircensibus in circum ad || bus in eircum ad pulvinar vehe- 

pulvinar vehuntur. fuit et ex ebore, bantur. — Epit. | 

ut apud Titinnium in Barbato, et 

ex argento. — R.S$A. 


asinius et AR, sinnius 4 | quo A, no A, nunc SY | titinium SA | et ex] etiam ex S 


Teminare vio- Taciare violare Temerare violare || Temerare vio- 
Maren A et contaminare sacra et conta- lare sacra et, 
et contaminare dietum vidula- minare, dietum contaminare,, | 
dietum videli- ria.... niqui-  videlicet a te- dietum videli- 
cal......ilin-. tate. — P. meritate.— RS. cet a temeri- | 
tate. — U. tate. — Epit. 
Temetum vinum. Plautus in aulularia: “Cererin, Stro- | Temetum vi- 
bile, has sunt facturi nuptias? qui? quia temeti nihil num, unde 
allatum video’. Pomponius in decima: 'non multi te- temulentus ei 
meti, sed plurimi’. || Novius in duobus Dossenis: temulentia.— |] q. XVI, $ 
‘sequimini preminate sequere temeti timor‘. idem in | Epit. ine 


funere: “agite exite temulentum tollite’. et in surdo: 
“filias habeo temulentas, sed eccas video incedere'. 
Afranius in consobrinis: ‘pol magis istius temulentae 
futilis’. — ASYAU, item inde a signo || E; quae prae- 
cedunt supplevit P. 


ulularia S | cererin — nuptias om. RSA | sunt P, om. U | qui om. P | uideo om. 
RS | decima] deuncia P | temeti sed on. in Zac. P | neuius E, em. P | dossenis AU, dos- 
senüis RS, dosennis E | timori E | exite] exigite R | temulentum] temulentam $, temulen- 
tiamque A Ald. mg. Urs., que delet P, temulentiumque E | tullite Z | in] sine RSE | temu- 
lentae] temulentiae Y | guaedam ex Paulo add. E, delet P 


Tintinnire est apud Naevium hoc modo: gTintinnire et tintin- 


“tantum ibi molae erepitum faciebant, tintin- nabant Naevius dixit 
nabant compedes’. et apud Afranium: “ostiari pro sonitu tintinna- 
impedimenta tintinnire audio‘. — C. buli. — Epit. 


tintinnire PSE, titinnire AR Ald. mg. Urs., tintinnare U | est om. E | ıbi] ubi rs | ti- 
tinnabant A Ald., em. P | pro sonitu tintinabuli dixit post compedes ins. E ex Paulo, del. 
P | ostiarii U, hostiarü E | titinnire R Ald., em. P 


K2 


76 Mommsen: 


Tributorum conlationem cum sit alia in capita illud ex censu, dieitur 
etiam quoddam temerarium, ut post urbem a Gallis captam conlatum est, 
quia proximis XV annis census alius non erat. item bello Punico secundo 
M. Valerio Laevino M. Claudio Marcello cos., cum et senatus et populus 
in aerarium quod habuit detulit °). — €. 


quom U | capite illud (aliud mg.) U, capito illud E, capita aliud RS Ald., illud em. 
PY | etiam] et x | post] potest E | proximus £ | XV] quinque R | ‚alius] poplus, popu- 
lus corrigit Urs., notans: extant lectionis anliquae vestigia in schedis | bello dei. P | M. 
ante Valerio om. E, suppl. P | cos. om. SE | quom U | erarum 8 | q. h. in aer. R | habuit] 
potuit P ing. Urs. | detrudit E 


Tentipellium Artorius putat esse calciamen- g Tentipellium genus | 
tum ferratum, quo pelles extenduntur, inde- calciamenti ferratum, | 
que Afranium dixisse in Promo : "pro manibus | quo pelles extendun- 


Ust Epit. | 


credo habere ego illos tentipellium’. Titinium 
autem Verrius existimare id medicamentum 
esse, quo rugae extendantur, cum dicat: 
“tentipellium indueitur, rugae in ore exten- 
duntur’, cum ille rgorız@s dixerit. — C. 
indeque] idemque RS, idem E | promo] primo EY | autem] RSE, ait U | id] et S mg. 

Urs., om. R; ser. ait | dieit P | inducitur] inducis E, er. P | quom U | dix. rgorızos A, 
Yorızws dixerit E 

Tignum non solum in aedifieiis quo utuntur appellatur, sed etiam in vi- 
neis, ut estin XII: "tignum iunctum aedibus vineave et concapit ne sol- 
vito. — C. 


appellantur E | in XII tabulis S | uineaue] uineaque ?, minerue R | concapu E, 
em. P. Unice vera est emendatio e compage. | 2. Triumviri (relatam apud Muellerum in 
praef. p. XXXVF n.3) ins. E, sumptam ex gl..Saticula p. 340. 


Tela proprie diei videntur ea, quae missilia sunt, ex Graeco videlicet trans- 
lato eorum nomine, quoniam illi rnAc9ev missa dieunt quae nos eminus, 
sicut arma ea quae ab humeris dependentia retinentur manibus, quoniam 
quidem non minus in nobis eam partem corporis armum vocari existiman- 
dum est quam ......— EC. 


tranlato S | quoniam] quia SE | rnAcT E | quae nos om. R | eminus] ennius RS | 
sieut] sic R | manibus om. E | quoniam quidem non minus] quando quidem non minus R, 
quam nouimus E, quoniam quidem nos non minus ? | armum] armatam E, em. P | quam 
... PU, quam arma RS, om. E 


Tigillum sororium. — EUP. 


Festi quaternio decimus sextus. 77 


desunt cartae sex magnae F en 
9-24 
(vere videntur defuisse folia quattuor) desunt. 


accipiuntur ex agris qui ibi villas non habent, ut Marsi aut Peligni. sed ex q.XV1,25 
viclis partim habent rem p. et ius dieitur, partim nihil eorum et tamen ibi ar 
nundinae aguntur negotii gerendi causa et magistri vici, item magistri paci 
quotannis fiunt. altero, cum id genus aedifieio......nitur, quae con- 
tinentia sunt his oppidis, quae......... itineribus regionibusque distri- 
buta inter se distant nominibusque dissimilibus diseriminis causa sunt dis- 
parlita. tertio, cum id genus aedifieiorum definitur, quae in oppido privi 
in suo quisque loco proprio ita aedificat, ut in eo aedificio pervium sit, 
quo itinere habitatores ad suam quisque habitationem habeat accessum. 
qui non dieuntur vicani, sicut hi, qui aut in oppidi vicis aut hi qui in 
agris sunt vicani appellantur. — YEPU. 
in EP gl. haec adhaeret lemmati tigillum. | aceipitur Y, appellari incipiunt E, uici ap- 
pellari incipiunt AU | uietis YEP, uicis Ald. U | aguntur] al. habentur mg. U | et pos2 item 
ins. Y | paci quotannis] paucique....annis E, em. P | fiunt] fuerit E | aedificio....... 
nitur 2, aedificiorum definitur U, aedificiorum ponitur Y, aedificii (om. verbo) E | his] üs 
E | kiatum ante it. indicat solus P | que om. Y | inter se om. E, add. P | finitur Y | priui 
YE, priuo id est U | aedificet ? | habeant ?, habent Y | uicarii E, em. P | sicut ü EU | 
oppido Y'E, ern. Y*P | uicis] uias E, em. P | agris EU, agri uicis Y | uicarii E, em. P 


Viget dietum videtur a vi agendo, [JViget dietum a vi agendo, sed 


sed non in agendis hostilibusque non in agendis hostilibus rebus, 
rebus, verum his quae celer.... | verum his, quae concitato animo, 
... concitato animo ad bonam fru- ad bonum tendunt. — Epit. 


Bentenan ca na Ce 
in] ui U | hostilibusque] hostibus quam Rs | his] üs A | celer .... ©, celo...P, 
celeriter RS, celerrimo E | concitatoque E, em. P | bonam frugem ten... U, bonam frugem 
tendunt RSP, bonam tendunt frugem 4/d., bonam frugem E, addens Paulina. 


Voisgram avem quae se vellit. augures ...... eandem fucillantem appel- 
lant. — C. 
... eandem ?, hanc eandem RSU, om. E | fucilantem ?, facillantem R, fecilitram mg. 
’ ’ ’ 
U | lacuna in f. U 
Viginti quinque poenae in XIl significat vigintiquinque asses. — PRS° 
AU, om. S'E. 
poenae PA, pene RS, poenas U | XII tabulis S 


5 


Monnmsen: 


Vietimam Aelius Stilo ait esse vitulum ob eius vigorem. alii aut quae vincta 


adducatur ad altare aut quae ob hostis vietos immoletur. — C. 


uictima E, em. P | Aelius — aut om. E, suppl. P | aut] autem U | uincta adducatur PS, 
uineta ducatur RU, uicta ducitur E | ob bostis uictos PRSU (v. notam Ursini), ab hostibus 


uictis E 


Vectigal aes appellatur quod ob tributum et stipendium et aes equestre et 


hordiarium populo debetur °). — C: at E non habet nisi lemma. 


tributum] te .. 


. cum P | aes equestre ?, e sequestre S, exequestre A, equestre AU | 


hordiar... 2, hordiarium #S, ordinarium AU | populi debitor ? 


g. XV, Viae sunt et puplicae et 


26. 27 


dim. 


privatae: puplicae per 
quas ire omnibus licet, 
privatae quibus nemini 
et hae VIII pedes in 
latitudine iure et lege 
puplicae quantum ra- 
tio utilitatis permittit. 
lex inbet XVI X Vque 
pedes esse vias ut qui 
vias muniunt onisandi 
lapidas qua volet iu- 
mento agito ').— SY 
(hie in fine litterae \), 
lemma uia solum ha- 


bet E, om. R. 


iumento] inmento S (?) 


Viatores appellantur, qui magistratibus 
apparent, eo quia initio omnium tribuum 
cum agri in propinquo erant urbis atque 
assidue homines rusticabantur, crebrior 
opera eorum erat in via quam urbe,quod 
ex agris plerumque homines evocabantur 
a magistratibus. — SY 


terae) EU, om. R. 


Viae sunt et publicae per Viae sunt et publicae per 


„022... e omnibuslicet 
et privatae quibus ne- 
minem uti...... prae- 
ter eorum quorum sunt 
et ita privatae .... 
vias muniunto omsam- 
di lapidas...... sunt 
qua volet curanto age- 


N, — len 


(hic in fine lit- 


rum erat ab agris ad Urbem 


via. — Epit. 


.2....e omnibus licet 
privatae quibus veti- 
tum uli..... praeter 
eorum quorum sunt 
privatae....vias mu- 
niunto dionisam lapi- 
des sunt qua volet 
iumenta agito. — U. 


Viatores appellabantur, qui | 
magistratibus parebant, eo| 
quod plerumque ex agris 
homines evocabantur a ma- 
gistratibus et frequens Er 


| 
I 
| 
| 


initium SY | agri] in agris SY | uocabantur EU | et frequens eorum ab agris ad urbem 


via add. E ex Paulo, delet P 


Festi quaternio decimus sextus. 79 


Verticulas Ateius arti- Verticulas cum ait Luei- g Verticulas cum dixit 


eulos dixit cum aitLu- lius, ita appellavit ver- Lucilius, artieulos 

eilius intelligi voluit tebras. — U. | intelligi voluit. — | 
| 

ut vertebras. — SY U Epit. 


(hie in fine litterae). 
Volae vestigium medium pedis concavum, sed et palma manus vola 
dieitur. — Epit. 


| Es ng R 
ı Volones dieti sunt milites, qui post Cannensem cladem usque ad octo 
'  milia cum essent servi, voluntarie se ad militiam obtulere. — Epit. | 


 Versuti dieuntur, quorum mentes crebro ad malitiam vertuntur. — Epit. 


duce natura feturae est et tunc rem divinam ancillis civium Roma- 


instituerit Marti Numa Pompilius pacis con- norum vere nati, quod 
cordiaeve obtinendae gratia inter Sabinos | tempus anni maxime, 


Romanosque ut vernae vincerent. Romanos naturalis feturae est. — 


enim vernas appellabant, id est ibidem na- Epit. 
tos, quos vincere perniciosum arbitrium Sa- 

binis qui coniuncti erant cum P.R. — RS 

AU, om. E nec suppl. P. 


tunc] cum AR | uincerent] ARSA, uiuerent ne uincerent U | erant om, R 


Vergiliae dietae, quod earum ortu ver || Virgiliae dictae, quod earum 
finitur, aestas ineipit. — SY (hie in |) ortu ver finem facit. — Epit. 


‚fine litterae) EU, om. R. 


quod] quia E | eorum U | aestas] et aestas EY 


| Viritanus ager dieitur, qui viritim populo distribuitur. — Epit. 


' Verruncent vertant. Pacuvius: ‘Di monerint meliora atque amentiam 
averruncassent tuam,’ id est avertissent. — Epit. 


...,. uexatur. Accius: ıam hanc |Vastum pro magnum, ponitur ta- | 


urbem ferro uastam faciet Peleus’. men et pro inani. Accius: ‘Hanc 


et Pacuvius: “quales scrabresque in- | urbem ferro vastam faciet. unde 
culta vastitudine.— PRSAT,om.E. 


= = uexatur accius P, uastum magnum inane et uexatum accius RS, uastum pro magnum. 


vastitas et vastitudo. — Epit. 


ponitur tamen et pro inani. Accius AU supplementis petitis ex Paulo. | et om. RSA \ 
serabresque ?, scabres quod RSAU | unde uastitas et uastitudo add. A 


Vernae qui in villis vere nati, quod tempus || Vernae appellantur ex 


80 Mommsen: 


Ve victis in proverbium venisse existimatur, cum Roma capta a Senonibus 
Gallis aurum ex conventione et pacto adpenderetur, ut recederent. quod 
iniquis ponderibus exigi a barbaris querente Ap. Claudio, Brennus rex 
Gallorum ad pondera adiecit gladium et dixit: ue uietis. quem postea 
persecutus Furius Camillus cum insidiis eircumventum coneideret et que- 
reretur contra foedus fieri, eadem voce remunerasse dieitur. — C. 


existimatur om. RS | a om. E | aurum delet P | adpen ..... P, adpenderent RS, 
pensum E et margo sched. Urs. | exigi a] exit a RS, uno ex E, ex uno em. P | Ap.] actio 
R, attio S, at E | claudie E | brendus A | dux E et marg. schedarum Ursini, em. P | pro- 
secutus P, om. E | quaererentur E 


Vegrande significare alii aiunt male || Vegrande significat male grande, 


grande, ut vecors vesanus mali et vecors, vesanus mali cor- 
cordis maleque sanus, alii parvom dis, male sanus. Alii parvum sive 


minutum, ut cum dieimus vegran- | minutum intelligunt, ut vegrande 
de frumentum et Plautus in cistel- frumentum. — Epit. 
laria: “quin is si itures nimium is 
vegrandi gradu’. — PSYEU, om.R. 
significarı E | paruom P, paruum DO, paruum et SY, paruum siue E | quom U | qui 
nissi 2, qui nisi ESYUV | iturus E 


Vecors est turbati ac mali cordis. Pacuvius in | Vecors est turbati ac 


Iliona: ‘paelici superstitiosae cum vecordi | mali cordis. — Epit. 
coniuge’. et Novius in Hereule coactore: 
“Tristimoniam ex animo deturbat et vecor- 
diam’®). — PSYU, imperfecte E, om. R. 
turbati ac mali ?, turbati et mali SYU, mali turbatique E | in cordis finit gl. E | paelici 


P, paelluci Y, pellici S, qui ueloci U | superstitione U | in hercule coactore SY, in brulo 
coactore P, in. ..... coactus U 


Vapula Papiria in proverbio fuit antiquis, de quo Sinnius Capito sic refert: 
tum dici solitum est cum vellent minantibus ibi significare se eos negli- 
gere || et non curare, fretos iure libertatis. Plautus in feneratrice: "heus 
tu in barbaria quod fecisse dieitur libertus suae patronae id eo dico...... 
liberta salve vapula Papiria’. ‘in barbaria’ est in Italia. Aelius hoc loco 
vapula positum esse ait pro dole, Varro pro peri, teste Terentio in Phor- 
mione: “num tu........resistis uerbero?’ et Plautus in cureulione: 'reddin 
an non mulierem prius quam te huic meae machaerae obicio, mastigia? 


Festi quaternio decimus sextus. 51 


vapula ergo te vehementer iubeo, ne me territes’. — PRSU, imperfecte 
usque ad || E, supplevit A. 
antiquis fuit E, ern. Pl simnius RS, sisinius Eltum] cum A lest PRS, esse EAU \ uellet 
$ | minantibus] O,.. mantibus RS | ibi om. A | fretos in iure S | fecisse] PU, dixisse RS | 
libertus] UP, libertas RS, liberta 4 | Zac. nulla RSA | liberta] libertas AR | in talia,S | aelius 
in hoe Sin barb — uapula om. R, suppl. Y \ barbaria] barba... a ? I uapulam SY | positum 
(positam AS) esse ait] posu....P | uarro .... num tu] om. P in hiatu | teste] stete S | 
terentius RS | num tu....resipis uerbero U, .....resistis uerbero P, num mirum etc. 
(rel. om.) SY, num tu.....4, om. R | plauto U | te] et ? | iubeo] iubeo te (vel tar pro 
te) P | terrices S 


Vacerram......etalii complures uo- ||Vacerram dicunt stipitem, ad 
cari aiunt stipitem .......ices solent quem equos soleant religare. 
religare ||. Ateius vero Philolo....... alii dieunt maledietum hoc 
cum ad male dieendum magnae acer- nomine significari magnae acer- 
bitat ...... vecors et vesanus teste bitatis, ut sit vecors et vesa- 
Livio qui dieit..... corde et malefica nus. — Epit. 


vecordia. — C, sed imperfecte usque 
ad || E, inde transiens ad Paulum. 


snnan.. eb alii] sie Zac. non ind. RS, et aelius et alii E, aelius et alii 7, uerrius et alüi A I 
aiunt] dieunt 4 | stipitem .......ices solent religari P, st. ad quem equos solent religare 
RSU, stipitem ad quem equi solebant religari E, st. ad quem equos solebant religare 4 | 
philolo .... cum ad male dicendum] ?, philologus male dietum ad male dicendum RS, 
philologus male dietum hoc nomine significari A, phil. hoc nomine significari male dic- 
tum U | acerbitat.... uecors] P, acerbitatis ut est uecors JS, acerbitatis ut sit uecors AU | 
dieit...corde] ?, dieit uecorde U, dicat uecorde SA | malefici P 


Vagorem pro vagitu Ennius 1. XVI: “qui clamos | Vagorem pro vagitu | 


| 
| 


oppugnantis vagore volanti'. Lucretius 1. II: | Ennius posuit. —| 

Epit. | 

qui] cui Ald., em. P | clamos] SY, clamas E, clamor RU | uigore U | superant AR | 
uigor U 


“et superantur item: miscetur funere vagor’.— C. 


|Valvoli follieuli fa- 


Valvoli fabae follieuli appellati sunt, quasi valli- 
| bae. — Epit. 


voli, quia vallo factis excutiantur. — C. 
sunt appellati A | quasi] quia E | factis] PRSE, facti U 


Vagulatio in 1. XII significat quaestionem cum convicio: “cui testimonium 
defugerit, is certis diebus ob portum obvagulatum ito’. — C. 


ualgulatio E, em. P, uagulato U | duodecimo E, em. P | post XII ins. tabularum RS | 
quaestio ASU | cui om. R | defugerit SE, defuerit defugerit AR, defuerit U | certis RSE, 
tertiis U | portum] pötum ? | obuagulatum ito] obualgulationem E, em. P 


Philos.-histor. Kl. 1864. L 


82 Mommsen: 


Valgos Opilius Aurelius aliique complures aiunt || Valgos Aurelius intel- 


diei, qui diversas suras habeant. Plautus in ligi vult, qui diversas 
milite glorioso: “qui talos uitiosos maiorem suras habent, sicut e 
partem videas vagis savis’ et in sitellitergo: "fit contrario vari dieun- 
ea mihi insignitos pueros pariat postea aut va- tur incurva crura 
rum aut valgum aut compernem aut paetum aut habentes. — Epit. 
boechum filium’. — C. 


opillus U | habeat ins. post uitiosos A | uideras E | uagis sauis P, uagi salis O, ualgis 
alis S, ualgis talis A, ualgis suauiis E | et in sitellis ergo fit SR, ergo sit rel. om. E, unde 
et in sitell ergo sit em. P, et in silitergo sin U | pareat SY | poetum E, pecum RS | uari 
e contrario dicuntur incurua crura habentes ew Paulo add. E, delet P 


Viere alligare significat, ut hie versus demon- 'Viere alligare, unde 
strat: iba.... malaci viere veneriam corollam. || vimina et vasa vimi- 
unde vimina et vasa viminea quae vinciuntur | nea. — Epit. | 
ligen.... ZTPOPOIL.— PSY(in fin.litt.) U, om. R. | 

iba.. P, ibant SYU | ligen... XTPO®OL P, id est ligantur STPOPOI Y, et ligantur S, 


ligata 0, of. gl. seg. | E ut Paulus, sed retinuit significat. 


Vermina dieuntur dolores corpo- Vermina dieuntur dolores corporis 


ris cum quodam minuto motu cum quodam minuto motu, quasi 


QqUaSa » ein ne — PRSU;: inter | a vermibus scindatur. Hic dolor 
Paulina E. 


uermibus seindantur add. RS, a uermibus seindantur. hie dolor Graece srgepos dicitur 


Graece argepes dieitur. — Epit. 


add. U ex Paulo; retenta ea parte glossae quam inter Festina rettuli reliquam delevit P, 


pergens inde ad gl. verula. 
| 
| 


Veruta pila dieuntur || , quod ists sshabent | 


leer v e 
ıVeruta pila dieuntur, 
praefixa. Ennius 1.X...... eursus quin- quod veluti verua ha- 
gentos saepe veruti. — PU, imperfecte us- bent praefixa. — Epit 
g p R , imp | p k pit. 
que ad || E, om. RS. 
habeant U 
Urvat Ennius in Andromeda. significat circumdat ab | Urvat eircum- 


dat. — Epit. 


eo sulco, qui fit in urbe condenda urvo aratri, quae 
sit forma simillima unecini eurvatione buris et dentis, 
eui praefigitur vomer. ait autem: “circum sese urvat 
ad pedes a terra quadringentos caput'. — G& 
waruat AS | quod disit ins. ante ennius AS | sit] fit RS | a ante curu. ins. U | buri A, 
burris E (em. P) | a terra quadringentos (ad ins. A) caput PAST, terra occ... caput 4, om. E 


Festi quaternio decimus sextus. 83 


Ungulus Oscorum lingua anulus ut...... ‘si ['Ungulum Oscorum 
ie) 8 
quid || monumenti nacta est qui eorum requi- lingua significat anu- 
reret est ungulus, quem ei detraxit ebrio'. Pa- | lum. — Epit. 


cuvius in Iliona: ‘'repugnanti ego porro hunc 
vi detraxi ungulum’ et in Atalanta: "suspensum 
in laevo brachio ostendo ungulum’. — RSAU 
etinde a || P, om. E. 
uolscorum 8 | nacta] nactu ? | requiretur ? | ei] ennius A | ebrio] PD, elirio RSA | 
porro om. P | detraxit ? | athlanta A | in om. US 
Unciaria lex appellari coepta est, quam L. Sulla et Q. Pom....... tu- 
lerunt, qua sanctum est ut debitores decimam partem .... — PRSAU, 
lemma solum E. 


q. om. U | ponc.... P, pompeius RSA, pompeius rufus U | tulere S | qua (quam 5) 
s. e. u. d. d. partem] RSY, qua serum est ut alibi P | in fine frag. R, deest S, maiorem 


hiatum item significat P 


Vinalia diem festum habebant, quo die vinum novum Iovi libabant. — Epit. | 
| 
Venerari verbum compositum ex venia et orando. — Epit. | 


bant antiqui, cuius color inficiendo mutatur, ut Ennius cum ait: "cum 
illud quo iam semel est imbuta veneno’'. — PSY (in fine litt.) U, om. RE. 
bant P, dicebant U, uenenum nominabant SY | mutabur cum signo corruptelae P, 


mutabatur SY 


Ventabam dixisse antiquos veri- |Ve tabant dicebant antiqui, unde 
simile est, cum et praepositione | praepositione adiecta fit adven- 
adiecta........ adventabam. — C. | tabant. — Epit. | 

uentabam PRSE, uentabant U | ueri om. RS | et] etiam A | Zacuna nulla R | aduenta- 
bant 7 | uentabam antiqui dicebant sine praepositione pro aduentabam E 
V.ntupum est vel........quod Graeci vew dieunt, — C. 


u.ntupum est uel] 7, uersat upum est uel ?, uescit upum est uel SY, nescit (om. rel.) R, 
* 7 ” 
uenitare est E | quod gr. veıy diecunt om. E 


Vend.....2.2.2.2.....censorum  Venditiones olim dicebantur censorum 


locationes, quod vel........ locationes, quod velut fructus loco- 
uales locorum publicorum veni- rum publicorum venibant. — RS 
bant. — P. AU, om. E 


dicebantur olim | publ. loc. RAU | ueniebant S 
L2 


q. XVI, 
30, 31 
dim, 


84 Mommsen: 


q.XV1,32 Viminalis et porta et collis appel- || Viminalis porta et collis appel- | 
MR lantur, quod ibi viminum fuisse lantur, quod ibi viminum fuisse 
videtur silva, ubi est et ara lovi silva videtur. — Epit. 


Vimino consecrata. — C. 
et porta] porta AS | et] etiam A | s.f.u. E, ern. P | ara ioui] ario in E | uimino EP 
(emendans lect. uinimo), ulmineo A, uiminio U, ulmeo S 
Vindex ab eo quod vindicat, quo minus is, qui prensus est ab aliquo, te- 
nealur. — C. 
quod] qui E | prehensus A | alio v 


Vineae, ut Verrius praecipit, quod vino feraces sint. etiam militares quae- 
dam machinationes a similitudine appellantur. — €. 


uini AE | simitudine S 


Vivatus et vividus a poetis dieuntur a vi ||Vivatus et vividusa vi 


magna. — SY (in fine litt.) EU, om. R. 


Vindiciae appellantur res eae, de quibus controversia est, quod potius di- 


magna dieuntur. — Epit. 


eitur ius quia fit inter eos qui contendunt. Cato in ea quam scribsit 
L. Furio de aqua ‘.......s praetores secundum populum vindicias di- 
eunt’........ Lucilius: 'nemo hie vindieias neque sacra .... en vere- 
tur’. de quo verbo Cincius sie ait: “vindieiae olim dicebantur illae, quae 
ex fundo sumptae in ius adlatae erant’. At Ser. Sulpieius......iam 
singulariter formato vindiciam esse ait.....ua de re controversia est ab 
eo quod vindieat ........ Xll: ‘si vindieiam falsam tulit, si velit is 
“2.2... tor arbitros tres dato, eorum arbitrio ...... fructus duplione 
damnum decidito’ .....— C, sed E exhibet breviatam; supplerunt AP. 


est om. U | m. cato RSA | seribit US | post aqua Zac. nulla R | s ante praetores om. 
SA | dieunt et Lucilius ASA | ... en ?, neque numen ASAU | dicebantur] erant A | illae 
om. E, suppl. AP | at om. E, suppl. AP | ante iam lac. nulla RS | singulariter] significa- 
tur R | ait qua de re 4U | uindicat .... XII ?, uindicatur et in XII (tabulis add. S) RSA, 
uindicatur ... . etin XII 7 | siuelitis ..... tor arb. SYO, siue litis.....ter arb. ?, siue 
litis arb. RA (tot arb. mg. Aug.) | tris SR, aeris mg. Aug. | eorum arbitrio U, eorum arbi- 
tr SRA, om. in hiatu P | ante fructus Zac. nulla RA | factus d. dannum decidet ? | Vin- 
diciae app. res eae de q. controversia est, de quibus Cincius e£ quae sequuntur usque ad 
Sulpitius vindiciam esse ait ab eo quod vindicantur res ex controversia rel. om. E 


Festi quaternio decimus sextus. 85 


1) Mire Muellerus ne memorat quidem clausulam corruptam sane, 
sed omnino ita fere in codice scriptam, cum in ea consentiant ASE, et eius 
loco proponit quae ipse supplevit: reponendis eam destinaverant. 

2) Hune versum (Ribbeck Acc. v. 472) egregie sic ad sententiam nu- 
merosque suos revocavit Hauptius: 

decorare est satius quam verbena et taenüis 

addens intellegendum videri de Polyxena ad hunc fere modum: 
tumulum sanguine 
decorare est satius quam verbena et taeniis. 

3) Haec glossa et quae paulo post sequitur Zempli adhuc manse- 
runt ineditae. 

4) Corrigendum esse Teretina tribus docui in museo Rhenano novo 
12, 467 (cf. ibidem 15, 637. 16, 305). 

5) Coniecturas de hoc loco nuper prolatas rettulit Marquardt in en- 
chiridio 3, 2, 129, inter quas equidem adhuc veram puto meam: Zributorum 
collatio cum sit alias in capita, id est ex censu. 

6) Ita locus iam sanatus est ope librorum ipsorum (v. Mueller p.413), 
nec temptanda sunt verba od tributum , pro quibus praeter tributum pro- 
posuit Huschkius. Seilicet tributum cum ita imponatur civibus, ut postea 
iisdem ex aerario reddatur, recte omnino diei potest vectigalia ideo solvi, ut 
populus tributum iis qui tribuerunt rependat. 

7) Quae hoc loco referuntur de viis, ea nune intellegimus desumpta 
esse ex XII tabulis, id quod confirmant loci Gai (Dig. 8, 3, 8): “Viae lati- 
tudo ex lege duodeceim tabularum in porrectum octo pedes habet, in an- 
fractum, id est ubi flexum est, sedecim’ et Varronis (de l. Lat. 7, 15): an- 
fractum est flexum .... ab eo leges iubent in directo pedum VIII esse, in 
anfracto XVI, id est in flexu’. Festi autem verba quamquam et caecis la- 
cunis obscurata et interpolatione contaminata lamen ad sententiam certe sie 
fere restituenda erunt: Fiae sunt et publicae, per [quas ire ager]e omnibus 
licet, et privatae, quibus neminem uti [us est] praeter quorum sunt. et ita 
privatae VIII pedes in latitudine [habent] iure et lege, publicae, quantum 
ratio utilitatis permitlit. [praeterea] lex iubet XVI [in anfracto fle]xuque 
pedes [latas] esse vias, ut [adiciat:] vias muniunto. ni sam delapidas[sint], 
qua volet iumento agito. Publicas vias tantae latitudinis esse, quantam ratio 
utilitatis permittat, illustrabunt ea, quae ex libris coloniarum in gromatico- 


sb Mommsen: Festi quaternio decimus sextus. 


rum volumine II p. 161 de viarum militarium latitudine composui. In ex- 
trema parte ipsa illa verba legis latere, quorum argumentum Cicero (pro 
Caec. 19, 54) reddit his verbis: ‘si via sit immunita, (lex) iubet qua velit 
agere iumentum’ iam Huschkius vidit (v. apud Muellerum p. 414) nec tamen 
verba illa recuperavit: equidem quae posui, ea certe et ad vestigia traditae 
lectionis proxime accedunt et sententiam habent rectam et simplicem. Sam 
vocabulum pro eo quod est eam cum vel apud Ennium reperiatur, non 
abhorrebit a legibus XII tabularum: delapidandi vero vel sola depalandi ana- 
logia satis tuebitur. 

$) Spero fore ut lecturis non ingrati aceidant versus hi duo elegantis- 
simi adhuc misere corrupti (Ribbeck Pacuv. 216; Novius 102. 103), iam 
vero pristino nitori restituti, item nova fabula et sane bella Hereulis lucro- 
rum ita potentis, ut ipse auctionem faciat et bonis divenditis summas redigat. 


RT TILL 


Der Dreifsigste. 


Von 


Hin IOMEYER. 


nn 


[Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 31. Juli 1862, 10. December 1863 und 
4. Juli 1864.] 


D. Schlufs des Pentateuch fügt der Erzählung vom Tode Mosis hinzu: 
und die Kinder Israels beweinten Mose dreifsig Tage. Wiederum läfst heu- 
tigen Tages das gemeine Sachsenrecht erst am dreifsigsten Tage nach des 
Erblassers Tode die Rechte und Pflichten des Erben in volle Wirksamkeit 
treten. Besteht eine innere Verbindung jenes Gebrauches mit dieser Rechts- 
satzung? Und wenn dem also, auf welchen Wegen, durch welche Mittel und 
Kräfte hat eine so ganz positive Bestimmung die Reihe der Jahrtausende zu 
durchleben, von Volk zu Volk zu dringen vermocht, ist aus der blofsen Sitte 
eine scharf ausgeprägte Rechtsgestalt erwachsen ? 

Bei der Untersuchung dieser Fragen hat das Thema eine etwas brei- 
tere Grundlage und zugleich seine nähere Begränzung dahin gewonnen. 
Wann und wie schliefst in einem Sterbehause die Zeit der Ruhe und Stille 
ab und zwar nach der Sitte, der Religion, dem Rechte; zunächst derjenigen 
Völker, deren Anschauungen für uns bestimmend gewirkt haben, sodann der 
deutschen Nation selber. 

Die Sonderung nach Völkern und Staaten läfst sich den Zeitepochen 
in der Weise anschliefsen, dafs die Betrachtung mit dem Judenthum be- 
ginnt, zu dem heidnischen und dem christlichen Rom, dann zu dem fränki- 
schen Reiche, dem mittelalterlichen Deutschland und Skandinavien fortgeht, 
mit dem neuern Deutschland schliefst. Die anderweitige Scheidung im Stoffe 
nach seiner volkssittlichen, religiösen und rechtlichen Bedeutung ist jener 
Hauptgliederung unterzuordnen. 


ss However: Der Dreifsigste. 


Erster Abschnitt. 
Das Judenthum. 


Die ältesten Nachrichten reichen bis in die Zeit zurück, da das Volk 
Gottes in Egypten weilte. Die Genesis berichtet C. 50 V. 2, 3, dafs nach 
Jacobs Tode auf Josephs Befehl 
die Ärzte Israel salbeten bis dafs 40 Tage um waren. Denn so lange wäh- 
ren die Salbetage. Und die Egypter beweinten ihn siebenzig Tage. 
Nachdem diese Leidetage zu Ende, zieht Joseph mit grofsem Gefolge nach 
Canaan, um in der vom Vater selber sich bereiteten Gruft ihn zu begraben. 
So heifst es V. 10: 
Und da sie an die Tenne Atad kamen, da hielten sie eine grofse und 
bittre Klage und er trug über seinen Vater Leide sieben Tage. 
Es ist anzunehmen, dafs sich hier egyptische Gebräuche mit jüdischen 
verbanden. Denn Herodot sagt II 86 von den Egyptern: Tavr« d& Foncav- 
TES, Tagıy euoucı Arrow, ngunbavres Auegas Eßdounzovra; mAcUvas dt Tourewv Eur 
eeeorı Tagıyeuew. 
Nach Diodor. I 91 wird der Körper zuerst mit Cedernöl und ver- 
schiedenen andern Dingen &$ uegas Asus rav rgıanovra bereitet; darauf 
den Verwandten des Verstorbenen übergeben, vgl. 172. Die neuern Aus- 
leger rechnen von der ganzen Frist der siebzig Tage vierzig auf das eigentli- 
che Einbalsamiren, dreifsig auf das blofse Beweinen (!). Als rein jüdisch 
erscheint dann neben diesem egyptischen Gebrauche die Frist der sie- 
ben Tage, während welcher Joseph seinen Vater betrauerte. 
In der Folgezeit treten nun die beiden Zeiten der 30 und der 7 
Tage bei den Juden hervor. B. IV Mosis C. 20 schliefst im V. 29: 
Da die ganze Gemeine sahe, dafs Aaron dahin war, beweinte ihn drei- 
fsig Tage das ganze Haus Israel. 

Und die Eingangs berührte Stelle Buch 5, C. 34 V. 8 lautet: 
Die Kinder Israels beweinten Mose im Gefilde der Moabiter dreifsig 
Tage. Und wurden vollendet die Tage des Weinens und Klagens über 
Mose. 

Diese Zeit gilt nicht etwa nur den Führern des Volks; das Gesetz spricht 


(') Vgl. überhaupt Hengstenberg, die Bücher Mosis u. Aegypten 1851 S. 71 Note. 


I. Das Judenthum. 89 


allgemein B. 5, C. 21, V.13: Lafs sie (die Gefangene) sitzen in deinem Hause 
und beweinen einen Monat lang ihren Vater und ihre Mutter, danach nimm 
sie zur Ehe. Ein Gebot, welches Josephus Buch 4 der Apyawroyıa C. 8 
dahin wiedergiebt: TgLanovra ÖE Nuegov em 7m mevSer dreAYoucWv, aurapneıs 
yap em Tols danpucıs auraı Tüv diAraruv Tois hgovinaus. 

Andrerseits kehren auch jene sieben Tage wieder. Um die Judith 
trauerte das Volk sieben Tage lang, C. 16 V. 29. Allgemein heifst es bei 
Jesus Sirach C. 22 V. 13: Sieben Tage klagt man über die Todten. Und 
Josephus im jüdischen Kriege B. 2 C. 1 erzählt, dafs Archelaus, der Sohn 
Herodis, revSyras yag Aucgas Erra rev marega, darauf dem Volke ein Lei- 
chenmal örırapıv &sriasw gab, mit dem Beifügen &$os d& rouro maga Iovdanıs 
mer mevias aırıov dia To mANIos Esridv, oln aveu dvayıns, Ei Yag magakıma Tis, 
euy, eıos. Darauf erst trat er die Würde an und schmauste mit den Freunden. 

Auf jenes Trauermal deuten auch die Worte im Tobias C. 4 V. 18: 
gieb Almosen von deinem Brot und Wein bei dem Begräbnifs der Frommen, 
dann im Ezechiel C. 24 V. 17 u. 22: du sollst keine Todtenklage führen 
und das Trauerbrot nicht essen, und im Jeremias C. 16 V. 7: man wird 
auch nicht unter sie Brod austheilen über der Klage, sie zu trösten über der 
Leiche und ihnen nicht aus dem Trostbecher zu trinken geben über Vater 
und Mutter. 

Eine Trennung zwischen einem blofs weltlichen und einem religiösen 
Gebrauch tritt im alten Testament nicht deutlich hervor. Von einer Bedeu- 
tung der Zeitfrist für eine rechtliche Stellung des Erben hat Josephus jene 
Spur in dem Bericht über Archelaus. Endlich ist eine nähere Scheidung in 
dem Gebrauch der dreifsig und der sieben Tage aus der heiligen Schrift 
selber nicht zu entnehmen. Beider Zeiten wird von Alters her, beider wird 
für Hohe und für Niedere gedacht. Die spätere jüdische Sitte jedoch läfst 
während der sieben Tage eine strengere, bis zum 30sten Tage eine leichtere 
Trauer eintreten. Der Talmud und die Rabbiner haben den Unterschied 
auf das feinste ausgebildet('). Die in dem Schulchan Aruch, dem im 


(') Ich nehme aus Martinus Geier de ritibus lugentium, opuscula philologica Francof. 
a. M. 1690 p. 18 sq., eine Stelle des Maimonides, aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts. 
Cap. 6 $ 12: dum dies septimus ex parte jam transüt, licitum est lavare tam corpus atque 
vestes, quam reliqua prius interdieta expedire die septimo; parique ratione, cum ex parte 
jam absumtus est trigesimus, conceditur etiam tonderi ac levigari (vestimenta) die ipso 


Philos.-histor. Kl. 1864. M 


90 Homevyen: Der Dreifsigste. 


I6ten Jahrhundert bearbeiteten Compendium des Jüdischen Rechts, im Theile 
Joreh Deah darüber gegebenen Vorschriften werden noch jetzt gehalten. 
Ein Zusammenhang des Dreifsigsten mit dem Erbrecht ist nicht vorhan- 


den. Ks tritt mit dem Ableben des Kirblassers sofort in Kraft. 


Zweiter Abschnitt. 


Das heidnische Rom. 


Der jüdische Gebrauch lebte laut Josephus auch in den Zeiten der 
Unterwerfung der Juden unter die römische Herrschaft und ihrer Zer- 
streuung unter die Völker der Erde. Bei ihren Überwindern tritt derselbe 
Gedanke einer fest bestimmten Trauerzeit und der Bezeichnung ihres Schlus- 
ses durch ein festliches Mal hervor, doch allerdings anders gewendet und 
für uns viel deutlicher erkennbar. 

Die Zeit läuft in neun Tagen ab. Die feriae novemdiales der Römer 
begreifen theils die von Staatswegen bei gewissen Begebenheiten angeord- 
neten allgemeinen Ruhetage, deren Livius I 31 und Cicero ad Quintum 
fr. TIL. ep. 5 gedenken, theils aber auch die forias denicales, welche nach 
Cicero de legibus II 22 a nece appellatae sunt, das ist die Zeit, da die 
Familie für sich einen Todten betrauert und die Bestattung vollbringt. Auf 
diese neun Tage gehen folgende Stellen: novendiales dissipare cineres 
in den Rxoden des Horaz 17 V. 48; sinona diem mortalibus almum aurora 
extulerit bei Virgil V 64; roscida Jam novies coelo demiserat astra lueifer 
des Statius in funere Archemori libr. VI. 'Thebaid. v. 238; jamque nono 
die rite completis apud tumulum sollemnibus bei Apulejus libr. 9 Metam. 31; 
celebratum esse luctum novem dies, quod apud Latinos Novemdial 
appellant beim heiligen Augustin zur Genesis; iv IMwrivar amoSavourar... 
dapsgovrws irkunsev, ws war imi Auspas Lvvea usAavsmorioa bei Dio Cassius 


LXIX 10. Uber den nähern Hergang der Feier und über die Berechnung 


tiigesimo. — G. 15 8 10: non dellent mortuum ultra teiduum, neque ...... plangunt ultra 
septiduum, quae dieta conseri debent de vulgo. At diseipuli sapientum plangunt pro ratione 
sapientine eorum, neque tamen dellent illos ultra tricesimum, eo quod major apud non 
sit Mose magisteo nostro de quo scriptum est. Und (p. 276) hinsichtlich des Kleiderzer- 
veilsens © 9 $ 1: ommem rupturam quam fecit quidam ob cognatos suos, consuit crasse post 
septiduum, recte autem resarcit post diem trigesimum. Kam vero quae facta est ob 


parentes, erasse tanltum consult post tricesimum, nec unquam recte resarcit in perpetuum. 


II. Das heidnische Nom. 9 


der neun Tage stimmen schon die älteren Ausleger nicht überein. Porphyrio 
zu der Stelle des Horaz erklärt novemdiale für das sacrifieium quod mortuo 
fitnona die quam sepultus est. Servius aber hat zur Aeneide V 64: 
apud majores, ubi quis fuisset exstinetus, ad domum suam referehatur „. +» 
et illie septem erat diebus, octavo incendebatur, nono sepeliebatur, 
unde Horatius novendiales ete. Die Worte des Donatus zum Phormio I. 
1. 16: in nuptiis eliam seplimus dies instauralionem voli habet, ut in fu- 
nere nonus dies, quo parentalia coneluduntur, lassen sich in «diesem wie 
in jenem Sinne deuten; die spätern Ausdrücke aber der Kirchenväter und 
der Gesetze (s. 8.94) sprechen mehr dafür, dafs das novemdial vom Toodes- 
tage an berechnet wurde (!). Den Schlufs der parentalia bezeichnet die 
Malzeit, deren 'Tacitus in den Annalen 6 als der novendiales eoenae, Per- 
sius, Satyren VI 33 als der coena funeris gedenkt. Hiebei scheidet sich von 
dem rituellen, zum Scheiterhaufen oder dem Grabe gesetzten silicernium 
noch das Mal, welches nach beendigter Bestattung der Erbe den Verwandten 
und Freunden des Verstorbenen, unter Umständen in grolser Ausdehnung 
und Üppigkeit, auch wohl gemäls der Anordnung im letzten Willen be- 
reitet (*). 

Die Erinnerung an den Todten wird aber noch durch spätere Be- 
gängnisse bewahrt, Februario mense, qui lune exiremus anni mensis eral, 
mortuis parentari voluerunt majores sagt Cicero de legib. I1 21. Von dieser 
hienach allgemeinen 'Todtenfeier der feralia iwennt sich noch, wie gleich zu 
erwähnen, das anniversarium, welches die BKinzelnen an dem Jahrestage des 
Todes ihres Angehörigen oder seines Begräbnisses begehen. 

Mit der Sorge der Familie um den Hingeschiedenen geht eine andere 
Verpflichtung gegen sich selber, gleich jener streng religiösen Characters, 
Hand inHand. Das funus, d.i. eigentlich der Todte oder der Tod macht die 
Stätte zur domus Junesta, die auch äufserlich als solche bezeichnet wird ('). 
Aber auch die familia heredis gilt nach 1.28 $ fin. D. de stipul. servorum 
XLV 3 als funesta ex tempore mortis und bedarf der Reinigung. Daher 


Cicero de legib. II 22: neque necesse est edisseri a nobis, quae finis funestae 


(') So versteht auch Kirchmann de funeribus Romanorum Brunsv. 1661, 8, L. Ile. 1: 
nono post mortem die completis ad tumulum solemnibus, funeris finis hebat. 

(*) Vgl. Kirchmann IT ec. 9 und Jahn in der Ausgabe des Persius, 1843 zu VI. 33 KK, 

(’) Kirchmann I. ce. I c. 14. 


M2 


92 Homevyen: Der Dreifsigste. 


familiae, quod genus sacrifieii lare verveeibus fiat ete. Auf diese Reinigung 
insbesondere bezieht Festus die feriae denicales ('). 

Die mancherlei Pflichten, welche ein funus den Angehörigen auf- 
erlegt, finden auch im öffentlichen Recht ihre Beachtung. Ulpian, 1.2 D 
de in ius vocando, Il 4 nennt, als vom Erscheinen vor Gericht befreit, auch 
funus ducentem familiae Justave mortuo facientem. Die justa beschränken 
sich nicht auf die Bestattung. Denn die von Gellius XVI 4 aus Cincius de 
re militari aufbewahrten Stellen gedenken unter den Gründen, welche den 
Soldaten befugen, einer Ladung des Consuls nicht zu folgen, aufser dem 
funus familiare noch der “feriae denicales, quae non ejus rei causa in eum 
diem collatae sint”; ferner des “sacrificium anniversarium , quod recte fieri 
non posset, nisi ipsus eo die ibi sit”. Ein Opfer, welches sich doch nicht 
füglich auf das Allertodtenfest am Jahresschlusse beziehen läfst, sondern auf 


eine eigene Feier am Jahrestage des einzelnen Verstorbenen hinweist. 


Dritter Abschnitt. 


Das christliche Rom. 


Die christlichen Bewohner des römischen Reichs, d.h. ja überhaupt 
die Christen bis zur Völkerwanderung, fanden hienach für ihr Verhalten bei 
der Sterbhausruhe und der Todtenfeier eine doppelte Richtschnur. Die 
eine in den durch die heilige Schrift überlieferten Satzungen des alten 
Testaments, die andre in der fest ausgebildeten Sitte der herrschenden 
Nation. In der That gehn nun auch die Ansichten und Vorschriften nach 
Richtung und Inhalt auseinander. Ich scheide die Lehre der Kirchenväter 
und die Gebote der weltlichen Herrscher. 

A. Die Kirchenväter eifern zunächst gegen die Ausgelassenheit, 
womit selbst bei den Gräbern der Märtyrer das funus beschlossen oder die 
Erinnerung an den Toodten gefeiert wurde. 

Ambrosius, de Helia et jejunio e. 17 spricht von denen: qui calices 
ad sepulera martyrum deferunt atque illie in vesperam bibunt. Augustinus 
de moribus ecelesiae ec. 43 kennt viele: qui cum luxuriosissime super mor- 

(') Denicales feriae colebantur, quum hominis mortui causa familia purgabatur. Graeci 


enim vsxodv mortuum dieunt, Nach ihm die Glosse zu 1.2 D. de in jus vocando und Kirch- 
mann IV c. 1. 


III. Das christliche Rom. 93 


tuos bibunt.. . ., super sepultos se ipsos sepeliunt. Cyprianus de duplici 
martyrio klagt: an non videmus ad martyrum memorias Christianum a Chri- 
stiano cogi ad ebrietatem? Mit mehr Nachsicht gedenkt Augustinus de ci- 
vitate dei L. IX cap. ult. des Todtenmals: quas (epulas) eum apposuerint 
orant et auferunt ut vescantur vel ex eis eliam indigentibus largiantur, saneti- 
ficari ibi eas volunt per merita martyrum. 

Überhaupt erkennen sie die Tlodtenfeier selber als fromme Pflicht 
an ('). Dabei geben sie jedoch den mosaischen Bestimmungen den Vor- 
zug vor den römischen Gebräuchen. So spricht einerseits Augustinus 
gegen diese in den quaest. super Genesin V: nescio utrum inveniatur alieui 
sanctorum in seripturis celebratum esse luctum novem dierum, quod apud 
Latinos Novemdial appellant, unde mihi videntur ab hac consuetudine 
prohibendi, si qui Christianorum istum in mortuis suis numerum servent, 
qui magis est in gentilium eonsuetudine. Andrerseits bezeugt und bestärkt 
Ambrosius (* 397) die Beobachtung der verschiedenen im alten Testament 
genannten Zeiten. Seine merkwürdige Äufserung lautet in der Rede de 
obitu T’heodosii bald im Anfänge: et nune quadragesimum celebramus 
.. . quia sicut sancltus Joseph patri suo Jacob 40 diebus humationis olfieia 
detulit. ... Et quia alii tertium diem et tricesimum, alii septimum 
et quadragesimum observare consuerunt, quid doceat lectio considere- 
mus. "Defuneto” inquit "Jacob, praecepit Joseph pueris suis sepultoribus 
ut sepelirent eum, et sepelierunt sepultores Israel, et repleti sunt ei 40 dies. 
Sie enim dinumerantur dies sepulturae. Et luxit eum Israel septuaginta 
diebus”. Haec ergo sequenda solennitas, quam praeseribit lectio. Sie 
etiam in Deuteronomio seriptum est: “quia planxerunt filii Israel Moysem 
diebus triginta, et consummati sunt dies luetus’. Utraque ergo observatio 
habet autoritatem, qua necessarium pietatis impletur ollieium. 

Einige also feiern den dritten und den dreifsigsten Tag, andre den 
siebenten und den vierzigsten, in beiden Fällen auf Grund der heiligen 
Schrift. Für den dritten Tag fehlt freilich ein Belag und für den siebenten 
würde, statt des citierten Schlusses des V. 3 mit den 70 Tagen, der V. 10 


C.50 der Genesis gepafst haben. Immerhin sind die mosaischen Bestim- 


(') Vgl. die aus Augustinus de agenda cura pro mortuis und aus seinem enchiridion ent- 


nommenen Stellen des Corp. jur. canon. c, 19, 23 C. XIII qu. 2. 


94 Honmever: Der Dreijsigste. 


mungen als unmittelbare Quelle der in den ersten Jahrhunderten unsrer 
Zeitrechnung üblichen Gebräuche nachgewiesen; es steht namentlich der 
dies tricesimus als aus dem Judenthum in das Christenthum hinüber- 
geführt da. 

Die sogen. Constitutiones Apostolicae, nach der üblichen Annahme 
in Syrien im 3ten und 4ten Jahrh. verfafst, beziehen den Dritten auf die 
Auferstehung Christi; im übrigen weichen sie in der Angabe der Feierzeiten 
von Augustin und Ambrosius ab. Es heifst L. VIII c. 48: peragatur dies 
tertius mortuorum in psalmis in lectionibus atque orationibus propter 
eum, qui tertia die resurrexit. Item nonus in commemorationem super- 
stitum atque defunctorum: etiam quadragesimus secundum veterem con- 
suetudinem nee non anniversarium pro memoria ejus. 

Diesen letzteren Anschauungen folgt 

B die weltliche Gesetzgebung der christlichen Kaiser. 

Justinian verbietet 1) in der Novelle 133 Cap. 3, dafs Frauenzimmer 
ein Mönchskloster oder Männer ein Frauenkloster betreten sollen, selbst 
wenn sie eine Todtenfeier für einen dort beerdigten Verwandten mit begehen 


möchten. A. E. heifst es dabei: 
meobarsı av megi ryv öriaw mearrouzvwv (s occasione horum, quae circa funus aguntur 


& , - , NW) - . . > . 
1 Myuas zuAdTıW) SiS Faryv za Evvaryv (quas utique memorias vocant), in tertiam 


’ er vor ‚ 2£&’ . n 
TUMIOVFES Yaspav, AR YVIRR TETTRIRROVTR EIN et nonam convenıentes diem, aut dum qua- 
\ > ’ . * 
zoev, 9 20 Svi@uros. draginta compleantur, aut etiam annus. 


In völliger Übereinstimmung also mit den Const. Ap. nennt der Kaiser 
von den jüdischen Terminen nicht den Siebenten und Dreifsigsten; mit 
Ambrosius gemeinsam hat er den Dritten und den Vierzigsten, aufserdem 
die heidnisch-römischen Zeiten des Neunten und des Jahrestages. Die 
Art der Erwähnung des Neunten in der Reihe der andern Tage spricht da- 
für, dafs auch dieser von dem Tode an berechnet wurde. 

Während Justinian hier der verschiedenen Todtenfestzeiten einfach 
als in der Sitte beruhender gedenkt, hat er 2) einer dieser Zeiten auch 
besondre rechtliche Wirkungen beigelegt. Das Cap. 5 der Novelle 115 
(a. 541) trägt in der lateinischen Fassung die Überschrift: ut non liceat ere- 
ditori heredes defuncti pro debito molestare ante novem dies. Im Texte 
erzählt der Kaiser, wie ein Vater bei der Rückkehr vom Begräbnifs des 
Sohnes wegen einer Schuld desselben angesprochen worden sei. Um solcher 
Grausamkeit zu wehren, bestimmt er: 


IV. Das fränkische Reich. 


N) x - >»F 67 m , u 
mdevi mavrerus Egeivar ToÜs AAmgovonous Toü 
2 A a 67 A nr DAN A 
TEREUTWVTOG, 9 TOÜS Yoveis, 7 ToUs maidas, 7 
\ A A A Y. 
yaneryv, 97 adgnatzs, 7 cognatzs, 4 aAAaus 
E 67 A x x - 27 
wuroU mooryeveis, 7 EyyUnTas, mgo THS Tuv 
F} ’ e 57 La ’ E) 4 mw 
EVVER Ylaegwv MOOTETIMEG , ev AG TMEUDTE do- 


m 33 eo A ©&? € ’ ’ 
aoÜsw, dimasIaı, 7 203 olovöymore TpomoV 


95 


nulli penitus esse licentiam, aut heredes, aut 
parentes, aut liberos, aut conjugem, aut agna- 
tos vel cognatos, aut alios affınes ejus, aut 
fidejussores, ante novem dierum spatium, 
in quibus videntur lugere, conveniendi, aut 
quocunque modo inquietandi, aut aliquam ad- 


6 A - , ”.. ” ” ” ” .rs 
mapevoy ev, 7 Twa Umonugsw auros Erupegew,  monitionem eis offerendi, aut in iudieium eos 


> ö ’ > m n ” 37 ’ . . .. . 1 fi 
n Ev Ölzusmgiw aUroÜs zar.elv eire 6voncrı Ygeovs vocandı, sive debiti gratia quod a defuncto 


m , D ” ” ” ” 
Tuga TOD TEREUTHTUVTOS Aarayopzvov, eire @h- descendit, sive alterius cuiuscunque causae 


. 7 ’ . er 
Ans oiasodv dırias Yazıv, eis ra mumaoveuSevre momine ad memoratas personas specialiter per- 


zus öauans maoTumE. tinentis. 

Alle Scheine, Versprechungen, Bürgschaften, die solchen Personen 
innerhalb der neun Tage abgefordert wurden, sind ungültig. Dagegen soll 
denn auch aus dem Ablauf dieser Zeit den Gläubigern kein Nachtheil hin- 
sichtlich der Verjährung und sonst erwachsen. Die Vorschrift zu Gunsten 
der Trauerzeit geht also weit über die Angabe jener Überschrift hinaus. 
Nicht nur die Erben des Verstorbenen, sondern alle um ihn trauernde Ver- 
wandte sollen unbelästigt bleiben, und zwar nicht nur wegen Schulden des 
Verstorbenen, sondern auch wegen ihrer eignen Verbindlichkeiten ('). 

Das novemdial, welches Augustinus mifsbilligte, gilt doch dem Kaiser 
noch im 6ten Jahrh. als die nächste Trauerzeit. Auch hier ist wiederum 
die Zeit vom Tode an zu berechnen, denn sonst hätten ja die Tage zwischen 
Tod und Begräbnifs keinen Schutz gegen die Störung gewonnen. So ver- 
stehts auch die Authentica zu 1.6 C. de sepulero violato IX 19: sed neque 
ante novem dies ab obitu numerandos ulla prorsus fiat molestia adversus 
quemlibet ex persona defuncii. 


Vierter Abschnitt. 


Das fränkische Reich. 


Zur Zeit dieser Erlasse war das römische Abendland schon den Ger- 
manen zur Beute geworden. Aber sie vertilgen in den eroberten Gebieten 
nicht römische Sitte und Bildung; sie bekehren sich selber zum christlichen 
Glauben. So mischen sich dann in der neuen Ordnung der Dinge germa- 
nische, römische, christliche Elemente je nach den besondern Staaten in 


(') Vgl. Marezoll in Grolman Magazin IV S. 212. 


96 Honmerer: Der Dreifsigste. 


verschiedenem Grade der Mächtigkeit und der Durchdringung. Wir achten 
vornemlich auf das Reich der Franken, weil aus seinen östlichen Gebieten 
Deutschland hervorging. Welche Wendung ist hier für unser Institut ein- 
getreten? Hat etwa eine der beiden Anschauungen, die im christlichen 
Römerreich gegen oder doch neben einander standen, das Übergewicht ge- 
wonnen; insbesondere, ist noch eine eigene Germanische Sitte hinzu- 
getreten und wirksam geworden ? 

Den Aufschlufs gewähren theils Verordnungen der weltlichen Herr- 
scher nebst Rechtsgeschäften, theils Coneilienschlüsse und Vereinbarungen 
der geistlichen Genossenschaften, theils die Lehren einflufsreicher Schrift- 
steller. Ich ordne diese Quellen jenachdem sie der Sterbhausruhe eine 
juristische Bedeutung geben, oder die kirchlichen Gebräuche nachweisen, 
oder endlich die Volkssitte betreffen. 


A. 


Eine rechtliche Wirksamkeit legen den Trauertagen zwei von 
Ludwig dem Frommen im J. 817 zu Aachen ergangene Anordnungen bei. 

1. Das “capitulare ad ecclesiasticos ordines pertinens” bestimmt im 
c.21: De feminis, quae viros amittunt, placet, ne se sicut hactenus indis- 
crete velent, sed ut triginta dies post decessum viri sui expectent et post 
tricesimum diem per consilium episcopi sul .... suorumque parentum at- 
que amicorum id quod eligere debent, eligant (Pertz Leg. 1208, bei An- 
segisus I 96, bei Benedict V 222, excerpiert in den capp. Herardi a. 858 c.23 
bei Baluzius I 1289). 

2. Die “capitula quae legibus addenda sunt” lauten im ec. 4: Qui 
viduam intra primos triginta dies viduitatis suae vel invitam vel volentem 
sibi copulaverit, bannum nostrum i. e. 60 solidos, in triplum eomponat 
(Leg. 1211, Anseg. IV 17, Bened.V 106, 233, capp. Herardi c.41 bei Bal.1 1290). 

Die Wittwe soll also die Stille der dreifsig Tage nach des Mannes 
Tode weder durch Ergreifen des Schleiers noch durch neue eheliche Ver- 
bindung brechen. Ein Zusammenhang zwischen der hier und der im römi- 
schen Recht geordneten rechtlichen Bedeutung der dem Tode zunächst 
folgenden Zeit ist so wenig in der Zahl der Tage als in der Bestimmung 
selber sichtbar. Näher steht den Capitularien die Vorschrift im 5 B. Mosis, 
21, 13 oben S. 89. 


IV. Das fränkische Reich. 97 
3. Eine traditio v. J. 869, Dronke cod. dipl. Fuldensis 1847, 4. 


Nr. 601 p. 269, lautet: quod nos quatuor germani ... manu communi 
tradimus tibi Ruotgere in fidei tuae manum quiequid proprietatis visi sumus 
babere in pago Grapfelde ... ita ut, si Adalfridum germanum nostrum su- 
pervixeris, ante trigesimum diem obitus sui praedietum locum ad s. 
Bonifatium ... tradas.... ea videlicet ratione, ut ab eo die ratum... per- 
maneat ad... servitium praedieti mastyris et fratrum illie deo servientium. 
— Das “ante” ist, nach dem folgenden ab eo die, wie das deutsche bis, 
binnen, oder das lat. intra so zu nehmen, dafs der dreifsigste Tag noch ein- 
gerechnet wird. Bei der Bestimmung selber ist anzunehmen, dafs das Gut, 
ungeachtet der Auflassung an den Treuhänder, in dem Besitz des Adalfrid 
blieb. Unter dieser Voraussetzung haben wir hier die früheste Hindeutung 
auf den viel später ausgesprochenen Satz, dafs erst am Dreifsigsten aus dem 
Nachlasse eines Verstorbenen etwas verabfolgt wird. 


B. 


Für den kirchlichen Gebrauch kommen theils die Doktrin theils 
bindende Normen theils die Übung geistlicher Genossenschaften in Betracht. 
1. Einflufsreich wurden vor Allem die um 593 oder 594 verfafsten 
Dialogen Gregors des Grofsen (!). Im B.IV C.55 erzählt er: einem 
Mönche sei, weil er heimlich Geld für sich gehabt, ein ehrliches Begräbnifs 
versagt worden. Nachdem er schon dreilsig Tage todt gewesen habe Gregor, 
dessen Leibarzt er war, Mitleid mit seiner Seele empfunden und dem Vor- 
steher des Klosters geboten: ab hodierno die diebus 30 continuis offerre 
pro eo sacrificium stude, ut nullus omnino praetermittatur dies, quo pro 
absolutione illius hostia salutaris non immoletur. Das geschieht. Nach 
einiger Zeit erscheint der Verstorbene seinem Bruder und erklärt, jetzt sei 
ihm wohl. Es findet sich, dafs die Erscheinung auf den Tag falle, “quo 
pro eo tricesima oblatio fuerat impleta”. Gregor folgert: per salutarem 
hostiam eyasit suppliecium. IV 57 wird dann gelehrt: die Seelenmessen 
kommen den Verstorbenen im Fegefeuer zu Gute, und das Gute was diese 
hier unterlassen haben, kann statt ihrer und zu ihrem Nutzen von Andern 
gethan werden. 
(') So genannt, weil Gregor in ihnen die Fragen seines Freundes, des Diaconus Petrus 
beantwortet. Vgl. Lau, Gregor der Grolse 1845 S. 316, 510. 
Philos.- histor. Kl. 1864. N 


98 Homeyer: Der Dreifsigste. 


Beda, historia Anglorum IV c. 24 berichtet: einem Gefangenen 
seien jedesmal, wenn sein Bruder, der ihn für todt hielt, Messe für ihn habe 
lesen lassen, die Fesseln abgefallen, worauf sein Herr ihn losgelassen. 

Auf diese Zeugnisse und auf die Aussprüche der Kirchenväter bauend 
hat die Carolingische Zeit theils die Lehre von der Heilsamkeit der Todten- 
feier für die Seelen der Verstorbenen ausgebildet (!), theils den Grund und 
die Bedeutung der einzelnen Feiertage weiter entwickelt. 

Es genügt, einige Sätze der Hauptschriftsteller hervorzuheben. 

Alcuinus, “de divinis cath. eccl. officiis” unter der Rubrik “de ex- 
equiis mortuorum” (Paris 1624 fol. p. 296-298) beruft sich für die Todten- 
feier überhaupt mit Augustinus darauf: defunetorum animas pietate suorum 
viventium relevari, cum pro illis sacrifieium mediatori offertur, et eleemo- 
synae in ecelesia fiunt. An einigen Orten werde allgemein für alle Todten 
in officio vespertinali gebetet, an einigen täglich für sie Messe gelesen. Die 
Kirche übernehme diese supplicationes als allgemeine Pflicht: ut, quibus 
desunt parentes aut filii, cognati, amici, ab una eis exhibeatur matre com- 
munio. — Für die Feier am Dritten und Siebenten verweist er auf die 
Vorschrift in 4 Mosis 19 V. 11, 12 dafs wer einen Todten berührt, sich am 
Dritten und Siebenten entsündigen solle. Beim Dritten sei auch an die Auf- 
erstehung des Herrn zu denken, beim Siebenten an seine Bedeutung als 
Ruhetag. — Für den Dreifsigsten gehe aus Gregors Erzählung von dem 
Mönche hervor: 30 diebus expletis divina manifestatum est revelatione, 
communionem sanctorumque societatem recepisse. Haec ergo salutifera in- 
olevit consuetudo, ut trigesima dies defunctorum devotis frequentetur officiis. 
Auch dafs der Herr 30 Jahre alt getauft worden, dafs David mit 30 Jahren 
die Regierung angetreten habe, wird geltend gemacht, und dahin geschlossen: 
celebratur ergo dies tricesima, ut in anima incorruptionis renovetur Juventus 
et corpus quod in humilitate sepultum fuerat, resurgat in gloria, configura- 
tum corpori claritatis Christi. — Die Jahrestage der Verstorbenen werden 
begangen, quoniam nescimus, qualiter eorum causa habeatur in alia vita. 

Amalarius, Bischof von Trier zur Zeit Ludwigs des Frommen, “de 
ecclesiastieis officiis” spricht im L. IV c. 41 de exequiis mortuorum mit Be- 
rufung auf Augustin überhaupt aus: quod propterea debeamus exequias 


(') Den Gang der Lehre von dem Werth der oblationes pro defunctis schildert J. H. 
Böhmer, jus eccles. Prot. Lib. III t. 28 $ 24-32. 


IV. Das fränkische Reich. 99 


celebrare circa mortuorum corpora, quia Deus vult ea resuseitare; sodann 
c. 42 de offieiis mortuorum: agenda sunt circa tertiam diem et septimam 
et tricesimam. Quod non ita intelligo, quasi ille, qui tertia die agere vult 
officia, debeat praetermittere priores duos dies sine supplicationibus, aut 
qui in septima die, sex superioribus debeat tenere in ocio etc. Sed quod 
tertia die dieuntur celebrari officia, duobus modis possit, i. e. ut tertia die 
infra septem, septima infra triginta celebrius aguntur circa officia mor- 
tuorum ...., sive ut tertia die consumet illa. 

In L. III ce. 44 “de missa pro mortuis” führt er jene Vorschrift in 
4 Mosis dahin aus. Die Seele des Menschen ruhe auf drei Säulen, der Kör- 
per bestehe aus vier Elementen; daher werde die Seele des Verstorbenen 
in drei Tagen, der Körper in vier Tagen von demjenigen gereinigt was er 
that und nicht thun sollte. Weiter bis zum Dreifsigsten bitten wir für das- 
jenige, was er thun sollte und nicht that. Triginta enim diebus completur 
mensis. Per mensem designatur curriculus praesentis vitae. .... Per diem 
unaquaeque actio exprimi potest, per mensem autem actionum finis innuitur. 
Quando studemus, ut opera amicorum nostrorum sint plena coram Deo, 
30 diebus pro eis sacrificamus. Zwar können wir täglich für die Todten 
beten und opfern. Sed quod agitur in tertia, septima et 30ma die, 
publice agitur, et generaliter ab omnibus amieis, et convenitur simul 
ad hoc in precibus missarum atque eleemosynis et ceteris bonis studiis. 

2. Zu den bindenden Normen gehört: a) Das Beichtbuch des Erz- 
bischofs Theodor von Canterbury aus dem 7ten Jahrh. II 4 $$ 1-4; es 
ordnet für verstorbene Geistliche an: prima et tertia et nona nec non et 
tricesima die pro eis missa agatur, exinde post annum si voluerint servetur, 
Wasserschleben Bufsordnungen, S. 117 ff. 

b) die allgemeine Vorschrift: 

Fideles pro defunetis amicorum et parentibus eorum jejunia et 

oblationes triginta dies adimplere faciant, 
welche die Sammlung des Benedict Levita B. II als C.198 giebt. Sie ge- 
hört wohl in die Zeit des Bonifacius. Baluze hat sie I 152 als ©.2 eines 
capitulum incerti anni, datum in synodo, cui interfuit Bonifacius c. a. 744. 
Er zweifelt aber selbst II 1022, ob ein capitulum a principibus consti- 
tutum vorliege. Knust führt in der Analyse der Bestandtheile der Bene- 
dietischen Sammlung (Pertz Leg. II Anh. S. 19, 23), hier als Quelle die 

N2 


100 Homeven: Der Dreifsigste. 


dem Erzbischofe Theodor zugeschriebenen capitula (Richter Kirchenr. 
$ 71 N. 8) und die statuta des Bonifacius (ebd. N. 4) an. Dieser Vorschrift 
entspricht 

3. der Inhalt der besondern Vereinbarungen unter den geistlichen 
Personen. 

Zur Zeit Tassilos verbinden sich die bayrischen Bischöfe und Äbte 
und eben so im J. 765 apud villam Attiniacum Bischöfe und Äbte von beiden 
Seiten des Rheins über die bei dem Ableben eines von ihnen den übrigen 
obliegenden Leistungen, unter welchen "triginta missae speciales” besonders 
hervortreten, Merkel L. Baj. Leg. III p. 462, Conv. Attin. Leg. I p. 19. 

In das Jahr 800 wird eine Vereinbarung mehrerer Klöster (bei Goldast 
rerum Alam. script II 140) gesetzt, wonach sofort bei der Nachricht des 
Todes eines Bruders: presbyteri 3 missas et ceteri fratres pro eo psalterium 
ac celebrationem vigiliae decantent . . . in die septimo 30 psalmos, trice- 
simo autem presbyteri omnes pro eo unam missam et caeteri S0 psalmos 
impleant. 

Im J. 838 schliefsen zwei Gallische Klöster eine vom K. Ludwig selber 
und seinem Sohne mit unterschriebene Verbrüderung dahin, ut quando aliquis 
a saeculo migraverit, unusquisque nostrorum infra triginta dies psalterium 
pleniter compleat, d’Achery Spieilegium T. III p. 333. 

Am ausführlichsten lautet eine von Ducange s. v. fraternitas aus einem 
tabularium Flaviniacense angeführte Vereinbarung zweier Klöster v. J. 8914. 
In decessu eujusqque fratrum nostrorum per triginta dies vespertinas, nOC- 
turnas et matutinas agendas generaliter celebrare, ita ut tertio et septimo et 
tricesimo die ex more id fiat solennius. Missam quoque pro defunetis per 
dies praefatos cum oblationibus quotidie canimus. Auch werden 2 psalteria 
und der Psalm 129 knieend gesungen. Hoc igitur pro recentibus. Aufser- 
dem wird am ersten der Jahrestage vigilia und missa gefeiert, an den folgen- 
den Anniversarien der 12te Psalm gesungen. Alles dieses soll nun auch für 
die Verbundenen beobachtet werden. 

Es ergiebt sich also, dafs der kirchliche Dienst sich durch die ganze 
Folge der 30 Tage erstreckte, dals gewisse Tage dieser Frist, der dritte, 
siebente, dreifsigste und aufserdem der Jahrestag noch besonders feierlich 
begangen wurden, dafs die Leistungen je nach dem Ansehen der Verstorbe- 
nen oder nach besondern Einrichtungen sich mannigfaltig gestalteten und 


IV. Das fränkische Reich. 101 


abstuften. Vergleicht man die hervorgehobenen Tage mit den oben 8.93 11. 
genannten, so ist der Dritte bei den Kirchenvätern, bei Justinian und den 
fränkischen Schriftstellern, der Siebente und der Dreifsigste bei den Kirchen- 
vätern und den Schriftstellern, der Jahrestag bei Justinian und den Schrift- 
stellern zu finden. Vom Vierzigsten des Ambrosius, der Gonstitt. Apostol. 
und der Novelle 133 ist nicht die Rede; doch bemerken die correctores 
Romani zu c. 23 C. XIll qu. 2, er sei frequens apud Graecos ('). 

Den Neunten kennt Theodorus s. oben S. 99. Obwohl nun Aleuin 
a.a.O. äufsert: quod autem apud aliquos nonus dies celebratur et vocatur no- 
vendialis, Augustinus ... redarguit, maxime ... cum sit consuetudo gentilium, 
wird dennoch mehrere Jahrhunderte hindurch s. unten S. 107, der novena 
gedacht. Mit ihr also, wie mit dem anniversarius wäre doch römische 
Nationalsitte in den kirchlichen Gebrauch des fränkischen Reiches gedrungen. 

Dals dieser Gebrauch aber nicht nur beim Tode verbrüderter Geist- 
licher sondern für Verstorbene überhaupt herrschte, geht für den Dreilsig- 
sten schon aus der obigen Vorschrift, 5. 99, bei Benediet hervor. Noch 
umfänglicher erhellt es aus den 

C. 
die Volkssitte betreffenden Satzungen. Ich ordne sie nach der Zeitfolge, 
ohne dabei strenge die Gränzen des fränkischen Reiches inne zu halten. 

1. Regino “de synodal. causis” giebt 1 398 einen Beschlufs, der 
bald dem Coneil von Chalcedon (a. 451), bald einem Arelatensischen (vor 
460) zugeschrieben wird, vgl. Wasserschlebens Ausg. des Regino v. 1840 
S. 180 Note. Er verbietet den “laieis, qui exeubias funeris observant”, 
dort “diabolica carmina cantare, joca et saltationes facere, quae pagani dia- 
bolo docente adinvenerunt”. Es sei unchristlich, ja unmenschlich "ibi can- 


(') Das bestätigt die im Sten Jahrhundert griechisch geschriebene Legende von Barlaam 
und Josaphat, in Boissonade anecd. graeca, Paris. 1832 IV 325. Sie erzählt wie Josaphat 
nach dem Tode seines königlichen Vaters sich verhält. Er betet am Grabe und zwar: 
TORUr«s EÜYAS x days mportpeps zu Sun dv Amis Imre Nıalgcus, mdorus TE [Anaaros 
AMOsTas ann. TH Oyöcn Ö8 is To mararıov dmeveASuv mavre mov mAoürov nu Tee Yonneree 
Toic muy dkvaen — — Ty re Tewpaexosry Hikgee ne TE mirgoR TEASUTYE Java ur 
Terdv, vuyaade mavras TR dv Tas, za rols Frowruwrie msgugwanivous #.7.?%. In welcher 
characteristischon Weise die isländische und die altdeutsche Übertragung diese Stelle wieder- 
geben, wird unten S. 111, 127 erhellen. 


102 However: Der Dreifsigste. 


tari, laetari, inebriari et cachinnis ora dissolvi et quasi de fraterna morte 
exsultare”, wo nur Trauer und Klage ertönen solle. Dabei wird auf das 
Verhalten Egyptens und Josephs nach dem Tode Jacobs hingewiesen. 

2. In einem Beschlusse des 3ten Coneils von Toledo (a. 589), in 
Benediets Samml. II 197 heifst es e. 22: ne in mortuorum funeribus juxta 
paganorum ritum agatur. „.. Quando eos ad sepulturam portaverint, illum 
ululatum excelsum non faciant .... Et super eorum tumulos nee manducare 
nee bibere praesumant. 

3. Ep. Bonifacii N. 82: sacrilegi presbyteri, qui tauros, hircos diis 
paganorum immolabant, manducantes sacrificia mortuorum. Ep. N. 54: et 
a sacrilieiis mortuorum omnino abstineatis. 

4. Das “capitulare Carolomamni” a. 742, Leg. I 17, bezeichnet im 
ce. 5 als “paganias” oder "spureitias gentilitatis”, welche der Bischof mit dem 
Grafen abthun soll, auch die (profana add. Baluz.) sacrificia mortuorum. 

5. Der indieulus superstitionum, der ungefähr derselben Zeit an- 
gehört (Leg. I 19) nennt unter ihnen das sacrilegium ad sepulchra mor- 
tuorum und das sacrilegium super defunctos i. e. dadsisas. Grimm Mythol. 
Ste Aufl. 1178 erklärt diese als Todtenlieder von dad für död und sisu oder 
siso d. i. naenia, welche in den Glossen als liesang, licleod, byriensang, car- 
men super tumulum vorkommen. 

6. Aus den capitulis des Erzbischofs Hinemar v. Rheims v. J. 852 
c. 14 (') giebt Regino I c. 226 unter der Rubrik De presbyteris, qui a 
fidelibus ad prandium invitantur die Vorschrift: 

Ut nullus presbyterorum, quando ad anniversarium diem, tricesimum, 
sepimum vel tertium alicuius defuncti... convenerint, se inebriare 
ullatenus praesumat, nec precari in amore sanctorum vel ipsius animae bi- 
bere, aut alios ad bibendum cogere, vel se aliena precatione ingurgitare, 
nec plausus et risus inconditos et fabulas inanes ibi referre aut cantare prae- 
sumat, vel turpia ioca cum urso et tornatricibus ante se facere permittat, nec 
larvas daemonum, quas vulgo Zalamascas dicunt, ibi ante se ferri consentiat, 
quia hoc diabolicum est et a sacris canonibus prohibitum (vgl. Dümmler 


Ludwig der Deutsche 1862 S. 343 N. 12) (?). 


(') Die Annahme, dals die Bestimmung aus dem Concilium Nannetense stamme, wider- 
legen Wasserschleben zu Regino S. 108 N. 6 und Richter €. Jur. Canon. zu ec. 7 dist. 44. 
(?) Über die zalamascas ist Grimm Mythol. 867 und Diez etymolog. Wörterb. 220, über 


IV. Das fränkische heich. 103 


7. Dieselben capitula e. 16 (Regino II 441) (!) gebieten noch, dafs 
bei den “collectis vel confratriis quas consortia vocant tantum fiat, quantum 
rectum ad... salutem animae pertinet. Ultra autem nemo, nee sacerdos 
neque fidelis .... progredi audeat”, namentlich auch nicht “in exsequiis de- 
functorum ... Pastos autem et commessationes interdieimus” etc. 

8. Bei Regino I 304 (Wasserschl. 5. 143) lautet eine Beichtfrage: 
cantasti carmina diabolica super mortuos? Viginti dies poeniteas. 

9. Die capitula Walters v. Orleans (Richter Kirchenrecht $ 71 N. 4) 
c. 17 bestimmen ähnlich wie Nr. 6: si quando in cujuslibet anniversario 
ad prandium presbyteri invitantur, ... a procaci loquaeitate et rustieis 
cantilenis caveant, nec saltatrices ... coram se turpes facere ludos per- 
miltant. 

Zunächst ergiebt sich, namentlich aus Nr.6, dafs an jenen von der 
Kirche angenommenen Tagen die Todtenfeier für Geistliche wie für Laien 
statt fand, dafs mit den geistlichen Handlungen ein weltliches Fest sich ver- 
band und dafs zu diesem auch die Priester eingeladen wurden. Sodann, 
dafs die Aussprüche sich zwar nicht gegen dieses Fest und die Theilnahme 
der Geistlichen an sich, aber doch gegen zahlreiche dabei vorkommende 
Unsitten richten. Diese werden im allgemeinen als heidnische, teuflische, 
abergläubische bezeichnet, Nr. !, 2, 4, 5, 6, 8. Im besondern sollen ge- 
mieden werden: ausgelassene Fröhlichkeit und unziemliche Scherze Nr.1, 6, 
unmäfsiges Trinken Nr.1, 6, 7, das Zutrinken und sich zutrinken lassen 
Nr. 6, die Todtenopfer und das “super tumulos manducare et bibere” 
Nr. 2, 3, 4, dem wohl das “sacrilegium ad sepulchra” Nr. 5 entspricht, das 
Trinken auf das Heil des Verstorbenen und auf die Heiligen Nr. 6, das Er- 
zählen von Märchen Nr. 6, das Singen der "diabolica carmina”, der “dad- 
sisas”, der “rusticae cantilenae” Nr. 1, 5-9, das laute Geheul beim Hinaus- 
tragen Nr. 2, das Tanzen und Zulassen von Tänzerinnen Nr. 1, 6, 9, die 
Spiele und der Mummenschanz Nr. 6. 


den Inhalt im Allgemeinen Wilda Gildewesen 21, 22, Hartwig in den Forschungen zur 
D. Geschichte Bd. I 5.142, 150 zu vergleichen. 

(') Aus dem concilium Nannetense c.15, das bald um d. J. 660, bald erst in d. J. 895 
gesetzt worden ist, aber wohl dem Anfange des Iten Jahrh. angehört, jedenfalls der Zeit 
vor 840, da Benedict Levita einige Stücke daraus kennt, s. Wasserschleben zu Regino S. 69 
N.6, 519; Richter C. J. Can. zu c.5 dist.24 und Hartwig a.a. 0.1 135, 136. 


104 Honerer: Der Dreifsigste. 


Diese Schilderungen lassen noch zwei Fragen übrig. Einmal, haben 
wir dies der christlichen Kirche widerwärtige, immer wieder in die Todten- 
feier eindringende Wesen als fortwuchernde ausgeartete römische Sitte zu 
betrachten, oder sollen wir es dem germanischen Heidenthum zuweisen? 
Manche Züge schliefsen sich dem römischen ja selbst dem jüdischen Ge- 
brauche an. So der Leichenschmaus mit seiner Üppigkeit, über welche 
Josephus und die Kirchenväter klagen. Ferner kannten auch die Römer 
“sacrificia, quae diis manibus inferebant und ludos funebres” (1). Und man 
wird nicht lediglich daraus, dafs einzelnes im Römerthum nicht nachzuweisen, 
sofort auf germanischen Ursprung schliefsen dürfen. Andrerseits geben 
unsre sonstigen Nachrichten über rein germanische Leichengebräuche sehr 
wenig aus. Die Überlieferungen bei Tacitus, Germania c. 22: diem noc- 
temque continuare potando, nihil probrum, c. 27 funerum nulla ambitio, 
lamenta ac lacrimas cito, dolorem et tristitiam tarde ponunt, feminas lugere 
honestum est, viris meminisse, lauten zu unbestimmt, gehen für uns nicht 
tief genug. Beachtenswerther ist, dafs der indiculus superstitionum, oben 
Nr. 5, die heidnischen Gebräuche mit germanischen Ausdrücken bezeichnet, 
gleich wie einen anderweitigen mit nodfyr, so einen hieher gehörigen mit 
dädsisas. 

Diese Dürftigkeit in allem bisherigen an Zeugnissen die aus der Nation 
und aus dem Heidenthum selber stammen, läfst eine zweite Frage, ob in 
jenen Verboten ein ungefärbtes Bild der anstöfsigen Sitte auf uns gekommen, 
so gut wie unbeantwortet. 

Überblicken wir nun den Gang des Instituts in der ganzen Epoche 
vom Ööten bis zum 9ten Jahrhundert, so wiegt, nach unsern Quellen zu ur- 
theilen, der kirchliche Einflufs auf dessen Gestaltung entschieden vor. 
Er ist es vornemlich, der die Ruhe- und Feierzeiten bestimmt (?); der 
Volksgebrauch erscheint fast nur, um verworfen zu werden; die juristischen 


(') Kirchmann a.a.0. IV c.2, 8. 

(°) Schütz de die tricesimo p. 12 sq. meint, den Germanen seien die dreilsig Tage an- 
nehmlich gewesen, einmal wegen der Verehrung des Mondes und seiner Wiederkehr (Grimm 
Myth. 666, 676, 677), sodann wegen des Glaubens, dafs der Verstorbene erst nach einem 
Monat zur Unterwelt gehe. Die erste Anknüpfung liegt sehr fern; der Eintritt des Neu- 
mondes hat doch nichts mit dem 30sten Tage nach dem Tode des Einzelnen zu thun. Für 
die zweite verweist Schütz theils auf Schröter Abhdl. I, 382, der aber nur eine Vermuthung 
ohne weitern Belag ausspricht, tbeils auf Grimm 795 ff., bei dem ich nichts darüber finde. 


V. Das deutsche Mittelalter. 105 


Folgen der Termine äufsern sich in untergeordneter Weise. Nun aber treten 
vier Jahrhunderte später diese Folgen sehr bedeutsam hervor; auch ein Volks- 
gebrauch zeigt sich noch über das Mittelalter hinaus lebendig. Und so fällt 
den folgenden Perioden noch immer die Untersuchung der ungelösten Fragen 
zu, ob den Germanen gleich den Juden und Römern der Gedanke eines 
bestimmten feierlichen Abschlusses der Sterbhausstille und in welcher Gestalt, 
mit welcher Wirkung er ihnen eigen gewesen. 

Am Schlusse des neunten Jahrhunderts erhebt sich mit der Auflösung 
der fränkischen Weltmonarchie das Land und das Volk der lingua Theu- 
disca zu dauernder Selbstständigkeit. Hiemit ist uns das engere und eigent- 
liche Gebiet der weiteren Betrachtung gegeben. Doch dürfen wir nicht 
vergessen, dafs die ursprüngliche Verwandtschaft der Deutschen mit andern 
Nationen uns berechtigt, je nach gewissen Zeiten und Institutionen, die 
Armuth und Dunkelheit der eigenen Quellen aus den Denkmälern der 
Stammgenossen zu ergänzen und zu erhellen, Darauf gründet sich die Son- 
derung der folgenden Abschnitte, von denen der fünfte das deutsche Reich 
des Mittelalters ins Auge fafst, der sechste sich nach Skandinavien wendet, 
der siebente wieder nach Deutschland zurückführt. 


Fünfter Abschnitt. 
Das deutsche Reich seit dem zehnten Jahrhundert. 
Ich verfolge 


I. Die religiöse Seite 


des Instituts in ihrem weiterem Geschick. Für diese Seite tritt bis zum 13ten 
Jahrhundert hin unsre Kunde noch eben so überwiegend wie in der vorigen 
Epoche auf. Sie behält ferner wesentlich den schon damals ausgeprägten 
Charakter während des ganzen Mittelalters bei. Ihre nähere Gestaltung ist 
endlich nach der wachsenden Thätigkeit und Autorität der obersten kirch- 
lichen Gewalt eine im hohen Grade gleichmäfsige für die christliche Welt 
des Abendlandes. Denselben Einrichtungen begegnen wir in Westfranken, 
auf den britischen Inseln, in Skandinavien, in Spanien, Italien, in Deutsch- 
land nebst den Niederlanden. Ducange in den Artikeln Anniversarium, Fra- 
ternitas, Novena, Septenarius, Tricenarium etc. liefert dazu reiche Belege. 


Philos.- histor. Kl. 1864. Ö 


106 Homerer: Der Dreifsigste. 


Über England ist noch Dreyer de usu juris anglos. p. 109 und Brand obs. 
on popular antiquities, London 1844 V. II p. 192 ff. ('), über die Nieder- 
lande der Bd. 5 der Verhandelingen der Groninger genootschap p. e.j. p- 
Anhang S. 162 ff. und Beyseopp er in der Ausgabe der Rijmkronijk van 
Melis Stoke, Leyden 1772, Th.2 S. 127 ff., für Skandinavien der folgende 
Abschnitt zu vergleichen (°). 

Es genügt, A aus der allgemeinen Entwickelung der kirchlichen Lehre 
auf einige Haupterscheinungen hinzuweisen, um dann B genauer die beson- 
dern Zeugnisse über Deutschland aufzuführen. 


A. 


Bedeutsam ist für jene Entwicklung der Umstand geworden, dafs die 
als Gratians Decret bekannte, um die Mitte des 12ten Jahrh. vollendete 
kirchenrechtliche Sammlung aufser der Vorschrift aus den capp. Hinemari, 
oben S. 102 C Nr. 6, (C 7 Dist. 44) und den Zeugnissen für den Werth 
und über die Weise des Todtendienstes c. 12, 17sq. C. XIII qu. 2, auch 
c.24 ebd. die Stelle aus der Leichenrede des Ambrosius, oben S. 93, 
aufgenommen hat. Allerdings waren diese, gleich den übrigen Bestand- 
theilen des Decrets, schon früher in das Rechtsleben übergegangen, allein 
die Einverleibung der Sammlung Gratians in das corpus juris canonici verlieh 
doch jenen Bestimmungen über die Todtenfeierzeiten eine festere und all- 
gemeinere Autorität. Dabei erlitt jedoch der Text des Ambrosius eine 


(') Der englische Ausdruck für die Todtenfeiertage ist minnyng days, mynde days, ins- 
besondere für den Dreilsigsten months mind, welcher noch jetzt in Lancashire bekannt ist. 
Belege für die Begehung der Feier sind folgende. Ein im J. 1439 Verstorbener hatte letzt- 
he bestimmt zent upon his Mynde day a good and competent dyner should be ordayned 

o 24 pore man”. In Emöm Testament von 1479 heilst es u.a.: 24 arme Leute sollen 
en Kerzen tragen “as well at the tyme of my burying as at my moneths minde”. 
Der letzte Wille des Historikers Fabyan bestimmt sehr genau die Leistungen “in the tymes 
of the burying and monethes minde” z.B. Brod, Bier, Fleisch für alle die zu den Tagen 
RER noch besonders Teller und Gabeln an 24 Arme aus dem Kirchspiel; ein “dyner” 

r “for my household and kynnysfolks”; 12 der ärmsten Kinder sollen nach der Messe am 
Gabi kniend beten. — In Irland ist die Feier vier Wochen nach dem Begräbnils. 

(2) Für Frankreich wird auch wohl auf Lauriere glossaire I 153, nach Mittermaier 
D. Privatr. (6te Ausg.) $ 145 Note 4, verwiesen; allein das Citat bei M. gehört nicht hie- 
her, sondern zu der Lehre von der Berechnung nach Nächten im $ 146, denn davon handelt 
Lauritre a.a. O. 


V. Das deutsche Mittelalter. 107 


doppelte Änderung. Gratian liest im Anfang: “quia alii tertium, alii trice- 
simum, alii septimum, alii quadragesimum observare consueverunt”, macht 
also eigentlich aus dem zwiefachen Gebrauche einen vierfachen, wiewohl 
nachher die utraque observatio stehen bleibt. Sodann ändert er in dem 
Citat aus der Genesis C. 50 septuaginta in septem, er nimmt also, um den 
Belag dem Lehrsatze anzupassen, den V. 10 zu Hülfe. 

Unter den liturgischen Schriften ist besonders des Durantis ce. 1273 
geschriebene rationale divinorum officiorum im Lib. 7 c.35 “de officio 
mortuorum” zu nennen. Sie weifs für die verschiedenen Feierzeiten zu den 
obigen Gründen noch neue anzugeben, z.B. für die drei Tage noch die 
Trinität und die dreifache Sünde durch Gedanken, Worte und Werke, für 
das novemdiale i. e. offieium 9 dierum die neun ordines angelorum, für die 
dreifsig Tage: "ter decem faciunt XXX, per ter enim trinitatem, per decem 
decalogum intelligimus”, für die 40 Tage, dafs Christus so viele Stunden 
im Grabe geruht. Sie sucht auch ausführlich die besondern Gebräuche bei 
den Todtenmessen, dem Begräbnisse, den Vigilien zu rechtfertigen. 

Aus diesen allgemeinen, so wie aus den besondern Quellen unsrer 
Kunde, den zahlreichen Ordnungen und Vereinbarungen der einzelnen Kir- 
chen und Genossenschaften, treten für den Todtendienst noch immer 
folgende Zeiten hervor. Der dies tertius, der wohl mit der Ausfahrt 
und depositio, der Hinüberführung der Leiche in die Kirche am Abend 
vor dem Begräbnifs zusammenfiel. Der d. septimus oder septenarius, das 
septimale, septenarium, septennale, franz. seme. Der trigesimus, trice- 
narius, trigesimalis, auch trigenarium, trentenarium, trigintale, trigintalium, 
trigintanarium, tricennale etc. Der anniversarius oder die calendae ('). 
Das allgemeine Todtenfest am Tage aller Heiligen (?). Selbst der alte 
römische Neunte, wiewohl ihn nach Durantis Manche wegen seines heid- 
nischen Ursprunges mifsbilligten, taucht verschiedentlich auf. So unter 


(') Alcuinus I. c. In Calendis etiam seu diebus anniversariis per 9 psalmos ... simili 
modo officia persolvuntur. Vgl. Forschungen der D. Gesch. Bd. I, 1862 S.160 ff. Auch die 
spätern Kalandsgesellschaften begiengen das Gedächtnils der verstorbenen Glieder, s. Kose- 
garten Pomm. Geschichtsdenkm. 1834 S.17, 18; Märkische Forschungen IV 27, 28. 

(?) Durantis erzählt nach Peter Damian: der h. Odilio, als er erfahren, dals die bösen 
Geister beim Aetna klagten, ihnen würden der Verstorbenen Seelen durch die Almosen und 
Gebete entrissen, habe in seinen Klöstern angeordnet, dafs der Todten nach dem Aller- 
heiligenfeste gedacht werde, “quod fuit postmodum a tota ecclesia approbatum”. 


02 


108 Honerver: Der Dreifsigste. 


dem Namen novena, neuvaine in den letzten Willen vornehmer Personen, 
z.B. des Pabstes; als “novenarium, novemdiale” in spanischen Urkunden, 
welche sogar, s. Ducange, noch zwischen diesen beiden Ausdrücken schei- 
den ('). Diesen Tag haben auch die christlichen Secten im fernen Orient, 
die Melchiten, Maroniten, Cophten und Jacobiten nebst den andern Tagen 
bewahrt (?). 

Nach der zwiefachen Weise der Feier, theils an theils bis zu einem 
bestimmten Tage können jene Ausdrücke theils den einen Feiertag, theils 
eine ganze Frist mit täglichem Dienst bezeichnen. Dies gilt namentlich für 
den Siebenten (septenarium i. e. prima die officium cum missa in conventu 
et septem aliis similiter, Ducange s. h. v. und Huydecoper zu Melis Stoke II 
128), und für den Dreifsigsten, nach Durantis: ideo trigesima die vel 
triginta diebus fit mortuis offieium (%). Vgl. die ausführliche Beschreibung 
einer dreifsigtägigen Feier in dem statutum S. Martini Turon. a. 922 bei Du- 
cange trigesimum. 

Es fragt sich ferner, ob diese Tage und Zeiten von dem Tode oder 
erst von der Beisetzung ab berechnet wurden. Für das letztere möchte 
man sich berufen auf “lib. 3 Sacramentorum Ecel. Romanae” c. 105: trice- 
simus vel annualis dies depositionis defuncti, auf eine Urkunde von 1120 
bei Huydecoper a. a. O. 127: ut tricesimus dies depositionis ejus cele- 
bretur und auf ähnliche Stellen bei Schmeller Bair. Wb. I 411. Doch ist zu 


(') So die Constitt. cardin. de Mendoza: item pro novemdialibus et missis novenarii ... 
et pro adeundo sepulturam singulis novemdialibus, clerici ecclesiae ... percipere debeant 
450 morapetinos. 

(?) In den von Abraham Echellensis ad lib. Ebed-Jesu c. 60 angeführten “Prooemia- 
libus Conciliorum” heilst es: facite tertia die commemorationem pro iis, qui obdormierunt, 
in psalmis et precibus, quia Christus mortuus est et resurrexit a mortuis. Fiat quoque pro 
illis nona die in memoriam vivorum et defunctorum. Facito etiam pro iis Trigesimum juxta 
antiquae legis ritum, quoniam filii Israel luxerunt super Mose triginta diebus. Item fiat pro 
illis anniversarium etc. $. Ducange s. v. Trigesimum. 

(C°) Zuweilen lälst der Ausdruck einen Zweifel zwischen diesem und jenem Sinne. So 
in den Gesetzen K. Aethelstans (+ 940) VI c.8 $ 6, bei Schmid Ges. der Angelsachsen 
4858 S. 166, 167: “gif him ford-sid gebyrige, pet »lc gegilda gesylle anne gesufelne hläf 
for here säule, and gesinge än fiftig, odde begite gesungen, binnan xxx nihten”, d. i.: 
wenn ihm (einem Gildegenossen) das Abscheiden widerfährt, dals jeder Gildegenosse gebe 
ein Zukostbrod für seine Seele und singe, oder lasse singen ein funfzig (Psalmen) binnen 
dreilsig Nächten. 


V. Das deutsche Mittelalter. 109 


bemerken, dafs nach Ducange s. v. “depositio” dieser Ausdruck auch den 
obitus bezeichnen kann. Jedenfalls zeigt der Nachweis in den Vhdl. der 
genootsch. V Anh. p. 163, dafs eine Berechnung nach dem Todestage 
gleichfalls vorkam. 

Merkwürdig ist sodann, dafs der Begriff sich zuweilen von einem be- 
stimmten Termin nach der Beisetzung oder dem Tode ganz ablöst, so dafs 
er eine kirchliche Todtenfeier gewisser Art, insbesondre einer gewissen 
Reihe von Tagen bezeichnet. So heifst es: VI Non. Maii incipiemus trige- 
narium pro fratribus. — Facient annuatim unum trigesimale pro eo. — 
Pro anima ipsius in primo obitus sui anni quinque trigintalia fecimus. — 
Vult unum trigintanarium missarum fieri sine interruptione. Vgl. unten 
B Nr. 13, 17. 

Endlich bedeuten jene Ausdrücke auch die Gebühren der Geist- 
lichen für ihre Leistungen. Ducange s. v. Septenarius. Stephanus in 
regula Grandimontensium ce. 5: tricenarium, septenarium, annuale vel quod- 
libet pretium pro missa nominatim vobis oblatum nullatenus accipiatis, vgl. 
unten B Nr. 18. 

Unter allen diesen Tagen und Fristen ragt doch der Dreifsigste be- 
sonders hervor, wie schon die Fülle der Belagstellen und der Formen des 
Ausdrucks für ihn bei Ducange lehrt. Er hat sogar gleich dem Jahrestage 
noch eine Anwendung auf ein ganz andres festliches Ereignifs gewonnen. 
Ducange führt aus “Menardus in libro sacrament.” an: hanc oblationem, 
Domine, quam tibi offerunt ob diem tricesimum conjunctionis suae vel an- 
nalem, quo die eos jugali vinculo sociare dignatus es, placatus suscipias. 

Es ist hier auch der Ort, anhangsweise der Todtenfeier sarmatischer 
Stämme im Osten Europas zu gedenken. 

Über die alten Preufsen berichtet Hartknoch Rer. Pruss. diss., d. 13 
de funeribus veterum Prussorum p. 196 sq. nach Joh. Meletius Archipresb. 
Lyccensis epistola ad Georgium Sabinum de idololatria Prussorum vet. 
1551, 1563: Combusto cadavere .... uxor defuncti luctum continuabat 
diebus triginta, ita ut singulis diebus sub ortum et occasum solis exstincti 
conjugis tumulo insidens ... orbitatem suam defleret. Und nach Casp. 
Henneberger, de Prussia veteri 1584 f. 23°: conduci solitas praeficas, quae 
4 hebdomadis mortuum deflerent. Maritus autem non nisi octiduo uxo- 
rem lugebat. Cognatis autem apparabantur convivia funebria tertio, sexto, 


110 Homsrer: Der Dreifsigste. 


nono et quadragesimo ab elato funere. Vgl. auch Waisselius Chronieum 
Prussiae 1599 f. 26’. Schon Voigt Gesch. Preufsens Bd. I S.571 Nr. 1 be- 
merkt, dafs diese Todtenfeste zwar ihren Ursprung in der heidnischen Zeit 
gehabt, aber dafs doch in ihren Character, wie ihn jene Autoren schildern, 
sich manches Christliche eingemischt habe; um so mehr, weil die neu- 
bekehrten Preufsen im Vertrage mit dem D. Orden v. J. 1249 versprochen 
hatten: quod ipsi . . in mortuis comburendis vel subterrandis .... ritus gen- 
tilium de cetero non seryabunt, sed mortuos suos Juxta morem Christiano- 
rum ...sepelient. Diese Ansicht möchte ich auch für jene Termine, na- 
mentlich für den Dreifsigsten geltend machen. Jene Schriftsteller konnten 
dessen christlichen Ursprung um so eher übersehen, als zu ihrer Zeit die 
Reformation schon die christkirchliche Feier verdrängt hatte. 

Gleichermafsen mag es sich verhalten, wenn Thomas Kantzow um 
das J. 1540 (!) in dem Abschnitt “Von Begrabnus” S.285 über die alten 
wendischen Bewohner Pommerns ohne Angabe einer Quelle berichtet: Vnd 
ist darnach die freuntschafft auff den dreitzigsten tag, vnd abermal auff 
den sechssigsten tag, vnd abermal auff den hundersten tag stets bei dem 
grab gegangen, haben da gegessen vnd getrunken ... vnd dem totten sein 
teil auch in das grab unter die steine gesetzt. 

Die in der christlichen Welt überhaupt übliche kirchliche Todten- 


feier tritt nun auch 


B 


für Deutschland in allen ihren Zügen und während des ganzen Mittelalters 
hervor. Ich gebe eine Reihe einzelner Belege, mit besonderer Rücksicht auf 
den Dreifsigsten, nach ungefährer Zeitfolge. 

1. Nach dem Tode Heinrichs I. stiftete seine Wittwe Mathilde con- 
gregationem sanctimonalium in die tricesima in supra memorata urbe 
(Quedlinburg), Thietmari Chron. Script. III p. 740 1. 41. 

2. Im J. 1002 wird ein Graf Ekkehard erschlagen. Der Sohn eilt 
mit seiner Mutter herbei und läfst die Leiche zu Geni (nach dem Annalista, 
Saxo in loco ubi Sala et Unstrod confluunt d.i. Grofsjena bei Naumburg) 


(') Am Schlusse des fünften Buches seiner Pommerschen Chronik letzter Hand, s. W. 
Böhmer Th. Kantzows Chronik 1835 S. 61, 280. 


V. Das deutsche Mittelalter. 411 


begraben. Peracto autem tricesimo die, domna Suonehildis ad Misni 
profieiseitur cum filiis. Ebd. p. 792 1. 44, 45. 

3. Zu Dortmund wird im J. 1005 auf einer Synode beschlossen: In 
obitu euiusque prenominatorum singuli episcoporum infra 30 dies... mis- 
sam pro defuncto celebrent et unus quisque presbiter in monasterio similiter 
faciat .... Rex et regina infra 30 dies 1500 denarios pro animae re- 
demptione erogent et totidem pauperes pascant etc. Ebd. p. 810. 

4. Die Vita Meinwerei, Seript. XI p.152 1.34 erzählt. Hoc insu- 
per constituens ..... ut a fratribus die xxx obitus eius omnibusque anni- 
versariis missae et psalmodiae celebrentur et eleemosynae . . . ero- 
gentur etc. 

5. Notae Corbeienses, Jaffe Monumenta Corbeiensia Berol. 1844, 
p- 72sp. ad a.1081-1128. In den Statuten einer fraternitas in honore Sti 
Viti zu Goslar: “si quis morte obierit, 3 solidos statim ei mittunt, unum 
pro cera ad dies 30, alios pro victu pauperum ut fiat elemosina super fu- 
nere”. Beim Tode eines Bruders zu Corvey werden 3 sol. dorthin geschickt, 
“quos custos — pro anima fratris per dies 30 in luminariis et elemosinis ex- 
pendet”. Nach den Statuten der Veitsbrüderschaft zu Corvey: “tricesimum 
diem obitus cuiusque .... in pauperum recreatione procurabunt”. 

6. In einer von W. Wackernagel in Haupts Zitschr. f. D. A. 7. 138 
aus einer Zürcher Hdschr. des 12. Jahrh. mitgetheilten Anweisung über das 
Verhalten beim Tode eines Angehörigen heifst es u. a. unt bit die briestere, 
daz si die sele dines friuntes dem almahtigen gote beuelhen mit uollemo 
ambahte ... Daz tu an dem sibenten unt zu iegelichemo drizegisten, so 
chumit dir diu sele zegesihte alnah diu so ir dine stet. 

7. Pabst Cölestin III schreibt 1191 an die Canoniker zu Schwerin, 
dafs sie das stipendium eines verstorbenen Canonicus verwenden: ad exe- 
quias et ad tricesimum et ad anniversarium. Cod. Pomer. dipl. v. Has- 
selbach etc. I 166. 

8. Rudolphs von Ems deutsche Bearbeitung des Barlaam und Josa- 
phat c. 1220 giebt, Sp. 363 V. 5 ff. die obige Stelle, S. 101, über die Feier 
des Vierzigsten dahin wieder: er sinem vater hie den drizigesten tac begie 
mit gehügede (Gedächtnifs), daz er starp. 

9. Melis Stoke Rijmkronijk, IH v. 51 ff. bei Huydecoper II 
8.6, 7: 


112 Homerver: Der Dreifsigste. 


In dissen tiden so ghelach 

Graven Didrix dartichste dach 

En Grave Lodewijg eü sijn wijf mede 

En Gravinne Aleid waren ind stede 

Von Haerlem comen, omme t’Egmonde 

Dat Dartichste te done tier stonde. 
Die Goudasche Chronik sagt: daer na ghevielt, dat men Graaf Dircks 
maenstont soude doen. 

10. Der Sachsenspiegel kennt I 22 $1 bigraft unde drittegesten 
(al. drizigsten u. jarcit) dun und 1 33 to der bigraft oder to me drittegesten, 
gedenkt aber des Siebenten nicht. 

11. Seifried Helbling (Ztschr. f. D. Alterth. 4, 131) läfst einen Pfaffen 
sagen, S. Bernhard ete. hätten geboten: zem sibenden, zen järtagen und ze 
der bevilde (dem Begräbnifs) solt man wesen milde mit opfer und mit 
selgeraet. 

12. In Utrecht wurde für einen Canonicus geläutet gleich nach dem 
Tode, beim Begräbnifs, am Siebenten, am Dreifsigsten und am Jahres- 
tage. An den letzten dreien dieser Tage kamen alle Canoniker zusammen, 
Huydecoper II 128. 

13. Monum. Boica XXIV 346, 347. Nach einer Stiftung von 1310 
soll das Kloster Castel “aller iärchlichen dri drisik mit sele messen”, des 
Stifters “sele ze trost wegen” (begehen)... . “auch schul wir nach sinem tode 
drisig naht nah gewonhait unsers klosters sin gedechtung mit singen u. mit 
lesen als unsers bruder aim wegen”. 

14. Nach Kosegarten zum Cod. Pom. Dipl. p. 169, wurde in Pom- 
mern häufig durch letzten Willen etwas für den dertigesten ausgesetzt. 

15. Nürnberger VO. aus dem 14ten Jahrh. bei Siebenkees Mater. 
zur Nürnb. Gesch. 1792 Bd. 1 S.205: Man sol ouch nicht kerzen vf di 
greber setzen, danne ze sibenten vnd ze drizichsten vnd ze iargezeiten. Man 
sol ouch mit gesang vber di greber nicht mer gehen dan so man di leich leget. 

16. Nach dem Kölner Eidbuch v. 1341 $ 6 (Ennen und Eckertz 
Quellen z. Gesch. der St. Köln I 1860 S. 16) soll von den 15 Mitgliedern des 
engern Raths: engein navolgin zu eynehme graue na deme dage des begeng- 
nisse, noch zu dem seuendin, drissichstin, jairgeziden, id inwere eyns vader 
of moder, wif of kint, broder of suster, of de eyns mans wibes as nasint. 


V. Das deutsche Mittelalter. 113 


Das Eidbuch von 1372 $ 7 (ebd. S. 44) verbietet dies dem engen Rathe und 
den 31 vom weiten Rathe: as sij gebot bij ein ander haint off up de unge- 
boeden dage, dat si) bij eijn sint. Es handelt sich also um eine Dispensation 
von den Rathssitzungen wegen Theilnahme an der kirchlichen Feier zu Ehren 
gewisser naher Verwandter. — Eben so entschuldigt das Strasburger Stadt- 
recht (Scherz Glossar S. 1496) den Rathsherrn, welchem Eltern oder Ge- 
schwister gestorben, wenn er am Siebenten nicht zu Rathe kommt. 

17. Ein Abt des Klosters S. Petri zu Salzburg bestimmt um d. Jahr 
1375 u. a.: novem solidos ad tres tricenarios anni pro congregacione 
und für sich selbst decem missas .. in die anniversarii ipsius incipiendo et 
novem diebus sequentibus. Script. IX p. 838 1. 20, 30. 

18. Strasburger Urkunde y. 1419: so ist mir, dem vorgen. Techan 
von ir der drysigste worden, also das zu Colmar gewoenlich ist, Scherz 
Glossar S. 253. 

19. Berliner Urk. v. 1420: sic etiam cum introduxionalibus et 
sponsis et tricesimalibus et anniversariis est observandum, Fidicin dipl. 
Beitr. I 256. 

20. Vertrag zwischen dem Pfarrer in Buckewin und den Einwohnern 
in Prissen (bei Dobrilugk) v. J. 1435: item das dreyfsigste eines todten 
sullen di leuthe nach iren vermögen nach gewonheit an der kirchen begehen 
u. halden lassen, Ludewig Rell. I 474. 

21. Eine Frau in Pirna verordnet 1459: man sol ir das drysigste 
halden item ein selebat (ein Bad für die Armen, damit sie für des Verstor- 
benen Seele beten), Anzeiger f. Kunde der D. Vorz. Nov. 1861 Sp. 387. 

22. Der Thürhüter Herzogs Albrecht VI. von Österreich, Hierfs- 
mann erzählt: nach des Herzogs Tode am 4. Dec. 1463 “pin (ich) darnach 
bisz zu meins herrn säligen dreyssigest alltag bei irn gnaden” (der Schwe- 
ster und dem Schwager des Verstorbenen) “gewesen”. Und weiterhin: 
“schier zuo dem dreyssigost, do hat der Wurgenwein vil gesellschaft 
mit dem burgermaister zuo Wien”; v. Karajan kleinere Quellen z. Gesch. 
Österreichs, Heft I Wien 1859 S. 46. 

23. Nach den Statuten des Kalands St. Gertrudis zu Braunschweig 
sollen die Mitbrüder zusammenkommen, des Verstorbenen Dreifsigsten 
zu begehen mit Vigilien, Vespern, Seelmissen, Opferungen und Allmosen, 
Rehtmeyer, Braunschw. Kirchenchronik 1707 1178. 

Philos.-histor. Kl. 1864. EB 


114 Homzver: Der Dreifsigste. 
24. Magdeb. Schöffenurtheil (Böhme dipl. Beitr. VI 106): czu des 


mannis dreisegistin, wenne man sine manczit begangen hot. 

95. Ein Lübsches Urteil in einer Stralsunder Sache v. J. 1484 ge- 
denkt der “bynnen der negesten maente” nach dem Tode eines Mannes für 
vigilien u. selemyssen bestrittenen Ausgaben; Michelsen Oberhof 232. 

236. In Enkhuizen erhielt der Priester ein Brod, zwei Pfund Butter 
und eine Kanne Bier bei der uitvaert (dem Begräbnifs), der maenstondt 
(dem Dreifsigsten) und der jarig tijdt. Huydecoper II 127. 

27. Die Salfelder Statuten, Walch I 38, verbieten, dafs jemand zu 
andern sende, um mit ihm zu opfern: zcu sibenden, zeu drizigen noch 
zcu jargecziten. 

38. Nach Pröckl Eger und das Egerland, Bd. 2 1845 S. 72 wurde 
dort im Mittelalter am siebenten und am dreifsigsten Tage nach der Leiche 
eine Seelenmesse gehalten, wobei die nächtsen Verwandten ein Licht der 
Kirche opferten. 

99, Die Vormünder der Kinder eines Entleibten sollen denselben 
“einmal in der pfarkirchen begeen lassen, als man nach gewonheit der pfar- 
kirchen einen ersamen burger seinen dreissigen pfliget zu halten”. Bam- 
berger Urteil von 1502, Ztschr. für Rechtsgesch. II 448. 


II. Die weltliche Feier. 


Von den eben verzeichneten Stellen lauten die Nr. 2, 8, 9, 10, 24 
über das Begehen des Dreifsigsten so allgemein, dafs sie gleichmäfsig auf 
die weltliche wie auf die kirchliche Seite des Festes gedeutet werden können. 
Die Nr. 22 aus Wien hebt ausdrücklich eine Gesellschaft am 30sten her- 
vor. Noch deutlicher erhellt die Verbindung eines Gelages mit dem Seelen- 
dienst aus mancherlei Klagen über die Schwelgerei, aus policeilichen Be- 
schränkungen oder gar förmlichen Verboten. 

Der General der Karthäuser in Frankreich äufsert im Anfange des 
12ten Jahrh.: Audivimus plerosque totiens splendide convivari, missasque 
facere paratos, quotiens aliqui pro suis eis voluerint exhibere defunctis. 
Quae consuetudo et abstinentiam tollit et venales facit orationes, dum quo- 
ties pastuum numerus, totus est et missarum. Huydecoper a. a. O. II 130. 

In “Verons Huntyng of Purgatory” Lond. 1561 heifst es f. 36: I schulde 
speaking nothing in the mean season of the costly feasts and bankettes, that 


V. Das deutsche Mittelalter. 115 


are commonly made unto the priestes (whiche come to suche doinges from 
all partes, as ravens do to a dead carcase) in their buryinges, moneths min- 
des and yeares myndes, vgl. oben S. 106. 

Im J. 1410 wird in Braunschweig verordnet: Wanne eyn minsche 
begrauen wert, to der graffı eder to dem drittighesten schal me nicht mer 
lude to ghaste hebben, wenne X (Urkundenb. der Stadt Braunschweig 
1861, 4 S. 140 No. 146). Und etwa gleichzeitig in Nordheim: so eynem... 
syn angeboren frundt, huswert edder husfrouwe van dodes wegen vorfelle, 
de schol tho der bygrafft edder ver weckenn nicht mer denne 20 mynschen 
... tho den maltyden u. ethen hebben (v. Bülow u. Hagemann Erört. X 201), 

Die Ann. Colmarienses ad a. 1280 (Script. T. XVII p. 207 1.5) er- 
zählen: Syfridus scultetus Columbariensis sacrificia tricesimorum, anni- 
versariorum, nuptiarum et convivia prebuit (l. prohibuit) (!). Eben so 
lauten die Beschlüsse des Coneilii Trevirensis a. 1310 c.54 (Martene & 
Durand Thes. IV. 251): inhibemus, ne convivia et commessationes teneantur, 
quae per heredes et successores defuncti in eisdem exequiis fieri consueverunt, 
sed sumtus hi in usus pauperum et in pias causas in remedium animae de- 
functi potius convertantur. 

Diese Zeugnisse aus der Zeit vom Ende des 9ten bis zum Ende des 
A6ten Jahrh. geben aber doch kein anschauliches Bild der Volkssitte, ge- 
schweige denn, dafs sie uns zu Schlüssen über das Alter und die ursprüng- 
liche Natur dieser Sitte hinführten. 


III. Die juristische Bedeutung. 


Für diese bieten die Quellen aus der ersten Hälfte jenes Zeitraums 
noch dürftigere Kunde. Das zehnte, elfte und zwölfte Jahrhundert bilden 
ja für die Verfolgung des deutschen Rechts überhaupt die unausgiebigste 
Epoche. Die seltenen Reichsgesetze und Aussprüche der Reichsgerichte 
beherrschen zwar das ganze Land aber nur für einzelne Institute des öffent- 
lichen Rechts. Die Hof- Dienst- und die noch sparsamen Stadtrechte liefern 
zwar einen umfänglicheren Stoff, aber nur für einen sehr beschränkten 
Kreis der Geltung. Zur Gewinnung allgemein waltender Rechtssätze sind 


(') Der Text ist nicht allein in dem letzten Worte, sondern auch wohl in der Stellung 
der vorhergehenden verderbt. Der Herausgeber bessert: sacr. tric. anniv. conviviaque pro- 
hibuit nuptiarum. 


P2 


116 Homever: Der Dreifsigste. 


wir für die meisten Institute theils auf zufällige Nachrichten der Schriftsteller, 
welche oft der juristischen Bestimmtheit entbehren, theils auf Urkunden 
über individuelle Rechtsverhältnisse verwiesen, welche für sich allein doch 
nur dann, wenn sie massenweise und dauernd in denselben Satz zusammen- 
stimmen, uns von der Herrschaft eines gewissen Prineips überzeugen. 

Für unsre Frage verlassen uns auch diese letztern Quellen der Rechts- 
kunde vor dem A3ten Jahrhundert fast völlig. Ich vermag nur zwei Stellen 
aus dem Ende jener Epoche beizubringen. 

Im J. 1174 bestätigt Erzbischof Philipp von Köln die Anordnungen 
der Äbtissinnen des Ursuliner-Klosters über das Gnadenjahr, während dessen 
die Angehörigen eines Verstorbenen seine stipendia fortgeniefsen. “Commu- 
niter autem et fratribus et sororibus utraque abbatissa id contulit, ut annus, 
qui hactenus a prima die obitus solebat computari, de cetero a tricesima 
obitus die computetur, ut omnia plenius eirca defuncetum possint ordinari”. 
Also eine neue Anordnung, um den Hinterlassenen die Bestreitung der Un- 
kosten für die Todtenfeste bis zum Dreifsigsten zu erleichtern. 

In der Urkunde v. J. 1186 durch welche derselbe Erzbischof ein 
älteres, wohl der Mitte des 11ten Jahrh. angehöriges Privilegium für die 
familia zu Soest und in den benachbarten Dörfern bestätigt, heifst es: cum 
autem mortuus fuerit vir, uxor seu filii medietatem omnium quadrupedum 
dabunt curti celebrato tricesimo defuncti (!). Also der der Herrschaft 
gebührende Theil des Nachlasses , das mortuarium ist erst nach der Feier 
des Dreifsigsten fällig. Darin liegt nach jener dreihundert Jahre früheren 
Andeutung, s. oben S. 97 ein bestimmteres willkommenes Zeugnifs für 
den Gedanken, dafs die Obliegenheiten des Erben gegen Andre erst nach 
Erfüllung seiner Pflichten gegen den Todten, nach der Leichenfeier am 
Dreifsigsten beginnen. 

Was sollen wir nun sagen, wenn nur etwa vierzig Jahre später Eike 
von Repkow uns die Bedeutung des Dreifsigsten für die Stellung des Erben 
als gemeines Sachsenrecht, in fester und reicher Ausbildung vorführt? Wie 
weit sollen wir seine Sätze zurückverlegen; haben wir sie lediglich an den 
nun schon so lange und tief begründeten kirchlichen Gebrauch, der nach 


(') Abgedruckt in Seibertz Urkundenb. des Herz. Westfalen, Bd. 1. Arnsberg 1839. 
S.124, und mit Erläuterungen bei Beseler, zur Gesch. des D. Ständerechts 1860, 4. 
(Gratulationsschrift zu Savignys sechzigjährigem Doctorjubiläum) S. 4. 


VI. Skandinavien. Einleitung. 447 


und nach ein Rechtsinstitut erzeugte, zu knüpfen ('!), oder vielmehr an 
eine uns verborgen gebliebene uralte germanische Volkssitte, welche nur 
den Termin aus der Kirche entlehnte? 

So bleiben überhaupt noch dieselben Fragen übrig, deren der Schlufs 
der fränkischen Epoche gedachte. Drängen sie uns nun zur Umschau nach 
anderweitiger Hülfe, so richtet sich der Blick vor allem auf den Norden. 


Sechster Abschnitt. 


Die Gebiete Skandinaviens. 


Einleitung. 

Tacitus, Plinius, Ptolemäus rechnen ja die Bewohner der dänischen 
Eilande und des Südens der skandinavischen Halbinsel zu den Germanen (?). 
Wir vermögen auch die Zunge, welche tausend Jahre nachher im Norden 
als theils isländisch-norwegische, theils schwedisch- dänische herrscht, ent- 
schieden als Verwandte der spätern Germanischen Sprache zu erkennen. 
Wir dürfen endlich voraussetzen, dafs der Norden, je ferner er der Völker- 
bewegung und der Mischung des mittlern Europas blieb, auch um so reiner 
das angestammte Wesen zu bewahren vermochte. Hiehin also wendet sich 
unsre Forschung am liebsten, wenn wir über die Urzustände der Stämme 
des eigentlichen Germaniens, über ihren Glauben, ihre Rechte und ihre 
Sitte ein volleres Licht begehren, als die nächsten Quellen bieten. Die 
Umschau bei solchen Verwandten trifft auf besonders günstige Umstände. 
Für die Germanen des mittleren Europas vollzieht sich die Bekehrung zum 
Christenthum vom öten bis zum 8ten, für die Nordländer vom 9ten bis zum 
11ten Jahrhundert. Um so geraume Zeit also stehen wir dem skandinavi- 
schen Heidenleben, seinem Kampfe mit der christlichen Lehre, dem Fort- 
wirken mancher seiner Vorstellungen und Gebräuche nach dem Siege des 
neuen Glaubens näher. Die Quellen sodann unsrer Kenntnifs fliefsen dort 
in gleichem Maafse reichlicher. In Island, wo noch in neuer Zeit das Ent- 


(') So Schütze de die tricesimo, 1847 $ 5. Illud ipsum quod moris erat ac deinceps 
ad rem christianam accommodatius in ritum abierat religiosum, sensim tam late patere et in 
vitae actione coepit esse tanti momenti, ut adeo in juris ingrederetur disciplinam. 


(?) Zeuls die Deutschen und die Nachbarstämme 1837, S. 76-79, 156 ff., 502 ff., 513 ff. 


118 Homerer: Der Dreifsigste. 


halten vom Lesen der Sagas als ein Fasten gilt, wo die Stammbäume sichrer 
als irgendwo bis in das neunte Säculum zurückreichen, in Island “gebar” 
nach Weinholds Worten (!) “die Ruhe des Winters und des Alters nach 
den Fahrten des Sommers und der Jugend eine Lust am Erzählen und Hö- 
ren” der Abstammung und Thaten der Vorfahren zurück bis zur Besitz- 
nahme desLandes, ja bis in die fernen Erinnerungen der Einwandrer aus der 
alten Heimath hin; so dafs, als der langen mündlichen Überlieferung im 
12ten Jahrhundert die Aufzeichnung folgte, nunmehr die Norweger, ja auch 
die Schweden und Dänen sich hier die bei ihnen selber geschwundene Kunde 
ihrer Vorzeit zu holen vermochten. Diesen historischen Sagen, deren 
Blüthezeit ins 13te Jahrhundert fällt, schliefsen ungefähr gleichzeitig für alle 
vier nordische Gebiete sich Rechtssammlungen an, die, an Autorität und 
Alterthümlichkeit der Bestimmungen den Volksrechten vergleichbar, diese 
doch weit an Reichhaltigkeit übertreffen. Beide Arten von Denkmäler gehen 
den in Deutschland bis zum 13ten Jahrhundert geschriebenen auch darin 
vor, dafs sie in der Volkssprache verfafst sind, somit des Volkes Sitte und 
Recht zum treueren ungefärbten Ausdruck bringen. 

In dieser Einsicht ziehen Jacob Grimms deutsche Rechtsalterthümer 
allentwegen jene Sagen und Rechtsbücher herbei; seine deutsche Mythologie 
braucht die nordische zum “Einschlag”; Wilda’s germanisches Strafrecht 
verdankt ihrer Benutzung den breiteren und festeren Boden; Rive’s Vor- 
mundschaft der Germanen 1862 (S. 1-167) ist neuerdings seinen Fufstapfen 
gefolgt. 

Schlagen wir hier den gleichen Weg ein, so zeigt er sich für unsern 
Zweck schon erheblich geebnet. Zwei fast gleichzeitig erschienene gediegene 
Arbeiten, Konrad Maurer, Bekehrung des norwegischen Stammes (Bd. 1 
vom 20. Oct. 1855, Bd. 2 vom 14. Sept. 1856 datirt) und Karl Weinhold, 
altnordisches Leben (Weihn. 1855) haben mit Liebe und ausgedehnter 
Quellenkenntnifs nicht nur die allgemeine sichre Grundlage für unsre spe- 
cielle Frage geliefert, sondern auch unser Institut selber in seinen Haupt- 
zügen nach den nordischen Quellen geschildert und das Aufsuchen der ein- 
schlägigen Sagenstellen gar sehr erleichtert. Mir blieb übrig, genauer in 
die Einzelheiten, besonders in den Inhalt der Rechtsbücher einzugehen, 


(') Altnordisches Leben S. 4. 


VI. Skandinavien. 1. Heidnischer Gebrauch. 119 


sodann die gewonnenen Ergebnisse sowohl mit den obigen Erläuterungen als 
mit den spätern Erscheinungen in Deutschland zu verknüpfen. 

Die Fülle der über ein weites Ländergebiet und durch eine Reihe von 
Jahrhunderten hin zerstreuten Thatsachen läfst, wie ich glaube, eine ein- 
fache Gruppierung in folgender Weise zu. Es ist im Ganzen die Zeit des 
heidnischen und des christlichen Lebens zu trennen. Mit dieser Schei- 
dung fällt eine andre, die nach jenen beiden Hauptquellen sich richtet, für 
unsern Zweck ziemlich zusammen. Den heidnischen Gebrauch lernen wir 
nur aus den Sagen kennen, welche wiederum, auch wenn in christlicher 
Zeit geschrieben, doch vorzugsweise die alte Sitte schildern. Die Rechts- 
quellen dagegen setzen nicht nur die Begründung des Christenthums voraus, 


sondern wollen auch in christlichem Geiste ihre Vorschriften aufstellen. Also 


I. Der heidnische Gebrauch nach den Sagen. 


Den Erzählungen der Sagen kommt etwa seit dem 9ten Jahrhundert 
der Character eigentlicher Geschichtsquellen zu, die aber auch noch später 
mit Vorsicht benutzt werden wollen. In unserm Gebiete jedoch, wo es 
gilt, nicht eine besondre That oder Begebenheit, sondern eine durchwal- 
tende Sitte festzustellen, werden wir die Glaubwürdigkeit der einzelnen 
Schilderung weniger streng nach Alter und sonstigen historischen Umständen 
zu prüfen haben. Gleichwie ferner die isländischen Berichte den ganzen 
Norden begreifen, so geben sie uns auch hier keinen Anlafs zur Scheidung 
der einzelnen staatlichen Gebiete. Ich fasse daher jenen Gebrauch für die 
ganze Heidenzeit und für ganz Skandinavien in eine Darstellung zusammen. 

Den Ausgang und Mittelpunkt für diese Darstellung bildet dasErbmal. 
Die Namen sind ervi öl d. i. das Erbebier; kurzweg arfi, erfi, besonders in 
den Sätzen gera erfi das Erbmal ausrichten, biöda til erfis zum E. laden, 
dricka erfi das E. trinken (!). Die besondre Beziehung auf den Verstorbenen 
drückt aus “dricka eptir brodur minn, eptir födur varn”, nach meinem 
Bruder, unserm Vater trinken. Nach dieser Bedeutung des erfi ist auch das 
Zeitwort erfa nicht nur erben, sondern auch das Erbmal halten. Das Mal 


(') Vgl. Ihre Glossarium Sviogothicum unter Arfveöl p. 107, Haldorson Lexicon Isl. 
p- 185, Joh. Fritzner Ordbog over det gamle norske Sprog, Kristiania 1862 unter erfa, 
erfi etc. Das nordische ö2 entspricht nicht unserm Öl, welches dort o/ja heilst, sondern 
dem englischen ale. 


120 


Homeyer: Der Drei/sigste. 


gehört überhaupt zu den ölgärdar, den pflichtgemäfsen Trinkgelagen, ins- 
besondre zu dem, was die Erben sollen eflir gera d.i. nach thun; es ist 
ein Theil der eptir giaerb, arffgierd, der Nach- oder Erbesleistung. 


Ich gebe nun 


A 


einige charakteristische Schilderungen des Erbmals, erst in ihrem Wortlaute 


um dann ihren Inhalt zusammenzufassen. 
1. Die Ynglinga Saga c. 40 (Heimskringla S. 48, 49) erzählt, wie 
König Ingiald von Schweden, der im Anfang des 7ten Jahrh. regiert haben 


soll, seine Gäste zu Upsala verbrannte. 


Ingialldr konung let bua veitzlu mikla at 
Uppsölom, oc ztladi at erfa Onund konung 
födr sinn. I.k. sendi menn um alla Svipiöd 
oc baud til sin konungom oc jörlom, oc ödrom 
merkis-mönnom. Til pefs erfis kom Algauti 
konungr mägr Ingiallds etc. - - pat var sid- 
venia i ann tima, par er erfi skylidi giöra 
eptir konunga edr jarla, pä skylidi sä er gerdi 
erfit, oc til arfs skylidi leida, sitia 4 skörinni 
fyrir häszetinu, allt par til er inn vzeri borit 
full, pat er kallat var Bragafull; skylidi sä 
hä standa upp ı möti Bragafulli oc streingia 
heit, drecka af fullit sıdan: sidan skylidi hann 
leida i häsaeti Pat, sem ätti fadır hans; var 
hann pä kominn til arfs alls eptir hann. Nu 
var sva her gört, at pä er Bragafull kom inn, 
stod upp Ingialdr konungr oc tök vid einu 
dyrshorni miklu, streingdi hann pä heit, at 
hann skylidi auka riki sitt halfu ı hveria 
höfut ätt, edr deya ella; drack af sıdan af 
horninu. 


Dabei heifst es: 


König Ingiald liefs bereiten ein grolses 
Fest zu Upsala und hatte vor, seinen Vater 
K. Onund zu beerben (oder ihm das Erbmal 
zu halten). Er sandte Leute über ganz Schwe- 
den und bat zu sich Könige und Jarle und 
andre ausgezeichnete Männer. Zu dem Erb- 
mal kam K. Algaut Ingialds Schwiegervater 
u.s.w.-- Es war Sitte in jener Zeit, wenn 
da ein Erbmal geschehen sollte nach einem 
König oder Jarl, dann sollte, der das Erbmal 
ausrichtete und zum Erbe gelangen sollte, auf 
einem Schemel vor dem Hochsitz sitzen, so 
lange bis der volle (Becher) hereingebracht 
wurde, welcher Bragafull genannt wurde; 
dann sollte er dem Bragafull gegenüber auf- 
stehn, ein Gelübde thun und dann den Voll- 
becher leeren. Darauf sollte er zu dem Hoch- 
sitz geleitet werden, den sein Vater gehabt 
hatte; dann war er völlig zum Erbe nach ihm 
gekommen. Nun geschah es hier so, dafs als 
der Bragafull herein kam, stand K. Ingiald auf 
und ergriff ein grolses Thierhorn und that das 
Gelübde, dafs er sein Reich um die Hälfte 
nach jeder Weltgegend vermehren würde, 
oder sonst sterben; darauf trank er aus dem 
Horn. 


2. Die Fagrskinna (von Munch und Unger 1847 herausg.) $ 55 
berichtet von dem Erbmal, welches K. Sven von Dänemark seinem um 956 
verstorbenen Vater Harald hielt, zu dem er die Jomsvikinger mit ihrem Jarl 


VI. Skandinavien. 14. Heidnischer Gebrauch. 


Sigvald einlud. 


121 


Sie beschreibt dabei, wie man das Erbmal in vorigen 


Zeiten hielt, d.h. zur Heidenzeit, denn erst Harald hatte sich zum Christen- 
thum bekehrt und Sven wich davon wieder ab, Maurer I 248. 


Jomsvikingar kvämu pann dag er at var 
gengit erfinu, ok fagnadi Sveinn konungr med 
mikilla blidu Sigvalda jarli ok öllu hans föru- 
neyti. hä er erfi väru gör at fornum sid, 
pa skyldi pat skylt at gera pau ä pvi äri, er 
sa hafdı andazk, er erfit var eptir drukkit, 
en sa er gera let erfit, hann skyldi eigi fyrr 
setjask i bess seti, er hann erfdi, en menn 
drykki erfit. Hit fyrsta kveld er menn kvani 
til erfis, pä skyldi skenkja upp full mörg 
med theim hietti sem nü eru minni, ok eig- 
nudu hau full hinum rikustu frendum sinum 
eda pör eda ödrum gudum sinum, pä er 
heidni var. En sidast skyldi uppskenkja Bra- 
gafull; pa skyldi sa er erfit gerdi strengja 
heit at Bragafulli, ok svä allir peir er at 
erfinu vzeri, ok stiga hä i sieti hess er erfdr 
var, ok skyldi pa fullkominn vera til arfs ok 
virdingar eptir hinn dauda, en eigi fyrr. 


Die Jomsvikinger kamen den Tag auf den 
das Erbmal angesetzt war, und König Sven 
empfieng mit vieler Güte den Jarl Sigvald 
Wenn Erbmale nach 


alter (heidnischer) Sitte zu halten waren, so 


und all sein Gefolge. 


war es Pflicht sie in dem Jahre zu halten, 
in welchem der gestorben war, nach welchem 
das Mal getrunken wurde. Und der welcher 
das Erbmal ausrichten liefs, sollte nicht eher 
in den Sitz dessen sich setzen, den er be- 
erbte, als bis die Leute das Erbmal getrun- 
Am ersten Abend da die Leute 


zum Erbmal kamen, sollte man viele Voll- 


ken hatten. 


becher nach der Sitte einschenken, wie jetzt 
die Gedächtnifsbecher, und sie widmeten diese 
Becher ihren mächtigsten Verwandten oder 
dem Thor oder andern ihren Göttern, als das 
Aber zuletzt sollte man 
sollte 
der, welcher das Erbmal ausrichtete ein Ge- 


Heidenthum bestand. 
den Bragabecher einschenken. Dann 
lübde beim Bragabecher thun, und ebenso alle 
die, welche beim Erbmal waren, und er dann 
in den Sitz dessen, der beerbt wurde, treten, 


und sollte dann vollkommen zu Erbe und 
Würde nach dem Todten sein und nicht 
früher. 


3. Die Jomsvikinga Saga (in den Fornmanna Sögur Bd. XI) er- 


zählt zunächst C. 21 (S. 67): 


a) Lik Haralds konüngs var fert til Röis- 
keldo ok par jardat. Ok eptir bat er Sveinn 
er konüngr ordinn, pötti pä honum pat skylt, 
sem öllum ödrom konüngum, at erfa födur 
sion fyrir enar 3ju vetrncetr (al. fyrir hin 
pridju jol). 
bessa veizlo, ok fresta pvi ekki lengr. 
bydr fyrstum Pälnatöka föstra sinom til erfis 
bess, ok beim Fjonbyggom vinom hans ok 


Hann zetlar nıı pegar at hafa 
Hann 


frendum. 


Philos.-histor. Kl. 1864. 


Die Leiche K. Haralds war nach Roeskilde 
Und nachdem 


Sven König geworden war, dünkte es ihn 
58 ’ 


gebracht und dort beerdigt. 


Pflicht, wie alle andere Könige, seinem Va- 
ter das Erbmal zu halten vor einer dritten 
Winternacht (al. vor der dritten Weihnacht). 
Er trachtet nun sofort, das Fest zu haben 
und nicht länger damit zu zögern. Er ladet 
den Fürsten Palnatoke seinen Pflegevater zu 
dem Erbmal und dessen auf Fühnen wohnen- 
den Freunde und Verwandten. 


Q 


122 


Das Vorhaben wird jedoch für jetzt gehemmt. 


heifst es dann: 

6) Ok nü ketr konüngrinn lida pat haust 
erfisgerdina ok lidr af sa vetr ok bat sumar. 
Ok nü var sva komit, at Sveinn mätti eigi 
pykkja gildr koningr, ef hann skylde eigi erfa 
födur sinn fyrir enar 3ju vetrnetr, ok vill 
konungr nu att visso eigi läta undan bera. 


Homeyver: Der Dreifsigste. 


Im C.22 (S. 69) 


Und nun läfst der König in dem Herbste 
die Erbfeier vorübergehen und geht so der 
Winter und der Sommer dahin. Und nun 
war es dahin gekommen, dafs Sven nicht für 
einen gültigen König gehalten werden konnte, 
wenn er nicht seinem Vater das Erbmal vor 
der dritten Winternacht hielt, und wollte nun 
der König es gewils nicht unterlassen. 


c) Das C. 37 (S. 107) erzählt den Tod des Jarls Strutharald. 
Seine Söhne Sigvald und Thorkel waren in Jomsburg, ein dritter He- 


mingr noch jung. 

pä Pykkist Sveinn konüngr skyldr til at 
gera erfi eptir Strütharald jarl, ef synir hans 
enir ellri kaemi eigi til, pviat Hemingr pötti 
hä enn üngr til at räda fyri veizlonne. Nu 
sendir hann ord beim broedrum til Jömsbor- 
gar, at peir Sigvaldi ok porkell kaemi til er- 
fisins ok hittist par, ok gerde allır samt 
veizlu, ok hiefde til skipana, at hun yrde sem 
virdeligust eptir pvılikan höfdingja, sem var 
fadır peirra, Strütharaldr jarl. 


Da hielt sich K. Sven für verpflichtet, das 
Erbmal nach dem Jarl Strutharald auszurich- 
ten, falls einer seiner ältern Söhne nicht dazu 
käme, weil Hemingr noch zu jung erschien, 
Er schickt und 
läfst den Brüdern zu Jomsburg sagen, dals 
sie, Sigvald und Thorkel zum Erbmal kämen 
und dort zusammen träfen und insgesammt 


um für das Fest zu sorgen. 


die Feier begiengen und Anordnungen trälen, 
dals dieselbe möglichst würdig nach einem 
solchen Häuptling, wie ihr Vater der Jarl 
Strutharald gewesen, geschähe. 


4. Die Tryggvasons Saga c. 39 (Heimskringla I 231) stellt das 
Erbmal für K. Harald als mit dem für Strutharald verbunden dar und be- 


schreibt es genauer. 


Sveinn konungr gerdi mannbod riet oc 
stefndi til sin höfdingiom öllum, peim er i 
Hann scylldi erfa Haralld födor 
pä hafdı oc andaz litlo ädr Strüt-Ha- 
ralldr & Scäni, oc Veseti i Borgundarhölmi, 
fadir peirra Bua Digra. Sendi Sveinn ko- 
nungr pä ord heim Jomsvikingom at Sigvalldi 


voro rikino. 


sinn. 


jarl oc Büi, oc br&dor peirra scylido par 
coma, oc erfa fedor sina ab peirri veizlo, er 
konungr gerdi. Jomsvikingar föro til veizlon- 
nar med öllo lidi sino, pvi er fraknaz var.... 
bar com saman all miecit fiölmenni. Fyrsta 


dag at veizlonni, ädr Syeinn konungr stigi 1 


König Sven bereitete ein reiches Gast- 
gebot und entbot dazu alle seine Häuptlinge 
die da im Reiche waren. Er wollte seinem 
Vater Harald das Erbmal halten. Nun waren 
auch kurz vorher gestorben Strutharald in 
Schonen und Veset in Bornholm, der Vater 
Bues des Dicken (und Sigurds). Da sandte 
K. Sven Wort zu den Jomswikingern, dafs 
Jarl Sigvald und Bui und ihre Brüder hin 
ihren Vätern Erbmal 
halten an dem Feste, welches der König aus- 


kommen sollten und 


richtete. Die Jomswikinger fuhren zum Feste 
mit allen ihren Leuten, welche die tapfersten 


VI. Skandinavien. 


häszeti födor sins, pä drack hann minni hans 
oc strengdi heit, ädr III vetur vzeri lidnir, 
at hann scylldi comin med her sinn til Eng- 
lands, at drepa Adalräd konung, edr reka 
hann or landi. Pat minni scylldo allir drecka, 
heir er at erfino voro... Enn er pat minni 
vas afdruckit, pä scylidi drecka Cristsminni 
allir menn... Hit pridia var Michials minni, 
oc drucko hat allır. Enn eptir pat drack 
Sigvalldi Jarl minni födor sins, oc strengdi 
heit sidan..... 


Havi brödir hans... 


Sidan strengdi heit pörkell 


1. Heidnischer Gebrauch. 


123 


waren. So kam denn eine sehr grofse Menge 
zusammen. Am ersten Tage des Festes, ehe 
K. Sven auf den Hochsitz seines Vaters stieg, 
trank er dessen Minne und that das Gelübde, 
ehe 3 Winter verflielsen würden, dals er mit 
seinem Heer nach England gehen und K. 
Adalrad tödten oder ihn aus dem Lande trei- 
ben würde. Diese Minne mufsten alle trinken, 
die auf dem Erbmal waren . . . Aber nach- 
dem diese Minne abgetrunken war, mulsten 
alle die Christusminne trinken... Die dritte 
war die Michaelsminne; auch die tranken alle. 
Aber nachher trank Jarl Sigvalld die Minne 
seines Vaters und that dann das Gelübde.... 
Darauf that sein Bruder Thorkel der Hohe 
das Gelübde etc. 


Darauf leisten noch Bui und Sigmund und viele andre Häuptlinge Ge- 


lübde für ähnliche Thaten. 


Drucko menn pann dag erfit. 


5. Eyrbyggia Saga c. 54 S. 274. 


ertrinkt. 
nach Hause zu den Brüdern. 


Budo pau Kiartan oc puridr nabiom sı- 
nom Pängat til erfis, var pa tekit jola öl 
beirro oe snuit til erfisins. Enn at fyrsta 
quelld er menn voro at erfino oc menn voro 
i szeti komnir, pä gengr poroddr bondi ı skä- 
lan oc förunautar hans aller alvotir. 


Ihre Leichname werden nicht gefunden. 


So tranken die Männer an dem Tage das 
Erbe (Erbmal). 


Thorodd mit seinen Gefährten 
Die Nachricht kommt 


Da baten Kiartan und Thuridr ihre Nach- 
baren dahin zum Erbmal, und es wurde ihr 
Weihnachtsbier genommen und zum Erbmal 
Aber am ersten Abend da die 
Leute beim Erbmal waren und sich gesetzt 


verwendet. 


hatten, da trat Thorodd der Hausherr ins 
Gemach und seine Gefährten, alle ganz nals. 


Die Gäste empfangen sie freudig indem sie dies für ein gutes Zeichen 


halten. 


Man glaubte nemlich damals, dafs Ertrunkene bei der Ran (!) gut 


empfangen würden, wenn sie ihr eig 


gen Leichenmal besuchten, denn, wie- 


wohl das Volk getauft war und den Christennamen führte, war der Aber- 


glaube noch wenig geschwächt. 


Die Abgeschiedenen liefsen sich auch noch 


an den folgenden Abenden des Festes sehen. 
6. Sage des Königs Ragnar Lodbrok c. 20 (Fornaldar Sögur utg. 


af Rafn. I Kopenh. 1829 S. 294). 


(') Ran ist die Meeresgöttin, der die Ertrunkenen zufallen, Grimm Myth.208, Maurer II 82. 


Q2 


124 


Ein konüngr ätti 2 sonu, ok tök hann 
sött ock andadist, en synir hans vilja drekka 
erfi eptir hann, peir bjöda til pessar veizlu 
svä, at allir menn skyldu koma pängat, peir 
er & Pprimr vetrum enum nierstum spyrja 
petta. 
bessum primr vetrum buast peir vid pessi 


Nu spyrst peita vida um lönd; ok ä 
veizlu. Ok er pat sumar kemr, er erfi skyldi 
drekka, ok su stund, er äkvedin var, pa verdr 
svä mikit fjölmenni, at engi vissi doemi til, 
hve mikit var. 


However: Der Dreifsigste. 


Ein König hatte zwei Söhne und wurde 
krank und starb, seine Söhne aber wollten 
das Erbmal nach ihm trinken; sie luden zu 
diesem Feste in der Art ein, dals alle Leute 
dahin kommen sollten, die in einem der drei 
Nun erfuhr 
man dieses weit im Lande; und in diesen 


nächsten Winter dieses erführen. 


drei Wintern rüsteten sie zu diesem Feste. 
Und als der Sommer kam, da das Erbe ge- 
trunken werden sollte, und die Zeit die ab- 
geredet war, da wurde es eine so grolse 
Menge, dafs niemand sicher beurtheilen konnte, 
wie viele es waren. 


7. Svarfd&la Saga (Islendinga Sögur Bd. 2, 1830 S. 128, 129). 
C. 6. Thorstein hat auf einem Seezuge seinen Bruder Thorolf ver- 


loren. 
ek bid at per ljäid mer höll ydar ok minum 
mönnum, vil ek drekka erfi eptir brödur minn, 
ok heygja hann her med ydru lofi, skal ek 
kosta fe til, svä ydr skadi ekki ı pvi. 


Der Jarl verwilligt es gerne. 

C. 7. Porsteinn tekr nü til haugs gerdar 
ok hanns menn; gekk pat skjött; var pörölfe 
i baug lagdr ok nokkrt fe honum til ssemdar. 
Sidan bj6 porsteinn veizlu, ok baud til jarli 
ok mörgum ödrum dyrum mönnum; sätu 
menn at henni 3 nztr, sem sidr var til, leysti 
borsteinn menn & burt med gödum gjöfum, 
ok alladi ser svä vinszelda. 


8. Saga Gisla Surssonar, 
hagen 1849. 
S.25. Sidan fara peir (Gisli ok porkell) 
heim, ok er pä drukkith erfi eptir Vestein. 


S.31. Nü er erfi drukkit eptir horgrim, 
ok gefr Börkr gödar vingjafir mörgum mön- 
num. 


Er wird von einem Jarl wohl aufgenommen und sagt zu ihm: 


ich bitte, dals ihr mir und meinen Leuten 
eure Hallen vergönnt; ich will das Erbe 
und 


mit eurer Erlaubnils bestatten, ich will das 


nach meinem Bruder trinken ihn hier 
Gut dazu aufwenden, so dals es euer Schade 
nicht sei. 


Thorstein und seine Leute schritten nun 
zur Bereitung des Grabhügels; das wurde 
besorgt; 'Thorolf war in den Ring gelegt und 
Darauf be- 
reitete Thorstein das Fest und bat dazu den 
Jarl und viele andre werthe Männer; die 


einiges Gut ihm zu Ehren ('). 


Männer salsen dabei drei Nächte, wie die 
Sitte war; Thorstein liels die Männer fort 
mit guten Gaben und erwarb sich so Gunst. 


herausg. von Conrad Gislason, Kopen- 


Hierauf fahren Gisl und Thorkel heim 
und wird dann das Erbe nach Vestein ge- 
trunken. 

Nun wird das Erbe nach Thorgrim ge- 
trunken und Börk giebt vielen Männern gute 
Geschenke. 


(‘) Vgl. Weinhold altnord. Leben S. 493 ff. 


VI. Skandinavien. 1. Heidnischer Gebrauch. 


125 


9. Nials Saga c. 109, ed. Olavius 1772 p.167. Mord sagt zu den 


Nialssöhnen: 

Veizlu hefi ek bar stofnat ok wtla ek at 
drekka erfi eptir fodur minn, en til peirrar 
veizlu vil ek bioda ydr Niälssonum ok Kära, 
ok pvi heita at per skulut eigi giafalaust ı 
peir hetu at fara. ferr hann nu 
hann baud pangat 


braut fara. 
heim ok byrr veitzluna. 
morgum böndum. ok var veitzla si fiolmenn. 


Ich habe da ein Fest beschlossen und ge- 
Erbmal 
trinken und zu diesem Fest will ich euch 


denke das nach meinem Vater zu 
Nialssöhne und Kari laden und verspreche, 
dals ihr nicht unbeschenkt fortziehen sollet. 
Sie versprachen zu kommen. Er z0g nun 
Dahin lud er 


und war das Fest sehr 


heim und bereitete das Fest. 
viele Hofbesitzer, 
zahlreich besucht. 


Die Sage führt einzelne Geschenke besonders auf. 


40. Landnämabök d.i. das Buch über die Ansiedlung auf Island 


(Islendinga Sögnr I). 
o)all2c419 0.91. 


mikil; pä er hün var ellimöd, baud hün til 


Audr var vegskona 


sin frendum sinum ok mägum, ok bj6 dyr- 
liga veizlu; en er prjär nietr hafdı veizlan 
stadit, pa valdi hün gjafır vinum sinum, ok 
red peim heilr@di, sagdi hün, at pa skyldi 
standa veizlan enn brjär nxtr, hun kvad hat 
vera skyldu erfi sitt; pä nölt eptir andadist 
hun. 


Aud war eine sehr vornehme Frau; da 
sie nun altersmüde war, bat sie ihre Freunde 
und Verwandte zu sich und gab ein statt- 
liches Fest; als aber das Fest drei Nächte 
gedauert hatte, da wählte sie Gaben für ihre 
Freunde und ertheilte ihnen heilsamen Rath, 
und sagte, dals das Fest noch drei Nächte 
länger dauern sollte, sie sprach es sollte ihr 
Erbmal sein; in der Nacht darauf starb sie. 


Vgl. die abweichende Erzählung der Laxdxla Saga unten Nr. 115. 


6) III c.10 p.14. Hans (Hjalti) synir 
voro peir porvaldr ok pördr, agstir menn; 
bat hefir erfi verit ägzetast 4 Islandı, er heir 
erfdu födur sinn; peir budu öllum höfdingjum 
a Islandi, ok voru peir tolf hundrud bods- 
manna, ok voru allir virdingamenn med gjö- 
fum brott leiddir; at pvi erfi ferdi Oddr 
Breidfirdingr dräpu hä, er hann hafdı ort um 
Hjalta. 


Seine, Hjalts, Söhne waren Thorwald und 
Thord, be- 


rühmteste Erbmal auf Island gewesen, als 


berühmte Leute; das ist das 


sie ihren Vater beerbten; sie baten dazu alle 
Häuptlinge auf Island und waren ihrer 1200 
Gäste und wurden alle angesehene Männer 
Auf diesem Erb- 
mal brachte Oddr Breidfirding das Gedicht vor, 


mit Geschenken entlassen. 


welches er über Hjalt gemacht hatte. 


11. Laxdzla Saga c. 27 (Hafn. 1826, 4 p. 106). 
a) Der Isländer Olof Pa d.i. Pfau aus der 2ten Hälfte des 10ten 
Jahrh. verkündigt der Volksversammlung den Tod seines Vaters und spricht: 


nü er hat vili bredra minna at ek biöda 
ydr til erfiss eptir Höskuld födur varn öllum 
godords-mönnum, Pyiat beir munu flestir enir 
gildari menn, er ı teingdum voru bundnir vid 


hann. Skal ok pvi Iysa, at engi skal giafa- 


Nun ist das meiner Brüder Wille, dafs 
ich euch einlade zu dem Erbmal nach Höskuld 
unserm Vater, alle Tempelvorsteher, weil 
wohl dıe meisten der vollgültigen Männer 
ihm in Verwandschaft verbunden waren. Ich 


126 


laust 4 brott fara enna meiri manna; par 
med vilium ver biöda boendum ok hverium er 
Piggia vill, selum ok veslum; skal saekia 
halfs-mänadar veizlu ä Höskuldstadi, pa er 
x vicur eru til vetrar.... Eptir Pingit rıda 
beir bredr heim; lidr nu sumarit; buast peir 
br&dr vid veizlunni; legr Olafr til öhneppi- 
liga at Pridiüngi, ok er veizlan büin med 
hinum beztu faungum, var mikit til aflat pes- 
sarar veizlu, pviat pat var zetlat at fiölmennt 
mundi koma; ok er at veizlu kemr, er pat 
sagt at flestir virdinga menn koma sem hei- 
tid höfdu; var bat sva mikit fiölmenni, at pat 
er sögn manna flestra, at ei skyrti Deccc. 
bessi hefir önnur veizla fiölmennust verit A 
Islandi, en st önnur, er Hialta synir gerdu 
erfi eptir födur sinn; par voro XII c. Pessi 
veizla var en sköruligsta af öllu, ok fengu 
peir breedr mikinn soma, ok var Olafr mest 
fyrirmadr. Olafr geck til möts vid bäda braedr 
sina um fögiafr; var ok gefit öllum virdinga 


mönnum. 


Honmever: Der Dreifsigste. 


will auch das verkündigen, dals keiner der 
angesehenen Männer unbeschenkt davon gehen 
soll; da neben wollen wir laden die Hofbe- 
sitzer und jeden der es annehmen will, Reiche 
und Arme; man soll sich zu einem halbmo- 
natlichen Fest in Höskulsstatt einfinden, zehn 
Wochen vor Wintersanfang .. . Nach der 
Versammlung reiten die Brüder heim; der 
Sommer geht hin; die Brüder rüsten sich 
Olaf steuert zu den Kosten den 
dritten Theil bei, das Fest wird mit den 
besten Mitteln zubereitet, vieles wird zu die- 


zur Feier; 


sem Fest angeschafft, weil es beabsichtigt 
wurde, dafs viele Leute kommen möchten. 
Und als das Fest kam, erschienen, wie ge- 
sagt wird, die meisten angesehenen Männer, 
welche zugesagt hatten; es war da eine so 
grolse Menge, dals, wie die meisten sagen, 
es nicht unter 900 waren. Dies ist vor allen 
andern Festen das besuchteste auf Island ge- 
wesen, mit Ausnahme dessen, da Hjalts Söhne 
das Erbmal nach ihrem Vater ausrichteten; 
da waren 1200. 


prächtigsten von allen; die Brüder gewannen 


Dieses Fest war eines der 


viel Ehre, und Olaf war meist der Vormann. 
Olaf that es seinen beiden Brüdern in den 
Geschenken gleich; es wurde auch allen an- 
gesehenen Männern gegeben. 


Auf das Erbmal Hjalts deutet die Sage auch C.79 S. 338 mit den 


Worten hin: 
gengit er nu padan, er peir gerdu erfit pat 
et fiülmenna, er xII hundrut menna sätu at. 


anders ist es jetzt geworden, als da man ein 
so zahlreiches Erbmal ausrichtete, dals zwölf- 
hundert Leute dabei salsen. 


6) Cap. 7 S.13ff. Die alte Unnur (d.i. die oben S. 125 genannte 


Aud, s. Maurer I 92) richtet die Hochzeit Olafs aus. 


wird sie todt gefunden. 

Var nu druckit allt saman, brullaup Olafs 
ok erfi Unnar, ok enn sidasta dag bodsins 
var Unnr flutt til haugs pess, er henni var 


buinn. 


Während des Festes 


Da wurde nun beides zusammen getrun- 
ken, Olafs Hochzeit und Unnurs Erbmal, und 
am letzten Tage des Festes wurde Unnur 
zu dem ihr bestimmten Grabe gebracht. 


Sie wurde nemlich nach dieser Sage in ein Schiff im Grabhügel ge- 
legt, vgl. Maurer I 93 N. 10, Weinhold 495. 


VI. Skandinavien. 1. Heidnischer Gebrauch. 


127 


12. Barlaams ok Josaphats Saga, her. von Keyser und Unger, 


1851, s. oben 101. 


Nachdem im Cap. 188 von der siebentägigen Trauer an des Vaters 
Grabe und Josaphats Geschenken an die Armen erzählt worden, heifst es 


im C. 189 S. 188. 


Fioratigi daga gerdi hann ervi til min- 
ningar eptir fadur sinn oc a peirri stunndu 
stefndi hann til sin ollum hofdingium oc 
hirdstiorom rikissmannum oc riddarum, bor- 
garmannum oc bondom, oc sua myklum fiollda 
almennings folks, at utalulegr fialldi oc herr 
var bar saman komenn. pa settizt konongrenn 
a havan domstol oc mallte sidan besse ord 
allum pessum etc. 


Am vierzigsten Tage hielt er die Erbfeier 
zum Gedächtnils nach seinem Vater und zu 
der Zeit entbot er alle seine Häuptlinge, Be- 
fehlsbaber, Reichsmänner und Ritter, Bür- 
ger und Bauern und so grolse Menge vom 
gemeinen Haufen, dafs eine unzählige Menge 
und Schaar da zusammen kam. Da setzte 
sich der König auf hohen Richterstuhl und 


sprach dann diese Worte zu allen diesen etc. 


B. 


Die Schilderungen sind zahlreich und ausführlich genug, um die 
Hauptzüge der ganzen Sitte und ihre Verbreitung im Norden erkennen zu 
lassen. Sie bemerken wohl ausdrücklich (N. 2), so sei es vor Alters oder 
zur Heidenzeit gehalten worden; auch wo dies nicht der Fall geben sie, mit 
Ausnahme der Christ- und Michaelsminne in Nr. 4, keinen Zug, der als ein 
positiv christlicher dem Heidenthum widerstrebte. 

Über die Zeit des Erbmals berichtet die Nr. 2, es habe vor Alters 
innerhalb des Sterbjahrs gehalten werden müssen; in der Nr. 6 wird es aber 
erst nach drei Wintern angesetzt, und in der Nr.35 wird die Gültigkeit 
der Königsfolge daran geknüpft, dafs das Erbmal in einem der drei nächsten 
Winter oder vor dem dritten Jul (dem nordischen Weihnachten) gefeiert 
werde. Die Nr. 12 eninimmt den vierzigsten Tag aus dem griechischen 
Vorbilde. 
eine geraume Frist gesetzt wird, erklärt sich aus den Einladungen an zahl- 
reiche und ferne Gäste und aus dem Umfange und der Schwierigkeit der Zu- 
rüstungen. Weinhold bemerkt S. 500, doch ohne Belag, dafs nach einem 
Erschlagenen das Mal erst, wenn die Blutrache vollzogen war, gegeben 


Dafs überhaupt zu dem Erbmal der Könige und Häuptlinge 


wurde. 
Zwischen der Zeit des Erbmals und der des Begräbnifses waltet keine 


fest bestimmte Beziehung. Trat doch für hervorragende Personen eine so 


198 Honeyer: Der Dreifsigste. 


sorgfältige Bereitung der Gruft und der Aufwurf so gewaltiger Hügel ein, 
dafs die feierliche Bestattung erst in langer Frist nach dem Tode erfolgen 
konnte(!). Regelmäfsig gieng aber das Begräbnifs doch dem Erbmal voran. 
So nach der Nr. 3 beim Tode Haralds; nach der Nr. 7 C.7 und nach der 
“Pordar Saga hredu” (Nord. oldskrifter VI p. 3). Anders freilich bei dem 
so ungewöhnlich verfrühten Erbmal der Aud oder Unnur N. 10a, 112. 

Das Mal zu veranstalten gebührt den Erben. Es werden insbesondre 
Söhne genannt, oder Geschwister, die es nach ihrem Vater, nach ihrem 
Bruder geben. Als etwas besonders bemerkt Nr. 11, dafs Olaf Pfau, der als 
Sohn einer Sklavin seinen Vater nicht beerbt, sondern nur eine Gabe unter 
Lebendigen von ihm empfangen hatte und seinen Reichthum früheren Krie- 
geszügen verdankte, dennoch zu gleichem Antheil mit den beiden Erben den 
Aufwand des Erbmals trägt. Eben so wird in der Nr. 3c, 4 hervorgehoben, 
dafs K. Sven mit dem Erbmal für seinen Vater zugleich das zweier kurz zu- 
vor verstorbener Häuptlinge begeht, deren Söhne theils im Auslande hausen, 
theils unmündig sind. Noch eigenthümlicher ist es, dafs nach Nr. 10a, 115 
die berühmte Aud oder Unnur, welche in Island eine eifrige Christin gewor- 
den, ein ihren Freunden gegebenes Fest im Gefühl ihres nahen Todes als 
ihr eigenes Erbmal fortgesetzt wissen will. 

Zum Feste ergehen besondre Einladungen. Im Falle Nr. 11a spricht 
Olaf eine allgemeine Einladung in der öffentlichen Versammlung aus. Als 
Eingeladene werden genannt die Verwandten 3a, 3c, 11, vornehme Perso- 
nen (auf Ingialds Fest die Bezirkskönige), ferner Jarle, Häuptlinge und 
sonst bedeutende Leute, Nr. 1, 2, 3a, 4, 6, 105, Nachbarn, Nr. 5; nach 
Nr. 6 alle, denen es kund wird und nach Nr. 11a alle, welche die Einla- 
dung annehmen wollen, Reiche und Arme. In der Nr. 12 handelt es sich, 
weil Josaphat zugleich der Krone entsagen will, um eine allgemeine Volks- 
versammlung. Den Geladenen wird oft zugesagt, sie würden nicht unbe- 
schenkt entlassen werden. 

So bedarf es überhaupt zur Bestreitung der Erbfeier bedeutender 
Mittel, über deren Aufbringung zuweilen besondere Nachricht gegeben wird, 
s. Nr. 11a. Einmal, Nr. 5, wird dazu das für das Weihnachtsfest bestimmte 
Bier mit verwendet. 


(') Weinhold, altnordisches Leben. 1856. S. 488-491. 


VI. Skandinavien. 1. Heidnischer Gebrauch. 129 


Die Gäste erscheinen denn auch oft in beträchtlicher Menge. In dem 
Falle Nr. 6 vermochte man sie nicht zu zählen; bei dem Erbmal für Hjalt 
waren 1200 Gäste zugegen, die gröfste Zahl, deren man sich auf Island 
erinnerte; ihr zunächst kamen die 900 bei der Feier für Höskuld. Als selt- 
same Gäste führt die Nr.5 die Gestalten der Ertrunkenen selber auf, welche, 
der guten Aufnahme bei der Meeresgöttin halber, in nassen Gewändern an 
ihrem eigenen Todesmale erscheinen. 

Das Fest währte mehrere Nächte, Nr. 4, 5, dreie nach den Nr. 7, 
10a; die Leichenfeier aber, welche Höskulds Söhne allem Volke gaben, 
Nr. 11a, einen halben Monat. 

Gegenstand der Feier ist einmal die dem Verstorbenen zu erweisende 
Ehre, sodann das symbolisch darzustellende Erben, der volle Übergang der 
Rechte, Würden und Güter des Hingeschiedenen auf seinen Nachfolger. 
Die Reihe der diesen Zwecken dienenden Handlungen ist folgende. 

Der Erbe setzt sich auf den Schemel vor dem Hochsitz “haseti” seines 
Vorgängers. Dann trinkt er dessen “minni”. Für minni wiegt bei den Nord- 
ländern die Bedeutung Gedächtnils, Andenken eben so vor, wie bei unserm 
“Minne” der Sinn der Liebe, des guten Willens. Doch ist an der Einheit 
des Wortes nicht zu zweifeln. Einerseits liegt auch in Deutschland bei der 
St. Johannis oder der St. Gertruds Minne, s. Schmeller Wb. II 593, Grimm 
Myth. 53, 54, der Begriff der recordatio zum Grunde, andrerseits kennt 
auch die nordische Rechtssprache gleich der deutschen das med minne für 
“mit gutem Willen”. Beide Richtungen des Gemüths verbinden sich noch 
inniger in dem mit “Minne” verwandten “meinen” AHD. meinjan; bis in den 
heutigen dichterischen Gebrauch hinein drückt es nicht nur “den Gedanken 
worauf richten” sondern auch wünschen, verehren, überhaupt im Herzen 
tragen aus. So ist denn auch das nordische minni nicht ein blofses sich er- 
innern, sondern ein Gedanken in Liebe, welcher die Verbindung mit dem 
Andern festhält, von Wünschen für sein Heil begleitet ist. 

Das Trinken ferner “auf etwas” dient ja den Germanen als symboli- 
sche Form für eine ernste, bindende Zusicherung, für eine volle Bekräfti- 
gung. Macht also etwa der Trunk einen Verkauf fest, verheifst er der ge- 
schlossenen Brüderschaft die Unverbrüchlichkeit, so soll auch das Trinken 
der Minne einer Person jene Gesinnungen und Wünsche für sie feierlich 
kundgeben. Daher ist auch minni (s. Haldorson) der scyphus memorialis 


Philos.-histor. Kl. 1864. 


130 Homever: Der Dreifsigste. 


selber. Durfte nun das Minnetrinken von Alters her bei den Götterfesten, 
bei Hochzeiten, Gildegelagen, überhaupt bei festlichen Versammlungen 
nicht fehlen(!), so fand es auch seine rechte Stätte bei dem Male zu Ehren 
eines Hingeschiedenen. Dem ersten Trunke für ihn folgen die Becher für 
das Gedächtnifs der theuersten Blutsfreunde und der Götter, in deren Stelle 
später Christus und gewisse Heilige treten. Zuletzt wird dem Erben der 
Bragabecher [bragafull oder bragarfull(?)] eingeschenkt. Er gelobt eine 
tapfre That, leert ihn und besteigt dann den Hochsitz des Verstorbenen. 
Es wird besonders hervorgehoben, dafs dieser Trunk dem Einnehmen des 
Sitzes vorhergehe (Nr. 1 sidan skylidi han leida ete., Nr. 2 hann skyldi 
eigi fyrr ete., Nr. 4 adr Sveinn stigi i häs=ti). Alle diese Gedächtnisse wer- 
den von allen mitgetrunken, Nr. 4. Dann mögen noch Andre ihre besondre 
Minnen ausbringen “mala fyrir minnum” und Gelübde thun, s. die Sturlunga 
saga Ic. 13 und die Tryggvasons saga NEW). 

Mit dem Einnehmen des Sitzes ist die Beerbung erst “vollkommen”. 
Nr. 1 var han pä komin till arfs alls eptir han, Nr. 2 ok skyldi pa fullko- 
minn vera til arfs .. en eigi fyrr, Nr. 35. Darauf geht auch der Ausdruck 
sich in das Erbe setzen in “Hakonar p. Hareksonar” c. 1. (Fornm. S. XI 
422): ok sem Hakon hefir isezt erfdina. Diese feierliche Besitznahme er- 
folgt schon am ersten Abend des Festes, s. Nr. 2. Hit fyrsta kveld etc., 
Nr. 4 Fyrsta dag at veizlonni etc. 

Von sonstigen Vorgängen die zur Unterhaltung der Gesellschaft die- 
nen wird noch des Vortrags von Liedern zu Ehren des Verstorbenen gedacht, 
Nr. 10a. E. Haldorson und Fritzner kennen dafür die Ausdrücke erfidrapa, 
erfiqvedi. 

Die Gäste kehren beschenkt heim, Nr. 7a. E., 8, was ihnen zuwei- 
len ausdrücklich vorher versprochen wurde, Nr. 9, 11. Insbesondre ehrt 
man die Angesehenen in solcher Weise, Nr. 105, Nr. 11a. E. 


(') Gutalag c. 24, bei Schildener S. 50, Wilda Gildewesen S. 9, 13, 27, Grimm My- 
thol. 58, Weinhold N. L. 461. 

(2) Grimm Myth. 53, 215. Nach ihm und Fritzner wäre bragafull der dem Gotte 
Bragi gewidmete Becher. Bragr bedeutet aber auch: der höchste, vornehmste; auch das 
gäbe hier einen passenden Sinn. 

(°) Über die politische Bedeutung welche diese Gelübde dem Erbmal gaben vgl. Mau- 
rer I 249, 250. 


VI. Skandinavien. 1. Heidnischer Gebrauch. 131 


Alle diese Schilderungen betreffen das Erbmal von Königen und sonst 
hervorragenden Männern. Die Allgemeinheit der Sitte bleibt also noch in 
Frage. Jedenfalls verlieh eine höhere Stellung des Verstorbenen, der Reich- 
thum des Erben dem Feste aufsergewöhnlichen Glanz und Umfang. 

Die Sagen stellen die vorchristliche Sitte lebendig, individuell, und 
mit Behagen, wenigstens ohne Abneigung dar. Vergleichen wir sie mit 
jenen kurzen, allgemein gehaltenen, von Widerwillen erfüllten Angaben der 
heidnischen Todtenmalsgebräuche in den christlich - germanischen Quellen, 
so begegnen wir doch mancher Übereinstimmung. Vor allem in dem reich- 
lichen Trinken, dessen Übermafs auch die Sagen in einzelnen Fällen hervor- 
heben. König Sven läfst seine Jomsburger Gäste die stärksten Becher 
leeren, um sie zu Gelübden zu reizen, welche ihnen am andern Morgen 
überkühn erschienen. Sodann ist das nordische Minnetrinken nicht nur in 
dem “ipsius animae bibere’, sondern auch wohl in dem “precari in amore 
sanetorum’ der Hincmarschen capitula, oben S. 102, wieder zu erkennen, 
wobei amor das liebevolle Gedenken, precari den Wunsch im Trinkspruche 
(das ves häl der Angelsachsen) ausdrückt, die Heiligen aber wie bei den 
Skandinaviern in die Stelle der Götter getreten sind. Endlich steht den 
germanischen dadsisas die nordische erfidrapa zur Seite. Der joca, der 
saltationes und larvae gedenken die Sagen beim Erbmal nicht, ohne dafs sie 
damit als ausgeschlossen zu betrachten wären, s. Weinhold 467. Sie schil- 
dern den nähern Hergang überhaupt nur für den ersten Festtag, den der 
Thronbesteigung. Tanz und Spiel kennt die Sturlungssage bei der Olafs- 
gilde (Maurer II 426); Mummereien sind bei andern Festen heidnischen Ur- 
sprungs, so beim Jul bis auf den heutigen Tag in Übung. 

Der Hauptpunkt den wir für unsre Untersuchung gewonnen liegt da- 
rin, dafs — schon nach der doppelten Bedeutung des erfa — das Todtenmal 
entschieden auch den Character einer Erbesfeier trägt. 

Die Sagen, wie reich sie auch den Vorgang schildern, lassen uns noch 
manche Fragen übrig. Werden nur die Herrscher durch solche Feier ge- 
ehrt oder die Hingeschiedenen überhaupt? War nicht die rechtliche Be- 
deutung noch näher ausgebildet? Wie wirkten endlich die christkirchlichen 
Todtenfeierzeiten, deren Einflufs wir im römischen, fränkischen und deut- 
schen Reiche verfolgen konnten, auf die alte nordische Sitte ein. Dar- 
über belehrt 

R2 


133 Homerer: Der Dreifsigste. 


II. der christliche Gebrauch nach den Rechtsquellen. 


Die uns aufbewahrten Rechtsbücher und Gesetze gehen allenthalben 
von der Herrschaft des Christenthums aus, womit doch vereinbar bleibt, 
dafs die in ihnen behandelten Institute einer älteren Bildung angehören. Ich 
führe auch hier 


FA. 


die einzelnen Bestimmungen nach den Ländern und nach der Zeit an, um 
sodann den Inhalt geordneter, unter Verknüpfung mit den Ergebnissen der 
Sagen darzulegen. Bei den Ländern trenne ich Norwegen, Schweden, Dä- 
nemark. In der alten isländischen Grägäs habe ich keinen unser Institut be- 
rührenden Satz gefunden, einiger späterer dahin einschlagender Isländischer 
Gesetze wird passender bei den Norwegischen Quellen zu erwähnen sein. 


AA. Das Recht Norwegens. 


Das Land zerfiel seit Alters in vier Thinge, welche durch die Namen 
Gula, Froste, Heidsivia, Borgar bezeichnet werden. Den Sagen zufolge 
bestimmte Halfdan der Schwarze (*- 863) das Recht von Heidsiviathing, 
Hakon Adelstein (4 963) die Rechte von Gulathing und Frostething, und 
waren später Vlof der Heilige (“ 1030) und Magnus der Gute (‘ 1047) für 
die Gesetzgebung thätig(!). Gewisser ist, dafs der K. Magnus Lagabätir, 
d. i. der Gesetzbesserer, die verschiedenen Thingsrechte wesentlich gleich- 
förmig machen liefs. Von den älteren Formen sind die Rechte des Gula- 
thing, des Frostething und bruchstücksweise des Heidsiviathing auf uns 
gekommen, in einer Gestalt, welche wohl nicht über das 12te Jahrh. zu- 
rückgeht. Sie sind in “Keyser og Munch Norges gamle Love’, Bd. 1, 1846 
in der alten Sprache herausgegeben, früher von Paus in der “Samling af 
gamle norske Love‘, Kopenh. 1751, 4 Iu. Il in einer dänischen Über- 
setzung, welche, wenn auch nicht ganz zuverlässig, uns doch, da K. und M. 
weder eine lateinische oder dänische Übersetzung noch ein Glossar liefern, 


5 
ganz willkommen bleibt. Das von M. Lagabätir revidierte Gulathingslaug 


(') S. das nähere bei J. Grimm Liter. der altnord. Ges. Ztschr. f. gesch.h RW. 3 
S. 92—103 und in Wilda Strafrecht d. Germ. 20—26. 


VI. Skandinavien. 2. Christlicher Gebrauch, 133 


erschien 1817 zu Kopenhagen in 4, mit dänischer und lateinischer Übertra- 
gung nebst Glossar, sodann wiederum bei Keyser und Munch Bd. 2 ohne 
diese Hülfen. König Hakon bestimmte für das von ihm seit der Mitte des 
13. Jahrh. eroberte Island ein vornemlich aus den Norwegischen Rechten 
gezogenes Gesetzbuch, welches von seinem Sohne, jenem thätigen Magnus 
revidiert, dort auch von 1272 bis 1280 Geltung erhielt. Es steht bei K. 
und M. im ersten Bande S. 250 ff., ist aber auch besonders als Jarnsida 
edr Hakonarbök zu Kopenhagen 1847, 4 mit lateinischer Übersetzung und 
Wörterbuch erschienen. Nach 1280 trat des K. Magnus “Jonsbok” an des- 
sen Stelle. 

Unsern Gegenstand nun betreffen 

4) aus dem ältern Gulathingslaug 

a. c. 23 (S. 14, bei Paus I 22 S. 36). 


Um groeft i kirkiugarde 
En hvervetna pell er men verda dauder. 
oc vill ervingi ol efter gera. hvärt sem gera 
vill at siaund da at britugsmorne. «da enn 
En ef menn 


sidarr. bat kalla menn erviol. 


gera ol. ok kalla salo ol. pa scolo peir til 
bioda preste beim er peir kaupa tidir at. 
hann scal hanom bioda vid pridia mann hit 
fiesta. En prestr a til at fara naudsynia laust 


til erfda olda «da salo olda. 


Vom Begräbnils in dem Kirchbofe. 

Aber wo irgend jemand verstirbt, und 
will der Erbe ein Mal (Bier) nach ihm an- 
stellen, ob er es anstellen will zum sieben- 
ten oder zum dreilsigsten Tage oder noch 
später, das nennt man Erbmal. Aber wenn 
Leute ein Mal anstellen und es Seelenmal 
nennen, dann sollen sie dazu laden den Prie- 
ster, von dem sie Messen lesen lassen (kau- 
fen). Den 


mindesten. 


soll er einladen selbdritte zum 
Aber der Priester ist, wenn frei 
von echter Noth, verpflichtet zu dem Erbmal 


oder Seelenmal zu kommen. 


Unterläfst er dies, so verliert er gewisse Einnahmen, welche dann der 


Erbe des Verstorbenen zu dessen Seelenheil verwendet. 


Wird er gleichzei- 


tig zu dreien Festen geladen, soll er doch wo möglich alle drei Biere segnen ; 
wo nicht, beim zweiten Biere bleiben und trinken, so lange das Getränk 
reicht, s. Maurer IH 428, Weinhold 501. 

b. C. 115 (S. 51, Paus, Arvebalken C. 2 S. 120). 


Um siaundar gerd. 

Nu er madr daudr. arve scal i ondvege 
setiazt. geri hann skuldar monnom stemnu at 
beir kome aller par at siaund. oc have huerr 
sina skulld i brautt slica sem vitni berr til. 


Von der Siebentleistung. 

Ist nun ein Mann todt, so soll der Erbe 
auf den Hausherrnplatz gesetzt werden und 
die Gläubiger vorladen lassen, dals sie alle 
dahin kommen zum Siebenten, und nehme je- 
der seine Schnld mit fort, insofern er Zeug- 
nils dafür vorbringt. 


134 


Homeyer: Der Dreijsigste. 


Die Bestimmung ist fast wörtlich übergegangen in “Jarnsida”, Erfdatal 
c. 18 (1847 p. 75), in das revidierte Gulath. L. Erfdab. ce. 12 (p. 254) und 
in das Jonsbuch “om Arv” c. 18 S. 114 der Ausg. Kopenh. 1763. 

c. C. 119 (S. 52, Paus Arveb. C. 6 S. 123). 


Nu sitr madr i arve uvirdum. ef eigi er 
at siaund virdr. pa fer umage a Ping er hann 
er fulltida. pa scal hann sveria til fiar sva 
mikils sem hann vill svaret hava etc. 


Sitzt jemand in ungewürdigter Erbschaft, 
und wird sie nicht am Siebenten gewürdigt, 
dann soll der Unmündige vor Gericht kom- 
men, wenn er volljährig geworden. Dann 
soll er zu so viel Gut schwören, als er aus- 


geantwortet haben will ete. 


d. C. 122 (S. 53, Paus Arveb. C. 9 S. 125). 


Nu sitr madr inni at siaund zeda at pri- 
tugs moerne. fulltida madr oc kallar eigi til 
arfs. pa a hann alldrigin upreist at Peim 
arve sidan. 


Sitzt jemand inne am siebenten oder drei- 
fsigsten Morgen, und zwar ein Volljähriger, 
und spricht nicht das Erbe an, so hat er 


späterhin niemals eine Wiederherstellung an 
dem Erbe. 


2. Aus dem Frostathingslaug IX c. 20 (p. 213, Paus II 306). 


Siälfe scal hverr räda fe sino, medan hann 
7 
mä sitia 1 Öndvegi sino sva cona sem carl- 


madr. 


Die Bestimmung ist in Jarnsida, Erfdatal c. 22 


nommen. 


3) Aus dem Eidsiviathings Christenret I c.49 S. 391. 


dem Tode einer Person 

nu scal preste bioda oc kono hans til zerfis 
oc manne mad bieim. sitia skal hann i annd- 
En ef arfı 
ero priu sienn i sokn hans. pa skal hann koma 


uege oc kona hans hia honum. 


i alla stade Pria. oc vigi mat oc mungat. oc 
were at pui mungate er hillzst uil hann etc. 


Selbst soll jeder über sein Gut walten, 
so lange er auf seinem hausherrlichen Platz 
sitzen mag, es sei Weib oder Mann. 


(1847 S. 79) aufge- 
Nach 


soll man den Priester einladen und seine 
Frau zum Erbmal und einen mit ihnen. Er 
soll auf dem hausherrlichen Platz sitzen und 
Aber wenn drei Erb- 


male zugleich in seinem Kirchspiel sind, so 


seine Frau neben ihm. 


soll er nach allen dreien Stellen kommen und 
Essen und Bier weihen und bleiben bei dem 
Bier, bei welchem er am liebsten will etc. 


Fast gleichlautend ist II 38 ebd. S. 404. 
4) Aus K. Magnus Gulathingslaug, Arfdabolkr c. 25 (ältere Ausg. 


275, neuere II 92) 


Um erfisgerdir. 
Erfi bessi, er menn gera, pä syniz oss, 
at bau, se meir ger til ofsa oc fräsagnar, enn 
til sälobötar vid pann, er fram er farinn. 


Von der Erbfeier. 

Wegen der Erbfeier, die man begeht, 
scheint uns, dals sie mehr aus Übermuth und 
Ruhmbegier geschieht als zum Seelenheil des 
Verstorbenen. 


I. 


Diesem werde besser durch Allmosen gedient. 


König bei Strafe 

at nockorar (al. natt) dryckior se par medan 
pat erfi er gert. — — Hafa bessi erfi verit 
gör med miklom kostnadi oftlega oc uvidr- 
kömilega: Pviat feit er eydt medr engari 
scynsemd. enn scyldir üloknar pess er feit 
atti; oc oftlega stör vandredi oc manna dräp 
af vordet fyrir sakir ofmikillrar ofdryckio. 


Skandinavien. 2. Christlicher Gebrauch. 


135 


Daher verbietet der 


dals einige (Nacht) Trinkgelage seien, wäh- 
rend die Erbfeier begangen wird — — Diese 
Erbfeier ist mit grolsen Unkosten oftmals und 
ungebührlich begangen worden, denn das Gut 
wurde ohne alle Achtsamkeit verschwendet, 
die Schulden des Besitzers blieben unbezahlt 
und oft erwuchs grolse Unthat und Todschlag 


aus dem übermälsigen Trinken. 


5) Dies Verbot wird noch in Christians IV Norske Lovbog 1604 


(Christiania 1855) IV Arvebolk c. 25 (S. 95) so wiederholt: 
Von der Erbfeier. 
Auch soll man keine Erbfeier halten und 


Om arff gierd. 

Icke maa mand heller giöre nogen arff- 
gierd, oc der paa vende stor omkost med darauf grofse Kosten mit Trinken oder in an- 
dricke eller udi andre maade, enten naar be- 
graffuelse skeer, eller arff skifftis. 


drer Weise wenden, weder beim Begräbnils 
noch bei der Erbschichtung. 


BB. Das Schwedische Recht. 


Davon kommen 1)aus der Zeit des 12, 13, 14ten Jahrh. in Betracht: 

a. die Landschaftsrechte, theils im Gothenreich (Götharike), wie 
die Rechte von Westgothland (in älterer Gestalt aus dem 12ten Jahrh., 
in neuerer aus der Zeit Birger Jarls der 1266 starb), von Östgothland aus 
dem Ende des 43ten, der Insel Gottland aus dem 13ten oder 14ten Jahrh.; 
theils im eigentlichen Schweden (Svearike), wie die Rechte von Upland 
aus dem Ende des 13ten Jahrh., von Södermannland v. J. 1327, von 
Westmannland(!), Helsingeland, Smäland aus ungefähr dersel- 
ben Zeit. 

b. Das als Bjärköa Recht bekannte Stadtrecht aus dem Ende des 
13ten Jahrh., zunächst für Stockholm bestimmt, dann auch wohl andern 
Städten angepafst. 

c. Das nach dauernder Vereinigung des Gothen- und Schwedenreiches 
von K. Magnus Erikson im J. 1347 entworfene allgemeine Landrecht (lands- 
lag), welches auch ohne förmliche Publication sich eine Geltung gewann. 


(') Man hielt dessen ältere Gestalt früher für ein Dahlelag d. i. für ein eignes Recht 
der Landschaft Dalarne, s. Grimm a. a. OÖ. 81, Rive Gesch. der D. Vormundsch. $. 23. 
Vgl. die berichtigende Untersuchung bei Schlyter Bd. 5 S. VI—XX. 


136 However: Der Dreifsigste. 


Die Quellen unter 1) finden sich in dem von Collin und Schlyter 
unternommenen, seit dem dritten Bande von Schlyter allein herausgegebenen 
“Corpus juris Sveogothici”, 10 Bde in 4, Lund 1827—1862, zwar ohne 
Übersetzung in neuere Sprachen, doch mit genauen Glossarien. — Vgl. 
Grimm a. a. O. 77—86, Wilda a. a. O. 26—51. 

2) In das 15te Jahrh. fallen 

a. Das umgearbeitete allgemeine Landrecht K. Christophers v. J. 
1442, gleich den meisten der ältern Landschaftsrechte in Balken (Titel) ge- 
theilt, erst im J. 1608 zum Druck befördert, lateinisch von Loccenius 1672. 

b. Das allgemeine Stadtrecht (stadslag) wohl aus derselben Zeit, ge- 
druckt 1618, lateinisch 1672. 

Auf unser Institut beziehen sich aus obigen schwedischen Quellen fol- 
gende Bestimmungen. 

1) Aus dem Wästgötalag in der ältern Gestalt, Titel “Af Mandrapi” 
(vom Todschlage) c. 13 $ 1 (Schlyter IS. 15). Es werden drei Gelage (öl) 
genannt, welche hinsichtlich der Bufse für einen dort begangenen Todschlag 
einander gleich stehen und zwar: 


Aeit r brullöp, annat giftseröl, Ppridise Eins ist die Brautfahrt, das andere das 
aer zervitöl Heirathsmal, das dritte das Erbmal(') 


(') Wie scheiden sich drullöp und gifteröl, welche im Ostgötalag, Gipta B. c. 9 
(Schlyter II S. 100) die “tuzenni lagha drykkiu” (die beiden gesetzmälsigen Gelage) genannt 
werden? Nach Stjernhöök de jure Sveonum p. 158—150 wird das erstere im Hause der 
Braut gehalten, wohin der Bräutigam einen Zug seiner Verwandten und Freunde schickt, 
um die Mitgift zu empfangen und die Braut abzuholen, das zweite im Hause des Bräuti- 
gams nach der Übergabe und Einsegnung. Schlyters Glossar zum Västgöta L. p. 409 
stimmt hinsichtlich des giftaröl hiemit überein, erklärt aber p. 372 brullöp für das Mal, 
welches der Bräutigam giebt, wenn die Braut zu ihm gebracht wird. Schildener zum Gu- 
talag S. 224 übersetzt giffaröl mit Verlöbnilsmal. Das ist aber gewils irrig. Zwar unter- 
scheidet das mittlere Stadtrecht (S. 20) fästningaöl (Verlöbnilsmal) und ZryZopsöl (Hoch- 
zeitsmal), aber daraus folgt nur, dafs es auch eine Verlöbnilsfeier gab, nicht aber, dafs diese 
durch giftaröl ausgedrückt wurde, denn gifta ist das Weggeben der Frau. Weinhold N. 
L. 246 kennt bei der Verheirathung zwar verschiedene Akte, aber nur einen Hochzeits- 
schmaus, der nach Umständen bald beim Brautvater bald beim Bräutigam ausgerichtet wurde. — 
Mit den drei Gelagen in unsrer Stelle sind auch nicht die drei ölstämnor in demselben Ge- 
setz Gipta B. p. 35 zu verwechseln, welche vielmehr die drei zum Erscheinen bei den 
Gelagen vorgeschriebenen Einladungen, oder die Gelage selbst, zu denen gehörig eingela- 
den worden, bedeuten, vgl. Schlyter Gl. zum VGL. 545. 


VI. Skandinavien. 2. Christlicher Gebrauch. 1837 


Vgl. in der neuern Gestalt Drepare B. c. 27 (S. 129). 


2) Aus der neuern Gestalt desselben Gesetzes Kirkyu B. 55 (Schlyter 
I 101), vgl. III 21 S. 259. 


At wtfaru dagh skal pr&ster hafua ör- Am Tage der Ausfahrt (des Begräbnis- 
togh fore sieela masso oc altara leghi, oc ses) soll der Priester einen Örtug (}, Mark) 
sua at syunda dagh oc sua at pretiunde haben für die Seelenmesse und das Altar- 
dagh. opfer; und so am siebenten und am dreilsig- 

sten Tage. 


3) Aus dem Ostgötalag Kristen B. (Schlyter II p. 8). 


a.c.7$2. Seelenmessen soll man in vier Fällen singen: “pa vtfö- 
res, siunda dagh, Prtiugh, iamlanga dagh” (d. i. beim Begräbnifs, am sie- 
benten, am dreifsigsten, am Jahrestage); in jedem sollen 30 Lichter oder 
30 Pfund geopfert werden. Das Södermannalag Kirkiu B. c. 11 (Schly- 
ter IV 30) bezeichnet die vier Zeiten mit vtferbx dagh, siunda d., at XXX 
dagh, at iamlanga mote (Jahresversammlung); das Smälandslag Kristnu 
B. c. 7 (Schl. VI 102) mit lijks wtfsrth, siunde dagh, manztha d., isem- 
lange d. 


b.c.8 pr. 


Will der Bauer zum Dreifsigsten, pretinx, läuten lassen, so giebt er 
einen örtugh an den Küster. 


4) Aus dem Uplandslag Kirkiu B. c. 8 (Schlyter III 35). Für 5 
öre (zu \ Mark) werden Seelenmessen gelesen “at liks utferb, siund& d., 
Pretiughunde d.” Begehren die Erben eine Todtenmesse “at iamlangx 
mote’, so mögen sie sich mit dem Priester darüber einigen. Eben so nach 


dem jüngern Westmannalag Kristno B. c. 7 (Schlyter V 90). 


5) Aus dem Helsingelag Kyrkiu B. c. 8 (Schlyter VI 9). Der Prie- 
ster bekommt für “üpakiöp och legerstap” (Messen und Bestattung) 18 El- 
len, 9 Laib Brod, 9 Pfund Butter. Dafür hat er 3 Seelenmessen zu sagen 
“ath liks uthferb, um syund& dagh, um manabx moot” (Monatsversamm- 
lung). Will man noch eine Messe “um iamlinge mot®” (zum Jahrtage), so 
giebt man vier Ellen. 


6) Aus dem Gutalagh (bei Schildener c. 28 $ 1, bei Schlyter c. 24 
$1, VILS. 60). 
Philos.-histor. Kl. 1864. S 


138 


Erfis gierpir iru aller af taknar, vtan 
huer sum wil pa giefi clepi oc scybi innan 
socna fulki, eptir Pan sum fram ier lipin. 


However: Der Dreifsigste. 


Erbbegängnisse sind alle abgethan, son- 
dern wer da will der gebe Kleider und Schuhe 


den Kirchspielseingesessenen, nach dem, wel- 


cher gestorben ist. 


Altdeutscher Text: Vest der begenknisse ist abe geleget. der noch 
toder hand cleider adir schu gebin wil. der gebe dem armen synes kerspels. 
7) Aus dem Bjärköarätt c. 29 (Schlyter VI 129). 


No giör mah:er «eller kon sit testament. 
pa skal giwas af beeggie perr® goz oskiptu. 
at liksins vtfaerb ok sama dagh pet iorbaes 
kost oc offer takin oc af beggie berrx goz 
oskiptu. wen aller per eptir gierpir sipsen 
giöres eptir pen döpe. pem giöri zen sum 
arwit vp takier. 


Was der Mann oder die Frau in ihrem 
Testament aussetzen, soll von ihrer beiden 
ungetheiltem Gute gegeben werden. Kosten 
und Opfer bei dem Hinaustragen der Leiche 
und an dem Tage der Beerdigung werden 
auch von beider ungetheiltem Gute genom- 
men. Aber alle die Nachleistungen, die nach- 
her für den Todten gethan werden, die be- 
streite der, welcher das Erbe nimmt. 


8) Aus dem allgemeinen Stadtrecht. 


a. ErffdaB. c. 19 (S. 33) $ 2. 


Von dem noch ungetheilten Gute der Eheleute ist zu bestreiten 


alt thet lüiksins vifärd är ock grafwa ööl. 
Än all eptergjärd sidan epter then dödhe 
giffs, gifwi then uth, som arfwit optok, 
swäsom mänada motzööl ock ärsmotz- 
ööl och andra tholika eptergiärder. Vgl. 


c 17. 


alles das zum Hinaustragen der Leiche ge- 
hört und das Begräbnilsmal. Aber alle Nach- 
feier die nachher für den Todten geschieht, 
bestreite derjenige, der das Erbe nahm, wie 
das Mal der Monatsversammlung und der Jah- 
resversammlung und andre dergleichen Nach- 
feier. 


Loccenius übersetzt das Gesperrte sehr frei: pro menstrua pulsatione 


campanarum in memoriam defuneti et pro convivio in divisione hereditatis. 
Allerdings geschah das Glockengeläute vorzugsweise am Dreifsigsten, s. oben 
35 und im Stadslag Kirkio B. ce. 6 $4: wil bonde läta ringia manada moth. 

b. Giftermäls B. c. 7 (S. 20). Es wird ein Maafs für allerlei Ge- 
lage gesetzt, welche man für gewisse Fälle zu geben hat (öölgärdar $ 6). 
Unter diesen nennt das prine.: “uth färdis ööl epter then döda eller erffda 
ööl” (Loccenius: funebres epulas, haereditatis divisae convivium); und der 
$5: “uthfärdis ööl ta lijk jordas och ärfwis ööl som kallas ahrsmoth, tjugu 
diska mäth medh klerkom och allo andro flocke” d. i. das Mal des Hinaus- 
tragens wenn die Leiche bestattet wird, und das Erbmal, welches Jahreszu- 


VI. Skandinavien. 2. Christlicher Gebrauch. 139 


sammenkunft genannt wird, zwanzig Gedecke (Locc. XX paria convivarum) 
mit dem Geistlichen und allem andern Volk. 

9. K. Magnus allgemeines Landrecht, Gifto B. c. 8, Schlyter X 
5.58, 59 setzt gleichfalls ein gewisses Maafs für allerlei Gelage, und nennt 
im Hingang unter diesen auch: “vt ferpa öl pa liik skal iorbas,” und “rue 
öl.” Der $4 gestattet dann “i zruum zlle (d. i. oder) utferbum”, dafs 
man Priester und Arme über die sonst gestattete Zahl von Gästen lade. 


Eben so K. Christophers Landrecht Gifftomäla B. c. 8 S. 25, 26. 


CC. Dänisches Recht. 


Aus den ältern Landschaftsrechten könnten nur in Betracht kommen: 
das Recht des damals zu Dänemark gehörigen Schonens, Skänelag, aus 
dem Anfange des 13ten Jahrh., und das Jütische Lov K. Waldemars II 
v. J. 1241. Jenes enthält jedoch nur in einer seiner Hdss. (Schlyter 
Bd. IX 205) ein hieher bezügliches Additament, welches wohl aus dem Jüt- 
schen L. 123 entnommen ist. Dieses giebt zwar I 3, 23, 26 Bestimmungen 
über den Dreilsigsten; doch treten sie so nahe an den Inhalt der deutschen 
Quellen heran, dafs sie passenderweise mit diesem zugleich unten erwogen 
werden. 


B. 


Was gewinnt nun unsre Untersuchung aus diesem zweiten Bestand- 
theil der nordischen Quellen? Er gewährt uns die entschiedene Überzeu- 
gung, dafs das Erbmal nicht nur zu Ehren der Häupter des Volks, sondern 
jedermanns gehalten wurde. Die christlichen Gesetzgeber führen die Sitte 
als eine allgemeine nicht etwa ein, sondern setzen sie als eine solche vor- 
aus, und suchen sie zu regeln, ja zu beschränken AA 1a, 3, 4, BB 8a, b. 
Wir sehen ferner die kirchlichen Einrichtungen über die Todtenfeier auch 
im Norden verbreitet und vermögen ihren eigenthümlichen Einflufs auf die 
Volkssitte zu verfolgen. Die rechtliche Seite endlich des Erbmals tritt noch 
heller hervor, als in den Sagen. 

1) Im Einzelnen ist zunächst auf den Eingang der christlichen Todten- 
festtermine hinzuweisen. Hierüber belehren besonders die schwedischen 
Kirchenordnungen oben BB 2, 3, 4, 5 durch die Bestimmungen über die 
Gebühren der Geistlichen und deren Leistungen. Danach finden die See- 

S2 


140 Homeser: Der Dreifsigste. 


lenmessen für den Verstorbenen an denselben vier Zeiten statt, welche die 
Capp- Hincmari oben S. 102 als Zufammenkünfte zu Ehren eines Ver- 
storbenen nennen. Die erste ist die des Hinausbringens der Leiche zum 
Begräbnisse, “ath liks uthferp, wtfaru dagh,” ein Ausdruck, der auch in 
den Niederlanden begegnet. Er entspricht dem dies tertius des h. Ambro- 
sius und Späterer, s. oben S. 101, 107. Die zweite ist der Siebente, 
siunda , die dritte der Dreifsigste, pretughunde, manaba moot, ma- 
ncelha dagh, beide mosaischen Ursprungs. Die vierte ist der anniversa- 
rius, hier iamlang@(!) moot oder dagh, alt-römischen Gebrauches, s. 
oben S. 94. Die Feier des letzten beruht jedoch nach dem Uplandi- 
schen, Westmannischen und Helsingerecht auf besondrer Vereinbarung des 
Leidtragenden mit dem Geistlichen. Der Dreifsigste wird noch dadurch 
besonders hervorgehoben, dafs an ihm im Ostgothischen Recht und im 
Stadtrecht BB 3b, 8a von einem Läuten, ringia, die Rede ist. 

Anziehend ist ferner wie beim Zusammentreffen des christkirchlichen 
und des heidnischen Volksgebrauchs beide auf einander wirken und sich zu 
neuen Gestalten verbinden. 

a. Dafs die Bestattung von jeher mit weltlicher Feier begleitet war, 
ist an sich glaublich. Die Rechtsquellen christlicher Zeit kennen auch ent- 
schieden ein “uthferdis öl, ta lijk jordas” (ein Mal der Ausfahrt, da die 
Leiche beerdigt wird) oder ' grafwa öl”, BB 8a, b, BB9, also ein Trinken beim 
Begräbnifs AA 5, getrennt von spätern Begängnissen. Und zwar macht das 
schwedische Stadtrecht zwischen jenem und diesen den selbst rechtlichen 
Unterschied, dafs die Kosten für das Begräbnifs und das graföl eines Ehe- 
gatten aus dem ungetheilten Gesammtgut, die der spätern Begängnisse da- 
gegen von dem Erben des Verstorbnen bestritten werden, BB7,8. Am 
Begräbnifstage findet die erste Todtenmesse statt, der dies tertius der Kirche 
wird in natürlicher Weise durch den des wirklichen Begräbnisses ersetzt. 

b. Die spätern Begängnisse werden in jenem Stadtrecht als eptir gjeer- 
dir, wörtlich Nachleistungen zusammengefafst, vgl. Fritzuer eptirgerd. Da- 


hin gehört vor allem das Erbmal erwiol, erfi, erfisgjer), ärfwis öl, erffda 


(') Jamlanga ist eigentlich eine gleich lange Zeit, dann insbesondre eine Jahrsperiode, 
Ihre Gloss. Sviog. 969. Das Jütsche Lov B.I C. 23 a. E. erklärt: aar oc dagh thet er 
iamlang oc sex uke (und sechs Wochen). 


VI. Skandinavien. 2. Christlicher Gebrauch. 141 


6öl oder manada motz ööl BB 8a, eins der drei besonders befriedeten Fa- 
milienfeste, neben Brautfahrt und Heirathsfest, BB1. Aus der Heidenzeit 
ist für diese Feier kein bestimmter Tag nach dem Tode oder dem Begräb- 
nisse bekannt, s. oben S. 127; die Umstände entschieden. Hier greifen nun 
die Tage der kirchlichen Feier ein, aber mit einer gewissen Auswahl für den 
Erben, sei es weil die Kirche selber ja mehrere Termine kannte, sei es um 
der bisherigen Sitte und den Umständen freiern Raum zu gönnen. Beson- 
ders bezeichnend ist dafür das ältere Gulathingslag AA 1a, wenn es dem Er- 
ben freistellt, das Erbmal am siebenten oder am dreifsigsten oder noch 
später zu halten. Dasselbe Gesetz legt im C. 115, 119 dem siebenten, im 
C. 122 aber dem siebenten oder dreifsigsten Tage für die rechtliche Wirk- 
samkeit Bedeutung bei. Das schwedische Recht nennt als die Zeiten der 
weltlichen Nachfeier den Monats- und den Jahrestag BB8a, b, wobei auffäl- 
liger Weise die letztere Stelle $5 das Erbmal mit dem Jahresfest zusam- 
men bringt. 

2. Die christliche Sitte wirkt aber nicht allein auf die Zeit des welt- 
lichen Festes ein. Die Priester, welche selbigen Tages den Seelendienst 
besorgt haben, nehmen auch an dem “öl” Theil und wandeln seinen Cha- 
racter. Bemerkenswerth ist für diese Einwirkung wiederum das alte Nor- 
wegische Gesetz AA 1 a, wenn es nach Erwähnung des erviol fortfährt: will 
man aber ein Seelenmal, salo ol, anstellen, so soll man dazu den Mefs- 
priester laden, wenn es ferner den Priester verpflichtet, auf dem Erbmal 
oder dem Seelenmal zu erscheinen. Der Sinn ist doch wohl: durch die 
Zuziehung des Geistlichen wird das Erbmal zugleich zum Seelenmal. Hier 
wird diese Zuziehung noch in das Belieben des Erben gestellt, anderswo 
und später erscheint sie als eine durch Sitte oder Gesetz gebotene. Nach 
dem Kirchenrecht des Eidsiviathing AA 3 soll man den Priester zum «rfi 
einladen; das neuere Gulathingslag AA 4 setzt voraus, dafs das erfi zum 
Seelenheil (des Verstorbenen) bestimmt sei. Das spätere schwedische Stadt- 
recht BB 8b führt als Gäste beim Mal die Kleriker und den übrigen Haufen 
an, das Landrecht BB 9 nennt das Erbmal auch präste ööl, Priestermal, und 
gestattet, dazu Priester und Arme auch über die sonst erlaubte Zahl der 
Gäste einzubitten. 

Der Geistliche ist ferner ein besonders geehrter Gast. Es sollen zu 
seiner Begleitung noch wenigstens zweie geladen werden, AA 1a, nach AA3 


4142 Homzren: Der Dreijsigste. 


unter diesen des Priesters Frau, welche neben ihrem Manne den vornehm- 
sten Sitz im Hause erhält. 

Schon die Sagen berichten, s. oben S. 130, dafs zu christlicher Zeit 
beim Erbmale das Trinken der Minne Christi und gewisser Heiligen an die 
Stelle der alten Trinksprüche trat. Nun heifst es ferner, dafs der Priester 
zugegen ist, auch um Speise und Trank zu segnen, zu weihen AA fa, AA3. 
Überhaupt sollte wohl seine Gegenwart, blieb ihm gleich das Mittrinken 
nicht verwehrt, doch dem Feste, wie nach den Fränkischen Verordnungen, 
Ernst, Anstand, Frieden bewahren. 

Das Christenthum läfst also hier, wie in andern Fällen, Maurer Il 430, 
die heidnische Feier bestehen, aber regelt deren Zeiten und sucht ihren Aus- 
schreitungen zu wehren. 

Aber freilich ist dies nicht stets und allenthalben gelungen. Schon 
K. Magnus von Norwegen rügt den beim Erbmal herrschenden Übermuth 
und Aufwand, die zu Streit und Todschlag führende Unmälsigkeit, und ver- 
bietet wenigstens das Ausarten der Feier in förmliche Trinkgelage, AA 4. 
Noch entschiedener untersagt das Gutalag BB 6 die Erbfeier, d.h. wohl die 
weltliche, überhaupt. 

3) Es bleiben die Aufschlüsse aus den Rechtsquellen über den recht- 
lichen Character der Feier übrig. 

Nach den Sagen ist der Übergang der Königlichen Gewalt erst ein 
vollkommener, wenn der Sohn den Sitz des Vaters — den häszti, den 
Thron — einnimmt, s. oben S.130('). Auch diese Sitte zeigt sich nun 
als eine allgemeinere. In jedem Hause findet sich ein öndvegi, d. i. nach Hal- 
dorson: “locus honoratissimus in aula sive triclinio, soli sive vestibulo ob- 
versus, nach dem Glossar zu Jarnsida: “sedes herilis vel primaria, quae 
öndvegi dieta est, quod vestibulo ex adverso esset,” von and gegen und vegr 
Weg, Eingang. Vgl. Weinhold A. L. 220, 221, 441, 446, 459. Nach 
den Sagen nahmen die Auswanderer nach Island die Pfeiler an den Seiten 
des Sitzes, öndedgis sulur, mit und warfen sie vor dem Landen aus, um 
dort wo sie antrieben, das neue Haus zu gründen. Und nach Frostethings- 
lag und Jarnsida AA 2 hat jeder Gewalt über sein Gut, so lange er das önd- 


(') Über die spätere Verbindung der 'Thronbesteigung mit Krönung und Salbung in 
Dänemark s. Werlauff, in den Balt. Studien V.2 8.5 ff, 


VI. Skandinavien. 2. Christlicher Gebrauch. 143 


eegi einzunehmen vermag. Diese Stätte ist also Sitz und Sinnbild der Ge- 
walt über Haus und Hof, vgl. Maurer, krit. Überschau I 100. 

Die feierliche Besitznahme nun dieses Platzes durch den Erben ent- 
spricht jener Thronbesteigung. So heifst es im Gulathingslag e. 115 AA 1b: 
nach des Mannes Tode wird der Erbe in das ondveg gesetzt, und allgemein 
gilt für die Erbfolge der Ausdruck: sich in das Erbe setzen “setsce i arf” 
(Frosteth. L. VIII 17 S. 207). Dafs dies aber in feierlicher Weise an 
jenem Feste des Siebenten oder Dreifsigsten geschah, dürfen wir schon aus 
dem Namen erfi, ärfvis öl schliefsen, den das Fest fortwährend an sich 
trägt. 

Damit stimmt denn auch die besondre Vorschrift des Gulathings L. 
c. 122, AA 1d, dafs der Erbe sein Erbrecht am siebenten oder am dreifsig- 
sten Tage geltend machen soll, ohne Restitution falls er dann schon volljäh- 
rig und anwesend war. Eben so die Bestimmung des c. 119 AA 1c, wonach 
der Werth der Erbschaft am 7ten Tage festgestellt wird. Dagegen fällt im 
c. 115 ebd. AA 1b der Siebente scheinbar später als die Einsetzung in das 
Erbe. Nimmt man jedoch das “setiazt i ondvege” allgemeiner für beerben 
überhaupt, so wäre der Sinn: beerbt jemand einen Verstorbenen, so lade 
er dessen Gläubiger zu dem Tage des förmlichen Eintritts in die Erbschaft 
vor. Die weitere Vorschrift geht dann dahin, dafs die Gläubiger, welche 
am Siebenten ihre Forderung anmelden und beweisen, falls der Bestand 
nicht hinreicht, doch antheilsweise befriedigt werden, die später erscheinen- 
den aber überhaupt nur, falls noch etwas übrig ist. 

Diese Bestimmungen, welche, gleich der S. 128 hervorgehobenen 
über das arviol, alle demselben alten Norwegischen Gesetzbuch angehören, 
gehen also davon aus, dafs die Feststellung des Erben, seine Einsetzung 
auf den hausherrlichen Platz, das Erbmal, die Würderung der Erbschaft, 
die Zahlung der Schulden — nach Christian des IV Gesetz, AA5, auch 
die Erbschichtung — an demselben, Tage und zwar an einem der Tod- 
tenmessentage, dem Siebenten oder dem Dreifsigsten, erfolgen. Über- 
haupt also ein Zusammentreffen der kirchlichen Feier, des weltlichen Be- 
gängnisses und der Verwirklichung des Erbrechts. 

Die schwedischen Gesetze, im Ganzen nicht moderneren Cha- 
racters, sind über die rechtliche Bedeutung des Erbmaltages dürftiger. 
Doch erhellt aus dem Stadtrecht BB 7, 8a, dafs die Aussonderung der Erb- 


4144 Homeren: Der Dreifsigste. 


schaft und die Haftung des Erben erst nach der Begräbnifsfeier beginnt. 
Zum Verständnifs jener Stellen ist noch zu bemerken. Nach dem Bjär- 
köarätt, wie auch sonst in schwedischen Rechten, wird durch die Ehe das 
beiderlei Gut vereint und jedem Ehegatten zur Hälfte zugewandt ce. 24: 


En mapier giptis i kunu goz. giptis til \Wenn der Mann in der Frauen Gut hei- 
alz halfs. swa giptis oc kon i manz bo. rathet, so erheirathet er alles zur Hälfte. 


Eben so heirathet auch die Frau in des Man- 
nes Haus. 

Vgl. das allgemeine Stadtrecht Giftermälsb. C. 5, 9, 12. Stirbt ein 
Ehegatte, so gebührt dem Überlebenden die eine Hälfte des Gesammtgutes, 
die andre Hälfte den Erben des Verstorbenen, seien es die Kinder oder an- 
‚ vgl. das allgem. Stadtr. Giftermälsb. C. 5, 9, 
12. Die Kosten nun für das Begräbnifs und dessen Feier werden von dem 


dre Verwandte, ebd. C. 27 
ungetheilten Gute, die Ausgaben aber für die eptergiärder, namentlich auch 
für die Feier des Dreifsigsten von den Erben des Verstorbenen allein ge- 
tragen (!). 

Wir kehren nach diesem Blick auf Skandinavien zu den Fragen und 
Zweifeln zurück, welche die Forschung über die fränkische Zeit und das 
frühere deutsche Mittelalter noch übrig liefs. Der Norden hat die gesuchte 
Hülfe auch hier in willkommenem Maalse gewährt. 

Wir dürfen an einen germanischen Ursprung der in den fränki- 
schen Satzungen gemifsbilligten heidnischen Todtenfeier nicht mehr zwei- 
feln. Die Sagen geben von ihr ein lebendigeres, volleres, gewils auch 
treueres Bild als jene kirchlichen Verbote. Wir haben Grund zu der An- 
nahme, dafs die Germanen auch vor der Berührung mit Römer- und Chri- 
stenthum den Abschlufs der Sterbhausstille besonders bezeichneten, den 
Beginn der neuen Hausherrschaft feierlich begiengen. Und wenn in Deutsch- 
land der Sachsenspiegel fast ohne Vorgang den Dreifsigsten uns als ein fest 
und reich gestaltetes Rechtsinstitut vor Augen führt, so ist zwar diese be- 


(') Abweichend wollen die alten schleswigschen Stadtrechte, dals beim Tode der 


Mutter die Kosten der Hochzeit zwar von des Vaters Erbtheil, die Kosten aber des Be- 
gräbnisses von der Kinder Erbtheil allein getragen werden; s. das ältere (lateinische) 
Recht von Schleswig $ 10, das neuere (plattdeutsche) S 11; das ältere (lateinische) Flens- 
5 ’ F S 
burger $ 10, das neuere (dänische) von 1284 $2; das Apenradesche $ 3, sämmtlich in 
Rosenvinge, Danske Gaardsretter og Stadsretter, Kopenh. 1827 S. 313, 380, 370, 389, 454. 
5% 5 ’ pP ’ ’ ’ 


VI. Neueres Deutschland. 1. Kirchliche Feier. 145 


stimmte Frist dem kirchlichen Gebrauch, der Eintritt des Erben in die Herr- 
schaft an einem geraumen Tage nach dem Tode dagegen uralter Volkssitte 
zuzueignen, die uns nur der Character der Rechtssatzungen zur fränkischen 
Zeit, die Quellenarmuth des frühern deutschen Mittelalters verhüllt gelas- 
sen. Denn davon ist doch keine Spur, dafs Deutschland etwa in der Zeit 
vom zehnten bis zum zwölften Jahrhundert das Erbmal mit seiner festlichen 
und rechtlichen Bedeutung lediglich vom Norden her empfangen habe ('). 


Siebenter Abschnitt. 


Deutschland in neuerer Zeit. 


Es ist im fünften Abschnitt die doppelte festliche Seite des Drei- 
(sigsten bis zum Ende des Mittelalters, dagegen seine juristische Bedeu- 
tung nur bis zum 13ten Jahrhundert verfolgt worden. Denn die Wende- 
punkte liegen für unsre Darstellung verschieden. Die Feier des Dreifsigsten 
bleibt sich während des Mittelalters gleich, um dann kraft der Kirchenrefor- 
mation einen mächtigen Umschlag und Abbruch zu erleiden. Für die Be- 
trachtung der rechtlichen Seite aber wird ein Abschnitt dadurch gegeben, 
dafs diese uns bisher fast verborgene Seite mit einem Male aus den Quellen 
des 13ten Jahrhunderts hell beleuchtet hervortritt, um seitdem ohne Unter- 
brechung, wenn gleich nicht ohne Umbildung und allmählige Schwächung, bis 
zum heutigen Tage sichtbar zu bleiben. Hienach ist zuvörderst den Ge- 
schicken der Todtenfeier seit dem Mittelalter nachzugehen und dabei wieder 
die kirchliche und weltliche Seite zu sondern. 


(') Es lag nahe, eine Hülfsquelle für das Rechtsinstitut des Dreilsigsten auch bei den 
Angelsachsen zu suchen, um so mehr als Dreyer de usu genuino juris Anglosaxonici 
Kil. 1747, 4, p. CVII, CIX bemerkt: quin triginta illud dierum spatium ... obtinuit in 
Britannia, et docuit idem ... Littletonius 1. d. (nemlich Sect. 279), quod hereditas intra 
30 dies post fata defuueti habeatur pro quiescente. Es ist mir jedoch nicht geglückt, in 
verschiedenen Ausgaben der 1481 zuerst gedruckten tenures Littletons (vgl. Biener Ge- 
schworengerichte II 304) den obigen Satz irgendwo aufzufinden. Auch in den angelsäch- 
sischen Gesetzen selber ist zwar eine Andeutung des kirchlichen Gebrauchs des Dreilsig- 
sten, s. oben S$. 108, aber nicht der Rechtssatz enthalten. 


Philos.-histor. Kl. 1864. 4% 


146 Homever: Der Dreifsigste. 


Erstes Capitel. 
Die kirchliche Feier. 


Sie ergab sich für einen bestimmten einzelnen Verstorbenen — im 
Gegensatz eines allgemeinen Todtenfestes — aus der frühern Darstellung 
S. 107 dahin. 

Feiertage sind zunächst der Begräbnifstag (der alte zertius), der Sie- 
bente und der Dreifsigste, entweder in der Art, dafs nur diese drei Tage 
selbst begangen werden, oder so, dafs ein ganzer Zeitraum täglichen gottes- 
dienstlichen Handlungen gewidmet ist, die dann an jenen hervorgehobenen 
Tagen sich steigern und mit dem dreifsigsten schliefsen. Doch kann noch 
später am Jahrestage des Todes eine Gedächtnifsfeier eintreten. 

Die Feier selber besteht in Vigilien, im Mefsopfer, im Absingen von 
Psalmen und Hymnen, in Fürbitten, in Oblationen für die Geistlichen, in 
Almosen und sonstigen guten Werken für die Armen. Den Gebräuchen 
der einzelnen Kirchen, der Vereinbarung der geistlichen Genossenschaften, 
dem letzten Willen des Abgeschiedenen bleibt dabei noch ein Spielraum für 
mannigfaltige Ausführung. 

Der inneren Bedeutung nach ist das ganze officium vorzugsweise ein 
Seelendienst, eine Sorge für die Seele des Verstorbenen im purgatorium, 
an dem Orte der Reinigung, wobei doch die gemeinsame Erinnerung an den 
Geschiedenen und eine Mahnung an das, was jedem Gegenwärtigen bevor- 
steht, nicht ausgeschlossen ist. 

Aus jenem vornehmsten Sinn ergiebt sich von selbst die Richtung der 
Reformation gegen solche Feier. Sehr entschieden lautet eine Äufserung 
Luthers in den Tischreden (Leipzig 1621 Fol. Bl. 358a). Mit Rücksicht 
auf den oben $. 97 erwähnten Vorgang sagt er: Die trigesimae, 30 Mes- 
sen für die Todten zu halten sind vom Pabst Gregorio erfunden und bei 
800 Jahren gestanden. Der war so heilig, ja abergläubig, dafs er einen 
Bruder der 3 Gulden vergessen, die er in seinem Ampt nicht berechnet 
hatte, da er gestorben war, uberen Tisch verdammte und liefs solch Geld 
ins Grab werfen und ihm 30 Messen halten, dadurch er soll aus dem Feg- 
fewer erlöset sein worden. OÖ des grofsen Grewels. 

Von den Bekenntnifsschriften der Protestanten enthalten zwar die 
Conf. Augustana und die Concordienformel keine bestimmte Verwerfung 


VII. Neueres Deutschland. 1. Kirchliche Feier. 147 


des purgatorii und Seelendienstes, wohl aber die Schmalkaldischen Artikel 
(ed. Berol. 1857 p. 307) in den Worten: “Purgatorium et quidquid ei so- 
lennitatis, cultus et quaestus adhaeret, mera diaboli larya est,” ferner die 
Conff. Wirtemb. p. 123, Helv. II c. 26, Gall. a. 24, der Art. Angl. 23. 

Demnach wissen auch die Kirchenordnungen der protestantischen 
Länder nichts von jenem Dienst, sondern wollen nur ein christlich ehrliches 
Begräbnifs, wobei die Seele des Verstorbnen Gott befohlen werde. Hie 
und da verbieten sie heidnische und papistische Superstitionen und Mis- 
bräuche, z. B. die Pommersche Kirchenordnung von 1535 Bl. 245v: de 
swelgerye u. lichtverdicheit der, de des nachtes bi den doden waken, dewile 
de lyck noch baven erde steit, alse im pawestdome gescheen is. Auch die 
protestantischen Kirchenlehrer verfehlen nicht, den Gegensatz der katholi- 
schen und evangelischen Auffassungen und des daraus hervorgehenden Ritus 
genau zu entwickeln. So schliefst J. H. Boehmer J. E. P. seine ausführ- 
liche Darstellung Lib. IH v.28 $33 in T. II p. 1071, 2 dahin: ut binis 
verbis dicam, cum mortius non communicamus eo in sensu. Quae humani- 
tatis officia eis indulgemus, iis non prosunt, nec his cum iis ulla communio 
conciliatur. 

In natürlicher Folge kommt während des 16ten Jahrhunderts in den 
protestantischen Ländern die kirchliche Todtenfeier insoweit ab, als sie 
nicht unmittelbar mit der Bestattung zusammenhängt, schwindet nament- 
lich der gottesdienstliche Dreifsigste. Im J. 1522 beschwert sich der 
Stadtrath in Altenburg beim Kurfürsten über den Probst Mag. Köler, wel- 
cher “zewu burgerinnen zewingen wollen, sie solten gancz dreissige hal- 
ten lassen, vnd sie vff der cantzel vffentlich ausgervffen, er hab macht, sie 
mit geistlichem recht dahin zeu treiben.”(!) — Der Erzbischof von York ge- 
bietet 1571: that no monthminds or yearly commemorations of the dead 
... be observed, which tend either to the maintenance of prayer for the 
dead, or of the popish purgatory(?). 

Anders in den katholischen Gebieten. Die alte Kirche hält, wie 
an jenem Dogma, so an den darauf gegründeten Übungen fest. Das decre- 


(‘) Mittheilungen der ... Ges. des Osterlandes Bd. 6 Heft 1, Reformation in Alten- 


burg von Dr. Löbe. 
(*) The remains of Edm. Grindal, Cambridge 1843 p. 136. Vergl. oben S. 106. 
T2 


148 Honmerer: Der Dreifsigste. 


tum de purgatorio des Coneilii Tridentini Sessio 25 beginnt: Cum ca- 
tholica ecclesia ... docuerit, purgatorium esse, animasque ibi detentas 
fidelium suffragiis, potissimum vero altaris sacrificio juvari etc. Das Ri- 
tuale Romanum, unter Paulus V im J. 1614 gefertigt, von Benedict XIV 
im J. 1725 wieder herausgegeben, ordnet das officium defunetorum, jedoch 
“pro temporis opportunitate et ecclesiarum consuetudine,” und bestimmt 
u. a.: Praedietus autem offhicii ritus pro defunctis adultis tam sacerdotibus 
et clerieis quam secularibus et laieis servari debet in officio sepulturae in 
die depositionis sive in die tertio, septimo, trigesimo et anniver- 
sario. Und auch die neuern Lehrbücher des Kirchenrechts, insofern sie 
die kirchliche Sitte mit umfassen, gedenken des Seelendienstes als eines 
noch lebendigen. So heifst es bei Walter $ 327 “Die Oblationen sind all- 
gemein in ein festes Herkommen übergegangen und durch genaue Taxen 
regulirt worden. Die Exequien wurden ehemals gewöhnlich am dritten, 
siebenten oder neunten, dreifsigsten oder vierzigsten Tage, und an dem Jah- 
restage des Todes wiederholt. Dieses kommt auch noch jetzt häufig vor.” 

Ich vermag diese Fortdauer vom 16ten Jahrh. bis zur Gegenwart 
durch eine Reihe verschiedenartiger Zeugnisse näher nachzuweisen. Daraus 
wird zugleich die mannigfaltige Weise der Übung des alten Gebrauches in 
ihrer besondern Erscheinung nach Zeit und Land erhellen. 

Im J. 1520 verordnet der Herzog von Jülich, dafs Laien nicht mehr 
letztwillig ihre Grundstücke mit Erbmessen, Memorien oder Anniversarien 
dauernd belasten, sondern zu ihrem Seelenheil nur etwas von ihren beweg- 
lichen Gütern vermachen sollen. Also doch eine gewisse Beschränkung in 
den Mitteln zur Bestreitung der Feier('). 

Ein Weisthum des Hofgerichts zu Bliescastel v. J. 1540 (Grimm 
Weisth. II 29) verpflichtet die Schöffen, welche das erblose Gut eines Ver- 
storbenen an sich nehmen: gots recht zu thun, ersten, sieben, dreissig und 
jJargezeidt. 


(') Die Worte lauten bei Lacomblet, Archiv f. d. Gesch. des Niederrheins Abth. 1 
Bd. 1 Düsseld. 1832 S.159: ... syne erflige gueder vurbass mit testamenten codicillen.... 
zo erfmissen memorien off jairbegangen erfflichen belasten sulle. Die “erfmisse” soll 
wohl eine fortdauernde Messe, nicht eine Messe bei der Annahme der Erbschaft am Drei- 
fsigsten bedeuten. 


VI. Neueres Deutschland. 1. Kirchliche Feier. 149 


In den Fastnachtsspielen des Venners der Stadt Bern Niclaus Manuel 
(1540, neuer Abdruck 1836) sagt eine Begine, die nach früherem lieder- 
lichen Leben eine sog. Seelnonne (s. S. 150) geworden: 


By kranken Lüten konnt ich wohl, 

Man gab mir Geld und füllt mich voll 

Den ich mufs viel Weines trunken han, 

Sechs Maas gewinnen mir nicht viel an. 

Uf Leipfel('), Siebend, Dreifsigst und Jahrzit 
Do was mir noch kein Mil Wegs zu wit. 


Suttinger, Consuetudines Austriacae (Auszug aus einer Sammlung 
österr. Gewohnheiten des 16. Jh. s. unten Nr. 162) äufsert p. 145: quod 
Catholicos praesertim nobiles, etiam trigesimo die lugere et exequias pro 
defuncto celebrare, antiquitus receptum sit, ... non Catholiei et paupe- 
res nullos pro defuncto publicos luctus vel exequias celebrant. 

Von den Niederlanden sagt Noordewier, nederd. Regtsoudheden, 
Utrecht 1853 S. 61 überhaupt: den dertigsten vooral vierden de naaste 
vrienden bijt graf zelf der overledenen gedachtenis. Matth. ad Chron. Egm. 
p- 193 geeft een voorbeeld van a. 1568. — Ein Testator verordnet in dem- 
selben Jahre Spenden an die Armen: op mijn begravinge, op mijn seven- 
dach, op mijn maentstont ende op mijn jaergetyde. — Unter den plegtig- 
heden (Feierlichkeiten) nach dem Tode des Landeomthurs von Utrecht 
kommen auch “sevendagen, maantstonden” und “jaargetyden” vor, Matth. 
Anal. V 924, 5. — Die Seerechte von Carl V und Philipp ordnen einen 
“dertigsten” zum Dienst für die Verstorbenen an. — Auch nach den Privi- 
legien von Dordrecht soll, wenn ein der Stadt angehöriger Münzgesell auf 
dem Lande stirbt “een dertigste” für ihn verrichtet werden, s. Verhandelin- 
gen der genootschap p. exc. j. p. Th. V 28. 165. 

Schmeller Bair. Wörterb. III 273 führt aus Dr. Eck’s Predigt am Al- 
lerseelentag 1553 an: “Etlich halten die 3 Tag Besingknufs auf einander, 
wie auch bei uns ist der gebrauch in Begräbnils der Bischove, etlich 9 tag 
aneinander, wie das geschieht dem Babst und den Cardinälen.” Also noch 
ein Überbleibsel des novemdial. 


(') Leibbevide, kürzer Leipfel, ist die Beisetzung, Besingnils, s. Schmeller B. W. I 628. 


150 Homever: Der Dreifsigste. 


Eine Österreichische Verordnung für Bregenz v. J. 1572, Walch 
Beitr. z. D. R. V 924, 5, spricht von einer Theilung der Erbschaft nach 
“gehaltener Dreyfsigist”. 

Besonders geht die umfängliche Bayerische Gesetzgebung d. J. 
1616, “das Landrecht, Policey ... und andre Ordnungen” näher auf die 
Seeldienste und auf die Gebühren dafür ein. 

Buch II Tit. 9 Art. 2 lautet: “Die Seelgeraid oder remedia sein 
eigentlich die Pfarrliche Recht, von einer jeden verstorbnen Person, was 
man nemblichen dem Pfarrer aufser defs andern Unkostens, so über Be- 
gräbnufs, Besingnufs vnd Dreyssigisten gehet, bezahlen mufs.” Die dar- 
auf folgende Taxe scheidet, was für die damaligen Standesverhältnisse von 
Interesse, 1) in den Städten a. die Adlichen oder die ihrem Stand nach 
Adelspersonen gemäls und die Geschlechter in den Hauptstädten, 5. sonst 
vermögliche Bürger, c. gemeine Bürger und Handwerker, d. Tagelöhner, 
e. Arme; 2) auf dem Lande a. Bauern mit einem ganzen Hofe, 5. Hueber 
oder Lehner, c. Söldner. 

Art. 3. Die Seelnonnen, welche die Kranken pflegen, die Leiche 
einnähen, bekommen, wenn man sie hernach zum Siebenten und Dreifsig- 
sten gebraucht, täglich 20 Kreuzer (!). 

Art. 4 ordnet die sog. Präsente für die Priester, die Schulmeister und 
Schüler, den Mefsner u. s. w. bei der Besingnifs, dem Siebenden und Drey- 
fsigisten. “Eine gleiche Mainung” heifst es weiter hat es mit den Jartägen, 
die nit sonderbar gestifft sein” .... “Gehet man vnder dem Sibend vnd 
Dreyfsigisten über das Grab”, so treten noch besondre Gebühren ein. 
“Wirdet aber ein ansehnliche Besingnufs, Sibend, Dreyfsigist oder Jartag 
auffm Lande gehalten, also dafs der Pfarrer von andern orten Priester be- 
_ stellen mufs, sol er derselben mehr nit bestellen, dann als vil die Freund- 
schaft begert”, wobei dann weiter die Gebühren verschieden fallen, jenach- 
dem eine Mahlzeit gereicht wird, oder nicht. 

Der Art. 8 bestimmt noch: “Braucht aber ein Freundschaft den Prie- 
ster bifs gar auf den Dreyssigisten, sol man jhne für die vbrige zeit vom 
Sibend bifs auff den Dreyssigisten 6 Gulden, aber kein essen zu geben schul- 


La 


(') Vgl. über die Seelnonnen, Geschwestern des Herrn, und ihre Häuser Schmeller 
a. a. O. III 226 ff., Bavaria I 1085. 


VII. Neueres Deutschland. 1. Kirchliche Feier. 151 


dig sein.” Endlich handelt noch Art. 9: “von der Beleichtung bey der Be- 
singnufs, Sibend vnd Dreyssigiten auch Verkündung der Abgestorbenen (am 
Jahrtage).” 

Das Fortleben der alten Todtenfeiertage wird also hiemit bis in den 
Anfang des 17ten Jahrhunderts beurkundet. Von nun an entbehre ich der 
Zeugnisse für fast zwei Jahrhunderte. Aber der Mangel bietet eben nur 
eine Lücke in der Bekundung des Gebrauchs, welche sich wohl einmal 
füllen mag; er ist kein Zeichen eines wirklichen gänzlichen Absterbens. Denn 
nachdem in unsern Tagen eine sinnige Forschung so manche aus dem Ge- 
meinbewufstsein der Gebildeten entwichene Institution, in der Volkssitte der 
einzelnen Landschaften wiedergefunden hat, ist auch der Dreifsigste nebst 
jenen andern Feiertagen bald hier bald da aus langer Stille und Verborgen- 
heit frisch und wohlerhalten von vielen Seiten her ans Licht gezogen wor- 
den. Zunächst in den weiten Gebieten des Königreichs Bayern, aus dem 
ja auch jene letzten gesetzlichen Bestimmungen d. J. 1616 stammen. 

Im J. 1835 gab Joseph v. Klessing die sämmtlichen Werke des A. 
v. Bucher, Pfarrers zu Engelbrechtsmünster (Kirchsprengel Regensburg) 
heraus; unter ihnen Bd. IV 213 einen humoristischen Aufsatz v. J. 1784: 
die Verlassenschaft des Pfarrers Tröst’n Gott, dessen Vorbericht der drei 
üblichen Seelengottesdienste am Ersten, Siebenden und Dreifsigsten näher 
gedenkt. Sodann hat Schmellers Bayerisches Wörterbuch 1827 in den 
Artikeln Erst, Dreyfsigst, Grab, Seldienst, Selhaus, Besingnifs, Spend, Si- 
bent, diese Ausdrücke mit reichen Belegen aus dem Leben und aus Urkun- 
den erläutert. Noch später berichtete K. von Leoprechting von dem 
Seelengottesdienst “aus dem Lechrain 1855”. Ihm schliefsen sich die ge- 
nauern Schilderungen in der trefflichen “Bavaria, Landes und Volkskunde 
des K. Bayern” München 1860 ff. für Oberbayern I 413 ff. 511, für Nie- 
derbayern I 993, für die Oberpfalz II 1 S. 322 ff. an, wozu denn noch 
Schönwerth “aus der Oberpfalz” 1857 1 257 ff., Quitzmann, die heid- 
nische Religion der Baiwaren 1860 S. 263, ergänzende Züge liefern. 

Nach der Absicht und nach den Hülfsmitteln dieser Berichterstatter 
müssen sie uns ja ein volleres und lebendigeres Bild des ganzen wirklichen 
Herganges geben, als jene ältern zufälligen abgerissenen Erwähnungen und 
als allgemeine gesetzliche Vorschriften. Ich ziehe aus ihren Darstellungen 
zusammen, was unser Thema berührt. 


152 Honerer: Der Dreifsigste. 


Als die besondern Feierzeiten erscheinen zunächst der “Erst”, auch 
das Leichenamt, die Besingnifs von dem Absingen des Libera nach vollen- 
detem Gottesdienst, oder die Begräbde, das Gräbnifs genannt, d. i. der alte 
tertius, denn am dritten Tage wird die Leiche zu Grabe gebracht, Schön- 
werth 253. Sodann wiederum der Siebent, der Dreifsigste, der Jahrtag, 
diese dreie, im Gegensatz des Ersten auch wohl als Gedächtnifstage bezeich- 
nete. Der Siebente und der Dreifsigste werden dann und wann (s. Bucher 
216) vom Begräbnifs an berechnet. Überhaupt aber wird — wie auch schon 
früher — nicht genau auf die Zahl gehalten. Die Österr. Landgerichtsord- 
nung Ferdinands I bezeugt, dafs “offtmalen die Dreyfsigist viel Monath lang 
angestellet”. Bucher bemerkt es sei vorgekommen, dafs der 30ste erst nach 
Jahr und Tag gehalten worden. Der Dreifsigste, sagt Schmeller, I 411, ist 
heutzutage der letzte Seelengottesdienst, er werde nun eben am 30sten 
Tage gehalten oder nicht; der Siebent (III 186) ist der zweite, wenn er 
auch wie meistens nicht eben am siebenten Tage statt hat. Nach Leoprech- 
ting 251 wird der Siebent nicht mehr wie vor Alters am siebenten nach 
dem Ersten, und der Dreifsigste meist schon am vierzehnten Tage gehalten. 
In der Oberpfalz, Schönwerth 254, folgen sogar nach der Beerdigung die 
drei Seelenämter, nemlich das Leichenamt, der Siebente und der Dreifsigste 
unmittelbar nach einander. (Eben so in Tyrol.) 

In dem Seeldienst selber tritt zuerst das Wachen hervor. In 
Oberbayern versammeln sich die Nachbaren, so lange die Leiche im Hause, 
um bei ihr zu wachen und Rosenkränze zu beten, wobei Brod und Bier und 
Branntwein gereicht wird. Eben so übernehmen in der Oberpfalz (Bavaria 
II 1. 322) die Ortsnachbaren die Todtenwache für 3 Nächte vom Abend 
zum Morgen; vor dem Verwachen wird gemeinsam gebetet, dann Brod etc. 
gegeben. Im Traungau reicht man jedem der zum Todtenbesuch kommt, 
ein Laib Brod, darin ein Messer zum “Schneidab” und einen Trunk, worauf 
der Gast kniet und betet (Bavaria I 511). 

Den Begräbnifstag sodann eröffnet das “aus dem Hause beten”, was 
im Rotthale durch den Pocurator mit Litanei und fünf Rosenkränzen ge- 
schieht (Bavaria 1994). Der Zug geht hie und da, Schönwerth 256, erst 
nach der Kirche, wo der Sarg eingestellt wird so lange das Seelenamt 
dauert, d. i. die Obsequirung “praesente cadavere” ob der Erden, dann 
erst zum Friedhofe. Anderswo wird des Seelengottesdienstes erst nach 


VI. Neueres Deutschland. 1. Kirchliche Feier. 153 


dem Begräbnisse gedacht(!). Auf die Zergliederung der priesterlichen 
Functionen, bei denen Leoprechting 251 noch das Seelenamt, das Lobamt, 
die Vigilien und Nebenmessen scheidet, gehe ich nicht näher ein. 

Dagegen sind noch die Opfer (oblationes) und die Spenden sonsti- 
ger Theilnehmer hervorzuheben. Zum Opfer gehen die Geladenen “zu 
des Verstorbenen Ruhe” Leoprechting, Bavaria II 1. 323. Den Gebrauch 
schildert die Bavaria für Oberbayern I 413: Verwandte, Leidtragende und 
Ortsarme legen an den Opfergängen nach den Gottesdiensten zur Ehrung 
und zum Heil des Verstorbenen kleine Gaben auf die Altarstufen; die Ver- 
wandten selbst opfern gewöhnlich die rothe Todtenkerze, bei deren Schein 
sie während des Gottesdienstes hinter der tomba knieend gebetet. Für Nie- 
derbayern 1993: Im Opfergang legen die drei nächsten verwandten Frauen 
Kerzen, einen grünen Krug mit Geld zum Wein und um 4 Kreuzer Semmel 
am Altar nieder. In der Oberpfalz geht, nach Schönwerth 254, bei jedem 
Amte der Zug um den Altar; jeder legt auf jede der beiden Ecken einen 
Pfennig. Das Opfer gehört dem Priester; aufserdem wird der Kirche ge- 
opfert. Für dies Opfern bestimmte schon das Landr. v. 1616 IIL 9 Art 7: 
dafs die Priester den Leuten nicht darüber, was an Mehl, Schmalz, Eiern 
zu opfern, Mafs und Ordnung geben sollen, sondern dies einem jeden zu 
seinem guten Willen gestellt sei. Endlich kennt Schmeller III 226 die Sitte, 
dafs am Dreifsigsten ein Seelnapf, d. i. eine Schüssel mit Mehl und Eyern 
nebst einem Brodlaib als Opfer auf die Bahre gelegt wird. 

Die Spend, das Gespend ist eine Gegenleistung in Gebäck an die 
Opfernden. Die Mon. Boica X. 567 ad 1489 erwähnen schon der “panes 
funerales qui Totenbeck appellantur”. Der Totenweck oder Spendwecken 
wird auf Kosten der Verwandten beim letzten Gottesdienst allen die dabei 
zum Opfer gehen gereicht, Schmeller I 463, Leoprechting 250, nach 


(') Bucher 216, Bavaria II 1. 353, Leoprechting 251, Schönwerth 253. Walter $ 327 
bemerkt: die Gebete in der Nacht zwischen der Deposition und dem Begräbnils haben sich 
in den Vigilien oder dem Officium für die Verstorbenen erhalten, doch wird dieses ... 
nicht mehr vor der Leiche selbst, sondern erst nach der Beerdigung verrichtet. Nach dem 
Obigen hätte sich, wenn auch nicht jene Vigiliennacht, deren noch das Landrecht v. 1616 
III 9 Art. 7 gedenkt, doch hie und da der Dienst vor dem Begräbnils bewahrt, wie ihn 
J. Mooren in Dieringer kath. Ztschr. Bd. 3 Köln 1845 S. 259 ff. als alte Gewohnheit 
zurück verlangt. 


Philos.-histor. Kl. 1864. U 


154 Homeven: Der Dreifsigste. 


Schmeller III 571 an den kirchlichen Jahrtagen. Etwas anderes berichtet 
Schönwerth 258: ist der Verstorbene aus einem vermöglichen Hause, so 
wird 8 Tage nach der Beerdigung die “Spendd” gebacken und jeder Arme 
erhält einige Laibchen, ferner die Bavaria II 1. 324: in Fronau wird 5 Tage 
nach der Beerdigung die Spend für die Ortsarmen gebacken, wogegen sie für 
den Todten beten, und Quitzmann 263: die Spendwecken werden unter die 
Armen vertheilt, um für die ewige Ruhe des Verstorbenen beten zu lassen. 

Auf die kirchliche Feier am Grabe selbst bezieht sich die Begehung 
des Grabes oder des Trauergerüstes unter Absingung des Libera (Schmeller 
III 273); ferner in Niederbayern der Abdankspruch durch den “Hochzeit- 
lader” beim Grabe am siebenten und dreifsigsten Tage, der mit einem Va- 
terunser für den Verstorbenen und einem zweiten für alle auf dem Gottes- 
acker liegende schliefst, so wie das Tragen zweier Lichter auf das Grab 
durch das Todtenweib oder “Einmacherin” nach beendigtem Gottesdienst 
(Bavaria I 993), worauf sich die Verwandtschaft zur Trauerrede des Hoch- 
zeitladers versammelt. 

Nach Schmeller I 463 werden auch einiger Orten Speisen auf das 
Grab gelegt, ja nach Zingerle Tirol. Sagen N. 1107 erhielt sich bis ins vorige 
Jahrhundert die Sitte, um das Grab im Kreise auf die Ruhe des Verstorbe- 
nen zu trinken und auch Wein auf Blumen und Grabhügel zu giefsen. Also 
Erinnerungen an das schon im J. 589 verbotene super tumulos manducare 
et bibere, s. oben S. 102, ja an das römische silicernium S. 91. 

Überhaupt zeigen diese, den eigentlichen kirchlichen Dienst beglei- 
tenden frommen Übungen, dafs sie mehr dem Volksleben entstammen als 
auf kirchlichen Geboten beruhen. 

Nach dieser Reihe veröffentlichter Berichte waltet also im katholi- 
schen Bayern die alte Sitte noch in vollem Leben. Ich vermag aber noch 
aus einem andern Lande deutscher Zunge ein gleiches Zeugnifs neuester Zeit 
vorzulegen. 

Im Sommer 1863 kam ich zu Brunnen am Vierwaldstättersee in Be- 
rührung mit dem Altposthalter Felix Donat Kyd, einem Manne der nach 
Alter, Lebensgang und Forscherlust so recht angethan ist, über die Ge- 
bräuche seiner Heimath alter und neuer Zeit zuverlässige und sinnige Aus- 
kunft zu geben. Ein blofses Erwähnen des Dreifsigsten gegen ihn brachte 
sofort eine solche Vertrautheit mit der Sache aus der Geschichte und unmit- 


VII. Neueres Deutschland. 1. Kirchliche Feier. 155 


telbar aus dem Leben zu Tage, dafs ich mir eine schriftliche Darstellung 
der Todtenfeier, wie sie in den drei Urcantonen üblich, erbat. Ich lasse 
aus seiner Mittheilung vom 12. Sept. 1863, was hieher gehört, ihrer Eigen- 
thümlichkeit und Anschaulichkeit halber, wörtlich folgen. 

“Ist jemand ins End gefallen, so wird in der nächsten Kirche mit einer 
Glocke ein Zeichen gezogen. Früher fiel jedermann, der das hörte, auf die 
Knie, betete 5 Vaterunser und 5 Ave Maria, dafs der l. Gott dem sterben- 
den ein glückselig Ende verleihe. Ist die Person gestorben, wanns eine 
Mannsperson, so wird mit der gröfsern Glocke geläutet, bei einer Weibs- 
person mit der kleineren. Gleich gehen arme Leute ins Haus und ira- 
gen, ob sie bei der Leiche wachen dürfen. Sind die Leute, denen die Leiche 
gehört, selbst arm, so bestellen sie 2, Handwerker und Bauersleute bestel- 
len 4, hablichere 6 Personen zum Wachen. Die Wachen beten Tag und 
Nacht alle Stunde einen Psalter für die Seele des Verstorbenen, werden 
am Tage gut genährt, bekommen um Mitternacht Kaffee mit etwas Ge- 
backenem. Es kommen auch die Verwandten, Nachbaren ja fast alle Leute 
des Dorfes. In Berggegenden ist man über eine halbe Stunde weit Nachbar 
und kommt her, die Einten am Tage einen Rosenkranz leise, andere Abends 
von 8 bis 9, oder von 9 bis 10 einen Psalter laut zu beten. Habliche zah- 
len sogar armen Leuten und Kindern, welche am Tage beten kommen, 2 
bis 5 Rappen. Bei dem Bette steht die brennende Oellampe, welche 
vom Moment des Hinscheids 30 Tag und 30 Nächte fortwährend brennen 
soll, neben einem grofsen Kruzifix 2 brennende Kerzen; ein Geschirr mit 
Weihwasser und ein Weihwadel. Jede Person die weggeht giebt der Leiche 
ein Spritzchen und wünscht ihr die ewige Ruhe und Seligkeit.” 

“Nach der Beerdigung geht man in die Kirche, es geht der Trauer- 
gottesdienst an. Reiche lassen viele, Arme nur eine, Leute vom Mittelstand 
gewöhnlich 3 Messen lesen. Während der Messe unter dem Evangelium 
geht man zum Opfer, zum Voraus die Kinder denen der Verstorbene Pathe 
gewesen, dann die nächsten Verwandten. Die Ordnung des Opfergehens 
ist. Es gehen die Weibspersonen erstens zum Altar auf ihrer Seite, legen 
da einen Rappen etc., eben so zur in der Mitte gestellten Opferschüssel, 
zum dritten auf den Altar der Mannsseite, von wo sie in ihre Stühle zurück- 
kehren. Die Mannspersonen fangen auf ihrer Seite an und kehren von der 
Weiberseite in ihre Stühle zurück.” 

U2 


156 Homerer: Der Dreifsigste. 


“Am Seelisberg, aber nur dort, stellt die erste Person die zum 
Opfer geht, einen Teller voll Salz auf den Altar. Dieses soll ein sehr alter 
Brauch sein und vom Glauben abstammen, dafs 3 weifse Almosen, Salz, 
Mehl, Eyer, am verdienstlichsten seien, eine Seele aus dem Fegfeuer zu er- 
lösen, vgl. oben S. 153 und unten $.162. Nach dem Gottesdienst gehen 
der Pfarrer und Kaplan wieder zum Grabe, beten lateinisch über den Ver- 
storbenen und bespritzen das Grab wieder mit Weihwasser. Verwandte, 
Freunde und Nachbarn stellen sich ums Grab und beten leise, geben dann 
mit dem Weihwadel dem Grab einen Sprutz, sagend tröste und erlöse Gott 
seine Seele. Hierauf geht ein jeder nach Hause. Dieser erste Tag ist 
wohl der schwerste für die Angehörigen des lieben Verstorbenen. Diese 
Feier heifst die Gräbt.” 

“Nach 7 Tagen wird eine ganz gleiche Gedächtnifsfeier gehalten und 
heifst die Siebenten. Wieder ganz so nach dreifsig Tagen. Es gehen 
wieder Verwandte, Freunde und Nachbarn zum Opfer. Das Grabbesuchen 
von den Geistlichen nach der Messe heifst im Volksdialeet Usäwisänä('). 
Nach dem Usäwisänä am 30ten Tag ... löscht man das Dreifsigstlicht, das 
im Zimmer des Verstorbenen bis dahin unaufhörlich brannte.” 

“Eine auch mehr Personen vom Hause gehen den Dreifsigst durch alle 
Tage, die nahen Verwandten das ganze Jahr alle Sonntage zum Opfer. Nach 
Verflufs eines Jahres wird die letzte Gedächtnifsfeier gehalten, wo wieder 
Verwandte etc. wie an der Gräbt, Siebent und Dreifsigst zum Opfer gehen 
und das letztemal für den Verstorbenen gewisenet wird, und wie man heim- 
kommt werden die Trauerkleider abgelegt. Stirbt ein gar armer Mensch, 
so wird ihm mit einer einzigen Messe Gräbt, Siebent, Dreifsigst und 
Jahrzeit zusammen gehalten und alles ist fertig. Sonst aber wird der 
Name des Verstorbenen das ganze Jahr durch ab der Kanzel verkündigt. 
So gehts in Uri, Schwyz und Unterwalden. — All diese Gebräuche existie- 
ren urkundlich schon über 300 Jahre.” 

Endlich ist auch im nördlichen Deutschland die kirchliche Feier kei- 
nesweges ganz erloschen. Hr. Divisionspfarrer Koch zu Berlin theilt mir 
aus dem Paderbornschen mit. 


(') Das wäre “ausweisen”. Nach dem mannigfachen Sinn des “weisen” bleibt auch hier 


ein Spielraum für die nähere Deutung. Die natürlichste scheint mir die eines Hinausfüh- 
rens aus der Zeitlichkeit. z 


VII. Neueres Deutschland. 2. Weltliche Feier. 157 


“Der feierliche Gottesdienst am Siebenten hat sich beim Begräbnils 
eines Bischofes noch erhalten, auch werden für einen Bischof an jedem der 
30 Tage Messen gehalten. Der Dreifsigste wird noch immer gehalten mit 
feierlichem Gottesdienste und Begängnifs (namentlich noch vor 20 Jahren in 
der Pfarre Brakel) .... So wie das offertorium anhebt, gehn, voran die 
Kinder und nächsten Verwandten des defunctus, alle um den Altar und legen 
zur Epistelseite desselben ihre Gabe nieder .... Die feierliche Begehung 
des Siebenten hat auf dem Lande wohl meist aufgehört; es wird gewöhnlich 
eine stille Messe gehalten.” 


Zweites Capitel. 
Die weltliche Feier. 


Manchen der frommen Werke die den Seelendienst begleiten, den 
Spenden namentlich an Arme und Verwandte schliefst die weltliche Lust- 
barkeit, das Todtenmal, wie der Art so der Zeit nach sich nahe an. So 
lautet eine Schilderung Pommerscher Sitten aus dem zweiten Viertel des 
46ten Jahrh. in Kosegarten, Pomerania 1816 IT S. 405 ff. (!) “Stirbt einer 
so ists an etlichen orten gewonlich, defs man diejenigen so bey der begrab- 
nufs gewest, zu gaste ladt, vnd jnen flucks aufschuppet. Ist der totte etwas 
gewest, so lest man jme ein seelbat nachthun, da sich die armen lewte ba- 
den, vnd man jnen bier vnd brot gibt. Darnach bestelt man vor sich vnd 
die freuntschafft auch ein bat, vnd baden auch, und halten einen guten pras.” 

Bei dieser nahen Verbindung des geistlichen und weltlichen Begäng- 
nisses mufste sich auch hinsichtlich des letzteren gar bald der Gebrauch in 
deutschen Landen scheiden. Unter den Protestanten schwand nach dem 
Abkommen des kirchlichen Siebenten und Dreifsigsten auch jede weltliche 
Feier nach dem Begräbnifstage. An diesem hat sie sich hier und da erhal- 
ten. In Schleswig z. B. kehren nach dem Leichenzuge alle in das Trauer- 
haus zurück, um den Verstorbenen durch eine “Todtengilde” zu ehren. 
Eine Synodalversammlung zu Lobsens (Reg.-B. Bromberg) fand sich noch 


(') Vgl. W. Böhmer, Thomas Kantzow 1835 S. 127, 140. — Über die Todtenmale 
in Antwerpen berichtete seiner Zeit Guicciardini in der Beschreibung der Niederlande, s. 


Alkemade Nederlands displegtigheden I 315. 


458 Homeyer: Der Dreifsigste. 


1862 gedrungen, ein Zeugnifs wider die “unwürdigen Leichenschmäuse” ab- 
zulegen. — Anderswo hat sich ja das Mal auf einen Imbifs, auf einen Trunk 
und Leichenconfect vor der Bestattung beschränkt, oder gar völlig verloren. 
In den katholischen Gebieten dagegen bot die Wiederholung des Seeldien- 
stes, namentlich die Feier des Dreifsigsten, den Anlafs zu erneuter Bewir- 
thung der Erschienenen. 

Hier wie dort hat die Weise des weltlichen Begehens policeiliche An- 
ordnungen hervorgerufen, welche sich wie vor Alters gegen übertriebenen 
Aufwand und unziemliches Wesen, hie und da auch in puritanischem 
Eifer gegen unschuldige Gebräuche richten. Aus der grofsen Fülle der 
— durch die Reichspoliceiordnung selber, 1577 Tit. 15 $1 ff. gebotenen 
— landesherrlichen und localen Vorschriften hebe ich vorzüglich solche 
hervor, welche den Sprachgebrauch erläutern. 

Schon nach dem Groninger Stadtbuch von 1423 (Verhandelingen 
etc. V 186, VI 217 ff.) sollen beim Begräbnifs nur die nächsten Verwand- 
ten oder in deren Ermangelung doch nicht über 12 Personen zum Essen 
bleiben, die dann auch Abends zum “troestelbeer” wiederkommen mögen, 
ohne dafs man doch “kost reden laten” darf. Auch zum “sovenden dach 
ende maendvorst” (dem Dreifsigsten) soll man keine “onkost doen”, noch 
niemand bitten. Aber zur “jaertijt” mag man die oben genannten wieder 
einladen. Der Commentator J. de Rhoer, Verhand. V.2. S. 150 bemerkt, 
dafs die Hdss. meist die Überschrift van uitigsten haben. Auch uitinge(') 
kommt vor. So sollen nach einer Kirchenordnung des Grafen Wilhelm 
Ludwig von 1595 für die Ommelanden: “de heidensche onnutte doodt- 
bieren off wtigen” abgethan werden, und eine Wet für Groningen von 
1622 u. 1627, verbietet alle “uytingen ende liedtbieren” (Verhand. VI 200, 
220, 261). 

Als uitinge und liedtbier oder leedbier gilt schon, wenn jemand, aufser 
den Bewohnern des Hauses und den Besuchern von auswärts am Begräbnifs- 


(') Die Holländischen Gelehrten denken bei uizigst, uizing theils an “äufserst”, theils an 
das Hinausbringen, die uitvart des Verstorbenen (vgl. oben S. 156 das usäwisänä), Verh. 
d. genootsch. VI. 220. Bei dem uitigsten liegt die Bedeutung exzremus allerdings nahe. 
Ditinge ist aber sonst: Äufserung, Ausspruch; uzinge im ostfris. Landr. II C. 169, 170, 
gleich utane, ute im Altfrisischen ist Herausgabe des Gutes, Auszahlung, so dafs man den 
Ausdruck nicht sowohl auf das Gelage selber, als vielmehr auf die ihm am Dreilsigsten fol- 
gende Erbauseinandersetzung zu beziehen hätte. 


VII. Neueres Deutschland. 2. Weltliche Feier. 159 


tage oder binnen 14 Tagen nachher im Sterbhaus die Mahlzeit theilt. Über- 
haupt wird das Bewirthen von Genossen desselben Kirchspiels als unerlaubt 
von der Speisung der rouwers (Trauernden) die aus weiterer Ferne kom- 
men, geschieden, Verh. V. 2. 162, VI 234 ff. Eine andre billige Rück- 
sicht nimmt die Vorschrift der Keure van Deventer: als men den doden 
eert (beerdigt) van der begenkenisse, maanstond of jaargetyde, wanneer de 
geene die dat ankomt na der vesperen willen gaan zitten, zoo mogen met em 
gaan zitten zoo veele, alsse willen, een mengelen wyns te verteeren. 

Der Ausdruck “Tröstelbier” begegnet auch in einer VO. für das Land 
Hadeln v. 14. Juni 1671 (Bodemeyer Hannoy. Rechtsalt. 1857 S. 193), gerich- 
tet gegen das Übermafs bei den Leichenmalen, bei denen es nicht anders als 
wie bei einer Hochzeit bergehe, woraus denn bedeutende Schulden noch 
für Kind und Kindeskinder, Völlerei und Schlägereien, ja fast Mord und 
Todschlag erwüchsen. Die Nassau-Katzenellenbogensche Policeiordnung 
von 1616 (Th. I Cap. 7 $$ 12, 13) verbietet das“ Weinglaach” oder “Leich- 
glaach” nach dem Begräbnifs. Nur einer oder zweie der Nächstverwandten 
dürfen die leidmüthigen Personen besuchen, ein oder zwei Essen mitbrin- 
gen und eine Kanne Bier oder Weins mit ihnen trinken. Im Hennebergi- 
schen heifst das Leichenmal nach Reinwalds Idiotikon 1793 S. 165 der 
“Todenschuh”, ein Name den er und Grimm Myth. 795 mit der nordischen 
Sitte, dem Verstorbnen besondre Schuhe mitzugeben, in Verbindung brin- 
gen. Es ist wohl eher an die Schuhe zu denken, welche nach dem Guta- 
lagh, oben S. 138, bei der Leichenfeier an die Armen des Kirchspiels 
vertheilt werden. 

Andre Verordnungen richten sich gegen das Wachen bei der Leiche 
(Verhand. VI. 234) mit dem Flechten des Todtenkranzes bei Bier und 
Branntewein (VO. für Lauenburg v. 1744, Bodemeyer 191), oder verbie- 
ten, wie z. B. eine Begräbnifsordnung von Wolgast v. 1689, überhaupt, 
dafs Jungfern einer Verstorbenen kostbare Kränze auf das Haupt setzen, 
Räucherbüsche in die Hand geben und nachher im Trauerhause zur Mahl- 
zeit bleiben. 

Im Ganzen ist selbst in den katholischen Gebieten des nördlichen 
Deutschlands ein weltliches Begehen jener Reihe von Gedächtnifstagen selt- 
ner geworden. Doch theilt mir Hr. Pfarrer Koch mit: Ein Mittagsmahl, 
wie es am Dritten noch auf dem Lande in Westfalen bräuchlich ist, wird bei 


160 Homerver: Der Dreijsigste. 


Vornehmeren auch noch am Dreifsigsten gehalten, doch für einen mehr be- 
schränkten Kreis; nur die Verwandten, namentlich die aus andern Orten 
herbeigekommenen, Hausfreunde etc. nehmen Theil daran. 

Ein reicheres Bild tritt aus dem katholischen Süden hervor ('). 

Erzherzog Ferdinands Ordnung und Reformation guter Policey in der 
Grafschaft Tyrol, publieiert am 14. Dec. 1573(*), gebietet zunächst Bl.17 v. 
unter “Todtenmäler und Begengknussen, dafs keine Todtenmäler mer ge- 
halten, auch der Verstorbenen Besingknufs vnd Begengknussen allein mit 
gebürlichem Christlichem Gotsdienst verricht, aber keine Maltzeiten . 
gehalten werden” läfst aber dann unter der Rubrik “Haltung der Dreifsigi- 
sten bey allen Ständen” zu, dafs diese unter Bauern, Handwerkern, Bür- 
gern und Kaufleuten, an den Orten “da es gebrauchig” mit einer Malzeit 
etc., unter den Grafen, Herren, Ritterschaft und Adel in den Städten mit 
einer Malzeit, auf ihren Schlössern mit zwo Malzeiten verrichtet werden. 
Sterben Vater oder Mutter unter dem gemeinen Mann, mit Hinterlassung 
von armen Waisen oder Minderjährigen, so sollen die Dreifsigsten allein mit 
dem ordentlichen Gottesdienst gehalten, “aber sunsten keine Malzeiten ge- 
reicht” werden. Doch, wo vermögliche Minderjährige vorhanden, sollen 
die 30sten mit geringsten Kosten verrichtet werden. Dafs diese Gestattung 
der Malzeit mit der Erbregulirung am Dreifsigsten zusammenhängt, wird 
sich unten zeigen. 

Die Tyroler Ordnung liegt sodann den Vorschriften der Bayerischen 
Lands und Policeiordnung von 1616 zum Grunde. Im B. III Tit. 5 Art. 16 
heifst es: “Dieweil auch auff der Todten Besingnufs gemainklich grosse Zeh- 
rung beschehen, so ordnen wir, dafs füran ... die Besingnufs oder Begäng- 


(') Zur Vergleichung möge die irische Sitte (nach Sir H. Piers’s description of West 
Meath 1682, in Brand popular antiquities II 194) dienen: In Ireland after the day of inter- 
ment of a great personage, they count four weeks, and that day four weeks all priests 
X friars and all gentry far K near, are invited to a great feast (usually termed the month’s 
mind); the preparation to this feast are masses, said in all parts of the house at once, for 
the soul of the departed: if the room be large, you shall have three or four priests toge- 
ther celebrating in the several corners thereof; the masses done, they proceed to their 
feastings; X after all, every priest and friar is discharged with his larges. 

(?) Beigedruckt der “New Reformierte Landsordnung der Fürstl. Grafschafft Tirol” 
publ. d. 8. Jan. 1574, s. l. e. a. Vgl. über beide Ordnungen Walch verm. Beitr. z. D. R. 
Th. 8 S. 317, 319. 


VII. Neueres Deutschland. 2. Weltliche Feier. 461 


nufs allein mit Christlichen Gottsdienst verricht, aber kein Mahlzeit, Lad- 
schafft oder Gasterey weiter darauff fürgenommenen ... sein sol. — Wann 
aber gemainklich bey dem dreyssigsten die Erben, vnd jre erbettne Freund 
vnd Beystender nit allein wegen defs Gottsdiensts, sonder auch der Erb- 
schafftthailung zusammenkommen, sol die Mahlzeit auff dem dreyssigist, 
doch mit der hernach gesetzter mafs vnuerbotten sein.” 

Dieses Maafs ist dann im Tit. 8 allgemein für “Ladschaften” aller Art, 
um grofsen Überflufs zu meiden, geordnet, und nach Art. 3 soll keine Obrig- 
keit gestatten, dawider “Besingnussen, Dreyssigist oder andre Ladschaften” 
zu halten. 

Was diese gesetzlichen Beschränkungen gefruchtet, lehrt zunächst v. 
Bucher s. oben S. 151. Er setzt den Fall dafs ein Geistlicher verstorben 
und schildert nun: “Nach dem Messelesen kommen sie im Pfarrhofe des 
Verstorbenen oder im Wirthshause zusammen und erwarten ein reichliches 
Todtenmahl. Diese Mahlzeiten sind nun schon längst durch Policeigesetze 
abgeschafft. Wie ist es also möglich, dafs sich dieser Misbrauch noch un- 
ter der katholischen Geistlichkeit so erhalten, dafs sogar Uneinigkeiten über 
eine nicht gehaltene Dreyfsigstmahlzeit entstanden sind .... Vor kur- 
zem waren noch Jahrtage für die Herzoge Mode, nach welchen eine Mahl- 
zeit erfolgte. Die Regierung hat ihnen aber ein Ende gemacht.” Es sei 
rathsam, fügt er hinzu, sie auch beim Dreifsigsten abzuschaffen, weil sie 
oft 50 ja 100 fl. kosteten. 

Den weitern Fortgang der Sitte in dieses Jahrhundert hinein zeigt so- 
dann Schmeller. Er gedenkt I 411, 463, 494, Il 426 der noch mit dem 
letzten Seelendienst am Dreifsigsten verbundenen Schmauserei und Spende 
aus der Erbschaftsmasse u. d. N. Totenmal, Totensuppe, Totentrunk, To- 
tenbier, Seelmal, einen Toten vertrinken, vgl. Bavaria 1413. Zugleich 
bemerkt er, dafs bei der Liquidirung des Beerdigungsaufwandes das Tod- 
tenmal und die auf das Grab gelegten Speisen als “übermäfsige Posten” an- 
gesehen werden. 

Die neuesten Schilderungen fügen noch manchen besondern Zug aus 
den einzelnen Landschaften hinzu. Nach der Besingnifs und dem Sieben- 
ten, sagt Leoprechting 252, versammelt sich das Gefolge im Sterbhause zu 
einem kurzen Leichentrunk. Anders am Dreifsigsten. Wenn der Pfar- 
rer zum Schlusse des Gottesdienstes den Weihbrunnen gegeben, tritt der 


Philos.- histor. Kl. 1864. X 


169% However: Der Dreifsigste. 


Sterbansager vor und spricht: alle Gäste sind freundlichst geladen zu einem 
Dreifsigstmahl bei dem Tafernenwirth dahier. Dahin begeben sich der 
Pfarrer mit den Geistlichen, die “Kläger” und das Gefolge, und das Tod- 
tenmahl beginnt. Zum Dreifsigsten eines Bauern kommen oft an hundert 
Kläger, so dafs er dem Wirthe nicht unter 60 fl. macht. 

Auch am linken Innufer sind nach der Bavaria I 413 die Todtenmale 
so ergiebig wie die Hochzeitessen und werden in den Übergabs- und Aus- 
tragsbriefen von den Eltern ausbedungen. Das Mahl am Dreifsigsten gilt 
hie und da als ein reicher Entgelt für die kleinen Gaben, die an den Opfer- 
gängen auf die Altarstufen gelegt werden. Im Chiemgau dagegen beschränkt 
sich die Sitte auf eine am Dreifsigsten den Verwandten gereichte Spende an 
Brod und Branntwein, verläuft sich auch wohl in die während der Opfer- 
gänge hinter dem Altar verabreichten Spenden von Brod, Bier, Eier, Salz, 
Mehl an den Mefsner und die Armen. 

An einigen Orten wird das Todtenmal durch eine feierliche Dankrede 
des Hochzeitladers am Grabe im Namen der Verwandten vorbereitet. Im 
Rotthal (Bavaria 1994) ladet der “Procurator” nach dem Gottesdienst die 
Leute zu Trost und Erquickung zum Todtentrunk. Jeder Gast erhält einen 
Sechserwecken und mag eine bis zwei Stunden nach Belieben Bier trinken. 
Je 12 Personen sitzen an einem Tische und lassen zwei Krüge ununterbro- 
chen die Runde machen. Dabei erscheinen auch der Mefsner, Fahnenträ- 
ger, Organist, Todtengräber und die Einsagerin. 

In der Oberpfalz (Schönwerth 257 ff., Bavaria II 324) wird der Lei- 
chentrunk von dem eigentlichen Leichenschmaus so geschieden, dafs diesen 
die Leidtragenden, die Befreundeten, die Geistlichen und Schullehrer ein- 
nehmen, zu jener Bewirthung aber mit Bier und eigends dazu gebacknem 
Brode jeder geladen ist, der “mit in die Leicht gegangen”. Nachdem der 
Leichentrunk zu Ende, mag noch jeder auf eigne Rechnung trinken. 

Überhaupt, wird berichtet, setzen trotz aller policeilichen Verbote 
die Verwandten einen Ruhm darin, eine recht grofse Leiche gehabt zu ha- 
ben, und gilt der Satz: je mehr getrunken wird, um so besser für den Tod- 
ten, denn ihm kommt das “Eindächteln” d. i. das Einfeuchten zu Gute('). 


(') Dechteln ist benetzen, Schmeller I 354. Man braucht also nicht mit Schönwerth 
7 


257 an das Gothische dauhrs, das Mal, zu denken. 


VII. Neueres Deutschland. 2. Weltliche Feier. 163 


Daher wie in den Niederlanden den doden bedrinken (Verhandel. VI. 261) 
so auch hier die Ausdrücke: den Verstorbenen vertrinken, Bavaria I 413, 
welches mit dazu gehört, um den Verstorbenen zu “verrichten”, Schönwerth, 
um “ihn schön hinteri zu richten”, Quitzmann 263, der nach Beendigung 
des Mahls “schö hinteri gricht worn is” Schmeller I 463 d. h. der völlig ver- 
sorgt ist, gegen den man alle Pflichten erfüllt hat. Die Volkssitte hat sich 
also, neben der geistlichen Feier und in inniger Verbindung mit ihr, die 
weltliche selbst rauschende Lustbarkeit nicht nehmen lassen, und betrachtet 
sie als ein unerläfsliches Stück des ganzen Todtenfestes, als Ehrenpflicht 
gegen den Abgeschiedenen. Es ist noch dieselbe Anschauung, die in dem 
ipsius animae bibere, in dem nordischen dricka eptir den Verstorbenen, dem 
Trinken seiner Minne, in der Bezeichnung des Mahls als ein eftirgjärd, s. 
oben S. 119, 120, sich offenbart. 

Auch darin steht noch die jetzige Übung der ältesten gleich, dafs das 
weltliche Begehen von einem religiösen Element durchzogen bleibt. Das 
Todtenmal wird, wie bemerkt, durch eine feierliche Dankrede des Hochzeit- 
laders am Grabe im Namen der Verwandten eingeleitet, Bavaria 1413. Der 
Pfarrer und andre Geistliche nehmen an dem Mahle Theil. Nach dem Tod- 
tentrunk betet der “Procurator” die Armenseelenlitanei, einen Rosenkranz 
und ein Vaterunser für den zunächst Sterbenden und spricht den altherkömm- 
lichen Todtendank, ebd. I 994, oder es beten alle Anwesenden kniend für 
den Verstorbenen, Schmeller I 463, oder besuchen sie am Schlusse des 
Mahles noch das Grab. 

Dafs auch in Österreich ein “Leichenbier” üblich geblieben, be- 
merkt Quitzmann 262. 

Mein Gewährsmann aus den Schweizer Urcantonen will von diesem 
Gelagswesen weniger wissen. Er sagt von dem ersten oder Begräbnifstage, 
nach dem Gebete am Grabe gehe ein jeder nach Hause; nur am Sattel, 
zwischen Schwyz und Einsiedeln, kenne er ein Todtenmal am Tage des Be- 
gräbnisses. Am Dreifsigsten gehen freilich vom Grabe die Verwandten 
in das Sterbhaus um dort zu essen und nach dem Essen die Erbtheilung vor- 
zunehmen, allein sie kommen doch nur als Erben, und wenn eben nur die 
Hausgenossen die alleinigen Erben sind, so kommt auch niemand und die 
Leute essen zu Mittag was an einem andern Tage. Er selber gab, als seine 
Frau ohne Kinder starb, ihren Erben am Dreifsigsten ein einfach Essen. 

X2 


164 However: Der Dreifsigste. 


Es wäre also hier erreicht worden, was das Bayrische Landrecht, s. oben 
S. 161, verordnet, dafs ein Mal mit Gästen nur am Dreifsigsten und zwar 
der Erben halber zulässig sei. 

Damit ist die Betrachtung auf die juristische Seite der Feier hinge- 
leitet. 


Drittes Capitel. 
Rechtliche Bedeutung der Todtenfeierzeiten, insbesondre 
des Dreifsigsten. 
Vo niw.osr.t 


Der Dreifsigste nimmt unter ihnen durchaus die erste Stelle ein, 
doch ist der Vollständigkeit halber zuvor die Frage zu erledigen, ob an die 
übrigen Zeiten sich juristische Folgen knüpfen. 

Der Dritte oder der Begräbnifstag kommt insofern in Betracht, als, 
“so lange der Todte noch über der Erde ist”, s. Nr. 56 der Belagstellen, 
unten S. 174, die Stille des Trauerhauses noch im besondern Maalse ge- 
wahrt wird. Daher darf die Wittwe, hätte sie gleich den Anspruch auf den 
Dreifsigsten verwirkt, doch erst am Dritten vertrieben werden, Nr. 54, und 
tritt erst an diesem die Pflicht zur Vorzeigung der Kurmede ein, Nr. 522. 

Auch dem Siebenten wohnte einige jetzt wohl obsolete Bedeutung 
bei. Das Münchner Stadtrecht nemlich von 1347 Art. 225 (Auer S. 88) 
will die Erben erst nach dem Siebenten vor Gericht geladen wissen, und 
das Strasburger Stadtrecht (s. oben S. 113) entschuldigt den Rathsherrn, 
welchem Eltern oder Geschwister gestorben, wenn er am Siebenten nicht 
zu Rathe kommt. 

Die rechtlichen Wirkungen des Neunten beruhen auf dem Justinia- 
neischen Rechte, s. oben S. 94. Schon die ältern Practiker sind darüber 
einig, dafs der Termin selber nicht mehr beobachtet werde, Rittershus. 
ad Nov. P.9 c. 11 Nr. 13, Perez ad Cod. de sepulcris viol. Nr. 8, Horn 
de tricesimo p. 7. Dem stimmen auch — mit Ausnahme von Thibaut Pand. 
$872 — die Neuern wie Hufeland Beiträge etc. St. V S.70, Marezoll 
in Löhrs Magazin IV 11 Nr. 8 ausdrücklich, und die jetzigen Handbücher 
des Pandectenrechts durch Nichterwähnung jener Bestimmung bei. Ob aber 
nicht etwa die rechtlichen Folgen des Termins analoger Weise auf den 
Dreifsigsten zu übertragen sind, wird unten bei diesem erwogen werden. 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 165 


Erheblich ist sodann der Jahrestag für das Genufsrecht des über- 
lebenden Ehegatten. Es läfst sich darin eine Erweiterung des Dreifsigsten- 
rechtes erblicken, von der gleichfalls unten zu handeln ist. 


Dieir. ‚Di, aifisiug ste. 


Unsre deutschen Quellen zeigen, s. oben S. 97, 116, seine recht- 
liche Bedeutung in schwachen Spuren schon im 9ten und 12ten, in be- 
stimmter Gestalt erst im 13ten Jahrhundert. Hier tritt er aber aus dem 
Sachsenspiegel als ein so bekanntes, ausgebildetes, vielseitig wirksames In- 
stitut hervor, dafs wir seine Gründung viel tiefer zurück verlegen müssen. 
Die Vergleichung mit den nordischen Quellen, S.144, bestätigt dies nicht nur, 
sondern lehrt auch, dafs zwar der Gedanke eines feierlichen Eintritts des Er- 
ben nach einer Sterbhausruhe für altgermanisch zu halten, dafs aber die Fest- 
setzung der Ruhezeit auf dreifsig Tage dem Einflusse der christlichen Kirche 
zuzuweisen ist. 

Handelt es sich nun darum, die Bestimmungen des Sachsenspiegels 
zu erläutern und ihre weitere Aus- und Umbildung zu verfolgen, so nöthigt 
der Umfang des Stoffes, dem System des Dreifsigsten eine 


Einleitung 


voranzuschicken, welche die Quellen nachweist, dann die Literatur an- 
giebt, endlich den Sprachgebrauch erörtert. 


Die Quellen. 


Der Sachsenspiegel giebt sich nicht nur als die erste inhaltsreiche, 
sondern auch als die Urquelle für eine Reihe andrer Aufzeichnungen über 
den Dreifsigsten kund. Daher scheide ich bei der Aufführung 


I. den Sachsenspiegel und seine Sprossen. 


Jedem einzelnen Satze des Ssp. lasse ich sofort die Bestimmungen 
derjenigen Quellen folgen, welche klärlich aus ihm unmittelbar oder mit- 
telbar geschöpft haben. 

A. Sächs. Landrecht 1 20. Der $1 redet von der Frauen Mor- 
gengabe und unter ihren Bestandtheilen von dem “tünete und timbere”. 
Dann heifst es im $ 2: 


166 


10 


Honeyer: Der Dreifsigste. 


Svar der vrowen die stat nicht n’is mit deme gebu, als ir man stirft, 
binnen ses weken na dem drittegesten sal se mit dem gebu rumen. 


Spiegel der Deutschen c. 22. Vnd als ir man stirbet so sol si daz ertreich 


ravmen inner sechs wochen vnd ob sie ez wil tun ze dem dreizgisten. 

Schwäb. Landr. Wack. c. 19 (Lafsb. 18). Unde als der man stirbet, sö sol si 
daz ertriche rümen inner sechs wochen oder näch dem drizigesten. 

Sächs. Distinctionen I 13 D.1. Wo der frouwen er stad nicht en ist mit 
deme geezymmer (gebuwe), also or man sterbet, by sechs wochen nach deme dri- 
sigesten sal sy rumen. 

Berliner Stadtbuch (Fidicin S. 147). War der frouwen di stede nicht en is met 
deme gebu, alse or man steruet, bynnen ses weken na dem drittigesten sal sy 


met deme gebu rumen etc. 
Vgl. Goslarsches Recht 11, Z. 20—23, unten Nr. 95. 


B. Sächs. Landrecht 122 $1. 

Die erve mut wol varen to der wedewe in dat gut er deme dritte- 
gesten, durch dat he beware, dat des icht verloren werde, des an in 
gedrepe. Mit sime rade sal ok die vrowe bigraft unde drittegesten 
dun; anders ne sal he nene gewalt hebben an’me gude bit an den 
drittegesten. 


Spiegel der Deutschen c. 26. Swa ein man stirbet der ein weib laet vnd 

© o o e 
nicht chinde. die erben sullen zu der witwen auf daz gut varn vntz ze dem ‚dreizz- 
gistem durch daz si bewarn daz des gutes icht verlorn werde. des si angepurt. Mit 


ir rate sol dev vrawe die begrebnuzz began. vnd sol si in dem gute sitzen. vntz ze 
dem dreizzgisten. 

Schwäb. Landr. c. 25 (Wack. u. Lafsb.). Swä ein man stirbet, der ein wip hät 
unde niht kinde lät, die erben sullen ze der witwen üf daz guot varen unz ze dem 
drizigesten, dar umb daz si bewaren, daz des guotes iht verloren werde daz si an- 
gehoeret. Mit der erben räte sol diu vrowe die bivilde (begrebede, begrebte, gräb- 
nuls) begen; unde si sol in dem guote sizen unz ze dem drizigisten. 

Ruprecht v. Freisingen, Westenrieder $ 177, v. Maurer c. 22. Swo ein man 
stirbet, der ein weip hinder im laet vn nicht chint da pei, di erben sullen zu der wit- 
tiben in daz haus varen, do si inne wonent ist, vntz zu dem dreizgisten, durch 
das, daz si behutten das gut, das des nicht verloren werde daz si an gehöret. Mit der 
erben rat sol di fraw piuilg (v. M. grebnuls) begen(') vnde sol auch in dem gut 
sitzen vntz an dem dreysgisten. 

Goslarsches Recht, S. 11 Z. 34 ff.: Sterft en, de sinem wive liftucht ghemaket 
heft, dar se van sinem erve mede vorscheden scal wesen, sin erve mot wol to der 


(‘) p. 6. Westenrieder erklärt: Privilegien oder Freiheiten begehren! Bivilg, bivilde ist Begräbnils, 
s. Schmeller B. W. 1 628 und oben S. 149. 


VI. Deueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 


wedewen up de were varen, to bewarende dat des nicht vorbistert ne werde, des an 
en bestorven is. 

Berliner Stadtbuch (Fidiein S. 118 vgl. Heydemann, Joach. S. 183, 282): 
Eyn erve mut wol varen tu der wedewen in dat gud er deme drittegesten, dorch 
dat he beware, dat des icht vorloren werde, des an em gedrepet. Mit syme rade sal 
ok di vrouwe bigraft don vnd drittegesten vnd jaretyd don, id wer dan vor 
von den doden bescheiden; anders sal he en geyne gewald hebben an deme gude bet 
an deme druttegesten. 

Livländisch Ritterrecht c. 20, (vgl. v. Bunge Esth- u. Livl. Privatr. $ 400, 
v. Helmersen Gesch. d. Livl. Adelsrechts $ 38). De erve mach wol varen tho der 
wedewen an dat gudt eer dem mandtfeste, up dat he beware, dat dar nicht vor- 
laren werde, dat em anfallen mach. Mit synem rade schal ock de fruwe begrafft unde 
mandtfeste beghan, anders enschal he jennen (d. i. keine) gewalt hebben wenn 
an dem mandtfeste. Na dem mandtfeste schal he esschen, wat em thobehört. 


Hamburger Stadtrecht v. 1270 III 14. So wor een man unde en vrouwe 
sint, de nene kinder ne hebbet, sterft de man, de nageste erue mot wol to der wede- 
wen in dat hus varen bynnen der ersten manet uerst (al. manetwrest, mantfryst), 
dat he beware dat gud dat an eme vallen mach. Vnde mit syneme rade schal ok de 
vrouwe bygraft vnde manet uerst don. Anders ne schal he nene wolt an deme 
gude hebben, it ne werde deelet (eme to ghedelet) na stad rechte. (Eben so 1292 
E 13; 1497 J. XIII und das Recht von Stade II 14.) Pa 

Alt Lübisch Recht (Hach Abth. IV) Art. 14. Wor ein man unde wiff 
syn, de nene kinderen hebben, stervet de man, de negeste erffname des mannes mot 
wol tho der wedwen in dat hues varen binnen dem ersten maente, dat he to 
dem gude see, dat em thofallen mach unde sinen erven, unde mit sinem raede schall 
de frouwe de bygrafft unde maentfrist (mantfeste, manskoste, mantverst, mahnfesten) 
doen, anders schall he in deme gude nene macht hebben, sunder se delen na stadt- 
recht. (Eben so im Revaler Stadtr. v. 1282 c. 281, s. von Bunge Quellen des Re- 
valer St. Dorpat 1844 S. 96.) Vgl. Trummer Beitr. III 88. 

Lübsches Stadtrecht v. 1586 B. II Tit. 25 Art. 27. Haben Mann und Weib 
keine Kinder miteinander, stirbt dann der Mann, so mögen die nehesten Erben dessel- 
ben wol zu der Wittwen in das Haus fahren, binnen dem dreissigsten Tage, auff 
dals sie zu dem Gute mit sehen, dafs ihnen und ihren Erben anfallen möchte, und sol 
die Frau mit seinem Radte die Begräbnils bestellen, sonsten aber sol er an dem Gute 
keine Macht haben, bils so lange sie theilen werden nach dieser Stadt Rechte. Glei- 
cher gestalt wird es gehalten, wann die Frau stirbet. 


Piltensche Statuten v. 1611 (v. Bunge Curländ. Recht $ 10 u. S. 567) 
Th. III Tit. 1 $ 28. Der Erbe mag wohl fahren zue der Wittiben in das Haufs oder 
Gutt vor dem Begrebnüls, damit er bewahr, dafs nichts verloren werde, das im 
angefallen. Mit seinem Rath soll die Fraw das Begrebnüls begehen, anders soll er 
keine Gewalt haben an dem Gutt bis an das Begrebnüfs. 

Holländischer Sachsenspiegel c.7. Die erfnaem moet wel totter we- 
duwen in varen binnen den XXXsten daghe, om te verwaren dat dar niet verloren en 


167 


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23a 


Homever: Der Dreifsigste. 


werde dat hem aen ruert; anders en sal hy binnen den XXXsten daghe gheen ghewelt 
daer ouer hebben. 


C. Sächs. Landrecht 122 92. 

Van dem erve sal man aller irst gelden dem ingesinde ir verdenede 
lon, als in gebort bit an den dach dat ir herre starf, unde man sal sie 
halden bit an den drittegesten, dat sie sik mogen bestaden. 


Spiegel der Deutschen c. 26. Von dem erbe sol man alrest gelten dem ge- 


sinde ir verdientes lon als in gepurt vntz an den tach daz ir herre starb, vnd sol man 
daz gesinde behalten vntz an den dreizzgisten daz si sich mugen bestaten. 


Schwäb. Landr. c. 25 (Wack. und Lafsb... Von dem erbe sol man des aller 
ersten geben dem gesinde ir verdientez lon, daz si an hoeret unz an den tac daz ir 
herre starp. Man sol ez ouch behalten unz ze dem drizigisten, unz daz si sich 
bestaten, (L. daz si sich die wile besteten, vgl. Horn de tricesimo $ 25). 


Ruprecht v. Freisingen, Westenr. $ 177, v. Maurer C. 22. Von dem erbe sol 
man des alrest gelten dem gesinde ir varents lon, daz si an gehöret vntz an den tag, 
daz in ir herre starb vn sol in daz also gehalten vntz an den dreysgisten (v. M. 
man sol das gesind behalten vntz an den dreysigisten tag), pis daz si sich bestatten. 

Goslarsches Recht, $S.9 Z. 31 ff. (bei Leibnitz III p. 487 S 62). Of en sterft, 
sin ghesinde scal men van deme erve holden wente to deme dritteghesten unde 
ere lon gheven, dat se hebben wente uppe de tid vordenet. 

Berliner Stadtbuch (Fidicin S. 118). Von deme erue sal man allerirst gelden 
deme ingesynde or vordynede lon als en geboret bet an den dach dat or here starf; 
vnd man sal sy holden wente an den druttegesten, dat sy sich mogen bestaden. 

Hamburger Recht von 1603, Th. II Tit. 9 Art. 5. .... Stirbet aber der Herr, 
so soll man dem Knechte so viel geben, als er zu der Zeit verdienet hat, da der Herr 
stirbet, benebst eines Monats Essen und Trinken, damit er sich um einen andern 
Dienst bewerben mag (vgl. 1270 VIII 2, 1292 K 2, 1497 F. 3). 

Holländ. Sachsenspiegel c. 7. Ende men sal alre eerst den inghesinde haer loen 
ghelden aen die tijt dat hoer heer sterft, ende men sal se oec houde totten XXXsten 
dach, op dat si hem besaten moeghen. 


D. Sächs. Landrecht122$3. 

Dar na mut de vrowe jegen den erven musdelen alle hovede spise, 
die na dem drittegesten overblift in iewelkeme hove irs mannes, 
oder svar he se hadde binnen sinen geweren. 


Spiegel der Deutschen c. 27. Darnach muz dev vrawe tailen gegen den erben 
die hofspeiz, dev nach dem dreizzgistem beleibet, swa si ez hat, oder swa si an- 
derswa ist denne in ir gwalt. 

Schwäb. Landr. c. 25 (Wack. und L.). Dar näch muoz diu vrowe teilen mit 
den erben die hovespise diu näch dem drizigisten belibet, swä si die hät oder 
swä man die weiz (L. oder swa si anderswa ist danne in ir gewalt). 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 


Ruprecht v. Freisingen, v. Maurer c. 22 (nicht bei Westenrieder). Darnach 
mues dj fraw mit den erben tailen dy hofspeis, dy nach dem dreyssigisten be- 
leibt, wo man dy hat. 

Holländ. Sachsensp. c.7. Na den XXXsten dach sal men mit die erfnamen 
deylen alle varende haue ende die spise die ouer bleuen is. 


E. Sächs. Landrecht I 28. 

Syat süsgedanes dinges ervelos irstirft, herwede oder erve oder 
rade, dat sal man antwerden deme richtere oder deme vronen boden, 
of he’t eschet, na deme drittegesten. 


Spiegel der Deutschen c. 32. Swa ein mensch an (ohne) geschaefde stir- 
bet, ez sei weib oder man die an erben sterbent, swaz die hinder in lant gutes ez sei 
vaerndes gut oder ander gut, daz sol man antwurten dem herren der des, landes herre 
ist, ob er ez aishet. Daz sol man tun nach dem dreizzgistem, ob im (einer) da 


ist der gewiz sei, der sich des gutes vnder winde, dem sol ez der lazzen vntz zu 
dem dreizzgistem, vnd ist da niemen der sich sein vnderwinde, so sol ez sich der 
herre vnderwinden mit seinen poten etc. P 

Berliner Stadtbuch (Fidiein S. 125, Heydemann 176). Wat so sulkedanes 
dinges eruelos vorsteruet, hergewede, radeleue vnd erue, dat sal man antwerden den 


richter, ofte he dat eischet, in deme drittigesten. 


F. Sächs. Landrecht I 33. 
Nu vernemet umme en wif die kint dreget na irs mannes dode, 
unde sik barehaft bewiset to der bigraft oder tome drittegesten etc. 


Spiegel der Deutschen c. 38. Nu vernemt vmb ein weip deg chint 


treit nach ir mannes tode vnd si berhaft ist az die begrebnuzze oder zu dem 
dreizzgisten etc. 


Sächs. Distinctionen I 21 D. 1. Nu vornemet umbe eyn wip dy kinth 
treyth noch ores mannes tode, unde sich berhafftig bewiset by ores mannes bijgraft 
ader zcu deme drisigesten etc. 

So auch das Eisenachsche Rechtsbuch I 41. 

Görlitzer Recht von 1304, Art. 35. Nv vornemet vmme ein wib die ein 
kint treit nach ires mannes tode, vnde sich barhaft zu der biegraft bewiset oder zu 
deme drizzegestem etc. 

Purgoldts Rechtsbuch I c. 30. Sterbet eyn man und lesset der eyn elichs 
wip, duncket das wip, das sie eyn kindt trage, sie sal sich berhafftig bewiessen zu 
sime drissigisten. 

Livländisch Ritterrecht c. 27. Welck wiff de ein kint drecht nach eres 
mannes dode, unde sick warhafflik bewiset tho der bygrafft edder tho dem mandt- 
feste etc. 


Philos.- histor. Kl. 1864. Y 


169 


30 


31 


> 
[89) 


33 


34 


36 


170 Homeven: Der Dreifsigste. 


G. Sächs. Landrecht Ill 15 $1. 
37 Of sie tvene up en gut spreken na deme drittegesten, jene de’t 
under ime hevet, die ne sal’t ir neneme antwerden etc. 


38 Spiegel der Deutschen c. 219. Ob zwen auf ein gut sprechent nach des 
toten dreizzgisten, iener der ez under im hat, der en sol ez niemen antwur- 
ten etc. 

39 Görlitzer Recht von 1304, Art, 120. Ob zwene man vf ein gut sprechen 
nach deme drizegesten. jener der ez vndir im hat, der en sol irme dicheime ant- 
worten etc. 

40 Livländisch Ritterrecht c. 198. Jft twe up ein gudt spreken na dem dörti- 
gesten dage, de yennige de dat gudt under sik hefft, de schal dat nemant ant- 
worden etc. 


H. Sächs. Landrecht Ill 15 82. 
4 Sve so herwede oder rade oder erve na’me drittegesten weigeret 
mit unrechte ut to gevene, scüldeget man in dar umme vor gerichte, he 
mut dar umme wedden unde bute geven. 


42 Spiegel der Deutschen c. 220. Swer solchen oder vaernde gut oder erbe 
nach dem dreizzgisten gewaeiert mit ze geben, schuldiget man in vor gerichte 


dar vmbe, er muz dar vmbe wetten vnd puzze dem richter geben. 

42a Schwäb. Landr. c. 224, Wack. (c. 274 Lafsb.).. Swer erbe oder lehen oder 
varende guot näch dem drizigesten tage niht antwürtet, ob man ez eischet, an 
die stat dar ez ze rechte heret ..... er muoz ez dem rihter büezen etc. 

43 Sächs. Distincetionen I 17 D.4. Wer do wegert hergewete adder gerade czu 
geben noch deme drisigesten, der muls dorumbe wetten deme richter unde deme 
cleger bussen, ob man ine darumbe beclagete. 

44 Goslarsches Recht 8.5 Z. 22 ff. We weyghert erve, herwede oder rade to 
ghevene na dem dritteghesten, de mot dar umme wedden deme richtere unde 
dem kleghere buten; unde ne mach dar vore nicht inne sitten. 

45 Berliner Stadtbuch (Fidicin S. 123, Heydemann 173). Wen eyn man vorsteruet, 
so sal syn vrouwe geuen ores mannes hergewede tu hantz vngeweigert na den drit- 
tigesten, vnd ok rade, mustele und erue. Dede sy des nicht, sy muste wedden den 
richter vnd den eruen bute geuen. 

46 Livländisch Ritterrecht c. 199. We heerweyde edder radeleve edder erve na 
dem dörtigesten dage weigert mit rechte uth tho gevende, beschuldiget men en 
darumb vor gerichte, he moth darumb wedden edder bote geven. 


Bei sämmtlichen Stellen des sächs. Landrechts tritt noch das Bres- 
lauer Landrecht v. 1356, Stobbe RG. I 369, hinzu, welches dieselben un- 


verändert wiedergiebt. 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 171 


Die folgende Tabelle zeigt, in welchen späteren Quellen die einzel- 
nen Sätze des sächs. Landrechts benutzt worden sind. 


A B [A D E F G H 


Sächs. Landr. 120 $2]122 81|1 22 $2122 $S3| 128 133 11158111115 $2 
Spiegel d. D. 22 26 26 27 32 38 219 220 
Schwäb. Landr. |W.19 |W.L.25|W.L.25|W.L.25 W. 224 
L. 18 L. 274 
Ruprecht Ww. 177 |w. 177 |W. 177 
M. 22| M.22| M. 22 
Sächs. Distinet. |I13D.1 1.21D.1 117 D.4 
Goslar. R. NZ IT Z. 9.2. 
34—37| 31 —33 22 —24 
Görlitzer R. A.85 | A. 120 
Berliner Stadtb. | S. 147 | S. 118 | S. 118 „18.125 S. 123 
Livländ. Ritterr. 20 27 198 199 
Alt Hamb. R. 1270 III 
14 etc. 
Hamb. R. 1603 I9A.5 
Alt-Lübsch R. Hach 
IV. 14 
Lübsch R. v. 1586 II2 A.27 
Purgolds RB. I c. 80 
Piltensehe St. 1II1 828 
Holländ. Ssp. CT 47, CH7 


Es ergiebt sich überhaupt ein Übergang der Sachsenspiegelstellen 
theils nach dem Süden durch den Spiegel der Deutschen in den Schwaben- 
spiegel und in Ruprechts Rechtsbuch, theils in die Rechtsbücher des säch- 
sischen Kreises, wie die sächs. Distincetionen, das sächsische Weichbild, das 
Purgoldtsche Rechtsbuch, theils in die Stadtrechte von Berlin, Goslar, 
Görlitz, Hamburg, Lübeck mit ihren Verwandten, theils endlich in das 
Livländische Ritterrecht mit den Piltenschen Statuten und in das Breslauer 
Landrecht. 

Den sämmtlichen Stellen dieser Quellen liegt sichtlich noch die Wort- 
fassung des Ssp. zum Grunde, so dafs die Abweichungen bald nur einen 
verschiedenen Ausdruck bei gleichem Sinne bieten, bald den Sinn selber 
schattieren. Am häufigsten hat der Ssp. 12291 und $2 Eingang ge- 

72 


172 Homerer: Der Dreifsigste. 


funden. Am treuesten schliefst aufser dem Breslauer Landrecht der Spie- 
gel der Deutschen sich dem Vorbilde an. 


1. 


Die vom Sachsenspiegel, wenigstens in ihrer Fassung, unabhängigen 
Quellen führe ich auf die Glosse des s. Landrechts, auf das Weichbild- 
recht mit seinen Angehörigen, auf Hofrecht, Schöffensprüche und Weis- 
thümer, auf die Stadtrechte und auf die Landesrechte nebst der Landes- 


praxis zurück. 


A. Glosse. 


47 Zu Ssp. I 22 $1 bemerkt sie: De erve sal sik des erves vor deme drüttigesten 
nicht underwinden. Alsus mut ok de kleger, deme he schuldich is, vor deme drütti- 
gesten de erfschulde nicht klagen. (Görlitzer Recension s. v. Sydow Erbrecht N. 1059: 
Alsus muzin auch die schuldiger vor deme drizigsten uf das irstorbine gut nicht cla- 
gin). De richter mut ok dar nicht panden edder besetten, dar de bigraft mede gehin- 
deret werde, edder dat drüttigeste. 


Der Holländ. Ssp. entnimmt daraus c. 7: ende binnen desen XXXsten dach en 


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salmen mitten rechter dar niet panden. 


B. Weichbild. 


Das Magdeb.-Görlitzer Recht von 1304, die Vulgata des Weichbildes 
und das Naumburger Schöffenrecht (Mühler Rhdschr. S. 51, vgl. Heyde- 
mann Joach. S. 79) bestimmen zunächst, dafs wenn Frau oder Mann kinder- 
los versterben, ihr Theil auf den nächsten ebenbürtigen Verwandten sich 
vererbe. Dann lehrt, im Anschlufs an Ssp. 122 $ 3 über das Mustheil und 
an I 24 $ 3 über die Scheidung von Gerade und Erbe, das 


48 Görl. Recht Art. 34: dar zu alle daz golt unde silbir, dag nach deme drizze- 
gesten ubir blibet unde korn unde vleisch unde bier unde gewant unde win, daz horet 
allez zu des mannes erben vnd nicht zu der vrowen. 

49 Und das Naumb. R. A. 47: darzu golt u. silber vngeworcht u. alles corn u. vleisch 
u. bir u. win u. al gewant, das nach deme drizigesten ober blibet, das horet etc. 

50 Weichbild (Zobel Art. 58, v. Daniels 57): dorzu alles korn, golt, silber, wyn, 
bir unde fleisch unde gewandt, das nach dem drizigisten obirblibit, daz gehoret etc. 

Aufserdem fügen Naumb. u. Weichb. a. a. O. noch hinzu: 
sunder di musteile, di nimet di vrowe halp vnd des mannes erben halp. 
Das Weichbild in der Berliner Hdschr. v. 1369 Art. 23 $ 4 hat statt No. 48, 49, 


50 nur: 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 


Alle dat aver dar over blift na des mannes dode, dat nymt des mannes rechte 
erve unde nicht der vrowen sunder de musdele etc. 

Weichbildrecht nach dem Codex Pal. Nr. 461, her. von W. v. Thüngen, Hei- 
delb. 1837 A. 230. Di fraue sall auch nach yrem man beygrafft vnd seinen dreysi- 
sten legen. 

Weichbild, Hdschr. v. 1369 Art. 24 (und eben so Zobel A. 24) 81. Nu 
moge gi horen umme die gehoveden spise, die bestirft bynnen des mannes weren byn- 
nen wichbelde, welk recht die vrowe dar an hevet, of sie sik sceden wil von den kin- 
deren oder von des mannes erven na dem drittegesten. $2. Is dat ir lifgetucht, 
dar dit ding inne bestirft, so nimt sie die musdele allit half na deme drittegesten 
von allerhande spise, der man bedarf in des mannes weren to eneme jare und nicht 
mer. Wat so hir boven is dat nimt sin rechte erve, sin len erve die ne nymt des 
nicht. & 3. Nis aver die stat der vrowen lifgetucht nicht, dar dit ding ynne bestirft, 
so ne nymt sie des nicht mer, wenne also vele alse sie des eten und drinken mach 
die wile dat sie in der gewere sit unde ir nicht gelested sin die penninge, die ir ge- 
loved worden, do sie iren man nam, die wile so ne darf sie die gewere nicht rumen etc. 


C. Kloster- und Hofrechte. 


Urkunde Erzbischofs Philipp von Cöln v. 1186 für die Stiftsgehörigen zu 
Soest und Umgegend, s. oben $.117. Cum autem mortuus fuerit vir, uxor seu 
filii medietatem omnium quadrupedum dabunt curti, celebrato tricesimo defuncti. 
Prius tamen poterunt in exequias illius bovem et porcum unum accipere. 

Recht des Ursulinerklosters zu Cölln, s. oben S. 117. 

Güterverzeichnils der Abtei S. Maximini (bei Trier), Anf. d. 13ten Jahrh. im 
Mittelrhein. Urkundenbuch Bd. 2 S. 448: Defuncto mansionario tertio die heres cori- 
medem in curti nostra coram villico addueit et quanti valeat computatur; si in presenti 
vult, dat; si non, in domum reducit et trigesimo die non deteriorem dabit. 


D. Schöffenurtheile und Weisthümer. 


Diplomat. Beiträge (von Böhme) Th. VI. S. 108, Alter Culm IV 45 bei Le- 
man $. 116, System. Schöffenrecht, her. v. Laband 1863 Buch IV Th. 1 €. 8a 5.144. 

Man darff einer frawen ere morgengabe nicht ir gebin wenne czu des man- 
nis dreisegisten, wenne man sine manczit begangin hot. Gebit man abir ee 
ere morgengabe, so mag se doch frist habin sich vor czu beschen (al. vor czu thunde) 
vnd besitzen (d. i. sitzen bleiben) in des mannes gut bis an die vorgenante czit. 
V.r.w 

Dipl. Beitr. ebd. S.125. Stirbit ein man vnd hot sin wip begobit vor gehe- 
gittim dinge, wenn ir das gegebin wirt, so mag se nicht lenger in dem gute bliben, 
wenne bis das drisegeste begangen wirt, das ist binnen einen monden ap man 
wil, vnd helt sich auch czu der gerade. Ist aber das se sich vorruckt (verheirathet), 
so mag man se an dem andern adir dritten tagen noch des mannes tode vstribin. Ist 
se abir trechtig etc. 


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Homever: Der Dreifsigste. 


Glogauer Rechtsbuch €. 41 (Wasserschleben Samml. D. Rqu. I S.7). Ap eyn 
man seyme weibe eyne gabe gebe in seyme erbe vnde gute. Nach seyme tode sullen 
seyne erben der frawen dy gabe nach dem drysigisten tage ynbrengin, das ist 
yn eyme monden, vnde dy weile sal sy ouch in dem erbe bliben, dy weile yr dy 
gabe nicht geleist ist. 

Wasserschleben Samml. D. Rechtsquellen I S. 283 Cap. 147. 

Eine Nichtel begehrt die Gerade von dem Ehemanne der Verstorbnen. Er antwor- 
tet: nu ist meyn weip nerlich kalt worden, wenne die czeit kommet, sie wirt euch 
wol. Vor Gericht wendet er ein: sie wolde die gerade haben, die weyle meyn wip 
obir der erden was. Klägerin behauptet: sie were begrabin gewest. Beklagter fragt: 
ab ich vor dem driszigisten icht phlichig byn zcu gebin v. r. w. Urtheil (nach 
Ssp. III 15 $ 2): Stirbit ymand gerade an adir hergewete, wie wol is an en irstorbin 
ist, is sey weip adir man, zcu hant alzo her tod ist, vor dem driszigisten ist hers 
nicht phlichtig von ym zu gebin v. r. w. 

Dasselbe hat die Glosse zum Weichbildrecht Art. 23 (v. Daniels S. 285). Sie 
fügt noch hinzu: Queme abir ymand, den eyne gerade anirstorben were .... u. vor- 
derte die gerade zu bewisen mit richtere u. mit schepphen; u. wegerte er daz zu tune 
noch welde die slussile nicht von em reichen, die zu der frouwen casten gehoren; er 
mus darumme wetten u. der frouwen vorbuzin. So mag sy en vor dem dreizigi- 
sten beclagen umme die gerade; er muste sy uzgeben (Ssp. III 15). 

Wasserschleben I 373 Cap. 21. Ouch also man dy hochgeborn schuldiget vmme 
alle gehoffe spise dy ober das drisigiste blebin ist, vmme schoff, swein, pherd, 
korn, getrencke etc. (Ssp. 1 22 83). 

Ebd. I 418 Cap. 74. Dy frauwe sal blibin in den geweren der slosse der lande 
unde der lute vngescheden bis an den drissigisten tag, u. sal dy begreff yres 
heren vorstehin mit der erbin rate (Ssp. I 22 $1). WVenne daz recht ist den heren 
also wol gegeben also den armen leuthen. 

Ebd. I 205. Das gelt das die beygrafft gekost hat, das seyn die erbin phlichtig 
czu geldin u. die frawe darff von deswegin, das sie mit erem willen wissen u. rate 
geschen ist, von dem gute das ir gebord keyne hulfe thun. 

Ebd. Alle gehoffte speyse yn allen hoffen u. vorwerckirn eres mannes die noch 
dem dressigisen obirbleben ist, die gebort ouch der frawen(') zcu musteile. 

Ebd. I 207. Alle das korn, das ewir vettir .... gelassen had das noch dem 
dryssigisten obirblebin ist, is seyn 1000 schefül mynner adir meir, das volget der 
frawen die helffte zcu musteile, do von darff sie keyne schulde helffin geldin. 

Lübsches Urtheil nach Stralsund hin 1484 ergangen, Michelsen der Oberhof zu 
Lübeck 1839 S. 252 Nr. 154. 

Die Erben eines Ehemannes klagen gegen die Wittwe: etliker gyffte haluen, de de- 
sulue frouwe na der maentferst vorgeuen hadde, wowol de eruen, wes bynnen 
der negesten maentean bere u. brode, vigilien u. selemissen vorgeuen were u. de 
bygraflt gekostet hadde, na reddelicheidt to vreden weren. Urtheil. Na deme de 
frouwe vnbeeruet u. eyne vnmundige frouwe is, hefflt se denne bouen eren brutschat 


() 


Die Zwickauer Hdschr. (Rechtsb. Nr. 737) fb. die helffte. 


VI. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 


na den ver wekenen sunder wille erels s. mannes eruen wes vorgeuen, dat is 
machtloels. 

Weisthum des Hofes zu Meien an der Untermosel, Grimm II 482. Was 
von hoiffsguit ererbt wirdt, soll binnen dem dreissigsten, vnde was gegolden 
binnen 14 tagen entphangen werden. 

Weisthum zu Kerlich unterhalb Coblenz v. 1463, erneuert 1551, Grimm III 
829. Ein hobener stirbt. Frage: bynnen wals zeit das gueth entphangen soll wer- 
den? Antwort: das entphengknuls soll geschehen bynnen dem dreyssigsten. 

Weisthum zu Fresingen an der Obermosel 1541, ebd. II 250. Wannehe 
ein man stirbt u. die frauwe lebendig plibt, so soll die verlassen wittwe kommen bin- 
nent u. inwendig dreissig tagen nach ihrs mans todt u. .... entphahen die erb- 
schaeft, die sie in dem hoeb genissen . . will. 


E. Stadtrechte. 


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Die Anordnung ist im Ganzen folgende: 1. Kreis des Magdeburgi- 
schen Rechts, 2. Recht der Hansestädte, 3. der Städte Thüringens, 4. Ost- 


und Westphalens, 5. des Südens. 


4. Halle, Culm, Mark, Lausitz. 


Halle-Neumarkter Recht von 1235 (bei Gaupp S. 228, Stenzel S. 299). 

8 43. Item, ista spectant ad hereditatem, proprietates ..... Omnia spectan- 
tia ad cibaria, quod dicitur musteil, tricesimo peracto, medietas spectat ad hereditatem, 
medietas ad jus, quod Rade dicitur. 

Ich beziehe diese Theilung nur auf das Mustheil, setze also einen Punkt vor 
Omnia. 

Jus Culmense ex ultima revisione v. 1711, B. II Tit. 10 C. 11. ... Das 
Weib bleibet in vollem Gute besitzen, dieweil sie ohne Mann bleibet, sofern sie den 
Gütern ohne Schaden der Kinder wohl vorstehet und auch die Kinder selbst ihr An- 
theil nicht fordern ; sonst müste die Frau nach den 30 Tagen, welches die Trauer- 
tage genannt werden, ihren Kindern Theilung thun, wie Recht ist. 

Ebd. €. 12. ... Da auch gleich der überbliebene Ehegatte nicht stracks 
weiter freiete, so soll er doch künftiger Nachricht halben ein Inventarium aller seiner 
Güter ... nach dem 30sten Tag schliessen etc. 

Statut des Raths zu Frankfurt a. OÖ. für die Knochenhauer v. J. 1308 
(Heydemann Joachimica S. 233 u.). Der Fleischerscharrn soll ungetheilt auf einen 
Erben übergehn. Et hoc volumus, per tales heredes infra spacium unius mensis 
post obitum ipsius defuncti discuti et terminari. 

Statuta der Stadt Guben in der Niederlausitz v. J. 1604 (Schott Samml. 
II 125). 

Art. 10. Soll nach Ausgang des Dreylsigsten, d. s. 4 Wochen eine 
richtige Theilung der Verlassenschaft vollzogen werden. — Art. 24. Allerley Getreyde 
in der Scheune und Schüttboden ist theilig, davon aber dem Besitzer des Guths auf 


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Honmeven: Der Dreifsigste. 


4 Wochen lang, ehe zur Theilung geschritten wird, zu zehren etwas zu voraus ge- 
gönnet wird, wie auch andre Küchenspeise und Trank. 

Statuta des Städtchen Seidenberg in der Oberlausitz v. J. 1698, Art. 40 (Schott 
S: II 182). 

Wenn ein Mann ohne Testament verstirbt, oder unmündige Kinder läfst, so soll 
die Wittwe oder, wo keine vorhanden, die nähesten Freunde die Mobilien alsbald an 
den sichersten Ort der Wohnung bringen und bis zum 30sten versiegeln, hernach 
... die Verlassenschaft aufschreiben etc. 


Statut für die Stadt Spremberg in der Niederlausitz v. 17. Juni 1673 Tit. 1, 
(Riedel Magazin des Prov. Rechts etc. III 239, 240). 

Trüge sichs aber zu, dals die Inventirung nicht gesuchet, der Rath auch solche ex 
officio nicht verrichtet, als dann sollen die anwesende Erben eine richtige designation 
aller Verlassenschaft nach Ausgang des Dreylsigsten anzugeben ... schuldig 
seyn. Ausgangs des Dreylsigsten aber sollen, da unmündige Kinder vorhanden, 
denenselben durch den Rath Vormünder ordentlicher weise ... gesetzet werden. 

Aus dem Statut für die Stadt Lübben in der Niederlausitz v. 7. Febr. 1671 
(Riedel M. III 201, 217). 

$ 46. Ist ein Todesfall eingetreten, so muls von den Erben ein vollständiges In- 
ventarium angefertigt werden, die Auseinandersetzung unter denselben und die Theilung 
der Erbschaft kann aber erst nach Ablauf des 30sten Tages nach dem Tode des 
Erblassers erfolgen. $ 47. Gehört daher ein Gut zum Nachlasse, auf welchem eine 
Feldwirthschaft getrieben wird, so mufs von den Getreidevorräthen so viel, als zur 
Zehrung erforderlich, zur Erhaltung der Wirthschaft während dieser 30 Tage ver- 
wendet werden, eben so Küchenspeise (Victualien) und Getränke. 

Statuta der Stadt Sorau in der Niederlausitz (Riedel M. III 187). Es sollen aber 
.. Vater und Mutter, welches unter ihnen ... am Leben verbleibet, schuldig seyn, 
innerhalb vier Wochen den hinterlassenen Kindern von E. Rathe Vormunden zu 
bitten ... u. wenn die Erbschichtung gehalten, sollen die Erben auf den nächst- 
folgenden Tag . . . . dieselbe .. . in E. Rathes Stadtbuche einzuverleiben su- 
chen etc. 

Willkühr für Leilsniz v. Kurf. Moritz v. J. 1552 (Hoffmann, Gerade II 635). 
... Dals Ausgangs 4 Wochen nach der Frauen Tode, den Kindern .... der 
dritte Theil abgetheilet werde etc. 

Statuta v. Colditz v. 1619 (Schott Samml. II 240). ... doch das sie (die 
Wittwe) sich mit den Stiefkindern vier Wochen nach des Vaters Tode abfinde. 


2. Lübeck, Hamburg etc. 


Lübisch Recht s. oben Nr. 14, 15. 

Revid. Lübsches Recht v. 1586 B. II Tit. 1. Art. 11. Alle Testamente sollen 
durch die verordneten Testamentarien binnen Monatszeit gerichtlichen produeirt 
und verlesen werden etc. 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 


Hamburger Recht s. oben Nr. 13, 23. 

Hamburger Recht v. 1292 E 18 und v. 1497 J. XIX. 

So wor ein vrowe u. ein man tosamene komet an echtscap mit erue u. mit goede, 
dhe nene kindere ne hebbet, u. sterft de vrowe eir de man: men scal de schulde gel- 
den van dheme menen ganczen goede, u. och so wat cost dar opgheit binnen einem 
manede von der bigraft u. van seilmanunghen. 

Hamburger Recht v. 1603 Th. 3 Tit. 3 Art. 10. Wann der Ehemann oder 
die Fraw verstirbet vnd keine Kinder von ihnen geboren im lebende sein, so hat der 
lengstlebender ein gantz Jahr die wohnung, auch auls den nachgelassenen Gütern 
seinen vnterhalt neben seinem Gesinde, auch nach gelegenheit vnd zustandt der Güter, 
die Trawerkleider .... Vnd sollen ... auf der Erben begehren, oder in abwesenheit 
derselben, von Amptswegen, die Güter nach des einen absterben, alsbaldt versiegelt 
vnd gebürlich inventirt werden. 

Th. II Tit.7 A.2. .... So ist dagegen den Erben diese .. wolthat Rech- 
tens gegeben, dafs sie in einem Monat, dem nechsten, nachdem sie des Todtsfalls 
vnd angestorbenen Erbschaft berichtet worden, alle u. jede des Verstorbenen Haab .. 
zu inveutiren u. zu beschreiben anfangen, vnd in zweien Monaten darnach vollenden 

. mügen. 

Art. 6. Jedoch mögen die Erben innerhalb der Zeit, welche ihnen ... zu 
aufsfertigung des Inventarii .... zugelassen, von den Glaubigern oder Legatarien, 
ihrer schulden oder geschafft halben, nicht angefochten werden. 

Bremisch Recht. St. v. 1303 Zusatz bei Oelrichs S. 143, u. Statut v. 1433 
ebd. 454: So we sin antal sines godes unwech gift unde sterft, so welc sin antal up- 
boret, dhe scal dhes doden graft bekostegen. (Verdensches R. 33.) 

Gützkower Bausprache Art. 36 (Schott Samml. II 197). So jemand stirbt 
in dieser Stadt, sollen sich seine Erben innerhalb 4 Wochen beim Rathe angeben. 
... Geschieht es nicht, so nimmt ein Rath die Erbschaft laut Lübschen Rechts an sich. 

Eben so auch nach den ungedruckten Statuten der Stadt Loitz, s. (v. Seeckt) 
Prov. R. v. Neuvorpommern, Bd. 6, 1837 S. 57. 

Skraa von Apenrade v. 1335 $ 29 (K. Rosenvinge Samling etc. V S. 447, 
Dreyer Samml. III 1447). Item we hiir mit uns sterved, de erffgudere bliuen in der 
wonynghe dar se sin wente an den druttigesten dach; de Rad se se vore; is 
id, dat de rechten eruen komen, de nemen dat ere; is id ok nicht, de Rad beware de 
gudere jar unde dach etc. 


3. Thüringen. 


Statuten der Stadt Alstedt v. J. 1565 (Walch Beiträge VI), S. 230. Nach 
dem Tode des letztlebenden Ehegatten sollen die beweglichen und erworbenen Güter 
auf beider seits freundtschafft zugleich erben vnd fallen, als balden inventiret und nach 
ausgang der vier wochen geteilet werden. 

S. 232. ... soll sich der Erbe von stund nach dem dreissigsten inner- 
halb dreien 14 tagen vor einem sitzenden Radt ercleren vnd vornehmen lassen, ob ehr 
die Erbschaft anzunehmen bedacht sey oder nicht. 


Philos.-histor. Kl. 1864. Z 


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Eben so die Statuten von Langensalza v. J. 1556 Nr. 7 (Walch VII. 262). 

Statuten der Stadt Blanckenburg im Schwarzburgischen v. J. 1594 (Walch V 
108). Welch Weib .. zu einer Wittwe, oder welche unmündige Kinder zu Waisen 
werden, sollen Ausgangs des Dreyfsigsten nach Absterben des Mannes oder der 
Eltern unverzüglich .... bevormundet werden. 

Ebenso die Statuten v. Rudolstadt v. J. 1594 ebd. V 63. 

Statuten des Städtehens Teuchel im Schwarzburgischen vom J. 1611 (Walch V 
479), 10. $4. Die Wittibinnen und Weisen sollen bey Ausgang des 30sten 
nach des Mannes oder der Eltern Absterben, ohnverzüglich mit ... Vormündern ver- 
sehen werden. 

Eben so die Statuten von Leutenberg (Schwarzburg) von 1697 Tit. 20 $ 1. 

Statuten der Stadt Gotha v. 17. Juli 1597 (Brückner Hdb. des S. Gothaischen 
Privatr. 1830) S. 253 fl. A.29. Werden unmündige Kinder hinterlassen, so sollen 
die Angehörigen etliche Personen dem Rathe “zu ausgang des Trauermonats” 
als Vormünder angeben. 

A. 30. Die Vormünder “sollen erstlich nach vorflielsunge des Trauermo- 
nats vnd beschehener Theilunge ein bestendig Inventarium ... aufrichten lassen.” 

Eben so die Statuten der Stadt Ohrdruf v. 4. Dec. 1594 (ebd. S. 279 ff.) 
Art..22, 23. 

A.37 a. E. Gefallet Erb u. guth, wie dasselbige damahls aus defs Verstorbenen 
munde bestallt oder unbestallt gefunden wirdt, solcher mafsen soll es den anwartten- 
den nechsten Erben zu ausgang dels Trauermonaths auch heimbfallen. 

A. 40. Der überlebende Vater, der den Niesbrauch an der Kinder Erbtheil hat, 
soll jedem Kinde “seinen Theil in Monathsfrist nach gehaltener Wirtschaft oder 
wenn sie ihre mündige Jahre erreichet, einräumen. 

A.42. ... soll der Erbe ausgangs des Dreissigsten innerhalb 6 Wochen 
... sich erklären, ob er die Erbschaft anzunehmen bedacht oder nicht. 

Statuten der Stadt Schmöllen im Altenburgischen v. J. 1602 (Walch VIII 150 ff.) 
Art. 1. So sol in allen Todtesfällen ... baldte nach Begräbnils derselben, oder des 
folgenden Tages .... . die Verlassenschaft .... inventirt werden. 

Art.2. Ausgangs der vier Wochen sol die Theilung angestellet und hiezu 
.. Wittwen und Waysen vor den Rath bevormundet werden. 

Statuten der Stadt Eisenberg im Altenburgischen v. J. 1610 (Walch II 225). 
Cap. 5 SA. Die Wittwe “wenn sie ihren Wittbenstuhl nicht verrückt und den Kin- 
dern zum Besten hausgehalten” darf nicht zur Theilung gedrungen werden. Doch ist 
sie schuldig “Ausgangs der 4 Wochen sich beim Rathe anzugeben und zu suchen”, 
dals über ihres Mannes Nachlals ein Inventar aufgerichtet werde. 

Statuten von Altenburg v. J. 1725 Art. 5 (Schröter jur. Abhdl. I 384). Wenn 
ein Ehemann verstirbt ... soll .., da kein Testament vorhanden ist, die Erbschaft ... 
bei concurrirenden Minderjährigen, nach dem dreyfsigsten Tag gerichtlich con- 
signiret werden. Doch wird zuweilen der 30ste Tag nicht abgewartet. 

Der Stadt Erfurt Policei etc. Ordnung v. 1583 XV Nr. 8 (Heinemann statutari- 
sche Rechte v. Erfurt S. 159). Da aber kein Testament fürhanden, so sollen der Kin- 
der Mutter oder ... Grolsmutter, alsbald nach Verflielsung des Trauermonats im 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 


sitzenden Rath erscheinen und .... berichten, ob sie der Kinder Vormünder sein 
.. wollte. 


4. Ost- und Westfalen. 
Recht von Goslar (S. oben Nr. 10, 21, 44). S.11 Z.20 ff. Sterft ener 


vrowen ere man, der he liftucht hevet gemaket, dar se van sinem erve mede vorsche- 
den is, de vrowen scal men holden van dem erve in der were bente na dem drit- 
teghesten, seder tere se van irer liftucht. 

Recht der Stadt Braunschweig. 

a. Statut über das Herwede v. 1303, im Urkundenbuch d. St. Braunschweig 
1861 S. 255. Is ok de erue dar nicht, de it upbore to deme drittegesten, so 
scal man it in eyne mene hant don iar vnde dach. (Vgl. ebd. S. 112 Nr. 132, 
S. 123 Nr. 277.) 

d. Stadtrecht C. 14 Nr. 116, ebd. 111a (Leibnitz Ser. r. Brunsv. III p. 437 
A. 9). Wenn beim Tode von Vater oder Mutter ein Kind vorher abgesondert ist: 
“welker wel to deyle gan de schal inbringhen dat he heft upgebort. He schal vore 
willekoren, wer he wille to deyle gan edder nicht: wel he to deyle gan vp aventure (auf 
die Gefahr, dabei zu kurz zu kommen), dat schal he beborghen, en willen de anderen 
des nycht vmberen, offt ome bore to kerende, dat he dat do to dem drittegesten, is 
he bynnen landes, darvp rekenet se, vnde bringhet in vppe wyn vnde vppe vorlust.” 

c. Stadtrecht C 20 Nr. 174, ebd. 116@, vgl. Nr. 277 S. 123 (Leibnitz 1. c. 
III p. 438 A. 13). Wur eyn man sterfft, de eruen buten dem hus moghen wol be- 
sluten, dat in deme hus is, ane broke offt se willen, deste se pleghen wente an den 
drittegesten orer nottorffte dem inghesinde. 

Recht von Lüneburg, Dreyer Nebenstunden $. 365 c. 7. Wer aver erer 
dar nein erve tho (der Gerade) binnen der stadt, de radtman in der stadt schollen sik 
des underwinden mit orkunde des vagedes. Dat schall men antwerden tho deme 
mandtfeste und schall idt holden jhar und dach. 

Eben so S. 400 e. 119 hinsichtlich des herwede. 

Dortmunder Recht, Dreyer Nebenstunden S. 429. Weme dat (herwede 
u. gherade) ane vellet und hey dat eyschet na den veyr weken, dat sal men eme 
utgheven delselven daghes und hey sal et untfaen sünder trecken (ohne Verzug). 


5. Süddeutschland. 


Frankfurt a. M. Reformation v. 1611 Th. VII Tit. 2 $3 (Orth Forts. 3 
S. 257). Wenn aber kein 'Testament vorhanden, so soll allsdann der Kinder Mutter 
-... nechst nach Verscheinung des Dreissigsten oder Monatsfrist vor 
unsern Schultheils u. Scheffen erscheinen, den Todtfall .... anzeigen, darneben auch 
sich erklären, ob sie der Kindere Vormünderin werden ... wolle. 

Th. III Tit. 7 $ 8 (Orth Forts. 2 S. 88). Wann das Letztlebend ... renun- 
ciiren und auch Separationem bitten will, dafs es solches samptlich und zugleich nach 
Verflielsung des Dreyl[sigsten oder eines Monats nach des Erstverstorbenen 
tödtlichem Abgang an zu rechnen, vor unserm Scheffenrath, oder vor Gericht zu thun 


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Homeyer: Der Dreifsigste. 


schuldig seyn solle. Nach Verscheinung aber solchen Monats soll weiter ..... keine 
Renunciation angenommen .. werden. 

Der freien Reichsstadt Wimpffen Stadtrecht v. 1544, erneuert 1731 (v. d. 
Nahmer II 1045 ff.) Th. VI Abs. 2 Tit.2 $1. Hat ein Verstorbner einen gericht- 
lichen letzten Willen hinterlassen, “so solle dem nächsten Verwandten ... solches 
kund gethan, ihnen ein gewisser Termin nach Verlauf der ersten 4 Wochen 
anberaumt, sodann das Testament .... publicirt ... werden.” 

Ordnung der Stadt Balingen in Würtemberg v. J. 1507 (Reyscher altwürtemb. 
Statutarrechte 1834 S. 161). Wals dann ferner von Schulden wegen inn Monats- 
frist angelangt vnd glaublichen dargethan würt, vnder dieselbigen soll das yberig 
gutt getheilt werden etc. 

Stadt- u. Gerichtsordnung von Bönnigheim in Würtemberg v. J. 1599 (Rey- 
scher 465). Ihr (Vormünder) werden schweren, ewer Pflegkhindts getrewer Vor- 
munder zue sein, alle ihre Haab .... mit gutem Vleils zu erkundigen, das alles in 
Monatsfrist in ein Inventarium ... beschreiben .. lalsen etc. 

Ordnung des Fleckens Winzelhausen in Würtemberg v. J. 1593 (Reyscher 
499). Zum 25sten wollen wir, das so offt ein Ehe zertrent, das inuentiert werde 
alles was vorhanden, darinnen niemandt verschonet, die Inuentarien hindern Richtern 
in Monatzfrist gelegt werden. 


F. Landrechte. 
Den Rechten 1. der Ostseeländer folgen die Rechte 2. der Mark und 


des Magdeburgischen Landes, 3. Schlesiens, 4. Sachsens und Siebenbürgens, 
5. Thüringens, 6. des südlichen Deutschlands, 7. der Rheinlande. 


4. Schleswig, Livland, Curland, Preufsen, Pommern. 


Jütsches Lov von 1241, nach Kolderup Rosenvinge Samling III 


1837, altdänischer Text mit der alten plattdeutschen Übersetzung. 


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B.1C.3. Die schwangere Wittwe bleibt in dem ungetheilten Gute sitzen bis 
zur Geburt des Kindes. Dann heilst es: Föthes barn sua langt efter father, at thet 
ma wal proues at thet er ei athelbonde barn ther döt war, giald hun fyrst efter alt 
thet hun took af eghen fra henne bonde thretiunde (d. i. Wird das Kind so lange 
nach dem Vater geboren, dafs man wohl beweisen kann, dals es kein echtes Kind des 
Verstorbenen ist, so zahle sie zuerst alles zurück, was sie von dem Gute seit dem 
Dreilsigsten ihres Mannes nahm). 

Kann men dar ock na redeliken erfaren, dath dath kindt van ereme echten manne 
nicht is, so schal se tho dem ersten gelden, wath se van dem gude heft genamen u. 
genathen van deme druttigesten daghe ahn, dat ere mann starf. 

B.1C.23. Hva sum arf wil kraue eth giald efter annens döt, kumse han eth 
hans both a thretiughend dagh — —. Aen af engi rxetthe aruing hittes a thre- 
thiugend daugb, tha scal arf wirthes oc sietthes at gümz. 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 


De dar wil erue vnde schult inmanen na enes dode, so kome he edder syn 
bode in deme drittigesten daghe synes dodes — — komet dar ock de rechten 
eruen nycht in deme dryttygesten dage, so schal men dat erue schatten ... vnde 
schal yd bewaren. 

B.I C. 26. Of ennen man dör, ther mycket er giald skyldugh, oc setther 
sin ghen alt til wiss® for sin giald (d. i. und setzt er all sein Gut zur Sicherheit 
für seine Schuld), antigh kloster men eth andre, kaennes hans rietie aruing with arf a 
raette threthiughend, giald« alt giald ther krauws, zeth giuse logh af hans hende 
ther döt ser (oder schwöre sie ab von des Todten wegen). Steruet dar we in groter 
schult vnde let syn gud beschriuen dar me de schuldt mede ghelde, komet denne de 
eruen in deme druttigesten daghe synes dodes vnde bekennet, dat yd so sy, 
so betalen se alle de schult, edder weren sick myd sinen rechte sulff twelfte. 

Livländisch Ritterrecht, s. oben Nr. 12, 36, 40, 46. 

Curländische Statuten (vgl. v. Bunge curländisches Privatrecht 1861 $ 8) 
8205. Si qui creditores invaserint haereditatem sine autoritate iudicis, aut haeredes 
intra triginta dies luctus molestia affecerint et in exigendo se minus modeste 
gesserint, iure crediti sui cadere debent (vgl. v. Bunge $ 285). 

Piltensche Statuten s. oben Nr. 16. 

Landrecht des K. Preulsen B. V Tit. 14 Art. 1 $5 a. E. Es mag auch ein 
jeder Wittwer oder Wittfrau, wenn die Kinder mündig, oder, da keine Kinder vor- 
handen, von den andern Erben, nach dem dreilsigsten Tage, welches man die 
Trauertage nennet, um Schicht und Theilung angehalten werden. 

Pommersche Bauerordnung v. 16. Mai 1616 Tit. 10 8.9, erneuert am 
30. Dec. 1764, Tit. 4 & 2, nach der Fassung im “Provincialrecht des Herzogthums .. 
Pommern” Stettin 1835, S. 121 $ 10. Der überlebende Ehegatte ist schuldig, vier 
Wochen nach dem Tode des andern Ehegatten ein Inventar von dem gemeinschaft- 
lichen Vermögen zu entrichten. 


2. Mark und Magdeburg. 


Satzung Friedehelms von Cottbus('), gegeben 1291 “mit rate u. mit wil- 
lekore vnsir manne u. vnsir burger u. vnsir lantlute” (aus der Dresdner Hdschr. 
M. 35, Homeyer Rechtsb. Nr. 154). 

Stirbt eyne frauwe adir eyn man, so sollen warten czum nesten drysi- 
gisten ire beyder frunt, waz eyme iczlichen czum rechte gebore von dem tode 
biz an den drysigisten, zo sal sich nymant vorbaz cleyden. Waz do irstorben ist, iz 
sy man adir vrauwe dy sollen ire notdorft haben an dem gute von dem tode biz an 
den drysigisten tag. 

Policeiordnung für die Neumark v. 1540 (v. Kamptz Prov. Ges. d. Mark 
1 91 ff). 

C. 12. Stürbe .. das Weib, u. alda unmündige Kinder vorhanden weren, 
so soll durch den Raht u. Gerichte bald nach dem Begräbnils die fahrende Haabe in- 


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(‘) Über Friedhelm s. Schelz Gesammtgeschichte der Lausitz Bd. I $. 501; über spätere Cottbuser 


Willkühren, Heydemann Joachimica 206. 


182 Homever: Der Dreifsigste. 


ventiret, und nach Ausgang der vier Wochen darnach den Kindern Erbschich- 
tunge an Mutter Theil der fahrender u. unfahrender Haabe gemachet, solche Erb- 
schichtunge ins Recht- u. Gerichtebuch verzeichnet werden. Stürbe aber der Vater, 
so sollen die Gühter gleichfalls ... inventiret, und den Kindern nach Ausgang 
der 4 Wochen Vater Theil ... gemacht werden. 


115 Project der Constitution Joh. Georgs v. 1574 (Heydemann Joach. 27 ff., 326, 
Laspeyres in der Ztschr. f. D. R. VI 31). 
So sol hinfuro ein jedes Weib, das nach Absterben ihres Mannes der frewlichen 
gerechtigkeit genielsen will, allsbaldt nach demselben ableiben ein .. Inventarium ... 
aufrichten ... lassen, sich auch nach aulsgange der vier wochen in den nach- 
folgenden 14 Tagen .... ercleren etc. 


116 Project der Landesordnung Joh. Georgs v. 1594 (Heydem. 28, 327, 347). 

Th. III c. VI bestimmt, dafs wenn ein Ehegatte unbeerbt stirbt, auf Verlangen 
der Erben der Nachlals versiegelt und dem Überlebenden nur das zum nothdürftigen 
Inhalt während der 4 Wochen hinreichende herausgelassen wird. c. VII. Wenn 
nun nach Ausgang der 4 Wochen oder schierst hernach zur Theilnng geschrit- 
ten wird, sollen die Erben ... vor allen Dingen ein Inventarium .... machen. — 
Die Wittfrau aber soll nach Ausgang der 4 Wochen ... innerhalb 8 Tagen dar- 
nach erklehren, ob sie bei ihrer freulichen Gerechtigkeit bleiben wolle. 


117 c.XXXVI a. E. Ein Testament soll “baldt nach Absterben des Testatoris, aus- 
gangk der 4 Wochen” vollstreckt werden. 


118 Pruckmann (+ 1630, vgl. Heydemann 346) Responsa juris electoralis, vol. I 
consil. 34 qu. 6 $ 115: secundnm nostratium mores, divisiones hereditatum, ultra trice- 
simum diem a morte ejus, de cujus hereditate res est, computandum, differri non solere. 

119 Scheplitz (+ 1634, Riedel Mag. I 47) Consuet. Elector. et Marchiae, dritte 
Ausgabe des Christ. Benoni Pape 1744 führt .I P. 3 tit. 2 %4 Nr.5 mit einem 
“Nam scimus” Pruckmanns Satz an und fügt hinzu: Et hoc apud nos appellatur nostra 
vernacula lingua Einen vierwochens Tag halten. Ideo existimo, illo ipso tem- 
pore viduae pro sua dote si illam saltem repetat, vel portione, quam juxta constitu- 
lionem nostram consequitur, satisfaciendam esse. 


120 Fr. Müller practica Marchica 1678 (Riedel Mag. 156) 1. I resol. 85 Nr. 16—19. 
Quamvis legatarius a manu heredis ... accipere legatum teneatur, tamen vidua pro- 
pria authoritate occupare aut retinere feudum potest, in quo possidet et dotalitium 
sibi est constitutum, modo oceupatio fiat post trigesimum diem, ex dispositione 
juris Saxonici vel ex honore erga maritum defunctum, quia alias juris est, ut intra 
trigesimum hereditas jacens neque a creditoribus neque ab ipsis heredibus mole- 
stari debeat. 

121 Neumärkische Kammergerichtsordnung v. 1700 Cap. 33 (Heydemann Joach. 
328). Wenn der Wittwer sich der Erbschaft der Frau ganz enthalten will, soll er 
“aulser legal impedimenten binnen 4 Wochen nach der Frauen Tode ein Inventa- 
rium” über ... ihr Vermögen aufrichten lassen. 

122 Constitution wegen Abkürzung der Processe in der Kurmark v. 3. Sept. 1718 
(Heydemann 329). $ 35 ... sollen künftig die Gerichtsobrigkeiten dem überbleiben- 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 


den Theile bei Verfertigung der Inventur, so binnen 4 Wochen a tempore morlis 
vorgenommen werden mufs, die beneficia juris expliciren. 

Eben so in der revidirten Const. wegen Abk. d. Pr. in der Neumark v. 
18. Nov. 1718 8 33. 

Vormundschaftsordnung für die Kur- u. Neumark y. 23. Sept. 1718, v. 
Kamptz Prov.-Ges. d. Mark II 281 ff. 

$19. Zur Erlangung einer Vormundschaft “muls derjenige, dessen nächster 
Anverwandter gestorben, binnen 4 Wochen bei der Obrigkeit einkommen, und 
um Bestätigung ... Ansuchung thun”, vgl. für die Mutter und Grofsmutter $ 26, für 
andere Verwandte $ 29. — $. 24. In Ermanglung von Verwandten soll den Unmün- 
digen “doch von Obrigkeits wegen .... wenigstens in 4 Wochen Bevormundung 
wiederfahren”. 

Neumärkische Lehnsconstitution v. J. 1724 8 40 (v. Kamptz II 500). 
Zu dem Mulstheil sollen gehören die Helffte aller Hofspeisen, oder die bei Absterben 
des Mannes in seinem Hofe und Gewähre gewesen, so viel davon nach dem 30 Tag, 
nach dem Tode des mariti, übrig gefunden worden. 

Die Magdeburgische Procelsordnung Cap. 43 $ 11 bestimmt, nach Schrö- 
ter 1 S. 383, dafs man auf den Dreilsigsten zu inventiren anfangen solle. 

Policeiordnung des H. Magdeburg v. 1688 Cap. 44 8 56. Es gehöret nicht 
zum Mufstheile ... das Getreydig, so bei des Mannes Absterben noch auf dem Felde 
gestanden, oder allbereits abgeschnitten und auf dem Felde gelegen, oder zum Theil 
in Mandeln gesetzt gewesen, ob es auch gleich innerhalb des Drey[sigsten ein- 
kommen. 


3. Schlesien. 


Die Constitutiones Rudolphinae Lignic. d. i. Entwurf einer Landesordnung 
f. d. Fürstenthum Liegnitz v. 1628 bestimmen: dals obgleich eine adeliche Wittwe 
die Gerade und Morgengabe aus des Mannes Vermögen erst nach dem Dreifsig- 
sten für sich selbst zu nehmen Macht hat, und wegen des Mustheils nach dem Dr. 
erst mit den Erben Theilung machen muls, dennoch, wenn sie innerhalb dem 
Dreifsigsten stirbt, sie beides resp. auf ihre Erben oder Niftel vererbe. (Wein- 
garten fasc. div. jur. L.I C.1 p. 375 sq. Stylo, Provinzialrecht v. Niederschlesien, 
Breslau 1830 S. 6, 403.) 


4. Sachsen, Siebenbürgen. 


Kursächsische Constitutionen von 1572. 

B. III €. 32. Was aber keine Feldfrüchte, sondern gewisse Zehenden, 
Pächte und Einkommen auf und aus denen Lehngütern sind, wann die zur Zeit des 
verstorbenen Lehnmannes betagt gewesen, so folgen sie denen Erben. Dasjenige so 
an Zinsen oder Kornpächten innerhalb dem dreyfsigsten fällig oder betagt ge- 
wesen, gehöret auch denen Erben. 


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Homerer: Der Dreifsigste. 


B. III €. 33. Damit ... zwischen der Wittwe u. denen Erben allerley Mifsver- 
stand verhütet, so wollen Wir: dafs die Wittwe allererst nach dem dreylsig- 
sten (die Gerade, Morgengabe u. Leibgedinge) vor sich selbst zu nehmen Macht 
haben soll; jedoch wo solches ohne deren Erben Wissen geschähe, u. sie hätte mehr 
dann ihr ... gebühret genommen, so müste sie, auf derer Erben Erfordern, dero- 
wegen ein Inventarium vorlegen, oder in Mangel dessen, vermittelst eines Eides, was 
und wie viel sie zu sich genommen, aussagen und nach Gelegenheit Erstatiung thun. 
.... dieweil ihr (das Mufstheil) vor die Helffte nach dem dreylsigsten soll zuge- 
theilt werden u. das andere halbe Theil denen Erben zuständig, so ist sie auch nach 
dem dreylsigsten, ohne Vorwissen derer Erben, desselben sich anzumafsen nicht 


befugt. 


C. 34. Der Wittwe gebührt die Hälfte der zum Mulstbeil gehörigen, nach dem 
30sten übrig bleibenden gehofften Speise, “allein von dem, welches zur Zeit des 
Mannes absterben in seinem Hoff oder Behausung gewesen, u. darum, wann Wein, 
Korn oder anders, so zu Mufstheil gehöret, bey des Mannes Leben, noch auf dem 
Felde gestanden, u. doch folgends innerhalb des dreyf[sigsten einkommen, sol- 
ches gehöret denen Erben allein”. 


C. 36. Unsere Schöppenstüle sprechen der Frauen (nicht blofs so viel der cibaria 
domestica auf ein Jahr zu des Mannes Nothdurft u. Haushaltung nöthig gewesen, son- 
dern) ohne Unterschied zu: alles was vor den halben Theil zu Mulstheil gehörig u. 
nach dem dreyfsigsten vorhanden u. übrig ist; darbey Wir es auch bleiben 
lassen. 


Dec. Sax. d. a. 1746 d. 12. Wenn jemanden etwas vermacht worden, sollen die 
Erben schuldig sein, demselben alle nach Ablauf des 30sten Tages nach des 
testatoris Tode, davon erhobene Nutzungen zu erstatten, auch von solcher Zeit 
an die legirten Posten und Geldquanta zu verzinsen, u. ihnen dawider der Vorwand, 
dafs sie nicht in mora gewesen, von dem legato keine Nachricht gehabt, oder die 
Erbschaft später angetreten, nicht zu Statten kommen; dagegen dem Erben die 
Nutzungen u. Zinsen bis dahin, auch in dem Falle, da ein tertius oder legatarius 
selbst dasjenige so ihm vermacht worden besitzt, oder das legirte Capital bei demsel- 
ben steht, gleichfalls verbleiben. 


Mandat betr. die Edictaleitationen in Civilsachen v. 13. Nov. 1779 81 Nr.1 (C. 
A. Cont. II 1 S.369). Zu einer Vermuthung über Erlöschung gewisser Schulden 
soll der Ablauf von 44 Jahren hinreichen, welche “bei Ehestiftungen vom 30sten 
Tage nach Absterben des Ehegatten zu rechnen sind”. 


Generale betr. die Verjährung der ... Schuldforderungen (C. A. Cont. III 1 
S.195) vom 14. Dec. 1801. Wenn die in die Willkühr des Schuldners allein ge- 
stellte Aufkündigung bei dessen Lebzeiten nicht erfolgt, so fängt die gegen den 
Gläubiger laufende Verjährung seiner Forderung vom 30sten Tage nach des Schuld- 
ners Ableben an. 


K. Sächsichses Ges. v. 30. October 1826. Mandat über die Eröffnung der ... 
letzten Willen $5: Amtshalber ist der Richter zur Eröffnung eines letzten Willens 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 


befugt und auch verpflichtet, wenn er den Tod des Erblassers auf irgend eine Art 
glaubhaft erfahren hat, und seit demselben wenigstens 30 Tage abgelaufen sind. 

Damit stimmt das K. Sächs. Bürgerliche Gesetzbuch vom 1. Jan. 1863 $ 2227: 
Amtshalher ist der Richter zu Eröffnung des letzten Willens berechtigt und verpflich- 
tet, wenn er den Tod des Erblaseeee, glaubhaft erfahren hat, und seit dem Tode 
dreilsig Tage abgelaufen sind. 

Dasselbe $ 2249: Personen, welche mit dem Erblasser bis zu seinem Tode 
in häuslicher Gemeinschaft lebten und auf seine Kosten unterhalten wurden, sind be- 
fugt, bis zum dreilsigsten Tage nach dem Tode des Erblassers in dem Ge- 
brauche der Wohnung und des Hausrathes zu bleiben u. den erforderlichen Unterhalt 
für Rechnung der Erbschaft zu beziehen. 


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Der Sachsen in Siebenbürgen Statuta, bestätigt durch K. Stephan 
1583, deutsche Übersetzung von 1721 (s. Schuler v. Takloy Statuta jurium 
munieipalium Saxonum in Transsilvania, Hermannstadt 1853, Abth. II 


S. 231 ff.). 


B. II Tit. 3 $1 (S. 272). DerVater als conjux superstes soll “so es ihm mög- 
lich zu thun, im nächsten ersten oder andern Monat nach der Frauen Abschied, 
ihm und seinen Kindern eine Theilung machen alles seines Vermögens .... und ein 
Inventarium oder Findzettel beschreiben lassen”. 

Tit.4 82 (S. 276). Der Vater “soll innerhalb einem oder zweien Mo- 
naten nach seiner Hausfrauen Tode, die nächstangeborn Blutsfreund .... berufen, 
und den dritten Theil des ganzen Erbfalls .... den Kindern abtheilen”. $ 5 (S. 277). 
Die überlebende Mutter “soll innerhalb vier Wochen nach ihres Mannes Abgang 
BEN theilen”. 

B. IH Tit.3 85 (S. 296). .... “Haben aber die Erbnehmenden in gewöhn- 
licher Zeit (in dreilsig Tagen nemlich, nachdem sie in den Erbfall getreten sein) 
die Inventarien zu machen unterlassen” so sollen sie alle Schulden bezahlen. 


5. Thüringen. 


Gothaische Gerichts- und Procefsordnung v. 1670 P.I C.19 812: Die 
Arresta, so zu eines verstorbenen Schuldners Gütern innerhalb des 30sten Tages a 
tempore mortis geschehen, sollen vor beständig und kräftig gehalten werden. 

Gothaische Landesordnung vom 1. Sept. 1666, mit Beifügung unterschied- 
licher Ordnungen Th. 3 Nr. 3. 

Die Beampte .... sollen, sobald .. Unmündige in den Waisenstand gerathen, 

. alsobald durch Anordnung einer Versiegelung nothdürftige Verfügung thun, dals 
unter währendem Trauermonat bils.... zu völliger der Erbschaften Antret- u. In- 
ventirung ... nichts daraus veruntreuet ... noch darbey verwahrloset werde (Vgl. 
neue Beifugen I S. 30) .... Zur Bestattung sind die Erben, die nächsten Bluts- 
freunde und die Eheleute verbunden ... Die Ehefrau muls die Erben zu Rathe zie- 
hen; aulserdem kann sie die Leichenkosten nicht wiederfordern. 


Philos.-histor. Kl. 1864. Aa 


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Honeven: Der Dreifsigste. 


Neue Beifugen zur Gothaischen Landesordnung Th. I 1781 5.41 1. 

+. soll, damit... die Unmündigen nicht Noth leiden mögen, jedesmal wenn nach 
Ablauf eines Monats, nachdem die Verwaisung sich zugetragen, von deren Gefreund- 
ten um die Bevormundung nicht angehalten wird, dazu „.. auch blos von Amtswegen 
sofort geschritten werden. 

Ebd. 8.45 8 19. 

Den Obrigkeiten aber wird . . . anbefohlen, die Fertigung des Inventarü ... ling- 
stens binnen 8 Tagen nach Bestätigung der Vormünder vorzunehmen, und den Ab- 
lauf des trigesimi keinesweges zu erwarten, es wäre denn, dals majorenne Miterben 
aus erheblichen Ursachen um die Dillerirung der Inventur bis dahin nachsuchten. 

Schröter I 384 giebt den betreffenden Inhalt des Fürstl. Patents in folgender Fas- 
sung: Obwohl bishero die Gewohnheit gewesen, dals der Ablauff des trigesimi 
nach Absterben des Erblassers abgewartet worden, che man zur Inventur und Ver- 
theilung geschritten ...... als soll nicht nur diese bisherige Observanz hierdurch aul- 
gehoben, sondern auch denen Gerichten anbefohlen seyn, zum Behuf derer Unmündi- 
gen... sofort peractis exequüs zur Inventur u, Theilung zu schreiten, es wäre denn, 
daß einer der Erbinteressenten 2 .. die Dilferirung der Inventur bis nach Ablauff 
des trigesimi suchte, 

Neue Beifugen 1 8.70. Was an Speise u. Getränke innerhalb 30 Tagen von dem 
Absterben des Mannes an in der gemeinen Wirthschaft verbraucht wird, gehet an 
dem Mulstheil mit ab, u. bekommt also die Wittwe nur die Hälfte von demjenigen, 
was nach Ende der 30 Tage an Speise u, Getränke annoch übrig ist, 

Gothaische Procels- Ordnung v. 1776 P.1 C.12 32. Den Erben eines Pro- 
celstührenden kommt zwar ein benefcium deliberandi zur Aufhaltung des Processes 
nicht zu Statten. Jedoch “sollen die fatalia denen Erben allerseits nicht cher, als 


vier Wochen nach dem Todesfall ihres Erblassers (ortsulaufen anfangen = 


Gothaisches Lehnsmandat vom 6. Jan. 1800 887. Alle am dreilsigsten 
S 5 


Tage nach dem Sterbetage des leisten Besitzers bereits eingesammelten Früchte, ..» 
Ss 5 8 

alle Erbsinsen u. andre Einnahmen .. an Gelde u. Naturalstücken . . insofern die Ver- 
fallzeit schon vor dem Osten Tage nach dem Todestage . . gewesen ist, der wirk- 


3 


liche Abtrag mag geschehen sein oder nicht, gehören ... zum Allodialnachlasse. SS. 
Die am 30sten Tage nach dem Absterben .. noch auf dem Felde stehenden, und 


oe 


also schon vorher ausgesieten oder gepllanzten Feldfrüchte u. Gartengewächse ....8 


hören sum Allodialnachlasse. 
Die Rudolstädtische Successionsordnung v. 1. Nov. 1769 (Heimbach S. 76) 


\ x 


S24 wird von Heimbach $ 302 N. 2 und von Bamberg Schwarzb, Rudolst, Privat- 
vecht $ 153 dafür eitiert, dals der Erbe vor dem YOsten nicht in Anspruch genommen 
werden kann. 

Altenburger Vormundschals-O. von 1785 $6. Zu der Bevormundung der 
Kinder ist wenigstens sogleich post trigesimum zu schreiten. Wenn die Wittwe nach 
dem dreisigsten Tage des Mannes Schulden zu bezahlen verspricht, so kann sie sich 
zwar nicht mehr auf die Authentica, jedoch auf den Vellejanischen Rathschluls noch 


berufen (Schröter II 498), 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 


DasAltenburger Gesetz v. 14. Jan.1837 SS 11, 12 lülst die Eröffnung eines 
gerichtlichen letzten Willens auf Antrag der Betheiligten vor dem 30sten Tage, ohne 
Antrag von Amtswegen erst nach diesem Tage zu. — Nach dem Gesetz vom 6. April 
1841 $ 125 kann der Eirbschaftsantritt auch vor dem Dreilsigsten erfolgen. Heimbach 
$ 302 N. 3 u. 4. 

S. Weimarsche Bekanntmachung v. 23. Febr. 1816 81. Es soll die altge- 
setzliche Frist von 30 Tagen nach dem Ableben eines Erblassers, che das Gericht zur 
Regulirung der Erbschaft schreitet, fernerbin respectirt werden, aulser wenn die Er- 
ben selber um frühere gerichtliche Einschreitung bitten, oder wenn dieses aus andern 
dringenden Rücksichten z. B. wegen Abwesenheit, Unmündiger ete, sich nöthig macht. 

Weimar-Eisenachsches Ges. v. 6. April 1833 8 117. Der Erwerb einer 
gesetzlichen Erbfolge kann sogleich nach erfolgtem Krbanfälle erfolgen. 

Eben so nach dem Ges. für Sachsen- Altenburg vom 6. April 1841 8 117. 

Gräll. Hennebergische Landesordnung v. J. 1539 (v. Kamptz Prov.-R. 
1 441) Buch III Tit. 3. 

C.7 $41. Hat die Obrigkeit den letzten Willen in Händen, so soll “alsbald 
den nechsten inwendig 30 Tagen allen des verstorbenen nechsten freunden ein 
nambhaftiger tag angesetzt und das Testament publieirt werden, 83. Der Bedachte 
der den I. W. in Händen hat, soll “der Oberkeit inwendig der berürten 30 Tagen 
solches anzeigen. $4. Die Verkündigung soll den Betheiligten zeitlich genug in den 
30 Tagen beschehen, damit sie auf solchen tag .... erscheinen mögen, die eröff- 
nung ... anzuhören”. 

0.8.82. Dereingesetzte Erbe, wenn er das Testament in Händen hat, "mag, 
ob er wil, juner 60 Tagen den nechsten zu zehlen von dem tag do der Testirer ver- 
schieden, alle Haab . . . in ein bestendig Inventarium bringen”. 

C.11 $1. Weib oder Man, so die Hand verbrechen, (sollen) mit den ehe- 
lichen Kindern, die als bald zu vor bevormünd sollen werden ... als bald jnner 
4 Wochen nach beschehenem beyschlaff der andern Ehe, aller Güter ... ein gründ- 
liche Abtheilung fürnemen. 


6. Süddeutschland. 


Bayreuther Polizeiordnung v. 1. Sept. 1746 (Arnold Beiträge zum teutsch. Pri- 
vatrechte I 203) Tit. 14 8 6. Jedes Orts Obrigkeiten haben ... dahin zu invigiliren, 
dals gleich nach der Eltern Absterben in casibus habilibus obsigniret und darauf post 
trigesimum ordentlich inventiret ... werde, 

Bayerisch Landrecht von 1616 Tit. 43 Art. 2. Wann dann die Sperr und 
Obsignation (Art. 1) durch die Obrigkeit .. beschehn, soll darnach in 30 Tägen, den 
nechsten nach demselben, durch die Obrigkeit ... ein gemeiner beschreibung Tag aller 
verlalsner Haab vnd Güter benennt u. angefangen werden. 

Die oben S. 160 erwähnte Tyroler Policeiordnung von 1573 bestimmt, dafs 
zu den Dreilsigsten der Bauern etc, niemand als die nächsten Freunde und Nachbaren 


Aa? 


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IR) 
\@) 


Honmerver: Der Dreifsigste. 


“ausserhalben deren, so Anspruch zum Erb haben, vnd darinnen verwont(')” geladen 
werden sollen. Und der obigen Vorschrift über den 30sten der Grafen etc. wird hin- 
zugefügt: "Es wäre dann sach, das zu denselben Dreissigisten in den Erbfällen solche 
grolse Sachen u. Handlungen zu verrichten für fielen, die in ainem oder zwayen tagen 
nit verricht werden kündten, solle es allsdann mit den Malzeiten nach gelegenhait der- 
selbigen Handlungen u. Geschäfften ... gehalten werden.” Vgl. die analoge Bestim- 
mung der Bayerschen Landsordnung v. 1616, oben S. 161. 


Der fürstlichen Grafschaft Tirol Landsordnung 1526(?). Buch I Th. 3. Art. 
Wie die Vermächt vnnd Testament eroffent werden sollen. ... Das 
hinfüro ain yede person der ycht oder etwas testiert ist, oder ain Vermächt hat, die 
soll dasselbig Vermächt oder Testament auf den Dreyssigisten der abgestorben 
person, ... vor der Obrigkait desselben abgestorbnen Freunden eröffnen. Doch soll 
im solches zuuor durch die Obrigkait oder Freundtschaft so zeitlich verkündt, damit 
derselb aigner person ... auf den Dreyssigisten erscheinen vnd die Eröffnung vnd die 
antzaigung des Testaments oder vermächts thun möge. 


Die Landsordnung von 1532, und die neue reformierte Landsordnung von 1574 
haben statt dessen Buch 3 Tit. 4 unter: Wie Testament, Ordnungen, Gaben, Ge- 
schäfft vnd Vermächt eröffent werden sollen: “So nach absterben ainer Person ain 
Testament ... oder Vermächt befunden wurde, dals dasselbe auf dem Dreissigisten 
allen denen die das berürt, eröffnet vnd publiciert werden soll. ... Ain yede person, 
deren etwas testiert .... oder verschafft ist, die das Testament ... bey jren selbs 
handen hat, (soll) dasselbig ... auf dem Dreyfsigsten der abgestorbenen person 

. vor der Obrigkait desselben abgestorbenen Erben oder Freundten oder die Adels- 
personen vor der Freundschaft, den jhenen die das Testament ... berürt, eröffnen. 
... Doch soll demselben der Dreissigist durch die Oberkeit, Erben oder Freund- 
schaft so zeitlich vor verkündet werden, darmit derselb aigner Person ... auf dem 
Dreylsigisten erscheinen und die Eröffnung vnd Antzaigung ... thuen möge. Wo 
aber Erben oder Freundschaft den Dreyssigisten ... über die gebürlich zeit ver- 
zugen, so mag der, dem jehtzit verordnet ist, die Obrigkait vmb ainen Tag zu Eröfl- 
nung ... anruffen, den Erben oder nechsten Freunden denselben Tag verkünden vnd 
alls dann auf denselben Tag Eröffnung ... begehren, oder so er dasselb hat, fürlegen 
vnd eröffnen.” Ist der Bedachte nicht im Lande oder in Unkenntnils über den Tod 
des Testators, oder ist ihm der Dreilsigste nicht verkündigt, so soll es ihm nicht scha- 
den, dals das Vermächt auf den Dreilsigsten nicht eröffnet ist. 


Tiroler Landsordnung von 1526, B.I Th. 3. Die wal des vermächts in- 
nerhalben ains viertail Jars anzunemen. Vnd soll die wal, das verlassen 


Ihre Wohnung haben ?, vgl. Schmeller Wb. IV 82, 93. 
Diese seltene, von Eichhorn D. Priv.-R. $ 16 $. 50 angeführte Ordnung ist, nach Fickers Mitthei- 


lung, auf dem Ferdinandeum und auf der Universitätsbibliothek zu Innsbruck vorhanden. Die Publica- 


tionsurkunde Eızh. Ferdinands, in welche die L.-O. eingerückt erscheint, ist vom 1. Mai 1526. Am 
Schlusse die eigenhändige Unterschrift: Rudolff graff zu Sultz Stathalter. Die L.-O. zerfällt in 2 Bücher, 
Buch 1 in 7, Buch 2 in 2 Theile, die Theile haben ungezählte Artikel mit Überschriften. 


VII. Deueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 


guet sein lebenlang inne zu haben vnd zu besitzen, oder den drittentail erblich zune- 
men, in ainem Viertail Jar negst nach dem Dreissigisten beschen. 

Nach den Redactionen von 1532 und 1574 soll man sich “der wal in ainem 
halben Jar dem nächsten nach dem Dreissigisten entschliefsen”. 

Erzherzoglich Oesterreichische Verordnung, das Erbfolgerecht in der 
Herrschaft Bregenz betr. v. J. 1572 (Walch Beiträge V 1 ff). S.9. Wenn ein 
Ehegatte kinderlos verstirbt "so soll alsdann nach gehaltner Dreyssigist ihrer 
baiden ... Güthern ... Abtheilung ... fürgenohmen werden”. S.11. Sobald aber 
das letzte bliben Eegemechit auch Todtes verschaidet, alsdann .. nach dem Dreys- 
sigisten Tag seines Absterbens sollen seine Erben ... den Leibgedings Theill des 
Abgestorbenen Eegemechit negster Freundschafft ... überantwurten. S.12. Stirbt 
eia Ehegatte mit Hinterlassung von Kindern “so soll abermahlen nach gehaltenen 
Dreysigist ... getailt werden‘. — $.14. Verheirathet sich der überlebende Ehe- 
gatte wieder und hinterläfst Kinder “so soll alsdann abermalen nach dem Dreysi- 
gisten Tag seines Absterbens all sein ... Haab ... getailt werden”. 

Landgerichtsordnung Ferd. I Tit. wie denen abgestorbenen Partheyen Erben 
verkünd werden soll, $1 um dafs oftmals die Dreyssigist viel Monath lang ange- 
stellet, so soll sich nun hinfüro die Zeit eines jeden Dreyssigist nichts weiter als auf 
30 Tag in innländischen Sachen, aber in denen Handlungen die Ausländische betref- 
fend, auf 2 Monath lang nach des Abgestorbenen tödtlichen Abgang zu reichen er- 
strecken, und es wäre nun der Dreyssigst in solcher jetztbenannter Zeit gehalten oder 
angestellt, solle nichts desto weniger die Verkündigung denen Erben, als ob der 
Dreyssigst gehalten worden wäre, würklich beschehen, auch bei Gericht darauf gehan- 
delt werden. (Angeführt von Suttinger, Nr. 162, p. 145. Es ist wohl die Gerichts- 
Prozels- und Ordnung des Landrechts des Erzh. Oesterreich unter der Ens, Wien 
1557, s. de Selchow bibl. juris Germanici, ed. 5. 1782 p. 176, gemeint.) 


Bei der niederösterreichischen Regierung wurde 1551 ein consuetudi- 
narium für die durch Erkenntnils bestätigten Gewohnheiten und für neuere landesherr- 
liche Verordnungen, und 1567 ein Motivenbuch für die Entscheidungsgründe in wich- 
tigeren Fällen angelegt. Daraus gab Joh. Bapt. Suttinger + 1672 einen Auszug, der 
zu Wien 1650, 4 u. d. Titel: “Observationes practicae, oder gewisse Gerichtsbräuch, 
wie dieselben sonderlich bei dem löbl. Landmarschall Gericht in Oesterreich unter der 
Ennßs in acht genommen u. gehalten werden”, sodann zu Nürnberg 1718 s. t. "Con- 
suetudines Austriacae ad stylum exc. regiminis infra Anasum olim accommodatae per 
J. B. Suttinger de Thurnhof ... Nunc vero accesserunt Additiones ... nec non Au- 
reus juris Austriaci tractatus ... authore Bernardo Walthero” erschien. Die einzelnen 
Stücke stehen unter alphabetisch geordneten Rubriken. Unter: Von dem Dreyssigsten 
(p. 145) heilst es, nachdem zuerst der Nov. 115 c. 5, s. oben S. 94, von den 9 Tagen 
gedacht ist: quod 9 dierum spatium consuetudinibus quorundam locorum & statutis ad 30 
usque dies extensum sit, uti in Saxonia ... et sic etiam in Austria. Cum ex eo, quod 
Catholicos praesertim nobiles etiam 30 ma die lugere K exequias pro defuncto cele- 
brare, antiquitus receptum sit, tum etiam, ut haeredes in re tam periculosa, qualis est 
aditio haereditatis .... sufficiens deliberandi vel inventarium conficiendi spatium habeant. 


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Homever: Der Dreifsigste. 


Was nach I. fin. $ Sin vero 12 €. de jure delib. nur für die Erben die ein Inventa- 
rium machen gelte, dessen erfreuen sich de jure nostro Austriaco, hoc 30 dierum spa- 
tio, omnes indistincte heredes. 

Dann folgt jene Stelle der Ld.-G.-O. (Nr. 161) mit dem Hinzufügen: Atque ideo 
judicia Austriaca petiliones partium intra hoc tempus oblatas non aliter decernunt, 
quam den Dreyssigsten verstreichen zu lassen, etiam circa personas non Catholicos vel 
pauperes, quae nullos pro defuncto publicos luctus vel exequias celebrant nec celebrare 
volunt, cum hoc non solum ob luctum, sed etiam alia ratione supra allata sit intro- 
ductum. 

Jener tractatus von Walther (+ 1564) enthält nichts über den Dreilsigsten. 


7. Rheinlande. 


Landrecht des Erzstifts Trier v. 1713 (v. d. Nahmer Landrechte des Ober- u. 
Mittelrheins II S. 593 ff.) Tit.3 $23. Als solle ... der Letzlebend ... nach dem 
Todtsfall eines Ehegatten alle Mobilien .... innerhalb Monatsfrist.... verzeich- 
nen lassen. 

Gräflich Leiningen-Grünstadtische Suecessionsordnung v. J. 1724 (ebd. 5.835 ff.), 
Tit. XI. Dals nach Absterben eines oder des andern Ehegattens die Inventirung nach 
Verlauf vier Wochen, von hiesiger Gerichtsschreiberei vorgenommen werden 
solle. 

Untergerichtsordnung des H. Zweybrücken, erneuert 1722 (ebd. S. 1019 fi.), 
CIV. So ein Ehegemahl vor dem andern abstirbt, u. Kinder ... hinderlässet, soll un- 
verzüglich innerhalb eines Monats nach des Verstorbenen Tod, durch die Ober- 
keit ein Inventarium aller Verlassenschaft aufgerichtet ..... werden. 

Nassau-Catzenelnbogische Landordnung v. 1616, erueuert 1711 (ebd. I 
115 ff) Th.3 Cap. 11 $6 (8.234). .. so haben unsre Unterthane .... wenn sie 
eine ... Erbschaft anzunehmen bedacht seynd, sich alflsdann nach Absterben des Testa- 
toris ete. in Monathsfrist ... dahin zu erklären etc. $ 12. Wäre aber jemand 
bedacht, die Erbschaft gar nicht anzunemen, so soll er sich dessen gleicher gestalt 
innerhalb Monathsfrist.... erklären. 

Pfälzisches Landrecht von 1698, Th. il Tit.17 $ 3 (v. d. Nahmer I 514). Da 
er (der Erbe) ... sich der Gutthat des Inventariums gebrauchen will, soll er gleich im 
Anfang und nach dem dreylsigsten Tag dessen Absterbens den er erben will .... 
vor Gericht oder Rath .... dessen sich bedingen. 

Solmsisches Landrecht v. 4. April 1571 Th. II Tit.28 $7. Doch soll dem 
Letztlebenden frei stehen, da er die Schulden zu bezahlen sich beschwert befände, 
dafs er auf den Beysels u. die Helfft der fahrenden Haab verzeihen möge. Welches 
aber ... gerichtlich auch in Monatsfrist oder zum längsten 6 Wochen geschehen 
soll etc. (vgl. Bopp, vier mittelrhein. Landrechte S. 48). 

$ 8. Wann der letzlebende ... ein Stiefvater oder Stiefmutter wäre, dafs er oder 
sie... an der Kinder erster Ehe .. Gütern keinen Beisels haben, sondern mit densel- 
ben Kindern innerhalb Monatsfrist .. abzutheilen schuldig. 


VI. JNeueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 191 


Ober-Katzenelnbogensches Landrecht von 15714 Th. I Ti. 4 $S7 171 

(Bopp, ebd. S. 98, 121). Doch da dem Überlebenden die Schuldlast ... alle zu tra- 
gen beschwerlich, so mag er auf die fahrende Haab etc. ..... innerhalb Monats- 
frist verzeihen. 

Mainzisches Landrecht von 1755 Tit. 7. $1 (vgl. Bopp a. a. OÖ. S. 169). 172 
Die andre Baarschaft, Mobilien, Vieh und Geschirr sollen des abgelebten Ehegatts Er- 
ben innerhalb 30 Tagen, die Behausung aber innerhalb einem Vierteljahr nach 
dessen Tod abgetreten werden. 


\ 1. 


Die Übersicht dieser Quellen ergiebt ein doppeltes. 

1. Schon die in ihrer Fassung dem Ssp. sich anschliefsenden Quellen 
unter I, namentlich die weitgreifenden Rechtsbücher, genügen zusammen 
mit,dem Ssp., um für das Mittelalter ein Bekanntsein des Dreifsigsten im 
ganzen Deutschland zu bezeugen. Die in der Abth. II genannten Normen 
bestätigen diese Ausbreitung des Instituts. Zugleich erwecken sie aber, da 
sie in der Fassung vom Ssp. abgehen, die Frage, ob sie doch nicht in der 
Sache selbst, sei es unmittel- oder mittelbar, aus seinen Sätzen abzuleiten 
seien, oder ob sie für sich selbst stehen. Bei einigen ist allerdings auch die 
sachliche Unabhängigkeit von jener Hauptquelle anzunehmen. Für die 
Kloster- und Hofrechte Nr. 52 ff. liegt sie klar vor. Für die Hallische 
Mittheilung v. J. 1235 Nr. 65 folgere ich sie, andrer Gründe zu geschwei- 
gen, schon aus dem der Vollendung des Ssp. so nahe folgenden Alter. 
Auch für das Jütsche Lov v. J. 1241 Nr. 107—109 wird die Selbständig- 
keit theils wegen des gleichen Umstandes, theils wegen der Bekanntschaft 
des sonstigen nordischen Rechts mit dem Dreifsigsten sehr wahrscheinlich ('). 
In den meisten Fällen jedoch ist eine ganz befriedigende Antwort schwer- 
lich zu gewinnen. Man darf sich auch, ohne specielle Untersuchung für 
jede jener Stellen, mit einer allgemeinen Anschauung begnügen. Der 
Ssp. verdankt den Beifall, den er rein oder umgestaltet weit und breit 
gefunden, einer gewissen schon früher vorhandenen Geltung des darin auf- 
gezeichneten Rechts; aber die einer schriftlichen concreten Formgebung 
beiwohnende Macht hat sicherlich diese Geltung befestigt, die Einheit des 


(') Vgl. Anchers dänische Abhandlung (Beweis, dafs unsre alten Gesetze nicht aus dem 
Ssp. genommen sind) in Peder Kofod Anchers samlede jurid. Skrifter, Kopenh. 1809 II 
123, 182—185. 


192 Homerer: Der Dreifsigste. 


Rechts zum deutlichern Bewufstsein gebracht, sie auf mehrere Einzelheiten, 
auf gröfsere Strecken ausgedehnt. Für unser Institut tritt hinzu, dafs die 
allgemeine Übung einer kirchlichen und weltlichen Feier des Dreifsigsten 
durchaus geeignet war, den im Ssp. daran geknüpften rechtlichen Folgen 
auch dort, wo sie noch unbekannt gewesen, leichteren Eingang zu schaffen ('). 

2. Am Schlusse des Mittelalters war überhaupt die rechtliche Be- 
deutung des Dreifsigsten nicht blofs eine altherkömmliche; sie war auch 
durch das jus scriptum vielfach bestätigt und hervorgehoben worden. Da- 
her konnte, als in den protestantischen Ländern die kirchliche und welt- 
liche Feier schwand, doch auch hier ohne solche Stütze die rechtliche Seite 
stehen bleiben. Die Übersicht zeigt nun, wie in den Land- und Stadtrech- 
ten auch der neuern Zeit der Dreifsigste zahlreiche Anerkennung gefunden 
hat. Diese trug das Institut, als das Herkommen unter der wachsenden 
Schwierigkeit des Beweises Abbruch erlitt, sie bewahrte es beim Eindrin- 
gen des römischen Rechts vor einem vernichtenden Einflusse, leitete viel- 
mehr die Jurisprudenz dahin, die römischen Grundsätze von Testamenten, 
Publication des letzten Willens, Antretung der Erbschaft, hereditas jacens, 
Überlegungsfrist, beneficium inventarii u. s. w. mit dem Dreifsigsten zu ver- 
knüpfen, so dafs noch Leyser sp. 370 m. 2 bezeugt: hodie etiam tricesimus 
per totam fere Germaniam usu servatur. Der Umfang seiner Geltung ist 
freilich dadurch gemindert worden, dafs das Allgem. Preufs. Landrecht, 
der Code, das Österreichische Gesetzbuch ihn nicht aufgenommen haben. 
Dennoch bleibt die Anwendung auch heutigen Tages noch eine ziemlich aus- 
gedehnte. Von den oben verzeichneten Quellen nemlich, welche des In- 
stituts gedenken, sind folgende als noch geltende zu betrachten. Der Sach- 
senspiegel mit dem sächsischen Weichbilde, das Liv- und Curländische 
Recht(?), die Rechte von Hamburg, Lübeck, einzelner Niederlausitzer und 


(') Alkemade, Nederlands dis-plegtigheden Rotterd. 1732 I S. 460 berichtet: “het was 
naamelyk wel eer een gebruik in deze landen, den boedel (Nachlals) van eenen overledenen 
op sommige plaatsen een maand, op andere zes weken lang na het afsterven in den zel- 
ven staat te laten rusten (ruhen), zonder eenige deeling, verkooping of verandering toe te 
laten”, ohne nähere Belege zu geben. Bei der bekannten Verbreitung des Sachsenspiegels 
in den Niederlanden darf dieser auch wohl hier als Quelle des Gebrauches gelten. 

(2) Das bestehende Liv-, Esth- und Curländische Privatrecht unterliegt jedoch jetzt einer 
verschmelzenden Codification. 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 193 


Pommerscher Städte wie Spremberg, Loitz, Gützkow, die Pommersche 
Bauerordnung, das Jütsche Lov, die kursächsischen Constitutionen und De- 
eisionen beziehentlich das bürgerliche Gesetzbuch für das K. Sachsen (!), das 
Recht der Sachsen in Siebenbürgen, die landesherrlichen Verordnungen in 
Sachsen-Weimar, Gotha, Altenburg, in Schwarzburg-Rudolstadt, mit den 
Stadtrechten von Gotha, Schmöllen, Eisenberg, Altenburg, Ohrdruf, Ru- 
dolstadt, dieHennebergische Landesordnung, die Reformation von Frankfurt 
a. M., die Landrechte von Solms, Trier, Pfalz, Mainz, Ober-Katzenellen- 
bogen, die Nassau-Katzenellenbogensche L.-O. (?). 

Dem Gebiete nach beherrschen diese Quellen den Kreis des ge- 
meinen Sachsenrechts, namentlich das K. Sachsen und Thüringen, sodann 
die Russischen Östseeländer, den Bereich des Lübisch-Hamburgischen Rechts, 
einzelne Pommersche Localitäten, Schleswig, Frankfurt a. M., den Nieder- 
rhein. Aufserdem ist eine gewohnheitsrechtliche Geltung mehr oder minder 
sicher für manche Gegenden Westfalens, Oberbayerns und der Schweiz an- 
zunehmen. 

Ob die aus diesen Quellen zu entwickelnden Sätze eine allen Orten 
wo das Institut vorkommt gemeinsame Anwendbarkeit ansprechen dürfen, 
oder doch dem gemeinen Sachsenrecht zuzuschreiben sind, oder ob sie nur 
dem vor allen ausgebildeten Chursächsischen dann Königlich Sächsischen 
Recht, oder endlich andern besondern Ländern und Städten angehören, wird 
das System für die einzelnen Fragen zu bestimmen suchen. 


Die Literatur. 


Ich scheide 1. die auf ganz Deutschland bezüglichen Arbeiten und 
hier 

a. die Monographien. Die älteste und reichhaltigste ist die meist un- 
ter Horns Namen citierte: Just. Pet. Bötticher, praes. Casp. Henr. Horn, 


(') Es ist zwar am 2. Jan. 1863 publiciert, doch bleibt der Zeitpunkt der Gesetzeskraft 
noch vorbehalten. Nach der Thronrede im Nov. 1863 soll das Zustandekommen einer neuen 
Civilprocelsordnung abgewartet werden. 

(*) Das Landrecht für das K. Preulsen 1721 gehört kaum noch hieher; es verlor seine 
Gültigkeit für Ostpreulsen am 1. Jan. 1802, für Westpreulsen am 19. April 1844, für die 
Ortschaften des G.-H. Posen am 5. Juni 4863; die Aufhebung für gewisse Theile von Pom- 
mern steht in Aussicht. 


Philos.-histor. Kl. 1864. Bb 


194 Honerer: Der Dreifsigste. 


diss. de die tricesimo, vulgo vom Dreyfsigsten, 4, Viteb. 1695, dann noch 
häufig, u. a. 1706, 1719, 1737, 1755(?) aufgelegt. Die Schrift behandelt 
in 51 $$(!) alle einschlagenden practischen Fragen mit Angabe der Litera- 
tur und Belegen aus Urtheilssprüchen (deren der Abdruck von 1706 noch 
einige a. d. J. 1704, 1705 nachträgt) durchweg sorgsam und verständig. 

In Joh. Christ. Konr. Schröters vermischten jurist. Abhandlungen 
zu de Selchow Elem. jur. Germ. priv. enthalten Bd. 1, Halle 1785, S. 379 
— 388 Bemerkungen zum $ 461 von dem dreisigsten Tage, welche einige 
Hauptpunkte kurz erörtern und besonders Stellen aus den neuern Stadt- und 
Landesgesetzen beibringen. 

Eine Hallische Doctordissertation des Leipziger Advocaten Joh. Carl 
Friedr. Schütz: de die tricesimo scriptio P.I, Lips. typ. Bernh. Tauch- 
nitz jun. 1847, mit Vorrede vom Dec. 1846, IV u. 36, behandelt im Pro- 
oemium ($ 1—4) die Geschichte des Dreifsigsten überhaupt, im Cap. 1 
($ 5—8) den Ursprung seiner rechtlichen Bedeutung, im Cap. 2 ($9—12) 
die Berechnung der Frist, und giebt in Cap. 3 ($ 13—15) die einschlagen- 
den Stellen des Ssp. kurz an, alles in leidlicher, wenn auch nicht überall 
befriedigender Weise, vgl. oben S. 104. Eine zweite particula, welche das 
heutige Recht des Dreifsigsten entwickeln sollte, ist nicht erschienen. 

b. Unter den Darstellungen des deutschen Erbrechts behandeln mit 
Fleifs und Gründlichkeit v. Sydow’s Erbrecht nach den Grunds. des Sach- 
senspiegels, Berlin 1828, zu den Noten 985—992, 1059, 1110 die betref- 
fenden Stellen des Sachsenspiegels; Heinr. Siegel’s deutsches Erbrecht 
nach den Rechtsquellen des MA., Heidelberg 1553, in den $$ 53, 66 die 
Grundzüge des ältern Rechts des Dreifsigsten überhaupt. 

c. Die zahlreichen Darstellungen des gemeinen deutschen Privatrechts 
gedenken des Instituts meist nur in Kürze, eingehender jedoch Gengler 
Lehrb. d. D. Privatrechts, Bd. 2, 1862 S. 1297 — 1301. 

2. In der Literatur der D. Particularrechte betreffen den Drei- 
fsigsten, aufser den Erörterungen über einzelne Fragen, die sämmtlichen 
allgemeinen Darstellungen solcher Landes- und Ortsrechte, in denen das In- 
stitut noch eine Geltung behauptet. Hervorzuheben sind: 


() Der Abdruck v. J. 1737 zieht die $$ 22 und 23 zusammen, zählt daher nur 50 SS. 
Aufserdem läfst er die Inhaltsangaben a. R., auch manche Citate und Belagstellen fort. Ich 
citiere nach der ed. tertia v. J. 1719 literis viduae Gerdesianae. 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 195 


Für das gemeine Sachsenrecht: Emminghaus Pandekten des gem. 
Sächsischen Rechts, Jena 1851, bes. Buch XXIV Tit. 5, S. 657 ff. 

Für das Königreich Sachsen: Haubold Lehrb. des K. Sächsischen 
Privatrechts, 3te Aufl. 1847, 9346. Curtius Handb. des im K. Sachsen 
geltenden Civilrechts, namentlich $ 899, wo auch an den betreffenden Stel- 
len die ältern Schriften von H. Pistor, Coler, Carpzov u. a. m. angezogen 
werden. 

Für das Preufs. Herzogthum Sachsen: Pinder, Provinzialrecht der 
K. Preufsischen vormals K. Sächsischen Landestheile, 1836 Th. I $ 572 ff. 

Für die Mark: Heydemann, die Elemente der Joachimischen Con- 
stitution v. J. 1527, 1841. 

Für die Thüringischen Gebiete: Heimbach Lehrb. des particu- 
lären Privatr. der zu dem O.-A.-G. zu Jena vereinigten ... Länder, 2 Thle 
1848, 1853 $ 302. Sachse Handb. des Grofsherz. Sächs. Privatr. 1824 
6462. Brückner Handb. des Sachsen -Gothaischen Privatr. 1830 $ 678, 
720. Hesse Handb. des Sachsen- Altenburgischen Privatr. 1841 $ 195. 
Kümpel, Handb. des Sachsen-Meining. Privatr. 1828. v. Bamberg, das 
Schwarzburg-Rudolstädtische Privatr. 1844 $ 153. 

Für die Hansestädte: Mevii Commentarii in jus Lubecense, zu- 
letzt Frankf. u. Leipzig 1744 fol. bes. S.410 ff. Stein Abhdl. des Lüb- 
schen Rechts 5 Thle 1738—1745 im Th. 2, und desselben Einl. zur Lüb- 
schen Rechtsgelehrs. 1751 $205. Pauli Abhdl. aus dem Lübschen Rechte 
1837 ff., bes. Th. 2 922. — Trummer Vorträge über die... Hambur- 
gische Rechtsgesch. 3 Bde 1844—1850. Desselben Hamburg. Erbrecht, 
2 Bde 1852. Baumeister Privatrecht der freien und Hansestadt Hamburg, 
2 Bde 1856, bes. II S. 247 ff. — Berck Bremisches Güferrecht der Ehe- 
gatten, 1832 S. 59, 95—97, 310 N. 389, S. 446. 

Für die Russischen Ostseeländer: v. Bunge, das liv- und esth- 
ländische Privatrecht Th. 2, 1839, $ 400, 429. Desselben curländisches 
Privatrecht 1851, $ 285, 287. 

Für Frankfurt a. M.: (Orth) Anmerkungen über die erneuerte 
Reformation der Stadt F. a. M. 1731 ff., 4, bes. zu Th.3 Tit. 4 $ 2. 
v. Adlerflycht das Privatrecht der fr. St. Frankfurt, 1824 ICh.olE 
S. 488, 590. 

Bb2 


196 Honeyer: Der Dreifsigste. 


Für Siebenbürgen: Fr. Schuler von Libloy Statuta jurium mu- 
nieipalium Saxonum in Transsilvania, Hermannstadt 1853. 

Für die Rheinischen Landrechte: Hertel Rechts- u. Gerichts- 
verfassung der ... Östrheinischen Landestheile, 2 Theile, Koblenz 1829, 
1830, bes. I S.110. Bopp Geschichte etc. der vier mittelrheinischen 
Landrechte, Darmst. 1854, S. 48, 121, 169. 


Der Sprachgebrauch. 


Die den Dreifsigsten betreffende Redeweise bedarf bei ihrer Mannig- 
faltigkeit einer besondern Vorerörterung. 

Zuvörderst wird die Frist, welche läuft und das ihr gesetzte Ziel, 
theils nach Tagen, theils nach Wochen, theils als Monat bezeichnet. 

A. Die Bezeichnung nach Tagen ist die älteste und zugleich die all- 
gemeinste sowohl den Jahrhunderten als den Gegenden nach. Dabei wird 

1. gemeiniglich, unter Weglassung von Tag, substantivisch nur die 
Ordinalzahl gebraucht, so namentlich im Sachsenspiegel (bit an den drütte- 
gesten, er deme dr., to deme dr., na deme dr.) in den übrigen Spiegeln, 
im Jütschen Loy I 26 “a r&ttze thretiugend”, aber auch noch in den Kur- 
sächsischen Constitutionen, “innerhalb des Dreifsigsten”, im Bayr. Land- 
recht “bei dem Dr.”, in der Frankfurter Reformation “nach Verscheinung 
des Dr.”, in den Stadtrechten v.. Spremberg, Gotha “Ausgangs des Dr.”, 
im Baireuther Landr. “post trigesimum”, in den Gothaischen Beifugen “nach 
Ablauf des trigesimi”. Es ist dabei erlaubt, nicht sowohl an die Zeitbe- 
stimmung, als an das, von dem Tage benannte Begängnifs zu denken, vgl. 
oben S. 109, wie dies bei dem Ausdrucke “drittegesten don” im Ssp. I 22 
$ 1 und im Berliner Schöffenrecht, oder “nach gehaltener Dreyfsigst” in der 
Bregenzer V.-O. sogar geboten erscheint. 

2. Seltner und im Ganzen später ist von dem dreifsigsten Tage z. B. 
im Preufs. Landr., oder “thretiugend dagh”, Jüt.Lov, oder von dreifsigTa - 
gen z. B. im Bayr. Landrecht, dem neuern Lübschen Recht u. s. w. 
die Rede. 

In beiden Fällen wird die Beziehung auf die Person des Verstorbe- 
nen zuweilen in folgender Art hervorgehoben: “in deme dr. daghe sines 
dodes” J. Lov 123, 26, “nach des toten dr.” Dsp. 219, “czu des man- 
nes dr.” Magdeb. SU., “zu sime dr.” Purgolds Rechtsbuch. Auch hier 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 197 


scheint der Gedanke an eine Feier zu Ehren des Verstorbenen vorzu- 
schweben. 

B. Eine noch spätere Bezeichnung ist die der vier Wochen. Ich 
finde sie am frühesten in den Dortmunder Statuten Nr. 100, in dem Lüb- 
schen Urtheil für Stralsund von 1484, und in der Gützkower Bausprache; 
dann mit der Wendung: “nach Ausgang” oder “Ausgangs der vier Wochen”, 
in der Neumärkischen Policeiordnung und andern Märkischen Verordnun- 
gen, in den Örtsrechten von Alstedt, Leifsniz, Schmöllen; “nach Verlauf 
der 4 Wochen” in dem Leiningenschen Landrecht, dem Wimpfener Stadt- 
recht u. s. w. Scheplitz Nr. 117 aus dem 17ten Jahrh. führt den Spruch 
“einen vierwochens Tag halten” als einen gemeingebräuchlichen für die Erb- 
schichtung an. Der letzte Ausdruck, so wie die Substitution von vier we- 
ken für den drittegesten zeigen, dafs “vier Wochen” nicht blofs die Frist, 
sondern auch den Schlufstag und das von ihm benannte Fest bezeichnen 
können. 

C. Der Monat kommt entweder 

1. schlechtweg vor. So im Hamburg-Lübecker Recht “de erste 
maent”, im Lübschen Urteil “bynnen der negesten maente”, in den Magde- 
burger SU. und dem Hamb. Recht von 1497 u. 1603 “in eime monde”, im 
Siebenbürger, Zweibrücker Recht etc., oder 

2. in einer Zusammensetzung. Am häufigsten begegnet 

a. Monatsfrist, theils in den ältern Formen “manetverst, mantferst, 
mantvrest, mantvorst”, s. das Alt.-Hamb. Recht, Lübsch Urt. Nr. 62, Gro- 
ninger Recht, sogar in der Formel “manetverst don”, Hamb. R. v. 1270, 
theils in der heutigen Schreibweise, wie in der Frankf. Reform., im Katzen- 
ellenbogenschen u. Solmschen Landrecht: in Monatsfrist. Ähnlich hat das 
Statut von Frankf. a. OÖ. spatium unius mensis. Sodann 

d. Monatsfest. Im Livl. Ritterrechte steht “eer dem mandtfeste, 
mandfeste beghan, an, na, tho dem mandtfeste”, im Lüneburger Stadtr. 
“to deme m.”, in einer Variante des Lübschen Rechts, Nr. 14 Hach IV 14 
“mantfeste, mahnfesten”. Möglicherweise nur eine Entstellung von “mant- 
verst”, welche, da ja wirklich ein Fest begangen wurde, nahe lag. Hach hat 
auch die Variante “manskost” mit demselben Sinne. 

c. Manczit findet sich in den Quellen des Magdeb. Rechts, s. 
Nr. 53, in der Verbindung “ezu des mannes dreisegisten, wenne man sine 


198 Houmsrer: Der Dreifsigste. 


manczit begangin hot”, so dafs die Feier darunter wenigstens mit begrif- 
fen ist(!). 

d. Maentstont (d. i. Monatszeit) kenne ich nur aus den Niederlan- 
den z. B. dem Stadtrecht von Deventer, im Sinne der Gedächtnifsfeier am 
Dreifsigsten, der mensurales memoriae, s. Verh. d. genootsch. V B 161, 
165, Noordewier 61. 

e. Maende want haben niederl. Hdss. des Ssp. als Variante zu I 22 
N.7, 9; etwa: wenn sich der Monat wendet. 

D. Die so oder so angegebene Zeit wird zuweilen noch daneben als 
Trauerzeit bezeichnet. Intra 30 dies luctus heifst es in den Curländer 
Statuten, “nach Verfliefsung des Trauermonats” im Erfurter Recht, “nach 
dem 30sten Tage, welches man die Trauertage nennt” im Preufs. Landr. 
und im Culm. Recht ex ult. rev.; “unter währendem Trauermonat”, “nach 
vorfliefsunge” oder “zu ausgang des Trauermonats” in den Nr. 86,87,94, 142. 
Zweifelsohne hatte also die Frist auch eine Bedeutung für die äufserliche 
Trauer, sei es, dafs so lange überhaupt nur, oder doch in strengerer Weise 
getrauert wurde. Auch Horn erzählt $43, dafs die juristische Facultät in 
Wittenberg um ihre Mitglieder 30 Tage lang Trauerkleider trage, und Hr. 
Pfarrer Koch, dafs in Westfalen eine tiefere Trauer bis zum trigesimus 
dauere. Also eine Begegnung der christlichen Sitte mit dem ursprünglichen 
und noch fortwährenden jüdischen Gebrauche. 

Diese mannigfaltigen Ausdrücke sollen doch nur denselben Zeit- 
raum oder Zeitpunkt bezeichnen. Schon Grimm in den RA. 215 bemerkt 
allgemein: 30 Tage scheint mir die blofse Monatsfrist, und 221: vierwö- 
chentliche oder monatliche (Fristen) ... werden meist durch 30 Tage aus- 
gedrückt. Unsere Zeugnisse nun stellen gleichfalls die verschiedenen Be- 
zeichnungen oft einander gleich und zwar 


(') Lemans Glossar zum Culmischen Recht denkt an eine Mahnungszeit, auch Schütz 
S. 15 will das “man” auf das Trinken der “Minne” des Verstorbenen beim Todtenmale zu- 
rückführen. Nun begeht allerdings auch Josaphat den Dreilsigsten seines Vaters mit gehü- 
gede, s. oben S. 111 Nr. 8, d. i. Erinnerung, und die seilmanunge des Hamb. R. Nr. 76 
sind Seelengedächtnisse. Ferner ist auch das altnord. man ich denke, gaman ich erinnere 
mich, Grimm Myth. 52, und selbst in unserm “es gemahnt mich” klingt diese Bedeutung 
nach. Da jedoch man und mant bekannte Formen für Monat sind und manczit durchgän- 
gig mit dreilsig Tagen oder vier Wochen zusammensteht, so liegt die Deutung als Mo- 
natszeit sicherlich viel näher. 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 199 


1. die 30 Tage und die 4 Wochen. Scheplitz macht jene Bemer- 
kung Nr. 117 über das “vierwochen halten” zu dem Satze: divisiones ... 
ultra tricesimum diem ... non differri. Das Gothaische Patent, Schröter 
1384, braucht promiscue die Ausdrücke trigesimus und Frist von 4 Wo- 
chen. Im Gubener Stadtr. Nr. 68 heifst es: nach Ausgang des Dreifsigsten 
d. s. vier Wochen. 

2. Die Monatsfrist und die 4 Wochen werden im Lübschen Urtheil 
v. 1484 Nr. 62, und im Siebenbürger Recht Nr. 139 für gleichbedeutend 
genommen(!); eben so endlich 

3. der Monat und die 30 Tage, wenn es in den Magdeb. SU. und 
im Glogauer Rb. Nr. 54, 55 heifst: “bis das dreysigiste begangen wirt d. i. 
binnen einem monden”, und in der Frankfurter Reformation Nr. 101: “nach 
Verscheinung des Dreifsigsten oder Monatsfrist”, wofür dann der Commen- 
tator Orth S. 257, 258 wieder 4 Wochen gebraucht. Damit stimmt auch 
die allgemeine Vorschrift der R. K.-G.-O. II T. 30 $4 und sollen (bei den 
Fristen) je für einen Monat 30 Tag gerechnet werden. 

Fragt sich dann noch, ob diese eine gemeinte Frist 30 oder 28 Tage 
umfasse, so geht doch auf dreifsig Tage die ursprüngliche und auch in 
unsern Quellen älteste Bestimmung hin. Bei den vier Wochen ist die Zu- 
gabe zu ergänzen, welche für je 14 Tage einer Frist einen Tag beträgt, so 
dafs bei 6 Wochen noch 3 Tage, bei 4 Wochen noch 2 Tage hinzukommen, 
mag diese Zugabe nun besonders ausgedrückt sein oder nicht, vgl. Grimm 
RA. 221, 222. Den dort aus dem Bischweiler Weisthum angeführten 
4 Wochen u. 2 Tagen stehen die vier Wochen und zween Tage in den 
Rechtsgebräuchen von Botwar (Würtemberg, Reyscher 486 ff.) zur Seite. 
Doch mögen allerdings in späteren Zeiten die einfachen 4 Wochen in wört- 
lichem Sinne genommen worden sein. 


System des Dreilsigsten. 


I. Die Grundgedanken. 


Bald nach jenen dürftigen Andeutungen des 12ten Jahrh., S. 116, 
belehrt uns der Sachsenspiegel in umfassender und für die Folgezeit grund- 


(') Curtius Civilrecht $ 899 Note 6 citiert für diese Gleichheit Rauchbar quaest. iur. 
civ. et Sax. II 26. 


200 Homeyer: Der Dreifsigste. 


legender Weise darüber, was der Dreifsigste rechtlich bedeute. Die 
Wittwe, heifst es im Wesentlichen, bleibt im Sterbhause bis zum Dreifsig- 
sten; sie besorgt mit Zuthun des Erben das Begräbnifs und die Feier des 
Dreifsigsten. Sie nimmt dann die Hälfte der noch übrigen Hofspeise; die 
Frist zur Wegführung ihres Morgengabgebäudes beginnt vom Dreifsigsten. 
Zeigt sie sich an diesem Tage schwanger, so kann sie bis zur Entbindung 
im Sterbhause bleiben. Das Gesinde bleibt gleichfalls bis zum Dreifsigsten. 
Der Erbe mag vorher in das Haus ziehen, aber nur um die Aufsicht zu üben, 
nicht um über den Nachlafs zu verfügen. Andrerseits braucht er erst nach 
jenem Tage den Ansprüchen Dritter auf den Nachlafs gerecht zu werden. 
Erbloses Gut kann nach dem Dreifsigsten der Richter zur Aufbewahrung 
an sich nehmen. 

Es liegen hier zunächst dieselben allgemein menschlichen Gedanken 
zum Grunde, welche schon bei den Juden, den Römern, den Franken her- 
vortreten. Es soll dem Todten die schuldige Ehre erwiesen, für seine Be- 
stattung, sein Andenken gesorgt werden, zugleich der Trauer der Hinter- 
bliebenen ihr Recht widerfahren. Daher eine Zeit der Stille und Ruhe im 
Sterbhause, die möglichste Fernhaltung des weltlichen Getreibes, der Belä- 
stigung der Familie durch Nachlafsgeschäfte. Als der deutschen Anschauung 
besonders eigen läfst sich dann wohl die Scheu vor völliger und plötzlicher 
Umkehr des Hauswesens bezeichnen. Das Recht des neuen Gebieters wird 
mit der Rücksicht gegen die Hausgenossen ausgeglichen. Die hinterlassene 
Wittwe insbesondre soll ihre bisherige Stellung nicht in schroffem Wechsel 
verlieren. 

Die nähere systematische Entwickelung wird, dem natürlichen Gange 
folgend, zuerst die rechtliche Stellung der Betheiligten zur Zeit der Ruhe 
also bis zum Eintritt des Dreifsigsten, dann die Weise dieses Eintritts mit 
der Bewegung die er hervorruft darlegen, in jedem dieser Stadien aber die 
rein deutsche Gestalt den aus der Berührung mit dem römischen Recht her- 
vorgegangenen Erscheinungen voranschicken. 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 201 


II. Rechtszustand vor dem Dreifsigsten. 


A. Eintritt des Erben. 
1. Recht des Sachsenspiegels. 


Das altdeutsche Recht läfst mit dem Anfall der Erbschaft den Erwerb 
derselben und zwar für jeden Erben zusammenfallen. Mit dem Gute ferner 
gewinnt der Erbe auch die Gewere des Gutes, als das Recht auf den Besitz, 
sonach auch zur Besitzuahme, vgl. Albrecht Gewere S. 32 ff., 79, 82 ff., 
105. Zur Erlangung des Besitzes selber aber, nehme ich an, ist diese 
Besitznahme noch erforderlich, vgl. Mevii Comm. adL. Il a. 27 Nr. 1, 2, 
4, 8 und Homeyer Lehnr. im Ssp. II 2 S. 417, 418. 

Die Übung dieses Rechtes eines Erben, sofort nach dem Tode des 
Erblassers sich des Nachlasses zu unterwinden, findet jedoch eine Schranke 
in jenem Gedanken der Sterbhausstille, in der Sorge “ne heres”, nach Horns 
Ausdruck, “vulturio more bonis relietis inhiet, statimque illa ad se rapiat 
impediatque luctum et justa defuncto persolvenda”. Diese Sorge kommt 
zunächst der Wittwe zu Gute, welche mit dem Manne in ungezweiten Gü- 
tern gesessen, das Hauswesen geleitet hatte und nicht plötzlich aus der bis- 
herigen Lebensgewöhnung gerissen werden soll, welcher auch vor Allen die 
Erfüllung der Pflichten gegen den Todten obliegt. 

Wie vermittelt nun der Sachsenspiegel das Recht der Erben und die 
Scheu vor einer plötzlichen Umkehr im Sterbhause? 122 $1 beginnt: 

Die erve mut wol varen to der wedewe in dat gut er deme dritte- 

gesten. 

Die spätern Handschriftenclassen haben statt des umfassenderen “gut”, 
mit den Rechten von Hamburg und Lübeck das engere, den städtischen 
Verhältnissen nähere “hus”. Das Goslarsche Recht wählt den Ausdruck 
“were”, der ja theils das Haus, theils aber auch einen umschlossenen Raum 
überhaupt, eine Besitzung bezeichnen kann. Das Hineinziehen aber ist dem 
Erben gestattet, nicht damit er schon über das Gut schalte und walte, son- 
dern zu zwei bestimmten Zwecken: 

1. durch dat he beware, dat des icht verloren werde, des an in 
gedrepe. 

“Bewaren” ohne Objekt ist hier nicht, wie Haubold $346 3te Aufl. deu- 
tet, in Verwahrung nehmen, sondern: darauf achten, ein Auge darauf haben, 

Philos.- histor. Kl. 1864. Ge 


202 Honeren: Der Dreifsigste. 


Lübsches Recht Nr. 14 “dat he to dem gude see”, Ruprecht Nr. 9 "daz si 
behutten das gut”. — Für “verloren” hat das Goslarsche Recht anschau- 
licher “vorbistert”. Mevius a. a. ©. 58 paraphrasiert: ne quid alienet aut 
dissipet vidua, sed frugaliter et probe administret(!). — Für “gedrepe” d. i. 
treffe, wechselt der Ausdruck vielfach, s. die Note 4 zu Ssp. 122. Der 
Dsp. hat “angepürt”, der Schwbsp. und Ruprecht “angehört”, Hamb. “an 
en vallen mach”, Goslar “an en bestorven is”. Alle diese Ausdrücke be- 
sagen mehr oder minder bestimmt, am deutlichsten der letzte, dafs das Gut 
dem Erben schon gehöre, er nicht erst dessen “wardende is” III 84 $$1,3. 

Jenes bewaren schliefst keine eigne Verwaltung in sich. Der Erbe 
kann namentlich nichts von dem Nachlasse an andre Orte bringen, sondern 
hat alles in statu quo zu lassen. Andrerseits wird er eigenmächtig einziehen 
dürfen, ob er gleich nach Mevius(°), beim Widerspruch der Wittwe eivi- 
lius et utilius handelt, die richterliche Hülfe nachzusuchen. 

2. Mit sime rade sal ok die vrowe bigraft unde drittegesten dun. 

Der Erbe wirkt also bei der feierlichen, kirchlichen und weltlichen 
Begehung des Begräbnisses und des Dreifsigsten mit(*). Dabei steht er 
allerdings in so weit gegen die Wittwe zurück, als sie die Handelnde ist, er 
seinen Rath dazu giebt. Allein dieser Rath geht doch über eine blofse 
Meinungsäulserung, ein Zu- und Abreden hinaus. Es ist bekannt, s. Halt- 
aus s. v. Rat p. 1562, wie oft unsre Quellen in den Verbindungen “cum 
consilio et consensu, mit willen gunst u. rat”, Hamb. Recefs v. 1529 $ 2: 


(') Für den analogen Fall, dals die Wittwe auch über den Dreilsigsten hinaus wegen 
ihrer Schwangerschaft den Insitz behält, bestimmt das Jütsche Lov I 3 a. E. über die Stel- 
lung zwischen dem Erben und der Frau: “Rette aruing scule tho med andre gothe men 
oc henne frender tilsiunend men were, at hun öthe ei eghen at uhegth oc afhende ei thet 
ther henne ei hörer, forthy at hun ma ei sele uten for sine rette cost oc hyon® leghe.” 
Plattdeutsch: “Vorthmer scholen de eruen dar tho sehen, dath se dath gudt nicht tho un- 
wyssen thobryngt edder entfere, wente se en mach dar nicht mer aff vorkopen, wente tho 
erer meteliken behoff vnde dem denste tho lonende.” 

@) Le. Nr. 50 sg. Stein Lübsch. Recht IT 450. Coler Proc. Exec. c. 3 Nr. 404. 
Horn $ 30, 31. 

(°) Trummer Erbr. I 314 versteht unter bigr. u. dr. dun die Bestreitung der Haus- 
haltskosten während eines Monats, und beruft sich auf das Hamb. R. v. 1292 E 18: wat 
cost dair opgheit binnen eineme manede uan der bigraft und uan seilmanunghen. Allein 
damit sind nicht die Kosten seit dem Begräbnils bis zu den Seelmessen, sondern die Ko- 
sten des Begräbnisses und des Seeldienstes gemeint. 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 203 


“nicht ane rat u. willen der kindere”, den Rath und die Einwilligung zusam- 
menstellen. In unserm Falle spricht für das Erfordernifs einer Zustim- 
mung des Erben der Umstand, dafs die Kosten jener Feier eben ihn, sei 
es ganz, oder, insoweit sie aus den Wirthschaftsvorräthen bestritten werden, 
doch zur Hälfte treffen(!). Billigerweise gebührt ihm daher eine Stimme 
über den Umfang der Ausrichtung. Die versio vulgata übersetzt auch: se- 
cundum eius voluntatem. Ein Lübsches Urtheil von 1484 Nr. 62 ge- 
denkt für den dort vorgetragenen Fall besonders der Zufriedenheit der 
Erben mit dem, was die Wittwe für Seelenmessen und Begräbnifs ausgege- 
ben hatte. Die Practiker endlich nehmen gleichfalls den “Rath” für Bewil- 
ligung. Die Note b. zum deutschen Text in den spätern Zobelschen 
Ausgaben seit 1560 sagt zu “Begräbnifs”: Nota hie, quia textus dieit ex- 
pensas funeris debere consensu heredis fieri, quod si mulier ex se ipsa fa- 
ciat tales sumtus, tune dieendum esse, quod ex communi hereditate eos 
repetere non possit, et quod praesumatur ex pietate hoc fecisse de suo, non 
vero animo repetendi. Dem stimmen die Spätern wie Coler, Stryk, Horn 
621, Schröter S. 380 bei. 
Auf diese beiden Stücke beschränkt sich vor der Hand des Erben 
Macht über die Erbschaft, denn, heifst es weiter: 
anders ne sal he nene gewalt hebben anme gude bit an den dritte- 


gesten. 
Die Glosse sucht diese beschränkte Macht mit den Vorschriften des 


römischen Rechts durch die Berufung auf l. 105 D. de solut. XLVI. 3 “nec 
etiam (heres) cum sacco adire debet” zu vereinigen. Die süddeutschen 
Rechtsbücher lassen jenen Satz fort, ermangeln also des bestimmteren Ab- 
schlusses, den er über die Stellung des Erben giebt. 

Aber auch die Fassung des Ssp. liefs noch Zweifeln Raum, als sie 
den schärfern Begriffen des Römischen Rechts Stand halten sollte. Man 
fragte vor allem: kann der Erbe vor dem Dreifsigsten den Besitz der 
Erbschaft ergreifen? Die Antwort lautet von Alters her bis auf heute 
hin verschieden. Bejahend sprechen, aufser den bei Horn $ 30 eitierten 
älteren Autoren, Leyser sp. 370 m. 2: Germani veteres heredibus permise- 
runt, possessionem praediorum hereditatis ante diem 30 adprehendere, ac 


(') Die Hdschr. Cm sagt gradezu “van sime gude”. Em hat, wohl milsverständlich, 
“mit der gerade”, das wäre also umgekehrt aus der Wittwe Gut. 


Ge2 


204 Homerer: Der Dreifsigste. 


simul cum vidua defuneti in iis morari; Curtius $ 899": der Erbe ist gleich- 
wohl berechtigt, auch während dieser Frist von dem Nachlafs Besitz zu er- 
greifen. Haubold selber erkannte $ 345 dieses Recht nicht an, in der 
3ten von Hänsel besorgten Ausgabe aber heifst es: dafs der Erbe vor Ein- 
tritt des 30sten nicht die Erbschaft antreten oder Besitz ergreifen dürfe, sei 
unerweislich; aus Ssp. I 22 folge das Gegentheil, eine Pflicht zu “bewah- 
ren” lasse ohne vorherigen Erwerb des Besitzes kaum sich denken. Eich- 
horn RG. $ 373 zu Noter befugt den Erben [neben der Wittwe]den Mitbe- 
sitz der Erbschaft zu seiner Sicherheit zu ergreifen. Eben so hält Göschen 
Gosl. R. 145 zu N. 7 die Wittwe für verpflichtet, dem Erben den Mitbesitz 
zu gestatten. 

Die gegentheilige Meinung überwiegt jedoch. Einen Übergang bil- 
den die Äufserungen Steins, Lübsches Recht II S. 448, dafs die Besitz- 
nehmung der nächsten Erben lediglich “rerum conservandarum causa” ge- 
schehe, und von Schott, inst. jur. Sax. 337, “nec in possessionem nisi 
bonorum servandorum causa iri potest”, weil der Verstorbene noch als le- 
bend gedacht werde. Bestimmter erklärt sich gegen die Besitznahme über- 
haupt schon die Glosse zu unsrer Stelle: Dy erve sal sik des erves vor deme 
drüttigesten nicht underwinden. Später führt Mevius ad II 27 Nr. 60 aus: 
Haeredibus integrum remanet acta viduae observare, perperam agentem 
admonere aut per legitima remedia et offieium judieis a dissipatione cohi- 
bere. Praeter haec nihil licet heredibus eam recte agentem turbare aut ex 
bonis quidguam occupare. Eben so scheidet Carpzov P. III c. 15 def. 16, 
mit Berufung auf eine Sentenz v. J. 1621 den Satz: der Erbe könne erst 
nach dem 30sten apprehendiren, von dem andern: attamen rerum ser- 
vandarum gratia etiam ante 30mum bona ingredi licet. Ihnen folgen 
Horn $ 30, 31, J. H. de Berger de poss. uxoris Saxon. 1704: mariti heredes 
in defuncti bonorum possessionem, quamdiu vidua in illis versatur, immitli 
non possunt; nihil amplius quam inspectio iis competit, Schröter 380, 
v. Bamberg $ 153: der Erbe darf bis dahin keine Anderungen im Hauswesen 
vornehmen, auch nicht den Besitz erbschaftlicher Güter ergreifen, Brückner 
$ 719, Trummer Erbr. I 89, v. Bunge Curl. R. $ 255, Heimbach Part.-R. 
6302 N. 2. 

Ich stehe nicht an, der letztern Meinung beizutreten. Unsre Stelle 
sagt nicht, dafs der Erbe das Gut “in sine gewere” nehme, oder, gleich dem 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 205 


Manne 145 $ 2, mit der Frau “in den geweren sitte”. Er bedarf auch, da 
er über den Nachlafs nicht zu schalten und zu walten hat, der Besitznahme 
nicht, zum “bewaren” aber, dafs nichts von dem Ererbten ihm entfremdet 
werde, reicht vor der Hand das Auge hin, bei der Gefahr eines Verlustes 
die Anrufung richterlicher Hülfe. 

Mit “dem Erben” meint der Ssp. natürlich den, an welchen die Erb- 
schaft gefallen, den nächsten Erben. Das Hamburger Recht sagt aus- 
drücklich: de nageste erve. Trummer, I 311, I1 90, knüpft hieran eine 
eigenthümliche Bemerkung. Das “mut wol” drücke nicht eine Befugnifs 
(s. mein Glossar unter mut), sondern eine Verpflichtung des Erben aus; 
deshalb werde nur der nächste Erbe erwähnt, denn dieser als Repräsen- 
tant der Familie müsse aus Familienpflicht in das Haus ziehen. Ich halte 
es dagegen mit Horn $ 31, Stein a. a. ©. für zweifellos, dafs der Erbe, der 
etwa der Wittwe nicht mifstraut, den Einzug unterlassen dürfe. 

Unter dem Erben ist endlich hier wie sonst derjenige verstanden, dem 
das erve zugefallen, nicht auch der nur zum herewede berechtigte. 


2. Das spätere Recht. 


Alles obige konnte unmittelbar aus dem Ssp. entwickelt werden. 
Seine Sätze haben, auch vor Einwirkung römischer Begriffe, theils durch 
die Statuten theils durch die Praxis nähere Bestimmung und Ausbildung 
erfahren. 

1. Das Hamburger Recht, Nr. 13, fügt in den Recensionen von 1270, 
1297, 1497 nach nene wolt hebben hinzu: it ne werde delet (al. eme to ge- 
delet) na stadrechte. Heifst delen hier “zuerkennen”, wie die Variante 
will, oder “theilen”? Ich möchte mich für die erstere Deutung entscheiden, 
etwa mit dem Sinn: es sei denn, dafs dem Erben früher durch Urtheil und 
Recht die Gewalt über das Gut zugesprochen wird. Das alte Lübsche Recht 
Nr. 14 dagegen, welches ja häufig Hamburger Recht in sich aufgenommen 
(s. Hach 459), entspricht mit seinem “sunder se delen na stadrechte” dem 
zweiten Sinne. Eben so, während das neuere Hamb. Recht Nr. 77 den 
Artikel ganz geändert hat, das neuere Lübsche Recht Nr. 15 in der Wen- 
dung: “keine Macht haben, bis so lange sie theilen werden nach dieser Stadt 
Recht”. Darin liegt wohl eine Anerkennung der Befugnifs der Betheiligten, 


206 Homever: Der Dreifsigste. 


der Wittwe nemlich und des Erben, sich auch vor dem Dreifsigsten aus- 
einanderzusetzen. 

2. Die Praxis gestattet doch dem Erben unaufschiebliche Handlun- 
gen. Leyser sp. 370 m. 2 vgl. 352 m. 2 stellt mit Beifall der Spätern (z. B. 
Hesse $ 195) den Satz auf: at si quae sunt, quae sine detrimento aut peri- 
culo differri nequeunt, haec omni tempore impune expediuntur. Er selber 
hat einmal respondiert, dafs Kostbarkeiten, die dem Diebstahl und Raube 
ausgesetzt lagen, selbst vor dem Begräbniis getheilt werden dürften, so wie, 
dafs des Widerspruchs der Miterben ungeachtet, die ganze Erbschaft vor 
dem Dreifsigsten getheilt werde, als einer der Erben im öffentlichen Dienst 
verreisen mufste und die Rückkehr ungewils war. 

3. Der Ssp. stellt der Wittwe die Erben des Mannes gegenüber. Gilt 
das gleiche gegen den Wittwer für die Erben der Frau? Dürfen sie vor 
dem Dreifsigsten zu dem Wittwer einfahren? Nach dem Erbrecht des Ssp. 
war der Anlafs dazu jedenfalls ein geringerer. Die Frau vererbt, aufser an 
den Mann selber, nur Gerade und Eigen 131 $1, 27 $1, II 38 $3. Die 
zur Gerade berechtigte Niftel gehört als solche nicht zu den “Erben°. Hin- 
sichtlich des Eigen aber bedurfte es kaum einer Aufsicht gegen Entfremdung. 
Bei andrer Gestaltung des ehelichen Güter- und Erbrechts, also wenn etwa 
die Verwandten der Frau ihr gesammtes Gut, oder gar das zusammenge- 
worfene Gut beider Ehegatten mit dem Ehemanne theilen, konnte aller- 
dings die Frage erheblicher werden. So fügt denn auch das neuere Lübsche 
Recht Nr. 15 den obigen Sätzen hinzu: Gleichergestalt wird es gehalten, 
wann die Frau stirbet('). 

4. Der Ssp. scheidet nicht, ob beim Tode des Ehemannes Kinder 
vorhanden sind oder nicht. Für den Fall nun, dafs die Ehe eine beerbte 


(') Vgl. Mevius I. c. Nr. 65, und Stein Th. II $ 300 a. E. (jura enim conjugum et 
successionum sunt reciproca). Pauli Abh. II 92 ff. hält diese Gleichstellung nur ausnahms- 
weise für passend, indem nach dem Lübschen Erbrecht regelmäfsig dem Erben der Frau ein 
Anlals zum Einziehen beim Wittwer gefehlt habe. 'Trummer Erbr. IT 311 ff. will für das 
Hamburger Recht dieses Argument nicht gelten lassen und bringt die alte Beschränkung des 
Einziehens auf den Erben des Mannes mit seiner oben $. 205 erwähnten Ansicht in Ver- 
bindung, dals der Erbe als Repräsentant der Familie zu handeln gehabt habe, was bei dem 
Erben der Frau, dem Wittwer gegenüber nicht der Fall gewesen. Diese ungünstigere 
Stellung der Wittwe sei denn mit Recht durch das Statut v. 1603, welches beide Eheleute 
gleich behandelt, gehoben worden. 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 207 


war, ist im Allgemeinen zu sagen. Die Wittwe durfte mit den noch nicht 
abgesonderten Kindern III 76 $1 in ungezweieten Gütern I 20 $3 sitzen 
bleiben. Waren nun noch sämmtliche Kinder, als die nächsten Erben, in 
der Were, so erledigte sich durch jenes Beisitzrecht die Sache von selbst. 
Eben so, wenn die Kinder theilweise schon dergestalt abgesondert waren, 
dafs sie auf ihr Erbrecht sei es völlig oder doch den Kindern in der Were 
gegenüber verzichtet hatten 113 $2. War dagegen den Abgesonderten ihr 
Erbrecht geblieben, I 13 $ 1, so trat wohl unser obiger Satz in Anwendung. 

Andre Quellen drücken sich specieller aus. Die süddeutschen Rechts- 
bücher, Dsp., Schwbsp., Ruprecht Nr. 7, 8, 9, das alte Hamburger, so 
wie das alte und neuere Lübsche Recht Nr. 13, 14, 15 beschränken den 
Satz des Ssp. auf den Fall, dafs keine Kinder da sind. Wie steht es hier 
bei beerbter Ehe? Meviusl. c. Nr. 32—42 läfst sich auf die Frage dahin 
ein. Sind die Kinder unabgesondert, so können sie wegen der Gemein- 
schaft zwischen Eltern und Kindern für sich ingredi et occupare, aber auch 
durch den Besitz, welchen die Mutter jure familiaritatis übt, ihren eignen 
Besitz fortsetzen. Nach Lübschem Rechte insbesondre ist wegen B. II 
Art. 8 “die Frau bleibet besitzen in allen Gütern” ein gemeinsamer Besitz der 
Wittwe und Kinder anzunehmen. Also im Wesentlichen, wie oben für das 
Recht des Ssp. entwickelt worden. Von der Stellung abgesonderter Kinder 
spricht Mevius nicht, wohl weil nach dem L. R. II 2 Art. 28 dieselben, we- 
nigstens so lange noch unabgesonderte vorhanden, mit ihrem Theile zufrie- 
den sein müssen. 

5. Ist beim Tode des Mannes keine Wittwe da, so sind die sonstigen 
hinterbliebenen Hausgenossen nicht für berechtigt zu halten, gleich ihr den 
Erben in obiger Weise zu beschränken. Er wird also etwa einer Haushäl- 
terin gegenüber befugt sein, auch vor dem Dreifsigsten Besitz zu nehmen. 
Vgl. Horn $ 32 v. f., besonders Heimbach Part.-R. $ 302 N. 2 und Erörter. 
11849 S. 138. Letzterer führt noch aus, dafs wenn unmündige Miterben 
vorhanden, der volljährige Miterbe nicht einseitig zur Besitznahme schrei- 
ten dürfe, weil die Obervormundschaft den Nachlafs alsbald in Verwahrung 
zu nehmen habe. 

6. Erscheint kein Erbe, um das Gut zu beaufsichtigen, so macht sich 
hie und da schon im Mittelalter die Obervormundschaft der Behörden gel- 
tend. Nach dem Recht von Apenrade, Nr. 71, bleiben die Erbgüter in der 


208 Honever: Der Dreifsigste. 


Wohnung bis zum Dreifsigsten, aber der Rath “se se vore”, d. i. beaufsich- 
tige sie, bis die rechten Erben kommen. 


B. Recht der Hausgenossen. 


Dem Erben stellt der Sachsenpiegel 

A. die Wittwe gegenüber. 

Es heifst von ihr I 22 $1, dafs sie mit dem Erben das Begräbnifs 
und den Dreifsigsten besorge. Schon daraus läfst sich schliefsen, dafs sie 
bis dahin im Hause bleibe. Das bestätigen auch [20 $2, wonach sie erst 
nach dem Dreifsigsten ihr Gebäude räumt, und die spätern Quellen des MA., 
welche ausdrücklich von einem Sitzenbleiben bis zu jener Zeit sprechen, s. 
Nr. 54, 55, 59. Vgl. Leyser sp. 370 m. 2, Curtius $ 899 f. 

Hieran schliefst sich in natürlicher Weise die Befugnifs der Wittwe, 
von den vorhandenen Vorräthen zu zehren. Darauf deutet auch 122 $3, 
wonach sie die Hofspeise in ihren Händen hat und am Ende jener Frist die 
noch übrig gebliebene theilt. Die spätern Quellen sprechen auch hier be- 
stimmter. Nach dem Goslarschen Recht Nr. 95 soll man die Frau von dem 
Erbe in der Were erhalten bis nach dem Dreifsigsten; nachher zehre sie 
von ihrer Leibzucht, vgl. Göschen 145. Das Cottbuser Recht Nr. 113 ge- 
währt dem Überlebenden seine Nothdurft bis an den Dreifsigsten. Eben so 
das Projekt der L.-O. Joh. Georgs Nr. 116. Das Weichbildrecht Art. 24 
spricht von der Wittwe Essen und Trinken, so lange sie in der Gewere sitzt. 
Das JütscheLov 13 Nr. 107 lässt die schwangre Wittwe, welche bis zur Ent- 
bindung, aber mit Unrecht in dem Gute sitzen geblieben, doch nur dasje- 
nige wieder herausgeben, was sie nach dem Dreifsigsten genommen und ge- 
nossen hat(!). 

Ist nun ferner die Wittwe diejenige, der bisher die Schlüsselgewalt 
zustand und gebührt dem eingezogenen Erben nur jene Aufsicht, so folgt 


(‘) Nach Richter Kirchenrecht $ 301 wird in manchen evangelischen Ländern zu Gun- 
sten der Wittwe und unversorgten Kinder das regelmäfsige Amtseinkommen des verstor- 
benen Geistlichen noch einen ganzen Monat als verdient betrachtet. Nach Schulte Ka- 
thol. Kirchenrecht S. 448 N. 14 erhalten in Bayern, laut Entschl. v. 21. April 1807, die 
Erben des verstorbenen Beneficiaten die Einkünfte des Sterbemonats, zu dreilsig Tagen 
nach dem Tode gerechnet. Der erstere Satz mag mit dem Rechte der Wittwe nach 
dem Ssp. in Verbindung stehen; der letztere soll wohl, gleich jener alten Bestimmung vom 
J. 1174 oben $. 116, den Hinterlassenen die Ausrichtung der Todtenfeier erleichtern. 


VI. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 209 


von selbst, dafs die Wittwe, unter Beachtung der Rechte des Erben, das 
Gut zu verwalten hat. So lehren auch Meviusl. c. Nr. 60 “uti ergo libera 
manet viduae administratio, nec licet heredibus eam recte agentem turbare” 
oben S. 204; Leyser spec. 95 m. 10, Curtius $ 899 zu N. f.: die Wittwe 
soll in den Gütern des Ehemannes bis zum Dreifsigsten ungestört bleiben 
und die Wirthschaft fortführen. 

Andrerseits darf die Wittwe in dieser Zeit ihre durch den Tod des 
Mannes erwachsenen Ansprüche gegen den Erben und den Nachlafs eben so 
wenig geltend machen als andre Gläubiger und Berechtigte. Das gilt insbe- 
sondre für Mustheil, versprochene Morgengabe, Gerade, Leibzucht, Ersatz des 
Eingebrachten. Aber dieses Verschieben des Einklagens hindert doch nicht 
den sofortigen Erwerb des Rechtes selber. Stirbt also die Wittwe gleich 
innerhalb des Dreifsigsten, so überträgt sie doch ihre Ansprüche aufdie Erben. 
So bestimmen auch ausdrücklich die Constitutiones Rudolphinae Nr. 127 
hinsichtlich der Gerade, der Morgengabe und des Mustheils einer adlichen 
Wittwe. In gleichem Sinne bemerken Carpzov III c. 33 def. 3 und Horn 
651, dafs die Wittwe ihre Rechte nicht schon verliere, wenn sie das erst 
nach dem Dreifsigsten zu fordernde früher occupiert, oder den Eintritt des 
Erben hindert, wiewohl sie eine arbiträre Strafe verwirken könne. 

Die Schöffenurtheile beschäftigen sich noch mit der Frage, ob der 
Wittwe ihr Insitzrecht irgend verkürzt werden möge. Das Glogauer Rechts- 
buch Nr. 55 sagt, dafs im Falle einer Vergabung des Mannes von Todes- 
wegen an die Frau, die Erben nach dem Dreifsigsten die Gabe einzubringen 
haben. Wird dann hinzugefügt “unde dy weile sal sy ouch in dem erbe 
bliben, dy weile yr dy gabe nicht geleist ist”, so ist der Sinn wohl nicht, 
dafs sie vor dem 30sten zu weichen habe, wenn die Leistung früher ge- 
schehe, sondern, dafs sie auch nach dem 30sten so lange bleiben dürfe, 
bis die Gabe geleistet worden. Gegen jene erstere Deutung spricht ent- 
schieden das Schöffenurtheil Nr. 53, welches der Wittwe, unerachtet sie 
ihre Morgengabe vor dem 30sten empfieng, doch bis dahin sitzen zu blei- 
ben gestattet, und das Urteil Nr. 54, wonach sie wenn sie ihre Gabe em- 
pfangen nicht über den 30sten hinaus bleiben darf. Dagegen findet das- 
selbe Urteil in dem Heirathen der Wittwe einen Grund, sie schon am 
zweiten oder dritten Tage nach des Mannes Tode, also wohl gleich nach 
dem Begräbnifs zu vertreiben. Das erinnert an jenes alte Verbot der 

Philos.-histor. Kl. 1864. Dd 


210 Homeyver: Der Dreifsigste. 


Capitularien, oben 5.96, sie solle nicht “intra 30 dies viduitatis” wieder 
heirathen. 

Dieses Insitzrecht der Wittwe hat hie und da eine beträchtliche Aus- 
dehnung gewonnen. Schon die Lesarten in Bcu zu Ssp. 122 $1 und der 
Ausdruck des Berliner Stadtrechts “drittegesten vnd jaretyd don”, Nr. 6, 
11, deuten an, dafs die Wittwe auch noch bei der Feier des Jahrestages 
im Sterbhause sitze. Bestimmter tritt diese Ausdehnung in folgenden Quel- 
len hervor. 

Nach einer Havelberger Urkunde von 1310 (Riedel nov. Cod. 
dipl. I S.27, 152, Heydemann Joach. 133) darf die Wittwe eines Flei- 
schers ein Jahr lang den Scharrn haben und besitzen; nach einer Perle- 
berger v. J. 1353 (Riedel 152) kann die Wittwe eines Schusters oder 
Trödlers eben so lange das Gewerbe des Verstorbenen üben. 

Das Livländische Ritterrecht (das mittlere C. 53) bestimmt: Ist 
einer Ehefrau eine Morgengabe constituirt und: stervet er man darna sün- 
der erven, se schal besitten na eres mannes dode in eres mannes gude iar 
unde dach ... u. helpen syne schult gelden unde plegen syner selen ('). 

Die Curländischen Statuten verordnen $$ 195, 197 für den Fall 
der beerbten Ehe: praeterea ejus anni in quo maritus decessit, omnes fructus 
capiet uxor, ita tamen ut unius anni tantum reditus ei cedant; für die unbe- 
erbte Ehe: reditus autem anni, in quo pars altera defuncta est, penes su- 
perstitem remanebunt, neque divisio nisi post annum luctus finitum 
fiat(?). 

Das Pommersche Lehnrecht gewährt, wenigstens seit den Lan- 
desprivilegien von 1560, der Wittwe als Gnadenjahr den Niesbrauch des 
Lehns- und Allodialnachlasses während eines Jahres, Zettwach Pomm. 
Lehnr. $$ 323 ff. 


(') S. Paucker, die Quellen der Ritterrechte etc. Dorpat 1845 S. 136, 137. Vgl. über 
dieses Wittwenjahr, Trauerjahr, Nachjahr, Gnadenjahr v. Helmersen Gesch. des Livl. Adels- 
rechts, Dorpat 1836 S. 34, 100, v. Bunge, das liv- und esthländische Privatrecht Th. 2, 
1839 S. 52, C. v. Vegesack, die Vermögensverhältnisse der Ehefrauen etc. nach livl. Adelsr. 
Berlin 1846 S. 46, und (v. Bunge) Gesch. des Liv-, Esth- u. Curländischen Privatrechts, 
St. Petersburg 1862 S. 16, 169. 

(*) Vgl. die Piltenschen Statuten $ 23; v. Bunge, curländisches Privatrecht, Dorpat 
1851, S. 504, 507, 510, 512, 572. Dessen Geschichte etc. S. 177, 179. 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 911 


Die Holsteinische adliche Wittwe bleibt während eines sächsischen 
Jahres in Besitz und Niesbrauch aller vom Manne nachgelassenen Grund- 
stücke, Schrader Hdb. der vaterl. Rechte, 1774, 4, S. 294 ff. 

Nach dem bäuerlichen Herkommen in Mecklenburg gebührt der 
Wittwe des Hauswirths, wenn der Anerbe noch nicht antrittsfähig, das 
sog. Trauerjahr, innerhalb dessen sie die Wirthschaft, als wenn der 
Wirth noch lebte, doch zu eignem Gedeih und Verderb fortführt ('). 

Das Hamburger Recht von 1603 Nr. 77 hat statt des ältern Rechts 
Nr. 13 den Satz, dafs bei unbeerbter Ehe dem längstlebenden Ehegatten 
ein ganz Jahr die Wohnung, auch aus den nachgelassenen Gütern sein 
Unterhalt neben seinem Gesinde gebührt. Vgl. über die hier besonders 
deutliche Erweiterung des Rechts des Trauermonats zu dem des Trauerjah- 
res Trummer Beitr. III. 88, Hamb. Erbrecht I 309 ff., II 90 ff., 94, 172, 
Cropp jur. Abhdl. II 575, Berck Brem. Güterr. 67, Baumeister Hamb. 
Priv.-R. II 247. 

Endlich ist noch des besondern Anspruches der Predigerwittwen 
auf ein Gnadenjahr in vielen protestantischen Ländern, z. B. in Curland 
(Bunge a. a. O. S. 516 ff.), in der Mark (v. Hermensdorf Prov.-R. II 350), 
vgl. A. Preufs. Landr. II 11 $ 838 ff. zu gedenken. 

B. Aufser der Wittwe beachtet der Ssp. von den bisherigen Hausge- 
nossen noch das Gesinde. Nach 122 $2, Nr. 17 bis 23, soll man von 
der Erbschaft dem Gesinde allererst den Lohn zahlen, wie er ihm bis zum 
Todestage des Herrn gebührt(?). Man soll auch das Gesinde “halten” bis 
zum Dreilsigsten. 

Jenen Lohn darf das Gesinde wohl sofort fordern. Zwar entscheidet 
das “allerirst” dafür noch nicht, denn dieser Ausdruck läfst sich passender auf 
ein Vorrecht der Befriedigung vor andern Gläubigern deuten (?). Allein für 
jenes sofort spricht einmal, dafs nach der Stellung der obigen beiden Sätze 


(‘) Die Zeitpachtbauern im Domanio v. Mecklenburg-Schwerin, Schwerin 1863 S. 45. 

(?) Die Fassung im Goslarschen Recht Nr. 21 “wende uppe de tid” soll wohl keinen 
andern Sinn geben. 

(°) Vgl. die Fassung in der von v. Thüngen herausgegebenen Form des Weichbildes 
A. 230: von dem erbe sal (man) nymant gelden, denn dem gesinde sein vordint lon von 
allererste. Über den Zusammenhang des Liedlohnvorrechtes mit dem Ssp. s. Heimbach 
Part.-R. $ 120 Nr. 5. 


Dd2 


912 Homerer: Der Dreifsigste. 


die Lohnforderung unabhängig vom Dreifsigsten bleibt, sodann die weitere 
Bestimmung “wil aver de erve, sie solen vuldenen unde vullon untvan”, wo- 
nach, wenn der Erbe von diesem Rechte keinen Gebrauch macht, die 
Dienstboten berechtigt erscheinen, sogleich fortzugehen. Aber sie dür- 
fen doch auch in diesem Falle bis zum Dreifsigsten bleiben und nach dem 
Sinne des “halden” so lange nicht nur Aufenthalt, sondern auch Unterhalt be- 
gehren. Das bestätigt auch das Braunschweiger Stadtrecht, Nr. 98, wonach 
die Erben, welche nicht in das Sterbhaus ziehen wollen, es verschliefsen 
mögen, falls sie nur die Dienstboten bis zum Dreifsigsten “orer nottorfte 
pleghen”. Eben so wenig bezweifeln die Practiker, dafs das Gesinde auch 
zu unterhalten sei, Horn $ 24, Schröter I 381. 

Diese Befugnifs des Gesindes in Betreff des Dreifsigsten würde schon 
aus dem allgemeinen Gedanken der während der Sterbhausruhe waltenden 
Hausgemeinschaft sich herleiten lassen. Der Ssp. legt ihr noch den beson- 
dern practischen Grund unter: das Gesinde solle Zeit gewinnen, sich wie- 
der zu vermiethen. Er fügt hinzu, dafs das Gesinde den zu viel, also den 
über den Tod des Dienstherrn hinaus bereits empfangenen Lohn keinenfalls 
zurückzahle('). Das Verhältnifs zum Civilrecht stellt sich demnach dahin. 
Dort hebt der Tod des Dienstherrn den Vertrag nicht auf, falls nicht eiwa 
auf seine Persönlichkeit besondre Rücksicht genommen worden; in diesem 
wie in jenem Falle ist die Stellung beider Contrahenten eine gleiche. Nach 
dem Ssp. dagegen entscheidet der Wille des Erben der Herrschaft, ob der 
Vertrag innegehalten oder gelöst werden soll, aber auch bei der Lösung ist 
für den Dienstboten durch seinen Anspruch auf monatlichen Unterhalt, 
durch das besondre ihm gegebene Beweisrecht und durch das Behalten des 
einmal empfangenen Lohnes gesorgt. Die Entscheidung erscheint dem gan- 
zen Verhältnifs angemessen und billig. Daher will auch Mevius zu III A. 8 
Nr. 35 die im Lübschen und ältern Hamburger Rechte fehlende, aber in das 
neuste Hamburger Statut, Nr. 23, aufgenommene Bestimmung des Ssp. über 
die monatliche Versorgung, aus dem Nachbarrecht für Lübeck ergänzt 
wissen. 


(') Diesen Satz, so wie den obigen von dem Wahlrecht des Erben wiederholen auch 
das Recht von Hamburg (1270 VII 2), von Bremen (Oelrichs 115, 116, 340, 382), von 
Prag und Brünn (Röfsler I 134, II 87), doch ohne das Halten des Gesindes bis zum 
Dreifsigsten. 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 318 


Für die Ausdehnung der Sitte auf das südliche und westliche Deutsch- 
land spricht aufser der Übertragung des Ssp. in den Schwbsp. und Ruprecht 
v. Freisingen noch jener Vorgang, oben S. 115 Nr. 22, wonach der Diener 
des verstorbenen Herzogs Albrecht von Österreich bei der Schwester des 
Herzogs noch bis zu seines “herren säligen dreyssigost” verbleibt, ferner der 
letzte Wille des Landgrafen Wilhelm II. zu Hessen von 1506: man soll 
auch unser Hofgesinde vier Wochen nach unser hinfart bei einander hal- 
ten und dem Futter und Mahl geben und was wir ihnen schuldig blieben 
wahren, gütlich entrichten und darnach erlewben(!). 

Aus den weitern Schicksalen des Gesinderechts ist für den Dreifsig- 
sten hervorzuheben. Die Praxis, geneigt auch im römischen Recht die 
Auflösung des Dienstverhältnisses durch den Tod der Herrschaft zu finden(?), 
hielt wesentlich an den Bestimmungen des Ssp. fest. Im J. 1717 respon- 
dierten die Helmstädter: nach deutschen Gewohnheiten wird Gesinde- und 
Arbeitslohn aus gemeiner Erbschaft länger nicht als 4 Wochen nach des Erb- 
lassers Tode bezahlt, Leyser sp. 115 m. 10. Eben so nimmt Adlerflycht 
II 591 für Frankfurt a. M. an, dafs das Gesinde aus der gemeinen Haushal- 
tung zu befriedigen sei. Auch das gemeine Sachsenrecht geht, nach Cur- 
tius 6 1469, mit dem Ssp. dahin: der Dienstbote bekommt seinen Lohn bis 
zu dem Tage, da der Herr starb, und wenn er etwas voraus empfangen hat, 
braucht er es nicht herauszugeben; auch mufs er bis zum Dreifsigsten Kost 
und Obdach erhalten, um sich unterdessen nach einem andern Fortkommen 
umzusehen. Wenn jedoch der Erbe will, so mufs er auch bei ihm seine 
Zeit ausdienen, und erhält dann seinen vollen Lohn, vgl. ebd. $ 899, Hau- 
bold $ 100, Heimbach $ 121. 

Die neuern Gesindeordnungen jedoch vieler Länder theils sächsischen 
theils aufsersächsischen Gebietes bleiben zwar bei dem Grundsatze, dafs der 
Erbe der Herrschaft gegen eine gewisse Entschädigung des Dienstboten den 
Contract lösen dürfe stehn, aber binden sich doch nicht grade an den Drei- 
fsigsten und an jene Art der Entschädigung. Vgl. Heimbach $ 121 N.5 
und die Preufs. Ges.-O. v. 1810 $ 101 ff. 


(') U. Fr. Kopp Bruchstücke zur Erl. d. D. Gesch. Cassel 1799 S. 169. 
(?) Horn $ 25 und die dort citierten Coler L.1 Dec. 201, Carpzov P. 2, C. 51 
D. 11, 12. 


214 Homerver: Der Dreifsigste. 


Sehr bemerkenswerth ist schliefslich die Bestimmung des neuen bür- 
gerlichen Gesetzbuchs des K. Sachsen von 1863 $ 2249, oben Nr. 137. Sie 
erkennt nicht nur das Recht der Wittwe und des Gesindes auf Wohnung und 
Unterhalt im Sterbhause ausdrücklich an, sondern dehnt auch diese Befug- 
nifs auf die ganze bisherige häusliche Gesellschaft aus. Das Gesetz- 
buch knüpft also an den Satz des Ssp. an, bauet ihn weiter aus, bleibt 
überhaupt dem Grundgedanken des altdeutschen Rechts in diesem wesent- 
lichen Stücke treu. 

Die über den Nachlafs waltende Stille wirkt noch nach zwei andern 
Seiten hin. Die Ansprüche gegen ihn ruhen insgemein und das Zusammen- 
bleiben der Güter führt zu einer Gemeinsamkeit des Haushalts. 


C. Die Nachlafsruhe. 


Hat der Erbe bis zum Dreifsigsten aufser den obigen beiden Stücken 
keine Gewalt an dem Gute, so ist es nur folgerecht, dafs er bis dahin den 
Ansprüchen nicht nachzukommen braucht, welche den Erblasser und das 
Erbschaftsgut treffen. Aber der Grundgedanke führt noch weiter. Diese 
Ansprüche sollen überhaupt in jener Frist ruhen, in wessen Händen sich 
auch das Gut befinden mag. Hierauf gehen im Sachsenspiegel IH 15 $$ 1, 2, 
oben Nr. 37, 41. 

Nach dem $ 1 soll, wenn nach dem Dreifsigsten zweie ein Nachlafs- 
gut ansprechen, derjenige der es in Händen hat es keinem von ihnen aus- 
antworten, bis sie sich etwa in Güte vertragen oder einer den andern vor 
Gericht abweist. Der $2 erklärt denjenigen für bufsfällig, welcher nach 
dem Dreifsigsten die Herausgabe von Heergewäte, Gerade, Erbe mit Un- 
recht weigert. 

Überhaupt also wird ein Anspruch auf das nachgelassene Gut erst 
nach jener Frist für rechtlich zulässig geachtet, und dabei nicht unterschie- 
den, gegen wen derselbe gerichtet werde. Das Berliner Stadtbuch Nr. 45, 
indem es den $ 3 122 über die Pflicht der Wittwe zur Herausgabe des Heer- 
gewäte mit dem $2 III 15 combiniert, betrachtet die Wittwe als diejenige, 
welcher das Erbe, Heergewäte, Mustheil, die Gerade abgefordert werden. 

Der Gedanke des Ssp. hat theils im Prineip, theils in besondern An- 
wendungen durch Gesetz und Jurisprudenz mannigfache Anerkennung und 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 215 


Entwickelung gefunden. Im Einzelnen lassen sich als somit ruhende Be- 
rechtigungen folgende scheiden. 

1. Der Anspruch auf das “erve”, d. i. auf die Hauptmasse des Nach- 
lasses, nach Absonderung derjenigen Stücke, für welche das deutsche Recht 
eine besondre Folge von Todeswegen kennt, s. das Register zum Ssp. un- 
ter Erbe. Hieher gehört also auch der Anspruch der Miterben auf Thei- 
lung. 

2. Die Ansprüche aus den gesetzlichen Specialfolgen, also auf die 
Gerade, das Heergewäte, das Mustheil, das Lehn, die Morgengabe , inso- 
weit sie eine gesetzliche geworden, endlich auf den Sterbfall aus dem Nach- 
lafs eigner Leute. 

3. Die Ansprüche aus des Erblassers vertragsmäfsigen oder einseiti- 
gen Anordnungen von Todeswegen, also auf die Leibzucht, welche, Gos- 
lars Recht Nr. 95, der Mann “sinem wive gemaket heft”, die freiwillige Mor- 
gengabe und sonstige Zuwendungen des Verstorbenen. 

4. Die Forderungen der Gläubiger des Erblassers. 

5. Eigenthumsansprüche z. B. derjenigen, deren Güter bisher mit 
einem Niesbrauch zu Gunsten des Verstorbenen belastet waren. 

Ohne Beschränkung auf einzelne dieser Categorien finden sich zu- 
nächst allgemeinere Aussprüche unsers Satzes. 

Nach dem Jüt. Lov 123, Nr. 108, sollen Erben und Gläubiger sich 
nicht vor 30 Tagen nach dem Tode melden, vgl. Berck 8.95. _ 

Die Cotbuser Willkühr, Nr. 113, will dafs die Freunde des Ver- 
storbenen mit dem was ihnen von Recht gebührt, also etwa mit Erbe, Ge- 
rade, u. s. w., bis zum Dreifsigsten warten sollen. 

Coler L. I Dec. 70 sagt: der Erbe darf bis dahin von NRNare be- 
unruhigt werden und braucht niemanden zu antworten. Heimbach $ 302: 
der Erbe darf weder von Miterben noch von Legataren noch von Erbschafts- 
gläubigern eher rechtlich belangt werden. Bunge Livl. R. II 327: die 
Erben dürfen von niemanden, auch nicht von ihren Miterben mit Ansprü- 
chen gestört werden. Bamberg Schw. Rudolst. R. $153 und Hesse 
6195: den Erben können weder die Miterben auf Herausgabe ihrer Erb- 
schaftsantheile noch die Legatare oder die Gläubiger ansprechen. 

Jene einzelnen Fälle und zwar 

1. die eigentlichen Erbansprüche trifft besonders der Ssp. III 15 


216 Homerer: Der Drei/sigste. 


$2, wenn er neben Gerade und Heergewäte auch das Erbe erst nach dem 
Dreifsigsten zu fordern gestattet. 
2. Bei den Specialerbfolgen wird 

a. die Verschiebung des Anspruchs auf den Sterbfall schon von 
dem alten Soester Hofrecht, Nr. 52, in den Worten “celebrato tricesimo” 
bezeugt. Auch das Verzeichnifs von S. Maximin, Nr. 525, fordert die Ent- 
richtung der Kurmede erst an diesem Tage. Wenn hier der Erbe ver- 
pflichtet wird, das fragliche Stück schon am Dritten (nach dem Begräbnifs) 
dem Hofsherrn vorzuzeigen, und es entweder gleich zu geben oder es 
schätzen zu lassen, um dann am 30sten ein Stück dieses Werths zu liefern, 
so beweist dies wieder, dafs der Erwerb des Rechts selber schon vor dem 
Dreifsigsten erfolgt ist. 

b. Auf Gerade und Heergewäte geht aufser dem Ssp. III 15 
$2 das Dortmunder Recht Nr. 100 und der positive Satz Carpzovs II 3 
dec. 12: “geradae et rerum expeditoriarum nomine nemo ante tricesimum 
debet molestari”, auf die Niftelgerade insbesondre das Schöffenurtheil Nr. 56 
und die Glosse zum Weichbild A. 23, Nr. 57. Letztere fügt, dem Auf- 
sichtsrecht des Erben entsprechend, hinzu, dafs die Niftel auch vor dem 
Dreifsigsten die Vorzeigung der Gerade mit der Darreichung der Kisten- 
schlüssel, und im Weigerungsfalle die Aushändigung der Gerade selber be- 
gehren darf. 

c. Dafs die Wittwe ihre Morgengabe erst nach der Feier des 
Dreifsigsten fordern dürfe, bestimmt der alte Culm IV. 45 mit seinen Quel- 
len Nr. 53. Dennoch war die Frage hinsichtlich der Morgengabe und der 
Wittwengerade in Sachsen streitig geworden. Die Constit. III 33 führt die 
rationes dubitandi u. a. dahin an: Dieweil das Recht der Wittwe in der 
Gerade, Morgengabe und dem Leibgedinge die Succession giebt, dafs sie 
also diese Stücke jure proprio erlanget, so möchte wohl dafür gehalten wer- 
den, dafs auch die Wittwe alsobald nach Absterben ihres Mannes diese 
Stücke .... . selbst einzunehmen befugt sei. Sie entscheidet jedoch, Nr. 129, 
dafs die Wittwe allererst nach dem Dreifsigsten jene Stücke vor sich selbst 
zu nehmen Macht haben soll. 

d. Des auf die Erben fallenden Mustheils gedenkt das Berliner 
Stadtbuch Nr. 45, und e, des Lehns der Schwabenspiegel Nr. 42@ beim 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 217 


Wiedergeben von III 15 $2. Von diesen beiden Stücken wird unten noch 
besonders zu handeln sein. 

3. Für die Zuwendungen des Testators giebt schon die Urk. 
von 869, oben S. 97, einen uralten Belag. Auch die spätere Jurisprudenz 
wendet einstimmig das Princip auf dieselben an. Ein Hallisches Urteil von 
1827 (Emminghaus S. 660) spricht mit Berufung auf Ssp. 122, III 15 all- 
gemein aus, dafs nach Sachsenrecht die Pflicht des Erben, das vom Erblas- 
ser ihm auferlegte zu leisten, erst 30 Tage nach dem Tode anfange. Über 
Vermächtnisse vgl. aufser den obigen Aussprüchen Schröter S. 382, Cur- 
tus $ 782, Sachse S. 443. Für das Leibgeding bestätigt den Satz die 
Const. III 33, Nr. 129, vgl. Kori Erörterungen III Abh. 11 S. 92 ff. Über 
das “Seelgeräthe” s. unten S. 219. 

4. Der Stellung der Erbschaftsgläubiger gedenkt schon die Glosse 
zu Ssp. 122, Nr. 47. Sie können vor dem Dreifsigsten die “erfschulde” 
nicht einklagen. Darauf und auf II 15 beruft sich Carpzov für seine Sätze 
Il 15 Def. 15: “ante trigesimum heres a creditoribus molestari non debet, 
nec cuiquam ante id tempus respondere aut quiequam solvere tenetur” und 
III 16 Def. 5: “intra quod tempus hereditas neque a creditoribus neque a 
judice atque adeo nec ab ipsis heredibus molestari possit”. Andre nehmen die 
Nov.115 über das noremdial hinzu, in welcher sich, nach Horn $ 34, nicht 
nur eine ratio similis sondern ipsissima darbiete. Der Satz gelte um so mehr, 
wenn die Erbschaft noch gar nicht angetreten, also niemand da sei, der statt 
des Verstorbeuen angesprochen, eitiert, in moram versetzt werden könne. 
Vgl. die Autoren bei Schröter 382 N.6. Bunge Livl. R. II 329 zieht 
noch die weitere Folgerung, dafs die gegen den Verstorbenen schon ange- 
strengten Processe sistiert werden. Horn $ 50 wirft die Frage auf, ob die 
Bestimmung der Nov. 60 c. 1, wonach der Gläubiger, der den Schuldner 
oder dessen Angehörige tempore mortis durch Anforderungen beunruhigt, 
oder der durchHinderung der Bestattung die Zahlung zu erpressen sucht, die 
Forderung verliert, auf ein Einfordern während der 30 Tage zu über- 
tragen sei. Er scheint zur Bejahung geneigt, und bringt ein Urteil von 1705 
dafür bei. Eben so will das Curl. Recht (Bunge $ 285), dafs die Störer 
der 30 Trauertage jure crediti sui cadere debent. Schwerlich rechtfertigt 
sich jedoch eine solche Erweiterung der höchst positiven, römischen Vor- 
schrift. 

Philos.-histor. Kl. 1864. Ee 


918 However: Der Dreifsigste. 


Von dem Falle 5. macht die Bregenzer VO. von 1572, Nr. 159, 
die Anwendung, dafs die Erben den Leibgedingstheil des letztverstorbenen 
Ehegatten erst nach dem Dreifsigsten an die Erben des Erstverstorbenen 
auszuantworten haben. 

Der Satz also, dafs während der 30 Tage die Ansprüche gegen die 
Erbschaft und den Erben ruhen, hat eine nach Inhalt und Ort allseitige An- 
erkennung und insbesondere im gemeinen Sachsenrecht eine bis heute wirk- 
same Entwickelung gefunden. 

Doch bleiben noch einige besondre Fragen übrig. 

1. Ist dem Erben vor dem Dreifsigsten gestattet, seinerseits den Satz 
des Ssp. 16 $ 4 “man sal ok den erven gelden, dat man deme doden scül- 
dich was” geltend zu machen, also die Forderungen des Erblassers einzu- 
ziehen? Suttinger Nr. 162, S. 146 führt hier mit Berufung auf Gotho- 
fredus aus: heres intra hoc tempus agere potest, cum in ipsius favorem 
sit introductum. Sed ne uni liceat, quod alteri non permittitur, non audi- 
tur heres, nisi huic temporis beneficio etiam pro se renunciaverit, vel peri- 
culum subsit. Diese Befugnis des Erben, die also nur darin eine Beschrän- 
kung fände, dafs die belangten Schuldner nun auch mit ihren Forderungen 
nicht an die Frist gebunden wären, unterliegt doch Bedenken. Der Schutz 
des Erben gegen die Ansprüche steht nicht für sich allein als ledigliche Be- 
günstigung des Erben da, sondern ist nur eine der Folgen des Stillstands in 
den Vermögensverhältnissen des Verstorbenen, ist namentlich von dem Ru- 
hen der gegen den Nachlafs zu erhebenden Ansprüche nicht zu trennen. Die 
Worte des Ssp. 122 $1 “anders sal he nene gewalt hebben anme gude” 
dürfen mit auf das Einziehen der Erbschaftsforderungen bezogen werden 
und als objektiver Satz gelten, der auch dritten Betheiligten zu Gute kommt. 
Daher möchte ich den Ansichten Leysers sp. 370 m. 2, dafs der Spiegel 
dem Erben auch “administrationem rerum hereditariarum atque institutio- 
nem et prosecutionem actionum hereditariarum ante diem tricesimum” un- 
tersage, und Haubolds ad Berger oec. juris 517, 519 “diei tricesimi expecta- 
tio non tam aditionem hereditatis, quam divisionem hereditatis actionesque 
hereditarias differt” beistimmen. 

2. In Folge jenes Ruhens der Ansprüche der Gläubiger können diese 
vor dem Dreifsigsten auch von keiner Verjährung betroffen werden. Dafs 
hiefür die Nov. 115 eine besondre und sichre Grundlage liefere, hat die Ju- 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 219 


risprudenz bald und allgemein anerkannt. Vgl. Suttinger “ex hoc 30 die- 
rum intervallo creditoribus hereditatis circa praescriptionem nullum praeju- 
dieium generatur”, Carpzov II 3 d. 12, Horn $ 33, 45 “per tempus hujus 
tricesimalis quietis ereditori nullum praejudieium ex praeseriptione oriri 
posse”, von den Neuern u. a. Haubold $ 404, Gurtius $ 899: die Verjäh- 
rung in Ansehung von Rechten und Verpflichtungen, welche mit dem Tode 
des Erblassers wirksam werden, kann erst nach Ablauf des Dreifsigsten zu 
laufen beginnen. Beispiele einer gesetzgeberischen Billigung des Satzes für 
einzelne Forderungen geben die Nr. 133, 134, einer analogen Anwendung 
auf die processualischen Fristen die Nr. 144. 

3. Einer eigenthümlichen publieistischen Einwirkung des Princips der 
Ruhe gedenkt Horn $ 43: quodsi mortuus officium gessit publicum, non 
temere aliquid intra tricesimum innovatur, neque surrogatur alius in illius 
locum. 

4. Diese Sicherung des Nachlasses gegen rechtliche Anforderungen 
läfst doch gewisse Ausnahmen zu. 

Es ist schon oben S. 211 glaublich gemacht worden, dafs das Gesinde, 
welches der Erbe nicht behalten will, sofort den verdienten Lohn fordern 
dürfe. 

Sodann läfst sich mit Suttinger p. 146 wohl behaupten, dafs pia le- 
gata also namentlich die Anordnungen zum Seelenheil (das Seelgeräthe), “et 
ea, quae defunctus statim post mortem solvi voluit” auch vor dem Dreifsig- 
sten zu erfüllen sind. 

Wie steht es ferner mit der richterlichen Auspfändung und Beschlag- 
nahme des Nachlasses? Die Glosse zum Ssp. 1 22 erklärt: “dy richter mut 
ok dar nicht panden edder besetten, dar dy bygraft mede gehinderet werde 
edder dat drittegeste”. Sie scheint also doch nicht unbedingt diese Execu- 
tionsmittel zu versagen. Die spätere Praxis hat ferner auch die verwandte 
Frage über die Arrestanlegung während der dreifsig Tage häufig erör- 
tert. Suttinger p. 146 meint, mit Berufung auf Gail und Gothofredus: ubi 
periculum in mora, in personam heredis vel res hereditarias arrestum peti 
potest. In der sächsischen Jurisprudenz stritten besonders Coler Proc. 
Exec. P.2c.3 Nr. 395 gegen, Arumaeus decis. Lib. II d. 4 (Jen. 1612. 4), 
Carpzov P. I c. 30. d. 38 Nr. 2 für die Zulässigkeit, vgl. die Nr. 141. Man 

Ee2 


2230 Homerver: Der Dreifsigste. 


hat zuletzt, und wie mir scheint mit Recht, in folgender Weise unter- 
schieden. 

Handelt es sich darum, wegen einer Schuld eine Person oder Sache 
festzuhalten, so kann, weil dadurch die Sterbhausruhe gestört werden 
würde, nur im Nothfall, also wenn etwa eine Wegschaffung oder Verschleu- 
derung des Gutes oder die Flucht eines nicht angesessenen Erben zu besor- 
gen, die Beschlagnahme erfolgen, Adlerflycht II 591. Wird dagegen nur 
ein solcher Arrest beim Richter erbeten, durch den ein dingliches Recht 
oder ein persönliches Vorzugsrecht an den Gütern des Schuldners gewonnen 
werden soll, so steht dem auch vor dem Dreifsigsten nichts im Wege, weil 
dann nicht Hand an Person oder Sache gelegt, das Begräbnifs nicht gehin- 
dert, die Trauer nicht gestört wird, die Ankündigung an den Erben vielmehr 
ohne Beunruhigung geschehn kann, s. Horn $ 36, Berger oecon. jur. L. II 
t.1.$3 Nr. 6, Schröter 5.383. Dasselbe muls auch bei der Untersagung 
der Veräufserung und Verpfändung an den Schuldner im neuern sächsischen 
Rechte gelten, s. Curtius $ 1087. 

Endlich werden diejenigen Schulden, welche erst nach dem Tode 
des Erblassers, etwa zur Bestreitung des Begräbnisses und andrer unum- 
gänglicher Ausgaben gemacht wurden, jener Regel nicht unterworfen wer- 
den können. So auch Suttinger p. 146 und Horn $ 35. 


D. Der Haushalt. 


Findet vor dem Dreifsigsten keine Veränderung des Gutes statt, keine 
Erbtheilung, keine Ausantwortung der besondern Vermögensstücke, welche 
wie Leibzucht, Gerade u. s. w. an Andre als den Erben fallen, keine Er- 
füllung der Vermächtnisse, keine Zahlung der Erbschulden, so verbleibt bis 
dahin das nachgelassene Vermögen wesentlich in dem Zustande zur Zeit des 
Todes des Verstorbenen. Aber doch stehen einem völligen Stillstande der 
Vermögensgeschäfte gewisse den Hinterlassenen obliegende Pflichten und die 
Bedürfnisse ihres Lebens entgegen. Es soll insbesondre digraft und dritte- 
geste besorgt, es mufs ja überhaupt der gemeine Haushalt fortgeführt und 
bestritten werden. 

Die betreffende Leitung nun steht, wie S.209 bemerkt, zunächst dem 
überlebenden Ehegatten zu; nach ihm würde der Erbe, dann der Richter 
dazu berufen sein. Bei den erforderlichen Ausgaben aber ist immer der 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 321 


Erbe vornemlich betheiligt; sie fallen der Erbschaftsmasse zur Last. Was 
zu dieser gerechnet werden soll, bestimmt das besondere eheliche Güter- 
recht und Erbrecht. Nach dem Sachsenspiegel würden die Kosten aus dem- 
jenigen Gute zu bestreiten sein, welches nach Ausscheidung der aus be- 
stimmten Stücken bestehenden Complexe der Gerade, des Heergewätes, des 
Lehns, der Leibzucht, der Morgengabe, des Eingebrachten, als “Erbe” 
übrig bleibt, aufserdem aus dem Mustheil, welches die Wittwe mit den 
Erben theilt(!). Denn dieses bildet sich erst aus demjenigen Vorrath an 
Lebensmitteln, welcher nach dem Dreifsigsten übrig bleibt, und ist ja sei- 
ner Natur nach zur Bestreitung jener Ausgaben geeignet. Kennt das eigen- 
thümliche Güter- und Erbrecht jene besondere Institute nicht, wird sogar 
das eigne Gut des Überlebenden mit in die nach Quoten zu theilende ge- 
meine Masse geworfen, so werden in gleichem Maafse die Mittel zur Tra- 
gung der Kosten erweitert. Besondre Bestätigung finden diese Sätze in fol- 
genden Aussprüchen. 

Zunächst hinsichtlich der Begräbnifskosten. Das Bremer Recht 
von 1303, Oelrichs S. 143, läfst den, der des Verstorbenen Gut upboret 
(erhebt), dessen graft bekostegen, vgl. Berck 463, 433, 440. — Wer Erb- 
theil nimmt, sagt das ältere Freyberger Recht Schott III 157, Nr. XVII, 
zahlt auch “daz di bigraft kostet”. — Nach dem Schöffenurteil, Nr. 60, be- 
zahlen die Erben die Begräbnifskosten, die Wittwe braucht um deswillen 
dafs sie dabei mitgewirkt von dem ihr gebührenden Gute nicht dazu zu hel- 
fen, vgl. Nr. 61. — In dem Stralsunder Rechtsfall von 1484, Nr. 62, 
wenden die Erben nichts gegen die Tragung desjenigen ein, was die Wittwe 
aus dem Nachlasse bis zum Dreifsigsten an Bier, Brot und für Vigilien, Seel- 
messen und das Begräbnifs ausgegeben hatte. — Die lat. Noten zu I 22 in 
den spätern Zobelschen Ausgaben des Ssp. lassen nur dann, wenn die Wittwe 
eigenmächtig, “si haeredis consensum non requisierit” das Begräbnifs be- 
sorgt, nicht die gemeine Erbschaft, sondern die Wittwe für die Kosten auf- 
kommen. — Nach dem Hamburger Recht, Nr. 76, wird aus dem “me- 
nen gancen gode” bestritten, was innerhalb eines Monats für Begräbnifs 


(') Schon das Soester Hofrecht Nr. 52 bestimmt, dafs die Wittwe und die Erben von 
den, dem mortuarium unterliegenden Stücken einen Ochsen und ein Schwein in exequias des 
Verstorbenen verwenden dürfen. 


222 Honever: Der Dreifsigste. 


und seilmanungen (Seelengedächtnifs) aufgeht, vgl. Trummer Erbr. 1308, 
314, 315 und oben S. 198('). 

Eine interessante Vergleichung bieten die oben $. 144 angeführten 
Bestimmungen der nordischen Rechte, welche zwischen den Kosten für 
Begräbnifs und Dreifsigsten scheiden, und die der Schleswigschen Stadt- 
rechte dar, welche auch die Begräbnifskosten nicht dem gemeinen ganzen 
Gute zuweisen (?). 

Auf die Haushaltskosten während der dreifsig Tage überhaupt 
gehen folgende Aussprüche: 

Nach dem Lübbener Statut $47 Nr. 71, vgl. Riedel Mag. 3 S. 220, 
wird die für die Wirthschaft erforderliche Zehrung während der 30 Tage 
aus den Vorräthen an Getraide, Küchenspeise, Getränk entnommen. — Ley- 
ser sp. 115 m. 10 sagt: propter spec. Sax. 122 defuncti oeconomia sumtu 
communi per mensem tantum continuari potest. — Horn $ 41 leitet aus 
der repraesentatio hereditatis den Satz her, dafs alle nothwendigen Unko- 
sten ex communi hereditatis massa zu leisten seien. — Kind, Samml. auserl. 
Rechtsspr. Heft 2, 1838 S. 43 und Berck S. 95 lassen den Aufwand für die 
inzwischen fortzuführende Haushaltung aus der gemeinsamen Erbmasse be- 
stritten werden. — Nach dem neuesten Sächsischen Gesetzbuche $ 2249, 
Nr. 137, endlich beziehen die bisherigen Hausgenossen des Verstorbenen 
ihren Unterhalt bis zum Dreifsigsten für Rechnung der Erbschaft. 

Den Ausgaben aus der Nachlafsmasse kann ein Zuwachs gegen- 
überstehen. Die Frage, wem dieser, wem insbesondre die Früchte der 


(') Der Satz der Glosse zu Ssp. I 6: “de erve schal to vore nemen, wat de bigraft 
gekost hefft” soll nach dem Citat 1. 22 S 9 € de jure deliberandi ausdrücken, dafs der Erbe, 
welcher nur mit dem Nachlals für die Erbschaftsschulden haftet, von demselben die Begräb- 
nilskosten abziehn darf. Eben so nach den Hamburger Statuten v. 1603 II 7 A. 3. 

(°) Nicht ganz klar lautet eine etwa dem 44ten Jahrh. angehörige Vorschrift der alten 
Keuren von Hoorn bei Alkemade ceremonial der begrav. Delft 1713 p. 179 dahin: Beerbt 
jemand seine Eltern oder einen Anverwandten, “die zullen mede mogen inkomen om de 
uitvaert, maentstont en jarichtyd te houden na gewoonte der stede, indien hy of sy, of 
iemand anders mede betalen willen allet dat totter deelinge, uitvaert, m. en j. behoort, uit- 
genomen dat testament en besprek”. Ich verstehe: der Erbe darf die Ausfahrt (das Be- 
gräbnils), den Dreilsigsten und den Jahrestag nach der Ortsgewohnheit feiern, wenn er oder, 
falls er abwesend, ein Andrer alle Kosten entrichten will, es sei denn, dals Testament oder 
Vertrag vorhanden. 


VI. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 223 


Nachlafsgüter zufallen, wird in der Lehre von der Auseinandersetzung nach 
dem Dreifsigsten ihre Erledigung finden. 


E. Die Erbschaftsantretung. 


, Bisher war von der Stellung der Personen und des Gutes während der 
Sterbhausstille lediglich nach einheimischen Quellen die Rede. Der auch 
hier nicht fehlende Einfluls des römischen Rechts zeigt sich für jenes Sta- 
dium zuvörderst durch seine Lehre von dem Erwerbe der Erbschaft. 

Der deutsche Grundsatz “der Todte erbet den Lebendigen” wich ja 
vielfach der römischen Regel, dafs dieser Erwerb aufser dem Anfall noch 
die Antretung der Erbschaft erfordere. Das ist, da der Ssp. eines ganz kla- 
ren Ausdrucks jenes Satzes ermangelt, selbst für das gemeine Sachsenrecht 
geschehen (!). Sonach erwuchs alsbald die Frage: erleidet der Erbschafts- 
antritt während der dreifsig Tage eine Beschränkung ? 

Für die Beantwortung giebt schon das gemeine Recht einen Vorgang 
in dem Institut des novemdial, während dessen, s. oben S. 95, die trauern- 
den Angehörigen nicht behelligt werden sollen. Mit Recht behaupteten hier 
z. B. Leyser sp. 370 m.2, Horn $ 29: die Novelle 115 verbiete dem Er- 
ben die aditio nicht, zur aditio bedürfe es auch in der That nach |. 23 
D. XLI 2 nicht der occupatio des Nachlasses, der Antritt könne also ohne 
Störung der Trauer, ohne Beunruhigung der Angehörigen erfolgen. An- 
drerseits ist nach 1.14 $8 D. XI, 7 aus dem funerare parentes suos noch 
keine pro herede geritio oder aditio zu folgern. Ein gleiches mufs nun für 
die 30 Tage gelten. Zwar meint Leyser sp. 370 m. 1: “hereditas jure civili 
confestim, jure Germanico post 30 dies adiri potest”. Allein er bestimmt 
dies m. 2 näher dahin: “hereditatis aditio, quin momento statim post mor- 
tem defuncti fiat, nihil obest. Interim non nego, festinatam hujusmodi adi- 
tionem aviditatem aliqguam sapere et cum regulis decori pugnare.” Und rechts- 
grundsätzlich ist nicht abzusehen, wie durch eine blofse Erklärung des Erben 
die Ruhe des Sterbhauses und der status quo im Nachlafsgute gebrochen 
werde. Daher entscheiden sich auch die neuern Schriftsteller und Ge- 


(') Horn $29, Curtius $ 905, Heimbach $ 30%, Emminghaus Pand. S. 639 Nr. 3. 
Nach manchen sächsischen Rechten gilt dies sogar für die %eredes swi, Curtius $ 885 N. h, 
Heimbach a. a. O. N. 1. 


994 Homeyer: Der Dreifsigste. 


setze(') übereinstimmend für die Statthaftigkeit einer Antretung vor dem 
Dreifsigsten. 

Inwiefern aber ist in dem Einziehen des Erben eine gestio pro he- 
rede zu sehen? Das Einziehen ist freilich ein Weiteres als das funerare. 
Allein nach der Natur der Sache und nach der Analogie dessen, was die 
11.5, 6, 7 D. XVIII 8 dem Erben während der Bedenkzeit einräumen, wird 
aus dem blofsen Beaufsichtigen des Gutes, aus der Zustimmung zu der Be- 
streitung des Begräbnisses und des Dreifsigsten, aus der Vornahme unauf- 
schieblicher Handlungen nöch keine Antretung zu entnehmen sein. Jedenfalls 
würde, wie nach 1.14 $8 cit. beim funerare, eine verwahrende Erklärung 
gegen jene Folgerung schützen. Vgl. Berck Brem. Güterrecht 1832 S. 96 ff. 


F. Die hereditas jacens und die Fiction des Fortlebens. 


Nach römischer Ansicht soll der Verstorbene als Vermögenssubjekt 
durch den Erben ersetzt und fortgesetzt werden. Ist sodann zum Erwerbe 
der Erbschaft aufser dem Anfall regelmäfsig noch eine Antretung erforder- 
lich, so ergiebt sich zwischen dem Tode und der Antretung leicht eine 
Lücke, welche die Römische Jurisprudenz durch die Vorstellung ausfüllt, 
dafs die erblos darniederliegende Erbschaft selber “vice personae fungitur”. 

Der bis zum Dreifsigsten ruhende Nachlafs des deutschen Rechts 
und diese hereditas jacens stehen sich scheinbar nahe genug, um die sächsi- 
schen Juristen zu dem Ausspruche zu verleiten: die hereditas sei eine ja- 
cens bis zum Dreifsigsten und stelle den Verstorbenen dar. So lehrt Hart- 
mann Pistoris, Lib. I qu. 24 Nr. 95, schon 1579: “nam intra hoc tem- 
pus haereditas pro jacente reputatur”; Carpzov P. III c. 16 def. 8: "ac- 
cedit ratio juris, quod nempe tempus 30 dierum sit jacentis hereditatis”, 
und P. III c. 32 def. 20: “quia hereditas jacens intra 30mum repraesentat 
personam defuncti”. Eben so Fr. Müller practica Marchica, 1678, al 
resol. 85 Nr. 16 sq.: “quia alias juris est, ut intra trigesimum hereditas ja- 
cens neque a creditoribus neque ab ipsis heredibus molestari debeat”, und 
Horn 6$ 17. 41: “intra tricesimum hereditatem defunctum repraesentare”. 


(') Horn $ 29, Schott inst. jur. Sax. 338, Haubold $ 346, v. Bamberg $ 153, Hesse 
8195, Heimbach $ 302 N.4 und die dort citierten Gesetze von $. Weimar (Nr. 151), 
Altenburg, Gotha. 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 225 


Aus Carpzovs Satze P. II c.15 d. 14, in Sachsen dauere die Zeit der her. 
jacens nicht über 30 Tage, weil es keiner Antretung bedürfe, ergiebt 
sich ferner, dafs auch ohne Einwirkung des römischen Motivs der aditio die 
äufserliche Ähnlichkeit beider Sachlagen zu jenem Ausspruche führte. Es 
ist jedoch die innere Natur des deutschen und des römischen Instituts eine 
wesentlich verschiedene. Die deutsche Sitte gebietet, auch wenn der neue 
Herr des Hauses unzweifelhaft ist, dafs für eine herkömmlich bestimmte Zeit 
die Ausübung der den Nachlafs betreffenden Rechte sowohl seitens des 
Erben als auch gegen ihn möglichst eingestellt werde. Die dadurch begrün- 
dete Ruhe findet ihr Seitenbild in dem römischen novemdial. “Spatium 
novem dierum” sagt Stryk L.X t.2 $12 “moribus Germaniae ad triginta 
dies extensum est”. In der hereditas jacens dagegen soll ja, statt des noch 
fehlenden neuen Herrn und so lange er grade fehlt, ein Vertreter gefunden 
werden, und zwar, damit die Vermögensthätigkeit nicht unterbrochen 
werde. 

Diese also unbegründete, aber falls nur nominelle noch unschädliche 
Einschiebung des römischen Begriffes hat jedoch weiter zu einer folgenrei- 
chern Vorstellung geleitet. Denn wird die der hereditas jacens beigemessene 
repraesentatio als eine Stellvertretung und zwar nicht des künftigen Er- 
ben, sondern des Erbhlassers, wie oben von Carpzov und Müller, gefafst, so 
setzt sie die fortdauernde Existenz des Erblassers voraus. Jene Einschie- 
bung konnte also zu der Fietion führen: der Verstorbene wird als bis zum 
Dreifsigsten lebend gedacht. Man konnte ferner glauben, hiemit den Schlüs- 
sel zu allen einzelnen Folgen der Sterbhausruhe, das juristische Princip des 
Instituts gefunden zu haben. 

Schon bei Pistoris und Horn blickt dieser Gedanke in dem Satze 
durch, dafs die zwischen dem Tode und dem 30sten fälligen Civilfrüchte an 
die Erbschaft fallen “ac si decedens ea reliquisset, ac si defunctus adhuc in 
vivis esset”. Allgemeiner formuliert ihn C. F. Hommel, Pertinenzregister 
(3te A. 1773) $37 dahin “überhaupt wird dafür gehalten, als wenn jeder 
Verstorbene vier Wochen nach seinem Tode noch lebete”, ferner A. F. 
Schott inst. jur. Sax. 1778 p. 337 “siquidem defunctus ad hoc usque tem- 
pus quasi vivere intelligitur” und H. G. Bauer, die Decisionen von 1746, 
Th. 11794 S. 138 zur Dec. 12 $2, mit der Begründung: “weil nach Säch- 
sischen Rechten, Landr. 122, Const. IT 32, der Erblasser zum Vortheil 

Philos.-histor. Kl. 1864. Ff 


226 Homerer: Der Dreifsigste. 


des Erben, um nicht sogleich von Gläubigern .... beunruhigt zu werden 
und die Kräfte des Nachlasses ruhig untersuchen zu können, 30 Tage lang 
noch für lebend erachtet wird”. Ihnen folgen in diesem Jahrhundert noch 
Kind quaest. for. I, 56: “cum ex moribus Saxonum usu servatis defunctus 
ad trigesimum usque vivere fingatur”; Zachariä im Sächs. Lehnr. $ 216 
N. 2: “die bekannte Fiction des S. R., dafs der Verstorbene noch 30 Tage 
nach seinem Tode lebe”; Haubold sächs. Priv. R. 1820: “indem der Ver- 
storbene bis zu (des 30sten) Eintritt als lebend angeschn werde”. Ähnlich 
sprechen: Sachse Grofsh. Sächs. R. $ 462, Heimbach $ 302, v. Bunge 
Curl. Priv. R. $ 285°. Curtius endlich, 1ste Aufl. 1837 $ 899, zeigt gleich 
Horn die Verbindung der Fiction mit jener Annahme der Repräsentation des 
Verstorbenen in der Fassung: “Während dieser Frist wird in mehrfacher 
Hinsicht der Verstorbene noch als lebend und die A. jacens als den Ver- 
storbenen repräsentirend betrachtet”. Aber er spricht doch nicht mehr un- 
bedingt. In dieser seiner einschränkenden Richtung geht nun die neueste 
Doctrin weiter und weiter, bis sie schliefslich zum völligen Aufgeben der 
Fiction gelangt. 

Schütz 1847 sagt zwar S. 20 noch von ihr: haud vanam esse, sed 
fundamento quodam quod facti est, superstructam cerni. Aber er erklärt 
dies doch dahin: nequaquam quidem per eam actum est hoc, ut defuncto- 
rum heredibus aliquantum dispendii inferretur, verumtamen ex aequitatis et 
verecundiae ratione induciae quaedam in rebus persequendis vel juribus 
exercendis interpositae cernuntur, quum hereditas intra 30 dies post obitum 
mortui ducereturpro quiescente. Die heute gangbaren Lehrbücher des ge- 
meinen D. Privatrechts ignorieren meist den Satz oder gedenken seiner hi- 
storisch, wie Mittermaier 6te Aufl. $ 145, oder engen ihn, wie Walter $ 414 
dahin ein, dafs das Hauswesen so lange auf dem alten Fufse fortgeführt 
werde, als ob der Verstorbene noch lebte. Ähnlich sagt ein Erkenntnifs 
des Leipziger Stadtgerichts von 1833 (Emminghaus Pand. d. Sächs. R. 658): 
der Verstorbene werde insofern als lebend angesehen, als der Erbe vor 
dem Dreifsigsten keine Änderung im Hauswesen vornehmen könne, und 
ein in appellatorio bestätigter Bescheid desselben Gerichts äufsert: wenn 
nach dem Ssp. ein Todter 30 Tage lang noch als lebend betrachtet werde, 
so sei diese Fietion auf die Fälle, für die sie ausgesprochen, zu beschränken 
(Emmingh. a. a. O.). Gleicherweise ermäfsigen Hesse für Altenburg $ 195 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 227 


und die dritte Auflage von Haubold $ 346 jenen allgemeinen Satz dahin: 
Der Dreifsigste .... ist insofern von Wichtigkeit, als der Verstorbene bis 
zu dessen Eintritt dergestalt als lebend betrachtet wird, dafs der Erbe..... 
keine Änderung im Hauswesen .... vornehmen, auch weder von Gläubi- 
gern .... belangt werden darf. 

Weiter aber lehnt ein Urtheil der Weimarschen Regierung v. 1845 
(Emminghaus 660) die Fiction, als nicht aus dem Ssp. sondern aus den S. 
Constitutionen hervorgehend, für das gemeine Sachsenrecht gänzlich ab. 
Auch Siegel im Deutschen Erbrecht 1853 S. 157 stellt sie für den Sach- 
senspiegel völlig in Abrede. Gengler endlich, D. Privatrecht 1859, be- 
zeichnet S. 275 den Grundsatz des Dreifsigsten allgemein als einen “irrthüm- 
lich auf ein fingirtes Fortleben des Verstorbenen basirten”. 

In der That ergiebt sich diese ganze Anschauung als eine nicht nur 
unnöthige, sondern auch bedenkliche. Eine quellenmäfsige Begründung 
fehlt durchaus. Die Anordnung für ein Cöllner Kloster vom J. 1174, oben 
S. 116, stellt sich theils als neue dar, theils giebt sie ihr Motiv besonders 
an. Die sonst gemeiniglich dafür eitierten Sächsischen Constitutionen, ins- 
besondre III 32, sprechen sie eben so wenig aus, als die obigen Stellen des 
Ssp. Die der hereditas jacens beigelegte Persönlichkeit — bestände sie 
überhaupt grade 30 Tage — führt in ihrem richtigeren Sinne, wonach sie 
nicht unmittelbar den Erblasser vertritt, sondern für den dereinstigen, 
den Erblasser repräsentirenden Erben vicarüirt, nicht auf jene Vorstellung 
hin. Die allerdings aus dem Ssp. abzuleitende Folge, dafs die Wittwe dem 
Hauswesen wie zu Lebzeiten des Mannes vorstehe, vermag für sich allein 
die Fiction seines fortdauernden Lebens doch dann nicht zu begründen, 
wenn die sonstigen rechtlichen Folgen seines Todes ihr entgegentreten. 
Denn wird er als fortlebend gedacht, so dürften ja nicht die Gläubiger mit 
ihren Ansprüchen hingehalten werden, so müfsten die Dienstboten ihren 
Lohn auch über den Todestag hinaus empfangen, so wäre der Erbe nicht 
befugt, in das Haus auch nur Aufsichts halber einzudringen. Die besondre 
obige Motivierung Bauers, S. 224, wird später zurückzuweisen sein. 

Vornemlich aber erscheint es als verwerflich, wenn jene Theorie nicht 
nur die wirklich für den Dreifsigsten gegebenen Bestimmungen erklären und 
zusammenfassen soll, sondern auch als eine das ganze Institut beherrschende 
Regel den letzten Entscheid über alle dasselbe betreffende Fragen geben will, 

Ff2 


928 Homever: Der Dreifsigste. 


wenn beispielsweise Curtius $889 N. b, die Meinung, dafs die 30 Tage 
erst a momento scientiae laufen, schon damit beseitigt, dafs sie mit “der 
Idee, der Verstorbene lebe noch 30 Tage, unvereinbar sei”; wenn man ferner 
die wichtige Frage, wohin die während jener Zeit gewonnenenFrüchte fallen, 
einfach durch diese “Idee” erledigen zu können meinte. Die spätern Erör- 
terungen werden auf die practische Einwirkung der Fiction noch öfters zu- 
rückführen. 


G. Die Besinnungszeit. 


Das römische Recht giebt demjenigen Erben, der die ihm deferierte 
Erbschaft ipso jure erwirbt, dem suus heres, doch das benefieium abstinendi, 
so lange er sich nicht in die Erbschaft mischt. Eben so gewähren auch die- 
jenigen neuern Gesetzgebungen, welche sich noch oder wieder zu der alt- 
deutschen Regel: der Todte erbet den Lebendigen, bekennen, dem Erben 
die Befugnifs, der durch den Anfall erworbnen Erbschaft binnen einer ge- 
wissen Frist zu entsagen, vgl. A. Preufs. Landr. 19 $$ 367, 368, 383. Glei- 
cherweise dürfen wir nun annehmen, dafs zur Zeit, da jene Regel allgemein 
herrschte, der Erbe den ihm zugefallenen Nachlafs ausschlagen durfte, wie- 
wohl, nach seiner beschränkten Haftung für die Verbindlichkeiten des Ver- 
storbenen, nur selten ein Anlafs dazu sich finden mochte. Zur Erklärung 
hierüber aber konnte er füglich erst an dem Tage, wo eines Erben Rechte 
und Pflichten in Wirksamkeit treten, am Dreifsigsten also, verpflichtet sein, 
vgl. Berck S. 96. 

Dafür liefert jenes Gedicht Barlaam und Josaphat, S. 101, 111,127, einen 
bemerkenswerthen Belag. Der Thronfolger versammelt am Dreifsigsten die 
Fürsten zurGedächtnifsfeier des verstorbenen Königs und erklärt ihnen dann, 
dafs er, dem weltlichen Leben gänzlich entsagend, auf die Nachfolge verzichte, 
sie aber einen andern König zu wählen hätten. 

In der That war auch die Zeit, während welcher der Erbe, ohne 
über den Nachlafs zu verfügen, in das Haus fahren und das Gut beaufsich- 
tigen durfte, zu einer Besinnungszeit, bildete sie gleich nicht den Zweck 
des Instituts, doch ganz wohl angethan. Eine ähnliche Rücksicht spricht 
der Ssp. selber für das Gesinde aus; ihm dient die Ruhefrist dazu, um 
sich nach einer neuen Herrschaft umzusehen. Andre Quellen neigen sich 
dem Gedanken, dafs sie auch Andern als Bedenkzeit nutzen könne, immer 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 229 


sichtlicher zu. Nach den Magdeburger Schöffen, Nr. 53, mag die 
Wittwe, wenn sie gleich ihre Morgengabe vor dem Dreifsigsten empfangen 
hat, doch noch bis zu demselben in dem Gute sitzen bleiben, um sich darin 
umzusehen. Das hatte dann eine practische Bedeutung, wenn nach dem 
ehelichen Güterrecht die überlebende in dem Gute verbleibende Frau für 
die nachgelassenen Schulden zu haften hat. Und Berck 136 ff. bemerkt 
wohl mit Recht, dafs die Wittwe noch rechtzeitig am Dreifsigsten durch 
Lossagung vom Gute sich dieser Haftung entledigen konnte. — Nach dem 
Braunschweiger Recht Nr. 97 soll ein abgesonderter Sohn sich zu dem 
Dreifsigsten erklären, ob er unter Einwerfung des Empfangenen “mit zu 
Theile gehen will”. — Allgemeiner spricht das Jütsche Lov I 26, Nr. 109, 
aus, dafs der Erbe, der sich am Dreifsigsten zur Erbschaft bekennt, die er- 
weislichen Schulden bezahlt, vgl. dazu Berck S. 95. 

Was wird nun aus dem so erwachsenen Satze, dafs der Erbe erst aın 
Dreifsigsten sich über seine Stellung zur Erbschaft zu erklären habe, seit 
dem Einflusse des Römischen Rechts? Es fordert zum Erwerbe der Erb- 
schaft regelmäfsig die Antretung, ändert also den innern Character der Er- 
klärung des Erben; es läfst ferner den Erben für die Schulden des Erblas- 
sers mit dem ganzen Nachlasse, ja mit dem eignen Gute des Erben haften; 
es räumt endlich eine Besinnungsfrist ausdrücklich ein und ordnet diese doch 
anders als bis zum dreifsigsten Tage nach dem Sterbfalle. Das spatium 
deliberandi liegt zunächst in der Frist zur Anfertigung eines Inventars, wel- 
che binnen 30 Tagen nach erhaltner Nachricht vom Anfalle der Erb- 
schaft begonnen und binnen 60 Tagen, beim adbsens binnen Jahresfrist nach 
dem Tode, vollendet werden soll, es kann aber noch über diese Frist hin- 
aus um 9 Monate resp. ein Jahr verlängert werden. 

Die alten Grundsätze bleiben dennoch mehrfach in Kraft. Für Öster- 
reich entwickelt Suttinger Nr. 162, 163, dafs die 30 Tage den vorneh- 
mern Catholiken zur öffentlichen Trauer und den Exequien, allen aber, 
auch den Nichtcatholiken und den Ärmern , bei der Erbesantretung dazu 
dienen: ut sufficiens deliberandi vel inventarium conficiendi spatium habeant. 
Daher seien die neun Tage der Nov. 115 ce. 5 in Übereinstimmung mit dem 
Sachsenrechte auf dreifsig ausgedehnt worden. Andrerseits gelte die rö- 
mische auf die Erben, welche ein Inventar machen, bezügliche Bestimmung 
in Österreich landgerichtsordnungsmäfsig für alle Erben, jedoch “hoc triginta 


230 Honever: Der Dreifsigste. 


dierum spatio”. Daher werde auf Klagen, die vor dem Dreifsigsten (gegen 
die Erben) erhoben würden, decretirt “den Deifsigsten verstreichen zu 
lassen”, wobei die LGO. diesen Zeitraum nach des “Abgestorbenen tödtli- 
chen Abgang” berechnet. 

Damit stimmen auch die Vorschriften der Nassau- Catzenellenb. LO. 
v. 1616 Nr. 164, dafs der Erbe sich über die Annahme oder Nichtannahme 
“nach Absterben des Testators .. in Monatsfrist” zu erklären habe; der 
Gützkower Bausprache Nr. 80, dafs wenn jemand stirbt, seine Erben sich 
innerhalb vier Wochen beim Rathe angeben sollen; des Solmsischen Land- 
rechts Nr. 169, dafs die Verzichtleistung des überlebenden Ehegatten auf 
den Beisitz und die halbe fahrende Habe in Monatsfrist oder zum längsten 
6 Wochen (!) geschehen solle; des Ober-Katzenellenb. Landrechts Nr. 171, 
dafs der Überlebende auf die fahrende Habe innerhalb Monatsfrist verzich- 
ten möge. 

Auch die Bestimmung der Frankfurter Reformation, dafs die Re- 
nunciation des letztlebenden Ehegatten “nach Verfliefsung des Dreifsig- 
sten” nach dem Tode geschehen solle, ist ebenso zu verstehen, indem “nach 
Verscheinung” des Monats die Renunciation nicht mehr zugelassen werden 
soll, vgl. Orth. I S.549, II S. 88, Adlerflycht Th. 2 S.485. Bei Orth. DI 
S. 87 ff, 473 ist ausgeführt, dafs die ältere Reformation eine Frist noch nicht 
gestattet, die neue aber wohl mit Rücksicht auf die Grundsätze des altdeut- 
schen, insbesondre sächsischen Rechts über den Dreifsigsten diesen Zeitraum 
bestimmt habe. Und Adlerflycht II 590 (vgl. 488, 597 ff.) bemerkt all- 
gemein, also auch für andre Erben, dafs die Erklärung über die Erbschafts- 
antretung gewöhnlich binnen 30 Tagen nach dem Absterben des Erblassers 
geschehe, “indem insolange mit Entsiegelung der Verlassenschaft und Ver- 
theilung der Erbschaft nichts vorgenommen zu werden pflegt, in welcher 
Zeit auch die gemeine Haushaltung fortzuführen ete.” 

Einige Statuten des 16ten Jahrhunderts, von Alstedt, Langensalza, 
Ohrdruf Nr. 83, 89 modificieren den Satz dahin, dafs der Erbe nach 
dem Dreifsigsten innerhalb 6 Wochen sich zu erklären habe, und die Ent- 
würfe der Märkischen Constitutionen Nr. 115, 116 aus demselben Jahrhun- 
dert wollten wenigstens der Wittwe hinsichtlich ihrer fräulichen Gerechtig- 


C) Nach Bopp Gesch. etc. der vier mittelrhein. Landrechte S. 48 hält die neuere Praxis 
sich an die 6 Wochen. 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 231 


keit nach “Ausgang der vier Wochen” noch eine resp. zwei Wochen Be- 
sinnungszeit einräumen. 

In den sächsischen Ländern nahm die Sache folgenden Gang. Schon 
die Juristen des 16ten Jahrhunderts beriefen sich auf Ssp. I 6 für den Satz, 
dafs in Sachsen gegen das gemeine Recht der Erbe auch ohne Inventar nicht 
ultra vires hereditatis hafte. So Henn. Goden consilia, 1541, C. 11 Nr. 8 
und die Anmerkungen zum lateinischen Text des Ssp. 16a. E. in den neuern 
Zobelschen Ausgaben. Dem folgten auch die Späteren namentlich Coler, 
Carpzov (!). Demungeachtet, meinten sie, sei auch nach sächsischem Recht 
das spatium deliberandi nicht wirkungslos, aber es bedürfe, wie u. a. Coler 
II c. 3 n. 379 ausführte, wegen der leichtern Folgen der Annahme nicht der 
langen römischen Frist von 3 Monaten resp. einem Jahr, sondern inter prae- 
sentes seien 30 Tage von der Zeit der Wissenschaft vom Tode hin- 
reichend. Diese, einer römischen Bestimmung angenäherte Beibehaltung 
des altdeutschen Termins wendet das Recht von S. Meiningen nach Kümpel 
6 262 in der Art an, dafs der Erbe vor Ablauf des 30sten Tages von der 
Wissenschaft des Erbanfalls sich nicht als Erbe behandeln zu lassen 
braucht. Im übrigen aber hat dieser Termin auch in den Ländern des 
sächsischen Rechts theils eigenthümlichen Fristen von 6 Monaten, wie in 
Weimar, Altenburg, Gotha, s. Heimbach $ 306 Nr. 4, theils, wie im kur- 
sächsischen Recht, dem römischen Termin weichen müssen, den jedoch die 
Praxis als ein ipso jure von der Kenntnifs der Delation anlaufendes spatium 
annuum deutete, s. Decisio 57 a. 1661, Haubold $ 349, Curtius $ 888 vgl. 
Bürgerl. Gesetzb. $. 2265. 


H. Die Versiegelung des Nachlasses. 


Eine frühe Erwähnung dieser Mafsregel findet sich in Hamburger 
Recessen von 1483 A.12, 1529 A. 26, s. Trummer Erbr. 1310, dahin: 
“Ok en schal men framen lüden, de eren gaden verloren hebben, de kisten 
nicht thosegeln”, also mit einem bedingten Verbot. Späterhin tritt sie hier 
und anderswo als gestattet, ja geboten auf. Sie knüpft sich dabei theils au 
die deutschrechtliche Befugnifs des Erben zur Beaufsichtigung des Nach- 
lasses, theils, wenn gleich selber dem römischen Recht unbekannt, doch an 


(') S.dieLLiteratur bei Kind qu. for II qu. 56 sq., Haubold $ 348 Note a, Curtius $ 912N. c. 


232 Homerver: Der Dreifsigste. 


dessen beneficium inventarü, als Vorbereitung zur Verzeichnung des Nach- 
lasses an. 

Die erstere Beziehung führte zu einer Versiegelung zunächst nur für 
bestimmte Fälle, nemlich 

1. bei Unmündigkeit der Erben. Nach der Magdeburger 
Procefsordnung, Nr. 125, sollen, wenn unmündige Waisen hinterbleiben, 
die nächsten Blutsfreunde alsbald die Verlassenschaft versiegeln. Nach der 
Gothaer L.O., Nr. 142, sollen in gleichem Falle die Beamten durch 
Versiegelung dafür sorgen, dafs während des Trauermonats nichts verun- 
treuet und verwahrloset werde. Das Seidenberger Statut, N. 69, geht 
insofern weiter, als, wenn gleich die unmündigen Erben nicht zugleich ver- 
waist sind, doch der überlebende Ehegatte die Mobilien verwahren und bis 
zum Dreifsigsten versiegeln soll. — Die Mafsregel vertritt also die hier feh- 
lende Aufsicht der Erben. 

Wohl aus gleichem Grunde ordnete 

9. die Märkische LO. v. 1594, Nr. 116, an, dafs beim kinder- 
losen Tode eines Ehegatten auf Verlangen des Erben der Nachlafs versie- 
gelt und dem Überlebenden während der 4 Wochen nur der nothdürftige 
Unterhalt herausgelassen werde. 

3. Die Lübische Praxis sorgt für auswärtige Erben. An den 
mehrsten Orten, sagt Stein II 448, wird, vornemlich wenn einige Erben 
sich in der Fremde aufhalten, sogleich nach Absterben des Verstorbenen 
eine gerichtliche Versiegelung vorgenommen. Sie tritt, bemerkt Pauli 
Abhdl. II 93: jetzt, besonders wenn auswärtige Erben concurriren, an 
die Stelle der persönlichen Mitaufsicht. 

4. Frisch Wörterb. citiert Fritsch Suppl. Besold. dafür, dafs man 
innerhalb der Monatszeit bei verdächtigen Erben und Wittwen die Zimmer 
und Güter versiegelt. 

5. Unbestimmter heilst es in den S. Gothaischen N. Beifugen, nach 
Brückner $ 720: damit in der Zwischenzeit .... nichts veruntreut werde, 
istinmanchenFällen der Nachlafs gerichtlich zu versiegeln, vgl. No. 142. 

Jene Lübische Praxis läfst diese Sicherungsmafsregel schon als Regel 
durchblicken. Cropp, Abhdl. II 574 ff. drückt sie für Hamburg gradezu 
dahin aus: das alte Recht der Erben des Mannes zur Aufsicht ist gewandt 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 233 


in das Recht der Erben, überhaupt darauf anzutragen, dafs der Nachlafs 
versiegelt und inventirt werde; bei ihrer Abwesenheit geschieht es amtlich. 

Jenen zweiten Behuf der Versiegelung machen schon die ältern säch- 
sischen Juristen, wie Carpzov P. III c. 33 def. 10 Nr. 3, 4, Coler Pr. Ex. 
P 2 .c.3.n. 387, geltend. Er zieht von selbst einen ausgedehnteren Gebrauch 
der Mafsregel nach sich. So stellen denn auch Horn $ 18, Schröter 379 
die sofortige Versiegelung nach dem Ableben als Regel auf. Sie liege na- 
mentlich auch dem überlebenden Ehegatten ob, weil sonst kein iustum inven- 
tarium za machen sei, und lasse nur Ausnahmen für besondere Fälle zu, 
z. B. wenn der entfernte Erbe späterhin komme und vor Aufnahme des In- 
ventars sich nicht einmische. 

In diesem Sinne ordnet das Stadtrecht von Wimpfen die Obsignation 
gleich nach dem Tode in fünf Fällen, u. a. wenn Minderjährige oder Fremde 
betheiligt sind, und die Entsiegelung, wenn die Inventur vor sich gehen soll, 
durch die Obsignirenden an. 

Nach der Baireuther Policeiordnung von 1746 Nr. 155 soll “gleich 
nach der Eltern Absterben in casibus habilibus obsigniret und darauf post 
irigesimum inventiret, mithin den Vormündern ein richtiges Inventarium 

. zu Händen gestellt werden”. 

Das Bayersche Landrecht Tit. 43 Art. 1 schreibt den Erben, so 
angenommen haben oder cum beneficio inv. annehmen wollen, vor, dafs 
sie mit Zuthun der Obrigkeit des Verstorbenen fahrende Habe mit Versper- 
rung verwahren und die Schlüssel zu Händen nehmen. 

Den heutigen Gebrauch in Schwyz ete. giebt Herr Kyd dahin an. 
Stirbt jemand der wichtige Schriften und Acten besitzt, so werden bei Geist- 
lichen durch einen geistlichen und einen weltlichen Deputirten, bei einem 
Weltlichen durch zwei obrigkeitliche Personen Schreibpult, Schränke, 
Schubladen gesiegelt. 

Für das sächsische Recht endlich lehrt Curtius 6 914: zum Inven- 
tar gehöre, dafs die Erbschaft gleich nach des Erblassers Tode versiegelt 
werde. Das geschehe schon von Amts wegen bei unmündigen, abwesenden, 
unbekannten Erben, oder wenn der Fiscus betheiligt sei. 

In dieser oder jener Weise soll stets die Versiegelung bald nach dem 
Ableben geschehen; sie mag also allerdings der Stille des Sterbhauses Ab- 
bruch thun. 

Philos.-histor. Kl. 1864. Gg 


234 However: Der Dreifsigste. 


Die Stellung der Inventarisierung selber zu dem Dreifsigsten wird sich 
schicklich bei den diesem Tage folgenden Acten darstellen lassen. 

Wir gelangen zu dem Dreifsigsten selber. Ehe von dessen recht- 
lichen Wirkungen zu sprechen, ist die Vorfrage zu erörtern: wie berechnet 
sich der dreifsigste Tag, und von welchem Momente beginnen die Wir- 
kungen. Also 


II. Der Dreifsigste und seine Wirkungen. 


A. Der Eintritt des Dreilsigsten. 

Von welchem Tage ab wird der Dreifsigste gezählt? Die Regel ist: 
von dem Todestage des Erblassers. Die Quellen sprechen dies meistens 
ausdrücklich aus. So unter den ältesten das Jütsche Lov Nr. 109: “in deme 
drittegesten daghe sines dodes”, die Cottbuser Satzung Nr. 113: “von dem 
tode bis an drysigisten tag”, das Frankfurter Statut Nr. 67: “unius mensis 
post obitum defuneti”. Vgl. ferner oben die Nummern 71, 73, 82, 84, 85, 
112, 118, 121, 122, 124, 132, 133, 134, 138, 143, 159, 160, 166, 168. 

Es wurde oben S. 108 hinsichtlich der alten kirchlichen Feier der 
Zweifel angeregt, ob nicht die Zeit von der Beisetzung an gezählt worden 
sei; hinsichtlich der rechtlichen Folgen des Dreifsigsten bieten die Quellen 
keinen Anlafs zu solcher Annahme. 

Andrerseits ist wohl die Ansicht aufgestellt worden: die dreifsig Tage 
seien erst von der Zeit zu berechnen, da die Betheiligten von dem Tode, 
resp. dem Anfall Wissenschaft erhalten. Mevius II2 a.27 $$ 56, 57 und 
Coler Pr. Ex. P.2c. 3 nr. 382 berufen sich dafür auf den gemeinrechtlichen 
Satz: tempora breviora non nisi seienti et agere valenti currere. Horn $ 14 
bekennt zwar, dafs das Sachsenrecht darüber schweige, führt aber aus: die 
30 Tage dienten nicht nur zu Ehren des Verstorbenen, sondern auch zu 
Gunsten des Erben und der Wittwe, seien mithin von der Zeit der Kennt- 
nifs vom Tode, und zwar seitens des Erben von der Kenntnifs der De- 
lation an zu berechnen, wobei, wenn die Zeiten ungleich, die spätere den 
Ausschlag gebe. Auch Schröter S. 379 rechnet wenigstens für die auswär- 
tigen Erben, nach der Analogie der 119 C. de jure delib., von dem Tage, 
da sie das Ableben erfuhren , oder wahrscheinlich hätten wissen können. 

Aber diese Erwägungen halten m. E. nicht Stich. Der für die drei- 
(sig Tage waltende Grundgedanke ist der einer Zeit der Ruhe und Stille im 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 235 


Sterbhause zu Ehren des Verstorbenen ; die Regel der Verjährungsfristen ist 
ihm durchaus fremd. Das Recht der Wittwe, bis zum Dreifsigsten im Sterb- 
hause zu bleiben, zu wirthschaften und den Unterhalt zu finden, ist von jener 
objectiven Bestimmung abhängig, nicht von ihrem Wissen um den Tod. Die 
Stellung des Erben zur Erbschaft ist während der 30 Tage eine ja wesent- 
lich beschränktere als nachher; die Verlängerung also dieser Stellung nach 
jener Präscriptionsregel würde ihm im Ganzen nicht frommen. Eine Be- 
sinnungszeit bilden die 30 Tage für ihn nach altdeutschem Erbrecht nur 
nebenbei, nicht nach ihrem ursprünglichen, eigentlichen Sinne. Erft als 
mit der Herrschaft des römischen Rechts die Besinnungszeit eine andre Be- 
deutung gewann, konnte die Berechnung a tempore scientiae sich rechtfer- 
tigen, s. oben S. 231. Schütz $9 will abgesehen davon wenigstens für 
abweseude Erben von der Zeit ihrer Wissenschaft, für Minorenne von 
der Zeit der Volljährigkeit gerechnet wissen, insofern der frühere Ablauf zu 
ihrem Nachtheil gereichen würde. Er stützt sich dafür auf Ssp. I 28 und 
andre ältere deutsche Quellen. Allein wenn dort dem Richter gestattet 
wird, das Gut, zu dem kein Erbe sich zeigt, nach dem Dreifsigsten an sich 
zu nehmen, um auf und für den etwanigen Berechtigten Jahr und Tag, oder, 
wenn der Erbe in echter Noth abwesend, bis zu seiner Rückkehr zu warten, 
so ist dadurch für den Erbberechtigten hinlänglich gesorgt und kein Anlafs, 
ja selbst keine Möglichkeit vorhanden, den Dreifsigsten anders als vom Tode 
des Erblassers an zu berechnen. Unthunlich erscheint es endlich, die Fol- 
gen des Dreifsigsten, so weit er gegen den Erben wirkt, z. B. das Klage- 
recht der Erbschaftsgläubiger, erst von der Volljährigkeit des Erben an zu 
berechnen. Überhaupt also bemerkt Curtius $ 8995 mit Recht, das 
Laufen der Frist a die scientiae sei unerweislich. Fügt er hinzu “auch mit 
der Idee, dafs während der Frist der Verstorbene noch lebe unvereinbar”, 
so ist an die Stelle dieser “Idee” der Gedanke, aus dem sie ohne Grund ab- 
geleitet worden, die dreifsigtägige Sterbhausstille, mit gleichem Erfolge 
zu setzen. 

2. Dafs das tempus in seinem Verlaufe als continuum gelte, wird nicht 
bezweifelt, vgl. Horn $. 13, Schütz $ 10. 

Hienach würde sich denn der Dreifsigste der Zeit nach im Allgemeinen 


als der wirkliche 30ste Tag nach dem Todestage bestimmen , beispielsweise 
Gg2 


236 Homerer: Der Dreifsigste. 


als der erste Mai, wenn der Erblasser am ersten April verstorben war. Da- 
mit wäre also auch gegeben, was “er (vor) deme drittegesten” Ssp. 122 $ 1, 
“in, to deme dr.”, 133, “na deme dr.” 120 $2, 12293, 128, IIL15 
681, 2 bedeute. Bei den Ausdrücken “bit (wente, vntz) an den dr., Ssp. 
12292 (Nr.17, 18), binnen d. dr.” und ähnlichen, vgl. oben S. 196, ist 
der dreifsigste Tag noch miteinzurechnen, sowohl nach der Erklärung des 
intra diem in 1.133 D. de V. S. als auch nach der ältern deutschen Bedeu- 
tung des “bis” für quando, nicht usque, Grimm, Wörterb. II 43, und nach 
der deutschen Ansicht Grimm RA. 221, wonach eine Frist erst voll ver- 
strichen, wenn man in die aufser ihr liegende Zeit vollständig eingetreten 
ist. Daher erstreckt sich nach Ssp. 122 $ 2, gleichwie der verdiente Lohn 
des Gesindes bis in den Todestag des Herrn, so auch der Anspruch auf 
Unterhalt bis in den dreifsigsten Tag nach dem Tode. 

Für die Praxis ist nun aber noch zu erwägen, dafs der rechtliche Ter- 
min sich an die kirchliche und weltliche Feier anschlofs, diese jedoch, wie 
S. 152 entwickelt worden, sich nicht stets an die 30 Tage gebunden hat, 
dafs auch wohl, S. 109, gradezu unter dem Dreifsigsten das schliefsliche 
Gedächtnifsfest, ohne alle Rücksicht auf die Zeitfrist verstanden worden ist. 
Aus diesem oder jenem Grunde traten die rechtlichen Wirkungen wohl nicht 
stets mit dem Ablaufe von grade dreifsig Tagen ein. Darauf deutet vielleicht 
das Magdeb. Schöffenurteil Nr. 54 in den Worten hin: so mag se (die 
Wittwe) nicht lenger in dem gute bliben, wenne bis das drisegiste begangen 
wirt, d.i. binnen einen monden ap man wil. Als jedoch im nördlichen 
Deutschland die Feier des Dreifsigsten dahin schwand, seine rechtliche Be- 
deutung aber sich behauptete, mufste diese wieder genauer an die bestimmte 
Zeit, die nun ja auch häufig durch vier Wochen, Monatszeit u. s. w. aus- 
gedrückt wird, sich binden. Und selbst in katholischen Gebieten, wo die 
Feier in Übung blieb, zeigte sich das Bedürfnifs, den rechtlichen Termin 
von der Feier zu lösen und auf den eigentlichen Tag zu stellen. So verord- 
net Ferdinand I, N. 161, weil die Dreifsigsten oft erst nach vielen Monaten 
angestellet würden, dafs hinsichtlich der Erben und der Publication des 1. 
Willens die Zeit eines jeden Dreifsigist nicht weiter als auf 30 Tage in in- 
ländischen, auf 2 Monate in ausländischen Sachen nach dem Tode sich er- 
strecken solle (!). Zu allgemein schliefst also Siegel Erbrecht S. 158 da- 


(') Die in den Consuet. Austr. S. 145 erwähnten “Dreylsigstämter” haben mit unserm 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 9237 


raus, dafs “unsre Quellen die Vornahme der Seelenmesse und sie selbst das 
Dreifsigste nennen”: es sei irrig, wenn man heute unter dem Dreifsigsten grade 
den 30sten Tag verstehe. 

Sei nun der Dreifsigste so oder so, durch die Feier oder durch die 
Abzählung von dem Tode bestimmt, so kann doch noch näher gefragt wer- 
den, wann die Frist der Stille, der möglichsten Erhaltung des status quo 
zu Ende gehe und der Umschwung der Dinge beginne, ob am dreifsigsten 
Tage selber und zu welcher Zeit, oder ob am folgenden Tage. 

Hier gilt zunächst, dafs von einer “computatio naturalis, a momento 
ad momentum”, von einer Beachtung der Stunde‘, da 30 Tage vorher der 
Tod erfolgte, keine Spur sich findet. Vielmehr ergiebt sich folgender Her- 
gang. Wurde oder wird der Dreifsigste noch feierlich begangen, und ist 
die rechtliche Folge nicht besonders von der Feier abgelöst worden, so 
tritt diese Folge, also des Erben Besitznahme, seine Erklärung, die Ent- 
siegelung, die Auseinandersetzung und Theilung, die Ausantwortung des 
erblosen Gutes an den Richter, die Herausgabe der Gerade, das Wegziehen 
der Wittwe und des Gesindes zwar nach der Feier, aber ordentlicherweise 
an demselben Tage wie diese ein. 

So sagt einerseits jene alte hofrechtliche Quelle Nr. 52 von 1186: 
“dabunt .. celebrato tricesimo defuncti”, das Hallische Recht von 1235 
Nr. 65: “tricesimo peracto medietas spectat” ete., das Schöffenurteil Nr. 53: 
“geben czu des mannis dreisegisten, wenne man sine manezitbeganginhot”, 
die Bregenzer VO. v. 1572 Nr. 165: “soll nach gehaltener Dreyssigist ... die 
Abtheilung fürgenohmen werden”. Auch Josaphat, oben S. 111, verzichtet 
erst nach dem Begehen des Dreifsigsten auf die Königswürde. 

Andrerseits bezeugt das Bayr. Landr. III 6 Art. 16, Nr. 167, dafs 
“gemainklich bei dem 30sten die Erben uud jre erbetne Freund vnd Bey- 
stender nit allein wegen defs Gottsdiensts, sonder auch der Erbschafft- 
theilung zusammenkommen”. Nach der Schilderung von Bucher, S. 219ff. 
werden gemeiniglich bei dem Dreifsigsten schon die Verlassenschaftsver- 
handlungen angefangen. In der Gegend von Brakel (Westfalen) war es, 
wenigstens vor 20 Jahren, noch Gebrauch, dafs die zur kirchlichen Feier 


tricesimus nichts zu schaffen. Es sind, wie Siegel mich belehrt, die Mauthämter, welche 
den im J. 1849 abgeschafften Eingangszoll aus Ungarn in die Österr. Erblande — Dreilsigst 
genannt — zu erheben hatten. 


2338 Homever: Der Dreifsigste. 


des 30sten herbeigekommenen Verwandten und Freunde zugleich die neuen 
im Haus- und Güterwesen nöthigen Anordnungen besprachen. Mein Ge- 
währsmann aus den Urcantonen berichtet: Nach dem “Usäwisänä” am 30sten 
kommen die Erben des Hingeschiedenen in das Haus des Verstorbenen, 
mehrmals mit Anwälden. Man löscht das Dreifsigst Licht, das im Zimmer 
des Verstorbenen bis dahin Tag und Nacht unaufhörlich brannte... . Nach 
dem Essen fangt man an, ein Inventar ... zu ziehen und die Theilung vor- 
zunehmen, was oft mehrere Tage dauert ... Am 30sten Tage werden der 
versiegelte Schreibpult ete. durch die Deputirten (S. 233) geöffnet, und in 
Gegenwart der Erben die amtlichen, nicht ins Erb gehörenden Bücher und 
Schriften fortgenommen. — Auch manche der ältern Statuten deuten auf 
eine Vornahme der nach Ende der Ruhezeit zuläfsigen rechtlichen Handlun- 
gen noch an dem Tage der Feier hin. Nach dem Lüneburger Recht, Nr. 99, 
überantwortet man das erblose Gut dem Rathe “tho deme mantfeste”. 

Wo nun aber dieses Fest ganz abgekommen ist oder doch die recht- 
lichen Wirkungen ausdrücklich von ihm abgelöst worden sind, wo also der 
“Dreifsigste” nur den dreilsigsten Tag bezeichnen kann, da hat das “nach 
dem Dreifsigsten” dieselbe Bedeutung gewonnen, welche sich in dem ultra 
tricesimum diem, nach einem Monat, nach Ablauf, Ausgang des 30sten 
Tages ete., s. oben S. 196 ff. ausdrückt, d.h. die rechtlichen Folgen treten 
erst mit dem völligen Ablauf von 30 Tagen nach dem Todestage ein. Diese 
rechtlichen Wirkungen sind im Einzelnen zu betrachten. 


B. Stellung der Wittwe. 


Sie hört nun auf, von dem Nachlafs zu zehren, s. Goslar. R. Nr. 95, 
sie räumt Haus und Hof und nimmt das ihr gebührende, vgl. das Weisthum 
Nr. 64", mit sich. Dabei unterscheidet die Const. III 33, Nr. 129, noch: 
Gerade, Morgengabe, Leibzucht, die ihr ja ganz zufallen, mag die Wittwe 
“vor sich selbst nehmen”, so dafs sie, wenn es ohne der Erben Wissen ge- 
schah, ihnen nur wegen des etwa zu viel genommenen verantwortlich wird; 
ihrer Hälfte vom Mustheil dagegen soll sie ohne der Erben Vorwissen sich 
nicht anmafsen. Vgl. Hoffmann Gerade S. 14. 

Gehören zu der Morgengabe Gebäude, aber nicht der Boden worauf 
sie stehen, so läfst der Ssp. 120 $2 der Wittwe zum Wegführen noch 6 
Wochen Frist nach dem Dreifsigsten. Der Dsp. und Schwbsp. Nr. 2 u. 3 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 239 
geben ihr die Wahl zwischen 6 Wochen (nach dem Tode) und dem Drei- 


fsigsten, vielleicht mit Rücksicht darauf, dafs die Feier mit ihren Folgen 
nicht genau am Dreifsigsten, s. oben S. 152, sondern etwa beträchtlich später 
begangen wurde. 

So lange das der Wittwe gebührende ihr nicht verabfolgt wird, 
braucht sie nach Weichb. 24 $ 3 Nr. 51 die Gewere nicht zu räumen. Ana- 
log bestimmt das revidirte Lübsche Recht B.I T.6 B. 13, dafs die auch 
unbeerbte Wittwe nach dem Absterben ihres Mannes nicht aus seinen Gütern 
getrieben werden kann, sie sei denn vor allen Dingen ihres Brautschatzes 
und zugebrachten Gutes vergnügt und versichert. In diesen Fällen wird also 
die Wittwe auch über den Dreifsigsten hinaus sich aus dem Gute nähren 
dürfen, Hoffmann Gerade S. 111. 

Aber auch ohnedem soll nach Ssp. I138 $2 eine schwangere 
Wittwe aus dem Gute des Mannes nicht gewiesen werden, ehe sie des 
Kindes geneset, d.i., wie die Glosse erklärt, ehe sie nach der Entbindung 
zur Kirche gegangen, oder nach den Magdeb. Schöffen, s. Böhme VI. 105, 
125, “us den ses wochen kompt”. Diese Milde bestimmt sich näher durch 
die Worte in 133, Nr. 31, “Nu vernemet um en wif, die kint dreget na irs 
mannes dode unde sik barehaft bewiset to der bigraft oder to me drittegesten”. 
Hienach reicht es für jene Befugnifs der Wittwe hin, wenn sie sich auch erst 
am Dreifsigsten schwanger zeigt. Aber dieser Termin scheint auch als der 
letzte gedacht zu sein, an dem die Erklärung mit ihren weiteren Folgen, 
dem Sitzenbleiben der Mutter im Hause und dem Erbrecht resp. Vererbungs- 
recht des posthumus erfolgen konnte. Vgl. (Klefeker) Sammlung d. Hamb. 
Ges. IV 555. 

Jener Satz des $2 II1 38 ist zwar in zahlreiche spätere Quellen des 
Mittelalters übergegangen (!), er wich jedoch beim Eindringen des römi- 
schen Rechts der analogen missio in possessionem ventris nomine. Schil- 
ter prax. jur. Rom. Ex. 36 $$ 125 sq. stellt beide Institute zusammen und 
bemerkt als Unterschied nur, dafs nach dem sächsichen Rechte die Wittwe 
den Besitz nicht zu impetriren sondern zu retiniren habe. 


(') U.a. in den deutschen und Schwabenspiegel, in das Weichbild Art. 94 (Dan. 93), 
in den Kreis des Hamburg. Rechts, s. Trummer Beitr. 3. 86, Berck S. 295, in das Zittauer 
Stadtr. v. 1567, Schott Stadtr. I 118. 


240 Homever: Der Dreifsigste. 


Das Hamburger Recht vom J. 1497 läfst die alten Bestimmungen von 
1270 und 1292 fort, weil, wie Trummer, Beitr. 3, 86 u. Erbr. 1318 glaub- 
lich macht, man einsah, dafs mit dem römischen Satze, der die denunciatio 
nicht an den Dreifsigsten bindet, der schwangern Wittwe und insbesondre 
auch dem nasciturus wirksamer geholfen werde. Auch die neuern Hand- 
bücher des Sächsischen Rechts gedenken meist nicht mehr der Vorschrift des 
Ssp.; nur Brückner $ 648 giebt sie in der allgemeinen Fassung wieder: die 
schwangre Wittwe hat bis zur Niederkuuft Insitz und Niesbrauch an den 
Gütern des Ehemanns ('). 

Bleibt endlich die Wittwe, sei es nach Recht oder nach Minne, über- 
haupt mit des Mannes Kindern oder sonstigen Erben, Ssp. 120 $$ 3, 4 III 
76 $1, in ungezweieten Gütern, so fallen damit jene Folgen des Dreifsig- 
sten fort. Daher der Ausdruck des Weichbildes Art. 24 $ 1 (Nr. 57): 
welk recht die vrowe .. hevet, of sie sik sceden wil von den kinderen oder 
von des mannes erven na dem drittegesten. 


C. Stellung des Erben. Besitznahme. Theilung. 


I. Der Erbe soll am Dreifsigsten sein Recht geltend machen, wo 
nicht, so nimmt die richterliche Gewalt das Gut an sich. So der Ssp. 128: 
Svat süsgedanes dinges ervelos irstirft, herwede oder erve oder rade, dat 
sal man antwerden deme richtere oder deme vronenboden, of he’t eschet, 
na deme drittegesten. Der Zusatz im Dsp. Nr. 29 “ob im da ist” ete. ist 
wohl dahin zu verstehen: ist ein sichrer Mann da, der sich am Dreifsigsten 
des Gutes unterwindet, so soll der Herr es ihm lassen, sonst es selber an 
sich nehmen. Dem Schwabenspiegel fehlt der ganze Satz. 

Mit dem Ssp. stimmen in dieser Bedeutung des Dreifsigsten für den 
Erben das Braunschweiger Recht Nr. 96: “Is ok de erve dar nicht de it 
upbore to deme drittegesten, so scal man it in eyne mene hant don” und 


(') Das Jütsche Lov I Art. 3, vgl. Nr. 107, bestimmt: die Frau welche nach des Mannes 
Tode behauptet schwanger zu sein, sitzt in dem ungetheilten Gute 20 Wochen, Ergiebt 
sich nunmehr die Schwangerschaft, so bleibt sie in dem Gute bis zur Entbindung. Erfolgt 
diese so spät, dafs das Kind nicht von dem verstorbenen Manne erzeugt sein kann, so muls 
die Frau zurück geben, was sie von dem Gute seit ihres Mannes Dreilsigsten genommen 
hat. — Während des Insitzes sollen die Erben darauf sehen, dafs die Frau nicht das Gut 
verschwende und das ihr nicht gehörige nicht veräulsere, s. oben S. 202 Nr. 1. 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 34 


das Lüneburger, Nr. 99: “Wer aver erer dar nein erve tho binnen der 
stadt, de radtman .. schollen sik des underwinden .... tho deme mandt- 
feste”, eben so das Jütsche Lov I 23 Nr. 108: “Komet dar ock de rech- 
ten eruen nycht in deme dryttygesten dage, so schal men dat erue schat- 
ten vnde...... bewaren”. 

Dafs damit jedoch der Erbe nicht sein Recht überhaupt einbüfst, son- 
dern sein Gut noch wenigstens binnen Jahr und Tag aus des Richters Ge- 
wahrsam ziehen kann, lehrt schon der Ssp. I 28, 29. Doch gehört die 
Erörterung dieses Punctes nicht weiter hieher ('). 

II. Ist der Erbe da, so tritt er nunmehr in die volle, bis dahin be- 
schränkte Gewalt ein. Gleichwie die nordischen Sagen, s. S. 130, erst mit 
dem Erbmal die Beerbung “vollkommen werden lassen”, so betrachtet, wo 
die alte Anschauung am längsten wie in Westfalen sich erhalten, der Sohn 
erst am Dreifsigsten sich als Nachfolger auf dem väterlichen Erbe; die Ge- 
schwister, selbst die Mutter reden nun von ihm als “unserm Herrn”. 

Der Erbe darf sich also jetzt der Erbschaft unterwinden. Ist aber 
eine besondre Besitznahme rechtlich erforderlich, und in welcher Weise er- 
folgt sie? Eine vielfach verbreitete Ansicht versteht nemlich den Satz: der 
Todte erbet den Lebendigen, dahin, dafs der Erbe mit dem Anfall nicht nur 
das Eigenthum der Erbschaft, sondern auch den Besitz überkomme, also 
um die aus dem Besitze fliefsenden Befugnisse zu gewinnen, nicht erst einer 
Besitzergreifung bedürfe(?). Sie stützt sich besonders auf Ssp. III 83 $ 1: 
svat .... uppe sie geervet, des ne dorven sie nicht besitten. Meiner 
Meinung nach entscheidet diese Stelle nicht dafür. “Besitten” heifst “sitzen 
bleiben”, s. Glossar zum Ssp. und Müller Wb. II2S. 333°. Ist nun vor- 
her gesagt: “svat man enem manne oder wive gift, dat solen sie besitten 
dre dage”, so ist der Sinn des darauf folgenden obigen Satzes: wer etwas 
ererbt bedarf nicht gleich dem, der inter vivos erwirbt, zur Besitznahme 
eines weiteren Sitzenbleibens (s. Ssp. II2S.418). Zur Schlichtung jener 


(') Vgl. die Literatur zu den obigen Stellen des Ssp., auch Fischer das erbschaftliche 
Versendungsrecht, Regensb. 1786 S. 34 ff. und über das Jütsche Lov Berck S. 95, Esmarch 
Erbrecht in Schleswig S. 223 N. 2. 

(2) S.die Literatur bei Runde D. Priv. $ 687, Curtius $ 909 N. e, Entscheid. des K. 
Pr. Obertribunals Bd. 18 S. 5, Beseler D, Priv. I $152, Viertelsjahrschr. I S. 607. 


Philos.-histor. Kl. 1864. Hh 


949 Honexver: Der Dreifsigste. 


Frage würde es nun in etwas beitragen, wenn sich ein besondrer Ritus der 
Besitznahme des Erben als üblich nachweisen liefse. 

Ein Rückblick zunächst auf das altnordische Recht, oben S. 142, 
ergiebt. In jeglichem Hause findet sich ein Hauptsitz, gleich dem Herrscher- 
thron das Sinnbild der Gewalt über Gut und Leute. Den Eintritt des Nach- 
folgers in diese Gewalt bezeichnet die Einnahme des Sitzes, welche beim 
Erbmal erfolgt. 

Die Angelsachsen sodann kennen einen Sitz unter den Bezeichnun- 
gen yrfestöl, edelstöl, (faeder edelstöl), frumstöl mit der Bedeutung nicht 
nur des Hauptsitzes, des obersten, vornehmsten Platzes im Gebiete, son- 
dern auch der Herrschaft und wiederum sowohl der Herrschergewalt, 
als auch des beherrschten Gegenstandes, sei es eines Reiches, eines Landes, 
eines Privatgutes(!) Dafs ferner dies Gebiet durch den Stuhl in Besitz 
genommen wurde, zeigt das Wiedergeben des Ps. 69 (65) a. E. mit “Paer 
hi yrfestöl eft gesittad and hi ore del begytad” d.i. “da sie (die Knechte 
Gottes) den Erbstuhl wieder einnehmen und ihr Erbland erlangen”. End- 
lich macht auch der Ausdruck “Erbstuhl” selber glaublich, dafs er die Be- 
sitznahme des Erben symbolisierte. Daher nimmt Leo, Sprachproben 
1538 S. 102, ungeachtet so ausdrückliche Zeugnisse wie im nordischen 


(') Den yrfestöl deutet Bouterweks Glossar zum Caedmon 1851 S. 317 als sedes here- 
ditaria, hereditas, domicilium. So spricht Abraham, der noch erblose, Caedm. 2170: “ne 
bearf ic yrfestöl eaforan bytlian enegum minra”, d. i. ich habe nicht nöthig, einem meiner 
Abkömmlinge den Erbstuhl zu errichten, (sondern nach mir werden meine Seitenverwand- 
ten über meine Habe walten); Caedm. 1623: “frumbearn siddan eafores Chuses yrfestöle 
veold” d. i. sodann hatte der erstgeborne Sohn des Chus den Erbstuhl inne. 

Den £dels2öl giebt Bouterwek 60 mit sedes avita, domicilium, habitatio natalis, den 
Jfeaderedelstöl mit regnum paternum. Der Herr spricht zu Noah, Caedm. 1480: dir ist wie- 
derum ein @delstöl eingeräumt. Cod. Exon. 326, 1: die Gothen sollen gegen Attila weh- 
ren den alten &delstöl Ermanrichs. Alfreds Metra 9, 11 (Grein Ags. Bibl. 2, 304): Rom, 
welche durchaus seines Reiches &delstöl war. Genesis 1129: Seth der Sohn hatte nach 
den Eltern den @delstöl inne. Beöwulf 2371 (Thorpe 4732): die Königin Hygd traut nach 
ihres Mannes Tode dem Sohn nicht zu, dals er gegen die Fremden die epel stölas behaup- 
ten könne. Vgl. noch Genesis 1747 ff., Christ 516 (Grein 2, 162), Rätsel 4, 7 (Grein 
2, 370). 

Für den frumstöl vgl. Bouterwek 85: prima sedes, sedes principalis, Schmid Ges. 
d. Angels. 1858 S. 39 Note, Maurer in der Überschau I 99. Ine’s noch vor 694 für 
Westsachsen gegebenes Gesetz sagt C. 38: die Mutter soll nach des Vaters Tode das un- 
mündige Kind bei sich behalten und ernähren. Die Verwandten aber halten den frumstöl, 
bis das Kind gejahret ist. 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 243 


Rechte fehlen, doch keinen Anstand, den yrfestöl für den Hochsitz des 
Hauses zu erklären “zu dem das Gut und das Recht des Gutes gefestet ist, 
und den der Erbe feierlich in Gegenwart der Verwandten zu besteigen hatte, 
wenn er in das Erbe eintreten sollte”. 

Die angelsächsischen Ausdrücke gehen der Zeit nach so weit zurück, 
sie zeigen den Gedanken eines Hauptstuhls so tief eingelebt, dafs er als ein 
nicht erst von Skandinavien eingedrungener, vielmehr aus der germanischen 
Heimath mit verpflanzter gelten darf. 

In diesem Stammlande selber nun kommt, dem nordischen “hasaeti” 
entsprechend, AHD “höhsedal, höhsidil” für zhronus, triclinium, im Heliand 
11, 14 “hohgisetu” für K. Davids Stuhl und Sitz seiner Herrschaft (Homeyer, 
Heimath S. 28) vor. Aber auch die Angelsächsischen Bezeichnungen, “yrfe- 
stöl, ebelstöl, frumstöl”, also Erb-, Stamm-, Hauptsitz kehren hier, wenn 


auch in lateinischer Übertragung wieder. Zugleich ist ihre Bedeutung als 


8 
Symbols der Herrschaft, in Anwendung auf das deutsche Königthum eine 
durchaus geläufige. Thietmar (Seript. III 741 1.2) erzählt: nach Hein- 
richs I. Tode bemühte sich seine Wittwe Mathilde, quod iunior filius Hein- 
ricus patris sedem possideret. Von Heinrich I. heifst es: omnibus placuit, 
ut de ducatu transduceretur ad regnum, de vexillo extolleretur in solium 
hereditarium (Hirsch H. II Bd. 1 S. 439). Dieser Erbsitz ist unter Carl 
dem Grofsen zu Aachen errichtet. Dort ist “sedes regni principalis, 
sedes prima Franciae”, “publicus thronus regalis ab antiquis regibus et a 
Carolo praecipue locatus, totius regni archisolium”; selbst Carl V. sagt 
noch “antiqua Carolorum sedes”(!). Dafs endlich die Einnahme dieses Sitzes 
den Beginn des neuen Regiments bezeichne, liegt nicht nur in dem noch 
heute gäng und geben “den Thron besteigen”, sondern wird auch in der 
That vom Ssp. als Reichsrecht Il 52 $ 1 dahin bezeugt: Svenne die (ko- 
ning) uppe den stul to Aken kumt (Schwbsp. uf den stuol ze Ache gesezet 
wirt), so hevet he koninglike walt unde koningliken namen (?). 


(') Waitz Verf. Gesch. IIT 218, Wipo ad a. 1024 Mon. XI. 262 1.32, Pfeffinger ad 
Vitr. I 888, Sickel, Mundbriefe ete. S. 17 (in solio parentum sedere). Über die Königs- 
sitze unter den Meroyingern s. Waitz II 122, 123. Insbesondre bestätigen Gregors Worte 
“Chlodovaeus ibi (zu Paris) cathedram regni constituit”, gleich Caedmon 2170 und dem 
obigen “locatus”, den Gedanken der Errichtung eines Erbstuhls. 

(°) Vgl. Melis Stoke Reimchronik V. 3886 ff. (Böhmer Fontes II 417): “Doe grave 


Hh2 


244 However: Der Dreifsigste. 


Wie steht es aber in Deutschland mit der Anwendung dieses Gedan- 
kens aufserhalb des Königthums('), insbesondere mit einer Beziehung auf 
den Eintritt in eine Privatverlassenschaft? 

Allerdings zeigt sich auch im Privatleben der Stuhl hie und da als 
Symbol der Herrschaft(?). Ferner findet sich der Begriff eines “caput- 
mansus”, eines “locus” oder einer “eurtis principalis”, eines “Principal- 
sces’, Homeyer Heimath 35, der für einen umfangreichen Privatbesitz das 
bedeutet was Aachen für das Reich war. Endlich ist ja aus zahlreichen Ur- 
kunden seit dem 14ten Jahrh. bekannt, welche Rolle bei der Besitznahme 
eines unter Lebendigen erworbenen Gutes das “Besitzen eines Stuhls” spielt, 
Grimm RA. 187 ff. Allein ich finde doch nicht, dafs in solchem caputman- 


Willam hadde ontfaen De ghifte van den conincrike, Wilde hi voer Aken haestelike; Want 
soude hi den rike ghenaken, Hi moeste op den stoel tot Aken”. — Sent. a. 1252 (Leg. II 
367 1. 30 sq.): “Nerbipolensis episcopus ... definivit, quod postquam Nos (Willelmus) ... 
consecrati et coronati prout moris est, solemnitate qua decuit apud Aquis, parebant et com- 
petebant nobis de jure civitates, castra et omnia bona ad imperium pertinentia”. 

(") Bekannt ist der mehrfach überlieferte, auch in Hdss. des Schwabensp. (Wackern. 
C. 418, Lafsb S. 133) ühergegangene Ritus der Einsetzung des Herzogs von Kärnthen 
auf einen bestimmten Stein oder Stuhl, mit dessen Einnahme die herzoglichen Rechte be- 
ginnen sollen. Doch erhellt hier nicht sicher die ächt germanische Natur der alten von 
4286 bis 1414 zu verfolgenden Sitte. Vergl. die Nachweisungen bei Grimm RA. 254, 
v. Maurer Gesch. der Markenverf. 51 N. 16, besonders v. Moro, der Fürstenstein in Kern- 
burg etc., Wien 1863. 

(?) Für diesen Sinn giebt es mehrfache Andeutungen. 

1. Der Stuhl wird demjenigen “vor die Thüre gesetzt”, der durch veränderte Um- 
stinde die Gewalt üher das Gut einbülst, Grimm RA. 189 Nr. 5. 

2. In den Formeln “den Wittwenstuhl verrücken”, Haltaus s. h. v., “ihn behalten, 
besitzen”, Schmeller B. W. III 632 bedeutet der Wittwenstuhl nun allerdings den Witt- 
wenstand; auch “den Wittwenstand verrücken” ist üblich. Aber auch hier ist doch eine 
ursprüngliche sinnliche Bedeutung vorauszusetzen; es gab also einen besondern Stuhl für 
die Wittwe, den sie bei der neuen Heirath aufgab. Und man darf vielleicht in diesem Stuhl 
ein Symbol nicht sowohl ihrer Gattenlosigkeit als vielmehr der Herrschaft sehen, welche 
ihr nach des Mannes Tode so oft beigelegt wird; wenn es z. B. bei Haltaus 2124 heilst: 
“stirbt ein Centhner und läfst eine eheliche Hausfrau in seinem Centgute sitzen, die Frau 
mag sich des gebrauchen auf ihrem Wittibenstuhl”, oder “Der Frau Mutter man rieth da- 
bey, dals sie uf ihrem Witbenstuhl solt bleiben vnd regieren wohl das Land an ihrer Kin- 
der statt”. Auch verdient 

3. Beachtung, dals die Niftel aus den Geradesachen dem Wittwer herausgiebt: nicht 
einen Stuhl überhaupt, sondern seinen Stuhl, Ssp. III 38 $ 5 und die Stellen bei Grimm 
RA. 576. 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 245 


sus oder in dem Gute überhaupt ein besondrer ausgezeichneter Sitz gleich 
dem nordischen “öndvegi” vorhanden gewesen und auf ihm der Erbe in feier- 
licher Weise Platz genommen habe. Auch bei jenem rituellen Erwerbe 
eines Grundstücks unter Lebendigen erscheint der Stuhl nicht als ein fester 
Sitz an bestimmter Stelle des Hauses; er wird erst zur Einsetzung des Er- 
werbers vom Richter mitgebracht. 

Das Ergebnifs unsers Excurses ist also. Es leitet zwar die in jenen 
angelsächsischen Ausdrücken erkennbare Anschauung, sodann deren ent- 
schiedene Anwendung auf das deutsche Königthum, in weiterer Ferne end- 
lich der altnordische Gebrauch des “öndvegi” daraufhin, dafs in früher un- 
bestimmter Vorzeit auch der germanische Erbe den Beginn seiner Gewalt 
mit dem Einnehmen des väterlichen Sitzes bezeichnet habe. Aber diese 
Sitteist doch glaublich um die Zeit, da die rechtliche Bedeutung des Drei- 
fsigsten in unsern Quellen hervortritt, im Kreise des Privatlebens schon ge- 
schwunden, auch ein andrer bestimmter Ritus nicht in ihre Stelle getreten. 
Die Lösung der oben über das rechtliche Erfordernifs der Besitzuahme der 
Erbschaft aufgeworfenen Frage empfängt mithin durch diese Untersuchung 
keine Beihülfe. 

III. Beginnt am Dreifsigsten die volle Gewalt des Erben, so erwächst 
nun auch unter mehreren Erben der Anspruch auf eine Auseinandersetzung, 
bestimmter auf die Theilung, vgl. Trummer Erbr. 1313, II 90. 

Der Ssp. gedenkt dieser rechtlichen Folge nicht speciell; eine Reihe 
andrer Quellen aber aus verschiedenen Zeiten und Gegenden bezeugt jenen 
Anspruch, oder doch das Gebräuchliche der Theilung nach Ablauf des 
Dreifsigsten. 

Das Frankfurter Privileg von 1308 Nr. 67 will, dafs "infra spatium 
unius mensis post obitum” eines Fleischers seine Erben sich darüber ent- 
scheiden sollen, wer den (in Natur untheilbaren) Scharren überkomme. — 
Das Braunschweiger Stadtr. Nr. 97 bestimmt: sind unter mehreren 
Kindern einige ausgestattet, andre nicht, so hat ein Ausgestatteter die Wahl, 
ob er unter Einbringen des Empfangenen mit zu Theile gehen wolle; letz- 
tenfalls mufs er jedoch auf Verlangen der Andern Bürgschaft stellen, dafs 
er für den Fall eines Wiederauskehrens von seiner Seite, dies “to dem drit- 
tigesten” thue; an welchem Tage dann die Berechnung und das Einbringen 
auf Gewinn und Verlust erfolgt. 


246 Honmsven: Der Dreifsigste. 


Nach der Neum ärk. Pol.-O. v. 1540 Nr. 114 geschieht die Erb- 
schichtung zwischen dem Überlebenden und den Kindern “nach Ausgang der 
vier Wochen”. — Die Bregenzer VO. v. 1572 Nr. 160 spricht von der 
Theilung nach “gehaltener Dreyfsigst”. — Pruckmann Nr. 118 bezeugt für 
die Mark, dafs nach dortigem Gebrauch die Erbschaftstheilungen “ultra 
tricesimum diem” nach dem Tode des Erblassers nicht verschoben werden. — 
Die Tyroler Policeiordnung von 1573 (Nr. 157) setzt voraus, dals am Dreilsig- 
sten auch die Erbschaft reguliert werde, und dieBayerische v. J. 1616 oben 
S. 161 bemerkt ausdrücklich, dafs die Erben an diesem Tage gemeiniglich 
nicht nur des Gottesdienstes, sondern auch der Erbtheilung halber zusam- 
menkommen. — Das Solmsische Landr. Nr. 170 will, dafs die Stiefeltern, 
als welche keinen Beisefs haben, binnen Monatsfrist mit den Kindern thei- 
len. — Nach dem Preufs. Landrecht von 1721 Nr. 111 mögen die Erben 
den überlebenden Ehegatten nach dem 30sten Tage zur Schichtung und 
Theilung anhalten. — Das Culmische Recht ex ult. revis. Nr. 66 verpflich- 
tet die Wittwe, die nicht im Beisitz bleibt, nach den 30 Tagen den Kindern 
Theilung zu thun. — Das Colditzer Recht, Nr. 74, bestimmt: die Witwe 
soll sich mit den Stiefkindern vier Wochen nach dem Tode des Mannes ab- 
finden; das Gubener Nr. 68: die Theilung der Verlassenschaft ist nach 
dem Ausgang des 30sten zu vollziehen; das Lübbener Nr. 71: die Thei- 
lung und Auseinandersetzung geschieht erst nach Ablauf des Dreilsigsten 
nach dem Tode des Erblassers. — Stryk endlich Us. Mod. Lib. 10 t. 2 
$12 äufsert für Deutschland allgemein: Praxi tamen Germaniae receptum 
volunt, hereditatis divisionem ante trigesimum a morte diem suseipiendam 
non esse. 

Eine eigenthümliche Anwendung giebt die Hennebergische LO., 
Nr. 154, für den Fall, wenn der im Beisitz verbliebene parens die "Hand 
verbricht”. Er soll dann mit den Kindern in 4 Wochen nach der zweiten 
Heirath theilen. 

Andrerseits sind die 30 Tage in dem Recht von Budissin auf drei- 
mal 14 Tage erweitert worden; das Siebenbürger Recht giebt dem Über- 
lebenden nach Umständen noch einen zweiten Monat zur Theilung. 

Das gemeine Sachsenrecht macht die Theilung nicht von dem 
Dreifsigsten abhängig, wohl weil der Ssp. darüber schweigt. Schon Horn, 
gleichwie in neuern Zeiten Haubold, Curtius ($ 919 ff.), Heimbach wissen 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 947 


nichts davon, obwohl vor dem Dreifsigsten das Insitzrecht der Wittwe eine 
Beschränkung der Theilung herbeiführen kann. Auch von den oben ange- 
führten Quellen haben namentlich das Landrecht Preufsens und das Culmi- 
sche Recht ihre Gültigkeit verloren. Dennoch ist an manchen Orten der 
alte Satz in Übung. Es gilt noch die Bestimmung des Solmsischen 
Landrechts, s. Bopp S. 51, 52. Die Darstellung Buchers, oben S. 151, 
kennt die von der Bayerschen Landesordnung bezeugte Sitte als eine fort- 
währende und läfst (S. 219 ff.) die Verlassenschaftsverhandlungen am Drei- 
fsigsten vor dem Gastmal beginnen. Nach der S. Weimarschen Bekannt- 
machung von 1816, Nr. 150, sollen die Gerichte der Regel nach nicht vor 
dem Dreifsigsten den Nachlafs regulieren, und demnach lehrt Sachse S. 443: 
der Erbe kann erst nach dem Dreifsigsten die Erbschaft zu theilen angehal- 
ten werden. Eben so Bamberg für Schw. Rudolstadt 8153: erst nach 
dem 30ften Tage findet die obrigkeitliche Regulierung der Erbschaft statt. 
In Frankfurt a. M. pflegt nach Adlerflycht II 591 mit Entsieglung, Antre- 
tung und Vertheilung bis zum Dreifsigsten gewartet zu werden. Endlich 
berichtet Kyd aus den Schweizer Urkantonen:: am Dreifsigsten kommen die 
Erben des Hingeschiedenen alle in das Haus des Verstorbenen, mehrmals mit 
Anwälden; nach dem Essen fangt man an, ein Inventar über Soll und Ha- 
ben des Verstorbenen zu ziehen und die Theilung vorzunehmen, was oft 
mehrere Tage dauert. 

Die Beziehung des Dreifsigsten auf die Theilung ist oder war 
demnach eine zwiefache. Vor dem Dreifsigsten soll nicht getheilt werden, 
mit Rücksicht sowohl auf die Sterbhausstille als auf die Rechte der Wittwe. 
Nach dem Dreifsigsten soll entweder getheilt werden, so zwischen dem 
Überlebenden und den Kindern falls kein Beisitz stattfindet, oder kann doch 
jeder der Miterben die Theilung fordern, und erfolgt sie auch sogleich der 
Sitte nach. 


D. Befriedigung der Singularansprüche. Schicksal der Früchte. 


Mit dem Dreifsigsten erheben sich gegen den, der das Erbe genom- 
men, die bis dahin ruhenden aus verschiedenen Titeln entspringenden For- 
derungen, namentlich die Ansprüche auf das Lehn, die Gerade, das Heer- 
gewäte, das Mustheil, die Morgengabe, das Leibgeding, die Vermächtnisse. 


948 Homerer: Der Dreifsigste. 


Hier, wo nicht Miterben einander gegenüberstehen, welche gleich- 
mäfsig an Gewinn und Verlust seit dem Tode des Erblassers Theil nehmen, 
sondern wo die Erben andern Berechtigten gewisse Gütercomplexe, be- 
stimmte Geldsummen, überhaupt partes quantas herauszugeben haben, er- 
wächst die Frage, ob fruchttragende Gegenstände mit den Früchten seit dem 
Tode gefordert werden können, oder ob diese bis zum Dreifsigsten ins Erbe 
fallen. Im sächsischen Rechte ist die Frage zum Theil legislatorisch 
entschieden, besonders aber in der Jurisprudenz vielfach erörtert worden; 
in beiden Fällen jedoch meist nur für einzelne Gütermassen , namentlich für 
das Lehn, oder für gewisse Arten von Früchten, ferner bald nach der einen 
bald nach der andern Alternative hin. Ich gedenke 

A. der Aussprüche, welche jenen Zuwachs den Erben zubilligen. 

Die Constitutio III 32, Nr. 128, läfst nicht nur die “Zehenden, Pächte 
und Einkommen auf und aus den Lehngütern”, welche schon zur Zeit des 
verstorbenen Vasallen betagt gewesen, sondern auch die Zinsen und Korn- 
pächte, welche erst innerhalb des Dreifsigsten fällig oder betagt wer- 
den, den Allodialerben folgen. Die Bestimmung trifft nur Civilfrüchte ('); 
für Industrialfrüchte entscheidet der Umstand, ob der Verstorbene schon 
die meiste Arbeit für sie gethan, sie verdient hat; die Naturalfrüchte end- 
lich bleiben allgemein den Lehnfolgern, nicht den Erben. 

Pistoris I qu. 24 bemerkt nun zunächst Nr. 94: erlebt der Vasall 
den Tag der Fälligkeit des census, so fällt er an seine Erben, wo nicht, an 
den Lehnsfolger oder Herrn nach Ssp. III 58, 76. In Nr.95 aber fügt er 
hinzu: Est tamen hoc ita accipiendum, nisi etiam intra diem tricesimum 
post mortem possessoris dies evenerit, nam intra hoc tempus hereditas pro 


(') Die Const. III 16 will, dals Zinsen, die auf eine gewisse Zeit zu fallen pflegen, 
wenn der Erblasser den Zinstag nicht erlebt, doch pro rata der Zeit, welche er noch er- 
lebt hat, seinen Erben gereicht werden sollen. Wie diese Bestimmung welche des 30sten 
nicht gedenkt, gegen die C. 32 abzugränzen ist, untersuchen Lauhn in Zepernick Samml. IV 
S. 42 ff. 8 7—10, Zachariä sächs. Lehnr. $ 217 N. 6, Haubold $183 N.e. — Kind qu. 
for. I qu. 18 entnimmt aus Ihringk de modo computandi fructus, Marb. 1746 c. 6 $ 60 
eine Hessische dahin lautende Bestimmung. So viel jährliche Renten, Zehenden, Zins und 
dgl. ledige Gefälle betrifft, die sollen, sofern sie bei Leben des Lehnsmannes, oder inner- 
halb dem 30sten nach seinem Absterben betagen, den Landerben auch ganz folgen. Betagen 
sie aber nicht bei Leben des Lehnsmannes oder innerhalb dem 30sten, so soll den Land- 
erben ihr Gebühr pro rata temporis daran folgen und das übrige den Lehnsfolgern bleiben. 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 249 


jJacente reputatur et omnia ea, quae interim bonis defuncti accrescunt, he- 
reditatem augent, et perinde habentur, ac si decedens ea reliquisset, ut coll. 
ex 122, Weichb. 24, et hoc etiam constitutionibus nostris est confirmatum. 
Pistoris spricht also gleichfalls nur von Civilfrüchten und zwar eines Lehns, 
aber er begründet den für sie aufgestellten Satz durch die hereditas jacens 
und die wenigstens angedeutete Fiction, dafs der Verstorbene bis zum Drei- 
fsigsten gelebt habe, also durch eine alle Güter des Verstorbenen und alle 
Arten von Früchten begreifendes Priueip. Er entnimmt endlich dieses Prin- 
cip aus den Rechtsbüchern, die es, s. oben S. 227, nicht rechtfertigen und 
findet es bestätigt in den Constitutionen, deren Bestimmungen jedoch hin- 
sichtlich der Industrial- und Naturalfrüchte ihm widerstreben. 

Carpzovs Worte (P. III c. 16 def. 8): “Et repraesentat hereditas 
jacens personam defuncti, ut vel propterea etiam fructus intra tricesimum 
exigibiles defuneto cedant ac postea ad heredes ipsius pertineant”, bezeich- 
nen entschieden den Verstorbenen als durch die hereditas vertreten und 
beziehen folgerecht den obigen Satz ausdrücklich auf Früchte überhaupt. 

Auf beide beruft sich dann Horn $ 41 für seine noch umfassendere 
Aufstellung. Aus dem Satze “hereditas repraesentat defunctum” fliefse: 
“onera ac commoda hereditatis esse eadem, ac si defunctus adhuc in vivis 
esset”, und weiter, dafs alle Civilfrüchte, “quorum dies cessit, durante 
spacio tricesimi hereditati accedant, licet res ipsa, e. g. feudum, non ad 
heredem, sed alios pertinet successores”. 

C. F. Hommel zieht aus der von ihm, s. oben $.225, bestimmt 
formulierten Fiction die Anwendung: so gehören alle Einkünfte des Pfarrers, 
so innerhalb des 30sten nach seinem Absterben fallen, nicht zum Gnaden- 
sondern zum verdienten Jahre. 

Lauhns Abhandlung von den Lehnsnutzungen, in Zepernick Samml. 
IV. 1783, geht S. 36 ff. ausführlich auf die verschiedenen Arten der Früchte 
ein. Bei den Naturalfrüchten stützt er $4 den Satz, dafs die binnen dem 
30sten einzusammelnden den Landerben gehören, auf Ssp. I 22, Weichb. 23, 
25; bei der Vertheilung der Industrialfrüchte nach dem Verdientsein ge- 
denkt er des 30sten nicht. Bei den Civilfrüchten scheidet er ($$ 7,8) a. die 
an einem gewissen Tage fälligen, welche nach Const. III 32 der Allodial- 
erbe geniefse, wenn die Verfallzeit noch binnen dem Dreifsigsten, oder wie 
die Praxis annehme, binnen wenigen Tagen nach dem Dreifsigsten erfolge, 


Philos.-histor. Kl. 1864. Ti 


250 Homevern: Der Dreifsigste. 


b. die zu allen Stunden fälligen, nach Const. III 16 pro rata temporis zwi- 
schen den Land- und Lehnerben zu theilenden Renten, wobei jedoch der 
Trauermonat — dessen das Gesetz nicht gedenkt — der Lebenszeit des ver- 
storbenen Vasallen zuzurechnen sei. Ein durchgreifendes Prineip ist bier 
nicht sichtbar. 

Kind quaest. for. I qu. 56 schliefst sich an Horn mit folgender Wen- 
dung an: cum ex moribus Saxonum .. defunetus ad 30mum usque vivere 
fingatur, hocque constitutum sit tum in honorem defuneti, tum simul in 
favorem heredum, qui certa bona aliis heredibus restituere tenentur, 
consequens est, ut intra 30mum diem omnia in eodem statu quo tempore 
mortis fuere maneant, atque ipsa hereditas ex fructibus aliisve accessionibus 
augeatur. 

Aus den Neuern, die auf dieser Seite stehen, hebe ich noch folgende 
hervor. 

Zachariä Lehnr. giebt $216 die natürlichen Früchte dem Land- 
erben, wenn sie wenigstens binnen dem Dreifsigsten eingesammelt worden, 
“wegen der bekannten Fiction des s. Rechts, dafs der Verstorbene noch 30 
Tage nach seinem Tode lebe”. Über die Industrialfrüchte läfst er, $217, 
nach Const. III 32 das Verdientsein entscheiden. Von den Civilfrüchten 
$ 218 gehen die auf einen gewissen Termin betagten nach derselben Const. 
auf den Landerben über, wenn sie binnen dem Dreifsigsten fällig sind; die- 
jenigen, bei denen “dies cedit singulis momentis” sind nach der Analogie der 
Const. III 16 pro rata temporis zu theilen. Bei diesen letztern gedenkt Z. 
des Dreifsigsten nicht. Die spätern Herausgeber (1823) bemerken aber 
Note 2: Lehnsnutzungen, die vermöge eines auf dem Lehne haftenden Pri- 
vilegii pereipirt werden, fallen zwar nach dem gemeinen Rechte sogleich an 
den Lehnsfolger, “nach dem sächsischen Rechte jedoch mufs auch hier der 
Dreifsigste berücksichtigt werden. 

Eichhorn D. Priv R. lehrt $ 363 zu Note g: von den noch unge- 
trennten Früchten gehörten dem Landerben die Naturalfrüchte nach dem 
alten D. Recht, sofern sie innerhalb 30 Tage nach dem Tode des Vasallen 
percipirt werden konnten. Eben so Schütz diss. p. 35 und Ortloff Grund- 
rifs des T. Priv R. 1828 S. 379: wo der Ssp. gilt, gehören alle Früchte, 
welche wenigstens bis zum Dreifsigsten . . getrennt wurden, ganz unbedingt 
zu dem Allodium. Alle Dreie berufen sich auf Ssp. 122, III 15. 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 351 


Curtius sagt (3te Ausg.) im $ 899 allgemein: bei der separatio feudi 
ab allodio, oder wenn der Verstorbene den Niesbrauch eines Grundstücks 
gehabt, wird die Theilung der fr. mere naturales und der fr. eiviles mit 
Berücksichtigung des Dreifsigsten bewirkt. Der $ 922 Note b bestätigt dies 
und fügt hinzu, dafs die Industrialfrüchte den Landerben zufallen, sofern 
noch bei des Erblassers Lebzeiten die meiste Arbeit dabei verrichtet worden. 
In der Aten Ausgabe wird (nach Emminghaus S. 754 Nr. 45) bezweifelt, ob 
der Dreifsigste bei Naturalfrüchten in Betracht komme, da Const. III 32 
dessen bei ihnen nicht erwähne. 

Pinder ProvR. endlich stellt im $ 572 den Satz voran: bei der Aus- 
einandersetzung wegen der Nutzungen im Sterbejahr des Vasallen werde an- 
genommen, dafs dessen Besitz noch 30 Tage nach seinem Tode gedauert. 
Danach rechnet er iu den folgenden $$ zum Allode sowohl die vor dem 
30sten eingesammelten natürlichen Früchte, als auch die Industrialfrüchte, 
für welche die Arbeit vor dem 30sten gröfstentheils gethan ist, und sämmt- 
liche vor dem Dreifsigsten fällig gewordene Civilfrüchte. In gleicher Weise 
läfst das Gothaische Lehnsmandat vom J. 1800, Nr. 145, bei allen Arten 
der Lehnsfrüchte den Dreifsigsten statt des Todestages des Vasallen 
eintreten. 

Die Entwickelung dieser ersten Ansicht nimmt also folgenden Gang. 
Die kursächsische Gesetzgebung setzt bei der separatio feudi ab allodio zu 
Gunsten des Landerben den Dreifsigsten statt des Todestages nur für eine 
gewisse Art der Civilfrüchte fest, GC. III 32, dagegen nicht für die natürli- 
chen Früchte, für die Industrialfrüchte und für eine andre Art von Civil- 
früchten, C. IIL16, deren nähere bestrittene Scheidung von jener Art hier 
bei Seite gelassen werden darf. Die Doktrin findet in der Bestimmung der 
C. III 32 nur die Anerkennung eines allgemeinen aus dem Ssp. abzuleiten- 
den Prineips, läfst aber dessen weitere Anwendung in verschiedenen Stufen 
eintreten. Pistoris, Carpzov, Horn, Hommel, Kind, Pinder unterwerfen 
ihm folgerecht sämmtliche Arten von Früchten; Lauhn und Curtius be- 
ziehen das Princip nicht auf die Industrialfrüchte, Zachariä aufserdem nicht 
auf die in III 16 gedachten Civilfrüchte, Eichhorn und auch wohl Ortloff 
wenden es nur auf die Naturalfrüchte an. 

B. Eine andre Auffassung waltet im herzoglichen Sachsen oder 
Thüringen. 

Ii2 


952 Homever: Der Dreifsigste. 


Sie tritt zunächst bei Coler, Deecisiones Germaniae, zuletzt Lips. 
1631, Dec. 286 n. 129 ff. hervor. Er beruft sich gegen die Folgerung, 
dafs die hereditas jacens den Verstorbenen repräsentiere , mithin die bis zum 
Dreifsigsten fälligen Früchte den Erben des Verstorbenen gebühren, auf den 
Ssp. III 76 $5, wonach die Gutsgefälle nur dann an die Erben des Nutzungs- 
berechtigten gedeihen, wenn dieser selber noch die Fälligkeit erlebt hat. 

Ihm folgt C. P. Richter Deeisiones, zuletzt 1689, P. I.d. 56, 
(Emminghaus 751°). Er fügt der Angabe der Bestimmungen der Constitu- 
tionen hinzu: “in partibus vero Thuringiae semper contrarium pro agnatis, 
non attenta Sax. Const. pronunciatum esse testatur Coler. dee.” und führt 
aus einer nach Burg ergangnen Sentenz des Leipz. Schöffenstuhls von 1640 
an: “Obwol nun etlicher Rechtslehrer Meinung nach nicht allein diejenigen 
Zinsen .. so nach dem Todesfall des Lehnsmanns binnen dem 30sten fällig, 
die Landerben vor sich allein, sondern auch derselben, welche allererst 
nach Verfliefsung des 30sten betagt worden, sie und die Lehnfolger zugleich, 
jedoch pro rata temporis sich anzumafsen berechtigt: dennoch aber, da nach 
gemeinem Sächs. Rechte alle unbetagten Gefälle an Zinsen etc. den Lehn- 
erben allein zukommen, so sind die Landerben davon etwas zu fordern nicht 
befugt, es wäre denn, dafs die Sächs. Const. bei Euch . . eingeführt”. 

Auf beide und auf A. Beier ad Schulz synops. instit. imper. L. II. 
t. 1 p. 242 beruft sich ein im J. 1750 nach Weimar ergangenes Urteil der 
Erfurter Facultät (Schorch resp. 19, Emminghaus 752°), wonach die Erben 
der Inhaberin eines dozalitii Civilfrüchte nur empfangen, wenn sie bei Leb- 
zeiten der Wittwe fällig geworden, und wonach der Termin bis zum tricesi- 
mus den Erben eben so wenig als die Const. III 16 frommen kann. Denn 
nach beiden werde im Fürstlichen Sachsen in diesem Punkte nicht 
gesprochen. 

Nach diesen Vorgängern lehrt auch Müller prompt. s. v. Tricesimus: 
“census aliique reditus jure Saxonico ducali ad heredes eo demum casu 
transmittuntur, quo eorum vivo fructuario venit, tricesimi nulla ratio habe- 
tur”, und Hellfeld Elem. jur. feud. p. 475: “reditus annui etc. si dies vivo 
adhuc vasallo ... cessit, heredibus allodialibus sunt relinquendi, si dies intra 
30mum (vel serius) cessit, in Thuringia ducali ad successores feudales 
pertinent”. 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 253 


Schliefslich führt noch ein neueres Erk. der Regierung in Weimar 
v.J. 1845 (bei Emminghaus S. 660) aus. Die Bestimmungen des Ssp. seien 
in den Landen der Albertinischen Linie so aufgefalst worden, dafs bis 
zum 30sten der Erblasser als lebend zu betrachten, daher bis dahin die 
Wirthschaft noch für Rechnung des Nachlasses fortzuführen und insbesondre 
die innerhalb des 30sten gewonnenen Früchte von Nachlafsgegenständen der 
Verlassenschaft zuwachsen. Abweichend davon habe in den Herzoglich 
S. Landen die Praxis dem Zricesimus im Ganzen nur für die Ausübung 
der durch den Erbfall eingetretenen Rechte, nicht für den Eintritt selbst 
eine aufschiebende Wirkung beigelegt, demnach den Fruchterwerb auch 
innerhalb des 30sten demjenigen zugesprochen, welchem der Nutzniefs nach 
eingetretenem Erbfall gebührt. 

Diese zweite Auffassung ist allerdings für die nach gemeinem Recht 
begründete zu achten. Das Hinausschieben der Theilung und der Ausant- 
wortung der nicht dem Erben zufallenden Stücke an die Berechtigten thut 
ihrem Erwerbe des Rechts zur Zeit des Todes keinen Eintrag, vgl. oben 
S. 227, wie selbst die Const. III 33, oben $. 228, hinsichtlich der der 
Wittwe gebührenden Stücke anerkennt. Der natürlichen Folge, dafs den 
Berechtigten auch die Früchte zufallen, treten, insofern nicht das “Verdient- 
sein” einwirkt, die mittelalterlichen Quellen des Sächsischen Rechts nirgends 
entgegen. Ssp. II 76 $5 läfst den Todestag selber über das Schicksal 
der Nutzungen entscheiden. 122 $ 3 über dasMustheil widerspricht dem, wie 
sich unten S. 258 ergeben wird, nicht. Eben so wenig entscheidet die Regel 
1115 $2, dafs der Erbe nach dem 30sten, unter dem Nachtheil des Ge- 
weddes und der Bufse, die Gerade u. s. w. herausgeben soll, über den 
Umfang seiner Leistung. Grundsätzlich gebühren also die zwischen den 
Tod und den Dreifsigsten fallenden Früchte demjenigen, welchem in dieser 
Zeit das fruchttragende Gut selber zu einem, an sich die Nutzung einschlie- 
fsenden Rechte zusteht. Die Herleitung jener ersten Auffassung aus den 
Vorstellungen einer hereditas jacens, welche den Verstorbenen vertrete, 
und des Fortlebens des Verstorbenen bis zum Dreifsigsten zerfällt mit diesen 
Fictionen selber. Auch Kinds Argument, oben S. 250, dafs die 30 Tage 
zur besonderen Begünstigung des Erben gereichen, und dafs deshalb ihm 
die Früchte des gesammten Nachlasses, auch der ihm nicht angefallenen 
Stücke, zuzubilligen, ist weder in seinem Grunde, noch in der Folgerung 


[E09] 


54 Honeren: Der Dreifsigste. 


haltbar. Wenn endlich Horn noch geltend macht, dafs wer die onera trage 
auch die commoda haben müsse, so ist aus dieser Gemeinschaft zwischen 
Lust und Last bier nur zu folgern, dafs falls aus der Erbschaft eine Ver- 
wendung für ein solches Vermögensstück oder dessen Früchte gemacht, 
z. B. ein Lehngebäude vor dem 30 sten repariert ist, derjenige der das Gut 
und zwar nach dem Obigen mit den Früchten der Zwischenzeit nimmt, jene 
Ausgaben der Erbschaft zu ersetzen hat, vgl. Emminghaus S. 752, 753. 

Hienach nebme ich auch nicht mit Finder $ 448 an, dafs Ritterpferds- 
gelder und andre öffentliche Lasten erst vom 30sten an auf den Lehnfolger 
um deswillen übergehen, weil, IIS. 105, jeder Vasall sie für seine Besitz- 
zeit zu tragen habe; sie werden vielmehr schon vom Anfall des Lehns an 
dem Lehnsfolger zuzubilligen sein. 

Somit ist m. E. überhaupt die Bestimmung des Const. III 32 eng zu 
deuten und weder auf andre Vermögensobjecte und andre Früchte, noch 
auf andre Landesgebiete, in denen die sächsischen Constitutionen nicht 
gelten, auszudehnen. Das ganze streitige Prineip tritt beim Lehn am wirk- 
samsten hervor und ist hier am häufigsten erörtert worden. Doch leidet es 
ja weitere Anwendung auf andres Gut, welches dem Erben von andern Be- 
vechtigten am Dreifsigsten abverlangt wird. Folgende Fälle sind vornem- 
lich von der Gesetzgebung und Jurisprudenz in Betracht gezogen worden. 

1. Bei Vermächtnissen ist zunächst unbestritten, dafs der Erbe 
dem Legatar alle nach dem 30sten erhobenen Früchte und Nutzungen der 
vermachten Sache zu erstatten, so wie von dieser Zeit an die vermachten 
Geldquanta zu verzinsen hat, sollte der Erbe gleich nicht im Verzuge, auch 
am 30sten nicht im Besitz der Erbschaft oder der legierten Sache gewesen 
sein ('). Besonders aber fragt es sich um die bis zum 30sten fallenden 
Zinsen und Nutzungen. Hier erkennt die Const. III 13 die auf den legierten 
Grundstücken “zur Zeit des Testatorn Absterben” noch stehenden Früchte 
dem Legatar zu. Nach der Decisio 12 v. J. 1746 dagegen verbleiben dem 
Erben diese Zinsen und Nutzungen, selbst wenn die Sache in des Legatars 


Händen, oder das Capital bei demselben steht (?2). Haubold $ 345 a. E. 


(') Bauer, die Decisionen v. J. 1746, IS. 137, Haubold $ 270, Curtius $ 782 zu Note 
h und i. Jenaer Urteil bei Emminghaus 659. Über die Anwendung auf Fideicommisse 


ebd. 664. 
(*) Vgl. die Literatur bei Haubold $ 345 Note a und Curtius a. a. O. 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 255 


vereinigt beide Vorschriften dureh die Voraussetzung, dafs in der Const. III 13 
unter der Zeit des “Ablebens des Testators” gleichfalls erst der 30ste nach 
dem Ableben zn verstehen sei. Schwerlich wird man jedoch diese Deutung 
in die Constitution selber hineintragen dürfen; es liegt in der Decision 
eben eine Änderung des Rechts kraft des mächtigen Einflusses der vieler- 
wähnten Fiction vor, oder, wie Bauer a. a. O. S. 138 sich ausdrückt: weil 
nach Sächsischen Rechten der Erblasser 30 Tage lang noch für lebend er- 
achtet wird, so ist es, wenn die Decision vom 30sten an dem Legatar die 
Nutzungen zueignet, eben so viel, als wenn sie ihm solche vom Todestage 
an geeignet hätte. Dem Grundsatz der Decision folgt auch für Sachsen- 
Weimar Sachse S. 443, wonach die Nutzungen der Legate dem Legatar 
erst vom Dreifsigsten ab angehören, nicht aber das oben S. 253 angeführte 
Erkenntnifs v. J. 1845. 

Andrerseits kommen doch dem Legatar auch nach der Decision die 
nach dem Dreifsigsten erhobenen Industrialfrüchte, ohne Rücksicht auf den 
Grundsatz des Verdientseins durch den Erblasser, zu Gute, s. Bauer a. a. O. 
S. 143. 

Auf dem Einflufs jener Fietion beruhen gleichfalls die Aussprüche in 
den drei nächsten Fällen. 

2. Ein Jenaer Gutachten v. J. 1691, Emminghaus 659, billigt, wenn 
der Mann seiner Frau die Einkünfte seines Gutes geschenkt hat, der Wittwe 
auch noch die innerhalb des Dreifsigsten fälligen Einkünfte zu: nam illi re- 
ditus hereditati Jacenti accensentur. 

3. Pinder $ 414 lehrt, dafs die Einzahlung einer versprochenen 
Mitgift, um dagegen eine Leibzucht aus dem Lehn zu empfangen, mit 
Zinsen erst vom 30sten nach dem Tode des Mannes ab seitens der Wittwe 
erfolge, vgl. dort II S.97 und Zachariä $ 216. 

4. Das OAG. von Jena (Emminghaus S. 669) entscheidet 1844, dafs 
Erbegelder erst 30 Tage nach dem Ableben des Erblassers gefordert, 
und mithin Zinsen davon auch erst von da ab zugesprochen werden können. 
Für einen solchen Fall hatte schon Hu feland, Beiträge zur Berichtigung etc. 
St.5 S. 68 im J. 1802 ausgeführt: der tricesimus könne dem Zahler der 
Erbegelder nicht frommen; das Recht auf dieselben sei schon früher da, 
nur die Ausübung werde verschoben; die Einforderung der Zinsen seit dem 
Tode die ordentlicherweise postnumerando zu zahlen, störe die Ruhe des 


256 However: Der Dreifsigste. 


Sterbhauses nicht; es trete die Analogie der Nov. 115 c.5 ein: nullo prae- 
judicio actoribus ex hoc intervallo circa temporalem praeseriptionem, aut in 
alia quacunque legitima allegatione penitus generando. Dieser Meinung 
hat sich auch ein Weimarsches Erk. von 1845 und zwar mit Recht, s. oben 
S. 253, angeschlossen. 

5. Hinsichtlich der conferenda ist überhaupt unter den sächsischen 
Juristen streitig, ob die Pflicht zur Verzinsung gleich mit dem Moment der 
Collationspflicht oder erst in Folge einer durch Interpellation zu bewirken- 
den mora eintrete, s. Curtius $ 934 Note pp. Unter der erstern Annahme 
ist dann von dem App.-Ger. zu Dresden in den J. 1821, 1823, 1525, kraft 
obiger Fiction auf Zinsen des herauszuzahlenden conferendi vom Ablauf 
des 30sten erkannt worden, s. v. Langenn u. Kori Erört. II Abh. 20 S. 218 

Für alle gegen den Erben und die Erbschaft zu erhebenden Ansprüche 
läuft die bis dahin gehemmte Verjährung mit dem Ausgange des Dreifsig- 
sten, s. oben S. 219. 

Das Jütsche Lov 123 bestimmt über die Dauer dieser Ansprüche und 
derjenigen des Erben selber folgendes. Wer Erbe oder Schuld nach eines 
Mannes Tode fordern will, komme selber oder sein Bote am Dreifsigsten, 
wenn er innerhalb der “bygd” (d. i. wohl Kirchspiel) ist, oder am nächsten 
Gerichtstage nachher; ist er aufserhalb der “bygd”, in 6 Wochen; ist er 
aufserhalb Landes, in Jahr und Tag. Ist er in königlichem Dienst, so 
fordere er nach seiner Rückkehr Erbe oder Schuld innerhalb der dritten fimt 
d. i. Fünfte (!). 

Eine besondere Betrachtung fordert noch 


E. Das Mustheil oder die Hofspeise. 


Der Ssp. 122 $ 3, Nr. 24, bestimmt: nach dem Dreifsigsten soll die 
Wittwe mit dem Erben “musdelen alle hovede spise” d. h. also: die “hovede 
spise” in der Weise theilen, wie es mit dem “mus” geschieht. 124 $ 2 so- 
dann rechnet zu dem musdel: Mastschweine und alle “gehovet spise”. 
Nach III 74 endlich bekommt die geschiedene Frau Gerade und Mustheil. 
Hienach Die die es u einen und zwar Bun Bestand- 


(') Ob unter drei Fünften 15 Tage dr 3 en oder 6 we zu BE ist 
streitig, vgl. Rosenvinge zu I 23 S.51 N.7, S. 497 und Berck S. 95, Esmarch Erbrecht 
in Schleswig 2te Aufl. 1852 S. 223 Note 2. 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 9357 


theil des Mustheils. “Mus”, “muos” ist überhaupt Speise (?), die ho- 
vede spise ist die auf den Höfen, nach 122 $ 3, 124 $ 2 die “in iewelkeme 
hove irs mannes” vorräthige Speise. Daher auch die Form hofspeiz in 
Nr. 25-27. Die obersächsische Lesung “houbete sp.”, das wäre Haupt- 
speise, ist aus dem Mifsverständnifs des Niedersächsischen, wo hovet ja 
auch Haupt heifst, erwachsen. Die lateinische Vulgata übersetzt domestica 
eibaria, Zr pulmentaria et capitalia cibaria, Ls pulmentaria et alia co- 
mestibilia. 

Das Halle-Neumarkter Recht von 1235, Nr. 65, also eine dem Ssp. 
fast gleichzeitige aus der Nachbarschaft stammende Quelle sagt: “omnia 
spectantia ad cibaria, quod dieitur musteil” und billigt “tricesimo peracto” 
die Hälfte dem Erbe, die Hälfte der (an die Wittwe fallenden) Gerade zu. 
Hier wird also die im Ssp. nicht besonders benannte Quote der Theilung 
angegeben, eben so im Weichbilde mit den verwandten Quellen, Nr.49—51, 
und in der Const. III 36. 

Diese und andere spätere Normen zählen auch genauer als der Ssp. 
die Bestandtheile des Mustheils oder der Hofspeise auf. Ich verweise im 
Allgemeinen auf das “Stück vom Mustheil” (Homeyer Rechtsbücher S. 9), 
auf die Const. III 34—36, auf die Literatur bei Haubold $ 405, auf Hoff- 
mann von der Gerade, Frankfurt 1733, 4, 157 ff., II 438, 439, und hebe 
nur folgendes hervor. Die altmärkische Glosse zu Ssp. 122, welcher sich 
die neumärkische Lehnsconstitution von 1724 $ 20 anschliefst, rechnet zum 
Mustheil: alle gedodet u. gesolten edder gedroget vlesch, darto meste- 
schwyne dy uppe den kaven liggen, u. darto allerleye mufskorne als arwe- 
ten Iynsen etc. u. ok alle ander brotkorne, utbescheiden dat satkorne oft it 
so an der tydt sy, darto brot u. gedrenke. Das Görlitzer Recht mit ver- 
wandten Quellen, s. Nr. 48 ff., spricht dagegen alles Korn, Bier, Wein, 
Fleisch dem Erbe zu, so dafs, wenn das Weichbild C. 58 und das Naum- 
burger Recht, Nr. 49, 50, nun doch hinzufügen: “sunder die musteil die 
nympt die frouwe halb, u. des mannes erbe halb”, bienach für das Mustheil 
nur etwa Mastschweine und Brot übrig blieben. An einer andern Stelle 
A. 24 scheidet das Weichbild Nr. 51 so: befindet sich die Hofspeise auf der 
Wittwe Leibzucht, so nimmt sie das halbe Mustheil nach dem 30sten von 
allerhand Speise, deren man in des Mannes Weren zu einem Jahre bedarf, 


(2) Schmeller B. Wb. 11 635, W. Müller u. Zarncke Wb. II, S. 240. 
Philos.-histor. Kl. 1864. Kk 


258 Homerver: Der Dreifsigste. 


(vgl. die Aufzählung in der Glosse dazu). Gehört die Stelle, worin “dit 
ding bestirft”, nicht zur Leibzucht, so nimmt die Wittwe davon nur, was 
sie essen und trinken mag, so lange sie das Recht hat in der Gewere zu 
sitzen. Vgl. die lat. Glosse zu Ssp. 122. Die Gewohnheit jedoch und die 
Const. III 36 blieben bei der landrechtlichen Bestimmung. 

Dieser besondre Vermögenscomplex besteht mithin aus Gegenständen, 
die nicht einen Monat lang in dem sonstigen Zustande der Ruhe verbleiben 
können, sondern zur Verzehrung an welcher die Wittwe Theil nimmt die- 
nen, die ferner am Schlusse des Dreifsigsten zu einer bestimmten Quote von 
ihr mit den Erben getheilt werden sollen. Sie sitzt also hinsichtlich des 
Mustheils während jener Zeit mit den Erben auf Gedeih und Verlust, sie 
bekommt nur ihren Theil von dem was “overblift” I 2283, oder, wie das 
Gothaische Recht, Nr. 145, es ausdrückt: was innerhalb 30 Tagen in der 
gemeinen Wirthschaft verbraucht wird, geht von dem Mustheil ab. Die 
Frage, ob die von diesem besondern Complex in der Zwischenzeit fallenden 
Früchte den Erben oder aber der Wittwe gebühren, erledigt sich hier that- 
sächlich weil das Mustheil keine Früchte bringt, rechtlich weil dieselben 
unter beide Parteien vertheilt werden müfsten. 

Eine andre Frage ist es aber, ob von den Früchten des Gutes, die 
ihrer Art nach zum Mustheil gehören, diejenigen, welche beim Tode des 
Mannes noch auf dem Felde waren, vor dem 30sten aber eingebracht wur- 
den, mit in die Theilung kommen. Die lateinische Glosse zu 122 Note (dl 
bejaht sie in folgender Art: “seges agri hereditatem sequitur neque illanı 
mulier accipit, nisi forte tam diu in bonis mariti commoretur, ut interim 
horreis importetur. Id enim si fieret, illa quoque comestibilium jure cen- 
serentur, quantumvis tempore mortis mariti sui adhue in agris fuissent. Et 
hujus rei ratio est, quod res tune venit ad eum casum, a quo ineipere po- 
tuit”. Eben so Coler, P. I dec. 60 nr. 69 sq.: “cum hereditas isto tem- 
pore adhuc pro jacente, quae defunetum repraesentat, habeatur: adeoque 
fructus ad penum pertinentes augeant eibaria, perinde ac si vivente marito 
illati fuerint”. Dagegen respondierten die Leipziger Schöffen (s. die Zobel- 
sche Ausgabe des Ssp. von 1582, “von Vieh und Getraide” Bl. 535), na- 
mentlich in Bezug auf Hopfen, der bei Lebtage des Erblassers noch nicht 
abgenommen, auf Wein, der noch nicht in den Keller geschickt gewesen 
etc., dafs die Wittwe keinen Theil daran habe. Dem stimmte auch die 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 2359 


Const. III 34 Nr. 130 dahin bei: wann Wein, Korn oder anders, so zu 
Mufstheil gehöret, bei des Mannes Leben noch auf dem Felde gestanden, 
und doch folgends innerhalb dem dreyfsigsten einkommen, solches gehöret 
denen Erben allein, und hat sich die Frau daran keines Mufstheils anzuma- 
fsen. Auch Horn $ 46 entscheidet sich hiefür, denn obwohl jene Fiction 
und die Theilnahme der Wittwe an dem Abgange dagegen spreche, so mache 
der Text des Ssp. 122 $ 3 “oder svar he se hadde binnen sinen geweren” 
doch eine Ausnahme. Dahin geht auch Haubolds Ausdruck für Mustheil 
($ 405): “Victualien, welche zur Zeit des Ablebens des Ehemannes ... vor- 
räthig gewesen”. Die Praxis hat dann den Satz der Constitution III 34 noch 
auf das Zinskorn, welches innerhalb des 30sten fällig aber noch nicht einge- 
bracht worden, und auf das zur Zeit des Todes ausgeliehene Getraide, weil 
es nicht in den Geweren des Verstorbnen gewesen, ausgedehnt, s. Carpzov 
P. III C. 34 def. 6, die Magdeb. Pol.-O. c. 44 $ 56 (bei Hoffmann II 439) 
und Schröter I 387 N. k. 

Mir erscheint es principiell richtig, mit Coler etc. die obige Frage 
zu bejahen, wenn auch nicht aus seinem Grunde, dem fingierten Fortleben 
des Verstorbenen. Für entscheidend halte ich dagegen, dafs nur das beim 
Dreifsigsten übrig gebliebene halb an die Wittwe fällt, nicht der Bestand 
des Mustheils zur Zeit des Todes, dafs mithin nicht das vergängliche ein- 
zelne Stück, sondern das bleibende Ganze in Betracht kommt. Gegen Horn 
ist zu erwägen, dafs in dem Satze des Ssp. das Gewicht nicht auf dem “hadde”, 
sondern auf dem “oder svar .... binnen sinen geweren” ruht; es soll gleich 
gelten, ob die Speise gerade auf einem Hofe des Verstorbenen, oder sonst 
irgendwo in seinem Besitze sich befindet. In diesem Sinne läfst sich auch 
die von Curtius $ 899 zu Note g gewählte Fassung deuten : was die Wittwe 
ehedem an Gerade, Morgengabe und Mustheil zu erhalten hatte, ward nach 
dem am 30sten vorhandenen Betrage bestimmt. 

Der Umstand, dafs die Wittwe das Mustheil mit den Erben theilt, 
begründet die Vorschrift der Const. III 33, Nr. 129, wonach sie nach dem 
Dreilsigsten zwar ihre Gerade, Morgengabe, Leibzucht ohne Zuthun der 
Erben nehmen kann, oben S. 238, aber des Mustheils ohne deren Vor- 
wissen sich nicht anmafsen soll. 

Schon die Const. III 34 beschränkt den Anspruch der Witiwe, ohne 
Stütze des Ssp., auf die Rittersfrauen, vgl. Hoffmann 157, 109. In 

Kk2 


260 Homerer: Der Dreifsigste. 


neuern Zeiten wurde diesen dafür meist eine Summe Geldes ausgesetzt, Hau- 
bold $405 Note i. Das Erbrecht des K. Sachsen und der meisten Thü- 
ringischen Staaten seit 1829 hat das Mustheil völlig beseitigt, s. Curtius 
$ 862, 863, Heimbach $ 330 N. 6. In Liv- und Esthland ist es, wiewohl 
die dortigen Rechtsbücher seiner erwähnen, wohl nie lebendig geworden, 
v. Bunge Privatrecht $$ 256, 264 Note q. Seine ohnehin zweifelhafte Gel- 
tung in einzelnen Gebieten von Schlesien, Wentzel Prov.-R. 1839 S. 50, 
62, 366, 387, ist durch das Gesetz vom 11. Juli 1845 jedenfalls mit aufge- 
hoben. Danach dürfte überhaupt die practische Bedeutung des Instituts 
erloschen sein. 


Es handelt sich nun noch um den Einflufs des Römischen Rechts und 
der neuern Reichsgesetze auf die nach dem Dreifsigsten eintretenden Fol- 
gen. Er zeigt sich in den Instituten des beneficii inventarü, der Testa- 
mentseröffnung und der Bevormundung der minderjährigen Erben. 


F. Das beneficium inventarii. 


Auch nach dem Eindringen des fremden Rechts erhielt sich mehrfach 
der Satz, dafs der Erbe der Wohlthat des Inventars nicht bedürfe, um 
gegen die Haftung für die Schulden des Erblassers mit eignen Mitteln ge- 
schützt zu sein, s. für das sächsische Recht oben S. 231 und die Deeisio 
57. Dennoch räumte die sächsische Jurisprudenz ein, dafs die Anfertigung 
des Inventars dem Erben anderweitige Vortheile gewähre, welche u. a. Cur- 
tius $ 915 Note s aufzählt. 

Hinsichtlich der Zeit aber der Anfertigung nahm die ältere Lehre, 
s. Horn $ 39 an, sie müsse innerhalb des 30sten erfolgen. So Zobels 
glossa lat. zu Ssp. 122 Note a: “inventarium confici debet intra 30 et non 
postea”, ferner ein Leipziger Urtheil, bei Horn a. a. O.: So Ihr in dem 
30sten keine Fundzettel oder Inventar nit habt machen lassen, so mögt Ihr 
auch noch zur Zeit und förder keines machen lassen. Coler Pr. E. P. 2 
c.3 Nr. 389 scheint gleicher Meinung zu sein. Sie hat auch in gesetzliche 
Bestimmungen Eingang gefunden. Die Inventur soll nach der Neumärk. 
PO. v. 1540 Nr. 114 bald nach dem Begräbnils, nach der Constit. Joh. 
Georgs v. 1574 Nr. 115 alsbald nach dem Ableben, nach dem Stadtrecht 
von Lübben Nr. 71 gleich erfolgen. Die Neumärk. KGO. von 1700, 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 361 


Nr. 121, die Const. v. 1718, Nr. 122, verlangen die Aufrichtung binnen 
vier Wochen nach dem Tode, die Gothaischen Gesetze, Nr. 144, vor dem 
30sten, wenn unmündige Erben concurrieren. 

Andrerseits führte Horn a. a. O. aus: Zobels Glosse verwechsle un- 
sern Dreifsigsten mit den davon ganz verschiedenen Tagen der 1. fin. Cod. 
VI 30; die Inventarisierung sei, namentlich bei grofsen Erbschaften , nicht 
ohne bedeutende Störung im Sterbhause thunlich. Daher erfolge sie nach 
der Praxis nur unter aufserordentlichen Umständen vor dem 30sten. Die- 
ser gewifs richtigern Ansicht folgen auch u. a. Stein Lübsch. R. II 448, die 
Praxis laut Schröter 383: “nach verflossenen 30 Tagen pflegen die Siegel 
abgenommen und mit der Inventur begonnen zu werden” und Curtius $ 914 
N.dunde: die Entsieglung und Inventarisirung geschieht erst nach dem 
30sten. Nicht minder wird sie in einer Reihe gesetzlicher Vorschriften ge- 
billigt, namentlich im Culmischen Recht, Nr. 66°, in der Magdeb. Proz.O. 
c. 43 $ 11 (nach Schröter 383), in den Statuten von Seidenberg, Nr. 69, 
Altenburg, Nr. 93, Gotha, Nr. 86, Ohrdruf, Nr. 87, in dem Pfälzischen 
Landrecht, Nr. 168, und in der Baireuther Pol.O. von 1746, Nr. 155. Den 
heutigen Gebrauch bezeugt auch die obige Mittheilung aus der Schweiz 
Seite 238. 

Dem gemeinen Recht nähert sich dagegen das Siebenbürger Statut, 
wenn es an einer Stelle, Nr. 138, den überlebenden Ehemann verpflichtet, 
im nächsten ersten oder andern Monat nach der Frauen Abschied, ein Inven- 
tar oder Fundzettel beschreiben zu lassen, an einer andern Stelle, Nr. 140, 
als die gewöhnliche Zeit der Inventarisierung 30 Tage, nachdem der Erb- 
nehmer in den Erbfall getreten, angiebt. Das Hamburger Statut von 1603 
hat wesentlich die römischen Vorschriften angenommen, s. Baumeister 


11 378 ff. 


G. Die Testamentseröffnung. 


Aus der Nov. 115 C. 5 läfst sich folgern, dafs ein letzter Wille nicht 
innerhalb des novemdial eröffnet und bekannt gemacht werden solle; die 
Vorladung der Erben und Verwandten ist doch ohne Störung der Trauer 
nicht möglich. Nach dieser ratio lehrt dann Horn $ 38 unter Berufung auf 
Wesenbeck und Dauth, dafs bei uns, wo die Sterbhausruhe 30 Tage währe, 


262 Honerer: Der Dreifsigste. 


mit Eröffnung des letzten Willens bis zum 30sten zu warten sei. So ist 
denn auch gar häufig verordnet worden. 

Nach der Tyroler LO. von 1526 (Nr. 158) soll der letztwillig be- 
dachte, nachdem ihm zuvor durch die Obrigkeit oder die Blutsfreundschaft 
der Tag verkündigt worden, am Dreifsigsten vor der Obrigkeit den Ver- 
wandten des Verstorbenen den letzten Willen eröffnen. Die späteren Re- 
dactionen, 158°, treffen noch Vorsorge für den Fall, wenn die Verkündi- 
gung verzögert wird, oder der Bedachte nicht im Lande ist. Die der Ty- 
roler Ordnung nachgebildete Henneberger LO. von 1539, N. 152, giebt 
ähnliche Bestimmungen für die beiden Fälle, dafs die Obrigkeit und dafs der 
Bedachte den letzten Willen in Händen hat. Auch die Landgerichtsordnung 
Ferdinands I für Österreich, Nr. 161, welche die Verkündigung an die 
Erben am Dreifsigsten gebietet, ist hieher zu ziehen. 

Nach Kurf. Georgs Constitutionen, Nr. 117, sollte die Vollstreckung 
des Testaments Ausgangs der 4 Wochen erfolgen. — Das Lübsche Recht 
B. II Tit. 1 Art. 11 bestimmt, dafs alle Testamente durch die Testamenta- 
rien binnen Monatsfrist gerichtlich produeirt und verlesen werden sollen. 
Nach Pauli Abhdl. III 344 hängt diese Frist mit dem Dreifsigsten zusammen 
und wird sie fortwährend strenge in Obacht genommen. — Das K. Säch- 
sische Mandat v. J. 1826 $5 verordnet, dafs gerichtlich niedergelegte Te- 
stamente ex officio regelmäfsig nach Verflufs von 30 Tagen a morte testatoris 
zu eröffnen sind, vgl. Curtius $ 821 N.a, $822 N.d. — Eben so das neue 
bürgerl. Gesetzb. (2227. — Auch ein Altenburgisches Gesetz vom J. 
1837 läfst die amtliche Eröffnung erst nach dem Dreifsigsten zu, Hesse 
Handb. $ 181 S. 133. 

Innerhalb Westfalens hält die Sitte an der Beobachtung des Drei- 
[sigsten auch in diesem Stücke fest. In der Gegend von Brakel, schreibt 
Hr. Pfarrer Koch, bleibt bis zum 30sten alles im alten Gange, “es gilt als 
ein arger Verstofs gegen die den Eltern schuldige Pietät, wenn ein Erbe da- 
ran denken wollte, vor dem 30sten das Testament zu eröffnen, oder andre 
Veränderungen eintreten zu lassen”. Und aus Delbrück zwischen Paderborn 
und Rietberg, Hr. Pfarrkaplan Richter: “die Sitte, bis zum 30sten im 
Hause alles im alten Gange zu lassen, hat sich erhalten. Die Testamente 
werden nicht eher eröffnet, auch nach dem Preufs. Landrechte (!); Ver- 


(') Es gestattet $$ 213 ff. I 12 den Betheiligten, gleich nach dem bekannt gewordenen 


VI. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 263 


käufe der Nachlassenschaft finden nicht eher statt, eben so unter den näch- 
sten Verwandten keine Hochzeiten. Etwaige Überschreitungen werden als 
Rohheiten gerügt”. 

Eine solche Verschiebung der Testamentseröffnung zieht eine gleiche 
Aussetzung der Delation und somit, wie nach Mevius Comm. ad II, 2a. 27 
$62sq. einmal die Greifswalder Facultät erkannt hat, auch des Einfahrens 
des Erben in das Sterbhaus nach sich. 

Mit diesem Terınin für die Testamentseröffnung steht denn auch der 
Satz der Tyroler LO., Nr. 159, in Verbindung, dafs die Frist zur Ausübung 
eines Wahlrechts des Bedachten vom Dreifsigsten an zu laufen beginnt. 


H. Bevormundung der Minderjährigen. 


Sie ist ja in Deutschland vorwiegend ein Gegenstand der öffentlichen 
Sorge geworden, welche in den Städten nach der ältern Verfassung dem 
Rathe oblag. Auch bei dieser Sorge tritt häufig eine besondre Rücksicht 
auf den Dreifsigsten hervor. 

Nach den Stadtrechten von Gotha 1579 und Ohrdruf 1594, Nr. 86, 
87, sollen die Angehörigen der unmündigen Hinterlassenen zu Ausgang des 
Trauermonats dem Rathe gewisse Personen als Vormünder angeben. — 
Nach dem Erfurter Recht von 1583, Nr. 94, haben Mütter oder Grofs- 
mütter bald nach Verfliefsung des Trauermonats vor dem Rathe zu erklären, 
ob sie Vormünderinnen sein wollen. Die Frankfurter Reformation, 
Nr. 101, legt diese Pflicht der Mutter nach “Verscheinung” des 30 sten vor 
dem Schultheifsen auf. Nach den Statuten von Blankenburg 1594, Ru- 
dolstadt 1594, Tauchel 1611, Spremberg 1673, N. 84, 85, 70, 
sollen die Kinder Ausgangs des 30sten nach Absterben des Mannes oder der 
Eltern bevormundet werden. Das Recht von Sorau, Nr. 72, verpflichtet 
den überlebenden Ehegatten, vom Rathe innerhalb 4 Wochen Vormünder 
zu erbitten. Nach mehreren Thüringischen Gesetzen (s. Nr. 143, 148) 
sollen die Verwandten der Unmündigen deren Bevormundung binnen einem 
Monate nach dem Sterbfall beantragen; nach dessen Ablauf hat der Richter 
von Amtswegen für die Bevormundung zu sorgen. Frisch Wörterb. I 206 
eitiert überhaupt Fritsch var. tract. p. 387 dafür, dafs die Waisen bald 


Ableben, auf die Publication des Testaments anzutragen und gebietet die amtliche Eröffnung, 
wenn binnen 6 Wochen nach dem notorischen Ableben niemand dieselbe beantragt hat. 


264 Homerer: Der Dreijsigste. 


nach dem Trauermonat sich bei der Obrigkeit wegen Bevormundung mel- 
den sollen. 

Auch die Vormundschafts O. für Kur- und Neumark v. J. 1718, 
Nr. 123, berücksichtigt diese Frist noch in folgender Art. Nach $ 24 soll 
den ohne Verwandten hinterlassenen Unmündigen von Obrigkeitswegen 
wenigstens in 4 Wochen Bevormundung widerfahren. Nach $$ 19, 26 soll 
die Mutter oder Grofsmutter sich wegen Übernahme der Vormundschaft bei 
der Obrigkeit in Zeit von 4 Wochen angeben, oder um die Bestätigung 
eines andern Vormundes anhalten. Nach $ 29 sollen die nächsten Bluts- 
freunde binnen 4 Wochen, oder doch binnen anderer 6 wöchentlicher Frist 
nach dem Absterben des Vaters oder der Mutter, bei der Obrigkeit um die 
Verordnung der Vormünder anhalten. — Nach dem Cod. Maximil. Bavar. 
Th. 1 Tit. 7 $8 endlich sollen die nächsten Anverwandten des Pupillen die 
Bevormundung inner dreifsig Tagen von der Zeit ihrer Wissenschaft um 
den Vormundschaftsfall nachsuchen. 


I. Autonomie der Betheiligten. 


Im Allgemeinen wird mit Horn $ 49, Curtius $ 899 zu sagen sein, 
dafs auf die Vortheile welche der Dreifsigste gewährt, von den Betheiligten 
verzichtet, auch die Beobachtung der Frist von dem Erblasser ausgeschlossen 
werden könne. Es mag also der Erbe vor dem 30sten die Gläubiger be- 
friedigen. Die Wittwe mag dem Erben allein den Besitz einräumen etc. 
Aber doch tritt die Schranke ein, dafs durch die Handlung nicht die 
öffentliche Sitte verletzt, dafs z. B. nicht zur Versteigerung des Nach- 
lasses während der Sterbhausruhe geschritten werde. Stryk hat darüber, 
wie weit und lange diese Schranke im Rechtsbewufstsein lebendig war, 
eine bemerkenswerthe Äufserung in L. 10, t. 2 $ 12. Auf die Frage, 
ob, wenn keine Wittwe vorhanden, die Erben unter sich schon vor dem 
30sten theilen können, antwortet er: “vulgus existimat, turbari quietem de- 
functi et huic maculam inferri, si citius hereditas dividatur”. Und selbst 
heutigen Tages ist diese Anschauung im Volke nach den oben S. 262 aus 
Westfalen mitgetheilten Zeugnissen nicht völlig erloschen. 


VII. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 265 


Schlufs. 


Ich blicke noch auf die innern Ursachen des Abbruchs, den die recht- 
liche Seite des Dreifsigsten seit einem Jahrhundert erlitten hat, zurück. 

Ein Hauptgrund liegt doch in dem häufigen Wegfall des kirchlichen 
und in Folge dessen auch des weltlichen Begängnisses am Dreifsigsten, also 
in dem Zusammensinken zweier Elemente, mit denen das juristische aufs in- 
nigste im Leben sich verbunden hatte. Damit schwächt sich zunächst die 
Pietät gegen diese bestimmte Frist als Zeit der tiefern Trauer, das Bewufst- 
sein des Volkes von einer Bedeutung des Dreifsigsten überhaupt. Sonach 
treten auch die rechtlichen Folgen zurück, wo sie nur auf dem Herkommen 
beruhten, nicht durch gesetzlichen Buchstaben gehalten wurden. 

Aber auch das geschriebene Recht sagte sich, wenn man zu einer 
neuen Redaction, oder gar zu umfassenden Codificationen schritt und nur 
nach dem allgemein Vernünftigen oder doch Zweckmäfsigen suchte, los von 
der alten, aus dem Gemeingefühl mehr und mehr weichenden stillen Zeit. 
Es mag ja allerdings ein monatliches Ruhen der Disposition über den Nach- 
lafs, ein so langes Hinausschieben der Testamentseröffnung, der Theilung 
und sonstiger Ansprüche mancherlei industrielle Nachtheile herbeiführen. 
Es kann angemessener erscheinen, den Eintritt der neuen Haus- und Güter- 
Ordnung nicht an eine ein für allemal bestimmte Zeit zu binden, sondern 
den Termin der Verschiedenheit der einzelnen Folgen anzupassen, ihn auch 
wohl dem Gutbefinden der Behörden, der Übereinkunft der Betheiligten je 
nach den besondern Umständen zu überlassen. 

Dennoch hat die Macht, welche einer bestehenden Norm an sich bei- 
wohnt, auch da wo jene Feier des Dreifsigsten geschwunden, dennoch seine 
juristische Geltung vielfach bewahrt. Überhaupt sind von den reichen Ge- 
stalten, welche das Wort der Schrift “Und die Kinder Israels beweineten 
ihn dreifsig Tage” hervorgerufen, dem Leben der Gegenwart noch folgende 
Erscheinungen geblieben. Der heutige jüdische Gebrauch fafst die 30 Tage 
als reine Trauerzeit, ohne Einwirkung auf die Stellung des Erben auf. 
Andrerseits haben diese Tage in den Ländern des gemeinen Sachsenrechts, 
in Liv- und Esthland, in vielen Städten lediglich einen Einflufs auf die 
rechtliche Lage der Hinterlassenen. Endlich giebt es katholische Gebiete 
in Bayern, Westfalen, in der Schweiz, wo noch in alter Weise jene drei- 

Philos.- histor. Kl. 1864. L1 


266 However: Der Dreifsigste. 


fache Bedeutung des Dreifsigsten sich vereint, wo an demselben Tage für 
die Seele des Verstorbenen gebetet, auf sein Gedächtnifs getrunken und 
sein Gut gänzlich in die Hände der Erben gelegt wird. 


Nachträge 


Zu S.93, 94. 


Haupt hat die Güte gehabt, mich auf folgende Zeugnisse über den 
Dreifsigsten bei den Griechen aufmerksam zu machen. 

Das Lexicon rhetoricum in Bekkers Anecd. 268, 19 hat: »«aSedgaı 
Umodoyai dvSgwrwv. N rgancorn Yag AuegE Feb amoIavevros & mooTNnovTes 
dmravrss nal dvayaalcı ouveASoures nown &deimvouv Em Tw Emogavovri. ai TOUTO 
naSedpa Enadeiro. Arav de naSedgnı TETTagEs. 

Photius: nagedga' 2) TQLaKOTTH NuEoe ToU TEAEUTNTUVTES 6 mgoCMKavTES 
suverSdvres Ederirvouv Eml TW Tereurraunı zug Enadeiro ÖL nudedga, orı nade- 
Löuevor Edeirvouv nal Ta vonloueva ErANgouv. 

Hesychius erklärt, ohne Nennung des Dreifsigsten: »«Sedgar mevSous 
Nuepaı em rereAsuryaoni. 

Diese Erklärungen der Lexicographen machen zugleich aus einer In- 
schrift von der Insel Keos, die sich gegen die Üppigkeit der Leichenfeier 
richtet, folgende Worte: 

2.20  EmrSavovrırgmnos.... 

Z.21.. oe 
lesbar. Bergk im Rhein. Mus. Bd 15 Heft 3 restituiert :&mi 7® Savovrı rgm- 
xoory .... moriv, Naber in der Mnemosyne, bibl. philolog. batava XII p. 82: 
& 7.9.7 Sun Sue, auf welche Differenz es hier nicht ankommt. 

Die xaSedga heilst auch rgiexas, Harpocration p. 177 Bekk.: reis re- 
TEAEUTNRECW NyEro N TgiaRooTN Auega dia (vielleicht &r3 reÜ) Savarov, zal EAe- 
yEero TgIaxas etc., vgl. Schömann Isaei Orationes Gryph. 1831 p. 218 sq., 
wo auch von der bei den Griechen am dritten und am neunten Tage nach 


dem Begräbnifs üblichen Feier gehandelt wird. 


VI. Neueres Deutschland. 3. Rechtliche Natur. 267 


Es läfst sich nach allem diesen nicht wohl bezweifeln, dafs eine heid- 
nische vorchristliche Sitte der Griechen gleichfalls die Trauer von 30 Tagen 
und ein feierliches Gastmal an deren Schlusse zu Ehren des Verstorbenen 
kannte. Doch wird, wie ich glaube, durch diese gewifs der weitern Beach- 
tung würdige Thatsache noch nicht das Ergebnifs gestört, mit dem die Ab- 
handlung beginnt und schliefst, die Abstammung des heutigen Dreifsigsten 
aus dem alttestamentlichen Gebrauche. Denn es bleibt doch stehn, dafs 
das heidnische Rom auf neun Tage hielt, dafs das christliche Rom 
die Tage, die es dem novendial substituierte, insbesondre den Dreifsigsten 
aus der heiligen Schrift entnahm, um ihn dann über das ganze christliche 
Europa, so auch über Östfranken oder Deutschland zu verbreiten. Unser 
geschichtlicher Weg läfst eine griechisch heidnische Sitte und zwar nahe 
zur Seite, führt nicht durch dieselbe hin. 


Zu S. 113. 


In den Statuten von Nordhausen aus dem 1öten und 16ten Jahrh., 
bei Förstemann N. Mitth. VIH.2, 1842, heifst es Nr. 77: “Von begengke- 
nisse, dreissigesten unde iargeczyten. Zum ersten begengkenisse sal keyn 
unsser borger mer geste haben adir setzen, dan 20 becken. Zum drissi- 
gesten unde iargecziten sechs begken .... Poben solche czale magk er 
pristere setzcen unde haben wie vil er wel.” Vgl. über die unbeschränkte 


Zahl der Geistlichen die altschwedische Vorschrift, oben S. 139 Nr. 9. 


Zu S.163. 


Die Zeitschr. des hist. Vereins für Niedersachsen, 1851 theilt über 
die Sitten im Amte Diepenau (K. Hannover westlich von Minden) S. 109 
mit: um das Grab einer Wöchnerin wird ein weifses Laken gelegt, das 
nach vier Wochen eine Arme sich holen darf. — Acht Tage nach dem 
Begräbnisse kommen Nachbaren und Freunde im Trauerhause zum Schmause 
zusammen. 


L12 


268 Homever: Der Dreifsigste. 


In huaclst 


Vorwort . a ne ee 
Erster Aalkehnfien Das Judenthum ME a2 
Zweiter Abschnitt. Das heidnische Rom . 
Dritter Abschnitt. Das christliche Rom . 
Vierter Abschnitt. Das fränkische Reich . 

A. Die rechtliche Seite . 

B. Der kirchliche Gebrauch 

€. Die Volkssitte 


Fünfter Abschnitt. Das deutsche Reich seit an eh andere. 


I. Die religiöse Site . - - » 
A. Überhaupt . R : 
B. In Deutschland Mensa J 
II. Die weltliche Feier . 
III. Die juristische Bedeutung & 
Sechster Abschnitt. Die Gebiete Skandinaviens. 
Einleitung 
I. Der beidniärhe, Geha ah Me Shen 
14:4 2Die Textet:,.:ahaie we nee 
B. Ergebnisse A: 
II. Der christliche Gebrauch an He ee 
A. Die Texte. 
AA. Das Recht Norwegens 
BB. Schwedens Er 
GO Dänemarks nt 
B. Ergebnisse 5 2 ET 
Siebenter Abschnitt. Deutschland in neuerer Zeit 
Erstes Capitel. Die kirchliche Feier 
Zweites Capitel. Die weltliche Feier 


Drittes Capitel. Rechtliche Bedeutung der Todtenfeierzeiten, hen 


des 30sten. 
Vorwort 


Seite. 
87 
88 
90 
92 
95 
96 
97 

101 


105 
106 
110 
114 
115 


117 
119 
120 
127 


132 
135 
139 
139 
145 
146 
157 


164 


Inhalt. 


Der Dreilsigste. 
Einleitung. 
(1) Die Quellen. 
I. Der Sachsenspiegel und seine Sprossen 
II. Andre Quellen. 
Die Glosse 
Das Weichbild 
Kloster- und Hofrechte 
Schöffenurtheile und Weisthümer 
Stadtrechte. 
. Kreis des Magdeburgischen Rechts . 
. Hansestädte a 


ysuaBba 


„> 


. Thüringen , 
. Ost- und Westfalen . 
. Süddeutschland 
F. Landrechte. 
. Liv- und Curland, Preulsen, Pommern 
. Mark und Magdeburg 
Schlesien . 
. Sachsen, Sehenkürgen 
. Thüringen 
. Süddeutschland 
. Rheinlande 
II.  Ergebnils 
(2) Die Literatur 
(3) Der Sprachgebrauch 
System des Dreilsigsten. 
I. Die Grundgedanken . > 
II. Rechtszustand vor dem Breiksigskht 
A. Einfahrt des Erben. 
1. Recht des Sachsenspiegels 
2. Das spätere Recht 
Rechte der Hausgenossen. 
Die Nachlafsruhe . 
Der Haushalt 
Die Erbschaftsantretung ® 
Die hereditas jacens und die Fiction es Forlkbene 


am WW 


am 


Die Besinnungszet . . . » 

Die Versiegelung des Nachlasses . 

Ill. Der Dreifsigste und seine Wirkungen. 
A. Der Eintritt des Dreilsigsten a 
B. Stellung der Wittwe. - » © 2. 200 
€. Stellung des Erben. Besitzuahme. Theilung 


SEE 


269 


Seite. 


270 


Honmsrer: Der Dreifsigste. Inhalt. 


Befriedigung der Singularansprüche, 


Früchte en - 
Das Mustheil oder die Hofspeise . 
Das beneficium inventarii 

Die Testamentseröffnung . 


Bevormundung der Minderjährigen . 


Autonomie der Betheiligten 
Schlufs 
Nachträge 


—— IINININIE DI —— 


Schicksal der 


Seite. 


247 
256 
260 
261 
263 
264 
265 
266 


Die Räma - Täpaniya - Upanishad. 


Yo £ 


H"- A. WEBER 


mann 


[Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 26. Mai 1864.] 


D. Täpaniya -Upanishad, wörtlich: die zur Bufse gehörigen (!) Up., 
bilden eine ganz besondere Klasse dieses Zweiges der heiligen Schriften der 
Inder, deren Charakter am Besten sich durch die Übertragung ihres Namens 
als „sektarische Upanishad” wiedergeben läfst. Schon Colebrooke hat 
bemerkt, dafs dieselben weniger Ansprüche haben zum Yeda, als vielmehr 
zu den Tantra gerechnet zu werden. Sie bilden in der That die letz- 
ten Ausläufer, die sich als Schmarotzerpflanzen an die Zweige des Veda- 
Baumes angehängt haben. Es sind bis jetzt vier verschiedene Schriften dieser 
Art dem Namen nach bekannt, die Nrisinha-Up., die Räma-Up., die 
Gopäla-Up. und die Tripurä (oder Sundari-) Up. (?). Die älteste 
von ihnen ist offenbar die erstgenannte, deren Abfassung sogar in der That 
zum Mindesten in das siebente Jahrhundert unsrer Zeitrechnung gesetzt 
werden muls, da sie von Camkara sowohl als auch schon von Gaudapäda 
kommentirt worden ist. Sie scheint denn auch gewissermafsen die klassi- 
sche Norm für die übrigen Schriftchen dieser Art gegeben zu haben, 
welcher dieselben in Bezug auf die Eintheilung des Stoffes wenigstens 
direkt nachgebildet worden sind. Sie zerfällt nämlich zunächst in einen 
exoterischen Theil (pürvatäpaniyam), der sich im Wesentlichen nur mit 
der Credo - Formel der Nrisinha - Sekte und dem damit herzustellenden Dia- 


(') Der Grund dieser Benennung ist nicht recht ersichtlich, da dieselben ja gerade im 
Gegentheil durch ihre bequemen Surrogate für die Bufse dieselbe völlig überflüssig 
machen. Ist der Name etwa von der inbrünstigen, heilsen, gläubigen Andacht an die je 
besondere Form der Gottheit zu verstehen? — Neben zäpaniyam (neutr.) finden sich auch 
die Formen: /4pani, täpin? und tapanam. Die Form täpaniya s. u. A. auch in AÄnandagiri’s 


Camkaradigvijaya p. 12, 13. 

(2) Colebrooke 1, 112 nennt sie Sundari-täpani; seine folgenden Angaben aber führen 
auf den Namen Tripura: und die Upanishad-Liste der muktikd-Up. hat nur tripurd-tapanam 
s. Ind. Stud. 3, 325. 


2723 WEBER: 


gramm, resp. sonstigen mystischen Zuthaten dazu nach Art des Tantra- 
Rituals (') beschäftigt, und in einen esoterischen (das uitaratäpaniyam), 
welcher die Verherrlichung des Nrisinha als des höchsten äiman, resp. brahman 
zum Gegenstande hat (?). Sodann aber zerfällt weiter der pürva-Theil in 
fünf Unterabtheilungen, die selbst jede den Namen upanishad führen, 
während die Unterabtheilungen des uttara-Theiles kranda benannt sind. 
Ganz die gleiche Eintheilung kehrt in der Adma-Upan. wieder, und Cole- 
brooke’s Angaben über die fünf Upanishad, in welche die Sundari-Täpani 
zerfällt, werden wohl auch nur auf den pärva-Theil derselben zu beziehen 
sein. Die Gopäla-Täp. zerfällt nach Colebrooke wie die Aäma-Up. in zwei 
Theile: über deren Unterabtheilungen aber fehlt es mir an Angaben. 

Bei der Räma-Up. nun, welche den Gegenstand der nachstehenden 
Abhandlung bilden soll, ist allerdings die Trennung der beiden Theile dem 
Inhalte nach nicht ganz streng festgehalten, und greifen dieselben resp. in 
ihrer Darstellung mehrfach in einander über. Auch ist, abweichend von der 
Nrisinhop., der erste Theil hier in metrischer Form abgefafst (94 vv., wo- 
von 11!, in trishtubh, der Rest in c/oka), und die Unterabtheilungen (*) der 
zweiten Hälfte heifsen nicht AAanda, sondern khandikä (oder kandikä). 
Im Übrigen aber finden hier gerade ganz besonders direkte Beziehungen zur 
Nrisinhop. statt, insbesondere im zweiten Theil, wo $ 3, 2—8 mit Nris. 
pürvat. 4, 1,4—10 völlig, $ 3, 9 mit Nris. uttara 2, 13 wenigstens theil- 
weise identisch, und $ 5 als eine offenbare Nachbildung von Nris. pür- 
vat. 4, 4 zu erachten ist(?). — Aufser der Nrisinhop. wird auch die Existenz 
der Jäbälop., deren $$ 1. 2 in uitaratäp. $$ 1. 4 aufgenommen sind, so 


(!) Die mantra und dharan? der buddhistischen zan/ra finden bier offenbar ihr Analogon. 
Die Herleitung derselben aus Central-Asien ergiebt sich somit als eine verfehlte. Vielmehr 
ist für beide /antra-Stufen bereits im Atharvan-Ritual, resp. wohl schon in den beim Singen 
der Säman als deren Stütze in den Text einzufügenden Silben Ursprung und Anhalt zu suchen. 

(*) Eine moderne englische Aufzählung der Upanishad (s. Verz. der Berl. S. H. p. 95) 
hat merkwürdiger Weise auch drei madhyatäpini, nämlich 28 nrisinhatdpini, 29 madhya- 
täpin!, 30 uttaratdpint, sodann 44 rdmatäpini, A5 madhyatädpint (die uirarazäpint fehlt!), 
und 49 gopälatdpini, 50 madhyatäpini, 51 uttaratäpin!, 62 brihaduttaratäpini (!). Was 
diesen Angaben zu Grunde liegt, erhellt nicht. 

(°) Die Texthandschriften markiren die Unterabtheilungen nur durch je am Schlusse zu- 
gefügtes iz. Die Angaben ihrer Namen entnehme ich den beiden Commentaren. 

(*) Auch in pirvardp. v. 15 findet eine oflenbare Anspielung auf Nris. wet. 9, 4 statt. 


Die Räma-Täpaniya-Upanishad. 973 


wie die der Tärakop., die in utt. 8.2 wiederkehrt, vorausgesetzt. In der 
That besteht das ganze uffaratäp. nur aus einer Zusammenstellung anders- 
woher entlehnter Stücke, unter Verbrämung derselben mit den nöthigen 
Zuthaten ('), um sie für ihren hiesigen Zweck zurecht zu machen. In Folge 
dieses Mangels an eigenem Bestande fehlt somit hier die Möglichkeit 
einer Untersuchung, ob das uftaratäp. etwa auch hier, wie sich dies bei der 
Nrisinhop. als wahrscheinlich ergiebt, später als das pärvatäp. abgefafst sein 
mag. Von vorne herein indefs ist dies wenig glaublich, vielmehr die An- 
nahme näher liegend, dafs beide Theile denselben Verfasser haben, der 
eben auf Grund der ihm vorliegenden Nrisinhop. sein Material dem ihm da- 
durch gegebenen Vorbilde gemäfs vertheilt hat. 

Dafs nun übrigens die Admop. einer bei weitem späteren Zeit als die 
Nrisinhop. angehört, ist aus ihrem Inhalt, der mitten in die Puräna, vesp. 
Tantra hineinführt, wie aus ihrer Sprache klar ersichtlich. Und zwar ist 
letztere, obwohl der Verfasser im pürvatäp. durch Verwendung einiger Päni- 
ni-scher Kunstausdrücke, nämlich ze v. 29 (Dativ), nar v. 87 (a privans), so 
wie der Casus-Namen deitiyd, caturthi, shashthi v. 19. 59., seine Kenntnifs 
der grammatischen Terminologie mit einiger Ostentation zur Schau trägt, 
dennoch voll grober Irregularitäten aller Art. So finden wir (2) v. 24 anush- 
nagu statt °gur, v. 33 rawa statt raxäim, cansatläm v. 38 ohne Augment, 
das Praesens statt des Imperfects v. 35. 40., sthäpayet v. 42 statt asthäpayat, 
adhät v.17 statt des Atmanepadam, dhritah v. 50 statt dhritavän, Gerundia 
auf ya ohne dafs das Verbum mit Praeposition verbunden wäre, so stutya 
v. 34, sthäpya v. 47, likhya v. 62. 64, püjya v.90. 91, das Causativ 
statt des Simplex v. 39.46, dadata statt datta v. 43, stutimcakrus mit dem 
Akkusativ des Objekts v. 30, das Masculin statt des Neutrums in asirän 
v.4d, awarän v. 64. 2, 2,5, ardhamätrah 2, 2,5, irreguläre Zertheilung 
eines Compositums v. 85, umgekehrt adhas mit dem davon abhängigen Ge- 
genstande komponirt v.51. 86., ädyantam für °tau v. 37, dvicatväri für dvau 
calvärah v.8, rämena saha für rämäya v. 44, das Relativum als Artikel 


(') Kine derselben, der Eingang zu $ 3 scheint ihrerseits wieder das Muster für eine 
Stelle in der Gopälatäpaniyopanishad abgegeben zu haben. 

(2) Von denjenigen Irregularitäten, Archaismen und lexikalischen Eigenthümlichkeiten, 
welche in den von anderswoher entlehnten Theilen der Upan. vorkommen, sehe ich hier 
natürlich ab, da sie nicht die Upan. selber, sondern eben deren Quellen treffen. 


Philos.- histor. Kl. 1864. Mm 


974 Weser: 


v.39. 89, atho ohne Berücksichtigung seiner pragrihya-Form mit folgen- 
dem Vocal durch samdhi verbunden v. 79, ungeeignete Umstellung zweier 
Wörter metri causa v. 94, Hiatus im Verse v. 35, resp. am Schlufs des 
ersten päda v. 31. 54, tasyäjnayä v. 37 für tasyd djnayd, Cäsur im Worte 
mehrfach (s. zu v. 89). Ein grofser Theil dieser Irregularitäten trägt aller- 
dings archaistischen Anstrich, wird auch vom Schol. als chändasa, ve- 
disch, bezeichnet, ist indessen, wenn nicht wirklich als Fehler, jedenfalls 
nur alsabsichtliches Nachbilden spät vedischer Sprachweise, wie dieselbe, 
nach Art des gäthä-Dialekts der Buddhisten, insbesondere in einigen Upa- 
nishad (Kaushitaki, Maiträyani) resp. im Taittiriya Aranyaka vorliegt, zu 
erachten, wie denn im Schlufsvers des pürvatäp. (94) der Text sich geradezu 
als ricas bezeichnet, somit unmittelbaren Anspruch darauf erhebt, als 
vedisch zu gelten!! Die Wörter /ränana (!) v. 12, arna= varna v. 64.69, 
manu=mantra v. 63 (2, 4, 16), resp. das daraus wohl entstandene anu in 
derselben Bedeutung v. 29. 81, mantrin Kenner des mantra v. 11. 21.67, 
decika Lehrer (!) v. 96, sädhya und sädhaka v. 59. 20, ürmi = sechs v. 69, 
ca im Sinne von „u. s. w.” v. 68, die Anordnung des Alphabets in v. 66 
(noch dazu mit Ausschlufs des vedischen 2), die Erwähnung der Zodiacal- 
bilder v. 71, der Planeten, der manvantara, des brahmändam, der avatära, 
der Manikarni ete. im uttarat. (4, 16 ff. 5, 5) würden, selbst wenn die 
übrigen aus dem Inhalte selbst sich ergebenden Daten nicht da wären, allein 
schon völlig hinreichen, die absolute Nichtigkeit jenes Anspruches darzuthun. 
Aufser Obigem zeigt übrigens die Sprache der Upanishad auch sonst noch 
mehrfache lexikalisch -terminologische Eigenthümlichkeiten, die ich hier 
gleich anreihen will. So findet sich manasija in der Bedeutung Mond v. 3, 
nämin einen Namen habend v. 21, ira Wind in iraputra v. 38, iraja v. 67, 
Ghatacrotra und Sahasräkshajit v. 46 für Kumbhakarna und Indrajit, Ari- 
mardana v.59 für Catrughna, ina von den zwölf äditya v. 70, die Namen 
der Buchstaben in v. 72. 74—80 und der Formeln in v. 62. 67, vighna als 
Name des Ganeca v. 87, die dharmädikäs v. 83. 87, die vier dtmer und 
vier Zattva in v. 89, die vimalädih caktis in v. 90, pranavatva Preiswürdig- 
keit (?) in ui. 3, 1, gadä Hymnus uit. 5, 4, brähmana appellativisch 
ull.2, 9 


(') S. Aufrecht Catalogus der S. H. der Bodleyana pag. 105b. 


Die Räma-Täpaniya-Üpanishad. 275 


Dafs nun ferner auch der Inhalt der Upanishad dieselbe in die Pu- 
räna-, resp. Tantra-Zeit hineinweist, bedarf nur eines Verweises darauf, keiner 
näheren Darlegung. Wohl aber erscheint es geboten, zu untersuchen, wie sich 
die Upan. zu den sonstigen Räma-sektarischen Texten verhält, um zu sehen, ob 
sich daraus nicht etwa eine noch nähere Zeitbestimmung für ihre Abfassung 
finden läfst. Und zu diesem Zweck ist eine kurze Darstellung der sich an 
‚Räma's Gottherrlichkeit anknüpfenden Fragen überhaupt am Platze. 

Es handelt sich hiebei nicht darum, ob Räma etwa (vgl. Ind. Stud. 
1,175. 2, 392. 410, meine Vorles. über ind. Lit. G. p. 187, Omina und Port. 
pag. 3770 — 3) aus dem Aläma Halabhrit hervorgegangen, resp. also ur- 
sprünglich wie Sit nur die Personifikation einer Ackerbau -Gottheit(!) ge- 
wesen ist, sondern es handelt sich um die Auffassung des Räma als einer 
Inkarnation des Vishnu als des höchsten Gottes. Es liegt indessen auf 
der Hand, dafs gerade jener etwaige Ursprung ihn von vorn herein beson- 
ders geeignet zu dieser letztern Rolle machen mufste, und somit möglicher 
Weise ein gewisser genetischer Zusammenhang zwischen beiden wohl be- 
stehen könnte. Die Verherrlichung nun des Aöma als Form des Fishnu ist be- 
kanntlich bereits in dem Aämäyana selbst eine wesentliche Rolle spielend. 
J. Muir hat indessen im vierten Bande seiner verdienstvollen Sanscrit-texts 
(p- 142— 152. 377—410) es höchst wahrscheinlich gemacht, dafs die be- 
treffenden Stellen dem ursprünglichen Bestande des Aidmäyana nicht ange- 
hört haben, wie dies ja auch bereits Lassen und Schlegel schon angenommen 
hatten(?). Auch von der Jäöma-Episode des Mahäbhärata nimmt Muir in 
gleicher Weise an (p. 411—413), dafs diejenigen Ausdrücke darin, die sich 
auf Räma’s Fishnu-Potenz beziehen, erst sekundäre Zuthat sind. In der That 


('!) Die ihrerseits etwa bereits in die ärische Periode zurückreichen und mit dem Genius 
der Luft, Räma-gästra, des Avesta zusammenhängen könnte, s. Spiegel Ahorda- Avesta 
Einleitung p. XXXIV. Aädm-Yasht $ 43—48 ibid. p. 156—57. 

(2) Wenn der Kavi-Text des Rämdyana auf Java, resp. Bali „wirh the 'incarnation of 
the god Fishnu in the family of the king Dasaratha” beginnt (s. Ind. Stud. 2, 135), so 
frägt es sich denn doch vor Allem erst noch, ob derselbe bereits gleich bei der ersten Ein- 
wanderung der Inder (nach Friederich um 500 p. Chr., nach Lassen II, 1043 bei weitem 
früher) mitgekommen, oder ob er nicht erst weit später nach Java übergesiedelt ist: denn 
der Zusammenhang zwischen Indien und Java hat ja niemals ganz aufgehört, und jedenfalls 
Jahrhunderte hindurch in voller Blüthe bestanden. 


Mm? 


276 WEBER: 


ist diese Vorstellung in sonstigen älteren Texten nirgendwo nachweisbar (!) : 
und es hat daher neuerdings die Frage auftauchen können, ob dieselbe nicht 
irgendwie mit christlich -monotheistischen Einflüssen in Verbindung zu brin- 
gen sei. In seiner kurzen Analyse des Admäyana nämlich hat Monier Wil- 
liams (Indian Epic poetry p. 75 n.) darauf hingewiesen, dafs einige der da- 
rin von Räma berichteten Legenden, in denen er als der verheifsene Erlöser 
erscheint, dessen Ankunft sehnsüchtig erharrt wird, — so die Erzählung von 
der Cavari (3, 77), von Carabhanga (3, 9) und von Kabandha (3, 75) — 
an das christliche „Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren” 
erinnern und möglicher Weise daraus entstanden seien(?). Auch die Erlö- 
sung der Ahalyä von ihrem Fluche (1, 49) durch Räma’s Erscheinen ge- 
hört hieher. Allerdings kommt auch von Aja (Raghu. 5, 56) dasselbe 
vor, sammocitah..tvayä cäpäe ciraprärthitadarcanena, und ist ja in späteren 
Texten (s. z. B. Märkand. Pur. 63, 36. 37) es nahezu gebräuchlich gewor- 
den, dafs ein erschlagener Dämon sich nach Art des Kabandha (oder des 
Cambüka im Uttara Rämacarita) bei seinem Besieger dafür bedankt, weil 
erihn von seinem Fluche erlöst hat: dafs resp. als Termin eines Fluches von 
demVerfluchenden selbst die Erscheinung irgend eines grofsen Helden etc.ange- 
setzt wird. Es frägt sich aber eben, ob dies nicht sekundäre Verallgemei- 
nerungen und Weiterbildungen einer Anschauung sind, die ursprünglich 
eben auf einen einzigen Focus beschränkt war(*). In dieser Hinsicht könnte es 


(') Bei den Buddhisten z. B. findet sich nirgendwo eine Spur davon, obwohl bei ihnen 
der Name Räma selbst, der ja auch in vedischen Texten mehrfach erscheint (s. Ind. Stud. 
4, 175), nicht gerade selten ist. Einer der Vorfahren Budaha’s hiels so (s. Ind. Stud. 5, 
41s. 420. 429. 430) und nach ihm ein Ort: Rämag(r)äma s. Mahävanso 184. 185 Bur- 
nouf Introd. p. 367. Nach einem Königssohn Räma ward Rärmagonam auf Ceylon benannt 
(Mahäv. p.56. 222). Einer von Buddha’s Lehrern war Sohn eines Rärma (Burn. p. 154), und 
in den Schol. zum Abkidharmakoga werden zwei Lehrer Namens Räma citirt (Burn. p. 567). 

(2) Mon. Williams legt dabei noch ein Hauptgewicht darauf, dals Räma’s ideale Per- 
sönlichkeit dem Vorbilde Christus sehr nahe stehe, weit näher, als Krishna, für den man doch 
gleiche Beziehungen zu christlichen Legenden vermuthet habe. Er vergilst dabei aber, dafs 
Buddha in jenem Punkte ein viel näher liegendes Vorbild ist, als Christus. 

(') Fast übrigens möchte es indels allerdings gerathen scheinen, auch hierbei, resp. für 
diesen Focus, nicht an Christus, sondern an Buddha zu denken, da ja auch von diesem bei 
den Buddhisten sich verschiedene Legenden finden, welche auf die gleiche Vorstellung zu- 
rückgehen, und eine Aneignung derselben, resp. Übertragung auf Räma jedenfalls denn doch 
noch bei weitem leichter anzunehmen ist, als die Aneignung christlichen Legendenstoffes. 


Die Räma-Taäpaniya-Upanishad. 277 


von Bedeutung erscheinen, dafs in der Rämapijäcarani (Chambers 312) 
— einem modernen Compendium des Räma-Cultus, welches mir für die 
Erklärung der Rdmop., mit der es vielfach übereinstimmt, von grofser 
Wichtigkeit gewesen ist — wiederholentlich (fol. 12a., 29a., 43a) der Cve- 
tadveipa ganz ausdrücklich hervorgehoben wird: so z. B. 12a: prakritim 
tarpaydmi, kürmam t°, cesham t, prüthieim ti’, kshirasamudram t’, cveta- 
dvipam t°, ratnädrim t etc. Es ergiebt sich hieraus unstreitig eine ganz 
besondere Beziehung des Cretadvipa zur Verehrung des Aldma als Eingottes als 
wirkliche Anschauung dieses Textbuches der Adma-Sekte. Und zwar dies um 
so mehr, als dabei vorher stets auch des Värada, offenbar als eines der ersten 
Lehrer derselben gedacht wird: (f. 12a) gurüns tarpaydmi, paramagurün’, 
mahägurün?, asmadgurün’, sarvagurün’, Nära dädin pürvasiddhän bhä- 
gavatän °(fol. 42b:: erisarvagurubhyo namah, eripürvasiddhebhyo’, gribhä- 
gavatebhyo°). Dafs nun diese Trias: Närada, Milchmeer, Cvetadvipa 
sich auf jene Legende des Mahäbhärata von der monotheistischen Lehre 
der Bewohner des Cvetadvipa und von deren Verpflanzung nach Indien durch 
den über das Meer dahin gepilgerten Märada bezieht, in welcher ich Ind. 
Stud. 1, 400 (1850) den traditionellen Ausdruck für das Faktum einer Reise 
indischer Weisen in das christliche Abendland erkannt habe('!), (womit dann 
auch Lassen Ind. Alt. II, 1099 sich einverstanden erklärt hat), dürfte kaum 
einem Zweifel unterliegen(°). Im Hinblick darauf indessen, dafs die Ad- 


(') Eine analoge Vermuthung hatte schon Wilson gemacht, in einer Abhandlung im 
Oriental Magazine vol. III, die ich leider nur aus einer sekundären Quelle citiren kann. Mrs. 
Speir nämlich in ihrem dankenswerthen Werk: Life in Ancient India (London 1856) sagt 
p- 434 Folgendes: „Prof. Wilson notices the resemblance of the doctrines of the Bhagavad- 
gitä to those of some divisions of the early Christian schools and hints that the remodelling 
of the ancient Hindu systems into popular forms and in particular the vital importance of 
faith were directly influenced by the diffusion of the Christian religion.” In Bezug auf 
letzteren Punkt s. Wilson in den As. Res. 17, 312 (essays I, 368—69 ed. Rost) und meine 
Bemerkungen am Schlusse dieser Abhandlung. 

(2) Der @vetadvipa gilt als der eigentliche Aufenthalt Yisknu's, resp. Krishna’s. Als 
die Erde, von den Asura gequält, an Brahman um Hülfe sich wendet, macht sich dieser, von 
allen Göttern umgeben, auf nach dem @vezadvipa, bringt dem Krishna seine Verehrung, und 
erlangt von ihm die Gunst seiner Menschwerdung im Schoolse der Devaki: so ein Puräna 
im Frataräja fol. 101a (bei Gelegenheit des janmäshtamivrata).— Svapnegvara im schol. 
zum Gändilyasitra verweist wiederholt auf den Gvetadvipa, und zwar speeiell auf jene 
Legende des Mahäbhärata, welche ihn als das wahre Land der öAakti bezeichnet (pag. 30. 


978 WEBER: 


mopanishad selbst nichts hievon enthält, und ich auch sonst in keinem son- 
stigen Räma-Text etwas der Art gefunden habe, erscheint für diese rituellen 
Angaben der Aämapüjägarani die Annahme geboten, dafs dieselben aus 
einem andern Fishnu-itischen Ritual, dem der Ärishna-Sekte, in welchem 
die betreffende Tradition ihre ursprüngliche und richtige Stelle hatte('), 
in das der Räma-Sekte erst sekundär herübergenommen sind, wie sich ja in 
Folge derselben der Cvetadvipa auch sonst noch als das Land der Verhei- 
{sung angegeben findet, so in einer Stelle aus dem Skandapuräna , welche 
die Rämapijäcarani (f. 63a) eitirt: jätipushpasahasrena yalheshläm gatim 
äpnuyät\ Coetadvipam aväpnoti lakshapüjävidhäyakah(?)1 Es läfst sich 
somit jene Angabe, wie willkommen sie auch als Beleg für den fremden 
Einflufs auf die monotheistische Verehrung Fishnu’s überhaupt ist, resp. 
als Zeichen dafür, dafs die traditionelle Erinnerung hieran bei den Vishnu- 
Sekten selbst nie ganz verlosch, dennoch nicht füglich irgend direkt als Be- 
weis für Monier Williams’s in Rede stehende Vermuthung verwenden. 

Nach Wilson Ariana Antiqua p. 417 und Lassen (Ind. Alt. 2, 961. 
962) sollen die auf den Münzen Candragupta’s des Zweiten (230—240 p. 
Chr., nach Lassen) sich befindenden zwei stehenden Gestalten Räma und 
Sitä sein, woraus erhellen würde, dafs der Aömadienst damals schon be- 
stand. Da indefs die männliche Gestalt in der Rechten eine dreizackige 
Lanze trägt, so ist es schwerlich gerathen dabei an Adma zu denken. Auch 
dafs Sitä rechts neben Adma stehen sollte, ist nicht recht glaublich. Unsere 
Upanishadund sonstige Darstellungen schildern sie vielmehr stets als auf sei- 
nem linken Schoofsesitzend. Edw. Thomas in seiner Ausgabe von Prinsep’s 


56—58. 60. ed. Ballantyne). — Im Näradaparicaratra 2, 2, 84—91 erscheint der Qveta- 
dvipa als ein Upadvipa des Gälmalidvipa und als Hauptsitz des Fisknu, der daselbst sevitah 
Sindhukanyayä (s. über diese auch 1, 12, 56. 2, 6, 15. 3, 64 wo als kshirodamathanodbhavä 
martyalakshmih patni kshirodagäyinah bezeichnet). Unter den 1000 Namen Fishnu’s wird ib. 
4, 3, 124 auch gvetadvipapatih aufgeführt: die Stelle ist dem Padmapuräna entlehnt, 
wie sich aus Hall’s Bem. in der Vorrede zum Sämkhyaprav. bh. p.60 ergiebt. (Gleich daneben 
steht als ein anderer Name Fishnu’s: Sämkhyapranetä, womit offenbar auf Aapila als Inkarnation 
Yishnu’s, resp. als Vertreter des monotheistischen Sämkhyayoga angespielt wird, in wel- 
cher letzteren Stellung derselbe im Näradaparicarätra kurioser Weise mehrfach erscheint, s. 
Käpileye Pajicarätre 2, 6, 3. 4. 7, 50. 3, 4). 

(') Und dieselbe auch wirklich darin bewahrt hat, s. Näradaparicarätra 3, 2, 27 
nyasyed ädhäragakti-prakriti-kamatha-kshamä-kshirasindhün, gvetadvipam ca. 


(2) S. auch Fäsavadattä ed. Hall p. 218 (Z. der Deutschen Morg. G. 8, 538). 


Die Räma-Täpaniya- Upanishad. 279 


essays I, 379 erklärt dann auch jene Gruppe ganz einfach durch: „king lea- 
ning on his spear, facing him is a female figure”. Damit zerfliefst denn 
obiger Anhalt zur Bestimmung der Zeit des Admadienstes in Nichts. 

Die bis jetzt so weit ich sehe älteste Erwähnung einer Verehrung A@- 
ma’s bietet uns Varähamihira's brihatsamhilä. In dem von den Statuen der 
Götter und Halbgötter handelnden Capitel nämlich (s. Verz. d. Berl. S.H. 
p-245, Reinaud mem. sur l’Inde p. 119 aus Albirüni) wird gleich im Eingange 
die Statue des /läma, Sohnes des Dacaratha erwähnt, und zwar neben der des 
Bali Vairocana, resp. beide als 120 angula hoch, höher denn alle andern 
Statuen: aber er erscheint daselbst denn doch eben ausdrücklich als Sohn 
des Dacaratha bezeichnet und neben einem dämonischen Halbgott, nicht 
unter den Göttern selbsı aufgeführt, so dafs es wenigstens fraglich bleibt, 
ob dabei wirklich an seine göttliche Verehrung als Fishnu zu denken ist(!). 

InBhavabhüti’s beiden Dramen, die Adma’s Geschichte behandeln, 
ist, bei aller Verehrung, welche dieselben gegen ihn durchzieht(?), von seiner 
Vishnu-Potenz nirgendwo die Rede.— Auch die Angaben in Kälidäsa’s Me- 
ghadüta (v.1. 99) beweisen nicht unmittelbar für eine solche. Dagegen 
ist dieselbe im Raghuvanca (s. 10, 1 ff. 13, 1. 16, 103) ausführlich 
verherrlicht: nach Bhdo Dhäji’s neuerdings gemachten Angaben (s. Ind. 
Stud. 8, 195) wäre dies Werk etwa 650 p. Chr. abgefalst(?).— Im Catrum- 


(') Unter den 12 Namen Pishnu’s in Cap. 105 (Verz. d. B. S. H. p. 250) ist der Rä- 
zna’s nicht. Auch der Amarakosha führt unter den Namen Yishnu’s den des Räma nicht auf. 

(2) So wird er mehrfach darin Rämadeva genannt, doch nur in bewundernder Aner- 
kennung seiner Güte und Trefflichkeit, der er auch den Namen Rämabhadra verdankt: in 
beiden Compositen sollte äma eigentlich am Ende stehen, da sie ihn als „göttlichen Räma”, 
„trefllichen Räma” bezeichnen. Einmal wird er auch als „deva Rämabhadra” (Mahävi- 
rac. p» 108) angeredet, ein ander Mal als „öpannavatsala jagajjanataikabandho” (ib. p. 111). 

(?) Sollte etwa die ausführliche Schilderung des svayamvara der Bhoja-Prinzessin 
Indumati (Bhojakanyä 7, 35, Bhojyä 6, 59. 7, 2. 13, Schwester des Yidarbha-Königs Bhoja 
5, 39. 7,18, Bhojakulapradipa 7,29) so wie ihres unzeitigen Todes (5, 39 bis 8, 93) 
sich auf ein dem Dichter gleichzeitiges Ereignils bezielien, das er in dieser Form verherrlicht 
hat, um dadurch jenem Geschlecht der Bhroja sein Compliment zu machen’ Auch der Daga- 
kumära erwähnt ja ein Bhoja-Geschlecht als in Yidarbha herrschend. — Nach der Darstel- 
lung des Raghuvanga selbst freilich gehört Indumati als Räma’s Grolsmutter der grauen Vor- 
zeit an.— Über den Volksnamen Bhoja s. Lassen Ind. Alt. I, 611. 612 und über die zahl- 
reichen einzelnen Könige dieses Namens ibid. III, 827.845—56.1169, so wie Räjendra- Läla- 
Mitra im Journ. As. Soc. Bengal 1863 pag. 91—110. 


280 WEBER: 


jaya-mähätmya, welches etwa 50 Jahr älter ist, erscheint kurioser 
Weise Lakshmana als Näräyana, Räma dagegen als Padma (s. meine Abh. 
über das Catr. p. 30. 70) und wenn auch diese beiden Wörter daselbst ibren 
eigenthümlichen (Jaina-)Sinn haben, so ist dennoch ihre Verwendung für 
die beiden Brüder wohl eben als auf einer analogen Benennung derselben 
bei den Brähmanen beruhend zu erachten, wo dann natürlich aber nicht 
Lakshmana, sondern Räma mit dem Namen Näräyana in Bezug stehend 
gedacht werden mülste.—Im Bhattikävya, welches mit dem Catr. Mäh. 
etwa gleichzeitig zu setzen ist, enthält zwar gleich der erste Vers die An- 
gabe, dafs der Ewige (d. i. Fishnu) in Dacaratha’s Sohnschaft eingetreten 
sei (yam sanätanah pitaram agamat svayam); der Verlauf des Werkes 
aber nimmt darauf gar keine Rücksicht. Sit@ bezeichnet den Räma einmal 
(8, 89) dem Rävana gegenüber als Näräyanatah prati, „dem N. ähnlich”, 
kann also von seiner wirklichen N.schaft gar keine Ahnung haben. 

Von der Anerkennung Aäöma’s als einer Inkarnation des Fishnu bis zu sei- 
ner wirklichen sektarischen Verehrung als solche, resp. als höchste Gott- 
heit, ist übrigens jedenfalls immer noch eine ziemlicheKluft, und diese Kluft 
scheint in der That erst verhältnifsmäfsig spät überbrückt worden zu sein. 
Änandagiri, angeblich Camkara’s Schüler, gedenkt in seinem Camkaradig- 
eijaya (s.Wilson sketch of the religious sects of the Hindus ed. Rost p. 17) 
einer sektarischen Verehrung des Räma und der Sitö noch nicht(!). Und 
wenn das Brahmändapuräna, in welchem das von Räma’s Gottherrlich- 
keit nach Art unserer Upanishad erfüllte adhyäima-Rämäyana als Epi- 
sode enthalten ist, sich (und zwar, Friederich’s Angaben zufolge, als das einzige 


Werk dieser Art) auf der Insel Java, resp. Bali vorfindet (s. Ind. Stud. 


(') Aus dem beim Drucke dieser Abhandlung mir vorliegenden ersten Hefte der Aus- 
gabe dieses Werkes in der Bibl. Indica ersehe ich allerdings, dals die Stellung Aäma’s als 
eines avatära des Fishnu darin bereits gekannt ist, s.pag.51, 8: sa eva Räma-Krishnä- 
dyavatäravibhedena bhübhäram nivartayitum gishtävanamagishtasamhäram ca kurvan pu- 
nyasthaleshu nijävirbhütamürtipratishihäm äcakära, Auch wird pag. 21, 2 ein heiliger Platz 
Rämecgvaram als von Gamkara besucht erwähnt: Rämegvaram näma prasiddhasthalam 
prati jagdma; Rämegvaram Rämakritapratishiham. Von einer Räma-Sekte indels ist 
in den prakarana 6—10, welche von den vishnu-itischen Sekten handeln, nicht die Rede. 
Es ist übrigens dieses, zahlreiche höchst wichtige Angaben enthaltende, Werk, den vielen Ci- 
taten aus den Puräna und Tantra nach zu schlielsen, schwerlich als wirklich von einem 
direkten Schüler Gamkara’s verfalst anzusehen, sondern wohl erst späterer Zeit angehörig? 


Die Räma-Täpaniya-ÜUpanishad. 281 


2, 131) so ist doch daraus nicht etwa ohne Weiteres auf eine höhere Alter- 
thümlichkeit der Räma-Verehrung als sich uns aus dem Bisherigen ergeben 
hat, ein Schlufs zu ziehen: denn theils fehlt es uns an einer Angabe darüber, 
ob der dortige Text dieses Puräna wirklich auch das adhyätma-Rämäyana 
enthält, theils ist ja auch, wenn dies wirklich der Fall sein sollte (hier wie 
beim Rämäyana selbst, s. oben pag. 275 n.), erst noch die Frage zu erledi- 
gen, zu welcher Zeit das Werk etwa in Java Eingang gefunden haben mag, 
da uns nichts zu der Annahme berechtigt, dafs die Inder es gleich bei ihrer 
ersten Einwanderung dorthin mitgenommen haben. — Von den übrigen Pu- 
räna enthält das Agnipuräna zum Wenigsten eine Epitome der sieben 
Bücher des Admaäyana s. Aufrecht Catalogus p. 7a. Der Pätälakhanda des 
Padma-Puräna sodann enthält zunächst in Capp. 15— 28 ein ausführli- 
ches Aädmacaritam, und aulserdem noch verschiedene auf Räma bezügliche 
Capitel: auch giebt der uttarakhanda eine ausführliche Darstellung des Ra- 
mävatära (Aufrecht p. 13. 14). Die des Todaränanda (Chambers 422) ist 
dem Nrisinhapuräna entnommen. Der/rataräja (ed. Bombay fol. 114 
ff.) entlehnt seine Belege für das Rämanavamivratam der Agastyasamhitä 
des Skandapuräna. Im Übrigen aber scheint der Dienst des Räma in 
den Puräna keine besonders hervorstechende Rolle zu spielen, wie sich 
aus den ausführlichen Analysen derselben bei Aufrecht ergiebt(!). Dagegen 
scheint derselbe in den Tantra, besonders im Brahmayämalatanitra ete., 
sehr speciell erörtert zu werden (s. Aufrecht p. 99. 106. 107). — In der That 
ist als Hauptbeförderer eines solchen wohl erst ti ämänuja im elften Jahr- 
hundert anzusehen(?), s. Colebrooke I], 197. 198: und seiner Schule daher, 
oder möglicher Weise sogar ihm selbst, habe ich früher (Acad. Vorles. p. 163) 
die Rämopanishad zuweisen zu müssen geglaubt(°). In den speciellen 


(') Im Fämana-Puräna (Aufrecht p. 46 b, n.) erscheinen Sitävanam und Rämasaras 
unter den heiligsten Heiligthümern des Kurukshetra. 

(2) Auch als Eigenname, resp. als Theil von Eigennamen, soweit dadurch seine Würde 
als Gott selbst implicirt wird, scheint Rdma erst seit dieser Zeit häufiger vorzukommen, 
wie er sich denn noch jetzt mit Ärishna in das unbestrittene Vorrecht theilt, am häufigsten 
in dieser Weise verwendet zu werden. Beide sind ja eben die jüngsten Phasen in dem 
Avatära-System Fishnu’s, dessen ältere Stufen Yämana, Matsya, Kürma, Varäha, Nrisinha 
etc. allerdings niemals im religiösen Bewulstsein des Volkes irgend welche erhebliche Rolle 
gespielt haben. 

(?) In einer der Handschriften die ich benutzt habe (Chambers 483) wird sie in der 


Philos.-histor. Kl. 1864. Nn 


282 WEBER: 


Angaben über ihn indefs, die jetzt im Sarvadarcanasamgraha (p. 44—61 
ed. Calc.) und bei Wilson (am a. O. p. 34—47) vorliegen, finde ich nichts 
was auf irgend direkte Beziehung der Rämopanishad zu ihm hinwiese: nur 
der terminus technicus vyüha (Sarvadarc. p. 54. 55. Wilson p. 45) findet 
sich darin v. 90 ebenso gebraucht, und der sechssilbige mantra der Rämä- 
nuja-Sekte (Wilson p. 40 om Rämdya namah) ist mit dem mantra der 
Upanishad (räm rämäya namah) nahe verwandt: fast alles Andere dage- 
gen differirt. — Weit nähere Verwandtschaft jedenfalls zeigen die Angaben 
unserer Upan. zu den Lehren des Aämänanda (Wilson p. 46 ff.), der erst 
Ende des vierzehnten Jahrh. gesetzt wird. Die Verehrung Fishnu’s als 
Rämacandra in Gemeinschaft mit Säa, Lakshmana und Hanumant findetin 
der Upan. ganz in gleicher Weise statt: in Bezug auf Einzelnheiten indefs 
ist auch hier gar keine speciellere Übereinstimmung zu bemerken, und ist 
insbesondre der mantra dieser Sekte (Wilson p. 55) völlig abweichend. — Fast 
ganz identisch dagegen, ob auch mit verschiedenen Zuthaten versehen, fin- 
den sich die Darstellung und die einzelnen Angaben der Upanishad wieder 
in der bereits oben erwähnten lömapüjägarani, deren Abfassung somit 
wohl als unter dem Einflufs der Upan. erfolgt angesehen werden mufs, ob- 
schon dieselbe nirgendwo darin erwähnt wird(! ).—Das einzige Werk, in wel- 
chem ich aufserdem noch die eigenthümlichen termini techniei und Vorstel- 
lungen der Adämop., insbesondere ihres ersten Theiles, wiedergefunden 
habe, ist das dritte, von der mantrayantrakriyä handelnde, Buch des 
von Rev. K. M. Banerjea neuerdings in der Bibliotheca Indica (New Se- 
ries nros. 17. 25. 34) herausgegebenen Krishna-sektarischen Närada- 
Pancarätra, eines Werkes, welches sich auf das Bhägavatam puränam 
in 18000 vv. und 12 skandha, auf das Brahmavaivartam in vier khanda, und 
auf das Vishnu-Puräna beruft (2, 7, 28—32), dessen eigne Abfassung so- 


That auch durch den Segenswunsch: gri-Rämänujäya namah, om namah gri Jänakivalla- 
bhäya eingeleitet, doch ist dies freilich nur für den betreffenden Schreiber von Beweiskraft. 

(‘) Die Handschrift datirt AD. 1701: das Werkchen kann aber natürlich um eine 
nicht zu bestimmende Zeit älter sein. Der Vf. führt selbst den Namen Räma, nennt sich 
Schüler des Nrisinhägrama, citirt die Govindärcanavasudhä, das gäradätilakam, die krama- 
dipikätikäkritas u. dgl., sowie vielfach abweichende Ansichten der sämpradäyikäs, der na- 
vinds (Rämapärshadäs) gegenüber dem jirnamata u. dgl. (Die richtigere Namensform 
wäre übrigens °sarani.) 


Die Räma-Täpaniya-Upanishad. 283 


mit schon dadurch in eine sehr moderne Zeit herabgerückt wird. Da die 
Angaben dieses Werkes übrigens zu denen der Rdmapüjäcarani theilweise, 
in Bezug auf die Erwähnung der Wörter ävarana, kshirasindhu, Coetadvipa, 
ratnojjvalamahitamahämandapa, kalpavriksha (s. zu pürvat. 53. 86), in 
noch näherer Verwandtschaft, wie zu denen der Rämop. selbst stehen, so 
ist eine gewisse Priorität dieser letztern dadurch wohl zur Genüge gesichert. 

Zu den speciell Yishnu-itischen Angaben, welche das Rämäyana 
enthält, finden sich — um dies noch zu erwähnen — in der Rämop., so weit 
ich sehe, keine unmittelbaren Beziehungen, was billig befremdet, da man 
dgl. jedenfalls erwarten sollte('). In einer Beziehung steht die Upan. sogar 
auf einem abweichenden Standpunkt, insofern sie nämlich, ganz wie das 
adhyätma-Rämäyana, die Sitd nicht sowohl in Vedänta-Art als mäyd, 
sondern vielmehr der Sämkhya-Yoga-Lehre entsprechend, als prakriti 
bezeichnet, obschon sie darin allerdings nicht so weit geht, wie der adbhu- 
tottarakända des Rämäyana (s. Verz. d. Berl. S. H. p. 123 ff.), welcher 
die Sit in Cäkta-sektarischer Weise sogar noch über Räma erhebt. — 
Dagegen finden sich im adhyätma-Rämäyana, insbesondere in den „Räma- 
hridayam” und „Rämagitä” genannten Capiteln (1, 1 und 7, 5) allerdings 
einige Stellen, welche zu der Rämopanishad Verwandtschaft zeigen (?), 
ohne dafs dieselbe indefs so eng wäre, dafs eine gegenseitige Beziehung dar- 
aus mit Nothwendigkeit folgte. 

Von den Handschriften, die mir zu Gebote standen — A = Chambers 
483 (pürvatäp.) und 461 (uitaratäp.), E=EIH 1726 (pürvatäp. und ut- 
taratäp.), M = Bodleyana Mill 109, eine sehr korrupte Handschrift, deren 
Collation in einigen Stellen ich Herrn Dr. Franz Kielhorn verdanke— enthält 
eine (E) im utiara-Theile einen zienlich langen Zusatz, der aus allerlei 
Stellen anderer Upanishad ($ 6), insbesondere der Mahop., sowie aus Pu- 
räna-Citaten ($ 7), welche ausdrücklich auch als solche bezeichnet werden, 
zusammengesetzt ist. — Die beiden Chambers’schen Handschriften geben aufser 
dem Texte je auch einen Commentar (=C). Der Commentar zum pürvatdp. ist 


(') Auffällig ist auch die Differenz der Namen der Räthe des Dagaratha in pürv. v. 55 
(wo nur ein einziger Text des Rämäyana mit der Upan. stimmt, alle übrigen abweichen). — 
Der Schol. citirt nur zu uz£. 3, 1 einen Vers aus dem ARdmäyana (7, 117, 4). 

(2) 8. das zu pürv. v. 6. utt. 3, 1.2. 7,1 ff. Bemerkte. Admavarman, der Schol. 
des Adhy. Räm. citirt die Upanishad auch einige Male. 


Nn2 


984 WEBER: 


klar und einfach, von ungenanntem Verfasser. Der Commentar zum utta- 
ratäp. dagegen ist über die Maafsen weitschweifig und abstrus: die Dürftig- 
keit des Inhalts wird durch möglichsten Wortschwall der Erklärung 
zu verdecken gesucht: er führt den Namen änandanidhi, und ist 
verfafst von Änandavana, aus dem Geschlecht des Vacishtha, Ur- 
enkel des Kecava, Enkel des Nrihari, Sohn des Krishna, geboren 
dharanisuravarapattane Kundinäkhye, also in der Hauptstadt von 
Vidarbha ('). Während der schol. zum pürvatäp. nur wenige Citate aus den 
Puräna, x. B. zu v. 53 aus der Agastisamhitä (des Skandapuräna), enthält, 
ist Anandavana reich an Citaten auch aus der cruti, der Vedänta - Litera- 
tur ete., so Camkara (bhagavadbhih erimachamkaräcäryaih, zu 1, 4) 
Bhatta (°pädaih 3,2), Suregvaravärttike (4, 12), värttikakära, "kritas (3, 4) 
prapancasäre crimadäcäryaih(2, 3), Govindabhagavatpüjyapädäcäryair api 
Govindabhagavadgranthe (4, 12), Rämagitäsu (4, 12); von den Upanishad 
werden Brihadäranyaka, Jäbälopanishachrutih, atharvacirasi rudropani- 
shadi (5, 5), Mändükop. (3, 2), nrisinhapürvatäpaniye (3, 2. 5, 5) und 
nrisinhottaratäp. (3, 2), und aufser dem Rämdyana (3,1) auch verschiedene 
Puräna z.B. die Agastisamhitä (2, 3) eitirt. Die Handschriften sind leider 
sämmtlich in einem sehr verderbten Zustande, so dafs einige Stellen un- 
sicher geblieben sind (s. pürvatäp. v. 29. 66. 67. 73. 88. 93. utt. 4,16. 18. 19. 
5, 4. 5, 1-47. 6.) insbesondere in dem letzten Zusatze, welchen die 
Londoner Handschrift zum utiaratäp. hinzufügt (s. 6, 4. 7,2.3. 5. 
11. 13—15. 18. 20. 22—25.). Beide Scholl. geben übrigens einige Male 
direkte Varianten (pätha) zu der von ihnen selbst reeipirten Lesart an, und 
an zwei Stellen (utt. 2, 9. 3, 13) hat der Text selbst gar nicht die vom 
Comm. erklärte Lesart, sondern eben diese Variante, und es weichen resp. 
im uttaratäp. Text undComm. auch sonst noch in ihrenLesarten von einander 
ab, s. 1, 4. 6. 2, 8. 3, 1. 4, 18, zum Zeichen, dafs in der vorliegenden Hand- 
schrift Text und Comm. je aus verschiedenen Quellen zusammengetragen 
worden sind, wie dies ja auch sonst oft genug der Fall ist. 

Ehe ich zum Text selbst übergehe, schicke ich hier noch eine kurze 
Gesammtübersicht des Inhaltes voraus. 


(') welches Land zwischen Benares, dem Sitze der Secte Rämänanda’s, und zwischen dem 
südlichen Dekhan, dem Sitze der Secte Rdmänuja’s, gerade in der Mitte liegt. 


Die Räma-Täpaniya- Upanishad. 285 


pürvaläpaniyam, up. 1. v.1—13. Name des Aäma und Identität 
desselben mit dem höchsten drahman (1—6). Anthropomorphische Ent- 
wicklung verschiedener Götter aus dem alleinigen drahman, Behufs dessen 
leichterer Verehrung durch die Gläubigen. Ebenso wird auch Räma mit 
allerlei Attributen ausgestattet (7”—10). Wichtigkeit der dem Räma geweih- 
ten Credo-Formel (nämlich Räm Rämäya namah) und des damit her- 
zustellenden Diagramms (10—13). — upanishad 2, v. 14—16. Ver- 
herrlichung der Allheit der in der Silbe Aäm, der Anfangssilbe (vijam) 
des Räma-Credo symbolisirten göttlichen Kraft. — upanishad 3, v. 17. 
18 Erklärung der beiden folgenden Worte des Räma-Credo (Aäma und 
namas). Zu Räma gehört auch Sit (er als der Odem, sie als das mate- 
rielle Substrat der Welt). — upanishad 4, v. 19—84. Schilderung des 
vermittelst des Röma-Credo, und vermittelst des dem Aäma geweihten 
mälämantra etc. herzustellenden Diagramms (yantra, dhäranäyantra). 
— upanishad 5, v.85—94. Bildliche Anbetung des Atäma. 

uttaraläpaniyam, khand. 1 (aus Jäbälopan.) Belehrung des Brihas- 
pati durch Yäjnavalkya über das arimuktam.— khand. 2 (tärakopan.) desgl. 
des Bharadväja über die rettende Kraft des Lautes om, resp. der mit dessen 
sechs Theilen identifieirten sechs Theile einer ‚erweiterten Räma -Credo- 
Formel (om, Räm, Räm-, mäya namah, candräya namo, bhadräya namah). 
—khand.3,1Verherrlichung der mit Rama und seinen drei Brüdern identi- 
ficirten vier Bestandtheile des om, die ihrerseits wieder mit den vier Stufen 
der Allseele identisch gesetzt werden 2— 8 (aus Nrisinhopan.). Identität 
des Adma mit der Allseele, so wie jedes einzelnen Ich mit Räma.— khand. 
4 Belehrung des Atri durch Yäjnavalkya über arimuktam 1—13 (aus Jä- 
bälopan.). BRäma gewährt die unterwürfige Bitte Civa’s um die Fortdauer 
der Heiligkeit von Benares. — khand. 5 (der Nrisinhop. nachgebildet) Be- 
lehrung des Bharadväja durch Yäjnavalkya über die Verherrlichung 
Jräma'’s durch Brahman (mascul.).—[khand. 6 (mit Benutzug der Mahopan.) 
desgl. über die Hoheit des sechssilbigen Räma-Credo.—khand. 7 (ausdrück- 
lich als Citate aus den Puräna bezeichnet) über die alle Sünden tilgende 
Kraft desselben.]. 


286 WEBER: 


1. Das pürvatäpaniyam. 
Erste Upanishad (v. 1—13). 
1. cinmaye 'smin mahävishnau jäte Dacarathe harau \ 
Raghoh kule, khilam räti räjate yo mahisthitah (!) u 
2. sa Räma iti lokeshu vidpadbhih prakatikritah (?) \ 
räkshasä yena maranam yänli svodrekato 'thavä u 
3. Räma-näma bhuvi khydtam abhirämena vapushä (?)\ 
räkshasän martyarüpena rähur manasijam yathä\ 
4. prabhähinäns tathä krited räjyärhändm mahibhritäm \ 
dharmamärgam caritrena jnänamärgam ca nämatah \ 


ai 


tathä (*) dhyänena (?) vairägyam aicvaryam yasya püjandät (°)\ 
tathä Rämasya (") Rämäkhyä (°) bhuvi syäd atha tattvatah \ 
ramante yogino 'nante satyänande (?) cidätmani\ 


2 


iti Rämapadenä 'sau (!°) param brahmä 'bhidhiyate \ 

1. Als jener geistige grofse Yishnu, Hari, im Geschlecht des Raghu 
dem Dacaratha geboren war, (ist er,) der da (den Gläubigen) Alles spendet, 
und auf Erden befindlich leuchtet, — 2. von den Weisen in den Welten 
als Räma verherrlicht worden: oder vielmehr, (weil er es ist) durch den 
die Räkshasa zu Tode kommen, Kraft seines Übergewichtes. — ö. Der 
Name Räma’s ist (ferner auch) auf Erden berühmt durch seine liebliche Ge- 
stalt. weil er in eines Sterblichen Leib die Räkshasa, wie Rähu den Mond, 
— 4. ebenso glanzlos gemacht hat, — weil er den des Königthums würdigen 
Erdeträgern (Königen) den Weg der Pflicht durch seinen Wandel, den Weg 
des Erkennens durch seinen Namen (gemacht, gewiesen hat): — 5.(er,) durch 
die Versenkung in welchen Befreiung von aller Leidenschaft, aus dessen 
Verehrung (übernatürliche) Macht (erreicht wird). So soll denn dem Adma 
der Name: Räma auf der Erde der Wahrheit nach zugehören. — 6. Weil 
sich die Andächtigen erfreuen an dem endlosen, in Wahrheit wonnigen, 
geistigen Ätman, darum wird er als das höchste Brakman mit dem Worte 
Räma (der Erfreuende) bezeichnet.” 


(') sthitih E. (?) Das ganze Hemistich feblt in AC. (?) väpunah AEM. 
vapushä C. (*) So AE, der Comm. ergänzt von v. 1. her räti. (?) jnänena E, 
(°) svasvapüjanät E. (") räjyasya E. (?) romäkhyäm A. (?) nityänande 
E. und Rämavarman zu Adhy. Räm. 1, 1, 32 (Chambers 565). (!0) °nedam, Räme- 


varman. 


Die Räma-Täpaniya-Upanishad. 287 


1 — 6 madhyamottamädhikäritäratamyät sagunanirgunopäsand- 
prakäcakapürvottarabhägäbhyäm praprittes, tatra mandädhikäribhih sa- 
gunopäsanayaiva nirgunasyopeyalvät, pancabhih clokair ädau sagu- 
naparatayä Rämandmno niruktim kritvä shashthaglokena nirgunapa- 
ratayd niruktim äha. — 1. dagarathe dagarathavishaye. — paricheda- 
trayacünyatvam mahävishnugabdärthah, sarvatra-saltvän na decatah pa- 
richedah, sarvadaiva-sativän na kälatah parichedah, tadeyatirekena vastv- 
antaräbhävän na vastutah parichedah \ harau avidyätatkäryahärini jäte 
bhaktändm anugrahärtham seikritalilävatäre. — 2. svodrekato svasya 
cakrädy-atikramahetubhütäd ädhikyät. — 3. vapushä rämah sundara iti 
Rämagabdärthah. Zu dieser Etymologie s. Raghuv. 10, 67: Räma ity 
abhirämena vapush@ tasya coditah nämadheyam guruc cakre. — 
manasijam candram: sonst ist manasija nur ein Name des Liebesgottes. 
Vgl. indessen die häufige Zusammenstellung des manas mit dem Monde 
in den Brähmana, so z. B. yad idam manah so 'sau candrah Catap. 14, 6, 
1, 7: candrät te manah sprinomi Käty. 25, 6, 11: alha mano ’tyavahat, 
tad yadd mrityum atyamucyala sa candramä abhavat Cat. 14, 4, 1, 17: 
yac cä 'yam asmince candre tejomayo 'mritamayah purusho yac cd 'yam 
adhyätmam mänasas tejomayo ’m. p. 14, 5, 5, 7. — 6. Zu vergleichen 
sind hier die Worte des Rämahridayam (adhyätma-Räm. 1, 1, 32. 33). 
Rämam viddhi param brahma saccidänandam advayam \ sarvopädhivinir- 
muktam sattlämätram agocaram \ änandam nirmalam gäntam nirgikäram 
niranjanam \ sarvacyäpinam ätmänam svaprakäcam akalmasham ı Räma- 
varman (Schüler des Bhatia Nägeca) eitirt dazu unsern Vers hier durch: iti 
täpaniye Pädme cokte, als ob derselbe somit sich auch im Padma - Puräna 
vorfände. — Zur Etymologie vgl.adhy. Räm.1,3, 40: yasmin ramante munayo 
vidyayd 'jnänaviplave \tam guruh präha Rämeti, ramanäd Räma ity api ü 
(Alle diese Erklärungen des Namens Räma in 1—6 haben, bis auf die letzte, 
den Zweck die beiden Silben 4 und ma als auf das Wesen des Räma bezüg- 
lich darzustellen, daher denn auch der Comm. zu v. 4b nochmals r&ti aus 
v. 1 heranzieht, um das ma von märga damit zusammen zu selzen.) — 

7. cinmayasyä 'dvitiyasya nishkalasyä (!) ’caririnah \ 
updsakänäm käryärtham brahmano rüpakalpanä \ 


(') so A und ARdmavarman; nishkälaksya C, aber erklärt durch vastuto mäyäginyasya. 


288 WEBER: 


8. rüpasthänäm devatänäm pum-stry-angä-strädikalpanä \ 
doi-cateäri (!) shad (?) ashtä "sam daga dvädaca shodaca \ 
9. ashtädacä ’mi kathitä hastäh cankhädibhir yutäh \ 
sahasräntäs, tathä täsäm varna-vähanakalpanä\ 
10. cakti-senäkalpanä ca, brahmany evam hi pahcadhä \ 
kalpitasya carirasya tasya senädikalpand \ 

7.„Dem rein geistigen, zweitlosen, theillosen, körperlosen drahman 
theilt man um der Andächtigen Willen (bestimmte) Formen zu. — 8. Die in 
Form gekleideten Götter (wieder) erhalten männliches oder weibliches Ge- 
schlecht, Glieder, Waffen u. s. w. Sie haben zwei oder vier, sechs, acht, 
zehn, zwölf, sechszehn, — 9 achtzehn Hände, mit Muscheln und dergl. ver- 
sehen, bis zu deren tausend. Auch erhalten sie Farben und Gespann, — 
10 so wie Kräfte und Heere. Ebenso wird nun auch diesem im brahman 
entwickelten Leibe (des Aäma) Herstellung eines Heeres u. s. w. in fünf- 
facher Weise zugetheilt.” 

v. 7. wird von Rämavarman zu adhyätma-Räm. 1,1,1 eitirt (tad 
uktam Rämatäpaniyopanishadi ...). — 8. Statt dei sollte man dvau er- 
warten, statt calväri cateärah: oder nach Analogie von dritra etwa dvica- 
turäh. — 9. euklädivarnakalpand deitiyä, garudädivdhanakalpanä tri- 
tiyd. — evam cinmaydädigaktikalpanä(*) caturthi, vishvaksena (*)-pramu- 
khasenäkalpand pancami. — 10. Von dieser fünffachen Gliederung der 
Attribute des Räma ist im Verlauf nicht weiter die Rede. 

11. brahmädinäm väcako "yam mantro ’nvarlhädisamjnakah \ 
japtacyo mantrind, nainam vinä devah prasidati \ 

12. kriyäkarmejyakartrinäm arlham mantro vadaty ayam\ 
mananät tränanän mantrah sarvaräcyasya väcakah \ 

13. sobhayasyd ’sya devasya vigraho yantrakalpanä \ 

vind yantrena cet püjä devatä na prasidatiti\ 

11. Jener Spruch, welcher drahman und (alles) was diesem folgt in sich 
befafst, (weil er) den Namen (Räma) enthält, der der erste und alle Dinge 
umfassende ist(?), mufs:von dem, der ihn kennt, gemurmelt werden. : Ohne 
ihn wird der Gott (Räma) nicht gnädig. — 12. Es kündet dieser Spruch 


(') dwvicatväringat A. M (Pyaa). (2) fehlt M. (3)  ? Omalpädi Cod. 
(*) Dies ist sonst ein Name Yishnw’s: s. indels Panicarätra 3, 11, 23. 


Die Räma-Täpantya-Upanishad. 259 


den Zweck des Cultus, des Opferwerks, des zu Verehrenden (Räma) und 
des Opfernden. Vom Denken und vom Schützen heifst er (der Spruch) 
man-tra, der da alles was zu künden ist kündet. — 13. Die Herstellung des 
Diagramms ist der Leib (selbst) dieses aus Beidem vereinigten (d. i. aus dem 
zu Kündenden, drahman, und aus dem Kündenden, Spruch, vereint zu er- 
kennenden?) Gottes. Wenn die Verehrung ohne das Diagramm stattfindet, 
wird die Gottheit nicht gnädig.” 

11.ayam vakshyamänah shadaksharo mantrah (nämlich Räm Rä- 
mäya namah) ily anvayah, väcakatayd sarvärthän anugatä ädih cresh- 
!hä samjnä rämanämarüpä yasmin so 'nvarthädisamjnakah. — 
mantrind guruto grihitamantrena. — 12. kriyä mantropäsanam, kar- 
ma tadangabhütam homddi, ijyo yajaniyo bhagavän Rämah, kartä (kar- 
ir Cod.) upäsakah. — Eine höchst kuriose Form ist /ränanät, wohl von 
einem Denominativum /ränay abzuleiten. — sarvaväcyasya väcakah 
brahmädibhedaprapancasya gri Kämäd bhinnatayä nirüpayitum acakya- 
tvät sarväbhidhäyaka ity arthah.— 13.sobhayasya, ubhayena väc yena 
(väeyd Cod.) brahmädiprapancena väcakena (? °pamceta cäketa Cod.) 
mantraräjena (ca) vicishtasya (s. v. 20): die Erkenntnifs des Räma als drah- 
man und die Räma-Credo-Formel bilden zusammen das Wesen des Räma- 
Cultus, resp. des Räma selbst. — iticabdah prathamopanishatsamäpty- 
arthah. 


Zweite Upanishad (v. 14—16). 
14. svabhür jyotirmayo ’nantarüpi svenaiva bhäsate\ 
Jivatvene ’dam om yasya, srishlisthitilayasya ca \ 
15. käranatvena, cichaktyä, rajahsattvatamogunaihl 
‚yathaiva vatavijasthah präkritac ca mahädrumah \ 
16. tathaiva rämavijastham jagad etac caräcaram \ 
rephärüdhä mürtayah syuh gaktayas tisra eva ceti \ 

14. „Durch sich selbst seiend, aus Licht bestehend, unendliche Ge- 
stalt habend, strahlt er durch sich selbst, er, durch dessen Lebendigkeit 
fürwahr dieses (Weltall) besteht, kraft seiner Ursächlichkeit für Schö- 
pfung, Bestehen und Vergehen, — 15. kraft seiner geistigen Kraft, und kraft 
der Qualitäten der Leidenschaft, der Güte, des Dunkels. Gleichwie ein 
gewöhnlicher grofser Baum in dem Samenkorn der Feige ruht, — 16. also 

Philos.-histor. Kl. 1864. Oo 


290 WEBER: 


ruht diese (ganze) bewegliche und unbewegliche Welt in dem Samenkorn 
des äma. An das r schmiegen sich als (drei) Körper (in Gestalt von drei 
Buchstaben) alle drei (Götter-)Kräfte.” 

14. om ist hier wohl nur adverbial, im Sinne von: wahrhaftig zu fas- 
sen? yasya paramälmano jivatvena kritsnalejaskäratvena om om-ätma- 
kam omkäraprabhavam idam kritsnam jagad bhäsate. — 15.Zu vatavi- 
Jastha s. Nris. utt. täp. 9, 4. — 16. atha rämavijam uddharati, repho 
ravarnah tam ärüdhäs tadupaglishit mürtayo brahmavishnurudrarüpä 
varnäs tisrah akäradvayam makärac ceti samuditä vijjam syuh\ vijam 
ity adhyähartavyam\akäro brahmarüpah, deitiya(h) akäro vishnurüpah, ma- 
käro rudrarüpah, iti trimürticabdena varnd ucyante \caktayah srishiyd- 
dicaktimantah. Die Silbe rm somit, die als vjjam, Samenkorn, des 
häma-Credo gilt(!), ist als aus r, a, a, m bestehend aufzufassen: das 7 re- 
präsentirt den Adäma selbst, der die den andern drei Lauten entsprechenden 
drei Formen des Zrimürti (a = brahman, zweites « = vishnu, m = rudra) 
in sich vereinigt. — Den Zusammenhang der drei ersten Upanishad stellt 
der schol. wie folgt dar: prathamopanishadvihitasya mantrajapasya man- 
irajnänam vind viryavallväbhärdt tripadarämamantrasya (!triyadarämasam- 
nnasyaCod.) prathamam padam räm vijarüpam dvitiyopanishadi vyäkri- 
tam, atha deitiyatritiyapadayor vyäkhyänärtham tritiyopanishatpravavrite: 


Dritte Upanishad (v. 17. 18). 
17. Sitä-Rämau tanmayäv atra püjyau, jätäny äbhydm bhuvanäni dvi- 
sapta \ sthitäni ca prahritäny eva teshu, tato Rämo mänavo mäyayd ’dhät u 
18. jagatprändyd ”Imane ’smai(?) namah syät, namas tv aikyam pra- 
vadet prägguneneti U 
17. „Sitä und Räma sind hierin (im Räma-Credo) als Formen des 
Absoluten zu verehren. Durch sie Beide werden die zweimal sieben Wel- 
ten erzeugt, gehalten und (wieder) vernichtet. In diese (Welten) legte 
darauf Alöma sich kraft der mäyd als Mensch hinein. — 18. Dem Odem der 
Welt, diesem Atman sei Verneigung (namas). Dieser namas-Ruf künde 
die Einheit (der Einzelseele Aöma) mit dem die früher (in vv. 14. 15)angege- 
benen Eigenschaften Besitzenden (der Allseele Aama).” 


(') S.Nrisinha-pürv.3, 1,1. und mantreshu sänusväram nämädyaksharam vijam cähuh, 


Rämapüjägarani f. 50a. (?) tasmai E. 


Die Räma-Täpaniya- Upanishad. 291 


Die Sitö d.i. die prakriti der Sämkhyalehre (s. v. 25. 26) kommt hier 
ziemlich unerwartet in die Vedänta-Doktrin hinein. Die gleiche Vermi- 
schung findet auch sonst in dgl. sektarischen Texten statt. — Auffällig ist 
hier ferner auch theils das Zrishtubh-Metrum, theils der Umstand dafs 
v. 18 nur aus zwei, nicht aus vier Zrishtubh-päda besteht. Die beiden Verse 
sehen wie ein citirtes Bruchstück aus. 

17. tanmayau, aus dem tad, dem Absoluten, bestehend: der Schol. 
(vijätmakau) bezieht dies auf das vijam. — atrd "smin mantraräje. — dbi- 
sapta adhastanäni sapta uparitandäni sapta. — teshu bhuvaneshu srishteshu 
tato 'nantaram Räma ätmänam adhät prävecayat: er nahm in ihnen 
menschliche Gestalt an. — 18. jivaparamätmanor aikyam prägukta-sva- 
prakäcacinmätrasvarüpena ubhayor aikyam rämapadasahabhütam na- 
mahpadam pravadet. 


Vierte Upanishad (v. 19—84). 


19. jivapäci namo ndma cätmä Rämeti giyate \ 
tädätmikä yä caturthi tathä(!) cd 'yeti kathyate(?) \ 

„namas ist ein den Lebendigen (die Einzelseele) besagendes Wort 
und mit Rdma wird der (höchste) diman besungen: ebenso wird auch die 
Dativform @ya als die Wesenseinheit (Beider) ausdrückend bezeichnet.” 

yd caturthi äyeti kathyate rämaprätipadikät pard uccäryate sä 
tädätmikety anvayah, tädätmyam jiwabrahmanor aikyam bodhayati täd- 
ätmikä. 

20. mantro ’yam väcako, Rämo väcyah, syäd yoga etayoh \ 
phaladag caiva sarveshäm sädhakändm, na samcayah \ 

„Dieser Spruch ist der Verkünder, Räma der zu Verkündende (s. 
Schol. zu v. 13) und die Verbindung Beider wird für alle, die (etwas zu) 
vollenden (wünschen), fruchtreich sein: darüber ist kein Zweifel.” 

cacabdät sakimändm bhogadae ca (!). — Zu sädhaka s. v. 59. 

21. yathä nämi(?) väcakena nämnd yo 'bhimukho bhavet \ 
tathä vijätmako (*) mantro mantrino ’bhimukho bhavet ı 
„Wie wer einen Namen hat durch den ihn benennenden Namen (ge- 


so E. M., zayä A.., ist in C. übergangen. (2) kalpand E. 
nämi A. (*) vijäntako E. 


ENTER 
ZZ 


002 


392 WEBER: 


rufen) sich zuwendet, so wendet sich der im Samenkorn (d. i. in der Silbe 
räm) schon enthaltene Spruch dem zu, der ihn kennt.” 

nämä ’syd ’stitinämi samjnävän yo devadattädih. — vijätmako 
mantrah ekäksharah, yadvd vijam ätmani carire yasya sa vijätmakah 
shadaksharah \ mantrino mantrapratipädyasya Rämasyaä (!) "bhimu- 
kham yäti (yati Cod.) crulicravanddind bodhayali, säkshätkarahetur bha- 
ved ity arthah. 

22. vijjacaktinyased(!) dakshavämayoh stanayor api \ 
kilo madhye ’vinäbhävyah svavähchäviniyogavän \ 

„Das vijam (die erste Silbe des Spruches, räm) und die cakti (Kraft, 
nämlich die letzte Silbe, mah) setze (schreibe) man(, jene) auf die rechte, 
(diese) auf die linke Brust. Der kila (Keil, die Silben mäya na) steh’ da- 
zwischen (?): er darf nicht ohne (vija und cakti) sein, und wird verwendet 
behufs (Erfüllung) eigener Wünsche.” 

vijam ddyaksharam, caktir antyäksharam \ kilo madhyagatam 
aksharatrayam \ kidricah kilah? vinäbhävyah vijagaktibhyam yuktatve- 
na (!) bhävaniyo jnätavyah \ anyathä kiläparijnäne sa kilo mantrah pha- 
lado na syät \yadvä avinäbhävya ity (?vyety Cod.) akärapracleshah, 
avinä(!) vijacaktimadhyavartitayä samsthitatvena bhävyah\mantrasya(! so 
Cod.) viniyogam äha: svavänchäsiddhyartham jape viniyogah. Diese 
Schlufsangabe bezweckt Anknüpfung an die Weise der vedischen anukra- 
mani. — Es ist nicht angegeben, auf wessen Brust die Silben zu setzen sind, 
ob auf die Brust eines Bildes oder auf die eigene. Letzteres scheint mir das 
Wahrscheinlichere. Das Auflegen resp. Aufschreiben des Spruches auf den 
eignen Leib sichert Talismanartig die Erfüllung aller Wünsche zu. — vija- 
caktikilanyäsah sarvamantreshu sädhärana ity äha: 

293. sarveshäm eva mantränäm esha sädhäranah kramah \ 

„Dies ist die gemeinsame Regel für alle (dgl.) Credo-Formeln.” 

Während vv. 19— 23a gewissermafsen eine allgemeine Einleitung ent- 
halten, folgt nun von 23b ab in 341, Versen eine Schilderung der Gestalt 
und der Umgebung des Räma, ein Hymnus an denselben (30 —35) 
und eine Darstellung seiner Thaten (36—47), letzteres gewisser- 

(') npräsed A. (2) S. Nrisinha-pürvat. 3,1, 1. Nach der Rdmapijägarani 
lautet der Spruch: räm rämäya namah, und ist daher: räm vijam, namah gaktih, rämädya 


kilakam (so fol.30b): dasselbe ist denn wohl eigentlich auch hier bei v.11—22 der Fall, wie 
ja der Schol. oben zu 11 und zu 21 den mantra ausdrücklich als sa dakshara bezeichnet, 


Die Räma-Täpaniya- Upanishad, 293 


maafsen ein Aömäyana in nuce: daran schliefsen sich dann zunächst 
einige weitere Angaben über die Gestalt und die Umgebung (dvarana), in 
welcher Atäma behufs des Diagrammes darzustellen ist, und sodann von 
v.58 ab die specielle Darstellung des Diagrammes selbst an. So der 
schol.: püjängayantram nirüpayitum püjaniyasya Rämasya svarüpam 
pariväram stutim caritram särdhacatustrincadbhir äha: 

23b. atra Rämo ’nantarüpas tejasä vahninä sa-mah \ 

„Hierin (nun, in dieser stumpfen Wirklichkeit, erscheint) Räma, von 
unendlicher Gestalt, durch seinen Glanz dem Feuer ähnlich :” 

atra jadätmake prapance. — atra samacabdasyä "bhedaväcaka- 
ivam eva, vahnyätmaka ity arthah, tejorüpatvena. Das Hemistich ist 
übrigens doppelsinnig und kann auch bedeuten: „Hierin nun (im Adma- 
Credo) ist Rdma aus ananta (= 4) bestehend mit Zejas (=r), resp. vahni 
(ebenfalls 7) und mit ma.” Uber diese mystische Bezeichnung der Buch- 
staben s. unten vv. 73—80 (Ind. Stud. 2, 316—17): r wäre hierbei übrigens 
doppelt, durch tejas und durch vahni, bezeichnet. 

24. sa tv anushnagu, vicvac ced agnishomätmakam jagat \ 
ulpannam, Sitayd bhäli candrac candrikayd saha \ 
„doch als kaltstrahlig. Wenn er vieva (universelle Einzelseele) ist, ent- 
steht die das Wesen von agni und soma tragende Welt. Mit der Sit@ strahlt 
er (dann), (wie) der Mond mit dem Mondlicht::” 

Dieser Vers leidet an Dunkelheiten aller Art. Zunächst ist anushnagu 
dem schol. nach vedischer (!) Archaismus für °guh, und in enger Beziehung 
zu 23b stehend: athä 'sya somätmakatvam äha: yo vahnirüpah sa evä 
nushnagurüpah, chändasatväd vibhaktilopah, ...candrätmaka ity arthah: 
obwohl Räma (nach 23b) „dem Feuer ähnlich, durch seinen Glanz”, so 
sind seine Strahlen doch nicht brennend, sondern kühl, womit wohl das 
Milde, Liebliche seiner Erscheinung geschildert werden soll, wie er denn 
am Schlufs des Verses ja ausdrücklich als Mond bezeichnet wird und 
Rämacandra neben Rämabhadra in der utiaratäp. als Synonymon für 
ihn erscheint. — Sodann ist die Parenthese vicvac bis utpannam höchst 
eigenthümlich. Der schol. hat: vicvarıpo rämac ced agnishomätma- 
kas(! dem agni zugleich und dem soma ähnlich?), fZadä tad-utpannam 
jagat agnishomätmakam bhavitum arhati. Der Sinn des Textes scheint 
dagegen zu sein: wenn das mit Räma identische drahman, den Zustand 


9294 WEBER: 


der Absolutheit verlassend, sich als vicva, d.i. als (universelle) Einzelseele ('), 
manifestirt, entsteht die Welt. Die Bezeichnung derselben als „das Wesen 
des agni und des soma tragend” ist eine ursprünglich vedische Vorstel- 
lung (?), die indefs auch später noch mehrfach wiederkehrt, s. agnisho- 
mätmakam caiva jagat sthävarajangamam Hariv.10666, agnishomiyatväj 
jagatah Sucr.1, 154, 4. 320, 13. Märkand. Pur. 109, 74. Ind. Stud. 1, 406.n. 
25. prakrityä sahitah cyämah pitaväsä jatlädharah \ 
dvibhujah kundali ratnamäli dhiro dhanurdharah \ 

„vereint mit der Prakriti (Sitä), dunkelfarbig, in gelbem Kleide, mit ge- 
flochtenem Haare, zweiarmig, mit Öhrringen und Juwelenkränzen geschmückt, 
ernst, einen Bogen tragend”. 

Dieser Vers steht in engem Bezuge zu den beiden vorhergehenden: 
atra (23) jadätmake prapance Rämah (23) Sitaya (24) prakrityd (25) 
bhätiti (24) dvitiyatritiyayor anvayah. — Wenn häma den icvara der 
yoga-Lehre, so repraesentirt Sit@ die prakriti, die Urmaterie (vgl. unten 
2, 3,1). Bei den Cäkta-Sekten ist sie sogar, nach der Weise der Sämkhya- 
Lehre, die Hauptfigur, vgl. das aus dem adbhutottarakända im Verz. d. 
B. Sanscr. H. p. 124-26 Angeführte. 

26. prasannavadano jetä drishtädrishtavibhüshitah (°) \ 
prakrityd paramecvaryä (*) jagadyonyä 'nkitänkabhrit \ 

„mit heiterem Antlitz, siegreich, mit Sichtbarem und Unsichtbarem ge- 
ziert (°), einen Schools tragend, der durch die hohe Herrin Prakriti, die 
Quelle der Welt, gezeichnet ist” (d.i. die Sit auf dem Schoofse, resp. 
linkem Knie, haltend). 

paramecgvaracaktirüpayd ... ankitac cihnito 'nko vämänkas tam 
bibharti. — Das Bild, welches aus den bisherigen und den folgenden 
beiden Versen uns entgegentritt, ist ziemlich ähnlich dem, welches Schle- 
gel seiner Ausgabe des Rämäyana vorgesetzt hat. Und so heifst es, 
dem Fratardja (f.120a) zufolge, auch im bhavishyotiarapuräna (umäd- 


(!) s. nrisinhott. 1, 6. 

(2) s. Gatap.1, 6, 3, 23 yachushkam tad ägneyam, yad ärdram tat saumyam. 
24 sürya evägneyah, candramäh saumyo, ’har evägneyam rätrih saumyä etc. 11,1, 
6, 19 agnishomäv..akämayetäm ävam evedam sarvam syäveli. 

(3) so E., dhrishtyashtakavi? AC., drishtyashtakavı? M. (*) paramaigvaryä AE. 

(6) Die Lesart von A. „mit der Dhrishti-Octas geziert”” bezieht sich dem schol. nach auf 
die acht Räthe des Dagaratha, Dhrishti an der Spitze (s. unten vy. 54. 55. 90). 


Die Räma-Täpaniya- Upanishad. 295 


mahecvarasamväde Rämandmalekhanodyäpanam): müle kalpadrumasyä 
’khilamanivilasadratnasinhäsanastham, kodandam dhärayantam lalitaka- 
rayugenä ’rpitam Lakshmanena \ vämänkanyasta-Sitam Bharatadhrita- 
mahdmauktikachattrakäntam, Catrughnam(! metri caussa ist das m nöthig) 
cämaräbhyäm vilasitam anicam Rämacandram bhaje ’ham u 
27. hemäbhayä dvibhujayd sarvälamkärayä (!) citä \ 
clishtah kamaladhärinyä pushtah Kosalajätmajah (?) u 
„von ihr, der Goldstrahlenden, Zweiarmigen, mit allerlei Schmuck Gezierten, 
Geistigen, Lotusbekränzten umschlungen, sich wohlfühlend, der Sohn der 
Kosala-Tochter”. 
citä cidrüpayd, elishtah vämabhäge älingitah, pushtah tad- 
älinganäd eva änandatundilah. — Der goldne Glanz und die Lotusblumen 
gehören der Sit noch von ihrer ursprünglichen Gestalt als Ackerfurche her 
an, s. Omina p. 368—71. 
28. dakshine Lakshmanenä ’tha sadhanuhpäninä punah \ 
hemäbhenä ’nujenaiva, tadä konatrayam bhavet \ 
„aber auf der rechten (Seite umschlungen) von Lakshmana, seinem jüngeren 
Bruder, der den Bogen in der Hand führt, und von Gold strahlt. So kommt 
ein Dreieck heraus”. 
crirämasitälakshmanäs trayo nirdishläcrayatvena konatrayam 
trikonam bhavet.— Es hat nach dem schol. die durch diese drei Figuren ge- 
bildete Dreiecksgestalt dieses Theiles des Diagramms noch ihren besonderen 
mystischen Sinn: trikonasya yonyäkäratvät (s. Pet. Wört. s. v.) Räma- 
carirabhütasyä 'sya yantrabhägasya jagatkäranatä sücitä bhavati. 
29. tathaiva tasya mantrac ca (*) yac cä’nuc ca sva-ne-nlayä (*) \ 
evam trikonarüpam syät. — 
„dessen (des Zakshmana) Spruch ist sowohl (entweder) ganz ebenso (wie 
der des Räma), als auch (oder) — und (zwar so dann auch) der (andere) 
Spruch welcher (sich noch findet) — auf den Dativ seines (Namens) aus- 
gehend. So kommt die Gestalt eines Dreiecks heraus”. 
Sehr dunkel! Die drei ca des ersten Hemistichs sind höchst kurios, 
ebenso die dem Comm. nach anscheinend ganz überflüssigen Worte yac 


(') kritayä E. (2) kogala® E. (?) mantrasya EM. 
(*) yagcänugva svajomtay& E., yasydnugca svadetuyä M. 


996 WEBER: 


cä’nuh, endlich nicht minder die Verwendung des Päninischen Kunst- 
ausdruckes nie (Dativ) als eines fertigen Wortes (!), so wie die des Instrum. 
Fem. des possessiven Adjektivs sva-ne-'nta in adverbieller Bedeutung. Der 
schol. hat folgendes: ZLakshmanasyä ’pi püjängam mantro ’stity äha \ 
yathä Rämasya mantras talhaiva tasya Lakshmanasya mantro 
’stity anvayah (also: Lam Lakshmanäya namah)\anucabdo mantraväci 
(s. v. 81), yo 'nur yo mantro Lakshmanasambandhi sa sva-ne-"ntayä 
jnätavyah, svacabdena vijanämani(!) parämricyete, ne iti caturihyekava- 
canam, antäcabdo (ateca° God.) "tra bhävapradhänah, svavijanämacatur- 
thyantatvena Lakshmanamantro jnätavyah (also wohl:namo Lam Laksh- 
manäya?)\prathamag cakäro namo’ntatvasamuccayärthah, dvitiyac ca 
cri Sitäyai sväheti Jänakimantrasamuccayärthah. Dies letztere (vgl. 
v.20. 68) ist jedenfalls eine sehr starke Zumuthung! Da indefs die Angabe des 
dritten pöda in der That wohl au‘ drei Sprüche hinführt, so vermuthe ich, 
dafs die Worte: yac cd 'nuh auf diesen Sitä-mantra sich beziehen mögen. 
tam devä ye samdyayuh \ 
30. stutim cakruc ca jagatah patim kalpatarau sthitam \ 
„kämariüpäya Rämäya namo mäydmayäya ca \ 
31. namo vedädirüpäya (?) omkäräya namo namah \ 
Jamä-dharäya Rämäya Cri-rämäyd ”tmanürtaye \ 
32. Jänakidehabhüshäya rakshoghnäya cubhängine \ 
bhadräya Raghuviräya Dacäsyäntakarüpine \ 
33. Rämabhadra maheshväsa Raghuvira nripottama \ 
bho Dacäsyäntakd ’smäkam raksha dehi criyam ca, te (!) u 
34. tvam icvaryä däpayd,’Iha sampraty äcv arimäranam \ 
kurv” iti stutyü(?) devädyäs tena särdham sukham sthitäh \ 
35. siuvanty evam (?) hi(*) rishayah. — 
Welche Götter zu ihm zusammen herbeikamen (Schutz vor Aävana 
suchend, schol.), — 30. die priesen ihn den Herrn der Welt, der am 
Kalpa-Baume sich befand (darunter auf einem Throne safs, schol.). „Dem 


(') Das Compositum ne’nta ist auch im Närada-Paiicarätra von überaus häufigem Vor- 
kommen, s. 1, 4, 20. 9, 34. 2, 3, 94. 5, 47. 51. 7, 13. 3, 2, 31. 15, 31. 32; ebenso ne’vasäna 
3, 2, 10; neyata 3, 2, 32.— Zu anu s. ebendas. 3, 3, 26. 

(2) so, ohne samdhi, AE. (3?) me E. (*) so AE., für szuzivd. (5) ete E. 

(6) AE. und metri caussa nöthig s. vv. 31. 55. 


Die ARama-Täpaniya-Upanishad. 297 


nach Belieben sich gestaltenden Adma sei Verneigung, ihm der aus mäyä 
besteht! — 31. Verneigung sei (ihm als) der ersten Form des Veda! Ver- 
neigung (ihm als) dem om-Laut! Verneigung dem die Ramdä (Süd, auf 
seinem Schoofse) haltenden Erfreuer, dem Erfreuer der Cri (Sitä), dem 
mit seelischem Körper Begabten ('), — 32. ihm, dem die Janaka- Tochter 
als Körper-Zier dient, dem Rakshas-Tödter, dem Schöngliedgen, dem 
heilvollen Raghu-Helden, der die Todesgestalt für Dagäsya (Rävana) 
ist! — 33. OÖ heilvoller Rama (?), grolsen Bogen’s Führer, Raghu-Held, 
trefflichster Mannschützer, o du dem Dacäsya Todbringender! gieb uns 


Schutz und Heil! dies Beides — 34. lafs du uns geben durch die Herrinn 
(Sitä)! und vollziehe du jetzt schnell des Feindes (Atävana) Tödtungt” 
Also ihn preisend die Götter u. s. w. bei ihm freudig verweilten: — 35. denn 


also preisen (priesen) ihn (auch) die rishi.” 

Hier sind verschiedene sprachliche Mängel hervorzuheben. — 30. stu- 
tim cakrus ist mit dem Accus. des Objektes konstruirt, als ob es lushluvus 
hiefse. — 31. Zu dem Mangel des samdhi vgl. v. 35. 54. — 33. Der schol. 
erklärt asmäkam durch asmän, raksha resp. als Imperativ. Die Irregularität 
ist indefs nicht gröfser, wenn wir raksha als Verstümmelung aus rakshäm 
auffassen (vgl. oben v.24 anushnagu statt °gus): denn nur so gewinnt der 
Dual ze, welchen auch der schol. durch rakshanacriyau erklärt, seine Be- 
rechtigung. — 34. Die Gerundialform szutya für stwtv@ erklärt der schol. 
durch Composition mit iti: itigabdena saha samäsam abhipretya lyap. — 
devädyäh, ädicabdena siddhacäranakinnarädayah. — 35. Das Praesens 
siuvanti steht als praes. historicum, statt as/uvan: so auch der schol. 

tadä Rävana äsurah \ 
Iiämapatnim vanasthäm yah svanivrittyartham ädade u 
36. sa Rävana iti khyäto, yadvd räväc ca Rävanah \ 
tadvyäjene 'kshitum Sitäm Rämo Lakshmäna (°) eva ca \ 
37. viceralus tadä bhümau devim, samdricya (*) cd ’suram \ 
hatvä Kabandham, Cavarim gatvä, lasyd "jnayä tadd (5) u 
38. pijitäv Traputrena bhaktena ca, kapicvaram \ 
dhüya cansatäm sarvam ädyanlam Räma-Lakshmanau \ 


(') vyäpakamürtaye schol. (2) Dies solenne Beiwort Aäma’s sollte wohl 
eigentlich bhadra-Räma lauten? abhirämäni bhadräni kalyänäni yasmät, schol. 
(?) so A (metri caussa), Lakshmana EM. (*) sadagya A. (’?) tayä CE. 


Philos.- histor. Kl. 1864. Pp 


298 WEBER: 


„(Es lebte) damals der äsura Rävana, welcher die im Walde befind 
liche Gemahlinn des Adma zu seinem eignen Verderben raubte. — 36. (Da- 
von) hiefs er Rävana oder von seinem Brüllen. In Folge dessen (') 
dann, die göttliche Si zu suchen Räma und Lakshmana — 37. auf der 
Erde umherwanderten, sahen(?) und tödteten den asura Kabandha, ka- 
men zur Cavari: auf deren Geheifs darauf — 38. und geehrt vom erge- 
benen Sohne des Windes ( Hanumant), riefen Räma und Lakshmana den 
Herrn der Affen (Sugriva) heran und erzählten ihm Alles, Anfang 
und Ende.” 

37. tasyäjnayd ist aus tasyd äjnayd verstümmelt: denn auf Kaban- 
dha, wie der schol. will, kann sich zasy&@ nicht wohl beziehen, da Cavarim 
gatvä dazwischen steht. — 38. cansatdam für acansatäm (uktavantau) ; 
der schol. erklärt den Mangel des Augments als chändasa! — ädyantam 
ädyantäv abhivyäpyam. 

39. sa tu Räme cankitah san pratyayärtham ca Dundubheh \ 
vigraham darcayämäsa, yo Ihämas tam (°) acikshipat (*) u 
40. sapta tälän vibhidyä ”cu modate Räghavas tadd \ 
tena hrishtah Kapindro 'sau, sa Rämas tasya patianam \ 
41. jagämä, 'garjad anujo Bälino, vegito grihät (°) \ 
Bali (°) tadä nirjagäma, tam Bälinam athä "have \ 
42. nihatya Räghavo räjye Sugrivam sthäpayet tatah \ 

39. „Er aber (war) an Adma(’s Kraft) zweifelnd, und behufs (besserer) 
Zuversicht zeigte (er ihnen) den (ungeheuren) Leib des Dundubhi(?). Räma 
aber warf denselben (10 yojana weit). — 40. Sieben Palmbäume (mit 
einem Schusse) rasch zerspaltend der Röghava dann jauchzte. Dadurch 
ward der Affenfürst erfreut (und) Rama (nunmehr) dessen Stadt (Kishkin- 
dhä)— 41. betrat. (In die Höhle hinein) schrie der jüngere Bruder des Bälin. 
Rasch aus seinem Hause fuhr darauf Bälin heraus. Ihn nun in der Schlacht 
— 42. tödtete der Räghava und setzte dann den Sugriva in die Königs- 
würde ein.” 


(') eig. „unter diesem Vorwande” Aritasitänveshanavyäjena. (2) devim mit samdrigya 
zu konstruiren geht nicht, da kein dgl. Zusammentreffen mit einer Göttin erwähnt wird. 

(3) yo gamas tam E. (*) so AEM. (?) grahät BE. (°) Bälis E. 

(7) Yälivadhasämarthyam gri-Räme nirnetum Fälivyatiriktair abadhyasyaDundubher dai- 


tyasya gariram Välinishpishtam astikkutävagesham(?) parvatapräyam dargayämäsa, schol. 


Die Adma -Täpaniya - Upanishad. 2399 


39. yo steht hier (und vgl. auch v. 89) vor Rdmas ganz überflüssig, 
gewissermafsen nur als Artikel, resp. nach Art des zendischen Gebrauches. 
yah Sugrivajijnäsitah sa Rämah. — acikshipat, caurädikatvät svärthe 
nic. Man sollte doch aber acikshipat erwarten. — 40. sapta tälavrikshän 
viruddhadiksthän ekeshund vibhidya. — modate, als Praesens historicum: 
chandasi käläniyamäd bhüte lat. — 42. Auch der Potential szhäpayet, statt 
des Imperfects asthäpayat, wird vom schol. als chändasa bezeichnet. 

harin ähüya Sugrivas tv ha cä „”cävido 'dhunä \ 

43. ädäya(') Maithilim adya dadatä, ”cev-äcu gachata” \ 
tatas tatära Hanumän abdhim Lankäm samäyayau \ 

44. Sitäm drishivd 'surän hatvä puram dagdhvä talhä svayam \ 
ägalya Rämena saha nyavedayata tattvatah U 

„Sugriva aber rief die Affen zusammen und sprach: „„o ihr der Welt- 
gegenden Kundigen! jetzo — 43. die Maithili holend gebt sie (dem Räma) 
heute (noch). Schnell, schnell, gehet!”” Darauf setzte Hanumant über 
das Meer und kam nach Zankä, — 44. sah die Sitä, tödtete (viele) Asura, 
verbrannte die Stadt, und meldete zurückgekehrt dem Aäma (Alles) der 
Wahrheit gemäfs.” 

43. dadata, irregulär statt datta. — 44. Rämena saha statt Rämäya, 
resp. Räme: anders schol., Aämena sahägatya sambandham präpya. 

45. tadä hämah krodharüpi tän ähüyd ’tha vänarän \ 
särdham ddäyä 'sträne ca sa (?) purim Lankam samäyayau u 

46. tdm drishtvä tad-adhicena särdham yuddham akärayat \ 
Ghatacrotra-Sahasräkshajidbhyäm yuktam tam ähave \ 

47. hatvä, Vibhishanam tatra sthäpyd, 'tha Janakätmajäm \ 
ädaya 'nkasthitäm kritvä svapuram tair jagäma sah \ 

45. „Drauf rief Adma, zorngestaltig, die Affen heran, und ging mit 
ihnen und mit seinen Geschossen zur Stadt Lankd. — 46. Sie erblickt ha- 
bend, kämpfte er mit dem Fürsten derselben, und nachdem er ihn nebst 
Kumbhakarna und Indrajit in der Schlacht — 47. getödtet hatte, setzte er den 
Vibhishana daselbst (als König) ein, nahm die Janaka-Tochter, setzte sie auf 
seinen Schoofs, und kehrte mit (allen) Jenen (Freunden) heim in seine Stadt.” 

45. asträn irregulär für asträni. — 46. akärayat statt akarot, svärthe 
nic sagt der schol. — 47. sthäpya statt sthäpayitvä. 

(') ädhäya E. (?) sa fehlt AE. In M lautet der päda: taih särddham ädäyästräni. 


Pp2 


300 WEBER: 


Bis hieher geht die Schilderung von Räma’s caritram, und folgen 
nunmehr bis 57 weitere Angaben über seine bildliche Darstellung, resp. über 
die Umgebung, in welcher er auf Diagrammen darzustellen ist, entsprechend 
denen, die wir schon in v. 25—29 gehabt haben. 

48. tatah sinhäsanasthah san dvibhujo Raghunandanah \ 
dhanurdharah prasannätmä sarväbharanabhüshitah \ 
49. mudräm jnänamayim yämye (!) väme tejah prakäcanam \ 
dhritvä vyäkhyänaniratac (?) cinmayah paramecvarah \ 
50. udagdakshinayoh svasya (?) Catrughna-Bharatau (*) dhritah \ 
Hanümantam (°) ca grotläram agratah, syät trikonakam (°) \ 
51. Bharatädhas tu Sugrivam Catrughnädho Vibhishanam \ 
paccime Lakshmanam dhritvä dhritachattram sacämaram \ 
52. tadadhas tau tälavrintakarau, tryasram punar bhavet \ 
evam shalkonam. — 

48. „Auf seinem Löwenthrone sitzend dann, zweiarmig, der Raghu- 
Sohn, den Bogen tragend, heiteren Sinnes, mit allen Zierrathen geschmückt, 
— 49. auf der rechten (Hand) die aus Einsicht bestehende Marke, auf der 
linken leuchtenden Glanz tragend, der an Erklärungen sich erfreuende, 
geistige, höchste Herr, — 50. links und rechts von sich den Catrughna und 
den Bharata haltend, und den Hanumant als Zuhörer vor sich (stehen ha- 
bend) — so kommt ein Dreieck heraus. — 51. Unter Bharata aber den 
Sugriva, unter Catrughna den Fibhishana, hinter sich den Zakshmana 
habend, der den Sonnenschirm hält und den Wedel führt, — 52. (und zwar 
auch) unter ihm jene Beiden (Sugriva und Fibhishana), die den Fächer in 
der Hand führen — so kommt wieder ein Dreieck heraus. Auf diese Weise 
nun (durch Vereinigung der beiden Dreiecke) entsteht ein Sechseck.” 

49. mudrä heifsen bestimmte mystische Fingerstellungen, von denen die 
Aämapüjäcarani f.32a (wo dreizehn). 68b bis 71 b ausführlich handelt, s.auch 
Närada Pancar. 3, 4,11—22. 6,11. 7,33. 8,13f£. So auch hier der schol.: väme(! 
yämye?) dakshina(!)-bhuje jnänamudräm dhritvä, kanishihädyangulitra- 
yam prasärya hridayäbhimukham tarjanyangushthägrasamyogah jnäna- 
mudrä. — vyäkhyänaniratah, wohl „gern Erklärungen gebend”: er ist somit 


(') ?d.i. dakshine, so conjicire ich. dhydya E., yäsye M., väme C., vämeväme A. (also, 
nebst dem Folgenden, dreimal värne). (2) vyäkhyäyani° E. (?) °nayos tasya E. 
(*) °rato A., Pratau EC. (5) Hanu° E. (°) °nagam E. 


Die Räma-Täpaniya-Upanishad. 301 


wohl im Akte des Erzählens, Lehrens darzustellen (vgl. crotar in v.50).— 50. 
svasya, Gen. zu svayam. — (dhritah) dhritavän, kartari ktah, in der That 
eine höchst auffällige Verwendung! — 51. Die Compos. von adhas mit den 
davon abhängigen Substantiven (vgl. v.86) ist ungewöhnlich: das Pet. Wört. 
hat Beispiele davon nur aus Hemacandra’s kosha: Formen wie tad-adhas 
dagegen in v.52 kommen auch sonst vor. — 92. evam trikonadvayasya me- 
lane sati shatkonam bhavet: dies Sechseck 

möchte etwa nebenstehende Figur haben? — "Fi. (tiefer als Ca.) 
Eine sehr ähnliche Situation führt auch die 
Rämapijäcarani f. 33a als diejenige auf, in 
welcher man sich den Aläma zu denken habe, zu. 


la. 


ka. 


N 


> Ha. 
wenn man zu ihm betet: yadväü sinhäsane 


lasmin viräsana(sa)mäcrilam \ samyag Bha 


jnänamayim mudräm dadhänam dakshine Su. (tiefer als Bha.) 
kare \ tejah prakäcanam väme, jänumür- 

dhäni cä 'param(?) \ Jänakivallabham devam indranilamaniprabham \ 
vyäkhyänaniratam devam dvibhujam Raghunandanam \ Vasishtha-V äma- 
devädimunibhih parisevitam \ vämabhäge samäsindm (°nam Cod.) Sitäm 
kämcanasamnibhäm \ bhajatäm kämadäm nityam raktotpalakarämbujäm \ 
Lakshmanam pagcime bhäge dhritachattram sacämaram \ pärcve Bharata- 
Catrughnau tälavrintakaräv ubhau \ agre 'vyagram Hanümantam väca- 
yantam supustakam (hier ist also Adma „grotar”) \ evam dhyätvä Japen 
mantram jnänalakshmyäh sabhäjanam W Zu vergleichen ist auch die im 
Vrataräja (ed. Bombay fol. 115b. 116a und 118.) aus der Agastyasamhitä 
entlehnte Beschreibung eines Adma-Bildes: tatah svarnamayim Rämapra- 
timäm palamätratah \nirmitäm dvibhujäm divyäm vämänkasthita-Jänakim\ 
bibhratim dakshinakare jnänamudräm mahämune \ vämend ’dhahkare- 
necdm devim älingya samsthitäm \ sinhäsane räjate "Ira paladvayavi- 
nirmite \ 

Es folgt nunmehr (bis v. 57) eine specielle Darstellung von acht be- 
stimmten dvarana, Umhüllungen, Gruppen, mit denen der im Centrum 
derselben auf seinem Throne sitzende Räma zu umgeben ist. 

ddau svadirghängair esha samyutah 
53. dvitiyam Väsudevädyair ägneyadishu samyutah \ 
tritiyam Väyusünum ca Sugrivam Bharatam tathä u 


302 WEBER: 


54. Vibhishanam Lakshmanam ca Angadam (!) cä ’rimardanam \ 
Jämbavantam(?) ca, tair yuktas (°), tato Dhrishtir (*) Jayantakah(°) 

55. Fijayac ca Suräshtrag ca Räshtravardhana (°) eva ca \ 
Akopo Dharmapälac ca Sumantras tv (?), ebhir ävritah U 

56. tatah sahasradrig-vahni(*)-dharma-raksho(?)-varund-niläh (') \ 
indv-ica(!')-dhätr-anantäc ca dagabhis tv ebhir ävritah \ 


oı 
| 


vahis tad-iyudhaih püjyo Nilädibhir alamkritah \ 
Vasishiha-Vämadevädimunibhih samupäsitah \ 

„Dieser (im Centrum befindliche Räma) ist zunächst mit den (sechs) 
Gliedern (Herz, Haupt, Haarlocke, Panzer, Augen, Waffe, die ihrerseits) 
mit den (sechs) Vokallängen (4, i, ü, ai, au, ah, wie diese wieder) mit dem 
eignen (Namen des Adma, dem vzjam desselben, r@äm, verbunden sind) zu ver- 
sehen. — 53. Zum Zweiten ist er im Südosten u.s.w. mit Väsudeva etc. 
(resp. mit den dem Väs. etc. geweihten Credoformeln) zu versehen. — Zum 
Dritten (setze, schreibe, man nieder) den Hanumant, Sugriva, Bharata, 
— 54. den Vibhishana, Lakshmana, Angada, Arimardana (d.i. Catrughna) 
und den Jämbavant: mit diesen ist er (zu) verbinden. — Darauf (zum Vierten 
sind hin zu setzen) Dhrishti, Jayantaka,— 55.Vijaya, Suräshira, Räshtra- 
vardhana, Akopa, Dharmapala und Sumantra: mit diesen ist er (zu) um- 
geben. — 56. Sodann (zum Fünften sind hin zu setzen) Indra, Agni, 
Dharma (d.i. Yama), Rakshas (d.i. Nirriti), Varuna, dann der Wind, 
der Mond, Ica (Kuvera), Dhätar, Ananta (der Schlangenkönig): mit die- 
sen zehn ist er (zu) umgeben. — 57. äufserlich (sechstens) ist er von 
deren Waffen zu ehren: geschmückt (siebentens) durch Vila und dessen 
Genossen, umsessen (achtens) von den muni mit Vasishtha, Vämadeva 
an der Spitze.” 

52. atha püjyasya paurväparyenäügädyävaranam äha \ evam 
karnikästhito('?) Rämah shatkoneshu, svam vijam, tena yojitä dirghä ä 


(!) cängadam E. (2) jämbuvantam E. (?) yuktam E., yuktah A. 


(*) drishti E. (5) e2akam E. (°) räjavare E. (7) sumantrair E. 
(8) vahnir E. (?) so E., vrikshau A. (1%) onilah E. varuna ist metri caussa 
zweisilbig zu lesen. (1!) dravyega E. ('?) karnikä, eig. Samenkapsel, Centrum, 


der Lotusblume, kann hier wohl nur Centrum überhaupt bedeuten: der schol. zu 58. 89 ver- 
wendet es als Erklärung von madhye. Vogl. auch die aus dem Bhäg. Puräna im Pet. Wört. 
angeführten Stellen. 


Die Räma-Täpaniya- Upanishad. 303 


iü ai au ah ity evamrüpäh shal, tair yuktäni hridayddini shatl, tair yuk- 
tah püjya iti pahcamend ’nvayah \ angändm püjäsihänakramah (? mäsyä 
Cod.), ägneyanairrityaväyavyaicänakoneshu hridädi kavacäntam, purato 
nayanam, pürvddicaturdikshu asträya phad iti. Diese Angaben kehren 
wesentlich identisch unten im schol. zu 58, so wie in der Rämapüjäcarani 
f. 46b wieder: es heifst daselbst: devacariräd ävaranävirbhävam (dirbhä° 
Cod., s. aber 59a) vibhduya pürvoktäny (auf 13b—15b) ävaranäni 
püjayet \ tatah shatkone ägneyädicänäntakoneshu (°nädi° Cod.) hriddädi- 
devatäh 4, pürvakone netradevatäim, paccimakone astradevatäm, shad- 
angamantraih püjayet \ kecit tu netradevatäm purah, ‚astra devatäam 
caturdikshu püjayed ity ähuh \ iti prathamävaranam. Über die im ge- 
sammten Tantra-Ritual so bedeutsamen sechs Glieder s. Nrisinhapürva- 
täp.2, 3, 3 (wo nur fünf, ohne die Augen), unten v.55, Närada Pan. 
3, 3, 11. Die hier im Auge gehabten sechs Formeln, welche in der vom 
schol. angegebenen Weise in die sechs Ecken zu vertheilen sind, ergeben 
sich als: om räm hridayäya namah, om rim cirase svähä, om rüm cikhä- 
yai vashat, om raim kavacäya hum, om raum neträya vaushal, om ralı 
asträya phat. (Auffällig ist, dafs röli e o bei der Aufzählung der Längen 
ganz übergangen werden.) — 

53. atra yady api Väsudevädyävaranam dvitiyam uktam, ta- 
thäpi ashlakonäntaram(!) kriyamändäshiadalamüle ägneyim ärabhya 
[„ätmane, antarätmane, paramätmane, jnänätmane namah”, präcim ära- 
bhya] (?) „nivrittyai, pratishthäyai, vidydyai, cäntyai” iti dvitiyam 
bodhyam, Agastyisamhitäydm (°) tathoktatvät \ atra ca yad dvitiyatvam 
uktam tad dvitiyäpekshayeti boddhavyam (!), tato "shtadalapatreshu ägne- 
yim ärabhya „väsudeväya namah, samkarshandya, pradyumndyd, 'ni- 
ruddhäya”, präcim ärabhya „criyai, sarasvatyai,prityai, ratyai” \(iti fehlt) 
tritiyävarane (°rana Cod.) väsudevädyaih sa punah esha ägneyädi- 
shu püjya üy arthah. Uber dem Väsudeva etc. geweihte Formeln s. 


(') Sollte wohl shatkoo heilsen? falls dies richtig, stimmt auch dies noch zu der unten 
in v. 58 ff. geschilderten Form des Diagramms, resp. zu den Angaben der Rämapijägarani 
f. 47 a: tatas tadbahir ashtadale, üägneyadalamilam ärabhya ätmane namaho 

(2) Das Eingeklammerte fehlt in der Handschrift, ist aber offenbar so zu ergänzen, wie 
sich aus den Parallelstellen in der Rämapijägarani mit Sicherheit ergiebt: vgl. auch das unten 
p- 307 not. 2 aus dem schol. zu v. 57 Angeführte: so wie nicht minder v. 89. 

(?) Vgl. schol. zu 2, 2, 3. 


304 WEBER: 


unten v. 64—66 (!), und Nrisinhapürvatäp. 5, 2,5(?). Ob dagegen die 
vom schol. angeführten Formeln die sind, welche von der Upan. im Auge 
gehabt werden, ist zum Mindesten fraglich (s. jedoch ebenso Sarvadarcana- 
samgraha p.55. Näradapancar. 3, 2,15. 15, 40), und die Einschiebung [des 
ätman ete., resp.) der nivritti ete., die der schol. auf Grund der Agastya- 
samhitä des Skandapuräna vornimmt, hat im Texte gar keine Stütze. — Die 
Reihenfolge, resp. Zahl, dieser sogenannten dvarana(*) ist überhaupt eine 
ziemlich flüssige. Während unser Text hier, und übereinstimmend damit auch 
in v.90. 91, im Ganzen acht derselben aufzählt, hat die Rämapüjäcarani 
fol. 13b—15b (und es stimmt ihr ja auch unser schol. hier bei) deren zehn, 
nämlich 1. angashalkam (1)(*), 2. äimädi (fehlt hier) (°), 3. väsudevädi 
(2, resp. die acht vom schol. oben aufgeführten Namen, jedoch gänti statt 
sarasvali), A. Hanumadädi (3), 5. Dhrishiyädi (4), 6. Vasishihädi (8), 
7. Nilädi (7), 8. dhruvädi (fehlt hier) (%), 9. indrädi (5), 10. vajrädi (6). 
Auf 46a—49b und 59ab dagegen folgen nach den ersten 5 Gruppen: 6. in- 
drädi, 7. vajrädi, 8. nilädi, 9. vasishlhädi, 10. dhruvädi: doch wird auf 


(') Die Yäsudeva-Formel ist übrigens daselbst nicht auf die Blätter eines Achtblattes, 
wie der schol. hier angiebt, sondern auf die eines Zwölfblatts zu schreiben. Dagegen kehren 
die Angaben des schol. ganz identisch in der Adrmapijäg. ATa wieder: iti dvitiydvaranam, tato 
'shtadalapatreshu ägney!ım ärabhya „Fäsudevdya namah°”, präcim ärabhya „griyaio”., 

(?) Hier, wie dort, ist offenbar eine Unterordnung des Fdsudeva ete. unter (dort Nri- 
sinha, hier) Räma bezweckt. 

(*) Dieser Name findet sich zur Bezeichnung sieben analoger Gruppen auch im Närada 
Pancar. wieder 3, 7, 26. 11, 24. In 11, 22. 15, 44 erscheint dafür die Namensform dvriti. 

(*?) So bezeichne ich die Stelle, welche das betreffende dvaranarm hier in v. 53— 57 
einnimmt. (®) wird aber vom schol., s. oben, mit herangezogen. 

(%) wird aber vom schol. (zu v. 57), unter Bezugnahme auf v. 69. 70, auch hier mit 
herangezogen, und zwar als letzte, zehnte, Gruppe (: dem sampraddya nach indels als achte, 
s. unten p. 306. 307). Es sind 32 Götternamen. Die ersten acht entsprechen den sonsti- 
gen Namen der acht vasu, jedoch äpah (äpydya, schol. hier) statt ahah: die nächsten elf 
denen der elf rudra, jedoch mit mehrfachen Abweichungen, nämlich: 9. viradhadra, 10. gam- 
bhu, Al. giriga, 12. ajaikapdd, 13. ahirbudhnya, 14. pindkin, 15. bhuvanddhigvara (bhuva- 
necdya, schol. hier), 16. kapälin, 17. dikpati, 18. sthänu, 19. dhaga: die folgenden zwölf 
differiren sehr von den sonstigen Namen der zwölf daitya, nämlich: 20. varuna, 21. sürya, 
22. vedänga, 23. bhänu, 24. indra (die Namen 16— 24 fehlen im schol. hier, durch ein Ver- 
sehen des Schreibers), 25. ravi, 26. gabhasti, 27. yama, 28. hiranyaretas, 29. diväkara, 
30. mitra, 31. vishnu: als letzter endlich (duätringattame patre) 32. dhätar. (S. noch unten 
pag. 312. 313). 


Die Räma-Täpaniya-ÜUpanishad. 305 


49b auch die vorige Reihenfolge als die Ansicht Biniger (keeit) aufgeführt, 
dabei indelfs statt vajrädi eine andere Gruppe: vijnänädi genannt. Wieder 
anders auf 71b. — 

53. 54. dvitiyäshladalapaträgre (!) Väyusünum (s. v. 67. 9%)... 
Catrughnam Jämbavantam caturthävaranam vinyaset (dies ist also zu 
den Accusativen zu ergänzen), faih samyulah esha püjya ity arthah. — 
54.dvitiyäshtadale (?) (yädyäshta® God.) Dhrishtir°.— Während in 53. 54 
die Brüder und Freunde des Adma, werden in 54. 55 die acht Rathgeber 
seines Vaters Dacaratha aufgeführt (s. oben v. 26): und zwar sind deren 
Namen nur in der Bombayer Ausgabe des Admäyana (und in der Räma- 
püjägarani f. 14a, A7b) ganz ebenso lautend, dagegen in der Seramporer, 
der Schlegel’schen, der Gorresioschen Ausgabe und auch in den drei Ber- 
liner Handschriften desselben nur zum Theil wiederkehrend, insofern näm- 
lich daselbst an der betreffenden Stelle (1, 7, 3) statt der hiesigen, mehr 
fürstlichen (?) Namen Suräshira, Räshtravardhana, Akopa drei andere 
mehr bürgerliche (*) Namen: Siddhärtha, Arthasädhaka, Acoka sich be- 
finden. — 56. Im schol. ist hier eine Lücke (°). Dafs unter rakshas die 
(resp. der) nirriti zu verstehen ist, folgt theils aus der Zusammenstellung 
selbst, insofern die aufgeführten zehn Götter offenbar die Hüter der zehn 
Weltgegenden (s. v. 90) repraesentiren (°), theils wird es in der Atdma- 
püjäcarani (raksho’dhipam nirritim 8.45. 48a) ausdrücklich angegeben. 
Statt /ca haben wir daselbst /cäna, als vidyädhipa bezeichnet: statt dhätar 
(vgl. v. 70) den lokädhipatim brahmänam, und ananta (vgl. När. Panca- 
rätra \, 5, 20) wird als bhütädhipati erklärt. — 57. Diese Waffen zählt der 
schol. auf, doch sind es ihrer nur neun: saptamävaranam äha, bahir iti, 


(') Kbenso die Rämapijäg. A7b: tato ’shtadalägreshu präcim drabhya om Hanumate 
namah°. Dagegen in v. 67 ist es ein Sechszehnblatt, nicht das zweite Achtblatt, auf welches 
die Namen zu schreiben sind. 

(2) wie eben. Die Rämapijäg. hat: dvitiydshfadale dalamüleshu präcim ärabhya om 
Dhrishlaye®. (9) vgl. v.81. 

(*) Sollte der buddhistische Anstrich, den zwei von ihnen (Siddhärtha und Agoka) tra- 
gen, nur ein zufälliger sein! 

(?) Die Rämapijäg. 48a giebt für die Gruppe der zehn Götter folgende Stelle an: dvitt- 
yäshfadaleshu (wohl °dale dalamüleshu ?) präcim Arabhya, indräya® 

(%) Ebenso im Närada Paficar. 3, 11, 24 lokegais tatpraharanaih punar dvaranadvayam, 


und ibid. 14, 21. 40 (wo wohl vajrädyair zu lesen). 15, 413. 


Philos.- histor. Kl. 1864. Qq 


306 WEBER: 


shashihävaranäd bahih(!) tadäyudhaih vajra- cakti-danda-khadga- 
dhvaja-gadä-padma-cakrair indrädidacäyudhaih samyuto Rämah sapta- 
mävarane püjyah. Zwischen päca und dhvaja ist der Rämapijä zu Folge 
ankuca einzuschalten: dhvaja und gadä theilen sich daselbst in die siebente 
Stelle (dhvajam, kecid gadäm), und die achte Stelle, die der gadd, nimmt 
daselbst das zriculam ein. — Unter Nila und seinen Genossen sind dem 
schol. zu Folge theils acht Affenhelden (vgl. Ram.6, 14, 12. 13. 46, 7. 23 Gorr.) 
theils die dem ARäma als Form des Fishnu speciell zukommenden Attribute 
des letztern: Diadem, Ring ete. zu verstehen: shodacadale (?) Nila- Nala- 
Sushena-Mainda-Dvivida-Sarabha (Car°!)-Candana-Gaväksha-kirita-kun- 
dala-grivatsa-kaustubha-cankha-cakra-gadä-padmair (padmapagnair Cod.) 
alamkrito Rämo 'shtamävarane püjya ity dha. Da nila übrigens unter 
den neun Schützen (nidhi) des Kuvera genannt wird, so wäre möglicher 
Weise von den acht Affenhelden hier ganz zu abstrahiren, da nicht recht er- 
sichtlich, wie dieselben dem /äma als Schmuck dienen sollten(°): s. indefs 
v.91, und auch die ARdmapitijä schliefst sich den Angaben (*) des schol. 
völlig an (fol. 14b). — navamädvaranam äha(°), ...samupäsito Rämo 
navamävarane püjya ity dha. Vasishtha und Fämadeva sind die bei- 
den Hauptpriester des Dacaratha (Räm. 1, 7,1): der schol. fügt noch die 
Namen Jävdli, Närada, Sanaka, Sananda, Sanätana, Sanatkumära hinzu, 
und die Admapüjdäcarani hat zwischen Jäväli und Närada aufserdem 
noch (°) Gautama, Bharadväja, Kaucika und Välmika(?), und Sanandana 
statt Sananda. — Entsprechend den oben p. 304 aus der Rämapüjde. ange- 
führten Angaben fügt nun hier der schol. auch noch ein zehntes dvaranam 
hinzu, bestehend aus denselben 32 Namen: agre vakshyamänayantränu- 
rodhend ’tra dhruvädyävaranam dacamam abhipretam, tad yathd, dvd- 


1) Rämapüjäe. f. 48a: dvitiyäshtadalägreshu präcim ärabhya. 
pUJag. Y pP DA 
(2) Die Angaben über das Sechszehnblatt in v. 66—68 erwähnen diese Namen nicht. 
Ebenso aber die Rämapüjäg. (48b): tatah shodagadale patreshu, präcim ärabhya, om Niläya 


namah°. 
(°) Im När. Panie. 3, 15, 43 werden in analoger Weise acht nidhi aufgeführt, gankha- 
padmädi°. — Für das shodagadalam oben würden nun freilich sechszehn nidhi nöthig sein. 


(*) statt Candana hat sie indels hier Dranada, während auf 48b Candana genannt ist. 

(5) Rämap. f. 48b: tato dvädagadale patreshu präcim ärabhya, om Vasishihäya®. 

(6) Aus dem schol. zu v.91 ergiebt sich, dals der Mangel dieser Namen im hiesigen schol. 
nur ein Fehler der Handschrift ist. (?) so hier, 48b aber Yälmikı. 


Die Räma-Täpaniya-Upanishad. 307 


trincaddale (!) dhruväya, dharäya, somäya, äpyäya ... ity ashlau vasavah, 
... vishnave namah iti dvädacddityäh, dvätrincattame patre dhätä, ebhir 
dhruvddibhih pitjyo Rämo dacamävarane püjyah: und zwar ist dem sam- 
pradäya nach (?) dies dhruvädydvaranam wie in der Rämapijäcarani als 
achtes zu setzen, während indrädyävaranam navamam pratlhamam 
bhügrihastham (°), vajrädydvaranam dacamam dvitiyabhügrihe (*). 

58. evam uddecatah proktam, nirdecas tasya cä 'dhund \ 

trirekhäputam älikhya madhye täradvayam likhet \ 

59. tanmadhye vijam dlikhya tad-adhah sädhyam dälikhet \ 

dvitiyäntam ca, tasyordhvam shashihyantam sädhakam tathä \ 

60. kurudvayam ca talpärcve likhed, vijäntare Ramam \ 

tat sarvam prenaväbhyädm ca veshtayechuddhabuddhimän u 

58. „So ist in Kurzem (das Diagramm) angegeben. Nun (folgt) dessen 
nähere Beschreibung. Man zeichne (in der angegebenen Weise) das Sechs- 
eck (°): in die Mitte schreibe man zwei om: — 59. in deren Mitte sodann 
schreibe man das vzjam (des Credo, die Silbe röm), unter dasselbe den Gegen- 
stand, der zu erreichen gewünscht wird, im Accusativ, über dasselbe den 
Namen dessen, der ihn zu erreichen begehrt, im Genitiv, — 60. zu Seiten 
davon (des vijja nämlich) zweimal das Wort kuru (mache!, gieb!), endlich in 
das vijjam hinein die Aamä (den Namen der ARamä, grivjjam). Das Ganze 
(so angethane vzjam) umgebe man dann, reinen Geistes, mit zwei om.” 

58. evam pürvoktapra(kärena...) tasya prasiddhasya dhärandäyan- 
trasya nirdeco 'dhuno’cyate\trirekhäputam shalkonam pürvoktarityä 
dlikhya madhye karnikäydm pranavadvayam likhet. — 59. sädhyam 
sädhaniyam artham. — 60. Ramä, d.i. cri, die Gattin Fishnws, ist hier 
offenbar wie in v.31 mit Sit@ identifieirt. pranaväabhyädm parasparasam- 
mukhäbhyäm. Das in v.58 ff. geschilderte Diagramm ist übrigens von dem 


(') Dies stimmt zu v. 69. 70 (s. unten p. 312). Ebenso Rämapüjäg. 49a: dvätringaddale 
patreshu präcim ärabhya om dhruväya°. 

(2) Das zweite ävaranam wird hiebei ausdrücklich als &£mädi bezeichnet, nicht als 
nivrittyädi: offenbar ist oben im schol. zu v. 53 pag. 303 nur eine Lücke in der Handschrift. 

(3) Die Angaben über das bhügriham in v. 70. 71 erwähnen hiervon nichts. Auch die 
Rämapijäg. hat hier nichts davon, s. oben p. 305 not. 5. 306 not. 1. (unten p. 316). 

(*) wie eben. Ein zweites dhügriham wird in v. 70. 71 überhaupt nicht erwähnt. Ist 
etwa dvitiyam zu lesen ? 

(?) so schol., wörtlich: die aus drei Linien gebildete Faltung. 


Qq2 


308 WEBER: 


im Bisherigen (von v. 52 ab) geschilderten wesentlich verschieden, s. das in 
den Noten zu v. 53. 54. 57 Bemerkte. 
61. dirghabhäji shad-asreshu (') likhed vijam hridädibhih \ 
konapärcve Ramä-mäye tadagre 'nangam älikhet \ 
62. krodham konägräntareshu likhya mantry abhito giram \ 

61. „In die sechs Ecken sodann schreibe man das mit den (sechs) 
Längen versehene vijam (Räm) nebst den (an) Herz u.s. w. (gerichteten 
Sprüchen). — Ramd und Mäyd schreibe man zu beiden Seiten der Ecken, 
an deren Spitze Anarga (den Liebesgott): — 62. in das Innere der Ecken- 
spitzen schreibe der mantra-Kenner den „Zorn” (d.i. die Silbe hum), 
ringsherum die „Sprache”. 

61. shad-asreshu (astreshu Cod.) hridädibhih hridayacirahcikhä- 
kavacaneträstraih sahitam vijam likhet, kidricam vijam? dirghabhäji 
(neutrum zu °bhäjin) dkärddishaddirghayuktam \ ägneyanairrityaväyavyai- 
cäneshu hridayddini, pürvato netre (?), astram ca prishlhatah. Vgl. die 
Angaben des schol. zu 52. — Die Erklärung des zweiten Hemistichs fehlt in 
der Handschrift. — 62. krodham kavacavijam humkäram\koneshu yäny 
agräni teshäm antareshu abhyantarabhägeshu \likhya likhitvä \ abhi- 
tah konänäm samantatah giram,vägvijam likhet. Da der Zornlaut Aum 
die letzte Silbe des kavaca -Spruches ist, so ist nicht recht klar, wie er 
vom schol. als dessen vzjjam bezeichnet werden kann, da sonst doch nur die 
erste Silbe als vjam gilt (s. oben p. 292). Unter „Sprache” ist offenbar 
eine ähnliche mystische Sylbe, etwa das vijam eines an Sarasvati gerich- 
teten Spruches, zu verstehen, und auch bei Alamd (s. v.60. 64. 68 schol.), 
Maäyd, Ananga (s. v.68 schol.) wird wohl ebenfalls an dgl. zu denken sein: 
vgl. noch Ari u.s.w. in v. 66—68, kshraum, hüm in v.72. 73, u. klim p.116. 

vrittatrayam säshtapatram, saroje vilikhet svarän (°) \ 
63. kesare ca, ’shiapatre ca vargäshtakam athälikhet \ 

teshu mälämanor (*) varnän vilikhed ürmisamkhyayä (°) u 
64. ante pancäksharän (°). 

„Drei Kreise mit einem Achtblatt (einer achtblättrigen Lotusblume, 
zeichne man darüber). In die Lotusblume, resp. auf (als) deren Staubfäden, 
schreibe man die (16) Vokale: und auf die acht Blätter die acht varga (der 


Y so M. streshu AEC. 2 Die Rämapijä rn hat durchweg neiratraya! 
’ PAAE 5 I 
3) Jikhe räna A., likhet svasan E. #) mälämatoE. 5) armi A., urmiEC. (6) ränyE. 
’ ’ % 


Die Räma-Täpaniya-Upanishad. 309 


Buchstaben). (Auch) die (47) Silben des mälämantra schreibe man auf die- 
selben, je zu sechs — 64 auf das letzte (Blatt, resp. nur) fünf Silben.” 

62. vrittatrayam iti vartularekhätrayam uparibhäge ashlapatrena 
sahitam likhitvd, tasmin saroje kesarasthäne kesaravan nairantaryena 
shodaca svarän vilikhet \ kesara ity agrimaclokasthitam sambadhyate. — 
63. ashtäpatre ashländm palrdndm madhye vargäshtakam ka-ca-ta- 
ta-pa-ya-ca-lavargändm ashtakam. — teshu ashlasu patreshu mäläman- 
trasya vakshyamänasaptacatvärincadaksharasya varnän pralipatram. — 
ante caramapatre. — 62. Über die 16 Vokale (nebst am, ah) s. Nris. pürv. 
5, 2, 6. — 63. Der /!-varga umfalst, der Aamapijäcarani zu Folge, das 
vedische Z und das ksh. In summa haben wir hier somit 51(!) Buch- 
staben (16 Vokale, 35 Consonanten). — manu für mantra ist ein im 
Tantra-Stil (resp. in Närada- Pancarätra) gebräuchlicher Ausdruck (s. 
Verz. d. Berl. Sanser. H. 1314). Der hiesige mälämantra wird unten in 
v. 74—81 ausführlich behandelt. Der Name mälämantra kommt wohl 
eben davon, dafs bei Diagrammen die Silben eines dgl. Spruches kranz- 
förmig über die einzelnen Blätter der im Diagramme dargestellten Blume 
vertheilt zu werden pflegen. — Über die mit ürmi, Woge, verbundene Be- 
deutung der Sechszahl s. die im Pet. Wört. aus den Puräna mitgetheilten 
Angaben. — varna hat hier, wie im Folgenden das daraus entstellte arna, 
die weitere Bedeutung: Silbe. — 64. pancäksharän für °räni. 

64. evam punar ashladalam likhet \ 
teshu Näräyanäshtärnän likhya tatkesare Ramäm u 

64. „Ebenso (d. i. über dem ersten Achtblatt einen Kreis ziehend) 
zeichne man (über diesem Kreise) abermals ein Achtblatt. In dessen 
Blätter schreibe man die acht Silben des Närdyana-Spruches, und auf die 
(als) Staubfäden desselben die Ramd (das vijam ihres Spruches).” 

64. pürväshtadalopari vrittam kritvä tadupari punar asht. li- 
khet\teshv ashlasu daleshu Näräyanamanträshlavarnän yathäsamkhyam, 
tatkesare dvitiyäshiapatrakesarasthäine hamäm crivijiam kesaravad 
eva likhe. — Zum Näräyana-Credo s. Nrisinha- Pürvatäpaniya 
5, ,4. — arna für varna, s. v.69 und im Närada - Pancarätra. Ebenso 
vrishabha für rishabha, indu für vindu, praüga für prayuga, anu 


(*) Andere Zahlen, resp. ältere Eintheilungen der Buchstaben, s. Ind. Stud. 4, 325. 327. 349. 


310 WEBER: 


für manu v. 29. 81, rididara, ridüipä, ridüvridh für mridü°, ishkriti 
für nishkriti. 
65. tadbahir dvädacadalam vilikhed dvädacäksharam \ 
tathom namo bhagavate Väsudeväya ity(!) ayam U 
66. ädi-kshäntän kesareshu vrittäkärena samlikhet \ 

65. „Aufserhalb dieses (zweiten Achtblattes) ziehe man ein Zwölf- 
blatt, das die zwölf Silben (des Fäsudeva-Spruches) om namo bhagavate 
Väsudeväya wägt: — 66. auch schreibe man auf die Staubfäden in Kreis- 
form (die Buchstaben von) a (a-ädi) bis ksh.” 

65.dvitiyäshtadaläd bahih. Der schol. zu v.53 hat einen anderen Fäsu- 
deva-Spruch im Auge s.oben p. 303-4, und giebt demselben auch eine andere 
Stelle (auf den Blättern eines Achtblattes nämlich). — 66. dvädacadala-kesa- 
reshu pralipalram catuh-catuh-samkhyayd ddi-kshäntän varnän likhet, 
avacishtavarnadvayam antyadala eva, vrittäkärena samlikhet. Diese 
letztere Angabe ist dunkel. Theils nämlich bleiben von 51 Buchstaben bei 
Vertheilung zu je vier auf die zwölf Blätter nicht deren zwei, sondern drei 
übrig: theils bleibt unklar, ob dem schol. gemäfs das letzte (zwölfte) Blatt 
nur zwei, oder ob es sechs Buchstaben erhalten soll; im ersteren Falle kä- 
men gar nur 46 Buchstaben zur Verwendung, im letzteren deren 50. Ver- 
muthlich ist dies letztere anzunehmen, da die Admapüjäcarani mehrfach 
ein funfzigbuchstabiges Alphabet pancdcanmätrikänyäsa verwendet: es 
fehlt dann das vedische Z(: so z.B. f.22a und s.auch Cabdakalpadruma unter 
nyäsa, Aufrecht Catalogus p. 1053). Sollte dagegen die andere Auffassung 
anzunehmen sein, das letzte Blatt nur zwei, nicht sechs Buchstaben erhalten, 
so müssen aufser dem Z wohl noch zi ri li din Wegfall kommen, wie dies 
in der That in der Rämapüjäcaruni auch mehrfach geschieht (z.B. f. 21b 
und s. p. 303. 316. 319). 

tadbahih shodacadalam likhet (?), tatkesare hriyam u 
67. varmä-'stra-natisamyuktam daleshu dvädacäksharam \ 
tatsamdhishv irajaädinäm manträn mantri samälikhet \ 

68. hrim-srim-bhrim-vrim-Irim-erim-jrine ca likhet samyak... 

„Aufserhalb dieses (Zwölfblattes) zeichne man ein Sechszehnblatt, 
auf dessen Staubfäden die „Scham”, — 67. auf dessen Blätter den mit Pan- 


(') ohne samdhi! (2) Zikhya E. 


Die ARäma -Täpantya -Upanishad. Sad 


zer (d.i. hum), Waffe (d. i. phat) und Verneigung (d.i. namas) versehenen 
zwölfsilbigen (Spruch). In die Verbindungsglieder der Blätter schreibe der 
Spruchkundige die Sprüche des Hanumant ete.: nämlich hrim, srim, bhrim, 
vrim, Irim, crim, jrim und (so weiter) schreibe er richtig.” 

b6. dvädacadalakesarasthäne(!) hrivijam: also die erste Silbe eines 
an die Scham gerichteten Spruches (s. p.316).— 67. daleshu shodacäksharam 
äha, varma(?) humkärah (s. p.303), astram phatkärah, natir namahcab- 
dah, etair antyabhäge (°ga Cod.) samyuktam dväd. shodacapatreshu 
yathäsamkhyam älikhet. Welcher zwölfsilbige Spruch gemeint wird, ist nicht 
angegeben: vermuthlich der in 65b aufgeführte Yäsudeva-Spruch. — tesham 
shodacadalänäm samdhivibhägeshu(°) Hanümadddindm manträn vijarü- 
pän samdlikhet. — 68. ddyam vijam H-anumatah, dvitiyam S-ugrivasya, 
tritiyam Bh-aratasya,caturthamV-ibhishanasya, pahcamam L-akshmanasya, 
shashlham erim iti, Lakshmanavijänantaram A-ngadavijam boddhavyum, 
„Vibh. Laksh. cd ’ngadam cä 'rimardanam” ii (v. 54) präguktatvät, erim 
C-atrughnavijam, jrim J-ämbavato vijam, cakärät Dhrishiyädinäm manträ- 
ndm vijändm api grahanam. Überall sind es also die Anfangsbuchstaben der 
Namen, je mit ri und anusvära versehen. Ich vermuthe demnach, dafs Irim 
statt /rim zu lesen und in /rim rim zu theilen ist: rim, das v/jam für Angada, 
wäre mit /rim durch samdhi verbunden, wobei freilich der anusvära von 
Irim als nicht in Anschlag kommend zu gelten hätte. Dafs mit ca in der 
That die mantra des Dhrishtyashiaka gemeint sind, wie der schol. will, 
erhellt aus der für die 16 Blätter nöthigen Sechszehnzahl der Sprüche. In 
M. fehlt das ca und sind acht vija aufgeführt: die vier letzten lauten Zaim 
saim ccem tyem (!). 

tato bahih \ 
dvätrincäram (*) mahäcakram (°) nädavindusamäyutam 
69. vilikhen (°) mantraräjärnän (?) teshu patreshu yalnatah \ 
dhyäyed (?) ashtavasim (?) ekädaca rudränc ca lalra vai (!°) \ 
70. dvädace ’nänc ca dhätäram, vashalkäram ca tadbahih (*'') \ 


(') sie! sollte shodaga® sein. (?) d.i. kavacam. (°) Der schol. zu v. 53. 54 (p. 305) 
giebt für das dortige Diagramm eine andere Stelle dieser 16 Namen an, das zweite Achtblatt 
nämlich. (*) so AE. M (dväre). dvätringatpatram C. () so A., mahäpadmam ECM. 

(6) vilikhya E. (7) ntrardjä® bis dräng ca ta fehlt in A, ist aber durch EC. gesichert. 

(2) so C. dhäyed E. (?) ?sud E. (1%) ve E. ('') so E. tato bahih AC. 


312 WEBER: 


„Aufserhalb dieses (Sechszehnblattes) sei ein 32speichiges grofses Rad, 
mit näda und vindu versehen: — 69. auf diese (32) Blätter schreibe man 
die Silben des mantraräja, und denke sich daselbst inbrünstiglich die acht 
vasu, die elf rudra, — 70. die zwölf @ditya und den dhätar;, den vashat- 
Ruf (schreibe man) aufserhalb derselben (vor die 32 Blätter).” 

68. Hanümadädishodacavijebhyo bahir dvätrincatpatram mahä- 
padmam (yagnam Cod.) nä’tam samyak spashlatayd älikhet \ mahöä- 
padmatvam (°yagnatvam God.) mantraräjalekhanayogyatvät \ nädah 
pranavasya caturtho 'vayavah, vinduh pancamas, tübhyäm samäyuktam \ 
nädetyädivyatyayena cakty-ananga-MRamäyutam iti kvacit pälhah. 
— Die Heranziehung des besser zum vorigen Absatze gehörigen samyak 
ist wohl zurückzuweisen. Der Speichen wegen (dvätrincedram) scheint 
die Lesart mahacakram entschieden vorzuziehen. Jede der 32 Speichen 
(resp. jedes der 32 Blätter) ist mit dem ndda und dem vindu des om zu 
bezeichnen: wie dies geschehen soll, erhellt nicht recht: der vindu ist der 
den anusvära bezeichnende Punkt; ob der näda etwa durch die krumme 
Linie, welche im Verein mit dem vindu den ardhacandra bildet, zu geben 
ist? Während die älteren Atharva -Up. nur 4 Theile (resp. 3!, mäträ) des om 
kennen, tritt bei den späteren eben noch eine Theilung des nasalischen Nach- 
klanges ein, s. dhyänavindu v. 14. 18 (Ind. St. 2, 2.4). Zu v. 72 (p. 315) 
giebt übrigens der schol. die Stellung von nöda und vindu gerade umgekehrt 
an, ersteren als den fünften, letzteren als den vierten Theil des om bezeichnend. 
Vgl. noch die Angaben der Tärakopanishad, resp. unten uit. 2,5. — Nach der 
vom schol. angeführten Variante wäre statt näda und vindu die cakti (s. v.10? 
od. p.315? od.nach v.22 das Wort namas?) und je das vijam eines an Ananiga 
(s. v.61) resp. an Ramä gerichteten Spruches auf jedes Blatt zu schreiben. — 
69.teshu patreshu mantraräjasya dvätrincadvarnän vilikhet,tatra\ 
vaica (caiva Cod.) patreshu vasvädi ashia tato dhyäyet. Der schol. zählt 
hier dieselben Namen wie zu v.97 auf(! ), die wir von da, resp.aus der Aiadmapiija 
bereits oben p.304 angeführt haben: da sich indefs einige kleine Differenzen 
finden, so theile ich die hiesige Aufzählung mit: dhruvo dharas tathä soma 
äpo väyus (?) tathä 'nalah \ pratyüshag ca prabhäshag (?) ca vasavo 


"shtau Be l Redre- cambhu- un "jaikapad- ahirbudhnya(h) 


(') giebt resp. Baselbit (s- p- 307) wen den gleichen Platz für dieselben an, den sie hier 


einnehmen. (2) anıläya zu v. 57. (3) prabhäsäya ibid. 


Die Räma -Täpaniya - Upanishad. 313 


pinäka(')-paräjita(?)-bhuvanädhicäh (?) kapäli(*) ca dikpatih sthänuh 
ity ekädaca rudrä yäyacrenividäranodacäh (? päpa°’nodäräh?) N varuna- 
sürya-vedängä bhänur indro ravis tathä\ gabhastic ca yamah svarnaretä(°) 
dinakaras (°) tathä U mitro vishnur iti.. (khyätä?) dvädacämi diväakarahN — 
70. dvätrincattame patre dhätäram('), dhyäyet dhyänapürvakam patre- 
shu likhitvä püjayet\atra crutyä viceshoktatve’pi sampradäyänurodhän 
nrisinhänushtubham rämänushtubham vä likhed ity arthah\tadbahir dva- 
trincaddaläd bahirbhägeshu svapurato vashatkäram likhitvä püjayet. — 
Der schol. versteht unter dem mantraräja offenbar 32 Silben des mäla- 
mantra;, da es indefs denn doch auffällig wäre, wenn von dessen 47 Silben 
funfzehn ganz bei Seite bleiben sollten, so ist es wohl gerathener, der Tra- 
dition (sampradäya) gemäfs, die er anführt, darunter entweder ein 32silbiges 
Nrisinha-Credo (das der Nrisinhop.?), oder eine andere an Räma gerichtete 
Formel (°) zu verstehen. Wenn der schol. hiebei den Text als ceruti be- 
zeichnet, so steht dies ganz im Einklang mit den eignen Ansprüchen des 
Textes (s. v. 94), so wie mit der mehrfachen Bezeichnung der Spracheigen- 
thümlichkeiten desselben als chändasa (s. zu v. 24. 38. 42. 79): vgl. bier- 
über das Ind. Stud. 2, 176. 177. Max. 2, 358 Bemerkte. 
bhügriham vajracülädhyam rekhätrayasamanvitam \ 
71. dväropetam ca räcyädıbhüshitam phanisamyutam (?) \ 

„(Aufserhalb des grofsen Rades) ist ein (viereckiges) Erdenhaus(, ein 
Palast?, zu zeichnen), reich verziert mit Donnerkeilen und Dreizacken, ver- 
sehen mit den drei Linien (welche den drei guna entsprechen), — 71. mit 
(vier) Thüren ausgestattet (im Osten ete.), verziert mit den Zodiakalbildern 
u.s.w., mit Schlangen versehen.” 

70. tadbahir bhügriham caturasram kuryät (')) \ vajracüläbhydm 
ädhyamı\rekhä(h) sattva-rajas-tama('')-ätmikäs täsdm trayena samanv.! 


(') pinäkine zu v.57. es ist oben wohl pinäky-aparäjita-zulesen? (2) !s.eben, fehlt zu v.57. 
(?) bhuvanegäya ıbid. (*) von kapälin bis indra Lücke ibid.e. (°) Airanyaretase ibid. 
(°) diväkaräya ibid. (7) Mit dAdtar mufs hier wohl prajäpati gemeint sein, vgl. v. 56. 
(3) Die Rämapüjägarani (f.11b) kennt eine Rämagäyatri, die nun aber freilich hier 
nicht palst, da es eben nur 24 Silben sind; sie lautet: Dägarathdya vidmahe Sitävallabhäya 
dhimahi \ tan no Rämah pracodayäat \ (°) °shite phalasam® E. ('°) Der schol. zu v.57 
spricht wie es scheint (s. p.307) von zwei bhügriha. — Vgl. När. Panic. 3, 15, 35 bhügriham 
caturasram syäd ashiavajrävibhüshitam. Der Tantrasära (p. 317) spricht von einem bhöpur.a. 
('') s.v.88 u. Rämapujä f.15b(, wo der vashatkära von v.70a noch mit hieher gezogen ist). 


Philos.-histor. Kl. 1864. Rr 


314 WEBER: 


räcayo meshädyäh, ädicabdena V‘ ali-prabhritayah, atra räci-valy-ädhyam 
tam eva dikshäkäleshu (?) püjäyäm \ phanisamyutam iti sampradäyah, 
phanibhih ashiakulanägaih samyutam, Ananta-Väsukinägau Taksha(ka)- 
Kamkila-Padmakä näma(? padma nämatah Cod.) | Mahäpadma(')-Cankha- 
Kulikä ashtau nägäh kulasya vikhyätäh u — Weshalb bei ricyädi an die 
Valiprabhritayah zu denken ist, erhellt nicht recht: die Rämapüjäcarani 
hat nichts davon: man möchte eher an die Planeten, nakshatra ete., den- 
ken. — Die Heranziehung auch der Schlangendämonen zur Verehrung des 
Räma ist jedenfalls auffällig genug. Die Aämapüjägarani (15b) hat statt 
Taksha(ka) und Kamkila die Namen: Sthänum, Kamkolam und bezeichnet 
dieselben mit ihren Genossen als Rümapärshadän. Der Trikändacesha 
(1, 2, 6) hat Takshaka und Karkofa. Noch andere Namen s. im Samskäd- 
rakaustubha 35a bis 37a bei Gelegenheit des nägabali. 
evam mandalam älikhya tasya dikshu vidikshu ca U 
72. Närasinham ca (*) Väräham likhen mantradvayam tathä \ 
kütarephänugrahendunädagaktyädibhir (°) yutah \ 
73. yo nrisinhah samäkhyäto grahamäranakarmani \ 
antyärthi prävicad (*) vindunddair vijjam ca Saukaram (°) \ 
74. hümkäram (°) ca (!). — 

„Also den (Diagrammen-)Kreis gezogen habend, darauf in dessen 
Himmelsgegenden und Zwischengegenden (d.i. in dessen Windrose) — 72. 
schreibe man (je) die beiden mantra, die an (Vishnu) Nrisinha und an 
(Vishnu) Varäha gerichtet sind (resp. deren vija). (Und zwar ist als 
ersterer) der mit ksh, r, au, dem vindu, dem näda, der cakti u.s. w. ver- 
sehene (mantra, d.i. die Silbe kshraum, gemeint), — 73. welcher bei 
der Ceremonie zur Vernichtung (des bösen Einflusses) der graha als 
nrisinha(-vijam) bezeichnet wird. Und als vjam des Sükara-Spruches 
betrat (betritt?) der die letzte (Handlung zu verrichten) Begehrende (d.i. der 
dem Tode Entgegengehende?), im Verein mit vindu und ndda, — 74. den 
Laut Adm(, der somit auch hier so zu verwenden ist).” 


(') Des Metrums wegen (es ist giti) mülste dm hier keine Position machen! 
(2) ca bis zum Ende des gloka fehlt in A. (?) kuütädibhir E. 

(*) ?? amtyärgho gavipad A., antyädy! gaviyad E., atyärcä gäyuto M. 

(5) saukarän E. (6) Ahum® E. 

(7) cä die Codd., wegen des folgenden azra. 


Die Räma-Täpaniya-Upanishad. 315 


71b. Das scholion fehlt. Zu mandala s. Amritanädopan. v. 17. — 
72. vidikshu ägneyddishu värähavijam. — nrisinhavijam uddharati 
küta’rmani \kütah kshakärah (kshahk? Cod.), repho rakärah, anu- 
graha aukärah crikanthädinyasasthänugrahadevatävatt)tvät (!), indur 
vinduh, nädah pranavasya pancamo (°syäyamca? God.) ’vayavah, caktih 
shashthah, ädicabdena cäntäkhyah saptamah (khyäh satta° Cod.).— Wenn 
es schon unklar blieb (s. p. 312) wie vindu und näda des om graphisch zu 
trennen sind, so weifs ich über den sechsten Theil desselben, die cakti, 
und den siebenten, Namens cänta, erst recht keine Aufklärung zu geben, 
da mir dieselben nirgendwo sonst bis jetzt begegnet sind. — Im Närada 
Pancar.3, 2, 20 haben wir nur: tatah kopatattvam ksharau vinduyuktam 
nrisinham nyasel.— Die Nrisinhatäpaniyop. hat nichts hievon.— 73. grahä- 
ndm upalakshanayd vritiyd grahabhütapretädinam märanakarmafni) 
pracastah. — Der Anfang des zweiten Hemistichs und der dazu gehörige 
Comm. sind in gleich verderbtem Zustande, so dafs ich meine obige Erklä- 
rung als eine rein hypothetische bezeichnen mufs, zumal der Plural vindu- 
nädair jedenfalls drei Glieder des Compositums erwarten läfst, falls nicht 
näda hier etwa „upalakshanayd vrittyä” zugleich auch den cakti- und den 
cänta-Theil des om in sich schliefst und deshalb pluralisch gebraucht ist. 
värähavijam uddharati: amtyärghogavipadvindu...hümkäram ca..! 
amtasthilah arthi cecvara(!)-sambandhi sphulibhütam (sku°’tem Cod.) 
api vijam ajnän(?) prävicad ayann(!) eva präksücitam hämasya mäld- 
mantram uddharati (dies gehört offenbar erst zum unten Folgenden!) ı 
hümkäram ceti hümkärasvaripam eva saukaram vijam ity arthah. 

Eine Rekapitulation desBisherigen, von v.58 ab, giebt folgende Figur des 
Diagramms: 1.) ein Sechseck in der Mitte, mit allerlei Zurüstung v.58a— 62a, 
2.) darum drei Kreise mit einem Achtblatt, worauf das Alphabet und der 
mälämantra geschrieben ist, v. 62b—64a, 3.) darum (ein Kreis und) ein 
zweites Achtblatt mit dem näräyana-Spruche, v. 64a. b., 4.) aufserhalb dessen 
(rings darum?) ein Zwölfblatt mit dem väsudeva-Spruche, v. 65. 66a, 
5.) aufserhalb dessen (rings darum?) ein Sechszehnblatt mit einem 16silbigen 
Spruch (an väsudeva?) und den Namen von 16 Genossen etc. des Rdma, 
v.66b— 68a, 6.) aufserhalb dessen ein grofses Rad mit 32 Speichen mit einem 
(an nrisinha gerichteten?) mantraräja von 32 Silben und mit 32 Götternamen, 
v.682— 70a, 7.) aufserhalb dessen ein (viereckiges) Haus (als äufserster Rah- 


Rr2 


316 WEBER: 


men?), 8.) Verzierung des ganzen mandala mit den Silben kshraum als Sym- 
bol des nrisnha im Osten etc. und hüm als Symbol des Yaräha im Südosten 
etc.— Dafs dieses Diagramm dem in der nris. pürv. täp. 5, 2, 1—7 beschrie- 
benen Diagramme des nrisinha gegenüber auf einer höchst sekundären Stufe 
steht, zeigt der erste Blick: und ist es unnöthig auf die specielle Ausbildung, 
welche insbesondere die vija-Theorie hier gefunden hat, näher einzugehen: 
in der That steht dieselbe hier eben ganz auf dem vollentwickelten Stand- 
punkte der Zanira, während dort erst die Anfänge dazu vorliegen. 

Der mannigfachen Analogie wegen füge ich hier die Darstellung an, 
welche die Rämapüjäcarani (fol. 71b—72b) von dem Aäma - Diagramme 
giebt, da dieselbe zwar weit kürzer, aber doch zum Theil mit der hiesigen 
geradezu identisch ist. 

püjäyantram Rämakalpoktam likhyate \ trikonagarbhashatkonam 
vilikhya, tadbahir vrittam vidhäya, ashtadalapadmam vilikhya, tadbahir 
dvirekhäyuktam caturdväram bhügriham koneshu vajräshlayuktam likhet \ 
kecit tricüläshtakayuktam ähuh \ tatra pranavapulita(m) rdm ili vijam 
crivijagarbham vilikhya, shalkone manuvarnan samlikhya, konasam- 
dhishu räm rim rüm raim raum rah iti vijäni, konagandeshu hrim klim 
iti vjjadvayam ubhayapärcveshu samlikhet \ kesareshu svaraganam likhitvä, 
patreshu mälämantrasya shat-shal varnan ashlame patre pahca varnän 
likhitvä, tad ashtadalam prathamam dacäksharena (!) tata(h) kädivar- 
naic ca veshlayet \ tato bhügrihakoneshu hum iti vijam (des varäha), pür- 
vadidikshu kshaun (kshraum!) iti vijam (des nrisinha) likhet \ sarvän var- 
nän vijasammukhän eva likhet. 

Noch weit kompendiöser ist die Darstellung des Aämayantra im 
Tantrasära (Aufrecht, catal. Oxon. p. 94b, 12. Wilson 46 fol. 200): 
ich verdanke eine Durchzeichnung der betreffenden Zeilen, wobei indefs 
leider mehrere akshara unsicher geblieben sind, der Freundlichkeit Dr. 
Kielhorn’s (2): atha Rämayantram \ täram madhye vilikhatu, manum 
shashihakoneshu(?) mäydm, (vier Längen fehlen) param api likhet konagan- 


(') Es sind hiemit wohl die zehn ersten Vokale (aulser ri, ri, ii, !i, am, ah) gemeint, 
s. das zu v. 66 (p. 310) Bemerkte und unten p. 319 not. 3. Aufrecht Catalog p. 105. 

(2) Die Berliner Handschrift des Tantrasära (ms. or. fol.157) weicht von der Oxforder 
im höchsten Grade ab. Der yanzra-Abschnitt ist kaum vorhanden. Auf die Darstellung der 
mudräs (p.407-8) folgen nur noch 3 Seiten, wo die Oxforder Handschrift 25 breite Blätter hat. 


Die Räma- Täpaniya-Upanishad. 317. 


deshu päthät \ kinjalkeshu (akreshu Cod.) svaraganam atho padmamadh- 
yeshu (patra°?) mälä-, manträ .ärnän.... mitän ashtame panica varnän (N) 
dacäksharena ..(.) kädivarnaic ca bhüpure \digvidikshu likhed vijam Nära- 
sinha-Varähayohunamo bhagavate paccät tatpaccä(t?) Raghunanda- 
nam (! für °näya)\rakshoghnavishada (! für °däya) paccä(t?) madhu- 
rädi(!) samirayet\prasannavadanäyeli paccäd amitatejase (amititate° 
Cod.)Ivaläya paccäd Rämäya VFishnave tadanantaram\ pranavddina- 
mo’nto ("manto Cod.) yam mälämantrac ca pürvatah (pürvamarpitah Cod.)\ 
Es liegt somit hier derselbe mälämantra wie in v.74—81 vor. Das Diagramm 
ist aber bei weitem einfacher. — Noch simpler freilich ist diejenige Form da- 
von, welche sich auf f. 233 crirdmayantram. 

derselben Handschrift (s. 
Aufrecht 96b, 6) gezeichnet 
findet, und nach Kielhorn’s 
Durchzeichnung hier neben 
stehen mag. 

Die folgenden Verse, 
welche den Wortlaut des 
Räma-mälämantra lehren, 
habe ich schon in Ind. Stud. 
2 31oaulseruhrts dest Zum wlan a N! 
sammenhanges halber aber müssen sie natürlich auch hier aufgeführt werden. 


H.r. — hellroth. 
EB gelb. 
r — dunkelroth. 


das Übrige farblos. 


atra Rämasya mälämantro ’dhune ’ritah \ 
täro, natic ca, nidräyd('), smritir, medac ca (?) kämikä u 
75. rudrena samyutä, vahnir, medhä 'maravibhüshitä \ 
dirghä 'krürayutd (°), hlädiny (*), atho(°) dirghä samänadä \ 
76. kshudhä, krodhiny, athä 'moghä (°), vicvam apy, atha medhayä \ 
yuktä dirghä, jvdlini ca sasükshmä, mrityurüpini u 
77. sapratishihä hlädini, tvak, kshvelah, pritic ca sämarä \ 
Jyotis, likshnd "gnisamyuktä, cvetd ’nusvärasamyutä (') U 
78. kämikäpancamo, läntas, tänlänto (°), dhänta ity atha (?) ı 
sa sänanto, dirghayuto väyuh, sükshmayuto ('°) vishah U 


(!) nidräyah AB. O) pa (°) ’kru® B., ’mku° E. (?) dräviny E. 
(5) ätho A. (6) amoghä caE. (’) sic! m statt n. (8) täntotd A., tämtämto E. 
(?) dhänta danmatha FE. (9) yukto A. 


318 WEBER: 


79. kämikä, kämikä rudrayuktä ’tho, 'tha sthirä ('), sa (?), e\ 
täpini, dirghayuktda bhür, anilo, 'nantago 'nalah u 

50. näräyanätmakah kälah (?), präno, 'mbho vidyayd yutam \ 
pitä (*), ratis (°), tathä länto yonyä yukto, ’ntato natih \ 

81. saptacatvärincadvarno gunäntah srag-anus (°) tv ayam \ 

„Des Räma mälämantra lautet wie folgt: om namo bhagavat — 
75. e Raghunandanä — 76. ya rakshoghagnavica — 77. däya madhura- 
prasam (') — 78. navadanäyäd 'mi — 79. tatejase valäya Rd — 80. mäya 
vishnave namah. — 81. siebenundvierzig Silben zählt dieser Kranz-Spruch, 
der alle (drei) guna in sich schliefst.” 

Denselben Text führt auch Aömapiüjäcarani (fol. 10b) auf, nur dafs 
daselbst zwischen °vadanäya und amita° kein samdhi stattfindet, was auch 
nothwendig ist, wenn 47 Silben herauskommen sollen. So auch der schol. 
hier: atra vyäkaranänurodhena yäkdroddhärah, aksharagananäyäam tu 
yakära akärac ca samdhim akritvaiva gananiyäh (°niyau sollte man er- 
warten). Vgl.auch die eben (p.317) angeführten Angaben des Tantrasära.— 
Das sich aus obigen Versen, unter Herbeiziehung der sonstigen Angaben in 
v.23. 72 und uzt. 2,3, ergebende Alphabet ist wie folgt (vgl. Ind. St. 2, 316): 

ü mänada 75, ananta 23. 78. 79, dirgha 78. 79. utt.2, 3, pratishihä 77, 


4 


‚äräyana 80. — i sükshma 76. 78, vidya 80. — u amara 75. 77. — e rudra 


= 
ISIS 


75. 79, e 79, yoni 80. — o vicevam 76. — au anugraha 72. — g smriti 74. — 
sh medhä 75. 76. — j sthird 79. — n rali 80. — t kämikd 74. 79. — th tänta 
78. — d hlädini 75. 77, täntänta 78. — dh priti 77 (°). — n dirghä 75. 76, 
dhänta 78, kämikäpancama 78. — p tikshnd 77. — bh nidräyd (?) 74. — 
m kshvela 77, visha 78, käla 80, ma 23. — y kshudhä 76, tvac 77, väyu 78, 
anila 79, präna 80. — r vahni (!") 23. 75, agni (!') 77, krodhini 76, jyotis 77, 
tejas 23, anala 79. utt.2, 3. — 1 bhü 79. — v medas 74, jvälini 76, länta 78. 80, 
täpini 79, ambhas 80. — ce mrityurüpini 76. — sh pitä(? pritä) 80. — 


('!) ’pyasthirä H. (?2) say, vgl. Ind. Stud. 4, 252. In M. lautet der päda: yukratho 
pyä sthiregchayä! (?) käläh M., kälo A (!). (*) so ACM., pritä E. (5) ritis M. 

(6) näntah stvagunas E. (7) sie, anusvära statt n! 

(®) ob priyd im Panicarätra2, 5,47 zu vgl.? (°) Nebenform zu nidrä, wie mäyä von V mä. 

(19) vgl. Pancarätra 2, 5, 47. 

('') Die Rämapüjä hat auch agnivijam (z.B. 12a dirghägnivijjam = räm) und vahnivijam: 
ebenso Änandavana zu utt, 2, 3 (agnivijam). 


Die Räma-Täpaniya-Upanishad. 319 


s cvetä 77, sa 79. — ksh amoghä 76, küta 72. — m (anusvära) akrüra 75, 
anusvära 77 (!). 

Über den Grund dieser Benennungen der Buchstaben (?) giebt der 
Comm. nur spärliche Auskunft, die nur für rudra v. 75 und 79 als Namen 
des e klar ist, denselben nämlich auf den Umstand zurückführt, dafs e der 
elfte Vokal ist (°). — Die übrigen Erklärungen dagegen bleiben dunkel. So 
heifst es von amara = u zu v. 75. 79: amaräkhya-crikanthädi-ivyära 
(ob ikära? oder nyäsa?)-sambandhy-ukärena, ähnlich wie wir anugraha 
= au zu v.72 (p. 315) durch: erikanthädinyäsasthänugrahadevatä- 
va(t)tvät erklärt fanden. Es weist dies auf einen an Civa gerichteten Spruch 
zurück: das Nähere aber ist mir eben unklar. Auch die Vergleichung mit 
Pancarätra 3, 2, 1f., wo offenbar wohl eine analoge Vertheilung, resp. 
Benennung der Buchstaben vorliegt, hat mir keinen Aufschlufs gewährt. 
Die sonstigen speciellen Erklärungen des schol. lauten wie folgt: dirghä- 
khyäkaläsambandhi(*) nakärah, sa cd 'krürayulä, ’krüro 'nusvärah, 
ükrarasyä (! akrii’) 'nusväramürtitvät. — 76. vicvam näma vicvätmd 
väsudevas, tatsambandhi kecavädinyäsastha (näsastho Cod.) okärah. — 
sükshmäkhyeccarodovatä (°cvaradevatävatä?) ikärena sahitä.— 77. tvag- 
dhätusambandhi yakärah, kshvelo vishä(!) tatsambandhi makärah.— am.a- 
recvara(cca Cod.)sambandhy-ukärena. — jyotir agni rephah. — 78. tän- 
täntah, tasyd 'ntah thakärah, tasyd’py anto dakärah. — sükshmäkhye- 
cvaradevatäka (kshmäravyoccaradai? God.) ikärah. — 79. atho 'thety 
aira pragrihyasamjnäyä abhävah chändasah, sthiräkhyakaläsambandhi 
jakärah. — täpinyäkhyakaläsambandhi vakärah, ashtatrincatkalänyäse 
svakära(?)-vakärayos täpinisambandhaprasiddheh. — 80. präno väyuh 


(!) Es fehlen somit noch: 5, ri, ri, [i, li, ai, k, kh, n, c, ch, jh, fi, t, ih, d, dh, ph, b, h, I, 
visarga. Zu vgl. sind die Namen krodha und varman für hum 62. 67, astra für phat 67, 
nati für namas 67. 74. 80, tära für om 58. 74. 

(2) Namen wie Zänta, täntänta, dhänta, länta, kämikäpanicama erklären sich von selbst. 

(3) Aus Anandavana’s schol. zu uzt. 2, 3 nehme ich die Erklärung von dirgha = ä vor- 
aus: d’rghänalam dirghäkärayuktam analam agnivijamri-li-dirghakhanda (shanda Cod.)- 
rahitändm (s. p. 310. 316) shannäm apy ükärädindm (s. p. 303) dirghagubdaväcyatve ’pi 
prathamätikrame käranäbhävät (denselben Grund bei einer analogen Gelegenheit 
s. Ind. Stud. 8, 442. 446), äkärasyaivä ”nandapadanirvartyatväc ca | (dirghä, fem., bedeutet 
übrigens auch: n, s. 75. 76). (*) Blos mit diesen Worten allein werden diejenigen Namen 
erklärt, bei welchen keine speciellen Angaben sich finden. Zu kalä vgl. Nris. Pürv. 5, 2, 6. 


320 WEBER: 


yakärah, ambha udakam vakärah, vidyayä(! vidyäapara Cod.) ikärena 
yuktam, p itäkhyäkaläsambandhi shakärah, ratikaläsambandhi nakärah 
praclishtah. — 81. srag-anur mälämantrah ('), sat(t)varajastamänsi 
antah svaripam yasyü'sau gunäntas Irigunätmaka ity arthah, sät(t)vi- 
kädinäm upäsakändm sä(t)tvikädikätmadätritvät \ tucabdo manträntare- 
bhyah prakarshadyotanärthah, ayam mantro räjyäbhishiktasyaiva 
Rämasya(*) na tu vanaväsina iti dyotayitum uktam. 
räjyäbhishiktasya tasya Rämasyoktakramäl (?) likhet \ 
82. idam sarvätmakam yantram präguktam rishisevitam \ 
sevakändm (*) mokshakaram äyur-ärogya-vardhanam \ 
83. aputrindm putradam ca, bahund (°) kim‘), anena vai \ 
präpnuvanti kshanät samyag atra (°) dharmädikän (?) api u 
84. idam (°) rahasyam paramam icvarend 'pi durgamam \ 
idam yantram samäkhyätam na deyam präkrite jana iti W 

„Für jenen zur Königswürde geweihten Räma zeichne man (denn) in 
der angegebenen Weise — 82. dieses das All in sich schliefsende Diagramm, 
wie vorhin angegeben, das von den zishi verehrte, den Gläubigen Erlösung 
schaffende, Leben und Gesundheit stärkende — 83. und den Sohnlosen 
Söhne gebende. Wozu viel (Worte)? Dadurch nämlich erreichen sie im 
Augenblick völlig hier (bereits) sogar den dharma u.s.w. — 84. Dies ist 
ein hohes Geheimnifs, für den icvara (höchsten Herrn) selbst schwer zu 
erkennen. (Drum) darf man dies (so) verkündete Diagramm einem gemeinen 
Menschen nicht mittheilen.” 

81. Das Gewicht, welches das Beiwort räjyabhishikta auf die Fülle 
der königlichen Macht legt, in der Räma im Diagramm darzustellen ist, 
beruht wohl auf dem naiven Gedanken, dafs er so denn doch am besten im 
Stande sei, den Gläubigen ihre Wünsche zu gewähren (?). — 83. Unter der 
Erreichung des „dharma u.s.w.” könnte etwa dasselbe zu verstehen sein, 


(‘) Zu anu in der Bedeutung zmantra s. v.29. Ich vermuthe, dals das Wort aus manu 
(v. 63) geschwächt ist, vgl. die zu arna oben p. 309-410 angeführten analogen Fälle. Zur 
Verwandlung des n in n vgl. mänavaka. 

(2) ich ziehe diese Worte des nächsten Verses zu diesem selbst, nicht hieher. 

(3) yantralekhanaprakäram upasamharati: uktakramäd ii. (?) uktayantropa- 
jivinäm phalam äha: (5) dahündm E. (6) k, yatra E. (7) °dikäm A. samicinän 
utkrishtän dhärmädikäng ca schol. ($) idam ca yantram atigopyam ity dha. (?) vgl. 
die Verwandlung der bürgerlichen Namen des Rdmdyana in fürstliche, in v.55 oben p. 305. 


Die Räma-Täpaniya-Upanishad, 321 


was die Nrisinha pürvatäp. 1, 5, 6. 4, 3, 38 meint, körperliche Vereinigung 
nämlich mit den „von Dharma (Yama) geleiteten” Göttern? s. indessen die 
Angaben des schol. zu v.87. — 84. Die Überschwenglichkeit der Verheifsung 
versteigt sich hier soweit, die Kenntnifs seines eignen Diagramms sogar für 
Räma selbst (denn er ist ja der icvara der Upanishad) schwierig zu erklä- 
ren! — Die empfohlene Geheimhaltung des Diagramms steht mit dem sek- 
tarischen Charakter in scheinbarem Widerspruch, ist ja indefs ausdrücklich 
nur gegen die Gemeinheit, resp. intellektuelle oder ethische Unzuläng- 
lichkeit des Empfangenden, nicht gegen seine Kaste oder sein Geschlecht 
gerichtet (!), wie dies bei der Nrisinhop. (pürvatäp. 1, 3, 7. 10) der Fall ist. 


Fünfte Upanishad v. 85 — 94. 

85. bhütädikam codhayed, dvärapijäm kritvä padmädyäsanasthah 
prasannah \ arcävidhäv asya pilhädharordhvam pärcvärcanam madhya- 
padmärcanam ca \ 

86. kritvä, mriduclakshnasutülikäyäm ratnäsane decikam cärca- 
yitvä \ caktim cd ”dhäräkhyakäm kürmanägau prithivyabje sväsand- 
dhah(*) prakalpya \ 

87. vighnam(?) durgäm kshetrapälam ca vänim  vijädikäne cä 
'gnidecädikäne (*) ca \ pithasyä 'nghrishv (°) eshu dharmädikäng ca 
nanpürväns (°) täns tasya dikshv arcayec (') ca \ 

85. „Bei der bildlichen Anbetung dieses (Ahäma) reinige man zu- 
nächst alles elementare etc. (Material), verrichte die an (allen vier) Thüren 
(vorgeschriebene) Verehrung, und setze sich klaren Geistes, in der Lotus- 
stellung, oder einer andern dgl. Positur: nachdem man dann die Weihung 
des unteren und oberen Theiles des Thronsessels sowie der (vier) Seiten- 
theile und der in der Mitte befindlichen Lotusblume — 86. vollzogen, auch 
den Lehrer (der links davon) über weichem und zartem Teppich auf einem 
Juwelensessel (sitzt) verehrt hat, stelle man sich die tragende Kraft, die 


(') s. indels Wilson’s Note (religious sects of the Hindus p. 39): „the mantra, and mark, 
are never bestowed on any person of impure birth”, während es im Texte daselbst von der 
Rüäma-Sekte heilst: „the disciples may be of any caste.” — Dieselben Widersprüche durch- 


ziehen auch das Näradapanicarätram. (?2) sväsanasadhah A., °vyädyai stämanädhah FE. 
(3) vipram A. (°) °kegädi? A., Pdigddi® E. (5) ’mprishv A., ccigv E. 
(6) cä natrapä° A., ca nayapü° E., najpü° C. (7) dvihav® E. 


Philos.-histor. Kl. 1864. Ss 


322 WEBER: 


Schildkröte und die Schlange, die Erde und die Lotusblume (je das Folgende 
auf dem je Vorhergehenden ruhend) als unter seinem (Räma’s, schol.) Sitze 
(befindlich, denselben stützend) vor, — 87. und verehre (nunmehr zunächst), 
mit der südöstlichen (Ecke des Thronsessels) beginnend, den Ganeca, die 
Durgä, den Kshetrapäla, die Sarasvali, je unter Vorausschickung des 
vija (ihrer Namen), sodann an den Füfsen des Sessels in denselben Rich- 
tungen (von Südost ab) den dharma etc., und in den (geraden vier) Himmels- 
richtungen den adharma ete.” 

Die in diesen und den folgenden Versen (bis 90a) enthaltene Schil- 
derung von Räma’s Thronsessel kehrt nahezu identisch in den Angaben 
des Näradapancarätra (3, 2, 26 f.) über das yogapiiham wieder: in der 
Rämapijäcarani führt der analoge Abschnitt den speciellen Namen pitha- 
püjä (f. 44a). In ganz ähnlicher Weise pflegt ja auch schon im Feda der 
Thron (äsandi) des brahman, vrätya etc. verherrlicht zu werden, um diesen 
selbst dadurch zu ehren. — 85. bhütam prithivyädipancakam, ädicab- 
dend ”Imä pratimd püjädravyam kshitic ca grihyante. Die Reinigung der 
Elemente (dhutacuddhi, Rämapiüjä f.19a) geschieht durch Trocknen, Brennen, 
Begiefsen (coshanadähanäplavanaih), die eigne durch Goncentration (vai- 
yagryavirahät), die des Bildes durch Bestreichung und Abwaschung nach 
vorhergegangener Anbetung (pürvapüjänulepanakshälanena), die der zur Ver- 
ehrung dienenden Gegenstände durch Beseitigung von Haaren, Würmern 
u. dgl., die des Platzes durch Bestreichung, Färbung, Kränze etc. (upalepa- 
narangamälädindä). — caturshu api dväreshu vihitäm püjäm kritvä. — 
padmasvastikädyäsanasthah; s. amritanädopan. v.18.— prasannah 
cittanairmalyavän. — asya prakritasya Rämasya vishnor arcävidhau 
(avivd Cod.) püjävidhau: arcä ist hier indessen geradezu: Statue (s. sar- 
vadarcanasamgraha p. 54), wie ja auch der schol. (s. oben) ausdrücklich 
die pratimä erwähnt. — Man sollte pithädharordhvapärcvärcanam er- 
warten: die Trennung in °rdhvam pä° ist ungrammatisch. Die Weihung 
geschieht durch die Sprüche: pilhasyd 'dharabhagäya namah, pilhasyor- 
dhvabh. n., pilhasya pürvapärcväya n., p. dakshinapärcväya n., p. pacci- 
map. n., pilhasyoltarap. n. Ebenso pithamadhyagatakirmäya namah, wo- 
für ich °kürcäya restituire: das Polster hat die Form einer Lotusblume 
(padma): oder besser wohl, es ist hiemit die nach v. 86 aus der unter dem 
pitha befindlichen Erde hervorwachsende Lotusblume gemeint, auf der 


Die Räma -Täpaniya - Upanishad. 323 


Räma, wie sonst Brahman, vesp. Fishnu, thronend gedacht wird. — 86. 
pilhäd bahir evä 'sya vämabhäge mriduh komalä clakshnä snigdhä su- 
tüli cobhanä tülapali, tasydm dhyätäydm bhävite ratnamicritasinhäsane 
bhävitam decikam deäryam cd’rcayitvä. Nach diesen Worten des 
schol. wären somit auch Teppich und Lehrer nur geistig vorzustellen, 
nicht wirklich vorhanden, wie dies bei dem Folgenden natürlich überhaupt 
nicht anders angeht. — sväsanädhah sva(syä) 'bhinnatayd dhyäta- Rä- 
masyä ”sanam püjäpilham tasy& 'dhobhäge (') ädhäräkhyacaktyddi- 
pahcakam prakalpya \ aträyam prayogah: piüjäpilhasyd "dhobhäge 
ädhäracaktaye namah, tadupari kürmäya namah, tadupari ceshäya na- 
mah, tadupari prithivyai namah, tadupari kamaläya namah. Von Interesse 
ist hier die Annahme der als Fundament für Schildkröte ete. dienenden, die 
Welt „tragenden Kraft”, welche die übrigen Surrogate natürlich eigentlich 
ganz entbehrlich macht (?). — 87. agnidecädikän ägneyanairrityavd- 
yavyaicänadecakän vijädikän gam-dum-ksham-sam etadvijapürvakän \ 
aträ 'yam prayogah: pithasyd ”gneyyädm dieci gam ganapataye namah, 
nairrityäm dum durgäyai namah, väyavydm ksham kshetrapäläya n., 
aicänyim sam sarasvatyai namah. Von Interesse ist die kurze Form 
vighna [ür ganeca, während er sonst nur Namen wie vighneca, vighnardja, 
vighnahantar u. dgl. führt. Unter kshetrapäla ist hier wohl nicht Civa 
zu verstehen (s. das civanämasahasra bei Böhtlingk -Roth s. v.), sondern 
jene in den sekundären Zusätzen zum grihya -Ritual so vielfach angerufene 
Tutelar-Gottheit, vgl. z.B. Samskärakaust. Ya, 12a, 59a, 77a etc. — 
pithasyä nghrishv (pri? Cod.) iti ägneyädikonakramenaiva dharmä- 
dikän dharma-jnäna-vairägya-aicvaryäny (! sollte °gyai° sein) arcayet, 
tatra (natra God.) pürvädidi(k)catushlaye nanpürväns (naj, mil Virädma) 


(') sinhäsanapädeshu Rämapijä f. 43a. (2) In der Rämapiüjä (. 12a sind ddhära 
und gakti (d.i. prakriti) von einander getrennt: es heilst daselbst (unter Voranstellung der 


hier erst in v. 87 genannten Götter: ganegam durgüm kshetrapälam sarasvatim) ädhäram 
tarpayämi 1., prakritim tarp. 2., kürmam t. 3., gesham t. 4, prithivim t, 5. In dem Spruche 
(.17b) om ddhäragaktikamaläsandya namah dagegen erscheinen beide Wörter wohl wie 
bier als zu einander gehörig verbunden. Endlich auf f.29a und A3a steht ddhäragaktaye 
namah neben (resp. vor) prakritaye namah! Ebenso Närada-Parcar. 3, 2, 27 (ddhäragakti- 
prakritikamathakshamäkshirasindhün), vgl. auch ibid. 7, 12 (ddhäragaktyddi). Sollte etwa 
auch ddhäram oben blos Fehler für ?ragaktim sein? Die prakriti noch neben der Adhäragakti 


ist nun freilich ein vollendeter Pleonasmus. 
Ss? 


324 WEBER: 


tän adharmä-jnänd-'vairägyd-'naicevaryäny arcayet. Die dharmädi- 
käs des Textes, resp. die vom schol. dafür aufgeführte Tetras „Tugend, 
Einsicht, Entsagung, Oberherrschaft” sind mir aufser hier (und s. auch v. 83) 
nur noch in der Rämapüjd (!) und im Näradapanicarätra 3, 2, 27. 28. 7, 12 
vorgekommen. Besonders auffällig ist, dafs auch ihren Negationen anbetende 
Verehrung zugetheilt wird: es kann dieselbe natürlich nur zur Abwehr ihres 
bösen Einflusses gemeint sein, bleibt aber auch so eine immerhin merkwür- 
dige Erscheinung. 

88. madhye kramäd arka-vidhv-agni(?)-tejänsy  upary upary a-u- 
mair (?) arcitäni \ rajah saltvam tama etäni vrillta- trayam vijädyam kra- 
mäd bhävayec ca \ 

„In der Mitte (der Lotusblume) denke man sich der Reihe nach die 
Lichter von Sonne, Mond und Feuer, je über einander, mit a, u, m (den drei 
Theilen des om) versehen: so wie Wesenheit, Leidenschaft, Finsternifs, diese 
(drei guna), unter Vorausschickung je ihres vijjam, als drei Kreise.” 

kamalamadhye upary-upari kramäd arka°’jänsi a-u-mair 
(agnimair Cod.) akära-ukära-makäraih pranaväncabhütaih arcitäni sam- 
anvitäni, arcayed ity anukarshah \ rajah sattvam tamah etäni sat- 
(t\vädikramena vijädyam sam ram tam etatpürvakam yathä syät tathä 
vrittatrayatvena bhävayet, cakäräd arcayed api \ atrd 'yam prayo- 
gah, kamalamadhye am arkäya namas, tadupari um somäya namah, 
tadupari mam agnaye namah, sam sa(t)tväya ram rajase tam ta- 
mase namah. — Statt des Mondes (*) vidhu könnte man vayu erwarten; 


(') s. f£.12a (und f. 29b. 43b wo einige Differenzen), wo es in der p. 323 not. 2 abge- 
brochenen Stelle heilst: kshirasamudram° 6, gvetadvipam° 7, ratnädrim® 8, pushpakavirmä- 
nam? 9, kalpavriksham° 10, ratnojjvalitamandapam? 11, svarnavedikäm” 12, dharmam? 13, 
jnänam?° 14, vairägyam? 15, aigvaryam? 16, adharmam?° 17, ajnänam? 18, avairägyam? 19, 
anaicvaryam? 20. Zu 6-12 s. Näradapanicar. am oben a. O., und zu gvezadvipa speciell 
oben p. 277. 278. (2) agnividhvarka° M. (°) ? Pagniparyarci tejänsy uparyu 
reitäni A., tejämsy apary uttamair acitäni M. (*) Ebenso übrigens auch im Närada- 
paiicar.3, 2,28 (süryenduvahnin), sowie in der Rämapüjägarani, wo an den oben angeführten 
Stellen Sonne, Mond, Feuer und die drei guna die Stellen 31—36 einnehmen. Für die dor- 
tigen sekundären Zwischenstufen 21-30 findet sich hier nichts Analoges vor: dieselben lauten: 
21 mäyä, 22 vidyä (beide kehren unten als 41. 43 wieder), 23 ananta, 2/4 padma, 25 änan- 
dakanda, 26 samvinnäla, 27 prakritimayapaträni, 28 vikäramayakesaräni, 29 panicägadvar- 
navijüdhyakarnikä, 30 kamaläsanam: die letzten sieben (24—30) beziehen sich offenbar 
speciell auf die in der Mitte des Thrones als Sitzpolster befindliche Lotusblume. 


Die Räma -Täpaniya-Upanishad, 325 


dann läge hier eine Reminiscenz an die vedische Trias agni vayu sürya 
vor. — Die Lotusblume des schol. ist die nach v. 85. (86.) in der Mitte 
des pitlha (als dessen Sitzpolster) befindliche. — Zu den drei guna 
s. v. 70 schol. 

89. dcdvyäcäsv apy athä ”Imänam antar- dtmänam ca(‘) para- 
mätmänam antah \ Jnändtmänam cd’rcayet, tasya dikshu mäyävidye ye 
kaläpärata(t)tve U 

90. sampüjayed, vimalddie ca gaktir abhyarcayed, devam äväha- 
yec ca | 

89. „In den Himmelsgegenden und Zwischengegenden (d. i. nach 
allen Richtungen der Windrose hin) verehre man den Atman, Antarätman, 
Paramätman, Jnänätman im Innern (im Centrum der Lotusblume): zu den 
vier Seiten derselben möge man die mäyd und die (a)vidyd, die kald und das 
päratattvam — 90. verehren; auch die „Reine” und die übrigen (Götter-) 
Kräfte möge man verherrlichen, und (sodann) den Gott (Aäma selbst 
durch Beten) herbeiholen (?).” 

89. antah karnikäyim madhye äcäsu pürvädidikshu ätmädine 
caturah püjayet, vyäcäsv api vidikshv api Län eva püjayet \ tatra cd "va- 
ranapijädivad (?tacavara? God.) dikshv ätmädin, vidikshu ca nivrittyäadikah 
püjayet, vacana(m) prämänyam. Im Centrum der Lotusblume also ruht die 
seelische Kraft, in vier Phasen getheilt, die wir schon oben (p. 303. 307) 
im schol. zu v.53.57 kennen gelernt haben (°), ebenso wie ihre entsprechen- 
den weiblichen Correlate nivritti, pratishihä, vidyä, cänti (*), auf welche 
der schol. hier wohl mit Unrecht Bezug nimmt, da der Text selbst hier ja 
sofort andere dgl. Correlate aufzählt (°). — Die Caesur des ersten päda 
fällt innerhalb des Compositums untarätman, indefs denn doch an das Ende 
des ersten Gliedes desselben. Vgl. v.14. 22. 25. 46. 52 (zweimal). 56. 57. 


(') so E., ca fehlt AC. 

(2) d.i. die Gebetsformeln recitiren, die bewirken, dals er herbeikömmt. 

(?) Die Rämapüjägarani schickt denselben gelegentlich (35a) noch die dtman der fünf 
Elemente voraus (prithivyätman, ab°, teja°, väyv?, äkägätman), sie zusammen als neun Zattva 
bezeichnend. (*) vgl. Aufrecht Catal. 105a. not. 4. 

(5) Auch die Rämapüjägarani an der oben angeführten Stelle (f. 12b) lälst nivritti etc. 
bei Seite und führt nur die vier äman-Stufen als 37-40 (den jnänätman resp. in doppelter 
Weise, nämlich auch als jnänatattvarn) und die vier zattva des Textes als 41-44, resp. in 
folgender Reihe: mäyärattvam, kalätattvam, vidyätattvam, parataltvam, auf. 


326 WEBER: 


69. 71-73. 79. 58: hierunter sind zwar mehrere Fälle leichter Compo- 
sition, dvandva, bahuvrihi u. dgl., aber auch andre, wo beide Glieder 
des Compos. in der That innig mit einander verwachsen sind, ihre Tren- 
nung somit das Wort faktisch ebenso zerreifst, wie dies hier der Fall ist. — 
tasya kamalasya pürvädishu dikshu mäydtattvam vidyätallvam 
kulätattvam päralattvam ca püjayed ity uttarenä (v. 90) 'nvayah, 
päram eva päram, päram ca lat tattvam celi päratattvam uUy alra svär- 
the 'npratyayah. Offenbar sind dies vier zu den vorher genannten vier 
Phasen des diman gehörige weibliche Hälften, wobei freilich die letzte mit 
einem neutralen Namen genannt ist(!). mäyävidye ist wohl in mäyd-avidye 
zu theilen, nicht in mäyd-vidye wie der schol. will (vgl. Nris. pürvatäp. 3, 
1,9. 4, 3, 12. utt.9, 2.4): kald (ob etwa = Atom?) und päratattva sind mir 
sonst noch nicht in ähnlicher Beziehung vorgekommen. Das Näradapan- 
carätra 3, 2,29 differirt hier: dtmäditrayam ätmabijasahitam vyomägni- 
mäydlavair jnänätmänam ...— Zu dem artikelartigen Gebrauche des Re- 
lativums ‚ye vgl. v. 39. — 90. sampüjayet gehört noch zu v. 89. — Die hier 
gemeinten cakti sind dem schol. zufolge neun, und resp. in den acht 
Himmelsgegenden und im Centrum zu verehren, nämlich: vimalä, utkar- 
shini, jnänam (?), kriyd, yogä, prahvi, satyä, icä (?), anugrahäkhyä (*). 
Ich finde diese Namen sonst nur noch im Näradapancar. 3, 2, 30 wieder (°), 
so wie im Cabdakalpadruma wenigstens auch eine Neunzahl von cakti 
erwähnt (°), die etwa entsprechen könnte: vaishnavim caiva brähmänim 
raudrim mähecvarim tathä \ närasinhim ca värähim indränim kärttikim ta- 
thä \ sarvacaktisvarııpdm ca pradhänäm sarvamangaläm U Der Text hier 
giebt übrigens zur Ansetzung einer Neunzahl keine Veranlassung (”): der 
zu dikshu gehörigen Vierzahl entsprechend sollte man vielmehr auch hier- 
bei nur eine Vierzahl erwarten. 

anga-vyühä-nilajädyaig ca püjya Dhrishtyädikair lokapälais 


tadastraih ü 


(') ebenso wie der jnändtman in der Rämapiijä (fol. 13b) auch als jndnam erscheint. 

(2) jnänd, in der Rämapujägarani, wo diese neun Namen am a. O. die Stellen 45-53 ein- 
nehmen. (3) igän? ibid. (resp. igänä fl. 44a). (*) anugrahä ibid. 

(°) mit den Varianten utkarshani, jndnd, prabhvi, igänd, anugrä. 

(6) aus drahmavaivarta prakritikhanda adhy. 61. 

(’) ebenso indels auch das Pancarätram: athäshtadikshu parito madhye ca gaktir nava. 


Die Räma-Täpaniya-Upanishad. 327 


9. Yasishthädyair(!) munibhir Nilamukhyair(?) därädhayed Rä- 
ghavam candanädyaih \ mukhyopahärair vividhaic ca püjya(?) tasmai 
japädine ca samyak samarpya \ 

„Nachdem man ihn darauf vermittelst der „Glieder”, der „Zurü- 
stung”, und der von Hanumant geführten (Freunde) geehrt hat, möge man 
mit den von Dhrishti geführten (Rathgebern), den Welthütern, deren 
Waffen, — 91. mit den von Yasishtha geführten Weisen, mit Mila und 
dessen Genossen den Räghava (umgeben, resp. ihn dadurch) erfreuen, mit 
Sandel u. dgl. und mit mannichfachen, trefflichen Geschenken ihn ehrend, 
und ihm Murmelgebete und dgl. in richtiger Weise darbringend.” 

90. ävaranapüjäm(*) äha anga’. Vgl. v.52—57, wo dieselbe 
Achtzahl der @varana vorliegt, wie hier. angäni hridayädini, vyüha- 
cabdendä "tmädayah sacaktikäh väsudevädayac ca. Die vom schol. somit 
hier ebenso wie zu v.53 angenommene Einschiebung der ätmädayas ist 
völlig ungeeignet (°), da ihnen ja so eben erst (in v. 89) ein ganz anderer 
Platz angewiesen worden ist. Es sind mit vyüha offenbar hier wie in v.53, 
nur Fäsudeva ete., resp. die an sie gerichteten Sprüche gemeint: vgl. Sar- 
vadarcanasamgraha p.55: vyühac caturvidhah, väsudeva-samkarshana- 
pradyumnä-"niruddhasamjnakah(°). — püjya pljayitva. — 9. Vasi’ni- 
bhih präguktair dvädagabhih, Ni’khyaih shodacair (!) vänaraih pari- 
vritam \ can°dyaih ädicabdena pushpadhüpädayah, mu°rair iti ereshiha 
(eraishta Cod.)-pavitrair naivedyaih (°yaih Cod.). — Aus der Zahl zwölf, 
welche der schol. hier den Vasishthädya zutheilt, ergiebt sich, dafs er 
dieselben Namen im Auge hat, die ich zu v. 57 (p. 306) aus der Römapü- 
Jägarani angeführt habe. — Statt shodacair vänaraih sollte es shodacabhir 
vänarädibhih heifsen: denn es sind ja nur acht Affen unter den im schol. 
zu v.9/ (p. 306) genannten Namen der Nilädi, die andern acht Namen be- 
zeichnen Schmuckgegenstände. 

92. evambhütam jagadädhärabhütam Rämam vande saccidänanda- 
ripam \ gadäbjacankhäridharam (?) bhavärim sa yo dhyäyen moksham 
äpnoti sarvah U 


(') wagi® E. °(2) °khair A. (?) so C., pljyas AE. (°) s. Rämapijägarani f. 46 b ff. 
(?) wird indels von der Rämapdjä (f.47 a) ebenfalls angenommen, und zwar erscheint dabei 
priti statt nivritti. (6) Auch die Rämapiljäg. wiederholt hier dieselben Sprüche, die der 
schol. zu v.53 (p. 303) anführt (jedoch gänti statt sarasvatr). (7) gadärigankhäbja® E. 


328 WEBER: 


„Den so gearteten, das Fundament der Welt bildenden Aäma preise 
ich, den Wesenheit- Geist- Wonne-gestaltigen. Jeglicher, der an ihn den 
Keule, Lotus, Muschel, Diskus (die vier Embleme Vishnuw’s) führenden 
Feind des weltlichen Lebens (anbetend) denkt, erlangt Erlösung.” 

aricabdah cakraväcakah: in dieser auch von Hemacandra und Tri- 
kändacesha gekannten Bedeutung hängt das Wort mit ara Speiche zusam- 
men, und lautet eigentlich wohl: arin (s. Pet. Wört. s. v.). — bhavasya 
samsärasyäd ’rim nivarlakam. — Die unbeschränkte Zulassung zur Atdma- 
Sekte liegt hier klar vor. — Man sollte yo dhyäyet sa erwarten, s. v. 94. 

93. vievauyapi Räghavo yas tadänim antar dadhe gankhacakre 
gadäbje \ dhritvä Ramäsahitah samvritac (') ca sapattanah (*) sänujah 
sarvaloki \ 

94. tadbhaktä ye labdhakämäne ca bhuktvä(?) tathä padam para- 
mam yänti te ca \ imä ricah sarvakämärthadäc ca ‚ye te palhanty amalä 
yänti moksham, ye te pathanty amalä yänti moksham iti U 

93. „Der Alles erfüllende Räma, der damals (bei seinem Aufsteigen 
zum Himmel) verschwand, Muschel und Diskus, Keule und Lotus tragend, 
vereint mit Ramd, umgeben (von den Seinigen), sammt seiner Stadt, sammt 
seinen jüngeren Brüdern, der (von) aller Welt (geliebte), — 94. die, welche 
an ihn glauben, erreichen ebenso (wie er) das höchste Ziel, nachdem sie die 
erreichten Wünsche genossen haben. Und auch die, welche diese alle 
Wünsche erfüllenden rie recitiren, gelangen fleckenlos zur Erlösung.” 

93. uktadhyänaphalam sadrishtäntam äha: vicva° \ sa yathd sam- 
vritah parivärasahitah, sayatatah(!) nagaraniväsisarvalokasahitah \ 
tadänim svargärohanasamaye. — 94. labdhakdmän crirdmopäsana- 
präptakdmän. — Die Himmelfahrt Räma’s fand, ähnlich der der Pändu- 
iden, ohne vorhergegangenen Tod statt (*). Das Gleiche wird den an ihn 
Gläubigen versprochen. — Die Bezeichnung ricas, welche der Text sich 
selbst giebt, weist auf die Ansprüche hin, die er darauf erhebt, als vedisch 
zu gelten! — Die Umstellung von pa/hanti und te, resp. die Einfügung des 
demonstrativen ze in den Relativsatz, dem es gegenübersteht, ist durch das 
Metrum veranlafst, dennoch aber höchst auffällig (s. v. 92). 


1) sävri® E. 2) ? sapannatah E., sayatanah A., sayatatah C., sapatnatah M. 
p „say Bora}, „sap 
(3) labdhakdmä bhütvä E. (*) vgl. Muir Sanscrit texts 4, 408. 


Die Räma-Täpaniya-Upanishad. 329 


Der schol. schliefst mit folgenden Versen: 
nirgunakäptikärd ”dau sagumopästir iritä \ 
tasyäc ca mantrasädhyatväd vihitas tajjapah purd \ 
manträrthas tu dvitiydydm, tritiyopanishady api \ 
(yantram) turyäydm kathitam, pahcamyäm vratapüjanam \ 
taduyakhydnän mayd Rämah püjitah priyatäm sadä \ 


2. Das uttaratäpaniyam('). 
$1P). 

1. Brihaspatir uväca Yäjnavalkyam (°) \ı 2. yad anu Kurukshetram 
deväanäm devayajanam sarveshäm bhütändm brahmasadanam \ 3. avimuk- 
tam vai Kurukshetram devä’sadanam \ 4. tasmäd yatra kva cana gachati, 
tad eva (*) manyeteti(?): „’dam vai Kurukshetram (°) devä’sadanam” \ 
5. atra hi jantoh präneshü 'ikramamäneshu rudras tärakam brahma vyä- 
cashie, yend 'säv amritibhütvä mokshibhavati \ 6. tasmäd avimuktam eva 
nishevetä, 'vimuktam na vimunced (?) \ 7. evam evaitad Yäjnavalkyeti (°) U 

1. „Brihaspati sprach zu Yäjnavalkya: — 2. „was ist wohl das 
Kurukshetram, der Opferplatz der Götter und aller Wesen Brahman- 
Sitz?” — 3. (Yäjn. antwortete): „Avimuktam ist das Kurukshetram, der 
O. der G. und a. W. B. — 4. deshalb, wo immer man hingeht, davon 
denke man so: „dies ist das Kurukshetram, der O. der G. und a. W. B.” — 
5. denn wenn hier Einem die Lebenshauche entweichen (*), dem spricht 
Rudra das rettende Gebet (ins Ohr), wodurch er unsterblich wird, befreit 


(!) gr? Rämapürvatäpani(ye) mandädhikärinäm sagunopäsanam nirgunopayikam 

. nirüpitam, idänim uttamädhikärinäm karmasu tatphale ca viraktinäm samnyäsinäm pa- 
ramahansänäm grirämottaratäpaniyopanishadä tad eva nirgunopäsanam saguna- 
phalabhütam nirüpitam. 

(2) Der Comm. hat eine doppelte Erklärung und führt daher auch den Text doppelt auf: 
das erste Mal bezeichne ich mit A, das zweite mit B, den Comm. selbst mit C. So ist auch 
im Folgenden, wo irgend der Text zweimal aufgeführt wird, das zweite Mal mit B bezeichnet. 

(?) M. hat nur om Yäjnavalka. (+) B. E., esha A. (5) so B, manyeti E., 
manyenetiti A., manyeta M. Der Comm. führt zu A. wie zu B. izi neben manyeta auf, es 
durch anena prakärena (zu A.), resp. amunä prakärena (zu B.) erklärend. 

(°) vimuktam vai A., tad avimuktam eve, ’dam Kuru° M. (7) ktam cety A. 

(3) so B, °I/kyam E., Ikah M., evam evaisha bhagavann iti Yüjnavalkyah A. 

(?) vgl. Bhagavags. 8, 13. Cändilyasütra 81. Närada Paricarätra 2, 7, 5. 


Philos.- histor. Kl. 1864. ade 


330 WEBER: 


wird. — 6. Drum Avimuktam verehre man, und Avimuktam lasse man 
nicht.” — 7. „Also ist dies, o Yäjnavalkya.” —” 

Wir kennen diesen Abschnitt schon als den Anfang der Jäbälopani- 
shad ('), s. Ind. Stud. 2, 73. 74, und ist er hier unstreitig ebenso als von 
dort entlehnt aufzufassen, wie das Gleiche in Bezug auf 4, 1—13 gegenüber 
dem dortigen $ 2 anzunehmen ist. Der Comm. giebt sich zwar alle Mühe 
das Wort rudrah, welches den Abschnitt als einer civaitischen Sekte an- 
gehörig kennzeichnet, in Adma umzudeuten, und für die hiesige Stelle 
mag dies auch nöthig, resp. im Sinne dessen sein, der die Rdmoitaratäp. 
zusammengeflickt hat, da der ganze Abschnitt sonst in eine tdmatäp. nicht 
passen würde; dafs dies aber auch die ursprüngliche Absicht und Bedeutung 
desselben gewesen wäre, davon kann natürlich nicht die Rede sein. Wir haben 
auch bereits am a. O.gesehen, dafs der ganze Abschnitt doppelsinnig zu fassen 
ist, einmal nämlich als Verherrlichung derjenigen Körperstelle, welche als 
der unlösbare Träger der Sinne (deva) und als allen Wesen gemeinsamer 
Sitz des drahman, d.i. der mit der Allseele identischen Einzelseele gilt — 
es ist dies der untere Theil der Stirn zwischen den beiden Augenbrauen, an 
der Nasenwurzel (s. unten 4, 10. Jäb. $ 2, Ind. St. 2, 5. 14. 17) —, und sodann 
als Verherrlichung der Stadt Benares, als des wahrhaftigen Kurukshetram, 
heiligen Opferplatzes der Götter, und Sitzes der wahren drahman-Kunde (?). 
Diese Beziehung auf Benares ergiebt sich mit Sicherheit unten aus 4, 1—13 
— Jäbälop. $2, wo ja auf dessen Namen Färänasi direkt angespielt 
wird. Ich habe auch bereits (Ind. St. 2, 74) die Vermuthung ausgesprochen 
ob nicht etwa diese so ganz besondere Heiligkeit von Benares u. A. auch 
darauf zurückzuführen sei, dafs daselbst der Buddhismus etwa zuerst dem 
Civa-Dienste(°) habe endgültig weichen müssen, wie dies zu Hiuen Thsang’s 
Zeit (Stan. Julien 2, 353. 354) in der That faktisch der Fall war. — Dem 
sonstigen Charakter der Jäbälopanishad, welche das letzte der vier indi- 
schen Lebensstadien, die völlige Entsagung und Freiheit von allen Banden 


(') Die geringen Differenzen, die der dortige Text am Schlusse zeigt, sind auch hier in 
den Lesarten von A sich wiederfindend. 

(2) Vgl. Anquetil’s Note zur Jäöälop. 2, 241: „ope corporis omnia animantia ad ens supre- 
mum perveniunt, quemadmodum in urbe Benares homo salutem et beatitudinem obtinet.” 

(°) Auch diejenige Yp., welche aulser der Jäöälop. noch des Namens avimukta in gleichen 
Ehren gedenkt, die Aaivalyop., gehört einer @iva-Sekte an. 


Die Räma-Täpantya -Upanishad. 331 


zu verherrlichen sich bemüht, ist übrigens jene zweite Auffassung, welche 
die Erlösung an eine bestimmte Örtlichkeit bindet, eigentlich geradezu 
widerstrebend, und auch die Worte in Absatz 4 yatra kvacana gachati 
scheinen doch gerade umgekehrt eben ausdrücken zu sollen, dafs nicht blos 
in Benares, sondern überall das wahre avimuktam, resp. Kurukshetram 
sei (vorausgesetzt eben, dafs man es richtig zu erkennen wisse). In Ab- 
satz 5 und 6 indessen (ebenso wie in Jäbälop. $ 2) ist die doppelsinnige Be- 
deutung offenbar beabsichtigt. Die esoterische Bedeutung war übrigens 
wohl nur für die Eingeweihten bestimmt, mit der exoterischen dagegen 
schmeichelte der Vf. (der Jäbälop.) den Vorurtheilen der Menge, resp. 
seiner speciellen Landsleute, denn er wird vermuthlich wohl eben selbst in 
Benares oder doch in dessen Nähe gelebt haben. 

1. „Brihaspati sprach zu Yäjnavalkya.” Während in den wirk- 
lich historischen Charakter tragenden Legenden von Yäjnavalkya, welche 
das Brihad Ar. enthält, seine priesterlichen Gegner mit Namen genannt 
werden, die sie wirklich getragen haben können, erscheint hier eine my- 
thische Persönlichkeit, welche, ursprünglich im Yeda eine Gottheit selbst, 
allmälig zu einem Prototyp menschlicher Weisheit verflachte, als sein Ex- 
aminator. Und so steht denn auch der schol. nicht an, den Brihaspati rein 
als menschlichen Rivalen des Yäjn. zu bezeichnen: kadäein Mithilopavane 
Janako Videha äsäm cakre tatra ca Yogecvarakh) cishyasamghair 
muniganaic ca parivrita äsit, tatrd 'nekair munivarair tadbrahmavettritvam 
asahamädnaih prichyate. Die hiebei vom schol. geltend gemachte Verbin- 
dung, in welcher Yäjn. zu Janaka, dem Schwiegervater des Räma, steht, 
ist esnun in der That wohl, die ihn als besonders geeigneten Herold der 
Hoheit des Letzteren erscheinen liefs und daher die Aufnahme dieses Ab- 
schnittes in die Jlämatäp. veranlafste, obschon derselbe dazu offenbar in 
keiner Weise bestimmt war. Dazu kam, dafs die yoga-Lehre, welche als 
die geistliche Mutter der indischen Sekten, der civaitischen sowohl wie der 
vishmuitischen, dasteht, in Yäjn. (Yogecvara) bekamntlich einen ihrer 
Hauptvertreter hat, und auch dieser Umstand machte es dem Räma-Sektirer 
wünschenswerth, den Yäjn. unter die Zeugen für Räma’s Gottherrlichkeit 
einzureihen. — 2. Auffällig ist die Verwendung des Relativs als Fragestamm, 
denn yad anu steht hier offenbar für kim anu, resp. für kva. — 5. Ist schon 
die Composition amritibhütvd sprachlich für die Abfassungszeit (der Jäbälop. 

To2 


332 WEBER: 


natürlich) von Interesse (vgl. übrigens brähmanibhüya Cat. 13, 4, 1, 3), so ist 
ferner die adject. Verwendung von moksha in mokshibhavati geradezu auffällig. 

Aus den beiden Erklärungen des schol. möge Folgendes hier eine 
Stelle finden. Zunächst aus der ersten, der adhyätmam-Erklärung: 3. avi- 
muktam, avidyäkämakarmädibhir muktam apy avidyädacdyam avi- 
muktam vai prasiddham brahma purushacabdaväcyam, tac ca dvividham, 
pürnam tatpadam upädhy-upalakshitam Rämam (neutr.!), puri cayinam 
tvampadam upädhidharmän ätmani manyamänam. — 4. iti anena prakä- 
rena, prakäram äha: idam vai®. — 5. rudrah, rut duhkham avidyä, tat 
käryabhütam drävayati nägayatiti, tathä igvaras tatpadärtho Räma evä- 
cäryo bhütvä \tärakam tärätmakatvät, tathä sarvasmät samsärabhavdt 
samtärayatiti vä \ tathä brahma, tärakaviceshanavicishtam, brahma- 
vidyä, brahmätmaikyabodhakam mahäväkyam, criRämamantram iti yd- 
vat\ı amriti amrito bhütvä brahmä ’smity abhimänavän san mokshi- 
bhavati svena svayamjyotihsvaripam Rämätmand ’vatishihate, Räma- 
mantra-Rämayor väcyaväcakatvend 'bhedät. — 6. avim.na vim. yasmin 
kasmin dece ätmänusamdhänam na parityajet. — Aus der zweiten Erklä- 
rung hebe ich Folgendes aus: 3. avimuktam kadäcid api vicvegvarena 
na vimuktam Käcy-abhidheyam. — 5. rudrah duhkhahäritväd rodanäd 
(rohada° Cod.) vä tärakam brahma cri Rämamanträtmakam vyä- 
cashie dakshine karne kathayati \ tad äha vicvecah ceri-Rämam prati (!): 
„mumürshor Manikarnikyim ardhodakaniväsinah (?) \ı aham dicdmi te 
mantram tärakam-brahma-samjnitam (?) \ alas tvam Jänakinätha 
param brahmä ’si niccitam” (*) iti. Diese letzteren beiden Hemistiche sind 
somit nicht sowohl das zärakam brahma selbst, wie ich Ind. Stud. 2, 74 not. 
irrig angenommen habe, als vielmehr nur eine Ankündigung, dafs dessen 
Wortlaut nunmehr folgen solle. Wenn übrigens unter zärakam brahma 
ursprünglich, resp. in der Jäbälop., offenbar nur das Wort om zu ver- 
stehen ist, so reicht dies doch für unsern Text hier nicht mehr aus, und 
belehrt uns der nunmehr folgende zweite $ über die hiesige Bedeutung des 


(') Vgl. unten 4, 19. 25. Die Stelle ist, dem Frataräja (f.118b) zu Folge: skände 
mokshakhande grirämam prati rudragitäyäm rudraväkyam. 

(?2) ? advodaka° Cod., Manikarnyäm te ardhodaka°, Frataräja. 

(3) tärakasyopadegatah, Frat., wo dem nächsten Hemistich noch folgendes vorausgeht: 
gri-Räma Räma Rämeti etat tärakam ucyate | (*) brahmäbhidhiyate, Frat. 


Die Räma -Täpaniya - Upanishad. 333 


Wortes: prathamakhandikänirdishlasya tärakam(!)-brahmanah sva- 
rüpakathanärthe’yam dvitiyä khandikd "rabhyate. 


S2. 


1. atha hainam (!) Bharadväjah papracha: Yäjnavalkya (?), kim 
tärakam kim taratiti \ 2. sa hoväca Yäjnavalkyas \ 3. tärakam, dirghä- 
nalam vindupürvakam, dirghänalam (*) punar, mäya namac (*), candräya 
namo (°), bhadräya nama (°) \ 4. ity om, tad brahmätmakäh (?) sac-cid- 
änandäkhyä ity upäsitauyam \ 5. akärah prathamäksharo bhavaty, ukäro 
dvitiyäksharo bh., makäras (°) tritiyäksharo bh., ardhamätrac caturthä- 
ksharo bh., vinduh panhcamäksharo bh., nädah shashthäksharo bh. \ 
6. tärakatvät tärako bh. \ 7. tad eva tärakam brahma tvam viddhi, tad 
evopäsyam ili jneyam (?) \ 8. garbhajanmajarämaranasamsäramahadbha- 
yät samtärayatiti (!’) tasmäd ucyate tärakam iti \ 9. ya etat tärakam bräh- 
mano (!') nityam adhite sa sarvapäpmänam ('?) tarati, sa mrityum tarati('°), 
sa brahmahatyam tarali, sa bhrünahalyäm t.(!‘), sa virahalydm t., sa 
sarvahatydm t., sa samsäram ('?) t., sa sarvam t., so 'vimuktam äcrito 
bhavati (‘°), sa mahän bhavali, so 'mritatvam ca gachatiti \ 

1. „Da frug ihn Bharadväja: „Yäjnavalkya? was ist das Rettende? 
und worüber (hinaus) rettet es?” — 2. Yäjnavalkya sprach: — 3. om, Ram, 
Rä-, mäya namag, candräya namo, bhadräya namah. — 4.Dies (Gebet) ist 
als om, als diebrahman-seelischen, Wesenheit-Geistigkeit-Wonne-benannten 
(Stufen?) zu verehren. — 5. Das a ist die erste Silbe (des om), das u die 
zweite, das m die dritte, die halbe More die vierte, der (anusvära-)Tropfen 
die fünfte, der Klang die sechste Silbe. — 6. Weil er rettet, heifst er (der 
Laut om) rettend. — 7. Dies allein erkenne als das rettende brahman, dies 
allein ist zu verehren. Also wisse man. — 8. Es rettet aus der grofsen 


Furcht (Gefahr) des Kreislaufes von Zeugung, Geburt, Tod, — darum heifst 


(') so E., athainam A., atha hai M. (2) so E., fehlt A., °/kyam M. 

(?) so E., fehlt A., dirghäm M. (*) namah E. (?) namah E. (6) namah AA. 

(”) so ECM., zmikä A. (®) makäras bis paicamüksharo bh. aus E., fehlt A.: ardhamä- 
trag bis panica® fehlt C. (?) so EC., ropam A. (!°) °yati E. ('') ?so BC., #rahmano AE. 

('?) sa sarva fehlt E., sarva fehlt C. (?) sa m. t. fehlt A. (‘*) in E. sind 
bhrünah” und brahmah? umgestellt. (?) sa samsäram bis ägrito bh. fehlt E. 

(') so A., und in (. als pätka angeführt, während die eigentliche Lesart von €. „ägritya 


tishthati” ist. 


334 Weser: 


es rettend. — 9. Welcher drahman-Kundige beständig dies rettende (Gebet) 
studirt, der rettet sich über alles Übel, über den Tod, über brahman- 
Mord, über Embryo-Mord, über Männermord, über allerlei Mord, über 
den Weltkreislauf, über Alles hinweg. Er geht ein in das Ewige, er wird 
grofs, er geht auch ein zur Unsterblichkeit.” —” 

Wir finden diesen Abschnitt bei Anquetil Oupnekhat 2, 378-9 als be- 
sondere Upanishad (tärakop.) wieder, und unterliegt es wohl kaum einem 
Zweifel, dals derselbe hier nur eine sekundäre Verwendung gefunden hat('), 
unter gleichzeitiger Veränderung des dritten Absatzes, der sich ursprünglich 
nur auf das om und dessen Bestandtheile allein bezog, hier dagegen eine 
ganze Räma-Credo-Formel: „om räm Rämäya namac candräya namo 
bhadräya namah” enthält. Die letzten Theile derselben: „dem Candra Ver- 
neigung! dem Bhadra Verneigung” haben hiebei nur dann einen Sinn, wenn 
man sie als Hypokoristika für Aämacandra und Rämabhadra (*) auffalst: 
sie sind eben aus dem ursprünglichen Texte stehen geblieben, wo sie ihre 
klare und einfache Bedeutung hatten, indem nämlich candra, Mond, auf 
die graphische Gestalt des nasalischen Schlufslautes des om, und näda — 
denn nädäya mufs derselbe allerdings wohl gelesen haben, nicht dhadräya 
— auf den Klang desselben sich bezog, wie sich dies aus Anquetil’s Dar- 
stellung zur Genüge ergiebt (°). Wie übrigens der Anfang dieses Absatzes 
ursprünglich gelautet haben mag, ist aus Anquetil nicht recht ersichtlich: 
„Djaknoulak dixit: littera, quod, cum alef unum facta, aou fiat, et lumen 
est; et vocabulum primum aou est; id est primum [r& alef (a)], deinde r% 
mim (m) quiescenti, humilis submissio”. Die letzteren Worte entsprechen 
offenbar dem mäya, resp. makäräya, namah: was aber vorherging, ver- 
mag ich nicht zu enträthseln. — Auch im vierten Absatz scheinen einige 
Veränderungen vorgenommen zu sein: Anquetil’s Übersetzung: „hoc omne 
nomen Oum integrum fiat: et ipsum hoc, Brahm est: et ipsum hoc, dtma 
est: apSum hoc existentia et scientia et gaudium est: et dima est, quod 


(') Das DR Verhältnils, dals dieser Abschnitt ii erst sekundär zu einer aparten 
Upanishad geworden sei, ist schwerlich anzunehmen. 

(2) vgl. unten 3, 10. So auch der schol.: savjena Rämapadena candrdya nama iti 
yojaniyam, tathä bhadräya nama ii | evam mantratrayam bhavali, 

(3) et lunae humilis submissio [candräya namah] id est annulo rotundo quod figuram 
700 djesm habet et (forma) nasalis min est; illi humilis submissio: et modulatio, quod in r« 
nad est [nädäya namah] ; illi humilis submissio. Vgl. den Namen ardhacandra = anusvära. 


Die Räma-Täpaniya- Upanishad. 335 


forma gaudii est. Ipsum hoc oportet dicere et scire” scheint auf einem 
Textlaut: iy om, tad brahmd ”tmä saccidänandätmety upäsyam zu be- 
ruhen. — Der Rest dagegen stimmt mit Anquetil völlig überein. Ein 
grofser Theil des neunten Absatzes findet sich ebenso in der Nris. Pür- 
valäp.5, 4 wieder. 

1. Von der Verbindung des Yäjnavalkya mit Bharadväja hier wie 
in 5, 1 (und mit Atri in 4, 1) gilt in gewissem Grade dasselbe, was wir zu 
1, 1 über seine in-Bezug-Setzung zu Brihaspati bemerkt haben. Sie ist 
ebenso willkürlich wie diese, findet aber wenigstens an der ganz analogen 
Verwendung des Ficvämitra, Vasish/ha etc. im Aämäyana ein passendes 
Seitenstück. — 3. tärakam itli pürvoktam anüdya kathayati \täram.iti 
pälhe omkärapürvakatvam uktam bhavali, omkärasya täranämatvät \ tad 
uktam prapancasäre crimadäcäryaih: omkäro gunavijam pranavas läro 
dhruvac ca vedädih \ ädi(r) umadhyo maparo (°puro od.) nämäny asya 
rimätrikae ca. Offenbar bedeutet auch Zärakam hier weiter nichts als 
tära, nämlich das om. — Zu dirghänalam s. oben p. 319. — Zu vindu- 
pürvakam, nämlich aksharam, das mit einem anusvära versehen ist(!), 
hat der schol., der es durch: „vindu(h) pürvo janmabhür (? ob bhümir?), 
vindoh sakäcät pürvam janma yasyeli vä” erklärt, eine ab ovo anfangende 
mystische Untersuchung über die Entstehung des Lautes, deren Anfang 
wenigstens hier folgen mag: gabdasrishiy-arthasrishtyädau „tama evä 


” 


’gra äsid” ity anayd erulyä sachabdaväcyam avidyäcavalam brahmai- 
’voktam, ta(d) dirghakshane (?) kshubhitagund vancakalakaranavat (?, t 
mit viräma) katard vä'vidyä kald 'vyaktam cely ucyateltatah gabdä-rtha- 
garbhavaly avidyäd vindu(r) mahaltattvam (tatva Cod.) cety abhidhiyate ı 
mahato’hamkärah, tatah pahca tanmäträni, täbhyo(!) bhütäni, tebhyo khi- 
lam jagad ity arthasrishlikramah\vindor nädah, sa ca pard-pacyanti- 
madhyamä-vaikhary-äkhyim avasihäm anubhüya svaravarnapada- 
väkyätmako bhavatiti cabdasrishlikramah\ parasya cabdätmabrahmanac 
catasro 'vasthäh samämananli taltvavidah (? samtatva’ Cod.) | ädyä 
läval pareti giyate, yü khalv ädyä caktir iti cäktaih, eittir iti caivaih, 
kundiniti yogibhih, prakritir itisämkhyaih, brahmeti Päräcaribhih(?), 


(') s. Pet. Wört. unter pürva. (?) °garibhih Cod.: damit sind wohl die Yedäntisten, 
als Anhänger des Yydsa Pärägarya, gemeint? 


336 WEBER: 


buddhir iti(!) Bauddhaih, svacaktyunmishita-gotvädyupädhirahitä ma- 
häsatteti jätivädibhih, tathä vidyopädhirahitam kevaladravyam iti dr av- 
yavädibhih ekäpy anekair nämabhir vyavahriyate \u.s.w. Die Erklä- 
rung der vier avasthä schliefst mit den Worten: tad uktam: vaikhari(?) 
cabdanishpattir, madhyamä crutigocarä \ udyatärthä (ughä° God.) ca 
pacyanti, sükshmä väg anupäyini\ atah cabdasrishtau vindupürva- 
katväd (kri Cod.) ghatakanikänadarcanena (?) vinduciraskam tärakädyam 
vijam uddharet, makärag caitanyädyavadyotako 'mritarüpac candras lad- 
äkäravän (n mit virdma) vindus, tadyojanay& prakäcänandacidätmakam 
vijam uddhritam bhavatity abhipräyah, mah civac candramä vedheti 
kocakärah\ vindupürvakam iti vindugrahanam kalänädayor upala- 
kshanam tatac ca mantravijamastake näda-vindu-kaläh pradarcayet \ ato 
’rthasrishlir väcya (°shti väcya Cod.) cabdasrishlis tu väcakä \ tad 
uktam: na so 'sti pratyayo loke yah cabdänugamäd rite \ anuviddham 
iva jnänam sarva(m) cabdena bhäsate 4. — dirghänalam punah, 
anuktatväd vindurahitam. — In Bezug auf die Alles in sich schlielsende 
Kraft der sechs Silben „räm rämäya namah” beruft sich der schol. auf 
sein crirämapürvatäpaniyagrutivyäkhyänam (zu 1, 11 nämlich) und eitirt 
einen Spruch aus der Agastisamhitä (?): sarveshäm Rämamantränäm 
(oder ob Räma als Vocativ zu fassen?) mantraräjah shadaksharah. — 
4. iti uktaprakäram shadaksharam tärakam om omkärätmakam bhavati | 
tat (tatas Cod.) tasmät shad api mantravarnäh brahmätmakäh brahma- 
väcakatväd brahmasvaripäh, sac’khyäh saccidänandaRämävabodha- 
katväd gaunyä vrittyä tadäkhyäh, pancavarnändm saccidänandavijädya- 
twäd va \ iti tärävaya(va)tärakabrahmäksharändm aikyasampädanena 
shadaksharam tärakam evopäsitavyam. — 5. akärah pranavävayavah 
prathamam aksharam Rämamantrasya bhavali, lingaviparyayac chän- 


(') sie! dies ist wohl nur eine etymologische Spielerei. Der Vf. hat von den Buddhisten 
wohl nichts mehr gewulst. 

(2) ob etwa eigentlich vaisvari? wird resp. im Cabdakalpadruma s. v. durch: dudahy- 
utthitakanthagatandädaripavarnah erklärt; dazu ein Citat aus dem alamkärakaustubha: 
milädhärät (Nabel, schol.) prathamam udito yas tu tärah paräkhyah, pageät pagyanty 
atha hridayago buddhiyun madhyamäkhyah | vaktre vaikhary atha rurudishor asya 
jantoh susumnä(!)-, baddhas tasmäd bhavati pavanaprerito varnasamhah (°ghah?) U 

(5) Derselbe wird auch im Frataraja (f. 118b) citirt: Agastya uväca: sarveshäm.... 
°rdjam (!) shadaksharam (!). 


Die Räma-Täpaniya-Upanishad. 337 


dasah(!). Zum Masculinum akshara s. 1, 64. 45. Der Text, auch als 
Rämop. betrachtet, giebt offenbar nur die sechs Theile des om an, ohne 
irgend wie die Beziehung, welche der schoi. zwischen ihnen und den 
sechs Silben des shadakshara Rämamanira herstellt, im Auge zu haben. — 
Das mascul. ardhamätra ist höchst auffällig. — Zu vindu und ndäda 
s. oben pag. 312. 315. — 6. tärakatväd Rämätmakatväd ayam mantras 
tärako bhavati. — 9. yo brähma(no) bubhutsur iti yävat. Ebenso 
Anquetil: quieunque vult, (quod) cv Brahm sciat. In der That scheint 
das Wort hier so, in etymologisch -appellativischer Bedeutung, aufzu- 
fassen, da die Beschränkung auf die Brähmana-Kaste schwerlich im Sinne 
des Textes liegen dürfte. — avimuktam syaya (?) ätmasvaripam (dtmä 
Cod.), prathamakandikoktam viguddhabrahmanah avimuktäkhya-Käcy- 
äväsaripam (sva Cod.) brahmätmaikyam, tad eväcrityä 'valambya tish- 
Ihati \ tärabrahmopäsakasya yater brahmäcrayanam eva bhavatiti bhävah, 
aniketasthiramalir iti\ av. äcrito bhavatiti pälhe nirastasamastopädhi- 
kam brahmätmasvarüpam avimuktacabdena lakshanayocyate, tadrüpo 
bhavati. — (am. ca gach.), nirävaranam kaivalyam äpnoti\avimuktäcritä- 
'mritatvapadayoh jivanmukti-videhamuktibhedend 'rihabhedo jnätavyah, 
s. hierüber Ind. Stud. 9, 47. 48. 
$3. 
1. athaite clokä bhavanti \ 

akäräksharasambhütah Saumitrir vicevabhävanah \ 

ukäräksharasambhütah Catrughnas taijasätmakah Nıu 

präjnätmakas tu Bharato makäräksharasambhavah \ 

ardhamäträtmako Rämo brahmänandaikavigrahah u2u 

cri Rämasämnidhyavacäj jagadänandadäyini(!) \ 

utpattisthitisamhärakärini sarvadehinäm u3\ 

sä Sitä bhagavati (?) jneyä mülaprakritisamjnitä \ 

pranavatvät prakritir iti vadanti brahmavddinah W4N 

2. om ity elad aksharam idam sarvam, tasyopavydkhyänam, bhütam 

bhavyam (?) bhavishyad iti sarvam omkära eva, yac cä ’nyat trikälätitam 
tad apy omkära eva, sarvam hy etad brahmä, ’yam älmä brahma \ 3. so 
’yam ätmä catushpäj \ 4. jägaritasthäno, bahihprajnah, saptänga, ekona- 


(') so A., kärin? BC., kärakärin? E. (?) bhavati E. (?) so E., dhavad A. 
Philos.- histor. Kl. 1864. Uu 


338 Weser: 


vincatimukhah, sthülabhug vaicvänarah prathamah pädah \ 5. svapna- 
sthäno,'ntahprajnah,saptänga,ekonavincatimukhah praviviktabhuk taijaso 
dvitiyah pädo \ 6. yatra supto na kamcana kämam kämayate na kamcanu 
svapnam pagyati tat sushuptam; sushuptasthäna, ekibhütah, prajnäna- 
ghana evä, ”nandamayo hy, änandabhuk, cetomukhah präjnas triti 'yah 
päda ı 7. esha sarvecvara, esha sarvajna, esho 'ntaryämy, esha yonih 
sarvasya, prabhaväpyayau hi bhütänäm \ 8. nä’ntahprajnam, na bahih- 
prajnam (!), nobhayatahprajnam, na prajnänaghanam, na prajnam, nä 
’prajnam (?), adrishtam, avyavahäryam, agrähyam, alakshanam, alin- 
gam (°), acintyam, auyapadecyam, ekätmyapratyayasäram, prapancopa- 
camam, civam, advaitam caturtham manyante \ 

9. sa ätmä vijneyah sadojjvalo (*), "vidyätatkäryahinah (°), svätma- 
bandhaharah, sarvadä (°) dvaitarahita, änandarüpah, sarvädhishthänasan- 
mätro (’), nirastä-"vidyätamomoho\10.’ham eveti sambhävyä (°), "ham om 
tat sad yat(?) param brahma Rämacandrac cidätmakah so 'ham, om tad 
Rämabhadrah param jyotir aham, so (!') 'ham ity ätmänam ädäya manasä 
brahmanaikikuryät \ 

11. sadä Rämo 'ham ity etat tattvatah pravadanti ye \ 

te na (!!) samsärino nünam Räma eva na samcaya(h) U 

12. ity upanishad \ 13. ya evam veda sa mukto (!?) bhavatiti, sa mukto 
bhavatiti Yäjnavalkyah usu 

1. Nun folgende eloka: — 1. Der aus dem a (des om) entstandene 
Saumitri (Lakshmana) ist gleich dem vieva ('), der aus dem u entstandene 
Catrughna gleich dem Zaijasa, — 2. Bharata aber, aus dem m entstanden, 
gleich dem präjna, und Rama, der halben More entsprechend, ist das ver- 
körperte in Wonne alleinige drahman. — 3. Kraft der Nähe des erö- Räma 
der Welt Wonne verleihend, Entstehen Bestehen Vergehen aller Bekörperten 
(Wesen) hervorbringend — 4. ist Sitä die heilige zu erkennen als mülapra- 


(') so AE., na bahihprajnam nä ’ntahprajnam C. 

(2) so AE., na prajnam, nä ’prajnam, na prajnänaghanam (. @) fehlt €. 

(*) von hier ab bis ram eveti in 10 aus der Nrisinhottaratäp. 2, 18. (5) Zat fehlt in 
der Nris. (5) sarvadhä E. (7) so ACM., °nah san? E. (8) °vyo A., °uyety a’ M. 

(?) sad yat fehlt M. ('%) ?jyotiraso BE. M (para°)., jyotiraso A. 

('!) na te. (?) vimukto A., mukhyo C., mukto in C. nur als pätha. 

(13) d.i. vaırvänara in 3. 


Die Rama -Täpaniya-Upanishad. 339 


kriti. Von der Preiswürdigkeit heifst sie prakriti, so sagen die Brahman- 
Kundigen. 

2. Om, diese Silbe ist dieses All. Dessen Erklärung wie folgt. Das 
Gewesene, Seiende, Zukünftige, dies Alles ist das Wort om. Und was 
noch anderes über die drei Zeiten Hinausgehendes es giebt, auch das ist das 
Wort om. Denn dies Alles ist drahman (neutr.). (Aber auch) dieser (ein- 
zelne) üiman ist brahman. — 3. Vierfüfsig (d.i. in vier Zuständen weilend) 
ist dieser dfman. — 4. Im Wachen befindlich, nach aufsen sein Erkennen 
richtend, sieben Glieder und neunzehn Mäuler (Organe) habend (!), der 
Grobes (die sinnlichen Dinge) genielsende Faicvänara (der allgemeine 
Lebenshauch) ist der erste Fufs (Theil, Stufe). — 5. Im Traume befind- 
lich, nach innen sein Erkennen richtend, 7 Glieder und 19 Mäuler habend, 
der Feines geniefsende Taijasa (Lichtartige) ist der zweite Fufls. — 
6. Wo der Schlafende nicht irgend einen Wunsch hegt, nicht irgend einen 
Traum sieht, das ist der Tiefschlaf (?). Im Tiefschlaf befindlich, ganz 
in sich eingekehrt, reines Erkennen seiend, aus Wonne bestehend, der 
Wonne geniefsende, Denken-als-Mund-habende Präjna (Erkennende) ist 
der dritte Fufs. — 7. Er (der vierte Fufs nun) ist der Allherr, er der All- 
wissende, er der innere Leiter, er die Quelle des Alls, Ausgang und Ein- 
gang der kreatürlichen Dinge. — 8. Das nicht nach Innen, noch nach Aufsen 
noch auf Beides das Erkennen Richtende, das nicht reines Erkennen, noch 
erkennend, noch nicht-erkennend Seiende, das Unsehbare, Unbegreifliche, 
Unerfafsbare, Merkmallose, Attributlose, Undenkbare, Unbeschreibbare, 
das die Essenz der Erkenntnifs von der Einheit des man Seiende, das die 
(obigen drei) Entwickelungsphasen in sich zur Ruhe Bringende, Selige, 
Zweitlose denken sie (die Weisen) als vierten (Fufs). 

9. So ist der diman zu erkennen, der beständig Aufflammende, der 
Unwissenheit und ihren Wirkungen Entrückte, seine eignen Bande Abstrei- 
fende, allzeit Zweitlose, Wonne-gestaltige, in allen Zuständen alleinig 


(') s. hierüber, wie über die sonstigen termini technici des Textes oben, Ind. Stud. 2, 107-9. 
Roer zu Mändükyop. Übersetzung pag. 166 und den schol. unten. 

(2) Diese Erklärung ist wohl ursprünglich Glosse gewesen? gehört indels allen Texten 
dieser Stelle an. Dals das Wort sushuptam zur Zeit der Abfassung der ursprünglichen 
Form derselben wirklich noch sollte so neu gewesen sein, dals es einer Erklärung bedurft 
hätte, ist kaum anzunehmen, da es sich schon Catap. 14, 5, 1, 21 vorfindet. 


Uu? 


340 WEBER: 


Wesenhafte, von Unwissenheit, Finsternifs, Bethörung Befreite. — 10. 
„Der bin ich”, so denke man. „Ich fürwahr (om) bin jenes wesenhafte 
Höchste dDrahman. Rämacandra, der Geist-seelische, bin ich. Fürwahr 
(om) jenes höchste Licht, Rämabhadra, bin ich. Ich bin er.” Also den 
ätman ergreifend, einige man ihn im Geist mit dem brahman. — 11. „Ich 
bin Räma”, wer also dies beständig der Wahrheit nach aussagt, — die 
fürwahr sind nicht mehr dem Weltkreislauf (samsära) verfallen: sie sind 
Räma selbst. Kein Zweifel (darüber)! — 12. So ist die Lehre. — 13. Wer 
also weils, der wird befreit, der wird befreit.” So sprach Yäjnavalkya. 
Dieser $ besteht aus einem die Hoheit des om, resp. seine Identität 
mit dem All, dem drahman und ätman schildernden Kern (2—8), der von 
anderswoher stammt, sei es aus der Atharvacikhä (Ind. Stud. 2, 53) oder 
der Mändükyop. (ib. 107—109) oder der nrisinhapürvatäp. 4, 1, 4—10 (!). 
Letzteres ist das Wahrscheinlichste (?), da ja auch in Absatz 9, so wie in 
65 direkte Beziehung zu dieser Upan. vorliegt. Um diesen Kern, der 
seinerseits vom schol. natürlich auch als auf Räma bezüglich zu deuten ge- 
sucht wird, gruppiren sich zwei unserer Upan. eigenthümliche Abschnitte, 
welche die Identität des Räma mit dem om als dem Repraesentanten des 
brahman direkt darstellen: und zwar so, dafs der eine, dem Kerntheile 
des $ voraufgeschickte, Abschnitt in vier cloka die einzelnen Theile des om 
(a, u, m und den Nasallaut), resp. Stufen des drahman (vicva, taijasa, 
präjna, änandaikavigraha) mit den drei Brüdern des Räma und ihm selbst, 
so wie zugleich auch die ‚Sit mit der neben dem brahman stehenden Ur- 
materie identisch setzt (?), während in dem zweiten Abschnitte, der dem 


(') vgl. auch nrisinhottaratäp. $ 1, wo aber verschiedene Zusätze: und s. die im Yedän- 
tasära daraus gemachten Citate. 

(2) Die geringen Varianten des Textes stimmen bald zur nrisinhatäp. (N.) bald zur Män- 
dükyop. (M.). Zu N. nämlich dravyam in 2 (aber blos in E.), die Stellung der sechs ersten 
Wörter (freilich nur in C.) und der Mangel von gäntarn in 8: zu M. dhavaz in 2 (in A. 
nämlich), die Stellung der sechs ersten Wörter (in AE.) und der Zusatz alingam in 8. 

(3) Eine Nachbildung desselben scheint folgende Stelle der Gopälottaratäpini zu sein: 
ekam evädvayam brahma mäyayä tu catushtayam | Rohinitanayo Rämo akäräksharasam- 
bhavah \ taijasätmakah Pradyumnah ukäräksharasambhavah | präjnätmako ’niruddho 
(Prodhro Cod.) vai makäräksharasambhavah | ardhamäträtmakah Krishno yasmin vievam 
pratishthitam | Krishnänvitä (? nvikä Cod.) jagaddhartri (varti Cod.) mülaprakriti (?ti Cod.) 
Rukmini| Frajastrijanasambhütih grutibhyo brahma samgatah (?) | 


Die Iäma -Täpaniya-Upanishad. 341 


Kerntheile nachfolgt, zunächst mit aus der Nrisinhop. entlehnten Worten das 
Wesen des ätman als des eignen Selbstes, sodann die Identität des Räma- 
candra, resp. hämabhadra(') mit dem höchsten drahman, endlich die 
Erkenntnifs der eignen Identität jedes einzelnen Ich mit diesem durch Räma 
repraesentirten drahman verherrlicht wird. — Zu dem Kerntheile des $ sind 
einige Verse aus dem Rämagitä-Cap. des Adhyätma-Rämäyana (7, 5, 47-49) 
zu vergleichen: pürnac cid-änandamayo 'valishihate, na veda bähyam na 
ca kimcid äntaram U pürvam samädher akhilam vicintayed, omkäramätram 
sacardcaram jagat \ tad eva väcyam pranavo hi väcako, vibhävyate 
Jnänavacän na bodhatah\\akärasamjnah purusho hi vievako, hy ukära(s) 
taijaska itiryate kramät \präjno makärah paripadyate 'khilaih, samd- 
dhipürvam na tu tattvato bhavetü.... 

1. Von den vier cloka sind zwei der Sitä allein gewidmet. Es ist 
dies, resp. die damit gegebene so besondere Hervorhebung der müla- 
prakriti, ziemlich auffällig. Die Bezeichnung der Sitd als prakriti trat 
uns aueh schon in 1, 25. 26 entgegen, aber während hier die Schöpfung, 
Erhaltung und Zerstörung der Welt ihr allein, freilich auch nur in Folge 
der Nähe des Räma, resp. ihrer Verbindung mit demselben, zugeschrieben 
wird, wurde dies in 1, 17 doch nur von ihr und Adma zugleich ausgesagt: 
ihre hiesige Stellung ist somit entschieden eine etwas höhere. Als Einlei- 
tung übrigens zu dem Kerntheil unseres |, der rein den Yedänta-Standpunkt 
repraesentirt, sind diese Angaben in vv. 3. 4 von der mülaprakriti gerade 
nicht besonders am Platze, da sie in demselben ja durchaus keine Stelle hat, 
während die Angaben in vy. ı. 2 sich genau an den Inhalt dieses Kerntheiles 
anschliefsen. Wohl möglich also, dafs vv. 3. ı als eine erst sekundäre (zur 
Zeit der Gopdlottaratäp., s. p. 340 not., indefs bereits vorhandene) Zu- 
that auch zu vv. 1. 2 zu erachten sind, resp. als Zusatz einer Cäkta-Sekte, 
welche die Sit@ noch über Rdma erhob, vgl. das hierüber, resp. über den 
Adbhutottarakända oben p. 294 Bemerkte. Eine ganz analoge Darstellung 
findet sich übrigens im Rämahridayam (Adhyätma Räm. 1, 1,34. 35), wo 
Sitä von sich selbst sagt: mäm viddhi mülaprakritim sargasthityanta- 
kärinim \ tasya samnidhimätrena srijämidam atandritä\tatsämnidhyän 
mayd srishlam lasminn äropyate ’”budhaih.— bhagavati und prana- 


(') s. schol. zu Gändilyasütra 55 (p. 37). 


342 WEBER: 


vatvät sind metri caussa dreisilbig zu lesen. — nu stutäv ity asya dhätoh, 
pranüyate mahadahamkäranirmäne (? °därghakä° Cod.) sä pranavd, tasyä 
bhävas taltvam, tasmät pranavalvät\prakarshena kriyate 'nayeti pra- 
kritih \ brahma pranavamülo vedas tadvacanagilä vedavicäraparäh 
vadanti \ mäyä "vyaktam prakritih Siteti paryäyäh \ tathä ca cri Rämä- 
yane Rämam prati (!) käloktim upanibabundhädikavir bhagavän Välmi- 
kih (7, 117, 4): samkshipya hi(?) parän lokän ekas (*) tvam mäyayä 
saha \ bhäryayä(*) gubhayä devyd mäm twam pürvam ajijana iti(°) u 
jägrat-svapna - sushupti-turiyasäkshitvenoktä (°) vicvataijasapräjnecvara- 
SaumitriCatrughnaBharatahämäs, teshäm aikyatve 'py anekatvakartri (?) 
sä Sitä ce, 'ly etävän eva sthülasükshmasarvaprapancah omkärätmakasya 


tärakabrahmano 'rthah. — 3. catushpäc catuccaranah kärshäpanavat, 
na gaur iva. — 4. jägaritam sthänam asyeli jä’nah \ svätmavyatirikte 


vishaye prajnd yasya sa bahihprajnah\ sapta mastakädiny angäny 
asya, läny evoktäni värttikakridbhih: cirag cakshur mukham präno 
madhyam vastis tato 'py adhah, vaicvänaropäslierutau smritam iti, täni 
känity ucyate: dyaur mürdhä, cakshur ädityah, agnir mukham, präno 
väyur, dehamadhyam äkägah, vastih samudrah, prithivi pädäv iti, saptasu 
lokeshu cira-ädiny angäny asyeli vd \ panca jnänendriyäni panca (kar- 
mendriyäni pahca) pränäec catväry antahkaranäny(?) evam ekona’khah\ 
sthülän vishaydn prädhänyena svätmasät karotiti sthülabhuk \ vieve- 
shäm naränäm nayandd vai’rak \ sthänädipancaviceshanair viceshyo 
viräd akärärtha iti yävat. — 5. jägratsushupti svatejasä gachatiti taija- 


(') prakriti Cod. Rämavarman zu adhyätma Räm. 1,1, 34 citirt denselben Vers durch: 
tad uktam Fälmikiye Rämam prati kälavacanena. 

(2) °pyeha, Rämavarman. (3) so Rämavarman, °räm lokän okas God. 

(?) mäyä bhä° Cod., märyayä Rämavarman. 

(?) so Rämavarman, °nad iti Cod. — Die Bombayer (Tilaka-) Ausgabe des Rämäy. 
hat statt der obigen Lesarten: samkshipya hi purä lokän mäyayä svayam eva hi | mahärnave 
gayäno ’psu mäm tvam pürvam ajijanah und ebenso lesen im ersten Hemistich auch die 
beiden Handschriften des Rämäyana (7), welche sich auf der hiesigen K. Bibliothek befinden, 
differiren indels im zweiten Hemistich. In A. nämlich (Chambers 567) lautet dasselbe (und 
zwar in Cap. 98): /vam eva mäyayä (!) särddham ayä(!) pürvam ajijinat (!), während in 
B (ms. or. fol. 420) iwam eva bhäryayä(!) särddham apah pürvam ajijanah. Letztere 
Lesart bildet gewissermalsen einen Übergang zu der obigen Textform, die ihrerseits offenbar 
eine speciell zu sektarischen Zwecken gemodelte ist. 

(°) Akta God. (7) ? anekakartro Cod. ($) s. unten 5, 5, 14. 


Die Aäma - Täpaniya - Upanishad. 343 


sah. — 6b. cetah citpratibimbasahitä-"vidyävrittayo mukham karanam 
yasya. — 7. yady api präjne 'pi (? jnänapräjnapi Cod.) sarvecvaratvddi- 
dharmajätam yujyate tathä 'pi säpekshatvena savijatvena ca nifra)syate, 
turiyasya tu nirapekshatvän nirvijatvät sarvecvaratvädidharmajätam 
samgachata iti bhävah. — Zu pra°’pyayau utpalttipralayau ergänzt der 
schol.: kritavan. — 8. prathamadvitiyapäde (°dayoh!) sthänddini panca 
viceshanäni nirüpitäni, tritiye shat, caturthe (in 7) panca viceshanair icva- 
ratvam pradarcitam, tad icvaratvädikam mäyä(mä)tram vihäya guddhasva- 
rüpam ätmanah pancadaca viceshanai(r äha) \(na bahih prajna)m iti 
vishayavydpäroparamäd vicvasäkshini jägradavasthä pratishidhyate \ tarhi 
manovyäpdrasya durväratväd (duvi? Cod.) antahpräjnatvam prasaktam, 
tan mä bhüd ity äha: nd 'ntahprajnam iti, anena taijasasäkshini svap- 
nävasthä nishidhyate \ ubhayatra vyäpärapratishedhena tadantarälavyä- 
päre präpte tan nishedhati: no’bh°jnam iti, jägratsvapnäntaräle mano 
vyävrittam prajnärtham na kuryät \ antaräle pratishedhena ubhayatra 
yugapad upacärärthe vyäpäre präpte tan nishedhati: na prajnam itilevam 
sarvato manovyäpärapra(ti)shedhäd avyävrittam mano 'vidydimakam (? vi? 
Cod.) samavatishthati, tatsthitim pratishedhati: nä 'prajnam iti\tatra sthi- 
tipratishedhät ajnänasäkshitve svapne präpte tan nishedhati: na prajnäna- 
ghanam iti \ ebhih shadbhih padaih pratishedhabhütaih upäsyapratikülam 
pralishidhya yasminn upäsye mano vyävrittam käryam (ta)d upäsyam 
nirdicati navabhih padaih: adrishtam iti (es folgen aber auch im schol., 
wie im Texte, noch elf, nicht blos neun dgl. Beiwörter!). — ekasmin 
sarveshäm dtmandm pralyayah ekä’yah, sa eva säram yasya, yadvä 
eka evätmä upäsyopäsakayor ily eva pratyayah \ präguktanydyena ma- 
naso hi vädyadarcanasmaranacyäpäräbhärdt vyävrittalvde ca syäyäbhäväe 
(?) ca upäsyäpyalirekena prapancäpraliteh prapancopacamam.— civam 
camkaram. — 9. etac copäsyam crihämäkhyam vastu pratyayälmatayä 
upäsyam ily ha: sa ätmä vijneya iti\ sadä ujjvalavrittyabhiliptah \ 
niras°mohah, avidydtatkäryarähityam prathamatah, mäydmäyäkärya- 
rähityam paccäd ity apaunaruktyam, pürvapürvasyottarotiaram yalheshlam 
hetuhetumadbhävah \ evam saptaviceshanavicishia dimäd vijneyah. 
Der Commentar ist hier, wie zu 10. 11., äufserst lückenhaft und dürftig. — 
10. uktah ätmä tv aham eveti samyak bhävayited. — 13. mukhyahı 
trailokyapüjyah \sa mukto bhavatiti vä pälhah. 


344 WEBER: 


$4. 

1. atha hainam Atrih papracha \ 2. Yäjnavalkyä 3('), ya esho 
’nanto "vyakta (?) älmä tam katham aham vijäniydm iti \ 3. sa hoväca 
Yäjnavalkyah\ 4. so 'vimukta upäsyo(?) ya(*) esho 'nanto'vyakta ätmä (°) 
so 'vimukte (6) pratishihita (?) iti \ 5. so 'vimuktah kasmin pratishthita iti \ 
6. varandydm näcydm (?) ca madhye (*) pratishthita iti \ T. kä vai (!°) 
varand kä ca (1!) näeiti (1?) ı 8. sarpän indriyakritän doshän (1?) väraya- 
titi (1%) tena (!°) varand bhavatiti, sarvän indriyakritän päpän ('°) näca- 
yatiti tena (!') nägi bhavatiti (1°) \ 9. katamam ('?) cd 'sya sthänam bha- 
vatiti\10.bhruvor ghränasya(?°) yah samdhih sa esha(?!) dyaurlokasya(??) 
parasya(?°) ca(**) samdhir bhavatity \ 11. etad vai samdhim (??) samdhydam 
brahmavida upäsata (*°) iti (27) \ 12. so "vimukta (2°) upäasya (*?) iti \ 13. so 
’vimuktam (3°) jnänam äcashte yo vai tad evam (*') veda (°?) \ı 14. (°°) sa 
esho 'ksharo 'nanto ’vyaktah paripürnänandaikacidätmä yo 'yam avimukte 
pratishthita iti \ 15. atha tam (°*) pratyuväca (°°): 

16. cri-Rämacandrasya manum jajäpa (°°) vrishabhadhvajah (°?) \ 
manvantarasahasrais tu japahomärcanddibhih U 

17. tatah prasanno bhagavän cri-Rämah präha Camkaram (°?) \ 
vrinishva yad abhishtam tad däsyämi paramecvareti (3°) U 


(') °Ikya3 E., lkya Jäb., Ikyara B., Ikyam A. (2) avyakto ’nanto Jäb. 
(?) so ’vimukta upäsyo fehlt Jäd. G. (mit C. bezeichne ich bei 4-10 Gamkara’s Citat der 
Jäbälop. zu Pedäntasütra 1, 2, 32, ed. Roer p.222-3). (*) sa Jäb. (°) ätmänam A. 


(6) °kto E. (7) so BE. Jäb(sthi). E., prasiddham tishthata A., pratishthate C. 
(?) näsydm EB. (°) fehlt Jas. ('9) katamä GC. (1!) katamä GC. 
(1?) näsiti EB. (1?) sarvänindriyakritäni päpäni €. (1%) värayati, Jäb. C. 


(5) tinaA.,säg. (!°) E. wie in not. 13. ('7) nägayati ceti sä Q., nägayatı tena Jäb. 
(1°) nägane bhavantiti E., nägi bhavati kati A., näsi B., nägiti Jäb. G. 


(19) mac €. (2°) nasya ca (., Govindänanda zu G. erwähnt eine var. 1. pränasya. 

(2!) savih sa yasha sya E., sa esho Jäb. (2?) dyolo° €. (Windischmann), dyulo? €. 
(Roer). (2?) so ECG., paramasya A. Jäb. (2°) fehlt Jäb. (2°) so B., sam- 
dhyam E., samdhih A., evam dvai Jäb.  (°°) updsa AF., °vidopäste Jäb.  (°”) fehlt Jäb. 

(2?) sarve vimuktam Jäb. (@?) sta Jäb. (30) °ktam? EBC., °kto Jäb., kta A. 

('!) tadveda va Jäb. (32) vedä[rtkam E., weil hier gleich Absatz 15 folgt. vedezy M. 

(°?) Dieser Absatz fehlt in ECM. und Jäb. (°*) vedälrtham E. (s. not. 27). 

(5) M. fügt hinzu: svayam eva Yäjnavalkyah. (°°) manyu jajäpa M., manu jäpa E., 
manum Kägyam jajäya A. B (wo jäya). (7) vrishadhvajah E. (3) 9zeH: 


() so EM., ra iti AB. 


Die Rama -Täpaniya-Upanishad. 345 
18. [tatah satyänandacidätmä cri-Rämam_ icvarah (!) papracha] (?) 
sa(?) hoväca: 
19. Manikarnyam (*) vä matksheire (°) vä(°) Gangäyam (') vä 
tate (°) punah (?) \ 
mriyate (!"), dehi (1) tajjantor (!) muktim ('3), näto (!*) varan- 
taram ii U 
20. atha sa (!5) hoväca ceri-hämah: 
21. kshetre 'tra tava deveca (!°%) yatra kulrä ’pi vd mritäh \ 
krimikitädayo (1!) ’py äcu muktäh (!°) santu, na cd ’nyathä N, 
22. avimukte tava kshetre sarveshäm muktisiddhaye \ 
aham samnihitas tatra päshänapralimddishu N 
23. kshetre 'smin yo’rcayed bhaktyd mantrend 'nena mäm Civa \ 
brahmahatyädipäpebhyo mokshayishydmi, mä cuca \ 
24. tvatto vä brahmano vd 'pi ye labhante shadaksharam \ 
Jivanto mantrasiddhäh ('?) syur, muktä mäm präpnuvanti te W 
25. mumürshor dakshine karne yasya kasyäpi vd svayam \ 
upadekshyasi (?°) manmantram, sa mukto bhavitd Civeti \ 
26. eri-Rämacandrenoktam yo ’vimuktam (?') pacyati sa janmäntaritän (>?) 
doshän värayatiti län päpän (°°) näcayatiti \ 
4, Da. fru 
liche unentfaltete Atman ist, wie soll ich den erkennen?” — 3. Yäjnavalkya 


g ihn Atri: — 2. „o Yäjnavalkya! der da dieser unend- 


sprach: — 4. „Er ist im Avimukta zu verehren. Der da dieser unendliche, 
unentfaltete dtman ist, der ruht im Avimukta.” — 5. „Worin denn aber ruht 
dieser Avimukta?” — 6. „Bei varand und näci ruht er, in deren Mitte.” — 
7.„Wer ist denn die varan@? und wer die ndei‘?” — 8. „Alle mit den Sinnen 
begangenen Fehle wehrt sie ab, darum heifst sie varand. Alle mit den 


Sinnen begangenen Sünden vernichtet sie, darum heifst sie nde2” — 9. „Und 


(') igvaram E. (?) tato bis papracha ist in E. mit Klammern eingeschlossen, und 
fehlt in BCM. (?) iti sa A. (*) ®rnyo E., karnıkäyä A., °rnikäyäm B., karne M. 
(metri caussa dreisilbig!). (°) nat fehlt EB., M hat za.  (°) fehlt M. (7) so ABE.: 
man sollte jedenfalls den Gen. erwarten. (®) ghate M. (?) punar A (ohne |). 

(1%) so EBM., mriyamte prabhevo A. ('!) dehi E. ('?2) so EBM., zaj fehlt A. 

('?) muktir E. ('*) so EBM., nätah param A. ('?) sa fehlt E. 

('6) navadecavaga A. ('7) Arimi E. (!2) yuktäh E. ('?) so EB., dahärthä A. 

(2°) kshyakshe A. GUSHLEIE, (2?) täno A. (2?) vära? päpän fehlt EB. 


Philos.- histor. Kl. 1864. Xx 


346 WEBER: 


was ist der Ort desselben?” — 10. „Der Vereinigungsort der beiden Brauen 
und des Riechorgans, dies ist der Vereinigungsort der Himmelswelt und 
der höchsten (Welt).” — 11. Deshalb verehren denn die Brahman-Kundigen 
diesen Fleck als den (wahren) Vereinigungspunkt.— 12.So ist er (der Atman) 
im Avimukta zu verehren. — 13. Unlösbares (resp. das Avimukta-)Wissen 
spricht aus, wer dies also weifs. — 14. Dies ist der unvergängliche, unend- 
liche, unentfaltete, mit voller Wonne vereinigte geistige Atman (oder: den- 
kende Geist), der da im Avimukta ruht.” — 15. Drauf sprach er (Yäjna- 
valkya, weiter) zu ihm (Ari) ('): 
16. „Des eri-Rämacandra Credo betete Frishabhadhvaja \ 
Manvant'ra-Tausende hindurch, murmelnd, opfernd, und ihn ver- 
ehr’nd. I 
17. Drauf ihm geneigt der heilige Cr#-Räma sprach zum Camkara: \ 
„„Wähle dir was du wünschest, das geb’ ich dir, Paramecvara”” \ 
18. [Da frug der in wahrhaftiger Wonne geistige Atman (oder: denkende 
Geist), der Herr, den gri-Räma.] Er sprach: 
19. „„Wer da in Manikarni stirbt, oder in meinem (Tempel-)Feld, ı 
Od’r am Gangä-Ufer (?), gieb dem Erlösung. Dies mein höchster 
Wunsch.”” u 
20. Da sprach eri-Rama: 
21. „„Wer da in deinem Felde hier, Götterherr! irgendwo verstirbt ı 
Wurm, Insekt und der Art sogar, soll gleich erlöst sein. Sonstig 
nicht. 
22. In deinem Feld Avimukta, um All’r Erlösung zu vollziehn, ı 
Will stets ich nah dort dabei sein, in den Bildern von Stein und sonst. I 
23. In diesem Feld wer gläubig mich mit diesem Spruche ehrt, Civa! ı 
Von Brahman-Mord und derlei Sünd’ ich den erlös’: sei nicht besorgt! 
24. Wer von dir, wie vom Brahman auch, meinen sechssilbigen Spruch 
erhält, ı 
_ Die sollen spruchvollendet sein lebend noch, komm’n erlöst zu mir. 
25. Wem irgend in das rechte Ohr, wenn er zum Sterben kommt, du 
selbst | 
Meinen Credo-Spruch lehren wirst, der soll erlöset sein, Civa!”” u 


(‘) ? so nach M. und C., praty uväca also nicht als Compositum zu fassen. 
(2) vgl. Pancarätra 2, 7, 5 Kügydm ca maranam, 7 Gangäyäm ca jale muktih. 


Die Räma-Täpaniya-Upanishad. 347 


26. Wer das vom cri-Rämacandra besprochene Avimuktam erschaut, der 
wehrt ab alle Fehle, die sogar durch Geburten getrennt (in früheren Ge- 
burten begangen) sind, er vernichtet diese Sünden.” 

In diesem $ erreicht das sektarisch -polemische Element seine Höhe. 
Während nämlich der erste Theil (1—14) die Verherrlichung des Avimukta, 
d.i. derjenigen Körperstelle, die als unlösbarer, fester Sitz des brahman, resp. 
Ätman gilt (s.p.329.30),— und zwar in doppelsinniger Weise, nämlich zugleich 
unter Beziehung auf Avimuktam, d.i. Benares (als den Sitz des Civa- 
Kultus) — enthält, resp. wörtlich aus der civa-itischen Jabdlopanishad $ 2 
(s. Ind. Stud. 2, 74. 75) entlehnt ist ('), bestrebt sich der zweite, unserem 
Texte eigenthümliche Theil (15—26), den in Avimuktam ansässigen Civa 
(und nebenbei auch den Brahman) als unterwürfigen Diener des Aäma dar- 
zustellen, unter der Form eines Gespräches zwischen Beiden, in welchem 
Itäma von Civa um seine Gunst und Gnade angefleht wird (?). Die Heilig- 
keit von Avimuktam wird nicht etwa geläugnet, das wäre zu sehr gegen die 
Volksmeinung gewesen, aber sie beruht hienach nur darauf, dafs Rama 
selbst dort überall anwesend ist. Wir sehen hier dieselbe Anschmiegung an 
bestehende volksthümliche Vorstellungen, welche den Tempel des Buddha 
Jagannätha zn einem Tempel des Vishnu Jagannätha umgeschaffen hat, 
und durch welche bekanntlich auch die christlichen Sendboten sich manche 
äufseren Formen, Gewohnheiten, Festzeiten und heilige Örter der von ihnen 
zu bekehrenden Heiden zu amalgamiren gewufst haben. 

4. Avimukta ist theils als Neutrum (= Benares) theils wie sich aus 5 
ergiebt als Masculinum zu fassen: in letzterem Falle ist dem schol. nach dazu 
samdhi, s. 10.11, zu ergänzen: dtmand na vimuktam avimuktam, samdhim 
(!), furiyam iti yävat, tasminn upäsyah pratyagätmatayd upäsaniyah, 
sarvaträ 'vasthitatväd avimukta eva upäsyah.— anantasya vyäapakasyä 
’pi tejaso ’rkamandalavad avimukte samdhau pratishthate (!) sthanam 


(') Die Absätze 4—10 werden, mit einigen Varianten (s. oben), daraus (aus der Jäödlop.) 
auch von Gamkara (= (.) zu Brahmasütra 1, 2, 32 (s. Windischmann Sankara p. 166, und 
pag. 222 der Roer’schen Ausgabe in der Bibl. Ind.) citirt: und in der That scheint es als ob 
auch der Text des Brahmasütra selbst „ämananti cainam asmin” wirklich auf die Jäbälop. 
direkt hinwiese, so dals deren Existenz somit für dessen Zeit hierdurch beglaubigt wäre. 

(?) Ähnlich wie im Panicarätra 1, 8, 27 ff. 11, 18. 2, 1,1 ff. etc. Gamkara (Giva) selbst 
(seinerseits darüber durch Brahman belehrt, s. p. 352 not. 14) dem Närada die haribhakti und 
püjävidhänam Krishnasya tatstotram kavacam manum (1, 9, 9) mittheilt. 


Xx?2 


348 WEBER: 


yuktam iti bhävah \anenopäsandsaulabhyam dargitam. — 5. so 'vimukta- 
cabdaväcyah samdhir eva katham jnätavya iti prichati. — 6. Unter varanä 
ist offenbar eines Theils, s. v. 10, die Braue (als die drohend abweh- 
rende?), unter näci die Nase gemeint: andern Theils aber sind beide 
Wörter auf die Namen der beiden Flüfschen F’arand und Asi(') anspie- 
lend, welche das Flufsverzeichnifs des MBAär.4, 338 aufführt (?), und 
welche nach Wilson Fishnup. p. 184 „fall into the Ganges east and west 
of Benares, which is thence denominated Faranäsi” (und in abgeleiteter 
Form Färänasi): oder besser vielleicht auf den einen Namen ’Egewveois (Egı- 
veoıs), welchen Megasthenes bereits erwähnt (Schwanbeck p. 107, Vivien 
St. Martin bei Stan. Julien Hiuen Thsang 3, 345). Die Anspielung auf Yäränasi, 
d.i. Benares selbst ist dabei jedenfalls zweifellos, und würde somit dieser 
Name als bereits vor Abfassung des drahmasütra bestehend gesichert sein, 
vorausgesetzt, dafs letzteres am hieher gehörigen O. (1, 2, 32) wirklich die J@- 
bälop. im Auge hat. Im Übrigen ist derselbe bis jetzt zuerst im Mahävanso 
(p- 2) und zwar als zeitweiliger Aufenthaltsort Buddha’s, so wie in Buddha- 
ghosa's Scholien zum Dhammapada (meist als Hauptstadt des vor Buddha 
noch regierenden A@ei-Königs Brahmadatta) und bei Hiuen Thsang (in der 
Form Po-lo-ni-sa) vorkommend, welcher letztere die Stadt als einen Haupt- 
sitz des Civa-ismus bezeichnet (Hiuen Thsang 2, 353—4). — 10. samyag 
dhiyate srishlipralayädi sarvam asminn iti samdhih ı bhruvor’dhih 
vyashlau svadehe, dyaur ’rasya ca yah samdhih samashtau Käc(y)a- 
bhidhe "vimukte, sa eva tvayä prishla(h) samdhir bhavati. Während hier 
(und s. oben pag. 330, Ind. Stud. 2, 5) der zwischen den Brauen und der 
Nase liegende untere Theil der Stirn, pflegt sonst in den Upanishad das 
Herz als der Sitz des drahman, resp. der mit der Allseele identischen Ein- 
zelseele bezeichnet zu werden (s. z. B. Ind. Stud. 2, 91—93), oder auch der 
ganze Mittelkörper, dehamadhyam, überhaupt, der ja auch geradezu man 
genannt wird, s. Ind. Stud. 9, 18. 36.— dyaurlokasya, eine archaistische 
Form, vom Vf. der Jäbälop. wohl absichtlich gewählt, um an Yäjnavalkya’s 
Redeweise (s. Catap.14, 6,1, 9. 6,1) anzuknüpfen. Die beiden Welten erklärt 


(‘) oder Yarä und Nägi wie Lassen 1, 130 angiebt: die Näg? wird bei Schiefner Lebens- 
beschr. des Cükyamuni p. 17 (s. not. 20) erwähnt. 

(2) Die Calc. ed. liest übrigens varımam asim, Wilson aber im Fishnup. und im Dict. 
hat varand (running past the north of Benares into the Ganges), s. auch Aufrecht Cat. p. 46a. 


Die Räma -Täpaniya - Upanishad. 349 


Anquetil Oupn. 2,243 als: unus, mundus rev Behesht; etunus mundus eV paradisi 
[supremi] est”.— 11. enam prasiddham samdhim, napunsakatvam ärsham, 
samdhyä(m) samdhyopästina (?) brahmavidah pürvoktäh brahmätmai- 
katvajnd upäsate te upäsandm kurvanli vai (?vi Cod.), nirudakä dhyäna- 
samdhyä väkkäyaklecavarjitä (°täh Cod.)\ samdhini (?) sarvabhütändm sä 
samdhyä hy ekadandindm iti smrite(h)\Oi Brahm-scii hune locum locum 
orationis (esse) sciunt, quod illum Sandha dieunt, Anquetil, wonach somit 
unter samdhyä der Gottesdienst bei der Dämmerung früh und Abends zu ver- 
stehen wäre! — 12. sa dtmd 'vimukte bhruvor ghränasya samdhau upd- 
syah sarvadopäsantyah, dätä(!) bhrümadhyagocarah, bhrümadhye 
samsthitam devam ity ädismritibhyah\Govindabhagavatpijyapädäcär- 
yair api Govindabha(ga)vadgranthe nirüpitam: bhrüyugamadhyagatam 
yasthishi (?) vidyutsüryavaj jagadbhäsi keshämeit punyavagäd unmilayati 
cinmayam jyotih paramänandaikarasam paramajyotihsvabhävam avikalpam 
vigalitasarvaklecam jneyam ...\ Surecvaravärttike ca tathä: api mär- 
galate (?) väcya (?) viruddhaphalado bhava \ pratyagdriedm vimokshäya, 
samsäräya parägdricdm iti. — 13. sa avimuktam turiyäkhyasambandhi 
(? khyamsamdhi Cod.) jnänam cd ”cashte \ tad uktam gri-Rämagi- 
täsu: upadekshyanti te jnänam jnäninas tattvadarcina iti. — 15. cishyasya 
sammukhikarandyäkhyäyikäm äha: atha° \ turyasamdhau gruläydm api 
craddhärahitasya badhirärthinah (? vadhirärpitah God.) guhyam iva bha- 
vati\ atha tad-anantaram tam Atrim prati uväca svayam eva Yäjna- 
valkyah. — 16. Käcydm (so wäre statt Ääcyam in AB. jedenfalls wohl 
zu lesen) ist durch das Metrum als sekundärer Einschub kenntlich, ursprüng- 
lich eben nur Randglosse gewesen. — 18. In dem in AE. eingefügten Satze 
sollte man jedenfalls °öimänam erwarten: denn so wie die Worte dastehen, 
erheben sie den icvara über Räma! möglicher Weise freilich ist dies gerade 
der Zweck der Einfügung, die dann von einem Civa-Verehrer herrühren 
würde. — 19. Die Correktur Manikarnydm (das übrigens dreisilbig zu 
lesen) ist durch das Metrum geboten. Wilson erklärt dieForm manikarnikä 
als: a holy pool at Benares, vgl. Cap.26 des Käcikhanda im Skandapuräna: 
oben im schol. zu 1, 5 (s. p. 332) hatten wir die Form °rniki. — 26. avi- 
muktopäsanayä cri-hämasäkshätkäro yasmät, tasmäd avimuktatyäge 
paramapurushärthahänih syät \ tathä ca Brahmände: moksham sudur- 
labham jnätvd samsäram cd 'libhishanam \ avimuktam samäsddya la- 


350 WEBER: 


traiva nidhanam vrajed iti U adhibhütam adhidaivam (°tam sädh° Cod.) 
adhyäimam avimuktakam \ ätmä Käci bhruvor madhyam saulabhyam 
tittarottaram U samashlivyashligam pürvam, samashläv eva cottaram \ 
vyashläv eva tritiyah (!) sydät, trishu caikam na sajagad (?) iti u 


$5. 

1. atha hainam (!) Bhäradväjo (?) Yäjnavalkyam uväcäa \ 2. 'tha 
kair mantraih stutah eri-Rämah prito bhavati svätmänam darcayati? tan 
nau (3) brühi bhagavann iti\ 3. sa hoväca Yäjnavalkyah \ 4. eri-Räme- 
naiva (*) cikshito brahmä punar (°) etayä gadayä namas karoti (°): 

vicvädhäram (') mahävishnum (°) näräyanam anämayam \ 

pürnänandaikavijnänam (?) parajyotihsvarüpinam (!°) U 

manasä samsmaran (!!) brahmä tushtäva paramecvaram (!?) \ 
5. om (!3) yo vai eri-Rämacandrah ('*) sa bhagavän advaitaparamä- 
nandätmä yah param brahma bhür (1°) bhuvah svas tasmai vai namo ('°) 
namah 4, om yo vai cri-Rämacandrah sa bhagavän yag cd 'khandai- 
karasätmä (7) bhür° 2, om yo vai gri-Rämacandrah sa bhagavän yac 
ca brahmä "nandämritam bhür° 3, om yo vai °vän yas tärakam brahma 
bhür° 4, om yo vai °vän yo brahmä vishnur icvaro yah (!?) sarva- 
vedätmä (1?) bhür° 5, om yo vai °vän ye (*°) sarve vedäh sängäh sardkhäh 
sapuränd (2!) bhür° 6, om yo vai °vän ye pancd 'gnayo bhür° 7 (??), om 
yo vai ®vän yäh (2) sapta vyähritayo bhür° 8, om yo vai *vän yo jivd- 
imä (2*) bhür° 9, om °vän yah sarvabhütäntarätmä bhür? 10, om °vän 
yo (25) deväsuramanushyädibhävätmä (°°) bhür® 11, om °vän yag ca 


(!) havainam E. (2) so AE. (°) tän no E., der Dual bezieht sich wohl auf Arri 


und Bharadväja? (*) so M., °menai A., °menaivam E. (5) so EM., pur A. 

(6) so EM., kariti A. (7) so A., virvamdharam EM. (3) param vishnu° A. 

(°) so E., paripüranänan® A. (19) so E., param jyotisva® A. M(°zin°). 

(1!) so E., sasmaran A., samsmaram M. (12) so A., paregvaram E. 

(13) fehlt M. (so durchweg). (1°) Rämah M. (so durchweg). (13) so A., yah 
param brahma fehlt EM. (15) so A., fehlt E. (17) °ratho E., °raso M. 

('"$) so EM., ya A. (1?) devätmä M. (2°) so E., yam A. (2!) °nän E.: 
sapuränäh fehlt in M. (22) 7-10 werden in A. als 6-9 gezählt: in EM. stehen 7 und $ 
erst hinter 19 und 20. (23) yäm A. (2°) M. liest hier wie im nächsten Satze 
yas sarvabhütäntarätmä. (25) Dieser Abschnitt steht hier nur in EM., in B. dagegen 


als 35, und in A. ist eine Lücke zwischen 10 und 12: übrigens lesen ABM. ye. 
(25) devo .. bhävä BM., devä ... shyädiöhayavätmä FE. 


Die Räma-Täpaniya-Upanishad. 351 


matsya(!)-kürmädyavatäri(?) bhür° 12 (?), om °vän yac ca Manur (*) 
bhür° 13, om °vän yo (°) 'ntahkaranacatushlayätmä bhür° 14, om van 
yac ca Yamo bhür° 15 (°), om °vän yac cä ’ntako (?) bhür? 16, om °vän 
yac ca mrityur (?) bhür? 17, om °vän yac cä ’mritam bhür? 18, om °van 
yah (°) sthävarajangamätmä (!°) bhür? 19, om °vän yäni panca mahäbhü- 
täni bhür° 20, °yd ’vidyd° 21 (11), °y& sarasvati? 22, °yü lakshmi° 23, °yd 
gauri° 24, °yd Jänaki? 25, °yac ca (!?) trailokyam? 26 ('}), °yag ca süryo° 
27, °yac ca somo? 28, °yäni nakshaträni° 29, °ye (!*) nava grahä° 30 (15), 
°ye cäshtau lokapälä® 31 (1%), °ye cd 'shlau vasavo° 32, °ye caikädaca ru- 
dräa° 33 (17), °ye ca (!3) dvädagädityä°® 34, °yac ca (!?) bhütam bhav- 
yam (2°) bhavishyad? 35 (*!), °yo (??) brahmändasyä ’ntarbahir vyäpnoti 
yo viräd° (??) 36, °yo hiranyagarbho° 37 (?*), °y& prakritir® (25) 38, °yae 
comkäro? (2°) 39, °yäc catasro (?') ’rdhamäträ° (?°) 40, °yah (2°) parama- 


(!) yeg cämtsya A. (cämtaka von erster Hand, s. 16), ye matsyä M. (2) °tära EM. 

(3) in A. werden 12 und 13 als 14 und 15 gezählt(: da 10 als 9 bezeichnet ist, springt die 
Zählung von 9 auf 14). (*) manu A., präno EM. (5) Dieser ganze Absatz nur in 
EM., fehlt in A. (°) Die Absätze 15 bis 18 werden in A. als 16 bis 19 gezählt. In M. 
folgen sich 16. 15. 17. 18. 20. 19. 7. 8. 21. (7) so A., yah pävako E. (®) so EM., yag 
ca tyu A. (?) yat E. Dieser und der folgende Absatz fehlen in A., während E. (und 
M.) hier erst, nach ihnen beiden, die Absätze 7 und 8 folgen läfst. (19) mätmakam N. 

(‘!) Die Absätze 21 bis 29 sind in A. als 20 bis 28 gezählt. (12) yäg cäc ca A. 

(13) Dieser Absatz fehlt in M. Die nächsten Absätze bis 35 sind daselbst anders geordnet, 
und ist die Zahl 30 bei der Zählung ganz ausgelassen. Die Reihenfolge ist: (25). 29. 27. 30. 
28. 31. 32. 34. 33. (35). (1%) ye ca M. (1?) Dieser Absatz steht in A. erst zwischen 
32 und 33, ist resp. daselbst bezeichnet als 31. ('6) Dieser und der folgende Absatz sind 
in A. als 29. 30 gezählt. (17) Die Absätze 33 bis 35 werden in A. als 32 bis 34 gezählt: 
es wird resp. dabei die Zahl 33 übersprungen und somit 34 und 35 in gleicher Weise als 34 
gezählt. (1%) fehlt AE., c# B. (Hiermit nämlich beginnt die zweite Aufführung des 
Textes = B.) (1?) so A., yagca M., yad BE. (2°) fehlt BM. (2!) B. bezeich- 
net 35. 36 als 33. 34. (22), yad E. (2) virdd fehlt M., yo cai vit A., vyäptayo 
virät B., vyd virdt E. In A. ist die Zahl 35 übersprungen, der Absatz somit als 36 gezählt. 
B. fügt hier Absatz 11 als 35 ein. (@) in B. als 36 gezählt: in AM. stimmen fortab die 
Zahlen mit den oben angegebenen, bis zum Schlufs. (25) steht in B. hinter 40 als 41. 
E. liest: yac ca prabhütayo. (26) yac co° E., B. liest: ya ca mahädevo, als 37 bezeichnet. 

(27) ca tisro E. (2°) trag ca B. Zu lesen wäre eigentlich: ’rdhacatasro mäträh, wie 
ich Nrisinha Pürvatäp. 4, 3, 14 auch korrigirt habe. Für unsere Up. hier indessen ist auch 
obige Lesart gut genug. — Die Zahl des Absatzes (sollte 38 sein) fehlt in B., es folgt resp. 
40 als 41: die Zählung springt somit in B. über die Zahlen 39. 40 hinweg. (2?) yat B. 


352 WEBER: 


pürusho° (!) 41, °yag ca mahecvaro® (?) 42, *yacg ca mahädevo® (?) 43, 
°om (*) namo bhagavate väsudeväya yo?) mahävishnur® (°) 44, °yah (") 
paramätmä®° 45(*), °yo jnänätmä® 46 (*), ‘yah saccidänandaikarasätmä® (‘)) 
47 1 6. iti tän brahmä "bravit, saptacatvärincadbhir etair (1!) mantrair 
nityam devam stuvans, lato devah (!?) prito bhavati \ 7. tasmäd ya etair 
mantrair nityam devam stauti sa devam pagyati, so 'mritatvam ca gachati, 
so 'mritatvam ca gachati (!?) \ 

Während der vorige $ die Oberhoheit des Aäma über Civa, hat 
es unser $ hier, dessen Text leider ziemlich verderbt ist, mit deren An- 
erkennung durch Brahman zu thun (!*). Yäjnavalkya berichtet dem 
Bhäradvdja auf dessen Frage, durch welche Sprüche erfreut eri-Räma sich 
seinem Verehrer zu schauen gebe, dafs Brahman, durch gri-Räma selbst 
belehrt, diesen als „den Alles tragenden grofsen Fishnu, den leidlosen 
Näräyana, der da mit voller Wonne vereinte Einsicht hat, nur in der 
Gestalt des höchsten Lichtes erscheint, den höchsten Herrn”, seiner im 
Geiste gedenkend, mit einer Spruchreihe (!%) von 47 Sprüchen gepriesen 


(') °purusho EM. Dieser Absatz wird in B. als 42 gezählt. (2) yah paramegvaro M. 

(3) so E., yag comkärah A., yah paramapurusho M (wie 41). In B. fehlen die beiden 
Absätze 42. 43, s. jedoch dessen Lesart bei 39. (+) yäh om A., °yo om B. 

(5) so E., p? A., fehlt BM. (6) so E., vishnu® AM., °vishnave B. Dieser Absatz ist 
in B. als 43 gezählt. (7) In E. steht 47 (aber blos yak saceidänanda”) zwischen, 44 u. 45. 

(5) Dieser Absatz ist in M. ausgelassen, in E. als 46 gezählt; in B. ist er mit 46 umgestellt, 


und beide als 44. 45 bezeichnet. (?) Es folgt in B. als 46 ein weder in A. noch E. 
noch M. sich findender Absatz om yo vai °ccäsarvabhü? (!). (19) °nandara” B. E (s. 
note 7), °nandadvaitaikara” M. (1) So conjicire ich aus folgenden Lesarten: iti zän 


brahmäbravita bahavah catväri gabdädi hy etair E., ity etair brahmä saptacatväringan A., 
ity etän brahmavit saptacatväringan B. In M. steht blos ezaih saptacatväringan, 

(!2) desgl., stuvan tato devah E., szauti A., stutam tedivah B. In M. Lücke von nityam 
bis zum zweiten nilyam in 7. (13) Diese Wiederholung nur in AM., fehlt in E., 
welches ja seinerseits die Upan. hier noch nicht schlielst. 

(**) Brahman spielt hier eine äbnliche Rolle wie im Pancarätra, wo er als vom parame- 
gvara Krishna eingesetzter Ordner der Welt (jagadvidhi) erscheint, und wegen seiner An- 
ordnungen hie und da hartem Tadel sowohl wie dem Fluche der dadurch Betroffenen (1, 10, 6. 
14, 47) verfällt. Er erhält von Krishna selbst die Offenbarung über dessen Hoheit und theilt 
sie dann seinem aus seiner Stirn entsprungenen Collegen @iva mit (2,1, 13. 2, 19-21. 3, 97 
etc.), der sodann für ihre weitere Verbreitung sorgt. 

(15) Das Textwort hiefür ist gad4, welches ich sonst in einer ähnlichen Bedeutung (pro- 
clamatio etwa) nicht kenne. Doch hat das Petersb. Wört. für das mascul. gada Rede, Spruch 
eine Belegstelle aus dem MBhär. 


Die Räma-Täpaniya-Upanishad. 353 


habe, welche die Allheit des eri-Rämacandra durch Identificirung dessel- 
ben mit allen möglichen Phasen göttlicher und weltlicher Existenz verherr- 
lichen. Diese Sprüche nun, ebenso wie auch die einleitenden und schlie- 
{senden Absätze, sind nur eine Nachbildung von Nrisinhapürvatäp. 4, 3, 
worauf auch der schol. selbst hinweist (1), indem er zugleich auch noch die 
dem Rudra geweihte Atharvanaciras-Upanishad als eine analoge Darstel- 
lung enthaltend anführt (s. Ind. Stud. 1, 385). Die hier vorliegende Auf- 
zählung ist natürlicher Weise eine völlig sekundäre. Von irgend welcher 
annähernd genetischen Reihenfolge darin ist nicht mehr die Rede, es geht 
Alles pele mele durcheinander: sind ja doch auch die Handschriften selbst 
hiebei mannichfach differirend (s. oben). Voran stehen vier verschiedene 
Namen des höchsten drahman: es folgt 5. der irimürti (in Nris. 3—5), 
6. die veda (unter Hinzufügung der Puräna zu Nris.15), 7. 8. die fünf 
Feuer und die sieben vyähriti-Formeln (Nris. 16. 17), 9—11. drei verschie- 
dene Stufen der als einzelner Lebensgeist (Nris. 34) fungirenden Allseele, 
12. die Inkarnationen als Fisch, Schildkröte ete., 13. Manu (Nris. 27), 
14. die den vier(?) antahkarana als Substrat dienende seelische Stufe, 
45—17. drei Formen des Todesgottes (Yama, antaka, mrityu, s. Nris.28—30), 
48. das Unsterbliche, 419. die Seele alles Unbeweglichen und Beweglichen, 
20. die fünf Elemente (Nris. 24), 21—25. fünf weibliche Phasen der Gott- 
heit: avidyd, sarasvati, lakshmi, gauri, Jänaki (Nris. 8—10. 12), 26. die 
Dreiwelt (Nris.25), 27—30. Sonne, Mond (Nris.32. 33), nakshatra und neun 
Planeten, 31. die acht Welthüter (NVris. 18), 32—34. die drei Göttergruppen 
der VYasu, Rudra, Aditya (Nris.19—21), 35. die drei Stufen der Zeit (NVris.26), 
36. der das Brahma-Ei innerlich und äufserlich erfüllende virdj, 37. der 
Goldkeim (Demiurgos), 38. die prakriti (Nris. 11), 39. 40. der om-Laut 
und seine 31, (3) mäträ (Nris. 13. 14), 44—47. sieben verschiedene Namen, 
welche den Räma als höchsten purusha, grofsen Herrn, grofsen Gott (*), 


(!) ete manträ(h) gri nrisinhapürvatäpaniye dvätringadvyühe (es sind aber 36 daselbst 
aufgeführt), tathälharvanagirasi rudropanishadi|aträpi ca nänäpäthakramadrishiäh gri-Räma- 
candränugrahavadbhi(r) vahudhä parigodhitäh pälhakramabhanga(bha)yäl likhitä vijneydh \ 
ebhis tu sarvätmakatvam gri-Rämacandrasyocyate | 

(2) Die Sämkhya-Lehre hat nur drei anzahkarana: buddhi, ahamkära, manas ($s. kärikä 
33. 35): das vierte ist das ciZtam, s. nrisinhottaratäp.9, 20 und Camkara zu Fedäntas.?2, 4, 6., 
zu Mändükyop. (Roer p. 341), so wie in der Yajrasücy-Upanishad. 

(?) wörtlich: seine vier halben mäträ! (*) speciell Name Eiva’s. 


Philos.- histor. Kl. 1864. Na 


354 WeBer: 


grofsen Fishmu, höchsten man, ätman des Erkennens, und als aus Wesen- 
heit, Geistigkeit, Wonne alleinig bestehend bezeichnen. Als Lohn wird 
dem, der Gott also verherrlicht, dessen Gnade, leibhaftiges Erschauen des- 
selben, und Eingehn in die Unsterblichkeit verheifsen. 

Hiemit schliefst Text und Commentar in Chamb. 461 (ity ätharva- 
narahasye Rämottaratäpaniyopanishat samäptdä AC.), so wie auch M., in E. 
aber folgt noch ein langes (leider sehr corruptes) Stück, von der Hoheit und 
sündentilgenden Kraft des sechssilbigen Räma-Credo (Räm Rämäya namah) 
handelnd, und aus zwei 'Theilen bestehend, die ich als $ 6 und 7 hier folgen 
lasse: $ 6 (wesentlich in Prosa) ist aus verschiedenen Upanishad-Stellen 
und $7 (in cloka) aus Puräna- Auszügen zusammengewürfelt. 


S6. 


1. athainam Bharadväjo (!) Yäjnavalkyam upasametyovdca\ 2. cri- 
Rämacandrasya mahätmano (*) brühi bhagavann iti\ 3. sa hoväca Yä- 
jnavalkyah \ 

4. svaprakäcah svayamjyotih svayambhür ekacinmayah (?) \ 

tad eva Rämacandrasya manur adhyaksharah (*) smritah 

akhandaikarasänandatärakabrahmaväcakah \ 

Rämäyeti suvijneyah sadänandacidätmakah \ 

namahpadam (°) suvijneyam pürnänandaikavigrahah \ 

sadä ramanti hridaye sarve vedä mumukshava (°) iti U 
5. ya etam mantrardjam Rämacandra(sya) shadaksharam nityam adhite, 
so ’gnipüto (") bhavati, sa somapüto bh., sa brahmand püto bh., sa vish- 
nund püto bh., sarudrena püto bh., sa sarvena püto bh., sa sarvayajna- 
kratubhir ishtavan bh., sa sarvair devair jnäto bh. \ 6. itihäsapurdnändm 
rudrändm catasahasräni japtäni bhavanti, gäyatryah (?) shashticatasa- 
hasräni japtäni bhavanti, pranavändm ayutäni(?) japtäni bhavanti\T7.daca 
pürvän dacottarän punäli, sa panktipävano bhavati, sa mahän bhavati, so 
’mritatvam ca gachati \ 

4. manu = mantra. — 5. Vgl. Nris. Pürvatäp. 5, 3, 3 und den Schlufs 
der Mahopanishad Ind. St.2, 8. Die Form des dritten Namens der Trias: 


(!) °jah Cod. (2) fehlt etwa manum? (3) bhüyaikacinmaya Cod. 
(*) ?? ädhyakshara Cod. (5) ?namahvaham Cod. (°) ?? Dativ, mumukshu ca Cod. 
(7) jnepüto Cod. (2) so prima manu, °ryäf secunda manu. (?) täkäri God. 


Die Räma-Täpaniya-Upanishad. 399 


rudra weist eben direkt auf ältere Quellen hin. — 6. Im Eingang ist viel- 
leicht eine Lücke? Unter den rudräs ist wohl wie in Iris. Pürvatäp. 5, 9, 5 
das calarudriyam zu verstehen. Wer das Räma-Credo beständig murmelt, 
erreicht (durch jedes Mal?) „soviel, als ob er 100,000 mal (das Epos, die 
Puräna,) das catarudriyam, 160,000 mal die gäyatri, und 10,000 Male (?) 
den pranava (om) gemurmelt hätte”: vgl. den Schlufs der Mahop. a.a. 0. — 
7. „Er reinigt zehn (Familienglieder) vor und hinter sich”, vgl. Aecval. g-1,6 
(Ind. Stud. 5, 283. 284), so wie den Schlufs der Mahop. Zu panktipävana 
s. Ind. Stud. 3, 282. Taitt. Är. 10, 38. 39. — Der Schlufs ist einem Lieblings- 
ausdruck der Nris. Pürvatäp. entlehnt, siehe auch oben $ 2, 9 (p. 333). 


87. 


1. atha puräneshüdäharanti (!): 


D&D 


. gänapatyeshu gaiveshu cäktasauryamantreshv atha (?) \ 
vaishnaveshv api sarveshu Rämamantraphalädhikam 
3. gänapatyädimantreshu (japah) (?) kotigundädhikah \ 
mantrardjas tv andyäsaphalado (*) "yam shadaksharah u 
4. shadaksharo 'yam mantras tu sarväghaughavinäcanah \ 
mantrardja (i)li proktah sarveshäm ultamoltamah U 
5. kritam dainyena (°) duritam paksha-mäsa-"rtu-varshajam \ 
sa hareta (°) nihcesham tu (ca)läcalam ivd ’calah \ 
b. brahmahatyäsahasräni jnänäjnänakritäni ca \ 
svarnasteya-suräpäna(')-gurutalpäyuläni ca \ 
7. kotikolisahasräny upapätakajäny api \ 
sarväny api pranacyanti Rämamantränukirtanät \ 
8. bhütapreiapicdcädyäh küshmända (°)-graha-räkshasäh \ 
düräd eva pradhävanti Rämamantraprabhävatah U 
9. grämyäranyapacughnatve (?) samcitam duritam ca yat \ 
madyapänena yat päpam tad apy dcu vindäcayet U 
10. abhakshabhakshanotpannam mithydjnänasamudbhavam \ 
sarvam viliyate (!') päpam Rämamantränukirtanät \ 


(') °shuhäha? Cod. (2) so conjicire ich: gänapatyestu jnauvesu gokta sauttishiha- 

dah Cod. (?) fehlt Cod. (*) mantrastestvapranäyä° Cod. (#) ? ritam daityena Cod. 
(6) ? sarvadeha God. (7) päna Cod. (8) °ndä Cod. (°?) pagüghnatvam Cod. 
(1°) vilayate God. 


Yy2 


336 WEBER: 


11. grotriyah svarnaharandd yac ca päpam upasthitah \ 
ratnädyair vä ’iha harandj japena tad (!) vinäcayet 

12. gatvä ’pi mätaram mohäd agamyäm caiva yoshitam \ 
upäsitena manirena Rämas tad api näcayet \ 

13. mahäpätakayd vadhvd (*) samgatya (*) samcitam ca yat \ 
buddhipürvam agham kritvä tad apy äcu vinägayet \ 

14. krichraih saptaparäkädyair nänäcandräyanair api \ 
päpam durapanodyam (*) yat tad apy äcu vinägayet \ 

15. ätmatulyasuvarnddyair (°) dänair bahuvidhair api \ 
etad apy aparikshinam (°), tad apy äcu vinäcayet U 

16. avasthä(s) tu trayäc caiva mülabandham agham (!) ca yat \ 
tan mantrasmaranäd eva na-cesham tat pranacyati U 

17. tat-tad-gurüpadishiena vartmand 'nushihitam ca yat \ 
Rämätmä manur evd 'yam päparäcivindcakrit U 

18. äd brahmavijadoshäc ca (*) näcayeta prithak tathä (?) \ 

19. pitrimätribadhotpannam buddhipürvam agham ca yat \ 
nihcesham näcayet tv eva Rämamantränukirtandät \ 

20. pitrimätrisvasrighnändm yadvä vicväsaghätanam (!P) \ 
yadvd bälabadhotpannam krityä(h) gastvä susäyakam \ 

21. guruputrakalaträdibadhotpannam agham ca yat \ 
tadanudhyänamätrena (!!) sarvam etad viliyate U 

22. yah Prayägdäditirtheshu sarveshu Kuruksheträdishu (1?) \ 
süryaniyamädi kramäd (!?) bhüyah......(!') U 

23. strindm ca purushändm syän (1°) mantrend ’nena doshatah \ 

24. yeshu-yeshu virodheshu Rämabhadram upäsate (!°) ı 
daurbalyädibhayäny (!’) eshu na bhavanti kadä cana \ 

25. cäntah prasannavaradbo (!°) akrodho bhaktavatsalah \ 
anena sadrico (!?) mantro jagatsv api na vidyate U 


(') väpyaharand dyadyapenad Üod. (2) ? vishtä Cod. (3) gatyä Cod. 

(*) päpam laläpa° Cod. (5) ätmä tulyastuvar” Cod. (°) cimtad apy aparikshine Cod. 

(7) adyam Cod. (?) °shag ca God. (9) ? nägayeta ktathä God. Es folgen noch 
die Worte /öäpagaya nägayat | bhojanai mit denen ich nichts zu machen weils: es ist wohl 
ein Halb-gl/oka ausgefallen? (19) Lakam Cod. (1!) yadanughäna° Cod. 

(12) Kurukshetra, dreisilbig. (13) surya’mod Cod. ('*) sechs akshara fehlen und 
wohl noch ein Halb-g/oka. (15) sya Cod. ('°) upäsitak Cod. 


(17) ? dumithyddibhayeny Cod. ('?) ob vadano? (1?) dnantasädrigo God. 


Die Räma-Täpaniya-Upanishad. 357 


26. samyag ärädhito Rämah prasidaty eva satvaram \ 

dadäty äyushyam aicvaryam antam vishnupadam ca yat \ 
27. tad etad ricä 'bhyuktam: tad vishnoh paramam?° (') \ 
28. sa mukto bhavali, sa mukto bhavati (?) \ 

1. „In den Puräna heifst es beispielsweise: 

2. Unter allen sektarischen muntra, seien sie an Ganapati, Civa, die 
Cakti, Sürya, Vishnu gerichtet, kommt dem Rämamantra die höchste Wirk- 
samkeit zu: — 3. die andern manira müssen mehr als 10 Millionenmal (?) 
gemurmelt werden: dieser sechssilbige /täma-spruch aber ist wirksam ohne 
alle Anstrengung (blos durch einmaliges Murmeln?). — 4. Er vernichtet alle 
Sündenfluth und ist der beste aller Sprüche. — 5. Aus Noth gethane(?) Sünde, 
mag sie erst einen Halbmond, einen Monat, ein Sextal oder schon ein Jahr alt 
sein, nimmt er gänzlich mit sich fort, selbst unbeweglich, während sie gleich- 
sam locker wird durch ihn. — 6. Tausend Brähmana-Morde, wissentlich 
oder unwissentlich begangen, und zehntausend Golddiebstähle, Trunken- 
heiten, Schändungen des Lehrer-Ehbetts, — 7. 100,000 Billionen Vergehen, 
die durch kleinere Sünden entstanden sind — durch Aussprechen des Aidma- 
mantra sind sie alle vernichtet. — 8. Gespenster, Geister (Verstorbener), 
Picäca u. dgl., Incubonen (?), Kobolde, und Räkshasa laufen weit weg 
vor seiner Gewalt. — 9. Das Tödten von zahmen und wilden Thieren, 
Trunk berauschender Getränke, — 10. durch Unkunde geschehenes Essen 
verbotener Speisen — all die Sünde zerfliefst durch Aussprechen desselben. 
— 11. Wenn ein Schriftgelehrter durch Nehmen von Gold, Jıswelen u. dgl. 
sich versündigt hat, das Murmeln des Adma-Credo vernichtet alsbald diese 
Sünde. — 12. Ja sogar wenn Einer aus Wahnwitz seiner Mutter oder einem 
anderen verbotenen Weibe beigewohnt, für Pflege seines mantra vernichtet 
Räma auch diese Sünde. — 13. Ebenso die Beiwohnung mit einer sehr 
sündhaften Frau (?), oder sonstige wissentliche Sünde. — 14. Auch Sünden, 
die durch schwere Bulsen, wie saptaparäka u. dgl., und durch mannichfache 
Kasteiungen schwer zu vertreiben sind, — 15. so wie solche die sogar durch 
reiche Gaben (an die Priester) wie Gold in der Schwere des eignen Körpers 
u. dgl., nicht schwinden, vernichtet er schnell. — 16. Alle drei Alters- 


(') ° fehlt im Cod. (2) Der Cod. fügt noch säpräbhavati hinzu, wohl eine Deutero- 
logie aus dem Schluls der sofort sich anschlielsenden Unterschrift: i2y atharvaniye Rämotia- 
raläpaniyopanishat samdptah. (?) ? die alten kurnbhända, kumbhamushka. 


358 WEBER: 


stufen (?) und Sünden, welche die Wurzel binden (?), all das vergeht gänz- 
lich durch blofses Gedenken an Räma’s Spruch. — 17. Was irgend auf 
durch allerlei Lehrer gewiesenen Wegen erreicht wird, (alles das umfafst) 
dieser von Aiäma beseelte, alle Sünden tilgende Spruch. — 18. Bis zu den 
Sünden gegen Brähmana und gegen Embryo vernichtet er alle einzeln. — 
19. Selbst vorbedachten Vatermord und Muttermord vernichtet man gänz- 
lich durch Aussprechen des Rämamantra. — 20. Die Sünde des Mordes 
von Vater, Mutter oder Schwester, oder vertrauensvoll Genahter, die Sünde 
des Kindermordes, durch Recitirung von Zaubersprüchen (!), — 21. der Mord 
von Lehrer, Kind oder Frau(?) — all das zerfliefst durch das blofse Geden- 
ken an das Räma-Credo. — 22. Wer da in allen Wallfahrtsorten, Prayaga 
u.5.w., Kurukshetra u. s. w. der Reihe nach Kasteiungen wie den sürya- 
niyama (°) u. dgl. immer wieder (übt...), — 23. (... rascher wird Ent- 
sühnung) von Fehlen Männern und Frauen durch diesen Spruch. — 24. In 
allen Nöthen, wenn man nur den Rämabhadra ehrt, ist keine Furcht vor 
Schwachheit (?) und dgl. irgendje. — 25. Sanft, heiter, zornlos, gütig gegen 
seine Gläubigen (ist Adma). Ein ihm (dem Röma-Credo) ähnlicher Spruch 
ist nicht weiter in den Welten. — 26. Wenn ordnungsgemäfs angefleht, ist 
Räma schnell gewogen, giebt Leben, Herrschaft und als Ende (?) den Fishnu- 
Ort. — 27. Dies sagt die ric (1, 22, 20) „jenen, des Fishnu höchsten °”. — 
28. (Wer das Räma-Credo betet) er wird erlöst, er wird erlöst.” 

Von irgend welcher Moral braucht bei einem Adma-Sektirer dem 
Obigen nach gar keine Spur sich zu finden. Die blofse Aussprache des 
Räma-Credo oder gar nur das Gedenken an dasselbe giebt ihm Ablafs von 
allen Sünden. Bequemer kann man dies ja nicht haben, und erklärt sich 
hieraus, da ganz das Gleiche auch bei allen übrigen indischen Sekten wie- 
derkehrt, einestheils deren leichte und weite Verbreitung über alle Schich- 
ten des indischen Volkes, anderntheils des letztern moralische Versunkenheit 
und Energielosigkeit. Wo es dem Sünder so leicht gemacht wird, Ver- 
gebung, ja Vernichtung seiner Schandthaten, und wären sie noch so frevel- 
haft, zu erreichen, da kann von sittlichem Halt eigentlich gar nicht mehr 
die Rede sein. Und wenn das indische Volk trotz alles Wahnwitzes seiner 


(') susäyakam ist mir unklar. (?) oder: des Lehrers, (dessen) Kindes oder (dessen) Frau. 
(3) Ist damit etwa dasselbe gemeint, wie mit pancägni (s. Wilson s. v., und meine Be- 
merk. zu Yajrasüci v.27 p. 243) „vier Feuer um sich, die Sonne als fünftes über sich”? 


Die Räma-Täpaniya-Upanishad. 359 


fanatischen Sektirer und Mucker schliefslich denn doch noch immer einen 
reichen Fonds sittlicher Kraft in sich trägt, so ist dies nur der unverwüst- 
lichen Güte seiner geistigen Begabung und Natur zuzuschreiben. Haben 
doch auch wir, ihre alten Stammesbrüder, während des Verlaufes unserer 
Geschichte, insbesondere im Mittelalter, aber auch bis in die jüngste Neu- 
zeit hinein, allerlei Phasen durchzumachen gehabt, von denen sich der 
Freund der Humanität mit Schauder abwendet. 

Die obigen Verse selbst habe ich bis jetzt nirgendwo gefunden. Dem 
Tenor nach aber entsprechen vollständig die Schlufsverse des Rämahridaya- 
Capitels im Adhyätma-Rämäyana (1, 1, 53—56): gri-Mahädeva uväca: 

etat te ’bhihitam devi eri-Rämahridayam mayd \ 
atiguhyatamam hridyam pavitram päpacodhanam W531 
säkshäd Rämena kathitam sarvavedäntasamgraham \ 
‚yah pathet satatam bhaktyä sa mukto nd "Ira samgayahı Ns 
brahmahatyädipäpäni bahujanmärjitäny api \ 
nacyanty eva, na samdeho, Rämasya vacanam yalhä N55\ 
jatibhrashto 'pi päpi paradhanaparadäreshu nilyodyato vä, 
steyi brahmaghna-mätäpitribadhanirato yogivrindäpakäri\ 
‚yah sampüjyä’bhirämam palhati ca hridayam Rämacandrasya bhaktyä, 
yogindrair apy alabhyam padam iha labhate sarvadevaih sa püjyah N56u 

Die Schamlosigkeit des Sektirers geht hier so weit, dem ärgsten Sün- 
der, dem absichtlichen Vatermörder und Muttermörder sogar, zu verheifsen, 
dafs er eine auch für die ausgezeichnetsten yogin (Asceten) nicht zu er- 
reichende Hoheit erlangen, von allen Göttern zu ehren sein soll, wenn 
er nur gläubig das liebliche „Aäma’s Herz” genannte Capitel reeitirt! 

Auch die im vrataräja aus der Agastyasamhitä des Skandapuräna 
für die Feier des Rämanavamivratam, resp. des Rämapratimädänam, bei- 
gebrachten Verse heben die sogar noch in die früheren Geburten zurück- 
reichende sündenreinigende Kraft derselben hervor und verheifsen dafür ab- 
solute Erlösung (aus der Wiedergeburt), Erreichung von Vishnu’s höchstem 
Ort (d.i. hier etwa des Cvetadvipa? oder ob seliges Aufgehn in der Gottheit?): 

brahmahatyädipäpebhyo mucyate nd tra samcayah \ 
tuläpurushadänddiphalam präpnoti suvratah U 
anekajanmasamsiddhapäpebhyo mucyate dhruvam \ 
bahund kim ihoktena, muktis tasya kare sthitäN.... 


360 WEBER: 


...evam yah kurute bhaktyä cri-Rämanavamivratam \ 
anekajanmajätäni päpäni subahüni ca \ 
bhasmibhavanti päpäni yäti vishnoh param padam | 
Der technische Ausdruck für diese Vorstellungen ist in den süfra 76-82 
des die 5hakti verherrlichenden Cändilyasütra gegeben (ed. Ballantyne 
pag. 53. 59), wozu Svapnegvara entsprechende Citate (insbesondere auch 
Bhagavadgitä 9, 30) anführt, vgl. dazu noch Pancar. 1, 10, 77 ft. 4, 2,3. — 
Über den verderblichen Einflufs nun, den diese so höchst bequeme Lehre von 
der allein selig machenden Kraft der dhakti, des Glaubens, resp. des 
blofsen Betens der Glaubensformel, auf die indischen Sekten ausge- 
übt hat, s. noch die bereits oben (p. 277) von mir citirten Worte Wilson’s 
(As. Res. 17, 312. essays 1, 368—9) und Ind. Stud. 1, 422—3. 


Berichtigungen und Nachträge. 


Pag. 273, 29 lies: für zau v. 38. — pag. 277. 278 Zu Cvetadvipa 
als Land der Verheifsung s. Aufrecht Catal. p. 60a. — p. 281 Nach dem mir 
so eben bei der letzten Correctur zukommenden zweiten Theil von Auf- 
recht’s Catalogus p. 2S5b. 286a ist Rämänuja’s Blüthe AD. 1127 anzu- 
setzen. — p. 283 Die Millsche Sammlung enthält, Aufrecht's Catal. p. 390b 
zufolge, noch eine andere Handschrift (nr. 35), in welcher eine Hanümad- 
uktä Rämopanishad enthalten ist: Dr. Kielhorn’s Freundlichkeit, an die 
ich mich sofort um Auskunft darüber wandte, verdanke ich eine Abschrift 
derselben, wonach sie sich als von unserem Töpaniyam völlig verschieden 
und als ein ganz modernes Machwerk ergiebt: ich lasse sie unten als Anhang 
folgen. — p. 285, 20 lies: om, Ram, Rä-mäya namah. — p. 287, ult. lies: 
nishkälasya. — 303, 13 lies: unten v. 61. — p. 321, 3—5 Unter icvara ist 
hier offenbar nicht Rama (wie p. 342, 9), sondern Civa zu verstehen, 
s.p- 345, 1. 300, 18. — 329, ult. lies: Nris. pürvatäp. 1, 7, 9. Bhagavaagg. ° — 
p-337 Zu der Identifikation des a, u, m mit vicva, taijasa und präjna 
s. v.49. 50 von Suregvara’s pancikaranavärttika bei Aufrecht p. 226b. — 
p- 343, 28 lies: pratyagätmataya. 

Für die im Obigen mehrfach citirte Nrisinhopanishad verweise ich 
auf meine gegenwärtig noch im Druck begriffene Abhandlung darüber in den 
Indischen Studien 9, 53 ff. Berlin Ende Januar 1865. 


a Se ee Zen) 


Die Räma-Täpaniya-Upanishad. 361 


Anhang. 


Die Hanumad-uktä Rämopanishad. 


$1.(') 
1. Sanakädayo yogindrä anye ca rishayas lathä \ 
Prahlädädyä vishnubhaktä Hanumantam idam bruvan (?) win 
2. Väyuputra mahäbäho kim tattvam (?) brahmavädinam \ 
puräneshv ashtädagasu smrilishv ashlädacasv api U2u 
caturvedeshu cästreshu sarvädhyätmavidyäsu (*) ca \ 
sarveshu vishnubhinneshu vighnasüryecacaktishu u3u 
eteshu madhye kim tattvam kathaya tvam mahäbala \ 
. Hanumän uväca | 
4. bho bho yogindrä rishayo vishnubhaktäs tathaiva ca nt 
crinuta mämakim väcam bhavabandhavinäcinim (°) \ 
eteshu caiva sarveshu tatltvam ca brahma tärakam \s5\ 
Rama eva param brahma Räma (°) eva param tapah \ 
Räma eva param tattvam cri-Rämo brahma tärakam u6l 
5. Väyuputrenoktä yogindrä rishayo vishnubhaktäh punah paprachur 
Hanumantam: Rämasyä 'ngän (') no brühi, Hanumant (°) ı 6. sa hoväca 
Väyuputro: vighna(m) väni(m) durgäm kshetrapälam süryam candram 
närädyanam närasinham väsudevam värdham etän känccit (?) sarvän 
manträn _gri-Sitäm Lakshmanam (1°) Hanumantam Catrughnam Vibhi- 
shanam(!!) Sugrivam Angadam Jämbuvantam pranavam etän Rämasyä 
’ngän jäntydad, vind Rämam vighnakaro bhavati ('?) ı 
7. punar Väyuputrenoktäs te Hanumaniam paprachü (13): Räma- 
tapomahäbala ('*)! vipränäm grihasthändm pranavädhikärah katham 
syäd iti \ 8. punar uvädca Hanumän ı 


(') Beginnt: grihanumad-upanishada (!) likhyate om. (?) für abruvan. 

(3) tatvam God. (so durchweg). (*) °dhyätmam Cod. (?) bhavabadha° God. 

(%) Rämam Cod. (7) masculin! (8) mat Cod. (?) ?? värdhamayän 
kämeit God. (19) lakshana | kshmanam God. (1) Bibhish° Cod. (so durchweg). 

('?2) hier mufs wohl irgend etwas ausgefallen sein. Ob etwa zu lesen: zZän vind Rdmo 
vishnakaro bhavalti. ('?) paprachu God. (1%) Rämajapomahäbalam Cod. 


Philos.- histor. Kl. 1864. Zz 


362 WEBER: 


9. Ayodhyänagare ramye samäsino Rämo mayä 

prishtah: Sitäpate! yogimänasahansavipränäm 
grihasthänäm pranavädhikärah katham syäd iti \ 10. sa hoväca Rämo: 
yeshäm esha shadaksharädhikäro vartate, teshäim pranavädhikärah syän, 
nd 'nyeshäm\iil.pranavam kevalam akäram ukäram(!) makäram ardhamä- 
träsahitam japitvä yo Rämacandramanitram japati tasya gubhakaro ha (*) 
syäl\12.lasmäl pranavasya cäkärasya(*) [cokärasya](*) ca makärasya cä 
’rdhamätrasya (?) ca rishi-chando-devatä(s) tadvat (°) varnacatuhsthäna- 
svara-vedä-'gni-gunädiny (') uccärya, nyäsam kritvä, pranavamantrau ($) 
dvigunam japtvä, pagcäd Rämamantram ddyantapranavam yo japati sa 
Rämo bhaved \ 13. iti Rämenoktam (?) \ 14. tasmäd Rämängam (!') pra- 
navah kathita(h) \ 15. iti Väyuputrenoktäh punar Hanumantam paprachü: 
Rämabhakta! Vibhishanakritaparicaryäydm sapta sahasräni samskrita- 
väkyäni, s. s. gadyäni, panca caläny äryä, ashlau sahasräni clokä(c), 
caturvingati(h) sahasräni padyd (!!), daga sahasräni dandakä(h) \ 16. ('?) 
ily evam anukramam jnätvä kritakrityo bhavati, kritakrityo bhavati \ 

iti Hanumatoktä ('‘) Rämopanisha(t) samäptä U 


6.2. 
41. crih \ om \ Hanumän uväca \ 
2. sinhäsane samäsinam Rämam Paulastyasüdanam | 
pranamya dandavad bhümau Paulastyo (!*) väkyam abravit m 
3. Raghunätha, mahäbäho, kaivalyam kathitam tvayä ('°) \ 
ajnänasulabham caiva kathaniyam ca saulabham Wal 
4. cri-Räma uväca \ 5.(!°) atha panca dandakä(h) \ 6. pitrighno 
mätrighno brahmajäro guruhä 'nekakotiyatighno 'nekakrityo(!’) yo mama 
shannavalikolinämäni japati, tebhyah päpebhyah pramucyate, svayam. eva 
t) akdra ukdro Cod. ?) tasydgubhakaroham Cod. °) cakärasya Cod. 
Ya‘ ' J 

(*) fehlt Cod. (%) mascul. oder neutr.! (°) „ebenso”, d.i. „und”. 

(7) varndcatusthä° Cod. (5) mamtrd Cod. (?) Aktas Cod. 

(19) mämge Cod. (1) ob padyänı? s. 82, 11. (2) Dieser Absatz, wie der 
daran angefügte Schlufs von $ 1, füllt ganz aus der Rolle. Die Frage bleibt unvollendet: 
eine Antwort aber folgt in gewisser Weise in $ 2. (1) Ata Cod. 

(**) d.i. Fiöhishana, während im ersten Hemistich Advana unter Paulastya zu verstehen ist. 

('’) ? mard God. ('%) wohl eigentlich Glosse? s. unten 11, und oben $ 1, 15. 

(*) darin ist wohl Arizyd, Zauber, enthalten ? 


Die Räma-Täpaniya-Upanishad. 363 


saccidänandasvaripo, bhaven na kim? \7. punar uväca Fibhishanas: taträ 
'py acakto yah, kim punah karoti?\8.sa hoväca Rämah: pancäcallaksha(m) 
manmantram ädyantapranavam, mama(') manträ(d) dviguna(m) prana- 
vam(?) yo japali, svayam evä "ham, bhaven na kim? \ 9. punar uväca 
Käkvaceyas (?): taträ’py acakyä ye, te (?) kim kurvantiti \ 10. sa hoväca 
Rämo \ 11. (*) "tha (°) trini padyäni \ 12. puragcaranavidhäv (°) acakyo(?) 
yo mama nämasahasram madvigvarüpandmäshiottaragatäbhidhänam (°) 
Näradoktam stavaräja(m) Hanumaduktam mantram  räjätmakastavam 
Sitästavam ca(?) Räma-rakshetyädibhih stavair etair yo mäm nityam 
siauli, sa matsadrico bhaven, na kim bhaved iti \ 
ity ätharvanarahasye Rämopanishat samäptä. 
In beiden $$ tritt somit Adma selbst als Verkünder seines mantra auf. 
Von Interesse ist hierbei, wie er in $ 2 mit sich handeln läfst, um seine Ver- 
ehrung den Gläubigen möglichst bequem zu machen. Zuerst verlangt er das 
Beten seiner 960 Millionen Namen, wofür dann freilich auch der ärgste Sün- 
der, der Mörder von Vater, Mutter, Lehrer, und von unzähligen Büfsern, 
der Ehebrecher mit seines Lehrers Weibe, etc. aller Sünden ledig, selbst 
zum Wesenheit-Geist-Wonne-Gestaltigen, ja zu was nicht? wird. — Die 
nächste Abstufung für den, der dies nicht leisten kann, ist das 5 Millionen- 
malige Murmeln des (sechssilbigen?) Räma-Credo mit om davor und da- 
hinter, und die doppelte Zahl für das Murmeln des om allein: auch dafür 
wird völlige Identität mit Adma verheifsen. — Endlich das Minimum ist das 
stete (d. i. wohl: tägliche?) Murmeln der 1000 Namen des Räma, der 
108 Namen, welche seine Allgestalt schildern, des von Närada verfafsten 
Lobhymnus, des von Hanumant verfalsten mantra, des Hymnus, der sein 
königliches Wesen schildert, des Sitästava, des Spruches „Adma, schütze!” 
u. dgl. Auch dafür wird man A@ma-ähnlich: „was würde man nicht?” 


(') pancägal? bis mama ist ein Halb - g/oka. (2) vo Cod. 

(?) tannäthagakydyetiCGod. Die Worte von agakyä bis vidhäv in 12 stehen doppelt im Cod. 
(*) wohl eigentlich Randglosse? s. 5. (5) yas Cod. das erste, ya das zweite Mal. 
(6) so das erste Mal, puragcaranevidhäv das zweite Mal. (7) agaktyo Cod. 

(3) °rüpamnamä? Cod. (?) es fehlt etwa japati. 


Zz2 


364 


akära 324. 33. 6. 62 

akäräkshara 337. 40 

Akopa 302. 5 

akrüra (= m) 317. 9 

akrodha 356 

akshara (Silbe),m. 273. 
308. 9. 33. 7 

— adj. 344 

akhanda 350. 4 

agamyä 356 

Agastisamhilä (°stya°) 
281. 4. 303. 36 

agni 324. 6 

— (=[r) 317-9 

(fünf) 350 

Odera 321 

°puräna 251 

Opüta 354 

Pvija 318. 9 

agnishomätmaka 293.4 

agrähya 338 

agha 356 

aghaugha 355 

anka 294. 5. 301 

— °sthitä 299 

ankita 294 

ankuga 306 

anga 288. 361 (masc.) 

— sechs 301-4. 26. 7 

— sieben 342 

— (sänga) 350 

Angada 302 

anghri 321 

acala 355 

acintya 333 

Aja 276 

ajaikapäd 304. 12 (ru- 
dra) 


WEBER: 


INDEX. 


ajnäna 323. 4 

— (jnänä°) 355 
anu 274. 95. 318. 20 
Atri 344. 5 
atharva-gikhä 340 
— °ciras 284. (353) 
atho 274. 318. 9 
adrishta 338. 43 

— (drishtä?) 294 


adbhutottarakända283. 


94. 341 
advaya 340 
advitiya 287 
advaita 338. 50 
adharma 322. 4 
adhas f.c.273.300.1.21 
adhikärin 287. 329 
adhidaivam 350 
adhibhütam 350 
adhishihäna 338 
adhyäimam 350 
adhıydtmarämäyana 

280. 1. 3. 341. 59 
adhyädtmavidyä 361 


ananga 308. 12 


ananta (Schlange) 302. 


5. 14. 24 


— (= 4) 293. 317. 8 


— adj. 286. 344 

— °rüpin 289 

anala 312 (vasu) 

— (=r) 318.9. 33. 5 
anämaya 352 
andyäsa 355 
Aniruddha 303. 27. 40 
anıla 302. 12 

— (=y) 318 
Anilaja 3206. 7 


anu 329. 30 
anukirtana 356 
anugraha (= au) 314. 
5. 17-9 
anugrahä 326 
anugrä 326 
anudhyäna 356 
anupäyini 336 
anushnagu 273. 93 
anusvära 317. 9 
anaigvarya 323. 4 
anta 357 
antahkarana, vier 342. 
51. 3 
antahprajna 333. 43 
antaka 351 
antar 325 
antarätman 350 
— 303. 25 
antarbahis 351 
antaryämin 338 
antyärthin (?) 314. 5 
anvarthädisamjnaka 
288. 9 
ap s. äpas 
aparäjita 313 (rudra) 
apyaya 338. 42 
aprajna 338. 43 
ab-ätman 325 
abja 321. 7. 8 
abhakshabhaksh? 355 
abhiräma 286. 7 
abhyukta 357 
amara (= u) 317-9 
amala 328 
amrita 350. 1 
amritatva 333.7.52.41.5 


amritaripa 336 


amritibhd 329. 31 


amoghä (=ksh) 317.9 
ambhas (—=v) 318. 20 
ayuta 354 


Ayodhyä 362 

ari (arin) 327. 8 

Arimardana 274. 302 

arka 324 

arcana 321 

V arcay 321. 3. 5. 45 

— + abhi 325 

arcä 322 

— vidhi 321 

arcıta 324 

arna 274. 309. 11. 2 

arthagarbhavati 335 

Arthasädhaka 305 

arthasrishti 335. 6 

ardha-candra 334 

— °mätra (masc.) 273. 
333. 7. 62 

— °mäträs, vier (!) 351 

— "mäträtmaka 337.40 

ardhodaka (?) 332 

alamkärakaustubha336 

alakshana 338 

alinga 338. 40 

avatära 274. 50. 351 

avasthä,vier335.6.56(?) 

avıkalpa 349 

avidyd 325. 6. 51 

— °tatkäryahina 338 

— °amomoha 338. 43 

— "imaka 343 

Odarä 332 

Oyrieti 343 

%ravala 335 

avidyopädhi (?) 336 


avindbhäuya 292 

avimukta, °ktam 285. 
329-31. 3. 7. 44-50 

avairägya 323. A 

avyakta,”ktam 335.42.4 

avyapadesya 338 

avyavahärya 338 

agaririn 287 

Agoka 305 

ashta-kula 314 

— °dala 303-6. 9 

— °patra 308. 9 

ashtärna 309 

Vas -+ ni 292 

Asi 348 

astra 288. 303 

— masc. 299 

— (= phat) 310.11.9 

— (tad°) 326. 7 

asra 308 

ahamkära 335. 42 

aham 338. 43. 62 

Ahalyä 276 

ahirbudhnya 304. 12 
(rudra) 

dkäcdtman 325 

ägneyädishu 301. 2. 8 

ägneyi' 303. 4 

°ätmaka 333. 7 

ätmatulya 356 

ätman 290.1. 337. 8-41. 
3-5 

(Mittelkörper) 348 

vier 274.303.4. 25.7 

— neun 325 


— 5. anlahkaranac, 
antar°,änandä°,cka- 
rasä° ‚jivä°, paramä°, 
brahmä°, bhävä°, Rä- 
mä’, sarvavedä°, 
sthävaraj° 

ätmamürti 296 
ätharvanagiras 353 
ädi (a-ädi) 310 


Die Räma-Täpaniya-Upanishad. 


ädi (desgl., = om) 335 
12 Adityäs 304. 51 
ädyantam 273. 97. 8 
ädhära 323 

— gakti 278. 321. 3 
änanda 354 s. saccidä® 
— (paramä°) 350 

— (pürnä°) 350 

— (brahmä°) 337 

— °kanda 324 
Änandagiri 230 
änanda-nidhi 284 

— °pada 319 

Obhuj 338 

°maya 338 

rdpa 338 
Anandavana 234 
änandätman 350 
änandämrita 350 
änandaikacidätman344 
— — °vigraha 337 


— — °vijnäna 350 

äpas 312 

äpya 304. 7 

4-brahmavija 356 

äyudha 302. 5. 6 

äyushya 357 

äranya 355 

ävarana 283. 301-6 

— °püjä 327 

ävriti 304 

drävid 299 

äcädvydgäsu 325 

ägrita 333. 7 

äsandi 322 

äsura 297 

Vi adhi 354 

üya 288. 9 

itı 272. 89 

itihäsapurädna 354 

12 ina 274. 311. 2. 3 

indu 302 

— (= vindu des om) 
314. 5 


Indumati 279 

indra 304. 13 (dditya) 

indränf 326 

indrädi 304. 7 

indriyakrita 344 

ira 274 

— °ja 274. 310. 1 

— °putra 274. 97. 8 

iga (— kuvera) 302. 5 

— (= giva) 361 

Igä 326 

isdna (— kuvera) 305 

icdnd 326 

igvara (— Räma) 321 
(!). 42. 60 

— (= £iva) 320.1 (!). 
45. 50. 60 

igvaratva 343 

igvari 296 

ukära 324. 33. 62 

ukäräkara 337. 40 

ujjvala 338. 43 

utkarshani, °shin? 326 

utkramamäna 329 

uttamädhikärin 287.329 

ultamottama 355 

10 uttarän 354. 5 

uttaratäpaniya 272.329 

utpattisthitisamhära 
337 

uddegatas 307 

udyatärtha (?) 336 

udreka 236. 7 

upanishad 338 

upapätaka 355 


upalakshana 315 (°na- 


ya). 36 
upalakshita 332 
upavyäkhyäna 337 
upagama 338. 43 
upahära 327 
upädhi 332. 7 
— rahita 336 
upäsaka 287. 343 


365 


updsana 329 

upäsita 356 

upäsitavya 333. 6 

upästi 329. 42 

upäsya 333. 44 

ubhayatahprajna 333. 
43 

umadhya 335 

ürmi (= sechs) 274. 
308. 9 

ri (im vija) 310. 411 

rim (?) 311 

ricas 274. 328 

li, 1# 303. 10. 9 

eka fc. 354 

ekacidätman 344 (dnan- 
daika°) 

ekacinmaya 35 

ekadandin 349 

ekarasa 354 

Pekarasätman 350. 2 

ekätmyapratyayasära 
338. 43 

eki-kurydät 338 

— °bhüta 338 

ekonavingatimukha337. 
8. 42 

aikya 290. 336 

aicäna 308 

aigvarya 286. 323. 4. 57 

omkära 296. 335. 41. 51 

omkärätmaka 336 

om 289. 90. 337 -40 

Karmkila, Kamkola 314 

kandikä 337 

katama 344 

kanda 324 

kapälin 304.13 (rudra) 

Kapindra 298 

kapigvara 297 

Kabandha 276. 97. 8 

V kam 338 

kamatha 278. 323 

kamala 323. 4 


366 WEBER: 


kamaladhärin? 295 küta(—=ksh) 314.5.7.9 khanda, Ondik6272.332 ca (u.s.w.) 274. 314 » 


— O%äsana 323. 4 kürca 322 Gangä 345. 6 cakra 306. 28 
karanatva 259 kürma 277 ganapaty-ädi 355 V eaksh + vyä 329 
karna 332. 45 — °nägau 321. 3 ganda 316 caturthi 273. 91 
karnikä 302. 24. 5 — (avatära) 231. 351 gadä 306. 27. 8 catushpäd 337. 42 
kartar 288. 9 küshmända 355. 7 —, Hymnus 274.350.2 Candana 306 
karman 288. 9 krichra 356 gadyäni 362 candanädya 327 
5 karmendriya 342 kritakritya 362 gabhasti304.13(dditya) candra 237. 93. 336 
kalatra-badha 356 krityä 356. 62 (f.c.?) V gam, coire 356 — (Zeichen) 333, 4 
kalä 319 krimikitädi 345 — + sam 356 candramas 336 
— (= avidyä) 335 Krishna 277. 8. 80. 1. garbha 333 candräyana 356 
— tattva 325. 6 340. 7. 52 — °yati 335 candrıkä 293 
— °nädayos 336 kevaladravya 336 Gaväksha 306 caläcala (?) 355 
kalpataru 296 Kegava 284 gänapatya 355 V ei + sam 355. 6 
kalpadruma 295 kegavädinyäsa 319 gäyatr! 354 cichakti 289 
kalpanä 287. 8 kesara 308-11. 6. 24 gir 308 cit 295 (s. sacci@?) 
kalpavriksha 233. 324 kaivalya 337. 62 giriga 304. 12 (rudra) eitti 335 
kavaca 303. 8(vija). AT kaivalyopanishad 330 3 guna289.313.24.5.62 eitpratibimba 343 
Käkvageya (?) 363 koti 355 (koti). 62 — °vijam 335 cidätmaka 333. 54 
Käpileya 278 — °guna 355 gunänta 318. 20 cidätman 286. 345 
käma 333 kona-ganda 316 guru 277. 356 cidänandamaya 341 
— °rüpa 296 — °iraya 295 — °talpa 355 cinmaya 236. 7. 300% 
kämikäd (= t) 317.8 — °pärgva 308 — (°badha) 356 49. 54 
— °pancama (= n) konägra 308 grihastha 362 cinmayädigakti 288 
317-9 kopatattva 315 gotva 336 V eud, Caus. + pra 313 
käyakleya 349 kogakära 336 Gopälatäpan?271-3.340 cetomukha 338. 43 
käranatva 239 Kosalajätmaja 295 Govindabhagavat püj- caitanyddi 336 
kärttiki 326 Kaugika 306 yapäda 284. 349 chändasa 274. 336. 7 
käüla 342 (°vacana) kaustubha 306 Govindä-”nanda 344 — °tva 293 
— = m) 318 kramadipikätikä 282 — ’rcanavasudhä 282 jagat 289. 93. 4. 6. 335. 
kälatas 287 kriyä 288. 9. 326 Gaudapäda 271 56 (plur.) 
Kälidäsa 279 krodha(—=hum)308.19 gauna 336 — °präna 290 
Käci 332. 7. 44.6. 9. 50 — °rüpin 299 Gautama 306 jagad-ädhära 327 
kinjalka 317 krodhini (= r) 317. 8 gauri 351 — °änanda 337 
kirita 306 klega 349 graha 355 — °dhartri 340 
kita 345 kshamä 323 — (neun) 351 — °bhäsin 349 
kila, kilaka 292 kshänta(ksha-anta)310 — °märana 315 — °yoni 294 
kundala 306 kshira-samudra 277. 8 grämya 355 — °vidhi 352 
kundalin 294 — °sindhu 283. 323. 4 ghata 345 Jagannätha 347 
Kundina 284 kshudhä (= y) 317. 8 Ghatayrotra274.99.300 jamgamätman 351 
kundin? 335 kshetra 345 °ghana 338. 42 jatädhara 294 
kumbhända 357 — °päla 321. 3. 61 ghätana 356 Janaka 331 
Kurukshetra 329. 56 kshvela (= m) 317-9 ghräna 344. 9 Janakätmajä 299 


Kulika 314 khadga 306 ne 273. 95. 6 jantu 329. 45 


Die Räma-Täpaniya-Upanishad. 


janman 333.59 (bahu°) jyotis (= r) 317. 9 


— (aneka°) 359. 60 

janmäntarita 345 

V jap 344. 62. 3 

japa 327. 44. 56 

japta 354 

Jayantaka 302. 5 

jarä 333 

jägaritasthäna 337. 42 

jägrat 342 

jägradavasthä 343 

jatibhrashta 359 

jätivädibhis 336 

Jänakt 301. 51 

— °dehabhüsha 296 

— Onätha 332 

— °mantra 296 

— °vallabha 282. 301 

Jäbälopanishad 272.84. 
330. 43. 4.7 

Jämbavant 302. 61 

Jäväli 306 

jirnamata 282 

jivat 345 

jivatva 289 

jivanmukti 337 

jivaväcin 291 

jivätman 291. 350 

jetar 294 

jnäna 344. 9 

— 323. 4. 6 

— Mtattva 325 

— °mayi 300 

— °märga 2836 

— °mudrä 300. 1 

— Plakshınt 301 

jnänä 326 

jnänäjnänakrita 355 

jnänätman 352 

— 303. 25. 6 

jnänin 349 

5 jnänendriya 3/12 

jyotirmaya 239 

jyotis(param)338.49.50 


jyotirasa 338 

jvälin! (— v) 317. 8 

Todaränanda 281 

Takshaka 314 

tata 345 

tat sat 338 

tatkärya 338. 43 

tattva 361 

— vier 274. 325. 6 

— neun 325 

tattvatas 338 

tattvadargin 349 

tatpada 33% 

tantra 271-5. 81 

— °sära 316 

tanmaya 290. 1 

tanmätra 335 

tapana 271 

tamas 324. 38. 43 

— im Anfang 335 

V tar 333 

— Caus. + sarn 333 

talpa s. guru° 

tädätmikä 294 

tänta (= th) 317-9 

täntänta (= d) 317-9 

täpant, °niya 271 

täpint 271 

— (=v) 318. 9 

tära (Ton) 336 

— (om) 307. 19. 35. 6 

tdraka 333. 7 

tärakam brahma 329, 
30.2.3.5.6.42.50.4.61 

tärakatva 333. 7 

tärakopanishad273.334 

täla 298 

— °vrinta 300 

tikshnd (= p) 317. 8 

tirtha 356 

turiya 342. 3. 7. 9 

turyasamdhau 349 

tuläpurusha 359 


(ätma)tulya 356 
till 323 

tejaätiman 325 
tejas 300. 24 

r) 293. 317 
taijasa 337 - 42. 60 
tränana 274. 88 
trikälätita 337 
trikona 295. 316 
trikonaka 300 
tripurd-tapanam 271 
trimätrika 335 
trimürti 290 
trirekhäputa 307 
trigüla 306. 16 
trailokya 351 

— °pijya 343 


— (= 


tryasra 300 

tvagdhätu 319 

tvac (= y) 317-9 

tvampada 332 

daksha 292 

danda 306 

dandaka 362 

dandavat 362 

V darg Caus. 350 

dala 303-6. 10. 1 

daga pürvän 354 

Dagaratha 286 

Dagäsya 296 

däna 3506 

Dägaratha 313 

dikpati 304. 13 (rudra)) 

dinakara 313 (dditya) 

diväkara 304 (äditya) 

dig 314. 5. 21 

dirgha (sechs) 301-3. 
8. 19 

— (= ä) 317-9 

dirghä (= n) 317-9 

dirghänala (= rä) 319. 
33. 5.6 

Dundubhi 298 

durapanodya 356 


367 


durita 355. 6 
durgä 321 
Odrig 349 
drishtddrishta 294 
deva 288. 325. 52 
— (Sinn) 329. 30 
devalä 288 
devayajanam 329 
deväsuramanushyädi 
350 
devega 345 
degatas 287 
degika 274. 321. 3 
dehamadhya 342. 8 
dehin 337 
dainya (?) 355 
dosha 344. 5. 56 
daurbalyädi (?) 356 
dm (ohnePosition?)314 
dyaurloka 344. 8 
dravya 3306 
— °vädibhis 336 
dvätringära 311. 2 
dvddagäkshara 310. 11 
dvädagadala 310 
dvärapüjä 321. 2 
dväropeta 313 
dvicatvärı 273. 88 
dvitiyä 273. 307 
dvibhuja 294. 5. 300, 1 
Dvivida 306 
dvisapta 290 
dvaitarahita 338 
Dhanada 306 
dhanurdhara 294 
dhara 304. 7.12 (vasu) 
dharanisuravara 284 
dharma (Yama) 302 
— °"märga 236 
Dharrmapäla 302. 5 
dharmädikäs 274. 320. 
1.4 
V dhä ++ antar 328 
dhänta (= n) 317-9 


368 Weser: 


dhätar 302. 4. 5.7. 14. närdyana 280 (as). pada (Wort) 335 päpa (m. und.n.) 344.5. 


2.3 352 — (param,paramam) 55. 6. 9. 60. 2 
Y ahäv + pra 355 — (bei den Jaina) 280 328. 57. 9. 60 päparägi 356 
dhiro 294 — (mantra) 309. 61 padma 306 päpin 359 
dhritah (= dhritavän) — (= 4) 318 — (madhya°) 321.2.4 päpman (sarva°) 333 
273. 300 ndla 324 Padma (bei den Jaina) päratattva 325. 6 
Dhrishfi 302. 4. 5. 11. nägf 344. 5. 8 280 Pärägaribhis 335 
20. 7 nityam 352 Padma(ka) 314 pärgvärcana 321. 2 
Dhrishtyashtaka 294 nidräyd (= dh) 317.8 padmapuräna 281 pärshada 314 
V ahya 311. 3. 27 nidhana 350 padmädyädsana 321. 2 pävaka 351 
dhyäta 324 niyama 356 padya 362. 3 °pävana 354 
dhyäna 286 nirapekshatva 343 param (jyotis) 338 päga 306 
dhruva 304. 7.12 (vasu) nirastdvidydtamomoha — (brahma) 286. T. pdshänapratimädi 345 
— (= om) 335 338. 483 338. 50 pitri-mätribadha 356.9 
dhvaja 306 nirguna 287. 329 — padam 360 — °ghna 362 
nakshatra 351 nirgunakäpti 329 para (loka) 344 pindkin 304. 13 (rudra) 
nan 273. 321. 3 nirdega 307 parajyotihsvardpin 350 pigdca 355 
nati 310. 1. 8. 9 nirvijatva 343 paratattva 325 piiha 321. 2 
namas 290. 1 nivritti 297 paradära 359 — Ppijä 322 
nayana 303 — 303. 25. 7 paradhana 359 pitaväsas 294 
Nala 306 nihgesha 356 parama-jyotihsvabhäd- pitä(? = sh) 318. 20 
navina 282 nishkala 287. S va 349 purns 288 
V nag Caus. 344. 5. Nilamukhya 327 — °purusha 351. 2 °puta 307 
55. 6 Nilädi 302. 4. 6 — °hansa 329 pufita 316 
na-gesha 356 V nu 342 paramätman 352 punyavagät 349 
näga, acht 314 nrisinha 314. 5 — (einer der Adtman) putra (-badha) 356 
— (kürmandgau) 321 — täpaniya 21. 84. 303. 25 puragcarana 363 
ndgabali 314 340. 60 paramänanda 39. 50 puräneshu 281.354.5.61 
Nägega 287 — puräna 281 paramegvara(—(iva) (sa-)purändh 350. 3 
näda (des om) 314. 5. nrisinhdnushtubh 313 300 purusha 356 
SSTASSHT Nrisinhägrama 282 — (= Krishna) 3552 °— (Geist) 341. 52 (u) 
— yindukaläs 336 Nrihari 284 — (Räma) 300. 50.2 — gabdaväcya 332 
— 'pindusamdyuta netra 303. 8 paramegvari (Sitd) 294 purushärtha 349 
s11. 2 nairritya 308 parä 335. 6 pushta 296 
nänd? 356 naivedya 327 parägdrig 349 pushpakavimäna 324 
nämasahasram 363 _nyäsa 310. 5. 9. 62  parichedatraya 287 V pi 354 
ndmin 274. 91. 2 pakshamäsa° 355 paripürndnanda 344  Y pdjay + sam 325 
Närada 277. 8. 347. 63 panktipävana 359 pala-dvaya 301 püjängayantra 293 
— (Minister) 306 paricardtra s. Närada° — °mätra 301 püjdyantra 316 
— °paricarätra2T78.82. panicdgni 358 (350) V pag (devam) 352 püjdvidhäna 347 
322 fl. pancdgadvarnavija 324 pagughnatva 355 Opita 354 
närasınha 317 panicikaranavärit? 360 pagyanti 335. 6 pürnänanda 350 
— (mantra) 314. 5.61 Y path 328 °pänin 295 (pari-)pürnänanda 344 


ndrasinhi 326 pattana 298. 328 päda (Viertel) 338 10 pürvän 354. 5 


Opürvaka 335 
pürvatäpaniya 271. 329 
prithivi 321. 3. 4 
prithivyätman 325 
Paulastya 362 
— °südana 362 
prakägana 300 
prakägänanda° 336 
prakriti 277. 94. 323. 
35. 42. 51 
— °mayapaträni 324 
pragrihya 319 
prajna 338. 43 
prajnänaghana 338. 113 
pranava 307. 35.41.54. 
61-3 
— (7 Theile des) 315 
pranavatva 274. 337. 
4-2 
pranava-putita 316 
— °müla 342 (veda) 
— Pänga 324 
pranavä 342 
pratimä 322. 45 
pratishedha 3/13 
pratishthä 303 
— (=ä) 317.8 
pratishthita 344 
pratyagätmatä 343. 7 
pratyagdrig 349 
pratyayasära 338. 43 
pratyayärtham 298 
pratyüsha 312 (vasu) 
prathamätikrama 319 
Pradyumna 303. 27. 40 
pradhänä 326 
prapaficasära 284. 335 
prapaficopagama 338. 
43 
prabhaväpyayau333.43 
prabhäsha, °bhäsa 312 
(vasu) 
prabhüti (?) 351 
prabhvi 326 


Die Rama-Täpaniya-Upanishad. 


pramukhasena 288 

Prayägädi 356 

pralaya 348 

praviviktabhuj 338 

prasanna 321. AA 

— yadana 294 (356?) 

— °varada 356 

praharana 305 

Prahläda 361 

prahvi 326 

präkrita 289 (Baum). 
320. 1 (jane) 

prägguna 290 

präci 303-7 

präjna 337 -13. 60 

präna 329. AA 

— (fünf) 3142 

— (=y) 318. 9 

priyd (— dh?) 318 

prita 350. 2 

pritä (? = sh) 318 

priti (= dh) 37. 8 

— 303. 27 

preta 315. 55 

phat 303. 11 

phanisamyata 313. 4 

phalada 355 

badha 356 

bandha 338 (°hara). 61 

Bali (s. Vali) 279 

bahihprajna337.8.42.3 

bälabadha 356 

Bälin 298 

Buddha 276 

buddhi 336 

— °pürvam 356 

brihad-äranyaka 284 

— uttaraläpini 272 

Brihaspati 329. 31 

Bauddhais 336 

brahmaghna 359 

brahmajära 362 

brahmano rüpakalpanä 
287. 8 


Philos.-histor. Kl. 1864. 


brahman, n.285-8. 332. 
5. 7. 8-41. 50. 61 
— (Spruch) 329. 30. 

2. 50. 61 
— (Veda) 342 
— m. 305. 45. 50. 2. 4 
brahma-yämalatantra 
281 
Pväcaka 354 
°vädinas 337.42. 61 
Ovidas 344. 9 
Pvidyd 332 
°vija 356 


Oyaivartam 282 


— 


°sadanam 329 
°hatya 333.45. 55.9 
brahmäni 326 
brahmända 274. 351 
— °puräna 280. 3/9 
brahmätmaka 333. 6 
brahmätmasvardpa33T 
brahmätmaikya 332. 7 
brahmädi 238. 9 
brahmänandaikavigra- 
ha 337 
brähmana, adj. 274. 
33347 
Obhakta 328. 61. 2 
— Pyvatsala 356 
bhakti 277. 8. 345. 7. 
59. 60 
bhakshana 355 
bhaga 304 
bhagavant 310. 44. 50.2 
bhagavati 337. 41 
Bhattapädais 284 
Bhattikdvya 280 
Obhadra 296. 7. 333. 4 
bhaya 333. 56 
Bharata 300. 1. 2. 37. 
8. 42 
Bharadvöja 333. 5. 54 
— (Minister) 306 
bhavat 337. 8. 40 


369 


bhavabandha 361 

Bhavabhüti 279 

bhaväri 327. 8 

bhavishyat 337. 8. 51 

bhavishyotlarapuräna 
294 

bhavya 337. 8. 51 

bhasmi(bhü) 360 

bhägavatän 277 

bhägavatam purdnam 
2852 

Pbhäjin 308 

bhänu 304. 13 (äditye) 

Bhäradväja 350 

bhäryä 342 

°bnäva 350 

°bhävanä 337 

Obhuj 338. 42 

44 bhuvana 290.1 

bhuvanädhiga 304. 13 
(rudra) 

bhuvanega 304. 13 (ru- 
dra) 

V ba, Caus. 324 

— —+- amrit!329.31.2 

— + mokshi'329.31.2 

— + sam 333 

ind (— 1) 318 

bhür bhuvah svar 350 

bhügriha 307. 13. 6 

bhüta PPP.n. 337. 8.51 

— (Element) 335 

— (Wesen) 329. 30. 8 

— (Gespenst) 315. 55 

— %uddhi 322 

bhütädika 321 

bhütädhipati 305 

bhüpura 313. 7 

Bhoja 279 

— kanyä 279 

Bhojyä 279 

bhrü 344. 8. 9 

— °madhya 349 

bhrünahatyä 333 

Aaa 


370 


Mahäbhärata 277 
5 mahäbhüta 351 
mahärnava 342 
mahävishnu 286. 350.2 
mahäsattä 336 
mahegvara 352 
maheshväsa 296 
mahopanish. 283. 354.5 
mändükyopanishad 
284. 340 
mätar (coitus mit) 356 
mätrikänyäsa 310 
mätrighna 362 
mätribadha 356. 9 
mänada (= ä) 317. 8 


mänava 290 


ma (= giva etc.) 336 

makära 324. 33. 62 

makäräkshara 337. 40 

Manikarniki 332. 49 
(CRA) 

Manikarni 274. 345. 9 

mandapa 283. 324 

mandala 314 

malsya (avatära) 281. 
351 

madyapäna 355 

madhyatäpini 272 

madhyamä 335. 6 

manana 288 

manas 257 

manasija 274. S6. 7 

mänasa 362 

mäyä 290. 308. 16. 40. 
2.3 

— (tattva) 324. 5 

— °kärya 343 

— °ınaya 296 

— °mätra 343 

märana 296 

— °karman 315 

mälä-manu 303. 9 

— °mantra 317-20 

mähegvari 326 

mitra 304. 13 (äditya) 

Mithilopavane 331 

mithyäjnäna 355 

mukta 338. 45. 57. 9 

mukti 337. 45. 6. 60 

— °siddhi 345 

mukhya 338. 43 

mukhyopahära 327 

V muie + vi 329 

mudrä 300. 16 


muni 327 


manu (mantra) 274. 
308. 9. 44. 7. 54 

— °varnän 316 

Manu 351 

mantra 282. 8. 91. 2. 
310. 11.4.5.45.50. 2. 
61-3 

°rdja 336. 54 

°räjärna 311.2 

°siddha 345 


°smarana 356 


mantrin 274. 88. 91. 2. 
308. 10. 11 

mandädhikärin 287.32 

manvantara 274. 344 

mapara (om) 335 

V mar 345 

marana 346 

mahant 333. 54 

—n. 335. 42 

mahadbhaya 333 

mahäcakra 311. 2 

mahätman 354 

mahädeva 351. 2 

— (Civa) 353. 9 

mahäpadma 311. 2 

Mahäpadma 314 

mahäpätakayä 336 


mumukshu 354 
mumürshu 332. 45 
mürti 259. 90. 6 
mürdhan 342 
müla-prakriti 337-441 


WEBER: 


müla-bandha 356 

miülädhära 336 

mrityu 333. 51 

— °rüpin! (= g) 317.8 

meghadüta 279 

medas (= v) 317. 8 

medhä (= gh) 317. 8 

Maithil! 299 

Mainda 306 

moksha 327. 8. 49 

— °kara 320 

mokshay 345 

mokshibhü 329, 32 

moha 333. 43. 56 

yajnakratubhis 354 

yat, Artikelartig 293.9. 
326 

—, fragend 329. 30 

yatighna 362 

yanira 320. 9 

— kalpanä 285 

yama 351 

— 304. 13 (äditya) 

Yäjnavalkya 329. 31.3. 
5. 8. 44-6. 8. 50. 4 

yämya (?) 300 

yoga 291 

yogapitha 322 

yogä 326 

yogin 256. 325. 59. 62 

yogindra 359. 61 

Yogecvara 331 

yoni (=e) 318 

— 333 

yoshit 356 

raksha 273. 96. 7 

rakshas (nirriti) 302.5 

rakshoghna 296 

Raghu-nandana 300 

— °nätha 362 

— variga 279 

— °vira 296 

rajahsattvatamo° 259. 


324 


rati 303 

— (=n) 318. 20 

ratnamälin 294 

ratnädri 277. 324 

ratnäsana 321. 3 

ratnojjvalamakita 253. 
324 

Y ram 236. 354 

Ramä 307-9. 12 

— °dhara 296. 7 

— °sahita 328 

ravi 304. 13 (äditya) 

rahasya 320 

räkshasa 236. 355 

Räghava 298. 327. 8 

räjätmaka 363 

räjyäbhishikta 320 

räjyärha 236 

V rädh + ä 327. 57 

Räma etym. 256. 7 

— (halabhrit) 275.340 

— (AhneBuddha’s)276 

(—FPishnu) 275 etc. 

in Namen 251 

neutr. 332 

°säma 276 

°gäyatri 313 

Pgitä 283. 4. 341.9 


— 


— °gona 276 

— °candra 282. 93. 
334.8.41.4.5.54.9.62 

— °carita 2$1 

— °tapomahäbala 361 

— °deva 279 


°navamivrata 2S1. 
359. 60 

— °patni 297 

— °pärshadäs 282.314 

— °püjägarani 277.82. 
301 ff. 

— °pratimä 301. 59 

— °bhakta 362 

— °bhadra 279. 93. 6. 
7. 334. 8. 41. 56 


Rärna-mantra 332. 55. 
6. 62 

— °yantra 316. 7 

— °varman 283. 6-8. 
342 

— °vijam 239. 90 

— °saras 281 

— °hridaya 283. 7. 
341. 59 

— °ätman 332. 56 

— °ünanda 232. 4 

— °änuja 281. 2.4. 60 

— Pänushtubh 313 

Rämäyana, auf Java 
275 

Rämävatära 2831 

Rämegvaram 280 

räva 297 

Rävana 297 

rägyädi 313. 4 

Räshtravardhana302.5 

rähu 286 

Rukmin? 340 

rudra 329-32. 54. 5 

— (= °japa) 354. 5 

— (elf) 304. 11. 2. 51 

— (= e) 317-9 

rudragitä 332 

rudropanishad 284. 353 

rurudishu 336 

rüpa-kalpanä 287. 8 

— Pstha 288 

rekhätraya 313 

repha 344. 5 

rephärüdha 289 

Rohinitanaya 340 

raudr? 326 

lakshanayä 337 

Lakshmana. 280. 2.95. 
300. 2..38. 61 

Lakshmäna 297 

lakshrni 351 

Lankä 299 

labdhakäma 328 


Die Räma-Täpantya-Upanishad. 


lava 326 

länta (—=v) 37. 8 

V likh 307 -10 

lingaviparyaya 336 

Vi vi 355. 6 

loka 3/2 (sieben) 

— %pdla 326. 7. 51 
(acht) 

— °ädhipati 305 

lokegais 305 

1 309. 10 

vajra 302. 4. 6 

— °cülädhya 313 

vajrädi 304. 7 

vatavija 289 

vatsala 356 

vapus 286. 7 

V var wählen 344 

— (aus. wehren 344. 5 

varanä 344. 5. 8 

Varä 348 

varäntara 345 

Varäha 281. 317 

Varähamihira 279 

varuna 302 

— (äditya) 304. 13 

varund 348 

vargäshtaka 308. 9 

varna 288 

— (Silbe) 308. 9.35.62 

vartman 356 

varman (= hum) 310. 
11. 9 

varshaja 355 

Vali-prabhritayah 314 
(s. Bali) 

vashat 303 

— °kära 311-3 

Vasishtha 302.4.6.27.35 

vasu (acht) 304.11. 2.51 

vasti 342 

vastutas 287 

V van Caus.-+ 4 325. 6 

vahni 302 


vahni (=r) 293.317-9 

— lja 318 

väkkäyaklega 349 

väkya 335 

vägvija 308 

vdc 336 

väcaka 288. 91. 2. 332. 
6. 41. 54 

väcya 288-9.91. 2.332. 
6. A 

vänchä 292 

väni 321. 61 

vänarän 299 

väma 292. 300 

Vämadeva 302. 6 

vämanapuräna 281 

vämänka 294. 5. 301 

väyavya 308 

väyu 312 (vasu) 

— (= y) 317. 8 

— °putra 361. 2 

Yäyusünu 301. 2.5 

väyvätman 325 

Väränasi 330. 47. 8 

värdha 314. 5. 61 

värähi 326 

värttika-kära, -krit 
234. 342 

Välmiki 342 

— (Minister) 306 

Yäsuki 314 

Wäsudeva 301 -4.10. 9. 
37. 52. 61 

vähana 288 

vikdramaya 32/4 

vigraha 288. 9. 98. 337. 
54 

vighna 274. 321. 3. 61 

— kara 361 

Fijaya 302. 5 

vijnäna 352 

vijnänädi 305 

Vidarbha 234 

vidig 314. 5 


371 


Pideha 331 

videhamukti 337 

vidyd 303. 24-6 

— (= i) 318 

— *dhipa 305 

vidyopädhirahita 336 
(ob avidyo°?) 

Ovidhi 352 

vidhu 324 

vinäbhävya (av?) 292 

viniyoga 292 

vindu (des om) 311. 2. 
42 5. 33:13. 6 

— °pürvaka 333. 5. 6. 

— °rahita 336 

— iraska 336 

vipra 362 

Vibhishana 299.300. 2. 
61-3 

vimalädis 274. 325. 6 

vimoksha 349 

virakta 329 

viräj 342. 51 

virodha 356 

vigeshana 343 

vigva 293. 337-42. 60 

vicvam (= 0) 317-9 

vigvaka 341 

vigvariipanäma 363 

vigvavyäpin 328 

vigvätman 319 

vigvädhära 352 

Vigvämitra 335 

vigväsaghätana 356 

vivega, °gvara 332 
(Eiva) 

visha (= m) 317-9 

Vishnu (= Räma) 275 

— param, paramam 
padam des 357. 60 

— (Glied der Trias) 
350. 4 

— 304. 13 (dditya) 

— °pada 357 


Aaa? 


372 


Fishnu-puräna 232 
— Obhakta 361 

— °bhinna 361 
Vishvaksena 238 


wesent 


vyomägnimäyälavais 


326 
Frajastri® 340 


vratapüjana 329 


vija 289. 90. 2. 307. 8. vratardja 281.94.301.59 


14-6. 36 
— (= bhrüna?) 356 
vijätmaka 291. 2 
vijädika 321. 4 
virabhadra 304. 12 (ru- 
dra) 
virahatyä 333 
vritta, n. 316 
— °rraya 308. 9. 24 
vrittäkära 310 
vritti 315. 36 
vrishadhvaja 34/ 
vrishabhadhvaja 3/4 
vedäs 350. 61 
vedänga 304. 13 (ädit- 
ya) 
vedädi (om) 335 
vedädirüpa 296 
vedikä 324 
vedhä (= m) 336 
vaikhari, °svari (?) 
335. 6 
vairägya 286. 323. 4 
Fairocana 279 
vaigvänara 333. 42 
(Propästi) 
vaishnava 355 
vaishnav! 326 
vaushat 303 
vyapadesya 338 
vyavahärya 338 
vyashti 348. 50 
vyäkhyäna 300. 1 
vydja 297. 8 
vyäpäroparama 343 
vyävritta 343 
vyägd 325 
7 vyähriti 350 
vyüha 282. 326. 7 


gakti 288. 321. 3. 35. 61 
— (vijagakti) 292.306. 


12 
— des om 314. 5 


— (ädhäräkhya°) 321 


— plur. 289. 90 

— neun 274. 325. 6 

— (sagaktikäs) 327 

gaktyupädhirahita 336 

gamkara (= Civa) 
344. 7 

Camkara 271. 84. 347 

— Pdigvijaya 280 

gankha 288.306.14.27.8 

gatarudriya 355 

gatasahasra 354 

Gatrughna 300.1.37.8. 
42. 61 

Catrumjayamähätmya 
280 

gabda 336 

— °nishpatti 336 

— °srishti 335 -6 

gabdätmabrahman 335 

gabdänugama 336 

gabdärthagarbhavati 
335 

Cambüka 276 

gambhu 304.12 (rudra) 

Carabhanga 276 

Gavarf 276. 97. 8 

(avidyd-)gavala 335 

G@äkta 335. 55 

(sa-)gäkhäs 350 

Cändilyasdtra 277.341. 
60 

gänta 356 

— (Siebentel des om) 
315 


gänta n. 340 

gänti 303. 4. 27 

gäpa 276 

gäradätilakam 232 

Gälmalidvipa 278 

gästra 361 

gikhä 303 

giras 303 

giva, adj. 338. 43 

Giva (der Gott) 336. 
45. 52 

suddhasvaripa 343 

gubhakara 362 

gubhängin 296 

günya 287 

Gesha 277. 323 

gaiva 335. 55 

syäma 294 

craddhärahita 349 

er? 303 

grikanthädinyäsa 315.9 

gri-Räma 344. 5. 50. 9 

gri- Rämacandra 315. 
50. 4 

erivatsa 306 

gruti 313 

— °gocara 336 

grotar 300. 1 

grotriya 356 

slokds 337. 62 

Qvetadvipa 277. 8. 83. 
324. 59. 60 

guetd (= s) 317. 9 

shatkona 300. 16 

shadakshara 292. 336. 
54. 5. 62 

shashthi 273. 307 

shodagais 327 

shodagadala 306. 10.1 

samvinnäla 324 

sarngaya 291. 338 

samsära 333. 49 

samsärin 338 


samskritaväkyäni 362 


samhära 337 
saguna 287. 329 (®no- 
pästi) 
Samkarshana 303. 27 
saccidänanda 287. 327. 
8. 33. 6. 52. 63 
samcita 355. 6 
°samjnaka 288 
sat 335. 8 (tat sat) 
sattä 336 
— °mätra 287 
sattva 287. 324 
satyd 326 
salyänanda 286. 345 
V sad + pra 288. 357 
sadä 338 
sadänandacidätınaka 
354 
°sadriga 363 
sadojjvala 338. 43 
sadhanuhpänin 295 
Sanaka 306. 61 
Sanatkumära 306 
Sananda, °ndana 306 
Sanätana 306 
— adj. 280 
samdhi 344. 7-9 
— 310.1 
sarndhyä 344. 9 
sarmnidhi 341 
samnihita 345 
samnyäsin 329 
sanmätra 333 
sapuränäh 350 
saptaparäka 356 
saptänga 337. 8. 42 
sa-ma 293 
samashti 348. 50 
samädhi 344 
samprati 296 
sampradäya 304. 7.13 
%sambhava 337. 40 
sambhüta 337 
sarnbhüti 340 


samyak 310. 1. 27. 57 
Sarabha 306 
sarasvati 303. 27. 51 
saroja 308. 9 
sargasthityanta 3/4 
sarva-kämärthada 328 
— °jna 338 
sarvalrasaltva 287 
sarvadä 338 
sarvadaiva-sattva 287 
sarva-bhüläntarätman 
350 
°ınangalä 326 
— °lokin 328 
°yedätman 350 
Ohatyü 333 
sarvädhishthänasan- 
mätra 338 
sarvegvara 338. 42 
— va 343 
savijatva 343 
sagäkhäs 350 
saha mit Instr., für Da- 
tiv 273. 99 
sahasradrig 302 
sahasräksha 299. 300 
Sahasräkshajit 274 
sökshätkära 349 
säkshitva 342 
sämkhya 335 
— °pranetar 278 
sängäs 350 
sädhaka 274. 91. 307 
sädhärana 292 
sädhya 274. 307 
sämnidhya 337. 44 


Die Rama-Täpaniya-Upanishad. 


säpekshatva 343 

särmpradäyikäs 282 

%sära 338. 43 

särdham 296. 9 

sinhdsana 300. 23. 62 

Siddhärtha 305 

Sindhukanyd 278 

Sitä 275. 32. 3. 90.3.9. 
337-42. 61 

— °pati 362 

— °vana 2831 

— °vallabha 313 

Ostava 363 

Sugriva 298.9.300-2.61 

sutülikä 321. 3 

sundari-tdpani 271 


supta 338 

Sumantra 302. 5 

suräpäna 355 

Suräshtra 302. 5 

Suregvaravärttike 284. 
349. 60 

sulabha 362 

suvarnddya 356 

suvijneya 354 

sushupta 338. 9 

— °sthäna 338 

sushupti 342 

susdyaka 356. 8 

susumnd 336 

Sushena 306 

sikshma 342 

— (=i) 317-9 

sükshmäkhyegvara 319 

sükshmä (= pard) 336 

sürya 324. 51. 61 


sirya 304. 13 (äditya) 

— °niyama 356 

srishti 289. 90 (Psthiti- 
laya). 335. 6. 48 

senddikalpanä 288 

V sev + ni 329 

sevaka 320 

sobhaya 288. 9 

soma 304. 7. 12 (vasu) 

— (Mond) 351 

— Opa 35h 

saukara 314. 5 

Saumitri 337. 42 

saurya (?) 355 

saulabha 362 

skände 281. 332. 49 

stana 292 

stavardja 363 

V stu 350. 2 

steya 355 

steyin 359 

stotra 347 

stri 288. 356 

sthdnu 304. 13 (rudra) 

Sthänu 314 (ndga) 

4 sthäna 362 

sthävarajamgamätman 
351 

sthiti 337 

sthird (—=j) 318 

sthülabhuj 338. 42 

smriti 349. 61 (18) 

— (=g) 317. 8 

srag-anu 318. 20 

sva (=vija) 295.6.301.2 

svapna 338. 42 


373 


svapna-sthäna 338 

— °ävasthä 343 

Svapnegvara 277. 360 

svaprakäga 354 

svayamjyotis 354 

svabhü 289 

svayambhü 354 

svara 335 

— Accent (?) 362 

— (Vocal, 16) 308. 9 

— Pgana 316 

svargärohana 323 

svarna-retas 313 (ädit- 
ya) 

— Pvedikä 324 

— °steya 355 

— °harana 356 

svasrighna 356 

svätman 352 

svätmabandhahara 338 

hansa 362 

Phatyä 333 

Hanumant 232.99.304. 
11. 60-3 

°harana 356 

hari 236. 347 (bhakti)) 

— (Affe) 299 

hiranya-garbha 351 

— °retas 304 (äditya) 

hurm 303. 11 

— °kdra 308. 14. 5 

hrid-ädi 308 

hridayädini 303 

hemäbha 295 

hri 308. 10, 11 

hlädin! (= d) 317. & 


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Über 
den Bilderkreis von Kleusis. 


Dritte Abhandlung. 


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H”" GERHARD. 


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[Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 21. Juli 1864.] 


D.- Bilderkreis der eleusinischen Gottheiten Sagen und Feste, den ich 
in zwei früheren Abhandlungen beleuchtete, bedarf zu gründlichem Abschlufs 
der dahin einschlagenden Untersuchungen noch einer übersichtlichen Zusam- 
menstellung des Denkmälervorraths, auf welchen, in einige nothwendige 
Beilagen vertheilt, die vorangegangene Darlegung sich bereits vorläufig 
bezog. Es kamen hiebei zunächst die drei vornehmsten eleusinischen Sagen, 
Raub und Wiederkehr der Kora, samt der Aussendung des Triptolemos in 
Betracht, durch welche der gestörte Segen der zürnenden Demeter dem 
Erdkreis von Neuem zu Theil ward. Diese nächste und gröfste Wohlthat 
der Nahrung verleihenden Göttin hat auch in den Werken der Kunst den 
häufigsten und gefühltesten Ausdruck gefunden, der auf vermuthlicher 
Gruudlage eines berühmten Wandgemäldes der besten attischen Zeit aus 
nicht weniger als 46 Gefäfsmalereien, der Triptolemosbilder anderer Kunst- 
gattungen zu geschweigen, in Abbildung oder Beschreibung uns vorliegt 
(Beilage A). Wenn in dieser beträchtlichen und von Jahr zu Jahr sich noch 
mehrenden Anzahl von Vasenbildern der Triptolemossage nicht nur die 
durch Einschwärzung dionysischer Mystik charakteristischen von alterthüm- 
lichem Styl, sondern auch manche in ähnlicher Weise getrübte Darstellungen 
aus der Verfallzeit Griechenlands sich befinden, so darf man doch bei einer 
solchen Reihe von Kunstdenkmälern, deren Ursprung spätestens bis ins 
zweite vorchristliche Jahrhundert hinabreicht, einer von römischem Einflufs 
durchaus unbetheiligten, durchgängig griechischen, Auffassung sich freuen 
und für unsere Kenntnifs des eleusinischen Götterwesens mehr baaren Gewinn 
als aus andern Denkmälern cerealischen Inhalts daraus entnehmen. Weit 


376 GERHARD 


weniger ist dies der Fall für die Darstellungen vom Raube der Kora, die 
wir aus 42 Marmorwerken nachweisen (Beilage B); ihre auf griechischem 
Vorgang beruhenden, aber zum Zwecke römischer Gräberpracht ausgeführ- 
ten Reliefs sind auch von den Einflüssen der römischen Kaiserzeit nicht 
frei geblieben, der diese figurenreichen Denkmäler sämtlich angehören. 
Ganz anders verhält es sich mit dem weniger zu Eleusis als zu Athen ausgebil- 
deten und ausgebeuteten Mythos der wieder zum Licht des Tages gelangten 
Kora, deren Anodos in mehr als sechzig Kunstwerken gemischter Zeit und 
Gattung, hauptsächlich aber in häufigen, wenn auch meistens verkannten, 
archaischen Vasenbildern uns vorliegt (Beilage C). Auch hier befinden wir 
uns mit nur wenig Ausnahmen spätrömischer Werke fast durchaus auf dem 
Boden der griechischen Welt; doch ist es nicht die Frische homerischer 
Dichtung, die aus jenen Festzügen athmet. Vielmehr ist es die ihr entgegen- 
gesetzte Richtung orphischer Mystik, für deren athenische Thätigkeit jene 
archaischen Vasenbilder der Anodos im Zusammenhang der kleinen Eleusinien 
von Agrä ungleich beweiskräftiger auftreten als für die eigenste Auffassung 
von Eleusis, wie solches namentlich aus der im Archaismus der Kunst viel- 
verbreiteten, für Eleusis aber erst spät nachweislichen Einmischung des 
Dionysos hervorgeht. 

Die vermuthliche Zeitbestimmung darüber, wann der aus italischen 
Ceresdiensten als Liber mit Libera früh bekannte, als Vermählter der Kora 
wenigstens aus dem spätern Griechenland uns reichlich bezeugte, vom 
Iacchos unterschiedene Dionysos nicht nur in den Eleusinien Athens und 
des Auslands, sondern auch in Eleusis selbst anerkannt ward, wird theils 
durch den Mangel schriftlicher Zeugnisse einer solchen Verbindung im eleu- 
sinischen Tempeldienst (’* "°°), theils durch das Alter der Kunstdenk- 
mäler begrenzt, auf welchen in eleusinischer Örtlichkeit und Umgebung 
Dionysos statt des Iacchos uns vorgeführt und den beiden Göttinnen De- 
meter und Kora gesellt ist. Allerdings ward diese Verbindung von Dionysos 
Demeter und Kora schon im umfassenden Götterverein am Fries des athe- 
nischen Niketempels von mir erkannt, und aus Skulpturen der späteren 
griechischen Kunst scheint sie mir gleichfalls nachweislich ('”°“). Ein gleich- 
altes Zeugnifs mit eleusinischer Umgebung aufzubringen war der aus römi- 
scher Kaiserzeit herrührende Sarkophag von Wiltonhouse (C, 53) bisher 
ungenügend; doch scheint ein solches nun allerdings im Relief des berühm- 


über den Bilderkreis von Eleusis. IIT. 377 


ten kummanischen Prachtgefäfses (A, 3°) sich vorzufinden, auf dessen durch 
Stephani berichtigte verbürgte und neu erklärte Zeichnung ich hier genauer 
als bei dessen früherer Erwähnung eingehen mufs. Stehen Bild und Erklä- 
rung jenes kumanischen Thongefäfses in der That dergestalt fest, dafs den 
beiden Göttinnen ein erwachsener Dionysos in langer weibischer Tracht 
gesellt ist, so ist diese Verbindung nicht nur für den Glauben der Italioten, 
wie er auf unteritalischen Vasenbildern sich mannigfach ausspricht, sondern 
auch für das eigenste Personal von Eleusis bezeugt, von welchem das ku- 
manische Relief ein Abbild gewährt. Der vollendete Styl italischer Gefäfs- 
bildnerei, dem jenes edle Kunstwerk angehört, reicht nicht über das zweite 
oder dritte Jahrhundert vor Christus hinab, und es darf demnach angenom- 
men werden, dafs Dionysos bereits in der alexandrinischen Zeit wenigstens 
im Glauben des griechisch gebildeten Auslands als Tempelgenosse der Göt- 
tinnen von Eleusis anerkannt war. Ein höheres Alter dieser Verbindung 
dürfte vielleicht für Athen, nicht aber für Eleusis, anzunehmen sein, obwohl 
noch im Zusammenhang neuster Untersuchungen daran nicht gezweifelt wird. 
Wenn die athenische Mystik, wie allerdings wahrscheinlich ist, bis auf das 
Zeitalter des Solon und Epimenides hinaufreicht, dessen Standbild man vor 
dem Triptolemostempel zu Agrä sah, so mag von dort aus der Dienst des 
Knaben Iacchos auch nach Eleusis gelangt sein, man mag die mystische Idee 
eines wiedergeborenen Dionysos ihm verknüpft und den eleusinischen Göt- 
tinnen als leuchtenden Dämon ihn beigesellt haben; doch ist damit eine 
ursprüngliche Gleichsetzung Dionysos’ des thebischen Weingottes mit dem 
Mysteriendämon Jacchos sowohl für Eleusis als selbst für Agrä (?%%) noch 
nicht erwiesen. Jenen Gott irdischer Fülle, den Heraklit auch als Unter- 
weltsgott gefafst wufste, sich mit Persephone-Kora vereint zu denken, ver- 
mählt wie Liber und Libera in italischer Vorstellung, sind wir weder von 
Seiten des Tempeldienstes zu Agrä, noch durch das Personal der Triptole- 
mosvasen berechtigt, und wenn die archaischen Vasen in ihren Festzügen 
den Dionysos der wiederkehrenden Kora oft beigesellen, so ist dadurch 
nicht mehr als die Absicht bezeugt ihn durch seine mystische Gleichsetzung 
mit Hades in jenem allmählich geglaubten Verhältnifs zur Kora geltend zu 
machen, welches ja allerdings, wenn nicht aus dem alten Athen, doch aus 


(°) Vgl. meine Abhandlung über die Athesterien. Anm, 200. 
Philos.-histor. Kl. 1864. Bbb 


378 GERHARD 


den beträchtlich jüngeren Vasenbildern Grofsgriechenlands uns genugsam 
bezeugt ist. 

Der empfindliche Mangel einer genaueren Zeitbestimmung für so 
durchgreifende Fragen des attischen Götterwesens wird uns minder hinder- 
lich sein, wenn es gelänge für die ansehnlichen Thongefäfse, in denen ein 
hieratischer Archaismus durch schwarze Figuren auf rothem Grunde sich 
kund giebt, mafsgebende chronologische Thatsachen zu ermitteln. Ist aber 
vom üblichsten, nicht dem korinthischen sondern dem attischen Archaismus 
die Rede, der in reicher Fülle aus den volcentischen Funden uns vorliegt, 
so genügt es zu wissen, dafs ihre Schrift bis zur 86ten Olympiade hinab- 
reicht (°°*), um auch die Spuren eindringender Mystik, welche in alter- 
thümlichen Formen uns dort begegnen, einem entsprechenden und keines- 
wegs sehr frühen Zeitalter beizumessen. Vielmehr ist es einleuchtend, dafs 
jene Einmischung des Mysterienwesens, deren Umfang im Vorrath unsrer 
archaischen Vasen uns überrascht, nicht sowohl in der Anfangszeit attischer 
Kerameutik, etwa um die Zeit der Perserkriege, als vielmehr in jenem 
Zeitalter zu suchen haben, welches, in den Anfängen des peloponnesi- 
schen Krieges begriffen, gegen die Bangigkeit schwer gedrückter Zustände 
selbst die Einsetzung phrygischen Dienstes herbeizog (°°) und umsomehr 
auch zur Steigerung heimischer Mysterien führen mufste. Eben diese Zeit- 
läufte haben bekanntlich die gröfste Regsamkeit Athens in geistiger Specu- 
lation und scenischer Augenweide entwickelt; man wird daher schwerlich in 
der Voraussetzung irren, dafs auch die festliche sowohl als dogmatische 
Ausbeutung der einander gleichzeitigen Dionysos- und Korafeste Athens 
benutzt wurde, die Geltung des Dionysos zu einer engen Verbindung des- 
selben mit Kora, anfänglich durch hieratische Gefäfsmalereien, dann durch 
Vermählungszüge des göttlichen Paares zu steigern, wonach denn allmählich 
die Andacht von Agrä und selbst das Priesterthum von Eleusis dafür gewon- 
nen worden sein mag. 

Im Zusammenhang dieser Erwägungen wird das Gefäfsrelief uns ver- 
ständlicher, welches ich als neugewonnenes ältestes Zeugnifs für Einreihung 
des thebischen Dionysos in den Kreis eleusinischer Gottheiten kurz vorher 
bezeichnete. Es nimt dieses aus dem Museo Campana in die kaiserlich 


C°*) Jahn, Verzeichnils der Münchener Vasensammlung, Einleitung S. 157. 169. 
(°®) Vgl. meine Abhandlung über das Metroon (Berl. Akad. 1849 S. 459 ff.). 


über den Bilderkreis von Eleusis. III. 379 


russische Sammlung ‚übergegangene Kunstwerk unter den monumentalen 
Zeugnissen des eleusinischen Dienstes eine so hervorragende Stelle ein, dafs 
ich vor Abschlufs der gegenwärtigen Untersuchung nicht umhin kann, ver- 
möge einer möglichst treuen Abbildung es unsrer eingehenden Betrachtung 
neu anzuempfehlen. Eine solche Abbildung nach Minervini und nach einer 
photographisch verbreiteten Campana’schen Zeichnung zu geben, schickte 
ich so eben mich an, als die ganz neuerdings erfolgte Herausgabe des Ge- 
fäfses im Compte-Rendu der kaiserlich russischen archäologischen Commis- 
sion für das Jahr 1862 mich angenehm überraschte und wesentlich förderte. 
Die dort gegebene Zeichnung überbietet die frühern nicht nur an Eleganz, 
sondern auch durch Berichtigung wesentlicher Irrungen, und indem ich zu 
deren Erkenntnifs von dem Verfasser des Textes Herrn Stephani gern mich 
belehren liefs, konnte ich nicht umhin auch die im Angesicht des Originals 
von ihm besorgte Zeichnung zur Grundlage der uns vorliegenden Abbildung 
(Taf. III) zu machen. Die zehn Figuren des somit getreuer als vorher uns 
überlieferten Originals sind in fünf Gruppen, bestehend aus je einer sitzen- 
den und je einer aufrechten Figur, vertheilt, dergestalt dafs die beiden 
mittelsten Paare der sitzenden Göttin zur Linken des Beschauers zugewandt 
sind, die sitzenden Göttinnen aber am rechten Ende des Bildes, einan- 
der anblickend, den vorigen als selbständige Mächte sich anreihen. Der 
Ideenkreis, welchem dies um den Hals einer schönen gerieften Hydria um- 
herlaufende Rundbild angehört, ist auf den ersten Blick durch die dritte 
Figur, den auf schlangenbespanntem Wagen sitzenden bekränzten Triptole- 
mos, uns klar, der als Fürstensohn ein Scepter in seiner Rechten hält. In 
seiner Nähe dürfen wir auch nicht anstehen die ihm zunächst in gleicher 
Richtung sitzende, mit einem Modius bedeckte und in ihrer Rechten gleich- 
falls ein Scepter haltende, weibliche Mittelfigur für Demeter zu halten. 
Minder gesichert ist die Bedeutung fast aller übrigen Figuren des Bildes. 
Von ihnen betrachten wir zunächst die zwischen Triptolemos und Demeter 
stehende, in langer gegürteter Kleidung mit Oberärmeln an eine Säule ge- 
lehnte Figur, welche, den rechten Arm in die Seite stemmend, in ihrer 
linken Hand einen Thyrsus aufstützt. Wenn, wie die früheren Zeichnungen 
dieser gelockten und efeubekränzten Figur es glauben liefsen, ihr Geschlecht 
für weiblich zu gelten hatte, so konnte man statt aller sonstigen Erklärungs- 
versuche kaum anders als auf eine Stellvertreterin der eleusinischen Weihe, 
Bbb2 


380 GERHARD 


auf Eleusis, Telete, Hosia oder Mystis sie deuten und die Verknüpfung 
bacchischer Symbole mit apollinischen daraus erklären; ist aber, wie im 
Angesichte des Originals Stephani versichert und seine Zeichnung es bestä- 
tigt, die fragliche Figur männlich, so müssen wir, dem gedachten gelehrten 
Erklärer beipflichtend, einen Dionysos in ihr erkennen, woran die lange, 
für den unbärtigen Dionysos nicht eben gewöhnliche (°%°), seinem Wesen 
jedoch wohl zupassende, weibische Tracht uns nicht zu hindern braucht. 
Offenbar wird der Sinn des Bildes erheblich dadurch gefördert; Dionysos 
in seiner vollen Persönlichkeit ist der gewählten Conception dieses Bildes 
ungleich zusagender, als es für irgend eine Personification der Mysterien 
der Fall sein könnte. Hiezu kommt, dafs dieser Gott in schicklichem 
Wechselbezug zu Triptolemos gesetzt ist, wie auf einem bekannten archai- 
schen Vasenbild (A, F), und dafs seine Verbindung mit Demeter und Kora 
im späten Alterthum allgemein anerkannt war. 

Dürfen somit Triptolemos Dionysos und Demeter für unzweifelhafte 
Personen dieser Darstellung gelten, so tritt als nächste Aufgabe uns die 
Frage entgegen, in welcher vierten Figur Persephone-Kora zu suchen sei, 
die in diesem Bilde unmöglich fehlen kann. Stephani hat sie in der neben 
Demeter stehenden in ihr Gewand gehüllten und leicht bekränzten Fackel- 
trägerin erkannt, die wir nach Anleitung des zwischen beiden Figuren bren- 
nenden niedrigen Altars und des gleich darauf folgenden Jünglings, der 
Holzscheite dazu herbeiträgt, lieber für eine erste Priesterin der eleusini- 
schen Göttinnen halten möchten. Richtiger dürfte es demnach sein die aus 
der Unterwelt zurückgekehrte Göttin in der unser Bild am linken Ende be- 
grenzenden Frauengestalt zu erkennen, welche, dem Triptolemos und der 
Demeter gegenübersitzend, mit letzterer in Sitz und Kleidung Modius und 
Scepter hinlänglich übereinstimmt, um dem gangbaren Ausdruck der in 
durchgängigem Wechselbezug waltenden beiden Göttinnen zu entsprechen; 
eine kaum merkliche Unterscheidung der jüngeren Göttin scheint derselben 
durch längeres Haar und durch Bekränzung ihres Modius gegeben zu sein. 
Rhea dagegen, welche Stephani in dieser Figur zu erkennen vorzieht, wird 


(5%) Die schriftlichen Zeugnisse des langbekleideten Dionysos (Stephani Compte-Rendu 
1862 p. 44) entsprechen dem häufigen Kunstgebrauch seiner bärtigen Bildung; unbärtig zu- 
gleich und bekleidet ist Dionysos unter Anderm in einer Herme des Vatikans (Beschreibung 
der Stadt Rom II, 2, s. 105 no. 136). 


über den Bilderkreis von Eleusis. III. 381 


in ihr weder durch sichere Merkmale uns bezeichnet, noch auch sonst meines 
Wissens in der beträchtlichen Zahl cerealischer Vasenbilder irgendwo uns 
mit Sicherheit vorgeführt. 

Nicht durchaus sicher in ihrer Bedeutung ist für uns auch die kurz- 
bekleidete Fackelträgerin, welche in wechselseitigem Anblick mit jener ersten 
sitzenden Göttin gruppirt ist; haben wir aber in dieser die Persephone er- 
kannt, so ist in ihrer Gefährtin mit Wahrscheinlichkeit Hekate, der Kora 
leuchtende Begleiterin zur Unterwelt, zu vermuthen. Um diese Annahme 
zu bestreiten, kann man die sehr ähnliche Fackelträgerin am entgegenge- 
setzten Ende des Bildes in Vergleichung bringen, da neuerdings gemeint 
worden ist, dafs Hekate durch zwei Fackeln vor andern Göttinnen, denen 
nur eine zustehe, bevorzugt werde. Diese Annahme ist aber nichtig und 
darf weder für Kora (‘*' *) noch auch für Artemis Geltung haben, da deren 
Götterdienst dem der Hekate keineswegs nachsteht, wie denn auch jene 
fragliche zweite Figur, von rechts her gerechnet, aufser der doppelten Fackel 
durch volleres Haar und durch ein Perlenhalsband als Artemis vor der ihr 
symmetrisch entsprechenden Hekate hervorgehoben zu sein scheint. Grup- 
pirt ist diese vermuthliche Artemis mit der sitzenden Göttin mit Scepter am 
rechten Ende des Bildes, welche in langem Kleid mit zierlich geknüpften 
Oberärmeln ihr dünnes Obergewand über Hinterkopf Rücken und rechte 
Schulter hinaufzieht. Statt der nur schwach unterstützten Deutung auf 
Rhea (°”’) oder auf die personifieirte Eleusis glaubt Stephani in dieser Figur 
die Aphrodite erkennen zu dürfen, deren Verschleierung ungewöhnlich, in 
der Bedeutung jedoch einer Ehestifterin, wie Aphrodite beim Raub der 
Kora es war, auch nicht unzulässig ist (°°”). Diese Deutung wird überdies 
wahrscheinlicher durch den Umstand, dafs neben Artemis andererseits Pallas 
Athene, kenntlich durch Helm Speer und Aegis, sitzend dargestellt ist, 
sodafs jener Dreiverein der Göttinnen hier gemeint sein kann, welche laut 
dem homerischen Hymnus als Gefährtinnen der blumenlesenden Kora bei 
dem Ereignifs ihres Raubs zugegen waren. 

Nach der vorstehenden Erörterung sind nun einerseits die eigensten 
Gottheiten von Eleusis, andererseits die der Kora befreundetsten Göttinnen 
uns gesichert und nur die beiden vorher kurz berührten zwischen Athena 


(7) Über die Verschleierung Aphroditens handelt Stephani im Compte-Rendu für 1861 p.38. 


382 GERHARD 


und Demeter stehenden Figuren einer entscheidenden Deutung noch be- 
dürftig. Ist aber von diesen der Jüngling, welcher ein Opferschwein und 
zwei Holzscheite herbeiträgt, mit Recht als Vertreter des ersten eleusinischen 
Opfers, als Keleos oder auch als Eubuleus anerkannt, so scheint es ange- 
messen auch die zwischen ihm und Demeter stehende Fackelträgerin, vor 
welcher auf niedrigem Altar bereits ein Opfer brennt, als erste eleusinische 
Priesterin, etwa als Metaneira gemeint zu glauben, welche letztere Benen- 
nung zwar öfters nur willkürlich angewandt, andremal aber in Folge ge- 
sicherter Belege für zulässig erkannt worden ist (**). 


—— DEI — 


über den Bilderkreis von Eleusis. 1II. 383 


Beilage 4. 


Triptolemos auf Vasenbildern (*). 
1. Altattische mit schwarzen Figuren. 


A = Stephani p. 82. n.4. Unedirte Amphora der Sammlung zu München. 
Vgl. Jahns Verzeichnis no. 543. Triptolemos, mit Ähren in der linken und Scepter in 
der rechten Hand, sitzt auf seinem Luftwagen, rückblickend nach Kora, welche durch eine 
von ihr gehaltene Blüthe kenntlich ist; vor ihr steht Demeter. Auf der Rückseite ist das- 
selbe Bild wiederholt, doch ohne Blüthe. Dafs Stephani p. 94 die Göttin mit der Blume 
für Demeter hält, ist nicht zu billigen. 

B = Stephani 82, 5. Amphora der Durandschen Sammlung, in deren Verstei- 
gerung von Hrn. Durand-Duclos gekauft: Ghd. Auserl. Vasenb. I, 43. Elite c@ram. III, 
65. 66. Vgl. Cabinet Durand no. 67. Triptolemos mit Ähren in der Linken, sitzend auf 
dem zur Abreise bereiten Wagen, wird von einem mit dringlicher Geberde, gebogenem Knie 
und vor sich gestemmtem Stab ihm entgegentretenden Mann angesprochen, vielleicht dem 
eleusinischen Demos, der ihn zurückhalten möchte; an Hippothoon dachte Stephani p. 93. 
Andrerseits steht in fester Haltung, ein Scepter aufstützend, etwa Keleos, der König des 
Landes. — Das Gegenbild zeigt einen Äthiopen von Amazonen umgeben. 

C = Stephani 82, 3. Amphora der Fontanaschen Sammlung zu Triest: Ghd. 
Auserl. Vasenb. I, 44. Elite III, 67. Triptolemos Ähren erhebend die an Pfeile er- 
innern, die Rechte auf seinen schwebenden Luftwagen stützend, blickt zurück, wo ein bär- 
tiger Mann und eine ihm gesellte Frau niederblicken; eine von der letzteren gehaltene kleine 
Frucht liels in diesem Paar die dem Hades gesellte Persephone vermuthen. Rechterseits ist 
wiederum im Vordergrund eine bärtige Mantelfigur und rechts von derselben eine Frau dar- 
gestellt; ein kurzer Stab in deren Hand, der allenfalls auch der männlichen Figur zuge- 
rechnet werden kann, liels diese Figuren für Demeter und Hephästos halten. Statt der so 
vorausgesetzten Gottheiten könnte man versucht sein, ein sterbliches Personal der eleusini- 
schen Bevölkerung, etwa Keleos und eine seiner Töchter, Hippothoon und Metaneira hier 


(*) Das nachstehende Verzeichnils ist auf Grundlage des bereits in meinen auserlesenen Vasenbildern I 
S. 217 ff. erörterten Inbegriffs erhaltener Triptolemosvasen, zugleich aber mit steter Hinweisung auf das 
mittlerweile von Stephani im russischen Compte-Rendu für 1859 (p. 82 ss.) angefertigte ähnliche Ver- 
zeichnils ausgeführt worden. Übrigens ist für den Inhalt dieser Denkmäler unsere frühere Abhandlung II 
5.503 ff. Anm. 232 zu vergleichen. 


384 GERHARD 


zu erkennen, welcher Annahme jedoch schon die Gruppirung ungleich weniger günstig ist. 
Die ey zeigt einen jungen Krieger im Gespräch mit einem älteren Mann. 

= Stephani 82, 2. Amphora der Sammlung Feoli zu Rom: Gerhard Auserl. 
Vasenb. m 42. Elite II, 68. Vgl. Campanari: Collezione Feoli no. 1. Triptolemos 
mit Scepter in der Linken und Ähren in der Rechten, sitzend in dem zur Abreise berei- 
ten Wagen, blickt auf das vor ihm befindliche Personal; der ihm zunächst stehende Mann 
(die Figur ist theils verdeckt, theils verletzt und kann daher nur unsicher für Hermes 
gehalten werden) legt die Hand auf seinen Schoofs. Die daneben stehende Frau konnte 
man für Demeter, den hinter ihr sitzenden Mann mit Scepter für Hades, die hinter Tripto- 
lemos stehende Frau für Kora halten; doch bleibt auch die Möglichkeit offen, dals nur Per- 
sonen aus der Familie des Keleos gemeint sind. Im Gegenbild scheint Persephone-Kora 
durch a von dem ihr vermählten Dionysos -Hades zurückgeholt zu werden. 

= Stephani 82, 7. Amphora der Sammlung Beugnot, jetzt im Museum zu Com- 
piegne; ee. in meinen Vasenbildern I, 41 und in der Elite c@ramographique III, 
48. 49. Vgl. Catalogue Beugnot no. 19. Th lene: Ähren in beiden Händen haltend, 
sitzt auf dem Luftwagen, welchem rückblickend, Hermes, durch Heroldstab und Petasus 
kenntlich vorangeht. — Als Gegenbild Dionysos mit dem Kantharos in der Linken auf ge- 
flügeltem Wagen; ihm voran schreitet ein Silen mit Krater und Kantharos. 

= Stephani 82, 6. Kleine Amphora, vormals in Lenormants Besitz; abge- 
bildet in der Elite cramographique III, 49°. Triptolemos mit Scepter und Ähren auf 
seinem durch einen Schwanenhals verzierten Wagen sitzend, andrerseits Dionysos mit 
Kantharos auf einem ähnlichen unverzierten Wagen. 

— Stephani 1. Amphora des Museum Gregorianum II, 40, 2. Tripto- 
lemos sitzend auf beflügeltem Wagen, mit Ahren in der Linken, Scepter und Ähren in der 
Rechten, blickt rückwärts nach Persephone-Kora, welche in ihrer Rechten ein Scepter, in 
der Linken aber eine Blume hält; vor ihm Demeter, welche fortschreitend und nur mit 
ihrem Blick nach Triptolemos und Kora zurückgewandt, in schräger Richtung ein Scepter 
vor sich mit beiden Händen gefalst hält. Beide Göttinnen sind mit Hauben bedeckt. — AR. 
Dionysos mit zwei Silenen und einer Bacchantin. Bacchische Beziehung ist auch im Haupt- 
bild durch Epheuzweige angedeutet, dergestalt dals die Elite c&ramographique (III p. 141) 
deren Haltung beiden Göttinnen beilegt und dieselben als Mänaden dargestellt weils. 


2. Vasenbilder mit rothen Figuren. 


a. Triptolemos mit Demeter und Kora. 


a = Stephani 83, 10. Schale des Museum Gregorianum. Abgebildet in meinen 
Vasenbildern I, 45, im Museum Gregorianum II, 76, wie auch in der Elite II, 46. 

a®. Triptolemos auf Schlangenwagen, als Einzelbild, im Innern einer Kylix des 
Prinzen von Canino (Reserve etrusque no. 24); die Aufsenseiten zeigen einerseits zwei Krie- 
ger, welche einander die Hände reichen, andrerseits eine Quadriga und einen etwa den 
Siegeswagen erwartenden Preisrichter (angeblich einen Augur). Dieselbe Schale war in un- 


serm Verzeichnis früher als d aufgeführt. 


über den Bilderkreis von Eleusis. III. 385 


6. Amphora des Prinzen von Canino jetzt im brittischen Museum (Catalog 
no. 796), früher beschrieben in De Witte’s Cabinet etrusque 1837 no. 2; in Stephani’s Ver- 
zeichnils blieb dies bis jetzt unedirte Gefäls unerwähnt. Triptolemos ein „lorbeer- 
bekränzter” Jüngling mit Scepter, steht der in der Rechten mit Ähren, links mit 
einer Fackel versehenen Demeter gegenüber. — Im Gegenbild ist Apoll mit Leier und Lor- 
beerstamm in der Linken und einer Opferschale in der Rechten dargestellt, desgleichen Ar- 
temis in der Linken mit Bogen und Pfeil, in der andern Hand aber gleichfalls mit einer 
Opferschale, zwischen ihnen der delische Palmbaum. 

5°. Amphora des Prinzen von Canino, jetzt im Museum zu Leiden, abgebildet 
bei Roulez pl. 4. Vgl. Stephani I. c. no. 23. Triptolemos im Flügelwagen, mit Scepter in 
der Linken und Schale in der Rechten, vor ihm Demeter, in der Rechten einen Krug, in 
der Linken etwa eine Fackel haltend. — Als Gegenbild Zeus mit Scepter und Iris mit He- 
roldstab, was Roulez p. 16 auf deren Botschaft an Demeter deutet. 

c. Pelike zu Berlin. Abgebildet nach Gargiulo Recueil II, 66, in der Elite cöra- 
mogr. III, 47. Vgl. Ghd. Berlins Bildwerke no. 896. Stephani 1. c. p. 84 no. 24. Tri- 
ptolemos mit Scepter in der Linken und Schale in der Rechten empfängt auf dem bereits 
schwebenden Flügelwagen die Libation, zu welcher Demeter, in ihrer Linken die Ähren 
haltend, in ihrer Rechten den Krug, sich gewandt bat; die Göttin ist mit einem gezackten 
Modius bedeckt. — Als Gegenbild die palästrische Mantelfigur eines Mannes, der einem Jüng- 
ling ein Häschen reicht. 

c?. Unedirter Krater des Museo Campana, in dessen Katalog unter Serie IV. 
no. 79 verzeichnet. Vgl. Stephani Il. c. p. 85, 12. Vor Triptolemos, der auf seinem 
Flügelwagen sitzend in der Linken das Scepter, in der Rechten die Ähren hält, steht De- 
meter, die in der Linken Scepter und ÄAhren, in der Rechten eine Schale hat. — Das Gegen- 
bild zeigt eine vermuthliche Demeter mit Scepter; sie empfängt Ähren von einer in der 
Linken eine Fackel haltenden Frau, in welcher wol mit Recht Kora vermuthet wird. 

[@. ward bereits oben als @° erwähnt.] 

e. Pelike aus Veji um das Jahr 1842 von den Herrn Campanari ausgegraben. 
Triptolemos, eine mädchenhafte Gestalt mit Ähren in der Linken und einer Schale in 
der Rechten, sitzt auf dem Flügelwagen innerhalb des durch je eine dorische Säule be- 
grenzten Heiligthums; vor ihm steht Demeter mit Ähren in der Linken und Krug in der 
Rechten. — In dem von Lenormant seltsam milsgedeuteten Gegenbild („verkappte Frau, Me- 
litos und Timagoras”) erscheint eine nach dem Hauptbild umblickende bärtige Mantelfigur, 
ein Jüngling mit Reifen, und ein anderer, der auf einen Stab sich stützt. Diese in der 
Elite III, 61 als unedirt gegebene Pelike ist offenbar identisch mit der von Campanari 
Vasi di Vejo tav. IV. p. 25 publicirten. Vgl. auch Stephani |. c. 85, 38. 

e”. Unedirter Krater der Sammlung zu München, beschrieben in Jahns Ver- 
zeichnils no. 299. Vgl. Stephani I. c. 84, 23. Triptolemos neben dem Flügelwagen 
stehend, hält Scepter und Ahren in der Linken und eine Schale in der Rechten; ihm libirt 
Demeter (eine jugendliche Gestalt, welche dem Erklärer ebenso füglich für Persephone gel- 
ten zu können schien), in der Rechten eine Kanne, in der Linken ein Scepter haltend. — Das 
Gegenbild zeigt eine Frau mit Krug und Schale vor einem sitzenden Mann mit Scepter. 


Philos.-histor. Kl. 1864. Cce 


386 GERHARD 


e?. Lekythos aus Gela, jetzt im brittischen Museum laut Conze Arch. Anzei- 
ger 1864 S. 163*. Triptolemos auf dem Flügelwagen ; ihm gegenüber Demeter mit Fackel. 

f. Kalpis des Prinzen von Canino, jetzt zu München, mit den Inschriften 
Ilsgodarra, Tormrorss und Asuere2. Abgebildet bei Inghirami Vasi fittili I, 35 und in der 
Elite II, 50, auch bei Creuzer Symbolik IV, Taf. 3. Ausg. 3. Guignaut Religion de lan- 
tig. pl. 147. no. 548. Wieseler Denkm. II, 111. Vgl. auch De Witte Cabinet etrusque 
no. 19. Reserve @trusque no. 30. Jahn Verzeichnifs no. 340. Stephani 1. c. p. 83, 21. 
Triptolemos, links Scepter und Ähren, in der Rechten eine Schale haltend, sitzt auf 
bereits schwebendem Flügelwagen; vor ihm Demeter, mit einer Haube bedeckt, in der 
gesenkten Rechten eine Kanne haltend, hinter ihm Persephone mit einem Stirnband, mit 
beiden Händen eine Perlenschnur emporhebend. 

g. Ähnliche Darstellung auf einer andern Kalpis des Prinzen von Canino, in mei- 
nen Vasenbildern I, S. 217 mit Bezug auf die ungewöhnliche Ausdehnung der Ähren des 
Triptolemos erwähnt. 

g?. Kalpis des Kunsthändlers Casanova zu Neapel, etwa im Jahr 1840 dort ge- 
zeichnet (Arch. App. vol. V.Z 332). Triptolemos auf dem Wagen ist linkshin gerichtet. 
Vor ihm steht Demeter ohne Kopfschmuck, einen Krug haltend, hinter ihm Kora mit breitem 
Stirnband und Scepter. ' 

hr. Ähnliche Darstellung einer Amphora des Prinzen von Canino no. 1200. 

[f. Identisch mit der oben als 5° bereits erwähnten. ] 

i? = Stephani 27. Ähnlicher Dreiverein, Amphora des brittischen Museums 
(Catal. 798%); abgebildet in meinen Vasenbildern 1, 75, von Roulez im Bull. de l’acad. de 
Bruxelles VII, 2 p. 183 und in der Elite c@ramographique IH, 52. Triptolemos zu Wa- 
gen, bekränzt, in der Linken ein Scepter, in der Rechten die Schale haltend. Vor ihm 
Demeter mit einer Haube bedeckt, einen Krug haltend, hinter ihm Persephone, Ähren in 
ihrer Rechten, wie das brittische Verzeichnifs sie angiebt, gleichfalls mit einer Haube bedeckt 
und in der linken Hand ein Scepter haltend. — Als Gegenbild ist nicht die Rückkehr der 
Kora (Ghd. Vasenbilder 1, 76 vgl. Roulez l. c. Stephani p. 101), sondern ein andrer Drei- 
verein von Göttinnen dargestellt. Vor Demeter, mit einer Haube (in der Rechten eine Fackel), 
steht eine in ihr Gewand gehüllte Göttin, angeblich Hestia, mit strahlendem Diadem; hin- 
ter Demeter steht Persephone, gleichfalls mit strahlendem Diadem, in ihrer Rechten ein 
Scepter haltend. 

k = Stephani no. 28. Oxybaphon des Prinzen von Canino, jetzt im britti- 
schen Museum no. 728. Vgl. De Witte Cabinet @trusque no. 20, wo die Figuren wie 
hier benannt sind, dagegen im brittischen Catalog p. 208 die Göttin mit Krug Persephone 
und die Göttin mit Scepter Demeter heifst. Triptolemos auf dem Flügelwagen hält 
Scepter und Schale, die vor ihm stehende Demeter Ähren und Krug, die hinter ihm ste- 
hende durch reicheren Stirnschmuck ausgezeichnete Persephone ein Scepter in ihrer Linken. — 
Auf der Rückseite drei Palästriten, ihrer zwei mit Springgewicht. 

k® — Stephani 34 (vorher mit g bezeichnet). Abgebildet bei Tischbein IV, 2 (9). 
Inghirami I, 7, 2 und in der Elite ceramographique II, 56. Triptolemos auf schwebendem 
Flügelwagen hält in der Linken Scepter und Ähren, in der Rechten die Schale, in welche 


über den Bilderkreis von Eleusis. III. 387 


Demeter, mit Stirnband geschmückt, aus ihrem Krug die Libation ihm eingiefst; in der Lin- 
ken hält die Göttin niederwärts eine brennende Fackel. Hinter ihm steht Persephone, mit 
gezackter Stephane geschmückt, in der Rechten ein Scepter, in der gesenkten Linken Äh- 
ren haltend. 

! = Stephani 20. Kelebe der Lambergschen Sammlung jetzt zu Wien, abge- 
bildet bei Laborde I, 40, Elite IN, 55. Triptolemos auf schwebendem Flügelwagen hält 
Ähren in der Linken und in der Rechten ein Scepter. Demeter, mit einer besternten Haube 
geschmückt, hält mit der Rechten ihm eine Schale entgegen, deren Strömung herabfliefst; 
das Scepter in ihrer Linken ist gleich einer Lanze gespitzt. Hinter Triptolemos steht Per- 
sephone mit Stirnband und mit Armbändern geschmückt, in ihrer linken Hand eine Fackel 
erhebend, in der Rechten aber eine zweite Fackel danieder haltend. 

m = Stephani 18. Aryballos der Sammlung zu Wien (Laborde I, 63. Elite 
II, 53). Triptolemos, auf dem Flügelwagen oberhalb eines hüglichten Abhangs sitzend, 
hält die linke Hand mülsig aufruhend, die rechte aber im Gespräch mit Demeter erhoben. 
Die Göttin hält in der gesenkten Rechten Ähren und in der Linken angelehnt eine noch 
unangezündete Fackel. Hinter Triptolemos erhebt Persephone in jeder Hand eine brennende 
Fackel. Beide Göttinnen haben das Haupt mit Bändern durchzogen und sind gleicherweise 
an Hals und Armen geschmückt. Den Hügel hält Lenormant für die Burg von Eleusis, 
von welcher die Abfahrt beginnen solle, dagegen Roulez I. c. p. 15 des Triptolemos Heim- 
kehr in diesem Bilde gemeint glaubt. 

n = Stephani 39. Kylix des Brylos mit der Inschrift Bav2os erormsev (vgl. u?). Dieses 
früher (Auserles. Vas. I, 217) nur kurz von mir notirte Triptolemosbild mit Menelaus und 
Helena als zweitem Aufsenbild und einem Amazonenbild im Innern der Schale ist noch nicht 
genauer bekannt geworden, wie denn diese Schale auch Herrn de Witte Annali 1856 p. 83 
no. 4. unbekannt blieb. 

o = Stephani 19. Krater, angeblich aus Nola, vermuthlich zu Wien. (Tisch- 
bein I, 9. Laborde I, 31. Inghirami I, 25, Elite III, 54. p- 167. Vgl. Böttiger Vasen- 
gemälde 2, 193.) Triptolemos auf schwebendem Flügelwagen hält sein Scepter in der Lin- 
ken und eine Schale in der Rechten; Demeter mit gezackter Stephane hält in der gesenk- 
ten Rechten den Krug und in der Linken eine kurze Fackel ohne Flamme. Hinter Tripto- 
lemos, gegen ihn vorgebückt, steht Persephone, durch hohe Stephane ausgezeichnet, und hält 
in der Linken eine brennende lange Fackel. Die Benennungen beider Göttinnen sind im Text 
der Elite p. 167 umgekehrt angegeben. — Das Bild der Rückseite finden wir nirgends er- 
wähnt. 

p = Stephani 30. Stamnos des Prinzen von Canino, jetzt im Louvre (In- 
ghirami I, 36. 37. Elite III, 59. 60. vgl. Museum &trusque 1378. Dubois Notice d’une 
collection 1843 no. 1.). Triptolemos auf schwebendem Flügelwagen, aus dessen Rädern je 
eine Schlange hervortritt, erscheint nach Haar und Gewand mädchenhaft, myrtenbekränzt 
wie gewöhnlich, in der Linken hält er ein stattliches Scepter, in der Rechten eine Schale. 
Demeter gielst aus dem Krug in seine Schale ein und hält in der Linken ein Ährenbüschel. 
Hinter Triptolemos hält Persephone wie zu seiner Bekränzung mit beiden Händen einen 
Myrtenkranz oberhalb des vor ihr stehenden Pfeilers gefalst. Beide Göttinnen, im Text der 


Cce?2 


388 GERHARD 


Elite für Metaneira und deren Tochter gehalten, sind mit Hauben bedeckt, von denen die 
der Persephone geschmückter ist. Das ganze Bild schlielst jederseits mit einem Palmbaum 
ab; ebenso schlielst ein Palmbaum das Gegenbild, wo zwischen zwei Altären etwa Keleos 
myrtenbekränzt, in der Rechten ein Scepter, in der Linken eine Opferschale haltend, von 
zwei Frauen, etwa Frau und Tochter, umgeben. Die zur Rechten stehende Frau, auf wel- 
che er blickt, gielst einen Opferkrug auf den einen Altar aus, während die andre, zwei 
Fackeln erhebend, ihr gegenüber steht. 

p® = Stephani 16. Oxybaphon der Sammlung Fittipaldi zu Anzi, beschrie- 
ben von Brunn (Bull. dell’ Inst. 1853 p. 166). Triptolemos zu Wagen, in der Linken 
das Scepter, in der Rechten die Schale haltend, empfängt von Demeter, die Scepter und 
Diadem trägt, die Libation, während andrerseits Persephone hier mit minder geschmücktem 
Kopfputz, mit Scepter in der Linken und angestemmtem rechten Arm gegenwärtig ist. — Das 
Gegenbild zeigt einen Scepterträger zwischen zwei Frauen, die eine mit Scepter, die andre 
mit langer Binde. 

q=Stephani 15. Oxybaphon im Museum zu Neapel, aus Piedimonte d’Alife, be- 
schrieben von Minervini Bull. Nap. N. S. II, p. 97 ss. Eine obere Reihe zeigt den Triptole- 
mos zu Wagen, in der Linken ein Scepter, in der Rechten Ähren haltend. Vor ihm steht De- 
meter mit Stirnschmnck, mit der Rechten das Gewand erhebend, in der Linken eine nicht 
brennende lange Fackel haltend. Andrerseits Persephone mit Sphendone und Myrtenkranz 
geschmückt und mit der Linken ein Scepter haltend. In der untern Reihe sind Dionysos 
und Pan, der ihm eine Fruchtplatte reicht, von Apoll und Hermes umgeben. 

q° = Stephani 31. Kumanischer Krater des Herzogs von Luynes (Minervini 
Bull. Nap. I, 2. Elite TIL, 64. vgl. Arch. Ztg. 1843 S. 15). Demeter mit Sphendone, 
den Pflug mit beiden Händen haltend und Persephone mit Haube, eine Fackel hoch und 
eine andre niederwärts haltend, stehen hinter dem durch einen Drachenkopf ausgezeichneten 
Flügelwagen, den Triptolemos in der Linken ein Scepter, in der Rechten Ähren, nach 
ihnen zurückgewandt, so eben bestiegen hat. 


d. Gröfsere Gompositionen. 

r = Stephani 32. Vase bei Tischbein I, 8. Inghirami tav. 15. Elite II, 51. 
Triptolemos auf schwebendem Flügelwagen, hält in der Linken eine Lanze, in der Rechten 
eine Schale, Demeter aber mit schlichtem Haarputz vor ihm stehend, in der gesenkten 
Rechten einen Krug, in der Linken eine lange brennende Fackel. Linkerseits, wo man sonst 
die Persephone zu finden gewohnt ist, steht ein Jüngling mit Stirnband und zurückgeschla- 
genem Reisehut, unter dessen Chlamys das Ende eines Stabes hervorschaut, möglicherweise 
eines Heroldstabs zur Andeutung etwa des eleusinischen Keryx, wenn man nicht an Her- 
mes oder, was weniger glaublich, mit Böttiger Vaseng. 2, 197 £. nur ganz unbestimmt 
einen wandernden Jüngling hier erkennen will. 

r?. Tyrrhenische Amphora, vormals zu Rom, unbekannten Besitzers (Ghd. Aus- 
erl. Vasen I, 46. Elite c&ram. IN, 57. 4. u. B.). Triptolemos auf dem Flügelwagen hält 
Ähren und Scepter. Demeter steht vor ihm, in der Linken ein Scepter haltend, mit der 
Rechten aber einen Storch oder Kranich liebkosend. Persephone mit einer Haube bedeckt, 


über den Bilderkreis von Eleusis. II. 389 


in der Rechten ein Scepter haltend, scheint nach der Geberde ihrer Linken mit Triptolemos 
zu sprechen, der nach ihr umblickt. Hinter ihr am linken Ende des Bildes steht ein bär- 
tiger Mann mit Scepter in der Rechten und angestemmtem linken Arm, vermuthlich Hades; 
neben ihm ein Hund. In den beiden letzten Figuren glaubten die Herausgeber der Rlite 
vielmehr Metaneira und Keleos zu erkennen. — Das Gegenbild, in welchem ich eine auf Segen 
der Saat bezügliche Verständigung zwischen Apoll und Iris, Ares und Hera zu erkennen 
glaubte, wird in der Elite p. 171 auf Paris und Iris, Menelaos und Helena, von Otto Jahn 
aber (Arch. Aufsätze S. 154 ff. vgl. Welcker Denkm. III, 294. Ghd. Auserl. Vasenb. IV 
s. 112.) auf den Mythos von Apoll und Marpessa gedeutet. 

r? = Stephani 9. Verstümmeltes Gefäls Aus Kertsch bei Aschik II, 54. Tri- 
ptolemos auf dem Flügelwagen hält die Schale, in welche Demeter (deren Kopf fehlt) in 
der Linken ein Scepter haltend ihm libiren mochte. Hinter ihr steht Hades mit Scepter 
in der Rechten und angelegtem linken Arm. Andrerseits schlielst Persephone mit gezackter 
Stirnkrone in üblicher Weise das Bild, in der linken Hand. eine Fackel erhebend und eine 
andre schräg darniederhaltend. — Als Gegenbild ein Jüngling zwischen drei Frauen, Auroszanos. 
An der Stelle der Henkel dieses vermuthlichen Kraters bemerkt man zwei Halbfiguren. 

r* = Stephani 11. Stamnos des Museo Campana, beschrieben in dessen Ver- 
zeichnils Serie IV. no. 56. Triptolemos auf dem Flügelwagen hält in der Linken das 
Scepter und in der Rechten die Schale, von welcher Flüssigkeit ausströmt. Demeter hat 
in der Linken die Fackel; ob auch einen Krug in der Rechten wird nicht berichtet. Kora, 
in jeder Hand eine brennende Fackel haltend, steht neben ihr; es folgt ein Mann mit 
Scepter, in welchem seiner Bekränzung ungeachtet doch wol nur Hades gemeint sein kann. — 
Ohne Unterbrechung folgt dann als Gegenbild eine im Gespräch mit Hermes oder einem 
Hierokeryx begriffene Frau, nach welchem auch eine zweite Frau, fackeltragend, sich um- 
wendet. Aufserdem folgen noch zwei Fackelträgerinnen verwunderten Ausdrucks, zwischen 
denen ein bekränzter Mann mit Scepter, etwa Keleos oder der Hierophant, gleicher Weise 
verwundert erscheint. 

s = Stephani 33. Vasenbild, ohne Angabe des Orts und der Form bekannt aus 
Tischbein IV, 10. Inghirami II, 162. Elite III, 57. Triptolemos auf schwebendem 
Flügelwagen mit Greifenkopf, hält in der Linken Scepter und Ähren, in der Rechten die 
Schale, nach welcher die vor ihm stehende Demeter, in der gesenkten Linken Ähren hal- 
tend, den Krug gewandt hält. Die wie so oft hinter Triptolemos stehende Persephone hält 
in der Linken eine erhobene Fackel, in der Rechten ein Scepter; beide Göttinnen tragen 
Stirnbänder. Eine hinter Demeter stehende dritte Frau mit erhobener Fackel in jeder Hand, 
würde man für Hekate halten, wäre nicht ihr Kopfputz, eine Haube, geeigneter eine erste 
Priesterin von Eleusis, etwa die Metaneira, anzudeuten. Neben ihr ist auf einer Säule ein 
hoher Dreifuls aufgerichtet, vielleicht mit Bezug auf Verwandtschaft des apollinischen Dienstes. 

[£: Das mit den Inschriften Houss, Hzare, Ieoswpare, Asuereo versehene Gefäls- 
fragment gehört nicht hieher, sondern zu den oben Abh. II s. 512 Anm. 324. und weiter 
unten in der Beilage € von mir erörterten Vasenbildern der aufsteigenden Kora. Vgl. C no. 46.] 

u = Stephani 22. Kylix des Prinzen von Canino, jetzt zu München. Abgebil- 
det bei Thiersch Abh. Bemalte Vasen Taf. 3, 1 (1847). Vgl. Reserve @trusque 29.38. Jahn 


390 GERHARD 


Verzeichnils no. 336. Welcker Alte Denkmäler IH, 103. Anm. 11. Triptolemos auf schwe- 
bendem Flügelwagen hält in der Linken Scepter und Ähren, in der Rechten die Schale; 
Demeter mit Scepter und Ähren in der Linken erhebt, um ihm zu libiren, in der Rechten 
den Krug. Für Persephone wird man die hinter Triptolemos stehende Frau zu halten ha- 
ben, die mit beiden Händen einen Kranz hält (vgl. oben f und p), dagegen die hinter 
Demeter stehende und mit einer Haube bedeckte Frau (nach Welcker Hekate; die beiden 
Göttinnen tragen blofses Haar mit erhobenen Fackeln) vielmehr für die priesterliche Meta- 
neira zu halten sein dürfte. Dieses vorausgesetzt, wäre auch der hinter Persephone stehende 
Mann mit Scepter vielmehr für Keleos als mit Welcker für Hades zu halten; für Keleos 
spricht auch die Schale in seiner Rechten. — Priesterlich ist auch das Gegenbild, wo mit- 
ten inne eine bärtige Mantelfigur mit Fackeln von vier andern Figuren (darunter ein Mann 
mit Scepter und zwei Figuren die eine Schlingpflanze halten) umgeben ist. —Innen das mit 
Färbung und Gold geschmückte, mit Scepter und Inschrift (Heg«) versehene Bild der Göt- 
tin Hera. 

u? = Stephani 25. Volcentische Kylix im Museum zu Frankfurt a. M. mit 
dem Künstlernamen des (vgl. n.) Brylos (Ghd. Trinkschalen und Gefälse Taf. 4. B. S. 20 ff. 
Annali dell’ Inst. XXI. tav. G mit Welckers Text p. 109 u. Alte Denkmäler III, Taf. XU. 
S. 93 ff). Triptolemos mit Ähren und Schale, nach Tracht und Kopfputz mädchenhaft, 
sitzt inmitten des einen Aulsenbildes dieser Schale auf schwebendem Flügelwagen, von Gott- 
heiten und Sterblichen umgeben, denen die Erfüllung des mit Pluto geschlossenen Vertra- 
ges obliegt. Vor ihm stehen, in schlichter Tracht, innerhalb des durch zwei begrenzende 
Säulen angedeuteten Heiligthums, die durch eine Blüthe bezeichnete Kora und hinter der- 
selben eine Fackel erhebend als ihre Gefährtin etwa Hekate oder Artemis Hegemone. In 
gleicher Richtung endet das Bild rechterseits mit der thronenden Gestalt eines durch 
Scepter ausgezeichneten, und mit der Rechten eine Schale ausstreckenden Herschers , wahr- 
scheinlicher Pluton als Zeus. Die in der Rechten von ihm ausgestreckte Schale mag den 
Verträgen gelten, zu deren Erfüllung Iris den mit Nektar gefüllten Krug herumreichen wird. 
Die geflügelte Botin des Zeus wird auf der linken Hälfte des Bildes zunächst von Demeter 
begrülst, welche wir in der hinter Triptolemos stehenden und eine Schale nach Iris aus- 
streckenden Göttin erkennen. Ebenfalls nach Iris blickt auch die weiter links stehende 
Frauengestalt mit zwei erhobenen Fackeln, welche, einem mit Helm Harnisch und Speer 
gerüsteten, in seiner Rechten gleichfalls eine Schale haltenden Jüngling gegenüber das Bild 
linkerseits schlielst. Es mag Eumolpos in ihm und in der ihm leuchtenden Frau eine der 
Begründerinnen der Mysterien, etwa Telete oder die personificirte Eleusis, gemeint sein. 
Verglichen mit andern Triptolemosbildern unterscheidet das hiemit beschriebene seiner Idee 
nach sich dadurch, dafs des Triptolemos Abfahrt nicht nur von Demeter und der ihr wiederge- 
gebenen Kora, sondern von der für ein noch grölseres Personal durch Iris verkündeten Bot- 
schaft des Zeus abhängig gemacht ist; die Kundgebung solcher durch Opferspenden besie- 
gelter Verträge rechtfertigt sowohl die Gegenwart des Unterweltsgottes als auch die unge- 
wöhnliche Stellung der Demeter hinter Triptolemos und die Betheiligung eines ersten Em- 
pfängers der eleusinischen Weihe, voraussetzlich des Eumolpos(*). Das zweite Aulsenbild 


(*) Die Beziehung auf Verträge hat W Yelcker har der dies Bild im Ganzen als Bund des Pluton mit 


über den Bilderkreis von Eleusis. III. 391 


dieser Schale zeigt im Innern des eleusinischen Heiligthums zwei Töchter des Keleos, auf- 
gescheucht und entsetzt über die vielleicht erst durch strafbare Neugier (Welcker A. D. 
III, 102) ihnen ansichtig gewordene Tempelschlange. In dem linkerseits darauf blickenden 
Personal glaubt man die herbeieilende Metaneira, hinter ihr den Keleos, in dem am Ende 
des Bildes sichtlich theilnehmenden Jüngling vielleicht den Triptolemos zu erkennen, der 
etwa zur Andeutung seiner künftigen Würde (Welcker II, S. 101) durch sitzende Stel- 
lung bevorzugt ist. — Das Innenbild dieser Schale zeigt die Verfolgung einer Frau durch 
einen bärtigen Mann, von dessen räthselhaftem Attribut die Deutung abhängt. WVelckers 
Vermuthung, dafs ein abgekürzter Dreizack darin gemeint sei, hat, wenn nicht Evidenz, 
doch ungleich grölsere Wahrscheinlichkeit als die früher geäulserte Annahme eines Poseidon 
mit einem Pflug, daher man wahrscheinlich eine gefällige Darstellung der von Pluton ver- 
folgten Persephone in jenem Bilde erkennen darf. 

u’ = Stephani 13. Krater des Museo Gampana (Serie IV, 794, jetzt in Rufs- 
land), mit ungewöhnlich grofsen Figuren von schönem Styl. Triptolemos auf dem Flü- 
gelwagen hält in der Linken Scepter und Ähren, in der Rechten die Schale; vor ihm 
steht voraussetzlich Demeter, bedeckt mit dem Modius und fünf Ahren haltend. Neben 
einer Säule folgt dann eine bekränzte Frau (,,Ceres”), welche etwa als priesterliche Ge- 
nossin des cerealischen Segens, wie Metaneira, in beiden Händen Ähren hält, vielleicht 
auch wie Stephani meint eine Hore vorstellt. Hinter Triptolemos steht Persephone, am 
Kopf mit dreifacher Binde geschmückt, in ihrer Rechten das Scepter, in ihrer Linken Äh- 
ren haltend. — Das Gegenbild soll den Pluton mit Persephone, den Dionysos mit Ariadne 
gruppirt darstellen, welche Deutung jedoch nach Einsicht einer dem archäologischen Institut 
verdankten Zeichnung wenigstens sehr unsicher erscheint. Der angebliche Pluton, eine 
Mantelfigur mit vollem Haar ohne Attribute, streckt seine Rechte nach der gegenüber- 
stehenden Frau, welche ihm eine Schale reicht. Der ihm sehr ähnliche für Dionysos ge- 
haltene bärtige Mann hält allerdings ein nach seiner Bekrönung an einen Thyrsus erinnern- 
des Scepter; doch hat die ihm gegenüberstehende Frau schlichten Ansehns durchaus kein 
Merkmal der Ariadne. Alle vier Figuren sind mit Stirnbändern geschmückt, welche an 
den zwei letztgedachten Figuren verzierter sind als an den beiden ersten. [Zu der im rus- 
sischen Compte-Rendu für 1862 soeben erschienen Abbildung (das Gegenbild ist stark ver- 


der Persephone deutet. Die obige Auffassung ist im Ganzen damit wohlverträglich; der Bund wird da- 
durch erfüllt, dafs unmittelbar nach Persephones Wiederkehr die Fahrt des Triptolemos und die Stiftung 
der Mysterien anhebt. Im Einzelnen jedoch muls ich jetzt noch mehr meiner frühern Auslegung als den 
Deutungen Welckers mich anschlielsen, der von der Annahme ausgeht, dafs die Figur im Flügelwagen 
nicht Triptolemos, sondern Demeter sei; kein sonstiges Beispiel ist dafür vorhanden, und wenn die Ähren 
der fraglichen Figur fast mehr wie Mohnstengel (Welcker A. D. II, 97) aussehen, die für Triptelemos 
allerdings nicht passen würden, so wird zur Sicherung jenes Anscheins doch jede Spur von Mohnköpfen 
vermilst. Den thronenden Gott nimmt, Welcker für Zeus, die Gefährtin der Kora für Rhea, den gewapp- 
neten Mann für Keleos und die Frau hinter dem Flügelwagen für Metaneira, die neben ihm stehende mit 
zwei Fackeln für Hekate; manche dieser Deutungen bleibt auch bei der obigen Auffassung zu beachten, 
dagegen Jeder es vermissen wird, dafs in dem Zuge eleusinischen Personals Triptolemos völlig fehlt. 
Auch ist es bedenklich, mit Welcker (A. D. III, 99) durch den Zeus im Olymp, die Demeter im Tempel 
und die Eleusinier in ihrem Haus drei getrennte Scenen anzunehmen, da die Compositionen der Vasen- 
bilder guten Styls eine ähnliche Verbindung verschiedener Momente nicht leicht darbieten, 


392 GERHARD 


kleinert auf der Gefälsform gegeben) betont Stephani die Übereinstimmung jenes angeb- 
lichen Thyrsus mit dem Scepter des Triptolemos auf dem Hauptbild, und deutet demnach 
(p- 34) jene vier Figuren der auf seiner Gefälsform abgebildeten Kehrseite auf Keleos und 
Hippothoon, Metaneira und eine der Keleostöchter.] 

u‘ = Stephani 17. Kelebe aus Agrigent im Museum zu Palermo nach Politi 
(einque vasi tav. 7) abgebildet in der Elite III, 62. Vgl. Bull. Napol. I, 15 und Arch. 
Ztg. I, S. 13. Triptolemos (TgrmroAsuos) auf Schlangenwagen hält in der Linken einen 
Stab mit Ähren, in der Rechten eine Schale; ihm spendet Demeter (Asusre>), in der Rech- 
ten den Krug, in der Linken Ahren haltend. Hinter ihr steht Keleos (Ks?so), eine be- 
kränzte Mantelfigur, in der Linken ein Scepter, die Rechte staunend erhoben. Dem Wagen 
folgt Persephone (Pegepase) mit Schale und Ähren. Noch eine bekränzte Mantelfigur heilst 
Hippothoon (HırzoSov). Auf der Rückseite Zeus (Zeus) zwischen Thetis (Osr:s) und Eos 
(Heoe). 

[v: Das früher von mir so bezeichnete Gefäls ist oben unter p bereits aufgeführt. ] 

®» = Stephani 29. Grofse apulische Amphora im Louvre. Allbekannt aus 
Dempster I, 47, Hancarville III, pl. 128. Millingen Unedit. Mon. pl. 20—24. Panofka 
Vasi di premio tav I. II. Inghirami I, 8, 1. Elite cöram. III, 632. Vgl. Böttiger Va- 
seng. Heft 2, p. 207. Gbd. Auserl. Vasenb. I, S. 217. Am Hals dieses Prachtgefälses erscheint 
Triptolemos auf schlangenbespanntem Flügelwagen, in der Linken das Scepter und Ähren, 
in der Rechten die Schale haltend; vor ihm Demeter bekränzt, in der gesenkten Rechten 
den Krug, in der erhobenen Linken eine Fackel haltend, hinter ihm etwa Persephone mit 
gezacktem Stirnschmuck, in der gesenkten Linken Ähren, in der erhobenen Rechten eben- 
falls eine Fackel haltend. Hinsichtlich der zahlreichen Nebenfiguren ist man darüber ein- 
verstanden, eine priesterliche Umgebung des Hauptbildes von fünf, wenn nicht sechs Per- 
sonen anzunehmen (sechs, nur durch Verkennung der Persephone: Elite c£ramogr. III, p. 183). 
Von diesen wird die dem Altar benachbarte Gruppe zur Rechten füglich auf Keleos und Meta- 
neira bezogen, in den zwei andernFrauen an Töchter des Keleos gedacht, in dem Sce- 
pterträger zur Linken aber, welcher nach einer Keleostochter zurückblickt, wahrscheinli- 
cher Hippothoon als Dysaules vorausgesetzt. Die Keleos Töchter erscheinen mit Ähren und 
Schale, Metaneira verschleiert mit Ährenbüschel vor dem Altar, Keleos als. Mantelfigur mit 
einem Scepter. — Übrigens ist das von jener Darstellung überragte Hauptbild einer figurenrei- 
chen Quadriga vielleicht auf Eleusinische Agonen bezüglich; im Hauptbild der andern Seite 
glaubte Panofka den Kampf des Eumolpos mit Immarados dargestellt zu finden, woneben 
am Hals derselben Seite das Bild eines von sechs Jünglingen gejagten Rehs räthselhaft bleibt. 

x» = Stephani 36. Kalpis, vormals dem Herrn Cucuza zu Nola gehörig; der 
jetzige Besitzer dieses wichtigen Gefälses ist unbekannt (Mon. dell’ Inst. I, 4. Inghirami 
Vasi fittili tav. 6,1. Müller Denkm. II, 110. Elite c&ram. III, 58. Vgl. Ghd. Auserlesene Va- 
senbilder I, S. 218). Triptolemos (Tzırrers105) auf schwebendem Flügelwagen, mit Scepter und 
Schale versehen, empfängt die aus dem Krug der Demeter (Ay r7g) ihm bestimmte und aus sei- 
ner Schale wieder ausströmende Libation. Dieser Göttin mit gezackter Stirnkrone und 
Scepter steht hinter Triptolemos die vermuthliche Persephone, myrtenbekränzt, gegenüber, 
welche, in der Linken ein Scepter haltend, mit Blick und Handgeberde nach einer dritten 


über den Bilderkreis von Eleusis. LII. 393 


Frau mit gezackter Stirnkrone und einer erhobenen Fackel in jeder Hand sich umblickt, die 
man mit den Herausgebern der Elite für Artemis nämlich als Phosphoros oder auch für die 
personificirte Einweihung (Telete oder Eleusis, vgl. u”. Anm. 279) halten kann; frühere Er- 
klärer, namentlich Müller und Welcker (Alte Denkmäler III, 103), nahmen sie für Perse- 
phone und die an deren üblicher Stelle dargestellte Göttin mit Scepter für Rhea. Ein bär- 
tiger Greis mit Scepter und Füllhorn, vermuthlich Hades, schlielst linkerseits hier das Bild. 
Rechterseits hinter Demeter ist Hekate in einer Frau mit Stirnschmuck inschriftlich bezeugt, 
welche mit ausgebreiteten Armen je eine Fackel erhebt. Noch eine Frau mit gezackter 
Stirnkrone trägt vom rechten Ende des Bildes einen eimerförmigen Korb herbei; man hat 
sie bald als Hore (so auch Welcker a. a. O.), ausgerüstet mit einem Samenkorb (Stephani 96. 
Anm. 266), bald auch, was in dieser Gruppirung minder wahrscheinlich ist, als eine der 
Keleostöchter gefalst. 

y = Stephani 14. Krater aus Armento im Museum zu Neapel, von mir be- 
schrieben in Neapels antiken Bildwerken S. 284. Vgl. Minervini im Bullettino Napol. I 
p- 53. Mitten Triptolemos in schlangenbespanntem Wagen, links Demeter; unten rechts 
füttert Artemis-Hekate die Schlangen. Über ihr schreitend gegen Triptolemos etwa Athena 
und Kora (wenn nicht Priesterinnen: H. R. Studien II, 177); wie zur Einfassung Her- 
mes, ein Satyr und Pan. Die Herausgabe dieses eigenthümlichen Triptolemosbildes von guter 
Zeichnung ist längst vergebens empfohlen worden. 

z = Stephani 35. Grolse apulische Amphora Poniatowski, jetzt im Museum 
des Vatikans (Visconti Opere varie II tav. 1. Millin Peintures II, 30. Gal. My- 
thol. 211, 219. Hirt Bilderbuch II Taf. 3, 7. Dubois-Maisonneuve pl. 7. Creuzer Symbolik, 
Ausg. 2, Abbildungen Taf. XIV zu Th. II, 527 ff. Guigniaut Religion de l’ant. pl. 1445. 
no. 551. Inghirami vasi I, 11. Elite c@ram. II, 63. Vgl. Zoega in der Jenaischen L.Ztg. 1796. 
Intelligenzblatt no. 86. Ouvaroff (Mysteres d’Eleusis 1812. p.1. Welcker Zeitschrift 
S. 165. Müller Hdb. S. 537. $ 358, 4. Preller Demeter S. 313. Ghd. Auserlesene 
Vasenb. I. S. 218.). In der untern Reihe dieses Gefälses steht Triptolemos anf dem in Vor- 
deransicht dargestellten mit Schlangen bespannten Wagen, mit Scepter und Ähren in der 
Linken und mit ausgestreckter rechter Hand. Demeter, verschleiert und geschmückt, in ster- 
nengesticktem Gewand, in ihrer Linken eine Kienfackel haltend, reicht ihm von linksher mit 
der Rechten noch andre Ähren. Noch weiter links steht gleichfalls eine Fackelträgerin, 
vielleicht Persephone, eine geschmückte Frau mit Stirnkrone und angestemmtem rechten 
Arm (vgl. p?). Rechterseits von Triptolemos sitzt noch eine geschmückte Frau mit Stirn- 
krone, welche zur Tränkung der einen Schlange eine Schale hält, vermuthlich Hekate 
(vgl. y). Die obere Reihe ist auf die Rückkehr der Kora zum Zeus bezüglich, auf der 
Rückseite ein Grabmal, dessen Innenbild durch Creuzers unglückliche Deutung auf Jasion 
bekannt ist. 

2” = Stephani 90. Oxybaphon der Sammlung Pourtales. (Panofka Cabinet 
Pourtales pl. XVI. p. 83 ss. Elite c&ram. IN, 63a. Ghd. Abh. Anthesterien Taf. IV. 
S.182, 213). Dieses figurenreiche Bild zeigt im Einweihungstempel des Herakles und der 
Dioskuren, bekanntlich nicht zu Eleusis, sondern zu Agrae, den Triptolemos in seinem 
Schlangenwagen mülsig am Boden sitzend, neben ihm die stehende Persephone mit Fackel 


Philos.- histor. Kl. 1864. Ddd 


394 GERHARD 


und die ohne Attribut daneben sitzende Demeter. Im Gegenbild sind Herakles und Plutos 
die Hauptpersonen. 

z’ = Stephani 91. Kumanische Amphora mit Reliefs, aus dem Museo Cam- 
pana in die kaiserlich russische Sammlung versetzt. Abgebildet bei Minervini Bull. Napol. 
N. S. III, 6 p. 73, besser von Stephani im Compte-Rendu 1862 pl. III und danach auf unsrer 
Tafel III. Vgl. Braun Bull. dell’ Inst. 1855 p.IVss. Museo Campana Serie XII, 4. Elite cöram. 
III p. 123. Stephani im Compte-Rendu de la Commission Imperiale pour 1859. p. 91 ss. 
1862. p. 35ss. Triptolemos auf seinem Schlangenwagen sitzend, ist in auserwähltem 
eleusinischem Gölterkreis, umgeben von noch neun Figuren hier dargestellt, deren genauere 
Erörterung zugleich mit Bezug auf unsere Tafel III in der vorstehenden Abhandlung (S. 374 
ff.) bereits gegeben ist. 

z*. Pelike aus Kertsch, als schönstes Vasenbild der kaiserlich russischen Samm- 
lung durch Stephani’s Herausgabe (Compte-Rendu 1856 pl. I. Il. p. 32; danach auf uusrer 
Taf. I. II.) bekannt geworden. Dieses zunächst durch die Jacchosgeburt seiner Vorderseite 
berühmte und bereits früher (Abh. I S. 267. 291 £.) von uns besprochene Vasenbild 
zeigt in der oberen Reihe seiner Rückseite die als Luftfahrer verhältnifsmäfsig kleine Fi- 
gur des Triptolemos in Vorderansicht; auf seinem geflügelten Wagen stehend, hält er mit 
der Linken den vollen Gewandschurz gefalst, aus welchem er mit seiner Rechten Samen 
ausstreut. Unter ihm sitzt Demeter mit hohem Modius, in der Rechten ein Scepter hal- 
tend, die linke Hand flach und bedeutsam erhebend; neben Demeter steht der Knabe 
Plutos, auf welchen weiter rechtshin die an eine Säule gelehnte, in der Rechten eine Fackel 
haltende, an Stirn und Hals geschmückte Persephone folgt. Aufserdem sind dieser unteren 
Reihe links Aphrodite und Eros, rechts etwa Peitho, der oberen aber, links vom Triptole- 
moswagen, Herakles und rechts Dionysos gesellt. 

z° = Stephani 8. Apulische Amphora der kaiserlich russischen Sammlung, be- 
sprochen von Stephani Parerga XIV, S. 147 und im Compte -rendu pour 1859 p. 102 (vgl. Arch. 
Ztg. 1855 S. 158), nun auch herausgegeben im so eben erschienenen Compte-Rendu für 
1862. pl. IV, p. 154 ss. 'Triptolemos auf Schlangenwagen erscheint oberhalb des Flufsgottes 
Nil (Ne:Aos); ihm libirt rechts Demeter (Arjnryg), hinter welcher zwei Frauen inschriftlich als 
Horen erklärt sind (IRPAI sic). Links von Triptolemos sitzt Aphrodite (Agodırz) mit Eros 
und Peitho (IS). Unter ihnen die Gruppe einer Katze, die einen Vogel raubt; oben 
noch ein junger Pan. Als Gegenbild Dionysos mit Thiasoten. 


I. 


über den Bilderkreis von Eleusis. III. 395 


Beilage BD. 


Raub der Kora auf Sarkophagreliefs (*). 
A. In Italien. 


Rom. 


1. Im Museum des Kapitois: Mus. Capitol. IV, 55 p. 257 ss. Hirt Bilderbuch II, 9, 5 
(unvollständig). Vergl. Zoega bei Welcker Zeitschrift S. 25. Beschreibung der Stadt 
Rom III, 1, 165. Grolser Sarkophag von grober Arbeit und eigenthümlicher Darstellung, 
enthaltend wie folgt: 


G 


Ceres fackeltragend im schlangenbespannten Wagen, darunter die liegende Tel- 
lus mit Füllhorn, welches ein Flügelknabe umfalst. — d. Blumenlese, bei wel- 
cher Kora mit aufgestütztem Knie von Pluto (mit Scepter) überrascht wird, 
dem Blumenkoörb steht Amor zur Seite. Von den drei Göttinnen ist Artemis 
deutlich durch Halbmond und Köcher; die Frage ob in einer zweiten mit Stirn- 
krone und Scepter Juno oder Venus (vgl. no. 5) gemeint sei, ist wol für letz- 
tere zu entscheiden (vgl. Welcker s. 74 £.); Pallas dagegen erscheint bereits bei 
der dritten Scene geschäftig, die geraubte Kora zu unterstützen. — c. Kora, 
bier mit Bildnifszügen aufrecht stehend, wird durch zwei Eroten in ihrer Nähe 
als Braut des Pluto bezeichnet, der sie auf seiner Quadriga umfalst hält. Den 
Pferden geht Hermes voran. Die Siegesgöttin hält Palme und Kranz dem Zug 
entgegen. Sehr auffallend ist der am rechten Ende des Bildes voranschreitende 
und rückblickende, mit einem Gewand schleierähnlich verhüllte Herkules, der in 
der Linken eine Keule hält und von einem Hund, vermuthlich CGerberus, be- 
gleitet ist. Am Boden Oceanus, gelagert mit einem Scepter, der schlangenlei- 
bige Enceladus (über Askalaphos vergl. Zoega), sodann nach der andern Seite 
gewandt mit dem Finger auf dem Mund die vermuthliche Nymphe Kyane. — 


(*) Das Verzeichnils dieser Sarkophagreliefs ist auf der von Welcker in der Zeitschrift für alte Kunst 
gegebenen Grundlage angefertigt. Da ein grofser Theil der hier berührten Denkmäler nur unvollständig 
bekannt ist, so ward die dort befolgte museographische Ordnung auch hier angewandt, dergestalt dafs die 
örtlichen und litterarischen Notizen jedes einzelnen Reliefs nur von der Angabe der dargestellten Gruppen 
und ihrer hervorstechendsten Besonderheiten begleitet worden sind. Die in Rom noch erhaltenen oder 
vormals von dorther bezeusten Denkmäler werden diesem Verzeichnils billigerweise vorangestellt. Übri- 
gens vergleiche man unsere frühere Abhandlung Il. S. 495 ff. Anm. 185. 


Ddd2 


396 GERHARD 


d. Querseite links: zwei gescheuchte Mädchen, mit umgewandtem Blick nach 
einem Blumenkorb fassend. — e. Querseite rechts: Pluto thronend, in der Lin- 
ken ein Scepter haltend, streckt seine Rechte gegen die vor ihm stehende, 
die Linke ans Kinn haltende verschleierte Kora, welche von Hermes, der zwi- 
schen beiden zurückblickend steht, ihm wieder zugeführt zu sein scheint. 

2. Relief im Vatican, überarbeitet und stark ergänzt (alle Köpfe sind neu), abgebildet 
bei Visconti Mus. Pio-Clem. V, 5. Millin Gal. myth. LXXXVI, 339. Vgl. Welcker Ztschr. 
S. 50. Beschreibung der Stadt Rom Il, 2, 222. Das ganze Bild, in der Richtung nach 
der Linken des Beschauers ausgeführt, enthält wie folgt: 

a (rechts). Ceres im Schlangenwagen, in welchem eine kleine geflügelte Figur 
voransteht. — 5. Kora und die drei Göttinnen der üblichen Blumenlese sind 
zunächst in einer knienden Figur mit Blumenkorb angedeutet; eine ganz ähnliche, 
vermuthlich Aphrodite, ist vor den Pferden der Quadriga zu sehen, denen eben- 
dort auch Minerva entgegentritt, dagegen Artemis zu fehlen scheint. — c. Über 
dem plutonischen Wagen, auf welchem Proserpina verzweiflungsvoll erscheint, 
schweben zwei Eroten und geht vor den Pferden Merkur voran; am Boden 
liegt Tellus mit Stier und Fruchtkorb. 

3. Im Vatican, Museo Pio-Clementino; Fragment. Vgl. Welcker Ztschr. S. 48 ff. Be- 

schreibung Roms II, 2 S. 183, 61. 

Dargestellt ist die Scene des Raubes. Den Wagen führt Hermes, am Boden liegt 
Tellus. Die Pferde sind niederwärts gewandt; als Verzierung des Wagens wird ein 
Löwe bemerkt. Als Eckfigur rechts vom Beschauer eine Hore mit Schurz, in wel- 
chem (wie Helbig bemerkt) keine Früchte ausgearbeitet sind. 

4. Im Vatican, Museo Chiaramonti; Sarkophagfragment, die verstümmelte Gruppe vom 
Raub der Kora enthaltend mit voranschreitendem Hermes. Vgl. Beschr. Roms II, 2, 60 
no. 321. Der Wagen ist mit einer Schlange, am Rade mit einem Löwenkopfe verziert. 

5. In Villa Albani, Reliefplatte von guter Arbeit; abgebildet bei Zoega II, 97. Creu- 
zer Abb. zur Symbolik, (Ausg. 2) Taf. XII. Vgl. Beschreibung Roms III, 2, 483. 
Darstellend: @. Demeter mit Rossegespann, die beflügelte Iris schreitet dem Wagen 
voran; rückblickend Eros mit Fackel, am Boden liegt Tellus. — 5. Die drei 
Göttinnen Aphrodite (langbekleidet mit Scepter), Artemis und Pallas, weiter 
links unter den Pferden, als knieende Frauengestalt, eine nach Demeter auf- 
blickende Kora, wie öfters in dieser Mittelscene, daher wol weniger an eine 
Nymphe zu denken ist. — c. Das plutonische Viergespann, an den Rädern mit 
einem Löwenkopf verziert; über den Pferden leuchtet ein Amor. Kora erscheint 
ohnmächtig von ihrem Räuber umfalst; Pallas scheint ihr etwas zuzuflüstern. 
Hermes hält die Pferde; am Boden liegt Oceanus, ein Füllhorn haltend, wel- 
ches als alleiniges Attribut die Auslegung dieser Figur in Zweifel gestellt hat. 
6. Im Palast Barberini, Sarkophag von ziemlich guter Arbeit und Erhaltung. Vgl. 
Zoega bei Welcker a. O. S. 38. In der Beschreibung Roms III, 2, 431 ist dieser 
Sarkophag nur kurz erwähnt. 


über den Bilderkreis von Eleusis. III. 397 


Demeter mit Fackeln in rossebespannter Biga, welche von einer kleinen Figur 
mit vorn und hinten ausgebreiteten Flügeln gelenkt wird. Voran schwebt Iris 
(nicht Artemis), wie auch ein Liebesgott mit Fackeln; unten Tellus mit einer 
nach den Pferden züngelnden Schlange. — 5. Pluton mit Scepter überrascht die 
knieende Kora, zwischen beiden je ein umgestürzter Blumenkorb. Daneben sind 
Hermes, ferner Aphrodite und nahe am Plutonischen Wagen Pallas zu bemer- 
ken, dagegen Artemis hier zu fehlen scheint. — c. Im plutonischen Wagen, 
dem Hermes vorangeht und ein Liebesgott voranleuchtet, wird Kora von Pluton 
ohnmächtig liegend gehalten. Am Ende des Bildes ist neben Hermes noch ein 
Todtengenius, kenntlich an seinen gekreuzten Beinen, neben einem Lorbeerstamm, 
sodann am Boden der liegende Okeanos zu bemerken. — d. Querseite links. 
Drei erschreckte Mädchen, die mittelste knieend vor einem Blumenkorb. — 
e. Querseite rechts. Thronender Pluto, vor ihm eine verhüllte Frauengestalt 
mit ans Kinn gelegter Hand und Merkur in der Mitte, mit vermuthlichem Be- 
zug auf die Rückführung der Kora. 


7. Im Palast Barberini, Sarkophagseite mit ansehnlichen Figuren, deren schöne Ma- 


nier von Zoega gerühmt wird. Vgl. Welcker a. O. S. 42. 


a. 


Demeter fackeltragend, wird von zwei gewaltigen Schlangen gezogen, neben 
denen Iris mit grofsen Flügeln voranschwebt; die Achse des Wagens ist mit 
einem Löwenkopf verziert. — . Mitten stehen die drei Göttinnen, Aphrodite, 
im Hintergrund Artemis und dem Plutonischen Wagen zunächst Pallas; vor 
ihnen am Boden ein Korb mit verschütteten Blumen und unmittelbar hinter 
Pallas ein leerer runder Altar. — c. Auf der Quadriga hält Pluto die wüthende 
Proserpina quer vor sich; über den Pferden ein Amor mit Fackel in jeder Hand; 
als Führer des Viergespanns geht Mercur voran. Am Boden Tellus mit reich 
gefülltem Gewandschurz. 


8. Im |Palast Giustiniani, Sarkophagseite von guter Manier (Gall. Giust. II, 106. 
Vgl. Zoega bei Welcker a. O. S. 28). 


a. 


Demeter mit Fackel im Schlangenwagen ohne sonstige Umgebung. — 2. Blu- 
menscene mit zwei Cypressen im Hintergrund, Kora knieend neben zwei umge- 
stürzten Blumenkörben; neben ihr Aphrodite oder Artemis mit bewegtem Aus- 
druck, sodann Pallas, welche bereits in die dritte Scene eingreift, wo die von 
ihr gefalste Kora in liegender Stellung von Pluto entführt wird; der pluto- 
nische Wagen wird von Hermes geführt. Im Hintergrund ein wie es scheint 
viereckter, mit Früchten besetzter Altar. — c. Über dem Viergespann schwebt 
ein Liebesgott. Tellus tritt als Halbfigur aus dem Boden hervor. 


9. Im Palast Giustiniani. Sarkophagseite von schlechter Arbeit: Gall. Giust. I, 118; 
vgl. Zoega bei Welcker a. O. S. 29. 


a. 


Demeter mit Fackeln im Schlangenwagen, den eine beflügelte kleine Figur lenkt; 
am Boden 'Tellus mit Füllhorn. — 5. Die drei Göttinnen, von Pluto überrascht, 
der mit Scepter versehen hinter der knieenden Kora (neben ihr ein umgestürz- 
ter Blumenkorb) steht; ihr Kopf und auch der des Pluto zeigt Bildnilszüge. Eine 


398 


10. 


11. 


12, 


GERHARD 


der beiden Göttinnen ist durch ein Scepter, die andere durch Stirnkrone ausge- 
gezeichnet, die schon zur dritten Scene gehörige Pallas durch Schild und Helm. 
— c. Im Wagen Pluto mit der aufrecht von ibm gehaltenen Kora, die vorn 
von Pallas gefalst wird; neben den Pferden im Vordergrund eine rückblickende 
bekleidete Göttin (laut Zoega die gescheuchte Artemis; ob Aphrodite?), über 
denselben ein Liebesgott. Die übliche Figur des Hermes ist weggebrochen. Am 
Boden Oceanus mit Ruder, ferner Enceladus, auch wol Scylla. 

In der Villa Giustiniani, Fragment von schönster Manier laut Zoegas Beschreibung 

bei Welcker a. O. S. 30; abgebildet in Gall. Giust. II, 79. 

a. Nach der Eckfigur einer Siegsgöttin, die einen Kranz vor sich hält, folgt Demeter 
mit starker Fackel im schlangenbespannten Wagen, dem Iris mit bogenförmigem 
Peplos zur Seite geht. — d. Die Blumenscene beschränkt sich auf zwei ste- 
hende Göltinnen mit umgestürztem Blumenkorb (etwa Artemis, welche, der Kora 
nacheilend, von Aphrodite zurückgehalten wird) und auf die bereits c. zum 
plutonischen Wagen gehörige Pallas, mit deren rechter Hand zugleich auch die 
dritte Scene des plutonischen Wagens verloren gegangen ist. 

Im Palast Mattei, stark beschädigtes Relief von ziemlich guter Arbeit; fast alle Köpfe 
sindneu. Abgebildet in den Monum. Matth. III, 5, genau beschrieben von Zoega in Welckers 
Ztschr. S. 31 fl, vgl. Beschreib. Roms III, 3, 527. Eben dies Relief scheint gemeint 
zu sein in Alexanders (Graev. thes. V, 762) Beschreibung eines im Palast Mattei ein- 
gemauerten Bildwerks. Übereinstimmend sind die Pferde der Demeter, auch der dem 
Raub günstig zuschauende (angeblich zwar stehende) Zeus; doch werden zwei umge- 
stürzte Blumenkörbe und auch der Umstand bemerkt, dals Mercur nicht vor dem plu- 
tonischen Wagen, sondern daneben laufe. Diese beiden letztern Umstände erkennt 
man, statt in diesem, in dem aus gleichem Orte angeführten nächstfolgenden Relief, 
daher eine Vermischung beider Reliefs durch den Berichterstatter von uns vorausgesetzt 
werden darf. Dargestellt sind: 

a. Demeter mit Fackel im rossebespannten Wagen, den eine geflügelte kleine 
Figur lenkt; Iris schwebt voran. Unten Tellus, mit einem Kinde an der Brust. 
— d. Die drei Göttinnen, sammt der knieenden Kora, deren Peplos von einem 
Eros gelüftet wird; neben ihr ein noch aufrecht stehender Blumenkorb, mit 
welchem ein anderer Liebesgott beschäftigt ist. Im obern Raum eine sitzende 
Figur, von Zoega für den Berggott Aetna gehalten, von Platner für Zeus mit 
Adler und Donnerkeil. — c. Der plutonische Wagen wird von einer hochste- 
henden kleinen Figur gelenkt; über den Pferden ein Liebesgott. Pluto umfalst 
die aufrecht neben ihm stehende Kora; sie wird von Pallas berührt, auf welche 
eine der beiden andern Göttinnen, vermuthlich Artemis, ihre Hand legt. Dem 
Wagen voran geht Hermes; neben ihm zeigt der Höllenhund Cerberus drei 
Köpfe mit drei Hälsen. Unten am Boden ist Okeanos gelagert, der ein Ru- 
der hält. 

Im Palast Mattei. Relief von guter Anlage bei harter Ausführung laut Zoega bei 


über den Bilderkreis von Eleusis. III. 399 


Welcker a. ©. S. 32. Abgebildet in den Mon. Matth. III, 6; vgl. Beschr. Roms III, 
9, 525. 


a. 


Demeter mit Fackel in einer mit Rossen bespannten Biga, hinter ihr ein Baum- 
stamm; voran schwebt Iris, eine Figur, welche ich laut Platner a. a. O. als 
Hore gefalst haben soll (mit vermuthlichem Bezug auf die Endymion-Reliefs). — 
b. Neben zwei umgestürzten Blumenkörben wird die knieende Kora von Pluto, 
der ein Scepter hält, überrascht; die andern Göttinnen sind in diesem Relief 
ausgelassen. Im Hintergrund eine Eiche. — c. Im plutonischen Wagen wird 
Kora, querliegend, von ihrem Entführer mit der Linken umfalst, während er in 
der Rechten die Zügel hält. Die Pferde drängen nach einem Felsen; Hermes 
voranschreitend neben den Pferden hält die Hand vors Gesicht, wie auf Nr. 1. 
auch Hercules thut, sei es gegen die Blendung des Tages (Welcker Ztschr. 
S. 32, Anm. 45) oder gegen die sich eröffnenden Schauer der Unterwelt. 


43, In VillaMedici. Relief von schöner Manier, aber stark zerstolsen, obwohl durch den 


Ergänzer noch mit einer Reihe von Bäumen beschenkt, für welche Zoega in seiner Be- 


schreibung keine Spur vorfand, vgl. Welcker a. O. S.52. Die Darstellung ist von 


der Rechten sur Linken des Beschauers gewandt. 


a, 


Demeter im Schlangenwagen, den eine verstümmelte kleine Figur lenkt; die 
Göttin hält in der Linken, laut Zoega, ein Scepter, konnte aber, wie es scheint, 
in der erhobenen Rechten zugleich eine Fackel halten. — 6. Vor einem stehen- 
den Blumenkorb kniet eine von vier Liebesgöttern umschwärmte Frau, die man 
im ähnlichen Rucellaischen Relief für Aphrodite zu halten versucht ist, hier 
aber mit Zoega um so mehr für Kora zu halten hat, da auch Aphrodite, von 
zwei Liebesgöttern umllattert, dargestellt ist, allerdings entfernter hinter den Pfer- 
den der Quadriga, nur oberhalb sichtlich, mit auf die Brust gelegter Hand. 
Diesseits der Pferde sind noch Artemis in aufgeschürzter Tracht und die gerü- 
stete Pallas zu sehen, welche dem heranziehenden Hermes entgegeneilt; vor ihr 
am Boden ein Gegenstand, dessen Auslegung zwischen einem Blumenkorb oder 
einem verstümmelten Cerberus schwankt. — c. Dem Rossegespann der Quadriga 
geht Hermes als Führer voran. Auf dem Wagen, den eine kleine Nike lenkt, 
hält Pluto die aufrecht von seiner Linken umfalste, überaus widerstrebende Kora. 
Am Boden liegt Tellus mit Füllhorn, woneben auch der schlangenleibige En- 
celadus bemerkt wird. 


14. In Villa Pamfili. Relief von nicht schlechter Arbeit laut Zoega bei Welcker a. O. 


S. 48. 


dad. 


Demeter fackeltragend auf dem Schlangenwagen, Iris voran. — d. Die drei 
Göttinnen in gescheuchter Stellung. Artemis läuft auf Aphrodite zu, welche 
den rechten Arm über Artemis hin nach Pallas ausstreckt. — c. Raub der Kora, 
den Wagen führt Hermes. Kora liegt gewaltsam widerstrebend in den Armen 
des Räubers, den (laut Zoega) Pallas verfolgt. Am Boden liegt Tellus. 


15. Im Garten Rospigliosi, schöner und wohl erhaltener Sarkophag, abgebildet in den 


400 


GERHARD 


Admiranda Romae tab. 53. 54 (= 59. 60). Montfaucon I, 39. WVieseler Denkm. II, 
9, 108. Vgl. Zoega bei Welcker Ztschr. S. 33. In der Beschreibung Roms III, 2, 
400 ist dies Relief nur kurz erwähnt. 


a. 


Auf der jederseits von einer Hora mit Fruchtschurz begrenzten Vorderseite er- 
scheint links vom Beschauer Demeter fackeltragend im Schlangenwagen, neben 
welchem Iris einherschwebt. Im Hintergrund vor den Schlangen ein Baum. — 
b. Es folgen neben zwei umgestürzten Blumenkörben drei Göttinnen, von 
denen Pallas ihren Arm nach der Gruppe im Wagen ausgestreckt hat; hinter 
den beiden Göttinnen ein Vorhang. — c. In der Quadriga hält Pluton die Kora 
quer vor sich in seinen Armen; über den von Hermes geführten Pferden schwebt 
ein fackeltragender Amor. Am Boden liegt Tellus mit Füllhorn. — d. Quer- 
seite links: Flulsgott und zwei Nymphen, die eine mit dem Krug. — e. Quer- 
seite rechts (abg. auch bei Hirt Bildb. IX, 6, u. Millin, Gall. myth. LXXX VII, 
341): Pluto thronend, hinter ihm steht zur Hälfte verdeckt die verschleierte 
Persephone, die Rechte ans Kinn haltend; vor ihnen Hermes, dessen Rechte 
wie hinter die Göttin ausgestreckt ist. 


16. Im Kloster S. Paolo. Sarkophagfragment von trockner Arbeit laut Zoega bei Welcker 
Ztschr. S. 50. 


Erhalten ist nur der Raub der Kora mit linkshin gewandten Pferden. Kora wi- 


derstrebt aufrecht ihrem Räuber; ein fackeltragender Amor schwebt voran. 


Vormals in Rom, jetzt verschwunden. 


47. Vormals beim Bildhauer Cavaceppi war ein in dessen Raccolta III, 38 abgebildetes 
Sarkophagrelief von schlechter Manier, dessen Besonderheiten Zoega in Welckers Zeit- 
schrift S. 35 ff. (vgl. Welcker S. 75) genau bespricht. 


a. 


Demeter und vor ihr die kleine Flügelgestalt, in einer von Rossen gezogenen 
Biga. Unter dem Wagen liegt Tellus, iseitwärts schwebt Iris. Den Pferden 
zunächst und nach ihm umblickend, aber bereits zur zweiten Scene gehörig, 
steht Hermes. — 2. Die Scene der Blumenlese scheint Hermes als Begleiter 
des Pluto zu eröffnen. Pluto mit Scepter umfalst rücklings die knieende Kora; 
neben ihr und ihrer gleichfalls knieenden Gefährtin, vermuthlich Aphrodite, 
stebt je ein Blumenkorb noch aufrecht. Ein dritter liegt umgestürzt weiter 
rechts hin am Boden, wie zu Fülsen der Pallas. Mitten inne steht Artemis in 
Jägertracht. Ein stehender Liebesgott falst die bereits in die folgende Scene 
eingreifende Pallas an ihrem Gewand. Noch ist als Zuschauer dieser Scene im 
obern Raum eine bärtige Halbfigur, Zeus, zu bemerken. — c. Auf dem Wagen 
wird Kora von Pluto, der auch ein Scepter hält, quer umfalst, von vorn tritt 
Pallas an sie heran; zur Seite des Wagens schaut ein Frauenkopf hervor, nach 
Zoega, der sie für Venus hielt, deren Wiederholung auffällig war, lachend. 
Den vier Pferden voran geht Hermes; über ihnen ein Liebesgott. Am Boden 
gelagert Oceanus und der dreiköpfige Cerberus. 


18. 


19. 


20. 


über den Bilderkreis von Eleusis. III 401 


Vormals in S. Silvestre beim Bogen des Domitian laut Fabricii Roma; (1587) p. 224 
vgl. Welcker a. O. S. 61. Dargestellt waren: 

a. Ceres im Schlangenwagen und 5. der plutonische Wagen, Merkur voran, Pro- 
serpina wie entseelt, Cupido über ihr. Weiter heilst es: „inzer haec ab utra- 
que parte comites Proserpinae flores collectos gestant, veste ultra pubem sub- 
lata”, wobei es zweifelhaft bleibt, ob man mit Welcker S. 61 die als Eckfiguren 
bekannten Horen mit Fruchtschurz, oder (dem Ausdruck inzer haec entsprechen- 
der) die übliche Zwischenscene der c. Blumenlese abgebildet glauben soll. Auf 
den d. Querseiten dieses Werkes sah man, wie Welcker nachweist, die von 
Herkules zurückgeführte Alcestis. 

Sarkophagrelief, vormals zu Rom in einem spanischen Privathaus, unweit der Kirche 
S. Luigi, abgebildet bei Alexander in Graevii thesaur. V, 759 ss. Vgl. Welcker 
Zeitschrift S. 61, wo gegen Foggini (Mus. Capit. p.259) bemerkt ist, dafs dies Relief 
keines der drei aus Giustinianischen Besitz bekannt gewordenen und bereits früher (1524) 
durch Mariangelus Accursius abgebildet sei. 

a. Demeter mit Fackel im Schlangenwagen, neben den Schlangen schreitet die ge- 
flügelte Iris. — 6. Drei Göttinnen in der Richtung der eben entführten Kora, 
Eine derselben wird von einer andern (Artemis vermuthlich von Aphrodite) zu- 
rückgehalten, der voranschreitenden Pallas (mit Helm Schild und Lanze) zu fol- 
gen. — c. Im plutonischen Wagen wird Kora, von den Pferden abgewandt, 
in querliegender Stellung von ihrem Entführer gehalten; über den sichtlichen 
drei Pferden, denen Hermes vorangeht, schwebt ein Liebesgott. Am Boden 
liegt Tellus mit Füllhorn. 

Sarkophagrelief vormals im Hause Altemps auf dem Quirinal, von Alexander (Graev. 
thes. V, 761) als fast durchaus übereinstimmend mit dem vorigen erwiesen; einen 
Unterschied biete nur die Beflügelung des Liebesgottes, welche dort fehle. Beflügelt 
erschienen ihm auch (vermuthlich aus Milsverständnils der Bekleidung) die drei Göt- 
tinnen. 


II. In Unteritalien und Sicilien. 


Vormals zu Neapel, im Hof des Palastes Caraffa Colobrano, von Winkelmann Mon. II 
p- 124 als Doppelbild von Medea und Proserpina mifsverstanden, beschrieben von Zoega 
in Welckers Zeitschrift S. 57. 

a (schadhaft). Demeter mit Fackel im Schlangenwagen. — 5. Voran geht Pallas 
mit Helm und Speer, nach der Göttin zurückgewandt, mit sichtlichem Bezug auf 
die daran stolsende Blumenscene. Pluto mit Scepter in der Linken hat die 
knieende Kora gefalst; ein umgestürzter Fruchtkorb liegt ihm zu Fülsen, wäh- 
rend ein anderer noch gefüllter zwischen Pallas und Kora steht. Räthselhaft 
bleibt eine im Hintergrund zwischen Pallas und Kora bemerkliche weibliche Fi- 
gur, angeblich bedeckten Kopfes, mit langer Lanze versehen, drei Finger bedeut- 
sam auf ihren Mund legend; ohne Ansicht des Originals wird man eher (mit 


Philos.- histor. Kl. 1864. Eee 


402 


GERHARD 


Welcker) Aphrodite, wenn nicht Artemis, in ihr vermuthen, als, wie Zoega 
wollte, die Hestia oder ‘dea Terra‘. — c. Pluto, angeblich in einer Biga, hält 
die Persephone umfalst, welche hier von einer Siegesgöttin, wenn nicht von der 
an gleicher Stelle sonst üblichen Pallas, wie Welcker vermuthet, unterstützt 
wird. Dem Wagen geht Hermes voran; vor den hier noch nicht niedersinken- 
den Pferden sieht man eine Klippe. 


21*. Im Dom zu Salerno befindet sich ein unten (no. 37) nur kurz berührter Sarkophag 
verwandten Inhalts, welcher auf Grund einer von R. Kekul€ lucidirten Zeichnung im 


Apparat des archäologischen Instituts zu Rom einschaltungsweise hier noch genauer be- 
schrieben werden kann. Zeichnung und Erhaltung sind befriedigend. 


a. 


Demeter mit Fackel in der Rechten steht auf rossebespannter Biga, die von 
einer kleinen Flügelgestalt gelenkt wird; eine grölsere (Iris) schwebt über 
den Pferden; unter denselben liegt Tellus rechtshin gewandt. — d. Drei Göt- 
tinnen, ohne Pallas, beiderseits von einem Blumenkorb, knieend am Boden: 
links Aphrodite mit Eros, ihr gegenüber Kora, welche soeben von dem heran- 
tretenden Pluto überrascht wird; neben ihm sind weiter links noch Artemis mit 
Bogen und Köcher und Hermes mit Heroldstab zu bemerken. — c. Pluto, der 
seinen Wagen bestiegen hat, hält mit dem rechten Arm die querliegende Kora, 
welche mit ihrer ausgestreckten Rechten von der herantretenden Pallas Beistand 
zu erwarten scheint. Im Hintergrunde steht zuschauend eine Göttin, die man 
wiederum für Aphrodite halten kann. Ihr Gewand ist von der Schulter gestreift, 
wie an der vermuthlichen Venus der Mittelscene, ihr Haupt mit einer Stirnkrone 
geschmückt, die uns jedoch nicht nöthigt an Juno (vgl. Abh. II. Anm. 265) zu 
denken. Die vier Pferde werden von Hermes geleitet; über ihnen schwebt Nike 
und ein Liebesgott. Aufserdem lagert am Boden linkshin gewandt der vermuth- 
liche Meergott Okeanos. 


22. In Messina, Sarkopkag in einer besonderen Schrift von Carmelo la Farina (su di 


uno antico sarcofago nella chiesa de’ Padri conventuali di Messina. 1828. 8) beschrieben, 


welche Henzen für uns gefälligst einsah. 


a, 


Demeter mit entblöfster rechter Brust, den gebogten Peplos mit beiden Händen 
über sich haltend, ohne Fackel, in einem von einer kleinen Figur gelenkten, 
von zwei Pferden gezogenen Wagen, über denen die gellügelte Iris schwebt, 
etwa eine Binde haltend. Noch unter den Pferden steht ein Blumenkorb, wo- 
rauf in Mitten des Bildes zwei Eroten und als Hauptfigur die knieende Kora 
folgen, welche von Pluton so eben ergriffen wird; über die linke Schulter des 
Unterweltgottes ragt ein Liebesgott hervor. In einer langbekleideten verschlei- 
erten Figur mag demnächst Aphrodite (vgl. 21) gemeint sein. Auf der Qua- 
driga steht Hades mit Kora, die von Pallas gehalten wird; einen Zügel hält 
Amor, den andern er selbst. Die Pferde führt Merkur; unter den Pferden 
aber ist ein liegender Flulsgott mit Palme oder Schil€ zu bemerken. 


23. Sarkophag von Mazzara, nach Houel Voyage pittoresque I pl. 14 abgebildet in Wie- 
seler’s Denkmälern II, 9, 102; vgl. Welcker in den Annali V, 146. 


über den Bilderkreis von Eleusis. IIT. 403 


a. Demeter auf dem mit einem Eros in Relief verzierten Schlangenwagen; hinter 


ihr im obern Raum die kleine Figur eines Pflügers mit Stiergespann und dar- 
unter die eines Säemanns, welche beide auf 'Triptolemos gedeutet werden. — 
d. Noch unter den Schlangen steht Eros vor einem Blumenkorb, auf welchen 
die von Pluto überraschte Kora ihre Hand legt; in der scheinbar männlichen 
Figur hinter ihnen scheint Artemis gemeint zu sein, dagegen die beiden andern 
Göttinnen zur folgenden Scene gezogen sind. Diese sind nämlich c. in den 
zwei bekleideten Nymphen zu erkennen, welche, die eine im Hintergrund, 
die andre bemüht die ohnmächtige Kora zu unterstützen, der Entführungsscene 
auf dem plutonischen Zweigespann beigesellt sind. Über den Pferden schwebt 
ein Eros mit Kranz; daneben wird Hermes bemerkt. Im untern Raum ist ein 
Flulsgott, Kokytos oder nach Wieselers Meinung Kephissos angebracht, der ein 


Schilfbündel hält. 


IV. In Oberitalien. 
24. In der Gallerie zu Florenz, vormals im Hause Michelozzi; Sarkophag abgebildet bei 
Gori Inser. III, 25 und in der Galleria di Firenze IV, 3 tav. 152. 153 p. 197 ss. 


vgl. Zoega in Welckers Zeitschrift S. 36 fl. An jeder Ecke eine geflügelte Hora oder 


Nike mit Fruchtschurz; dazwischen sind folgende Gruppen dargestellt. 


a, 


Demeter, eine brennende Fackel in der Linken, in der Rechten den Peplos fas- 
send, auffallend durch entblöfste rechte Brust, wird von zwei ungellügelten 
Schlangen gezogen, neben denen eine nur durch ihr bogenförmiges Gewand 
kenntliche (vgl. Welcker a. O. 5.38) Iris einhergeht. Am Boden liegt Tel- 
lus oberwärts entblöfst, laut Zoega auf einen mit Ähren gefüllten Korb ge- 
stützt. Zannoni 1. c. p. 238 sah darin die Nymphe Enna, wofür der entblöfste 
Oberleib dieser Figur sich anführen liels. — b. Über einen niedrigen brennen- 
den Altar hinweg hält eine der drei Göttinnen, vermuthlich Venus, die dem 
plutonischen Wagen zueilende Pallas zurück. Zwischen beiden im Hintergrund 
erhebt eine dritte, vermutblich Artemis, den rechten Arm in erschreckter Bewe- 
gung; räthselhaft aber bleibt eine in dieser Scene ganz ungewöhnliche vierte 
Frauengestalt, welche dicht vor dem Schlangengespann, die rechte Hand auf die 
Brust legend, ohne sichtliche Bewegung zuschaut, vielleicht die verrätherische 
Nymphe Kyane. — c. Die so eben entführte Kora hält Pluto mit beiden Armen 
ohnmächtig umfalst, um sie auf den mit einem Fufse bereits von ihm bestiege- 
nen Wagen zu bringen. Über dem Viergespann schwebt ein fackeltragender 
Amor; voran schreitet Hermes. In der mit Füllhorn am Boden liegenden Fi- 
gur scheint wiederum Tellus gemeint zu sein. — d ((uerseite links). Hermes 
die verschleierte Alkestis führend. — e (Querseite rechts). Alkestis, tiefer als 
vorher verhüllt, wird von Herakles wieder zu Tage geführt. 


25. Vormals im Palast Rucellari (sie) in Florenz, von Gori hoch gerühmt, obwohl zersto- 


Eee2 


404 


GERHARD 


fsen; schlecht abgebildet in dessen Inser. III, 26, besprochen in Welcker Zeitschrift S. 56 
mit Vergleichung des Reliefs in Villa Medici, ib. 13, und des von Visconti edirten, ib. 2, 
mit denen dieses Relief auch die Richtung nach der Linken des Beschauers gemein hat. 


ad. 


Demeter im Schlangenwagen, der von einer kleinen Nike gelenkt wird. Voran 
fliegt ein fackeltragender Eros, ein zweiter ist zerstolsen. — 5. Knieende Frau, 
vor einem stehenden Blumenkorbe, bei welchem ein Liebesgott zu knieen scheint. 
Eine zweite langbekleidete Gestalt, vermuthlich Aphrodite, erscheint, von drei 
Eroten umgeben, zwischen der Knieenden und der Quadriga.— Neben ihr vor- 
bei drängen zwei fackeltragende Eroten sich nach dem ec. plutonischen Wagen, 
wie denn auch ein dritter demselben voranschwebt. Auf dem Wagen ist Per- 
sephone, aufrecht, aber in heftigem Widerstreben, vom linken Arm ihres Räu- 
bers umfalst. Den Pferden voran schreitet Hermes; ihm entgegen tritt Pallas, 
kenntlich durch Helm Schild und Ägis, die in ihrem verlornen rechten Arm 
vielleicht noch ein anderes Attribut hielt. Hoch angebracht zwischen Hermes 
und Pallas ist noch die vielleicht sitzende Figur eines von Zoega so gedeuteten 
auf Pallas blickenden Zeus. Dem heranziehenden Wagen entgegen blicken unten 
am Boden gelagert zuerst etwa die Nymphe mit bogigem Gewand, aufgestützt 
auf den rechten Arm und den linken ausstreckend, sodann (durch die Figur des 
Cerberus unterbrochen) die gelagerte Erdgöttin, aulser dem Füllhorn mit einem 
Blumenkorb, dem zwei damit spielende Kinder, das eine geflügelt, zur Seite 
stehen; daneben bricht eine Schlange hervor. Endlich ist in diesem untern Raum 
noch eine unter dem Wagenkasten angebrachte Maske zu sehen, laut Welcker 
ein Sinnbild des Jahreswechsels oder auch des abgestreiften Lebens. 


26. Zu Pisa, stark verletztes Relief von mälsigem Werth, abgebildet bei Lasinio, Rac- 
colta di sculture del Campo Santo di Pisa tab. 129, vgl. Welcker in den Annali 
V, 146. 


a, 


Demeter im Wagen, den hier vier Pferde ziehen, neben denen eine Iris wie 
schwebend erscheint. Am Boden Tellus mit undeutlichen Attributen. — 2. Ein 
Blumenkorb steht zwischen Tellus und einer knieenden Frau (ob Aphrodite 
vgl. 25); ein anderer liegt umgestürzt neben der ganz ähnlich knieenden Kora, 
die vom herantretenden Hades rückwärts umfalst und entführt wird. Der Hin- 
tergrund ist dergestalt zerstört, dals weder eine dritte Göttin wie Artemis, noch 
auch Eroten sicher bezeugt sind.— Die hier vermilste Pallas ist gleich zunächst 
am c. plutonischen Wagen zu sehen. Auf dem Wagen steht Persephone-Kora, 
aufrecht von Pluto umfalst mit heftigem Widerstreben; vor dem Viergespann 
schreitet Hermes, unter den Rossen ist Okeanos gelagert. 


27. Sarkophag zu Cattajo, vorzüglich in Anlage und Ausführung, abgebildet nach Braun 
(Marmorwerke II, 4, S. 20 f.) auf unsrer Tafel IV, 4. Vgl. Welcker in den Annali V, 146 


no. 4. 


Die Darstellung ist in der Richtung nach links hin ausgeführt. 


a. Die verfolgende Demeter, eine brennende Fackel in jeder Hand, die zur Rechten 


vorstreckend, wird vom eingejochten Schlangenpaar in einem Wagen gezogen, 
als dessen Lenkerin die bekannte kleine Flügelgestalt, nach Demeter umblickend 


über den Bilderkreis von Eleusis. Ill. 405 


und mit der linken Hand auf die Scene des Raubs hinweisend, der Göttin vor- 
ansteht. — 5. Von der sonst üblichen Blumenscene ist in der Mitte des Bildes 
nur die voraussetzliche Artemis zu bemerken, welche von Braun in einer mit 
Stephane bekrönten knieenden Frauengestalt erkannt wird; ihre Rechte ist auf 
den noch gefüllten Blumenkorb gelegt, ihre Linke aber erhoben, sei es zum 
Ausdruck der Bestürzung oder vielmehr um die herannahende Demeter zurück- 
zuweisen, im Sinne gemeinsamer Billigung des hochzeitlichen Raubes. Die bei- 
den andern Göttinnen finden wir in der folgenden Scene. In gleichem Sinn 
sind gescheuchte Liebesgötter unter und zwischen die herannahenden Schlangen 
vertheilt, wie denn auch ein dritter, nach Demeter umblickend, dem plutoni- 
schen Wagen als Fackelträger entgegen zieht. — c. Raub der Kora; Pluto, in 
dessen rechtem Arm sie ohnmächtig liegt, hält mit der Linken nachlässig die 
Zügel des Viergespanns, während ein vorn im Wagen stehender Eros ein an- 
deres, etwa zur Hemmung bestimmtes, Paar von Zügeln in seiner Gewalt hat. 
Den Pferden zur Seite geht Aphrodite, von Eros umspielt, ausgezeichnet durch 
eine Stirnkrone, und erhebt die für den Liebesbund entscheidende Granate. Vor 
den Pferden schreitet Hermes einher, Zaum und Heroldstab haltend; ihm ent- 
gegen tritt Pallas, kenntlich durch ihren Helm, und scheint durch einen vorge- 
haltenen Lorbeerzweig den glücklich vollführten Raub zu genehmigen. Unter 
den Pferden ist die mit einem Füllhorn gelagerte Tellus, weiterhin Cerberus zu 
bemerken, zwischen ihnen der schlangenleibige Enceladus, der mit erhobenen 
Armen die Ankunft der Unterweltsmächte begrülst. — d (Querseite rechts). 
Eine lim Lauf begriffene Sphinx mit Stirnkrone dient zu weiterer sprechender 
Andeutung der drohenden Ungethüme der Unterwelt. 

28. Zu Venedig, im Vorsaal der Bibliothek von S. Marco; Fragment mit dem plutoni- 

schen Viergespann, dem Hermes vorangeht. Vgl. Welcker Zeitschrift S. 60. 

[28* Ein schönes Fragment, das Viergespann mit Pluto und Kora darstellend, ward 
ebenfalls aus Venedig, aber als Besitz des Herrn Weber, also von jenem ersten 
verschieden, von Welcker in den Annali dell’ Instituto V, 146 erwähnt. ] 

[28**. Sarkophagplatte, deren Ortsangabe in unserer Handschrift vermi/st wird. Er- 
halten ist a. Demeter in Biga mit kleinen Pferden, dahinter eine Frau in schnel- 
lem Lauf, eine andere (vermuthlich Iris) führt den Wagen; unten Tellus mit 
Knaben. — 26. Blumenlesende Kora in knieender Stellung. Pallas sucht den 
Pluton zurückzuhalten, der von hinten gesehen wird. Sein c. Wagen ist klein. 


Das Übrige fehlt. ] 


V. In Frankreich. 


29. Im Museum des Louvre, Borghesische Reliefplatte, am rechten Ende und sonst hie 
und da verletzt, abgebildet bei Bouillon III, pl. 35, bei Clarac pl. 214 und bei Wie- 
seler Denkm. II, 9, 103. Vgl. Zoega bei Welcker a. O. S. 45. 

a. Statt des üblichen Schlangenwagens erscheint hier zuerst Demeter, die man trotz 
der ungewöhnlichen (vgl. Wieseler a. O. S. 43), etwa aus] ihrer Trübsal er- 


406 


GERHARD 


klärbaren, Entblöfsung des Oberleibs nicht wohl verleugnen kann, linkshin ab- 
gewandt sitzend, auf dem Stein Agelastos und links aufgestützt auf die darauf 
befindliche mystische Cista, während sie mit der Rechten einen schrägen Stab, 
einer dünnen Fackel mehr als einem Ahrenbüschel vergleichbar, vor sich hält. 
Abgewandt von dem Hauptbilde in gleicher Richtung steht eine sie begleitende 
Frau mit Haube, deren gesenkter rechter Arm (die Hand ist verletzt) vielleicht 
den Weg weisen soll; sie ist früher als eleusinische Brunnennymphe, als 
Mystis oder als Telete, von Wieseler als eine der Keleostöchter gefalst wor- 
den und kann ebensowohl für Metaneira gelten. Eine andere Gefährtin der 
Göttin, welche rechtshin nach der Hauptscene blickt, von Müller als Hekate- 
Selene benannt, wird man richtiger mit Zoega für Iris halten, wozu auch ihr 
bogenförmiges Gewand ganz wohl palst. — d. Von den drei Göttinnen, aus 
deren Mitte Kora so eben entrückt ist, lälst Artemis in einer linkshin gescheuch- 
ten bekleideten Frau, Aphrodite aber in der ebenfalls bekleideten sich erblicken, 
von welcher die zum Beistand für Kora derselben nachsetzende Pallas zurück- 
gehalten wird. — c. Pallas mit Schild und Ägis hat den rechten Arm wie zur 
Hülfe gegen die in Plutos Armen ohnmächtig liegende halbnackte Persephone- 
Kora ausgestreckt. Der Wagen des Entführers, an seinem Kasten mit einer 
Schlange verziert, wird wie es scheint von nur drei Pferden gezogen, von 
denen das zur Linken befindliche hoch sich bäumt, während die beiden andern 
mit aufwärts schnaubenden Häuptern in einen felsigen Abgrund versinken. Über 
den Pferden schwebt ein fackeltragender Liebesgott. 


30. Im Museum des Louvre. Ein nach Winckelmanns Vorgang von Clarac pl. 117, 246 
auf Kassandra gedeutetes Fragment, wird von Braun (Marmorwerke S. 21) mit Ver- 
gleichung der Sarkophagreliefs zu Barcelona (31) und Neapel (21) auf die von strei- 
tenden Gefühlen für ihre Mutter und ihren Entführer geängstete Kora gedeutet. 


31. 


VI. In Spanien. 


In Barcelona, Sarkophag von vorzüglicher Anlage und guter Ausführung, abgebildet 
nach Laborde (Voyage I, 11) in Welckers Ztschr. Taf.I, 1—3, vgl. ebd. S. 58. 


a. 


Demeter in rossebespannter Biga; im Hintergrund neben den Pferden schwebt 
die geflügelte Iris. Am Boden liegt Tellus. Vor den Fülsen der Pferde ein 
ungeflügelter Amor, der nach der folgenden Scene sich umschaut. — . Pluto 
mit Scepter in der Linken reicht der erschreckten knieenden Kora die Rechte; 
ihr gegenüber, neben ihrem umgestürzten Blumenkorb, ist die gleichfalls knie- 
ende Aphrodite mit einem ähnlichen Korb noch beschäftigt. Im Hintergrund 
neben dem zeusähnlichen Unterweltsgotte ist Hermes, weiter links eine ge- 
rüstete Figur, in welcher nur Pallas gemeint sein kann, weiter rechts aber Ar- 
temis, kenntlich durch ihren Bogen, dargestellt(*). — In der darauf folgenden 


(*) In Welckers (a. a. ©. S. 59) Beschreibung sind diese Figuren insofern verkannt, als in der zwei- 
ten knieenden Figur nicht Aphrodite, sondern Hekate vermuthet und eine Dreieinheit von Persephone- 


über den Bilderkreis von Eleusis. 1II. 407 


ce. Quadriga hält Pluto die widerstrebende Kora quer vor sich in seinen Armen 
gefalst; sein Antlitz ist gegen Pallas gewandt, die mit ausgestreckter rechter Hand 
herantritt. Ihre Absicht ist nicht augenfällig, ähnlich wie im Albanischen (oben 
5) Relief, dem die ganze Gruppe verglichen wird, wahrscheinlicher aber zu 
Gunsten der Entführung als auf deren Hemmung gerichtet, wofür die Haltung 
der Göttin nicht gewaltsam genug sein würde. Den Pferden geht Hermes, 
dieselben am Zaum haltend, voran; über ihnen schwebt noch ein geflügelter 
Amor, wie denn ein zweiter auch unter den Pferden bemerkt wird. Tiefer am 
Boden steht denselben Rossen ein infernales Ungethüm mit weiblichem Ober- 
leib, unterwärts aber mit Schlangen und Hundsköpfen versehen, entgegen, 
vermuthlich Scylla. — d (Querseite links). Weidender Hirt, von Schafen und 
Ziegen umgeben und vom Schäferhunde begleitet. — e (Querseite rechts). Ver- 
hüllte weibliche Figur, dem durch Scepter und Cerberus kenntlichen Pluto von 
Hermes zugeführt. 


32. In Tarragona, von geringem Kunstwerth, abgebildet bei Laborde Voyage I, 59. 
Vgl. Welcker a. O. S. 60. 


a. 


Demeter im Schlangenwagen, vor ihr die auch sonst bekannte kleine Wagenlen- 
kerin. — d. Blumenscene. Die vor ihrem Blumenkorb knieende Kora wird rück- 
wärts von Pluto umfalst. Im Hintergrund, unmittelbar vor dem Schlangenwagen, 
ist Pallas bemerklich. — Auf dem c. plutonischen Wagen, dem Hermes voran- 
geht, wird Kora von Pluto in aufrechter Stellung umfalst; Pallas tritt auch hier 
wie zurückhaltend an den Wagen heran. 


VII. In Deutschland. 


33. Zu Aachen im Dom, Sarkophag vom Grab Karls des Grolsen, abgebildet in den Jahr- 
büchern der Alterthunisfreunde im Rheinland, Jahrgang V, Taf. IX, mit Erklärung von 
Urlichs S. 374 ff. 


a. 


Demeter mit zwei Fackeln, vor ihr im Wagen die kleine Wagenlenkerin; das 
Schlangengespann ist deutlich eingejocht. Dem Wagen voran schwebt in zu- 
rückgewandter Haltung Iris ohne Flügel in bogenförmiger Gewandung. — 
b. Die Blumenscene ist in engem, zunächst durch die Schlangen begrenzten, Raum 
nur durch zwei einander gegenüber knieende Göttinnen angedeutet, welche, 
nach den Schlangen umblickend, durch ihre halbumgestürzten Blumenkörbe als 
Artemis und Aphrodite sich kundgeben; letztere ist durch abgestreifte Bekleidung 
unterschieden. — Die dritte der blumenlesenden Göttinnen ist der folgenden 
Scene zugetheilt, indem c. Pallas, der ein heranschwebender Liebesgott sich an- 
schlielst, der bereits auf dem Wagen entführten Kora näher tritt; aufrecht, aber 


Hekate-Artemis vorausgesetzt wird; den in diesen Bildern gewöhnlichen Dreiverein von Pallas Artemis 
und Aphrodite zu übersehen, trug wol derUmstand bei, dafs die undeutliche Figur derPallas vielleicht männ- 
lich zu sein und noch zur Scene des cerealischen Wagens zu gehören schien, zu welcher dieselbe Pal- 
las von Welcker auch in der Beschreibung a. a. ©. S.60 des hiernächst folgenden Reliefs gerechnet wurde. 


408 


GERHARD 


ohnmächtig wird sie vom rechten Arm des Pluto umfaflst, der in seiner Linken 
die Zügel des Viergespanns hält. Zu Fülsen des Gottes am Ende des Wagen- 
kastens ist noch ein sitzender kleiner Amor bemerklich, wie denn ein dritter mit 
ausgebreiteten Flügeln auch über den Pferden zu sehen ist. Unter den Pferden 
liegt Tellus von einer Schlange begleitet; neben ihr ist eins der plutonischen 
Rosse niederwärts drängend, und eine männliche Halbfigur, etwa des aus der Un- 
terwelt auftauchenden Enceladus, zu bemerken, auf welche zuletzt noch der 
Höllenhund Cerberus folgt. Als Führer der Pferde fehlt Hermes auch hier nicht. 


[33*. Im Museum zu Berlin, Sarkophagrelief aus später Zeit, im Jahr 1864 bei dem Kunst- 
händler Nasti zu Neapel gekauft, beschrieben von Helbig im Bullettino dell’ Instituto 
1864 p. 255 s. 


a. 


Ceres auf dem Schlangenwagen, mit entblöfster rechter Brust, in der Linken 
eine Fackel haltend. — 5. Proserpina wird von Pluto (mit Scepter) überrascht, 
daneben zwei Körbe, der eine mit Blumen gefüllt. Eine verschleierte Frau mit 
Scepter in der Linken, die rechte Hand bedeutsam gegen den Mund haltend, 
vielleicht Venus (vgl. 21. 22), wird auf die Ortsgottheit gedeutet. Rechts von 
ihr schreitet Minerva einher, zurückblickend nach Ceres. — c. Proserpina ist von 
Pluto umfalst und auf dessen Wagen gebracht; hinter ihr scheint Diana, kennt- 
lich am Köcher, bemüht sie zurückzuhalten. Den Pferden geht, sie am Zügel 
haltend, Merkur voran. Unter der „Biga” ein Kalathos.] 


VII. In England. 


34. 35. Schliefslich noch zwei in England befindliche Reliefs des Koraraubs nachzutragen, 
kommt während des Drucks dieser Abhandlung eine briefliche Mittheilung des Herrn 
Dr. 4. Klügmann, datirt vom 5. November 1864 aus Rom, uns zu Statten; wir las- 
sen dieselbe hienächst unverkürzt folgen, so jedoch dals die erheblichsten Besonderheiten 
beider Reliefs im Druck hervorgehoben erscheinen. 


34. 


London, Platteim Soane-Museum. „Die mit flatterndem Mantel bekleidete De- 
meter steht auf einem Wagen von zwei Pferden gezogen, ihr linker Arm ist 
nach vorn gestreckt, ihr rechter herabgehalten, beide zum Theil abgebrochen. 
Von dem Eros über den Pferden sind nur die Flügel erhalten. Die geflügelte 
Iris schwebt, den Kopf zur Demeter gewandt, über dem vordersten Pferde. Un- 
ten lagert Tellus auf den linken Arm gestützt, in welchem sie auch ein Füllhorn 
hält. Neben ihr Fragmente eines stehenden Eros. — Dann nach einem Korbe 
mit Blumen eine auf dem rechten Knie knieende, völlig bekleidete weibliche Fi- 
gur mit bogenförmigem Peplos und Diadem; sie schaut nach Demeter zurück. 
Über ihr an dem linken Flügel der Iris ein langer, nicht breiter Gegenstand, der 
mir undeutlich blieb [vielleicht ein Baum?]. Weiter Pluto mit Binde im star- 
ken, tieffallenden Haare, mit Mantel um den Hals, die Rechte ruhig auf der Brust 
haltend (die Linke fehlt fast ganz). Etwas zurückschauend nähert er sich der 
Kora. Diese, in gleicher Stellung und Gewandung wie Aphrodite, blickt ruhig 
zu ihm auf; ihre Rechte hängt herab zum Korbe. Nach einem Bruche, aber in 


über den Bilderkreis von Eleusis. III. 409 


völlig sicherem Anschlusse, Artemis, durch die Tracht der Jägerin und den Kö- 
cher charakterisirt, mit dem Körper nach links (Seite der Demeter), mit dem 
Kopfe mehr nach rechts gewandt; die nicht völlig erhaltenen Arme scheinen 
ängstlich vorgestreckt gewesen zu sein. Dann ein Baum, nächstdem Athene mit Helm 
und Schild, aber ohne Aegis; sie ergreift eilenden Laufes mit der Rechten die 
schon geraubte Kora. Pluto, der in dieser letzten Scene ziemlich en face ge- 
stellt ist, neigt sein Haupt, und während seine Linke mit den Zügeln über den 
Pferden ausgestreckt ist, hält er mit dem rechten Arm Kora. Sie ist ganz be- 
kleidet, ihr Kopf ist tief hintenüber gesunken, ihre rechte Hand sieht man auf dem 
Rücken des einen Pferdes; ihre linke, am Körper herabhangend, hält sich an der 
Brüstung des zum Theil verzierten Wagens. Über den zwei Pferden ein flie- 
gender Eros. Unter ihnen der alte, unterwärts bekleidete Okeanos ohne andere 
Attribute als einen Kranz (ob Krebsscheeren in demselben sind, kann ich nicht 
bestimmt sagen). Endlich Hermes in der Chlamys, die Rechte an den Flügel- 
petasus gelegt, den Caduceus in der Linken, en face gestellt aber in Bewegung. 
Einen Gegenstand zwischen seinen Fülsen konnte ich nicht genau erkennen. 
Die Composition dieser Platte, die ich jedenfalls zu den besseren dieser Stylgat- 
tung rechnen muls, ist reich, klar und geistvoll, die Bewegungen sind lebhaft 
ohne Übermaals; auch die Arbeit scheint tüchtig zu sein, soweit sich dies bei der 
für eine genauere Betrachtung höchst ungünstigen Aufstellung beurtheilen liefs. 
Leider hat das ziemlich hohe Relief vielfach Beschädigungen erlitten. Ich erin- 
nere mich, dals auch Waagen (treasures of arts in Great-Britain) dieses Monu- 
ment lobend erwähnt.” 

35. Von weit untergeordneterem Werthe in künstlerischer Beziehung erschien demselben 
Berichterstatter eine zweite Platte im Landsdown-house. [Früher erwähnt 
von ©. Müller, Amalthea III, 247, und danach von Welcker in den Annali V, 
446 (n. 5), von Conze und Michaelis jedoch unbemerkt geblieben.] „Demeter 
mit Fackel in der Linken steht auf einem Wagen mit zwei Pferden; über 
ihnen Flügel eines Eros und eine weibliche Figur, zu der auch wol ein auffallend 
groflser Flügel gehört. Unter den Pferden eine nach rechts gelagerte Figur; 
neben ihr ein Eros, der ein Füllhorn umgekehrt hält. Dann eine weibliche Fi- 
gur, knieend, neben ihr der Korb. Dann eine andere stehend, sich nach Deme- 
ter umschauend, eine dritte nach Demeter gewandt aber nach rechts blickend. 
Während diese mir nicht genauer charakterisirt‘schienen, folgt dann nach einem 
Baume Athene mit Helm, Ägis, Schild und Lanze, fast vom Rücken gesehen in 
nicht starker Bewegung, die Rechte an Pluto’s linkem Arm. Dieser, mit dem 
Gewand um die Schulter, steht, ebenfalls fast vom Rücken gesehen, zum Theil 
schon auf dem Wagen; die sehr kleine Kora sieht man ganz hintenüber liegend 
zwischen Pluto und Athene. Von den Pferden ist nur sehr wenig erhalten.” 


IX. Sonstige Notizen. 
36. Rom, vormals im Hause Accaramboni, kurz erwähnt in Alexandri tabula marmorea 
p 125 (in Graevii Thes. Antiq. Rom. V, 758) laut Welcker a. O. 5.61. 
Philos.-histor. Kl. 1864. Fff 


410 GERHARD 


37. 


38. 


Rom, in einer vormaligen Villa der Mönche von S. Bernardo vor Porta Pinciana, als 
Sarkophaglragment von ziemlich guter Arbeit von Zoega bezeichnet laut Welcker Zeit- 
schrift S. 50. 

Zu Amalfi, Relief in der Kirche S. Andrea vormals eingemauert, laut Mittheilung des 
Grafen Münster an Zoega; in Welckers Ztschr. S. 60 erwähnt. 


39. Salerno. [Dieser Sarkophag ist mittlerweile von Rom aus uns näher bekannt gewor- 


den, daher oben unter 21* noch während des Drucks dieser Abhandlung eine genaue 
Beschreibung desselben sich einschalten liels.] 


[39%*. Zu Marseille, angeblich in einem dortigen Berhardinerkloster, soll nach Welcker, 


40. 


41. 


Zeitschrift S. 62, sich ein Sarkophag mit dem Raub der Kora hefunden haben; die No- 
tiz ist aus Millin Voyage au midi de la France III p. 158 geschöpft, beruht aber nur auf 
einer milsverstandenen Aulserung Millins, welcher den aus Aachen zeitweilig nach Paris 
versetzten Sarkophag gemeint hatte. Herr J. de Witte zu Paris, welcher brieflich auf 
jene Verwechslung mich aufmerksam macht, hat zum Überfluls auch durch den Conser- 
vator des Museums zu Marseille, Hrn. Carpentin, festgestellt, dafs der vorausgesetzte Ge- 
genstand auf keinem der zu Marseille vorhandenen Sarkophage sich befinde. ] 

Palermo, Sarkophag, sonst in der Vorhalle des Domes, erwähnt in v. d. Hagens Brie- 
fen III, 222. Vgl. Annali V p. 146 no. 3. 

Relief, als Gürtelverzierung oberhalb einer Binde mit Zodiakalzeichen auf dem 
Torso einer, vom Herausgeber auf Erdgöttinnen, namentlich Venus, bezogenen, mithin 
weiblichen Marmorstatue, mit einer Zuschrift an den vormaligen Besitzer Paulus Gualdus 
herausgegeben von Hieronymus Alexander (Expositio argumentorum in zona exsculpto- 
rum antiquae statuae, in Graevü thes. antiq. V p. 747 ss.). 

a. Demeter mit Fackeln im Schlangenwagen. — 5. Zwei Göttinnen aufrecht mit 
umgestürztem Blumenkorb, mit ausgestreckten Armen zur entführten Kora ge- 
wandt, aber zurückblickend nach Demeter. — c. In der Quadriga wird Kora aul- 
recht und widerstrebend, mit der Rechten von Pluto gefalst, der in der Linken 
die Zügel der Pferde hält. Über denselben schwebt ein Liebesgott; ihnen voran 
geht Herkules mit Löwenfell und Keule. Vor ihm sitzt auf einem Felsen (in 
keineswegs höherem Raum, also auch nicht auf Wolken) ein die Rechte aus- 
streckender bärtiger Mann, der vom Herausgeber für Zeus gehalten wird. Diese 
Meinung wird von ihm unterstützt durch die unterhalb des Reliefs in einem 
schmaleren Streifen angebrachten Zeichen des Thierkreises, welche mit der kos- 
mischen Bedeutung des Koraraubs in Verbindung gebracht werden und auch die 
Erscheinung des Herkules, dessen zwölf Thaten man mit jener Zwölfzahl himm- 
lischer Zeichen öfters verglich, einigermalsen erklären können. 


über den Bilderkreis von Eleusis. III. 4 


Beilage ( 


Die Rückkehr der Kora. 
1. Vasenbilder mit schwarzen Figuren (*). 


4. Anodos zu Wagen. 


Die hieher gehörigen Darstellungen pflegen archaisch zu sein; sie finden sich vor- 
zugsweise auf nachlässig gepinselten Lekythen von geringer Gröfse, deren Verständnils je- 
doch nach ausreichenden inneren Gründen dem Sagenkreis der Kora um so mehr zugesprochen 
werden darf, je mehr es an andern Erklärungsyersuchen einer so häufig vorhandenen Darstel- 
lung fehlt. Es gehören hieher namentlich die nachfolgenden Thongefälse. 

1. Tyrrhenische Amphora der Durandschen Sammlung (cab. Durand no. 116, jetzt im 
brittischen Museum, abgebildet in meinen auserl. Vasenbildern I, 53 S. 180). Perse- 
phone-Kora, kenntlich durch Efeubekränzung, hält die Zügel ihres bereits am Ziele an- 
gelangten Viergespanns. Als geleitende Götter sind hinter ihr Hermes mit Heroldstab, 
vor ihr neben den Rossen Apoll zu bemerken, welcher die Saiten rührt. Das aus seiner 
Nähe viel bezeugte Reh ist ihm entgegentretend noch weiter vorn zu bemerken. 
Vor den Pferden, nach Kora umblickend, steht, mit einem Gewandstück angethan das 
er gefalst hält, die kleine Figur eines übrigens nackten Epheben, den man, auch ohne 
entscheidendes Attribut und wohleingedenk des Knabens attischer Vermählungszüge (Aus- 
erl. Vas. IV, 310), für Jacchos zu halten geneigt bleibt. Dieser Annahme steht es nicht 
schlechthin entgegen, dals im Gegenbild der bärtige Dionysos, kenntlich durch Be- 
kränzung, Rebzweig und Kantharos, in Umgebung zweier Silene und zweier Bacchan- 
tinnen erscheint; die eine Seite des Gefälses galt dem Gotte der Anthesterien, die 
andere der eleusinischen Auffassung. 


(*) Eine möglichst umfassende Zusammenstellung der diesen Mythos betreffenden Kunstwerke liels 
um so weniger sich entbehren, je mehr die Anerkennung ihrer Bedeutung von Autoritäten wie Müller 
(Handbuch $ 358, 3), Welcker (ebd.) und noch neuerdings von Stephani (Compte-Rendu 1859 p. 53, 5) 
abgelehnt worden ist. Vgl. Ghd, Rapporto volcente p. 37. 139. Antike Bildwerke S. 407 £. zu Tafel 
CCCXVI. CCCXVII. Abh. Anthesterien S. 177 Anm. 145 ff. Abh, Bilderkreis von Eleusis II $. 511 
Anm. 217 ff. [Wieseler’s zu den „Göttinger Antiken” 1857 S. 40 vorgetragene Deutung „aller einschlä- 
gigen Vasenbilder” auf Festzüge der als Dionysosbraut gedachten Kora hatte ich übersehen; unterstützt 
durch archaische Darstellungen wie I, 54 meiner Vasenbilder, ist jene Ansicht doch nicht ausreichend um 
dem gesammten Inhalt dieses Verzeichnisses den Grundgedanken der Anodos abzusprechen, welchen viel- 
mehr auch Wieseler selbst seiner Deutung zu Grunde legt.] 

Fff2 


412 


[i*. 


Su 


GERHARD 


Lekythos aus Cumae, herausgegeben von Fiorelli in den Vasi dipinti del Conte di 
Siracusa (1857) III, 2 p. XL. Kora besteigt den Wagen, neben welchem Dionysos 
einhergeht und seitwärts von den Rossen, an der auf ähnlichen Bildern von Artemis 
eingenommenen Stelle, eine von Fiorelli und Wieseler (Göttinger Antiken S. 39 f.) für 
Demeter gehaltene Frau entgegentritt. Den Pferden voran geht mit zurückgewandtem 
Blick Hermes; vor ihm steht nach dem Wagen gewandt eine mit Wahrscheinlichkeit 
für Hekate gehaltene Frau mit hocherhobenen Fackeln. Dieses allzulange von mir 
übersehene Bild wird von Fiorelli auf die Rückkehr der Kora zur Unterwelt (zeraywyy: 
Abh. I, Anm. 40; vgl. Abh. II, Anm. 276. 280), von Wieseler (Göttinger Antiken 
1857 S.40) als der auf die Anodos folgende Vermählungszug der Kora gedeutet, wobei 
die sitzende Demeter als Zuschauerin des bei ihr vorbeifahrenden scenischen Festpomps 
gefalst wird. Im Zusammenhang unsres Verzeichnisses scheint es vielmehr die Abfahrt 
der von Dionysos-Hades zur Oberwelt entlassenen Persephone-Kora darzustellen, so 
dals Artemis- Hegemone als Begleiterin, Hekate als vorleuchtende Führerin und der be- 
reits vorantretende Hermes den nahbevorstehenden Moment der wirklichen Abfahrt an- 
schaulicher machen. ] 


. Lekythos aus Athen, bei Stackelberg (Gräber d. H. XII, 4) als scenischer Festzug 


der Ariadne gefalst. Kora besteigt den Wagen, vor dessen Viergespann im beschränk- 
ten Raum dieses kleinen Gefäfsbilds zugleich als Ziel der Fahrt die ihrer Tochter har- 
rende Demeter in sitzender Stellung uns vorgeführt wird; vor der wagenlenkenden 
Göttin und neben dem Wagen steht, nach ihr zurückgewandt, der bärtige Dionysos mit 
Kantharos. 


. Lekythos aus Athen, bei Stackelberg a. O. XI, 5 gleichfalls als Festzug der Ariadne be- 


zeichnet. Kora lenkt den Wagen, welchen sie hier wie auf dem vorigen Bild eben erst 
zu besteigen scheint. Vor ihr neben den Pferden scheint Aphrodite oder eine Hore 
eine Blume empor zu halten; dieser gegenüber nach Kora zurückgewandt steht der bär- 
tige Dionysos mit Trinkhorn. Dem Wagen voran geht mit Saitenspiel ein Silen, von 
Stackelberg Komos benannt. 


. Lekythos aus Athen im Museum zu Berlin (Ghd. Berl. Bildw. no. 716). Kora zu Wa- 


gen; dem Viergespann geht Hermes voran. Bei der Roheit der Zeichnung dieses klei- 
nen Gefälses glaubte man früher in der Figur auf dem Wagen eine Pallas erblicken zu 
dürfen. 


. Lekythos ungenannten Besitzes, abgebildet in meinen antiken Bildwerken CCCXVIJ, 1 


und in der Abhandlung über die Anthesterien II, 2. Kora den Wagen besteigend, von 
Apoll und Artemis begleitet; Hermes geht dem Zuge voran. 


. Ein ähnliches Lekythosbild (ebd. II, 3) unterscheidet sich durch den Umstand, dafs nicht 


Hermes, sondern Demeter den Pferden entgegentritt. 


. Lekythos in der Barberinischen Bibliothek zu Rom (Antike Bildw. CCCXVII, 4. 5). 


Kora besteigt den Wagen, welchem Apollo kitharspielend zur Seite geht; vor dem 
stillstehenden Viergespann ist ein Reh mit scheu umgewandtem Kopf ausgestreckt; es 
erinnert an das vor die Pferde getretene Reh einer Amphora freien Styls (Auserl. Va- 
senb. I, 76). 


. Lekythos aus Nola im Museum zu Berlin (Berl. Bildw. Vasen no. 611). Kora zu Wa- 


10. 


44% 


über den Bilderkreis von Eleusis. III. 4153 


gen ; ihrem Gespann (nur drei Pferde sind sichtlich) geht Hermes voran. Dem Wagen zur 
Seite sind vermuthlich Apollon und Artemis zu erkennen; doch ist der Haarputz der kithar- 
spielenden Figur weiblich. Die Zeichnung ist roh. 

Lekythos aus Nola im Museum zu Berlin (a. O. no. 652). Kora zu Wagen, neben- 
her Dionysos und zwei Frauen, etwa Artemis und eine Hore. Zeichnung roh. 
Lekythos aus Athen im Besitz des Hrn. Wöhler zu Göttingen, abgebildet in Wie- 
selers "Göttinger Antiken’ (1857) zu no. 38 $.36 ff. In dem äufserst rohen kleinen 
Bild ist wiederum Kora zu Wagen, sodann Apoll, entgegentretend Dionysos, vor den 
Pferden die sitzende Demeter dargestellt. 

Lekythos in meinem Besitz (Abh. Anthesterien Taf. II, 1 Anm. 156). Kora, den Wa- 
gen besteigend, hält die Zügel des Viergespanns; daneben, nach ihr zurückgewandt, steht 
Dionysos, efeubekränzt; vor den Pferden, gleichfalls umgewandt, ein Silen, zwischen 
ihm und den Pferden ein Reh. 


. Lekythos des brittischen Museums (Catalogue no. 621). Kora auf dem Wagen, dem 


Apoll und etwa Artemis zur Seite gehen, ist am Ziel angelangt, wo Demeter sitzend 
ihrer harrt. In der gedruckten Beschreibung ist diese letztere für Hera und die Göttin 


neben Apoll für Demeter genommen. 
Jenen vorstehenden Vasenbildern, in denen die Wiederkehr der Kora unseres Er- 


achtens nicht wohl bestritten werden kann, reihen wir die nachfolgenden an, welche bei ein- 
leuchtender Verwandtschaft mit jenen früheren demselben Ideenkreis, der bei vorangestellter 
Betrachtung derselben unsicher erschienen wäre, nun mit aller Wahrscheinlichkeit zugespro- 


chen werden dürfen. 


13. 


Zuerst kommt Persephone Leukippos in Rede aus einer archaischen Hydria des 
Prinzen von Canino (Auserl. Vasenb. I, 10 S. 41 ff. 206), darstellend eine mit Flügelrossen, 
von denen das eine weils, bespannte Biga, welche Poseidon, kenntlich durch Dreizack, soeben 
besteigt, während die von ihm gezügelten Rosse von dem ihnen entgegentretenden Hermes 
noch zurückgehalten werden. Auf Poseidon blickt, neben den Pferden stehend, kenntlich 
durch gewohnte Bekränzung, der bärtige Dionysos-Hades; vor ihm, dem Poseidon zu- 
nächst, steht eine Göttin, deren Verhältnils zum Meergott durch gleichartige Bekrän- 
zung, nicht aber durch Meergewächse, sondern durch die üblichen Efeuzweige archaischer 
Vasen angedeutet ist. Es leuchtet ein, dafs in ihr nicht etwa Amphitrite, sondern wahr- 
scheinlich Persephone-Kora gemeint ist, deren Abholung aus der Unterwelt, aus der Nähe 
des ihr vermählten Dionysos, sowohl durch das sonst bekannte Prädicat ihrer weilsen 
Rosse (Pind. Olymp. 6, 93. Stephani im Compte-Rendu pour 1859 p. 49 verweist auch 
auf Tzetzes zu Hesiod Opp. et D. v. 32: ryv zogyv dı’ "EAsusivos dvspyonzuyv LE "Aı- 
dou Asvzorwrov. Vgl. auch Eudocia Violar. p- 110) als durch ein verwandtes Vasenbild 
der Sammlung Blacas (Schale des Xenocles bei Panofka pl. XIX. vgl. Ghd. a. O. S. 44. 
unten no.23) uns nahe gelegt wird. — Auch das obere Bild einer den Festzug der wie- 
derkehrenden Kora, aber zu Fuls, darstellenden archaischen Hydria des Kunsthändlers Bas- 
seggio (Auserl. Vasenb. I, 17 S. 65) ist hier zu vergleichen. Man erblickt auf demselben 
einen auf seine Quadriga steigenden, allerdings nicht mit Dreizack, sondern mit Scepter 
versehenen, bärtigen Gott, an dessen Wagen die vermuthliche Kora sich herandrängt, 


414 


14. 


GERHARD 


während Apoll demselben zur Seite, Hermes ihm vorangeht und jederseits noch bacchi- 
sches Personal ihn umgiebt. 

Poseidon und Aphrodite bilden laut alter Inschrift (Horsıdovos Apgodırss) das Per- 
sonal eines von der rechts stehenden Göttin gezügelten Wagens mit sprengendem Vier- 
gespann, auf einer durch Bröndsted (Vases Campanari no. 29) beschriebenen, jetzt ver- 
muthlich im brittischen Museum befindlichen archaischen Amphora, welche auch die 
Beischrift IvSozAss zaros trägt und als Gegenbild zwei Krieger in einer Quadriga 
zeigt. Statt mit Bröndsted Auırgeres zu lesen, habe ich bereits früher (Auserles. Vas. I, 
S. 46) die Ansicht begründet, dafs der für die gedachte Wagenlenkerin allerdings sehr 
befremdliche, aber unzweifelhafte Name einer Aphrodite in der Bedeutung einer aphro- 
disischen Kora zu nehmen sei, welche, von Poseidon unterstützt, dessen ungestümes Vier- 
gespann zu rascherer Rückkehr ans Tageslicht antreibt. 


[14*. Die ähnliche Darstellung einer archaischen Amphora der Berliner Sammlung (Ghd. Neu- 


erworbene Denkm. III, 1703) zeigt auf stehender Quadriga den bärtigen Meergott, 
kenntlich durch einen von ihm gehaltenen Fisch, und neben ihm die vorgedachte Göttin, 
welche mit ihm zugleich die Zügel der Rosse gefalst hält. Ein dem Wagen entgegen 
tretendes Reh verkündet als Lichtsymbol den Bezug dieses Bildes auf die Rückkehr der 
Kora. Voran geht mit Saitenspiel vermuthlich Apoll, dessen Figur jedoch durch eine 
Frauengestalt, etwa Artemis, grolsentheils verdeckt ist. Das Gegenbild zeigt den Diony- 
sos auf einem Maulthier, von einem Silen und einer Bacchantin begleitet. ] 

Eine archaische Hydria der Sammlung Feoli (Ghd. Auserles. Vas. I, 40 S. 162 ff. 
vgl. Rapporto volcente not. 213. Campanari, vasi Feoli no. 63. de Witte Cabinet £trusque 
p. 74), oberwärts mit der Entführung des Gerberus verziert, ist in ihrem Hauptbild den 
obigen Vasenbildern der fahrenden Kora nahe verwandt. Kora den Wagen besteigend 
zügelt ihr Viergespann, dem Hermes und eine Frau (etwa Athene in Nymphentracht) 
vorangehen, begleitet vom kitharspielenden Apoll, dem eine Göttin mit Modius (Artemis) 
entgegentritt, würde die unfehlbare Benennung dieses Bildes sein, wäre nicht jene ju- 
gendliche Wagenlenkerin inschriftlich als Demeter bezeichnet. Die Inschrift ist ihrer 
Person zu nahe, um etwa als mülsige und wenig zutreffende Überschrift des ganzen Bil- 
des zu gelten; dennoch ist diese Annahme zusagender als die sonst sich darbietenden 
Erklärungsversuche, die von der zwiefachen Möglichkeit ausgingen entweder dals in der 
Demeter benannten Göttin auf dem Wagen Kora als ihr identisch (Paus. IV, 33, 5 
vgl. Ghd. a. O. S. 63) gemeint sei, oder dals Kora, dem Hermes gesellt, der fahrenden 
Demeter zn Fuls voranschreite. [Selbständig hat über dies Gefäls auch Wieseler in 
der Schrift „Göttinger Antiken” sich geäußert. Er findet keine Schwierigkeit die In- 
schrift AEMETEP auf die neben den Pferden stehende Figur zu beziehen, so dals in ihr 
die eleusinische Göttin gemeint sei, welche (vgl. no. 1*) ihrer auf dem Wagen befindli- 
chen, zur Vermählung mit Hades von Neuem bereiten, Tochter entgegentrete. Allein 
die Inschrift steht von der darauf bezogenen Figur allzuentfernt um ihr gelten zu kön- 
nen, und diese Figur selbst, mit der Kopfbedeckung des Modius dem Apoll gegenüber- 
stehend, ist in gleicher Tracht aus ähnlichen Darstellungen, solchen wie Auserl. Vas. I, 
15 und 17, hinlänglich bekannt, um unsre Deutung auf Artemis zu rechtfertigen. ] 


16. 


17. 


18. 


419: 


über den Bilderkreis von Eleusis. IIT. 415 


Räthselhaft ist auch eine archaische Hydria des Berliner Museums (Ghd. Neuerworbene 
Denkm. III, 1691), darstellend den Dionysos zu Wagen, hinter ihm die efeube- 
kränzte Kora, vor dem Wagen aber Hermes, der aulser dem Heroldstab auch bacchische 
Rebzweige hält. Es mag die Übergabe der Kora durch Dionysos an Hermes zur Rück- 
kehr ans Tageslicht gemeint sein, wodurch auch die umgekehrte Richtung der Fülse des 
Hermes sich einigermalsen entschuldigt. Als oberes Bild zwei sprengende (uadrigen. 


9%. Anodos der schreitenden Kora. 


a. Kora zu Fuls mit Blüthe. 


Grolse Amphora, vormals dem Herrn Moschini zu Neapel gehörig, jetzt im Mu- 
seum zu Turin, bekannt gemacht durch Quaranta in einer zu Neapel 1827 erschienenen 
Schrift, danach auch von mir (Abh. Anthest. Taf. II, 1. 2 S. 179. Anm. 166. vgl. Rapp. 
vole. not. 213). Das Hauptbild enthält den Festzug der von Dionysos begleiteten, durch 
eine Blume in der Hand kenntlichen Kora, vor welcher Apoll mit Saitenspiel einhergeht, 
während Demeter und Hermes den Zug erwartend zu seinem Empfang gegenüber ste- 
hen. — Das Gegenbild dieses ansehnlichen Gefälses stellt in Begleitung desselben Perso- 
nals die Athene zu Wagen, neben ihr vielleicht den laut mystischer Auffassung (vgl. 
Abh. Anthest. Anm. 176) sonst mit ihr verknüpften Dionysos-Hades dar. 
Lambergsche Vase, vermuthlich ebenfalls Amphora, im Museum zu Wien (La- 
borde II, 19. Ghd. Antike Bildw. GCCXVI, 1.2 5.407, vgl. Abh. Anthest. S. 179. 
Anm, 164). Ähnlicher Götterzug, den Demeter empfängt. Dem Zuge voran geht 
Hermes, der nach der verschleierten Artemis und dem kitharspielenden Apoll sich um- 
blickt. Diesem folgt Kora, gleichfalls verschleiert, kenntlich durch die in der Linken 
gehaltene Blume. Den Zug schlielst Dionysos, in üblicher Weise ein Trinkhorn hal- 
tend(von Welcker Alte Denkm. IIT, 104 als Pluto mit Füllhorn bezeichnet). — Als Gegen- 
bild ist ein zweiter Zug dargestellt, der auch hier von einem Kitharöden eröffnet und 
von drei Frauenpaaren gebildet wird, die henkellose Becher in ihren Händen halten; 
neben dem mittelsten Frauenpaar bemerkt man ein Reh. Man kann versucht sein, Ar- 
temis und Athene mit Horen und Chariten in diesen Frauen zu erkennen; doch legt die 
linkerkeits das Bild abschlielsende Figur eines abgewandten Priesters, der ein Gefäls 
über einen Altar ausgielst, die Vermuthung nahe, dafs hier ein Todtenopfer und ebenso 
auch in jenen drei Frauenpaaren ein Ritual zu erkennen sei, welches auch ohne my- 
thische Grundlage sich denken läfst. 

Amphora des CabinetDurand (no. 651), jetzt im brittischen Museum (Catal. no. 519). 
Vor Dionysos, der Rebzweig und Kantharos hält, schreitet nach ihm umblickend Kora 
einher, kenntlich durch die Blume in ihrer Linken, obwohl früherhin als Demeter - Chloe 
und als Aphrodite verkannt; als ungewöhnliches Attribut geht ein Kalb ihr zur Seite. Ihr 
voran, gleichfalls zurückblickend, geht Hermes, kenntlich durch Reisehut und Stab. — 
Das Gegenbild, das wegen darauf befindlicher Schriftzüge als Hauptbild erscheint, zeigt 
voranschreitend den Kitharöden Apoll von einer Hindin begleitet, ihm nachfolgend ver- 
muthlich Artemis, sodann aber Mann und Frau eines für hochzeitlich erachteten Paars, 


416 GERHARD 


99 


in welchen wir unter Vergleichung eines verwandten Vasenbilds (Ghd. Vasenb. I, 39 
S. 155) geneigter sind Hephästos und Athene gemeint zu glauben. 

Archaische Amphora des brittischen Museums (Catal. no. 541). Hermes schrei- 
tet einem Zug von fünf Göttinnen voran. Die beiden ersten, vielleicht Demeter und 
Aphrodite, schreiten paarweise mit vorgestreckten Armen, dann vereinzelt die durch zwei 
Blumen in ihrer Linken kenntliche Kora; im dritten Paar, in welchem eine der Frauen 
ihre Hand an den Mund führt, können Athene und Artemis gemeint sein. Als gegenüber- 
stehendes Hauptbild wird eine Quadriga uns beschrieben, auf welcher Pallas- Athene 
einem bärtigen Mann (man denkt an Herakles, wenn nicht Hades; vgl. das Gegenbild von 
no. 14) zur Seite steht. Neben dem Wagen ist Apoll kitharspielend, vor ihm zu- 
rückblickend etwa Artemis, dann weiter vorwärts Hermes zu sehen. Vorne die Pferde 
haltend und auf Pallas zurückblickend steht Dionysos, durch dessen Erscheinung die 
sonst wahrscheinliche Deutung des Mannes auf dem Wagen als Hades unwahrscheinlich, 
wenn nicht völlig widerlegt wird. Räthselhaft bleibt endlich noch hinter dem Wagen 
ein nackter Knabe mit angestemmtem rechten und ausgestrecktem linken Arm, auffallend 
durch weibischen Haarputz; vielleicht ist an Iacchos zu denken. 

Archaische Kelebe der Sammlung Calefatti zu Nola (Zeichnung im Arch. Apparat des 
kgl. Museums I, 34). Kora mit Blume und Dionysos mit Kantharos stehen der Pallas 
gegenüber, neben welcher vorschreitend, aber zurückgewandt, auch Hermes dargestellt ist. 
Lekythos, dessen Zeichnung vorliegt, vielleicht aus Wien. Der entgegentretenden 
Demeter naht Hermes als Führer eines Zugs. In der nächsten Frau mit leichter Ge- 
wandfassung, nach welcher er zurückblickt, kann Artemis, Aphrodite oder auch eine 
Hore gemeint sein; ihr folgt Apoll kitharspielend, sodann Kora mit Blume, endlich 
Dionysos mit Kantharos. 

Kylix der Sammlung Blacas (Panofka pl. XIX p. 55 ss., vgl. Ghd. Auserl. Vasenb. I 
S. 44) mit dem Künstlernamen des Xenokles und dem Innenbild einer weiblichen Flügel- 
gestalt. Kora mit Blüthe in der Hand, gefolgt von Hermes und einer Göttin, in wel- 
cher Demeter gemeint sein mag, geht dem durch seinen Kantharos kenntlichen bärtigen 
Dionysos, vermuthlich zur vertragsmälsigen Wiedervereinigung mit demselben entgegen. — 
Das Gegenbild zeigt einen frühern Moment. Zwei Flügelrosse, am Ende des Bildes ver- 
theilt, scheinen zur Wiederauffahrt der Kora bereit zu stehen; ein bärtiger Mann, ver- 
muthlich Hades, blickt nach einem derselben zurück, während ihm gegenüberstehend 
Poseidon und Zeus, kenntlich jener durch Dreizack, dieser durch Donnerkeil, den be- 
kannten Vertrag feststellen oder erneuen. 


db. Kora von Poseidon geleitet. 


Vase bei Tischbein IV, 16. Apoll mit Kithar und Reh, hinter ihm eine Frau die 
einen Kranz erhebt, sodann Hermes mit Heroldstab, stehen einer Frau mit erhobener 
Hand gegenüber, nach welcher Poseidon mit Dreizack abwärts schreitend sich umwendet. 
Man wird versucht hierin das Geleit zu erkennen, welches Poseidon (vgl. no. 13) der 
neuerstandenen Göttin gegeben hat und welches nun Apoll und Hermes, zwischen ihnen 
etwa Artemis, ihm abnehmen. 


26. 


[5 
ST 


30. 


31. 


über den Bilderkreis von Eleusis. IIT. 417 


c. Kora von’Hermes geleitet. 


. Hydria des Kunsthändlers Basseggio (Ghd. Auserl. Vas. I, 17). Paarweise einander 


gesellt bilden Dionysos und Kora, vor ihnen Apoll und Artemis, vor diesen Athene und 
Hermes welche zurückblicken, einen Festzug, welchem als siebente Figur die ihrer Toch- 
ter gewärtige Demeter entgegentritt. Im obern Raum kommt hiezu ein Bild, welches 
möglicher Weise der durch Poseidon vermittelten Rückführung der Kora gilt. 

Hydria, vormals dem Prinzen von Canino gehörig (Ghd. Auserl. Vas. I, 31 S. 110f.). 
Hermes, an Hut und Flügelschuhen kenntlich, auch ohne Heroldstab, schreitet mit um- 
gewandtem Blick und erhobener rechter Hand drei Frauenpaaren voran. Rebzweige, von 
einer der Frauen jedes Paares gefalst, zeigen die bacchische Beziehung des Ganzen; die 
drei übrigen Frauen zeichnen durch sprechende Geberde ihres erhobenen Arms, die mit- 
telste durch Krotalen sich aus, wie solche als Attribut der rückkehrenden Kora sich öf- 
ters vorfinden. Hienach sind diese Frauen auf 'Thyiaden, Thesmophoriazusen oder noch 
lieber auf Kora und deren Begleiterinnen gedeutet worden. Im vordersten Frauenpaar 
kann man Demeter und Athene, im mittelsten Kora und Artemis oder Aphrodite, in 
dem zuletzt folgenden aber die Chariten, wenn nicht Artemis und Hekate, erkennen. Im 
obern Raum sind Schlachtscenen dargestellt, in einem untern wilde Thiere. 


. Amphora im brittischen Museum (no. 520, vorher 1383). Dem Dionysos geht Hermes 


voran, dahinter angeblich Ariadne mit Rebzweig im Haar; als Gegenbild Apollo mit 
Kithar und Reh, in zweier Frauen Umgebung, die man wol vielmehr auf Leto und Ar- 
temis als auf Thallo und Karpo zu deuten hat. 

Amphora der Sammlung Feoli (Campanari vasi Feoli no. 21. Ghd. Auserl. Vas. I, 
34 S. 127 fl). Hier sitzt Apoll kitharspielend unter einem Rebstamm, welcher die 
Grenze der Oberwelt zu bezeichnen scheint. Hinter ihm erscheint wieder ein Frauen- 
paar; Kora, durch die von ihr gehaltene Blüthe kenntlich, steht links von einer Göttin, 
in welcher Artemis gemeint sein mag. Dem Apoll gegenüber können wir nicht anste- 
hen die an ihn herantretende Frauengestalt für die ihrer Tochter gewärtige Demeter 
zu halten, und dieser Darstellung scheint auch das früher unbeachtet gebliebene Ge- 
genbild zu entsprechen. Es zeigt als Mittelfigur eine Frau mit Krotalen, einem bärti- 
gen Mann die rechte Hand reichend; man wird versucht in diesen Figuren Dionysos 
und Kora zu erkennen, und kann auch die hinter ihr befindliche bärtige und mit Petasus 
bedeckte Gestalt kaum anders als auf Hermes deuten. 

Amphora der Sammlung Feoli (Auserl. Vas. I, 42). Als Revers eines Triptolemos- 
bildes (in unsrer Beilage 4 als D’bezeichnet) ist die Abholung der Persephone von Diony- 
sos-Hades durch Hermes dargestellt. 

Amphora der Sammlung zu München (Jahn 11322). Hinter Dionysos steht eine 
verschleierte Frau mit Gewandfassung, vermuthlich Persephone—, ihr gegenüber eine an- 
dere Verschleierte, vermuthlich Demeter, die von Hermes herbeigeführt zu denken sein 
mag. 

Lekythos, vormals in der Sammlung Calefatti zu Nola für mich gezeichnet (Zeich- 
nung im kgl. Museum Arch. Apparat I, 32). Hermes schreitet rückblickend der fackel- 


Philos.- histor. Kl. 1864. Ggg 


418 


33. 


34. 


36. 


37. 


GERHARD 


tragenden Kora voran, hinter welcher Pallas auf einer Quadriga zu bemerken ist, neben 
derselben Dionysos. 


. Lekythos im brittischen Museum no. 612. Dionysos und Hermes sind mit zwei 


Göttinnen gruppirt, von denen die eine wol Kora sein mag. 


d. Kora von Apoll geleitet (vgl. no. 28). 


Hydria des Berliner Museums (Ghd. Neuerworbene Denkm. III, 1978). Auf die- 
sem ansehnlichen Gefäls geht Apoll kitharspielend fünf in gehäufter Profilirung neben 
einander gereihten Frauen (etwa Horen und Chariten oder Athene und Artemis mit den 
Horen, unter denen sich Kora befinden mag) voran. Hinter ihnen schlielst Dionysos, 
von welchem Efeusprossen über das Bild sich verbreiten, den Zug, welchem vor Apollo 
noch Hermes vorangeht. Die Figur dieses letzteren ist auffällig durch zurückgewand- 
ten Blick und seltsame Verzeichnung, welche Anlals gegeben hat die von ihm an der 
Hand gefalste, dem Zug entgegentretende, Frauengestalt nicht, wie der Bildner vermuth- 
lich es meinte, auf Demeter, sondern auf Kora zu deuten. 

Hydria des Prinzen Vidoni (Ghd. Auserl. Vasenbilder I, 35 S. 136 ff.). Vier Gott- 
heiten, Dionysos Athene Apollo und ihm voranschreitend Kora, schreiten in gleicher 
Richtung vorwärts, so jedoch dals die mit Krotalen versehene Kora zurückbleibt und 
auch Athene, kenntlich durch Haar Helm und Aegis, mit der erhobenen Linken den 
Dionysos zurückzuhalten scheint; dieser hält aulser dem Kantharos einen Rebzweig, 
dessen Entblätterung ihn als Unterweltsgott zu bezeichnen scheint. Apoll rührt die Sai- 
ten und ist, wie in ähnlichen der Rückkehr der Kora geltenden Zügen, von dem als 
Lichtsymbol bekannten Reh begleitet. 


. Hydria aus Nola, nur 95 Zoll hoch, im brittischen Museum (Catal. no. 483). Apoll 


kitharspielend in der Mitte des Bildes; hinter ihm werden Leto und Artemis, sodann 
Dionysos, vor ihm Demeter und Kora samt Hermes erkannt, welcher seitwärts blickt. 
Noch unedirt und aus der blolsen Beschreibung nicht ganz verständlich. 

Kalpis der Sammlung Feoli zu Rom (Ghd. Auserlesene Vasenbilder I, 33 S. 126 f.). 
Apoll durch sein Saitenspiel kenntlich, begleitet von einem rückwärts blickenden Reh, 
geht hier einem Paar von Göttinnen voran, von denen die vorderste durch die erhobene 
Fackel in ihrer Linken und durch Krotalen in ihrer Rechten als Kora bezeichnet ist; in 
der grölstentheils verdeckten Gefährtin zu ihrer Linken mag Artemis gemeint sein. 
Dem Lichtgott gegenüber steht eine Göttin, in welcher wol nur die der rückkehrenden 
Tochter gewärtige Demeter gemeint sein kann, obwohl der von ihr in ungewöhnlicher 
Weise gefalste Rebzweig nur durch die bacchische Beziehung der Kora zum Attribut 
ihrer Mutter geworden sein kann. 

Amphora des Herrn Campanari (Ghd. Auserlesene Vasenbilder I, 32 S. 114 ff.). 
Apoll als Kitharöd, den ein Opferstier begleitet, schreitet einem Frauenpaar voran, 
einem andern entgegen; in jenem mögen Kora und Artemis, in diesem Athena und 
Demeter gemeint sein. Efeuzweige dienen dem Bild zum Hintergrund und den ge- 
dachten Frauen zur Bekränzung. Als Gegenbild ist der bärtige Dionysos mit Reb- 


5 
zweig und Kantharos, von einem Bock begleitet, inmitten zweier Silene dargestellt. 


38. 


39. 


40. 


über den Bilderkreis von Eleusis. IIl. 419 


Amphora der Durandschen Sammlung, jetzt vermuthlich im brittischen Museum, 
(Cab. Durand no. 651. Ghd. Auserles. Vas. I, 73 S. 198). Im Hauptbild, welches 
als solches durch Schriftzüge bevorzugt ist, geht Apoll kitharspielend einer Göttin und 
einem Götterpaar, überhaupt drei Gottheiten voran, welche man bei Vergleichung des 
vorigen Bilds für Demeter Hephästos und Athene (beide letztere als Eltern des atti- 
schen Apollo Patroos bekannt) zn deuten geneigt wird, wie denn auch das Gegenbild 
cerealisch-baechische Bezüge uns kund giebt. In diesem steht Hermes rückblickend zur 
Abholung der Kora bereit, welche wir von einer Kuh begleitet (wobei der Umstand 
eines einzigen Horns zu beachten), vorwärts gewandt, aber wie zum Abschied nach 
Dionysos rückblickend, wahrnehmen. Ihre Bedeutung ist gesichert durch die von ihr 
gehaltene Blüthe und durch die Verknüpfung mit Dionysos, welcher gleichfalls durch 
Bekränzung, Rebzweig und Kantharos unverkennbar ist. Ob er im Hades zurück 
bleibe oder mit Kora aufwärts gehe, ist fraglich, zumal sein weilses Untergewand die 
letztere Ansicht begünstigt. 

Stamnos mit schwarzen Figuren, vormals bei dem Kunsthändler Basseggio in Rom, 
dann in England verschwunden (Auserl. Vasenbilder I, 39 S. 154 ff., vgl. Abh. Anthest. 
$.179). Dieses Gefäls, mit palästrischem Gegenbild, zeigt auf seiner Hauptseite den Festzug 
der Kora, dergestalt dals zwei Göttinnen in schlichter Tracht, neben Demeter vermuth- 
lich Athene , die Ankommenden erwarten. Voran schreitet Apoll mit Saitenspiel; ihm 
folgen zwei Fackelträgerinnen, vermuthlich Artemis und Hekate, sodann Dionysos mit 
Rebzweig und Kantharos, wie auch einem Bock, worauf man nicht anstehen wird, in 
der zuletzt mit gesenktem Blick und nachdenklicher Hebung ihres Gewands einherschrei- 
tenden Göttin die Dionysosgemahlin Persephone-Kora zu erkennen. Dem Bock des 
Dionysos entspricht neben den dem Zug entgegentretenden Göttinnen ein als Licht- 
symbol bekanntes Reh; aulserdem ist hinter ihnen in gleicher Richtung des Angesichts, 
aber in abgewandter Stellung, der mit Dionysos befreundete attische Feuergott Hephä- 
stos, den ein Hammer kenntlich macht, eine diesem Gefäfsbild durchaus eigenthünliche 
Figur. 


3. Aufsteigende Kora. 
Amphora des Museo Campana (Mon. dell’ Inst. VI, 7. Annali 1857 p. 211). Aus 


dem Boden aufsteigend werden zwei colossale Brustbilder verschiedenen Geschlechts, 
vermuthlich Dionysos und Kora, bemerkt; er ist mit Wein, sie mit Efeu bekränzt, in 
Umgebung bacchischer Thiasoten. Die ganz ähnlichen Darstellungen einer archaischen 
Schale der Sammlung Santangelo (Minervini Bull. Nap. VI, 13. Ghd. Abh. Anthesterien 
Taf. I, 1. 2) kann hier nur kurz berührt werden, weil laut den Beischriften nicht Dio- 
nysos und Kora, sondern Dionysos und Semele gemeint sind; doch ist es bekannt, dafs 
beide Göttinnen im Begriff der Libera zusammenfielen und mithin auch die Anodos der 
einen von der Epiphanie der andern nicht wohl sich trennen lälst. 


Ggg2 


420 


43. 


44. 


46. 


GERHARD 


II. Vasenbilder mit röthlichen Figuren. 
1. Kora zu Wagen. 


. Auf einem Stamnos der Pizzatischen Sammlung ist mit irriger Annahme einer Tri- 


ptolemosgruppe als Gegenbild (Ghd. Vasenb. I, 75 vgl. Beil. 4, i?) die rückkehrende 
Kora, meines Erachtens unverkennbar, obwohl Stephani widerspricht, dargestellt. Vor 
ihrem stillstehenden Viergespann steht als Symbol des Lichtgottes ein Reh. Neben 
dem Wagen steht Apoll, welcher zugleich mit seiner Kithar eine Schale hält und der 
im Reiche des Lichts wieder angelangten Göttin dieselbe darbietet. 


. Lepaste aus Nola im Museum zu Berlin (Berlins Bildwerke no. 591). Auf beiden 


Aulsenseiten ist in nachlässiger Zeichnung Kora dargestellt, welche, wie es scheint, zur 
Rückkehr ans Tageslicht die Quadriga besteigt, neben welcher der ihr vermählte Dio- 
nysos-Hades ihr entgegentritt. 

Kalpis aus Kertsch, in den Antiquit@s du Bosphore II p. 67 zu pl. LXIlIa, 4 als 
hochzeitliche Familienscene, im Arch. Anzeiger 1856 S. 233* auf Kora gedeutet. Eine 
Frau besteigt einen Wagen welchem Hermes zur Seite geht. Hinter ihr tritt ein bär- 
tiger Mann mit einem Stabe zurück, der wie ein Lorbeer endet; rechts vor den Pferden 
eine Mantelfigur und eine sitzende Greisin mit Krückstab, Figuren welche allerdings 
mehr dem Alltagsleben als einem Götterzug anzugehören scheinen und das Verständnils 
dieses, auch als Brautzug nicht wohl zupassenden, Bildes unentschieden lassen. 


2. Kora zu Fufs. 


Stamnos des Cabinet Durand no. 17 in dessen Beschreibung Lenormant das Haupt- 
bild als „arrivee d’Apollon-Orphee dans l’Olympe” bezeichnet, jetzt im brittischen Mu- 
seum (Catalogue no. 783), unedirt. Hermes blickt nach dem Hauptbild sich um, wo der 
thronende Zeus von Apoll (libirend), ‘Artemis oder ‘Hebe (mit Oenochoe) und einer 
geflügelten “Nike oder Iris, unter dem Gefälshenkel auch etwa von Hera, umgeben 
ist. In entgegengesetzter Richtung steht eine Göttin mit zwei Fackeln, wahrschein- 
licher Kora als “Hekate, rückblickend nach dem mit Thyrsus und Kantharos versehenen 
Dionysos. 


3. Aufsteigende Kora. 


5. Eine berühmte Pelike aus Kertsch, jetzt eine Hauptzierde der kaiserlich russischen 


Sammlung, abgebildet nach Stephani auf unsrer Tafel I. II, ward als Darstellung der 
aus einer Höhle aufsteigende Kora mit dem Jacchoskind bereits uns bekannt. Vgl. oben 
Abh. I S. 267. 291. 

Fragment des Marchese del Vasto, darstellend die aufsteigende Kora mit den In- 
schriften rsgrodar@, ngues, nrare, Ösusreo, nach Visconti, dessen Äufserung mir nicht 
vorliegt, von Welcker (Zeitschrift S. 105; Götterlehre II S. 478) erwähnt in dem Auf- 
satz über die Poniatowski'sche Vase, dann auch nach eigener Ansicht von Millingen (An- 


über den Bilderkreis von Eleusis. III. 421 


cient coins p. 70). Ansicht oder Zeichnung dieses wichtigen Fragments zu erlangen, 
bin ich öfters, auch nach dem Ableben des Besitzers, erfolglos bemüht gewesen. Bezug 
darauf nahmen auch Müller im Handbuch 358, 3, die Herausgeber der Elite c@ramo- 


29 
-. 


graphique IV p. 30 und Stephani im Compte-Rendu 1859 p.5 


[46*. Kumanische Hydria im Berliner Museum, abgebildet in meinen Antiken Bildwerken 


47. 


48. 


49. 


51. 


Taf. 44. Die von einem Schwan getragene Göttin dieses schönen Gefälses ward frü- 
her von mir als aufsteigende Kora gedeutet; doch ist diese Erklärung bereits oben, 
Abh. II Anm. 324, zurückgenommen worden.] 

Fragment aus Capua, im Kunsthandel des Hrn. Castellanı zu Neapel, von Helbig 
beschrieben im römischen Bullettino 1864 p. 61. Eine aufwärts blickende, reich verzierte 
und von der Brust abwärts dünn bekleidete weibliche Halbfigur, weils und gelblich ge- 
färbt, ist als aufsteigende Kora und überdiels in ihrem Bezug auf Dionysos verständlich, 
indem ein kleiner lasciver Satyr mit dem rechten Bein (das linke hält er schwebend) auf 
ihrer linken Schulter fulst, und im Hintergrund von der aufbliekenden Figur eines bärti- 
gen Satyrs mit staunender Handgeberde hinlängliche Reste erhalten sind. Kopf und Ober- 
theil des ersten Satyrs sind zerstört. Dals dieses Fragment mit bekannten archaischen 
Vasenbildern verwandt sei, in denen zugleich Dionysos und Kora dem Erdboden ent- 
steigen (Ghd. Abh. Anthesterien I, 3. Mon. dell’ Inst. VI, 7, oben no. 40), hat bereits 
Helbig a. O. bemerkt. 

Kleiner Krater der Sammlung Palagi (Arch. Ztg. VIII Taf. 16, 1 ff. S. 161 ff.). Ein 
rechtshin gewandter Frauenkopf, behaubt und geschmückt, ist durch die vermuthlich als 
samothrakische Axiokersa zu deutende Beischriftt AXIO als identisch mit Kora be- 
zeichnet, während andrerseits ihr gegenüber ein mit Efeu umgürteter, mit Thyrsus ver- 
sehener und inschriftlich als Dionysos benannter Knabe den mit diesem Gott bereits 
gleichgesetzten Iacchos uns vorführt. 

Ähnlicher kleiner Krater der Sammlung zu Berlin (Berlins Bildw. no. 990). Am Bo- 
den der Darstellung erscheint, wie aufsteigend, zugleich strahlenbekränzt und verschleiert, 
ein Frauenkopf, vermuthlich der Kora; eine jugendliche Mantelfigur, vermuthlich die 
eines Eingeweihten, steht vor ihr, eine andere ähnliche füllt die Rückseite aus. 

Kleiner Aryballos in meinem Besitz (Arch. Ztg. VIII Taf. 16, 4. 5 S.163 £.). Dem 
auf der Grundfläche des Gefäfses bis zum Hals sichtlichen, mit einer Haube bedeckten, 
Kopf der Kora tritt ein Flügelknabe mit einem zu ihrem Schmuck bestimmten Halsband 
entgegen. Zwischen inne wird eine Gans bemerkt, welche man zunächst als Symbol 
feuchter Tiefe und als bekanntes Opferthier für Persephone betrachten kann. 

Kylix, in den Mon. dell’ Inst. IV, 39 durch den Herzog von Luynes mit der Deutung 
(Annali XIX, 179 ss.) auf Eros und Gäa herausgegeben. Die der Erde entsteigende 
Halbfigur der Kora wird von einem Eros empfangen, in ähnlicher Weise wie dies auf 
unteritalischen Vasen dann und wann auch andern geschmückten Frauenköpfen zu Theil 


wird. Vgl. Abh. Anthesterien Anm. 150. 151. 


422 GERHARD 


III. Auf plastischen und glyptischen Werken. 


Den Reichthum der Vasenbilder an Kunstdarstellungen des eleusinischen Sagenkrei- 
ses und namentlich der rückkehrenden Kora vermögen andere Kunstwerke, mit Ausnahme des 
Harpyienmonuments (Abh. II S. 491 £), weder durch gleich grofse Anzahl noch durch gleich 
hohes Alter aufzuwiegen; doch ist auf praxitelische Vorbilder ähnlichen Gegenstands schon 
in unserer Abhandlung II Anm. 279 verwiesen worden, und das eine und das andere vor- 
handene Bildwerk hienächst beizubringen. 


1. Kora zu Wagen. 


[52. Relief einer länglichen Platte, ansehnlich und kunstgerecht, bekannt durch Abgüsse, 
auch zu Berlin (Niobidensaal no. 56 S. 116), einem Original entnommen, welches in 
Herculanum gefunden sein soll und demnach in Neapel zu suchen ist, verdient hier er- 
wähnt zu werden, weil seine Darstellung auf die Wiederkehr der Kora leicht, obwohl 
trüglich, angewandt werden kann. Wenn Friederichs im gedachten Verzeichnils der 
Berliner Sammlung dies Relief, dessen Echtheit ich nicht zu bezweifeln geneigt bin, für 
eine moderne Copie nach einem bekannten späten Vasenbild des Lasimos (Millin Gal. 
CLXIX, 611) hält, so kann der dabei vorausgesetzte Wagen der Eos leicht auf den Ge- 
danken führen, dals in der flügellosen Gestalt auf dem hier dargestellten Wagen vielmehr 
die in des Hermes Geleit rückkehrende Kora gemeint sei. Von dem Bericht des home- 
rischen Hymnus (335 ff. 378) würde die hier gewählte Auffassung nur darin ab- 
weichen, dals Hermes den Pferden voraneilt statt, was für die bildliche Darstellung 
vielleicht minder zusagend war, neben Kora den Wagen zu lenken. Indels ist auch diese 
Deutung für das gedachte Relief wol aufzugeben, wenn anders die Figur auf dem Wa- 
gen vielmehr männlich und bei solcher Voraussetzung eher für einen Wettrenner zu 
halten ist, dem Hermes als Enagonios voraneilt. ] 

53. Sarkophag mit griechischer Inschrift des M. Aurelius Epaphroditus in der Sammlung 
Pembroke zu Wiltonhouse. Abgebildet nach Montfaucon I, 45, 1, in meinen antiken 
Bildwerken CCCX, 1 S. 399 und auch in Müllers Denkmälern II, 10, 147, neuerdings 
an Ort und Stelle geprüft von Conze (Arch. Anz. 1864 S.165 £). Dargestellt sind 
auf diesem sehr wohl erhaltenen Sarkophag, dessen Hauptperson Stephani (Compte- 
Rendu pour 1859 p. 89) im Triptolemos erkennt, inmitten des Hauptbildes Dionysos, De- 
meter und Kora mit zwei Figuren im Hintergund, nach dem Götterverein rück- 
blickend Triptolemos in aufsteigendem Schlangenwagen (*) —, rechts vom Beschauer eleu- 


(*) Triptolemos ist von dem Götterverein der Mittelgruppe nicht wohl zu trennen, welche wir links 
vom Rebstamm des Dionysos, rechts vom attischen Oelbaum (zwischen Triptolemos und den Schlangen) 
begrenzt uns denken. Des eigenthümlich dargestellten Dreivereins der auf ihrer Cista sitzenden Demeter, 
welche der vor ihr stehenden Kora die Rechte reicht, während Dionysos andrerseits auf ihre Schulter sich 
lehnt, ward bereits oben (Anm. 78. 196d) gedacht. — Von den beiden Figuren im Hintergrund, die Müller 
für Rhea und Zeus hielt, deren Ansehen aber mehr alltäglich ist, möchte ich nach Wieseler die Frau mit 


über den Bilderkreis von Eleusis. III. 423 


sinisches Personal, in dessen Auslegung wir von Stephani abweichen (*), links aber, 
dem Dionysos zunächst, die auf zweispännigem Wagen fahrende Kora, welche an ihrem 
Ziel angelangt von einer Frauengestalt, vermuthlich Iris(**), unter Festhaltung der 
Rosse empfangen wird. Dals in der That hier die wiederkehrende Kora, nicht etwa 
Eos oder Selene(***) gemeint sei, ist hereits oben mit Verweisung auf die auch sonst 
nachweisliche Verknüpfung der Anodos dieser Göttin und der Abfahrt des Triptolemos 
angenommen worden; doch ist einzugestehen, dafs die Darstellung nicht sehr sprechend 
ist, wie denn auch im Einzelnen des ganzen Bildwerkes noch manche Dunkelheit zu- 
rückbleibt. 

54. Gemmenbild einer grünen Glaspaste der Berliner Sammlung, bei Winckelmann 
(Stosch II, 1092 „Victoria”) und Tölken (III, 1354 „Spes und Übertas”) verschieden er- 
klärt. Auf rechtsbin sprengender Quadriga ist Kora durch Blüthe und Gewandhebung 
den Spesfiguren ähnlich dargestellt; hinter ihr die Hore des Lenzes oder Sommers, einen 
gefüllten Korb auf ihrem Haupt haltend, und hinter dieser das mit Kranz und Palme 
versehene Standbild einer gellügelten Nike oder Telete. Abgebildet auf unsrer Tafel 


2 
. 


no. 8 


2. Kora zu Fuls. 


55. Relief eines Marmorkraters in verkünsteltem hieratischem Styl auf gerieftem Grund 
(Ghd. Bildwerke XII, 1. CGCCXVI, 3. 4, 8.187 ff. vgl. Neapels Antiken S. 111 f.). 
Ein Götterzug von sechs Figuren, auf beide Seiten dieses Gefälses vertheilt, wird durch 
einen bärtigen 'Thyrsusträger mit Petasus angeführt, in welchem nur Hermes gemeint 
sein kann. Ihm folgt die durch einen Blüthenschurz kenntliche Hore des Frühlings, 


Ährenbüschel für Metaneira, den nach Triptolemos blickenden Mann aber, der eine undeutliche Last, 
nach Conze einen Korb, erhebt, für Keleos halten, der als Landesbeherrscher und erster Priester den 
Gottheiten füglich nahe stehn durfte. Stephani, der ein Füllhorn voraussetzt, war geneigt dessen Träger für 
den personihicirten Jahressegen unter dor Benennung Eniautos oder Agathos Daimon zu nehmen. 

(*) Dieses eleusinische Personal scheint die drei Töchter des Keleos darzustellen, denen der 
Tempeldienst oblag und daher sowohl cerealische Attribute wie eine Sichel und das angebliche Füllhorn 
(von Conze in Abrede gestellt, der darin lieber eine Binde oder ein Ährenbüschel sieht) der mittelsten, als 
auch der Ehrenstab angemessen ist, den die vorderste trägt: Die Metaneira unter ihnen zu suchen wäre 
mit der leichten Tracht (dem von der Schulter gestreiften Gewand) der beiden vordersten Figuren eben so 
wenig verträglich als mit dem Platz am Ende des Bildes, welchen die Frau mit der Sichel einnimmt. 
Noch weniger Grund bietet zur Annahme von Horen oder Jahreszeiten sich dar; wohl aber lälst unter Frauen 
des eleusinischen Königsgeschlechts der ihnen gesellte Jüngling alsHippothoon und der von ihnen behü- 
tete Knabe als Demophon sich denken. Ich weiche somit auch von Stephani ab, der vier Horen oder 
Jahreszeiten in Gemeinschaft mit Jasion und Plutos auf dieser rechten Hälfte des Sarkophags dargestellt 
zu sehen glaubte. 

(**) Diese auch als Hore oder Selene gedeutete Figur hält Stephani (Annali 1860 p. 304) für Hekate, 
dafür zeuge auch die Peitsche. Ich sehe jedoch keinen entscheidenden Grund von der Deutung auf Iris 
abzugehen, für welche auch die Beflügelung üblicher ist als für Hekate. 

(**) An Selene dachte Jahn (Arch. Beiträge $. 5/4) unter Voraussetzung eines im ursprünglichen Bild 
entgegengesetzten Helios; die Frau neben dem Wagen bezeichnete er als Lore, 


4 


56. 


Qu 


4 GERHARD 


sodann die verhüllte rückkehrendeKora—, ferner in gleicher Richtung, obwohl auf der an- 
dern Hälfte des Gefälses, der durch Thyrsus und Kantharos kenntliche bärtige Dionysos, 
am Kopf bedeckt mit einer vielleicht als plutonischer Helm gemeinten phrygischen 
Mütze, und endlich, den Zipfel seines Gewandes anfassend, eine durch mondförmige 
Stirnkrone als Artemis kenntliche Göttin. Unklarer ist die ihr noch folgende sechste 
Figur einer gleichfalls mit Stirnkrone geschmückten Göttin; im Zusammenhang des 
Ganzen ist man versucht eine den Mysterien aufgedrängte (Anm. 320) Athene gemeint 
zu glauben, obwohl keine Spur ihrer sonstigen Tracht dafür spricht. 

Relief im Museum des Louvre (Clarac 132, 110. Ghd. Bildwerke CCCXVI, 5. 
S.188, 6). Wie in dem vorigen Relief, geht dieselbe Gestalt des vermuthlichen bärti- 
gen Hermes mit Thyrsus und Petasus auch hier voran. Ihm folgt die Hore des Früh- 
lings, kenntlich an einem mit Blüthen gefüllten Gewandschurz, und sodann Kora, kennt- 
lich durch Ähren in ihrer Linken, während ihre Rechte von der ihr nachfolgenden Frau 
gefalst wird, in welcher, da sie eine gepflückte Frucht in der Linken hält, die Hore 
des Sommers gemeint sein mag. 

Dreiseitige Candelaberbasis der Villa Borghese (skizzirt in Nibby’s Beschrei- 
bung derselben tav. 13. vgl. Ghd. Bildwerke S. 188 f.). Ungeachtet des Mangels der 
Hauptfigur ist auch dies Bildwerk hieher gehörig; auf die drei Seiten der Basis ver- 
theilt ist der voranschreitende bacchische Hermes der beiden vorigen Reliefs, nebst der 
Frühlingshore und dem bärtigen Dionysos, ausdrucksvoll genug, um den hier gemeinten 
Mythos zu bezeugen, dessen Darstellung wahrscheinlich auf einer entsprechenden Basis 
durch die rückkehrende Kora mit zwei ihr gesellten Göttinnen (vgl. no. 56) vervoll- 
ständigt war. 

Runde Ara im Giardino della Pignia des Vatikans (Ghd. Bildwerke XIII, 2 
S.190 fl.). Das Relief dieses stark verwitterten Marmors zeigt in nachlässigem hierati- 
schen Styl einen Zug von fünf Figuren, dessen Festlichkeit oberhalb der vordersten 
Figur auch durch einen aufgehängten Kranz, wie von Lorbeer, angedeutet ist. Ein 
langbekleideter Apoll mit Saitenspiel geht zwei Göttinnen voran, die man nach Ge- 
wandung und Handreichung für zwei Horen, etwa die Hore des Frühlings und des 
Sommers, zu halten berechtigt ist; Kora aber, die ähnlicher Führung sonst nachfolgt, 
ist hier voranschreitend dargestellt, in einer halbverhüllten Figur, welche nach dem ihr 
mit Thyrsus nacheilenden Dionysos zurückblickt. 

Runde Ara der Villa Albani, darstellend einen Zug von fünf Figuren, welche Zoega 
(Bassiril. II, 94. p. 225 ss.) auf die drei Horen deutet, denen Demeter, mit junger Saat 
im Schurz, und Telete, kenntlich durch zwei erhobene Fackeln, nachfolge. Statt dieser 
Erklärung liegt es nahe, vielmehr die neuerstandene Kora, geführt durch die Horen und 
begleitet von Hekate, die aus dem Dunkel aufwärts ihr leuchtete (vgl. die Iacchosvase 
aus Kertsch), in diesem Bild zu erkennen. Schwierigkeit macht die Darstellung der für 
Horen gehaltenen Frauen, von denen die erste Ähren, Blumen und einen Kranz, die 
zweite einen Hasen und (laut Zoega) ein Milchgefäls, die dritte Geflügel und andre 
Jagdbeute trägt; doch entschliefst man sich um so eher die dreifache Gesamtheit der 
Horen (sei es mit Zoega in Bezug auf Landbau, Weide und Jagd, oder auch auf die 
Jahreszeiten) hier zu erkennen, je entscheidender die ähnliche und mit diesem Altar 


60. 


61. 


63. 


64. 


über den Bilderkreis von Eleusis. III. 425 


vielleicht ursprünglich verbundene Ara (Zoega II, 96. oben Abh. IT Anm. 1964) den 
Darstellungen cerealisch bacchischen Inhalts (wie es scheint dem Verein von Demeter, 
Kora und Dionysos) angehört. 

Fragment eines Reliefs von geringem Kunstwerth im Museum zu Berlin no. 95 
(Ghd. Berlins Antiken S. 53 no. 49, 0). Eine fulsfällige Frau "von Ceres geleitet um- 
falst die Knie des thronenden Zeus, dessen himmlische Wohnung unter ihm durch das 
personificirte Himmelsgewölb, eine Männergestalt mit kreisförmig wallendem Gewand, 
angedeutet ist. Ob man berechtigt sei, in jener fulsfälligen Frau die rückkehrende Pro- 
serpina gemeint zu glauben, bleibt ungewils. 

Onyxgefäls, vormals in Braunschweig (Ghd. Bildwerke CCCXI, 3. 4 S. 400 f. Vgl. 
H. R. Studien II, 198. Abh. Anthesterien Anm. 145). Als Inhalt dieses berühmten und 
kostbaren Bildes aus spätrömischer Zeit ist die zwiefache Darstellung der festlich aus 
einer Höhle ans Licht hervortretenden Kora und des von Demeter in ihrem Wagen ge- 
leiteten Triptolemos schon oben (Abh. II Anm. 353) von uns erörtert worden. 


3. Aufsteigende Kora. 


. Silbermünze von Lampsakos (Millingen, coins 5, 7. Müller Denkm. II, 9, 109). 


Kora, dem Erdboden entsteigend, hält Ähren, vielleicht auch Trauben, in ihrer Hand 
und ist auf ähnliche Weise bekränzt. 

Gemmenbild in einem Abdruck vorliegend. Kora, aufsteigend mit einer Ähre, wird 
von einem vorgebückten Mann, vielleicht Hermes, empfangen, der mit seiner Linken 
nach der Ähre falst. Dieses Gemmenbild von guter Kunst (abgebildet auf unsrer Ta- 
fel V, 6) ist auch aus antiken Glaspasten mir bekannt, in denen derselbe Gegenstand sich 
wiederholt; eine dieser Wiederholungen (bei Winckelmann Stosch II, 1822 grob mils- 
verstanden) zeigt unvollständig den nach der Ähre gebückten Mann ohne die aufstei- 
gende Halbfigur. 

Gemmenbild, welches vergleichungsweise hier angereiht wird. Neben der Opferung 
einer Jungfrau, vielleicht der Polyxena, steigt aus dem Erdboden eine Frauengestalt mit 
einem Schwert in der Hand, vermuthlich die Würgerin Persephone, in ähnlicher Weise 
empor wie sonst die zu fröhlicher Rückkehr ans Tageslicht aufsteigende Kora nicht sel- 
ten uns vorgeführt wird. 


Philos.- histor. Kl. 1864. Hhh 


426 


GERHARD 


Zur Erklärung der Kupfertafeln. 


Tafel IT. Götterversammlung zu Eleusis. 


Relief des aus dem Museo Campana in die kaiserlich russische Sammlung versetz- 


ten kumanischen Prachtgefälses, nach Stepbani’s Vorgang ausführlich erörtert in der vor- 


stehenden Abhandlung auf S. 377 ff. 


D) 


E2 


Tafel IV. Demeter und Persephone-Kora. 


Demeter und Kora, beide thronend, Demeter verschleiert, Kora efeubekränzt; Gruppe 
aus gebrannter Erde, nach einer Zeichnung im archäologischen Apparat des kgl. Mu- 
seums, früher erwähnt in unserer Abhandlung II Anm. 1462. 

Die eleusinischen Göttinnen als unvollständige Götterbilder aufgestellt auf einem Lecti- 
sternium; Marmor im Palast Barberini zu Palestrina, früher abgebildet in meinen Anti- 
ken Bildwerken Taf. III, 4 und genauer erörtert in unsrer Abhandlung II S. 521 
Anm. 144. 

Demeter in Attika in Begegnung mit dem bacchischen Dämon Silenos; Monochrom 
eines herkulanischen Marmors, über welchen in unsrer Abhandlung II S. 514 Anm. 346 
eingehend gehandelt wurde. 

Raub der Kora; Sarkophagrelief des Museums zu Cattajo, früher herausgegeben von 
Emil Braun in dessen Antiken Marmorwerken (II, 4), ausgezeichnet durch auffällig 
euphemistische Behandlung des Mythos (vgl. Abh. II S. 510) und genauer erörtert in 
unsrer Beilage 2 no. 27. 


Tafel V. Persephone-Kora und Jacchos. 


Kora, den auf einem Pfeiler stehenden Iacchos säugend; grolse Thonfigur aus Gnathia 
im kgl. Antiquarium zu Berlin. Vgl. Abhandlung II Anm. 174c. 


ST 


über den Bilderkreis von Eleusis. III. 497 


Säugende Göttin, nach ihrer Efeubekränzung nicht für Demeter -Kurotrophos, sondern 
für Persephone-Kora als Mutter des lacchos zu erkennen; Thonfigur im kgl. Antiquarium 
zu Berlin. Vgl. Abhandlung II Anm. 174a. 2205, wo jedoch die hier abgebildete 
Figur unerwähnt geblieben ist. 

Drei Göttinnen, mit der Pflege eines neugeborenen Kindes beschäftigt, in unsrer Ab- 
handlung II Anm. 220c auf den von der Geburtsgöttin Ilithyia an Persephone-Kora 
überreichten Knaben Iacchos, in Gegenwart der durch Schleier und Ähren kenntlichen 
Demeter, gedeutet; Darstellung eines Cameo im kaiserlichen Münzkabinet zu Paris, ge- 
zeichnet nach einem Abdruck desselben. In Chabouillet’s Catalog no. 59 ist dies merk- 
würdige Bild jetzt übereinstimmend mit der vorstehenden Erklärung als 'Naissance de 
Zagreus ou Bacchus mystique bezeichnet. 

Auffindung des Iacchos, eines mit gehobener Fackel am Boden sitzenden, von einer 
Mondsichel als Symbol der Nacht überragten Knaben, welchem drei Frauen (die mit- 
telste ist verschleiert, die vorderste hält irgend etwas in ihrer Linken) in festlichem 
Zuge entgegen schreiten; Gemmenbild, früher abgebildet in meinen Bildwerken Ta- 
fel GCCXI, 3, wo im dazu gehörigen Text S. 402 ein heiliger Brauch des nur von 
Frauen gefeierten Thesmophorienfestes vorausgesetzt wird. Vgl. Abhandlung Il 
Anm. 220.4. 

Iacchos auf einer Säule sitzend, angeblickt von einer vor ihm sitzenden, einen Blatt- 
fächer haltenden, verschleierten Frau; Amethyst im kaiserlichen Münzkabinet zu Paris, 
in gleichem Zusammenhang eines an Tacchos erinnernden festlichen Brauchs bereits in 
meinen Antiken Bildwerken Tafel CCCXI, 14 dargestellt und ebendaselbst auf S. 402 
besprochen, zuletzt erwähnt in unsrer Abhandlung II Anm. 220e. Die früheren Ab- 
bildungen und Deutungen dieses räthselhaft bleibenden Bildes finden sich bei Mont- 
faucon Antig. Suppl. III, 13, 1. Mariette pierres grav6es II, CIV (Calpurnia’). Winckel- 
mann Deser. Stosch II, 1839 (Vestalin’). Böttiger Ilithyia S. 33 (“Orakelgott'). Cha- 
bouillet Catalogue no. 1473 (“Polyhymnia)). Die Schwierigkeit wird vermehrt, wenn 
laut der letztgedachten Beschreibung hinter dem Sitz der vermeintlichen Muse ein Helm 
zu erkennen sein sollte. 

Aufsteigende Kora, eine in der Rechten eine Ähre hochhaltende, dem Erdboden so- 
eben entsteigende, weibliche Halbfigur, zu deren Aufsteigen aus dem Erdboden der 
vorgebückt herantretende, mit einer Chlamys versehene, Götterbote Hermes behülflich 
ist; gezeichnet nach einem Gemmenabdruck. Vgl. oben Beilage € no. 63. 

Kora Leukippos, auf einer Quadriga ans Licht des Tages zurückgekehrt, nach Gewand- 
bewegung und der von ihr gehaltenen Blüthe den aphrodisischen Darstellungen der 
Spes entsprechend. Eine Hore steht hinter ihr und hält auf dem Kopfe einen Blu- 
menkorb. Hinter dieser ist in staluarischer Aufstellung eine geflügelte Göttin des Sieges 
und der Erfüllung, Nike oder Telete, mit erhobenem Kranz und einem Palmzweig ver- 
sehen, zu bemerken. Vgl. Winckelmann Deser. Stosch II, 1092. Ghd. Bildwerke 
CCCXV, 5. S.408. Tölken Verzeichnils III, 1354, wo diese bereits oben (C, 54) 
von uns erwähnte Darstellung als Spes und Übertas benannt ist. 


Hhh 2 


428 


Genuarp über den Bilderkreis von Eleusis. IIT. 


Demeter und Kora mit schlangenumwundenem Bau g ;: Chalcedon der kgl. Sammlung 
zu Berlin, in Tölkens Verzeichnils (III, 238) als Demeter Kleiduchos und Spes be- 
zeichnet. Man unterscheidet inmitten dieser sehr roh ausgeführten Darstellung eine 
thronende verschleierte Göttin, welche in ihrer Rechten einen Schlüssel zu halten 
scheint, sodann links vom Beschauer einen schlangenumwundenen Baum, der an die 
Heroisirung der Todten durch Schlangengestalt (Visconti Pio-Clem. V, 19. Beschrei- 
bung Roms II, 2 S. 6. Vgl. Winckelmann Mon. ined. no. 72) und an die Glückselig- 
keit des Hesperidengartens erinnert, rechterseits aber die durch Blume und Gewand- 
hebung kenntliche Figur, welche gemeinhin als römische Spes, nicht‘ weniger aber 
auch in ihrer älteren Geltung als Aphrodite oder Kora (vgl. Abhandlung II Anm. 373) 
bekannt ist. 


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Druckfehler. 


In Abhandlung I. Anmerkung 78 Zeile 3 ist statt Helena zu lesen Halloen. 


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Von” 


H. W..SCHOTIT. 


[Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 8. December 1864.] 


Kinleitung. 


Us: Kirgisen versteht man gewöhnlich ein volk dem dieser name nicht 
zukommt und das ihn auch keineswegs beansprucht. Die fälschlich so be- 
nannten horden nennen sich selbst Ka/fak und werden auch von türkischen, 
mongolischen und chinesischen schriftstellern mit keinem anderen namen 
belegt: die Türken schreiben _1;5 Qafag, die Mongolen Chasak, die Chi- 
nesen Ha-sa-khi. Fassen wir diese Kafak zuerst ein weilchen ins auge. 

Raschiduddin, der berühmte historiograph am hofe der ilchane Per- 
siens (1247—1318), tut nirgends eines solchen volkes erwähnung (!), und 
bei Abulghafi (1605—1664) begegnet uns der blofse name an einigen stel- 
len. Der osmanische polyhistor Hagi Chalife (1589—1657) berichtet über 
sie in ein par zeilen seiner weltschau’ (s. 374 der ersten ausgabe), die hier 
folgen mögen: 


2 ul we au he a a 0 le u et ee ee 
a ee ie SU Bi me JE ol Bu 
5 oh AT AS ei 


(') Wenigstens nicht in der alle angeblich türkischen und mongolischen stämme auf- 
zählenden “einleitung’ zu seiner geschichte der Mongolen, die herr Ber&sin ins russische 
übersetzt. Die (1858 gedruckte) “einleitung’ umfasst den 5ten band der “arbeiten der mor- 
genländischen abteilung der kaiserl. archäologischen gesellschaft” Den bei uns nicht vor- 
handenen persischen text muss ich bei benutzung dieser, übrigens das gepräge grolser ge- 
wissenhaftigkeit tragenden arbeit unverglichen lassen. 


430 Scsorrt 


D. h. Die Kafak-Tataren sind die tapfersten der in den nördlichen 
gegenden hausenden stämme. Sie sind der zauberei und räuberei äusserst 
ergeben. Sie plündern die nach Chatai (Nord-China) reisenden und von 
da zurückkehrenden moskowischen [russischen] und tatarischen kaufleute. 
Ich sage: diese Kafak sind nicht die am Don und am Dnjepr, von welchen 
in meinem die Krym betreffenden abschnitt gehandelt wird.’ (') 

Viel ausführlicher beschreibt die Ha-sa-khi ein im jahre 1778 ge- 
drucktes werk 4 tik hl Fi if si-ji uen-kjan lu, über welches man 
in meinem 'verzeichniss der chines. bücher der Berl. königl. bibliothek 
(s. 12), und in meiner academischen abhandlung ‘chinesische nachrichten 
über die Kanggar und das Osmanische reich’ (philol. und histor. abhandlun- 
gen vom j. 1844, s. 148 ff.) nähere auskunft erhält. Von der bekannten 
einteilung der Kafak in drei horden (eine grolse, mittlere und kleine) weiss 
der Chinese so wenig als Hagi Chalife. 

Die vollständigsten nachrichten über dieses weit ausgebreitete step- 
penvolk haben wir bis heute aus russischen quellen, besonders seitdem die 
Kafak beinahe ganz unter die botmäfsigkeit der zare gekommen sind(?). 
Aber die Russen haben ihnen auch zuerst den falschen namen Kergisen 
oder Kirgisen gegeben. In dieser bezihung sagt ein mitarbeiter des 'kund- 
geber der geograph. gesellschaft (sbenmur» reorpa®. oömeemma, jahr 
1856, s. 260): ‘Südlich von den gränzen des westlichen Sibiriens nomadi- 
sirt ein sich selbst "Kafak’ nennendes Türkenvolk, das erst zu anfang vorigen 
jahrhunderts von uns den namen ‘Kirgisen’ erhielt, wahrscheinlich ob sei- 
ner ähnlichkeit mit denen Kirgisen welche die Russen im süden der statt- 
halterschaft Jenisejsk vorfanden und welche nachmals in die gränzen des 
chinesischen reiches übersiedelten’: Bbpoammo no eXxoscmBy eb mEmn 
Kuprusanın, RomopsIx» Pyeerie nanı.ın na rorb Enmeelierolt ryOepmiit, 


(') Anders gesagt: “Sie dürfen nicht mit den gleichnamigen stimmen im südlichen Russ- 
land verwechselt werden. Beiläufig sei bemerkt, dass die bedeutung des namens noch 
durchaus nicht ermittelt ist. Das o der ersten silbe bei Polen (Xozak) und Russen 
(Kosarp), wofür in älterer zeit richtig @ geschrieben ward, hat die falsche ableitung von 
dem slavischen koza ziege veranlasst, als ob es ‘ziegenhirt bedeutete. 

(2) Unter dem falschen namen “Kirgisen' werden sie geschildert in verschiednen artikeln 
des Erman’schen archivs, namentlich b. 1, s. 138; b. 8, s. 442 ff.; b. 13, s. 601— 602. Wenn 
Ritter in seiner “erdkunde’ die ächten Kirgisen zum unterschiede von den Kafak ‘Ost-Kir- 


gisen’ nennt, so kann dies nur zu erhärtung des irrtums dienen. 


über die ächten Kirgisen. 431 


HM KOMOPBIe NepeKoyeRaAm NOMOoMDb BB upeabanı Kmmaieraro rocy- 
Aapenma. Statt Bbpoammmo (wahrscheinlich) hätte der verfasser dreist sa- 
gen können: 6e3% commbnin (ohne zweifel), und statt en» mrbmm RK. (mit 
denen K.), ‘mit den wirklichen (ep naemosuumm); denn es giebt nicht 
mehrere Kirgisen-völker. Demohnerachtet werden die Kafak nach wie vor, 
im östlichen wie im westlichen Europa, als Kirgisen uns vorgeführt, oder 
man kuppelt in guter absicht den unächten namen mit dem ächten zusam- 
men und nennt sie 'Kirgis- Kafaken’. 

Ein volk welches den namen Kirgif oder Oyrghy/ (auch Oyrayf 
geschrieben) als nationalnamen führte, lernten die Russen zuerst am oberen 
Jenise) kennen, und mit diesem volke, wie mit seinen gleichnamigen ver- 
wandten am “Himmelsgebirge' haben wir es hier allein zu tun. 

Die älteste und zugleich ausführlichste kunde von diesen ächten Kir- 
gisen geben chinesische berichterstatter. Ohne allen vergleich dürftiger ist, 
was der Perser Raschiduddin (s. 0.) und der östliche Türke Abulghafı von 
ihnen zu melden wissen, und Hagi Chalife erwähnt nur einmal den namen. 

Die zu nachforschungen über das fragliche volk bis heute benutzbaren 
chinesischen werke sind: 1. IH Sr Thäng sü: die amtliche geschichte 
des grofsen kaiserhauses Thäng (618—907 u. z.), 2. 3 en il Auan-jü 
ki d.i. 'erdbeschreibung, in den jahren Thai-phing (976 — 984) des 
herrscherhauses Sung II (960 — 1279) zuerst ans licht getreten, dessen letzte 
abteilung (buch 172— 200), überschrieben ‘ausländer der vier weltgegenden‘, 
erzählung mit beschreibung vereinigt. 3. = ik Hi Er uen-hjanthüng 
khao d.h. ‘umfassende prüfung der alten litteratur, das berühmte werk 
des eritischen vielwissers Ma-tuän Lin, gegen ende unseres 13ten jahrh. 
erschienen. Auch hier ist die letzte abteilung den ausländern gewidmet. 
4. vr Fu Juän sze, die im 16ten jahrh. ans licht gestellte amtliche ge- 
schichte des mongolischen herrscherhauses in China (1260 — 1367) ('). 

Von da ab entzihen sich die Kirgisen am Jenisej dem gesichtskreise 
chinesischer beobachter, und was der verfasser des si-ji uen-kjan lu (s. 
oben) über nachfahren oder stammverwandte derselben welche das heutige 
manguische kaiserhaus unter dem namen Pı%-lu-te (Burut) kennen lernte 


(') No. 1 bespricht die Kirgisen in buch 217, B; no. 2 in buch 199; no. 3 in buch 
348, und no. 4 in b. 42. 


432 Scuorr 


(s. w. u.) berichtet, steht mit jenen alten kunden in gar keinem zusammen- 


hang. 


Beschreibendes. 


Fassen wir an der hand obiger quellen zuerst die geographisch-ethno- 
logischen nachrichten, unseren gegenstand betreffend, ins auge, so ergeben 
sich No. 2 und 3 vorwiegend als blofse abschriften von No. 1; No. 4 ist 
wieder ganz selbständig, fasst sich aber am kürzesten. 

Dem Thäng sü zufolge hiess das Kirgisenland weiland ER R kjän- 
kuen. Den namen des volkes schreibt es Ein Eu Hy Kje-kja-szd (Ha- 
kasz?), bemerkt aber sowol diese form als Ei El Hl Kja-kja-sze (Ka- 
kasz’?) seien entstellungen des rechten namens durch die Hui-ku (Uiguren), 
welche das eine zeitlang von ihnen beherrschte Kirgisenvolk ob seiner rot- 
gelben gesichter(!) so genannt hätten(!). Man sage auch = Di Kjü-ue, 
An {2er Kje-ku, VA Ep Hu-ku und vd 47, Hr Hu-ku-sze. Sie 
seien gemischte > Ting-ling. Das Juan sz£ schreibt den namen 
= R) = Ist Ki-li-ki-sze, dazu bemerkend, es hätten einst vierzig 
mädchen aus China mit [ebenso vielen] männern des volkes Ü-sze sich 
vermählt [und auf diese weise den ersten Kirgisen ir dasein gegeben]; dieser 
umstand sei veranlassung des namens(?). 

Die Kirgisen waren grofse und starke leute mit rötlichem kopfhar, 
glänzend-weissem gesicht und grünem augapfel: N E R M = 
Dr Hi BE Hi. Schwarzes har galt für böse vorbedeutung: Y 3 
Bi A EG). Die seelenzahl schätzt das Thäng sü auf einige 100,000, 
darunter 80,000 streitbare männer; das Juän sz& aber giebt 9000 familien 
an, was höchstens etwa 50,000 seelen annehmen lässt. Die weiber waren 
zahlreicher als die männer. In den durchbohrten ohren trugen sie ringe: 


C) = ur sl K. Br = ver Din 1 7; 4. h. die Hüi-ku benannten 


sie nemlich so; es bedeutet ‘gelbrote gesichter.. 


SAALE A MENZ Z mE IE 


() Im Juän sze allein ist von dem äusseren dieses volkes gar nicht die rede. 


über die ächten Kirgisen. 433 


Y I Bi E]J. Sie waren von stolzem character: AB Fr Are. Tapfre 
männer tätovirten sich die arme, weiber nach irer verheiratung den hals: 
— Fr ne D5) Ey H az zn El HX Han Tic). Beide geschlechter 
wohnten ungetrennt und huldigten sehr der wollust: HE |; Z Er IR. 

Den anfang des jahres nannten sie meu-sz€ 'däi und aus drei ‘@i 
machten sie eine jahrszeit: Yyi= y= B3 — HC). Nach zwölf tieren 
berechneten sie die jahre: beispielsweise hiess das im TH stehende jahr bei 
ihnen 'tigerjahr'. 

Das land, im sommer feucht und sumpfig, war im winter mit tiefem 
schnee überdeckt: + = Y2 yH % Ki =. Die sehr strenge kälte 
liess selbst grofse flüsse bis zur halben tiefe zu eis frieren: SH Z 3E Hilf 
KA AR AR YK. Man baute nur einige getreide-arten, nicht aber obst 
und gemüse(°). Im dritten monat wurde gesät, im neunten geärndtet. Aus 
zermalenem getreide buken sie brod und brauten ein geistiges getränk. Ire 
pferde waren sehr grofs und stark, auch hatten sie kameele, rinder und 
schafe. Zu den wilden tieren des landes gehörten wilde pferde, wilde zie- 
gen, und verschiedne arten raubvögel(*). Die nadelbäume wuchsen zu sol- 
cher höhe dass ein abgeschossener pfeil den wipfel nicht erreichen komnte; 
viel zahlreicher waren jedoch die birken. 

Von mineralien gab es gold, eisen und zinn. So oft es geregnet hatte, 
sammelte man [eine art?] eisen das sie EN y kja-s’a nannten und aus 
welchem sie vortreffliche waffen schmiedeten; diese wurden als schatzung 
(difr) den Tu-kju abgeliefert. Ire reitenden krieger schützten die beine 
mit schienen aus gespaltenem holze und befestigten einen runden schild wi- 


(') Das Huän-jü ki hat dafür: SE Je A Km Ty dh 
alle starken männer tätoviren sich die arme und halten dies für eine auszeichnung. 

(?) Das Huän-jü kı sagt geradezu: sh H FB y den mond (monat) nennen sie ai, 

(°) Hier schiebt das Huän-jü kı ein: “Ist tiefer schnee gefallen, so jagt man auf [soge- 
nannten] holzpferden mit denen der jäger sogar berghalden hivan und hinabläuft als ob er 
a Se 

(*) Das Juan sze führt von den tieren des landes nur E4 in berühmte pferde an. 


e 2 
Die raubvögel bestimmt es näher als weisse und schwarze geierfalken: Hl 


IuE; 


Philos.-histor. Kl. 1864. Tii 


434 Scnorr 


der pfeilschüsse und schwerthiebe an die eine schulter: Hl =; kh X 
Be RRE ZVÄHEBH WERT. 

Iren könig betitelten sie RR] aA A-se. Vor seinem zelte war stets 
ein Zuk (standarte mit rossschweifen) aufgepflanzt. Im winter trug er eine 
kopfhülle aus zobelfell; sein > war mit gold überzogen, oben zu- 
gespitzt, und der rand aufgekrempt: = IH En 71 #3 JA Mm Are: 
Die untertanen trugen weisse Elndizen. Im gürtel führten sie gern messer 
und schleifsteine: & hl vi MR, De gemeine volk ging in felle geklei- 
det und ohne kopfbedeckung: H EEE KR 52 m. 8. Die weiber der 
Kirgisen kleideten sich in feine en oder seidenzeuge die sie von An-si, 
Pe- thing und T@-si erhandelten (!). 

Der A-se residirte auf dem berge Fr Es ıı Tshing-sän. Sein hof- 
lager war mit palissaden umzogen statt der mauern, und zusammengeknüpfte 
filzdecken bildeten das zelt: 5 Hit AR IH 2:3 y2 NR. (Dies hoflager) 
nannten sie 22 A Yo & mi-ti-ci-thä. Die magnaten wohnten in klei- 
neren ner Es gab sechs classen würdenträger (die gröfstenteils mit chi- 
nesischen amtsbezeichnungen aufgeführt werden). Bei einer aushebung kam 
die waffenfähige mannschaft jeder horde im innern des landes zusammen: 
ML 4) I IL 2% RB 1% 3 En x ÄT Äl. Ire abgaben bestanden in pel- 
zen von zobeln und bisamratten: 5 H IEER = IB Bi IR. 

Im winter bewohnten die Kirgisen häuser die sie mit baumrinde deck- 
en: SEE IAKE 38. Ihre nahrung bestand vornehmlich in 
fleisch und beanntwein aus pferdemilch; dem A-se allein setzte man kuchen 

: E PH] AU 5% EHF EH. Gegenstände der anbetung waren nur die 
Er der gewässer nn a 8 für In opfer gab es nicht bestimmte 
zeiten: jr] ji ME a IK l = HE FE HF. Die zauberer nannte man 

kän. Bei heiraten dienten schafe und pferde als brautgabe. In zeiten 
der trauer zerkratzten die Kirgisen nicht das gesicht: dreimal umgingen sie 


\ i —_ ya 
iren todten unter geheul, und verbrannten ihn dann: — Ft Br 77 k FR 


(') Das Huän-jü ki hat dafür: “Die weiber kleideten sich in dünnes wollenzeug 


(a); die reichen aber auch (im fen IR) in feine seidenstoffe u. s. w. 
Dass nur reiche damen solche stoffe haben konnten ist wirklich viel glaubwürdiger. 


über die ächten Kirgisen. 435 


Die knochen wurden eingesammelt und nach einem jahre das grab gemacht: 


ea we 


Be sprache war der des volkes Hüi-ku Eaz en auch besafsen 


sie dieselbe schrift: H. SEE In] # 4 JE TE).  Ire 


Pa} 


strafgesetze waren äusserst de wer im kampfe verzagte, als he 
sich verging, das land schlecht beriet oder einen diebstahl verübte, wurde 
enthauptet, und hatte ein sohn [ein mensch dessen vater noch lebte] gestoh- 
len, so band man dessen abgehauenen kopf an den EN = Ma und 
dieser durfte ihn bis an sein ende nicht losbinden: ER har si Bill NE 
EIERN En nee. RRDE 
ER En RR, 

er Juän sze bringt uns über die sitten der Kirgisen sehr wenig. Da 
n man Au Ire sitten sind von denen anderer länder verschieden: 170 
EH u 5 RE #. In hütten und zelten wohnen sie, dem wasser und grase 
folgend, weiden u ire ei von feldbau verstehen sie wenig: he hE 


187; S Kö Ki ET EM ‚Ki An H] NE. Ist schnee gefallen so ja- 
gen sie das wild auf holzpferden: 5 Er Ey 1% N K AH. 

Die lage des landes der Kirgisen wird im Thäng su zu anfang des ar- 
tikels so bestimmt: ‘"Kjän-kuen lag im westen der pr Zr Ji-ngü, im 
norden von Jen-khi, an der seite des A ıı Pe-san (Weissberges). 
Etwas weiter heisst es: “Gerade nordwestlich ist die entfernung von den 
I] $, Er hu an 3000 stadien; im süden lehnt sich (Kirgisenland) an 
das gebirg Er je Thän-män. Viel weiter im betreffenden artikel und 
unmittelbar vor anfang des historischen teils lesen wir noch: ‘Im osten des 


berges Tshing-sän [wo die kirgisische Majestät residirte] ist ein fluss 7] 
Kjan. Man setzt auf zusammengebundenen kähnen hinüber: Ey) 
Be. Alle wasser fliessen nordöstlich durch das land, Be sich dann 
und münden nordwärts ins meer: xk& =; >17 In st H Bar , > MM 

AL N VE. Und unmittelbar weiter: “Im osten erreicht man (ii al 


die A #, SE Bra. i. Holzpferde-Tukju welche aus drei horden 


ee ) Juan sze: Ire sprache ist der Uigurischen gleich: H. re =] A Zr 


In IH]. Hier finden wir zum ersten male Vei (Ui)-gz-urh geschrieben statt Hui-ku. 
lii 2 


436 Scnorr 


bestehen. Diese decken ire wohnhäuser mit birkenrinde und haben viele 
pferde. Sie pflegen auf sogenannten holzpferden d.h. auf schlitten die 
sie an ire füfse binden, übers eis zu laufen; dabei nehmen sie krumme äste 
als achselstützen und stofsen sich sehr rasch vorwärts. Bei tage in ver- 
stecken liegend, gehen sie in der nacht auf raub aus, und haben viele Kirgi- 
sen zu sclaven gemacht. 

In dem Juän sz& werden in gleichem abschnitte mit den Ki-li-ki- 
sze, so zwar, dass diese den vortritt haben, fünf andere, meist benachbarte 
gebiete abgehandelt: Fi rJ Ei] 'Ang-khö-la, U-sze, Hän-ho-na, 
EN pi Khjän-ceu und ES dur Dil Ji-läan cu. 

Ki-li-ki-sze oder das eigentliche Kirgisengebiet lag etwa 10,000 sta- 
dien nördlich von KA mil Ta-tü. Man erzählt, der (mongol.) stamm Nai- 
man habe hier seine ersten wohnsitze gehabt: FE] pi I Yis RB Ha Br 
lt. Es erstreckte sich 1400 stadien in die länge und halb so viel in die 
breite. Der KXhjan floss mitten hindurch und dann nordwestlich. Im 
südwesten floss der N Yıh A-pü, im nordosten der £ Aa Ju-sjü('). 

Ang-khö-la hat von einem flusse seinen namen. Es ist dem Kirgi- 
senland annectirt und 25,000 stadien von T'@-tü entfernt. Die sprache der 
eingebornen ist von der kirgisischen wesentlich verschieden : N Fr. Es 
ist das land j=n RK) Ku-li, von welchem die geschichte der Thang 
handelt. 

U-sze ist auch nach einem flusse benannt. Die eingebornen woh- 
nen östlich von den Kirgisen und nördlich vom A’hjän. Jedes jahr, in der 
ersten decade des 6ten monats, schlachten sie weisse pferde, rinder und 
schafe, besprengen dieselben mit pferdemilch, gehen dann alle zum flusse, 
baden sich, und opfern so der gottheit des flusses, welchem ir erster ahn- 
herr nach irer meinung entstiegen ist. 

Han-ho-na heisst s. v. a. sack mit weitem bauch und enger öff- 
nung: Ah SE; denn so ist das land gestaltet. Es liegt östlich von U-sze 
und der fluss A’hjän entspringt hier. Nur durch zwei bergpässe ({lj AH) 
kann man hinein und heraus. Wild giebt es viel, aber zahmes vih wenig. 
Das arme volk baut sich hütten aus birkenrinde. Ir wandergerät laden sie 


(') Es folgt eine mir unverständliche, vielleicht durch schnitzfehler verdorbene stelle. 


über die ächten Kirgisen. 437 


auf “weisse hirsche' (rentiere?). In den wintermonaten besteigen sie auch 
holzpferde und zihen auf die Jagd: & HA IR He KH HH IH. 

Khjan-ceu ist nach dem flusse Khjan benannt. Liegt im südosten 
der Kirgisen, 9000 stadien von T@-tü, westlich vom Khjan, und nördlich 
vom gebirge Ir & FH Thang-lu ling. Die bewohner, einige tausend 
familien, sind Mung-ku (Mongolen), Hui-ku (Uiguren), und die nach- 
kommen einer kleinen zahl im anfang des mongolischen herrscherhauses da- 
hin deportirter Chinesen welche verschiedne handwerke treiben: F 7 
Ir. DyG I) ’ = % 9] In ht y N. Das land hat fetten und frucht- 
baren boden: man säet im sommer, ärndtet im herbste und plagt sich nicht 
mit ausjäten. 

Ji-lan c&u soll nach einer riesigen schlange benannt sein die weiland 
in der gegend hauste, und deren stank ein par stadien weit sich verbrei- 
tete(!). 

Zuletzt wird noch ein BE |] C’hao-cdu erwähnt, eine blofse kir- 
gisische ansiedlung in Tungusien, worüber am ende des erzählenden teils 
etwas näheres. 


Erläuterungen. 


Vergleichen wir die verschiednen formen des nationalnamens welche 
in den sinischen quellen uns aufbewahrt sind, so erscheint er uns ungefähr 
wie ein körperlicher gegenstand den ein ziemlich starker nebel anfangs miss- 
gestaltet oder verstümmelt zeigt, der aber bei allgemach sich verzihender 
dunsthülle immer vollständiger und schärfer umrissen hervortritt. In dem 
wahrhaft chaotischen Kju-uwe, wie in Kje-ku (das wenigstens schon die 
beiden k zeigt) fehlt das dem Chinesen unbequeme r(!) samt dem schlies- 
senden s. In Kje-kja-sze und Kja-kja-sze vermissen wir nur das 
r(?); in Ki-li-ki-sze endlich ist auch dieses nachgeholt d. h. es hat, wie 


(') Man vergleiche Tu-kju für Turk, Kho-sa oder Kha-sa für Chasar. 

(?) Statt Aje-kja-sze soll man Hakasz zu lesen haben. Mag richtig sein; da aber 
diese form (wie Kjakjasz, etwa Kakasz?) den namen jedenfalls in entstellung zeigt, 
so lässt sich Ritter’s vorliebe für dieselbe nur mit der zweideutigkeit des rechten namens 
entschuldigen. 


438 Scnorr 


gewöhnlich, im verwandten / seinen vertreter erhalten(!). Unbehülflicher 
weise ist aber zum ausdruck desselben ein kernwort mit langem vocale 
(X) gewählt, während ein kurzer viel leichter wegzudenken ist. An der 
vocalsetzung in den ältesten formen mag schuld sein dass beide silben dum- 
pfes tatarisches ö (‚y, das bt der Russen) zum selbstlauter haben. Das s am 
schlusse, von den Sinern durch ir eigentümliches sze (ssy, sz', vgl. meine 
chines. sprachlehre, s. 8—9, und s. 36, anm. 1) ausgedrückt, muss gar nicht 
ältester bestandteil des namens, es kann mehrheitszeichen gewesen sein, wie 
noch jetzt im manguischen, mongolischen und tschuvaschischen (?). 

Dem Kilikisz des spätesten unserer sinischen gewährsbücher ent- 
spricht das Cilicisz einer nach sinischen texten bearbeiteten geschichte 
guruni suduri (des 


8 
grofsen Juan-states geschichte) und im j. 1646 zu Peking gedruckt, aus wel- 


der Mongolen in Mangu-sprache, betitelt Dai Juan 


cher ein bruchstück mitgeteilt ist in der 1828 zu Paris erschienenen 'chre- 
stomathie mandchou. Die aussprache der den namen Kirgis darstellenden 
chinesischen schriftzeichen erscheint hier (s. 184) mit knechtischer genauig- 
keit durch manguische buchstaben dargestellt und zwar nach dem chinesi- 
schen dialecte von Pe-£i-li, als der hofprovinz, wo k vor iin € oder ts sich 
verwandelt, wie das in mancher sprache (auch, kraft der einwirkung jenes 
dialectes, im heutigen manguischen) regelmäfsig geschiht (3). 

Was für eine sprache ist jener alten Kirgisen muttersprache gewesen ? 
Unsere sinischen berichterstatter überliefern uns nur wenige wörter mit iren 
bedeutungen als kirgisische, aber die meisten davon sind wesentlich türkisch, 


(') Die annahme K. Ritter's, der name Airgis sei aus dem uralten namen Äjan- 
kuen entstanden, wird kein linguist unterschreiben. Man beachte übrigens dass das Juan 
sze, wie den namen Äirgis, so auch den namen Vigur am genauesten wiedergiebt 
(vgl. oben). 

(2) Einen fingerzeig mag hier die bei den Buräten vorkommende form Kirgit (in K, 
üür, s. w. u.) geben, wo s durch 7, eine andere form der mehrheit, vertreten ist. Die 
Mongolen gebrauchen manchen irer stammnamen beständig mit angehängtem mehrheitszei- 
chen, sogar wenn er eine zahl darstellt, z. b. Dürdez die Viere, Zümet die Zehntausende. 

(C°) Eine in herren v. Pauly’s “deseription ethnographique des peuples de la Russie' 
(s. 52) ausgesprochene (besser “fahren gelassene') behauptung, wonach der name ‘Kirgisen’ 
den Chinesen “absolument inconnu' wäre, ist nach allem vorangegangenen für "souveraine- 


ment fausse zu erklären. 


über die ächten Kirgisen. 439 


und somit können wir gegen die angabe, dass Kirgisen und Uiguren ganz 
gleiche sprache geredet, kaum einen zweilel erheben. 

Ai, wie bei ihnen der mond genannt wurde, ist nicht ein tatarisches 
(altajisches, turanisches) kernwort im weiteren sinne, sondern ein specifisch 
türkisches, wie jilan oder jylan «u schlange im halb türkischen halb 
chinesischen gebietsnamen Jilan-ceu (s. oben und weiter unten). Das 
zur bezeichnung des ersten monats dem ai vortretende meu-sze (meusz) 
kann, da sinische kernwörter nie auf s auslauten, nur ein in zwei solche 
wörter zerlegtes türkisches wort für “eis’ sein welches auf dem ungeheuer 
ausgedehnten türkischen sprachgebiete in den formen müs, müs, büs, 
büs, büf, böf, auf mongolischem als müsü, müsün (d. h. mit einem 
nachlaute) begegnet. Die wahl des heutzutage nur mu lautenden schrift- 


- Ak » . : 
zeichens IR zum ausdruck von mu darf uns nicht irre machen; denn auch 


in chinesisch umgeschriebenen sanskritwörtern vertritt dieses schriftzeichen 
(wie verschiedne andere ihm gleichlautende tun) die silben m& und mu. So 
wird zjfer müni (anachoreta) durch meu-ni, zer müld (vadix) durch 
meu-la ausgedrückt(!). Wir sind also wol berechtigt, obige zwei worte 
mit “eis-monat zu übersetzen, wie auch deutsche schriftsteller (Grimms wör- 
terbuch, band 3, spalte 379) den Jänner gelegentlich nennen (?). 

Specifisch türkisch ist ferner ein wort für “zauberer', das noch jetzt 
fast überall wo türkische zunge klingt (die Osmanen allein haben es verges- 
sen) gam lautet. Das gewählte sinische schriftzeichen stellt in der soge- 
nannten gebildeten umgangssprache zwar den laut kan (mit n) dar, aber mit 
grofser wahrscheinlichkeit dürfen wir annehmen, es sei in viel älterer zeit 
auf der ganzen ausdehnung des sinischen gebietes kam gesprochen worden ; 
denn im süden spricht man noch heutzutage kam und kom: die dialeete 
von Kuang-tung und Fu-kjan tragen aber, besonders was die auslaute der 


(') Ebenso bezeichnet feu das dbhu und bu, heu das hü und hü, keu das ku, 'eu 
das reine u (sofern es für sich eine silbe ausmacht) in umgeschriebenen sanskritwörtern. 

(?) Bei den verschiednen heutigen Tatarenvölkchen des Altai werden die monate sehr 
verschieden benannt. In Erman’s archive (b. 23, s. 261—262) führt Radlow drei irer na- 
men des jänners an: Zschagan ai, tüngnök und zschäl ai. Zu tschagan (daghan) 
setzt er ein fragezeichen, erkennt also dieses wort nicht als das mongolische für "weiss, _ 
Bei den Mongolen heisst Caghan sara (weissmonat) der erste monat des frühlings. 
Tschäl ai erklärt R. richtig durch “windmonat’, denn ce/ ist s. v. a. je/ wind; beide 
formen sind türkisch. 


440 Scnsortrt 


grundwörter betrifft, das gepräge höheren alters, wie ich in einem artikel 
meiner ‘altajischen studien’ (heft 2 unter der überschrift ‘verhältniss chinesi- 
scher kernwörter zu altajischen’) gezeigt habe('). 

Hier finde ich passende gelegenheit, eines derben schnitzers zu ge- 
denken, der sich von Visdelou, dem ersten übersetzer unserer texte, durch 
Klaproth zu Ritter fortgepflanzt hat. Bei dem erstgenannten liest man nem- 
lich: ‘Ire priester heissen in irer sprache Xan-hoen’, und Klaproth wie- 
derholt dies in den ‘tableaux historiques de l’Asie', indem er nur Xan- 
hoen, seiner halb-russischen rechtschreibung gemäfs, Gan-khoun schreibt. 
Wie sollen wir uns nun das anhängsel Roen (khoun) erklären? Im Thang 
su und dessen abschreibern folgen gleich hinter HF AR y Ef (die zaube- 
rer nennen sie kan) die worte !% uuR =E ir Y) Ha d. i. bei heiraten 
dienen schafe und pferde als brautgabe. Das erste schriftzeichen ist hier, 
wie aus dem nächstfolgenden sich ergiebt, variante des gleichlautenden u 
huen oder hodn, und bedeutet sonach 'heirat', wie das zweite schriftzei- 
chen N% kja, nur mit dem unterschiede, dass jenes für uxorem ducere, 
dieses für viro nubere im gebrauch ist. Die zusammenstellung (das zusam- 
mensprechen) beider ergiebt den begriff heiraten‘, ‘heirat überhaupt. Vis- 
delou, dem nicht gegenwärtig war, dass I huen, dessen eigentliche bedeu- 
tung “finsterniss und ‘verwirrung ist, als variante von ul huen uxorem 
ducere stehen kann, betrachtete das wort hier als nur von seiten seines lau- 
tes giltig, und zog es daher als zweite silbe zu dem vorhergehenden kan! 
Das also ausgeheckte monstrum fand gute aufnahme bei Klaproth der es 
dann weiter an K. Ritter beförderte. 

Die im Juan sz& mitgeteilte mähr von den ‘40 mädchen’ beweiset dass 
die Kirgisen schon früh den versuch gemacht haben müssen, iren namen aus 
“vierzig und ‘mädchen’ zu erklären. Dies ist aber nur möglich wenn man 
sich specifisch türkische wörter denkt; denn ‘vierzig heisst in den Turk- 
sprachen ‚53 q,yrg, und mädchen 5 qyf. 

Ein kirgisischer gesandter welcher im jahre 843 an den hof der Thang 
abgeschickt ward, hiess angeblich je Zr Er = Cü-ngu Ho Su. Das 


(') Vgl. auch meinen artikel ‘das wort samane' im 23ten bande des Erman’schen archi- 
ves, s. 207 ff. Ebendaselbst findet man die annahme Abel-Remusat’s und nach ihm K. 
Ritter’s (erdkunde, Asien I, s. 1133) widerlegt als stamme das wort aus dem sanskriti- 


schen sramana. 


über die ächten Kirgisen. 441 


Thang-su bemerkt zu diesen vier silben: ‘C’'u-ngü ist ein barbarischer fa- 
milienname. Ho bedeutet ka sı aber am Der Sinn ist: 


“tapferer linkhändiger schütze': Zr IE hr: 4 = ir { = En 
5 Ü SH Ik A Ei E Hl} = Nun liesse sich zwar sı mit den tür- 


kischen formen sul und sol für ‘link’ vergleichen, dem ho aber entspricht 
nichts bekanntes, und die ganze ausdrucksweise hätte schon wegen irer sehr 
prägnanten kürze etwas untürkisches. Dürfte man ho und sı als ein wort 
ausmachend denken, so böte sich am ersten das chosun der Jakuten (Er- 
man’s archiv, b. 3, s. 319), welches "kühn’, ‘verwegen bedeutet, oder auch 
das manguische chösun kraft, macht. 

Wenn die obenerwähnte verderbung des nationalnamens in Hakasz 
die bedeutung ‘rotgelb' ergeben hat, so fall uns hier nur das nn 
wort chaksan ein, welches in dem on De _ TE 
Ei sanhopjan landurch das chinesische 4 EHE ir goldgelb, und (harkörrehe 
ulabir-sira rotgelb, orangefarbig erklärt wird! 

Es bleiben jetzt noch einige wörter die in das tschudische sprachge- 
biet zu gehören scheinen. 

Das schriftzeichen ER womit unsere gewährsbücher den kirgisischen 
namen des flusses Jenise) bezeichnen('!), wird im heutigen nord-sinischen 
khjan und hjan ausgesprochen, im süden des reiches aber kim, kem, 
und him, hem. Einen neuen beleg für das höhere alter der chines. for- 
men auf m giebt nun die tatsache dass kem oder hem noch bei den heuti- 
gen anwohnern des Jenise) 'fluss’ bedeutet(?), der hauptstrom selber Ulu 
kem grofser fluss, und einer seiner zuflüsse Kemcik oder Kemgiik d.i. 
kleiner fluss (oder, das wort als eigenname gefasst, ‘kleiner Kem’) ge- 
nannt wird. 

Wäre Kem ein türkisches wort, so möchte es wol in der ganzen fa- 
milie einzig dastehen. Aber auch in den entfernter verwandten tschudi- 
schen sprachen dürfte kaum etwas anklingen als etwa das samojedische ke 


(') Das Thang su und seine dependenten schreiben 7] kjdn, wie wir oben ge- 
sehen. 

(2) Sihe das wortregister zu Castren’s koibalischer und karagassischer sprachlehre. Erst 
in neuerer zeit schreiben die Chinesen diesen namen Ki-mu, und setzen, wenn der Jenisej 
gemeint ist, ir Dr td (grols) davor. 

Philos.- histor. Kl. 1864. Kkk 


442 ScHsortr 


und Ay (fluss), welches zu kem ungefähr so sich verhalten könnte wie sa- 
mojedisch sei, sai, saeu (auge) zu dem sonstigen samojed. kaem, suomi- 
finnischen silmä, estnischen silm, ungarischen ssem(!). Beachtung ver- 
dient ausserdem was Castren im ten bande seiner 'nordiska resor och fors- 
kningar auf s. 103— 104 sagt: "Kem findet sich auch in mehreren gegenden 
Finnlands und im russischen Karelien, teils ganz unverändert, teils in der 
veränderten gestalt Aemi oder Kymi(*), und bedeutet nach Renvyall's 
wörterbuche einen ‘gröfseren fluss, obwol es heutzutage nicht gern anders 
denn als eigenname gebraucht wird. Meines wissens kommt das wort nur 
allein im Suomi als appellativum vor, und darum ist annehmbar dass eben 
die Finnen dem Jenise) seinen ersten namen gegeben. Sollte Kemi aber 
auch nicht ursprünglich finnisch sein, so müssten die Finnen es wenigstens 
von den gegenden am Jenise) nach Finnland mitgebracht haben, denn an- 
derswo ist dieser name nicht gebräuchlich. 


Das hoflager ires oberhauptes sollen die Kirgisen, wie wir oben ge- 


sehen, mi-ti-ci-tha genannt haben. Anklänge an dieses wort (wenn Be 
die letzte silbe abrechnen) bieten uns nur folgende samojedische wörter für 
den begriff ‘zelÜ: muat, mät, mat, mea, £te, ite, jede; endlich 
m eady zeltstelle! 

Das vom regen ausgespülte eisen wurde angeblich Aja-sa genannt. 
Dieses wort, das man in Süd-China ka-sa lesen würde, berührt sich zu- 
nächst mit den samojedischen formen kues, vese, jesea d. i. eisen über- 


haupt(°). 


(‘) So lautet das wort für 'name' in einigen samojed. sprachen njim, njum, in ande- 
LSNER 
ren nJı , nJu. 

(°) Auch im munde der Tataren am Jenisej hat das e von Kem nach Castren einen 
dumpfen laut, ähnlich dem zı der Russen (welches ich durch unser y ausdrücke, während 
das y finnischer wörter deutsches ü darstellt). 

(°) Diese sind jedoch ohne zweifel verwandt mit folgenden altajischen wörtern für 
<kupfer : tatar-türkisch jes (koibal. 2jes, 2jis), mongolisch dses, ses, tungusisch dset; 
ungarisch vas [vas], finnisch vaski. Das ungarische wort ist einerseits dem samojed. 
vese am meisten befreundet, andererseits dem finnischen vaski, das übrigens wie ein 
zwillingsbruder des armenischen nuhh woski, welches ‘gold’ bedeutet, sich ausnimmt! Die 
bedeutung ‘gold’ hat auch das aisin der Mangu. Anklingende indisch-europ. wörter für 
erz oder eisen will ich übergehen. 


über die ächten Kirgisen. 443 


Von dem oberhaupte des landes wird gesagt, sein familienname sei 
A-se gewesen: H. Fi Kt za Er Vielleicht ist vermöge eines miss- 
verständnisses für nomen proprium erklärt was blofser titel sein mochte. 
Möglicher weise sagte das wort s. v. a. ‘vater (landesvater!), und alsdann 
böte sich gar viel zur vergleichung, z. b. die samojedischen formen ässe 
und aeisea, das acc’e der Lappen, eci der Mongolen (in ecige väter- 
chen) u. s. w., kurz alles was in letzter instanz auf «ta zurückgeht ('). 

Die schilderung des eigentümlichen äusseren der alten Kirgisen wird, 
wie schon oben bemerkt, im Juan sz& nicht wiederholt, woraus man viel- 
leicht schliessen darf dass sie im zeitalter der Mongolenherrschaft nicht mehr 
ein blondes volk gewesen. Ebenso wenig wissen Raschiduddin und Abul- 
ghafi von dieser physischen besonderheit, wie denn freilich auch kleidung, 
nahrung und sitten der Kirgisen bei den genannten schriftstellern ganz unbe- 
rührt bleiben. Hätten übrigens die Uigur das Kirgisenvolk nach rotgel- 
ben gesichtern benannt, wie das Thang su wissen will, so entstünde ein 
lächerlicher widerspruch mit der anderen angabe desselben werkes, wonach 
ire gesichter glänzend weiss (#r) gewesen; ‘gelbrot kann also nur den 
köpfen (haren) gelten und ungefähr dasselbe sagen was DIR rötlich! 

Das rötlichblonde oder goldgelbe har, die auffallend weisse gesichts- 
farbe und der hohe kräftige wuchs der alten Kirgisen haben ältere europäi- 
sche forscher, denen auch der grofse geograph Karl Ritter beipflichtet, dazu 
bestimmt, sie den völkern germanischen stammes einzureihen. Wo ist aber 
am ganzen Altai und weiter östlich ein nachweisbares germanisches oder im 
weiteren sinne arisches element, das nicht erst eingedrungene und angesie- 
delte Europäer in den letzten drei jahrhunderten dahin verpflanzt hätten? 
Sollte auch ein zweig desjenigen volkes dessen brüder einst in Europa eine 
neue ordnung der dinge gestalteten, nach ganz unerwiesener und unerweis- 
licher versprengung in die länder am Jenisej, in tschudischen und türkischen 
horden jener gegenden spurlos untergegangen sein, also dort viel weniger 
lebenskraft bewiesen haben als die Turanier? 


(") Obgleich die Mongolen nur ä, nicht e sprechen, so schreibe ich doch e, um dieses 
nicht in manguischen und türkischen wörtern aus gleichem grunde mit ä vertauschen zu 


müssen, 


Kkk2 


444 Scsortrt 


Und wäre blondheit das ausschliessliche privilegium gewisser arischer 
(indisch-europäischer) völker gewesen? Ein chinesisches geschichtswerk 
unseres 12ten Jahrhunderts, das gl] 55 Khi-tan kuo di d.i. ge- 
schichte des reiches der Chitan, erzählt (buch 26, bl. 2) von einem stamme 
Tungusiens, die gelbköpfigen (ver Hp) C’u-cen genannt, den gelbes 
har und grünliche, gelbe (gelbrötliche?) oder weisse (hellgraue) augen 
auszeichneten. Diese leute, eine art Berserker Ostasiens, wurden von den 
Chitan ob irer grimmigen tapferkeit als vorhut irer heere verwendet. 
Sie waren also blonde Tungusen, es müsste denn irgend ein Germanen- 
stamm bis dorthin sich verlaufen haben (!)! 

Die Finnen haben bekamntlich durchschnittlich blondes oder rötliches 
har; und mit hohem wuchs verbundene blondheit ist besonders bei dem vor 
zeiten sehr rührigen karelischen stamme noch jetzt etwas gewöhnliches. 
Nun hat aber der scharfsinnige Castren im südlichen Sibirien und angrän- 
zenden teilen Centralasien die ursitze der finnischen nation nachgewiesen, 
und es leidet keinen zweifel mehr dass die jetzt türkisch redenden Altajer 
zum gröfseren teile tschudischer (finnischer oder samojedischer) abkunft sind. 

Als ein gemischtes volk hat man die Kirgisen wol ohne zweifel zu be- 
trachten. Dahin deutet schon die oben citirte stelle des Thang su(?). 


(') Abel-Remusat hat ‘ohne grofse mühe‘ die mit den Kirgisen möglicher weise ver- 
wandten alten Usun (im heutigen Ili) als ein gothisches volk erkannt (Ritter I, 
s. 1122). Von diesen sagt Ma-tuan Lin (buch 337, in einer blolsen anmerkung zum texte): 
‘Sie waren an gestalt von allen völkern der westlichen regionen verschieden. Diejeni- 
gen nördlichen barbaren unserer zeit welche blaue augen, roten bart und 


einen körper wie affen haben, stammen von ihnen ab: zn Et ni N = 


Alt DIE ZE\ AR AH Ai IE a Vin H Hifi. Was für nordbarbaren (3) dem 
polyhistor hier vorschwebten, kann nicht entschieden werden. Unsere gothischen vorfahren 
würden sich aber wol schönstens dafür bedanken dass man sie in den affenkörpern irer an- 
geblichen sibirischen descendenten “ohne grolse mühe” wiedererkannt hat! Noch andere 
stämme die den kranz germanischer völker in der nachbarschaft Sibiriens vervollständigen 
sollen, werden von den Chinesen als blond oder mit blonden völkern verwandt gar nicht 
bezeichnet. 

(?) Von den daselbst erwähnten, noch höher im norden gehaust habenden Ting-ling 
liefert Ma-tuan Lin (buch 339) eine schilderung die an fabelhaftigkeit nichts zu wünschen 
übrig lässt. Ire sprache sei dem geschrei wilder vögel ähnlich gewesen; ir körper von den 
knien abwärts behart und mit pferdehufen. Über diese Ting-ling soll nun ein oberhaupt 
der Hjung-nu den chinesischen feldherren Zi Zing, der sich im j. 99 vor Christo, von 


über die ächten Kirgisen. 445 


Merkwürdig ist auch in dieser hinsicht folgende bemerkung Abulghafi's (s. 
26—27 der Kafaner ausgabe)('): “Vom [ächten] stamme Qyrghyf giebt 
es jetzt wenig leute; aber Mongolen [Türken?] und andere, die aus gras- 
und wassermangel ins land der Qyrghyf gezogen sind, haben [auch] diesen 
namen angenommen, obschon sie wol wissen woher sie stammen [d. h. dass 
sie anderer abkunft sind]: 
j>ie Lese ER EP) Any) Sol er BES N nn lu 5 se gs 
ls CRY] BUSES ss us) ze ur us) SEN as, an Er rs 
> alas Bere ge) 9) „) 
Dass der wackre sultan von Charesm bei ‘jetzt nicht seine zeit, sondern die 
zeit der mongolischen eroberungen im sinne hat, ergiebt sich aus dem gan- 
zen zusammenhange. In jedem fall ist aber hier an spätere vermischung zu 
denken welche dem ursprünglich tschudischen volke das türkische gepräge 
immer stärker aufdrückte, bis jede selbst äussere spur seiner alten nationali- 
tät verschwunden war. 

Bei den Tataren Sibiriens hat die sage von ursassen sich erhalten die 
man 15 s! Ag-garag d.i. weiss“ oder ‘helläugige' benamst und von 
denen erzählt wird, sie seien die frühesten anbauer des landes gewesen und 
hätten es ‘schon lange vor ankunft der Kirgifen’ geräumt. Diesem, offen- 
bar von heller farbe der augen-iris benannten volke, das auch in russischen 
chroniken "weissäugige Tschud’ (Yy,s 6%.1or.1a3aa) genannt wird, schreibt 
man die errichtung der colossalen grabhügel zu, die in den steppen überall 
anzutreffen(?). Castren, der die sage von jenen "weiss-äugigen mitteilt, 


sehr überlegener feindesmacht eingeschlossen, gefangen geben musste, als lehenskönig ge- 
setzt haben. Die vereinzelten schwarzharigen individuen welche das Kirgisenvolk aufwies, 
erklärt unser Thang su unbedenklich für nachkommen jenes magnaten, die also damals schon 
über tausend jahre lang sich unvermischt erhalten haben müssten! Diese überlieferung ver- 
dient nicht gröfsere beachtung, als die von vierzig chinesischen ahnfrauen des Kirgisenvolkes. 

(') Eingeleitet wird sie mit den worten: “Oghul-Chan [der mythische welteroberer] 
hatte einen neffen mit namen QOyrgy/f, und von diesem stammen sie ab!’ 

(?) Mit dem namen “Tschuden’ schlechthin belegten die Russen zuerst ein wahrscheinlich 
finnisches urvolk des nördlichen europ. Russlands, und übertrugen ihn später auf jenes längst 
untergegangene ‘helläugige' volk Sibiriens, von dem ihnen erzählt wurde. Die zeitschrift 
Hepmeruit c6opumss (Perm’scher sammler) sagt (t. I, s. 5): “Darf man einer überlieferung 
in diesem lande [in Perm, dem alten Bjarmlande] glauben, so waren die Tschuden oder 
Tschudaken dessen älteste bewohner und der zahlreichste aller finnischen stämme . 


446 Schott 


sagt in seiner vorlesung: ‘wo stand des finnischen volkes wiege?” (hvar läg 
det Finska folkets vagga? s. 19): “In übereinstimmung mit dieser tradition 
meldet auch die chinesische geschichte, ein volk blonder rasse habe ehemals 
nördlich von der bergkette Tangnu-oola [im süden des Jenisej] ge- 
wohnt. Es ist nicht unglaublich, ja im gegenteil höchst wahrscheinlich, 
dass man unter diesem volke finnische stämme zu verstehen hat, denn in 
allen zeiten ist die blonde farbe als eines irer am meisten characteristischen 
kennzeichen angesehen worden.‘ Das betreffende volk sind die Kirgisen 
selber, und könnte man, auf jene sage gestützt, den Chinesen, sofern sie 
deren äusseres schildern, verwechslung eines rein türkischen volkes mit vor- 
gängern von anderem stamme schuld geben. Eine solche verwechslung ist 
aber unmöglich da so manche kirgisische gesandtschaft im zeitalter der 
Thang am chinesischen hofe erschienen ist. 

Als nicht unmerkwürdig sei noch erwähnt, was herr W. Radlow, der 
neueste wanderer im Altai, über das äussere der in einem teile des alten Kir- 
gisiens (südlich vom Sajanischen gebirge) hausenden Sajanen oder Sojoten 
(nach Castren’s ermittelungen ein volk samojedischer oder türkisch -samoje- 
discher abstammung) erfahren hat. ‘Es soll — sagt er — zweierlei stämme 
dieses volkes geben: einen schwarzen und einen gelben. Unter den 
schwarzen Sajanen findet man wenig blonde leute; ire gröfse ist be- 
deutender als die der Altajer, ire gesichter haben längliche form. Die 
Die überlieferung beschreibt diese Tschuden als ein hochgewachsenes und kraftvolles 
(neankopocasıit u emapupn) volk, das unermessliche schätze besals. Diese schätze sollen sie 
vor den Russen und überhaupt vor späteren nachsuchern durch hexerei verborgen, sich 
selbst aber bald nach der niederlassung von Russen im lande ausgerottet haben (cam ceöa 
nempeönam). Nach einer anderen tradition (wiederholt in Koskinen’s finnisch geschriebener 
abhandlung: "tiedot Suomen suvun muinaisuudesta d.i. kunden aus des Finn. volkes vorzeit‘, 
s. 43—44) zogen die Tschuden in ire geräumigen grabhügel, wo sie jetzt noch mit allen 
iren schätzen in frieden leben sollen. Den Samojeden zufolge hätte die ankunft der Samo- 
jeden und den Syrjinen zufolge die der Syrjünen sie unter die erde gescheucht. — Noch 
jetzt begreift der Russe die kleinen finnischen stimme im innern Russland unter dem ge- 
samtnamen Tschuden, dessen übereinstimmung mit der slavischen wurzel des “wunder- 
baren’ und “wundersamen nur zufällig sein mag. Herr Koskinen glaubt diesen namen 
(s. 129) schon bei Jornandes zu entdecken, dessen Z’hiudi wirklich kaum etwas anderes 
sein können. Das an der betreffenden stelle beigegebene /Znaunzwis liest er ‘in Aunsis, 
und erklärt “Tschuden in funus (funuks) d. bh. im lande zwischen dem Onega und 


dem Ladoga. 


über die ächten Kirgisen. 447 


gelben Sojoten sollen zur hälfte aus blondharigen leuten bestehen: 
an gröfse und gestalt sind sie den schwarzen Sajanen gleich.’ 

Darf man dieser notiz von hörensagen glauben beimessen, so giebt es 
noch heutzutage auf alt-kirgisischem boden eingeborne von höherem wuchse 
als die übrigen stämme des Altai, und unter ihnen viele blonde individuen. 
Freilich setzt unser reisender (Erman’s archiv, b.23, s. 297) hinzu: die 
hälfte der gelben Sojoten solle aus Russen bestehen, denn es sollen 
früher einmal viele Russen dorthin geflohen sein, die sich jetzt (?) sojo- 
nische weiber genommen hätten und nach der vermischung den eingebornen 
ganz ähnlich geworden seien(')!! 

Dass die Kirgisen von den Uigur, unter deren herrschaft sie lange ge- 
standen, die schrift dieses volkes (welche bekanntlich unter T'schinggis-Chan 
von den Mongolen angenommen ward) erhielten, ist sehr glaubwürdig, ob- 
wol es nicht den anschein hat, als wäre etwas einer kirgisischen litteratur 
ähnliches jemals ins dasein getreten. War auch der zwölfjährige tierkreis 
durch die Uigur den Kirgisen zugekommen? Die art wie das Thang su über 
denselben berichtet, macht uns zweierlei sehr wahrscheinlich: 1) dass man 
die Kirgisen, nicht die Uigur, für erfinder desselben hielt; 2) dass die Chi- 
nesen selbst vor den zeiten des herrscherhauses Thang von tiernamen für die 
jahre jenes eyclus noch nichts wussten (?). 

Was unsere quellen von der lebensweise der Kirgisen berichten, 
passt auf jedes, in einem rauhen himmelsstriche der vihzucht und noch mehr 
der jagd obliegende volk. Die sogenannten 'holzpferde auf welchen sie 
über eis und schnee dem wilde nachsetzten, werden an verschiednen anderen 
stellen so gut beschrieben dass man sie unbedenklich für die schnee- 
schuhe (finnisch sukset, schwedisch skidor, russisch .ısızrm) der nord- 
länder unserer erde zu halten hat,. und nicht etwa für schlitten, wie Rit- 


(') Hätte man den vielen flüchtigen Russen so ohne umstände innerhalb der gränzen 
des chinesischen reiches ein asyl bewilligt, und hätte der umstand allein dass sie sajanische 
weiber nahmen, sie den Sajanen so ähnlich gemacht?! 

>) FH jun heisst das dritte jahr desselben bei den Chinesen. Sihe Ideler’s zeitrech- 
nung der Chinesen, s. 5 und s. 73. Auf s. 5 sagt der verf. fälschlich, das Ste und te zei- 
chen des duodenarius würden ganz gleich ausgesprochen, denn jenes hat den tiefen gleichen 
accent (sn), dieses den hohen gleichen (sn). Von seite 78 bis 91 ist einiges über den 
tiercyclus der Ostasiaten zusammengetragen, nicht ohne sprachliche verstölse. 


448 Scnort 


ter (Asien I, s. 1136) nach Klaproth’s vorgang (der den würdigen forscher 
so oft “aufs eis geführt‘) behauptet. Von den m Bi Liu-kuei, die eine 
grofse halbinsel im fernsten nordosten (Kamtschatka?) bewohnen sollen, 
heisst es im u . n 220 19 >K N DR Du LK + R: ui% Ir 
H. Ale; h Yı IN Yk x a: In d.i. sie binden die fülse auf holz von 


sechs zoll breite und Sicher werkschuh länge, und jagen so das wild auf 


8 
dem eise. Noch genauer ist die beschreibung im Huan-ju ki (b. 199), 


wo von den Pa-si-mi (einem südöstlich von den Kirgisen im gebirg zer- 
streut lebenden volke) gesagt wird: ‘Sie bedienen sich auf der jagd einer 
fufsbekleidung die 'holzpferd’ heisst. Dieses gleicht einem schlitten, aber 
der kopf (das vordere ende) ist hoch (nach oben gebogen). Die untere 
seite überziht man mit pferdefell, so dass die spitzen der hare rückwärts 
laufen [?]. Wenn der Jäger solche breiter an die fülse gebunden hat und einen 
abhang hinunter läuft, so überholt er den flihenden hirsch. Läuft er über 
eine mit schnee bedeckte ebene, so führt er dabei einen langen stab, den 
er von zeit zu zeit in den schnee stöfst, gleich einem kahne sich vor- 
wärtsschnellend: so gelingt es ihm ebenfalls, die verfolgten tiere ein- 
zuholen. Derselbe stab dient ihm als stütze wenn abhänge zu ersteigen 
sind’(!). 

Bei Raschiduddin finden wir, da wo er die in wäldern (Abulghali 
sagt: "in dichten bäumen Nu=ul «Us ao ul) hausenden Urjanchit be- 
spricht (s. 91 der russischen übersetzung) eine beschreibung der schnee- 
schuhe und ires gebrauches worin dasselbe bild vom fortgestofsenen kahne 
vorkommt, dessen unser chines. verfasser sich bedient hat. ‘Sie machen — 
sagt er — ein breit das sie cana nennen, und stellen sich darauf. Eines 
viemens als zügel[?] sich bedienend, nehmen sie einen langen stab, stofsen den- 
selben in den schnee, als ob sie ein fahrzeug durchs wasser stiessen(?), und trei- 
ben so über die Steppe, auch bergan und bergab, als sälsen sie auf tieren. 
An die dana's sind andere bretter befestigt auf welchen der jäger das er- 
legte wild mit sich schleift ..... Versucht ein unkundiger diese art lauf, 


(') Vgl. Ma-tuan Lin b. 347, wo von den nördlichen Si-uei (in Tungusien) gesagt 


wird, ir land sei öfter mit tiefem ER hnee bedeckt und die eingebornen ritten auf holz, aus 


{urcht in löcher zu fallen: HZ I En f un UN RA Hi War N mA — 


(*) Mo neopxy ombra moi NaAKoN YINparomen B'b JEMMO, LOAOÖNO MONY, KORB DOHAME 
eyauo no noab, m up. 


über die ächten Kirgisen. 449 


so gehen ihm die fülse auseinander und verrenken sich, besonders an abhän- 
gen.‘ Der verfasser setzt hinzu: ‘Man hält dies nicht für wahrheit ehe man 
es gesehen. Der ruf‘ davon drang zu dem gesegneten ohre des herren der 
gläubigen [d. h. des Ilchan’s, an dessen hofe Raschiduddin lebte]. Derselbe 
befahl dass man leute aus jener gegend kommen liesse. Sie legten [vor dem 
Ilchan] einige proben irer kunst ab, und so blieb der Majestät kein zweifel 
mehr. Die cana’s kennt man in einem grolsen teile der Mongolei und 
Turkistan’s, besonders bedienen sich irer die Bargugim- Tukum, Chori, 
Qyrghyf, Urasut, Telengut und Tumet’('). 

Als wildes geflügel Kirgisiens nennt das Juan sze den weissen und 
schwarzen YE ur zZ hai-tüng-tshing. Dies ist derselbe raubvogel 
den die Mongolen singchur und sungchur, die Türken ‚wiss sungar, 
die Mangu songkon nennen, nicht der falke schlechthin, sondern der 
geierfalk (russisch xpeuemmw). Besonders die blendend weissen vögel dieser 
art muss man sehr geschätzt haben. Aus Sanang Setsen’s chronik (s. 60 der 
ausgabe Schmidt's) erfahren wir, dass ein solcher das wappen desjenigen ge- 
schlechtes gewesen aus welchem T'schinggis-Chan stammte(*). Ein häupt- 


(') Das mehrerwähnte wort, auch /sana, sana und sana, gehört der türkischen 
und mongolischen sprache an, und wird nur durch ‘schneeschuh’ erklärt. In Tibet sagt man 
’khjag-lIham (cag-lam) d. i. eis-schuh. Die Mangu haben dafür sunzacha (bisher 
fälschlich mit “holzpantoffel’ übersetzt), welches wort der verfasser des sdn ho pjdn län 
(s. 0.) so erklärt: Yin Yin = 1 K ii); hölzerne schleife um über eis und schnee 
zu gleiten. ;g 

Die genaueste beschreibung der sibirischen schneeschuhe und der art sie anzulegen 
giebt Erman in seiner “reise um die erde (zweiter band des historischen berichts, s. 222 
und s. 325— 326). Auf s. 358, wo der verf. seinen beschwerlichen übergang über einen 
teil des Aldanischen gebirges beschreibt, sagt er: “An zweifelhaften stellen ging einer der 
führer auf schneeschuhen voran, und zwang uns umzukehren und einen neuen weg zu su- 
chen, wenn er seinen mannslangen springstab gänzlich vergraben hatte ohne festen 
boden zu finden‘. 

(?) Merkwürdig und ohne zweifel aus den zeiten der Mongolenherrschaft abzuleiten ist 
der umstand, dass dieser vogel in der altrussischen volkspoesie nicht blols kriegerisches un- 
gestüm versinnbildet, sondern auch als tribut-artikel eine rolle spielt. In der sage vom zar 
Kalin lesen wir (Filonow’s Pyceras Npnemomamis, s. 152): 

Raw Obapıh npeuem% Nepenapxumacnn, 


bbosumt emapsın kasarın Mapa Mypomenn 


Philos. - histor. Kl. 1864. L1l 


450 ScHuorr 


ling, zu welchem Jesukei, der vater des künftigen weltstürmers, kommt, um 
aus dessen ihm verwandten stamme für seinen sohn ein weib zu holen, sagt 
nach gegenseitiger begrüfsung: “Diese nacht träumte mir, ein weisser 
geierfalk sitze auf meiner hand; dies ist ja wol euer, der [familie] Borgi- 
gin abzeichen?’ (mongolisch: ene süni nigen tsaghan singchur si- 
baghun ghardur minu saghuksani dsegütelebei; bi üdsebesü, 
Borgigin tanu sülte aksan adsughu). 

Chinesische schriftsteller und mit ihnen Raschiduddin und Abulghafi 
erzählen von einer huldigenden kirgisischen gesandtschaft an Tschinggis 
(1207), die unter anderen geschenken einen geierfalken brachte. Bei dem 
persischen hofhistoriographen (s. 131 der russischen version) hat der vogel 
gar kein epitheton (text nach einer vermutung Beresin’s: sie kamen “U 
mit einem geierfalken)(!); die manguische bearbeitung einer geschichte 
der Mongolen (s. 0.) nennt ihn sajin gijachäün d. i. einen schönen oder 
edeln falken; bei Abulghafi aber (s. 27 und s. 50) heisst er ein "weisser 
geierfalk‘, dessen kopf, beine, schnabel und augen rot waren: 

NE u ee 

Zu der angabe, die ungeheure höhe der nadelbäume betreffend, ver- 
gleiche man eine bemerkung Permikin’s auf seiner expedition über das Saja- 
nische gebirg nach dem see Koso-göl (Erman’s archiv, b. 18, s. 271): 
‘Die lärchen sind hier von riesigem wuchse; mit ihnen zusammen wachsen 
und bilden eine zone von nadelholz: tannen, majestätische cedern, und 
pinus pichta ..... Wir hatten grofse mühe uns durch diesen urwald 
(sibirisch Zaig.a) zu arbeiten! 


Wie der weisse geierfalk durch die lüfte kreiset, 
So sprengt einher der alte kasak Ilja von Murom. 

In einer anderen sage (ebds. s. 91) fordert der grolsfürst Wladimir (vermöge eines 
starken anachronismus) seine gefährten (mosapnımm) auf, in die goldne Orda zu Batu (dem 
mongolischen eroberer Russlands) zu reiten und ihm unter anderen dingen: 

Besmm ABbHaArmyam ACHbIX5 COKO0.I0B%, 
Besmn apbmaruams ObABIXBb KpeyemoBb 
zwölf hellfarbige falken, zwölf weisse geierfalken zu überbringen. 
(') In dem leben Tschinggis-chan’s nach jahren sagt R. jedoch ausdrücklich, die Kir- 
gisen hätten einen ‘weissen geierfalken’ überreicht. Sihe Beresin’s 261te anmerkung. 


über die ächten Kirgisen. ‘ 451 


Die stelle von dem eisen das alle mal gefunden werden soll wenn es 
geregnet hat, lautet: IN A Wr 1% Fi 3 m yıl nach jedem regen 
finden sie eisen das sie kja-s’a nennen. Ritter, der diese worte mit Visde- 
lou so wiedergiebt: “zur regenzeit schwemmen ire wasser eine art eisen 
u. s. w., erwähnt dabei des ungemein grofsen reichtums an eisenerzen in 
jenen gegenden, wo nach morgenländischen berichten sehr viel grofse eisen- 
massen aus der luft fielen, und wo Pallas den berühmt gewordenen grofsen 
block geschmeidiger, atmosphärisch gediegener, weisser, schöner eisenmasse 
vom rechten ufer des Jenise) vorfand. Nach dem zeugnisse desselben rei- 
senden wäscht der Jenise) eine menge grofser und kleiner in eisenstein ver- 
wandelter stücke von holzstämmen, oft einige pud schwer und meist arms- 
dick, hervor, aus welchen man sehr gutes eisen schmiedet (ebds. s. 1134— 
1135). 

Die gegenden welche dem Kirgisenvolke kostbare stoffe zu weiblicher 
kleidung lieferten, werden FE % An-si, AL LaR Pe-thing und A FR 
Ta-si genannt. Die ersten zwei namen sind chinesisch: An-si, welches 
‘beruhigter westen bedeutet (wie z. b. SE Id An-nan beruhigter süden) 
nannte der chinesische hof das gebiet Xutsch in Turkistan (!), dessen tür- 
kischer name weiland in sh, 35 Kui-sze verstümmelt wurde, jetzt hi Hi 
Ku-ce geschrieben wird. Pe-thing heisst chinesisch ‘nördliche residenz;; 
so taufte das oberhaupt der Uiguren seinen sommeraufenthalt am nordab- 
hange des Himmelsgebirges (Ritter’s Asien I, s. 348—349, s. 367), in der 
gegend des heutigen Urumtsi. Unter Ta-si, was den namen d>u Ta- 
gik darstellt, sind bekamntlich die Araber zu verstehen, obwol ihnen die- 
ser name keineswegs zukommt(?). Die erwähnung der Araber giebt uns 
aber schickliche gelegenheit, aus dem historischen teil des artikels ‘Kirgisen’ 
im Thang su eine nicht unmerkwürdige stelle hierher zu verpflanzen. Nach- 
dem die unterwerfung des volkes durch die Uiguren und die verderbung 
seines namens erwähnt ist, fährt der berichter fort: ‘Immer standen sie mit 


den Ta-si (Arabern), den Thu-fan (Tibetern) und Xo-lo (?) im ver- 


(‘) Es muss hier erinnert werden dass die kaiser der Thang zwischen 657 und 787 
im besitze des ganzen östlichen Turkistan waren und oberstatthalter über alle diese länder 
setzten. 

(2) 'Sihe über Tagiken: Erman’s archiv, b. XI, s. 594, und Pauly’s description ethno- 
graphique des peuples de la Russie, s. 137. 


L1l2 


452 Scnorr 
hältnisse gegenseitiger hülfleistung:: +E] AR AH. Die hin und her zihen- 


den Tibeter fürchteten von den Hui-ku geplündert zu werden; darum 
verweilten sie [auf irem wege] bei den KXo-lo, das schützende geleit 
(GE 2) der Kirgisen abwartend. Die Araber machten stücke golddurch- 
wirkten seidenstoffes (43) von solcher gröfse dass das gewicht jedes einzel- 
nen zwanzig kameel-ladungen gleich kam ; diese (grofsen stücke) zerschnit- 
ten sie in je zwanzig kleinere [die also auf 20 kameele geladen wurden] und 
führten sie alle drei jahre einmal den Kirgisen als geschenk zu Diese ge- 
schenke waren also der lohn für gute dienste des Kirgisenvolkes gegen räu- 
berische Uiguren, und es brauchten somit ire kostbaren stoffe wenigstens 
von den Arabern nicht erst erhandelt zu werden, wie der verfasser ein 
par seiten vorher sagt. 

Ob unter den gräbern (3%) in welchen der Kirgise die asche sei- 
ner angehörigen beisetzte, künstliche hügel (kurgane) zu verstehen, der- 
gleichen man zu beiden seiten des oberen Jenise] und im westen der Selengga 
antrifft, ist sehr zweifelhaft, da jenes sinische wort ‘grab’ schlechthin bedeu- 
tet. Die höhe und der umfang solcher tumuli müssten den Chinesen sehr 
imponirt und der Kirgise vor den eingebornen des mittelreichs mit ihnen 
sich gebrüstet haben. Bei den Burjat-Mongolen der gegend heissen die 
kurgane Kirgit-üür (vgl. oben). Das zweite wort ist egür: nest, als 
tierlager dienende höhle. So nennt der Chinese die wohnsitze oder schlupf- 
winkel räuberischer barbarenstäimme gewöhnlich ‘nester’ oder ‘höhlen': B3 
R, selbst rattenlöcher‘: N TR. Castren glaubt mit voller gewissheit an- 
nehmen zu können, dass die erbauer der meisten tumuli an der Selengga 
nicht Kirgisen sondern heidnische Buräten waren. Zu diesem schlusse — 
sagt er — berechtigt unter anderem eine dreifache reihe steine um die kur- 
gane herum, wie sie die Buräten noch jetzt um die gräber irer schamanen 
errichten (nordiska resor, II, s. 418). 

Die eigentlich geographischen notizen unserer sinischen beobachter 
sind sehr wenig befriedigend. Das Thang su lässt den alten stat Xjan- 
kuen zu anfang des betreffenden artikels westlich von den Uiguren, nörd- 
lich von Jen-ki, und an der seite des Pe-sän (Weissberges oder Weis- 
sen gebirges) sich ausdehnen. Von west- und nord-gränzen ist gar nicht die 
rede. Jen-ki war das heutige Charaschar in Turkistan oder wenig- 
stens demselben benachbart, und da vom Weissen berge nicht gesagt wird 


über die ächten Kirgisen. 453 


dass er eine andere (etwa die nördliche) gränze bildete, so muss hier dieje- 
nige bergkette gemeint sein welche gewöhnlich R ılı Thjan san (Him- 
melsgebirg, mongolisch Tengri- oder Bogdo-oola) genannt wird, und 
von welcher Charaschar nicht weit nach süden liegt. Hiernach wäre Kjan- 
kuen, der alte Kirgisenstat, entweder sehr viel weiter südwestlich als das 
flussgebiet des Jenise) zu suchen , oder hätte sich von da sehr weit nach süd- 
westen ausgedehnt. Schon auf der nächsten seite lässt der verf. die Kirgi- 
sen im nord-westen der Uiguren wohnen und an den berg T’an-man sich 
lehnen, unter welchem nur das Sajanische gebirg verstanden sein kann. 
Drei seiten weiter heisst es wieder als eingang zum historischen teile: Xjan- 
kuen sei einst ein mächtiger stat gewesen der im osten an Ku-li-kan, im 
süden an Thu-fan, im südwesten an Ko-lo-lu (?) gereicht habe. Über 
Ku-li-kan, später Ang-kho-la (Raschiduddin’s Korkan), das nörd- 
lich vom Baikal zu suchen, sehe man weiter unten ein mehreres. T’hu-fan 
ist Tibet; da es aber lächerlich wäre, eine ausbreitung der herrschaft des 
alten Kirgisenvolkes bis an die hochlande Tibet’s im buchstäblichen sinne an- 
zunehmen, so muss hier der eine zeitlang bis gegen das "'Himmelsgebirge’ hin 
ausgedehnte Tibetische stat gedacht, also ungefähr dasselbe gesagt sein, wie 
oben bei erwähnung Jen-ki’s und des Pe-san. 

Wo der Blaue berg (Tshing san), der aufenthalt des A-se, gele- 
gen, ist unbestimmbar, und der fluss Jenisej (Kjan) wird eben nur erwähnt. 
Dass alle gewässer des landes nordöstlich (?) fliessen und vereinigt dem meere 
zuströmen sollen, gründet sich auf eine sehr oberflächliche mitteilung. 

Im zeitalter der Thang war Kirgisien ein ungeteilter und durch be- 
siegung der Uigur mächtiger stat. Unter der Mongolen -dynastie finden wir 
das land zerstückelt und die herrschende nation so herabgekommen dass das 
Juan sze nur noch 9000 kirgisische familien annimmt, während unter den 
Thang die zahl irer krieger allein auf 80,000 berechnet wurde. Die vor- 
mals gewiss wesentliche teile des states ausmachenden, später nur politisch 
damit vereinigten gebiete welche das Juan sz& in gleichem capitel mit Kil- 
kisz abhandelt, hatten unter der Mongolenherrschaft, wo nicht ausschliess- 
lich, so doch zum gröfsten teile, bevölkerungen anderen stammes als die 
Kirgisen, deren vornehmste wohnsitze damals der nördlichen wendung des 
Jenise) am nächsten und zum teil nordwärts darüber hinaus liegen mussten; 
denn die flüsse A-pu und Ju-sju, in welchen man den Abakan und 


454 Scuorr 


Ijus erkennen darf, werden noch zu Kirgisien gerechnet. Fälschlich wird 
aber der Ijus als nordöstlich (statt nordwestlich) vom Jenisej fliessend 
bezeichnet. Der Us (U-sze) entspringt im gebirge der Sojoten und 
fällt von osten her in den Jenisej. 

In den namen Äjan-ceu und Ji-lan-ceu ist der letzte bestandteil 
Di ce€u chinesisch: er bezeichnet zunächst eine von vielen wassern durch- 
schnittene ebene, ein aus auen bestehendes land; dann bald ein gröfseres 
bald ein kleineres politisches gebiet, ohne weitere rücksicht auf die gestal- 
tung des bodens. ÄKjan-ceu, nach obigem für Kem-ceu, oder von an- 
beginn so ausgesprochen, hatte im süden die bergkette Tang-Iu (mongo- 
lisch Tangnu), welche den Sajanischen bergen ziemlich parallel läuft, zur 
gränze. Wir erkennen dieses gebiet wieder in Raschiduddin’s (Kem)- 
Kem-giut (SuSsus 5), welches diesem schriftsteller zufolge ein mit Qyr- 
g,ys vereinigter stat war('). Die stadt T’@-tü oder T'hai-tu (grofse residenz) 
von welcher aus entfernungen berechnet werden, war winter-aufenthalt der 
Mongolenkaiser Chinas und lag in der nähe des heutigen Pe-king. 

Der persische historiker sagt: “Kem- Kemgiiut ist ein grofser 
fluss‘ (2). Er meint also, gut gehöre mit zum namen des flusses! Dann 
bestimmt er die gränzen so: ‘An der einen seite hat das land die Mongolei 
(gränze ist der fluss Selenga, wo die stämme Taigiut wohnten); eine 
seite reicht an den grofsen fluss + s@G) Angkara-müren [müren 
heisst im mongol. fluss], wo die gränzen des landes Ibir-Sibir, und eine 
(dritte) seite an gegenden und gebirge wo die stämme Naiman [vgl. die 
notiz des Juan sz&] gewohnt haben’. 

Das Angkhola der Chinesen ist name eines bei Irkutsk aus dem 
Baikal tretenden stromes, der Angkara oder Anggara, welche sich in der 
nähe des S6ten grades n. br. mit der nach grofsem bogenlauf in den Jenise) 


(‘) Als der Kirgisenstat dem weltstürmer Tschinggis sich unterwarf, hatte er angeblich 
zwei oberhäupter. Sihe weiter unten. 

(2) Die völlig sinnlose wiederholung des AXem in diesem namen muss wol auf einer 
altehrwürdigen confusion beruhen! Es ist als wollte man Ilm-Ilmenau oder Wetter- 
Wetterau sagen. — In dem die Oirat (Kalmyken) betreffenden artikel (s. 79), wo der 
verf. des Jenisej zuerst gedenkt, nennt er ihn, wie es richtig ist, Xen schlechthin, und 
lässt ihn aus der vereinigung von acht kleineren flüssen entstehen, zuletzt aber in die 
Anggara münden (statt umgekehrt). 


über die ächten Kirgisen. 455 


mündenden oberen Tunguska vereinigt. Das Juan sze sagt, die anwohner 
der Anggara seien die Ku-li oder Ku-li-kan des Thang su. Obgleich 
sie nicht wol nördlicher als Edinburg gewohnt haben können, wird das meer 
(Polarmeer?!) als ire nordgränze bezeichnet. 

Abulghafı sagt (s. 27): Kem-Kemg/ut seien zwei einander benach- 
barte gebiete(?)(!). An einer seite fliesse die Selenga, und der Igra- 
müren an der anderen; beide seien grofse flüsse: 
al eb Re ey ee uns 

PDESEN SEN ENTE SEES 

Es folgt unmittelbar eine stelle, aus der ich nichts zu machen weils: 
Br ee ee 
Wörtlich: Es giebt zwei gebiete des namens Ibir-Sibir. Das land der 


Qyrghyf liegt nahe dabei. 


Erzählendes. 


Kjan-kuen (welchen alten namen Kirgisiens ich nicht zu dolmet- 
schen versuche) war, dem Thang su zufolge, schon unter den Hjung-nu 
(207 vor bis 93 nach Chr.) ein stat, den der Hjungnu-fürst C‘i-c/ zerstörte. 
Im zeitalter der Tu-kju (Altai-Türken, von der mitte unseres 6ten 
jahrh. ab) entstand ein neuer Kirgisenstat, der eine zeitlang solche macht 
entfaltete dass die chakane der Tu-kju seinen oberhäuptern töchter zur ehe 
gaben(?). Als die Tu-kju im 7ten jahrh. durch teilung sich geschwächt 
hatten, wurden die stammverwandten Hui-ku (auch Hui-hu, I-gu, 
Ui-gu-rh d.i. Uiguren) und ire bundesgenossen, die Sje-jen-to, im 
norden der Gobi mächtig, bis der dritte chakan der ersteren auch das land 
der letzteren eroberte(°). Die Kirgisen hatten den Sje-jen-to, die einen 


(') Das am ende von Kemgiiu oder Kemg’u zugegebene 2 ist wol mongolische mehr- 
heitsendung, mit rücksicht auf die bewohner des landes. Auch der name des nord-mon- 
golischen stammes Taigiighur wird in der gemeinen aussprache Taigiut und Taig'ut, 
als wäre das giu (g’u) dieses namens gleicher entstehung mit dem des obigen, woran je- 
doch nicht zu denken ist. 

(2) Wenn die Tu-kju der Kirgisen ebenbürtigkeit anerkannten, warum sagt dann un- 
sere quelle, diese hätten jenen als tribut waffen geschmiedet? 

(°) Sollte in Sje-jen-to der heutige name Sajanen schon zu erkennen sein? 


456 Scusorr 


statthalter über ir land setzten, eine zeitlang gehorchen müssen, aber schon 
um die mitte des 7ten Jahrhunderts u. z. begannen ire bewerbungen um die 
gunst der Thang-kaiser, deren einfluss auf Centralasien damals riesig zu- 
nahm. Im jahre 648 erschien das damalige oberhaupt der Kirgisen persön- 
lich am hofe des Kaisers Thai-tsung, der ihn mit auszeichnung empfing und 
die feinheit seines benehmens rühmte: er verlih ihm den höchsten sinischen 
ceivil- und militair-beamten-rang, und erhob seinen stat zu einem I fü, d. 
h. er stellte das Kirgisenreich den gröfsten regierungsbezirken seiner eignen 
kaiserlichen lande im range gleich! Seit dem — so heisst es — kam Kirgi- 
siens tribut ohne unterbrechung bis 755 an den hof der Thang. In der 
mitte der jahre King-lung (708) sagte kaiser Cung-tsung zu den damals an- 
gekommenen gesandten: ]fJ [E3] Ei ik IH] = d. h. ‘euer stat und wir 
haben gleiche ahnherren ('). 

In der mitte der jahre Kjan-juan (758) wurden die Kirgisen von iren 
mächtigsten nachbarn, den Hui-ku, unterjocht, so dass sie ire gesandt- 
schaften an den chines. hof lange zeit einstellen mussten. Der A-se (s. o.) 
erhielt den character eines untertänigen vasallen des chakan’s der Hui-ku. 

Im 4ten jahre Khai-äing (839) empörte sich ein magnat des damaligen 
chakan’s und führte die S'a-tho (einen stamm der westlichen Tu-kju) als 
landplage ins reich. Der besiegte chakan entleibte sich aus verzweiflung 
und unter seinem nachfolger wüteten noch im selben jahre hunger, seuchen 
und vihsterben in folge grausamer winterfröste. Da wagte der A-se, den 
gehorsam aufzukündigen; noch mehr, er erklärte sich selbst als chakan, 
und seine mutter und gemalin als chatun(?). Bis dahin hatten nach ein- 


(') Um diese höflichkeit zu verstehen muss man sich erinnern dass die chinesische 
sage alle schwarzharigen Kirgisen von oberwähntem gefangenen und in Hjungnu-dienste 
getretenen feldherren abstammen liess, dessen familienname == Li war. Denselben fami- 
liennamen hatten aber auch die kaiser desjenigen hauses das sich auf dem throne TRang 
nannte. 

(2) Nach chinesischer schreibung rJ IT khö-häan, rJ Ey khö-tün. Den er- 
sten titel schreiben die Türken „el> chagan, die Mongolen ckaghan; der andere ist 
bei Türken und Mongolen ol> chatun, wofür jene auch ob gadyn schreiben und 
sprechen. Der männliche titel kann nur einem selbständigen herrscher zukommen, 
der weibliche aber jeder geehrten frau. Ein @ darf nicht angehängt werden (wie bei Rit- 
ter mehrmals geschiht). — Chinesischen nachrichten zufolge hätte ein fürst des (türk.) volkes 
jet irn Gug’u im zeitalter des dritten kaisers der Heu Uei (424—451 u. z.) sich zuerst 
den titel chakan beigelegt. Ma-tuan Lin, buch 343, bl. 2. 


über die ächten Kirgisen. 457 


ander die oberhäupter der Gu-gu, der Tu-kju und der Uiguren jenen 
türkisch-mongolischen titel geführt, welcher noch bei den Osmanen am Bos- 
porus wie bei den Mongolen bis zu Tungusiens gränzen fortlebt und von 
welchem Chaan (Qaan) und Chan blofse verkürzungen sind. Auch in 
den historischen werken der Chinesen begegnen uns (wenn von tatarischen 
fürsten die rede) die längere und kürzere form, aber letztere, wie zu erwar- 
ten stand, viel später als erstere. Nur solche herrscher die keinen über sich 
anerkannten, haben diesen titel, welches auch seine etymologie sei, für sich 
gewählt ('). 

Es entspannen sich nun lange kämpfe, zum grofsen verderben der Ui- 
gur. Schon in den ersten jahren des krieges war das glück den Kirgisen so 
günstig, dass der A-se seinem gegner aus übermut sagen liess: “Mit deiner 
herrschaft ist's am ende! ich werde dein goldnes zelt einnehmen, vor dei- 
nem zelte mein ross anbinden und meine fahne aufpflanzen‘: 13 Fu ai Br 
Be 15 CHR 22 HE 8 HR HER HT Ba Je A Mic ht 

Ein abtrünniger feldherr des chakan's der Uigur vereinigte seine scha- 
ren (angeblich 100,000 reiter!) mit denen der Kirgisen, und im jahre 841 
verlor sein verlassener gebieter schlacht und leben zugleich. Der A-se ver- 
brannte seines gegners hoflager und bekam zu den schätzen desselben noch 
eine chinesische princess (die wittwe des vorigen chakan’s) in seine gewalt. 
Diese wollte er durch gesandte an den kaiserl. hof zurückgeleiten lassen, 
aber der neue chakan U-kjai lauerte den gesandten auf, erschlug sie, und 
nahm die princess (die chatun-wittwe) in seine obhut. 

Nach diesem ersten entscheidenden siege verlegte der Kirgisenfürst 
seine residenz auf den berg Tu-man, funfzehn pferde -tagereisen südlicher 
als das alte hoflager der Hui-ku. Mit hülfe anderer von den Uiguren abge- 
fallener stämme gelang es ihm (843) auch den U-kjai am berge IX A] ılı 
S’a-hu-san aufs haupt zu schlagen(?). Der Uigurenfürst entfloh ver- 
wundet mit einem kleinen häuflein zu den verwandten FM Hi udn: 
schwarzen C’e-tsze, die ihn aber noch im selben jahr erschlugen. Sein 


(') Im alten russischen Igorliede wird sogar fürst Oleg einmal kogan (xoraus) be- 
titelt, was nichts anderes als chaghan ist. 

(*) Wenn der name dieses berges chinesisch sein soll, so bedeutet er: ‘berg wo man 
die nordischen barbaren tödtet.’ 


Philos.- histor. Kl. 1864. Mmm 


458 Scuorr 


bruder O-nje wurde als armer flüchtling von wenigen getreuen zum cha- 
kan erwählt, und blieb ein ‘Johann ohne land’ bis ans ende. 

Noch im selben jahre schickte der Kirgisenfürst, jetzt meister aller 
bisherigen besitzungen der Uiguren, einen neuen gesandten an den hof der 
Thang. Dieser erreichte erst nach drei jahren (846) die residenz, und der 
hocherfreute kaiser Wu-tsung stellte ihn im range über den gesandten von 
Po-hai(!). Dem A-se liess der kaiser im jahre 847 ein diplom ausfertigen 
das ihn als chakan der Kirgisen anerkannte und bestätigte; aber Wu-tsung 
starb, ehe der zum überbringer des gnadenbriefs erkorene würdenträger 
seine reise angetreten. Als der folgende kaiser Sjuan-tsung (847 — 859) sich 
bereit zeigte, dem willen seines vorwesers nachzukommen, wurde ihm ein- 
gewendet: die Hakasz seien ein kleines volk, und es gehe nicht an dass man 
sie den Thang gleichstelle: A JE Nil IH Hi. Jetzt berief er noch 
einen statsrat, und in diesem sagte einer der grofsbeamten (wie es scheint, 
mit voller zustimmung der übrigen): “Als die Uigur ein mächtiger stat waren 
erhielten ire fürsten kaiserliche diplome. Dermalen ist ire macht gebro- 
chen, und befördert man nun an irer stelle die Hakasz, so wird später un- 
heil daraus erwachsen Der weise ratgeber befürchtete den möglichen 
übermut der auf ire gunst am chines. hofe pochenden Kirgisen und das an- 
sehen das sie durch solche gunst bei den nachbarvölkern erlangen dürften. 
Gleichwol erhielt der A-se noch zu ende des jahres sein diplom. In den 
jahren Hjan-thung (860—873) kamen drei mal kirgisische gesandtschaften 
an den hof. 

Von dieser zeit ab geschiht fernerer diplomatischer verhältnisse der 
Kirgisen zu China nicht erwähnung. Aber die in der mitte des Iten jahr- 
hunderts anscheinend fast aufgeriebenen Uigur, deren letzter chakan O-nje, 
begleitet von seinem weibe, zwei söhnen und neun mann escorte nach we- 
sten geflohen war, begannen schon zur zeit des kaisers Ji-tsung (860 — 874) 
sich wieder zu erholen; ir damaliger fürst Po-ku-tsjun schlug von Urumtsi 
aus die Tibeter in Turkistan, wo er Si-ceu (Turfan), Lun-thai (Bugur) 
und andere städte einnahm. Im östlichen Turkistan schufen sich die Uigur 
unter alten stammverwandten ein neues reich, das noch ein par Jahrhunderte 


(') Po-häi hiess unter den Thang ein mächtiger, das heutige Sing-king und Korea 
umfassender stat, dessen gründer sich im j. 755 von China unabhängig erklärte. Dieser 
stat dauerte bis in die ersten decennien des 10ten jahrhunderts. 


über die ächten Kirgisen. 459 


lang freundschaftliche verhältnisse mit China unterhielt('), später in ab- 
hängigkeit der Karachitaier (1125—1218) kam, und bereits 1209 dem welt- 
reiche des Tschinggis einverleibt wurde. 

Wahrscheinlich mussten unsere Kirgisen vor den neu erstarkten Uigur 
früher oder später in ire alten wohnsitze zurück weichen; denn in Tsching- 
gis-Chans zeitalter finden wir sie wieder am Jenisej, und unfähig diesem er- 
oberer zu widerstehen. Obgedachte manguische geschichte der Mongolen- 
dynastie bringt unter dem zweiten jahre der kaiserherrschaft des Temugin 
(1207) folgende vereinzelt stehende kunde: 

In diesem jahre schickte der Taidsu Tschinggis-chan zwei männer 
namens Antan und Buula als gesandte ins reich der Tschilitschis 
(Kirgisen). In folge dessen schickten der aiman (volksstamm) 
des Jejdjej inali und der aiman des Nali ti jel [irerseits] ge- 
sandte die dem Taidsu einen schönen falken überbrachten (?), 

Raschiduddin und Abulghafi, die, beiläufig gesagt, von ehemaligen 
bezihungen der Kirgisen zu den Uiguren und zu China nicht das geringste 
wissen, gedenken beide ebenfalls jenes gesandtenwechsels. Raschiduddin 
schickt seiner erzählung einige, leider in ärgster verstümmlung erhaltene 
bemerkungen voran, aus welchen indess, wie aus seinem und des Dai 
Juan guruni suduri berichte über die gesandtschaft an T'schinggis, we- 
nigstens soviel hervorgeht, dass die Kirgisen damals in zwei hauptstämme 
unter zwei oberhäuptern geteilt sein mussten. Ihm zufolge nannte man das 
eine oberhaupt Inal, das andere, dessen gebiet Jedi Oron (2,5) (s& die 
sieben orte?) hiess, Urus-Inal(°). Anders Abulghasi (s. 27): ‘Das ober- 
haupt von Kirgisien nennen sie Inal, was dort soviel sagen will als Padi- 


(') Seitdem einer irer chakane eine chinesische princess zur gemalin erhalten, nannten 
diese sich ‘schwiegersöhne des Mittelreichs’ und die kaiser ire ‘schwiegerväter. Selbst auf 
dem gipfel irer wiedererlangten macht (im elften jabrhundert) verfehlten sie nicht, dann 
und wann gesandtschaften mit geschenken zu schicken. 

(?) Taidsu, genauer IR il thdi-tsü bedeutet stammherr oder erster ahnherr einer 
dynastie. 

(°) Das Jej-djej inali der manguischen geschichte ist augenscheinlich aus jedi und 
inal zusammengesetzt. Zwischen beiden scheint oron zu ergänzen, also: ‘der Inal von 
Jedi Oron, und mit aiman dahinter: ‘der volksstamm des I. von J. O. 


Min m 2 


460 Scnuorrt 


sah bei Mongolen [Türken] und Tagiken [Persern]. Ir damaliges ober- 
haupt war Urus Inal: 
3 a 8 RS HL ak een 
Sr I ums! 
Dieser macht also aus den zwei oberhäuptern eines. 
Über die gesandtschaft selbst berichtet der Perser also: 

Im jahre 603 der higret schickte Tschinggis an diese bei- 
den herrscher als gesandte den Alban und den Tukra, und 
forderte sie zur unterwerfung auf. Sie (die Kirgisenfürsten) schick- 
ten ihm, ire unterwürfigkeit kund zu geben, drei irer grofsen : 
Uruk Ig’u, Ilik Timur und Aikarak, die einen geierfalken 
überbrachten. 


Bei Abulghafi liest man (s. 27): 
ll Ed il Ki u AT AR > > 
RR u U a A el IE 

rl En weis Bey en or 

D. h. Tschinggis-chan machte einen namens Bura zum gesandten 
und schickte ihn nach Kirgisenland, sagend: ‘Es unterwerfe sich 
mir!” Urus Inal erwies dem gesandten viel ehre. Er selbst kam 
zwar nicht [zu Tschinggis], schickte aber männer von edler ab- 
kunft mit vielen geschenken, und unterwarf sich (!). 

An einer anderen stelle (s. 50) wird dasselbe wiederholt; nur schickt der 

grofse eroberer hier, wie in den anderen beiden quellen, statt eines gesand- 

ten zwei, und keiner von beiden wird Bura genannt, sondern der eine Al- 

tai, der andere Turmys'! 

Raschid allein erzählt noch, dass zwölf jahre später ein den Kir- 
gisen benachbarter mongolischer empörer vom stamme Tümet sie unter- 
warf, und die Kirgisen in folge dessen dem Tschinggis hülfstruppen verwei- 
gerten. Dieser schickte seinen sohn Guci mit einem heere in ir land. 
Schon die vorhut desselben schlug die Kirgisen in flucht und kehrte am 
‘achten flusse um. Als Guei selbst anlangte, war der hauptstrom mit eis 
bedeckt: der feldherr marschirte hinüber, unterwarf die Kirgisen vollstän- 
dig und zog wieder ab. 


(') Es folgt nun die oben bereits mitgeteilte, den weissen geierfalken betreffende stelle. 


über die ächten Kirgisen. 461 


Das Juan sz& bringt in dem artikel Ki-li-ki-sze u. s. w. unter Ji- 
lan ceu folgende historische notiz: “Im 7ten jahre ci-juan (1270) bestellte 
der kaiser (Chublai) den Liu Hao-li zum administrator von Ki-li-ki-sze, 
Han-ho-na, Khjan ceu, Ji-lan-ceu und anderen orten. Von diesem 
wird ferner gesagt dass er am letztgenannten orte (in der ‘Schlangen-au') 
residirt und das land durch gewerbsleute aus China einigermafsen civili- 
sirt habe. 

Zu dem ganz am schlusse erwähnten C’hao ceu wird bemerkt dass 
derselbe kaiser Chublai (anno 30 derselben periode, also 1293) diesen be- 
festigten ort in dem fischreichen alten lande Ma-jan (in Tungusien, west- 
lich von den wohnsitzen der sogenannten Wasser-Tataren) habe errichten 
und eine horde Kirgisen als ansiedler dahin versetzen lassen. 


* * 
* 


Zu anfang unseres 17ten jahrhunderts stiessen die russischen erobe- 
rer Sibiriens am linken ufer des Jenisej, zwischen den flüssen Ijus und Aba- 
kan, auf Kirgisen. Diese unterwarfen sich zwar gleich anfangs (im jahre 
1606), aber die aufblühende macht der Dsungar-Kalmyken bestimmte 
sie bald (seit 1632), sich eigne fürsten unter dem schutze dieses westmon- 
golischen reiches zu wählen. Jetzt gab es lange und hartnäckige kämpfe 
mit den Russen, die erst mit hülfe einer um Krasnojarsk hausenden Tata- 
renhorde, der vom flusse Katscha benannten Katscha- Tataren, endlich den 
sieg errangen. Zur belohnung für den geleisteten beistand erhielten letz- 
tere die zarische erlaubniss, in dem nach vertreibung des gemeinsamen fein- 
des öde gebliebenen lande (zwischen Abakan und Ijus) sich niederzulassen( '). 
Die Kirgisen flohen zumeist über das Sajanische gebirg in die staten des 
Kontaisch (Chung-taig'i der Dsungaren) der sie aber ob irer unruhigen 
und räuberischen lebensweise angeblich sehr weit südwärts, in nicht näher 
bestimmte gegenden Centralasiens versetzte. Nureinige familien dieses volkes 
liessen sich nach Castren unter den Katscha-Tataren nieder. Der “description 
ethnographique' (s. 0.) zufolge gäbe es noch ‘une fraction de Kirghis in den 


(') Sihe Castren im zweiten bande seiner “resor och forskningar. Die das Kirgisenvolk 
betreffenden stellen sind mit hülfe des beigegebenen genauen registers leicht zu finden. 


462 ScHnorr 


distrieten Kufnetsk und Bjisk der statthalterschaft Tomsk. Herr Radlow 
in Barnaul hat mir schriftlich mitgeteilt dass am Abakan ein kleiner stamm 
wohne der sich noch jetzt Qyrghy/ nenne, die im Tomskischen zurückge- 
bliebenen Kirgisen sollen aber nicht mehr so sich nennen und gänzlich in 
den Teleuten untergegangen sein. 

Erst in neuerer und neuester zeit haben die Russen wieder ansehnliche 
stimme mit dem gemeinsamen volksnamen Qyrgh,y/ kennen gelernt, aber sehr 


weit süd-westlich vom Altai, am Issi-kül (ds5 =) d. i. warmen see, und 
Muf-tagh (g\b ;»») d. i. eisberge, dem Himmelsgebirg der Mongolen und 
Chinesen. Zum unterschiede von den (Kirgif)-Kafak benamsen sie dieses 
volk ‘schwarze’ (yepuste) oder "wildfelsige' (Aukoramennste) d. h. im fel- 
sengebirg hausende Kirgifen, auch wol Burut, über welchen namen bald 
ein mehreres('). 

Nach Radlow’s erkundigungen zerfallen diese Felsen-Kirgisen in zwei 
hauptabteilungen: eine rechte und eine linke. Die sechs stämme der 
rechten abteilung stehen alle, his auf einen (Bughu), der Russland gehul- 
digt hat, in einer gewissen abhängigkeit von Chokand. Die linken sollen 
am flusse Talas entlang nomadisiren und sieben familien zählen. Man wird 
aber wol tun, die zahl der kirgisischen stämme und die gränzen irer weide- 
plätze nicht a priori zu bestimmen. Der verfasser eines aus dem russischen 
übersetzten artikels in Erman’s archiv (b. 11, s. 401 ff.) sagt: ‘Die Schwar- 
zen Kirgisen nomadisiren um den see /ssi-kül, dann ostwärts bis zu der 
chinesischen vorpostenstrafse die von Kulga nach Agsu führt, südwärts [soll 
heissen “südwestwärts] bis Badachschan und Karatigin, westwärts bis Cho- 
kand und Taskend, nordwärts nur bis ins gebirge Kunggi-tau welches 
den Issi-kül an der nordseite begränzt.. Eine südgränze irer weideplätze ist 
nicht einmal vermutungsweise angegeben. Sie mögen vornehmlich in und 
zu beiden seiten der zwei einander kreuzenden bergketten hausen von denen 
die nord-südliche der Bolor ist, die ost- westliche aber eine westliche fort- 
setzung des ‘Himmelsgebirges,, auch “Bunter berg der Kirgisen (Qyrghyf- 
ning Ala-tau) genannt. 

Bereits 1847 hatten die Russen in der östlichen dsungarischen Kirgi- 
sen-steppe die stadt ÄKopal angelegt, erklärter mafsen ‘zum schutze der un- 


(') Ire beständigen feinde, die Kafak, sollen gara schwarz, im sinne von “unedel'‘, ‘ge- 


mein, irem namen beigegeben haben. 


über die ächten Kirgisen. 463 


ter russischer herrschaft stehenden Xa/fak gegen die verwegenen überfälle 
der wildfelsigen Kirgisen’('). Aber erst seit erbauung der festung 
Wijernoje (1855), nur 70 werst nördlich vom Issi-kül und im lande Ili, 
können russische gelehrte jenseits des flusses Ili vordringen(?). Solche 
waren die herren Semenow, Golubjew und Wenjukow, welche aber in iren 
geographischen berichten der Kirgisen nur beiläufig gedenken. 

Semenow spricht von zahlreichen aul’s (zeltdörfern) der Felsen- 
Kirgisen vom stamme Bughu (hirsch) auf den subalpinen triften des 
Thjan-san. Der greise häuptling dieses stammes, von dem vorigen 
Mangu-kaiser zum rang eines chinesischen fürsten befördert, kam dem rei- 
senden ehrerbietig entgegen, weil er, dessen stamm schon seit 1852 die 
oberherrschaft Russlands anerkannte, herren S. für den lang ersehnten ver- 
treter der russischen schutzmacht wider andere Felsen-Kirgisen hielt, na- 
mentlich wider den stärkeren feindlichen stamm Sary-Baghysch (gelbes 
elen). 

Letztere hatten die Bughu im frühling 1857 aus iren erblichen lager- 
plätzen am Issi-kül über die hochebene San-tas geworfen und eines irer 
geschlechter beinahe ausgerottet(?). Auf das gerücht von der ankunft Se- 
menow’s zogen die Sary-Baghys sich wirklich hinter den Thjan-san zurück. 
Aber ein unzeitiger angriff der Bughu hatte die folge, dass diese wieder eine 
grofse schlappe erlitten. Semenow qualificirte sich nun als vermittler zwi- 
schen beiden stämmen. 


(') Erman’s archiv b. 18, s. 6. 

(°) “Die gränzen Russlands wurden vor sieben jahren durch erwerbung eines jenseit 
des Ili-stroms gelegenen landstrichs um etwa hundert werst gegen süden vorgeschoben, u. 
s. w.  Sihe eine reise nach Kulga’ in Erman’s archiv (1861, b. 20, s. 269 ff.). 

(°) Diese morastige hochebne hat iren namen, welcher zahlsteine bedeutet, von einem 
steinhaufen den menschenhände errichtet haben. Einst — so erzählt die kirgisische sage — 
zog hier der weltstürmer Timur mit seinen kriegsleuten nach osten durch. Da er ein bal- 
diges zusammentreffen mit dem feinde erwartete, fiel es ihm ein, seine heeresmacht zu zäh- 
len und er befahl deshalb jedem seiner krieger einen stein zu nehmen und alle steine auf 
eine stelle zu werfen. So entstand ein colossaler steinhaufen. Auf irem rückmarsch zogen 
die siegreichen aber der zahl nach sehr eingeschmolzenen scharen Timur’s von neuem über 
die hochebne. Jetzt befahl der Chan jedem seiner krieger, einen stein aus dem haufen 
fortzunehmen und so stellt der haufe jetzt die damalige zahl der im kampfe oder auf dem 
marsche umgekommenen dar. Der zug Timur’s von Samarkand nach dem tale des Ili fand 
in den ersten jahren des 1öten jahrhunderts statt. Semenow in Erman’s archiv, b. 18, s. 9 ff. 


464 ScHoTT 


Wilhelm Radlow aus Berlin, der im sommer 1862 durch die östliche 
sogenannte Kirgisensteppe an den Warmen see reiste, hat in den ‘melanges 
russes einen kurzen bericht über diese reise veröffentlicht und im journal 
asiatique vom jahre 1863 einen artikel 'observations sur les Kirgis mitgeteilt. 
Die schwarzen d.h. ächten Kirgisen, von denen er jedoch nur einen tribus, 
die Bughu, kennen lernte, sind nach ihm äusserlich den Kafak sehr ähnlich 
und ohne eine spur ehemaliger blondheit. Aber die geschlechtsregister der 
verschiednen stämme haben ihm bis zur überzeugung dargetan dass sie mit 
den alten Kirgisen am Jenise) ein und dasselbe volk sein müs- 
sen. Sie sprechen einen osttürkischen dialeet welcher den dialecten des 
Altai um vieles näher steht als der kafakische. Demohnerachtet hat Rad- 
low keine spur von erinnerungen an eine wanderung aus dem Altai oder 
vom Jenise) her in ire heutigen reviere bei ihnen vorgefunden, obgleich 
eine so wichtige, dazu erst wenige Jahrhundert alte begebenheit in iren sagen 
einen grofsen raum ausfüllen müsste. Für unmittelbare nachkommen der- 
jenigen Kirgifen die, von Russen und Katscha-Tataren verdrängt, durch den 
Kontaisch angeblich nach dem fernen süden versetzt wurden, können sie 
hiernach nicht gelten. Nach des verfassers vermutung wären sie vielmehr 
nachkommen derjenigen Kirgisen welche, als die Uigur im 10ten jahrhun- 
dert (?) das ganze volk aus dem usurpirten gebiete verjagten, nicht wie die 
übrigen in ire alte heimat zurück flohen, sondern, westlich gewendet, im 
Thjan-san ein asyl suchten und fanden. 

Für solche teilung des flüchtigen volkes in einen westlich und einen 
nördlich gewendeten haufen giebt es nun keinen historischen belag; könn- 
ten aber die Kirgisen des Himmelsgebirgs u. s. w. nicht aus den entfernten 
zeiten als der stat Kjan-kuen noch südlich bis dahin sich erstreckte, dort 
zurückgeblieben sein? Für ire ursprüngliche gleichheit mit den Jenisej- 
Kirgisen spricht gewiss schon der umstand dass auch bei ihnen ein auf fal- 
sche deutung des nationalnamens fufsendes mährchen von vierzig jung- 
frauen die zu urmüttern irer nation geworden, sich vorfindet(). 


(') Dieses mährchen hat bei den heutigen Kirgisen (Radlow’s observations, s. 3) dahin 
sich modificirt, dass die vierzig mägdlein, weil das land irer väter plötzlich ganz verödet 
geworden, mit einem endlich von ihnen entdeckten roten hunde — faute de mieux — 
sich vermischten. So ergäbe sich halb menschliche und halb hündische abkunft des volkes, 
und wer weiss, ob nicht in der angabe dass jener hund von roter farbe gewesen, eine 


über die ächten Kirgisen. 465 


Von iren nachbarn den Kalmyken (Westmongolen) werden die Kir- 
gisen des Thjan-san und Ala-tau ‘Burut genannt. Radlow vermutet dass 
diesem, den Kirgisen unbekannten namen der name Bör zum 
grunde liege den eine kleine stammesabteilung des volkes führt, und das 
beigegebene z wäre dann mongolische mehrzahl, wie in Turghut, Jakut, 
u. s. w.(!) Burut ist das Pu-lu-te der heutigen Chinesen, worunter sie 
einige stämme des Thjan-San verstehen welche um die mitte vorigen jahr- 
hunderts bei gelegenheit der furchtbaren züchtigung des volkes Dsungar (der 
dsungarischen Kalmyken) in den schutz des drachenthrons sich begaben. 
Hier folge das wesentliche aus einem artikel Pu-/u-te in dem 1778 ge- 
druckten si-ji uen-kjan lu (s. o.) wo sie gleich hinter den Ha-sa-khi 
(Kafak) aufgeführt werden: 

“Ir gebiet liegt zwischen Chokand und Kasgar. Ire oberhäupter nen- 
nen sie Bi (Bej, Beg). Sie sind Hui (muslimische Türken), und in sitten 
und sprache von den übrigen wenig verschieden. Sie leben nomadisch in 
filzjurten, essen fleisch und trinken kumys. Sie sind arm und habgierig; 
das leben schätzen sie gering, den gewinn hoch: iR jae Hr R]). Sie mor- 
den gern und machen gern gefangene, auch sind sie tapfer im kampfe. Die 
Kafak und die von Bolor fürchten sich vor ihnen und die Dsungar konnten 
sie selbst in den tagen irer machtfülle nicht unterwerfen: Yılı Ik a IE: 
IR A HE AZ ln Sie plündern reisende kaufleute und schleppen 
sie als gefangene fort..... Als das 'grofse heer' (der Mangu) die west- 
regionen beschwichtigt hatte, wagten die Pu-lu-te nicht mehr zu schwär- 
men und ire fürsten schickten alle jahr an den generalstatthalter in Us‘ ge- 
sandte mit pferden für den kaiser. 

Als im 23ten jahre Khjan-lung (1758) die 'grofse armee gegen Ho- 
tsi-cen marschirte(?), da zog dessen nachbar, der Hakim-Bi (= Ss») 


verdunkelte erinnerung an ehemalige blondheit der Kirgisen sich erhalten hat? Die 
einführung eines hundes gemahnt übrigens an den wolf, welcher (Ma-tuan Lin, b. 342) 
zwei in einem turm isolirte und dem himmel geweihte töchter eines oberhauptes der Hjung- 
nu beschlief und so veranlassung zum entstehen des volkes Vigur wurde. 

(') Bör heisst /leber' und ist, wie das sär der Karagassen und pär der Sojoten, aus 
zu baghyr entstanden. 

(?*) Dieser junge Türke von edler abkunft war mit seinem bruder Pu-la-tun in Ii ge- 
boren, wo ir vater Choga Muhammed, ehemaliger oberstatthalter von Turkistan in dsunga- 


Philos.- histor. Kl. 1864. Nnn 


466 Scnorr 


der Pu-lu-te von Kasgar, an der spitze seiner leute dem rebellen entgegen 
und bekämpfte ihn aus aller macht. Zum lohne dafür ernannte ihn der 
kaiser zum Hakim-Bi von Tas’belik. 

‘Jetzt leben die Pu-lu-te zerstreut in den tiefen bergen und dichten 
wäldern von Us, Kasgar und Jarkand, und weiden ruhig ire heerden': 
KRUERKRZIZEENNS. 

Ebendaselbst liest man in einer kurzen politischen digression hinter 
dem artikel über Kasgar (b. 2, bl. 28): “Zur zeit der 'heilsamen umwand- 
lung [hervorgebracht durch den sturz des reiches der Dsungar - Kalmyken] 
vertrauten die Pu-lu-te noch auf ire stärke und misshandelten alle Hui 
(s. 0.); jetzt, nach bestimmung der neuen grenzen, werden die letzteren 
täglich wolhabender und die Pu-lu-te täglich ärmer. Ausserdem fürchten 
sie die macht unseres vom himmel stammenden herrscherhauses und wagen 


es nicht ire ehemaligen excesse zu wiederholen: I 6; & HF} ie 
Bi Hu ae, ANEKREN TORE, 
TERROR KERN. Me 
EI AR RE, 

Der kriegerische sinn und die beutelust der Burut (also der Kirgisen) 
werden somit von einem chines. autor des 18ten jahrhunderts hervorgeho- 
ben. Und diesem character ist das noch jetzo starke athletische volk treu 
geblieben bis auf die neueste zeit. Radlow fand sie ‘sombres, rudes et vio- 
lents, doch besitzen sie nach ihm mehr 'sincerite’ und "bonhommie als die 
Kafak. ‘Le Kirghiz — fährt er fort — “fait la guerre mais il ne vole pas. 
Letzteres mag sein, ob man aber auch hinzusetzen könnte: ‘il n’exerce point 
de rapines?” Das gastrecht soll den Kirgisen heilig sein. Ire industrie 
ist beinahe null, bedeutend aber ir musicalisches talent und ire improvisir- 
kunst. Herr R. hat lange epische gesänge bei ihnen entdeckt. 


rischen diensten, als statsgefangener (wegen versuchten abfalls) sein leben beschlossen hatte. 
Als im 20ten jahre Khjan-lung (1755) Ili erobert ward, schickte man die beiden brüder 
nach Jarkand. Dort verschworen sie sich mit iren anhängern wider den kaiser, und be- 
kämpften an der spitze eines zahlreichen heeres die kaiserlichen truppen, mussten aber end- 
lich geschlagen nach Badachsan flihen, dessen fürst ihnen den weg vertrat und eine grolse 
schlacht lieferte in welcher beide brüder fielen. Si-ji uwen-kjan Zu, buch 6, bl. 1 ff. 


über die ächten Kirgisen. 467 


Wann die Kirgisen den islam angenommen ist unbekannt; aber Herr 
R. bemerkt, sie seien, wie die Kafak, nur äusserlich muhammedaner, ohne 
priester oder bethäuser, sogar ohne gebete, und ohne einen begriff von dem 
was diese religion vorschreibt! Daher klingt es denn etwas paradox wenn 
der verf. an einer anderen stelle sagt: ‘Peut-etre qu’en embrassant l’Islam 
ils ont perdu leurs moeurs primitifs” Eine blofse 'teinture legere et presque 
imperceptible' der muslimischen religion, wie man mit anderen worten sagen 
könnte, dürfte schwerlich so tief greifende wirkungen haben. 


Es bleibt uns nun noch ein punct zu besprechen. 

Gerade im westen von Tibet erwähnt die geschichte des kaiserhauses 
Thang zweier völkchen #1 A Po-l1ju oder Zi y% Pu-lu, die in ein 
'grofses und ein ‘kleines’ zerfielen. Die ‘kleinen Po-1ju hingen west-nord- 
westlich mit den ‘grofsen’ zusammen. Westlich von ihnen war U-cang 
(za Udjäna, vermutlich Kafiristan), gegen süden zählte man 500 
stadien bis Kaschmir. Also wohnten sie im heutigen Klein-Tibet. Im 
südosten trennte ein raum von 300 stadien die beiden völker. Von dem ge- 
biete der kleinen Polju zählte man 3000 stadien etwas südöstlich bis zur 
residenz des T’shan-po der Tibeter (!). 

Im jahre 696 wurden die grofsen Po-lju am hofe der Thang zuerst 
bekannt. Sie waren den Tibetern untertan. In den jahren 713—741 
schickten sie dreimal gesandte an den kaiser, und ire fürsten erhielten den 
titel chinesischer lehenskönige (£). 

Im jahre 722 streckte Tibet, dessen macht damals in irer blüte stand, 
auch nach den kleinen Po-1ju seine hand aus. Da wendete sich ir könig an 
den chinesischen hof mit folgender vorstellung: “Po-1ju ist die westliche 
pforte der Thang; geht ihnen die verloren so wird Tibet aller westlichen 
länder (ve ı) sich bemeistern” Ein von dem chines. generalstatthalter 
des abendlands abgeschicktes hülfsheer von 4000 eliten brachte den Tibe- 


(') Dieses ächt tibetische wort (von ishan ordnung, classe) bedeutet "hoher würden- 
träger, magnat. Wenn der könig des landes gemeint ist, so ist das eine degradation, denn 
‘könig' heisst g’al-po (rgjal-po). 

Nnn2 


468 Scnuort 


tern eine grofse niederlage bei; der fürst erhielt wieder was Tibet ihm 
schon entrissen hatte und noch dazu den titel eines chines. lehenskönigs. 

Den dritten nachfolger dieses fürsten verheiratete das damalige ober- 
haupt von Tibet statsklugerweise mit einer princessin tochter, und in folge 
dessen gelangte kein tribut mehr von dort nach China. Da erschien 747 
ein kaiserliches heer, den rebellen zu züchtigen. Dieser wurde mit seiner 
tibetischen gemalin gefangen und bis vor den drachenthron transportirt, wo 
man ihn jedoch gnädig behandelte und ihm sogar eine 'hofcharge' gab. Seit- 
dem erhielt Po-1ju (beide gebiete?) den chines. namen Fi He Kuöi-sin 
und eine chinesische besatzung von nur eintausend mann('). 

Lange kann dieser besitz nicht gedauert haben und die geschichte er- 
wähnt seitdem keiner Po-]ju mehr. Darf nun die blofse ähnlichkeit des 
namens mit Pu-lu-te (Burut) glaublich erscheinen lassen dass jene zwei 
völkchen westlich von Tibet stammverwandte der Burut (also Kirgifen) am 
Himmelsgebirg und folglich auch derer am Jenisej gewesen?! Als blond 
und blau- oder grünäugig werden sie nicht bezeichnet obschon die bekannt- 
schaft mit ihnen bereits in die erste hälfte unseres $ten Jahrhunderts fällt, 
und überhaupt wissen die reichshistoriker der "Blume der Mitte‘ weder von 
irem äusseren noch von iren sitten etwas zu berichten. 


(') Kuei stn kann “zur tugend umgekehrt, aber auch (imperativisch): ‘kehr um zur 
tugend’ (entsage deinem bösen treiben, wirf dich einer heilsamen reaction in die arme) 
übersetzt werden. 


über die ächten Kirgisen. 469 


Nachträge. 


S. 441, z. 3 (v. 0.) lies: “tapfrer mann und geschickter linkhändiger 
schütze. 

S. 444, anm. 1. Einen hauptgrund für die germanische nationalität 
der U-sun glaubt man darin zu finden dass sie nach sinischen zeugnissen 
ire oberhäupter H Ya kuen-mi oder RE 7 kuen-mo betitelten(!). 
Selbstverständlich wird dabei an 'kunig,, König gedacht. Ein kuen für 
kun könnten wir uns schon gefallen lassen; wie stünd es aber mit dem bei- 
gegebenen m(i) oder m(o)? Für dieses wäre nicht einmal eine giltige 
entschuldigung vorzubringen. Hätte das wort im munde der Usun als ku- 
nem (!) oder ähnlich sich gestaltet, oder sollten die Siner eine unserer al- 
ten formen von 'könig: kuning, koning, konung, die ihnen alle ganz 
mundrecht sind und durch zwei chinesische grundwörter aufs genaueste sich 
darstellen lassen, so unbehülflich entstellt haben ? 

Wenn kuen-mi oder kwen-mo mit ‘könig identisch sein soll: 
warum nicht viel eher noch das ächt chinesische FE kjün oder kün (im 
Canton - dialecte kuen) welches “fürst bedeutet, ja selbst das japanische 
kuni (regnum, terra quatenus regem habet)? Erhalten die ‘menschen des 
mittelreichs und die von ‘sonnen-ursprung durch solchen besitz nicht ähn- 
liche ansprüche an germanische nationalität wie die weiland U-sun?! 

S. 448. Das Be comma der aus dem artikel "Pa-si-mi’ gezoge- 


nen stelle lautet wörtlich : Eu se) IE EH EI Y) 58 #) 4 Mm er 
AA AR IR FF Re. 


(') Dass ersteres die männlichen oberhäupter und letzteres ire gemalinnen bedeutet 
habe, ist vollkommen unwahr und auf ärger als schülerhaften missverstand des chinesischen 
textes gegründet. 


470 Scuorr 


“Wenn [der Jäger] auf ebener erde über den schnee schreitet, so stöfst 
er einen stab in die erde [den schnee] und läuft wie ein schiff [dahinfährt] ; 
auch so holt er den flihenden bhirsch ein. 

S.453. Pe-san d.i. Weissberg heisst ein vulcanischer gipfel des 
Himmelsgebirges im süden der statthalterschaft Di und etwa 3 breitengrad 
nördlich von Kuce (Kutsch). Nach einer von Ma-tuan Lin (b. 336, bl. 22) 
ausgezogenen stelle der amtlichen geschichte des hauses Sui (581—618 u. z.) 
vertauschte man in diesem namen das chinesische pe auch mit dem türki- 
schen a-ki (soll heissen @g), welches ebenfalls ‘weiss’ bedeutet. 

S. 456, anm. 2. Der hier erwähnte weibliche titel wird von den 
Chinesen älterer zeit auch rn] £ E EN kho-hö-tün (kha-ha-tun) ge- 
schrieben (!), woraus ini ehe hervorgeht dass chatun blofse ab- 
kürzung eines älteren chakatun (besser chaghatun), also von dem 
männlichen titel abgeleitet ist. Rätselhaft bleibt aber der zusatz fun, da 
kein demselben ähnliches wort für 'femina’ nachgewiesen werden kann und 
geschlechtsanhänge dem ganzen tatarischen sprachgebiete fremd sind. 


Es folge jetzt noch einiges was nur die erdbeschreibung Huan-ju ki 
in dem artikel ‘Kirgisen' uns bietet: 

“Ein N das Goldmeer (E BE kin- hai) genannt, teilt sich in 
zwei flüsse (77 An GdıyR]); von denen einer Meu, der andere Kjan- 
tse heisst. 

Einziger lichtschimmer in diesem dunkel ist ®)] Aal Kjan-tse, weil 
man, was auch von der zweiten silbe zu halten sei, die erste als örtlichen 
namen des Jenisej (Kem) erkennt. Dieser fluss entspringt nun zwar keines- 
wegs in einem see, sondern auf den westlichen abfällen einer kette hoher 
pikförmiger berge die sein quellengebiet von einem see trennen der Koso- 
göl genannt wird und nahe der östlichen abdachung jener berge sich aus- 


(') So z.b. im Huan-jüu kı, buch 194, bl. 9. 


über die ächten Kirgisen. 47 


dehnt. Dagegen kann man die gen osten fliessende Selengga als einen 
abfluss jenes sees betrachten, da ir nördlicher zufluss, die Ega oder Iga, 
demselben wirklich am südende entströmt(!). Was der verf. des Huan- ju 
ki sagt, ist also halbe wahrheit, und ich trage nicht bedenken seinen Meu 
für die Selengga zu erklären. 

Die den tier-cyelus betreffende bemerkung lautet hier: "Nach zwölf 
tieren berechnen sie das jahr; beispielsweise heisst ein im - stehendes 
(das erste des zwölfteiligen zeitkreises) 'maus-jahr, ein im FF stehendes 
(elftes) 'hunde-jahr. Sie haben [diesen tierkreis] mit den Uigur ge- 
mein. 

Unter den wilden tieren ist ne KR he-uöi d.i. derschwarzschwanz 
(weAavoregxos) erwähnt und zwar gleich nach dem hirsche (HE). Unser 
verf. sagt: "Dieses tier gleicht einem Er cäng(?), aber sein schwanz ist 
stärker und von schwarzer farbe. Die barbaren nennen es w 1% szc-mu. 
Rechnen wir von dieser offenbaren zerlegung eines einsilbigen wortes den 
kurzen vocal u ab, so bleibt szem, genauer szym, welches lebhaft an das 
syn oder sin der Koibalen und Sojoten (sen der Karagassen) erinnert, wie 
diese heutigen bewohner des alten Kirgisenlandes nach Castren den ‘hirsch’ 
benennen(°). Das obige cäng erklären die sinisch- europ. wörterbücher 
bald durch ‘gemse’, bald durch ‘kleine art hirsch. Wells-Williams sagt: 
“a kind of gazelle, hornless and of elegant shape.’ 

Im widerspruch mit den anderen quellen lässt unsere vorliegende die 
heiraten der Kirgisen ohne brautgabe vor sich gehen: ul AR] Fur. 
WI HE. 

Das kirgisische eisen giebt dem verf. zu folgender betrachtung an- 
lass: "Im väng-hui thü [ältesten amtlichen bericht über zinsbare auslän- 
der] wird gesagt: “Hier [in Kirgisien] regnet eisen vom himmel. Man 


(') Einen anderen abfluss hat der Kosogöl gar nicht. Sihe im 18ten bande des Er- 
man’schen archivs, s. 260 ff. 

(?) Man denke über diesem zeichen noch ein die categorie des begriffes anzeigendes 
BE als untrennbaren bestandteil. 

(?) S. dessen “versuch einer koibalischen sprachlehre’, s. 146. — I. J. Schmidt erwähnt 
in seinem tibetischen wörterbuche nur beiläufig (s. 543) ein "grolses ziegenartiges wild’ mit 


dem tibetischen namen cin (geschrieben skjin), der ebenfalls an sin erinnert. 


472 Scnsorrt 


sammelt es ein und schmiedet klingen daraus; es ist vom gewöhnlichen 
eisen verschieden Wenn gesandte [des oberhaupts der Kirgisen] deshalb 
befragt wurden, blieben sie eine gerade antwort schuldig, indem sie nur er- 
klärten, das eisen sei bei ihnen überaus hart (EX) und scharf(?)(!), auch 
hätten sie sehr geschickte bearbeiter desselben. Gewiss bringt die erde 
dieses eisen hervor und es wird durch starke und anhaltende regengüsse nur 
blofsgelegt. Fiele es vom himmel, so würden ja menschen und tiere ver- 
wundet und erschlagen. Ein anderer bericht sagt: ‘Das land erzeugt gutes 
eisen welches als tribut an die Tu-kju kam.’ Dies ist die wahrheit von 
der sache. 

Man siht, der verf. schüttet das kind mit dem bade aus, weil er of- 
fenbar von meteoreisen nichts erfahren hat. 

Dieselbe chinesische erdbeschreibung giebt (b. 185, bl. 5) den ural- 
ten namen der Kirgisen (Xjan-kuwen) auch einem nomadenvolke nord- 
westlich von Khang-kju (d. i. von Buchara, also etwa am see Aral?) das 
30,000 streiter zählte und gute pferde besafs. Interessanter ist ein anderer 
artikel (b. 200, bl. 1), einem volke gewidmet welches nördlich mit den 
Kje-ku (Kirgisen) sich begränzte und von ähnlichem äusseren wie 
diese, aber verschiedner sprache war: W un] == IM = Er 
A |E)@). Ein nationalname dieses (wol rein tschudischen?) volkes wird 
uns nicht mitgeteilt; chinesisch nannte man sie 1% 46) Po-mä d.i.'scheckige 
pferde’, weil dieses haustier bei ihnen ohne ausnahme scheckig war. Sie 
genossen milch und fleisch irer pferde, gebrauchten sie aber nicht zum rei- 
ten. Po-mäa und Kirgisen waren übrigens böse nachbarn; sie überfie- 
len und bekämpften einander öfter: X AE] 1% Ik. Das land der erste- 
ren hatte von osten nach westen die ausdehnung einer monatreise; von 


5 
süden nach norden gebrauchte man noch zwanzig tage mehr, auch war es 


(') Das hier gebrauchte wort RK hat neben seiner hauptbedeutung “scharf nach 
Wells - Williams auch die bedeutung “glatt (smooth); soll das hier ‘geschmeidig heissen? 

() Schade dass unser verf. die äusserlichen ähnlichkeiten beider völker nicht specificirt, 
schade um so mehr, da er sonst von keinem volke sagt es sei den Kirgisen ähnlich 
gewesen. Sein artikel ist übrigens, wie ich nachträglich entdecke, nur die saubere abschrift 
eines artikels des Thang su (b. 217, B, bl. 12). 


über die ächten Kirgisen. 473 


dem Polarocean Jr YE benachbart. Die zahl irer streitbaren männer be- 
trug nur 30,000, die irer pferde 300,000. Inmitten der jahre Jüng-hüi 
(653 uns. z.) schickten sie geschenke an den kaiserlichen hof. 


Ne vacet pagina — noch ein par zugaben. 

Den namen Goldsee führt der Teletsker see in einer von Rad- 
low (Erman’s archiv, b. 20, s. 570—571, 594—597) mitgeteilten sage der 
Teleuten, betitelt ‘das lied von Myrat Pi’ [Murad Be) d. h. fürst Murad)]. 
Dieser held will nemlich an den genannten see zihen um die anwohner des- 
selben zu bekriegen, und führt sein vorhaben aus, allen mütterlichen abmah- 
nungen trotzend, wie in der finnischen heldensage Lemminkäinen durch keine 
abmahnungen seiner mutter sich bewegen lässt, den zug nach Pohjola aufzu- 
geben. Der Teletsker see, den nur ein schmaler raum vom nördlichen 
quellarme des Abakan, also gewiss ein nicht sehr breiter vom alten Kir- 
gisenlande oder dessen nordöstlichen gebieten trennt, konnte mit noch 
gröfserem rechte als der Kosogöl für ein in zwei ströme auseinander gehendes 
wasserbecken erklärt werden da er an seiner südspitze einen fluss, den C’u- 
!ysman, in sich aufnimmt und im norden einen anderen, die Bija, aus 
sich entsendet. 

Das schriftzeichen jet oder in welches doppelt gesetzt den namen 
desjenigen türkischen volkes darstellt bei welchem die titel cAhakan und 
chatun zuerst aufgekommen sein sollen, ist weder gu oder su, noch (wie 
eine zeitlang beliebt gewesen) san oder sen auszusprechen, sondern die 
richtige aussprache ist so, wie folgende bestimmung derselben in Khang-hi’s 
wörterbuche lehrt: ‘teile sw und ZAo’ d. h. nimm den anlaut vom ersten 
und den auslaut vom anderen. Der fragliche name lautete demnach S’o-so. 

Das erwähnte vortreffliche wörterbuch lässt uns auch keinen zweifel 
mehr über die richtige aussprache desjenigen namens welchen die Uigur den 
Kyrghyf gaben um sie als 'rotgelbe’ zu bezeichnen. Für Aje-kja-sze ist 
wirklich Ha-ka-sze zu lesen. Gründe: 

Philos.- histor. Kl. 1864. Ooo 


474 Scnorr über die ächten Kirgisen. 


Bei Eier steht: Hl /\ #9] ‘teile Aa und pa’, d. h. Au + pa — 
(u + p) giebt ha. Nur als reim kann das betreffende wort auch wie iu 
d. h. kje lauten. 


Bei & steht: Hr LER 49] ‘teile ku und Aa’, d.h. ku + ha — 
(U + Äh) = ka. 


DORT 


Prüfung des Charakters der ın den assyrischen 
Keilinschriften enthaltenen semitischen 
Sprache. 


Eye 
H" OLSHAUSEN. 


[Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 5. December 1861 und 11. Mai 18653.] 


D. Entzifferung der assyrischen Keilschrift ist unstreitig eine der schwie- 
rigsten Aufgaben, welche dem menschlichen Scharfsinn jemals gestellt sind. 
Für ihre Lösung war allerdings ein erster Anknüpfungspunct gegeben in der 
Vergleichung der assyrischen Inschriften mit den bereits glücklich entzifferten 
parallelen alt-persischen in Persepolis, Bisutun und anderwärts; allein es 
konnte von Anfang an nicht zweifelhaft sein, dafs die bei diesen mit so glän- 
zendem Erfolge angewandte Methode auf jene nur in sehr beschränktem 
Mafse Anwendung finde, da hier offenbar eine Schrift vorlag, welche nicht 
wie jene alphabetischer Natur war. Dennoch sind einige scharfsinnige Män- 
ner, denen ein reiches Material für die Entzifferung zu Gebote stand, nicht 
nur muthig ans Werk gegangen, sondern auch im Wesentlichen unabhängig 
von einander zu fast identischen Resultaten gekommen. Es liegt darin immer 
eine gewisse Bürgschaft für die Zuverlässigkeit derselben und die vorhandene 
Übereinstimmung unter den Forschern erweckt eine um so gerechtere Be- 
wunderung, wenn man auf die Windungen zurückblickt, welche die Unter- 
suchung hat durchmachen müssen, um auf den jetzt erreichten Punkt zu 
gelangen. 

Zuerst galt es mit Hülfe der Eigennamen in den parallelen Inschriften 
eine Anzahl laut-bezeichnender Elemente zu gewinnen und deren syllabische 
Natur festzustellen. Diesen phonetischen Charakteren traten aber sofort 
andre zur Seite, welche nach Vergleichung der Parallel-Inschriften nur als 
ideographische angesehen werden konnten. Ihre Bedeutung liefs sich 
zum Theil bestimmen, aber der ihnen entsprechende Lautwerth mufste vor- 
läufig und für solange dahin gestellt bleiben, als nicht in andern Inschriften 
unzweideutige Äquivalente in phonetischer Schrift gefunden waren. 


0002 


476 Orsnausen: Prüfung des Charakters der in den 


Sodann war die Schwierigkeit zu beseitigen, welche in dem anschei- 
nend gleichen Lautwerthe — in der Homophonie — verschiedener pho- 
netischer Charaktere lag. Es zeigte sich schliefslich, dafs von einem solchen 
in Wahrheit nur äufserst selten die Rede sein kann. Statt dessen ergab sich 
aber eine andere, noch bedenklichere Schwierigkeit, indem auf das Unzwei- 
deutigste ermittelt wurde, dafs ein und dasselbe Zeichen mehr als einen 
Lautwerth haben konnte, — die Existenz einer Polyphonie. Hier schien 
sich dem Fortschritt eine unübersteigliche Schranke entgegen zu stellen; 
eine besonders glückliche Entdeckung Layards brachte unerwartete Hülfe, — 
die Entdeckung assyrischer Syllabarien, die einst in einem der verschüt- 
teten Paläste Nineve’s auf königliches Geheils aufgestellt waren. Aus ihnen 
wurde erkannt, dafs die Mehrlautigkeit vieler Zeichen von der ursprünglich 
rein ideographischen Natur der assyrischen Schrift und dem symbolischen 
Gebrauche vieler Charaktere herrühre, und den Übergang dieser Schrift von 
einem nicht-assyrischen — setzen wir hinzu: überhaupt nicht semitischen — 
Volksstamme zu den Assyriern voraussetze. Die Syllabarien geben hinsicht- 
lich vieler Charaktere die verschiedenen Laute an, welche sie zu bezeichnen 
dienen können, theilweise zugleich die Bedeutungen, welche diesen Lauten 
ursprünglich — d.h. in der nicht-assyrischen Sprache — zukam. Durch 
dieses wichtige Hülfsmittel sind bedeutende, wenn auch nicht erschöpfende, 
Resultate gewonnen. Zu den sichersten darunter möchte aber der angeblich 
turanische, d.i. türkisch-tatarische, Ursprung der Keilschrift kaum ge- 
rechnet werden dürfen, während die semitische Abstammung der Sprache, 
worin die assyrischen Inschriften abgefafst sind, nicht mehr bezweifelt wer- 
den kann. 

Manche eigenthümliche Schwierigkeiten, denen man bei der Ent- 
zifferung begegnete, müssen hier unerwähnt bleiben, wo versucht werden 
soll, das bis jetzt gewonnene Resultat der verdienstlichen Forschungen der 
Entzifferer nach seinem sprachlichen Charakter zu prüfen, zu ermitteln, 
welchen Werth dasselbe für die semitische Sprachforschung hat, und wel- 
ches Vertrauen die Entzifferung nach dieser Seite hin verdient. Dabei wird 
es angemessen sein, die übersichtliche Darstellung zum Grunde zu legen, 
welche wir dem fleifsigen und scharfsinnigen Mitarbeiter auf diesem Felde, 
Herrn Oppert in Paris, in seinen Elements de la grammaire Assyrienne 
verdanken. 


assyrischen Keilinschriften enthaltenen semitischen Sprache. 477 


Herr Oppert bedient sich in dieser Schrift zur Umschreibung der 
assyrischen Sprachlaute der hebräischen Charaktere, was im Ganzen bei 
der engen Verwandtschaft der assyrischen und hebräischen Laute Billigung 
verdient, in einigen Beziehungen jedoch Unbequemlichkeiten mit sich führt, 
wie sogleich aus einer näheren Betrachtung der assyrischen Lautlehre er- 
hellen wird. 

Das Assyrische kennt die drei alten, im Semitischen, wie in andern 
Sprachstämmen ursprünglichen Vocale a i u, und allem Anscheine nach 
nur diese; eine Thatsache, die nicht überraschen kann. Wenn es aber bis- 
her nicht gelungen zu sein scheint, eine sichere und durchgreifende Unter- 
scheidung der kurzen und der langen Vocale festzustellen, die in Betracht 
der eigenthümlichen Bildungsweise der semitischen Sprachen sehr erwünscht 
wäre, so ist das ein Übelstand, der vielleicht im Verlaufe der Zeit noch 
beseitigt werden wird. Bei der Transscription in hebräischer Schrift ist man 
gleich hier in Verlegenheit, da in dieser jetzt die kurzen Vocale von den 
langen äufserlich theils beständig theils in der Regel unterschieden wer- 
den. — Möglich bleibt es übrigens, dafs auch die Mischlaute £ und 6 der 
Sprache nicht fremd waren; doch ist darüber bis jetzt nichts Zuverlässiges 
ermittelt. 

Hinsichtlich der Consonanten stimmt das Assyrische mehr mit dem 
Hebräischen überein, als mit irgend einer der übrigen verwandten Sprachen. 
Von den im Arabischen nach und nach abgezweigten Lauten, wie z.B. 25 2, 
findet sich keine Spur. Selbst zwischen den schon im Hebräischen getrenn- 
ten Lauten des ® und ® findet hier eine deutliche Scheidung nicht Statt. 
Herr Oppert stellt daher neben das Wü nur das od als reines scharfes s auf, 
obgleich dieses im Hebräischen, wenigstens später, nicht ganz diesen Werth 
gehabt hat. Übrigens ist er geneigt, zwischen beiden Lauten Verwech- 
selungen im localen Gebrauche zu statuiren, und unzweifelhaft entspricht in 
den einzelnen Wörtern dem hebr. w bald assyrisches w, bald ass. d, und 
ebenso dem hebr. w und od, bald ass. o, bald ass. v. Überhaupt stehen ins- 
besondere die Zischlaute der assyrischen Sprache auf der Stufe desHebräischen, 
im Gegensatze zum Arabischen und noch mehr zum Aramäischen. Also z.B. 
die Zahl drei, hebr. w>W, liest Herr Oppert im Assyrischen w>W; im 
Arabischen entspricht ©, im Aramäischen r>n. Die am meisten erweichte 
Form ist die hebräische und die assyrische. 


478 Orsnausen: Prüfung des Charakters der in den 


Diese Dinge erregen so wenig Anstofs, wie die mangelnde Unter- 
scheidung der sogenannten Aspiratae von den entsprechenden Tenues und 
Mediae, welche im Hebräischen durch das Däges lene bezeichnet werden. 
Es fehlt sonach an dem Nachweis für die Existenz eines aspir.» > n u.s. w. 
im Assyrischen. Aber auch im Hebräischen ist diese Unterscheidung ver- 
hältnifsmäfsig jung und eine Nothwendigkeit für dieselbe kann nicht voraus- 
gesetzt werden. 

Eine scharfe Aussonderung des 5 aus der Gruppe der Gutturale 
scheint noch nicht gelungen zu sein, darf aber vielleicht noch von der Zu- 
kunft erwartet werden. Höchst auffallend ist dagegen die im Assyrischen 
unleugbare Vermischung oder vielmehr das Zusammenfallen der beiden 
Laute m und w. Es ist dies eine Entartung des semitischen Lautsystems, 
die wohl dem Einflusse nicht-semitischer Grenznachbaren zuzuschreiben sein 
mag. Für die Transscription in hebr. Schrift ist sie aufserordentlich stö- 
rend, da man weder berechtigt ist die Einheit des Lautes dabei unberück- 
sichtigt zu lassen und also je nach der etymologischen Verwandtschaft ent- 
weder » oder ; zu schreiben, noch auch mit Zuversicht das eine oder das 
andere dieser Zeichen allein zu verwenden, da der assyrische Laut zwischen 
dem des m und des hebräischen w in der Mitte liegen mochte. Herr Op- 
pert hat den ersten Ausweg gewählt, der für seinen Zweck allerdings geeig- 
neter erscheinen mufste, als der zweite. 

Von den euphonischen Gesetzen des Assyrischen erfahren wir 
nicht viel. Ein Theil derselben stimmt gut zu den im Hebräischen geltenden 
Vorschriften oder befremdet doch nicht. Ein Abschwächung des & in 7 zeigt 
sich nicht selten und auch in solchen Fällen, wo das Hebräische sie noch 
vermeidet. Im Auslaute wird die Verdoppelung ganz wie im Hebräischen 
unterdrückt. Man spricht also => (= =>), aber mit nachfolgendem Vocale 
tritt die Verdoppelung sofort wieder ein: 225. Ferner ist zu erwähnen: die 
Zulässigkeit der Verdoppelung des m und des, die auch im Hebräischen 
erst spät ganz oder fast ganz weggefallen ist; die weicheren Gutturale da- 
gegen vertragen auch im Assyrischen die Verdoppelung nicht mehr, und das- 
selbe gilt, was mehr überrascht, von » und meist auch von 1. — Die Assi- 
milation des » vor Zungen- und Zischlauten ist häufig; die dadurch ent- 
stehende Verdoppelung der letzteren kann indessen hinterher ganz aufgeho- 
ben werden, was in gleichem Umfange im Hebräischen nicht der Fall ist. 


assyrischen Keilinschriften enthaltenen semitischen Sprache. 479 


Das n assimilirt sich vorhergehenden 7 1 x, wozu sich einzelne Parallelen 
auch aus dem Hebräischen (und Arabischen) beibringen lassen. — Vereinzelt 
kommen noch andre Beispiele von Assimilation vor, wie z.B. in 255 Stern, 


aus 2533, wofür im Hebräischen und Arabischen 252 535 steht. — Ein 
Übergang von n in » ist dem Assyrischen eigenthümlich, z. B. in san, dann 
auch un, funfzig; doch kann dieses in keiner Weise bedenklich erscheinen. 
An sich auffallend ist aber der Übergang der Zischlaute in Z, zugleich jedoch 
geeignet den längst bekannten Lautwechsel innerhalb der ursprünglich 
gewifs identischen Namenformen E’7ir2 und XaAdatcı zu erklären, sodafs 
dieser seinerseits der Beobachtung wieder eine Stütze verleiht. Die Rich- 
tigkeit der Beobachtung vorausgesetzt, erklärt sich jener Übergang kaum 
anders als mittels eines Durchgangs durch den Laut des r. — Interessant ist, 
dafs wurzelhaftes 7 zu Anfang des Wortes constant in x übergeht, während im 
Hebräischen statt dessen > eintritt. Hiernach stehen also arabischen Wurzeln 
wie X, 55 Ss, hebr. 75 79 2%, im Assyrischen gegenüber: Ex x SWR 
u.s.w. Das wurzelhafte » dagegen bleibt wie im Hebräischen unverändert, 
wie u 0, bi yp> u.s.w. Hierbei findet jedoch eine seltsame Ausnahme 
statt, indem das Assyrische überhaupt die Verbindung eines > mit nachfol- 
gendem u nicht gestattet, und sonach z.B. für 2» = o» blofs os gesprochen 
wird. Herr Oppert hat dieser Eigenthümlichkeit ungeachtet das assyrische > 
in der Transscription überall hergestellt, was schwerlich gebilligt werden 
kann, obgleich er auf diese Weise die Möglichkeit gewinnt, unangenehme 
Vermischungen vieler Verbalformen zu beseitigen, nemlich das Zusammen- 
fallen einer gewissen Zahl dritter Personen des Imperf. mit den entsprechen- 
den ersten Personen; z. B. 722 (sprich: x) und 75:8. Die Unverträglichkeit 
der Laute > und u zeigt sich noch auf andere Weise, indem das » auch in der 
Mitte des Wortes hinter w weichen mufs und z.B. statt 2x gesprochen 
wird: abüa, also gleichsam mit x statt >; ein Übergang, der an sich auch 
im Hebräischen möglich ist, dort aber gerade hinter 1 nicht vorkommt. 
Auch in diesem Falle hat Herr Oppert das > in der Transscription wieder 
hergestellt. 

Wenden wir uns jetzt der Formenlehre zu, so wird es angemessen 
sein, mit der eigenthümlichen Bildung der Pronomina zu beginnen. Die 
Hauptformen der Personalpronomina sind bis jetzt nur mangelhaft bekannt; 
für die erste Person ist der Sing. »>>x noch mit dem ursprünglichen a in der 


480 Orsuausen: Prüfung des Charakters der in den 


zweiten Sylbe versehen; die Endung » neben dem hebr. »_hat kein Bedenken. 
Der Plural lautete wahrscheinlich »n3x, also umgekehrt mit »_statt». Von 
der zweiten Person ist nur der Sing. des Masc. mx nachgewiesen, völlig 
übereinstimmend mit dem Hebräischen. Wichtig ist die der dritten Person 
eigne Gestalt im Assyrischen. Sie bietet statt des Hauchlautes der übrigen 
semitischen Sprachen das ®, welches wohl unzweifelhaft als ein älterer, 
wenn auch nicht als der älteste, ursprüngliche Laut anzusehen ist: x sü, 
Pl. jo (saw) jo (mm). — Die Pronominal-Suffixe stimmen in der ersten und 
zweiten Person mit anderweitig bekannten Formen im Ganzen vortrefflich 
überein: > (auch arab., und vormals hebr.), Pl. (ohne Schlufsvocal, was 
eigenthümlich ist); 7 >, Pl. masc. j2, fem. noch nicht aufgefunden. In der 
dritten Person erscheint wiederum das W: ö s® (= hebr. m), Pl. w ww. 
Doch wird das ö hinter gewissen Lauten in 0 verwandelt, was keinen Anstofs 
erregen kann, aber in Verbindung mit einem bereits angeführten Assimilations- 
verfahren eine bemerkenswerthe Mannigfaltigkeit von Formen erzeugt, z.B. 
onı2> (son argile, cf. 0) later, hebr. 7325), '©2- "02. 

Sehr erhebliche Abweichungen von den sonst bekannten semitischen 
Formen zeigen die sog. Demonstrativ-Pronomina. Ich enthalte mich 
der Anführung derselben und mufs mich begnügen auf den Mangel jeglicher 
sprachwissenschaftlicher Controle für das bisher Ermittelte hinzuweisen. — 
Die Frage-Pronomina ja und x” sind dagegen mit allbekannten semitischen 
Formen identisch, obgleich im Hebräischen 7a durch ”s ersetzt ist und nur 
einmal als alterthümliches Äquivalent von ma vorkommt. — Noch möge hier 
angeführt werden, dafs auch die fälschlich zu den Pronominibus gerechnete 
Relativ-Conjunction (hebr. “ös, dann U "v) im Assyrischen ö lautet, wonach 
auch hier wieder die Verwandtschaft mit dem Hebräischen eine nähere ist, 
als mit irgend einer anderen semitischen Sprache. 

Hinsichtlich der trilitteren Wurzeln, welche bei der regelmäfsigen 
Nominal- und Verbalbildung zum Grunde liegen, ist nun zu bemerken, dafs 
zwar in den entzifferten Inschriften neben anderweitig bekannten und in 
ihrer Bedeutung hinreichend gesicherten auch manche bisher unbekannte 
Wurzeln erscheinen, deren Bedeutung mehr oder weniger unsicher bleibt; 
Combinationen von Wurzelconsonanten dagegen, welche in den verwandten 
Sprachen überhaupt unzulässig sind, habe ich nicht gefunden. 


assyrischen Keilinschriften enthaltenen semitischen Sprache. 481 


Betrachten wir ferner die Nomina insbesondre, so zeigt sich in den 
an die Grundformen hinantretenden accessorischen Begriffsbezeichnun- 
gen, wie namentlich Geschlechts- und Zahlbezeichnung, Casusbildung, und 
allem was sonst der Mannigfaltigkeit der Formen eines und desselben Nomen 
zum Grunde liegen kann, vorherrschend eine erwünschte Übereinstimmung 
mit bekannten Erscheinungen des gesammten semitischen Sprachstammes; 
Anderes jedoch weicht auf unerwartete Weise ab. Im Einzelnen bemerke 
ich hierüber Folgendes. 

Wenn der arabische Plural des Masculins in der Hauptform des No- 
minativs die Endung üna zeigt, so stimmt dazu die assyrische Pluralform auf 
ün vortrefflich. Sie ist jedoch nach der Angabe Opperts sehr selten und 
findet sich nur an Partieipien. Häufiger ist eine zweite Form ;_, die den 
gleichen Endconsonanten zeigt, hinsichtlich des Vocals aber nicht zum Ara- 
bischen, sondern zum Äthiopischen stimmt. Einer solchen Form hier zu 
begegnen, ist an sich keineswegs anstöfsig, aber die gleichzeitige Existenz 
der Form mit ö und mit @ ist allerdings bedenklich. Die gewöhnlichste 
Form des Plurals endet dagegen auf »_ oder vielleicht »_ ; die Bestimmung 
des Lautes schwankt noch. >_ erinnert sofort an die gleichlautende hebräi- 
sche Pluralendung im sog. status constructus;, >_ würde mit der hebräischen 
Hauptform auf 2>_ und mit der arabischen Hauptform des Genitivs und sog. 
Accusativs auf ina zusammenzustellen sein. Befremdlich ist aber eine vierte 
Form des Plurals, auf m>- ausgehend, insbesondere bei Partieipien üblich. 
Schwer entschlielst man sich einem arab. ., Si», hebr. 2>2U>, im Assyrischen 
einen Plural n2Ux zur Seite zu stellen. Dennoch scheint die Thatsache fest- 
zustehen und es wird Nichts übrig bleiben, als die im Äthiopischen zahl- 
reichen, im Hebräischen, Arabischen und Aramäischen mehr vereinzelten 
Spuren eines ursprünglich nicht auf das Femininum beschränkten Gebrauches 
der Pluralendung auf n herbeizuziehen. 

n ist aber auch im Assyrischen regelmäfsig das Kennzeichen für das 
Femininum, und zwar wie in den anderen Sprachen ohne Zweifel mit vor- 
aufgehendem @ im Singular, und @ im Plural: n70 _. Indessen steht da- 
neben wieder eine dem Assyrischen eigenthümliche Form mit »_ im Singular 
und ?>_ oder vielleicht m_ im Plural. Sie erscheint nach Oppert vorzugs- 
weise an Derivaten solcher Wurzeln, die auf einen schwachen (d. h. der 
Vernichtung ausgeseizten) Consonanten ausgehen, wie z. B. in :27 rn, 


Philos.-histor. Kl. 1364. Ppp 


482 Orsuausen: Prüfung des Charakters der in den 


>> n_. Man könnte deshalb versucht sein, dies allein als die Femininbe- 
zeichnung anzusehen und den Vocal der Grundforin zuzuschreiben. Doch 
ist dies schwerlich zulässig; denn dieselbe Bildung findet sich doch auch in 
Femininis aus starker Wurzel, wie in mx n>y2, wo die Endung grade so 
antritt, wie sonst »_n. Dem Plural kommt der lange Vocal dann nach 
demselben Bildungsgesetze zu, wie bei den Femininis mit a. 

Im Übrigen ist zu beachten, dafs die Plural-Endung verhältnifsmäfsig 
selten durch syllabische Schrift ausgedrückt wird, was die Untersuchung 
nicht wenig erschwert. Meist wird ein ideographisches Zeichen angewandt 
und dasselbe gilt auch vom Dual. Angeblich lautet dessen Endung theils 
s_, theils _ oder ». Jede dieser Formen erinnert an bekannte Dinge in 
den verwandten Sprachen; das s_ an die arabische Hauptform des Nomina- 


tivs ©)_, ”_ und >_an die beiden hebräischen Formen =>_ und »_, und an den 


arabischen Genitiv und Accusativ auf aini. 

Ich gehe zu der wichtigen Frage nach der Casusbildung im Assyri- 
schen über. Leider sind über diesen Gegenstand und Alles was sich daran 
anschliefst, die Mittheilungen Opperts sehr lückenhaft und verwirrt. Die 
Schuld davon liegt allem Anscheine nach darin, dafs Hr. Oppert sich die 
hier in Betracht kommenden Verhältnisse nicht vollständig klar gemacht hat, 
und dadurch zu ganz unzulässigen Combinationen veranlafst ist, die der 
Übersichtlichkeit wesentlich Eintrag thun. 

Worauf es ankam, wird sich am besten zeigen lassen, wenn an den 
Stand der Sache nach Mafsgabe der längst bekannten Zweige des semitischen 
Sprachstammes erinnert wird. Da finden wir denn im Arabischen, das auf 
der alterthümlichsten Stufe steht, theils drei Casus vollständig unterschie- 
den, den Nominativ, Genitiv und sog. Accusativ, theils die beiden letzten 
äufserlich zusammengeworfen, und zwar dieses in einem Theile der No- 
mina im Singular und der durch innere Umbildung entstandenen Pluralfor- 
men, ferner in allen sog. regelmäfsigen Pluralen und in den Dualen. Wo 
alle drei Casus unterschieden sind, bezeichnet angehängtes u den Nomina- 
tiv, 2 den Genitiv, a den Accusativ. Auf diese Vocale folgt aber ein dem 
n ähnlicher Nasal, der erst unter besonderen Umständen wegfällt, zumal 
vor einem nachfolgenden Genitiv und bei vorgesetztem Artikel, also haupt- 
sächlich da, wo das Wort ein Bestimmtes oder schon Bekanntes bezeichnet; 


assyrischen Keilinschriften enthaltenen semitischen Sprache. 483 


wornach man sagen kann, dafs der Nasal im Gegentheil das Indetermi- 
nirte bezeichnet. Dieselben Umstände üben auch Einflufs auf die Singu- 
lare und Plurale mit innerer Umbildung, welche sonst nur zwei Casus äu- 
fserlich unterscheiden; sie erhalten dann die drei Vocale als Endungen. Die 
sog. regelmäfsigen Plurale und Femininine mit der Endung w&!- hinter der 
Grundform des Nominativs haben für ihre zwei Endungen u und z ebenfalls 
den nasalen Nachklang unter gleichen Umständen, gelangen aber nicht zur 
Scheidung aller drei Casus. Die regelmäfsigen masc. Plurale und die Duale 


oo. 


- > P7 - 
haben vollere Endung für ihre zwei Casus: (.ys- und «>-, .- und (5-. Vor 


nachfolgendem Genitiv aber streifen sie die Schlufssylbe ab, und lauten also: 


"Es sind also zwei Momente, welche auf die Gestaltung der Casusen- 
dungen mächtig einwirken: das Nachfolgen einer Ergänzung im Genitiv und 
in etwas geringerem Mafse die Determinirung des Wortes durch den Artikel. 
In dem ersten Falle erscheint eine den Übergang zumFolgenden erleichternde 
Abkürzung der Endung äufserst natürlich; man geht von u i a leichter zu 
dem ergänzenden Genitiv über, als von #74; ebenso von üid ai leichter 
als von üna etc. Dafs der vorgesetzte Artikel in den meisten Fällen die- 
selbe Wirkung hervorzubringen vermochte, will ich zu erklären hier nicht 
versuchen. 

Auf einer anderen Stufe, als das Arabische, steht das Hebräische. 
Zwar hat diese Sprache das Bewufstsein der Casusunterschiede vollkommen 
festgehalten, aber die äufseren Zeichen der Casus sind bis auf ganz geringe 
Spuren verloren. Die Casusendungen des Singulars sind ganz abgestreift, 
und dadurch, sowie durch andere Umstände, sind zahlreiche lautliche Ver- 
änderungen in der ursprünglichen Gestalt der Nomina hervorgerufen. Von 
einer gleichen Einwirkung jener im Arabischen nachgewiesenen grammatischen 
Verhältnisse auf die Form der hebräischen Nomina kann also gar nicht die 
Rede sein; doch haben sie auch hier einen gewissen Einflufs geübt, nament- 
lich die enge Verbindung mit dem nachfolgenden Genitiv, zugleich aber auch 
mit einigen anderen Kategorien nachfolgender Wörter. Diese enge Verbin- 
dung bewirkt nemlich, wo es überhaupt möglich ist, gern die Verwendung 
einer kürzeren Gestalt des Nomen, als diejenige ist, welche ohne den ge- 
nauen Anschlufs an das Folgende in Gebrauch ist. So unterscheiden sich im 


Ppp 9 


484 Orssausen: Prüfung des Charakters der in den 


Hebräischen der sog. status absolutus und der status constructus des Sin- 
gulars in den meisten Fällen etwas von einander. Das Vortreten des Arti- 
kels übt nur bei sehr wenigen Formen einen wenig erheblichen Einflufs auf 
die Gestalt des Nomen im Singular, im Plural und Dual aber gar keinen. 
Dagegen hat sich bei diesen in ähnlicher Weise wie im Arabischen eine dop- 
pelte Form in Gebrauch erhalten, die ohne alle Beziehung auf den Casus- 
werth entweder als szatus absolutus oder als Verbindungsform (status con- 
strucitus) gebraucht werden. Es sind die bekannten Endungen =>_ und »_ im 
Plural, =: und »_im Dual. 

Das Aramäische steht hinsichtlich der Vernichtung der Casuszeichen 
und der Entstehung des status constructus im Wesentlichen ganz auf glei- 
cher Stufe mit dem Hebräischen; nur ist beim Singular des masc. in Folge 
der weiter fortgeschrittenen Zerstörung meist aller für die Aussprache ent- 
behrlichen Vocale ein äufserer Unterschied zwischen dem status absolutus 
und constructus selten mehr vorhanden. Dagegen ist hier eine andere Ver- 
änderung eingetreten, die erst durch die Zerstörung des Casus möglich 
wurde, aber im Hebräischen keinen Eingang gefunden hat. An die Stelle 
des artic. determ. tritt eine vocalische Endung, und zwar regelmäfsig und 
ursprünglich ein A-Laut, der jedoch unter Umständen lautlich etwas abge- 
ändert wird. Das Verfahren ist der Art und Weise vergleichbar, wie in 
den modernen nordischen Sprachen der bestimmte Artikel ersetzt wird. 
Diese Art der Bildung wird durch den Namen des status emphaticus be- 
zeichnet; er findet sich am Singular und Plural ohne wesentliche Verschie- 
denheit der Gestaltung. 

Das Äthiopische gestaltet sich in Bezug auf die hier besprochenen 
Verhältnisse anders, als das Hebräische und Aramäische. Es hat die Casus- 
endungen zwar gröfstentheils, aber nicht ganz, aufgegeben und insbesondere 
geht der Accusativ noch vielfältig auf @ aus, wie im Arabischen, womit je- 
doch eine Gleichheit des Ursprungs der gleichlautenden Endungen noch 
nicht erwiesen ist. Ein siatus constructus hat sich auf der anderen Seite 
auch hier schon gebildet, aber in ganz anderer Weise wie im Hebräischen 
und Aramäischen, nemlich ebenfalls durch Anfügung eines @, welches con- 
stant am Singular wie am Plural erscheint und als ein ganz neu hinzutreten- 
des Element anzusehen ist. 


assyrischen Keilinschriften enthaltenen semitischen Sprache. 485 


Fragen wir nunmehr, wie sich das Assyrische zu allen diesen verschie- 
denen Gestaltungen verhält, — in Betreff der Casuszeichen, des status ab- 
solutus und constructus, des status emphaticus, — so liegt die Sache, so- 
weit ich sie nach dem mir vorliegenden Material beurtheilen kann, etwa so. 

Die entzifferten Inschriften zeigen in vielen Fällen hinter der Grund- 
form der Nomina im Singular die drei vocalischen Ausgänge, welche im 
Arabischen die Casus bezeichnen, theils mit nasalem Nachklange, theils 
ohne denselben. Den früheren Werth des Casuszeichen scheinen sie zwar 
nicht durchweg, aber doch gröfstentheils schon verloren zu haben; ob in 
ihrer Verwendung mit und ohne Casuswerth ein Unterschied nach dem Zeit- 
alter gemacht werden kann, ist für jetzt noch nicht klar. Zwischen den 
nasalirten und nicht-nasalirten Formen zeigen sich ähnliche Unterschiede 
wie im Arabischen nicht. Der Nasallaut, der im Arabischen bei einem 
determinirten Nomen in der Regel unterdrückt wird, steht im Assyrischen 


auch in diesem Falle häufig; nach welchen Gesetzen dabei verfahren wird, 


8) 
ist noch auszumachen. — Neben und mitten unter den Formen mit vocali- 
schem Ausgange, mit oder ohne Nasal, stehen häufig nackte Formen, — im 
Singular die Grundformen selber; — und zwar insbesondere da, wo in an- 
deren semitischen Sprachen die Verbindungsform, der status constructus, 
gebraucht wird, also vornehmlich vor nachfolgendem Genitiv; aber auch 
wie häufig im Hebräischen vor Relativsätzen. Während man also z. B. 
"a9 n7O rex magnus sagt, mit dem Endvocale, heiflst es mo 70 rex regum. 
Ebenso x5>% m Zu rex, aber »>>2 72% u. dgl. m. Diese Beispiele gehören 
dem Singular an; im Plural steht dagegen die gewöhnlichste Form auf >_ 
(oder vielleicht »_) ganz ohne Abänderung da, die auf eine ehemalige Casus- 
bildung schliefsen lassen könnte. Sie gilt gleichmäfsig für die Haupt- und 
für die Verbindungsform (status absolutus und constructus). Sie darf wohl 
als eine verhältnifsmäfsig junge Form angesehen werden, die nach der Ana- 
logie der übrigen Sprachen zu urtheilen früher im status absolutus einen 
Consonantlaut hinter dem Vocale besessen hat. Ungleich auffallender, als 
das Alleinstehen dieser ersten Pluralform ist die Fähigkeit der zweiten En- 
dung _, alle drei Vocale anzuhängen, wie im Singular. Dies stimmt auf 
keine Weise zu dem Verhalten der verwandten Sprachen in den einigerma- 
{sen vergleichbaren Bildungsweisen; am allerwenigsten darf aber dabei an 
ein ähnliches Verfahren gedacht werden, wie das im Äthiopischen bei der 


486 ÖOLSHAUSERN: Prüfung des Charakters der in den 


Bildung des status constructus angewandte, welches in seiner Art gänzlich 
isolirt dasteht. Die zunächst verwandte seltne assyrische Plural- Endung 
- kommt mit angehängtem Vocale nicht vor und eine solche darf dort auch 
nicht vermuthet werden. Hingegen zeigt die letzte der sog. Mase. -Endun- 
gen r'- und ebenso die beiden Feminin-Endungen r_ und r>_ (oder r>_) die 
Vermehrung durch die drei Vocale ui a. Die Anfügung der Casusendun- 
gen ist, wie wir sahen, auch bei den Pluralen, die auf n ausgehen, im Ara- 
bischen üblich; unterscheidet man dort nur mehr zwei Formen, indem Ge- 
nitiv und Accusativ zusammenfallen, so ist es doch sehr zweifelhaft, ob dem 
von jeher so gewesen ist, und jedenfalls erwächst aus diesem Unterschiede 
kein erhebliches Bedenken gegen die Thatsache. — Für den Dual fehlt es 
an Material die hier in Betracht kommenden Fragen zu beantworten. 

Falls sich die hier vorgetragene Ansicht bewähren sollte, so würde 
die assyrische Sprache in Bezug auf Casusbildung und was damit zusammen- 
hängt dem Arabischen näher stehn, als irgend eine andere semitische Sprache. 
Sie wäre in einem gewissen Übergangsstadium begriffen, innerhalb dessen 
möglicher Weise noch bestimmte Zeitunterschiede nachgewiesen werden 
können. Die erwähnten nackten Formen, die vorzüglich vor nachfolgenden 
Genitiven auftreten, können gewissermalfsen als ein status constructus ange- 
sehen werden, und stehen ungefähr auf gleicher Stufe mit dessen Gestal- 
tung im Aramäischen, wo sich aber der status absolutus fast nie mehr von 
jenem unterscheidet. Ein szatus emphaticus existirt nicht, — auch da nicht, 
wo Hr. Oppert dergleichen zu finden vermeint. 

Hr. Oppert hat nemlich in diese ganze Sache dadurch eine so grofse 
Verwirrung gebracht, dafs er in der Bildung der ehemaligen Casus mit na- 
salem Nachklange den Ursprung des sog. status emphatieus der Aramäer 
gefunden zu haben glaubt. Es ist das aber eine Annahme, die auf keine 
Weise zugegeben werden kann. Der Werth der Nasalirung des Casus- 
vocals im Arabischen und des status emphaticus im Aramäischen ist nicht 
blofs ein ganz verschiedener, sondern gradezu ein entgegengesetzter: der 
Araber nasalirt die Endung des indeterminirten Wortes, der status empha- 
tieus bezeichnet das determinirte Wort. Die Nasalirung haftet wesentlich 
an der Casusendung, der status emphaticus wird erst durch deren Abstrei- 
fung möglich. Wenn es an sich denkbar ist, dafs aus einer Endung @ im 


assyrischen Keilinschriften enthaltenen semitischen Sprache. 487 


Aramäischen die Endung @ geworden wäre, ist es doch im höchsten Grade 
unwahrscheinlich, ja unmöglich, dafs auch aus @ und z @ werde. 

Hr. Oppert hat den nasalirten Vocal, der sich im Assyrischen als « 
mit nachfolgendem m oder w zeigt, seiner Hypothese zu Liebe, stets mit x 
am Ende geschrieben, in Nachahmung der aramäischen Schreibweise. Auch 
dies kann nicht gebilligt werden und kann in einzelnen Fällen zu Mifsdeu- 
tungen führen. Vor Allem ist aber zu bedauern, dafs Hr. Oppert durch 
seine incorrecte Auffassung der hier in Betracht kommenden grammatischen 
Verhältnisse zum Nachtheil seines löblichen Unternehmens verhindert wor- 
den ist, auf die wesentlichen Puncte seine Aufmerksamkeit zu richten. 

Es wird nicht überflüssig sein, nach diesen Bemerkungen über die 
allgemeinen Verhältnisse der Nomina nunmehr auch auf einzelne Grundfor- 
men, die nachgewiesen sind, einen Blick zu werfen. 

Hier zeigt sich die einfachste Bildungsweise, nach welcher die drei 
Wurzelconsonanten zusammen nur einen, an sich kurzen Vocal besitzen, 
hinsichtlich der Stellung des Vocals in Übereinstimmung mit dem im Ara- 
bischen und Hebräischen geltenden Gesetze. Der Vocal folgt auf den er- 
sten Radical, nicht wie im Aramäischen auf den zweiten. Ohne eupho- 
nische Umwandlung bleiben aber diese Formen, die wir im Arabischen 


durch die Formeln \» bezeichnen, selten, und darin stimmt das Assyrische 


wesentlich mit dem Hebräischen überein. Wir finden demnach allerdings 
von sog. tauben Wurzeln, deren zweiter und dritter Radical derselbe ist, 
Nomina wie 0 König, yp Ende, u. dgl. m.; dagegen nehmen die Derivate 
starker Wurzeln, wie es scheint, regelmäfsig zwischen dem zweiten und 
dritten Radical einen Hülfsvocal an, wie im Hebräischen ; nur wiederholt 
sich im Assyrischen jedesmal der Grundvocal selbst in seiner ursprüngli- 
chen Gestalt, als @ oder üö; z. B. z>x = hebr. zax Jaus »alp, z>x = v>x, 
2r= 21, "ED = "en, während das Hebräische den Grundvocal in den mei- 
sten Fällen verlängert und als Hülfsvocal vorzugsweise das stumpfe & ge- 
braucht. Der Standpunct des Assyrischen wird dabei als der alterthümli- 
chere anzusehen sein. Bei hohlen Wurzeln (mit mittlerem 7 oder ») ver- 
schmilzt der weiche Consonant mit dem vorhergehenden Vocal, der dadurch 
nothwendig verlängert wird, z. B. in "w, gleichbedeutend mit dem hebr. 
-ö Rind, aber mit anderem Grundvocal. Ähnlich verhält es sich mit mitt- 


488 Orsuausen: Prüfung des Charakters der in den 


lerem x: wnn, gleichbedeutend mit ws”, ebenfalls mit anderem Vocal, aber 
vollkommen übereinstimmend mit der Grundlage des Wortes rmöny. — Die 
Nomina mit zwei kurzen Grundvocalen, — einem hinter jedem ae beiden 
ersten Radicale, — zeigen einige bemerkenswerthe Erscheinungen. Die De- 
rivate hohler Wurzeln stofsen wiederum nach Analogie des Hebräischen den 
mittleren weichen Radical (7 oder >) aus: =9 (= ='u aus =u für /awäb); bei 
ma jedoch, das auf ganz gleicher Grundlage beruht, wie das hebr. ra (für 
=), sind nicht die beiden Vocale & / in € vereinigt, wie im Hebräischen, 
sondern es ist — weniger naturgemäfs — der erste Vocal (ö) ganz aufgege- 
ben und der zweite verlängert. Ferner wird bei starker Wurzel hinter dem 
zweiten Vocal der dritte Radical, sofern ihm noch ein Vocal folgt, in man- 
chen Beispielen verdoppelt. Im Hebräischen findet sich diese Verdoppe- 
lung ebenfalls häufig, und dort beruht sie auf einem euphonischen Grunde, 
der zu dem Lautsystem des Hebräischen vollkommen pafst. Im Assyrischen 
ist die Sache auflallender, weil hier der kurzen Aussprache des Vocals in 
offener Sylbe kein Hindernifs entgegen zu stehen scheint, wie im Hebräi- 
schen in allen hieher gehörenden Fällen. Hr. Oppert führt z. B. an: 
s>71 Gröfse (im alten Nominativ), lautlich grade so behandelt wie die 
gleichbedeutende hebräische Femininform 7573; ebenso sır> Lein, den Wur- 
zellauten nach zu vergleichen mit dem hebr. r:n>, und nah verwandt mit 


dem arab. ae 8, cotton, Kattun. 

Unter den Nominibus aus vermehrter Wurzel sind die Formen mit 
vortretendem ® hervorzuheben, von denen sich im Hebräischen das einzige 
Wort rar>w erhalten hat. Formen mit reduplieirtem zweiten oder dritten 
Radical lielsen sich natürlich erwarten, aber höchst bedenklich erscheinen 
die Beispiele, in welchen eine Verdoppelung des ersten Radicals ange- 
nommen wird. Sie sind zum Theil ohne Zweifel blofs als Verstümmelun- 
gen solcher Nomina anzusehen, in denen einst die ganze, aber auf zwei 
Radicale zurückgeführte Wurzel wiederholt war, in ähnlicher Weise wie 
im Hebr. =3'2 99» u. dgl. m. Bemerkenswerth sind Formen mit einge- 
schobenem » hinter dem ersten Radical, die im Hebräischen gänzlich fehlen. 
Sie sind sicher als Derivate gewisser Verbalformen anzusehen, die nachher 
werden erwähnt werden. 

Von den vor die Wurzel tretenden Consonanten, die zur Bildung der 
Nomina dienen, finden sich im Assyrischen x » 7 ganz wie in den übrigen 


assyrischen Keilinschriften enthaltenen semitischen Sprache. 489 


semitischen Sprachen, aber das > fehlt, indem es durch s ersetzt wird (wie in 
den Wurzeln das initiale 7 seinerseits auch durch s ersetzt wird). Dagegen 
tritt hier das » hinzu, und zwar in zahlreichen Beispielen, welche die Beob- 
achtung hinlänglich sichern. Hr. Oppert rechnet auch die bekannten Ei- 
gennamen 7505 >373 xı22 hieher, sowie die in den Inschriften freilich nicht 
vorkommenden Namen 7%: 1723 u. a. m. 

Unter den Nominalformen mit Bildungs-Suffixen sind die auf 7_ (oder 
vielleicht 7_) durch zahlreiche Beispiele gesichert. Wir begegnen alten Be- 
kannten, wie jap Opfer (= 13m), >w König (= „lals), u.s. w.;im 
Feminin: n>a>s Wittwe. — Ein anderes sehr gewöhnliches Suffix ist _, 
dem hebr. »_ bei Bildung von Gentilnamen entsprechend : 7772 >22 72, mit 


der Femininendung r>_. Die Abstractendungen »_ und 5 finden sich meist mit 
der Femininendung, was bekanntlich im Hebräischen auch vom ı gilt: mon 
Gottheit, ro Königthum, nı2>a2, und mit m_: mn humanitas (das 
vordere n dient der Nominalbildung). 

Noch müssen hier die Zahlwörter erwähnt werden, obgleich deren 
Form von der der übrigen Nomina nicht abweicht. Es findet sich darunter 
für die Zahl 1 das merkwürdige Wort jr&y, von Oppert, wie ich glaube, 
ohne allen Grund als sitatus emphaticus bezeichnet. Dasselbe stimmt zu 
dem bekannten räthselhaften »nöy im Hebräischen, in der Zahl wy muy 11, 
Femin. 7-03 mir, wo statt derselben Form eine andere — nemlich eine 
Femininform — erwartet werden durfte. Im Assyrischen aber wird nach 
Oppert als Feminin zu jndy die Form rs (entsprechend dem hebr. rs) 
gebraucht, mit der Nominativendung sans. Die Wörter für 2: »wW und 
yıd, Fem. nV und Pn>W, sind unzweifelhafte Dualformen und den im Ara- 
bischen, Hebräischen etc. üblichen vollkommen analog gebildet. 

Hinsichtlich der Zahlen von 3—10 mufs im Allgemeinen bemerkt 
werden, dafs sie sich in syntaktischer Beziehung im Assyrischen ganz so ver- 
halten, wie in den übrigen semitischen Sprachen, d. h. so dafs die Masc.- 
Form bei femininem Geschlecht des gezählten Gegenstandes zur Anwendung 
kommt und umgekehrt, eine Erscheinung, die damit zusammenhängt, dafs 
nach semitischer Anschauungsweise zwischen der Zahl und dem gezählten 
Gegenstande kein Coordinations-, sondern ein Subordinations-Verhältnifs 


stattfindet. — Die einzelnen Zahlen der ersten Dekade zeigen übrigens nur 
Philos.-histor. Kl. 1864. Qqgq 


490 Orsnavusen: Prüfung des Charakters der in den 


einige geringfügige Abweichungen in der Vocalisation, wie z. B. ww, Fem. 
nuswW, neben WW &8S; ww, Fem. rüw, neben hebr. ww; sau, Fem. nyaV, 
neben saW etc. Die Zahlen für 8 und 9 sind noch nicht aufgefunden , was 
namentlich in Betreff der 8 bei deren eigenthümlicher, meiner Meinung 
nach ursprünglich dualischer, Bildung in den verwandten Sprachen sehr zu 
bedauern ist. Für 10 sind "ir, was einer hebräischen Form "by entsprechen 
würde, und Fem. nyi2y nachgewiesen. Für die Zahlen von 20—90 herrscht 
die Endung _, d. h. eine alterthümliche Pluralendung, in Nineve aber ver- 
stümmelt @, nach äthiopischer Weise. 100 ist sa, allem Anscheine nach 
die Masculinform zu der üblichen hebräischen und arabischen Form: mx, 
dann „x an. — 

Von Ordnungszahlen ist nur jnwı der Erste bekannt, zwar nicht 
der Form, wohl aber dem Ursprung nach, dem hebr. jıux7 entsprechend. 
— Die Bruchzahlen bilden sich nach bekannter Analogie im Arabischen 
mit dunklem Vocal: xwsu n737 etc. Auffallend ist aber die Angabe Op- 
pert’s, dafs xöu nicht blofs 4, sondern auch £ und daher die Minute 
bedeutet. Der sürcos bei Eusebius und dem Syncellus ist indessen unzwei- 
felhaft dasselbe Wort; es ist wirklich der 60ste Theil des vagcs. 

Ich gehe zur Betrachtung der Verbalbildung über, die wiederum 
wesentlich der der übrigen semitischen Sprachen gleicht, aber auch einige 
sehr interessante Eigenthümlichkeiten aufweist. Von besonderer Wichtig- 
keit ist der Umstand, dafs von den drei Formengruppen, welche sonst re- 
gelmäfsig aus dem Verbum gebildet werden, dem Perfect, dem Imperfect und 
dem Imperativ, dem Assyrischen die erstgenannte gänzlich abhanden ge- 
kommen zu sein scheint. Hr. Oppert führt nur zwei Beispiele aus persi- 
scher Zeit an, welche vielleicht als Perf. angesehen werden könnten : ws 
sie tragen, gut entsprechend hebr. si}, und '>>, angeblich: sie hiel- 
ten, von einer Wurzel 7->, d.h. mit schwachem » oder > an der dritten 
Stelle, wobei aber weder der dunkle Vocal der ersten Sylbe, noch die Ver- 
doppelung des zweiten Radicals erklärt wird. Wie dieses alt-semitische Ei- 
genthum dem Assyrischen hat verloren gehen oder doch aus dem gemeinen 
Gebrauche hat verschwinden können, bleibt unter allen Umständen räth- 
selhaft. 

Betrachten wir die einzelnen Classen der assyrischen Verba näher, 
und zwar zunächst die Activverba von einfacher trilitterer Wurzel, so fin- 


assyrischen Keilinschriften enthaltenen semitischen Sprache. 49 


den wir im Imperfect die Subjects- oder Personal -Bezeichnung in voll- 
ständiger Analogie mit dem anderweit Bekannten. Die vor die Prädicats- 
bezeichnung, oder die sog. Wurzel der Verba, tretenden abgekürzten Pro- 
nomina der ersten und zweiten Person erscheinen auch hier als ms». Der 
Bindevocal, der ihm folgt, ist nach der besonders im Arabischen erhaltenen 
alterthümlichen Weise in der Regel ö; ebenso hat die dritte Person unzwei- 
felhaft das » als Pronomen besessen, und unter dem Einflusse dieses Conso- 
nanten ist das & in ? abgeschwächt, nach hebräischer Weise, das > selbst aber 
wird nicht mehr gehört. Man flectirt also : ">77 d. h. iskur, 'n in man STR 
u.s. w. In den Inschriften aus Babylonien findet sich jedoch bei dem x 
der ersten Person sing. der Vocal &, was wiederum zum Hebräischen stimmt, 
z. B. ">08; und durchweg haben die Verba von Wurzeln mit anlautendem > 
den Vocal 3: v=y3, im merkwürdigem Gegensatze zu dem Einflusse dieses 
eigenthümlichen 'Consonanten in den anderen semitischen Sprachen. Im 
Plural endigen die zweite und dritte Person im masc. auf », seltener, aber 
alterthümlicher, auf 7_, im Fem. auf s_, seltener js_. Das Feminin der 
dritten Person behält überdies die Pronominalbezeichnung mit > vor der 
Wurzel, während das Hebräische bekanntlich n angenommen hat. Die 
Flexion ist darnach im Plural diese: izkürü oder ün, izkur& oder än, taz- 
kurü(n) -ä(n) nazkür. In der zweiten Sylbe des Imperfects finden wir 
aufser dem ı als Hauptvocal auch @ und z wieder vor, z. B. n2x> icbat er 
nimmt (nach Oppert); yrm irhie, er überschwemmt. 

Die alten Modusunterschiede im Imperfect scheinen im Assyrischen 
allmählich zu Grunde gegangen zu sein; doch behauptet Oppert, dals 
neben den bisher erwähnten gewöhnlichen Formen, die mit den entspre- 
chenden hebräischen wesentlich auf gleicher Stufe stehen, in den Inschriften 
noch zahlreiche Beispiele mit vocalischem Ausgange hinter dem dritten 
Radical vorkommen, Formen also wie izkuru und izkurä neben izkur. Diese 
Formen würden dann wohl als alte Indicative und entweder Conjunctive 
oder sogenannte energische Formen anzusehen sein, die von der vocallosen 
Form (dem dritten Modus im Arabischen) nach und nach verdrängt wären, 
wie es im Hebräischen nicht minder der Fall gewesen. 

Über den Unterschied im Gebrauche dieser alten Formen fehlt es 
leider bisher an Auskunft. Mit Sicherheit kann indessen angenommen wer- 
den, dafs in dem von Oppert sogenannten Precativ die vocallose Form 


Qgq2 


492 Orsnavsen: Prüfung des Charakters der in den 


ursprünglich enthalten ist. Derselbe wird in Übereinstimmung mit bekann- 
ter arabischer Weise durch Verbindung der Präposition > mit der dritten 
Person des Imperfects (condit.) gebildet. Bemerkenswerth ist dabei, dafs 
sich im Assyrischen für den Singular kein Unterschied zwischen dem Mas- 
culin und Feminin zeigt; beide lauten gleichmälsig: 375 nax> yr7> u. s. w. 
Im Plural aber, wo die Geschlechtsbezeichnung mit in der zahlbezeichnen- 
den Endung enthalten ist, scheiden sich das Masculin »>7> ete. und das Fe- 
minin w72r> 

Der Timer ativ hat in der zweiten Person masec. sing. eine doppelte 
Form, wie im Hebräischen: ">71, entsprechend der Form 57, und w237 = 
hebr. 721. Die letztere Form fällt aber nun mit dem Feninit des Plural 
lautlich zusammen; denn die weitere Flexion ist diese: »ı>7 "a7 731. Hin- 
sichtlich der Vocalisation herrscht dieselbe Mannigfaltigkeit, wie im Im- 
perfect: nax ym. 

Die dem einfachen trilitteren Verbum entsprechenden Infinitivfor- 
men bieten nichts Abweichendes dar; im Be dieser Classe steht das 

Assyrische auf der Stufe des Arabischen: 2}, Fem. n- etc. 

Die activen Verba von vermehrter Wut zel — Pa«=El, Sapsel und 
oapzel — stimmen mit den vergleichbaren arabischen Verbis in der Regel 
darin überein, dafs sie die Personalbezeichnung mit der Verbalwurzel mit- 
tels des Vocals & verbinden. So in Pasel: "27, oder mit 7 in der letzten 
Sylbe, wie im Arabischen und gröfstentheils auch im Hebräischen: z>w>. 
Oppert führt jedoch daneben auch z>% auf, worin das ö in 7 abgeschwächt 
erschiene. — Der Imperativ und der Infinitiv fallen durch den dunkeln 
Vocal der ersten Sylbe auf: impt. ">> 2»; inf. ">> DW oder mit der Fem.- 
Form re>W nı22. Im Partieip dagegen i in richtiger Analogie: "20 Dawn. 

In Sapsel: impf. mit ö&: joa vWnawr; bei » als erstem Radical 
wieder: au; sehr selten auch mit dreifachem ü. Imperativ und Infini- 
tiv nach Analogie des Pas! mit dunklem Vocal: zoaW ward; inf. _. — 
oapeel ist überhaupt selten und wohl möglich, dafs es erst ein jüngeres ‚Ge- 
bilde aus Sagsel ist, dessen Zischlaut in einen Hauchlaut überging. 

In Nipsal ist der Bindevocal der Personalbezeichnung im Imperfect 
nicht mehr «, sondern &, oder statt dessen das abgeschwächte 7: "027 ippa- 
lir, tappatir ete., ganz nach arabisch-hebräischer Weise. Der Imperativ 
dagegen: uz2, inf. "urs, während im Hebräischen und Arabischen das 


assyrischen Keilinschriften enthaltenen semitischen Sprache. 493 


charakteristische > vocallos bleibt; doch lassen sich einige hebräische In- 
finitivformen vergleichen, die nur adverbiell (als sog. Inf. abs. oder als ab- 
solutes Object) gebraucht werden; so: binm in Tipm 9082) Erb ete., die 
sich nur durch den constant verwendeten langen Vocal in der Hauptsylbe 
unterscheiden. 

Die Passiva erscheinen nach Oppert in der alt-semitischen, blofs 
durch Vocalveränderung aus dem Activ gebildeten Form äufserst selten. 
Doch führt er aus einer Tafel bei Layard das Imperfect im Plural »>u7> an, 
sie wurden getödtet, in welchem nur der ö-Laut der zweiten Sylbe, dem 
arabischen & gegenüber, auffällt. — Die übliche Weise der Passivbildung 
ist dagegen dem im Aramäischen herrschenden von ursprünglich medialer 
Bedeutung analog. Das Charakteristische derselben ist im Assyrischen die Ein- 
schiebung eines rn hinter dem ersten Consonanten der entsprechenden Activ- 
form. So entstehen Verba von der Form Ipr’sal, Iptasal, Istapsal und 
seltener ittapsal (zu oap=el gehörig). Die Imperfecta zeigen keine Eigen- 
thümlichkeit, sondern folgen durchweg bekannter Analogie; aber Impera- 
tivformen, wie Denu pnD (in Ipr'zal), und Infinitive wie z>nW pr» sind 
wohl nur dem Assyrischen eigen gewesen. 

Die allgemeinen Bildungsgesetze der Verba sind im bisher Gesagten 
immer nur durch Beispiele erläutert, die von starken Wurzeln abgeleitet 
sind; es ist noch Einiges über die Anwendung derselben Gesetze auf 
schwache Wurzeln zu sagen, d.i. auf solche Wurzeln, in denen ein Con- 
sonant oder auch deren zwei den Consonantwerth gänzlich aufgeben, wodurch 
nothwendig das normale Verhältnifs der Sylben alterirt wird. 

Darnach gehören von den Verbis, deren erster Radical ein schwacher 
ist, die »2nicht insofern hieher, als sich das 3, wo es die Sylbe schliefst, in den 
meisten Fällen dem folgenden Consonanten assimilirt; denn wenn statt >> ge- 
sprochen wird 27, so bleibt die formale Beschaffenheit der Sylben da- 
bei unverändert. Anders verhält sich aber die Sache, wenn, wie Op- 
pert angiebt, in einigen Verbis das anlautende > im Imperativ abfällt. Be- 
kanntlich ist dies auch im Hebräischen bei einem Theile der Verba > der 
Fall, doch gestaltet sich die Sache im Assyrischen anders und weniger na- 
türlich, als im Hebräischen. Im Hebräischen ist > @s jn u. dgl. für >33 ete. 
bei der Vocallosigkeit des Nasals leicht begreiflich; im Assyrischen tritt da- 
gegen statt "x>, was den allgemeinen Gesetzen entsprechen würde, EN ein, 


494 Orsnuausen: Prüfung des Charakters der in den 


wovon der Grund schwer zu finden sein möchte. Diese Erscheinung ist um 
so auffallender, da die Verba, deren erster Radical ein x, stellvertretend für 
yist, den Imperativ in völliger Übereinstimmung mit dem Hebräischen bil- 
den, also so: > (hebräisch, nach den jüngeren Lautgesetzen, > von > = 
"), Fem. >>, pl. m. »7>, Fem. x7>. Und bei derselben Classe schwacher 
Verba ist auch die Imperfeet-Bildung der im Hebräischen und noch genauer 
der im Arabischen durchaus analog: >> a 'n sn an etc. Endlich stimmt 
auch der Infinitiv #7> in der Feminin-Form mit dem Hebräischen n7> so ge- 
nau überein, als es die unwesentlichen Unterschiede in den Lautgesetzen 
irgend gestatten. Daneben findet sich auch eine Masculin-Form >x, die 
den ersten Radical behalten hat; dazu wären aber die hebräischen Infini- 
tive 70° pr u.s. w. zu vergleichen, die nur einen andern Vocal haben. — 
Auf die Verba von vermehrter Wurzel "> oder dafür assyrisch 's» will ich 
hier nicht weiter eingehen und nur auf die Congruenz des Imperfects und 
Particips in Sapsel mit den entsprechenden arabischen Formen hindeuten: 
Sun aUn. 

Die hohlen Verba (*r und "s) zeigen im Imperfeet zum Theil die- 
selbe naturgemäfse Entwicklung wie die im Hebräischen und Arabischen ge- 
wöhnliche, also wie: j>> jan ete.; daneben aber auch häufigst die im He- 
bräischen seltne mit Verdoppelung des ersten Radicals, welcher hier keinen 
andern Zweck hat, als den, den Sylbenfall der Verba von starker Wurzel 
wieder herzustellen. So z. B. "> n etc. Imperativ: n ete. Infinitiv: m. 
Im Partieip scheiden sich hier — und nur hier — eine Activform jı 7, 
seltener nach arabischer Bildungsweise =°7 u. dgl., und eine Passivform 
y> a, wie sie das Aramäische in genau entsprechender Weise darbietet. 
Auch bei dieser Classe kann ich die Verba von vermehrter Wurzel füglich 
übergehen. 

Was Hr. Oppert über die Verba mit schwachem dritten Radi- 
cal anführt ist noch sehr unbefriedigend und scheint weiterer Aufklärung zu 
bedürfen. Über die Verba, deren zweiter Radical sich an der dritten Stelle 
wiederholt, — die sogenannten tauben Verba der Araber, — die freilich 
in der Regel schwache Consonanten nicht enthalten, aber den Sylbenbau 
der Verba von starker Wurzel in ähnlicher Weise modifieiren, wie ein Theil 
der Verba von schwacher Wurzel, und insbesondere den hohlen Wurzeln 


assyrischen Keilinschriften enthaltenen semilischen Sprache. 495 


nahe steben, — über diese geht Oppert fast ganz hinweg, so dafs auch 
darüber ein wissenschaftliches Urtheil noch nicht möglich ist. 

Verba von quadrilitteren Wurzeln sind im Assyrischen selten und 
geben mir zu weiteren Bemerkungen keinen Anlafs. 

Ich kann hier diese Betrachtung der assyrischen Formenlehre schlie- 
fsen, und darf wohl behaupten, dafs sich daraus für die Zuverlässigkeit der 
Entzifferung der Inschriften ein im Grofsen und Ganzen sehr günstiges Re- 
sultat ergiebt. Allerdings sind noch einige, doch nicht sehr umfangreiche 
Lücken sowohl in der Laut- als in der Formenlehre auszufüllen, manche 
Puncte genauer zu prüfen und zum Theil zu berichtigen; aber die hervor- 
stechenden formalen Eigenthümlichkeiten des semitischen Sprachstammes fin- 
den sich so unzweideutig wieder, dafs über die Natur der assyrischen Spra- 
che kein Zweifel zulässig erscheint und auf der bereits gewonnenen Grund- 
lage mit Vertrauen weiter gebaut werden darf. 

Das Assyrische steht hinsichtlich des consonantischen Theils seiner 
Wörter dem Hebräischen am nächsten; die Vocale in geschützter Stellung, 
d. h. im Innern des Wortes, sind ebenso gut und vollständig erhalten, wie 
im Alt-Arabischen; dasselbe gilt zum Theil von den auslautenden Vocalen, 
welche der Flexion angehören; aber das Abstreifen derselben beginnt schon 
in derselben Weise, die wir im Hebräischen und Neu-Arabischen herrschend 
finden. Dies wird mit den zeitlichen Unterschieden zusammenhängen, die 
zwischen den verschiedenen Inschriften stattfinden, und sowohl hierauf, als 
auf die localen dialectischen Verschiedenheiten wird noch ferner die gröfste 
Aufmerksamkeit zu verwenden sein. Eigentlich fremdartigen Erscheinun- 
gen begegnet man in dem formalen Theile der Sprache nicht, und selbst in 
dem Material derselben, im Wortvorrath, scheinen entlehnte, dem semiti- 
schen Stamm fremde Bestandtheile äufserst selten zu sein. Dagegen findet 
sich eine grofse Zahl von Wurzeln echt-semitischer Gestaltung, die uns an- 
derweitig nicht bekannt ist. In Betracht der zeitlichen und örtlichen Ver- 
hältnisse der verschiedenen semitischen Sprachen kann dies nicht sonderlich 
auffallen; aber es erschwert das leichte und sichere Verständnifs der In- 
schriften aufserordentlich, obgleich die Vergleichung der alt-persischen 
Texte bei einem Theile derselben eine willkommene Hülfe gewährt. Meh- 
rere scharfsinnige Forscher sind freilich mit dem Versuche vollständigerer 


496 Ousuausen: Prüfung d. Charakters der in d. assyr. Keilinschr. etc. 


Erklärung der Inschriften kühn vorgegangen und das wird auch der Sache 
nicht nachtheilig werden, da die allmähliche Ausscheidung des Unhaltbaren 
nicht ausbleiben kann. Aber rathsam ist es um das Vertrauen auf eine gute 
Sache nicht abzuschwächen, dafs man dem neulich ausgesprochenen ent- 
schiedenen Begehren Rawlinson’s nachkomme, bei der Erklärung der In- 
schriften die Grenzlinie zwischen dem methodisch Ermittelten und dem blofs 
aus Vermuthung Ergänzten scharf anzugeben. Nur so werden endlich die 
wesentlichen Resultate der bisherigen Entzifferungs-Arbeit rückhaltlose An- 
erkennung finden und der echt-semitische Charakter der assyrischen Sprache 
nicht länger in Zweifel gezogen werden. 


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